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Teutſchland und die Revolution.
Coblenz,1819,in Commiſſion beyH. J. Hölſcher.
Neque sie accipiatis, tamquam exprobraturns præterita surre¬ xerim. Nam veterem quidem culpam intempestive objicere, inimici et alienis erroribus petulanter insultantis animi est: probi viri et salutis communis studiosi, peccata civifatis tegere, aut excusare malunt, nisi quoties ad calamitatem publicam amoliendam, præteritarum offensarum recordatio grande momentum habet. Nam ab errore quidem omni, homines quum simus, immunes haberi velle, nimium et superbum: sed ad eumdem Lapidem crebro impingere; ne¬ que saltem eventu temeritatem castigante ad cautionem eru¬ diri, id vero jam vix bene humanum est. (Der Tarentiniſche Redner im Rathe gegen die Römer. Liv. D. II. L. XII. 〈…〉〈…〉12. )
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Nach vier Jahren eines heftigen Partheykampfes, eines unſinnigen Widerſtandes gegen die Anſprüche der Zeit und theilweiſer Einräumungen von der einen Seite, und mancherley Uebertreibungen von der An¬ dern, iſt es endlich dahin gediehen, daß eine allge¬ meine Gährung aller Gemüther durch ganz Teutſch¬ land ſich bemeiſtert, und eine Stimmung eingetreten, wie ſie wohl großen Cataſtrophen in der Geſchichte voranzugehen pflegt. Was den thätigſten, ränkevollſten und verſchmitzteſten demagogiſchen Umtrieben für ſich von unten herauf nimmer gelungen wäre, das fried¬ liche, ruheliebende, nüchterne und gemäßigte teutſche Volk in allen ſeinen Elementen und Tiefen aufzure¬ gen und zu erbittern, das haben die, ſo von oben die Sache bey dem langen Arme des Hebels ange¬ griffen, durch behendes Entgegenkommen glücklich zu Stande gebracht; und wie ſie zum großen Theile die Ehre des gelungenen Werkes nicht ohne trifftige Gründe für ſich in Anſpruch nehmen dürfen, ſo rüſten ſie ſich auch mit freudigem Muthe zu vollbringen in kur¬ zer Friſt, was etwa noch dem Ganzen an der Vol¬ lendung abgehen möchte, damit die Arbeit in allen ihren Theilen den Meiſter lobe. Indem ſie jedesmal, wenn die aufgeregten Leidenſchaften ſich einigermaßen beruhigen wollten, zu ſchicklicher Zeit für einen neuen12Antrieb und Reiz geſorgt; indem ſie mit glücklicher Gewandheit bey Jedem die ſchwache Seite aufgeſpürt und geſchickt alle Vorkommniſſe der Zeit benutzt, um mit ſcharfer Schneide ſie gegen die wunden Stellen hinzurichten: haben ſie das Geheimniß wirklich aus¬ gefunden, Alle aufzubringen, daß ein gemeines Ge¬ fühl des Unmuths von einem Ende des Vaterlandes zum Andern geht, und die Regierungen ſich nun mit allem, was gut und edel und kräftig iſt, in dieſer Zeit in einen hoffnungsloſen Streit verwickelt finden, und in Irrſale verloren, denen ſie auf dem bisheri¬ gen Wege nimmer entrinnen mögen. Wie in drückend ſchwüler Sommerhitze die Schrecken eines dunkel auf¬ ziehenden Unwetters nichts über das innere Sehnen der Natur nach einer erfriſchenden Kühle, die in ſei¬ nem Gefolge geht, vermögen; ſo hat die Meinung auch ſchon mit dem Furchtbarſten ſich beynahe aus¬ geſöhnt, wenn es nur die Schmach der Gegenwart hinwegzunehmen verſpricht, und den Himmel von dem Qualm zu reinen Hoffnung giebt, der jetzt alle Glücks¬ ſterne ihr verhüllt. Darum ſchrecken ſie nicht jene Sturm¬ vögel, Vorboten des nahenden Ungewitters, die Jüng¬ linge, die ſich, um das Schlechte und Nichtswürdige in ſeinen Organen aus dem Weg zu räumen, dem Tode weihen; noch hat es ſie überraſcht, als man ihr von Berlin aus die Entdeckung einer großen weitumgrei¬ fenden Conſpiration zur Begründung einer teutſchen Republik angeſagt, weil die Erfahrung des letzten Menſchenalters ihr die Kenntniß des allgemeinen Welt¬ geſetzes ſattſam eingeprägt, dem zufolge jedes Aeu¬ ßerſte ſeinen Gegenſatz nothwendig und unausbleiblich3 hervorrufen muß. Nur Eines hat ſie mitten im Lärm erbrochener Kiſten und Kaſten, im Gehen und Kom¬ men der Gensdarmen und Polizeyhäſcher, beym haſti¬ gen Ueberrennen aller rechtlichen Formen in der vor¬ ſichtigſten Behutſamkeit, bey der Beunruhigung ruhi¬ ger Männer, die der gewöhnlichſte Lebenstatt ſchon zum voraus freyſprechen mußte, beym Verhören und Verſiegeln, Verhaften und der Haft entlaſſen; nur Eines hat ſie in Mitte all dieſer erſchrecklichen Bewe¬ gungen verwundert, daß man über dem Aufſpüren geheimer im Finſtern gehender Verſchwörungen, die eine Große nicht erkennt, die ihre weitläuftigen Ver¬ zweigungen über ganz Teutſchland durch alle Stände, Alter und Geſchlechter hinverbreitet; die murrend an jedem Heerde ſitzt, auf Märkten und Straßen ſich laut ausſpricht; die ohne Zeichen ſich in allen ihren Gliedern leicht erkennt, ohne geheime Obern und ohne Antrieb aus einer Mitte heraus doch im beßten Einverſtändniß ſtets zuſammenwirkt; die mit viel tau¬ ſend offnen Augen in's Verborgenſte hineinſchaut, und der viel tauſend Arme ſtets zu Gebote ſtehen: jene Verſchwörung nämlich, in der das entrüſtete Natio¬ nalgefühl, die betrogene Hoffnung, der mißhandelte Stolz, das gedrückte Leben, ſich gegen die ſtarre Willkühr, den Mechanism erſtorbener Formen, das freſſende Gift bewußtlos gewordener despotiſcher Re¬ gierungsmaximen, die das Verderben der Zeiten aus¬ gebrütet, und die Verſtocktheit der Vorurtheile ver¬ bunden haben, und die mächtig und furchtbar wie nie eine Andere, wachſend mit jedem Tage in Mach und Thätigkeit, ihr Ziel ſo ſicher erlangen wird, daß1*4die Gefahr nicht aufs Hintenbleiben, wohl aber aufs Ueberſchnellen ſteht.

Da die Sachen nun alſo ſtehen, und bis die Hand, die den Franzoſen ihr Mane, Thecel, Phares in die Flammen von Moscau hineingeſchrieben, auch unſere Sentenz unwiderruflich in brennenden Zügen an den Himmel ſchreibt, iſt an Jeden, dem das Ge¬ tümmel der Zeit die Sinne nicht verwirrt, und der das Haupt noch in ruhiger Beſonnenheit über den bewegten Fluthen hält, das Gebot ergangen, zu ſtehen auf der Warte der Zeit, zu wachen und zu merken auf die Zeichen, zu rufen und zu warnen ohne Unter¬ laß. Allerdings hat Schweigen ſeine Zeit und das Reden die ſeinige. Wenn der menſchliche Dünkel keck das hohe Roß beſchreitet, und mit verhängtem Zügel nach allen Gelüſten ſeiner Einbildungen und Leidenſchaften jagt; wenn die Gewalt ihres Urſprungs und des innern Richtmaßes der Dinge vergeſſend, geängſtigt durch eine Zeit, die ſie nicht begreift, noch weniger zu bändigen weiß, alle ihre Faſſung verliert, taumelnd alle Grenzpfähle der Nemeſis niederreißt, und nicht blos die ethiſchen Schranken des Erlaubten und Unerlaubten durchbricht, ſondern ſogar alle die feinern Beziehungen deſſen, was ziemlich iſt und was ſich nimmer ziemt, mißkennt und ohne Haltung bald tyranniſche Gewaltthat übt, bald wieder ſchwach und nachgiebig, weil ſie durch jene ihr Recht verwirkte, ſich alles gefallen läßt: im Anfalle eines ſolchen Pa¬ roxismus mag allerdings der Einzelne ruhig zur Seite treten, und vertrauen auf das ſtarke Weltgeſetz, das Gott wie in die Natur, ſo in die Geſellſchaft hinein¬5 gelegt, und das mit ruhig unſcheinbarem Wirken und kaum ſichtbarem Widerſtande ſich jedes Uebermuthes leicht erwehrt, und alles Maaßloſe zum eignen Selbſt¬ mord drängt. Aber wenn nun nach ſolchen Anfällen wieder eine Remiſſion eintritt, und in lichten Augen¬ blicken die Beſinnung wiederkehrt; wenn die Natur der Dinge den Angriff abgewieſen, und das Band von Erz, das um das Ganze geſchlagen, federnd ge¬ gen den Aufſtand ſich nur ſtärker angezogen: dann mag ein Zuſpruch wieder an ſeiner Stelle ſeyn, und Reden iſt geboten. Wohl haben alle große Weltbege¬ benheiten ihre innere Naturnothwendigkeit, ihre Durch¬ gänge, Umläufe und Wiederkehren; wohl hat auch der Wahnſinn dieſer Zeit ſeine Stadien, ſein periodi¬ ſches Steigen und Fallen und ſeine critiſchen Augen¬ blicke, und in ſofern läßt ſich durch alles Mühen nichts ändern im Laufe der Dinge. Aber nur die Lei¬ denſchaften feſſeln an dieſe Naturgewalt; ſo viel hin¬ gegen von lichten Gedanken und beſonnenen Willens¬ kräften in den Begebenheiten wirkt, ſo viel Freyheit iſt in Ihnen; und wie die Vorſehung, nur wenn dieſe ſich verſagt, jene gegen ſich ſelbſt bewaffnet, dem Arzte gleich, der gegen die eine wildtobende Le¬ benskraft die andere ruhende aus ihrem Schlaf auf¬ ruft, ſo ſoll auch, wer auf eine kranke Zeit heilkräftig wirken will, zuerſt mit heller Augen Licht die herr¬ ſchende Ideenverwirrung klären, und es iſt dann ſchon ſo geordnet in der Welt, daß dem klar in ſich ver¬ ſtändigten Geiſte die dämoniſchen Mächte auch wider Willen dienen.

Der Verfaſſer dieſer Blätter hat im Verlauf des6 letzten Krieges wohl öfter zur Nation geredet, und ihr Vertrauen ſich erworben. Seither aus Gründen zurückgetreten, die er zum Theil ſo eben berührt, hat er doch keinen wichtigen Anlaß vorbeygelaſſen, um antreibend, abhaltend, fördernd und hemmend, ſtra¬ fend und ermunternd, je nach ſeiner Ueberzeugung in die Zeit einzugreifen, damit er nicht unwürdig je¬ nes Vertrauens ſich erweiſe. Nicht kennend Menſchen¬ furcht und jene zage Sorglichkeit, die die Wahrheit immer nur halb zu zeigen wagt, hat er ſeines Her¬ zens Gedanken immer unverholen ausgeſprochen. Nur die Wahrheit hat er geſucht, und wenn er nach be߬ tem Wiſſen ſie gefunden, dann die Freyheit ſich ſelbſt dazu genommen; denn Wahrheit ohne Freyheit iſt ein vergrabener Schatz, eine verſchloſſene Quelle, ein ver¬ ſiegelter Born, (Hohelied II. 12.). Freyheit ohne Wahr¬ heitsliebe aber iſt unrecht Gut in eines Gottloſen Hauſe, ein feindſeliger geringer Epha (Micha, 27. 10. ), der höchſten Bosheit und feinſten Schalkheit Pallium und Palladium, wie Hamann ſchon bemerkt. Wenig gebend auf das, was man gemeinlich Menſchenklugheit nennt, aber keineswegs darum jener Höhern ſich entziehend, die mit jeder Einfalt ſich verträgt, iſt er gelaſſen ſeit¬ her nach menſchlicher Möglichkeit auf dem Pfad des Rechtes fortgegangen, und hat immer von neuem ſich überzeugt, daß dieſe Weiſe überall am ſchnellſten zum Ziele führt. Mit Sicherheit einem Inſtinkte ſich hin¬ gebend, der ſich mehr als einmal ihm bewährt; nicht grübelnd über die Folgen der Handlung, da jeder, die aus reinen Motiven bey nicht ganz getrübter An¬ ſchauung der Verhältniſſe hervorgegangen, außen ihre7 Stätte bereitet iſt, und ihre Wirkung, während das Verkehrte überall ſich ſelbſt vernichtet, hat er ruhigen Blicks ihre kreißenden Wellen verfolgt, bis ſie ſich mehr und mehr erweiternd in die Ferne verloren ha¬ ben. Nie der Wahrheit ihr Recht vergebend, obgleich im Eifer der Rede bisweilen, wie ſie ſagen, der Perſön¬ lichkeiten allzu wenig ſchonend, iſt er doch darum nie ernſthaft angetaſtet worden, weil das innere Rechts¬ gefühl, das unter den Teutſchen glücklicherweiſe ſelbſt in der Bruſt der Verſtockteſten nie ſich ganz will aus¬ rotten laſſen, immer in Geheim auf ſeine Seite ge¬ treten; die Schlechten aber, die ihre Arme gegen ihn gezuckt, in der Haſt ihrer Leidenſchaften ſich unterein¬ ander hindernd und ihre Angriffe gegenſeitig aufhe¬ bend, in der Mitte immer eine Straße offen ließen, durch die er ſicher durch ſie hingegangen. Die Unbe¬ fangenheit, mit der er in das Getümmel blickt, muß darum vor allen Andern noch als ein beſonderer Be¬ ruf erſcheinen, und die Pflicht ſchärfen, Vernunft zu reden, ſo lange es noch Zeit ſeyn mag, und ehe die Schwerter Zungen werden, die ihre Sprüche in's grüne Fleiſch einkerben. Darum ſey das Folgende ein Spiegel der Zeit hingeſtellt, in dem ſie einmal wie¬ der ernſten Blickes ihre eigene Geſtalt in's Auge faſſe. Es ſoll der Geiſt, der in dieſen Worten lebt, war¬ nend wie ein St. Elmsfeuer auf den Segelſtangen am Schiffe des Vaterlandes ſtehen, damit es auf die kommenden Gefahren ſich bereite, und entweder den ſichern Hafen ſuche, oder zeitig ins hohe Meer hin¬ ausſteche. Wenn beherzigt und in dem vielfach umge¬ ſtürzten Boden der Gegenwart aufgenommen, können8 ſie vielleicht zum Saatkorn einer beſſern Zukunft wer¬ den; wenn nicht, mögen ſie wie alles Frühere als Appellation der beſſern Gegenwart an die Nachwelt gelten, und als Verwahrung ihres geſunden Verſtan¬ des gegen böslichen Verdacht, der nur allzu ſehr durch die Ereigniſſe gerechtfertigt wird.

Wenn ein Uebel, das unter Einwirkung böſer Geſtirne ſich zuerſt erzeugt, dann unter der Ungunſt der Umſtände ſtetig wachſend ſich mehr und mehr in¬ nerlich befeſtigt hat, bis es endlich zu gewaltthätigen Ausbrüchen gelangt, wenn ein ſolches Unheil bis zum Grunde erwogen werden ſoll; ob es vielleicht durch ein gemeinſames Zuſammenwirken ſich zum Guten lenken möge: dann wird die fruchtbarſte Weiſe wohl jedes¬ mal diejenige ſeyn, die auf den Urſprung deſſelben zurückgeht, da wo es aus vielen verborgenen Quellen zuerſt zuſammenfloß und ihm dann durch alle Durch¬ gänge ſeiner Entwicklung folgt, bis dahin wo es zu ſeiner völligen Ausbildung gelangt, und dann die ge¬ wonnene Einſicht gegen das verworrene Treiben ſetzt, das gegenwärtig eine der Hauptquellen aller morali¬ ſchen und geſelligen Uebel iſt. Es läßt ſich aber in ſol¬ cher genetiſchen Weiſe nicht reden vom Unglück Teutſch¬ lands, ohne wenigſtens zum Wiener Congreß zurück¬ zugehen, der zwar ſelbſt wieder auf Verhältniſſe, die Jahrhunderte lang fortbeſtanden, ſich zurückbezieht, aber doch inſofern er ein freyes Werk der Zeitgenoſ¬ ſen iſt, der Gegenwart und Zukunft verantwortlich bleibt, die wohlwiſſend, daß er ſelbſt die Geburt un¬9 heilſchwangerer Vorvordern geweſen, doch wie billig ihn als die fruchtbare Bährmutter ihrer Uebel anerkennt, die einmal ans Licht geboren, in der Schuld der Zeit bald freudig aufgewachſen und erſtarkt.

Die Hoffnungen und Erwartungen Teutſchlands, die im erſten Pariſer Frieden nur allzu ſehr zu kurz ge¬ kommen, waren geduldig mit zu dieſem Congreß gezo¬ gen, und freylich wohl zu hoch anſchlagend einige Jahre von vorübergehender Erhebung gegen Jahr¬ hunderte von Erbärmlichkeit und Entartung, klagbar in Mitte der Verſammlung aufgetreten. Große Dinge hatte die Meinung von dieſem Verein erwartet, der nach dem Sturze jener Univerſalmonarchie ſich hier verſam¬ melte, um die zerſtörte europäiſche Republik wie¬ der zu reſtauriren und aufzubauen. Sie hatte richtig erkannt, daß ohne wenn die Veſte der Mitte in die¬ ſem gemeinen Weſen, Teutſchland, ſich wieder ſtark und wohl begründet finde, nicht für alle Zukunft an Ruhe, Ordnung, Friede und Gleichgewicht zu denken ſey. Sie hatte einen Blick in die Geſchichte zurückgewor¬ fen und erkannt, daß dies Reich nur damal ein wah¬ rer Schutz und Hort der Chriſtenheit und eine Bruſt¬ wehre gegen innere und äußere Feinde in feſter Sicher¬ heit auf ſich geruht, als ſeine rege, lebendige Viel¬ heit unter der Einheit eines Kaiſers vereinigt war.

Darum war in richtigem Naturinſtinkte die Mei¬ nung der Meiſten dahin ausgefallen, daß man den Bauſtein, den der Feind verworfen, eben zum Eckſtein mache; daß man die alte Idee wieder in der neuen Zeit erwecke, und ſie kräftigend durch das junge Leben, das der Fortſchritt der Entwicklung hervorgerufen,10 ſelbſt ſie wiedergebähre und verjünge. Man dachte ſich ohngefähr, ein Kaiſer werde aufs neue an die Spitze des Reiches treten, die Würde erblich ſo lange das Geſchlecht beſtehe; ihm zur Seite zum Schutz der Freyheit bey dieſer Erblichkeit und zur Erhaltung des Gegenſatzes, der einmal ſich erhoben, ein teutſcher König; dann die Herzoge des Reichs, ſeine Fürſten und Grafen, Prälaten und übrigen Standesherren um ſie verſammelt in einer Pairskammer; die Gemeinen aber in einer zweyten Kammer des Reichs-Parlamen¬ tes, und alſo jedes Glied des Ganzen bedingend und bedingt, alle Stämme ſich beygeordnet und keiner herrſchend über den Andern, alle mit Freyheit die¬ nend demſelben Oberhaupte: die einzige Verfaſſung die für lange Zeiten auf der Teutſchen Charakter und Sinnesweiſe paßt. Dies alſo geordnet trat dies Reich in die Geſammtheit der europäiſchen Staaten mit dem ganzen Gewicht ſeiner Macht und Würde, getragen von dem wiederbelebten Geiſte ſeines Volkes, ein und die übrigen Angelegenheiten der europäiſchen Republik ordneten ſich nun nach Billigkeit und dem gemeinſa¬ men Intereſſe der Theilnehmenden gemäß.

Aber als die Dunkel, in die jene Verſammlung ſich zuerſt gehüllt, einigermaßen ſich verzogen, bemerkte man mit Beſtürzung, daß hier keine Spur eines gro¬ ßen architectoniſchen Planes den Verhandlungen zum Grunde liege; der Uranus der alten Zeit, den der Saturn der Revolution entmannt, hörte gänzlich un¬ fruchtbar zu zeugen auf, und der allwaltende Zeus, der dieſen vom Thron getrieben, hatte den großen Kampf noch nicht ausgeſtritten. Die Vorſehung hatte11 ein Anderes beſchloſſen, nicht aus dem Verdorrten ſollte von oben herab ein mattes Scheinleben ſich ge¬ ſtalten, auf anderem Wege ſollte die Idee von unten aus dem friſchen Leben grünend, in die Höhe treiben. Darum hatten die Höfe, während die Völker für Freyheit und Unabhängigkeit geſchwärmt, keineswegs dieſen Rauſch getheilt, ſondern klüglich in mancherley Traktaten ihres Vortheils wahrgenommen, und als es nun zum Werke gieng, und die beiden Mächte, die das Schickſal Teutſchlands in Händen trugen, vor allem in Eintracht ſich geſellen ſollten, und nun in mildem Ernſt und würdiger Feſtigkeit, ſelbſt Opfer leiſtend und darum Opfer gebiethend mit Recht und Fug, ordnen mit den minder Mächtigen des Reiches Angelegenheiten: da mußten ſie, um jene Anſprüche durchzuſetzen, fremde Hülfe ſuchen und Oeſterreich und Preußen theilten ſich in den Engliſchen und Ruſſiſchen Einfluß.

Darum konnte fürder von Teutſchland nicht die Rede ſeyn, es hatte ſich ſelbſt verloren in Europa; wie Oeſterreich an Italien that, ſo Rußland an Polen und England an den teutſchen Küſten von der Elbe bis zu den Dünen von Dünkirchen; Preußen das eben ſo an Sachſen zu thun verſucht, aber wurde an den Rhein geſchoben. Alles Andere ergab ſich nun von ſelbſt; nach dem Vorgange der Größeren fiengen auch bald die Schwächern an, ſich der Thorheit zu entſchla¬ gen, ein einiges und ganzes Reich zu bauen, und nach¬ dem nur erſt kleine Anwandlungen eines beklemmen¬ den Gefühles im Angeſicht der harrenden und ſchau¬ enden Zeit überwunden waren, begannen alle Leiden¬12 ſchaften wieder ungeſcheut ihr altes vielgeſpieltes Spiel aufzulegen. Hatte vorher der Eroberer den goldenen Reifen der teutſchen Kaiſerkrone zerbrochen und die Stücke als Decorationen unter die Vaſallen ausge¬ theilt; ſo waren die dominirenden Mächte jetzt in die Intereſſen des Vertriebenen eingetreten, und der Con¬ greß fand ſich keineswegs berufen, aus den zerſtreu¬ ten Fragmenten eine Reue auszuſchmieden, und die Höfe ächteten zwar insgeſammt den großen Räuber der europäiſchen Geſellſchaft, erklärten aber den Raub als gute Priſe, und den Stand, den die Handlung her¬ beygeführt, und den faktiſchen Beſitz zur Grundlage der künftigen Ordnung im Reiche, das alſo getheilt blieb und vernichtet.

Und es gieng nun dieſem Grundſatz gemäß an ein Theilen der gewonnenen Beute, und die Kaiſerburg wurde zum Wechſelhauſe, wo man die Seelen ſich zu¬ wog und zuzählte wie Dariken, und mit bitterm Hader ſich um ein mehr und weniger ſtritt und erbitterte. Und als der Streit zu dem Punkt gekommen, daß die gezuckten Schwerdter ſich rührten in den Scheiden, da ſandte die Vorſehung, zürnend dem unheilbringenden Werke, den Mann der Inſel unter ſie. Dieſer, an dem die ewige Gerechtigkeit ihre Gerichte ſchon geübt¬ er, den der Papſt geſalbt, vor dem alle Fürſten ſich gebeugt, vor dem die Welt ſich gedemüthigt hatte, den die dünkelhafte Zeit als ihr höchſtes Organ ange¬ ſtaunt und vor dem ſie, ſonſt an nichts glaubend und nichts achtend, in tiefſter Andacht angebetet, der dann, um ſeine Götzendiener in tiefſter Seele zu beſchämen, ſeine eigne Nichtigkeit an ſich ſelbſt vor ihren Augen13 demonſtrirte, und nachdem er alſo an ſich und ihnen Recht geübt, in eine ſchimpfliche Dunkelheit ſich zu¬ rückgezogen: dieſer war noch einmal, um den zermal¬ menden Hohn gänzlich auszuführen, von den zürnen¬ den Himmelsmächten auserſehen, abermal die Geißel ſeines eignen, wenig gebeſſerten Volks zu ſeyn, und die Tiſche der Wechſler umzuſtoßen.

Schon hatte die Nation tief die Schmach jener Ver¬ handlungen gefühlt, und in der niederſchlagenden Be¬ trachtung desjenigen, was die Erfahrung ſchon gebracht und in der Vorahnung deſſen, was noch bevorſtehe, urtheilten alle Klaſſen des Volkes, wie damals die Städte Siziliens, als ſie den Epiroten Pyrrhus her¬ übergerufen, um ſich durch ſeine Hülfe vom Joche der Römer zu befreyen, und der Retter ſie nun in ein Unerträglicheres zu ſchmieden verſuchte: in Worten, die uns Livius in der zweyten Decas im vierzehnten Buche c. 18 aufbehalten: Irritatis ob hæc animis mus¬ sare primum homines, mox palam queri: cur igitur prioris status pnituisset, si nunc etiam toleranda eadem forent? frustra vocatum receptumque Pyrrhum, si stu¬ deat æmulari mores, quos puniturus advenissit. Neque acriorem ullius injuriæ sensum esse quam cujus auctor haberetur idem ille, qui vindex esse debuisset. In¬ zwiſchen regte ſich als der neue Krieg begann, noch einmal ein Nachſchlag jener früheren Begeiſterung; ein glänzender Sieg, wie die Geſchichte nicht viele auf¬ gezeichnet, ſchien Teutſchland und ſeinem wiedererwach¬ ten Nationalgefühle alles wieder zu verſprechen, was ihm die Feinde ſeit vielen Menſchenaltern abgedrun¬ gen; aber im zweyten Pariſer Frieden erndtete es die14 erſte Frucht ſeiner nun ſanctionirten Theilung, und des ſubalternen Verhältniſſes, in das es die kleinliche Eigenſucht gebracht; nicht einmal ſeine Integrität vor dem Kriege wurde wiederhergeſtellt; wenige abgetre¬ tene Feſtungen mochten nicht ſeine Gränzen ſchirmen, wenige Geldleiſtungen den Schimpf des Ganzen nim¬ mer abkaufen: das beſiegte Frankreich, durch eine Ver¬ faſſung geſtärkt, gieng gleich allen Andern mächtiger als je vorher aus dieſem Streite; das ſiegende Teutſch¬ land ohnmächtiger, zerriſſener als es je zur andern Zeit geweſen.

Was der Congreß in haſtiger Eile geordnet hatte, wurde nun beſtättigt und in ein gewiſſes Syſtem ge¬ bracht. Die neue Ordnung in Europa ſollte, wie ſpäter einer der erlauchten Theilnehmer in jener be¬ kannten Declaration auseinanderſetzte, ein Syſtem des Zuſammenhanges der Intereſſen und des gegenſeitigen Verhältniſſes der Pflichten ſeyn, das Werk der durch die göttliche Vorſehung herbeygeführten Begebenheiten. Eine allgemeine Verbindung Aller gegen jeden allen¬ fallſigen Ruheſtörer ſollte den Beſtand dieſes Syſtems gewähren; jede andere jenem Bunde entgegengeſetzte Allianz aus Furcht oder Ehrgeiz abgeſchloſſen, an ſich ſchon mit dem Geiſte des Zeitalters unverträglich, würde nur einen Streit der Treuloſigkeit mit der Treue der Verpflichtungen begründen, und ſein Ausgang unter den Wünſchen der Völker und dem Segen des Himmels nicht lange zweifelhaft bleiben. Darum ſollte zwar eine gewiſſe Obergewalt der Mächte über die Staaten des zweyten und dritten Rangs, collectiv nach berathenden Formen geübt, beſtehen, ohne jedoch die15 Macht der Stärkeren zu vergrößeren, oder die Unab¬ hängigkeit der Schwächeren zu gefährden. « Dieſes Surrogat einer vollziehenden Gewalt, den Mächtigern beygelegt, wurde in der Folge auf dem Congreß von Aachen gänzlich aufgelößt, und es blieb nun eine reine Negativität im wechſelſeitigen Verhältniſſe aller Staa¬ ten, als die Grundlage des europäiſchen Bundes zu¬ rück. Statt wie im alten Syſteme des Gleichgewichts um Abwägungen entgegengeſetzter Kräfte ſich zu mühen, wurden alle Gegenſätze als aufgegeben, oder wenig¬ ſtens ſchlafend ſtatuirt; von allem Wechſel ſich ver¬ wandter und abgeneigter Beziehungen wurde Abſehen genommen; Keine ſollte durch Anmuthungen und Ein¬ miſchungen die Andere in ihrem Wirken ſtören, und ſo durch gegenſeitige Enthaltſamkeit die heitere Wind¬ ſtille eines langen Friedens in die ſtreitenden Elemente kommen.

Da man inzwiſchen fühlte, daß einer ſo abſoluten Verneinung doch als Grund und Schutz irgend ein poſitives Prinzip unterlegt werden müſſe, wurde die heilige Allianz auf Grundſätze abgeſchloſſen, die man zwar bey chriſtlichen Fürſten ohnehin vorausſetzen mußte, deren Erneuerung und wiederholte Sancirung aber immer ſehr lobenswerth war. Wäre dieſe Allianz mit der Wiederherſtellung des Reiches vor dem Congreſſe abgeſchloſſen, und dieſer nach ihren Grundſätzen abge¬ halten worden; hätte ſie dort durch die erſte Probe ihrer ſegenreichen Wirkung das Vertrauen der damals ſehr empfänglichen Gemüther ſich gewonnen, dann hätte ſie allerdings eine große Epoche in der Geſchichte gemacht und eine neue Zeit einleiten können: aber ſo,16 nicht ſehr chriſtlichen Thathandlungen als eine Art von Expiation und Sühne folgend, konnte ſie in der fol¬ genden ſehr geſpannten Stimmung, nur Mißtrauen erwecken, und kein dauernder Troſt war für die nie¬ dergeſchlagenen Hoffnungen bey ihr zu nehmen. Die¬ ſer heilige Bund, der an die Stelle des alten heili¬ gen römiſchen Reichs getreten, konnte wohl allenfalls die wechſelſeitige religiöſe Toleranz der darin verbunde¬ nen Glaubensſecten gewähren; aber gerade die reli¬ giöſe Indifferenz, die dieſe Gewähr entbehrlich machte, nahm der nothwendigern Garantie der Toleranz aller politiſchen Gegenſätze in den verſchiednen Gliedern des Bundes allen Grund und jegliche Sicherheit.

Wenn die Meinung in ſolcher Weiſe durch alle dieſe Vorgänge für ihre Befürchtungen einer unheil¬ ſchwangern Zukunft nur wenig beruhigt wurde, ſo ließ ſich auf der andern Seite doch nicht läugnen, daß jene Politik des Vacuums, ſo ſehr bequem der gänzlichen Impotenz des öffentlichen Lebens, indem ſie alle Probleme, an deren Löſung die Gegenwart ver¬ zweifeln muß, behend der Zukunft hinſchiebt, und ſich zum voraus mit den Verhältniſſen kommender Ge¬ ſchlechter nicht abmühen will, allerdings einer Zeit natürlich war, die ein ganzes Menſchenalter lang in wüthenden Kriegen und Bewegungen ſich erſchöpft, und ſich nun wohl geſättigt nach jener Ruhe ſehnt, die ſich um das Thun des Nachbars nur im äußer¬ ſten Nothfall kümmern will. Auf die europäiſche Ge¬ ſellſchaft in einer Periode angewendet, die nach einem allgemeinen Naturgeſetz jetzt eben ſo ſehr zur Verein¬ zelung neigte, wie ſie vorher mit Wuth im Zuſam¬menraffen17menraffen ſich abgemüdet, und wo durch den Gang der Ereigniſſe der Glauben an die Macht und den großen Einfluß menſchlicher Weisheit in der Lenkung der Weltangelegenheiten ohnehin ſehr geſunken war, mußte ſich, wenn alle Vorbedingungen ſonſt erfüllt waren, die Stiftung einer europäiſchen Republik zu den Füßen der Altäre des unbekannten Gottes, ſtatt der zerſtörten Univerſalmonarchie, als zweckmäßig, ja wohl als das einzig Thunliche erweiſen. Aber dann mußte vor Allem das Reich aus ſeiner Anarchie ge¬ riſſen und geordnet ſeyn; der Mittelpunkt der Lage mußte, wenn er auch nicht Mittelpunkt der Kräfte werden ſollte, doch im Gleichgewichte mit ihnen ſtehen; da ſonſt, wenn der Stützungspunkt der Wage ſelbſt wieder eine Wage iſt, jene nie ausſchwanken wird.

Statt deſſen wurde auch hier daſſelbe Prinzip zum Grunde gelegt; es ſollte klein Europa, ein kleiner hei¬ liger Bund, in Mitten des Großen ſeyn, gewährlei¬ ſtet nicht durch eigne Macht, die nothwendige Grund¬ bedingung aller ſichern Bürgſchaft, ſondern allein durch fremden Schutz und den Gegenſtreit der Intereſſen. Da jede innere Geſchloſſenheit gänzlich abgewieſen war, ſo ſollte es nun allen dieſen Intereſſen geöffnet ſtehen; Oeſterreichiſche, Ruſſiſche, Preußiſche, Dä¬ niſche, Engliſche, Franzöſiſche ſollten auf langen Halb¬ inſeln in dies ewig bewegte Binnenmeer auslaufen, das, in ſich ſelber formlos, untreu und wandelbar, das allein Beſtehende Feſte in gelinder Spannung auseinanderzuhalten und zugleich in ſchwacher Bin¬ dung zu einigen die Beſtimmung erhielt. Da durch ſolche Einrichtung die Einheit, die die Meinung ſuchte, als218ein Unding gänzlich vernichtet war, ſo mußte dieſe mit der nun beginnenden Ordnung in einen unheil¬ baren Zwieſpalt ſich geſetzt befinden; und indem jene auf dem eingeſchlagenen Wege nur durch Treuloſig¬ keit, Unterjochung, Blut und Krieg zu erreichen blieb, war die Verfaſſung nichts als eine Suspenſion des Rechtes des Stärkeren, ein Gottesfriede auf unbe¬ ſtimmte Zeit ausgeläutet, nach deren Verlauf der Rachen des Mächtigern ſich wieder aufſperrt gegen jeden Schwächern, und die Habſucht wieder umgeht wie eine brüllende Löwin, und ſucht wen ſie ver¬ ſchlinge.

Darum muß das Ganze in ewiger Rüſtung im Frieden ſich aufreiben, ohne daß es je im Kriege als Solches ſich geltend zu machen wüßte; und jeder Theil muß wieder unmäßige Laſt tragen, als ob er ein Ganzes wäre, ohne daß durch das geduldigſte Aus¬ harren etwas Anders, als das gemeine Elend geför¬ dert werde. Da keine innere Bindkraft die Theile zu¬ ſammenhält, ſo müſſen dieſe nothwendig den äußeren zerſetzenden Kräften weichend, ſich anſchließen an die zunächſt ſollicitirenden Intereſſen; und jeder Krieg wird nothwendig ein Bürgerkrieg, das Land von Freunden und Feinden aufgerieben, beym Frieden aber jedesmal auf ſeine Koſten Großmuth ausgeübt, und derſelbe Allen bequeme Zuſtand mit Sorgfalt wie¬ der hergeſtellt.

Inzwiſchen hatte der Congreß dieſe Heilsordnung beliebt; nachdem man verſchiedene Pläne durchgegan¬ gen, von denen jeder Frühere ſich vom Folgenden an rathloſer Hoffnungsloſigkeit gern überbiethen ließ,19 wurde endlich jene Bundesakte in ihrer blaſſen, farb¬ loſen Allgemeinheit angenommen, die, was die Ge¬ ſchichte noch nicht gekannt, einen Rath berief, wo nicht die Mehrheit der Stimmen galt, ſondern allein völlige Einſtimmigkeit entſchied. Eine reine Democratie, deren Demos aus Höfen der verſchiedenſten Geſinnungen, Intereſſen und Machtverhältniſſe ſich zuſammenſetzt; eine Centralgewalt, die nicht über ſondern unter den inbe¬ griffenen Theilen ſteht; eine vollziehende Macht, die eine Ohnmacht iſt, und, weil ſie gegen den Nichtein¬ willigenden nicht einſchreiten kann, gar nirgend etwas zu vollziehen im Stande ſich befindet, weil ſie nimmer die fehlende Stimme zur Execution erlangen wird; eine geſetzgebende Gewalt, die ihre eigene Competenz nimmer ergründen mag, und eine Richterliche, der niemand Folge zu leiſten gehalten iſt, wo alle Akte der Autorität durch ein ewiges Diplomatiſiren immer geſucht und nimmer gefunden werden: eine ſolche Ver¬ faſſung, wenn ſie gelang, mußte den Völkern zum ſchlagenden Beweiſe der gänzlichen Entbehrlichkeit aller Regierung werden, und nur Teutſche, an Hoffnun¬ gen nie verarmend, mochten es mit ihr verſuchen.

Aber die Tochter konnte die Mutter nicht verläug¬ nen, die ſie geboren; jene Theorie wechſelſeitiger Apathie und Nichthandlung auf die verworrenen Verhältniſſe Teutſchlands angewendet, wo die Umſtände gebiethe¬ riſch ein poſitives Wirken, ein lebendiges Eingreifen, und ein wohl verſtändigtes Thun verlangten, mußte nothwendig verderblich ſich erweiſen. Jene Grundſätze, die bey der erſten Bildung des Werks geherrſcht, mußten ſich auch in ihm fortſchreitend wiedergebähren,2*20und wenn es auf dem Congreſſe Maxime geweſen, ſelbſt einer Conſtituirung des Ganzen nicht das min¬ deſte Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, ſofern er es verſage, kein Solches anzuſinnen; ſo mußten die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtſchnur ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach einem treffenden Ausdruck, in ſo viele Factionen zerfiel, als Glieder ihn zuſammenſetzten, die nur in einem Dinge, ihrer ſtatutenmäßigen Uneinigkeit einig waren. Trotz der wohlgeſetzten Inauguraldiſſertation bey Eröffnung des Bundestages; trotz ſo vieler pa߬ lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die von Zeit zu Zeit vom Seſſionstiſch her erſchallten; trotz ſichtbarlich vorgehender angeſtrengter innerlichen Bewegungen, die aber wie falſche Wehen nie ein Re¬ ſultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur ſchwache Hoffnung auf ein Werk ſo ſchwacher hinfäl¬ liger Complexion begründen; und ſie ſah von Tage zu Tage mehr verzagend, wie das Formloſe mit ſtets vergeblicher Bemühung nach Form und Geſtaltung rang.

Endlich führte die Zeit den entſcheidenden Kreuz¬ verſuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬ ſtänden, die kaum alle Menſchenalter einmal wieder¬ kehren, jenen Mangel der erſten Lebensbedürfniſſe be¬ wirkt, und nun die Regierungen der verſchiedenen Stämme deſſelben Volkes, in entſchloſſener Selbſtliebe, kühn die Nächſtenliebe durch ihre Sperren ausgeſchloſ¬ ſen, daß, indem die Klugheit der Menſchen ſich zu der21 Kärglichkeit der Natur geſchlagen, jene halbkünſtliche Hungersnoth entſtand. Als damals der Bundestag kein Mittel der Abhülfe vermochte; als er ſpäter nicht einmal ein halbwegs ernſtliches Angelöbniß zu Stande brachte, daß ſolch Uebel in Zukunft nicht mehr wie¬ derkehren dürfte: da ſah die Nation mit Schrecken, was bey einer ſolchen Ordnung der Dinge ihr bevor¬ ſtehe, wenn zu dieſen Antrieben des grauſamſten Egoisms ſich nun noch die Furcht vor äußerer Ge¬ walt geſelle, die etwa Gebiethstheile bedroht oder in Beſitz genommen; wenn lockende Verführung den Ei¬ gennutz beſticht, oder eine verſchmitzte Diplomatik den Samen der Zwietracht ſäet, und große Preiſe auf den Verrath am Vaterlande ſetzt. Von dieſer Zeit an war über eine ſolche Verfaſſung gänzlich der Stab gebro¬ chen, und Teutſchland hielt nun völlig auch um die zweyte große aber billige Hoffnung ſich betrogen. Was ſpäter gefolgt, wie jeder Verſuch zu einer wirkſamen Thätigkeit in ſich ſelbſt zerronnen; wie die ſchreyend¬ ſten Anſprüche unerledigt verhallen mußten; wie die wichtigſten, dringendſten und folgenreichſten Verhand¬ lungen in leeren Formen, endloſen Friſten und klei¬ nen Machinationen des Eigennutzes und Eigenſinnes aufgegangen; was über Preßfreyheit, Nachdruck, das Verfaſſungsweſen, die Competenzbeſtimmung, den Schutz der teutſchen Schiffahrt, den Elsflether Zoll dort ge¬ ſchehen; was bey der Rheinſchiffartscommiſſion, wie¬ der ein Bund im Kleinen, vorgegangen; wie endlich die Mauthen zur Wiederbelebung des teutſchen Han¬ dels, wie die Drachen am Bilde Laokoons, die Mut¬ ter mit den Kindern allmählig umziehen, und Eines22 nach dem Andern kalt erwürgen: das Alles fühlte die Meinung mit tiefer Kränkung, aber es verwunderte ſie nicht weiter, weil es als natürliche Folge aus den Vorderſätzen ſich ergab.

Die Nation, in ihren gerechteſten Erwartun¬ gen getäuſcht, und ſchon den Stachel des öffentlichen Schimpfes tief im Herzen fühlend, ſah nun auf die Conſtituirung der einzelnen Bundesſtaaten ſich getrieben, und ſetzte nun all ihre Kraft, und im Falle der Verweige¬ rung all ihren Trotz an die Erreichung dieſes letzten Zieles, von wo aus ſie alsdann ſpäter und gründlicher alles früher Aufgegebene wieder zu erreichen hoffen durfte. Der dreyzehnte Artikel, anfangs in ziemlicher Währung ausgeprägt, dann täglich durch Kipper - und Wipperkünſte beſchnitten, ausgeſchabt und abgenagt, war endlich in ſei¬ ner gegenwärtigen Geſtalt ohne Präge in den Umlauf einge¬ treten, ſo unſcheinbar und abgegriffen, daß man ſpäter ſeine Legende in ein Erwartungsrecht der Völker eine Zeitlang umzudeuten wagen durfte. Neben ihm aber hatte der König von Preußen dem früheren Edikte vom May 1814, das die Form der künftigen Vertretung feſtgeſetzt, in den Einräumungen des Patentes vom 5. April den In¬ halt beygefügt, und dadurch die Verfaſſung ſelbſt ſchon in ihren allgemeinſten Umriſſen feſtgeſetzt.

Auch war ſchon ein Anfang zur Conſtituirung in einem teutſchen Lande geſchehen, in Würtemberg näm¬ lich. Nicht leicht war irgend anderswo der Wahnſinn der Souveränität höher getrieben worden, vor Allen Andern mußte darum auch dort der ſchärfſte Gegen¬ ſatz hervorgerufen werden. Als der Hof noch vom23 Congreſſe aus, die Bewegungen der neuen Zeit wahr¬ genommen, ſchien es ihm ein leichtes Ding, ihre lau¬ ten Anſprüche mit einigen liberalen Gaukeleyen abzu¬ finden, und daneben auch nicht einen Fuß breit von der bisherigen Bahn zur unbeſchränkten Willkühr ab¬ zuweichen. Die Gewalt, die bisher der Despotism in despotiſchen Formen ausgeübt, durfte nur in den¬ ſelben Formen als Ausfluß ihrer Machtvollkommenheit, eine illuſoriſche Freyheit ſetzen, wie es auch Napoleon am 18. Brumaire gethan; und ſie hatte ſtatt rückgän¬ gig zu werden, den Gipfel der Willkühr erreicht, die da höhniſch eine ſogenannte Freyheit durch Cabinets¬ ordren befiehlt. So wurde jene dortige erſte Conſti¬ tution commandirt, und die Ständeverſammlung zu¬ ſammenberufen.

Aber es lebten in dieſem Lande noch zu viele Men¬ ſchen, die wenigſtens noch die letzten Strahlen der unter¬ gehenden Freyheit geſehen, und in ihnen entwickelte ſich nun ganz einfach aus der Natur der Dinge jener Widerſpruch, der ſich ſchlechthin auf das alte Recht berief, die Uſurpation mit allen ihren Folgerungen als ein Recht begründendes Faktum von vorn herein gänz¬ lich negirte, ſich hinter ihr auf dem feſten Boden der Geſchichte niederließ, und von da aus die Eidbrüchig¬ keit der uſurpirenden Gewalt vor der Welt laut an¬ klagte. Einer ſolchen vereinten Maſſe von Licht, Recht, Kraft und Feſtigkeit, konnte vom Standpunkt einer übelbefeſtigten Gewalt, deren Arm durch den Sturz des oberſten Gewaltverleihers zerſchmettert war, nicht begegnet werden; und der Hof verſtand ſich, nachdem der unnütze Kampf eine Zeit lang gedauert hatte, zu24 den bekannten zwölf Artikeln, worin wenigſtens eine aufrichtige Freyheit geboten war.

Der Streit dauerte nun einzig über die Form noch fort, als die Perſon des Regenten wechſelte, und der Neue, der die Uſurpation nicht als eignen Erwerb, ſon¬ dern als eine Erbſchaft nur beſaß, größeres Vertrauen gebot. Die zwölf Artikel wurden in eine Conſtitution ausgebreitet, und dieſe den Ständen vorgelegt. Aber in der Hitze des langwierigen Kampfes waren nun ſchon perſönliche Leidenſchaften erwacht, von denen der einmal in den Gemüthern wurzelnde Argwohn immer neue Nahrung zog; die Stände mißtrauten einem Werke das ſich blos auf die Gnade und den guten aber ſeiner Natur nach wandelbaren Willen des Herrſchers gründen wollte, und verlangten, daß es auf den Boden ihrer alten Rechte, Geſchichten und Herkömmlichkeiten geſetzt werden ſolle, damit es auf dieſer Wurzel durch die Sanktion der ganzen Vergan¬ genheit dieſelbe, ja noch eine größere Legitimität als das Regentengeſchlecht ſelbſt erlange. Der Hof ſeiner guten Abſicht diesmal ſich bewußt, war entrüſtet über einen Widerſtand, der ihm, da er gegen ſo manches Gute gerichtet war, das die Gegenparthey ſelbſt nicht abläugnen konnte, gänzlich unvernünftig ſchien; die Stände im Bewußtſeyn ihres guten hiſtoriſchen Rechts, das ſtärker ſeyn muß, als eine wohlgemeinte Aufwal¬ lung der Gegenwart, waren ihrerſeits in keine Weiſe zum Nachgeben geneigt; da ſie richtig urtheilten, daß ſelbſt die Gunſt des Augenblickes zu verſchmähen ſey, wenn ſie um den Preis einer ganzen Vergangenheit er¬ kauft ſeyn wolle; und daß, was im Volke ſchon ein altes25 Heimathrecht beſeſſen, billig ſich als den Stamm betrach¬ ten dürfe, dem alles neu Zuwachſende ſich anfügen müſſe.

In dem Streite der ſich nun erhoben, geſellte ſich, wie es zu geſchehen pflegt, zu der Parthey, die das Urkundliche vertrat, der ſtarre kleinliche Eigenſinn im Beharren auf Nebendingen; der enge beſchränkte Sinn, der das Weſentliche von dem Zufälligen nicht zu un¬ terſcheiden weiß; die befangene Anſicht, die über den Geſichtskreis des Gewohnten ſich nicht zu erheben im Stande iſt, und die Rechthaberey und Pedanterie, die auch mit dem völlig Gehaltloſen ihren Aberglauben treibt. Von der andern Seite aber erhoben ſich zur Ver¬ theidigung des Zeitlichen auch mit Allem was an der Zeit zu rühmen iſt, zugleich die Unarten, die ihr eigen ſind; jenes hochmüthige Dahinfahren über Dinge, Lagen, Beziehungen und Verhältniſſe; jenes phanta¬ ſtiſche Hinauftreiben alles Spezifiſchen in allgemeine Ab¬ ſtractionen, und der Dünkel der mit ſolchen weſenloſen Schemen die ganze Fülle der Eigenthümlichkeit aller Dinge zu beherrſchen glaubt; endlich der Leichtſinn, der bey der Fügſamkeit ſo luftiger Gebilde und ihrer leich¬ ten Handhabung in immerwährender Unruhe und Wan¬ delbarkeit alles übereinanderſtürzt, daß nichts ein ge¬ ſichertes Gleichgewicht und einen feſten Stand gewin¬ nen mag.

Bey ſo ſcharfen Gegenſätzen mußte die Sache, die in der Mitte lag, nothwendig zerſchnitten werden, und die Criſe trat dann ein, als der König, gewohnt als Feldherr raſch durchzugreifen, aber vergeſſend die alte Feldherrnregel, dem fliehenden Feind eine goldne Brücke zu bauen, zu jener achttägigen Friſtgebung ſich ent¬26 ſchloß, die der Ständeverſammlung keine Wahl übrig ließ. Die Stände überzeugt, daß eine Conſtitution nur in conſtitutioneller Weiſe würdig gegründet, wie geführt werden könne; und daß eine gebotene Frey¬ heit, die in Wahrheit mit einem Akt der Knechtſchaft beginnen ſolle, wenig Gewähr für ihren Beſtand dar¬ biete, verwarfen, als ein geiſtreicher Miniſter, der, das erſte Beyſpiel in Teutſchland, ſeine Meinungen und Anſichten durch perſönliche Gewandheit ſtattlich zu vertheidigen gewußt, im rechten Momente abzutreten verſäumt, zum zweytenmale die gebotene Verfaſſung mit großer Stimmenmehrheit, die dadurch allein mög¬ lich wurde, daß die Gemeinen klüglich mit dem Adel über mögliche künftige Anmaßungen ſich zum voraus nicht entzweyt, ſondern einträchtig mit ihm den Kampf mit dem Hof geführt.

Wenn die Vertheidiger der unbeſchränkten Will¬ kühr über dieſen Ausgang triumphirten, ſo hatten ſie nie und in keinem Dinge ſtärkere Kurzſichtigkeit be¬ wieſen. Zwey Conſtitutionen nacheinander, die Eine ihres Inhaltes wegen, die Andere hauptſächlich um der Form willen verworfen; ein Hof, der deswegen von den Ständen an die Urverſammlungen, und das ſogar, wie ſich bald ausgewieſen, vergeblich appellirt; ſolche Eintracht der Geſinnungen aller Intereſſirten in die¬ ſem Werke; das alles waren, bey der Gewißheit, daß der abgeriſſene Faden der Verhandlungen früh oder ſpät wieder angeknüpft werden mußte, keine Zeichen der Zeit, die jene erfreuen konnten. Es bewieß, welche Sicherheit und Zuverſicht die Sache des Volkes ſchon gewonnen hatte; welche Gewalt und Macht in die27 Zeit und Umſtände eingetreten, daß ſo annehmliche Anträge ohne Gefahr ausgeſchlagen wurden; und es war ein großes Beyſpiel in der Mitte Teutſchlands, zugleich warnend und belehrend, wie der große Rechts¬ ſtreit verjährter Gewalt und unverjährbarer Freyheiten geführt werden mußte. Es hatte ſich auch hier im Kleinen ausgewieſen, was die Geſchichte überall im Großen lehrt, daß jedesmal, wenn die Sachen zu ei¬ nem Aeußerſten getrieben, immer ein Widerſpruch ſich ins geheim aufmacht, erſt ſtill anwächſt und ſich im Verborgnen ſtärkt, und wenn die Gewalt oder der Frevel an dem längſterſehnten Ziele zu ſtehen glaubt, als eine geharniſchte Macht eben von da den Beſtürz¬ ten entgegentritt, und ſie auf die Mitte zurückwirft, und über den Punkt hinaus von wo ſie ausgegangen.

In den Jahrhunderten, wo die Uſurpation in blin¬ der Eigenſucht, nach ihren Intereſſen haſtig rennend, alles Andere zu beachten vergaß, hatte ſich aus klei¬ nen Anfängen jene Macht, die man die öffentliche Meinung zu nennen pflegt, gebildet und gegen die Gewaltthätigkeit, die freſſende ewig unerſättliche Ei¬ genſucht, die Leerheit und moraliſche Entwürdigung der Höfe ſich empört. Als die Revolution wie ein wüthender Typhon in die europäiſche Geſellſchaft ein¬ gebrochen, war mit dem Satze auch der Gegenſatz ſchnell gereift; und da die Gemeinen, anfangs gegen ihre demagogiſche Hälfte aufgeboten, dann eben ſo willenlos mit ihrer Despotiſchen verbündet, nach Oſt und Weſt in den Tod getrieben, immer nur das Spiel der Willkühr, und ſchmutzigen Intereſſen dienend, end¬ lich im allgemeinen Aufſtand, was die Elemente, blinde28 Werkzeuge der Vorſehung, angefangen, als bewußte, lebendige Boten der höheren Gewalt vollendet hatten: da war das Gefühl ihrer Kraft in ihnen vollends er¬ wacht, und die Meinung war eine Macht geworden, die zwar noch nicht auf dem Congreſſe ſaß, aber ſchon Friedensbedingungen und die Einräumungen des 13ten Artikels erzwang. Jetzt hatte ſie zum erſtenmal in ordentlicher Verhandlung zur Wiedererkämpfung alter Rechte Sitz und Stimme gehabt; ſie hatte ihr Probe¬ ſtück abgelegt, das zeugen konnte von dem Nachdrucke, den ſie gewonnen, und ſah nun mit finſtern Blicken hin nach dem, was unterdeſſen in Nord-Teutſchland ſich begeben.

Dort ſah man Preußen, das ſeither zur Er¬ bauung Teutſchlands in den Maximen ſeines Anti¬ machiavelli gehandelt zu haben ſchien, wieder nach¬ denklich im Principe des kecken Florentiners blättern, um dort jene Grundſätze herauszuſuchen, die mit einer gutmüthigen Rechtlichkeit ſich etwa noch vertragen wollten. Zwey Partheyen, die durch ganz Teutſchland verbreitet ſind, die Anhänger des antediluvianiſchen Alten, hier die große Mehrzahl bildend, und die des Napoleoniſchen Neuen, Beide hier, weil überall alles auf eine Soldatenherrſchaft hinausgelaufen, in Intereſſen und Grundſätzen weniger geſchieden als anderwärts, hatten gegen Ende des Krieges ſich vereint, um durch eine Reaktion die Beiden gleich verhaßten Ideen, die ſich in ſeinem Verlaufe zugedrängt, wieder abzutreiben.

Wir wollen nicht ſo unbillig ſeyn, beyde Elemente dieſer Coalition, oft in derſelben Perſon verbunden, als gleich unrein und verdammlich wegzuwerfen. Unter29 allen teutſchen Völkerſchaften hat Preußen allein in der letzten Zeit eine Geſchichte gehabt, und dem Jahr¬ hunderte einen großen Mann gegeben. Zwar war der Lorbeer, der ſeine Stirne kränzte, keine Bürgerkrone, und an ſeinem Schwerdte klebte das Blut der Stamm¬ genoſſen; aber er war nicht der Erſte der ſolches Blut vergoſſen, und was ſein Arm kühn und kräftig nie¬ derriß, war zuvor ſchon faul und wurmſtichig, und dem Einſturz nahe geweſen. Zwar hat man ihm nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß er fremde, vergiftende Sitte, Idee, Geſinnung und Maxime eingeführt; aber man durfte nicht vergeſſen, daß die, welche er um ſich her vorgefunden, plump, beſchränkt, kleinlich und pedantiſch bis zum Unerträglichen geweſen; und daß das Auswärtige, dem er dafür den Zugang ver¬ ſtattet, von geiſtreichen Menſchen gepflegt, wenn es auch jetzt der gereifteren Zeit größentheils als Frivoli¬ tät ſich aufgedeckt, doch damals als eine kecke, lobens¬ würdige Emanzipation erſcheinen mußte. Zwar hat er ſeinen Zwecken alle Verhältniſſe unterordnend, jenen tödtenden Mechanism in alle öffentlichen Verhältniſſe hineingebracht, der noch jetzt Preußen wie eine un¬ heilbar gewordne Lähmung in innerer Erſtarrung ge¬ feſſelt hält; aber es war nicht ſeine Schuld, wenn die Zeiten, die nach ihm gefolgt, nicht erkannten, was ihnen frommen mochte, und die leeren Hülſen, die ſein Geiſt abgeſtreift, abergläubiſch verehrten und als das Palladium des Heils bewahrten.

Mochte die Pietät dem Vergangenen ihre Todten¬ opfer bringen, daran war nichts zu tadeln; es war recht, was aus früherer Zeit als wirklich gediegen,30 und darum paſſend ſich bewährt, nicht leichtſinnig einer neuerungsſüchtigen Gegenwart hinzuopfern: aber man durfte nicht vergeſſen, daß Preußen durch den Zutritt ſo vieler gänzlich verſchiednen Elemente nicht mehr daſſelbe geblieben; daß die Zeiten den Früheren noch unähnlicher ſich entwickelt; und vor Allem, daß ganz beſtimmte Rechte, die ſich nicht beſeitigen ließen, und klare unzweydeutige Verheißungen zwiſchen das, was werden ſollte und was geweſen war, in die Mitte getreten.

Aber allzu verführeriſch für die Gewalthaber war damals das Beyſpiel Spaniens, ſo leicht war auf breiter Straße das Alte dort wieder eingezogen, ſo gar ſchnell das eingedrungene Neue dort aus dem Lande heraus verwieſen, ſo gar willig hatte das Volk in die vorigen Verhältniſſe wieder ſich gefunden; daß ein ſo leicht erfochtener Sieg und ſo guter Erfolg gar wohl zur Nacheiferung antreiben mußte. Zwar war früher in Frankreich derſelbe Verſuch ſo gänzlich mißlungen, daß er zwar formal gerade wie in Spa¬ nien, aber der Bedeutung nach im gerade entgegen¬ geſetzten Sinne, mit der völligen Auswerfung der klei¬ nen Minderzahl geendigt hatte. Inzwiſchen iſt jeder wohl des guten Glaubens, da er ſich ſeines eigenen Glückes Meiſter dünkt, mit beſſerer Meiſterſchaft das Anderen mißlungene Werk zu günſtigerem Ziel zu füh¬ ren; und ſogar in demſelben Frankreich, das eben erſt jene Erfahrung gemacht, war jener Glaube dar¬ um nicht irre an ſich ſelbſt geworden. Nachdem die Mächte, alles in der Exploſion Zerſtreute, wieder ſorg¬ fältig zuſammengeleſen und zurückerſtattet, meinten31 die Wiedereingeſetzten es blos durch allzu ſchwache Nachgiebigkeit verſehen zu haben, und ſo wurde der abgeriſſene Faden wieder angeknüpft und nur gröber ausgeſponnen; bis endlich, wie jetzt bey uns, Wider¬ ſtand und Reibung ſo ſtark geworden, daß ſie alle Kraft aufgezehrt, und die Regierung mit ihren allzu wohlmeinenden Freunden ſich gänzlich feſtgerannt.

Man durfte wünſchen, aber kaum hoffen, daß Preußen ſich den gleichen Verſuch erſparen würde. Man trug ſich dort ſeit längerer Zeit mit der Exiſtenz eines geheimen Bundes, der Tugendbund genannt, und angeblich geſchloſſen, um mit vereinten Kräften, jedoch ohne der den legitimen Fürſten ſchuldigen Treue Eintrag zu thun, die Freyheit zu erringen, und von ſich ſelbſt und vom Vaterland jede Art von Unterjo¬ chung, beſonders die durch fremde Macht, abzuhal¬ ten. Dieſer Bund ſollte aus verſchiednen durch Zei¬ chen, Attribute, Pflichten und Befugniſſe voreinander ausgezeichneten Graden beſtehen; Alle durch die hei¬ ligſten Eidſchwüre der Geſellſchaft und ihren Zwecken verbunden, ſollten ohne daß Einer um den Andern wiſſe, nur dem Obern, wie dieſer dem Großmeiſter untergeben ſeyn, von dieſem alle Befehle und Auf¬ träge empfangen, und ſodald ſie einmal nach freyem Entſchluß zu ihrer Ausführung ſich anheiſchig gemacht, in blindem Vertrauen alles Forſchens nach ihren Grün¬ den ſich enthalten; alle Geheimniſſe des Bundes aber, für Furcht und Hoffnung gleich unzugänglich, unter Todesſtrafe bewahren, alſo daß den ſchuldigen Ver¬ räther keine menſchliche Macht gegen die Rache der Geſellſchaft zu ſchützen im Stande ſey.

32

Es mochten wohl zur Zeit der feindlichen Unter¬ drückung ſolche Pläne in einzelnen Köpfen aufgeſtie¬ gen, und ein Anfang zur Ausführung auch wohl ver¬ ſuchsweiſe geſchehen ſeyn; nach einem alten Kunſt¬ griff aber, in dem man, um die Unzulänglichkeit der Mittel zu decken, einige ſichtbare Momente perſpekti¬ viſch an ein im Hintergrunde vorausgeſetztes Geheim¬ niß knüpft, um ſo durch die geglaubte Anweſenheit eines Dunkeln, Unbeſchränkten zu imponiren, moch¬ ten damal die Stärkeren den Dümmern die Fabel einer völlig ausgebildeten Geſellſchaft dieſer Art ein¬ gebildet haben, um ſie durch Furcht und den Reiz jener optiſchen Täuſchung aus ihrer trägen, feigen Schlaff¬ heit gegen die Franzoſen aufzutreiben. Die Schwäche gefiel ſich damal im Gedanken einer ſolchen Hülfe aus dem Verborgenen; der Feind war beunruhigt durch die Sagen, die zu ihm gelangt; die Regierung ſelbſt ſchien nicht ungern den nutzbaren Glauben zu bemer¬ ken und zu theilen. Jetzt zur gelegenen Zeit errinnerte man ſich ſeiner, um ihn als Waffe gegen die Erfinder ſelbſt zu kehren. Argwohn ſcheint ein Uebel zu ſeyn, das von der Stellung der Fürſten unzertrennlich iſt, eines von denen, das ihnen in der Ordnung der Dinge zugefallen, um ſo manchen Vortheil, den ſie vor den übrigen Sterblichen voraus haben, wieder auszuglei¬ chen. » Wahrlich! ſagt Baco von Verulam, unſelig iſt jener Gemüthszuſtand, in dem du nur nach Wenigem verlangſt, aber Vieles befürchteſt, und doch iſt dies größentheils der Fall der Könige, die auf die höchſte Stufe geſtellt, nichts haben, das ſie begehren können was ihren Geiſt träge macht , aber im Gegentheil durchmancherley33mancherley Phantasmen von Gefahren und fliegenden Schatten geängſtigt werden, wodurch ihr Gemüth er¬ trübt. Daher kommt es denn auch, daß wie die Schrift ſagt, das Herz eines Königs unergründlich iſt, weil die Vielheit des Verdachtes und die Abweſenheit eines herrſchenden Affektes, der den Uebrigen gebietet, jedes Gemüth ſchwierig zu deuten macht. Auf ſolchen Grund werden immer bey den Höfen ähnliche Anſchläge ausgeführt.

Bald nach dem zweyten Frieden von Paris, wurde dem König von einem angeſehenen Beamten eine 21 Bogen im Manuſcripte ſtarke Schrift unter dem Titel: was haben wir von geheimen politiſchen Verbindungen in Teutſchland zu fürchten oder zu hoffen? übergeben. Hierin wurde der Tugendbund in allen ſeinen gefähr¬ lichen Beziehungen ausgelegt; es wurde darauf hinge¬ deutet, wie ſo manche der wichtigſten Männer des Staates in ihn direct oder indirect verwickelt ſeyen, und wie was zur Rettung der Monarchie ohnehin bey¬ nahe gar nichts beygetragen, jetzt ſeine Ruhe und Exiſtenz durch die gefährlichſten Umtriebe bedrohe. Wäh¬ rend des Krieges habe der Bund eine Menge gefähr¬ licher Ideen in Umlauf zu ſetzen gewußt; durch man¬ cherley Einräumungen, die das Unglück der Regierung abgedrungen, habe ein Geiſt der Kühnheit das Haupt erhoben, und Anſichten ſeyen ins Volk gekommen, die ihm von jeher fremd geweſen. Preußen ſey, weil nothwendig ein Kriegsſtaat, auch weſentlich monarchiſch, und was durch Einmiſchung ſogenannten liberaler Ideen die Reinheit der Monarchie zu trüben unter¬ nehme, gefährde weſentlich den Beſtand und das Heil334des Staates. Es wurden dann die Mittel angegeben, wie dem eingeriſſenen Uebel zu begegnen; wie Hoff¬ nungen, die zu erfüllen jede geſunde Politik verbiete, gleich bey der Wurzel abzuſchneiden; wie die Männer, die durch ihre Popularität gefährlich geworden, all¬ mählig zu entfernen, die Staatsmänner durch Ver¬ ſendung auf ferne diplomatiſche Miſſionen, die Feld¬ herren durch geſchickte Beſeitigung, die untergeordne¬ ten Theilnehmer aber, indem man ſie ohne weiteres aus allem Einfluß werfe: Alles wie Gott, wenn er den Dünkel verderben will, es durch eine ſogenannte pfiffige, verſchlagene Politik den Kindern der Zeit eingeben läßt*)Um ein Beyſpiel des Leichtſinns zu geben, mit dem dieſe Leute bey ſolchen Gelegenheiten verfahren, und als eine zeitgemäße Warnung bey dem jetzigen Conspirationsgeſchrey, führe ich hier eine Stelle jenes Berichtes an, die ſich auf ſeiner vorletzten Seite findet. Da wo nämlich der Verfaſ¬ ſer die Frage zu beantworten unternimmt: wer kann zur Königsparthey aufgenommen werden? läßt er folgenderweiſe ſich vernehmen: Die Tugendbündner nehmen Alle auf, die Talente und Einfluß haben, ohne Rückſicht auf ihre Moralität. Sonſt hätten ſie ihre Ehre durch Aufnahme eines Reiſachs, Gruners, Görres nicht beſchmutzen können. Der Erſtere lief als Verbrecher aus Bayern fort, der Zweyte brach 1812 ſein Ehrenwort, und ſetzte den Staat, dem er verpflichtet war, in die größte Gefahr, heyrathete die Mätreſſe eines Franzoſen ꝛc. ꝛc. Görres war bis 1813 ein franzöſiſcher Agent, ſchrieb damals im Geiſt der Jaco¬ biner, wie jetzt im Geiſt der Teutſchbündner. Man hat mir den Herrn v. B. als den genannt, der, nach Geſinnung, Anſichten und ſeiner damaligen Stellung gemäß, nach aller Wahrſcheinlichkeit dieſe Denkſchrift niedergeſchrieben. Ich werde ſeinen Namen ganz ausſchreiben, wenn ich darüber Gewißheit erhalte; jetzt aber will ich mich begnügen, den Verfaſſer, wer es immer ſeyn möge, als einen ehrloſen,.

35

Der König, deſſen Rechtsgefühl man geſchickt gegen Menſchen und Geſinnungen empört, erſchrack vor dem Abgrund, den man ihm zu ſeinen Füßen geöffnet zeigte, und die Parthey proclamirte ihre Anſicht, ſo weit ſie dem Publikum mittheilbar war, durch jene bekannte Schrift von Schmalz. Die Art, wie dieſe in Preußen und ganz Teutſchland aufgenommen wurde, konnte die Anſtifter gleich beym erſten Verſuch belehren, welche Stunde ausgeſchlagen; eine allgemeine und ungetheilte Entrüſtung brachte ſogleich die Meinung unter Waf¬ fen; nie hatte ſich die entſchiedne Ueberlegenheit der Wahrheit, der Kraft und des Talentes über heim¬ tückiſche, feige Bosheit glänzender bewährt; nie war eine Niederlage vollſtändiger und demüthigender aus¬ gefallen; und die Parthey geſchlagen in allen Waffen¬ arten, betreten über den unerwarteten Widerſtand, ohnehin nicht ſehr reichlich mit Muth geſegnet, flüch¬ tete ſich, in der Unmöglichkeit, die Bewegung, die ſie ſo unvorſichtig und frevelhaft hervorgebracht, anders als durch einen Machtſtreich zu ſtillen, hinter den Thron, und der König gebot nicht mehr zu reden von dieſer Sache: eine Verfügung gleich unwürdig der Majeſtät, die nie Parthey nehmen ſoll; wie der Na¬ tion, der die freye Rede über öffentliche Angelegenhei¬*)nichtswürdigen Lügner zu erklären, nicht um deſſen willen, was er von mir geſagt, weil ich meine Ehre nicht von einer ſo leichtfertigen vornehmen Kabinetsklatſcherey abhän¬ gig glaube; ſondern um jener unbeſcholtenen Frau wegen, deren Name ich der Sache wegen habe nennen müſſen, und der die Meinung der Stadt Coblenz, unter deren Auge ſie aufgewachſen, an ihrem Verläumder die beßte Genugthuung geben wird.3 *36ten nicht verſagt ſeyn kann, an wenigſten, wenn von öffentlichen Anſchuldigungen die Rede iſt.

Der Eindruck, den jener ärgerliche Scandal bey der ganzen Nation hervorgebracht, war nicht leicht zu ver¬ kennen; ſie hatte das ſchwer Auftretende wie billig ſchwer genommen, und als die Beſchuldigung des Verrathes zur Beſchämung der Urheber in Dunſt und Rauch aufgegangen, und ſie nun das ganze Gewebe in ſeiner Plumpheit ſchnell durchſchaut, mochte ſie überall nichts als den ſchnödeſten Undank ſehen, und in dem mißlungenen Verſuche nur die Einleitung zur Wiederkehr des alten verhaßten Unfugs. Darum war von dieſem unſeligen Augenblicke an der ſchlafende Verdacht aufgeſchreckt, und begann nun mit geſpann¬ tem Auge die Regierung zu bewachen, um zur vollen und klaren Gewißheit zu gelangen.

Leider bewieſen die Vorgänge, die ſich bald ergaben, daß die Parthey zwar verſtummt, aber darum ihre Umtriebe und ihre Pläne mit nichten aufgegeben. Es ſchien vielmehr alles nach und nach in Ausführung zu kommen, was jene Denkſchrift vorgeſchlagen. Ein geehrter Feldherr wurde vom Commando entfernt, und man hetzte in den Zeitungen, beſonders der Allge¬ meinen, die ganze Meute jener Hunde auf ihn an, die ſeit den Zeiten Napoleons an ihrer Kette gehun¬ gert hatten; man hörte ſie nur heulen von Wallen¬ ſtein, auch den Seni hatten ſie gefunden und Picco¬ lomini, und es fehlte nur die Hellebarde im frechen Gau¬ kelſpiele, das ſie vor den Augen des empörten Teutſch¬ lands gaben. Zugleich begann in eben dieſen Zeitun¬ gen das Vorſpiel jener ſchändlichen Deductionen, wie37 der König ſein Verſprechen zu halten nicht gebunden ſey, und daher gar keine oder nur eine illuſoriſche Conſtitution geben dürfe: Artikel, die ſich die Miene offizieller gebend, nun ſchon nahe vier Jahre hindurch fortgegangen, und höhniſch, ehrlos, bodenlos nichts¬ würdig, mehr als man zu glauben ſcheint, die Gemü¬ ther erbittert und entzündet; die aber, wie es ſcheint, die Regierung nie in ihrer majeſtätsverbrecheriſchen Schändlichkeit erkannt, wenigſtens bis auf die Stunde, ſelbſt in der Staatszeitung nie geahndet hat.

Da in dieſelbe Zeit auch die Organiſation der Rhein¬ provinzen gefallen, die in jenen Berichten als die Feuerheerde revolutionärer Umtriebe, von hochmüthi¬ gen Proconſulen angeſchürt, geſchildert waren; ſo ſchien es dringend, auf ſie ſogleich jene Grundſätze anzuwenden, und aufs ſchnellſte jene gefährliche Flamme auszugießen. Da wurde nun das Werk in jener be¬ liebten, hochfahrenden Weiſe vollbracht, alle Indige¬ natrechte mit Füßen getreten, alle Intereſſen verletzt, die Verheißungen durch ſophiſtiſche Auslegungen um¬ gangen, ſelbſt die Vorſchläge der eignen Commiſſäre für nichts gehalten, und alles nach dem mit allen Verhältniſſen gänzlich unbekannten Gutdünken zweyer Miniſterien aus der Mitte heraus vollbracht. Jene Provinzen, durch die früheren Vorgänge ſchon ge¬ ſpannt, beunruhigt durch das allgemeine nur eben beſchwichtigte Mißtrauen, das wieder Wurzel gefaßt, hatten die Regierung bey dieſem Punkt erwartet; und als ſie nun eben wie in Polen ſich benahm, ſchien ihnen auch Altpreußen zurückgekehrt, und damit auch die Rückkehr des alten Haſſes wohl begründet. Da38 ein erſter Bruch feyerlicher Verſprechungen erfolgt, ſchien alles Andere ſich von ſelbſt zu verſtehen; das Vertrauen war verloren, die Meinung, die bisher ſich arglos hingegeben, trat nun geharniſcht zur Wehre; und ſeit dieſem Augenblicke hat ſich in dieſen Provin¬ zen jener Widerſtand, und jene Oppoſition erhoben, die alle ſpätere Gutwilligkeit nicht wieder beſchwichti¬ gen mochte. Man hatte zur aller unglücklichſten Stunde vergeſſen, was die Römiſchen Conſuln in der Sache der Ariciner und Ardeaten, deren Landmark das Volk ſich zueignen wollen, demſelben zu Gemüth geführt: famæ quidem ac ſidei damna majora esse, quam quæ æstimari possent.

Im übrigen Nord-Teutſchland hatte die Lage der Dinge auf nicht viel tröſtlichere Reſultate und Ausſichten ſich geſtellt. Oben in der Cimbriſchen Halb¬ inſel in Holſtein und Lauenburg, war ſchon ſeit 1816 jene Commiſſion, aus den Prälaten, der Ritterſchaft, den Städten und Aemtern gezogen, vereinigt, um die Vorſchläge zur Verfaſſung die vom Hofe ausgegangen, zu berathen; eine Berathung, die bey aller löblichen Bereitwilligkeit der obern Stände, noch bis zu dieſer Stunde nicht zu dem erwarteten Ziel geführt. Indem der Hof das billige Geſuch um Ausdehnung der neu zu entwerfenden Verfaſſung auch auf Schleswig ver¬ weigerte, hatte auch er an Tag gelegt, daß er nicht ein Kleines mehr zu leiſten geſonnen ſey, als die Verbindlichkeit der Traktaten ihm unausweichlich zu thun auferlegt; und indem er den künftigen Stän¬ den nur eine berathende Stimme einräumen wollte 39 hatte er jene Traktaten in der für die Willkühr gün¬ ſtigſten Weiſe, eben auch willkührlich, ausgelegt.

In dem Lande Meklenburg, in ſeinen beiden Hälf¬ ten von oben herab ſehr 'ungleich bedacht, wo eine Ordnung der Dinge, wie ſie aus früheren Jahrhun¬ derten ſich entwickelt hatte, beynahe unerſchüttert fort¬ beſteht; wo ein mächtiger Adel das Land in Planta¬ gen unter ſich getheilt, auf denen der Bauer als Leib¬ eigner dient; der freye Mittelſtand aber noch nicht die Macht erlangt, die Anſprüche geltend zu machen, die ihm die Zeit einräumt, konnte der Natur der Dinge gemäß, der Eindruck dieſer Zeit nur wenig ſichtbar ſeyn. Darum war dort bey der Huldigung der alte Rechtsſtand nur durch Handſchlag bekräftigt worden, und ein organiſches Staatsgeſetz der beiden regierenden Häuſer verfügte, wie es jetzt, da nach Auflöſung des Reiches die richterliche Obergewalt ver¬ ſchwunden, bey Streitigkeiten der Stände mit der Landesherrſchaft zu halten ſey. Der einzige Wider¬ ſpruch, der gegen dieſe neubefeſtigte Ordnung der Dinge ſich erhob, mußte darum, weil er ohne alle hiſtoriſche Unterlage blos auf allgemeinen Ideen fußte, auch in jener allgemeinen Gleichmacherey in’s Leere ſich verlieren; und der naive Vortrag jenes Landſtan¬ des: alle Schutzgenoſſen des Staates mit einem Schlage in Mitgenoſſen zu verwandeln, die nun ihre Rechte entweder durch unmittelbare Volksberathung, oder durch Delegation auszuüben hatten; vor Allem aber die bei¬ den Inſtitute, die wechſelweiſe ſich bedingend, mitein¬ ander ſtehen und fallen müßten, den Erbadel, der un¬ gebührlich ſich über die Mitte erhebe, und die Leib¬40 eigenſchaft, die eben ſo tief unter ſie herabwürdige, miteinander aufzuheben, wurde nicht ganz unbillig, obgleich zum Theile in etwas koſtbaren Redensarten, als Arroganz und Vorwitz abgewieſen.

Im Königreich Sachſen hatte man die alte ſtän¬ diſche Verfaſſung wieder eingeführt: das mürbe, ver¬ wickelte, ſchwerfällige Flickwerk der letzten Jahrhun¬ derte, die ohne Plan und Ueberſicht, ohne großarti¬ gen Sinn, und eigentlich praktiſches Geſchick, grö߬ tentheils verlaſſen von allem Inſtinkt und plaſtiſchem Bildungstrieb, nur ſorgend für die nächſte Gegen¬ wart, immer nur Lappen an Lappen geſetzt und Maſſe auf Maſſe gehäuft. Eine ſolche Vertretung mußte nur allzu geneigt ſeyn, unter dem Vorwande der bedächtigen Umſicht, nach dem Vorgange der Re¬ gierung, gegen das Eindringen alles Progreſſiven ſich zu ſchließen; von einer Vertretung des Bauernſtan¬ des, von einer beſſern Einrichtung der Städteord¬ nung, die die Abgeordneten zu wirklichen Vertretern des ſtädtiſchen Weſens macht; von einer Zulaſſung der nicht landtagsfähigen Gutsbeſitzer konnte nur flüch¬ tig die Rede ſeyn, und ſelbſt die Zuſammenziehung des engern und weitern Ausſchuſſes der Ritterſchaft wurde abgewieſen. Dafür wurde von Seiten der Re¬ gierung auch nur blos berathende Stimme anerkannt, und alle Befugniß zu wirklichen Vorſchlägen oder gar zu einem veto abgeläugnet; die nachgeſuchte Ver¬ minderung des ſtehenden Heeres als unthunlich abge¬ ſchlagen; die Vorlegung der Nachweiſungen über die verſchiednen Zweige der Staatsausgaben und Ein¬ nahmen gänzlich verweigert, weil der König in fünf¬41 zigjähriger Regierung nie mehr, als die Nothwendigkeit verlangt, gefordert; die bewilligten Donative aber dankbar angenommen.

Eben ſo hatte auch in Hannover die neue wilde Zeit nicht lange genug herumgeſtampft, um mit der alten Sitte auch die Geleiſe und Pfade der dortigen mächtigen Ariſtokratie zu zertreten, und ſie hatte leicht wieder den ganzen Umkreis der Gewalten eingenommen, den ſie ehmals erfüllt. Mit ihr war auch die alte Regierung ihres Geiſtes wieder eingetreten; rechtlich, billig, wohlmeinend aber ſchwerfällig, unbehülflich, bis zur Ungebühr bedenklich: nicht ſo ſehr den Anſprüchen der Zeit widerſtrebend, als was noch ſchlimmer iſt, ſie viel¬ mehr gänzlich ignorirend, wie auch auf der dortigen Uni¬ verſität ein vornehmer Bettelſtolz den neuen Geiſt, der in die Wiſſenſchaften erfriſchend eingedrungen, vornehm zu ignoriren affectirt; gleichſam als ſey aus¬ getilgt und abgethan, wovon man keine Notiz genom¬ men. Eine Ständeverſammlung, die ſich aus der Oeffentlichkeit zurückgezogen; in der die verſchiednen Elemente ſich in einer Art von Sättigung gebunden hielten, und blos die Trägheitskräfte herrſchten, konnte wenig dazu beytragen, eine weſentlich oscillatoriſche Bewegung in eine fortſchreitende zu verwandeln, und das ſtockende Leben zu begeiſtigen, das gewohnt, in ſo Vielem dem herrſchenden Inſelvolke ungebührlich nachzutreten, nur ſeine Regſamkeit nicht in ſich auf¬ zunehmen weiß. Doch wurde, getrieben von jenem Geiſte, dem Keiner, wie er ſich ſträuben möge, ſich ganz entziehen kann, manches Heilſame und Löbliche gefördert; eine ſorgfältige Bewirthſchaftung der noch42 übrigen geiſtlichen Domänen; ihre gewiſſenhafte Ver¬ wendung für die Bedürfniſſe der Kirche und Erzie¬ hung; die Aufhebung der Steuerfreyheit freilich allein zum Vortheil des Fiscus gereichend, da die Maſſe der Abgaben ſich darum nicht vermindert hat; mögliche Ausgleichung der verſchiednen Landestheile im neuen Grundſteuerweſen; die Bewilligung eines Landtags für die ſieben Herrlichkeiten Oſtfrieslands, und Wie¬ derherſtellung der Magiſtrate in den Hauptſtädten die¬ ſes Landes; Abſchaffung der Folter und des Reini¬ gungseides; die Einführung der Geſchwornengerichte wenigſtens in Anregung gebracht: das alles war, wenn auch überall, wo in der Ausführung practiſche Ge¬ wandheit und Fertigkeit, im Entwurfe Ueberſicht und Klarheit nöthig ſind, mangelhaft, doch immer zum Anfang dankeswerth.

In Heſſen hatten frühe den Vortheilen, die die ge¬ wünſchte Rückkehr des Alten gewährt, die Nachtheile, die eine unglückliche Liebhaberey zum Veralteten zur Folge hat, ſich beygeſellt; Nachtheile, die eine unge¬ bührliche Leidenſchaft, Schätze anzuhäufen, nur noch mehr verſtärkt. Darum kehrte mit dem alten lächerlich ge¬ wordnen Anſehen des Heeres, auch die alte verhaßte Hungerleiderey zurück; darum zerſchlugen ſich alle mit den Ständen angeknüpften Unterhandlungen, als es darauf ankam, das Staatseigenthum von dem Privat¬ eigenthum des Fürſten auszuſcheiden, und ſich nun ein Streit erhob, der alle gehäſſigen Erinnerungen der früheren Zeit wieder in den Gemüthern aufge¬ weckt. Daher wurde eine Conſtitution um eine nam¬ hafte Summe käuflich ausgebothen, und als der Kauf43 nicht zu Stande kam, die Erfüllung des 13. Art. mit Stillſchweigen umgangen: eine Feilſcherey, freilich nicht unerhört in älterer Zeit, aber, keineswegs zu dem gehörend, was aus ihr herübergenommen werden ſoll. Darum wurde der Streit mit den Domänenkäufern, in Braunſchweig und Hannover geſchickter beygelegt, hier, wo man mit ſtarrer Härte, Recht und Unrecht durcheinander miſchte, und den eigenen Gerichtshö¬ fen für beſondere Rechtsfälle, in eigner Sache, neue Geſetze machte, zu einem öffentlichen Scandal, das die Ohnmacht der Verfaſſung im unzweydeutigſten Licht gezeigt, und das gegebene Aergerniß kaum durch ein allgemeines Bundesgeſetz für ähnliche Fälle in der Zukunft wieder gut machen wird. Darum endlich blie¬ ben alle die ſchreyenden Mißbräuche im Juſtizweſen und in andern Fächern unangetaſtet. Heſſen ganz ſtatio¬ när geworden, ſchied gleichſam aus der Gemeinſchaft der übrigen Stammgenoſſen, und ſchien den Vorwurf des Mangels an Theilnahme an den öffentlichen An¬ gelegenheiten, den man ihm vor allen Andern gemacht, durch die That zu beſtättigen.

Dieſer Gang der nordteutſchen Angelegenheiten konnte der Meinung wenig Beruhigung gewähren, die nach ſtarken, volksmäßigen Inſtitutionen für die Gegenwart und der Sicherung der Zukunft durch ei¬ nen regen, lebendigen, die ganze Nation umfaſſenden Gemeingeiſt verlangt. Wohl thut Ruhe und ſtilles Gemach vor allem Andern Noth dieſer Zeit, die ſich in raſtloſem Treiben beynahe aufgerieben; aber es darf nicht die Ruhe der Trägheit, ſondern allein jene gehaltene, feſte Gelaſſenheit ſeyn, die nicht in leerer44 Haſt ſich abmüdet, ſondern gemeſſen und ihrer ſelbſt gewiß mit dem geringſten Kraftaufwand ihre Zwecke zu[erreichen] weiß. Sie erkannte, daß Teutſchland nicht damit gedient ſeyn könne, jenes träge, lahme und taube Weſen zurückzuführen, wie es vor den Be¬ wegungen der letzten Zeit beſtanden, wo das öffentliche Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine Haide hingezogen, auf der die verſchiednen bürger¬ lichen Geſellſchaften ihre Pfergen aufgeſchlagen.

Nicht darum ſind ſo furchtbare Stürme über Euro¬ pa hergezogen, daß ſchon, während ſie noch nachdon¬ nernd am fernen Geſichtskreis ſtehen, jenes Reich der Mittelmäßigkeit, das ſie zerſprengt, ſich wieder zu¬ ſammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang iſt, jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeiſterung, als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erſtar¬ rung hielt, ſoll uns nicht noch einmal als Geſundheit gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte Erinnerung vergeſſen hatten, als Bildung zur Huma¬ nität und cosmopolitiſche Geſinnung.

Nicht kann ferner dieſe Philiſterey uns frommen, die ohne Weltanſicht im Erkennen alles Höhere mi߬ verſteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engſten, Kleinlichſten ſich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬ hältniß von Urſache und Wirkung durchſchauend, durch das gewöhnlichſte ſich verwirren, und zu übereilten Handlungen hinreißen läßt. Nicht mag fördern das Werk der Zeit jene ſteife, ungelenke Pedanterie, die45 in Allem nur nach ſtrenger Methode verfahren will, und darum bey jeder Ueberraſchung, und in allen wichtigen Dingen, wo die Regel verrätheriſch ihren Sclaven im Stiche läßt, unverſonnen ſich nicht zu helfen weiß. Jener Geiſt, der mit uns zu ringen herabgefahren, wenn wir noch ferner im Kampfe mit ihm wie lahme Invaliden uns gebehrden, wird, ſtatt uns zu ſtärken für die kommende Zeit, uns nie¬ derwerfen mit Schande und Beſchämung, und dann hohnlachend von dannen ziehen.

Nicht flache, abgegriffene und verſchliſſene Höflinge, die die Unbedeutenheit treiben wie ein Studium, und das Nichtige wie ein Geſchäft, kann fortan die Ge¬ ſchichte brauchen; nicht Miniſter die ſich nur ans Ende der langen Bank der Schreibergeſellen niederlaſſen, und von dort aus nur die Buchſtaben, aber nicht Welt und Leben zu beherrſchen wiſſen; nicht Feldher¬ ren, die die Scheide höher halten, dann das Schwerd, die Kuppel und ihre Trotteln aber für das Höchſte, das auf Erden iſt; nicht Beamte und Kriegsleute, denen alle Kraft in die Dreſſur aufgegangen: rüſtige, gewandte, vielverſuchte Menſchen fordert ſie von uns, die Geiſt und Leben ſich bewahrt, und die Anſprüche der Zeit mit der Perſon bezahlen, und die Formen achten nach ihrem Werth, aber ihnen nicht ſclaviſch dienen; Männer die muthig des raſchen Roſſes Rücken zu beſchreiten wiſſen, und ſeinen wilden Muth zu lenken.

Wohl iſt es eine der Aufgaben der Zeit, jenes ru¬ hige, behagliche Wohlbefinden der Maſſe, als den ſichern Grund des künftigen öffentlichen Lebens wie¬46 derherzuſtellen; aber damit ſoll keineswegs jene laue Gleichgültigkeit, jene theilnahmloſe Unbekümmerniß, jene flache Trivialität der Geſinnungen, jene klägliche Nüchternheit wiederkehren; und am wenigſten wollen wir jene Flickſchuſterey der vorletzten Zeit ohne Idee und Adel der Geſinnungen, ohne Kraft, Würde, blos durch einen verdumpften Rechtsbegriff im beßten Fall geleitet, uns zum Vorbild nehmen. Jene Cabinetts¬ willkühr, die in Italien zuerſt erſonnen, in Frank¬ reich aber vor den Andern praktiſch ausgeübt, von da in jener Zeit nach Teutſchland herübergepflanzt wurde, kann uns den gemeſſenen Willen, der frey iſt, weil er dem Geſetz gehorcht, und ſtark, weil er ſich in ſeinen Gränzen hält, keineswegs erſetzen. Jene Finanzſchwindeleyen, die Europa zu Grunde gerichtet, werden dadurch nicht gebeſſert und zu liberalen Inſti¬ tutionen umgewandelt, wenn man nicht durch Nach¬ laß, ſondern durch Mehranziehen Gleichheit in ſie bringt; noch wird der Geiz, wenn er gleich dem Al¬ ter ſich anzuhängen pflegt, dadurch eine alterthüm¬ liche Idee und ein würdiges Regierungsprinzip. Nicht ferner mag eine Ordnung der Dinge ſich behaupten, wo Pflichten und Rechte nicht gleichmäßig in denſel¬ ben Inſtitutionen und Perſönlichkeiten ſich vereinigen, und im Steigen und Fallen wechſelſeitig ſich bedin¬ gen, ſondern vielmehr geſondert an verſchiedene Trä¬ ger ſich vertheilen wollen; nicht länger mehr mag jene perſönliche Dienſtbarkeit beſtehen, als die freye wohl¬ verſtändigte Einwilligung ſich ihr freywillig unterzieht. Nicht darum hat die Zeit nach der Rückkehr des Alten ſich geſehnt, daß man es ihr, da wo es der Willkühr47 und dem Intereſſe Vortheil bringt, wie größentheils, im Norden, mit Gewalt und in allen ſeinen Verderb¬ niſſen aufdringe, da aber wo es Beiden Eintrag thut, wie z. B. in Würtemberg geſchehen, ihr vorenthält. Der Zauber der böſen Beſprechung, die aus der Fremde her gekommen, und alle Kraft Teutſchlands gebunden hielt, iſt abgelaufen, und es will nicht ferner Theil haben an dem Segen des Iſaſchar des Sohnes Ja¬ cob, daß es ſey wie ein Eſel unter Säcken.

Hatte der Norden die Nation auf ſolche Be¬ trachtungen geführt, dann mußte der Zuſtand des Südens Andere und zwar von entgegengeſetzter Art erwecken. Dieſer Theil des Reiches war eine gerau¬ me Zeit hindurch Teutſchfrankreich geweſen, indem die Rheinlandſchaften noch in der früheren democrati¬ ſchen Zeit der Revolution mit Frankreich vereinigt wurden, die jenſeitigen Herrſchaften aber ſpäter ihm durch den rheiniſchen Bund als Vaſallen unterworfen, an allen ſeinen Kriegen und Richtungen Theil genom¬ men. Während daher in jenen Strichen, vielfältig die democratiſchen Ideen ſich unter dem dritten Stande verbreiteten, und ein Geiſt freyer Unabhängigkeit ſich da ausbildete, hatten hier die Höfe allein Theil ge¬ nommen, und die Revolution in ihrer damaligen Ge¬ ſtalt nach Teutſchland hinverpflanzt.

Dieſe Revolution war ein großes Gottesgericht, in jenem Lande abgehalten, um erſt an ihm und dann an der übrigen Welt vieljährige Schande und Uebel¬ that zu ſtrafen, und eine Blutſchuld, die mit den Zinſen und dem Erwerbe jeder Generation vermehrt, von Geſchlecht zu Geſchlechte furchtbar wachſend fort¬48 gegangen, endlich auszulöſen; gerade wie die Refor¬ mation in gleicher Weiſe zu Recht geſeſſen, um den Verfall der alten Zucht in und außer der Kirche, die Erſtarrung des höheren geiſtigen Lebens, die Heuche¬ ley und Selbſtſucht und die Verſtockung und Verdum¬ mung in entleerten Formeln zu züchtigen.

Damals hatten die Höfe des Nordens, erſt ſelbſt ergrif¬ fen dann ergreifend, jener Volksbewegung ſich bald zu bemeiſtern gewußt; und wie nun der Teufel, aus der Bejahung vertrieben, höhniſch in die Verneinung ſich geflüchtet, hatte, was mit einer Reinigung der Kirche angefangen, mit einer ſchändlichen Plünde¬ rung im ganzen proteſtantiſchen Europa aufgehört, und die große Idee des Kirchenſtaates, erſt innerlich durch ſelbſtſüchtige Herrſchſucht ausgehöhlt, in üppi¬ ger Trägheit aufgelöſt, war nun im Aufſtande durch die gleiche Selbſtſucht der Reaction zertrümmert wor¬ den, und des Pabſtes dreyfache Krone getheilt unter die Fürſten als geiſtliche Souveräne, oder auch ander¬ wärts der geiſtlichen Ariſtocratie und ſelbſt der Ge¬ meinde zu Theil gefallen. Gerade ſo war es auch jetzt er¬ gangen, daß, indem die Höfe des Weſtens mit der Revolution in ihrer Kehrſeite, dem unbeſchränkteſten Despotism, in Bund getreten, die Plünderung der andern Hälfte der Kirche, die noch der Reformation entgangen, die Unterdrückung und Verſchlingung al¬ ler ſchwächern Reichsgenoſſen, die Aufhebung und Vernichtung aller alten Rechte, Sitten und Erinne¬ rungen des Volkes, der Untergang der gemeinen Frey¬ heit, und die völlige Zertrümmerung der andern Ideedes49des Mittelalters im teutſchen Kaiſerreiche die Folge dieſes Bundes.

In dem Uebermuthe und dem Drange einer ſolchen Zeit hatte eine Claſſe von Staatsmännern ſich ausge¬ bildet, ganz anderer Art als ſo Manche, die im Nor¬ den aus der Periode vor jener großen Bewegung noch übrig geblieben, oder auch ſeither allenfalls in ihren Grundſätzen erwachſen ſind. Wie Dieſe, Sclaven des Herkommens, das Beſtehende allein anerkennen, und vor allem Werdenden eine tiefe Scheu in der Seele tragen; ſo erkennen und achten Jene kein Seyn und keine Vergangenheit, und haſſen alles Poſitive, das ihrer unruhigen Thätigkeit hemmend entgegentritt. Während die Einen nicht zu rühren wagen an das Ueberlieferte, und mit den Leichen des in ſeinem Al¬ ter Erſtorbenen ſich bis zur Verweſung ſchleppend, als Leibeigene dienen auf dem Hofgut, an das eine keckere Vorzeit ſie gefeſtet; halten die Andern alles Gewe¬ ſene dem Tode heimgefallen, ſich aber für Herren der Gegenwart, und zu Tyrannen der Zukunft ſich beru¬ fen. Kinder des Tages, der ſie geboren, verneinend Alles, was vorhin geweſen, hoffen ſie doch, daß ihr Wille bejahend ſeyn werde für das Kommende, dem ſie ſelbſt wieder ein Vergangenes geworden, und das Morgen mit dem gleichen Rechte ſie negirt, wie ſie das Geſtern vernichteten. Schaltend nach freyeſter Willkühr mit allem Vorhandnen, von dem Jene ſich bemeiſtern laſſen, werfen ſie in unaufhörlicher Umkehr die Dinge durcheinander; wie die Gedanken wechſeln in des Menſchen Bruſt, ſo muß ihre Welt ſich mit den Flüchtigen umgeſtalten; in geilem Bildungstrieb450muß bald dieſe bald jene Einſeitigkeit ſich zu einer mißgeſchaffenen Geſtalt verkörpern, die ſie dann nach Gutbefinden zerſchlagen, um andern Aftergeburten Raum zu ſchaffen; raſtlos wie vom böſen Geiſt beſeſ¬ ſen, hetzen und jagen ſie Dinge und Menſchen durch¬ einander, daß nichts in Ruhe ſich bewurzeln mag. Da keine Ahnung in ihnen zurückgeblieben von dem ſtillen, leiſen gelaſſenen Gange, in dem die Natur ihre Bildungen entfaltet, ſo iſt's der Mechanism, dem ſich ihre Ungeduld verſchreibt, und der Staat wird unter ihren Händen zu einer Dampfmaſchine, in deren Säule ſie ſelbſt ein heißer Schwaden auf - und niederziehen, und der nun mit ungeheurem Ge¬ polter die großen Hebel treibt, daß das Werk Geld zugleich münzt und pumpt, hämmert, ſpinnt und ſchreibt und ſeines Gleichen wieder ſchmiedet. In die¬ ſem Mechanism, dem alles gerade Linie und Zahl gewor¬ den, müſſen alle Linien zu einem Mittelpunkte, alle Zah¬ len zu einer Einheit gehen, damit die Willkühr von der Mitte aus nach Gefallen rechnen und richten mag, und kein menſchliches oder bürgerliches Verhältniß eine ſtörende Selbſtſtändigkeit zu behaupten ſich ge¬ traue. Gewaltthätig wird alles der jedesmal herrſchen¬ den Idee aufgeopfert; nichts mag ſo feſt gegründet ſtehen, daß der Wirbel ihrer Organiſationswuth es zuletzt nicht niederreißt; alles Große, was die Wur¬ zeln tief in die Zeit geſchlagen, ruhig geſichert in ſich beharren will, erſcheint ihnen ſtrafbar und rebelliſch; und ſie biethen alle Elemente auf, es zu ſprengen und im Grunde zu zerſtören, damit nichts als ihre per¬ ſpectiviſch gemahlten Rieſenwerke übrig bleiben. Da51 von Treue, Liebe, Sitte, Angewöhnung, Pietät und Allem, was des Menſchen Bruſt bewegt, nichts zu ihrem Werk erfordert wird, indem ein klarer waſſer¬ heller Verſtand alles wohl beſchickt; dürfen ſie ſcho¬ nungslos durch alle menſchlichen Verhältniſſe fahren, und auf ihrem Schachbrett Bauern, Läufer, Thürme, Ritter ziehen nach Gutbefinden von einem Ende zu dem Andern. Ihre Verfaſſungen ſind nicht geſellige Vereine, von ſelbſtſtändigen Menſchen zu wechſelſeiti¬ ger Bindung und Befreyung eingegangen; es ſind Bü¬ cher, deren Blätter einſt gegrünt, dann zu Lumpen zer¬ rieben, zerſtampft und zu Papier gegoſſen, mit ihren or¬ dinairen Gedanken beſchrieben, dann beziffert und ein¬ gebunden mit goldnem Schnitt, wenn vergriffen, je¬ desmal in neuer Auflage wieder erſtehen. So iſt all ihr Thun ohne Segen, weil ſie es allein auf den Dün¬ kel aufgebaut; jeder folgende Tag verzehrt, was der Vorhergehende gebaut; in eitler Sorge müſſen ſie ſtets wie Saturn ihre eignen Kinder freſſen, bis ihnen endlich die Mutter zürnend den Stein hinreicht, und den Rächer dann erzieht. Durchgängig Männer von Kraft, Wille, Geiſt und Talent, hätten ſie das Salz ihres Vaterlandes werden können; aber weil die Hof¬ fart ſie bemeiſtert, ſind ſie ihm ein freſſendes Gift geworden; und indem ihre wilden feurigen Geiſter in die eine Hälfte Teutſchlands hineingefahren, jene trä¬ gen, gnomiſchen aber der andern Hälfte ſich bemei¬ ſtert, mußten wir das Vaterland in jenem jämmer¬ lichen Zuſtand erblicken, wo es auf einer Seite, wie vom Schlagfluſſe gelähmt, auf der andern im Veits Tanz ſich bewegt, und während die eine Hälfte aſtheniſch4 *52in dumpfen, leeren Träumen brütet, die andere hy¬ perſtheniſch in phantaſtiſchen, ausſchweifenden Deli¬ rien ſich abgemüdet:

Wie es zu den Zeiten des rheiniſchen Bundes in den Bundesſtaaten gehalten worden, iſt noch im friſchen Angedenken, und es iſt zugleich unnütz und gehäſſig, die Erinnerung an dieſe widerwärtigen Er¬ eigniſſe wieder aufzuwecken. Als das Reich Napoleons zum Sturz gekommen, und die Meinung gegen jene Höfe ſich mit Heftigkeit erhob; da bildete ſich an ih¬ nen eine Reaction, die aus dem Conflicte ſehr ver¬ ſchiedenartiger Motive ſich entwickelte. Die ſüße Ge¬ wohnheit der bisher geübten Willkühr kam mit den neuen Anſprüchen der Zeit in harten Widerſpruch; wäh¬ rend die Gutwilligkeit, die am Teutſchen ſich ſchwer verläugnet, wohl fühlend den Stachel des Gewiſſens, mit dem gekränkten Stolze kämpfte, der ſeine Conſe¬ quenz gegen die neu einbrechende Ordnung der Dinge zu vertheidigen ſich beſtrebte, und mit Erbitterung die ungeſtüme Mahnung alter Schuld abwies, bey der man, vielleicht weniger als billig war, auf die Macht der Umſtände, in die ſie verwickelt waren, Rückſicht nahm.

In dieſem Gedränge bothen jene Staatsmänner der zweyten Claſſe, die früher die Umkehr nach Napoleo¬ niſchen Grundſätzen geleitet hatten, eine bequeme Aus¬ kunft an, indem ſie, gleich dem Meiſter nach der Rückkehr, ſich mit dem nöthigen Vorbehalt auf die liberale Seite warfen. Indem man der Zeit einige wirkliche unabweisliche Einräumungen geſtattete, war jenem guten Willen genug gethan, das Gewiſſen zur53 Ruh geredet, und der dringendſte Ungeſtüm mit ei¬ ner abſchläglichen Zahlung abgewieſen; für die ſpä¬ ter einlaufenden Forderungen, die von Gerichtswe¬ gen, wie die franzöſiſche Schuld, ſchon gemäßigt wa¬ ren, wurde von jenen Papieren und Phraſen, die nie nach dem Nennwerth gelten, ein reichlicher Vor rath eingelegt, und ein wohlbeſtelltes Lager jener Quincailleriewaaren etablirt, die uns die Revolution gebracht, und mit denen der Zeitgeiſt, wie jener Vogel mit der Silberkugel, ſpielend ſich vergnügt: Ver¬ günſtigungen, die nichts koſten, aber jedesmal zählen bey der Parade; Freyheiten, die ſich entweder von ſelbſt verſtehen, oder bey der Willkühr als ihrem Brod¬ herrn Hofedienſt zu leiſten ſich entſchließen; Bewilligun¬ gen durch Ausnahmegeſetze weislich gezügelt; hohle For¬ meln und gleiſſende brillantirte Lügen, in die die Eitelkeit ſich gern putzen mag, und wie die Behelfe heißen mö¬ gen, mit denen die Klugheit der Welt ſich durchſchla¬ gen zu müſſen glaubt. Als die kleine Waare Liebha¬ ber gefunden, ließ ſich ſpäter wohl die Hoffnung faſ¬ ſen, auch die früheren Einräumungen wieder abzu¬ kaufen; die Conſequenz war vollkommen gerettet; und die Willkühr, die jetzt die Appretur gewonnen, wie ſie die Mode der Zeit verlangt, war wieder ein gang¬ barer Meß-Artikel.

So hatte das Herzogthum Naſſau ſchon vor dem Congreſſe eine Verfaſſung erlangt, an der man theo¬ retiſch nichts ſonderliches auszuſetzen gefunden, die aber praktiſch ſeither zu wenig Erklecklichem geführt. Unter dem Vorwande, die ſtets wechſelnden Territorialver¬ hältniſſe des Landes erlaubten die Zuſammenberufung54 einer Stände-Verſammlung nicht, blieb ſie drey Jahre unausgeführt, die man benutzte, den Apparat zu fer¬ tigen, um mögliche furchtbare Leidenſchaften und de¬ magogiſche Umtriebe, die ſich in ihr entwickeln konn¬ ten, zum voraus zu dämpfen und niederzuhalten. Darum ließ man, angebend die Stände ſollten con¬ ſtituirt keineswegs aber conſtituirend ſeyn, ſie auch an der Bildung der Inſtitutionen, die eine gänzliche Umſchaffung aller innern Verhältniſſe her¬ beygeführt, keinen Antheil nehmen; und man poſtu¬ lirte ihre Einſtimmung bey den wichtigſten Edicten über Gegenſtände, zu denen ihr Beyrath um ſo noth¬ wendiger ſich erwies, je mehr der Theile und Inte¬ reſſen waren, aus denen das Ganze erwachſen mußte.

Um der ſchreckbaren Macht und dem ſtürmiſchen Charakter von zwanzig gewählten Volksvertretern zu begegnen, hatte man die Regierung nach allen Re¬ geln der höheren Befeſtigungskunſt zu verſchanzen un¬ ternommen. Eine mächtige, ausgezeichnete, wohlbe¬ zahlte, uniformirte, gleich dem Adel einem gefreyten Gerichtsſtand untergebne, mit ihren Söhnen von der Militärpflichtigkeit freygeſprochene, oben um den Für¬ ſten her zum Theil in Banden der Verwandſchaft enggeſchloſſene Beamtenwelt, hangend an einem Winke des Gebiethers, und in ihren Gliedern durch einen Feder¬ ſtrich von einem Ende des Landes zum Andern hin ver¬ ſetzt, durch die Schultheißen das Geringfügigſte im In¬ nern der Gemeinden von der Mitte aus, nach allen Regeln der modernen Papierbewirthſchaftung, lenkend und be¬ ſchickkend, bildete wie allerwärts, das Hauptwerk. Eine ſchwache Stelle, die ehmals in der Unabhängigkeit der55 Geiſtlichkeit beſtanden, hatte man glücklich dadurch gedeckt, daß man bey der Confeſſions-Vereinigung, durch das Teſtament der Superintendenten auf den Letztlebenden, auch ſie centrirt, und dann durch Ver¬ pachtung der Pfarrgüter, Beſoldung der Geiſtlichen und Creirung einer Centralcaſſe zu Staatsdienern und Kirchenbeamten im Solde der Regierung umgeſchaf¬ fen. Aerzte und Advocaten, beides ſonſt allerwärts unabhängige Stände, die bekanntlich in der franzöſi¬ ſchen Revolution eine furchtbare Rolle geſpielt, wur¬ den hier ſehr geſchickt völlig unſchädlich gemacht; indem man jene durch Beſoldungen, zum Theil aus den Gemeindecaſſen, bey tief herabgeſetzten Deſerviten gleichfalls in Staatsbeamte verwandelte, dieſe aber von den Amtsgerichten trieb. Die Handwerksinnungen, ſchmähliche Reſte der Feudalknechtſchaft, Staaten im Staate, und darum Feuerheerde möglicher Rebellio¬ nen, wurden ſpäter wie billig ebenfalls geſprengt. Der Adel war noch übrig, und da Manche aus ſeiner Mitte, durch Begünſtigungen nicht zu gewinnen, eine ver¬ drüßliche Selbſtſtändigkeit behaupteten, ſo ſäete man mit erlaubtem Kunſtgriff eine heilſame Zwietracht zwi¬ ſchen ihm und dem dritten Stande aus, indem man rechts und links theilte und unterſchied, zwiſchen Ultra's, die Alles ohne das Volk thun wollten, und Jacobi¬ nern, die Alles durch das Volk, zu ertrotzen ſich vorgeſetzt, und nun jene den Privilegirten, dieſe aber jedem allenfallſigen Widerſtande in der zweyten Kam¬ mer entgegenhielt. So konnte, als nun, nach ſchicklich durch die Commiſſäre geleiteter Wahl, endlich die ge¬ fürchtete Democratie zuſammenkam, der Miniſterial¬56 Despotism geruhig in der Mitte, angeblich mit dem Volke, gehen, und er ließ den Fürſten, damit dieſe imponirende Stellung durch die Eintracht der Stände, die ihm vereinigt die Dankadreſſe überbrachten, nicht verſchoben würde, gewiſſermaaßen gegen dieſe Einig¬ keit, als ſey ſie etwas Conſtitutionswidriges, prote¬ ſtiren.

Als dies vollbracht, trat der Commiſſär der Regierung, Ibell, ausgerüſtet mit der ganzen Kraft und Einſicht, die ihm ſeine Stellung gab; in der ganzen Ueberlegen¬ heit, die ein gewandter Geſchäftsverſtand und ein herriſcher Wille gewähren mag, in die Mitte von Wenigen, mit den Geſchäften größentheils unbekann¬ ten, von allen Seiten umgarnten und eingeſchüchterten, zum Theil abhängigen Deputirten, und entrollte ihnen das Verzeichniß ſeiner ſeitherigen glänzenden That¬ handlungen, Beſchlüſſe und Schöpfungen, die ſie durch ihren Beytritt und ihre Gutheißung zu ſanc¬ tioniren und zu beſiegeln hätten. Wie wollte der kleine Funken des democratiſchen Princips ſich dieſem bren¬ nenden Buſch vergleichen? Als die Stände, erſchrocken über eine ſo mächtige Curatel, für ſich zum Führer und Leiter einen Syndicus verlangten, wurde ihnen dies als alberne Thorheit, ja beynahe als Hochverrath ausgelegt. Als einige Gegenden des Landes von dem Petitionsrecht an die Stände, das ihnen die Verfaſſung eingeräumt, Gebrauch machten, und ihnen die wirklichen und wah¬ ren Gebrechen des Landes ans Herz legten, war der verkündigte demagogiſche Gegenſatz glücklich ausgefun¬ den, und es hob ſich ein furchtbares Geſchrey gegen ein ſo unglaubliches Attentat, und zugleich eine ge¬57 waltthätige Verfolgung gegen die Urheber dieſes Schrit¬ tes, die damit endigte, einen tüchtigen und wackern Beamten von ſeiner Stelle zu vertreiben, und ihn zuletzt aus dem Vaterlande zu nöthigen.

So waren den Ständen alle Wege verrannt, der allein offne der Regierung ausgenommen. Man hatte den Grundſatz aufgeſtellt, alle die reichen angefallenen Domänen der verſchiedenen Landestheile, die ſich im Herzogthum vereinigt hatten, ſeyen jetzt ein unbeſtrit¬ tenes Hauseigenthum der ehemaligen Grafen und Für¬ ſten von Naſſau geworden, als ſie den Herzoghut ge¬ nommen; dadurch war der Hof von den Bewilligung¬ gen der Stände gänzlich unabhängig gemacht, und da die Bedürfniſſe des Staates von ſelbſt in die gewie¬ ſenen Wege drängen, auch von dieſer Seite Alles zum voraus abgethan. Das Steuerweſen war früher nach lobenswürdigen Grundſätzen einer gleichmäßigen Bey¬ ziehung des Grundbeſitzes und der Gewerbthätigkeit geordnet worden; ein bedeutender Theil der Verwal¬ tungskoſten war den Gemeindekaſſen aufgelegt neben den Gehalten und Gebühren der Ortsvorſtände und Einnehmer; noch ganz oder größentheils Aerzte, Wund¬ ärzte, Hebammen, Forſtbeamten, inſofern ſie ihre Waldungen inſpiziren, Schullehrer, Wald - und Feld¬ ſchützen, Kirchendiener und Nachtwächter: ſo blieb fürs Budget nichts, als die Unkoſten, die der höhere Regierungsmechanism fordert, und für die Stände kam etwas anderes, als eine Reviſion der vorgeleg¬ ten Einnahmen und Ausgabetabellen nach Art einer Oberrechenkammer. Sie ſetzten darum den Artikel der Hofbauten um ſo viel herunter, als man ihn heraufgeſetzt:58 ſtrichen ſonſt noch da und dort Einiges Wenige; über¬ nähmen die Auslöſung der auf den Domänen haften¬ den Feudalabgaben, die man früher in liberaler An¬ wandlung unentgeltlich aufzugeben die Miene angenom¬ men, auf die Steuercaſſe; befreyten zuletzt auch die Domänenforſte von den darauf haftenden Nutznie¬ ßungen der Gemeinden, und lösten dann ſich auf, um das Lob ruhiger, verſtändiger, wohlgeſinnter Stände mit nach Hauſe zu nehmen, dort aber dem lauten Ta¬ del des Volkes zu begegnen.

Der verhaltne, durch dieſen Tadel gereizte Unmuth, mußte nach der Natur der Dinge in nächſter Ver¬ ſammlung in irgend einer Weiſe zum Ausbruch kom¬ men; und da dies unter den obwaltenden Umſtänden nicht wohl in gemeſſener Art, und in einer kräftigen, ſichern, feſten Oppoſition geſchehen mochte, ſo wußte er ſich nur in jener derben Exploſion Luft zu machen, die da eintrat, als jene Begünſtigungen der Domänen, die ſo manche Gemeinde hart bedrängt, eine Armen¬ ſteuer herbeygeführt; und die dem Uebermuth, gegen den ſie gerichtet war, wohl eine Lehre ſeyn konnte, daß die menſchliche Geduld ſich nur bis zu einem gewißen Grade mißbrauchen läßt, und dann uner¬ wartet losſchlagend ſich rächt an dem, der das ver¬ wegne Spiel geſpielt. Da inzwiſchen ſolche Ausbrüche ihrer Natur nach vorübergehen, jede wohlberechnete Willkühr aber ſtetig wirkt; ſo mußte ſie bald jener Bewegung Meiſter werden, und der ganze planloſe Widerſtand endete zuletzt mit einer zweyten Gewalt¬ thätigkeit, an einem andern Beamten ausgeübt, und das Geheimniß war ausgefunden, eine an ſich nicht59 ſchlechte Verfaſſung vollkommen durch ſich ſelber zu vernichten.

So war alſo hier ein eigentlicher Muſterſtaat mo¬ derner Verfaſſungskunſt feſtgeſtellt, die alle Menſchen gleich macht in gemeiner Dienſtbarkeit, und die Frey¬ heit als leere Gaukeley zum Spotte, und das Werk war nach dem Vorbilde Frankreichs ein Microcosm des Napoleoniſchen Macrocosm ausgeführt, und ſiehe da! der Meiſter ſah, daß es gut war. Staatsrath, Kammern, Budget, zwey Partheyen Ultras und Jacobiner an den Triumphwagen geſpannt, von deſ¬ ſen hohem Sitze der Wagenführer mit eiſernem Arm das Doppelgeſpann zum Ziele lenkt; vorauf Frey¬ heitslieder aufgeſpielt, und Fanfaren mit Trompeten¬ geſchmetter, ein offizieller Moniteur, der bald den Thyrſus liberaler Ideen ſchwingend Evoce Bache! ruft, bald die Lockpfeife bläst, mit der man liberale Gim¬ pel fängt; bald als Conſtabel das verblüffte Volk mit dem Grabe im Spaliere richtet; jeden Widerſpruch mit Hohn niedertritt; da und dort eine ſcheltende Lippe mit dem ſüßen Honig allgemeiner freymüthiger Redensarten beſalbt, daß ſie ſich, wahrnehmend den lieblichen Schmack, betroffen ſchließt; dann wieder den beſcheidenſten Zweifel hart anläßt; im Gefolge hintennach Eitelkeit und ſeichte Selbſtgefälligkeit, Or¬ ganiſations - und Neuerungsſucht, Centraliſiren und Paralyſiren, Schein und Papierthätigkeit, Fiscalität, Unlauterkeit und Pfiffigkeit; endlich gar zu allen gro¬ ßen Dingen, Hunt und den Spafieldsrednern in der Grafſchaft Katzenellenbogen, noch die Seligkeit einer Conſpiration, und der Ausforſchung einer weitumgrei¬60 ſenden Verſchwörung. Furchtbare Thorheit dieſer Zeit! die falſch und unwahr bis ins Mark ihrer Gebeine hinein, nachdem ſie lange die Welt betrogen, endlich dahin gelangt, daß ſie die eigne Lüge glaubt; und nachdem ſie alle Natur von ſich gethan, in verwege¬ ner Schwindeley ihre Hiſtrionenkünſte an Allem übt, und Geſellſchaft, Staat, Kirche, das Ehrwürdigſte was die Erde hegt, zur Farce macht.

Was im Herzogthum Naſſau in jener Weiſe glücklich zur Ausführung gelangt, hatte der Miniſter Montgelas früher auch ſchon in Bayern verſucht, und deswegen die Conſtitution von 1808 gegeben, und die Spätere zur Zeit des Congreſſes proclamirt. Umſtände, deren Zuſammenhang noch nicht am Tage liegt, hat¬ ten dieſen Mann, von dem im Guten und Böſen Alles gilt, was die vorhergehenden Blätter der gan¬ zen Gattung nachgerühmt, eben als er nach der Würde des Staatskanzlers griff, zur großen Beſtürzung aller Gleichgeſinnten, plötzlich aus ſeiner Laufbahn wegge¬ ſchoben, und ein Miniſterium an ſeine Stelle geſetzt, das zwar nicht wenig eiferſüchtig auf ſeine Macht, doch weder den Einfluß, die Argliſt noch die Gewalt¬ thätigkeit beſaß, ſie in einem ſo conſequenten Syſteme zu befeſtigen. Der König gab eine Charte, an der man freylich eine übergroße Aengſtlichkeit bemerkt, die Vorrechte der Krone zu bewahren; die aber doch die Ge¬ meinen gegen ſie in eine Stellung ſetzte, von der aus nach und nach durch ihre Einwirkung fehlerhafte Inſtitutionen abgeſchafft, und beſſere an die Stelle gebracht werden mögen, die alsdann rückwirkend auf61 die Verfaſſung, wieder beſſern können, was an ihr unvollkommen iſt.

Darum war der Landtag, der hier abgehalten wurde, etwas mehr als eine jener blauen Dunſterſcheinungen, die Zeit zu äffen heraufgeſtiegen; zwar lief auch hier mancherley Arg mitunter, aber da es nicht in der Mitte alles überwiegend ſaß, war nicht ſonderlich viel dagegen einzuwenden, da die Schlechtigkeit mit der Dummheit gleiches Recht hat repräſentirt zu werden. Darum entwickelte ſich in der zweyten Kammer, nach¬ dem die erſte Lehrzeit nur vorüber, mitten aus man¬ cherley ſchwerfälliger Unbehülflichkeit, Philiſterey und Ungewohnheit des conſtitutionellen Lebens, ein wack¬ rer Hausverſtand, und eine billige, gemäßigte, ehren¬ werthe, in allen Dingen dem Guten leicht zugäng¬ liche Geſinnung. Viel des geheimen Gepreſte, das die heutigen Staaten drückt, kam dabey zur Sprache; mancher tiefe Blick in die ſcheußliche Vergangenheit, konnte, ſo ſehr man ſie zu verhüllen ſich bemüht, nicht verhindert werden; manches Gute das die Re¬ gierung willig aufgenommen, wurde vorbereitet, zu manchen beſſern Einrichtungen die Wege angebahnt; großen Mißbräuchen wurde für die Zukunft ein Ziel geſetzt, und das Unweſen der Zeit zu ſeinem Wende¬ punkt geführt.

Als die Kammer aber, nachdem ſie in Friede und Einigkeit bey ihrer Unterſuchung der Gebrechen des gemeinen Weſens, die Extremitäten durchſondirt, all¬ mählig auch zu den innern Lebenstheilen hingelangt, und nun an die eigentlichen und großen Schäden rührte, an denen die Staaten dieſer Zeit ſiechen und62 vergehen: das alle Verhältniſſe überſchreitende Ueber¬ maß in der doppelten Soldatesca des Kriegs - und Friedensheeres; den durch eine ſo zahlreiche und glän¬ zende Dienerſchaft zerrütteten Staatshaushalt; die da¬ durch herbeygeführten Finanzſchwindeleyen, die nach Erſchöpfung aller möglichen Steuerformen endlich da¬ hin gediehen, daß die Regierung Bank hält, am Pha¬ raotiſche gegen ihre Untergebnen; dann jene Cabinets - und Miniſterialwillkühr, die ſich bis in die Juſtiz erſtreckt; da war die Geduld der allzu indiskret in Anſpruch genommenen Liberalität erſchöpft; und es regte ſich von neuem die ganze Hefe ſchlechter Leidenſchaften, die von da aus Teutſchland ſo oft ſchon geärgert haben. Der Augenblick war nun gekommen, wo die erſte Kam¬ mer ſich berufen hielt, ein Damm zu ſeyn gegen die all¬ zu hoch anſteigenden Wogen der Gemeinen; der Reichs¬ rath verwarf dieſe Anmuthungen, die allzu praktiſch waren; die Steuerbewilligung ſollte großmüthig nach der Verfaſſung an keine Bedingung eines radical ver¬ beſſerten Zuſtandes ſich knüpfen wollen; und nachdem man früher den Scandal mit den Adreſſen der be¬ waffneten Macht angerichtet, deren Zulaſſung zum Conſtitutionseid man abgewieſen, weil ſie keine Deli¬ berirende, vielmehr eine rein abhängige Körperſchaft ſeyen, und die man hier doch über conſtitutionelle Ge¬ genſtände deliberiren ließ, verwickelte man ſelbſt zuletzt die Perſon des Regenten auf eine ſeiner Würde wenig zuſagende Weiſe in den Streit, der als erſter Anfang eines beginnenden Kampfes, deſſen Beendigung der Zeit nach ungewiß, dem Ausgange nach aber es mit nichten iſt, immer merkwürdig bleibt.

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Auch in Baden haben ähnliche Veranlaſſungen, auch zu ähnlichem Ausgang ſich entwickelt. In dieſem Lande war ſeit Jahren einer der Hauptheerde jener Umkeh¬ ren geweſen, wie ſie die Zeit herbeygeführt; mehr Conſtitutionen als Frankreich hervorgebracht, waren einander dort gefolgt, worunter Eine, um auch in teutſcher Narrheit etwas Originales hinzuzuthun, in objectiver und ſubjectiver Hinſicht, wie es auf dem Titel hieß; und Miniſter hatten ſich ſchneller als die Conſuln im alten Rom gedrängt. Der Hof gab zuletzt gleichfalls zur Erfüllung des dreyzehnten Artikels eine Charte, die in der damaligen politiſchen Verlegenheit die Meinung vor allen Andern durch ihre Liberalität gewinnen ſollte, und wirklich eines ſehr allgemeinen Beyfalls ſich erfreute.

Auch in der Verſammlung, die ſich hier vereinigte, offenbarte ſich bald ein raſcher, reger, lebendiger, ge¬ wandter Geiſt, wie er dem Volksſtamm dieſer Gegend vor Vielen eigen iſt; dazu wahrhaftes Talent und ſo viel zu ſehen iſt, viel praktiſche Tüchtigkeit, und auch in dieſen Verhandlungen kam gar Manches, zur Sprache, das, wenn es auch, z. B. bey den kirchlichen Angele¬ genheiten und denen des Adels bisweilen mit einiger Einſeitigkeit behandelt wurde, dieſe doch durch die Maſſe des entgegenſetzten Unverſtandes, der aller¬ wärts ſich regt, gar wohl entſchuldigen konnte.

Doch als auch hier die Geſchäfte bis zum critiſchen Punkte vorgerückt; als die zeitgemäße Frage über den billigen Antheil der Stände bey den Bundestagsbeſchlüſ¬ ſen zur Erörterung kam; als bey den Verhandlungen über das Defizit ſeiner Deckung allzu reichliche64 Sproſſen der Civilliſte wie billig beſchnitten wurden; als wieder der miles perpetuus eine freylich allzu geringe Schmälerung ſeiner Dotation ſich gefallen laſſen ſollte: da ſchien der Hof mit Entſetzen dem frevelhaften Werke zuzuſehen, und überraſcht von dem wachſenden Ernſt des leicht begonnenen Unternehmens, und wenig vor¬ bereitet den ſtrengen Anſprüchen einer bis zum inner¬ ſten Grunde aufgeregten Zeit zu genügen, beſchloß er mit haſtigem Eingriff den Verhandlungen ein Ziel zu ſetzen. Auch hier konnte der Fürſt der gereizten Empfindlichkeit nicht Meiſter werden; er vertagte die Verſammlung mit unziemlicher Eile in Mitte der Verhandlungen über das Finanzbüdget; die Stände wurden mit Verletzung des gemeinſten Anſtandes nicht entlaſſen, ſondern fortgejagt; nach der Heimkehr förm¬ lich unter Quarantaine geſetzt, und die Verfaſſung, obgleich formal unverſehrt, war doch gleich beym er¬ ſten Verſuche material verletzt, da man die Stände in Ausübung ihrer Rechte gehindert hatte. Es hatte ſich neuerdings ausgewieſen, was eine Conſtitu¬ tion werth iſt, die ohne hiſtoriſche Unterlage, unbe¬ feſtigt durch freye Inſtitutionen und ſtarke in ſich wohl begründete Corporationen, blos auf dem wan¬ delbaren Willen ruht, und durch eine Cabinettsordre gegeben wird und wieder zurückgenommen.

Einen beſſern Widerhalt hatte in Würtemberg die geheime, geehrte Macht des alten Rechtsbeſtands, ſol¬ chen Einbrüchen willkührlicher Laune entgegengeſetzt. Der König gereizt durch den unvermutheten Wider¬ ſtand, den er bey der Ausführung wohlgemeinter Ab¬ ſichten gefunden, hatte reagirend mit Malchus jenerSchule65Schule gleichfalls ſich in die Arme geworfen; aber mit dem augenblicklichen Triumph war es hier nur auf eine gänzliche Niederlage abgeſehen. Um ſo ſeichtes Beginnen zu ſtrafen, griff die Nemeſis nicht nach Dolch und Gift; ein kleiner Rechnungsfehler, der wie die Schlange unter Blumen, ſo unter Ziffern ſich verſteckt, war hinreichend ſo großem Unterfangen ſo ſchmähliches Ende zu bereiten. Darum, obgleich nach Auflöſung der Ständeverſammlung, auch in dieſem Lande neben manchen guten Tönen, auch vielfach unlauteres Ge¬ ſchrey ſich kund gegeben; obgleich man auch dort alle Verführungskünſte der Zeit geübt, und in alle Weiſe das Volk zu verwirren ſich bemüht, blieb zuletzt das ſchlichte Recht doch ſiegreich: der König, mit rühmlicher Selbſtverläugnung und alles Preiſes würdigem Ver¬ trauen, berief eine neue conſtituirende Verſammlung; und Würtemberg genießt zum Lohne, daß es an ſein altes Recht gehalten, und ſich leichtſinnigen Theorien nicht hingegeben, den Vorzug vor allen andern teut¬ ſchen Stämmen, daß es ſeine Verfaſſung auf conſti¬ tutionellem Wege ſich in gütlicher Uebereinkunft mit der Regierung ſelbſt bereitet, und nun auf einem wahrhaft unerſchütterlichen Grunde ſie befeſtigt.

Wenn ſo harmoniſch zuſammenwirkende, verſönliche, dabey aber doch dem Rechte nichts vergebende Geſin¬ nung ſeit Jahren der gereitzten Meinung die erſte be¬ ruhigende, erquickliche Erſcheinung gewährt; ſo muß dagegen die dumpfe Gährung, die Rheinheſſen ſeit geraumer Zeit bewegt, ſie wieder um ſo mehr ver¬ wunden. Ein wirklich wohlwollender, gutgeſinnter Fürſt, deſſen Gemüth kein Arg in ſich hegt, der aber566verwirrt durch die Zeit, die er ſchwer begreift, zu manchem Mißgriffe ſich hinreiſſen läßt, die alsdann eine ungemeine Bonhommie oft auf eine rührende Weiſe, wieder gut zu machen ſucht; dabey übermäßige Ausgaben für[mancherley] Liebhabereyen, jedoch wieder vielleicht weniger um ſeinetwillen, als derjenigen we¬ gen, die darauf angewieſen ſind, ungern zu beſchrän¬ ken ſich entſchließt; ein Miniſterium das in ſich getheilt, ohne Compaß, ohne Kenntniß der Geſtirne mit allen Winden ſegelt, ohne zu wiſſen wo es den Lauf hin¬ richtet; ein reges, vielfach gedrücktes Volk, das ſeine Rechte erkannt, und mit Eifer, rühmlichem Zuſam¬ menhalten, und lobenswürdiger Theilnahme am Oef¬ fentlichen ſie verfolgt, und ſich durch kein Wider¬ ſtreben irre machen läßt, in Betreibung ſeiner wohl¬ begründeten Rechte, Anſprüche und Forderungen: das ſind die Elemente dieſes Streites; der zwar jetzt be¬ denklich ſcheint, aber doch bey ſo viel Wohlwollen auf der einen und Feſtigkeit auf der andern Seite, ſicher zu gutem Ende führt.

Damit aber endlich der Gegenſatz von Nord - und Südteutſchland, der ſich im Allgemeinen feſtgeſtellt, im Einzelnen wieder vernichtet werde, müſſen die neu¬ reformirten Verfaſſungen Tirols und jene Gallizieus, ſo wie die des Ländchens Vaduz, an der Teutſchland eine Zeitlang ſich ergötzt, den lahmen furchtſamen Charakter jener nordiſchen Geſtaltungen in den Süden hin verpflanzen; während dagegen im Norden eine ge¬ ſcheidte, thätige aber ſehr eigenwillige Fürſtin ihre ge¬ bieteriſche, zweydeutige Liberalität alten Rechten eben67 ſo tyranniſch entgegenſetzt, wie es wohl irgend wo im rheiniſchen Bunde je der Fall geweſen.

Indem auf dieſe Weiſe im jenſeitigen Teutſch¬ land die politiſche Reformation ſich nach und nach auf einer Stufe befeſtigt hat, die man jener verglei¬ chen kann, auf die im Kirchlichen die Episcopalkirche in England ſich geſtellt; haben die dieſſeitigen diſſen¬ tirenden Rheinprovinzen vielmehr eine Art von politi¬ ſchen Calvinism bey ſich ausgebildet, in der Art wie früher ſchon die Schweiz mit dem Beyſpiele vorange¬ gangen, dem dann die ſchwäbiſchen und rheiniſchen Städte, aber ohne Erfolg nachzugehen verſucht, und wie es ſpäter die holländiſchen Provinzen, zuletzt auch Belgien ausgeführt. In dem herben, ſtrengen, phan¬ taſieloſen Geiſte, wie er der dort allgemein verbrei¬ teten politiſchen Schule eigen iſt, haben die Deputir¬ ten des Rheinkreiſes in der bayriſchen allgemeinen Ständeverſammlung geſtimmt; in allgemeinen Dingen oft von fixen Ideen und vorgefaßten Meinungen hin¬ geriſſen, in Allem aber was die praktiſchen Intereſſen ihrer Provinz betraf, immer wacker und tüchtig ſich beweiſend; dieſer Geiſt hat im diesſeitigen Rheinheſſen in den meiſten öffentlichen Stimmen ſich laut gethan; in ihm hat in den kleineren Landesſtrichen die heftige Oppoſi¬ tion gegen die entlegenen Regierungen ſich ausgebil¬ det; und er mußte vor Allem in dem preußiſchen An¬ theil, in dem die meiſten Rheinländer in Maſſe ver¬ bunden ſind, am entſchiedenſten ſich offenbaren.

Indem dieſe Länderſtriche mit Preußen vereinigt wurden, hatte man gleichſam die äußerſten Extreme Teutſchlands, nach allen Richtungen hin, gewaltſam68 ſich entgegengebogen, und dann über den Bund den diplomatiſchen Seegen ausgeſprochen, den der Him¬ mel aber gutzuheißen, ſich bis zu dieſer Stunde ge¬ weigert hat. Einerſeits ein Staat, den allein die Idee des Königs zuſammenhält, der mit Cabinettsordern und Miniſterialordonnanzen ohne eine geſetzlich be¬ ſtimmte Verfaſſung in milder Willkühr herrſcht; eine Beamtenwelt, die nach unbeſtimmten Inſtructionen, aufs Geheime gerichtet, mit weitſchweifiger Förmlich¬ keit verwaltet, und eine gleich umſichtige, geheime und rechtliche Juſtiz; durch alles gehend ein, wenn auch gemilderter, doch immer noch ſtrenger militäri¬ ſcher Geiſt, der zum Theil bewußtlos das Leben in die Formen der Subordination zu drängen die Nei¬ gung hat. Gegenüber ein Volk ohne einheimiſche Für¬ ſtengeſchlechter, ein Land ohne Höfe und Reſidenzen, ein Adel, beynahe gänzlich ausgeſtorben, eine ver¬ armte Geiſtlichkeit; dagegen ein dritter Stand neuer¬ dings nicht reich, aber wohlhabend geworden durch den Heimfall der Domänen, noch nicht üppig, aber wohl fühlend ſeine Macht, und zum Uebermuth ge¬ neigt; gehorſam, aber nicht unterwürfig, dem Geſetze unterthan, aber durch jede auch wohlgemeinte Will¬ kühr leicht verletzt; in Allem auf's Praktiſche gerich¬ tet, und darum allem Regelloſen, Verworrenen ab¬ geneigt; an einen raſchen Geſchäftsbetrieb gewöhnt, und allem Oeffentlichen zugethan; nicht zwar den Waffen abhold, wohl aber allem Steifen, Starren, Herriſchen, das dem Soldatengeiſte anzuhängen pflegt.

5*

So entſchiedene Gegenſätze mußten bey der erſten Berührung ſtark und verwundend aufeinander treffen,69 und der Nachtheil des Streites, der ſich erhob, mußte nothwendig ganz auf Seite der neuen Herrſchaft fal¬ len, da ſie ſich allein alles Thun zugeeignet, und den Einheimiſchen nur das Laſſen zugetheilt. Seit der Zeit alſo wo die Regierung durch ihre Organiſa¬ tion das Vertrauen zuerſt verwirkt, hatten Dieſe auf Beobachtung ſich gelegt, und[nur] allzu bald alle Schwä¬ chen ausgeſpäht. Da man ſogleich einſtimmig die Gegenwart als völlig unſtatthaft verworfen, war die ganze Aufmerkſamkeit bald auf die Fortſchritte der Re¬ gierung im Verfaſſungsgeſchäft gerichtet. Man be¬ merkte die Einſetzung des Staatsraths als die erſte Einleitung zu dieſem Geſchäfte mit Wohlgefallen, ob er gleich nach ſeiner Einrichtung nichts als eine Re¬ gierungs-Behörde war. Ebeu ſo wurde die Niederſez¬ zung der Commiſſion zur Entwerfung der Verfaſſung dankbar aufgenommen, und wie früher die Anord¬ nung der Immediat-Juſtiz-Commiſſion, ſo die ſpätere Aufhebung der geheimen Polizey Als aus der Mitte jenes Ausſchuſſes drey Commiſſäre auf den Vortrag des Canzlers in die verſchiednen Provinzen abgegan¬ gen, um ſich über das Beſtehende und ehmals Gewe¬ ſene Notizen zu verſchaffen, ließ man auch dieſe, ob¬ gleich verſpätete Maaßregel, für einen Fortſchritt gel¬ ten. Als aber dieſe Ausgeſandten zurückgekehrt, und die Berichte der verſchiedenen Regierungen des Lan¬ des eingelaufen, und keine zweyte Sitzung jener Com¬ miſſion erfolgen wollte; weckte die Langſamkeit in den Bewegungen der Regierung zuerſt die Beſorgniß, daß ſie bald rückläufig werden möchte.

Inzwiſchen war der Kanzler zum Rhein gekommen,70 und neue Hoffnungen hatten an ſein Erſcheinen ſich geknüpft. Er hatte die bekannte Adreſſe angenommen, und die Discuſſionen, die ſich dabey zwiſchen ihm und der Deputation erhoben, mußten, als ſie offen¬ kundig worden, nothwendig den Glauben wecken, die Reaction ſey endlich zum Ziel gelangt, und es werde aller Streit, nachdem man wechſelſeitig guten Wil¬ len und vorgefallene Mißverſtändniſſe anerkannt, noch zu einem gedeihlichen End gelangen. Als aber der König das Wort nicht löste, das ſein Mandatarius zu geben vollkommen durch ihn ſelbſt ermächtigt war; als er die Einwohner, dafür, daß ſie eine völlig geſetzliche Hand¬ lung in aller gebührenden Ehrfurcht ausgeübt, un¬ gnädig angelaſſen, und ihnen, die ausdrücklich ge¬ ſagt hatten, daß ſie nicht den mindeſten Zweifel an der Erfüllung des gegebenen Verſprechens hegten, den gehegten Zweifel verwies; als er dieſe Ungnade auch auf die örtliche Regierung ausgedehnt, weil ſie zuge¬ laſſen, was ſie mit keinem Schein von Recht verhin¬ dern mochte; und nur jene belobte, die mit gewalt¬ thätiger Handlung die Aeußerung der öffentlichen Stimme unterdrückt: da ſchwieg man, weil man die Ehrfurcht gegen die Majeſtät, auch da nicht vergaß, wo man ſie im Irrthum befangen ſah; aber es war ein Riß geſchehen, und ſtärker als vorher klaffte die alte Wunde, die nicht jene brillante, halbofficielle bis zum Unanſtändigen geiſtreiche Erwiederung zu heilen vermochte, noch weniger der breite Geſellſchaftsſchnack, mit dem eine andere Schrift tröſtend, zuſprechend und abrathend ſich herbeygedrängt.

Wenn die Rheinländer aber nun ihrerſeits in man¬71 chen Stimmen, die laut geworden, die Zulaſſung ei¬ niger Glieder des Adels tadelten, ſo bewieſen ſie da¬ durch, daß ſie im Getriebe der Zeit, durch die ſie ſich durchgewunden, zwar den Sinn für Recht gar ſehr geſchärft, das Gefühl für die natürliche Billig¬ keit aber, in demſelben Verhältniſſe verloren hatten. Dasſelbe erwies ſich in dem größtentheils unvernünftigen Geſchrey, das man gegen den Schritt, den der niederlän¬ diſche Adel in wohlmeinender und lauterer Abſicht für ſich gethan, ſo wie gegen die Schrift, die er bey dieſer Gelegenheit dem Kanzler übergab, erhoben. Da man die Billigkeit der Geſinnungen, die er in jener Schrift an Tag gelegt, nicht anfechten konnte; verkroch ſich der Argwohn hinter einen vorgeblichen Myſtizism im Style, der das geheime Arg verbergen ſollte; und indem man mit republicaniſchem Stolze den Beyſtand einer Körperſchaft ausgeſchlagen, die nie mehr bey uns der gemeinen Freyheit gefährlich werden mag, hatte man zugleich, übereilt verzichtend auf das alte Recht, das ihre, wie die Anſprüche des dritten Stan¬ des begründete, ſich allein der Gnade auf Discretion hingegeben; und da man ſelbſt nicht Billigkeit geübt, auch des Anſpruchs auf gleiche Billigkeit von Seite der anderwärts mächtigern Ariſtocratie ſich begeben.

Von jenem Augenblicke an begründete ſich inzwi¬ ſchen in der Meinung der Glaube von einem wirklich eingetretenen Rückſchritt in den Grundſätzen der Re¬ gierung, und alles, was ſeither geſchah, mußte die¬ ſem Glauben Nahrung geben. Die Gründung der Uni¬ verſität von Bonn und der vielverſprechende Ausgang der Arbeiten der Immediat-Juſtiz-Commiſſion wurde72 der Regierung gern mit freudigem Muthe verdankt; aber die widrigen Eindrücke der Finanzoperationen, die nun erfolgt, mußten bald dieſe günſtige Stim¬ mung wieder niederdrücken. Als verhaßte Steuern, die darum das Proviſorium abgeſchafft, der Reihe nach wiederkehrten; als die Mauth, die man allen¬ falls gegen das Ausland gefordert, auch gegen das Binnenland den Verkehr unterbrach, und die Grenz¬ orte vielfältig drückte und bedrängte; als eine Brannt¬ weinſteuer drey Viertheile des Preiſes vom Product verlangte, und durch das nun erfolgte Einſtellen der Fabrication die Landwirthſchaft zerrüttete; und eine Moſt-Abgabe, die im Durchſchnitt fünffache Grund¬ ſteuer von dem verarmten Winzer forderte, daß die¬ ſer zur Drohung ſich genöthigt ſah, die Weinſtöcke auszuhauen, wenn man darauf beharre; als von aller Liberalität früherer Jahre nichts als ein über alle Verhältniſſe geſpanntes Kriegsgeſetz übrig geblieben, das unter dem Vorwande hoher Ideen die ganze Be¬ völkerung ohne Ausnahme dienſtpflichtig macht: da mußte die Oppoſition nothwendig durch die ganze Maſſe des Volkes ſich verbreiten, und da es das Gute bittweiſe nicht erlangt, mußte es wenigſtens proteſtirend das Uebel von ſich abzuwenden ſuchen. Und als nun die Orts-Regierungen, nachdem ſie amtlich erwieſen, daß die Provinz ſchon mit ihren bisherigen Abgaben die verlangten vier Thaler auf die Seele wirklich entrich¬ tete, nicht umhin gekonnt, die Einführung der neuen Steuern als abſolut unmöglich zu erklären, und der Miniſter nun dem Stadtrathe von Coblenz, die in ſei¬ ner Proteſtation kundgegebne Kleinlichkeit der ſtaats¬73 wirthſchaftlichen Anſichten verwies, und mit dem bal¬ digen Eintreffen noch anderer Steuern ihn vertröſtete; da bewunderte man allerdings die ſtrenge Conſequenz eines Syſtemes, das ad absurdum getrieben, ſich doch in keine Weiſe verwirren läßt: aber man fühlte, daß es die höchſte Zeit ſey, daß eine Verfaſſung dieſer gleichmüthigen Stoa Gränzen ſetze.

Außer dieſen politiſchen Verhältniſſen wirkten noch Andere einer höheren Art nachtheilig auf die Stimmung, wie im ganzen übrigen katholiſchen Teutſch¬ land im Allgemeinen, ſo auch am Rheine, am mei¬ ſten in Weſtphalen. Es war dies der Zuſtand der Kirche, und die ſchmähliche Unterjochung, mit der man ſie bedrohte. Seit der Säkularfeyer der Refor¬ mation hatte ſichtlich, ein zwar längſt ſchon vorhand¬ ner Uebermuth, im proteſtantiſchen Teutſchland ſich zu einem beynahe unerträglichen Grad geſteigert, und es konnte nicht fehlen, daß dieſer wie immer und überall eine gleich ſtarke Rückwirkung hervorrufen mußte. Nicht zwar hat der rechte, fromme und beſcheidne Proteſtantismus, der in Demuth vor den Pforten jenes verſchloſſenen Reiches ſteht, das die nicht wi߬ baren Dinge in ſich beſchließt, und der wenn er auch ſelbſt nur an das geſchriebene Wort ſich hält, doch darum dem Durchſchnittsglauben aller Zeiten und Jahrhunderte, an den ſich überdem der Catholizism bindet, nicht höhniſch als etwas in ſich Unſinniges und Verwerfliches niedertritt; nicht dieſer hat an ſol¬ chem Beginnen Theil genommen, er zeigt ſich viel¬ mehr gerade in dem Verhältniß, wie er reiner, lau¬ terer Ueberzeugung Raum gegeben, und in Freyheit74 bis zur Tiefe der Dinge vorgedrungen, um ſo über¬ einſtimmender mit jenem Gemeinſamen; weil das Be¬ ſondere in innerſter Wurzel nothwendig mit dem Ge¬ ſammten verbunden iſt, und aus der Tiefe, wenn bei¬ derſeits die Schlacken abgehoben, uns derſelbe Sil¬ berblick entgegengeleuchtet, ſo daß in dieſer Hinſicht Proteſtantismus und Catholizismus nur wie Integral - und Differenzialrechnung ſich verhalten.

Aber es iſt auch hier jener dünkelvolle Geiſt, der, unfähig auch nur an ſeiner Naturſeite die Bande der Schwere durchzuſchneiden, ſich doch nach innen vom Hiſtoriſchen loszureißen vermißt; der nicht ſich am Ganzen zu prüfen und zu gewähren ſich begnügt, oder auch das Ganze an den ewigen Geſetzen, die ſein Inneres beſchließt, ſondern in hoffärtigem Abfall ſich allein auf das Vergängliche, Fließende, Richtige ſetzt, und nun aus der allerſeichteſten Weltbetrachtung her¬ vor, ſeine Einbildungen, ſeine Eitelkeiten und Leiden¬ ſchaften für große, gute Weltgeſetze hält, und ſich an dem Kreuzweg niederläßt, um die Geſchichte zu be¬ lehren, die mit ihren Sonnenroſſen, ohne das Stäub¬ chen zu bemerken, das in ihrem Strahle ſpielt, vor¬ überfährt. Von dieſem Geiſte iſt das Geſchrey aus¬ gegangen, das von jenſeits her erſchallt: der Catho¬ licismus, in ſich ſelbſt todt und erſtorben, habe nur vergeſſen ſich begraben zu laſſen; ſeine Dogmatik ſey unhaltbar ja gänzlich unvernünftig; ſeine Unfehlbar¬ keit der Kirche ſey die wahre Leibeigenſchaft der Gei¬ ſter; und ſeine Hierarchie, das Werk nichtswürdiger Pfaffenkünſte, eine unerträgliche Tyranney, und es erbietet die eifernde Liebe ſich nun mitleidsvoll, mit75 zur Leiche zu gehen, um dem Verblichenen die letzte Ehre zu bezeugen; dann aber zu brechen die ſchimpf¬ liche Kettenlaſt, und auszuziehen gemeinſamer Hand, und zu ſtürzen die Tyrannen.

Darum wird mit denſelben Gründen, wie früher der Fürſtenbund gegen die längſt zum Schatten ge¬ wordne Kaiſerliche Macht, ſo jetzt ein gleicher Bund gegen den Papſt, den Tyrannen der Chriſtenheit, ge¬ predigt, deſſen geiſtliche Gewalt ohngefähr auf glei¬ cher Linie, wie damals jene Weltliche ſich befindet. Wenn die Catholiſchen zu ſolchem Beginnen achſel¬ zuckend ſchweigen, dann wird auf die Jeſuiten hinge¬ deutet, die ein furchtbares Phantom von der Schweiz herüberdrohen; proteſtantiſche Zeloten karren in den Oppoſitions - und ähnlichen Blättern allen Unrath alter Zeit, und was die Päpſte je Schlechtes und Arges unternommen, in einen Haufen aufeinander; riechen nach Art jener früheren Berliner Zionswächter in allen Richtungen nach geheimen Umtrieben, und verläſtern und verklatſchen ehrliche Leute, die ihren Glauben und ihre Ueberzeugung vertheidigen. Damit auch hier ſich jene vortreffliche Liberalität bewähre, die der Gewalt Alles einräumt, wenn ſie ſich nur mit ihren Formeln und Privatintereſſen abzufinden weiß, wurde proclamirt: der Satz der einen proteſtantiſchen Kirche, der Fürſt ſey erſter Biſchof in ſeinem Lande, müſſe auch auf die proteſtantiſchen Regierungen unterworfene Catho¬ liſche ausgedehnt werden, damit dieſer, ſchon Oberfeld¬ herr, Oberrichter, Oberpolizeydirektor, Grundeigen¬ thümer des Landes, deſſen Bebauer bey ihm zu Pachte gehen, nun auch als pontifex maximus über die Ge¬76 wiſſen zu Rechte ſitze, um allenfalls wie Heinrich VIII, dem Parlamentsbeſchluſſe nach der Beſchützer und das Oberhaupt der Kirche von England, in Wahrheit aber ihr Tyran, Bedränger und Plünderer, ſogenannte Con¬ vocationen, Bills der ſechs Punkte, Anweiſungen für chriſtliche Menſchen zu belieben; und nach ſeinem Beyſpiel, wenn etwa der Fanatism wieder erwacht, die dem Papſt anhängen zu verbrennen, die ihm ab¬ geſagt, aber zu rädern. Darum das Geſchrey gegen das Bayeriſche Concordat, an dem am meiſten die Einräumungen, die es dem Staate macht, zu tadeln ſind; darum die zärtliche Liebe für Weſſenberg, der für ſich ein wohlmeinender Mann ſeyn mag, aber ſchon darum Unrecht hat, weil er um eine unlautere Sache und ſchlechtbegründete Anſprüche gegen die Curie durchzuſetzen, hinter die weltliche Macht ſich flüchtet, und alſo indem er die Freyheit der Kirche zu verthei¬ digen vorgiebt, ſie wirklich an die Souverainität verräth.

Der Argwohn, den jene übelverhüllten Plane in den Gemüthern ſchon erregt, verſtärkte ſich bedeu¬ tend, als jene Concordatencommiſſion von proteſtan¬ tiſchen Fürſten, großentheils mit Proteſtanten beſchickt, ſich eröffnete, und jene Antrittsrede des Miniſters von Wangenheim, die innern Verhältniſſe der katholiſchen Kirche, und ihre künftigen Beziehungen zum Papſte in dieſer Synode zu ordnen, Hoffnung machte; als eine Zeitung Propoſitionen ausgeſchwatzt, die bey die¬ ſer Erörterung als Grundlage dienen ſollten, und die damit begannen, den Papſt vorerſt aller Funktionen ſeines Primates zu entheben, und ihn wieder zu dem Fiſchergewerbe zurückzuweiſen, das ſein erſter Vorgänger77 der Apoſtel verlaſſen hatte, um dem Herren zu fol¬ gen; als man endlich weiterhin erfuhr, wie ſchon aus einem benachbarten Lande das Aufhebungsdecret des Cölibates bis zur Unterzeichnung rein mundirt, bey den Akten eingelaufen, ſeine Vollziehung aber von einem der berathenden Höfe nur der Wittwengehalte wegen abgerathen worden. Das alles mußte den widrig¬ ſten Einfluß auf die Meinung äußern, obgleich die Reſul¬ tate dieſer Commiſſion wenigſtens diejenigen beruhigten, denen ſie bekannt geworden, indem man vollkommen die Ausdehnung des Wahlrechts auf die untere Geiſtlichkeit in den Dekanen billigen mußte; nicht minder auch den Grund¬ ſatz, daß angeklagte Biſchöfe von einem Pairsgerichte Recht nehmen ſollten; übrigens aber ſich verſichert hielt, daß die Curie ihrem Rechte, bey ſolchen Gerichten einen Delegir¬ ten zu haben, der das öffentliche Miniſterium zu vertreten berufen ſey, nicht vergeben werde; noch dulden den Bruch, der mit Abſchaffung der Erzbiſchöfe, durch kleinliche Eiferſucht der weltlichen Souverainität ge¬ trieben, in die Hierarchie geſchehen; noch weniger aber jemals, proteſtantiſchen Fürſten das Ernennungs¬ recht katholiſcher Biſchöfe zu geſtatten, ſich vergeſſen werde.

Preußen, mehr als vier Millionen Catholiſche in ſei¬ nem Umkreis hegend, war jenem Vereine nicht bey¬ getreten, und man deutete die Weigerung dahin, daß es auch hier, an Liberalität ſich übertreffen zu laſſen, nicht geſonnen ſey. Der König hatte beſtimmte Ver¬ ſprechungen bey der Beſitznahme geleiſtet; der Kanz¬ ler hatte ſie in jener Audienz wiederholt; auch hatte man die Wiedereinräumung des Wahlrechts, die das78 Kapitel von Münſter erlangt, als ein Pfand der Er¬ füllung angenommen. Allein auch hier geſchah gerade ſo viel wie im Verfaſſungswerke; die Kirche blieb zum Aergerniß aller Menſchen in ſtärkerem Verfall, als ſie je unter franzöſiſcher Herrſchaft geweſen, und auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬ wieſen. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬ ſchrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche Reden von Frömmigkeit und chriſtlicher Tugend hat¬ ten zum Theil den alten diplomatiſchen Canzleyſtyl verdrängt: aber die Regel des Chriſtenthums, Jedem zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht nach außen, ſo jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬ ten Domänen, die ärmlichen Reſte des großen Rau¬ bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der Landesſchuld, und die einzige mögliche Dotation der Kirche wurde trotz aller Proteſtation zum Ver¬ kaufe ausgeſetzt; das ganze Staats-Miniſterium, un¬ eingedenk der königlichen Schuld, unterſchrieb den Antrag zur Veräußerung, gleichſam als könne die Unterſchrift Vieler der Handlung einen rechtlichern Character geben, und als werde, was unchriſtlich iſt, chriſtlich dadurch, daß Mehrere ſich in dieſelbe Sünde theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophiſten, die dieſe Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬ walt verſchreiben, lehrte, nur wenn die Diener der Kirche beym Staate als Beamten den Gnadentiſch ge¬ nöſſen, könne dieſer ſich Ruhe und Sicherheit ver¬ ſprechen; Domänen reizten überdem die Raubſucht des Feindes, und man thue beſſer darum, das Land von ſo angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie79 man kürzlich von Paris rückgekehrte Urkunden und Manuſcripte, die der Provinz angehören, unter dem Vorwande der Unſicherheit nach der Hauptſtadt ge¬ bracht.

Als aber nun auch ſpäterhin ohne alle Zuziehung der Betheiligten geiſtliche Stiftungen aufgehoben wur¬ den; als während die reformirte Kirche des Landes ihre Freyheit mit Mühe gegen das Miniſterium ver¬ theidigte, die Regierungen in der Frage über die ge¬ miſchten Ehen, die allein mit dem Pabſte auszuma¬ chen iſt, die katholiſche Geiſtlichkeit mit Gewalt zu ihrer Anſicht zu nöthigen verſucht; als eine derſelben im Eifer des Streites die Pfarrer ſogar unter die Polizeyaufſicht der Bürgermeiſter geſetzt; und eine Cabi¬ nettsordre den Clerus, der nichts als ſeine Pflicht gethan, der Intoleranz beſchuldigte; als mancherley ſonſtige Umtriebe, Anklagen, Zurückſetzungen im Ein¬ zelnen offenkundig wurden: da war die Meinung ſchnell verſtändigt über die Parthey, die hier zu nehmen war, und ſie erklärte ſich einſtimmig für den Clerus, und dieſer gedeckt hinter zwiefachem Schilde, blieb unerſchüttert. Die Regierung zog ſich nun zwar in die allgemeine Negativität der Zeit zurück; aber der Arg¬ wohn war geweckt, und jene Stimmung der Catho¬ liſchen, die immer dem Hiſtoriſchen zugewendet, allein noch ſchmeidigen konnte jenen politiſchen Sinn, den wir dem der reformirten Confeſſion verglichen, war nun, erbittert in ſich ſelber, zum neuen Ferment in der Gährung der Zeit geworden.

Dieſe Gährung hat am lauteſten im Reich der Schrift ſich kund gethan. Seit Preußen die öffentli¬80 chen Blätter einer furchtſamen, zaghaften, kleinlichen Cenſur untergeben, die nicht einmal den weſtphäliſchen Anzeiger ertragen konnte, ſuchte die nach Freyheit ſtrebende Gedankenäußerung ſich ein anderes Aſyl. Sie fand dieſen Zufluchtsort in der Weimariſchen Ver¬ faſſung, und der darin als Grundgeſetz feſtgeſetzten Aufhebung der Cenſur. Dieſe Verfaſſung, die bey den dortigen beſchränkten Verhältniſſen, außer etwa in der Entlaſſung des ſtehenden Soldaten, da man ihn bald mit dem Aufwand eines koſtbaren Hofes in ſo kleinem Lande unverträglich fand, ſonſt nichts Bedeu¬ tendes bis zu dieſer Stunde hervorgebracht, hatte von dieſer Seite für ganz Teutſchland eine Wichtigkeit ge¬ wonnen. Es begann ſogleich von da aus der kleine Krieg der ſich emanzipirenden Zeit mit jener Staats¬ polizey, die ſie mit aller Macht und Ohnmacht in ih¬ rer Haft zurückzuhalten ſich bemüht. Während die Iſis, ſchüttelnd das Siſtrum der elementariſchen Na¬ tur, die Hyeroglyphen des thieriſchen Lebens deu¬ tete, neben ihr aber der geyerköpfige Oſiris ſcharf die Geißel ſchwang über jegliche Ungebühr, und der Latrator Anubis mit Huth wahrnahm der Pforte des Geiſterreichs, daß die Gewalt ſich nicht eindränge mit Ueberfall; während die Nemeſis des Maaßes zu achten ſich bemühte und der Regel, und obgleich mit ſtets abnehmender Energie manches Gute, be¬ ſonders in den höheren Kreiſen pflanzte; während der Patriot oft ſehr einſeitige Meinungen mit Ver¬ ſtand, Entſchloſſenheit und Geſchick vertheidigte, fie¬ len antwortend ihrem lauten Rufe andere Stimmen ein, die aus den Gebirgen der Schweiz, durch Wür¬temberg81temberg gegen die Donau hin ertönten, wo die allge¬ meine Zeitung nicht unergötzlich den Markt von Plun¬ dersweiler bey ſich eröffnete, auf dem Käufer und Verkäufer, Marktſchreyer und Zigeuner, wackere Leute und alles Lumpenvolk ſich durcheinander treiben, je¬ doch Alles unter ſcharfer Polizey der Ortsobrigkeit; dann vom Oberrheine, in lichten Geiſtesblitzen wetter¬ leuchtend, den Mayn hinauf laufend ſich ergoſſen, und im Süden lauten Wuf erhoben; während der ſtumme Norden ton - und klanglos lag, und allein die freyen Städte, Bremen, nur einmal wankend und zagend, und Hamburg, wo der Beobachter in Maaß und Zahl die maaßloſe Zeit zu faſſen ſtrebte, ſeine Ehre noch einigermaaßen zu retten ſich bemühten. Alle zuſammen bildeten einen Chorus, der zwar nicht immer harmoniſch zuſammenſtimmte, und in den Geſetzen des Silbenmaßes ſich bewegte; aber doch den Helden, die auf dem Cothurne die Bühne im tragiſchen Schritt beſchreiten, mit ſtarkem Zuruf manche heilſame practiſche Lebensregel, manche gute Wahrheit, die ihnen entfallen war, manchen nützli¬ chen Rath, den ſie verachtet hatten, wieder in's Ge¬ dächtniß brachte.

Aber dieſer Chor, der ſich, längſt von der moder¬ nen Bühne vertrieben, die ſtatt ſeiner die Vertrau¬ ten und die Kammerherren aufgenommen, ſo unge¬ bethen wieder aufgedrungen, und die drey Einheiten ohne die Rückſichten der feinen Lebensart, vorüber¬ gieng, wurde wenig dort beliebt, und nur eine Zeit lang mit Ungeduld ertragen. Die grauſame Phili¬ ſterey, die an den teutſchen Höfen herrſcht, ver¬682band ſich bald zur Abſchaffung der verhaßten Neue¬ rung; und ſo wurden jene diplomatiſchen Feld¬ züge gegen die Zeitungsſchreiber angelegt, in denen, wie in den großen Treibjagden das Edelthier ſo lange mit Hunden gehetzt, mit Hallohruf geängſtigt, von den verfolgenden Jägern getrieben wird, bis es end¬ lich athemlos niederſtürzt, oder ſich in Waſſer und Sümpfe zu werfen genöthigt ſieht. Ein ſolcher Sumpf war da, wo die Cenſurfreyheit kürzlich gegeben ward, für die geängſtigten Schriftſteller, die teutſche Rechts¬ form; die Hitzigſten, wenn ſie in dieſem Schlammbad eine kleine Zeit verweilt, fanden ſich bald hinlänglich abgekühlt, um nicht länger mehr mit allzu großem Eifer in Sachen des Vaterlandes ſich abzumühen; und die teutſche Schöffenjury wüthete in ſchönen Re¬ defiguren mit Blitz und Feuer gegen jene, die dem Tode auf naſſem Wege entgangen waren. Zuletzt wurde, damit auch dort jene höfiſche Liberalität der Welt zum Geſpötte würde, die unbequeme Weitläuf¬ tigkeit aller conſtitutionellen Formen auf Seite ge¬ ſchoben, und Oken, nachdem man ihm die Wahl zwiſchen dem Strang für ſich oder ſeine Iſis freyge¬ laſſen, zuletzt ſammt ihr franc und frey abgethan.

Solches Schickſal im Geiſte vorausſehend, hatten Andere, ſich ſelber allzu werth, um ſich in ſolcher Weiſe der Wuth der empörten Elemente auszuſetzen, klüglich den beſſern Theil gewählt, und mit der Ge¬ walt auf glimpflichem Wege zu wechſelſeitiger Befrie¬ digung ſich abgefunden. In allgemeinen Redensar¬ ten von Freyheit und liberalen Geſinnungen zu reden, in der Ausübung aber jede despotiſche83 Gewaltthat, und jede ſchlechte Inſtitution zu be¬ ſchönigen und zu rechtfertigen, das ſchien etwas, was ſchon der Zeit, die aus allen Fugen ge¬ treten, zuzulaſſen war. Alle Helden des Plutarch auf der Parade aufzuführen, war ſchon erlaubt; aber mit dem Vorbehalt, Jeden, der ſie etwa nach¬ ahmen wollte, als Verrückten zu erklären. Dem Adel Böſes nachzuſagen, in geiſtlichen Angelegenheiten mit kühner Aufklärung zu ſprechen, die Jeſuiten ſchnöde zu behandeln, vom Mittelalter ſchlecht zu reden, das Feudalunweſen zu ſchelten nach Herzensluſt, die Ultras in Frankreich übel anzulaſſen und ihre Thorheit aus¬ zulegen nach Gebühr, den Myſtizism in ſeiner Blöße darzuſtellen, zu ſchelten über böſe Leidenſchaften und Halbheit der Geſinnungen, die es nirgendwo zu etwas Gedeihlichem kommen laſſen, über die Mißgriffe des Königs von Spanien ſich ſtark und mit Freymuth zu erklären, und von Zeit zu Zeit den teutſchen Jon Bull anzuſtechen; das iſt der liberale Turnplatz, den ſie ſich zum Tummeln vorbehalten. Dagegen zeigen ſie ſich willig, mit dem Mantel der Liebe die ſchnödeſte Willkühr des Brodherrn zuzudecken; Ihm jede Aus¬ nahme von den erhabenſten Grundſätzen huldreichſt einzuräumen, und alle ſeine Fehden auszufechten wie die Ihrigen. Auf dieſe Bedingungen werden dann Caperbriefe auf die benachbarten Regierungen ausge¬ theilt, bis dieſe die Schwäche haben, und zur Auslöſung ſich verſtehen, wo dann ein Mandat ausgeht, fortan ſey es illiberal und der teut¬ ſchen Sache nachtheilig, die bisher Geſcholtene fer¬ ner im Schimpfe anzugehen. Schmarotzer der Für¬6 *84ſten, Verdreher der Wahrheit, Tartüffe in der Po¬ litik, freche Sophiſten, die den Gedanken bey Hof zu Lehne geben, wie ſie auch der Kirche angemuthet, ſind dieſe Schalksknechte hin und wieder über Teutſch¬ land her verbreitet: ſie kennen ſich und loben ſich, und helfen ſich einander, und falſche Freunde der Sache, ſind ſie gefährlicher als ihre offnen Feinde, weil ſie das Volk verwirren und blenden durch den Schiller, in dem ſie unaufhörlich wechſeln.

Die Meinung, gleich ſehr entrüſtet über das Ver¬ fälſchen der einfachen Wahrheit, das Dieſe ſich erlau¬ ben, wie über die Unterdrückung die Andre verſuchen, hat ſich daher vom geſchriebnen Worte mehr gegen die lebendige Rede, und die Tradition hin gewendet. Bey der regen Bewegung, die die Geſellſchaft jetzt ergrif¬ fen hat; bey dem lebhaften Umtauſch der Gedanken, und bey dem ſtarken Verkehr, der leicht das Ent¬ fernteſte miteinander in Beziehung bringt, iſt das öf¬ fentliche Leben wie durchſichtig geworden bis zur Mitte hin; und die Geiſter berühren ſich in dieſem Medium ſo nahe, daß ſie gleichſam eine leitende Kette ziehen, durch die die Idee dem Blitze gleich in allen Richtungen leicht von einem Ende zum Andern ſchlägt. Darum bleibt der Tradition nichts verborgen, was irgendwo geſchieht; da Alle die Schmach fühlen, die auf dem Ganzen ruht, und jeder ſie dem Andern zuwälzen möchte, ſo iſt es immer der Eine, der die Ehre des Andern laut verkündigt, um ſich dann wie¬ der des gleichen Liebesdienſtes bald zu erfreuen. So wird das Urtheil über Dinge und Perſonen durch Thatſachen begründet; anfangs wohl leichtſinnig auf¬85 genommen, bald aber durch mehrſeitige Anſicht be¬ richtigt, und nach Befund gemildert oder noch geſchärft, bleibt es ſelten auf die Dauer ungerecht, wenn auch, nach Art der oft getäuſchten zum höchſten erbitterten Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne.

In dieſem ſcharfen Todtengericht der Lebenden ſind alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle ſchöne Phraſen werden der damit verkleideten Wahr¬ heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel, in den weiten Mantel der menſchlichen Eitelkeit ge¬ ſchlagen, ſind gezeichnet mit den Namen, die das Urtheil ihnen zugeſprochen; Thaten und Begebenheiten, die ſich im Verborgenen glauben, ſind vor aller Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten ſind ſelten da¬ von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewiſ¬ ſen ſie dunkel mahnt, und ſie nun eine Gegenrede ohne vorhergegangene Aufforderung verſuchen. Dieſe Vehm wird härter und ſchärfer in dem Maaße, wie die Preſſe mehr gefeſſelt oder vergiftet wird, und zwar größentheils zum Nachtheil deren, die dieſen Zwang oder die Verfälſchung üben, und ſich nun nicht ein¬ mal vertheidigen können. So manche Ereigniſſe, die unerklärlich ſcheinen, laſſen nur durch die Kenntniß dieſer überlieferten Volksmeinung ſich deuten und be¬ greiflich machen.

Unter den verſchiednen Bewegungen aber, die die bisher berührten Begebenheiten und Ereigniſſe veranlaßt hatten, theilten ſich die ſogenannten Libe¬ ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬ gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines beſſern, würdigern Zuſtandes in Teutſchland einver¬86 ſtanden waren, ohne ſich über die Wege, um dahin zu gelangen, näher zu verſtändigen, in zwey Haupt¬ partheyen. Die Eine, die ſogenannte Hiſtoriſche erkannte, daß ehemals ein beſſerer Zuſtand Teutſch¬ lands in der Wirklichkeit beſtanden, wo es in ſich geeint unter einem Schirmvogte, und wieder getheilt in Glieder und Gliedesglieder, Landſchaften, Stände und blühende Körperſchaften in ſich geſichert, frey, kräftig und reich in eigenthümlicher Sitte, und Ein¬ richtung auf ſich ſelber ruhte, von außen geehrt, ge¬ achtet, gefürchtet und gebiethend, und leicht abweh¬ rend jede fremde Gewalt, die ſich an ihm verſuchte. Sie erkannte ferner wie, weil das Haupt dumm ge¬ worden und blöde, die Glieder aber geil und über¬ müthig, in das blühende Leben zuerſt Verwirrung und Krankheit ſich eingeſchlichen; wie bey ſtets wach¬ ſendem Mißverhältniß die Zerrüttung immer zugenom¬ men; bis ſie endlich nach der Reformation in jenen wüthenden Paroxismus ausgebrochen, der als orga¬ niſchen Fehler einen bis hierhin unheilbaren Gegen¬ ſatz in das Reich hineingetragen; eine Wunde mit geluptem, vergifteten Schwerd geſchlagen, wie jene des Titurel, an der es gleich dieſem nicht ſterbend und nicht geneſend ins zweyte und dritte Jahrhundert geſiecht, bis endlich Feindesgewalt die in ſich ausge¬ zehrte, wankende Geſtalt umgeſtürzt, unter den Fuß getreten, und an den Siegeswagen gebunden, die Entehrte, ein klägliches Schauſpiel für Götter und für Menſchen, umgeſchleift, und ihre zerſtückten Glie¬ der wie Medea die des Abſyrtus umher geſtreut.

Sie urtheilten ferner, daß, da an den Völkern die Form87 allein ſterblich iſt, und nach jedem Zerfallen der Einen ihre Wiedergeburt in Anderer erfolgen muß, auch das neu erſtehende Teutſchland nothwendig in der Eigen¬ thümlichkeit des Alten, in ſeiner Sitte und Sinnes¬ art wiedergeboren werde aus den noch vorhandnen Elementen und in dem Typus, der dieſen unbewußt noch in allen Bildungstrieben einwohne; auf daß man erkenne, daß der Väter Geiſt noch ruhe auf den En¬ keln, und nicht etwa ein neues Volk, Baſtarde der benachbarten Völkerſchaften, eingewandert und auf der Höhe von Garizim einen andern Tempel aufgebaut.

Sie urtheilten ferner, daß es darum die Aufgabe dieſer Zeiten ſey, ausſcheidend Alles was die Verderb¬ niſſe der Jahrhunderte hinzugethan; aufgebend, was im ſträflichen Abfall von der Geſchichte und der Natur der Dinge, verkehrte Eigenſucht, thörigte Eitelkeit und die Verzweiflung, beſonders der letzten zwey Jahrhunderte, ohne alle Unterlage ins Leere hin auf¬ gebaut; endlich entſagend jener blinden Selbſtſucht, die nun an einem furchtbaren Beyſpiel erfahren, wie jede Untergrabung des Allgemeinen ſich unausbleiblich am Beſondern rächt, jene Fäden die in Sitte, Sinn und Inſtitutionen noch unverkennbar mitten durch die Verwirrung laufen, wieder zuſammenzugreifen; neue da anknüpfend wo es geänderte Verhältniſſe gebieten, und alſo die getrennten Elemente wieder mit ſolchen Bändern in ein neues Ganze bindend zu verknüpfen; das Erſtorbene, wo es noch möglich ſey, wieder grünend zu machen, und die alten Lebensgeiſter wieder zu erwecken; das wahrhaft Gute was unſcheinbar unter dem Plunder unſeres öffentlichen Lebens ſich verloren,88 wieder hervorzuziehen, und ſo ein neues Teutſchland aus dem Verderben des Alten zu reſtauriren.

Die andere Parthey, die dieſer bald entgegen trat, urtheilte aus anderem Geſichtspunkt: Was ſoll uns dies alte Teutſchland, was ſollen dieſe Lappen alter Herrlichkeit, die zu ihrer Zeit gut geweſen, weil ſie auf ihre Zeit gegründet war, aber nun auf immer hingeſchwunden; was ſoll dieſer Aberglauben, der mit den Gebeinen alter Helden und Heiligen ſeinen Göz¬ zendienſt zu treiben affektirt? Was haben dieſe Ritter in unſerer Zeit zu ſuchen; ihr Geiſt iſt nicht mehr unter uns, ihre Burgen ſtehen gebrochen auf Berg und Hügel; jene alten Münſter ſind verrödet, ein an¬ derer Glaube iſt in ſie eingewandert. Jene Inſtitu¬ tionen und Landesordnungen mögen paßlich geweſen ſeyn für ihre Jahrhunderte; aber ihr Schutt und ihre Trümmer, die noch in der Geſellſchaft ſtehen ge¬ blieben, ſind ihr zur Ueberlaſt, und ihre Pergamente modern in den Archiven; was wir ſehen, iſt Leibei¬ genſchaft, Reich der Gewalt und des Aberglaubens, drückende Feudalität, und in finſterer Nacht des Mit¬ telalters umwandelnd wie im Hades, die Geſtalten einiger großen Männer, die kein Todtenopfer herauf¬ beſchwören wird. Zwey ungeheure Begebenheiten, die auch der Geſchichte angehören, haben durch eine un¬ überſteigliche Kluft von ihnen uns geſchieden, die Re¬ formation und die Revolution; ſeither iſt wirklich ein anderes Volk eingewandert, neu in Sitte, Geſinnung und Denkungsart, mit andern Rechten und Bedürf¬ niſſen; ſeither iſt eine neue Welt an die Stelle des untergegangenen Mittelalters aus den Fluten aufge¬89 taucht. Die Form wird alt, das Wandelbare kömmt und geht, aber ewig grünt das junge Leben, und wie die Zeiten fließen, und die Verhältniſſe wechſeln immerdar, ſoll jedes Geſchlecht ſich klug anbauen in den Seinigen; jede Gegenwart muß ſich auf ſich ſelber ſetzen, weil ſie am beßten weiß, was ihr frommt und dient, und nach eigenem Plane am gemächlichſten ihr Haus ſich baut. Iſt das alte Teutſchland aufgelöst, dann ſind die Dinge wieder zum Urſprung zurückge¬ kehrt, dahin wo noch kein Reich beſtanden, und die Geſchichte kann Euch wenig lehren. Wollt ihr aber bey ihr zur Schule gehen, dann nehmt die Revolution zur Lehrerin; vieler trägen Jahrhunderte Gang hat in ihr zum Kreislauf von Jahren ſich beſchleunigt; vor euern Augen iſt die Weltgeſchichte darin vorbeygegan¬ gen, und ihr habt ſie gelebt und nicht geleſen; mit Herz und Sinnen habt ihr ſie ergreifen können, da die des Mittelalters nur wie ein blaſſer Nebelfleck im Fernrohr vor Euern Augen ſteht.

Dieſer Gegenſatz iſt, nur in anderem Gebiete, derſelbe, der zwiſchen Catholizism und Proteſtantism beſteht, und darum für den, der beſcheiden forſchend in die Tiefen der Geſchichte und des eigenen Seyns vorgedrungen, und dabey die ſchlichte Einfalt des Naturſinns, und die klare von vorgefaßten Meinun¬ gen und Leidenſchaften ungetrübte Anſicht ſich bewahrt, im innerſten Grunde in ſeiner höhern Einheit leicht erkennbar. Wenn nämlich nicht geläugnet werden kann, daß jedes ſelbſtſtändige Volk neben dem, was Allen gemein, ſeine beſondere Eigenthümlichkeit beſitzt, die ſich in ſeiner Geſchichte und ſeinem ganzen Beſtande90 und Daſeyn ſpiegelt; wenn ferner jeder der dieſem Volke eigentlich angehört, den allgemeinen Stammes¬ charakter trägt, und wie er durch das äußere Band derſelben Sprache Allen ſich mitzutheilen weiß, ſo durch ein Inneres der Sympathie ſich in das Ganze hineinfühlt und denkt: ſo muß auch was jede einzelne, in ſich geläuterte und geklärte Eigenthümlichkeit ſelbſt¬ ſtändig in ſich erzeugt, nothwendig dem harmoniſch ſeyn, was die Geſchichte im Ganzen hervorgebracht; ſie wird die Geſchichte nicht verſchmähen, aber auch bewußtlos handeln in ihrem Sinne.

Andrerſeits werden die Hiſtoriſchen aus der Ge¬ ſchichte, die ſie befragen, weder die Reformation noch die Revolution ausſchließen; eben weil ſie erkennen, daß immer in jeder beſondern Geſchichte die Ganze wiederkehrt, und wie die Geſchichte der Juden und die der Griechen unter andern Umſtänden Die der Teutſchen iſt, ſo die Engliſche Revolution die Fran¬ zöſiſche. Beyde aber haben als die weſentlichſte In¬ ſtitution eine Kammer der Gemeinen herausgeworfen, gegen die eben auch das Mittelalter, in Italien ſchon unter den erſten ſchwäbiſchen Kaiſern in Teutſchland ſpäter geſtrebt; und weil es ſie nicht erlangt, darum eben hauptſächlich hat das Reich im Abfalle der Schweiz, im Kampfe der Städtebünde mit den Landesherren und dem Adel, und ſpäter im Bauernkriege ſich verbluten müſſen. Wie alſo in Gott alle Confeſſionen eins ſind, ſo beide Partheyen in der Idee des Vaterlandes und ſie ſind vereinigt geblieben, ſo lange dieſe Idee, und die Be¬ geiſterung, die ſie zur Zeit der Befreyung in den Gemü¬ thern geweckt, nachgehalten, obgleich mit ſichtbarer91 Ueberwucht des hiſtoriſchen Princips, eben weil es das den Franzoſen Feindlichſte geſchienen.

Aber die Begeiſterung wirkt nur ſtoßweiſe in der Ge¬ ſchichte und auf Augenblicke; die langen Zwiſchenräume wird ſie durch Leidenſchaften und Intereſſen fortgeführt, die, was dort nur als leichter Gegenſatz erſchien, immer weiter auseinandertreiben, bis auf den äußerſten Punk¬ ten das Entzweyte unverſöhnlich einander gegenüber¬ ſteht. Das hiſtoriſche Princip iſt eine Allgemeinheit, die in ihrem weiten Begriffe das Verſchiedenſte be¬ faßt. Hatte die beſſere Geſinnung nur das Beßte aus den ehmaligen Zeiten angeſprochen, ſo mochten die Intereſſen das Vortheilhafteſte nur brauchen; und neigten Jene mehr zu den früheren beſſern Zeiten, ſo trieben Dieſe natürlich mehr auf die Neuern, wo noch grünende Wurzeln des Eigennutzes lagen. So kamen bald alle Mißbräuche herzu, und alle Vorur¬ theile, und alles Erſtarrte und Erſtorbene nannte ſich hiſtoriſch; und ſelbſt die Zeit vor 1806 in Preußen fand ihre Liebhaber, die ſich den Freunden der alten guten Zeit zuzählten. Zu ihnen geſellten ſich zwey Claſſen, die ſich leicht in Teutſchland zu jeder guten Sache finden, und jeder leicht Meiſter werden, die Phantaſten und Pedanten; jene träumten in ihrer Weiſe vom Mittelalter, wie früher die Ritterbücher; dieſe hiengen ſich an das Starre, Todte, den öden Buchſta¬ ben als das eigentlich Urkundliche, und Hallers Buch, das zu viel Verdienſtlichem und Guten, ſchon an ſich viel Irrthümliches enthält, nach eigner Anſicht umge¬ deutet, bildete Schule unter Beiden.

Zu dieſen theoretiſchen Spielereyen kamen praktiſche92 ſtärkerverletzende Intereſſen. Unter den Inſtitutionen, die als noch wirklich beſtehend aus der früheren Ver¬ gangenheit zu uns gelangt, war die des Adels die¬ jenige, die noch die meiſte unmittelbar ins öffentliche Leben eingreiffende Wichtigkeit beſaß. Die Standes¬ herren hatten beym Congreſſe in der Bundesakte einen eignen Artikel für ſich ausgewirkt, der ſie als die am meiſten privilegirte Claſſe im Staat erklärte. Da die Territorialfürſten, die einſt ihnen ebenbürtig, ſie nun überwachſen hatten, für das Allgemeine auf dem Congreſſe und fortdauernd auf dem Bundestage nichts gethan, zu keinem Opfer ſich verſtanden, und jeder nur ſeinem Gewinne nachgegangen; ſo fanden auch ſie keinen Beruf, für ſich großmüthiger zu ſeyn, als ihre Gewaltiger; ſie beſtanden alſo auf dem, was ſie gleichfalls ihr altes Recht nannten, und deuteten den Artikel in der ihrem Vortheil günſtigſten Weiſe.

Als es aber nun zur Ausführung kam, und ihre Befriedigung im Ganzen größtentheils nur auf Ko¬ ſten der Gemeinen geſchehen konnte, erhoben dieſe heftigen Widerſpruch, und die alte Zeit, worauf jene ihre Anſprüche begründeten, wurde dieſen darum zuerſt verdächtig. Als bald die lange Reihe der übri¬ gen Privilegien und Forderungen auf den tiefern und höheren Stufen ſich dieſen angeſchloſſen, und ſo viele Fürſten zögerten mit der Erfüllung ihrer Gelöbniſſe: da ſchrieb man dem Adel, der ihr Ohr beſitzt, die Urſache dieſes Zauderns zu, mit Unrecht zum Theil, da, wenn in dieſer Hinſicht eine Klage ſtatt fand, eigentlich nur die Höflinge angeklagt werden konnten. Bey ſtets ſteigender Erbitterung mußte daher das Ver¬93 gangene einen großen Theil der Abneigung auf ſich neh¬ men, welche die Gegenwart verſchuldet hatte, und die Geſchichte erſchien bald den aufgebrachten Gemü¬ thern nur als die Rüſtkammer, aus der jede Abge¬ ſchmacktheit, jede tyranniſche Anmaßung und jede brutale oder abgefeimte Willkühr ſich nach ihrem Be¬ darfe die nöthigen Waffen holte.

Während in ſolcher Weiſe Teutſchland in ſei¬ nen verworrenen Verhältniſſen ſich abarbeitete, und alſo eine neue Umkehr und Selbſtvergeſſenheit vorbe¬ reitete; hatte Frankreich die Bühne, die mit dem Sturze Napoleons zuſammengeſtürzt, ſchnell wieder aufgerichtet, und ſtatt der großen tragiſchen Stücke aus römiſcher Kaiſerzeit, wurden nun wieder große Bürgerdramen, Henriaden mit der nöthigen Zuthat von Freyſinnigkeit mit dem beßten Ensemble aufge¬ führt. Dort ſtritten in Strophe und Gegenſtrophe Ultra's mit Liberalen ſtarken Streit; ſie theilten ſich rechts und links in Haufen und Partheyungen, die, wenn es galt in geſchicktem Manöver wieder nach der Mitte in Maſſen ſich vereinigten, und alſo, bald verbunden bald entzweyt, die Miniſter in der Hof¬ burg belagerten; und das Spiel mit Gewandheit und Geſchick ausgeführt, fieng an ihrerſeits die verdrü߬ lichen Teutſchen wieder zu ergötzen. Sie bemerkten ſo¬ gleich, daß die Ultra's wieder dieſelben Leute aus dem Mittelalter ſeyen, die von Norden herunter in ſteifen Zöpfen den Stock predigten und die Leibeigen¬ ſchaft, Preußenthum und die Heimlichkeit, und was ſonſt in der Heimath von ſolchen lieblichen Klängen ihr Ohr erfreuete; die Liberalen aber ſchienen ſo94 ziemlich ihres Gleichen; zu wollen ihren Willen, zu leiden ihre Uebel und zu kämpfen für ihre Sache. Darum leicht verſöhnlich und bald vergeſſend alte Un¬ bill, wie ſie in ihrer gutmüthigen Sinnesart ſich ge¬ ben, fiengen ſie ſchnell wieder an, dem leichten Franz¬ wein Geſchmack abzugewinnen, erſt mit Maaße und geſchämig zu ſich nehmend, um des häuslichen Ver¬ druſſes zu vergeſſen; allmählig aus Gewohnheit trin¬ kend und mit Wohlgefallen ſich berauſchend. Einmal erwärmt, fiengen ſie dann an laut zu werden, und an dem Streite mit Zuruf und Ermunterung, bald auch mit eigenen Schlägereyen Theil zu nehmen. Ob¬ gleich, wie an den Beſtand der Liberalen in Frank¬ reich zum Theil die Emancipation Teutſchlands ge¬ knüpft iſt, ſo an den der Ultra's ſeine Ruhe und Sicherheit; ſo nahmen ſie doch, uneigennützig, wie ſie ſind, ohne Bedenken entſchieden gegen die Letztere Parthey, und wünſchten mit heißen Segenswünſchen ihre gänzliche Ausrottung und Vertilgung.

Als aber die Franzoſen ſo unverhofft neu aufkei¬ mende Freundſchaftstriebe im Herzen der vom Kreuz¬ zuge heimgekehrten Teutſchen, die ſie noch alle ob des alten Schimpfes ſich aufſäßig glaubten, bemerkten; da färbte ſich ihnen die alte verblaßte Hoffnung wie¬ der grün, und ſie beſchloſſen, ſo gute Anlagen nicht unbenutzt zu laſſen, und legten wie im Times, ſo in teutſchen Blättern eigene Kanzleyen für die teutſchen Bundesangelegenheiten an; wo der Fuchs aufs Neue, freilich noch in's Unbeſtimmte, den Gänſen predigte, und ihnen ihre Erkenntlichkeit für die bewieſene Zärt¬ lichkeit bezeugte, die Liberalen alles Beyſtandes ver¬95 ſicherte, und ihr Beßtes aufs Neue vorzunehmen ver¬ ſprach, ſobald man mit ſeinen innern Angelegenhei¬ ten nur einigermaßen auf's Reine gekommen ſey.

Die Höfe Weſt-Teutſchlands, mit deren Souverai¬ nität ſich eine franzöſiſche Liberalität, die mit Napo¬ leon ſich ausgeſöhnt, beſſer vertrug als jene teutſche, die zu gründlicher Freyheit noch die verhaßte Einheit fügte; ließen dieſelbe Freyſinnigkeit, die als Landes¬ produkt Contrebande war, unter franzöſiſchem Stem¬ pel willig ein, und bereiteten der fremden Braut den Weg, und ließen ſie mit Cymbeln und Pfeiffen durch alles Land begleiten. Als die wohlbekannte ſüße Stim¬ me wieder über Berg und Auen des rheiniſchen Bun¬ des ſang und klang; da hörten ſie in ihren Löchern, die Geſellen, die damals, als der Sturm des Herren über die Zeit gegangen, in der Angſt des böſen Ge¬ wiſſens ſich verkrochen, und kamen heraus um ſich zu ſonnen, und giengen, als ſie den Zug erblickten, freudig zu Gefolge. Jene vortreffliche Gattung von Liberalen, die die Liberalität treiben, wie eine feine Lebensart, womit man fortkommt bey Groß und Klein, und Gott dienen wie dem Belial, erkannten die Gelegenheit, und faßten ſie beym fliegenden Haar. Andere, die alte fixe Jugendideen ſorgſam durch die Napoleoniſche Zeit getragen, die dann die einbre¬ chende neue Zeit einigermaßen in Verwirrung ge¬ bracht, fanden ſich im guten alten, oft hart bedräng¬ ten Glauben, wieder auf's Neue hoffend, ſchnell zu¬ recht. Zudem fanden alle Geſcheidten, und mithin die ganze Maſſe des Volkes in ſo manchen Gegenden, die noch wirklich nützliche und angemeſſne Inſtitutionen96 durch die Revolution erlangt, ſich nicht im mindeſten geneigt, ſie gegen fantaſtiſche Bilder und Hoffnungen, oder gar gegen andere fremdartige, abgeſtandene und erlahmte Einrichtungen auszutauſchen, die man ihnen aufzudringen die Miene machte.

Darum geſchah, daß die zweyte Parthey, in dem Maaße wie die von der Erſten immer mehr und mehr vor dem barbariſchen Unverſtand, der ſich entwickelte, verſtummen mußte, um ſo ſtärker Boden gewann, und, viele praktiſche Menſchen, verzweifelnd, daß je aus dem teutſchen heilloſen Unweſen; aus dieſem ſtillen, ſtockenden, grün beſchlagenen Sumpfe, in dem alles Beſſere früherer Zeiten unter Moder und Schlamm begraben liegt, etwas Gedeihliches ſich entwickeln werde, traten auf dieſe Seite; und Paris iſt nochmal auf dem Wege, die Hauptſtadt der liberalen Welt zu ſeyn, wie es vor Kurzem die der Servilen war. Wie ehmals die Höfe aus allen Landen dort in die Lehre giengen, ſo ſollen jetzt die Liberalen dort Frey¬ muth lernen; und wie die Volkshaufen in Smieth¬ field dahin blicken, ſo ſollen auch von da aus germa¬ niſche Einrichtungen nach galliſchen Sitten, Eigen¬ thümlichkeiten, Geſinnungen gerichtet werden.

Auch wir ſollen ſolche Höfe und Pairskammern er¬ langen, die wie ein befeſtigtes Lager in Mitten von Feindesland ſtehen; wozu freilich die Unſrigen, die um und um, weit und breit zu ihrer Verzweiflung in Freundes Land ſich fanden, durch reiche Saat des Haſſes, die ſie ausgeſäet und ihre künſtliche Be¬ wirthſchaftung, treulich vorgeſorgt. Auch wir ſollen uns etwa mit jener parlamentariſchen Comödie abfin¬den97den laſſen, und ſolche Kammern der Gemeinen gewinnen, die auf nichts ruhen, als den Coterien der Hauptſtadt und der Zeitungen, und in Mitten einer durch alle Ele¬ mente durchgeführten Despotie, allein die Freyheit vertreten ſollen, darum immer ſchwanken zwiſchen Auf¬ ruhr und Unterjochung, und ewig das langweilige Scherzſpiel ſpielen, die Miniſter, die ihrerſeits mit allen Seiltänzerkünſten ſich im Gleichgewichte zu hal¬ ten ſuchen, aus ihren Stellen zu vertreiben, und ſelbſt wieder vertrieben zu werden.

Zwar iſt zu hoffen, daß auch dort die Inſtitutio¬ nen mit der Zeit ſich beſſer befeſtigen werden; es haben wichtige Elemente des öffentlichen Lebens in dieſem Lande ſich entwickelt, die wir achten ſollen und ehren auch am Auslande, mit dem der Friede uns verſöhnt; es iſt vor Allem dort eine Schule aufgethan, in der weltkluge, gewandte, verſchlagene Staatsmänner ſich dem Lande bilden, die die bleichſüchtigen, zaghaften Zöglinge unſe¬ rer ſitzenden und ſchreibenden Schule leicht überliſten und düpiren: aber damit iſt für das innere Glück des Volkes zur Zeit immer noch wenig ausgerich¬ tet, und es liegen wohl noch andere Keime in dem Unſrigen, die auf eine weit fruchtbarere Weiſe ſich entfalten werden, wenn es zwar nicht in thörich¬ tem Dünkel das Fremde verſchmäht, aber auch nicht in noch thörichterer Selbſtvergeſſenheit die Eigenthüm¬ lichkeit in fremder Nachahmung ganz untergehen läßt.

Indem mit dieſen Partheyanſichten ſich zuerſt die üble Laune, dann der Unmuth, endlich die Erbitterung der Zeit verband; indem vielfältig ſich kreutzende In¬ tereſſen alles durcheinander miſchten, zu den gewöhn798lichen Mißverſtändniſſen auch die gefliſſentlichen Ent¬ ſtellungen ſich geſellten; als der böſe Argwohn, der in den Gemüthern ſich erhoben, nach und nach Alles vergiftete und verzerrte: da iſt jene furchtbare Ideen¬ verwirrung entſtanden, die die gegenwärtige Zeit be¬ zeichnet, wo niemand mehr den Andern zu verſtehen ſcheint; die Meinungen alle Striche der Windroſe durchlaufen, und aus allen Weltgegenden gegenein¬ ander blaſen; wo, wie beym Thurmbau, wenn Mör¬ tel gefordert wird, der Arbeiter Steine bringt, und Holz, wenn jener Ziegel verlangt, und mitten in der Sprachverwirrung, wie dort nach altem Scherze, nur das Wort Sack Allen gemein geblieben.

Wie der Fremde, Davouſt, jene Deputirten ange¬ fahren: Ihr habt kein Teutſchland, ich kenne nur Preußen, Bayern, Hannover u. ſ. w.; ſo iſt bey den Einhei¬ miſchen die Rede von der Einheit des Vaterlandes den Einen eine Narrheit, den Andern gar Hochverrath geworden. Der Teutſche ſey darauf angewieſen, in ſchöner Univerſalität allen Völkern anzugehören, iſt die Lehre des Tages; zugleich Schweizer, Trödeljude, La¬ kay und Klopffechter der ganzen Welt, ſoll er des Vaterlan¬ des, das ſie in Fezzen zerriſſen, nimmer gedenken unter Strafe und ſtrenger Ahndung. Alle Frazzen des Auslandes mag er um ſich hängen; als aber die Jugend verſucht, die eigne alte Sitte und Tracht zurückzuführen, da wurde es als die tollſte Teutſchthümmeley geſcholten und verhöhnt. Als jene Künſtler in Rom in eine Innung ſich brüderlich verbunden, und in gemeinſa¬ mem redlichen Streben um des Vaterlandes Ehre aus¬ zubreiten, ihre Kunſt auf die alte gute teutſche Schule99 aufgeſetzt, da wurde auch das ihnen als Myſtizism, revolutionäres Beſtreben und Rückſchritt in's dunkle Mittelalter ausgelegt; und der Hof dem ſie, ehrend das alte Kaiſerhaus, ihre Werke ausgeſtellt, verläug¬ nete ſie vor dem ſchadenfrohen Ausland, das dafür beider Theile gleich ſehr ſpottete, und ſie mußten noch obenein von proteſtantiſchen und antiken Kunſt - Zeloten in allen teutſchen Zeitungen ſich mit mitleidi¬ gem Rathe zurechtgewieſen ſehen.

Das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Leipzig iſt umgerißen, und die Handlung hat wie billig ihre Vertheidiger gefunden; da bey jeder Gränze ein ande¬ rer Patriotismus beginnt, hoffentlich bald durch eigne Mauth gehütet, ſo hat Sachſen ein unwiderſprechliches Recht auf den Seinigen. Napoleon halten ſie am Fel¬ ſen feſtgebunden, damit der alte blinde Simſon nicht etwa entrinne, und die Säulen des faulen europäiſchen Staats¬ gebändes nochmal faſſend, unter den Trümmern des Hauſes, auf dem die Caphthorim und Philiſtin ſitzen, ſie mit ſich begrabe. Seine Inſtitutionen ſtehen noch Alle wohlbehalten, ſeine Ideen ſind hochgeehrt; ſeine Münze, nur mit ſchlechtem Zuſatze legirt, iſt in Scheide¬ münze umgeprägt. Frankreich pflegt die Freyheit, die wir ihm gebracht, wir haben zum Lohne ſeine alte Dienſtbarkeit uns mit nach Hauſe genommen.

Was wir früher in der ſogenannten Begeiſterung geſprochen und gethan, ſind leicht verzeihliche Jugend¬ ſünden, bey denen unſer Gedächtniß nur mit Geſchä¬ migkeit verweilt. Die aber jetzt noch leben wollen in den Ideen dieſer Zeit; die ſtarr und eigenſinnig ſich nicht fügen mögen der Wandelbarkeit der Dinge,7*100die werden billig als tolle Narren an die Kette gelegt, ob ſie etwa noch lernen die Geſchmeidigkeit, die jene mit ſtets heiterer Stirne durch alle Schande durch¬ geführt. Die aber ſtehen eben ſo billig oben an, die wenn ſie mit dem Feinde gezettelt, und ihm jede ſich gegen die Knechtſchaft erhebende Reaktion verrathen haben, ſpäter ihr Thun mit der großen Zeit zu ent¬ ſchuldigen frech genug geweſen.

In ſolcher gänzlichen Umkehr binnen ſo kurzer Friſt aber hat ſich nothwendig der ganze Ideenkreis der be¬ dächtigen Teutſchen verwirrt, verſchoben und umge¬ kehrt. Den Einen iſt alles Hiſtoriſche ein Aberglaube; den Andern jede Vertheidigung des guten Rechts ein revolutionärer Greuel; in toller Verwirrung treiben die Meinungen durcheinander; kein Grundſatz ſteht feſt, kein Band hält die bunte Gedankenwelt in ſich zuſammen; keines knüpft was geſtern galt, an das was Morgen gelten wird; ein kurzes, ſtets kürzerwer¬ dendes Gedächtniß vergräbt das Vergangene in glück¬ liche Vergeſſenheit. Nach den Einen ſind zwar nur vortreffliche Fürſten im ganzen teutſchen Lande, aber ein verruchter Adel iſt eingewandert, der alles Ue¬ bels Urſprung, Mitte und Ende ſeine Zwingburgen wieder zu bauen denkt, um dort Wegelagerung zu üben, und ob zwar ohne Fäuſte, doch das Fauſt¬ recht zurück zu führen. Nach den Andern iſt eine Gattung Jacobiner im Reiche aufgeſtanden, die eine unterirrdiſche Revolution betreiben, und nachdem alle vornehme Hälſe abgeſchnitten, die eine und untheil¬ bare Republik errichten werden. Nicht mehr Glieder eines Leibes wollen die verſchiednen Stände ſich ver¬101 tragen; als ſeyen ſie verſchiedene Völkerſchaften, ſind ſie gegeneinander ausgezogen, und feinden ſich gehäſ¬ ſig an. Jeder für ſich baut nach eignen Anſichten und Intereſſen ſich ſeine eigne Welt und die ihm be¬ queme Verfaſſung, aber keine durchgehende Axe will das Widerſprechende vereinen. Nach dem Beyſpiele, das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer ſich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben iſt, ſo will keine Solche ſich geſtalten, weil nur Neh¬ mer, aber keine Geber zur Stelle ſind. In Mitte der Verwirrung ſchwanken die Regierungen rathlos und ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen ſich verhüllt, der irdiſche Compaß ſchwankt und trügt, die Politik iſt ausgegangen, und die Tradition hat ſie verlaſſen; was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬ auf ſie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in ihren Händen; ihre Ordnung erſcheint der Zeit wie Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬ macht als Jacobinism. Die da ſcheiden ſollten die Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬ keit, haben ſich ſelbſt unter die Streitenden gemiſcht, und indem ſie Parthey genommen, werden ſie in der Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern.

Beſonders auf die Jugend mußte dieſe Zwie¬ tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß üben. Wenn wirklich aus der Verweſung der ver¬ gangenen Welt ein neuer Geiſt bildend und neu ge¬ ſtaltend aufſteigen ſoll, dann muß er nothwendig zu¬ erſt in dem neuen Geſchlechte geboren werden, das die werdende Zeit zu beherrſchen geſendet iſt. Mag102 die abſteigende Generation in ſtiller Gewiſſenserfor¬ ſchung des Nachgenuſſes ihrer Thaten ſich erfreuen; mag ſie ihre Irrthümer beweinen, oder mit ſtarrem Eigenſinne ihre Thorheiten zu vertheidigen ſich bemü¬ hen: die Aufſteigende ſoll mit friſchem Lebensmuthe in die Geſchichte treten; keine Erfahrung der Vergan¬ genheit darf ſie verſchmähen, aber auf die Erbſchaft jener Irrthümer und Thorheiten mag ſie billig jedes Anſpruchs ſich begeben; vor Allem aber in reger Theil¬ nahme an allem Oeffentlichen ſoll ſie durch jede ge¬ wonnene Tüchtigkeit ſich zu dem Werke ſtärken, das ſie zu vollbringen berufen iſt.

Dieſem Berufe iſt die Jugend mit Ehre nachgekom¬ men, damal als es galt, die junge Freyheit mit dem Schwert zu ſchirmen, und den neugebornen Zeus gleich den Cureten und Corybanten mit Waffentanz und Erzes Klang vor dem lauernden Feind zu ber¬ gen; vom Felde zurückgekehrt, haben die Univerſitäten ihrer Viele aufgenommen, und mit der lautern Milch der Disciplinen ernährt, iſt der Geiſt erſtarkt und groß gewachſen. Darum iſt es eine Thorheit, dieſe natürliche Entwicklung anzuklagen, an ihrer Leitung allein kann die Weisheit der Alten ſich bewähren. Habt Ihr gute Geiſter heraufbeſchworen, warum fürch¬ tet Ihr Euch vor ihnen? ſind es Böſe, die Ihr zitirt, dann zahlt Ihr mit den Aengſten nur, was Ihr verſchuldet: denn ſo Ihr lauter ſeyd, vermag Satanas ſelbſt mit allen ſeinen Geſellen Euch nichts anzuhaben!

Darum that Gelaſſenheit vor Allem Noth im An¬ geſichte dieſer Jugend; aber man hat ihr Furcht ge¬ zeigt, und ſich und ihr viel Uebel damit bereitet. Als103 man bey den Gebeinen Luthers in Wittenberg den Jahrestag der Reformation gefeyert, da fuhr der Geiſt des Reformators, zürnend, daß man dieſelbe Reformation an Haupt und Gliedern, die er der Kirche angeſonnen, gutheiße, aber vom Staat, an den ſie jetzt die Zeit geſinne, abweiſen wolle, und ſo ein zweytes furchtbares Gericht über Teutſchland ziehe, auf die Wartburg, wo einige hundert Jüng¬ linge, in einer der Seinigen verwandteren Geſinnung, dieſelbe Feyer zu begehen ſich verſammelt hatten. Was am Tage in meiſt würdiger, anſtändiger Hal¬ tung vorgefallen, iſt der Welt bekannt geworden; auch wie am Abend, nach dem Vorgange des Reforma¬ tors, die Symbole der alten Knechtſchaft, und eine Anzahl Bücher, zum kleinſten Theil unſchicklich gewählt, größtentheils aber längſt von der Nation verurtheilt und gerichtet, den Flammen übergeben wurden.

Die Handlung konnte allerdings ein heilſames Nach¬ denken wecken, wie nach Verlauf dreyer Jahrhun¬ derte gleiche Verhältniſſe, die gleiche Erſcheinung zu¬ rückgebracht; man konnte an den Fehlern, die damals die herrſchende Kirche gemacht, eine warnende Lehre für die eigne Handlungsweiſe nehmen; aber gegen das Symptom der verborgenen Krankheit blind zu wüthen, mochte wenig frommen; noch wollte es ſich geziemen, mit den Jünglingen um eine That zu rech¬ ten, die nur wichtig wurde durch die Folge, die man ihr geben wollte. Aber ſtatt in beſonnener Ruhe die Sache zu nehmen, für was ſie gelten konnte; zu lo¬ ben, was des Lobes würdig war, und was mißfiel, etwa mit heiterer Ironie abzuweiſen, ließ man ſich104 durch den erſten Eindruck und das Geſchrey der ver¬ letzten Eitelkeit beherrſchen, füllte die Welt mit An¬ klagen des unerhörten Frevels, ſtellte Unterſuchungen an und Ambaſſaden, die wieder keine Folgen hatten, und weckte ſo zuerſt die Idee großer Wichtigkeit in den jungen Leuten, und zugleich war das ganze Ge¬ heimniß der Schwäche mit einemmal verrathen.

Als die Studenten beym Anblicke des heilloſen Zu¬ ſtandes, in den die Theilung das Vaterland geſetzt, wenigſtens im Univerſitätsleben dieſe Theilung zu ver¬ bannen, und die Landsmannſchaften in eine Burſchen¬ ſchaft zu vereinigen ſich bemühten: da war es wohl gerathen, wenn die Regierungen ja davon Notiz neh¬ men wollten, durch angemeſſene Einwirkung Solcher, die das Vertrauen der Jünglinge beſaßen, die Sache allmählig dahin zu lenken, daß die Landsmannſchaf¬ ten an ſich gleichfalls auf ſehr naturgemäßen Bezie¬ hungen beruhend, und darum nicht auszurotten, in die Einheit aufgenommen wurden, alſo daß das Viele die Vereinigung ſpanne, und dafür wieder die Be¬ ruhigung von ihr erhalte. Aber es ſchien, als ob das Bild der verhaßten Einheit ſchon verletze; gerade die ſchöne, ſittliche Würde und Ruhe, die ſich in der Burſchenſchaft entwickelte, ſchien mehr zu ängſtigen, als das Gegentheil, das bisher an den Landsmann¬ ſchaften beſtanden hatte; darum wurden dieſe wohl eher begünſtigt: und ſo geſchah es, daß, indem eine unheilbare Trennung zwiſchen ſie und die Unitarier kam, zu den vier Secten nur eine Fünfte ſich geſellte, die ſich nun befehden, beſonders ſeit die plumpe Behandlung der Göttinger Univerſität die dortigen105 Landsmannſchaften überall hinverſprengt, und daß alſo auch das Univerſitätsweſen zum Bilde unſerer öffent¬ lichen Verwirrung wurde, wo die Einheit, die ſich vertragen ſollte mit der Vielheit, im Kampfe mit ihr ſtreiten muß. Die Jünglinge, die Jene vertheidig¬ ten, erbittert über den Widerſtand, den ſie erfuhren; entrüſtet über die allgemeine Anfeindung, die ſie ver¬ folgte, und den lauernden Argwohn, der alle ihre Schritte bewachte, und dem ſogar der Knaben Trei¬ ben auf den Turnplätzen ein Gegenſtand des Schre¬ ckens war, zogen nun zum Theil in's Geheimniß ſich zurück. Indem ſie hier den Zuſtand des Vaterlandes überlegten, und ſich berufen glaubten, nach der Weiſe wie man ſie genommen, bald möglichſt einen Beſſern herbeyzuführen, mußte ſich in der Stille bey ihnen jener Geiſt ausbilden, der, als er in einigen Erſchei¬ nungen an den Tag getreten, die Regierungen gänz¬ lich außer Faſſung gebracht zu haben ſcheint.

Der Streit der Partheyen, der die Zeit, entzweyt, war bald auch bis zu ihnen hingedrungen, und ſie mußten die ihrige ſich wählen. Für die Jugend iſt die Geſchichte wenig nur vorhanden, und ihr Leben ſelbſt hat die eigene Geſchichte eben erſt begonnen; jener innere Sinn, der die Zukunft in der Vergan¬ genheit erblickt, iſt ihr nur erſt wenig aufgegangen, und ihr ganzes Weſen iſt nur eine friſche, volle, ſich ſelbſt kaum faſſende, überſchäumende Gegenwart, die alles, was werden ſoll, in ſich zu beſchließen glaubt. Im Bewußtſeyn ſo viel freyer, ſtrebender Kräfte iſt ſie nicht geneigt, nach dem, was einſt geweſen, ſich umzuſehen, und ſie hält ſich daher, ihrem Naturtrieb106 folgend, am liebſten zu jener idealiſtiſchen Parthey, die auf ihre eigene Hand die Welt zu geſtalten ſich be¬ müht, und wie die Spinne zugleich Webſtuhl iſt und Weberin des eignen ſelbſterzeugten Stoffes. Vermöge ihrer Stellung aber wollte auch die teutſche Jugend die Vertreterin des teutſchen Weſens ſeyn, und das erwählte Rüſtzeug um im Kampfe mit der entarteten Gegenwart die beſſere Vergangenheit zurückzuführen, und die Ehre Teutſchlands gegen Welſchland zu be¬ haupten. Indem ſie in dieſem Beſtreben der hiſtori¬ ſchen Parthey angehörte, und mit ihr Verfolgung litt, fand ſie ſich aber mit ſich ſelbſt in einen Widerſpruch geſetzt, den ſie am einfachſten dadurch zu löſen glaubte, daß ſie etwa einen Schritt weiter zurückgieng, als die Reformatoren in der Kirche gethan, durch die teutſche Geſchichte rückwärts bis zu dem Punkte hin, der im Leben des Volkes ihrer eigenen Lebensſtufe entſprach.

Die Geſchichte ſey allerdings zu ehren, war die Meinung, aber hinter ihr liege ein Naturſtaat, der gleichfalls noch zu ihr gehöre; jetzt wo alle Bande der Geſellſchaft verrottet, alle Stände verwittert ſeyen, wo das Leben und die Geſchlechter der alten Dynaſten nach und nach verſiegt, ſey ein ähnlicher Zuſtand der Dinge äußerlich zurückgekehrt, und es gelte aus eig¬ ner friſcher Natur heraus ein neues Recht zu grün¬ den. Damit war der Contrat social, nur in teutſchen Formen, zurückgekehrt; wie vor wenig Jahren die Jugend in philoſophiſchen Conſtructionen des Weltalls ſich gefallen, ſo wurden die conſtruirenden Kräfte jetzt an den geſellſchaftlichen Verhältniſſen geübt; und107 nachdem die verſchiednen Dimenſionen der Verfaſſung durchlaufen waren, befeſtigte ſich die Betrachtung end¬ lich ganz natürlich bey der Durchdringung aller in der Republik.

Unterdeſſen ſorgten die Ereigniſſe, daß es dem Eifer nicht an Reiz, der Leidenſchaft nicht an einem Stachel fehle. Frau von Krüdner, wenn auch in etwa phantaſtiſch und geſpannt in ihrer Frömmigkeit, doch wohlmeinend, liebreich, menſchlich in ihrem Thun, war von den Pfaffen verläſtert, von der Polizey ge¬ hetzt, endlich durch die Gensdarmerie von Brigade zu Brigade nach Rußland zurückgeführt, dafür daß ſie gebetet mit den Leuten, ihnen den jüngſten Tag ver¬ kündet, und dagegen die Hungernden geſpeißt und gerettet hatte. Da ſandte der Kaiſer Alexander den Kotzebue, und wenn jeder Anflug von Begeiſterung ſchon die feige Zeit in Angſt und Zittern ſetzt, ſo war dieſer, der ſchon bey ſeinem erſten Auftreten in der Jugend mit einem Capitale von Verruchtheit angefan¬ gen, womit andere Bemittelte wohl zu enden pflegen, und der ſeither zum Kaiſer alles Pöbels, aber zum Abſcheu aller Wohlgeſinnten ſich erhoben, dieſer war der Mann wie ihn ſich die Zeit gewünſcht, und wäh¬ rend Cenſuren und Gerichte jedes Wort bewachten, das zum Frommen Teutſchlands gegen das heilloſe Un¬ weſen der Zeit geredet wurde, durfte er ſich in der Mitte des Landes niederſetzen und ungeſtraft höhnen, alles was dem Volke werth und ehrwürdig geworden. Ihn hatte der Kaiſer aller Wahrſcheinlichkeit nach in unſchuldiger Abſicht ausgeſendet, daß er ihm ein Beob¬ achter und Deuter deſſen ſey, was ſich in dieſem Lande108 voll ſchwer verſtändlicher Richtungen und Beſtrebun¬ gen bewege. Aber indem er die unglücklichſte aller Wahlen zu dieſem Vorhaben getroffen, mußte ein böſer Argwohn von dem Manne dieſer Wahl auf den Zweck der Sendung ſich verbreiten.

Nur allzu ſehr wurde dieſer Verdacht beſtärkt, als jener mißbrauchend ſeinen Auftrag rechtliche Männer hämiſch verläumdete, und als die Bosheit ſich ent¬ deckt, die Ahndung des Geſetzes nicht gegen den Ver¬ läumder ſich richtete, ſondern was kaum zu glauben, gegen die Verläumdeten, weil ſie das Werk der Fin¬ ſterniß ans Tageslicht gezogen. Noch ſchärfer wurde die erzürnte Spannung, als die an ſich nicht übel gemeinte, ſpäter mit ſchamloſer Frechheit als offiziell erklärte Schrift Stourdzas in einer Weiſe von den Teutſchen und ihren Inſtitutionen ſprach, die kein Volk von einem Fremden ſich bieten laſſen darf. Der allgemeine Unwillen über dieſe Schrift und mehr noch den ſichtbaren Eindruck, den ſie in den höheren Re¬ gionen gemacht; die Entrüſtung, daſſelbe Ausland dem die Meinung die Vernichtung ſo mancher Erwartun¬ gen längſt zuzuſchreiben ſich gewöhnt, nun auch auf eine ſo empörende Weiſe die Schwäche mißbrauchend, ins Innere eingreifen zu ſehen, mußten beſonders bey der Jugend, deren Freyheiten, den letzten ärmlichen Reſt eines früheren beſſern Zuſtandes, man ſo fre¬ ventlich anzutaſten gewagt, tiefen Eindruck machen. Unter ſo viel raſchen jungen Leuten, deren ganzes Herz und alles Sinnen und Trachten dem öffentlichen Leben ſich zugewendet, mußte beynahe unausbleiblich ein Funken dieſer ſo unvorſichtig angeſchürrten Feuers¬109 brunſt zündend in das Reich dunkler Gewalten, die des Menſchen Bruſt umſchließt, herniederfahren; und die Schlafenden aus ihrer Ruhe wecken, daß der höher und höher ſich hebende täglich gereizte Grimm endlich übertrat. In Sand mußte der Durchbruch des Damms zuerſt geſchehen, und das Verderben mußte natürlich den am erſten treffen, der ſeither am geſchäftigſten ihn zu unterwühlen bemüht geweſen. Der Jüngling nahm es über ſich, ſich ſelbſt den Vollmachtsbrief zur That zu ſchreiben, und ſie mit eigner Hand auszu¬ führen; und weil ſein Maaß gefüllt war bis zum Rande, und bereit es über ſein Haupt auszugießen, wurde der, den er geſucht, in ſeine Hand gegeben; er ſelbſt aber gab der erzürnten Nemeſis das eigne Leben zur Sühne hin, nach alter Lehre, die Blut um Blut gebietet.

Wie ein Blitz ſchlug die That ins Volk; ſeit den Jahren der Erhebung war nichts mehr geſchehen, was es ergriffen hätte; was lange unverſtändlich nach Verſtändigung gerungen, hatte jetzt das Wort gefun¬ den; eine blutige That war wieder der Punkt gewor¬ den, in dem Aller Gedanken ſich verſammelten; und die Meinung war ſchnell über das Ereigniß einver¬ ſtanden: Mißbilligung der Handlung bey Billigung der Motive, erneutes Gefühl der Nähe der ewigen Gerechtigkeit in allen menſchlichen Dingen, ein helles Schlaglicht über den Zuſtand des Vaterlandes herge¬ worfen, und erneuerte lebendige Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten, waren die Reſultate der allgemeinen Bewegung, die erfolgt. Die Meinung hatte ein großes Stufenjahr zurückgelegt, ein tiefer110 Ernſt war über die Zeit gekommen, die ſeither mehr ſpielend mit den Ereigniſſen ſich abgegeben.

Dem Schlage, der die Gemüther in allen Tiefen aufgeregt, folgte bald ein Zweyter, gerade durch die ſchnelle Folge furchtbar und erſchütternd. Ein junger Mann, dem das machiavelliſtiſche Syſtem, das ſeine Heimath umſponnen hielt, längſt ein Greuel geweſen, hatte eine an ſich gutartige, ruhige aber finſter in ſich gekehrte Natur durch jenes gallenbittre Zornesfeuer zu einem Grade entzünden laſſen, daß auch er durch eine Gewaltthat jene Netze zu zerreißen bey ſich beſchloß. Er hatte den Präſidenten Ibell, in dem er den Urhe¬ ber dieſes Syſtems gefunden, zum Opfer auserſehen. Aber es iſt noch kein des Todes würdiges Verbrechen, wenn die übermüthige Kraft über die Menge, die auf geſetzlichem Wege ſich der Dienſtbarkeit erwehren kann, auch ſogar durch verwerfliche Mittel, ſich der Tiran¬ ney bemeiſtert; nur ſo viel kann von Freyheit der Maſſe zu Theile werden, als ſie zu verdienen weiß, und ge¬ waltthätige Handlungen können nimmer den Mangel des Verdienſtes erſetzen. Das war der zweyte Irr¬ thum des jungen Mannes, außer dem, den er mit Sand gemein gehabt, beide hat er mit dem Leben be¬ zahlen müſſen; an dem Angegriffenen aber iſt der To¬ desengel vorbeygegangen, grimmig hat er ihm ins ſcheue Auge hineingeblickt, und es iſt zu hoffen, daß er den Blick verſtanden, und die furchtbare Cata¬ ſtrophe zu ſeinem Seelenheile diene.

So iſt denn das Schickſal, mit dem ſie auf der Bühne ſo lange ihr Spiel getrieben, furchtbar mitten unter ſie getreten, daß das Entſetzen in ihrem Leicht¬111 ſinn ſie gefaßt, und ein tiefes Grauen vor ſeiner dun¬ keln Macht. Da ſie dem Chriſtengotte abgeſagt, iſt der alte Jehova wieder heraufgeſtiegen, der da iſt: » ein eifriger Gott, ein Rächer, zornig und von gro¬ ßer Kraft, deſſen Wege im Sturm und Wetter ſind, vor dem ein freſſend Feuer hergeht, während Dunkel unter ſeinen Füßen iſt, und der mit ſeinem Donner donnert und große Dinge thut, und doch nicht erkannt wird. « Es iſt eine furchtbare entſcheidende Stunde, wenn das erſte Blut in bürgerlichen Unruhen gefloſ¬ ſen iſt, und die erſten Opfer fallen; es iſt die Ge¬ burtsſtunde einer ganzen verhängnißvollen Zukunft, die je nachdem die guten oder böſen Sterne überwie¬ gen, ſich geſtaltet. Noch iſts ein glückbedeutend Zei¬ chen und ein Pfand, daß der Himmel immer noch Teutſchland gnädig iſt, daß nicht wie ſo oft ein kal¬ ter, nackter Frevel das Loſungswort gegeben, ſon¬ dern eine Gewaltthat, von ſonſt reinen Händen im Irrthum des Herzens ausgeübt, und die durch ihren zwiefachen Charakter noch zwey Wege der Wahl den Weg des Tages und den Weg der Finſterniß offen läßt.

Das haben die Wenigſten unter denen bedacht, die über dieſe Sache öffentlich geredet, und wieder bewie¬ ſen haben, wie tief die Weltklugheit der Schriftge¬ lehrten unter dem geſunden Sinne des Volkes ſteht. Daß die That nicht chriſtlich geweſen, darüber ſind ſicher Alle mit Steffens einverſtanden, aber Gott weckt bisweilen eine heidniſche Tugend, um jene chriſtliche Heucheley zu ſtrafen, die während ſie mit Leichtſinn ungerechte Kriege beſchließt, worin hunderttauſende von Menſchen fallen, nur dann des Chriſtenthums gedenken112 will, wenn die Flamme, der ſie von ferne mit Vergnügen zugeſehen, endlich das eigene Dach ergreift.

Man hat dem Thäter frevelhaften Hochmuth vorge¬ worfen, daß er alſo Gott und der Obrigkeit aus eig¬ ner beſchränkter, ſchwacher Perſönlichkeit ins Amt gegriffen: das iſt die rechte und wahre Anſicht für ſich und Andere, denen etwa nach ſolcher That gelüſten möchte; aber dem Thäter gegenüber nach vollbrachtem Werke ausgeſprochen, möchte der Ausſpruch in Bezug auf ihn ſelbſt nicht allzu chriſtlich ſeyn. Was würde der Sprechende erwiedern, wenn dieſer ſich etwa in ſolcher Weiſe vertheidigte: Du ſprichſt von Hoch¬ muth, ſieh dich vor, daß du nicht ſelbſt von chriſt¬ lichem Hochmuth beſeſſen ſeyeſt, bethend ich danke dir Gott, daß ich nicht bin gleich Dieſem! Glaubſt du, daß ich ſo leichtſinnig mich zu jener That ent¬ ſchloſſen, deren furchtbare Verantwortung ich gar wohl gekannt? glaubſt du, daß Gott ein Leben, ſonſt rein und fromm geführt, ſo grauſam durch kalten geiſti¬ gen Hochmuth verderben werde, und einen ſonſt lich¬ ten Geiſt ſo hart verblenden, daß er die Täuſchung einer groben Eitelkeit nicht mehr gewahre?

Kennſt du noch nicht das finſtere Reich des Ab¬ grundes, das die Natur beſchließt, glücklich du, wenn es immer beſchloſſen dir geblieben! alle ſeine dun¬ keln Mächte hat der Geiſt beſiegt, und ſie in jene Tiefe eingeſchloſſen; aber durch des Menſchen Herz gehen tiefe Brunnen nieder in ihre Finſterniß; um den Eingang drängen ſich, Freyheit ſuchend alle Lei¬ denſchaften, aber ihn hält Religion und Sitte feſt geſchloſſen und verſiegelt, und ſo lange die Pfortenim113im Beſchluſſe bleiben, ſpielt oben das heitere Leben. Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche aufgeriſſen, dann ſteigen alle Schrecken aus der Tiefe auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es faßt den Menſchen mit dämoniſcher Gewalt, und der einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬ bare Macht, die ſich gegen ihn entkettet hat. Die Nacht und alle Furien des Lebens ſteigen durch jenen Schlund herauf, der Selbſtmord und jeder blutige Frevel. Mir haben ſie den Geiſt geſendet, den jener Römer in Aſien und bey Philippi ſah, und er hat nicht ohne harten Kampf geſiegt.

Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬ geriſſen, wer hat alle Leidenſchaften losgekettet, und jene Furien herauf beſchworen? wer hat alle Brunn¬ quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬ erſt vergiftet? Als die Römer Edeſſa gewonnen, da hat¬ ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten an ſeinen Grundveſten gierig nach Schätzen wühlend, wie die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein weggeriſſen, der von den alten Magiern mit Sprüchen und heiligen Formeln beſprochen, den Abgrund beſie¬ gelt hielt, in dem ſie die Seuche beſchloſſen hatten, und dieſe verbreitete ſich ſofort durch die Oeffnung über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den dritten Theil des Menſchengeſchlechtes weg.

Ihr ſprecht vom Chriſtenthum, wer aber hat ſeine Macht zuerſt gebrochen, indem er es zum Deckmantel ſei¬ ner Habſucht und jeglicher böſen Leidenſchaft gemacht? Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in ſeiner Kirche8114und würfelt um ſein Gewand? Mit Worten höre ich ſeine Lehre viel bekennen, aber die Werke ſind nicht darnach; voll von Leuten ſeh ich den Gerichtshof ſtehen, die Recht ſuchen und Gerechtigkeit, aber kein Richter iſt vorhanden; deswegen hat das müßige Schwert von ſelber ſich an der Wand gerührt, und ein ſchuldiges Haupt getroffen. Darum und ſintemal wir denn alle Sünder ſind, ſo richtet menſchlich über eure Brüder, damit menſchlich über Euch gerichtet werde. Thut, was Euch durch göttliche und menſch¬ liche Geſetze gebothen iſt; dann wird der Abgrund ſich von ſelber ſchließen, und ich werde das letzte Schlachtopfer ſeyn, das er verſchlingt.

So ernſte, tief einſchneidende Vorgänge mußten nothwendig die angeſtrengteſte Aufmerkſamkeit der Re¬ gierungen auf ſich ziehen. Sie ſind ans Steuer des Staats geſetzt, damit ſie das Schiff lenken durch jeg¬ liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je ſtärker die Brandung ſchäumt, um ſo gelaſſener muß der Steuermann hinaus in die Bewegung ſehen; will er der wirklichen Gefahr Meiſter werden, dann darf er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das Schwanken, das den Unkundigen in Entſetzen bringt, wird ihn nicht berühren; ſelbſt das Toben des Ele¬ mentes wird er mit ſcharfem Blicke und gewandter Hand ſich dienſtbar machen, daß die Kräfte, wenn auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen. Je mehr eine Regierung von der Natur des erſten Bewegers in ſich trägt, um ſo weniger wird ſie durch die Schwingungen des Bewegten ſich irren laſſen; erblickend die Dinge von der Höhe, und gleichſam115 wie vom Firmament herab, kann die Weite des Ge¬ ſichtsfeldes und die wechſelſeitige Deckung der Ge¬ genſtände ſie nicht verwirren; faſſend die Häupter aller Elemente der Geſellſchaft, kann ſie ihrer Bewegun¬ gen leicht Meiſter werden.

Es liegt eine unverwüſtliche erhaltende Kraft in den geſelligen Verbindungen; derſelbe Inſtinkt, der ſie zuerſt geſchloſſen, wacht auch unabläßig über die Erhaltung des Beſtehenden, und keine Regierung hat nöthig, das Nichtswürdige auf Kundſchaft nach geheimen Umtrieben zu legen; da, wenn ſie nur eini¬ germaßen würdig iſt, alles Gute mit ihr in einem ge¬ heimen Einverſtändniß ſteht und nicht leicht einen Frevel, der gemeinſamer Zuſammenwirkung bedarf, im Verborgnen läßt. Darum, wenn ſie ſonſt der großen und öffentlichen Bewegungen in der Geſell¬ ſchaft Meiſterin geblieben, darf ſie, am wenigſten in Teutſchland, vor Verborgenen zittern, und ihre ge¬ laſſene Aufmerkſamkeit und ihr behendes Eingreifen, wo es Noth thut, dadurch auch um ein Kleines von ihrem Wege ablenken laſſen. Jeden Uebelgeſinn¬ ten wird ſie bey der That erwarten, zuvorkommend oder ahndend, wenn es mit jenem nicht gelungen. In dieſer Kunſt iſt vor den Andern die engliſche Regierung mu¬ ſterhaft geweſen; die Teutſchen haben kaum die erſten Anfangsgründe begriffen, und was bey jener Gele¬ genheit in Preußen vorgefallen, hat leider einen neuen Beweis dazu geliefert.

Wie es ſcheint, iſt ſeit Jahren in Berlin, durch Oertlichkeit, Waſſer, Luft und irgend eine geiſtige In¬ fluenza begründet, eine Geſpenſterſeherey endemiſch8*116worden, die ſchon früher in unſchuldigern Dingen manchen lächerlichen Auftritt hervorgebracht. Die Re¬ gierung ſeit lange ſchon beunruhigt durch jene Viſio¬ näre, auf die ſie ſeit der Wartburger Geſchichte we¬ niger geachtet hatte, aber jetzt wie es ſcheint, außer Faſſung gebracht durch die Vorgänge der jüngſten Tage, hatte, um ſich Licht zu verſchaffen in dieſen Dingen, eine Art von Heilsausſchuß mit unbeſchränk¬ ter Vollmacht zu jeder Inquiſition niedergeſetzt. Die¬ ſer, ſtatt auf analytiſchem Wege mit ruhigem Gelaſſe die offenliegenden Thatſachen, wofern es ſich möglich zeigte, unter ſich und mit andern Geheimen durch ein geſchickt geknüpftes Gewebe von Beweiſen zu verbin¬ den, und durch allmählige Induction von Wirkung zur Urſache und durch alle hindurch zur Erſten, wenn eine Solche vorhanden iſt, aufzuſteigen; zog in genialer Art den Synthetiſchen ſolcher Mühſeligkeit vor, in¬ dem ſie das Geſuchte gleich von vorne hinein als eine unläugbare Thatſache, ein Dogma, oder wenigſtens ein Poſtulat der reinen Vernunft ſich ſelbſt und der Welt hinſetzte, und dann in einem salto mortale von ihm herab ſuchend und inquirirend in die Wirklich¬ keit ſich ſtürzte.

Darum wurde vor dem verwunderten Europa die Exiſtenz einer großen weitumgreifenden Verſchwörung auf Hochverrath, aller Orten ein des Todes würdi¬ ges Verbrechen, als das Centrum aller Bewegungen der Zeit proclamirt, die peripheriſch in jene zwey of¬ fenkundigen Todſchläge ausgegangen; um aber jene Mitte mit dieſem Umfang nun durch die Brücke ſchrift¬ licher Beweiſe in Verbindung zu ſetzen, wurden jene117 Emiſſionen von Polizeybeamten nach allen Theilen Teutſchlands dirigirt, in der ſichern Erwartung, daß, was die abſolute Anſchauung alſo geſetzt, nothwendig durch die Erfahrung ſich beſtättigen müſſe. Aber die Erfahrung bewies ſich widerſpenſtig gegen dieſe con¬ ſtruirende Metaphyſik der hohen transcendentalen Po¬ lizey; wenigſtens hat ſich, was ſeither bekannt ge¬ worden, als gänzlich unzureichend ausgewieſen, den gähnenden Schlund zu füllen.

Eine Verfaſſung, aus einer debattirenden Studen¬ tengeſellſchaft hervorgegangen, zu der ſich ſchon ein junger Mann öffentlich bekannt; nach der, wäre ſie gedruckt, vielleicht nicht hundert Menſchen aufſehen würden, und die nichts Strafbares hat, bis etwa ein Verſuch vorliegt, ſie gewaltſam einzuführen. Eine kleine Sammlung jacobiniſcher Sentenzen und Metaphern, die zum Theil Göthe und Novalis verantworten müſſen, und die aus den Tragikern aller Völker ſich leicht um's Zwanzigfache verſtärken läßt. Von einem Primaner aufgeſchriebene Redensarten eines Mannes, der ſonſt untadelhaft, nur im Sprechen vielleicht von je zu wenig Maaß gehalten, und den Erguß ſeiner bered¬ ten Zunge ſchleichender Tücke allzu unbehutſam Preis gegeben. Einige Dolche, wovon Einer aus der Zeit der teutſchen Kleidertrachten mit Zierde des Bürgers beſchrieben, was man in frommem Liebeseifer aus dem atomiſtiſchen ſtarren Seyn in ein dynamiſches Werden umdeutend, als eine Predigt über die Ver¬ zierung des Bürgers durch Mordgewehre einregiſtrirt. Einige Brieffragmente, durch die Verluſtration er¬ langt, worin junge Leute ihr Herz wechſelſeitig ſich118 ergießen, das freilich nur allzu oft des bittern Zor¬ nes voll ſeyn mag: das iſt der kärgliche Ertrag, den ſeither ſo viele gewaltthätige Handlungen abgeworfen. Unfähig zu begreifen, daß Thaten, wie ſie jene jungen Leute geübt, blos das Product einer einſamen, allein mit ſich ſelbſt zu Rath gehenden, Betrachtung ſeyn können, hat man ſich darauf geſetzt, ſie durchaus als ein Ergebniß geſelliger Verbindungen anzuſehen, und indem man wieder nach den Häuptern dieſer Verbin¬ dungen und den erſten Anſtiftern geforſcht, beynahe jeden durch ſeine Geſinnungen ausgezeichneten Mann mit Verdacht beſteckt, nicht bedenkend, daß gerade bey der Jugend jeder, der feige blos zu einem Frevel ohne eigne Theilnahme antreiben wollte, eben dadurch auf immer jedes ehrende Vertrauen bey ihr verſcher¬ zen wurde.

So hat man öffentliche Charactere, denen die Na¬ tion ihre Achtung zugewendet, die nichts gethan, was irgend einen gegründeten Verdacht rechtfertigen konnte, auf die man keine einzige wahrhafte Inzicht gehabt, aufs ſchnödeſte mißhandelt; man hat ihnen Commiſ¬ ſionen hingeſendet, die, weil ſie ſträflicher Umtriebe ver¬ dächtig ſeyen, ihre Papiere durchſuchen ſollten; dieſe nachdem ſie unbedacht alle rechtlichen Formen vorbey¬ gegangen, und der Welt ein Urtheil über den Grad der dabey aufgewendeten Beſonnenheit an Hand gege¬ ben, haben den Frieden ihres Hauſes gewaltſam ge¬ brochen, und nun eine Inquiſition über alle ihre Pa¬ piere ohne Ausnahme, bis auf die perſönlichſten Fa¬ milienangelegenheiten herab, begonnen, zu deren Vol¬ lendung nichts, als etwa eine Viviſection gefehlt, um119 die Gedanken in ihrer geheimen Werkſtätte im Ent¬ ſtehen zu belauſchen. Man hat junge Leute, die mit Shakespeare zu reden, ſchwärmen mit dem Blute, als kaltblütige Verbrecher genommen, und bey ihnen auf Geſinnungen inquirirt, die aus der verſchwiegnen Bruſt noch nicht an den Tag herausgetreten, und auf Worte vor Jahren ausgeſprochen, und ohne alle Wirkung längſt verhallt; und nachdem man dort wie hier nichts entdeckt, mit der unerhörten Maxime ſich abgefunden: man habe dadurch, daß man Verdächtiges bey ihnen geſucht, ſie ſelbſt nicht verdächtig zu machen geglaubt, eine Lehre, die den Unbeſcholtenſten Preis giebt der Mißhandlung jeder tyranniſchen Gewalt, der es ein¬ fällt, nach Dieben zu ſuchen, wo keine Diebsherberge je geweſen.

Man hat die ſpaniſche Inquiſition aufs bitterſte darum angeklagt, daß ſie ihren Schlachtopfern nie das Verbrechen nenne; wie ſoll man ein Verfahren billigen, das hypothetiſch das Verbrechen vorausſetzt, und nun die Verbrecher dazu ſucht, und nach Will¬ kühr jeden Ehrenmann der That anſchuldigt; und nach dem, wenn bey ſolchem Thun irgend von Conſe¬ quenz die Rede ſeyn könnte, der eigne Fürſt dem ge¬ mäß was er 1813 und 1814 gethan, proclamirt und verſprochen hat, als der erſte Demagog ſeines Lan¬ des verurtheilt werden müßte. Auch hat dieſe Hand¬ lungsweiſe ſchon bitter ſich gerächt; die Welt die man voll Redens über die Conſpiration gemacht, harrt auf die Beweiſe, die ſich nicht finden wollen; ganz Europa, das man zu Zeugen der That genommen, und dem man Hochverräther verſprochen hat, wartet der120 ſchuldbeladnen Sünder, und man weiß ſie nicht zu liefern. Wahrlich! wenn Preußen ſeit dem Befrey¬ ungskriege ja wieder mit ungebührlichem Hochmuth ſich vergangen, dann muß man geſtehen, daß es durch das Schickſal dafür aufs allergrauſamſte heim¬ geſucht worden. Vielleicht werden endlich einmal alle Beſſern dieſes Landes zuſammenſtehen, um eine Re¬ gierung, deren Wohlmeinen in ſo vielen Dingen ein beſſeres Schickſal wohl verdient, von ſolchen Blendwerken zu befreyen, und alle geſetzlichen Mit¬ tel die ihnen zu Gebote ſtehen, anwenden, um dem Wahnſinn einiger Menſchen Gränzen zu ſetzen, die, wenn es, wie ſie ſagen, fünf Grade in der Ver¬ ſchwörung giebt: Turner, Studenten, die da Dolche führen, Leiter, Unbekannte, die Unbekannten, die ſie ſuchen, allein ſelber ſind, und indem ſie nach der Weiſe jener ehrlichen Bürger das Haus in Brand ſtecken, um den Maushund zu verderben, wenn ſie nach den gewaltthätigſten Handlungen überall nichts ausgefunden, doch darum ihrem Argwohn nicht Gränze ſetzen, weil ſie immer wieder ſich bereden, daß ihr Bemühen nur darum fruchtlos ausgefallen, weil ſie nicht die ausgeſuchteſte Klugheit angewendet, und un¬ glücklicherweiſe bey den Unrechten nachgeforſcht. Eines aber vor Allem iſt dem beobachtenden Teutſchland in dieſer Sache aufgefallen, daß während in allem Gu¬ ten, das durch gemeinſame Zuſammenwirkung wer¬ den ſoll, Jahre ohne den mindeſten Erfolg vergehen, es hier nur wenig Tage erforderte, um von Holſtein bis Freyburg jene allgemeine Treibjagd auf die Ver¬ ſchwörer einzurichten.

121

Auf die Stimmung der Nation mußten dieſe Vorgänge den allerwidrigſten Einfluß üben. Bey der hef¬ tigen Spannung der Gemüther fehlte gerade noch ein ſo unbegreiflicher Mißgriff, um die allgemeine Empö¬ rung aller Herzen, denen an der Ehre des Vaterlan¬ des gelegen iſt, zu vollenden, und Unwille, Haß, Verachtung, Mißtrauen, und alle böſen Leidenſchaft ten, die ſchon vorher nur all zu viele Nahrung in den Ereigniſſen gefunden, bis auf einen Grad hin¬ aufzutreiben, daß ein vor vier Jahren noch mit ſpie¬ lender Hand zu löſendes Problem, die Anordnung unſerer öffentlichen Angelegenheiten, jetzt beynahe gänz¬ lich für menſchliche Kräfte unauflöslich zu werden droht. Eine Conferenz der Miniſter, die unter die¬ ſen Umſtänden in Carlsbad abgehalten wurde, ſollte nun Rath ſchaffen, wo Rath theuer worden, und zum erſtenmale verlangten die Umſtände gebieteriſch von den Diplomaten, die ſeither Alles auf negative Weiſe abgethan, poſitive Maaßregeln, auf die niemand eingerichtet iſt. Oeſterreich ſchien beſonders mit Eifer die Verſammlung zu betreiben; es hatte geglaubt, der Ruhe zu pflegen, wenn es dem unruhigen Reiche ſich entzöge, aber ſo wohlfeilen Kaufes, blos den Gewinn einſtreichend, kömmt keiner von einer hiſtoriſch gewor¬ denen Verbindung los; nachdem es über dem Ver¬ ſuche all ſeine Popularität eingebüßt, iſt nun die rechte Unruhe ihm erſt herangekommen.

Unaufhörlich ſitzt die Geſchichte zu Gericht, jetzt nach¬ dem die Franzoſen gezüchtigt ſind, werden andere Sün¬ den heimgeſucht, und mit Angſt und Nöthen abge¬ büßt.

122

Da das ganze Syſtem darauf berechnet war, daß nichts vorfallen werde, ſo iſt nun, da wirklich etwas vorgefallen, und noch ein Mehreres aus der Zukunft droht, die bitterſte Verlegenheit eingetreten, daß nun wirklich einmal etwas geſchehen muß. Man hat eine Maſchine eingerichtet, die ſich wirklich als ganz vortrefflich ausgewieſen, alle Hoffnun¬ gen blos durch ihre Unbeweglichkeit aufzureiben; nun aber, wo eine Furcht gekommen, und ſie einer Abſicht dienen ſoll, weigert ſie gleichfalls tückiſch jeden Dienſt, den man ihr anzuſinnen verſuchen wollte. Indem man keinen, auch nicht den leiſeſten Gegenſatz zu binden gewußt, ſondern alle Diſſonanz ſo lange anwachſen ließ, bis ſie nicht mehr zu löſen war; in¬ dem man Alles zugelaſſen, was ſich zugedrängt; alles durcheinandergeſchleppt, und in Halbheiten oberfläch¬ lich vermittelt hat, was ſich innerlich ausſchloß; hat man nun, wo die Natur ergrimmt gegen den ſchwin¬ delerregenden Wirrwar aufgeſtanden, jedes Mittel ſich genommen, zu ihrer Beſänftigung irgend eine durch¬ greifende Maaßregel vorzukehren. Jeder Verſtand wird von einem Unverſtande aufgehoben, jede Kraft von einer Gegenkraft verzehrt, jede Bewegung durch eine antagoniſtiſche gehemmt; ſo muß alle Anſtrengung in unnützen Deliberationen zerfließen.

Wollte man, ſcheinbar ſich anſchließend an die hiſto¬ riſche Parthey, etwa den dreyzehnten Artikel auf die Herſtellung der vorigen Corporationsſtände, in der gan¬ zen Gebrechlichkeit der letzten Zeit ausdeuten, ſo wider¬ ſpricht dem, was im Verfaſſungswerke ſchon zum Be¬ ſtand gekommen, oder noch eben zu entſtehen im Be¬123 griffe iſt; ſtellenweiſe ſind jene Körperſchaften ganz ausgetilgt, und die Hiſtoriſchen ſind überdem keines¬ wegs ſo leichten Kaufs gewonnen; ihr Sinn ſteht mit nichten auf die Verknöcherung der letzten Zeit, noch wollen ſie einer verlarvten Willkühr den Vorwand leihen. Wollte man durch Machtſprüche über Ver¬ hältniſſe entſcheiden, die in der Badiſchen Kammer zuerſt zur Erörterung kamen, und die Schlüſſe des Bundestages, ohne Rückſicht auf die Stände, für die Kammern ohne weiters verbindlich machen; ſo mochte man das freylich ſich erlauben, aber weil alsdann alle Verfaſſung völlig illuſoriſch wird, ſo muß dadurch ein Kampf der Convenienz mit der Natur der Dinge ent¬ ſtehen, der, da die Letzte immer auf die Länge ſtär¬ ker bleibt, unausbleiblich zu ihrem Vortheil nach kur¬ zer Friſt enden wird. Wollte man eine vollziehende Macht dem Bundestag creiren; das Herz der Na¬ tion iſt von dieſer Inſtitution, die man nur für ein Proviſorium zu nehmen ſich gewöhnt, abgewendet; auch nach einem Schattenkaiſer ohne Kammer hat ſie nicht die geringſte Sehnſucht. Nur einmal iſt die günſtige Gelegenheit an den Mächtigen vorbeygegan¬ gen, nun ſie den Augenblick verſäumt, hat ſie ſich zu anderm Orte hingewendet.

Was vermag alle diplomatiſche Kunſt gegen die mächtige Naturgewalt, die ſich in den Völkern täglich mehr entkettet? Die erſte Quelle eines Stromes mag eines Roſſes Huf aus der Erde ſchlagen, aber in ſei¬ nem Laufe vermag kein menſchlicher Wille ihn aufzu¬ halten. Eben die Kammern werden ihr Recht der Einwirkung auf die Beſchlüſſe des Bundestags durch¬124 fechten; ſie werden eben collectiv insgeſammt die zweyte Kammer conſtituiren, und iſt es erſt zu einem einverſtandnen Wirken gekommen, dann wird von ſelbſt die Nothwendigkeit ſich aufdrängen, dem Rumpfpar¬ lament, durch die Stärkung der collectiven vollziehen¬ den Macht, in ihrer Conzentration ein Haupt zu geben. Das iſt der Naturgang der Dinge, der Vor¬ ſchritt der Geſchichte, den keine menſchliche ohnmäch¬ tige Willkühr irren, und kein Congreß aufhalten wird. Die Nation dringt auf die Einheit, und dies Drin¬ gen iſt wie Baumes Wachſen und Windes Wehen, kein Bemühen mag es in ſeinem Fortgang hemmen. Was die Mächtigen ſolchem Werke Förderliches unter ſich beſchließen, wird direct als Förderungsmittel aufgenommen; was ſie hemmend ihm entgegenſetzen, muß indirect als Widerſtand zum Ziele führen, indem es die entgegengeſetzte günſtige Kraft bewaffnet.

Von diplomatiſcher Kunſt, die alles ihrer Na¬ tur nach auf ſich beruhen läßt, iſt alſo in keine Weiſe ein Heil für Teutſchland zu erwarten, und Hoffnung und Furcht werden in dieſer Hinſicht gleich eitel ſich erweiſen. Ein Blitz des Himmels hat in die teutſche Eiche hineingeſchlagen; ihre Krone iſt zum dürren Geniſte worden, nur die Wurzel in der Erde, und der Stamm in ſeinem Marke grünt ſtark und kräftig fort, und muß neue Triebe auswerfen in die Höhe. Die Naturkraft, die einſt jenes Gewächs in die Lüfte hinaufgetrieben, in deſſen Zweigen die Vögel der Erde ſich geſammelt, nachdem ſie zum Ziele des Wurfs und zum Scheitelpunkte ihrer Curve gelangt, iſt erſt geſtaut dann in ſich zurück ſinkend, in der Remiſſion gegen ihre125 Quelle, ſich ſammelnd aus allen ihren Verbreitungen, umgekehrt, um von da aus verjüngt und erfriſcht, wie jene warmen Springbrunnen der Nordlandsin¬ ſel, einen neuen Strahl himmelan zu treiben. Darum iſt die ganze teutſche Geſchichte ſeit mehr als drey Jahrhunderten ein Welken und ein Dürren; darum ſtrecken alle unſere Inſtitutionen nur nackte, erdorrte Aeſte in die Geſellſchaft; darum iſt alles Formale morſch, faul, verwittert und aufgelöst; darum geht ein Geiſt der Verweſung in unſerm Staatsgebäude um; wie in alten Ruinen hört man an Wänden und Grundfeſten jenes leiſe Kniſtern, als nage vernehm¬ lich der Zahn der Zeit an ihrem Bau, Tragpfeiler berſten, Steine ſchürren herab, Mauern rücken und nur der grüne Epheu, der ſie umrankt hält ſie noth¬ dürftig noch zuſammen. Nur die Maſſe, mit dem Urfels aus dem ſie gehauen, immer noch in geheimem Zuſammenhang, und mit ihm im gemeinſamen Natur¬ leben unverwüſtlich lebend, darum ſelbſt im Ablauf von Jahrtauſenden noch nicht ergraut, iſt noch geſund, und einer neuen Geſtaltung wohl empfänglich.

Es brauchte aber in alten Zeiten die Vorſehung, wenn es mit den Staaten auf dieſen Punkt gekom¬ men, das Mittel der Völkerwandrung, indem ſie die Brunnen der Tiefe eröffnete, und durch Fluten von Barbaren, die ſich über die Hinwelkenden ergoſſen, von unten herauf durch neues Blut das ſtockende Le¬ ben erfriſchte, und das Erdorrte neu begrünte. Aber dieſe Brunnen fließen nicht mehr ſo reichlich, ſeit die Cultur die alten Wälder ausgerottet, und die Pflug¬ ſchaar die wilde Erde dem Menſchen gezähmt. Da¬126 gegen aber hat dieſelbe Cultur die Gemeinſchaft mit einer andern Welt eröffnet, die durch geiſtige Kräfte jene verſiegende Naturkraft erſetzt, und bey den Um¬ wandlungen der Staaten ihre Dienſte verſieht. Es iſt dies jene geheimnißvolle Ideenwelt, die nach alter Lehre erfüllend die unendliche Tiefe des Geiſterreichs, und gleich dem Aetherhimmel über unſerm Selbſtbe¬ wußtſeyn ausgeſpannt, in alle Klüfte der Unterwelt ihr Licht niedergießt, und alle Geſtaltungen beſeelt. Wie aus dieſer Welt, nach eben jener Lehre, die See¬ len in die Materie niederſteigen, ein zeitliches Leben hienieden führen, und dann wieder zur Heimath keh¬ ren; ſo ſind es eben die ihr entſtammenden Ideen, die die Staaten als ihre eigentliche Begeiſtigung zuſam¬ menhalten, mit der Geiſterſchwere ſie in ſich verbin¬ den, und mit dem geiſtigen Lichte ſie durchleuchten; und alſo gebunden im rechten Maaße durch die Ma¬ terie, und, unſichtbar ſelbſt, durch ſie zur ſichtbaren Darſtellung gelangt, als die inwohnende plaſtiſche und erhaltende Kraft das Leben fördernd, in ſeiner Dar¬ ſtellung ſich verlieren. So aber nun die Stufenjahre dieſes Lebens durchlaufen ſind, und der Staat veral¬ tet, vermag er nicht ferner die inwohnende Idee zu faſſen; ſie die vorher latent in ihm geweſen, wird nun frey und ſtrahlend; und in dem Maaße, wie ſie nun jenem geiſtigen Reiche verwandt ſich fühlt, und andere ihr gleichartige Ideen zu ſich hernieder¬ zieht, wird ſie dem beſtehenden Materiellen mehr entfremdet; und ſie, die vorher die Erhalterin gewe¬ ſen, wird nun zerſtörend, und löst, weil ſie ein neues Haus ſich zu bauen vorgenommen, von innen127 heraus alle Banden des alten Organisms auf, da¬ mit der Neue zum Werden Raum gewinne.

So geſchieht es, daß in ſolchen Uebergangszeiten Geiſtesblitze zuckend durch die ganze Geſellſchaft fah¬ ren, und in einem Nu alle Köpfe wie ein Contagium entzünden; man weiß nicht wie der zündende Gedan¬ ken ſich verbreitet, geſchieht es durch den Athemzug, durch ein gemeinſames alle verbindendes Medium, iſt's Sprache oder Bild oder ſonſt geheime Sym¬ pathie? kurz alle Menſchen ſind plötzlich eines Sinnes worden, und je mehr man der Fortpflanzung zu weh¬ ren ſich bemüht, um ſo ſchneller verbreitet ſich die Flamme. Das iſt die losgebundene Begeiſtigung des Staatsvereines, die nun frey von ihrem Bande ſchwärmt, und erſt wie jene feurigen Zungen auf den Häuptern der Organe der Zeit ſich niederläßt, und dann von da in lichten Schimmer aufgelöſt, durch die Pforte der Sinne einzieht in alle Geiſter, um ſie zum neubegonnenen Werk zu weihen. Darum iſt es aller Thorheiten unverzeihlichſte, dies große Schöpfungs¬ werk zu ſtören, und mit den Ideen ſich Kampfes zu unterwegen; noch Keiner hat geſiegt, der verwegen ſolchen Streit geſucht. Läßt man ſie ruhig ihrer Ar¬ beit pflegen und begünſtigt ihr Thun durch ein ge¬ ſchicktes Entgegenkommen; dann führen ſie von innen heraus ruhig durch allmählige Metamorphoſe die Um¬ geſtaltung und Verjüngung aus; abſtreifend nur was unnütz geworden und erſtorben, und ſiedeln ſich dann friedlich im neuen Baue an. Wenn man aber, ſtatt nach des Zeidlers Weiſe durch abgemeſſene ſonore Klänge ihrem Thun nur Tact und Harmonie zu ge¬128 ben, ſie in plumper Weiſe ſtört und irrt; dann wer¬ den die Inſtinkte wild und in ſich ergrimmt, und es hebt ſich ein zorniges Brauſen in dem Stocke; und es kömmt ein ſcharfer Krieg aller Leidenſchaften; es treibt mit allen Trieben zur Gewaltthat und zu allgemeinem Umſturz, und es geht der Ruf aus durch alle Lande: das Schwert der Ideen über alle, die da Widerſtan¬ des ſich unterwinden!

So ſind alſo auch uns, da der Lauf der Zei¬ ten uns an einen ſolchen Uebergangspunkt geführt, zwey Wege aufgethan, um ihn zu vollführen; entwe¬ der, indem wir den Ideen auf jene ruhige Weiſe in friedlichem Vertrage in unſerer Mitte die Anſiedelung erlauben; oder, indem wir uns von ihnen gewaltſam durch eine Revolution auf Gnade und Ungnade ero¬ bern laſſen. Es iſt nicht zu verkennen, daß der ſeit¬ herige Gang der Dinge ſtark auf die letzte Seite hin¬ geneigt; daß man den Hexenkeſſel, in dem man mit Gewalt dieſe Zeit wieder jung kochen will, mit den Giften aller Reiche und mit allen böſen Zauberkräu¬ tern angeſetzt, und bey luſtigem Feuer ihn fleißig im brodelnden qualmenden Sud erhält, bis endlich die erſehnte Mitternachtsſtunde ausgeſchlagen. Auch ſind die Partheyen ſchon ſeit geraumer Zeit zum rechten Symptom gekommen, daß ſie einander nicht mehr ver¬ ſtehen wollen.

Was man ſonſt einzeln für ſich als Urſache von Aufſtänden und Revolutionen aufgezählt: drückende Steuern und Abgaben, gewaltſame Veränderung der Geſetze und Gebräuche, Verletzung der Freyheiten und Privilegien, allgemeine Unterdrückung, BeförderungUnwürdiger129Unwürdiger zu den öffentlichen Stellen, drückender Mangel und Verfall der Gewerbe, die Ungebühr ſte¬ hender Heere und zur Verzweiflung gebrachte Factio¬ nen; das Alles haben wir zuſammen cohobirt in dieſe Zeit zu drängen, und mit großem Fleiße jene ſeltene Einſtimmigkeit der Gemüther im Unmuthe hervorzu¬ bringen gewußt. Nachdem Liebe und Vertrauen hin¬ geſchwunden, ruht das Ganze einzig noch auf dem Inſtinkte des Gehorſams, der allzu tief im Menſchen¬ herzen befeſtigt iſt; aber auch dafür wird wohl end¬ lich Rath geſchafft, da immerwährende Klagen, die nimmer ihren Richter finden, und Anordnungen, die gegen den Menſchenverſtand ſündigen, nur allzu oft zum rechtlichen Widerſtande herausfordern, und da¬ durch dem Unrechtlichen und jeder Selbſthülfe den Weg anbahnen.

Da das verwegne Spiel nun ſchon die längſte Zeit gedauert, iſt denn plötzlich der Gedanke an die Mög¬ lichkeit einer Revolution hereingebrochen, und von beiden Seiten gleich unwürdig, hier mit tödtlicher Angſt, dort zum Theil mit ſträflichem Leichtſinn empfan¬ gen worden. Revolutionen ſind wie der Tod, vor dem nur Feige zagen, mit dem aber nur die Frivoli¬ tät zu ſpielen wagt. So furchtbarer Bedeutung ſind dieſe Cataſtrophen in der Geſchichte und ſo ernſten tiefen Inhalts, daß nur Verrückte oder Verzweifelte ſie herbey wünſchen mögen. Eine Staatsumwälzung kann einzig das Werk der Leidenſchaften ſeyn; darum iſt Religion, Sitte, Geiſt, Wiſſenſchaft, Erfahrung alles ihr nur hinderlich; und wie die Natur im ſtärk¬ ſten Fieberanfall mitleidig durch Delirien den Geiſt9130verhüllt, daß er durch ſein Einſchauen nicht die Le¬ benskräfte in der Tiefe ſtört; ſo muß auch in ſolchem Paroxism ein Volk zum Wahnſinn kommen, wenn die Krankheit wirklich zu einer kräftigen Criſe gedei¬ hen ſoll. Darum iſt es wohl anfangs ein leichtes Ding, daß die Schwachen weichen müſſen größerem Talente; auch läßt ſich wohl Alles vielverſprechend an, indem ein ungewöhnliches Lebensgefühl und eine fri¬ ſche Begeiſterung das Beſſere leicht in die Höhe treibt, und die erſten Partheyen wohl die meiſten Gutgeſinn¬ ten in ſich beſchließen. Aber da die Axe, die alle Elemente des Vereines zuſammenhält, gebrochen iſt, und nun jedes ſeiner eignen Schwerkraft folgt, ſo kann die Herrſchaft des Geiſtigen, das weſentlich gemeſſen und geordnet iſt, nicht lange beſtehen, und nach den pa¬ thetiſchen Kräften müſſen allmählig abſteigend, die Thie¬ riſchen ihr Recht behaupten, und das Regiment füh¬ ren in einer Zeit, die weſentlich dem Walten phy¬ ſiſcher Mächte anheimgefallen. Darum muß jede fol¬ gende Parthey nothwendig der Vorhergehenden in jeder Art von Uebertreibung den Rang ablaufen; jede der es gelingt, die Angelegenheit um einen Schritt näher zum Extrem zu treiben, wird ſicher die Gemäßigtere ſtürzen und verderben; den Proteſters und Reſolutio¬ ners werden wie in England, die Millenarier folgen, die keine Regierung anerkennen; dieſen die Levellers, die auf Gleichheit des Vermögens dringen; endlich die Antinomianer, die ſogar ſelbſt die ethiſchen Pflich¬ ten als Tyranney verwerfen, gerade wie in Frank¬ reich Girondiſten, Jacobiner, Cordeliers ſich vertrie¬ ben, und in den Niederlanden den Geuſen, bald die131 Bilderſtürmer ſich angeſchloſſen, weil immer die Ra¬ ſerey der vorigen Stufe der Folgenden als eine kalte Lauigkeit erſcheint; bis endlich Schritt vor Schritt die ganze Leiter menſchlichen Frevels durchlaufen, alles Beſtehende geſtürzt, alles Feſte zerſchmettert, alles Hohe geſchleift, aller Beſitz gewechſelt iſt.

Wenn aber nun in ſolcher Weiſe die Natur in anar¬ chiſchem Wüthen ſich erſchöpft, tritt als nothwendiger Gegenſatz wieder die Herrſchaft der Einheit ein, die anfangs die ermüdeten Kräfte leicht bezwingt, dann aber, da das im Innerſten aufgeregte Leben große Widerſprüche und die heftigſten centrifugalen Rich¬ tungen geweckt, nothwendig ſcharf und eng die Maſſe zuſammengreifend, nach und nach ſich zum höchſten Despotism ſteigert, und wieder eine andere entge¬ gengeſetzte Stufenfolge von Freveln durchläuft, bis endlich eine äußere oder innere Cataſtrophe, nun ein ganzer Umlauf vollendet iſt, die Extreme wieder ge¬ gen die Mitte lenkt. Das iſt der Gang, den die eng¬ liſche wie die franzöſiſche und jede andere Revolution genommen; eine Teutſche würde von dieſer Natur¬ ordnung keine Ausnahme machen, indem was kälteres Blut vielleicht mildern könnte, leicht durch geiſtige Ge¬ tränke erſetzt werden mag, wie der Bauernkrieg aus¬ gewieſen. Zu den Ideen, die Frankreich bis zur gänz¬ lichen Umwälzung bewegt, iſt bey uns noch eine Neue hinzugekommen, die in dieſer kaum gewirkt, Die der Einheit nämlich, und eine ſolche Vermehrung des Fer¬ mentes muß nothwendig zur verſtärkten Gährung füh¬ ren. Eine teutſche Revolution würde mit der Vertrei¬ bung aller herrſchenden Dynaſtien, mit der Zerbre¬9*132chung aller kirchlichen Formen, mit der Ausrottung des Adels, mit der Einführung einer republikaniſchen Verfaſſung unausbleiblich endigen; ſie würde dann, wenn ſie ihren glücklichern Wallenſtein gefunden, weil jedes revolutionirte Volk nothwendig ein eroberndes wird, über ihre Gränze treten, und das ganze mor¬ ſche europäiſche Staatsgebäude bis an die Gränze Aſiens, niederwerfen; aber alle dieſe Herrlichkeiten, wie früher die Niederlande, mit dem Blute vieler Mil¬ lionen, mit dem Untergange der Hälfte der anſteigen¬ den Generation, mit der Zerrüttung des ganzen Wohl¬ ſtandes von Teutſchland, und mit der Verödung aller ſeiner Gauen durch einen langwierigen Krieg erkau¬ fen, und am Ende nicht viel mehr gewinnen, als jetzt auf eine wohlfeilere Weiſe zu erlangen iſt.

Weder für die Regierungen noch für die Völker, noch auch für das Ausland, das etwa im Trüben ſeinen Vortheil ſuchen wollte, können ſolche Ausſichten ir¬ gend einen Reiz darbiethen; darum kann vernünfti¬ gerweiſe bey allen Partheyen nur von dem erſten Wege die Rede ſeyn. Aber es iſt nicht ſo beſtellt, daß man etwa zuerſt alles verſuchen und alles mißbrau¬ chen, und dann erſt, wenn es zum Aeußerſten ge¬ kommen, immer noch zeitig genug dieſen Weg zu be¬ treten, ſich entſchließen könnte. Nur, ſo lange noch ein Zügel die Leidenſchaften hält, ſo lange die wil¬ den Geiſter noch gebunden liegen, mag man Ver¬ nunft reden, und die allmählige Umgeſtaltung kann gradweiſe von ſtatten gehen; ſind die Begebenheiten aber einmal an den jähen Abſturz hingelangt, dann iſt aller Zuſpruch eitel, alle Rede iſt vergeblich, als133 ob man Erdbeben und Ungewitter beſprechen wollte, dann wird nicht mehr nach den Folgen gefragt; es läuft der zündende Funken hin, ſo lange er Brenn¬ bares vor ſich findet, und Schlag auf Schlag erfolgt, in dem Maaße wie die Kräfte ſich entketten, und wie ſchnell, ohne alle Verabredung und Zuſammen¬ hang, das Feuer ſich verbreitet, wenn der Zunder in den Gemüthern vorhanden iſt, davon können die Judenaufſtände ein Zeugniß geben. Darum je hohler ſchon die See mit allen Tönen geht, die einen kom¬ menden Sturm anzumelden pflegen; je ſtärker das Brauſen der Maſſe ſich vernehmen läßt; je weiter der Schwindel, der die Regierungen ergriffen, die dunkel ſie um kreißenden Bogen ſchlägt; um ſo dringender iſt es, daß die Partheyen überall wenigſtens bis zu dem Punkte ſich verſtändigen, daß die wirbelnde, gährende Bewegung in eine Fließende ſich verwan¬ delt, und dadurch vorläufig die Gefahr des Durch¬ brechens aller Dämme abgewendet wird.

Da, wie früher entwickelt worden, die ganze Maſſe der Streitenden ſich zuvörderſt in einen großen Gegenſatz vertheilt, wovon der Eine hauptſächlich das in geſchichtlicher Begründung Beſtehende geltend macht, der Andere das Werdende, was durch ſelbſtthätiges Schaffen an die Stelle des Mangelhaften geſetzt wer¬ den muß, ſo würde nothwendig der Anfang mit der Beſchwichtigung dieſes Zwiſtes geſchehen müſſen, die aber in ihrem Gelingen durch die Vorausſetzung einer gleichen Aufrichtigkeit beider Theile bedingt, blos mit den Beſſern von beiden Seiten zu verſuchen wäre. Indem hier von wechſelſeitiger Berichtigung der An¬134 ſichten nur die Rede ſeyn könnte, ſo würde ſich bey der Erörterung bald ergeben, daß ſobald Jeder ihr Recht geworden, der Streit ſich von ſelber löſt. Es würde ſich leicht darüber zu verſtändigen ſeyn, daß die verſchiednen Zeiten und Menſchenalter im Leben eines Volkes im Nacheinander eben ſo nothwendig und unzertrennlich ſich angehören, wie die verſchiedenen Inſtitutionen und Perſönlichkeiten im Nebeneinander derſelben Zeit, indem Dieſe den immanenten Staat, Jene den permanenten miteinander bilden; und daß alſo wie hier Pflichten und Rechte gegenſeitig ſind, ſo auch dort zu den Rechten, die jede ſpätere Zeit als Erbe überkommen, auch früher begründete Pflich¬ ten ſich geſellen. Es würde ſich ferner bald ermitteln, daß, da jede Zeit ohngefähr das gleiche Maaß von bildenden Kräften, wenn auch in Verſchiednen ver¬ ſchieden vertheilt, zur Ausſtattung erhalten, in¬ dem wenigſtens eine Frühere auf eine Spätere nicht mehr vererben kann, als ſie ſelbſt beſitzt, auch die Bildungen nach dem Maaße der aufgewendeten Kräfte zu beachten ſind; und daß, wenn ſpätere Zei¬ ten auf breiterem empiriſchem Grunde ſtehen, dafür eine Frühere leicht in allem Höhern, Idealen ihr den Vorrang ablaufen mag.

Wenn man jede Thätigkeit am ſicherſten an ihren Früchten erkennen kann, dann wird die Geſchichte leicht belehren, welche Fülle das Mittelalter, und zwar zu allermeiſt in Teutſchland hervorgetrieben; wie es aus demſelben Onyx-Felſen, auf den ſich die Kirche gründet, um ihre Münſter her die gothiſch-byzantiniſche Kaiſerburg, ein anderes Montſalvaz, erhauen und gebaut;135 wie es mit einem Verſtändniß, deſſen tiefen Sinn ſchon die oberflächlichſte Betrachtung entdeckt und die tiefſte nicht ergründet, alle ſeine Inſtitutionen ord¬ nete, daß alles harmoniſch zuſammenſtimmend in ei¬ nen ſchnellkräftigen, geſunden, blühenden Staatskör¬ per ſich vereinigte; wie es in ſeinem Kaiſerrecht eine Geſetzgebung zu begründen angefangen, zu der kein anderes Volk auch nur der Idee nach ſich erhoben; wie es in Sitte, öffentlichem und Privatleben, Welt¬ anſchauung und Sinnesart gediegen aus einem Stücke ſich herausgebildet; wie es in jeder Kunſt und Dich¬ tung von keiner andern Zeit ſich übertreffen laſſen; wie es ſelbſt in ſeiner verachteten Scholaſtik in einer lebendigen Gymnaſtik bey den Wettkämpfen der Phi¬ loſophen, wie die der Dichter, vor dem Auge der theilnehmenden Nation gehalten, eine geiſtige Schärfe, Gewandtheit und Scheidekraft erlangt, an die wir nicht von ferne reichen; wie es endlich in ſeinem gan¬ zen Thun und Seyn, in der Fülle ſeiner grünenden Bildungskraft eine Lebendigkeit und Thätigkeit ent¬ wickelt, von der uns in dieſer Art kaum ein Begriff geblieben: das alles bewährt uns die Geſchichte, und die Trümmer, die geblieben, geben lautes Zeugniß.

Sollte aber unſere Zeit in einer der Anwandlun¬ gen jenes Dünkels, die wohl öfter an ſie kommen, vor dieſer Vergangenheit über den Grund deſſelben Rede ſtehen, ſie würde leicht einen harten Stand er¬ halten. Sollte von da der Ruf an ſie ergehen: thu uns kund, was du vollbracht, und leg uns aus, was du gebildet und gebaut, damit wir erkennen, welche Ehre dir gebührt, und den verdienten Preis136 dir zugeſtehen! ſollte ſie dann vor der ernſten Rich¬ terin ihre Armuth auseinanderbreiten und die Thea¬ tergarderobe ihrer Tugenden vor ihrem ſcharf durch¬ ſchauenden Aug hinlegen, wohl möchte ihr als Sen¬ tenz das ſtrafende Wort zu Theile werden:

Sieh! du haſt deine Thaten mit beredtem Mund erzählt und deine Herrlichkeit uns angeprieſen, und wir haben ihren Gehalt geprüft und befunden, daß alles eitel ſey, und aufs Richtige geſtellt. In keinem Dinge haben wir eine wirklich ſchaffende Kraft an dir verſpürt, die Quelle aller wahrhaft bildenden Triebe iſt in dir verſiegt; jeder ſtillen geſammelten Innigkeit, die aufs Erhalten geht, haſt du abgeſagt; dagegen iſt eine freſſende Flamme in dich eingekehrt, zerſtörend iſt dein ganzes Weſen, und Niederreißen allein iſt deine Stärke.

Sieh! ich habe eine Kirche dir gebaut, deren Grund¬ veſten die Waſſer der Erde umrinnen, während die Wolken des Himmels um ihre Thürme zogen; ſo feſt in ſich gegründet, daß obgleich der Boden wankte unter ihr, ſie ſelbſt unerſchüttert ſo viele Jahrhunderte in ihrem Baue ſtand: du aber haſt den Feuerbrand in ſie hineingeworfen unter dem Vorwande, Alles was irrdiſch ſey und brennbar, von ihr abzuthun, nun ſind die nackten Wände nur geblieben; die Gewölbe ſind vom Regen des Himmels eingeſtürzt, auf den Pfeilern ziehen die nackten Bogen ſich ins Leere, Gras und Büſche wachſen im Heiligthume, und die Vögel niſten in den Laubgewinden.

Dein Teutſchland, mit einer Mauerkrone wie mit einem feſten Harniſch hab ich es umgürtet, ſeine Rei¬137 ſigen ſchirmten die alte Aſenburg, innen regte ſich das bunte Leben; du aber haſt die Pforten aufgebrochen, die Thürme mit Pulvers Gewalt geſprengt, die Mauern dem Grunde gleich geſchleift, und die Materialien zum häuslichen Gebrauch verwandt, daß das Reich ein offen Dorf geworden, von Zöllnern gehütet; den geſtickten Kaiſermantel aber, der alle umfieng, haben deine Lehnsträger zerſtückt, und indem ſie mit den Lappen ihre Blößen angeputzt, prunken ſie damit wie Negerfürſten im fremden Staat, den ſie mit der Freyheit ihrer Untergebenen ſich erkauft.

Sieh! reichlich habe ich aus der Erſparniß von Jahrhunderten die Kirche und den Staat dotirt, daß ſie auf Erden ein Organ und mit ihm irdiſchen Be¬ ſtand gefunden; auch den Kriegsſtand, die Gemeinde, ja ſelbſt die Innung hab ich unabhängig ausgeſtattet; all den unermeßlichen Beſitz haſt du in wenig Jah¬ ren in alle Winde hinausgetrieben; die Ideen von ihrer realen Baſis abgeſchieden, irren nun geiſtergleich als weſenloſe Schatten in der Geſellſchaft um, vom Winde der Meinung, in deren Abhängigkeit ſie gege¬ ben ſind, hin - und hergepeitſcht; und für alles das haſt du im ganzen Umfange des Reiches nicht ein Denkmal gegründet, das auf die Nachwelt käme.

Deinen Vorwitz haſt du ins Reich des Glaubens hineingetragen, und göttliche Dinge meſſend mit menſch¬ lichem Maaßſtab, ſie ins Irdiſche herabgezogen; der einfache ungefärbte Strahl der Wahrheit hat in dem trüben Mittel in viele Farben ſich gebrochen und ver¬ finſtert, und das ſonſt in ſich Geeinte hat ſchnell in unverſöhnliche Partheyen ſich geſchieden.

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Alle Wiſſenſchaften, ſonſt ihrer überirdiſchen Abkunft immer eingedenk, haſt du durch Sinnenzauber ver¬ führt, daß ſie, ihres Urſprungs vergeſſend, ſelbſt weſenloſe Schemen in die Scheinwelt herabgeſunken, wie jene Naturgeiſter, Gnomen, Salamander, Silphen, nach der Sage, ohne unſterbliche Seele nur ein ſterbliches Leben führen; und ſo iſt ſelbſt dein geiſtigſtes Thun eine grobe ſinnliche Luſt geworden, und ein künſtliches Würfelſpiel mit den Atomen der Ele¬ mentenwelt, und ein Larventanz höherer Kräfte auf niedrer Stufe in Thierverkleidungen eingehüllt.

Die Künſte haſt du von ihrer heiligen Beſtimmung losgetrennt, und ſie zu einem Gaukelſpiele deiner Luſt gemacht; ohne Inhalt, Tiefe und Bedeutung ſind ſie Kinder der Welt geworden, dienſtbar ihrem leeren, leichtſinnigen und frivolen Treiben; und wo ſie ja wie die Tonkunſt bisweilen wieder zu höherem ſich verlieren, iſts das Schellengeläute der Thorheit, oder der Tanz der Bajaderen, den ſie in den Tempel des Herrn führen.

Deine Diplomatik iſt die Lehre und die Praxis des abſoluten Nichts durch alle Cathegorien durchgeführt, und die Fertigkeit zum Thun der Geſchichte die Gri¬ maſſe herzugeben; deine Regierungskunſt iſt eitel Buch¬ ſtabenwerk das, längſt aller Natur entfremdet, von aller Tradition und Erfahrung abgelöst, nur in künſt¬ lichen Abſtraktionen lebt; nach den Schattenbildern leerer Theorien rennt, und aus ihrer erkünſtelten und erſonnenen Welt nur von Zeit zu Zeit, und immer nur irrend und verwirrend, in die Wirkliche hinüber greift.

Deine Politik, auch ſie hat ſeither einzig im Zer¬139 ſtören ſich bewährt; die großen Entdeckungen, deren du dich in Sachen des gemeinen Weſens rühmſt, ſind in meinen Augen kein großes Ding; dieſe Frey¬ heit und Gleichheit, nichts als die Wahlverwandſchaft der Elemente der Geſellſchaft, womit alle Verfaſſung begonnen hat, und das Spiel chemiſcher Kräfte, das allein auf der unterſten Stufe des Lebens der Staaten wirkſam iſt; dieſe ängſtliche Trennung der Gewalten, während Stände, Ordnungen, alles durch den Na¬ turtrieb wahrhaft Gegliederte, in eine Maſſe zuſammen gerinnt; dieſe beiden Kammern, in denen die ganze Freyheit der Nation ſich häuslich niederlaſſen ſoll: das Alles will mir ein geringer Erſatz bedünken für das Unheil, das du angerichtet.

Ich ſehe deine Freyheit, ſie iſt eine Freygelaſſene die noch die Narben ihrer Ketten fühlt, und darum immer zwiſchen Niedertracht und Freyheit ſchwankt; ich betrachte deine Gewalt, die da ein kraftloſer, wohl¬ gezogner Despotism iſt, ungewiß zwiſchen Willkühr und Liberalität getheilt; ich ſehe die ganze Geſchichte dei¬ nes öffentlichen Lebens an, und es iſt nichts als ein eckelhaftes Zerren zwiſchen zaghaftem Eigenwillen und furchtſamer Licenz, ein wechſelſeitiges Fürchten und Fürchtenmachen, eine gährende Bewegung ohne Re¬ ſultat, ein ehrloſes Verhüllen, Vertuſchen und Be¬ lügen, ein Bemänteln und Betrügen, ein Hadern ohne Kraft und Würde.

Darum iſt auf Phraſen all dein Thun geſtellt, eine ſtille Uebereinkunft in wechſelſeitigem Lug und Betrug, bis zu den geringſten Lebensgeſchäften herab, iſt was du als deine Weltklugheit uns geprieſen; nur im Ver¬140 derben und Planiren kann keine andere Zeit dir die Palme ſtreitig machen.

So dürfte die Zürnende den Dünkel, der ſie anzu¬ erkennen ſich in ſeiner Thorheit weigert, leicht beſchei¬ den und beſchämen, und der Anmaßung wäre die Strafe wohl gerecht. Doch dürfte, was der Unwille hier ſcharf und ſchneidend hingeſtellt, auch nicht ohne Erwiederung und Beruhigung bleiben, und in rich¬ tiger wohlverſtändigter Selbſterkenntniß, und einer in ſich ſelbſt gegründeten und beruhigten Weltanſicht, dürfte es der hart Angeſchuldigten nicht ſchwer fallen, ihre Vertheidigung etwa in dieſer Art zu führen.

Wohl haſt du Gott und dem Reiche ein ſtarkes Haus gebaut, aber ſelbſt Berge, die die Natur auf den ewigen Veſten der Erde aufgerichtet, ſind geſtürzt, und in Trümmer aufgelöst, wenn den Altergrauen das innere erhaltende Leben abgeſtorben; und auch du haſt dein neues Werk auf die Zerſtörung einer blühen¬ den Vergangenheit im früheren Alterthum begründen müſſen.

Iſt es meine Schuld, daß alles auf Erden ſeine Zeiten und Stufenjahre hat, und daß Staaten, wenn ihre Phönixperiode durchlaufen iſt, in freſſenden Feuers Flammen zu neuer Wiedergeburt ihr Irdiſches zu ver¬ zehren gedrungen ſind?

Wohl haben die Dome deiner Kirche himmelan ge¬ ragt, aber die Steine, aus denen du das Werk ge¬ fügt, ſind nicht todte Maſſen, vielmehr freye ſelbſt¬ ſtändige Naturen, die gläubig ihren Willen an die Idee reſignirt; kann ich wehren, wenn ſie ihre ver¬ pfändete Freyheit wieder löſen, und die Grundveſten141 nun ſich rühren, und die Elemente eilen ſich in neue Geſtalten zu verbinden?

Wohl haſt du Teutſchland feſt gemacht, aber des Pulvers Macht hat die Cyclopenmauern aufgeſprengt, und des Mönchs Erfindung war nur das Symbol der furchtbaren geiſtigen Macht, die ohngefähr gleichzeitig ſich zu entwickeln angefangen.

Deine Verfaſſungen in ſinnigen Ideen auf den ru¬ higen, ſtehenden Beſitz als ihr Organ baſirt, ſieh! die Flut des Goldes aus einem entlegenen Welttheil hat ſie weggeſchwemmt; der Andrang des Geldes, das be¬ weglich, fluchtig, unſtät wie der Gedanke, das um¬ laufende Blut, im Körper der Geſellſchaft iſt, hat die alten, ſehnigten Athletenkörper umgewandelt, und in die ſtraffe Faſer die Fülle hineingelegt, in der ihre Schnellkraft nur allzu früh erſtickt: konnte ich abwei¬ ſen, was, wenn die Zeit gekommen, an jedem Men¬ ſchen ſich ewig wiederholt?

Da das Leben von oben herein abgeſtorben, mußte nicht das noch Grünende im Organism, nach den ewigen Geſetzen der Natur das Todte abſorbiren, oder von ſich ſtoßen, in dem Maaße wie es vom inwoh¬ nenden Geiſt verlaſſen abgedorrt; So iſt die Idee des Kaiſers früher ausgegangen, als ſeine äußere Darſtellung hingeſchwunden; ſo iſt die Kirche in ihren geiſtigſten Organen zuerſt gewelkt, ſo das ganze Lehns¬ weſen in ſeinem Geiſte ausgeſtorben: da der Beſitzer davongegangen, ſind die Güter wie billig, dem Ueber¬ lebenden zu Theil gefallen; der dritte Stand hat ſie größentheils in Beſitz genommen, und auf dem Er¬142 trag haftet nun die Dotation deſſen, was noch von Ideen lebt, oder aufs Neue ſich beleben wird.

Geflügelt ſind die Geiſter, frey hat ſie Gott gege¬ ben, auf ihre Gefahr können ſie Jegliches verſuchen; konnt ich hindern, daß ſie endlich von ihrem Rechte Gebrauch gemacht, und der Mutter ſicheres, warmes Neſt verlaſſend, ins Weite ſich hinausgeſchwungen? Iſt nicht auch dieſe Vernunft wie jedes andere Ver¬ mögen eine Gottesgabe, und iſt es hier ein Frevel wenn ſie die angeborne Kraft verſucht?

Es iſt eine Irrlehre, daß nur der Glaube im hö¬ hern Lichte wandle, die Vernunft aber, ein durch Hochmuth gefallner Geiſt, in der Finſterniß regiere; Hochmuth iſt nur ein zeitliches Verderben; als er in der Kirche eingeriſſen, iſt die Kirche in der Rückwir¬ kung erſtarrt; die Vernunft aber, wenn ſie ſeiner ſich entſchlagend, in lauterm Streben, und reingeiſtig dem angebornen Freyheitstriebe bis zum Ende folgt, wird am Ziele ſich an der Stätte wiederfinden, wo ſie aus¬ gegangen, und Glauben und Wiſſen wird in der rech¬ ten Ueberzeugung ſich als eins bewähren. Parthey¬ ung aber iſt auf dem Wege zu dieſem Ziele, die noth¬ wendige Folge jeder Freyheitsübung, nur wenn Stein und Stahl ſich reiben, bricht der Funke der Begei¬ ſtigung heraus.

Wohl iſt alles Wiſſen begreifflicher, ſinnlicher ge¬ worden, es iſt der Lauf der Zeiten, der von der Höhe zur Tiefe niederſteigend, dahin geführt; wie die un¬ tern Organe des Staates, der dritte Stand, aufge¬ blüht, hat er nach ſeiner Weiſe nur nach dem Prak¬ tiſchen, Derben, Tüchtigen geſtrebt, und die Wiſſen¬143 ſchaften ſind dem Bedürfniſſe, die Künſte der Erholung dienſtbar worden; aber ſieht auch der Bau, an dem mein Geiſt ſchon drey Jahrhunderte gebaut, in der Anlage einem Wirthſchaftsgebäude gleich, und hat der Satan manchen Stein dazu herbeygeſchleppt, er wird doch zuletzt ein Gotteshaus.

Jung iſt freylich noch die Freyheit, und weiß ſich nicht zu laſſen, die Willkuhr aber grau und alters¬ ſchwach weiß zwiſchen Seyn und Nichtſeyn nicht die ſchwere Wahl zu treffen. Vergangen iſt noch nicht das Alte, und das Neue noch nicht jung geworden; ungar iſt die Maſſe und ſchwer fließend kann ſie nir¬ gend zum reinen Guſſe ſich geſtalten. Darum iſt alles nur ein Ziſchen und ein Streiten, ein Geſtalten und Zerfließen, ein Bilden und Zerſtören, und ich muß immer wachen, daß das Feuer nicht erkalte, und das Sieden raſch von Statten gehe.

Darum iſt mein ganzes Seyn nur ein einziger Wi¬ derſpruch; da Zug und Trieb der innern Kräfte nach¬ gelaſſen, iſt das alte Chaos in der Geſellſchaft zu¬ rückgekehrt, und dem alten Schöpfer bin ich ein furchtbarer Zerſtörer nachgefolgt. Aber aus dem Tode allein kann das Leben keimen; hat doch auch die bildende Weltkraft, als ſie im Hermesbecher die Elemente zuerſt gemiſcht, und nun brauſend, gäh¬ rend, ziſchend, donnernd die Kräfte durcheinander¬ fuhren, erſt in viel mißlungenen Schöpfungen, die die Berge jetzt beſchließen, ſich verſucht, ehe ſie das rechte Maaß in ihrem Gebild getroffen. Darum fordre nicht von mir, daß ich gleich im erſten Wurf ein Bleibendes geſtalte, die Zukunft magſt du nur nach meinem Werke fragen. 144Wenn jener Vorwurf allzu hoch anſtrebenden Uebermuth niederſchlägt, ſo mag dieſe Vertheidigung vor überflüſſiger Demuth uns bewahren, und es wird ſich dann leicht die rechte Mitte finden, wo die Vergangenheit ihr Recht erhält, die auch einſt Gegenwart geweſen, und die Gegenwart, die einſt als eine Vergangenheit hinter die kommenden Zeiten tritt, ſich nicht ſelbſt aufgeben darf. Denn aus Zeiten wird die Geſchichte, wer eine Zeit negirt, muß alle verneinen, die vorangegangen; nichtig iſt zu aller Zeit nur, was ſich vereinzeln will; alles Allgemeine, alles, was inſtinktartig in der Maſſe wirkſam treibt, iſt hiſtoriſch, und muß als Solches geehrt und geachtet ſeyn, wer es aber ausſchließen muß nach den Grundſätzen einer falſchen Theorie, mag ſicher ſeyn, daß er auf irrigen Wegen geht.

Das erſte Verhältniß aber, in dem der Gegen¬ ſatz der Zeiten und der Anſichten praktiſch hervortritt, und ſeine Vermittlung fordert, iſt das des Staates zu der Kirche. Nach der Idee des Alterthums ſtellte in der großen Gemeinſchaft der Gläubigen die Kirche die ideale Seite, die europäiſche Republik aber im Kaiſerthum und der Staat im Beſonderen die Reale dar. Es iſt aber das Verhältniß beider Sphären ein Solches, daß das Ideale ſeiner Natur nach frey, in ſich ru¬ hend, ſeiner ſelbſt mächtig, und ſich ſelbſt durchſichtig iſt, und durchleuchtet von den Ideen, die wie Sterne in ihren Licht-Ergüſſen wechſelſeitig ſich durchſtrahlen, und von jener ewigen in ſich zurückkehrenden Schlange umhegt und umgürtet ſind. Das Reale aber iſt ſei¬ nem Weſen nach, obgleich von jenem umgriffen, wiedie145die Erde vom Sternenhimmel, doch wieder in ſich ſelber abgeſchloſſen, und innerhalb dieſes eigenthüm¬ lichen Würkungskreiſes nach beſtimmten Geſetzen einer Naturnothwendigkeit im ewigen Kreislaufe bewegt, und in ſofern es dieſer Nothwendigkeit anheimgefallen, jener Freyheit entrückt und eigenem Rechte pflichtig iſt. Darum iſt das Eine allerdings ein Symbol des An¬ dern, und das Ideale geht dem Realen als das Erſte an Würde vor; aber in wiefern nach der Naturſeite hin die Idee ſich in der Darſtellung wirklich verkörpert hat, iſt ſie aus dem Gebiethe des Idealen herausge¬ treten, und dieſes muß ſie nun den Naturgeſetzen der realen Sphäre überlaſſen.

So iſt der Vorrang des Ethiſchen vor dem Patheti¬ ſchen zwar nicht zweifelhaft, und die Ethik erkennt in ihrem Gebiethe die Herrſchaft der Leidenſchaften und der Nachtſeite des Menſchen in keine Weiſe an; aber ſie beſcheidet ſich auch im Gebiethe der Leidenſchaften ſelbſt keine direkte Herrſchaft auszuüben; ſie mag nur allenfalls durch das Geſetz des Schönen ſo weit hin¬ unterreichen, und nimmt es nur über ſich, die Aus¬ brüche jener Naturtriebe nach Möglichkeit zu ordnen und zu regeln. Darum iſt denn auch allerdings die Kirche dem Range nach das Erſte, aber darum nicht das ausſchließlich Herrſchende; der Staat vielmehr in ſeinem engern Gebiethe, durch vielfältige irdiſche Ver¬ hältniſſe beſtimmt, beſitzt ſeine eigene ſelbſtſtändige Autonomie, die die Kirche zwar heiligen aber nicht in Anſpruch nehmen kann.

Nur wenn die Quellgeiſter der Tiefe anſteigen in Vermeſſenheit, wenn ſie wie Ahrmann in jener Lehre hin¬ auf zum Aether qualmen und ſeine Sterne verhüllen10146wollen und beſtreiten, dann rettet das Bedrohte wie billig ſeine höhere Würde, und kämpft die Anſtrebenden mit Macht zur Tiefe nieder. Dies geſchah als in Heinrich dem Vierten die vernunftloſe Hyle gegen die Weltordnung ſich empört; da wurde jener große Mann geſendet, den die neuere Zeit in ihrer blinden Thorheit ſo hart geſchmäht, daß er mit Blitzen den aufſteigenden Frevel niederwarf, und die Freyheit der Kirche rettete. In dem Widerſpruch des heftigen Kampfes aber wurde nach dem gemeinen Gang der Dinge das andere Aeuſ¬ ſerſte hervorgerufen, und die Kirche ihres Sieges ſich übernehmend, trat nun auf der andern Seite aus ihren Ufern, und maßte ſich in Manchem der folgen¬ den Päpſte eine Herrſchaft über das Weltliche an, die unterhalb des Umkreiſes ihrer Befugniſſe fiel. Auch dieſe Ausweichung von der einzig richtigen harmoni¬ ſchen Conſonanz mußte eine andere Rückwirkung er¬ wecken, die in der Reformation zur völligen Entwicke¬ lung kam.

Seither iſt jene politiſche Sekte aufgeſtanden, die da behauptet, die Kirche ſey im Staat begriffen, und dieſer, der neben ſich nicht ſeines Gleichen dulden dürfe, müſſe darum nothwendig die Herrſchaft über die Unterworfene führen. Eine ſolche Lehre, die die Noth¬ wendigkeit über die Freyheit ſetzt; die das Geiſtige wieder der Dienſtbarkeit des Irdiſchen überliefert, dem es gerade das Chriſtenthum im Streite mit dem alten Heidenthum entrungen; die den Gedanken, der allem Sinnlichen erſt Signatur und Namen giebt, in die Feſſeln der Materie ſchlägt, obgleich ganz dem Geiſte dieſer Zeit gemäß, iſt doch in ſich ſelber ſo demü¬ thigend und empörend, daß ſicher gerade hier der147 Wendepunkt ſeyn wird, wo dieſer Geiſt, der nun auch zu ſeinem Aeußerſten gekommen, gezwungen ſeyn wird, wieder einer höhern und würdigern Anſicht das Feld zu räumen. Eine Kirche, die bey der teutſchen Souverainität zu Hofe gienge, die ihr nachtretend in ſo viele Faktionen wie jetzt das gemeine Weſen ſich zertheilte; die die Gewalt über die Gewiſſen den Launen, Einfällen, Ge¬ meinheiten und Frivolitäten der Höflinge hinzugeben ſich erniedrigte; die ihre Lehre dem Winde der Theo¬ rien preißgäbe, daß er ſie hin und herüber wehe, würde bald die verächtlichſte aller Inſtitutionen, da nicht einmal ein Bundestag ſcheinbar die loſen Glieder zuſammenhielte.

Darum wenn in frühern Zeiten die Vertheidiger der Freyheit ſich zu dem Staat gehalten, als es gegolten, einen wirklichen Napoleonism der Päpſte zu bekämpfen: dann iſt ihr Ort jetzt bey der ſchmählich unterdrückten Kirche, daß ſie ihre Freyheit und Unabhängigkeit gegen die Anmaßungen der Staatsgewalt vertheidigen, und die Idee retten aus den Banden, in denen ſie eine uſurpirende Macht gefangen hält. Für die katholiſche Kirche zunächſt kann alſo von keinem Grundſatze der Unterordnung, ſondern allein von dem der Beyordnung der weltlichen Macht zur geiſtlichen die Rede ſeyn, und die abſteigende Bewegung die ſeit¬ her dieſe zu jener herabgeriſſen, muß ſo lange rück¬ läufig werden, bis es zu jenem Punkte des Gleichge¬ wichts gekommen, wo ſie ſich dann befeſtigen mag. Dort kann im wechſelſeitigen Verhältniß Beyder nur eine vollkommene Gleichheit der Rechte Beyder gültig ſeyn, allſo daß auch für ſie das Prinzip der chriſtlichen10 *148Moral verbindlich iſt, was du nicht willſt daß dir geſchehe, thu auch nicht dem Andern, wie es der Dom¬ kapitular von Droſte in ſeiner Schrift: Kirche und Staat, ſehr gut und praktiſch ausgeführt.

Um aber zu dieſem Punkte zu gelangen, muß die Kirche ſich ſtärker als je an ihre Einheit ſchließen, und die geſchloſſene Phalanx ihrer Hierarchie, an der mehr als einmal die Willkühr ſich gebrochen, ihr auch jetzt unerſchüttert entgegen halten. Hat ſie dann einmal von dieſer Seite Licht und Freiheit ſich errungen, und ihre billige Dotation, die ihr der Staat noch immer vorenthält, erlangt, dann wird ſie bey der ungeheuern Reproduktionskraft, die ihr beywohnt, ſich leicht wie¬ der aus ſich ſelbſt zeitgemäß ergänzen, und dann ihre übrigen Verhältniſſe durch Synoden und Concilien ordnen, und in dem Maaße wie die Ideen ſich von neuem beleben, wieder verjüngt erſtehen. Dann erſt wird es an der Zeit ſeyn, jedem allenfallſigen Despo¬ tism, der ſich in ihr entwickeln wollte, zu begegnen, da das katholiſche Teutſchland ſo wenig den Kirchlichen wie den Politiſchen ſich gefallen zu laſſen irgend einige Neigung hat.

Der proteſtantiſchen Kirche aber, die ohne ſich ſelber aufzuheben, in dieſem Sinne nicht rückläufig werden kann, wird nichts übrig bleiben als die Reformation in der Rich¬ tung zu beendigen, in der ſie angefangen, und ſie ſo weit fortzuführen, bis die Gewalt überall bey der Ge¬ meinde ruht, wie Sommer in ſeiner Schrift: von der Kirche in dieſer Zeit, treffend entwickelt hat. Dann iſt auf dem Wege der Allheit daſſelbe Verhältniß hergeſtellt, das der Katholizism auf dem Wege der Einheit ſuchen muß, indem alsdann die kirchliche Macht ſich an die149 ideale Seite des einzelnen Kirchengliedes knüpft, und nun durch den innern Zwieſpalt der menſchlichen Natur hinreichend von der realen Staatsgewalt ſich ſcheidet, deren Brennpunkt denn auch collectiv keineswegs mit dem Kirchlichen zuſammenfällt. Alle andern divergen¬ ten Richtungen, ausgehend entweder von vorgefaßten Meynungen, einſeitigen Anſichten, oder befangener Sinnesart, und hervorgerufen durch irgend ein beſon¬ deres Intereſſe, oder auch ein übelunterrichtetes Wohl¬ meynen, ſind, eben weil ſie verworren, auch in ſich nichtig, reiben ſich unter einander auf, und werden nicht von der Geſchichte aufgenommen, die nur was in die große Strömung ihrer jedesmaligen Bewegung eintritt, anerkennt.

Dieſe Betrachtungen führen uns zum zweyten großen Gegenſatze, Grund einer andern Entzweyung in dieſer Zeit, dem nämlich, der zwiſchen dem monar¬ chiſchen und demokratiſchen Prinzip beſteht, und in dem das Verhältniß der Regierung zum Volke zu ermitteln, aufgegeben iſt. Das Alterthum in all ſei¬ nem Thun und Bilden von einem richtigen Naturin¬ ſtinkt geleitet, hatte größtentheils unbewußt die Geſell¬ ſchaft, ſelbſt eine Gemeinſchaft lebendiger, organiſcher Individuen, nach den Geſetzen und in den Formen des organiſchen Lebens geordnet und geſtaltet; ſo daß die Bildungskraft, austretend aus dem Beſondern in das Geſammte, in ihm immer nur den Typus des einzel¬ nen Organisms reproduzirte. Es giebt aber in dieſem, wie zweyerley Geſetze und zweyerley Lebensverrichtun¬ gen, ſo auch gleichviel Syſteme, das Automati¬ ſche und das Willkührliche. Jenes in dem der Schlag des Herzens und aller Pulſe und alle andern150 Bewegungen des untern Lebens von ſtatten gehen, hegt in ſich ſelbſt ſein eignes Recht und ſeine Ordnung; es hat ſeine eigne inwohnende Naturſeele, die unter viele unabhängige Organe ihre bildenden und erhalten¬ den Inſtinkte vertheilt, und ihre ſelbſtige und unabhän¬ gige Gedankenfolge und Ideenverbindung hat, in ihr aber wie im Traume den Geſetzen der allgemeinen Natur¬ nothwendigkeit unterliegt. Das Andere aber in dem die Sinne und alle willkührlichen Bewegungen des höhern Organisms wirken, iſt auch an eine höhere geiſtige Herrſchaft angewieſen; ſtatt jenes dunkeln Inſtinktes iſt es eine ſelbſtbewußte Anſchauung und eine ſich be¬ ſtimmende freye Willenskraft, die alle Verrichtungen ordnet und beſchließt; die Bewegungen erfolgen alſo nicht in jener zum Voraus beſtimmten Wiederkehr, ſie ſind nur mittelbar an äußere Naturverhältniſſe ge¬ knüpft; dafür aber iſt es jene höhere Willkühr, der ſie unbedingt ſich unterordnen, und die ſie nur von oben herab alſo beherrſcht, daß alle Theile in Eins verbunden, bis ins Einzelnſte ihr zugängig ſind. Beyde durch leitende Zwiſchenorgane verknüpft, ſich wechſel¬ ſeitig kräftigend und belebend, erhaltend und übend, er¬ nährend und begeiſtigend, bilden erſt jenes in ſich geſchloſſene freythätige Ganze, das als das höchſte Kunſtwerk der Schöpfung uns erſcheint.

Jenes Erſte aber, was wir aufgezählt, wird mehr von der Natur jenes Realen an ſich haben, alſo ei¬ gentlich das vorherrſchende Element des Staates ſeyn: das Zweite aber dem Idealen näher ſtehend, wird auch als das mehr kirchliche Element erſcheinen: in der Kirche ſelbſt aber wird jenes mehr die proteſtan¬ tiſche, dieſes die katholiſche Richtung in ſich tragen,151 im Staate aber das Eine das demokratiſche, das An¬ dere das monarchiſche Prinzip darſtellen. Die Demo¬ cratie ſtrebt ihrem Weſen nach eigenwillig allein auf ſich ſelber zu beruhen; ſie will ſich ſo viel wie möglich ſelbſt beſtimmen, und ſcheut jede Gewalt, die von oben herab nach allgemeinen Abſtraktionen zu ordnen und zu richten ſich anmaßen will; ſie iſt darum weſent¬ lich theilend und zerſetzend; das Allgemeine auflö¬ ſend bis zum Beſonderſten, ſo lange bis die einzelne Perſönlichkeit als letztes Element der Gemeinde der Theilung Gränze ſetzt. Darum iſt ihr die Autorität nichts, die eigne Ueberzeugung aber die einzige Richte¬ rin der Handlungen; die Gemeinſchaft hat nur eine von unten herauf delegirte Gewalt; die Einheit iſt nur aus einer einſtimmigen Vielheit abgeleitet, und hat ohne dieſe keinen idealen Beſtand und keine Macht in ſich. Das monarchiſche Prinzip aber iſt weſentlich Entſagung und Selbſtentäußerung; es ſteigt ſynthetiſch in einer Folge von Abſtraktionen auf bis zur höchſten Gewalt, und betrachtet von da wieder abſteigend alles Untergeordnete als Ausfluß jenes erſten Setzenden, jener Einheit, die das Ganze in ſich beſchloſſen trägt. Darum behauptet das Einzelne hier keinen Beſtand in ſich, es verliert ſich willig an jenes Ganze, das alle Theile aus ſich hervorgetrieben, und ſie nun in einer ſtetigen Gemeinſchaft hält, ſo daß ein Jegliches in dem Andern ſey, und jeder Theil der zum Organe des Allgemeinen wird, ſeine ganze Kraft erhält. Darum iſt der weſentliche Charakter des Monarchiſchen Glaube und Gehorſam an jene einige Allgemeinheit, die aus dem Aufgehen alles Beſondern hervorgegangen, und152 hiſtoriſch eben ſo die verſchiedenen Zeiten in einer all¬ gemeinen lebendigen Tradition vereint.

Darum weil jeder keimende Staat zuerſt im Natur¬ gebiet ſich begeiſtigen und bewurzeln muß, darum iſt in den Verfaſſungen des Alterthums am ſichtlichſten in den Griechiſchen, wie noch heute in denen der Neuen Welt, die zur Selbſtſtändigkeit gelangt das demokratiſche Element vorherrſchend, eben wie in der Kirche dort die Vielgötterei des Heydenthums, hier das diſſentirende Sektenweſen. Jene griechiſchen Ver¬ faſſungen waren in allen ihren Elementen, Familie, Gemeinde, Staat, durchgängig automatiſch, und das unentbehrliche Monarchiſche wurde durch eine Ariſto¬ kratie, ſelbſt wieder ein engerer Demos, hinzugethan.

Darum waren alle dieſe Democratien durchaus in größtentheils bewußtloſem Inſtinkte gegründet und be¬ halten; die wandernden Völker zogen wie die Störche und nach dem Naturtriebe der andern Zugvögel; die Anſäſſigen bauten ſich gleich den Bibern bey den Wäſſern an, und ſandten Colonien aus nach Art der Bienen; im Innern der Geſellſchaft war alles nach Na¬ turperioden und Umläufen geregelt; in den Gewalten waren abſteigende und aufſteigende Naturmächte dar¬ geſtellt: die Abtheilungen des Landes waren natürlichen Scheidungen nachgebildet, überall große Naturtypen in ihr nachgeprägt. Selbſt die Sitte herrſchte wie eine phyſiſche Gewalt, und das Band des Staates war eine Wahlverwandtſchaft ſich fliehender und ziehender Gegenſätze. Rom, innerlich nach gleichem Prinzip gebaut, trug äußerlich das Monarchiſche, doch immer noch gebunden im Sinne der alten Welt in die Ber¬153 faſſung ſeines großen Weltreichs ein: die Provinzen waren weſentlich gehorchend, und Rom trug aller Völker Willkühr beſchloſſen in der Seinigen, wie ſein capiteliniſcher Jupiter herrſchte über alle Götter des bezwungenen Erdenkreiſes.

Als die Teutſchen aus ihren Wäldern die Bollwerke dieſes Reichs erſtürmt, da nahmen auch ſie in ihren Naturſtaat im Fortſchritte der Zeiten mehr und mehr von der geiſtigen Einheit des monarchiſchen Prinzipes auf, das jetzt durch das Chriſtenthum ſeine Begrün¬ dung in einer höhern Welt, und von da ſeine Weihe und Delegation erlangt. Als daher der Franken Schwerdt dem ganzen Weſtreich Einheit und Sicher¬ heit erſtritten, da gründete Karl der Große das erſte Kayſerthum im Geiſte der neuen chriſtlichen Zeit. Er ſelbſt, der erſte Fürſt von Gottes Gnaden und durch die Wahl des Volkes, capitulirte mit der Freyheit ſeiner Franken, und der übrigen durch ihre Waffen unterworfenen Völkerſchaften; und indem er großartig, edelmüthig, freyſinnig, aber auch wohlverſtändigt über das, was die geänderte Weltlage geboth, das Prinzip der altgermaniſchen Freyheit ehrend, und von unten herauf ihm jede Entwickelung geſtattend, mit dem chriſtlich monarchiſchen, das von oben herab durch die ganze Folge von Reichsbeamten, die im Krieg und Frieden ihre Vollmacht allein von der höchſten Gewalt erhielten, geſchickt verband, bildete er den erſten wahr¬ haft organiſchen, den ganzen Menſchen in allen ſeinen phyſiſchen und geiſtigen Regionen in ſich beſchließenden und in höherer Steigerung nachbildenden Weltſtaat.

Als in der folgenden Zeit die Einheit, von ihm in ſeinen langwierigen Kriegen vielleicht allzuſtreng ge¬154 handhabt, durch mannichfaltige Verhältniſſe geſchwächt, nachließ in ihrer das Ganze durchdringenden Energie, da ſtieg das automatiſche Prinzip, mehr und mehr Raum gewinnend, höher und höher gegen die Mitte auf, und gliederte nun den ganzen Staatskörper, die Vielheit immer bindend in eine Exponentialreihe ſich ſtets übergeordneter Einheiten, bis die letzte ſich in die kaiſerliche Macht verlohr, in eine Stufenfolge in ihrer Würde und Bedeutung abfallender Organe alſo aus, daß jedes Tiefere als die Wurzel des Höhern erſchien. So bildete ſich, indem die kaiſerlichen Be¬ amten ſich mit der Demokratie der Beſitzer in eine bewaffnete Ariſtokratie vereinigten, das ganze Lehn¬ ſyſtem des Mittelalters in ſeinen ſieben Potenzen durch die ſieben Heerſchilde aus; alſo daß der Kaiſer, die höchſte Einheit, den erſten führte; Biſchöffe und Präla¬ ten, die gefürſtet ſind, den zweyten nahmen; Layen¬ fürſten den Folgenden, Freyherren und Mittelfreye ſich in den vierten und fünften theilten, und dann die Ordnung durch die Dienſtmannen mit dem ſechſten endlich zu denen, die nicht eigen ſind, aber ohne edel zu ſeyn, doch ächter Geburt und freyen Beſitzes ſich erfreuen, unter dem ſiebenten niederſtieg. So hatten alſo alle Beſitzenden, indem ſie wie beim Eintritt in den Staat die perſönliche Freyheit, ſo ihr Gut an die Gemeinſchaft hingegeben, um es gefeſtet und ge¬ währt durch Alle wieder zu erhalten, ſich in jener ſiebenfach gegliederten Maſſe zu wechſelſeitiger Leiſtung und wechſelſeitigem Schutz in eine wohlbewehrte Schil¬ derburg zuſammengeſchloſſen, die nun in die Mitte der Zeiten trat, und alles Heymathloſe, was ſie ſich nicht angeeignet, und was ſonſt die Gewalt der Waffen155 ihr bezwang, als der Leibeigenſchaft verfallen, in eine obgleich milde Dienſtbarkeit verurtheilte.

In dieſer Art von Durchdringung beyder Prinzipien hat das teutſche Mittelalter ſeine andere glänzende Zeit durchlaufen, und Teutſchland zum Haupt der Chriſtenheit erhoben. Aber im Fortſchritt der Zeiten mußte auf demſelben Wege, in dem jenes Syſtem von unten herauf ſich entwickelt hatte, daſſelbe demokratiſche Prinzip, das ſich in ihm ſteigernd die ganze Organi¬ ſation hervorgetrieben, ſich immer weiter um ſich brei¬ tend, ihr eigenes Werk zerſtören. Als daher die ſtar¬ ken ſchwäbiſchen Kayſer dahingegangen, und während ihre Würde an die Wahl geknüpft blieb, Die der Reichsbeamten erblich wurde, als das wilde Fauſtrecht mehr und mehr um ſich griff; da mußte die Einheit mehr und mehr zerrinnen in die Vielheit der zweyte und beſonders der dritte Heerſchild mußte ſich je mehr und mehr verſtärken, weil ſie am meiſten von der Ein¬ heit in ſich trugen. Dieſe Verſtärkung aber geſchah zugleich aufwärts auf Koſten der kayſerlichen Macht, die ſie innerlich aushöhlten; und auf Koſten der untern Vaſallen, die ſie theils ausſogen, theils durch Beſte¬ chung ihrem Intereſſe gewannen.

So bildete ſich die Territorialhoheit allmählig aus, die, als die Erfindung des Schießpulvers das Kriegs¬ geſchick der Lehnsvaſallen entbehrlich gemacht, ſie theils in Höflinge, theils in Söldner beim Heere umſchuf; dann als die Entdeckung Amerika's Ströme Goldes in die Geſellſchaft leitete, durch das Steuerſyſtem ſich bald gänzlich unabhängig von der Bewilligung der Grund¬ beſitzer machte; endlich als die Reformation ausbrach, auch die Kirche gänzlich unterjochte. So zerfiel das156 Reich in jenes Gewimmel kleiner und größerer Tyrannen, die nur den Schein eines Richters und Oberhauptes über ſich duldeten, aber niederwärts ſtets fortſchreitend das demokratiſche Prinzip untergruben und bemeiſterten.

Um dies zu bewürken wurden nach und nach jene Centraliſationsſyſteme ausgeſonnen; bis ins Allerein¬ zelnſte hin zog der Staat Alles in ſeine Curatel; auch das Geringfügigſte ſollte von der Mitte aus geleitet ſeyn; die ſogenannte Polizey hofmeiſterte von oben herab alle Glieder der Gemeinſchaft bis ins Innere des Familienlebens hinein; die Kirche ſelbſt wurde zu einem Werkzeug dieſer Politik herabgewürdigt. Aber ſchwer rächte ſich die mißhandelte Natur an denen, die dies unſinnige Syſtem zu üben ſich herausgenommen. Jene centraliſirten Verrichtungen forderten zu ihrer Hand¬ habung Naturen höherer Art, als der gemeine Men¬ ſchenſchlag ſie biethet, und fanden meiſt ohnmächtige Organe, die in der Regel an Kraft und Einſicht noch unter jenem Mittelmaaße ſtanden; während von Unten, wo alle Autonomie mehr und mehr erlahmte, nicht Hülfe noch Erfriſchung der iſolirten Gewalt zuſtrömte.

So wurde dieſe in dem Maaße, wie ſie mit gierigem Heißhunger um ſich fraß, kraftloſer und ohnmächtiger; und in dem Verhältniß wie die Maſchiene ſich verwik¬ kelte, mochte die ſchwache Feder, die das Ganze zu treiben unternommen, weniger den Widerſtand bezwin¬ gen, und der Reibung Meiſter werden. Da alle In¬ ſtinkte mehr und mehr erloſchen, und die Naturtriebe in ſich vergiengen, ſo wurde die ganze Staatswirth¬ ſchaft ein künſtliches Verſtandeswerk ohne Leben und Natur; wie der Grundbeſitz erſt in Geld, und dieſes zuletzt in Papier aufgegangen, ſo wurde alle organiſche157 Lebenskraft ein todtes Buchſtabenwerk, das im eignen Umkreiſe ſein Weſen trieb, und mit der wirklichen Welt nur wenig zu ſchaffen hatte; und die Staaten waren den Thieren in jenen phyſiologiſchen Verſuchen zu ver¬ gleichen, denen man das Hirn herausgenommen, und den Schädel mit einem Gemiſch von Zink und Queck¬ ſilber gefüllt, und die nun vom galvaniſchen Reize ſich aufgerichtet, herumliefen, ſprangen und als furchtbare Geſpenſter des Lebens ſich bewegten.

Während indeſſen dies Syſtem im vollen Fortſchrei¬ ten begriffen war, bereitete ſich im Stillen die Gegen¬ wirkung. Dieſe gieng aus vom ſechſten und ſiebenten Heerſchild, den da führen die Dienſtmannen und jene, die nit eigen ſind und rechter Ehe Kinder, von denen der Sachſenſpiegel ſagt: als man nit enweis, wenn die ſiebent Welt ein Ende nimt, alſo weiß man nit, ob ſie Lehn mögen haben oder nit, die aber nun nachdem ihre Zeit gekommen, gleichfalls zu ſteigen und zu wachſen begannen. Unter dem Schutze dieſes Heer¬ ſchildes hatten die Freyen in den Städten in ihren Innungen ſich geſammelt, und in den Hanſa's verban¬ den ſich dieſe Gemeinheiten wieder zu Innungen höhe¬ rer Ordnung. Zugleich hatte in der Revolution der Schweiz ſich ein unabhängiger Bauernſtand gegründet. Das Eindringen des Geldes vermehrte die Zahl der unabhängigen Eigenthümer, und brachte bald den größten Theil des Grundbeſitzes in die Hände der freyen Gemeinen; der Dienſt in den ſtehenden Hee¬ ren gab ihnen die Waffenehre, die Buchdruckerey die Einſicht und die ſonſt in den höhern Ständen gebannte Wiſſenſchaft, und die Reformation bald dazu die Glau¬ bensfreiheit.

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So wuchs das demokratiſche Element in ſeiner Ge¬ diegenheit im Stillen in dem Verhältniß an, wie das monarchiſche extenſiv um ſich greifend, ſich inten¬ ſiv ſchwächte und verflüchtigte; und indem das Letzte in ſeiner Ausbreitung, die ſtändiſchen Freyheiten vor¬ beygehend, jenes Element mehr und mehr zu unter¬ graben ſich bemühte, mußte es endlich zu gewaltthä¬ tigen Rückwirkungen kommen, die dann allmählig die ganze Bewegung wieder rückläufig gemacht. Von dieſer Art waren die Revolution in England und der Auf¬ ſtand der vereinigten Niederlande; in unſerer Zeit die franzöſiſche Umwälzung, die nun auch in Teutſchland das demokratiſche Element bis zum höchſten Grade der Spannung gerade da hinauf getrieben, als das Territorial-Syſtem durch die gänzliche Auflöſung des Reiches zu ſeiner Vollendung gekommen war; und da ſich alſo hier die allerweiteſten und äußerſten Gegenſätze gegenüberſtehen, ſo iſt zu begreifen, wie dieſe größte aller Spannungen auch nothwendig am dringendſten Beruhigung fordert, wenn ſie nicht in ähnliche gewalt¬ ſame Exploſionen aufgehen ſoll.

Sollen wir den gegenwärtigen innern Zuſtand Teutſchlands mit irgend einer Stimmung des organi¬ ſchen Lebens in Vergleichung bringen, ſo biethet ſich uns der magnetiſche Somnambulism als die treffendſte Uebereinſtimmung dar. Wie in dieſem Zuſtande das ganze höhere geiſtige Leben ins untere animaliſche her¬ abgeſtiegen, alle ſelbſtthätige Willkühr erloſchen iſt; alle Bewegungen nicht mehr dem Geboth des Einenden von oben herab gehorchen, vielmehr von unten herauf im Schlafwandeln Richtung und Ziel erhalten, alle Sinne geſchloſſen und in ſich gekehrt, und der Geiſt159 wie in einem dämmernden Nachſchimmer in weſenloſen Traumbildern ſpielt: ſo iſt ohngefähr auch die Autori¬ tät, eben weil ſie ſich geiſtig übernommen, und das ganze untere Leben von ſich abgelößt, nahe daran im Rückſchlag jener aufs höchſte geſpannten Reizbarkeit, ihrer ſelbſt unmächtig, ſich ſelber zu verliehren.

Wie aber in demſelben Zuſtande dem tieferen Natur¬ leben alles das zugewachſen, was dem höhern entgan¬ gen; wie neue Inſtinkte in ihm erwacht, ein neuer Sinn in ihm ſich geöffnet hat, der in anderer Weiſe an die Formen von Raum und Zeit gebnnden, ſich ſelber wie die umgebende Welt leicht durchſchaut; ſo iſt auch, beſonders ſeit der großen Anregung durch die Befreyungskriege, im dritten Stande dieſelbe Verkettung von Erſcheinungen herausgetreten. Alle Verrichtungen, die ſonſt nur dem höhern Staatsorganism zugekom¬ men, haben ſich in ihm ausgebildet; prophetiſche Organe haben ſich ihm aufgeſchloſſen; längſt verſiegte Bildungstriebe ſind aufs Neue in ihm erwacht; jener Weltſinn hat ſich als öffentliche Meynung in ihm kund gethan, die alle Bewegungen auch wider den Willen der Organe lenkt, die alle Weltverhältniſſe in ihrer Art durchſchaut, und zugleich auch ihren eigenen kran¬ ken Zuſtand leicht erkennt, und die Heilmittel angiebt, ihn zu heben.

Dieſer Gemeinſinn aber gebiethet, daß die beſtehende Spannung allein durch eine Verknüpfung des demo¬ kratiſchen und monarchiſchen Elements beruhigt werde, und zwar alſo, daß das Erſte nach aufwärts, bis an den Monarchen reiche, der in ſeiner Unverantwortlich¬ keit auf der Höhe der Geſellſchaft ſteht; das Andere aber nach abwärts bis an die Gemeinde niederſteige,160 die als geſchloſſene Gemeinſchaft der Familienväter die Baſis des Ganzen bildet. Ja den Mittelgliedern aber ſollen beyde Elemente, ſich zugeordnet, immer gleich¬ zeitig zuſammenwirken; ſo zwar, daß gegen die Höhe anſteigend das monarchiſche Prinzip mehr und mehr überwiege, gegen die Tiefen aber niedergehend das Demokratiſche immer entſchiedener vorherrſche.

Frey ſeyn zu allem Guten muß nothwendig die Ge¬ meinde, wo eine ſolche wirklich vorhanden iſt, wie es die altgermaniſche geweſen; ſie muß völlig ungeirrt Recht weiſen durch ihre Schöffen, und ihre innern Angelegen¬ heiten verwalten durch ihre Magiſtrate und Vorſtände, und Beyde müſſen durch unabhängige Wahl aus ihrer Mitte erleſen ſeyn, ſo zwar, daß Bürgermeiſter und Schultheiß oder Friedensrichter, weil in ihnen ſich das Monarchiſche an die Gemeinde knüpft, allein von der Regierung beſtättiget werden. Wie Dieſen das ge¬ ſchriebene Recht und das Herkommen in ihren Urthei¬ len zur Richtſchnur dient, ſo Jenen in den Beſchlüſſen das Staatsgeſetz, und Beyde in ihrer Eigenſchaft als Vorſtände der Gemeinde völlig unabhängig, ſind allein durch die Vermittlung dieſes poſitiven Bandes mit der höheren Regierung verknüpft.

Dieſe ſchließt ſich zunächſt in der zwiefachen Beam¬ tenwelt, den gerichtlichen und den Verwaltungsbehör¬ den, an dieſe Mannigfaltigkeit in ſich abgeſchloſſener freyer Genoſſenſchaften; und jene Behörden ſind zu¬ nächſt die Leiter, die dieſe Mannigfaltigkeit unter ſich in ein Syſtem verknüpfen, andererſeits die Verbindungs¬ glieder dieſes Syſtemes mit der höhern Einheit. In dieſer Stellung vereinigen ſie einen dreifach verſchie¬ denen Charakter in ihren Verrichtungen; erſtens nachabwärts161abwärts die allgemeine Auſſicht über die Handhabung der Geſetzlichkeit in den Gemeinden, jedoch blos be¬ ſchränkend den Mißbrauch der Freiheit, keineswegs aber ſich einmiſchend in den Gebrauch; zweytens um ſich her, im beſtimmt abgegränzten Bezirke ihrer Würkſamkeit, die allgemeineren Verhältniſſe, die innerhalb deſſelben fallen, zwar nicht mit derſelben Freiheit wie die Gemeinde, aber doch mit einem gewiſ¬ ſen Grade von Selbſtſtändigkeit, und ſoviel wie mög¬ lich perſönlich zu ordnen und zu beſchicken; endlich über ſich dieſelbe, noch durchgreifendere Aufſicht, die ſie nach abwärts üben, von Seite der höheren Behörde zu dulden, und der vollziehenden Gewalt unbedingt zu gehorchen in Allem, was geſetzlich und rechtlich iſt.

Jede höhere Behörde wird daher gegen die nächſte untere im Verhältniſſe des monarchiſchen zum demo¬ kratiſchen Elemente ſtehen, und darum in dem Maaße, wie ſie in der Hierarchie der Gewalten anſteigt, auch der Zahl nach ſich mehr und mehr concentriren müſſen; alſo zwar daß die Miniſterien büreaukratiſch geordnet ſind, die Regierungen collegialiſch, jedoch viel gedrun¬ gener als nach bisher eingeführter Ordnung, da das Ständiſche die collegialiſche Vielheit vertritt, alſo zwey etwa unter einem Präſidenten, der im Mittel¬ punkte allenfalls durch die Vermittlung eines Landdroſten der Provinz, die leitende Verbindung mit den Mini¬ ſterien knüpft; die Landräthe aber zu den Regierungen in daſſelbe Verhältniß geſetzt, abwärts mit den Bür¬ germeiſtern und Ortsvorſtänden in größtentheils münd¬ licher Verhandlung, das Gedinge des Bezirkes zu¬ ſammenſetzen. Die gleiche Ordnung hat auch für die11162gerichtlich: Parthie aus der Erfahrung ſtatthaft ſich befunden, nur daß aus erheblichen Gründen, während der Präſident, als Organ der höhern Behörde zugleich Vorſtand der untern, die carolingiſchen Sendgrafen und Gaugrafen in ſeiner Perſon vereinigen mag; hier Beyde beſſer getrennt ſeyn ſollen; ſo wie auch die Beurtheilung der That gewählten Geſchwornen, die Anwendung des Geſetzes aber allein den Beamten anzuvertrauen iſt.

Da aber nun alle jene Beamten der untern Ord¬ nungen abſteigend mehr und mehr vom demokratiſchen Element in ſich aufnehmen ſollen, ſo iſt es unabweis¬ bare Forderung, für ſie in allen Provinzen das In¬ digenairecht wieder herzuſtellen, damit über die eigen¬ ſten Verhältniſſe des Landes nur entſcheide, was ſeinem Boden entwachſen iſt. Darum müſſen alle Beamten der Gemeinde durch Jene, die Gut und Geld in ihr beſitzen, oder was Gut und geldeswerth iſt, eine ſelbſtſtändige Induſtrie ausüben, damit nicht Pöbelherrſchaft den Staat verderbe, in freyer ſchlecht¬ hin von der Regierung beſtätigter Wahl geſetzt, die höheren Juſtiz - und Verwaltungsbeamten bis an die Prokuratoren und Präſidenten durch die Bezirke in dreyfacher Liſte, aus der die Regierung wählt, berufen ſeyn; die Höheren aber durch einfache Ernennung von Seiten der vollziehenden Gewalt, darum auch, aber nur bey der Verwaltung, durch ſie abrufbar, während die Gewählten nur durch den Spruch auf Urtheil und Recht von ihren Stellen zu entfernen ſind.

Um aber den Gang dieſer Beamtenwelt wie durch einen Antagonism zu ordnen und zu regulieren, und um bei der Bildung jener Rechte und Geſetze, in163 denen ſie ſich bewegen ſoll, auch mit dem demokra¬ tiſchen Elemente mitzuwirken; werden für den engern Kreis örtlicher Verhältniſſe die Provinzialverſammlun¬ gen, für Allgemeine die Reichsparlamente berufen und gewählt, daß ſie mit den Miniſterien und den Miniſterialen in freyer Wechſelwirkung, getragen und gekräftigt durch alle jene automatiſchen Inſtitutionen, in denen ſie ihre Wurzeln in die heimathliche Erde ſchlagen, was dem Heile des Ganzen gedeihlich iſt, und was ſeinem Zuſtand frommt, bilden und geſtal¬ ten mögen.

Nur auf dieſe Weiſe, urtheilt die Meinung, möge es wohl gelingen, wiederzufinden, was uns in den Jahrhunderten der Verwirrung verlohren gegangen, und auch in unſerer Art nach den gegebenen Momenten, das Problem aufzulöſen, was die ver¬ ſchiedenen Ztiten der teutſchen Geſchichte, jede auf eigenem Wege, ſich aufgelößt. Nur indem die Frey¬ heit ihr Recht erhalte, möge der Gehorſam auch willig ſeine Pflicht erfüllen; und ſo jene freye Unter¬ werfung, die einzige wahre Stärke der Staaten wie¬ derkehren. Nur indem die Gemeinde wieder eingeſetzt werde in ihre naturgemäße Selbſtſtändigkeit, und der ſtockende kleine Kreislauf wieder ins Fließen komme, möge die erſtorbene Theilnahme am Oeffentlichen wieder ſich beleben; jene erloſchenen Inſtinkte, an die we¬ ſentlich die Erhaltung des Ganzen geknüpft erſcheint, wieder erwachen; und indem ſie das Nähere mit ge¬ diegener Würkſamkeit erfüllen, jene weitumgreifende, ſchweifende, unbeſtimmte Thätigkeit nach und nach wieder in ihre Ufer treten, und jene krankhafte Er¬ regbarkeit ſich ſtumpfen und beruhigen.

11*164

Dadurch, daß eine freye Gedankenmittheilung, einzig an die Bedingung der Wahrheit in den That¬ ſachen und einer ſittlichen Billigkeit im Urtheile ge¬ knüpft, und in ihrem Mißbrauche blos an den Ausſpruch der Geſchwornen auf Recht und Billigkeit angewieſen, den geiſtigen Kreislauf unterhält, und nun die Ver¬ faſſung mit allen ihren Inſtitutionen unter der Alles durchſchauenden Aufſicht des Ganzen ſteht, ſey mit dem Wegfallen der ohnehin unzuverläßigen Controlle von oben, eine der Hauptquellen jenes Schreiberey¬ weſens abgegraben, an dem alle Staaten ſiechen. Dadurch, daß jede Behörde ihren eigenen Kreis abge¬ markt erhalte, innerhalb deſſen ſie auf ihre eigene Verantwortlichkeit Befugniſſe übt, und den ſie ſo viel möglich mit perſönlicher und unmittelbarer Thätigkeit erfüllt, ſey eine andere reichlich fließende Quelle dieſes verderblichen Unfugs abgegraben. Statt des loſen Papierbandes, das jetzt die Monarchie, die, wenn ſie nicht zu roher Gewalt ihre Zuflucht nimmt, in gänzlicher Unmacht aus einer abſtrakten Welt herab, beynahe keines Einfluſſes auf die Wirkliche ſich erfreut, mit der Demokratie verbindet, die von den unterſten Beamten allein beherrſcht, von oben herab nur ver¬ worren und geirrt, getrieben von dem Naturlauf der Dinge, immer ſchwebend am Rande der Anarchie, die Dinge und Angelegenheiten beſchickt, wie es ſich eben fügen will, ſchlinge alsdann wieder ein warhaft organiſches Band die zerfallenen Sphären in eine wahre begeiſtigte Leiblichkeit zuſammen, worin immer je Eines getragen von dem Andern Beyde wechſelſeitig das gemeine Wohl fördern mögen. Nur indem der gänzlich inhaltsleere Formalism des heutigen Regie¬165 rungsweſens in ſolcher Weiſe Stoff und Inhalt er¬ lange, bekäme das monarchiſche Prinzip mit der Fülle erſt die rechte Stärke, und es hörten die Regierungen auf, blos wie Irrlichter über einem gährenden Boden loſe hinzuſchweben, nahend dem Betenden, fliehend vor dem der da flucht. Nur erſt, wenn ſie aus einem ſo dunſtigen Beſtande einträten in ein friſches, grünen¬ des und durch alle Triebe gekräftigtes Leben, würden ſie in Eins mit ihm zuſammenwachſen, und ſo allein der von ihnen beſeelte Staat wieder zu einem wahrhaften Organism ſich erheben.

Neben den Inſtitutionen, die zur Erhaltung des Staates und zum Landfrieden dienen, kommen zunächſt jene in Betrachtung, die zu ſeinem Schirm zur Vertheidigung und zur Landwehre geordnet ſind. Das Heer zur carolingiſchen Zeit, durch den allgemei¬ nen Bann berufen, gliederte ſich unter den ſpätern Kayſern in die mehr zum Demokratiſchen neigenden Formen des Lehnſyſtems: und dieſe Geſtalt erwieß ſich durch viele Jahrhunderte geſchickt, jeglicher Kriegs¬ gefahr zu ſtehen, und den Namen der Teutſchen über ganz Europa auszubreiten. Als aber die Lehen erb¬ lich wurden, und das Heer nun bald in eine Janit¬ ſcharenkaſte ausgeartet war, mußten ſich auch alle Nachtheile dieſes Syſtems in ihm entwickeln, und fortan pflanzenhaft an den Boden feſt gefeſſelt, mußte es bald jene äußere Beweglichkeit verliehren, die zum Kriege erfordert iſt, und nur jene Innerliche beybe¬ halten, die zu Meutereyen aufgelegt macht.

Darum als die neue Waffenart aufkam, warf der ſtreitbare Geiſt der Nation ſich unwillig auf das ent¬166 gegengeſetzte Aeußerſte, und nun kamen die ſtehenden Heere auf, in deren Einrichtung das monarchiſche Prinzip allein und ausſchließlich herrſcht; blinder Ge¬ horſam das einzige Band iſt, in dem das Ganze zuſam¬ menhält, und die eigne ſpezifiſche Waffenehre der ein¬ zige Trieb, der es beſeelt. Als aber die Erfahrung die Nachtheile auch dieſes Extrems erwieſen; als ſich bald ergeben, daß derſelbe Mechanism, in dem die Verfaſſung erſtarrt, auch in nichtigem Kamaſchendienſt und eiteln Paradekünſten Geiſt und Muth verkrüppelte; und wie, indem hier wie dort der gänzlich ausgewie¬ ſene Geiſt in leeren Theorien ohne allen Verkehr mit der Wirklichkeit ſich verlohr, alles praktiſche Geſchick erſtarb, erkannte man, daß auch hier eine Verjüngung in der Quelle ewiger Jugend noth thue und geboten ſey und ſo wurden Landwehren wieder hervorgeſucht. Man erkannte, daß, da das Syſtem der ſtehenden Heere einmal allgemein geworden, und die ganze Kriegskunſt ſich nach ihm gebildet hat, in ihm aller¬ dings eine nothwendige hiſtoriſche Entwickelung darge¬ ſtellt ſey, und daß nun kein Staat für ſich und einzeln ohne Nachtheil von einer Ordnung ſich losſagen könne, die durch die große Beweglichkeit, durch ihre Erſchloſ¬ ſenheit bis zum Einzelnſten herab, durch ihre Lenkbar¬ keit und den Rhytmus ihrer Bewegungen, die ordnende Idee mit einer Wirkſamkeit durchſchlagen läßt, die dringend durch die Natur der Sache ſelbſt geboten, nicht leicht auf anderm Wege erreichbar ſeyn mögte. Darum iſt man allgemein einverſtanden, daß ſo lange die gegenwärtigen Kriegsverhältniſſe beſtehen, im Heere, dem bewaffneten Arme der vollziehenden167 Macht, die eigentliche Domaine des monarchiſchen Prinzipes, und in ihm das alte Heergefolge der Waf¬ fengeſellen des Fürſten völlig hergeſtellt ſey; ſo daß um dieſen Begriff feſtzuhalten, ſeine Dotation eigent¬ lich mit der Civilliſte verbunden bewilligt werden ſollte. Aber dieſem weſentlich gehorchenden Heere iſt, als ſeine Natur begründend und als Fuß der vollziehenden Macht, die Landwehr beygefügt, in der eben ſo weſentlich das demokratiſche Prinzip vorherrſcht. Während das Gefolge an die Perſon des Fürſten geknüpft, und unter ſeinem Banner ziehend, ſeiner Natur nach, da die hier verlangte gänzliche Willens¬ entäußerung nicht gefordert, ſondern nur durch einen freyen Entſchluß bewilligt werden kann, im Frieden allein aus Freywilligen und Geworbenen beſtehen ſollte, die der Dienſteid bindet; wird hingegen die Landwehr an den Boden geknüpft, zu ſeinem Schutze beſtimmt, und blos durch den Bürgereid gebunden, aus allen denen beſtehen, die nicht dadurch, daß ſie Familien¬ väter geworden, oder durch Ergreifung eines mit den Waffen unverträglichen Standes, aus der Klaſſe der Schützenden in die der Geſchützten übergegangen; und es kann unter den Wehrhaften für dieſen Dienſt keine andere Ausnahme beſtehen, als diejenige, die in billi¬ ger Schätzung der Umſtände und Verhältniſſe ſich von ſelbſt ergiebt. Aber eben weil die Landwehr bügerlicher Natur iſt, ſoll auch das bürgerliche Element in ihr vorherrſchen; ſie ſoll weder zu Paradekünſten abgerich¬ tet, noch zu ihnen mißbraucht, blos die zum Kriege nothwendige Fertigkeit erlangen. Wie die Gefolge, weſentlich innerhalb ihres Umkreiſes ihren eigenen168 Diſciplinargeſetzen pflichtig, nur in der Ausnahme bey bürgerlichen Vergehen dem bürgerlichen Geſetze unter¬ worfen ſeyn ſollen; ſo der Landwehrmann weſentlich dem allgemeinen bürgerlichen Rechte, und in der Aus¬ nahme nur, wenn er unter Waffen ſteht, einer eige¬ nen ſtrengen, ernſten aber angemeſſenen Diſciplin, die Ordnung und Zucht erhält, ohne den unabhängigen Sinn des Bürgers zu erſticken. Wie endlich in den ſtehenden Heeren alles von oben herab geſchieht, und alle Ernennungen ausgehen von der höchſten Macht; ſo müßten bey der Landwehr die untern Offizierſtellen bis zu einem gewiſſen Grade hinauf, durch freye Wahl der Wehren, unter Beſtättigung der Regierung, ihre Beſetzung finden.

In dieſer Einrichtung, zu der die gegenwärtige preußiſche Landwehrordnung nur als eine Vorbereitung gelten kann, würde die Handhabung der Waffen, wie Leſen und Schreiben, eine allgemeine Fertigkeit aller Einfaſſen; die kriegeriſche Uebung würde eine Bürger¬ pflicht, die wie ſo viele Andere Jeder dem Vaterlande ſchuldig iſt; und die Pflicht würde, wenn erſt ein gemeines Weſen wirklich gewonnen iſt, leicht zur Luſt, ſtatt daß jetzt, da von aller Liberalität nichts als die Laſt geblieben, nur die Hoffnung einer beſſern Zukunft ſie noch erträglich macht.

Wenn aber wie die Jugend den Waffen, ſo das reifere Alter dem Oeffentlichen wiedergewonnen iſt; wenn dann innerlich die erhaltenden Kräfte dem Staate den Gehalt und die Fülle des Lebens in reichlichem Maaß zuführen, und äußerlich die kriegeriſche Uebung Stärke, Kraft und Gewandtheit in die Maſſe bringt;169 dann mögte es wohl gelingen, wenigſtens einen Theil des ſchönen Ebenmaaßes, das die Staaten des Alter¬ thumes ausgezeichnet, in die Neuen zurückzuführen. Daß aber dies Ebenmaß zwiſchen dem bildenden Ele¬ mente und den bildenden Kräften eintrete, und wenn es eingetreten, erhalten werde, damit nicht, wenn die Wage auf der einen Seite überſchlägt die feiſte Gemäch¬ lichkeit und Philiſterey des Bürgerthums vorwiege, oder andererſeits, wie bei den Athleten des Alterthums, nachdem durch allzuheftige Gymnaſtik ſich alle Maſſe des Stoffes aufgezehrt, Impotenz und frühe Aufrei¬ bung der Lebenskräfte eintrete; auch darüber zu wachen iſt ein Beruf der Stände, die da im Frieden durch ihre Geldbewilligung weiſe dem zu großen Anwachs des Gefolges Gränzen zu ſetzen vermögen, im Kriege aber durch Beſtimmung der Anzahl derjenigen, die aus der Landwehr als Zuzug unter dem Banner der Nation ins ſtehende Heer übergehen ſollen, daſſelbe leicht bis zu dem Punkte verſtärken können, den die Umſtände und Verhältniſſe der Zeit gebieten.

Es folgt zunächſt der dritte Streitpunkt, der in vielfältigem Hader dieſe Zeit entzweyt, das Ver¬ hältniß nämlich, in das die verſchiedenen Stände zur Verfaſſung zu treten haben. Das Alterthum, auch hier bewußtlos ſeinem plaſtiſchen Bildungstriebe hin¬ gegeben, ohne ein Gerüſte logiſcher Abſtraktionen zu Hülfe zu nehmen, bildete dieſe gleichſam von unten herauf bervor; indem auch in dieſer Beziehung der Staat organiſch in allen ſeinen Gebilden ſich wie eine mathematiſche Reihe mit ſtets ſteigenden Exponenten der zuſammenſetzenden Glieder entwickelte. Seit der170 graueſten Urzeit unterſchied man drey verſchiedene Stände, und jenes uralte Bild, das den Lehrſtand und die geſammte Prieſterſchaft dem Haupte beylegte, den Wehrſtand den Armen, den Nährſtand dem Leibe, oder eigentlicher den innern Lebenstheilen, beweißt, daß man ſchon damals jene Anſchauung des Staates als eines lebendigen Organisms gehegt, und in ihr die Wechſelbeziehung der verſchiedenen Theile des Ganzen feſtgeſetzt.

Dieſe Abtheilung, urſprünglich in der Verſchiedenheit der Raçen durch die Natur ſelbſt begründet, gieng zuerſt in jenen Urſtaaten in die Verfaſſungen über, die durch die Ueberlegenheit des Schwerdtes über das blos pflanzenhafte Leben, und durch die gleiche Ueber¬ legenheit des Geiſtes über das Schwerdt geſtiftet wurden. Die edleren Raçen, die alſo ſiegreich jene Staaten gegründet hatten, ſuchten die Reinheit ihres Blutes dadurch zu ſichern, daß ſie ſich in ſcharf um¬ ſchriebenen Caſten abgeſondert hielten, innerhalb deren Rechte und Beſitzthümer auf ewige Zeiten gewährt von Geſchlecht zu Geſchlechte durch Erbſchaft überliefert[wurden], die aber äußerlich nach dem Geſetze und der Regel ſich nicht vermiſchen ſollten, oder wenn dies in der Ausnahme je geſchah, den verſchiedenen Halb¬ ſchlächtigen die durch dieſe Miſchungen entſtanden, jedem wieder in beſtimmten Uebergangsgliedern ſein Organ und ſeine Verrichtung ſtreng abmarkten.

Das Chriſtenthum, indem es die Gleichheit aller Menſchen vor Gott verkündigte, und gerade aus den unterſten Klaſſen ſeine erſten Organe wählte, brach zuerſt zugleich mit dem Sclaventhum auch das Caſten¬171 weſen; und wie es die Rechtloſen Alle ins Recht auf¬ genommen, verwandelte es die Caſten zuerſt in Stände, die Anfangs allerdings noch zu jener Geſchloſſenheit hinneigten, aber jemehr der ideale Geiſt des neuen Glaubens und der neuen Sitte, die durch ihn begrün¬ det wurde, ſich Bahn machte, um ſo mehr ihre Ver¬ bindung zu öffnen ſich genöthigt ſahen, und wechſel¬ ſeitig ſich kreuzend in eine mehr und mehr allgemeine Unbeſtimmtheit ſich verlohren. Die Stände der euro¬ päiſchen Republik des Mittelalters, obgleich ebenfalls zum Theil, wie die alten Caſten, urſprünglich auf das Kriegsrecht zwiefacher Eroberung gegründet, ſind doch darum nicht wie dieſe verſchiedene Völker, die ihre Stammburgen auf verſchiedenen Höhen vom Gipfel bis zur ſumpfigten Niederung aufgeſchlagen, und nun im ſchnellen Abſturz der Vorrechte und Pri¬ vilegien vom höchſten Hochmuth der gottgleichen Wie¬ dergebornen bis zur verworfenſten Niedrigkeit der gottverhaßten Ausgeſtoßenen übergehen. Das Chriſten¬ thum hat dieſe ſchneidenden Unterſchiede ausgeglichen; es hat die Uebergänge gemildert und die Anſprüche der Gewalt geſänftigt; dadurch, daß es die geiſtige Ebenbürtigkeit aller Menſchen anerkannt, und auch die Unterſten durch die Taufe zu Wiedergebohrnen erklärt, hat es das Geſchiedene näher vereint; ein gemeinſames Band der Liebe hat ſie in eine einzige Gemeinſchaft eingeſchlungen, und es ſind nicht mehr verſchiedene feindliche Seelen, die in einem Leibe wohnen, vielmehr nur verſchiedene Facultäten derſel¬ ben Seele, die nur in verſchiedenen Gliedern in ver¬ ſchiedener Weiſe ſich zu äußern getrieben iſt.

172

So war alſo der Lehrſtand weſentlich der Bewahrer aller göttlichen und menſchlichen Weisheit, von Alter zu Alter durch die Tradition fortgepflanzt; er galt als der Inhaber des ganzen geiſtigen Vermögens, das in der Geſellſchaft im Umlauf war; er vertrat im Staate ſelbſt den Logos, das ordnende Prinzip, das von der Höhe herab Ebenmaß geben ſoll und Ordnung der regelloſen Beweglichkeit der Unterwelt; darum war das Ehrwürdige ſein Attribut.

Der Wehrſtand, in deſſen Mitte und Schwerpunkt der Fürſt als erſter Beweger ſeine Stellung hatte, ſollte als der Schirm und Hort des Vereines und der Schutz des Thrones ſtehen; die Kraft des Ganzen ſollte ſich in ihm vereinen, der Muth ſollte ſein we¬ ſentlicher Charakter ſeyn, Tapferkeit ſein Inſtinkt, die Ehre ſein Erbe, ſein Schwerdt immerdar der Schutz des Schwachen: ſo war er der Thymos nach jener alten Lehre im Verein, und das Ehrenveſte ſein Attribut.

Endlich im Nährſtande die Kinder der Erde ans Irdiſche geheftet, mit ihm ſchaltend und waltend und verkehrend, durch ihrer Hände Arbeit ihre Schätze hebend, und mit allen treibenden Kräften den Umlauf der Güter von der Wurzel bis zum Wipfel und wieder zurück beſchickend, die Epithymia im Staate, im Handel und Wandel und in allem Thun die Ehr¬ lichkeit ſein Zeichen.

Da der Nährſtand weſentlich beweglich iſt, ſo iſt auch das bewegliche Eigenthum, ewig getheilt und ewig wieder eingeſammelt ſein Gut; da der Lehrſtand aber ſeiner Natur nach beſchaulich und weſentlich ruhig ſeyn173 muß, ſo iſt ſein Gut unter den Gottesbann gefeſtet; weil aber der Wehrſtand zwiſchen dem Beweglichen und dem Ruhenden die Mitte hält, darum iſt ſeine Domaine in der Belehnung in ein Verhältniß zu ihm geſetzt, das zwiſchen der Feſtung und dem Wandelba¬ ren mitten inne ſchwebt.

Eben ſo iſt in demſelben Lehnſyſteme der Adel, der zwiſchen der Idee und ihrer Darſtellung im Realen ſeine Stellung hat, auch zwiſchen das demokratiſche und monarchiſche Prinzip getheilt, die ſich eben in der Ariſtokratie vereinen; und wie er hier in den ſieben Heerſchilden ſich in ſich zuſammenſchließt; ſo hat die Kirche über ihm, weſentlich monarchiſch, gleichfalls in ſieben geiſtliche Heerſchilde ihre Hierarchie geſchloſſen, indem vom Papſt und ſeinem Presbyterium durch die Erzbiſchöffe, Biſchöffe, Archidiacone, Decane, Pfarrer, ſechs Stufen bis zur Siebenten der Kloſtergeiſtlichen herunterführen, von denen man, eben wie von den Freygebornen des ſiebenten Heerſchildes, nicht recht weiß, ob ſie mehr der biſchöfflichen Hierarchie oder ſich ſelber angehören.

Wie aber hier alle Weihe und Autorität von oben herniederſteigt, ſo im Nährſtande alle Würde und alles Recht aus dem Beſitze; und bey rechter Ordnung des Staates weſentlich das demokratiſche Element in ſich beſchließend, oder bey eingetretener Unordnung mit unaufhaltſamem Naturtriebe nach ihm ſtrebend, hat auch er in jener Zeit nach der Siebenzahl ſich zu ſpalten den Trieb gezeigt, indem durch die Patrizier, Kaufleute, Gewerke, Unzünftige, in den Städten durch die Einſaſſen und Hinterſaſſen auf dem Lande174 bis zu den Heymathloſen gleichfalls ſieben ſcharfbe¬ zeichnete Stufen niederlaufen.

Indem aber die ſpätere Zeit eine Vertretung dieſer verſchiedenen Stände, als Wächterin der Territorial¬ macht, beyzugeben angefangen, hat auch bey dieſer die Idee zum Grunde gelegen, dem Nährſtand und dem Wehrſtand den Lehrſtand als dritten Vermittler, beyzu¬ fügen, damit wenn Rechte und Intereſſen mit der Gewalt und den Anſprüchen in einen für die Zweyheit völlig unauflöslichen Streit geriethen, die dritte ver¬ ſöhnende Macht nicht fehlen möge, die den Einen durch ihre Würde, den Andern durch die Kirchengemein¬ ſchaft und alles Menſchliche verwandt, unpartheyiſch ſchlichten könne zwiſchen den ſtreitenden Partheyen

Die neuere Zeit, ausgehend von den vielfäl¬ tigen Gebrechen, die bei der Ausführung dieſer Ideen in der Wirklichkeit ſich kund gegeben, hat eine andere Lehre aufgeſtellt. Dies Gerüſte der verſchiedenen Stände, urſprünglich durch die Gewalt und die Ueber¬ vortheilung der Einfalt durch Liſt gegründet, ſeye an ſich nichtig und verderblich; und dies Anſteigen durch Potenzen, wenn es auch für die Natur eine Geltung habe, ſey für die Geſellſchaft, die aus völlig gleich¬ artigen Elementen beſtehe, gänzlich unſtatthaft, und könne für ihre Entwickelung nur einen nachtheiligen Einfluß äußern. Wie daß Chriſtenthum den Grund¬ ſatz der völligen Gleichheit aller Menſchen vor Gott feſtgeſetzt, ſo müſſe auch vor dem Staate und dem Geſetze dieſelbe Gleichheit gelten; indem was geiſtig wahr ſey, ewig nicht leiblich im Realen ſich ſelbſt widerſprechend als unwahr ſich befinden könne.

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An jenem Unrecht, das der Uebermuth der Macht zuerſt geſetzt, und das alsdann das Herkommen von Geſchlecht zu Geſchlechte fortgepflanzt, habe die Zeit übrigens ſelbſt wieder nach und nach Recht geübt, und die Schranken allmählich niedergeriſſen, die die Conve¬ nienz nach bloßer Willkühr ausgeſteckt; längſt ſchon ſeyen die geiſtigen Güter nicht mehr der ausſchließende Beſitz der Prieſterſchaft; an der Waffenehre hätten alle Stände Theil genommen, und der Nährſtand habe ſchon ſeit langem nicht mehr die Verpflichtung aner¬ kannt, für die blos Zehrenden des Lebens Mühen allein auf ſich zu nehmen. Darum ſey es thörigt, jene ängſtlich künſtlichen Beſchränkungen, die ohnehin ſchon nach allen Seiten durchbrochen ſind, länger bey¬ behalten zu wollen; ſchon der Unterſchied zwiſchen Stadtwirthſchaft und Landwirthſchaft ſey nichtig; noch nichtiger die Schranke der Innungen, da Jeder das Recht haben müſſe, jedes Gewerbe oder Gewerk trei¬ ben zu dürfen, zu dem ihm ein Geſchick beywohnt; nichtig ſeyen ferner die Vorrechte des Adels, die als Solche nothwendig das Recht aufheben; nichtig der Anſpruch des Clerus auf die Freiheit der Gewiſſen, da ſchon der Begriff deſſelben durch den eines äußern einwirkenden Zwanges vernichtet ſey.

Es bedürfe auch keiner Vermittlung zwiſchen dem Fürſten und dem Volke, die wechſelsweiſe ſich zum Einen haltend und zum Andern, Einem um dem An¬ dern immer nur neue Vorrechte und Begünſtigungen abdringe, und überhaupt nur auf Unkoſten Beyder Boden gewinne. Falle aber der Gegenſatz zwiſchen dieſer habſüchtigen Ariſtokratie und dem Volke weg;176 dann ſey auch die Vermittlung des Clerus als gänzlich überflüſſig zu entbehren. Jede Feſtung des Eigenthums, die das ſeiner Natur nach ewig Bewegliche in die todte Hand niederlege, ſey daher ein Raub an der Geſammtheit begangen, und nicht zu bald könne das unnatürliche Band ſich löſen, auf daß die gebannten Güter wieder in den allgemeinen Umlauf träten, der wie der Umlauf des Bluts im Körper allein die Er¬ nährung und Kräftigung des Staats bedinge.

Dieſer ſtets bewegliche Beſitz ſey daher fortan die einzige Baſis der Geſammtheit, alſo daß ſelbſt das Geiſtigſte nur inſofern gelte, als es ſich auf ſolchen Beſitz zurückbringen laſſe; in ihm aber ſey wieder der Grundbeſitz das demokratiſche Element, der Geldbeſitz aber das Monarchiſche, alſo daß im Staate keine Domaine, die dem Volk gehöre, nur allein die Steuer gelte, und daß es nur monarchiſche Inſtitu¬ tionen in ihm gebe, die in der Beſoldung das Geld beherrſcht, und Demokratiſche, die an den gefreyten Grund gefeſtigt ſind. Darum gebe es nur einen Für¬ ſten im Mittelpunkte; um ihn her die Beamten und Soldatenwelt; in der Peripherie aber ſtehe das Volk im Beſitze der ganzen Gütermaſſe.

Damit aber nun das Centrum zwar ohne Grund¬ baſis blos auf der Geſammtheit ſchwebend, aber dafür große Schnellkräfte im engen Raume bergend, den zwar gediegen baſirten aber in ſeine Weite vielfach zerſtreuten Umfang nicht gewaltſam auseinanderſprenge, werde eine Vertretung angeordnet. Dieſe ſey an keine Körperſchaft, an keine allgemeine phantaſtiſche Idee, an keine moraliſche Perſon, nicht einmal an eineLandes¬177Landesabtheilung, Provinz, Grafſchaft, Stadt und Flecken, wie etwa in England, feſtgeknüpft; ſie hänge ſich mit dem Eigenthum allein an die Zahl, und werde nach der Summe der Stimmfähigen allein abgemeſ¬ ſen. Eine ſolche Repräſentation, die nicht wie jene Feudalſtände blos die Caſte, ſondern die ganze Ge¬ noſſenſchaft vertrete, ſey nun die Antitheſis gegen jene Theſis der Beamtenwelt, und im Antagonism Beider daure der Streit ſo lange, bis ſich endlich die gemein¬ nützige Syntheſis gefunden.

Es läßt ſich leicht erkennen, daß der Character dieſes Syſtemes, wie es auf den Conflict entgegenge¬ ſetzter Kräfte ſich begründet, durchaus phyſiſch mathe¬ matiſch iſt, und in ihm alſo, obgleich der Geſchichte nach ein wirklicher Vorſchritt, doch der innern Höhe der Würdigung nach gegen das frühere Organiſche, ein relativer Rückſchritt eingetreten, welcher Wider¬ ſpruch eben in dem Character des Jahrhunderts, das als eine Uebergangszeit ein Zerſtörtes auf einem breiteren Grunde höher anſteigend wieder reconſtrui¬ ren ſoll, ſich vermitteln muß. Es ſind durchaus irdi¬ ſche Kräfte, die in ihrem Widerſtreite ſich hier zum Gleichgewichte begränzen ſollen; die ſpezifiſche egoiſtiſche Kraft des Grundbeſitzes, der wie die Erdſchwere im¬ mer nach ſeiner eignen Mitte, und ihrer abgeſchloſſe¬ nen Ruhe und Befeſtigung neigt, ſtreitet mit der allgemeinen Weltkraft des Geldes, die in beſtändiger Syſtole und Dyaſtole aus der allgemeinen Mitte gegen den Umfang und hinwiederum ſtrebt, und ſtets mit jenem eigenſinnigen Particularism kämpfend, ihn wider Willen in beſtimmte Bahnen lenkt.

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Dieſe Bahn aber, wenn ſie durch glücklich gewogene Kraft und Gegenkraft gefunden worden, kann nur durch die Fortdauer dieſes Gleichgewichts, auf das bey mo¬ raliſchen Kräften kaum zu rechnen iſt, in ihrer Ste¬ tigkeit beharren; bey der Ueberwucht des Einen Prinzipes wird ſie eccentriſch in die Democratie übergehen, beym Vorherrſchen des Andern concentriſch in die Despotie. Eine ſolche Störung wird um ſo leichter herbeyzuführen ſeyn, da die Weiſe der Vertretung die Gegenſätze in ihrem Alleräußerſten gefaßt, und gleichſam in zwey Brenn¬ punkte geſammelt, in den Kammern ſich nahe bringt. Die Democratie wählt ihre Beamten eben ſo anſtei¬ gend nach freyeſter Willkühr, wie der Fürſt die Sei¬ nigen abſteigend; ihr Wille iſt dort eben ſo concen¬ trirt, wie der des Fürſten in den Miniſtern; wie ſeine Söldner beziffert ſind nach den Nummern ih¬ rer Regimenter, ſo ſind es die Wähler im eignen Dienſt, und es ſteigen und fallen beide Hierarchien, wie die Ordnungen im Decimalſyſtem: im Schlag und Ge¬ genſchlag der beiden Mächte, von des Fürſten und des Volkes Gnade, muß die Reibung da, wo Sauer¬ ſtoff und Brennſtoff ſich begegnen, nothwendig eine ſtarke Flamme zünden.

Dies eben aber hatte das Alterthum abzuwenden ſich bemüht; indem es z. B. in den Innungen der Gewerke etwas vom monarchiſchen Elemente mitten in's Democratiſche aufgenommen, konnte es dafür dies automatiſche in der Adelsinnung bis zum Throne hinantreiben; und in der Durchwachſung und Ver¬ bindung der Gegenſätze durch den ganzen Staatskör¬ per hindurch, wurde ihre Schärfe abgeſtumpft, und179 die Flamme, die hier leuchtend aus einem Brenn¬ punkt ſtrahlt, dort in einer gelinden Wärme durch die ganze Genoſſenſchaft vertheilt.

Die Geſetzgeber dieſer Zeit, nicht geleitet von abge¬ zogenen Syſtemen, ſondern vielmehr getrieben, wie die Dichter durch Begeiſterung, ſo durch die Fülle ei¬ nes inſtinktartigen Bildungstriebes, indem ſie zu den Körperſchaften, die blos quantitativ auf die Zahl ſich gründen, Freyhof, Zehending, Hundrede, Gau und Herzogthum, und die, wie ſie zu den Urfor¬ men der Verfaſſung gehören, ſo auch die jetzige Zeit allein anerkennen will, noch die Qualitativen, auf innere ſpecifiſche, höhere Differenzen begründet, in den verſchiedenen Ständen fügten, hatten ihre Ver¬ faſſungen dadurch aus dem Gebiethe eines bloßen Chemisms wirklich in den einer höheren Lebenserre¬ gung hinaufgehoben. Statt jenes politiſchen Brownia¬ nisms, der nur das Verhältniß zweyer Lebensfactoren anerkennt, die abwechſelnd in Sthenie und Aſthenie überwiegen, war nun jene wahrhaft organiſche Anſicht der Lebenserſcheinungen im Staatskörper eingetreten, die ihn als aus vielfach verbundnen Syſtemen zuſam¬ mengeſetzt, in vielfachen Verrichtungen die einge¬ bornen Kräfte äußernd, und innerlich durch immer geſteigerte Mittelglieder jeden tieferliegenden Wider¬ ſtreit beſänftigend, gefaßt und ausgelegt.

Sie erkannten ſehr wohl, daß indem ſie die Zahl dieſer Körperſchaften in ſolche Weiſe noch durch dieſe ideale Reihe mehrten, ſie neben dem allgemeinen In¬ tereſſe, das wie das Lebensgefühl dem Ganzen bey¬ wohnt, noch eine Menge beſonderer Intereſſen ſchufen,12*180die mit jenem ſich leicht in einen zerſtörenden Kampf verſetzen mochten: aber einmal hatten ſie verſtanden, daß nur im Hader alles Leben ſich gebähre, und daß, wo¬ fern nur die höhere zuſammenhaltende Liebe nicht dem Ganzen fehle, der Zwiſt immer ſeine Beruhigung finde, ehe er in eine gänzliche Zerſtörung ausgegangen; und ſie wußten andrerſeits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬ ſellſchaft zu Intereſſen werden, darum nicht aufge¬ hoben und vernichtet ſind, wenn man ihnen in der Verfaſſung kein Organ angewieſen; und daß es thö¬ rigt ſey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation würden die beſondern Richtungen darum ſchlafend bleiben und unthätig, wenn man durch eigene Inſti¬ tutionen ſie an ihr Daſeyn nicht erinnere.

Auch hatten ſie ſehr wohl eingeſehen, daß der Grund¬ ſatz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen Verhältniſſe anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum agrariſchen Geſetze zurückgehen, und nur erſt bey einer entſchiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬ laufe der florentiniſchen Geſchichten der niedere Adel den höheren zuerſt bemeiſtert, wurde jener ſpäter von den Zünften ausgetrieben. Gegen dieſe aber erhoben ſich nun die Halbzünftigen, die ſpäter wieder von den Heimathloſen in wüthendem Aufſtand beſtritten wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung ſich aufgelöſt, der Freyſtaat reif war, einem Tyran¬ nen zur Beute heimzufallen, der ſich in dem erſten Medici in der Mitte des dritten Standes ſelbſt erhob.

So wird auch in den heutigen Anſichten das ſtäd¬ tiſche Weſen, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als eine unerträgliche Tyranney erſcheinen, und da jenes181 der Zahl nach, die hier alles gilt, nicht die Hälfte von dieſem erreicht, ſo wird es bald überwogen und abgetrieben ſeyn. Im Fortſchritte werden dann den alten Saſſiſchen Freyburgen die Dörfer, Städte im Kleinen, verdächtig werden, und dann den Hinter¬ ſaſſen der ausſchließende Beſitz des Oberhofes ein Greuel, und es kann auch hier keine Ruhe ſeyn, bis alle Dörfer aufgelöſt, und alle Güter zerſchlagen ſind, und jeder Einwohner ſein gemeſſenes und glei¬ ches Theil erhalten.

Wie daher das alte Caſtenweſen auf die durch die Natur geſetzten, an die Raçe befeſtigten und durch die Uebermacht gehandhabten Ungleichheit der Men¬ ſchen ſich gegründet; ſo bezieht ſich das Syſtem der gegenwärtigen Politik auf ein Ideal, das am Ende der Zeiten ſteht; wo durch die Macht des Geldes und der Induſtrie alle Ungleichheit des Beſitzſtandes ſich ausgeglichen; wo die Verſchiedenheit der Naturgaben durch die Bildung ſich aufgehoben; wo alle Stände ſich ſo durchdrungen, daß jeder Hausvater zugleich Ober¬ prieſter, Oberfeldherr und ein Mehrer und ein Näh¬ rer des ganzen Reichs ſeyn mag. Da aber die Ge¬ genwart zwiſchen dem Anfang und dem Ende der Dinge mitten inne ſich befindet, und aller Wahrſchein¬ lichkeit nach, dem Beginne näher als dem Ausgang; ſo wird Beides gleich unanwendbar, und zwar das Letzte noch mehr als das Erſte ſeyn, und es wird daher wohl bey einem Mittleren, dem modifizirten Ständiſchen, ſein Bewenden haben.

Die Betrachtung, bey dieſem Punkte ange¬ langt, kann ſich nun ohne Schwierigkeit den Grund182 des ganzen Mißverſtändniſſes bey der heutigen Theorie erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬ dings in ſich weſentlich frey und unbedingt iſt, bey ihrem Eintritt in die reale Darſtellung aber den Be¬ dingungen einer Naturnothwendigkeit ſich unterwerfen muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich eine Zeitlang ſich abtreiben läßt, aber dann in der Rückwirkung dieſe Nichtachtung nur allzu bald nach ewigen Weltgeſetzen furchtbar ahndet. Darum konnte das Chriſtenthum, das blos den idealen Menſchen betrachtet, ſeine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬ ſprechen; aber ſeine Ungleichheit vor dem Staate iſt an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Weiſe, in der die lebendige Kraft das Dingliche in Beſitz genommen, und durch poſitive Rechte, die ſich aus früheren Zeiten überliefert haben, gegeben iſt. So mochten die Alchymiſten der früheren Zeit, die an ſich wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle theoretiſch feſtſetzen; wenn ſie aber dieſe Idee durch die Verwandlung zu verwirklichen ſich bemühten, fanden ſie eben an jenen Naturgeſetzen, die ſie nun einmal getheilt dargeſtellt, einen unbeſiegbaren Wi¬ derſtand.

Gerade dieſe Metalle, die für die Geſellſchaft eigent¬ lich nur nach dem Maaßſtabe des Vortheils, den ſie ihr gewähren, verſchiedene Geltung haben ſollten, ſind für ſie ein Bild jener innern ſpezifiſchen Ver¬ ſchiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos nach einem ganz conventionellen Maaßſtab feſtgeſetzt, in keine Weiſe nach jenem Nutzen ſich abgemeſſen;183 ja beym Papiergelde derſelbe Lappen, ohne allen in¬ nern Werth das Einfache, Zehnfache, Hundertfache gilt, blos weil die Geſellſchaft ihn ſo zu nehmen, übereingekommen. Eben wie bey der Währung der Metalle, ſo iſt vom Staate bey der Währung der Stände verfahren worden, und dieſe läßt ſich, einmal vorhanden, durch eine Reformation allerdings zeitge¬ mäß modifiziren, aber nur durch eine Revolution gänzlich aufheben.

Es hat aber im älteſten Germanien ein Adel ſchon beſtanden; dieſer hat nach vielfältigen Kämpfen in den fränkiſchen Gefolgen endlich ganz Teutſchland und zuletzt beynahe ganz Europa bezwungen; ſpäter im Lehnsſyſtem zur Ritterſchaft ſich ausgebildet, und zum Theil zur Unmittelbarkeit ſich erhoben; iſt noch ſpäter in den ſtehenden Heeren und im Hofdienſt wieder in's Gefolge eingetreten, und ſo nun in beſtimmter Ge¬ ſtalt und mit poſitiven Rechten auf uns gekommen. Mit dieſen Rechten tritt er nun in den großen Rechts¬ ſtreit ein: er hat vom Congreſſe bis zu dieſer Stunde hin geſehen, daß im Weltlauf Opfer bringen ohne Zwang, eine Thorheit ſey, und daß die eigenwillige Gewalt immer zuletzt Alles durchgeſetzt; und ſo macht er denn auch ſeinerſeits dieſe Maxime geltend, und fordert ſein Vorrecht als ſein Recht ganz ungekränkt zurück.

Von der andern Seite ſteht der dritte Stand auf's Höchſte erbittert, daß er zuletzt mit ſeinen Rechten alle Schulden der Vergangenheit und Gegenwart lö¬ ſen ſoll. Man mag ihm reden von Romantik und Mittelalter, vom patriarchaliſchen Zuſtand der alten184 Zeit, von idealen und realen Richtungen; ſein geſun¬ der Menſchenverſtand und ſein richtiger Takt und Naturinſtinkt giebt ihm ein, daß er ſeinen alten Ver¬ hältniſſen längſt entwachſen iſt; daß die Formen an ſich erſtorben, ſeinem erweiterten Leben längſt zu enge geworden; er fühlt, daß wenn Jenen alternde Rechte aus grauen Zeiten zugekommen, in ihm junge grü¬ nende aufgeſtanden, die er in keine Weiſe aufgeben darf; er fühlt endlich, daß die Zeit gekommen, wo durchgängig ein neuer Vertrag zwiſchen den Claſſen der Geſellſchaft abgeſchloſſen ſeyn muß. Wie nun auch in der Hitze des Streites die Streitenden, wechſelſeitig ſich negirend, übertreiben mögen; müſſen doch, da von einem Vertrage die Rede iſt, die Vertragenden, ſich zum Voraus die Fortdauer ihres Beſtands ge¬ währen.

Mag man noch ſo ſehr die Fürſten mit beſtechen¬ den Lobſprüchen erheben, aber den Adel, als die al¬ lein Schwarzen anklagen; Jene werden ſich nie im Ernſte bereden laſſen, daß ein Stand, deſſen Rechte mit ihrer Legitimität auf demſelben Grunde ruhen, ihnen weſentlich feindlich iſt; der Adel aber, ohnehin durch ſein Intereſſe gegen den Thron gezogen, nun auch vom dritten Stande gewaltſam abgetrieben, muß nothwendig mit beſchleunigter Bewegung der Politik des Hofes ſich ergeben; was ſich praktiſch auch jedes¬ mal in Bayern, Baden, Naſſau und überall ausge¬ wieſen, ſobald die leeren Maulfechtereyen nur erſt zu einem wirklichen Reſultate gedeihen ſollten.

Von der andern Seite iſt es auch ein heillos Werk und ein verwegenes Spiel, das jene Standesgenoſſen185 üben, die durch ihre Umtriebe den Abſchluß des heilſamen Werks verzögernd, die Spannung immer höher treiben, alle ruhenden Leidenſchaften wecken, bis endlich, wenn das Thier aufgerichtet, und das tobende Meer die ſchwachen Sanddünen durchgebro¬ chen, das Verderben die Frevelnden erreicht. Darum haben beide Theile das gleiche Intereſſe, ſich auf güt¬ lichem Wege zu vergleichen, damit, indem die Einen klüglich aufgeben, was nicht zu halten iſt, und mit einem Theile ihrer allerdings dem ſtrengen Rechtsbe¬ griffe nach wohlbegründeten Forderung ſich begnügen; die Andern aber bedenkend, daß gerade in der am meiſten despotiſchen Verfaſſung, der Türkiſchen, gar kein Adel zu finden, mit ſeinem Verſchwinden alſo gegen die Willkühr des Regenten gar nichts gewon¬ nen iſt, indem ſie einen Nachlaß lieber einer friedli¬ chen Uebereinkunft verdanken, als das Ganze durch Gewalt vernichten wollen, ein allgemeiner Bankbruch abgewendet werde, wo freilich alle poſitiven Rechte vor dem Naturrecht zu nichte werden, aber dafür an¬ dere Schulden auflaufen, für deren Zahlung jeder vom Höchſten bis zum Geringſten perſönlich haften muß.

Zu ſolchem Vertrage neigen denn auch in Teutſch¬ land ſichtbar die Ereigniſſe; es hat ſich nicht, wie in Frankreich, die Kluft einer ſchon wirklich zurückge¬ legten Revolution zwiſchen den Verhandelnden aufge¬ than; vielmehr haben die Umſtände ſelbſt eine Verei¬ nigung eingeleitet. Der dritte Stand hat nämlich, folgend in ſeiner Entwicklung dem allgemeinen Natur¬ gange, ſelbſt wieder nach ſeiner Weiſe die beiden hö¬186 heren Stände aus ſich heraufgetrieben, den Lehrſtand in den eigentlichen Gelehrten, die unter dem Vor¬ gange der Philoſophie den profanen Wiſſenſchaften ſich ergeben; und einen Verdienſtadel, der vor allem in der letzten Zeit die Kriegsehre zum größten Theil ſich zugeeignet, und im Bürgerlichen nun ſeine Stelle in der Kammer und der Ariſtocratie des Beſitzes und des Talentes ſucht. Andrerſeits hat der Adel, in wie¬ fern er als Gutsbeſitzer zum großen Theile ſich auf ſich ſelbſt geſetzt, eben dadurch, am meiſten in den Rheinprovinzen, ſich mit dem dritten Stand verbun¬ den; und der Clerus grünt gleichfalls zur Zeit nur beynahe noch allein in ſeinem volksmäßigen Elemente, den Pfarrern und Seelſorgern fort.

Darum ſcheint der geſunde Menſchenverſtand auf den einzigen Ausweg hinzudeuten, der zur Verſtän¬ digung übrig bleibt, daß der dritte Stand mit ſei¬ nem neuen Adel und Clerus von heute und geſtern her, die gleichnamigen alten Stände, die aus einer früheren Bildungszeit herüberreichen, nicht verdrängt, ſondern Beyde in ſolcher Weiſe ſich verbinden, daß indem ſie gleichmäßig alten Vorrechten und neuen An¬ maſſungen entſagen, die mit der zeitgemäßen Verfaſ¬ ſung im Widerſpruche ſtehen, der hiſtoriſche Adel ſich dadurch verjünge, daß er zur Geburt das Verdienſt als zweyten nothwendigen Faktor des künftigen Adels anerkenne, und nun durch eben dieſen Faktor mit dem beweglichen Verdienſtadel des dritten Standes in Ver¬ bindung trete; daß aber der Clerus, indem er die Wiſſenſchaft nicht ferner mehr als die verführeriſche Schlange flieht, vielmehr dadurch, daß er ihre gegen187 die Religion centrifugale Richtung durch die Macht der Ueberzeugung in die Centripetale zurücklenkt, in Wahrheit ſie bezwingt, und alſo die geiſtige Freyheit, der die Zeit in keine Weiſe entſagen kann, ehrend in ihrem Rechte, ſie allein durch ſich ſelber bändigt, und alſo die Religion wieder ins Leben führt. Die In¬ ſtitutionen auszufinden, durch die dieſe Verbindung, hier nur im Allgemeinen angegeben, bis zum Beſon¬ derſten hin ins Werk geſetzt werden kann, wird die Aufgabe der nächſt folgenden Zeiten ſeyn, deren Löſung, wie wir glauben, im weſentlichſten Punkte der Cha¬ racter der künftigen Verfaſſungen bezeichnen wird.

In ſolcher Ordnung der Dinge wird, indem das Veraltete immer aus der Quelle ewiger Jugend, die im dritten Stande fließt, ſich erfriſcht, und hin¬ wiedrum durch ſein firnes im Lauf der Jahre gereif¬ tes Oel den raſchen Sprudel des jungen brauſenden Weines ſänftigt und temperirt, ſich aus den Elemen¬ ten des alten hinfälligen Staatskörpers, von innen heraus in allmähliger Verjüngung, ohne die gefähr¬ lichen revolutionären Zauberkünſte der Medea, im Laufe der Zeiten wohl ein neuer und dauerhafter Organism wiedergebähren, an dem wieder Jahrhun¬ derte vorübergehen können, ehe er ein neues Stufen¬ jahr erreicht. Wie der dritte Stand nach dem Eigen¬ thum in den beweglichen Güterreichthum und den Grundbeſitz, und dieſer wieder in den fließenden und den gefeſteten ſich theilt; ſo wird auch der Adel zwie¬ fach ſeyn, ein Verdienſtadel, der überall durch die Wahl des Volks begründet, als Kriegsſtand in der Landwehr, als Friedensſtand unter den Beamten188 der Democratie und in ihren Vertretern ſitzt; und ein Geburtsadel, der von oben herab und aus der Vergangenheit herüberkommend, durch die Autorität geſetzt, als Wehrſtand hauptſächlich beym ſtehenden Heere, in bürgerlichen Verhältniſſen in den Hofſtel¬ len um die Perſon des Fürſten, bey der von oben herab delegirten Beamtenwelt, und unter den erblichen Vertretern ſeine Stellung hat. Da die Volkswahl eben ſo oft die Geburt, wie die Wahl des Fürſten das Verdienſt treffen kann, ſo werden beyde Elemente ſich vollkommen in allen dieſen Inſtitutionen kreuzen. Eben ſo wird der Lehrſtand in ſeinem zwiefachen Charakter ſich erſt ergänzen, wenn einerſeits der Cle¬ rus als Bewahrer der Glaubenslehre, fußend auf Schrift und Tradition, das Eſoteriſche, die Ueberliefe¬ rung vergangener Zeiten pflegt; aber das Exoteriſche, die Reſultate der Erfahrung und Speculation in den Wiſſenſchaften nicht ausſchließt, ſie vielmehr als die reale Seite der Religion anerkennt; und indem er ihre Pfleger, wie es eben in der alten Zeit geweſen, als Genoſſen grüßt, nicht blos lebt in der Vergan¬ genheit, ſondern auch mit der Gegenwart ſich in einen lebendigen Verkehr verſetzt: ein Verhältniß, das frey¬ lich anderwärts unmöglich ſcheinen mag, bey der Rich¬ tung aber, die die teutſche Philoſophie in letzter Zeit genommen, als etwas durchaus Rationelles ſich wohl begründet zeigt.

In dieſer zweygliedrigen Dreyheit der Stände wer¬ den alsdann die beyden Elemente des Staates aufs vollkommenſte ſich durchdringen; die Autorität von oben herabgehend als Ausdruck der Majeſtät einerſeits189 ſich an die Autorität der Kirche knüpfend, wird ab¬ wärts durch den Hof, den Geburtsadel, die Beamten¬ welt und das Gefolge, Ausflüſſe der Legitimität, nie¬ derſteigen; die Freyheit aber weſentlich Ausfluß des Volkes, wird im dritten Stande zuerſt die Lebens¬ baſis begründen, ſie wird alsdann durch die Land¬ wehr und die Beamten der Democratie ihre Willens¬ kraft äußern; ſie wird endlich als öffentliche Meynung zur geiſtigen Höhe ſich erheben, und im gelehrten Stande Organ gewinnen.

In gleicher Folge und Durchdringung wird dann auch die Vertretung die zerſtreuten Strahlen dieſer drey Facultäten nur in einem Brennpunkt ſammeln. Man hat in neuerer Zeit nach dem Vorgang Englands größentheils allgemein das Zweykammernſyſtem beliebt, indem man eine Mehrzahl des Adels mit einer Min¬ derzahl von Prälaten und Univerſitäts-Abgeordneten in eine Kammer verbindet, und die Zweyte allein aus den Gemeinen zuſammenſetzt. Eine ſolche Ord¬ nung, indem ſie durch beynahe gänzliche Abſorption des geiſtigen Elementes, die Dreyheit in eine Zwey¬ heit verwandelt, führt alle Nachtheile eines Gegen¬ ſatzes herbey, der keine Bindung findet. Der Adel, der in der Pairskammer vorherrſcht, kann ſeiner Na¬ tur nach nicht der Vermittler zwiſchen den Gemeinen und dem Throne ſeyn; eben weil er ein Ausfluß der Majeſtät iſt, wird er zwar von ihr beſchattet, ſteht aber in der Regel auf ihrer Seite, und tritt daher in ſolchem Streite als Parthey dem dritten Stande gegenüber. Es kämpft alſo in den Kammern jedes¬ mal die Autorität mit der Freyheit um die Intereſ¬190 ſen; und wenn nun eine gegen die Andere das veto hat, ſo wird, da ſich entgegengeſetzte gleiche Kräfte vollkommen aufheben, das ganze Thun in allen wich¬ tigen Dingen eine leere Spiegelfechterey, eine bloße Staatscomödie und Parade, wo zwar viel gefochten und auf - und abmarſchirt, aber mit aller Anſtrengung blos ein Spiel und kein ernſtes Geſchäft betrieben wird. Da überdem die ſtreitenden Partheyen, durch Wände getrennt, nur in einem todten ſchriftlichen Verkehre miteinander ſtehen, ſo iſt auch jene Annähe¬ rung, die der lebendige und mündliche Verkehr von Angeſicht zu Angeſicht herbeyführt, abgeſchnitten, und die feindlichen Brüder ſind vollends unverſöhnlich jeder in ſeiner Behauſung eingeſchloſſen. Für die eine Kammer kämpft natürlich die Meinung; die An¬ dere alſo, von Volke abgeſchloſſen, muß übelgelaunt im Schmollwinkel ihre Stelle nehmen, und ſich in der Gnade des Hofes ſonnen; der Adel aber, dem jede Gelegenheit zu lebendiger Gymnaſtik im Ringen mit den Gemeinen abgeſchnitten, hat nicht Gelegenheit ſich die geforderten Verdienſte zu erwerben, und ver¬ kümmert und verrottet vollends in ſeiner langweiligen Einſamkeit.

Darum würde es, um ein friſches, raſches Leben in die Ständeverſammlung zu bringen, und ein reg¬ ſames Wechſelſpiel der Kräfte, an dem alle Talente zum Vortheil des Ganzen Antheil nehmen, hervorzu¬ rufen, am füglichſten ſeyn, die drey Stände in eine Kammer zu vereinigen, und ſie dort in drey Curien zu ordnen. Die Erſte würden die Gemeinen zuſam¬ menſetzen, und zwar in ſolcher Weiſe, daß wenig¬191 ſtens die Hauptintereſſen, in die dieſer Stand ſich theilt, vertreten ſind. Da die Innungen größten¬ theils aufgehoben ſind, und ihre Wiedereinführung, von oben herab wenigſtens, nur die Gewaltthätigkeit wiederholen würde, die bey ihrer Aufhebung ſtatt ge¬ funden; überdem die Theilung der Vertretung unter den heutigen Verhältniſſen nach den Gewerken ſpielend und größtentheils unnütz ſich erweißt, ſo bleibt für jetzt nur zuvörderſt der Gegenſatz von Stadt und Land zurück.

Der ſtädtiſche Verkehr iſt dem Athemzug im Leben zu vergleichen, der Ackerbau auf dem Lande aber der Er¬ nährung; und wie nun in der thieriſchen Haushal¬ tung, obgleich der Apparat für die letztere Verrich¬ tung quantitativ größer iſt, als jener der dem Ath¬ mungsprozeſſe dient, beide doch qualitativ, ſich einan¬ der völlig gleich ſtehen, in wiefern ſie als Faktoren des Lebens beide gleich unentbehrlich zu ſeinem Be¬ ſtande zuſammenwirken, ſo ſind auch hier beide Ver¬ richtungen der Geſellſchaft von vollkommen gleich¬ mäßiger Wichtigkeit, und der Würde nach iſt die Letztere noch einen Grad höher hinauf gerückt. Dar¬ um würde ſchon hier der Antheil der ausſchließlich qualitativen Vertretung ſich am offenbarſten zeigen, indem das Land mit ſeiner doppelten Anzahl von Abge¬ ordneten jedesmal die Städte überſtimmen wird, was, ſo¬ bald die Vertreter nur erſt über ihre Intereſſen ver¬ ſtändigt ſind, gleich ſchon bey der Frage über das Verhältniß der direkten zu den indirekten Steuern, bey Korngeſetzen u. ſ. w. die nachtheiligſten Folgen zeigen würde. Darum mögte es billig und räthlich192 ſeyn, beiden zwar insgeſamt eine größere Anzahl von Vertretern, als die beiden höheren Stände ſen¬ den, zu geſtatten; Stadt und Land aber, in dieſer Hinſicht ſich gleich zu ſetzen, und Beyde in zwey Bän¬ ke zu vertheilen. Die Städtebank würde dann allen¬ falls ſich noch in zwey Andere theilen, Die des Geld¬ beſitzes für Kaufleute, Kapitaliſten u. ſ. w., wie die des platten Landes nach dem Verhältniß des Beſitz¬ ſtandes gewählt, und die der Gewerbe und der Indu¬ ſtrie für Fabrikanten und Gewerke, nach der Zahl der Stimmenden erleſen.

Die zweyte Curie des Adels würde gleichfalls in zwey Bänke getheilt erſcheinen, deren Eine perennirend die erblichen Pairs des alten Adels von wegen ihrer Geburt beſetzen; die Andere aber Jene aus dem Ver¬ dienſtadel, die der Fürſt hinberufen aus den Beamten der Democratie, den Hauptleuten der Landwehr u. ſ. w. periodiſch. Endlich würde die dritte Curie eben ſo aus einer Bank beſtehen, durch den Prieſterſtand der verſchiednen Confeſſionen, theils durch Wahlen, theils vermöge des Amts beſetzt, und aus der zweyten Ge¬ lehrtenbank in den Provinzialverſammlungen, wie eh¬ mals von den Aebten der Klöſter, ſo etwa von den Direktoren der Gymnaſien und andern Schulanſtal¬ ten, deren Wahl und Dotirung aber alsdann noth¬ wendig und ſchicklicher Weiſe an die Democratie ge¬ knüpft ſeyn müßte; bey den Reichsverſammlungen aber durch Deputirte aus ihrer Mitte, und Andere von den Univerſitäten und Academien geſchickt.

In einer ſolchen Kammer würden durch alle dreyCurien,193Curien, die beyden Hauptelemente aller Verfaſſung ſich beyſammenfinden, dadurch aber daß ſie wieder ſpezifiſch in verſchiedne Organe ſich vertheilen, würde eine gewiſſe Heilkraft in das Ganze kommen, vermöge welcher die entzweyten Gegenſätze ihre Beruhigung fin¬ den, und Streitigkeiten, die ſich erhoben, nicht wie bey dem Zweykammerſyſtem auf ſich beruhen, oder durch die Gewalt geſchlichtet werden müſſen, ſondern innerlich ſich vertragen laſſen.

Da inzwiſchen in ſolcher Ordnung eine denkbare, oft genug eingetretene Verbindung der beyden höheren Stände mit dem Hofe leicht die Gemeinen unterdrü¬ cken könnte, ſo müßte für dieſen Fall in ſolcher Weiſe vorgeſorgt werden, daß ihre großen und ſtehenden Intereſſen durch die Stimmweiſe ſchon gedeckt erſchie¬ nen, indem dieſe nach dem vorherrſchenden Charakter des vorliegenden Gegenſtandes auch verſchieden ſich modifizirte. So da bey den Steuerbewilligungen und Conſcriptionen die geometriſche und ponderable Größe des Beſitzes einerſeits, und andrerſeits die arithmetiſche Zahl die Leiſtung zu machen hat, ſo würde hier auch die Zahl in einfacher Stimmenmehrheit beym Zuſam¬ menzählen der Votirenden entſcheiden; wobey wie bil¬ lig der dritte Stand die entſcheidende Stimme hat. Bey allen Erörterungen, die das democratiſche Ele¬ ment der Verfaſſung und ſeine Verhältniſſe nach auf¬ wärts, ſo wie die des[Ariſtokratiſchen] nach abwärts hin betreffen, würde nach Bänken zu ſtimmen ſeyn. In allen höheren Beziehungen, für alle Gegenſtände der obern Geſetzgebung, für alles worin das monar¬ chiſche Princip und das Kirchliche überwiegt, würde, da man vorausſetzen muß, daß die Einſicht weſentlich in der Regierung, und den ihr nähern Ständen eben ſo ruht, wie die Tüchtigkeit im Volke, nach Curien geſtimmt werden; jedoch alſo, daß für Abänderungen der vertragenen Verfaſſung in weſentlichen Punkten, mit der Einwilligung des Fürſten zugleich die Bey¬ ſtimmung einer Mehrheit in den drey Curien erfor¬ dert würde. In allen andern Streitfragen der höhe¬ ren Art würde, da immer drey Glieder vorhanden13194ſind, von denen je Eines, das Andere in einem Ele¬ mente berührt, zu zweyen Streitenden immer ein drit¬ tes Beruhigendes gefunden werden, und am häufigſten, da Adel und Gemeine am öfterſten in den Widerſtreit der Intereſſen kommen, wird der Lehrſtand alsdann Schiedsrichteramt verſehen.

Das Alles ſind Formen, die obgleich ſie nach den Geſetzen der bildenden Naturkraft geſtaltet ſind, doch ſo oder anders gewendet und vielfach anders modifizirt werden können; wie eben die Natur allen ihren lebendigen Bildungen zwar die menſchliche Ge¬ ſtalt als Grundtypus untergelegt, aber vielfältig wech¬ ſelnd in den Elementen und den Verhältniſſen, aus denen das Ganze ſich zuſammenſetzt, die eine Urform in vielen Thierbildern auseinandergezogen und ver¬ ſchoben hat. Aber in ihnen iſt nur erſt der Automat des Staats gegeben, der nichts als ein lebloſer Leich¬ nam iſt, wenn ihm die innere Beſelung fehlt, die ihn allein erhalten, treiben und begeiſtigen kann.

Es giebt aber drey Grundprinzipe dieſer Beſeelung, die je nach der Höhe der Fakultät, worin ſie wur¬ zeln, in Würde verſchieden ſich erweiſen. Das erſte iſt die Religion, die ihre Weihe vom Ueberirdiſchen ableitend, das Irdiſche damit durchdringend zu heili¬ gen ſucht, und den Staat zu einem Sacramente macht. Im Vorherrſchen dieſes Prinzipes haben die alten Prieſterſtaaten ſich gebildet, mit denen überall die Geſchichte beginnt, indem das erſte Regiment auf Er¬ den als Theocratie ſich geſtaltet. Indem aber das Prie¬ ſterthum im Verlauf der Zeit ſich im Hochmuth über¬ hoben, hat bald die Macht ihr Recht behauptet und die Kraft und der Muth, und nun ſind die Könige aufgekommen, die an der Spitze ihrer Gefolge vom Aufgang bis zum Niedergang die Völker ſich unter¬ worfen haben, und nach und nach jene Weltmonarchien zuſammengeballt, deren Thaten das Buch der Zeiten aufgeſchrieben. Hier hat die Ehre vorgeherrſcht und die kriegeriſche Tugend, und wie dort der Krumm¬ ſtab, ſo iſt das Schwert hier der Zepter, der geho¬ ben und geneigt, lenkt und führt. Dann aber, als195 die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬ erträgliche Laſt, auf den Völkern gedrückt; da haben Alle, in denen noch eine Energie und eine geiſtige Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien ſind ent¬ ſtanden, und Winkel und Richtmaaß ſind zu Ehren kommen und die Pflugſchaar; bürgerliche Tugenden haben nun ſich geltend gemacht und republicaniſcher Sinn; ſtatt der Ehre Ehrlichkeit, ſtatt der Heiligung die ethiſche Würde, abwärts ruhend auf der mora¬ liſchen Natur des Menſchen und dem Gewiſſen.

Das iſt der Gang, den die Verfaſſung durch das ganze Alterthum, abſteigend von der Höhe überſinn¬ licher Motive, bis zur ſinnlichen derben, tüchtigen Wirklichkeit genommen; ſo im Orient; ſo bey den Griechen aus der Prieſterzeit, durch die Heroiſche in die Volkszeit; ſo bey den Römern, deren Theocratie in die Hetruriſche aufgeht, die dann unter den Kö¬ nigen ſchnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬ letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie zu erfüllen.

Es iſt aber im Alterthum nur die eine abſteigende Hälfte der Geſchichte dargeſtellt; die Neuere iſt eben ſo in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬ geſtiegen. Nachdem dies Aufſteigen bey den Völkern der alten Cultur mit Alexander und den römiſchen Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬ ten, und dann das Chriſtenthum in ihrer Mitte ei¬ nen neuen Prieſterſtaat gegründet, hat es den Nor¬ den zuerſt in den Kreis der Bildung ziehend, dort aus der noch grünenden Democratie germaniſcher Völ¬ kerſchaften, zuerſt in Carl dem Großen eine neue Welt¬ monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den großen Prieſterſtaat durch ganz Europa herverbreitet. Aber als die Krieger mit den Prieſtern unter den rheinfränkiſchen Kaiſern, mitten in der höchſten Blüthe ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben ſie ſich untereinander aufgerieben; alſo, daß die welt¬ liche Macht zuerſt hingewelkt, und mit den ſchwäbi¬ ſchen Kaiſern der Ruhm und die Stärke Teutſchlands13*196ausgegangen; die Prieſterherrſchaft aber, nachdem ihre Stütze erſt gefallen, gleichfalls durch innere Ent¬ zweyung geſchwächt, dann in Entartung aufgelöſt, endlich von der Reformation im ganzen Norden ge¬ ſtürzt, und im Süden wenigſtens in ihren Grundve¬ ſten erſchüttert wurde. Ihr folgte im Untergang das Kaiſerthum, indem es in die Territorialherrſchaft hingewelkt; dieſe ſelbſt löste ſich in ihren Abſtractio¬ nen auf, und ſo iſt in der ſchon früher geſchilderten Weiſe, da, wenn die Blüthe gewelkt, und die Pflanze eingedorrt, das Leben im Samen beſchloſſen, rück¬ kehrt in die Erde, mitten im Reich der allgemeinen Willkühr die urſprüngliche Democratie, wenn auch nicht factiſch, doch potentialiter durch eine zweyte ab¬ ſteigende Bewegung wiederhergeſtellt.

Zwar iſt es nicht die alte, ſproſſende Waldkraft, mit ihrer Fülle von Naturtrieben, die hier zurückge¬ kehrt; denn es liegt eine ganze Culturzeit hinter ihr, und die Reproduction iſt im Charakter der fortſchrei¬ tenden Geſchichte vorgegangen: aber was ſie nach der Naturſeite eingebüßt, iſt ihr nach der Geiſtigen wie¬ der zugewachſen. Darum treibt ein innerer Inſtinkt ſie bewußtlos nach Allem hin, wodurch ſie den neuen Kreis, der ihr eröffnet iſt, erfüllen kann; ſie ſtrebt und ringt mit allen ihren Kräften, ſich von jener Willkühr vor Allem loszuwinden, bey der, wie ſie fühlt, fernerhin kein Verlaß mehr iſt, keine Sicher¬ heit nach außen, und kein Friede nach innen hin, nicht Würde, Hoffnung oder Liebe.

Dieſe Willkühr ſelbſt hat ſolcher Stimmung vorge¬ arbeitet; jener ſtatiſtiſche Kram, jene ſtaatswirthſchaft¬ liche Mäſtungslehre, die den Menſchen zur Stallfüt¬ terung eingeſtellt, und um des Gewinnes Willen ſein Leibliches auf Unkoſten des Geiſtigen herausgefüttert, und die, wenn es in allem ihr nach Wunſch gegan¬ gen, und nicht wider ihren Willen geiſtige Erregun¬ gen wie Blitze durchgezuckt, am Ende mit jenem ſcheu߬ lichen Cretinism geendet hätte, wo der ganze höhere Menſch in die blos vegetative Sphäre herabgeſunken, nur noch in den Drüſen lebt: das Alles bewies, daß197 die Autorität ſchon längſt zu einer krankhaften Lebens¬ kraft herabgeſunken, und nahe daran geweſen, dem Automatiſchen anheim zu fallen.

Darum iſt es ganz im Geiſte dieſer nun wirklich ſich emanzipirenden Zeit, daß ſie im Gefühle ihrer Noth und im Verſtändniß, wo ihre Stärke und wo die Schwäche, vorläufig von nichts als dem ſinnlich Greifbaren hören will; und es iſt begreiflich, woher ihr die Neigung kömmt, in den Verfaſſungen Maſchi¬ nen zu bauen nach den Geſetzen des Hebels und der ſchiefen Ebne, worin der Grundbeſitz als ziehen¬ des Gewicht, das Geld als treibende Feder die bewe¬ genden Kräfte bilden; die Beamten, Räder und Ge¬ triebe, die Kammer den Pendul machen ſoll, der alle Bewegungen regulirt; der Fürſt den Zeiger, der die Zeit anzeigen muß. Nicht iſt dieſe Neigung zum Pon¬ derabeln auf dem Puncte, wohin die Sache jetzt ge¬ diehen, zu tadeln; jede Zeit ſoll handeln in dem Geiſte, der ſie beſeelt, und da der bildende Proteus jetzt ein Mechanicus geworden, der politiſche Planetarien zim¬ mert, ſo ſoll man ihn eben nicht durch hartnäckigen Widerſpruch im Werke irren.

Aber dann auch ſoll man vor Allem nicht vergeſſen, daß wie man in der äußern Mechanik die Naturge¬ ſetze als unverbrüchlich längſt ſich gefallen läßt; und ihnen zuwider zu handeln für eine Thorheit hält, ſo auch in der geiſtig politiſchen die ethiſchen Geſetze, die auf gleicher Höhe mit jenen phyſiſchen ſtehen, und gleich unerbittlich jede Uebertretung ahnden, aner¬ kenne. So ſicher und unbedingt wie die phyſiſchen Sätze: daß bey ungleichen Hebelarmen im Gleichge¬ wichte die Laſten ſich umgekehrt wie die Längen der Arme verhalten müſſen; daß beym Falle der Körper die Räume wie die Quadrate der Fallzeiten ſich ver¬ halten, für die Natur Geltung haben, ſo für die Gei¬ ſterwelt die moraliſchen Geſetze: daß Rechte und Pflich¬ ten, Freyheit und Gehorſam, Geben und Nehmen wechſelſeitig ſich bedingen; daß jede Gewaltthat eine Entgegengeſetzte herausfordert und jedes Aeußerſte ein Aeußerſtes zum Gegenſtreite; daß, das Unterlaſſen198 eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten; daß der Krieg zwar nothwendig die äußerſten Gegen¬ ſätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der Mitte gefunden wird u. ſ. w. Alle dieſe ethiſchen Geſetze müſſen in der Geſellſchaft mit der Gewißheit mathe¬ matiſcher Axiome geltend werden; ſie müſſen als all¬ gemein unverbrüchliche Maximen ſie in allen ihren Elementen durchdrungen haben: dann mag ſie im¬ merhin ohne Gefahr ihrem Inſtinkte folgen; ſie mag ihre Verfaſſungen gründen einzig auf den Ackerboden und den Verkehr, auf Actien und Erben und die Ariſto¬ cratie der Meiſtbeerbten; ſie mag die wirkenden, le¬ bendigen Kräfte in der Verfaſſung vielfältig zerſetzend, und wieder nach der Diagonale ſie vereinigend ihre mathematiſchen Beluſtigungen und ihre ſtöchyometri¬ ſchen Calcüle treiben, und die Geſellſchaft auf der unterſten Stufe des Lebens einſtweilen zum tauſend¬ armigen Polypen machen.

Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige Staatsklugheit geworden, hat dieſer Mechanism ſeine Beſeelung, wie ſie die Zeit ihm geben kann, erlangt, und nur dann wird er wie ein organiſcher Körper ſich ſelbſt ſchützen und erhalten; aber nimmermehr, wenn man die Schlechtigkeit aller Menſchen als be¬ kannt vorausſetzend, nach dem jetzt, beſonders in Frank¬ reich herrſchenden Vorurtheil, in der Form und allen ihren Cautelen und Gegenſätzen und Controlen, ein Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt, und alſo, da ein Verſuch um den andern mißlingt, in der moraliſchen Welt einem beynahe noch weſenlo¬ ſeren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von je in der Mechanik ſich erwieſen. Mit vollem Rechte und mit der lobenswürdigſten Beharrlichkeit eifert Adam Müller, in allen ſeinen Schriften, aus ſeinem höhe¬ ren Standpunkt gegen dieſen furchtbaren Irrthum, der, aus der gröbſten materialiſtiſchen Anſicht hervor¬ gegangen, den Franzoſen in der Politik eben ſo eigen¬ thümlich iſt, wie das Syſtem des Genuſſes und der wohl¬ verſtandnen Eigenliebe ihrer Moral ſeit Helvetius: aber199 eben deswegen, wenn auch Teutſche an ihm Theil ge¬ nommen, ſo iſt dies nur eine Verirrung Einzelner, die in dem ethiſchen Sinne der Nation nie dauerhafte Wurzel ſchlagen wird.

Es neigt vielmehr ſichtbar Alles zu dem Punkte, daß auf der Stufe, wo ſie ſich jetzt befindet, wirklich eine allgemeine Rechtlichkeit und der Inbegriff republi¬ caniſcher Tugenden, gemildert und getragen von dem, was noch von religiöſen Motiven wirkt und treibt, vor¬ herrſchend die Begeiſtigung ihres öffentlichen Lebens zu werden im Begriffe ſteht. Dann ſolt man aber auch nicht ſchelten, daß der Gang der Zeiten zu ſo kör¬ perhaften Anſichten von Staat und Verfaſſung hinge¬ trieben; es iſt die nothwendige Folge der Entwicklung; und wie im Mutterleibe nur allein die plaſtiſchen Kräfte im Dunkel des Geheimniſſes walten, und die Geiſti¬ gen erſt ſpäter übertreten, ſo auch im Bildungswerke des Jahrhunderts. Man ſoll erhalten für die Zukunft Alles, was noch von der vorigen Bildungsſtufe her grünend und lebendig ſteht, und es ſichern gegen den wilden Zerſtörungstrieb, der in dieſe Zeit hineinge¬ fahren; man mag hindeutend auf das Höhere, anfa¬ chen die geiſtige Flamme, da, wo ſie nur trübe brennt; und der Geiſt der ſchwebend über der Maſſe ſteht, ſoll in denen, die der Zeit vorangeeilt, die Flü¬ gel ſchwingen und regen, daß der Athem des Lebens das Werk wärmend und bebrütend durchziehe.

Aber man kann die Zukunft nicht poſtuliren, wie man die Vergangenheit nicht wieder erwecken mag; die Religion, die ſich meiſt in die Herzen zurückgezo¬ gen, hat für den Augenblick aufgehört, ein großes architectoniſches Princip zu ſeyn; eben wie die alte Ehre, die in der allgemeinen Ehrloſigkeit der letzten Jahrhunderte verſiegt. Darum bildet der Werkmeiſter in dieſer Zeit allein mit den Arbeitern, die noch rü¬ ſtig ſich beweiſen, und braucht die Andern nur als Gehülfen, inſofern ſie noch bey Kraft und Vermögen ſind. Iſt das Geſchlecht erſt dahingegangen, das im Drange einer ſtürmiſchen Zeit nur für die Gegen¬ wart erſtarkt, aber den Sinn für Zukunft und Ver¬200 gangenheit darüber eingebüßt; hat die Democratie ſich erſt von jenem formalen Despotism losgerungen und wieder Wurzel im alten Boden ſchlagend, zuerſt ſich und dann auch die ohnmächtige Monarchie gekräftigt und belebt; und iſt dann, nachdem der Argwohn erſt gewichen, ruhiges Gemach und ein unbefangner Sinn zurückgekehrt: dann wird allmählig das Höhere wie¬ der ſein Recht behaupten, und die Bewegung, die ſeit ſo vielen Jahrhunderten, bey ſtets zunehmender Schwerkraft, immerfort in der Verfaſſung ſinkend ge¬ weſen, wird wieder eine ſteigende werden, indem die Triebkraft der im Volke entwickelten Geiſtigkeit end¬ lich die träge Maſſe bezwingt und wieder aufwärts hebt.

Dann wird ſich im Wetteifer, zwiſchen dem Verdienſt¬ adel von unten herauf und dem Geburtsadel von oben herab zuerſt wieder die wahre Ehre zu einem herrſchenden Trieb erheben; ſie, die in der Mitte zwi¬ ſchen religiöſem Glauben und irdiſcher Begreiflichkeit wie die alte Herrenlehre, alsdann von der tüchtigen Unterlage des Verdienſtes Schrot und Korn, von der geſellſchaftlichen Uebereinkunft aber die Währung er¬ hält, und die darum zu einem Vereinigungspunkte ſtarker Willenskräfte in Zeiten der Gefahr oder gro¬ ßer Bewegungen werden kann. In dem Maße, wie der alte Adel dann erkennt, daß ſeine wahre Ahnen¬ probe allein die Verdienſtprobe iſt, wird auch wohl in den Plebeyern wieder das dem Menſchen natürliche Verlangen von neuem ſich beleben, ihre Ehre wie je¬ den andern Beſitz auf ihrer würdige Nachkommen zu verpflanzen, auf daß ſie nicht blos eine Welle im brandenden Meere ſich verliere, ſondern wie ein zu¬ ſammenhängender Strom durch die Zeiten gehe, und dadurch zu einem noch ſtärkern Bande der Verbindung werde. Iſt dann durch glücklichen Wurf dort jene Verjüngung, hier dieſe Forterbung durch mehrere Ge¬ nerationen hindurch gelungen, dann werden wieder wie im alten Rom Geſchlechter ſich erheben, die ent¬ weder zum Volke niedergeſtiegen, oder aus ſeiner Mitte erwachten ſind; die als große ſtehende Charak¬201 tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen, nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt. Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬ heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt, dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu ſchwingen im Stande iſt.

Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬ der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬ denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬ chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬ ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet, wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬ rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬ pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht202 verfolgt, frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬ nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬ zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr Maaß giebt, und ihre Gränze : ſondern indem ſie ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬ teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬ dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht; nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬ ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬ lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen; aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬ ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬ net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬ lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬ ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬ den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬ beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,203 die wie die Alten das griechiſche Wiſſen, ſo und in noch größerem Maaße die Weisheit der Zeit bemei¬ ſtern, daß ſie ſich freywillig vor ihrer Herrin beugt, und die Wiſſenſchaften wieder ihr Haupt mit ihrer Ster¬ nenkrone kränzen. Sie werden nicht etwa ein Pfaffenthum begründen, das unter dem Vorwande des Heiligen blos ir¬ diſche Zwecke verfolgt, gemeine Leidenſchaften für Ein¬ gebungen eines höheren Geiſtes geltend zu machen verſucht, verſchmitzter Herrſchſucht fröhnt, oder in feiſtem Wohlleben ſich gefällt: das Alles iſt gebro¬ chen, zerriſſen und abgethan, und nimmermehr wird die Zeit ſich zu ſeiner Herſtellung bereden laſſen. Aber ein würdiges Prieſterthum wird ſie wieder gewinnen, das zwar wie alles Irdiſche an einer Wurzel auf Erden befeſtigt iſt, deſſen Domäne aber in dem ſtets ſich erweiternden geiſtigen Reiche liegt, und aus deſſen Munde jener längſt verheiſſene Paraclet reden wird, deſſen die Zeit ſo oft geharrt.

Man mag ſolche Anſicht chiliaſtiſche Thorheit ſchelten, aber auf ſolche Thorheit war das Chriſten¬ thum gebaut, das die Geſtalt der Welt verwandelt hat, und der jetzige Geiſt einer ſcharfen, kalten Welt¬ klugheit in ihrer religiöſen Sonnenferne wird wenigſtens nicht unſterblicher ſeyn, als die Begeiſterung früherer Zeiten in der warmen Sonnennähe. Es kann aber je¬ ner klügelnde Geiſt eben keinen andern Weg angeben, der nicht durch Blutvergießen, Bürgerkrieg, Aufſtand und Frevel führt; vor Allem aber wird die Hoffnung verlarvter Gier, die da glaubt auf dem Wege des Territorialſyſtems durch Unterjochung der verſchied¬ nen Stämme zur Oberherrſchaft zu gelangen, an dem erwachten Nationalgefühle und den vielen unbezwing¬ baren Gegenſätzen, die Gott in die Nation gelegt, aufs ſchmählichſte zu Schanden werden; und minder phantaſtiſch iſt eine teutſche Republik, und näher liegt ein Bundesſtaat in den Formen des Amerikaniſchen der Gegenwart, als eine ſolche Hegemonie, die keiner ſich gefallen zu laſſen die mindeſte[Neigung] hat. Da¬ rum iſt, da die Natur der Dinge ſelbſt alle Neben¬ wege gänzlich abgeſchnitten, der einzige gerade, hi¬204 ſtoriſche noch übrig, der zum Ziele führt: alles Sträu¬ ben iſt vergeblich, alles Hemmen überflüſſig, alle Li¬ ſten ſind verloren, er muß gegangen ſeyn. Ob ſie zagen, ob ſie zürnen, ob ſie Künſte üben, ob ſie die Gewalt zu Hülfe nehmen; nimmer ſteht die Geſchichte ihrem Rufe ſtill, es kömmt die Fluth herangerauſcht, haben auch alle Könige ihre Stühle ans Meeresufer hingeſtellt. Darum ſoll man zu göttlichem Rathſchluß den menſchlichen Willen thun, damit dieſer vor dem Stärkern nicht zu Schanden werde; man ſoll den Dingen ihren Lauf geſtatten, und mit Gewalt nicht irren von oben noch von unten die Ereigniſſe. Nur in Treue und Gerechtigkeit handelt der Teutſche ſei¬ ner Natur gemäß, alles was er außer ihr unternimmt, iſt ungeſchickt, dumm und ohne Segen.

Darum zuvörderſt Ihr vom dritten Stande! laßt Euch in keine Weiſe ableiten von der Bahn der Ge¬ ſetzlichkeit! Ihr habt gegen jenes Phantom der Will¬ kühr Euch erhoben, das despotiſche Miniſter und Höflinge des Auslands zuerſt für ihre Zwecke erfun¬ den, und herriſche Söldner befeſtigt haben, und das dann zu uns herübergebracht, abſtrakte Schriftgelehrte, denen alles Leben fremd geworden, und Juriſten, die überall den Vorwurf ſich mit Rechte zugezogen, daß ſie durch Verrath die Völker um ihre Freyheiten be¬ trügen helfen, in jene pedantiſche Form gebracht, die es zwar in ſeiner Schärfe abgeſtumpft, aber darum dem öffentlichen Geiſte nur noch nachtheiliger gemacht. Indem Ihr gegen dies weſenloſe Abſtraktum, das ſich geſpenſtiſch zwiſchen die Monarchie und das Volk ge¬ ſchoben, aufgeſtanden, habt Ihr Eure alten unverjährten Freyheiten zurückverlangt, und ſie müſſen Euch zu Theile werden. Ihr wollt nicht länger zinſen und zah¬ len nach fremdem Gutbefinden, als wäret Ihr der Kammer alle insgeſammt als hörig und leibeigen un¬ terthan; vielmehr wollt Ihr wie ehmals allein erbetne nicht gebotne Steuern dem Staat entrichten. Ihr wollt Euch nicht länger bannen laſſen zum Heer¬ gefolge und jeder Fehde, ſondern, wie es bey den Vorvordern der Fall geweſen, mannen allein zur205 Nothwehr bey Feindes Ueberzug. Ihr wollt nicht Recht nehmen vor Gerichten, die in leeren Formen und Grübeleyen ſich verlieren; ihr wollt es weiſen fortan durch Schöpfen und Geſchworne. Ihr wollt, daß das Verdienſt ausgleiche jeden Ranges Unterſchied, und daß der Verkehr, die Rede und der Gedanke frey ſey wie der Athem. Ihr wollet endlich blind in keinem Dinge dem Ge¬ heiße der Willkühr dienen; ſondern allein in freyer Unterwerfung Euch Geſetzen fügen, zu denen Ihr ſelbſt zuvor die Einwilligung gegeben. Das ſind Eure Rechte, und ſie können Euch nicht beſtritten werden; ihre Einräumung iſt keine Vergünſtigung, die man nach Belieben ausſetzen und verzögern könnte, am wenigſten in einer Zeit, die unaufhörlich mit neuen verderblichen Organiſationen und Anmaßungen, wie mit Ungeheuern, ſchwanger geht.

Aber ſo gutes Recht ſollt Ihr durch kein Unrecht Euch verderben, Ihr würdet die Gegner allein damit erfreuen. Iſt der Himmel doch jenes ſchlangenfüßigen Titanen Meiſter worden, der die Revolution verſchlun¬ gen, und in ihrer furchtbaren Kraft gewirkt, was ſollte ihm ſonſt noch widerſtehen in dieſer Zeit? Alles Unrecht will wider den Strom der Geſchichte an; laßt die Thoren ſich abmüden, wenn ſie glauben, ſie ſeyen hoch hinauf, landen ſie athemlos tiefer, als von wan¬ nen ſie ausgeſchwommen. Allein auf dem Rechte ruht die Autorität, will ſie von ihm ſich loszuſagen verſu¬ chen, dann wird ihre gänzliche Unmacht ihr bald den Irrthum begreiflich machen, den ſie begangen hat. Alle Heere, die auf Erden ſind, mögen nicht eine ein¬ zige mathematiſche Wahrheit zu nichte machen, noch weniger werden ſie ein ethiſches Weltgeſetz erſchüttern. Jedes Unrecht iſt von Gott verlaſſen, der allein der gerechten Sache hilft; mag auch die Gewalt auf ſei¬ ner Seite ſtehen, es verwickelt ſich nur allzu bald in ſeine eignen Widerſprüche, wird in ſeinen Sophismen verfangen und in ſeinen Inconſequenzen verſtrickt, daß ihm zuletzt kein Entrinnen mehr möglich iſt.

Aber freilich nicht das todte Recht, das auf dem Papiere ſteht, kann ſich geltend machen; nur allein206 das, was aus den Herzen in's Leben eingedrungen, wird dort leicht ſiegreich werden. Darum je mehr die Willkühr ſich erlaubt, um ſo enger ſollen ſich Alle an¬ einander ſchließen; wenn Alle ihrer Augen Licht im¬ mer auf eine Stelle richten, dann wird dort wie in einem Brennpunkt ſich eine Flamme ſammeln, der das Feuerfeſteſte ſelbſt nicht widerſtehen mag. Laßt nicht ab zu fordern, was Euch angehört, kommt im¬ mer wieder auf denſelben Punkt zurück; aber alſo ſey Euer Gang, daß Ihr keine Zwiſchenſtufe ungeduldig überſpringet, noch auch einen Schritt vorwärts thut, den Ihr zurückzuthun Euch genöthigt ſähet, und ſo Ihr dann mit Muthe für Eure Sache ſteht, wird der Erfolg nicht dem Bemühen fehlen. Aber indem Ihr Recht nehmt, vergeßt nicht Recht zu geben, wem Recht gebührt; und indem Ihr der Strenge des Grund¬ ſatzes nichts vergebt, unterlaßt nicht in der Anwen¬ dung Billigkeit zu üben: denn die Theorie iſt ſcharf wie Schwertes Schneide und wie Feuers Flamme freſſend; alles Menſchliche aber iſt aus Entgegenge¬ ſetztem gemiſcht, und in milden Uebergängen tempe¬ rirt, und ſeine Natur haßt wie Gift alles Unmäßige. Laßt Euch nicht zu thörichtem Streit verhetzen, ſchon die unlautere Quelle, aus der Euch der Antrieb kömmt, ſoll Euch Verdacht einflößen; indem Ihr ha¬ dert, denken ſie lachend die Beute davon zu tragen. Glaubt nicht, daß Euch eine neue Freyheit zu Theile werde, ohne eine neue Leiſtung und daß das Gute ohne Euer Zuthun Euch im Schlaf anfliege; das ganze Streben dieſer Zeit kann nur einen vernünfti¬ gen Sinn in ſich haben: daß ſie reger, lebendiger und tüchtiger zu ſeyn ſich vorgenommen, als die Frü¬ here geweſen; thut ſie in dieſer Weiſe, dann wird ihr auch ein glücklicher Loos zu Theile fallen; iſt es an¬ ders, dann wird ſie ſich jämmerlich betrogen finden. Denn Verfaſſungen ſind gar nichts ohne Bürgertu¬ gend, hätte dieſe in uns gelebt, dann wäre die Frey¬ heit nicht zu Grund gegangen; das bloße Verlangen nach ihrer Wiederherſtellung iſt aber noch kein Be¬ weis, daß die Tüchtigkeit dazu zurückgekehrt. Nur all¬207 zu gegründet iſt der Vorwurf dieſer Zeit gemacht, daß ſie zu gehorchen verlernt, und doch nicht frey zu ſeyn verſteht; das iſt ein großes Recht der Regierun¬ gen bey allem Unrecht, das ſie in Vielem haben mögen: denn die Zügel der Herrſchaft können nicht im Winde fliegen. Nur zu oft hat die ganze Liberalität dieſes Geſchlechtes ſich nur als eine verlarvte Willkühr aus¬ gewieſen, wie ſich häufig genug gerade an den Libe¬ ralſten gezeigt, wenn ſie in den Fall gekommen, ihre Grundſätze auszuüben. Wer Alles allein für ſich ha¬ ben will und dem Andern nichts vergönnt, ſey es Stand, Perſon oder Körperſchaft, iſt ein Tyrann und folglich auch ein Sclave; die Freyheit in der Mitte aber will nicht blos liberal im Nehmen, ſondern auch im Geſtatten ſeyn.

Ihr vom Adel! erinnert Euch wieder der zwie¬ fachen Natur, die ſich in Euch begegnen ſoll, wovon die Eine der Monarchie ſich zugewendet, die Andere dem Volke ſich zugekehrt. Indem Ihr in den letzten Zei¬ ten Euch allzu ausſchließlich jener ergeben habt, indem Ihr im Hofdienſt und im ſtehenden Heere Euch ſelbſt hörig gemacht ohne Vorbehalt, iſt eure eigentliche Standesehre vor dem Volke hingeſchwunden, das in Euch nur Leibeigne der Landeshoheit erblicken konnte. Mit dieſer Landeshoheit habt Ihr die Beute des Reichs getheilt, indem Ihr in euern Lehngütern Euch die Dotation des Krieges zugeeignet; das bedenkend wer¬ det Ihr der Billigkeit nicht Gehör verſagen im jetzigen Streite, der ſich mit den Gemeinen erhoben hat. Vor Revolutionen kann keine Verjährung gelten, ſie fahren ſchnell über die Jahrhunderte bis zum Urſprung des Mißbrauchs hin, und die Franzöſiſche hat ihren Baronen mit einemmale ihren ganzen Feudalbeſitz ab¬ gefordert. Darum wendet Euch nicht ab von billigem Vergleiche, der Euch den Beſitzſtand gewähren will, und nur das Unrecht nicht anerkennt, das durch die Verderbniß der Zeiten zu einem Recht geworden. Keine Rechte auf die Perſon dürft Ihr fortan in Anſpruch neh¬ men; bey den Steuern ſollte vielmehr Euer Ehrgeiz ſeyn, verhältnißmäßig mehr als Andere beyzutragen,208 weil Ihr mehr als ſie gelten wollt. Wie ſelbſt die Lan¬ deshoheit ſich zu neuem Vertrage und neuen Einräu¬ mungen entſchließen muß; ſo ſollt Ihr in Allem was die Verfaſſung betreffen mag, dem gleichen Anſpruche der Zeit auf Erneuerung der alten Bündte Euch in keine Weiſe entziehen. Aber daß die Auseinanderſetz¬ ung auf dem Wege gütlicher Uebereinkunft geſchehen möge, das zu verlangen habt ihr ein gutes Recht; auch daß, ſind die Grundſätze erſt feſtgeſtellt, die nö¬ thige Friſt zur Ausführung geſtattet werde. Je mehr ihr beweißt, daß noch wirklich die Standesehre in Euch lebendig iſt, um ſo mehr wird die Idee auch den Widerſagern Achtung abgewinnen; wollt Ihr Euch aber nur wie Penſionäre des aufgelösten Reiches hal¬ ten, dann wird freylich Euer Ausſterben als wün¬ ſchenswerth erſcheinen. Nicht auf ein Flickwerk iſt es bey der Verfaſſung abgeſehen, wie es die letzten Jahr¬ hunderte immer geliefert haben; nicht auf eine diplo¬ matiſche Halbheit, die nur mechaniſch theilt, und Un¬ gleichartiges gewaltſam bindet, darum aber alle Par¬ theyen gleich unbefriedigt läßt; vielmehr ſollen alle Aftergebilde einer krankhaften Zeit abgelöſt werden vom Körper des Staates, daß indem jedem Organ das Seine zu Theile wird, das Ganze wieder in fri¬ ſcher Geſundheit blühe. Wer aber böſen Mißbrauch vertreten will, der erhält das Siechthum des Vater¬ landes, und muß als ein[innerer] Feind und ſelbſt ein Krankheitsſtoff betrachtet werden. Darum wollet nicht Euer Unrecht mit euerm Rechte decken, damit nicht euer Recht mit dem Unrecht herausgeworfen werde. Alles was auf den Mißbrauch und das Schlechte in der Verfaſſung mit ſeinem Beſtande angewieſen, fin¬ det nicht ferner mehr Gnade vor der Meinung. Die Thorheit des leeren Hochmuths auf blos conventionelle Vorzüge, die Aufgeblaſenheit hohler Eitelkeit, das ganze dünkelhafte, anmaßliche Junkerthum iſt die Fa¬ bel und der Spott der Zeit geworden; aber ein wah¬ rer, rechter, tüchtiger und ehrenfeſter Adel fehlt uns überall, am meiſten in den höchſten Stellen, wo nur allzu oft die kahlſte, flachſte, plattſte, erbärmlichſteGemeinheit209ohne Würde, Anſtand und eine Spur adelicher Ge¬ ſinnung durch den Trödel äußerer Auszeichnung im Contraſte nur um ſo ſchärfer ſticht, und die Nation bey jeder Gelegenheit vor dem Ausland ſchändet. Ein ſolcher Adel, nicht im langweiligen Müßiggang der Höfe ausgeblaſen; nicht im Stillleben auf ſeinem Be¬ ſitz verbauert, kann allein aus einem regen öffentli¬ chen Leben in der Gymnaſtik der Kammern und der Volksbewaffnung, wieder uns erwachſen, und dieſe Schule vor Allem müſſen die Geſchlechter ſuchen, wenn ſie ſich hiſtoriſch zu behaupten Sinnes ſind.

Ihr von der Geiſtlichkeit! Ihr ſeyd berufen dem Volke zu predigen den Gehorſam gegen die Obrig¬ keit; ſo folgt dann dem Berufe, lehrt es die bürger¬ liche Ordnung ſelbſt in ihrem tiefſten Verfalle achtend ehren, daß es nicht weiche vom Wege der Geſetzlich¬ keit; und nie im Aufſtand eigenmächtig die ſittlichen Schranken zu durchbrechen unternehme. Aber dann auch tretet vor die Fürſten und ihre Räthe, und ruft ſie unter dem Schutze euers heiligen Amtes, warnend, ſtrafend wie ihr Gewiſſen an. Erinnert ſie, daß ſie nicht länger Gott verſuchen, und wenn er ein Zeichen gethan, das ihre Schwarzkünſtler nach eitler Wiſſenſchaft gedeutet, immer wieder Neue von ihm fordern, damit er nicht endlich in ſeinem Zorn entbrenne, und ihnen das Letzte ſendet, das ſie und ihr Geſchlecht verzehrt. Nicht um Verfaſ¬ ſungen handelt ſichs allein, ſie werden nun, mag man wohl oder übel wollen, nicht länger mehr ſich vorenthalten laſſen; aber ſie allein ſind, wie die Erfahrung eines Menſchenalters ausgewieſen, für ſich gar wenig, tönende Schellen und hohlklingen¬ des Erz, ſo lange der Geiſt bleibt, gegen den man ſie angerufen: jene gänzlich bewußtlos gewordne Willkühr, jene durch alle Verhältniſſe durchfahrende Gewaltthätig¬ keit, jene Teutſchvergeſſenheit und jenes Verkennen aller höheren und edleren Motive in öffentlichen An¬ gelegenheiten, jener Centralitäts - und Buchſtabenkram, jene Finanzſchwindeleyen durch ewigen Kriegsſtand mit¬ ten im Frieden herbeygeführt, und jener furchtbare14210rechtloſe Zuſtand, der wenn auch nicht ſo gewaltthä¬ tig, wie in jener verrufenen kaiſerloſen Zeit, doch beynahe eben ſo unerträglich iſt. Es klagen die Völ¬ ker auf ihre Rechte, die die Willkühr ihnen vorent¬ halten; ſie haben ihre Urkunden vorgelegt und ihre Briefe; die Geſchichte ſteht an ihrer Seite, daß ſie Zeugniß gebe; alle göttlichen und menſchlichen Ge¬ ſetze ſprechen zu ihren Gunſten, die Ehre und die un¬ verbrüchliche Heiligkeit der Verträge und die Unver¬ letzlichkeit des Schwures; alle gütlichen Mittel ſind verſucht, alle rechtlichen Friſten abgelaufen. Sie aber ſind von Gott auf den Richterſtuhl geſetzt, er hat ſie zu Ausſpendern und Vertretern ſeiner ewigen Gerechtigkeit gemacht, wehe denen! die nicht thun, was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht ver¬ ſagen, nach dem die Kläger rufen. Sagt ihnen, daß auf ihrem Haupt alle Verantwortlichkeit der Zukunft ruhe, daß vor jenem Richterſtuhle nicht bloß die böſe That, ſondern auch Unterlaſſen des gebotnen Thuns gerichtet werde. Erinnert ſie, wie oft ſchon Gott an Teutſchland ſeit einem Menſchenalter ihr Unterlaſſen durch furchtbares Unglück heimgeſucht, und wie all ihr paſſives Wohlmeinen vor ſeinem Zorne nichts ge¬ golten. Sagt Ihnen, daß wenn Sie auf der Höhe Recht mit Unrecht, Geſetzlichkeit mit Tyranney, die Ge¬ rechtigkeit mit Gewalt vermengen und verwirren, die¬ ſelbe Verwirrung bald auch der Maſſe ſich mittheilen wird, deren Stärke allein durch das Maaß der Mitte ge¬ bändigt iſt; und daß, hat das empörte Rechtsgefühl, das nirgend Recht gefunden, endlich einmal wüthend zur Selbſthülfe ſich entſchloſſen, der Streit bald ge¬ ſchlichtet iſt. Auf dem Papiere hat keine Verſchwö¬ rung ſich vorgefunden; ja nachdem man vor ganz Eu¬ ropa auf Hochverrath geklagt, hat man offiziell läug¬ nen müſſen, daß man je auf eine Conſpiration inqui¬ rirt: aber nichts deſtoweniger glimmt das Feuer in den Herzen; von Zeit zu Zeit ſchlagen kleine Flam¬ men zuckend auf, damit ſie ein Zeichen ſeyen des Brandes, der unterirdiſch glüht, und der täglich wei¬ ter um ſich frißt, und den Boden furchtbar unter¬211 höhlt. Darum iſt es rathſam, denen das Recht zu geſtatten, die das Recht allein begehren, damit man bey längerer Weigerung ſich nicht genöthigt ſehe, de¬ nen zu Willen zu thun, die dazu noch das Unrecht wollen. Nicht dahin geht das wohlverſtandne Streben der Beſſern in der Zeit, die Autorität zu untergraben, oder jede verwegene Neuerung irgend eines verrückten Kopfes auszuführen; nur gerade bey der Willkühr iſt jene unheilbare Neuerungsſucht, und gegen ſie eben hat die Zeit ſich aufgelehnt. Mag ein Uſurpator, dem die blutige Erbſchaft einer Revolution anheimgefallen, ihre demagogiſchen Künſte in despotiſche umgewan¬ delt, gegen ſie ſelber wenden; aber was ſollen legitime Fürſten, durchgängig gutmüthig und wohlmeinend wie die der Unſern ſind, mit dem Schatten einer Macht, die nur ein Tyrann in Wirklichkeit beſitzen und hand¬ haben mag, und die für ſie nur das Hemd des Neſ¬ ſus iſt, das der Centaur mit Blute getränkt, ihnen zum Verderben im Tod vermacht. Dieſe Regentenge¬ ſchlechter, die mit dem Volke aus der Tiefe der Jahr¬ hunderte heraufgekommen, mit ihm eins ſind und ver¬ bunden durch die Folge ſo vieler Menſchenalter, ſol¬ len herrſchen nicht wie Imperatoren durch Bajonette, todte Buchſtaben, Bannformeln und Cabinettsordern; ſondern wie Väter im Familienkreiſe durch die Ehr¬ furcht des Alters, die Liebe der Blutsverwandſchaft, das Vertrauen, das oft geprüfte Weisheit und Ge¬ rechtigkeit begründet, die Achtung, die überall die ſittliche Würde gebiethet, und die Neigung, womit angeſtammte Milde aller Herzen bindet. Das ſind Motive, deren die gegenwärtige Zeit gar wohl fähig iſt, wenn erſt einmal das Vertrauen ſich wiederhergeſtellt: aber in ihr iſt kaum eine Spur des brutalen Aberglaubens, der da der beſchränkten menſchlichen Weisheit zumuthet, daß ſie allwiſſend ſey, und der Unmacht, daß ſie all¬ mächtig thue, und im Getriebe perſönlicher Leiden¬ ſchaften, Unfehlbarkeit verlangt. Sie will, daß jener unwürdige Götzendienſt ein Ende nehme; daß nicht länger mehr der Wind eitler Theorien durch die dürren Blätter der Akten rauſche, ſondern der Men¬212 ſchenverſtand ſelbſt in menſchlichen Dingen mit zu Rathe gehe, und das Leben und der Geiſt wieder da ihr Recht behaupten, wo durch leidige Erfahrun¬ gen ihr Beyſtand ſich am unentbehrlichſten erwieſen. Das Alles ſollt Ihr ihnen ſagen und noch ein Meh¬ reres, wenn es vonnöthen iſt, damit ſie erkennen die Wunder, die der Himmel gethan, und ſich beugen vor der Macht der Ideen, die ſich in dieſer Zeit kund gegeben. Zwanzig Jahre haben ſie gegen dieſe Ideen angeſtritten, und ſind beynahe bis zur Austilgung geſchlagen worden; endlich als Gott ihres Unglücks und ihrer Zerknirſchung ſich erbarmt, und ihnen wie¬ der ihr Zeichen voraufgeſendet, da haben ſie unter ihm ihrerſeits über die Feinde triumphirt, die nun die Rolle mit ihnen umgetauſcht. Ihre Autorität iſt auch eine Idee den andern ebenbürtig, ihre Weihe und Salbung iſt auch im Namen der Idee geſchehen; wer unter ihnen ſie verläugnet, ſinkt zu den gemeinen Sterblichen herab. Nur der herrſcht fortan, der wieder das Haupt in ihrem Aether trägt; der aber muß als Sclave, wenn auch nur ſeinen Irrthümern und Leidenſchaften dienen, wer nur in den irdiſchen Lüften ſchwer und beklommen athmet, und die Geſchichte wird ſeinen Namen in ihren Büchern tilgen.

Discite justitiam moniti, et non temnere Divos

About this transcription

TextTeutschland und die Revolution
Author Joseph von Görres
Extent223 images; 49979 tokens; 10913 types; 363983 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationTeutschland und die Revolution Joseph von Görres. . 212 S. HölscherKoblenz1819.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Rz 7490 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=616014074

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Gebrauchsliteratur; Politik; Zeitung; core; ready; ocr

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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