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Organon der rationellen Heilkunde
Die Wahrheit, die wir alle nöthig haben, die uns als Menschen glücklich macht, ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht, nur leicht verdeckt, nicht tief vergraben.
Gellert.
Dresden,1810.in derArnoldischen Buchhandlung.
[I]

Vorerinnerung.

Kein Geschäft ist nach dem Geständnis - se aller Zeitalter einmüthiger für eine Ver - muthungskunst (ars conjecturalis) erklärt worden, als die Arzneikunst; keine kann sich daher einer prüfenden Untersuchung, ob sie Grund habe, weniger entziehen, als sie, auf welcher das theuerste GutaIIim Erdenleben, Menschengesundheit sich stützt.

Ich rechne mirs zur Ehre, in neuern Zeiten der einzige gewesen zu seyn, wel - cher eine ernstliche, redliche Revision der - selben angestellt, und die Folgen seiner Ueberzeugung theils in namenlosen, theils in namentlichen Schriften dem Auge der Welt vorgelegt hat.

Bei diesen Untersuchungen fand ich den Weg zur Wahrheit, den ich allein ge - hen mußte, sehr weit von der allgemeinen Heerstraße der ärztlichen Obſervanz abge - legen. Ie weiter ich von Wahrheit zu Wahrheit vorschritt, destomehr entfernten sich meine Sätze, deren keinen ich ohne Erfahrungsüberzeugung gelten ließ, vonIII dem alten Gebäude, was aus Meinungen zusammengesetzt, sich nur noch durch Meinungen erhielt.

Die Resultate meiner Ueberzeugungen liegen in diesem Buche.

Es wird sich zeigen, ob Aerzte, die es redlich mit ihrem Gewissen und der Menschheit meinen, nun noch ferner dem heillosen Gewebe der Vermuthungen und Willkürlichkeiten anhängen, oder der heil - bringenden Wahrheit die Augen öfnen können.

Soviel warne ich im Voraus, daß In - dolenz, Gemächlichkeit und Starrsinn vom Dienste am Altare der Wahrheit aus - schließt, und nur Unbefangenheit und unermüdeter Eifer zur heiligsten allera 2IVmenschlichen Arbeiten fähigt, zur Aus - übung der wahren Heilkunde. Der Heil - künstler in diesem Geiste aber schließt sich unmittelbar an die Gottheit, an den Wel - tenschöpfer an, dessen Menschen er erhal - ten hilft, und dessen Beifall sein Herz dreimahl beseligt.

V

Einleitung.

Man kurirte bisher die Krankheiten der Menschen nicht rationell, nicht nach feststehenden Gründen, sondern nach sehr verschiednen Heilzwecken, unter andern auch nach der palliativen Regel: contraria contrariis curentur.

Im Gegentheile hievon lag die Wahr - heit, der ächte Heilweg, zu welchem ich in diesem Werke die Anleitung gebe: wähle, um sanft, schnell und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, wel - che ein ähnliches Leiden (ὅμοιον πάϑος) vor sich erregen kann, als sie heilen soll (simi - lia similibus curentur)! Diesen homöopathi - schen Heilweg lehrte bisher niemand. Ist es aber die Wahrheit, die diesen Weg vorschreibt, so läßt sich erwarten, daß,VI gesetzt sie wäre auch Jahrtausende nicht geachtet worden, sich dennoch Spuren von ihr, der Unsterblichen, in allen Zeit - altern werden auffinden lassen. Und so ist es auch. In allen Zeitaltern sind die Kran - ken, welche wirklich, schnell, dauerhaft und sichtbar durch Arzneien, nicht durch ein großes andres Ereigniß, nicht durch den Selbstverlauf der akuten Krankheit, nicht durch die Länge der Zeit, nicht durch das allmählige Uebergewicht der Energie des Körpers, u. s. w. gesund wurden, blos durch die homöopathische Wirkung eines Arzneimittels genesen, ob - gleich ohne Wissen des Arztes.

Selbst bei den ( seltnen ) wirkli - chen Heilungen mit vielerlei zusammen ge - mischten Arzneien, findet man hie und da, daß das stark vorwirkende Mittel von der homöopathischen Art war.

Doch noch auffallend überzeugender findet man dieß, wo die Aerzte, wider die Observanz, zuweilen mit einem einfachen Mittel die Heilung schnell zu Stande brach - ten. Da siehet man, zum Erstaunen, daß es durch eine Arznei (nach Art der in die -VII sem Werke vorgetragenen homöopathischen Heilgesetze) geschah, die geeignet war, ein ähnliches Leiden zu erzeugen; ob sie gleich was sie da thaten, selbst nicht wußten, und es in einem Anfalle von Vergessenheit der gegentheiligen Lehren ihrer Schule thaten.

Hier einige Beispiele:

Schon Hippocrates heilte (ἐπιδημιῶν, lib. 4.) die Cholera, die sich durch nichts stillen lassen wollte, einzig durch Weiß - nieswurzel, welche doch vor sich Cho - lera erregt, wie Forestus, Lentilius, Rei - mann, Ettmüller und mehrere Andre sahen.

Das englische Schweißfieber, was im Iahre 1485 zuerst erschien, und anfäng - lich, wie Willis versichert, von 100 Perso - nen 99 tödete, konnte nicht eher gebändigt werden, bis man den Kranken Schweiß erregende Mittel zu geben lernte. Von der Zeit an starben nur Wenige, wie Sennert be - merkt.

Darmsaiten in die gesunde Harnröhre gelegt, erregen allemahl einen Schleimab - fluß, und eben deshalb heilen sie so oft alte Nachtripper.

VIII

Ein jahrelanger, den Tod drohender Bauchfluß, wo alle andre Arzneien ganz ohne Erfolg waren, ward, wie Fischer zu seiner (nicht meiner) Verwunderung wahr - nahm, von einem ungelehrten Kurirer mit einem Purgirmittel schnell und dauer - haft gehoben.

Murray, statt aller andern Zeugen, und die tägliche Erfahrung zählt unter die Symptomen, welche der Gebrauch des Ta - baks hervorbringt, vorzüglich Schwindel, Uebelkeit und Aengstlichkeit. Und ge - rade Schwindel, Uebelkeit und Aengst - lichkeit waren es, von denen sich Diemer - broek durch Tabakrauchen befreiete, wenn er unter der ärztlichen Behandlung der epi - demischen Krankheiten in Holland von die - sen Beschwerden befallen ward. Chomel, Grant und Marrigues sahen vom starken Ge - brauche des Tabaks Konvulsionen ent - stehen, und lange vor ihnen hatte Zacutus der Portugiese in dem aus dem Safte des Tabakskrautes bereiteten Sirupe ein sehr heilbringendes Mittel in vielen Fällen von Epilepsie gefunden.

IX

Die schädlichen Wirkungen, welche einige Schriftsteller, und unter ihnen Geor - gi vom Genusse des Fliegenschwam - mes bei den Kamtschadalen anmerken, Zittern, Konvulsionen, Fallsucht, wurden wohlthätig unter den Händen Whistling’s, der sich des Fliegenschwammes mit Erfolge gegen Konvulsionen mit Zit - tern begleitet, und unter Bernhardt’s Hän - den, der sich desselben hülfreich in Fall - suchten bediente.

Die bei Murray zu findende Wahrneh - mung, daß Anies-Oel von Purganzen erregtes Leibweh stillt, setzt uns nicht in Verwunderung, wenn wir wissen, daß J. B. Albrecht Magenschmerzen und P. Forest heftige Koliken vom Anies-Oele be - obachtet hatten.

Wenn Fr. Hoffmann die Schafgarbe in mehrern Blutflüssen rühmte, Stahl, Buchwald, und Löseke sie im übermäßigen Flusse der Goldader sehr dienlich fan - den, die Breslauer Sammlungen Heilungen des Blutspeiens durch Schafgarbe anfüh - ren, und Thomasius bei Haller sie mit Glück in Mutterblutflüssen anwendete, so be -X ziehen sich diese Heilungen offenbar auf die ursprüngliche Neigung dieses Krautes, vor sich Blutflüsse und Blutharnen, wie Fr. Hoffmann beobachtete, und eigenthüm - lich Nasenbluten zu erzeugen, wie Boecler von demselben wahrnahm.

Scovolo, nächst Andern, heilte schmerz - haften Abgang eiterigen Harns mit der - rentraube, welche dieses nicht vermocht hätte, wenn sie nicht vor sich schon Harn - brennen mit Abgang eines schleimigen Urins erzeugen könnte, wie wirklich Sau - vages von der Bärentraube entstehen sah.

Der jezt so sehr vernachlässigte Fle - ckenschierling hat homöopathisch nicht selten schwierige Krankheiten geheilt, wie die Schriften der besten Aerzte bezeugen. Wenn er nun, wie Baylies erfuhr, vor sich Engbrüstigkeit, nach Stoerck verkürztes, keuchendes Athemholen, nach Lange hef - tigen Husten, abermahl nach Stoerck ei - nen trocknen Husten, nach einer andern Beobachtung von ihm sehr gewaltsamen Husten, und nach noch einer andern, einen nächtlichen Husten, nach Lan - deutte aber Kurzäthmigkeit und eineXI Art nächtlichen Keuchhusten vor sich erzeugen kann, so wird es leicht begreif - lich, wie er unter Boulard’s Augen ein nächtliches Asthma, und bei Stoerck ei - nen konvulsivischen Husten nach unter - drückter Krätze, bei Viventius einen hart - näckigen Husten, und eine Art Keuch - husten unter Butter’s, Armstrong’s, Len - tin’s und Ranoe’s Erfahrungen hat glücklich heilen können. Die Heilung einer Harnwinde durch Schierling bei Stoerck wird erklärlich aus der Strangurie, welche Lange und Ehrhardt von eben dieſem Krau - te haben entstehen sehen. Hat Stoerck einen schwarzen Staar damit bezwungen, so ward dieß durch die natürliche Eigen - schaft des Schierlings möglich, vermöge welcher er (nach Amatus dem Portugiesen) plötzliche Blindheit, (nach Baylies und Andree) Gesichtsverdunkelung und (nach Gatacker) Gesichtsschwäche schon von selbst zu erzeugen pflegt.

Wenn es auch die vielen Erfahrungen von Stoerck, Marges, Planchon, du Monceau, F. Ch. Juncker, Schinz, Ehrmann und Ande - rer nicht versicherten, daß die Herbst -XII zeitlose eine Art Wassersucht geheilt habe, so würde diese Kraft schon aus ihrer Eigenschaft, verminderte Absonderung eines feuerrothen Urins mit stetem Harndrange vor sich zu erregen (wie nächst Stoerck auch de Berge sah) leicht zu erwarten seyn. Sehr sichtbar aber ist das von Göritz durch die Zeitlose geheilte hypochondrische Asthma, und die von Stoerck durch sie gehobene Engbrüstig - keit mit einer Brustwassersucht (wie es schien) verbunden, in der Tendenz dieser Wurzel, Schweräthmigkeit und Asthma vor sich hervorzubringen, gegründet, der - gleichen de Berge von ihr wahrnahm.

Muralto sah, was man noch täglich se - hen kann, daß die Ialappe außer Bauchweh auch eine große Unruhe und Umherwerfen zuwege bringt und, ganz begreiflich für jeden denkenden Arzt, fließt aus dieser ihrer Tendenz, jene wohlthätige Kraft derselben, kleinen Kindern in Leib - weh, Unruhe und Schreien oft zu helfen und ihnen einen ruhigen Schlaf zu ver - schaffen, wie G. W. Wedel ihr mit Recht nachrühmt.

XIII

Bekanntlich (wie auch Murray, Hillary und Spielmann zum Ueberflusse bezeugen) machen die Sensblätter eine Art Leib - schmerzen und bringen das Blut in Wal - lung (die gewöhnliche Ursache der Schlaf - losigkeit) und eben dieser ihrer natürli - chen Eigenschaft wegen, konnte Detharding heftige Kolikschmerzen mit ihnen he - ben und den Kranken die unruhigen Näch - te benehmen.

Ganz nahe lag es dem sonst scharfsin - nigen Stoerck, einzusehen, daß der beim Gebrauch der Diptamwurzel von ihm selbst bemerkte Nachtheil, zuweilen eine Leukorrhöe zähen Schleims mit Blut - striemen vermischt, zu erzeugen, eben die Kraft sei, wodurch er mit dieser Wurzel ei - nen langwierigen weißen Fluß be - zwang.

Eben so wenig durfte es Stoerck auffal - len, wenn er mit der Brenn-Waldre - be eine Art langwierigen, feuchten, fres - senden, allgemeinen Krätzausschlags heilte, da er selbst von diesem Kraute wahrgenommen hatte, daß es krätzigeXIV Pusteln über den ganzen Körper vor sich schon erzeugen könne.

Aus eben dem Grunde, aus welchem von Auflegung der Wolfsmilch blos auf den Unterleib unter Scopoli’s Augen Was - sergeschwulst des ganzen Körpers er - folgte, konnten auch in den ältern Zeiten eine Menge Aerzte und gemeine Leute eine Art Wassersucht mit Wolfsmilch heilen, wie Herrmann und Boecler anführen.

Wenn nach Murray die Euphrasie das Triefauge und Augenentzündung geheilet hat, wodurch vermochte sie dieß sonst, als durch ihre (von Lobelius, Bonnet und S. Paulli beobachtete) Eigenschaft, vor sich schon eine Art Augenentzündung erzeugen zu können?

Nach Lange’s braunschweigischer Haus - mittelpraxis hat sich die Muskatnuß sehr hülfreich in hysterischer Ohnmacht erwiesen; doch wohl aus keinem natürli - chern Grunde, als weil sie in großer Gabe (bei Cullen) ein Verschwinden der Sinne und allgemeine Unempfindlichkeit bei gesunden Personen zu erregen fähig ist!

XV

Boecler und Linné bezeugen, daß der Faulbeer-Kreuzdorn beim innern Gebrauche eine Art Wassersucht heile. Der Grund hievon liegt ganz nahe; Schwenck - feld sah durch äußere Auflegung der innern Rinde dieses Strauchs von selbst eine Art Wassersucht entstehen.

Die uralte Wahl des Rosenwassers zum äußerlichen Gebrauche bei Augen - entzündungen scheint stillschweigend ei - ne Heilkraft dieser Blumenblätter in Oph - thalmien anzuerkennen. Es könnte aber doch vielleicht nur Aberglaube seyn, wenn sie nicht auch ihrer eigenthümlichen Natur nach die Eigenschaft besäßen, vor sich ei - ne Art Augenentzündung bei gesunden Menschen zu erzeugen; und diese Kraft besitzen sie wirklich, wie Echtius und Lede - lius bezeugen, von ihnen wahrgenommen zu haben.

Wenn der Rhus radicans nach Rossi ge - neigt ist, den Körper allmählig mit Pu - steln zu überziehn, so sieht ein verstän - diger Mann leicht ein, wie er homöopa - thisch den Herpes bei Dufresnoy und van Mons heilen konnte.

XVI

Was zwingt den Rhus toxicodendron, bei Alderson und Darwin, Lähmung der un - tern Gliedmasen mit Verstandes - schwäche begleitet, zu heilen, wenn es nicht die deutlich zu Tage liegende eigen - thümliche Kraft dieses Strauchs thut, gänz - liche Abspannung der Muskelkräfte mit einer zu sterben fürchtenden Verstan - desverwirrung vor sich erzeugen zu kön - nen, wie Zadig sah?

Hat das Bittersüß, wie Haller bei Vicat versichert, von Verkältung ent - standnen Husten geheilt, so kam es ein - zig daher, weil es bei feucht kalter Luft vorzüglich geneigt ist, mancherlei Verkäl - tungsbeschwerden hervorzubringen, wie Carrere und de Haen beobachteten. Er - sterer Arzt sah beim Gebrauche des Bitter - süßes eine Rauhheit der Zunge entste - hen, und eben dieser Eigenschaft wegen war es vermögend, Schrunden der Zunge zu heilen, wie Haller bei Vicat anführt. Dem Carrere verdanken wir die Beobach - tung, daß Bittersüß eine Art Leucorrhöe vor sich erregt. Hieraus hätte man schon im voraus schließen können, daß diesesXVII Kraut eine ähnliche Art Leucorrhöe mit Gewißheit heilen müsse; die Bestätigung aber hievon, daß es dergleichen auch wirk - lich heile, haben die Erfahrungen von Rahn, Carrere und Durande gelehrt. Vergeb - lich würde man den innern Grund, warum gerade Bittersüß so wirksam eine Art Flechten und Herpes (unter den Augen eines Carrere, Fouquet und Poupart) geheilt hat, in dem Reiche der Vermuthungen auf - suchen, da er uns von der einfachen Natur so nahe gelegt worden ist, nämlich: das Bittersüß erregt von selbst eine Art Flech - ten, und Carrere sah von seinem Gebrauche einen Herpes zwei Wochen hindurch sich über den ganzen Körper verbreiten, und bei andrer Gelegenheit Flechten auf den Händen davon entstehen.

Vom Schwarznachtschatten sah Rucker eine Geschwulst des ganzen Kör - pers entstehen und Gatacker konnte deshalb eine Art Wassersucht mit diesem Kraute (homöopathisch) heilen.

Eine andre Art Wassersucht konn - ten Boerhaave, Sydenham und Radcliff mit Schwarzholder heilen, eben weil, wiebXVIIIHaller berichtet, der Schwarzholder schon bei äußerer Auflegung Oedem erzeugt.

De Haen, Sarcone und Pringle huldig - ten der Wahrheit und Erfahrung, da sie freimüthig gestanden, den Seitenstich mit Squille geheilt zu haben, mit einer Wur - zel, die das, hier blos schmeidigende, ab - spannende und kühlende Mittel verlangen - de System ihrer großen Schärfe wegen durchaus widerrathen mußte; er wich den - noch der Squille und zwar nach dem ho - möopathischen Naturgesetze, indem schon J. C. Wagner (obs. clin. Lub. 1737.) von der freien Wirkung der Meerzwiebel eine Art Pleuritis entstehen sah.

Nach Gaterau’s Beobachtung hat der Gebrauch des Taxus einen heftigen Hu - sten verursacht, und blos deshalb konnte er bei Perry (Journ. de Med. 1790.) Husten heilen.

Die Eigenschaft des Terbenthin - Oels (nach Stedman), eine Harnverhal - tung, eine Art Wassersucht und Nieren - schmerzen erzeugen zu können, gab die - sem ätherischen Oele die homöopathische Heilkraft, hie und da eine Wassersucht,XIX und hie und da eine Art Hüftweh zu he - ben, worüber uns Home, Herz, Thilenius, Cheyne und Andre die Belege liefern.

Der chinesische Thee ist seiner Na - tur nach nichts als ein Arzneimittel. Man findet in den Nov. Act. N. C. und bei Lettsom zusammenziehenden Magenkrampf von Thee erzeugt, auch erwähnt letzterer eines drückenden Magenschmerzes davon, eine Tendenz die das Lob, welches Buchan dem Thee bei Hebung der Cardialgie der Schwangern ertheilt, hinlänglich motivirt. Nach mehrern Beobachtungen (von Geof - froy, von Tode und von James bei Lettsom) hat er nicht selten Zuckungen und Fall - sucht hervorgebracht und in dieser Eigen - schaft stillt er die bei Masern und Pocken gewöhnlichen Konvulsionen (Eph. N. C. dec. III. a. I. obs. 1618.) ; so wie er auch ein vorzügliches homöopathisches Heilmittel in der Ermüdung von Strappazen (Lett - som) abgiebt, ebenfalls einzig durch seine, allgemeine Schwäche erzeugende Kraft, welche von Lettsom, Whytt und Murray beobachtet worden ist und eben dahin scheint auch seine von Lettsom be -b 2XXmerkte, Schläfrigkeit erzeugende Eigen - schaft zu gehören, vermöge deren die Chi - nesen die Schlafsucht in Krankheiten (Herrmann) mit Thee heilen.

Die durch Viele (Dan. Crüger, Ray, Kellner, Kaaw, Boerhave u. s. w.) vom Ge - nusse des Stechapfels beobachtete Wirkung, wunderliche Phantasien und Konvulsionen zu erregen, setzte die Aerz - te in Stand, die Dämonie (monströse Phantasien in Begleitung von krampfhaften Gliederbewegungen) mit Stechapfel (Ve - ckoskrift, IV. ) zu heilen, so wie eine von Quecksilberdampf und eine andre von Schreck entstandne Art Veitstanz von Si - drèn mit diesem Kraute geheilt ward, oder eigentlich mittelst seiner Eigenschaft, schon vor sich dergleichen unwillkührliche Gliederbewegungen erzeugen zu kön - nen, wie man von Kaaw, Boerhave und Lob - stein beobachtet findet. Weil auch der Stechapfel nach vielen Wahrnehmungen (auch denen von P. Schenck) sehr schnell alle Besinnung und Rückerinnerung weg - nimmt, so ist er auch fähig, Gedächt - nißschwäche (nach Sauvages und Schinz) zuXXI heben, und eben so konnte auch Schmalz eine mit Manie abwechselnde Melancho - lie mit diesem Kraute heilen, weil es, wie a Costa erzählt, solche alternirende Ge - müthsverwirrungen auch vor sich zu er - zeugen im Stande ist.

Percival, Stahl und Quarin beobachte - ten Magendrücken, Morton, Friborg, Bauer und Quarin Erbrechen und Durch - fall, Morton und Dan. Crüger Ohnmachten, und viele Andre einen großen Schwäche - zustand, Thomson, Richard, Stahl und C. E. Fischer eine Art Gelbsucht, Quarin und Fi - scher Bitterkeit des Mundes, und meh - rere Andre harte Anspannung des Unter - leibes vom Gebrauche der Chinarinde, und eben diese vereinigten Zustände sind es, bei deren ursprünglichen Gegenwart in Wechselfiebern Torti und Cleghorn so an - gelegentlich auf den alleinigen Gebrauch der Chinarinde dringen, so wie die ge - segnete Anwendung derselben in dem er - schöpften Zustande, der Unverdaulich - keit und Anorexie nach akuten, beson - ders mit Blutlassen und erschöpfenden Aus - leerungsmitteln behandelten Fiebern blosXXII auf der (von Cleghorn, Friborg, Crüger, Rom - berg, Stahl, Thomson u. A.) beobachteten Eigenschaft dieser Rinde, ein ungemeines Sinken der Kräfte, erschlafften Zu - stand Leibes und der Seele, Unver - daulichkeit und Anorexie zu erregen, beruhet.

Außer Piso, Huck und Meyer haben noch eine Menge andrer Aerzte die Durch - fall stillende Kraft der Ipecacuanhe aner - kannt. Wie könnte sie aber einige Arten Durchfall so kräftig stillen, wenn sie nicht selbst, wie bekannt (Murray) vor sich Pur - giren zu erregen geeignet wäre? Wie könnte sie mehrere Blutflüsse stillen (Bagliv, Barbeirac, Gianella, Dalberg, Ber - gius u. A.), wenn sie nicht selbst Blutflüs - se zu erzeugen (Murray, Geoffroy) im Stande wäre? Wie könnte sie in Engbrüstig - keit und besonders in der krampfhaften Engbrüstigkeit (Akenside, Meyer, Bang) so hülfreich seyn, wenn sie nicht, auch ohne Ausleerungen zu erregen, schon vor sich de Tendenz besäße, Engbrüstigkeit überhaupt, und krampfhafte Engbrü - stigkeit insbesondre zu verursachen?XXIII dergleichen Murray (pract. Bibl. III. ), Geoffroy und Scott von dieser Wurzel beobachteten. Kann es deutlichere Winke geben, daß wir die Arzneien nach ihren krankmachenden Wirkungen zur Heilung der Krankheiten anwenden sollen?

Eben so würde es nicht einzusehen seyn, wie die Ignatzbohne in einer Art Konvulsionen (Acta Berolin. Herrmann, Va - lentin) so wohlthätig hätte seyn können, wenn nicht bekannt wäre (Bergius, Camelli, Durius in Misc. N. C. Dec. III. ann. 9, 10.), daß sie selbst dergleichen hervorzubringen im Stande wäre.

Durch Stoß und Quetschungen be - schädigte Personen bekommen Seitenstiche, Brechreitz, krampfhafte, stechende und brennende Schmerzen in den Hypochon - dern mit Aengstlichkeit und Zittern beglei - tet, ein unwillkührliches Zusammenfahren wie von elektrischen Stößen wachend und im Schlafe, ein Kriebeln in den beschädig - ten Theilen, u. s. w. Da nun das Wohl - verleih eben diese Zustände erregen kann (de Meza, Vicat, Crichton, Collin, Aaskow, Stoll und J. Chr. Lange), so wird es leichtXXIV begreiflich, wie dieses Kraut die Zufälle von Quetschung und Fall, folglich die Quetschung selbst heilen kann, wie eine namenlose Menge von Aerzten und ganze Völkerschaften in Erfahrung gebracht ha - ben.

Wenn es mehrere Stufen und Arten von Hundswuth giebt, wie mehr als wahrscheinlich ist, so wird man wohl be - haupten können, daß die Belladonne eine Art Wasserscheu zu heilen vermö - gend sei, wie denn wirklich Münch, Buch - holz und Neimeke dergleichen mit ihr geheilt haben; auch leuchtet diese Heilkraft aus der eigenthümlichen Wirkungsart dieses Krautes hervor, mehrere Zufälle von Wasserscheu schon selbst erzeugen zu können, z. B. das vergebliche Haschen nach Schlaf, das ängstliche Athemholen, der ängstliche brennende Durst nach Ge - tränke, das die Person kaum erhält, als sie es schon wieder von sich stößt, mit ro - them Gesichte, stieren und funkelnden Augen (von welcher Arzneikrankheit durch Belladonne uns J. F. C. Grimm das Bild entwirft), während die einzelnen Züge die -XXV ses Zustandes von mehrern Beobachtern, namentlich das, Ersticken erregende Nie - derschlingen des Getränks bei übermäsigem Durste von El. Camerarius und Sauter, und überhaupt das Unvermögen zu schlucken von May, Lottinger, Sicelius, Buchave, d Her - mont, Manetti, Vicat und Cullen wiederho - let, von Andern aber die von diesem Krau - te entstandne, mit Furchtsamkeit abwech - selnde Begierde, nach den Umstehenden zu schnappen (Sauter, Dumoulin, Buchave, Mar - dorf) und umher zu spucken (Sauter), auch wohl zu entfliehen (Dumoulin, Eb. Gmelin, Buc’hoz) und die beständige Regsamkeit des Körpers (von Boucher, Eb. Gmelin, Sauter) noch hinzugesetzt werden, alles Zufäl - le von Belladonne, welche vereinigt ein ziemlich treffendes Bild von der durch sie heilbaren Art Hydrophobie darstellen. Ob aber die Behandler der Wasserscheu mit Belladonne auf der einen Seite nicht oft die Gabe übertrieben, auf der andern Seite aber die der Belladonne entsprechende Art von Wasserscheu immer getroffen haben, will ich hier nicht entscheiden da die häufig - sten Arten von Hundswuth mehr den durchXXVI Bilsenkraut erzeugbaren Zufällen äh - neln, und daher öfterer durch lezte - res heilbar seyn müssen. Die Belladonne heilte auch Arten von Manie und Melancholie (Evers, Schmucker, Schmalz und Münch Vater und Sohn) das ist, mit - telst ihrer Kraft, besondre Arten von Wahnsinn eigenthümlich zu erzeugen, dergleichen Rau, Glimm, Hasenest, May, Mardorf, Hoyer, Dillenius, u. A. aufgezeich - net haben. Henning brauchte eine Men - ge vergeblicher Mittel gegen eine Amauro - sis mit vielfarbigen Flecken vor den Augen drei Monate lang, bis er aus Ver - dacht gegen etwanige Gicht, die der Kran - ke doch nicht hatte, endlich Belladonne gab und ihn damit schnell und ohne Be - schwerde heilte. Er würde es wohl gleich Anfangs gethan haben, wenn er gewußt hätte, daß Belladonne dieß homöopathisch thun muß, da sie selbst Amaurosis mit vielfarbigen Flecken vor den Augen erzeugt, wie Sauter sah.

Die von einigen Beobachtern (Blom, Planchon) zu Anfange der Wirkung des Bilsenkrautes bemerkte Schlaflosig -XXVII keit, welche gewöhnlich von Aengstlich - keit unterhalten wird, ist auffallend der einzige Grund der so großen Schlaf brin - genden Wirkung desselben in ähnlichen idiopathischen Agrypinen, die, nach Stoerck, jene (palliative) hypnotische Wir - kung des Opiums weit übertrifft. Das Bilsenkraut hat Krämpfe, welche viel Aehn - lichkeit mit der Fallsucht hatten, auch wohl dafür gehalten worden sind (nach Stoerck, Collin und A.), gehoben, weil es der Fallsucht sehr ähnliche Zuckungen erregen kann (nach El. Camerarius, Chph. Seliger, Hünerwolf, A. Hamilton, Planchon, a Costa u. A.) Nicht umsonst hat Greding von diesem Kraute einen trocknen krampf - haften Husten entstehen sehen; dieß sollte uns zeigen, daß er ein kräftiges Heil - mittel in einem ähnlichen Husten sei, wie auch Friccius, Rosenstein, Dubb und Stoerck wirklich erfahren haben. In ge - wissen Arten von Wahnsinn hat Stoerck, Fothergill, Herwig und Ofterdinger das Bil - senkraut mit Erfolge gebraucht; doch wür - den noch weit mehrere Aerzte hierin glück - lich gewesen seyn, wenn sie keinen an -XXVIII dern Wahnsinn damit zu heilen unternom - men hätten, als das Bilsenkraut in seinen Primärwirkungen zu erzeugen vermag, nämlich jene Art stupider Sinnlosigkeit, wie sie Helmont, Wedel, J. G. Gmelin, la Serre, Hünerwolf, A. Hamilton, Kiernander, J. Stedman, Toppetti, J. Faber und Wendt vom Bilsenkraute haben erfolgen sehen. Aus den von diesem Kraute erfahrnen Wir - kungen, die man bei obigen Beobachtern nachsehen kann, läßt sich das Bild des höchsten Grades von einer Art Hysterie zusammensetzen, und eben diese wird von ihm geheilt (J. A. P. Gesner, Stoerck). Unmöglich hätte Schenckbecher einen zwan - zigjährigen Schwindel damit heben kön - nen, wenn das Bilsenkraut nicht so allge - mein und in so hohem Grade einen ähnli - chen Schwindel zu erzeugen, von Natur geeignet wäre, wie Hünerwolf, Blom, Na - vier, Planchon, Sloane, Stedman, Greding, Wepfer, Vicat, Bernigau bezeugen. Die sechs gemischten Arzneistoffe, die Hecker in einer krampfhaften Verschließung der Augenlieder mit dem sichtbarsten Er - folge brauchte, wären vergeblich gewesen,XXIX war nicht das hier homöopathische Bilsen - kraut glücklicherweise drunter, welches nach Wepfer dasselbe Symptom am gesun - den Körper zu erregen pflegt.

Die Glieder - und Gelenkschmerzen, welche A. Richard (bei P. Schenck) vom Sturmhute in Erfahrung gebracht hat, sind von der Art, wie sie von vielen Aerz - ten, deren Namen Murray verzeichnet, mit Sturmhut geheilt worden sind; so daß der homöopathische Grund seiner Heilkraft deutlich in die Augen fällt.

Wie wäre es möglich, daß der Kam - pher in den sogenannten schleichenden Nervenfiebern mit verminderter Kör - perwärme, verminderter Empfindung und gesunkenen Kräften so ausnehmen - de Dienste leisten konnte, wie uns der Wahrheit liebende Huxham versichert, wenn der Kampher nicht in seiner Primärwirkung gerade einen solchen Zustand erzeug - te, wie Alexander, Cullen und Fr. Hoffmann von ihm sahen? Die bis zur höchsten Schmerzhaftigkeit erhöhete Empfindlich - keit des Organismus mit Hitze verbunden in der Influenza hebt er deshalb zwarXXX schnell, aber nur palliativ, und seine Gaben müssen daher stets erhöhet und oft erneuert werden, wenn er dieser akuten Krankheit Meister werden soll. (§. 266.)

Feuriger Wein stillt oft, wie Murray bezeugt, eine lästige Erhitzung des Kör - pers und die allzu heftige Erregung des Pulses offenbar homöopathisch! . Ein fieberhaftes Delirium, wie eine ver - nunftlose Trunkenheit mit laut schnar - chendem Athem , diese Krankheit, dem Zustande einer heftigen Berauschung von Weine ähnlich heilte Rademacher in ei - ner einzigen Nacht blos mit Weintrinken. Wem fällt hier nicht die Macht des analo - gen Arzneireitzes (similia similibus) in die Augen?

Ein Zustand, dem Todeskampfe ähn - lich, von Konvulsionen ohne Bewustseyn, abwechselnd mit Anfällen von krampfhaf - tem und stoßweisem Athmen, welches auch schluchzend und röchelnd mit Todtenkälte des Gesichts und Körpers (Hände und Füße blaulich) und mit schwachem Pulse erfolg - te (ganz so, wie Schweickert und Andre die Zufälle vom Mohnsafte beobachteten)XXXI ward von Stütz vergeblich mit Laugensalz, nachgehends glücklich und schnell und dauerhaft durch Mohnsaft gehoben. Wer erkennt hier nicht das, unwissender Weise ausgeübte homöopathische Verfahren? Eben diesen, so große Neigung zum fast unüberwindlichen Schlafe mit heftigem Schweiße und Delirien (nach Vicat, J C. Grimm und Andern) erregenden Mohnsaft fürchtete sich Osthoff in einem epidemi - schen Fieber, was dieselben Symptomen hatte, anzuwenden, weil das System (!) in dieser direkten Schwäche ihn zu geben ver - biete. Nur da er nach vergeblichem Ge - brauch aller bekannten Arzneien den Tod vor Augen sah, entschloß er sich, ihn auf gut Glück zu probiren, und, siehe! er war allgemein hülfreich (mußte es seyn, nach dem ewigen homöopathischen Heilge - setze!) In einem Fieber, wo die Kran - ken sprachlos waren, die Augen offen, die Glieder starr, der Puls klein und aus - setzend, der Athem schwer mit Schnarchen und Röcheln und in Schlafsucht versunken Zuständen, die der Mohnsaft ganz ähnlich zu bewirken vor sich vermag (wieXXXII de la Croix, Rademacher, Crumpe, Pyl, Vicat, Sauvages und viele Andre beobachtet haben) da sah Hoffmann in Münster blos den Mohnsaft helfen (wie ganz natürlich!) Nach langer Quaal mit einer Menge nicht passender Arzneien hob C. C. Matthäi eine hartnäckige Nervenkrankheit, deren Haupt - zeichen Unempfindlichkeit, Taubheit und Eingeschlafenheit in Armen, Schenkeln und am Unterleibe waren, mit Mohnsaft (der nach Stütz, J. Young und Andern, der - gleichen in vorzüglichem Grade vor sich erregen kann), wie jeder Nachdenkende sieht, blos homöopathisch. Hufeland’s Heilung einer tagelangen Lethargie mit Mohnsaft, nach welchem andern Gesetze erfolgte sie, als nach dem bisher verkann - ten homöopathischen?

Rave und Wedekind heilten schlimme Mutter-Blutflüsse mit Sadebaum, welcher wie jede freche Dirne weiß, Bär - mutter-Blutflüsse bei Gesunden er - zwingt. Wer will hier das Heilgesetz der Natur durch Aehnlichkeit, verkennen?

Wie könnte der Biesam im Millari - schen Asthma fast specifisch helfen, wennXXXIII er nicht vor sich selbst Paroxysmen von hustenloser, erstickender, krampfhaf - ter Zusammenschnürung der Brust zuwege bringen könnte? und dieß kann er, wie Fr. Hoffmann beobachtete.

Kann die Kuhpocke anders gegen Kindblattern schützen, als homöopathisch? sie, welche außer andern großen Aehnlich - keiten mit ihnen, und insbesondre ihrem im Ganzen nur einmahl möglichen Erscheinen am menschlichen Körper und der Tiefe ih - rer Narben, sogar auch Achseldrüsenge - schwülste, Augenentzündung und Konvul - sionen, wie die Menschenblattern erregt hat.

Bekanntlich ist Haruverhaltung mit Harnzwang eins der häufigsten und be - schwerlichsten Symptome der spani - schen Fliegen, wie zum Ueberflusse Joa. Camerarius, Baccius, van Hilden, Forest, J. Lanzoni, van der Wiel und Werlhoff bestä - tigen. Ein behutsamer innerer Gebrauch der Kanthariden mußte daher in ähnlichen schmerzhaften Dysurien durchaus ein hülfreiches und homöopathisches Hauptmit - tel seyn. Und so ist es auch. Außer fast allen griechischen Aerzten (deren KantharidecXXXIVdie sehr ähnliche Meloe des Wegwarts war) haben Fabr. ab Aquapendente, Capivac - cius, Th. Bartholin, Riedlin und Andre die schmerzhaftesten, ohne mechanische Hinderung entstandenen Ischurien mit Kanthariden geheilt. Selbst Huxham sah die vortrefflichsten Wirkungen davon in sol - chen Fällen; er rühmt sie sehr, und hätte sie gar gern gebraucht. Aber das System hielt ihn ab, wider seine Ueberzeugung! Van Hilden hat in zwei verschiedenen Fällen Hüftweh von Kanthariden erfolgen sehn, und dieser ihnen eigenthümlichen krank - machenden Kraft hat man die vielen dauer - haften Heilungen von Hüftweh zu danken, welche Hollerius, Riedlin, Boerhaave, Tral - les, Tissot, Medicus, Tode und Andre aus ihren Erfahrungen anführen. Doch kann wohl schwerlich ein stärkeres Beispiel von der Kraft der Arzneien, durch die Tendenz, ähnlich krank machen, und so homöopathisch Krankheiten heilen zu können, gefunden werden, als die Heilsamkeit (ganz kleiner Gaben) der Kanthariden im frischen ent - zündlichen Tripper selbst, wo sie Sachs von Lewenheim, Hannaeus, Bartholin, Lister,XXXV Mead und vor allen Werlhoff mit dem auffal - lendsten Erfolge anwendeten , eine Heil - kraft, die die Kantharide dem Umstande verdankt, daß sie fast nach allen Beobach - tern schmerzhafte Ischurie, Harnbren - nen, ja selbst Entzündung der Harnröh - re (Wendt) und sogar bei blos äußerlicher Anwendung einen entzündungsartigen Tripper (Wichmann) vor sich selbst schon, zu erzeugen vermag.

Bei empfindlichen Personen erregt der innere Gebrauch des Schwefels nicht sel - ten Stuhlzwang, zuweilen sogar Erbre - chen, Leibweh und Stuhlzwang (Wal - ther) und aus eben diesem Grunde hat man (Med. N. z.) ruhrartige Zufälle und nach Werlhoff Stuhlzwang bei blinden Hämor - rhoiden, und nach Rave Hämorrhoidal - koliken mit demselben heilen können. Bekanntlich erzeugt das Töplitzer Bad, so wie alle lauen und warmen Bäder, welche Schwefel in Wasserstoffgas aufgelöst enthalten, oft einen sogenannten Bade - ausschlag, welcher große Aehnlichkeit mit der Krätze hat, und eben deswegen heilen auch diese Bäder (homöopathisch), so wiec 2XXXVIder Schwefel selbst, die wahre Krätze der Wollarbeiter dauerhaft.

Die englischen Aerzte haben in den neu - ern Zeiten, in den Beddoesschen Schrif - ten und anderwärts, die Salpetersäure als ein sehr dienliches Mittel in dem Spei - chelflusse von Quecksilber und den daher entstandnen Mundgeschwüren befunden, welches diese Säure nicht hätte ausrichten können, wenn sie nicht schon vor sich, selbst wo sie auch nicht örtlich auf den Mund wirken konnte, und schon als Bad (Scott) gebraucht, die Eigenschaft besäße, Speichelfluß und Rachengeschwüre zu erzeugen, wie auch Aloyn, Kellie, Blair, Luke und Ferriar von ihr gesehen haben.

Fritze hat von einem Bade mit kausti - schem Kali geschwängert, eine Art Teta - nus erfolgen sehn, und Humbold hat die Reitzbarkeit der Muskeln durch zerflossenes Weinsteinsalz bis zum Tetanus zu erre - gen vermocht; kann eine einfachere und wahrere Quelle für die Heilkraft des (ätzen - den) Laugensalzes in jener Art von Te - tanus, wo es Stütz nebst Andern hülfreich fanden, nachgewiesen werden?

XXXVII

Der durch seine ungeheure Kraft, das Befinden des Menschen zu verändern, man weiß nicht, ob in verwegnen Händen mehr fürchterlich, als in der Hand des Weisen eher verehrungswürdig zu nennende Ar - senik würde im Gesichtskrebse nach Gui von Chauliac, nach Theodoric, nach Va - lescus von Taranta, nach Fallopius, nach Pe - net, nach Rönnov, (Cosme) und mehrern Neuern nicht so große Heilungen haben vollbringen können, wenn dieses Metall - oxyd nicht die homöopathische Kraft be - säße, schon vor sich sehr schmerzhaf - te, sehr schwer heilbare Knoten (nach Amatus dem Portugiesen) und tief eind in - gende, bösartige Geschwüre (nach Heim - reich und Knape) zu erzeugen. Die Alten würden das, Arsenik enthaltende, soge - nannte magnetische Pflaster des Angelus Sa - la bei Pestbeulen und Karbunkeln nicht so einstimmig wohlthätig haben finden kön - nen, wenn der Arsenik nicht vor sich (wie Degner und Knape bezeugen) die Neigung besäße, schnell in Brand übergehende Entzündungsgeschwülste hervorzubrin - gen. Der Arsenik bringt, nach denXXXVIII Wahrnehmungen Dan. Crüger’s und J. C. Grimm’s die meisten Zufälle einer bösarti - gen rothen Ruhr hervor; was Wunder, wenn ihn schon Galenus in Klystiren und Zacutus der Portugiese, Slevogt und Molitor innerlich als Heilmittel in einer Art ro - then Ruhr haben heilsam finden können? Und wo käme seine so tausendfach bestä - tigte (nur noch nicht behutsam genug ange - wendete) Heilkraft in einigen Arten von Wechselfieber her, die seit Jahrhunderten schon von Myrepsus, nachgehends von Sle - vogt, Molitor, Jacobi, J. C. Bernhardt, Jung - ken und Fowler nicht unzweideutig geprie - sen worden ist, wenn sie nicht in der eigen - thümlichen Fieber erregenden Kraft des Ar - seniks gegründet wäre, welche fast alle Beobachter der Nachtheile dieser metalli - schen Substanz, und insbesondre Amatus der Portugiese, Degner, Buchholz, Heun, und Knape deutlich bemerkten? Ganz wohl läßt sich Alexander’n glauben, daß der Arsenik ein Hauptmittel in (einigen Ar - ten?) der Brustbräune sei, da schon Ot - to Tachenius und Guilbert Beklemmung des Athemholens, Greiselius fast erstickendeXXXIX Schweräthmigkeit, und vorzüglich Ma - jault ein beim Gehen plötzlich entste - hendes Asthma mit Sinken der Kräfte vom Arsenik wahrgenommen haben.

Die Konvulsionen, welche nach Ramsay, Fabas bei Unzer, und Cosmier der Ge - nuß kupferner Dinge, und die wiederholten epileptischen Anfälle, welche eine ver - schluckte Kupfermünze unter Lazerme’s und der Kupfersalmiak unter Pfündel’s Augen er - regt haben, erklären dem nachdenkenden Arzte deutlich genug, woher die Heilung des Veitstanzes durch Kupfer, wovon R. Willan und die vielen Heilungen ei - ner Art Fallsucht durch die Bereitungen eben dieses Metalls kamen, wovon Weiß - mann, Pasquallati, Duncan, Russel, Cullen und Andre so glückliche Erfahrungen auf - zeichneten.

Haben Poterius, Wepfer, Wedel, Fr. Hoffmann, R. A. Vogel, Thierry und Albrecht mit Zinn eine Art Schwindsucht, hekti - sches Fieber, langwierige Katarrhe und feuchte Engbrüstigkeit geheilt, so geschah es vermittelst der eigenthümlichen Kraft des Zinnes, eine Art Schwindsucht erzeugen zu können, welche schon J. E. Stahl beobachtet hatte. Wie wäre es wohl möglich, daß Zinn, wie Geischläger berich -XL tet, Magenschmerzen heilen könnte, wenn es nicht vor sich schon dergleichen erregen könnte. Und das kann es, wie auch Gei - schläger selbst sah, und ehedem Stahl (mat. med. C. 6. p. 83).

Amelung’s Kur einer Art geschwüriger Lungensucht durch den innern Gebrauch des Bleies deutet auf die von Boerhaave beobachtete Tendenz dieses Metalls, selbst unter seiner äußern Auflegung eine Art Schwindsucht zu erzeugen. Sollte die schädliche Kraft des Bleies, Ileus hervor zu bringen, wie Thunberg, Wilson, Luzu - riaga und Andre sahen, nicht diese schreck - liche Krankheit, wenn sie Menschen aus andern, unmechanischen Ursachen befällt, zu besiegen geschaffen worden seyn? Und wirklich heilte Angelus Sala durch innern (homöopathischen) Gebrauch dieses Metalles den Ileus und Agricola eine andre heftige Leibesverstopfung. Wenn Otto Ta - chenius und Ettmüller ehemals hartnäckige hypochondrische Beschwerden mit Blei heilten; so erinnere man sich der diesem Metalle anerschaffnen Neigung, hypochon - drische Uebel vor sich zu erzeugen, wie in Luzuriaga’s Beschreibung seiner schädlichen Wirkungen zu sehen ist.

XLI

Man darf sich nicht wundern, daß Marcus (Magaz. II. 2.) eine Entzündung und Geschwulst der Zunge und des Ra - chens schnell und dauerhaft mit einem Mittel geheilt hat, welches nach der tägli - chen, tausendfachen Erfahrung aller Aerz - te ganz specifisch Entzündung der innern Theile des Mundes erzeugt (mit Queck - silber) welches dergleichen schon bei äußerer Auflegung (der merkurialischen Salben, Pflaster oder des Sublimats) auf die Haut des übrigen Körpers thut, wie Degner nebst Andern erfuhr. Die Gemüthsstö - rung und die Herzensangst, welche, un - ter Andern, Hill vom Quecksilbergebrau - che wahrnahm, und die bekannte, fast specifische Tendenz dieses Metalls, Spei - chelfluß zu erregen, erklärt sehr einleuch - tend, wie W. Perfect eine mit Speichel - fluß abwechselnde Melancholie mit Quecksilber dauerhaft heilen konnte. Woher kömmt des Quecksilbers guter Ruf in der häutigen Bräune? Warum war Seelig in Heilung der von Frieselfieber be - gleiteten bösartigen Bräune so glücklich mit Kalomel? Macht wohl irgend eine Arz - nei in der Welt vor sich eine schlimmere Bräune als Kalomel? Heilte Sauter je - ne geschwürige Mundentzündung mitXLII Schwämmchen und Speichelflußgestan - ke durch Gurgeln mit Sublimatauflösung wohl anders als homöopathisch, das ist, durch eine ähnliche arzneiliche Krankheits - potenz? Mehrerer Gemische von Arz - neien bediente sich Hecker in der caries von Pocken mit sichtbarem Erfolge; zum Glücke daß in allen diesen Mischungen Quecksilber mit befindlich war, von wel - chem nur allein dieß Uebel besiegt werden konnte, homöopathisch, da Quecksilber un - ter allen je bekannt gewordnen Arzneien, die einzige Potenz ist, welche Knochen - fraß specifisch selbst erzeugen kann, wie so viele übertriebne Merkurialkuren, auch unvenerische Kuren (Michaelis) bezeugen. Eben so wird auch dieses bei seinem lang - wierigen Gebrauche durch Erzeugung des Beinfraßes so fürchterliche Metall, ho - möopathisch höchst wohlthätig in Heilung der caries bei Verwundungen der Kno - chen, wovon uns Justus Schlegel, Joerdens und J. Matth. Müller (obs. med. chir. Dec. II. Cas. X.) sehr merkwürdige Beobachtungen geliefert haben.

Bei Lesung der Schriften über die me - dicinische Elektrisität muß man über die nahe Beziehung erstaunen, mit welcher die von ihr hie und da erzeugten Körperbe -XLIII schwerden und Krankheitszufälle den ganz ähnlichen Körperbeschwerden und Krank - heiten entsprechen, welche sie mit Glück und dauerhaft durch Homöopathie geheilt hat. Ich sage hier nichts von den Heilun - gen die sie schon als entgegengesetzt wir - kendes Arzneimittel*)Blos in der Nachwirkung sehr heftiger und unge - heurer elektrischen Schläge sind Anwandlung von Lähmung der Glieder, Gefühlsverlust, und Läh - mung der Gehör - und Seh-Nerven enthalten. bei neu entstand - nen Fällen von Gefühlsverlust, Schlagfluß, Lähmungen und schwarzem Staare bei voll - kräftigen Körpern zuweilen vollführte da sie dergleichen auf diese opponirte Wei - se in chronischen alten Lähmungen und Amaurosen der Natur der Sache nach, nie auszurichten im Stande ist, so wenig als irgend ein andres Palliativ. Ich erwähne blos ihrer homöopathischen Wirkungen. Unzählig sind die Schriftsteller, welche in der Primärwirkung Beschleunigung des Pulses von der positiven Elektrisität wahrnahmen, vollständig fieberhafte An - fälle aber, blos durch Elektrisität erzeugt, sahen Sauvages, Delas und Barillon bei Ber - tholon. Diese ihre febrilische Tendenz war Ursache, daß Gardini, Wilkinson, Syme, und Wesley eine Art Tertianfieber einzig mitXLIV Elektrisität heilen konnten, Zetzel aber und Willermoz sogar Quartanfieber. Sie er - regt, wie bekannt, eine den Zuckungen ähnliche Verkürzung der Muskeln, und de Sans konnte durch sie, so oft er wollte, so - gar anhaltende Konvulsionen am Arme ei - nes Mädchens erregen; und eben mittelst dieser konvulsivischen Tendenz konnten de Sans und Francklin (bei Sauvages) krankhafte Konvulsionen mit Elektrisität stillen. Hamilton und de Haen sahen die Elektrisität rheumatische Schmerzen hervorbringen, und eben rhevematische Schmerzen sind es, welche unzählige Mahle schon von der Elek - trisität homöopathisch und dauerhaft geheilt worden sind, wie eine unnennbare Menge Aerzte und Naturforscher bezeugen. Auch Hüftweh selbst, erregte die Elektrisität (Jallabert und Philos. Trans. Vol. 63.) und konnte also auch leicht das Hüftweh hei - len, wie Hiortberg, Lovet, Arrigoni, Dabou - eix, Mauduyt, Syme und Wesley durch ihre Erfahrungen bewährt haben. Eine Men - ge Aerzte haben eine Art Augenentzün - dung durch Elektrisität gehoben, nämlich vermittelst eben der Tendenz derselben, wodurch sie selbst Augenentzündungen (nach Patrick, Dickson und Bertholon) erzeu - gen kann. Buisson sah eine VerhärtungXLV der Brustdrüsen vom Blitze verschwinden und Mauduyt heilte verhärtete Halsdrü - sen mit Elektrisität; er hätte es nicht ver - mocht, wenn dieses Agens nicht schon vor sich im Stande wäre, Geschwülste der Halsdrüsen zu erzeugen, wie de Haen von ihr sah. Fuschel heilte Aderkröpfe (va - rices) mit Elektrisität, welche diese Heil - kraft blos mittelst ihrer (von Jallabert be - obachteten) Eigenschaft, Venengeschwül - ste zu erregen, besitzt.

Der Galvanische Metallreitz, wel - cher schon vor sich (wie Ritter, Bischoff und Geiger vielfältig beobachteten) die Kraft be - sitzt, die Muskeln (der positive Pol die Strecke - der negative aber die Beuge-Mus - keln) zuverkürzen, konnte jene dreizehn - jährige Stummheit (Hufel. Journ. XXIV. ) wel - che in einer Steifigkeit der Zunge be - stand, in wenigen Tagen, in kleiner Gabe angewendet (mit einem einzigen Plattenpaa - re) leicht und vollständig heilen, da die Hei - lung durch Homöopathie geschah. Der un - erträglich brennend stechende Schmerz, den der Galvanismus nach Schließung der Kette, wie bekannt, an jeder empfindlichen Stelle unsers Körpers hervorbringt, erklärt von selbst, wie vor einiger Zeit eine Art Gesichtsschmerz (tic douloureux) von ei -XLVI nem Arzte durch die Voltaische Säule ge - heilt werden konnte.

Starke Hitze eines akuten Fiebers mit 130 Pulsschlägen ward von einem heißen Bade von 100° Fahr. sehr gemildert und der Puls bis zu 110 Schlägen herabge - stimmt (Albers).

Und so finden sich noch mehrere Hei - lungen in allen Zeitaltern durch Arzneien von ähnlicher Krankheitspotenz als die zu heilende Krankheit war, schnell und dau - erhaft vollführt, deren Urheber ohne zu wissen, was sie thaten, selbst im Wi - derspruche mit den Lehren aller bisherigen Systeme, und wider ihren Willen, das wohlthätige Heilgesetz der Ho - möopathie faktisch bestätigen mußten, das sie scientiv anzuerkennen von ihren sym - bolischen Büchern gehindert wurden.

So hat auch sogar die Hausmittelpraxis der mit gesundem Beobachtungssinn be - gabten unärztlichen Klasse von Menschen diese Heilart als die sicherste und gründ - lichste in der Erfahrung befunden.

Auf frisch erfrorne Glieder legt man Schnee oder gefrornes Sauerkraut. Eine mit kochender Brühe begossene Hand hält der erfahrne Koch in einiger Entfernung dem Feuer nahe, und achtet den anfänglichXLVII dadurch vermehrten Schmerz nicht, da er weiß, daß er hiemit in kurzer Zeit die ver - brannte Stelle zur gesunden, schmerzlosen Haut wieder herstellen kann; andre verständige Nichtärzte legen auf die ver - brannte Stelle ein ähnliches, Brennen er - zeugendes Mittel, starken Weingeist oder Terbenthinöl, und stellen sich binnen ein Paar Stunden damit wieder her, während die kühlenden Salben, wie sie wissen, dieß in eben so viel Monaten oft nicht ausrich - ten. Der alte kluge Schnitter wird, wenn er auch sonst keinen Brantwein trinkt, doch in dem Falle, wenn er in der Sommergluth sich bis zum hitzigen Fieber angestrengt hat, nicht kaltes Wasser (con - traria contrariis) trinken (er kennt das Nach - theilige dieses palliativen Verfahrens), son - dern einen mäßigen Schluck Branntwein; die Lehrerin der Wahrheit, Erfahrung, über - zeugte ihn von dem Vorzuge dieses homöo - pathischen Verfahrens.

Ia es gab sogar von Zeit zu Zeit Aerzte, welche ahneten, daß die Arzneien durch ihre Kraft, analoge Symptomen zu erregen, analoge Krankheitszustände heilen. So sagt Hippokrates, oder der Verfasser des Buchs πεϱὶ τόπων τὥν κὰτ̕ ἄνϑϱωπον (Basil. Frob. 1538. S. 72.) die merkwürdigen Worte: διὰ τὰ ὅμοιαXLVIII νȣσος γίνεται, ϰαὶ διὰ τὰ ὅμοια πϱοςφεϱόμενα ἐϰ νοσεύντων ὑγιαίνονται διὰ τὸ ἐμέειν ἔμετος παύεται. So haben auch nachgängige Aerz - te (außer dem, was Thomas Erastus in sei - nen Disputationen nur so als scholastische Thesis hinwirft) die Wahrheit der homöo - pathischen Heilart gefühlt. So sieht z. B. Boulduc ein (Mem. de l’ac. roy. 1710.), daß die purgirende Eigenschaft der Rhabarber die Ursache ihrer Durchfall stillenden Kraft sei; Detharding erräth (Eph. N. C. Cent. 10. obs. 76), daß der Sensblätteraufguß Kolik bei Er - wachsenen stille, vermöge seiner analogen, Kolik erregenden Wirkung bei Gesunden ; und wenn Bertholon (Med. Elektr. II. S. 15, vergl. mit S. 282.) gesteht, daß die Elektrisität den - selben (höchst ähnlichen) Schmerz, den sie selbst errege, in Krankheiten abstumpfe und vernichte und Thoury (memoire la à l’acad. de Caen), daß die positive Elektrisität an sich zwar den Puls beschleunige, aber wenn er krankhaft schon zu schnell sei, denselben langsamer mache so scheinen beide die homöopathische Kausalverbindung dieser Erscheinungen mit Ueberzeugung anzuer - kennen.

So nahe war man zuweilen der Wahr - heit!

[1]

Organon der rationellen Heilkunde nach homöopathischen Gesetzen.

[2][3]

1.

Der Arzt hat kein höheres Ziel, als kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt.

2.

Das höchste Ideal der Heilung ist schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederher - stellung der Gesundheit, oder Hebung und Vernichtung der Krankheit in ihrem gan - zen Umfange auf dem kürzesten, zuverläs - sigsten, unnachtheiligsten Wege, nach deutlich einzusehenden Gründen. (ra - tionelle Heilkunde).

3.

Sieht der Arzt deutlich ein, was an Krankheiten überhaupt und an jedem ein - zelnen Krankheitsfalle insbesondre zu hei -A 24len ist (Krankheitskenntniß, Kenntniß des Krankheitsbedürfnisses Indika - tion ); sieht er deutlich ein, was an Arzneien überhaupt und an jeder Arznei insbesondre das Heilende ist (Kenntniß der Arzneikräfte) und weiß er nach deutli - chen Gründen das Heilende der Arzneien auf das an der jedesmahligen Krankheit zu Heilende so, daß Genesung erfolgen muß, anzupassen sowohl in Hinsicht der Angemessenheit der für den Fall nach ih - rer Wirkungsart geeignetsten Arznei (Wahl des Heilmittels Indikat ) als in Hinsicht der genau erforderlichen Menge derselben (rechte Gabe) und der gehörigen Wiederholungszeit der Gabe kennt er die Hindernisse der Genesung in jedem Falle und weiß sie hinwegzuräumen, da - mit die Herstellung von Dauer sei: so ver - steht er durchaus nach zureichen - den Gründen zu handeln und er ist ein rationeller Heilkünstler.

4.

Er ist zugleich ein Gesundheit-Er - halter, wenn er die, Gesundheit störenden5 und Krankheit erzeugenden Dinge kennt, und sie von den gesunden Menschen abzu - halten weiß.

5.

Es läßt sich denken, daß jede Krank - heit auf einer Veränderung im In - nern des menschlichen Organis - mus gegründet seyn müsse: diese wird je - doch blos nach dem, was die äußern Zei - chen davon verrathen, vom Verstande ge - ahnet; an sich erkennbar aber auf irgend eine Weise ist sie nicht.

6.

Das unsichtbare, krankhaft Veränder - te im Innern und die merkbare Verän - derung des Befindens im Aeußern (Symp - tomen Inbegriff) machen zusammen aus, was man Krankheit nennt; beide sind die Krankheit selbst.

Anm. Ich weiß daher nicht, wie man jenes bei Krankheiten im Innern des Körpers krankhaft Veränderte, für etwas der Krankheit Außerwesentliches und vor sich Bestehendes, für eine Bedingung6 der Krankheit, für ihre innere, nächste, erste Ursache (prima causa) hat ausgeben können. Eine Sa - che oder ein Zustand bedürfen doch nur zum Werden einer ersten nächsten Ursache; wenn sie aber schon sind, so bedürfen sie zum Seyn nun keiner Ent - stehungs -, keiner ersten und nächsten Ur - sache mehr. Eben so dauert die nun einmahl ent - standne Krankheit fort, unabhängig von ihrer nächsten Entstehungs-Ursache und ohne daß diese noch dazuseyn braucht: ohne daß sie noch da ist. Wie hat man nun wohl ihre Wegnahme zur Hauptbe - dingung der Krankheitsheilung machen können? Unmöglich klebt einer fliegen - den Kugel eine prima causa ihres Flugs an, und was wir an ihr Verändertes bemer - ken können, ist blos eine abgeänderte Art ihrer Existenz, ein abgeänderter Zustand, und es würde mehr als lächerlich seyn, zu behaupten, man könne diesen Zustand nicht anders gründlich aufheben, man könne die Kugel nicht besser wieder in Ruhe bringen, als erst durch Ausforschung der prima causa ihres Flugs, und dann durch Hinwegnahme dieser metaphysisch erkann - ten prima causa oder durch Hinweg - nahme der diesem Fluge zum Grunde lie -7 genden, (wie sich Andre ausdrücken) im innern Wesen der Kugel entstandnen Ver - änderungen. Mit nichten! Ein einziger dem Fluge der Kugel in gerader Richtung opponirter Stoß von gleicher Gegenkraft bringt sie augen - blicklich zur Ruhe, ohne alle metaphysi - sche, unmögliche Erforschungen der in - nern Wesenheit des Zustandes der Kugel beim Fluge. Man braucht blos die Symptomen des Fluges dieser Kugel, das ist, die Kraft der Fortbewegung und ihre Richtung genau zu kennen, um diesem Zustande ein gera - de opponirtes Gegenmittel von gleicher Kraft entgegen setzen und so augenblickli - che Ruhe herstellen zu können. Dieses ist zugleich (sei’s im Vorbeigehn gesagt) ein Beispiel von den übrigen natur - gemäßen Abänderungen der abnormen Zu - stände physischer Dinge nämlich durch das gerade Entgegengesetzte. So wird das kochende Wasser schnell durch Zusatz einer gewissen Portion Schnee zur gemäsig - ten Temperatur herabgestimmt so ver - liert die Säure durch das ihr opponirte Lau - gensalz ihre Schärfe und wird zum Neu - tralsalze das allzu Gedehnte sucht sich zusammen zu ziehen, das Gepreßte sich auszudehnen das allzu Trockne zieht8 Feuchtigkeit aus der Luft an sich, u. s. w. und so werden wohl die meisten Ab - änderungen der abnormen Zustände phy - sischer Dinge durch Gegensätze von außen durch die Natur bewerkstelligt. Der vitale Organismus der Thiere hin - gegen bedurfte ganz hievon abweichender Gesetze zur Entfernung seines krankhaft ab -[geänderten] Zustandes; da gilt nicht das Ge - setz des opponirten Gegensatzes, was zur Abänderung der Zustände der unvita - len physischen Natur das angemessene war.
1

7.

In den Arzneien muß ein heilen - des Princip vorhanden seyn; der Ver - stand ahnet es. Aber sein Wesen ist uns auf keine Weise erkennbar ; blos seine Aeußerungen und Wirkungen lassen sich in der Erfahrung abnehmen.

8.

Der vorurtheillose Beobachter , er kennt den Unwerth übersinnlicher Spe - kulationen, die sich in der Erfahrung nicht nachweisen lassen nimmt, auch wenn er der scharfsinnigste ist, an jeder einzel -9 nen Krankheit nichts, als äußerlich durch die Sinne erkennbare Veränderungen des Befindens Leibes und der Seele, Krank - heitszufälle, Symptomen wahr, das ist, in die Beobachtung des Kranken über sich selbst, und des Arztes und der Um - stehenden über ihn fallende Abweichungen vom gesunden, ehemahligen Zustande des - selben. Alle diese wahrnehmbaren Zeichen bilden zusammen die Gestalt der Krank - heit.

9

Da an Krankheiten sonst nichts wahr - nehmbar ist, als diese; so müssen es auch einzig diese Symptomen seyn, durch welche die Krankheit Beziehung zur erfor - derlichen Arznei hat, wodurch sie Anfode - rung auf Hülfe macht und auf dieselbe hin - weisen kann , so muß dieser Sympto - menkomplex, dieses nach außen re - flektirte Bild des innern Wesens der Krankheit das einzige seyn, wo - durch es von Seiten der Krankheit möglich ward, ein Heilmittel für sie aufzu - finden, das einzige, was die Wahl des10 angemessensten Heilmittels bestimmen kann.

10.

Blos der Komplex aller Symptomen einer Krankheit repräsentirt diese Krank - heit in ihrem ganzen Umfange.

Anm. 1. Alle genauere Erfahrungen lehren, daß eine beschwerliche, Hülfe erheischen - de Krankheit fast nie aus einem einzigen Symptome bestehe, und ein einziges hefti - ges Symptom fast nie allein da sei. Fast immer sind mehrere merkbare Krankheits - zeichen und Abweichungen vom natürli - chen Zustande zugleich, am Kranken wahr - zunehmen, welche die Einheit des kranken Gesamtzustandes bilden, so wenig auch ei - nige derselben auf den ersten Anblick Be - ziehung auf einander zu haben scheinen. Ein einziger, leichter Zufall ist keine, Hülfe fodernde Krankheit.
2
Anm. 2. Von jeher suchte man, wenn man sich nicht anders zu helfen wußte, in Krankheiten hie und da ein einzelnes der mehrern Symptomen durch Arzneien zu bestreiten und wo möglich zu unterdrü - cken eine Einseitigkeit, welche un -11 ter dem Namen, symptomatische Kur - art mit Recht allgemeine Verachtung er - regt hat, weil durch sie nicht nur nichts gewonnen, sondern auch viel verdorben wird. Ein einzelnes der Symptomen ist so wenig die Krankheit selbst, als ein ein - zelner Fuß der Mensch selbst ist.
3

11.

Es läßt sich nicht denken, auch durch keine Erfahrungen in der Welt nachwei - sen, daß nach Hebung aller Krankheits - symptomen (des ganzen Konvoluts der wahrnehmbaren Zufälle), etwas andres als Gesundheit übrig bliebe, übrig bleiben kön - ne, so daß die krankhafte Veränderung im Innern des Organismus ungetilgt geblieben wäre.

12.

Die unsichtbare krankhafte Verände - rung im Innern und der Komplex der von außen wahrnehmbaren Symptomen sind hienach beide wechselseitig und nothwen - dig durch einander bedingt, beide bilden zusammen die Krankheit in ihrem Umfange, das ist, eine solche Einheit, daß leztere12 mit ersterer zugleich stehen und fallen, daß sie zugleich mit einander daseyn und zu - gleich mit einander verschwinden müssen, so daß, wer (was) im Stande ist, die Grup - pe der wahrnehmbaren Symptome hervor - zubringen, zugleich die dazu gehörige (von der äußern Krankheitserscheinung unzer - trennliche) innere krankhafte Veränderung im Körper erzeugt haben muß sonst wäre die Erscheinung der Symptomen un - möglich , und, folglich, wer (was) den Umfang der wahrnehmbaren Krankheits - zeichen hebt, auch zugleich die krankhafte Aenderung im Innern des Organismus ge - hoben haben muß weil sich die Hebung der erstern ohne die Verschwindung der leztern nicht denken läßt.

Anm. Ein ahnungsvoller Traum, eine abergläu - bige Einbildung, eine feierliche Schicksal - Prophezeyung des an einem gewissen Tage und zu einer gewissen Stunde unfehlbar zu erwartenden Todes brachte nicht selten alle Zeichen entstehender und zunehmender Krankheit, des herannahenden Todes und den Tod selbst zu der angedeuteten Stunde zuwege, welches ohne gleichzeitige Bewir - kung der (dem von außen wahrnehmbaren13 Zustande entsprechenden) innern Verän - derung nicht möglich war ; und eben so wurden in solchen Fällen durch eine künstliche Täuschung oder Gegenüberre - dung wiederum alle den nahen Tod ankün - digenden Krankheitsmerkmale nicht selten verscheucht und plötzlich Gesundheit wie - der hergestellt, welches ohne Wegnahme der Tod bereitenden, innern krankhaften Veränderungen ebenfalls nicht möglich war.
4

13.

Da nun in der Heilung durch Hin - wegnahme des ganzen Inbegriffs der wahr - nehmbaren Zeichen und Zufälle der Krank - heit zugleich die ihr zum Grunde liegende innere Veränderung also jedesmahl das Total der Krankheit gehoben wird, so folgt, daß der Heilkünstler blos den Inbe - griff der Symptomen hinwegzunehmen hat, um mit ihm zugleich die Veränderung im Innern also das Total der Krankheit, die Krankheit selbst, zu heben, als worauf einzig das erhabne Ziel des rationellen Heil - künstlers beruhen kann; man müßte denn das Wesen der Heilkunde nicht in Her - stellung der Gesundheit, sondern in Er -14 grübelung der Veränderung im verborgnen Innern, d. i. in fruchtleeren Spekulationen suchen wollen.

Anm. Blos vom Misbrauche des zu edlern Ab - sichten dem menschlichen Geiste verliehe - nen Triebes, das Unendliche zu erreichen, entstanden jene kecken Eingriffe in das Ge - biet des Unmöglichen, jene spekulativen Grübeleien über das innere Wesen des arz - neilich wirkenden Stoffs in den Medika - menten, über Vitalität an sich, über die innere, unsichtbare Einrichtung des Orga - nismus im gesunden Zustande und über die, Krankheit bedingende Abänderung dieses verborgnen Innern, das ist, über die in - nere Natur und Wesenheit der Krankheit, fälschlich innere nächste Ursache ge - nannt. Es blieben aber Spiele der Phantasie und des Witzes (physiogenische und pathogeni - sche Poesie), weil uns die zur metaphysi - schen Kenntniß der innern Vorgänge im in - nern, lebenden Organismus nöthigen festen Punkte fehlen und in Ewigkeit fehlen wer - den, von deren nächstem man stufenweise zu den übrigen bis an den innersten Ur - punkt übergehen könne, woran der Men - schenschöpfer die Bedingung der Krank -15 heit im Heiligthume jener verborgnen Werkstätte knüpfte. Alles was die Men - schenkinder vom thierischen Magnetism, Galvanism, Elektricität, Anziehungs - und Abstoßungskraft, Erdmagnetism, Wär - mestoff, Gaslehre und von der übrigen Che - mie und Physik etwa aufgefaßt haben, reicht bei weitem nicht hin zur aufschlie - ßenden, deutlichen und fruchtbringenden Erklärung auch nur der mindesten Funktion im lebenden, gesunden oder kran - ken Organism. Welche unzähligen, un - bekannten Kräfte und ihre Gesetze mögen bei den Verrichtungen der lebenden Organe noch in Wirkung seyn, die wir nicht einmahl ahnen und zu deren Erkennung uns unendlich mehr Sinne, als wir haben, und von unendlicher Feinheit verliehen seyn müßten! Alle diese zu einer solchen abstrakten Erforschung nothwendigen Er - fordernisse, alle jene festen Punkte und Mittelglieder fehlen dem Sterblichen gänz - lich und es ist Miskenntniß der mensch - lichen Fähigkeiten und Verkennung der Erfordernisse zum Heilgeschäfte, wenn der Arzt die Ergrübelung solcher Dinge für nöthig ausgiebt, deren Kenntniß ihm so unnöthig ist, als unfähig er zu ihrer Er - forschung geschaffen ward. 16So viele der tiefdenkendsten Köpfe sich auch zu diesem Dringen ins Innere der Natur hingaben, so vielerlei fruchtleere Hypothesen entstanden auch, voll Wider - sprüche. Dieß lehrt die ganze Geschichte, dieß lehrt das Urtheil des unterrichtetsten, gesunden Verstandes. Und wenn sie nur den mindesten Nutzen dem Heilgeschäfte geleistet hätten; wenn diese Grübeleien auch nur das wahre Heil - mittel der mindesten Krankheit hätte offen - baren können, so möchte es noch hinge - hen! Eben so denkt der ehrliche und weise Sydenham: quantulacumque in hoc sci - entiae genere accessio, etsi nihil magnifi - centius quam odontalgiae aut clavorum pedibus innascentium curationem edoceat, longe maximi facienda est, prae inani sub - tilium speculationum pompa, quae for - tasse medico ad abigendos morbos non ma - gis ex usu futura est, quam architecto ad construendas aedes musicae artis peritia. Man sehe nur! Alle ersinnlichen Theo - reme über die Funktionen und die innere Form und Bestandtheile des lebenden Ge - hirns im gesunden und kranken Zustande, alle jene unzähligen Speculationen über die Natur der Entzündungen, alle Hypo - thesen über die Natur des Wassers und des17 Wärmestoffs vermochten nicht einmahl, so lange die Welt stand, das specifische Heil - mittel der vom Sonnenstiche entstandnen Phrenitis weder zu errathen, noch auszu - sprechen! Löffler fand es zufalls - weise in der Begießung der Haut mit hei - ßem Wasser, und die rationelle (homöopa - thische) Heilkunde weiß diese und andre specifische Hülfe aus ihren einfachen Sätzen leicht und schnell hervorzurufen, ohne metaphysisches Kopfzerbrechen, auch ohne den, oft Iahrtausende zögern - den Zufall abzuwarten.
5

14.

Da nun, wenn man den Komplex der Symptomen ausnimmt, an Krankheiten sonst nichts durch Beobachtung Wahr - nehmbares auszufinden ist, wodurch sie ihr Hülfe-Bedürfniß ausdrücken könnten; so folgt, daß das einzige, was an Krank - heiten eine bedeutende Hinweisung (Indi - kation) auf ein zu wählendes Heilmittel geben könne, blos der Inbegriff aller wahr - nehmbaren Symptomen seyn muß.

B18

15.

Hinwiederum, da das heilende We - sen in Arzneien nicht an sich erkennbar ist, und in reinen Versuchen selbst vom scharfsinnigsten Beobachter an Arzneien sonst nichts, was sie zu Arzneien machte, wahrgenommen werden kann, als jene Kraft, im menschlichen Körper deutliche Veränderungen seines Befindens hervor zu bringen, besonders aber den gesunden Menschen umzustimmen, und mehrere, bestimmte Krankheitssymptomen in und an demselben zu erregen; so folgt, daß, wenn die Arzneien als Heilmittel wirken, sie ebenfalls nur durch diese Symptomenerre - gung ihr inneres Heilprincip an den Tag legen und ihr Heilvermögen in Ausübung bringen können, und wir uns also einzig an die krankhaften Zufälle, die die Arz - neien im gesunden Körper erzeugen (als die einzige Offenbarung ihrer inwohnenden Heiltendenz) zu halten haben, um zu be - stimmen, welche unter den einzelnen Arz - neien dem jedesmahligen Krankheitsfalle am angemessensten sei (sobald gefunden ist, worauf diese Angemessenheit beruht).

19

16.

Da nun Krankheiten nichts aufzuwei - sen haben, was an ihnen hinwegzuneh - men sei, um sie in Gesundheit zu verwan - deln, als den Komplex ihrer Symptomen, und auch die Arzneien nichts Heilkräfti - ges aufweisen können, als ihre Neigung, Krankheits-Symptome zu erzeugen, so folgt, daß wenn Arzneien wirklich Heil - mittel zu werden, das ist, Krankheiten vernichten zu können im Stande sind, die - ses nur dadurch erfolgen kann, daß von gewissen Symptomen, die das Heilmittel erzeugen kann, gewisse Symptomen der Krankheit aufgehoben und vertilgt werden.

17.

Fände man nun in der Erfahrung (wie man auch findet!), daß ein gegeb - nes Symptom einer Krankheit blos von demjenigen Arzneistoffe gehoben würde, welcher ein ähnliches unter seinen (im ge - sunden Körper von ihm erzeugten) Symp - tomen aufzuweisen hat, so würde es schon wahrscheinlich, daß diese Arznei durch ihre Tendenz, gleichartige Symptomen zuB 220erregen, fähig werde, an dieser Krankheit Symptomen gleicher Art zu tilgen.

18.

Fände sichs dann ferner (wie sichs auch in der That findet!), daß diejenige Arznei, welche in ihrer Einwirkung auf den gesunden menschlichen Körper alle die Symptomen zu erkennen gegeben hat, die die zu heilende Krankheit in sich faßt, bei ihrem arzneilichen Gebrauche in derselben auch den ganzen Komplex der Krankheits - symptomen, die ganze gegenwärtige Krankheit aufhebe und in Gesundheit ver - wandle, so ließe sich nicht zweifeln, daß das Gesetz gefunden sei, nach welchem diese Arznei auf diese Krankheit heilbrin - gend gewirkt habe, das Gesetz: gleicharti - ge Symptomen dieser Arznei heben Symp - tomen gleicher Art in dieser gegebnen Krankheit auf.

19.

Da sichs nun aber ohne Widerrede, und ohne den mindesten Zweifel übrig zu lassen, in Rücksicht jeder Arznei und21 jeder Krankheit in der Erfahrung findet, daß alle Arzneien die ihnen an Sympto - men konformen Krankheiten ohne Aus - nahme schnell, gründlich und dauerhaft heilen, so hindert uns nichts, festzu - setzen: das Heilvermögen der Arzneien beruht auf ihren, mit den der Krankheit überein kom - menden Symptomen, oder mit andern Worten: jede Arznei, welche un - ter ihren, im gesunden menschli - chen Körper von ihr erzeugten Krankheitszufällen die meisten der in einer gegebnen Krankheit bemerkbaren Symptome aufwei - sen kann, vermag diese Krank - heit am schnellsten, gründlich - sten und dauerhaftesten zu hei - len.

20.

Dieses ewige allgemeine Naturgesetz, daß jede Krankheit durch die ihr ähnliche künstliche Krankheit, die das passende Heilmittel zu erzeugen Tendenz hat, ver - nichtet und geheilet wird, beruht auf dem22 Satze: daß immer nur eine einzige Krankheit im Körper bestehen kann, daher durchaus eine Krank - heit der andern weichen muß.

Anm. Die wenigen Beispiele, welche man vom Gegentheile hat anführen wollen, waren der Täuschung allzu sehr unterwor - fen, als daß man sie reine, über alle Zweifel erhabne Beobachtungen nennen könnte.
6

21.

Der Organism erhält nämlich von je - der Krankheit eine besondre Stimmung; eine zweite andre Stimmung von einer neuen Krankheit kann er, seiner an un - wandelbare Einheits-Gesetze gebundnen Natur wegen, entweder überhaupt nicht annehmen, oder doch nicht, ohne die er - stere krankhafte Stimmung fahren zu las - sen; die neue krankhafte Stimmung müßte denn bei ihrer Unfähigkeit die ältere auf - zuheben, dem Organism allzu lange aufge - drungen werden, da dann beide verschmel - zen zu einer ebenfalls einzigen (dritten) Krankheit, die man mit dem Namen, kom -23 plicirte Krankheit belegt. Diese Sätze gründen sich auf folgende Thatsachen.

22.

Eine chronische, im Körper schon vorhandne, natürliche Krankheit hält die Entstehung einer neuen chronischen Krankheit ab, außer wenn wenigstens die neue eine miasmatische oder endemische ist, deren Ansteckung der Körper fortwäh - rend geraume Zeit über ausgesetzt blieb. In diesem Falle, da beide gewöhnlich un - gleichartig sind, die neue folglich die alte nicht homöopathisch vernichten kann, wird entweder die ältere, wenn sie schwä - cher ist, von der neuen, so lange diese dau - ert, suspendirt (so verschwand, wie Schoepf sah, die Krätze, als der Scharbock eintrat, kam aber nach Heilung des Schar - bocks wieder hervor), oder es ver - schmelzen beide zusammen in eine so - genannte komplicirte Krankheit; wel - che denn aber immer nur eine einzige bil - det (einen Mittelzustand von beiden) und blos wie eine einfache zu behandeln und homöopathisch zu heilen ist nach dem To -24 tal des neu vereinigten Symptomenkom - plexes. Von der Zeit der zweiten An - steckung an bis zur Verschmelzung beider in eine (dritte) einzige (komplicirte), schweigt die ältere.

Anm. So kann eine ganz frisch entstandne Krätze an einem noch ungeheilten veneri - schen Kranken zwar noch, während die venerischen Symptomen indeß schweigen, mit der ihr eigenthümlichen Arznei geheilt werden; kommen aber die (durch die Krätze abgeänderten) venerischen Symptomen wie - der hervor, so ist die Vereinigung beider zu einer dritten (komplicirten) Krankheit geschehen, und der Ausschlag kann nun nicht mehr mit Schwefel geheilet werden. Die Vereinigungen (Komplikationen) des Scharbocks, der venerischen Krank - heit, des Wichtelzopfs u. s. w. sind nicht selten.
7

23.

Ungleich häufiger aber als die von selbst verschmelzenden (und sich so kom - plicirenden) natürlichen Krankheiten sind die künstlichen, wenn auf einen mit einem chronischen Uebel behafteten Körper25 langwierige, unpassende Kuren wirken, das ist, künstliche Krankheitspotenzen, welche durch keinen analogen Gegenreitz die alte Krankheit aufzuheben vermögen und sie nicht homöopathisch heilen kön - nen, sondern den Körper in einer dispara - ten Richtung geraume Zeit lang angreifen, und ihm so nach und nach eine andersar - tige innere Umstimmung, eine künstliche andersartige chronische Krankheit bei - bringen, die mit dem alten chronischen Ue - bel sich vereinigt und so ein neues mon - ströses Uebel, eine komplicirte Krank - heit bildet, oft von sehr empörender Art.

Anm. Mehrere in ärztlichen Iournalen zur Kon - sultation aufgestellte Krankheitsfälle sind von dieser Art, so wie andre in medi - cinischen Schriften erzählte chronische Krankengeschichten. Von gleicher Art sind die häufigen Fälle, wo die venerische Krankheit unter langwieriger Behandlung mit unpassenden Quecksilberpräparaten nicht heilt, sondern sich mit dem indeß allmählig erzeugten chronischen Quecksil - bersiechthume zu einem grausamen Mittel - dinge von komplicirter Krankheit (verlarv - te venerische Krankheit) verbindet, die nun26 nicht mehr weder mit (dem Heilmittel der venerischen Krankheit) Quecksilber, noch mit (dem Heilmittel der Quecksilber - krankheit) Schwefelleber zu heilen ist.
8

24.

Wird hingegen einem mit einer chro - nischen Krankheit behafteten Körper eine neue, mehr lokale und deshalb weniger mit jener verschmelzbare Krankheit künst - lich aufgedrungen, welche keine Aehnlichkeit mit ersterer hat, folg - lich die ältere nicht homöopathisch heilen kann, so wird gewöhnlich die chronische natürliche Krankheit so lange suspen - dirt, als die künstliche unterhalten wird.

Anm. Zwei mit Fallsucht behaftete Kinder wurden durch Ansteckung mit Grindko - pfe von den epileptischen Anfällen, an de - nen sie gelitten hatten, indeß frei; so - bald aber die Köpfe wieder heilten, war auch die alte Fallsucht bei beiden wieder da, wie Tulpius sah. Schon mehrere Epileptische blieben von ihren Anfällen frei, so lange die ihnen gelegten Fontanel - len im Gange erhalten wurden; verfielen aber sogleich wieder in die bisher nur sus -27 pendirte Fallsucht, wenn man die künst - lichen Geschwüre (und wenn es erst nach vielen Iahren geschah) wieder zuheilen ließ. Pechlin und mehrere Andre füh - ren hievon Beispiele an.
9

25.

Ist schon eine alte chronische, entwe - der künstliche oder natürliche Krankheit im Körper, so wird von dieser, als der stär - kern, eine neue akute andersartige natürliche Krankheit, auch oft eine künst - lich aufgedrungene akute Krankheit vom Organism abgehalten.

Anm. Leute, die an Flechten leiden, sind nach Larrey frei von der Pestansteckung, und durch unterhaltene Fontanelle und beständige Blasenpflaster (d. i. künstliche, (lokale) chronische Krankheiten) bleiben die Europäer in Syrien frei von der Ansteckung der levantischen Pest, wie in neuern Zei - ten Larrey, in ältern aber van Hilden und F. Plater beobachtet haben. Mehrere chro - nische Krankheiten, (flechtenartige Aus - schläge und andre Hautkrankheiten, Ien - ner) vorzüglich aber die Rachitis lassen die Schutzpockenimpfung nicht haften, so wie das durch tägliches Koffeetrinken bei Kin -28 dern erzeugte Siechthum diese Impfung mächtig abwehrt, oder doch öfters unächte Vaccinepusteln erzeugt.
10

26.

Wird aber einem mit einem chroni - schen Uebel behafteten Körper eine neue akute Krankheit dennoch aufgedrungen, und leztere ist stärker, aber ungleich - artig, so schweigt die chronische Krank - heit nur so lange (wird suspendirt), als die akute ihren Verlauf hält und kömmt dann ungeändert wieder hervor.

Anm. Wie die geschwürige Lungensucht still - steht, wenn die Menschenpocken ausbre - chen, und sich wieder erneuert, sobald sie abgetrocknet sind.
11

27.

Wird ein schon mit einer akuten Krankheit behafteter Körper mit einer neuen akuten, aber andersartigen Krankheit angesteckt, so weicht die eine, welche die schwächere ist, wird aber nicht vernich - tet, sondern blos so lange suspendirt, bis die stärkere ihren Lauf vollendet hat.

29
Anm. Die zuerst ausgebrochenen Masern ver - schwinden sogleich, sobald die Kindblat - tern ausbrechen, und erst wenn diese ab - geheilt sind, kommen die bis dahin suspen - dirten Masern wieder zum Vorscheine, und vollenden ihren Lauf. Einen Bauerwä - zel (Mumps) sah ich sogleich verschwin - den, als die Schutzpockenimpfung gehaf - tet hatte, und erst nach Beendigung der Vaccine, als die peripherische Entzündung vergangen war, kam die fieberhafte Ohr - und Unterkiefer-Drüsengeschwulst (Bau - erwäzel) wieder hervor, und verlief wie gewöhnlich. Wie die Vaccinepusteln am achten Tage zur Vollkommenheit waren, brachen die (den Körper schon vorher an - gesteckt habenden) Masern aus und die Kuh - pocke stand still; erst nachdem die Masern sich abschuppten, gieng die Vaccine ihren Weg wieder fort bis zu Ende (Kortum) . Schon entwickeltes Scharlachfieber mit Bräune ward vier Tage unterbrochen und suspendirt, während die Kuhpocke und ihre Areola entstanden (Ienner).
12

28.

Wird dagegen dem schon mit einer akuten Krankheit behafteten Organism die Ansteckung von einer andern akuten, aber30 gleichartigen Krankheit aufgedrungen, so hebt die stärkere die schwä - chere gänzlich auf und vertilgt sie homöopathisch.

Anm. So hebt die zu Schutzpocken kommen - de Kindblatterkrankheit erstere gänzlich auf; die Schutzpocken kommen nicht zur Vollendung, sondern werden vernichtet, wo es dann zuweilen den Anschein hat, als ob die Schutzpocken sich in Kindblat - tern verwandelten, welche leztern dann ein - zig ihren Lauf fortsetzen bis zu Ende.
13

29.

Zwei akute zu einander in denselben Körper kommende Krankheiten verschmel - zen nicht mit einander; die etwa hievon angeführten Fälle sind nur scheinbar.

Anm. Durch die ihrer Reife schon nahe ge - kommene Vaccinepustel werden die nun ausbrechenden Kindblattern oft zwar sehr in ihrem Ansehn geändert, gutartig, ein - zeln stehend, von einem breitern, rothen Hofe umgeben, sind mehr warzenartig, und enthalten wenig Eiter; aber dieser Eiter bringt bei der Fortimpfung dennoch nichts31 anders als wahre Kindblattern hervor (Müh - ry). Zwei akute Krankheiten verschmel - zen so wenig mit einander, daß man Bei - spiele hat, wo wenige Augenblicke vorher, ehe bei der Vaccination das Fieber des Men - schenblatterausbruchs erschien, mit der Lymphe aus den Vaccinepusteln noch an - dre Kinder geimpft wurden, mit dem rei - nen Erfolge, daß blos ächte Kuhpocken da - von erschienen (Hardege d. j.). Zwei akute gleichartige Krankheiten heben einander blos auf, und vernichten einander homöopa - thisch (die stärkere die schwächere).
14

30.

Eben so, wenn schon eine chronische Krankheit im Körper liegt, und es wird ihm eine sehr ähnliche akute Krankheit auf - gedrungen, so wird die chronische von der akuten gänzlich vernich - tet und homöopathisch geheilt.

Anm. So heilt die Schutzpockenimpfung, de - ren Miasm nächst der Kraft, Kuhpocke hervorzubringen, zugleich einen Anste - ckungszunder zu einem Hautausschlage von kleinen, in ihrem Umkreise rothen Pusteln (pimples) enthält (und bei einigen Körpern32 wirklich hervorbringt) einige diesem ähn - liche, oft sehr alte Hautausschläge voll - kommen und dauerhaft, wie eine Menge Thatsachen erweisen. Eben so ward ein alter feuchtender Her - pes durch die hinzugetretenen Masern voll - kommen geheilt (Huf. Iourn. XXIII). Leroy (Heilk. f. Mütter S. 384) sah eine langwierige, sehr hartnäckige Augenent - zündung bei einem Knaben durch die Men - schenblatterkrankheit auf immer verschwin - den, in deren Natur es liegt, Augenent - zündung selbst zu erzeugen in ihrem aku - ten Stadium. Durch Einimpfung der Menschenblattern ward eine hartnäckige Augenentzündung gehoben von Dezoteux (traité de l’inocu - lation S. 189). Und so sind mehrere der - gleichen Fälle bei den Krankheitsbeobach - tern anzutreffen.
15

31.

Auf diesem uns von der Erfahrung auf - gestellten Gesetze der Menschennatur, daß Krankheiten blos von gleichartigen Krank - heiten vernichtet und geheilet werden, be - ruht das große homöopathische Heilgesetz: daß eine Krankheit blos von einer Arznei vernichtet und geheilet33 werden kann, welche eine gleich - artige und ähnliche Krankheit zu erzeugen geneigt ist denn die Effekte der Arzneien vor sich sind nichts anders, als künstliche Krankheiten.

32.

Die Tinktur von einer Unze China - rinde mit ein Paar Pfund Wasser gemischt und in Tag und Nacht allmählig ausgetrun - ken, bringt nicht weniger gewiß ein mehr - tägiges Chinafieber, und ein laues Fuß - bad von Arsenikauflösung oder eine auf den Haarkopf gestrichene Arseniksalbe nicht weniger gewiß ein wenigstens vierzehntä - giges Arsenikfieber zuwege, als der Aufenthalt in herbstlicher Sumpfluft ein gewöhnliches Wechselfieber zuwege bringt. Ein Gürtel von Merkurialpflaster um die Hüften gelegt*)Eine der ältesten Gebrauchsarten des Quecksilbers zu Anfange des sechszehnten Iahrhunderts. bringt wohl noch schneller und gewisser die Quecksilber - krankheit hervor, als das angelegte Hem - de von einem Krätzigen die Wollarbei -C34ter-Krätze hervorbringt. Ein kräftiger Hollunderblüthen-Aufguß, oder einige verschluckte Belladonnebeeren sind eben so gewiß krankmachende Potenzen, als eingeimpfter Kindblatterstoff, oder ein Viperbiß, oder ein Schreck, und jeder die - ser Einflüsse kann aus gleichem Grunde, als er Krankheits-Potenz ist, sobald er ei - ner schon im Körper vorhandnen ähnlichen Krankheit zu ihrer Vertreibung entgegen gesetzt wird, aus gleichem Grunde zur Ge - genkrankheitspotenz, zum Heilmittel wer - den, so daß alles was wir Arznei nennen, nichts anders als Krank - heit erregende Potenz, und alle wahre Heilmittel nichts anders als Potenzen sind, welche eine ähnliche Gegenkrankheit im Orga - nism künstlich zu erzeugen fähig und dadurch die ähnliche natürli - che Krankheit aufzuheben und zu vernichten im Stande sind.

33.

Freilich wird, wenn wir nach den Re - geln der rationellen Heilkunde eine der zu35 kurirenden Krankheit möglichst angemes - sene Arznei gefunden haben und sie nun als Heilmittel anwenden, durch eine sol - che künstliche Krankheitspotenz dem schon kranken Organism eine neue Krankheit (Ge - genkrankheit) gewissermasen eingeimpft und, so zu sagen, aufgedrungen; aber, man muß gestehen, eine Gegenkrankheit von ungemeinen Vorzügen vor allen na - türlichen Gegenkrankheiten.

34.

Die unsichtbaren Einflüsse, von wel - chen die gewöhnlichen Krankheiten des Menschenlebens erregt zu werden pfle - gen, sind uns allzu wenig bekannt, ste - hen auch allzu wenig in unsrer Gewalt, als daß wir durch sie Krankheiten bequem und nach Willkühr hervorbringen, sie meh - rern ältern Krankheiten als Heilmittel ent - gegen setzen, und so Gesundheit, wo es nöthig, damit wiederbringen könnten.

35.

Selbst der zur Entfernung einiger Krankheiten einzuimpfenden Miasmen sind zu wenig, als daß man von ihnen auch nurC 236einen mäßig ausgedehnten Gebrauch als Heilmittel machen könnte.

[36. ]

Könnten wir auch wirklich mehrere natürliche Krankheiten durch Kunst und nach Willkühr veranstalten, so sind sie entweder der damit zu heilenden Krankheit nicht analog genug, folglich nicht hülf - reich, oder sie sind auch selbst von län - gerer Dauer, und wenn sie ja das ältere Uebel bezwungen hätten, so behaupten sie sich dagegen selbst oft noch geraume Zeit im Körper, verschwinden selten vor sich, und müssen gewöhnlich durch künstliche Hülfe wiederum gezwungen werden, zu entweichen.

Anm. Beispiele giebt die eingeimpfte Woll - arbeiter-Krätze, womit man hie und da einige chronische Krankheiten heilte.
16

37.

Unendlich leichter hingegen, weit ge - wisser und mit ungemessener Auswahl kön - nen wir uns zum Heilzwecke jener Krank - heitspotenzen bedienen, die man gewöhn -37 lich Arzneien zu nennen pflegt; der durch sie zu erregenden Gegenkrankheit (welche die natürliche Krankheit, zu der wir ge - rufen werden, aufheben soll) können wir gemessene Stärke und Dauer geben, weil Maas und Gewicht ihrer Gaben in unsrer Gewalt steht, und da jede Arznei abwei - chend von jeder andern, und vor sich schon vielfach wirkt, so haben wir in der großen Menge der Arzneistoffe eine uner - meßliche Zahl künstlicher Krankheiten in unsrer Hand, die wir den im Laufe der Na - tur entstehenden Krankheiten und Gebre - chen der Menschenkinder mit treffender Wahl entgegen setzen und so Naturkrank - heit mit höchst ähnlicher, künstlich erreg - ter Gegenkrankheit schnell und sicher auf - heben und auslöschen können.

38.

Da es nun weiter keinem Zweifel un - terworfen ist, daß die Krankheiten des Menschen blos in Gruppen gewisser beson - drer Symptomen bestehen, durch einen Arz - neistoff aber blos dadurch, daß dieser ähn -38 liche krankhafte Symptomen künstlich zu erzeugen vermag, vernichtet und in Ge - sundheit verwandelt werden (worauf der Vorgang aller ächten Heilung beruht), so wird sich das Heilgeschäft auf Beantwor - tung folgender Punkte beschränken:

  • I. Wie erforscht der Arzt was er von der Krankheit zu Heilabsichten zu wissen nöthig hat?
  • II. Wie erforscht er die als Gegenkrank - heit, zur Heilung der natürlichen Krankheiten bestimmte, krankmachen - de Potenz der Arzneien?
  • III. Wie wendet er diese künstlichen Krankheitspotenzen (Arzneien) zur Heilung der natürlichen Krankheiten am zweckmäsigsten an?

39.

Was den ersten Punkt betrifft, so kann die ungeheure Verschiedenheit und Menge der Krankheiten leicht verleiten, zu glauben, man könne ihre übergroße39 Mannigfaltigkeit unmöglich ins Gedächt - niß fassen und überschauen und sie da - her nicht heilen, wenn man keinen faß - lichen Ueberblick über das Total gewin - nen, und sie nicht in wenige Fächer von kleinem Umfange vertheilte, um die da in jedes einzelne Fach nach einigen gemein - samen Beziehungen und Aehnlichkeiten aufgestellten vielen und mancherlei Krank - heitsindividuen sämtlich überein, gleich - sam als eine einzige Krankheit, nach all - gemeinen Formen arzneilich behandeln, und sich so ihre Kur erleichtern zu kön - nen.

40.

Die Krankheiten, Gebrechen und Siechthume sind aber so unendlich mannig - faltige Erscheinungen, daß eine brauch - bare Klassification derselben nicht einmahl möglich wäre, wenn auch eine solche ge - zwungene Zusammenfassung derselben in getrennte Fächer zur Heilabsicht erforder - lich zu seyn scheinen sollte.

Anm. Die bisherigen systematischen Einthei - lungen der Krankheiten (fast jede Patho -40 logie hat eine andre, ihr eigne) übergehe ich. Wäre nur eine einzige von den un - zähligen von einleuchtenden, wahren Nutzen, so würde sie unstreitig den all - gemeinen Beifall durch die Allmacht, die der Wahrheit eigen ist errungen und behalten haben.
17

41.

Am meisten schien die Eintheilung in allgemeine und in Lokal-Krankheiten ge - feiert zu werden.

42.

Der menschliche Organism ist aber im lebenden Zustande ein völlig geschlosse - nes Ganze, eine Einheit. Iede Empfin - dung, jede Kraftäußerung, jedes Mi - schungsverhältniß der Stoffe des einen Theils hängt mit der Empfindung, der Funktionen und dem Mischungsverhält - nisse der Stoffe aller übrigen Theile innig zusammen. Kein Theil kann leiden, ohne daß alle übrige zugleich mehr oder weniger mit leiden, mit verändert wer - den.

41

43.

Diese lebendige Einheit verstattet nicht, daß an unserm Körper eine Krank - heit je blos örtlich, vollkommen und ab - solut örtlich bleibe, so lange das für lo - kal gehaltene Uebel noch an einem, vom übrigen Körper nicht völlig getrennten Theile sich befindet. Immer leidet der übrige Körper mehr oder weniger mit, und legt dieß Uebelbefinden durch dieses oder jenes Symptom an den Tag. Immer macht jede, selbst an ganz entfernten Orten an - gebrachte oder innerlich eingenommene kräftige Arznei auch auf diesen örtlich scheinenden Fehler einen ändernden Ein - druck und das für die Gesamtkrankheit (wovon das Lokalübel immer nur ein Theil, immer nur ein Symptom ist) specifisch pas - sende Heilmittel pflegt zugleich das, ob - schon ganz entfernt und isolirt scheinen - de Lokalübel selbst mit zu heilen.

44.

Eine zweite hoch aufgenommene Ein - theilung der Krankheiten in fieberhafte42 und fieberlose leidet gleiches Schicksal. Es fehlt sogar noch die Uebereinkunft, welche Charakterzüge und Symptomen in die Fieberdefinition aufgenommen werden sollen und können, und welche auszu - schließen sind, und es ist keine unter der großen Zahl der Fieber-Theorien und Defi - nitionen, welche nicht Zufälle in sich be - griffe, die auch in den fieberlosest geach - teten Krankheiten mehr oder weniger statt finden. In unmerklichen Abstufungen ge - hen die fieberhaftesten in die fieberlosesten über und zeigen, daß eine scharfe Tren - nung beider nur pathologisch, aber nicht naturgemäß ist.

45.

An sich würde die Benahmung oder Klassifikation der unzählig ver - schiednen Krankheiten, wenn sie nur ei - nigermaßen richtig und vollständig mög - lich wäre, für den Arzt, als Naturhi - storiker, eben den Nutzen haben, den die Klassification andrer Naturerscheinun - gen und Naturkörper in der allgemeinen43 Naturgeschichte leistet, nämlich seine hi - storische Ansicht durch einen tabel - larischen Ueberblick zu erleichtern; aber für den Arzt als Heilkünstler hat sie gar keinen Nutzen, da die wahre Heil - kunde sich mit der flachen, einseitigen Aehnlichkeit mehrerer Krankheitsindivi - duen unter einander, die zur Zusammen - koppelung in Gattungen und Arten zu - reicht, nicht begnügen darf, sondern die vollständigste Ansicht jedes zu heilenden, individuellen Krankheitsfalles auffassen muß, ehe sie ein genau passendes Heilmit - tel wählen, das ist, den Namen der gründlichen und rationellen Heil - kunde verdienen kann.

46.

Die Natur hat keine Benahmung oder Klassifikation der Krankheiten. Sie schafft einzelne Krankheiten, und will, daß der wahre Heilkünstler an seinem Men - schenbruder nicht die systematisch ver - einte Krankheitsgattung (eine Art von Ver - wechselung verschiedner Krankheiten mit -[w]erden zerschnitten und am gehörigen ort gebracht.44einander), sondern jedesmahl nur das In - dividuum seiner Krankheit individuell be - handeln soll; den therapevtischen Leisten aber, für die von Menschen blos in der Idee zusammengefügten Krankheitszünfte geschnitzt, verbietet sie, an die (weis - lich von ihr eigenartig geschaffe - nen) Krankheitsindividuen anzulegen, und so das göttliche Heilwerk zu verkrüppeln.

Anm. Der eben so sehr seiner Einsicht, als seines zarten Gewissens wegen verehrungs - werthe Huxham sagt (Op. phys med. Tom. I.): Nihil sane in artem medicam pestiferum magis unquam irrepsit malum, quam generalia quaedam nomina morbis imponere, iisque aptare velle generalem quamdam medicinam.
18

47.

Wenn nun die Rationalität der Heil - kunde, wenn wo irgend, vorzüglich dar - inn besteht, daß sie alle systematische und andre Vorurtheile unterdrücke, wo mög - lich nie ohne Gründe handle, wo möglich nie einige sich darbietenden Gründe zum45 zweckmäsig Handeln vernachlässige, und sich möglichst an das Erkennbare der Din - ge halte; so wird vorzüglich die Be - rücksichtigung der Abweichung und Verschiedenheit der Krank - heiten (so wie der Arzneimittel), das ist, die sorgfältige Aufsu - chung der individuellen Zeichen der jedesmahligen Krankheit und die der individuellen Wirkungs - art jeder einzelnen Arznei den ra - tionellen, den gründlichen Arzt charakterisiren.

48.

Blos der rationelle Heilkünstler wird, da jede Krankheits-Epidemie in der Welt (mit Ausnahme jener wenigen mit einem festständigen, unabänderlichen Miasma) von der andern, und selbst jeder einzelne Krankheitsfall epidemischer und sporadi - scher Art, am meisten aber jeder nicht zu einer solchen Kollektivkrankheit gehöri - ge Krankheitsfall von jedem andern ab - weicht , auch jedes ihm zur Heilung46 angetragene Siechthum nach seiner indi - viduellen Verschiedenheit nehmen, wie es ist, und wenn er dessen Eigenheiten und alle seine Zeichen und Symptomen er - forscht hat (denn dazu sind sie, daß auf sie soll geachtet werden), auch nach sei - ner Individualität, d. i. nach der sich an ihm zeigenden Gruppe von Symptomen mit einem individuell passenden Heilmit - tel behandeln und sich durch ein so recht - liches und vorurtheilfreies, als rationelles Verfahren vor jeden andern Arzte auszeich - nen, der den Krankheitsfall gründlich aus - zuspähen nicht würdigt, sondern ihn, der Bequemlichkeit zu Gefallen, nach Gutdün - ken generalisirt, ihm seine systematische Vermuthung anheftet, und blos nach die - ser, seine Behandlung modelt.

49.

Einige Krankheiten, welche einen eignen Ansteckungsstoff (ein eignes, sich ziemlich gleichbleibendes Miasm) zum Grunde haben, z. B. die levantische Pest, die Menschenpocken, die Masern, das äch -47 te glatte Scharlachfieber, die venerische Krankheit, die Wollarbeiterkrätze , auch wohl die Hundswuth, der Keuchhusten, der Wichtelzopf u. s. w. erscheinen in ih - rem Charakter und Verlaufe so selbststän - dig, daß sie, wo sie sich zeigen, wie schon bekannte Individuen an ihren sich gleichbleibenden Zeichen immer kennbar bleiben. Man konnte ihnen daher, jeder einen eignen, Namen geben, und sich be - mühen für jede derselben eine feststän - dige Heilart, als Regel, einzuführen.

50.

So mögen wohl noch einige andre Krankheiten, denen wir ein Miasm noch nicht nachweisen können, so wie jene an gewisse Gegenden und klimatische Verhält - nisse gebundene, nebst den hie und da endemischen: das herbstliche Sumpfwech - selfieber, das gelbe Fieber, der See-Schar - bock, der Pian, die Yaws, die Sibbens, die Pellagra u. s. w. auch sonst noch ei - nige wenige Krankheiten entweder aus ei - ner einzigen, sich gleichbleibenden Ursa -48 che, oder aus einem, öfterer sich vereini - genden Zusammenflusse mehrerer, be - stimmter Ursachen, die sich leicht auf eine bestimmte Art zusammen gesellen (wie z. B. bei der Knotengicht; auch wohl der häutigen Bräune und dem Millarischen Asthma der Fall seyn mag), entspringen, und wohl nicht viel weniger verdienen, jede ihren eignen Namen zu führen, da die Gruppe der Symptomen bei jeder der - selben, im Ganzen, sich doch ziemlich gleich bleibt, und daher einer eigenarti - gen, fast feststehenden Behandlung fähig ist.

51.

Aber schon anders ist es mit einer Menge der übrigen Krankheiten, welche vermuthlich aus dem Zusammenflusse ei - niger sich nicht auf gleiche Art zur Erzeu - gung des Uebels verbindenden, krankma - chenden Ursachen entspringen, daher oft in mehrern wichtigen Symptomen von ein - ander abweichen, und deshalb nie über - ein mit denselben Mitteln ärztlich behan -49 delt werden können. Hieher gehören die sehr verschiednen Arten von Fallsucht, Katalepsie, Tetanus, Veitsdanz, Pleuritis, Lungensucht, Diabetes, Brustbräune, Ge - sichtsschmerz, Ruhr und andre Namen, welche die Schule oft wesentlich abwei - chenden, und nur durch ein Paar gemein - schaftliche Symptome einander ähnlichen Krankheitszuständen gab, um unter Vor - aussetzung ihrer Identität für sie eine gleichartige Kurbehandlung festsetzen zu können, deren sehr ungleicher Erfolg in der Erfahrung schon allein die supponirte Identität derselben widerlegt. Als Kollek - tivnamen mögen sie gelten, nur nicht als Eigennamen angeblich identischer Krank - heitszustände; denn dann verführen sie zu einer gleichförmigen, empirisch arzneili - chen Behandlung zum Verderben der Kran - ken.

Anm. So giebt es z. B. im Diabetes meh - rere Verschiedenheiten, d. i. mehrere we - sentlich von einander abweichende Krank - heiten, unter diesen einzigen Namen zu - sammen gedrängt, welche blos dem ersten flüchtigen Anblicke nach, in einem oderD50dem andern Symptome einander scheinbar ähneln, aber sehr mit Unrecht für eine und dieselbe Krankheit sind gehalten worden. Wurden die einzelnen Fälle genauer untersucht, so fanden sich fast in jedem sehr abweichende, in den andern Fällen nicht vorhandne Zufälle, und selbst der Harn, auf welchen sich die Erfinder dieses Namens, als auf einen wichtigen Fund viel zu Gute thaten, wich oft in seiner angegebnen Beschaffenheit ab; der eine ging schnell in geistige und saure Gährung über, der andre schimmelte blos, u. s. w. Wenn die eine Art Diabetes mit geschwefeltem Ammonium geheilt werden konnte, so vermochte man doch viele an - dre Arten nicht mit diesem Mittel zu hei - len. Da schien hingegen Alaun die hülf - reiche Arznei in einem Paar Fällen zu seyn, und wieder in andern weder Alaun, noch geschwefeltes Ammonium. Soll das einerlei Krankheit seyn, was im Inbegriffe seiner Symptomen so verschieden ist, und eine so abweichende Heilart verlangt? Arten von Diabetes könnte man diese ma cherlei Krankheitszustände allenfalls wohl nennen, aber nur nicht schlechthin Diabetes, um nicht eine sich gleichblei - bende, einfache Krankheit unter diesem Namen fälschlich vermuthen zu lassen. 51Wer einmahl einen Gesichtsschmerz mit Quecksilbersalbe heilte, wird wohl noch drei, vier Fälle erleben, die er alle unter demselben Namen begreift, und in deren keinem doch je wieder diese Salbe hilft. Wenn jeder dieser Namen nur Krankheiten bezeichnete, die sich immer gleich wären, so wäre dieses Fehlschlagen der Kur mit demselben, schon einmahl sich hülfreich erwiesenen Mittel ganz unmög - lich; sie müßten sämtlich gleicher Kurart weichen, wenn sie selbst gleich wären. So wie sie dieß aber nicht thun, so zei - gen sie klärlich an, daß sie, trotz des gleichen Namens, wesentlich verschiedne Krankheiten sind, nach deren unterschei - denden Symptomen zu forschen, man sich nur nicht die Mühe nahm. Arten von Gesichtsschmerz könnte man diese mancherley Krankheitszustände allenfalls wohl nennen, nur nicht schlechthin Ge - sichtsschmerz, da es durchaus nicht immer eine und dieselbe Krankheit ist. So ist es mit den übrigen genannten, und andern Krankheitsnamen solcher Art.
19

52.

Und so werden vollends in den übri - gen Krankheiten die Namen immer unei -D 252gentlicher, und ihre Verführung zur em - pirischen Behandlung immer gefährlicher, wenn sie eine noch größere Verschieden - heit von Krankheitszuständen unter sich begreifen, welche kaum mit ein Paar ähnlichen Symptomen sich einander, blos in der Entfernung, nähern, während die große Zahl ihrer übrigen Zufälle und Ei - genheiten sehr weit von einander abwei - chen. Die vieldeutigen Namen von kal - ten Fiebern, Gelbsucht, Wassersucht, Schwindsucht, Leukorrhöe, Hämorrhoi - den, Rheumatism, Schlagfluß, Krämpfe, Lähmung, Melancholie, Manie, u. s. w. mögen zu Beispielen dienen.

Anm. Welche unzählige, höchst von einander abweichende Arten von sogenannten Wech - selfiebern giebt es nicht, die höchstens das Phänomen von Frost und Hitze, und etwas typusähnliches, und oft auch wohl dieses nicht einmahl, mit einander gemein haben! Bei näherer Erforschung ihrer übrigen Zeichen findet man, daß fast je - de dieser abweichenden Arten eine Krank - heit sui generis ist. Mit welchem Rech - te könnte man die vielen höchst verschied - nen Krankheiten, die in ihren übrigen53 Symptomen keine Verwandschaft, und nur in dem einzigen Zufalle, der Haut - Gilbe, einige Aehnlichkeit mit einander haben, welche sich auf eine Störung der Gallabsonderung gründet, die wiederum höchst verschieden ist mit dem, Iden - tität voraussetzenden Namen, Gelbsucht belegen? Eben so ist bei unzähligen höchst verschiednen Siechthumen unter den vielen andern Symptomen, auch Haut - Oedem zugegen; wer wollte nun dieses einzelnen, zwar sehr in die Augen fallen - den, aber deshalb nicht immer wichtig - sten, oft nicht einmahl wichtigen Symp - toms wegen, alle jene höchst verschied - nen Krankheiten für eine einzige, unter dem gemeinsamen Namen Wassersucht, ausgeben, und so alle die übrigen höchst bedeutsamen Symptomen unbeachtet las - sen, die diese Krankheiten weit von ein - ander entfernen? Und so in den übrigen Beispielen.
20

53.

Wie könnte man auch nur mit einem Scheine von Rationalität jene höchst ver - schiednen Krankheitszustände, welche oft nur ein einziges Symptom mit einander54 gemein haben, unter generelle Namen zu - sammenziehen, und so für jeden eine gleich - artige arzneiliche Behandlung rechtfertigen wollen? Und soll die arzneiliche Behand - lung nicht gleichartig seyn, wie sie es auch ohne Verderben des Kranken nicht seyn darf ; wozu der, gleiche Heilart voraus - setzende identische Namen? So misbräuch - lich, nutzlos und schädlich diese Namen al - so sind, so wenig dürfen sie je Einfluß auf die Kurart eines rationellen Heilkünstlers haben, welcher weiß, daß er die Krankhei - ten nicht nach der vagen Namensähnlich - keit eines einzelnen Symptoms, sondern nach dem ganzen Inbegriffe aller Zeichen des individuellen Zustandes jedes einzel - nen Kranken zu beurtheilen und zu heilen habe, dessen Leiden er genau auszuspähen die Pflicht hat, nie aber hypothetisch ver - muthen darf.

54.

Selbst jene Volkskrankheiten, welche sich wohl auch bei jeder einzelnen Epidemie durch einen Ansteckungsstoff fortpflanzen mögen die Menge jener soge -55 nannten (Spital-Kerker-Lager -) Faul-Gal - len-Nerven - und andrer herumgehenden Fieber sind sehr abweichend in ihrem je - desmahligen Verhalten und Verlaufe. Iede neue Epidemie derselben, z. B. des soge - nannten Faulfiebers, zeigt sich, weil je - der Epidemie ein abgeändertes Miasm zum Grunde lag, selbst in mehrern der auffal - lendsten Symptomen allen vorher gegan - genen Epidemien seines Namens so un - ähnlich, daß man alle logische Genauig - keit in Begriffen verleugnen müßte, wenn man diesen, von sich selbst so sehr ab - weichenden Seuchen den alten, oder über - haupt einen sehr eingeführten Namen ge - ben und sie mit den ehemaligen Epidemien gleicher Benennung überein, arzneilich be - handeln wollte, verführt durch den mis - bräuchlichen Namen.

55.

Nur die einzelnen Fälle jeder solchen epidemischen oder sporadischen Seuche insbesondre, die man in dieser Rücksicht eine Kollektivkrankheit nennen möch -56 te, kann man bei der Heilung für ähnlich ansehen, und (mit Berücksichtigung der größern oder kleinern Verschiedenheiten jedes einzelnen Falles insbesondre) ähnlich behandeln.

56.

Iede Epidemie begreift nämlich eine Menge einander sehr ähnlicher Krankheits - individuen in sich; die Epidemien selbst aber weichen sehr von einander ab, und können nicht mit einem ähnlichen oder gleichen Namen belegt, nicht unbesehens mit gleicher Arznei behandelt werden.

57.

Diese, keines festständigen, speciel - len Namens fähigen Epidemien, welche bei jeder neuen Erscheinung im Volke in abge - änderter Form und mit einer veränderten Gruppe von Zeichen und Symptomen her - vortreten, werden, als Kollektiv - krankheiten, am füglichsten zu der un - geheuer großen Klasse aller übri - gen Krankheiten, Gebrechen, und57 Siechthume des menschlichen Körpers gerechnet, welche aus einem sehr verschied - nen Zusammenflusse ungleichartiger Ursa - chen und Potenzen, die an Zahl, Stärke und Art sich äußerst ungleich sind, ent - springen, Einflüssen von unendlich ge - mischter Natur, aus welchen jene so un - endlich verschiedenen Krankheiten hervor - sprießen, woran das große Geschlecht der Menschen auf dem Erdenrunde leidet und je gelitten hat.

58.

Alle Dinge, die nur einigermasen wirksam sind, (ihre Zahl ist unübersehlig) vermögen auf unsern, mit allen Theilen des Universums in Verbindung und Kon - flikt stehenden Organismus einzuwirken und Veränderungen hervorzubringen, je - des eine verschiedenartige, so wie es selbst verschiedenartig ist.

59.

Wie abweichend, ich möchte sagen, unendlich abweichend von einander müs -58 sen nun nicht die Krankheiten, das ist, die Erfolge der Einwirkung dieser unzähli - gen, oft sehr feindseeligen Potenzen seyn, wenn ihrer wenigere oder mehrere zugleich und in verschiedner Succession, Qualität und Stärke auf unsere Körper influiren, da leztre zugleich so sehr in einer Menge äußerer und innerer Eigen - heiten und Verschiedenheiten un - ter einander abweichen, und in den mancherlei Zuständen des Lebens sich dergestalt abändern, daß kein menschliches Individuum dem an - dern gleich ist in irgend einer er - denklichen Rücksicht!

Anm. Einige dieser, Krankheit vorbereiten - den oder erzeugenden Einflüsse sind z. B. die unzählige Menge mehr oder weniger schädlicher Ausdünstungen aus leblosen und organischen Substanzen ; die so verschiedentlich reitzenden mancherlei Gasarten, die in der Atmosphäre, in unsern Werkstätten und Wohnungen auf unsre Nerven ändernd oder zerstörend wirken, oder uns aus Wasser, Erde, Thie - ren, Pflanzen entgegen strömen ; Mau - gel an dem unentbehrlichen Nahrungsmit -59 tel für unsere Vitalität, der reinen, freien Luft ; Uebermaas oder Mangel des Son - nenlichts ; Uebermaas oder Mangel der elektrischen Stoffe ; abweichende Druck - kraft der Atmosphäre, ihre Feuchtigkeit oder Trockenheit ; die noch unbekann - ten Eigenheiten und Nachtheile hoher Ge - birgsgegenden und dagegen die der niedri - gen Orte und tiefen Thäler ; die Eigen - heiten der Klimate und andrer Ortslagen auf großen Ebenen, auf gewächs - oder wasserlosen Einöden, gegen das Meer hin, gegen Sümpfe, Berge, Wälder oder gegen die verschiednen Winde ; Einfluß sehr veränderlicher oder allzu gleich förmig lan - ge anhaltender Witterung; Einfluß der Stürme und mehrerer Meteore ; allzu große Wärme oder Kälte der Luft, Blöße, oder übertriebne künstliche Wärme unsrer Körperbedeckung oder der Stuben; Be - engung einzelner Glieder durch verschied - ne Anziige ; der allzu hohe Grad der Kälte und Wärme unsrer Nahrungsmittel und Getränke; Hunger oder Durst oder Ueberfüllung mit Speißen und Getränken und ihre schädliche arzneiliche, den Kör - per umändernde Kraft, die sie theils vor sich besitzen (Wein, Branntwein, mit mehr oder weniger schädlichen Kräutern gewürzte Biere, mit fremdartigen Stoffen60 geschwängertes Trinkwasser, Kaffee, Thee, ausländische und inländische Gewürzkräu - ter und die damit reitzend gemachten Spei - sen, Saucen, Liqueure, Schokolade, Ku - chen; die unerkannte Schädlichkeit eini - ger Gemüße und Thiere im Genuße) theils sie durch nachlässige Zubereitung, Verderbniß, Verwechselung oder Verfäl - schung bekommen (z. B. schlecht gegohr - nes und nur halb ausgebackenes Brod, halbgekochte Fleisch - und Gewächsspei - sen, oder andre vielfach verdorbne, ge - faulte, verschimmelte Nahrungsmittel, in metallenen Geschirren zubereitete oder auf - bewahrte Speisen und Getränke, gekün - stelte, vergiftete Weine, mit ätzenden Substanzen verschärfter Essig, Fleisch kranker Thiere, mit Gyps oder Sand ver - fälschtes Mehl, mit schädlichen Samen vermischtes Getreide, mit gefährlichen Ge - wächsen aus Bosheit, Unwissenheit oder Dürftigkeit vermischte oder vertauschte Gemüße) ; Unreinlichkeit des Körpers, der Körperbedeckungen der Wohnun - gen ; nachtheilige Substanzen, die durch Unreinlichkeit oder Nachlässigkeit bei der Zubereitung und Aufbewahrung in die Nahrungsmittel gerathen ; Einhauchung schädlicher Dünste in Krankenstuben, in Bergwerken, Pochwerken, Rösten und61 Schmelzhütten ; der auf uns eindrin - gende Staub mancherlei schädlichen Ge - halts von den Stoffen unsrer Fabrikationen und Gewerbe ; Vernachlässigungen meh - rerer Anstalten der Policei zur Sicherheit des allgemeinens Wohls ; allzu heftige Anspannung unsrer Körperkräfte, allzu schnelle aktive oder passive Bewegung, übermäsige Exertionen einzelner Körper - theile oder Sinnorgane, mancherlei unna - türliche Lagen und Stellungen, welche die verschiednen Arbeiten der Menschen mit sich bringen ; Mangel des Gebrauchs einzelner Theile oder allgemeine unthätige Körperruhe ; ungeregelte Zeiten der Ruhe (langer Mittagsschlaf), der Mahl - zeiten, der Arbeit ; Uebermaas oder Mangel des Nacht-Schlafs ; Anstren - gung in Geistesarbeiten überhaupt, oder in solchen, welche widrig und gezwungen sind, oder einzelne Seelenkräfte besonders erregen oder ermüden ; empörende, gewaltsame Leidenschaften, Zorn, Schreck, Aergerniß, oder entnervende Leidenschaf - ten durch wollüstige Leserei, Erziehung, Angewöhnung und Umgang erregt ; Misbrauch des Geschlechtstriebes ; Ge - wissensvorwürfe, Furcht, Gram, u. s. w.
21
62

60.

Daher die unaussprechliche Zahl un - gleichartiger Leibes - und Seelengebrechen, welche unter sich so verschieden sind, daß genau genommen, jedes derselben vielleicht nur ein einziges Mahl in der Welt existirt, und daß (jene wenigen Uebel mit unabänderlichem Miasm [§. 49.] und etwa sonst noch einige [§. 50.] abgerechnet) jede epidemische oder spora - dische Kollektivkrankheit, und, außer ihnen, jeder vorkommende andre Krank - heitsfall als eine namenlose, individuelle Krankheit angesehen und behandelt werden muß, die sich noch nie so ereignete als in diesem Falle, in dieser Person und unter diesen Umständen, und genau eben so, nie wieder in der Welt vorkommen kann.

61.

Da die Natur selbst die Krankheiten so individuell verschieden hervorbringt, so kann keine rationelle Heilkunde statt fin - den ohne strenge Individualisation jeden Krankheitsfalles beim Heilgeschäfte, ohne63 daß der Arzt jede ihm dargebotene Krank - heit einzeln und vor sich allein so nehme, wie sie genau ist. Dann hört all jenes em - pirische Generalisiren auf, was mit dem kecken Vermuthen und dem eigenmächti - gen Verwechseln so nahe verwandt ist!

62.

Diese individualisirende Untersu - chung jeden vorkommenden Krankheits - falles, so wie er an sich selbst ist, ver - langt von dem Heilkünstler nichts als Un - befangenheit und gesunde Sinne, Auf - merksamkeit im Beobachten und Treue im Kopiren des Bildes der Krankheit.

63.

Der Kranke klagt den Vorgang seiner Beschwerden; die Angehörigen erzählen seine Klagen, sein Benehmen; der Arzt sieht, hört und bemerkt durch die übri - gen Sinnen, was verändert und unge - wöhnlich in ihm ist. Er schreibt alles mit den genauen Ausdrücken auf, deren der Kranke und die Angehörigen sich be -64 dienen. Stillschweigend läßt er sie aus - reden, wo möglich ohne Unterbrechung. Blos langsam zu sprechen, ermahne sie der Arzt gleich anfangs, damit er den Sprechenden im Nachschreiben folgen könne.

Anm. Iede Unterbrechung stört ihre Gedan - kenreihe, und es fällt ihnen hinterdrein nicht alles genau wieder so ein, wie sie’s Anfangs sagen wollten.
22

64.

Mit jeder Angabe des Kranken oder der Angehörigen bricht er die Zeile ab, da - mit die Symptomen alle einzelnen unter einander zu stehen kommen. So kann er bei jedem nachtragen, was ihm anfäng - lich allzu undeutlich und unbestimmt an - gegeben worden war.

65.

Sind beide fertig mit dem, was sie von selbst sagen wollten, so trägt er bei jedem einzelnen Symptome die nähere Be - stimmung nach, auf folgende Weise er -65 kundigt. Er liest die einzelnen ihm ge - sagten Symptomen vor, und fragt bei je - dem insbesondre: z. B. zu welcher Zeit ereignete sich dieser Zufall? In der Zeit vor dem Arzneigebrauche? während dem Arzneinehmen? oder erst einige Tage her - nach, als er schon mit aller Arznei aufge - hört hatte? Was für ein Schmerz, genau beschrieben, war es, der sich an dieser Stelle ereignete? Welche genaue Stelle war es? Erfolgte der Schmerz abgesetzt, nur einzeln, in verschiednen Zeiten? Wie lan - ge setzte er jedesmahl aus? Zu welcher Zeit des Tages oder der Nacht war er am schlimmsten, oder setzte ganz aus? Wie war dieser, wie war jener angegebne Zu - fall, oder Umstand, mit deutlichen Wor - ten beschrieben, genau beschaffen?

66.

Und so läßt der Arzt sich die nähere Bestimmung von jeder einzelnen Angabe noch dazu sagen, ohne doch jemahls dem Kranken die Frage so in den Mund zu le - gen, daß er blos mit Ia, oder Nein draufE66antworten könnte, sonst wird derselbe ver - leitet, etwas Unwahres, Halbwahres oder anders Vorhandnes aus Bequemlichkeit oder dem Fragenden zu Gefallen, zu bejahen oder zu verneinen, wodurch ein falsches Bild der Krankheit und eine unpassende Heilart entstehen muß.

Anm. Er darf, mit einem Worte, weder den Kranken, noch den Krankenwärter bei der ersten Erkundigung fragen: war nicht etwa auch dieser oder jener Um - stand da? Nicht wahr, es war so und so? Dergleichen zu einer falschen An - gabe verführende Suggestionen darf sich der Arzt nie zu Schulden kommen lassen.
23

67.

Ist nun bei diesen freiwilligen Anga - ben von mehrern Theilen oder Funktio - nen des Körpers nichts erwähnt worden, so fragt der Arzt, was in Rücksicht die - ser Theile und dieser Funktionen noch zu erinnern sei, aber in allgemeinen Aus - drücken, damit der Berichtgeber genöthigt sei, sich speciell darüber zu äußern.

67
Anm. Z. B. Wie ist es mit dem Stuhlgange? Wie geht der Urin ab? Wie ist es mit dem Schlafe bei Tage, bei der Nacht? Wie ist sein Gemüth, seine Laune be - schaffen? Wie ist es mit dem Durste? Wie mit dem Geschmacke so vor sich im Munde? Welche Speisen und Getränke schmecken ihm am besten, welche sind ihm am meisten zuwider? Hat jedes sei - nen natürlichen, vollen oder andern Ge - schmack? Ist etwas wegen des Kopfs, der Glieder oder des Unterleibes zu erinnern?
24

68.

Hat nun der Kranke ( denn nur die - sem ist in Absicht seiner Empfindungen, außer in Verstellungskrankheiten, der meiste Glaube beizumessen ) auch durch diese freiwilligen oder fast unveranlaßten Aeußerungen dem Arzte gehörige Aus - kunft gegeben und das Bild der Krankheit ziemlich vervollständigt, so ist es diesem erlaubt, speciellere Fragen zu thun.

Anm. Z. B. Wie oft hatte er Stuhlgang, von welcher genauen Beschaffenheit? War der weißlichte Stuhlgang Schleim oderE 268Koth? Waren Schmerzen beim Abgange oder nicht? Welche genaue und wo? Was brach er aus? Ist der garstige Ge - schmack im Munde faul oder bitter oder sauer, oder wie sonst? Ist dieser Ge - schmack, auch wenn er nichts genießt, im Munde? zu welcher Tageszeit am mei - sten? oder entsteht er nur während dem Essen oder Trinken, oder gar erst nach - her? Läßt er den Urin gleich trübe, oder wird er erst beim Stehen trübe? Von welcher Farbe ist er, wenn er eben ge - lassen ist? Von welcher Farbe ist der Satz? Wie gebehrdet und äußert er sich im Schlafe? Wimmert, stöhnt, redet, oder schreiet er im Schlafe? Erschrickt er im Schlafe? wirft er sich öfters her - um? schnarcht er beim Ein - oder Ausath - men? Liegt er blos auf dem Rücken oder auf welcher Seite? Deckt er sich selbst fest zu, oder leidet er das Zudecken nicht? Wacht er leicht auf, oder schläft er all - zu fest? Wie oft kömmt diese, wie oft jene Beschwerde, auf welche jedesmahlige Veranlassung, im Sitzen, im Liegen, im Stehn oder bei der Bewegung, blos nüch - tern und früh, oder blos Abends, oder blos nach der Mahlzeit? Wann kam der Frost? War es blos Frostempfindung, oder war er zugleich kalt, (an welchen69 Theilen?), oder wohl gar bei der Frost - empfindung heiß anzufühlen? War es blose Empfindung von Kälte ohne Schau - der? War er heiß ohne Gesichtsröthe? An welchen Theilen war er heiß anzu - fühlen? Oder klagte er Hitze ohne heiß zu seyn beim Anfühlen? Wie lange dau - erte der Frost, wie lange die Hitze? Wann kam der Durst; beim Froste? bei der Hitze? wie stark war er, worauf? Wann kommt der Schweiß? beim An - fange, oder zu Ende der Hitze? oder wie viel Stunden nach der Hitze? Wie stark ist der Schweiß? heiß oder kalt? an wel - chen Theilen? von welchem Geruche? Was klagt er an Beschwerden vor oder bei dem Froste, was bei der Hitze, was nach derselben? u. s. w.
25

69.

Ist er mit Niederschreibung dieser Aussagen fertig, so notirt er sich, was er selbst an dem Kranken wahrnimmt, und erkundigt sich, was dem Kranken hievon in gesunden Tagen eigen gewesen.

Anm. z. B. wie sich der Kranke bei dem Besuche gebehrdet hat; ob er verdrüßlich,70 zänkisch, hastig, ängstlich, verzweifelt, oder getrost, ob er schlaftrunken, oder überhaupt unbesinnlich war, ob er heisch, sehr leise, oder ob er unpassend, oder wie anders er redete; wie die Farbe des Gesichts und der Augen, und die Farbe der Haut überhaupt, wie die Lebhaftig - keit und Kraft der Mienen und Augen, wie die Zunge, der Odem, der Geruch aus dem Munde, oder das Gehör beschaf - fen ist; wie sehr die Pupillen erweitert sind, wie schnell, wie weit sie sich im Dunkeln und Hellen verändern; wie der Puls, wie der Unterleib; wie feucht, oder heiß die Haut an diesen oder jenen Thei - len anzufühlen ist; ob er mit zurückge - bognem Kopfe, mit halb oder ganz off - nem Munde, mit über den Kopf gelegten Armen, ob er auf dem Rücken, oder in welcher andern Stellung er liegt; mit wel - cher Anstrengung er sich aufrichtet, und was vom Arzte sonst auffallend bemerk - bares an ihm wahrgenommen werden konnte.
26

70.

Die Zufälle und das Befinden des Kranken während des Arzneigebrauchs ge -71 ben nicht das reine Bild der Krankheit; die Symptomen und Beschwerden hinge - gen, welche er vor dem Gebrauche der Arzneien, oder nach ihrer mehr - tägigen Zurücksetzung litt, geben den ächten Grundbegriff von der ur - sprünglichen Gestalt der Krankheit, und vorzüglich diese muß sich der Arzt aufzeichnen; er kann auch wohl, wenn die Krankheit chronisch ist, den Kranken, wenn er bis zu der Zeit noch Arznei ge - nommen hatte, einige Tage ganz ohne Arznei lassen und bis dahin die genauere Prüfung der Krankheitszeichen verschie - ben, um die dauerhaften, unvermischten Symptomen des alten Uebels in ihrer Rein - heit aufzufassen, und ein untrügliches Bild von der ursprünglichen Krankheit entwer - fen zu können.

71.

Leidet aber der dringende Zustand der akuten Krankheit keinen Verzug, so muß sich der Arzt mit dem, selbst von Arz - neien geänderten Krankheitszustande be -72 gnügen (wenn er die vor dem Arzneige - brauche bemerkten Symptomen nicht er - fahren kann), um wenigstens die gegen - wärtige Gestalt des Uebels mit einem pas - senden Heilmittel bestreiten zu können.

72.

Ist die Krankheit durch ein auffallen - des Ereigniß verursacht worden, so wird der Kranke (oder wenigstens die in Ge - heim befragten Angehörigen) sie schon an - geben entweder von selbst und aus eignem Triebe, oder auf eine behutsame Erkun - digung.

Anm. Den entehrenden, etwanigen Veran - lassungen, welche die Kranken oder die Angehörigen nicht gern, wenigstens nicht von freien Stücken gestehen, muß der Arzt durch klügliche Wendungen der Fragen, oder durch andre Privaterkundigungen auf die Spur zu kommen suchen; dahin ge - hören: Vergiftung oder intendirter Selbst - mord, Onanie, Ausschweifungen in ge - wöhnlicher oder unnatürlicher Wollust, Schwelgen in Wein, Liqueuren, Punsch, Kaffee Schwelgen in Essen überhaupt,73 oder in besonders schädlichen Speisen, venerische Krankheit, unglückliche Liebe, Eifersucht, Hausunfrieden, und Gram über ein Familienunglück, erlittene Mis - handlung, verbissene Rache, gekränkter Stolz, Zerrüttung des Vermögenszustan - des, abergläubige Furcht, Hunger oder ein Körpergebrechen an den Schamtheilen, ein Bruch, ein Vorfall, u. s. w.
27

73.

Bei Erforschung des Zustandes chro - nischer Krankheiten müssen die Verhältnis - se des Kranken in Absicht seiner gewölm - lichen Beschäftigungen, seiner gewöhnli - chen Lebensordnung und Diät, seiner häußlichen Lage u. s. w. wohl erwogen und geprüft werden, was sich in ihnen Krankheit Erregendes oder Unterhaltendes befindet, um durch seine Entfernung die Genesung befördern zu können.

Anm. Vorzüglich muß bei den chronischen Krankheiten des weiblichen Geschlechts Rücksicht auf Schwangerschaft, Unfrucht - barkeit, Neigung zur Begattung, Nieder - kunften, Fehlgeburten, Kindersäugen, und den Zustand des monatlichen Blut -74 flusses genommen werden. Insbesondre ist in Rücksicht des leztern die Erkundi - gung nicht zu versäumen, ob er in zu kur - zen Perioden wiederkehrt oder über die gehörige Zeit außen bleibt, wie viel Tage er anhält, ununterbrochen oder abgesetzt? in welcher Menge überhaupt, wie dunkel von Farbe, ob mit Leukorrhöe vor dem Eintritt oder nach der Beendigung? vorzüglich aber mit welchen Beschwerden Leibes und der Seele, mit welchen Em - pfindungen und Schmerzen vor dem Ein - tritte, bei dem Flusse, oder nachher?
28

74.

Die Erforschung der obgedachten und aller übrigen Krankheitszeichen muß des - halb bei chronischen Krankheiten so sorg - fältig und umständlich als möglich gesche - hen und in die kleinsten Einzelheiten ge - hen, theils weil sie bei diesen Krankheiten am sonderlichsten sind, denen in den schnell vorübergehenden Krankheiten am wenigsten gleichend, und bei der Heilung, wenn sie gelingen soll, nicht genau genug genommen werden können; theils weil die Kranken der langen Leiden so gewohnt75 worden sind, daß sie auf die kleinern cha - rakteristischen (bei Aufsuchung des Heil - mittels oft viel entscheidenden) Nebenzu - fälle wenig oder gar nicht mehr achten und sie fast für einen Theil ihres nothwendigen Zustandes, fast für Gesundheit ansehen, deren wahres Gefühl sie bei der fünf -, zehn -, zwanzigjährigen Dauer ihrer Lei - den ziemlich vergessen haben, es ihnen auch kaum einfällt, zu glauben, daß die übrigen kleinern oder größern Abweichun - gen vom gesunden Zustande mit ihrem Hauptübel im Zusammenhange stehen könnten.

75.

Zudem sind die Kranken selbst über - haupt von so abweichender Gemüthsart, daß einige, vorzüglich die sogenannten Hypochondristen und andre sehr gefühlige und unleidliche Personen ihre Klagen in allzu grellem Lichte aufstellen und um den Arzt zur Hülfe aufzureitzen, die Beschwer - den mit überspannten Ausdrücken bezeich - nen.

76
Anm. Eine reine Erdichtung von Zufällen wird man wohl nie bei Hypochondristen, selbst bei den unleidlichsten nicht, wahr - nehmen (welches die Vergleichung ihrer zu verschiednen Zeiten geklagten Beschwer - den, während der Arzt ihnen nichts oder etwas ganz unarzneiliches eingiebt, deut - lich zeigt); nur muß man von ihren Hy - perbeln und Superlativen etwas abziehen, wenigstens die Stärke ihrer Ausdrücke auf Rechnung ihres übermäsigen Gefühls setzen in welcher Hinsicht selbst diese Hochstimmung ihrer Ausdrücke über ihre Leiden vor sich schon zum bedeutenden Symptome in der Reihe der übrigen wird, welche das Bild der Krankheit konstitui - ren. Bei Wahnsinnigen und böslichen Krankheitserdichtern ist es ein andrer Fall.
29

76.

Andre, entgegen gesetzte Personen aber halten theils aus Indolenz, theils aus misverstandner Scham, theils aus einer Art milder Gesinnung eine Menge Beschwer - den zurück, bezeichnen sie mit undeutli - chen Ausdrücken, oder geben mehrere als unbeschwerlich an.

77

77.

So gewiß man nun auch vorzüglich den Kranken über seine Beschwerden und Empfindungen zu hören und vorzüglich seinen eignen Ausdrücken, mit denen er seine Leiden auszudrücken vermag, Glau - ben beizumessen hat, weil sie in dem Munde der Angehörigen und Krankenwär - ter verändert und verfälscht zu werden pflegen; so gewiß erfordert doch auf der andern Seite bei allen Krankheiten, vor - züglich aber bei den chronischen die Erfor - schung des wahren vollständigen Bildes derselben und seiner Einzelheiten besondre Umsicht, Skepticismus, Menschenkennt - niß, Behutsamkeit im Erkundigen und Ge - dult in hohem Grade.

78.

Im Ganzen wird dem Arzte die Erkun - digung akuter, oder sonst seit kurzem ent - standener Krankheiten leichter, weil dem Kranken und Angehörigen alle Zufälle und Abweichungen von der nur unlängst ver - lornen Gesundheit noch in frischem Ge -78 dächtnisse, noch neu und auffallend ge - blieben sind. Der Arzt muß zwar auch hier alles wissen; er braucht aber weit we - niger zu erforschen man sagt ihm alles größtentheils von selbst.

79.

Bei Erforschung des Symptomeninbe - griffs der epidemischen Seuchen und spo - radischen Krankheiten ist es sehr gleichgül - tig, ob schon ehedem etwas Aehnliches un - ter diesem oder jenem Namen in der Welt vorgekommen sei, oder nicht. Die Neu - heit oder Besonderheit einer solchen Seu - che macht keinen Unterschied weder in ih - rer Erkennung, noch Heilung, da der Arzt ohnehin das reine Bild jeder gegen - wärtig herrschenden Krankheit als neu und unbekannt voraussetzen und es, vom Grunde aus, vor sich erforschen muß, wenn er ein rationeller Heilkünstler seyn will, der nie Vermuthung an die Stelle der Wahrnehmung setzen, nie einen ihm angetragenen Krankheitsfall weder ganz, noch zum Theile für bekannt annehmen79 darf, ohne ihn sorgfältig nach allen seinen Aeußerungen auszuspähen, und das hier um so mehr, da jede herrschende Seuche in vieler Hinsicht eine Erscheinung eig - ner Art ist, und sehr abweichend von allen ehemahligen Seuchen ähnlichen Namens (§. 54 57.) bei genauer Untersuchung be - funden wird wenn man die Epidemien von sich gleich bleibendem Miasm, die Pocken, Masern u. s. w. ausnimmt.

80.

Es kann wohl seyn, daß er beim er - sten Krankheitsfalle einer epidemischen Krankheit nicht gleich zum ersten Mahle das vollkommne Bild davon zu Gesichte bekömmt, da jede solche Kollektivkrank - heit erst bei genauer Beobachtung mehrerer Fälle den Inbegriff ihrer Symptomen und Zeichen an den Tag legt. Indessen kann der sorgfältig forschende Arzt schon beim ersten und zweiten Kranken dem wahren Zustande oft schon so nahe kommen, daß er ein charakteristisches Bild davon inne wird (und selbst schon dann eine passende80 Gegenkrankheitspotenz, ein angemessenes Heilmittel für sie ausfindet).

81.

Bei Aufzeichnung des Zeichenkom - plexes mehrerer Fälle dieser Art wird das entworfene Krankheitsbild immer vollstän - diger, nicht größer und wortreicher, son - dern gewöhnlich immer kleiner, aber kennt - licher und charakteristischer, die Totalität dieser Kollektivkrankheit umfassender denn dann weichen die allgewöhnlichen, nichts Besondres und Auszeichnendes an - deutenden Zufälle, z. B. Unlust, Mattig - keit, Mangel an Schlaf und Appetit, u. s. w. in den Hintergrund, und dagegen tre - ten die mehr auffallenden, besondern, we - nigstens in dieser Verbindung seltnern, wenig Krankheiten eignen Zufälle hervor und bilden das Charakteristische dieser Seuche.

Anm. Da werden dem Arzte, welcher schon in den ersten Fällen des ziemlich allgemein passenden, oder doch dem specifischen am nächsten kommenden Heilmittels gewiß81 geworden, die neuern Fälle entweder die Passendheit des zuerst (nach treuen, ob - gleich unvollständigen Krankheitsumris - sen) gewählten bestätigen oder ihn näher - hin auf das noch passendere, passendste, specifische Heilmittel hinweisen.
30

82.

Ist nun der Inbegriff der Symptomen, das Bild der Krankheit irgend einer Art ein - mahl genau aufgezeichnet, so ist auch die schwerste Arbeit geschehen. Der Heil - künstler hat es dann auf immer vor sich liegen; er kann es festhalten in allen seinen Theilen, um ein treffendes Gegenstück da - zu, eine dem gegenwärtigen Uebel treffend ähnliche, künstliche Gegenkrankheitspo - tenz aus den Symptomenreihen aller ihm bekannten Arzneien darnach aussuchen zu können; und wenn er sich während der Kur nach dem Erfolge der Arznei erkun - digt, braucht er von der ursprünglichen Gruppe der Krankheitssymptomen blos ab - zuziehen, was sich gebessert hat, oder an - zumerken, was etwa an neuen Beschwer - den hinzu gekommen ist.

F82

83.

Der zweite Punkt des rationellen Heilgeschäftes betrifft demnach die Wahl des homöopathischen Heilmittels, jener künstlichen Krankheitspotenz, durch deren Einnahme dem Kranken ein ähnli - ches Leiden (ὅμοιον πάϑος), eine künstliche Gegenkrankheit, gleichsam eingeimpft wird, welche die Krankheit, woran er leidet, durch Symptomenähnlichkeit zu überstim - men und auszulöschen (gründlich zu hei - len) fähig ist.

84.

Zu dieser Absicht müssen die einzel - nen Arzneien in ihrer ganzen Wirksamkeit als Krankheit erregende Potenzen bekannt seyn, das ist, möglichst alle die krankhaf - ten Symptomen und Körperveränderungen, die jede derselben insbesondre zu erzeugen fähig ist, müssen erst bekannt seyn, ehe man eine derselben als Gegenkrankheitspo - tenz einer natürlichen Krankheit, um sie zu heben, entgegen stellen kann.

83

85.

Giebt man, dieß zu erforschen, Arz - neien kranken Personen ein, so sieht man von ihren reinen Wirkungen wenig oder nichts, weil die von den Arzneien in Ver - änderung des Befindens des menschlichen Körpers besonders zu erwartenden Effekte, mit den Symptomen der gegenwärtigen na - türlichen Krankheit vermengt, nur undeut - lich oder gar nicht wahrgenommen werden können.

86.

Dieß zu vermeiden, war nichts natür - licher*)Schon der große Albrecht von Haller sah die Noth - wendigkeit hiervon ein (in der Vorrede zur Pharm. Helvet. S. 12.): Nempe primum in corpore sano me - dela tentanda est, sine peregrina ulla miscela; odoreque et sapore ejus exploratis, exigua illius dosis inge - renda et ad omnes, quae inde contingunt, affectio - nes, quis pulsus, qui calor, quae respiratio, quae - nam excretiones, adtendendum. Inde ad ductum phaenomenorum, in sano obviorum, tran - seas ad experimenta in corpore aegroto, ect. , als daß man die einzelnen Arz - neien versuchsweise gesunden Menschen inF 284mäsiger Menge eingab, um zu sehen, wel - che Veränderungen, Symptomen und Zei - chen ihrer Einwirkung jede besonders in der Gesundheit Leibes und der Seele rein hervorbringe, das ist, welche Krankheits - elemente sie zu erregen, geneigt sei.

87.

Da traten dann, indem ich dieß mit Standhaftigkeit unternahm, nicht wenige Potenzen künstlicher Krankheit vor meine, mit vieler Aufopferung und möglichster Aufmerksamkeit geführte Beobachtung, die nun mit bestimmlicher Gewißheit zu Erre - gung von Gegenkrankheiten gebraucht, das ist, als homöopathische Heilmittel natürli - chen Krankheiten entgegen gesetzt werden können.

88.

Es fielen zugleich mehrere Reihen von Symptomen in meine Augen die schon in älteren Nachrichten verzeichnet standen, welche Beispiele erzählten von der Schäd - lichkeit stark wirkender Substanzen, die85 von gesunden Personen in größerer Menge verschluckt worden waren.

Anm. Man ahnete nicht, daß diese Geschich - ten von Arzneikrankheiten dereinst die ersten Anfangsgründe der Arzneistoff - lehre abgeben würden, die bis hieher fast nur in Vermuthungen bestand, das ist, fast noch gar nicht existirte.
31

89.

Die Uebereinkunft meiner mit jenen äl - tern (obgleich unhinsichtlich auf Heilbehuf beschriebenen) Beobachtungen reiner Arz - neieffekte und selbst die Uebereinstimmung dieser Nachrichten mit andern dieser Art, überzeugt uns leicht, daß die Arzneistoffe bei der krankhaften Veränderung des ge - sunden menschlichen Körpers nach be - stimmten, unabänderlichen Ge - setzen wirken, daß sie gewisse, zu - verlässige Krankheitssymptomen zu erzeugen geeignet sind.

90.

Indeß nimmt man in jenen älteren Beschreibungen der oft lebensgefährlichen86 Effekte in so übermäsigen Gaben verschluck - ter Arzneien, auch Zustände wahr, die nicht Anfangs, sondern beim Ausgange solcher traurigen Ereignisse sich zeigten, und von einer, den anfänglichen ganz ent - gegen gesetzten Natur waren.

91.

Solche nachgängigen Zufälle nahm zwar auch ich Anfangs nicht selten wahr, doch weit seltner als in jenen Nach - richten vorkömmt, weil ich nicht so über - mäsige Gaben zu Versuchen anwendete. Ie kleinere Gaben ich aber nachgehends zu Versuchen dieser Art nahm, in desto klei - nerer Zahl erschienen dieselben, indeß die anfänglichen Symptomen auch bei den kleinern Gaben in gleich reichlicher Menge und mit gleicher Bestimmtheit er - schienen, wenn ich die Aufmerksamkeit bei der Beobachtung verdoppelte und alles vermied, wodurch irgend die Reinheit des Versuchs hätte vermindert werden können.

92.

Der Umstand, daß die nachgängigen, die man negative oder Sekundär -87 symptomen nennen kann, am häufig - sten bei sehr großen Gaben zum Vorschei - ne kommen und je kleiner die Gabe ist, auch in den Versuchen desto seltner wer - den, zeiget, daß die Sekundärsymptomen nur eine Art von Nachkrankheit sind, welche bei großen Gaben nach Verfluß der anfänglichen Symptomen (positiven oder Primärsymptomen), entsteht; eine Art gegenseitiger Zustand nach dem gewöhnlichen Vorgange im Leben, in welchem alles in Wechselzuständen vorzu - gehen scheint.

Anm. So wie auf allzu große Lustigkeit Trau - rigkeit auf Leibesverstopfung Durch - fall, auf Durchfall Verstopfung, auf Schlaf Munterkeit, auf Frost Hitze und umgekehrt zu folgen pflegt.
32

93.

Von jeder kräftigen Arznei zeigt sich eine ansehnliche Zahl Symptomen man - cherlei Art, ganze Reihen von Zufällen und Krankheitszeichen, welche sämtlich Pri - märsymptomen sind, wenn die Versuchs - gabe nicht heftig war. Die Haupteffek -88 te der Arzneien, als künstlicher Krank - heitspotenzen, sind jene häufigern Primär - symptomen.

94.

Unter diesen giebt es nicht wenige, welche andern, bald vorher erschienenen, bald nachher erscheinenden Symptomen zum Theil, oder in Absicht gewisser Ne - benumstände entgegen gesetzt sind, des - wegen aber nicht zu den Sekundärsympto - men oder zur Nachkrankheit der Arzneiwir - kung gehören, sondern nur den Wechsel - zustand der verschiednen Wirkungsparo - xysmen positiver (primärer) Art bilden.

95.

Einige Symptomen bringen die Arz - neien öfterer, andre seltner, und einige sehr selten bei ihrer Anwendung am gesun - den menschlichen Körper zum Vorscheine. Die sonderlichsten und die am öftersten von ihnen erzeugten Symptomen sind die vorzüglichsten.

89
Anm. Idiosynkrasien sind oft nichts als sol - che zwar selten vorkommende, aber reine, auffallende Arzneieffekte auf Personen, welche obgleich gesund, doch für die Ein - wirkung dieser besondern Substanzen vor - zügliche Empfänglichkeit besitzen; so wie einige Sumach-Arten bei der Berührung nur einigen wenigen Personen gewisse Hautausschläge, und die Flußkrebse nach dem Genusse nur bei einigen Wenigen eine Art Rothlauf und Blasenfieber zuwege brin - gen (obgleich beide die beständige Ten - denz zu diesen Aeußerungen unter allen Umständen behalten), und so wie selbst nur einige Individuen von Pferden und Kühen vom Genusse der Taxusblätter plötzlich getödet werden, indeß die übri - gen nur wenig davon leiden.
33

96.

Iede Arznei zeigt besondre Effekte, welche sich von keinem andern Arznei - stoffe verschiedner Art genau so ereignen.

97.

So gewiß jede Pflanzenart in ihrer äu - ßern Gestalt, in der eignen Weise ihres90 Lebens, und Wuchses, in ihrem Ge - schmacke und in ihrem Geruche von je - der andern Pflanzen-Art und Gattung, so gewiß jedes Mineral, jedes Salz in seinen äußern sowohl, als innern physischen und chemischen Eigenschaften (wodurch allein oft schon alle Verwechslung unmöglich gemacht wird) verschieden ist, so gewiß sind sie alle unter sich, in ihren krank - machenden (also auch heilenden) Wirkun - gen verschieden. Iede dieser Substanzen wirkt daher auf eine eigne, verschiedne, doch bestimmte Weise die alle Verwech - selung verbietet Abänderungen des Ge - sundheitszustandes und des Befindens der Menschen.

Anm. Wer die so sonderbar abweichenden Effekte jeder einzelnen Substanz von denen jeder andern genau kennt und zu würdigen versteht, der sieht auch leicht ein, daß es unter ihnen, in arzneilicher Hinsicht, kei - ne gleichbedeutenden Mittel, keine Sur - rogate geben kann. Blos wer die verschied - nen Arzneien in ihren reinen positiven Wirkungen nicht kennt, kann sich solche Verwechselungen zu Schulden kommen lassen. So wurden die Mineralien, in de -91 nen die neue, sorgfältigere Chemie ganz eigne, höchst verschiedne neue Metalle entdeckt hat, nur für gleichgültige Steine und Erden von unsern unwissenden Vor - fahren gehalten; so verwechseln Kinder die wesentlich verschiedensten Dinge, weil sie sie kaum dem Aeußern nach, und nicht nach ihrem Werthe, nicht nach ihren in - nern, höchst abweichenden Eigenschaften kennen.
34

98.

Die Substanzen des Thier - und Pflan - zenreiches sind in ihrem rohen Zustande am arzneilichsten.

Anm. Diejenigen Pflanzen und Thiere, derer wir uns zu Nahrungsmitteln bedienen, haben den Vorzug einer größern Menge Nahrungstheile vor den übrigen, und wei - chen darinn von den andern ab, daß die Arzneikräfte ihres rohen Zustandes theils nicht sehr heftig, theils, wenn sie auch heftig sind, durchs Trocknen (wie bei der Aron - und Päonienwurzel), durch Aus - pressen des schädlichen Saftes (wie bei der Kassave), durch Gähren (saure Gurken), durch Räuchern, und durch die Gewalt der Hitze (beim Rösten, Braten, Backen,92 Kochen) zerstört und verflüchtigt, oder durch den Zusatz des Kochsalzes, des Zu - ckers, vorzüglich aber des Essigs (in Sau - cen und Salaten) antidotisch unschädlicher gemacht werden. Ia selbst die arzneilich - sten Pflanzen verlieren ihre Arzneikraft zum Theil, oder ganz durch solche Ope - rationen. Der Saft der heroischen Pflan - zen wird durch die Hitze der gewöhnlichen Extraktbereitung oft zur ganz unkräftigen pechartigen Masse. Der ausgepreßte Saft der tödlichsten Pflanzen in ihrem frischen Zustande (denn wenn sie grün übereinan - der liegend, wie man sagt, geschwitzet haben, so ist durch innere Gährung schon ein großer Theil der Arzneikraft verloren), darf nur Einen Tag an einem temperirten Orte stehen, so ist er in volle Weingäh - rung übergegangen, und hat schon viele seiner Arzneikräfte eingebüßt; steht er aber noch einen oder zwei Tage, so ist die Essiggährung vollendet und alle specifische Arzneikraft ist verschwunden; das Satzmehl ist dann völlig unschädlich, der Weizenstärke gleich.
35

99.

Um die Effekte der Arzneien auszu - spähen, muß man wissen, daß die star -93 ken, so genannten heroischen Arzneien schon in geringer Gabe ihre Wirkung bei gesunden, selbst starken Personen zeigen. Die von schwächerer Kraft müssen zu die - sen Versuchen in ansehnlicherer Gabe ge - reicht werden, die schwächsten Arzneien aber können, damit man ihre absolute Wirkung wahrnehme, blos bei solchen von Krankheit freien Personen versucht werden, welche zärtlich, reitzbar und em - pfindlich sind.

100.

Der hiezu aufgelegte, beobachtende Arzt darf keine Arzneien zu solchen Ver - suchen, von denen das Wohl ganzer Men - schengenerationen abhängt, nehmen, als solche, die er genau kennt und von de - ren Aechtheit und Vollkräftigkeit er gänz - lich überzeugt ist.

101.

Iede dieser Arzneien muß in ganz ein - facher, ungekünstelter Form, in Pulver, oder als blos mit Weingeist verfertigte94 Tinktur, die Salze und Gummen in wäs - seriger Auflösung eingegeben werden, um ihre eigenthümlichen Wirkungen zu erfor - schen. Da aber der wässerige Aufguß der Gewächse und die frischen Kräuter - säfte sich schon binnen wenigen Stunden durch Gährung zersetzen, so müssen bei - de gleich nach ihrer Verfertigung ohne Zeitverlust eingegeben werden, wenn man die Gährung nicht durch Zusatz von et - was Weingeist verzögern oder durch eine stärkere Menge desselben ganz beseitigen will.

102.

Ieden Arzneistoff muß man zu dieser Absicht ganz allein, ganz rein anwenden, ohne irgend eine fremdartige Substanz zu - zumischen, oder dergleichen zu derselben Zeit, oder kurz vorher oder nachher zu brauchen.

103.

Man giebt dem zum Versuche be - stimmten, gesunden Menschen, während95 er nüchtern ist, ungefähr eine solche Gabe ein, als man in der gewöhnlichen Praxis gegen Krankheiten zu brauchen pfleget, am besten in Auflösung, und läßt die Per - son noch mehrere Stunden nüchtern. Sie muß mit gutem Willen auf sich genau Acht haben und dabei ungestört seyn.

104.

Will man die Effekte dieser einzelnen Gabe (wie am besten) mehrere Tage lang beobachten, so muß die Diät recht - ßig eingerichtet werden, möglichst ohne Gewürze, von blos nährender, einfacher Art, so daß die grünen Zugemüße und frischen Wurzeln (welche immer einige störende Arzneikraft auch bei aller Zube - reitung behalten) vermieden werden. Die Getränke sollen die alltäglichen seyn, so wenig als möglich reitzend.

105.

Die Person muß sich vor Excessen aller Art, auch in Leidenschaften hüten.

96

106.

Wäre auf die erste Gabe gar nichts erfolgt, wenigstens nichts Deutliches, Be - stimmbares, so wird eine zweite, doppelt stärkere den zweiten Tag, und wenn auch diese der Absicht noch nicht entspräche, allenfalls eine noch stärkere am dritten Tage, ihre Wirkung schon zu erkennen geben.

107.

Diese Wiederholung wird jedoch sel - ten nöthig seyn, wenn die Versuchsper - son und der Arzt gleich aufmerksam sind; so wie es auch weit sichrer ist, um ei - nen reinen Erfolg, wenigstens in Hinsicht der Succession der Symptome auf einander, zu sehen, wenn bei einer Person nur mit einer einzigen Gabe der Versuch angestellt wird, und erst nach Wochen vielleicht mit einer zweiten Gabe derselben, oder besser, nach geraumer Zeit, mit einer einzel - nen Gabe einer andern Arzneisubstanz.

108.

So erfährt man die Aufeinanderfolge der Arzneisymptomen genauer, als wenn97 bald nach der erstern, wieder eine zweite Gabe derselben Arznei gegeben wird; auch läßt sich bei Anwendung einer einzigen Ga - be die Dauer der Wirkungszeit einer Arznei im menschlichen Körper gewisser, als auf irgend eine andre Art, beobachten.

109.

Wo man aber noch ohne Rücksicht auf Wirkungsdauer, und Succession blos die Symptomen vor sich, besonders einer schwachkräftigen Arznei erforschen will; da ist die Veranstaltung vorzuziehen, daß man jeden Tag eine erhöhete Gabe, auch wohl des Tages mehrmahls eine solche rei - che. Dann wird der Effekt auch der mil - desten, noch unbekannten Arznei an den Tag kommen.

110.

Nicht alle einer Arznei eignen Symp - tomen kommen schon bei Einer zum Ver - suche gewählten Person, auch nicht alle sogleich, oder denselben Tag zum Vor - scheine, sondern bei der einen Person die -G98se, bei der andern jene vorzugsweise, doch so, daß vielleicht bei einer vierten oder zehnten Person wieder einige oder mehrere von denen Zufällen, welche schon etwa bei der zweiten oder sechsten, sie - benten Person sichtbar geworden, sich hervorthun; auch erscheinen sie nicht ge - nau zu derselben Stunde wieder.

111.

Der Inbegriff aller Krankheitselemen - te, die eine Arznei hervorzubringen ver - mag, wird erst in vielfachen, an vielen dazu tauglichen Personen angestellten Beobachtungen der Vollständigkeit nahe gebracht.

112.

Ie kleiner, bis zu einer gewissen Ma - se, die Gaben einer zu solchen Versuchen bestimmten Arznei sind indeß man nur die Beobachtung durch die Wahl ei - ner auf sich aufmerksamen, empfindli - chen, in jeder Rücksicht gemäsigten Per - son, so wie durch die gespannteste Auf -99 merksamkeit zu erleichtern sich bestrebt desto deutlicher kommen fast blos die Pri - märsymptomen, als die wissenswürdig - sten hervor, und die Sekundärsymptomen bleiben zurück.

113.

Bei übermäsig großen Gaben spielen nicht nur die Sekundärsymptomen eine große Rolle mit, sondern die Primärsymp - tomen treten dann auch in so verwirrter Eile und so stürmisch auf, daß sich nichts genau beobachten läßt; der Gefahr der - selben nicht zu gedenken, die dem, wel - cher Achtung gegen die Menschheit hat, und auch den geringsten im Volke für sei - nen Bruder schätzt, nicht gleichgültig seyn kann.

114.

Die gewählten Personen müssen ihre Empfindung bestimmt und deutlich aus - zudrücken fähig seyn.

G 2100

115.

Bei Erkundigung dieser Arzneisymp - tomen muß alle Suggestion, eben so sorg - fältig vermieden werden, als nur irgend bei Erforschung der Symptomen der Krank - heiten. Es muß größtentheils nur frei - willige Erzählung der zum Versuche ge - nommenen Person seyn nichts Erra - thenes, nichts Vermuthetes, und so wenig als möglich Ausgefragtes, was man als wahren Befund niederschreiben will; am wenigsten aber Ausdrücke von Empfin - dungen, die man der Versuchsperson vor - her schon in den Mund gelegt hatte, oder worauf sie blos[Ja], oder Nein antworten könnte.

116.

Hier dient, um diese wichtigen Aus - sagen möglichst zur Wahrheit zu erhe - ben, noch der Rath, sich die schon nie - dergeschriebnen Zufälle und Empfindun - gen von der zum Versuche dienenden Per - son zulezt nochmals wiederholen zu las - sen, um das, worin sie auf einerlei Rede101 bleibt, als bestimmt anzuzeichnen, wo es aber Varianten giebt, sie ihr vorzuhalten, damit sie den der Wahrheit angemesse - nern Ausdruck vorziehen und nochmals bestätigen könne und das Bild der von ihr empfundenen Arzneikrankheit wahr, rein und treffend werde. Der beobach - tende Arzt setzt hiezu die Veränderungen, die er selbst an der Versuchsperson offen - bar wahrnimmt.

117.

Die deutlichern, und auffallendern Zu - fälle werden, mit Bemerkung der nach der Gabe verflossenen Stunden, der Ta - geszeit, ihrer Dauer und aller vorgefalle - nen Nebenumstände in dem Verzeichnisse aufgeschrieben; die öfterer auf gleiche Art beobachteten werden als die bestätigtern durch Vorzugsmerkmahle ausgezeichnet, die zweideutigen aber mit Zeichen des Zweifels belegt oder in Klammern einge - schlossen, bis auch sie vielleicht, nach öfterer Bestätigung, dieser Zweideutigkeit wieder entledigt werden.

102

118.

Die Versuche des fein beobachtenden, vorurtheillosen Arztes mit Arzneien an sich selbst bleiben die wichtigsten.

119.

Wie man aber selbst in Krankheiten, besonders in den chronischen, unter den Symptomen der ursprünglichen Krankheit die Symptomen der Arznei ausfinden kön - ne, ist ein Gegenstand höherer Kunst und blos Meistern in der Beobachtung zu überlassen.

120.

Hat man nun eine ansehnliche Reihe Arzneien in gesunden Menschen so ge - probt und alle die Krankheitselemente und Symptomen sorgfältig und treu aufgezeich - net, die sie vor sich als künstliche Krank - heitspotenzen zu erzeugen fähig sind, so hat man eine Materia medica eine Sammlung der wahren, positiven Wir - kungsarten der einfachen Arzneistoffe vor103 sich, einen Kodex der Natur, worin von jeder so erforschten, kräftigen Arznei eine ansehnliche Reihe besonderer Symptomen und Krankheitselemente, wie sie sich der Aufmerksamkeit des Beobachters zu Tage legten, aufgezeichnet stehen, in denen die Elemente mehrerer natürlichen, dereinst durch sie zu heilenden Krankheiten in Aehnlichkeit vorhanden sind.

121.

In einer solchen Arzneimittellehre sei nichts Vermuthetes, Behauptetes, Erdach - tes, Fingirtes, sondern alles reine Sprache der befragten Natur.

122.

Freilich kann nur ein ansehnlicher Vorrath genau nach dieser ihrer positiven Wirkungsart gekannter Arzneimittel uns in den Stand setzen, für jeden der unend - lich vielen natürlichen Krankheitsfälle ein homöopathisches Heilmittel (ein vollstän - diges Analogon von Gegenkrankheitspo - tenz) auszufinden.

104
Anm. Wenn statt eines Einzigen, wie bisher, Tausende von genauen und zuverlässigen Beobachtern sich mit Erforschung dieser ersten Elemente einer rationel - len Arzneistoff-Lehre beschäftigt haben werden; was wird dann nicht erst im ganzen Umfange des unendlichen Krank - heits-Gebietes ausgerichtet werden kön - nen! Dann wird das Heilgeschäft nicht mehr als grundlose Vermuthungskunst (ars conjecturalis) verspottet werden können.
36

123.

Indessen bleiben auch jezt Dank sei’s der Vielheit von Symptomen und dem Reichthume an Krankheitselementen, wel - che jede der kräftigen Arzneisubstanzen, in ihrer positiven Wirkung am gesunden Körper, schon aufgewiesen hat doch nur wenige Krankheitsfälle übrig, für wel - che, selbst aus diesem geringen Vorrathe*)Fragmenta de viribus medicaminum po - sitivis, sive in sane corpore humano ob - servatis, P. I. II. Lips. Barth. 8. 1805. Etwas seitdem Vervollständigteres wird vielleicht noch von mir erscheinen.,105 sich nicht ein erträgliches Analogon von Gegenkrankheitspotenz (ein Heilmittel) auf - finden lassen sollte, was, ohne sonderliche Beschwerde, Gesundheit sanft, schnell und dauerhaft wiederbringt wegen einge - schränkter Wahl zwar noch unvollkomme - ne Hülfsmittel, wodurch aber unglaublich mehr und besser geheilt wird, als nach der sogenannten allgemeinen Methode, oder als nach allen irrationellen, paralogen, nicht homöopathischen Methoden.

124.

In welcher Symptomenreihe einer un - ter den so, nach ihrer positiven Wirkungs - art durch Beobachtung am gesunden Kör - per befragten Arzneien man nun das meiste Aehnliche von dem Symptomenkomplexe einer gegebnen natürlichen Krankheit an - trifft, das wird, das muß die passendste Gegenkrankheit zur Vertreibung und Aus - löschung jener natürlichen Krankheit seyn; das passendste, specifische Heilmittel ist in dieser Arznei gefunden.

106

125.

Ist nun so die Gegenkrankheits-Po - tenz (Arznei) völlig passend nach der Symptomenähnlichkeit, das ist, homöopa - thisch ausgesucht worden, und wird sie gehörig angewendet, so vergeht die zu be - zwingende natürliche, auch noch so schlim - me, mit noch so viel Zufällen beladene Krankheit, wenn sie unlängst entstanden war, unvermerkt in einigen Stunden wenn sie älter war, in einigen wenigen Tagen und man wird von den krankhaften Symptomen der Arznei, das ist von der künstlichen Gegenkrankheit fast nichts ge - wahr; es erfolgt in schnellen, unbemerk - lichen Uebergängen, nichts als Gesundheit, die natürliche und die Gegenkrankheit ver - löschen schnell beide zusammen, ohne be - merkbare Reaktion, ganz in der Stille eine wahre dynamische Vernichtung.

125.

Hier kömmt es nun auf den dritten Punkt der rationellen Heilkunde, auf die107 gehörige Anwendung des homöopathi - schen Heilmittels in Krankheiten an.

127.

Werden dem Arzte ein oder ein Paar geringfügige Zufälle geklagt, welche seit kurzem erst bemerkt wurden, so hat er dieß für keine vollständige Krankheit an - zusehen, welche arzneilicher Hülfe bedürf - te. Eine kleine Abänderung in der Diät und Lebensordnung reicht gewöhnlich hin, sie zu verwischen. Sind es aber ein Paar heftige Beschwerden, die der Kranke klagt, so findet der forschende Arzt gewöhnlich noch nebenbei mehrere, obschon kleinere Zufälle, welche ein vollständiges Bild von der Krankheit geben, wie es gemeiniglich in chronischen Uebeln statt findet; wovon weiter unten.

128.

Ie schlimmer eine Krankheit ist, aus desto mehrern, aus desto auffallendern Symptomen ist sie dann gewöhnlich zu - sammen gesetzt; um desto gewisser läßt108 sich aber auch ein passendes Heilmittel für sie auffinden, wenn eine hinreichende Zahl nach ihrer positiven Wirkung ge - kannter Arzneien vorhanden ist. Unter den Symptomenreihen vieler Arzneien läßt sich nicht schwierig eine finden, aus deren einzelnen Krankheitselementen sich ein dem Symptomenkomplexe der natür - lichen Krankheit sehr ähnliches Gegenbild, eine passende Gegenkrankheitspotenz zu - sammensetzen läßt; und diese ist dann das gesuchte Heilmittel.

129.

Bei dieser Aufsuchung eines homöo - pathisch specifischen Heilmittels, das ist, bei dieser Gegeneinander-Haltung des Zei - cheninbegriffs der natürlichen Krankheit gegen die Symptomenreihen der vorhand - nen Arzneien sind die auffallendern, sonderlichen, charakteristischen Zeichen der erstern vorzüglich fest ins Au - ge zu fassen; denn vorzüglich diesen müssen sehr ähnliche in den Krankheitsele - menten der Symptomenreihen der gesuch -109 ten Arznei entsprechen, wenn sie die pas - sendste zur Heilung seyn soll während die allgemeinern Zeichen: Anorexie, Mat - tigkeit, Unbehaglichkeit, gestörter Schlaf, u. s. w. in dieser Allgemeinheit, und wenn sie nicht näher bezeichnet sind, weit weniger Aufmerksamkeit verdienen, weil sie wie in den meisten natürlichen Krankheiten, so auch in den Symptomen - reihen der meisten Arzneien angetroffen werden.

130.

Enthält nun das aus der Symptomen - reihe der treffendsten Arznei zusammen ge - sezte Gegenbild jene in der zu heilenden Krankheit anzutreffenden charakteristi - schen Zeichen in der größten Zahl und in der größten Aehnlichkeit, so ist diese Arznei für diesen Krankheitszustand die passendste künstliche Gegenkrankheitspo - tenz, das specifische Heilmittel; die Krank - heit wird (oft schon durch die erste Gabe desselben während der Wirkungsdauer die - ser Arznei) ohne Beschwerde gehoben und ausgelöscht.

110

131.

Ich sage ohne Beschwerde. Denn beim Gebrauche dieser passendsten Gegen - krankheitspotenz sind blos die, den Krank - heitssymptomen entsprechenden Arznei - symptomen in Wirksamkeit (indem leztere die erstern vernichten); die, oft sehr vie - len, übrigen Symptomen in der Sympto - menreihe der passenden Arznei aber, wel - che in dem vorliegenden Krankheitszu - stande keine Anwendung finden, schwei - gen dabei gänzlich; es läßt sich faßt nichts von ihnen in dem Befinden des sich stündlich bessernden Kranken bemerken , vermuthlich weil sich die ganze Kraft des specifischen Heilmittels auf seine der Krankheit ähnlichen Symptome koncentrirt, und seine ganze Kraft im Vernichten die - ser ähnlichen Symptomen erschöpft.

Anm. Indessen giebt es kein, auch noch so passend gewähltes, homöopathisches Arz - neimittel, welches nicht Eine, wenigstens ganz kleine, ungewohnte Beschwerde, ein kleines neues Symptom während seiner Wirkungsdauer bei sehr reitzbaren und feinfühlenden Kranken erregen sollte;111 weil es fast unmöglich ist, daß Arznei und Krankheit in ihren Symptomen ein - ander so genau decken sollten, wie zwei Triangel von gleichen Winkeln und glei - chen Seiten. Aber diese (in gutem Falle) unbedeutende Aberration wird von der eignen Energie des lebenden Organisms mehr als zulänglich ausgeglichen, und Kranken von nicht übermäsiger Zartheit nicht einmahl bemerkbar; die Herstellung geht dennoch vorwärts, wenn sie nicht durch Fehler in der Lebensordnung oder durch Leidenschaften gehindert wird.
37

132.

So gewiß es aber auch ist, daß ein pas - send homöopathisches Heilmittel ohne Lautwerdung seiner übrigen, ihm eignen Symptomen, das ist, ohne Erregung neuer bedeutender Beschwerden die ihm analoge Krankheit ruhig aufhebt und vernichtet, so pflegt es doch gleich nach der Einnah - me (in der ersten, oder in den ersten Paar Stunden) eine Art kleiner Verschlimme - rung zu bewirken, welche so viel Aehn - lichkeit mit der ursprünglichen Krankheit hat, daß sie dem Kranken eine Verschlim -112 merung der Krankheit selbst zu seyn deuchtet, aber nichts andres ist, als die, die ursprüngliche Krankheit etwas an Stär - ke übertreffende, höchst ähnliche Arznei - krankheit. Diese kleine homöopathi - sche Verschlimmerung in den ersten Stunden (eine sehr gute Vorbedeutung, daß die akute Krankheit meistens von der ersten Gabe beendigt seyn wird) ist ganz in der Regel, da die Arzneikrankheit na - türlich um etwas stärker seyn muß, als das zu heilende Uebel, wenn sie lezteres überstimmen und auslöschen soll, so wie auch eine analoge Krankheit die andre nur wenn sie stärker als die andre ist, aufhe - ben und vernichten kann (§. 28). Ie klei - ner die Gabe des homöopathischen Mittels, desto kleiner diese anscheinende Krank - heitserhöhung in der ersten Stunde. Da man jedoch die Gabe eines homöopathi - schen Heilmittels kaum je so klein berei - ten kann, daß sie nicht die ihr analoge Krankheit überstimmen und bessern, ja völ - lig heilen und vernichten könnte (§. 244.), so wird es begreiflich, warum auch die kleinstmögliche Gabe passend homöopa -113 thischer Arznei immer noch in der ersten Stunde nach der Einnahme eine, obgleich sehr kleine homöopathische Verschlimme - rung dieser Art zuwege bringt.

Anm. Diese, einer Verschlimmerung ähnliche Erhöhung der Arzneisymptomen über die ihr analogen Krankheitssymptomen haben auch andre Aerzte, wo sie ein homöopathi - sches Mittel anwendeten, beobachtet. Den Gesichtsausschlag, den die viola tricolor heilete, hatte sie beim Anfange ihres Ge - brauchs verschlimmert (Leroy, Heilk. für Mütter, S. 406.)
38

133.

Zuweilen findet sichs bei der noch eingeschränkten Zahl genau nach ihrer positiven Wirkung gekann - ter Arzneien, daß von den Sympto - men der zu heilenden Krankheit nur ein mehr oder weniger großer Theil in der Symptomenreihe einer der noch am besten passenden Arzneien angetroffen wird, folg - lich diese unvollkommne Gegenkrankheits - potenz in Ermangelung einer vollkomm - nern angewendet werden muß.

H114

134.

In diesem Falle läßt sich freilich von dieser Arznei keine vollständige, unbe - schwerliche Heilung erwarten. Vielmehr treten da bei ihrem Gebrauche mehrere Zufälle am Kranken hervor, welche vor - her in der Krankheit nicht zu finden wa - ren. Diese hindern zwar nicht, daß ein beträchtlicher Theil des Uebels von dieser Arznei getilgt werde, und dadurch ein ziemlicher Anfang der Heilung entstehe, aber doch nicht ohne jene Nebenbeschwer - den.

135.

Die geringe Zahl bei der nach bester Einsicht gewählten Arznei anzutreffender homöopathischer Symptome thut jedoch der Heilung wenig oder keinen Eintrag, wenn diese wenigen Symptomen größtentheils von charakteristi - scher, die Krankheit besonders auszeichnender Art waren; sie er - folgt dann dennoch bald und ziemlich un - beschwerlich.

115

136.

Ist aber von den auszeichnenden, cha - rakteristischen Symptomen der Krankheit wenig in der Symptomenreihe der gewähl - ten Arznei vorhanden und entspricht sie der Krankheit meistens nur in den allgemei - nen Krankheitszufällen (Uebelkeit, Mattig - keit, gestörter Schlaf, Unbehaglichkeit, u. s. w.) und findet sich keine homöopa - thisch passendere unter den gekannten Ge - genkrankheitspotenzen, so hat der Heil - künstler sich keinen unmittelbar vortheil - haften Erfolg von ihrer Anwendung zu ver - sprechen.

137.

Indessen ist dieser Fall auch bei der jezt noch so beschränkten Zahl nach ih - ren positiven Wirkungen gekannter Heil - mittel selten, und seine Nachtheile min - dern sich, sobald ein folgendes Heilmit - tel passender gewählt werden kann.

138.

Entstehen nämlich beim Gebrauche dieser zuerst gewählten unvollkommen ho -H 2116möopathischen Arznei Nebenbeschwerden von einiger Bedeutung, so läßt man diese erste Gabe nicht völlig auswirken, und überläßt den Kranken nicht der vollen Wirkungsdauer des Medicaments, sondern untersucht den geänderten Krankheitszu - stand aufs Neue, das ist, den Rest der ursprünglichen Symptomen bringt man mit den neu entstandnen zusammen in Verbindung, um ein neues Krankheitsbild zu entwerfen.

139.

Nun wird man leichter ein diesem entsprechendes Analogon aus den gekann - ten Arzneien ausfinden, dessen selbst ein - mahliger Gebrauch die Krankheit wo nicht gänzlich vernichten, doch der Heilung um Vieles näher bringen wird. Und so fährt man, wenn auch diese Arznei zur Her - stellung der Gesundheit nicht völlig hin - reichen sollte, mit abermahliger Untersu - chung des noch übrigen Krankheitszustan - des und der Wahl einer darauf möglichst passenden, neuen homöopathischen Ge -117 genkrankheitspotenz fort, bis die Absicht, den Kranken in den vollen Besitz der Ge - sundheit zu setzen, erreicht ist.

140.

Wenn man bei der ersten Untersu - chung einer Krankheit und der ersten Wahl der Arznei finden sollte, daß der Sympto - meninbegriff der Krankheit nicht zurei - chend von den Krankheitselementen einer einzigen Arznei gedeckt werde eben der unzureichenden Zahl gekannter Arz - neien wegen ; daß aber zwei Arzneien um den Vorzug ihrer Paßlichkeit streiten, so daß für den einen Theil des Sympto - menkomplexes mehr die eine, für den an - dern Theil aber die zweite passend sei, so läßt sich weder anrathen, die eine Arznei unbesehens nach der andern zu brauchen, noch auch beide zugleich anzuwenden, weil niemand voraussehen kann, wie sehr die eine die andre in der Wirkung hin - dern und umstimmen würde (§. 235. 236).

141.

Weit besser ist es hier, die für vor - züglicher unter beiden zu achtende Gegen -118 krankheitspotenz zuerst allein zu geben. Sie wird freilich die Krankheit zum Theil mindern können, aber dagegen einen Zu - satz neuer Symptomen hervorbringen.

142.

In diesem Falle kann nach den Ge - setzen der Homöopathie keine zweite Gabe dieser ersten Arznei gereicht werden; aber auch die bei der anfänglichen Indikation für die zweite Hälfte der Symptomen pas - send gefundne Arznei kann hier nicht un - besehens an ihrer Stelle, und ohne wei - tere Untersuchung in dem Zustande ange - wendet werden, den die erstere Arznei übrig gelassen hat.

143.

Vielmehr muß auch hier, wie über - all, wo eine Aenderung des Krankheits - zustandes vorgegangen ist, der gegenwär - tige, noch übrige Symptomenkomplex aufs neue ausgemittelt, und ohne Rücksicht auf die anfänglich passend geschienene zweite Arznei, eine dem neuen jetzigen119 Zustande möglichst angemessene Gegen - krankheitspotenz von Neuem ausgewählet werden.

144.

Es trifft sich nicht oft, daß die an - fänglich als zweit-beste projektirte Arznei nun noch passen sollte; fände sich dieß aber gleichwohl nach der neuen Untersu - chung, daß sie auch jezt noch wenigstens eben so gut, als irgend eine andre Arznei paßte, so wird sie um desto mehr das Zu - trauen verdienen, vorzugsweise angewen - det zu werden.

145.

Nur in einigen Fällen alter, keiner sonderlichen Veränderung unterworfener, chronischer Krankheiten, welche gewisse feststehende Grundsymptomen haben, las - sen sich zuweilen zwei fast gleich homöopa - thisch passende Heilmittel mit Erfolg ab - wechselnd brauchen; so lange der Vorrath der in ihrer positiven Wirkung am gesunden Körper geprüften Arzneien keine ganz voll -120 kommene Gegenkrankheitspotenz darreicht, in deren Symptomenreihe die Gruppe von Zufällen des chronischen Uebels völlig oder fast völlig anzutreffen ist, die ihr dann al - lein Genüge leistet, und sie schnell und dauerhaft heilt, ohne Beschwerde.

146.

Eine ähnliche Schwierigkeit im Heilen entsteht von der allzu ge - ringen Zahl der Krankheitssympto - me , ein Umstand, der unsre sorgfälti - ge Beachtung verdient, da durch seine Be - seitigung fast alle Schwierigkeiten, die die Heilkunde (außer dem Mangel homöopa - thisch gekannter Arzneien) nur darbietet, gehoben sind.

147.

Blos diejenigen Krankheiten scheinen nur wenige Symptomen zu haben, und deshalb Heilung schwieriger anzunehmen, welche man einseitige nennen kann, weil nur ein, oder ein Paar Hauptsympto - me hervorstechen, welche fast den ganzen121 Rest der übrigen Zufälle verdunkeln. Sie gehören größtentheils zu den chronischen.

148.

Ihr Hauptsymptom kann entweder ein inneres Leiden (z. B. ein vieljähriges Kopf - weh, ein vieljähriger Durchfall, eine viel - jährige Kardialgie, u. s. w.) oder ein mehr äußeres Leiden seyn. Letztere pflegt man vorzugsweise Lokalkrankheiten zu nennen.

149.

Bei den einseitigen Krankheiten erste - rer Art liegt es oft blos an der Unaufmerk - samkeit des ärztlichen Beobachters, wenn er die Zufälle, welche zur Vervollständi - gung des Umrisses der Krankheitsgestalt vorhanden sind, nicht vollzählig auf - spürt.

150.

Indeß giebt es doch einige wenige Uebel, welche, nach aller anfänglichen Forschung (§. 63 81. §. 178 182.), außer einem Paar starker heftiger Zufälle,122 die übrigen nur undeutlich bemerken las - sen.

151.

Um nun auch diesem, obgleich sehr seltnen Falle mit Glück zu begegnen wählt man zuerst, nach Anleitung dieser wenigen Symptomen, die hierauf nach be - stem Ermessen ausgesuchte Gegenkrank - heitspotenz.

152.

Es wird sich zwar wohl zuweilen tref - fen, daß diese mit sorgfältiger Beobach - tung des homöopathischen Gesetzes ge - wählte Arznei auch wirklich die passende Gegenkrankheit zur Vernichtung des ge - genwärtigen Uebels darreiche, welches um desto eher möglich war, wenn diese weni - gen Krankheitssymptomen sehr auffallend, besonders und charakteristisch sind.

153.

Im häufigern Falle aber kann die hier zuerst gewählte Arznei nur zum Theil, das123 ist, nicht genau passen, da kein Komplex von mehrern Zeichen zur treffenden Wahl leitete.

154.

Da wird nun die zwar so gut wie möglich gewählte, aber dennoch nur un - vollkommen homöopathische Arznei bei ihrer Gegenwirkung gegen die ihr nur zum Theil analoge Krankheit (eben so wie in obigem Falle, wo die Armuth an Gegen - krankheitspotenzen die Wahl unvollstän - dig ließ) Nebenbeschwerden erregen, und mehrere Zufälle aus ihrer eignen Sympto - menreihe in das Befinden des Kranken ein - mischen, die zugleich bisher noch nicht ge - fühlte Beschwerden der Krankheit selbst sind; es werden Zufälle sich entdecken, oder sich in höherm Grade entwickeln, die der Kranke vorher gar nicht, oder nicht deutlich wahrgenommen hatte.

155.

Man werfe nicht ein, daß die jezt erschienenen Nebenbeschwerden und neuen124 Symptomen in dieser Krankheit auf Rech - nung des eben gebrauchten Arzneimittels kämen. Sie kommen von ihm*)Wenn nicht der nahe unvermeidliche Todeskampf sie erregte, wenn keine wichtigen Fehler in der Lebensordnung, keine Ausbrüche heftiger Leiden - schaften sie erzeugten, oder keine stürmische Evo - lution des Organismus durch Ausbruch oder Ab - schied der Monatszeit, Empfängniß, Niederkunft, u. s. w. dazwischen getreten sind.; es sind aber doch immer nur solche Symptomen, zu deren Erscheinung diese Krankheit und in diesem Körper auch vor sich schon fähig war, und welche von der ge - brauchten Arznei als Selbsterzeugerin ähnlicher blos hervorgelockt und zu erscheinen bewogen wurden. Man hat, mit einem Worte, den ganzen jezt sicht - bar gewordnen Symptomenkomplex für den der Krankheit selbst zugehörigen, für den gegenwärtigen wahren Zustand anzuneh - men und hienach ferner zu behandeln.

156.

So leistet die hier fast unvermeidlich unvollkommne Wahl des Arzneimittels125 dennoch den Dienst einer Vervollständi - gung des Symptomenkomplexes und er - leichtert so die Ausfindung einer zwei - ten treffendern, homöopathischen Gegen - krankheitspotenz.

157.

Es muß also nach vollbrachter Wir - kung der einzelnen Gabe der ersten Arz - nei (wenn die neu entstandnen Beschwerden ihrer Heftigkeit wegen nicht eine schleuni - gere Hülfe heischen) wieder ein neuer Be - fund der Krankheit aufgenommen, es muß der status morbi, wie er jezt ist, aufge - zeichnet, und nach ihm ein zweites ho - möopathisches Mittel gewählt werden, was gerade auf den heutigen, auf den jetzi - gen Zustand passet; welches nun um desto angemessener gefunden werden kann, da die Gruppe der Symptomen zahlreicher und vollständiger geworden ist.

158.

Und so wird ferner, nach vollende - ter Wirkung jeder Arzneigabe, der Zu -126 stand der noch übrigen Krankheit nach den noch übrigen Symptomen jedesmahl von neuem aufgenommen, und nach die - ser gefundnen Gruppe von Zufällen eine abermahls passende Gegenkrankheitspotenz ausgesucht, und so fort bis zur Genesung.

159.

Unter den einseitigen Krankheiten, nehmen die sogenannten Lokalübel eine wichtige Stelle ein.

160.

Diejenigen Lokalübel, welche nicht seit kurzem blos von einer äußern Beschä - digung entstanden sind, hängen stets mit einem innern, durch den ganzen Organism verbreiteten Uebelbefinden zusammen, und ihre ärztliche Behandlung muß deshalb auch auf das Ganze gehen, wenn sie ver - nünftig (rationell), konsequent und hülf - reich seyn soll.

161.

So wie kein aus innern Ursachen ent - stehendes und an einer besondern Stelle127 verharrendes sogenanntes Lokalübel ohne Zustimmung des ganzen übrigen Befindens, und ohne die Theilnahme aller übrigen em - pfindenden und reitzbaren Theile und aller lebenden Organe des Körpers gedacht wer - den kann, so kann es auch blos durch die gemeinsame, in allen Theilen des lebenden Körpers für die arzneikräftigen Potenzen rege und wache Perception, blos durch die - se den ganzen Körper beseelende Theilnah - me an der Arzneikraft möglich und erklär - bar werden, wie durch wenige, blos an die Zunge oder in den Magen gebrachte, homöopathisch angemessene Arznei selbst auf die an den entferntesten Stellen der Haut befindlichen, anscheinend isolirten Lokalübel heilsame Veränderungen und selbst die vollständigsten Heilungen er - zielet werden können.

162.

Dieß geschieht am zweckmäsigsten, wenn bei Eruirung des Krankheitsfalles, nächst der genauen Beschaffenheit des Lo - kal-Leidens, zugleich alle im übrigen Be -128 finden bemerkbaren Veränderungen und Symptome in Vereinigung gezogen wer - den zum Entwurfe eines vollständigen Krankheitsbildes, ehe man ein dieser gan - zen Gruppe von Zufällen entsprechende Gegenkrankheitspotenz unter den gekann - ten Arzneien sucht, um eine vollständig homöopathische Wahl zu treffen.

163.

Durch diese blos innerlich eingegebne Arznei wird dann der gemeinsame Krank - heitszustand des Körpers mit dem Lokal - übel zugleich aufgehoben und lezteres mit ersterm zugleich geheilt, zum Beweise, daß das Lokal-Leiden von einer Krank - heit des übrigen Körpers abhängt und nur als ein Theil des Ganzen, als eins der größten Symptome der Gesamtkrankheit anzusehen ist.

164.

Dieß ist so wahr, daß selbst jedes blos äußerlich aufgelegte Lokalmittel, wenn es allein geholfen und Gesund -129 heit (wie selten) wiedergebracht hatte, dieß nicht vermochte, ohne zugleich auf den innern Krankheitszustand einen ho - möopathisch heilenden Einfluß bewirkt zu haben, und auch dieselbe Heilung zu Stande gebracht haben würde, wenn es blos innerlich und gar nicht äußerlich ge - braucht worden wäre.

Anm. So werden einige Flechten durch äu - ßerliche Auflegung der Kanthariden, und einige andre Hautausschläge durch aufge - legte Quecksilberpräcipitate wohl ober - flächlich vertrieben, aber nicht so geheilt, daß allgemeine Gesundheit drauf folgt, wenn diese äußern Mittel den vom Lo - kalübel unzertrennlichen, innern, krank - haften Zustand nicht zugleich zu heben vermocht, und nicht bei ihrer Auflegung den ganzen Organism mit ihrer Heilkraft afficirt hätten.
39

165.

Es scheint zwar, als wenn die Hei - lung solcher Uebel beschleunigt würde, wenn man das für den ganzen Krankheits - komplex als homöopathisch richtig erkann -I130te Arzneimittel nicht nur innerlich an - wendete, sondern auch äußerlich aufle - gete; in Hinsicht daß das Lokalübel sich gewöhnlich zu isoliren strebet, ob es sich gleich im lebenden Körper nie völlig iso - liren kann, und da man wahrgenommen hat, daß die Arzneien auf dem Orte ih - rer Anwendung eine schnellere Wirkung als auf die entferntern Theile bewirken.

Anm. Die Einspritzung des Kirschlorbeer - wassers in den After der Thiere macht seine spastische Wirkung zuerst an den untern Extremitäten bemerklich, später an den obern Theilen, und so umgekehrt an den obern Theilen zuerst, wenn es oben eingegossen wird.
40

166.

Indeß hat die neben dem innern Gebrauche gleichzeitige topische Anwendung des Heilmittels bei Krank - heiten, welche ein stätiges Lokalübel zum Hauptsymptome haben, den großen Nach - theil, daß durch die örtliche Auflegung desselben dieses Hauptsymptom (Lokal -131 übel) schneller als die innere Krankheit vernichtet wird, und uns nun die Beur - theilung, ob auch die Totalkrankheit durch die innere Kur vernichtet sei, durch die vorzeitige Verschwindung dieses lokalen Symptoms erschwert und in manchen Fäl - len unmöglich macht.

167.

Einen ähnlichen, wo möglich noch größern Nachtheil bringt in den meisten Fällen die blos örtliche Auflegung jeder wirksamen, selbst der homöopathisch heilkräftigen Arznei auf das örtliche Hauptsymptom (Lokalübel) hervor, wenn sie nicht vorher von innen bis zur Be - wirkung der gänzlichen Vernichtung der allgemeinen Krankheit angewendet worden war. Denn dann wird es noch weit un - wahrscheinlicher, daß die blos örtlich auf - gelegte Arznei unter der Hebung des Lo - kalsymptoms, zugleich auf den innern Or - ganism so eindringlich und vollständig heilkräftig eingewirkt haben sollte, daß die Totalkrankheit aufgehoben und ver -I 2132nichtet worden wäre. Dieß wird nur in äußerst seltenen Fällen geschehen, etwa wo die innere Krankheit sehr gering und neu, das äußere Uebel aber von großem Umfange war und daher das Topikum sehr weit auf der Oberfläche des Körpers sich ausbreitete.

168.

In allen andern Fällen wird das in einem kleinen Umfange blos äußerlich aufgelegte Mittel viel zu wenig Einwir - kung auf den innern Organism äußern, als daß die oft alte und wichtige innere Krankheit dadurch vernichtet werden könnte. Wenn nun seine überwiegend schnellere Heilkräftigkeit als Topikum das auffallendste Symptom der innern Krank - heit, das Lokalübel, vorzeitig hinweg nimmt, so bleibt das innere Uebel den - noch und der Fall ist schlimmer als vor - her.

169.

Denn, ist das Lokalübel blos örtlich und einseitig aufgehoben worden, so133 bleibt nun die zur völligen Herstellung unerläßliche innere Kur der Totalkrank - heit im ungewissen Dunkel; dann sind nur noch die andern (schwächern) Symp - tomen übrig, welche nicht so stätig und permanent, als das Lokalleiden, und oft zu wenig charakteristisch sind, als daß sie noch ein Bild der Krankheit im deut - lichen und vollständigen Umrisse darstel - len sollten.

170.

Der Heilkünstler wird im Verfolge der innern Kur immer zweifelhaft bleiben, ob das selbst anerkannt homöopathische Heilmittel die Totalkrankheit völlig ohne Rückstand gehoben und vernichtet habe, da das wichtigste und permanenteste Hauptsymptom, da das Lokalübel, schon vorzeitig seinen Augen entzogen worden ist. Er wird so halb im Dunkeln wirkend, des Medikaments entweder zu wenig oder zu viel geben, und es entweder nicht bis zum völligen Heilpunkte, oder es allzu lan - ge brauchen, zum Verderben des Kranken.

134

171.

Wenn nun vollends das der Krank - heit angemessene Heilmittel zu der Zeit noch nicht gefunden war, als das örtliche Symptom durch ein beizendes oder aus - trocknendes Topikum oder durch den Schnitt vernichtet ward, so wird der Fall wegen der allzu uncharakteristischen und unstäten Erscheinung der noch übrigen Symptome noch schwieriger, weil, was die Wahl des treffendsten Heilmittels und seine innere Anwendung bis zum Punkte der Totalheilung noch am meisten hätte lei - ten und bestimmen können, das äußere Hauptsymptom unsrer Beobachtung ent - zogen worden ist.

172.

Wäre es noch da, so würde seine bleibende Gegenwart zeigen, daß die in - nere Kur noch nicht vollendet ist; heilete es aber bei der blos innern Kur, so be - wiese dieß überzeugend, daß das Uebel bis zur Wurzel ausgerottet und die Gene - sung von der Totalkrankheit bis zum er -135 wünschten Ziele gediehen ist. Ein un - schätzbarer Vortheil!

173.

Die blos örtliche Wegnahme des Lo - kalsymptoms wird von der Natur fast stets durch Vergrößerung und Erweckung der schon neben ihm bestandnen, nur noch schlummernden übrigen Symptomen und durch Erzeugung neuer Zufälle, das ist, durch eine Erhöhung der übrigen Gesamt - krankheit ersetzt, (wo man dann unrich - tig zu sagen pflegt, das äußere Uebel sei durch das Topikum auf die Nerven, oder in die Säftmasse zurück getrieben worden).

174.

In einigen Krankheiten geschiehet dieses Aufwachen der übrigen Symptome nach Hinwegräumung des Lokalübels nur allmählig, so daß die Verschlimmerung erst nach geraumer Zeit in die Augen fällt.

Anm. 1. Das sprechendste Beispiel von die - sen Sätzen liefert die venerische Krank - heit. So bald der Schanker einige Tage136 nach der Ansteckung sich sichtbar ausgebil - det hat, giebt er auch den vollen Beweis, daß der ganze Körper schon (durch ihn) all - gemein venerisch geworden ist. Schon dann erscheinen bei vielen Personen deutliche Zeichen des allgemeinen Uebelbefindens, die jedoch bei Einigen weniger deutlich und nur mit Mühe auszuforschen sind. Aber auch im leztern Falle, wo die allge - meinen Symptomen nicht so offenbar sind, wird die Allgemeinheit der Krankheit da - durch unwiderleglich, daß selbst die Aus - schneidung des noch frischen Schankers die Krankheit nicht entfernt und das Em - porkommen der nachgängigen venerischen, über den Körper sich verbreitenden Symp - tomen nicht verhütet. Sie brechen den - noch nach mehreren Monaten hie und da aus, zum Zeichen daß der Schanker nicht ein bloses isolirtes Lokalübel war so wenig es deren überhaupt giebt son - dern ein bloses auffallendes Zeichen der Existenz der venerischen Krankheit im gan - zen Körper. So lange der Schanker noch auf seiner Stelle steht, bleibt er das, die innere all - gemein venerische Krankheit zum größern Theile vertretende Hauptsymptom, und verhindert durch seine ungestörte Gegen - wart, daß die übrigen Symptome vor sich137 wenig oder gar nicht ausbrechen können. Unverrückt beharrt er auf derselben Stel - le wenn er nicht örtlich vertrieben wird bis ans Lebensende, auch bei dem vollkräftigsten Körper, und zeugt so von der Wichtigkeit der innern Krankheit. Wie leicht würde er als ein so kleines Ge - schwür durch die eigne Energie der Natur heilen, wenn ihm nicht eine so selbststän - dige, große, innere Krankheit, für die er als Hauptsymptom vikarirt, zum Grunde läge! Verfährt man nun nach gewöhnlicher Art und beizt den Schanker weg, oder legt sonst ein, dieses Lokalsymptom blos örtlich zerstörendes und vertreibendes Mit - tel, oder selbst das schwarze Quecksilber - oxyd auf, so wird zwar gewöhnlich, auf der Stelle, dieses Lokalsymptom des in - nern venerischen Leidens vernichtet; aber zum Schaden des Kranken. Der allgemeine Zustand bleibt dann nicht nur eben so venerisch, als während der Schanker noch zugegen war, sondern die innere und allgemeine, venerische Krank - heit ersetzt nun auch den Mangel dieses, die Heftigkeit der innern Uebel bisher gleichsam ableitenden und mildernden Hauptsymptoms durch allmählige Belebung und Verstärkung der übrigen, neben ihm138 schon schlummernden Symptome, und durch Erzeugung neuer Zufälle, welche weit beschwerlicher als der vertriebne Schanker sind. Es brechen nun die Lei - den des allgemeinen Uebels über kurz (Bu - bonen) oder über lang (oft erst nach vielen Monaten) als Tonsillenverschwärung, als pustulöser oder Fleckenausschlag, als fla - che, schmerzlose, runde Geschwüre, als krause Auswüchse am Zäpfchen oder an den Nasenflügeln, als nächtlich schmerz - hafte Beinhautgeschwulst, u. s. w. hervor. Alle diese nachgehends überhand neh - menden Symptomen sind jedoch nie so deutlich und festständig, als der vertrieb - ne Schanker war, vergehen leicht beim innern Gebrauche des Quecksilbers, um von Zeit zu Zeit entweder selbst wieder zu kommen, oder andern venerischen Symp - tomen unter dieser oder jener Gestalt Platz zu machen, und man ist nun fast nie der Heilung, der völligen Austilgung der all - gemeinen Krankheit sicher. Giebt man zu wenig von der Arznei, oder unheilkräftige Präparate derselben, so wird die Krank - heit keinesweges vernichtet, sondern bricht mit der Zeit wieder hervor; giebt man aber diese Merkurialpräparate in langer Zeit fort, um dem Körper viel davon all - mählig beizubringen, weil die Schärfe die -139 ser Präparate in großen, schnellen Gaben die Kräfte allzu schnell zerstören würde, so weiß man doch bei der Unstätigkeit die - ser Symptome nie, wann und ob man das Uebel ausgetilgt hat. Indeß wird durch den langwierigen Ge - brauch einer so mächtigen Krankheitspo - tenz als das Quecksilber ist, eine schlei - chende Quecksilberkrankheit zu dem alten Uebel gefügt, und beide verschmelzen zu einer komplicirten, zu einer neuen, drit - ten Krankheit (gemeiniglich verlarvte venerische Krankheit genannt), die sich nun nicht mehr weder durch Queck - silber, noch durch Schwefelleber heilen läßt, sondern sich durch das eine, so wie durch das andre verschlimmert. War hingegen das wichtige Lokalsymp - tom (das permanenteste aller venerischen Zeichen, der Schanker) noch ursprünglich und unverlezt bei der innern Kur vorhan - den und nicht örtlich behandelt worden (durch eigne Hülfe der Natur kömmt es zuweilen auch nach seiner örtlichen Ver - treibung wieder zurück auf seine alte Stel - le als Schanker, oder wenn dieser nur zum Theil weggebeizt war, in jener aus - gearteten Gestalt wieder hervor, die man Feigwarzen nennt, welche nun glücklicher - weise wieder als Lokalsymptome, d. i. als140 das sicher leitende Zeichen, den Punkt der Totalheilung bei einer blos innern Kur ent - scheiden können); so heilt er beim mög - lichst schnellen, blos innern Gebrauche des angemessensten, und antisyphilitisch kräftigsten Merkurialpräparats, vollstän - dig, doch nie eher, als wenn eben die To - talkrankheit völlig vernichtet ist. Ist durch die blos innere Behandlung endlich selbst der Schanker oder die Feigwarze ge - heilt, und an ihre Stelle gesunde Haut ge - kommen, so ist dann ohne Widerrede die Gesamtkrankheit ausgetilgt. Eben so geartet sind die Krankheiten, welche, wie Brüningshausen beobach - tete, nach Ausschneidung alter Speckge - schwülste sich hervorthaten; so die Krank - heiten, welche alten Schenkelgeschwüren jederzeit zum Grunde liegen, und wenn dieses bedeutende Lokalsymptom durch ein austrocknendes oder beizendes Topikum einseitig weggenommen wird, nun allmählig als ein allgemeines, oft das Leben befährdendes Leiden sich ent - wickeln und so noch eine ungeheure Menge andrer, deren Lokalsymptomen blos durch die innere Kur der Gesamt - heit des Uebels ohne Topikum geheilt werden sollten , wenn man rationell verfahren wollte , durch innere An -141 wendung einer dem ganzen Symptomen - komplexe mit treffender Aehnlichkeit ent - sprechenden arzneilichen Krankheitspo - tenz, welche durch Vernichtung der To - talkrankheit natürlich auch ihr Haupt - symptom, das anscheinende Lokalübel zugleich heilt.
41
Anm. 2. Die mechanischen und physischen Beihülfen bei alten Lokalübeln (zu Ende der innern Behandlung der Totalkrank - heit), um den Ton der erschlafften Theile zu unterstützen, z. B. kalte Fußeintau - chungen oder die Cirkularbinde als Mit - hülfe bei den, der Heilung nahen Schen - kelgeschwüren und mehrere solche un - schädliche äußere Veranstaltungen über - gehe ich hier.
42

175.

Andre Krankheiten mit Lokalsympto - men hingegen erhöhen, wenn durch ein Topikum das wichtige Lokalsymptom ver - nichtet worden ist, ihre übrigen größten - theils innern Leiden und Zufälle oft plötzlich und akut zu einer fürchterli - chen Höhe, oft bis zum schleunigen Tode. 142Hier scheint das Lokalleiden von der Na - tur nicht blos, wie bei erstern, denen eine chronische, schleichende Krankheit zum Grunde liegt, in der Absicht, um die Her - vortretung der innern Symptomen über - haupt aufzuhalten, sondern auch deshalb zum Hauptsymptome erhoben worden zu seyn, damit es die Größe und Lebens - gefährlichkeit der übrigen Symptome der Totalkrankheit gleichsam absorbire und zum Theil ihre Stelle gefahrloser vertrete. Wie irrationell auch in solchen Krankhei - ten (wie in erstern) die einseitige Vernich - tung des (relativ wohlthätigen) Lokalsymp - toms sei, lehren die traurigsten Erfah - rungen.

Anm. Die oft höchst akuten, schrecklichen Folgen der blos örtlichen Tilgung mehre - rer, vorzüglich alter Fälle verschiedner Arten von Krätze, des Grindkopfs, lang - wieriger Schwinden, Schenkelgeschwüre, u. s. w. zeigen, wie groß und wichtig die diesen Lokalsymptomen zu Grunde liegenden innern Krankheiten (die Krätz - krankheit, die Grindkopfkrankheit u. s. w.) seien, wenn man ihnen das die Ge - fährlichkeit ihrer übrigen Symptomen ab -143 sorbirende große Lokalsymptom raubt, ohne die innere Krankheit selbst vorher geheilt zu haben. Da treten dann die bis - her nur schlummernden, ohne scharfsich - tige Beobachtung nicht leicht bemerkba - ren, übrigen Symptomen oft plötzlich in ihrer wahren ursprünglichen Größe und Heftigkeit auf; die bisher nur undeutlich bemerkte Geistesschwäche erhöhet sich auf einmahl zur Manie, der geringe Husten, die wenig auffallende Brustengigkeit bricht als schnell erstickendes Lungengeschwür, oder als akute Lungeneiterung aus, das bisher fast unmerkliche Anlaufen der Füße wird schnell zur allgemeinen Wasserge - schwulst, die bis dahin geringe Blödsich - tigkeit und das etwas stumpfere Gehör, ehe man sichs versieht, bis zur Amauro - sis und Taubheit erhöhet das ist, diese Krankheiten erscheinen nun in ihrer eigen - thümlichen Gestalt und Größe, wie sie ursprünglich sind, wenn ihnen das ihre Heftigkeit mildernde Lokalleiden fehlt. Man kann auch gar nicht zweifeln, daß alte Lokalsymptome dergleichen enorme innere Krankheiten schon zum Grunde haben. Es ist Aberglaube, dergleichen auf Un - terdrückung des Lokalübels erfolgende hef - tige Krankheiten von einem sogenannten144 Zurücktritt des Krankheitsstoffes in das Innere des Körpers herzuleiten, wodurch nun erst die innere Krankheit entstünde und sich anspinne. Nein! sie war schon vorhanden, wie das Lokalsymptom noch im Gange war, nur in ihren Ausbrüchen und ihrer Lebensgefährlichkeit von dem Lokalsymptome bisher aufgehalten wor - den. Ein robust scheinender Kandi - dat, der die nächsten Tage predigen und sich deshalb von seiner Krätze be - freien wollte, bestrich sich den einen Mor - gen mit Krätzsalbe, und binnen wenigen Stunden war er unter Aengstlichkeiten, kurzem Odem und Stuhlzwang gleich nach der Mittagszeit verschieden; die Leichen - öfnung zeigte, daß die ganze Lunge von flüssigem Eiter ausgedehnt war (welches sich in diesen wenigen Stunden unmög - lich erzeugt haben konnte, sondern schon vorher, nur durch das Lokalsymptom des Ausschlags bisher gemildert, da gewesen seyn mußte). m. s. Unzers Arzt, CCC St. S. 508. Hinwiederum zeigt die starke Beharr - lichkeit, oft auch große Schmerzhaftig - keit des Lokalsymptoms, welche oft dem jugendlichsten, und kraftvollesten Körper zum Trotze, auf seiner Stelle zuweilen Iahre lang quälet und wüthet: wie ent -145 setzlich und fürchterlich das innere Uebel seyn muß, dem es zum ableitenden, mil - dernden Stellvertreter an der wenigst ge - fährlichen Gegend des Organismus an den äußern Theilen dient. Sind die oft lebensgefährlichen, theils akuten, theils chronischen Leiden, welche sich nach Abschneidung des Wichtelzopfes hervorthun, etwas andres, als die vorher schon vorhandne, obgleich bisher nur schlummernde, allgemeine Wichtelzopf - krankheit? die blos wieder erwachte, als der palliative Beschwichtiger des innern Gesamtleidens, das vikarirende große Lo - kalsymptom, der Wichtelzopf (jenes Zu - sammenwachsen der in ein empfindliches Afterorgan von ihrer Wurzel an ausgear - teten Haare) ihr geraubt worden war. Dieselbe allgemeine Krankheit des Kör - pers geht auch vorher, ehe sich der Wich - telzopf hervorthut, sie mildert sich, wenn sich der Wichtelzopf ausbildet, und über - trägt alle ihre Heftigkeit auf dieses Lokal - symptom; doch, auch noch so lange Zeit durch die ungestörte Gegenwart dieses vi - karirenden Afterorgans beschwichtiget, er - wacht sie gleichwohl mit aller Heftigkeit aus ihrem bisherigen Schlummer, wenn ihr dieß, ihre Stelle zum großen Theile vertretende Hauptsymptom geraubt, wennK146der Wichtelzopf dicht am Kopfe abgeschnit - ten wird.
43

176.

Zum Glücke bringt die eigne Thätig - keit des Organismus das durch Kunst ver - nichtete Lokalsymptom zuweilen von selbst an seinem Orte wieder zum Vor - scheine; künstliche Hülfe zu seiner Wie - dereinsetzung ist dieß weniger im Stande. Auch die Einimpfung ist oft unzureichend, weil man gewöhnlich nicht dasselbe Lo - kalleiden einimpfet, sondern ein andres, blos dem Anscheine nach ähnliches.

177.

Alle solche Krankheiten können blos durch die innere Anwendung einer ihrem ganzen Symptomeninbegriffe (in welchem das Lokalsymptom als das am meisten cha - rakteristische obenan stehet) homöopa - thisch anpassenden, arzneilichen Gegen - krankheitspotenz rationell geheilt werden, bei deren innerm Gebrauche und einer überdieß zweckmäsigen Lebensordnung,147 die topische Auflegung desselben specifi - schen Heilmittels kaum je nebenbei nöthig seyn wird.

Anm. Hierin verlangen wenigstens die ver - schiednen Krankheiten verschiedne Masre - geln. Am zweckwidrigsten ist z. B. die Anwendung topischer Mittel auf Schanker, die oft große Neigung haben, vor der Zeit den Lokalmitteln zu weichen. Sich - rer ist die äußere Anwendung des Schwe - fels bei fast schon ganz durch innere ho - möopathische Kur geheilter Wollarbeiter - Krätze und die topische Anwendung des Arseniks in einigen Arten Gesichts - krebs, wenn die innere Anwendung des - selben Mittels sich in dem gegenwärtigen Falle schon hülfreich erwiesen hat und durch sie die Heilung des Lokalsymp - toms schon weit gediehen ist.
44

178.

Die Schwierigkeit der homöopathi - schen Heilung dieser einseitigen Krank - heiten, zu denen die sogenannten Lokal - krankheiten vorzüglich gehören, besteht, wie gesagt, hauptsächlich darin, daß an ihnen nicht viel mehr als ein einziges star -K 2148kes Symptom hervortritt, wogegen die übrigen Symptomen, welche zur Vervoll - ständigung des Umrisses der Krankheitsge - stalt gehören, sich in den Hintergrund zu - rück ziehen, und dem Auge des gewöhnli - chen Beobachters unkenntlich werden.

179.

Diese Schwierigkeit wird durch ge - schärftere, sorgfältigere Beobachtung und Nachforschung gehoben.

180.

Zu dieser Absicht, wenn ein solcher Kranker seine wenigen großen Beschwer - den geklagt und vor der Hand nichts wei - ter anzuführen weiß, verschiebt der Arzt am besten das Urtheil über seine Heilbar - keit und seine Heilverordnungen, da es fast immer chronische*)Fast nur diejenigen Lokalkrankheiten sind akut, welche man Metastase nennt d. i. ein örtli - ches, größeres Symptom, welches die Natur in akuten Krankheiten sich bestrebt, mehr nach auf - Krankheiten sind,149 welche unbeschwerlich Aufschub leiden, mehrere Tage hinaus, und trägt dem Kran - ken auf, indeß noch genauer auf alle klei - ne und größere Abweichungen seines Be - findens vom gesunden Zustande die sorg - fältigste Aufmerksamkeit zu richten, um alle, auch die kleinern, bisher unbeachte - ten Zufälle angeben und genau beschreiben zu können.

181.

Hier wird er seine Aufmerksamkeit von seinem Lokalleiden indeß abziehn,*)sen zu, an die mindest gefährlichen Stellen des Or - ganismus zu verlegen, um auf dasselbe die Größe und Lebensgefährlichkeit des innern Allgemeinlei - dens zum größern Theile überzutragen. Auch hier vikarirt dieses Lokalsymptom für die übrigen Symp - tome, welche leztere aber in diesem Falle leichter aufzufassen sind aus ihrer Beschaffenheit gleich vor Entstehung der Metastase, und mit dem Lokalsymp - tome zusammengenommen, das Krankheitsbild lie - fern, den Symptomeninbegriff, auf welchen das blos innerlich anzuwendende homöopathische Heilmittel passen muß, wenn die Herstellung gründ - lich und rationell seyn soll. Auch hier ist die blos örtliche Vertreibung des Lokalsymptoms mehr zum Schaden.150 und sie auf die, selbst kleinern Nebenbe - schwerden und Zufälle richten, und auf diese Art besondre Symptomen wahrneh - men, die er, unerinnert, neben seinem größern Uebel nicht bemerkt haben würde.

Anm. Wäre der Kranke jedoch störrig, behaup - tete er nichts weiter bemerken zu können, und wollte sich keinen Aufschub in der Kur gefallen lassen, so dient es, ihn statt Arznei eine unarzneiliche Flüssigkeit meh - rere Tage lang einnehmen zu lassen und ihm hierbei genaue Aufmerksamkeit auf alle und jede Veränderungen in seinem Befinden, auf alle in gesundem Zustande nicht gewöhnliche Zeichen, Zufälle und Ereignisse einzuschärfen eine unschul - dige Täuschung, die die meisten seiner Krankheit eignen Symptomen an den Tag bringen wird.
45

182.

Diese kleinern und größern Beson - derheiten in seinem übrigen Befinden wer - den dem Arzte nun den Krankheitsumriß vervollständigen helfen; und behutsame Fragen über den Zustand der verschied -151 nen Funktionen, genaue Beobachtung sei - nes Aeußern und seines ganzen Beneh - mens, so wie die Auskunft, welche die Angehörigen, selbst ingeheim ausgefragt, über ihn geben können, werden die - thigen Zusätze und Bestätigungen zu dem schon Niedergeschriebenen liefern.

183.

So kann es nicht fehlen, daß dem Heilkünstler der vollständige Zeicheninbe - griff der auch noch so versteckten chroni - schen Krankheit offenbar werde, um für ihn nach den Krankheitselementen, welche die am gesunden Menschen geprüften Arz - neien enthalten, eine ihr möglichst ähnli - che, das natürliche Uebel folglich zu über - stimmen fähige Gegenkrankheitspotenz ho - möopathisch auswählen zu können. Auch hier müssen vorzüglich die besondern und charakteristischen Symptomen der Krank - heit in der Symptomenreihe des Heilmit - tels anzutreffen seyn.

152

184.

Ist die zuerst gewählte Arznei wirk - lich die den Krankheitszufällen in ihrem Umfange angemessene, so muß sie das Uebel heilen; hatte sie aber aus dem un - zulänglichen Vorrathe nach ihren positi - ven Wirkungen am gesunden Körper ge - kannter, arzneilicher Krankheitspotenzen nicht hinreichend homöopathisch gewählt werden können, so wird die Arznei neue Symptomen erregen, die zur fernern Wahl des zunächst nöthigen und dienlichen Heil - mittels Anleitung geben werden.

185.

Die nächste Hauptschwierigkeit in der Heilung, scheinen die Gemüthskrank - heiten darzubieten. Sie sind aber in der That nicht schwieriger zu heilen, als die andern einseitigen Krankheiten, zu denen sie gezählet werden können.

186.

Auch machen sie gar keine, von den übrigen scharf getrennte Klasse von Krank -153 heiten aus, da in jeder der übrigen Krank - heiten auch die Gemüths - und Geistesver - fassung allemahl geändert ist, und in allen zu heilenden Krankheitsfällen, von welcher Art sie auch seyn mögen, der Ge - müthszustand des Kranken als ein Haupt - symptom unter den übrigen, mit in den Inbegriff der Krankheitssymptomen aufzu - nehmen ist, wenn man ächt rationell und homöopathisch heilen will.

Anm. Wie oft trifft man nicht z. B. in den schmerzhaftesten, mehrjährigen chroni - schen Krankheiten ein mildes, sanftes Ge - müth an, so daß der Heilkünstler Ach - tung und Mitleid gegen die Kranken zu hegen sich gedrungen fühlt. Besiegt er aber die Krankheit und stellt die Kran - ken wieder her (wie nach homöopathi - scher Art nicht selten in kurzer Zeit mög - lich ist), da staunt und erschrickt er oft über die schauderhafte Veränderung des Gemüths. Da sieht er oft Undankbarkeit, Hartherzigkeit, raffinirte Bosheit, und die die Menschheit entehrendsten, empörend - sten Launen hervortreten, welche gerade den Kranken in ihren ehemahligen gesun - den Tagen eigen waren. 154Den in gesunden Zeiten Gedultigen fin - det man oft in Krankheiten stürmisch, heftig, hastig, auch wohl unleidlich eigen - sinnig, und wiederum auch wohl unge - dultig, oder verzweifelt. Den hellen Kopf findet man nicht selten stumpfsinnig, den gewöhnlich Schwachsinnigen hinwiederum gleichsam klüger, sinniger und den von langsamer Besinnung nicht selten mit Gei - stesgegenwart und schnell entschlossen, u. s. w.
46

187.

Dieſs geht so weit, daß bei der Wahl einer arzneilichen Gegenkrankheitspotenz der Gemüthszustand des Kranken oft haupt - sächlich den Ausschlag giebt, als charak - teristisches Zeichen, was dem genau beob - achtenden Arzte unter allen am wenigsten verborgen bleiben kann.

188.

Auf dieses Hauptingredienz aller Krankheiten, den veränderten Gemüths - und Geisteszustand hat auch der Schöpfer der Heilpotenzen vorzüglich Rücksicht ge -155 nommen, indem es keine kräftige Arznei - substanz auf der Welt giebt, welche nicht im gesunden Menschen den Gemüths - und Geisteszustand sehr merkbar veränderte, jede Arznei anders.

189.

Man wird daher nie rationell und ho - möopathisch heilen lernen, wenn man nicht bei jedem Krankheitsfalle mit auf das Symptom der Geistes - oder Gemüthsverän - derung siehet, und nicht zur Hülfe eine solche Gegenkrankheitspotenz unter den Heilmitteln auswählt, welche einen ähn - lichen Gemüths - oder Geisteszustand vor sich zu erzeugen fähig ist.

Anm. So wird bei einer stillen, gleichför - mig gelassenen Gemüthsart der Napell - sturmhut nie eine, weder schnelle, noch dauerhafte Heilung bewirken, eben so wenig als die Krähenaugen bei einem mil - den, phlegmatischen, die Küchenschelle bei einem frohen, heitern, oder die Ignatz - bohne bei einem gesetzten, unwandelba - ren, weder zu Schreck noch zu Aerger - niß geneigten Gemüthszustande.
47
156

190.

Was ich also über die Heilung der Geistes - und Gemüthskrankheiten zu sagen habe, wird sich auf Weniges beschränken können, da sie auf dieselbe Art als alle übrige Krankheiten, das ist, durch ein Heilmittel, was eine möglichst ähnliche Krankheitspotenz in ihren (an Leib und Seele des gesunden Menschen zu Tage ge - legten) Symptomen darbietet, zu heilen ist, und gar nicht anders geheilt werden kann.

191.

Die sogenannten Geistes - und Ge - müthskrankheiten sind fast durchaus nichts anders als Körperkrankheiten, bei denen das gewöhnliche Symptom der Geistes - und Gemüthsumstimmung sich unter Vermin - derung der Körpersymptomen schneller oder langsamer erhöhet, oft bis zur auf - fallendsten Einseitigkeit, fast wie eine Lo - kalkrankheit.

157

192.

Die Fälle sind nicht selten, wo eine den Tod drohende sogenannte Körper - krankheit eine Lungenvereiterung oder die Verderbniß irgend eines andern edeln Eingeweides, oder eine akute gefährliche Krankheit z. B. im Kindbette u. s. w. durch schnelle Erhöhung des bisherigen Gemüths - symptoms, in Wahnsinn, Melancholie oder Raserei ausartet, und alle Todesge - fahr der Körpersymptomen verschwindet; diese bessern sich indeß fast bis zur Ge - sundheit, oder verringern sich vielmehr bis zu dem Grade, daß ihre dunkel fort - währende Existenz nur von dem beharr - lich und fein beobachtenden Arzte noch erkannt werden kann. Sie arten mit ei - nem Worte zur einseitigen Krankheit, gleichsam zu einer Lokalkrankheit aus, in welcher das in der ursprünglichen Krank - heit gegen die übrigen Symptomen bisher nur verhältnißmäsige, gelinde Symptom der Gemüthsumstimmung zum Hauptsymp - tome sich vergrößert, welches dann zum größern Theile für die übrigen Symptome vikarirt, und ihre Heftigkeit palliativ be -158 schwichtiget, wie wir bei den großen Hauptsymptomen der sogenannten Lokal - krankheiten gesehen haben.

193.

Deshalb gehört wie zur Ausforschung des Symptomenkomplexes der leztern (§. 180. 181. ), eine ähnlich große Beharr - lichkeit, ein ähnlich feiner Beobachtungs - geist, eine gleich sorgfältige Unterschei - dung, und eine eben so behutsame Er - kundigung zur Ausforschung der übrigen Symptome des körperlichen Befindens bei Gemüthskranken, nächst der genauen Auf - fassung des eigentlichen Charakters ihres individuellen, vorwaltenden Geistes - und Gemüthszustandes, um zur Auslöschung des Gesammtzustandes dieser Totalkrank - heit, eine Gegenkrankheitspotenz unter den gekannten Heilmitteln auszufinden, ein Heilmittel, welches in seiner Symptomen - reihe nicht nur diesen Geistes - und Ge - müthszustand, sondern auch möglichst alle übrigen Körpersymptomen enthält.

159

194.

Zur Ausforschung der leztern dient vorzüglich eine genaue Beschreibung der sämtlichen Zufälle der vormahligen soge - nannten Körperkrankheit, ehe sie zur ein - seitigen Erhöhung des Gemüthssymptoms, zur Geistes - und Gemüthskrankheit ausar - tete.

195.

Die Vergleichung dieser ehemahligen Krankheitssymptome mit den davon jezt noch übrigen obgleich unscheinbarer ge - wordenen, wird zur Bestätigung der fort - dauernden Gegenwart der leztern dienen, um ein charakteristisches Symptomenbild der Krankheit entwerfen zu können.

196.

Ist die von Körperleiden entstandne Gemüthskrankheit noch nicht völlig aus - gebildet, und es fände noch einiger Zwei - fel statt, ob es nicht vielmehr Erziehungs - fehler, schlimme Angewöhnung, oder ver - derbte Moralität, Aberglaube oder Unwis -160 senheit sei, da dient als Zeichen, daß durch verständigendes, sorgsames Zure - den, Vernunftgründe, Trostgründe oder ernsthafte Vorstellung leztere nachgeben, wahre Gemüthskrankheit aber schnell da - durch verschlimmert, Melancholie noch zurückgezogener, boshafter Wahnsinn da - durch noch mehr erbittert, und thörichtes Gewäsche offenbar noch unsinniger wird.

197.

Doch giebt es Gemüthskrankheiten, welche nicht blos aus Körperkrankheiten dahin ausgeartet sind, sondern, in umge - kehrter Ordnung, bei geringer Kränklich - keit, vom Gemüthe aus Anfang und Fort - gang nehmen durch anhaltenden Kummer, Kränkung, Aergerniß, und große Veran - lassung zu Furcht und Schreck. Diese Art Gemüthskrankheiten verderben dann mit der Zeit auch den körperlichen Ge - sundheitszustand, oft in hohem Grade.

198.

Blos diese von außen herein durch die Seele zuerst angesponnene Art von161 Gemüthskrankheiten lassen sich, so lange sie noch neu sind, und den Körperzustand noch nicht allzu sehr zerrüttet haben, blos durch psychische Mittel, Zutraulichkeit, gütliches Zureden, Vernunftgründe, am meisten aber durch wohl verdeckte Täu - schungen schnell in Wohlbefinden der Seele (und des Leibes) verwandeln.

Anm. Bei den durch Körperkrankheit ent - standnen Geistes - und Gemüthskrankheiten, welche einzig durch angemessene, homöo - pathische Arzneien zu heilen sind, muß allerdings auch, als beihülfliche Seelen - diät, ein passendes psychisches Verhalten der Angehörigen und des Arztes gegen den Kranken sorgfältig beobachtet werden. Dem wüthenden Wahnsinn setzt man stille Unerschrockenheit, und kaltblüti - gen festen Willen dem peinlich kla - genden Iammer stummes Bedauern in Mie - nen, dem unsinnigen Geschwätz nicht ganz unaufmerksames Stillschweigen, ekelhaf - tem und gräuelvollem Benehmen und Reden völlige Unaufmerksamkeit entge - gen. Den Verwüstungen und Beschädi - gungen beugt man blos vor, und verhü - tet sie ohne Vorwürfe und richtet alles so ein, daß durchaus alle körperlicheL162Züchtigungen wegfallen. Denn da keine Imputation bei Gemüthskranken, nach al - len menschlichen Rechten, statt findet, so kann auch keine Strafe statt finden. Dieß geht um desto leichter an, da bei dem Einnehmen (dem einzigen Falle, wo noch Zwang durch Entschuldigung gerechtfertigt werden könnte) in der homöopathischen Heilart die kleinen Gaben hülfreicher Arz - nei dem Geschmacke nie auffallen und dem Kranken nur unbewußt in Geträn - ken gegeben werden können, wo dann ebenfalls aller Zwang wegfällt. Wider - spruch, eifrige Verständigungen, heftige Zurechtweisungen, und Härte sind so wie schwache, furchtsame Nachgiebigkeit am unrechten Orte, sind gleich schädliche Be - handlungen ihres Geistes und Gemüths. Am meisten jedoch werden sie durch Hohn, Betrug und Täuschungen erbittert und in ihrer Krankheit verschlimmert. Im - mer muß man den Schein anneh - men, als ob man ihnen Vernunft zutraute. Dagegen suche man alle Art von Stöhrungen ihrer Sinne und ihres Ge - müths von außen zu entfernen; es giebt keine Unterhaltungen, keine wohlthätigen Zerstreuungen, keine Belehrungen, keine Besänftigung für ihre in den Fesseln des kranken Körpers schmachtende oder em -163 pörte Seele, als die, welche durch ihr vom angemessenen Heilmittel zum Bessern umgestimmtes Körperbefinden auf ihren Geist zurückstrahlt. Ist das für den individuellen Fall der Geistes - oder Gemüthskrankheiten (denn ihre Zahl ist Legion!) gewählte Heilmit - tel dem treulich entworfenen Bilde ihres Krankheitszustandes ganz homöopathisch angemessen welches um desto leichter ist, da ihr Gemüths - und Geisteszustand als Hauptsymptom sich zugleich so unver - kennbar als charakteristisch zu Tage legt so ist oft die kleinstmögliche Gabe hin - reichend, die auffallendste Besserung in der kürzesten Zeit hervorzubringen, was durch die stärksten und gehäuftesten Gaben aller übrigen unpassenden Arzneien oft bis an den Tod nicht zu erreichen war; ja, ich kann behaupten, daß sich der erhabne Vorzug der homöopathischen Heilkunde vor allen denkbaren Kurmethoden nirgend in einem triumphirendern Lichte zeigt, als in alten Gemüths - und Geisteskrank - heiten, welche aus Körperleiden ursprüng - lich, oder auch nur gleichzeitig mit ihnen, entstanden sind.
48
L 2164

199.

Alle übrigen Krankheiten bedürfen zur Heilung keiner besondern Erinnerung. Sie folgen sämtlich dem ewigen, ausnah - melosen Gesetze der Homöopathie.

200.

Nachdem wir also bisher gesehen ha - ben, auf welche Umstände der Krankhei - ten überhaupt und der abweichendsten ins - besondre Rücksicht bei der Wahl des ho - möopathischen Heilmittels zu nehmen sei, so gehen wir nun zu den spe - ciellern Gesetzen der rationellen Heilkunde, in Absicht der Gebrauchs - art der Heilmittel, über.

201.

Iede merklich fortgehende, und im - mer, obschon nur um Weniges zuneh - mende Besserung in einer akuten oder in einer chronischen Krankheit ist ein Zu - stand, welcher, so lange er anhält, durch - aus jede fernere Anwendung irgend einer165 Arznei ausschließt, weil alles das Gute, was die vorige Arznei auszurichten indeß fortfährt, noch nicht vollendet ist. Iede neue Gabe irgend einer Arznei würde das Besserungswerk stören.

202.

Diese Erinnerung ist um so wichti - ger, da wir noch fast von keiner Arznei die genauen Gränzen ihrer Wirkungs - dauer mit Gewißheit bestimmen können. So lange also die fortschreitende Besse - rung auf eine zulezt gegebne Arznei dau - ert, so lange ist auch anzunehmen, daß, wenigstens in diesem Falle, die Wirkungs - dauer der helfenden Arznei anhalte.

Anm. Einige Arzneien haben schon in 24 Stunden beinahe ausgewirkt (die kürzeste Wirkungsdauer unter allen mir bekannten Arzneien, die nur bei sehr wenigen ange - troffen wird); andre vollenden erst in ei - nigen, andre erst in mehrern Tagen, ei - nige wenige sogar erst nach mehrern Wo - chen ihren Lauf.
49
166

203.

Hiezu kömmt, daß, wenn das Mit - tel angemessen homöopathisch wirkte, der gebesserte Zustand auch noch nach verflos - sener Wirkungsdauer merklich bleibt. Das gute Werk wird nicht gleich unterbrochen, wenn auch erst mehrere Stunden (ja, bei chronischen Krankheiten, erst mehrere Ta - ge) nach Verfluß der Wirkungsdauer der vo - rigen Arzneigabe, eine zweite Gabe ge - reicht wird. Der schon vernichtete Theil der Krankheit kann sich indeß nicht wie - der erneuern, und die Besserung würde auch ohne neue Arzneigabe immer noch eine beträchtliche Zeit auffallend sichtbar bleiben.

204.

Wenn die fortgehende Besserung von der ersten Gabe der homöopathisch ange - messenen Arznei sich nicht in völlige Ge - sundheit auflösen will ( wie doch nicht selten ), so wird ein Zeitpunkt des Still - standes (gewöhnlich zugleich der Gränz - punkt der Wirkungsdauer der vorher ge -167 gebnen Arznei) eintreten, vor dessen Er - scheinung es ohne absehbaren Nutzen, oh - ne vernünftigen Grund (irrationell) gehan - delt, ja schädlich seyn würde, eine aber - mahlige Gabe Arznei zu reichen.

205.

Selbst eine Gabe derselben, bis dahin so hülfreich sich bewiesenen Arznei wird, eher wiederholt, als die Besserung in allen Punkten still zu stehen anfing (als Potenz von Gegenkrankheit, welche in der Mase, als wir von einer neuen Gabe erwarten kön - nen, nicht mehr nöthig ist) blos verschlim - mern; denn bei einer leicht veränderbaren, nicht ganz chronischen Krankheit wird die vorige Gabe der best gewählten Arznei nach Verfluß ihrer eigenthümlichen Wir - kungsdauer schon alles das Gute, schon al - le die zweckmäsigen Veränderungen ausge - führt haben, als die Arznei überhaupt für jezt vermochte eine Art von ihr für jezt erreichbarer Gesundheit , und eine abermahlige Gabe derselben wird diesen gu - ten Zustand ändern, also verschlimmern168 müssen, und eine Arzneikrankheit mit dem Reste der Krankheitssymptomen gemischt, eine Artverwickelter und vermehrter Krank - heit hervorbringen, um desto mehr, wenn die zweite Gabe noch vor Verfluß der Wirkungsdauer der erstern gereicht wird.

Anm. Die Vernachlässigung dieser Regel be - straft sich allgemein durch Verschlimme - rung der Krankheiten, vorzüglich derer von gefährlicher Art, oder doch durch verspätigte Genesung.
50

206.

Wenn die bis dahin nur vorwärts ge - gangene, nicht zur vollen Heilung gedie - hene Besserung Stillstand nimmt, wird man auch bei genauer Untersuchung der bis auf den gegenwärtigen Augenblick ge - besserten Krankheit eine so veränderte, wenn auch kleine Symptomengruppe an - treffen, auf welche eine neue Gabe der vo - rigen Arznei jezt durchaus nicht mehr ho - möopathisch passen kann, sondern immer eine andre, diesem Reste von Zufällen an - gemessenere Gegenkrankheitspotenz.

169

207.

Hat daher die erste Gabe des möglichst gut gewählten Arzneimittels die völlige Herstellung der Gesundheit innerhalb ihrer Wirkungsdauer nicht vollenden können (wie sie es doch in den meisten Fällen schnell entstandner neuer Uebel kann); so bleibt für den dann noch rückständigen, ob - gleich viel gebesserten Krankheitszustand offenbar nichts Besseres zu thun übrig, als eine Gabe eines andern, für den jetzi - gen Rest von Symptomen möglichst pas - senden Arzneimittels zu reichen.

208.

Nur wenn vor Ablauf der Wirkungs - dauer einer Arzneigabe der Zustand einer dringenden Krankheit sich im Ganzen um nichts gebessert, vielmehr sich (wenig - stens um etwas) verschlimmert hat , die Arznei folglich nicht nach ihren positiven Wirkungen homöopathisch für den Fall ge - wählt war , muß auch noch vor Verlauf der Wirkungsdauer der zulezt gegebnen Arznei, eine Gabe der für den nunmehri -170 gen Krankheitsbefund genauer passenden Arznei gereicht werden.

Anm. Da nach allen Erfahrungen fast keine Gabe einer specifisch passenden, homöo - pathischen Arznei bereitet werden kann, welche zur Hervorbringung einer deutli - chen Besserung in der ihr angemessenen Krankheit (etwa die venerische ausgenom - men) zu klein wäre (§. 132. 244. ), so würde man zweckwidrig und schädlich handeln, wenn man bei Nicht-Besserung, oder einiger, obschon kleiner Verschlim - merung dieselbe Arznei wiederholen, oder sie wohl gar an Gabe noch verstärken wollte. Iede Verschlimmerung durch neue Symptomen wenn in der übri - gen Geistes - oder Körper-Diät nichts - ses vorgefallen ist beweiset stets nur Unpaßlichkeit der vorigen Arznei in diesem Krankheitsfalle, deutet aber nie auf Schwäche der Gabe.
51

209.

Um so mehr, wenn dem scharfsich - tigen, genau nach dem Krankheitszustande forschenden Heilkünstler sich in dringen - den Fällen schon nach Verfluß von 6, 8,171 12 Stunden offenbarte, daß er bei Wäh - lung der zulezt gegebnen Arznei eine Mis - wahl getroffen und der Zustand des Kran - ken sich deutlich von Stunde zu Stunde, obgleich immer nur etwas verschlimmere, ist es ihm nicht nur erlaubt, sondern Pflicht gebeut es ihm, den begangenen Misgriff durch Wahl und Reichung eines nicht blos erträglich passenden, sondern des dem gegenwärtigen Krankheitszustan - de möglichst angemessenen Heilmittels wieder gut zu machen (§. 138.).

210.

Selbst in chronischen Krankheiten ist es selten der Fall, daß, zumahl Anfangs, nichts Besseres zu thun wäre, als zwei - mahl nach einander dasselbe Arzneimittel obgleich erst nach Verfluß der Wir - kungsdauer der zulezt gereichten Gabe zu verordnen.

211.

Wo demnach nicht sogleich ein durch - aus angemessenes, einzig specifisches Mit -172 tel zu finden ist, wird es gewöhnlich noch eine oder ein Paar für die charakteristi - schen Ursymptomen der Krankheit nächst beste Arzneien geben, deren (nach dem je - desmahligen Zustande der Krankheitszu - fälle entweder diese, oder jene) als Zwi - schenarznei jezt am besten passen wird, und deren mit der Hauptarznei abwech - selnder Zwischengebrauch die Herstellung obgleich nicht eigends bewirket, doch weit sichtbarer fördert, als die für den Urcharakter des Uebels anfänglich zwar nicht vollkommen, doch unter den vor - handnen noch am angemessensten befun - dene Hauptarznei zweimahl oder mehr - mahl hinter einander, allein gebraucht.

212.

Fände sichs aber, das leztere in un - unterbrochner Folgereihe einzig und allein fortzugeben, das beste Verfahren wäre (in diesem Falle würde ihre Gegenkrankheits - potenz dem chronischen Uebel sehr ähn - lich entsprechen), so wird man sich gleich - wohl überzeugen, daß auch dann nur je -173 desmahl eine kleinere und kleinere Gabe nach jedesmahligem Verfluß der Wir - kungsdauer gereicht werden dürfe, um die Besserung nicht zu stören und die Hei - lung auf dem geradesten Wege zum er - wünschten Ziele zu führen.

213.

Sobald aber die chronische Krankheit gewichen ist durch ein einziges, völlig pas - sendes (für den Fall specifisches), oder durch ein dem specifischen nahe kommen - des Heilmittel (unter eben bemerktem Zwi - schengebrauch einer zunächst besten Arz - nei); so muß, wenn das Uebel von altem Datum, etwa 10, 15 oder 20 Iahr alt war, noch wohl ein viertel oder halbes Iahr hin - durch, in Zwischenzeiten von einigen und zulezt von mehrern Wochen eine Gabe von dem Hauptmittel gereicht werden aber immer eine kleinere und kleinere bis alle Neigung des Organismus zu dem chro - nischen Siechthum vollends verschwunden und ausgelöschet ist.

174
Anm. Die Vernachlässigung dieser Fürsorge kann auch die beste Kur in übeln Ruf bringen.
52

214.

Der aufmerksame Beobachter merkt den zur Wiederholung der Gabe bestimm - ten Zeitpunkt an dem leisen Erscheinen ei - niger Spuren des einen oder andern Ur - symptoms der ehemahligen Krankheit.

215.

Merkt man aber, daß dieß nicht hin - reichend wäre, und daß der Kranke eine gleich große, auch wohl erhöhete und öf - tere Gabe des ihm immer wohl bekommen - den homöopathischen Heilmittels fortbrau - chen müßte, um keinen Rückfall zu lei - den, so ist dieß ein gewisses Zeichen, daß die die Krankheit erzeugende Ursache noch fortwährt, und daß sich in der Lebensord - nung des Kranken oder in seinen Umgebun - gen ein Umstand befindet, welcher abge - schafft werden muß, wenn die Heilung dauerhaft zu Stande kommen soll.

175

216.

Unter den Zeichen, die in allen, be - sonders akuten Krankheiten eine kleine, nicht jedermann sichtbare Besserung oder Verschlimmerung lehren, ist der Zustand des Gemüths und des ganzen Benehmens des Kranken das sicherste und einleuchtend - ste. Im Falle der auch noch so kleinen Besserung: eine größere Behaglichkeit, eine zunehmende Selbstgelassenheit und Freiheit des Geistes; eine Art wiederkehren - der Natürlichkeit. Im Falle der, auch noch so kleinen Verschlimmerung hingegen, das Gegentheil hievon: ein befangener, genir - ter, mehr Mitleid auf sich ziehender Zu - stand des Gemüthes, des Geistes, des gan - zen Benehmens und aller Stellungen und Verrichtungen, was bei genauer Aufmerk - samkeit sich leicht sehen oder zeigen, nicht aber in einzelnen Worten beschrei - ben läßt.

217.

Die übrigen theils neuen, theils er - höheten oder verminderten Zufälle werden176 dem scharf beobachtenden und forschen - den Heilkünstler an der Verschlimmerung oder Besserung bald keinen Zweifel mehr übrig lassen; indessen giebt es doch Per - sonen, welche theils die Besserung, theils die Verschlimmerung entweder anzugeben unfähig, oder sie zu gestehen, nicht ge - artet sind.

218.

Dem ungeachtet wird man hierüber leicht zur Ueberzeugung gelangen, sobald man weiß, daß, wenn beim Gebrauche der lezten Arznei sich keine neuen Be - schwerden hervorthaten, und der Kranke keine neuen, in seiner Krankheit vorher ungewöhnlichen Zufälle klagen kann, die Arznei auch durchaus reelle Besserung her - vorgebracht haben muß, oder wenn die Zeit zu kurz dazu war, bald hervorbrin - gen muß. Auf der andern Seite, wenn der Kranke diese oder jene neu entstand - nen Zufälle und Symptomen von Erheb - lichheit erzählt (als Merkmahle der nicht homöopathisch passend gewählten Arznei),177 so mag er noch so gutmüthig versichern: er befinde sich in der Besserung; so hat man ihm in dieser Versicherung dennoch nicht zu glauben, sondern seinen Zustand als verschlimmert anzusehen, wie es denn ebenfalls der Augenschein bald lehren wird.

219.

Da einige Symptomen der Arzneien am gesunden menschlichen Körper (wie man bei Beobachtung ihrer positiven Wir - kungen abnehmen kann) um mehrere Stun - den, ja wohl mehrere Tage später, als an - dre erscheinen, so können die in Krank - heiten ihnen entsprechenden Symptomen, wenn auch die übrigen schon vernichtet waren, doch nicht eher, als um diese Zeit der Kur auslöschen; welches daher nicht befremden darf.

Anm. Z. B. das Quecksilber, was seine Nei - gung, runde Geschwüre mit hohem, ent - zündetem, schmerzhaftem Rande zu erre - gen, erst nach mehrern Tagen, bei ge - wissen Körpern aber erst nach einigen Wochen zum Vorscheine bringt, kannM178auch beim innern Gebrauche in der ve - nerischen Krankheit, die Schanker nicht gleich in den ersten Tagen der Kur hei - len.
53

220.

Hat man die Wahl, so sind zur Hei - lung chronischer Krankheiten, Arzneien von langer Wirkungsdauer, hingegen zur Heilung schneller, akuter Fälle, das ist, in solchen Krankheiten, die schon vor sich zu öfterer Veränderung ihres Zustandes geartet sind, Arzneien von kurzer Wir - kungsdauer vorzuziehen.

221.

Der rationelle Arzt wird es zu ver - meiden wissen, sich Arzneien vorzugs - weise zu Lieblingsmitteln zu machen, de - ren Gebrauch er, zufälligerweise, vielleicht öfter mit Passendheit und gutem Erfolge anzuwenden Gelegenheit gehabt hatte. Da - bei werden seltner angewendete, welche angemessener wären, oft hintangesezt.

179

222.

So wird der rationelle Arzt auch die, wegen unpassender Wahl hie und da mit Nachtheil angewendeten Arzneien nicht aus mistrauischer Schwäche beim Heilge - schäfte hintansetzen, und ohne ächte Grün - de (irrationell) vermeiden, eingedenk der Wahrheit, daß immer blos diejenige un - ter den Gegenkrankheitspotenzen Achtung und Vorzug verdient, welche, in dem je - desmahligen Falle, dem Symptomenkom - plexe am treffendsten entspricht, und daß keine kleinlichen Leidenschaften sich in diese ernste Wahl mischen dürfen.

223.

Bei der so nöthigen als zweckmäsi - gen Kleinheit der Gaben im homöopathi - schen Verfahren läßt sich leicht denken, daß bei der Kur alles übrige aus der Diät entfernt werden müsse, was nur irgend arzneilich wirken könnte, damit die feine Gabe nicht durch fremden Reitz über - stimmt oder verlöschet werde.

M 2180

224.

Für chronische Kranke ist die sorg - fältige Aufsuchung solcher Hindernisse der Heilung, um so nöthiger, da ihre Krank - heit gewöhnlich durch dergleichen Schäd - lichkeiten und andre krankhaft wirkende, oft unerkannte Fehler in der Lebensord - nung theils entstanden war, theils verlän - gert zu werden pflegt.

Anm. Koffee, chinesischer und andrer Thee, Biere mit arzneilichen, für den Zustand des Kranken unangemessenen Kräutern an - gemacht, sogenannte feine, mit arzneilich wirkenden Gewürzen bereitete Liqueure, gewürzte Schokolade, Riechwasser und Parfümerien mancher Art, hochgewürzte Speisen und Saucen, gewürztes Backwerk, Gemüse aus Kräutern und Wurzeln, wel - che Arzneikraft besitzen, alter Käse, und Thierspeisen, welche verdorben sind, oder arzneiliche Nebenwirkungen haben, sind eben so sehr von ihnen zu entfernen, als jede Uebermase der Genüsse, Misbrauch geistiger Getränke überhaupt, Stubenhitze, sitzende Lebensart in eingesperrter Luft, Kindersäugen, langer Mittagsschlaf (in Betten), Nachtleben, Unreinlichkeit, un -181 natürliche Wohllust, Entnervung durch Lesen schlüpfriger Schriften, Gegenstände des Zornes, des Grames und Aergernis - ses, leidenschaftliches Spiel, sumpfige Wohngegend, dumpfige Gebäude, über - mäsige Anstrengung des Geistes und Kör - pers, karges Darben, u. s. w. Alle diese Dinge müssen möglichst vermieden oder entfernt werden, wenn die Heilung nicht gehindert oder unmöglich gemacht werden soll.
54

225.

Die beim Arzneigebrauche in chroni - schen Krankheiten zweckmäsigste Lebens - ordnung beruht auf Entfernung solcher Genesungs-Hindernisse und dem Zusatze des hie und da nöthigen Gegentheiles: Aufheiterung des Geistes, Bewegung in freier Luft, angemessene unarzneiliche Speisen und Getränke u. s. w.

226.

In akuten Krankheiten hingegen (den Zustand des vollen Deliriums ausgenom - men) entscheidet der feine untrügliche182 Takt des hier erwachten Lebenserhaltungs - Triebes so deutlich und bestimmt, daß der Arzt blos die Angehörigen und die Krankenwärter zu bedeuten hat, dieser Stimme der Natur kein Hinderniß in den Weg zu legen durch Versagung des Gefo - derten oder durch schädliche Anerbietun - gen, oder Ueberredungen.

227.

Zwar geht das Verlangen des akut Kranken an Genüssen und Getränken auf blos palliative Erleichterungsdinge; sie sind gewöhnlich aber nicht eigentlich arz - neilicher Art, und blos einer Art Bedürf - niß angemessen. Die geringen Hinder - nisse, welche diese in mäsigen Schran - ken gehaltene Befriedigung etwa der gründlichen Entfernung der Krankheit in den Weg legen könnte, wird durch die homöopathisch passende Arznei und die durch sie entfesselte Lebenskraft reichlich wieder gut gemacht und überwogen.

228.

Der rationelle Heilkünstler muß die vollkräftigsten, ächtesten Arzneien in den183 Händen haben, wenn er sich auf sie als Gegenkrankheitspotenzen (Heilmittel) will verlassen können. Er muß ihre Aechtheit selbst kennen.

229.

Es ist Gewissenssache, in jedem Falle untrüglich überzeugt zu seyn, daß der Kranke die wahre rechte Arznei eingenom - men hat.

230.

Der Kräfte der einheimischen oder frisch zu erhaltenden Pflanzen bemächtigt man sich am vollständigsten und gewis - sesten, wenn ihr ganz frisch ausgepreßter Saft sogleich mit gleichen Theilen Wein - geist gemischt wird; so erhält sich ihre ganze Kraft vollständig und unverdorben auf immer, in wohlverstopften Gläsern vor dem Sonnenlichte bewahrt.

Anm. Obwohl gleiche Theile Weingeist und frisch ausgepreßter Saft gewöhnlich das angemessenste Verhältniß ist, um die Ab - setzung des Eiweißstoffes zu erleichtern,184 (und alle mögliche Gährung und Verder - bung auf immer unmöglich zu machen); so hat man doch für Pflanzen, welche viel zähen Schleim oder ein Uebermas an Eiweißstoff enthalten (z. B. Beinwell - wurzel, Freisamveilchen, Hundsdillgleiß, Schwarznachtschatten, u. s. w.) gewöhn - lich ein doppeltes Verhältniß an Wein - geist zu dieser Absicht nöthig. Von dem, nach Tag und Nacht in verstopften Gläsern abgesetzten Eiweißstoffe wird das Helle abgegossen zum Verwahren für den arzneilichen Gebrauch.
55

231.

Die übrigen, nicht frisch zu erlangen - den und ausländischen Gewächse wird der rationelle Arzt nie in Pulverform auf Treu und Glauben annehmen, sondern sich von ihrer Aechtheit in ihrem rohen, ganzen Zustande vorher überzeugen, ehe er die mindeste arzneiliche Anwendung von ih - nen macht.

Anm. Um sie als Pulver zu verwahren, be - darf man Vorsicht. Die auch völlig trock - nen, ganzen, rohen Gewächssubstanzen enthalten doch noch immer innerhalb ih -185 rer Substanz Feuchtigkeit, welche zwar die ganze, ungepülverte Drogue nicht hin - dert, in einem so trocknen Zustande zu existiren, als zu ihrer Unverderblichkeit hinreicht, für eben dieselbe aber, im Zu - stande des feinen Pulvers viel zu viel ist. Wird dieses nun nicht von der durch diese Zerkleinerung überschüssig gewordnen Feuchtigkeit befreiet, so muß es durch sie in Schimmel und Verderbniß gera - then. Deshalb kann selbst die älteste, im ganzen Zustande auch noch so trockne ve - getabilische und animalische Drogue nicht so gerade zu, ohne inneres Verderbniß zu leiden, in Gestalt eines Pulvers in ver - stopften Gefäßen aufgehoben werden, wenn sie von ihrer, durchs Zerkleinen überschüssig gewordnen Feuchtigkeit nicht vorher befreiet worden ist. Dieß ge - schiehet am besten, wenn die Pulver im Wasserbade so weit getrocknet werden, daß alle kleinen Theile desselben (nicht mehr klümperig zusammenhängen, sondern) wie trockner feiner Sand sich leicht von einander entfernen und leicht verstieben. In diesem Zustande lassen sie sich, auf immer unverderblich, in versiegelten Glä - sern aufbewahren in ihrer ursprünglichen vollen Arzneikraft, und ohne je mietig oder schimmlicht zu werden. In nicht186 luftdicht verschlossenen Behältnissen ver - lieren alle vegetabilischen und thierischen Arzneisubstanzen an ihren Kräften immer mehr und mehr.
56

232.

Da jede Arznei am bestimmtesten und vergleichbarsten in Auflösung wirkt, so wendet der rationelle Heilkünstler in Auf - lösung alle Arzneien an, deren Natur nicht ausdrücklich verlangt, in Pulverform an - gewendet zu werden. Alle andre Formen, außer diesen, machen die Vergleichung der Beobachtungen und die Gabe jeder kräftigen Arznei unsicher.

Anm. Die Auflösung der blos trocken zu er - langenden, gepülverten Thier - und Ge - wächs-Substanzen in geistigen Flüssigkei - ten, namentlich in Weingeiste von be - stimmter, gleicher Stärke ist die einzige, nicht durch Gährung verderbliche; sie er - hält die Arzneikräfte derselben am voll - ständigsten. Blos die mehligen Samen aus der Gras - und Schmetterlingsblumen-Fa - milie lassen ihre Arzneikräfte durch Wein - geist am wenigsten ausziehn, und sind als Pulver anzuwenden. Einige wenige Sub -187 stanzen verlangen zur Auflösung durch - aus versüßten Salpetergeist oder Naphthe.
57

233.

Die Metall-die Salz - und andern Be - reitungen dieser Art, deren Aechtheit nicht gleich beim ersten Anblicke, einleuchtet und unverkennlich ist, läßt der rationelle, gewissenhafte Heilkünstler blos unter sei - nen eignen Augen entstehen.

234.

In keinem Falle von Heilung ist es nöthig, mehr als eine einzige, einfa - che Arzneisubstanz auf einmahl an - zuwenden.

235.

Es ist nicht einzusehen, wie es nur dem mindesten Zweifel unterworfen seyn könne, ob es rationeller und vernünftiger sei, einen einzelnen gekannten Arznei - stoff in einer Krankheit zu verordnen, statt eines Gemisches von mehrern.

188

236.

Da der rationelle Heilkünstler in ganz einfachen, einzeln angewendeten Arznei - stoffen schon findet, was er nur irgend wünschen kann: künstliche Krankheitspo - tenzen, welche die natürlichen Krankhei - ten durch homöopathische Kraft zu über - stimmen, auszulöschen und dauerhaft zu heilen vermögen, so wird es ihm nach dem allgemeinen Weisheitsspruche: quod fieri potest per pauca, non debet fieri per plura, nie einfallen, je etwas andres, als einen einzelnen, einfachen Arzneistoff als Heil - mittel zu geben, auch schon deshalb, weil es völlig unbekannt ist, wie sich zwei und mehrere zusammengesezte Arzneistoffe ein - ander in ihren Wirkungen auf den mensch - lichen Körper hindern und abändern - gen, und weil hingegen ein einfacher Arz - neistoff bei seinem Gebrauche in Krank - heiten, deren Symptomenkomplex genau bekannt ist, selbst in dem schlimmsten Falle, daß er nicht homöopathisch ange - messen gewählt werden konnte und also nicht hülfe, doch dadurch nüzt und die Heilmittel-Kenntniß befördert, daß die189 in solchem Falle von ihm erregten neuen Beschwerden diejenigen Symptomen bestä - tigen helfen, welche dieser Arzneistoff sonst schon in Versuchen am gesunden menschlichen Körper gezeigt hatte.

Anm. Bei der treffend homöopathisch für den wohl überdachten Krankheitsfall ge - wählten und innerlich gegebnen Arznei, nun noch einen aus andern Arzneistoffen gewählten Thee trinken, ein Kräutersäck - chen oder eine Bähung aus mancherlei Kräutern auflegen, oder ein andersartiges Klystir einspritzen zu lassen, wird der ra - tionelle Arzt der irrationellen Empirie überlassen.
58

237.

Giebt man eine allzu starke Gabe einer für den gegenwärtigen Krankheitsfall auch völlig homöopathisch, völlig ange - messen und specifisch gewählten Arznei, so wird sie zwar allerdings für die ursprüng - liche Krankheit wohlthätig seyn, doch ab - gerechnet den hier unnöthigen, überstar - ken Eindruck, den sie auf den Organismus macht durch allzu große Menge und Hef - tigkeit.

190

238.

Denn, wird diese von der allzu vie - len Arznei herrührende stärkere, obgleich der ursprünglichen Krankheit sehr ähnli - che Umstimmung des Organisms allzustark durch die stärker als nöthig gewählte Ga - be so erfolgt außer der erhöheten ho - möopathischen Verschlimmerung (§. 132), wenigstens eine unnöthige Entkräftung nach Verfluß der Wirkungsdauer des Me - dikaments, und wenn die Gabe ganz über - mäsig war, so erfolgen außer den erhöhe - ten primären Arzneisymptomen (§. 132), noch Symptomen ihrer Nachwirkung, eine Art Arznei-Nachkrankheit, der erstern an Art entgegen gesezt.

239.

Da nun noch überdem fast keine Arz - nei so vollkommen homöopathisch gewählt werden kann, daß sie dem Symptomenin - begriffe der Krankheit in allen und jeden Punkten mathematisch genau (§. 131, Anm.) und vollkommen entspräche, so steigen die, bei angemessen kleinen Gaben unbe -191 deutenden neuen Symptomen zu hohen Beschwerden mancherlei Art, wenn die Menge Arznei so übermäsig groß ist.

240.

Nach diesen und vielen andern Be - weggründen wird der rationelle Heilkünst - ler (welcher stets nur das Beste zur Richt - schnur seines Verfahrens befolgt, weil es das Beste ist, und sich davon nicht durch blinde Observanz abhalten läßt) die dem Uebel blos so eben nur angemessene Gabe des angemessenen Heilmittels wäh - len, die kaum einen Anschein von Krank - heitsverschlimmerung (§. 132.) zu erregen, das ist, kaum im mindesten seine Gegen - krankheitspotenz über die zu heilende Krankheit zu erheben vermag.

241.

Man darf diese anscheinende Ver - schlimmerung und Erhöhung der gegen - wärtigen Krankheit durch das homöopa - thische Mittel kaum merken, und dieß192 auch nur in den ersten Paar Stunden nach der Einnahme.

242.

Eins der Hauptgesetze der homöopa - thischen Heilkunde besteht nämlich darinn: die zur Aufhebung einer natürli - chen Krankheit möglichst ange - messen gewählte Gegenkrankheits - potenz (das Heilmittel) nur so stark einzurichten, daß sie nur so eben zur Absicht hinreiche, und durch unnöthige Stärke den Körper nicht im mindesten angreife.

243.

Da nun die kleinste Menge Arznei den Organismus, natürlich, am wenigsten an - greift, so würde man die allerkleinsten Gaben zu wählen haben, wenn sie nur stets der Krankheit gewachsen wären.

244.

Hier zeigt nun die Erfahrung durch - gängig, daß auf homöopathischem Wege193 die kleinsten Gaben der Krankheit jederzeit gewachsen sind. Denn liegt der Krankheit nicht offenbar eine beträchtliche Verderb - niß eines wichtigen Eingeweides zum Grun - de, so kann fast keine Gabe des ho - möopathisch gewählten Heilmit - tels so klein seyn, daß sie nicht stärker als die natürliche Krank - heit wäre, und sie nicht besiegen könnte.

245.

Wie sehr sich in Krankheiten die Em - pfindlichkeit des Körpers gegen Arzneien, vorzüglich die homöopathisch angewende - ten erhöhe, hievon hat nicht der gewöhn - liche, nur der genaue Beobachter hat hie - von einen Begriff. Sie übersteigt allen Glauben, wenn die Krankheit einen hohen Grad erreicht hat.

Anm. Ein gefühllos da liegender, komatöser Typhuskranker mit brennend heißer Haut von Schweiße bedeckt, mit schnarchen - dem, stoßweise unterbrochnem Athem ausN194offen stehendem Munde, u. s. w. wird von der kleinsten Gabe Mohnsaft binnen weni - gen Stunden zur Besinnung gebracht und binnen noch einigen Stunden zur Gesund - heit wieder hergestellt, wenn auch die Gabe millionmahl kleiner war, als sie je ein Arzt auf der Welt verordnete. Die Empfindlichkeit des kranken oder kränk - lichen Körpers steigt in vielen Fällen so hoch, daß äußere Potenzen auf ihn zu wirken und ihn zu erregen anfangen, de - ren Existenz sogar oft geleugnet ward, weil sie auf den gesunden, festen Körper und in manchen dazu nicht geeigneten Krankheiten keine in die Augen fal - lende Wirkung zeigen, wie z. B. der thierische Magnetism (Animalism), jene bei gewissen Arten der Berührung oder Fast-Berührung von einem lebenden Kör - per auf den andern influirende Kraft, wel - che in schwächlichen, zärtlichen und em - pfindlichen Personen beider Geschlechter eine erstaunenswürdige Erregung hervor - bringt. Wie unbegreiflich klein werden hienach die immer noch materiellen Gaben homöopathischer Arznei bereitet werden können, um doch noch in dem so empfind - lichen kranken Körper erstaunenswürdige Erregung hervorzubringen!
59
195

246.

So ist auch jeder Kranker besonders im Punkte seiner Krankheit von den pas - senden arzneikräftigen Potenzen höchst umstimmbar, und es giebt keinen, selbst noch so robusten, auch nur mit einem chronischen oder sogenannten Lokalübel behafteten Menschen, welcher in dem lei - denden Theile nicht bald die erwünschteste Veränderung spürte, wenn er die hülfreiche und homöopathisch passende Arznei in der erdenklich kleinsten Gabe eingenom - men, welcher mit einem Worte nicht weit mehr dadurch umgestimmt werden sollte, als der einen Tag alte, aber gesunde Säug - ling.

Anm. Man setze dieser Wahrheit nicht die oft ungeheuern Gaben von Arzneien in der gemeinen Praxis entgegen. Diese stehen nämlich (um hier nur einige Gründe an - zugeben, da ich weiter unten noch etliche anzuführen, Veranlassung habe,) höchst selten in Homöopathie mit der Krankheit (in welcher die Arzneien unendlich wirk - samer, als auf andre Art gebraucht, das Befinden umändern) und werden immerN 2196entweder blos in Zusammensetzung mit andern starken Arzneien, oder so ge - braucht, daß noch daneben und dazwi - schen andre Arzneien von heftiger Wir - kung eingegeben werden, in welcher Mi - schung nicht mehr jedes nach seiner ei - genthümlichen Art wirkt, sondern abge - ändert durch die Wirkung des zweiten, dritten, oder vierten Ingredienzes. Die Kräfte der mehrern Arzneien in einer Mi - schung heben einander zum größten Theile auf, so daß sie oft ohne großen Erfolg eingenommen werden. Ein einzelnes die - ser heftigen Ingredienzen, wenn es ächt und vollkräftig ist, würde in derselben Gabe, allein gereicht, sehr oft den Tod bringen; ein fürchterlicher Umstand, wel - cher die Aerzte stillschweigend, und wie durch Instinkt mit dazu bewogen zu ha - ben scheint, die nach ihren positiven Wir - kungen bisher ungekannten Arzneien durch vielfältige Zusammenmischung in Eine For - mel weniger gefährlich zu machen. (eine Veranstaltung, die ihnen bei dem Aus - drucke corrigentia undeutlich vorgeschwebt zu haben scheint) In dieser Rücksicht ist es fast ein Glück zu nennen, daß viele Arzneien in der gemeinen Praxis, beson - ders die Extrakte durch die bisherige Ver -197 fertigung fast völlig kraftlos zu werden pflegten.
60

247.

Um nun ächt rationell zu verfahren, wird der wahre Heilkünstler seine wohl - gewählte homöopathische Arznei genau nur in so kleiner Gabe verordnen, als zur Ueberstimmung und Vernichtung der ge - genwärtigen Krankheit zureicht in ei - ner Kleinheit von Gabe, welche, wenn ihn die menschliche Schwäche je verleitet hätte, eine unpassendere Arznei gewählet zu ha - ben, den Nachtheil ihrer Unpassendheit in der Krankheit bis zur Geringfügigkeit ver - mindert, welcher von der möglichst klein - sten Gabe auch viel zu schwach ist, als daß er durch die eigne Energie der Natur und durch schnelle Entgegensetzung des nun angemessener gewählten, homöopathischen Heilmittels, ebenfalls in kleinster Gabe, nicht alsbald wieder ausgelöscht und gut gemacht werden könnte.

Anm. Wenn ich von möglichster Kleinheit der Gabe in der homöopathischen Heil -198 kunde, spreche, so kann ich hier, auch schon deshalb, weil die Arzneien selbst an Kraft so verschieden sind, keine Ta - belle von Maas und Gewicht der Arzneien hersetzen. Nur anmerken will ich, daß die Menschen nach dem Umfange der Kul - tur ihres Geistes höchst verschiedne Maas - stäbe zur Schätzung der Größen und Kleinheiten haben, daß Manchem die Zahl Meilen, von der unsre kleine Erde um - spannt wird, schon etwas Ungeheures deuchtet, und daß man ihm von den Qua - drillion und Quintillion Erdmessern, in denen die zahllosen Sonnen in der unend - lichen Schöpfung von einander abstehen, gar nichts vorreden darf. Eben so be - schränkte Menschen findet man, welche nichts achtenswerth schätzen, als was die Faust füllt, und die Dinge nicht nach ih - rer wahren inwohnenden Kraft, sondern nach dem plumpen Handelsgewicht - gen , deren kleinstes Gewicht bei Arz - neien sich nicht unter Einen Gran er - streckt, während ein Zehntelgran ihnen schon eine unbedeutende Kleinigkeit zu seyn deuchtet. Wie sollte man diesen Menschen mit so kurzen Maasstäben zumuthen, sich Be - griffe zu machen von der nöthigen Thei - lung und Verkleinerung der Arzneigaben199 zu homöopathischer Absicht in die niedrig - sten Bruchtheile eines Grans? Vergeblich! ihr beschränkter Geist schwindelt vor Zah - len und Theilungen, die in der Spanne ihres Wirkungskreises nie gehört, nie ge - dacht worden waren. Und doch ist es nur allzuwahr, daß in der Unendlichkeit der Schöpfung alles, was wir schwachen Menschen uns als groß, sehr groß den - ken, noch lange nicht groß alles was wir uns als möglichst klein denken, noch lange nicht klein zu achten ist. Zerlege, wenn du kannst, die Bestandtheile der Or - gane des Infusionsthierchens; und du bist kaum zum Anfange der Dinge herabge - stiegen, welche in der Schöpfung klein zu nennen sind. Und welche Kraft be - sitzt nicht jedes der zahllosen Organe, die den Körper des Infusionsthierchens ver - kürzen, verlängern und seine Bewegung in Flüssigkeiten so gewaltig beschleunigen, außer was sie sonst noch zu seinem Le - ben, zu seiner Bestimmung, zu seinen Ge - müssen und zu seiner Fortpflanzung, uns unwissend, beitragen! Welche unermeß - lich große Energie in diesen nach unsern eingeschränkten Begriffen für so klein ge - achteten Theilen! Kurzsichtiger! wie willst du den wundersamen, fast geistigen Kräf - ten der Arzneien eine Gränze abstecken,200 ihnen ein Gewicht aus deinen alltäglichen Gewichten vorschreiben, unter welchem sie aufhören sollen, etwas Wirksames zu seyn! Es liegt schon im Begriffe der Thei - lung, daß kein Theil so klein von uns gemacht werden kann, daß er aufhöre, Etwas zu seyn, und daß er nicht von den sämtlichen Eigenschaften des Gan - zen participirte. Wie, wenn nun dieser möglichst kleinste Theil noch so kräftig wäre, als du ihn nur irgend zu deinem Behufe bedarfst; wolltest du ihn dann wi - der deinen Zweck größer machen, blos um der Observanz und den Menschen mit den kurzen Maasstäben nicht zu nahe zu treten? Und was bedarf es beträchtlicher Ge - wichtsgaben zu arzneilichen Potenzen, wenn sie bei der homöopathischen Anwen - dungsart schon in der möglichst kleinsten Menge die Krankheiten auf die schnellste und dauerhafteste Art zu besiegen im Stande sind? Wozu Bedenklichkeiten über die Kräftigkeit so kleiner, doch noch im - mer materieller, obgleich nach dem klein - sten Gewichte zu berechnender Gaben ho - möopathischer Heilmittel, da gerade die kräftigsten Gegenkrankheitspotenzen völ - lig unwiegbar sind, und mit ganz inpon -201 derabeln Stoffen Einwirkung auf das Be - finden des Menschen machen? Wer kennt die arzneilichen Kräfte der Kälte und Wärme nicht? Wer will die der Elektri - sität und des Galvanismus miskennen? Wer will die heroischen, oft allzu star - ken Kräfte des thierischen Einflusses (thie - rischen Magnetisms) in Umänderung des menschlichen Befindens leugnen? Und was geht über die mächtige Gegenkrankheits - potenz, die der Stahlmagnet nach der ver - einigten Beobachtung einer großen Menge scharfsichtiger und redlicher Beobachter in einer Menge von Krankheiten klärlich bewiesen hat? der Stahlmagnet, des - sen unablässig ausströmender, inponderab - ler Stoff in keinen unsrer Sinne fällt und dennoch das Befinden selbst des gesunde - sten Menschen in hohem Grade umändert, wie jeder an sich selbst sich überzeugen kann, wenn er mit dem Nordpole eines größern Magnetstabes, welcher zehn bis zwölfmahl sein eignes Gewicht zu ziehn vermag, nur Eine Stunde lang irgend ei - nen Theil seines Körpers berühren läßt, oder nur bedenkt, was schon die Erfah - rungen glaubwürdiger Beobachter an ge - sunden Personen hierüber gelehrt haben (m. s. Andry und Thouret Beob. und Unters. üb. d. Gebr. d. Magn. Leipz. 1785. S. 155.)
61
202

248.

Aus der Thatsache, daß eine gewisse, homöopathisch gewählte Arznei den für sie geeigneten Krankheitszustand durch ge - wöhnlich nicht vielmehr als Eine einzige Gabe überstimmt und erschöpft, und jede überflüssig stärkere Gabe den Körper mehr als nöthig angreift, erklärt sich jene wich - tige, allgemein gültige Bemerkung: daß jede Gaben-Zertheilung (auf mehrere Ein - nehmungs-Zeiten vertheilt) eine weit stär - kere Wirkung thut, als die ganze, auf ein - mahl gereichte Gabe.

249.

Acht Tropfen irgend einer Arzneitink - tur auf Eine Gabe thun wohl viermal gerin - gere Wirkung, als eben diese acht Tropfen auf achtmahl, alle Stunden, oder alle zwei Stunden zu einem Tropfen gegeben.

250.

Nimmt man nun noch Verdünnung dazu (wodurch die Gabe eine größere Aus -203 breitungsfähigkeit gewinnt), so kann man den Effekt leicht bis zur Uebermase erhö - hen; wiewohl auch hierin noch ein nicht geringer Unterschied statt findet, ob die Vermischung mit einer Flüssigkeit nur so obenhin, oder so gleichförmig und innig geschehen ist, daß der kleinste Theil der Flüssigkeit auch einen verhältnißmäsigen Theil der aufgelöseten Arznei in sich auf - genommen hat; denn dann ist erstere weit weniger kräftig als diese.

251.

So wird ein einzelner Tropfen jener Tinktur mit einem Pfunde Wasser durch starkes Umschütteln innig gemischt und alle zwei Stunden zu zwei Unzen ein - genommen, wohl viermahl mehr Wirkung thun, als alle acht Tropfen auf einmahl gegeben.

252.

Aus lezterm Erfahrungssatze daß die Kraft der flüssigen Arznei durch das größere Volumen Flüssigkeit, womit sie204 innig gemischt werden, ansehnlich zu - nimmt folgt unleugbar, daß um die Gabe des homöopathischen Heilmittels so klein, als möglich und nöthig ist, einzu - richten, sie auch in möglichst kleinsten Volumen gereicht werden müsse, damit so wenig als möglich Nerven von ihr berühret werden, wenn sie eingenommen wird.

Anm. Daher auch die Unnöthigkeit und Zweckwidrigkeit des Nachtrinkens auf ei - ne mit Fleiß so klein eingerichtete Gabe.
62

253.

So steigert und mindert sich auch die Wirkung der Gabe nicht in gleicher Pro - gression mit ihrer intensiven Quantität. Acht Tropfen Tinktur von einem Arznei - stoffe auf die Gabe wirken nicht vier - mahl mehr Effekt als zwei Tropfen der - selben auf die Gabe, sondern nur etwa doppelt soviel als zwei Tropfen auf die Gabe. Eine Mischung von einem einzi - gen Tropfen der Tinktur mit zehn Tropfen einer unarzneilichen Flüssigkeit gemischt, wird, zu Einem Tropfen eingenommen,205 nichtzehnmahl größere Wirkung thun, als ebenfalls Ein Tropfen einer noch zehn - mahl dünnern Mischung, sondern nur et - wa (kaum) eine doppelt stärkere Wir - kung, und so weiter herab nach demselben Gesetze so daß ein Tro - pfen der höchsten Verdünnung immer noch eine sehr beträchtliche Wirkung äußern muß, und wirklich äußert.

Anm. Gesetzt 1 Tropfen einer Mi - schung, welcher Gran des Arzneistoffs enthält, thue eine Wirkung = a; so wird 1 Tropfen einer ver - dünntern Mischung, welcher $$\frac{1}{100}$$ Gran des Arz - neistoffs enthält, = 〈…〉 und wenn er $$\frac{1}{10000}$$ Gran des Arz - neistoffs enthält, = 〈…〉 u.s.w. so daß, bei gleichem Volumen der Gaben, durch jede (vielleicht mehr als) quadratische Verkleinerung des Arzneigehaltes die Wir - kung sich doch nur etwa zur Hälfte mindert.
63

254.

Die Wirkung der heilenden Gegen - krankheitspotenzen, die man Arzneien206 nennt, auf den lebenden menschlichen Kör - per geschieht auf eine so eindringliche Art, verbreitet sich von dem Punkte der mit Nerven begabten, empfindlichen Faser aus, worauf die Arznei zuerst angebracht wird, mit einer so unbegreiflichen Schnelligkeit und Allgemeinheit durch alle Theile des lebenden Individuums, daß man diese Wirkung fast geistig nennen könnte, fast so geistig als die Vitalität selbst, von wel - cher ihre Wirkung auf den Organism re - flektirt wird; der ihren specifiken Eindruck percipirende, von Reitzbarkeit und Em - pfindung belebte Körper leiht dieser Wir - kung eine Art Leben.

255.

Ieder Theil unsers Körpers, der nur Tastsinn besitzt, ist auch fähig, die Ein - wirkung der Arzneien aufzunehmen, und die Kraft derselben auf alle übrigen Theile fortzupflanzen.

256.

Am empfänglichsten für die arzneili - chen Eindrücke sind freilich Zunge, Mund und Magen, und die an diesen Stellen,Nachricht für den Buchbinder: Diese 4 Blä207vorzüglich in aufgelöster Gestalt aufgenom - menen Arzneien wirken in der vollesten Mase und mit der größten Schnelligkeit durch sie auf alle Punkte des Organismus hin.

257.

Indessen ist auch die innere Nase (die Lungen), die empfindlichsten Stellen der Zeugungstheile und der Mastdarm nicht viel weniger empfänglich für ihre Einwir - kung , so wie hautlose und verwun - dete oder geschwürige Stellen den Kräften der aufgelegten Arzneien eine fast eben so eindringliche Einwirkung auf den gan - zen Organismus verstatten, als wenn die Arznei durch den Mund eingenommen worden wäre.

Anm. Ia sogar diejenigen Theile, welche den ihnen eigenthümlichen Sinn verloren haben (z. B. eine Zunge, die den Ge - schmack, oder eine Nase, die den Ge - ruch verloren hat) theilen die blos auf sie zunächst einwirkende Kraft der Arznei in nicht geringerer Vollständigkeit der Ge -208 samtheit aller Organe und Theile des übri - gen Körpers mit.
64

258.

Dagegen sind die äußern mit Haut und Oberhaut umkleideten Theile des Kör - pers weit weniger zur Aufnahme der Arz - neikraft geschickt, so jedoch, daß unter ihnen wiederum diejenigen Stellen, wel - che die empfindlichsten sind (die Haut des Unterleibes der Herzgrube, und der innern Biegungen der Gelenke) auch mehr Ein - druck der Arzneien auf die Nerven, und durch sie auf den ganzen übrigen Orga - nismus verstatten, obschon weit weniger, als wenn dieselben Arzneien durch den Mund eingenommen, oder in den Mast - darm eingespritzt worden wären.

259.

In Fällen also, wo wir gehindert wer - den, das Nöthige durch den Mund einzu - geben (wiewohl das Verweilen der pas - senden homöopathischen Arznei blos im Munde, und wenn sie auch gar nicht hin -209 tergeschluckt werden könnte, doch den vollen Effekt auf die Gesamtheit aller übrigen Organe ausrichtet ) auch wo man sie nicht füglich durch den After ein - bringen könnte, oder wollte , in diesen Fällen kann man durch bloses Auflegen der aufgelösten Arznei auf die empfindlichsten äußern Theile z. B. auf den Unterleib, die Herzgrube, u. s. w. nicht viel weniger bei empfindlichen Personen ausrichten, als durch das Einnehmen; doch muß eine kräftigere Arzneiform hiezu gewählt und eine größere Fläche damit belegt, und, wenn die Kraft noch stärker seyn soll, das Einreiben noch mit zu Hülfe genommen, auch wohl die Arznei (in stärkerer Menge) im halben oder ganzen Bade angewendet werden.

Anm. Das Einreiben scheint die Einwirkung der Arzneien nur dadurch zu befördern, in wiefern das Reiben an sich die Haut em - pfindlicher und so die lebende Faser em - pfänglicher für die Perception der eigen - thümlichen, durch sie auf den ganzen Or - ganismus hinstrahlenden Arzneikraft macht. Das vorgängige Reiben der innern StellenO210des Oberschenkels macht die nachgängige blose Auflegung der Quecksilbersalbe eben so heilkräftig, als wenn die Salbe selbst eingerieben worden wäre.
65

260.

Unter andern Ursachen, welche in der gemeinen Praxis zu den hohen Gaben An - laß gegeben haben, ragt vorzüglich die palliative Anwendung der Arzneien her - vor.

Anm. Unter andern liegt der ganz entgegen gesetzte Abstand der palliativen von der homöopathischen Heilart mit darin, daß zu ersterer möglichst große, zu letzterer hingegen möglichst kleine Gaben erforder - lich sind.
66

261.

In der palliativen Anwendung der Arzneien, die nur ein Widerschein und das gerade Widerspiel der homöopathischen Heilart ist, suchte man durch einige be - kannt gewordene Symptomen der Arzneien211 ganz entgegen gesetzte Symptomen der Krankheit zu vertreiben.

262.

Da hier durch die Arznei nichts Aehnli - ches vom gegenwärtigen Krankheitszustan - de (wie in der homöopathischen Heilart), sondern das gerade Gegentheil desselben im Organism erregt wird, so bemerkt man auch bei solchen Palliativkuren nicht nur nicht das Mindeste von anfänglicher (an - scheinender) Verschlimmerung des Krank - heitszustandes wie bei der homöopathi - schen (§. 132.), sondern im Gegentheile ei - ne fast augenblickliche anscheinende Min - derung desselben. In der ersten Stunde nach der Einnahme des Palliativs befindet sich der Kranke am meisten erleichtert, welches nach der Einnahme des homöopa - thischen Heilmittels nie geschieht.

263.

Während in der homöopathischen Heilart der ganze Krankheitszu -O 2212stand durch die sehr ähnliche künstliche Gegenkrankheits-Potenz des specifischen Heilmittels im Organismus in kurzer Zeit (nur nicht in der ersten Stunde, sondern allmählig von Stunde zu Stunde immer mehr) überstimmt, ausgelöscht und ver - nichtet wird, wird in der Palliation, de - ren Norm ist: contraria contrariis curentur ein einzelnes gegenwär - tiges Krankheitssymptom durch das ganz entgegen gesetzte, der Arznei eigne Symptom schnell nur besänftigt; viel - leicht indem sich die Gegensätze durch eine Art wechselseitiger Ineinander-Schmel - zung, so zu sagen, dynamisch (aber nur temporär) neutralisiren, und auf diese Art ihren Einfluß auf den Organism so lange verlieren, als die Wirkungsdauer des opponirten Arzneisymptoms anhält.

264.

Das vorige Uebel scheint gleich im An - fange der Palliativkur wie verschwunden; aber es wird nicht aufgehoben, nicht aus -213 gelöscht es kehrt, so wie die entgegen gesetzte Wirkungstendenz des Palliativs zu wirken nachläßt und ausgewirkt hat, wel - ches in einigen Stunden oder Tagen ge - schieht, wieder zurück, nicht nur in glei - cher Mase, sondern sogar verstärkt durch Hinzutritt der Nachwirkungstendenz (Se - kundärsymptomen) des Palliativs, die (als Gegensatz der Primärwirkungen) dem ursprünglichen Krankheitssymptome sehr ähnlich ist, und es so, als Zusatz, wesent - lich und dauerhaft verschlimmert.

265.

Dem homöopathischen Heilungspro - cesse ganz entgegengesetzt, befindet sich in der ersten Stunde des palliativen Arznei - gebrauchs der Kranke am meisten erleich - tert, in der zweiten Stunde weniger, in der dritten noch weniger und so fort, bis nach Verfluß der opponirten Primärwirkung der Arznei, die Tendenz der Sekundärwirkung hinzutritt und dann befindet sich der Kran - ke schlechter, als vor der Einnahme des Palliativs.

214
Anm. Da der Zutritt einer neuen Krankheit zu einer schon vorhandnen ganz die Natur einer Arznei besitzt, und man sich einer sol - chen Krankheit, wenn diese neue der ältern an Symptomen ähnlich ist, als eines voll - kommen homöopathischen Heilmittels be - dienen und die ältere Krankheit damit ver - nichten und auslöschen kann (§. 28. 30. 36. ); so kann man sich auch der Krankhei - ten fehlerhaft als Palliative bedienen, wie auch schon geschehen ist. So glaubte Leroy, der diesen Unter - schied und seine Bedeutung nicht kannte (Heilk. für Mütter, S. 383.) die skrophulö - sen Drüsenverhärtungen des ganzen Kör - pers bei einem Kinde durch Einimpfung der Menschenpocken heben zu können. Beim Ausbruche der Pocken waren auch alle Drüsenverhärtungen gleich wie ver - schwunden; aber sechs Wochen hernach länger dauerte die palliative Suspension des alten Uebels nicht erschienen die Drüsenverhärtungen alle wieder ganz natürlich, da die Drüsenverhärtun - gen, welche auf Menschenpocken zu pfle - gen, nicht in ihrer Primärwirkung, das ist, nicht in ihrem akuten Stadium, son - dern in ihrer Nachkrankheit (Sekundärwir - kung) enthalten sind, folglich schon am215 Körper vorhandne Drüsenverhärtungen nicht homöopathisch heilen, aufheben und vernichten können.
67

266.

Um nun die schmeichelhafte Erleich - terung zu erneuern, ist man genöthigt, das Palliativ in jedesmahl verstärkten, oft an - sehnlich verstärkten Gaben zu reichen, weil jede Gabe außer dem zu bestreitenden Krankheitssymptome, auch noch die durch die Sekundärsymptomen der vorigen Gabe erzeugte Verschlimmerung des Krankheits - zustandes mit zu verdecken hat. *)Ein starkes Beispiel dieser Art sehe man in J. H. Schulze, Diss. qua corporis humani momen - tanearum alterationum specimina quae - dam expenduntur, Halae, 1741. §. 28.

267.

Ohne Verstärkung der Gabe des Pallia - tivs wird die (temporäre) Erleichterung im - mer geringer, zuletzt unbemerklich und zu Nichts (und dann erfolgt eine desto stärke -216 re Verschlimmerung des Krankheitszustan - des hinterdrein).

268.

Iede blos in immer verstärkter Gabe erleichternde (in ihrer Wirkung einem Hauptsymptome der Krankheit antiloge und opponirte) Arznei, ist ein Palliativ.

Anm. Das Irrationelle der palliativen Ver - fahrungsart leuchtet von selbst ein, da der Kranke ja nicht eine täuschende, tempo - räre Erleichterung, welche im Erfolge das Uebel verstärkt, son - dern gründliche Heilung bedarf, und sie ist auch schon deshalb fehlerhaft, weil man nur ein einzelnes Symptom oft nur den zwanzigsten Theil der Krankheit und ihres Symptomeninbegriffs dadurch zu be - streiten vermag, das ist, nur symptoma - tisch, und dennoch nicht hülfreich ver - fährt. Doch war es noch ein Glück, daß man die den Arzneien eignen Symptome zu we - nig kannte, als daß man zur Bestreitung gegenseitiger Zustände gar zu häufig von ihnen hätte Misbrauch machen können. 217Es blieb nur bei einigen Operationen dieser Art: habitueller Neigung zur Schläfrigkeit setzte man Kaffee den, selbst chronischen Durchfällen die Leib verstopfende primäre Kraft des Mohnsafts, die betäubten, dum - men Schlaf machende Wirkung desselben der, oft langwierigen Nachtmunterkeit, und allen erdenklichen Arten Schmerzen den Stupor und die Fühllosigkeit entgegen, welche diese Substanz über das ganze Sen - sorium verbreitet ; mit den in starker Gabe die Därme zu häufiger Ausleerung reitzenden Purgirarzneien und Laxirsalzen wollte man die Neigung zur Leibesversto - pfung aufheben, durch erhitzende Gewür - ze und geistige Getränke dem Mangel an Blutwärme, und der sogenannten Magen - schwäche abhelfen, durch Niesemittel langwierigen Stockschnupfen heilen, mit kühlenden Dingen der Verbrennungs-Ent - zündung steuern, mit Blutausleerung jede Hitze mindern, mit den die Harnauslee - rung so mächtig aufreitzenden Kanthariden die fast vollendete Blasenlähmung selbst in chronischen Fällen zur Thätigkeit erwe - cken, alte Lähmungen verschiedner Art mit der in der Primärwirkung die Muskeln in Bewegung setzenden Elektrisität und galvanischen Kraft vertreiben, u. s. w. 218Wie selten man aber Gesundheit, wie oft man verstärkte Krankheit und noch etwas Schlimmeres damit erreichte, lehrte die oft zu späte Ueberzeugerin, Erfahrung.
68

269.

Blos bei höchst dringenden Gefahren z. B. bei Asphyxien und dem Scheintode vom Blitze, vom Ersticken, Erfrieren, u. s. w. ist es erlaubt und zweckmäsig, durch ein Palliativ z. B. durch gelinde elektrische Erschütterungen durch starken Kaffee, durch ein excitirendes Riechmittel u. s. w. vorerst wenigstens die Empfindung und Reitzbarkeit (das physische Leben) wieder in Gang zu bringen, bis man weiter, wo nöthig, homöopathisch verfahren kann. Hieher gehören auch verschiedne Antidote jählinger Vergiftungen.

270.

Auch ist eine homöopathische Arznei in Heilung der Krankheiten deshalb noch nicht unpassend gewählt, wenn einige Arzneisymptomen einigen mittlern und klei -219 nern Krankheitssymptomen nur palliativ entsprechen, wenn nur die übrigen, vor - züglich die stärkern, besondern und cha - rakteristischen Hauptsymptomen der Krank - heit durch dasselbe Arzneimittel homöopa - thisch (durch Symptomenähnlichkeit) ge - deckt und befriedigt werden.

271.

Es erfolgt in diesem Falle nichts von den Nachtheilen der gewöhnlichen einseiti - gen Palliation eines einzelnen Krankheits - symptoms; es erfolgt vollständige Heilung ohne Nebenbeschwerden oder Nachwehen, doch so, daß die Symptomen, welche hier nur durch entgegengesetzte, in der Kraft der Arzneisubstanz liegende Symptomen (palliativ) bestritten werden, gewöhnlich nicht eher vergehen, als nach gänzlich vollendeter Wirkungsdauer des Medika - ments.

Anm. 1. Eine andre, sehr häufige Methode, Arzneien in der niedern Praxis anzuwen - den, welche den Wahn von der Nöthigkeit220 großer Arzneigaben hervorgebracht und unterhalten hat, ist die, durch heftige Arzneien einen (weder analogen, noch op - ponirten, sondern) andersartigen Reitz im Organismus anzubringen, um, so zu sagen, die Krankheit durch die Stärke des Arz - neisturms zu überwältigen. Während nun so die andersartig reitzenden Mittel den Organism, oder vorzüglich den einen Theil desselben in einer stärkern, andersartigen Krankheitsstimmung erhalten, schweigt in - deß die ursprüngliche Krankheit, kömmt aber sogleich wieder, wenn der Kranke solche Arzneien zu nehmen aufhört. Die meisten sogenannten Revulsionen gehören in diese Kategorie.

So wenn der gemeine Praktiker z. B. die Krätze mit Purgirmitteln zu bestürmen anfängt, fängt auch die Krätze an, von der Haut zu verschwinden, verläßt, wenn mit den Purganzen gestiegen wird, die Haut fast ganz, und bleibt so lange fast ganz weg, als der Darmkanal durch die Purgirmittel recht krank und kränker erhalten wird, als die Krätze die Haut zu machen pflegte. Muß aber der Praktiker endlich dennoch mit den Purganzen nachlassen, so kömmt der Ausschlag in voller Mase wieder auf die Haut weil von einem andersartigen221 Krankheitsreitze keine Krankheit geheilt, sondern nur (fast wie bei Palliativen; nur nicht so schnell und mit noch angreifende - rer Heftigkeit) suspendirt und die Zeit über als die Uebermacht des künstlichen unpas - senden Reitzes anhält, nur zum Schwei - gen gebracht wird (§. 22. 24. 26. 27.). So wirken die Haarseile, die Fontanelle die Exutorien, u. s. w.

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Anm. 2. Neben der homöopathischen Heilart wird der rationelle Arzt höchst selten Ur - sache finden, jene revolutionirende Metho - de, Ausleerungsmittel von oben oder unten, anzuwenden, außer wenn ganz unverdau - liche oder fremdartige, sehr schädliche Substanzen in den Magen oder in die Ge - därme gerathen sind. Außerdem findet zuweilen die Anwen - dung einiger undynamischen Mittel statt.222 salze, Seife und Schwefel, welche die ätzenden Säuren und Metallsalze in oder an dem menschlichen Körper chemisch zu zersetzen, zu neutralisiren und unschädli - cher zu machen im Stande sind und Säuren und Laugensalze, welche die verschieden - artigen Harnsteine in der Blase aufzulösen vermögen so das physisch zerstörende glühende Eisen, die chemisch wegätzenden Dinge mancher Art, u. s. w. des blos minorativen, selten rationell anzuwenden - den Blutlassens, der Blutigel, u. s. w. hier nicht zu erwähnen.
70

Verbesserungen.

  • S. 40 Z. 3 l. einleuchtendem st. einleuchtenden
  • 40 3 l. wahrem st. wahren
  • 40 18 l. den st. der
  • 55 15 l. schon st. sehr
  • 199 23 24 l. Genüßen st. Gemüssen.

About this transcription

TextOrganon der rationellen Heilkunde
Author Samuel Hahnemann
Extent283 images; 34446 tokens; 7432 types; 255795 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationOrganon der rationellen Heilkunde Samuel Hahnemann. . 270 S. ArnoldDresden1810.

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