Nach vier Jahren eines heftigen Partheykampfes, eines unſinnigen Widerſtandes gegen die Anſprüche der Zeit und theilweiſer Einräumungen von der einen Seite, und mancherley Uebertreibungen von der An¬ dern, iſt es endlich dahin gediehen, daß eine allge¬ meine Gährung aller Gemüther durch ganz Teutſch¬ land ſich bemeiſtert, und eine Stimmung eingetreten, wie ſie wohl großen Cataſtrophen in der Geſchichte voranzugehen pflegt. Was den thätigſten, ränkevollſten und verſchmitzteſten demagogiſchen Umtrieben für ſich von unten herauf nimmer gelungen wäre, das fried¬ liche, ruheliebende, nüchterne und gemäßigte teutſche Volk in allen ſeinen Elementen und Tiefen aufzure¬ gen und zu erbittern, das haben die, ſo von oben die Sache bey dem langen Arme des Hebels ange¬ griffen, durch behendes Entgegenkommen glücklich zu Stande gebracht; und wie ſie zum großen Theile die Ehre des gelungenen Werkes nicht ohne trifftige Gründe für ſich in Anſpruch nehmen dürfen, ſo rüſten ſie ſich auch mit freudigem Muthe zu vollbringen in kur¬ zer Friſt, was etwa noch dem Ganzen an der Vol¬ lendung abgehen möchte, damit die Arbeit in allen ihren Theilen den Meiſter lobe. Indem ſie jedesmal, wenn die aufgeregten Leidenſchaften ſich einigermaßen beruhigen wollten, zu ſchicklicher Zeit für einen neuen12Antrieb und Reiz geſorgt; indem ſie mit glücklicher Gewandheit bey Jedem die ſchwache Seite aufgeſpürt und geſchickt alle Vorkommniſſe der Zeit benutzt, um mit ſcharfer Schneide ſie gegen die wunden Stellen hinzurichten: haben ſie das Geheimniß wirklich aus¬ gefunden, Alle aufzubringen, daß ein gemeines Ge¬ fühl des Unmuths von einem Ende des Vaterlandes zum Andern geht, und die Regierungen ſich nun mit allem, was gut und edel und kräftig iſt, in dieſer Zeit in einen hoffnungsloſen Streit verwickelt finden, und in Irrſale verloren, denen ſie auf dem bisheri¬ gen Wege nimmer entrinnen mögen. Wie in drückend ſchwüler Sommerhitze die Schrecken eines dunkel auf¬ ziehenden Unwetters nichts über das innere Sehnen der Natur nach einer erfriſchenden Kühle, die in ſei¬ nem Gefolge geht, vermögen; ſo hat die Meinung auch ſchon mit dem Furchtbarſten ſich beynahe aus¬ geſöhnt, wenn es nur die Schmach der Gegenwart hinwegzunehmen verſpricht, und den Himmel von dem Qualm zu reinen Hoffnung giebt, der jetzt alle Glücks¬ ſterne ihr verhüllt. Darum ſchrecken ſie nicht jene Sturm¬ vögel, Vorboten des nahenden Ungewitters, die Jüng¬ linge, die ſich, um das Schlechte und Nichtswürdige in ſeinen Organen aus dem Weg zu räumen, dem Tode weihen; noch hat es ſie überraſcht, als man ihr von Berlin aus die Entdeckung einer großen weitumgrei¬ fenden Conſpiration zur Begründung einer teutſchen Republik angeſagt, weil die Erfahrung des letzten Menſchenalters ihr die Kenntniß des allgemeinen Welt¬ geſetzes ſattſam eingeprägt, dem zufolge jedes Aeu¬ ßerſte ſeinen Gegenſatz nothwendig und unausbleiblich3 hervorrufen muß. Nur Eines hat ſie mitten im Lärm erbrochener Kiſten und Kaſten, im Gehen und Kom¬ men der Gensdarmen und Polizeyhäſcher, beym haſti¬ gen Ueberrennen aller rechtlichen Formen in der vor¬ ſichtigſten Behutſamkeit, bey der Beunruhigung ruhi¬ ger Männer, die der gewöhnlichſte Lebenstatt ſchon zum voraus freyſprechen mußte, beym Verhören und Verſiegeln, Verhaften und der Haft entlaſſen; nur Eines hat ſie in Mitte all dieſer erſchrecklichen Bewe¬ gungen verwundert, daß man über dem Aufſpüren geheimer im Finſtern gehender Verſchwörungen, die eine Große nicht erkennt, die ihre weitläuftigen Ver¬ zweigungen über ganz Teutſchland durch alle Stände, Alter und Geſchlechter hinverbreitet; die murrend an jedem Heerde ſitzt, auf Märkten und Straßen ſich laut ausſpricht; die ohne Zeichen ſich in allen ihren Gliedern leicht erkennt, ohne geheime Obern und ohne Antrieb aus einer Mitte heraus doch im beßten Einverſtändniß ſtets zuſammenwirkt; die mit viel tau¬ ſend offnen Augen in's Verborgenſte hineinſchaut, und der viel tauſend Arme ſtets zu Gebote ſtehen: jene Verſchwörung nämlich, in der das entrüſtete Natio¬ nalgefühl, die betrogene Hoffnung, der mißhandelte Stolz, das gedrückte Leben, ſich gegen die ſtarre Willkühr, den Mechanism erſtorbener Formen, das freſſende Gift bewußtlos gewordener despotiſcher Re¬ gierungsmaximen, die das Verderben der Zeiten aus¬ gebrütet, und die Verſtocktheit der Vorurtheile ver¬ bunden haben, und die mächtig und furchtbar wie nie eine Andere, wachſend mit jedem Tage in Mach und Thätigkeit, ihr Ziel ſo ſicher erlangen wird, daß1*4die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs Ueberſchnellen ſteht.
Da die Sachen nun alſo ſtehen, und bis die Hand, die den Franzoſen ihr Mane, Thecel, Phares in die Flammen von Moscau hineingeſchrieben, auch unſere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen an den Himmel ſchreibt, iſt an Jeden, dem das Ge¬ tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der das Haupt noch in ruhiger Beſonnenheit über den bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu ſtehen auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬ laß. Allerdings hat Schweigen ſeine Zeit und das Reden die ſeinige. Wenn der menſchliche Dünkel keck das hohe Roß beſchreitet, und mit verhängtem Zügel nach allen Gelüſten ſeiner Einbildungen und Leidenſchaften jagt; wenn die Gewalt ihres Urſprungs und des innern Richtmaßes der Dinge vergeſſend, geängſtigt durch eine Zeit, die ſie nicht begreift, noch weniger zu bändigen weiß, alle ihre Faſſung verliert, taumelnd alle Grenzpfähle der Nemeſis niederreißt, und nicht blos die ethiſchen Schranken des Erlaubten und Unerlaubten durchbricht, ſondern ſogar alle die feinern Beziehungen deſſen, was ziemlich iſt und was ſich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald tyranniſche Gewaltthat übt, bald wieder ſchwach und nachgiebig, weil ſie durch jene ihr Recht verwirkte, ſich alles gefallen läßt: im Anfalle eines ſolchen Pa¬ roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite treten, und vertrauen auf das ſtarke Weltgeſetz, das Gott wie in die Natur, ſo in die Geſellſchaft hinein¬5 gelegt, und das mit ruhig unſcheinbarem Wirken und kaum ſichtbarem Widerſtande ſich jedes Uebermuthes leicht erwehrt, und alles Maaßloſe zum eignen Selbſt¬ mord drängt. Aber wenn nun nach ſolchen Anfällen wieder eine Remiſſion eintritt, und in lichten Augen¬ blicken die Beſinnung wiederkehrt; wenn die Natur der Dinge den Angriff abgewieſen, und das Band von Erz, das um das Ganze geſchlagen, federnd ge¬ gen den Aufſtand ſich nur ſtärker angezogen: dann mag ein Zuſpruch wieder an ſeiner Stelle ſeyn, und Reden iſt geboten. Wohl haben alle große Weltbege¬ benheiten ihre innere Naturnothwendigkeit, ihre Durch¬ gänge, Umläufe und Wiederkehren; wohl hat auch der Wahnſinn dieſer Zeit ſeine Stadien, ſein periodi¬ ſches Steigen und Fallen und ſeine critiſchen Augen¬ blicke, und in ſofern läßt ſich durch alles Mühen nichts ändern im Laufe der Dinge. Aber nur die Lei¬ denſchaften feſſeln an dieſe Naturgewalt; ſo viel hin¬ gegen von lichten Gedanken und beſonnenen Willens¬ kräften in den Begebenheiten wirkt, ſo viel Freyheit iſt in Ihnen; und wie die Vorſehung, nur wenn dieſe ſich verſagt, jene gegen ſich ſelbſt bewaffnet, dem Arzte gleich, der gegen die eine wildtobende Le¬ benskraft die andere ruhende aus ihrem Schlaf auf¬ ruft, ſo ſoll auch, wer auf eine kranke Zeit heilkräftig wirken will, zuerſt mit heller Augen Licht die herr¬ ſchende Ideenverwirrung klären, und es iſt dann ſchon ſo geordnet in der Welt, daß dem klar in ſich ver¬ ſtändigten Geiſte die dämoniſchen Mächte auch wider Willen dienen.
Der Verfaſſer dieſer Blätter hat im Verlauf des6 letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und ihr Vertrauen ſich erworben. Seither aus Gründen zurückgetreten, die er zum Theil ſo eben berührt, hat er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelaſſen, um antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, ſtra¬ fend und ermunternd, je nach ſeiner Ueberzeugung in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬ nes Vertrauens ſich erweiſe. Nicht kennend Menſchen¬ furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit immer nur halb zu zeigen wagt, hat er ſeines Her¬ zens Gedanken immer unverholen ausgeſprochen. Nur die Wahrheit hat er geſucht, und wenn er nach be߬ tem Wiſſen ſie gefunden, dann die Freyheit ſich ſelbſt dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit iſt ein vergrabener Schatz, eine verſchloſſene Quelle, ein ver¬ ſiegelter Born, (Hohelied II. 12.). Freyheit ohne Wahr¬ heitsliebe aber iſt unrecht Gut in eines Gottloſen Hauſe, ein feindſeliger geringer Epha (Micha, 27. 10. ), der höchſten Bosheit und feinſten Schalkheit Pallium und Palladium, wie Hamann ſchon bemerkt. Wenig gebend auf das, was man gemeinlich Menſchenklugheit nennt, aber keineswegs darum jener Höhern ſich entziehend, die mit jeder Einfalt ſich verträgt, iſt er gelaſſen ſeit¬ her nach menſchlicher Möglichkeit auf dem Pfad des Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem ſich überzeugt, daß dieſe Weiſe überall am ſchnellſten zum Ziele führt. Mit Sicherheit einem Inſtinkte ſich hin¬ gebend, der ſich mehr als einmal ihm bewährt; nicht grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder, die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬ ſchauung der Verhältniſſe hervorgegangen, außen ihre7 Stätte bereitet iſt, und ihre Wirkung, während das Verkehrte überall ſich ſelbſt vernichtet, hat er ruhigen Blicks ihre kreißenden Wellen verfolgt, bis ſie ſich mehr und mehr erweiternd in die Ferne verloren ha¬ ben. Nie der Wahrheit ihr Recht vergebend, obgleich im Eifer der Rede bisweilen, wie ſie ſagen, der Perſön¬ lichkeiten allzu wenig ſchonend, iſt er doch darum nie ernſthaft angetaſtet worden, weil das innere Rechts¬ gefühl, das unter den Teutſchen glücklicherweiſe ſelbſt in der Bruſt der Verſtockteſten nie ſich ganz will aus¬ rotten laſſen, immer in Geheim auf ſeine Seite ge¬ treten; die Schlechten aber, die ihre Arme gegen ihn gezuckt, in der Haſt ihrer Leidenſchaften ſich unterein¬ ander hindernd und ihre Angriffe gegenſeitig aufhe¬ bend, in der Mitte immer eine Straße offen ließen, durch die er ſicher durch ſie hingegangen. Die Unbe¬ fangenheit, mit der er in das Getümmel blickt, muß darum vor allen Andern noch als ein beſonderer Be¬ ruf erſcheinen, und die Pflicht ſchärfen, Vernunft zu reden, ſo lange es noch Zeit ſeyn mag, und ehe die Schwerter Zungen werden, die ihre Sprüche in's grüne Fleiſch einkerben. Darum ſey das Folgende ein Spiegel der Zeit hingeſtellt, in dem ſie einmal wie¬ der ernſten Blickes ihre eigene Geſtalt in's Auge faſſe. Es ſoll der Geiſt, der in dieſen Worten lebt, war¬ nend wie ein St. Elmsfeuer auf den Segelſtangen am Schiffe des Vaterlandes ſtehen, damit es auf die kommenden Gefahren ſich bereite, und entweder den ſichern Hafen ſuche, oder zeitig ins hohe Meer hin¬ ausſteche. Wenn beherzigt und in dem vielfach umge¬ ſtürzten Boden der Gegenwart aufgenommen, können8 ſie vielleicht zum Saatkorn einer beſſern Zukunft wer¬ den; wenn nicht, mögen ſie wie alles Frühere als Appellation der beſſern Gegenwart an die Nachwelt gelten, und als Verwahrung ihres geſunden Verſtan¬ des gegen böslichen Verdacht, der nur allzu ſehr durch die Ereigniſſe gerechtfertigt wird.
Wenn ein Uebel, das unter Einwirkung böſer Geſtirne ſich zuerſt erzeugt, dann unter der Ungunſt der Umſtände ſtetig wachſend ſich mehr und mehr in¬ nerlich befeſtigt hat, bis es endlich zu gewaltthätigen Ausbrüchen gelangt, wenn ein ſolches Unheil bis zum Grunde erwogen werden ſoll; ob es vielleicht durch ein gemeinſames Zuſammenwirken ſich zum Guten lenken möge: dann wird die fruchtbarſte Weiſe wohl jedes¬ mal diejenige ſeyn, die auf den Urſprung deſſelben zurückgeht, da wo es aus vielen verborgenen Quellen zuerſt zuſammenfloß und ihm dann durch alle Durch¬ gänge ſeiner Entwicklung folgt, bis dahin wo es zu ſeiner völligen Ausbildung gelangt, und dann die ge¬ wonnene Einſicht gegen das verworrene Treiben ſetzt, das gegenwärtig eine der Hauptquellen aller morali¬ ſchen und geſelligen Uebel iſt. Es läßt ſich aber in ſol¬ cher genetiſchen Weiſe nicht reden vom Unglück Teutſch¬ lands, ohne wenigſtens zum Wiener Congreß zurück¬ zugehen, der zwar ſelbſt wieder auf Verhältniſſe, die Jahrhunderte lang fortbeſtanden, ſich zurückbezieht, aber doch inſofern er ein freyes Werk der Zeitgenoſ¬ ſen iſt, der Gegenwart und Zukunft verantwortlich bleibt, die wohlwiſſend, daß er ſelbſt die Geburt un¬9 heilſchwangerer Vorvordern geweſen, doch wie billig ihn als die fruchtbare Bährmutter ihrer Uebel anerkennt, die einmal ans Licht geboren, in der Schuld der Zeit bald freudig aufgewachſen und erſtarkt.
Die Hoffnungen und Erwartungen Teutſchlands, die im erſten Pariſer Frieden nur allzu ſehr zu kurz ge¬ kommen, waren geduldig mit zu dieſem Congreß gezo¬ gen, und freylich wohl zu hoch anſchlagend einige Jahre von vorübergehender Erhebung gegen Jahr¬ hunderte von Erbärmlichkeit und Entartung, klagbar in Mitte der Verſammlung aufgetreten. Große Dinge hatte die Meinung von dieſem Verein erwartet, der nach dem Sturze jener Univerſalmonarchie ſich hier verſam¬ melte, um die zerſtörte europäiſche Republik wie¬ der zu reſtauriren und aufzubauen. Sie hatte richtig erkannt, daß ohne wenn die Veſte der Mitte in die¬ ſem gemeinen Weſen, Teutſchland, ſich wieder ſtark und wohl begründet finde, nicht für alle Zukunft an Ruhe, Ordnung, Friede und Gleichgewicht zu denken ſey. Sie hatte einen Blick in die Geſchichte zurückgewor¬ fen und erkannt, daß dies Reich nur damal ein wah¬ rer Schutz und Hort der Chriſtenheit und eine Bruſt¬ wehre gegen innere und äußere Feinde in feſter Sicher¬ heit auf ſich geruht, als ſeine rege, lebendige Viel¬ heit unter der Einheit eines Kaiſers vereinigt war.
Darum war in richtigem Naturinſtinkte die Mei¬ nung der Meiſten dahin ausgefallen, daß man den Bauſtein, den der Feind verworfen, eben zum Eckſtein mache; daß man die alte Idee wieder in der neuen Zeit erwecke, und ſie kräftigend durch das junge Leben, das der Fortſchritt der Entwicklung hervorgerufen,10 ſelbſt ſie wiedergebähre und verjünge. Man dachte ſich ohngefähr, ein Kaiſer werde aufs neue an die Spitze des Reiches treten, die Würde erblich ſo lange das Geſchlecht beſtehe; ihm zur Seite zum Schutz der Freyheit bey dieſer Erblichkeit und zur Erhaltung des Gegenſatzes, der einmal ſich erhoben, ein teutſcher König; dann die Herzoge des Reichs, ſeine Fürſten und Grafen, Prälaten und übrigen Standesherren um ſie verſammelt in einer Pairskammer; die Gemeinen aber in einer zweyten Kammer des Reichs-Parlamen¬ tes, und alſo jedes Glied des Ganzen bedingend und bedingt, alle Stämme ſich beygeordnet und keiner herrſchend über den Andern, alle mit Freyheit die¬ nend demſelben Oberhaupte: die einzige Verfaſſung die für lange Zeiten auf der Teutſchen Charakter und Sinnesweiſe paßt. Dies alſo geordnet trat dies Reich in die Geſammtheit der europäiſchen Staaten mit dem ganzen Gewicht ſeiner Macht und Würde, getragen von dem wiederbelebten Geiſte ſeines Volkes, ein und die übrigen Angelegenheiten der europäiſchen Republik ordneten ſich nun nach Billigkeit und dem gemeinſa¬ men Intereſſe der Theilnehmenden gemäß.
Aber als die Dunkel, in die jene Verſammlung ſich zuerſt gehüllt, einigermaßen ſich verzogen, bemerkte man mit Beſtürzung, daß hier keine Spur eines gro¬ ßen architectoniſchen Planes den Verhandlungen zum Grunde liege; der Uranus der alten Zeit, den der Saturn der Revolution entmannt, hörte gänzlich un¬ fruchtbar zu zeugen auf, und der allwaltende Zeus, der dieſen vom Thron getrieben, hatte den großen Kampf noch nicht ausgeſtritten. Die Vorſehung hatte11 ein Anderes beſchloſſen, nicht aus dem Verdorrten ſollte von oben herab ein mattes Scheinleben ſich ge¬ ſtalten, auf anderem Wege ſollte die Idee von unten aus dem friſchen Leben grünend, in die Höhe treiben. Darum hatten die Höfe, während die Völker für Freyheit und Unabhängigkeit geſchwärmt, keineswegs dieſen Rauſch getheilt, ſondern klüglich in mancherley Traktaten ihres Vortheils wahrgenommen, und als es nun zum Werke gieng, und die beiden Mächte, die das Schickſal Teutſchlands in Händen trugen, vor allem in Eintracht ſich geſellen ſollten, und nun in mildem Ernſt und würdiger Feſtigkeit, ſelbſt Opfer leiſtend und darum Opfer gebiethend mit Recht und Fug, ordnen mit den minder Mächtigen des Reiches Angelegenheiten: da mußten ſie, um jene Anſprüche durchzuſetzen, fremde Hülfe ſuchen und Oeſterreich und Preußen theilten ſich in den Engliſchen und Ruſſiſchen Einfluß.
Darum konnte fürder von Teutſchland nicht die Rede ſeyn, es hatte ſich ſelbſt verloren in Europa; wie Oeſterreich an Italien that, ſo Rußland an Polen und England an den teutſchen Küſten von der Elbe bis zu den Dünen von Dünkirchen; Preußen das eben ſo an Sachſen zu thun verſucht, aber wurde an den Rhein geſchoben. Alles Andere ergab ſich nun von ſelbſt; nach dem Vorgange der Größeren fiengen auch bald die Schwächern an, ſich der Thorheit zu entſchla¬ gen, ein einiges und ganzes Reich zu bauen, und nach¬ dem nur erſt kleine Anwandlungen eines beklemmen¬ den Gefühles im Angeſicht der harrenden und ſchau¬ enden Zeit überwunden waren, begannen alle Leiden¬12 ſchaften wieder ungeſcheut ihr altes vielgeſpieltes Spiel aufzulegen. Hatte vorher der Eroberer den goldenen Reifen der teutſchen Kaiſerkrone zerbrochen und die Stücke als Decorationen unter die Vaſallen ausge¬ theilt; ſo waren die dominirenden Mächte jetzt in die Intereſſen des Vertriebenen eingetreten, und der Con¬ greß fand ſich keineswegs berufen, aus den zerſtreu¬ ten Fragmenten eine Reue auszuſchmieden, und die Höfe ächteten zwar insgeſammt den großen Räuber der europäiſchen Geſellſchaft, erklärten aber den Raub als gute Priſe, und den Stand, den die Handlung her¬ beygeführt, und den faktiſchen Beſitz zur Grundlage der künftigen Ordnung im Reiche, das alſo getheilt blieb und vernichtet.
Und es gieng nun dieſem Grundſatz gemäß an ein Theilen der gewonnenen Beute, und die Kaiſerburg wurde zum Wechſelhauſe, wo man die Seelen ſich zu¬ wog und zuzählte wie Dariken, und mit bitterm Hader ſich um ein mehr und weniger ſtritt und erbitterte. Und als der Streit zu dem Punkt gekommen, daß die gezuckten Schwerdter ſich rührten in den Scheiden, da ſandte die Vorſehung, zürnend dem unheilbringenden Werke, den Mann der Inſel unter ſie. Dieſer, an dem die ewige Gerechtigkeit ihre Gerichte ſchon geübt¬ er, den der Papſt geſalbt, vor dem alle Fürſten ſich gebeugt, vor dem die Welt ſich gedemüthigt hatte, den die dünkelhafte Zeit als ihr höchſtes Organ ange¬ ſtaunt und vor dem ſie, ſonſt an nichts glaubend und nichts achtend, in tiefſter Andacht angebetet, der dann, um ſeine Götzendiener in tiefſter Seele zu beſchämen, ſeine eigne Nichtigkeit an ſich ſelbſt vor ihren Augen13 demonſtrirte, und nachdem er alſo an ſich und ihnen Recht geübt, in eine ſchimpfliche Dunkelheit ſich zu¬ rückgezogen: dieſer war noch einmal, um den zermal¬ menden Hohn gänzlich auszuführen, von den zürnen¬ den Himmelsmächten auserſehen, abermal die Geißel ſeines eignen, wenig gebeſſerten Volks zu ſeyn, und die Tiſche der Wechſler umzuſtoßen.
Schon hatte die Nation tief die Schmach jener Ver¬ handlungen gefühlt, und in der niederſchlagenden Be¬ trachtung desjenigen, was die Erfahrung ſchon gebracht und in der Vorahnung deſſen, was noch bevorſtehe, urtheilten alle Klaſſen des Volkes, wie damals die Städte Siziliens, als ſie den Epiroten Pyrrhus her¬ übergerufen, um ſich durch ſeine Hülfe vom Joche der Römer zu befreyen, und der Retter ſie nun in ein Unerträglicheres zu ſchmieden verſuchte: in Worten, die uns Livius in der zweyten Decas im vierzehnten Buche c. 18 aufbehalten: Irritatis ob hæc animis mus¬ sare primum homines, mox palam queri: cur igitur prioris status pnituisset, si nunc etiam toleranda eadem forent? frustra vocatum receptumque Pyrrhum, si stu¬ deat æmulari mores, quos puniturus advenissit. Neque acriorem ullius injuriæ sensum esse quam cujus auctor haberetur idem ille, qui vindex esse debuisset. In¬ zwiſchen regte ſich als der neue Krieg begann, noch einmal ein Nachſchlag jener früheren Begeiſterung; ein glänzender Sieg, wie die Geſchichte nicht viele auf¬ gezeichnet, ſchien Teutſchland und ſeinem wiedererwach¬ ten Nationalgefühle alles wieder zu verſprechen, was ihm die Feinde ſeit vielen Menſchenaltern abgedrun¬ gen; aber im zweyten Pariſer Frieden erndtete es die14 erſte Frucht ſeiner nun ſanctionirten Theilung, und des ſubalternen Verhältniſſes, in das es die kleinliche Eigenſucht gebracht; nicht einmal ſeine Integrität vor dem Kriege wurde wiederhergeſtellt; wenige abgetre¬ tene Feſtungen mochten nicht ſeine Gränzen ſchirmen, wenige Geldleiſtungen den Schimpf des Ganzen nim¬ mer abkaufen: das beſiegte Frankreich, durch eine Ver¬ faſſung geſtärkt, gieng gleich allen Andern mächtiger als je vorher aus dieſem Streite; das ſiegende Teutſch¬ land ohnmächtiger, zerriſſener als es je zur andern Zeit geweſen.
Was der Congreß in haſtiger Eile geordnet hatte, wurde nun beſtättigt und in ein gewiſſes Syſtem ge¬ bracht. „ Die neue Ordnung in Europa ſollte, wie ſpäter einer der erlauchten Theilnehmer in jener be¬ kannten Declaration auseinanderſetzte, ein Syſtem des Zuſammenhanges der Intereſſen und des gegenſeitigen Verhältniſſes der Pflichten ſeyn, das Werk der durch die göttliche Vorſehung herbeygeführten Begebenheiten. Eine allgemeine Verbindung Aller gegen jeden allen¬ fallſigen Ruheſtörer ſollte den Beſtand dieſes Syſtems gewähren; jede andere jenem Bunde entgegengeſetzte Allianz aus Furcht oder Ehrgeiz abgeſchloſſen, an ſich ſchon mit dem Geiſte des Zeitalters unverträglich, würde nur einen Streit der Treuloſigkeit mit der Treue der Verpflichtungen begründen, und ſein Ausgang unter den Wünſchen der Völker und dem Segen des Himmels nicht lange zweifelhaft bleiben. Darum ſollte zwar eine gewiſſe Obergewalt der Mächte über die Staaten des zweyten und dritten Rangs, collectiv nach berathenden Formen geübt, beſtehen, ohne jedoch die15 Macht der Stärkeren zu vergrößeren, oder die Unab¬ hängigkeit der Schwächeren zu gefährden. « Dieſes Surrogat einer vollziehenden Gewalt, den Mächtigern beygelegt, wurde in der Folge auf dem Congreß von Aachen gänzlich aufgelößt, und es blieb nun eine reine Negativität im wechſelſeitigen Verhältniſſe aller Staa¬ ten, als die Grundlage des europäiſchen Bundes zu¬ rück. Statt wie im alten Syſteme des Gleichgewichts um Abwägungen entgegengeſetzter Kräfte ſich zu mühen, wurden alle Gegenſätze als aufgegeben, oder wenig¬ ſtens ſchlafend ſtatuirt; von allem Wechſel ſich ver¬ wandter und abgeneigter Beziehungen wurde Abſehen genommen; Keine ſollte durch Anmuthungen und Ein¬ miſchungen die Andere in ihrem Wirken ſtören, und ſo durch gegenſeitige Enthaltſamkeit die heitere Wind¬ ſtille eines langen Friedens in die ſtreitenden Elemente kommen.
Da man inzwiſchen fühlte, daß einer ſo abſoluten Verneinung doch als Grund und Schutz irgend ein poſitives Prinzip unterlegt werden müſſe, wurde die heilige Allianz auf Grundſätze abgeſchloſſen, die man zwar bey chriſtlichen Fürſten ohnehin vorausſetzen mußte, deren Erneuerung und wiederholte Sancirung aber immer ſehr lobenswerth war. Wäre dieſe Allianz mit der Wiederherſtellung des Reiches vor dem Congreſſe abgeſchloſſen, und dieſer nach ihren Grundſätzen abge¬ halten worden; hätte ſie dort durch die erſte Probe ihrer ſegenreichen Wirkung das Vertrauen der damals ſehr empfänglichen Gemüther ſich gewonnen, dann hätte ſie allerdings eine große Epoche in der Geſchichte gemacht und eine neue Zeit einleiten können: aber ſo,16 nicht ſehr chriſtlichen Thathandlungen als eine Art von Expiation und Sühne folgend, konnte ſie in der fol¬ genden ſehr geſpannten Stimmung, nur Mißtrauen erwecken, und kein dauernder Troſt war für die nie¬ dergeſchlagenen Hoffnungen bey ihr zu nehmen. Die¬ ſer heilige Bund, der an die Stelle des alten heili¬ gen römiſchen Reichs getreten, konnte wohl allenfalls die wechſelſeitige religiöſe Toleranz der darin verbunde¬ nen Glaubensſecten gewähren; aber gerade die reli¬ giöſe Indifferenz, die dieſe Gewähr entbehrlich machte, nahm der nothwendigern Garantie der Toleranz aller politiſchen Gegenſätze in den verſchiednen Gliedern des Bundes allen Grund und jegliche Sicherheit.
Wenn die Meinung in ſolcher Weiſe durch alle dieſe Vorgänge für ihre Befürchtungen einer unheil¬ ſchwangern Zukunft nur wenig beruhigt wurde, ſo ließ ſich auf der andern Seite doch nicht läugnen, daß jene Politik des Vacuums, ſo ſehr bequem der gänzlichen Impotenz des öffentlichen Lebens, indem ſie alle Probleme, an deren Löſung die Gegenwart ver¬ zweifeln muß, behend der Zukunft hinſchiebt, und ſich zum voraus mit den Verhältniſſen kommender Ge¬ ſchlechter nicht abmühen will, allerdings einer Zeit natürlich war, die ein ganzes Menſchenalter lang in wüthenden Kriegen und Bewegungen ſich erſchöpft, und ſich nun wohl geſättigt nach jener Ruhe ſehnt, die ſich um das Thun des Nachbars nur im äußer¬ ſten Nothfall kümmern will. Auf die europäiſche Ge¬ ſellſchaft in einer Periode angewendet, die nach einem allgemeinen Naturgeſetz jetzt eben ſo ſehr zur Verein¬ zelung neigte, wie ſie vorher mit Wuth im Zuſam¬menraffen17menraffen ſich abgemüdet, und wo durch den Gang der Ereigniſſe der Glauben an die Macht und den großen Einfluß menſchlicher Weisheit in der Lenkung der Weltangelegenheiten ohnehin ſehr geſunken war, mußte ſich, wenn alle Vorbedingungen ſonſt erfüllt waren, die Stiftung einer europäiſchen Republik zu den Füßen der Altäre des unbekannten Gottes, ſtatt der zerſtörten Univerſalmonarchie, als zweckmäßig, ja wohl als das einzig Thunliche erweiſen. Aber dann mußte vor Allem das Reich aus ſeiner Anarchie ge¬ riſſen und geordnet ſeyn; der Mittelpunkt der Lage mußte, wenn er auch nicht Mittelpunkt der Kräfte werden ſollte, doch im Gleichgewichte mit ihnen ſtehen; da ſonſt, wenn der Stützungspunkt der Wage ſelbſt wieder eine Wage iſt, jene nie ausſchwanken wird.
Statt deſſen wurde auch hier daſſelbe Prinzip zum Grunde gelegt; es ſollte klein Europa, ein kleiner hei¬ liger Bund, in Mitten des Großen ſeyn, gewährlei¬ ſtet nicht durch eigne Macht, die nothwendige Grund¬ bedingung aller ſichern Bürgſchaft, ſondern allein durch fremden Schutz und den Gegenſtreit der Intereſſen. Da jede innere Geſchloſſenheit gänzlich abgewieſen war, ſo ſollte es nun allen dieſen Intereſſen geöffnet ſtehen; Oeſterreichiſche, Ruſſiſche, Preußiſche, Dä¬ niſche, Engliſche, Franzöſiſche ſollten auf langen Halb¬ inſeln in dies ewig bewegte Binnenmeer auslaufen, das, in ſich ſelber formlos, untreu und wandelbar, das allein Beſtehende Feſte in gelinder Spannung auseinanderzuhalten und zugleich in ſchwacher Bin¬ dung zu einigen die Beſtimmung erhielt. Da durch ſolche Einrichtung die Einheit, die die Meinung ſuchte, als218ein Unding gänzlich vernichtet war, ſo mußte dieſe mit der nun beginnenden Ordnung in einen unheil¬ baren Zwieſpalt ſich geſetzt befinden; und indem jene auf dem eingeſchlagenen Wege nur durch Treuloſig¬ keit, Unterjochung, Blut und Krieg zu erreichen blieb, war die Verfaſſung nichts als eine Suspenſion des Rechtes des Stärkeren, ein Gottesfriede auf unbe¬ ſtimmte Zeit ausgeläutet, nach deren Verlauf der Rachen des Mächtigern ſich wieder aufſperrt gegen jeden Schwächern, und die Habſucht wieder umgeht wie eine brüllende Löwin, und ſucht wen ſie ver¬ ſchlinge.
Darum muß das Ganze in ewiger Rüſtung im Frieden ſich aufreiben, ohne daß es je im Kriege als Solches ſich geltend zu machen wüßte; und jeder Theil muß wieder unmäßige Laſt tragen, als ob er ein Ganzes wäre, ohne daß durch das geduldigſte Aus¬ harren etwas Anders, als das gemeine Elend geför¬ dert werde. Da keine innere Bindkraft die Theile zu¬ ſammenhält, ſo müſſen dieſe nothwendig den äußeren zerſetzenden Kräften weichend, ſich anſchließen an die zunächſt ſollicitirenden Intereſſen; und jeder Krieg wird nothwendig ein Bürgerkrieg, das Land von Freunden und Feinden aufgerieben, beym Frieden aber jedesmal auf ſeine Koſten Großmuth ausgeübt, und derſelbe Allen bequeme Zuſtand mit Sorgfalt wie¬ der hergeſtellt.
Inzwiſchen hatte der Congreß dieſe Heilsordnung beliebt; nachdem man verſchiedene Pläne durchgegan¬ gen, von denen jeder Frühere ſich vom Folgenden an rathloſer Hoffnungsloſigkeit gern überbiethen ließ,19 wurde endlich jene Bundesakte in ihrer blaſſen, farb¬ loſen Allgemeinheit angenommen, die, was die Ge¬ ſchichte noch nicht gekannt, einen Rath berief, wo nicht die Mehrheit der Stimmen galt, ſondern allein völlige Einſtimmigkeit entſchied. Eine reine Democratie, deren Demos aus Höfen der verſchiedenſten Geſinnungen, Intereſſen und Machtverhältniſſe ſich zuſammenſetzt; eine Centralgewalt, die nicht über ſondern unter den inbe¬ griffenen Theilen ſteht; eine vollziehende Macht, die eine Ohnmacht iſt, und, weil ſie gegen den Nichtein¬ willigenden nicht einſchreiten kann, gar nirgend etwas zu vollziehen im Stande ſich befindet, weil ſie nimmer die fehlende Stimme zur Execution erlangen wird; eine geſetzgebende Gewalt, die ihre eigene Competenz nimmer ergründen mag, und eine Richterliche, der niemand Folge zu leiſten gehalten iſt, wo alle Akte der Autorität durch ein ewiges Diplomatiſiren immer geſucht und nimmer gefunden werden: eine ſolche Ver¬ faſſung, wenn ſie gelang, mußte den Völkern zum ſchlagenden Beweiſe der gänzlichen Entbehrlichkeit aller Regierung werden, und nur Teutſche, an Hoffnun¬ gen nie verarmend, mochten es mit ihr verſuchen.
Aber die Tochter konnte die Mutter nicht verläug¬ nen, die ſie geboren; jene Theorie wechſelſeitiger Apathie und Nichthandlung auf die verworrenen Verhältniſſe Teutſchlands angewendet, wo die Umſtände gebiethe¬ riſch ein poſitives Wirken, ein lebendiges Eingreifen, und ein wohl verſtändigtes Thun verlangten, mußte nothwendig verderblich ſich erweiſen. Jene Grundſätze, die bey der erſten Bildung des Werks geherrſcht, mußten ſich auch in ihm fortſchreitend wiedergebähren,2*20und wenn es auf dem Congreſſe Maxime geweſen, ſelbſt einer Conſtituirung des Ganzen nicht das min¬ deſte Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, ſofern er es verſage, kein Solches anzuſinnen; ſo mußten die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtſchnur ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach einem treffenden Ausdruck, in ſo viele Factionen zerfiel, als Glieder ihn zuſammenſetzten, die nur in einem Dinge, ihrer ſtatutenmäßigen Uneinigkeit einig waren. Trotz der wohlgeſetzten Inauguraldiſſertation bey Eröffnung des Bundestages; trotz ſo vieler pa߬ lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die von Zeit zu Zeit vom Seſſionstiſch her erſchallten; trotz ſichtbarlich vorgehender angeſtrengter innerlichen Bewegungen, die aber wie falſche Wehen nie ein Re¬ ſultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur ſchwache Hoffnung auf ein Werk ſo ſchwacher hinfäl¬ liger Complexion begründen; und ſie ſah von Tage zu Tage mehr verzagend, wie das Formloſe mit ſtets vergeblicher Bemühung nach Form und Geſtaltung rang.
Endlich führte die Zeit den entſcheidenden Kreuz¬ verſuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬ ſtänden, die kaum alle Menſchenalter einmal wieder¬ kehren, jenen Mangel der erſten Lebensbedürfniſſe be¬ wirkt, und nun die Regierungen der verſchiedenen Stämme deſſelben Volkes, in entſchloſſener Selbſtliebe, kühn die Nächſtenliebe durch ihre Sperren ausgeſchloſ¬ ſen, daß, indem die Klugheit der Menſchen ſich zu der21 Kärglichkeit der Natur geſchlagen, jene halbkünſtliche Hungersnoth entſtand. Als damals der Bundestag kein Mittel der Abhülfe vermochte; als er ſpäter nicht einmal ein halbwegs ernſtliches Angelöbniß zu Stande brachte, daß ſolch Uebel in Zukunft nicht mehr wie¬ derkehren dürfte: da ſah die Nation mit Schrecken, was bey einer ſolchen Ordnung der Dinge ihr bevor¬ ſtehe, wenn zu dieſen Antrieben des grauſamſten Egoisms ſich nun noch die Furcht vor äußerer Ge¬ walt geſelle, die etwa Gebiethstheile bedroht oder in Beſitz genommen; wenn lockende Verführung den Ei¬ gennutz beſticht, oder eine verſchmitzte Diplomatik den Samen der Zwietracht ſäet, und große Preiſe auf den Verrath am Vaterlande ſetzt. Von dieſer Zeit an war über eine ſolche Verfaſſung gänzlich der Stab gebro¬ chen, und Teutſchland hielt nun völlig auch um die zweyte große aber billige Hoffnung ſich betrogen. Was ſpäter gefolgt, wie jeder Verſuch zu einer wirkſamen Thätigkeit in ſich ſelbſt zerronnen; wie die ſchreyend¬ ſten Anſprüche unerledigt verhallen mußten; wie die wichtigſten, dringendſten und folgenreichſten Verhand¬ lungen in leeren Formen, endloſen Friſten und klei¬ nen Machinationen des Eigennutzes und Eigenſinnes aufgegangen; was über Preßfreyheit, Nachdruck, das Verfaſſungsweſen, die Competenzbeſtimmung, den Schutz der teutſchen Schiffahrt, den Elsflether Zoll dort ge¬ ſchehen; was bey der Rheinſchiffartscommiſſion, wie¬ der ein Bund im Kleinen, vorgegangen; wie endlich die Mauthen zur Wiederbelebung des teutſchen Han¬ dels, wie die Drachen am Bilde Laokoons, die Mut¬ ter mit den Kindern allmählig umziehen, und Eines22 nach dem Andern kalt erwürgen: das Alles fühlte die Meinung mit tiefer Kränkung, aber es verwunderte ſie nicht weiter, weil es als natürliche Folge aus den Vorderſätzen ſich ergab.
Die Nation, in ihren gerechteſten Erwartun¬ gen getäuſcht, und ſchon den Stachel des öffentlichen Schimpfes tief im Herzen fühlend, ſah nun auf die Conſtituirung der einzelnen Bundesſtaaten ſich getrieben, und ſetzte nun all ihre Kraft, und im Falle der Verweige¬ rung all ihren Trotz an die Erreichung dieſes letzten Zieles, von wo aus ſie alsdann ſpäter und gründlicher alles früher Aufgegebene wieder zu erreichen hoffen durfte. Der dreyzehnte Artikel, anfangs in ziemlicher Währung ausgeprägt, dann täglich durch Kipper - und Wipperkünſte beſchnitten, ausgeſchabt und abgenagt, war endlich in ſei¬ ner gegenwärtigen Geſtalt ohne Präge in den Umlauf einge¬ treten, ſo unſcheinbar und abgegriffen, daß man ſpäter ſeine Legende in ein Erwartungsrecht der Völker eine Zeitlang umzudeuten wagen durfte. Neben ihm aber hatte der König von Preußen dem früheren Edikte vom May 1814, das die Form der künftigen Vertretung feſtgeſetzt, in den Einräumungen des Patentes vom 5. April den In¬ halt beygefügt, und dadurch die Verfaſſung ſelbſt ſchon in ihren allgemeinſten Umriſſen feſtgeſetzt.
Auch war ſchon ein Anfang zur Conſtituirung in einem teutſchen Lande geſchehen, in Würtemberg näm¬ lich. Nicht leicht war irgend anderswo der Wahnſinn der Souveränität höher getrieben worden, vor Allen Andern mußte darum auch dort der ſchärfſte Gegen¬ ſatz hervorgerufen werden. Als der Hof noch vom23 Congreſſe aus, die Bewegungen der neuen Zeit wahr¬ genommen, ſchien es ihm ein leichtes Ding, ihre lau¬ ten Anſprüche mit einigen liberalen Gaukeleyen abzu¬ finden, und daneben auch nicht einen Fuß breit von der bisherigen Bahn zur unbeſchränkten Willkühr ab¬ zuweichen. Die Gewalt, die bisher der Despotism in despotiſchen Formen ausgeübt, durfte nur in den¬ ſelben Formen als Ausfluß ihrer Machtvollkommenheit, eine illuſoriſche Freyheit ſetzen, wie es auch Napoleon am 18. Brumaire gethan; und ſie hatte ſtatt rückgän¬ gig zu werden, den Gipfel der Willkühr erreicht, die da höhniſch eine ſogenannte Freyheit durch Cabinets¬ ordren befiehlt. So wurde jene dortige erſte Conſti¬ tution commandirt, und die Ständeverſammlung zu¬ ſammenberufen.
Aber es lebten in dieſem Lande noch zu viele Men¬ ſchen, die wenigſtens noch die letzten Strahlen der unter¬ gehenden Freyheit geſehen, und in ihnen entwickelte ſich nun ganz einfach aus der Natur der Dinge jener Widerſpruch, der ſich ſchlechthin auf das alte Recht berief, die Uſurpation mit allen ihren Folgerungen als ein Recht begründendes Faktum von vorn herein gänz¬ lich negirte, ſich hinter ihr auf dem feſten Boden der Geſchichte niederließ, und von da aus die Eidbrüchig¬ keit der uſurpirenden Gewalt vor der Welt laut an¬ klagte. Einer ſolchen vereinten Maſſe von Licht, Recht, Kraft und Feſtigkeit, konnte vom Standpunkt einer übelbefeſtigten Gewalt, deren Arm durch den Sturz des oberſten Gewaltverleihers zerſchmettert war, nicht begegnet werden; und der Hof verſtand ſich, nachdem der unnütze Kampf eine Zeit lang gedauert hatte, zu24 den bekannten zwölf Artikeln, worin wenigſtens eine aufrichtige Freyheit geboten war.
Der Streit dauerte nun einzig über die Form noch fort, als die Perſon des Regenten wechſelte, und der Neue, der die Uſurpation nicht als eignen Erwerb, ſon¬ dern als eine Erbſchaft nur beſaß, größeres Vertrauen gebot. Die zwölf Artikel wurden in eine Conſtitution ausgebreitet, und dieſe den Ständen vorgelegt. Aber in der Hitze des langwierigen Kampfes waren nun ſchon perſönliche Leidenſchaften erwacht, von denen der einmal in den Gemüthern wurzelnde Argwohn immer neue Nahrung zog; die Stände mißtrauten einem Werke das ſich blos auf die Gnade und den guten aber ſeiner Natur nach wandelbaren Willen des Herrſchers gründen wollte, und verlangten, daß es auf den Boden ihrer alten Rechte, Geſchichten und Herkömmlichkeiten geſetzt werden ſolle, damit es auf dieſer Wurzel durch die Sanktion der ganzen Vergan¬ genheit dieſelbe, ja noch eine größere Legitimität als das Regentengeſchlecht ſelbſt erlange. Der Hof ſeiner guten Abſicht diesmal ſich bewußt, war entrüſtet über einen Widerſtand, der ihm, da er gegen ſo manches Gute gerichtet war, das die Gegenparthey ſelbſt nicht abläugnen konnte, gänzlich unvernünftig ſchien; die Stände im Bewußtſeyn ihres guten hiſtoriſchen Rechts, das ſtärker ſeyn muß, als eine wohlgemeinte Aufwal¬ lung der Gegenwart, waren ihrerſeits in keine Weiſe zum Nachgeben geneigt; da ſie richtig urtheilten, daß ſelbſt die Gunſt des Augenblickes zu verſchmähen ſey, wenn ſie um den Preis einer ganzen Vergangenheit er¬ kauft ſeyn wolle; und daß, was im Volke ſchon ein altes25 Heimathrecht beſeſſen, billig ſich als den Stamm betrach¬ ten dürfe, dem alles neu Zuwachſende ſich anfügen müſſe.
In dem Streite der ſich nun erhoben, geſellte ſich, wie es zu geſchehen pflegt, zu der Parthey, die das Urkundliche vertrat, der ſtarre kleinliche Eigenſinn im Beharren auf Nebendingen; der enge beſchränkte Sinn, der das Weſentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬ terſcheiden weiß; die befangene Anſicht, die über den Geſichtskreis des Gewohnten ſich nicht zu erheben im Stande iſt, und die Rechthaberey und Pedanterie, die auch mit dem völlig Gehaltloſen ihren Aberglauben treibt. Von der andern Seite aber erhoben ſich zur Ver¬ theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der Zeit zu rühmen iſt, zugleich die Unarten, die ihr eigen ſind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge, Lagen, Beziehungen und Verhältniſſe; jenes phanta¬ ſtiſche Hinauftreiben alles Spezifiſchen in allgemeine Ab¬ ſtractionen, und der Dünkel der mit ſolchen weſenloſen Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller Dinge zu beherrſchen glaubt; endlich der Leichtſinn, der bey der Fügſamkeit ſo luftiger Gebilde und ihrer leich¬ ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬ delbarkeit alles übereinanderſtürzt, daß nichts ein ge¬ ſichertes Gleichgewicht und einen feſten Stand gewin¬ nen mag.
Bey ſo ſcharfen Gegenſätzen mußte die Sache, die in der Mitte lag, nothwendig zerſchnitten werden, und die Criſe trat dann ein, als der König, gewohnt als Feldherr raſch durchzugreifen, aber vergeſſend die alte Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke zu bauen, zu jener achttägigen Friſtgebung ſich ent¬26 ſchloß, die der Ständeverſammlung keine Wahl übrig ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Conſtitution nur in conſtitutioneller Weiſe würdig gegründet, wie geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬ heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtſchaft beginnen ſolle, wenig Gewähr für ihren Beſtand dar¬ biete, verwarfen, als ein geiſtreicher Miniſter, der, das erſte Beyſpiel in Teutſchland, ſeine Meinungen und Anſichten durch perſönliche Gewandheit ſtattlich zu vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten verſäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfaſſung mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬ lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel über mögliche künftige Anmaßungen ſich zum voraus nicht entzweyt, ſondern einträchtig mit ihm den Kampf mit dem Hof geführt.
Wenn die Vertheidiger der unbeſchränkten Will¬ kühr über dieſen Ausgang triumphirten, ſo hatten ſie nie und in keinem Dinge ſtärkere Kurzſichtigkeit be¬ wieſen. Zwey Conſtitutionen nacheinander, die Eine ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptſächlich um der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von den Ständen an die Urverſammlungen, und das ſogar, wie ſich bald ausgewieſen, vergeblich appellirt; ſolche Eintracht der Geſinnungen aller Intereſſirten in die¬ ſem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß der abgeriſſene Faden der Verhandlungen früh oder ſpät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche Sicherheit und Zuverſicht die Sache des Volkes ſchon gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die27 Zeit und Umſtände eingetreten, daß ſo annehmliche Anträge ohne Gefahr ausgeſchlagen wurden; und es war ein großes Beyſpiel in der Mitte Teutſchlands, zugleich warnend und belehrend, wie der große Rechts¬ ſtreit verjährter Gewalt und unverjährbarer Freyheiten geführt werden mußte. Es hatte ſich auch hier im Kleinen ausgewieſen, was die Geſchichte überall im Großen lehrt, daß jedesmal, wenn die Sachen zu ei¬ nem Aeußerſten getrieben, immer ein Widerſpruch ſich ins geheim aufmacht, erſt ſtill anwächſt und ſich im Verborgnen ſtärkt, und wenn die Gewalt oder der Frevel an dem längſterſehnten Ziele zu ſtehen glaubt, als eine geharniſchte Macht eben von da den Beſtürz¬ ten entgegentritt, und ſie auf die Mitte zurückwirft, und über den Punkt hinaus von wo ſie ausgegangen.
In den Jahrhunderten, wo die Uſurpation in blin¬ der Eigenſucht, nach ihren Intereſſen haſtig rennend, alles Andere zu beachten vergaß, hatte ſich aus klei¬ nen Anfängen jene Macht, die man die öffentliche Meinung zu nennen pflegt, gebildet und gegen die Gewaltthätigkeit, die freſſende ewig unerſättliche Ei¬ genſucht, die Leerheit und moraliſche Entwürdigung der Höfe ſich empört. Als die Revolution wie ein wüthender Typhon in die europäiſche Geſellſchaft ein¬ gebrochen, war mit dem Satze auch der Gegenſatz ſchnell gereift; und da die Gemeinen, anfangs gegen ihre demagogiſche Hälfte aufgeboten, dann eben ſo willenlos mit ihrer Despotiſchen verbündet, nach Oſt und Weſt in den Tod getrieben, immer nur das Spiel der Willkühr, und ſchmutzigen Intereſſen dienend, end¬ lich im allgemeinen Aufſtand, was die Elemente, blinde28 Werkzeuge der Vorſehung, angefangen, als bewußte, lebendige Boten der höheren Gewalt vollendet hatten: da war das Gefühl ihrer Kraft in ihnen vollends er¬ wacht, und die Meinung war eine Macht geworden, die zwar noch nicht auf dem Congreſſe ſaß, aber ſchon Friedensbedingungen und die Einräumungen des 13ten Artikels erzwang. Jetzt hatte ſie zum erſtenmal in ordentlicher Verhandlung zur Wiedererkämpfung alter Rechte Sitz und Stimme gehabt; ſie hatte ihr Probe¬ ſtück abgelegt, das zeugen konnte von dem Nachdrucke, den ſie gewonnen, und ſah nun mit finſtern Blicken hin nach dem, was unterdeſſen in Nord-Teutſchland ſich begeben.
Dort ſah man Preußen, das ſeither zur Er¬ bauung Teutſchlands in den Maximen ſeines Anti¬ machiavelli gehandelt zu haben ſchien, wieder nach¬ denklich im Principe des kecken Florentiners blättern, um dort jene Grundſätze herauszuſuchen, die mit einer gutmüthigen Rechtlichkeit ſich etwa noch vertragen wollten. Zwey Partheyen, die durch ganz Teutſchland verbreitet ſind, die Anhänger des antediluvianiſchen Alten, hier die große Mehrzahl bildend, und die des Napoleoniſchen Neuen, Beide hier, weil überall alles auf eine Soldatenherrſchaft hinausgelaufen, in Intereſſen und Grundſätzen weniger geſchieden als anderwärts, hatten gegen Ende des Krieges ſich vereint, um durch eine Reaktion die Beiden gleich verhaßten Ideen, die ſich in ſeinem Verlaufe zugedrängt, wieder abzutreiben.
Wir wollen nicht ſo unbillig ſeyn, beyde Elemente dieſer Coalition, oft in derſelben Perſon verbunden, als gleich unrein und verdammlich wegzuwerfen. Unter29 allen teutſchen Völkerſchaften hat Preußen allein in der letzten Zeit eine Geſchichte gehabt, und dem Jahr¬ hunderte einen großen Mann gegeben. Zwar war der Lorbeer, der ſeine Stirne kränzte, keine Bürgerkrone, und an ſeinem Schwerdte klebte das Blut der Stamm¬ genoſſen; aber er war nicht der Erſte der ſolches Blut vergoſſen, und was ſein Arm kühn und kräftig nie¬ derriß, war zuvor ſchon faul und wurmſtichig, und dem Einſturz nahe geweſen. Zwar hat man ihm nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß er fremde, vergiftende Sitte, Idee, Geſinnung und Maxime eingeführt; aber man durfte nicht vergeſſen, daß die, welche er um ſich her vorgefunden, plump, beſchränkt, kleinlich und pedantiſch bis zum Unerträglichen geweſen; und daß das Auswärtige, dem er dafür den Zugang ver¬ ſtattet, von geiſtreichen Menſchen gepflegt, wenn es auch jetzt der gereifteren Zeit größentheils als Frivoli¬ tät ſich aufgedeckt, doch damals als eine kecke, lobens¬ würdige Emanzipation erſcheinen mußte. Zwar hat er ſeinen Zwecken alle Verhältniſſe unterordnend, jenen tödtenden Mechanism in alle öffentlichen Verhältniſſe hineingebracht, der noch jetzt Preußen wie eine un¬ heilbar gewordne Lähmung in innerer Erſtarrung ge¬ feſſelt hält; aber es war nicht ſeine Schuld, wenn die Zeiten, die nach ihm gefolgt, nicht erkannten, was ihnen frommen mochte, und die leeren Hülſen, die ſein Geiſt abgeſtreift, abergläubiſch verehrten und als das Palladium des Heils bewahrten.
Mochte die Pietät dem Vergangenen ihre Todten¬ opfer bringen, daran war nichts zu tadeln; es war recht, was aus früherer Zeit als wirklich gediegen,30 und darum paſſend ſich bewährt, nicht leichtſinnig einer neuerungsſüchtigen Gegenwart hinzuopfern: aber man durfte nicht vergeſſen, daß Preußen durch den Zutritt ſo vieler gänzlich verſchiednen Elemente nicht mehr daſſelbe geblieben; daß die Zeiten den Früheren noch unähnlicher ſich entwickelt; und vor Allem, daß ganz beſtimmte Rechte, die ſich nicht beſeitigen ließen, und klare unzweydeutige Verheißungen zwiſchen das, was werden ſollte und was geweſen war, in die Mitte getreten.
Aber allzu verführeriſch für die Gewalthaber war damals das Beyſpiel Spaniens, ſo leicht war auf breiter Straße das Alte dort wieder eingezogen, ſo gar ſchnell das eingedrungene Neue dort aus dem Lande heraus verwieſen, ſo gar willig hatte das Volk in die vorigen Verhältniſſe wieder ſich gefunden; daß ein ſo leicht erfochtener Sieg und ſo guter Erfolg gar wohl zur Nacheiferung antreiben mußte. Zwar war früher in Frankreich derſelbe Verſuch ſo gänzlich mißlungen, daß er zwar formal gerade wie in Spa¬ nien, aber der Bedeutung nach im gerade entgegen¬ geſetzten Sinne, mit der völligen Auswerfung der klei¬ nen Minderzahl geendigt hatte. Inzwiſchen iſt jeder wohl des guten Glaubens, da er ſich ſeines eigenen Glückes Meiſter dünkt, mit beſſerer Meiſterſchaft das Anderen mißlungene Werk zu günſtigerem Ziel zu füh¬ ren; und ſogar in demſelben Frankreich, das eben erſt jene Erfahrung gemacht, war jener Glaube dar¬ um nicht irre an ſich ſelbſt geworden. Nachdem die Mächte, alles in der Exploſion Zerſtreute, wieder ſorg¬ fältig zuſammengeleſen und zurückerſtattet, meinten31 die Wiedereingeſetzten es blos durch allzu ſchwache Nachgiebigkeit verſehen zu haben, und ſo wurde der abgeriſſene Faden wieder angeknüpft und nur gröber ausgeſponnen; bis endlich, wie jetzt bey uns, Wider¬ ſtand und Reibung ſo ſtark geworden, daß ſie alle Kraft aufgezehrt, und die Regierung mit ihren allzu wohlmeinenden Freunden ſich gänzlich feſtgerannt.
Man durfte wünſchen, aber kaum hoffen, daß Preußen ſich den gleichen Verſuch erſparen würde. Man trug ſich dort ſeit längerer Zeit mit der Exiſtenz eines geheimen Bundes, der Tugendbund genannt, und angeblich geſchloſſen, um mit vereinten Kräften, jedoch ohne der den legitimen Fürſten ſchuldigen Treue Eintrag zu thun, die Freyheit zu erringen, und von ſich ſelbſt und vom Vaterland jede Art von Unterjo¬ chung, beſonders die durch fremde Macht, abzuhal¬ ten. Dieſer Bund ſollte aus verſchiednen durch Zei¬ chen, Attribute, Pflichten und Befugniſſe voreinander ausgezeichneten Graden beſtehen; Alle durch die hei¬ ligſten Eidſchwüre der Geſellſchaft und ihren Zwecken verbunden, ſollten ohne daß Einer um den Andern wiſſe, nur dem Obern, wie dieſer dem Großmeiſter untergeben ſeyn, von dieſem alle Befehle und Auf¬ träge empfangen, und ſodald ſie einmal nach freyem Entſchluß zu ihrer Ausführung ſich anheiſchig gemacht, in blindem Vertrauen alles Forſchens nach ihren Grün¬ den ſich enthalten; alle Geheimniſſe des Bundes aber, für Furcht und Hoffnung gleich unzugänglich, unter Todesſtrafe bewahren, alſo daß den ſchuldigen Ver¬ räther keine menſchliche Macht gegen die Rache der Geſellſchaft zu ſchützen im Stande ſey.
32Es mochten wohl zur Zeit der feindlichen Unter¬ drückung ſolche Pläne in einzelnen Köpfen aufgeſtie¬ gen, und ein Anfang zur Ausführung auch wohl ver¬ ſuchsweiſe geſchehen ſeyn; nach einem alten Kunſt¬ griff aber, in dem man, um die Unzulänglichkeit der Mittel zu decken, einige ſichtbare Momente perſpekti¬ viſch an ein im Hintergrunde vorausgeſetztes Geheim¬ niß knüpft, um ſo durch die geglaubte Anweſenheit eines Dunkeln, Unbeſchränkten zu imponiren, moch¬ ten damal die Stärkeren den Dümmern die Fabel einer völlig ausgebildeten Geſellſchaft dieſer Art ein¬ gebildet haben, um ſie durch Furcht und den Reiz jener optiſchen Täuſchung aus ihrer trägen, feigen Schlaff¬ heit gegen die Franzoſen aufzutreiben. Die Schwäche gefiel ſich damal im Gedanken einer ſolchen Hülfe aus dem Verborgenen; der Feind war beunruhigt durch die Sagen, die zu ihm gelangt; die Regierung ſelbſt ſchien nicht ungern den nutzbaren Glauben zu bemer¬ ken und zu theilen. Jetzt zur gelegenen Zeit errinnerte man ſich ſeiner, um ihn als Waffe gegen die Erfinder ſelbſt zu kehren. Argwohn ſcheint ein Uebel zu ſeyn, das von der Stellung der Fürſten unzertrennlich iſt, eines von denen, das ihnen in der Ordnung der Dinge zugefallen, um ſo manchen Vortheil, den ſie vor den übrigen Sterblichen voraus haben, wieder auszuglei¬ chen. » Wahrlich! ſagt Baco von Verulam, unſelig iſt jener Gemüthszuſtand, in dem du nur nach Wenigem verlangſt, aber Vieles befürchteſt, und doch iſt dies größentheils der Fall der Könige, die auf die höchſte Stufe geſtellt, nichts haben, das ſie begehren können — was ihren Geiſt träge macht —, aber im Gegentheil durchmancherley33mancherley Phantasmen von Gefahren und fliegenden Schatten geängſtigt werden, wodurch ihr Gemüth er¬ trübt. Daher kommt es denn auch, daß wie die Schrift ſagt, das Herz eines Königs unergründlich iſt, weil die Vielheit des Verdachtes und die Abweſenheit eines herrſchenden Affektes, der den Uebrigen gebietet, jedes Gemüth ſchwierig zu deuten macht. “ Auf ſolchen Grund werden immer bey den Höfen ähnliche Anſchläge ausgeführt.
Bald nach dem zweyten Frieden von Paris, wurde dem König von einem angeſehenen Beamten eine 21 Bogen im Manuſcripte ſtarke Schrift unter dem Titel: was haben wir von geheimen politiſchen Verbindungen in Teutſchland zu fürchten oder zu hoffen? übergeben. Hierin wurde der Tugendbund in allen ſeinen gefähr¬ lichen Beziehungen ausgelegt; es wurde darauf hinge¬ deutet, wie ſo manche der wichtigſten Männer des Staates in ihn direct oder indirect verwickelt ſeyen, und wie was zur Rettung der Monarchie ohnehin bey¬ nahe gar nichts beygetragen, jetzt ſeine Ruhe und Exiſtenz durch die gefährlichſten Umtriebe bedrohe. Wäh¬ rend des Krieges habe der Bund eine Menge gefähr¬ licher Ideen in Umlauf zu ſetzen gewußt; durch man¬ cherley Einräumungen, die das Unglück der Regierung abgedrungen, habe ein Geiſt der Kühnheit das Haupt erhoben, und Anſichten ſeyen ins Volk gekommen, die ihm von jeher fremd geweſen. Preußen ſey, weil nothwendig ein Kriegsſtaat, auch weſentlich monarchiſch, und was durch Einmiſchung ſogenannten liberaler Ideen die Reinheit der Monarchie zu trüben unter¬ nehme, gefährde weſentlich den Beſtand und das Heil334des Staates. Es wurden dann die Mittel angegeben, wie dem eingeriſſenen Uebel zu begegnen; wie Hoff¬ nungen, die zu erfüllen jede geſunde Politik verbiete, gleich bey der Wurzel abzuſchneiden; wie die Männer, die durch ihre Popularität gefährlich geworden, all¬ mählig zu entfernen, die Staatsmänner durch Ver¬ ſendung auf ferne diplomatiſche Miſſionen, die Feld¬ herren durch geſchickte Beſeitigung, die untergeordne¬ ten Theilnehmer aber, indem man ſie ohne weiteres aus allem Einfluß werfe: Alles wie Gott, wenn er den Dünkel verderben will, es durch eine ſogenannte pfiffige, verſchlagene Politik den Kindern der Zeit eingeben läßt*)Um ein Beyſpiel des Leichtſinns zu geben, mit dem dieſe Leute bey ſolchen Gelegenheiten verfahren, und als eine zeitgemäße Warnung bey dem jetzigen Conspirationsgeſchrey, führe ich hier eine Stelle jenes Berichtes an, die ſich auf ſeiner vorletzten Seite findet. Da wo nämlich der Verfaſ¬ ſer die Frage zu beantworten unternimmt: „ wer kann zur Königsparthey aufgenommen werden? läßt er folgenderweiſe ſich vernehmen: „ Die Tugendbündner nehmen Alle auf, die Talente und Einfluß haben, ohne Rückſicht auf ihre Moralität. Sonſt hätten ſie ihre Ehre durch Aufnahme eines Reiſachs, Gruners, Görres nicht beſchmutzen können. Der Erſtere lief als Verbrecher aus Bayern fort, der Zweyte brach 1812 ſein Ehrenwort, und ſetzte den Staat, dem er verpflichtet war, in die größte Gefahr, heyrathete die Mätreſſe eines Franzoſen ꝛc. ꝛc. Görres war bis 1813 ein franzöſiſcher Agent, ſchrieb damals im Geiſt der Jaco¬ biner, wie jetzt im Geiſt der Teutſchbündner. “ Man hat mir den Herrn v. B. als den genannt, der, nach Geſinnung, Anſichten und ſeiner damaligen Stellung gemäß, nach aller Wahrſcheinlichkeit dieſe Denkſchrift niedergeſchrieben. Ich werde ſeinen Namen ganz ausſchreiben, wenn ich darüber Gewißheit erhalte; jetzt aber will ich mich begnügen, den Verfaſſer, wer es immer ſeyn möge, als einen ehrloſen,.
35Der König, deſſen Rechtsgefühl man geſchickt gegen Menſchen und Geſinnungen empört, erſchrack vor dem Abgrund, den man ihm zu ſeinen Füßen geöffnet zeigte, und die Parthey proclamirte ihre Anſicht, ſo weit ſie dem Publikum mittheilbar war, durch jene bekannte Schrift von Schmalz. Die Art, wie dieſe in Preußen und ganz Teutſchland aufgenommen wurde, konnte die Anſtifter gleich beym erſten Verſuch belehren, welche Stunde ausgeſchlagen; eine allgemeine und ungetheilte Entrüſtung brachte ſogleich die Meinung unter Waf¬ fen; nie hatte ſich die entſchiedne Ueberlegenheit der Wahrheit, der Kraft und des Talentes über heim¬ tückiſche, feige Bosheit glänzender bewährt; nie war eine Niederlage vollſtändiger und demüthigender aus¬ gefallen; und die Parthey geſchlagen in allen Waffen¬ arten, betreten über den unerwarteten Widerſtand, ohnehin nicht ſehr reichlich mit Muth geſegnet, flüch¬ tete ſich, in der Unmöglichkeit, die Bewegung, die ſie ſo unvorſichtig und frevelhaft hervorgebracht, anders als durch einen Machtſtreich zu ſtillen, hinter den Thron, und der König gebot nicht mehr zu reden von dieſer Sache: eine Verfügung gleich unwürdig der Majeſtät, die nie Parthey nehmen ſoll; wie der Na¬ tion, der die freye Rede über öffentliche Angelegenhei¬*)nichtswürdigen Lügner zu erklären, nicht um deſſen willen, was er von mir geſagt, weil ich meine Ehre nicht von einer ſo leichtfertigen vornehmen Kabinetsklatſcherey abhän¬ gig glaube; ſondern um jener unbeſcholtenen Frau wegen, deren Name ich der Sache wegen habe nennen müſſen, und der die Meinung der Stadt Coblenz, unter deren Auge ſie aufgewachſen, an ihrem Verläumder die beßte Genugthuung geben wird.3 *36ten nicht verſagt ſeyn kann, an wenigſten, wenn von öffentlichen Anſchuldigungen die Rede iſt.
Der Eindruck, den jener ärgerliche Scandal bey der ganzen Nation hervorgebracht, war nicht leicht zu ver¬ kennen; ſie hatte das ſchwer Auftretende wie billig ſchwer genommen, und als die Beſchuldigung des Verrathes zur Beſchämung der Urheber in Dunſt und Rauch aufgegangen, und ſie nun das ganze Gewebe in ſeiner Plumpheit ſchnell durchſchaut, mochte ſie überall nichts als den ſchnödeſten Undank ſehen, und in dem mißlungenen Verſuche nur die Einleitung zur Wiederkehr des alten verhaßten Unfugs. Darum war von dieſem unſeligen Augenblicke an der ſchlafende Verdacht aufgeſchreckt, und begann nun mit geſpann¬ tem Auge die Regierung zu bewachen, um zur vollen und klaren Gewißheit zu gelangen.
Leider bewieſen die Vorgänge, die ſich bald ergaben, daß die Parthey zwar verſtummt, aber darum ihre Umtriebe und ihre Pläne mit nichten aufgegeben. Es ſchien vielmehr alles nach und nach in Ausführung zu kommen, was jene Denkſchrift vorgeſchlagen. Ein geehrter Feldherr wurde vom Commando entfernt, und man hetzte in den Zeitungen, beſonders der Allge¬ meinen, die ganze Meute jener Hunde auf ihn an, die ſeit den Zeiten Napoleons an ihrer Kette gehun¬ gert hatten; man hörte ſie nur heulen von Wallen¬ ſtein, auch den Seni hatten ſie gefunden und Picco¬ lomini, und es fehlte nur die Hellebarde im frechen Gau¬ kelſpiele, das ſie vor den Augen des empörten Teutſch¬ lands gaben. Zugleich begann in eben dieſen Zeitun¬ gen das Vorſpiel jener ſchändlichen Deductionen, wie37 der König ſein Verſprechen zu halten nicht gebunden ſey, und daher gar keine oder nur eine illuſoriſche Conſtitution geben dürfe: Artikel, die ſich die Miene offizieller gebend, nun ſchon nahe vier Jahre hindurch fortgegangen, und höhniſch, ehrlos, bodenlos nichts¬ würdig, mehr als man zu glauben ſcheint, die Gemü¬ ther erbittert und entzündet; die aber, wie es ſcheint, die Regierung nie in ihrer majeſtätsverbrecheriſchen Schändlichkeit erkannt, wenigſtens bis auf die Stunde, ſelbſt in der Staatszeitung nie geahndet hat.
Da in dieſelbe Zeit auch die Organiſation der Rhein¬ provinzen gefallen, die in jenen Berichten als die Feuerheerde revolutionärer Umtriebe, von hochmüthi¬ gen Proconſulen angeſchürt, geſchildert waren; ſo ſchien es dringend, auf ſie ſogleich jene Grundſätze anzuwenden, und aufs ſchnellſte jene gefährliche Flamme auszugießen. Da wurde nun das Werk in jener be¬ liebten, hochfahrenden Weiſe vollbracht, alle Indige¬ natrechte mit Füßen getreten, alle Intereſſen verletzt, die Verheißungen durch ſophiſtiſche Auslegungen um¬ gangen, ſelbſt die Vorſchläge der eignen Commiſſäre für nichts gehalten, und alles nach dem mit allen Verhältniſſen gänzlich unbekannten Gutdünken zweyer Miniſterien aus der Mitte heraus vollbracht. Jene Provinzen, durch die früheren Vorgänge ſchon ge¬ ſpannt, beunruhigt durch das allgemeine nur eben beſchwichtigte Mißtrauen, das wieder Wurzel gefaßt, hatten die Regierung bey dieſem Punkt erwartet; und als ſie nun eben wie in Polen ſich benahm, ſchien ihnen auch Altpreußen zurückgekehrt, und damit auch die Rückkehr des alten Haſſes wohl begründet. Da38 ein erſter Bruch feyerlicher Verſprechungen erfolgt, ſchien alles Andere ſich von ſelbſt zu verſtehen; das Vertrauen war verloren, die Meinung, die bisher ſich arglos hingegeben, trat nun geharniſcht zur Wehre; und ſeit dieſem Augenblicke hat ſich in dieſen Provin¬ zen jener Widerſtand, und jene Oppoſition erhoben, die alle ſpätere Gutwilligkeit nicht wieder beſchwichti¬ gen mochte. Man hatte zur aller unglücklichſten Stunde vergeſſen, was die Römiſchen Conſuln in der Sache der Ariciner und Ardeaten, deren Landmark das Volk ſich zueignen wollen, demſelben zu Gemüth geführt: famæ quidem ac ſidei damna majora esse, quam quæ æstimari possent.
Im übrigen Nord-Teutſchland hatte die Lage der Dinge auf nicht viel tröſtlichere Reſultate und Ausſichten ſich geſtellt. Oben in der Cimbriſchen Halb¬ inſel in Holſtein und Lauenburg, war ſchon ſeit 1816 jene Commiſſion, aus den Prälaten, der Ritterſchaft, den Städten und Aemtern gezogen, vereinigt, um die Vorſchläge zur Verfaſſung die vom Hofe ausgegangen, zu berathen; eine Berathung, die bey aller löblichen Bereitwilligkeit der obern Stände, noch bis zu dieſer Stunde nicht zu dem erwarteten Ziel geführt. Indem der Hof das billige Geſuch um Ausdehnung der neu zu entwerfenden Verfaſſung auch auf Schleswig ver¬ weigerte, hatte auch er an Tag gelegt, daß er nicht ein Kleines mehr zu leiſten geſonnen ſey, als die Verbindlichkeit der Traktaten ihm unausweichlich zu thun auferlegt; und indem er den künftigen Stän¬ den nur eine berathende Stimme einräumen wollte ‚39 hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬ ſtigſten Weiſe, eben auch willkührlich, ausgelegt.
In dem Lande Meklenburg, in ſeinen beiden Hälf¬ ten von oben herab ſehr 'ungleich bedacht, wo eine Ordnung der Dinge, wie ſie aus früheren Jahrhun¬ derten ſich entwickelt hatte, beynahe unerſchüttert fort¬ beſteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬ gen unter ſich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬ eigner dient; der freye Mittelſtand aber noch nicht die Macht erlangt, die Anſprüche geltend zu machen, die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der Dinge gemäß, der Eindruck dieſer Zeit nur wenig ſichtbar ſeyn. Darum war dort bey der Huldigung der alte Rechtsſtand nur durch Handſchlag bekräftigt worden, und ein organiſches Staatsgeſetz der beiden regierenden Häuſer verfügte, wie es jetzt, da nach Auflöſung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬ ſchwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der Landesherrſchaft zu halten ſey. Der einzige Wider¬ ſpruch, der gegen dieſe neubefeſtigte Ordnung der Dinge ſich erhob, mußte darum, weil er ohne alle hiſtoriſche Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte, auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in’s Leere ſich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landſtan¬ des: alle Schutzgenoſſen des Staates mit einem Schlage in Mitgenoſſen zu verwandeln, die nun ihre Rechte entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬ den Inſtitute, die wechſelweiſe ſich bedingend, mitein¬ ander ſtehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬ gebührlich ſich über die Mitte erhebe, und die Leib¬40 eigenſchaft, die eben ſo tief unter ſie herabwürdige, miteinander aufzuheben, wurde nicht ganz unbillig, obgleich zum Theile in etwas koſtbaren Redensarten, als Arroganz und Vorwitz abgewieſen.
Im Königreich Sachſen hatte man die alte ſtän¬ diſche Verfaſſung wieder eingeführt: das mürbe, ver¬ wickelte, ſchwerfällige Flickwerk der letzten Jahrhun¬ derte, die ohne Plan und Ueberſicht, ohne großarti¬ gen Sinn, und eigentlich praktiſches Geſchick, grö߬ tentheils verlaſſen von allem Inſtinkt und plaſtiſchem Bildungstrieb, nur ſorgend für die nächſte Gegen¬ wart, immer nur Lappen an Lappen geſetzt und Maſſe auf Maſſe gehäuft. Eine ſolche Vertretung mußte nur allzu geneigt ſeyn, unter dem Vorwande der bedächtigen Umſicht, nach dem Vorgange der Re¬ gierung, gegen das Eindringen alles Progreſſiven ſich zu ſchließen; von einer Vertretung des Bauernſtan¬ des, von einer beſſern Einrichtung der Städteord¬ nung, die die Abgeordneten zu wirklichen Vertretern des ſtädtiſchen Weſens macht; von einer Zulaſſung der nicht landtagsfähigen Gutsbeſitzer konnte nur flüch¬ tig die Rede ſeyn, und ſelbſt die Zuſammenziehung des engern und weitern Ausſchuſſes der Ritterſchaft wurde abgewieſen. Dafür wurde von Seiten der Re¬ gierung auch nur blos berathende Stimme anerkannt, und alle Befugniß zu wirklichen Vorſchlägen oder gar zu einem veto abgeläugnet; die nachgeſuchte Ver¬ minderung des ſtehenden Heeres als unthunlich abge¬ ſchlagen; die Vorlegung der Nachweiſungen über die verſchiednen Zweige der Staatsausgaben und Ein¬ nahmen gänzlich verweigert, weil der König in fünf¬41 zigjähriger Regierung nie mehr, als die Nothwendigkeit verlangt, gefordert; die bewilligten Donative aber dankbar angenommen.
Eben ſo hatte auch in Hannover die neue wilde Zeit nicht lange genug herumgeſtampft, um mit der alten Sitte auch die Geleiſe und Pfade der dortigen mächtigen Ariſtokratie zu zertreten, und ſie hatte leicht wieder den ganzen Umkreis der Gewalten eingenommen, den ſie ehmals erfüllt. Mit ihr war auch die alte Regierung ihres Geiſtes wieder eingetreten; rechtlich, billig, wohlmeinend aber ſchwerfällig, unbehülflich, bis zur Ungebühr bedenklich: nicht ſo ſehr den Anſprüchen der Zeit widerſtrebend, als was noch ſchlimmer iſt, ſie viel¬ mehr gänzlich ignorirend, wie auch auf der dortigen Uni¬ verſität ein vornehmer Bettelſtolz den neuen Geiſt, der in die Wiſſenſchaften erfriſchend eingedrungen, vornehm zu ignoriren affectirt; gleichſam als ſey aus¬ getilgt und abgethan, wovon man keine Notiz genom¬ men. Eine Ständeverſammlung, die ſich aus der Oeffentlichkeit zurückgezogen; in der die verſchiednen Elemente ſich in einer Art von Sättigung gebunden hielten, und blos die Trägheitskräfte herrſchten, konnte wenig dazu beytragen, eine weſentlich oscillatoriſche Bewegung in eine fortſchreitende zu verwandeln, und das ſtockende Leben zu begeiſtigen, das gewohnt, in ſo Vielem dem herrſchenden Inſelvolke ungebührlich nachzutreten, nur ſeine Regſamkeit nicht in ſich auf¬ zunehmen weiß. Doch wurde, getrieben von jenem Geiſte, dem Keiner, wie er ſich ſträuben möge, ſich ganz entziehen kann, manches Heilſame und Löbliche gefördert; eine ſorgfältige Bewirthſchaftung der noch42 übrigen geiſtlichen Domänen; ihre gewiſſenhafte Ver¬ wendung für die Bedürfniſſe der Kirche und Erzie¬ hung; die Aufhebung der Steuerfreyheit freilich allein zum Vortheil des Fiscus gereichend, da die Maſſe der Abgaben ſich darum nicht vermindert hat; mögliche Ausgleichung der verſchiednen Landestheile im neuen Grundſteuerweſen; die Bewilligung eines Landtags für die ſieben Herrlichkeiten Oſtfrieslands, und Wie¬ derherſtellung der Magiſtrate in den Hauptſtädten die¬ ſes Landes; Abſchaffung der Folter und des Reini¬ gungseides; die Einführung der Geſchwornengerichte wenigſtens in Anregung gebracht: das alles war, wenn auch überall, wo in der Ausführung practiſche Ge¬ wandheit und Fertigkeit, im Entwurfe Ueberſicht und Klarheit nöthig ſind, mangelhaft, doch immer zum Anfang dankeswerth.
In Heſſen hatten frühe den Vortheilen, die die ge¬ wünſchte Rückkehr des Alten gewährt, die Nachtheile, die eine unglückliche Liebhaberey zum Veralteten zur Folge hat, ſich beygeſellt; Nachtheile, die eine unge¬ bührliche Leidenſchaft, Schätze anzuhäufen, nur noch mehr verſtärkt. Darum kehrte mit dem alten lächerlich ge¬ wordnen Anſehen des Heeres, auch die alte verhaßte Hungerleiderey zurück; darum zerſchlugen ſich alle mit den Ständen angeknüpften Unterhandlungen, als es darauf ankam, das Staatseigenthum von dem Privat¬ eigenthum des Fürſten auszuſcheiden, und ſich nun ein Streit erhob, der alle gehäſſigen Erinnerungen der früheren Zeit wieder in den Gemüthern aufge¬ weckt. Daher wurde eine Conſtitution um eine nam¬ hafte Summe käuflich ausgebothen, und als der Kauf43 nicht zu Stande kam, die Erfüllung des 13. Art. mit Stillſchweigen umgangen: eine Feilſcherey, freilich nicht unerhört in älterer Zeit, aber, keineswegs zu dem gehörend, was aus ihr herübergenommen werden ſoll. Darum wurde der Streit mit den Domänenkäufern, in Braunſchweig und Hannover geſchickter beygelegt, hier, wo man mit ſtarrer Härte, Recht und Unrecht durcheinander miſchte, und den eigenen Gerichtshö¬ fen für beſondere Rechtsfälle, in eigner Sache, neue Geſetze machte, zu einem öffentlichen Scandal, das die Ohnmacht der Verfaſſung im unzweydeutigſten Licht gezeigt, und das gegebene Aergerniß kaum durch ein allgemeines Bundesgeſetz für ähnliche Fälle in der Zukunft wieder gut machen wird. Darum endlich blie¬ ben alle die ſchreyenden Mißbräuche im Juſtizweſen und in andern Fächern unangetaſtet. Heſſen ganz ſtatio¬ när geworden, ſchied gleichſam aus der Gemeinſchaft der übrigen Stammgenoſſen, und ſchien den Vorwurf des Mangels an Theilnahme an den öffentlichen An¬ gelegenheiten, den man ihm vor allen Andern gemacht, durch die That zu beſtättigen.
Dieſer Gang der nordteutſchen Angelegenheiten konnte der Meinung wenig Beruhigung gewähren, die nach ſtarken, volksmäßigen Inſtitutionen für die Gegenwart und der Sicherung der Zukunft durch ei¬ nen regen, lebendigen, die ganze Nation umfaſſenden Gemeingeiſt verlangt. Wohl thut Ruhe und ſtilles Gemach vor allem Andern Noth dieſer Zeit, die ſich in raſtloſem Treiben beynahe aufgerieben; aber es darf nicht die Ruhe der Trägheit, ſondern allein jene gehaltene, feſte Gelaſſenheit ſeyn, die nicht in leerer44 Haſt ſich abmüdet, ſondern gemeſſen und ihrer ſelbſt gewiß mit dem geringſten Kraftaufwand ihre Zwecke zu[erreichen] weiß. Sie erkannte, daß Teutſchland nicht damit gedient ſeyn könne, jenes träge, lahme und taube Weſen zurückzuführen, wie es vor den Be¬ wegungen der letzten Zeit beſtanden, wo das öffentliche Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine Haide hingezogen, auf der die verſchiednen bürger¬ lichen Geſellſchaften ihre Pfergen aufgeſchlagen.
Nicht darum ſind ſo furchtbare Stürme über Euro¬ pa hergezogen, daß ſchon, während ſie noch nachdon¬ nernd am fernen Geſichtskreis ſtehen, jenes Reich der Mittelmäßigkeit, das ſie zerſprengt, ſich wieder zu¬ ſammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang iſt, jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeiſterung, als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erſtar¬ rung hielt, ſoll uns nicht noch einmal als Geſundheit gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte Erinnerung vergeſſen hatten, als Bildung zur Huma¬ nität und cosmopolitiſche Geſinnung.
Nicht kann ferner dieſe Philiſterey uns frommen, die ohne Weltanſicht im Erkennen alles Höhere mi߬ verſteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engſten, Kleinlichſten ſich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬ hältniß von Urſache und Wirkung durchſchauend, durch das gewöhnlichſte ſich verwirren, und zu übereilten Handlungen hinreißen läßt. Nicht mag fördern das Werk der Zeit jene ſteife, ungelenke Pedanterie, die45 in Allem nur nach ſtrenger Methode verfahren will, und darum bey jeder Ueberraſchung, und in allen wichtigen Dingen, wo die Regel verrätheriſch ihren Sclaven im Stiche läßt, unverſonnen ſich nicht zu helfen weiß. Jener Geiſt, der mit uns zu ringen herabgefahren, wenn wir noch ferner im Kampfe mit ihm wie lahme Invaliden uns gebehrden, wird, ſtatt uns zu ſtärken für die kommende Zeit, uns nie¬ derwerfen mit Schande und Beſchämung, und dann hohnlachend von dannen ziehen.
Nicht flache, abgegriffene und verſchliſſene Höflinge, die die Unbedeutenheit treiben wie ein Studium, und das Nichtige wie ein Geſchäft, kann fortan die Ge¬ ſchichte brauchen; nicht Miniſter die ſich nur ans Ende der langen Bank der Schreibergeſellen niederlaſſen, und von dort aus nur die Buchſtaben, aber nicht Welt und Leben zu beherrſchen wiſſen; nicht Feldher¬ ren, die die Scheide höher halten, dann das Schwerd, die Kuppel und ihre Trotteln aber für das Höchſte, das auf Erden iſt; nicht Beamte und Kriegsleute, denen alle Kraft in die Dreſſur aufgegangen: rüſtige, gewandte, vielverſuchte Menſchen fordert ſie von uns, die Geiſt und Leben ſich bewahrt, und die Anſprüche der Zeit mit der Perſon bezahlen, und die Formen achten nach ihrem Werth, aber ihnen nicht ſclaviſch dienen; Männer die muthig des raſchen Roſſes Rücken zu beſchreiten wiſſen, und ſeinen wilden Muth zu lenken.
Wohl iſt es eine der Aufgaben der Zeit, jenes ru¬ hige, behagliche Wohlbefinden der Maſſe, als den ſichern Grund des künftigen öffentlichen Lebens wie¬46 derherzuſtellen; aber damit ſoll keineswegs jene laue Gleichgültigkeit, jene theilnahmloſe Unbekümmerniß, jene flache Trivialität der Geſinnungen, jene klägliche Nüchternheit wiederkehren; und am wenigſten wollen wir jene Flickſchuſterey der vorletzten Zeit ohne Idee und Adel der Geſinnungen, ohne Kraft, Würde, blos durch einen verdumpften Rechtsbegriff im beßten Fall geleitet, uns zum Vorbild nehmen. Jene Cabinetts¬ willkühr, die in Italien zuerſt erſonnen, in Frank¬ reich aber vor den Andern praktiſch ausgeübt, von da in jener Zeit nach Teutſchland herübergepflanzt wurde, kann uns den gemeſſenen Willen, der frey iſt, weil er dem Geſetz gehorcht, und ſtark, weil er ſich in ſeinen Gränzen hält, keineswegs erſetzen. Jene Finanzſchwindeleyen, die Europa zu Grunde gerichtet, werden dadurch nicht gebeſſert und zu liberalen Inſti¬ tutionen umgewandelt, wenn man nicht durch Nach¬ laß, ſondern durch Mehranziehen Gleichheit in ſie bringt; noch wird der Geiz, wenn er gleich dem Al¬ ter ſich anzuhängen pflegt, dadurch eine alterthüm¬ liche Idee und ein würdiges Regierungsprinzip. Nicht ferner mag eine Ordnung der Dinge ſich behaupten, wo Pflichten und Rechte nicht gleichmäßig in denſel¬ ben Inſtitutionen und Perſönlichkeiten ſich vereinigen, und im Steigen und Fallen wechſelſeitig ſich bedin¬ gen, ſondern vielmehr geſondert an verſchiedene Trä¬ ger ſich vertheilen wollen; nicht länger mehr mag jene perſönliche Dienſtbarkeit beſtehen, als die freye wohl¬ verſtändigte Einwilligung ſich ihr freywillig unterzieht. Nicht darum hat die Zeit nach der Rückkehr des Alten ſich geſehnt, daß man es ihr, da wo es der Willkühr47 und dem Intereſſe Vortheil bringt, wie größentheils, im Norden, mit Gewalt und in allen ſeinen Verderb¬ niſſen aufdringe, da aber wo es Beiden Eintrag thut, wie z. B. in Würtemberg geſchehen, ihr vorenthält. Der Zauber der böſen Beſprechung, die aus der Fremde her gekommen, und alle Kraft Teutſchlands gebunden hielt, iſt abgelaufen, und es will nicht ferner Theil haben an dem Segen des Iſaſchar des Sohnes Ja¬ cob, daß es ſey wie ein Eſel unter Säcken.
Hatte der Norden die Nation auf ſolche Be¬ trachtungen geführt, dann mußte der Zuſtand des Südens Andere und zwar von entgegengeſetzter Art erwecken. Dieſer Theil des Reiches war eine gerau¬ me Zeit hindurch Teutſchfrankreich geweſen, indem die Rheinlandſchaften noch in der früheren democrati¬ ſchen Zeit der Revolution mit Frankreich vereinigt wurden, die jenſeitigen Herrſchaften aber ſpäter ihm durch den rheiniſchen Bund als Vaſallen unterworfen, an allen ſeinen Kriegen und Richtungen Theil genom¬ men. Während daher in jenen Strichen, vielfältig die democratiſchen Ideen ſich unter dem dritten Stande verbreiteten, und ein Geiſt freyer Unabhängigkeit ſich da ausbildete, hatten hier die Höfe allein Theil ge¬ nommen, und die Revolution in ihrer damaligen Ge¬ ſtalt nach Teutſchland hinverpflanzt.
Dieſe Revolution war ein großes Gottesgericht, in jenem Lande abgehalten, um erſt an ihm und dann an der übrigen Welt vieljährige Schande und Uebel¬ that zu ſtrafen, und eine Blutſchuld, die mit den Zinſen und dem Erwerbe jeder Generation vermehrt, von Geſchlecht zu Geſchlechte furchtbar wachſend fort¬48 gegangen, endlich auszulöſen; gerade wie die Refor¬ mation in gleicher Weiſe zu Recht geſeſſen, um den Verfall der alten Zucht in und außer der Kirche, die Erſtarrung des höheren geiſtigen Lebens, die Heuche¬ ley und Selbſtſucht und die Verſtockung und Verdum¬ mung in entleerten Formeln zu züchtigen.
Damals hatten die Höfe des Nordens, erſt ſelbſt ergrif¬ fen dann ergreifend, jener Volksbewegung ſich bald zu bemeiſtern gewußt; und wie nun der Teufel, aus der Bejahung vertrieben, höhniſch in die Verneinung ſich geflüchtet, hatte, was mit einer Reinigung der Kirche angefangen, mit einer ſchändlichen Plünde¬ rung im ganzen proteſtantiſchen Europa aufgehört, und die große Idee des Kirchenſtaates, erſt innerlich durch ſelbſtſüchtige Herrſchſucht ausgehöhlt, in üppi¬ ger Trägheit aufgelöſt, war nun im Aufſtande durch die gleiche Selbſtſucht der Reaction zertrümmert wor¬ den, und des Pabſtes dreyfache Krone getheilt unter die Fürſten als geiſtliche Souveräne, oder auch ander¬ wärts der geiſtlichen Ariſtocratie und ſelbſt der Ge¬ meinde zu Theil gefallen. Gerade ſo war es auch jetzt er¬ gangen, daß, indem die Höfe des Weſtens mit der Revolution in ihrer Kehrſeite, dem unbeſchränkteſten Despotism, in Bund getreten, die Plünderung der andern Hälfte der Kirche, die noch der Reformation entgangen, die Unterdrückung und Verſchlingung al¬ ler ſchwächern Reichsgenoſſen, die Aufhebung und Vernichtung aller alten Rechte, Sitten und Erinne¬ rungen des Volkes, der Untergang der gemeinen Frey¬ heit, und die völlige Zertrümmerung der andern Ideedes49des Mittelalters im teutſchen Kaiſerreiche die Folge dieſes Bundes.
In dem Uebermuthe und dem Drange einer ſolchen Zeit hatte eine Claſſe von Staatsmännern ſich ausge¬ bildet, ganz anderer Art als ſo Manche, die im Nor¬ den aus der Periode vor jener großen Bewegung noch übrig geblieben, oder auch ſeither allenfalls in ihren Grundſätzen erwachſen ſind. Wie Dieſe, Sclaven des Herkommens, das Beſtehende allein anerkennen, und vor allem Werdenden eine tiefe Scheu in der Seele tragen; ſo erkennen und achten Jene kein Seyn und keine Vergangenheit, und haſſen alles Poſitive, das ihrer unruhigen Thätigkeit hemmend entgegentritt. Während die Einen nicht zu rühren wagen an das Ueberlieferte, und mit den Leichen des in ſeinem Al¬ ter Erſtorbenen ſich bis zur Verweſung ſchleppend, als Leibeigene dienen auf dem Hofgut, an das eine keckere Vorzeit ſie gefeſtet; halten die Andern alles Gewe¬ ſene dem Tode heimgefallen, ſich aber für Herren der Gegenwart, und zu Tyrannen der Zukunft ſich beru¬ fen. Kinder des Tages, der ſie geboren, verneinend Alles, was vorhin geweſen, hoffen ſie doch, daß ihr Wille bejahend ſeyn werde für das Kommende, dem ſie ſelbſt wieder ein Vergangenes geworden, und das Morgen mit dem gleichen Rechte ſie negirt, wie ſie das Geſtern vernichteten. Schaltend nach freyeſter Willkühr mit allem Vorhandnen, von dem Jene ſich bemeiſtern laſſen, werfen ſie in unaufhörlicher Umkehr die Dinge durcheinander; wie die Gedanken wechſeln in des Menſchen Bruſt, ſo muß ihre Welt ſich mit den Flüchtigen umgeſtalten; in geilem Bildungstrieb450muß bald dieſe bald jene Einſeitigkeit ſich zu einer mißgeſchaffenen Geſtalt verkörpern, die ſie dann nach Gutbefinden zerſchlagen, um andern Aftergeburten Raum zu ſchaffen; raſtlos wie vom böſen Geiſt beſeſ¬ ſen, hetzen und jagen ſie Dinge und Menſchen durch¬ einander, daß nichts in Ruhe ſich bewurzeln mag. Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem ſtillen, leiſen gelaſſenen Gange, in dem die Natur ihre Bildungen entfaltet, ſo iſt's der Mechanism, dem ſich ihre Ungeduld verſchreibt, und der Staat wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaſchine, in deren Säule ſie ſelbſt ein heißer Schwaden auf - und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬ polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld zugleich münzt und pumpt, hämmert, ſpinnt und ſchreibt und ſeines Gleichen wieder ſchmiedet. In die¬ ſem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬ den, müſſen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬ len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag, und kein menſchliches oder bürgerliches Verhältniß eine ſtörende Selbſtſtändigkeit zu behaupten ſich ge¬ traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrſchen¬ den Idee aufgeopfert; nichts mag ſo feſt gegründet ſtehen, daß der Wirbel ihrer Organiſationswuth es zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬ zeln tief in die Zeit geſchlagen, ruhig geſichert in ſich beharren will, erſcheint ihnen ſtrafbar und rebelliſch; und ſie biethen alle Elemente auf, es zu ſprengen und im Grunde zu zerſtören, damit nichts als ihre per¬ ſpectiviſch gemahlten Rieſenwerke übrig bleiben. Da51 von Treue, Liebe, Sitte, Angewöhnung, Pietät und Allem, was des Menſchen Bruſt bewegt, nichts zu ihrem Werk erfordert wird, indem ein klarer waſſer¬ heller Verſtand alles wohl beſchickt; dürfen ſie ſcho¬ nungslos durch alle menſchlichen Verhältniſſe fahren, und auf ihrem Schachbrett Bauern, Läufer, Thürme, Ritter ziehen nach Gutbefinden von einem Ende zu dem Andern. Ihre Verfaſſungen ſind nicht geſellige Vereine, von ſelbſtſtändigen Menſchen zu wechſelſeiti¬ ger Bindung und Befreyung eingegangen; es ſind Bü¬ cher, deren Blätter einſt gegrünt, dann zu Lumpen zer¬ rieben, zerſtampft und zu Papier gegoſſen, mit ihren or¬ dinairen Gedanken beſchrieben, dann beziffert und ein¬ gebunden mit goldnem Schnitt, wenn vergriffen, je¬ desmal in neuer Auflage wieder erſtehen. So iſt all ihr Thun ohne Segen, weil ſie es allein auf den Dün¬ kel aufgebaut; jeder folgende Tag verzehrt, was der Vorhergehende gebaut; in eitler Sorge müſſen ſie ſtets wie Saturn ihre eignen Kinder freſſen, bis ihnen endlich die Mutter zürnend den Stein hinreicht, und den Rächer dann erzieht. Durchgängig Männer von Kraft, Wille, Geiſt und Talent, hätten ſie das Salz ihres Vaterlandes werden können; aber weil die Hof¬ fart ſie bemeiſtert, ſind ſie ihm ein freſſendes Gift geworden; und indem ihre wilden feurigen Geiſter in die eine Hälfte Teutſchlands hineingefahren, jene trä¬ gen, gnomiſchen aber der andern Hälfte ſich bemei¬ ſtert, mußten wir das Vaterland in jenem jämmer¬ lichen Zuſtand erblicken, wo es auf einer Seite, wie vom Schlagfluſſe gelähmt, auf der andern im Veits Tanz ſich bewegt, und während die eine Hälfte aſtheniſch4 *52in dumpfen, leeren Träumen brütet, die andere hy¬ perſtheniſch in phantaſtiſchen, ausſchweifenden Deli¬ rien ſich abgemüdet:
Wie es zu den Zeiten des rheiniſchen Bundes in den Bundesſtaaten gehalten worden, iſt noch im friſchen Angedenken, und es iſt zugleich unnütz und gehäſſig, die Erinnerung an dieſe widerwärtigen Er¬ eigniſſe wieder aufzuwecken. Als das Reich Napoleons zum Sturz gekommen, und die Meinung gegen jene Höfe ſich mit Heftigkeit erhob; da bildete ſich an ih¬ nen eine Reaction, die aus dem Conflicte ſehr ver¬ ſchiedenartiger Motive ſich entwickelte. Die ſüße Ge¬ wohnheit der bisher geübten Willkühr kam mit den neuen Anſprüchen der Zeit in harten Widerſpruch; wäh¬ rend die Gutwilligkeit, die am Teutſchen ſich ſchwer verläugnet, wohl fühlend den Stachel des Gewiſſens, mit dem gekränkten Stolze kämpfte, der ſeine Conſe¬ quenz gegen die neu einbrechende Ordnung der Dinge zu vertheidigen ſich beſtrebte, und mit Erbitterung die ungeſtüme Mahnung alter Schuld abwies, bey der man, vielleicht weniger als billig war, auf die Macht der Umſtände, in die ſie verwickelt waren, Rückſicht nahm.
In dieſem Gedränge bothen jene Staatsmänner der zweyten Claſſe, die früher die Umkehr nach Napoleo¬ niſchen Grundſätzen geleitet hatten, eine bequeme Aus¬ kunft an, indem ſie, gleich dem Meiſter nach der Rückkehr, ſich mit dem nöthigen Vorbehalt auf die liberale Seite warfen. Indem man der Zeit einige wirkliche unabweisliche Einräumungen geſtattete, war jenem guten Willen genug gethan, das Gewiſſen zur53 Ruh geredet, und der dringendſte Ungeſtüm mit ei¬ ner abſchläglichen Zahlung abgewieſen; für die ſpä¬ ter einlaufenden Forderungen, die von Gerichtswe¬ gen, wie die franzöſiſche Schuld, ſchon gemäßigt wa¬ ren, wurde von jenen Papieren und Phraſen, die nie nach dem Nennwerth gelten, ein reichlicher Vor rath eingelegt, und ein wohlbeſtelltes Lager jener Quincailleriewaaren etablirt, die uns die Revolution gebracht, und mit denen der Zeitgeiſt, wie jener Vogel mit der Silberkugel, ſpielend ſich vergnügt: Ver¬ günſtigungen, die nichts koſten, aber jedesmal zählen bey der Parade; Freyheiten, die ſich entweder von ſelbſt verſtehen, oder bey der Willkühr als ihrem Brod¬ herrn Hofedienſt zu leiſten ſich entſchließen; Bewilligun¬ gen durch Ausnahmegeſetze weislich gezügelt; hohle For¬ meln und gleiſſende brillantirte Lügen, in die die Eitelkeit ſich gern putzen mag, und wie die Behelfe heißen mö¬ gen, mit denen die Klugheit der Welt ſich durchſchla¬ gen zu müſſen glaubt. Als die kleine Waare Liebha¬ ber gefunden, ließ ſich ſpäter wohl die Hoffnung faſ¬ ſen, auch die früheren Einräumungen wieder abzu¬ kaufen; die Conſequenz war vollkommen gerettet; und die Willkühr, die jetzt die Appretur gewonnen, wie ſie die Mode der Zeit verlangt, war wieder ein gang¬ barer Meß-Artikel.
So hatte das Herzogthum Naſſau ſchon vor dem Congreſſe eine Verfaſſung erlangt, an der man theo¬ retiſch nichts ſonderliches auszuſetzen gefunden, die aber praktiſch ſeither zu wenig Erklecklichem geführt. Unter dem Vorwande, die ſtets wechſelnden Territorialver¬ hältniſſe des Landes erlaubten die Zuſammenberufung54 einer Stände-Verſammlung nicht, blieb ſie drey Jahre unausgeführt, die man benutzte, den Apparat zu fer¬ tigen, um mögliche furchtbare Leidenſchaften und de¬ magogiſche Umtriebe, die ſich in ihr entwickeln konn¬ ten, zum voraus zu dämpfen und niederzuhalten. Darum ließ man, angebend die Stände ſollten con¬ ſtituirt keineswegs aber conſtituirend ſeyn, ſie auch an der Bildung der Inſtitutionen, die eine gänzliche Umſchaffung aller innern Verhältniſſe her¬ beygeführt, keinen Antheil nehmen; und man poſtu¬ lirte ihre Einſtimmung bey den wichtigſten Edicten über Gegenſtände, zu denen ihr Beyrath um ſo noth¬ wendiger ſich erwies, je mehr der Theile und Inte¬ reſſen waren, aus denen das Ganze erwachſen mußte.
Um der ſchreckbaren Macht und dem ſtürmiſchen Charakter von zwanzig gewählten Volksvertretern zu begegnen, hatte man die Regierung nach allen Re¬ geln der höheren Befeſtigungskunſt zu verſchanzen un¬ ternommen. Eine mächtige, ausgezeichnete, wohlbe¬ zahlte, uniformirte, gleich dem Adel einem gefreyten Gerichtsſtand untergebne, mit ihren Söhnen von der Militärpflichtigkeit freygeſprochene, oben um den Für¬ ſten her zum Theil in Banden der Verwandſchaft enggeſchloſſene Beamtenwelt, hangend an einem Winke des Gebiethers, und in ihren Gliedern durch einen Feder¬ ſtrich von einem Ende des Landes zum Andern hin ver¬ ſetzt, durch die Schultheißen das Geringfügigſte im In¬ nern der Gemeinden von der Mitte aus, nach allen Regeln der modernen Papierbewirthſchaftung, lenkend und be¬ ſchickkend, bildete wie allerwärts, das Hauptwerk. Eine ſchwache Stelle, die ehmals in der Unabhängigkeit der55 Geiſtlichkeit beſtanden, hatte man glücklich dadurch gedeckt, daß man bey der Confeſſions-Vereinigung, durch das Teſtament der Superintendenten auf den Letztlebenden, auch ſie centrirt, und dann durch Ver¬ pachtung der Pfarrgüter, Beſoldung der Geiſtlichen und Creirung einer Centralcaſſe zu Staatsdienern und Kirchenbeamten im Solde der Regierung umgeſchaf¬ fen. Aerzte und Advocaten, beides ſonſt allerwärts unabhängige Stände, die bekanntlich in der franzöſi¬ ſchen Revolution eine furchtbare Rolle geſpielt, wur¬ den hier ſehr geſchickt völlig unſchädlich gemacht; indem man jene durch Beſoldungen, zum Theil aus den Gemeindecaſſen, bey tief herabgeſetzten Deſerviten gleichfalls in Staatsbeamte verwandelte, dieſe aber von den Amtsgerichten trieb. Die Handwerksinnungen, ſchmähliche Reſte der Feudalknechtſchaft, Staaten im Staate, und darum Feuerheerde möglicher Rebellio¬ nen, wurden ſpäter wie billig ebenfalls geſprengt. Der Adel war noch übrig, und da Manche aus ſeiner Mitte, durch Begünſtigungen nicht zu gewinnen, eine ver¬ drüßliche Selbſtſtändigkeit behaupteten, ſo ſäete man mit erlaubtem Kunſtgriff eine heilſame Zwietracht zwi¬ ſchen ihm und dem dritten Stande aus, indem man rechts und links theilte und unterſchied, zwiſchen Ultra's, die Alles ohne das Volk thun wollten, und Jacobi¬ nern, die Alles durch das Volk, zu ertrotzen ſich vorgeſetzt, und nun jene den Privilegirten, dieſe aber jedem allenfallſigen Widerſtande in der zweyten Kam¬ mer entgegenhielt. So konnte, als nun, nach ſchicklich durch die Commiſſäre geleiteter Wahl, endlich die ge¬ fürchtete Democratie zuſammenkam, der Miniſterial¬56 Despotism geruhig in der Mitte, angeblich mit dem Volke, gehen, und er ließ den Fürſten, damit dieſe imponirende Stellung durch die Eintracht der Stände, die ihm vereinigt die Dankadreſſe überbrachten, nicht verſchoben würde, gewiſſermaaßen gegen dieſe Einig¬ keit, als ſey ſie etwas Conſtitutionswidriges, prote¬ ſtiren.
Als dies vollbracht, trat der Commiſſär der Regierung, Ibell, ausgerüſtet mit der ganzen Kraft und Einſicht, die ihm ſeine Stellung gab; in der ganzen Ueberlegen¬ heit, die ein gewandter Geſchäftsverſtand und ein herriſcher Wille gewähren mag, in die Mitte von Wenigen, mit den Geſchäften größentheils unbekann¬ ten, von allen Seiten umgarnten und eingeſchüchterten, zum Theil abhängigen Deputirten, und entrollte ihnen das Verzeichniß ſeiner ſeitherigen glänzenden That¬ handlungen, Beſchlüſſe und Schöpfungen, die ſie durch ihren Beytritt und ihre Gutheißung zu ſanc¬ tioniren und zu beſiegeln hätten. Wie wollte der kleine Funken des democratiſchen Princips ſich dieſem bren¬ nenden Buſch vergleichen? Als die Stände, erſchrocken über eine ſo mächtige Curatel, für ſich zum Führer und Leiter einen Syndicus verlangten, wurde ihnen dies als alberne Thorheit, ja beynahe als Hochverrath ausgelegt. Als einige Gegenden des Landes von dem Petitionsrecht an die Stände, das ihnen die Verfaſſung eingeräumt, Gebrauch machten, und ihnen die wirklichen und wah¬ ren Gebrechen des Landes ans Herz legten, war der verkündigte demagogiſche Gegenſatz glücklich ausgefun¬ den, und es hob ſich ein furchtbares Geſchrey gegen ein ſo unglaubliches Attentat, und zugleich eine ge¬57 waltthätige Verfolgung gegen die Urheber dieſes Schrit¬ tes, die damit endigte, einen tüchtigen und wackern Beamten von ſeiner Stelle zu vertreiben, und ihn zuletzt aus dem Vaterlande zu nöthigen.
So waren den Ständen alle Wege verrannt, der allein offne der Regierung ausgenommen. Man hatte den Grundſatz aufgeſtellt, alle die reichen angefallenen Domänen der verſchiedenen Landestheile, die ſich im Herzogthum vereinigt hatten, ſeyen jetzt ein unbeſtrit¬ tenes Hauseigenthum der ehemaligen Grafen und Für¬ ſten von Naſſau geworden, als ſie den Herzoghut ge¬ nommen; dadurch war der Hof von den Bewilligung¬ gen der Stände gänzlich unabhängig gemacht, und da die Bedürfniſſe des Staates von ſelbſt in die gewie¬ ſenen Wege drängen, auch von dieſer Seite Alles zum voraus abgethan. Das Steuerweſen war früher nach lobenswürdigen Grundſätzen einer gleichmäßigen Bey¬ ziehung des Grundbeſitzes und der Gewerbthätigkeit geordnet worden; ein bedeutender Theil der Verwal¬ tungskoſten war den Gemeindekaſſen aufgelegt neben den Gehalten und Gebühren der Ortsvorſtände und Einnehmer; noch ganz oder größentheils Aerzte, Wund¬ ärzte, Hebammen, Forſtbeamten, inſofern ſie ihre Waldungen inſpiziren, Schullehrer, Wald - und Feld¬ ſchützen, Kirchendiener und Nachtwächter: ſo blieb fürs Budget nichts, als die Unkoſten, die der höhere Regierungsmechanism fordert, und für die Stände kam etwas anderes, als eine Reviſion der vorgeleg¬ ten Einnahmen und Ausgabetabellen nach Art einer Oberrechenkammer. Sie ſetzten darum den Artikel der Hofbauten um ſo viel herunter, als man ihn heraufgeſetzt:58 ſtrichen ſonſt noch da und dort Einiges Wenige; über¬ nähmen die Auslöſung der auf den Domänen haften¬ den Feudalabgaben, die man früher in liberaler An¬ wandlung unentgeltlich aufzugeben die Miene angenom¬ men, auf die Steuercaſſe; befreyten zuletzt auch die Domänenforſte von den darauf haftenden Nutznie¬ ßungen der Gemeinden, und lösten dann ſich auf, um das Lob ruhiger, verſtändiger, wohlgeſinnter Stände mit nach Hauſe zu nehmen, dort aber dem lauten Ta¬ del des Volkes zu begegnen.
Der verhaltne, durch dieſen Tadel gereizte Unmuth, mußte nach der Natur der Dinge in nächſter Ver¬ ſammlung in irgend einer Weiſe zum Ausbruch kom¬ men; und da dies unter den obwaltenden Umſtänden nicht wohl in gemeſſener Art, und in einer kräftigen, ſichern, feſten Oppoſition geſchehen mochte, ſo wußte er ſich nur in jener derben Exploſion Luft zu machen, die da eintrat, als jene Begünſtigungen der Domänen, die ſo manche Gemeinde hart bedrängt, eine Armen¬ ſteuer herbeygeführt; und die dem Uebermuth, gegen den ſie gerichtet war, wohl eine Lehre ſeyn konnte, daß die menſchliche Geduld ſich nur bis zu einem gewißen Grade mißbrauchen läßt, und dann uner¬ wartet losſchlagend ſich rächt an dem, der das ver¬ wegne Spiel geſpielt. Da inzwiſchen ſolche Ausbrüche ihrer Natur nach vorübergehen, jede wohlberechnete Willkühr aber ſtetig wirkt; ſo mußte ſie bald jener Bewegung Meiſter werden, und der ganze planloſe Widerſtand endete zuletzt mit einer zweyten Gewalt¬ thätigkeit, an einem andern Beamten ausgeübt, und das Geheimniß war ausgefunden, eine an ſich nicht59 ſchlechte Verfaſſung vollkommen durch ſich ſelber zu vernichten.
So war alſo hier ein eigentlicher Muſterſtaat mo¬ derner Verfaſſungskunſt feſtgeſtellt, die alle Menſchen gleich macht in gemeiner Dienſtbarkeit, und die Frey¬ heit als leere Gaukeley zum Spotte, und das Werk war nach dem Vorbilde Frankreichs ein Microcosm des Napoleoniſchen Macrocosm ausgeführt, und ſiehe da! der Meiſter ſah, daß es gut war. Staatsrath, Kammern, Budget, zwey Partheyen Ultras und Jacobiner an den Triumphwagen geſpannt, von deſ¬ ſen hohem Sitze der Wagenführer mit eiſernem Arm das Doppelgeſpann zum Ziele lenkt; vorauf Frey¬ heitslieder aufgeſpielt, und Fanfaren mit Trompeten¬ geſchmetter, ein offizieller Moniteur, der bald den Thyrſus liberaler Ideen ſchwingend Evoce Bache! ruft, bald die Lockpfeife bläst, mit der man liberale Gim¬ pel fängt; bald als Conſtabel das verblüffte Volk mit dem Grabe im Spaliere richtet; jeden Widerſpruch mit Hohn niedertritt; da und dort eine ſcheltende Lippe mit dem ſüßen Honig allgemeiner freymüthiger Redensarten beſalbt, daß ſie ſich, wahrnehmend den lieblichen Schmack, betroffen ſchließt; dann wieder den beſcheidenſten Zweifel hart anläßt; im Gefolge hintennach Eitelkeit und ſeichte Selbſtgefälligkeit, Or¬ ganiſations - und Neuerungsſucht, Centraliſiren und Paralyſiren, Schein und Papierthätigkeit, Fiscalität, Unlauterkeit und Pfiffigkeit; endlich gar zu allen gro¬ ßen Dingen, Hunt und den Spafieldsrednern in der Grafſchaft Katzenellenbogen, noch die Seligkeit einer Conſpiration, und der Ausforſchung einer weitumgrei¬60 ſenden Verſchwörung. Furchtbare Thorheit dieſer Zeit! die falſch und unwahr bis ins Mark ihrer Gebeine hinein, nachdem ſie lange die Welt betrogen, endlich dahin gelangt, daß ſie die eigne Lüge glaubt; und nachdem ſie alle Natur von ſich gethan, in verwege¬ ner Schwindeley ihre Hiſtrionenkünſte an Allem übt, und Geſellſchaft, Staat, Kirche, das Ehrwürdigſte was die Erde hegt, zur Farce macht.
Was im Herzogthum Naſſau in jener Weiſe glücklich zur Ausführung gelangt, hatte der Miniſter Montgelas früher auch ſchon in Bayern verſucht, und deswegen die Conſtitution von 1808 gegeben, und die Spätere zur Zeit des Congreſſes proclamirt. Umſtände, deren Zuſammenhang noch nicht am Tage liegt, hat¬ ten dieſen Mann, von dem im Guten und Böſen Alles gilt, was die vorhergehenden Blätter der gan¬ zen Gattung nachgerühmt, eben als er nach der Würde des Staatskanzlers griff, zur großen Beſtürzung aller Gleichgeſinnten, plötzlich aus ſeiner Laufbahn wegge¬ ſchoben, und ein Miniſterium an ſeine Stelle geſetzt, das zwar nicht wenig eiferſüchtig auf ſeine Macht, doch weder den Einfluß, die Argliſt noch die Gewalt¬ thätigkeit beſaß, ſie in einem ſo conſequenten Syſteme zu befeſtigen. Der König gab eine Charte, an der man freylich eine übergroße Aengſtlichkeit bemerkt, die Vorrechte der Krone zu bewahren; die aber doch die Ge¬ meinen gegen ſie in eine Stellung ſetzte, von der aus nach und nach durch ihre Einwirkung fehlerhafte Inſtitutionen abgeſchafft, und beſſere an die Stelle gebracht werden mögen, die alsdann rückwirkend auf61 die Verfaſſung, wieder beſſern können, was an ihr unvollkommen iſt.
Darum war der Landtag, der hier abgehalten wurde, etwas mehr als eine jener blauen Dunſterſcheinungen, die Zeit zu äffen heraufgeſtiegen; zwar lief auch hier mancherley Arg mitunter, aber da es nicht in der Mitte alles überwiegend ſaß, war nicht ſonderlich viel dagegen einzuwenden, da die Schlechtigkeit mit der Dummheit gleiches Recht hat repräſentirt zu werden. Darum entwickelte ſich in der zweyten Kammer, nach¬ dem die erſte Lehrzeit nur vorüber, mitten aus man¬ cherley ſchwerfälliger Unbehülflichkeit, Philiſterey und Ungewohnheit des conſtitutionellen Lebens, ein wack¬ rer Hausverſtand, und eine billige, gemäßigte, ehren¬ werthe, in allen Dingen dem Guten leicht zugäng¬ liche Geſinnung. Viel des geheimen Gepreſte, das die heutigen Staaten drückt, kam dabey zur Sprache; mancher tiefe Blick in die ſcheußliche Vergangenheit, konnte, ſo ſehr man ſie zu verhüllen ſich bemüht, nicht verhindert werden; manches Gute das die Re¬ gierung willig aufgenommen, wurde vorbereitet, zu manchen beſſern Einrichtungen die Wege angebahnt; großen Mißbräuchen wurde für die Zukunft ein Ziel geſetzt, und das Unweſen der Zeit zu ſeinem Wende¬ punkt geführt.
Als die Kammer aber, nachdem ſie in Friede und Einigkeit bey ihrer Unterſuchung der Gebrechen des gemeinen Weſens, die Extremitäten durchſondirt, all¬ mählig auch zu den innern Lebenstheilen hingelangt, und nun an die eigentlichen und großen Schäden rührte, an denen die Staaten dieſer Zeit ſiechen und62 vergehen: das alle Verhältniſſe überſchreitende Ueber¬ maß in der doppelten Soldatesca des Kriegs - und Friedensheeres; den durch eine ſo zahlreiche und glän¬ zende Dienerſchaft zerrütteten Staatshaushalt; die da¬ durch herbeygeführten Finanzſchwindeleyen, die nach Erſchöpfung aller möglichen Steuerformen endlich da¬ hin gediehen, daß die Regierung Bank hält, am Pha¬ raotiſche gegen ihre Untergebnen; dann jene Cabinets - und Miniſterialwillkühr, die ſich bis in die Juſtiz erſtreckt; da war die Geduld der allzu indiskret in Anſpruch genommenen Liberalität erſchöpft; und es regte ſich von neuem die ganze Hefe ſchlechter Leidenſchaften, die von da aus Teutſchland ſo oft ſchon geärgert haben. Der Augenblick war nun gekommen, wo die erſte Kam¬ mer ſich berufen hielt, ein Damm zu ſeyn gegen die all¬ zu hoch anſteigenden Wogen der Gemeinen; der Reichs¬ rath verwarf dieſe Anmuthungen, die allzu praktiſch waren; die Steuerbewilligung ſollte großmüthig nach der Verfaſſung an keine Bedingung eines radical ver¬ beſſerten Zuſtandes ſich knüpfen wollen; und nachdem man früher den Scandal mit den Adreſſen der be¬ waffneten Macht angerichtet, deren Zulaſſung zum Conſtitutionseid man abgewieſen, weil ſie keine Deli¬ berirende, vielmehr eine rein abhängige Körperſchaft ſeyen, und die man hier doch über conſtitutionelle Ge¬ genſtände deliberiren ließ, verwickelte man ſelbſt zuletzt die Perſon des Regenten auf eine ſeiner Würde wenig zuſagende Weiſe in den Streit, der als erſter Anfang eines beginnenden Kampfes, deſſen Beendigung der Zeit nach ungewiß, dem Ausgange nach aber es mit nichten iſt, immer merkwürdig bleibt.
63Auch in Baden haben ähnliche Veranlaſſungen, auch zu ähnlichem Ausgang ſich entwickelt. In dieſem Lande war ſeit Jahren einer der Hauptheerde jener Umkeh¬ ren geweſen, wie ſie die Zeit herbeygeführt; mehr Conſtitutionen als Frankreich hervorgebracht, waren einander dort gefolgt, worunter Eine, um auch in teutſcher Narrheit etwas Originales hinzuzuthun, in objectiver und ſubjectiver Hinſicht, wie es auf dem Titel hieß; und Miniſter hatten ſich ſchneller als die Conſuln im alten Rom gedrängt. Der Hof gab zuletzt gleichfalls zur Erfüllung des dreyzehnten Artikels eine Charte, die in der damaligen politiſchen Verlegenheit die Meinung vor allen Andern durch ihre Liberalität gewinnen ſollte, und wirklich eines ſehr allgemeinen Beyfalls ſich erfreute.
Auch in der Verſammlung, die ſich hier vereinigte, offenbarte ſich bald ein raſcher, reger, lebendiger, ge¬ wandter Geiſt, wie er dem Volksſtamm dieſer Gegend vor Vielen eigen iſt; dazu wahrhaftes Talent und ſo viel zu ſehen iſt, viel praktiſche Tüchtigkeit, und auch in dieſen Verhandlungen kam gar Manches, zur Sprache, das, wenn es auch, z. B. bey den kirchlichen Angele¬ genheiten und denen des Adels bisweilen mit einiger Einſeitigkeit behandelt wurde, dieſe doch durch die Maſſe des entgegenſetzten Unverſtandes, der aller¬ wärts ſich regt, gar wohl entſchuldigen konnte.
Doch als auch hier die Geſchäfte bis zum critiſchen Punkte vorgerückt; als die zeitgemäße Frage über den billigen Antheil der Stände bey den Bundestagsbeſchlüſ¬ ſen zur Erörterung kam; als bey den Verhandlungen über das Defizit ſeiner Deckung allzu reichliche64 Sproſſen der Civilliſte wie billig beſchnitten wurden; als wieder der miles perpetuus eine freylich allzu geringe Schmälerung ſeiner Dotation ſich gefallen laſſen ſollte: da ſchien der Hof mit Entſetzen dem frevelhaften Werke zuzuſehen, und überraſcht von dem wachſenden Ernſt des leicht begonnenen Unternehmens, und wenig vor¬ bereitet den ſtrengen Anſprüchen einer bis zum inner¬ ſten Grunde aufgeregten Zeit zu genügen, beſchloß er mit haſtigem Eingriff den Verhandlungen ein Ziel zu ſetzen. Auch hier konnte der Fürſt der gereizten Empfindlichkeit nicht Meiſter werden; er vertagte die Verſammlung mit unziemlicher Eile in Mitte der Verhandlungen über das Finanzbüdget; die Stände wurden mit Verletzung des gemeinſten Anſtandes nicht entlaſſen, ſondern fortgejagt; nach der Heimkehr förm¬ lich unter Quarantaine geſetzt, und die Verfaſſung, obgleich formal unverſehrt, war doch gleich beym er¬ ſten Verſuche material verletzt, da man die Stände in Ausübung ihrer Rechte gehindert hatte. Es hatte ſich neuerdings ausgewieſen, was eine Conſtitu¬ tion werth iſt, die ohne hiſtoriſche Unterlage, unbe¬ feſtigt durch freye Inſtitutionen und ſtarke in ſich wohl begründete Corporationen, blos auf dem wan¬ delbaren Willen ruht, und durch eine Cabinettsordre gegeben wird und wieder zurückgenommen.
Einen beſſern Widerhalt hatte in Würtemberg die geheime, geehrte Macht des alten Rechtsbeſtands, ſol¬ chen Einbrüchen willkührlicher Laune entgegengeſetzt. Der König gereizt durch den unvermutheten Wider¬ ſtand, den er bey der Ausführung wohlgemeinter Ab¬ ſichten gefunden, hatte reagirend mit Malchus jenerSchule65Schule gleichfalls ſich in die Arme geworfen; aber mit dem augenblicklichen Triumph war es hier nur auf eine gänzliche Niederlage abgeſehen. Um ſo ſeichtes Beginnen zu ſtrafen, griff die Nemeſis nicht nach Dolch und Gift; ein kleiner Rechnungsfehler, der wie die Schlange unter Blumen, ſo unter Ziffern ſich verſteckt, war hinreichend ſo großem Unterfangen ſo ſchmähliches Ende zu bereiten. Darum, obgleich nach Auflöſung der Ständeverſammlung, auch in dieſem Lande neben manchen guten Tönen, auch vielfach unlauteres Ge¬ ſchrey ſich kund gegeben; obgleich man auch dort alle Verführungskünſte der Zeit geübt, und in alle Weiſe das Volk zu verwirren ſich bemüht, blieb zuletzt das ſchlichte Recht doch ſiegreich: der König, mit rühmlicher Selbſtverläugnung und alles Preiſes würdigem Ver¬ trauen, berief eine neue conſtituirende Verſammlung; und Würtemberg genießt zum Lohne, daß es an ſein altes Recht gehalten, und ſich leichtſinnigen Theorien nicht hingegeben, den Vorzug vor allen andern teut¬ ſchen Stämmen, daß es ſeine Verfaſſung auf conſti¬ tutionellem Wege ſich in gütlicher Uebereinkunft mit der Regierung ſelbſt bereitet, und nun auf einem wahrhaft unerſchütterlichen Grunde ſie befeſtigt.
Wenn ſo harmoniſch zuſammenwirkende, verſönliche, dabey aber doch dem Rechte nichts vergebende Geſin¬ nung ſeit Jahren der gereitzten Meinung die erſte be¬ ruhigende, erquickliche Erſcheinung gewährt; ſo muß dagegen die dumpfe Gährung, die Rheinheſſen ſeit geraumer Zeit bewegt, ſie wieder um ſo mehr ver¬ wunden. Ein wirklich wohlwollender, gutgeſinnter Fürſt, deſſen Gemüth kein Arg in ſich hegt, der aber566verwirrt durch die Zeit, die er ſchwer begreift, zu manchem Mißgriffe ſich hinreiſſen läßt, die alsdann eine ungemeine Bonhommie oft auf eine rührende Weiſe, wieder gut zu machen ſucht; dabey übermäßige Ausgaben für[mancherley] Liebhabereyen, jedoch wieder vielleicht weniger um ſeinetwillen, als derjenigen we¬ gen, die darauf angewieſen ſind, ungern zu beſchrän¬ ken ſich entſchließt; ein Miniſterium das in ſich getheilt, ohne Compaß, ohne Kenntniß der Geſtirne mit allen Winden ſegelt, ohne zu wiſſen wo es den Lauf hin¬ richtet; ein reges, vielfach gedrücktes Volk, das ſeine Rechte erkannt, und mit Eifer, rühmlichem Zuſam¬ menhalten, und lobenswürdiger Theilnahme am Oef¬ fentlichen ſie verfolgt, und ſich durch kein Wider¬ ſtreben irre machen läßt, in Betreibung ſeiner wohl¬ begründeten Rechte, Anſprüche und Forderungen: das ſind die Elemente dieſes Streites; der zwar jetzt be¬ denklich ſcheint, aber doch bey ſo viel Wohlwollen auf der einen und Feſtigkeit auf der andern Seite, ſicher zu gutem Ende führt.
Damit aber endlich der Gegenſatz von Nord - und Südteutſchland, der ſich im Allgemeinen feſtgeſtellt, im Einzelnen wieder vernichtet werde, müſſen die neu¬ reformirten Verfaſſungen Tirols und jene Gallizieus, ſo wie die des Ländchens Vaduz, an der Teutſchland eine Zeitlang ſich ergötzt, den lahmen furchtſamen Charakter jener nordiſchen Geſtaltungen in den Süden hin verpflanzen; während dagegen im Norden eine ge¬ ſcheidte, thätige aber ſehr eigenwillige Fürſtin ihre ge¬ bieteriſche, zweydeutige Liberalität alten Rechten eben67 ſo tyranniſch entgegenſetzt, wie es wohl irgend wo im rheiniſchen Bunde je der Fall geweſen.
Indem auf dieſe Weiſe im jenſeitigen Teutſch¬ land die politiſche Reformation ſich nach und nach auf einer Stufe befeſtigt hat, die man jener verglei¬ chen kann, auf die im Kirchlichen die Episcopalkirche in England ſich geſtellt; haben die dieſſeitigen diſſen¬ tirenden Rheinprovinzen vielmehr eine Art von politi¬ ſchen Calvinism bey ſich ausgebildet, in der Art wie früher ſchon die Schweiz mit dem Beyſpiele vorange¬ gangen, dem dann die ſchwäbiſchen und rheiniſchen Städte, aber ohne Erfolg nachzugehen verſucht, und wie es ſpäter die holländiſchen Provinzen, zuletzt auch Belgien ausgeführt. In dem herben, ſtrengen, phan¬ taſieloſen Geiſte, wie er der dort allgemein verbrei¬ teten politiſchen Schule eigen iſt, haben die Deputir¬ ten des Rheinkreiſes in der bayriſchen allgemeinen Ständeverſammlung geſtimmt; in allgemeinen Dingen oft von fixen Ideen und vorgefaßten Meinungen hin¬ geriſſen, in Allem aber was die praktiſchen Intereſſen ihrer Provinz betraf, immer wacker und tüchtig ſich beweiſend; dieſer Geiſt hat im diesſeitigen Rheinheſſen in den meiſten öffentlichen Stimmen ſich laut gethan; in ihm hat in den kleineren Landesſtrichen die heftige Oppoſi¬ tion gegen die entlegenen Regierungen ſich ausgebil¬ det; und er mußte vor Allem in dem preußiſchen An¬ theil, in dem die meiſten Rheinländer in Maſſe ver¬ bunden ſind, am entſchiedenſten ſich offenbaren.
Indem dieſe Länderſtriche mit Preußen vereinigt wurden, hatte man gleichſam die äußerſten Extreme Teutſchlands, nach allen Richtungen hin, gewaltſam68 ſich entgegengebogen, und dann über den Bund den diplomatiſchen Seegen ausgeſprochen, den der Him¬ mel aber gutzuheißen, ſich bis zu dieſer Stunde ge¬ weigert hat. Einerſeits ein Staat, den allein die Idee des Königs zuſammenhält, der mit Cabinettsordern und Miniſterialordonnanzen ohne eine geſetzlich be¬ ſtimmte Verfaſſung in milder Willkühr herrſcht; eine Beamtenwelt, die nach unbeſtimmten Inſtructionen, aufs Geheime gerichtet, mit weitſchweifiger Förmlich¬ keit verwaltet, und eine gleich umſichtige, geheime und rechtliche Juſtiz; durch alles gehend ein, wenn auch gemilderter, doch immer noch ſtrenger militäri¬ ſcher Geiſt, der zum Theil bewußtlos das Leben in die Formen der Subordination zu drängen die Nei¬ gung hat. Gegenüber ein Volk ohne einheimiſche Für¬ ſtengeſchlechter, ein Land ohne Höfe und Reſidenzen, ein Adel, beynahe gänzlich ausgeſtorben, eine ver¬ armte Geiſtlichkeit; dagegen ein dritter Stand neuer¬ dings nicht reich, aber wohlhabend geworden durch den Heimfall der Domänen, noch nicht üppig, aber wohl fühlend ſeine Macht, und zum Uebermuth ge¬ neigt; gehorſam, aber nicht unterwürfig, dem Geſetze unterthan, aber durch jede auch wohlgemeinte Will¬ kühr leicht verletzt; in Allem auf's Praktiſche gerich¬ tet, und darum allem Regelloſen, Verworrenen ab¬ geneigt; an einen raſchen Geſchäftsbetrieb gewöhnt, und allem Oeffentlichen zugethan; nicht zwar den Waffen abhold, wohl aber allem Steifen, Starren, Herriſchen, das dem Soldatengeiſte anzuhängen pflegt.
5*So entſchiedene Gegenſätze mußten bey der erſten Berührung ſtark und verwundend aufeinander treffen,69 und der Nachtheil des Streites, der ſich erhob, mußte nothwendig ganz auf Seite der neuen Herrſchaft fal¬ len, da ſie ſich allein alles Thun zugeeignet, und den Einheimiſchen nur das Laſſen zugetheilt. Seit der Zeit alſo wo die Regierung durch ihre Organiſa¬ tion das Vertrauen zuerſt verwirkt, hatten Dieſe auf Beobachtung ſich gelegt, und[nur] allzu bald alle Schwä¬ chen ausgeſpäht. Da man ſogleich einſtimmig die Gegenwart als völlig unſtatthaft verworfen, war die ganze Aufmerkſamkeit bald auf die Fortſchritte der Re¬ gierung im Verfaſſungsgeſchäft gerichtet. Man be¬ merkte die Einſetzung des Staatsraths als die erſte Einleitung zu dieſem Geſchäfte mit Wohlgefallen, ob er gleich nach ſeiner Einrichtung nichts als eine Re¬ gierungs-Behörde war. Ebeu ſo wurde die Niederſez¬ zung der Commiſſion zur Entwerfung der Verfaſſung dankbar aufgenommen, und wie früher die Anord¬ nung der Immediat-Juſtiz-Commiſſion, ſo die ſpätere Aufhebung der geheimen Polizey Als aus der Mitte jenes Ausſchuſſes drey Commiſſäre auf den Vortrag des Canzlers in die verſchiednen Provinzen abgegan¬ gen, um ſich über das Beſtehende und ehmals Gewe¬ ſene Notizen zu verſchaffen, ließ man auch dieſe, ob¬ gleich verſpätete Maaßregel, für einen Fortſchritt gel¬ ten. Als aber dieſe Ausgeſandten zurückgekehrt, und die Berichte der verſchiedenen Regierungen des Lan¬ des eingelaufen, und keine zweyte Sitzung jener Com¬ miſſion erfolgen wollte; weckte die Langſamkeit in den Bewegungen der Regierung zuerſt die Beſorgniß, daß ſie bald rückläufig werden möchte.
Inzwiſchen war der Kanzler zum Rhein gekommen,70 und neue Hoffnungen hatten an ſein Erſcheinen ſich geknüpft. Er hatte die bekannte Adreſſe angenommen, und die Discuſſionen, die ſich dabey zwiſchen ihm und der Deputation erhoben, mußten, als ſie offen¬ kundig worden, nothwendig den Glauben wecken, die Reaction ſey endlich zum Ziel gelangt, und es werde aller Streit, nachdem man wechſelſeitig guten Wil¬ len und vorgefallene Mißverſtändniſſe anerkannt, noch zu einem gedeihlichen End gelangen. Als aber der König das Wort nicht löste, das ſein Mandatarius zu geben vollkommen durch ihn ſelbſt ermächtigt war; als er die Einwohner, dafür, daß ſie eine völlig geſetzliche Hand¬ lung in aller gebührenden Ehrfurcht ausgeübt, un¬ gnädig angelaſſen, und ihnen, die ausdrücklich ge¬ ſagt hatten, daß ſie nicht den mindeſten Zweifel an der Erfüllung des gegebenen Verſprechens hegten, den gehegten Zweifel verwies