PRIMS Full-text transcription (HTML)
Novellen
Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. (Beſſerſche Buchhandlung.) 1855.

Meinem lieben Freunde Adolph Menzel zugeeignet.

Inhalt.

  • Die BlindenSeite 1
  • Marion 69
  • La Rabbiata 89
  • Am Tiberufer 125
[1]

Die Blinden.

1[2][3]

Erſtes Capitel.

Am offnen Fenſter, das auf den kleinen Blumen¬ garten hinausging, ſtand die blinde Tochter des Dorf¬ küſters und erquickte ſich am Winde, der über ihr heißes Geſicht flog. Die zarte, halbwüchſige Geſtalt zitterte, die kalten Händchen lagen in einander auf dem Fenſterſims. Die Sonne war ſchon hinab und die Nachtblumen fingen an zu duften.

Tiefer im Zimmer ſaß ein blinder Knabe auf einem Schemelchen an dem alten Spinett und ſpielte un¬ ruhige Melodieen. Er mochte fünfzehn Jahre alt ſein und nur etwa um ein Jahr älter als das Mädchen. Wer ihn gehört und geſehen hätte, wie er die großen offnen Augen bald emporwandte, bald das Haupt nach dem Fenſter neigte, hätte ſein Gebrechen wohl nicht geahnt. So viel Sicherheit, ja Ungeſtüm lag in ſei¬ nen Bewegungen.

Plötzlich brach er ab, mitten in einem geiſtlichen Liede, das er nach eignem Sinne verwildert zu haben ſchien.

Du haſt geſeufzt, Marlene? fragte er mit um¬ gewandtem Geſicht.

1 *4

Ich nicht, Clemens. Warum ſollt 'ich ſeufzen? Ich ſchrak nur zuſammen, wie der Wind auf einmal ſo heftig hereinfuhr.

Du haſt doch geſeufzt. Meinſt du, ich hörte es nicht, wenn ich ſpiele? Und ich fühl 'es auch bis hieher, wie du zitterſt.

Ja, es iſt kalt geworden.

Du betrügſt mich nicht. Wenn dir kalt wäre, ſtündeſt du nicht am Fenſter. Ich weiß aber, warum du ſeufzeſt und zitterſt. Weil der Arzt morgen kommt und uns mit Nadeln in die Augen ſtechen will, dar¬ um fürchteſt du dich. Und er hat doch geſagt, wie bald Alles geſchehen ſei, und daß es nur thue wie ein Mückenſtich. Warſt du nicht ſonſt tapfer und ge¬ duldig, und wenn ich als Kind ſchrie, ſo oft mir was weh that, hat dich meine Mutter mir nicht immer zum Muſter aufgeſtellt, obwohl du nur ein Mädchen biſt? Und nun weißt du dich nicht auf deinen Muth zu beſinnen, und denkſt gar nicht an das Glück, das wir hernach zu hoffen haben?

Sie ſchüttelte das Köpfchen und erwiederte: Wie du nur denken kannſt, ich fürchtete mich vor dem kur¬ zen Schmerz. Aber beklommen bin ich von dummen, kindiſchen Gedanken, aus denen ich mich nicht heraus¬ finde. Seit dem Tage ſchon, wo der fremde Arzt, den der Herr Baron hat kommen laſſen, vom Schloß herunter zu deinem Vater kam, und die Mutter uns5 dann aus dem Garten rief, ſeit der Stunde ſchon liegt was auf mir und will nicht weichen. Du warſt ſo in Freuden, daß du nichts gewahr wurdeſt. Aber wie dein Vater damals zu beten anfing und Gott Dank ſagte für dieſe Gnade, ſchwieg es ganz ſtill in mir und betete nicht mit. Ich ſann in mir herum, wofür ich danken ſolle und begriffs nicht.

So ſprach ſie mit ruhiger, gefaßter Stimme. Der Knabe ſchlug wieder einige leiſe Accorde an. Zwiſchen den heiſer ſchwirrenden Tönen, wie ſie die¬ ſen alten Inſtrumenten eigen ſind, klang ferner Ge¬ ſang heimkehrender Feldarbeiter, ein Gegenſatz wie der eines hellen, kräftig erfüllten Lebens zu dem Traumleben dieſer blinden Kinder.

Der Knabe ſchien es zu empfinden. Er ſtand raſch auf, trat an das Fenſter mit ſicherem Schritt denn er kannte dies Zimmer und all ſein Geräth und indem er die ſchönen blonden Locken zurückwarf, ſagte er: Du biſt wunderlich, Marlene! Die Eltern und Alle im Dorf wünſchen uns Glück. Sollt 'es nun kein Glück ſein? Bis mir's verheißen wurde, hab' ich auch nicht viel danach gefragt. Wir ſind blind, ſagen ſie. Ich verſtand nie, was uns fehlen ſoll. Wenn wir draußen ſaßen am Wäldchen, und Rei¬ ſende kamen vorbei und ſagten: Arme Kinder! ward ich zornig und dachte: Was haben ſie uns zu be¬ dauern? Aber daß wir anders ſind als die Andern,6 das wußt 'ich wohl. Sie ſprachen oft Dinge, die ich nicht verſtand und die doch lieblich ſein müſſen. Nun wir's auch wiſſen ſollen, läßt mich die Neugier nicht los Tag und Nacht.

Mir war's wohl, ſo wie es war, ſagte Marlene traurig. Ich war ſo fröhlich und hätte all mein Lebtag ſo fröhlich ſein mögen. Nun kommt es wohl anders. Haſt du nicht die Leute klagen hören, die Welt ſei voll Noth und Sorgen? Und kannten wir die Sorge?

Weil wir die Welt nicht kannten; und ich will ſie kennen, auf alle Gefahr. Ich ließ mir das auch gefallen, ſo mit dir hinzudämmern und faul ſein zu dürfen. Aber nicht immer; und ich will nichts vor¬ aus haben vor denen, die es ſich ſauer werden laſſen. Manchesmal, wenn mein Vater uns Geſchichte lehrte und von Helden und wackern Thaten erzählte, fragt 'ich ihn, ob der und der auch blind geweſen. Aber wer was Rechtes gethan hatte, der konnte ſehen. Da hab' ich mich oft tagelang mit Gedanken geplagt. Dann, wenn ich wieder Muſik machte und gar Orgel ſpielen durfte an deines Vaters Stelle, vergaß ich meinen Unmuth. Aber wenn er wiederkam, dacht 'ich: Sollſt du immer Orgel ſpielen und die tauſend Schritt weit im Dorf umher gehn, und außer dem Dorf kennt dich kein Menſch und nennt dich Keiner, wenn du geſtorben biſt? Siehſt du, ſeit7 nun der Arzt im Schloſſe iſt, hoffe ich, daß ich noch ein ganzer Mann werden kann! Und dann gehe ich in die Welt, und jede Straße, die mir anſteht, und habe Keinem was nachzufragen.

Auch mir nicht, Clemens!

Sie ſagte das ohne Klage und Vorwurf. Aber der Knabe erwiederte heftig: Höre, Marlene! ſprich nicht ſo Zeugs, was ich nicht leiden kann. Meinſt du, ich würde dich allein zu Hauſe laſſen und mich ſo fortſtehlen in die Fremde? Trauſt du mir's zu?

Ich weiß wohl, wie es geht. Wenn die Bur¬ ſche im Dorf zur Stadt müſſen oder auf Wander¬ ſchaft, da geht Keins mit, auch nicht die eigene Schwe¬ ſter. Und hier ſogar, wenn ſie noch unerwachſen ſind, laufen die Knaben von den Mädchen weg, gehn in den Wald mit ihres gleichen und necken die Mäd¬ chen, wo ſie ihnen begegnen. Bisher, da ließen ſie dich mit mir zuſammen, und wir ſpielten und lern¬ ten mit einander. Du warſt blind wie ich; was woll¬ teſt du bei den andern Jungen? Aber wenn du ſehen kannſt und du wollteſt bei mir im Haus ſitzen, wür¬ den ſie dir nachſpotten, wie ſie's Jedem thun, der's nicht mit ihnen hält. Und dann dann gehſt du gar fort auf lange Zeit, und ich hatte mich ſo ganz an dich gewöhnt!

Sie hatte die letzten Worte mit Mühe herausge¬ bracht; da übermannte ſie die Angſt und ſie ſchluchzte8 laut. Clemens zog ſie feſt an ſich, ſtreichelte ihr die Wangen und ſagte dringend: Du ſollſt nicht wei¬ nen! Ich will nicht von dir gehen, nie, nie! und eh ich das thäte, will ich lieber blind ſein und Alles vergeſſen. Ich will nicht von dir, wenn dich's wei¬ nen macht! Komm, ſei ruhig, ſei froh! Du darfſt dich nicht erhitzen, hat der Arzt geſagt, weil es den Augen nicht gut iſt. Liebe, liebe Marlene!

Er drückte ſie feſt in den Arm und küßte ſie, was er nie zuvor gethan. Draußen rief ſeine Mutter vom nahen Pfarrhaus herüber. Er führte die fort und fort Weinende zu einem Lehnſtuhle an der Wand, ließ ſie darauf niederſinken und ging eilig hinaus.

Kurz darauf ſchritt ein würdiges Paar den Schlo߬ berg herab ins Dorf, der Pfarrer, eine hohe, gewal¬ tige Geſtalt in aller Kraft und Majeſtät eines Apo¬ ſtels, der Küſter, ein ſchlichtgewachſener Mann von demüthiger Haltung, deſſen Haar ſchon weiß wurde. Sie waren beide vom Gutsherrn eingeladen worden, den Nachmittag mit ihm und dem Arzt zuzubringen, der auf die Einladung des Barons aus der Stadt herübergekommen war, die Augen der beiden Kinder zu prüfen und eine Operation zu verſuchen. Nun hatte er den hocherfreuten Vätern wiederholt ſeine Hoffnung auf völlige Heilung verſichert, und gebeten, auf den kommenden Tag ſich bereit zu halten. Den Müttern lag es ob, in der Pfarre das Nöthige zu¬9 zurüſten; denn man wollte die Kinder an dem Tage nicht trennen, der beiden das ſo lange gemeinſam entbehrte Licht bringen ſollte.

Als die beiden Väter vor ihren einander gegen¬ über gelegenen Häuſern angekommen waren, drückte der Pfarrer ſeinem alten Freunde die Hand und ſagte mit feuchtem Blick: Gott ſei mit uns und ihnen! dann ſchieden ſie. Der Küſter ging in ſein Haus; da war Alles ſtill, die Magd draußen im Garten. So trat er in ſein Zimmer und war der Stille froh, die ihn mit ſeinem Gott allein ſein ließ. Als er über die Schwelle geſchritten, erſchrak er. Sein Kind war vom Stuhle aufgefahren, drückte das Tuch haſtig vor die Augen, die Bruſt flog ihr wie von Krämpfen, die Wangen und Lippen waren blaß. Er ſprach ihr zu und bat ſie, ſich zu faſſen und fragte ernſtlich: Was iſt dir geſchehen? Sie antwortete nur mit Thränen, die ſie ſelbſt nicht verſtand.

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Zweites Capitel.

In zwei Kammern des Pfarrhauſes, die im obern Geſchoß nach Mitternacht gelegen waren, hatte man die Kinder gebettet. Die Fenſter waren in Erman¬ gelung der Läden mit dunkeln Tüchern ſorglich ver¬ hangen, ſo daß vom hellſten Tage kaum ein Zwie¬ licht herein drang. Der geräumige ſtille Baumgarten des Pfarrers verſchattete zum Ueberfluß die Mauer und hielt das Geräuſch des täglichen Lebens fern.

Beſonders für das Mädchen hatte der Arzt die größte Vorſicht eingeſchärft. Was an ihm geweſen, ſei geglückt. Nun müſſe die Natur im Stillen das Uebrige thun, und des Mädchens leicht erregbares Weſen brauche der ſtrengſten Pflege und Schonung.

Marlene war in der entſcheidenden Stunde un¬ verzagt geweſen. Als ihre Mutter bei dem Schritt des Arztes über den Flur in Weinen ausbrach, war ſie zu ihr getreten, um ſie zu beſchwichtigen.

Der Arzt fing mit dem Knaben an, der aufgeregt, aber von geſundem Muth, niederſaß und Alles ertrug. Nur wollte er nicht dulden, daß man ihn während der Operation halte. Erſt Marlenens Zureden bewog11 ihn, ſich auch das gefallen zu laſſen. Als der Arzt von den entſchleierten Augen auf einige Secunden die Hand wegnahm, ſchrie er heftig auf vor freudi¬ gem Schreck.

Marlene zuckte zuſammen, dann beſtand ſie auch ohne einen Laut die kurze Pein. Aber Thränen ſtürz¬ ten ihr aus den Augen und ihr Leib zitterte, ſo daß der Arzt ihr die Binde eilig umthat und ſie ſelbſt in ihre Kammer bringen half, denn die Kniee wankten ihr. Dort auf ihrem Lager ſtritten ſich lange Schlaf und Ohnmacht um ſie, während der Knabe verſicherte, ihm ſei völlig wohl, und nur auf den ernſten Befehl des Vaters ſich niederlegte.

Sobald aber entſchlief er nicht. Bunte Geſtalten, bunt zum erſtenmal, glitten an ihm vorüber, geheim¬ nißvoll, die ihm noch Nichts waren und doch ſo Viel werden ſollten, wenn die Leute Recht hatten, die ihm Glück wünſchten. Er fragte Vater und Mutter, die an ſeinem Bette ſaßen, nach hundert Dingen, die ihm freilich die tiefſinnigſte Wiſſenſchaft nicht hätte enträthſeln können. Denn was weiß ſie von dem Quell des Lebens? Der Vater bittet ihn, ſich zu ge¬ dulden, denn mit Gottes Hilfe werde er bald in ſeinen Zweifeln ſelbſt klarer ſehen. Jetzt ſei ihm Ruhe noth und vor Allem Marlenen, die er leicht durch ſein Sprechen aufwecken könne. Da ſchweigt er denn und horcht durch die Wand. Er bittet flüſternd, man12 ſolle die Thür öffnen, daß er hören könne, ob ſie ſchlafe und nicht etwa ſtöhne vor Schmerz. Die Mutter thut ihm den Willen. Nun liegt er unbe¬ weglich und lauſcht, und das Athmen ſeiner ſchlafen¬ den kleinen Freundin, das ruhig aus - und eingeht, ſingt ihn endlich auch in den Schlaf.

So lagen ſie ſtundenlang. Im Dorf draußen ging es ſtiller zu als ſonſt. Wer mit einem Fuhr¬ werk der Pfarre vorbei mußte, hütete ſich vor allem Lärm. Auch die Schulkinder, denen es der Lehrer geſagt haben mochte, tobten nicht wie ſonſt aus dem Unterricht nach Haus, ſondern gingen, das Haus ſcheu und flüſternd anblickend, paarweiſe entfernten Spielplätzen zu. Nur der Geſang der Vögel ſchwieg nicht in den Zweigen; aber wann hätte ſein Klang ein ruhbedürftiges Menſchenkind geſtört oder ver¬ droſſen?

Erſt die Heerdenglocken weckten die beiden Kinder. Des Knaben erſte Frage war, ob Marlene ſchon nach ihm gerufen habe. Er fragte ſie dann halblaut, wie ſie ſich fühle. Der dumpfe Schlaf hat ihr kaum wohlgethan und die Augen brennen ihr unter der leichten Binde. Aber ſie zwingt ſich, ſagt, es ſei ihr beſſer, und plaudert heiter mit Clemens, dem die abenteuerlichſten Gedanken über die Lippen gehen.

Spät, als der Mond ſchon aus dem Walde ſtieg, klopft zaghafte Kinderhand an die Thür des Pfarr¬13 hauſes. Die kleinen Mädchen vom Dorfe ſind's mit einem Kranz für Marlene von ihren beſten Garten¬ blumen und einem Strauß für Clemens. Als man ihn dem Knaben bringt, verklärt ſich ſein Geſicht. Der Duft und der kühle Thau erfriſchen ihn. Er bittet: Sagt ihnen viel ſchönen Dank. Sie ſind gute Mädchen. Jetzt bin ich noch krank. Aber wenn ich erſt ſehen darf, ſteh 'ich ihnen bei gegen die Bu¬ ben. Marlene, da man ihr den Kranz aufs Bett legte, ſchob ihn mit den blaſſen Händchen ſanft zurück und ſagte: Ich kann nicht! Mir ſchwindelt, Mutter, wenn mir die Blumen nahe ſind. Bring' ihn dem Clemens auch!

Sie fiel bald wieder in ihren fieberhaften Halb¬ ſchlaf. Erſt die geſunde Nähe des Tages beruhigte ſie, und der Arzt, der in aller Frühe kam, fand ſie außer Gefahr, wie er kaum gehofft hatte. Lange ſaß er dann am Bett des Knaben, hörte lächelnd die ſeltſamen Fragen an, ermahnte ihn freundlich zu Ge¬ duld und Ruhe und ging mit der beſten Zuverſicht.

Aber Ruhe und Geduld einem anzuſinnen, dem ein vielgelobtes Land endlich einen Augenblick aus der Ferne gezeigt worden! Der Vater muß, ſo oft ſein Amt ihm die Zeit läßt, in die Kammer hinauf und erzählen. Die Thür darf dann nicht geſchloſſen werden, daß auch Marlene die ſchönen Geſchichten hören kann, Legenden von frommen Männern und14 Frauen, denen Gott ſchwere Gebrechen gegeben und genommen, das Märchen vom armen Heinrich, für den das fromme Mägdlein in ihrer Demuth ſich hat opfern wollen, und wie Gott Alles herrlich hinaus¬ geführt habe, und was der würdige Pfarrer an er¬ baulichen Hiſtorien aufzutreiben wußte.

Wenn dann dem frommen Mann unvermerkt die Erzählung zum Gebet wurde, oder die Mutter mit ihrer klaren Stimme ein Danklied zu ſingen anhob, faltete Clemens auch die Hände und ſang mit; aber gleich darauf warf er neue Fragen hin, die zeigten, daß er mehr Antheil an der Geſchichte genommen, als am Geſang. Marlene fragte nie. Sie war freund¬ lich zu Jedermann, und Keiner ahnte, wie viele Ge¬ danken und Fragen in ihr arbeiteten.

Sichtbar genaſen ſie von Tag zu Tag, und ſchon am vierten nach der Operation erlaubte ihnen der Arzt aufzuſtehn. Er ſelber ſtützte das Mädchen, wie ſie ſchwach und zitternd durch die finſtere Kammer ging nach der offenen Thür, in der der Knabe ſtand und fröhlich ſeine ſuchenden Hände nach den ihren ausſtreckte. Dann hielt er ihre Hand feſt und bat ſie, ſich auf ihn zu ſtützen, was ſie zutraulich that.

Sie ſchritten die Kammer auf und ab mit ein¬ ander, und er mit dem feinen Gefühl der Oertlich¬ keit, wie es Blinden eigen iſt, geleitete ſie behutſam an den Seſſeln und Schränken vorüber, die an den15 Wänden ſtanden. Wie iſt dir? fragte er ſie. Mir iſt wohl, war ihre Antwort heut wie immer.

Komm , ſagte er raſch, lehn dich feſter an; du biſt noch matt. Es thäte dir gut, ein bischen Wie¬ ſenduft im Freien zu athmen, denn hier iſt die Luft dick und ſchwer. Aber noch iſt's nicht geſund, ſagt der Doctor. Die Augen werden wund und erblin¬ den gar wieder, wenn ſie zu früh ins Licht ſehen. O, nun weiß ich ſchon, was Licht und Dunkel iſt. Kein Flötenton iſt ſo ſüß, als wenn es dir ſo weit ums Auge wird. Es that mir weh, muß ich ſagen; doch hätt 'ich immer ſo ins Bunte ſtarren mögen; ſo ſelig war der Schmerz. Du wirſt es auch erleben. Aber es iſt noch mancher Tag zu überſtehen, bis es uns ſo gut wird. Dann aber thu' ich den ganzen Tag nichts als ſehen. Was ich wiſſen möchte, Mar¬ lene: ſie ſagen, jedes Ding habe eine andere Farbe. Was für Farben mag dein und mein Geſicht haben? dunkel oder hell? Es wäre garſtig, wenn ſie nicht recht ſchön hell wären. Ob ich dich wohl erkenne mit den Augen? Jetzt, ſo taſtend, will ich dich mit meinem kleinen Finger unter allen Menſchen heraus¬ finden. Aber hernach da haben wir uns ganz von neuem kennen zu lernen. Ich weiß jetzt, deine Wangen und deine Haare ſind weich anzufühlen. Ob ſie den Augen auch ſo ſein mögen? Das wüßt 'ich gern, und es iſt noch ſo lange hin!

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In dieſem Ton plauderte er unaufhörlich und ach¬ tete nicht darauf, daß ſie ſtumm neben ihm ging. Manche von ſeinen Worten waren ihr tief zu Herzen gegangen. Sie war nie darauf verfallen, daß ſie ſich ſelbſt nun auch ſehen würde, und wußte auch kaum, wie ſie ſich das zu denken habe. Von Spiegeln hatte ſie gehört, ohne es zu verſtehen. Sie dachte ſich jetzt, ſobald ein Sehender die Augen aufthäte, er¬ ſchiene ihm ſein eigen Angeſicht.

Nun, wie ſie wieder im Bett lag und die Mutter dachte, ſie ſchliefe, ging ihr das Wort durch den Sinn: Es wäre garſtig, wenn unſere Geſichter nicht hell wären. Sie hatte von Schön und Häßlich gehört, und daß häßliche Menſchen bemitleidet und oft min¬ der geliebt würden. Wenn ich nun häßlich bin, ſagte ſie ſich, und er will nichts mehr von mir wiſſen! Sonſt war es ihm gleich. Er ſpielte gern mit mei¬ nen Haaren und nannte ſie Seidenfädchen. Das wird nun aufhören, wenn er mich garſtig findet. Und er, wenn er's auch iſt, ich will's ihn gewiß nicht merken laſſen, will ihn doch lieb haben. Aber nein, ich weiß wohl, er kann nicht häßlich ſein, er nicht!

Lange grübelte ſie in Kummer und Neugier ver¬ ſunken. Es war ſchwül. Im Garten die Nachti¬ gallen riefen ängſtlich herein und ein zuckender Weſt¬ wind ſtieß gegen die Scheiben. Sie war ganz allein17 in der Kammer, denn das Bett der Mutter, die ſonſt bei ihr geſchlafen, war der Hitze wegen aus dem engen Gemache wieder hinausgeſchafft. Ueber¬ dies hielt man eine Nachthüterin nicht mehr für nö¬ thig, da das Fieber völlig geſchwunden war. Und gerade heute überkam es ſie wieder und warf ſie hin und her, bis lange nach Mitternacht ein kurzer dumpfer Schlaf ſich ihrer erbarmte.

Indeſſen zog das Wetter, das die Hälfte der Nacht murrend am Horizonte gekreiſ't hatte, mit Macht herauf, lagerte ſich über dem Wald und ſtand nun ſtill; denn der Wind ſchwieg. Ein heftiger Donner ſchallt in Marlenens Schlummer hinein. Halbträu¬ mend fährt ſie empor. Sie weiß nicht was ſie ſucht und ſinnt, in ungewiſſer Angſt treibt es ſie aufzu¬ ſtehen, ihre Kiſſen ſind ſo heiß! Nun ſteht ſie am Bett und hört draußen den ſtarken Regen nieder¬ rauſchen. Aber er kühlt ihre fiebernde Stirne nicht. Sie ſucht ſich zu faſſen und zurecht zu finden und findet in ihrer Seele nichts, als die traurigen Ge¬ danken, mit denen ſie einſchlief. Ein ſeltſamer Ent¬ ſchluß geht in ihr auf. Sie will hinein zu Clemens. Auch er iſt allein. Wer hindert ſie, ihrer Ungewi߬ heit ein Ende zu machen und ſich und ihn zu ſehn? Nur dies Eine denkt ſie und alle Worte des Arztes ſind vergeſſen. So geht ſie, ohne ſich zu beſinnen, ganz wie ſie ihr Bett verlaſſen, der Thüre zu, die218halb offen ſteht, findet die Lehne des Bettes, huſcht auf den Zehen an des Schlafenden Seite und mit verhaltenem Athem über ihn gebeugt, reißt ſie ſich raſch die Binde von den Augen.

Aber ſie erſchrickt, da es dunkel bleibt wie zuvor. Sie hatte vergeſſen, daß es Nacht ſei und daß man ihr geſagt hatte, in der Nacht ſeien die Menſchen allzumal blind. Sie hatte gedacht, es müſſe eine Klarheit ausſtrömen von einem ſehenden Auge und ſo ſich und die Dinge erleuchten. Nun fühlte ſie den Hauch des Knaben ſanft an ihre Augen wehen, aber ſie unterſchied keine Geſtalt. Schon will ſie beſtürzt und faſt verzweifelnd wieder zurück da flammt durch die nicht mehr genau verhüllten Scheiben ein ſecundenlanger Blitz, dann ein zweiter und dritter, die Luft wogt von Helle hin und her, Donner und Regenguß wachſen an Lärm ; ſie aber ſtarrt einen Augenblick auf das Lockenhaupt, das ſanft in die Kiſſen gedrückt da lag; dann verſchwimmt das Bild, die Augen thränen gewaltſam, und von unausſprech¬ licher Angſt aufgeſcheucht flieht ſie in ihre Kammer, legt die Binde um, ſinkt aufs Bett, und in ihr iſt es, als wiſſe ſie es unerſchütterlich, daß ſie geſehen hat zum erſten und letzten Male.

19

Drittes Capitel.

Wochen ſind vergangen. Zum erſten Mal ſoll ſich die junge Kraft der Augen am Licht verſuchen. Der Arzt, der indeß von der Stadt aus die einfache Pflege der Kinder geleitet hat, war an einem um¬ wölkten Tage herüber gekommen, um ſelbſt zugegen zu ſein und die Frucht ſeiner Sorge mitzugenießen.

Man hatte ſtatt der Vorhänge Laubgewinde um die Fenſter gebreitet und beide Kammern mit Grün und Blumen feſtlich aufgeſchmückt. Der Gutsherr ſelbſt und wer im Dorfe den beiden Familien am nächſten ſtand hatte ſich eingefunden, Eltern und Kindern Glück zu wünſchen und ſich am Staunen der Geheilten zu freuen.

Marlene drückte ſich in düſterer Angſt in die Zweige im Winkel, als Clemens, hochroth vor Ent¬ zücken, ihr gegenübergeſtellt wurde[und] ihre Hand faßte. Er hatte ſich's ausgebeten, ſie zuerſt ſehen zu dürfen. So löſ'te man ihnen in demſelben Augen¬ blick die Binden.

Ein Ach des höchſten wortloſen Jubels klang von des Knaben Lippen. Er blieb ſtarr auf demſelben2 *20Fleck, ein verklärtes Lächeln um die Lippen, die hellen Augenſterne hierhin und dorthin bewegend. Er hatte vergeſſen, daß Marlene vor ihm ſtehen ſollte und wußte ja noch nicht, was menſchliche Geſtalt ſei. Sie that auch nichts, ihn an ſich zu erinnern. Ohne Re¬ gung ſtand ſie, nur leicht mit den Wimpern zuckend, die klare, braune, todte Augen beſchatteten. Noch hatte man kein Arg. Die Wunder, dachte man, die ſie zuerſt fremd anſehen, verſteinern ſie. Aber als die Freude des Knaben laut ausbrach, man ihm ſagte: das iſt Marlene! und er in der alten Gewohn¬ heit mit der Hand ihre Wangen ſuchte und ſagte: du haſt ein helles Geſicht da ſtürzten ihre Thränen hervor, ſie ſchüttelte heftig den Kopf und ſagte kaum vernehmlich: Es iſt ja dunkel hier! Es iſt ja Alles wie es war!

Wer ſchildert das Entſetzen der nächſten Stunde! Der Arzt, tief erſchüttert, führte ſie auf einen Stuhl zum Fenſter und unterſuchte die Augen. Das graue Häutchen des Staars, das er entfernt hatte, war nicht wieder erneut. Nichts unterſchied die Pupille von geſunden, als, die lebloſe, traurige Starrheit. Der Nerv iſt erloſchen, ſagte er. Eine heftige Erſchütterung durch einen plötzlichen, grellen Schein muß ihn getödtet haben. Die Küſtersfrau ver¬ ließen ihre Sinne; ſie fiel ihrem Manne todtenblaß in den Arm. Clemens begriff noch kaum, was vor¬21 ging. Seine Seele war von dem neu geſchenkten Leben zu voll. Aber Marlene lag in Thränen auf¬ gelöſt und antwortete auf keine Frage des Arztes. Auch ſpäter erfuhr man nichts von ihr. Sie wiſſe nicht, wie es gekommen; man ſolle ihr vergeben, daß ſie ſo kindiſch geweint habe. Sie wolle Alles hin¬ nehmen, wie es ihr beſchieden ſei. Habe ſie es doch bisher nicht anders gekannt.

Als man Clemens das Unglück klar gemacht hatte, gerieth er außer ſich, ſtürzte zu ihr und ſchrie unauf¬ hörlich: Du ſollſt auch ſehen! Ich will nichts vor dir voraus haben. Sei ruhig, es wird nicht Alles verloren ſein. Ach nun weiß ich erſt, was du ver¬ loren hätteſt! Es iſt nichts, daß man ſelber ſieht. Aber Alles ringsum hat Augen und ſieht uns an, als hätt 'es uns lieb. Und es wird dich auch an¬ ſehen; gedulde dich nur und weine nicht. Und dann fragte er nach dem Arzt und drängte ſich ungeſtüm an ihn und bat unter Thränen, Marlenen zu helfen. Dem braven Manne ſtanden helle Tropfen im Auge; er faßte ſich mühſam, ermahnte ihn ſich zu ſchonen, er wolle ſehen, was zu thun ſei, und hielt ihn mit Hoffnungen hin, um eine Aufregung zu verhüten, die ihm hätte gefährlich werden können. Den Eltern verhehlte er die troſtloſe Wahrheit nicht.

Aber des Knaben Schmerz ſchien Marlene ge¬ tröſtet zu haben. Sie ſaß ſtill am Fenſter und rief22 ihn leiſe zu ſich. Es muß dich nicht ſo kümmern, ſagte ſie. Es kommt Alles von Gott. Freue dich nur, wie ich mich freue, daß du geheilt biſt. Du weißt ja, ich habe nie ſonderlich danach verlangt. Nun wär 'ich's auch zufrieden, wenn es meine Eltern nicht ſo betrübte. Aber ſie werden ſich daran ge¬ wöhnen, und du auch, und ſo wird es gut werden, wenn du mich nur lieb behältſt, da ich nun bleibe, wie ich war.

Er ließ ſich nicht beruhigen, und der Arzt drang darauf, die Kinder zu trennen. Man führte Cle¬ mens hinunter in das größere Zimmer, wo ſich die Leute aus dem Dorf um ihn drängten. Sie drückten ihm der Reihe nach die Hand und ſagten herzliche Worte. Ihn betäubte die Menge. Er ſagte nichts als: Wißt ihr auch ſchon, Marlene iſt blind ge¬ blieben! Und weinte dann von neuem.

Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzu¬ thun und ihn in ein einſames, kühles Zimmer zu bringen. Da lag er und war erſchöpft von Freude, Schmerz und Weinen. Der Vater ſprach mild und fromm zu ihm, was ihm doch wenig half. Auch im Schlaf weinte er viel und ſchien ängſtlich zu träumen.

Am folgenden Tag aber forderten Freude, Wi߬ begier und Staunen ihr Recht an ihn, und die Trauer über Marlenen ſchien ihm nur nahe zu kom¬ men, wenn er ſie ſah. Er hatte ſie gleich in der23 Frühe beſucht und mit der zärtlichſten Sorge gefragt, ob ſich über Nacht nichts geändert und gebeſſert habe. Dann aber beſchäftigte ihn die bunte Welt, die ſich ihm aufthat, und wenn er zu Marlenen zurückkam, war es nur, ihr ein neues Wunder zu ſchildern, wo er denn oft mitten im Fluß der haſtigen Erzählung einhielt, durch einen Blick auf die arme kleine Freun¬ din erinnert, wie weh ihr ſeine Freude thun müſſe. Im Grunde that ſie ihr aber nicht weh. Sie wollte nichts für ſich; ihn begeiſtert reden zu hören, war ihr ein Feſt. Aber als er ſeltener kam, im Wahn, ſie zu betrüben, und dann ſchweigſam war, weil ihm alles Andere verſchwand gegen Das, was er ihr nicht zu ſagen wagte, wurde ſie unruhig. Sie hatte ihn ſonſt am Tage nur ſelten entbehrt. Jetzt ſaß ſie viel allein. Die Mutter kam wohl oft, ihr Geſellſchaft zu leiſten. Aber die gute Laune der ſonſt lebhaften Frau war fort, ſeit ihre liebſte Hoffnung fehlgeſchla¬ gen. Sie wußte ihrem Kinde nichts zu ſagen, als Troſtworte, die ihre eigenen Seufzer Lügen ſtraften und die Marlenen wenig ſein konnten. Wie viel von dem, was ſie nun litt, hatte das Mädchen vor¬ aus gefürchtet! Und doch überraſchte ſie das Gefühl der Entbehrung mit unbekannten Schmerzen.

Sie ſaß nun wieder oft in ihres Vaters Gärt¬ chen unter den Zweigen und ſpann. Wenn dann Clemens zu ihr kam, glänzte es ſeltſam um ihre ar¬24 men Augen. Er war immer freundlich zu ihr, ſetzte ſich neben ſie auf das Bänkchen und ſtreichelte ihr Haar und Wangen wie ſonſt. Sie bat ihn einmal, er ſolle nicht ſo ſtill ſein. Wenn er ihr erzähle, wie die Welt ſei und was er täglich mehr von ihr lerne, ſo fühle ſie nichts von Neid. Aber wenn er gar nicht komme, ſo bleibe ſie gar zu einſam. Sie erinnerte ihn mit keinem Wort daran, daß er ihr an jenem Abend verſprochen hatte, ſie nie zu verlaſſen; denn ſie hatte längſt darauf verzichtet. Nun aber war es, als ſei ſie ihm doppelt lieb geworden, ſeit er ihr nichts mehr zu verſchweigen hatte. Da floß ihm das Herz über und er erzählte ihr ſtundenlang von Sonne, Mond und den Geſtirnen, von allen Blumen und Bäumen, und vor Allem, wie die Eltern und ſie ſelbſt ausſähen. Sie bebte freudig bis ins innerſte Herz, als er ihr unſchuldig ſagte, daß ſie hübſcher ſei, als alle Mädchen im Dorf. Nun beſchrieb er ſie, daß ſie ſo ſchlank ſei und einen feinen Kopf habe und dunkle, zarte Augenbrauen. Er habe ſich nun auch geſehen, im Spiegel, aber er ſei lange nicht ſo hübſch. Er brauch 'es auch nicht, und es ſei ihm gleichgiltig; wenn er nur ein geſcheiter Mann werde. Männer ſeien überhaupt nicht ſo ſchön wie Frauen. Sie verſtand das Alles nicht ganz; aber ſo viel begriff ſie, daß ſie ihm gefalle, und was wollte ſie mehr?

25

Sie kamen nicht wieder auf dieſe Dinge zu ſpre¬ chen. Aber unerſchöpflich war er, ihr von der ſchö¬ nen Welt zu reden. Wenn er dann nicht kam, dachte ſie ſeinen Worten nach und es beſchlich ſie faſt wie Eiferſucht auf dieſe Welt, die ihn ihr raubte. Leiſe wuchs dies feindliche Gefühl an und ward bald her¬ riſcher, als ihre Freude über ſein Glück. Vor Allem haßte ſie die Sonne; denn ſie wußte, daß dieſe glän¬ zender ſei, als Alles und in ihrer unklaren Vorſtel¬ lung war glänzend und ſchön ein und daſſelbe. Nichts verſtimmte ſie mehr, als wenn er Abends bei ihr ſaß und über den Sonnenuntergang in einen Rauſch von Entzücken gerieth. Mit ſolchen Worten hatte er nie von ihr geſprochen; und warum vergaß er ſie ſo völlig über dieſem Schauſpiel, daß er es nicht ſah, wenn ihr der ſeltſame eiferſüchtige Kum¬ mer Thränen in die Augen preßte?

Noch ſchwerer ward ihr das Herz, als der Pfar¬ rer, ſobald es der Arzt geſtattete, ſeinen Sohn zu unterrichten anfing. Vor der Heilung hatte Clemens den größten Theil des Tages mit Muſikübungen ver¬ bracht. Religionsunterricht, Geſchichte, Mathematik und ein wenig Latein war Alles, was früher nöthig und möglich ſchien, und man ließ Marlene an den Stunden Theil nehmen, die nicht viel über die all¬ gemeinſten Kenntniſſe hinausgingen. Jetzt, wo der Knabe den entſchiedenſten Hang zu Naturwiſſenſchaften26 an den Tag legte, ward er ernſtlich beſchäftigt und für eine der höheren Claſſen der ſtädtiſchen Schulen vorbereitet.

Sein feſter Wille arbeitete ſich raſtlos durch, und ſeine guten Anlagen halfen ihm, in überraſchend kurzer Zeit ſeinen Jahren nachzukommen und das Verſäumte einzubringen. Manche Stunde ſaß er denn auch wohl mit einem Buch in des Küſters Garten. Aber es war doch an kein Geplauder zu denken, wie ſonſt, und Marlene fühlte wohl, daß ſie jetzt zwei¬ fach entbehre, den Unterricht und ihren Freund.

27

Viertes Capitel.

Der Herbſt unterbrach auf einige Tage die Ar¬ beiten des Knaben. Der Pfarrer hatte beſchloſſen, noch vor dem Winter ſeinen Sohn in das nahe Ge¬ birge mitzunehmen, daß er Berg und Thal ſähe und weiter hineinblicke in die Welt, die ihm ſchon in der dürftigen Dorfebene ſo ſchön geſchienen. Als man es dem Knaben ſagte, fragte er: Und wir nehmen doch Marlene mit?

Man verſuchte es ihm auszureden. Aber er wollte nicht ohne ſie reiſen. Wenn ſie auch nichts ſieht, die Bergluft ſoll geſund ſein, und ſie iſt ſeit lange blaß und matt und fängt Grillen ohne mich. So that man ihm ſeinen Willen. Das Mädchen wurde zu ihm und ſeinen Eltern in den Wagen gehoben und eine kurze Tagreiſe brachte ſie an den Fuß des Berglandes.

Nun begann das Wandern zu Fuß. Geduldig führte der Knabe ſeine blinde Freundin, die ver¬ ſchloſſener war als je. Oft wäre er noch gern auf dieſe oder jene vereinzelte Felshöhe geklettert, die eine neue Ausſicht verſprach. Aber er ſtützte ſie, wo ſie28 ging, und trat ſein Amt nicht ab, ſo viel ſich die Eltern dazu anboten. Nur wenn ſie eine Höhe er¬ reicht hatten und auf einer ſchattigen Stelle raſteten, beurlaubte er ſich von dem Mädchen und ſuchte ſich durch die gefährlichſten Klippen eigene Wege, ſeltne Steine ſammelnd, oder Blumen, die in der Tiefe nicht wuchſen. Kam er dann zu den Ruhenden zu¬ rück, ſo hatte er immer etwas für Marlenen, Bee¬ ren oder eine ſtark duftende Blume, oder das weiche Neſt eines Vogels, das der Wind vom Baum ge¬ weht hatte.

Sie nahm ihm Alles freundlich ab und ſchien vergnügter zu ſein, als daheim. Und ſie war es auch, weil ſie doch den Tag über Eine Luft mit ihm athmete. Daneben aber begleitete ſie ihre thörichte Eiferſucht, und ſie zürnte dem Gebirge, deſſen herbſt¬ liche Pracht, wie ſie wähnte, ihm die Welt nur lieber machte und ihn ihr ſelbſt nur mehr entfremdete. Der Pfarrerin fiel ihr ſeltſames Weſen auf. Sie ſprach mit ihrem Manne dann und wann über das Kind, das ihnen Beiden wie das eigene lieb war. Und Beide gaben die Schuld ihres hartnäckigen Trübſinns der getäuſchten Hoffnung. Und doch entbehrte das Mäd¬ chen nichts, was ihr verheißen und ihrer Hoffnung vorgeſpiegelt worden war, ſondern nur was ſie ge¬ kannt und beſeſſen hatte.

Am zweiten Tage der Reiſe ſollte in einem ein¬29 ſamen Hauſe übernachtet werden, das durch die Nähe eines gewaltigen Waſſerfalls berühmt war. Sie hatten eine weite Wanderung beſtanden, und die Frauen waren erſchöpft. Als ſie das Haus erreichten, führte der Pfarrer ſeine Frau hinein, ohne vorher die Strecke nach der Schlucht weiter hinauf zu wandern, aus der man den Sturz brauſen hörte. Auch Marlene war völlig ermattet; aber ſie wollte Clemens folgen, den noch nicht nach Ruhe verlangte. So ſtiegen ſie die Stufen weiter hinan, und immer deutlicher klang das toſende Waſſer herüber. Mitten auf der ſchmalen Steile verließ Marlenen die letzte Kraft. Ich will hier ſitzen bleiben , ſagte ſie. Geh du vollends hin¬ auf und hole mich wieder, wenn du dich ſatt geſehen haſt. Er erbot ſich, ſie zuerſt ins Haus zu bringen, aber ſie ſaß ſchon, und ſo verließ er ſie und ging dem Schalle nach, ſelig ergriffen von der Einſamkeit und Majeſtät des Ortes.

Das Mädchen ſaß auf einem Stein und wartete ſeiner Rückkehr. Es däuchte ſie, daß er unendlich zögere. Ein Froſt überrieſelte ſie, und der dumpfe ferne Donner des Waſſerfalls machte ſie ſchauern. Warum kommt er nicht? dachte ſie bei ſich. Er wird mich vergeſſen über ſeiner Freude, wie immer. Fänd 'ich nur den Weg ins Haus, daß ich warm würde! So ſaß ſie ängſtlich und horchte in die Ferne. Plötzlich war es ihr, als unterſcheide ſie ſeine Stimme,30 die ihr zurief. Zitternd fuhr ſie in die Höhe. Was ſollte ſie thun? Sie verſuchte unwillkürlich einen Schritt, aber ihr Fuß glitt aus, ſie taumelte und fiel. Zum Glück waren die Steine neben dem Weg mit Moos überwuchert. Aber dennoch betäubte ſie der Fall und ſie ſchrie außer ſich nach Hilfe. Um¬ ſonſt! Ihre Stimme drang nicht zu Clemens hin¬ auf, der hart an der Kluft vom Getöſe umgeben ſtand. Und das Haus war zu entfernt. Ein ſchnei¬ dendes Weh fuhr ihr durchs Herz, wie ſie da lag zwiſchen den Steinen, verlaſſen und hilflos; Thrä¬ nen der Verzweiflung im Auge, richtete ſie ſich müh¬ ſam auf. Was ihr das Liebſte war, ſchien ihr in dieſem Augenblicke haſſenswürdig, und die Bitterkeit in ihrem Innern ließ den Gedanken an die Nähe des Allgegenwärtigen nicht auftauchen.

So fand ſie Clemens, der ſich um ihretwillen mit Gewalt von dem Zauber des mächtigen Bildes los¬ geriſſen hatte.

Ich komme , rief er ihr ſchon von ferne ent¬ gegen. Gut, daß du nicht mitgegangen! Der Platz oben iſt ſchmal und der kleinſte Fehltritt koſtet das Leben. Wie das endlos tief ſich hinunterſtürzt und rauſcht und in Wolken aufſprüht, daß einem alle Sinne vergehn. Fühl, wie es mich beſtäubt hat mit feinem Waſſerdunſt. Aber was iſt dir? Du biſt eiskalt und dein Mund zittert. Komm, es war un¬31 recht, daß du im Freien bliebſt. Gott verhüte, daß du dich krank gemacht haſt!

Sie ſchwieg eigenſinnig und ließ ſich in das Haus zurückführen. Die Pfarrerin erſchrak. Die feinen, lieben Züge des Mädchens waren unheimlich verſtört. Man ſorgte eilig für ein wärmendes Getränk und brachte ſie zu Bett, ohne mehr von ihr zu erfahren, als daß ihr nicht wohl ſei.

Und freilich war ſie krank, und ſo ſchwer, daß ſie ſich nach dem Ende ſehnte. Das Leben war ihr verhaßt, das ſich ihr ſo feindlich bewies. In bitte¬ rem, gottverlaſſenem Sinnen lag ſie, und die letzten Fäden, die ſie an die Menſchen knüpften, zerriß ſie eigenmächtig. Ich will morgen hinauf, ſprach ſie finſter bei ſich ſelbſt. Er ſoll mich ſelbſt an die Tiefe führen, wo ein Fehltritt das Leben koſtet. Und ſeines wird ihn mein Tod nicht koſten. Was ſoll er die Laſt noch ferner mit mir haben, die er aus Mit¬ leid bisher ſich aufgebürdet hat?

Immer feſter lagerte ſich der unſelige Vorſatz um ihr Herz. Was war aus dem klaren, liebevollen Ge¬ müth in den kurzen Monaten der innerlichen Noth geworden? Sie dachte ſogar an die Folgen ihres Frevels ohne Scheu und ſagte trotzig vor ſich hin: Sie werden ſich darein finden, wie ſie es ertragen, daß ich blind geblieben bin. Und ihm wird das Jammerbild nicht mehr vor Augen ſtehen, das ihm32 die Freude an ſeiner ſchönen Welt verdirbt. Das war immer der letzte Gedanke, der ihr kam, wenn ein unſicheres Gefühl gegen ihren Entſchluß laut werden wollte.

Im Nebenzimmer, das nur durch eine dünne Wand von Marlenens Kammer getrennt war, ſaßen der Pfarrer und die Pfarrerin beiſammen. Clemens zögerte noch draußen unter den Bäumen herum und konnte ſich von Gebirg und Sternen und der ge¬ dämpften Muſik des Waſſers nicht trennen.

Es ängſtigt mich, ſagte die Pfarrerin, daß Marlene ſo verkommt und verkümmert. Der ge¬ ringſte Anlaß erſchüttert ſie und das wird ſie bald aufreiben. Wenn du einmal mit ihr reden wollteſt, daß ſie ſich das Unabänderliche nicht ſo quälend zu Herzen nehmen möchte!

Ich fürchte nur, ich werde nichts ausrichten. erwiederte der Pfarrer. Hat nicht ihre Erziehung und die Liebe ihrer Eltern und unſer täglicher Um¬ gang zu ihr geredet, ſo vermag Menſchenwort nichts mehr. Hätte ſie Demuth gegen Gott gelernt, ſo er¬ trüge ſie ſeine Fügung, die ihr noch ſo viel gelaſſen hat, mit Dank, ſtatt mit Murren.

Er hat ihr aber viel genommen.

Ja wohl; aber nicht Alles für immer. Das iſt meine Hoffnung und mein Gebet. Die Kraft zu lieben und gegen die Liebe zu Gott und Menſchen33 Alles gering zu achten ſcheint von ihr gewichen. Aber ſie kommt zurück, wenn wir zu Gott zurück¬ kommen. Wie ſie jetzt iſt, verlangt ſie nicht nach ihm. Sie hat ihren Mißmuth und ihren Groll noch zu lieb. Aber ihr Herz iſt zu kräftig, um dieſe trau¬ rige Geſellſchaft lange dulden zu können. Dann, wenn es leer in ihr geworden von Unzufriedenheit, wird Gott wieder einziehen und die Liebe im Herzen die alte Stätte finden. Und dann wird es licht in ihr ausſehen, ob es auch Nacht bleibt vor ihren Augen.

Gott gebe das! Und dennoch betrübt mich der Gedanke an ihre Zukunft.

Sie wird nicht verloren ſein, wenn ſie ſich nicht ſelber verlieren will. Würden auch Alle, die ſie jetzt hüten und hegen, vor ihr abgerufen, Menſchenliebe ſtirbt nicht aus. Und wenn ſie recht auf Gottes Hand achtet und auf die Wege, die ſie geführt wird, wird ſie noch einmal ihre Blindheit ſegnen, die ſie von Kindesbeinen an dem Schein fern gerückt und dem wahren Weſen genähert hat.

Clemens unterbrach das Geſpräch. Ihr denkt nicht, rief er ſchon auf der Schwelle, wie wunder¬ voll die Nacht iſt. Ich gäbe eins meiner Augen darum, wenn ich's Marlenen ſchenken könnte, um dieſe Pracht der Sterne zu ſehen. Wenn ſie nur der Lärm des Waſſerfalls ſchlafen läßt! Ich kann mir's334noch nicht vergeben, daß ich ſie in der Kühle draußen ſitzen ließ.

Sprich leiſer, lieber Sohn, ſagte die Mutter. Sie ſchläft dicht nebenan. Und am beſten thäteſt du, du gingeſt auch ſchlafen.

Flüſternd ſagte der Knabe gute Nacht. Als die Mutter zu Marlenen in die Kammer kam, fand ſie das Mädchen ruhig und anſcheinend entſchlafen. Jener unheimliche Ausdruck der Züge war einer liebe¬ vollen Stille gewichen. Der Sturm war vorüber und hatte noch nichts in ihr verwüſtet. Auch Scham und Reue regten ſich kaum; ſo allmächtig herrſchte in ihr der freudige Frieden, der ihr im Nebengemach war gepredigt worden. Denn das Böſe erwirbt ſich langſam und auf Schleichwegen ſeine Herrſchaft über uns; der Sieg des Guten iſt ſchnell entſchieden.

35

Fünftes Capitel.

Mit Verwunderung bemerkten am andern Morgen ihre Freunde die Umwandlung, die mit ihr vorge¬ gangen war. Die Pfarrerin konnte ſich's nicht an¬ ders denken, als daß Marlenen durch die Wand ihr Geſpräch zugekommen ſei. Um ſo beſſer, ſagte der Pfarrer; ſo hab 'ich ihr nichts mehr zu ſagen.

Rührend war die Freundlichkeit, mit der das Mäd¬ chen Clemens und den Eltern begegnete. Sie wollte nichts mehr, als zu ihnen gehören dürfen. Was ihr Liebes geſchah, nahm ſie faſt beſtürzt wie ein Un¬ verdientes an. Sie ſprach noch immer nicht viel; aber was ſie ſprach, war heiter und belebt. Ihr ganzes Weſen erſchien hingegeben und weich, als wolle ſie ſtumm Abbitte thun. Sie nahm wieder Clemens Arm, wenn ſie wanderten. Aber oft bat ſie, daß ſie ein wenig ruhen dürfe. Nicht weil ſie müde war, ſondern um dem Knaben die Freiheit zu laſſen, her¬ umzuſteigen, wohin es ihn lockte. Sie lächelte dann, wenn er zurückkam und ihr erzählte. Ihre alte Ei¬3 *36ferſucht war vergangen, ſeit ſie nichts mehr für ſich verlangte, als die innige Freude an der ſeinen.

So gekräftigt und gehoben vollendete ſie die Reiſe. Und ſie war zur rechten Zeit gekräftigt worden. Denn als ſie heim kam, fand ſie ihre Mutter in ſchwerer Krankheit, der die ſchwache Frau in wenigen Tagen erlag. Nun, nachdem die erſten Wochen der Trauer überſtanden waren, forderte das traurig veränderte Leben Pflichten von ihr, denen ſie früher ſchwerlich gewachſen war. Die Sorge für das Hausweſen be¬ ſchäftigte ſie früh und ſpät. Trotz ihres Gebrechens wußte ſie in jedem Winkelchen des kleinen Hauſes Beſcheid, und wenn ſie auch ſelbſt nur ſelten Hand anlegen konnte, war ſie doch umſichtig und geſchickt, Alles anzuordnen, daß es ihrem gebeugten Vater an nichts fehle. Eine wunderbare Hoheit und Sicher¬ heit kam über ſie. Wo es früher vielfacher Verweiſe bedurft hatte, um Knecht und Magd zum Rechten zu gewöhnen, genügte jetzt ein ruhiges Wort von ihr. Und war einmal etwas Arges verſehen oder zu irgend einer Arbeit böſer Wille vorhanden, ſo wirkte ein ernſthafter Blick mit den großen, blinden Augen un¬ widerſtehlich auf die rohſte Natur.

Seit ſie fühlte, daß ſie heiter ſein müſſe um ihres Vaters willen, ſeit ſie begriff, daß ſie wirken und das Leben ſelbſt geſtalten müſſe, kamen auch die Stunden immer ſeltener, in denen ſie die Trennung von Cle¬37 mens ſchmerzlich empfand. Und als er endlich nach der Stadt in die Schule ſollte, vermochte ſie's, ge¬ faßter als die Andern ihm Lebewohl zu ſagen. Sie ging dann freilich wochenlang wie im Traum umher, als ſei die beſte Hälfte ihres Weſens von ihr geſchie¬ den. Bald aber war ſie heiter wie ſonſt, ſang ihre Lieblingslieder vor ſich hin und ſcherzte mit dem Va¬ ter, bis ſie ihm ein Lachen abgewann. Wenn die Pfarrerin herüberkam mit Briefen aus der Stadt und ihr Nachrichten und Grüße von Clemens vorlas, ſchlug ihr heimlich das Herz und ſie lag länger als ſonſt des Abends im Bett, ohne daß der Schlaf kommen wollte. Am andern Morgen war ſie hellen Sinnes, wie immer.

In den Ferien kam Clemens zu den Eltern zurück, und ſein erſter Gang war dann ins Küſterhaus. Marlene unterſchied ſeinen Schritt ſchon aus der Ferne, blieb ſtill wo ſie war und horchte, ob er nach ihr fragen würde. Sie ſtrich haſtig mit den Händ¬ chen ihr Haar ein wenig glatt, das noch immer in Zöpfchen über den ſchlanken Nacken hing und ſtand auf von ihrer Arbeit. Trat er dann an die Thür, ſo war jede Spur von Aufregung aus ihrem Geſicht verſchwunden. Heiter gab ſie ihm die Hand und bat ihn, ſich zu ihr zu ſetzen und ihr zu erzählen. Da vergaß er denn die Zeit und mußte von der Mutter geholt werden, die anfing mit ihm zu geizen. Denn38 ſelten blieb er die ganze Zeit der Ferien im Dorf, ſondern wanderte ins Gebirge, an das ihn die wach¬ ſende Leidenſchaft für die Natur feſſelte.

Die Jahre gingen ihren einförmigen Gang. Die Alten welkten langſam, und die Jungen erblühten raſch. Als Clemens einmal wieder um Oſtern zu Marlenen kam und ſie vom Spinnrad aufſtand, ſtaunte er, wie ſtattlich ſie ſich in der Zeit ſeit dem Herbſt entfaltet hatte. Du biſt ein Fräulein gewor¬ den, ſagte er. Aber ich bin auch kein Kind mehr. Fühl nur, wie mir der Bart gewachſen iſt über dem winterlangen Studiren. Sie erröthete flüchtig, als er ihre Hand ergriff und an ſein Kinn führte, daß ſie den zarten Flaum fühlen ſollte. Er hatte ihr auch ſchon Anderes zu erzählen, als in der erſten Zeit. Der Lehrer, bei dem er wohnte, hatte Töchter und dieſe Töchter Freundinnen. Die mußte er ihr alle aufs genaueſte beſchreiben. Ich mache mir nichts aus den Mädchen. Sie ſind albern und eitel, und ſchwatzen ſo viel. Eine iſt da, Cäcilie, die mag ich noch am beſten leiden, weil ſie wenig ſpricht und keine Geſichter ſchneidet, um ſchön zu ſein. Aber was gehn ſie mich Alle an? Neulich, wie ich Abends in mein Zimmer komme, find 'ich einen Blumenſtrauß auf dem Tiſch. Ich ließ ihn ſo liegen und ſtellt' ihn nicht einmal ins Waſſer, obwohl mich die Blu¬ men dauerten, denn es verdroß mich; und andern39 Tags hatten die Mädchen ein Gekicher und Geziſchel, daß ich kein Wort mit ihnen redete vor Aerger. Sie ſollen mich zufrieden laſſen, denn ich habe keine Zeit für ihre Narrheiten.

Marlene verlor keines von dieſen Worten, und ſpann ein endloſes Geſpinnſt von wunderlichen Ge¬ danken aus ihnen. Faſt wäre ſie in Gefahr gekom¬ men, in unfruchtbaren Träumen hinzukränkeln, wenn nicht begründetere Sorge und ernſthafterer Schmerz ſie gerettet hätten. Ihr Vater, der lange ſchon nur mit Anſtrengung ſeinen Dienſt verſehen hatte, wurde durch einen Schlaganfall gelähmt, und lag faſt ein Jahr im hilfloſeſten Zuſtande, bis ein zweiter Schlag ſeine Leiden verkürzte. Keine Stunde wich ſein Kind von ſeiner Seite. Auch in den Ferien, die Clemens ins Dorf führten, gönnte ſie ſich nicht, ihn länger zu ſprechen, als wenn er auf Viertelſtunden in das Krankenzimmer kam.

Sie ward immer feſter in ſich, immer entſagender. Keinem klagte ſie und hätte Keines bedurft, wenn ihre Blindheit ihr Alles ſelbſt zu thun erlaubt hätte. Und dies ihr Unglück, das ſie innerlich erzog, ge¬ wöhnte ſie auch an häusliche Tugenden, die manche Sehende vernachläſſigen. Sie hielt die genaueſte Ord¬ nung in allen Dingen, die ſie zu verwalten hatte, und that ſich nie genug in Sauberkeit, weil ſie mit den Augen nicht beurtheilen konnte, wann das letzte40 Stäubchen entfernt war. Clemens traten die Thrä¬ nen in die Augen, wenn er ſie bemüht ſah, ihren gelähmten Vater zu waſchen und ſeine dünnen Locken zu kämmen. Sie war blaß geworden in der heißen Luft der Krankenſtube, aber die braunen Augen hatten darum nur tieferen Glanz, und in aller niederen Ar¬ beit trat der Adel ihres Weſens nur lebendiger hervor.

Der alte Mann ſtarb; in das Häuschen zog ſein Nachfolger ein und Marlene fand im Pfarrhauſe eine freundliche Zuflucht. Clemens, der indeſſen eine entferntere Univerſität bezogen hatte und nicht wie ſonſt zweimal des Jahres ſeine Heimath beſuchen konnte, erfuhr dies Alles aus Briefen, die ſelten kamen und die er unregelmäßig beantwortete. Zu¬ weilen kam ein Zettel für das Mädchen mit, in dem er ſich gegen ſeine Art übermüthig ſcherzhaft geberdete und ihr faſt wie einem Kinde begegnete, daß die Mutter den Kopf ſchüttelte und vor dem Vater da¬ von ſchwieg. Marlene ließ ſich dieſe ſeltſamen Brief¬ chen ernſthaft vorleſen, bat ſie ſich aus und bewahrte ſie. Als ihr Vater geſtorben war, erhielt ſie einen kurzen aufgeregten Brief, der weder tröſtete noch ein Wort der Mittrauer enthielt, nur heftige Bitten, ihre Geſundheit zu ſchonen, ſtille zu ſein, ihn genau wiſ¬ ſen zu laſſen, wie es um ſie ſtehe. Das war im Winter und dieſer Brief der letzte an Marlenen. Man erwartete auf Oſtern einen Beſuch des Jünglings. 41Er blieb aus und ſchrieb, er habe die Gelegenheit nicht verſäumen dürfen, einen verehrten Lehrer auf einer botaniſchen Wanderung zu begleiten. Der Vater war damit zufrieden, und Marlenen gelang es endlich, auch die ungeduldige Mutter zu beſchwichtigen.

Unangemeldet kam er plötzlich um Pfingſten, zu Fuß, von einem ſtarken Marſch vor Tagesgrauen nicht ermüdet, mit friſchen Wangen und ein voller Mann. So trat er in die ſtille Wohnung, in der die Mutter allein ihr Weſen hatte; denn es war der Sonnabend vor dem Feſt. Mit einem Freudenſchrei hing ihm die überraſchte Frau am Halſe. Du? rief ſie, als ſie ſich erholte und nun einen Schritt zurück¬ tretend den lang Entbehrten mit vollem Blick der Liebe maß. Alſo kommſt du doch noch, du Böſer, du Vergeßlicher, und weißt noch den Weg zu Vater und Mutter. Gott ſei gelobt! Ich dachte, du hätteſt dir in den Kopf geſetzt, nur als Profeſſor dich wie¬ der ſehn zu laſſen, wenn meine alten Augen ſich viel¬ leicht nicht mehr hier unten an dir freuen würden. Aber ich will dich nicht ſchelten; du biſt brav, du biſt der Alte, du machſt mir ein Pfingſten, wie lange keins war, mir und dem Vater, uns Allen! Mut¬ ter! ſagte er, wie wohl iſt mir, daß ich wieder hier bin! Es litt mich zuletzt nicht mehr da draußen; ich wußte ſelbſt nicht, wie es kam, ich beſchloß es nicht erſt, ich mußte fort, eines ſchönen Morgens anſtatt42 ins Colleg zum Thor hinaus, und bin drauf los ge¬ laufen als entliefe ich einer Sünde, Tagereiſen, wie ich ſie bisher noch nicht gemacht habe, ſo gut ich von jeher zu Fuße war. Wo iſt der Vater? wo iſt Marlene?

Hörſt du ihn nicht? ſagte die Mutter. Der Vater iſt oben im Predigtſtübchen. Sie hörten über ſich den ſtarken Schritt des Alten auf und ab. Es iſt Alles wie es war, fuhr die Mutter fort. Das iſt ſein Sonnabendsgang die zwanzig Jahr, ſeit ich ihn kenne. Und Marlene iſt im Feld mit unſern Leuten. Ich habe ſie weggeſchickt, denn ſie läßt mir keine Ruhe. Wenn ſie im Haus iſt, hätte ſie am liebſten, ich ſäße da im Winkel, die Hände im Schoß; ſie thäte am liebſten Alles allein. Nun haben wir neue Knechte, und es iſt mir lieb, wenn ſie die Aufſicht führt, bis ſie ſich eingewöhnt haben. Wie wird ſie ſtaunen, dich hier zu finden! Aber komm, ich bringe dich zum Vater, nur daß er dich ſieht; es iſt auch bald Mittag. Komm, er wird nicht ungehalten ſein, daß du ihn ſtörſt.

Sie führte den Sohn, leiſe voranhuſchend, aber immer ſeine Hand in der ihren, das Treppchen hin¬ auf. Leiſe öffnete ſie die Thür, winkte Clemens, und ſelber zurücktretend, trieb ſie ihn einzutreten. Da iſt er! rief ſie, da haſt du ihn. Der Alte fuhr auf wie aus tiefen Gedanken. Wen? fragte er halb43 unmuthig. Da ſah er in das Geſicht ſeines Sohnes, das von der Sonne hell angeſchienen war. Er ſtreckte die Hand herzlich aus. Clemens! rief er, noch zwi¬ ſchen Ueberraſchung und Freude; du hier! Ich hatte Heimweh, ſagte der Sohn und drückte warm die dargebotene Hand. Ich bleibe über das Feſt hier, Vater, wenn noch Platz iſt, ſeit Marlene unter euerm Dache iſt. Wie du ſo reden kannſt! fiel die Mutter eifrig ein. Und wenn ich ſieben Söhne hätte, ich wollte ihnen Platz ſchaffen. Aber ich laſſe dich dem Vater; ich will in die Küche, in den Garten; ſie haben dich in der Stadt verwöhnt, du wirſt vor¬ lieb nehmen müſſen.

Sie war ſchon hinaus, als Vater und Sohn ſich noch ſchweigend gegenüber ſtanden. Ich habe dich geſtört, ſagte endlich Clemens. Du biſt in der Pre¬ digt. Sag, ob ich wieder gehen ſoll. Du ſtörſt nur einen, der ſich ſelber geſtört hat. Seit dem Morgen bin ich herumgegangen, mein Textwort in Gedanken, aber die Gnade war nicht mit mir und der Keim ging nicht auf. Es iſt mir ſeltſam geweſen, Schauer über mir, die ich nicht bezwingen konnte. Er trat an das kleine Fenſter, das auf die Kirche ſah. Der Weg zu ihr ging über den Todtenacker. Der lag ſtill mit Blumen und blinkenden Kreuzen im Mit¬ tagslicht. Komm heran, Clemens, ſagte der Alte ſanft. Stelle dich neben mich. Siehſt du das Grab44 zur Linken mit den Primeln und Monatsroſen? Du haſt es ſonſt nicht geſehn. Weißt du, wer da ſchläft? Mein guter, alter Freund, der Vater unſrer Marlene.

Er trat vom Fenſter zurück, an dem der Sohn ergriffen ſtehn blieb. Er ging wieder das Zimmer auf und nieder, und während ſie ſchwiegen, hörten ſie den Sand unter dem ruhigen Schritt kniſtern. Ja, ſagte der Alte mit tiefem Athemzug, es hat ihn Keiner gekannt ſo wie ich, Keiner das an ihm gehabt, Keiner das an ihm verloren. Was wußte er von der Welt und ihrer Weisheit, die ja Thorheit iſt vor Gott! Was er wußte, war ihm Alles Offenba¬ rung von innen, und aus der Schrift, und aus dem Schmerz. Er iſt ſelig geworden, weil er ſelig war.

Nach einer Pauſe ſprach er weiter: Wen habe ich nun, der mich beſchämt, wenn ich hoffährtig werde, und rettet, wenn ich ſtrauchle im Glauben, und die Gedanken ſchlichtet, die ſich anklagen und entſchul¬ digen? Die Welt wird ſo klug um mich. Was ich höre, verſtehe ich nicht, und was ich leſe, will meine Seele nicht verſtehen, denn es iſt ihr Unheil. Wie Viele ſtehn auf und meinen, mit Zungen zu reden, und ſiehe, es iſt Lippenwerk. Und die Spötter hören es und haben ihre Freude. Mein alter Freund, wäre ich wo du biſt!

Clemens wandte ſich. Er hatte den Vater nie ſo über eigne Herzensnöthe reden hören. Er trat zu ihm45 und ſuchte nach Worten. Laß, mein Sohn, ſagte der Alte abwehrend. Was willſt du mir geben, das mir nicht Himmliſche beſſer gegeben hätten? Sieh, es war kurz nach ſeinem Tode, ich ſchlief hier oben, die Nacht mit Sturm und Regen weckte mich, ich war betrübt bis zum Tode: da erſchien er mir, es leuchtete um ihn er war in ſeinen Kleidern als lebte er, ſprach aber nicht, ſondern ſtand zu Füßen des Bettes und ſah ſtill auf mich nieder. Erſt griff es mich hart an. Ich war der Gnade nicht gewach¬ ſen, ein verklärtes Angeſicht zu ſehn. Andern Tags empfand ich den Frieden, den es mir zurückgelaſſen hatte. Seitdem kam es nicht wieder. Aber die letzte Nacht ich hatte am Abend eine Schrift geleſen, aufrühreriſch gegen Gott und Gotteswort, und war im Zorn zu Bett gegangen da war es nach Mit¬ ternacht, als ich wieder auffahre, und er ſteht vor mir, angethan wie damals, aber in Händen die Bi¬ bel, aufgeſchlagen und mit goldner Schrift geſchrie¬ ben. Er weiſ't mit dem Finger darauf, aber es ging ein Glanz aus von den Blättern, daß ich vergebens hinſtarre und vor Fülle des Lichts keine Zeile leſen kann. Ich näherte mich ihm, halbaufgerichtet; er ſtand, Mitleid und Liebe im Angeſicht, die immer mehr der Angſt wichen, je mehr ich zu leſen ſtrebte und es nicht vermochte. Da gingen von der Klar¬46 heit mir die Augen über, verdunkelten ſich ganz, und er ſchwand leiſe dahin und ließ mich in Thränen.

Der Alte war wieder ans Fenſter getreten, und Clemens ſah, wie ein Zittern ihn überlief. Vater! rief er und faßte die matt herabhängende Hand. Sie war feucht und kalt. Vater! du ängſteſt mich. Du ſollteſt zum Arzt ſchicken.

Zum Arzt? ſagte der Vater faſt heftig und rich¬ tete ſich in allen Gliedern auf. Ich bin geſund, das iſt es eben. Es will und ahnt meine Seele den Tod, und mein Leib widerſteht ihm eigenſinnig.

Dieſe Träume, Vater, zerrütten dich!

Träume? Ich ſage dir, daß ich wachte wie jetzt.

Ich zweifle nicht, Vater, daß du wachteſt. Aber um ſo mehr beunruhigen mich dieſe Fieberſchauer, die dich wachend mit Träumen heimſuchen. Sieh, noch jetzt biſt du durch die Erinnerung wie außer dir und dein Puls fliegt. Ich weiß, ſo wenig Arzt ich bin, daß du Fieber hatteſt die Nacht und jetzt.

Dünkſt du dir das zu wiſſen, armer Menſch? rief der Alte. O der herrlichen Weisheit! O der gna¬ denreichen Wiſſenſchaft! Aber wen klage ich an? Bin ich nicht der Strafe werth, da ich Gottes Ge¬ heimniſſe ausplaudre und mein volles Herz den Spöt¬ tern zur Scheibe mache? Iſt das die Frucht deines Lernens und wähnſt du Feigen zu eſſen von dieſem Dornbuſch? Aber ich kenne euch wohl, ihr Armſe¬47 ligen, dte ihr neue Götter macht für das Volk und im Herzen euch ſelbſt anbetet. Eure Tage ſind ge¬ zählt! Er ging zur Thür, ſeine kahle Stirn war geröthet, er ſah Clemens nicht an, der beſtürzt zu Boden ſtarrte. Plötzlich fühlte er die Hand des Va¬ ters auf ſeiner Schulter.

Sage mir offen, mein Sohn, biſt du ſchon ſo weit wie Jene, von deren Treiben ich mit Schau¬ dern geleſen habe? Hältſt du ſchon, wo die ſaubern Materialiſten halten, daß du der Wunder lachſt und der Geiſt dir ein Märchen iſt, das die Dinge ein¬ ander erzählen und dem der Menſch zuhört? Hat weder deine Jugend, noch die Saat der Dankbarkeit, die Gott dir ins Herz geſät, das Unkraut erſticken können? Antworte mir, Clemens!

Vater, ſagte der junge Mann nach einigem Be¬ ſinnen, wie ſoll ich darauf antworten? Ein ganzes Leben hab 'ich darangeſetzt, über dieſe Frage nach¬ zudenken. Ich habe ſie von Männern, die ich ver¬ ehre, auf jede Weiſe beantworten hören. Unter mei¬ nen liebſten Freunden bekennen ſich Einige zu jener Anſicht, die du verdammſt. Ich höre und lerne, und wage noch nicht zu urtheilen.

Wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich, ſpricht der Herr.

Wie könnt 'ich wider ihn ſein? Wie könnt' ich wider den Geiſt ſein? Wer läugnet überhaupt den48 Geiſt, wenn er ihn auch an den Stoff bindet? Blei¬ ben nicht ſeine Wunder was ſie ſind, wenn ſie auch nur die Blüte der Natur ſein sollten? Gereicht es einem edeln Bildwerk zur Schande, daß es aus Stein gehauen iſt?

Du ſprichſt wie ſie Alle; ſo berauſcht ihr euch in trüben Gleichniſſen, ſo betäubt ihr euch mit klin¬ genden Worten, daß ihr den Ruf in euch überhört. Und du biſt gekommen, Pfingſten mit uns zu feiern?

Ich bin gekommen, weil ich euch liebe.

Es entſtand eine Stille zwiſchen ihnen. Mehr¬ mals öffnete der Alte den Mund und preßte wieder ſtark die Lippen zuſammen. Sie hörten Marlenens Stimme unten im Haus, und Clemens trat horchend vom Fenſter zurück, an dem er traurig geſtanden hatte. Es iſt Marlene, ſagte der Alte. Haſt du ſie denn vergeſſen? Tritt nicht, wenn deine frevelhafte Genoſſenſchaft ſich in Aberwitz überbot, dem Geiſte ſeine freie Gotteskindſchaft zu beſtreiten, tritt dann nicht das Bild deiner Jugendgeſpielin vor deine Seele? Erinnert ſie dich nicht daran, welche Wunder der Geiſt wirken kann, wenn ihm die Sinne abgeſchnitten ſind, allein aus ſich, will ſagen aus Gott, durch Seine Gnade, in demüthiger Bruſt, die ſtark iſt im Glauben?

Clemens drängte die Antwort zurück, die er wohl bereit hatte. Sie vernahmen jetzt den zarten Schritt49 der Blinden auf der Treppe. Die Thür ging auf und mit gerötheten Wangen ſtand Marlene auf der Schwelle. Clemens! ſagte ſie und heftete die heitern braunen Augen auf die Stelle, wo er wirklich ſtand. Er näherte ſich ihr und faßte die Hand, die ſeiner wartete. Welche Freude haſt du den Eltern gemacht! Willkommen! willkommen! Du biſt ſo ſtill! fuhr ſie fort.

Liebe Marlene. ſagte er, ich bin wieder hier. Ich mußte euch wieder ſehn. Du ſiehſt wohl aus, du biſt noch größer geworden.

Seit dem Frühling bin ich wieder aufgelebt. Der Winter war ſchwer. Es geht mir ſo wohl bei deinen Eltern, Clemens. Guten Tag, lieber Vater, ſagte ſie dann; wir ſind früh am Morgen hinausgegangen, ich konnte Euch noch keine Hand geben. Sie reichte ſie ihm jetzt. Geh hinunter, mein Kind, ſagte der Alte; Clemens wird dich begleiten; du kannſt ihm deinen Garten zeigen. Bis zu Mittag iſt noch eine kleine Friſt. Denk 'an meine Worte, Clemens!

Die jungen Leute gingen. Was hat der Vater? fragte das Mädchen, als ſie unten waren. Seine Stimme klang ſeltſam, auch deine. Hatte er was mit dir?

Ich fand ihn aufgeregt; ſein Blut ſcheint ihm wieder zu ſchaffen zu machen. Hat er nicht geklagt die Tage her?

450

Nicht zu mir. Doch war er oft unruhig und ſchwieg ſtundenlang, daß es auch der Mutter auf¬ fiel. Iſt er ſtreng gegen dich geweſen?

Wir hatten einen Streit über ernſte Dinge. Er fragte mich und ich konnte ihm meine Gedanken nicht verſchweigen.

Das Mädchen war nachdenklich geworden. Erſt als ſie in die freie Luft traten, erhellte ſich wieder ihr Geſicht. Iſt es nicht hübſch hier? fragte ſie und breitete die Hände aus. Wahrhaftig, ſagte er, ich erkenn 'es nicht wieder; was haſt du aus dem kleinen wüſten Fleck gemacht? Seit ich denken kann, ſtan¬ den hier nur die Obſtbäume und die wenigen Malven - und Aſternbeete, und nun iſt es voll von Roſen.

Ja, ſagte ſie, deine Mutter hielt nicht viel auf das Gärtchen, und nun freut ſie ſich auch darüber. Der Schulzenſohn, der die Gärtnerei in der Stadt gelernt hat, ſchenkte mir die erſten Roſenſtöcke und pflanzte ſie ſelber ein. Dann fanden ſich die andern dazu und nun iſt es ganz luſtig. Die ſchönſten blühn aber noch nicht.

Und du pflegſt ſie allein?

Du wunderſt dich, weil ich nicht ſehen kann, ſagte ſie heiter. Ich verſtehe mich aber doch darauf was den Pflanzen gut thut. Ich ſpür 'es am Geruch, ob eins welkt, oder im Aufgehn iſt, oder Waſſer be¬ darf. Es ſpricht ordentlich zu mir. Aber freilich,51 pflücken kann ich dir keine Blume, ich zerſteche mir die Hände.

Ich will es für dich thun, ſagte er und brach ihr eine von den Monatsroſen. Sie nahm ſie. Du haſt ſo viele Knoſpen mitgepflückt, ſagte ſie; ich will mir eine behalten und in Waſſer ſtellen. Da haſt du die blühende wieder.

So gingen ſie den ſaubern Gang hinab, bis die Mutter ſie zu Tiſche rief. Clemens war beklommen, dem Vater gegenüber. Aber Marlene, ſo beſcheiden ſie ſonſt an der Unterhaltung Theil nahm, hatte heut hundert Dinge zu erzählen und zu fragen. Auch der Alte verlor darüber das Nachgefühl des erſten Ge¬ ſprächs mit ſeinem Sohn, und das alte trauliche Verhältniß ſtellte ſich bald wieder her.

Es konnte aber nicht fehlen, daß in den nächſten Tagen die Gelegenheit zum Streit ſich erneuerte. Der Vater erkundigte ſich nach dem Zuſtande der Theo¬ logie an jener Univerſität, und das Geſpräch ſprang bald zu allgemeineren Fragen über. Je mehr Cle¬ mens auswich, deſto eifriger drängte ihn der Alte. Manch beſorgter, zuweilen unwilliger Blick der Mut¬ ter hielt ihn freilich in ſeinem Vorſatz, offene Be¬ kenntniſſe zu vermeiden. Aber wenn er dann ab¬ brach oder ein Wort ſagte, das für ihn leer war, drückte ihm die peinliche Stille das Herz ab. Mar¬ lene wußte immer wieder den alten Ton anzuſchla¬4 *52gen. Aber er ſah, wie auch ſie zu leiden hatte und wich ihr aus, wenn er ſie allein traf; denn er wußte, daß ſie ihn befragt hätte, und ihr hätte er nichts verſchweigen können. Es ſchien ein Schatten über ihn zu fallen, ſobald er ihrer anſichtig wurde. War es jenes kindiſche Verſprechen, dem er untreu ge¬ worden? War es der Glaube, daß ſie in dem Zwie¬ ſpalt der Meinungen, der ihm die Eltern entfremden wollte, ſtillſchweigend auf ihre Seite trat?

Und doch fühlte er eine Neigung zu ihr immer unwiderſtehlicher in ſich, die er ſich nicht mehr ver¬ läugnen konnte und die er mühſam bekämpfte. Denn er war erfüllt von ſeiner Wiſſenſchaft, von ſeiner Zu¬ kunft, und wehrte ſich mit dem Eigenſinn innerer Geſundheit gegen Alles, was ſich hinderlich an ſeine Schritte hängen wollte. Ein Reiſender will ich ſein, ein Fußreiſender, ſagte er ſich oft. Ich muß ein leichtes Bündel haben. Es wurde ihm wunderlich beklemmt ums Herz, wenn er dem Gedanken nach¬ hing, ſich an ein Weib zu feſſeln, das einen Theil ſeines Lebens für ſich verlangte. Und ein blindes Weib, das er ſich ſcheuen mußte je zu verlaſſen! Hier auf dem Dorf, wo Alles ſeinen einfachen Zuſchnitt hatte, den ſie ſeit Kindesbeinen kannte, hier war ſie wohl vor verwickelten Verhältniſſen geborgen, die in der Stadt nicht ausbleiben konnten. So beredete er ſich, daß er auch ihr ein Unrecht thue, wenn er ſich53 ihr nähere. Daß er ihr Schmerzen mache durch ſeine Entſagung, wagte er nicht zu denken.

Er entſchied ſich immer unverhohlener. Am letzten Tage, da er die Eltern umarmt hatte und hörte, Marlene ſei im Garten, ließ er ihr einen Gruß zu¬ rück und mit klopfendem Herzen ſchlug er den Dorf¬ weg ein und wendete ſich dann ſeitwärts über die Felder dem Walde zu. Auch der Garten öffnete ſich nach dem Felde, und der nächſte Weg wäre durch eine kleine Gitterthür gegangen. Er machte einen weiten Bogen. Aber draußen angelangt, vermochte er's nicht, auf dem Rain durch die junge Saat fort¬ zuwandern, ohne umzublicken. So ſtand er in der milden Sonne ſtill und überſchaute die Hütten und Häuſer. Hinter der Hecke, die den elterlichen Garten einfaßte, gewahrte er die ſchlanke Geſtalt des Mäd¬ chens. Ihr Geſicht war ihm zugekehrt, aber ſie ahnte ſeine Nähe nicht. Es trat ihm heiß und heftig ins Auge, er kämpfte das Weinen gewaltſam nieder. Dann ſprang er wie unſinnig über die Gräben und Wege zurück zur Hecke. Sie fuhr zuſammen. Lebe wohl, Marlene, ſagte er mit klarer Stimme. Ich gehe fort, vielleicht auf ein Jahr. Er ſtrich ihr mit der flachen Hand leicht über Stirn und Scheitel. Leb wohl! Du gehſt, ſagte ſie. Was ich dich noch bitten wollte, ſchreibe öfter an die Eltern. Deine Mutter bedarf es. Laß mich auch einmal grüßen.

54

Ja, ſagte er zerſtreut. Dann ging er. Cle¬ mens! rief ſie noch einmal, als er ſchon weg war. Er hörte wohl, aber er ſah nicht wieder um. Es iſt gut, daß er es überhört hat, ſprach ſie leiſe bei ſich ſelbſt. Was habe ich ihm auch zu ſagen?

55

Sechstes Capitel.

Seit jenem Tage wohnte der Sohn nicht wieder längere Zeit in ſeiner Eltern Haus. Jedesmal fand er den Vater herber und unduldſamer, die Mutter immer in gleicher Liebe, aber verſchloſſener gegen ihn, Marlene ruhig, aber bei dem Geſpräch der Männer ſtumm. Sie ließ ſich dann auch wenig ſehn.

In einem klaren Spätherbſt finden wir Clemens wieder oben in der Kammer, in der er als Knabe die Wochen der Geneſung zugebracht hatte. Einer ſeiner Freunde und Studiengenoſſen hatte ihn begleitet. Die herkömmliche Univerſitätszeit war hinter ihnen und ſie kehrten von einer größern Reiſe zurück, auf der Wolf ſich ein Unwohlſein zugezogen hatte, das er in der Stille des Dorfs abzuwarten wünſchte. Clemens mußte es geſchehen laſſen, obwohl er gerade dieſen unter all ſeinen Bekannten am wenigſten ge¬ eignet wußte, dem Vater zu gefallen. Indeſſen rich¬ tete ſich der Fremde wider Erwarten mit Klugheit und Gewandtheit nach der Sinnesart der alten Leute und gewann beſonders die Mutter durch ein heiteres Intereſſe, das er an häuslichen Dingen zu nehmen56 ſchien. Er konnte ihr auch manchen Rath geben und ein Uebel, an dem ſie litt, durch ein einfaches Mittel lindern. Denn er hatte ſich dazu vorbereitet, die Apotheke eines alten Oheims zu übernehmen, ein Beruf, über den ihn Anlagen und Kenntniſſe im Grunde hinauswieſen. Doch er war von Natur be¬ quem und es war ihm recht, beizeiten auszuruhn und zu genießen.

Mit Clemens hatte er innerlich nie etwas gemein gehabt. Und ſo fühlte er ſich auch gleich beim Ein¬ tritt in das Pfarrhaus in einer durchaus fremden Luft und hätte nach der nothdürftigſten Erholung gewiß eine Umgebung verlaſſen, die ihn engte und beſchränkte, wäre ihm das blinde Mädchen nicht beim erſten Blick als ein merkwürdiges Räthſel aufgefallen. Sie hielt ſich zwar von ihm zurück, ſo viel ſie konnte. Als er ihr das erſte Mal die Hand gegeben, hatte ſie ſie mit unbegreiflicher Unruhe ihm wieder entzogen und all ihre Unbefangenheit verloren. Dennoch war er ſtundenlang um ſie und beobachtete ihre Art die Dinge aufzufaſſen, forſchte mit einer munteren Rück¬ ſichtsloſigkeit, die man nicht übel nehmen konnte, nach den Mitteln, die ihr den Verkehr mit der Außenwelt möglich machten, und belauſchte ihre Sinne, wie ſie ſich gegenſeitig für die Entbehrung des einen fehlen¬ den entſchädigten. Er begriff Clemens nicht, daß er ſich ſo wenig aus ihr zu machen ſchien. Der aber57 vermied es mehr als je, dem Mädchen zu begegnen, am meiſten, wenn er ſie in Wolf's Geſellſchaft fand. Er ward dann plötzlich blaß und ſuchte ſich loszumachen, und die Leute im Dorf begegneten ihm oft auf entlegneren Waldwegen, wo er ſich in troſt¬ loſe Betrachtungen vergrub.

So kehrte er eines Abends wieder von einem mißmuthigen weiten Irrgang zurück und trat eben aus dem Wald in die Saatfelder ein, als ihm Wolf entgegen kam. Dieſer war aufgeregter als gewöhnlich. Nach einem langen Beſuch bei Marlenen, die ihn heute beſonders gefeſſelt hatte, war er in die Dorf¬ ſchenke gerathen und hatte ſo viel von dem leichten Landwein getrunken, daß er Luſt bekam, in der Abend¬ kühle ein wenig über Feld zu gehen.

Ihr werdet mich ſo bald noch nicht los, rief er Clemens entgegen. Dieſe kleine blinde Hexe giebt mir noch auf zu rathen. Sie iſt geſcheiter, als ein Dutzend Weiber in der Stadt, die ihre Augen nur haben, um mit Gott und Menſchen zu liebäugeln. Und wie ſie mich kurz hält, das iſt nun vollends ein Meiſterſtück.

Laß dir's lieb ſein, wenn ſie dich ein wenig zah¬ mer macht, ſagte Clemens kurz.

Zahmer? das werd 'ich nimmermehr. Wenn ich ſie ſo anſehe mit ihrer prächtigen Geſtalt und dem ſchönen Geſicht, es iſt wahrlich nicht um zahm zu58 werden. Glaube nicht, daß ich ihr was thun will. Aber weißt du, zuweilen denk ich, wenn ſie einen lieb hätte, das müßte eigen ſein. So eine, die nicht ſieht, die nur Gefühl iſt, und Gefühl wie es ſonſt nirgend ſo fein und ſtark und reizbar gefunden wird, wenn die einem um den Hals fiele, es müßte ihr und ihm ſonderbar wohl thun.

Du thäteſt beſſer, deine Gedanken für dich zu behalten.

Warum? Wem ſchaden ſie? Und wem ſchadet's, wenn ich ſie am Ende ein bischen in mich verliebt mache, um zu ſehen, wie die Nerven ſich dann aus der Ver¬ legenheit ziehen? So vieles von dem innern Feuer verdampft ſonſt durch die Augen; hier aber

Ich verbitte mir, daß du mit ihr experimentirſt, fuhr Clemens auf. Ich ſage dir in allem Ernſte, daß ich dergleichen in Zukunft weder hören noch ſehen will. Danach richte dich!

Wolf ſah ihn blinzend von der Seite an, faßte ihn am Arm und ſagte lachend: Ich glaube gar, du biſt in das Mädchen verliebt und willſt das Experi¬ mentiren dir ſelber vorbehalten. Seit wann biſt du denn ſo ekel? Haſt du mich doch ſonſt ausgehört, wenn ich dir ſagte was ich von den Weibern halte.

Ich bin nicht dein Erzieher; was habe ich mit deinen unſaubern Gedanken zu ſchaffen? Aber daß du jemand damit beſchmutzeſt, der mir nahe ſteht,59 der tauſendmal zu gut dafür iſt, daß du nur dieſelbe Luft mit ihm theilſt, das denk ich noch dir verwehren zu dürfen.

Oho, ſagte Wolf gelaſſen, zu gut, zu gut! Du biſt ein guter Kerl, Clemens, ein zu guter Kerl. Geh mir aus der Luft, guter Junge.

Er gab ihm einen leichten Schlag und wollte gehn. Clemens blieb ſtehn, ſeine Wangen wurden plötzlich blaß. Du wirſt dich erklären, was dieſe Worte meinen, ſagte er feſt.

Daß ich ein Narr wäre. Frage Andere, wenn du willſt. Es wird ſich ſchon einer finden, der mehr Luſt hat, als ich, tauben Ohren zu predigen.

Was heißt das? Wer ſind die Anderen? Wer wagt es, ſchlecht von ihr zu ſprechen? Wer?

Er hielt Wolf eiſern am Arme feſt. Narr, brummte der ärgerlich, du verdirbſt mir den gan¬ zen Spaziergang mit deinen langweiligen Fragen. Laß mich los!

Nicht von der Stelle, eh du mir genug gethan haſt, rief Clemens im höchſten Zorn.

Ich? Mach es mit dem Schulzenſohn aus, wenn du eiferſüchtig biſt. Der arme Teufel! Erſt ſchön zu thun, bis er aus der Haut fahren möchte, und ihm dann einen ſchnöden Laufpaß gegeben. Pfui, iſt das ehrlich? Er hat mir ſeine Noth geklagt; ich habe ihn getröſtet. Sie iſt wie die andern Weiber auch,60 ſagt 'ich ihm, eine Kokette. Jetzt hat ſie ſich an mich gemacht. Wir aber wiſſen ſie zu nehmen, und wer¬ den uns nicht das Maul verbinden laſſen, damit nicht andere gute Jungen in dieſelbe Schlinge rennen.

Nimm dies Wort zurück, ſchrie Clemens außer ſich und ſchüttelte heftig Wolf's Arm.

Warum? Es iſt die Wahrheit, und ich will ſie noch beweiſen. Geh, du biſt ein Kind von einem Menſchen.

Und du biſt ein Lump von einem Teufel.

Oho, nun kommt die Reihe an dich zu wider¬ rufen!

Ich widerrufe nicht.

So weißt du, was die Folge iſt. Du hörſt von mir, ſobald wir in der Stadt ſind.

Damit ging er kaltblütig von ihm, dem Dorfe zu. Clemens blieb eine Weile wo er ſtand. Der Elende! brach es von ſeinen Lippen. Seine Bruſt arbeitete heftig, ein bitterlicher Schmerz niſtete in ihr; er warf ſich zwiſchen den Aehren zu Boden und lag lange, jedes Wort, das ihn empört hatte, tau¬ ſendmal wiederholend.

Als er ſpät am Abend in das Haus zurückkehrte, fand er gegen ſeine Erwartung die Familie noch bei¬ ſammen.

Wolf fehlte. Der alte Herr ging mit ſtarken Schritten durch das Zimmer; die Mutter und Mar¬61 lene ſaßen und hatten eine Arbeit auf dem Schoß gegen die Sitte des Hauſes zu ſo ſpäter Zeit. Als Clemens ins Zimmer trat, ſtand der Pfarrer ſtill und wandte das Haupt ernſt nach ihm um.

Was haſt du mit deinem Freunde gehabt? Er iſt auf und davon, da wir über Feld waren, und hat nur einen kurzen Gruß hinterlaſſen. Als wir nach Hauſe kamen, fanden wir einen Boten, der ſeine Sa¬ chen abholte. Habt ihr euch verfeindet? Denn warum ſollte er ſonſt ſo übereilt unſer Haus verlaſſen?

Wir hatten einen Wortwechſel. Es iſt mir lieb, daß ich ihn nicht mehr unter dieſem Dache finde.

Um was entzweitet ihr euch?

Ich kann es dir nicht ſagen, Vater. Ich hätt 'es gerne vermieden. Aber es gibt Dinge, die ein rechtſchaffener Menſch nicht mit anhören darf. Ich kannte ihn lange, daß er roh iſt und weder ſich noch irgend wen ſchont. So wie heut, ſah ich ihn nie.

Der Pfarrer ſah den Sohn an und ſagte mit lei¬ ſerer Stimme: Wie werdet ihr's ausmachen?

Wie es Sitte iſt unter jungen Leuten, erwie¬ derte Clemens ernſt.

Weißt du, wie es unter Chriſten Sitte iſt, Beleidigungen auszugleichen?

Ich weiß es, aber ich kann nicht ſo handeln. Wenn er mich beleidigt hätte, ſo könnt 'ich ihm ver¬ geben, und ihm die Züchtigung ſchenken. Aber er hat ein Weſen beleidigt, das mir ſehr nahe ſteht!

62

Ein Mädchen, Clemens?

Ja, ein Mädchen.

Und du liebſt dieſes Mädchen?

Ich liebe ſie, ſagte halblaut der junge Mann.

Ich hab 'es mir gedacht, fuhr der Alte auf. Die Stadt hat dich verdorben; du biſt der Welt¬ kinder eines geworden, die den Dirnen nachgehen und ſich raufen um ſie und ſie zu ihren Götzen er¬ wählen. Ich aber ſage dir, ſo lang ich lebe, will ich arbeiten, dich zum Herrn zurückzuziehen, und will deine Götzen zertrümmern. Hat Gott Wunder an dir gethan, damit du ihn verläugneſt? So wäre es beſſer, du ſäßeſt noch in der Nacht und hätteſt die Thore ewig verſchloſſen, durch die der böſe Geiſt mit ſeinen Verlockungen in dein Herz gedrungen iſt.

Mühſam bezwang der junge Mann ſeine Auf¬ wallung. Was gibt dir ein Recht, Vater, rief er endlich, mir unedle Neigungen zuzutrauen? Weil ich thun muß, was nöthig iſt, um in der Welt den Uebermuth des Gemeinen niederzuhalten, bin ich dar¬ um niedriger? Es gibt verſchiedene Wege, gegen den unſaubern Geiſt zu kämpfen. Deiner iſt friedlich, denn du haſt es mit der Maſſe zu thun. Ich ſtehe dem Einzelnen gegenüber und kenne meinen Weg.

Du wirſt ihn nicht wandeln, rief der Alte ei¬ fernd aus. Willſt du Gottes Gebote mit Füßen treten? Der iſt mein Sohn nicht mehr, der die Hand63 an ſeinen Bruder gelegt hat. Ich verbiete dir den Kampf kraft meiner väterlichen und prieſterlichen Gewalt. Hüte dich, ihr zu trotzen!

So ſtößeſt du mich aus deinem Hauſe, ſagte Clemens düſter. Eine Pauſe trat ein. Die Mutter, die in Thränen ausgebrochen war, ſtand auf und ſtürzte zu ihrem Sohn. Mutter, ſagte er ernſt, ich bin ein Mann, ich darf mir nicht untreu wer¬ den! Er näherte ſich der Thür und blickte nach Marlenen hinüber, die ihn mit den blinden Augen ſchmerzlich ſuchte. Die Mutter folgte ihm, ſie konnte vor Schluchzen nicht ſprechen. Halt ihn nicht auf, Frau! rief der alte Mann. Er iſt unſer Kind nicht, wenn er Gottes Kind nicht ſein will. Laß ihn gehn, wohin er will. Er iſt todt für uns!

Marlene hörte die Thür gehen und die Pfarrerin mit einem Schrei des tiefſten Mutterherzens zu Bo¬ den ſtürzen. Da wich die Lähmung von ihr, in der ſie bisher geſeſſen hatte. Sie ſtand auf, ging zur Thür und trug mit gewaltſamer Anſtrengung die ohnmächtige Frau auf ihr Bett. Der Alte ſtand am Fenſter und ſprach kein Wort. Seine gefalteten Hände zitterten heftig.

Eine Viertelſtunde ſpäter klopft 'es oben an der Thür von Clemens Kammer. Der junge Mann öff¬ nete und ſah Marlenen vor ſich ſtehen. Sie trat ſtill hinein. Die Kammer war voll Unordnung. Sie64 ſtieß mit dem Fuß an den Reiſekoffer und ſagte ſchmerzlich: Was willſt du thun, Clemens? Da brach ihm ſein ſtarrer Schmerz. Er ergriff ihre Hände und drückte ſeine Augen dagegen, die in Thränen ſtanden. Ich muß es thun, rief er weich. Ich habe lange empfunden, daß ich ſeine Liebe ver¬ loren habe. Vielleicht fühlt er, wenn ich ihm fern bin, daß ich nie aufgehört habe, ſein Kind zu ſein.

Sie richtete ihn auf und ſagte: Weine nicht ſo! ich habe ſonſt nicht die Kraft, dir das zu ſagen, was ich dir ſagen muß. Deine Mutter würde es ſagen, wenn der Vater ihr nicht wehrte. Ich hörte es ſei¬ ner Stimme an, wie ſchwer es ihm ankam, hart zu ſein. Aber er wird hart bleiben, ich kenne ihn wohl. Er glaubt, daß ſeine Strenge Gottesdienſt ſei, daß er ſein eigen Herz zum Opfer bringen müſſe.

Und du glaubſt auch, daß er es müſſe?

Nein, Clemens. Ich weiß nicht viel von der Welt und kenne die Geſetze der Meinung nicht, die Ehrenmännern den Zweikampf gebieten. Aber dich kenne ich genug, um zu wiſſen, daß der Leichtſinn der Welt dir nichts anhaben konnte, daß du dein Thun und Laſſen mit aller Strenge prüfſt, auch die¬ ſen Schritt. Du wirſt ihn der Welt ſchuldig ſein und deiner Geliebten. Aber du biſt deinen Eltern mehr ſchuldig, als Beiden. Ich kenne das Mädchen nicht, das man dir beleidigt hat, und fühl 'es wohl65 nicht ſo ganz, wie es dich aufbringen muß, für ſie nicht Alles zu thun. Unterbrich mich nicht. Glaube nicht, daß die Furcht mit im Spiele ſei, du könnteſt mir um ihretwillen den Reſt der Freundſchaft ent¬ ziehen, den du mir in den letzten trennenden Jahren bewahrt haben magſt. Ich gönne ihr dich ganz, wenn ſie dich glücklich macht. Aber du darfſt das um ihret¬ willen nicht thun was du thun willſt, und wäre ſie dir theurer, als Vater und Mutter. Du darfſt nicht im Zorn aus deiner Eltern Hauſe gehen, das ſich dir dann auf immer verſchließt. Dein Vater iſt alt und wird ſeine Grundſätze mit ins Grab nehmen. Er hätte dir den Kern und den Inhalt ſeines ganzen Lebens zu opfern, wenn er nachgäbe. Du opferſt ihm die flüchtige Achtung, die du in den Augen fremder Menſchen beſitzeſt. Denn wenn jenes Mäd¬ chen, das du liebſt, ſich von dir losſagen könnte, weil du die alten Tage deines Vaters nicht verbit¬ tern wolleſt, ſo wäre ſie deiner nie werth geweſen!

Die Stimme verſagte ihr. Er hatte ſich auf ei¬ nen Stuhl geworfen und ſtöhnte heftig. Sie ſtand noch immer nahe an der Thür und wartete, was er ſagen würde. Auf ihrer Stirn lag ein ſeltſam ge¬ ſpannter Zug, als horche ſie mit den Augen zu ihm hinüber. Plötzlich ſprang er auf, trat zu ihr, legte ihr beide Hände auf die Schultern, und rief: Für dich wollt 'ich's thun, nnd für dich bezwing' ich mein566Herz! Damit ſtürmte er an ihr vorbei und die Treppe hinab.

Sie blieb droben. Seine letzten Worte hatten ihr ganzes Weſen erſchüttert, und eine Fluth jauchzender Gedanken ſtrömte über ihr ſcheues, ungläubiges Herz. Sie ſetzte ſich zitternd auf den Mantelſack. Für dich, für dich! klang es ihr im Ohr. Sie fürchtete faſt ſeine Rückkehr, wenn er es anders gemeint hatte und wie ſollte er es nicht anders meinen? Was war ſie ihm?

Endlich kam er wieder herauf. Die Unruhe drängte ſie, ſie ſtand auf und wollte aus der Thür. Da trat er ein und faßte ſie in die Arme und ſagte ihr Alles.

Ich bin der Blinde! rief er. Du biſt die Sehende, die Seherin. Was wär 'ich jetzt ohne deine Klarheit? Ein Verwaiſ'ter durch alle Zukunft, vertrieben von allen Herzen, die ich liebe, durch un¬ ſelige Verblendung! Und nun nun Alles wieder mein, und mehr als ich wußte, als ich ſonſt mir gönnte!

Sie hing ſtumm und heftig hingegeben an ſeinem Halſe. All die lang verhaltene Innigkeit ward frei und glühte in ihrem Kuß und verachtete die armen Worte.

Der Tag brach an über ihrem Glück. Nun wußte er auch, was ſie bisher ſtandhaft verſchwiegen hatte, und was dieſelbe Kammer mit angeſehen, in der ſie67 jetzt, für immer einander unverlierbar, in der an¬ brechenden Frühe ſich die Hände drückten und ſchieden.

Im Laufe des Tages kam ein Brief, den Wolf noch in der Nacht vom nächſten Dorfe aus geſchrie¬ ben hatte. Clemens ſolle es gut ſein laſſen, ſchrieb er; er nehme Alles zurück, er wiſſe am beſten, daß es alberne Lügen ſeien. Der Aerger habe ſie ihm ausgepreßt und die Weinlaune. Er habe es ihm freilich verdacht, wie er ſo kalt herumgegangen ſei, da es ihn nur ein Wort gekoſtet hätte, ein ſolches Mädchen zu haben. Und wie er dann geſehn, daß es Clemens Ernſt ſei, habe er gegen das geläſtert, was ihm ſelber für immer verſagt bleibe. Er ſolle ihn nicht für ſchlimmer halten als er ſei, ihn auch gegen das Mädchen und die Eltern entſchuldigen und ſich nicht ganz und gar von ihm losſagen.

Als Clemens dieſe Zeilen Marlenen vorgeleſen, ſagte ſie bewegt: Er dauert mich nun! Mir war nicht wohl, als er da war, und wie viel hätte er ſich und uns erſparen können! Aber ich will nun ruhig an ihn denken. Wie viel haben wir ihm zu verdanken!

5 *
[68][69]

Marion.

[70]71

Zur Zeit als der heilige Ludwig in Frankreich die Krone trug, war die gute alte Stadt Arras ge¬ rade um ſechshundert Jahre jünger als heutzutage. Daß ſie aber tauſendmal luſtiger war, hatte ſie außer ihrer Jugend vor Allem der edlen Poetenzunft zu danken, die in ihr hauſ’te und durch Lieder und Mi¬ rakelſtücke und kurzweilige gereimte Romane den Ruhm ihrer Vaterſtadt weit über das ſchöne Frankreich ver¬ breitete.

Nun war es im frühen Frühling, daß in einem Gärtchen zu Arras hinter dem Haus eines dieſer wackern Poeten ein junges Weib beſchäftigt war, Reben an das Geländer zu binden. Sie war zierlich gewachſen, von jener feinen behaglichen Fülle, die ein friedliches Gemüth anzuzeigen pflegt, und gar anmuthig von Geſicht. Stille ſchwarze Augen ließ ſie dann und wann über den Garten ſchweifen, als wüßten ſie weder von Freud 'noch Leid. Aber ihre Hände feierten und träumten nicht. Nach der Sitte wohlhabender Bürgerinnen trug ſie das blonde Haar mit mancherlei künſtlichem Bänderſchmuck geziert, den72 Rock aber aufgeſchürzt der Arbeit und wohl auch den hübſchen kleinen Füßen zu Liebe.

Wie nun das ſchöne Geſchöpf in ſeiner gleichmü¬ thigen Thätigkeit ſchon tiefer in das Gärtchen vor¬ geſchritten war, erſchien in der Thür des Hauſes, die nach dem Garten offen geſtanden, ein Mann, der an Geſtalt und Weſen einen auffallenden Ge¬ genſatz zu dem jungen Weibe machte. Er war von mittlerem Wuchs, lebhaftem Blick und unregelmäßigen Zügen. Sein ſchwarzes Mäntelchen verdeckte ſchlecht die linke hohe Schulter, und ſeine Beine waren in ſehr ungleichem Stil gebaut. Aber die ganze zuſam¬ menhangloſe Geſtalt wurde durch Raſchheit und Le¬ bendigkeit der Bewegung in Fluß gebracht, und um den Mund ſpielte ein Zug, der ihn im Spott ge¬ fährlich und in der Freundlichkeit hinreißend machen mußte.

Der Mann ſah eine Weile der jungen Gärtnerin zu und ſchien ſich ihrer Schönheit zu erfreuen. Er wiegte unſchlüſſig den Kopf. Endlich drückte er den barettartigen Hut mit der grünen Hahnenfeder tiefer in die Stirn und ſchritt haſtig der Schönen nach.

Das junge Weib ſah um, ihre Wangen färbten ſich leiſe und die Augen begannen zu ſchimmern. Sie ließ die Hände ſinken und ſah dem Kommenden ſtumm entgegen.

Guten Tag, Marion, ſagte der Mann in faſt rauhem Ton. Iſt Jemand außer dir im Garten?

73

Nein, Adam.

So iſt's gut; ich habe mit dir zu reden. Du biſt ein gutes Weib, Marion, und thuſt deine Pflicht. Aber ich muß dir ſagen, ich halt's doch nicht aus mit dir.

Die ſchönen Wangen der Frau wurden todten¬ blaß. Aber ſie ſchwieg und ſah ſtill vor ſich hin.

Nein, fuhr Adam fort, ich halt 'es nicht aus. Du biſt bildſchön, Marion, und das weiß ich jetzt, vier Wochen nach der Hochzeit, beſſer, als da ich um dich freite. Aber du biſt langweilig, Marion. Ich will nicht ſagen, daß du keinen Verſtand haſt. Aber die heilige Jungfrau mag wiſſen, ob er ſchläft oder in guter Hoffnung irgend eines großen Gedankens iſt, und wann der zur Welt kommt. Ich habe dar¬ auf warten wollen; nun reißt mir die Geduld. Haſt du die ganze Zeit, daß wir Mann und Frau ſind, einmal ſo recht geplaudert oder einen Witz gemacht, oder haben meine Poſſen mehr Gnade vor dir ge¬ funden, als ein halbes Lächeln? Biſt du nicht ſtill deiner Wege gegangen wie ein wandelndes Steinbild? Was hilft mir's, daß ich dann und wann die Er¬ fahrung mache, du ſeieſt dennoch von Fleiſch und Blut, wenn ich vom Morgen bis Abend meine Späße allein belachen muß und meine Verſe allein ſchön fin¬ den? Ich Narr! Ich hätt's freilich früher bedenken ſollen damals, als ich mich in dich verliebte. 74 Nun, dacht' ich, ſie wird ſchon aufthauen. Aber ſage ſelbſt, Marion, haben wir uns nicht zuſammen ge¬ langweilt wie nur je ein chriſtliches Ehepaar?

Das junge Weib ſchwieg beharrlich. Aber die Augen füllten ſich ihr mit ſchweren Tropfen. Adam riß heftig an einem jungen Zweig und ſprach weiter:

Ich will nicht ſagen, daß andere Frauen beſſer ſind oder auf die Länge unterhaltender. Ich ſage das nicht, und ſo bin ich dir Dank ſchuldig, denn du haſt mich bei Zeiten überzeugt, daß ich einen dummen Streich begangen habe, als ich ein Weib nahm. Aber zum dritten Mal: ich halt's hier nicht aus! Soll ich in meinen jungen Jahren in dieſem Neſt verkommen und eintrocknen, bloß weil ich den Einfall hatte, dich ſchön zu finden? Und in Paris an den Hof des Königs, in die Säle der Prinzen, wo mir meine Kunſt Ehre und Anſehn einbrächte, ſoll ich keinen Fuß hineinſetzen? Und keinen Fuß in die Häuſer der gelehrten Doctoren an der Univer¬ ſität, wo in einer Stunde mehr geſcheites Zeug ge¬ ſprochen wird, als du in einem Jahr vorbringſt? Und das Alles, weil du ein ſchönes Weib biſt denn das biſt du und zufällig mein eignes Weib. Soll mich der Teufel in einen Pfannekuchen backen, wenn ich mir das gefallen laſſe!

Er ging einigemal auf und ab, lebhaft geſticuli¬ rend, ſah dann ſeine Frau von der Seite an und fuhr wieder fort:

75

Zeigſt du nun nicht, daß ich Recht habe? Warum weinſt du nicht, wie andere ordentliche Frauen, und fällſt mir um den Hals und bitteſt mich zu bleiben, und ich ſei dein lieber Adam, dein einziger, dein hübſcher Adam wenn ich auch nicht hübſch bin und verſprichſt was du kannſt, ob du's auch nie zu halten gedächteſt? Nun ſtehſt du da und weißt dir nicht zu helfen. Soll ich meine Kunſt und meine jungen Jahre darum hingeben, dich anzuſtarren? Und wenn wir Kinder kriegen und ſie arten nach dir, ſoll ich dann Luſt behalten, das geringſte Tanz¬ lied zu machen, wenn ſechs oder ſieben Jungen und Mädchen alle bildſchön und alle bildſtumm um mich herumſitzen?

Aber wir wollen nicht in Unfrieden von einander gehn, und darum ſage ich dir in aller Lieb 'und Freundſchaft, du kannſt mein Weib nicht länger ſein. Ich will fort nach Paris, ſobald ich Geld aufbringen kann. Du gehſt dann zu den Eltern zurück, oder wenn du zu meinem alten Onkel willſt, der dich ſo lieb hat, wirſt du auch gut aufgehoben ſein. Und es ſoll dir an nichts fehlen, und wenn du ein Kind bekommſt, will ich's halten als mein Kind, aber mit dir zuſammenbleiben kann ich nicht, Marion, bei mei¬ ner Seelen Seligkeit. Ein Poet bin ich und das will ich bleiben, und Langeweile iſt Gift für die fröh¬ liche Kunſt. Nun geh' ich zum Onkel. Und ſei hübſch vernünftig und laß uns in Freundſchaft ſcheiden.

76

Er hielt ihr die Hand hin, aber ſie ſah es nicht vor Thränen. Auch war ihm nicht darum zu thun, länger abzuwarten, ob ſie ſich betragen würde wie er's den ordentlichen Frauen nachgeſagt hatte. Er wandte ſich raſch zur Thür und verſchwand im Hauſe.

Eine Stunde nachdem das Ehepaar ſo in Freund¬ ſchaft geſchieden war, that ſich die Thür eines ſtatt¬ lichen Hauſes auf, in dem der reiche Rathsherr, Adam's Oheim, wohnte, und Adam trat eilig heraus in heftiger Aufregung. Er entfernte ſich, ohne des Weges zu achten, und dann und wann brachen einige Sätze ſeines innerlichen Selbſtgeſpräches hervor, wäh¬ rend er die Fauſt ballte oder in ſeinen langen rund¬ geſchnittenen Haaren wühlte.

Der Filz! brummte er; und er hatte noch Lappen von Tugenden, um die Blöße ſeines Geizes damit zu bedecken! Was geht es ihn an, wenn ich mich mit meiner Frau friedlich auseinanderſetze? Mag er ſie doch nehmen, wenn es nicht ſchade wäre um die ſchöne junge Creatur! Freilich, ob ich hier verſaure oder nicht, das iſt ſeinem Beutel nicht unbequem. Aber herumfahren und die Welt ſehn und Wiſſen¬ ſchaft ſammeln, das thut dem Junker Beutel weh. Pah! Weil er mir das Häuschen überlaſſen hat und die Wirthſchaft eingerichtet, darum ſoll ich feſt¬ frieren in Arras und mit den andern Lumpen von Versmachern zuſammenhocken und mein Licht unter77 den Scheffel ſtellen? Und wenn ich's treiben müßte wie ein gemeiner Spielmann und Affen und Hunde abrichten, um mich nach Paris durchzuſchlagen ich will dem alten Geizkragen zeigen, daß Adam de la Halle kein Weiberknecht iſt, ſondern ſeine eignen Straßen zu wandern weiß.

Und dieſe eignen Straßen führten ihn diesmal geradeswegs in die drei Lilien, die erſte Schenke der guten alten Stadt Arras. Wenig Leute waren um die Stunde in der Schenkſtube. Adam ſetzte ſich ſtumm in einen Winkel und ſah nicht auf, bis der Wirth, der ihm Wein brachte, ihn ehrerbietig begrüßte. Ihr kommt wie gerufen, Meiſter Adam, ſagte der Lilienwirth. Da iſt einer von meinen Gäſten, ſeht Ihr, der da drüben am Ofen ſitzt und nach Euch herüberſchielt. Der hat vor einer Woche die Bande Schauſpieler in die Stadt geführt, die auf Oſtern das große Paſſionsſpiel im Münſter darſtellen ſollen; die Herren Geiſtlichen haben ſie kommen laſſen. Und nun ſind noch an die vierzehn Tage bis dahin, und die Leute lungern müßig herum und zehren ihren Lohn im voraus auf, und der Herr Anführer der Bande hat bei mir ſein Quartier und zecht immer auf die Kreide los. Herr, ſagt 'ich ihm kurz bevor Ihr kamt, wenn Ihr inzwiſchen einen Haufen Geld zu¬ ſammenbrächtet mit Eurer Kunſt, das thäte Euch und mir noth und gut. Ja, ſagt' er, wer nur ein ſau¬78 beres Stück hätte, ein Myſterium oder ein Mirakel; denn meinen ganzen Packen Scripturen hab 'ich in Cambrai liegen laſſen, bis auf das Paſſionsſtück. Ei Herr, ſagt' ich da, es wimmelt bei uns zu Land von trefflichen Trouvères und Ditiers und Jongleurs; und da iſt der Meiſter Adam de la Halle, der ſteckt ſie Alle in die Taſche. Bei Sankt Niklas, ſprach der Mann, ich wollt 'ihm die Hälfte von der Ein¬ nahme geben, wenn er mir ein gutes Stück verfaßte und das auch Zulauf hätte. Da kamt Ihr juſt in die Thür. Und nun ſchickt er mich, daß ich Euch frage.

Adam ſtand auf, ſtürzte den Wein hinunter und ging dann gerade auf den Führer der Hiſtrionenbande zu, der ehrerbietig aufſprang und ſich verneigte. Sie ſprachen kurze Zeit mit einander. Dann ſchüttelten ſie ſich die Hände. So ſei's, ſagte Adam, in acht Tagen ſpielt Ihr's, und Tags drauf hab 'ich mein Geld, und nun behüt' Euch unſre liebe Frau! Ich will gehn und das Ding ins Werk ſetzen. So ging er denn und nach ſeiner Gewohnheit murmelte er was zwiſchen den Zähnen, das ungefähr klang wie: Sie ſollen an mich denken!

Da nun etwa acht Tage verfloſſen waren, ſaß eines Nachmittags Marion in ihrer Kammer, mit rothgeweinten Augen und blaßgehärmtem Geſicht, blätterte in alten Manuſcripten, die ſie auf dem Schoß hatte, und überhört 'es ganz, daß die Thür aufging79 und eine ihrer Geſpielinnen hereintrat. Erſt als dieſe ihren Namen rief, ſchreckte ſie in die Höhe. Gu¬ ten Tag, Perrette, ſagte ſie. Was bringt dich her? Oder was hält dich hier, Marion? ſprach das Mädchen flink; du ſitzeſt und weinſt, und gehſt nicht nach den drei Lilien, wo doch heut das neue Stück deines Mannes von den fremden Schauſpielern auf¬ geführt wird? Das heiß' ich eine Frau! Ich liefe doch Allen zuvor, wenn ich einen Mann hätte, der die halbe Stadt in den Hof der alten Schenke lockte. Geh, was haſt du nur? Haſt alte Gedichte geleſen, die dein Adam auf dich gemacht hat? Nun, ich meine, die wüßteſt du an den Fingern herzuſagen, wie den Roſenkranz. Die arme Frau fing bitterlich an zu weinen. Weißt du's denn noch nicht, ſchluchzte ſie, und ſpricht nicht die ganze Stadt davon, daß er fort will nach Paris und mich im Stich laſſen und nim¬ mer heimkommen? Ach Narrheiten, eiferte Per¬ rette. Wie haſt du dir das eingebildet? Er hat mirs ſelbſt haarklein geſagt, und ſeit dem Tag iſt er nicht ins Haus gekommen zur Eſſenszeit, und Nachts erſt ganz ſpät, und hat ſich unten im Erker gebettet. Ei nun, er hat alle Hände voll gehabt, das Spiel herzurichten; und dann, die Mannsleut ſtecken voll Grillen, Marion, und müſſen immer was haben, uns zu plagen; doch Gottlob! es iſt nicht alles Ernſt was nicht lacht. Trockne dir die Augen, ſei eine geſcheite80 Frau und komm ins Schauſpiel. Was ſoll dein Mann denken, wenn du nicht einmal Luſt haſt ſein Stück zu ſehn!

So halb tröſtend, halb ſcheltend zog ſie die be¬ trübte junge Frau zur Kammer hinaus nach den drei Lilien. Dort ſah es bunt genug aus. In dem ge¬ räumigen Hof hatte ein gut Theil der Bürgerſchaft auf Bänken Platz genommen; die Fenſter der niedern Seitenflügel waren zu Logen für die Honoratioren eingerichtet, die Bühne aber in einer Scheune am Ende des Hofes aufgeſchlagen, deren mächtige Thor¬ flügel man zu dem Ende ausgehoben hatte. Marion und Perrette kamen eben, als die Dame Avaritia abtrat, die den Prolog geſprochen und manchen rei¬ chen Herrn der guten Stadt ihrer fernern Protection verſichert hatte. Kein Plätzchen war für die beiden Schönen weder im Hof noch an einem der Fenſter frei gelaſſen. Perrette aber ließ ſich nicht abſchrecken, und da ſie die Wege wußte, machte ſie ſich Bahn durch eins der Seitengebäude und drang mit Marion bis zu der Scheune vor. Hier ſtellten ſie ſich hinter die großen Linnentücher, mit denen man die Bühne abgegrenzt hatte, und ſchauten durch den Spalt der Vorhänge dem Spiele zu, ungehindert von dem Per¬ ſonal des Stücks, das in ſeinen abenteuerlichen Ver¬ kleidungen den beiden Schönen den Hof zu machen ſuchte. Marion achtete der Zudringlichen nicht und81 blieb geſpannt auf derſelben Stelle. Perrette fertigte das Schauſpielervolk mit ihrem flinken Zünglein von Zeit zu Zeit verſtändlich genug ab.

Meiſter Adam aber, der ſich nicht träumen ließ, daß ſein junges Weib ihm zuſah, war indeß von der andern Seite aufgetreten, und zwar in ſeinem eige¬ nen Coſtüm und Charakter. Er begann in ſchönen Verſen ſeine Noth zu klagen: er wolle nach Paris und habe keinen Heller in der Taſche, und ſein ſtein¬ reicher Onkel ſei von der ſchlimmſten Peſtilenz der Welt, einem hartnäckigen Geiz, derart befallen, daß er von ihm nichts zu erwarten habe. Nun trat ein Arzt auf und Adam zog ihn zu Rath, ob er den Geiz curiren könne, ſo wolle er ihm ein ſaubres Exemplar von Patienten nachweiſen; worauf ſich denn der Arzt in gelehrten Erörterungen der verſchiedenen Species des Geizes ergoß, welche curabel ſei und welche nicht, und in dem Fall, den Adam beſchrieb, auch noch alle Hoffnung machte, wenn er den Pa¬ tienten nur mit Augen ſehen könnte. Da kam denn eine dritte Figur hervor, dem alten Onkel Adams täuſchend ähnlich in Geſtalt, Geberde und Kleidung, daß die Zuſchauer des Lachens kein Ende wußten. Dieſem ehrwürdigen Herrn ging der Herr Doctor entgegen, fühlt 'ihm höflich den Puls, ließ ſich die Zunge weiſen, fragte nach dieſem und jenem und zuletzt nach einigen deutlicheren Symptomen des Erz¬682übels, an dem er litte; worauf denn der alte Herr in großen Zorn gerieth, heftig auf den gottloſen Neffen ſchalt, der ihm dergleichen ſchimpfliche Gebre¬ chen nachſage, und die Gründe offenbarte, weßhalb er ihm nicht zur Reiſe nach Paris verhelfen wolle. Der Hauptgrund war, Adam habe eben gefreit und ſei ſchon ſeines Weibes überdrüſſig, das doch, wie ganz Arras wiſſe, ein rechter Ausbund von Tugend und Schönheit ſei.

In ſteigender Unruhe hatte die arme Marion das Alles mit angehört, und wer hätte dieſe Unruhe einer tugendſamen Ehefrau verargt, die auf einmal all ihre häusliche Noth dem lachenden Publicum preisgegeben ſah. Sie hatte kein Ohr für die zierlichen Verſe und luſtigen Poſſen, mit denen die Reden der drei Per¬ ſonen geſchmückt waren und die alle Zuhörer ent¬ zückten. Aengſtlich und alles Andre vergeſſend horchte ſie nun der Vertheidigung, zu der ſich ihr Mann dem Oheim gegenüber anſchickte. Als aber Adam dem Publicum trocken auseinanderſetzte, daß ein ſchönes Weib nicht immer ein kurzweiliges ſei und daß der Mund ſeiner Marion ſich beſſer zum Küſſen als zum Plaudern ſchicke, durch Küſſen aber kein Menſch klüger würde, wohl aber durch witziges Ge¬ ſpräch, und er wolle Dem zwei Kronen ſchenken, der ihm einen Witz von Marion erzählen könne: da hielt ſich die arme Horcherin nicht länger hinter den83 Couliſſen. Mit einem Sprung war ſie auf der Bühne und ſtand mit glühenden Wangen und erzürntem Blick gerade vor dem, der ihr ſo böſen Leumund machte.

Schämſt du dich nicht, Adam, rief ſie mitten in ſeine Rede hinein, ſchämſt du dich nicht, ſo vor aller Ohren von deinem Eheweib zu reden? O hät¬ teſt du mich je nur ein armes Bischen lieb gehabt, du hätteſt die Rede nicht über die Lippen gebracht. Und nun ſag, hab 'ich's um dich verdient? hab' ich dir Eine böſe Stunde gemacht, dir nicht Alles an den Augen abgeſehn? Und ſprichſt nun ſchlecht von mir vor ganz Arras?

So zornig und traurig unter Weinen und Schluch¬ zen eiferte das arme Weib. Die Zuhörer, die zuerſt dachten, das gehöre zum Stück, lachten, je nachdem ſie boshaft genug waren, ſich an ihrer Nachbarn ehe¬ lichem Unfrieden zu ergötzen. Wie ſie aber ſahen, daß es die leibhaftige Marion war, verging denn doch auch den Aergſten die Laune und ſie ſtarrten be¬ troffen auf die Bühne. Adam aber, ſo ſehr ihn der Handel verdroß, faßte ſich doch geſchwind und rief laut und unerſchrocken: Ihr guten Bürger, das ge¬ hört nicht zum Spiel. Die Frau kommt da ins Stück hereingeſchneit und findet ſich gar nicht im Perſonal. Ich bitt 'euch, bringe ſie einer weg. Ihr hört, ſie ſpricht nicht einmal in Verſen, wie doch alle Perſo¬6 *84nen, die die Ehre haben, dies merkwürdige Stück vor euch tragiren zu dürfen. Darauf faßte er Marion ſänftlich bei der Hand, ſie von der Bühne zu bringen. Die aber machte ſich los und, ermuthigt durch den Zuruf Einiger, daß ſie bleiben und ihre Sache führen ſolle, rief ſie nun: Ich will auch blei¬ ben, und euch, ihr werthen Herren zu Richtern ma¬ chen, ob mir nicht übel mitgeſpielt worden. Nun ja, ich bin ſchweigſam von Natur; aber ſollte das ein Fehler ſein, was ihr Männer uns armen Dingern ſonſt allerorten vorhaltet, daß ich unnütz Schwatzen laſſe und aufhorche auf das was mein Mann ſagt? Marion hat Recht! Ein Hoch auf Marion und ſie ſoll weiter ſprechen! riefen die Zuſchauer lachend und winkten ihr Muth zu. Und, fuhr ſie fort und wurde immer beredter, wenn ich hier nicht her¬ gehören ſoll, weil ich nicht in Verſen ſpreche deren weiß ich genug und die allerbeſten. Mein Mann, der mich jetzt verläſtert, hat ſie ſelbſt auf mich ge¬ macht, da wir Brautleute waren. Und ich will ſie euch hören laſſen, daß ihr ſeht, wie zweizüngig er iſt und was er damals für ſchöne Worte hatte, mich zu rühmen, und jetzt hat er nur ſchimpfliche. Damit trat ſie an den Rand der Bühne und ſang folgende Verſe, ob ihr auch die Stimme faſt verſagen wollte:

Schöne Augen, ſchöne Wangen,
Arme, lieblich zu umfangen,
85
Findſt du hier und findſt du dort,
Und ganz Artois auf und nieder
Weiche Herzchen, weiche Glieder
Triffſt du auch an jedem Ort.
Doch ſo klug iſt wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.

Ein ſchallendes Gelächter antwortete dieſer Strophe; Einige ſtimmten den Refrain an und die Andern fielen ein. Einer aber rief: Wie willſt du aber beweiſen, Marion, daß die Eine die er meint Keine andere ſei, als du? Hört nur weiter, rief Marion dagegen; daran iſt kein Zweifel, und nun ſang ſie:

Mögen Andre zierlich ſingen,
Zierlich ſich im Tanze ſchwingen,
Sacrebleu, was gilt mir das!
Plaudert nur ein halbes Stündchen
Meiner Marion rothes Mündchen,
Eia! das gefällt mir baß.
Denn ſo klug iſt wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.

Das ganze Publicum ſang diesmal den Refrain mit, und dann erſchallten laute Hochs auf die Vor¬ ſängerin, die nun, die Thränen noch im Auge und plötzlich beſtürzt über ihre eigene Kühnheit, aber ſchö¬ ner als je auf der Bühne ſtand. Da ſprang Adam aus dem Hintergrunde vor und rief unter die laute Menge: Still, ihr guten Bürger! Ich habe auch ein86 Wort zu reden. Alles verſtummte und war begie¬ rig, wie Adam es anfangen würde, ſich zu Gnaden zu bringen. Adam aber ſprach: Es iſt Keiner unter euch, der nicht wiſſe, daß mein liebes Eheweib hier mich gründlich blamirt und die Lacher auf ihre Seite gebracht hat. Das dank 'ich ihr von Grund meiner Seele. Ich ſage euch aufrichtig, mein Herz hat mir vor Freude gezittert bei jedem Wort was ſie ſprach; und wie ſie zuletzt den allerliebſten Einfall hatte, meine eignen Worte gegen mich zeugen zu laſſen, da hab' ich im Stillen zu mir geſagt: Adam, ein Schuft biſt du, wenn du je von einem ſolchen Ausbund von Weibe weichſt und wankſt, und wenn es in Paris Ehre und Dublonen regnete. Und ſomit komm 'ich in demüthiger Hoffnung, daß ihr guten Bürger bei meinem lieben Weibe Fürbitte für mich leiſten werdet, daß ſie den frechen muthwilligen Mann wie¬ der in ihre Liebe und Neigung aufnehmen möge und ihm ſeine Läſterzunge nicht nachtragen.

Wie er das geſagt mit einer Bewegung, wie ſie noch Keiner zuvor an ihm wahrgenommen, entſtand eine Stille im Hof. Marion aber lächelte ihm in rührender Freundlichkeit zu und fiel ihm herzlich um den Hals und ſagte nur: Du böſer lieber Menſch! Da brach von allen Bänken und Fenſtern einſtim¬ miger Jubel los. Adam aber entwand ſich den Ar¬ men ſeiner Frau, hielt ihr die Hand feſt und rief:87 Nun bin ich euch noch das dritte Couplet ſchuldig und das heißt ſo:

Mögen nach Paris die Andern,
Um gelahrt zu werden, wandern,
Wenn ich hier im Lande bleib;
Alles Wiſſens beſte Blüte
Trägt beſchloſſen im Gemüthe
Ein geliebtes holdes Weib.
Und ſo klug iſt wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.

Wie fröhlich Alles den Refrain mitſang, braucht nicht geſagt zu werden. Da ſie aber im beſten Sin¬ gen waren, entſtand plötzlich ein Lärmen vorn im Haus. Man hatte dem Onkel Adams zu wiſſen ge¬ than, daß man ſeine ehrwürdige Perſon im Conterfei auf die Bühne gebracht habe, und der alte Mann kam mit Häſchern, des ernſten Willens, den gott¬ loſen Neffen ſchwer für ſeinen Frevel büßen zu laſſen. Drinnen im Haus waren nun die Leute geſchäftig, ihm die gute Wendung der Sache beizubringen, und wie er von Adams Abbitte hörte und daß er nun nicht nach Paris wolle, gab er ſich zufrieden, ward ſogar ganz guter Dinge und verzieh dem fre¬ chen Poeten, der, Marion im Arm, demüthig zu ihm kam. Und damit er die Anklage wegen Geizes recht feierlich Lügen ſtrafe, veranſtaltete er auf den Abend ein Feſt im Saale der drei Lilien, wo es denn hoch88 herging und die ſchöne Marion mit allen Honora¬ tioren tanzen mußte.

Um das Stück waren die guten Bürger von Arras freilich gekommen. Wir haben aber zu ihren guten Herzen das Vertrauen, daß ihnen das Mirakel, ſo mit Marion geſchehn, lieber geweſen, als wenn, wie es im Plan lag, Gott Vater mit einigen Engeln vom Him¬ mel geſtiegen wäre und die Dame Avaritia feierlich Landes verwieſen hätte. Danach wäre auch wahr¬ ſcheinlich kein Geizkragen weniger in Arras geweſen, da jetzt doch ein glückliches Paar mehr darin war.

[89]

La Rabbiata.

[90]91

Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ueber dem Veſuv lagerte eine breite graue Nebelſchicht, die ſich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte an jenem Küſtenſtrich verdunkelte. Das Meer lag ſtill. An der Marine aber, die unter dem hohen Sorren¬ tiner Felſenufer in einer engen Bucht angelegt iſt, rührten ſich ſchon Fiſcher mit ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fiſchen über Nacht draußen ge¬ legen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen. Andere rüſteten ihre Barken, richteten die Segel zu und ſchleppten Ruder und Segelſtangen aus den gro¬ ßen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felſen hineingebaut über Nacht das Schiffsgeräth bewahren. Man ſah keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen, reihten ſich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und da ſtand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der flachen Dächer, oder machte ſich mit den Enkeln zu ſchaffen, während die Tochter dem Manne half.

Siehſt du, Rachela? da iſt unſer Padre Curato, ſagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jah¬92 ren, das neben ihr ſein Spindelchen ſchwang. Eben ſteigt er ins Schiff. Der Antonino ſoll ihn nach Capri hinüberfahren. Maria Santiſſima, was ſieht der ehrwürdige Herr noch verſchlafen aus! Und damit winkte ſie mit der Hand einem kleinen freund¬ lichen Prete zu, der unten ſich eben zurechtgeſetzt hatte in der Barke, nachdem er ſeinen ſchwarzen Rock ſorg¬ fältig aufgehoben und über die Holzbank gebreitet hatte. Die Andern am Strand hielten mit der Ar¬ beit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu ſehen, der nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.

Warum muß er denn nach Capri, Großmutter? fragte das Kind. Haben die Leute dort keinen Pfar¬ rer, daß ſie unſern borgen müſſen?

Sei nicht ſo einfältig, ſagte die Alte. Genug haben ſie da und die ſchönſten Kirchen und ſogar einen Einſiedler, wie wir ihn nicht haben. Aber da iſt eine vornehme Signora, die hat lange hier in Sorrent gewohnt und war ſehr krank, daß der Padre oft zu ihr mußte mit dem Hochwürdigſten, wenn ſie dachten, ſie überſteht keine Nacht mehr. Nun, die heilige Jungfrau hat ihr beigeſtanden, daß ſie wieder friſch und geſund worden iſt und hat alle Tage im Meere baden können. Als ſie von hier fort iſt, nach Capri hinüber, hat ſie noch einen ſchönen Haufen Ducaten an die Kirche geſchenkt und an das arme Volk, und hat nicht fort wollen, ſagen ſie, ehe der93 Padre nicht verſprochen hat, ſie drüben zu beſuchen, daß ſie ihm beichten kann. Denn es iſt erſtaunlich, was ſie auf ihn hält. Und wir können uns ſegnen, daß wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie ein Erzbiſchof und dem die hohen Herrſchaften nach¬ fragen. Die Madonna ſei mit ihm! Und damit winkte ſie zum Schiffchen hinunter, das eben abſtoßen wollte.

Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn? fragte der kleine Prieſter und ſah bedenklich nach Neapel hinüber.

Die Sonne iſt noch nicht heraus, erwiederte der Burſch. Mit dem bischen Nebel wird ſie ſchon fer¬ tig werden.

So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.

Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um die Barke ins Freie zu treiben, als er plötzlich inne hielt und nach der Höhe des ſteilen Weges hinaufſah, der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hin¬ abführt.

Eine ſchlanke Mädchengeſtalt ward oben ſichtbar, die eilig die Steine hinabſchritt und mit einem Tuch winkte. Sie trug ein Bündelchen unterm Arm, und ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte ſie eine faſt vornehme, nur etwas wilde Art den Kopf in den Nacken zu werfen, und die ſchwarze Flechte, die ſie vorn über der Stirn umgeſchlungen trug, ſtand ihr wie ein Diadem.

94

Worauf warten wir? fragte der Pfarrer.

Es kommt da noch Jemand auf die Barke zu, der auch wohl nach Capri will. Wenn Ihr erlaubt, Padre es geht darum nicht langſamer, denn 's iſt nur ein junges Ding von kaum 18 Jahr.

In dieſem Augenblick trat das Mädchen hinter der Mauer hervor, die den gewundenen Weg ein¬ faßt. Laurella! ſagte der Pfarrer. Was hat ſie in Capri zu thun?

Antonino zuckte die Achſeln. Das Mädchen kam mit haſtigen Schritten heran und ſah vor ſich hin.

Guten Tag, la Rabbiata! riefen einige von den jungen Schiffern. Sie hätten wohl noch mehr ge¬ ſagt, wenn die Gegenwart des Curato ſie nicht in Reſpect gehalten hätte; denn die trotzige ſtumme Art, in der das Mädchen ihren Gruß hinnahm, ſchien die Uebermüthigen zu reizen.

Guten Tag, Laurella, rief nun auch der Pfarrer. Wie ſteht's? Willſt du mit nach Capri?

Wenn's erlaubt iſt, Padre!

Frage den Antonino, der iſt der Patron der Barke. Iſt jeder doch Herr ſeines Eigenthums und Gott Herr über uns Alle.

Da iſt ein halber Carlin, ſagte Laurella, ohne den jungen Schiffer anzuſehn. Wenn ich dafür mitkann.

Du kannſt's beſſer brauchen, als ich, brummte95 der Burſch und ſchob einige Körbe mit Orangen zu¬ recht, daß Platz wurde. Er ſollte ſie in Capri ver¬ kaufen, denn die Felſeninſel trägt nicht genug für den Bedarf der vielen Beſucher.

Ich will nicht umſonſt mit, erwiederte das Mäd¬ chen und die ſchwarzen Augenbrauen zuckten.

Komm nur, Kind, ſagte der Pfarrer. Er iſt ein braver Junge und will nicht reich werden von deinem bischen Armuth. Da, ſteig ein und er reichte ihr die Hand und ſetz dich hier neben mich. Sieh, da hat er dir ſeine Jacke hingelegt, daß du weicher ſitzen ſollſt. Mir hat er's nicht ſo gut gemacht. Aber junges Volk, das treibt's immer ſo. Für Ein kleines Frauenzimmer wird mehr geſorgt, als für zehn geiſtliche Herren. Nun nun, brauchſt dich nicht zu entſchuldigen, Tonino. 's iſt unſers Herr¬ gotts Einrichtung, daß ſich Gleich zu Gleich hält.

Laurella war inzwiſchen eingeſtiegen und hatte ſich geſetzt, nachdem ſie die Jacke, ohne ein Wort zu ſagen, beiſeit geſchoben hatte. Der junge Schiffer ließ ſie liegen und murmelte was zwiſchen den Zähnen. Dann ſtieß er kräftig gegen den Uferdamm und der kleine Kahn flog in den Golf hinaus.

Was haſt du da im Bündel? fragte der Pfar¬ rer, während ſie nun übers Meer hintrieben, das ſich eben von den erſten Sonnenſtrahlen lichtete.

Seide, Garn und ein Brod, Padre. Ich ſoll96 die Seide an eine Frau in Capri verkaufen, die Bänder macht, und das Garn an eine andre.

Haſt du's ſelbſt geſponnen?

Ja, Herr.

Wenn ich mich recht erinnere, haſt du auch ge¬ lernt Bänder machen.

Ja Herr. Aber es geht wieder ſchlimmer mit der Mutter, daß ich nicht aus dem Hauſe kann, und einen eignen Webſtuhl können wir nicht bezahlen.

Geht ſchlimmer! Oh, oh! Da ich um Oſtern bei euch war, ſaß ſie doch auf.

Der Frühling iſt immer die böſeſte Zeit für ſie. Seit wir die großen Stürme hatten und die Erd¬ ſtöße, hat ſie immer liegen müſſen vor Schmerzen.

Laß nicht nach mit Beten und Bitten, mein Kind, daß die heilige Jungfrau Fürbitte thut. Und ſei brav und fleißig, damit dein Gebet erhört werde.

Nach einer Pauſe: Wie du da zum Strand her¬ unterkamſt, riefen ſie dir zu: Guten Tag, la Rab¬ biata! Warum heißen ſie dich ſo? Es iſt kein ſchö¬ ner Name für eine Chriſtin, die ſanft ſein ſoll und demüthig.

Das Mädchen glühte über das ganze braune Ge¬ ſicht und ihre Augen funkelten.

Sie haben ihren Spott mit mir, weil ich nicht tanze und ſinge und viel Redens mache, wie Andere. Sie ſollten mich gehen laſſen; ich thu 'ihnen ja nichts.

97

Du könnteſt aber freundlich ſein zu Jedermann. Tanzen und ſingen mögen Andere, denen das Leben leichter iſt. Aber ein gutes Wort geben ſchickt ſich auch für einen Betrübten.

Sie ſah vor ſich nieder und zog die Brauen dichter zuſammen, als wollte ſie ihre ſchwarzen Augen darunter verſtecken. Eine Weile fuhren ſie ſchweigend dahin. Die Sonne ſtand nun prächtig über dem Ge¬ birg, die Spitze des Veſuv ragte über die Wolken¬ ſchicht heraus, die noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuſer auf der Ebene von Sorrent blinkten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.

Hat jener Maler nichts wieder von ſich hören laſſen, Laurella, jener Neapolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.

Sie ſchüttelte den Kopf.

Er kam damals, ein Bild von dir zu machen. Warum haſt du's ihm abgeſchlagen?

Wozu wollt 'er es nur? Es ſind andere ſchöner als ich. Und dann wer weiß, was er damit ge¬ trieben hätte. Er hätte mich damit verzaubern kön¬ nen und meine Seele beſchädigen, oder mich gar zu Tode bringen, ſagte die Mutter.

Glaube nicht ſo ſündliche Dinge, ſprach der Pfarrer ernſthaft. Biſt du nicht immer in Gottes Hand, ohne deſſen Willen dir kein Haar vom Haupte fällt? Und ſoll ein Menſch mit ſo einem Bild in798der Hand ſtärker ſein als der Herrgott? Zudem konnteſt du ja ſehen, daß er dir wohl wollte. Hätte er dich ſonſt heirathen wollen?

Sie ſchwieg.

Und warum haſt du ihn ausgeſchlagen? Es ſoll ein braver Mann geweſen ſein und ganz ſtattlich und hätte dich und deine Mutter beſſer ernähren können, als du es nun kannſt mit dem bischen Spinnen und Seidewickeln.

Wir ſind arme Leute, ſagte ſie heftig, und meine Mutter nun gar ſeit ſo lange krank. Wir wären ihm nur zur Laſt gefallen. Und ich tauge auch nicht für einen Signore. Wenn ſeine Freunde zu ihm gekommen wären, hätte er ſich meiner geſchämt.

Was du auch redeſt! Ich ſage dir ja, daß es ein braver Herr war. Und überdies wollte er ja nach Sorrent überſiedeln. Es wird nicht bald ſo einer wiederkommen, der wie recht vom Himmel ge¬ ſchickt war, um euch aufzuhelfen.

Ich will gar keinen Mann, niemals! ſagte ſie ganz trotzig und wie vor ſich hin.

Haſt du ein Gelübde gethan, oder willſt in ein Kloſter gehn?

Sie ſchüttelte den Kopf.

Die Leute haben Recht, die dir deinen Eigenſinn vorhalten, wenn auch jener Name nicht ſchön iſt. Bedenkſt du nicht, daß du nicht allein auf der Welt biſt und durch dieſen Starrſinn deiner kranken99 Mutter das Leben und ihre Krankheit nur bitterer machſt? Was kannſt du für wichtige Gründe haben, jede rechtſchaffne Hand abzuweiſen, die dich und die Mutter ſtützen will? Antworte mir, Laurella!

Ich habe wohl einen Grund, ſagte ſie leiſe und zögernd. Aber ich kann ihn nicht ſagen.

Nicht ſagen? Auch mir nicht? Nicht deinem Beichtvater, dem du doch ſonſt wohl zutrauſt, daß er es gut mit dir meint? Oder nicht?

Sie nickte.

So erleichtere dein Herz, Kind. Wenn du Recht haſt, will ich der Erſte ſein, dir Recht zu geben. Aber du biſt jung und kennſt die Welt wenig, und es möchte dich ſpäter einmal gereuen, wenn du um kindiſcher Gedanken willen dein Glück verſcherzt haſt.

Sie warf einen flüchtigen ſcheuen Blick nach dem Burſchen hinüber, der emſig rudernd hinten im Kahn ſaß und die wollene Mütze tief in die Stirn gezogen hatte. Er ſtarrte zur Seite ins Meer und ſchien in ſeine eignen Gedanken verſunken zu ſein. Der Pfarrer ſah ihren Blick und neigte ſein Ohr näher zu ihr.

Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüſterte ſie, und ihre Augen ſahen finſter.

Deinen Vater? Er ſtarb ja, denk 'ich, da du kaum zehn Jahr alt warſt. Was hat dein Vater, deſſen Seele im Paradieſe ſein möge, mit deinem Eigenſinn zu ſchaffen?

7 *100

Ihr habt ihn nicht gekannt, Padre. Ihr wißt nicht, daß er allein Schuld iſt an der Krankheit der Mutter.

Wie das?

Weil er ſie mißhandelt hat und geſchlagen und mit Füßen getreten. Ich weiß noch die Nächte, wenn er nach Hauſe kam und war in Wuth. Sie ſagte ihm nie ein Wort und that Alles was er wollte. Er aber ſchlug ſie, daß mir das Herz brechen wollte. Ich zog dann die Decke über den Kopf und that als ob ich ſchliefe, weinte aber die ganze Nacht. Und wenn er ſie dann am Boden liegen ſah, verwandelt 'er ſich plötzlich und hob ſie auf und küßte ſie, daß ſie ſchrie, er werde ſie erſticken. Die Mutter hat mir verboten, daß ich nie ein Wort davon ſagen ſoll; aber es griff ſie ſo an, daß ſie nun die langen Jahre, ſeit er todt iſt, noch nicht wieder geſund worden iſt. Und wenn ſie früh ſterben ſollte, was der Him¬ mel verhüte, ich weiß wohl, wer ſie umgebracht hat.

Der kleine Prieſter wiegte das Haupt und ſchien unſchlüſſig, wie weit er ſeinem Beichtkind Recht geben ſollte. Endlich ſagte er: Vergieb ihm, wie ihm deine Mutter vergeben hat. Hefte nicht deine Gedanken an jene traurigen Bilder, Laurella. Es werden beſ¬ ſere Zeiten für dich kommen und dich Alles ver¬ geſſen machen.

Nie vergeſſ 'ich das, ſagte ſie und ſchauerte101 zuſammen. Und wißt, Padre, darum will ich eine Jungfrau bleiben, um Keinem unterthänig zu ſein, der mich mißhandelte und dann liebkoſ'te. Wenn mich jetzt einer ſchlagen oder küſſen will, ſo weiß ich mich zu wehren. Aber meine Mutter dürfte ſich ſchon nicht wehren, nicht der Schläge erwehren und nicht der Küſſe, weil ſie ihn lieb hatte. Und ich will Keinen ſo lieb haben, daß ich um ihn krank und elend würde.

Biſt du nun nicht ein Kind und ſprichſt wie eine, die nichts weiß von dem, was auf Erden ge¬ ſchieht? Sind denn alle Männer, wie dein armer Vater war, daß ſie jeder Laune und Leidenſchaft nachgeben und ihren Frauen ſchlecht begegnen? Haſt du nicht rechtſchaffne Menſchen genug geſehn in der ganzen Nachbarſchaft, und Frauen, die in Frieden und Einigkeit mit ihren Männern leben?

Von meinem Vater wußt 'es auch niemand, wie er zu meiner Mutter war, denn ſie wäre eher tau¬ ſendmal geſtorben, als es einem ſagen und klagen. Und das Alles, weil ſie ihn liebte. Wenn es ſo um die Liebe iſt, daß ſie einem die Lippen ſchließt, wo man Hülfe ſchreien ſollte, und einen wehrlos macht gegen Aergeres, als der ärgſte Feind einem anthun könnte, ſo will ich nie mein Herz an einen Mann hängen.

Ich ſage dir, daß du ein Kind biſt und nicht weißt, was du ſprichſt. Du wirſt auch viel gefragt.102 werden von deinem Herzen, ob du lieben willſt oder nicht, wenn ſeine Zeit gekommen iſt; dann hilft Alles nicht, was du dir jetzt in den Kopf ſetzeſt. Wieder nach einer Pauſe: Und jener Maler, haſt du ihm auch zugetraut, daß er dir hart begegnen würde?

Er machte ſo Augen, wie ich ſie bei meinem Vater geſehen habe, wenn er der Mutter abbat und ſie in die Arme nehmen wollte, um ihr wieder gute Worte zu geben. Die Augen kenn 'ich. Es kann ſie auch einer machen, der's übers Herz bringt ſeine Frau zu ſchlagen, die ihm nie was zu Leide gethan hat. Mir graute, wie ich die Augen wieder ſah.

Darauf ſchwieg ſie beharrlich ſtill. Auch der Pfarrer ſchwieg. Er beſann ſich wohl auf viele ſchöne Sprüche, die er dem Mädchen hätte vorhalten kön¬ nen. Aber die Gegenwart des jungen Schiffers, der gegen das Ende der Beichte unruhiger geworden war, verſchloß ihm den Mund.

Als ſie nach einer zweiſtündigen Fahrt in dem kleinen Hafen von Capri anlangten, trug Antonino den geiſtlichen Herrn aus dem Kahn über die letzten flachen Wellen und ſetzte ihn ehrerbietig ab. Doch hatte Laurella nicht warten wollen, bis er wieder zurück watete und ſie nachholte. Sie nahm ihr Röck¬ chen zuſammen, die Holzpantöffelchen in die rechte, das Bündel in die linke Hand und plätſcherte hurtig ans Land.

103

Ich bleibe heut wohl lang auf Capri, ſagte der Padre, und du brauchſt nicht auf mich zu warten. Vielleicht komm 'ich gar erſt morgen nach Haus. Und du, Laurella, wenn du heimkommſt, grüße die Mutter. Ich beſuche euch in dieſer Woche noch. Du fährſt doch noch vor der Nacht zurück?

Wenn Gelegenheit iſt, ſagte das Mädchen und machte ſich an ihrem Rock zu ſchaffen.

Du weißt, daß ich auch zurück muß, ſprach An¬ tonino, wie er meinte in ſehr gleichgültigem Ton. Ich wart 'auf dich bis Ave Maria. Wenn du dann nicht kommſt, ſoll mir's auch gleich ſein.

Du mußt kommen, Laurella, fiel der kleine Herr ein. Du darfſt deine Mutter keine Nacht allein laſ¬ ſen. Iſt's weit, wo du hin mußt?

Auf Anacapri, in eine Vigne.

Und ich muß auf Capri zu. Behüt dich Gott, Kind, und dich, mein Sohn.

Laurella küßte ihm die Hand und ließ ein Lebt¬ wohl fallen, in das ſich der Padre und Antonino theilen mochten. Antonino indeſſen eignete ſich's nicht zu. Er zog ſeine Mühe vor dem Padre und ſah Laurella nicht an.

Als ſie ihm aber beide den Rücken gekehrt hatten, ließ er ſeine Augen nur kurze Zeit mit dem geiſtlichen Herrn wandern, der über das tiefe Kieſelgeröll müh¬ ſam hinſchritt, und ſchickte ſie dann dem Mädchen104 nach, das ſich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte, die Hand über die Augen haltend gegen die ſcharfe Sonne. Eh ſich der Weg oben zwiſchen Mauern zurückzieht, ſtand ſie einen Augenblick ſtill, wie um Athem zu ſchöpfen, und ſah um. Die Marine lag zu ihren Füßen, ringsum thürmte ſich der ſchroffe Fels, das Meer blaute in ſeltener Pracht es war wohl ein Anblick des Stehenbleibens werth. Der Zufall fügte es, daß ihr Blick, bei Antonino's Barke vorübereilend, ſich mit jenem Blick begegnete, den Antonino ihr nachgeſchickt hatte. Sie machten beide eine Bewegung, wie Leute, die ſich entſchuldigen wol¬ len, es ſei etwas nur aus Verſehen geſchehn, worauf das Mädchen mit finſterm Munde ihren Weg fortſetzte.

Es war erſt eine Stunde nach Mittag, und ſchon ſaß Antonino zwei Stunden lang auf einer Bank vor der Fiſcherſchenke. Es mußte ihm was durch den Sinn gehn, denn alle fünf Minuten ſprang er auf, trat in die Sonne hinaus und überblickte ſorg¬ fältig die Wege, die links und rechts nach den zwei Inſelſtädtchen führen. Das Wetter ſei ihm bedenk¬ lich, ſagte er dann zu der Wirthin der Oſterie. Es ſei wohl klar, aber er kenne dieſe Farbe des Himmels und Meers. Gerade ſo hab 'es ausgeſehn, eh der letzte große Sturm war, wo er die engliſche Familie105 nur mit Noth ans Land gebracht habe. Sie werde ſich erinnern.

Nein, ſagte die Frau.

Nun, ſie ſolle an ihn denken, wenn ſich's noch vor Nacht verändere.

Sind viel Herrſchaften drüben? fragte die Wir¬ thin nach einer Weile.

Es fängt eben an. Bisher hatten wir ſchlechte Zeit. Die wegen der Bäder kommen, ließen auf ſich warten.

Das Frühjahr kam ſpät. Habt ihr mehr verdient, als wir hier auf Capri?

Es hätte nicht ausgereicht, zweimal die Woche Maccaroni zu eſſen, wenn ich bloß auf die Barke angewieſen wäre. Dann und wann einen Brief nach Neapel zu bringen, oder einen Signore aufs Meer gerudert, der angeln wollte das war Alles. Aber Ihr wißt, daß mein Onkel die großen Orangengärten hat und ein reicher Mann iſt. Tonino, ſagt er, ſo lang ich lebe, ſollſt du nicht Noth leiden, und her¬ nach wird auch für dich geſorgt werden. So hab 'ich den Winter mit Gottes Hülfe überſtanden.

Hat er Kinder, Euer Onkel?

Nein. Er war nie verheirathet und lang außer Landes, wo er denn manchen guten Piaſter zuſammen¬ gebracht hat. Nun hat er vor, eine große Fiſcherei anzufangen und will mich über das ganze Weſen ſetzen, daß ich nach dem Rechten ſehe.

106

So ſeid Ihr ja ein gemachter Mann, Antonino.

Der junge Schiffer zuckte die Achſeln. Es hat jeder ſein Bündel zu tragen, ſagte er. Damit ſprang er auf und ſah wieder links und rechts nach dem Wetter, obwohl er wiſſen mußte, daß es nur Eine Wetterſeite giebt.

Ich bring 'Euch noch eine Flaſche. Euer Onkel kann's bezahlen, ſagte die Wirthin.

Nur noch ein Glas, denn ihr habt hier eine feu¬ rige Art Wein. Der Kopf iſt mir ſchon ganz warm.

Er geht nicht ins Blut. Ihr könnt trinken, ſo viel Ihr wollt. Da kommt eben mein Mann, mit dem müßt Ihr noch eine Weile ſitzen und ſchwatzen.

Wirklich kam, das Netz über die Schulter gehängt, die rothe Mütze über den geringelten Haaren, der ſtattliche Padrone der Schenke von der Höhe herunter. Er hatte Fiſche in die Stadt gebracht, die jene vor¬ nehme Dame beſtellt hatte, um ſie dem kleinen Pfarrer von Sorrent vorzuſetzen. Wie er des jungen Schif¬ fers anſichtig wurde, winkte er ihm herzlich mit der Hand einen Willkommen zu, ſetzte ſich dann neben ihn auf die Bank und fing an zu fragen und zu erzäh¬ len. Eben brachte ſein Weib eine zweite Flaſche des echten unverfälſchten Capri, als der Uferſand zur Linken kniſterte und Laurella des Weges von Ana¬ capri daher kam. Sie grüßte flüchtig mit dem Kopf und ſtand unſchlüſſig ſtill.

107

Antonino ſprang auf. Ich muß fort, ſagte er. 's iſt ein Mädchen aus Sorrent, das heut früh mit dem Signor Curato kam und auf die Nacht wieder zu ihrer kranken Mutter will.

Nun nun, 's iſt noch lang bis Nacht, ſagte der Fiſcher. Sie wird doch Zeit haben, ein Glas Wein zu trinken. Hola, Frau, bring noch ein Glas.

Ich danke, ich trinke nicht, ſagte Laurella und blieb in einiger Entfernung.

Schenk nur ein, Frau, ſchenk ein! Sie läßt ſich nöthigen.

Laßt ſie, ſagte der Burſch. Sie hat einen harten Kopf; was ſie einmal nicht will, das redet ihr kein Heiliger ein. Und damit nahm er eilfertig Ab¬ ſchied, lief nach der Barke hinunter, löſ'te das Seil und ſtand nun in Erwartung des Mädchens. Die grüßte noch einmal nach den Wirthen der Schenke zurück und ging dann mit zaudernden Schritten der Barke zu. Sie ſah vorher nach allen Seiten um, als erwarte ſie, daß ſich noch andere Geſellſchaft ein¬ finden würde. Die Marine aber war menſchenleer; die Fiſcher ſchliefen oder fuhren im Meer mit Angeln und Netzen, wenige Frauen und Kinder ſaßen unter den Thüren, ſchlafend oder ſpinnend, und die Frem¬ den, die am Morgen herübergefahren, warteten die kühlere Tageszeit zur Rückfahrt ab. Sie konnte auch nicht zu lange umſchauen, denn eh ſie es wehren108 konnte, hatte Antonino ſie in die Arme genommen und trug ſie wie ein Kind in den Nachen. Dann ſprang er nach und mit wenigen Ruderſchlägen waren ſie ſchon im offnen Meer.

Sie hatte ſich vorn in den Kahn geſetzt und ihm halb den Rücken zugedreht, daß er ſie nur von der Seite ſehen konnte. Ihre Züge waren jetzt noch ernſt¬ hafter als gewöhnlich. Ueber die kurze Stirn hing das Haar tief herein, um den feinen Naſenflügel zit¬ terte ein eigenſinniger Zug, der volle Mund war feſt geſchloſſen. Als ſie eine Zeitlang ſo ſtillſchweigend über Meer gefahren waren, empfand ſie den Son¬ nenbrand, nahm das Brod aus dem Tuch und ſchlang dieſes über die Flechte. Dann fing ſie an von dem Brode zu eſſen und ihr Mittagsmahl zu halten; denn ſie hatte auf Capri nichts genoſſen.

Antonino ſah das nicht lange mit an. Er holte aus einem der Körbe, der am Morgen mit Orangen gefüllt geweſen, zwei hervor und ſagte: Da haſt du was zu deinem Brod, Laurella. Glaub nicht, daß ich ſie für dich zurückbehalten habe. Sie ſind aus dem Korb in den Kahn gerollt und ich fand ſie, als ich die leeren Körbe wieder in die Barke ſetzte.

du ſie doch. Ich hab 'an meinem Brode genug.

Sie ſind erfriſchend in der Hitze, und du biſt weit gelaufen.

Sie gaben mir oben ein Glas Waſſer, das hat mich ſchon erfriſcht.

109

Wie du willſt, ſagte er, und ließ ſie wieder in den Korb fallen.

Neues Stillſchweigen. Das Meer war ſpiegel¬ glatt und rauſchte kaum um den Kiel. Auch die weißen Seevögel, die in den Uferhöhlen niſten, zogen lautlos auf ihren Raub.

Du könnteſt die zwei Orangen deiner Mutter bringen, fing Antonino wieder an.

Wir haben ihrer noch zu Haus, und wenn ſie zu Ende ſind, geh 'ich und kaufe neue.

Bringe ſie ihr nur, und ein Compliment von mir.

Sie kennt dich ja nicht.

So könnteſt du ihr ſagen, wer ich bin.

Ich kenne dich auch nicht.

Es war nicht das erſte Mal, daß ſie ihn ſo ver¬ leugnete. Vor einem Jahr, als der Maler eben nach Sorrent gekommen war, traf ſich's an einem Sonn¬ tage, daß Antonino mit andern jungen Burſchen aus dem Ort auf einem freieren Platz neben der Hauptſtraße Boccia ſpielte. Dort begegnete der Ma¬ ler zuerſt Laurella, die, einen Waſſerkrug auf dem Kopfe tragend, ohne ſein zu achten vorüberſchritt. Der Napolitaner, von dem Anblick betroffen, ſtand und ſah ihr nach, obwohl er ſich mitten in der Bahn des Spieles befand und mit zwei Schritten ſie hätte räumen können. Eine unſanfte Kugel, die ihm gegen das Fußgelenk fuhr, mußte ihn daran erinnern, daß110 hier der Ort nicht ſei, ſich in Gedanken zu verlieren. Er ſah um, als erwarte er eine Entſchuldigung. Der junge Schiffer, der den Wurf gethan hatte, ſtand ſchweigend und trotzig inmitten ſeiner Freunde, daß der Fremde es gerathen fand, einen Wortwechſel zu vermeiden und zu gehen. Doch hatte man von dem Handel geſprochen, und ſprach von neuem davon, als der Maler ſich offen um Laurella bewarb. Ich kenne ihn nicht, ſagte dieſe unwillig, als der Maler ſie fragte, ob ſie ihn jenes unhöflichen Burſchen we¬ gen ausſchlüge. Und doch war auch ihr jenes Gerede zu Ohren gekommen. Seitdem, wenn ihr Antonino begegnete, hatte ſie ihn doch wohl wiedererkannt.

Und nun ſaßen ſie im Kahn wie die bitterſten Feinde, und beiden klopfte das Herz tödtlich. Das ſonſt gutmüthige Geſicht Antonino's war heftig ge¬ röthet; er ſchlug in die Wellen, daß der Schaum ihn überſpritzte, und ſeine Lippen zitterten zuweilen, als ſpräche er böſe Worte. Sie that, als bemerke ſie es nicht, und machte ihr unbefangenſtes Geſicht, neigte ſich über den Bord des Nachens und ließ die Flut durch ihre Finger gleiten. Dann band ſie ihr Tuch wieder ab und ordnete ihr Haar, als ſei ſie ganz allein im Kahn. Nur die Augenbrauen zuckten noch, und umſonſt hielt ſie die naſſen Hände gegen ihre brennenden Wangen, um ſie zu kühlen.

111

Nun waren ſie mitten auf dem Meer, und nah und fern ließ ſich kein Segel blicken. Die Inſel war zurückgeblieben, die Küſte lag im Sonnenduft weitab, nicht einmal eine Möwe durchflog die tiefe Einſam¬ keit. Antonino ſah um ſich her. Ein Gedanke ſchien in ihm aufzuſteigen. Die Röthe wich plötzlich von ſeinen Wangen und er ließ die Ruder ſinken. Un¬ willkürlich ſah Laurella nach ihm um, geſpannt, aber furchtlos.

Ich muß ein Ende machen, brach der Burſch heraus. Es dauert mir ſchon zu lange und wundert mich ſchier, daß ich nicht drüber zu Grunde gegan¬ gen bin. Du kennſt mich nicht, ſagſt du? Haſt du nicht lange genug mit angeſehen, wie ich bei dir vor¬ überging als ein Unſinniger und hatte das ganze Herz voll, dir zu ſagen? Dann machteſt du deinen böſen Mund und drehteſt mir den Rücken.

Was hatt 'ich mit dir zu reden? ſagte ſie kurz. Ich habe wohl geſehen, daß du mit mir anbinden wollteſt. Ich wollt' aber nicht in der Leute Mäuler kommen um nichts und wieder nichts. Denn zum Manne nehmen mag ich dich nicht, dich nicht und Keinen.

Und Keinen? So wirſt du nicht immer ſagen. Weil du den Maler weggeſchickt haſt? Pah! Du warſt noch ein Kind damals. Es wird dir ſchon einmal einſam werden, und dann, toll wie du biſt, nimmſt du den erſten beſten.

112

Es weiß Keiner ſeine Zukunft. Kann ſein, daß ich noch meinen Sinn ändere. Was geht's dich an?

Was es mich angeht? fuhr er auf und ſprang von der Ruderbank empor, daß der Kahn ſchaukelte. Was es mich angeht? Und ſo kannſt du noch fragen, nachdem du weißt, wie es um mich ſteht? Müſſe der elend umkommen, dem je beſſer von dir begegnet würde als mir!

Hab 'ich mich dir je verſprochen? Kann ich da¬ für, wenn dein Kopf unſinnig iſt? Was haſt du für ein Recht auf mich?

Oh, rief er aus, es ſteht freilich nicht geſchrieben, es hat's kein Advocat in Latein abgefaßt und ver¬ ſiegelt; aber das weiß ich, daß ich ſo viel Recht auf dich habe, wie in den Himmel zu kommen, wenn ich ein braver Kerl geweſen bin. Meinſt du, daß ich mit anſehn will, wenn du mit einem Andern in die Kirche gehſt und die Mädchen gehn mir vorüber und zucken die Achſeln. Soll ich mir den Schimpf an¬ thun laſſen?

Thu was du willſt. Ich laſſe mir nicht bangen, ſo viel du auch drohſt. Ich will auch thun was ich will.

Du wirſt nicht lange ſo ſprechen, ſagte er und bebte über den ganzen Leib. Ich bin Manns genug, daß ich mir das Leben nicht länger von ſolch einem Trotzkopf verderben laſſe. Weißt du, daß du hier in meiner Macht biſt und thun mußt, was ich will?

113

Sie fuhr leicht zuſammen und blitzte ihn mit den Augen an.

Bringe mich um, wenn du's wagſt, ſagte ſie langſam.

Man muß nichts halb thun, ſagte er, und ſeine Stimme klang leiſer. 's iſt Platz für uns Beide im Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind, und er ſprach faſt mitleidig, wie aus dem Traum aber wir müſſen hinunter, alle Beide, und auf einmal, und jetzt! ſchrie er überlaut und faßte ſie plötzlich mit beiden Armen an. Aber im Augenblick zog er die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, ſie hatte ihm heftig hineingebiſſen.

Muß ich thun, was du willſt? rief ſie und ſtieß ihn mit einer raſchen Wendung von ſich. Laß ſehn, ob ich in deiner Macht bin! Damit ſprang ſie über den Bord des Kahns und verſchwand einen Augen¬ blick in der Tiefe.

Sie kam gleich wieder herauf; ihr Röckchen um¬ ſchloß ſie feſt, ihre Haare waren von den Wellen auf¬ gelöſ't und hingen ſchwer über den Hals nieder, mit den Armen ruderte ſie emſig und ſchwamm, ohne einen Laut von ſich zu geben, kräftig von der Barke weg nach der Küſte zu. Der jähe Schreck ſchien ihm die Sinne gelähmt zu haben. Er ſtand im Kahn, vorgebeugt, die Blicke ſtarr nach ihr hingerichtet, als begebe ſich ein Wunder vor ſeinen Augen. Dann8114ſchüttelte er ſich, ſtürzte nach den Rudern, und fuhr ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach, während der Boden ſeines Kahns von dem immer zuſtrömenden Blute roth wurde.

Im Nu war er an ihrer Seite, ſo haſtig ſie ſchwamm. Bei Maria Santiſſima! rief er, komm in den Kahn. Ich bin ein Toller geweſen; Gott weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz aufbrannte und wußte nicht was ich that und redete. Du ſollſt mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Le¬ ben retten und wieder einſteigen.

Sie ſchwamm fort, als habe ſie nichts gehört.

Du kannſt nicht bis ans Land kommen, es ſind noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn dir ein Unglück begegnete, ſie ſtürbe vor Entſetzen.

Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der Küſte. Dann, ohne zu antworten, ſchwamm ſie an die Barke heran und faßte den Bord mit den Hän¬ den. Er ſtand auf, ihr zu helfen; ſeine Jacke, die auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen von der Laſt des Mädchens nach der einen Seite hinübergezogen wurde. Gewandt ſchwang ſie ſich em¬ por und erklomm ihren früheren Sitz. Als er ſie geborgen ſah, griff er wieder zu den Rudern. Sie aber wand ihr triefendes Röckchen aus und rang das Waſſer aus den Flechten. Dabei ſah ſie auf115 den Boden der Barke und bemerkte jetzt das Blut. Sie warf einen raſchen Blick nach der Hand, die, als ſei ſie unverwundet, das Ruder führte. Da, ſagte ſie und reichte ihm ihr Tuch. Er ſchüttelte den Kopf und ruderte vorwärts. Sie ſtand endlich auf, trat zu ihm und band ihm das Tuch feſt um die tiefe Wunde. Darauf nahm ſie ihm, ſo viel er auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und ſetzte ſich ihm gegenüber, doch ohne ihn anzuſehn, feſt auf das Ruder blickend, das vom Blut geröthet war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttrei¬ bend. Sie waren beide blaß und ſtill. Als ſie näher ans Land kamen, begegneten ihnen Fiſcher, die ihre Netze auf die Nacht auswerfen wollten. Sie riefen Antonino an und neckten Laurella. Keins ſah auf oder erwiederte ein Wort.

Die Sonne ſtand noch ziemlich hoch über Pro¬ cida, als ſie die Marine erreichten, Laurella ſchüt¬ telte ihr Röckchen, das faſt völlig überm Meer ge¬ trocknet war, und ſprang ans Land. Die alte ſpin¬ nende Frau, die ſie ſchon am Morgen hatte abfahren ſehen, ſtand wieder auf dem Dach. Was haſt du an der Hand, Tonino? rief ſie hinunter. Jeſus Chriſtus, die Barke ſchwimmt ja in Blut!

's iſt nichts, Commare, erwiederte der Burſch. Ich riß mich an einem Nagel, der zu weit vorſah. Morgen iſt's vorbei. Das verwünſchte Blut iſt nur8 *116gleich bei der Hand, daß es gefährlicher ausſieht, als es iſt.

Ich will kommen und dir Kräuter auflegen, Com¬ parello. Wart ', ich komme ſchon!

Bemüht Euch nicht, Commare. Iſt ſchon alles geſchehn und morgen wird's vorbei ſein und vergeſſen. Ich habe eine geſunde Haut, die gleich wieder über jede Wunde zuwächſt.

Addio! ſagte Laurella und wandte ſich nach dem Pfad, der hinaufführt.

Gute Nacht! rief ihr der Burſch nach, ohne ſie anzuſehn. Dann trug er das Geräth aus dem Schiff und die Körbe dazu, und ſtieg die kleine Steintreppe zu ſeiner Hütte hinauf.

Es war Keiner außer ihm in den zwei Kammern, durch die er nun hin und her ging. Zu den offenen Fenſterchen, die nur mit hölzernen Läden verſchloſſen werden, ſtrich die Luft etwas erfriſchender herein, als über das ruhige Meer, und in der Einſamkeit war ihm wohl. Er ſtand auch lange vor dem kleinen Bilde der Mutter Gottes und ſah die aus Silberpapier daraufgeklebte Sternenglorie andächtig an. Doch zu beten fiel ihm nicht ein. Um was hätte er bitten ſollen, da er nichts mehr hoffte.

Und der Tag ſchien heute ſtill zu ſtehn. Er ſehnte117 ſich nach der Dunkelheit, denn er war müde, und der Blutverluſt hatte ihn auch mehr angegriffen, als er ſich geſtand. Er fühlte heftige Schmerzen an der Hand, ſetzte ſich auf einen Schemel und löſ'te den Verband. Das zurückgedrängte Blut ſchoß wieder hervor, und die Hand war ſtark um die Wunde an¬ geſchwollen. Er wuſch ſie ſorgfältig und kühlte ſie lange. Als er ſie wieder vorzog, unterſchied er deut¬ lich die Spur von Laurella's Zähnen. Sie hatte Recht, ſagte er. Eine Beſtie war ich und verdien 'es nicht beſſer. Ich will ihr morgen ihr Tuch durch den Giuſeppe zurückſchicken. Denn mich ſoll ſie nicht wiederſehn. Und nun wuſch er das Tuch ſorgfältig und breitete es in der Sonne aus, nachdem er ſich die Hand wieder verbunden hatte, ſo gut er's mit der Linken und den Zähnen konnte. Dann warf er ſich auf ſein Bett und ſchloß die Augen.

Der helle Mond weckte ihn aus einem halben Schlaf, zugleich der Schmerz in der Hand. Er ſprang eben wieder auf, um die pochenden Schläge des Bluts in Waſſer zu beruhigen, als er ein Geräuſch an ſei¬ ner Thür hörte. Wer iſt da? rief er und öffnete. Laurella ſtand vor ihm.

Ohne viel zu fragen trat ſie ein. Sie warf das Tuch ab, das ſie über den Kopf geſchlungen hatte, und ſtellte ein Körbchen auf den Tiſch. Dann ſchöpfte ſie tief Athem.

118

Du kommſt, dein Tuch zu holen, ſagte er; du hätteſt dir die Mühe ſparen können, denn morgen in der Früh hätte ich Giuſeppe gebeten, es dir zu bringen.

Es iſt nicht um das Tuch, erwiederte ſie raſch. Ich bin auf dem Berg geweſen, um dir Kräuter zu holen, die gegen das Bluten ſind. Da! Und ſie hob den Deckel vom Körbchen.

Zu viel Mühe, ſagte er, und ohne alle Herbig¬ keit, zu viel Mühe. Es geht ſchon beſſer, viel beſſer; und wenn es ſchlimmer ginge, ging 'es auch nach Ver¬ dienſt. Was willſt du hier um die Zeit? Wenn dich einer hier träfe! du weißt, wie ſie ſchwatzen, obwohl ſie nicht wiſſen, was ſie ſagen.

Ich kümmere mich um Keinen, ſprach ſie heftig. Aber die Hand will ich ſehen und die Kräuter dar¬ auf thun, denn mit der Linken bringſt du es nicht zu Stande.

Ich ſage dir, daß es unnöthig iſt.

So laß es mich ſehen, damit ich's glaube.

Sie ergriff ohne weiteres die Hand, die ſich nicht wehren konnte, und band die Lappen ab. Als ſie die ſtarke Geſchwulſt ſah, fuhr ſie zuſammen und ſchrie auf: Jeſus Maria!

Es iſt ein bischen aufgelaufen, ſagte er. Das geht weg in einem Tag und einer Nacht.

119

Sie ſchüttelte den Kopf: So kannſt du eine Woche lang nicht aufs Meer.

Ich denk ', ſchon übermorgen. Was thut's auch?

Indeſſen hatte ſie ein Becken geholt und die Wunde von neuem gewaſchen, was er litt wie ein Kind. Dann legte ſie die heilſamen Blätter des Krautes darauf, die ihm das Brennen ſogleich lin¬ derten, und verband die Hand mit Streifen Leinwand, die ſie auch mitgebracht hatte.

Als es gethan war, ſagte er: Ich danke dir. Und höre, wenn du mir noch einen Gefallen thun willſt, vergieb mir, daß mir heut ſo eine Tollheit über den Kopf wuchs und vergiß das Alles, was ich geſagt und gethan habe. Ich weiß ſelbſt nicht, wie es kam. Du haſt mir nie Veranlaſſung dazu gegeben, du wahrhaftig nicht. Und du ſollſt ſchon nichts wieder von mir hören, was dich kränken könnte.

Ich habe dir abzubitten, fiel ſie ein. Ich hätte dir Alles anders und beſſer vorſtellen ſollen und dich nicht aufbringen durch meine ſtumme Art. Und nun gar die Wunde

Es war Nothwehr und die höchſte Zeit, daß ich meiner Sinne wieder mächtig wurde. Und wie ge¬ ſagt, es hat nichts zu bedeuten. Sprich nicht von Vergeben. Du haſt mir wohlgethan, und das danke ich dir. Und nun geh ſchlafen, und da da iſt auch dein Tuch, daß du's gleich mitnehmen kannſt.

120

Er reichte es ihr, aber ſie ſtand noch immer und ſchien mit ſich zu kämpfen. Endlich ſagte ſie: Du haſt auch deine Jacke eingebüßt um meinetwegen, und ich weiß, daß das Geld für die Orangen darin ſteckte. Es fiel mir Alles erſt unterwegs ein. Ich kann dir's nicht ſo wieder erſetzen, denn wir haben es nicht, und wenn wir's hätten, gehört 'es der Mutter. Aber da hab' ich das ſilberne Kreuz, das mir der Maler auf den Tiſch legte, als er das letzte Mal bei uns war. Ich hab 'es ſeitdem nicht angeſehn und mag es nicht länger im Kaſten haben. Wenn du es verkaufſt es iſt wohl ein paar Piaſter werth, ſagte damals die Mutter , ſo wäre dir dein Schaden erſetzt, und was fehlen ſollte, will ich ſuchen mit Spinnen zu verdie¬ nen, Nachts, wenn die Mutter ſchläft.

Ich nehme nichts, ſagte er kurz und ſchob das blanke Kreuzchen zurück, das ſie aus der Taſche ge¬ holt hatte.

Du mußt's nehmen, ſagte ſie. Wer weiß, wie lang du mit dieſer Hand nichts verdienen kannſt. Da liegt's und ich will's nie wieder ſehn mit meinen Augen.

So wirf es ins Meer.

Es iſt ja kein Geſchenk, was ich dir mache; es iſt nicht mehr als dein gutes Recht und was dir zukommt.

Recht? Ich habe kein Recht auf irgend was von dir. Wenn du mir ſpäter einmal begegnen ſollteſt, thu mir den Gefallen und ſieh mich nicht an, daß121 ich nicht denke, du erinnerſt mich an das, was ich dir ſchuldig bin. Und nun gute Nacht, und laß es das letzte ſein.

Er legte ihr das Tuch in den Korb und das Kreuz dazu und ſchloß den Deckel darauf. Als er dann aufſah und ihr ins Geſicht, erſchrak er. Große ſchwere Tropfen ſtürzten ihr über die Wangen. Sie ließ ihnen ihren Lauf.

Maria Santiſſima! rief er, biſt du krank? du zitterſt von Kopf bis Fuß.

Es iſt nichts, ſagte ſie. Ich will heim! und wankte nach der Thür. Das Weinen übermannte ſie, daß ſie die Stirn gegen den Pfoſten drückte und nun laut und heftig ſchluchzte. Aber eh er ihr nach konnte, um ſie zurückzuhalten, wandte ſie ſich plötzlich um und ſtürzte ihm an den Hals.

Ich kann's nicht ertragen, ſchrie ſie und preßte ihn an ſich, wie ſich ein Sterbender ans Leben klam¬ mert, ich kann's nicht hören, daß du mir gute Worte giebſt, und mich von dir gehen heißeſt mit all der Schuld auf dem Gewiſſen. Schlage mich, tritt mich mit Füßen, verwünſche mich! oder, wenn es wahr iſt, daß du mich lieb haſt, noch, nach all dem Bö¬ ſen, das ich dir gethan habe, da nimm mich und behalte mich und mach mit mir was du willſt. Aber ſchick mich nicht ſo fort von dir! Neues heftiges Schluchzen unterbrach ſie.

122

Er hielt ſie eine Weile ſprachlos in den Armen. Ob ich dich noch liebe? rief er endlich. Heilige Mut¬ ter Gottes! meinſt du, es ſei all mein Herzblut aus der kleinen Wunde von mir gewichen? Fühlſt du's nicht da in meiner Bruſt hämmern, als wollt 'es heraus und zu dir? Wenn du's nur ſagſt, um mich zu verſuchen oder weil du Mitleiden mit mir haſt, ſo geh, und ich will auch das noch vergeſſen. Du ſollſt nicht denken, daß du mir's ſchuldig biſt, weil du weißt, was ich um dich leide.

Nein, ſagte ſie feſt und ſah von ſeiner Schulter auf und ihm mit den naſſen Augen heftig ins Ge¬ ſicht, ich liebe dich, und daß ich's nur ſage, ich hab 'es lange gefürchtet und dagegen getrotzt. Und nun will ich anders werden, denn ich kann's nicht mehr aushalten, dich nicht anzuſehn, wenn du mir auf der Gaſſe vorüberkommſt. Nun will ich dich auch küſſen, ſagte ſie, daß du dir ſagen kannſt, wenn du wieder in Zweifel ſein ſollteſt: Sie hat mich geküßt, und Laurella küßt Keinen, als den ſie zum Manne will.

Sie küßte ihn dreimal und dann machte ſie ſich los und ſagte: Gute Nacht, mein Liebſter! Geh nun ſchlafen und heile deine Hand, und geh nicht mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor Keinem, als nur vor dir.

Damit huſchte ſie durch die Thür und verſchwand in den Schatten der Mauer. Er aber ſah noch lange123 durchs Fenſter, aufs Meer hinaus, über dem alle Sterne zu ſchwanken ſchienen.

Als der kleine Padre Curato das nächſte Mal aus dem Beichtſtuhl kam, in dem Laurella lange gekniet hatte, lächelte er ſtill in ſich hinein. Wer hätte ge¬ dacht, ſagte er bei ſich ſelbſt, daß Gott ſich ſo ſchnell dieſes wunderlichen Herzens erbarmen würde. Und ich machte mir noch Vorwürfe, daß ich den Dämon Eigenſinn nicht härter bedräut hatte. Aber unſere Augen ſind kurzſichtig für die Wege des Himmels. Nun ſo ſegne ſie der Herr und laſſe mich's erleben, daß mich Laurella's älteſter Bube einmal an ſeines Vaters Statt über Meer fährt! Ei ei ei! la Rab¬ biata!

[124][125]

Am Tiberufer.

[126]127

Es war tief im Januar. Der erſte Schnee hing am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel ſtand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der Höhen weggeſchmolzen. Aber die Oede der Campagne grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige der Oelbäume, die hie und da in Reihen die gelin¬ den Senkungen der Ebene hinab ſtehen oder eine einſame Capanne umgeben, und das niedre Geſtrüpp, das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den Winter. Um dieſe Zeit ſind die zerſtreuten Heerden in die Hürden nah bei der Hütte des Campagnuolen geſammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig ge¬ nug vor dem Wetter verwahrt iſt, und wer von den Hirten zu ſingen oder Flöte und Sackpfeife zu ſpielen verſteht, hat ſich aufgemacht, in Rom nachzügelnd als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen, oder mit anderm Erwerb das arme frierende Leben zu friſten. Herren der Campagne ſind nun die Hunde, die in großen Rudeln die verlaſſene Weite durchſtreifen, vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr ſtreng bewacht, deren Armuth ſie nur zur Laſt fallen.

128

Gegen den Abend, als der Wind ſtärker wurde, ſchritt ein Mann durch die Porta Pia und wanderte den Fahrweg zwiſchen den Landhäuſern hin. Der Man¬ tel hing ihm nachläſſig um die ſtarken Schultern und der breite graue Hut ſaß tief im Nacken. Er ſah nach den Bergen hinüber, bis der Weg tiefer ward und nur ein geringes Stück der Ferne zwiſchen den Gartenmauern durchblickte. Die Enge ſchien ihn zu beklemmen. Er verlor ſich wieder unmuthig in ſeine Gedanken, denen zu entrinnen er das Freie geſucht hatte. Eine ſtattliche Eminenz trippelte mit ihrem Gefolge an ihm vorbei, ohne daß er ſie gewahrte und grüßte. Erſt der nachfahrende Cardinalswagen erinnerte ihn an ſeinen Verſtoß. Von Tivoli her rollten Caroſſen und leichtere Fuhrwerke voll Frem¬ der, die es gelüſtet hatte, die Berge und Cascaden im Schnee zu ſehen. Er warf keinen Blick auf die zierlichen Geſichter der jungen Engländerinnen, mit deren blauen Schleiern die Tramontane ſpielte. Ha¬ ſtig bog er von der Straße ab, links einen Feldweg hinein, der erſt Mühlen und Schenken vorüber lief und dann mitten in die Wildniß der Campagne hin¬ aus führte.

Nun ſtand er einen Augenblick, tief athmend, und genoß die Freiheit des weiten winterlichen Himmels. Die gedämpfte Sonne ſchien röthlich herüber, hauchte die Trümmer der Waſſerleitung an und färbte den129 Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke zu läuten, nur leiſe durch den widrigen Wind. Das machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er vorwärts. Er verließ bald den ſchmalen Pfad, die Wellen der Ebne auf und ab kreuzend, ſchwang ſich über die Stangen, die im Sommer die weidenden Rinder eingehegt hatten, und vertiefte ſich mehr und mehr in die einſame Dunkelheit.

Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf dem ruhigen Meer. Faſt hörte man den Flügelſchlag der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine Grille ſang, kein Ritornell eines heimwandernden Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm. Da ward ihm wohl. Er ſtieß den Stock mehrere Male hart gegen den Boden und freute ſich an dem Ton, der ihm antwortete. Sie ſpricht nicht viel, ſagte er vor ſich hin im Dialekt des gemeinen römi¬ ſchen Volks, aber ſie meint es ehrlich und ſorgt im Stillen für ihre plappernden Kinder, die ſie mit Füßen treten. Daß ich ſie nie wieder zu hören brauchte, dieſe windigen Schufte! Meine Ohren ſind wund von ihren glatten Phraſen. Als wär 'ich nichts, als wüßt' ich es nicht beſſer, woran dieſe Dinge hängen, von denen ſie zu ſchwatzen wiſſen, während ich nichts verſtehe, als ſie zu ſchaffen. Und doch leb 'ich von9130ihnen und muß eine gute Miene machen, wenn die Fratzen mein Werk beſchnüffeln! Accidenti! fluchte er in den Bart. Ein Echo kam zurück. Er ſah betroffen umher. Keine Hütte, kein Hügel war auf eine halbe Stunde im Umkreis zu ſehn, noch konnte er einen Menſchen nahe glauben. Er ging endlich weiter und dachte, ein Windſtoß äfft dich. Da klang es plötzlich wieder, näher und lauter. Er ſtand und horchte ſcharf. Bin ich einer Capanne nah, oder einem Schuppen, aus dem die Rinder brüllen? Es kann nicht ſein es klang anders es klingt an¬ ders und jetzt, jetzt und ein Schauder ſchüt¬ telte ihn; es ſind die Hunde, ſagte er dumpf.

Das Geheul kam näher, heiſer wie von Wölfen, kein Bellen und Kläffen, ſondern ein Geſtöhn, rauh vorgeſtoßen, das die Stimme des Winds in Eine ununterbrochene furchtbare Melodie zuſammenwehte. Eine lähmende Kraft ſchien in ihr zu liegen. Denn der Wanderer ſtand regungslos, den Mund und die Augen ſtarr geöffnet, das Geſicht der Seite zugewen¬ det, von der der Schlachtruf der wüthenden Thiere heranſchwoll. Endlich richtete er ſich gewaltſam in ſeinen Gliedern auf und ſagte: Es iſt zu ſpät; ſie haben längſt die Witterung, und bei dem falſchen Zwielicht ſtürzt 'ich nach dem zehnten Schritt, wenn ich laufen wollte. Nun denn, wie ein Hund gelebt und von meinesgleichen umgebracht! es iſt doch Sinn131 darin. Hätt' ich ein Meſſer, macht 'ich's meinen Gäſten leichter. So aber und er prüfte die ſtarke Eiſen¬ ſpitze ſeines Stockes wenn es ihrer wenige ſind wer weiß, ob mein Hunger nicht den ihren überlebt.

Er ſchlug ſich den Mantel um, daß der rechte Arm frei wurde und der linke, vielfach umwunden, zur Abwehr gerüſtet war, und faßte den Stock. Mit kaltblütiger Entſchloſſenheit unterſuchte er den Boden, wo er ſtand. Er fand ihn von Gras entblößt, ſteinig und hart. Sie mögen kommen, ſagte er, und ſtellte ſich feſt gegen die Erde. Er ſah ſie jetzt und zählte in der Dämmerung. Fünf! zählte er, und da ein ſechster! Sie raſen heran wie der hölliſche Feind, dürre hoch¬ beinige Beſtien. Wart! und er hob einen ſtarken Stein man muß doch den Krieg anzeigen, wie es Brauch iſt.

Damit ſchleuderte er den Stein gegen den vor¬ derſten, auf funfzig Schritt hinaus. Ein verdop¬ peltes Geheul antwortete. Das Rudel hielt einen Augenblick im Jagen inne. Einer von ihnen lag zuckend am Boden.

Waffenſtillſtand! ſagte der Mann. Seine Lippe zitterte, das Herz ſchlug tobend gegen den linken Arm, der den Mantel krampfhaft feſt hielt. Aber die Wim¬ per über dem ſcharfen Auge zuckte nicht. Er ſah ſeine Feinde wieder losbrechen und ihre Augen glänzen durch die Schatten. Zu Paaren kamen ſie, der größte9 *132voran. Ein zweiter Stein, der dieſen anflog, ſprang von der knochigen Bruſt ab und das gereizte Thier ſtürzte heiſer aufmurrend gegen die dunkle Geſtalt. Ein Ruck, und er lag rücklings auf dem Geſtein, und der im Wirbel geſchwungene Stock fuhr ihm gewalt¬ ſam gegen den offnen Rachen.

Ein Reiter ſprengte durch das Grau der Winter¬ nacht, einige Hundert Schritt dem Kampfe fern, über die pfadloſe Campagne. Er ſpähte nach der Stelle, von der das Geheul in kurzen Pauſen zu ihm kam, und ſah einen Mann ſtehn, wanken, zurückweichen, wieder feſten Fuß faſſen, während die Feinde ſich ab¬ löſ'ten im Angriff und von allen Seiten auf ihn ein¬ ſtürmten. Dem zu Pferde grauſ'te. Er ſtieß ſeinem Thier die Sporen in die Seite und flog heran. Der Hufſchlag drang dem Kämpfenden zu Ohren; aber es war, als ob der jähe Schreck der Hoffnung ihm plötzlich die Kraft bräche. Sein Arm ſank nieder, ſeine Sinne verwirrten ſich, er fühlte ſich von hinten niedergeriſſen und taumelte zu Boden. Noch hörte er durch den Nebel des Bewußtſeins einige Schüſſe fallen; dann verfiel er der Ohnmacht.

Als er ſich wieder ermannte und die Augen zuerſt aufſchlug, ſah er das Geſicht eines jungen Mannes über ſich, an deſſen Knie ſein Haupt lehnte und deſſen Hand ihm mit ausgerauftem naſſen Gras die Schläfe rieb. Das Pferd ſtand dampfend neben ih¬133 nen; ihm zu Füßen wanden ſich zwei Hunde, blutig, im letzten Todeszucken.

Seid Ihr verwundet? hörte er fragen.

Ich weiß nicht.

Ihr wohnt in Rom?

Beim Tritone.

Der Andere half ihm ſich aufrichten. Er ver¬ mochte nicht zu ſtehen, der linke Fuß ſchmerzte ihn heftig. Er war barhaupt, der Mantel in Fetzen, der Rock am Arm aufgeriſſen und blutig, das Geſicht blaß und ſtarr. Ohne zu ſprechen, ließ er ſich von ſeinem Retter ſtützen, der ihn die kurzen Schritte bis zu dem Pferde mehr trug als führte. Er ſaß endlich im Sattel, und der Andere faßte den Zügel des Pferdes und leitete es langſam nach der Stadt zu.

Bei der erſten Oſterie außerhalb der Mauern hiel¬ ten ſie. Der junge Mann rief der Wirthin, daß ſie Wein bringe. Als der Verwundete ein Glas geleert, belebten ſich ſeine Züge und er ſprach:

Ihr habt mir einen Dienſt geleiſtet, Herr. Viel¬ leicht verwünſch 'ich ihn noch einmal, ſtatt ihn Euch zu danken. Fürs erſte dank ich aber. Man hängt nun einmal am Leben wie an anderen ſchlechten Ge¬ wohnheiten. Man weiß, die Luft iſt voll von Fieber und Fäulniß und nichtswürdigem Dunſt der Menſchen, und doch dünkt Jeden Athemholen eine gute Sache.

Ihr ſeid ſchlecht auf die Menſchen zu ſprechen.

134

Ich habe keinen gefunden, der mich nicht für einen Dummkopf hielt, wenn ich gut von ihm ſprach. Verzeiht, Ihr ſeid nicht aus Rom?

Ich bin ein Deutſcher.

Gott ſegn 'es Euch!

Sie erreichten ſchweigend das Thor und lenkten ein nach Piazza Barberini. Der Verwundete wies auf ein kleines Haus im Winkel des Platzes, bau¬ fällig und dunkel. Als das Pferd vor der niedrigen Thür hielt, ließ ſein Reiter ſich niedergleiten, ehe der Andre helfen konnte, brach aber hülflos zuſam¬ men. Es iſt ärger als ich dachte, ſagte er. Thut noch das und helft mir hinein, und da iſt der Schlüſ¬ ſel. Der junge Mann unterſtützte ihn ſchweigend, rief einem Knaben, das Pferd zu halten, und einem müßigen Burſchen, das Haus zu öffnen. Drinnen war es dunkel, die feuchte Kälte ſchlug ihnen unheim¬ lich entgegen. Sie trugen ihn durch den Flur, wie er's ihnen ſagte, links in ein wüſtes großes Gemach. Wo iſt Euer Bett? fragte der Deutſche. Wo Ihr wollt; aber legt mich lieber drüben an die Wand. Dort hinten iſt die Mauer nicht zuverläſſig. Dieſer brave alte Palazzo, im Frühjahr wollen ſie ihn nie¬ derreißen; ich glaube, er hat nicht die Geduld es ab¬ zuwarten.

Und Ihr haltet es hier aus?

Es iſt die billigſte Art, ſich begraben zu laſſen,135 ſagte der Andere trocken. Ich ſpiele hier den Wirth für freies Quartier.

Indeſſen hatte der Burſch Feuer angeſchlagen und die kleine Meſſinglampe angezündet, die am Fenſter ſtand. Der junge Mann half dem Verwundeten auf eine Decke, über Stroh ausgebreitet, und deckte ihn mit dem zerriſſenen Mantel nothdürftig zu. Mit einem tiefen Athemzuge ſtreckte ſich die kräftige Ge¬ ſtalt aus und ſchloß die Augen. Der Deutſche gab dem Burſchen Geld und trug ihm Verſchiedenes auf; dann ging er ohne Abſchied hinaus, warf ſich aufs Pferd und ritt eilig davon.

Nach einer Viertelſtunde betrat er wieder das Gemach und brachte den Arzt. Während dieſer die Wunden an Bein und Arm unterſuchte und verband, was der Kranke geſchehen ließ, ohne einen Laut von ſich zu geben, ſah ſich der junge Deutſche an den Wänden um. Sie waren kahl und der Bewurf in großen Stücken abgefallen. Die Balken am Dach ſtanden nackt und geſchwärzt heraus, das ſchlechte Fenſter ließ die ſchneidende Luft ein, weniges Geräth ſtand herum. Indeß brachte der Burſch einen Arm voll Holz und macht 'ein Feuer im Kamin. Wie es nun roth aufpraſſelte, wurden im Winkel einige ver¬ ſtaubte Thonfiguren und Gipsabgüſſe ſichtbar, ein großer Delphin, der einen todten Knaben auf dem Rücken trug, eine Meduſe in Relief, koloſſal, die136 Haare noch nicht zu Schlangen belebt, wirr um die ſchmerzlichen Schläfen herabgeringelt er entſann ſich nicht, dieſe Züge an einer Antike geſehn zu haben. Abgüſſe über dem Leben, Arme, Füße, die Bruſt eines jungen Mädchens, dazwiſchen flüchtige Skizzen in Thon ſtanden und lagen wüſt durch einander. Auf dem Tiſch aber ſah er mannigfaches Geräth, wie es ein Cameenſchneider braucht, und einige Stöcke mit halbvollendeten Arbeiten, zum größten Theil Medu¬ ſenköpfe, die jenem großen Relief glichen, aber von verſchiedenem Grad und Charakter der Leidenſchaft und Hoheit. Unbearbeitete Muſchel-Stücke, Abdrücke geſchnittner Steine und Paſten in Glas und Gips lagen in einem Käſtchen daneben.

Ich denke, es hat keine Gefahr, ſagte nun der Arzt. Laßt Eis holen und den Burſchen die Nacht aufſitzen, den Verband unabläſſig zu kühlen. Sie haben Euch arg mitgeſpielt, Sor Carlo. Aber wer Teufel heißt Euch auch um dieſe Jahres - und Tages¬ zeit in die Campagne rennen?

Dieſe eigenſinnigen Schufte, die Kamine, ſagte der Künſtler; ſie wollen ihre Schuldigkeit nicht thun, ohne daß man ihnen Scheiter in den Hals ſtopft. Ich hatte was gegen meinen guten alten Palazzo, Sor Dottore; ich hätt 'ihm am liebſten einen Tritt gegeben, uns Beide zu erwärmen. Nun, da lief ich ihm davon, damit es nicht zu Thätlichkeiten zwiſchen uns komme.

137

Ihr ſeid hier übel verwahrt, erwiederte der gut¬ müthige kleine Herr und wiſchte ſich die Brillengläſer, die beſchlagen waren. Meine Frau ſoll Euch noch eine Decke ſchicken; und morgen ſeh 'ich wieder nach. Der Schlaf wird kommen, und dieſer Arzt ſteckt uns Alle in die Taſche. Gute Nacht.

Der junge Mann begleitete ihn hinaus und ſie ſprachen im Flur eine Weile. Ich kenne ihn dem Namen nach, ſagte der Arzt. Er geht ſo ſeine ſelt¬ ſamen menſchenſcheuen Wege, verkehrt in den Kneipen mit dem letzten Facchin am liebſten, und was er hat, verthut er. Es iſt aber Keiner in Rom, der's ihm gleich thäte in Cameen. Er hat's von ſeinem Vater, Giovanni Bianchi, der lange todt iſt.

Sind die Wunden im Ernſt ungefährlich?

Wenn er ſich ſchont und mit dem Eis nichts ver¬ ſäumt wird. Er hat Glieder wie von Eiſen, ſonſt hätt 'er auch den Beſtien nicht ſo lange Stand ge¬ halten. Fünf, ſagt Ihr! der tollkühne Mann! Aber das iſt ſo einer von ſeinen Streichen. Nun nun, er wird ſchlafen; ſeid unbeſorgt, Sor Teodoro!

Er ſchlief ſchon, als Theodor wieder zu ihm ein¬ trat, obwohl er das Geſicht nach dem hellen Feuer gewendet hatte. Theodor betrachtete ihn lange. Er war völlig ſchön, nur die Naſe ein wenig hager, das Haar ſchon hie und da verblichen, der Bart unge¬ pflegt; aus dem athmend halbgeöffneten Munde glänz¬138 ten die weißen Zähne vor. Als Theodor den Mantel lüftete, um das Eis aufzulegen, ſah er die ganze Kraft der Glieder.

Er ſchickte den Burſchen fort, nachdem er ihn Vorrath von Holz und Eis hatte zutragen laſſen und befahl ihm, in der Frühe wiederzukommen. Er ſelbſt ſchob einen Rohrſtuhl an den Kamin und ließ ſich nieder, den Mantel umgeſchlagen, und bereitete ſich zu wachen. Es war nun um die zehnte Stunde; draußen über dem öden Platz ſtand die klare Nacht und der Strahl des Springbrunns plätſcherte leiſe in die Muſchel des Tritonen. Aus einem nahen Hauſe hörte er eine Mädchenſtimme ſingen:

Chi sa se mai
Ti soverrai di me!

den Refrain eines alten ſchmerzlichen Liedes. Bald ſchwieg auch das und ſummte wortlos in ihm nach.

Er ſah ſich wieder am Rande der Schlucht von Tivoli, auf dem Fußweg den Waſſern gegenüber, die in winterlicher Dürftigkeit aus ihren vielen Mündun¬ gen niederſtürzten. Sie gingen, ohne ſich zu führen, neben einander, er, das ſchöne Mädchen und ihre be¬ wegliche kleine Begleiterin, die unabläſſig über den mühevollen abſchüſſigen Weg eiferte. Wir hätten mit Euern Eltern zurückgehn ſollen, Mary, ſagte ſie mehr als einmal auf Engliſch; ja, wir ſollten es noch. Da ſind ſie noch, Kind, droben über der Cascade, ſeht139 nur, Mary, und werden bald ganz comfortabel am Kamin ſitzen, in der Sibylle, und wir erfrieren uns die Naſen. Die Eure iſt ſchon ganz roth, Mary; dear me, wie ſeht Ihr aus, Kind! Der Wind iſt auch ſo ſcharf von dem Waſſer herüber; Ihr ſagtet es gleich, Sir, und warntet; aber unſer Kind hat ihre Einfälle. Guter Gott! wir haben die Landſchaft ja im Herbſt geſehn und gar im Sommer und ritten damals ſanft und bequem den Abhang nieder, den wir jetzt hinabſtolpern und - gleiten müſſen.

Es iſt nicht mehr weit, liebe Miß Betſy, ſagte das Mädchen lächelnd, dann wird die Straße gelin¬ der. Unſer Freund bot Euch ja ſeinen Arm; warum ſchlugt Ihr ihn aus?

Die kleine Perſon näherte ſich ihr und ſagte leiſe: Mary! daß Ihr mich das fragt! Ihr kennt meine Grundſätze, daß es unſchicklich iſt, bergunter ſich von einem unverheiratheten Manne führen zu laſſen. Wenn wir gleiten und uns an ihm halten, nimmt er jeden Druck für eine Zärtlichkeit. Ihr ſetzt mich in Ver¬ legenheit, Kind.

Marie lächelte faſt unmerklich. Sie ging dann ernſthaft ihres Wegs; der Hut von ſchwarzem Sam¬ met verbarg ihr Geſicht dem jungen Manne bis auf die vornickende braune Locke. Es war kein bloßes Compliment, Sir, ſagte ſie dann und blickte ihn un¬ befangen an, als mein Vater Euch geſtand, daß Ihr140 durch Eure Zurückhaltung ihm weh gethan. Wenn ich mich recht entſinne, waret Ihr ſeit meines armen Bruders Tode nur viermal in unſerm Hauſe.

Viermal! ſagte er. Und Ihr habt gezählt

Wir mußten die Zahl oft vom Vater hören. Seit ich Edward verloren habe, ſagt er, mag ich mit Nie¬ mand ſprechen, der ihn nicht gekannt hat. Wie ſoll er mich noch kennen lernen? Dann kommt er immer auf Euch und lobt Euch und vermißt Euch.

Ich geſtehe, ſagte Theodor, die Liebe und Herz¬ lichkeit, mit der mich Eure Eltern begrüßten, als wir uns hier begegneten, überraſchte und rührte mich hef¬ tig. Auch ich bin in dieſem Winter menſchenbedürf¬ tiger als ſonſt. Im vorigen, der der erſte war, durfte ich mich von nichts zurückziehen, was ſich aufdrängte und Gewinn verſprach. Ich ſehe nun, daß ich nur verloren habe. Die Geſellſchaft widerſpricht dem Ort. Sie fühlt das, und weil ſie doch gelten will, muß ſie ſich überheben. Das iſt widerwärtig und verbit¬ tert andächtigen Menſchen, wie ich einer bin, die fruchtbare Stimmung. Darum leb 'ich nun für mich oder mit Einzelnen, denen es nicht beſſer gegangen als mir. Und doch bin ich von meiner Heimath her verwöhnt, auf die Länge nur in der Familie meines Lebens froh zu werden.

Ihr ſeid nun ſchon ſo lange von Euern Eltern getrennt

141

Ich habe ſie verloren, ſagte er ſtill. Sie ſtarben Beide in derſelben Woche. Da ging ich über die Alpen, und Gott weiß, ob ich je zurückkehre.

Sie betraten die leichten Schatten der Oliven¬ pflanzung. Der Weg war durchaus trocken; über ihnen in den Zweigen glänzte es von Sonne, die den flüchtigen Schnee auf den Blättern aufgethaut hatte, daß ſie ſchimmerten wie nach feinem Frühlings¬ regen. Die kleine Ehrendame wurde der beſten Laune und erzählte von ihren einſamen Wanderungen durch Rom. Man wollte wiſſen, daß ſie an einem Buch über Rom arbeite. Wie es auch immer damit ſein mochte, es ſtand feſt, daß ſie ſogar ihren Grundſätzen Gewalt anthat und es ſich nachſagen ließ, daß ſie mit einem wildfremden jungen Italiäner eine Stunde lang die Thermen des Caracalla nach allen Seiten durchforſcht und ſeine Begleitung nach ihrer Woh¬ nung nicht abgelehnt habe.

Glaubt Ihr wohl, Mary, rief ſie jetzt, daß ich mich leicht entſchließen könnte, mein altes England mit keinem Auge wiederzuſehn? Ihr wißt, wie ich es Anfangs keinen Monat hier auszuhalten meinte. Denn ich bin von alter Familie, Sir, und mein er¬ ſter Ahn fiel bei Haſtings, nachdem er für ſein Theil und für ſeine Kinder das Land mit erobert hatte. Darum gehört mir mein Stück England ſo gut wie dem größten Grundbeſitzer, und wer läßt gern das142 Seine im Stich! Und dennoch, wer weiß, ob ich nicht hier mein Leben beſchlöſſe, wenn es nicht unedel wäre, ſeines Vaterlandes zu vergeſſen, ſo ſehr es uns ſelbſt und alte gute Dienſte der Vorfahren vergeſſen ha¬ ben mag.

Ich wüßte nicht, ſagte Theodor lächelnd. Ihr erweiſ't Alt-England nur einen Dienſt, wenn Ihr an Euerm Theil Rom erobert und ſo in die Fußſtapfen Eures Urahnen tretet.

Ihr ſeid ein Spötter, ſagte ſie und gab ihm einen leichten Schlag mit dem Fächer. Aber wenn ich auch noch in den Jahren ſtünde, wo Euer Spott artiger wäre, meint Ihr im Ernſt, vorausgeſetzt, Ihr hättet einigen Grund zu Eurer Aeußerung und es wäre Je¬ mand um mich bemüht meint Ihr, ſag 'ich, daß engliſcher und italiäniſcher oder eigentlich römiſcher Charakter ſich auf die Länge mit einander vertrügen?

Ihr wißt, theuerſte Freundin, daß die Liebe Wun¬ der thut, Abgründe ausfüllt und Schranken nieder¬ reißt. Für die Charaktere fürchte ich nicht. Fände ſich die Bildung übereinſtimmend, was ſollte den Herzen nicht gelingen! Ich habe mehr Ehen an verſchiedenem Geſchmack, als an verſchiedenen Leiden¬ ſchaften zu Grunde gehen ſehn. Aber welcher Römer würde z. B. Euern Geſchmack an Rom nicht theilen?

Ihr habt Recht, ſagte ſie, im Grunde iſt die Liebe Geſchmacksſache. Sie zog den grünen Schleier143 übers Geſicht und ſchien in ernſtlichen Betrachtungen ungeſtört bleiben zu wollen.

Die beiden jungen Leute gingen nun ein wenig voran, denn ſie hörten Miß Betſy halblaut mit ſich ſelbſt reden, wie es ihr oft begegnete, und wollten ihre Träume nicht belauſchen. Die Gute! ſagte Ma¬ rie mit ihrer ſanften Stimme, die Reiſe hat ſie ganz aus ihrer Faſſung gebracht. Sie hatte auch ſonſt wohl einen abenteuerlichen Zug, den ſie aber in Eng¬ land unſchuldig an der Politik ausließ. Mit dem erſten Fuß auf das Feſtland iſt dieſer ſeltſame Hang, Erlebniſſe zu machen, in ihr aufgewacht und hat uns auf der Reiſe ſchon manche Sorge um ſie und freilich auch manchen Anlaß zum Lachen gegeben.

In jüngern Jahren muß ihr dies phantaſtiſche Weſen allerliebſt geſtanden haben, ſagte Theodor. Aeltere Leute wiſſen in der Regel, daß man ſchon vollauf zu thun hat, Schickſale, die kommen, zu neh¬ men, und daß es mißlich iſt, ſie aufzuſuchen. Hof¬ fentlich wird ſie es mit ihrem höflichen römiſchen Freunde bald eben ſo wenig ernſt nehmen, als er es mit ihr von Anfang an genommen hat.

Ich ſah ſie Beide nach Haus kommen. Er war um vieles jünger, ein anſehnlicher Mann mit etwas übermüthigen, aber feinen Zügen.

Was haltet Ihr von der Streitfrage, die Miß Betſy aufwarf? fragte Theodor nach einer Pauſe.

144

Von welcher?

Ob Menſchen verſchiedener Nation für einander taugen?

Marie ſchwieg eine Weile. Je mehr die Menſchen von einander wollen, ſagte ſie dann, und je mehr ſie einander zu geben wünſchen, deſto verwandter, dünkt mich, müßten ſie ſein. Und ſelbſt dann ich habe einen Engländer gekannt, der mit einer Creolin ver¬ heirathet war. Sie nahmen beide das Leben leicht und äußerlich; er freute ſich, eine ſchöne Frau zu haben, und ſie ſchien zufrieden, daß er ſie mit Reich¬ thum überſchüttete. Und doch war etwas zwiſchen ihnen, etwas Klimatiſches, wo ſie nun auch leben mochten. Sie wurden nicht recht froh mit einander.

Sie waren aus verſchiedenen Zonen. Aber wenn ſie nordländiſches Blut gehabt hätte ?

Es mag ſein. Und doch ich ſpüre es an mir ſelber. Ich bin im Gebirge aufgewachſen und habe mich langſam an die weichen römiſchen Lüfte gewöh¬ nen müſſen. Nun haben wir Winter. Droben liegt der ſchöne klare Schnee. Wenn wir heut wieder bei den Eltern ſind, am Kamine ſitzen, das Waſſer im Keſſel ſingt, und ich Alles um mich habe, was zu meinem Leben gehört, ſollte ich billig ganz glücklich ſein können. Doch geſtehe ich, daß mir dann erſt recht das Heimweh kommen könnte nach unſerm Land¬ hauſe, wo die alten Ahornbäume vor den Fenſtern145 ſtehn und hinter dem Garten das verſchneite Feld liegt, lange nicht ſo ſchön wie dort drüben die Cam¬ pagna, und der Himmel darüber ganz in trüben Ne¬ beln verſunken, während dieſer Horizont, der ſo rein iſt, mich erquicken und erheitern könnte. Es iſt den¬ noch die Fremde. Und ſo ein Fremdes mag wohl auch zwiſchen den Menſchen bleiben.

Sie hatten das Geſpräch bisher engliſch geführt. Er fing plötzlich deutſch an, deſſen ſie völlig mächtig war bis auf einen geringen Accent. Erlauben Sie mir, ſagte er, daß ich deutſch ſpreche. Sie haben mir von Ihrem Heimweh mitgetheilt. Als Sie von Ihrer winterlichen Stille erzählten, mußte ich an deut¬ ſche Winter denken, die nun hinter mir liegen und ſo nie wieder kommen werden. Ich hörte wieder den leiſen Ton, wenn die Raben durch die kahlen Zweige ſtrichen und die kleinen dürren Aeſte brachen, daß ein feines Schneewölkchen dem Fenſter vorbei nieder¬ ſtäubte. Meine Mutter lag dort monatelang ans Ruhebett gefeſſelt; ſie konnte und wollte nicht mehr in die unruhige Stadt. Der alte Landſitz hatte ſonſt nur ſommerliche Bewohner geſehn, fröhliche Jagden, heitere Spaziergänger. Jetzt war er die Zuflucht im Winter, wo die Mutter ſich von ihren beſchwerlichen Badereiſen erholte.

Sie waren dann bei ihr?

In den erſten Jahren nur immer auf Wochen. 10146Den letzten Winter aber ließ ſie mich nicht von ſich. Ich ſaß die vollen Tage neben ihr, arbeitete und ſprach dazwiſchen, oder ſpielte ihr ihre Lieblingsmelo¬ dieen vor, jene einfachen alten Lieder, die nun ganz aus der Mode ſind. Der kleine Saal ging auf den Garten hinaus mit vielen hohen Fenſtern. Ich ſehe noch meinen Vater auf der Terraſſe davor auf und nieder wandeln mit der Bärenmütze und kurzen Pfeife. Er konnte die Luft des geheizten Raumes nicht lange ertragen. Aber ſelten verließ er jenen Platz, und wer ein Geſchäft mit ihm hatte, mußte ihn dort aufſuchen. Von Zeit zu Zeit kam er auf eine Viertelſtunde zu uns herein. Ich werde den Blick nie vergeſſen, mit dem dann meine arme Mutter zu ihm aufſah. Sie hatte ſchöne verklärte blaue Augen.

Dann ſtarb ſie?

Im Frühling. Der Vater bald darauf. Er ver¬ unglückte auf einem Ritt. Seit die Mutter von uns gegangen war, hatte er nicht Ruhe, beſtieg die wil¬ deſten Pferde und blieb oft halbe Tage lang aus, ſo ſehr ich ihn beſchwor, ſich zu ſchonen. Ich kannte ihn, ich wurde die unheimlichſte Angſt nicht los ich hatte nur zu ſehr Recht.

Sie waren im Grunde angekommen und blieben ſtehn, ihre Begleiterin zu erwarten. Marie ſtand einige Schritte von ihm, ſo daß er, wie er ſich wandte und die Gegend überſchaute, ihr volles Bild vor ſich hatte. 147Die ſchönen klaren Züge waren ſchmerzlich überflort; unter den geſenkten Augenliedern ſchimmerte es feucht. Als ſie ſie aufſchlug, ſah er die blauen Augen groß und ernſthaft auf der Landſchaft ruhen. Er kannte ſchon dieſen Blick. Er hatte ihn früher vermieden, denn er wußte, welche Macht er hatte. Jetzt über¬ ließ er ſich ihr zum erſten Mal. Marie! ſagte er. Sie regte ſich nicht und ſah ihn nicht an. Da er¬ reichte ſie die kleine nachdenkliche Freundin. Das Ge¬ ſpräch ward wieder angeknüpft, während ſie die Höhe von Tivoli erſtiegen. Marie aber nahm nicht Theil daran.

Als ſie gegen die erſte Dämmerung von Tivoli aufbrachen, nun heiterer vom Wein, und Theodor die Damen eben in den Wagen gehoben hatte, ſagte der alte Herr zutraulich zu ihm: Ich ſteige nicht eher ein, als bis ich weiß, wann wir Euch wiederſehn, theurer Sir. Ich habe noch eine kleine Angelegen¬ heit, die mir und uns Allen ſehr wichtig iſt und die ich gern mit Euch berathen möchte. Sie betrifft un¬ ſern armen Edward. Ich weiß, Ihr kommt am ehe¬ ſten, wenn Ihr wißt, daß man auf Euern Beiſtand rechnet.

Kommt heute Abend noch, bat die Mutter.

Er verſprach es, Als man ihm ſein Pferd brachte, ſah er einen ängſtlichen Zug auf Mariens Geſicht. Er ſaß bald im Bügel, und das muntere Thier leicht10 *148regierend begleitete er eine Strecke weit den Wagen. Alsdann blieb er zurück, ritt langſamer und ließ den Tag an ſich vorüberziehen. Die Nacht überholte ihn. Er ſpornte nun wieder das Pferd, und in der Mei¬ nung, einen Umweg abzuſchneiden, ritt er quer über die Heidefläche. So war er in Bianchi's Nähe ge¬ kommen.

Er ſchüttelte ſich jetzt, warf Holz nach in die Glut und ſtarrte mit ſeinen ſchwarzen Augen ernſt¬ haft hinein. Was werden ſie denken, ſagte er bei ſich ſelbſt, daß ich ausgeblieben bin! Was wird ſie denken. Es iſt nun zu ſpät, einen Boten zu ſchicken, und wen hätte ich auch? Sie wird zu Haus ſitzen und nicht wiſſen, was dieſer Tag bedeuten mag. Oder Chi sa se mai!

Dann wartete er wieder ſeines Dienſtes bei dem Kranken, ging auf und ab und vertiefte ſich in den Meduſenkopf, den der Feuerſchein warm anflog, der Farbe des ſchwindenden Lebens täuſchend gleich, wo das widerwillige Blut mit dem Todesſchrecken kämpft. Das ergriff ihn mit Gewalt. Er mußte endlich die Augen abwenden und entdeckte nun erſt auf dem dun¬ keln Sims des Kamins einige freche Figürchen, theils nach verrufenen pompejaniſchen Bronzen, theils von neuer Hand, in die Wette mit jenen zügellos und lebendig. Daneben lag ein zerriſſenes, verſtaubtes Exemplar des Arioſt. Danach griff er und las be¬149 gierig. Es war das einzige Buch, das er entdecken konnte.

So gingen die Stunden. Lange nach Mitternacht ſtöhnte der Schlafende heftig auf und ſchlug mit den Händen im Traum um ſich. Als Theodor ihm das verſchobene Lager wieder zurecht rückte und die Decken neu über ihn breitete, erwachte er vollends und fuhr auf. Wie zur Gegenwehr taſtete er umher und rief mit entſchloſſener Stimme:

Wer ſeid Ihr?

Ein Freund; erkennt mich nur! erwiederte Theodor.

Das iſt gelogen; ich habe keinen! ſchrie der Ver¬ wundete und ſtrebte in die Höhe. Der Schmerz an den verbundenen Gliedern klärte ihn auf; er ſank zurück und ſammelte ſich vollends. Eine Zeitlang lag er ſtill. Dann ſagte er ſanfter:

Ihr ſeid's. Nun erkenn 'ich Euch. Was thut Ihr hier zu dieſer Zeit? Warum ſeid Ihr nicht nach Haus gegangen? Seid Ihr anders, als andere Mut¬ terkinder, die im Wachen rechtſchaffen ſind nur um einen ruhigen Schlaf zu haben? Geht! Ihr habt Euern Schlaf verdient; warum bewacht Ihr meine Träume?

Der Arzt will, daß Eure Wunden über Nacht kühl gehalten werden. Ich konnt 'es dem fremden Menſchen nicht anvertrauen.

Seid Ihr nicht auch ein fremder Menſch?

150

Nein, denn ich thue es nicht um ein paar Paul. Ich thu 'es Euch zu Liebe.

Der Andere lag eine Weile ſtumm. Dann ſagte er mit ſeltſamer Heftigkeit: Ihr thätet mir einen Ge¬ fallen, wenn Ihr ginget. Es iſt mir wie eine Krank¬ heit, wenn ſich ein Menſch um mich bekümmert, und wenn ich danken ſoll, bin ich ungeſchickter, als ein alter Mann, der einer Dirne aufwarten will.

Was geht mich Euer Dank an. Ich bleibe, weil Ihr mich braucht. Könnt Ihr mich entbehren, ſo ſollt Ihr nicht zu klagen haben, daß ich Euch beſchwer¬ lich falle.

Ich kann nicht ſchlafen, wenn ich Euch da ſitzen und frieren weiß.

Der Andere ſchürte das Feuer. Ich hoffe, Ihr ſpürt bis da drüben hin, daß mir warm ſein muß.

Nach einer Pauſe, in der der Kranke mit geſchloſ¬ ſenen Augen gelegen hatte, fragte er von neuem:

Ihr ſeid ein Lutheraner, Herr?

Ja.

Ich wußt 'es, ſagte Bianchi vor ſich hin. Er will die Kirche um eine Seele betrügen. Darum thut er das Alles. Sie ſind nicht beſſer als wir.

Ihr redet im Fieber, ſagte Theodor nachdrücklich. Redet was Ihr wollt.

Sie ſchwiegen jetzt eine lange Zeit. Theodor legte nach wie vor friſches Eis auf, und Bianchi lag in¬151 deſſen, das Geſicht nach der Wand gekehrt, regungs¬ los als ob er ſchliefe. Plötzlich, als Theodor wieder mit ihm beſchäftigt war, warf er ſich herum und ſtützte ſich auf. Mit dem verwundeten Arm haſchte er nach Theodors Hand und hielt ſie mit ſeiner heißen und ſagte leiſe und langſam: Ihr ſeid gut! Ihr ſeid gut! Ihr ſeid ein Menſch. Die Schwäche übermannte ihn, er fiel aufs Stroh zurück und brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Als die Thränen nachließen, ſchlief er von neuem.

Als er erwachte, brach helles Tageslicht durch die Spalten des Ladens, daß eine ſonnige Dämmerung um ihn war. Er ſah den Burſchen an ſeinem Bett und den Arzt und hörte, daß Theodor am frühen Morgen, da der Burſch gekommen, in die Stadt hinunter gegangen ſei, ohne eine Wort von Wieder¬ kommen zu ſagen.

Den halben Tag verbrachte er ſo, unruhig, ſin¬ nend, hinaushorchend nach dem Flur. Ein paar Mäuſe, die er gezähmt hatte und für die er ſonſt in aller Noth und Drangſal Aufmerkſamkeit hatte, ka¬ men bis in die Mitte des Zimmers, blinzten ihn an, pfiffen und ſchwänzelten, ohne daß er einen Blick auf ſie warf. Der Burſch, der es nicht wußte, daß ſie Hausrecht hatten, verſcheuchte ſie. Es pochte einer,152 der einen Auftrag vom Kunſthändler brachte auf ein Paar Ohrringe in rother Muſchel. Er ließ ihn ohne Beſcheid abweiſen. Nicht anders einen Bild¬ hauer ſeiner Bekanntſchaft, dem das Gerücht des furchtbaren Abenteuers zu Ohren gekommen und der gutherzig genug war, den Einſamen aufzuſuchen.

Indeſſen war Theodor ſchon ziemlich früh die ſtei¬ nernen Stufen eines großen Hauſes hinaufgeſtiegen, in dem Mariens Eltern wohnten. Der alte Diener öffnete ihm. Die Herrſchaften haben Euch lange er¬ wartet geſtern Abend, ſagte er. Ich wurde nach Eurer Wohnung geſchickt, aber Ihr waret nicht nach Hauſe gekommen. Miß Mary meinte, wenn Euch nur kein Unglück zugeſtoßen ſei, da Ihr zu Pferde geweſen! Gottlob, Ihr ſeid ja wohlauf.

Theodor antwortete nicht. Er hörte von innen Muſik, eine Beethoven'ſche Sonate. Plötzlich brach ſie ab, ein Seſſel wurde geſchoben, ein Kleid rauſchte. Als er eintrat, ſtand er vor Marien, die in der Richtung nach der Thür mitten im Zimmer ſtehen geblieben ſchien. Sie ſuchte nach Worten, ihre Wan¬ gen glühten. Da ergriff er haſtig ihre Hand mit beiden Händen und ſah nun, daß ihre Augen ver¬ weint waren. Marie, ſagte er, ich höre, daß ich Ihnen mehr abzubitten habe, als ich dachte. Sie hatten Unruhe um mich!

Sie verſuchte zu lächeln. Ich freue mich, daß es153 unnöthig war, ſagte ſie. Sie werden verhindert wor¬ den ſein; es war thöricht, ſich gleich das Schlimmſte zu denken. Ich will meine Eltern rufen.

Er hielt ſie dringend zurück. Sie haben geweint, Marie

Es iſt nichts; ich hatte eine ſchlechte Nacht, und eben hat mich die Muſik in allen Nerven erſchüttert.

Er ließ ihre Hände los, ſie blieb auf derſelben Stelle und ſtützte ſich auf die Lehne des Stuhls. Ein paar Mal durchmaß er das Zimmer, dann blieb er ihr gegenüber ſtehn. Er nahm wieder ihre Hände, er ſtammelte ein Wort, dann umſchlang er ſie heftig. Sie ruhte weinend, innig und ſelig in ſeinen Armen.

Wir wollen zu den Eltern gehn, ſagte Marie, als ſie ſich aus dem Sturm der erſten Umarmung wieder aufrichtete. Komm!

Sie faßte ihn ſanft bei der Hand. Er wäre gern geblieben; es dünkte ihn, als werde ſie ihm wieder entriſſen, wenn ſie unter Andern wären. Doch ließ er ſich führen. Sie fanden die Eltern zuſammen im Cabinet der Mutter. Als er eintrat, war es ihm, als müſſe er ſeine Geliebte bitten zu verſchweigen, was zwiſchen ihnen vorgegangen war. Er fühlte ſich unfähig, darüber Rede zu ſtehn und Andern als ihr ſelbſt in ſeiner Trunkenheit zu begegnen. Da hatte ſie ſchon das Wort geſagt. Die Mutter, eine große feierliche Frau, ſchloß ihn herzlich in die Arme. Wie154 ſie auch ſonſt ein wenig förmlich war, konnte ſie auch jetzt das freudige neue Schickſal nicht ohne einige würdige Segensworte entgegennehmen, die, ſo herz¬ lich ſie gemeint waren, in Theodors Stimmung fremd hineinklangen. Der Vater ſagte nichts; er drückte ſeinem Eidam immer wieder die Hand und küßte die Stirn ſeiner Tochter.

Theodor erzählte nun die Ereigniſſe des letzten Abends. Marie lehnte an ſeiner Bruſt und ſchlang, als er von dem Kampf erzählte, den Arm ängſtlich um ihren Geliebten, wie um ſich zu verſichern, daß Alles vorbei ſei und ſie ihn ja ſicher beſitze. Die Mutter gab ihr einen Wink, der dem jungen Manne nicht entging. Da entzog ſie ihm den Arm und ſaß nun neben ihm, ohne ihn zu berühren. Er empfand es peinlich; er fühlte auch, als er nach einigen Stun¬ den gehen mußte und ſie an der Schwelle der Thür noch einmal von Herzen küßte, daß ſie es ſcheu er¬ wiederte und ihm zuerſt ihre Lippen entzog. Er ging mit einem wunderlichen Gefühl, einen Druck auf dem Herzen, eine widerwillig gedämpfte Glut in allen Pulſen. Draußen ſtand er unter der Pforte ſtill. Die Straße war menſchenleer; er kühlte ſich die Stirn an dem ſteinernen Pfoſten, ſtreckte die Arme aus, als wolle er ein Stück des Himmels herabziehn und an ſeine Bruſt preſſen, und ging dann etwas ruhiger den Weg zum Tritonen.

155

Eine leidenſchaftliche Röthe ſchlug in Bianchi's erloſchnen Wangen auf, als er Theodors Schritt draußen vernahm. Er richtete ſich auf und ſah ihm feſt und voll entgegen, da er eintrat, größer und männlicher, als er ihm geſtern erſchienen. Theodor näherte ſich dem Kranken und ſagte: Ihr ſeid erholt, Bianchi, und der Arzt iſt zufrieden. Haltet Euch ruhig, ich bitt 'Euch. Mich laßt ein wenig auf und ab gehn; meine Gedanken ſind noch in Tumult und meine Sinne wollen ſich treiben.

Er ſagte ihm nicht, von wo er kam, nicht, daß er vor wenigen Stunden ſein Schickſal an ein Weib gebunden hatte. Aber es lag eine Glorie um ihn, von der Bianchi die Augen nicht abwenden konnte. Er hatte den Hut abgelegt und den Mantel über die eine Schulter geſchlagen. Der Kopf ſtand frei auf der breiten Bruſt, die kurzen krauſen Haare ein wenig geſträubt, die Stirn ausgearbeitet und edel. So den Blick nach innen gewendet, die Arme überm Mantel zuſammengelegt ſchien er faſt die Abſicht ſeines Be¬ ſuchs zu vergeſſen, ging auf und nieder, ſtieß mit dem Fuß an die brennenden Scheiter und ſah ins Feuer. Endlich wandte er ſich und ſagte: Erzählt mir von Euch, Bianchi!

Was wollt Ihr wiſſen?

Der Ton dieſer Frage, zweifelhaft, faſt argwöh¬ niſch, und doch ergeben und willfährig, berührte156 Theodors feines Ohr. Er ſchob einen Stuhl neben das Lager, faßte Bianchi's Hand und ſagte: Nichts will ich wiſſen, als wie Ihr Euch fühlt; und wenn Ihr zum Sprechen keine Laune habt, ſo ſagt mir's Eure Hand, die nur einen gelinden Reſt von Fieber verräth.

Er fühlte den Druck dieſer Hand, die ſich ihm darauf verlegen entzog.

Ihr werdet bald ſo weit ſein, daß wir auf Nie¬ wiederſehn von einander gehn können. Vorläufig findet Euch noch in meine Zudringlichkeit; denn Ihr müßt wiſſen, daß ich nicht geſonnen bin, einen Künſt¬ ler, wie Ihr ſeid, durch einen plumpen Burſchen umbringen zu laſſen.

Wie ich bin! und er lachte ſchmerzhaft. Wißt Ihr, wie ich bin? Wer weiß es? Ein Tagelöhner bin ich, der Muſcheln ſchnitzelt mit Weibergeduld für Weiber, daß ſich ſeine geſunden Arme ſchämen, wenn ſie einem Stück Marmor begegnen. Nun, es iſt viel¬ leicht geſtern dafür geſorgt worden, daß die armen Krüppel ſich nichts mehr vorzuwerfen haben.

Ihr redet wunderlich. Als ob nicht auf zwei Zollen Raum genug für den Geiſt wäre, der ſich zuweilen in zwei Worten ausſpricht.

Für den Geiſt vielleicht; aber ſchwerlich für die Form.

Ihr müßt das erfahren haben, ſagte Theodor. Aber ſeid Ihr gezwungen, zu thun, was Euch widerſtrebt?

157

Der Kranke warf einen ruhigen Blick auf die nackten vier Wände und ſagte: An ſo viel Luxus als Ihr da ſeht, bin ich gewöhnt. Ich habe freilich ſchon einmal dran gedacht, draußen auf dem Platz ein großes Stück anzufangen, am Brunnen Mittags meine Artiſchocken zu eſſen und Nachts zu Füßen meines Werks zu ſchlafen. Aber man iſt weichlich und ſcheut das Wetter, und feige und ſcheut das Gerede. Ueberdies kann ich den Wein nicht entbeh¬ ren, noch die Weiber.

Wenn Euch aber Gelegenheit würde, Euch mit aller Sorgloſigkeit an einen Marmor zu machen

Der Kranke richtete ſich ungeſtüm auf. Wißt Ihr was Ihr anrichtet mit Eurer leichtſinnigen Frage? rief er und ſeine Augen funkelten. Da ſeht in die Ecke! Dahin hab 'ich Alles über einander geworfen, was mir zuweilen mit ſolchen Fragen kam. Der Staub begräbt dieſe vorlauten Schreier nach und nach, und meine Augen wiſſen ſchon, daß ich's ihnen nicht ver¬ geben kann, wenn ſie da herumgehn. Und ich war Narr genug und laß mich wieder gelüſten, da es hieß, man ſolle Entwürfe einliefern zum Monument des verſtorbenen Papſtes. Ein paar Wochen ſeh' ich und ſinn 'ich nichts anders und bracht' es zu Stande mit allem Feuer und war ſelbſt zufrieden mit meiner Sache. Ich Narr, mir was einzubilden! Das war geſtern. Ich ſchlag 'es in ein Tuch und trag' es ſelbſt den158 weiten Weg zum Cardinal Staatsſecretair; denn meine Seele hing dran und ich ſorgte, ein Andrer möcht's zu Falle kommen laſſen. Nun muß ich erſt dem Schlin¬ gel von Bedienten gute Worte geben und meinen letzten Scudo, daß er mich nur vorläßt. Drinnen war es dann ſchwarz und roth und violett von geiſt¬ lichen Strümpfen, und ſie beſehn mich von oben bis unten, weil ich ſo im einfachen Rock aus der Werk¬ ſtatt weggerannt war. Ich denke: Laß ſie gaffen! mache mir einen Muth und trete mit meinem Com¬ pliment und Werk vor die Eminenz. Ich ſah gleich, daß er ungnädig war und ſeine Nächſten ſchon die Mißlaune gekoſtet hatten. Nun erklär 'ich kurz, um was ich gekommen und bitte, meine Skizze zeigen zu dürfen. Der Alte nickt, wie's ſeine Art iſt, wirft einen halben Blick auf die Figuren, die mir unter den Schranzen doppelt anſtändig ſchienen, und ſagt: Nicht übel; aber geht nicht, geht nicht! fehlt die No¬ bleſſe, mein Sohn, und der Hinblick auf die heilige Kirche! Tragt es heim und ſchmelzt es um. Der Thon iſt ja noch naß! Ich ſtand wie in einem Tollhaus. Umſchmelzen, als ob meine feſten Gedan¬ ken Brei wären! Indem ich ſo keines Wortes mäch¬ tig bin, treten die Monſignori heran, ſetzen die ge¬ lehrte Brille auf und tadeln hinten und vorn, daß keines Nagels Breite ohne Schimpf beſteht, wie wenn der alte Wolf ein Schaf halb todt gebiſſen hat und159 läßt es danach ſeinen Jungen, daß ſie ihre Milch¬ zähne dran durchbeißen. Hätt' ich reden können und ſagen, was mir Alles während des Arbeitens durch den Kopf gegangen, vielleicht daß der Alte andre Augen gemacht hätte, denn es ſoll ein guter Verſtand in ihm ſein. Nur war er gerade um die Stunde grämlich aufgelegt und ließ Alles über mich ergehn. Es ward mir endlich des Schwatzens zu viel, dieſes Geſchwirrs von bunten Kinderbolzen, von denen kei¬ ner die Sache traf und jeder den Mann; denn es prickelte mich wie lauter Nadeln. Ein Andrer hätte ſich lächelnd geſchüttelt und vielleicht das Feld be¬ hauptet. Ich aber woher ſoll ich's haben? Mein Vater machte nicht viel Redens über ſeine Cameen, und wie er todt war, war's in Rom nicht lauter und nicht ſtiller. Und ich bin immer den Gelehrten aus dem Wege gegangen. So macht 'ich mich auch dies¬ mal von ihnen fort und verſchwor's, je wieder mit ihnen anzubinden. Wie ich nach der Ripetta hin¬ unterkam, grimmte mich's und ich warf meine Skizze in den Tiber. Der mag ſie umſchmelzen, ſagt' ich und war erleichtert in mir, daß mich's trieb, ſpazieren zu gehn in die Campagne. Da habt Ihr mich ge¬ funden.

Ihr ſollt den Gelehrten nicht entgehn, ſagte Theo¬ dor nach einer Pauſe ſcherzend, um den Andern, der in ein Brüten verſank, wieder auf die Gegenwart160 zurückzulenken. Ihr hattet ein ſichres Gefühl, als Ihr Euch gegen meine Nähe ſträubtet. Denn ich bin hier in Rom, um in Pergamenten zu kramen und verſchollene Dinge auszugraben, denen Wenige nach¬ fragen, Geſchichten der alten Städte Italiens, Staats¬ verhandlungen und Rechtsurkunden. Und ſo ſind wir doppelt geſchiedne Leute.

Ihr mögt ſein und thun was Ihr wollt, ſagte Bianchi lebhaft und halb für ſich. Ihr ſeid gut und ſchön und ein Deutſcher.

Ihr kennt die deutſche Gelehrſamkeit nicht. Sie iſt entſetzlicher, als die römiſche. Mir ſelber graut gelegentlich davor. Schwache Seelen kann ſie ſo furchtbar anblicken, daß ſie davon verſteinern, wie jene armen Schelme, die der Meduſe ins Geſicht ſahen.

Der Meduſe?

Ihr müßt ſie ja beſſer kennen als ich. Habt Ihr ſie nicht auch dort in den Winkel geworfen, und viel¬ fach angefangen und halb vollendet in Muſchel ge¬ ſchnitten auf dem Tiſche liegen?

Ich weiß nicht viel davon. Schon als Knabe gab mir mein Vater eine Paſte, danach ich arbeitete. Ich liebte den Kopf, weil ich wenig Freude hatte und mich der finſtre Tod in dem ſchönen Weibe lockte. Hernach ſah ich das Rundbild in Villa Ludoviſi und hatte nicht Ruhe, bis ich's zu Haus ſo gut ich's161 behalten, nachgeformt hatte. Es iſt menſchlicher und heftiger dort, als bei den Griechen, wo's zur Larve geworden iſt. Ich habe nie danach gefragt, was ſie davon fabeln, und leſen widerſteht mir.

Wenn es Euch recht iſt, leſ 'ich Euch die Ge¬ ſchichte vor, wie ſie ein alter Poet erzählt hat.

Thut's, und bald, und wann kommt Ihr wie¬ der? fragte er, als Theodor aufſtand.

Heute Nacht, ſagte der junge Mann. Aber nicht um vorzuleſen. Denn Ihr ſeid noch nicht aus der Cur. Ich will nichts hören; ich weiß was Ihr ſagen wollt. Aber ein Kranker hat keinen Willen.

Als er auf die Nacht wiederkam, fand er Wein auf dem Tiſch und einen bequemen gepolſterten Seſſel am Kamin. Bianchi ſchlief, und der Burſch flüſterte ihm zu, daß er den Wein aus der Oſterie holen und den Seſſel von einer Nachbarin habe entlehnen müſſen. Erſt als Beides angeſchafft, habe ſich der Herr be¬ ruhigt und ſei entſchlafen.

Am folgenden Abend las Theodor aus einem ita¬ liäniſchen Ovid, wie er verſprochen hatte. Er ſah zuweilen übers Buch weg nach Bianchi, deſſen Augen ſtill an der Decke hingen. Kein Wort gab er von ſich. Die ruhige Stimme Theodors ſchien ihn zu be¬ zaubern, die Märchen, die er hörte, ihn im Innerſten11162aufzuregen. So las der Andere immer fort. Als er dann aufſtand, ſeufzte Bianchi und rief: Ihr geht? Ihr wißt nicht, wie ich genoſſen habe. Dieſe Ge¬ ſchichten waren mir wie verſtümmelte alte Steinfigu¬ ren, die Glieder verzettelt, der Kopf weit vom Rumpfe und alle Umriſſe verwittert oder zerſtört. Während ihr laſet, fügte ſich's von ſelber zuſammen und ſteht nun ganz vor mir. Hätt 'ich meine heilen Glieder! Es zuckt mir in den Fingern, ein Stück Thon zu kneten. Aber das ſoll nicht ſein, und Ihr geht Ihr lächelt? Ich rathe, wohin Ihr geht. Genießt denn Eure Jugend. Aber ich bedenke nun erſt, um was für Nächte ich Euch gebracht habe!

Sie waren einſamer als hier, und wohin ich gehe, rathet Ihr nur halb, Bianchi. Ich mache zwei alten Leuten den Hof und nur dann und wann ſtreift die weiche Hand ihrer ſchönen Tochter heimlich meinen Arm. All mein Genuß iſt Schauen und Hoffen.

Und Ihr könnt das ſo gelaſſen eingeſtehn und knirſcht nicht vor Ungeduld und Verlangen? Ich hatt 'einmal ſo eine fruchtloſe Verliebtheit. Wie ein Wurm wand ich mich am Boden und verfluchte meine Au¬ gen, die mir den Poſſen geſpielt hatten.

Ich ſegne ſie, und wenn ich ähnliche Tollheiten in meinem Blut ſpüre, lüfte ich meine dumpfen Sinne im Freien, das Forum auf und ab, oder zu den Kapuzinern hinauf, wo nun Schnee um den Stamm163 der Palme liegt. Sie muß den Winter auch über¬ ſtehen, ſo gern ihr ſommerlich zu Muth wäre.

Könnt Ihr's läugnen, daß es Euch dennoch mehr plagt und verzehrt, als der ganze Bettel werth iſt? Es macht uns müßig und weibiſch und das iſt das Schlimmſte. Wenn wir nicht die Narren wären, uns ins Unmögliche zu vergaffen Alles wäre gut, Eine ſo gut wie die Andere, wenn ſie hübſch iſt und zu haben.

Ich denke nicht. Ich brauch 'eine Andere als jeder Andere, wenn ich ihr nicht um jeder Andern willen davon laufen ſoll.

Wer ſpricht auch davon?

Ich denke wir Beide.

Ich nicht, erwiederte Bianchi. Ich konnte mir nicht einfallen laſſen, daß Ihr Euch ſo ſchlecht auf Eu¬ ern Vortheil verſteht, mit dieſem Geſicht und dieſen Jahren.

Darauf ſchwieg er verſtimmt. Laſſen wir das ſein wie es ſein will, ſagte Theodor heiter, und Je¬ der ſorge für ſich und freue ſich, wenn der Andere auf ſeine Weiſe ſich ein gutes Leben ſchafft.

Sie ſprachen in Zukunft nicht wieder über dieſen Punkt; Bianchi ſchien ihn durchaus vergeſſen zu ha¬ ben, Theodor rührte ihn nicht an. Die alte Herbig¬ keit und Wildheit des Kranken kam ihm wieder, je mehr die Wunden heilten, und jene einzelnen Spu¬11 *164ren von Weichheit, die er ſeinem Freunde gezeigt, vergingen für immer. Er vermied es, ihm die Hand zu reichen, er ſprach nie von ſich ſelbſt und ſeinen Stimmungen, fragte nie nach Theodors Thun und Treiben und ſeinem früheren Leben und nannte ihn kaum einmal bei Namen. Doch wehrte er nichts von Theodors Seite ab, nicht ſein häufiges Kommen, nicht die kleinen Erfriſchungen, die er ihm brachte. Nur einmal, als er in einem Körbchen Früchte ſah unter den erſten Veilchen, mit jener Aufmerkſamkeit geord¬ net, wie ſie nur eine Frauenhand ſolchen Dingen zu¬ wendet, ſtellte er das Geſchenk kalt und ohne ein Wort zu ſagen auf den Sims des Kamins neben jene unſaubern Figürchen. Theodor ſchwieg; aber als er ging, nahm er den Korb zu ſich, wie er ihn ge¬ bracht hatte.

Uebrigens fuhr er fort, ihm vorzuleſen, Dichter der Alten, Stücke aus Dante und Taſſo, endlich auch aus Macchiavelli. Es fiel ihm auf, als ſie auf po¬ litiſche Dinge zu reden kamen, daß Bianchi ſich mit Heftigkeit zu tyranniſchen Grundſätzen bekannte, wie Alle thun, die an ſich wenig Freude haben und die Menſchen verachten. Sie ſtritten dann leidenſchaft¬ lich und unfruchtbar. Um ſo näher begegneten ſich ihre Meinungen und Gefühle, ſobald es ſich um künſt¬ leriſche Dinge handelte. Bianchi konnte nun ſchon wieder am Stock ſich bis zum Tiſche ſchleppen und165 ſeine Arbeiten wieder aufnehmen. Während er dort ſaß und ſeine Köpfe ſchnitt oder eigne kleine Com¬ poſitionen in Wachs bildete, um ſie nachher zu ſchnei¬ den, las ihm Theodor aus dem Homer. Die Göt¬ ter, deren Bilder, im weiten Rom verſtreut, ihm ſo lange nur ſchöne Leiber geweſen, von verworrnen Begriffen dürftig belebt, wachten nun klar in ihm auf. Es war, als faſſe er jetzt erſt die Welt, in der er im Traum herumgegangen, offen ins Auge. Und nun wuchs die Begier, wieder hinauszugehen und das Alles leibhaftig aufzuſuchen, was er ſich in der Phan¬ taſie neu und zum erſten Mal angeeignet hatte.

Die Mandeln blühten röthlich in den Gärten am Monte Pincio, als er zuerſt wieder an der Brüſtung ſtand und über das weite Rom zu den Höhen hin¬ überſah. Unten lag die Stadt laut und ſonnig, der Strom blinkte herauf, von der Engelsburg flatterten die großen Wimpel der Standarten im Winde, der weich vom Meer herüberkam, und über der Runde ſpannte ſich das zarte feine Blau des römiſchen März¬ himmels. Bianchi ſtützte ſich auf den Stock und ſah finſter unter den Augenbrauen hervor, wie er that, wenn er ſich gegen ſein eignes Herz wehrte. Auch Theodor ſtand in tiefen Gedanken. Endlich wandte er den Blick von der Ferne ab, ſah Bianchi ernſthaft an und ſagte: Ihr ſeid wieder geneſen; noch wenige Tage, ſo werdet Ihr da unten in der Ripetta in Euer166 neues Studio ziehen, und ich denke, wir bleiben wohl noch ein Stück Zeit zuſammen, wenn ich auch meine Arbeiten nachdrücklicher weiterführen und die Freude, mit Euch zu ſein, beſchränken muß. Es fügt ſich nun, daß mir ein Vorwand kommt, Euch öfter auf¬ zuſuchen, als ſonſt vielleicht erlaubt wäre; wenn Ihr anders darauf eingehen wollt, das neue Studio mit einem Werk einzuweihen, an dem mir ſelbſt viel ge¬ legen iſt. Die Sache iſt die. Eine Familie, der ich befreundet bin, hat ſich hier niedergelaſſen, vielleicht auf immer. Der Mann, ein Deutſcher, lebte früher in England, heirathete eine Engländerin und ſie brachte ihm zwei Kinder, einen Sohn und eine Toch¬ ter. Der Sohn, der an der Schwindſucht litt, ſollte hier das Letzte zu ſeiner Rettung verſuchen, und ſo ſiedelte die Familie über. Ich habe den jungen Men¬ ſchen geliebt, wie Alle, die ihn kannten, und kann es noch nicht verwinden, daß ich ſo viel Reiz und Adel drüben bei der Ceſtius-Pyramide in die Erde ver¬ ſenken ſah. Das war im vorigen Winter. Nun wol¬ len die Eltern ihm einen Stein am Hügel aufrichten mit einem Bildwerk, das ſein Weſen bezeichnet und ſein Andenken ehrt. Ich wüßte Keinen, dem ich dies Werk lieber anvertraute, als Euch.

Ihr könnt auf mich rechnen, Teodoro, ſagte der Bildhauer. Ich will ſehn was ich kann.

Wollt Ihr nicht die Eltern kennen lernen und167 ihnen abhören, in welchem Sinne ſie das Denkmal ausgeführt wünſchen?

Der Andere ſchwieg eine Weile. Nein, ſagte er dann ruhig, ich mag keine Bekanntſchaften und keine Thränen. Ihr habt ihn lieb gehabt, das iſt genug; ich mach 'es für Euch. Ihr dürft mir das nicht verdenken, fuhr er nach einer Pauſe fort; ich tauge da nicht hin. Wer mich haben will, muß mich über¬ fallen wie den Bären in der Grube; wo ich nicht entrinnen kann, ſetz' ich mich faſt manierlich auf die Hinterfüße und brumme mein Wort mit drein. Aber auch das verhütet noch. Laßt mich machen. Ich will nichts ſagen und zeigen, bis der Entwurf ſo weit gediehen iſt, daß auch Laien einen Eindruck haben. Hernach mögen ſie kommen.

Sie ſprachen von andern Dingen; Bianchi wurde immer heller und faſt übermüthig, während auf Theo¬ dors Geſicht ein Schatten lag. So blieben ſie den Tag zuſammen, und es war Beiden wie Abſchied zu Muth; denn zum erſten Mal umgab ſie der offne gemeinſame Tag, Lärm der Wagen und Gewühl la¬ chender Spaziergänger. Bianchi nahm Theodors Arm nicht an. Langſam ging er neben ihm, Frauen und Mädchen muſternd, deren Viele ihn zu kennen ſchienen, und hie und da einem Bekannten zunickend, ohne zum Anreden einzuladen. War er vorüber, ſo blieben die Leute ſtehn, flüſterten, zeigten nach ihm,168 und ſahen ihm mit einer Miene, in der ſich Mitleid, Reſpect und eine Art von Grauen miſchten, eine Strecke weit nach. Er ſelbſt ſchien das nicht zu ge¬ wahren; er ſah nur voraus, oft über die Menſchen fort nach den Villen vorm Thor und der Campagne dahinter, und ſeine Augen blitzten. Woran denkt Ihr? fragte Theodor. Ich denke, wie meine Mäuſe das Schickſal überſtehen werden, daß ihnen der Palazzo überm Kopf abgetragen wird und über kurz der Him¬ mel in ihre Heimlichkeiten und Schlupflöcher eindringt. Ich weiß, ſie haben Familie bekommen. Arme Tröpfe! das lebt ſo lange unter Einem Dach mit einem, ohne einem was abzulernen. Wie mir zu Muth iſt, daß ich arm und frei und allein bin und meinen Umzug auf einem Karren zu Stande bringen kann! Er ſtreckte ſeine Arme aus und wiegte ſie ſo in der Höhe, als biete er ſie jeder Laſt, die ihrer warte. Er ſah jünger und friſcher aus als je.

Am Abend bat er Theodor, ihn in eine Schenke zu begleiten, in der er vor ſeiner Verwundung manche Nacht zugebracht habe. Ihr ſollt erführen, was gute römiſche Geſellſchaft iſt und ein Reſt beſſerer Ge¬ ſchlechter, ſagte er. Sie ſind ein wenig mißtrauiſch gegen fremde Elemente, die ſo hineinſchneien, ohne zu wiſſen was ſie wollen, oder gar, die's nur zu gut wiſſen. Das ſoll ja in vornehmen Häuſern nicht viel beſſer ſein. Laßt ſie treiben was ſie wollen und169 trinkt Euern Wein, ohne viel Weſens zu machen. Mir geht Manches hin, auch wenn ich einen Deut¬ ſchen mitbringe, denn ſie halten was auf mich.

Er führte ihn einige Gaſſen weit vom Tritonen nach der prächtigen Waſſerkunſt des Bernini, der Fontona di Trevi, hinunter. Gegenüber der hohen Grotten - und Niſchenfaçade, in deren Mitte der Waſſergott über den künſtlichen Felſen ſteht und die Bäche beherrſcht, die von allen Seiten in die tiefe Schale vorbrechen, ſtand ein niedriges altes Haus, über der Thür eine trübe Laterne. Sie traten in den geräumigen Flur ein, der die ganze Breite des Hauſes einnahm und zum Schenkzimmer hergerichtet war. Hinten ſchlug das Herdfeuer vor der geſchwärz¬ ten Wand auf und zur Rechten führte eine Treppe nach dem obern Geſchoß. An Geräth war nichts zu ſehn als Bänke und Tiſche, deren ſich eine bunte ſchweigſame Geſellſchaft bemächtigt hatte. Ein Burſch trug die Schüſſeln mit geröſteten Fiſchen, Salat und Maccaroni auf und verſchwand von Zeit zu Zeit durch eine Fallthür, aus der er mit friſch gefüllten Flaſchen wieder auftauchte.

Ein freudiger Ausruf ſchallte aus der Tiefe der Halle herüber, als die Beiden eintraten. Eccolo! rief eine ſtattliche Frau und drängte ſich durch bis zur Thür, die Hände an der Schürze trocknend, eccolo! Tauſendmal willkommen, Sor Carlo! und ſie reichte170 ihm herzlich die Hand. Ein Mezzo vom Frascati, Checo, vom neuen, der geſtern angekommen. Sieh, ſieh, Sor Carlo! Von wem, glaubt Ihr, daß ich eben mit meinem Domenico geſprochen habe, eben in dieſem Augenblick, und ſagte ihm: Domenicuccio, ſagt 'ich, du biſt ein Bärenhäuter und Taugenichts, daß du nicht einmal nachfragſt, wie es unſerm Sor Carlo geht. Denn ich, wie du weißt, habe alle Hände voll und Kinder, Gäſte und dich ſelber zu bedienen, du Tölpel. Aber es dünkt mich tauſend Jahr, bis ich ihn wiederſehe der brave Junge, der er iſt. Lalla mia, ſagt' er, morgen will ich hinauf, und, ſagt 'er, wenn du willſt, Lalla, eine Kleinigkeit von dem neuen Wein würd' er nicht verſchmähen, ſo ein Bariletto, ſagt 'er. Ich aber: Nun, ſag' ich, Cuccio, das iſt noch der geſcheiteſte Einfall, den du die zehn Jahre, daß wir verheirathet ſind, gehabt haſt, und eben tritt der Girolamo, der Carretiere, dazu, und ſagt, daß er Euch heut auf dem Pincio geſehn, und ich ſage noch: Gelobt ſei Gott! ſo dauert's nicht lang und wir ſehn ihn auch! Da macht Ihr die Thür auf und ſteht vor mir, und wahrhaftig, es hat Euch gut gethan, Ihr ſeid ſchöner geworden, Sor Carlo; ich wollt's dem Girolamo nicht glauben, aber die Ma¬ donna hat ein Wunder gethan, ich habe nicht um¬ ſonſt meine Roſenkränze für Euch gebetet.

Alſo Euch hab 'ich's zu danken, Sora Lalla, daß171 mich die Tollwuth verſchont hat und Alles nur auf ein bischen Lahmheit hinausgelaufen iſt. Ihr habt die bravſte Frau in Rom, Domenico, eine Heilige, einen wahren Schatz von Gnaden-Gaben! Ja, da bin ich wieder! und er ſchüttelte dem Wirth, einem etwas ſchwerfälligen zuthulichen Burſchen kräftig die Hand. Und hier der Herr, daß Ihr's wißt, iſt mein Freund, der mich den Beſtien aus dem Rachen ge¬ holt hat. Aber hola! da drüben ſitzt mein edler Gigi und ißt und trinkt und kann ſeine Kehle nicht ein¬ mal zu einem guten Abend abmüßigen. Schämt Euch, Gigi; alte Freunde, und eine ſo kalte Manier ſich wiederzuſehn, wenn einer wie San Lazzaro auf¬ erſtanden iſt von den Todten!

Er hat mehr als Alle nach Euch gefragt, Sor Carlo, flüſterte die Wirthin, und konnt 'eine Woche lang nicht ein Glas' runterbringen, wenn auf Euch die Rede kam. Er ſcheute ſich nur, Euch zu beſuchen.

Der, von dem die gute Frau ſprach, ſaß an einem der mittleren Tiſche, feſt gegen die Wand gelehnt, und ſchob große Biſſen in den Mund. Er war wohl¬ beleibt, der kahle Kopf mit einem Käppchen bedeckt, ſein ſchwarzer Rock bis an den Hals zugeknöpft, ſein Benehmen von einer gewiſſen Feierlichkeit, die ihn unter den Andern auszeichnete, ohne daß er ſich überhob.

Bianchi trat zu ihm und grüßte über den Tiſch172 mit Händewinken. Theurer Sor Gigi, ſagte er, laßt Euch nicht ſtören! wir kennen einander. Er ſah nun erſt, daß die Augen des würdigen Mannes feucht ſchimmerten und daß er nur im Eſſen fortfuhr, um ſeine verlegene Freude nicht offenbar zu machen. Er iſt ein Sänger, raunte Bianchi ſeinem Begleiter zu, der ſich zu den Kirchen hält und bei Feſten mitſingt. Sie haben ihn ſcheeren wollen, weil er Bildung hat und was vorſtellt; aber er hat ihnen die Feige ge¬ boten. Das ſind Alles freie Leute, ſo viel hier ſitzen. Kommt, mein Freund Gigi macht uns Platz neben ſich.

Indeſſen kam der Burſch, fegte mit einem nicht ſehr ſaubern Tuche die Tiſchplatte und ſtellte die große offne Flaſche vor die Beiden. Theodor nahm Platz, während Bianchi noch hie und da Hände zu drücken und neugierigen Fragen zu antworten hatte. Eine qualmende Meſſinglampe leuchtete mit ihren drei rothen Flämmchen über den Tiſch. Der junge Mann brauchte einige Zeit, ſich an den Dunſt und Tabacksdampf, durch den der Geruch des ſiedenden Oels hinzog, zu gewöhnen. Bald aber vergaß er Alles über dem Anblick eines auffallenden Paars, das ihm gegenüber am Tiſch ſaß. Es war ein junges Mädchen in der Tracht derer von Albano; die rothe Jacke umſchloß knapp den eben erſt gereiften Buſen, darüber war das Spitzentuch gefaltet und große ſil¬ berne Nadeln hielten über den Flechten das flache173 weiße Tuch feſt, das die Form des Kopfes nicht ver¬ barg. Das Geſicht ſtand im erſten Flor der Jugend, Schönheit und Geſundheit, drei Tugenden, die in jenen Gegenden gern zuſammenhalten; nur war der Ausdruck des Mundes von einer ſcheuen Weichheit und Hingebung, faſt willenlos und ſchmerzlich, und die großen Augenlieder bedeckten die Augen ganz, daß nur ein ſchmaler funkelnder ſchwarzer Streif verrieth, daß ſie wache.

Sie von dem Teller vor ihr, langſam und theilnahmlos, und trank ein wenig vom Wein, und ihre braune Wange glühte immer in gleichem Feuer fort. Neben ihr ſaß eine Alte in römiſcher Tracht, lebhaft um ſich blickend, aber ſchweigſam und ganz mit ihrem Wein und Eſſen beſchäftigt, das ſie gierig genoß. Sie hatten nicht das Geringſte mit einander gemein und ſchienen doch zu einander zu gehören.

Als Bianchi endlich dazu kam, ſich auf ſeinen Platz zu ſetzen und eben das erſte Glas geleert hatte, fuhr er mit einem faſt komiſchen Erſtaunen zurück und rief: Madonna ſanta! welch eine Schönheit! Wie kommt Ihr zu ſolch einer Nachbarin, Sor Gigi! Eine Nichte von Euch? Oder gar ein vergeſſenes Kind, das Euch eines ſchönen Tags vor die Augen gekommen? Geſegnet ſei ihre Mutter!

Chè, chè! ſagte der Sänger ernſthaft. Ich wollte, Ihr hättet Recht. Fragt ſie ſelbſt, woher ſie kommt. Mir hat das Zuckermündchen nicht Rede ſtehn wollen.

174

Bianchi warf einen ſcharfen Blick auf die Alte und brummte vor ſich hin: So! ſo! Ich denke, wir kennen uns. Die Alte ward es inne und indem ſie den Reſt ihrer Flaſche in ihr Glas goß, ſagte ſie: Ein blödes Ding, meine Herren, ein armes blödes Waiſenkind, war bei ſchlechten Leuten drüben im Ge¬ birg, als ich ſie dort fand, und mich dauerte der jungen Creatur. Wie leicht wird eins verdorben, wenn es in unrechte Hände kommt! Ich nahm es denn mit nach Rom, um Jeſu Barmherzigkeit willen, und halt 'es hier, ſo gut's eine arme Alte kann, in allen Ehren und Tugenden, das arme Ding! Schlag die Augen auf, Caterina, wenn die Herren mit dir reden wollen.

Das Mädchen gehorchte und ließ ihre großen ſtillen Augen einen Moment auf Bianchi ruhen, um ſie ſogleich wieder zu ſenken. Der Künſtler hob ſich halb empor auf ſeinem Sitz und bog ſich zu ihr hinüber.

Du heißt Caterina? ſagte er.

Ja, Herr! erwiederte ſie mit einer tiefen aber wei¬ chen Stimme.

Wie alt biſt du?

Achtzehn Jahr.

Du wirſt einen Liebſten in Albano zurückgelaſſen haben, oder mehr als Einen.

Sie ſchüttelte den Kopf. Was Ihr redet! fiel die175 Alte haſtig ein, eine Jungfer iſt's, ſag 'ich Euch, und ſie nickte bekräftigend, ja, ja, ein Ding ſo unſchuldig wie Chriſti Blut. Hätt' ich mich ſonſt ihrer ange¬ nommen?

Nun, nun! wenn ich's glaube, glaub 'ich's ihrem Geſicht und nicht Eurem, Mutter. Kann ſie tanzen? Der Herr hier iſt ein Fremder, und ich gönnt' es ihm, daß er einen braven Saltarello kennen lernte.

Theodor ſagte einige Worte, daß ihm ein Ge¬ fallen geſchehen würde. Die Alte winkte der Wirthin; Caterina ſtand ſtillſchweigend aus. Bald waren die nächſten Tiſche zurückgeſchoben, daß ein geringer Raum frei wurde, und Lalla brachte das Tamburin. Wäh¬ rend die Alte ſich in einem Winkel damit zurechtſetzte, die übrigen Gäſte der Schenke einer nach dem an¬ dern herankamen und der Burſch, der die Gäſte be¬ dient hatte, ſich zum Tanz anſchickte, flüſterte Bianchi dem Freund ins Ohr: Seht dieſe Geſtalt und die Feinheit der Hände und Füße, und wie ſie ſteht, ein vollkommnes Gewächs, wie ich keines ſah, tadellos bis zu den allerliebſten Ohren, und weiß noch nicht viel von ſich. Daß ich's dem Checo laſſen muß, mit ihr zu tanzen! ich verſtand es ſonſt wohl leidlich. Aber nun beſchwör 'ich Euch, thut Alles auf, was Auge an Euch iſt. Ein Wunder will ſich begeben.

Theodor bedürfte der Erinnerung nicht. Er lehnte gegen einen Tiſch und verwandte keinen Blick von176 Caterina. Bei den erſten heftigen Tönen des Tam¬ burin begann das Mädchen den Tanz. Lalla ſtand neben der Alten und klapperte und ſchnalzte mit den Caſtagnetten; Sor Luigi der Sänger ſaß unbeweglich hinter ſeinem Tiſch und begann ſchon nach den erſten Tacten eine Melodie zu ſummen. Bald ſang er das Lied und die Worte voll heraus. Die Worte, die Theodor nicht verſtand, die fieberhafte Unruhe der eintönigen Inſtrumente und mehr als Alles der hohe Zauber der Tänzerin verwirrten ihm allmählich die Gedanken, daß er drein ſah wie in eine fremde Welt. Das Bekannte, Eigne, Theuerſte trat in eine nichtige Dämmerung zurück, die es aller Farbe entkleidete. Menſchen, Gedanken, Wünſche und Hoffnungen wälz¬ ten ſich in dieſem Halbtraum nach dem Tact des dumpfen Tamburin durch ſeine Seele wie zu einer großen Muſterung: er verwarf ſie alle; es war ihm als hörte er in ſich rufen: Ihr ſeid werthlos und ſcheintodt. Hier iſt Leben und Seligkeit!

Mit dem Ende des Tanzes erwachte er und ſah verſtört um ſich. Er griff nach ſeinem Hut. Ihr wollt fort? ſchon? heute? fragte Bianchi betroffen. Ich ſehe, es gefällt Euch nicht unter dieſen meinen Freunden.

Ihr verkennt mich ganz und gar, erwiederte Theo¬ dor und ſah düſter vor ſich hin. Wie gern bliebe ich, wie gern! Aber ich habe ein Verſprechen gege¬177 ben, ich muß in eine Geſellſchaft; wir ſehn uns mor¬ gen, Bianchi!

Oh, murmelte Bianchi, ſchade, ſchade! Nun, Ihr werdet Euch unterhalten, Euch und die Andern. Schade, ſchade!

Er lächelte ſcharf und bitter, als Theodor den Rücken gewendet; doch ſchien es ihm nicht geradezu unlieb, daß er ging.

Draußen ſtand der junge Mann den Cascaden gegenüber und ſog den Hauch des Waſſers und das lebendige Rauſchen ſeines Sturzes in die verwirrten Sinne ein. Der Mond beſchien dem Waſſergott das Haupt und einen Theil der Bruſt. Unten blitzten nur Tropfen aus der Dunkelheit auf. Er ſtieg hin¬ unter und trank, als wollte er den Rauſch des Ge¬ müths von ſich thun, und ſaß dann eine Weile am Rande des Beckens. Die Sage fiel ihm ein, wer aus dieſer Quelle getrunken, ſei dem Heimweh nach Rom verfallen, da verlor er ſich in peinliches Sin¬ nen. Erſt als drüben aus der Oſterie das Tambu¬ rin von neuem klang, ſtieg er faſt erſchrocken aus der Tiefe auf. Mühſam zwang er ſich, der Thür wieder vorüberzugehn und eine der Seitenſtraßen einzuſchlagen. Als er von fern zuletzt noch einmal den gedämpften Ton hörte, ſtand er einen Augen¬ blick und kämpfte wieder. Dann ging er entſchloſſen tiefer in die Stadt hinunter nach Mariens Hauſe.

12178

Die Unterhaltung ſtockte, als er eintrat; ſeine Braut ſtand auf, ging ihm entgegen und gab ihm herzlich die Hand. Er ließ einen kurzen dringenden Blick auf dem edeln Geſicht ruhen, das unbefangen zu ihm aufſah, und näherte ſich dann der Mutter, die ihm freundlich einen Gruß entgegenrief und ſich vorneigte in dem ſeidnen Seſſel, ihm ebenfalls die Hand zu ſchütteln. Sie war, wie auch die Tochter, noch im¬ mer ſchwarz gekleidet, nur daß ſie ihr Haar unter einer grauen Florhaube trug, während ein ſchmales ſchwarzes Band über der Stirn die braunen Locken des Mädchens zuſammenhielt. Auch der Vater em¬ pfing ihn freundlich und ſtellte ihn einigen Herren vor, die um den lichterhellen Tiſch ſaßen. Es waren zwei engliſche Herren, Brüder, alte Freunde des Hau¬ ſes, die vor kurzem aus England gekommen waren. Den Fremden zu Liebe ſprach man engliſch.

Ihr ſeid ſpät gekommen, lieber Theodor, ſagte die Mutter. Ihr habt uns gefehlt, als wir unſern würdigen Freunden von den letzten Stunden unſeres Edward erzählten. Meine armen Augen thaten da¬ mals nur ſchwach ihren Dienſt, und der Vater und Mary waren krank, wie Ihr wißt. Wir verloren Alle mehr als Ihr, denn Ihr kanntet ihn kaum. So hattet Ihr am meiſten Faſſung, und könnt ergänzen, was uns wie ein ſchrecklich zerriſſener Traum, noch jetzt faſt unglaublich, in der Erinnerung ſteht.

179

Theodor war unfähig zu ſprechen; die Stille im Zimmer, die Stimmung der Erſchütterung in die er eintrat, fremde Geſichter und fremde Sprache be¬ klemmten ihn aufs höchſte. Und hier in dieſem Au¬ genblick, nachdem er kurz zuvor einem wonnevollen Leben ins Geſicht geſchaut, ſollte er Unbekannten vom Todbette des armen Edward erzählen. Ein Schauer überlief ihn und ſenkte ihn in jenen Zuſtand hell¬ ſeheriſcher Dumpfheit zurück, der ihn vorher in der Schenke überkommen. Sein Herz hob ſich wieder aus den feſten Schranken, in denen es ſich ſelbſt be¬ gnügt und gebunden hatte, und fühlte ſich über und außer ihnen. Es war nur ein frevelhafter Traum ohne Antheil des wachen Willens. Aber das Bild deſſelben trat auch im Wachen zwiſchen ihn und Alles, was er bisher am Herzen gehalten hatte, und das Band, das ihn daran knüpfte, ſchien ihm morſch, ſeit der Traum es zerriſſen hatte.

Die Geſellſchaft gab es ſeiner Trauer Schuld, daß ihm jede Antwort verſagte. Er hatte ſich neben Ma¬ rien geſetzt und ſah lange auf ihre feine blaſſe Stirn. Das ſtille Weiß beunruhigte ihn. Die blauen Augen, die ihm klar und glücklich und ernſthaft entgegen ſchie¬ nen, hatten heut keine Gewalt über ihn. Er empfand es deutlich als ſeine eigene Unfähigkeit, daß er ſich heut dieſer adligen Geſtalt nicht freuen konnte wie ſonſt, von dieſen reizenden Lippen nicht begierig jedes Wort12 *180verſchlang und jedes Lächeln ſich bis ins Herz drin¬ gen fühlte. Er kämpfte eine Weile gegen dieſe Kühl¬ heit an, die ihm ſehr wehe that. Es war umſonſt.

Sie ward es inne, daß er etwas zu bekämpfen hatte. Aber die Gegenwart der Andern wehrte ihr, mit vertraulicher Inbrunſt der Leidenſchaft das Herz feſtzuhalten, das ſich ihr entzog.

Der eine der Fremden fragte nach dem Denkmal, das dem Verſtorbenen beſtimmt ſei. Theodor er¬ mannte ſich und erzählte, daß er eben heut auf den Wunſch der Eltern die Arbeit einem Freunde über¬ tragen habe, von deſſen Weſen und Schickſalen er kurz die Umriſſe hinwarf. Mariens Eltern wußten mehr von ihm. Den Fremden aber ſchien das zer¬ ſtückte Bild nicht anzuſprechen.

Es wäre zu wünſchen, ſagte er, daß dieſer Mann einen Hauch von Edwards inniger Natur in ſich ſelber ſpürte, daß er die zarte Geſtalt unſeres Theuern und ſein kurzes geſegnetes Leben in ſich aufnehmen könnte, wie etwas Geliebtes. Er ſcheint, wie Ihr ihn ſchildert, ein heftiger ſtarrer Menſch, dem nichts verſchloſſner ſein muß, als dieſe Art unſers Edward, nur für die Seinen zu leben, den letzten Athemzug zu einem Glückwunſch für ſeine Geliebten zu machen.

Er iſt rauh und energiſch, erwiederte Theodor, aber das Schöne rührt ihn und das Edelſte nimmt er mit Scheu und Ehrfurcht auf. Ich ſah es, als181 ich ihm aus Homer vorlas, wie ihn die idylliſchen, ich möchte ſagen die weiblichen Stellen des Gedichts ergriffen.

Vielleicht, weil ſie ſeiner künſtleriſchen Stimmung fruchtbarer begegneten, als die wüſte Einförmigkeit von Kampf und Gefahr. Und dann iſt es doch ein Anderes, ein Gemüth haben, für gewiſſe gemeinſame, natürliche, heidniſche Rührungen empfänglich, und eines, das den Segnungen unſrer Religion geöffnet iſt. Edward war Chriſt; Euer Freund iſt höchſtens ein äußerlicher Katholik.

Ich läugne nicht, nahm die Mutter das Wort. ich habe mir auch ſchon darüber Gedanken gemacht. Ehe man dieſem Unbekannten ein Werk überträgt, das uns Allen am Herzen liegt, würde es wenigſtens wünſchenswerth ſein, eine Skizze zu ſehn, über die man reden und entſcheiden könnte.

Ich kenne ihn, theure Mutter, ſagte Theodor mit Nachdruck. Wäre es ſeine Art, den erſten Gedanken auf ein Blättchen zu werfen, ſo wäre es natürlich, über den Entwurf mit ihm zu verhandeln. Er liebt es aber, gleich in Thon und in einiger Größe zu ent¬ werfen, und hat ſich beſonders ausgebeten, diesmal eine Zeitlang arbeiten zu dürfen, ohne ſich mitzuthei¬ len. Daß es auf Eure Entſcheidung ankommt, weiß er.

Darauf ward eine Stille, in der die etwas leb¬ haft geſprochenen Worte des jungen Mannes em¬182 pfindlich nachtönten. Marie trat zum Flügel und begann die Verſtimmung mit Muſik zu beſprechen. Nur bei Theodor gelang es nicht. Das einfache Lied vermochte nichts über ihn, in deſſen Ohr der haſtig raſende Ton des Tamburin ſpukhaft wieder aufwachte und das wunderliche Lied des Sängers die gegenwär¬ tige Stimme überbrauſte. Er ſah Bianchi's ſichern Blick auf ſich gerichtet und hörte wieder die Worte: Ein Wunder will ſich begeben. Um ihn her war ihm Alles fremd, nüchtern und wunderlos.

Nachdem ſie geſungen, ſetzte ſich Marie wieder zu ihm; ſie ſprach deutſch mit ihm, ſie fragte nach ſeinem Tage, nach ſeinen Arbeiten, nach Bianchi. Er ſprach zerſtreut, und ſo auch halb in Zerſtreuung, als ſpräche er mit ſich ſelbſt, erzählte er von der Oſterie und dem Tanze des Mädchens. Als er dann zufällig auf¬ ſah, bemerkte er eine dunkle Spannung über den feinen Brauen. Das Geſpräch zwiſchen ihnen ſtockte. Der Vater fragte nach engliſchen Familien, über die die Gäſte bereitwillig Rede ſtanden. Sie waren Theo¬ dor fremd, und ſo war er von neuem ſeinen wüh¬ lenden Gedanken überantwortet. Er ging endlich. Die Fremden hatten eine Wohnung bei Mariens El¬ tern angenommen. So kam es ihm vor, als ob er auf einmal unſelig aus dieſem Kreiſe, der ihm ſonſt gehörte, verdrängt worden ſei, zwiefach, durch ſich und Andere.

183

Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬ hältniſſe und unentſchloſſene Wünſche widerwärtiger und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬ bungen, voller Zeugniſſe reiner Menſchenkraft und ſicheren Wollens, ſind nur ohne Neid und Schmerz zu ertragen, wenn man ſich auch im engſten Bereich des eigenen Wirkens ſeiner Geſundheit und Lauter¬ keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die halben und ſchiefen Stimmungen mit Gewalt von ſich zu ſtoßen, dem wachſen ſie wie eine Krankheit unglaublich ſchnell über den Kopf und verſchlingen ſeine ganze Ruhe. Denn an Beſchönigen und Be¬ trügen vor ſich ſelbſt ſoll er nicht denken, wo ihn jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬ merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederſchlägt und beſchämt.

Und doch können wir nichts von uns ablöſen, was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen Streit mit uns ſelbſt zu ſtürzen und mit unſerm Gewiſſen zu zerfallen, da wir früher nur mit unſern Meinungen und Wünſchen entzweit waren. Uns zu retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erſchüttert. In lichteren Stunden wiederholte er ſich die alte Weis¬ heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art zu ſein und zu leben, die ihm oft als die menſchlichſte, nothwendigſte und reinſte erſchien, kam ihm dann184 faſt niedrig vor. Er ſchämte ſich, daß er ihn hatte beneiden können. Ein zarter Glanz breitete ſich wie¬ der um die lieben Geſtalten ſeiner nächſten Angehö¬ rigen. Er ſprang dann auf und ſtürzte mit über¬ vollem Herzen zu ihnen. Fand er aber dort Die er ſuchte in der ruhigen würdevollen Umgebung, die ihn verhinderte, ſein Inneres auszuſchütten, mußte er ſeine leidenſchaftliche Hingebung zu einem gleichmü¬ thigen Geſpräch über fremde Dinge herabſtimmen und fand kaum Gelegenheit, ſeine Geliebte beim Weg¬ gehn flüchtig an ſich zu preſſen: ſo gerieth er in der Einſamkeit von neuem außer ſich und brach in ſtür¬ miſche Anklagen der Lauheit, des Zwanges und der Unnatur aus. Dann konnte er ſtundenlang am Ufer der Tiber vor Bianchi's Thür auf und ab gehn, hin¬ überſtarren, wo ſich Sanct Peter mächtig über die breite Maſſe des Vatican erhob, den Fluß verfolgen, der unter Gebüſch weit in die Landſchaft hinaus lief, und dann zu der Thür ſeines Freundes flüchten, ohne den Klopfer zu rühren. Trat er wirklich ein, ſo ließ freilich die zielloſe Qual von ihm. Aber die gereizte Fröhlichkeit, die ihn dann ergriff, die Begeiſterung, die aus ihm ſprühte, wenn er in der Werkſtatt auf und ab ging und von Dingen der Kunſt redete, waren weit von Geſundheit entfernt.

Bianchi entging der ſeltſam gährende Zuſtand ſei¬ nes Freundes nicht. Aber er vermied es, den Grund185 aus ihm herauszulocken, wie er überhaupt Geſprächen über perſönliche Verhältniſſe und innere Erlebniſſe auswich. Gerade dies unruhige Gebahren feſſelte ihn täglich mehr an Theodor. Er ſelbſt war ſeit der Krankheit zahmer und freudiger in allem Thun und Reden. Wenn er Theodors Klopfen vernahm, deckte er ein Tuch über ſeinen großen Entwurf und öffnete haſtig. Er war noch immer ſparſam mit den gering¬ ſten Liebesbezeigungen. Aber ſein Geſicht konnte nicht verläugnen, daß die Gegenwart ſeines Freundes ihm mehr als Alles war. Er ſaß dann bei ſeinen Mu¬ ſcheln am offnen Fenſter, das Geſicht kaum einmal zu Theodor gekehrt, und arbeitete rüſtig, während ſie ſprachen oder ein Buch Beide erquickte. Er hatte durch Theodors Vermittlung Käufer für ſeine Arbei¬ ten gefunden, die ihm das Doppelte zahlten was der Händler bisher gegeben; doch war ſeine neue Woh¬ nung in nichts reicher ausgeſtattet, als die frühere. Freilich vergoldete die Sonne die nackte Wand, an der das Rundbild der Meduſe hing und vor dem Fenſter lag die entzückende Ferne.

Eines Abends, im heißen Mai, als es draußen am Tiberufer einſam war und die Mücken überm Ge¬ ſträuch ungeſtört ſpielten, klang der Klopfer an Bian¬ chi's Thür raſcher und lauter als ſonſt. Er ſtand von der Arbeit auf, vor der er ſinnend geſeſſen hatte, und deckte nicht wie ſonſt das Tuch darüber. Er186 mag's heute ſehen, ſagte er für ſich, wenn er's wirk¬ lich iſt, der ſo unbändig lärmt. Damit ging er zu öffnen.

Der junge Mann trat ungeſtüm ein, ſein Geſicht war lebhaft geröthet, ſeine Augen ſtrahlten. Bianchi, rief er, Bianchi, ich komme von ihr, ich habe ſie geſehen, geſprochen, das Wunder iſt mir wieder bis ins Mark gedrungen. Und Ihr, Lieber, Böſer, ſagtet Ihr nicht damals, ſie ſei fort, ins Gebirge zurück, der Alten entflohen und wie das Märchen weiter lau¬ tete! Oder ward es Euch wirklich erzählt? Denn ſie iſt hier, keinen Fußbreit aus Rom hinausgekommen die zwei Monate lang. Redet, Bianchi; was ſagt Ihr? Preiſet mein Schickſal, das mich ihr an die Seite führte, wodurch ich noch wie von Sinnen bin!

Er ſtürmte das Gemach hin und her, ohne um¬ zublicken. Er ſah nicht, daß Bianchi todtenblaß in der Thür ſtehn geblieben war und ſeinen Irrgängen mit durchdringendem Blick folgte. Caterina? brach es endlich von ſeinen Lippen.

Caterina! rief Theodor; ſie ſelbſt, ſie ſelbſt, ſchön und ſtill und Himmel und Hölle in den Augen, wie an jenem erſten unvergeßlichen Abend, nur nicht jene bitterliche Schwermuth um die Lippen, und in rö¬ miſchen Kleidern. Denkt, wie es kam. Ich ſitze zu Haus in der Schwüle unluſtig über den Büchern und es treibt mich endlich hinaus. Einige Gaſſen187 weit, ſo gerath 'ich in einen Schwall geputzter Men¬ ſchen, die es eilig haben und frage einen: wohin? Auf Monte Pincio, heißt es, das Wettrennen und die Wagen zu ſehn. Ich hatte keinen eignen Weg und laſſe mich treiben und gelange gedankenlos mit auf die Höhe. Ihr habt die Gerüſte geſehn, die ſie geſtern noch zimmerten. Heut die weiten Schranken Kopf an Kopf gefüllt, daß ich Mühe hatte, einen Platz zu finden, und unbequem genug, wie ich im er¬ ſten Moment dachte, denn die Sonne ſtand mir ge¬ genüber, daß mir's, über die Bahn blickend, vor den Augen flimmerte. Wie ich nun bedenke, ob ich gehen oder wie mich ſchützen ſoll, und ſtehe noch an meinem Platz, ſeh' ich nach unten und entdecke einen ſeidenen Sonnenſchirm und ein bezauberndes Stück Hinter¬ haupt und Nacken darunter. Im Nu ſaß ich, und unter den Schirm mich bückend frag 'ich meine Nach¬ barin, die ſich abgewendet hatte, ob ich die Wohlthat ihres Schirmes mitgenießen darf. Sie wendet ſich, und es war als zuckte mir der Blitz mitten durchs Herz, da ich ſie erkannte. Sie ſchien mich auch wie¬ derzukennen und blieb mir die Antwort ſchuldig. In¬ deß kam nun auch die Alte neben ihr zum Vorſchein, war geſprächig und höflich und befahl Caterinen, den Schatten mit mir zu theilen. Bianchi, wie ſie das that, den Schirm in der kleinen Hand regierend, halb verlegen, halb zutraulich, und dann auf meine zudring¬188 lichen Fragen beſcheiden und klar antwortete mit jener ſüßen dunkeln Stimme es iſt über alle Worte! Ich ſaß hingeriſſen, blind für Alles umher, unter dem kleinen Dach wie mit ihr allein, und baute es zu einem Haus für uns um, in dem ich Stunden, Tage und Jahre an mir vorbeirinnen hörte ſo gleichgültig, als gehörte ich ſchon der Ewigkeit an. Wie hätt' ich Augen für die Spiele gehabt! Aber ich folgte dem Eindruck, den die wilde Jagd auf Caterinen machte, wie ihr die Freude hoch aufſchlug, wenn eine kühne Wendung geſchah oder ein Wagen den andern weit voraus ſauſend um die Ecke bog, wie ſie frohlockte, wenn eins der ſchönen Thiere rauchend und ſchäu¬ mend vom Siege im Triumph nahe vorübergeführt wurde. Heilige Natur! rief ich in mir aus, wie lachſt du unverfälſcht und unverbildet aus dieſen Augen! Wie muß der mit Leib und Seele dir wieder zuge¬ wendet werden, den dieſe Augen anlachen! Laßt mich verſchweigen, was ich weiter in mir raſ'te und jubelte. Es nahm ein Ende. Das Volk verließ die Schran¬ ken, meine Nachbarinnen ſtanden auf. Als ich mich erbot, ſie durch den Strudel der Menſchen nach Haus zu führen, lehnte es die Junge ruhig, aber beſtimmt ab. Die Alte machte mir hinter ihrem Rücken mit Augenwinken und Grinſen Zeichen, die ich nicht völ¬ lig verſtand. Ich aber hielt mich in einiger Ferne hinter ihnen und ging die Höhe hinunter ihnen nach189 in die Stadt. Es ſchien mir, als verdoppele Cate¬ rina ihre Schritte, nachdem die Alte ſich einmal nach mir umgewendet. Endlich in Via Margutta traten ſie in ein Haus. Ich wagte nicht zu klopfen, ſtand dort eine halbe Stunde wie angewurzelt und ſah die Vorhänge wehen, aber keine Geſtalt. Nur die wider¬ liche Fratze der Alten erſchien einmal am Fenſter. Sie ſah mich nicht, da ich mich im Schatten der Häuſer barg, und ſo riß ich mich endlich hinweg und hier bin ich, wenn es hier ſein heißt, daß mir der Bo¬ den unter den Sohlen brennt und mein Sinn wie verriegelt iſt, eines andern Menſchen Gegenwart wirk¬ lich zu empfinden.

Er warf ſich auf einen Stuhl; er beachtete es nicht, daß Bianchi noch immer in der Thür ſtand, nicht, daß er keinen Laut von ſich gab. Er ſah vor ſich hin. Heute zuerſt, fing er wieder an, nach ſchweren Wochen des Druckes und Kleinmuthes einen vollen Zug Leben geſogen, eine Stunde genoſſen, die mich über mich ſelbſt hinaushebt! Wer ſo immer hinſchwimmen könnte mit vollen Segeln ins offne Meer hinaus! Aber an den Küſten hinkriechen im geflickten Boot, ſich winden und krümmen, wie dem Ufer die Laune ſteht, um doch endlich an einem Kieſel zu ſcheitern erbärmliche Feigheit!

Mit dieſen Worten ſchlug er die Augen auf und begegnete dem Relief ihm gegenüber. Der Abend190 ſchien roth durchs Fenſter und die ſcharf umriſſenen Figuren wurden deutlich genug. Man ſah einen Jüngling am Ufer des Fluſſes, an dem der Vorder¬ theil eines Nachens und die wilde Geſtalt des greiſen Fährmanns harrten. Der Fuß des Scheidenden war ſchon auf den Bord geſetzt. Aber das Haupt und der grüßende Arm waren nach der andern Seite ge¬ wendet, wo eine blühende weibliche Geſtalt, durch ein Füllhorn bezeichnet, unter einem fruchtbaren Baum ſaß, in edler Geberde des Schmerzes, das Haupt niedergeſenkt. Ein Genius der Liebe lehnte an ihrer Seite, die Fackel umgekehrt, daß er ihr Leben erſtickte, mit den Augen an dem Jüngling hangend, ob es möglich ſei, ihn zurückzuhalten. Aber zwiſchen ihnen ſtand ernſt und abwehrend das Schreckbild der Parze.

Theodor ſtarrte wortlos noch immer den Kopf des Jünglings an, deſſen Züge ihn unbezwinglich demüthigten. Er hatte Bianchi ein Bildniß Edwards verſchafft, von Mariens Hand wenige Tage vor dem Tode gezeichnet. Es zeigte die edeln Züge ſchon in aller Feinheit der nahen Verklärung, und beſonders die Augen waren rührend frei und groß. Zugleich, da alles Zufällige abgefallen, ſah man die Aehnlich¬ keit der Geſchwiſter ſchlagend und faſt beunruhigend für die Ueberlebende. Zum erſten Mal empfand dies Theodor. Er ſah Marien vor ſich in Stunden des Schmerzes oder einer hohen Bewegung, wo ihre191 Augen dunkler aus dem zarten Geſicht herausleuch¬ teten und der ernſthafte Mund ſich leiſe öffnete, wie hier der aufſeufzende ihres Bruders. Es litt ihn nicht länger auf dem Sitz. Er trat dicht vor das Bildwerk; er kämpfte nicht mehr in ſich, mit Einem Schlage glaubte er Alles entſchieden, alle Gefahr angeſichts dieſer Hoheit und Anmuth bezwungen für jetzt und immer. Er blieb ſo, bis das Abendroth erloſch und das Geſicht ſich in den raſchen Dämme¬ rungen ihm entzog. Dann ging er, ohne ein Wort zu ſagen, nach der Thür, in der Bianchi noch immer ſtand; er haſchte nach der Hand des Freundes, drückte ſie, ohne zu empfinden, wie welk und kalt ſie war, und ging hinaus.

Bianchi zuckte zuſammen, als die Thür ins Schloß fiel. Er ſah verſtört mit abweſenden Gedanken um¬ her. So verharrte er an die Wand gelehnt, unfähig ſich zu regen; denn entſchloſſen war er längſt. Aber die Glieder waren dem Willen widerſpenſtig. Die Nacht kam; er konnte ſich endlich aufrichten und ſtand, das Zittern niederkämpfend, das ihn überfiel, die geballten Fäuſte gegen die Augen gedrückt. Darauf ſtieß er einen einzigen dumpfen Schrei heraus, und es war als ſei er nun wieder Herr über ſich. Er ging mit ruhigen Schritten aus dem Haus; keinem der vielen Spaziergänger, die die Nachtkühle genoſſen, fiel er auf; ſo gleichmüthig ſah er umher. Er betrat192 endlich die Via Margutta und klopfte, ohne zu zau¬ dern, an einem kleinen Hauſe. Die Thür gab nach und er trat in den Flur. Er ſah die Steintreppe hinauf, über die ein Lichtſtreif hinunterglitt. Oben mit der Lampe ſtand Caterina.

Der Mann weidete ſich einen Augenblick an der vollkommenen Bildung des jungen Weibes, das am Geländer lehnte, die Lampe weit vor ſich hin geſtreckt, mit der lieblichſten Geberde der Freude bemüht, unten im Schatten das bekannte Geſicht zu erkennen. Sie nickte und lächelte und grüßte hinunter. Komm, komm! rief ſie, als er unten verzog. Er ſtieg langſam die Stufen hinan. Als aber die Lampe ſein Geſicht beſchien, ſtarb ihr Lächeln und Freude von den Lip¬ pen weg. Carlo, um Gotteswillen, du biſt krank! rief ſie ihm entgegen. Er drängte ſie ſanft zurück und ſchüttelte den erhobnen Zeigefinger abwehrend hin und her. Laß! ſagte er. Komm herein, Cate¬ rina, komm!

Sie folgte ihm in athemloſer Angſt. Das Zim¬ merchen war niedrig, aber ſauber und wohlausgeſtattet. Blumen ſtanden an den Fenſtern, ein Vogel hing im Bauer davor und ſchmetterte gerade jetzt, als der Lampenſchein ihn beunruhigte; auf dem Tiſch lag eine blanke Guitarre. Die Alte hatte mit einer Arbeit daneben geſeſſen. Sie ſtand nun auf, den Eintre¬ tenden begrüßend, unterwürfig und dreiſt. Guten193 Abend, Sor Carlo! rief ſie. Wie geht's? Ihr kommt zur rechten Zeit. Das arme thörichte Ding da, kein Liebchen wollt 'ihm glücken, keine Saite ſtimmte; der Schelm, der Vogel, den ſie doch auch von Euch hat, ſang ihr zu laut; Tochter, ſagt' ich, er kommt ja, den du lieber haſt als deine Augen, Närrchen das du biſt! Nenna, ſagte ſie, mir bangt ſo; und, ſagte ſie, das Herz ſchlägt mir ſo, ich weiß nicht wovon. Still! ſtill! ſagt 'ich, du biſt ein Kind. Einen Herrn zu haben, der dich auf Händen trägt, ſagt' ich, der dich hegt und pflegt wie ſein eigen Herz

Und der dich in die Hölle ſchicken wird, verruchte Hexe! ſchrie Bianchi und trat hart an ſie heran. Du Gift! du Niedertracht! dank es deinen grauen Haaren, daß ich dich meine Fäuſte nicht empfinden laſſe. Er ſchüttelte ſie heftig bei der Schulter, die Ader an der Stirn lief ihm glühend an. Die Alte fuhr zuſammen und blinzte ihn an. Macht nicht ſo ſchlechte Späße mit einer alten Frau, ſagte ſie ſtot¬ ternd. Ihr habt mich erſchreckt, daß ich die Gicht davon haben werde. Was? Redet ſänftlich, Sor Carlo, und führt nicht ſo unchriſtliche Worte im Mund, daß man ſich kreuzen und ſegnen möchte! Was habt Ihr mit der armen Nenna?

Was ich habe? ſchäumte Bianchi und ſtieß ſie von ſich, daß ſie in die Kniee ſank. Sie kann fragen,13194die Nichtswürdige? Mir ins Geſicht die heilige Un¬ ſchuld ſpielen, nachdem ſie mich betrogen? Hab 'ich dir nicht bei deinem Leben gedroht, zu thun was ich ſage und nicht was dir der Teufel einbläſ't? Und nun kitzelt ſie Habſucht und Kuppelgelüſt, daß ſie mir das Mädchen verderben will, und muß mit ihr unter die Leute, ſie zu zeigen und auszubieten, ob ſie nicht einem gefiele, der reicher iſt als Bianchi der Bildhauer, der von ſeinem Schweiß lebt und Euch zu leben giebt? Fort! aus dem Haus, und das ohne Zögern und Winſeln! Denn ich kenne dich und ich hätt' es wiſſen ſollen, daß du kein Schutz biſt und der Verrath in deiner vertrockneten Bruſt niſtet mit allen Ränken der Hölle!

Die Alte hatte ſich erhoben und ſtand lauernd mit erkünſtelter Demuth einige Schritte von ihm beim Fenſter. Ihr habt Recht, Sor Carlo, ſagte ſie, ich hätt 'es nicht thun ſollen. Aber mich jammerte der armen einſamen Creatur, wie ſie von der Welt Sonn - und Werkeltag nichts zu ſehn kriegt, als die Dächer gegenüber oder um Mitternacht, wenn Ihr einmal mit ihr ausgeht, dunkle Gaſſen und das bis¬ chen Sternenhimmel. Kind, ſagt' ich, er iſt ſo gut, er kann nicht böſe werden, wenn du ihm heut Abend erzählſt, daß du das Rennen mit angeſehn haſt. Sie wollte nicht, armes Ding; aber ich ſah ihr's an, daß ſie's gern hätte, und ſo redete ich ihr zu. Was iſt's195 nun weiter? Wenn Ihr nicht den Lärm darum mach¬ tet, ſo hätte ſie auch einmal ein Vergnügen gehabt. Und ſteht ſie nicht da wie ſie war, kein Härchen an¬ ders? Denn was Ihr da ſagt, Sor Carlo, ſolltet Ihr Euch ſchämen zu ſagen, einer armen ehrlichen Alten ins Geſicht, die keinen Gedanken hat, als Euch gefällig zu ſein und Caterina.

Du gehſt, ſagte Bianchi mit unerbittlicher Ruhe, und weiter kein Wort mit dir!

Die Alte ſah ihn ſcharf an, während er am Tiſche ſtand, auf die Platte niederſah und die Fauſt da¬ gegenſtemmte, als dächte er an Anderes. Sie ſchlich zu dem Mädchen, das auf einem Schemel in der Ecke ſaß mit geſenkten Augen. Tochter, flüſterte ſie, bitte du ihn! Caterina warf einen Blick auf Bianchi's Geſicht und ſchüttelte dann den Kopf. Es hilft nichts, ſagte ſie.

Laßt mich wenigſtens dieſe Nacht hier, bat die Alte und trat dem Manne einen Schritt näher. Wo ſoll ich mein Haupt niederlegen? Wie mein bischen Habe zuſammenraffen? Um der allerheiligſten Jung¬ frau willen, Sor Carlo, ſtoßt mich nicht aus wie

Du gehſt, wiederholte der Mann. Habe? Du haſt keine, als von mir. Du gehſt, oder

Er hob ſeine Fauſt. Das Weib ſchrak zuſammen. Flüche, Bitten, Drohungen wüſt durcheinandermur¬ melnd verließ ſie leiſe das Gemach.

13 *196

Caterina, ſagte der Mann langſam, ohne aufzu¬ blicken, es iſt aus. Du ſiehſt mich von heute an nicht wieder. Frage mich nicht, warum? und mach dir keine Sorgen, daß du mich erzürnt hätteſt. Ich hab 'es nur mit jener Teufelin, die eben davonge¬ gangen. Du biſt gut und es ſoll dir wohl gehn, auch wenn du mich nicht ſiehſt. Ein Anderer wird kommen und an dein Haus klopfen, derſelbe, der heut beim Schauſpiel neben dir geſeſſen hat. Oeffne ihm und begegne ihm, als wenn ich's wäre und habe ihn lieb und ſei ihm treu. Du darfſt ihm nicht ſagen, daß du mich kennſt; du darfſt ihm meinen Namen nicht nennen. Aber halt dich nach wie vor zu Haus, und ſollteſt du ja ausgehn, ſo vermeide den Theil der Stadt unten nach dem Tiber zu. Ver¬ ſprich mir das Alles, Caterina.

Er harrte der Antwort. Statt ihrer brach ein Schluchzen aus der Ecke vor, das ihm in die Seele ſchnitt. Weine nicht! ſagte er ſo ruhig er konnte; du hörſt, es iſt nicht im Zorn, daß ich von dir gehe, und du wirſt glücklich ſein, du wirſt es beſſer haben als bisher, du wirſt den Andern lieber haben als mich.

Nie! ſtöhnte es von den Lippen der Armen. Das Weinen faßte ſie gewaltſam. Aber der Eine Ton ſprach ein langes heftiges Bekenntniß grenzenloſer Neigung aus. Bianchi's düſtre Miene lichtete ſich197 jäh; er ſah freudig auf, er wandte ſich und trat ihr näher. Außer ſich ſtürzte ſie auf ihn zu, und er em¬ pfing ſie, die wie bewußtlos ihn an ſich riß, in ſei¬ nen Armen. Er küßte ſie auf die Stirn. Still! ſagte er, du und ich, wir müſſen uns faſſen. Es iſt nun ſo gut, und beſſer. Wer weiß, ob ich das Andere überſtanden hätte. Aber es darf dennoch nicht ſo bleiben, es darf nicht, oder ich gehe dennoch zu Grunde. Komm, ſagte er, mach 'ein Bündel von deinen beſten und liebſten Sachen und was du brauchſt zur Reiſe. Eil dich, Caterina. Ich denke, wir werden uns wiederſehn, aber hier nicht. Habe Geduld!

Sie ſah ihn groß an, ſie begriff nichts, ihr ahnte nichts. Mechaniſch that ſie was er befohlen hatte. Wohin gehn wir? fragte ſie ſchüchtern, als Alles bereit war. Komm! ſagte er. Er löſchte das Licht. Der Vogel draußen im Bauer flatterte heftig gegen die Dräthe, die Guitarre gab einen klingenden Ton, als er im Dunkeln daran ſtieß; den beiden Menſchen pochte das Herz laut. So gingen ſie.

In der ſeltſamſten Verfaſſung hatte Theodor Bianchi's Haus verlaſſen. Sobald er die ſtille Luft um ſich fühlte, wich der letzte ſchwere Hauch von ihm, der ihn noch vor dem Bilde gedrückt hatte. Nur198 eine Mattigkeit, ſchmerzlos wie ſie ein Geneſender empfindet, nachdem das Fieber ausgetobt hat, breitete ſich über ſein Gemüth. Auch die heimliche Reue im Hintergrund ſeiner Gedanken trug faſt dazu bei, ſeine innerliche Helle zu erhöhen, wie der Schatten das Licht. Er ſagte ſich, daß noch nichts verſcherzt ſei, daß Alles, was er in Verblendung von ſich geſtoßen, ihm noch unverändert zugehöre, daß er nur die Hand auszuſtrecken habe, um ſich ſeines Beſitzes zu freuen. Habe er ſich die Zeit her mit widerſinnigen Wünſchen gepeinigt und ſich die Freude am Beſten verkümmert, um einem reizenden Schein nachzuhängen, ſo ſei er an ſich ſelber geſtraft.

Die Geſtalten beider Mädchen gingen ihm vor¬ über und ſein Herz ward keinen Augenblick irre. Noch ward es ungerecht gegen die Fremde. Ein Staunen beſchlich es noch immer, indem es ſich aller Züge des wunderbaren Geſichts erinnerte. Aber es hüpfte hoch auf, wie die Zeit des erſten Sehens und Findens, der wachſenden Neigung zu Marien ihm wieder le¬ bendig wurde. Und was war inzwiſchen anders ge¬ worden? War ſie nicht dieſelbe geblieben? Freilich auch dieſelbe an Scheu und Gefühl der Sitte ſich zurückzuhalten vor den Augen Anderer. Aber ſie ſagte ihm mit der ganzen geſteigerten Wärme ihres We¬ ſens, mit den Augen, die nicht von ihm ließen, wenn er da war, mit den Händen, die ihn nicht laſſen199 wollten, wenn er ging, daß ſie ihm völlig und ohne Vorbehalt hingegeben war. Kann ich ihr vorwerfen, ſagte er, daß ſie noch im Bann der puritaniſchen Mutter iſt? daß ſie nicht das Band dieſer Ehrfurcht zerriß, ſobald ſie ſich an mich knüpfte? Und ich konnte wollen, daß ſie wie eine zügelloſe Minente aus Tras¬ tevere, die Niemanden zu fragen hat, als ihre Leiden¬ ſchaft, mir an den Hals ſtürze!

Als habe er ihr Alles abzubitten, womit er ſich ſeit Wochen das Leben zerſtört hatte, treibt es ihn jetzt nach ihrem Hauſe. Er weiß, daß der Beſuch aus England, der ihn verdroſſen, geſtern Rom ver¬ laſſen hat. Es iſt ihm, wie wenn nun Alles von neuem beginnen ſolle. In dieſer aufwachenden glück¬ ſeligen Stimmung ſpringt er die Treppen hinauf.

Wenige Augenblicke vorher war in Mariens Zim¬ mer Miß Betſy aufgeſtanden, um zu gehen. Das Mädchen blieb am Clavier ſitzen, im Dunkeln mit den Händen ſich an die Arme des Seſſels klammernd, denn es war ihr als müſſe ſie zu Boden gleiten, wenn ſie ſich nicht halte.

Folgt meinem Rath, Kind, ſchloß die kleine Dame ein langes Geſpräch, das ſie faſt allein geführt hatte. Gleich wenn er wiederkommt und ohne Umſchweife ſtellt ihn zur Rede, daß er nicht Zeit gewinnt, auf Ausflüchte zu ſinnen. Mary, thut das, ſag 'ich Euch; er iſt noch in den Jahren ſich zu beſſern, wenn man's200 recht anfängt. Schändlich iſt es und bleibt es, und ſüßes Herz ſo gern ich wollte, ich kann nichts von Allem zurücknehmen, was ich im erſten Zorn gegen ihn geſagt habe. Indeſſen, unſer Herrgott hat ſchon andere Sünder erleuchtet. Wenn er nur mehr Religion hätte! Ihr müßt mir zugeben, daß ich ihm das ſchon oft vorgeworfen habe, und nun ſeh' ich, wie ſehr ich Recht hatte. Schande über ihn, daß er Euch ſo wenig ehrt, Kind, Schande fürwahr! Ich ſah mich um; zum Glück ſaßen in unſrer Nähe keine Bekannte von Euch, denn die Meiſten von der guten Geſellſchaft, wenn ſie nicht das Volk ſtudiren wollen, gehen nicht auf dieſen Platz, ſondern in die getrenn¬ ten Logen. Aber mir hat er das ganze Schauſpiel verdorben, das vergeſſ 'ich ihm nicht, Dear me, wenn Ihr mit mir geweſen wärt, Ihr wäret geſtorben auf der Stelle. Meint Ihr, daß er Ein Auge von ihr gelaſſen? Und ſie ſchienen ſich zu kennen, eine alte Paſſion; und das wäre noch zu ſeiner Entſchuldi¬ gung. Denn er wird genug Mädchen ſchön gefunden haben, ehe er Euch kennen lernte. Aber man achtet doch auf ſich, zumal öffentlich, und thut als kenne man ſich nicht wieder. Nun nun, Kind, wenn Ihr mit ihm redet, ernſthaft und ein für alle Mal, ſo wird er in ſich gehn. Aber wenn Ihr es nicht thut ſo gern ich es Euch erſparte meine Grundſätze verlangen dann, daß ich es Euern Eltern anheim¬201 ſtelle, ihm ins Gewiſſen zu reden. Eine ſolche Fa¬ milie! der Schimpf wäre zu groß und das Unglück, wenn ſie einen leichtſinnigen Menſchen in ihren Kreis aufnähme. Habt Ihr denn nie etwas von einer alten römiſchen Liebſchaft gehört, die er Euretwegen abge¬ ſchafft hätte?

Nein, ſagte das Mädchen leiſe. Wie hätte ſie's über die Lippen bringen können, daß ihr die Be¬ ſchreibung der dienſtbefliſſenen Zuträgerin ein Bild wieder lebendig machte, das ihr früher ſchon einmal einen nachdenklichen Tag gekoſtet hatte! Am Tage darauf, nachdem Theodor ihr von dem Tanz in der Schenke erzählt hatte, war ſie an ſeinem Arm durch die Stadt gegangen. Aus einem niedrigen Fenſter ſah ein ſchönes Geſicht, auf das ſie ihren Freund aufmerkſam machte. Er hatte eine ſtarke Bewegung nicht unterdrücken können, und auch das Mädchen ſchien ihn zu erkennen. Es iſt die Albaneſerin von geſtern Abend, hatte er geſagt, und dann raſch von andern Dingen geſprochen. Ihr aber war das Ge¬ ſicht Zug für Zug im Gedächtniß geblieben.

Laßt es jetzt gut ſein, redete ihr Miß Betſy zu und ſtrich ihr mit der Hand über die Locken. Grämt Euch nicht, Liebe! Die Menſchen und zumal die Männer ſind keine Engel. Mein Gott, wer erlebte dergleichen nicht! Und ſprecht mit ihm, ſo wird noch Alles in Ordnung kommen. Gute Nacht, Kind! 202Ich komme morgen und ſehe nach Euch. Der Herr ſei mit Euch!

Sie ging raſch. Draußen begegnete ſie Theodor, der ſie faſt überrannte. Verzeihung! ſagte er, ein Bräutigam, der zu ſeiner Braut geht, darf es ja wohl eilig haben. Nicht wahr, liebe Miß Betſy? Er bemerkte die kalte Miene nicht, mit der ihm entgegnet wurde: Ihr werdet Mary finden, in der That ſie erwartet Euch nicht. Er verabſchiedete ſich ſchnell und ſtürzte in das Zimmer.

Zum erſten Mal fand er ſie allein, in der faſt nächtlichen Dämmerung, am Fenſter ſtehend, die Locken ganz um das Haupt aufgelöſ't. Er dankte im Stillen inbrünſtig dem guten Glück, das ſo willig ſchien, Alles auszugleichen. Leiſe tritt er heran; ſie bewegt ſich nicht. Er ſchlingt den Arm um ihren Leib und ruft ihren Namen. Sie fährt zuſammen und wendet ſich um, und er ſieht es feucht in ihren Augen ſchwimmen. Du weinſt, Marie, liebes theuer¬ ſtes Leben, du weinſt? ruft er und will ſie feſter an ſich ziehen. Sie wehrt ihm, ohne zu antworten; ſie drückt die Augen zu und zerdrückt die Tropfen und ſchüttelt mit dem Kopf. Nein, ſagt ſie endlich, ich weine nicht, laß! Es iſt vorbei, es iſt gut!

Er geht drei Schritte auf und ab; er weiß nicht wie ihm geſchehen, aber mit Einem Schlag iſt all ſeine Freudigkeit gelähmt. Was haſt du, fragt er203 nach einer Pauſe, das ich nicht wiſſen darf? Wenn du wüßteſt, mit welchen Freuden ich über dieſe Schwelle trat, wie mich's ſelig durchfuhr, dich endlich einmal allein zu finden! und ich finde dich nun ſo fremd, verſchloſſner als in aller Bedrängniß fremder Geſell¬ ſchaft du weißt nicht, was du uns zu Leide thuſt!

Sie ſchwieg noch immer und hatte die Augen zu¬ gedrückt. Sie hielt in Gedanken die Worte, die er ſprach, mit denen zuſammen, die ihr ſo eben das Herz zuſammengeſchnürt hatten, ſeine Blicke mit de¬ nen, die ihr die alte Freundin geſchildert hatte und die einer Andern galten. Es war etwas in ihr, das gern für ihn geſprochen hätte; aber zu viele Stim¬ men ſchrieen dagegen. Nicht, daß ſie ihn für unwahr hielt, für unwürdig, und ihn anklagte in ihrem Her¬ zen. Sie hatte die Erzählung der Alten mit ange¬ hört, als gelte ſie weder ihr noch ihm, wie ein Un¬ erhörtes, für das wir kein Organ in uns haben. Aber dennoch warf es ein letztes Gewicht auf die Laſt, die ſie ſchon wochenlang getragen hatte. Theodor betrog ſich, wenn er glaubte, durch ſeine geſpannte unglück¬ liche Stimmung nur ſich ſelbſt wehe gethan zu haben. Daß er verändert war, der erſte Glanz der Liebe verblichen, das Herz ſeiner ſelbſt nicht mehr gewiß, war Marien nicht entgangen. Wenn er zugegen war, bezwang ſie ſich um ſeinetwillen; ſie hätte ihm um die Welt nicht geſtanden, daß ſie an ihm zweifelte;204 und war ſie allein, ſo ſchalt ſie ſich ſelbſt, und ſagte ſich, daß ſie falſch geſehn und zu viel geſehn habe, daß ein Mann ſich mit Gedanken trage, die ihn zer¬ ſtreuten und ſelbſt bis zu ſeiner Geliebten verfolgten. Auch wußte ſie, daß ihm der Zwang vor der Mutter immer unerträglicher wurde. Und doch brach auf Au¬ genblicke das Gefühl des bitterſten Kummers durch und verſchloß ihr gerade jetzt den Mund und das Herz, wo Worte ſo nöthig geweſen wären. Sie hoffte auch nichts von Fragen, und Vorwürfen wollte ſie nichts zu danken haben. Sie war ohne heftigen Schmerz, wie abgeſtorben, daß ſie ſeine Nähe nicht fühlte und doch einen tödtlichen Stoß empfangen hätte, wenn er gegangen wäre.

So ſtehen ſie in unſeliger Täuſchung einander ge¬ genüber. Er greift ſchon nach dem Hut, um dem unerträglichen Zuſtand ein Ende zu machen, als die Mutter hereintritt. Er muß bleiben; Lichter werden gebracht, die Frauen ſetzen ſich, während er einſilbig ſteht, ſich ſelbſt und ſein elendes Geſchick tauſendmal verwünſchend. Und wie ſich in ſolchen Stunden alles Widerwärtige häuft, kommt die Mntter von neuem auf Edwards Monument zu ſprechen. Er kann nicht verſchweigen, daß es ihm heut zum erſten Mal auf¬ gedeckt worden, und muß Gegenſtand und Art der Darſtellung beſchreiben. Er belebte ſich wieder ein wenig. Es iſt unvergleichlich, ſagt er; ich kann nicht205 ausdrücken, wie mich das Bild ergriff; Edward ganz und gar, lebend und verklärt zugleich, und wunder¬ bar! faſt durch Offenbarung die Art wiedergegeben, wie er ſich bewegte, jene eigenthümlich innige Ge¬ wohnheit den Kopf vorzuneigen, von der ich meinem Freunde nie geſprochen.

Es mag Alles unbeſtritten ſein, was Sie ſagen, lieber Theodor, ſagte die Mutter nach einigem Be¬ ſinnen. Und doch verberge ich nicht, daß mir die Nebenfiguren, wie Sie ſie beſchreiben, durchaus wi¬ derſtreben, daß ich mich nicht werde entſchließen kön¬ nen, an dem Grabe meines Sohnes zu beten, wenn der Stein dieſe fremden fabelhaften Geſtalten zeigt, die mich ſchrecken, ſtatt mich zu erheben.

Es ſind Zeichen, Mutter, Zeichen für den liebe¬ vollſten Sinn, die Ihnen nicht fremd ſind, ſobald Ihnen der Sinn nah getreten. Und würden Sie nicht ergriffen werden, wenn ein italiäniſcher Poet Strophen auf Edward in ſeiner Sprache gedichtet hätte, obwohl ſie nicht Ihre Mutterſprache iſt?

Wohl, aber dann wär 'es wirklich nur die Form, die mich fremd berührte. Hier iſt der Sinn von Vor¬ ſtellungen, die meinem Heiligſten widerſtreiten, ſo ge¬ tränkt, daß ich mich abwende und nichts damit ge¬ mein haben kann.

Sie ſprechen es hart aus.

Es wundert mich, daß Sie hart finden, lieber206 Theodor, was das natürliche Gefühl eines Weibes und einer Chriſtin iſt.

Und Sie ſind in Rom und ſehen täglich die Wun¬ der vergangner Geſchlechter und haben Freude am Thun der tauſend verſchiednen Geiſter, die auch von Ihnen verſchieden ſind, und wollen ſich hier ver¬ ſchließen und abwenden? hier wo ein edler Menſch Ihnen zu Liebe aus ſeinem Tiefſten hergegeben, was er nur hatte?

Ich fechte ſeinen Willen nicht an. Aber gerade weil es mich zunächſt mit betrifft, mir zu Liebe ge¬ ſchehen ſoll, bin ich empfindlicher gegen das, was geboten wird. Denn der beſte Willen kann uns be¬ leidigen, wenn er keine Rückſicht auf uns nimmt.

Theodor trat auf Marien zu, die auf einen Stick¬ rahmen gebeugt ſtill dageſeſſen. Marie, ſagte er, hat dich Bianchi's Werk auch beleidigt?

Nein, ſagte ſie leiſe, aber ich gebe der Mutter Recht. Man kann nichts lieben, was fremd iſt; ich nicht; ein Mann vielleicht.

Er verſtand nur halb ihre Worte; aber er ver¬ ſtand, daß ſie ſich von ihm gewendet. Ein unſäg¬ liches Wehgefühl ergriff ihn. Es war nicht Trotz, nicht kleine Verbitterung, daß er ſich ſtumm verneigte und ging. Er fühlte, daß er ſich ſammeln, ſeine be¬ täubten Geiſter aufrichten müſſe. Er hätte irre ge¬ redet, wenn er geblieben wäre.

207

Es ſollte nicht ſein, ſagte er vor ſich hin, als er auf der Gaſſe war. Sie hat Recht; wir wären uns immer fremd geblieben. Ich hielt meine fruchtloſen Mühen, mich immer wieder von neuem ihr aufzudrän¬ gen, für Zug und Beſtimmung. Kein Wunder, daß ſie es endlich müde wird. Aber es war grauſam, daß es gerade heut ſo kommen mußte, da ich eben mich ſo ſchön getäuſcht, ſo ſelig belogen hatte und hoff¬ nungsvoller war als je. Es war grauſam und heil¬ ſam! Ich bin nun für immer von dieſem gutmü¬ thigen vermeſſnen Selbſtbetrug geheilt.

Dann dacht 'er an Bianchi. Schade! ſagte er. Dem hätt' ich's ſparen ſollen. Er wird wieder was in die Tiber zu werfen haben. Nein, er ſoll nicht; ich will dieſe Tafel beſitzen, mich in Zukunft zu war¬ nen, wenn ich Menſchen vertraue.

So kam er in ſeine Wohnung. Er zündete Licht an und ſetzte ſich zu ſchreiben. Er fing einen Brief an Marien an, ruhig und ſanft; nach den erſten Zeilen ward er der Lüge inne, denn es kochte und zürnte und ſehnte in ihm, daß er die Feder am Tiſch zerſtieß und aufſprang. Er wußte nicht wohin. End¬ lich ging er wieder ins Freie, den Weg nach Bian¬ chi's Hauſe. Wollte er ihn aufſuchen, ihm Alles ſa¬ gen, ihm Alles verſchweigen, nur wieder in ſeiner Nähe nach Entſchluß und Faſſung ringen? Er wußte es nicht klar; aber er ertrug ſich nicht in der Ein¬ ſamkeit.

208

Nur eine ſchmale Mondſichel ſtand über den Dä¬ chern. Aber die Häuſer waren hell, die Balcone und Fenſter belebt; auf dem Corſo wallte ein muntres Gewoge von ſorgloſen Menſchen, die ſich nach dem Tagesbrande erfriſchten, lachende Mädchengeſichter, fremde und römiſche, ſo leicht gekleidet, wie ſie ſich aus den Zimmern fortgeſchlichen hatten. Die Straße glich einem langen Corridor neben einem Feſtſaal, wo ſich die Geſellſchaft zwiſchen den Tänzen in küh¬ lerem Zwielicht ergeht. Hie und da drang auch Muſik aus einem Hauſe vor und eine Mädchenſtimme unter der Menge ſang leiſe die Melodie nach.

Theodor mußte den Strom kreuzen. Er kam ſich vor wie ein Abgeſchiedener, der nichts mehr vom Le¬ ben will, den es nur noch zu einem Freunde treibt, um eine unvollzogene Pflicht ihm zu offenbaren, ehe er für immer ruht. Er vertiefte ſich in öde ſchmale Gaſſen, die nach der Tiber führen, und ging ſo hin ohne die Kraft, irgend einen Gedanken feſt zu halten. Endlich, von der vergeblichen Anſtrengung ermattet, ließ er ſeinen Geiſt auf der leeren Weite des Schmer¬ zes treiben, wie auf dem uferloſen Meer in der Windſtille.

So kam er an den Theil des Ufers hinaus, der Riva grande heißt, wo die Kähne liegen, die nach Oſtia fahren, die kleinen Poſtdampfboote und andere Fahrzeuge mehr. Von da hinunter bis zur Ripetta209 ſind noch einige hundert Schritt und keine unmit¬ telbare Verbindung am Waſſer hin. Er wandte ſich aber rechts die breitere Straße hinauf, als ihm ein lautes Gezänk von den oberſten Stufen der Waſſer¬ treppe ans Ohr kam. Ein Ton klang dazwiſchen, der ihn plötzlich im Gehen hemmte. Er näherte ſich dem Menſchenhaufen, deſſen einzelne Geſtalten ſich ihm nur langſam bei einer ſchlechten Straßenlaterne entwirrten. Es handelte ſich um ein Mädchen, wie es ſchien, das ein Schiffer beim Arm hielt und hinab¬ zuziehen bemüht war. Ein Anderer ſuchte Beide zu trennen. Laßt ſie los, Pietro! rief er. Laßt ſie gehn! Seit wann ladet Ihr Weiber, Ihr Seelenverkäufer, der Ihr ſeid? Seht, ſie weint, armes Ding! ſie will nicht in Euer Loch von Kajüte zurück; ſie wird ihre Gründe haben!

Hol's der Henker, ſchrie der Andere und riß an dem Mädchen herum, Gründe genug wird ſie haben. Aber der ſie mir brachte und das Geld dran wandte und ſagte: Schaff ſie mir nach Oſtia und gieb ſie dort in ſichre Hände, daß ſie nicht wieder zurückkann, der wird auch ſeine Gründe haben, und Gründe, die er mit Quattrinen beweiſ't. Die Dirne! Sie wird nicht gut gethan haben. Wäre ſie die liebe Unſchuld, die ſie jetzt ſpielen will, warum konnte ſie nicht dar¬ auf pochen, wie der Mann ſie brachte? Aber was denkt Ihr? Da war ſie ſtille ſtille; nur geweint und14210geſchluchzt und den Mann geküßt, daß dem angſt und weh wurde und er verſprach, er wolle in Oſtia nach ihr ſehn. Und jetzt? Warum kommt ihr die Tücke, daß ſie davon laufen will, die Katze, ſobald ich den Rücken wende, und hier die halbe Straße gegen mich zuſammenſchreit, wie ich meiner Schuldigkeit nach¬ kommen und ſie wieder in Sicherheit bringen will? Sag mir das Einer, wenn er kann! Nein! zurück mit der Hexe, und Maul gehalten, und Accidenti über Jeden, der mir in den Weg tritt!

Ich kann nicht, ich will nicht zurück, hörte man die Stimme des Mädchens. Dieſer Mann iſt falſch. Er muthete mir das Aergſte zu, er bricht ſeinen Ver¬ trag; rettet mich!

Wer will ihr glauben, der verruchten Lügnerin, dem Abſchaum, die nur ſinnt ſich loszumachen und mich zu verſchwärzen? Zurück die Hand, ſag 'ich, und hinunter mit der Metze!

Halt! donnerte eine Stimme überlaut dazwiſchen. Die Streitenden wandten ſich ſtutzend um und ſahen Theodor durch den Haufen brechen und die Hand auf des Mädchens Arm legen. Sie iſt mein, rief er, und geht mit mir!

Eine Stille trat ein; Caterina hatte aufgeblickt und den jungen Mann erkannt. Unſchlüſſig zwiſchen Freude und heftigen Zweifeln ſtand ſie und ſenkte die Augen.

211

Haltet Ihr uns für Kinder, Herr? fuhr ihn der Schiffer an, daß wir uns vom erſten beſten Laſſen einſchüchtern laſſen? Wenn Ihr ein Mädchen braucht Ihr findet ihrer am Corſo für Geld und gute Worte. Umſonſt und mit böſen iſt keine zu haben. Wer zum Teufel heißt Euch hier dreinreden und mit einer Manier, als hättet Ihr das beſte Recht von der Welt?

Ich hab 'es, ſagte Theodor laut und entſchloſſen; ich hab' es, denn ſie iſt meine Frau.

Seine Frau! lief es durch den Haufen. Die zu¬ nächſt Stehenden wichen einen Schritt zurück.

Eure Frau? das habt Ihr zu beweiſen, oder es könnte halt! unterbrach ſich der Schiffer. Nennt ihren Namen, Herr, ihren Namen; den pflegt doch ein Ehemann von ſeiner Frau zu wiſſen, wenn er auch nicht weiß, was ſie in ſpäter Nachtzeit auf den Gaſſen treibt.

Caterina, ſagte Theodor, erkennſt du mich?

Ja! antwortete das Mädchen.

Es iſt richtig, murmelte der Schiffer. Caterina, ſo nannte ſie der Andere.

Du wirſt mit mir gehn, Caterina, ſagte Theodor. Du wirſt mir den nennen, um deſſentwillen du mich verlaſſen haſt, daß ich in Angſt und Wuth die Straßen Roms auf und ab nach dir geſucht habe. So! Nach Oſtia? Und dort wollt 'er nach dir ſehen? Es iſt genug. Komm!

14 *212

Er ſprach dieſe Worte ſo ernſthaft und mit einem Geſicht, auf dem ſo deutlich Schmerz und Entſchloſ¬ ſenheit ſtand, daß Keinem ein Zweifel nahe trat. Es iſt ihr Mann! flüſterten ſie. Sie iſt ihm mit einem Andern entlaufen. Dem gnade Gott, wenn er ihm auch ſo in die Hände kommt, wie dieſe!

Caterina that nichts, dieſen Glauben zu irren. Gehorſam ſtieg ſie die letzten Stufen der Treppe an Theodors Hand hinauf, und ihre Ueberraſchung, von dem gerettet zu werden, dem zu entfliehen ſie in die Gefahr gerathen war, glich täuſchend der dumpfen Niedergeſchlagenheit einer ertappten Schuldigen. Der Schiffer allein ſchien nicht völlig überzeugt. Er ſah das Geldſtück an, das ihm Theodor zugeſteckt hatte, und brummte in den Bart: Wär 'Alles richtig, hätte der Herr die Hand nicht in die Taſche geſteckt. Nun, ich bin doppelt bezahlt. Was geht's mich an?

Er ging erſt mit ihr ein paar Straßen weit und hatte ſie noch immer bei der Hand gefaßt; aber Keins ſah das Andere an, noch fiel ein Wort zwiſchen ihnen, bis er ſie auf einmal los ließ und fragte: Wohin ſoll ich Euch führen, Caterina?

Ich weiß nicht, ſagte ſie.

Nach Via Margutta?

Nein und ſie ſchrak zuſammen die Alte fände mich da, oder er.

213

Wer?

Ich darf ihn nicht nennen, Euch am wenigſten; er hat mir's verboten.

So iſt es Bianchi, ſagte Theodor dumpf. Sie wagte nicht zu läugnen.

Während ſie weitergingen, befeſtigte ſich die Ah¬ nung, die in ſeinen Gedanken aufgegangen war. Die ſeltſame Stummheit des Künſtlers, als er ihm von den Spielen und ſeiner Begegnung mit dem Mäd¬ chen erzählt, war ihm nun erſt bedeutſam und erklärt. Hätten wir nicht geſchwiegen zu einander von dem was uns das Liebſte war! klagte er ſich und den Freund an. Doch wußte er noch nicht Alles.

Am Hauſe angelangt, wo Theodor wohnte, ſuchte dieſer den Schlüſſel und öffnete. Caterina trat zu¬ rück. Ich gehe da nicht mit, ſagte ſie. Nein, und ſollt 'ich auf den Stufen von S. Maria Maggiore ſchlafen, lieber als da hinein, mit Euch! Kind, ſagte er ſchmerzlich, ich bin nicht mehr, der ich dir noch vor wenig Stunden ſcheinen mochte. Du biſt ſicher bei mir, wie bei einem Bruder.

Sie ſah ihn in der Dunkelheit an, ſo ſcharf ſie konnte, und es war, als käme ihr plötzlich eine beſon¬ dere Erleuchtung. Ich weiß, ſagte ſie und blieb immer noch einige Schritt von der Thür; er hat es mit Euch abgeredet. Er kam und wollte mir in Gutem ſagen, daß er mich an Euch verhandelt habe214 oder verſchenkt. Ich ſollte Euch lieben, wie ihn. Ich kann nicht, ſagt 'ich ihm, und in mir verſchwor ich's, und er ſah wohl, daß ich Ernſt daraus mache. Da wollt' er mich überliſten und brachte mich in den Kahn hinunter und lief dann zu Euch, zu ſagen, ich ſei drunten und Ihr ſolltet mich holen. Aber Ihr ſollt mich nicht haben, und wenn Ihr tauſend¬ mal ſein Freund ſeid und er mich tauſendmal mor¬ den will, wenn ich ſeinen Willen nicht thue. Geht! Ich finde ſchon meinen Weg nach dem Gebirge zurück, und Ihr könnt ihm ſagen was Ihr wollt, und gute Nacht!

Sie wandte ſich. Kaum hatte Theodor Zeit, aus der Beſtürzung ſich aufzuraffen und ihr nachzueilen. Er ergriff ſie bei der Hand. Caterina, ſagte er, wenn ich dir ſchwöre, daß du bei mir ſein ſollſt, wie eine Schweſter, daß ich dich deinem Carlo wiedergeben will, wie du von ihm gegangen du kannſt dich nicht weigern, mir in mein Haus zu folgen!

Das wolltet Ihr? Das könntet Ihr? fragte ſie ſtilleſtehend und ungläubig. Es iſt unmöglich, Ihr kennt ihn nicht; ihn ändert Keiner.

Vertraue! ſagte er. Die Hoffnung, die ihr zu lieblich zuſprach, kam ihm zu Hülfe. Sie machte ſich ſanft los und ging neben ihm ins Haus hinauf. 215Sobald ſie oben in ſeiner Wohnung war, noch im Dunkeln, ſetzte ſie ſich auf einen Stuhl hart neben der Thür, ihr Bündel, das ſie immer bei ſich geführt, auf dem Schoße vor ſich. Er zündete Licht an und ſprach nicht mehr und wühlte in Papieren, mecha¬ niſch, ohne Zweck. Seine Seele brannte, wenn er an Bianchi's That dachte; das entzückende Bewußt¬ ſein, ihn ſo zu beſitzen, wie dieſe Stunde ihn belehrt, hielt ihn, wenn er an dem Gedanken, Marien ver¬ loren zu haben, faſt vergehen wollte.

Indem er ſo in die Zukunft hinausſinnt und ſich bereitet, ſein Schickſal auf ſich zu nehmen, hört er ein leiſes Athmen von der Thür her. Er ſieht auf und bemerkt, daß Caterina ſich in feſten Schlaf geweint hat. Leiſe naht er ihrem Sitz. Das Haupt iſt ihr auf die Schulter geſunken, die Arme hangen nieder, die Bruſt ſtürmt in ängſtlichen Träumen. Er hebt ſie ſicher und vorſichtig auf und trägt ſie mit kräftigen Armen auf ein Sopha, das an der Wand ſteht. Wie er ſie dort niederläßt, nähert ſich ſein Geſicht ihrer Wange; er empfindet den geſunden Hauch der Lippen, der Duft des Haares weht ihn an, die Fülle der Glieder ruht blühend vor ihm. Aber alles Verlangen ſchweigt in ihm. Er hebt ſich empor, breitet ſeinen Mantel über die Schlafende und geht ſtill in ſeine Kammer. Erſt als die gerin¬216 geren Sterne ausloſchen, findet er einen kurzen un¬ ruhigen Schlaf. Aber kein Gedanke an Caterina macht ihn unruhig.

Am hellen Morgen trat er in Bianchi's Werkſtatt. Er erſchrak, wie das fahle verwachte Antlitz des Freun¬ des von der Arbeit zu ihm aufſtarrte. Die Haare ſchienen ihm grauer geworden, die Augen dunkler. Doch ward der gekniffene Mund mild, als er Theo¬ dor ſah.

Ihr hattet eine böſe Nacht, ſagte der, und mein iſt die Schuld.

Ich habe gewacht, erwiederte Bianchi ruhig; aber was wollt Ihr für meine Grillen können, die mich dann und wann um den Schlaf ſingen? Reden wir von beſſern Dingen. Erzählt, leſ't, vor Allem bleibt, wenn Ihr könnt. Sei es denn geſtanden: Es iſt mir heut eine beſondere Wohlthat, Euch ſprechen zu hören!

Lieber! es iſt umſonſt, noch jetzt ſich in Worte hüllen, wo das geheime Herz zu Tage liegt. Ich weiß Alles!

Ihr wißt? So verſchweigt, was Ihr wißt! ſprach Bianchi heftig, verſchweigt, von wem Ihr's habt, redet mir nie ein Wort davon! Es liegt hinter217 mir, hinter mir, ja! fuhr er fort, und denkt davon, was Ihr mögt; nur laßt Alles bleiben, wie es war. Verſprecht mir's!

Theodor ſtand in Schmerzen. Er dachte daran, daß er in wenig Tagen fern von hier das Alles auch anſehn würde, als läge es weit, weit hinter ihm. Aber er konnt 'ihm das nicht geſtehen, wenn er nicht das Nächſte, was zu thun war, zerrütten wollte.

Ich muß dennoch reden, ſagte er endlich. Hätt 'ich geſtern geſchwiegen, da ich mit jenen leichtſinnigen Worten Eure Ruhe erſchütterte, ſo wäre Euch viel erſpart. Ihr hättet die Perle nicht von Euch ge¬ worfen, nach der ich Thor einen übermüthigen ſelbſt¬ vergeſſenen Augenblick lang die Hand ausſtreckte.

Bianchi ſchwieg; die Glut ſtieg ihm auf, er ſuchte nach Worten. Wenn ich ſie Euch nun wieder brächte und ſagte: Da habt ſie wieder; ich beneide Euch nicht, denn mein Herz hängt an einem andern Kleinod und es braucht kein Opfer, um uns Beide bei einander zu halten würdet Ihr mir glauben, Carlo?

Er ſah den Wechſel der übermächtigen Empfin¬ dungen auf dem Geſicht des Freundes. Der Künſtler hielt ſich am Tiſch, das Haupt auf die Bruſt gedrückt, die ſchwer arbeitete; die Lippen bewegten ſich tonlos. Theodor ging zur Thür und rief: Caterina! Sie218 hatte draußen geſtanden, Tod und Leben vor ſich. Als ſie langſam mit furchtſamen Schritten über die Schwelle trat, ſah ſie Carlo mit ausgebreiteten Armen am Tiſche ſtehn; die Kniee verſagten ihm. Da ſtürzte ſie mit einem Schrei an ſeinen Hals.

Die Thür war offen geblieben. Theodor hatte ihr den Rücken zugewendet, in das Bild Edwards vertieft, das ſeitwärts unverhangen auf dem Gerüſt ſtand. Er hörte Geräuſch an der Schwelle und ſah um. In demſelben Augenblick löſ'te ſich Caterina aus Bianchi's Arm und erſchrak. Sie ſahen drei fremde Geſtalten verlegen in der offnen Thür, ein älteres Paar und eine ſchöne junge Dame. Theodor erkannte ſie.

Wir ſtören, ſagte der Herr. Wir bitten um Ver¬ zeihung; aber die Thür war weit offen. Wir kommen wieder, wenn es Euch gelegner iſt, Signor Bianchi.

Treten Sie ein, ſagte Bianchi. Sie ſtören nicht. Die hier anweſend ſind, ſind ein Freund und meine Frau Signora Bianchi. Er betonte das letzte Wort und ſein Blick fiel auf Caterina, die im Ueber¬ ſchwang des Glückes zu ihm aufſah. Indeß war Theodor von dem Bilde zurückgetreten. Der Vater begrüßte ihn mit alter Herzlichkeit und wandte ſich dann dem Kunſtwerke zu. Mit den Frauen wechſelte er keinen Gruß. Die lebhafte alte Dame war nach219 den erſten Worten Bianchi's vor das Relief getreten und ſtand ſprachlos. Mariens Auge hing nur kurze Zeit an dem Bilde des Bruders, dann flog es zu Caterina. Sie erkannte ſie wohl. Während die El¬ tern in tiefſter Rührung an einander lehnend ſich vom Bilde nicht trennen konnten, trat ſie nahe zu Theodor. Sie faßte ſeine Hand, ſie ſprach leiſe zu ihm, die Augen floſſen ihr über. Sie tauſchten Ge¬ ſtändniſſe, Selbſtanklagen, Gelübde, Jedes dem An¬ dern zuvorkommend, Jedes das Andere an unbegrenz¬ ter Hingebung überbietend. Keiner belauſchte ſie. Denn auch Bianchi, obwohl er nicht ſprach, vergaß Alles über den Augen ſeines Weibes.

Endlich ging Mariens Vater auf ihn zu und drückte ihm die Hand. Seine Augen waren feucht; die Mutter weinte ſtill in ihr Tuch. Ihr wiſſet ge¬ nug, ſagte der alte Herr; Ihr erlaßt uns zu ſprechen. Eins nur: Wann beginnt Ihr die Ausführung? Ich habe meinen Plan geändert. Ich wünſche nur einen Stein auf das Grab meines Sohnes, der die einfache Inſchrift trägt. Dieſes Bild wüßt 'ich gern in dem Zimmer, das er bewohnte, an der Stelle, wo ſein Bette ſtand. Wir können den Ort nicht beſſer ein¬ weihen. Aber ich kann den Tag nicht erwarten, wo es unſer wird. Ihr werdet am beſten ſelbſt für den Marmor ſorgen. Verſchiebt es nicht einen Tag!

220

Indeſſen hatte ſich die Mutter gefaßt. Sie wandte ſich und reichte Theodor die Hand; ſie zog ihn heran und küßte ihn auf den Mund, was ſie nur einmal gethan, da ſie ihm ihr Kind verlobte. Dann ver¬ ließen ſie Alle die Werkſtatt. Die Lüfte waren rein und über dem Tiberufer ſchien die Sonne.

Druck von Gebr. Unger in Berlin.

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TextNovellen
Author Paul Heyse
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationNovellen Paul Heyse. . 220 S. HertzBerlin1855.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 8781<a> (RARA)http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=623577291

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Novelle; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

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Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:22Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yx 8781<a> (RARA)
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