Man sagt: der strengste Beweis der Wahr - heit sei, wenn gewisse Dinge jeder Bemühung sie lächerlich zu machen und zu travestiren, widerstehen, und wenn sie trotz allem Lächer - lichen, womit wir sie behängen, doch ehr - würdig bleiben. Wenn die krumme Linie die Schönheits-Linie ist; so wird man es schwer - lich bedenklich finden, dem Lachen die Schlüs - sel zum Himmelreiche der Wahrheit anzuver - trauen. Ein miſslicher Umstand! der mich bei der gegenwärtigen Schrift in eine nicht geringe Verlegenheit verwickelt, da ich einen Gegenstand vorhabe, worin bei weitem der gröſste Theil des Ernsthaften mit dem Lächer -A2lichen, nicht von Anbeginn und von Natur, sondern durch Verjährung, so im Gemenge liegt, daſs hierbei nicht so leicht ein Divisions - Exempel auf eine Auseinandersetzung gewagt werden kann. Wenn ein Ritter von ächtlusti - ger Gestalt den Kampf beginnt — wer und was kann vor ihm bestehen? welche Festung von System und Dogmatik sich halten? So - krates, der Weiseste, nicht unter den Königen, sondern unter den Weisen, dieser Erzkern in einer häſslichen Schale, dieser (wiewohl nicht mit sonderlichem Geschmacke gekleidete) En - gel unter den Menschen, ward in den Wolken zur Farce; und welch ein Autor kann auf ei - nen heitern Recensenten - und Leser-Himmel sicher rechnen? — Selten gab es einen, der nicht aus dem Regen unter die Traufe gerieth, und noch nie ging ein Licht in der Welt auf, ohne seinen Aristophanes zu finden, der es, mir nichts, dir nichts, geradezu ausblies, oder — unter dem Scheine des Rechts, als wollt’ er es schneutzen — es neckte und verdunkelte. Fast scheint auf diese Weise das Lächerliche das tägliche Brodt der Menschen zu seyn, und3 man wird sich ohne Zweifel am besten be - finden, wenn man in Züchten und Ehren mit - lacht, oder seine Schrift, des Bildes und der Überschrift des Ernstes ungeachtet, zu einem Tone stimmt, der nicht ernsthafte Blöſsen (die lächerlichsten von allen) giebt. — » Ihr wer - » det lange nicht so viel über mich weinen, » wie ihr über mich gelacht habt, » sagte Scar - ron, der Ehevorfahr Ludwigs des XIV., zu denen, die sein Sterbelager umringten und weinten. Diese Vorstellung war im Stande, ihn im Sterben aufzuheitern — und warum auch nicht? — Jetzt, da selbst die heilige Moral nicht mehr im Klosteranzuge ihr Glück machen kann und will, vielmehr fröhlich und guter Dinge einhertritt, und die Becher, welche sie mit ihrem herzerfreuenden Wein anfüllet, zu bekränzen gebeut; jetzt, da sogar jede wi - derliche Auſsenseite des Menschen eher seines Herzens Härtigkeit als dessen Reinheit zu ver - rathen scheint: jetzt ist Fröhlichkeit ein le - bensartiges Ingredienz geworden, und Lachen und Weinen leben in einer so glücklichen Ehe, daſs jene philosophischen Gaukler, vonA 24denen der eine nicht aus dem Lachen und der andere nicht aus dem Weinen kommen konnte, schwerlich Professuren auf unsern Akademieen erhalten würden. Kinder, die der Natur am nächsten sind, lachen und weinen über eine und dieselbe Sache, und eine lie - benswürdige Braut reiſst sich weinend aus den Armen ihrer verwaiseten Mutter, um in eben dem Augenblicke sich lachend in die Arme ihres Vielgeliebten zu stürzen. — Unser Le - ben ist Ebbe und Fluth, immerwährender Wechsel von Freude und Leid; und sollten nicht alle Gegenstände des gemeinen Lebens Spuren und Eindrücke von der comédie lar - moyante des verwünschten Schlosses von Pla - neten zeigen, auf dem uns eine Menschen - Rolle angewiesen ist? — die schwerste viel - leicht in Gottes weitem und breitem Weltall! — vielleicht auch die leichteste, je nachdem sie gespielt wird. — Aller unvergeſslichen Bemühungen so mancher edlen Ritter ungeach - tet, welche die Menschheit und durch sie die Erde entzaubern wollten, ist das Abentheuer noch nicht bestanden — O der verdammten5 Hexe, der Sünde, die das Verderben so bra - ver Leute ist! — Wenn wir gleich durch die Erinnerung des Todes nicht unseres ganzen Lebens Knechte sind; so sind doch die Ge - danken an den Tod und an Gott die, welche uns in jedem Falle zu einem Memento! brin - gen. Wahrlich! es war Philosophie, wenn des Königes Xerxes Majestät über sein Heer sich freute und traurig ward. — Jeder Schmerz hat seine Wollust; und wie schal ist nicht das Vergnügen, das nicht durch etwas Bitter - keit gewürzt wird! Vom Glück ist dem Wei - sen nur zu träumen erlaubt; das Unglück, als das gewöhnliche Loos der Menschheit, mit Fassung zu ertragen, bleibt ihm unabläſsliche Pflicht: und es giebt in der That überall eine Mittelstraſse, eine gemäſsigte Fröhlichkeit und ein Lächeln; das bei warmen Thränen im Auge Statt finden kann. Alle vier und zwanzig Stun - den giebt es Nacht und Tag, ein Licht, das den Tag regiert, und eins, das die Nacht re - giert. — Noch näher kann ich dieses Exor - dium legen, wenn ich bemerke, daſs das schöne Geschlecht, der Natur getreu, die guteA 36und vollkommene Gabe von oben herab be - sitzt, alle seine Bitterkeiten, deren es sich zu seinen Wehr und Waffen zu bedienen pflegt, so zu bezuckern, und ihren Ernst, vermittelst eines ihn lindernden Lächelns, so zu ermäſsi - gen, daſs ich keinen Augenblick Bedenkzeit nehmen darf, diesem liebenswürdigen Bei - spiele zu huldigen und mich der beiden Ge - sichter des Janus mit patriotischer Freiheit zu erinnern. Auch scheint die Last, welche das schöne Geschlecht trägt, einem und bei wei - tem dem gröſseren Theile desselben so sanft und sein Joch so leicht zu seyn, daſs es viel - leicht im Diensthause Egyptens und bei den Fleischtöpfen eines gemächlichen wirklichen Alltags-Lebens zu verbleiben wünschen wird, ohne die beschwerliche Reise nach Kanaan, wo Milch und Honig der Natur flieſst, antre - ten zu wollen. Selbst Damen von Bedeutung scheinen oft nicht zu wissen, daſs sie in ih - rem Prunk von Purpur und köstlicher Lein - wand Leid tragen, und daſs ihr Leben in Herrlichkeit und Freude eine Leibes - und Le - bensstrafe ist, die man ihnen im heimlichen7 Gericht zuerkannt hat. — Wo viel Glanz ist, da ist wenig Geschmack — so wie gemeiniglich Bigotterie und Sittenlosigkeit getreue Nachbarn und desgleichen zu seyn pflegen. Wahrlich! es ist der höchste Gipfel der Krankheit, wenn Patienten Fieberhitze für blühende Gesundheit halten und jede Arznei von der Hand weisen; und so übersteigt es auch den gewöhnlichen Grad des menschlichen Verderbens, wenn Sklaven auf alle Rechte Verzicht thun und ihre Verfassung auf das gute Glück der Den - kungsart ihrer Gebieter gründen. — Und wer ist Schuld an diesem Gerichte der Verstockung? das andere Geschlecht? wird man diesen Stab brechen, da selbst der Naturverkündiger Rous - seau, der alle Welt, und besonders die schö - nere Hälfte derselben, zur Natur bekehren wollte, trotz dieser gewaltigen Predigt von Buſse und Glauben am liebsten mit vorneh - men Damen umging? Wie konnte seine Ei - telkeit sich gütlich thun, wenn Standesperso - nen ihn hervorzogen, ob er gleich über das Verderben der höheren Stände bei aller Gele - genheit auſser Athem kam! — — Doch ichA 48will dem zweiten Theile dieses Kapitels nicht vorgreifen. Mag sich meine Schrift in die Zeit schicken, und von allen Seiten ihr Heil versuchen —! Mit der Anrufung der heiligen Zahl der drei mal drei Schwestern soll sie sich nicht brüsten, da ein dergleichen Oremus bloſs poëtischen Arbeiten die Bahn zu brechen gewohnt ist; aber um alles in der Welt wünschte ich nicht, daſs ihr die Ehre erwie - sen würde, die Bibliothek der erlauchten Re - publik des Plato zu zieren. — Zur Sache.
Als Ludwig den Vierzehnten wegen der neuen Lasten, die er seinem schon gedrückten Volke zugedacht hatte, wirklich eine Art von Gewissens-Schauer anwandelte, fand er in dem leidigen Troste seines Beichtvaters Tel - lier, » daſs das Vermögen seiner Unterthanen sein Eigenthum sei, » ein so sanftes Küssen für dieses aufgewachte Gewissen, daſs er sich kein Bedenken gemacht haben würde, die Auf - lage, die ihn beunruhiget hatte, aus dem Steg - reife zu verdoppeln; und ohne Zweifel ist die - ser Köhlerglaube der Grund zu jener Behaup - tung: ich bin der Staat.
9Die Gewohnheit wird so leicht zur andern Natur, daſs die Franzosen, welche die Placke - reien eines Terray, und die Härte eines Mear - pou ertrugen, sich hinreichend glücklich schätz - ten, wenn nur ein kleiner, vielleicht der un - würdigste, Theil die durch die Zehnten der Wi[tt]wen und die Sparpfennige der Elenden gefüllten Freudenbecher des Staats in unmäſsi - gen Zügen leeren konnte, während der an - dere gröſsere und arbeitende Theil, unter dem Joche der Willkühr der Despotie und der Dürf - tigkeit schmachtend, doch noch immer das Glück hatte, so gut es sich thun lieſs, zu springen und zu singen, zu hüpfen und zu pfeifen. — Bei einem so leichten, über Alles sich wegsetzenden und mit einem Chanson sich aus aller Noth helfenden Völkchen, war diese Zuchtruthe, theils mit Peitschen, theils mit Skor - pionen, um so weniger fühlbar, da es an den Gallatagen und Staatsfesten der Ausgezeichne - ten unter ihm, durch ein Freibillet vermittelst der Augen Theil nahm — und dieses Völkchen lernte es je länger je mehr ertragen, daſs jene den Freudenkelch für sich allein behielten undA 510es für sie alle thaten. Die Brocken, die etwa dem Künstler und der Putzmacherin von den Tischen dieser reichen Männer fielen — wa - ren ihnen eine Segenserndte, und die Hunde der Groſsen leckten ihnen ihre Schwären — Dies Jammer und Elend ist kommen zu einem seligen End, und Laternenpfähle scheinen über Frankreich das Licht der Natur und einer Gleichheit aller Menschen so stark verbreitet zu haben, daſs man vor lauter Licht das Licht zuweilen nicht zu erblicken scheint. Es giebt Menschen, die den Wald nicht vor den Bäumen sehen, und gar zu hell macht dunkel: auch giebt es moralische Blendlinge, die das Glück oder Unglück haben, da etwas flittern zu sehen, wo das gesunde Auge des Verstandes nichts wahr - nimmt. Wie wär’ es, wenn ich ohne Feldge - schrei und Sturmglocke, wie weiland Dioge - nes, laternisirte und mit einer Handleuchte in der schönen Welt, wo so viel Überfluſs von tausend und abermal tausend Dingen für Geld oder für gute Worte zu haben ist — Men - schen suchte? — Ob ich finden würde? — Einige Auflösungen sind mit Brausen verbun -11 den; bei einigen entstehet eine Hitze, bei ei - nigen eine Kälte. — Daſs Ew. Excellenz sich nur ja nicht ereifern, vielmehr Hochdero Galle für Ihren ungetreuen Liebhaber Num. 30. be - sparen! — Eine Schwalbe macht keinen Som - mer, und meine Laterne ist mit einem Hauch Ihres Eifers ausgeblasen. Wollten Ew. Excel - lenz in aller Zucht und Ehrbarkeit Sich in ei - nen wohlgemeinten Wortwechsel mit mir ein - zulassen geruhen; Sie würden, wie ich nach der Isiebe hoffe, Sich eines andern besinnen, und vielleicht überzeugt werden, daſs ich we - niger Vorwürfe verdiene, als alle Ihre Liebha - ber bis auf den sub Num. 30., der es freilich auſser der Weise macht, woran indeſs ich und meine Schrift auch nicht auf die ent - ferntste Weise Schuld sind — Bin ich gleich kein galanter, so bin ich doch ein treuer Ver - ehrer eines Geschlechtes, unter welchem Sie und viele andere Ihres Gleichen so unrichtig Excellenz heiſsen, wogegen andere trefliche Weiber, welche diesen Ehrennamen zehnfach verdienen, aus Hof-Etiquette nicht so genannt werden.
12Keinem anderen als einem Deutschen konn - te wohl ein solches Buch einfallen!
Auch unter den Franzosen gab es Sonder - linge, die, wenn sie gleich freilich nicht mit der Thür ins Haus fielen, und an keine bür - gerliche Verbesserung des schönen Geschlech - tes dachten, ihm doch ein anderes Verhältniſs anwiesen. Ich habe geglaubt, man müsse dem Übel die Wurzel nehmen und den Staat nicht aus dem Spiele lassen.
Frankreich, wo jetzt alles gleich ist, lieſs unser Geschlecht unangetastet.
Unverzeihlich! wie konnte ein Volk, das (wie weiland Voltaire par et pour die Komö - dianten lebte) par et pour das schöne Ge - schlecht existirt bei der weltgepriesenen allge - meinen Gleichheit ein Geschlecht vernachlässi - gen, das eine Königin hat, derengleichen es gewiſs wenige in der Welt gab. —
Wenn ich nur selbst wüſste, wie ich mich hier ins Mittel legen könnte, um aus diesem excellenten Handel mit Ehren herauszukom - men! — Wohlan! ich will den gegenwärti - gen Weltlauf der Damen copiren, die in Ei -13 nem Athem trotzen und bitten, fluchen und segnen — —
Vielleicht war das menschliche Geschlecht bloſs darum so vielem Wechsel von Licht und Finsterniſs, von Veredlung und Herabwürdi - gung, von Paradies und Fall ausgesetzt, weil man die Rechnung ohne die schröne Welt machte. Es ebbte und fluthete, je nachdem man von dieser andern Hälfte Notiz nahm und je nachdem man sie als etwas Wesentliches in der Menschheit oder als etwas Beiläufiges ansah, das schon die Ehre haben würde, der Principalsache zu folgen. Man sah das schö - ne Geschlecht, wie den Reim, kaum für etwas mehr, als für eine Krücke an, wodurch sich der Gedanke forthilft; und bei Messiaden und andern Werken der Dichtkunst, wo man ohne Krücken ging — muſste das andere Geschlecht sich gefallen lassen, zu kurz zu kommen. Je - ner Römische Rechtsspruch: Mit dem Rechts - maſs, mit dem man Andere miſst, muſs man sich selbst messen; schien hier völlig seine Kraft verloren zu haben, wenn er gleich zu jenen ins Herz geschriebenen gehört, die zu14 übertreten eine Sünde wider den heiligen Geist ist. — Wie ist ein Stoff zu organisiren, wenn es nicht auf die Vereinfachung des Viel - fachen angelegt wird? Wie ist dem mensch - lichen Geschlechte zu rathen und zu helfen, wenn man so entsetzlich einseitig verfährt? Der Himmel der alten Welt hatte seine Göt - tinnen so gut wie seine Götter; nur unter den Menschen soll es keine anderen Götter geben neben den Männern von[Gottes] Gnaden! — Ist es ein Seelenfest, wenn entfernte, einander völlig fremd gewordene Gegenstände in der Geisterwelt sich zusammen finden; wenn sich oft das Allerverschiedenste in einem Berüh - rungspunkte des Denkens trifft, wo seine ur - sprüngliche Verwandtschaft wieder einleuch - tend wird; wenn sich dergleichen von einan - der abgekommene Gegenstände Hände und Trauringe geben und eine Himmelsstimme sich hören läſst: was Gott zusammen fügt, soll der Mensch nicht scheiden; ist es unaussprechliche Wonne, wenn Freunde nach langen See - und Landreisen sich wieder an Stell’ und Ort um - armen und sich an die paradiesischen Jahre15 ihrer Jugend erinnern, wo sie Ein Herz und Eine Seele waren: wie weit herrlicher wird es seyn, wenn das andere Geschlecht sich wieder zu dem unsrigen verhält, wie Eva zu Adam, und nicht wie Ew. Excellenz zu Num. 30! — Laſst uns dies Werk der Zeit über - lassen, die bisweilen aus unbegreiflicher Güte Combinationen zusammen bringt, auf welche, nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge, we - der zu rechnen, noch Jagd zu machen war — Laſst uns auf den Zeitpunkt uns freuen, wo der Tag der Erlösung für das schöne Ge - schlecht anbrechen wird, wenn man Men - schen, die zu gleichen Rechten berufen sind, nicht mehr in der Ausübung derselben behin - dert — und wenn man das, was so augen - scheinlich gleich ist, nicht so willkührlich unterscheidet. — Ich würd’ ein Frauenknecht in bester Form seyn, wenn ich behaupten wollte, daſs diese goldene Zeit vom Himmel fallen werde. Verdienst und Würdigkeit sind die Bedingungen menschlicher Glückseligkeit, und der Mensch, sein eigener Bildner, kann aus dem Marmorwürfel, den die Natur ihm16 zuwarf, einen Gott und ein Thier machen — nach Belieben. Bloſs auf die Behauptung schränk’ ich mich ein, daſs der Stoff, woraus eine Venus ward, sich eben so gut zu einem Merkur verarbeiten läſst; daſs den Weibern das Recht der Gerade gebührt; und daſs, wenn die Natur das menschliche Geschlecht zu schaffen anfing, sie den gröſseren Theil uns selbst überlieſs; um die Ehre der Schöpfung mit uns zu theilen. Thätigkeit ist die Würze des Genusses, und Genuſs die Würze der Thätigkeit. — Es ist dem Menschen ange - boren, sagt Cicero (mit andern Worten), daſs, wenn er sich Gott denkt, die menschliche Na - tur vor ihm schwebt. — Man definire den Menschen, wie weiland der göttliche Plato, als ein zweifüſsiges Thier ohne Federn, oder als ein Geschöpf, das sich wie ein Tanzmei - ster gerade hält, als Gott, als Thier: nirgends sind Weiber ausgeschlossen; nur müssen sie auch nicht sich selbst ausschlieſsen — und wollen und werden sie das? Wesley, der Stif - ter des Methodismus, hatte die Maxime, daſs es ohne Fasten und Frühaufstehen unmöglich sei,in17in der Gnade zu wachsen — Was gilt das be - ste Recht, wenn man sich desselben unwürdig macht! Das fräuliche Geschlecht soll in der Gerechtigkeit, und nicht in der Gnade, wach - sen; indeſs kann ich ihm kein anderes als dies Methodisten-Recept verschreiben: Wachsamkeit und Enthaltsamkeit — Welch ein Fürst, und wär’ es der reichste und mächtigste, ist glück - lich ohne persönliches Verdienst —? Thomas Payne, der den Vorwurf, ein Fürstenfeind zu seyn, höchlich von sich ablehnt, und protesti - rend versichert, daſs Niemand treuer als Er wünschen könne, die regierenden Herren zu der glücklichen Lage der Privatmänner zu er - heben, bedachte nicht, daſs jeder Fürst nicht nur ein politisches, sondern auch ein Privat - leben führt — daſs Fürsten mehr persönliche Verdienste zeigen müssen, als andere, wenn sie geliebt und bewundert werden wollen, und daſs sie Fürsten bleiben und doch sich per - sönlich auszeichnen können. Das ist, mit Ewr. Excellenz gnädiger Erlaubniſs, der Fall mit Ihrem Geschlechte. — Quand le bon ton paroît, la bon sens se retire. — —
B18Eine Gardefou, eine Warnungstafel, den Blöden zum Besten: daſs ich hier mit keiner wirklichen Excellenz wirklich colloquirt habe; denn auſserdem, daſs ich alsdann gewiſs we - niger zum Wort gekommen wäre, würd’ ich auch meine wenigeren Worte unschwer zu verzuckern nicht ermangelt haben. — Wenn der Künstler auf bloſse Portraite eingeschränkt ist und keine Ideale mehr wagen darf, so agonisirt seine Kunst, und auch sein Genie liegt in den letzten Zügen; doch muſs man in seinen Idealen eine auserlesene Sammlung von Portraiten finden, falls sie den Namen Ideale verdienen sollen. In einer Venus lag ein Extrakt von fünfhundert schönen Mädchen — Meine Excellenz ist in der Ideenwelt; sie wird indeſs hoffentlich kenntlich genug geblie - ben seyn, und man kann ihren Widerschein gewiſs mehr als fünfhundert mal finden. Die eigentliche Absicht war, vermittelst dieses ma - gischen Spiegels mein Müthlein an der gefäl - ligen Ungerechtigkeit zu kühlen, die unser Geschlecht dem schönen beweiset — ohne daſs das letztere es dazu anlegen will, sich19 von seinen Königen zu befreien, wie weiland Rom, nachdem der stolze Tarquin wegen sei - ner Tyrannei vom Throne gestoſsen und diese Handlung mit dem Grundgesetze bezeichnet ward: die königliche Regierung auf immer und ewig abzustellen. Sehr viel mehr als ein Balken-Königreich, das man aus einer alten Fabel kennt, war und ist unsere Herrschaft doch nicht — und es giebt ein moralisches Nestelknüpfen, kraft dessen (zum wahren Glück des Ganzen) nur wenige Männer zur eigentlichen Herrschaft gelangen. — Damit ich indeſs dieses erste Kapitel, welches einer Parlements - oder gar National-Versammlungs - Rede nicht unähnlich ist, einlenke, so glaub’ ich, dem Buche über die Ehe, diesem belob - ten und betadelten Ehe-Katechismus, mit dem ich es weder halten noch verderben mag, nicht zu nahe zu treten, wenn ich zur Zerstö - rung der galanten Bastillen, der häuslichen Zwinger und bürgerlichen Verlieſse, worin sich das schöne Geschlecht befindet, mit ei - nem einzigen Operations-Plan Markt halte, und die bürgerliche Verbesserung der WeiberB 220als ein diensames Mittel diesen Zweck zu be - schleichen, empfehle, anbei aber glaubensvoll versichere, daſs dieser weniger im Schweiſs des Angesichts zu erringende, als so zu erhal - tende Stand im Staate, beiden Hemisphären des menschlichen Geschlechtes heilsam seyn werde, zeitlich und ewiglich. — Ruhig und überzeugend gehet die Vernunft, und nur da, wo man sie mit ungleichen Waffen unrühm - lich bekämpfen will, wo das Vorurtheil den Handschuh wirft, und Gewalt ihr den Weg vertritt, pflegt auch sie ihren eigentlichen wohlüberdachten Plan aufzugeben, und ihm einen andern unterzulegen, wodurch nicht das Bessere befördert, sondern Schlechtes mit Schlechterem verwechselt wird: etwas Blindes mit etwas Lahmen; man verändert, ohne zu verbessern. Ein untrügliches Merkmahl aller Schwachköpfe, vom Thron bis auf den letzten Officianten-Sessel. — Es gab, Gottlob! von je her Weiber, und es giebt ihrer noch, denen ihr Stand der Erniedrigung eine zu starke Probe ist; Weiberköpfe, die nicht ihre Weib - lichkeit, sondern die willkührliche Behandlung21 derselben von Seiten unseres Geschlechtes be - seufzten, und die ihrer Erlösung entgegen sa - hen — meine Schrift soll ihnen keine Heer - führerdienste leisten. — Man kann durch Lehren lernen, und durch Gehorchen sich im Befehlen unterrichten. Ich leg’ es so we - nig darauf an, das andere Geschlecht Knall und Fall von seiner Sklaverei zu befreien, daſs ich mich vielmehr begnüge es aufzumun - tern, diese Erlösung zu verdienen. Des Him - mels würdig werden, heiſst nicht viel weniger, als ein activer Himmelsbürger seyn. — — Findet auch selbst diese bescheidene Absicht steinichte Äcker und steinerne Herzen — im - merhin! — es ist ja nichts weiter als ein Buch, das ich verbreche; wahrlich eine Klei - nigkeit. Wirkte je eins? auf frischer That? an Stell’ und Ort? u. s. w. Erfahrungen, Em - pfindungen solcher positiven Übel, welche der menschlichen Natur widersprechen, wirken; und wenn gleich die Mehrheit der Hände viel - fältig entschieden hat, und noch entscheiden kann, so gilt doch dieser Vorzug der Thater nicht von der Pluralität der Leser, die sich zuB 322Denkern etwa wie Eins zu Hundert verhalten. Und du lieber Gott! selbst die Denker! sind sie nicht eine so unsichtbare Kirche, daſs nur der Herr die Seinen kennet? Wahrlich! es hat auf die Wirkung keinen Einfluſs, ob ein Buch zehn, fünf oder nur Eine Auflage erlebt; und der Autor, der nach der Anzahl der ver - kauften Exemplare ein angeworbenes Heer mit ihm gleich denkender Menschen, die vermit - telst seines Buches Handgeld genommen, be - rechnen will, scheint weder Bücher noch Menschen zu kennen — man muſs ihn in die Schule schicken. Einer jeden Schrift, sie sey weſs Standes oder Ehren sie wolle, stehet das gewöhnliche Schicksal aller Schriften be - vor: gelesen und vergessen zu werden; falls sie sich bloſs auf Meinungen einschränkt (die unschädlichsten, unwirksamsten Dinge in der Welt, wenn anders der Censor ihnen nicht einen Schein von Bedeutung beizulegen die ungütige Güte hat. ) — Gelingt es mir indeſs, Leben und Erfahrung in mein Büchlein zu legen und einen Geist in die todten Buchsta - ben zu hauchen; so werd’ ich wenigstens auf23 einen Theil der Ehre rechnen können, welche sich der mündliche Vortrag gegen den schrift - lichen herausnimmt, indem es von ihm heiſst: der Glaube kommt durch die Predigt. —
Bei solchen Umständen ist mein Zweck freilich eine Reise um die Welt, ohne daſs ich mein Zimmer verlasse. Ob dies gerade die gemächlichste Art zu reisen sei, mag un - entschieden bleiben; die unfruchtbarste ist sie wenigstens nicht. Newton maſs in seinem Lehnsessel die Erde, und bestimmte, ohne den Chimborasso bestiegen und in Tornea gefro - ren zu haben, ihre Figur, Jahre lang früher, als die Herren Condamine und Maupertuis; auch bin ich nicht der Erste, der so reiset. —
Wie, wenn ich die gegenwärtige passive Existenz des schönen Geschlechtes in ihrer wahren Blöſse zu zeigen glücklich genug wäre, um den Vorzug verdächtig zu machen, im Nichtthun stark zu seyn! wenn ich einem ge - nuſsgierigen Volke, das für den sinnlichen Luxus oft selbst den moralischen verschwen - det, indem es für die Nothwendigkeit knickert, ökonomischere Grundsätze beibrächte, und esB 424bewegen könnte, über Leib und Seele Credit und Debet zu verzeichnen und Buch zu hal - ten! wenn meine wohlgemeinten Vorstellun - gen bewirkten, daſs die Weiber nicht in dem Grade männlich würden, wie die Männer weiblich, sondern daſs Mann und Weib sich Mühe gäben, wirklich Mann und Weib zu seyn, da jetzt, aus verjährter Unordnung, in Hinsicht der Geschlechter Niemand recht weiſs, wer Koch oder Kellner ist! wenn ich, frei von jeder Explosion, bloſs jenes Ziel nä - ber brächte, welches die Natur in eigner ho - her Person angewiesen hat! wenn mich das gewöhnliche Schicksal der Reformatoren nicht träfe, die Alles auſser der Jahreszeit hervor - bringen wollen, denen es an Geist und Nach - druck gebricht, den Zeitpunkt schneller herbe zu führen, und die, was noch ärger ist, sich auf die Pulsschläge der Zeit so wenig verste - hen, daſs sie gemeiniglich zu früh, und, wenn das Glück gut ist, zu spät zu kommen die Ehre haben! — Des hoffnungstrunkenen Schriftstellers! Man hat in unserer Zeit so sehr die bürgerliche Verbesserung der Juden25 empfohlen; sollte ein wirkliches Volk Gottes (das andere Geschlecht) weniger diese Sorgfalt verdienen, als das so genannte? — Liegt der Same der Erbsünde nicht in den Müttern? und lagen die Verhinderungen einer morali - schen Verbesserung des menschlichen Ge - schlechtes — welche Verbesserung die besten Menschen in der Welt, und unter diesen Friedrich der Zweite, anfänglich so thä - tig bezweckten, nachher aber betrübt aufgaben — nicht vorzüglich darin, daſs man das schöne Geschlecht in seinen Ruinen lieſs und diesen Tempel bloſs aus unserm Geschlecht errichten wollte? Ist es nicht unverzeihlich, die Hälfte der menschlichen Kräfte ungekannt, ungeschätzt und ungebraucht schlummern zu lassen —? Gesellschaft setzt unter den Ver - bundenen eine Gleichheit voraus, wozu es der Urheber der Menschen auch angelegt hat, der die Menschen aufrichtig machte; nur leider! suchen sie viele Künste. In allen Gesellschaf - ten, woran Weiber Theil nehmen, verbreitet sich Anstand; und sollte dies nicht auch der Fall beim Staate seyn, in dessen GeschäfteB 526ein andres Licht und Leben kommen würde, wenn Weiber den Zutritt hätten, in ihnen ihr Licht leuchten zu lassen und ihnen einen an - deren Schwung beizulegen? — Wir haben für unsere Gesellschaften noch keine Pflichtvor - schriften; und doch führt man sich hier ohne Gesetzbuch so exemplarisch, daſs oft Ungezo - gene, die der Staat aufgab, mit augenschein - lichem Vortheile in diese Schule gingen, und aus ihr als gebesserte Menschen zur Universi - tät des Staates gebracht wurden. — Ich ge - traue mir (den Gegenbeweis unverschnitten) auſser Zweifel zu setzen, daſs in allen weib - lichen Regierungen gewisse feine Züge des Anstandes aufzuspüren seyn würden, welche bei einem groſsen Theile der Menschen mehr bewirken, als ein wohlbestallter Codex voll kunstgerechter Strafflüche. Dieser süſse Ge - ruch der Empfehlung, dieses Gewürz des Wohlgefallens — wie liebenswürdig! Die Ge - setzgebung der Grossen Katharina der II. hat davon laute Spuren. — Schon die Gegenwart der Frau vom Hause, die doch das Hausrecht gewiſs nicht in aller Strenge hand -27 haben kann, macht den Männern die Sprache der Bescheidenheit nothwendig — und will man einwenden, daſs die Ohren alsdann ge - rade nur so viel keuscher geworden wären, als das Herz unkeusch; so vergiſst man, daſs ein gewisser Schein, eine gewisse Heuchelei, die man Lebensart nennt, unter den Menschen so nothwendig ist, daſs die Menschen ohne diese Lebensart nicht, wie ein Paar Augures der alten Zeit, wenn sie einander begegneten, oder ein Paar der neuern, wenn sie ein Con - silium wegen der letzten Öhlung eines Patien - ten halten, über einander lachen, sondern sich verabscheuen würden. — Die Reinheit der Zunge wirkt zurück; und wessen das Herz voll ist, geht der Mund über. —
Als nach dem Rathe, den Gott über das Schöpfungswerk gehalten hatte, dieser Plan aus - geführt werden sollte; schuf Er das erste und beste Paar von Menschen gleich im männlichen und mannbaren Alter, so daſs ihre Hochzeit keine Stunde ausgesetzt werden durfte. Sie kamen mit den erforderlichen Jahren zur Welt, wie regierende Herren ihrem neuen Adel Ahnen verehren — Das Männlein Adam hatte zwar die Ehre der Erstgeburt; indeſs ward Fräu - lein Eva vollkommen dadurch entschädigt, daſs sie aus einer Rippe Adams, dieser dage - gen nur aus einem Erdenkloſs zur Welt ge - bracht wurde —! » Eine Schöpfung also aus der zweiten Hand? « Warum nicht gar aus der29 dritten —! Schuf nicht eben die Schöpfer - hand, welche Adam geschaffen hatte, auch Eva? und gereichet diese Rippen-Hieroglyphe nicht in mehr als Einer Rücksicht zum Vor - zuge des Weibes? Keins erzog das andere; Keinem fiel es ein, sich über das andere zu erheben und Vaterrechte zu behaupten. — Elternrecht, das schönste und ehrwürdigste, das die Menschheit kennt, der Urquell der liebenswürdigsten Tugenden, hat (wer sollt’ es denken!) die Ungleichheit unter den Menschen erzeugt. Gute Eltern, solch eine ungerathene, ausgeartete Tochter! Sind indeſs viele Laster nichts anders als ungezogene Tugenden; sind, nach dem Ausspruch eines Heiligen, unsere Tugenden bloſs schöne Sünden: so würde man ein Verbrechen an der Menschheit bege - hen, wenn man nicht auch dem Bösen und dem Ideal desselben, dem Teufel, Gerechtig - keit erweisen wollte. — Wenn man ja, nach der ältesten Urkunde das menschliche Ge - schlecht betreffend, einem Theile dieses ersten Menschenpaares einen Vorzug vor dem andern beilegen wollte; so würde Eva den Zankapfel30 von jedem Paris erhalten —” weil sie schöner als Helena war? und weil jeder Paris bei al - ler Sinneseinfalt eine Mannsperson bleibt?” Nein! sondern weil Adam durch sie zum Falle gebracht ward, oder (wie diese hohe und tiefe, erhabene und schöne Hieroglyphe nicht un - richtig gedeutet werden kann) weil er sich durch sie zum Gebrauch und zur Anwendung, zum Durchbruch der Vernunft hinaufstimmen lieſs. Der seligen Stimmung! — Eva war das Pupillen-Amt, welches die Majorennitäts - Erklärung über den unmündigen Adam aus - sprach, nachdem er zeither vielleicht unter der Vormundschafts-Direktion der braven Eva gestanden zu haben scheint, die sich schon zuvor in einigen Stücken manumittirt haben mochte — Sie zerbrach die Ketten des In - stinkts, der die Vernunft nicht aufkommen lieſs, und triumphirte — Eva sollte die Ver - nunft, ihr zum Andenken, heiſsen. Die erste Hauptrevolution konnte, wie jede Revolution, nicht ohne Drangsale und Unruhe seyn. Die - se sind nach der Natur des Menschen so nothwendig, daſs ich nichts weiſs, es sey et -31 was Theoretisches oder Praktisches, was, wenn es sich anders auszeichnet, nicht durch Zer - rüttung und Leidenschaft empfangen und ge - boren wäre — Nur immerwährend kann die - ser Braus und Saus nicht seyn und bleiben. Die Wellen müssen sich legen und die Ver - nunft muſs endlich obsiegen — So ging es bei der ersten Revolution, und so muſs es bei einer jeden andern gehen, wenn sie anders diesen Namen verdienen soll. Diese Lobrede auf Eva, welche ihr von wegen der Vernunft - Revolution so wohl gebührt, würde vielleicht zu einer theologischen, juristischen, medi - cinischen oder philosophischen Disputation, oder zu einem Aufsatze für irgend ein zeit - verkürzendes Journal, hinreichende Gelegen - heit an Hand und Kopf geben, wenn man nur wüſste, wie man den ungebetenen Gast von Assistenzräthin, die Schlange, aus dem Spiel bringen könnte. — Mit diesem Eheteu - fel ist leider! nichts anzufangen — Kurz und gut, sagt der gläubige Thomas Payne, ich bin dem ganzen Teufel von Monarchie feind. — Da es aber, mit Herrn Payne’s Erlaubniſs,32 auch gar häſsliche Republikteufel geben kann und giebt; so ist es am Besten, alle Teufel zum Teufel zu jagen. Vielleicht die beste Gerechtigkeit, die man ihnen erweisen kann. —
Die Schöpfungsgeschichte erwähnet, nach dem klaren Inhalt derselben, keines andern als des Geschlechtsunterschiedes. Lasset uns Menschen machen — und er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein — — Es ist ei - ne weit spätere Epoche, wenn es heiſst: Dein Wille soll deinem Manne unterworfen seyn und er soll dein Herr seyn! Und denkt man sich unter der Geschichte des Falles ein Bild von der Befreiung des Menschen von dem pa - radiesischen Joche des Instinkts, und vom Ur - sprunge des gesellschaftlichen Zustandes, zu welchem die weise Eva die Gelegenheitsma - cherin und Heroldin war; so scheinen diese prophetischen Worte den traurigen Zustand zu verkündigen, den Eva ihrem Geschlechte durch diese Heldenthat zuzog. — Ob indeſs die Natur der Sache jene allererste Urkunde und ihre Auslegung bestätigen wird? Zu über - siebnen sind dergleichen alte und wohlbetagteDin -33Dinge nicht; und wozu auch diese gefährliche Beweisart —? wozu, da wir Vernunft und Erfahrung als Zeugen zum ewigen Gedächt - niſs anrufen können. Aus dieser zweier Zeu - gen Munde bestehet alle Wahrheit. —
Die Natur scheint bei Bildung der beiden Menschengeschlechter nicht beabsichtiget zu haben, weder einen merklichen Unterschied unter ihnen festzustellen, noch eins auf Ko - sten des andern zu begünstigen — Der Ge - schlechtsunterschied kann nicht zur Antwort dienen, wenn die Frage ist: ob das männliche Geschlecht mit wesentlichen körperlichen und geistigen Vorzügen vor dem weiblichen ausge - stattet worden sei? Andere Unterschiede, als die welche auf die Geschlechtsbestimmung gehen, zu entdecken, hat dem anatomischen Messer bis jetzt noch nicht gelingen wollen; und doch behauptet dies Instrument bei der goldnen Re - gel: Erkenne dich selbst, einen unleugbaren Einfluſs; und überhaupt hat das brave Eisen dem menschlichen Geschlechte weit mehr Dienste geleistet, als das prahlerische Gold — Wer zuerst den Magneten die EisenbrautC34nannte, bewies für Magnet und Eisen eine Achtung, die beiden gebührt. — Was hätte die Natur veranlassen können, die Eine Hälfte ihres höchsten Meisterstücks zu beglücken und zu ehren, die andere dagegen zu verküm - mern und zu vernachlässigen, und zwar gerade in umgekehrtem Verhältnisse? Bei Erreichung jenes groſsen Naturzwecks, wo Menschen das göttliche Ebenbild des Schöpfers darstellen, hat das weibliche Geschlecht einen ungleich wesentlicheren Antheil als das männliche, und zwar sowohl in Hinsicht der Substanz als der Form. Dieser Absicht recht weise vorzuarbei - ten, sollte die Natur die Weiber haben schwä - cher bilden oder unvollendet lassen wollen? ” Nicht eben schwächer,” sagte ein Weiber - feind, als er diese Stelle im Manuskripte las,” aber weniger gäng und gebe. Mögen Weiber” Stahl seyn, die Männer Eisen —”. Nicht also; und warum ein Vergleich auf Schrauben, da das schnurgerade Recht auf der Weibersei - te ist! Wir, glaubt man, wären Gottlob! völlig ausgeschaffen; und nun zerbrach der Meister die Form von Thon, und das andere35 Geschlecht, in der Repräsentantin Eva, war ein Unternehmen auf gutes Glück, auf den Kauf, eher hingeworfen als zu Stande ge - bracht, angefangen und nicht vollendet —! Das Weib, dem das eigentliche Geschäft bei der Vermenschlichung der göttlichen Schöpfung anvertrauet ward, sollte die Merkzeichen der Ohnmacht und der Dürftigkeit an sich tragen? Die allmächtige Natur sollte ihre Stellvertrete - rin schwach gelassen haben, um nicht nur schwache Personen ihres eigenen Geschlechtes, sondern auch starke des unsrigen zur Welt zu bringen? Doch scheint es so; und freilich, wenn Erfahrung spricht, muſs Vernünftelei schweigen, knieen und anbeten — Der einzige Winkelzug, der ihr übrig bleibt — Erfahrung! und was lehrt sie? Das andere Geschlecht sey im Ganzen kleiner, schwächlicher angelegt, besitze weniger körperliche Kräfte, und sey mehrern Krankheiten unterworfen. Bedarf es weiteres Zeugnisses, um die Vernunft zu der Schluſsfolge zu bequemen: dies wären Geschlechtsunvollkommenheiten, von welchen die Weiber bei der Ordnung der Dinge nichtC 236entbunden werden konnten? Alles ist gut, was nicht anders seyn kann, und im Muſs liegt ei - ne Schatzkammer von Beruhigungsgründen, ver - mittelst deren man bei ein wenig Philosophie das: ich Muſs, mit dem: ich Will, so auszu - söhnen weiſs, daſs hier jeder Fluch sich in Se - gen, und die arge böse Welt sich in die beste ver - wandelt. Friede mit der Natur und mit dem schönen Geschlechte; und Friede mit uns Allen! Wie aber, wenn es so gut Trugerfahrungen als Trugschlüsse gäbe? wenn der Schein betröge? Die Vernunft fürchtet sich vor den Sinnen; und wenn wir die Operation an uns vollziehen zu las - sen völlig entschlossen sind, wenden wir doch in der Stunde der Anfechtung das Auge weg — Vernunft, Herz und Sinne arbeiten sich in die Hand; und nicht nur das Herz des Menschen, sondern auch seine Vernunft und seine Sinne sind trotzig und verzagt: wer kann’s ergrün - den? Bald dünkt der Mensch sich, ein Gott, bald weniger als ein Thier zu seyn — Nackt und bloſs kommt er zur Welt, und wenn an - dere Thiere bewaffnet und bedeckt sind, kön - nen Se. Majestät der Mensch sich nicht ent -37 brechen, das königliche Recht an Thieren aus - zuüben, um sich zu ernähren und zu beklei - den — Diese Finanzregierung wird oft so sehr mit dem Stabe Wehe! geführt, daſs die Thiere bei der Natur die bittersten Klagen gegen ihre Allerdurchlauchtigsten Beherrscher führen könnten — und auch ohne Zweifel führen, wenn anders der Apostel Paulus recht beobachtet hat. Denn in der That die Natur hält ein schreckliches heimliches Gericht, das schrecklichste, das gedacht werden kann! Noth lehrt beten, bitten und nehmen; allein sie ist auch eine weise Lehrerin der Mäſsig - keit — und wer diese ihre Stimme verkennt, in dem ist nicht die Liebe des Allvaters, des - sen Kind Alles ist, was Leben und Athem hat. Nichts mehr als weinen kann der Mensch oh - ne Lehrmeister, zum Zeichen, daſs er bei wei - tem nicht das höchste Loos zog; — denn da er sich nicht zu berechnen versteht, so ist der Gewinn oft schädlicher als eine Niete. Lie - ber! dergleichen Klagen sind durch das Macht - wort: Vernunft, überwunden. Ohne Schwä - che hört der Mensch auf, Mensch zu seyn —C 338und wer es in diesem Erdenleben auf et - was Höheres anlegt, begiebt sich in Gefahr, weniger zu werden und den Zweck des Schöp - fers zu verrücken. Kennen wir ein edleres Geschöpf auſser ihm, in welchem die Kraft liegt, sich Gott und eine reine Tugend zu den - ken? — und diesen Vorzug hat auch der Ver - worfenste nicht aufgegeben — Einen Augen - blick, nicht aber immer, kann der Mensch auf das Ebenbild Gottes Verzicht thun — Ist die Vernunft nicht mehr als Alles? und ver - dient sie diesen Namen, wenn sie nicht Be - gierden einschränken kann? Kann man nicht das Thier am Menschen fast vergöttlichen und seine Leidenschaften, wie die Meereswoge, be - drohen —? Wo sie ist, da wohnt Mensch - heit, und bei den Strahlen ihrer Gottheit die - se Würde im andern Geschlechte verkennen wollen, heiſst: keine Regel übrig lassen, sei - nen eigenen Werth zu bestimmen. Nicht steinerne Gesetztafeln würde man zerbrechen, sondern am göttlichen Geiste, der in uns ist, sich versündigen — — Kann etwas Sache Gottes seyn, was der Vernunft widerspricht?39 oder will Gott seine Sache je durch solche Mittel geführt wissen? Durch die Vernunft, den Widerhall seines Mundes, ist Er nicht fern von einem Jeglichen, der mittelst ihrer Ihm ähnlich ward und in Ihm lebet, webet und ist. — — Mein Feldzeichen ist keine nichts - würdige Präconisirung, sondern Wahrheit und Gerechtigkeit. Ist das weibliche Geschlecht in - der Regel wirklich kleiner, als das männliche? ist nicht die Gröſse überhaupt etwas sehr Re - latives, welches in Klima, Nahrungsmitteln und andern uns unbekannten Ursachen wesent - lichere Bestimmungsgründe findet, als in dem Geschlechtsunterschiede? Jenseits der Wen - decirkel und unter der Linie ist die Menschen - art weit kleiner, als innerhalb derselben. Über den zwanzigsten und sechzigsten Grad der Breite hinaus würden unsere Werbehäuser un - gefähr so viel Glück machen, wie ein Besuch der Boucaniers auf Tierra del Fuego in den Höhlen der Pescherähs. Reisende behaupten, daſs Männer und Weiber dort gleichen Strich halten, und daſs, wenn ihnen nicht der Un - terschied der Kleidung und etwa der Bart aus -C 440hülfen, die beiden Geschlechter von einander nicht unterschieden werden könnten. Oder sollten diese Klimate hier etwa der Entwicke - lung des weiblichen Körpers günstiger seyn? Mit nichten; ihr frühes Dahinwelken wider - spricht dieser Muthmaſsung: schon das drei - ſsigste Jahr bedeckt sie mit Runzeln. Auch in gemäſsigtern Himmelsstrichen giebt es Ver - schiedenheiten in Rücksicht der Gröſse, und unter ihnen Racen, die sich von den übrigen auszeichnen, so wie die Bewohner der Marsch - länder in der Regel gröſser sind, als die Berg - bewohner, als ob die Natur diesen Menschen den Berg mit in Anschlag gebracht hätte — und am Ende, was thut die Gröſse?
Aber die Schwächlichkeit gegen den nervi - gen, eckigen, männlichen Körperbau gehalten! Freilich würde sie mehr beweisen; doch fürcht’ ich, die Erfahrung sagt auch hier weniger, als wir sie sagen lassen — Ehe wir die Feh - de beginnen, ist die Musterung der Heere nothwendig. Verabschieden wir unser elegan - tes, luftiges Völkchen, läſst das andere Ge - schlecht seine Damen der höheren Klassen41 sammt ihren Zofen zu den lieben Ihrigen heimkehren — was gilt die Wette? Selbst wenn unsere eleganten Damen mit unsern ele - ganten jungen Herren sich in Fehde einlie - ſsen — auf welcher Seite wäre Hoffnung zu gewinnen? — Bei Völkern, die auf der er - sten Stufe der Cultur stehen, ist das Schick - sal des weiblichen Geschlechtes hart: bei Jä - gernationen, denen Hausthiere unbekannt sind, ist das Weib das lastbare Thier, welches den Mann zur Jagd begleitet und das erbeutete Wild nach der Hütte trägt; bei den Hirten - und Ackervölkern ist ihr Schicksal, wo mög - lich, noch schwerer: sie bauen das Feld, trei - ben Fabriken und Manufakturarbeiten, indem sie das, was ihnen der Acker und die Heer - den zur Nahrung und Bekleidung darbieten, zum Gebrauch bereiten oder veredlen, und auch noch das (freilich sehr einfache) Haus - wesen besorgen, während der Ehrenmann sich dem Müſsiggange überläſst — Auch unter Na - tionen, wo die Cultur schon Fortschritte macht, ist, bei der arbeitenden Klasse des Volkes, der Antheil des andern Geschlechtes an denC 542Geschäften gewiſs nicht von der Art, daſs da - von auf eine gröſsere Schwächlichkeit der Wei - ber geschlossen werden könnte. Die Arbeiten bei Bestellung des Bodens und bei der Ernd - te — sind sie nicht unter beide Geschlechter so ziemlich gleich vertheilt? Es wird schwer fallen, zu bestimmen, welcher Theil hier mehr übersehen werde. Bei der Musterung aller Gewerbe, die den Kunstfleiſs und die Hände der Menschen beschäftigen — ist nicht der Antheil der Weiber mit einem beträchtlicheren Aufwande von Kräften verknüpft? Der Schnitter kehret heim zu seiner Hütte mit frohem Herzen, um nach ermüdender Arbeit der Ruhe zu pflegen, wenn, auch bei der einfachsten ländlichen Haushaltung, noch viel - fache Geschäfte für das Weib übrig bleiben, das im Schweiſse seines Angesichts die Garben band, wozu nicht minder Anstrengung von Kräften erfordert wird. Jene von Gesundheit strotzende, mit der ächten Sommerfarbe ge - schminkte Dirne ist eine lebendige Widerle - gung dieser miſsgünstigen Behauptung, und sie wird es mit Jedem aufnehmen, der es wagen43 will, die Kräfte ihrer Muskeln in Versuchung zu führen. Weiberkrankheiten sind nur die Geiſsel der Weiberklasse, die den Ehrennamen Weiber, so wie die in ihrem Kammerdienste sich befindenden Treugehorsamsten den Ehren - namen Männer, nur von wegen des Staats und zur Parade führen. Darf und soll die Natur Übel verantworten, welche Lebensart, Sitten und Conventionen, deren Name Legion ist, über sie gebracht haben? Gefährten unserer Thorheiten, Spieſsgesellen unserer Üppigkeit gehören nicht auf das Conto der Natur, die den Menschen so einfach schuf, und allent - halben, wo er seine Hütte aufschlug, für Wohnung, Nahrung und Kleidung reichlich und täglich sorgte. Hat sie je gewollt, daſs er Gewürze aus Indien ziehen sollte, um sein Blut zu vergiften? oder angreifende Lecker - bissen, um seine Nerven zu schwächen? Setzte sie dem Indier Eis, und dem Bewoh - ner der Eiszone Wein vor? gab sie nicht viel - mehr einem Jeden das ihm angemessene und beschiedene Theil? Und wie, grundgütige Natur! der ausgeartete Haufe deiner Kinder44 klaget dich wegen Krankheiten an, wozu er die Anlässe, trotz allen Gefahren und Hinder - nissen, aus Osten und Süden mit rastloser Begierde zusammen brachte, während das Häuflein deiner genügsamen Kinder, den müt - terlichen Vorschriften folgsamer, mitten unter diesen unschlachtigen ausgearteten Menschen vor Dir wandelt und fromm ist, ohne von hysterischen Plagen und dem zahllosen Hee - re von Krämpfen zu wissen, gegen die weder die Materia medica, noch vielleicht die ganze weite und breite Natur, Mittel im Vermögen hat? Nennt die Natur nicht ungerecht, wenn ihr unnatürliche Wege wandelt! Nur gegen natürliche Krankheiten scheint die Natur Mit - tel zu besitzen; gegen Übel, welche Folgen unserer unnatürlichen Cultur sind, hat sie we - der Kraut noch Pflaster, und ihr einziges Mit - tel ist nur: thut Buſse und glaubet an das Natur-Evangelium! O, daſs ihr Buſse thätet und glaubtet! — Ohne daſs wir werden wie die Kinder und in dies Philanthropin heimkom - men, dem wir den Rücken kehrten — sind wir verrathene und verkaufte Menschen, zu45 denen bisweilen die wohlmeinende Stimme er - schallt: Adam wo bist du? die sich indeſs, so gut sie können, vor sich selbst zu verstek - ken suchen — Am fünften Akt scheitern be - sonders die meisten Frauenzimmer, so wie ein groſser Theil der Theaterdichter — Die Lie - be, das Glück des Lebens, wird ihr Unglück; ihr Herz war gebildet, die Tugend zu lieben, und nicht das Schicksal, sondern ihre Nach - lässigkeit, macht es zur Verbrecherin — Die ar - beitende Klasse kennt keine besonderen Wei - berkrankheiten. Schwangerschaften und Ge - burten werden nur durch Nebenumstände, die ihren Grund in Lebensart, Sitten und Kleidung haben, erschwert, und sind so wenig Krank - heiten, daſs Ärzte sie geradesweges als Hei - lungsmittel vorschreiben könnten — und zu - weilen wirklich vorschreiben. Bei einigen so genannten Wilden hält nicht das Weib, son - dern der Mann, die Entbindungsferien. Kaum ist es seiner Bürde entledigt; so badet es sie in dem nächsten Flusse, reicht dem neuen An - kömmling die Brust, ersparet sich das Milch - fieber und das Ammenkreuz, und besorgt die46 Hausgeschäfte nach wie vor, während der Mann, auf seinem Lager hingestreckt, sich pfle - gen läſst, und von seinen Nachbarn Wochen - visiten und Glückwünsche annimmt, weil er — man denke der Mühe! — durch sein Weib ein Kind geboren hat. Da es Helden giebt, deren die Geschichte mit Lob und Preis ge - denkt, weil sie in höchsten Gnaden geruhe - ten, sich Schlachten gewinnen und Siege er - kämpfen zu lassen, ohne daſs sie sich dem kleinsten Gefecht aussetzten und zum Bette der Ehren die mindeste Neigung fühlten, in - dem sie, wenn es hoch kam, weit über die Schuſsweite hinaus sehr behaglich zusahen, wie viele Arme und Beine ein Paar Lorbeerreiser kosteten: — so mag es mit dem Wochenbette dieser Männer so genau nicht genommen wer - den. Ihr, die ihr der Schwangerschaften und Geburten halben die Weiber für schwächer haltet als Euch; sagt: wie hätte die Natur ihr gröſstes Werk, die Fortpflanzung des mensch - lichen Geschlechtes, absichtlich mit solchen Übeln in Verbindung bringen; wie hätte sie den Becher des köstlichsten Nektars mit Wer -47 muth vermischen; wie einer Handlung, über welche sie die besten ihrer Segnungen aus - sprach, mit so schrecklichem Fluche begleiten und auf unsere Seite lauter Wonne, auf die andere dagegen lauter Trübsal legen sollen! Allerdings sind Schwangerschaften, Entbindun - gen, Stillung des Säuglings mit einem Auf - wande von Kräften verbunden; allein, in dem weiblichen Körper, wenn er unverdorben ist, findet sich Stoff genug, diesen Aufwand nicht nur zu bestreiten, sondern auch dessen Ab - gang ohne Zeitverlust zu ersetzen. Der Ein - wand, den man von so vielen Modefrauen ableitet, gilt nicht; denn diese erscheinen be - reits so kümmerlich an Lebensstoff und Kräf - ten, daſs jede Schwangerschaft ihr luftiges Gebäude bis auf den Grund erschüttert, und jede Geburt es zu zerstören droht — Plan - reiche Erfinder, die ihr Rechenmaschinen er - dachtet, einem Gliedermanne Schach spielen lehrtet, Luftreisen unternahmt, und durch Desorganisation Leute weiter bringt, als wenn sie in gradum doctoris utriusque medicinac promovirt hätten; ihr denen die Geister so zu48 Gebote stehen, wie dem Hauptmann von Ka - pernaum seine Knechte: — spannt eure Sai - ten tiefer, und laſst euch zu einer Kleinigkeit herab; erfindet eine Kunst, vermittelst deren unsere galanten Damen von der Last Kinder zu gebären, befreiet werden können. Laſst Söh - ne und Töchter wie Äpfel und Birnen wach - sen; macht, daſs sie wie Kohl verpflanzet wer - den — Sollten auch durch diese Erfindung in den ersten Jahren (kein Meister fällt vom Himmel) die politischen Volkszähler ein Mi - nus wahrnehmen; so würde doch selbst in diesen Jahren der magern Kühe der Metall - werth des menschlichen Geschlechtes Alles ins Reine bringen, und Summa Summarum wäre um so mehr ein unläugbares Plus, da der Staat, anstatt aus Scheidemünze, aus Gliedern von ächtem Schroot und Korn bestehen wür - de! — Was gilt ein Persisches Heer nach Parasangen gemessen, gegen einen Macedoni - schen Phalanx! Doch nein! ziehet eure Schuhe aus, diese Stätte ist heilig. Den rechtmäſsig - sten, den allerheiligsten in der Vernunft ge - gründeten Ansprüchen der Menschen auf dieMit -49Mittheilung der Wahrheit soll hier nicht durch Spott zu nahe getreten werden, der, so wie die üble Nachrede, immer etwas zurückläſst — Nur Menschenliebe nähere sich diesem feuri - gen Busche! Jene Kraft der Trägheit, die im Körper ihr Wesen oder Unwesen treiben soll, um ihn beständig in seinem gegenwärtigen Zustande zu erhalten, der sich der Ruhe wi - dersetzt, wenn der Körper in Bewegung, und der Bewegung, wenn er in Ruhe ist, hat nicht die Ehre mir zu gefallen. Eine Kraft, die nur widersteht und nicht von selbst zu wirken vermag, ist eine Kraft, mit der sich wenigstens nicht prahlen läſst. Der edelste Staat muſs sich zuweilen zum Angriffskriege verstehen, und es giebt Straf - und Wieder - zueignungskriege, wodurch wir unser Recht und das was man uns schuldig ist, einfordern, und den zur Verantwortung ziehen, der sich an uns vergriff — Der ist weder klein noch groſs, der beides nur in dem Grade ist und äuſsern kann, als man sich ihm widersetzt — Laſst beide Geschlechter zu ihrer Lauterkeit und Wahrheit heimkehren, und wir werdenD50je länger je mehr finden, daſs Mann und Weib auch in diesem Sinn Ein Leib sind — aber auch Eine Seele? Noch hat es den Psy - chologen nicht gelingen wollen, in dem Ge - biete der Geister weit genug vorzudringen, um bestimmen zu können, ob es unter ihnen ei - nen wesentlichen Unterschied gebe; wenig - stens gab es keinen Geister-Linné, der sie klassificirte. Rorarius mag es verantworten, wenn er bei den Thieren mehr Vernunft fin - det, als bei Menschen, Helvetius, wenn er die Seelen, denen ein Körper mit einem Huf zu Theil ward, mit denen, die einen Körper mit Händen erhielten, in Eine Klasse setzt, und Beide mögen es mit dem Cartesius aus - machen, daſs sie seine Maschinenwelt zerstö - ren. Es giebt auch philosophische und Ver - nunftketzer; denn der Grund zu allen Behaup - tungen wird aus der Natur genommen: einer Urkunde, die das mit allen Urkunden gemein hat, daſs ein Jeder, was er darin sucht, auch darin findet. Jede Geschichte, jedes Faktum muſs sich bequemen, sich nach uns zu richten, und der wahrhafteste Mann trägt51 zuvor etwas von seinem Selbst in jene Ge - schichte und jenes Faktum, so, daſs Alles was der Mensch berührt, etwas von seinem Ich, von seinem Selbst, erhält. Das beste Wasser hat keinen Geschmack; und so geht es auch den meisten Thatsachen, die wir sel - ten ungewürzt erhalten — und wenn der Würzler auch nur Salz, die kümmerlichste und beste Specerei, darzu thun sollte — Freunde und Feinde nehmen von einander so viel an, daſs man unverkennbare Züge der Ähnlichkeit unter ihnen entdeckt. » Feinde? » Allerdings; und ich behaupte, daſs sie noch leichter als Freunde sich in einander abdrük - ken — Ein Freund, der unser Widerhall ist, hat wenig Reitz für uns; allein eben das, wo - durch Feinde am meisten hervorragen, was am meisten interessirt und auf ihre Seite tritt, pflegt unsere Nachahmung abzugewinnen: so wie man in den Wald schreiet, so erfolgt die Antwort. Eine ganze Schaar von Varianten - sammlern und Commentatoren trägt ihren Sinn und Unsinn so lange in jede Urkunde, bis eine Authentica erscheint, und diese magD 252denn, geliebt es Gott! den Werth und Un - werth des Unterschiedes zwischen den Men - schen - und Thierseelen entscheiden, wenn nur wir es nicht wagen, unter den menschlichen Seelen Rangordnungen zu bestimmen, die nicht mehr und nicht weniger Realität haben, als Träume und ihre Deutungen. Giebt es denn etwa auch Geschlechtsunterschiede unter den Seelen? giebt es Seelen, die ausschlieſs - lich bestimmt sind, weibliche Körper zu be - wohnen —? und wer ist der kühne Argonaut, der dieses unbekannte Meer beschifft hat? wo - mit hat dieser Apostel der unsichtbaren Welt sein Evangelium bestätiget? Wo Satz und Ge - gensatz einander so nahe sind, daſs sie sich die Hände bieten können, da liegt jedem die Pflicht auf, seinen Satz mit aller Stärke zu be - weisen und dann dem Publico das Richteramt zu überlassen. Erfahrungen wider Erfahrun - gen, ehe es noch ausgemacht ist, ob die See - le mit sich selbst Erfahrungen anzustellen ver - mag. Nur im Spiegel kann die Seele sich wahrnehmen; und wer weiſs nicht, daſs die - ser Spiegel das Bild sehr unvollkommen und53 oft sehr unrichtig wiedergiebt! — Der Spie - gel stellt uns verkehrt dar, und es ist ein un - angemessener Ausdruck: der Mensch ist ge - troffen wie aus dem Spiegel gestohlen — Al - lerdings können einzelne Erfahrungen wohl dienen, eine subjektive Überzeugung hervor - zubringen; eine allgemeine Wahrheit auf die - sen Grund zu bauen, reichen nur Erfahrungen hin, die so allgemein sind, wie die Wahr - heit, der sie zur Unterlage dienen sollen. Wie lange ist es, daſs wir in diesem Fach Erfahrungen anstellen? Welche Methoden schlugen wir ein? Waren diese so wohl ge - wählt, daſs sich nach ihnen richtige Resultate erwarten lieſsen? Haben wir wirklich bereits einen solchen Vorrath von Erfahrungen, daſs wir ein System wagen können, nach welchem für eine ganze Hälfte des menschlichen Ge - schlechtes eine so nachtheilige Unterschei - dungslinie sicher gezogen werden kann? oder dürft’ es uns über kurz oder lang nicht mit dieser gehen, wie weiland Sr. Unfehlbarkeit jenseits der Alpen mit der berüchtigten Demar - cationslinie? Mit einem System geht es ge -D 354meiniglich, wie mit einem Instrument, auf das wir uns verstehen. Haben wir bei dem Sy - stem, wovon hier die Rede oder die Frage ist, den gewissen Vortheil unwiderlegbar be - rechnet? oder ist es eins wie viele andere sei - ner Brüder, bei denen nichts weiter als Sprachverwirrung obwaltet, wie bei dem Thurm zu Babel, dessen Spitze bis in den Himmel reichen wollte? Nimmt man den meisten Systemen die Sprachverwirrung, was bleibt übrig? — Noch behauptet die Erfah - rungsseelenkunde unter den Wissenschaften nur einen precären Rang; sie stehe indeſs oder falle, die Wahrheit verliert nichts, die vor ihr war und nach ihr seyn wird. Stärke der Seele, Muth, Überlegenheit des Verstandes, ein gröſseres Maaſs von Urtheilskraft, Festig - keit des Willens, eine gröſsere Stärke des Ge - fühls und andere dergleichen Seelenvorzüge der Menschen sind es, die sich die Männer auf Kosten des weiblichen Geschlechtes als Erstgeburtsrechte zueignen. Sie sind mit dem Erdenall, das man zuweilen Erdenball heiſst, von Gott belehnt — die edlen Lehnsträger! —55 Da sie indeſs Kläger und Richter in Einer und selbsteigner Person sind, so scheinen sie noch gütig zu seyn, wenn sie Weiber bei Menschen - seelen rechtskräftig belassen — Ob nun (nach - dem es dem männlichen Geschlechte rühmlichst gelungen, die andere Hälfte der menschlichen Schöpfung, welche nach ihrer Bestimmung mit ihm ein Ganzes ausmachen sollte, zu unterjo - chen und sie an den Menschen - und Bürger - rechten nur bittweise, nur in so weit es sei - nem Majestätsrechte nicht zu nahe tritt und ihm nicht die Krone bricht, groſsmüthigen Antheil nehmen zu lassen) — ob nun alle je - ne Erscheinungen Wahrheiten oder Täuschun - gen sind, ist eine Preisfrage, die mit vielen andern es gemein hat, daſs die Antworten auf dieselbe von beiden Seiten hinken. — Auf diese Erscheinungen indeſs dem schönen Ge - schlechte alle jene Geistesfähigkeiten abzuläug - nen und ihm in falschem Spiel seinen Rang abzugewinnen, heiſst gerade so verfahren, wie gegen die Amerikaner, denen man, auf die Aussage einiger Beobachter, die keinen Bart unter ihnen gesehen hatten, dieses männliche,D 456übrigens sehr beschwerliche, Ehrenzeichen nicht nur absprach, sondern aus dem Mangel des - selben auch die richtigen Folgen ableitete, daſs die Natur ihnen die Keime dazu versagt habe, und daſs sie mithin zu einer weit geringern Menschenklasse gehörten, nicht minder daſs sie unmöglich von Einem Erzvater mit uns abstammen könnten. Was für eine Hauptrolle der Bart spielen kann, der denn doch, nach dem bekannten Sprichworte, keinen Philoso - phen macht! Besser wär’ es freilich gewesen, wenn man sich die Mühe gegeben hätte, zu untersuchen, ob die Abkömmlinge des Man - kokapak dies männliche Unterscheidungszei - chen, das übrigens immer ehrenwerth und nützlich seyn und bleiben mag, nicht eben so unbequem fanden, wie die Söhne Japhcts, und ob sie, in Ermangelung des Aufklärungs - metalls, des Eisens, nicht zu einem andern Mittel ihre Zuflucht genommen haben, diesen beschwerlichen Gast los zu werden. — Nach genauerer Beobachtung fand sich der Bart, und die Präadamiten büſsten abermals einen Sieg ein, den sie schon vermittelst eines so57 stattlichen Arguments in ihren Händen glaub - ten — Das weibliche Geschlecht äuſsert nicht jene hervorragenden Geistesfähigkeiten, heiſst bei weitem nicht: die Natur hat ihm die Anlagen dazu versagt, und also — o der un - bärtigen Schluſsfolge! — steht es eine Stufe niedriger auf der Jakobsleiter der Schöpfung. Sind wir etwa Gott ähnlich, und hat das an - dere Geschlecht bloſs die Ehre uns von Got - tes Gnaden ähnlich zu seyn? Warum nicht gar —! Nicht durch Körper, durch Sinne, durch Einbildungskraft nähern wir uns dem Urgeiste, sondern durch den Geist; und wie? fehlt es den Weibern an Verstand und Wil - len? an der Fülle des Geistes? Überlegen wir nicht oft durch sie? Würzen sie nicht in unzähligen Fällen mehr mit dem Salze der Erden, ohne das nichts schmackhaft ist, mit Vernunft? und ihre Tugend — ist sie nicht vielfältig reiner, als die werthe unsrige? Über - steigt unsere Eitelkeit die weibliche nicht an allen Enden und Orten? War jener Pharisäer und sein ganzer Jesuiterorden nicht aus unserm Geschlechte? Kann ein braves Weib (undD 558deren giebt es viele) ohne Schrecken und Ent - setzen an den Pharisäer neuerer Zeit den - ken, der mit seinen Bekenntnissen vor Gottes Thron treten, dem Weltgerichte entgegen ge - hen und sagen will: Wer besser ist, werfe den ersten Stein? Würde nicht selbst Therese mehr als Einen Stein haben heben können, wenn sie nicht durch diesen Gerechten wäre verdorben worden? Können die Anlagen sich entwickeln und Keime treiben, wenn keine wohlthätige Hand sie pflegt? wenn alles so gar sich vereinigt, sie zu unterdrücken und, wo möglich, auszurotten? Sind nicht von Zeit zu Zeit aus dem andern Geschlechte groſse Seelen aufgestanden, die alle jene ihnen ab - erkannten Geisteseigenschaften in einem sehr vorzüglichen Grade besaſsen? Woher diese eben nicht so seltenen Erscheinungen, wenn es nicht Anlagen dazu in den Weiberseelen gäbe, und es nur eines Zusammentreffens gün - stigerer Umstände bedürfte? einer pflegenden Hand, um diese zu entwickeln und ihren Kräften jenen Schwung beizulegen, ohne wel - chen sie nie ihre eingeengte Bahn verlassen59 hätten? Oder wollen wir der Natur lie - ber Miſsgriffe aufbürden, um nur unser System zu retten? eher das vierte Gebot in Hinsicht dieser unserer guten Mutter so gröb - lich übertreten, als unsere vermeintlichen Standesrechte aufgeben? Ohne die groſsen Namen der Fabelwelt von den Todten zu er - wecken, denen man denn doch nicht jeden Funken der Wahrheit abstreiten wird — wer wag es, Zenobien, und einer Anna Komnena einen über ihre männlichen Zeitgenossen her - vorragenden Verstand und Urtheilskraft, einer Elisabeth Herrschertalente, Marien Theresien Muth und Standhaftigkeit abzusprechen? Will man den Gesichtspunkt näher rücken? Es sey und gelte zwei weltberühmte Namen! Catha - rina die Zweite und Voltaire. Nicht die Selbstherrscherthaten der Ersteren, nicht die Kriegeslorbeern, die sie in ihr Diadem geflochten, nicht der postische Nimbus, der die Götter der Erden umgiebt — ihr Brief - wechsel entscheide, wo sie nicht im Kaiser - glanz, nicht mit den Palmen einer Weltüber - winderin erscheint — und seht! sie bleibt60 groſs, wie sie ist — und Voltaire? klein, so klein, wie er war, so bald die Wahrheit ihm ihren magischen Spiegel vorhielt. Sein theures Selbst ist immer die erste Person; die groſse Frau muſs sich mit der zweiten begnü - gen. Sie soll — man denke! — Constantinopel erobern, oder wenigstens zu Taganrok ihre Residenz aufschlagen, damit er kommen und ihr die Füſse küssen könne, weil es in Pe - tersburg für den alten Eremiten von Ferney zu kalt sei. Noch nicht befriedigt, daſs die Kaiserin seinen Uhrmachern für 8000 Rubel Uhren abnimmt, soll sie sogar, um seine Fa - brikanten in Nahrung zu setzen, einen Uhren - handel mit China in Gang bringen. Ihr wei - ses Stillschweigen versteht er entweder wirk - lich nicht, oder — was glaublicher ist — er will es nicht verstehen, bis sie ihm denn end - lich mit seinen, einer Kaiserin und eines poëtischen Philosophen so unwerthen Mer - cantilgeschäften an ein costiges Handlungs - haus assignirt. Die prosaischste Leiden - schaft unter allen, der leidige Geitz, brach - te Voltaire’n vom Parnaſs auf eine Bör -61 se — König Friedrich Wilhelm der Erste cha - rakterisirte seine Gemählde durch die Losung: in tormentis pinxit. In der That, Voltaire schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung. Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und ihm Dinge zu inspiriren, die gröſser als er selbst, die göttlich sind, und die er selbst nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun - derung anzustaunen. Wo ist hiervon die kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil wir ehrsüchtiger sind; und Voltaire war beides in tausend Fällen, nur hier gewiſs nicht: Sein Instrument, das er sonst mei - sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und war es bei diesen Umständen Wunder, daſs seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie man sie an der Seine täglich zu Tausenden hö - ren kann? Die Briefe der Kaiserin führen die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn sie dem eitlen Voltaire ein Opfer bringen will, zahlt sie ihm Münze von seinem Geprä - ge, so wie jener Fürst einem unverschämten Poëten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf62 eine scherzhafte Weise spricht sie von ihrer Person, während die ganze Welt nicht aufhören kann, ehrfurchtsvoll ihren Namen zu nen - nen; ihrer groſsen Thaten erwähnt sie so wenig, als wenn sie sich von selbst verstän - den — Immer beschäftiget, ihre unermeſsli - che Monarchie reich an Menschen und an edler Denkart zu machen, entwirft sie, wäh - rend sie die Ottmannli schlägt, die Conföde - rirten in Pohlen zerstreuet, der Pest gebietet und den Räubereien des Pugatschef widersteht, ein Gesetzbuch für ihr Volk, das sie aus al - len Zungen und Sprachen unter dieses Gesetz versammelt, um, wie am Pfingstfeste, Einen Geist über dasselbe auszugieſsen und es zu Einem Ziele zu veredlen. Gleich stark im groſsen und kleinen Regierungsdienste, führt sie die Inoculation der Blattern ein, beschäf - tiget sich mit der Erziehung erndtet tausend - fältig von den durch sie gestifteten Anstalten, erfindet und ordnet Feste an für den Prinzen Heinrich, und hat — Muſse ohne Anstrich von Eitelkeit, an den eitlen Voltaire zu schrei - ben. Diese Seelen mit einander abgewogen,63 und die Wagschale wo möglich in der Hand eines höheren Wesens — welche wird fallen? welche steigen? Doch warum höheren We - sens? So tief fielen die Menschen noch nicht, um nicht Ehre zu erweisen, wem Ehre ge - bührt — Wozu eine vollständige Nomenkla - tur von berühmten Weibern, von solchen die das Schicksal zu Kronen berief, und die sie mit Würde trugen? — Es sei genug, eine Margaretha von Dänemark, eine Christina von Schweden, eine Sophia Charlotta von Preuſsen zu nennen; und von denen, die, wenn sie Männer gewesen wären, diesem Ge - schlecht Ehre gemacht hätten — verdienen nicht eine Cornelia, die edle Mutter der Gracchen, eine Arria nnd die durch so viele Gerüchte gegangene Johanna von Arc unsere Bewunderung? Nach diesen Beispielen wird man mir ohne Zweifel den Beweis erlassen, daſs es den weiblichen Seelen nicht an groſsen Anlagen fehle. — Herbst und Winter rauben selbst den Steineichen ihre Blätter; allein die Wurzeln bleiben. Warum jene Anlagen nicht zur Regel werden, sondern Ausnahmen sind?64 warum sie nicht häufiger entwickelt werden? sind das Fragen? Hat denn unser Geschlecht einen so groſsen Überfluſs von edlen Seelen? Nur selten ist die Ehre, womit Ulysses und Aeneas, nicht von der unpartheiischen Göttin der Gerechtigkeit, sondern von dem oft sehr partheiischen launigen Gott Apoll kanonisirt wurden. Ohne Zweifel nahm Homer seine Penelope〈…〉〈…〉 Andromache, Nausikae, Arete aus der Natur; und noch immer scheinen mir die gröſsere Gleichheit des dienenden und herr - schenden Standes, die gemeinschaftlichen Ar - beiten der Weiber und der Sklavinnen, die Vertraulichkeit die von dem Umstande kam, daſs sie unter einander aufgewachsen und er - zogen waren, die Art der weiblichen Arbeit und der Ertrag des Nutzens derselben jene Zeit für die Weiber unendlich erträglicher ge - macht zu haben, als die bleierne, in welche das weibliche Geschlecht zu fallen das an - scheinende Glück hatte, und welche leider! noch nicht von ihm genommen ist. Im Hel - denalter waren die Sitten, wie die Liebe (von jeher lebten Liebe und Sitten in der genaue -sten65sten Verbindung) roher, und es blieb im Takt! Die damaligen Übel des weiblichen Geschlech - tes waren ungerathene Kinder des Ungefährs, dem man, bei so vielen wohlgerathenen, auch jene verzeihen kann; die Übel der folgenden und der jetzigen Zeit sind constitutionell, gründen sich auf Unfakta und inconsequente Vernünftelei! — Fürwahr, es würde eine unerhörte und nach den angenommenen psy - chologischen Grundsätzen unerklärbare Erschei - nung seyn, wenn unter dem eisernen Drucke des Despotismus das Freiheitsgefühl nicht end - lich seine Spannkraft verlieren; wenn aus Mangel an Pflege und Wartung der herrlich - ste Boden nicht verwildern, und endlich jeder nützliche Keim ersticken; wenn über den Ge - danken von entrissenem Rechte, und daſs die - ses unwiederbringlich verloren gegangen sey, nicht endlich auch das Andenken an jene Rechte selbst und die demselben entsprechen - den Gefühle, der Glaube an sich selbst und an seinen selbstständigen Werth, verlöschen sollte. Wenn Schonung, Achtung und Pflege der ursprünglichen Menschenrechte, wenn vor -E66zügliche Cultur und Wartung aller edlen und groſsen Keime, welche die Natur in die Seele der Weiber legte, nie Statt findet — was ist da am Ende zu erwarten? Ein Kahn, der sich zu sehr auf die eine Seite neigt, muſs umschlagen — und unser Geschlecht? wenn es eben den chemischen Versuchen auf nassem und trocknem Wege, den Feuer - und Wasser - proben, ausgesetzt würde; wenn diese Hiobs - leiden, womit wir das andere Geschlecht heim - suchen, über uns verhängt würden — was wäre aus uns geworden? würden wir noch so viel Urkundliches an uns behalten haben, wie das andere Geschlecht —? Würde der Mann, der Mensch, nicht bei uns weit mehr aufhö - ren, als bei jenem? — O des groſsen Musters, welches das andere Geschlecht, nicht mit Pomp, wie die Stoiker und ihr Erzmärtyrer Peregrinus Proteus, beim Sterben, sondern ganz natürlich giebt, indem es nicht bloſs seine Feinde liebt, sondern auch, und — das sagt mehr — seinen Freunden vergiebt! — Jenes groſse Wort ist sichtbar an ihm — daſs es die Schwachheit eines Menschen und zugleich67 die Zufriedenheit eines Gottes besitzt. — Doch warum soll ich zurück halten? So lange die Weiber bloſs Privilegia und nicht Rechte ha - ben; so lange der Staat sie nur wie parasiti - sche Pflanzen behandelt, die ihr bürgerliches Daseyn und ihren Werth nur dem Manne ver - danken, mit welchem das Schicksal sie paar - te — wird nicht das Weib den groſsen Be - ruf der Natur: das Weib ihres Mannes, die Mutter ihrer Kinder, und, kraft dieser edlen Bestimmungen, ein Mitglied, eine Bürgerin, und nicht bloſs eine Schutzverwandtin des Staates zu seyn — nur immer sehr unvollkom - men, und je länger je unvollkommener, er - füllen? Die Länge trägt die Last. Man gebe ihm aber seine Rechte wieder, und man wird sehen, was es ist und was es werden kann! Warum eine Kritik meiner namentlichen Bei - spiele? warum ein Vorwurf, daſs es nur blut - wenige Ausnahmen gebe? Nach dem reinen Wein unserer Philosophen kann die Tugend nicht wie eine schöne Kunst nachgeahmt wer - den und nach Beispielen (wären sie gleich die ersten und besten) sich bilden. Aus dem er -E 268sten Princip der Selbstgesetzgebung soll sie flieſsen, wenn sie anders ächt und rein seyn will. Nur da ist Energie der Seele, wo man aus sich selbst schöpft — und was gilt Man - nigfaltigkeit ohne höchste Einheit? was einzel - ne schöne Züge ohne Alles anordnende und ins Reine bringende Principien? — — Die Französischen Prinzen, die ihr Vaterland ver - lieſsen, erklärten öffentlich: an Gott, an den König und an ihr Schwert sich wenden zu wollen. Drei Instanzen, wo der liebe Gott sich gefallen lassen muſs, die erste, das heiſst im juristischen Sinne die geringste, zu seyn. Das andere Geschlecht hat nur Einen Ge - richtshof: an Gott. Überall Männer — Män - ner, bei denen nicht Wichtigkeit des Grundes, sondern Mehrheit der Gründe gilt; und wel - cher Gründe? — Raisons d’État —? ich greife mir vor; wer kann sich aber zurück - halten? In der That, die Gesetze sind in Rücksicht der Weiber fast noch inconsequen - ter, als eine thörichte Liebe! So sehr sie auf Einer Seite die bürgerlichen Rechte der Weiber in Absicht auf ihre Personen und ihr69 Vermögen beschränken, weil sie dieselben für schwach und unvermögend, ihr eigenes Beste wahrzunehmen, erklären; so verpflich - tet sie sich halten, das ganze Geschlecht zu einer immerwährenden Vormundschaft zu ver - stoſsen: so schnell hört doch diese Schwäche auf Schwäche zu seyn, so bald von Verbre - chen und Strafen die Rede ist; beide Ge - schlechter werden mit einem und demselben Maſse gemessen — und in der Kirche, in den Gerichtshöfen, (hoffentlich auch im Him - mel) ist kein Ansehen der Person zwischen Mann und Weib: sie sind einerlei Leib und einerlei Seele. Ehre dem Divus Justinianus, der, mit mehr Zusammenhang als unsere Ge - setzgeber, wegen der gröbsten Vergehungen dem schönen Geschlechte keine Zurechnung zumuthete, und es über alle Strafen wegsetz - te! — Nach seiner Meinung war ein Weib so gut, daſs es zu nichts taugte, wogegen es bei uns doch wenigstens einer Bestrafung — welch ein Vorzug! — würdig geachtet wird. Bei uns steht es unter dem Gesetze; bei ihm stand es nur unter der Gnade. — Wahrlich! E 370man kann nicht läugnen, daſs es bei uns einen Schritt zur Verbesserung gethan hat, obgleich seine Vollendung, die im weiten Felde ge - blieben, noch ein Wunder in unsern Augen ist — Ja wohl, ein Wunder! — Die Ewig - keit der Höllenstrafen hat ihre Bestreiter ge - funden, und dieses Höllenräthsel wird zu unse - rer knotenlösenden Zeit, wo die kalte Philo - sophie so manches abkühlt, durch die ewigen Folgen ins Reine gebracht, welche von keiner bösen Handlung getrennt werden können; die Sklaverei des andern Geschlechtes indeſs bleibt ein Wurm, der nie stirbt, und ein Feuer das nie verlischt. — Gerechtigkeit! man hat dir die Binde genommen; und doch siehst du nicht, daſs, wenn gleich alle Handlungen, die mit den Personen und dem Vermögen des an - dern Geschlechtes in Beziehung stehen, ohne einen gesetzlichen Beistand ungültig sind und ohne allen bürgerlichen Effekt bleiben, deine armen Unmündigen durch alle sittliche und bürgerliche Gesetze in eben dem Maſse wie die Männer verbunden werden! Selbst nicht bei Gesetzen wider die Contrebande ist nach71 dem Curator die Frage, und ob in dessen As - sistenz dem Kaiser nicht gegeben ward, was des Kaisers ist — und doch ist ein Weib dem Staate nur durch den Mann verwandt und zu - gethan: Nur er huldigte ihm und seinen Ge - setzen. Ist es Wunder, wenn Weiber die Gesetze befolgen, wie die Nonne den Psalter singt? wenn sie den ernsthaften Anordnungen des Staates eine Folie des Lächerlichen unter - legen, und sich da noch Auslegungen dersel - ben erlauben, wo blinder Gehorsam erfordert wird? War je eine ärgere Löwengesellschaft? und trift es irgendwo klärer ein, daſs man gröſsere Diebe laufen läſst, und kleinere zu hängen sich nicht entbricht? Staaten, die zum Schutze der Menschenrechte entstanden, entziehen ihn der Hälfte ihrer bürgerfähigen Einwohner! — Es ist natürlich, wenn der Wille sich da sträubt, wo die Vernunft so viele Steine des Anstoſses und Felsen des Är - gernisses findet — — Leiden einzelner Men - schen (besonders wenn diese nicht die ver - dammlichen Urheber davon sind) vollenden, und nichts was groſs war, kam ohne sie jeE 472zur Reife; Leiden aber, die einem ganzen Volke nicht von der Natur und vom Schick - sal, sondern bloſs willkührlich zugefügt wer - den, hemmen allen Muth: sie erschlaffen und entseelen die edelsten Völker, so daſs man ih - re Stätte nicht mehr findet. — Ewig Schade um alle die Fortschritte, die durch jene männ - liche Grausamkeit gehemmet werden! Welch ein Stoff muſs im andern Geschlechte liegen, da er allen diesen Hindernissen noch bis jetzt so stattlichen Widerstand leistete! — Doch, unmöglich könnten die Weiber noch seyn, was sie sind, und die Lage behaupten, in der sie sich befinden, wenn nicht Geschlechter - neigung und Reitze ihnen Subsidien geleistet hätten. So hat bis jetzt die Natur den Men - schen noch nie ganz verlassen, wenn er ihr auch unerkenntlich den Rücken kehrte! Ein gewisser glücklicher Zustand, nach welchem den Menschen wenig zu wünschen, allein eben darum viel zu befürchten übrig bleibt, macht sie unglücklich: — sie erstreben nichts; ihre Seele verliert den Schwung, ihr Geist das Geistige; und so wie dieser glücklich-unglück -73 liche Zustand das Schicksal vieler regierenden Herren ist, die ihren Beruf nur von der Seite der Hoheit und der Macht kennen, auf Kleinigkeiten fallen, und Nebendinge der Re - gierung, oder gar solche die ihres Amtes nicht sind, zu Hauptsachen erheben: so scheint er auch überhaupt auf dem königlichen Geschlech - te der Männer zu ruhen. Dieses sucht mehr durch Ausflüchte, als durch Muth und Weis - heit, den Gefahren zu begegnen; es spielt mehr den Herrn und Meister, als daſs es bei - des wäre; an Willkühr gewöhnt, verlernt es, auf Mittel zu sinnen; zur Herrschaft geboren und erzogen, denkt es nicht darauf sie zu ver - dienen; es vernachlässigt sich, da es keinen Anreitz hat und zu keinem edlen Wettlaufe sich in seinem Hause anstrengen darf; es fällt zusammen, da es sich nicht die Mühe giebt, sich gerade zu halten. Man sage nicht, daſs die Männer bei andern Männern Licht anschla - gen können; Tyrannen sind verzagt, und krie - chen überall, wo sie nicht befehlen dürfen. Wahrlich! nicht nur Weiber, sondern auch wir, haben durch jene Herabwürdigung desE 574andern Geschlechtes verloren — wer am mei - sten? Ist es zum Beispiel ein Wunder, wenn das fräuliche Geschlecht falsche Münze gegen falsche Münze wechselt, und die Tyrannei des Herrn Gemahls mit Augendienst erwie - dert? — Ist es ein Wunder, wenn alle bei - de sich das Leben verbittern, und bei dem wohlseligen Hintritt des Herrn Gemahls — Gott tröste ihn! — die am pompreichen Lei - chengerüste wohlangebrachten Genien die ein - zigen sind, die ohne End’ und Ziel, Thränen vergieſsen, womit sie den letzten Funken der umgekehrten Fackeln auslöschen, während die trostvolle Frau Wittwe, unter einer ehrwürdi - gen Decke, ihre Rolle meisterlich spielt und fröhlich und guter Dinge ist? — Von Anbe - ginn ist es nicht so gewesen.
Wenn die Weiber mit den Männern von der Natur zu gleichen Rechten berufen sind; wenn sie sich im Besitz von gleichen Körper - und Geistesanlagen befanden und zum Theil noch befinden: wo, wann und wie entstand denn die Überlegenheit des Mannes über das Weib? was gab dem Manne das Schwert in die Hand? und was verwies das Weib an die Spindel? Diese Fragen, die jeder sich aufwerfen muſs, der zu fragen versteht, wenn gleich die gröſsere Kunst zu antworten ihm nicht gegeben seyn sollte, haben allerdings nicht wenig von der Natur jenes weltberühmten Kno - tens, der, da er geschürzet war, auch wieder hätte aufgelöset werden sollen, den aber Ale - xander, nach der Weise vieler unserer Dich -76 ter, zu zerhauen die unästhetische Dreistigkeit hatte. Ständen wir dem Wann und Wo, der Zeit und dem Raume nach, näher; so würde es wahrscheinlich keines Oedips bedürfen, um bei dieser Meisterfrage eine akademische Prä - mie von dreiſsig Silberlingen zu gewinnen, und das Wie obendrein zur allgemeinen Befrie - digung zu beantworten. Allein da über das Wann und Wo in keiner Chronik und keiner Topographie ein todtes, geschweige denn ein lebendiges, Wort zu finden ist; so müssen, bis die Hieroglyphen an den Pyramiden ent - hüllt seyn werden, oder bis uns ein bisher verborgenes Denkmahl darüber seine Aufschlüsse nicht länger vorenthält, das Irgendwo und das Irgendwann bei dieser groſsen Katastrophe zur Unterlage dienen, und das Wie, in Ermange - lung der Geschichte, durch eine Conjektur der Vernunft aufgelöset oder — zerhauen wer - den. Alles, wobei es auf Thatsachen an - kommt, kann nur bis auf einen gewissen Zeit - punkt hin verfolgt werden. Da wo die Sonne der Geschichte untergeht und sogar der Mond der Fabel sein entlehntes Licht entzieht, bleibt77 der Vernunft nichts übrig, um sich zu orien - tiren, und sie irret in dem unbegrenzten Mee - re der Möglichkeit, ohne zu wissen, woher und wohin? Was hier über Geschichte und Fabel hinausgeht, ist (da die ersten Sagen der Völker davon, als von einer Sache, die vor ihnen war, sprechen) derjenige Zustand des Menschen, wo jedes einzelne Individuum, ohne einige Verbindung mit andern seiner Art, in der vollkommensten Unabhängigkeit, bloſs von den Früchten des Bodens den es durch - strich, lebte, ohne durch eine andere Zube - reitung, als die man von der Natur selbst er - hielt, ihr zu Hülfe zu kommen. Die Men - schen hingen vom Boden und sonst von nichts weiter ab — Ob es einen dergleichen Zu - stand wirklich gegeben? ob je der Mensch (das geselligste unter allen bekannten Thieren, trotz jenen frommen Orang-Utangs in der Thebai - schen Wüste, und ihren jüngeren Brüdern, die es doch behaglicher gefunden haben, sich aus Eremiten zu Cönobiten umzuformen) in einem solchen Zustande war — mag Hans Jakob verantworten, an dessen Grabe es heiſst: Ici78 répose l’homme de la nature et de la vérité — Dergleichen Hans Jakobsche Kinder der Natur hat weder Colombo, noch sein Märtyrer von Nachfolger, Cook, gesehen — Allenthalben wo diese hinkamen, waren schon die ersten Umrisse der Gesellschaft gezeichnet, Familien - verhältnisse (wenn gleich unvollkommen) ge - gründet und Spuren (wiewohl freilich oft nur sehr schwache) von Cultur und Kunstprodukten vorhanden. Bei den allerrohesten Völkern fanden sie schon Hütten, eine Art von Zubereitung der Nahrungsmittel, und bei den meisten auch die ersten Anfänge zu einer Bekleidung des Körpers. Wo sie sich lange genug aufhielten, und wo es ihnen glückte, sich durch Zeichen zu verständigen, überzeugten sie sich, daſs diese dem Naturstande anscheinend so nahe angränzenden Menschen schon lange, und weit über ihre Überlieferungen hinaus, immer an dieser Stelle und diesem Orte gestanden hat - ten. Auch nicht die mindeste Ahndung ging unter ihnen im Schwange, daſs es auſser dem Punkte, wo sie sich befanden, noch andere ober - oder unterwärts geben könne. So ein -79 fach und in so geringer Zahl ihre Familien - Haus - und Nahrungsgeschäfte auch immer seyn mochten, da ihre Bedürfnisse noch wenig über die der thierischen Natur hinausgingen; so leicht ihre Nothdürftigkeiten gestellt werden konnten, da die Kunst sie nicht verwöhnt hatte: so waren unter den beiden Geschlech - tern doch schon Casten errichtet, und eine Scheidung vorgefallen in dem, was Gott zu - sammen gefügt hat. Je unvollkommener auf der Einen Seite hier die gesellschaftliche Ver - fassung war; je schwerer es fiel, das thierische Bedürfniſs zu befriedigen, weil die Natur den Boden, oder die Wälder (die königlichen Residenzen dieser Menschen) oder die Flüsse und Meere nur karg mit den Mitteln dazu aus - gestattet hatte: um desto härter war das Loos, welches dem weiblichen Theile dieser halbge - zähmten Menschenklasse fiel. Das Leben des Mannes war vorzüglich zwischen Genuſs und Ruhe getheilt, wenn ihn nicht dringendes Be - dürfniſs zur Jagd oder zum Fischfang auffor - derte. Das Weib begleitete ihn nur selten als Gehülfin, weil ihm die Pflicht die Speisen zu80 bereiten oblag, während das Mannthier seine Glieder in der Sonne dehnte. Freilich nur schwache, unbefriedigende Data zur Auflösung der aufgeworfenen Frage; indeſs doch etwas, um uns auf Mehr zu bringen — wie jene Übermacht entstand, welche auf die eine Hälf - te des menschlichen Geschlechtes alles Lästige wälzte, und sich dagegen allen Vortheil weis - lich vorbehielt. — Scheint nicht die Natur durch Schwangerschaft und Geburt den ersten Fingerzeig zu diesem Verlust über die Hälfte, bei der Theilung des menschlichen Werthes, gegeben zu haben? Wenn dieses Antheil, das den Weibern zufiel, auch noch so sehr erleich - tert wird; wenn es auch noch so köstlich ist: — kann es auf eine andere Rubrik als auf Mühe und Noth gerechten Anspruch machen —? Der Mann scheint zum Vergnügen berufen zu seyn, das Weib dagegen zu Kummer und Elend — Wenigstens liegen in dem Familien - verhältniſs, in der Art und Weise wie die Keime der Geselligkeit sich zuerst bei den Menschen entwickelten und worauf ihn viel - leicht das Zeugungs-Geschäft brachte, ent -fernte81fernte Winke und Hieroglyphen, wodurch der gesellschaftliche Zustand, welcher dem mensch - lichen Geschlecht einen so erstaunlichen Schwung gab, der Einen Hälfte des Geschlech - tes so nachtheilig ward — Wiederholung der nämlichen Umstände pflegt die Dürftigkeit der - selben zu bedecken, als ob Ermüdung Ergän - zung wäre; und selbst unsere Philosophen sind oft in dem Falle jenes Kranken, dem der Arzt erlaubte, täglich einen Löffel voll Wein zu nehmen, und der sich einen Löffel von vier Quart machen lieſs — sie sind da am be - redtsten, wo sie am kürzesten seyn könnten, weil sie hier am wenigsten wissen. — Es sei mir erlaubt, jene Data durch Rückblicke auf die Geschichte, das Noth - und Hülfsbüchlein in allen Lebensfällen, zu verstärken oder zu schwächen — meine Leser mögen den eigent - lichen Ausdruck suchen; doch, wenn ich bit - ten darf, nicht auf meine Kosten, sondern mir zum Besten.
Schon in den ältesten urkundlichen Nach - richten über den gesellschaftlichen Ursprung der Menschen, finden sich Spuren von einerF82Ungleichheit der beiden Geschlechter, und von Zurücksetzungen des weiblichen — wohin auffallend die Vielweiberei gehört.
Wie despotisch ist der Gedanke, daſs ein Mann sich befugt halten konnte, mehr als Ein Weib zu besitzen, indem bei einer Berech - nung an den Fingern sich herausbringen läſst, daſs er durch diese Verschwendung Andere zum Darben bringt! Wahrlich, die Vielwei - berei ist ein Umstand, der sich weder mit Seele noch mit Körper verträgt, und nicht nur der Vernunft, sondern selbst einer Leidenschaft widerspricht, die (wie die Kinder reicher und vornehmer Leute) durch die Schule der Ver - nunft gelaufen ist. Wo ein Mann mehr als Ein Weib hat, wird jener Tyrannenrath er - füllt: Theile und regiere (divide et impera). Die Weiber muſsten auf diesem Wege des ihnen so nachtheiligen männlichen Luxus ih - re Abhängigkeit im höchsten Grade fühlen; und wenn gleich die Sultanin des Tages sich einen Vorzug vor ihren Colleginnen anmaſste: so währte dieses Ansehen, das sie sich gab, doch nicht lange, und bald überzeugte sie83 sich, daſs unter Sklavinnen keine Rangord - nung Statt finde.
Die Geschichte der Sara und Hagar schei - net zu beweisen, daſs die Kebsweiberschaft nicht gleich anfänglich bloſs in dem eignen Belieben des Mannes gestanden, und daſs er anfänglich verpflichtet gewesen, die Genehmi - gung seiner Frau einzuholen, eh’ er sich ein Kebsweib beilegen konnte. Auch scheinet sich aus dieser Kebs-Geschichte zu ergeben, daſs dergleichen Contrakte nicht auf die ganze Le - bensdauer gegangen, und daſs oft noch vor Ablauf der contraktmäſsigen Zeit der Engel des Gewissens, und der Schutzgeist warnender Umstände dem Manne zugerufen:
stoſs die Magd hinaus mit ihrem Sohne! Schon hab’ ich mein Herz ausgeschüttet, daſs der erste Grund zu der männlichen Anma - ſsung eines Vorzuges vor dem Weibe, in dem Gange aufzusuchen sei, den die Bildung des gesellschaftlichen Zustandes nahm. Ob die Art, wie die geselligen Keime sich bei den Menschen entwickelten, die einzig mögliche; oder ob unter mehreren möglichen die, aufF 284welche die Menschen von der Natur geleitet wurden, der schmale Weg sei, der zum Le - ben führet: das sind Nebenfragen, die, so wie ihre Stammmutter, vielleicht noch lange, viel - leicht immer, unentschieden bleiben werden.
So viel scheint ausgemacht, daſs diese Kei - me sich überall durch ähnliche Veranlassung entwickelt haben müssen, indem sie (ein Be - weis, dessen ich gern entübriget wäre) für das weibliche Geschlecht einerlei nachtheilige Fol - gen hervorgebracht haben. Die Gesellschaft ist die Quelle alles Glücks und alles Unglücks, das je dem menschlichen Geschlechte zufiel; und noch ist nicht erschienen, was die Men - schen durch sie werden können und durch sie — seyn werden. Wir wissen aber, daſs, wenn es erscheinen wird, wenn wir das hei - lige Gesetz beobachten, und dasselbe, so wie Gott, nicht fürchten sondern lieben, wir Gott ähnlicher seyn und die Krone des Lebens tragen werden. Eine Hoffnung, die Plato nicht den Traum des wachenden Men - schen nennen muſs, und bei welcher Glaube an das menschliche Geschlecht zum Grunde85 liegt. Könnt’ ich doch hinzufügen: wahrer und lebendiger Glaube! aber noch ist solcher in Israël nicht gefunden — Dieser Glaube ist Welt-Patriotismus.
Darf ich mir ein - für allemal die Erlaub - niſs auswirken, rückblicken zu dürfen, ohne von irgend einer kritischen Feder das Schicksal von Loths Weibe zu befürchten zu haben?
Zum Fischefangen und Vogelstellen hat je - der Mensch noch immer einen so besonderen Hang, daſs gereimte und ungereimte Warnungs - tafeln aushängen müssen, um den Menschen von diesen Urbeschäftigungen abzuleiten, und ihn, bei den erweiterten und verzärtelten Be - dürfnissen, zu andern nothwendig gewordenen künstlichern Nahrungsquellen zu gewöhnen. Der bekannte St. Eoremont war bis an sein Ende wohlbestallter Entenhüter zu St. James; jener Schweizer in Frankreich erbat sich die Anwartschaft auf die Hofstelle des Rhinoce - ros — jener Gelehrter bei dem Hofe Frie - drichs II den vacant gewordenen Atheisten - platz; und zu wie vielen Rhinoceros - und Atheis - ten-Posten müssen sich Menschen nicht herablas -F 386sen, um ihr tägliches Brot nach der heutigen Auslegung zu erreichen, wovon der Vogel - steller und Fischfänger kein lebendiges Wort wuſste, keinen Traum oder todten Gedanken kannte!
Ob Jäger Esau auch ein Fischfänger gewe - sen, ist nicht bemerkt, und die Herren Juri - sten würden ohne allen Zweifel einen artigen Fang machen, wenn es ausgemittelt wäre, (ein Lieblingswort dieser Herren, die doch so oft zweckreich und mittelarm zu seyn pflegen) daſs der Fischfang schon in den ältesten Zeiten unter der Jagd begriffen gewesen sei.
Warum das weibliche Geschlecht sich nicht die blutarme Fischerei zugeeignet habe, um dem nach Blut dürstenden Manne das Wild zu überlassen? ist eine Frage, die sich bei dieser Gelegenheit von selbst aufwirft. Vielleicht nahm das Weib an allem Theil — vielleicht stand es dem Manne nirgends nach; vielleicht hinderten es nur die letzten Stunden der Schwangerschaft, und sechs Stunden nach der Niederkunft, an den Geschäften des Ober - jägermeisters, seines Mannes, unmittelbaren87 Antheil zu nehmen — Die Gottheit der Jagd, Diana, war bei den jüngeren Alten generis foeminini —
Dieser Stillstand, den Schwangerschaft und Niederkunft verursachten, war, von so kurzer Dauer er auch immer seyn mochte, ohne Zweifel der Grund des weiblichen Falles. In diesen Zwischenzeiten der Muſse war es viel - leicht, wo das Weib, durch einen dem Ge - schlecht eigenen und mit seiner Bestimmung vielleicht genau zusammenhangenden Instinkt zu sparen, sich sein Sklavenschicksal bereitete. Warum folgte es nicht der göttlichen Lehre: » sorget nicht für den andern Morgen; es ist genug, daſs ein jeder Tag seine eigene Plage habe! » So lange die Nahrungsquellen ergiebig waren, fiel dem Manne nie der Gedanke an das Aufbewahren ein; sein Jagdrevier war sei - ne Speisekammer, zu der alles, was Leben und Odem hatte, gehörte — eine lebendige Speisekammer, bei der er vor dem verdorbe - nen Geschmack an faul gewordenem Wildbret sehr sicher war! einem Geschmack, der bei al - lem — das leidige Geld nicht ausgenommen —F 488Statt findet, was man in Scheuren sammelt, denen ohnedies das Motto angeschrieben ist: du N — heute wird man deine Seele von dir fordern; und was wird seyn das du gesam - melt hast? — Doch auch dem Geitzhals, dem Teufel, muſs man einen Vertheidiger beiord - nen —; und in der That ist die Sorge für den andern Morgen, wenn sie rechter Art ist und in ihren Schranken bleibt, eine nicht ge - meine Vernunftäuſserung. Der Gedanke: » heu - te ohne Hunger zu jagen, um morgen nicht aus Mangel an Wildbret fasten zu dürfen, » enthält — ungeachtet jener göttlichen Lehre, für den andern Morgen nicht zu sorgen — so viel Überlegung in sich, wie in den Köpfen einer ganzen Heerde von Wilden nicht Platz hatte. Auch hier muſste das Weib dem Man - ne aushelfen, und wo es auf Vernunftgebrauch ankam, scheint immer das Weib die Bahn gebrochen zu haben. Jene Verlegenheit, in die es die letzten Stunden der Schwangerschaft und die ersten nach der Geburt verwickelten, leitete es, kraft des instinktartigen Gefühls, zur Selbsterhaltung, die ihm wegen der Erhal -89 tung des Säuglinges noch dringender ward, an der Hand der Vernunft, weise und mächtig auf Vorrath zu denken, sich heute etwas zu entziehen, um morgen nicht ganz entbehren zu müssen. Diese Aufbewahrung von Vorrä - then, welche anfänglich bloſs gelegentlich und nur so lange geschah, als es die Umstände ver - langten, ward nach und nach, je nachdem die Menschen sich mehrten und die Nahrungs - quellen ärmer wurden, wiederholt, und mit der Zeit beständig. Wenn es wahr ist, daſs in vielen Fällen Thiere die Lehrer der Menschen gewesen sind; so wird das Vorrathsammeln ohne Zweifel zu dem Lektionskatalogus dieses Unterrichtes gehören. Der Instinkt (der sich zur Vernunft, wie der Tanzbärleiter zum Ho - dogeten, verhält) hat seine Kinder schnel - ler und sicherer an Ort und Stelle gebracht, als die sich Zeit nehmende kalte Vernunft die werthen Ihrigen. Gewiſs sammelten die Bie - ne und die Ameise früher als der Mensch; vielleicht versteckte das Alterthum diese Wahr - heit unter der Fabel von den Myrmidonen. — Nicht etwa bloſs Neugierde, wie einige wol -F 590len, sondern Beobachtungsanlage lenkte ohne Zweifel zuerst das Weib auf diese Ex - perimental-Unterweisung. Vorräthe erforder - ten beständige Aufsicht, nähere Einrichtung und Bearbeitung; und so entstand Hausrath. Irgend ein Zufall, und ohne Zweifel die An - hänglichkeit mancher Thiere an den Menschen, lehrte ihn (wahrscheinlich zuerst das Weib), einige Gattungen von Thieren zu seinem be - ständigen Brauch und Dienste zu zähmen; und so vermehrte sich durch diese Dienstboten, die man im Falle der Noth auch zur Nahrung nahm, der Haushalt. Jetzt muſsten die Ge - schäfte getheilt werden; und da wählte denn der Mann die Jagd, das Weib den Haushalt. So ward das Weib allmählich die Befehlshabe - rin der Hausthiere, und eh’ es sich’s versah, das erste Hausthier selbst. Das arme Weib! Doch was kann weiter befremden? ward es doch durch jene Revolution, wodurch es die Freiheit an’s Licht brachte, eine Sklavin!
Allmählich fingen die Vortheile und Nach - theile, welche mit den unter beiden Geschlech - tern so sehr verschiedenen Lebensarten ver -91 knüpft waren, immer mehr an sichtbar zu werden. Der Körper des Mannes, durch die Beschwerlichkeiten der Jagd oder Fischerei ab - gehärtet, fest, gelenk und stark, behauptete auch einen Einfluſs auf seine Seele. An Ge - fahren gewöhnt, ward er durch diese Gewohn - heit muthig, unerschrocken, standhaft, und fühlte seine Überlegenheit über Alles, was nicht Mann war, mithin auch über sein Weib, dessen körperliche Kräfte aus Mangel an Ge - legenheit unentwickelt blieben, und das, aus Unbekanntschaft mit Gefahren, diese zu fürch - ten anfing, da hingegen der Mann, vertraut mit der Gefahr, sie vermeiden oder bestehen lern - te. Mit kleinlichen Gegenständen und mit Thieren umgeben, die Zaum und Gebiſs ge - duldig trugen, sank das Weib nach und nach an Körper und Seele zn einer niederen Stufe herab, und lernte geduldig, sich bei seinem Despoten mit der Stelle einer ersten Sklavin begnügen. Sklavin! Ohne Zweifel brachten zahm gemachte Thiere den Menschen auf die - sen unmenschlichen Gedanken, und dies schreckliche Wort würdigte die Menschheit92 so tief herab, daſs die verrufene Münze keine Spur mehr von Bild und Überschrift der vori - gen Zeiten an sich trug. So wie unfehlbar das Weib durch den Besitz gezähmter Thiere das Hirtenleben erfand und einführte, so wird eben dasselbe, da es mehr an Einen Ort und an Eine Stelle gebunden war, auch zu An - pflanzungen und zum Ackerbau Gelegenheit gegeben haben. Gewiſs hat es den ersten Sallat zum Wildbraten des Mannes bewirkt. Eine Wurzel, Körner — die, in Ermange - lung eines Alderman-Schmauses, von einem antipythagorischen Bohnenmahl übrig geblie - ben waren, und die man, weil es fettere Bis - sen gab, nicht achtete — wurzelten und mehr - ten sich um die Hütte herum, bis es dem Weibe einfiel, absichtlich zu pflanzen und zu säen. So entstand von der Hand des Weibes vielleicht der erste Garten, den englischen Garten Eden ausgenommen; und der Garten - bau ist auch gröſstentheils in den Händen der Weiber geblieben, bis auf den heutigen Tag. Auch hat das Weib wahrscheinlich in Allem zuvor Probe gegessen und dem Manne zur93 Sicherheit, theils wegen der Unschädlichkeit, theils wegen des Wohlgeschmacks, gedient. — Noch jetzt ist das höchste Ziel der Kochkunst ein Vorzug der Weiber. — Der Wechsel, den das Weib an seinem eignen Körper er - fuhr, gewöhnte es an die Witterung, und lehrte es so sehr auf die Zeit merken, wie den Unbestand der Witterung überstehen; und so ward durch das Weib vielleicht beides, das Hirtenleben und der Ackerbau, — erfunden oder zu Stande gebracht? — Wie viel läſst sich hierüber conjekturiren! Der gemeine Acker - und Gartenbauer räumt dem lieben ge - treuen Erdenvasallen, dem Monde, noch jetzt viel Einfluſs auf seine Erzeugnisse ein: er pflanzt seinen Kohl und was Blätter treiben soll, im Vollmonde, und das, wodurch unter der Erde Wurzeln oder Knollen hervorgebracht werden sollen, bei Mondesabnahme. Die Pha - sen des Mondes sind ihm noch Epochen in seinem Wirthschafts-Kalender; und was kann ihn anders auf diese Mondweisheit gebracht haben, als die Weise der Weiber —? Von beiden Hauptnahrungsquellen, dem Hirtenleben94 und dem Ackerbau, wuſste der ins Gröſsere gehende Mann das Weib abzubringen, um es an den Haushalt zu fesseln — wozu Se. Ge - strengigkeit das Weib verurtheilt hatte. » Ver - urtheilt? » Mit nichten; durch einen Macht - spruch, durch einen Justizmord, des Landes verwiesen hatte. — Noch jetzt genieſsen Er - finder selten die Ehre der Erfindung, und ver - dienen sie vielleicht auch nicht, weil fast im - mer ein Ungefähr sie darauf bringt — Erfin - dungen und Offenbarungen werden gemacht, man weiſs nicht wie! —
Ackerbau und Viehzucht sind, so wie Ur - sache und Wirkung, mit einander verbunden; und es ist schwer zu begreifen, warum Hir - ten und Ackerbauer sich gleich anfänglich ha - ben trennen und beneiden können. Da nichts natürlicher war, als daſs das Vieh keine An - pflanzung schonte, und da dieser Umstand die Hirten und Ackerbauer in beständige Gränz - streitigkeiten verwickeln muſste; so hätten die - se Zwiste beide Theile sehr bald zu freund - schaftlichen Verabredungen bequemen sollen.
Die Jagd allein, der Ursoldatenstand, scheint95 eine Erfindung des Mannes zu seyn; und da der Mann seine Beute oft sehr weit suchen muſste, so gab sie die erste Ursache zur Her - abwürdigung des Weibes. Bei dem Ackerbau und der Viehzucht hätte es sich gewiſs länger in Ehren und Würden erhalten können, wenn die Jagd nicht schon den Mann bewaffnet und er allen Vortheil und Nachtheil des Soldaten - standes in sich vereinigt gehabt hätte. Er stand bei seinem Weibe im Quartier. — Noch jetzt bin ich ein Feind der Jagd, weil sie dem Weibe jeden Schritt zur weiteren Cultur ver - trat und alle jene Übel erzeugte, denen das menschliche Geschlecht durch Kriege oder Menschenjagden unterworfen worden ist. — Zwar sagt man, daſs der Krieg oft ein Weg zur Cultur gewesen sey und werden könne; und freilich ist es nicht das erste mal, daſs aus dem Bösen etwas Gutes wird: Ist und bleibt aber, dieser Metallverwandlung des Gu - ten und Bösen unbeschadet, Krieg nicht ein Originalübel? Im Reiche Gottes, dessen Son - nenaufgang und Morgensegen wir mit Dank - sagung erwarten, wird man so wenig Menschen96 würgen und sich zur Erkenntlichkeit dem Würgengel bloſs stellen, als in der andern Welt freien und sich freien lassen. —
Die Flecken in der Sonne — die man unge - fähr wie die Flecken ansieht, womit die rein - lichste Hausfrau in der Küche sich ihre Man - schetten bespritzt, wie es dem Geschäftsmanne an seinem Schreibtische mit Tinteflecken nicht besser geht — sind nicht, was sie scheinen. In der physischen Welt ist überhaupt alles gut, sehr gut! — Und wie? dies sollte uns nicht zu der Hoffnung Anleitung geben, daſs es auch in der moralischen Welt zu jener Stufe der Cultur kommen werde, wo man des Bösen nicht bedarf, um Gutes daraus zu ler - nen? Fehden waren es, die ihren Ursprung aus der Vermehrung der Menschen und aus der Verminderung des Wildes (des einzigen und nächsten Nahrungsmittels für den rohen Menschen) hatten; der Menschen wurden mehr, des Wildes ward weniger: und so konnte es nicht fehlen, daſs nicht Streitigkeiten und Be - fehdungen entstanden, welche Familienkriege nach sich zogen.
Zwei97Zwei Familien, die der Übermacht zu wei - chen gezwungen waren, stieſsen vielleicht durch einen Zufall auf eine dritte, der sie einzeln nicht gewachsen gewesen wären, die ihnen aber jetzt ihr Jagdrevier überlassen muſste; und dieser Umstand war es, der zwi - schen beiden, wenigstens so lange die Gefahr dauerte, ein gesellschaftliches Band knüpfte, ohne daſs es unter ihnen zu einer Verabre - dung und Constitution kommen durfte. Durch Irrthum und Thorheit gelangen die Menschen zur Wahrheit, und durch Mühe und Streit zur Vereinigung und Gesellschaft. Ist mir doch schon wieder der traurige Gedanke im Wege, daſs das Böse so oft ein Vorspiel, ein Präludium zu dem Textliede des Guten seyn muſs! — » Oft oder allemal? » Oft, Freunde; denn es giebt Original-Gutes, Gutes aus der Wurzel — und dies könnte man göttlich Gutes nennen! Gott ist original-gut! —
Das Hirtenleben und der Ackerbau (das neue Testament, wozu die Menschen nach dem alten Testamente des Jagdlebens sich auf - klärten) gab nicht minder zu Zwisten Gele -G98genheit, wozu die Tagdieberei des Hirten, und das Vorurtheil, als ob er eben darum Gott lieber wäre und von ihm mehr beglückt würde, mittelst des argen, bösen Neides nicht wenig beigetragen haben mag: Neid ist Geitz, und dieser ist, wie jeder von uns weiſs, die Wurzel alles Übels. Der Hirt schonte die Anpflanzungen des Ackermannes nicht, und ehe dieser pfänden konnte, war jener mit seiner Heerde über alle Berge, und wuſste sich listig der Berichtigung des Pfandgeldes zu entziehen. Dies zwang den Ackerbauer, mehr auf seine Vertheidigung bedacht zu seyn; und da er sich gedrungen sah, mehr Hände anzuwerben, um den Acker zu bestellen (Hän - de, die zusammen bleiben muſsten, um die Zeit abzuwarten und die Witterung zu benut - zen, oder ihr zuvor zu kommen:) so bauete ein Haus das andere, wie ein Wort das an - dere zu geben pflegt. Hierdurch waren die Ackerbauer mehr im Stande, sich den Aus - schweifungen des zahmen Hirten und des wilderen Jägers zu widersetzen. Aus den Ak - kerbauern wurden Bauherren: (eine Würde,99 die ihnen selbst von den überwundenen Horden der Jäger oder der Hirten zugestanden ward;) und nur spät hat sich das Blatt gewendet, so daſs wiederum Fürsten und Herren jagen, und Sklaven den Acker bauen. — So drehet sich Alles in der Welt, und die Menschen folgen so groſsen Beispielen; Familien und Reiche, Aufklärung und Verfinsterung, Gutes und Bö - ses: Alles geht auf und unter. — Zu der Zeit, als auf den Trümmern von Familienge - sellschaften bürgerliche Gesellschaften errichtet wurden, war das Schicksal der Weiber schon, wie es schien, unwiederbringlich entschieden.
Die Waffen, welche die Männer bei jenen Umständen führen muſsten, und welche sie fast nie aus den Händen lieſsen, während die Weiber für das Hausbedürfniſs ihrer Männer und Kinder besorgt waren, gaben diesen ein entscheidendes Übergewicht über jene, welche, weil sie mit Waffen nicht umzugehen wuſsten, sich vor ihnen fürchteten. Sie erschraken vor Gefahren, welche die Männer, mehr damit bekannt, verachteten. An Körper und Seele war ihnen der Mann, wenn ich so sagen darf,G 2100unter der Hand überlegen geworden; und da er sich im ausschlieſsenden Besitze der Schutz - und Trutzwaffen befand, so vertheidigte er nicht bloſs seine Person, sondern auch sein Eigenthum, wozu er seine Familie und in der - selben sein Weib rechnete, das er jetzt als durchaus von ihm abhängig ansah.
Während daſs die Einsichten des Mannes durch seinen vergröſserten Wirkungskreis sich vermehrten; während daſs seine Geschäfte mit der bürgerlichen Gesellschaft einen hö - heren Schwung nahmen, indem seine Begriffe sich zu generalisiren anfingen: schrumpfte die Seele des Weibes je mehr und mehr in die Gränzen des Haushalts ein. Dieser bestand wegen Einfachheit der Bedürfnisse, dem Vater Homer zufolge, in dem Zeitalter der Heroën, selbst bei königlichen Familien, noch bloſs im Weben und andern dergleichen Handarbeiten. Nach und nach verlor sich die weibliche Spannkraft gänzlich. Schade! — Durch die Umstände, daſs alle Geschäfte des Staats den Weibern entzogen, und diese, bei Entstehung der bürgerlichen Gesellschaften, schon zur101 Besorgung des Haushalts verwiesen waren, wurden sie nicht Bürgerinnen des Staats, son - dern Schutzverwandte. — Schon sehr zufrie - den, daſs der Staat ihnen diese Gnade ange - deihen lieſs, begnügten sie sich mit einigen Begünstigungen vor den Sklaven, die man ih - nen bloſs zu spendiren schien. Wunderbare Wege! Doch, ging man nicht von der Poësie zur Prosa, von dem Tanze zum Gange, vom Singen zum Reden, vom Roman zur Ge - schichte —? Es wirkte eine Reihe von Ur - sachen, (wozu wahrscheinlich die, wiewohl gröſstentheils miſsverstandene, Natur die erste Veranlassung gab) daſs nach und nach eine ganze Hälfte des Menschengeschlechtes ihre ursprünglichen Menschenrechte verlor und ge - genwärtig einige Überbleibsel davon unter dem Titel von Begünstigungen, wohl zu merken, nur so lange genieſst, als es der andern Hälfte gefällt, ihr dieselben zu lassen; — und doch ist das dritte Wort dieser unterdrückenden Menschenhälfte: Recht und Gerechtigkeit, Ge - setzgebung und Gesetzhandhabung! — Warum in Fällen dieser Art ängstliche Geschichtsausspü -G 3102rung? Der Geist, der in uns ist, bleibt im - mer die beste Quelle aller Geschichte; er gleicht im Wesentlichen dem Geiste aller de - rer, die vor uns waren, und giebt dem, der sich mit ihm einlassen kann, und jedem, der sich selbst verständlich zu machen weiſs, wich - tige Fingerzeige von Nachrichten, die weit über den Zeitpunkt schriftlicher Zeugnisse, und weit über die historische Gewiſsheit hin - ausreichen. Jedes Kind bringt das Andenken an die Kindheit der menschlichen Vernunft in Anregung, und die Hauptzüge derselben drän - gen sich Jedem auf, der Augen zu sehen, Oh - ren zu hören, ein Herz zu fühlen, und Ver - nunft zu ergänzen, zu vergleichen und zu ver - binden hat. Mit Meinungen der Vorzeit kann uns nicht gedient seyn; und die Handvoll auf - behaltener Thatsachen sind so sehr mit jenen Meinungen in Verbindung daſs man ohne Phi - losophie bei den historischen Quellen der Vor - zeit auſserordentlich zu kurz schieſst. Kann man ohne philosophischen Kopf bei den histo - rischen Quellen auslangen? In uns liegt das Vermögen, aus jenen Bruchstucken der alten103 Welt, wo nicht ein Gebäude, so doch eine Hütte zu zimmern, und ein Ebenbild unseres Geistes, eine Einheit zu schaffen, die ohne Forscherblick weder in der Weltgeschichte, noch auch in der Geschichte jedes einzelnen Menschen, gefunden werden kann. Ohne die - sen Geist der Wahrheit ist und bleibt jede Lebensbeschreibung ein Roman, der Verfasser gehe so offen zu Werke als möglich, oder verstecke sich unter die Bäume im Garten. — Zu Geschichtforschern, Auslegern des mensch - lichen Geistes, zu Seelengelehrten, zu Sehern, gehört Studium seiner selbst; und nur in die - ser Rücksicht ist sich selbst zu kennen eine groſse Lehre! Nur ein Geschichtschreiber, der diese Salbung empfing, weiſs die Reihe der Dinge zu übersehen, und Ursache und Wirkung unter Einen Hut zu bringen. — Es giebt historische Ergänzungen, wo uns so we - nig ein lästiges Ungefähr untergeschoben wird. daſs wir weder gerade noch seitwärts etwas gegen diese Ergänzungen einwenden mögen, wenn wir auch könnten. —
Seht! nicht Überlegenheit des Körpers,G 4104nicht Übermacht des Geistes gab dem Manne das Schwert in die Hand; die Lage der Sache begünstigte diesen Schritt. Über seinen Un - terhalt bestand der Mann den Kampf mit sei - nes Gleichen. Madam beschützte zwar an - fänglich zu Hause ihre Kinder, und genoſs die Ehre, in dieser Festung zu commandiren, und während der Feldzüge ihres Mannes Pro - viant und Montirungsstücke zu besorgen; in - deſs ward sie auch hier sehr bald von ihrem erstgebornen Sohn entsetzt, der, noch zu jung und zu ohnmächtig dem Heere seines Vaters zu folgen, sich hier zum Commandanten auf - warf, bis er, mit Vorbeigehung seiner Mutter, diesen Posten seinem zweiten Bruder anver - trauen konnte.
Was für eine Veränderung diese Umstände während eines Zeitraums von mehrern Jahr - hunderten oder Jahrtausenden in dem Charak - ter, der Denkart und selbst in den körper - lichen Eigenschaften beider Geschlechter nach und nach hervorgebracht haben, ist am Tage. Andere Verhältnisse und Resultate als diese Machtvortheile, waren aus jenen Vorgängen105 ohne Wunder nicht zu erwarten; doch nicht eines einzigen, sondern eines Zusammenflusses von Wundern hätt’ es bedurft, allen diesen zufälligen äuſseren Veranlassungen eine andere Folgenriohtung zu geben. — Der Anfang steht oft in unserm Vermögen, die Mitte selten, das Ende nie. — Warum sollt’ ich es bergen, daſs wir Männer von Gottes Gnaden es so gern bemänteln, wie wir zu dieser Überlegen - heit gekommen sind? Überhaupt sind Mäntel die männliche Originaltracht, in die wir uns so bedächtig verhüllen, um nur so viel von uns zu zeigen, als höchstnöthig ist; die Weibermäntel sind Copien von den unsrigen. — Nähme man uns den philosophischen Mantel; entklei - dete man uns von der Reverende der wohl - ehrwürdigen Hypothesen und von allen unwe - sentlichen, fremdartigen Behelfen, hinter deren Wolken wir uns so unmännlich verbergen: wie weit seltener würden wir bestehen in der Wahrheit! — Um alles in der Welt möch ten wir die andere Hälfte des menschlichen Geschlechtes überreden, nicht wir, sondern die Natur habe sie zurückgesetzt und uns unter -G 5106worfen; und doch sind wir es, die seine Be - dürfnisse erregen, und Meinungen herrschend machen, wodurch wir, so wie durch jene Be - dürfnisse, den Meister über die schöne Welt spielen. Jene Clubs und geheimen Gesellschaf - ten, die, ohne daſs sie den Degen ziehen, Macht, Gewalt und Herrschaft erschleichen, sind Copien des Ganges, den die Männer einschlugen — Und die Bibel? Bis jetzt haben noch alle philosophische Sekten, die gedrück - te, die streitende und die triumphirende, und jede neue Staatsreform, bis auf die Französi - sche Constitution, sich in der Bibel getroffen gefunden.
Es ist das künstlichste Spinnengewebe von Gründen, wodurch wir das weibliche Ge - schlecht zu einer ewigen Vormundschaft ver - urtheilen; und selbst bei den feierlichsten Ehe - gelübden, die man sich am Myrtenfeste vor Gott und den (freilich durch ein Lucullus - Mahl bestochenen) Hochzeitszeugen ablegt, verlangt das kirchliche Formular, daſs, wenn gleich beide Theile gegenseitig sich zu ehren verheiſsen, doch die geehrte Männin dem107 Manne gehorchen und ihm als ihrem Herrn huldigen soll. Ist es zu verwundern, wenn die heiligste aller Zusagen, die Ehetreue, so schnöde gebrochen wird, da diesen Principal - punkt so viele Nebenverheiſsungen schwächen? Wie ist die Preisfrage eines feinen Kopfes: warum in verschiedenen Staaten, wo Eide das tägliche Brot in Gerichten sind, das Ehege - lübde (der wichtigste Contrakt, den Menschen mit einander schlieſsen können) ohne Eid vollzogen wird, zu lösen? Etwa durch die Bemerkung, daſs der Gegenstand so groſs wie das Verbrechen des Vatermordes sei, welches in weisen Gesetzbüchern weiser Völker ohne Strafe blieb? Etwa, weil keine Formel stark genug ist, das Ehegelübde zu besiegeln? und weil, um das Gröſste zu sagen, man zur Na - tur der Sache, zum einfachen Ja Ja, Nein Nein zurückkommen muſs? Wichtige Grün - de! doch schwerlich werden sie bei der Un - terlassung des Eheeides entscheiden; denn müſste sonst nicht unsere Eidmethode längst verbessert seyn? Oder wie? schwört man bei der Ehevollziehung etwa darum nicht,108 weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht zu halten sind? nur da gehalten werden dür - fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit - wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid? und wird dieser Eid erlassen? Der gröſsten Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach - tet, findet der Richter, oder — was mehr sa - gen will — der Gesetzgeber keine Bedenklich - keit, Eiden auszuweichen; und geht denn wirklich das Versprechen der ehelichen Treue, auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl - fahrt des Staates, das Glück des häuslichen Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten im menschlichen Leben) und aller Fleiſs, alle Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen der Menschen? Hast du nicht liebe getreue Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau - spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte! Unglücklicher! was ist dir die Menschheit werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich suche den Grund dieser, von unseren eiderei - chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach - kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn - heit in der Befürchtung, daſs man Eide einer109 baaren Lächerlichkeit aussetzen würde, wenn man sie durch den unnatürlichen, vom andern Geschlechte zu übernehmenden Umstand, sich der unerkannten Gewalt des Mannes unter - werfen zu wollen, entheiliget hätte. Diese Ho - magial-Umstände entfernten den Eid bei der Ehe in vielen protestantischen Staaten; und die auserwählten Rüstzeuge von Reformatoren hatten nicht unrecht, den Eid aus der Trau - ungsformel zu verabschieden, oder ihm einen Laufpaſs zu behändigen. Soll aber die durch die Natur und Erfahrung laut widerlegte männ - liche Macht und Gewalt über das andere Ge - schlecht sich durch leidige Künstelei erhalten? Werden wir, wenn Natur und Wahrheit ihre Rechte zurückfordern, die keiner Verjährung unterliegen, noch immer gewinnen und den Sieg behaupten? Durch Wiederfragen antwor - ten, heiſst, wo nicht gar spotten, so doch: die Frage keiner eigentlichen Antwort werth achten. Wer kann sich aber, wenn er auch wollte, dieser Zwittergattung von Erwiederung enthalten? wer der Fragantwort ausweichen: ob die Natur je so tief in Ohnmacht und110 Schwächlichkeit versinken könne, daſs sie sich ungestraft berauben lasse, ohne das Raubschloſs oder Raubnest zu zerstören? Längst sind Männer nur Titularherren, Besitzer in partibus infide - lium. — Und wie! Deutsche, deren Vorfahren ihre Weiber achteten, da der Rath derselben ih - nen wichtig, ihre Aussprüche ihnen heilig waren, wenn sie die Zukunft aufklärten, vielleicht wei - se genug, sie nach ihrem Willen zu lenken — (eine ehrwürdige prophetische Kunst!) Deut - sche, die, wenn es gleich von ihnen heiſst, daſs sie viel für Geld thun, ihre Weiber nicht wie die Römer (als wären sie Hausrath) einkauften; Deutsche — sollten ihrer Vorfah - ren so unwerth seyn! Was ist anständiger: mit dem andern Geschlechte gleichen Schritt zu halten, oder uns von ihm, ohne daſs wir es wissen, leiten und führen zu lassen? Nur die Zeichen der Regierung sind uns werth, die Regierung verkaufen wir für ein schnödes Linsengericht; und eine kluge Frau läſst sich von dem Manne zur Regierungs-Repräsentan - tin erkiesen, dem hier kein Hochverrath ahn - det, und der (weil doch Hochmuth dem111 Falle vorausgeht) seine Frau selbst zum Throne führt, und sich hinreichend begnügt, daſs Al - les unter seinem Namen expedirt wird, Alles unter: Wir von Gottes Gnaden. — Wenn nun aber ein so betrogener Mann, der seine Frau zur List erniedrigt, der seine Kinder zu ähnlicher Denkart herabwürdigt, und öffentlich mit sich spielen läſst, bei dem allen nicht un[-]glücklich ist; wenn er einen menschlichen Richter in Hausangelegenheiten, einen treuen Rathgeber in Fällen, wo er unentschlossen schwankt, in seiner Frau findet: — was würde sie ihm seyn, wenn sie von Rechtswegen gleich und gleich mit ihm wäre! Wie un - endlich leichter würde der Stand des häusli - chen und Staatslebens werden, wenn wir eine so herrliche Bundesgenossenschaft anerkennen und schätzen lernten! — Eigensinn, Trägheit und Stolz fesseln uns an alte Meinungen und Gebräuche: drei Götzen, die man auch Au - genlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben zu nennen pflegt! — Laſst uns diesen Götzen - dienst mit einer vernünftigen Verehrung der Natur und ihrer Gesetze vertauschen! Schon112 lange sind die Weiber durch Leiden geprüft und bewährt, um der Herrlichkeit werth zu werden, welche die Natur an ihnen so gern offenbaren möchte. Das Ende vom Liede dieses Abschnittes.
In der That scheint eine höhere Vernunft es mit Vorbedacht und Vorsicht darauf ange - legt zu haben, daſs der Anfang des menschli - chen Geschlechtes in einem tiefen heiligen Dunkel bleiben sollte. Chaos war eher als die Welt, Finsterniſs eher als Licht, Nacht eher als Tag; und wohl uns, wenn die menschlichen Handlungen, eben so wie alle Naturbegebenheiten, nach allgemeinen Natur - gesetzen bestimmt, und von einem inneren Lichte, das der groſse Haufe nicht sehen kann, und das nur Sonntagskindern selbst in der dick - sten Finsterniſs leuchtet, gelenket werden!
Heil uns, wenn bei den unablässigen Be - mühungen der Menschen, alles unregelmäſsig zu machen, jene göttliche Regelmäſsigkeit ih - ren festen Schritt hält, und die Weisheit ihre ursprünglichen hohen Anlagen bei der späten Entwickelung rechtfertiget! Heil uns, wennwir113wir Alle, und auch selbst die unter uns, wel - che am wenigsten daran denken, Mitglieder der göttlichen unsichtbaren Kirche sind! wenn der, welcher bloſs für sich denkt und oft sogar des Andern Teufel ist, doch, ohne daſs er es weiſs, die göttliche Absicht befördert, die Welt ihrem moralischen Ziel immer näher bringt und selbst Teufeleien zum Besten keh - ret! O, der herrlichen Veredlung der mora - lischen Metalle!
Wer kann bei dieser Idee gleichgültig seyn! wer wünscht nicht, sich jenen jüngsten Tag der Menschheit lebhaft vorzustellen und den Gang des menschlichen Geschlechtes von An - beginn bis auf unsere letzte betrübte, und die in der Hoffnung erwartete letzte fröhliche Zeit in einer Karte zu übersehen! — Wie oft würde auf diesem Menschheitsgemählde die Weisheit des Einzeln als Thorheit, und die Thorheit im Groſsen als Beitrag zur Weisheit erscheinen! Nur daſs kein Mensch hieraus Gelegenheit nehme, in seinem verkehrten Sin - ne zu thun was nicht taugt, vielmehr nach bestem Wissen und Gewissen seine Tage soH114anlege, daſs die Stimme seiner theoretischen und praktischen Vernunft, seiner Einsicht und seines Gewissens, nicht unbefolgt bleibe! Zwar kommt es hier immer noch bloſs auf den Glauben an die Menschheit an, der durch so manche unerhörte, unerklärliche Begeben - heiten nicht nur in Hinsicht einzelner Men - schen, sondern auch ganzer Nationen schwan - kend gemacht wird; wer wollt’ indeſs auch bei einem Senfkorn dieses Glaubens ver - zweifeln! Vater der Menschen, stärk’ uns diesen Glauben! Wie plaulos da alles durch einander läuft! wie viel Zerstörungssucht, Ha - der, Neid, Zank, Zwietracht! Alles ver - schworen, die Wünsche des Menschenfreun - des zu vereiteln und der göttlichen Bestimmung entgegen zu arbeiten! Doch jene goldreine Zeit wird kommen, wo die Menschheit mehr von Schlacken geläutert seyn wird! nur daſs nicht, was bei menschlichen Handlungen glänzt, uns sogleich etwas Göttliches scheine! Nicht Alles was glänzt, ist Gold. Nur daſs wir uns durch nichts, selbst nicht durch den herrlichsten kosmopolitischen Zweck, zum115 Handeln bestechen lassen, vielmehr auf nichts weiter denken, als unsere Pflicht mit strenger innigster Redlichkeit zu bewirken und sie menschmöglichst (ein theures werthes Wort!) zu erfüllen! Nur daſs wir bei unseren heili - gen Verbindlichkeiten nicht an den Morgen der Folgen denken, sondern lauter und rein thun, was wir schuldig sind, und Alles übri - ge dem überlassen, der allein weise ist! Wer sich das Ansehen giebt, der göttlichen Regie - rung nachhelfen zu wollen, ist ein Gottes - läugner in einem besondern Sinne — — Sollte indeſs die Natur dem verzagenden Beobachter nicht wenigstens, wie Ariadne, einen Leitfa - den zugeworfen haben, um sich aus diesen Labyrinthen herauszuhelfen? um, da er in Al - lem eine göttliche Endabsicht voraussetzen kann, dieselbe, trotz allen Kreuz - und Quer - zügen von eigenen Absichten der Menschen, auch bewundern und sich an ihr und an der allmählichen Erreichung derselben erfrenen zu können? Nichts würde diese Gesinnngen und diese Hoffnungen stärker befestigen, als wenn wir; von den Urzeiten ab, in allen den Krümmun -H 2116gen, die das menschliche Geschlecht einschlug, eine geheimniſsvolle Entwickelung dieser An - lagen zu bemerken und den Finger einer Vor - sehung zu finden im Stande wären. So bald Geschichte, Erfahrung und Nachdenken et - was von diesem ihrem Gange enträthseln kön - nen; so ist hierzu ein Plan gezeichnet, und wir sind in diesen vierzig Jahr-Wochen des Wüstenumweges nach Kanaan nicht ganz und gar verlassen und versäumet. Doch noch hat diese herkulische Arbeit keinen Anfänger, viel weniger einen Vollender; und da die Einbil - dungskraft in dieser Hinsicht kein leidiger Tröster ist, so läſst sie uns in, mit und un - ter ihrer Beihülfe, wenn gleich nicht lebendi - ge Überzeugung, so doch beruhigende Hoff - nung erlangen. Ist der Mensch ein Miniatur - stück von Welt, ein Mikrokosmus; so mag die Geschichte des einzeln Menschen im - merhin einen Schattenriſs von der Geschichte der Menschheit abwerfen, und den Anfang derselben, so wie ihren Fortgang, in Hiero - glyphen dem Auge des Sehers, wenn gleich nicht völlig, so doch kennbar, darstellen. Je -117 der Mensch feiert durch sein Leben das Leben des menschlichen Geschlechtes, und wird, wo nicht die Quintessenz, so doch ein kurzer Auszug von der Geschichte der moralischen Welt. Wenn man ohne sonderliche Vorur - theile (denn ist es möglich, sich über diese Egyptischen Plagen völlig wegzusetzen?) einen Plan entwerfen könnte, wie die Menschen - welt gehen müſste, wenn sie anders den letz - ten Zwecken der Vorsehung gemäſs wandeln wollte; so hätte man freilich von der morali - schen Welt eine treue Probe, die mit den Bruchstücken, welche wir davon geschichtlich besitzen, stimmen und die Data da ergänzen würde, wo in der wirklichen Welt Alles wüst und leer scheinet. Jetzt aber werden wir, hier und da viel oder wenig abgerechnet, wenigstens ein Ungefähr von dem herauszu - bringen im Stande seyn, was herauszubringen war; und sollten wir nicht Alles mit einer reinen Idee dieses Ganges übereinstimmend finden, so wird doch ein groſser oder kleiner Theil stimmig seyn. Die erste Periode unse - res Lebens ist so dunkel wie die Genesis derH 3118Welt, von der wir, da sie unter dem Herzen ihrer Mutter lag, nichts wissen. Ist unsere Kindheit (wo wir keinen Willen haben, son - dern nach Instinkten und nach Leitung der Eltern, die uns entwarfen, leben, weben und sind) nicht jener Weltperiode ähnlich, die wir den Stand der Unschuld nennen? und sie mag um so mehr so heiſsen, da uns in der - selben nichts zugerechnet werden kann. Der Mensch fühlt sich; das heiſst: er emancipirt sich, giebt oft noch vor der Zeit sich veniam aetatis, glaubt in seiner Vernunft einen Gott zu haben; und seht! mitten in dieser Selbst - vergötterung sinkt er, und oft so tief unter den Menschen herab, daſs er kaum zu kennen ist — Leidenschaften stürzen ihn — Fall auf Fall! — Anfänglich sind diese Leidenschaften ungebetene Gäste, die man gemeiniglich lieber gehen als kommen sieht; doch über ein Klei - nes werden sie Vernunftgenossen, Herzens - freunde, Busen - und Schooſslieblinge, deren Umgang, wenn das Gewissen dagegen einwen - det, der Mensch bis auf’s Blut so vertheidigt und rechtfertiget, daſs das sich selbst gelassene119 Gewissen sich anfänglich hintergehen, bald hernach sich anstecken läſst, und endlich selbst leidenschaftlich wird. — Spät nur, und wenn der Tag seines Lebens kühl geworden, kommt der Mensch durch die Stimme seines Gewissens, das sich wieder erholt hat, zum Nachdenken. » Adam, wo bist du? wohin ist es mit dir gekommen? » Das Fieber des Selbstbetruges legt sich; die Vernunft hat Zwi - schenstunden, kommt allmählich zu Kräften, und entwirft sich Gesetze, die der Mensch wenigstens im Durchschnitt erfüllt — Ganz wird er nie aufhören Mensch zu seyn — wie sollt’ er auch eine ihm wildfremde Rolle völ - lig ausführen können? Bei den Fehlern des Alters erinnert er sich der Sünden der Jugend, sinkt, fällt, steht auf, und sieht am Ende ein, daſs der Mensch nie zur Vollständigkeit ge - langen kann; doch jaget er ihr nach, und ver - sucht, ob er jenes Ziel erreichen werde, die Krone des Lebens. —
Das Weib — ist wie der Mann; es giebt hier keinen Unterschied: sie sind allzumal Menschen, und mangeln des Ruhmes, den sieH 4120haben sollten — — Das Verhältniſs der Ge - schlechter gegen einander? Allerdings der Hauptpunkt, worauf es bei dieser ganzen Ab - schweifung ankam! Der gerade Gang aller kleinen und groſsen Gesellschaften — den ich aber aus mehr als Einer Ursache auch selbst nach den ersten Strichen nicht darstellen mag. Adam und Eva leben anfänglich im Stande der Unschuld; dann wird Adam Eva’s Unter - gebener, gehorsam bis zur Ausschweifung; bald darauf verwandelt er sich in ihren Gebie - ter, welches er lange bleibt, bis sie endlich beiderseits in Frieden, Einigkeit und Gleich - heit mit einander leben, und zu jenem Stan - de der Unschuld, wiewohl mit weit mehr Einsicht und weit mehr Glückseligkeit, zu - rückkehren. Genug — auch dieser Hand - zeichnung vom Verhältnisse der Geschlechter will ich weder Farben geben, noch sie vollen - den — Ein jeder wird an diesen Strichen sich selbst kennen, und durch diese Selbst - kenntniſs den Gang der Menschenwelt und der beiden Geschlechter — Möchte doch auch in Hinsicht des Geschlechterverhältnisses Eine121 Heerde und Ein Hirt werden! — Doch, die - ser Wunsch ist im dritten Kapitel zu früh; wer wird sich selbst in den Kauf fallen —? wer sich vor dem fünften Akt verheira - then? —
Das Schwert gab dem männlichen Geschlechte Machtvortheile über das weibliche; aber dem natürlichen Maſse von Leibes - und Seelen - kräften konnte es eben so wenig eine Hand - breit zusetzen, als der Nichtbesitz der Waffen dem weiblichen Geschlecht eine Handbreit zu nehmen im Stande war, wenn gleich nicht ge - leugnet werden kann, daſs dieser Nichtbesitz Furchtsamkeit, Miſstrauen in Kräfte, welche die Weiber nicht kannten, zur Folge hatte. Als die Griechen und Römer in ihren Kriegen mit den Indiern der Elephanten ansichtig wurden, erschraken sie über diese Kolossen, und der Muth entfiel ihnen; doch, er nahm wieder zu, als sie diesen Kriegespopanz mehr123 kennen und verachten gelernt hatten. Sie überzeugten sich, wie wenig diese unbehülf - lichen Massen der Gewandtheit eines geübten Kriegsheeres die Wage halten könnten; und ob sie gleich hierdurch keinen wesentlichen Zuwachs an Kräften erhielten, so ward doch durch diese Erfahrung das Zutrauen auf ihre Kräfte vergröſsert. Es hatte mit diesem Zu - trauen eben die Bewandniſs, wie mit dem Credit der Kaufleute, wodurch sie reicher als durch Schätze sind. In der That, wir haben an körperlichen Kräften und an den Resulta - ten derselben, Muth und Tapferkeit, gegen unsere Väter so wenig gewonnen, daſs wir es wohl weislich bleiben lassen müssen, in ihren Rüstungen und mit ihren Waffen zu fechten; würden sie aber, mit aller jener körperlichen Überlegenheit, mit allem jenem Muth und je - ner Tapferkeit, nicht gegen die erste beste un - serer Armeen das Feld räumen müssen? Wir haben uns durch Glück und Kunst solcher Kräfte bemächtigt, gegen die sie nicht zu ste - hen vermögen. Verstärken aber alle diese Dinge unsere Leibeskräfte und unsere Geistes -124 vorzüge? sind wir dadurch wesentlich mäch - tiger und tapferer geworden, als unsere Vor - fahren? Haben wir auf diesem Wege ein Recht erlangt, sie unter uns zu erniedrigen, sie zu entwürdigen und zurückzusetzen? — Ge - rade so, und nicht anders, verhält es sich mit unsern Anmaſsungen gegen das weibliche Ge - schlecht. Dadurch, daſs die Gesellschaften nach und nach dauerhafter und fester wurden; dadurch, daſs sie gewisse Formen erhielten, vermittelst deren sie äuſserlich sich immer ähn - licher wurden; dadurch, daſs man in diese Formen allmählich mehr Verhältniſs zur Masse brachte; kurz, dadurch, daſs die bürgerlichen Gesellschaften ihre gegenwärtige Gestalt er - hielten, ward den Weiberrechten nicht im mindesten gefrommt. Diese ursprünglichen Rechte waren einmal verloren gegangen, und es blieb dabei, daſs man Weiber mit zum Hausgeräthe des Oberhauptes der Familie rech - nete, womit mancher nothdürftig, mancher überflüssig versehen war; sie hatten nur noch Werth für ihn, in so fern sie dazu dienten, durch klugen Austausch seine Habe zu erwei -125 tern und sein Inventarium zu vergröſsern. Die Menschen wurden Bürger; allein sie fingen ihre Bürgerschaft nicht damit an, diesen ihren bürgerlichen Verfassungen Ordnung, Dauer und Regelmäſsigkeit beizulegen. Noch jetzt lernt man in der Gesellschaft gesellig seyn, und nichts läſst sich so wenig theoretisch be - greifen, als diese Kunst. Die ersten Gesell - schaften dehnten sich bloſs durch Gewalt der Waffen über andere aus, und gaben sich Mü - he, ihre freien Nachbarn nicht zu ihren Mit - bürgern und Freunden, sondern zu ihren Skla - ven zu machen. So entsprang, erweiterte und bildete sich der Römische Staat; und daſs dies der Uranfang aller groſsen bürgerlichen Gesell - schaften war, bezeuget die Geschichte vom fin - stern Anfange bis zum angeblich lichten Ende. Immer hatte man Waffen in den Händen, man mochte seinen Freunden und seinen Feinden Gesetze vorschreiben, man mochte über An - ordnungen zum Besten des Staates rathschlagen, oder über Bürgerrechte entscheiden. So wa - ren und blieben die Männer in Rücksicht ih - rer Weiber in Machtvortheilen, und lieſsen126 ihnen Gnade für Recht widerfahren, wenn sie ihnen einige Brosamen von ihrem Überflusse zuwarfen; das heiſst: wenn sie ihnen einige Vortheile vor den Sklaven zugestanden. Indeſs fanden es die Griechen, und vorzüglich die Römer, billiger oder (besser) politischer, das weiblche Geschlecht in die Staats - und Ge - setzordnung mit einzuschlieſsen. — Wie es der Orient mit den Weibern gehalten hat, ist, auſser dem, was der Jüdische Gesetzgeber in Rücksicht ihrer anordnet, nicht bis auf unsere Zeiten gekommen; doch scheint ihr ehemali - ger Zustand in diesem Vaterlande des Despo - tismus und der Vielweiberei vor dem jetzigen sich nicht ausgezeichnet zu haben, da Asich und Afrika, seitdem die Griechen und Römer daselbst bekannt wurden, in der Cultur eher zurück - als vorgeschritten sind. — Der Mensch ist zur Freiheit geboren; sie ist die Sonne, de - ren Einfluſs Alles hervorbringt. — Da, wo Freiheit unterdrückt wird, kann nichts, was menschlich ist und heiſst, zu Kräften kom - men. — Dort ist noch die Ehe, dieser wich - tigste und heiligste Vertrag im Staate, nichts127 mehr und nichts weniger, als ein Kauf - und Tauschhandel; Weiber sind eine Waare des Lu - xus, weil der Zenana (Harem) einen wesentli - chen Theil eines Indischen Pallastes ausmacht, und die Stelle derjenigen Örter vertritt, wo der Europäer seine Prachtliebe zur Schau trägt. Anstatt Meisterstücke der Mahlerei und Bild - hauerkunst aufzustellen, anstatt die Natur durch die Kunst zu verschleiern, stellt man sie nackt und bloſs dar; und anstatt in einen Tempel des Geschmackes zu führen, führt man in ein B —. Die Weiber sind dem In - dier Gegenstand und Werkzeug des Vergnü - gens und Zeitvertreibes; und seht da den höchsten Gipfel des weiblichen Werthes! Liebe kennt er nicht; denn diese kann in Hinsicht des Geschlechtes sich durchaus nicht so thei - len. — Thierisches Bedürfniſs ist das Heilig - thum seines Altars der Liebe, und verschwen - derische Üppigkeit das Ziel seiner häuslichen Glückseligkeit. — O des in Armuth reichen Menschenthiers!
Was indeſs Griechen und Römer dem weiblichen Geschlechte durch ihre Gesetzge -128 bung an bürgerlichen Rechten zugestanden, war nur ein sehr dürftiger Theil desjenigen, was ihnen von Naturwegen eignete und gebührte, und was ihnen sonach weder durch Feuer noch durch Schwert, weder durch gute noch durch böse Gerichte genommen werden konnte. Wahrlich ein Raub von besonderer Art, wobei man nicht nur den Leib, sondern auch die Seele entwendet, und den sich besonders die weltberühmten rechtlichen Römer zu Schulden kommen lieſsen! Kann man überhaupt zu einem Rechte Zutrauen fassen, das sich nicht grämte, nicht schämte zu behaupten: die Skla - ven wären für nichts zu halten, (seroi pro nul - lis habentur L. 32 D. de Reg. Jur.) und wel - ches den an sich so schädlichen als drolligen Einfall geltend machte, es gäbe Menschen, die nur den Werth von Sachen hätten? Durch diese gerichtliche Taxe verlor die ganze Menschheit; und so lange man den Sklaven Bild und Überschrift von Menschen nicht zu nehmen vermag — wer wird mehr entehrt, sie oder ihre Herren? Was nun besonders die unerhörte Unerkenntlichkeit der Römerbe -129betrifft, die durch das andere Geschlecht zu Menschen gemacht, die durch die Sabinischen Jungfrauen erzogen waren — und die ohne Zweifel jene Spuren der Menschlichkeit, die sie von ihren Gouvernantinnen lernten, in alles Römische brachten, um ihm den bitteren Geschmack der Rohheit zu benehmen — wer kann dieser Römischen Unerkenntlichkeit sich ohne Miſsmuth zurück erinnern? Welch eine demüthigende Ehre, die man den Weibern erwies, sie auf immer unter Vormundschaft zu setzen, ihren bürgerlichen Handlungen die bürgerlichen Folgen zu entziehen, und sie durch eine feierliche Sanktion zu Schatten der Männer im Staate zu machen! Alle Gesetze in Hinsicht des andern Geschlechtes scheinen in Donner und Blitz gegeben zu seyn; wenn sie gleich sich das gesetzliche Ansehen (das pedantischste von allen) geben, den Evangelien - ton anzunehmen, sieht man, so bald man ih - nen näher tritt, doch so viel Donner — und Blitz — Gesetzlichkeit in ihrem Evangelio, daſs man sich sogleich überzeugt, kein Frauen - zimmer habe hier mit votirt. —
I130Die höchste Beleidigung ist, zu erklären, daſs man durch Jemanden nicht beleidigt wer - den könne; und durch das Privilegium, nicht Unrecht thun zu können, hat man die damit Privilegirten in keine vortheilhaftere Sicherheit gestellt, als die Blödsinnigen. Weibliche Per - sonen vom tiefsten Sittenverderbniſs wollen geschmeichelt seyn, daſs sie äuſserlich die Tugend ehren, die ihr Geschlecht am mei - sten ziert; und wie? die Gesetze selbst berau - ben das ganze Geschlecht alles Nervs, alles Muthes die Freiheit zu lieben, aller Vernunft den Despotismus nicht zu fürchten? wie? man erniedrigt ein ganzes Geschlecht zur Skla - venklasse, aus dessen Mitte man mehrere, und bei weitem nicht die vorzüglichsten, an - betet und als Göttinnen in den Himmel ver - setzt?
Ist es zu leugnen, daſs die Römische Ge - setzgebung, und die Adoption derselben in Deutschland, dem weiblichen Geschlechte jene odiösen Privilegia im höchsten Grade zuwand - te und ihm den schlechtesten Dienst erwies, den man ihm je erweisen konnte? Beide Re -131 geln, welche von der gesetzlichen Annahme an Kindes - oder Enkelstatt unzertrennlich wa - ren, (nehmlich daſs die Adoption die Natur nachahme, und daſs sie bloſs zum Nothhelfer für die erfunden sei, die weder leibliche Kin - der, noch Hoffnung und Aussicht dazu hatten) fand zwar bei dieser Adoption des Römischen Rechtes nicht Statt. Da indeſs von Rom aus, und durch die Römer, sich Künste, Wissen - schaften und Sitten in Norden und Westen verbreiteten, so wie unsere ganze hochlöbliche Cultur noch gegenwärtig Römisches Vaterland verräth; so trägt besonders unsere Staats - und bürgerliche Verfassung, und vor andern unser bürgerliches Recht, noch Namen und Gepräge der Römer an Stirn und Brust, seitdem der Justinianische Gesetz - und Rechts-Codex zu Amalfi wieder aufgefunden ward. Auch das von Carmersche Neue Testament beziehet sich auf jenes Römische Sinai des Alten, und ist weniger Schöpfung als bessere Einrich - tung — Nur noch wenige Züge, eh’ ich dieses Feld verlasse — Jene Rechts-Peinlichkeit in Rücksicht der Hermaphroditen würde bloſsI 2132lächerlich seyn, wenn der Geschlechtsstand des männlichen vom weiblichen Geschlechte nicht so auſserordentlich verschieden wäre — Das Gefühl, Manns - und Weibspersonen würden einerlei Rechte zu genieſsen haben, wenn es auf die Entscheidung der Natur ankäme, brachte die Gesetzgeber, und noch mehr ihre Jünger und Prophetenknaben, in eine nicht geringe Verlegenheit; und da Ausnahmen nicht vermuthet,[sondern] bewiesen werden müssen, so deutete man (o, der Gerechtigkeitsliebe!) ein Gesetz, wobei die Weibspersonen nicht ausgenommen waren, auf beide Geschlechter, und die Weiber hatten die Ehre, die Worte: (si quis) wenn Jemand, auch sich zuzueignen und — welch ein Vorzug! — auch ein Je - mand zu seyn. Ein groſses Glück, daſs man sie nicht zum Niemand verstieſs. Es ist un - erklärbar, wie man auch nur auf den Gedan - ken hat fallen können, daſs nicht etwa bloſs dem männlichen, sondern auch dem weibli - chen Geschlechte, nach Römischen Grundsät - zen, Vortheile zugetheilt wären! Ich finde deren keinen von letzterer Art; vielmehr schei -133 nen mir die so genannten Weiber-Vortheile geheime Wunden und Meuchelstiche zu seyn, die noch mehr schaden, als wenn das Gesetz sich öffentlich wider die Weiber erklärt hätte. Was bedürfen wir weiteres Zeugnisses, als daſs die Frauenspersonen auf kein öffentliches Amt Anspruch haben; daſs sie (Mutter und Groſs - mutter ausgenommen) nicht Vormünderinnen werden können; daſs sie in Fällen, wo die Gesetze, der Feierlichkeit des Geschäftes hal - ben, mehr als zwei Zeugen verlangen, nicht als Zeuginnen zuzulassen, mithin nicht als Zeugen bei Testamenten brauchbar sind, und daſs noch Zank und Streit unter den Gelehr - ten obwaltet, ob und in wie weit ihnen diese Zeugenehre bei Codicillen zu bewilligen sei; daſs sie an den Rechten der Römischen väter - lichen Gewalt (sie war, so wie überhaupt, so besonders in Hinsicht des Vermögens der Kin - der vorzüglich) keinen Antheil haben; daſs man sie zur wahren Adoption unfähig erklärt, weil hier die väterliche Gewalt sich in ihrer rechtlichen Würde zeigt! — Wahrlich, nach diesen Beraubungen wird man auf die angebli -I 3134chen Vortheile neugierig seyn, wodurch die Römischen Gesetze das andere Geschlecht zu entschädigen die Güte gehabt; und sehet da! die Unwissenheit der Rechte kann den Wei - bern nicht zugerechnet werden, wenn sie sich dieses elenden Einwandes in Fällen bedienen, um sich durch einen Blitzableiter wegen des Schadens und der Strafe zu sichern. Sie kön - nen nicht aus einer Bürgschaft belangt wer - den — und kurz und gut, sie haben das Recht, alte Kinder zu bleiben bis an ihr seliges En - de. — Der Claudianische Rathsschluſs war so gnädig festzusetzen, daſs, wenn eine freie Frauensperson einen Sklaven actualiter für ei - nen Menschen anerkannte und sich mit ihm zu weit einlieſs, sie dem Herrn desselben, falls er ihr in der heiligen Zahl Drei diesen Umgang untersagt hatte, als Sklavin zugespro - chen werden muſste, so bald dieser Herr dar - auf antrug. So fiel sie, und — wohl zu merken — auch ihr ganzes Vermögen, diesem so wohl - meinenden Herrn anheim, der die groſse Mü - he gehabt hatte, sie dreimal zu warnen! — Justinian hob diese Härte, als seiner Zeiten un -135 würdig, auf; und noch schüttelt man den Kopf, unentschlossen, ob dies ein Lob - und Dankopfer, oder ein Vorwurf in Hinsicht sei - ner goldenen Rechtszeit sei.
Bei diesen und andern Umständen hat man nicht etwa bloſs dem Geiste der Römischen Gesetzgebung, sondern auch ihren Cruditäten das Bürgerrecht verstattet, und zu ihrer Auf - nahme die Thore weit und die Thüren hoch gemacht; während die Franken, Sachsen und andere Bewohner Deutschlands, nach ihrer Weise und nach Deutscher Art und Kunst, in der Cultur fortschritten. Die Handlungs - weise und die Sitten erhielten zwar eine an - dere, aber doch keine Römische Gestalt; viel - mehr machte die Eigenheit des Volks-Cha - rakters einen sehr wesentlichen Unterschied bemerkbar: indeſs wurden Deutsche Handlun - gen doch mit Römischen Schneiderscheeren verschnitten — Aus einem Paradiese und kühnen Naturgarten wurde kleinliche Hollän - dische Künstelei. — Demosthenes hält es beina - he für ein Gesetz des Schicksals, daſs immer die besten Menschen die ungezogensten Kin -I 4136der hätten; und in Rom und Griechenland war es zum Sprichwort geworden, daſs die Söhne der Helden selten ihren Vätern ähnlich wären. Ganz anders mit den Staatsgesetzen, deren Erziehung fast nie fehl schlägt — Wenn Mitglieder des Staates von ihren Rechten und Pflichten richtige Begriffe haben und gern den - selben gemäſs handeln, so sind sie sicher auf - geklärter, als wenn sie der Wissenschaften Menge besitzen, die zur bürgerlichen Glück - seligkeit nichts Wesentliches beitragen, die den Schein haben und die Kraft verleugnen. Wie betrübt war das Schicksal der Deutschen bei Römischen Gesetzen! Diese Gesetze wur - den dem National-Charakter der Deutschen und ihren väterlichen Sitten auf keine Weise anpassend gemacht. Man fiel nicht darauf, Gesetze und Sitten so viel als möglich in Übereinstimmung zu bringen, nicht, wo weder Sitten noch Gesetze eine Umformung anneh - men wollten, diese zu verwerfen, und für je - ne eine Regel zu erfinden: man nahm es sich vielmehr mit patriotischer Freiheit heraus, das Römische Gesetzbuch, wie die Säulen des137 Herkules, als Gränze anzusehen, über welche hinaus sich kein Ruhepunkt für den mensch - lichen Verstand denken lieſse; man ahndete nicht einmal, daſs das, was im Römischen Staate und für Römer gerecht und weise war, in Deutschland und für Deutsche sehr unweise und ungerecht seyn könnte — Der unverfei - nerte Geist der Deutschen Sitten hing mehr an einer tugendhaften schlichten Denkungsart, als an gewissen durch Connivenz so oder so bestimmten Wörtern; und die Deutschen hät - ten von hundert Arten der Lust nicht gewuſst, wenn das Römische Gesetz (dessen um sich greifende Alleinherrschaft man nur allmählich und nothdürftig durch Spiegel und Weichbilde und Willkühre beschränkte) nicht gesagt hätte: Laſs dich nicht gelüsten. Kann man nicht Laster verbreiten, wenn man sie gleich mit wahren Far - ben zeichnet? Giebt es nicht Sünden, die nicht anders als mit Gefahr der Verführung zu ent - schleiern sind? und wenn es dem Dichter schwer ist, treue Gemählde der Sitten zu lie - fern, ohne den sittlichen Anstand zu verlet - zen — mit welcher Weisheit muſs der Ge -I 5138setzgeber verfahren, um nicht mehr zu ver - derben als zu bessern? Kann der Dichter wenigstens jetzt — und hatten die Alten so ganz ein Recht, sich von dieser Weise aus - zunehmen? — viele Dinge nach der Natur mahlen? oder muſs er nicht vielmehr seine Ge - mählde unter einer conventionellen Maske, und mithin um vieles sittlicher als die Menschen pro tempore sind, anlegen und halten? und der Gesetzgeber, so ein Prosaist er auch sonst ist — muſs er nicht eben den Weg wandeln, wenn er nicht mehr Schaden als Nutzen stif - ten will? Die Menge der Römischen Gesetze würde vielleicht mehr abgeschreckt haben; in - deſs brachte das System, wonach sie gezim - mert waren, (das nicht bloſs die Rechtsgelehr - ten, sondern, wohl zu merken, auch der Bürger, studieren muſste, wenn er nicht alle Augenblicke an einer Fiktion und einer Fein - heit oder deſs etwas sich Kopf und Herz stoſsen wollte) die Römische Gesetzkunst in Umlauf. Der gröſste Haufe lernte sie halb kennen, und eben diese Halbkenntniſs erwarb ihr, nach wohlhergebrachter Gewohnheit, ei -139 ne fast mystische Verehrung, so daſs alles vor dem Römischen Rechte die Kniee beugte, und ihm huldigte. — Und wer mag denn auch leugnen, daſs es einen Schatz von Kennt - niſs und Weisheit enthält? und daſs, da Spitzfindigkeiten und Distinktionen für den gröſsten Theil der Köpfe etwas sehr Hinrei - fsendes behaupten, es besonders zur damaligen Zeit sehr natürlich zuging, wenn ihm so reichlich Jünger und Anhänger zufielen? ob es gleich den Britten nie leid gethan hat, und zu thun scheint, dieser Rechtsfahne nicht geschworen zu haben. Warum mehr Ausho - lung? — Das unrömische Deutsche Weib kam unter das Römische Gesetz, und die Deutschen Männer verwickelten sich selbst in das Garn, womit sie Weiber zu fangen ge - dachten. Zu wenig hat die Geschichte uns von unsern in Gott ruhenden Ahnherren hinter - lassen, denen es überhaupt mehr darum zu thun war, Thaten der Nachwelt würdig zu thun, als sie aufzuzeichnen und aufzubehalten. Das, was Freund und Nachbar Tacitus von ihren Sitten und Gebräuchen überliefert, ist140 bei weitem nicht hinreichend, um uns von ihrer Haus - und bürgerlichen Verfassung einen ganz richtigen, am wenigsten einen vollstän - digen, Begriff zu machen. Nach ihm, wurde bei den Deutschen, bei denen Sitten weit mehr als in Rom Gesetze vermochten, (denn so, denk’ ich, will Tacitus übersetzt seyn) der Ehebruch mit dem Tode bestraft; und be - darf es gröſserer Beweise, daſs die Ehen den Deutschen nicht gleichgültig waren? Sie wach - ten über ein Geschäft, wobei der Staat so sehr interessirt ist, daſs jede Vernachlässigung sich über kurz oder lang unmittelbar am Staa - te rächt, mit vieler Eifersucht und Strenge, so, daſs auf Vergehungen dieser Art (die un - ter einem Himmelsstriche wie der ihrige, bei einer einfachen frugalen Lebensart und bei der Unbekanntschaft mit Müſsiggang und dem Wohlleben, den Gefährten des Luxus, in der Regel sich nur sparsam ereignen konnten) dennoch eine so harte Strafe gesetzt wurde.
Der Einfluſs der Deutschen Weiber in Staatsgeschäfte war wichtig, indem sie aus ih - ren Mitteln Priesterinnen gaben, die, auſser141 ihren gottesdienstlichen Verrichtungen, einen groſsen Einfluſs in Staatsverhandlungen be - haupteten, ihre Berathschlagungen lenkten und ihren Kriegern in Schlachten Verachtung der Gefahr, Liebe für das Vaterland, und Muth gegen ihre Feinde einhauchten. Weiber wa - ren ihren Männern nicht, wie groſse Staats - diener ihren noch gröſseren Fürsten, rechte oder linke Hand, sondern Herz und Seele. Die Geschichte hat uns noch einen berühmten Namen, V[e]llede, aufbehalten. Ob sie übri - gens als aktive Bürgerinnen an den Volks - versammlungen Theil nahmen; ob sie mit den Männern überall gleiche Rechte genossen: das ist eine Frage, welche die Geschichte unbeaut - wortet läſst; indeſs ist zu vermuthen, daſs auch bei unsern Vätern die Weiber jene Rol - len mehr aus Connivenz, als kraft einer förmlichen Berechtigung spielten, indem ein so wichtiger Umstand, der bei allen übrigen damals bekannten Völkern so sehr auſser der Regel war, gewiſs der Nachwelt wäre über - liefert worden. Die Eheunlust, worüber Ge - setzgeber und Politiker von je her so manchen142 Stab Wehe brachen — entstand sie nicht aus der Verachtung, welcher das andere Geschlecht ausgesetzt war? Scheint es nicht eine Art von Degradation seiner selbst, ein Frauenzim - mer zu ehelichen, das im Grunde so ohne alle Bedeutung ist? besonders wenn man über - lästige Schwiegermütter und Basen als Beila - gen sub Ecce und Vide erhält! Man lasse das Mädchen seyn wie unser Einer, und ge - wiſs wird ein ehelustiger Jüngling weniger Bedenken finden, mit ihr zu ziehen; und werden Basen und Schwiegermütter bei der Geschlechtsverbesserung noch Zeit behalten, sich als Beilagen sub Ecce und Vide brauchen zu lassen? —
Wenn es wahr ist, daſs durch den Mü - ſsiggang eines Bürgers im Staate ein anderer doppelt arbeiten muſs, um die Faulheit von jenem zu übertragen und Alles ins Gleichge - wicht zu bringen; so bestätiget sich diese Be - merkung noch weit mehr durch die Veilwei - berei, die Quelle, wodurch zwar das andere Geschlecht auſserordentlich von seiner Würde verloren, die indeſs auch dem männlichen,143 und sonach dem ganzen menschlichen Ge - schlechte, einen unglaublichen Nachtheil zuge - zogen hat. Nicht bloſs Vater und Mutter, sondern auch die Kinder sind verdorben; der Vater kommt mit seiner Liebe zu den Kin - den ins Gedränge: er liebt sie nicht als seine Kinder, sondern in so weit dieses oder jenes das Kind dieser oder jener Mutter ist! — Der Miſsbrauch ist eine ansteckende Krankheit, die Alles angreift und vergiftet, was ihr zu nahe kommt — Es ist eine so feine als rich - tige Bemerkung: daſs die Vielweiberei gerade - hin zu einer unnatürlichen Liebe führt, so wie Aberglaube zur Atheisterey, Verschwendung zum Geitze. — Doch, diese Abschweifung sollte bloſs den Weg zu der Bemerkung bah - nen, daſs, so wie dem andern Geschlechte von den Männern begegnet wird, die Män - ner sich von den Regenten begegnen lassen — Die Sklaverei, wenn sie auch nur im Klei - nen, in einer einzigen Beziehung, geduldet und geübt wird, macht über kurz oder lang alles zu Sklaven. Bei einer gelinden, gemä - ſsigten, eingeschränkten Regierung galt das144 Frauenzimmer von jeher mehr, als in despo - tischen Staaten, wo die Sklaverei der Weiber politisch nothwendig ist. Den Weibern ist ohne Zweifel jene Gelindigkeit, Mäſsigung und Einschränkung in der Regierung zu dan - ken — Wo sie zum Worte kommen, stimmt sich Alles zur erlaubten bürgerlichen Freiheit; zur erlaubten, sag’ ich, und füge hinzu, daſs die Weiber zur despotischen Herrschaft von Seelen - und Körperswegen nicht aufgelegt sind — Zeigen sie Spuren vom Gegentheil, so waren Männer ihre Verführer. Der from - me Haller sagt: was Böses ist geschehn, das nicht ein Prie - ster that? und ist Priester nicht ein Erzmann? ein Mann aus höherem Chor? Man sagt, im Orient mache das Klima es nothwendig, daſs die Weiber in Festungen eingeschlossen werden, und der Zwang der Harems verbessere ihre Sitten. Lieber! kann der Zwang Sitten ver - bessern, wenn du ihn dir nicht selbst durch Grundsätze anlegst? oder ist die Tugend, die nicht nur einer Schildwache, sondern einergan -145ganzen Festung bedarf, so vieler Umstände werth? Was muntert mehr zur Ehe auf: — Hagestolzenstrafen — Vaterprivilegien? oder eine tugendhafte Frau, die bischöflich nur Ei - nes Mannes Weib ist, und dies ihr Licht leuchten läſst vor den Leuten, daſs sie ihre guten Werke sehen? —
Welch ein Umgang ist reitzender, als un - ter Freunden und Freundinnen! — Freund - schaft kann freilich unter Einem Geschlecht existiren; allein Umgang nicht. — Freund - schaft, ächte Freundschaft ist eine Schaumünze, die man nur im höchsten Nothfall angreift; Umgang ist Ausgabegeld, für das wir tägliches Brot kaufen: und was wären wir ohne ihn? Wie viele Menschen, die zu jener hohen Stimmung der Freundschaft keinen Beruf em - pfingen, würden ohne Umgang lebendig todt seyn! Die Freundschaft bittet nicht, sie for - dert; sie borgt nicht, auch wenn ihr Antrag noch so mächtig wäre, sie kassirt nur Schul - den ein — Freunde befinden sich in Gemein - schaft der Güter des Lebens; ihr Sinnbild ist, nach dem Ausspruche des Aristoteles: EineK146Seele in zwei Körpern. Zu historischen Be - lägen mögen Damon und Pythias, Orestes und Pylades dienen, deren Freundschaft stär - ker als Leben und Tod war. — Ein Alter hielt den schon für äuſserst glücklich, der nur einen Schatten von einem Freunde angetroffen hätte. Der Umgang, wenn beide Geschlechter daran Theil nehmen, ist ein dergleichen Reich der Schatten, ein Elysium diesseits des Gra - bes — und an dem Eingange stehen die Worte: hasse, als stände dir eine Zeit bevor, worin du die, welche du jetzt hassest, lieben wirst; liebe die Menschen, als wenn du dich nicht würdest entbrechen können, sie einmal zu hassen — Ein Fingerzeig, der ein Hoch - verrath am Tempel der Freundschaft seyn würde; doch Freundschaft hat keinen Tempel, selbst nicht eine Kapelle von Menschenhänden gemacht: das Herz ist ihr Heiligthum. Noch oft wird mich das selige Wort Freundschaft ent - zücken. — Verzeihe, lieber ** s, daſs ich hier abbreche; bald sehen wir uns wieder — — —
Die Herren Alten hatten den Weibern die Schnecke zum Sinnbilde ausersehen; allein147 durch sklavische Eingezogenheit verliert die Ehe von beiden Seiten, und die Männer ohne Zweifel am meisten. — Die Egyptischen Da - men muſsten mit bloſsen Füſsen ausgehen, damit sie einheimisch blieben; und wer er - innert sich nicht an die Geschichte jenes Weibes, das ein öffentliches, den Männern ge - heiligtes Haus vorbeigegangen war? — Dieser unbeträchtliche Umstand veranlaſste eine Wall - fahrt nach Delphi, um in heiliger Kürze und Einfalt zu erfahren, was dieser Vorgang be - deute? Wer wollte nicht lieber an der Wirthstafel, als bei Lucullus vorlieb nehmen, wenn bei letzterem die Menge der Leckerbis - sen das Vergnügen des Umganges und einer gemischten Gesellschaft ersetzen sollte? — Die Römische Sprache scheint zum Umgange mit Frauenzimmern, und zum Umgange über - haupt, wenig zu taugen, weil die Römer je - nes Salz der Erde nicht kannten. Zwar hat jede Nation in ihre Sprache Spuren ihrer Lieblingstugenden und Lieblingssünden ge - druckt: so kommen die technischen Benen - nungen des Seewesens aus dem Holländischen;K 2148die Soldatenworte aus dem Französischen, die Baukunst, die Mahlerei und Bildhauerkunst beweisen durch ihre Ausdrücke, daſs Italien ihr Vaterland ist, und das Jagdwesen erkennet Deutschland für sein Revier: indeſs scheinen alle neuere Sprachen, die Deutsche selbst nicht ausgenommen, durch den Umgang mit dem andern Geschlecht etwas Eigenthümliches erhalten zu haben, das der alten Welt ge - brach. — Wenn das ewige Feuer, welches die Vestalinnen unterhielten, dazu diente, Licht anzuzünden, wie ein allgemeiner Brunnen, Wasser zu schöpfen; so ist es ein schönes Bild von dem Dienste, den das schöne Ge - schlecht durch die Verfeinerung des Umganges der Welt erwiesen hat: Wir alle haben bei ihm Licht angezündet; — und die Regel: » be - herzige deinen Körper in der Einsamkeit, bilde deinen Geist in der Welt, deinen Willen durch das Gesetz, deinen Verstand durch Freiheit, » ist so richtig, wie irgend eine Regel es nur seyn kann. — Weiber sind berufen, angegriffen zu werden und sich zu vertheidi - gen, und in beides eine so feine Lebensart zu149 mischen, daſs, wenn sie nicht die Ehre ver - dient Schamhaftigkeit zu heiſsen, diese doch nicht ohne jene bestehen kann. Körperlicher Genuſs, er sei von welcher Art er wolle, ist kurz, und dämpft jenes beglückende sanfte Feuer des Umganges eher, als daſs er es dau - erhaft machen sollte. — —
Auch das Recht, das die Männer sich bloſs anmaſsten, die Weiber verstoſsen zu können, ohne es den letztern gleichfalls zuzubilligen, hat das andere Geschlecht entwürdiget. War - um ward dieses Verstoſsungsrecht nicht wech - selsweise und beiden Theilen verstattet? Das Weib würde sicher von diesem Rechte nur selten Gebrauch gemacht haben, da der gröſste Theil seiner Reitze, gleich Rosen, sehr bald dahin welkt, und da es, nach wenigen in den Armen eines Adams verlebten Wochen, so unendlich viel minder gilt, wogegen sein Adam unverwelklich bleibt. — So bald Mann und Frau die Trennung nicht gemeinschaftlich woll - ten, (in welchem Fall’ es Ehescheidung gewesen wäre) so hätte die Verstoſsung als eine bloſse Gewaltausübung eine unerhörte Sache seyn müs -K 3150sen. Aller dieser wunderbaren, das andere Ge - schlecht erniedrigenden Gesetze und Gewohnhei - ten ungeachtet, wuſsten sich doch wenigstens Einige desselben so auszuzeichnen, daſs das ganze Geschlecht durch sie gewann; und es ist — zum unsterblichen Lobe des schönen Geschlechtes sei es gesagt! — in Hinsicht sei - ner der Fall am öftesten gewesen, daſs man nicht allgemein ein Recht ausübte, welches ein unnatürliches, ein hartes Gesetz einräumte. Von dieser Seite sind Gewohnheiten (consue - tudines) das ehrwürdigste, das ich kenne; sie beweisen da, wo ihrer eine ungewöhnliche An - zahl vorhanden ist, nicht unrichtig jenen gro - ſsen, edlen Menschendrang nach Recht, Billig - keit und Freiheit, und daſs über die bürger - liche Einrichtung der Mensch nicht verloren ging — Was hülf’ es auch dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele!
Wie wär’ es, wenn ich nach diesen Be - merkungen im Allgemeinen noch einmal dem Römischen Rechte ein Rauchopfer anzündete und den Grund der gesetzlichen Härte gegen151 das Frauenzimmer zu entwickeln suchte? Jede Sache hat innere Data, die, wenn man sie mit Einsicht und Bescheidenheit nutzt, die äuſseren oft überwiegen; indeſs hat es dem Römischen Rechte nie an Helfershelfern, Com - mentaroren, Epitomatoren und Auslegern ge - fehlt, und einem dieser gelehrten Herren ge - hört ohne Zweifel die Behauptung, daſs die Eifersucht der Ursprung der meisten weibli - chen Rechte gewesen sei. Diese Behauptung indeſs ist für mich so wenig überzeugend, wie der Glaube lebendig ist, daſs schuldige Vereh - rung und Achtung hierzu den Grund gelegt haben. So entfernt ich bin, den zweizüngigen Prokop, der den Upravda in seinen acht Ge - schichtsbüchern erhöhet und in seinen Anek - doten erniedrigt (recht als wenn Jemanden das im Testament mit Lob und Dank zugebilligte Legat, im Codicill mit Verachtung und Bitter - keit entzogen wird) nachzubeten, und über - haupt auf die Rechnung eines Gesetzsammlers und Gesetzgebers alle Fehler und Vorzüge eines zusammengebrachten Gesetzbuches zu schreiben; so ist doch Justinian’s SchwächeK 4152gegen seine Gemahlin Theodora unleugbar, die weiland eine Komödiantin war, und der er nicht wenig Einfluſs in die Regierungs - geschäfte, ja, wenn man will, in das Allerhei - ligste derselben, die Gesetzgebung, einräumte. Warum gab Justinian seinen Liebesgrillen nicht eine andere Richtung? Wie sehr über - traf ihn Franz der Erste, glorwürdigen Anden - kens, der zuerst die Sitte begann, daſs Damen an den Hof kamen, als wodurch das, was man Hof nennt, eigentlich erschaffen ward! Ihnen zu Ehren wurden Bälle, Komödien und Turniere angestellt, und Franz des Ersten herz - brechendes Sinnbild war ein Salamander in den Flammen, als ob er nicht anders als in der Liebesgluth leben könnte. Bei seinen Hofleuten warf er sich zum Werber und Ehe - beförderer auf, und gern war er ein allezeit fertiger Fürsprecher bei ihren Schönen. Traf er ein verliebtes Paar, so verlangte er zu wis - sen, was es sich sagte, und mit Vergnügen legte er ihrer Zunge von seinem Salamander - feuer Geist und Flamme bei. Freilich war auch sein Gang kein Richtsteig; doch — kam153 er der Sache nicht näher, als der gesetzga - lante Justinian, der das gröſste Sibyllinische Buch, die Welt, dem schönen Geschlechte noch mehr verriegelte, wogegen Franz I. es ihm öffnete? — Wie konnte man überhaupt von der damaligen Zeit, wo alle Gelehrsam - keit auf so schwachen Füſsen stand oder ging, Helden - und Meisterzüge der Gesetzgebung er - warten?
Es giebt, sagt man, nach der Verschieden - heit der weiblichen Rechte, auch verschiedene Beweggründe zu ihrer Bewilligung — und in jedem Gesetz ist der Grund, weshalb es gege - ben ward, am sichersten aufzusuchen. Zwar ist es nicht immer der, welchen die gesetz - gebende Majestät anführt; indeſs wird man über die Floskeln des angegebenen Grundes sich eben so leicht wegsetzen, als wir heut zu Tage wissen, wie wir uns mit dem allgemei - nen Besten und der angestammten Huld und Gnade einzuverstehen haben. Schwäche des Geschlechtes ist zum Beispiel die Ursache, warum es keine Bürgschaft gültig überneh - men kann; und da diese Schwäche selbstK 5154nach den eigenen Worten des Gesetzes, nicht den Mangel an Überlegung andeutet: so scheint sie eher in jener Gutmüthigkeit zu bestehen, die zu Menschen-Wort und Ver - heiſsung nicht den Glauben verloren hat; und ist dieser Glaube an Menschen Schwäche? Ist er es, so kann es von ihm in That und Wahrheit heiſsen: wenn ich schwach bin, bin ich stark. Eine wohlgewählte Strafe für den Betrüger würde vielleicht weit wirksamer seyn, als der Vellejanische Rathschluſs, da sie auch gutmüthige Männer aus der Verlegenheit zu ziehen im Stande wäre; und wenn Lügen, als die Wurzel alles Übels, mit der gehörigen Härte bestraft, oder auf eine sonst gute Ma - nier aus der Welt verbannt würden — welch ein Gewinnst! Das Kindergebären, das ge - meiniglich zu den Hauptbeweisen der Schwäche gezählt wird, welche die Gesetze dem schönen Geschlecht auſserordentlich hoch anzurechnen geruhen, legt geradezu ein Naturzeugniſs sei - ner Stärke ab. Ich wünschte nicht, daſs die - ses Geschäft an unser Geschlecht käme. Wie sehr würde unser Heer von Stutzern, diese155 hybriden Geschöpfe, und wie noch mehr der Staat zu bedauern seyn! Welch ein Minus würde sich schon im ersten Jahre an gebornen Kindern, und welch ein Plus an gestorbenen Kindbettern finden —! Zählt die Tage beider Geschlechter, welche Krankheit zu heiligen er - niedrigt; und ich wette, es wird in der Ba - lanz Credit und Debet beider Geschlechter sich heben. —
Auch die Schamhaftigkeit wird als ein authentischer Grund der weiblichen Rechtsun - terdrückung — wohl zu merken, von den Gesetzen selbst! — angeführt. Ein Grund, wor - über sich die Schriftgelehrten schämen wür - den, wenn sie das könnten! Wegen der Schamhaftigkeit soll das schöne Geschlecht nicht Theil an gerichtlichen Handlungen neh - men? Wie gütig die Gesetze sind! als ob in den Gerichten die Schamhaftigkeit Gefahr lie - fe, oder gar aufgegeben würde! Was könnte denn hier zu unerlaubten Begierden verleiten und ein von diesen entferntes Herz dazu entflammen? Ehe beide Geschlechter sich zu dieser Tugend entschlieſsen, und sich von je -156 dem verführerischen Worte Rechenschaft ab - fordern — giebt es Schamhaftigkeit? — und was gilt sie einseitig? — Die Schamhaftigkeit ist eine Tugend, die, wenn ich so sagen darf, in der Ehe lebt; wenn sie nicht von Männern und Weibern zugleich geübt wird, so artet sie in Ziererei und weibliche Taschenspielerkünste aus — Und wie? ist den Reinen nicht alles rein? Eine Ehefrau kleidet eine edle Frei - müthigkeit, ein unverstelltes Wesen, unend - lich besser, als jene klösterliche Heuchelei. Mit ungewaschenen Händen essen, verunrei - nigt den Menschen nicht; und der Tugend sich mit seinem Munde nahen, sie mit seinen Lippen ehren und das Herz von ihr entfer - nen — ist das nicht ein Greuel?
Macht man indeſs mehr auf einen reinen Mund Anspruch, als auf ein reines Herz, so hat die Gesetzstelle gewonnen Spiel, welche (L. I. § 5. D. de postulando) behauptet, daſs man die weibliche Schamhaftigkeit in Laby - rinthe der Versuchung führen würde, wenn es dem schönen Geschlecht erlaubt werden sollte, sich in Rechtsangelegenheiten zu mi -157 schen. O, der überfeinen Besorgniſs! Ist das Reich Gottes nicht in uns? Tugenden, die nie das Glück gehabt haben, in Versu - chung zu kommen, sind, wie die Scheide - münze, von sehr verdächtigem Schrot und Korn, ob sie gleich gemeiniglich den Vorzug haben in Cours zu bleiben. — Jenes Recht der Gegenwehr, kraft dessen wir allem wider - stehen, was uns zu nahe zu treten versuchen will — wenn es nie in Anwendung gebracht wird, setzt es nicht die Menschen über kurz oder lang aus aller Disciplin, so daſs sie zu letzt von ihren eigenen Schatten in die Flucht geschlagen werden? Sind die schrecklichsten Schandthaten in der groſsen Welt oder in der Einsamkeit empfangen und geboren? oder will man dem schönen Geschlechte die Fähigkeit und das moralische Vermögen etwas zu thun oder zu lassen, zu Deutsch das Recht genannt, in bester Form Rechtens aberkennen? Haben wir nicht bedacht, daſs Recht aus der leiden - den Verbindlichkeit entsteht, und daſs kein Recht seyn würde, wenn keine Verbindlich - keit wäre? daſs, wenn die Natur zu einem158 Zwecke durch ihr heiliges Gesetz verbindet, sie auch den Schlüssel und das Recht zu den Mitteln verliehen hat? Oder kann man ohne Mittel zum Zwecke gelangen? Stehet es nicht jedem frei, das zu thun, ohne was er seiner Verbindlichkeit nicht nachkommen oder sie nicht erfüllen könnte?
Sehr consequent in Rücksicht Römischer Rechts-Grundsätze hat Divus Justinianus (Nov. CXXXIV. Cap. IX. ) angeordnet, daſs kein Frauenzimmer gefänglich eingezogen wer - den solle. Auch wegen der gröſsten Verbre - chen will er sie nur mit dem Kloster bestra - fen und sie bloſs der Aufsicht anderer Weiber anvertrauen — Wir indeſs geben dieses Gesetz aus männlicher Machtvollkommenheit auf, oh - ne dem Geschlechte andere Römische Rechts - wohlthaten zu erlassen. Wer sollte denken, daſs man mit Wohlthaten so sehr ins Gedrän - ge kommen, so geplagt und belästigt werden könnte! wer sollte denken, daſs man dem mit Wohlthaten so überhäuften Römischen Frauen - zimmer ehemals nicht gestattete, den Volks - versammlungen beizuwohnen! daſs man es der159 Ehre nicht würdigte, zum Volke zu gehören, und daſs eben aus dieser Herabsetzung ihm der Vorzug erwuchs, mit Bestande Rechtens in den Rechten unerfahren zu seyn und sich mit dieser Gesetzunwissenheit, wie mit einem Orden, zu schmücken! — Nicht nur un - schädlich, sondern rühmlich, war ihm diese Wohlthat der ewigen Kindheit, vermöge de - ren es im Reiche des Saturnus in einem im - merwährenden Frühling lebte, schwebte und war — Es verschenkte alies das Seinige, um von Almosen zu leben; es vertauschte Gold gegen Flittern, Schaumünzen gegen blanke Rechenpfennige. Doch alles ist kein Ver - gleich gegen den Tausch des Rechtes gegen Güte — der männlichen Worte: ich fordere, gegen die weiblichen: ich bitte. Wie konnte man aber auch einer, in der gesetzlichen Herrschaft des Eheherrn befindlichen Gattin, einer der Gewalt eines Andern untergeordne - ten Sklavin, mehr als Gnade und Wohlthaten erweisen? Nicht sie, sondern ihr Mann hatte Kinder — Auf ihre Familie hatte sie Ver - zicht gethan, um zu ihres Herrn Familie ein -160 zugehen — Schon längst hatte man verlernt, daſs die Ehe eine gleiche Gesellschaft sei, daſs die Herrschaft im Ehestande eine beider - seitige Herrschaft der Eheleute neben einander bleibe, und daſs der Mann sie sich nur durch einen ausdrücklichen Vertrag zueignen könne? » Nicht auch durch einen stillschweigenden? » Ach freilich! hätt’ ich doch diese stumme Sünde beinahe vergessen. Die Geschichte ge - denkt eines naseweisen Knaben, Papirius, im Besten, weil er, seine Mutter zu betrügen, schon in frühen Jahren reif genug befunden war. Er begleitete, nach damaliger Sitte, sei - nen Vater, wenn Se. wohlweise Gestrengig - keit auf das Rathhaus ging; und da seine Mutter die Debatten des Tages vom Papirius zu wissen verlangte, so schob er ihr eine baa - re Unwahrheit unter. » Es wäre, sagte er, die Frage zur Motion gediehen: Ob es besser sei, daſs ein Mann zwei Weiber, oder ein Weib zwei Männer habe. » — — Welch eine Er - niedrigung, daſs eine Mutter bei einem Kna - ben, und, was noch mehr sagen will, bei ih - rem leiblichen Sohne, nach den Dekreten ei -ner161ner obrigkeitlichen Sitzung forschen muſs! und welch eine Übertretung des vierten Gebotes, daſs ein Sohn seine Mutter durch eine Un - wahrheit vorsetzlich zu einem weiblichen Auf - lauf bei der National-Versammlung miſsleiten konnte, der sich entschloſs, (ohne Zweifel in besserer Form und Ordnung als die Parisi - schen Fischweiber) wider das vermeintliche De - kret, daſs ein Mann zwei Weiber haben kön - ne, zu protestiren. Es heiſst, Papirius habe von Stund’ an, und nach diesem examine ri - goroso ein Patent als ordentlicher Beisitzer des hohen Rathes erhalten, und dagegen sei allen übrigen Auscultatoren und Referendarien der Zutritt zu den Raths-Sessionen untersagt wor - den! Freilich verdienten solche altkluge, auf Treibhäusern gezogene Kenntnisse des Papirius, und ein so stattlicher Mutterbetrug, Aufmun - terung und Belohnung! — Sollten indeſs alle jene so übermäſsige Wohlthaten nicht unter Einen Hut zu bringen seyn? Wir können in Ansehung dessen, was in anderen Fällen geschieht, wo nicht schon sicher wissen, so doch mit Zuverlässigkeit vermuthen, mit wasL162für einem Maſse der Einsicht in den Grund der Sache, aus welchen öffentlichen und ge - heimen Artikeln von Anreitzungen, Absichten und Nebenabsichten, für die Beibehaltung des Alten geeifert wird. Wenn mich nicht alles trügt, so bat die Furcht der Männer, durch die Weiber unterjocht zu werden, die ersteren zu jener Überhäufung mit Wohlthaten ge - bracht. Nach Art der Hofleute, die kein mo - ralisches Aequinoctium annehmen, wo Gutes und Böses sich die Wage hält, scheinen die Männer, die schon unter sich so viele Feinde und Widersacher zählen, sich von Seiten der Weiber den Rücken decken zu wollen — Wär’ es das erstemal, daſs man seine Herr - schaft durch das Hausmittel zu sichern suchte, die, welche man beherrscht und gern ewig beherrschen möchte, von reiner Erkenntniſs und Besserung hochbedächtig zurückzuhalten? Und wie! es stand noch kein Prediger in der Wüste auf, der diesen Männerdünkel in sei - ner Blöſse zeigte, und auf diesen Staat im Staate aufmerksam machte? — Es gab Götter und Göttinnen, die für Opfer und Geschenke163 feil waren. So ging es dem andern Geschlech - te, das auch Opfer auf Kosten seiner Rechte annehmen muſste, und das, wenn gleich die Menschheit es so sehr zierte, sie doch gegen jene Göttlichkeit aufzugeben gezwungen ward. Jemanden Güte erweisen, indem man ihm Ge - rechtigkeit entzieht, heiſst: ein Naturgesetz mit Füſsen treten, und sich mit einem positi - ven brüsten; die Erstgeburt für ein schnödes Linsengericht verkaufen, Mücken seigen und Kameele verschlucken — O, der blinden Lei - ter, die mit pharisäischer Heuchelei das an - dere Geschlecht einschläferten, im Trüben fischten und durch Schein des Rechts die na - türlichen in das Herz geschriebenen Rechte zu vertilgen suchten! — Die Natur läſst sich nicht zwingen. — Furcht! Fiel dies Wort auf? Es sollte auffallen — Seht! ich will mein Herz ausschütten und zur Ehre des männli - chen Geschlechtes bekennen, daſs keine böse - re Absicht, als die Furcht, das andere Ge - schlecht würde uns beherrschen, den Grund zu unserer Herrschaft über dasselbe gelegt hat. Auch dachten wir vielleicht unserer Seits beiL 2164diesem Plane nicht, den Weibern eben schwer zu fallen und ihnen Schaden oder Leides zu thun; sondern ihnen und uns nützlich zu werden. Vielleicht war ein Plan dieser ver - meintlich nutzreichen Art der Anfang mancher andern, jetzt so ausgearteten Herrschaft. Die Furcht schuf Götter, sagt ein Alter; — nicht auch die Liebe? Wir sollen Gott fürchten und lieben, fängt Luther jede Erklärung der zehn Gebote an — und doch treibt die Lie - be die Furcht aus —!
Sehet euch um! noch jetzt werdet ihr fin - den, daſs Männer, die ihre Weiber anbeten, vorzüglich jedem Beitrage zur Verbesserung des anderen Geschlechtes ausweichen. Und warum dieser befremdende Widerstand? Das Gefühl von dem Werthe seines vortreflichen Weibes verstärkt die Furcht des Herrn Ge - mahls. Die Verehrung, die er ihm widmet, unterdrückt den Gedanken, dem Geschlechte in ihm Gerechtigkeit zu erweisen — Auch der beste Mann ist neidisch auf groſse Eigen - schaften seines Weibes, die ihm gefährlich werden können; er will mit seinen Wohltha -165 ten ihm den Mund stopfen, die Vernunft und den Willen desselben einschränken und miſs - leiten, damit es nicht Gerechtigkeit begehre — Eine besondere Art, mit Geschenken das Recht zu beugen, eine Wechselschuld nicht zu bezahlen, allein dem Wechsel-Gläubiger ein Geschenk zu machen, das jene Schuld überwiegt! — Dergleichen Männer bemühen sich auſserordentlich, sich ihren Weibern von der besten Seite zu zeigen; und da sie wohl einsehen, wie sehr weit sie von ihren Wei - bern in allem zurückgelassen werden: so le - gen sie ein auſserordentliches Gewicht auf ih - ren Staatsberuf, und rechnen sich die Amtsge - schäfte äuſserst hoch an, um sich bei ihren Weibern in Achtung zu erhalten. — Das arme Geschlecht! wie sehr es doch durch blauen Dunst hingehalten wird —! Man erzählt von einem Türkischen Gesandten, er habe auf die Frage: wie ihm das Frauenzimmer in *** gefalle; geantwortet: ich bin kein Kenner von Mahlerei — Ist nicht jeder Beamte im Staa - te geschminkt? — Man nehme ihm das Weiſs und Roth, das der Staat ihm EhrenhalberL 3166auflegt; und wir werden weder Gestalt noch Schöne an ihm finden — Wir mögen uns nicht anstrengen, um mit dem andern Ge - schlechte Schritt zu halten; und das müſsten wir oft über unser Denken und Vermögen, wenn wir ihm gleich kommen wollten. Wir geben ihm sonach Räthsel auf, die der Auf - lösung nicht werth sind; wir verlangen Traum - deutungen von ihm, ohne daſs wir ihm den Traum bekannt machen; wir suchen es in das Spielwerk der Welt zu verwickeln, und es dem Ernste - und Nachdenken so viel als möglich zu entziehen: — und doch ist dieser Müſsiggang — welches Weib wird nicht dazu auf eine grobe und subtile Art verurtheilt? — der Grund von allem jenem Übel, wovon reelle Beschäftigung das Weib, seinen Mann und die Welt befreien würde. — Die Thätigkeit hat drei Grazien zu Töchtern: Tugend, Wis - senschaft und Reichthum; allein welche Thä - tigkeit? die, wozu Männer aus Machtvollkom - menheit die Weiber verurtheilen, oder jene, die man bei selbstgewählten Geschäften an - wendet? die, wo Lied - und Tagelohn bezahlt167 wird, oder jene, wo das freiwillig übernom - mene Geschäft sich selbst belohnt? Aufgege - bene Arbeiten können zwar zu andern un - aufgegebenen erwecken, die über jene unend - lich erhaben sind; doch müssen die aufgege - benen nie von so einförmiger Art seyn, wie die weiblichen es sind, falls sie die einmal in Be - wegung gesetzte Seele zu edler Wirksamkeit hinaufstimmen sollen — Wann wird Thätig - keit aus selbsteigener Wahl einmal aufhören der königliche Vorzug der Männer zu seyn! wann werden Weiber zu dem Menschenrechte gelangen, Geschäfte nicht fürs Brot, nicht auf den Kauf, sondern mit Lust und Liebe treiben zu können! o, wann! — — Wie sehr würde man die Er[k]lärung der siebenten Bitte durch die Verbesserung des weiblichen Verhältnisses zum Staate verkürzen! Man verbietet mit Recht nicht nur das Laster, son - dern auch den Schein desselben, weil Scham - losigkeit, wenn sie ins Publicum dringt, ein allgemeines Verderben des Staates bewirkt, und ein gewisses Zeichen seines nahen Sturzes ist. — Doch bedenkt man nicht, daſs ebenL 4168die Ausschlieſsung des andern Geschlechtes von allen öffentlichen und ernsthaften Beschäf - tigungen es geradesweges auf den Gedanken bringen muſs, alle jene ehrwürdigen Sachen zu enttrohnen, den Werth derselben, den in - neres Gehalt oder Lieblingsgrillen ihnen beile - gen, zu verringern, und der jungen nasewei - sen Welt der Jünglinge allen jenen Ernst so zu verekeln — daſs, wenn sie sich ja Ge - schäften widmen, sie die Maximen des Lä - cherlichen in Anwendung bringen, welche sie zu den Füſsen des schönen Geschlechtes ge - lernt haben. Es werden wenige Dinge seyn, die sich von dem Roste der Pedanterie rein halten können, auſser wenn das Frauenzim - mer, dieses einzige Verwahrungsmittel gegen jenes Geschlechtsübel, dabei eingeflochten wird.
Der Mensch ist zur Nachahmung geneigt, und es ist eine bekannte Bemerkung, daſs man das in seinem Hause im Kleinen einführt, was im Staat im Groſsen gäng und gebe ist; das Haus pflegt ein Miniaturstück des Staates zu seyn. Wenn aber gleich in despotischen169 Staaten der Despotismus auch in Privathäusern wüthet, und um so mehr mit gutem Bedachte wüthen zu müssen das Ansehen gewinnt, da gröſsere Freiheit der Weiber dem Staat un - überwindliche Nachtheile zuziehen, und die - ses Geschlecht, geboren der Natur getreu zu seyn, alles jene unnatürliche Wesen der De - spotie an die gehörige Stelle und den recht - mäſsigen Ort bringen würde; so ist doch auch in Republiken das schöne Geschlecht noch nie zu einem anständigen Grade von Besitz seiner Rechte gediehen — Zwar gewinnt es dort durch mindere Pracht; allein eben dieser Gewinn lehret die Herren Staats-Repräsentan - ten aufs Wort merken. Die Weiber spielen ein etwas ernsthafteres Spiel, als in Despotie und Monarchie; aber man erlaubt ihnen nicht, dieses Ziel zu überschreiten: ihre anscheinen - den Vorzüge sind avanturirt (erabentheuert) — Es bleibt Spiel was sie treiben — Ihr Tichten und Trachten sind Kleinigkeiten von Jugend auf und immerdar; und, was noch ärger ist — der widernatürlich zusammengeordnete Putz entstellt die natürliche Schöne des Körpers soL 5170sehr, daſs die Frage der Gemahlin des Kai - sers von Marokko, an die geputzte Frau des Holländischen Consuls: bist du das Alles selbst? — oft ihr Glück versuchen könnte.
In der Aristokratie sind die Herren Aristo - kraten zum Neide und zur Eifersucht so be - rufen, daſs sie zu verlieren befürchten, wenn sie ihren Weibern einen Vorzug verstatteten — und da selbst die Französische Revolution ih - ren Zustand — obgleich Weiber die Fahne derselben geführt — nicht verbessert hat; so scheinen wohl die Verschiedenheiten der Re - gierungsformen nicht bestimmt zu seyn, die - sen Schaden Josephs zu heilen: höchstens blei - ben die armen Weiber beim Mehr oder We - niger stehen.
» Es ist wider die Vernunft und wider die » Natur », sagt ein Philosoph der Welt, » daſs » Weiber die Hausherrschaft führen; allein » Reiche können sie regieren — Im ersten » Falle erlaubt ihnen ihre Schwäche diesen » Vorzug nicht; im andern stimmt diese sie » zur Leutseligkeit und Mäſsigung — » Mich dünkt, diese Bemerkung ist Sophisterei. Wer171 will denn, daſs Weiber das Hausregiment füh - ren sollen? Nur da, wo, nach dem altdeut - schen Reim eines Reformators, ein Jeder seine Lektion lernt, wird es wohl im Hause ste - hen. — Es ist zu verwundern, daſs jetzt, da das halbe menschliche Geschlecht auf weiter nichts sinnt, als sich mit Ehren unter die Haube zu bringen, noch so viel Policei im Punkte des Punktes herrscht — und daſs, da das Frauenzimmer zu einer ewigen Vormund - schaft verdammt wird, es seine Rache bloſs aus der ersten Hand vom Ehemanne nimmt, und übrigens in der gröſseren Welt so sittsam und menschenfreundlich bleibt. Strenge Auf - merksamkeit auf einen sich selbst gegebe - nen Punkt unterdrückt das Gefühl des Schmer - zes, und die gröſste Krankheit verliert einen groſsen Theil ihrer Feindseligkeit durch die Unterhaltung mit einem guten Bekannten, wel - che aber, wohl zu merken, den Kranken un - vermerkt, äuſserst leicht und ohne angreifende Übergänge beschäftigen muſs. Ist die Ehe, nach jetziger Sitte, viel mehr als eine Kranken - unterhaltung, wodurch man so sehr die lange172 Weile als die Anstrengung vermeidet, und vor - züglich das andere Geschlecht von jenem schrecklichen Gefühle seiner Abhängigkeit und Unterdrückung ableitet? — Lieſsen die Män - ner sich öfter als jetzt merken, daſs sie das Verhältniſs der Geschlechter besser, als die Natur, zu ordnen wüſsten, wie weiland Al - phonsus das Schöpfungswerk weit besser als der Schöpfer Himmels und der Erden zu ver - stehen vorgab: so wäre den Männern höherer Klassen schon längst von ihren aufgeklärten Damen der Krieg angekündigt; jetzt aber, da Männer diese Saite fast gar nicht berühren, oder höchstens sich über diese Sache etwa so auslassen, wie Machiavell über die Tyran - nen: — jetzt bleibt es in besseren Volksklassen beim Frieden, und in den geringeren ist der Unterschied zwischen männlichem und weib - lichem Werth und Unwerth zu unbedeutend, oder jene geringeren denken zu wenig an ihre Bestimmung, um anders als thierisch zu wis - sen, daſs zwei Geschlechter unter den Men - schen sind — Wird dann etwa (im Jubel - jahr) unter uns ein St. Pierre, ein Bayard,173 ein Heinrich IV. geboren; so läſst das andere Geschlecht, des Verdienstes dieser hervorra - genden Männer halben, dem ganzen männli - chen Geschlechte Gnade widerfahren. — — Laſst uns aufrichtig seyn! Alles wodurch Menschen sich auszeichnen können, ist dem Frauenzimmer benommen. Ein Cartel ernie - drigt es so tief, wie eine ungerächte Beleidi - gung den Ehemann; und in die Klasse der Unedlen, der Knechte, ward es unter dem Schreckbilde, daſs die Gränzen seiner fräuli - chen Schamhaftigkeit verletzet werden könn - ten, verstoſsen, damit nur unser Geschlecht sicher bliebe, nie von ihm zum Zweikampfe gefordert zu werden — Nicht die Ähnlich - keit, sondern das Gesetz bestimmt vermöge der Ehe den Vater; es benennt ihn, und lei - det keinen Widerspruch. Wie war es mög - lich, daſs, da die Natur unmittelbar die Mut - ter bestimmt, daſs, da diese so unbezweifelt gewiſs wie unsere Existenz und der Tod ist — die Kinder in solch eine Unerkenntlichkeit ausarteten! daſs nicht gutgesinnte unter ihnen sich vereinigen, um ihre Mütter aus der174 Schmach zu reiſsen, in der sie von wegen des Geschlechtes schmachten! Das männliche Ge - schlecht spielt mit auſserordentlichem Glück — Wenn die Väter ihren Töchtern vermöge des Geschlechtstriebes nicht so liebreich zuvor - kämen, wie es gemeiniglich der Fall ist; viel - leicht würden diese schon längst eine Conspi - ration veranlaſst haben, um Menschen aus Mädchen zu machen, die jetzt aus Sitte nicht sehen, hören und denken dürfen, die allein in der Einsamkeit das Recht haben dreist zu seyn, und nur im Selbstumgange jenen schreck - lichen Klosterzwang ablegen können, der sie in Gesellschaft zur entsetzlichsten Einsamkeit verdammt. Was kann man von dieser Erzie - hung erwarten, die von der Heuchelei diri - girt wird, nach welcher selbst der Plan, zur Heirath Anlaſs zu geben, so insgeheim ausge - führt werden muſs, daſs oft das lauteste Nein das herzlichste Ja bedeutet! — Alle jene Gesetze zur Fortpflanzung des menschlichen Geschlechtes, jene Aufmunterungen zur Ehe, die Drei-Kinder-Ehre — was sind sie anders, als unnatürliche Hülfsmittel, die alle aufhören175 würden, wenn man Männer und Weiber in den Gang der Natur einlenkte? — Wie wür - de sich hier Alles von selbst verstehen! — Man trachte zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit; und in Wahr - heit, alles Andere wird von selbst zufallen. Darum Leute im Staat ehren, weil sie in der Ehe leben, weil sie Kinder, weil sie drei Kinder haben; darum, weil man die meisten Kinder hat, zuerst im Rathe votiren — ist eben so wunderbar, als die Seele nach dem Körper messen; und jener General hat sich mit uns ausgesöhnt, der Specialkarten ver - warf, und nur Generalkarten wollte, weil er General war, oder der es nicht begreifen konn - te, daſs man ein groſser Mann seyn und doch nicht über vier Zoll messen könne. — Viel - leicht kommt noch die Zeit, daſs man belohnt wird, weil man essen und trinken oder schla - fen kann! Mit Volksmenge allein ist dem Staate nicht gedient, wohl aber mit Bürgern, die mit der natürlichen Beschaffenheit und der Gröſse desselben in richtigen Verhältnis - sen stehen, die frei, arbeitsam, wohlhabend176 und wohldenkend sind. Und selbst die Volks - menge! würde sie nicht über die Hälfte ver - mehrt werden, wenn man das andere Ge - schlecht zum Volk zu machen sich entschlie - ſsen, und Weiber zu Colonisten im Staat auf - nehmen wollte? Man wende einmal die Mün - ze um; und der Revers der Sache —? Zu elenden Kunstgriffen muſs man sich herablas - sen, wenn man die Winke der Natur ver - nachlässiget — Merkwürdig ist es, daſs selbst Weiber zu einer gewissen Zeit in Rom durch Kinder sich aus der beständigen Vormund - schaft hinaus gebären konnten! — Die Frei - geborne muſste deren drei, die Freigelassene vier haben. —
Heil den Gesetzen, die nicht ansehen, was vor Augen ist, sondern die nach dem Bei - spiele des Stifters des Christenthums das Herz verlangen; die es auf den inneren Menschen an - legen; die nicht äuſsere Schäden verbinden, sondern heilen; nicht Palliative bewirken, son - dern das Blut reinigen! —
Derjenige, der später bezahlt, bezahlt we - niger — Die bündigste Antwort, wenn vonder177der Erlaubniſs, Zinsen zu nehmen, die Frage ist. Wie viele Verzögerungs-Zinsen werden wir dem andern Geschlechte schuldig wer - den —! Als Cromwell’n gerathen ward, sei - ne Tochter Carl dem II zu geben, nachdem er Carl den I hatte enthaupten lassen, war seine Antwort: » Nein; denn könnte er wirklich vergessen, was ich that, » fügte er hinzu, » so wär’ er nicht werth, eine Krone zu tragen — »
Sollten die Weiber nicht dereinst über kurz oder lang ihre Existenz den Männern beweisen, so wie weiland Alcibiades die sei nige den Atheniensern, die ihn zum Tode verurtheilt hatten? Sollten sie nicht auch ein Sparta finden, um ihren Atheniensern von Männern den Krieg anzukündigen? sie, die schon jetzt während ihres fünfjährigen Pytha - gorischen Stillschweigens so deutlich zu er - kennen geben, wie sehr sie verdienen für mündig erklärt zu werden? sie, die mit zwei Augen mehr sehen, als Argus mit hundert? sie, die schon jetzt, noch ehe erschienen ist, was sie seyn werden, privilegirte Seelen auf - zuweisen haben, die es mit unserem Ge -M178schlechte aufnehmen? sie, welche die Sphäre ihrer Zeitgenossen durchbrechen und, ohne sich nach Brücken umzusehen, mit Geistesflü - geln sich erheben und, wenn es nicht gehen will — sich hinaus denken und wie Felix auf einen gelegenern Augenblick warten? — Oder wie! ist es Wollust, keine Wollust zu genie - ſsen? ist es ein Göttermahl, zu fasten? ist bloſs Streben unsere Tugend, und Hoffnung unser Glück —? Beweiset nicht ein groſser Theil der Weiber, daſs edle Seelen auch in Ketten frei sind, wie ein Herrscher bei ent - gegengesetzter Denkart sich in selbsteigener Sklaverei befindet? Der schlechteste Herr, der nur zu finden war! So diente Alexander, und Diogenes war frei — Alexander! dem ein Seeräuber in die Augen zu sagen den Alexan - der-Muth hatte: kleine Diebe hängt man — Diogenes! der, als Alexander ihm Gelegenheit gab, sich eine Pension zu erbitten, (und eine gröſsere, als alle zusammen genommen, die Friedrich II seinen Leib-Philosophen und Dichtern gab) nur verlangte, daſs Se. Alexan - drische Majestät geruhen möchte, ihm, der179 werth sei, von der Sonne beschienen zu werden, diesen Vorzug nicht länger zu rau - ben. — Diogenes beurlaubte Alexandern: der reiche Bettler den armen ihm die Cour ma - chenden Weltbesitzer. — Gründet sich fort - schreitende Vervollkommnung des menschli - chen Geschlechtes, und wahre, nicht Schein - Aufklärung, auf eine unpartheiische Kenntniſs der Natur, und auf die Einsicht, ihre Gaben recht zu gebrauchen; so kann kein politischer Zwang Menschen behindern, an ihrem Glücke zu arbeiten, und die Würde der Gerechtigkeit und ihre wahren Verhältnisse zu Allem, auſser sich, einzusehen. — Selten wird ein Mann leugnen oder nur bezweifeln, was allgemein angenommen ist; ein Weib aber rechnet es sich zum Vorzuge, täglich dergleichen Aus - nahmen zu machen. Oft thut ein Weib es früher, als es die Umstände beprüft hat; und wenn es dann aus der Noth eine Tugend zu machen sich gedrungen sieht, so ist es ange - nehm zu bemerken, wie es Gründe sucht und findet, wodurch es bei seinem Wagestück von Nein sich bei Ehren erhält, und sich, wennM 2180nichts mehr, so doch den Vorzug erwirbt, sonderbar zu scheinen. Ein Glück, das dem Verstande in Nothfällen übrig bleibt, um zu zeigen, wie viel man zu thun im Stande ge - wesen wäre, wenn man nicht zu vielen Hin - dernissen unterliegen müssen. Wir sind mehr für die Gewohnheit, Weiber mehr für die Neuheit — Beide Neigungen lassen sich aus der Lage beider Geschlechter ziemlich richtig erklären. Was geht dem andern Geschlechte ab, um würdig zu seyn, in den vorigen Stand zurückgesetzt (in integrum restituirt) zu wer - den? Die Thränen der Weiber sind nicht bloſs Beweise der Schwäche, sondern auch Beweise der in ihnen wohnenden Kraft Sind Thränen nicht schon im gemeinen Leben öfter Anzeigen des Entschlusses, als der Reue? und ha - ben nicht Schuld und Unschuld ihre Thränen? Daſs übrigens nicht bloſs Weiber und Kinder greinen, (wenn von Verstellung der Geberde bei Thränen die Rede ist) sondern auch Män - ner, wird selbst dem gemeinsten Beobachter nicht entgangen seyn. Die Launen der Wei - ber werden in der That zu wenig von uns181 beobachtet; wir würden hier oft auch bei klei - neren Gewässern tiefe Gründe finden, da hin - gegen jetzt diese Launen auf Flügeln der Mor - genröthe uns entfliehen, auch selbst wenn wir sie zurück zu halten bemühet sind. — Die Weiber wissen die wenigste Zeit, wie sie mit sich selbst daran sind, und sie sollten mir danken, daſs ich ihnen hier eine nicht kleine Entdeckung mache — sie sollten manches, was zu ihrem Frieden, zum wahren, zum Frieden Gottes gehört, in ihrem Herzen bewegen, um eine Stärke recht beurtheilen zu lernen, die sich bloſs — auf ihre angebliche Schwachheit gründet. Von Liebenden sind uns alle Erge - benheits-Bezeugungen verhaſst, wenn wir nicht der eigentliche Gegenstand der Neigung sind. Männer! habt ihr von euren Weibern mehr als den Schein der Liebe? und verdient ihr mehr? — Verdient ihr nicht, daſs sie euch nur in dem Grade lieben, wie Sklaven Tyran - ren bedienen? Es giebt Augenliebe, wie Augendienst. — Hätte man die Weiber bloſs von einigen, augenscheinlich origetenus und von Haus aus männlichen Dingen ausgeschlos -M 3182sen; wer unter diesem sanften Volke hätte gemurret —? Es hätte sein Marlbrough s’en va t’en guerre geleiert, und damit wäre Alles vergeben und vergessen gewesen. —
Die Macht kann überall weniger ausrichten, als die Weisheit. Wer sich Gott als den Mächtigsten denkt, ist sein Knecht; wer ihn sich aber als den Weisesten vorstellt, verdient den Namen seines Kindes. — —
Soll es denn aber immer mit dem andern Geschlechte so bleiben, wie es war und ist? sollen ihm die Menschenrechte, die man ihm so schnöde entrissen hat, sollen ihm die Bür - gerrechte, die ihm so ungebührlich vorenthal - ten werden — auf ewig verloren seyn? soll es im Staat und für den Staat nie einen absolu - ten Werth erhalten, und immerdar beim re - lativen bleiben? soll es nie an der Staatsgrün - dung und Erhaltung einen unmittelbaren An - theil behaupten? soll es nie für sich und durch sich denken und handeln? ohne End’ und Ziel nur als Scheidemünze gelten? Werden wir uns bei diesen Fragen mit einer wohlwei - sen Römischen Rechtsfiktion oder einem wohl - hergebrachten Verjährungs - und Besitzrechte aushelfen können, um sie ab - und zur unan - genehmen Ruhe zu verweisen? Werden wir selbst unser männliches Gewissen mit Bedenk -M 4184lichkeiten über die möglichen Folgen, mit Miſsbräuchen und was dergleichen Popanze mehr sind, wodurch man Kinder schreckt, beruhigen und diese Angelegenheit der Mensch - heit auf die lange, ja lange Bank schieben können —? Dann ist freilich der schöne Mor - gen der Erlösung noch nicht nahe. — Wer - den wir uns aber hierbei entbrechen können, uns selbst noch Gothen und Vandalen zu heiſsen, was weiland unsere Väter waren, wenn wir nicht dieses Unrecht je eher je lieber zu vergüten suchen? Miſsbrauch des Rechtes verwirkt nicht das Recht. Menschenrechte können niemals, Bürgerrechte nur durch Fe - lonie verloren werden; und was ist Felonie? Dies aus dem Lehnsrecht entlehnte Wort (keine sonderliche Abkunft!) bezeichnet Alles, was man der Lehnsverbindlichkeit zuwider thut oder unterläſst, und wird aus dem Lehns - Contrakte beurtheilt. Da es sowohl für den Lehnsherrn als für den Vasallen Rechte und Pflichten giebt, die sie einander schuldig sind; so kann nicht nur der Vasall, sondern auch der Lehnsherr der Felonie schuldig werden. 185Und wie? geht denn wegen einer jeden Hand - lung oder Unterlassung, die dem Lehns-Con - trakte zuwider ist, schon das Lehn verloren? Ist der Lehnsherr, da er nichts mehr und nichts weniger als ein Mensch ist, nicht vielmehr verbunden, den Vasallen zur Leistung der contraktgemäſsen That, und zur Vermei - dung der contraktswidrigen Unthat von Rechts - wegen anzuhalten und auf Schadenersetzung anzutragen? Werden Contrakte durch zuge - fügte Contraventions-Strafen geschwächt, oder vielmehr verstärkt? Können die Handlungen eines Andern Jemanden zugerechnet werden? und wenn der Vasall wegen Felonie das Lehn verliert, ist der Lehnsherr nicht verpflichtet, es nach dessen Tode demjenigen wieder zu geben, dem es nach dem Ableben des der Fe - lonie schuldig und des Lehnsbesitzes unwür - dig befundenen Vasallen zufällt? Kann je durch Felonie das Lehn aufhören? — und wer machte denn den Mann zum Lehnsherrn, und das Weib zur Vasallin —? sind sie nicht beide göttliche Lehnsträger? — Die Erde könnte vielleicht eher ein Weib -, als ein Mann -M 5186lehn heiſsen, und ist ohne Zweifel ein ver - mischtes Feudum. — Man lasse doch die Weiber-Felonie an seinen Ort gestellt seyn, wovon Natur und Geschichte kein lebendiges Wort wissen, und vergesse nicht, daſs Gott dem Menschenpaar, welches er (o, der Menschen - würde!) abschattete, dieses Erden-Lehn anver - trauete, und daſs zwischen seinem Lehnrecht und der Stümperei des menschlichen keine Vergleichung denkbar ist. — So weit von bür - gerlichen Rechten! — über Menschenrechte kann nur Gott richten; und in seine Hände zu fallen — wie wohl thut das, wenn wir die gehegten und ungehegten Banken der Men - schen dagegen halten! —
Ist es etwa Furcht, oder ist es bloſs eine Grimasse derselben, die wir vorgeben, um je - ner gegründeten und rechtmäſsigen Forderung mit Anstand ausweichen zu können? Werdet wie die Kinder, ist ein wohlgemeinter Rath; denn nur die kindliche Furcht ist nicht un - männlich: sie besteht in der Sorgfalt, dem auszuweichen, was den ewigen Gesetzen des Wahren und Guten entgegen ist. Jene knech -187 tische, wenn man aus Furcht vor der Strafe thut, was die Gesetze wollen, oder unterläſst, was sie nicht wollen, ist unmännlich, so wie ihre Verwandtin, die Befürchtung, vermittelst deren wir den Gelegenheiten zuvorkommen wollen, wodurch wir dergleichen Strafen und Strafgerichten unterworfen werden können.
Wir wollen ein Geschlecht fürchten, das zur Liebe geschaffen ist, und, wenn es zürnt, selten die Sonne über seinen Zorn untergehen läſst? das bis auf Einen Punkt (und dieser ist eine Sünde wider den heiligen Geist des Ge - schlechtes) dem Beleidiger zwei Drittheile des Weges entgegen kommt, um ihm Versöhnung anzubieten! Wie viel mehr Ursache haben wir, uns selbst zu fürchten, als ein Geschlecht, das, wenn man es in seine Rechte einsetzte, uns, wo nicht Erkenntlichkeit, so doch Wohl - wollen schuldig wäre, und diese Schuld kraft seines Wesens und Seyns so gern abtragen würde!
Man sagt, es sey schwer zu hoffen, daſs das menschliche Geschlecht, welches von der Natur sich so weit und breit zu entfernen die188 Ungezogenheit gehabt, das durch keine Reli - gionsempfindung sich leiten, durch keine Staatstäuschungen sich blenden lasse, sich zu Gesetzen bequemen werde; und so liege denn die Furcht nicht so sehr aus dem Wege, als man es gemeiniglich denke. — Lieber! wie kannst du fordern, daſs das Menschenge - schlecht sich ewig am Gängelbande wohl be - finden werde? Erregen jene Staatstäuschungen und jene Religionsempfindungen, wenn sie nicht von Grundsätzen abstammen, nicht ein - zig und allein Unglauben und Miſstrauen in Rücksicht der Gesetze? Sollte der Mensch nie zur Achtung für Pflicht gebracht werden? Sollte er nie zu dem Hauptprincip des Lebens gelangen: sei vernünftig? — Sollen denn Sinnlichkeiten ihm mehr als die moralische Vernunft und das Sittengesetz gelten —? Wird er sich nie so weit erheben, seiner geistigen Natur würdig zu seyn, und für das, was er nicht siehet, Ehrfurcht und Achtung zu fas - sen —? Soll denn bloſs Weichheit des Tem - peraments ihn zur Neigung bringen? oder giebt es auch auſser der Temperamentsneigung,189 die, wenn sie geläutert wird, eine Herzens - neigung heiſsen könnte — giebt es auſser ihr auch eine Geistesneigung, so wie es ein Gei - stesvergnügen geben kann —? Für nichts, was in die Sinne fällt, hat der stolze Mensch in die Länge Achtung — es familiarisirt sich mit ihm, und es ist wie unser einer. — Das einzige Mittel des gröſsten Helden und des gröſsten Gelehrten, sich bei übermenschlicher Ehre (was soll aber die?) zu erhalten, ist: sich zurück zu ziehen. Sobald wir uns näher zeigen, geben wir uns wohlfeiler. — Je hö - her die Spannung war, je schneller läſst sie nach. Alles, auſser sterben, muſs der Mensch lernen — Zu Allem, es sei gut oder böse, kann er sich gewöhnen — Ein scheues Pferd führt man zu dem Gegenstande zurück, den es fürchtete; und wie? hier, wo das höchste Ziel seiner Würde auf dem Spiele steht, sollte der Mensch auf seinen Nachdruck Verzicht thun? — Mit nichten — Wir können und werden dahin kommen, daſs wir die Göttlich - keit der Gesetze in ihrem Heiligthum, in un - serer Seele, verehren und unser Herz durch190 jene Überzeugungen des Geistes gewinnen. Noch würde sich freilich der Gesetzgeber gröb - lich verrechnen, wenn er seine Gesetze auf festes Zutrauen zur Vernunft und zur Weis - heit seiner Bürger calculirte; allein wird die Menschheit nie die Kinderschuhe ausziehen? Ist dies — nun, so bleibe Alles Altflickerei, und der Mensch schäme sich, daſs er Mensch heiſst. — Ist die Menschheit indeſs im Stan - de, zu jenem Grade der Vollständigkeit zu gedeihen, den sie sich vorstellen kann, jene Tugend zu üben, die ihr im Ideal Freude macht —; so entferne man den Nebel der Täuschung, wodurch man Menschen betrog, die über kurz oder lang zum Gebrauche der Vernunft kommen und sich betrogen finden müssen. Männer, würdet ihr die Furcht nicht barbarisch und unmenschlich finden, wenn man euch Alles und Jedes von Freiheit bloſs darum entzöge, weil ihr es miſsbrauchen könn - tet —? Wie wollet ihr denn jene Furcht nennen, die euch abhält, dem andern Ge - schlechte seine Ehre wiederzugeben? Die Zeiten sind nicht mehr, um das andere Ge -191 schlecht überreden zu können, daſs eine Vor - mundschaft wie bisher für dasselbe zuträglich sei, daſs sie seinen Zustand behaglicher und sorgloser mache, als eine Emancipation, wo - durch es sich mit Verantwortungen, Sorgen, Unruhen und tausend Unbequemlichkeiten des bürgerlichen Lebens belasten würde, die es jetzt kaum dem Namen nach zu kennen das Glück habe. Wahrlich ein abgenutzter Kunst - griff des unmenschlichen Despoten, wodurch er seinen feigen Sklaven das Gewicht der Ketten erleichtern will! als ob die Freiheit mit allen ihren Ungemächlichkeiten nicht der gemäch - lichsten Sklaverei vorzuziehen wäre! Glau - ben Sie nicht, daſs das Wirtembergische Land Ihrentwegen geschaffen ist, schrieb Frie - drich II an den jetzt regierenden Herzog von Wirtemberg; sondern überzeugen Sie Sich, daſs die Vorsehung Sie hat geboren werden lassen, um ihr Volk glücklich zu ma - chen. Und Männer! ihr wollt glauben, eine halbe Welt wäre zu eurem bon plaisir, zu eurem eigentlichen Willen, das ist verdoll - metschet: zu eurem Eigenwillen, da? Thiere192 wirken; Menschen handeln — Warum soll das Weib nicht Ich aussprechen können? Wahrlich ein sanftes Wort, denen, welche die neidlose Natur verstehen — Wer die Kunst versteht, ist neidisch und verräth den Meister nicht — Ist es nicht der gröſste Menschenvorzug, sich selbst zu kennen? Un - ser Werth ist unsere Sache; unsere Würde ist die Sache Gottes und gerechter Menschen. Hat Gott bei dem anderen Geschlecht etwas versehen? oder sind es die Männer, die sich an diesem Geschlechte wider den Willen des Schöpfers versündigen! Warum sollen die Weiber keine Person seyn? warum nicht wis - sen: das ist mir gut, und das ist gut, oder das ist vortheilhaft, und das ist recht? Vie - les, und fast das meiste, was mit Vergnügen anhebt, leistet bei weitem nicht, was wahrhaft vortheilhaft ist — Aus ächtem Vortheile tu - gendhaft seyn, heiſst sonst mit andern Wor - ten: es in Reinheit seyn.
Frankreich schreckt eben jetzt mit der Frei - heit diejenigen Mächte, welche die zu weit gegangenen Beschlüsse der Nationalversamm -lung193lung einzuschränken drohen. Gott! zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts — wo kein Ge - spenst, und wär’ es eins von nicht ganz klei - nem Range, ein Poltergeist, mehr Wirkung thut — kann man mit Freiheit schrecken —! Dahin wär’ es gekommen? Ach! auch selbst dem, der an der Kette erzogen ist, blitzt der Name Freiheit auf, dieser göttliche Funke, durch den wir sind was wir sind, und der uns so wenig schrankenlos macht, daſs er uns vielmehr fester als Alles an das Allerheiligste der Gesetze bindet. Das weibliche Geschlecht kam um die Menschenrechte ohne seine Schuld, bloſs durch den Schwung, den die menschlichen Angelegenheiten bei den Fort - schritten zu ihrer Cultur nahmen; Bürgerrech - te, die es leider! sehr zeitig und schon bei Entstehung kleinerer Familienstaaten verlor, hat es nie, weder durch Unterhandlungen noch mit Gewalt, zu erringen gesucht, und erwar - tet sie noch heute mit aller Selbstverleugnung von unserer Gerechtigkeit und Groſsmuth. Und wir wollen es vergeblich warten lassen? und das Gesuch, welches die Natur für dieN194Weiber einreicht, zu einer Zeit da Menschen - rechte laut und auf den Dächern gepredigt werden, mit einem aufrichtigen und deutli - chen Nein abweisen?
Die neue Französische Constitution verdient eine Wiederholung meiner Vorwürfe, weil sie für gut fand, einer ganzen Hälfte der Na - tion nicht zu gedenken, ob sie gleich einem kleineren Theile derselben, der überall wo er sich befindet, auf das Duldungsrecht be - schränkt ist, die Rechte aktiver Bürger zuge - stand. Alle Menschen haben gleiche Rechte — Alle Franzosen, Männer und Weiber, sollten frei und Bürger seyn. Jene Vorschläge zur dégradation civique, wodurch die Männer vermittelst einer feierlichen besonderen Formel der Ehre eines Französischen Bürgers für un - würdig proclamirt werden sollten, falls sie durch Verbrechen diese Strafe verdienten, sind nicht auf das andere Geschlecht ausgedehnt. Über dieses sollte bloſs der Fluch ausgespro - chen werden: Euer Vaterland hat euch einer infamen Handlung überführt befunden —
Mirabeau, der zur gegenwärtigen Genera -195 tion von Menschen sein Zutrauen verloren ha - ben mochte, setzt, wie alle groſse Thäter, sein Zutrauen auf Erziehung, und weiset in seinem Posthumus Travail sur l’éducation pu - blique, die sein Arzt und Freund Cabanis her - ausgab, das Frauenzimmer zur Häuslichkeit und zu stillen, sanften Tugenden an, (ist denn nicht jede Tugend sanft und still?) worauf das Glück der Familien, und am En - de das Glück des Staates so sehr beruhe. Oh - ne mich in den Streit einzulassen, der über den Grafen und Nichtgrafen Mirabeau von Freunden und Feinden übertrieben worden, sei es mir erlaubt, der Behauptung zu wider - sprechen, daſs Jemand in seinem Privatleben ein elender Mensch, dagegen doch der tugend - hafteste Bürger und der höchste Grad dessel - ben, ein geschickter Officiant, seyn könne. Ein Mensch, der gegen Alles gleichgültig zu seyn vermag, was gut oder böse, gerecht oder ungerecht ist, ein nicht rechtschaffener Mensch, kann kein rechtschaffener Bürger seyn. Horaz sagt: nur Jupiter gehe über den Weisen; der Weise sei reich, frei, gerecht, ein König al -N 2196ler Könige — Da das andere Geschlecht vom Menschen auf den Bürger zu schlieſsen ge - wohnt ist und jene Rollenspieler, die Nichts aus Grundsätzen, Alles aber nach Zeit und Umständen sind, sehr richtig berechnet; — ist es Wunder, daſs diese Glücks - und Un - glücksritter das andere Geschlecht zu entfer - nen suchen? —
Wir irren, wenn wir uns überreden, daſs Weiber für die Ehrensache der Menschheit, für den Kampf der Freiheit mit der Alleinge - walt, keine Sinne besitzen. Sie haben nicht bloſs durch ihren lauten Beifall bezeugt, daſs sie den Werth der Freiheit zu schätzen wis - sen, und daſs das Gefühl für dieselbe noch lichterloh aufflammen kann; selbst thätig ha - ben sie mitgewirkt, die Fesseln zu brechen, die man der Nation anlegte, und wahrschein - lich lag es nicht an ihnen, daſs sie bei die - sem Schauspiele nur Rollen vom zweiten Ran - ge spielten.
Die berühmte Verfasserin der Geschichte der Königin Elisabeth, Mad. Keraglio, ver - theidigt seit der Revolution in ihrem Journal197 d’État et du Citoyen die Rechte der Mensch - heit mit Freimuth, Wahrheit und Stärke. Weiber fühlten jene Zurücksetzung, jenes tie - fe Stillschweigen bei einem so schönen Anlaſs, jene Verstoſsung, wenn es Staatsdienst gilt — Eins unter ihnen wagte es, ihren Unwillen laut werden zu laſsen. In einem an die Na - tionalversammlung abgelassenen Briefe bemerkt es, daſs kein Wort in der Constitution von den Weibern vorkomme, obgleich die Mütter Bürgerinnen des Staates seyn müſsten. Es schmeichelt sich mit dem Befehle, kraft dessen den Müttern erlaubt seyn werde, in Gegen - wart der Bürgerbeamten diesen feierlichen Eid abzulegen. Diese ehrwürdige Ceremonie wür - de es wünschenswerth gemacht haben, Mutter zu seyn. Die Geschichte sagt nicht, was von den Repräsentanten der Nation auf diese Adresse einer edlen Französin beschlossen worden ist. Betrübt feire ich heute ihr An - denken, heute den 18ten März 1792, da ich in öffentlichen Blättern lese, daſs die Franzo - sen, ungerührt durch diesen Wink, es dahin kommen lassen, daſs das andere GeschlechtN 3198dringender um diese Rechte angehalten. Schö - ner würde es gewesen seyn, wenn man dem Geschlechte mit der Bürgerehre zuvorgekom - men wäre, und bei dieser ernsthaften Sache kein Ärgerniſs des Lachens gegeben hätte. Wehe dem Menschen, durch welchen derglei - chen Ärgerniſs kommt! Würden wohl alle jene Laternenscenen sich ereignet haben, wenn Weiber Aktivvotantinnen in Frankreich gewe - sen wären? Durch geheimen Einfluſs wird in jedem Staate, besonders in freien, Alles verdorben — Doch ist es die Frage, ob die Pa - riser Damen schon die Selbstüberwindung ge - habt haben, so weit zur Natur zurückzukeh - ren, daſs sie die gute Sache menschlich und bürgerlich beherzigen können — — Wahr - lich! zu Deutschen Weibern ist gröſseres Vertrauen zu fassen — Wem Gott Kraft gab, gab er dem nicht auch das Recht sie an - zuwenden? sollen denn die Weiber ihr Pfund im Schweiſstuche vergraben, ohne es auf Wu - cher anzulegen, der dem Staate tausendfältige Früchte bringen würde?
Auf Vernunft und auf ihr Meisterstück,199 die Gesellschaft, kommt es an, ob jener Krafts - anwendung freier Lauf zu lassen oder ob sie ein - zuschränken sei; nie aber kann der Staat sich herausnehmen, sie ganz unterdrücken zu wol - len. Und wie? er wollte ein Räuber der Frei - heit seyn, welche zu befördern die Hauptab - sicht seiner Existenz ist?
Wenn Stände nur durch ihres Gleichen repräsentirt werden können; wenn so gar un - sere Vorfahren durch Ebenbürtige sich die Gesetze zumessen und Recht sprechen lieſsen: wie kann man Weiber vom Staatsdienste aus - schlieſsen, in so weit er sich mit der Gesetz - gebung oder Gesetzausübung beschäftiget? Will man etwa den Weibern die Weihe zu diesen Mysterien abschlagen, um sie nicht un - sere Schwäche da sehen zu lassen, wo wir den höchsten Grad unserer Stärke hierogly - phisch vorgeben? Man kann dreiſsig Jahre dienen und nur Ein Jahr leben, wie weiland M. Plautius, welcher nur von der Zeit an sein Leben zählte, als er aufhörte für das Öffent - liche, und anfing für sich zu leben — Ein lehrreiches Zeugniſs auf Kosten des Staats -N 4200dienstes! Ist das Leben für den Staat des Ehrennamens: Leben, werth, wenn es uns für unsere eigene Person sterben läſst, uns vom selbsteigenen Leben entfernt —? Nur als uns selbst können wir den Staat, unsern Nächsten lieben; Alles darüber ist vom Übel. Wenn man nicht durch den Staatsdienst vervielfältigt lebt, so liegt es entweder an uns oder am Staate; in beiden Fällen bleibt die Krankheit gefährlich — Ist es nicht der gewöhnliche Fall, daſs wir vor lauter Räderwerk nichts ausrichten, vor lauter Eingängen das Thema vergessen? Kommt nicht vor lauter kluger Vorsichtigkeit gemeiniglich Kleinheit zum Vor - schein —? Die meisten Staatsbeamten sind Accoucheurs eines Berges, der eine Maus zur Welt bringt, die indeſs bei der Taufe die prachtvollsten Namen erhält, und fast mit noch mehr Paukenhall ins Publicum gebracht wird, als wenn ein Schriftsteller sich selbst recensirt. Wer in groſsen Residenzen zu le - ben die Gnade gehabt hat, wird mich am leichtesten verstehen — Welcher Schweiſs des Angesichts! — Collegia und Ausschüsse,201 das Plenum und Committés, Gerichte und Commissionen! was für eine Menge Papier wird getragen, geschrieben, gelesen! — Agio - teurs von einer andern Art — Papierhändler von höherer Würde! Scheint es doch, als wäre Alles gegen Alle, weil Alle gegen Alle sind (bellum omnium contra omnes); und doch bezwecken jene herkulischen Beschäftigungen, jene Versammlungen, Richterstühle und Akten - berge das allgemeine Beste, dessen Flor in den Kirchen bebetet und in Schauspiel - häusern beklatscht wird, (beides ex officio, von Amtswegen.) Ist es klug oder nöthig, daſs man so viele Holzhauer und Wasserträ - ger, Virtuosen und Zünftler in Athem setzt, um eine einzige Staats-Manège anzulegen? so viele Meister politischer Art und Kunst, um ein Staatsregierungs-Exercitium, ja Exer - citium, zusammen zu stümpern? Nur Einen Hebel verlangte jener Weise, um die Welt zu heben; und wenn das allgemeine Wohl solch eine Anstrengung braucht, so liegt es gewiſs, oder mich trügt Alles, an dem politischen Ober - rechenmeister — Wahrlich diese so beschäf -N 5202tigten Herren dienen nicht dem Staate, son - dern der Staat dient ihnen — Der Weise, der diesem Staatsspiele näher tritt und dessen joujou bis auf sein Schach kennt, überzeugt sich, daſs Ein Kopf hinreichend ist, dies Al - les zu lenken. Waren nicht schon Petrus und Paulus streitig? Ist nicht Ein Kopf ver - mögender, das Ganze zusammen zu halten und zu übersehen? Man verlangt sonach nicht ohne Grund Einen Principalmeister; wo aber Einer zu finden? Wer wird die Selbst - verleugnung haben, die vielen Künste zu ver - lassen und der Natur zu huldigen? wer den Wortsturm aufgeben, das brausende Meer be - dräuen, und zur Stille des Denkens und Han - delns eingehen? Wer, ohne zu befürchten, daſs er beim Fürsten und beim Volke verlie - re —? Das Volk wird durch den Schein dieser fast übermenschlichen Anstrengung hin - tergangen, und der Fürst desgleichen, der, wenn es nicht so viel Schweiſs kostete, sich gewiſs näher mit diesen Staatsarbeiten bekannt machen würde — und da möchten denn die hohen und nächsten Staatsgehülfen sehr leicht203 auf eine kleine Rolle zurückgesetzt werden und aus Staatsräthen in Schreiber zusammen schrumpfen! — Ich setze wenig oder nichts von Menschenübeln auf Rechnung der Fürsten; gewiſs das Meiste gehört auf das Conto der Minister, die nicht schwach nicht stark, nicht kalt nicht warm, sondern unentschlossen und lau sind, sich von jedem Winde hin und her treiben lassen, Jeden um seine Meinung be - fragen und, wenn sie deren unzählige gesam - melt haben, nicht wissen, wozu sie sich ent - schlieſsen sollen. — Wer selbst keine Mei - nung hat — wie kann der aus so vielen die beste finden? Hierzu kommt, daſs Gemäch - lichkeit und ewiger Hang zum Vergnügen sie noch stumpfer machen — Sie kommen nicht aus den Bêten heraus, die sie abzuspielen ha - ben! — Noch ärger sind die, welche nicht über ihren theoretischen Leisten gehen, immer Schuster bleiben, die sie sind, und in armse - liger Pedanterie Trost suchen und finden, wenn ihnen nichts einschlägt — Was kön - nen wir dafür, daſs der Staat, den wir zu re - gieren haben, sich nicht nach unserem Orbis204 pictus und einem Compendio schmiegen will, das uns zum Pharos demüthigst empfohlen worden? — Allerdings! und welche Greuel, wenn die Minister gar Genies zu seyn sich einbilden und zu Dero Haupt ein so unum - stöſsliches Zutrauen gefaſst haben, daſs das groſse Wort: En hat es gesagt, ihren Commis hinreichend scheint, die einleuchtendsten Vor - stellungen abzuweisen und zu entkräften! — Das Recht des Vernünftigern ist ihnen, nach ihrer, zwar etwas freien, indeſs wie sie glauben nicht unverständlichen, Übersetzung, das Recht des Stärkeren; und freilich — wer darf es wagen, der Gewalt, so lange sie am Ruder ist, den Verstand abzusprechen? Jene gewaltigen Genies berechnen Alles an den Fingern — Newton könnte von ihnen rechnen lernen; und freilich, wenn die Data zu ihren Berechnungen richtig wären — wer würde ih - nen gleich kommen? Zur Calculatur geboren, sind sie im göttlichen Zorn Minister und Staats-Administratoren geworden —
Stumpfe Köpfe, ihrer eigenen Schwäche bewuſst, sind für Collegia. Das Sprichwort:205 vier Augen sehen mehr als zwei; bringt sie zur Multiplication der Augen — die blinden Leiter! In der Oper hilft Jeder, der Schrift - steller, Spieler und Sänger, zum Ganzen — und da fallen Coloraturen, Läufe, schmelzen - de, verzweiflungsvolle, schmachtende, fürch - terliche Gänge vor, die der Verfasser den Spielern und Sängern in Mund und Kehle legt — Hier aber verläſst sich entweder Ei - ner auf den Andern, und sieht die Stunden, die er wohl bezahlt absitzen muſs, als eine ihm angewiesene Schlafzeit an, worin er sich stärkt, um desto geistreicher am Spieltische zu glänzen; oder er hauet die Kreuz und Quer ein, so daſs nach vielstündigem Zank die Sache am Ende weit übler als am Anfan - ge steht, und der kleinere Theil die schreck - lichste Mühe von der Welt hat, nicht die An - gelegenheit ins Reine zu bringen, sondern das per plurima herausgebrachte Schluſs-Votum von den Ungereimtheiten so vieler disparaten Meinungen zu säubern und zu läutern, und es W. R. I., oder — wenn es hoch kommt — verständlich zu machen. Der so witzige als206 einsichtsvolle Vorschlag, daſs die Minorität der Stimmen gelten sollte, ist der auffallend - ste Beweis, was man sich zu diesen vierzig Perücken oder ihren Stöcken zu versehen ha - be — Viele Köche versalzen den Brei, und Ein Kopf ist mehr werth, als ein ganzes Syn - edrium von — — Kinnbacken. —
Wenn die Staats-Officianten auf die Pflicht angenommen würden, nichts zu verderben und sich leidend zu verhalten — wie viel weiter wäre die Welt! — Sind das die hohen Col - legia und hohen Stühle, von denen man das schöne Geschlecht ausschlieſst —? Man soll - te sie aufnehmen, wie in freien Reichsstädten politische Kannengieſser und Aufwiegler zu Rathsgliedern, damit sie schweigen — Viel - leicht hätte man dies Stratagen auch wirklich schon segensreich in Anwendung gebracht, wenn man zu der Verschwiegenheit des schö - nen Geschlechtes mehr Zutrauen fassen könn - te. Johnson sagt: man kann so sehr ein Mann nach der Welt seyn, daſs man nichts mehr in der Welt ist. Sollte man nicht weit eher so sehr ein Staats-Officiant seyn können,207 daſs man bei weitem zu der Ehre ein Staatsbür - ger zu seyn, unfähig ist? — Wahrlich, um sich wieder zu orientiren, sollte man die Wei - ber zum Staatsdienste vociren — wozu sie un - streitig einen göttlichen Ruf haben, an dem es den meisten Taugenichten von hohen Staatsbeamten ermangelt.
Ist es zu leugnen, daſs man in jedem Ge - setz-Codex von den Grundsätzen der natürli - chen Gleichheit ausgehen, und mit dem Pa - radiese anfangen kann und muſs, wenn nur der Sündenfall nicht vergessen wird? Jene Grundsätze der Gleichheit werden und müssen so gar bei ihrer Anwendung auf den Staat das Resultat politischer Ungleichheit unter den Bürgern herausbringen. Bei jener natürlichen Gleichheit gewinnt das andere Geschlecht allerdings; allein auch die politische Ungleich - heit kann nie ein ganzes Geschlecht unwürdig proclamiren, in welchem es in der Regel mehr Mündige, als in dem unsrigen giebt, und wo - zu vielleicht kein anderer Grund vorhanden ist, als daſs die Gesetzgebung bloſs aus Män - nern besteht. Soll ich bemerken, daſs ich208 hier nicht bloſs vom Gebrauche des Mundes und der Zunge, sondern der Seele und des Herzens rede? So bald Stärke, Obermacht und Verjährung nicht Gesetze abnöthigen; — und wehe der Staatsgrundlegung, die solche Ecksteine in Anwendung bringt! — so bald jede regelmäſsige Gesellschaft so gar eben da - zu entsteht, um jene natürlichen Hervorste - chungen in’s Gleichgewicht zu bringen: so hat das andere Geschlecht ein Recht, vom Staate zu fordern, daſs er ihm Gerechtigkeit erweise, daſs er über die Schwächlichkeit des Körpers, welche zum gröſsten Theil durch Vorurtheil entstanden ist, die Stärke der Seelen der Wei - ber nicht vergesse. Macht denn nicht die Seele den Hauptbestandtheil der Menschen? Die natürliche Gleichheit erfordert eine poli - tische Ungleichheit, weil die Erhöhung des natürlichen Werthes des Menschen nur durch eine gegenseitige politische Verbindung dersel - ben unter einander möglich ist, und hervor - ragende Menschen durch Gesetze, so wie Ge - nies durch Regeln, in Ordnung gehalten wer - den müssen. Kann aber dieser an sich nichtun -209unrichtige Grundsatz auf ein ganzes Geschlecht gedeutet werden? Ist es gerecht, billig, rath - sam und nur menschlich, daſs unser ganzes Geschlecht zu einer Standeserhöhung gebracht und als der Mittelpunkt angesehen wird, um dessenwillen das andere Geschlecht existirt? — Es giebt nur zweierlei Thatsachen, von denen wir Begriffe haben: Natur und Freiheit; und sowohl zur Physik als zur Moral, haben Wei - ber unverkennbare Anlagen. Will man Natur und Freiheit sinnlich abbilden, so müssen bei - de in Gestalt eines Weibes dargestellt werden. Und was ist ihnen denn im Wege? das posi - tive Gesetz? Kein Gesetzbuch, und würde es mit Engelzungen reden, kann Formula concor - diae und eine Augspurgische Confession wer - den. Gesetze erziehen Menschen, und müs - sen sich, wenn Menschen mündig werden, von Menschen erziehen lassen. — Angenom - men, Weiber wären körperlich schwach — angenommen! und was wäre da die Pflicht der Gesetze? in den Schwachen mächtig zu seyn. Nicht die Starken bedürfen des Arztes, son - dern die Schwachen.
O210Weiſs ich denn nicht, daſs manche Frau bei manchem Manne auch jetzt sich wohl be - findet? Was indeſs bloſs auf persönlicher Ge - sinnung beruhet, muſs seiner Natur nach wandelbar seyn; und es ist auch bei den tole - rantesten Gesinnungen im Staate nothwendig, daſs keine intolerante Stelle im Gesetzbuche bleibe. Wer steht für den Nachfolger im Reiche? Weiber wissen ihre Männer zu über - zeugen, als hätten Weiber keinen Willen. Doch eben wenn sie auf ihren Willen in bes - ter Form Rechtens Verzicht zu thun scheinen, werden sie Alleinherrscherinnen, ohne den starken Glauben ihrer Männer zu schwächen, als ob diese ganz allein regierten — Sie re - gieren nicht mit Gewalt (vi), sondern heim - lich und bittweise (clam et precario).
Der Liebhaber glaubt in dem Dienst einer Göttin zu seyn, welche Apotheosen so sehr in ihrer Gewalt habe, wie Facultäten Doktorhüte. Der glückliche Geliebte dünkt sich wenigstens halb Gott, weil er so glücklich ist, einer sol - chen Gottheit zu dienen — Erwacht er über ein Kleines aus diesem Traume; seht! so ver -211 wandelt sich die Raupe nicht in einen Schmet - terling, sondern in einen Zuchtmeister, und die entgötterte Frau wird seine Sklavin: der Bräutigam wird nicht Ehemann, sondern Ehe - vogt. So hörten Monarchen auf, Götter und Divi zu seyn, und hatten die Güte zu den Menschen herabzusteigen; doch würdigten sie, um über anderen Menschen zu seyn, diese an - deren eine Stufe unter die Menschen hinab — Halbe Wahrheit ist gefährlicher, als eine gan - ze Lüge; diese ist leichter zu kennen, als je - ne, welche sich in Schein zu verkleiden pflegt, um doppelt zu betrügen. Männer, laſst doch Menschen seyn, die Gott zu Menschen schuf! Laſst uns Menschen machen, hieſs es, ein Bild das uns gleich sei; und er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein. Sie sind Bein von unserm Bein, und Fleisch von unserm Fleisch; und warum nicht Bürger wie wir? warum nicht, da ihnen weder Sinn noch Kraft zu Bürgertugenden gebricht, und es bloſs dar - auf ankommt, daſs sie zu Bürgerinnen er - zogen werden! Jetzt freilich, wie sie da sind, zum Spielzeug für Männer gemodelt; jetzt,O 2212wenn sie auf einmal aus dem Gynäceum auf den groſsen Schauplatz des gemeinen Wesens, einen für ihren Körper und ihre Seele so fremden Boden, treten und männliche Rollen spielen sollten: jetzt würden sie kaum erträglich debütiren. Wer fordert dies aber von ihrem Kopfe und von ihren Händen? Sie sollen eben den Weg gehen, den wir gingen, eben die Wüsten betreten, die uns auf der Bahn nach Kanaan beschwerlich wurden; nur durch Er - ziehung, Unterricht und Erfahrung sollen sie das Ziel erreichen, dessen sie so würdig sind — Das Licht braucht beinahe acht Mi - nuten, um von der Sonne zu uns zu kommen, und wir sehen die Veränderungen, die in der Sonne vorgehen, jedesmal acht Minuten nach - her. Pythagoras legte seinen Schülern zuvor Schweigen auf, ehe ihnen die philosophische Zunge gelöset ward. Dies mögen Fingerzeige für Männer und Weiber seyn: für diese, um nicht auf Meisterrechte Ansprüche zu machen, ehe sie die Lehrlingsjahre zurückgelegt haben; für jene, von einem Geschlechte, das so lange vernachlässiget ward, nicht vor der Zeit Früchte213 der Buſse zu fordern. Der Verstand und die Natur kommen sehr leicht in richtigen Ein - klang; und wenn Mittel unbedeutend schei - nen, wenn sie es wirklich sind — wer wird Mittel nach eigener, und nicht vielmehr nach der Gröſse des dadurch zu erreichenden Zwek - kes schätzen? Eine Eiche von einem nicht kleinen Alter kann noch sehr jung heiſsen, wenn ein gleichzeitiges Gesträuch und eine zu seinen Füſsen blühende Blume an der Gränze ihres Lebens sind — Nicht im ein - zelnen Falle, in allen Fällen, nicht im ein - zelnen Menschen, sondern im Geschlechte, offenbaren sich die Ehre und der Zweck der Menschheit. — Woher jetzt der Unterschied in der Erziehung beider Geschlechter, der sich bei der Wiege anhebt und beim Leichen - brette endiget? warum ein so wesentlicher Unterschied, als wären beide Geschlechter nicht Eines Herkommens, nicht Eines Stoffs, und nicht zu einerlei Bestimmung geboren? — Die Scheidewand höre auf! man erziehe Bür - ger für den Staat, ohne Rücksicht auf den Geschlechtsunterschied, und überlasse das, wasO 3214Weiber als Mütter, als Hausfrauen, wissen müssen, dem besondern Unterricht; und Alles wird zur Ordnung der Natur zurückkehren. Noch lange ist Erziehung nicht das, was sie seyn könnte und sollte. Nur sehr spät fiel man auf das, womit man hätte anfangen sol - len: den Zweck der Erziehung zu bestimmen, das Ziel aufzusuchen und seinen Lauf darnach zu richten. Statt daſs wir sonst, wie irrende Schafe, ohne Plan und Regel in das Weite liefen, sei es unsere erste Sorge, heimzukehren zu der Natur und nicht auſser uns uns selbst zu suchen! — Was hülf’ es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und an sich selbst Schaden litte! — Ohne jenen Zweck der Erziehung zerreiſst das Band, welches alle einzelne Theile zusammen hält — und in Kin - dern liegt das Reich Gottes. —
Zwar hat man in unsern Tagen angefan - gen, dies wichtige Staatsbedürfniſs zu beher - zigen; aber auch kaum nur angefangen. Die Staaten und ihre Repräsentanten selbst, deren erstes und wichtiges Interesse die Erziehung ist, scheinen dieses Bedürfniſs entweder noch215 nicht genug zu fühlen; oder wohl gar sich für verpflichtet zu halten, den gemachten Versu - chen, Bürger zu bilden, Hindernisse in den Weg zu legen. Wenn die Befehlshaber des Volkes bedächten, daſs nichts als eine gute Erziehung sie auf immer in dem Besitz ge - setzlicher und auf Verträge sich gründender Vorzüge sichern kann; sie würden zu dieser ihrer Zeit bedenken, was zu ihrem Frieden dienet. Lange hat man Erziehung und Un - terricht, die doch ihrem Wesen, ihrer Form und ihrem Endzwecke nach so sehr unter - schieden sind, für Eins gehalten. Lange mu - thete man Lehrern zu, die in der Regel selbst keine Erziehung hatten, sie sollten zugleich Erzieher seyn; und man wuſste nicht zu begrei - fen, wie man gelehrt seyn und doch keine Sitten haben könnte. Fest glaubte man an das goldene Sprichwort: daſs Künste und Sitten Schwestern und Brüder sind, und Niemand dachte daran zu untersuchen, ob Künste und Sitten sich wie Ursache und Wirkung ver - hielten.
Rechnet man zu diesen Mängeln den Um -O 4216stand, daſs die Hälfte des menschlichen Ge - schlechtes entweder ohne alle Erziehung blieb, oder verzogen ward, und daſs gerade dieser Hälfte der wichtigste Theil der Erziehung überlasen war; so ist es fast noch Wunder, daſs wir Menschen sind. Ohne allen Zweifel bestimmte die Natur das andere Geschlecht zu diesem groſsen Erziehungsgeschäfte, und versah es mit den nöthigen Anlagen und Fä - higkeiten, mit den empfänglichsten Sinnen, mit den feinsten Empfindungen, in der edelsten Sprache, selbst im Kleinen und Zufälligen das Wahre vom Falschen, das Ächte vom Schein - baren zu unterscheiden — um jene groſse Bestimmung zu erfüllen —. Die Sokratik, die Sokrates von seiner Mutter, einer Weise - mutter (sage femme), lernte, indem er auf Seelenentbindungen ausging und ein weiser Mann (homme sage) ward, ist wahrlich dem andern Geschlecht eigen, welches nie, auch beim Heiſshunger, den Magen der Wiſsbegier - de der Kinder mit Kentnissen überstopft, son - dern jeden neuen Begriff ihnen einzeln zu denken giebt und ihn so viel wie möglich in217 Empfindung zu verwandeln sucht. Jedem gei - stigen Gedanken geben Weiber einen Körper, bekleiden ihn und verleihen ihm eine sinnliche Form. Robinet meint, die Natur habe den Weibern einen Hang zur Geschwätzigkeit ge - geben, damit sie die für die Kinder zu starke Wörterkost ihnen desto leichter vorkauen könn - ten — Heiſst das nicht, einer herrlichen Na - turgabe einen bösen Leumund machen? Rous - seau sagte zu Gretry, der ihm seine Hand bot, um ihm über einen Haufen Steine zu hel - fen: Laissez moi me servir de mes propres forces; und wem ist jene Entwickelung der in den Kinder-Seelen liegenden Ideen na - türlicher, als dem andern Geschlechte? — Es spinnt sie heraus, knüpft das Sinnliche an geistige Begriffe durch Bilder und Gleichnis - se — Wir sind für heroische Methoden; folgt indeſs nicht nach einer Bravurarie jederzeit eine Leere, da ein zu lebhafter Eindruck dem Ef - fekte des Ganzen schadet? — — Es kommt nicht darauf an, eine gute Empfindung zu er - regen, sondern die Summe der Empfindungen zu ziehen und auf sie zu wirken. Wie rich -O 5218tig sind hier wenn und wie! Alle Wege des Wanderers zwecken ab, an einen Ort zu kom - men; alle kleine Flüsse gehen zum groſsen Meere — — —
Wie ist es aber möglich, daſs Weiber die - sem Berufe genügen können, wenn jene An - lagen und Fähigkeiten so wenig entwickelt werden! Man vernachlässiget sie nicht bloſs; man unterdrückt sie absichtlich. Das Kind ist geschlechtslos; warum sind wir der weiseren Natur zuvor geeilt? warum haben wir früher die Geschlechter abzusondern angefangen, als die Natur uns dazu einen Wink gab? Das Kind ist gesellig, nicht weil es durch einen besondern Trieb dazu gereitzt wird, sondern aus Bedürfniſs und um thätig zu seyn. Nicht das moralische Gefühl, welches den Menschen an seines Gleichen kettet, um sich ihnen mitzutheilen, um durch den Umgang mit An - dern das Eckige seines Charakters abzuschlei - fen und um sich durch Andere zu vervollstän - digen — nicht dieses Gefühl macht das Kind gesellig. Was kennt es mehr als sein Bedürf - niſs? Es will genährt und vergnügt seyn:219 darum ist es gesellig; es ist gesellig zum Zeit - vertreib — Wo es diese Absicht erreicht, be - findet es sich wohl; Geschlechtsunterschiede stehen, so wie moralische und geistige Eigen - schaften, mit seiner Gesellschaft in gar keiner Beziehung —
Erst um das zwölfte Jahr fangen unter dem Europäischen Himmel die Geschlechts - keime an bei dem weiblichen Theile sich zu entwickeln und nie gewohnte Unruhe, eine vorher unbemerkte Ahndung und sanfte Sehn - sucht zu erwecken. So lange sollte unter Kindern Alles bis auf die Kleidung gleich bleiben, weil die Natur es so will. Erziehung, Unterricht, Zeitvertreib können für beide Ge - schlechter einerlei seyn, weil in diesem Zeit - raume die Bildung sich mit dem Menschen beschäftigen und für die Entwickelung jener Anlagen sorgen soll, ohne alle Rücksicht auf anderweitige Bestimmungen, als auf die erste ehrwürdigste: einen Menschen nach der urkund - lichen Deutung der Natur darzustellen.
Auf diesen einzigen Endzweck müssen es alle pädagogische Bemühungen anlegen, und220 indem sie den jungen Kindern Hebammen - dienste leisten, den Spielraum für die ersten Versuche der erwachenden Kräfte erweitern, und nur nach und nach mit groſser Vorsicht es wagen, den üppigen Auswuchs zurückzu - halten, und dergestalt mittelbar den Trieben der Natur die eigentliche Richtung zu geben. Der Unterricht bedarf in diesem Zeitraum eben so wenig besondere Rücksichten auf Ge - schlechtsunterschied, als auf künftige bürger - liche Verhältnisse. Hat das Kind von diesem Allen selbst nur Ahndungen? geschweige denn Begriffe! und bleibt nicht aller Unterricht in dieser Rücksicht für dasselbe todter Buchstabe, bis nach dem Laufe der Natur Empfänglich - keit für diese Lehre sich entwickelt? Aller Unterricht muſs sich in diesem Zeitraum auf das einschränken, was der Mensch glauben, wissen und thun soll.
Warum der Unterschied zwischen weibli - chem und männlichem Unterricht, da Mann und Weib noch nicht geboren sind? Sind Spiele für Kinder das, was sie seyn könnten und sollten? Nur in unsern Tagen, als die221 Erziehungskunst einen neuen Schwung erhielt, fing man an, den groſsen Einfluſs derselben zu bemerken; allein machte man nicht, wie gewöhnlich, einen schlechten Gebrauch da - von, wenn man das Spiel zu einem allgemei - nen Unterrichtsmittel erhob? Spiele müssen nie zur Methodik werden; wohl aber können sie Anlässe zur Bereicherung des Gedächtnis - ses und zur Übung des Verstandes seyn. Wenn sie den Unterricht erleichtern, so ist und bleibt ihr Werth bloſs subjektiv. Bei Spielen der Kinder muſs jederzeit die Absicht zum Grunde liegen, sie auf eine ihrer Fähig - keit und ihrem Alter angemessene Art zu be - schäftigen. Nur dürfen die Kinder diese Ab - sicht nicht errathen; sonst ist das Spiel verlo - ren. Früh indeſs müssen Kinder angewöhnt werden, Spiel und Geschäfte zu unterschei - den, um diese achten und lieb gewinnen, je - ne aber entbehren zu lernen, wenn sie anders nicht ewig Kinder bleiben sollen. Doch war - um mehr Bemerkungen über einen Gegen - stand, der jetzt das dritte Wort unserer Schriftsteller ist, und auf allen Dächern ge -222 predigt wird! Ich kehre mit dem Vorschlage zurück, daſs so lange bis das Kind zum Mäd - chen oder zum Knaben heranreift, beide unter den Händen und der Aufsicht des weiblichen Geschlechtes bleiben sollten. Der Staat und das weibliche Geschlecht würden dabei gewin - nen. Alle Kinderschulen sollten Weiber zu Aufseherinnen und Lehrerinnen haben, weil die Natur das weibliche Geschlecht dazu mit ausgezeichneter Fähigkeit hinreichend ausge - stattet hat. Reinlichkeit, ein zur Erhaltung der Kinder so nöthiges und wichtiges Erfor - derniſs, Sanftmuth, Geduld, Ausdauer bei an - scheinend kleinlichen Beschäftigungen, Mit - theilung, Redefertigkeit, und andere zur Kin - dererziehung unentbehrliche Eigenschaften, scheinen dem weiblichen Geschlechte von Natur eigen, bei dem männlichen dagegen bloſs Kunstfertigkeiten zu seyn. Wie sich Natur zur Kunst verhält; so würde sich auch eine Kindererziehung durch Weiber gegen die jetzige verhalten. Schon gegenwärtig ist ihr Antheil groſs; was würden wir ohne ihren Beistand vermögen? O, was für eine Schule223 für Mütter mittleren Standes, wenn eine Haus - capelle weinender und heulender Kleinen ihre Geduld prüft, und die Kinderfragen heran - wachsender neugieriger, verschämter Mädchen und dreister Buben sie in Verlegenheit setzen! Jch begreife nicht, wie manches treffliche Weib so heterogene Angelegenheiten zu be - streiten vermag — Dort windet sie dem klei - nen Feldmarschall Jakob Gabel, Messer und Scheere aus der Hand; hier reiſst sie dem viel - fräſsigen Domherrn Peter schädliche Dinge aus dem Munde; bald verscheucht sie von der kleinen schlafenden Jette die Fliegen; und wie schwer ist der Wildfang Karl zu befriedigen, der von Einem Zeitvertreibe zum andern ab - springt! Wie viele Vigilien und wie viele Tageslasten sind ihr Theil und Erbe bei den ihr obliegenden Familiensorgen! — Ist nun gleich die Dame höheren Standes, die nach Landes-Sitte und Brauch das strenge Recht für sich hat, ihre Kleinen wie Findelkinder zu behandeln, bei weitem so beschäftiget nicht; ist sie es indeſs nicht immer weit mehr, als ihr geschäftiger Müſsiggänger von Gemahl, der,224 mit groſsen Kleinigkeiten und vornehmen Ge - brechen beladen, auſser der Spinnstube seines hohen Collegiums, noch so viel anderes anzu - spinnen hat, was freilich fast immer darauf hinausläuft, schlichte Dinge zu verwickeln, und den leichtesten Sachen einen Anstrich von Bedeutung zu geben! Des groſsen Staatsspin - ners! — » Doch wie? würden Weiber wegen ihrer Furchtsamkeit und aus Gefühl ihrer Schwäche die Kinder nicht noch mehr ver - zärteln, und das menschliche Geschlecht nicht noch weichlicher machen, als es gegenwärtig schon ist? » Ein Einwurf, der nicht ohne Grund zu seyn scheint; allein nichts mehr als ein Gespenst, welches unsere Einbildungskraft in Schrecken setzt, aber desto mehr verschwin - den muſs, je mehr die Weiber sich ihrem Ziele nähern. Zärtlichkeit oder eigentliche Schwächlichkeit des Körpers ist oft ein Erb - theil der Geburt, und ungleich seltener eine Folge der weichlichen Erziehung. Im letzten Falle kann die Geschicklichkeit des Erziehers im Knaben - und Jünglingsalter wieder herstel - len, was übel verstandene Zärtlichkeit im Kin -des -225desalter verdarb; da aber, wo der Keim schon kränkelt, wird die pflegende Hand der Kunst, anstatt eines Baumes, immer nur ein Zwerg - gewächs erziehen. Völlig wird jene Furcht verschwinden, wenn die Ordnung der Natur, die wir umkehrten, wieder in den vorigen Stand gebracht wird, und wir fürs erste uns entschlieſsen, das andere Geschlecht bei die - sem Geschäfte zu leiten. Schon hat man zum Theil aufgehört, das Kind in eine Puppe zu verwandeln, es in Federn zu ersticken, und, wenn es sich des einzigen Mittels seiner Lun - ge bediente, um sich aus seiner peinlichen Lage zu befreien, es mit Theriak oder einer sanften Hirnerschütterung zu betäuben; und gewiſs, man wird aufhören, Kinder der Luft und dem Wasser zu entziehen, so bald die Weiber sich selbst bei dem Einflusse dieser Elemente behaglicher fühlen werden. Schon hat man die bisherige Knabenkleidung ver - dächtig zu machen gesucht, und dem Kinder - anzuge überhaupt den Zwang vorgerückt, wo - durch der Einfluſs der Luft auf den ganzen Körper verloren geht, die Ausdünstung ge -P226hemmt, die Brust verengt, das Herz unter - drückt, Saft und Kraft — wenn gleich (was leider nur selten der Fall ist) Alles unverdor - ben auf die Welt gebracht seyn sollte — früh - zeitig erschlafft und die Maschine übereilt wird. Die tyrannische Mode! Selbst unsere Mahler und Bildhauer sind ihrethalben der traurigen Verlegenheit ausgesetzt, zu einem idealischen Costume ihre Zuflucht zu nehmen, da die Ungereimtheiten der Mode nicht bei dem Altare des Geschmackes bestehen — Eine feine Rache, welche die Natur an ihren Ver - ächtern nimmt —! Bei Gelegenheit der bür - gerlichen Weiberverbesserung wäre nichts leich - ter, als eine Kleiderordnung in physischer und moralischer Rücksicht in Gang zu bringen, sie wohlfeil, natürlich und einfach zu stellen, und diese Sache gleich fern von Übertreibung und Montirungssucht in Erwägung zu neh - men. Nur aus unverzärtelten, festen, wackern Kindern werden unverzärtelte, feste, wackere Leute! — Lasset die Weiber erst sich selbst stark fühlen, und sie werden an Leib und Seele starke Kinder leiblich gebären und geist -227 lich wiedergebären — sie zur Welt bringen und erziehen. Warum soll denn die Haut mit der Sonne in Feindschaft leben? Fehlge - schlagene Hoffnungen, Unterdrückungen, Col - lisionen sind der Geschmeidigkeit des Charak - ters, den Grazien der Sitten ungünstiger, als jenes unbiegsame Äuſsere. Vom Gefühl einer edlen Freiheit hangen Muth, Freimüthigkeit und jene umfassende Heiterkeit ab, die auch durch die finsterste Stirn bricht und auf der rauhesten Oberfläche durchschimmert — Und was gilt euch mehr: jene zweideutigen Aus - sprüche zu Delphi, oder eine unbiegsame Aufrichtigkeit? Aufrichtigkeit bahnt den Weg zur moralischen Allmacht — wogegen durch lebensartige Feinheit der Absicht ganz entge - gengesetzte Wirkungen resultiren — Je nach - dem man auf diesen oder jenen Umstand Licht fallen läſst; je nachdem thut er Wir - kung — Hat die Furchtsamkeit ihren Grund nicht bloſs in dem Gefühl des Mangels an körperlichen Kräften und in der Beschränkt - heit des Verstandes? Ein berühmter Engli - scher General bemerkte, daſs seine Trup -P 2228pen nie mehr Muth hatten, als wenn ihr Ma - gen mit Pudding und Roastbeef angefüllt war. Hunger macht feige, Mangel blöde, Unterdrük - kung verzagt. —
Die Weiber zu Sparta kannten weder Weichlichkeit noch Furchtsamkeit. Ich habe ihn für das Vaterland geboren, war die he - roische Antwort jener Spartanerin, als man ihr die Nachricht brachte, ihr einziger Sohn sei in der Schlacht gefallen.
Entwickelt sich der Unterschied der Ge - schlechter im Knaben und Mädchen, so muſs der Bürger auf den Menschen gepfropft, der Stand des Bürgers an den der Natur geknüpft, und die Vorbereitung zu mannigfaltigen unter - geordneten Bestimmungen eröffnet werden; und nun ist es Zeit zu einem sichtbaren Merk - zeichen der Absonderung der Geschlechter.
Diese Geschlechts-Einkleidung wird alle besorgliche Folgen, welche die Natur-Uniform etwa bei den Schwachen, die doch immer un - ter uns sind, erregen möchte, unausbleiblich vertilgen, Knaben und Mädchen, die als Kin - der vertraut waren, in Fremde (wenn gleich229 nicht in Wildfremde — und weshalb auch das?) umschaffen, und Alles bis auf die Rück - erinnerung ihrer ehemaligen Bekanntschaft vertilgen. Würde nicht diese Geschlechts - Einkleidung auf einmal den einzigen Unter - schied, den die Natur beabsichtiget hat, zwi - schen beiden Geschlechtern festsetzen, ohne dadurch einen bürgerlichen Unterschied her - auszubringen oder zu erzwingen, und ohne dadurch Sitten und Wohlstand im mindesten in Gefahr zu setzen? Dies wäre der Glocken - schlag, welcher Erziehung und Unterricht der Geschlechter - und Bürgerbestimmung näher bringen würde. — War nicht schon bei den Römern eine ähnliche Einrichtung in Hinsicht auf das männliche Geschlecht? und sagt nicht die Geschichte, daſs der Jüngling Vaterlands - liebe und alle groſse Eigenschaften eines Römers mit der toga virili (mit dem Manns - kleide) anlegte? Es ist eine Schande, eine Stunde länger zu leben, als man hätte leben sollen; — allein es bleibt eine eben so groſse Schande, eine Stunde früher zu leben anzufan - gen, als man dazu fähig ist — und so wieP 3230das Ende das Werk krönt, und der letzte Tag der Richter aller seiner Vorgänger ist, so sollte man gewisse Tage aussondern, und sie zu Denkmählern machen. Jener Tag der Ge - schlechtsabsonderung, der bürgerlichen Einse - gnung, würde zu diesen festlichen Tagen gehö - ren. Ganz müſste das Erziehungsgeschäft in dieser neuen Epoche noch nicht den Händen der Weiber entzogen, noch weniger ein Un - terschied in Erziehung und Unterricht zwischen beiden Geschlechtern veranstaltet werden, bis auf die Verpflichtungen, zu denen jedes von der Natur besonders berufen ward, welche, in so fern sie für diesen Zeitraum gehören, bei jedem Geschlechte durch Personen des seinigen gelehrt werden müſsten; woge - gen alles Übrige ohne Rücksicht auf diesen Unterschied, so wie die Umstände es forder - ten oder erlaubten, von Personen beiderlei Geschlechts gelehrt werden könnte. Da Mann und Weib eigentlich nur Ein Mensch sind; so kann auch selbst nach jener Ge - schlechtsabsonderung keine völlige Scheidung eintreten: Was Gott zusammen fügt, soll der231 Mensch nicht scheiden — In der Epoche, welche bei Mädchen etwa bis zum 16ten, und bei Knaben bis zum 18ten Iahre dauern könn - te, müſsten beide Geschlechter zu den bürger - lichen Bestimmungen vorbereitet und in Al - lem, was darauf Beziehung hat, ohne daſs man auf den Geschlechtsunterschied Rücksicht näh - me, unterrichtet werden. Daſs hierbei die völlige Entwickelung des Menschen nicht auf - zugeben oder nur bei Seite zu setzen ist, ver - steht sich von selbst. Würden bei dieser so - liden Einrichtung nicht mit dem mannbaren Alter beide Theile ohne Unterschied unbedenk - lich da hingestellt werden können, wo sie, dem Staate nützlich zu seyn, Anlage zeigten? Entwöhnt dem gröſsten aller Übel, der langen Weile, die mehr als der Tod zu fürchten ist, müſsten jetzt der Jüngling und das Mädchen Ge - schäfte angewiesen bekommen, wozu sie mit Neigung und Geschicklichkeit versehen sind. Ehre, Rechte und Belohnungen werden als - dann nicht ein Geschlechts-Prärogativ, son - dern Folgen des persönlichen Verdienstes. Weiber, die bisher ein Etwas ohne NamenP 4232und Rechte waren, würden auf diese Weise Personen und Staatsbürger werden. — Plato wollte die Vertheilung des Privatvermögens den Gesetzen in die Hände spielen. So viel Gerechtigkeit auch in dieser Idee zu liegen scheint, zu so vielen Ungerechtigkeiten würde sie verleiten — Das Vermögen der Weiber indeſs, wenn sie gleich ganz allein darüber zu verfügen glauben, scheint bloſs ihrer Ge - walt unterworfen zu seyn; denn eigentlich sind Männer die Eigenthümer desselben, die mit diesem Kreuz, das sie wohlbedächtig in Hän - den behalten, sich zu segnen nicht ermangeln. Wie viele Kassen-Defraudationen hier vorfal - len, liegt am Tage. — Bloſs der Entschluſs der Weiber, sich dem Staate nicht entziehen zu wollen, setzt sie in das Eigenthum ihres Vermögens, und sie werden nur sich selbst nöthig haben, um zu denken und zu handeln. » Er beleidigte nicht mich, sondern den, für den er mich ansahe, » sagte König Archelaus, als man ihn auf der Straſse mit Wasser begos - sen hatte; — und so wird das andere Ge - schlecht sich oft erklären müssen, und sich gern233 erklären, ehe jene Grundsätze, es ehren zu wollen, weil ihm Ehre gebührt, zur Gewohn - heit geworden sind.
Die Physiokraten halten in ihrem System die producirende Klasse der Staatsbürger für die nützlichste, und da für den Staat der Nut - zen das Einzige ist, was die Rangordnung der Bürger bestimmt; da dieser Nutzen die Bür - ger klassificirt: wie wollen wir denn eine gan - ze Hälfte des menschlichen Geschlechtes, wel - che an der Hervorbringung und Fortpflanzung desselben den wesentlichsten Antheil hat, von der Bürgerehre ausschlieſsen? und da wir sie schon ohne Urtheil und Recht willkührlich aus angestammter Machtvollkommenheit aus - geschlossen haben, ihnen die Wiedereinsetzung in den Paradiesstand verweigern? Werden sie nicht, gehörig dazu vorbereitet, mit Ehren rathen, helfen, fördern in allen Staatsnöthen? Bis jener hingeworfene Umriſs einer neuen Ordnung der Dinge in seinem ganzen Umfan - ge in der bürgerlichen Gesellschaft eingeführt werden kann, öffnet, Männer! der jetzigen weiblichen Jugend je eher je lieber unsereP 5234Educations - und Lehranstalten, und erlaubt ihr, an der Erziehung und dem Unterrichte, so wie er hier gelehrt und gelernt wird, Theil zu nehmen, ohne euch von der Furcht vor nachtheiligen Folgen abwendig machen zu las - sen. Prüft jene hämischen Alltagszweifel: es wird Anstoſs, Aufsehen, Ärgerniſs geben, es wird nachtheilige Folgen haben; — prüft, und ihr selbst werdet sie unentscheidend finden. Man kann sich vor der Furcht, und auch vor der Hülfe fürchten. Soll eine verwerfliche Einrichtung der Dinge, und wenn sie tausend mahl tausend Jahre gewährt hätte, auch bei dem unbehaglichen Gefühl des Nachtheiligen, bei der gewissen Aussicht einer besseren Zu - kunft, darum noch ungestört fortdauern, weil ihre Abänderung mit Schwierigkeiten, vielleicht mit anscheinend bedenklichen Folgen, verknüpft seyn kann? Wäre je in der Welt etwas Groſses unternommen worden, wenn wir das Für und Wider so ängstlich abgewogen hät - ten? Wäre der Mensch da, wo er gegenwär - tig ist, hätte er je so merkliche Fortschritte gethan, wenn er, nach der Weise des Ele -235 phanten, ehe er den Fuſs weiter fortbewegt, ängstlich untersucht hätte, ob der Boden, den er betreten wolle, auch fest sey? — Anstoſs! Wie man dies Wort von weitläuftigem Bedeu - tungsbezirk nimmt. Unsere symbolischen Vor - fahren hätten gewiſs den schrecklichsten An - stoſs genommen, wenn in einem Erziehungshause Kinder mit und ohne Vorhaut zusammen ge - kommen wären, um an allerlei Unterricht Theil zu nehmen. Welchen Nachtheil für das Christenthum würde man befürchtet haben, wenn ein Abkömmling des Stammes Juda mit dem Sohne eines General-Superintendenten aus dem blinden Heiden Cicero Menschen - und Bürgerpflichten gelernt hätte! Und wer kennet nicht Staaten, wo dies ohne das leise - ste Geräusch der Eiferer bewirkt wird, und ohne daſs die Grundfesten des Christenthums auch nur die mindeste Erschütterung be - fürchten?
Die Sittlichkeit würde Gefahr laufen!
Wie denn das? Werden nicht schon jetzt Mädchen und Jünglinge von einem und dem - selben Geistlichen, zu einer und derselben Zeit,236 auf eine und dieselbe Art in der Religion un - terrichtet? Die Anstalt ist schon da; sie darf nur ausgedehnt werden. Und was kann uns behindern, die, denen wir in der Kirche glei - che Rechte mit uns einräumen, in die Bür - gergemeinschaft aufzunehmen? Werden Mäd - chen und Knaben durch gemeinschaftlichen Unterricht zu Christen vorbereitet, warum sol - len wir sie nicht gemeinschaftlich zu Bürgern erziehen? Sollte denen, welchen die erforder - liche Anlage zu Himmelsbürgern zugestanden wird, der Beruf zur Staatsbürgerschaft abge - sprochen werden? Warum leiden in dieser Gemeinschule die Sitten nicht, obgleich der Religionsunterricht in Jahren ertheilt wird, wo der Geschlechtstrieb äuſserst reitzbar ist? Sind die Schüler und Schülerinnen dort nicht eben so wie hier unter Aufsicht? wird ein kluger Lehrer und Erzieher den Veranlassungen zur Erwek - kung des Geschlechtstriebes nicht überall ge - schickt auszuweichen wissen, und jede Belehrung über die künftige Bestimmung seiner Zöglinge so einzulenken verstehen, daſs die Folgen nicht schädlich, sondern segensreich ausfallen?
237Wird das andere Geschlecht unseren Er - wartungen entsprechen? wird es unsere Bemü - hung lohnen?
Wir wollen also erndten und uns der Mü - he überheben, zu pflanzen? Auf welche Art werden wir uns von der Tragbarkeit des Bo - dens versichern, wenn wir ihn nicht anbauen? Hat denn nicht bis itzt jeder Boden dieser Art den auf ihn verwendeten Fleiſs gelohnt? und dürfen wir hier einen andern Erfolg be - fürchten, wenn wir es unserer Trägheit nur abgewinnen können, einen ernstlichen Versuch anzustellen? In Alles was die Natur hervor - brachte, legte sie Keime, die nur einer Ver - anlassung bedürfen, um entwickelt zu werden. Würden nicht die Weiber jedem bürgerlichen Stande, zu welchem man ihnen Zutritt ver - gönnte, Ehre machen? Und welches bürger - liche Geschäft könnte, so lange sie durch ih - re besondere Geschlechtsbestimmung nicht dar - an behindert würden, unter ihren wohlwollen - den Händen sich schlechter befinden? Müſste das Ganze wegen des Wetteifers, der zwi - schen beiden Geschlechtern entstehen würde,238 nicht unendlich gewinnen? Nicht die Nym - phe Egeria, welche Numa selbst, nicht Py - thia, welche die Helden des Alterthums um Rath fragten, wenn sie Gesetze geben, wenn sie Länder erobern wollten, nicht die Aspa - sien und Phrynen, zu denen ein Perikles, ein Sokrates in die Schule ging, um Weisheit und Regierungskunst zu lernen — sollen sich hier der Beispiellehrstühle bemächtigen. Jene hat die Fabel in ein ätherisches Gewand gehüllt und sie unserm Auge zu weit entrückt, als daſs wir sie noch ferner dem Geschlechte zum Vortheil anrechnen könnten, ob sie gleich sei - nen Namen führen und keine Fabel ohne Wahrheits-Ingredienz anfängt und vorhanden ist — So hieſs der Grosoncle eines von den weltberühmten Lügnern neuerer Zeit, Josephs Balsamo, der sich Graf Cagliostro nannte: Cagliostro — Lauter Lügen halten so wenig zusammen, daſs nie etwas Vernünftiges, etwas Ganzes herausgebracht werden kann — Will man den poëtischen Tugenden jener weibli - chen Heldennamen keine Glorie und keinen Ehrenschein einräumen — immerhin! wir ha -239 ben auch prosaische Beispiele, um auſser Zwei - fel zu setzen, daſs, ungeachtet das weibliche Geschlecht (wenn gleich nicht durch ein förm - liches Gesetz, so doch durch ein stillschwei - gendes Übereinkommen, welches oft noch grausamer und drückender ist) von der Stoa, der Akademie und dem Prytaneum entfernt gehalten wurde; ungeachtet man den Weibern die Schulen des Unterrichtes und der Weis - heit verschloſs, sie dennoch Gelehrte und Weise unter sich aufweisen können, die ihre Namen durch Thaten und Schriften unsterb - lich gemacht haben. Es würde nicht schwer fallen, in vielen Fächern des weitläuftigen Gebiets menschlichen Wissens und menschli - cher Kunst weibliche Namen aufzufinden, die sich einen Anspruch auf Achtung und Ruhm erwarben. Schon erwies ich einigen in so weit Gerechtigkeit, als sie sich durch groſse Eigenschaften auszeichneten. Wohlan! die Geschichte mag auftreten, und uns bezeugen, welchen wichtigen Antheil das weibliche Ge - schlecht an der Ausbreitung der christlichen Religion nahm, und wie groſs in dieser Rück -240 sicht sein Verdienst um Sittlichkeit und Auf - klärung ist! Der Stifter dieser wohlthätigen, die Rechte der Menschheit vertretenden und menschenfreundlichen Religion (die sich so himmelweit von jenen heidnischen Culten un - terscheidet, welche über die Götter die Men - schen vergaſsen, und eben so von den Jüdi - schen, die den Menschen durch äuſseren Zwang allmahlich zum Geiste der Tugend gewöhnen wollten, aber das Volk, bei der besten Absicht seines Heerführers Moses, in der Wüste der Heuchelei und der Äuſserlichkeit lieſsen, ohne daſs es je das moralische Kleinod erreichte, wozu diese Umwege es anlegten) unterrichtete die Schwester seines Freundes Lazarus, und gab der Maria vor der bloſs häuslichen Martha den Vorzug: Maria hat das beste Theil er - wählt, das nicht von ihr genommen werden soll. Die Geschichte der Apostel gedenkt ei - ner frommen Tabea, die sich nicht nur durch ihren Wandel unter den Neubekehr - ten auszeichnete, sondern auch thätigen An - theil an der Ausbreitung der Lehre nahm, die sie angenommen hatte. Nennet die Kirchen -ge -241geschichte nicht eine Menge von Weibern, die mit Heldenmuth ihren Glauben bekannten, und sich weder durch Martern noch Verhei - ſsungen in ihrem Bekenntnisse wankend ma - chen lieſsen? die bei dem Verzicht auf alle Hoheit, auf Ehre und Überfluſs, unter Verach - tung, Hohn, Mangel und Verfolgung ihrer Überzeugung mit unerschütterlicher Standhaf - tigkeit anhingen? Der Stifter der christlichen Religion bewundert so oft das gläubige Zu - trauen des andern Geschlechtes zu seiner Leh - re, und hat dasselbe so wenig von der Theil - nahme an den Vorzügen der vernünftigen lau -〈…〉〈…〉 eren Milch seines Unterrichtes ausgeschlossen,[d]aſs er es vielmehr mit auf die Erhebung des -[s]elben und auf Befreiung von den Ketten, die es trug, angelegt zu haben scheint. Und in der That, wenn diese Religion in ihrer reit - zenden kindlichen Gestalt erscheinen will — zeigt sie sich nicht in Kindern und ihren Pfle - gerinnen, den Weibern? Weibliche Herzen sind, wenn ich so reden darf, mit den Leh -[r]en dieser Religion gleichsam amalgamirt; denn in Wahrheit, die höchste Stufe derQ242Menschheit ist nicht speculirende Vernunft, nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst, eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un - bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann aber auch ein Gift für den erhitzten Wande - rer werden: Das Schwert, das uns beschützt, wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä - ſsigen und von dem höchsten Grade dersel - ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu - le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke, die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent - liche Christen werden, und Selbstrache, Blut - vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe - weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge - schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu wollen und zu thun, wenn das so leicht aus - zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt —243 Ich mag diesem Gegenstande wohlbedächtig nicht näher treten — — —
Überall wo Genieflug und Kunstfleiſs der Menschen hinreicht, treffen w[ir]Weibernamen an, die um den Preis ringen. Es sind nicht Weiber, die auf einem ganz entgegen gesetz - ten Wege ihre Eitelkeit zu befriedigen such - ten, weil sie auf dem geschlechtsüblichen nicht fortkamen; sondern solche, die, von ihrem Geiste getrieben, jene Kräfte anlegten, welche die Natur ihrem Geschlechte so reichlich und täglich gespendet hat. Welch eine ehrenvolle Stelle nimmt Anna Comnena unter den By - zantinischen Geschichtschreibern ein! Die groſse Tochter Heinrichs des Achten, die Eng - land nicht durch das Parlament regierte, son - dern deren Wink für dieses, Staatsgesetz war, vor der es die Knie beugte, die, wenn sie gleich nicht den stolzen Philipp so doch seine unüberwindliche Flotte überwand, hat eine ihr würdige Geschichtschreiberin an der Keraglio gefunden. In den Jahrhunderten der Unwis - senheit, wo tiefe Mitternacht die Völker Eu - ropens von Einem Ende bis zum andern be -Q 2244deckte, wo alle Sehnen des Geistes völlig ab - gespannt waren, versuchte es die Nonne Ros - witha, das heilige Feuer der Gelehrsamkeit wieder anzuzünden. Die Dacier und die Reiske thaten sich durch Sprachkenntnisse her - vor; und wie viele machten sich nicht in England, Frankreich und Deutschland durch Schriftstellertalente berühmt? Wem sind die Namen einer Macaulay, einer Genlis, einer Sevigné, einer la Roche unbekannt?
Weiber entdeckten nichts, erfanden nichts. Es gab unter ihnen keinen Newton — kei - nen — — —
Und warum? war es nicht ein Ungefähr, das von Anbeginn unter Menschen Erfindungen zu Stande brachte? Schien nicht die Natur bei allen menschlichen Erfindungen sich den Haupttheil zu reserviren? legte sie nicht dies beste Brot vor das Fenster? Wurden jene Entdeckungen und Erfindungen nicht den Er - findern und Entdeckern in die Hand gespielt? Lag es an Weibern oder an der ihren verwei - gerten Gelegenheit, wenn sie hier zurückblie - ben? — Man räume ihnen Kanzeln und Lehr -245 stühle ein, und es wird sich zeigen, ob sie (der schuldigen Achtung für Paulus unbescha - det, welcher nicht will, daſs die Weiber in der Gemeine sich sollen hören lassen) nicht eben so gut unsere Überzeugung zu gewin - nen wissen. Ohne allen Zweifel werden sie sich einen noch leichteren Zugang zu un - serm Herzen bahnen. Schon sind uns hier die Quäker mit ihrem Beispiele vorgegangen. Die Predigten der Weiber würden sich zu den Predigten vieler unserer Seelen - wächter sehr oft verhalten, wie die von Bour - daloue zu denen von einem Stümper seiner Zeit: Wenn dieser predigte, ward gestohlen; wenn jener auftrat, ward wiedergegeben. So wie es bei Körpern eine Ansteckung giebt, so auch bei Gemüthern und Seelen; und wenn es allgemein nicht unrichtig ist, daſs schon in den Augen Tod und Leben liegt, und daſs gewisse Leute vermittelst derselben beides, tödten und lebendig machen, können: so ist dies besonders der Vorzug der Weiber — Die ganze Zauberei scheint sich aus den Au - gen herzuschreiben — Auge und Athem sindQ 3246die Seelenvocale der Liebe und des Hasses; und wer versteht die Augensprache besser als die Weiber? Sie können vermittelst derselben lange Reden im Zusammenhange halten; und wer ist, der von dieser Beredsamkeit nicht ein Zeugniſs abzulegen im Stande wäre? — Sind es aber bloſs die Augen, die bei den Weibern reden? Das ganze Leben der Weiber beste - het mehr im Reden als im Handeln: ihre Re - den sind gemeiniglich Handlungen; und wenn wir einen Mann verachten, dessen Leben eher ein Lexikon als eine Geschichte vorstellt, so ist dies nicht der Fall bei dem schönen Ge - schlechte, das gewaltiglich spricht — Das Leben eines Weibes würde ein Conversations - Gemählde seyn — wie bewunderungswerth ist es, selbst in anscheinend unwichtigen, oder so genannten Nebenfällen! Was Weiber sagen, flieſst oft weit mehr aus ihrem Herzen, als das, was Männer thun; und so haben ih - re Reden für den denkenden und empfinden - den Menschen auch oft mehr Interesse, als viele Handlungen der Männer. Durch Reden kann man, wenn ich mich so ausdrücken247 darf, seinem Gedankengemählde ein gewisses Colorit mittheilen; und wie viele Nüancen giebt es hier, wenn man bloſs bei seinem Herzen Unterricht nimmt! Man sollte fürch - ten, daſs Weiber, an Toiletten gewöhnt, ihre Gedanken und Empfindungen an diesem Altar durch Putz verderben würden. Nein! diese Seelen-Toiletten überlassen sie gern unserm Geschlechte — Selbst wenn viele unter ihnen von Amts - und Geschlechtswegen Musterkar - ten des modischen Putzes und der gäng’ und geben Hofeitelkeit werden müssen, verändert ihr Ausdruck nicht seine Natur; Milch und Honig bleibt ihre Rede. — — Heiſst Genie Weisheit? Wörterkram und Sophisterei Ver - nunft? Alles was nicht auf gesunden Men - schenverstand und moralische Religion berech - net werden kann, ist nicht wahre Weisheit und ächte Vernunft. Falsche Perlen und Glanzgold, womit Weiber ihren Körper schmücken, überlassen sie in Hinsicht des Geistes den Männern — Die tiefste Wahrheit kann in eine Volks-Idee gekleidet werden, und eine Wahrheit, die kein Sokrates in dasQ 4248gemeine Leben bringen kann, ist nicht vie[l]mehr als Sophisterei, womit man seinen Kopt nicht verderben und sein Herz nicht verfül - schen sollte — Weiber sind geborne Prote - stantinnen, und haben die Religion der Frei - heit, die Anweisung Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten. Bei dem systemati - schen Gerüste der Religionslehren finden sie kein Interesse, und schwerlich werden sie je durch Doktorhüte in der Gottesgelahrtheit ge - reitzt werden. Sie legen es nicht darauf an, Gottes Existenz zu erweisen; vielmehr sind sie dem Neumonde von Philosophie anver - wandt und zugethan, der den unerweislichen Gott für ein Postulatum der Vernunft erklärt, weil er zu unserer Glückseligkeit nothwendig ist. » Wer gewisse Dinge erweisen will, » sag - te Frau v. **, » zweifelt entweder selbst, oder will den Zweifeln Anderer mit Höflichkeit zu - vorkommen. » Ein theures wahres Wort —! Das Minimum von Glauben, ein Glaubens - Senfkorn, und die Vorstellung von der Mög - lichkeit der Existenz Gottes, ist hinreichend, um Alles aus uns zu machen, was aus uns249 gemacht werden kann, und unsere Tugend menschenmöglichst untadelhaft und rein dar - zustellen in der Liebe — Der Zweifel ande - rer, besonders in gutem Geruch stehender, klu - ger Männer verwickelt oft wider Denken und Vermuthen (könnte man nicht sagen: wider Verstand und Willen?) in Zweifel — Weiber haben Gott im Herzen; und da sie wohl wis - sen, daſs wegen der zweckvollen Einrichtun - gen der Natur die Grundursache als verstän - dig gedacht werden muſs: so kümmert es sie nicht, wie viel oder wie wenig die speculative Vernunft zu diesem Glauben beitrage. Der moralische Beweisgrund (er verdiene den Eh - rennamen Beweis oder nicht) wirkt in ihnen einen lebendigen Glauben. Wie viele haben Gottes Existenz tapfer demonstrirt und durch ihr Leben diese Demonstration noch tapferer widerlegt! — Seinen Willen thun, bleibt der beste Beweis, daſs er sey. Das gröſste Pro - blem ist, den Menschen den Willen beizule - gen; an Einsicht fehlt es ihnen weniger. Franklin, ein Mann, deſsgleichen weder das Griechische noch das Römische Alterthum auf -Q 5250zuweisen hat, sagte: » Gäbe es einen Gottes - leugner, er würde sich beim Anblick von Philadelphia, einer so wohleingerichteten Stadt, bekehren; » und die Erde, diese groſse Stadt Philadelphia, sollte so viel nicht über den Gottesleugner vermögen, so bald er aufhört, Alles nach seiner eigenen kleinen Elle zu mes - sen? Nicht auf unsere Meinungen, sondern auf das kommt es am Ende an, was diese Meinungen aus uns machten. — — Das Glück der Unschuld, die Würde der Natur, der Drang nach Freiheit, die Freude eines stillen Lebens, der hohe Werth der Kunst sich in sein Schicksal zu finden, sind Haupt - gegenstände der Weiber. Wie man aus dem Umgange den Menschen kennt, so bestimmen seine Lieblingsgegenstände seinen Verstand und seinen Willen — Jene Verschiedenheiten des Ausdrucks, jenes Zurückhalten, ist bei Wei - bern nicht wie bei uns Heuchelei; um Alles würden sie gewisse Dinge nicht sagen, einer gewissen sittlichen Reinheit der Sprache nicht ungetreu werden, und in plumpe Zweideutig - keiten und Zoten fallen, wenn auch diese251 Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit der Keuschheit der Seele und der Sprache in genauer Verbindung — Weiber kennen so wenig die Regeln als die Gränzen der Spra - che, überschreiten die ersteren, und erweitern die letzteren — Wie manche glückliche Be - reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä - ſsige kann im Geschlechte gar nicht aufkom - men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich — Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen; keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti - culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo - durch Menschen tief in das Herz der Men - schen dringen, sind unüberwindlich —: allein, wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich sprechen! — Jene sprachlose Beredsamkeit kann weiter Niemand als sie auf Worte brin - gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts, wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat. In den Worten der Weiber, auch wenn sie überflieſsen, liegt Absicht, Gewicht und Nach -252 druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod, Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören ist von der äuſsersten Bedeutung — Sie hören anders als wir; und wer kann den Einfluſs leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be - hauptet? — Ich kenne einen schwer beamte - ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht, daſs er alle Menschen höre; auch hört er wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer hören lassen will: und doch klagt alle Welt, daſs er nicht höre; — entweder ist er zer - streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt eine moralische Taubheit bei dem besten phy - sischen Gehör — Man kann gütig und ge - recht, unfreundlich und zuvorkommend hö - ren — Der schüchterne bescheidene Jüng - ling zieht aus dem geneigten Gehör seines Beschützers Muth und Leben, und man kann abhören, anhören, aufhören, aushören und beim Hören in eine Art von Horchen fallen, welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen -253 heit, wo nicht gar in Verwirrung, setzt — Weiber sind Meisterinnen in der Kunst zu hören, Original-Hörerinnen, und ich weiſs nicht, ob sie im Hören oder im Sprechen stärker sind. Es ist leichter, mit dem Publi - co, als mit dem Cirkel fertig zu werden, worin man lebt, wenn dieser Cirkel aus wit - zigen Weibern besteht; und nicht der Män - ner, sondern der Weiber halben bleib’ ich anonymisch, so sehr auch meine Schrift den Weibern das Wort zu reden scheint. —
Die Weiber sind viel zu sehr Kenner des menschlichen Herzens, als daſs sie nicht wis - sen sollten, auch die verborgensten Falten desselben auszuspähen, Leidenschaften zu er - regen oder dem Ausbruche derselben zuvorzu - kommen. Wer weiſs mehr als sie, ihre Wuth zu besänftigen, je nachdem es ihre Ab - sichten erfordern! und gewiſs würde es ihnen auf dieser Bahn besser glücken, als den be - rühmtesten Demagogen. Rom würde vielleicht bald nach seiner Entstehung wieder in sein voriges Nichts zurückgefallen seyn, wenn die neuen Römerinnen sich nicht ihrer Räuber254 angenommen, und die entrüsteten Sabiner be - ruhigt hätten. Was wär’ aus Coriolan’s Vater - stadt geworden, wenn die Mutter den Sohn nicht besänftigte? Ohne den Römischen Stolz und die edle Aufforderung eines Weibes (Margarethe Herlobig) wäre der Schweizerbund vielleicht nie zu Stande gekommen — Die Überredungsgabe eines Weibes übertrifft Al - les, was Kunst je geleistet hat. Und ihre Lehrmethode? In Wahrheit, Weiber sind äuſserst lehrreich: sie sind so groſse Lehre - rinnen, als Erzieherinnen. Wer Weiber bloſs auf Gefühle und Empfindungen reducirt, kennt weder Gefühle, noch Empfindungen, noch die Weiber. Oder wie? lehrt das Herz etwa den Kopf? verleihet das Gefühlsvermögen dem Er - kenntniſsvermögen evidente Gefühle zum Ver - gleichen und zum Entscheiden? Stammt das moralische Gefühl, wenn es anders ein wirk - liches Etwas seyn soll, nicht aus der Ver - nunft? Muſs nicht der Kopf dem Herzen Grundsätze so eigen machen, daſs es die Ach - tung für das Gesetz als Gewohnheit, als Ge - fühl ansieht? — Das Herz, unbelehrt von255 der Vernunft, kann wenig oder nichts ausrich - ten; es muſs geistisch gerichtet seyn — Wenn der Philosoph, der Wortführer der Vernunft, nicht wäre; was würde der Dichter, der sich nach dem Haufen richten und selbst zu Volks - unarten sich herablassen muſs. Gutes stiften? Der Dichter muſs seine Weihe im Tempel der Vernunft erhalten und die süſsesten Ge - fühle an Grundsätze knüpfen, wenn er un - sterblich seyn will. Weiber verstehen jene Chemie, die man die höhere nennen könnte, Grundsätze in Gefühle aufzulösen, und das, was der theoretische Hexenmeister der Philo - sophie in schweren Worten ausdrückt, zur Leichtigkeit einer Gewohnheit zu bringen — Weiber haben Sitten, Männer Manieren: diese werden durch Erziehung erworben, durch Nachahmung erlernt, durch Umgang mitge - theilt; jene hangen von Herz und Vernunft ab. Man sagt: Weiber wären kärglicher in ihren Wohlthaten, und an sich und von Na - tur geitzig. Nicht also; ihre Neigungen des Wohlwollens entstehen aus Grundsätzen, nicht aber aus dem vorübergehenden Rausche256 des Mitleidens, wie es sehr oft bei uns der Fall ist. Seht! wie schön wissen sie selbst bei angestammter Etiquette, bei den patenti - sirten Manieren noch zu modificiren! Auch sogar bei der Liebe halten sie sich nicht an das Formular und an die Agende — Wir ha - ben unsern Kubach, und alles ist in bekann - ter Melodie — Von Weibern könnte man sogar sagen: sie lieben insgesammt, doch jede liebet anders. — Zur Hoffnung haben sie eine auſserordentliche Anlage; überall wollen sie Aussicht: ein Garten, der sie ihnen raubt, ist ihnen ein Gefängniſs — Die gnädige Frau ist in guter Hoffnung, heiſst: sie wird bald Mutter werden —. Wir wollen alles fröhlich um uns haben, wenn wir es sind, und legen diese Fröhlichkeit unserm Cir - kel so nahe, daſs, er mag wollen oder nicht, er einstimmen muſs — Weiber machen Al - les fröhlich, wenn sie es sind. Alle ihre Fe - ste sind Erndtefeste, Laubhüttentage, welche die Natur geheiligt hat; bei den unsrigen wer - den Kanonen gelös’t — sie können sich ohne Tafelmusik behelfen. (Der leibliche, geistli -che257che und ewige Tod aller Unterhaltung.) An Gott denken, heiſst ihnen Andacht; — an sich denken, heiſst ihnen sterben lernen, und philosophiren sich verlieben; und wer so denkt der denkt wohl! — wer so handelt, ist nicht auf unrichtiger Bahn —
Sprachen sieht man nicht ohne Grund als den Schlüssel zu dem Magazin aller Kennt - nisse und alles Wissens an, und eine jede Sprache, die wir erlernen, ist ein Schatz des Wissens, den wir fanden. Sprachen zu leh - ren, wird ein besonderes Talent erfordert, wel - ches seltener das Theil und Erbe der Män - ner, als der Weiber, ist. Unsere zeitherige Schulmethode Sprachen zu lehren, ist gewiſs nicht von Weibern erfunden; denn kaum wür - den diese mit der Grammatik den Anfang ge - macht haben. Seht da den Lehrer, der es sich Lastträgermühe kosten läſst, Kindern be - greiflich zu machen, warum der Römer die Wörter in seiner Sprache so und nicht an - ders auf einander folgen lieſs! seht da den Schüler, der etwas begreifen soll, das schlech - terdings unbegreiflich ist, so lange er nichtR258weiſs, wie die Römer ihre Sprache redeten oder schrieben. Bleibt die Kunst eine Spra - che sprechen zu lehren, nicht vorzüglich den Weibern eigen? und sollte ihnen nicht der Sprachunterricht ausschlieſslich überlassen wer - den? Gedächtniſs, Einbildungskraft, und ein gewisser Geist für das Detail scheinen, wenig - stens so lange sie wie jetzt sind, vorzüglich ihr Eigenthum zu seyn. Giebt es viele Bei - spiele, daſs man bei einem Sprachmeister die Französische Sprache mit Fertigkeit sprechen lernte? Wer nicht ihretwegen eine Reise nach Frankreich that, lernte sie von Mutter oder Gouvernantin. Kaum hat der Mann an - gefangen, Materialien zu begreifen und anzu - fassen, so will er schon zusammen setzen, generalisiren, Capitalien machen; — allmählich zu sammeln, dauert ihm zu lange. —
Wer kann den Weibern ein gewisses Kunstgefühl absprechen? und scheint nicht weniger der Mangel an Anlagen, als ihre zeit - herige Lage, Schuld zu seyn, daſs sie so we - nig Vorzügliches in den schönen Künsten und Wissenschaften leisteten? An dem reitzenden259 Schauspiele ringender, wenn gleich oft auch unterliegender, Kräfte ist uns zuweilen mehr, als an der Entscheidung und an prahlenden Siegen gelegen; und schlummert nicht zuwei - len auch selbst der groſse Homer? Werden nicht selbst sehr wache Augen vom Schlaf überwunden? schläft nicht zuweilen Brutus? Schöne Künste und schöne Wissenschaften erfordern einen weiten Spielraum, leiden keinen drückenden Zwang, und gedeihen nur da, wo der Geist, sich keiner Fesseln be - wuſst, das Gebiet der Einbildungskraft, jenes Reich der Unsichtbarkeit, durchkreuzen kann. Auch bei der gröſsten Empfänglichkeit für schöne Formen und Gefühle, auch bei der glücklichsten Organisation, wird, so lange der jetzige Druck dauert, nichts Groſses, nichts Vollendetes das Theil der Weiber seyn; eben so wenig wie der Griechen, die bei den nämlichen Anlagen, bei dem nämlichen mil - den Himmel, nie etwas, den unerreichbaren Meisterstücken ihrer Vorfahren Ähnliches her - vorbringen werden, so lange ihr Nacken noch in das eiserne Joch der Türken eingezwängtR 2260bleibt. Wie wär’ es möglich, daſs das weib - liche Geschlecht, so lang’ es im Käficht ein - geschlossen ist, und ein schnödes Vorurtheil seine Flügel lähmt, sich in die höheren Regio - nen aufschwingen sollte? Die Seele pflegt schwach zu seyn, wenn der Leib es ist, und Sklaverei erlaubt ihren Gefesselten keinen Flug eine Spanne hoch über die Erde. Doch zeigten Einige, daſs sie Eines Geistes Kinder mit Männern wären; und irre ich mich, oder ist es gewiſs, daſs sie weniger nach jedem Fünkchen eines fremden Lichtes haschten, um es aufzufangen, als wir? Mit geübterem Ver - stande, mit geschärfterer Empfindung, mit rei - cherer Phantasie, mit festerem Charakter, wer - den sie reifere Früchte bringen, und in dem Felde des Schönen, auf das sie ohnehin schon unleugbare Ansprüche haben, Thaten thun — werth der Unsterblichkeit. Man klagt nicht ohne Grund: alle Oberideale wären mit dem Heiden - thume verloren gegangen; und da die ins Gro - ſse gehende Kunst ohne Ideale nicht bestehen könne, so schiene es, als ob unsere Dichter und Künstler sich nicht über die gemeine und261 wirkliche Natur zu erheben im Stande wä - ren. — Vielleicht ist es dem schönen Ge - schlechte vorbehalten, sich hier neue Bahnen zu brechen, und mit neuer verjüngter Einbil - dungskraft zu schaffen was verloren ging, ohne dem Segen der gröſseren und heilsameren Wahrheit der christlichen Religion, welche für alle jene Ideale durch ihren weisen und beglückenden Einfluſs entschädiget, zu nahe treten zu dürfen.
Unser Geschlecht hat Gelegenheit, so viel von der Prosa der wirklichen Welt kennen zu lernen, und dünkt sich, die Wahrheit zu gestehen, in derselben so gewaltig viel, daſs es nicht umhin kann, der wirklichen Welt, so herrlich und schön sie auch ist, keinen poëtischen Stoff zuzutrauen. Unzufrieden mit Menschen, spricht es: » Laſst uns Götter schaf - fen, ein Bild, das uns gleich und doch Gott sei! » — Und da wird? Seht doch, seht! ein Himmel voll Ganz - und Halbgötter, alle zu - sammen nicht werth einen einzigen wackern Kerl abzugeben. An den himmlischen Harem mag ich gar nicht denken, der gewiſs nochR 3262weit weniger ein einziges braves Weib auf - wiegt — Wozu der Götterunrath? — Mähr - chen, sie mögen nun Volks - oder Helden - und Staatsmährchen seyn, gehören, sagt man, für das Kinder - und Greisenalter; wer wird in - deſs diesen Spielen der Einbildung nicht gern Gerechtigkeit erweisen, wenn sie zum Ernste der Wahrheit leiten, und von der Vernunft die vollzähligen Weihen erhalten haben? wer die Imagination nicht ehren, wenn sie bei al - len ihren Avantürier-Eigenschaften ein Spröſs - ling der Vernunft ist? — Nur thut unser Ge - schlecht zu oft so äuſserst nothgedrungen, eine Abschweifung in das Reich der Möglichkeit machen zu müssen, obgleich von der lieben Wirklichkeit noch so viel in Rückstand ist; — nur will es zuweilen höchst unzeitig die Einfälle aus dem Reiche der Einbildung zu Gesetzen in der Sinnenwelt, die vor uns liegt, tausendkünsteln; nur macht es sich kein Ge - wissen daraus, die hehre und mächtige Reli - gion der Vernunft, welche sich bescheidene Flügel beilegt, mit aller Gewalt zu überflü - geln und, ohne sich mit ihr und der Volks -263 religion zu berechnen, bloſs auf Vergnügen auszugehen, wo sich doch die Vernunft ihren Aufsehersitz und ihre Stimme nicht nehmen läſst. Hier ist Stoff zum neuen Himmel und zur neuen Erde. Und sag’ ich zu viel, wenn ich behaupte, daſs dem andern Geschlechte hier noch ein Richtsteig vorbehalten ist und Palmen, die nicht etwa im dritten Himmel zu brechen sind, wo man zu unaussprechlichen Worten entzückt ist — sondern nicht fern von einem Jeglichen unter uns. — Genug, wenn seine Dichtkunst das Herz nicht verfehlt, wenn sie von Herzen kommt und wieder zu Herzen geht. — Was soll ein wildes Feuer? Ein heiliges ist sein Ziel. Nie wird es sich erlauben mehr anzulegen, und wär’ es Cedern - holz, als nöthig ist, und um die Wette wird seine Dichtkunst mit der Cultur, Leidenschaf - ten zu lenken und zu zähmen sich bemühen — der edelste Beruf der Vernunft und der Dichtkunst! Grundsätze, welche die Vernunft im Allgemeinen lehrt, macht Dichtkunst durch treffende Beispiele anschaulich. Wovon die Vernunft innerlich überzeugt ist, das stellt dieR 4264Dichtkunst in Lebensgröſse unsern sittlichen Augen dar, und bringt ein unaussprechliches Vergnügen zu Stande, das einzige, das wir durch kein Opfer erringen dürfen — und das immer mit in den Kauf geht! — Wie? die - ser heilige Geist sollte nicht über das andere Geschlecht ausgegossen seyn? diese Gaben hätt’ es nicht empfangen? O, ihr Kleingläubigen! — als ob der Pegasus bloſs für Männer wäre! Dies so überaus gute Thier, das sich so viel gefallen läſst, sollte keinen Quersattel vertra - gen? Sollte dieses Vorurtheil nicht zu über - siebnen seyn? Allerdings. Wie herrlich sind jene weiblichen Explosionen, die Lieder der Liebe der Sappho, die selbst auch in Deutsch - land mehr als neun Schwestern hatte, von de - nen eine der vorzüglichsten (Karschin), nach - dem ihr der Dichter Friedrich II vier Gul den verehrt, und Friedrich Wilhelm II, der kein Poët ist, ein Haus hatte bauen lassen, unlängst zu ihrer älteren Schwester heimging. — Darf ich mehr als Elisen nennen, um ih - rem Kopf und ihrem Herzen den Rang beizu - legen, der beiden gebührt — und der durch265 eine exemplarische Bescheidenheit noch ’mehr gewinnt? — Angelika Kaufmann, die Schöp - ferin schöner Formen, und mehr ihres Glei - chen waren und sind Mahlerinnen. Der Vor - wurf, den man der Angelika macht, daſs sie männliche Gesichter zu weibisch mahle, ist nicht ohne Grund; vielleicht nimmt sie hier - durch an unserm Geschlecht eine heimliche Rache. Man sagt: Weiber würden nie Mei - sterinnen im Portraitiren. — Daſs ich nicht wüſste; * ra ** trifft zum Sprechen — zum Hören —. Wär’ es in der Regel der Fall, so würd’ ich es mir aus dem Umstande erklären, daſs sie immer Züge ans ihrer trefflichen Seele hineinzeichnen, so wie Mahler der Ve - nus Züge von ihren Weibern und Töchtern verehren. — Mahlerinnen würden in dem Grade die Seelen der Männer in ihren Por - traiten verschönern oder verklären, wie Mah - ler die Gesichter des andern Geschlechtes schminken — Ist es, weil die Männer von der Natur entfremdeter sind, als die Weiber; oder hat die Natur wirklich zu dem andern Geschlechte mehr Vorliebe und Zutrauen;R 5266oder macht es die Seltenheit, daſs die Män - ner, weil sie zu wenig in die Heiligthümer der Natur kommen, nicht recht wissen, wie sie mit ihr daran sind? — ich weiſs es nicht. Wer kann indeſs unter den Männern, er sei Dichter oder Mahler, im Wonnegefühl der Natur, in der Fülle ihres Genusses, darstellen, was er empfindet? — wer erliegt nicht unter der Gewalt alles Erhabenen und Schönen, das ihm zuströmt und ihn entweder in einen Schlummer einwiegt, oder ihn so angreift, daſs er den zu groſsen Eindruck nicht um - fassen und entwickeln kann. Der Schlummer ist ein Beweis der Schwäche; und auch aus zu groſser Spannung wird man ohnmächtig. Diese Lagen (sowohl die Schlummer - als die Spannungslage) darzustellen, ist Manchem un - ter den Männern so vortreflich geglückt, daſs, da alle geneigte Leser sich getroffen fanden, diese Darstellungen als Meisterstücke bewun - dert wurden. Man erstaunte, daſs die Kraft der Kunst in dieser Schwachheit so mächtig war! Hat sich das Feuer des Eindrucks ge - legt, ist man aus einem entzückenden Schlaf267 erwacht, so mahlen wir aus dem Spiegel der Zurückerinnerung, und die Natur hat nicht Ursache, diese Copien für viel weniger als Originale zu halten — Es sieht wie aus der ersten Hand aus, ob es gleich eigentlich aus der zweiten ist. Weiber können im vollen Genusse der Natur diesen Genuſs beschreiben; auf das innigste in sie verwebt, verlieren sie den Ausdruck nie; sie scheinen Ein Herz und Eine Seele mit der Natur zu seyn, und da sie weder zu hoch gespannt sind, noch in süſsen Schlummer versinken, so gebricht es ihnen bloſs an Dreistigkeit, um ihren Naturgenuſs auch Andere durch Darstellung genieſsen zu lassen. — Sie können im ersten Feuer arbeiten, wenn wir uns zuvor abkühlen müssen. Gewiſs hät - ten wir manche weibliche Ossiane, wenn wir es wollten; und was wäre unsere Karschin geworden, wenn man ihr nicht die Flügel der Morgenröthe durch den Unterricht in der My - thologie beschnitten hätte! Die Originalität gedeihet nur im Schooſse der Freiheit; und kann wohl die Natur durch Weiber vernehm - bar seyn, ehe Männer aufhören, die Weiber268 (diese Gefäſse zu Ehren) zu bevormündern, und ehe Geist, Herz und Zunge dem andern Geschlechte gelöset werden? — Wozu dies Al - les führen soll? Männer, wo nicht aus Pflicht, so doch aus Kunstneugierde zu reitzen, daſs sie den Schooſskindern der Natur die Geistes - freiheit nicht länger vorenthalten, ihre Kräfte nicht weiter unterdrücken, und ihre Vernunft durch unzeitige Blödigkeit nicht vor wie nach zurückhalten. Die Dichter, die Helden, die Weisen der Vorzeit sahen keine andere Sonne, erblickten keine andere Natur, als wir: Jene göttlichen Natureingebungen, welche die Ur - alten hatten, können wir noch neutestament - lich aus Hand und Mund der Weiber mit Danksagung empfahen. —
» Musik? » So unbestritten die weiblichen Talente für die Musik sind; so wird ihnen doch der Vorwurf gemacht, daſs sie noch keine Obermeisterin in der Composition auf - weisen können. Es fehlt ihnen ohne Zweifel auch hier an Muth, um zu dieser Obermeister - schaft zu gelangen; schon befriedigt, wenn sie Compositionen der Groſsmeister unseres Ge -269 schlechtes mit Empfindung ausdrücken, begnü - gen sie sich mit dem zweiten Range. Das Lied indeſs kann wörtlich so im Dichter ste - hen; die Noten können genau getroffen seyn: und doch wird oft weder Dichter noch Com - ponist sein Werk wieder kennen, wenn es ein Weib singt oder spielt — dies haucht ihm eine lebendige Seele ein. Schaffen ist gut; erhalten nicht minder. — Möchten Weiber immer beim zweiten Range bleiben, wenn nur nicht ein neuerer Reisebeschreiber auch von Kastraten bemerkt hätte, daſs nie Jemand un - ter ihnen ein groſser Componist gewesen sei. Sollte diese Bemerkung Kastraten und Weiber mit Recht treffen, so ist die Ursache bei bei - den unendlich verschieden. Kastraten können nichts schaffen; Weiber dagegen sind die ei - gentlichen Erhalter und Mitschöpfer. — — Bei dem gegenwärtigen Druck, worin die Weiber sich befinden, legen sie es bloſs dar - auf an, Alles was sie verstehen, faſslich und begreiflich zu machen, und das, was wir schwer ausdrückten, zu erleichtern und in Um - lauf zu bringen. Sie ebenen die Wege, ver -270 stehen den Strahl der schwersten Ideen zu re - flektiren und zu vervielfachen, das Abstrakteste verständlich und deutlich darzustellen, und dem Verachteten aufzuhelfen, so daſs sie allen Wissenschaften einen unleugbaren Vortheil ge - bracht haben könnten, wenn man sie zum Meister - und Bürgerrecht ohne männliche Ge - burtsbriefe zugelassen hätte. Die Behauptung, daſs es keine Synonime in der Sprache gebe, beweisen sie meisterlich, wenn gleich das Buchstabiren (eine wirklich männliche Sache) sie wenig bekümmert. Das negative Un wird von ihnen, so wie die Null im Rechnen, oft so geschickt zum Verstärken des Ausdruckes gebraucht, daſs man über ihre Feinheit und Geschicklichkeit, womit sie bei Ohr und Ver - stand alles ins Reine bringen, erstaunen muſs! Von Weibern muſs man reden, von Männern schreiben lernen. — Sind Weiber schon jetzt, da sie bloſs geduldet werden, und vermit - telst Concessionen und Begünstigungen arbei - ten, von dieser Seite so schätzbar; was könn - ten sie leisten, wenn sie nicht länger so un - würdig von dem edlen Wettkampfe ausge -271 schlossen würden! Es ist eine nicht unrichtige Bemerkung, daſs verdorbene Beredsamkeit ver - dorbene Sitten verräth. Da man aber in dem schönen Geschlechte tausend Lippen findet, die vom Honigseim einer überzeugenden Be - redsamkeit überflieſsen; so kann es mit Recht von ihnen heiſsen: wessen das Herz voll ist, geht der Mund über. Der Unterricht legt es nicht geradezu darauf an, und kann es nicht darauf anlegen, aus allen Schülern Meister zu bilden. Auch bedarf es in der Erziehungs - fabrik nicht lauter Meister. Sie bildet Gefäſse zu Ehren und zum Haus - und Kammerge - brauch; sie beschäftiget Meister, auch die es secundum quid sind, an der Drehscheibe. So ist der Lehrer schon geschickt, wenn er das Mechanische der Kunst und die Methode weiſs, jenes dem Lehrlinge beizubringen. Hat man nicht Meister gehabt, denen es nie ge - lang, geschickte Schüler ihrer Kunst zu zie - hen? Fehlt es nicht vielen an der Gabe der Deutlichkeit und, um ein Kunstwort anzubrin - gen, an der Lehrgabe? und ohne Zweifel noch mehreren an der unentbehrlichen Lehrtugend,272 der Geduld, die das männliche Geschlecht zwar in seiner Tugendliste rühmlichst mit aufzuführen nicht unterläſst, die indeſs unserem Geschlechte nur sehr selten eigen ist. Wir zeigen, daſs in unserer Garderobe auch un - modische Anzüge sind, nicht um sie zu ge - brauchen, sondern um sie zu haben; statt daſs bei dem weiblichen Geschlechte Geduld das schönste Hauskleid ist, das ihm am besten steht. — Ist die Weibergeduld nicht im Stande, auch aus dem unfruchtbarsten Boden Keime herauszulocken? Kann der beharrliche Fleiſs der Weiber nicht selbst dem Verkrüppelten, wo nicht eine schöne, so doch eine erträgliche Form geben, und, wenn nicht Künstler, so doch Kunstverwandte bilden? Der Vorwurf, den man den Weibern macht, daſs sie Neu - heit und Wechsel lieben, ist nicht ungerecht; aber nicht im Geschlechte, sondern im Druck, den wir veranlassen, liegt die Ursache davon. Das Ausdauern und Beharren ist gewiſs we - niger unsere als ihre Sache, wenn der Gegen - stand es verdient. Wer kann Weibern jetzt ihre Flüchtigkeit übel deuten, wer ihrem Le -ben273ben es verdenken, wenn es von ihm heiſst: sie leben als flögen sie davon? — Wer? — In der That, es wären der moralischen Karri - katuren weit weniger, wenn wir uns entschlie - ſsen könnten, dem weiblichen Geschlechte ei - nen gröſseren Antheil an dem Unterricht und der Erziehung einzuräumen. Und wie? haben Weiber bloſs den Grazien, ihren Freundinnen, geopfert? oder sind sie wirklich auch zum Al - lerheiligsten der Wissenschaften eingedrungen? In der That, sie wuſsten sich auch hier Ein - gänge zu eröffnen, Ehrenstellen zu erringen und sie mit Würde zu behaupten, ungeachtet aller Hindernisse, welche Vorurtheile, Her - kommen und niedere Miſsgunst ihren Talenten und ihrem Eifer in den Weg legten. Es wird nicht viele Wissenschaften geben, die unter ihren Eingeweiheten nicht einige Namen von Weibern zählen, welche sich mit ihnen be - schäftigten, und zwar nicht bloſs solche, die von der Oberfläche schöpften und zum Zeit - vertreibe; nein solche, die ins Innere dersel - ben mit Eifer und Anstrengung eindrangen, die von dieser Ambrosia der WissenschaftenS274nicht bloſs kosteten, sondern mit dieser See - lenspeise sich sättigten bis zum Wohlgefallen. Freilich können Weiber jener inneren Freiheit des Geistes genieſsen, nach welcher sie ihren Kopf eigenbeliebig anzuwenden im Stande sind — Wir haben ihn indeſs dem andern Geschlechte abgesprochen, und statuiren nur sein Herz, auf das wir Rechnung machen — als ob Eins ohne das andere etwas gölte! Und wenn Weiber sich auch über unser Cri - minalurtheil wegsetzen wollten und könnten; ist ihre selbstgewählte ruhige Geistesthätigkeit vermögend, reifere und schmackhaftere Früchte zu bringen, da wir die Barbarei haben, uns an ihren Blüthen zu vergreifen? — Was die Geistesfreiheit, die keine Geschäftsstörung ver - dirbt, bei den Weibern ausrichten könnte, wird durch den Schwall von Kunstwörtern und Kunstregeln erstickt, womit man von Männer - Seite sich wohlbedächtige Mühe giebt, die Weiber zu verwirren und verzagt zu machen, so daſs sie ohne Noth ermatten und sich auf - geben — Jammer und Schade! Doch gab es einige, die den Faden nicht abrissen, die mit275 Standhaftigkeit sich entschlossen, zu beharren bis ans Ende; und unter diesen, welche die letzten Gelübde ablegten, fanden sich sogar solche, die sich zu Vorstehern und Lehrern im Tempel der Musen weihen lieſsen. — In dem bekannten Institut von Bologna lehret Laura Bassi die Physik, und hält ihre Vorle - sungen in Lateinischer Sprache; und wie lange ist es, daſs Signora Agnes von Mayland hier die Mathematik mit Beifall lehrte? Eben hier bilden Lilli und seine geschickte Gattin die Muskeln und Blutgefäſse des Körpers, der Na - tur mit so vieltäuschender Wahrheit nach. Italien, dieses Land, das wechselsweise so viel Licht und Finsterniſs über die Völker der Erde verbreitete, trägt kein Bedenken, Frauenzim - mern Lehrstühle zu öffnen. Unlängst ward in Deutschland ein weiblicher Doktor kreirt (der Doktor Schlözerin); und würden wir wohl so zuverlässige und beträchtliche Neuig - keiten vom Firmament erhalten, wenn der un - sterbliche Herschel von seiner ihm ähnlichen Schwester nicht so unermüdet in seinen Beob - achtungen und Arbeiten unterstützt würde? S 2276Ärzte werden eben so krank wie Nichtärzte, und die gröſsten Philosophen sind nicht nur oft unweise, sondern verlieren sich auch zu - weilen so in Speculationen, daſs sie nicht aus noch ein wissen —. Weiber sind sehr für innere Wahrheit; und wenn sie gleich jenes berühmte Ministerphlegma nicht besitzen, so wissen sie doch mit Kälte zu unterscheiden, was bloſs trockne und was brauchbare Kennt - niſs ist. Wenn Salz und Laune fehlen, sind ihnen die reichstbesetzten Tische ein Greuel, und auf die Schauessen der Philosophen neh - men sie keine Einladung an. — Freund Mon - tagne geht indeſs zu weit, wenn ihn gelüstet zu behaupten: er habe zu seiner Zeit hundert Handwerker und hundert Bauern gesehen, die vernünftiger und glücklicher gelebt (auch ge - dacht?) hätten, als mancher Rektor auf einer Universität (Rektor! als wenn dieser das non plus ultra der Gelehrsamkeit wäre! Kästner, Kant und andere unserer ersten Köpfe sind Rektores, weil die Reihe sie trifft), und ha - be lieber jenen als diesem ähnlich seyn wol - len. (Immerhin! verliert die Gelehrsamkeit277 dadurch, wenn einige ihrer Meister nicht Weis - heitsbeflissene sind?) Hat der Rektor der groſsen Römischen Universität, Cicero, so ganz Unrecht, wenn er dem Studieren den Preis über Alles zuerkennt, was sonst beschäf - tigen kann und mag? Wie kann man mit gröſserem und bleibenderem Gewinne seine Zeit benutzen? Der Handarbeiter, sagt man, wendet sie an; der Gelehrte vertreibt sie. Ei, Lieber! müssen denn nicht Feldherren seyn, wo es Krieger giebt? müssen nicht Officiere überlegen, was gemeine Soldaten ausführen? — Durch tiefes Denken gewöhnen wir unsere Seele zu einer Art von Existenz auſserhalb des Körpers; sie bereitet sich durch eine kleine Reise nach Rekahn zu einer Cookschen vor, durch einen Weg über Feld zu einem andern — der uns Allen bevorsteht. Wenn Cicero es nicht ungeneigt nehmen wollte, daſs ich seinen guten Geist bei dieser Gelegenheit schon wieder citire; so sollt’ es seinen Aus - spruch gelten, daſs das ganze Leben des den - kenden Mannes eine Todesbetrachtung sei. — Darf bei diesen Umständen das schöne Ge -S 3278schlecht Bedenken tragen, mitunter gelehrt zu seyn —? Ist es aber im Stande Wissen - schaften sich eigen zu machen, sie leicht und mit sichtbarem Nutzen Anderen beizubringen; wie könnt’ es ihm denn wohl an den Talen - ten gebrechen, seine erworbenen Kenntnisse auf andere Weise dem Staate zum Besten in Anwendung zu bringen, sobald der Staat geru - hete, den Bann allergnädigst aufzuheben, mit welchem ein barbarisches Vorurtheil es seit Jahrtausenden belegt hat! Hätten jene Rit - ter, die unter ihren Gelübden die Verpflich - tung hatten, Damen zu schützen, ihre Gren - zen weiter gesteckt; wie unendlich würdiger wär’ ihr Beruf gewesen! Schade, daſs diese treflichen Männer, welche, mit Ausschluſs der irren unter den irrenden, die edelsten und klügsten ihres Zeitalters waren, nicht, anstatt Weiber zu schützen, sie über diesen Schutz erhoben! — Ist der Schleichhandel zu ver - kennen, der, aller jener Verbote ungeach - tet, vom andern Geschlechte getrieben wird? oder ist nicht vielmehr der groſse Einfluſs sichtbar, den das weibliche Geschlecht zu al -279 len Zeiten auf alle bürgerliche und Staatsan - gelegenheiten behauptet hat? Wenn es auf groſse Plane ankam, die ausgeführt oder rück - gängig gemacht werden sollten, waren es Wei - ber, welche die Hauptrolle übernahmen. Bei Weisen und Thoren, Regenten und Priestern, Staatsmännern und Mönchen waren sie wirk - lich geheime Räthe; sie gehörten jederzeit zum geheimen Ausschusse des Staatsrathes, des - sen Dekrete das Plenum blos mit Curialien versah — und dem es Sekretariendienste er - wies. — Und wem ist hier ein dirigirendes Weib, wär’ es selbst eine Maitresse, nicht lieber als Leithämmel von Kammerdienern, Hofzwergen, Heiducken u. s. w., die ohnehin nur Substistuten ihrer Weiber oder ihrer Lieb - chen sind? Nicht bloſs mit dem klingenden Spiel und den fliegenden Fahnen ihres Witzes, nicht bloſs durch den vermittelst der Ideen - Association verstärkten Vortrag wissen Weiber sich Eingang zu verschaffen; ihr zur Beurthei - lung geschmeidiger Verstand vermag Alles — Wie manchem Tyrannen von Minister, der mit den Thränen des Volkes sein Spiel, undS 4280mit Glück und Unglück der Menschen Handel trieb, der Alles drüber und drunter warf, wuſsten sie auf eine bessere Bahn zu lenken! Weiber halten den Faden, an dem die Cabi - nette geleitet werden: sie mischen die Karten, mit denen die Excellenzen spielen; und so wie neue Hindernisse neue unberechnete Kräf - te erzeugen, so gelangten sie oft vermittelst ihrer Schwachheit zum höheren Grade der Stärke — Ein sanfter gemäſsigter Charakter ist dem andern Geschlecht eigen — Die Na - tur verlieh ihm dazu groſse unverkennbare Anlagen, und nur bei wenig mehr philosophi - schem Nachdenken und Ausweichung der Ver - führung, würde das schöne Geschlecht uns eine gewisse edle unempfindliche Gleichgül - tigkeit gegen so Manches lehren, was uns jetzt so leicht auſser uns setzt; und diese Gleichgültigkeit ist ohne allen Zweifel die Krone des diesseitigen Lebens. Hat die Natur nicht oft den Correggio an der Schönheit und Sittsamkeit übertroffen, womit er seine Frauen - zimmer ausstattete? Woher nehmen Mahler ihre Engelgesichter? und was ist der Sanft -281 muth unmöglich — ob sie gleich sich zuwei - len, auch rückwärts zum Ziele zu kommen, verbunden sieht? Welche scharfe Umrisse, welches lebendige Colorit geben die Weiber ihren Vorstellungen und den Charakteren, die sie darin verflechten! Gleich ihr erster Blick trifft das Ungewöhnliche bei jeder Sache, und da dies Ähnlichkeit mit dem Wunderbaren hat, an welchem die meisten Menschen so gern hangen bleiben — ist es Wunder, wenn sie oft selbst auf das tägliche Brot ein solches Licht fallen lassen, daſs es feierlich wird? ist es Wunder, wenn sie das ländliche Mahl zur Würde eines hohen Festes erheben? Hö - here Deutlichkeit und stärkendes Licht mit mehr Vergröſserung zu vereinigen, ist das Ziel, das sie mit so wenig Mühe und Auf - wand erreichen, ob es gleich so überschweng - lich wirkt — Das andere Geschlecht nimmt in der Regel für, das unsrige wider sich ein. Jenes ist gut, bis das Gegentheil bewiesen ist; — von uns heiſst es: wir sind böse, bis man unser Gutes auſser Zweifel gesetzt hat. Weiber haben einen Vor -, wir einen Nach -S 5282Geschmack — Jene Runzeln, die das Alter von der Weisheit, oder die Weisheit von dem Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch ihren Verstand ab — und nichts, weder Ver - stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht sie schüchtern — Dem Verstande lauern sie sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih - rem Troste etwas an Lehr’ und Leben der Herren Philosophen auszusetzen, worüber schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie geborne Naturalisten (im natürlichen Sinne) sind — wie leicht wird es ihnen, von Arti - sten ein Federchen abzulesen! Weit eher als wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei - len und Aberglauben befreieten Gebrauche der Vernunft zu gelangen — auf ein Haar wissen sie den gelahrten Weizen von der gelahrten Spreu zu unterscheiden — und den Shake - spearschen Ausdruck zu deuten: » er redet eine Menge Nichts — zwei Weizenkörnlein ver - steckt er in zwei Bündlein Spreu. » Weiber sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn er sich in den Spinneweben des Systems ver - lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei -283 nem eigenen Hause, das wohl gar ein Fami - lienhaus und vom Groſsvater und Vater auf ihn gekommen war, verirrte) an Stell’ und Ort zu bringen und zu orientiren; sie geben ihm, wie Ariadne, einen Faden in die Hand, und rufen Jedem zu, der Länge und Breite nicht unterscheidet, der das Ruder seiner selbst ein - gebüſst hat: Vous êtes orfevre, Monsieur Josse! — Der Geist jener Philosophie, die der Übermenschlichkeit nicht wohl will, hat schon lange auf ihnen geruhet — Wer wuſs - te es besser als sie, daſs weder praktische noch theoretische Vernunft Überzeugungen vom Daseyn intelligibler, unsinnlicher Gegen - stände zu verschaffen im Stande ist, und daſs wir uns in unvermeidliche Widersprüche verirren, wenn uns beide Vernunftarten un - sinnliche Gegenstände feil halten. Weiber fühlen das Halbwahre von allem jenem, was so gern im Allgemeinen gesagt wird, und be - stehen durchaus darauf, daſs dergleichen Be - hauptungen individueller gemacht werden — Sie handeln nach nahe liegenden Motiven — Spieler, Schiffsleute und alle die durch Glücks -284 fälle regiert werden, die Avantüriers nicht aus - genommen, sind zum Aberglauben geneigt — ist es Wunder, daſs die Weiber es weniger als wir sind? — Die Schönheit bei einer Mannsperson gilt ihnen durchaus nichts; und wenn man den reichen Mann in Ehren hält, weil er, wenn er wollte, helfen könnte, so wissen sie wohl, daſs er es nie wollen wird — Ihre unbefangene Seele findet überall Weg und Steg; und wer nur ein fleischern Herz hat — kann der ihrer Herzlichkeit widerste - hen? Die Frau eines Lichthökers hatte kein Bedenken, an der armen Seele des David Hume ihr Heil zu versuchen. Hume konnte die Seelsorge, die sie für ihn hatte, nicht an - ders vom inneren Lichte abbringen, als daſs er ihr versprach, sein äuſseres Licht von ihr kau - fen zu wollen. — Vom Philosophen Terraston sagte Madame de Lassay: nur ein Mann von Witz könne ein solcher Thor seyn; — und wär’ es historisch richtig, daſs Karl XII an den Senat geschrieben hätte: » ich will euch meinen Stiefel schicken, dem ihr gehorchen sollt; » so würden die Weiber der Herren Se -285 natoren laut gelacht haben. — Was doch kluge Weiber von dem weltberühmten Processe des Ehrenmannes Hastings denken mögen, der für die Papiermüller allein schon so viele Sporteln abwirft! Nie konnten sie sich des Lachens oder des Weinens über die jetzt sanft und selig entschlafende Pariser Policei enthal - ten, welche weiland Farcen und unmenschli - che Trauerspiele unter dem Scheine der Wach - samkeit und Obhut aufführte — Wie war es möglich, in, mit, und unter dieser elenden Policei sich Ausnahmen von der Wahrschein - lichkeit der menschlichen Wachsamkeit zu denken! » Hier sind wir alle entweder Fürsten oder Dichter, » sagte Voltaire, als er sich bei einem Fürsten zu Tische setzte; und das ist der eigentliche Ton eines Weibes — Sie sind nicht für Gemähldeausstellungen, wo denn doch auch gegen Einen Kenner zehn Schuster sich einfinden, die über den Leisten gehen; sie wirken zwar im Stillen, doch wirken sie am liebsten ins Allgemeine, wie die Natur, ihre Schutzgöttin — Oder kann man dies etwa nicht anders, als wenn man Kanzeln und286 Rednerstühle ersteigt? In der allgemeinen und sichtbaren Kirche giebt es Lehrerinnen, so wie Lehrer, ohne daſs beide examinirt und ordi - nirt sind —
Es ist dem andern Geschlecht eine scho - nende Gutmüthigkeit im historischen Urtheil eigen; doch verstehen es Weiber, ein Faktum, so wie einen Menschen, (immerhin so verwik - kelt als möglich) aufzulösen und zu concen - triren. Auch können sie jenen Totaleindruck, den Faktum und Mensch auf sie machen, Andern mittheilen, welches uns schwerer wird. — Glückseligkeit ist, so wie Wahrheit und Gottheit, eine Einheit; diese Einheit in Allem herauszubringen, ist eine hohe Weis - heit, und, wir wollen gerecht seyn — sie ist den Weibern eigen. Bei uns wird oft eine Sache, die auch anders scheinen kann, die diesem oder jenem Sonderlinge wirklich anders vorkam, gleich zum Gegenstande eines gelehr - ten Streites. Da haben wir denn eine extra - feine Geschicklichkeit, die Zweifelsgründe bald zu verstecken, bald wieder sichtbar zu machen, ihrer Gröſse eine Elle zuzugeben oder287 abzunehmen, und die Entscheidungsgründe mit denselben so abzuwägen, daſs, wenn gleich, besonders bei dem Faktum, die beiderseitigen Wahrscheinlichkeiten einander ziemlich gleich sind, doch die Schale, je nachdem wir wol - len, steigen oder sinken muſs. — Das andere Geschlecht liebt keine Spielgefechte mit einer langen Linie aufgestellter und überwundener Argumente — Eins ist ihm Noth. Nie wird es das Publicum mit Sophismen äffen: es verliebt sich bei weitem so leicht nicht wie wir in eine Idee, die im Grunde keinen Ge - genstand hat; allein es fürchtet auch derglei - chen Gespensterideen weniger als wir — Ge - lehrte und witzige Leute, (Gelehrte in dem Sinne der gelernten Gelehrsamkeit genommen) blind verliebt in den Gegenstand, dem sie nachjagen, verargen sich auf diesem Wege kleine Unrichtigkeiten nicht — Alle Menschen sind Lügner, heiſst es in der Schrift; Weiber sind hier wachsamer und peinlicher. — Man sagt: starke Wahrheiten wären nur für gute Köpfe, (so wie starke Getränke nur für ächt nervige Menschen sind;) schwache würden288 schwindelig — Man mache mit Weibern den Versuch, und wir werden finden, daſs es keine Wahrheit giebt, die ihr Kopf nicht ertragen könnte; sie wollen so weit wie mög - lich — Wir glauben zu leicht, daſs unser Plan regelmäſsig organisirt sey; die Weiber sind leichtgläubiger bei der Ausführung — Sie fürchten nichts Hohes, nichts Niedriges, nichts was Unwissenheit oder Gelehrsamkeit, Witz und Unwitz, Verstand und Unverstand vermögen; wäre ihnen die ausübende Gewalt anvertrauet — sie würden sicher mehr leisten als wir, und, wenn sie sänken, es wie der sterbende Sokrates machen, der, als er seine Füſse durch Gift schon in Leichnam verwan - delt fühlte, sie streichelte und mit lachender Stirne sagte: so nahe gränzen Vergnügen und Schmerz an einander; — oder wie Seneca, der Wasser mit seinem Blute vermischt, Jupiter dem Befreier weihete. Ach, wie oft, wenn mich so mancher Dienst-Nero bis aufs Blut verfolgte und die Wuth blödsinniger Tyran - nen mir zwar nicht die Ader öffnen lieſs, wohl aber mir weit härter fiel, stärkte mich diesesWeih -289Weihwasser, und das Elogium Jupiter dem Befreier! — Beweis von der Freudigkeit im Tode der Weiber? Beweis! Seht Männer und Weiber sterben. Ist Philosophiren sich zum Tode vorbereiten, so sind die Weiber groſse Philosophen; und in Wahrheit, sie sind es unendlich praktischer als wir. Zwar sagt man: studieren sei sterben lernen, weil man seinen Geist dem Körper entzieht, ihn über den Körper erhebt; allein Weiber haben diese Kunstgriffe nicht nöthig, um den Tod zu hin - tergehen und ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen — Warum Fechterkünste? Den Tod so ganz wie er da ist verachten, ist Weisheit; ihn durch Stratageme hintergehen, scheint Weisheit zu seyn. Kein einziger zieht ein anderes Loos; wir sind Alle zum Tode verurtheilt — nicht aber als Kriminalverbre - cher, sondern als Menschen. — Käme es auf Weiber an, sie würden selten den Ärzten ihr Lebens - und Todesurtheil anvertrauen, und sich von ihnen das Leben absprechen lassen — Miſstrauisch gegen die Kunst Galens, haben sie Alle eine Neigung, sich, wenn ja nochT290etwas seyn soll, einem Unzünftigen anzuver - trauen. Ich muſs und ich will, ist ihnen fast einerlei; — und soll es auch nicht also seyn? Jene Grundsätze einer bekannten Sekte: ent - weder Vernunft oder Strick — entweder sich ins Leben schicken oder es verlassen, sind den Weibern wie angeboren. Nur der kann frei leben, sagte ein Weiser des Alterthums, der den Tod zu verachten weiſs. Wie viele Frei - heitsanlagen sind den Weibern bei ihrer To - desgleichgültigkeit eigen! Sollte man sie et - wa eben dieser Anlagen halben so sorgfältig von der Freiheit entfernen? Nur der, wel - cher mehr auf sich selbst als auf die Freiheit hält, besitzt eine Sklavenseele, und ist un - werth der Freiheit. Sind die Weiber in die - sem Falle? — Wenn die Weisheit verdrieſs - lich macht, wer wird Lust und Liebe zu ihr haben? Dies Leben ist ein Geschenk; laſst uns jeden Tag als eine Zugabe ansehen, auf die man nicht zu rechnen im Stande war — » Was heute geschehen kann, muſs man nicht auf morgen aussetzen; » so denken Weiber; und allerdings tragen ihre körperliche Schwäch -291 lichkeit, die Einschränkung ihrer Freiheit diesseits des Grabes, und das Verhältniſs, das ihnen nicht das Schicksal sondern die Männer zumaſsen, zu ihrer Lebensgleichgültigkeit bei. Vorzüglich aber bewirken sie jene gröſseren Leiden, welche die Natur ihnen als Menschen auferlegte, wogegen die Mannspersonen, zu ei - niger Entschädigung, sich gröſsere bürgerliche Lasten aufgebürdet zu haben scheinen — » Viel Glück, Diogenes! » sagte der Philosoph Speu sippus, der wassersüchtig war und sich tra - gen lieſs. » Wenig Glück! » antwortete Dio - genes, » da du das Leben in einem solchen Zustande ertragen kannst. » — So selten in - deſs weibliche Thränen Murren und Unwillen anzeigen, und so oft sie ein leise gewagtes sanftes Sehnen nach mehr bürgerlicher Freiheit sind; so hilft allerdings auch der Überdruſs eines Lebens, das kaum diesen Namen ver - diente, ihren freudigen Weg zum Grabe eb - nen. Daſs es in der andern Welt gewiſs nicht schlechter für sie seyn könne, ist die Na - tivität, die sie sich bei ihrem Ausgange aus die - ser Welt (wahrlich für sie einem Jammerthale) T 2292mit vieler Gewiſsheit stellen — Der Tod ist ihr Jupiter der Befreier — Sie schaffen sich eine andere Welt, wo Gerechtigkeit wohnt — wo sie auf Rosen unter einem heiteren Him - mel wandeln — ein elisisches Idyllenleben —! Sanfte rührende Schwermuth und leise Schwär - merei helfen ihnen die Welt und sich über - winden — und des Lebens und des Todes Bitterkeit verschmelzen — Seht Weiber ster - ben! wie ruhig! sie sterben in der Regel alle philosophisch. Wenn dieser Fall sich bei unserm Geschlecht ereignet, welch ein Ge - schrei wird über diese Resignation erhoben! Der Natur, der die Weiber leben, sterben sie auch; sie scheint ihnen die Hand zu bie - ten, um ihnen überzuhelfen — Die Weiber wollen nicht täglich sterben, sie wollen nicht Augenzeugen von den zu merklichen Verlusten seyn, die man, je länger man lebt, je mehr in Hinsicht des Lebens macht; haben sie ein hohes Alter erreicht, so kennen sie die Be - schwerden des Lebens noch genauer, und der Tod hat keine Gelegenheit, ihnen hart zu fallen, wenn er auch wollte. Sokrates erwie -293 derte denen, die ihm die Nachricht brachten, daſs man ihm zum Tode verurtheilt habe: die Natur hat dieses Urtheil auch über meine Richter publicirt — Das Leben giebt den Tod, der Tod giebt das Leben — Nicht nur wer im Schweiſse seines Angesichts, son - dern auch wer im vollen Maſse des Vergnü - gens seinen Lebenstag vollbracht hat, ist gern schläfrig — Wäre der Schlaf nicht der ältere Bruder des Todes, es würde sich nicht so leicht sterben lassen; jetzt aber schlafen wir nur auf länger ein, als gewöhnlich — Warum etwas fürchten, was Allen bevorsteht, etwas dem Niemand entgeht, und nähm’ er Flügel der Morgenröthe, um an das äuſserste Ende der Erde und des Meeres zu fliehen! — Wenn Männer die Kunst zu sterben lernen; so ler - nen Weiber die Natur des Todes: ihr Herz erschrickt nicht, und fürchtet sich nicht — Will man mit dem Tode zu seinem Troste bekannt werden, so muſs man Weiber und nicht Männer im Sterben beobachten — Ge - wiſs stirbt man im Kriege leichter, als auf seinem gewöhnlichen Lager; allein der TodT 3294in der Schlacht hat bei weitem nicht so viel Lehrreiches, wie der Tod einer Wöchnerin in dem Feldzuge, den die Natur ihr anwies — Wie schön ist hier der Tod, der Tod fürs Vaterland! Ich muſs abbrechen; sonst würde ich zu sehr verrathen, daſs ich in Hinsicht des Todes nur ein Mann bin. Zwei Freun - dinnen, mit denen mich die Natur so nahe verband, starben diesen Muttertod — » Es kommt auf die Kleider an, die man dem Tode anzieht, » sagte *** — Du hattest recht, Lie - be — Dein Tod war leicht, froh, muthig angezogen — — — So sterben Weiber; und wie leben sie? Männer thun, was sie thun, mehr aus Temperament, als aus Grundsätzen: von Umständen hangen sie ab, und lassen sich von ihnen, wie Schiffe die Mast und Ruder verloren vom Winde, hin und her treiben — Aus Noth, aus Trägheit, aus Bedürfniſs han - deln sie. Sie sind im Grunde weit furchtsa - mer als die Weiber; — es scheint nur an - ders. Immer verbinden sie sich mit andern Männern, und nennen oft (o der Entheiligung des Namens!) Freundschaft, was Furchtsam -295 keit heiſsen sollte. Freundschaft! wo ist eine reine? wie selten gewinnt man, ohne daſs ein Anderer verliert! — Handlungen leiden keine Freundschaft, und nur mit Worten scheint sie sich behelfen zu sollen — Durch Miſs - wachs gewinnt der Landmann; durch Ver - schwendung und Üppigkeit der Kaufmann; durch Zank, Hader und Streit der Richter; durch Neid und Haſs der Geistliche. — » Ein jeder Mensch hat seinen Preis, für den er sich weggiebt, » ist die Behauptung eines Eng - länders, eines Mannes aus einem Volke, das noch einen Werth auf sich zu legen versteht — Und wenn es wahr ist, was einer der Alten behauptet, » daſs ein Arzt es ungern sieht, wenn seine Freunde gesund sind, und ein Soldat, wenn sein Vaterland Frieden hat; » wenn der Untergang des Einen Dinges die Schöpfung des andern ist: wo wird reine Freundschaft seyn? Freundschaft, die allen Graden der Versuchung gewachsen, die auch gegen eine Welt nicht feil ist —! Von einem Freunde muſs es, wie von Voltaire’n, heiſsen: Sein Geist ist überall, sein Herz ist hier (imT 4296Hause des Herrn von Villette, dessen Gemah - lin Voltaire’ns Pflegetochter war). Freundschaft ist ein geschliffener Stahl, dem schon ein feuchter Hauch den Rost zuzieht. — Nie kann ich auf die groſsen Worte Tod und Freund - schaft stoſsen, ohne daſs mein Herz sich aus - schüttet — und sollte mir diese Wiederholun - gen nicht jedes in meiner Lesewelt verzeihen, das auch ein Herz für Freundschaft hat, und das — sterblich ist? — Freundschaft ist Le - ben; denn ohne sie hat die menschliche Exi - stenz keinen Werth. Ich habe meine Schrift überhaupt durch die Bemerkung vorgeleitet, daſs, da ich für die Freiheit schreibe, ich mich nicht selbst binden werde. Lehre und Leben müssen sich in die Hand arbeiten; und darf ich wohl im Münzverstande meine Schrift legiren —? genug, wenn ich mich geleitlich halte — und darüber wird hoffentlich kein geierlicher Zoll - und Accisebedienter, kein Freund und Feind, mit Grunde Rechtens Be - schwerde erheben können. — Freundschaft war die Losung, und dieses herrliche Wort ver - dient, daſs wir Platz nehmen. — Die Frage:297 wie leben Weiber? kann bei dieser Abschwei - fung nichts verlieren. Laſst Könige licitiren: die Freundschaft ist nicht verkäuflich; — und eine solche Freundschaft, die, wenn sie gleich nicht zu den sieben Wunderwerken, so doch zu den Seltenheiten der moralischen Welt ge - hört, würde sich häufiger ereignen, wenn auch das andere Geschlecht bei ihren Altären zu Ablegung der Gelübde zugelassen wür - de, die gemeiniglich mit der Grundregel an - fangen, seinen Freund so behutsam zu behan - deln, daſs er, uns unbeschadet, auch unser Feind werden kann. Jene Einschränkung des Zutrauens und der wechselseitigen Herzenser - gieſsung, jene Mäſsigung in Entdeckung unse - rer geheimen Beschwerden, hebt das, was Freundschaft ist, auf, und macht dagegen ei - nen gewissen Schein gäng und gebe, der im - mer als Weltklugheitsmaxime Dienste leisten mag, der aber den Altar der Freundschaft ent - heiligt. Unsere gegenwärtigen Freundschaften sind gemeiniglich nichts mehr und nichts we - niger, als gemeinschaftlich geschlossene Con - nivenz, wo beide Theile im Gewinn sind;T 5298und so wie die Bescheidenheit das Verlangen ist, feiner gelobt werden zu wollen: so ist die Freundschaft ein Bund, desto reiner zu gewin - nen. Heiſst nicht schon der unser Freund, welcher nicht unser erklärter Feind ist? Die Kaufleute nennen die: Freunde, mit denen sie in Handlungsverkehr stehen, wo es also Pro - vision zu berechnen giebt; und so wie der schon für gut gilt, der ein böser Mensch von der allgemeinen Art ist: so gilt der schon für unsren Freund, der ein Menschenfreund, ein Mensch von keinem schlechten Herzen ist, der uns nicht verräth und verkauft, oder der uns zu verrathen oder zu verkaufen keine Ge - legenheit gefunden hat. Unser Geschlecht ist zu glücklich, als daſs wir ächte Freunde der Weiber seyn sollten; und zu unserer Freund - schaft gegen einander, auf die wir so stolz thun, haben die Weiber nicht das mindeste Zutrauen — Können wir (wie kann es nach der Weiberlogik füglich anders lauten?) wohl mit Freundschaften aus der Tasche spielen und mit Aufopferungen prahlen, da wir uns nicht einmal herabzulassen vermögen, den299 Weibern Gerechtigkeit zu erweisen? Über - haupt ist selbst unser Leben nur halb, da wir die Weiber nicht zu leben berechtigen; und wie leben sie denn?
Ob sie gleich heut zu Tage noch zu sehr der Sinnlichkeit fröhnen, woran sie weniger Schuld sind, als unsere Härte; obgleich noch bei weitem nicht an ihnen erschienen ist, was sie seyn können und seyn werden: so zeigen sie doch bei so vieler Gelegenheit eine Selbst - beständigkeit, eine Fassung, die uns so oft beschämt. — Ihre Ausschweifungen, die wir so schrecklich vergröſsern, entstehen mehr aus Befriedigung der Eitelkeit als der Begierde. Sie haben keine andere Olympische Bahn, als Männer zu fahen; man öffne ihnen andere, und sie werden Wunder thun. Das Prome - moria, welches jener Kaufmann in sein Denk - buch trug: » Ja nicht zu vergessen, mich in Hamburg zu verheirathen! » ist ins Herz der Frauenzimmer verzeichnet — Darum das Wer - ben ihrer Augen — Gemeiniglich haben sie hierbei keine Absicht; sie treiben das Mienen - spiel der Mode halben, und weil keine kluge300 Mannsperson daraus etwas zu schlieſsen wagt. Montagne sagt: jungen Gelehrten geht es wie den Kornähren; so lange sie leer sind, richten sie ihre Spitzen gerad’ und keck empor: kom - men aber ihre Körner zur Reife, so lassen sie ihr Haupt sinken. — Warum wollen wir die Weiber wegen ihrer Mienen so scharf richten, und Eitelkeit, Koketterie und Wollust für ei - nerlei halten? Man lacht über jene Dame, in deren Gegenwart man die schwarzen Augen ihrer Nachbarin lobte, und die sehr schnell erwiederte: » jetzt trägt man keine schwarzen Augen mehr; » sind wir aber nicht die, welche das andere Geschlecht zu solchen Antworten verleiten? befördern wir nicht unserer Eitel - keit halben die ihrige? Laſst die Weiber zu Kräften kommen, und ihr werdet sehen, daſs sie im lauten Geheul der Stürme, wo Männer sich nur selten ein geneigtes Gehör zu ver - schaffen wissen, bei den schrecklichen Wogen des empörten Meeres, sich finden, und dem Meere und dem Winde Silentium gebieten werden. Wenn man zur Zeit der sanften Ruhe erlernt und überdenkt, was man zur301 Zeit der Schiffbruchsgefahr anwenden will, so bleibt es zwar nicht unrühmlich, in der Zeit zu sammeln, um in der Noth zu haben; wenn aber Weiber selbst in diesem Ungewitter Ent - schlüsse zu fassen verständen; wenn sie kein Lexicon zusammengetragener Regeln aufschla - gen dürften, die ohnehin nie ganz auf einen einzelnen Fall passen? — wenn —? Doch, laſst uns erwägen, nicht was dieser Wallfisch des menschlichen Geschlechtes werden wird, wenn ihm nicht mehr Tönnchen zum Spielen zugeworfen werden, sondern was er selbst in seiner jetzigen so traurigen Lage war und ist! Als Sokrates von der Gottheit zum Weisen erhoben und ihm das Diplom hierüber wegen seines Wohlverhaltens ertheilt ward, maſs er sich mit vielen seiner Zeitgenossen, und fand, daſs Andere diese Würde, wo nicht mehr, so doch eben so gut verdienten, wie Seine Wohl - weisheit — Endlich überzeugte er sich, daſs diese Würde, bloſs weil er sich nicht für weise hielte, ihm auf Allerhöchsten Göttlichen Special-Befehl wäre zuerkannt worden — Kann der, welcher Aufsehen macht, weise302 seyn? hat der, bei der rastlosen Bemühung sein Ansehen zu schützen und den Neid zu entkräften, Zeit und Raum zur Weisheit? Ob den Weibern wirklich die Bescheidenheit bei ihren Handlungen eigen ist? Die Erfah - rung überhebt mich der Antwort. Ob Wei - ber wirklich gehandelt haben? O, der belei - digenden Frage! — —
Ohne eine Isabelle wäre America vielleicht noch nicht entdeckt worden, vielleicht nicht durch Columbus, oder doch erst spät, und auf einem entgegengesetzten Wege. Ferdinand hatte nicht Muth und Entschlossenheit, einem so kühnen Unternehmen seinen Nahmen zu leihen, und seinen Schatz zu öffnen. Würde Cicero ohne die Fulvia die Verschwörung des Catilina entdeckt, und den Namen eines Er - halters des Römischen Staates gewonnen ha - ben? Karl V verdankte es bloſs dem Einfluſs eines Weibes, daſs seine Donquixotterien einen besseren Ausgang hatten, als sie verdienten. Und warum eine gröſsere Aufzählung sol - cher Begebenheiten, an denen Weiber nicht bloſs Antheil nahmen, sondern die durch sie303 entstanden, durch sie geleitet und ausgeführt wurden, wo sie nicht bloſs untergeordnete Dienste leisteten, sondern der Geist waren, der über den Wassern schwebte, die Seele, die den Gang der Begebenheiten ordnete und lenkte! —
Frankreich ist seit zweihundert Jahren durch Weiber regiert worden; ob gut oder schlecht, ist ein Umstand, auf den es hier nicht ankommt. Daſs es schlecht regiert ward, ist nicht die Schuld der Weiber überhaupt, sondern jener Weiber, die listig, verwegen und ehrsüchtig genug waren, die Zügel des Staates den schwachen Händen zu entwinden, denen das blinde Glück sie anvertrauet hatte, oder die in anderen Rücksichten aufgestellt wurden, und die dann, neben dem schwereren Geschäfte die lange Weile von einem müſsi - gen Monarchen zu verscheuchen, auf den Ein - fall kamen, das ungleich leichtere Geschäft der Staatsverwaltung zu übernehmen.
Seitdem Semiramis mit rascher entschlosse - ner Hand das Zepter ergriff, und es mit so vie - ler Würde als Weisheit führte, haben viele304 Weiber, und unter diesen mehrere welche die Geburt nicht für ein Diadem bestimmte, den Herrschertitel mit Ehren getragen. Giebt es nicht Länder, die in ihren Regentenlisten eben so viele berühmte Namen des einen als des anderen Geschlechtes aufführen? Wenn das Cabinet auſser der Ritterin d’Eon keinen weiblichen Geschäftsträger aufzuweisen hat; sollte dies wohl die Unfähigkeit des anderen Geschlechtes beweisen? Bei Allem, was durch Vernunft erklügelt, durch Dreistigkeit errun - gen, durch Witz erhascht, durch Gutmüthig - keit erreicht werden kann, wird die schöne Welt nicht zurückbleiben; — und wenn feile Seelen allen Triebfedern dienstbar sind, wer - den Weiber nie vergessen, was anständig ist — welches da, wo der Anstand sich das Ansehen giebt am höchsten getrieben zu seyn, oft schnöde vergessen wird. Lord Chesterficld soll bei einer Assemblee auf Voltaire’ns Frage: halten Sie die Englischen oder die Französi - schen Damen für schöner? geantwortet haben: ich verstehe mich nicht auf Gemählde; und doch wüſst’ ich keinen Hofmann, der sich sozu305zu schminken verstanden hätte, wie dieser Mann, der unter den Lords den Gelehrten, und unter den Gelehrten den Lord machte. Wer le fin du fin in dem diplomatischen Fa - che kennt und übt, richtet auf diesem Wege oft am wenigsten aus — Adler fangen nicht Fliegen, und der Prätor setzt sich über klein - fügige Subtilitäten hinweg — Der weibliche Vortrag ist gemeiniglich mit dem was vorge - tragen wird, aus Einem Hause; diese Zwei sind Eins, und nie oder selten findet hier eine Mésalliance Statt, welches aber zwischen dem männlichen Vortrage und der vorzutragenden Sache sehr oft der Fall ist — Wüſsten wir, was in Cabinetten durch Weiber geschehen ist: wir würden über die interessantesten aller Spiele, die Täuschung der Imagination, er - staunen, wodurch Weiber zu ihrem Zwecke kamen; wir würden die Kunst bewundern, mit welcher ein Weib oft den Faden einer Begebenheit anspann, den sie durch alle Schleichwege der Intrigue glücklich bis zum Ziel hinausführte. Eigentlich scheinen sie je - ner Künste, worauf die Politik heut zu TageU306stolz thut, sich bloſs darum zu bedienen, daſs die Männer mit gleicher Münze bezah - len können; im Grunde sind sie von Na - tur aus, weniger als wir mit jenen Schlan - genwindungen, der Zweideutigkeit, mit je - ner politischen Falschheit ausgerüstet, die nach den Regeln der jetzigen Kunst im Finstern schleicht; und es ist von ihrem Ver - stande und von ihrem Herzen zu erwarten, daſs sie die Politik säubern, und ihr zum Bes - ten der Menschheit mehr Natur und Wahr - heit beiordnen werden. Mit dem Talent, die heimlichsten Gedanken eines Andern auszuspä - hen, und sie in den verborgensten Winkeln zu ertappen, werden sie den schlauesten Di - plomatiker überlisten, ohne daſs es Sr. Excel - lenz gelingt, ihnen ihr Geheimniſs zu entwenden; und obgleich der Wille der Prin - cipal-Excellenz, wie ein Taglöhner, oft dem liederlichsten Weibe verkauft wird: so wird doch auch der Feinste von den Feinen verge - bens sie verleiten., ihren Fuſs an einen Stein zu stoſsen — Nicht bloſs die verliebte Schä - ferin, sondern auch der Hofmann verbirgt sich307 im Gesträuch; allein beide lassen sich zuvor sehen — Die Kunst vermehrt oft die Schmer - zen des Kranken, und es giebt eine verkün - stelte Kunst die in’s Abderitische fällt, wo - durch unser Geschlecht in der Diplomatik Glück machen will — Wir verfehlen nicht, dem Erzengel Michael und dem Drachen eine Kerze zu widmen — Warum doch so viele Künste! — Werden Weiber aber bei diesem Geschäfte den ihnen eigenen Edelmuth aufge - ben? jene aus Menschenliebe abstammende Bereitwilligkeit zur Selbstverleugnung? werden sie je bei der ihnen eigenen Kunst Menschen zu vernehmen und zu erforschen, aufhören, groſs - müthig zu seyn und sich selbst zu besiegen? Nimmermehr! Schwache Männer pflegen gern boshaften Menschen ihr Zutrauen zu schenken, schwache Weiber dagegen sich ed - len Menschen zu überlassen: Weiber hassen Verrätherei und den Verräther; wir nur, wenn’s köstlich ist, den Verräther: wir sehen es gern, wenn dergleichen Leute viel bringen, und geben uns nur Mühe, daſs sie wenig oder nichts mitnehmen — Weiber, weitU 2308hinweg über jene politischen Tiraden, über jene politischen Metaphern und jenen politi - schen Salto mortale, wählen die Natur zu ih - rer Lehrerin, und richten mehr aus, als Ex - cellenzen durch abgenutzte, verrathene und verkaufte Kniffe, die den beschrieenen Na - men Künste bei weitem noch nicht einmal verdienen —! Können Weiber nicht zeigen und verbergen, was sie wollen? Haben sie nicht eine Offenheit, durch die sie mehr, als durch Zurückhaltung, ausrichten? eine unver - gleichliche Biegsamkeit der Gedanken, eine Helle im Ausdruck, eine Geschmeidigkeit im Urtheil —? Ihr Mienenspiel, ihr Glück und ihr Verdienst, mit geringen Hülſsmitteln die gröſsten Wirkungen zu bewerkstelligen — ih - re Kunst, jedem einen Spiegel vorzuhalten, worin er sieht, was sie wollen; ihre gelenkige Zunge, wodurch sie ihren Ideen eine Macht beilegen, die Alles überwindet: — dies sind Eigenschaften, wodurch sie alles ausrichten. Man nimmt nur die Wirkung an sich wahr, und sieht sich vergebens nach den Ursachen um, welche die Weiber sehr künstlich zu309 verstecken wissen. Schon im gemeinen Le - ben verwickeln sie mit ihrem Witze alle Cha - raktere der Gesellschaft auf eine so angeneh - me Art, daſs man diese ihre Leichtigkeit be - wundern muſs. Indem sie der Ausdruck zu verlassen scheint, indem sie ihn aufgeben, fin - den sie eine überschwengliche Sprache: sie belauschen kleine Ideen, die der, den sie ge - winnen wollen, fallen läſst; — sie wissen auf ein Haar seine Leibgerichte, seine Neigun - gen, seine Stärke, seine Schwäche; und besit - zen die groſse Gabe, von Glück und Unglück Gebrauch zu machen — wie bewunderungs - würdig! — Unser Geschlecht verstehet es selten, aus dem Glück, und fast nie, aus dem Unglück Vortheil zu ziehen und glücklich durch Unglück zu seyn. —
Der Mangel der Verschwiegenheit, den man dem andern Geschlechte so oft zur Last legt, ist nur eine Unart des weiblichen Pöbels; und der männliche Pöbel macht in dieser Hinsicht so wenig eine Ausnahme, daſs er fast schwatzhafter zu seyn scheinet. Weil die Weiber viel reden, hat man sie der Unver -U 3310schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge - schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich mehr; — wenn es voll süſsen Weins oder ver - liebt ist, fast immer, und auch oft dann, wenn es sich weder durch Liebe noch durch Wein erhitzt hat — Nichts kann Manchen zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan - de zu entdecken — Kein Soldat kann so be - geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein Zierling (Élégant) von den seinigen. Hat man nicht Mirabeau, dem goldenen Munde neue - ster Zeit, den Vorwurf gemacht, daſs er nichts verschweigen können? Jene Weigerung guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur keine Geheimnisse, beweiset, daſs wenige Menschen zu solchen Depositis sich Treue genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu bewahren, daſs sie sich mit fremden Deposi - tis nicht füglich befassen können; viele sind niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine unverschämte Weise zu verlangen — Wer sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen Unthaten unter die Leute zu bringen für un -311 bedenklich hält, glaubt sich, wo nicht recht - fertigen, so doch entschuldigen zu können, wenn er seinen Herrn oder seinen Freund verräth! — Männer sind so fein sich zu überreden, daſs sie zum Heil und Frommen eines besseren Menschen das Beichtsiegel bre - chen können, das auf die Geständnisse eines minder guten schon gedrückt war! — Man - cher Richter macht sich kein Gewissen, un - ter Versicherung des Nichtgebrauchs, Bekennt - nisse herauszulocken. » Hat denn, » fragt er, » der Staat nicht mehr Recht auf mich, als meine Verbindlichkeit? » Du irrest, Verräther! der Tugend stehet das gröſsere Recht zu. Die Pflichten gegen das Vaterland heben bei weitem nicht alle anderen Pflichten auf, und ein Bürger muſs nie aufhören ein Mensch zu bleiben. Im Kriege selbst darf man den Vor - zug nicht aufgeben, ein Freund seines Freun - des zu seyn! Auch haben die Männer ein verrätherisches Schweigen, ein Achselziehen im Gebrauch, die Weise ein halbes Wort zu sagen, den ersten Buchstaben anzugeben — Diese Judas-Verrätherei durch einen Kuſs, die -U 4312ses plauderhafte Stillschweigen, läſst das andere Geschlecht sich gar nicht zu Schulden kom - men — Man rede nicht von der Unverschwie - genheit der Weiber! — —
Noch weniger aber sollte den Weibern untersagt seyn, an der inneren Staatsverwal - tung und Staatshaushaltung Theil zu nehmen, da ihnen gegenwärtig schon im Ganzen die Verwaltung ihres eigenen Hauswesens anver - trauet ist, und sie bei diesem, ihnen zugefal - lenen Pflichttheile, selbst nach dem Zeugnisse der Männer, sich rühmlichst verhalten. Ge - wiſs hätten wir alsdann weniger Tyrannen, die auf festem Grund und Boden Schiffbrü - chige mit Lust arbeiten sehen, oder die des Spaſses wegen solchen, die mit den Fluthen ringen, unter Panken - und Trompeten-Schall vermittelst einer heilsamen Verordnung Stroh - halme zuwerfen; weniger Blutigel, die hier jeden Bissen finanzmaſsig zuschneiden, und dort den Schweiſs und das Blut der Untertha - nen ohne Maſs und Ziel verschwenden; — die sich Mühe geben, dem gemeinen Manne das Huhn aus dem Topfe herauszurechnen,313 welches Heinrich IV ihm alle Sonntage in den Topf hineinzurechnen Königliche Sorge trug; — die ihre Administration, wie elende Feldherren ihre Einnahmen, mit Plünderungen anfangen, und, um sich aus dem Gerede über neue Plackerei zu bringen, Redouten und Bälle, Diners und Soupers geben, und es wie wei - land Alcibiades machen, der seinem schönen Hunde Ohren und Schwanz abschnitt — — Wir hätten alsdann weniger Groſsprahler und Meister, die gleich vom Himmel fallen, ob sie schon entweder Colporteurs von alten ab - getragenen Meinungen sind, welche sie wie ein Bettelkleid mit einem Flick von Sammet bereichern, oder aber (trotz jenem Ober-Chi - rurgus, der sich dienst - und kunsteifrig dahin auslieſs: hinter die Krankheit muſs ich kom - men, wenn auch das ganze Regiment darauf ginge!) eine neue verzweifelte Kur nach der andern probiren — und das Alles? um reiche Arme und arme Reiche zu machen — O, wie viele hochgepriesene Schwachköpfe giebt es, die Einen Stand auf Rechnung des an - dern in verhältniſswidrigen Cours bringen,U 5314damit der eine durch Übermuth, und der an - dere durch Hungersnoth verderbe! wie viele, die nichts im Ganzen übersehen können, und denen es ein leichtes dünkt, aus Deutschen Franzosen, und aus Pohlen Holländer zu fa - briciren —! wie viele Finanzblitzer, deren Aufblitz nur dazu dient, daſs man das Schreck - liche der Verderbensnacht mit Schauder er - blicke! — Diese Herren sollten die Ermah - nung jenes Weisen an einen Frevler beher - zigen, der bei einem gefährlichen Ungewitter die Götter bestürmte: — sich still zu halten, damit die Götter nicht wüſsten, daſs er hier wäre. — Nehmt das Triumvirat unserer au - ſserordentlichen Minister, des Grafen Struen - see, Pombals, Neckers; — und das sollte kein Weib thun, was diese Excellenzen thaten?
Wer dem weiblichen Geschlechte die Fä - higkeit abspricht, das Ganze zu übersehen. Anordnungen für Königreiche zu treffen, sie im Groſsen auszuführen, weit aussehende Plane zu umfassen, und kurz, ihre Begriffe bis zum Allgemeinen zu erheben, der verräth wenig Weltkenntniſs, und schlieſst von den Geschäf -315 tendes Detail — denn gröſstentheils werden bloſs diese den Weibern jetzt anvertrauet — auf ihre Fähigkeit. Und wie? soll es denn bei diesen Geschäften nicht auch subalterne Köpfe geben, da Arbeiten dieser Art bei unsern jetzi - gen Einrichtungen überall existiren? Wo es Feste oder Erhöhungen gewisser Tage des ge - meinen Lebens giebt, da müssen auch Werk - tage seyn — Nur alle sieben Tage ist ein Sonntag — Weihungen gewisser Lebens-Mo - mente zu einem vorzüglichen Lebensgenusse setzen auch gewöhnliche Tage voraus. Und sind wir denn lauter Sonntagskinder? — Be - wunderungswürdig ist das Talent zu rechnen selbst bei gemeinen Weibern, ob sie gleich sich über unsere Rechnungsmethode wegsetzen, und oft ihre eigene Arithmetik auch alsdann noch beibehalten, wenn sie nach der gewöhn - lichen Schulmethode zu den Geheimnissen der Zahlen zugelassen worden sind. Ihre Kanze - lei ist mir, bei aller ihrer Unregelmäſsigkeit, schätzbar, wenn gleich Keuschheits-Procura - toren noch nicht einig sind, ob und in wie weit das Schreiben dem weiblichen Geschlechte316 nützlich oder schädlich sei. Giebt es nicht Männer genug, die ihre Töchter nicht anders zu bewachen wissen, als daſs sie ihnen Tinte und Federn untersagen?
Storch, ein neuer Reisender, fand, nach seinen Bemerkungen über Frankreich, in der Schule des berühmten Tachygraphen Coulon de Thévenot zu Paris Mädchen, unter denen es einige in der Kunst geschwind zu schrei - ben, zu einer erstaunenswürdigen Fertigkeit gebracht hatten. Heiſst das nicht mehr als Orthographie und Kalligraphie?
Vieles in der Stadt - und Landwirthschaft hat man bis jetzt als unbedeutend behandelt; viele Hausthiere sind lange nicht in dem ge - hörigen Maſse genutzt und im Ertrage in An - schlag gekommen, und überhaupt ist das anzu - bauende Feld nicht klein, welches auf Weiber - köpfe und Hände wartet, um urbar zu werden — Fast möcht’ ich sagen, die Ökonomie sei weiblichen Geschlechtes, und vorzüglich die, welche ins Groſse geht — Wie wir doch Al - les so meisterhaft — wie soll ich sagen? — um - zukehren oder zu verkehren gewuſst haben!
317Und du, heilige Justiz! unübersteiglich dem, der dich, wie der Pilger die Alpen, ohne Al - penschuhe, Stab und Führer ersteigen will! mystische Aristokratie, die du dich oft zwi - schen Fürsten und Volk stellest — angeblich um Mittler - oder Mäkler-Dienste zwischen beiden zu üben, eigentlich aber um beide zu beherrschen — darf ich es wagen, dich um Audienz zu bitten? Zwar weiſs ich, wie edel dir deine Zeit ist, um dich nach einem drei - stündigen Sessionsschlaf zu erholen, und zu einer abermaligen Sessionsruhe neue Kräfte zu sammeln; doch will ich dich gewiſs weni - ger aufhalten, als du alle deine Partheien auf - hältst — Die Beobachtung der Natur hat den gröſsten Meistern in den schönen Künsten die Regel zugeführt: daſs wenige und einfache Zeichen, wenn sie mit Weisheit gewählet werden, eine kräftigere Wirkung thun, als durch eine verschwenderische Häufung zweck - los gewählter Zeichen möglich ist. Darf ich so frei seyn, diesen Umstand der gesetzgeben - den und gesetzübenden Justiz zur Erwägung zu empfehlen? Hume ging von seinem Freun -318 de Jortin, einem Geistlichen, mit dem er über natürliche und geoffenbarte Religion einen Wortwechsel gehabt hatte; und da der Phi - losoph nicht zugeben wollte, daſs der Geist - liche ihn begleitete, fiel er. Der Geistliche, der ihn fallen hörte, kam ihm mit seinem Lichte zu Hülfe, und machte ihn mit den Worten verdrieſslich: » Habe ich Ihnen nicht » oft gesagt, lieber Freund, daſs Sie Sich nicht » zu viel auf eigene Kräfte verlassen sollen, » und daſs das natürliche Licht nicht hinreicht? » Die natürliche Religion verlor durch diesen Fall Hume’ns nur eben so viel, wie die geof - fenbarte durch das Licht Jortin’s gewann; al - lein die Justiz verliert durch den Umstand, daſs auch die ersten ihrer Officianten sehr oft nicht wissen, wie sie mit ihr daran sind — Sie fallen mit und ohne Licht, mit und ohne Begleitung; und ich weiſs nicht, woran es liegt, daſs Niemand recht weiſs, was Rechtens ist. Ihre Sentenzen, welche die Sache lösen wollen und sollen, sind gemeiniglich neue Räthsel, die sie aufgeben; und doch gehören viele Sächsische Fristen und viele doppelte319 Sächsische Fristen dazu, ehe man die hochlöb - lichen Herren zum Stehen bringt; und wie viele Fristen verlaufen nicht, ehe sie zum Sitzen kommen! Die Justiz war zu jeder Frist eine dürftige Krücke, an welcher der Staat hinkte, und noch obendrein von so schadenfroher und bösartiger Natur, daſs sie auch selbst dem, der sich zutrauensvoll auf sie stützte, die Hand durchbohrte. Wie oft sind ihre Urtheile vergiftete Hostien, die man bei groſsem Pomp des Hochamts em - pfängt. — — In ihrer goldenen Zeit ist die Justiz ein Guckkasten, worin schöne Raritäten und schöne Spielwerke zu schauen sind — Es gab von jeher unter den Juristen Élégants; und wer hat nicht von der eleganten Juris - prudenz reden gehört? Auch der einsichts - vollste Jurist wird in eigenen Angelegenheiten nicht wissen, was er zu thun und zu lassen habe, um etwas Rechtbeständiges zu unterneh - men; und so scheint die gar zu groſse Kunst der Justiz dem Menschen, den Gott aufrichtig gemacht, völlig unangemessen zu seyn.
Sollte sich einst die bürgerliche Verbesse -320 rung der Weiber bis auf die Rechtspflege er - strecken, und das Recht aufhören, ein Mono - pol einer besondern besoldeten Männer-Klasse zu seyn; nur alsdann wird man anfangen ein - zusehen, daſs Rechtspflege nicht heiſst, im Orakelton unverständliche Formeln hersagen, die nur wirksam sind, weil neben der Wag - schale auch das Schwert liegt, sondern daſs sie sich bemühen muſs, die Partheien über Recht und Unrecht zu belehren und zu über - zeugen, wenn sie einen Theil der Ehre ver - dienen will, die sie sich jetzt so gränzenlos und machtvollkommen beilegt. Man sagt: Necker sei tugendhaft, um damit prahlen zu können; la Fayette sei es, um es zu seyn und nicht zu scheinen. Würde dies nicht der Fall mit Richtern aus der weiblichen und männlichen Klasse seyn?
Schon fängt der Gedanke an sich je länger je mehr zu regen, daſs nur Gleiche zwischen Gleichen entscheiden können, wenn Recht nicht ein todter Buchstabe bleiben, sondern ein lebendiger werden soll. Würde es indeſs nicht schreiendes Unrecht seyn, bis dahin,und321und ehe jener glühende Funke in der Asche zum Feuer ausschlägt, den Weibern die Rich - ter - und Schöppenstühle zu verschlieſsen? Man behauptet in England: unbesoldete, dem Beklagten gleiche, von ihm anerkannte, nur auf eine kurze Zeit zum Wohl der Mitmen - schen und nicht schnöden Gewinnstes oder eitler Ehre halben berufene, einstimmige Rich - ter, oder Geschworne (Juries), wären eine Schutzwehr der bürgerlichen Freiheit, und eine unüberwindliche Festung, wenn gleich die Künstelei der politischen Maschine bis - weilen zu gesucht seyn sollte, wenn gleich in ihrem Räderwerke zu viel oder zu wenig Zu - sammensetzung Statt fände, wenn gleich in der Vertheilung der Gewalt, in der Repräsen - tation des Volkes, und in der Abtheilung der Stände Organisations -, Schwachheits - und Bosheitsfehler wären — Jene Justiz-Verwal - tung allein würde schon, was schwächlich ist, beim Leben erhalten, und nichts erschöpfen lassen, was zum Vortheile und zum Glanze der Nation einen Beitrag liefern kann. In der That, auch im monarchischen StaateX322könnte durch eine ähnliche Justizverwaltung Alles einen andern Schwung bekommen, und so Manches belebt werden, was jetzt gelähmt ist — Monarch und Volk würden gewinnen. Wie aber, wenn sogar das andere Geschlecht an dieser Rechtspflege Antheil nähme, wenn nicht bloſs durch gute Männer (arbitros), son - dern auch durch gute Weiber, Zank und Streit beigelegt oder entschieden würde? müſste da die Justizverwaltung nicht noch vollkommener werden? Menschen, die bloſs gesetzlich sind, haben keine Haltung; — es sind im eigentli - chen Sinne bloſs unnütze Knechte, die zwar thun, was ihnen geboten ist, allein damit nichts Gutes stiften — Die Gesetze und die Leidenschaften sind oft so verwandt, daſs der, welcher der Vernunft und dem Gewissen (der praktischen Vernunft) nicht folgt, bei aller po - sitiven Gesetzlichkeit nicht selten ein verdor - bener Mensch ist — Wer kann hierauf ge - nauere Rücksicht nehmen als das andere Ge - schlecht? wer es mehr empfinden als Weiber, daſs der Zwang, durch den Andere eben so frei werden, die Probe der wahren Freiheit323 sei? — Trockne und ungekünstelte Wahrheit gilt in der Geschichte und überall mehr, als eine noch so glänzend scheinende Falschheit. Jener medicinische Pfuscher, der einen König von einem Quartanfieber befreiete, welchem alle kunstverständige Ärzte, ihrer hohen und tiefen Gelehrsamkeit ungeachtet, nicht gewach - sen waren, antwortete, als er par ordre du Roi den Doktor-Hut erhalten sollte, und der Form halben examinirt ward, auf die Fra - ge: » was ist das Fieber? » eine Krankheit, die Sie, meine Herren, sehr geschickt zu definiren, und nicht zu curiren verstehen, und die ich nicht definiren, wohl aber curiren kann — Die evidente Vernunft ist eine Mitgift, welche die Natur allen Menschen in gleichem Maſse be - willigt hat. Der allergemeinste Grundsatz des Na - turrechtes, mit dessen Ausübung Zwang unwider - sprechlich verbunden werden kann, ist das Gesetz:
verhindere, daſs die Vollkommenheit aller
Menschen nicht gemindert werde; und liegt in dem höchsten Material-Gesetze der Sittlichkeit:
vervollkommne alle Menschen.
X 2324Ist Vollkommenheit nicht die höchste Stufe der Ausbildung aller Kräfte zu einem Ganzen? Ich will es hier mit keiner Schule verderben; denn meine Absicht ist nicht, nach väterlicher Weise der Richter - und Philosophenstühle, durch Zank und Streit die edle Zeit des Han - delns zu versäumen. Darf ich indeſs, um die Justiz zu überzeugen, daſs sie mit sich selbst uneins ist, noch beiläufig bemerken, daſs die Vollkommenheit aller Menschen mir der Zweck der sittlichen Gesetze zu seyn scheint? Und was will man mehr als diese höchste Ausbildung? Sollten indeſs Gesetze nicht auf alle Menschen ausgedehnt werden? Kann man ein vernünftiges Wesen bloſs als Mittel zu hö - heren Zwecken ansehen? Jener allgemeine materielle Grundsatz ist und bleibt ein Kenn - zeichen der Form aller Sittlichkeit, gemäſs der allgemein geltenden Gesetzmäſsigkeit und ihrem obersten Grundsatze: die Vorschriften, nach denen du handelst, müssen so beschaffen seyn, daſs sie allgemeine Gesetze werden können. Verschlag’ ich zu weit, oder kann unsere neue Philosophie nicht ein Tribunalsausspruch325 meiner Vorschläge werden? Eine gute Ge - setzgebung ist sicher das Meisterstück des menschlichen Geistes; und wer aus Kenntniſs unserer Natur weiſs, daſs die Sitten der Na - tionen ihre Bildung gröſstentheils der Wirkung der Gesetze zuschreiben müssen, wird es mir nicht verdenken, daſs ich unsere Juristen etwas weiter zurückführe, als diese Herren vom ge - wöhnlichen Schlage zu gehen gewohnt sind. Schon da, wo die Weiber jetzt das Richteramt führen, in gewissen causis privilegiatis, zeigen sie sich als Meisterinnen in ihrer Art, und beschämen ihre Männer, die gemeiniglich Alles verderben, sobald sie es sich herausnehmen, Stellvertreter ihrer Weiber seyn zu wollen —
Man sagt: Weiber wären hart; allein läſst sich die Justiz in Gefühle auflösen? sie wären zu peinlich bei ihrer Nachforschung; allein kann man es zu sehr seyn, wenn es Schuld und Unschuld der Menschen gilt? Es fehlt den Weibern selbst nicht an Gedächtniſs, um eine Legion Gesetze zu behalten, noch an Geduld, die ewigen Klagen und Schutzreden der Partheien anzuhören, und in einem feinenX 3326guten Herzen zu bewahren; nicht an Beredsam - keit, um den Sturm der Partheien zu besänf - tigen und die Fluth der Rede in ihr Ufer zu - rück zu weisen — Wie geschickt würden sie zu Versuchen der Sühne seyn! — Überra - schung ist der natürliche Ersatz für alle unan - genehme Verwirrung, ohne die sie nicht zu erhalten war; allein ist dies der Fall bei un - sern richterlichen Sentenzen? sind sie nicht gemeiniglich ein neues verwickeltes Knäuel? wechselt nicht Verwirrung, bis endlich die dritte Instanz, gemeiniglich durch einen Macht - spruch (so sehr auch dies Wort bei den Her - ren Juristen gehaſst und verfolgt wird) aller Fehd’ ein Ende macht? —
Bis jetzt hatten die Weiber kein anderes ernsthaftes Geschäft als Liebesangelegenheiten. Freilich, wenn sie auf einmal, wie vom Him - mel gefallen, ohne Vorbereitung, ohne ihnen bewilligte bürgerliche Rechte, und ohne daſs man ihnen auf politische Köpfe und Füſse hilft, sich in Staatssachen werfen — ist es Wunder, wenn sie, nach einem Französischen Viso reperto, zwar die hysterischen Zufälle327 verlieren, indeſs in noch ärgere fallen? Ernst - hafte Sachen sind ihnen zu schön und zu er - haben, als daſs sie nicht Alles dieser köstli - chen Perle halben veräuſsern sollten. Zarte Fasern, die man pflegen und warten soll, muſs der Gärtner nicht zerreiſsen; bei einer schein - baren Ermattung, oder bei einem zu starken Auswuchs, kann er nicht, ohne ein Miethling zu seyn, jene sich hervordrängenden Zweige abschneiden, die so leicht zu besseren Zwek - ken zu leiten gewesen wären — Er läſst sie in die Höhe schieſsen oder zur beschützenden Krone gedeihen — Man mäſsige bei dem andern Geschlechte die zu starke Neuheit; man bringe Weiber mit mehr ernsthaften Sa - chen, und zwar allmählich, in Verbindung: und hysterische und andere angeblich ärgere Übel, Leibes und der Seele, Gutes und Ehre, sind gehoben. Die Pfeifer und Geiger wurden auf der Stelle verabschiedet, als Jairi Töch - terlein von den Todten erweckt werden soll - te — Selbst die Bevölkerung müſste hierbei zunehmen; » es verlohne zu leben, » würden die Weiber denken. Und wie ging es in allerX 4328Welt zu, daſs man bis jetzt den Vortheil der Menschheit so sehr verkannte? daſs man die Weiber als abgeschiedene Seelen in einem Psychodocheum hielt, und sie nie zum wirk - lichen, sondern bloſs zu einer Art von Leben berechtigte? — zu einer Art von Ritterleben von trauriger Gestalt! — Viele Züge würden mehr gehoben, andere sanfter gemischt wer - den; man würde uns nicht so oft statt eines Nachtstückes die Nacht mit schwarzen Farben verkaufen; nicht so oft aus bloſser Angst und Furcht ein Held seyn; nicht so viele Rechts - glücksgreifer und Marionettenspieler in den Gerichten finden, nicht so viele flache, mit groben Farben überladene Richter und An - wälde und wie die Herren weiter heiſsen — wenn Weiber an der Rechtsverwaltung Theil hätten. Sind unsere praktischen Rechtsgelehr - ten nicht gemeiniglich Feinde des Warum? Ist das Verdienst des gröſsten Theils von ih - nen nicht, Urtheile in Umlauf zu bringen, die man ein Spielzeug des Gewissens nennen könnte —? Urtheile, die oft das gerade Ge - gentheil von jener inneren Gerechtigkeit sind.329 bei der Jeder, wenn er auch gleich durch alle drei Instanzen verloren hätte, sicher seyn kann, daſs er nach Gefühl und Einsicht der gesitteten unpartheiischen Welt gewinnen und das Feld behalten werde! — Sind die mei - sten Dikasteria nicht Säulenreihen, die nichts Wichtiges zu tragen haben, und wo man un - bedeutende Gegenstände mit Verzierungen überladen hat? Der sichere Ehrgeitz ist weit unausstehlicher, als der, welcher sich vor List und Nachstellung fürchten muſs — Die Römer waren, als Staat genommen, keine sonderlichen Financiers; und oft hat mich der sündliche Gedanke angewandelt, ob nicht mit darum Juristen und Financiers einander so spinnenfeind wären, bis auf den heutigen Tag. Würden Weiber an der Finanz - und Rechts - verwaltung Antheil nehmen — ich wette, die - ser Haſs zwischen Herodes und Pilatus müſste aufhören, und beide Theile mehr zu Gesin - nungen der Menschheit kommen, da jetzt die Herren Financiers oft ins Recht pfuschen, und die Justiz es so wenig bedenklich findet, eine Art von Finanz-Operation zu werden — daſsX 5330die Juristen oft genug die Furierschützen des Finanz-Departements sind. —
Themis! weibliche Gottheit, öffne deine Heiligthümer deinem Geschlechte, und du wirst Wunder sehen, ohne daſs du dich be - mühen darfst, sie zu thun —!
Während daſs wir unsere Hände nach Al - lem ausstrecken, nicht zufrieden über die See - len der Weiber à la Padischalt zu gebieten, sondern auch an ihren Körpern zu Helden zu werden, zwingen wir das andere Geschlecht, auch auf die Heilkunde Verzicht zu thun, zu der es einen unwiderstehlichen Hang hehaup - tet. Und warum ist die Heilkunde in ihrem weitesten Umfange nicht eine freie Kunst der Männer und Weiber? Fühlen die Weiber nicht so lebhaft, daſs die Natur sie ganz ei - gentlich zu diesem Geschäfte berufen hat? treiben sie nicht, trotz allen Anordnungen, aller Aufsicht und allen Strafen, dieses ihnen so strenge verbotene Handwerk? und haben sie sich nicht — was noch sonderbarer ist — dabei so gar einen Nahmen zu erwerben Gele - genheit gehabt? Frau ** auf ** curirt331 ihr Haus und ihre Unterthanen, aller Recepte von Scheltworten und Drohungen der kunster - fahrnen Facultisten ungeachtet, und kann sich nicht mit der gestrengen Rechtsgläubigkeit die - ser Herren einverstehen, wenn gleich diese Eiferer für des Herrn Haus sich viele gelehrte Mühe geben, in Rücksicht anderer unbedeu - tender Ärztinnen, ihre Orthodoxie inquisito - risch zu beurkunden — Hüten Sie Sich, gnä - dige Frau, daſs Sie nicht über Hals und Kopf in ähnliche Anfechtung fallen, und wegen ih - rer kunstlosen Arzeneien verantwortlich wer - den! — In einigen Spanischen Provinzen barbieren die Weiber, und Marquis de Langle setzt hinzu: so sollt’ es eigentlich und überall seyn, denn ihre weichen sanften und fleischi - gen Hände taugen weit besser als unsere, das Kinn einzuseifen und das Messer zu handha - ben. — In den Entscheidungsgründen kann ich diesem Weiberschutzpatron nicht beistim - men; wohl aber in der Behauptung selbst — Jene nicht ungerechte Befürchtung des Meu - chelmordes würde, wo nicht aufhören, so doch auſserordentlich geschwächt werden, wenn332 das andere Geschlecht diese gefährliche Kunst triebe. Die Anlage des andern Geschlechtes zur Arzeneikunst und Chirurgie beweiset un - widerlegbar seine vorzügliche Beobachtungsga - be. Nicht leicht entgehet seiner Aufmerksam - keit auch nur die kleinste vorübergehendste Veränderung der Farbe, der Mienen, des Au - ges — Jede, auch die unbeträchtlichste, krampfhafte Bewegung der Muskeln weiſs sein Blick zu erreichen. Sein Takt ist zarter und feiner, und auch da noch fühlt es Pulsschlä - ge, wo der Arzt, wegen seines gröberen Ge - fühls, nichts mehr bemerkt. Der leiseste Hauch entgeht den Weibern nicht; sie verneh - men noch das Wort, das auf der Lippe zit - terte und starb, und oft verstehen sie die Ge - danken — Am praktischen Urtheil, von ihren gesammelten Beobachtungen Gebrauch zu ma - chen, fehlt es ihnen sicher nicht — Schon jetzt bei dem kargen Vorrath von Kenntnissen, und ohne allen Beistand der Kunst, überneh - men sie Kuren, die dem erfahrensten Arzte, wo nicht lauten, so doch stillschweigenden Beifall abzwingen. Wie viel weiter würden333 sie seyn, wenn ihnen der Zugang nachgelassen wäre, den ihnen ein neidischer Zunftgeist bis jetzt vorenthielt! Würden ihnen das Heilig - thum des Epidaurischen Gottes, und die un - ermeſslichen Schätze der Natur aufgethan und sie in die Geheimnisse der Kunst als Prieste - rinnen eingeweihet; wie viel wäre für das menschliche Geschlecht gewonnen! da hin - gegen jetzt die groſse Angelegenheit, die Ge - sundheit des Menschen, sich immer in sehr miſslicher Lage befindet, indem viele von un - seren Ärzten sich nicht begnügen, Diener der Natur zu seyn, sondern sich zu gestrengen Herren derselben aufwerfen — Wo wir doch überall Herren seyn wollen! Die Arzeneikunst aller, der Natur nahe kommenden Menschen ist so einfach und so stark, daſs sie mit we - nigen Mitteln alle Krankheiten heilt, so wie Brot die tägliche Schüssel auf allen Eſstischen ist. Die Natur ist so gutmüthig, daſs sie uns durch Krankheiten gesund machen will — Unpäſslichkeit ist ein Glockenschlag, wodurch wir zum Buſstage aufgefordert werden — Die Natur macht uns aufmerksam auf uns selbst —334 und will uns damit locken, daſs wir glauben sollen, sie sei unsere liebe gute, unsere rechte Mutter. Und ist sie das nicht? — Der Schmerz? Ach, dagegen lieſse sich noch viel sagen. In der That, die Natur scheint mit dem Schmerz ihr Spiel zu treiben. Es giebt Fälle, wo der Schmerz mit der Gefahr in keinem Verhältnisse steht — Zahnschmerz - vorfälle, in welchen das Leiden weit gröſser ist, als die Gefahr; und so auch umgekehrt — Vielleicht wollte die Natur uns lehren, uns aus dem Schmerze überhaupt nichts zu ma - chen und ihn nie auf einen ernsten Fuſs zu nehmen. Mache was du willst, sagte ein Stoiker zum Schmerz, (ob er sich gleich nicht entbrechen konnte, mit den Zähnen zu knir - schen) ich werde doch nicht sagen, daſs du ein Übel bist! und man sage was man will, es liegt in unserm Reden mehr als Ein Lin - derungsmittel. Wenn wir dem Schmerze freundlich zureden, scheint er Mitleiden mit uns zu haben; und wenn wir ihm trotzen, scheint er sich zu fürchten. Wer den Schmerz in Schimpf oder Ernst übersieht, und sein335 unverwandtes Seelenauge mit strenger Auf - merksamkeit auf einen andern Gegenstand hef - tet, spielt dem Schmerz einen Streich, daſs er nicht weiſs, wie er daran ist. In allen diesen Rücksichten ist vom andern Geschlechte mehr, unendlich mehr, als vom unsrigen zu erwarten — Ein gewisses Segensprechen, ein gewisses Hohnsprechen, ist ihm eigen — Man seh’ es leiden, man seh’ es mitleiden, und Beileid bezeigen — man hör’ es Trost und Muth zureden —
Wie viel eine vernünftige Lebensordnung zur Erhaltung der Gesundheit beiträgt, und welch ein bedeutendes Hauptstück hier Speise und Trank ausmachen; wie vieles dabei auf wahre Zubereitung ankommt: das sind Um - stände, von denen jeder überzeugt ist; und doch wird dieser wichtigste und eigentlichste Theil der Arzeneikunst ganz dem weiblichen Geschlecht überlassen, ohne ihm die geringste Kenntniſs von dem zu lehren, was es zuberei - tet, noch wie es dasselbe zubereiten muſs, wenn die thierische Maschine unterhalten und nicht zerstöret werden soll — Vielleicht wür -336 de es durch Vermittelung der Weiber dahin kommen, daſs Speise und Trank zu unserer Medicin würden, daſs wir Medicin nicht mehr einnehmen dürften — Wird nicht die Hälfte ihrer Wirkung durch den Ekel eingebüſst, den das Einnehmen veranlaſst? Kurz und gut, das zahllose Heer von Processen und Krankheiten würde vermindert werden, wenn Weiber Richter und Ärzte wären. Ist es nicht leichter, manchen Krankheiten auszuweichen, als sie zu heilen? ist es nicht heilsamer für den Staat, wenn weniger seiner Bürger von Krankheiten heimgesucht werden, als wenn ihnen durch die Kunst der Ärzte die Gesund - heit wiedergegeben wird? Ist das auch wirk - lich Gesundheit, was diese Herren den Kran - ken dafür verkaufen? Wahrlich, eben so we - nig, wie das Gerechtigkeit ist, was wir in unsern Gerichtshöfen sehr theuer bezahlen —
Väter des Staats, errichtet, statt klinischer Institute, Schulen für die Weiber, wo das, was zum Unterhalt und zur Nahrung des Menschen dienen soll, näher geprüft und untersucht wird; wo sie gelehrt werden, Speise337 und Trank auf eine unschädliche und schmack - hafte Weise zu bereiten, und das Leben und die Gesundheit der Staatsbürger zu sichern. Aber auch selbst in moralischer Rücksicht wäre es den Sitten, und dem Staate, dem die Sitten seiner Bürger vorzüglich zu Herzen ge - hen müssen, vortheilhaft, wenn den Weibern gestattet würde, Arzeneikunde zu üben.
Weibliche Ärzte müſsten sich weit eher das Zutrauen bei den Kranken ihres Geschlech - tes erwerben. Diese würden ihre Gebrechen leichter und mit weniger Zwang entdecken, und jene, aus Erfahrung mit der Natur und Beschaffenheit des weiblichen Körpers, mit seiner periodischen Ausleerung bekannt, siche - rer dem Übel nachspüren, rathen und helfen können. Dann würden weibliche Krankheiten nicht mehr die Schaude der Ärzte seyn, und vielmehr eine Vollkommenheit in der Kunst erreichet werden, in so fern Vollkommenheit zu erreichen ist —.
Schamhaftigkeit, diese Tugend, die das andere Geschlecht so herrlich kleidet mit der, wenn sie verloren ginge, alle GrazienY338und Reitze ihre Kraft verlieren würden; sie, die durch nichts ersetzt wird — ist sie nicht oft die Ursache, daſs Mädchen Gebrechen so lange verheimlichen, bis dieselben nicht mehr zu heben sind? oder daſs sie lieber mit Gefahr ihres Lebens auf die Hülfe der Kunst Verzicht thun? Wie manche hat eine Entzündung in’s Grab gebracht, die, wenn sie weniger scham - haft gewesen wäre, im Augenblick hätte ge - rettet werden können —! Wie viele büſsen nicht durch schwere Geburten ihr Leben ein, die es erhalten und dem Staate noch viele Bürger geschenkt haben würden, wenn Ge - burtshülfe eine weibliche Kunst wäre, wenn man den Hebammen nicht bloſs das Mecha - nische dieser Kunst überlieſse, das Wissen - schaftliche derselben aber sehr weislich den Männern vorbehalten hätte! Ist es bei diesen Umständen ein Wunder, daſs in London und Dublin von Frauen, die sich durch Hebammen entbinden lassen, Eine unter 70, und von de - nen, die sich der Aufsicht männlicher Ge - burtshelfer bedienen, nur Eine unter 140 im Wochenbette stirbt? In der That, es bleibt339 unsittlich, daſs ein Eheweib ihren Körper vor irgend einem Manne, den ihrigen ausgenom - men, entblöſst! Verscheucht dergleichen Über - windung der Schamhaftigkeit nicht Alles, was man Ehrbarkeit nennen kann? Wie viele Villacerfsche Fälle mögen, ohne daſs sie ver - zeichnet sind, sich ereignet haben, wo ein Arzt im verliebten Taumel nicht wuſste, was er that! wo er, um ein Weib zu verführen, oder ein Mädchen zu gewinnen, die Kur ver - längert, sie anders lenkt, und oft bloſs in die - ser Rücksicht einen langsamen oder schleuni - gen Tod, ohne daſs er es dazu anlegte, beför - dert! Und wenn man weiſs, was Eifersucht vermag, wer zittert nicht bei diesem Gedan - ken und bei der Einrichtung, nach welcher man dem Arzte so viel anvertrauet, ohne selbst nur den leidigen Trost zu haben, durch drei Instanzen seinen Proceſs zu verlieren!
Woher kommt es, daſs der so wichtige und über alles gehende Widerstreit zwischen Wohlstand, Sitten und Bedürfniſs bis jetzt übersehen worden ist? Hat man ihn aber nicht übersehen, warum ist denn dieser Miſs -Y 2340stand, dem so leicht abzuhelfen war, unabge - holfen geblieben? Man kann sich bei der - gleichen Umständen des zudringlichen Gedan - kens nicht erwehren, das moralische und phy - sische Wohl der Bürger sei nicht das, womit die Staats-Piloten sich zu beschäftigen schei - nen. In der That, Glück und Zufall sind es gemeiniglich, welche Bahn und Fahrt bestim - men; denn es giebt der hier einschlagenden Unschicklichkeiten noch weit mehr, von wel - chen der Staat keine Notiz nimmt, ungeach - tet sie einer ernstlichen Rüge bedürfen, und ungeachtet es federleicht seyn würde, diese Quellen so mancher unmoralischen Folgen zu verstopfen — Noch bedient man sich der Tanz - und Singemeister, um dem Frauer - zimmer Tanz und Musik beizubringen, und scheint es entweder nicht zu wissen oder nicht wissen zu wollen, wie nahe die weibli - che Tugend hier der Gefahr ist, wie Manche diesen Versuchungen nicht widerstanden und als Opfer fielen.
Man läſst es geschehen, daſs Männer Wei - berköpfe putzen, und ahndet nicht, was hier341 für Gedanken geweckt, was für Bilder aufge - regt und was für Begierden gereitzt werden. Man vergiſst, daſs die Gattin und Tochter müſsig sitzen, daſs das Wühlen in den Haa - ren einen gewissen physischen Kitzel, wo nicht bei beiden, so doch bei Einem Theile erregt; man übersieht gewisse Stellungen, die einen aufmerksamen Beobachter viel errathen lassen. Zwar hat man angefangen, diese Ge - schäfte weiblichen Händen zu übertragen; al - lein noch ist dies eine Seltenheit und eine ökonomische Veranstaltung. Ein kleinlicher Bewegungsgrund, wo es doch deren so viele und so wichtige giebt.
Auch die weibliche Kleidung sollte durch Weiber angemessen und gefertiget werden. Die Manipulation eines männlichen Schneiders und Schusters ist unschicklich. Wär’ es dem Staate Ernst, die groſse und edle Hälfte sei - ner Bürger nützlich zu beschäftigen; fühlte er die groſse Verpflichtung, diejenigen, welche die Natur gleich machte, auch nach Gleich und Recht zu behandeln, ihnen ihre Rechte und mit diesen persönliche Freiheit und Unab -Y 3342hängigkeit, bürgerliches Verdienst und bürger - liche Ehre wiederzugeben; öffnete er den Weibern Cabinette, Dikasterien, Hörsäle, Comptoire und Werkstätten; lieſs’ er dem vermeintlich stärkeren Manne das Monopol des Schwertes, wenn der Staat sich nun ein - mal nicht ohne Menschenschlächter behelfen kann oder will; und machte er übrigens unter beiden Geschlechtern keinen Unterschied, so wie die Natur es wollte, und wie die bürger - liche Gesellschaft es auch wollen sollte, wenn sie sich nicht etwa ihrer natürlichen Herkunft schämt: so würden Staatswohl und Staatsglückseligkeit sich überall mehren, die Menschen wachsen wie die Weiden an den Wasserbächen, und die Menschheit ihrer groſsen Bestimmung mit schnellen Schritten zueilen —
Doch! ich wollte nur Winke geben, und verdiene vielleicht den Beinamen, den man Burke’n zu einer gewissen Zeit beilegte: the dinnerbell, die Eſsglocke, weil die meisten Par - lamentsglieder, wenn er zu peroriren anfing, das Haus verlieſsen. Die Wahrheit bedarf keiner343 Schminke, und wer der Schönheit wegen schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei - niger Damen unserer verderbten Zeit, die sich weit lieber erkälten, als dem Putze das Mindeste von seinen modischen Rechten ent - ziehen. Will man etwas in seinem ganzen Umfange, in seiner ganzen[Stärke] genieſsen, so entferne man alles Fremdartige, und mache es wie groſse Esser, die, auſser dem Geschmack, den übrigen Sinnen in ihrem Eſssaale den Zu - tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht, Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf - ten ihr Vergnügen — Still essen sie, und Alles hat bei ihnen seine Zeit — Alles was kolossalisch in’s Auge fällt, ist schwächlich. Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus ihnen, als sie von Gottes - und Naturwegen seyn können. Immerhin Gott, nur kein Mensch, hieſs es von Höchstseligen Tyrannen — De - tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist. Der Text muſs sich nicht in den Prediger, sondern der Prediger in den Text schicken; und was hilft wissen und wollen, wenn esY 4344nicht zum Thun kömmt! Wer nicht Neben - folgen von eigentlichen, und Nebenursachen von Hauptursachen zu unterscheiden weiſs, hat seinen Plan nur schlecht angelegt — oder hat gar keinen. —
Wie aber! es erheben sich Einwendungen an allen fünf Fingern der vorigen Kapitel. Immerhin! und wären sie auch nichts weiter als wiederholte Wiederholungen, an denen denn doch meine Wenigkeit nicht Schuld ist, sondern (Niemand übrigens zu Leide gesagt) meine gebetenen Gäste von Opponenten. — Jene Chroniques scandaleuses wider das schöne Geschlecht, von Misogynen und vielbeweib - ten Männern, von Kastraten und körperli - chen Kraftgenies, (die, in der Voraussetzung, das sinnliche Bedürfniſs sei das gröſste Band unter beiden Geschlechtern, des Dafürhaltens sind, die starken Männer wären auch die bes - ten) von Thoren und Weisen, von Heiligen und Liederlichen, von Sultanen und Keusch - heitswächtern, geschrieben und erzählt — wer - den sie vermögend seyn, uns umzuschaffen oder der Natur Gewalt zu thun —? Das345 Weib sei nur des Mannes wegen? Wohl, so wie der Mann des Weibes halben. Hast du nie ein Weib gesehen, Freund, das bei liebenswürdiger Einfachheit eine erhabene Grö - ſse verräth? bei voller Publicität und Offen - heit eine enthaltsame, strenge Zurückhaltung? — bei edler Zutraulichkeit forschende Prü - fung? — Es legt es nie auf Herzen an, und doch gewinnt es alle Herzen. Das edle Ab - sichtlose, das die Poësie behauptet, ist seine Weise; und wie viel richtet es damit aus! Sein Blick, der durch die Kirchenschlösser der Herzen dringt und Alles für und wider entdeckt; — seine Kraft, die Alles niederdrückt und hebt was es will; gleich frei von Freude wie von Leid, von Furcht und Hoffnung un - befangen, für den heutigen Tag lebend ohne Sorgen für den andern Morgen — wie schnell und wie umfassend wirksam, zur Selbstherr - scherin aller Herzen geboren, erhebt dies Weib zu seinen Freunden, die es durch die Hoheit seiner Würde zu seinen Untergebenen machte! Koketterie — sagst du —? Nun, so ist Kosmopolitismus Stoicismus — und dieY 5346erhabenste Menschentugend im Leben und im Tode Koketterie! Von Natur sollte das Weib nicht den Cajus, Titius und Sempronius lie - ben, sondern das Geschlecht; durch die Ehe wird es Eines Mannes Weib: an jene Um - fassung gewohnt, geht auch seine Denkart in’s Allgemeine, in’s Ganze, in’s Groſse — Macht ein groſser Mann jene Rolle des gro - ſsen Weibes; sage unverhohlen: fehlt ihr nicht oft Geist und Leben? — Du zürnest, Freund? Was denkest du Arges in deinem Herzen?
» Alle Übel in der bürgerlichen Gesellschaft sind Werke der Weiber! »
Der Weiber, die doch in den politischen Gesellschaften nur Nullen sind, und ohne eine vorstehende männliche Zahl keine Bedeutung haben? Und warum ihr Werk? weil sie Männer dazu verleiteten? die Curandinnen die wohlweisen Curatoren? Wegen des Einflusses, den man den Weibern nicht versagen konnte, den auch Sklavinnen über ihre gestrengen Herren behaupteten. So sehet denn da die Rache, welche die Natur sich nicht versagen347 kann, wenn man ihre Majestät beleidigt —! Entzieht den Weibern keinen jener Antheile, wozu sie unleugbare Rechte haben, und ihr werdet jenen Schleichhandel von selbst heben, den jetzt die Weiber zum Nachtheile ihrer Männer und des Staates treiben. Die Ver - nunft ist göttliches Ebenbild, und wo ihr sie findet, da ist es Pflicht, ihre Superiorität an zuerkennen — Wo sie erscheint, ist Werth, Würde und Selbstbeständigkeit. Sie regiert im Kleinsten der Unterthanen den Gröſsten, den Herrn der Welt — und in dem Staate, wo sie unterdrückt wird, hören die Weisen die Stimme, welche sie auf ebene Bahn leitet: Stehet auf und lasset uns von hinnen gehen! Oder wie? ist etwa der Werth des anderen Geschlechtes nicht auf Vernunft, sondern auf Sinnlichkeit gegründet? Ei, Lieber! können wir uns, so lange wir Kleider der Sterblich - keit tragen, über die Sinnlichkeit hinaussetzen? Nur ein Pedant kann die Sinne die Deutschen Klassen nennen; kommen wir nicht durch sie und durch die Empfindung der Vernunft zu - vor? gründen die Sinne nicht die Vernunft?348 sind sie nicht — die höchsten Revisoren der - selben? erheben sie die Vernunft nicht zu ih - rer eigentlichen Würde? ist die Vernunft nicht generis soeminini? und der Geschmack? ist er nicht mit so schönen sittlichen Ideen ausge - stattet, daſs es eine Lust ist? Muſs die Ver - nunft sich nicht vielmehr von Amtswegen ver - sinnlichen, um über das Herz zu siegen, das ein trotziges und verzagtes Ding ist, wer kann es ergründen —? Würden wir nicht auf - hören Menschen zu seyn, und übernatürlich werden, wenn wir auf das Wesen der Men - schen Verzicht thäten? ist übernatürlich nicht auch unnatürlich? Das feinste Raffinement ist immer ein Verwandter der Simplicität. Das Loos dieses Lebens ist eine Menschenrolle; ist sie so subaltern wie sie scheint, und ver - dient der Beförderung, der im Geringeren un - getreu ist? Erst durch die Ehe wird das Weib in eben dem Grade durch den Mann vollendet, wie der Mann durch das Weib — Mann und Weib machen einen ganzen Men - schen aus — Die relativen Eigenschaften, die zwischen beiden auf einander angelegt sind,349 setzen diese Behauptung auſser Zweifel. Darf ich es noch einmal wiederholen, daſs der Vor - zug der physischen Gröſse und Stärke des Mannes in Hinsicht des Weibes sich auf keine moralische Überlegenheit unseres Ge - schlechtes bezieht? Kein Geschlecht hat den mindesten Werth ohne das andere; zusammen genommen machen sie die Menschheit aus. Wir spielen aus Einer Kasse, und die Natur hat Mann und Weib so zusammen gefügt, daſs kein Mensch sie scheiden kann — In ein - ander verwebt, ist Eins um des Andern willen. Eifersucht auf Ansehen ist der Hebel, wo - durch nur schwache Menschen gereitzt und in Athem gesetzt werden können. Was kann sich ohne Weiber gruppiren? Gehe mit einem dir völlig gleichgültigen Weibe um, nur langer Weile halben — ehe du es merkst, wird deine Seele in die ihrige eingreifen; ihr werdet nicht von einander lassen, ohne daſs Lust oder Liebe hierbei den mindesten Einfluſs hat — Dieser Einklang ist Geschlechtstrieb, oder inniges geheimes Gefühl, Bestätigung der gött - lichen Worte: Es ist nicht gut, daſs der350 Mensch allein sei — Ohne Eva ist Adam ein Thier, und Eva ohne Adam eine Kloster - jungfer. Wer bemerkte nicht, daſs fast alle Männergesellschaften mit dem Paradiese an - fangen und mit dem jüngsten Gerichte enden! Man erstaunt über die Sprünge, welche Män - nergespräche nehmen — Weiber knüpfen sie zusammen und bringen Alles in das Verhält - niſs, wenn gleich gesellschaftliche Unterhaltun - gen mit Recht die Art der Englischen Gärten behalten, die genau gebahnte Wege vermeiden — Wäre gröſsere körperliche Stärke mit einer gröſseren Seelenkraft verbunden, so würde diese Schrift sehr klein geworden seyn, und es hätte nicht verlohnt, an eine bürgerliche Verbesse - rung der Weiber zu denken. Macht aber der Geist des Menschen sein eigentliches Wesen und Seyn, so ist die Unfähigkeit des Weibes zu Staatsgeschäften. Künsten und Wissenschaf - ten ein Vorwand, allein kein Einwand — Selbst nicht immer sind die Weiber schwächer gebauet als die Männer — » In einzelnen Fäl - len —? in niederen Klassen? » Nein! auch selbst im Allgemeinen. In Champagne, wo351 die Einwohner ein gesunder Schlag Leute sind, sollen, nach der Bemerkung der Reisenden, die Weiber stärker seyn als die Männer; und wie viele junge Wüstlinge giebt es, die sich das Alter in der Jugend inoculiren lieſsen, um so wenig vor Alter, wie an den Pocken zu sterben —! Ich will für meinen Einwender Gründe auslegen, die er mir hoffentlich zu seiner Zeit erstatten wird. Zugegeben, daſs das Weib im Allgemeinen und bei allen Na - tionen, so wie überhaupt in der ganzen thie - rischen Schöpfung, schwächer, feiner und zar - ter gebauet ist als der Mann; zugegeben, daſs die weiblichen Nerven biegsamer, reitzbarer und zärtlicher als die unsrigen sind: was folgt daraus? etwa, daſs der Körper der Weiber nicht zu langen Anstrengungen des Geistes angelegt sei? daſs sie wegen ihrer lebhaften Imagination nicht lange bei einem Gegenstande verweilen können? daſs Anstrengung des Kop - fes, Sammlung des Geistes ihre Sache nicht sei? — Giebt es nicht wissenschaftliche Ge - genstände, welche Biegsamkeit und Feinheit erfordern? Läſst denn körperliche Stärke auf352 geistige schlieſsen? und hat ein vierschrötiger Tagelöhner die beste Anlage zum Generalsuper - intendenten? — Die vorzüglichsten Menschen hatten schon oft die schwächlichsten Körper. Eine groſse Seele hat selten einen handfesten Leib zu seinem Gefährten gewählt; Freund Hume und einige andere ausgenommen, waren groſse Geister in der Regel klein und schwächlich —. Was wohl leibet, heiſst es in einem alten Sprich - und wahren Worte, seelet oft übel. Selbst Alexander und Friedrich II waren klein von Körper, so wie Helden gewöhnlich nicht auf groſse Statur Anspruch hatten. Oder wie? haben Physiologen ausfindig gemacht, daſs die ursprüngliche weibliche Organisation die Wei - ber zu subalternen Geschöpfen mache, ihnen den Weg zu allem Edlen und Groſsen vertrete, und, wenn auch Jünglinge und Mädchen ei - nerlei Unterricht empfingen, von einerlei Mo - tiven zu ihrer Geistesbildung angetrieben wür - den — jene doch diese allemal überflügelten? Wären diese Beobachtungen wahr und richtig, so müſste man freilich glauben, auch wenn man das gerade Gegentheil sähe — Ei Lie -ber!353ber! wo hat man den Erfahrungsschatz gefun - den? gesammelt hat man ihn doch nicht? wo sind Versuche gemacht? absichtlich ge - macht? und müſste das nicht vorausgegangen seyn, wenn man über Anlagen und Fähigkei - ten so absprechen wollte? Es hat nie weder an Köpfen noch an Herzen unter den Weibern gefehlt, die den Männern den Rang abgewon - nen! Ich beziehe mich auf den Anfang dieses Ohrfingers von Capitel, welcher so spendivisch preiswürdige Namen genannt hat — Und warum wollen wir mit einander streiten, da jeder Blick aus der Arche der Studierstube das Vorurtheil der Weiberverachtung widerlegen kann und wird — falls ihm kein gefärbtes Glas die Kraft benimmt. Es geht meinem Gegner wie vielen andern seiner Art: er be - streitet nicht die Sache selbst, sondern die unrichtigen Begriffe, die er sich von der Sache macht; nicht mich, sondern sich —
Freilich — (ein erwünschter Anfang von einem Opponenten!) Freilich wallfahrtete die Königin aus Arabien, um bei dem Professor Salomo einen philosophischen Cursus zu hören;Z354und wir können nach der Liebe hoffen, daſs er sie nicht ohne augenscheinlichen Segen seiner Schule entlassen haben wird.
Der Schule der Weisheit doch wohl? sonst müſst’ ich dies Freilich mit Zinsen zurück - geben. Wo der liebe Gott eine Kirche hat, da bauet sich der leidige Feind eine Kapelle — Jede Akademie der Weisheit hat ein Gym - nasium der Thorheit in der Nähe; in der gröſsten Schönheit liegt der Stoff zur gröſsten Häſslichkeit — Je glücklicher die Vernunft den blauen Dunst zu verbreiten sucht, der unser Auge verfälscht; je heftiger wird die Begierde, sie durch Besuche aus jenen Gegen - den zu widerlegen, wo abgeschiedene Seelen hausen — Beweiset die königliche Wander - schaft (des Freilichs ungeachtet) nicht klärlich, wie begierig die schöne Welt — wohl zu merken nach Weisheit ist —? in Ernst, was wissen wir denn? Sind Weiber gleich zu - weilen des Dafürhaltens, einer Philosophie nicht zu bedürfen, nach welcher wir uns rühmlichst den Kopf zerbrechen, um grund - gelehrt sagen zu können: wir wüſsten nichts;355 können ihnen dagegen wohl Energie der Seele und tiefgeschärfte Bemerkungen abgesprochen werden? Und so wäre denn auch dieses Spiel für die Weiber gewonnen — — — Kinder rei - cher Leute sind gemeiniglich so baufällig, wie die Hütten der Armen, und langer Nichtbrauch kann Kräfte schwächen; — allein auch heben?
Wer kann behaupten, daſs das Eigenthüm - liche des Geschlechtes nichts Bestimmendes für die bürgerliche Gesellschaft habe? Das Weib hat Selbstliebe und die damit correspon - dirende Selbstbeständigkeit — Ist bürgerliche Gesellschaft denn etwas anderes, als eine ver - gröſserte häusliche? oder sind etwa auch in der häuslichen Gesellschaft die Weiber nicht an Ort und Stelle? Wo sind Privatgesellschaf - ten, die in die Länge ohne Weiber sich halten könnten? Ihren Hauptreitz verdanken sie den Weibern, deren munterer leichter Ton Alles in’s Geschick bringt, und die schwersten Ge - genstände schmackhaft, anmuthig, gefällig und geläufig zu machen versteht — Sie finden zu den Gedanken des Mannes die schicklichsten Ausdrücke; und oft hab’ ich zu bemerken Ge -Z 2356legenheit gehabt, daſs, umgekehrt, Männer die Gedanken des anderen Geschlechtes durch wohlgewählte Worte zu beleben suchen. Bei jeder Regel haben sie zehn Fälle bei der Hand, die jene bestärken oder widerlegen; ihre vom richtigsten Geschmack gebildete Ein - bildungskraft bringt in die abstraktesten Dinge eine lebendige Seele! Wir wollen viel wissen, die Weiber viel verstehen; wir wollen viel gedacht haben, die Weiber viel sagen und in Umlauf bringen. Sie protegiren gemeiniglich nicht Gelehrte, sondern die Gelehrsamkeit; weniger eitel in dieser Hinsicht als wir, legen sie es darauf an, weniger gelehrt als weise zu seyn; sie ehren den Witz, und bedienen sich seiner als der ihnen von Natur beigelegten Waffen, sich in Achtung zu setzen und darin zu erhalten. Durch Witz beleben sie ihre gesellschaftlichen Cirkel, und halten jede Un - gezogenheit ab; ihre gefällige Laune tingirt Alles mit Wohlgefallen — Dem Pedanten schleifen sie den Rost ab, damit er erträglich werde; und wenn Newton ihren Finger nimmt, um seine Pfeife nachzustopfen, so wissen sie357 diese unverzeihliche Zerstreuung zu seinem Vortheile zu wenden; wenn er etwas über die Offenbarung Johannis schreibt, so thut es durch den Schutz, den sie ihm angedeihen lassen, ihm an dem Orte, wo er lebt, keinen Schaden. Ein groſser Gewinn! Nichts wird so wenig vergeben als persönliches Verdienst, und nichts wird so gern von Damen in Schutz genommen als eben dieses. Empfindlichkeit ist innig mit Genie verbunden: in unserem Glücke liegt auch immer der Keim unseres Unglückes; und wie viel haben Damen zu thun, um hier Alles zum Besten zu kehren, zu ebenen und in’s Gleichgewicht zu bringen! Ruhe und Ruhm sind selten gute Freunde; Damen versuchen die Sühne unter ihnen, und wissen sie zu vergleichen. Sie vertreiben je - nen Rauch in den Schriften der schönen Gei - ster, der Alles räucherig gemacht haben würde, wenn nicht in Zeiten frische Luft dazu ge - kommen wäre. Sie stellen bei kleinen Sou - pers witzige Turniere an, und lenken das Ge - fecht. Sie widersprechen nicht wie mein Gegner, sondern oft nur, damit man einsehe,Z 3358daſs hier ihrer Zwei sind — Wenn Gelehrte Gedanken überschlagen, so wie man Blätter überschlägt; so füllen sie die Lücken, und setzen Alles in Verbindung — Ihre Aufmun - terung erhält den verdienstvollen Schriftsteller aufrecht, wenn Knaben ihn einen Kahlkopf heiſsen; sie decken ihn mit ihrer Ägide vor den feurigen Pfeilen des Neiders und Spötters, so daſs die besten Autoren an ihrer Hand die Stufe der verdienten Würde erstiegen, die sie ohne diese Engel der Stärkung gewiſs nicht erreicht haben würden — In der Blüthe wä - ren sie verwelkt, und noch ehe sie zu männ - licher Stärke gelangten, würden sie, ohne weib - liche Aufmunterung. Autorlebenssatt dahin ge - schieden seyn — Die Prämien aller Akade - mien können nicht den aufgekitzelten Witz eines Spötters in unserm geselligen Kreise zü - geln; — und Weiber, die so wohlthätig in kleinen Gesellschaften sind, sollten es weniger in gröſsern und im Staate seyn —? Ein Eng - lischer Reisender macht die Anmerkung, daſs die Französinnen in den Tagen der Fröhlich - keit und des Genusses glänzten, die Englän -359 derinnen dagegen im Schatten des eingezoge - nen Lebens und in der häuslichen Ruhe — Man lasse sie zu Staats-Geschäften, und wir werden finden, daſs sie nicht bloſs zum Englischen Frühstück, zu einer Französischen Assemblee, sondern auch in Geschäfte die nämliche Milde und Güte bringen werden, die sie überall, wo sie sind, verbreiten — Sie sind das Salz der Erden, das Allem Geschmack giebt, das Licht, das überall erleuchtet, es mag als Mond des Hauswesens, oder als Sonne des Staates aufgehen. Nicht nur die ange - borne Moral ihrer schönen Seelen; nicht nur ihre Herzenskunst die feinsten Winkelzüge des menschlichen Empfindens zu erreichen; nicht nur ihr durchdringender Blick, der wie die Steine Davids Goliathe tödtet; sondern auch jene Eigenschaften, die uns die Kindheit so liebenswürdig machen, ihre edle Einfalt, ihre Güte des Herzens, ihre von aller Menschen - furcht entfernte Seele, ihr unbesorgtes Ver - trauen auf den Vater im Himmel und auf eine gerechte, eine gute Sache, würden die Staats - geschäfte wiedergebären, und wir einen neuenZ 4360Himmel und eine neue Erde des Staates sehen, wo Gerechtigkeit und Milde wohnten, und in einem neuen heiligen Leben wandeln. — Es wäre eine unverzeihliche Spötterei, wenn man auf die Frage: warum die weiblichen monar - chischen Regierungen besser als die männli - chen sind? antworten wollte: weil alsdann Männer das Ruder in Händen haben, so wie, wenn Männer regieren, Weiber sich am Ruder befinden; allein auch selbst diese Spötterei, so wenig sie von der Geschichte gerechtfer - tigt wird, beweiset mindestens, daſs Weiber guten Rath zu schätzen wissen: und ist dies nicht bei Männern nur selten der Fall? Doch, berufen Einwendungen zu lösen, wie komm’ ich zur Apologie —?
» Eine Hauptbestimmung des Weibes ist » Kindererziehung. Um desto sicherer zu glän - » zen, versäumt es diese Pflicht, die Miethlin - » gen überlassen werden muſs; und wenn etwa » eine Mutter noch mit getheiltem Kopf und » Herzen die Erziehung ihrer Tochter über - » nähme — ist es Wunder, daſs sie, durch Ge - » sellschaft verdorben, anfänglich mit ihr para -361 » dirt, und nicht lange nach diesen Tagen ei - » fersüchtig auf sie wird? » —
Lieber! ist die Erziehung bloſs Pflicht der Mütter, oder liegt sie nicht auch den Vätern ob? gehören die Kinder nicht beiden? Und wenn der Vater, dieser Verpflichtung ungeach - tet, nicht aufhört gesellig zu seyn, warum soll es denn die Mutter? Wozu werden Kinder erzogen? nicht zur Gesellschaft im Groſsen und Kleinen? und diese kennen zu lernen, soll die Mutter Verzicht thun? sie soll erzie - hen, ohne die Erziehungskunst zu kennen? — Einer der ungerechtesten Vorwürfe ist es, die groſse Weichlichkeit unseres Jahrhunderts auf die Rechnung der Weiber, und des Tons, den sie in Gesellschaften angeben, zu setzen. Sind wir wohl so weichlich wie die cultivirten Völ - ker, die ihre Weiber einsperren? Selbst zu gymnastischen Übungen giebt das andere Ge - schlecht unsern Jünglingen Gelegenheit, die in - deſs kaum noch Kraft zum Tanze haben, der ohne die Weiber völlig aufhören würde —! — Die Weichlichkeit fing von jeher bei unserem Geschlechte an, und gewiſs haben wir es denZ 5362Weibern zum gröſsten Theil zu verdanken, daſs sie nicht noch gröſsere Verwüstungen macht. Jene Eitelkeit, die jetzt den Weibern anklebt, wird von selbst aufhören, wenn wir ihnen den Zutritt zu Dingen verstatten, wo sie sich von einer vortheilhafteren Seite zeigen können. Bis jetzt schränkte sich ihre ganze Bestimmung auf die Kunst ein uns zu gefallen, und ein Mädchen hat seinen Lauf vollendet, wenn es das Glück hat, einen Jüngling anzu - werben, der seiner würdig ist. Gebet den Weibern und Mädchen andere Beschäftigun - gen, und sie werden jene Kleinigkeiten, jene Puppen aufgeben, und die äuſserlichen Vor - züge weit unbeträchtlicher finden, als ein gro - ſser Theil unserer Narcissen, die im Spiegel der Mädchen bloſs ihr geziertes Selbst erblik - ken. Befriedigen wir überhaupt durch das, was wir dem anderen Geschlechte zugestehen, nicht weit mehr unsere Eitelkeit, als die For - derung der Natur, als die Wünsche eines denkenden Weibes? Es ist nicht zu leugnen, daſs jetzt auch eine tugendhafte, ihrem Manne getreue Frau eine gewisse Koketterie für keinen363 Fehler hält und Männern von Verdiensten so liebreich und zuvorkommend begegnet, daſs diese nicht umhin können, ihr eine vorzüg - liche Dankbarkeit zu erweisen — Doch sol - len hierdurch Begierden nicht geweckt oder gereitzt werden; nie denkt jene liebe Frau sie zu befriedigen, und der Mann, der darauf Rechnung machen wollte, wäre ein Neuling, oder ein Prahler oder — Wenn der liebe Gott einen Menschen strafen will, so fängt er an, ihn inconsequent reden oder handeln zu lassen — — Es giebt stillschweigende Be - dingungen, die, ob sie gleich nicht verabredet, sondern vorausgesetzt und angenommen sind, doch heiliger als schriftliche Contrakte, mit Notariatssiegeln verunstaltet, erfüllt werden — sie sind eine Art von Spielschuld, die auch den Königlichen Allerhöchsten Kassen vorgeht — Bei der jetzigen Lage der Dinge trägt diese Koketterie des gemeinen Lebens dazu bei, daſs der Umgang anziehender wird — man macht, wenn ich so sagen darf, nicht dem Körper, sondern der Seele den Hof, und es giebt in der That Seelen-Cicisbeos, die un -364 schuldigsten Geschöpfe unter der Sonne — Eine gewisse Art von Gleichheit unter den Menschen, welche an die Unschuld der ersten Welt erinnert, wird hierdurch zu Stande ge - bracht; und so lange Weiber an den Staats - geschäften nicht Theil nehmen, und wir keine ernsthafte Dinge mit ihnen und in ihrer Ge - genwart treiben können, ist diese Koketterie ein Nothübel, ohne das unsere Gesellschaften das Schalste, Unreitzendste und Langweiligste seyn würden, was je in der Welt gewesen ist und seyn kann.
Der Einwand meines Gegners, daſs Wei - ber zu viel Zeit auf ihren Leib verwenden, spielt den Krieg in sein eignes Land — Sind wir es nicht, die ihnen die Seele bestrei - ten —? die sie auf den Körper einschränken? Ist denn etwa der Körper uns bloſs Ballast, mit dem die arme Seele sich beschwert hat, um auf der Fahrt dieses Lebens fortzukommen? oder ist er nicht vielmehr ein ehrwürdiger Theil des Menschen? — Wer die Seele den Genius des Menschen nannte — hatte der so ganz unrecht? Man gradiere die Weiber im365 Staate, so wie man dem Golde eine höhere Farbe giebt; und sie werden über den Leib die See - le nicht versäumen — Ist es Ernst, lieber Einwender, oder ist deine Behauptung, daſs die Weiber eine unüberwindliche Neigung zur Pracht besitzen, wodurch sie ihre Männer zur Verschwendung und zu betrügerischen Concur - sen verleiten, Scherz? — Ernst also! Lie - ber! wer brachte sie auf die Bahn zur Pracht? nicht der Stand des Mannes? müssen sie nicht diesem oft die glücklichsten Neigungen ihres Herzens aufopfern? Ist ihre natürliche Stimmung nicht für Einsamkeit und Landle - ben? — Landleben? — Allerdings! Nicht aber für jenes, das keine Wohnung der Welt - entfernung, sondern eine Gelegenheitsmache - rin zu neuen Üppigkeiten und zu einer ganz neuen Art der Übertreibung ist — An der Hand des Weibes scheint die Natur sich mit uns vertraulicher einzulassen und recht Gele - genheiten aufzusuchen, ihre Milch und ihren Honig, den ganzen Reichthum ihrer Wollüste, uns schmecken und sehen zu lassen. Die ed - len Ergüsse der Zärtlichkeit, wenn sie reitzend366 ausgewechselt werden sollen, suchen das Land, und entfernen sich von Hof und Stadt; wo sie Fremdlinge sind — sie leiden keine Zeu - gen, und weit weniger Laurer und Faher — Wie oft muſs sich das Land miſsbrauchen lassen, die verstimmten Sinne des Hofmanns, nicht zur Tugend und zu sanften Sitten, sondern zu neuen Ausgelassenheiten aufzuheitern! — Man sucht reinere Luft, um sich zu einer neuen Art Ausschweifung aufzufrischen — Weiber suchen das Land, und warten nicht darauf, dahin verwiesen oder ausgestoſsen zu werden — Freund! sie sollten die Gräfin ** b * kennen! Sie darbt, wenn man an der Hand der Natur darben kann, um für ihren Schlemmer von Gemahl eine ungeheure Schul - denlast zu bezahlen, die nicht bloſs Sünden der Jugend sind, sondern die er in einem Staatsposten, der seinen Mann nährt, noch immer vergröſsert — Weiber schaffen sich Welten, die sie besäen und bepflanzen, durch eine wohlthätige Einbildungskraft, die ohne Mühe reich macht: in der wirklichen Welt — wie unbedeutend ist da ihre Rolle! — sie zogen367 Nieten aus jenem Glückstopfe; wir die Ge - winner — Man kann durch Gedanken sich erhitzen und zu einer Röthe kommen, die man eine Seelenröthe nennen könnte, und die sich von allen jenen unterscheidet, welche durch körperliche Erhitzungen veranlaſst wer - den; und so eine Röthe innerer Zufriedenheit, mit Zuziehung einer wohlerlaubten Einbil - dungskraft erregt — welch eine Zierde auf der Wange eines edlen Weibes! Hast du nie die Wonne eines Familienzimmers empfunden, wo man eigentlich zu Hause ist? denn in den übrigen wohnen Gäste oder ein antisokratischen Dämon von Pracht und Stolz; und welches Zimmer ist dem andern Geschlechte das ange - messenste? das erste das beste — Und wie! wenn es auch Weiber giebt, die zu meiner Beschreibung nicht passen, wurden sie nicht schon als Bräute zum unzeitigen Aufwande durch Geschenke verführt, die weit über das Vermögen des Bräutigams gingen? Schwingt sich das Weib zum Regiment, so wird es ihm schwer und unerträglich sich herabzustim - men —; und wenn es sich wirklich herab -368 stimmt, ist es verzeihlich, solche Blöſsen zu geben? solche Betrüge ungestraft zu begehen? ist es nur anständig, als Bräutigam den Pastor fido zu spielen, um nachher als Ehemann den Orlando furioso zu machen? sein Weib aus dem Himmel in die Hölle, aus Eldorado in eine Schenke zu werfen, wo man es durch ein Schattenspiel an der Wand entschädigen will? — So betete man weiland in Paris die Komödianten an, denen man im Tode ein ehrliches Begräbniſs versagte —.
Weiber sind auffahrend; der Zorn aber (das Vorspiel der Raserei) thut nie, am we - nigsten in Staatsgeschäften, was Recht ist.
Und woher dieser Zorn? der Ohnmacht hal - ben, und weil den Weibern keine rechtmäſsi - ge Macht zustehet? Was hilft es, mit sich selbst zu Rathe zu gehen, wenn es an ausüben - der Gewalt fehlt, die weise genommenen Be - schlüsse zur Vollziehung zu bringen! — » Kannst du regnen, so kann ich auf Holzschuhen ge - hen, » heiſst es in einem alten Deutschen Sprichworte; und wer leugnet es, daſs man bei den Ausbrüchen des Zorns die eignen Ge -dan -369danken der Seele nicht vernimmt, so wie man bei tobendem Gewitter sein eignes Wort nicht hören kann! — Als jener edle Mann des Alter - thums nach seiner Rückkehr sein Hauswesen in unverzeihlicher Unordnung fand, stellte er seinen Vizdum, den ungerechten Haushalter, bloſs mit den weisen, bewunderungswürdigen Worten zur Rede: wie würd’ ich dir begeg - nen, wenn ich nicht böse wäre —! Mein guter Freund ** sah einem Diebe gelassen zu, der ihm sein Holz stahl, und nur als er zu befürchten anfing, der Holzdieb würde sich zu sehr belasten, bat er ihn dienstfreundlich, sein selbst zu schonen, und sich, den Weg zweimal zu gehen, nicht verdrieſsen zu lassen. Rechtsum, schön! und Linksum? Welchem Herrn dient der Knecht lieber: dem, der ihn in der ersten Hitze seine Strafhand empfinden, oder dem, der eiskalt ihn blutig stäupen läſst? » Der Teufel verliert keinen Dreier dabei, wenn ich nicht fluche, » sagte ein Bauerknabe, als ihm das zweite Gebot eingebläuet ward — So theuer bezahl’ ich die Weisheit nicht — Wie Vielen kostete die Zornunterdrückung Ge -A a370sundheit und Leben! — Gesetzt Weiber ver - ständen die Kunst nicht, ihren Zorn äuſserlich zu zähmen, und eine gewisse Ruhe zu schwarz - künsteln — sind nicht die unversteckten Feh - ler die leichtesten und gemeiniglich Schwach - heitssünden, von denen sich auch fromme gottgefällige Seelen nicht lossagen können? Die Heiligen sind in dieser Rücksicht nicht ohne Fehl vor Gott; — vor Menschen es zur Scheinheiligkeit zu bringen, kann nicht schwer fallen. Jene Fehler bleiben die gefährlichsten, die in Schafskleidern zu uns kommen, inwen - dig aber reiſsende Wölfe sind: an ihren Früch - ten sollt ihr sie erkennen — Zürnet und sün - diget nicht — Ist nicht der Zorn eine Art von Waffen, womit wir oft Gutes erweisen können, ohne zu schaden? Was würden Weiber ohne dies Hausmittel bei der Kinder - erziehung ausrichten? Giebt es nicht Unbe - schnittene an Herz und Ohren, denen man nachdrücklich und gewaltiglich andeuten muſs, was zu ihrem Frieden dient? — » Verziere das Nützliche, » sagte die Weisheit; die Thor - heit, die alles umzukehren gewohnt ist, kehr -371 te das Gebot um, und machte das Hauptwerk zum Nebenwerke. Giebt der Zorn nicht oft der Sache einen gewissen Schwung —? Wer kennt und schätzt nicht den Diensteifer, der das dritte Wort ist, wenn wir dem Staate un - sere Dienste anbieten, wenn wir wirklich sei - ne Officianten werden und wenn wir mit der Bitte einer Pension den Staatsdienst verlas - sen —!
Der unbilligste Einwand von allen ist, daſs Weiber darum nicht zu Geschäften berufen sind, weil sie zu keiner Freundschaft unter sich Verstand und Willen haben. (Man über - sehe nur nicht, daſs nicht ich sondern mein Feind so freundschaftlich ist, an die Freund - schaft zu denken —) Ich leugne nicht, daſs ohne ein gewisses Band so genannter Freund - schaft, eigentlich Offenheit, gutmüthiger Be - kanntschaft, Staatsgeschäfte schwerlich be - wirkt, und die leider zu künstlich gerathene Maschine des Staates vereinfacht werden kann, weil ohne dieses Band keine Einheit im Staa - te herauszubringen ist und alles in der Irre ohne Zusammenhang und Ordnung bleibt —A a 2372Wer ist aber im Stande, den Weibern Über - legung hierzu, kalte Schätzung des Gegenstan - des, Feinheit, zuvorkommendes Wohlwollen und Aufopferung abzusprechen —? Schon jetzt giebt es Freundschaften unter ihnen, die den unsrigen nicht weichen — Nur das Vor - urtheil der Männer hat ihnen die Anlagen zur Freundschaft abgesprochen. Sind sie nicht zarter, treuer, unüberwindlicher, unbestech - barer, als viele Männer, wo Neid und Riva - lität von so vieler Art die Triebe des Herzens verfälschen, und die Freundschaft zum Con - trakt do ut des, facio ut facias, nicht zum Herzens -, sondern zum Sachentausche machen? — Damon - und Pythias-Freundschaften sind Fälle, die zu den seltenen gehören, und die bei dem Einerlei der Weiber, bei ihrem All - tagsleben um so weniger zu erwarten stehen, da Proben und Situationen zu dergleichen Freundschaften durchaus unentbehrlich nöthig sind — Und wie verschieden sind jene Da - mon - und Pythias-Freundschaften vom Dienst - gleichgewichte, das durch ein gewisses Ein - verständniſs bewirkt wird. Weiber müssen373 jetzt von Geschlechtswegen, wo nicht interes - siren, so doch Herzen gewinnen, wo nicht angebetet, so doch geliebt werden wollen; setzt sie über die Sinnlichkeit hinaus, und ih - re Eitelkeit, ihre Neugierde, ihr jetziger Hang zum Vergnügen werden sich veredeln — sie werden nicht aufhören, Weiber zu seyn; — wie unglücklich wären wir, wenn sie das könnten! — nur werden sie aufhören, die Weiber zu seyn, die sie jetzt sind — Diese Verwandlung wird uns heben, statt daſs man uns jetzt, wie jenen Elephantenleiter, fragen könnte: bist du darum so trotzig, weil du Thiere commandirst? An uns ist der erste Schritt, und nur von unserm buſsfertigen Ent - schlusse hängt es ab, diese Revolution zu be - wirken. Werdet andere Männer, und Alles, vorzüglich die Weiber, ist anders als jetzt. Mit dem Maſse mit dem wir sie messen, wer - den sie uns wieder messen. Dienstfreund - schaft! Ist sie denn unserm Geschlechte ei - gen? Nicht nur die Kraft, auch den Schein verleugnen wir. Führen die Staatsdiener nicht unter sich den dreiſsigjährigen Krieg? DerA a 3374Financier ist wider den Justizmann, und der Justizmann wider den Financier; das diploma - tische Corps wider das Kriegs-Departement, und dieses gegen jenes — Einer will den andern übermeistern, ohne daſs er seiner selbst Meister ist: Einer will dem andern die Grän - ze verrücken, einer stellt dem andern ein Bein — Doch, leider! ist es immer der Staat, der bei dieser Gelegenheit in die Gru - be fällt — Oft giebt sich sogar Richtercom - plott und Höllenbund wider den Unterdrück - ten für Dienstfreundschaft aus; und da ist das letzte Übel ärger, als das erste; da ist guter Tag und guter Weg ein Himmel gegen jene Mörder-Bande —
Der sittliche Zustand der Weiber gründet sich sehr natürlich auf ihren gesetzlichen — Da das Mädchen sich ihren Gefährten des Lebens nicht laut und deutlich wählen kann; so sieht es sich genöthiget, dieses Geschäft zutrauensvoll seinem Auge zu übertragen, das, an diese Einladung gewöhnt, nie ganz diese Weise aufgeben kann — Man scheint dieser Manier eine Art von Dankbarkeit erweisen zu375 wollen, die jetzt, da Alle dies Blickspiel trei - ben, das Unanständige nicht hat, das es sonst haben würde. Diese Blicke, wodurch sie eine besondere Art von Beherrschung, die man Augenherrschaft nennen könnte, und eine ge - wisse gefällige Freundschaft üben, haben ihren besondern Contract social und so bestimmte Gesetze, daſs man auf ein Haar weiſs, wann die erlaubte Grenze überblickt wird — Dem Reinen ist Alles rein — Wer findet nicht ei - nen sicheren Weg zur Wonne, in dem schön - sten der Spiele, einer verstohlnen Liebe? Die Genüsse der Verstohlenheit steigen zu einer geistigen Würde, zu einer hinreiſsenden Deli - catesse — Durch jenes Glück, das die Mäd - chen sich erblickten, durch jene anziehende Kraft, wodurch sie auf die Jünglinge wirkten, hat ihre Verlegenheit auch bei weitem noch nicht ihr Ende erreicht, wenn sie die Ehre haben, in die Gewalt der Männer zu kommen. Sie sinnen unaufhörlich darauf, diese Gewalt durch alle Künste einzuschränken, so daſs am Ende nicht viel davon übrig zu bleiben pflegt — Da sehen sich denn Weiber zuweilen —A a 4376ist es ihnen zu verargen? — nothgedrungen, vermittelst der Augen mit getreuen Nachharn und desgleichen Allianzen zu ihrer Deckung einzugehen; und so unschuldig dieser Freund - schaftsanfang gemeiniglich ist, so schuldig können oft Schutzverträge dieser Art werden. Von Personen ihres Geschlechtes können sie keine Beihülfe erwarten, und ihre Freund - schaften unter sich sind von anderer und originaler Weise. Giebt es aber nicht eben so viele wahre Freundinnen, als es wahre Freunde giebt —? Von der bürgerlichen Ver - besserung der Weiber wird es abhangen, daſs ihre Freundschaftsanlagen berichtiget und ver - bessert werden — Wie unbillig sind wir, von Weibern — denen wir die Würde Perso - nen zu seyn, versagen — mehr zu fordern, als ihnen zu leisten möglich ist! — — Fast könnte man behaupten, daſs die Gesetze, die für ihr Vermögen, wie für das Vermögen eines Unmündigen, sorgen, ihre Personen darüber vernachlässigen, oder sie wenigstens vergessen zu haben scheinen. Frauenzimmer, welche Mütter werden können, sind keine Kinder377 mehr — Der bittere, nicht unverdiente Vor - wurf, den man unserem Geschlechte macht, » daſs es heut zu Tage keine Kinder mehr ge - be » — stehet er nicht mit unserer Grausam - keit, die Weiber als groſse Kinder zu behan - deln, in engerer Verbindung, als man denken sollte? — — —
Es giebt Regenten, die sich den landes - väterlichen Wunsch des Caligula aus Geitz eigen machen: ach, wenn doch alle ihre Pro - vinzen nur Einen Hals hätten! nicht um ihn zu brechen, sondern nur eine einzige Röhre zum Essen und zum Trinken in ihrer Monar - chie zu haben. So tyrannisch bin ich nicht in Hinsicht meiner guten Freunde von Oppo - nenten, die es indeſs nicht viel besser als die Virtuosen machen, welche oft beschwerlich sind, wenn sie Niemand hören will, dagegen stumm und eigensinnig, wenn sie sich hören lassen sollen.
Die Unbeständigkeit soll ein so cha - rakteristischer Zug des weiblichen Verstan - des seyn, daſs Weiber bei keinem Gegen - stande der Untersuchung und des ernsten Nach -A a 5378denkens mit gleicher Anstrengung lange zu verweilen im Stande wären.
Der gröſste Theil des andern Geschlechtes, der Mittelstand, hat nur eine einzige Art von Beschäftigung, kommt nie aus dem Takt, und weiſs nur vom Hörensagen, was lange Weile ist. Diese entsteht aus einer Art von Luxus der Beschäftigungen, und gehört in der Regel zu den Eigenschaften der Männer, obgleich auch Damen höherer Region an diesem Übel Theil nehmen, und an demselben schwach und krank danieder liegen, wenn das Ver - gnügen länger dauert, als sie es auszuhalten gewohnt sind. Die Frau Gräfin hatte lange Weile in der Komödie, weil heute noch Re - doute ist; allein auch auf der Redoute wird ihr die Zeit lang werden; weil sie keine Par - tie findet; und auch wenn sie diese gefunden hat, würde die Zeit von ihrem Blei kein Gran verlieren, da ihr Cicisbeo bei dem fürst - lichen Souper lange Weile hat, und sie mit ihrem Verehrer nicht minnespielen kann. Bei einem einzigen Spiel findet die schöne Welt zu wenig Beschäftigung. Konnte doch379 Julius Cäsar lesen, schreiben, und sieben Ca - binetssekretarien sieben besondere Briefe dikti - ren! — — Und lebt die schöne Welt wirk - lich? — Nein doch! sie spielt das Leben — Unbeständig überhaupt find’ ich das andere Geschlecht nicht mehr nicht weniger, als das unsrige; vielmehr ist ihm eine gewisse Welt - überwindung eigen. Es verstehet sich darauf in’s Dunkle zu werfen, und glänzt eben darum desto besser — Stilles Verdienst ist sein Ei - genthum; und sind dies Anzeigen des Unbe - standes? — Zeitiger und fester nimmt es sei - ne Partie als wir — Zwanzig exemplarische alte Jungfern gehen auf einen Hagestolzen gleicher Art.
Die groſse Lebhaftigkeit weiblicher Em - pfindungen und weiblicher Einbildungskraft, das zu reitzbare Nervensystem soll indeſs Schuld an der Unbeständigkeit und dem bloſs flüchtigen Feuer bei Gegenständen des Nach - denkens in Hinsicht der Weiber seyn; auch sollen sie für groſse Gegenstände des mensch - lichen Wissens nur selten ein wahres Interesse fühlen —
380Und giebt es denn in unserm Geschlechte Viele, bei denen jene Ausdauer ist? die ein, dem ersten neuen und frappanten Eindruck gleiches, Feuer bei scientifischen Gegenstän - den behaupten, die dem Spiele schnell auf einander folgender angenehmer Empfindungen widerstehen, und einem Gegenstande getreu bleiben bis in den Tod? Hat nicht fast jeder, auſser seinem Haupt -, noch einen Neben-Be - ruf, den er Erholung nennt, und an dem er weit mehr hängt, als an seiner Hauptsache? Die eigentliche Strebsamkeit ist dieser Neben - sache gewidmet: und hierbei, pflegt man es auch, durch Gottes Segen, in kurzer Zeit wei - ter zu bringen, als bei der eigentlichen Haupt - sache. Friedensschlüsse verbinden jeden, nur nicht die, welche sie schlossen; und angewie - sene Officianten haben überall Kraft und Macht und Glauben in ihrem Amtsbezirk, wenn sie gleich — (während sie eine Aktenrelation fer - tigen, ein Paar über Nichts und wider Nichts uneins gewordene Nachbarn ausgleichen, dem jungen Greise von Vormunde, bei dem sein Mündel das erloschene Feuer anfachen soll,381 dies unschuldige Geschöpf entreiſsen, ein Do - mainen-Stück taxiren, den verfallenen Nah - rungsstand eines Fleckens untersuchen, die Klagen von hundert unterdrückten Bauern hö - ren, und einer Wittwe zu dem ihr vertheuer - ten Rechte verhelfen, und ihre Rechtssache verkürzen sollen) — ein Lied auf den Früh - ling zusammenstümpern, einer Wildenschweins - jagd beiwohnen, ein Pikenik abwarten, eine Strohkranzrede halten, oder in Liebelei ver - sinken — Haben doch Könige und Fürsten Kühe gemolken, Netze gestrickt, Knöpfe ge - drechselt, gemahlt u. s. w. Leibnitz war so wenig Professor Philosophiae, als Wieland Professor Poëseos; und was giebt es denn für groſse Gegenstände des menschlichen Wissens, für die nicht Jemand aus dem andern Ge - schlechte eine Neigung gezeigt hätte? Die Geduld, das Ausdauern der Weiber ist zum Bewundern; und legen’ sie nicht täglich davon ein Zeugniſs ab, indem sie die Formen nicht zerbrechen, in welche Gewalt und List sie goſs? indem sie Kinder erziehen und in’s Ge - leise bringen, die ihre Väter oft durch blinde382 Liebe und eben so oft durch blinde Streng verderben —? indem sie mit ihren Männern (leider! nur zu oft alten Kindern) gelinde um - gehen, wie mit jedem Übel, das nicht zu än - dern ist, und sie heben und tragen und leiten, um sie nur wenigstens leidlich zu erhalten? — Aristoteles ging spazieren, wenn er lehrte und lernte, und hieſs der Spazierer (Peripate - tiker) — Oder ist es nöthig, daſs Alles im ersten Feuer gearbeitet wird? daſs die Phan - tasie uns Alles mit Flammen mahlt? und daſs Alles, was wir denken und sagen, ein immer - währendes Feuerwerk ist? — Auſser dem Feuer giebt es noch andere wohlthätige Ele - mente — Ungezügelte Bilder, funkelnde Sprü - che, tiefgeschöpfte, schwer herausgezogene Sätze mögen immer bleiben, was sie sind; es giebt Gedanken, die ihren stillen Werth haben — die gerechtfertigt werden durch That —! — Wenn den gelehrten Arbeiten der Weiber eine gewisse Furchtsamkeit an - klebt — ist es Wunder, da sie sich in die gelehrte Republik bloſs hineinstehlen müssen? Von Natur sind sie dreister als wir; das Ge -383 fühl des Unvermögens, den Vorzügen Anderer gemäſs zu reden und zu handeln, das Allem eine gewisse Ängstlichkeit giebt, ist ihre Sa - che nicht — Die Gabe ihrer leichten unge - zwungenen Unterhaltung wird ihren Vortrag nie mit üblen Angewohnheiten und Einschieb - seln verunstalten, die sich nicht viel besser ausnehmen, als wenn verlegene mit der Welt noch unbekannte Jünglinge von ihren Händen und Füſsen geärgert werden — oder wenn Fliegen in ein reitzendes Gericht fallen. Mü - ſsige Phrases in’s Gespräch einschalten, heiſst ihnen: die Zeit tödten; und durch schöne Re - densarten einnehmen: das Vergnügen als Zweck des Lebens behandeln. Seht Prinzen — und seht regierende Herren selbst, wie furchtsam sie sind! — Das Hof-Ceremoniel scheint nur erfunden zu seyn, ihrer Blödigkeit aus - zuhelfen. Auch giebt es eine edle Freiheit, welche die Folge eines guten Gewissens ist, — so wie es ein Wohlbefinden giebt, ein Gut - und Übelaussehen, das vom Gewissen kommt; und dies ist dem andern Geschlecht eigen — Warum sollten Weiber denn wohl als Schrift -384 stellerinnen furchtsam und verlegen thun und seyn, da die aufgehaltene Sprache sich durch - brechender Empfindungen eine Gewalt und Stärke besitzt, gegen die schwerlich sonst et - was zu wirken vermag, als unser kritischer Übermuth, der die Weiber durchaus nicht aufkommen lassen will? Weiber wissen Wahr - nehmungen zu Beobachtungen zu erhöhen; und da Männer Sätze zu Grundsätzen zu er - heben wissen, (die, wohl zu merken! der Phi - losoph sogar dem Mathematiker vorschreibt) und mit ihnen Tausend schlagen: so schlügen Weiber mit ihrem Witze gewiſs Zehntausend, wenn Männer ihn nicht durch eine Art von Gründlichkeit (die genau genommen wenig oder nichts bedeutet) zu lähmen und in Ver - legenheit zu setzen suchten. Weiber besitzen die Geschicklichkeit, alle Seelenkräfte auf Witz zurückzubringen — Gelingt ihnen nicht Umfassung der Sache auf eine bewunderungs - würdige Weise? Wissen sie nicht das ewige Einerlei, wozu sie verurtheilt sind, unübertreff - lich schön zu modificiren? und Aufmerksam - keit in hohem Grade, oder Scharfsinn zu zei -gen?385gen? Wie können sie aber einem Schwalle von Kunstwörtern widerstehen, womit wir Sturm laufen! wie eine schwerfällige Gelehr - samkeit widerlegen, wodurch wir sie aus dem Tempel der Wissenschaften hinauskritteln, dessen Allerheiligstes doch so leicht und ein - fach ist —! Warum soll es ihnen an Ge - dankenfülle, groſsen erhabenen Darstellungen von Charakteren, an hohem Schwunge gebre - chen, oder an Schöpfungskraft und hohem Grad des Enthusiasmus, da sie von dem allen ungesuchte und anspruchlose Proben im gemeinen Leben äuſsern? — Feine ori - ginelle und der Natur abgelauschte Züge sind ihnen eigener als uns; was ihnen am scharfen Umriſs bei ihren Charakteren (rich - tig ist er fast immer) abgeht, ersetzen sie durch ihr lebendiges Colorit — So wie sie ihren Körper zu kleiden verstehen, so kleiden sie auch ihre Gedanken — Die Angemessenheit ihrer Worte und die groſse Einfachheit in der Wortfügung, geben ihrem Styl eine Deutlichkeit, die nichts übertrifft. Die besten Denkzettel, die ein Autor seinerB b386Schrift anhängen kann, sind, wenn er durch seine Darstellungen uns an uns selbst erinnert; wenn seine Schrift dem Menschen durch das Herz geht; wenn die Leser sich einbilden: es fehle wenig oder nichts, so hätten sie diese Schrift selbst stellen können; sie wären im Stande gewesen, sie dem Autor in die Feder zu sagen; aus ihrem Herzen hätt’ er es ge - nommen und ihnen verkündiget — Solch ein Widerschein erleuchtet und frommt! — Wir lassen uns von Ideen, wie Sokrates von seinem Dämon, verfolgen, wir versetzen uns, wie Plato, in eine Republik; und so wie der, welcher ein unverwandtes Auge auf Einen Punkt heftet, zuletzt sieht, was er sehen will: so sehen auch wir mit dem Auge der Seele Windmühlen für Riesen, Wirthshäuser für Schlösser, Teiche für Weltmeere, eine Abde - ritische Posse für einen wohlüberdachten Fi - nanz-Kniff oder Operation an — Nicht ge - nug; auch Worte spielen den Meister nur zu oft über uns — Wir veruntreuen ihre Bedeu - tung, werfen eine willkührliche Markscheidung derselben auf, und fallen, wie Leute, die reich387 werden wollen, in Versuchung und mancherlei Stricke, wenn wir nach der leichtesten Art reich zu werden, zu sparen, oder nach der schwer - sten, zu speculiren, suchen — Wir arbeiten Al - les zum Druck aus, in der bestimmten Absicht, es dem gelehrten Publico zu überantworten, oder es in einem privilegirten oder unprivile - girten Cirkel vorlesen zu lassen — Und ob es gleich freilich correkter ausfällt, wenn der Inhalt lehrreicher ist, oder so aussieht, wie ein hingeworfener weiblicher Aufsatz; so wird die Arbeit des anderen Geschlechtes doch mehr Individualität zeigen, und eine Intuition behaupten, die wir, im Namen und von wegen unserer stupenden Gelehrsamkeit, fast keinem unserer Werke in gleichem Grade verleihen können. Leichter und flüchtiger sind weib - liche Arbeiten; allein darum oft treffender, richtiger, eindrücklicher. Weiber lieben schon nicht lange Worte, weil hier eine Hauptsylbe sich die anderen unterordnet und sich die Herrschaft über diese anmaſst — Lange Perio - den sind ihnen nicht angenehm, weil sie die Al - ten nicht genug kennen, weil dieselben schwe -B b 2388rer zu lesen und zu fassen sind, und weil der Witz ein Todfeind dieser Potsdammer ist — von denen ein plumper Holländer behauptete, daſs nur ein kleines Herz in einer dergleichen gewaltig groſsen Maschine gefunden werde — Selten lassen Weiber einen üppigen Spröſsling des Ausdruckes aufschieſsen — und ereignet sich der Fall, so ist es eine Feldblume, die sich nicht aus den Grenzen der Bescheiden - heit wagt — Bei uns gewinnt Nachdenken, bei Weibern Empfindung die Oberhand — Die Oberhand, sag’ ich; denn auch Nachden - ken leistet der weiblichen Empfindung hülf - liche Hand: und sind in ihren Aufsätzen nicht alle Ungleichheiten geebnet, so bleibt ihnen dagegen mehr Eigenthümliches — Man rücke das Ziel ihres geschäftigen Lebens über die Küche und Stricknadel hinaus; man führe sie nur an: und sie werden uns sehr bald an Scharf - und Tiefsinn übertreffen, ohne sich kraft ihres gesunden Menschenverstandes zu verstei - gen. Ach! wer kann sich entbrechen, wenn vom Vorzuge unseres Geschlechtes die Rede ist, mit Daniel auszurufen: Seht, das sind eure Götzen!
389Weiber können nicht allein seyn —
Nicht allein? Lieber! wenn die Einsam - keit gemahlt werden soll, muſs ein Weib sit - zen, oder sie ist nicht getroffen.
Oder nichts allein überlegen.
Und doch ziehen Männer sie alle Augen - blicke zu Rath; und wohl ihnen, und dem Collegio und dem Staate, wenn Männer es thun! O! wie gern wälzen die Männer ihre Bürde von ihrem Herzen auf ihre Weiber, denen sie ihre Geheimnisse anvertrauen! und wie viel haben Weiber zu tragen! o, wie viel! Von Weibern dagegen ist fast keine einzige, die nicht etwas hätte, was nur Gott und sie weiſs, was kein Beichtvater erfährt, und wo - mit sie der Zeit und Ewigkeit unerschrocken entgegen geht — Unsere Geheimnisse verflie - gen oft, gleich einem flüchtigen Geiste; die ihrigen sind ihnen in Herz und Seele geätzt — Wenn Gedanken ihren Schöpfern entkommen, die sich bei aller oft widerlichen Anstrengung nicht zurückbringen lassen — ihren Schöpfern, die nur selten Gedankenerhalter sind; so ver - statten Weiber ihren Gedanken nicht so vielB b 3390Ausgelassenheit — Was ich doch sagen wollte, wird man selten oder gar nicht von Wei - bern hören. Ihr Gedächtniſs ist getreuer, als das unsrige; und schwerlich wird ein Weib so zerstreuet seyn, wie Terrasson, und so sehr sein Gedächtniſs verlieren, wie er. Weiber halten Zerstreuungen für Affektation, und können sich nicht des Lachens enthalten, wenn sie von Terrasson hören, daſs er kurz vor seinem Ende im Gedächtniſs-Concurs Alles an seinen Verwalter Luquet assignirte, so daſs er, als sein Beichtvater ihn bei der letzten Beichte nach seiner Sündenmenge fragte, demselben auch diese Assignation gab: Fragen Sie nur Luquet. —
Weiber wären nicht selbstständig und allein fähig? Eine Einwendung, die, so leimgestärkt sie auch scheint, sich nicht halten kann. Wenn wir zwischen Furcht und Hoffnung schwanken, nehmen sie gleich Partie, und sind entschlossen an Leib und Seele — Ihre Entbindungen machen sie so dreist. Bei min - der wichtigen Dingen halten sie es nicht werth, es noch auf Entschlüsse auszusetzen[.]391Es gehe, wie es gehe — In politischen An - gelegenheiten schlagen sie, wenn wir kannen - gieſsern, sich zu keiner Parthei, und wählen das beste Theil. Was wir leisten, macht un - sern Lehrern Ehre; was sie leisten, ihnen selbst — Sie mischen die Karten, und theilen sie so aus, daſs Spieler und Zuschauer zufrieden sind, wenn dagegen eine Menge staatskluger Köpfe beisammen sitzen, und noch immer in gerech - ter Befürchtung, nicht Kopfs genug zu besit - zen, auf Verstärkung ihrer Beisitzer denken. Vor lauter Räderwerk wird nichts zu Stande gebracht, vor lauter Reden kommt es zu kei - ner That, vor lauter Stimmenzählung zu kei - nem Schlusse. Wer von uns hat sich über das Stimmen der Instrumente nicht geärgert, ehe es zur Sinfonie kommt —? Hohe Deut - lichkeit und stärkeres Licht mit mehr Vergrö - ſserung zu vereinigen — das ist das Ziel der Ausrüstung, um Augenreisen in die Ferne zu thun. Wie oft zerschlagen unverständige Kin - der und bärtige Collegia einen stattlichen Spie - gel, um eine Fliege zu tödten! und noch öfter wird das Kind mit dem Bade ausgegossen. B b 4392Des Bocksbeutels und der verkünstelten Kunst halben kommen Dekrete zum Vorschein, mit denen am wenigsten in allen Fällen, und höchstens nur provisorisch, auszulangen ist; Dekrete, die höchstens Palliative sind, um sich eine angenehme Ruhe für die nächste Nacht zu machen.
Warum soll man den Jesuitenorden von den Todten erwecken, und die heimlichen Je - suiten, Jesuiten en tapinois (das schöne Ge - schlecht) privilegiren?
Warum? weil die heimlichen schädlicher sind, als die öffentlichen, weil die öffentlichen (wenn nämlich nichts heimlich bei ihnen bleibt) aufhören Jesuiten zu seyn, und weil ge - heime Krankheiten die gefährlichsten sind — Wie kommt aber das andere Geschlecht zur Ordensehre?
Maitressen von guter Abkunft haben bei weitem das Böse nicht gestiftet, was die Mai - tressen niederer Abkunft, eine Pompadour, eine du Barry, sich zu Schulden kommen lie - ſsen. Allerdings! und also nehme man nicht Maitressen, sondern Weiber.
393Nein, also lasse man die Weiber in ihrer Dunkelheit! Getroffen, wenn sie Maitressen werden sollen — Wenn sie aber ihren gött - lichen Ruf, Weiber zu seyn, befolgen, so hebe man sie nicht durch Flittergold, sondern durch Ächtheit — Sind die Türkischen Bassen und Veziere, die Beys in Ägypten darum mensch - licher, weil sie in ihren früheren Jahren das Elend des Volkes aus erster Hand kennen lernten?
Welche Widerlegungen!
Sind etwa die Einwendungen besser?
Es läſst sich Alles vertheidigen —
und wider Alles einwenden.
Ich wollte um Vieles, um Alles in der Welt kein Weib seyn —;
ich auch nicht —
und doch —
und eben darum.
Wer hat nun Recht —?
Wer die Wahrheit sagte.
Und wer sagte die Wahrheit? nicht wahr: wer Recht hatte?
B b 5394Wer die Sache der Unterdrückten führte, und wer der Menschheit sich annahm.
Der Menschheit?
Sind etwa Weiber nicht Menschen?
Der Unterdrückten?
Sind wir nicht ihre Tyrannen?
Heil den irrenden Rittern!
Heil und fröhliche Gestalt, wenn ihr Ritt auf Menschenwohl ausgeht —
und wenn sie keine Dulcineen haben,
als die Reinheit der Absicht, die Dulcinee unserer Philosophen —.
Dies Buch wäre nicht eines Weibes halben geschrieben —?
Nicht eines Weibes, sondern der Weiber halben — Keines weiſs, daſs ich es geschrie - ben habe, keines wird es, so Gott will, wissen.
Und warum denn nicht jener schmale Weg, der das zu Viel und zu Wenig vermeidet und durch Beides sich durchschlängelt?
Weil Wenige sind, die darauf wandeln —
Besser als Viele!
Nicht immer, wenn von bürgerlicher Tu - gend und Untugend die Rede ist.
395Der Mittelstand zwischen Skepticismus und Leichtgläubigkeit —
ist ein unseliges Mittelding — So oder nicht so, ist mein Wahlspruch; — nicht aber: so oder anders, oder halb so. Ja Ja, ist bei mir ein halbes Nein; und Nein Nein ein halbes Ja. Ja, Nein, was drüber und drunter ist, ist vom Übel —
Und die Gesetze! — wird dies Buch es mit ihnen ausmachen?
Mein kleinster Kummer! mögen es die Ge - setze mit den Gesetzen ausmachen! mögen die Todten die Todten begraben! — Freilich thun die Gesetze zuweilen so, als ob es Kräfte in der Menschheit gäbe, die auſserhalb der Menschheit lägen —
Was will das sagen?
Es giebt Gesetze, welche die einzelne Kraft des Menschen unterdrücken, damit die Summe aller Kräfte desto stärker sei; und doch ist natürlich die Gesammtkraft desto gröſser, je gröſser die Summe der Kräfte einzelner Men - schen ist — Unsere Herren Staatsrechenmei - ster verrechnen sich gewaltig, da sie die Zahl der Weiber auswerfen —
396Wenn sie indeſs auf den Zweck der bür - gerlichen Gesellschaft sehen —
O! dann verrechnen sich die Oberrech - nungs-Cameralisten noch mehr. Giebt es einen andern Zweck, als die individuelle Freiheit zu schützen, und die Eingriffe eines Jeden in die Freiheit eines Andern zu behindern —?
Das sollte auch auf Geschlechter Anwen - dung finden?
Sind die etwa nicht moralische Personen?
Und die Billigkeit?
ist ganz auf meiner Seite. Was im Lande gilt, ist Recht; was in der Welt gilt, ist bil - lig — Was nach der Meinung der mehresten Menschen recht ist, ist billig —
und billig ist der, der so handelt, daſs es die mehresten Menschen für Recht halten — Ein billiger Autor ist der, der so schreibt, daſs —
Wahr —!
Wenn wir zählen wollten —
würd’ ich gewinnen, falls nur die stimm - ten, die man nicht fragen darf: » verstehest du auch, was du sagest —? weiſst du auch, was du thust —? »
397Immerhin Verbesserung; warum bür - gerliche?
Weil man sich an Zweige, und wohl gar Blätter, nicht halten muſs, wenn der Stamm anzugreifen ist —
Und der Ausdruck dieses Buches —!
Nachdem die Materie, in der man arbeitet, nachdem die Bruchstücke und Späne, welche fallen —
Mögen doch meine Leser und Leserinnen, denen der obige längliche Streit und Wider - streit beschwerlich gefallen ist, an dieser run - den Manier sich erholen und Luft schöpfen, oder mögen sie es nicht, wie es ihnen be - liebt — —
Wenn es wahr ist, daſs von der Theorie des Drucks die ganze Operation eines glück - lichen Finanzsystems und einer weisen Staats - regierung abhängt: so haben die Männer we - nigstens nicht die rechte Art des Druckes er - wählt; denn in Wahrheit, wir verlieren durch die Art, wie wir das andere Geschlecht be - handeln, mehr als es selbst. Man sagt, dies sei auch der Fall, wenn man im Unterthan die Tugenden des Fleiſses, der Industrie und des Gehorsams durch siebenmal sieben Plagen erzwingen will. Zwar bei dem Magnetismus erregen Druck, Reiben und Streicheln ein übermenschliches Vermögen; allein der poli - tische Druck hat noch nicht die Divinations - gabe erregt, den Hunger ohne zu essen, und den Durst ohne zu trinken, zu stillen. Es ist höchst jämmerlich kein anderes Gesetz zu haben, als den souverainen Willen; und wo399 wandelbare Launen des Despoten, seine Indi - gestionen, seine Galle, seine Blähungen die Stelle der Numas und Solone vertreten — wer mag da unter Anordnungen stehen? Es ist schon unerträglich, auch dem besten Menschen untergeben zu seyn, wenn er väterlich über Menschen regieren will, die längst die Kinder - schuhe auszogen! — Seht! in dieser trau - rigen Lage befindet sich das andere Geschlecht. Jene Zeit ist nicht mehr, wo ewige Fehden alles in beständiger Unruhe und Furcht erhiel - ten, wo das Rauben eine Heldenthat schien, und wo man durch Raufen zu Ehren kommen wollte. Was ist aber ärger, seines Schicksals gewiſs seyn, oder unter dem Beistande des Rechtes leiden? einem ganzen Geschlecht un - ter der scheinheiligen Vorgabe des gemeinen Bestens seine Rechte und Privilegien rauben? oft thun als stände man unter dem Befeh - le seiner Sklavin, und noch öfter wirklich schon ihre Winke befolgen, und doch im Ganzen ihr Tyrann seyn und bleiben? Scheint nicht fast die Liebe aufzuhören, sich in eine Herrschbegierde zu verwandeln, und diesen400 Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte schon frühzeitig und in den Flitterwochen der Liebhaberei durch Eifersucht zu verrathen? Jetzt schmachtet und liebkoset der schüchterne Jüngling, um über ein Kleines als Mann kalt und trotzig zu gebieten — Im Theater wird wahre Welt zum Vorschein kommen müssen, wenn sie noch sichtbar werden soll; denn in der wirklichen Welt wird Komödie gespielt. Wo giebt es Abderiten-Fälle, wel - che denen gleichen, die das Verhältniſs beider Geschlechter täglich an den Tag legen — Wenn ein vernünftiges Wesen eines anderen Planeten Zeit übrig hätte, eine Wanderschaft auf diesen Erdenkloſs zu unternehmen, und das Verhältniſs beider Geschlechter zu beher - zigen; würde nicht, wenn das vernünftige Wesen nach seiner Heimkunft eine Reisebe - schreibung herausgäbe, die Reise dieses Niko - laus Klimm eine der ernsthaftesten Dogmati - ken (das ehrbarste, das ich kenne) scheinen? An einem Verleger wird es dem Wanderer dort hoffentlich nicht fehlen — Die allge - meine Vernunft ist über den Codex, nichtaber401aber der Codex, der doch sein eigener Beweis nicht seyn und sein eigenes Kriterium nicht aus sich selbst nehmen kann, eine Proceſs - Ordnung für die allgemeine Vernunft — Wie lange will man unserer Seits der Vernunft widerstehen! Die Menschen schieben gern Alles auf Andere; und wenn sie keinen finden, der seinen Rücken zu dieser Belastung dar - bietet, so muſs die Natur sich diese Denun - ciation gefallen lassen — und so fehlt es auch unserem theuren werthen Geschlechte nicht an Behelfen, die auf die Rechnung der schö - nen Welt gesetzt werden — Eine Schande für uns, daſs wir nicht nur ungerecht sind, sondern auch die Schuld dieser Ungerechtig - keit von uns entfernen, und sie dem anderen Geschlechte zuschieben! Das Weib, das du mir zugesellet hast, sagte schon der alte Adam, hat mich verführt; — und wir sind bis jetzt noch so treue Adamiten, daſs wir nicht er - mangeln, uns von der Schuld des subalternen Ranges, den wir dem anderen Geschlechte zueignen, in bester Form Rechtens loszusagen. Die armen Weiber, die, wenn sie sich mitC c402uns auf kalte Negociation einlassen wollten, kein Gehör finden, können es noch weit we - niger gegen uns auf ernsthaftere Schritte aus - setzen — Sie haben keinen Leonidas, keinen Franklin, keinen Wafhington; sie sind keine Spartaner, keine Schweizer, keine Amerkani - sche Kolonisten: können sie aber nicht dies Alles haben? können sie nicht dies Alles seyn? Maria Antonia und la Fayette sind zwei gleich groſse Charaktere, die in der Franzö - sischen Revolutions-Geschichte glänzen werden. Eitelkeit und Furcht vor Schande sind gemei - niglich die Basis von dem ganzen Muthe der Männer; Temperament ist es bei den Wei - bern. Eine Reihe von Jahrhunderten hatte Europa nur Eine Gestalt. Despotismus und Sklaverei, Unwissenheit und Barbarei herrsch - ten überall; und warum sollten die Weiber nach einer, wenn gleich langen, Unterdrük - kung, nicht zu jenem Range erhoben werden können, der ihnen als Menschen gebührt? Ein groſser Theil unter ihnen scheint der Ketten, die ihnen das Gesetz so vortheilhaft schildert, müde, und fühlt einen unüberwind -403 lichen Hang, sie eher zu zerbrechen, als mit ihnen, wie mit Kinderklappern, zu spielen. Man trauet den Damen zu wenig zu, wenn man sich Mühe giebt, ihnen Alles in einem Säftchen beizubringen, wenn man ihnen Alles bezuckert und in Nähebeutelformat behändi - get, als ob sie so schwach und hinfällig wä - ren, nichts Gröſseres als ein Duodez-Bänd - chen halten zu können. Die Frage: verstehest du auch, was du liesest? wird in der Regel das Duodez-Männchen von Stutzer weit eher, als ein edles Weib, treffen. Wenn gleich die Geistes-Arbeiten der Weiber, sobald sie in’s Gröſsere gehen, für’s erste bas-relief sind — sie werden weiter kommen; denn nur wir hal - ten ihren Geist am Gängelbande, um sie nicht allein gehen zu lassen. Ein groſser Kinderlehrer lieſs in ** die Buchstaben in Pfefferkuchen backen, damit die Kinder das A B C in den Kopf bekommen möchten; allein die liebe Jugend bekam das A B C in den Magen, und ward krank zu derselben Stunde. Diese Pfefferkuchen-Methode ist der gewöhnliche Fehler, den man bei der Erzie -C c 2404hung des anderen Geschlechtes begeht. Man will weder seinen Verstand, noch seinen Wil - len zur Reife kommen lassen. Die Weiber sind en biscuit; und wir! sind wir ausge - brannt? und wären wir es — was ist denn am Porcellain? — Böttcher wollte Gold ma - chen, und brachte Porcellain heraus. Was ist der Mensch? » Der halbe Weg vom Nichts zur Gottheit, » sagt Young; und unser frommer Haller, der den Namen Gottes nicht unnütz - lich führen wollte: unselig Mittelding vom Engel und vom Vieh — daſs sich Gott er - barm! Friederike Baldinger versichert in ih - rer Lebensbeschreibung, mit einer Vorrede ausgestattet von Sophie de la Roche: » als Frau war ich erträglich; wie klein würd’ ich als Mann seyn! » Um Vergebung, sollte dies nicht auch ein jeder Mann umgekehrt von sich sagen müssen — so lange: ein Mann seyn, nicht mehr heiſst: als ein Mensch seyn —? Enthält jene Bescheidenheit der Friederike Bal - dinger nicht zugleich einen Vorwurf für un - ser Geschlecht in Beziehung unserer Selbst - erhöhung —? Unser Herschel, der wegen405 Miſs Carolinen, seiner Schwester, und in puncto der Astronomie mehr als einmal in dieser Schrift von Amts - und Rechtswegen genannt zu werden verdient, nimmt an: die Centralkräfte wären nicht nur die erhaltenden, sondern auch die bildenden und erneuenden Kräfte der Weltsysteme; und nach seiner Meinung können auch mehrere Gattungen von anziehenden und zurückstoſsenden Central - kräften in dem Baue des Himmels wirksam seyn. Könnten, wenn männliche und weibliche Centralkräfte in der Menschenwelt anzögen und zurückstieſsen, nicht Dinge bewirkt wer - den, von denen man bis jetzt nicht träumt —? Löset Herschel die dem bloſsen Auge sicht - baren Nebelflecke vermittelst seines Teleskops in Sterne auf — wie leicht würden die Flam - steads und Mayers ihre Verzeichnisse von Sternen am Weiber - oder besser am Men - schenhimmel erweitern können, wenn beide Geschlechter Ein Herz und Eine Seele wä - ren! —
Geh’ ich zu weit, wenn ich behaupte, daſs die Unterdrückung der Weiber Unter -C c 3406drückung überhaupt in der Welt veranlasset habe? Wahrlich, die Tapferkeit ist keine Entscheidung des Schicksals, wen sie zum Regenten bestimmt hat. Durch Groſsmuth, nicht durch List, muſs man den Feind über - winden, und es ist und bleibt unanständig, sich des Andern Unerfahrenheit zu Nutze zu machen. Ist es besser, sich des Sieges schä - men zu müssen, oder sich über das Glück zu beklagen? Die Erhaltung eines einzigen Bür - gers — ist sie nicht besser, als die Niederla - ge von hundert Feinden? Das was nach der Meinung der meisten Menschen Recht ist, das ist, verdollmetschet: so ist wie es seyn muſs; ist recht in einem erhabenen Verstan - de. Dies rechte Recht gründet sich in der Natur der Sache, und hat sich von den Schlacken der Willkühr und des Türkischen Despotismus gereinigt — Wollte man, nach dieser allgemeinen Meinung von den Verhält - nissen des fräulichen Geschlechtes, glauben, (glauben muſs man in einem besondern Sinne wollen) daſs das vielfach tausendjährige Reich der Sklaverei der Weiber in diesem rechten407 Rechte oder in der Billigkeit sich gründe? Ich will nicht glauben. Nicht alles was wir ungestört leiden, hat die Ehre unsers inwen - digen Menschen vor sich. Sehet euch um! ihr werdet finden, daſs das meiste Unrecht in der Welt in dem Bestreben besteht, so zu handeln, daſs es die Mehresten für Recht hal - ten. Wer kann wohl, ohne eine Gewaltthä - tigkeit zu begehen, behaupten: die Weiber müſsten einen gewissen Standpunkt auch bei dem höheren Grade neuerer Cultur und Sit - tenverbesserung behalten, und sie könnten, wegen ihrer angebornen Bestimmung als Mit - glieder der Societät und als Weiber, bis an den lieben jüngsten Tag nur so weit und nicht weiter kommen? Unsere Gränzen der Aus - bildung sollten nicht abgesteckt seyn? nur die ihrigen wären behügelt? O, du liebe Zeit! Die relativen Bestimmungen des Weibes in der Gesellschaft, in so weit es Weib ist — wer fragt nach diesen? diese sind so ewig, wie die Bestimmungen des Mannes als Mann. Allein soll das Weib an Verstand und Willen stehen bleiben, wenn der Mann FortschritteC c 4408macht; so muſs es mit der Aufklärung in’s Ge - dränge kommen, und sie muſs Kinderspott werden — — Man könnte Männer mit der Speise, Weiber mit dem Trank vergleichen; und nur Speise und Trank in Gemeinschaft halten Leib und Seele zusammen. Das Ge - fühl der Bedürfnisse bildet den Menschen aus, und der Schöpfer scheint es ihm nachgelassen zu haben, Bedürfnisse zu erfinden, um sie im Schweiſse des Angesichts befriedigen zu ler - nen, durch Sprachunterricht zu Realkenntnis - sen hinauf zu reifen — Selbstliebe, Neigung zum Wohlbefinden, Abneigung gegen den Schmerz, sind Triebfedern, den Menschen immer weiter und weiter zu bringen; und das andere Geschlecht fühlt sie, wo nicht in weit gröſserem Maſse, so doch gewiſs nicht min - der — Haben etwa Verabredungen, die aus jenen Bedürfnissen und jenen Trieben entste - hen, gemeinschaftlich Menschen seyn zu wol - len, um desto leichter zum Zweck zu kom - men — haben etwa Verabredungen in den Stand der Gesellschaft zu treten, den Weibern ihre Stelle angewiesen —? Nicht also! Die409 Punktation zum Stande der Gesellschaft mach - te Eva; und hat sie es sich wohl je vorstellen können, daſs auch hier die Ersten die Letzten werden sollten? Setzte unser Geschlecht mit Vorwissen und Vorwillen des andern auf das - selbe das Motto der Hölle: Hier ist die Hoff - nung ausgeschlossen; oder ist vielmehr durch den Stand der Gesellschaft der Stand der Na - tur geheiligt? sollen nicht in jenem, wie in diesem, alle Menschen gleich bleiben? Völ - ker sind sich eben so gleich wie einzelne Menschen, und Geschlechter so wie Völker. Ist nicht durch Unterdrückung des Schwäche - ren das innere Verderben der Staaten entstan - den, woraus denn gerades Weges Unterdrük - kung und Zerstörung von auſsen sich nach und nach ergab? Kommt es bei diesen Din - gen mehr auf spielenden Witz, schalkhaften Vortrag, übermüthige Phantasie-Einfälle, oder auf Wahrheit und Recht an? und können wir in der Gesellschaft auf Gerechtigkeit Anspruch machen, wenn wir keine erweisen?
Können wir, die wir uns so unrühmlich zu Herren des weiblichen Geschlechtes aufge -C c 5410worfen haben, es leugnen, daſs wir diese Herrschaft von je her nur sehr schlecht ver - standen? und in dieser Wissenschaft, wie es am Tage ist, bis jetzt nicht weiter gekommen sind? können wir es vor unserm Gewissen verhehlen, daſs wir die Urheber und Veran - lasser aller weiblichen Fehler sind, und daſs das meiste Gute, welches wir an uns haben, auf die Rechnung des andern Geschlechtes gehört? Furchtsame Männer werden allerdings den Stab über mich brechen, weil ich angeb - lich die Eitelkeit der Weiber gereitzt, und ihre von Natur schon übermüthigen Begriffe von ihrem Werthe genährt habe; allein, lieben Leute, durch eure Feuer rufende Befürchtung, ich möchte die weibliche Bestimmung zu weit hinausgerückt haben, beweiset ihr, daſs ihr, anstatt stark zu seyn, schwach seyd, und daſs ihr durch diese Schwäche eure angebliche Ordnung der Dinge umkehret — und daſs euch die Geisteskraft und Denkfähigkeit man - geln, die ihr aus bloſsem Neide dem andern Geschlechte absprechen wollt. — In der That, ihr solltet der Natur für das Hausmittel411 danken, durch das andere Geschlecht ange - spornt und aufgemuntert zu werden, immer weiter zu kommen, aber nicht Feigenblätter suchen, eure stolze Faulheit zu decken. So bald Weiber Menschen sind und Vernunft ha - ben, sind ihre Geistesanlagen nicht zu be - schränken; am wenigsten können wir hier psychologische Richter seyn, da wir so sehr Parthei sind, und da wir weit besser gelernt haben, unsere Sache zu führen und Schild - knappen der Autorität zu seyn, als das der Natur weit treuer gebliebene andere Geschlecht. Wo es nicht an innerer Kraft fehlt, da ist nur Gelegenheit nöthig, um sie zu äuſsern; und nur dann, wenn man sich den Vernunft - gebrauch untersagt, kann man sich zur Ab - leugnung jener Wahrheit bringen, daſs nicht Alles menschlich gleich sey, was menschlich vernünftig ist. Nur dann, wenn bodenloser Stolz an der Bestimmung des Menschen kün - stelt, entkommen wir der eigentlichen Ausbil - dung der Anlagen unserer Natur, und sie ent - kommt uns. Schade! —
Was für einen Einfluſs Erziehung, Klima412 und andere äuſsere Umstände auf Menschen (Männer nicht ausgeschlossen) behaupten, lehrt die Erfahrung. Der Weinbauer bleibt auch in ergiebigern Ländern ein Beispiel von Indolenz und einer daraus entspringenden Verderbtheit des moralischen Charakters — Weiber verstehen nur natürliche Waffen zu führen; wir würzen unsere Schutzschriften mit gelehrten Gründen, treffen provisorische Ein - richtungen, und wissen Bescheid, unsere Schwächen so zu verhängen, daſs sie nicht in die Augen fallen — und eben darum behaup - ten wir geradehin, daſs Weiber nur aus Neu - gier, nicht aus Wiſsbegierde, nicht aus eige - nem freien Triebe, sondern weil sie dazu aufgemuntert werden, und nur aus Eitelkeit, sich hier und da mit Wissenschaften abgege - ben hätten, ohne sich doch je darin auszu - zeichnen — Aber auſserdem, daſs die Rein - heit des männlichen Verstandes und des männ - lichen Willens keine Lobrede verdient, und daſs Selbstsucht mit ihrer ganzen Sippschaft von Eitelkeit, Stolz, Geldhunger und Schmei - chelei, die Männer gar übel plagt; auſserdem,413 daſs auch der Gelehrteste, wenn er sich ir - gend kurz fassen kann, kaum drei Wochen gebrauchen würde, um alles zu beichten, was er wirklich weiſs, und selbst was er wirklich glaubt, so daſs sein Wissen und sein Weiſsa - gen doch immer nur Stückwerk ist; anſser - dem daſs zwischen Zuckerbrot der Lektüre, und dem herben Wein der Erfahrung ein gro - ſser Unterschied bleibt: so ist das Ende vom Liede aller Wissenschaften und alles gelehrten Dichtens und Trachtens, (wenn es nicht bloſs Lückenfüller und Langeweiltröster seyn soll) moralisch besser zu werden. Sind wir das? O, alsdann tret’ ich beschämt zurück, wider - rufe Alles, was in meiner Schrift nur nach Apologie aussieht, und bleibe bloſs bei der demüthigsten Bitte, dem andern Geschlechte durch eine bürgerliche Verbesserung Zeit und Raum zur moralischen Buſse zu gönnen; und es zur Verpflichtung gegen die Gesetze des Staates, zu jener bestimmten und äuſserlich vollkommenen Verpflichtung zuzulassen, die doch jeder Staatstheilnehmer oder Bürger ha - ben sollte —
414Und nun der Schluſs? Der Mensch läuft spornstreichs, um zum Ende zu kommen, und wenn er sein Ende sieht, muſs er sich ganz zusammen nehmen, um sich zu fassen. Machiavell schrieb seinen Principe, um die Despoten-Republik zur Sprache zu bringen; und ich wollte nichts mehr — Wenn ich Dinge einander nahe lege, die sich für ge - wöhnliche Augen sehr entfernt berühren, so lasse man mir und Jedem doch seine Weise; denn wenn alle Bücher eine und dieselbe Me - lodie hätten — würden sich wohl noch so viele Leser finden? an Thäter des Wortes ist so nicht zu denken! Eine Schrift kann nie ein mächtiges um sich greifendes Feuer an - zünden; und wenn man behauptet: Rousseau, Voltaire und Montesquieu hätten die Franzö - sische Revolution zu Stande gebracht; so ver - giſst man Nordamerica: und es gehört zu den Zeichen dieser Zeit, wenn man mit Büchern bekannter als mit Menschen ist, um zu regie - ren; wenn man die äuſsere Form des Systems viel zu lieb hat, um sie gegen das Gründliche und Consequente der Lebensphilosophie auf -415 zuopfern; wenn man nur auf Mittel für einen Tag sorget, um seinen Zweck durchzusetzen; wenn man seinem Ehrgeitze nur ein anderes Kleid anzieht, das weit weniger als der vori - ge Anzug Achtung für die Leidenschaft erregen kann; wenn man nicht die Weisheit an - schauender, anziehender und wirksamer zu machen sich bemühet, sondern bloſs seinem theuren Ich Ehre zudenkt, und, wohl zu mer - ken! ein solcher Schwelger und Schlemmeb im Ehrgeitze ist, daſs man nicht an den an - dern Morgen denkt, und sich befriedigt, vier und zwanzig Stunden im Saus und Braus ei - nes hohen Vivat zu glänzen, und Plane auf die Zukunft gegen das schnöde Linsengericht eines stündigen Zujauchzens zu verprassen — — — Theilnehmende Achtung für den Schwächeren hat etwas Göttliches; und wenn Stände zum Controlliren der Staatsofficianten ein herrliches, in Geduld Frucht bringen - des Ding für den Regenten und das Volk sind, warum will man diese Controlle des menschlichen Geschlechtes den Weibern nicht anvertrauen? ihnen, die nie gewohnt sind,416 etwas Imaginaires, sondern immer etwas Wirkliches zum Grunde zu legen, wenn wir uns gleich die schnödeste Mühe geben, sie zu Romanen zu gewöhnen, um sie, kraft der Reminiscenzen dieser Lektüre, aus der wirklichen Welt hinauszubringen — Weiber haben mehr Geist, als Wissenschaft; Männer mehr Wissenschaft als Lebens-Philo - sophie, und leicht vergiſst unser Geschlecht, daſs man nach Tugend und Rechtschaffenheit am ersten trachten muſs, wenn uns alles An - dere zufallen soll. Bettelmönche haben oft gröſsere Gewalt als Eminenzen; Diese haben nicht Zeit, nicht Lust, es auf das Seelen-Re - giment anzulegen, da hingegen Jene wirkliche Seelen-Despoten sind, ob sie gleich (etwas bescheidener) sich bloſs Seelsorger nennen. Ich schrieb keine Grammatik, wo man die Ausnahme gleich hinter der Regel verzeichnet: das Zeichnen sollte den kalligraphischen Übun - gen vorgehen, und die Geschichte, nach dem Vorschlage geprüfter Pädagogen, rückwärts vor - getragen werden. — Ich werde mich für hin - reichend befriedigt halten, wenn man mir imGan -417Ganzen beifällt, obgleich noch nähere Be - stimmungen gütlich oder rechtlich nöthig ge - funden werden. Ein Buch, das Gedanken er - weckt, ist oft besser als eins, das Alles er - schöpft, und die Leser wie Unmündige behan - delt. Winke fruchten mehr als lange Beleh - rungen; und wenn ein Schriftsteller das groſse Amt verkennt, das ihm von der Natur anver - trauet ward, Menschen gegen offenbare Un - gerechtigkeiten zu schützen; so verdient er selbst unterdrückt zu werden. Wer es über sein Gewissen bringen kann, ein Geschlecht zum gebornen Despoten des andern zu erhe - ben, wird vielleicht nicht ohne Fertigkeit seyn, volksübliche Sitten nachzuäffen und hö - heren Volksklassen nachzulallen; allein auf rechtskräftiges Urtheil wolle er in Zeiten Ver - zicht thun, und seinen Schlaftrunk von Vor - trag für jenes Mittelgut von Menschen aufspa - ren, die Welt und eine Fabrikartigkeit besit - zen — wenn gleich gemeiniglich die Plurali - tät auf ihrer Seite ist. Das Deutsche Weib galt in älterer Zeit allemak mehr als andere Weiber, und ich bleibe gewiſs in den Schran -D d418ken der Wahrheit, wenn ich behaupte, daſs auch noch jetzt Deutsche Weiber, so wie sie da sind, einer Verbesserung empfänglicher und fähiger wären, als alle andern, zu welcher Zunge und Sprache sie sich bekennen, und welcher Vorzüge sie sich sonst gegen die Deutschen mit Recht oder mit Unrecht rüh - men mögen — Nachtwandler erweckt man, wenn man sie bei Nahmen ruft; — und soll - ten unsere Deutschen Herren Männer nicht auf den kühlenden Trank nüchtern werden, den ihnen diese Schrift reichet? — Es giebt Schriftsteller, die, wenn sie mit ihren Wer - ken bei ihrem Geschlechte durchzukommen sich nicht getrauen, ihre Schrift mit der Noth - lüge begaben, sie hätten sie zu Heil und Frommen des andern Geschlechtes gestellt. Auch glaubt sich mancher Nachdrucker bei Ehren zu erhalten, wenn er das schmackhafte neugebackne Brot eines Andern bröckelt, ohne selbst durch Milch oder Butter ihm ein ande - res Ansehen zu geben, und dies alles auf Kosten des andern Geschlechtes thut — als ob der Herr Nachdrucker im Brote des weib -419 lichen Geschlechtes wäre, oder als ob es nicht mehr könnte als (brockenweise) Brot es - sen! — —
Wozu alle Vergleichs-Vorschläge und Verbesserungs-Plane, die, wenn man gleich ihnen Vorkaufs-Anmaſsungen nicht vorrücken kann, die, wenn sie es gleich mehr bei be - scheidenen Fingerzeigen bewenden lassen, als daſs sie strafsüchtige Warnungstafeln ausstel - len, doch um so weniger Lebensfrüchte sicher verheiſsen können, als man von ihnen nicht weiſs, ob und in wie weit sie in der Feuer - probe der Ausübung bestehen werden?
Freilich! warum alle Katheder und Predi - gerstühle? Sind die Menschen nicht von je her Lügner, Undankbare, Räuber, Neider, Geitzhälse gewesen? Raubvögel haben zwar von Anbeginn ihre Nächsten, bescheidnere Nebenvögel, gefressen, so bald sie sich ihrer bemeistern konnten; Menschen, welche einse - hen, daſs besser besser ist, und daſs sie bes - ser werden können — sollten die ewig Raubvögel bleiben? Mich tröstet der Glaube an die analogisch zu vermuthende Absicht derD d 2420väterlichen Gottheit — und das rastlose Fort - streben des menschlichen Geistes, der einmal aufgeweckt und in Thätigkeit gesetzt ist. Die gesunde Bergluft ist ohne Zweifel die Ursache von dem Heimwehe der Schweizer; was sollte aber das andere Geschlecht bewegen, in sei - ner jetzigen Lage zu bleiben? Es wird wol - len, wenn wir zu wollen uns entschlieſsen werden —
Ungern muſs ich mich noch zu einer Art Menschen wenden, an die ich gewiſs am wenig - sten gedacht hätte, wenn nicht ganz frische Spu - ren mich schreckten — Daſs dies die Her - ren Recensenten nicht sind, versteht sich von selbst. Es giebt wackere Männer unter ihnen, die, wenn sie gleich sich einen ehemals un - gewöhnlichen Reskriptenton angewöhnen, es so übel nicht meinen; man lasse sie reskri - biren — Du lieber Gott! was reskribirt heut zu Tage nicht alles —! Wenn Kinder und Säuglinge an Jahren und an Verstande in un - seren hohen Dikasterien den Nahmen Gottes und ihres Fürsten so unnützlich führen, und dummdreistes Zeug in diesen breiten goldenen421 Rahmen fassen; wenn sie so ungestraft blin - den Lärm zu machen, die Vernunft in blöd - sinnigen Sentenzen gefangen nehmen, den gu - ten Ruf trefflicher Männer als gute Prise an - sehen, und von Rechtswegen fünf gerade ge - hen lassen können — wird man nicht, wohl zu merken! bei würdigen Recensenten, denen jene unbärtigen Groſssprecher nicht werth sind die Schuhriemen zu lösen, die weit kleineren Reskripten-Freiheiten, die sie sich herausneh - men, ganz gern übersehen? Ich habe in Wahrheit nichts gegen Recensenten, die sich wie wohlthätige Egel an unsere Bücher hän - gen, um ihnen das böse Blut abzusaugen; vielmehr wünsch’ ich herzlich, daſs dieser Blutdurst ihnen allerseits nach Stand und Ver - dienst wohl bekommen möge. Wenn aber Mücken um ein Paar Blutstropfen mich verfolgen, und meinen Nahmen (wahrlich ein Paar Blutstropfen) entwenden wollen; so bitt’ ich diese Anekdotensauger in Erwägung zu nehmen, daſs ein Buch darum keinen Finger - lang oder Fingerbreit schlechter oder besser wird, weil man weiſs, daſs es diesen oderD d 3422jenen Verfasser hat. In der Schriftstellerwelt giebt es keinen Erbadel; und warum will man die gelehrte Republik in einen monarchischen, wo nicht gar despotischen, Staat umwälzen? warum nicht Jeden bei so viel Freiheit, wie nur mensch - und politisch-möglich ist, lassen? Da giebt es denn aber Kraftgenies ohne Ge - nie, ohne genialische Anlage und Nachdruck, die im Gefühl ihrer Geistesarmuth Anekdoten haschen, um unter Gelehrten die Gelehrten zu spielen, die sie nicht sind, und die sie ohne wundervolle Pfingst-Inspiration auch nicht werden können! Ein Pfeifer und Gei - ger, ein Flöter und Trommeter glaubt taktlos sich für Kant und Wieland in Einer Person ausgeben zu können, ob er sich gleich begnü - gen sollte, die Mauern von Jericho umzubla - sen und die Steine tanzen zu lassen. Voll Vademecums-Belägen wissen dergleichen Mas - ken — und was denn? was unter braven wak - kern Gelehrten der wenigste Kummer ist; — allein dafür sind jene Kraftmänner auch vor aller andern Hypochondrie, als der, die aus Unwissenheit entsprieſst, und die mit423 Nahmen-Wuth anzuheben pflegt, sicher ihr Lebenlang — machen sich aus Litteratur-Kin - dern und philosophischen Säuglingen eine Macht, und kommen nicht selten in die Ge - fahr jenes Menschenkenners, der einen treff - lichen Mann fragte: Ist der Herr nicht der Küster aus **? » Nein, ich bin der General - Superintendent **, und wer Sie sind, mag ich nicht wissen. » — Wer leugnet es, daſs durch Gelehrte von Profession, z. B. durch Kant und Heyne, die Wissenschaften groſse Fortschritte machten? Gewiſs würde der Mei - ster der Philosophie Kant in seinen patriar - chalischen Jahren nicht so kraftvolle Arbeiten liefern, und durch einen wohlgestalteten See - lenerben nach dem andern der Welt ein La - chen bereiten, wenn er nicht in der Blüthe seines Lebens mit diesen Gegenständen ver - traut geworden, und bei seinem Unterrichte zu denken von Anbeginn gewohnt gewesen wäre. Seine Vorlesungen waren die Goldwa - gen seiner Grundsätze — Solch eine Pflege kann kein Geschäftsmann seinem Buche geben; noch nie aber haben verdienstvolle akademischeD d 4424Lehrer einem Lessing, Spalding, Teller, Mo - ses Mendelssohn u. s. w. ihr Verdienst abge - sprochen, vielmehr es gern gesehen, wenn diese fein sokratisch ihre Systeme in Philoso - phie der Welt, ich weiſs nicht ob erniedrig - ten oder erhöheten? — Und wozu diese Bemer - kung? Um eine andere einzuleiten — Wenn die Kritik der reinen Vernunft mit dem Nah - men Immanuel Kant in die Welt kommt — wer hat etwas dagegen? Wenn aber ein Ge - schäftsmann Autor ist — in welche Schwierig - keiten sieht er sich verwickelt! Der Präsident beneidet ihn, wenn er Rath; und der Mini - ster, wenn er Präsident ist. Zum gemeinen Leben berufen, muſs er sich nach demselben einrichten und sich in die Zeit schicken ler - nen, und es ist bei dem Geschäftsmanne nur zu oft böse Zeit. Kritiken schaden den Ge - lehrten von Profession so wenig, als wenn Re - nomisten sich an den Fenstern des zu stren - gen Rektors vergreifen, die denn doch durch Laden gesichert werden können; und wie leicht ist das Haus Sr. Magnificenz wieder be - fenstert! Der unsauberste Geist indeſs schadet425 dem Geschäftsmann, indem witzleere Antago - nisten desselben den schalsten Einfall mit Freuden aufnehmen, und mit diesen fremden Kälbern pflügen, um den braven Mann zu kränken. Der Gelehrte von Profession schlägt den Ball, den ihm ein unfreundlicher Kritikus zuschlägt, weiter; der Geschäftsmann kann ihn nur zurückschlagen — Jeder Unglücksfall im Dienst wird auf die Rechnung der Autor - schaft geschrieben; jede ungegründete Be - schwerde einer chicanirenden Parthei findet gewisses Gehör, weil der Herr Decernent, oder Instruent, Referent und wie die enten alle heiſsen mögen, Autor ist und sich nicht Zeit nahm — alle Menschen klug zu ma - chen. — Der Revers der Sache? wird nicht mancher Schriftsteller das Ansehen, welches er in der gelehrten Welt hat, zum Schreck - mittel brauchen, um sich zu einem Noli me tangere zu erheben? wird nicht sein Vorge - setzter seiner Schriftstellerfeder auf Rechnung seines Postens eine Pension zuwenden, und Andern aufbürden, was Jenem zu thun ob - lag —? Practica est multiplex. Ein Mann,D d 5426der Vater ist, wenn er Brutus seyn soll, der unter den Autoren Präsident, und unter den Präsidenten Autor ist, verdient die Züchtigung eines Johnson’s, da hingegen ein Autor, wel - cher der gelehrten Welt so wenig von seinem politischen Verhältnisse, als diesem von jener verräth, zwiefacher Ehre werth zu seyn scheint, indem er sich nicht aus Einer Lage in die an - dere hinein schmeichelt, keine Folie nöthig hat, und nicht Eine Farbe in die andere spie - len läſst, sondern überall Mann ist — — Das Leben eines Mannes von dieser Art zu lesen, wenn er aufhört entweder politisch oder na - türlich zu leben — kann wahrlich ein besse - res Lehrbuch werden, als das Leben unseres trefflichen Semlers, der geheime Wissenschaf - ten an geheimen Orten zu lernen suchte — um sie kurz vor seinem Ende öffentlich zu treiben — oder anderer Selbstbekenner, die geistliche und leibliche Jahr-Monaths-Tage - Stunden - und Minuten-Bücher stellten —. Shakespear ward in seinem Leben wegen sei - ner Sonetten, Milton wegen seiner Lateinischen Verse und prosaischen Schriften geschätzt, de -427 rentwegen sich Beide schwerlich bis auf den heutigen Tag erhalten haben würden — —
Friedrich II., der doch selbst von der Poësie, wie von einem Dämon, gar übel ge - plagt ward, so daſs sie sogar bei Schlachten nicht verfehlte, ihm Cour zu machen, sagte zu einem Staatsdiener, dessen Andenken ich heute an dem Tage seines Todes feiere: ich mache Ihn zum **; aber lass’ er mir das Schreiben — So etwas stört, und im Amte muſs Er sich durch gar nichts stören lassen — hört Er? Ja! und wer Ohren hat zu hören, der höre! Sind das die Gesinnungen eines königlichen Schriftstellers, (nach Weise des kö - niglichen Propheten David) wie viel ist von Fürsten zu fürchten, denen, auſser der Sal - bung zu Regenten, keine andere zu Theil ward —! wie noch viel mehr von Kö - nigschen, die, zu schwach zu einer kritischen Sichtung, an Autoren, welche ihnen über den Kopf zu wachsen scheinen, so gern zu Rit - tern werden — Ob von diesen Fällen Einer oder keiner der meinige sei, thut nichts zur Sache; daſs sie aus dem Leben genommen428 sind, wird Niemand ableugnen — Und darf ich noch bemerken, daſs Kunstrichter, wie alle andere Richter, nicht die Personen anse - hen müssen, und daſs es pflichtwidrig ist, es auf den Namen des Schriftstellers anlegen zu wollen —?
Wenn unsere Anekdoten - und Nahmen - häscher dies in Erwägung zögen — würden sie nicht lieber Fische fangen und Vogel stel - len, da sie doch einmal verdorbene Gesellen sind? — Wie viel wollt’ ich geben, wenn ich dieses Schlusses hätte überhoben seyn kön - nen! — denn in der That, ich weiſs ihn so wenig in den Takt dieser Schrift zu bringen, daſs ich mich vielmehr begnügen muſs, zu be - merken, wie die Menschen nur alsdann sich zu nahe kommen, wenn sie nichts thun wol - len oder können, und, anstatt sich mit sich selbst zu beschäftigen, es gemächlicher finden, auf und gegen Andere zu wirken —
Daſs dieser Epilogus jene lieben, treffli - chen, edlen Seelen nichts angeht, die in kei - ner andern Absicht, als um sich näher mit dem Schriftsteller zu verbinden, der mit ih -429 nen so harmonirt, seinen Nahmen gern wüſs - ten — darf ich dies erst bemerken? — Möchte doch der unerforschliche Gott die - sen trefflichen Seelen öffentlich vergelten, was sie auch etwa an mir insgeheim thaten! — Möchte ihnen doch an der Hand gutdenken - der Weiber des Lebens Last und Hitze nicht schwer seyn! Leicht sei ihnen die Erde im Leben und im Tode —! —
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
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