Ihro Koͤnigl. Hoheit der Frau Herzogin von York geb. Prinzeſſin von Preußen in unterthaͤnigſter Ehrerbietung zugeeignet von der Herausgeberin dieſer Sammlung.
Wegen der Ueberfahrt Ihrer Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin Friederike vermaͤhlten Herzogin von York.
Berlin, im Sept. 1792.
C. L. von Klenke, geb. Karſchin.
Eine Sammlung Gedichte, und einen Le - benslauf von mir beſchrieben, verſprach ich, und uͤbergebe hier beides; gewiſſe Nebenartikel meines Verſprechens gehen ohne meine Schuld ab, und man wird mir verzeihn. Epiſteln, auf welche ich vorzuͤglich die Leſer einlud, fand ich, bei ge - nauer Pruͤfung, unter einer ganzen Menge nur wenige, welche ſich unter dieſen Namen mitthei - len ließen. Anwendbare Gedichte, das hieß bei mir ſolche, welche viel lehrreiches Salz ent - halten, fand ich auch nicht ſo viel, als ich damals zu finden dachte. Einfaͤlle (poetiſche) haͤtte ich zwar mehrere einruͤcken koͤnnen; aber ein langes Spiel ermuͤdet. Ich ſuchte mir alſo zu helfen, wie ich konnte, und uͤbergebe hier dasjenige, was mir unter tauſend Stuͤcken das beſte duͤnkte. Iſt es nicht gut genug, oder gar aus der Mode, ſo kann ich nicht dafuͤr. Die ehrerbietigſte Achtung fuͤr die Allerdurchlauchtigſten und glaͤnzendſten Na - men, welche der Sammlung vortraten, hat mich bewogen, das Buch zuſammenzutragen, welches hier dem Publikum uͤbergeben wird. Zur Samm - lung ſelbſt lieferte mir der Herr Graf von Stoll -* 4VIIIberg-Wernigerode, Domdechant von Halberſtadt, aus ſeinem Archiv einen dreyßigjaͤhrigen Vor - rath; Seine Hochfuͤrſtliche Durchlaucht, der verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig - Luͤneburg, einen Vorrath von zwanzig Jahren; der Herr Doktor Kruͤnitz, dem ich auch die letzte Kor - rektur des gegenwaͤrtigen Werks verdanke, welche derſelbe bei ſeinen gedraͤngten Geſchaͤften freiwillig uͤbernommen hat, eine Sammlung von dreißig Jahren, und ſo andre mehr. Die große Menge Beitraͤge ließ mir ſo viel zur Auswahl, daß ich es wagen konnte, die Gedichte in Klaſſen zu thei - len. Bei den Oden iſt aber ein Verſehn geſchehn, indem ſich welche davon unter eine Menge ande - rer Papiere verſchoben hatten, ich fand ſie, als es ſchon zu ſpaͤt war, und fuͤgte ſie unter die, welche nur Gedichte heißen. Vielleicht geb ich dadurch der Kritik etwas zu laͤcheln, indem ich zwiſchen der erſten und zweiten Klaſſe einen Unterſchied machte. Einige ſchwaͤchliche Bruchſtuͤcke, welche ſich in der Sammlung mitunter befinden, ſind bloß um ihrer verehrungswuͤrdigen Namen, welchen ſie gelten, mit einrangirt worden, und als Opfer einer ab - geſchiedenen Freundin hoffe ich, daß man ſie nicht beſchaͤmen wird.
So viel von dem poetiſchen Inhalte dieſes Buchs. Was den Lebenslauf betrifft, welcher von mir ſelbſt aufgeſetzt iſt, ſo hab ich viel gewagt, ihn noch einmal zu erzaͤhlen, da er bereits von guterIX Feder zweimal im Publikum erſchienen war. Noch mehr aber wagte ich, daß ich zum erſtenmal vor einer ſo hohen Buͤhne, als das deutſche Publikum iſt, mich in den Erzaͤhlungston einlaſſen wollte, auf welchen ich mich noch niemals geuͤbt hatte. Was mich dazu reitzte, war, daß ich mehrere kleine Umſtaͤnde aus dem Leben der Dichterin bekannt machen konnte, als bisher bekannt worden ſind, wodurch ich wenigſtens die Reugier zu befriedi - gen hoffte. Uebrigens iſt mir die kleine Erzaͤhlung nicht leicht geworden, wie man es auch durch - gaͤngig an dem gezwungenen Styl ſehen wird, wel - cher gar nicht den ruhigen Ton hat, den die Er - zaͤhlung haben muß, wenn ſie uͤberzeugen ſoll. Waͤr ich geuͤbter, und waͤren die Hauptumſtaͤnde nicht ſchon ſo allgemein bekannt, ſo wuͤrde mir vielleicht die Arbeit beſſer gerathen ſeyn; und ich koͤnnte alsdann den Leſern dieſelbe ruhiger uͤberge - ben, als ich jetzt thue. Auch wird es Leſer geben, welche mich dabei des Enthuſiasmus, der Vorliebe und Prahlerei beſchuldigen moͤchten, ſie werden aber nicht immer Recht haben, weil ich von der Wahrheit nirgends abgewichen bin, oblich gleich geſtehen muß, daß mir mein Selbſtgefuͤhl ſagt, daß ich wegen Unge - uͤbtheit in der Eile der Erzaͤhlung oft zu ſelbſtent - ſcheidend mich ausgedruͤckt haben kann. Noch muß ich befuͤrchten, daß gewiſſe Verhaͤltniſſe, die darinn aufgeklaͤrt ſind, mir manche meſſende Seitenblicke und das Laͤcheln des hoͤhern Eigenduͤnkels zuziehen* 5Xwerden; allein, eine geſunde Philoſophie ſcheuet ſich nicht davor, und die Wahrheit, welche meine Feder geleitet hat, wird niemanden ein Anſtoß ſeyn, welcher mit mir weiß und glaubt, daß wir nicht den Zuͤgel unſeres Schickſals in Haͤnden ha - ben, noch unſer Loos nach unſern Wuͤnſchen wer - fen koͤnnen.
Und nun noch ein Wort wegen des von mir verſprochenen Kupferſtichs zur gegenwaͤrtigen Sammlung. Man habe die Guͤte, die kleine, ob - gleich blendende Zahl der Intereſſenten zu uͤber - zaͤhlen, ſo wird man wiſſen, warum ich keinen Kupferſtich liefern kann. Der Kuͤnſtler arbeitet nicht umſonſt, und verſprechen konnt ich ihm nichts.
Alles was ich leiſten konnte, hab ich gethan, und um doch dem Buche wenigſtens eine kleine Verzierung zu geben, ließ ich den Titel in Kupfer ſtechen, und von dem Pettſchaft der Dichterin die - jenige Seite, womit ſie zu ſiegeln pflegte, darun - ter ſetzen.
Geſchrieben im Sept. 1792.
C. L. von Klenke. geb. Karſchin.
Vorberichtender Lebenslauf der Dichterin Anna Louiſe Karſchin, geb. Duͤrbach.
Gedichte von Anna Louiſe Karſchin. Oden.
So bekannt der Name der Dichterin Karſchin iſt, ſo dunkel iſt der Urſprung ihres Stammes, und in ihrem ſonſt gluͤcklichen Gedaͤchtniſſe konnte ſie denſelben nicht weiter zuruͤckzaͤhlen, als bis auf ihren Großvater muͤtterlicher Seite, welcher ein ſtudierter wohlhabender Amtmann geweſen war. Von dem Vater ihres Vaters iſt ihr nichts bekannt worden; ſie aͤußerte aber oft die Vermuthung, daß er wol die lezte Sproſſe eines aus - gehenden edlen Stammes moͤchte geweſen ſeyn, ſo wie auch ihre Mutter, deren Vorfahren durchaus nicht ge - ringe ſeyn mußten, weil die wenigen noch bekannten Verwandten ſtudierte und wohlhabende Leute waren, welches in der einſamen Gegend, welche ſie bewohnten, nicht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ihre Geburt es nicht erfordert haͤtte. Ihrer Mutter Vater war ein Foͤrſter und Weidmann bei dem Herrn von Moſe geweſen; ſein Name hieß Kuchel, und er heirathete die Amt - mannstochter ſeiner Herrſchaft, Namens Ferke. Dieſe hatte noch einen Bruder, welcher ſtudierte, und nach - her Amtmann wurde. Er iſt derjenige Großonkel dera 24Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: „ Kommt herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc. „ Der Foͤrſter Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen, als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren; allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck - ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe. Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft, in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be - griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit - telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe, an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor - zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der Beſchreibung von ihr kommt Jeder uͤberein, der ſie gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin, als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge5 ihres Charakters, welchen ſie ihr ganzes Leben hindurch bis an das Ende ihrer Tage unausgeſetzt behauptet hat, laͤßt ſich ſchließen, daß der Geiſt dieſer außer - ordentlichen Frau roͤmiſch, ihr Gefuͤhl griechiſch, und ihr Herz deutſch geweſen ſei. So ſchnell und zaͤrtlich ſie empfand, ſo feſt hielt ſie, ſelbſt ihre Gedanken, un - ter der Herrſchaft der Tugend; und ihrem ſonſt ſo em - pfaͤnglichen Herzen wurde ſchon durch eine unziemende Geberde, oder durch ein niedriges Wort bis zum Ab - ſcheu kalt und ekel. Nichts uͤbertraf die Strenge in ihren Sitten und die Reinigkeit ihrer Handlungen. Selbſt gegen ſich dachte ſie verſchaͤmt, und durch einen milden aber ernſthaften Anſtand welchen ſie ſich zu geben wußte, entfernte ſie alle unlautere Abſichten Anderer, indem ſie Allen, mit welchen ſie umging, zu - gleich Liebe und Ehrfurcht einfloͤßte. Ihre Soͤhne ſprechen nie ohne Ruͤhrung von dem muſterhaften Wandel ihrer Mutter und von dem Nachruhm, in welchem noch ihr Andenken bei den Nachkommen des ganzen Staͤdtchens, worin ſie wohnte, lebt. Dieſe charakteriſtiſche geiſtige Vorzuͤge, welche ſo ſelten den erſten Preis erhalten, wuͤrden auch vielleicht an dieſer Frau nicht glaͤnzen, wenn ſie nicht bei ihr von ſo viel aͤußern Vorzuͤgen waͤren unterſtuͤzt und hervor - gehoben worden. Ihre Perſon war von laͤnglichter ſchlanker Mittelgroͤße, und in ihrem Wuchs herrſchtea 36ein mit Ausdruck vermiſchter Anſtand. Ihre Bil - dung war nicht regelmaͤßig ſchoͤn, allein doch fein und angenehm. Ihr Auge war blau und ſprechend, ihre Haut weiß, und das Haar glaͤnzend ſchwarz.
Zu dieſem aͤußern Anſehn fuͤgte ſie zwei Talente, welche ſo vollkommen geweſen ſeyn ſollen, daß ſie ihr ſogar von der Dichterin auf eine gutmuͤthige Weiſe beneidet wurden. Es waren dieſe: die Kunſt zu tan - zen und die Gabe der allervortrefflichſten Singſtimme. Wer dieſe wunderbare Frau in ihrem fuͤnf und ſech - zigſten Jahre hat tanzen geſehn, der iſt noch bezaubert von ihr. Sie hat, wie der Vogel uͤber dem Waſſer, gleichſam nur uͤber dem Boden geſchwebt, und mit den ſittſamſten Blicken und Anſtande die leichteſten Wendungen ausgefuͤhrt, welche ſie mehrentheils ſelbſt angab, weil die gewoͤhnlichen Taͤnze ihr zu unbedeu - tend waren. Wenn es bekannt wurde, daß ſie zu einem Tauf - oder Hochzeitsſchmauſe erſcheinen wuͤrde, ſo ſtroͤhmten auch die Zuſchauer des ganzen Staͤdtchens dem Feſthauſe zu, und ſtunden hoch uͤbereinander in den Fenſtern, um ſie nur tanzen zu ſehen. Dennoch, ſo weit die Seele die Reize des Koͤrpers uͤbertrifft, ſo weit uͤbertraf ihre Singſtimme ihre Kunſt zu tanzen. Nur mit Thraͤnen in den Augen wird von ihren Kin - dern dieſe Stimme geruͤhmt; ja, ſie koͤnnen keine Worte finden, um ihr eine Abſchilderung zu geben. 7Auch noch in ihrem fuͤnf und ſechzigſten Jahre, wo Alter, Hinfaͤlligkeit und der grauſamſte haͤusliche Zu - ſtand ihr feines Nervengewebe beinahe zerruͤttet hat - ten, konnte ſie ſo ſingen, daß keine Nachtigall ſie uͤber - traf. Die hoͤchſten Schwierigkeiten, welche ihr eige - nes Genie ihr in die Kehle gab, fuͤhrte ſie mit der Leich - tigkeit der im Fluge ſingenden Lerche aus; und mit der aͤußerſten Hoͤhe der Toͤne vereinigte ſie zugleich ein Adagio, welches jeden, der ſie hoͤrte, bis zu Thraͤnen durchdrang. Sie konnte mit unglaublicher Leichtigkeit in lauter kleinen Ringelkreiſen die Stimme bis zum hoͤchſten Triller erheben, und in lauter neuen uner - hoͤrten Toͤnen ſchwebte ſie allmaͤhlig wieder herab und ſchmolz in einen Seufzer zuruͤck*)Das im Porſtenſchen Geſangbuche befindliche Lied: „ Ach wie nichtig, ach wie fluͤchtig iſt der Menſchen Leben „ wel - ches ihr Lieblingslied war, und woraus man auf ihre Den - kungsart ſchließen kann, hat ſie noch in ihrem ſpaͤten Alter mit einer ſo bewundernswuͤrdigen Anmuth geſungen, daß ihre Kinder es nicht genug ausſagen koͤnnen.. Zugleich konnte ſie bei froher Laune theils in ihrer Kehle jedes Inſtrument auf das vollkommenſte nachahmen. Dieſes that ſie theils pfeifend oft aus Taͤndelei, und war eben ſo gluͤcklich in dieſer Nebenvollkommenheit, als es nachher ihre Tochter als Dichterin wurde, wenn ſie die Funken ihres herrli - chen Genies in Impromptuͤes ausſtreuete. Auch Dichte - rin war die Saͤngerin, ob ſie gleich nicht ſchreiben konnte. a 48Ihr Gefuͤhl war ſo fein, daß ihr jene Volkslieder alle zu gemein waren, und ſie pflegte ſich oft andere ſo ge - nannte Arien nach ihrem beſſern Geſchmack auszuden - ken, welche ſie aber nicht aufſchreiben konnte, weil ſie nicht ſchreiben gelernt hatte, und alſo nur in ihrem Gedaͤchtniß blieben. Auch andre Melodieen pflegte ſie ſich oft auf ihre Lieblingslieder auszudenken, und die ſchlechteſte Weiſe wurde durch ihre Stimme zur vor - trefflichſten. Man ſollte glauben, daß ſo viele innere und aͤußere Vollkommenheiten, als in ihr vereiniget waren, ohnmoͤglich ſie im Staube haͤtten laſſen muͤſ - ſen; allein ſie war leider ſechzig Jahre zu fruͤh gebo - ren, wo weder Talente gekannt noch geſucht wurden; und welche auch wegen der einſamen Lage ihres Wohn - ortes nicht einmal entdeckt werden konnten*)Ihr juͤngſter Sohn, welcher ein Tiſchlermeiſter iſt, hatte ihre Stimme geerbt, verlor aber dieſelbe in ſeinem 24ſten Jahre durch eine Verkaͤltung: dennoch konnte man in ſei - nem 34ſten Jahre noch aus den Ueberbleibſeln ſchließen, was ſie geweſen war. Die Fertigkeit ſeiner Toͤne, das Neue, Saͤße und das Eigene, welches jederzeit eine Menſchen - ſtimme von jedem Inſtrumente auszeichnen ſollte, wenn ſie Stimme zu heißen verdiente — war noch weit im maͤnn - lichen Alter hin in ſeinem Geſange, und alle ſeine Toͤne, ſo kuͤnſtlich ſie zu ſeyn ſchienen, gingen ins Herz, weil es Na - tur war, welche ſie ihm in die Kehle gab..
Ihre Beſcheidenheit und Unbefangenheit, ihre aͤußerſt ſittſamen Neigungen ließen ihr auch nicht zu,9 weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe - rungs - und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der, in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten, welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei - nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden, welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren, ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun. Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund - ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu - chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge - ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent - zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei - willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder ſtraucheln noch fallen konnte.
a 510In dieſer Lage wurde ſie ſieben und zwanzig Jahr alt; ihre Wuͤnſche gingen allerdings auf eine Heirath hinaus, allein auf eine ehrliche Heirath. So gern ſie vielleicht einen Mann von einiger Diſtinktion genom - men haͤtte, ſo wurde ihr doch kein ſolcher bekannt, welcher ſie zur Frau geſucht haͤtte. Als ſie end - lich in ihr acht und zwanzigſtes Jahr gekommen war, meldete ſich der Duͤrbach*)Es iſt nicht entſchieden, ob er Duͤrbach oder Derbach geheißen hat; die Dichterin ſchrieb ſich Duͤrbach, gleichwol hat ſich eine ihrer erſten Poeſien aufgeſunden, in welcher ſie ſich Derbach nennt., welcher von den Fraͤuleins Moſe den unter ihre Herrſchaft ge - hoͤrigen Hammer pachtete. Dieſer ſo genannte Hammer war eigentlich eine Meyerei, worin eine Bier - und Brandtweinbrauerei befindlich war, und in einem leimernen mit Stroh gedecktem Wirthshauſe fuͤr Durchreiſende beſtand, an welches nur noch einige entfernte Fiſcherhuͤtten graͤnzten. Uebrigens lag der Ort in einem wuͤſten Flecken, hinter welchem ein klei - nes Erlenwaͤldchen ſtand, und gehoͤrte zum Zuͤllichauer und Schwiebuſer Kreiſe.
Dieſen Pachter und Brauer Duͤrbach nun hei - rathete das vollkommenſte Maͤdchen jener Zeit. Von ihm iſt zu ruͤhmen, daß er im ganzen Kreiſe, und noch uͤber die Graͤnze hinaus bis in das brandenburgiſche11 Gebiet wegen ſeines ſtarken und weinaͤhnlichen Bieres, welches er brauete, beruͤhmt und beliebt war, Ueber - haupt war er ein biederer Mann, welcher ſeiner Wirth - ſchaft pflichtmaͤßig vorſtand und fuͤr die Seinigen Schutzherr und Freund war. In ſeiner Perſon ver - einigte er einen edlen Anſtand, und ſein Geſicht, wel - ches eine freundliche Wuͤrde hatte, war mit einem Stuzbaͤrtchen uͤber der Oberlippe und am Kinne, nach damaliger Mode geziert, welches ihm ein recht herri - ſches Anſehn gab. Die Hochzeit des Duͤrbachs mit der Jungfer Kucheln wurde auf dem adelichen Schloſſe unter den vornehmſten Bekannten der Herr - ſchaft vollzogen, und aus dieſem ſtillen und freien Zu - ſtande folgte die junge Frau Duͤrbach ihrem Manne auf den Hammer, wo er der Bierbrauerei und der Gaſtſtube vorſtand, und wo ſie die Aufſicht uͤber die Viehzucht und die Zubereitung der abgezogenen Waſ - ſer, und die Ordnung uͤber vielerlei Geſinde, nebſt einer großen Haushaltung zu beſorgen hatte. So ſehr ihr Mann ſie liebte, ſo wohl es ihr ging, und ſo gut ſie ſich in alle dieſe Geſchaͤfte zu ſchicken wußte, ſo ſehr litt ſie innerlich durch die ungeſitteten Durchreiſen - den, welche taͤglich im Wirthshauſe einkehrten und zu halben Naͤchten bei ihren Kruͤgen und Glaͤſern vor ihr laͤrmen ſaßen. Dabei geſchah es oft, daß ihr Mann ſich an ſeinem wohlſchmeckenden Biere ein12 Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un - gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu - maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt. Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver - ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden, und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge - witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar - ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach - te, war unſere Dichterin.
Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr. Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt. Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen - dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus: daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu - merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als13 haͤßlich aufwuchs, und haͤtte ſie ihren Koͤrper und ihr Mienenſpiel in der Gewalt gehabt, ſo wuͤrde ſie bis zu ihrem Tode beinahe fuͤr ſchoͤn haben gelten koͤnnen. Sie hatte einen wohlgeordneten feinen Wuchs mitt - lerer Groͤße, ſchoͤne und daurende Geſichtsfarbe, hell - braunes Haar, die ſchoͤnſte menſchliche Stirn, welche jemals geſehn worden iſt, auf welcher ganz das Licht ihres großen Geiſtes ausgebreitet lag; die ſtrahlenvoll - ſten, hellſten, ſprechendſten blauen Augen, beſtaͤndig rothe Lippen, und bei guter Laune herzlichen Froh - ſinn in den Mienen. Allein, wenn ſie ihren Forſch - blikk hatte, welcher die meiſte Zeit in ihrem Geſichte herrſchte, ſo war ſie ſchwer auszuhalten, und man wuͤrde nicht mit ihr haben Umgang pflegen koͤnnen, wenn ihre Gedanken und ihr Thun nicht leicht waͤ - ren abzulenken geweſen, durch Zerſtreuung, welche oft der Augenblikk wuͤrkte. Die Augenlieder zogen ſich bei ſolchem Blikk zuſammen, das Auge wurde kleiner, und ſeine Strahlen ſchoſſen, gleichſam wie die Sonne in einem Brennpunkt, auf ſeinen Ge - genſtand, zuſammen. Es war ein verzehrender Blick; lenkte der Gedanke ihn ab, ſo ſah er ſeit - waͤrts, und ging in eine laͤchelnde Bewegung des Mundes uͤber, welche nicht weniger Scheidewaſſer als der Blikk ſelbſt hatte. Die Dichterin, welche nichts von dieſem Mienenſpiele wußte, hat ſich un -14 zaͤhlige Verdruͤßlichkeiten dadurch zugezogen, und ei - gentlich kann man es die Grundlage aller ihrer Un - gluͤksfaͤlle nennen.
Nach laͤndlicher Sitte wurde nun die kleine Duͤr - bach der Großmutter zur Wartung gegeben. Sie war ein ſtilles, in ſich verſchloßnes Kind, welches weder im Schlaf noch im Wachen jemanden Unruhe machte, und ſo blieb ſie bis in ihr ſechſtes Jahr. Sie kroch unter den Baͤnken der Gaſtſtube herum, und ſaß zu halben Tagen, wie ein Gedanke, ganz ſtill vor ſich weg, ohne auf etwas zu merken, was um ſie her vorging. Vermuthlich hatten die Ge - ſpraͤche der Bauern und gemeinen Gaͤſte des Wirths - hauſes keinen Reiz fuͤr ihr Ohr, und ihren Eltern fehlte die Zeit, ſich mit ihr zu unterhalten. Indeſ - ſen verrieth ſie doch dann und wann Lebhaftigkeit, wenn es Vorfaͤlle gab, welche ſelten genug waren, auf das verborgene Feuer ihres Verſtandes zu wuͤr - ken. So geſchah es zum Beweiſe einsmals, daß ſie als ein dreijaͤhriges Kind auf dem Arme ihrer Großmutter der Hinrichtung eines Delinquenten zu - ſahe, und als ſein Kopf mit einem Schwerdtſtreich des Nachrichters abflog, klopfte ſie in die Haͤnde, und rief von einer ploͤtzlichen Empfindung getrieben: „ Schwabb, war er ab! “ Mit dieſem Reime entſprang der erſte Funken ihres dichteriſchen Genies,15 wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin - des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken erhielten.
Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt - we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen - den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter - richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft, und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß - mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be - ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent - deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff - liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that16 ihrer Mutter den Vorſchlag, daß er ſie mit ſeiner Schweſter zugleich mitnehmen wollte. Die Mutter willigte mit frohem Herzen ein.
Seine kleine Nichte gewann ihren Großonkel ſo - gleich von ganzer Seele lieb, und je feiner er mit ihr umging, je oͤftrer er mit ihr Geſpraͤche fuͤhrte, je ver - traulicher wurde ſie zu ſeinem Unterrichte. Jezt wurde ſie gleichſam erſt wach fuͤr ihr Leben, denn jezt erſt lernte ſie durch die Gegenſtaͤnde, welche die Lehren ih - res Oheims ihrem Verſtande zum Wirken gaben, den - ken und empfinden. Sie konnte halb buchſtabiren, als er ſie zu ſich nahm, und in weniger als einen Monat hatte ſie von ihm leſen gelernt. Sobald ſie dies konnte, wurden ihre Begriffe zu Feuerſunken, welche ſich an alles hefteten, was ihnen Nahrung geben konn - te. Sie bekam eine unaufhoͤrliche Neigung zu den Buͤchern und lag halbe Tage lang auf der Bibel mit ihren Augen wie angeheftet. Am Abend ſagte ſie ih - rem lieben Oheim ganze Stellen daraus vor, welche ihr durch bloßes Leſen im Gedaͤchtniß geblieben waren, und ihr Vetter machte ſichs zum Vergnuͤgen, ihr Stunden lang Erklaͤrungen uͤber die geleſenen Stellen zu geben.
Ihr Lieblingsſtudium wurde das Buch der Mak - kabaͤer. Das Heldenmuſter des Judas Makkabaͤus gab ihrem Geiſte die ſtaͤrkſte Nahrung, weil dieſer amliebſten17liebſten bey Bildern verweilte, die ihm auſſerordentlich und unerreichbar ſchienen; denn gewoͤhnliche Gegen - ſtaͤnde hatten ſchon fruͤh zu wenig Nahrung fuͤr ſein gewaltiges Feuer. Dieſes kanoniſirte Heldengedicht hatte ſogar Wuͤrkungen auf ihre Einbildungskraft; ſie vertraute ſich ganz mit demſelben, und wollte kein Maͤdchen mehr ſeyn. Man hatte ihr zum Jahrmarkt eine Puppe gekauft, dieſe warf ſie in den Wipfel eines Birnbaums, und mit ihr jede Neigung zu kindiſchen Spielen. Wenn ſie nicht las, oder lernte, ſo ging ſie in den Garten, nahm ein Haſelſtrauchſtaͤbchen, und zog damit auf die Neſſeln, wie auf eine Legion Feinde los. Ganzen Feldern voll hieb ſie die Koͤpfe ab, und durch dieſen taͤglichen kriegeriſchen Zeitvertreib waren die Neſſeln ausgerottet, ehe noch der Sommer ver - ging. Mit den Uebergaͤngen der Jahrszeit veraͤnderte ſie auch ihre kriegeriſchen Diſpoſitionen. Statt der Neſſeln wurden nun Armeen von Erbſen und Bohnen auf den Tiſch geſtellt, welche auf einander losgehn mußten. Oder draußen im Freyen wurden kleine Kie - ſel geſammlet, in Reihe und Glieder geſtellt, und mit groͤßeren Steinen darauf losgefeuert.
Ihre Großmutter, welche ſchlechterdings keine Pſychologin war, ſchuͤttelte zu ſolchen Zeitvertreiben murrend den Kopf, und ſchalt uͤber das viele Leſen ihrer Enkelin. Als ſie aber ſah, daß ſie ſogar ſchreibenb18lernte, ſo ward ſie uͤber die Verſtoßung der Sitte ih - rer muͤtterlichen Vorfahren ganz entruͤſtet. Sie ſchob die Suͤnde ihrem Bruder in ſein Gewiſſen, und ſagte: Er wuͤrde es einmal zu verantworten haben, wenn das Maͤdchen durch ihr Leſen und Schreiben allerley Muͤßiggang und Untugend lernte. „ Daß dich der Krankſch derſchluͤge! rief ſie oft in ihrem gutmuͤthigen Eifer, das Maͤdel ſoll mir durchaus nicht ſchreiben lernen; durchaus nicht! ein Maͤdel muß nicht ſchrei - ben koͤnnen, ſie hat anders zu thun, wenn ſie ne Frau wird, als Schreiben. Das verfuͤhrt ſie nur zu Lie - besbriefen, zu weiter nichts Guts. Sie ſoll durchaus nicht ſchreiben lernen. “
Allein, je mehr die Großmutter eiferte, je hefti - ger wurde die Begierde der Kleinen, ſchreiben zu koͤn - nen. Sobald ſie die Buchſtaben nachmahlen konnte, blieb kein leerer Raum mehr ſicher vor ihrer Kreide, ſie beſchrieb jeden Klotz, jedes Stuͤckchen Brett, wel - ches ſie auffinden konnte. Ihr lieber Oheim fing nun das Rechnen mit ihr an, und auch hierin nahm ſie die ſchnellſten Fortſchritte. Eben ſo leicht wuͤrde ſie weibliche Handarbeit begriffen haben, wenn zu einem Unterrichte Gelegenheit geweſen waͤre. Stricken lehrte ihr die Großmutter; aber dabey hatte ſie keine Geduld, weil es ein ewiges Einerley war. Sie hat19 oft erzaͤhlt, daß ſie in ihrem ganzen Leben nicht mehr als anderthalb Struͤmpfe geknittet hat.
Ihr Vetter wußte ihr nun ferner nichts zu thun zu geben; ſein Vorrath von deutſchen Buͤchern war klein, ſeine meiſte Bibliothek beſtand in lateiniſchen und andern Sprachen. Er wußte alſo ſeine wißbe - gierige Nichte mit keinem Unterrichte mehr zu be - ſchaͤftigen, und doch plagte ſie ihn, um etwas zu ler - nen. Er fing alſo beynahe Scherzweiſe an, ſie in der lateiniſchen Sprache zu unterweiſen. Er lehrte ihr leſen, und gab ihr nachher Vocabeln auf. In Zeit von vierzehn Tagen konnte ſie ihm viele hundert latei - niſche Woͤrter aus dem Gedaͤchtniſſe herſagen, und er ging ſchon ſo weit, durch Zuſammenſetzung ſolcher Woͤrter ihr einen Autor verſtehen zu lernen. Aber welcher Graͤuel war das vor den Ohren der Großmut - ter! Ihre Geduld riß dabei ganz aus. Weil aber ihre Widerſpruͤche ſtets fruchtlos geblieben waren, ſo ſahe ſie keinen andern Ausweg, als daß ſie heimlich ihrer Tochter einen Wink gab und ihr ſagen ließ: daß wenn ſie ihr Kind lieb haͤtte, ſo ſollte ſie es von ihrem Bruder wegnehmen; denn der ginge gerade darauf aus, das Maͤdchen verruͤckt zu machen, indem er ihr nun gar Lateiniſch lehrte. Die Mutter der kleinen Duͤrbach, welche in der Zeit ſich zum zweitenmale ver - heirathet hatte, und jezt in den Umſtaͤnden war, daßb 220ſie wieder die Welt vermehren ſollte, ſah es zwar nicht ungern, daß ihre Tochter Leſen, Schreiben und Rech - nen gelernt hatte, allein wegen des Lateiniſchen war ſie mit ihrer Mutter ganz einerlei Meinung. Um alſo einer Hirnzerruͤttung vorzubeugen, eilte ſie ſelbſt zu ihrem Vetter, um ihre Tochter, welche jezt ins zehnte Jahr ging, wieder zu ſich zu holen. Unter dem Vor - wande, daß ſie dieſelbe naͤchſtens bei der Wiege brau - chen wuͤrde, halfen alle Bitten und alle Gegenvorſtel - lungen des Oheims nichts; ſie glaubte hier nach Pflicht und beßrer Einſicht zu handeln, und die Trennung zwiſchen Onkel und Nichte geſchah nicht ohne Schmerz und Thraͤnen, wie man leicht denken kann. Seit die - ſem Augenblicke gehen die widrigen Schickſale der Dichterin an, nnd dieſe Eine Trennung hatte Folgen, deren Uebel noch uͤber ihr Grab hinaus dauern.
Kaum war ſie einige Monathe zu Hauſe, als ihre Mutter ihr einen Bruder zur Welt brachte, welchen ſie wiegen, warten und tragen mußte. Ihre Mutter gab ihr dieſes Geſchaͤft blos, um ihr etwas zu thun zu geben, denn ſie befand ſich vor jezt noch in ſo guten Umſtaͤnden, daß ſie dem Kinde wol eine Magd haͤtte halten koͤnnen. Die kleine Duͤrbach, deren Herz, von ihrem lieben Oheim getrennt, eine große Leere em - pfand, gewann ihren Stiefbruder lieb, ſo viele Laſt und Unruhen er ihr auch machte. Er ſoll als ein huͤb -21 ſches Kind zur Welt gekommen und nachher der ſchoͤnſte Knabe und Juͤngling im Staͤdtchen geweſen ſeyn. Das Aeußere, welches ſogleich zu empfehlen pflegt, machte auch Eindruck auf die Dichterin, und ſie hef - tete ihre zaͤrtlichſten Neigungen auf dieſen ihren Stief - bruder, ob er gleich noch vor ſeiner Geburt die Urſach war, daß ſie an ihren geiſtigen Fortſchritten gehindert wurde, ſo wie er in der Folge die Sorgenquelle ihrer letzten dreißig ſonſt goldenen Jahre geworden iſt.
Nachdem dieſer Menſch etwa ein Jahr alt war, geſchah ihrem Hauſe ein Unfall, welcher den Wohl - ſtand der ganzen Familie umſtuͤrzte. Ihr Stiefvater Hempel, welcher ein Paͤchter und Jaͤger war, und ein aufbrauſendes brutales Weſen hatte, konnte ſich nicht, wie ſein Vorfahr, der Brauer Duͤrbach, in die Geſellſchaft der Gaſtſtube ſchicken. Wenn er die ge - meinen Reiſenden noch von fern ſah angewandert kommen, ſo ſchmaͤhlte er ſchon auf ſie, und begegnete ihnen veraͤchtlich, wenn er ſie bedienen ſollte. Dieſes kam bald zu den Ohren der Herrſchaft, und ein junger Kruͤger im adelichen Dorfe, welcher laͤngſt einen Wunſch nach der Pacht des Hammers gehabt hatte, machte ſich die Brutalitaͤt des neuen Paͤchters zu Nutze, und pachtete ihn bei der Herrſchaft aus. Die Eltern der jungen Duͤrbach wurden alſo aus ihrem erſten Wohn - orte verdraͤngt, wo ſie funfzehn Jahr ſo geſeegnet wa -b 322ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng - ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri - ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On - kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ - ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld, ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß - mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr - bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie23 nun vor gaͤnzlichen Muͤßiggang zu bewahren, wurden ihr von der Mutter drei Rinder vertraut, welche ſie taͤglich auf die Weide, die weit entfernt lag und zu ihrer Pacht gehoͤrte, treiben mußte. So unwuͤrdig ein ſolches Geſchaͤft fuͤr eine Karſchin ſcheint, ſo erin - nerte ſie ſich deſſelben doch niemals ohne Vergnuͤgen, und hielt die Jahre ihrer Hirtenſchaft fuͤr die ſchoͤn - ſten ihres Lebens. Die Freiheit, welcher ſie hier ge - noß, die herrliche bluͤhende Natur um ſie her, die mit Baͤchen durchſchlungenen Wieſen, und die liebliche Ruhe, welche hier uͤberall ausgebreitet lag — erfuͤll - ten ihre Seele mit tauſend ſchoͤnen Bildern, von wel - chen ſie ſelbſt die Schoͤpferin war. Und welcher Stand befriedigt auch wol mehr das Herz, als der Hirten - ſtand, in welchem die Patriarchen Koͤnige waren, und die hoͤchſten Dichter ſich das goldene Zeitalter traͤumten?
Sie war im dreizehnten Jahre, als ſie mit ihrer kleinen Heerde zuerſt die graßreichen Triften betrat. Hier empfand ſie mehr als jemals den Drang denken - der Vorſtellungen, welchen ſie ſo gern in Bilder uͤber - getragen, wenn ſie nur gewußt haͤtte, wie? Sie hatte weder ein Buch zum Leſen, noch Geraͤth zum Schreiben, noch jemanden, an welchen ſie ihre Gedan - ken haͤtte richten koͤnnen. So brachte ſie ihre Zeit in Geſellſchaft ihrer Rinder mit bloßen Phantaſien hin. Eines Tages aber, als ſie ſo in ſich ſelbſt vertieft ihrenb 424empfindſamen Traͤumen nachdenkt, entlaͤuft ihr ploͤtz - lich ein Rind, welches im blinden Eifer uͤber eine Waſſergraben ſezt, der die Graͤnze einer andern Weide war. In aller Angſt wathet die kleine Hirtin den Graben durch und ihrem Rinde nach; die zwei uͤbri - gen folgten ihr von ſelbſt. Sie mußte eine lange Strecke laufen, ehe ſie daſſelbe einholen konnte; end - lich gelang es ihr. Indem ſie nun ein wenig ausru - hen wollte, ſahe ſie um ſich herum und bemerkte, daß ſie ſich auf einer ganz fremden Trift befand, als ſie in einiger Ferne einen Hirtenknaben gewahr wurde, wel - cher unter einem Baume ſaß, und — o wundervolles Gluͤck! in einem Buche las. Ihr Herz ſchlug laut vor Freude, und mit dem zweiten Gedanken war ſie auch ſchon bei dem Knaben. Drei Worte, in drei Augenblicken geſagt, machten einander auf immer be - kannt, und eine gegenſeitige Neigung zum Leſen ſchloß ſogleich das Band der Freundſchaft um ihre Herzen. Jezt haͤtte ein Jupiter vom Himmel ſteigen und in eins ihrer Rinder ſich verwandeln koͤnnen, die Dichterin wuͤrde es nicht bemerkt haben, ſo ſehr war ihre Be - gierde auf das Buch geheftet, welches der junge Hirte las. Es war dieſes[Buch] eins von den Originalen, welche damals die Ehre der deutſchen Schriftſteller ausmachten. In dieſe Klaſſe gehoͤrten: die ſchoͤne Meluſine, der gehoͤrnte Siegfried, Peter mit dem25 goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe, und andere, welche noch ungleich ſeichter waren.
Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie, und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El - tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei - bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa - beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei - nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver - ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli - ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als erb 526etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher, ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt.
Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!
„ Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge - habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief - chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re - den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu - ſen*)Er pflegte auch zuweilen Verſe zu machen. haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit27 uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn. Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc.
Schwiebus, den 2ten Oſtertag 1762.
Ihr allzeit guter Freund Joh. Chriſt. Grafre.
So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that er ſehr gern’ und that es daher oft. Ihr Wunſch war, daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver - ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen, damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte, daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver - ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,28 welche er mit aͤußerſter Muͤhe habhaft zu werden ſuch - te. Zwar bekam ihr Geiſt keine Schwingen durch dieſe Lektuͤre, in welcher oft ein geſunder Gedanke in einem Strohm von ermuͤdendem Witze und fremden Sprachwoͤrtern erſaͤuft lag; allein ihre Empfindungen gewonnen doch dadurch mehr Spielraum, und ihre Ideen verfeinerten ſich durch das Leſen, und durch den freundſchaftlichen Umgang ihres tugendhaften Hirten - knaben. Vielleicht wurden die drei Sommer ihres Hirtenſtandes die Quelle, welche ihre Dichterader ſo weit ausdehnte und ſo ſtark anfuͤllte; denn hier be - gnuͤgte ſich ihre Wißbegierde nicht nur an den Buͤchern, ſondern machte ſie auch mit den Gegenſtaͤnden der Natur bekannt. Sie lernte die mannichfaltigen Arten der Voͤgel und der laͤndlichen Inſekten kennen; ſie er - forſchte den Unterſchied der Baumarten, der Pflanzen und Blumen, und in ihrem unvergleichlichen Gedaͤcht - niſſe fand das vergeſſenſte Kraͤutchen ſeinen Namen wieder. Auf gleiche Weiſe wurden ihr die Veraͤnde - rungen der Jahreszeiten, ſo wie der Elemente bekannt, und der geſtirnte Himmel mit ihrem Geiſte vertraut. Daher ſammlete ſie alle die ſchoͤnen Farben zu den herrlichen Bildern der Natur, welche ihren Meiſter - ſtuͤcken einen Vorzug geben, den ſie vielleicht in ihrer Art einzig hat. Haͤtte ſtatt dieſes Hirtenlebens die Dichterin das Gluͤck einer gekuͤnſtelten Erziehung29 genoſſen und die Buͤcher unſrer Tage gehabt, ſo wuͤrde ſie kaum ihr Talent zn der Hoͤhe geſchwungen haben, in welcher es allgemein bekannt iſt. Ein wirkliches Genie kann wol nicht dadurch leiden, wenn es lange ſich nur ſelbſt uͤberlaſſen iſt; denn die Kunſt, welche ihm zu fruͤh die erhabenſten Muſter vorlegt, macht es dadurch ſcheu und zaghaft, ſelbſt den Flug zu wagen. Daher wird ein fruͤh ausgebildetes Talent ſich ſelten zu dem kuͤhnen Schwung erheben, welchen die wilde freie Kraft eines ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Genies mit Leich - tigkeit ausfuͤhrt, weil es die ihm unbekannten Regeln der Kunſt nicht zu ſcheuen hat, ob es gleich auch Ge - fahr laͤuft, im Waͤlzen ſeines Strohms hie und da eine Regel umzuſtoßen, oder etwas mit ſich fortzureißen, welches es nicht wieder an die rechte Stelle bringt.
Nachdem der dritte Sommer dieſer gluͤcklichen Epoche vor ſie voruͤber war, bedachte nun ihre Mut - ter, daß das Maͤdchen ſich dem Ende ihres funfzehn - ten Jahres naͤherte, und noch war ſie von aller haͤus - lichen Kenntniß zuruͤck, welche ihrer kuͤnftigen Beſtim - mung zur Hausfrau ſo nothwendig war. Nach der dortigen Sitte pflegte man die Maͤdchens zu verheyra - then, ſobald ſie erwachſen waren, und die Augen der jungen Duͤrbach ſagten, daß ſie wider dieſe Gewohn - heit nichts einzuwenden haben wuͤrde. Es ward alſo beſchloſſen, ſie zuerſt noch im Naͤhen unterrichten zu30 laſſen, und alsdann ſie in der Hauswirthſchaft anzu - lernen. Damit man aber verhinderte, daß ſie nicht, ihrer Gewohnheit nach, leſen, in den Gaͤrten und auf den Wieſen herumtraͤumen, oder gar ſich bey dem Buͤcherſchaft ihres litterariſchen Schaͤfers vergeſſen koͤnnte; ſo wurde ſie von Hauſe ganz entfernt, und einige Meilen weit davon in die Koſt einer Muͤllers - Frau gethan, welche die Geſchicklichkeit im Ausnaͤhen vorzuͤglich beſaß. Das Gedaͤchtniß der Duͤrbach glich dem Wachs; was ſie lernen ſollte, das druͤckte ſich den Augenblick unausloͤſchlich in ihre Begriffe. So ganz ſie Phantaſie und Gedanke war, ſo war ſie kaum ein Vierteljahr in der Lehre, als ſie ſchon ihrer Lehr - meiſterin alle Kuͤnſte ihrer feinen Nadel auf das ſau - berſte nachmachen konnte. Sie war auf anderthalb Jahre in dieſe Lehre bedungen, und die Muͤllersfrau, welche ihrer Schuͤlerin nichts mehr lernen konnte, miß - brauchte in der uͤbrigen Zeit die folgſame Gemuͤths - art der Duͤrbach, nebſt der entfernten Lage von ihren Eltern, und ließ ihr mehrentheils Magddienſte ver - richten. Dabei blieb es nicht allein, ſondern ſie mußte auch oft das Amt einer Vorpoſt beſtehen: denn die Muͤllerin, welche jung und huͤbſch war; hatte Bekannt - ſchaft mit einem Huſaren-Rittmeiſter, welcher hier auf Graſung ſtand. Er kam mehrentheils wenn der Muͤller auf der Muͤhle war, und bey jedem ſolchen Beſuche wur -31 de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be - ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr - digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit - tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie - der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom - men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu - ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte32 Feder — mit welcher ſie wie mit einer ritterlichen Lanze, in beweglichen Klagen auf das harte Schickſal loszog. Es iſt Schade, daß von dieſem erſten Fluͤ - gelſchwunge ihres Geiſtes keine Probe mehr vorhanden iſt; und dieſe Epiſode wuͤrde daher unbedeutend ſeyn, wenn man nicht in ihr die fortwachſende Dichterin bemerkte. Ihren Poſten beſtand ſie ſtets ſonder Feh - de, ſie ward ſogar dafuͤr von dem Rittmeiſter beſchenkt, und die Haushaltung des Muͤllers befand ſich wohl dabei, ſo wie bei den vollen Kammern auch der Haus - friede ſich befand. Allein der Zufall, welcher kein Ver - gnuͤgen ungeſtoͤhrt laſſen mag, that es auch hier. Ei - nes Tages, als eben der Rittmeiſter im Begriff war, zu ſeiner Schoͤnen zu gehn, kommt ploͤtzlich eine Kut - ſche vor ſeine Hausthuͤr gerollt, und wer daraus er - ſcheint, ſind — ſeine Gemahlin und ſeine beiden klei - nen Soͤhne. Zaͤrtlich hingen ſie ihm an Hals und Knieen, ehe er noch ein Wort ſprechen konnte; und er, ein ſonſt guter Mann und Vater, empfand, daß er von den Banden der Natur umſchlungen wurde, und — weggewiſcht aus ſeiner Seele war das Bild der Kokette. Ohne von ihr Abſchied zu nehmen, eilte er am andern Morgen fruͤh mit den Seinigen nach ſeinem Standquartier zuruͤck, und ſeine ſanfte Frau machte ihm keinen Vorwurf, daß er ſo lange uͤber die Zeit der Graſung weggeblieben war.
In33In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht, daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei - nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn - dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ - ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel - cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn - te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine, und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge - ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein,c34weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort - zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort, um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge, welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande - nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die - ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be - ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war, ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck.
Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten; dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß35 ſie gluͤcklicher in ihrem Hauſe, als bey dem Hirten war, denn ſie fand auf ihrem Soͤller (Vorfluhr) ei - nige Blaͤtter voll Verſe von dem bekannten Johann Franke, welche uͤber allerlei Gegenſtaͤnde geſchrie - ben waren. Dieſer neue Fund ſchlug einen Funken in ihr an, welcher in ſeiner Neuheit etwas Bezaubern - des fuͤr ſie hatte. Noch niemals waren ihr andere Poeſien als die Lieder im Geſangbuche vor Augen ge - kommen; aus dieſen Blaͤttern ſahe ſie, daß man auch andere Gedanken als geiſtliche in Verſe bringen konn - te; der Takt des Sylbenmaßes war unausſprechlich ſchmeichelhaft fuͤr ihr Gefuͤhl; ſie empfand, daß die Sprache in Verſen einen vorzuͤglichen Unterſchied vor der gemeinen Sprache hatte — Sie flog zu ihrem Hirten, entdeckte ihm den Schatz, den ſie gefunden hatte, und brannte nun von keiner geringern Begier - de, als von der: auch Verſe machen zu koͤnnen. Die - ſes wuͤnſchen und auch verſuchen, war eins, und von Stund an keimte ihr Dichtertalent aus dem Verbor - genen hervor. Sie ſchrieb Verſe an den Hirten von der Art, wie ſie im Anhange dieſer Sammlung zur Probe mitgetheilt ſind, und ahndete nicht, daß ſie damit etwas Edleres that, als wenn ſie vormals hin - ter ihrer kleinen Heerde mit dem Staͤbchen in der Hand herging. Auch wurde ſie nicht ſtolzer auf ihr Talent, als es ſchon ihren Namen beruͤhmt gemacht hatte.
c 236Der ehrgeizige Rinderphiloſoph blieb ihr nichts ſchuldig, er verſuchte, ihr in Reimen wieder zu ant - worten, ob ihm gleich das Steigen in die Dichterſphaͤre herzlich ſauer wurde, weil er nicht wie ſeine Freundin zur Dichtkunſt geboren war.
Jezt aber war ſie nicht mehr das kinderhafte Maͤd - chen auf der Weide, ſondern eine werdende Jungfrau im ſechzehnten Jahre, welcher in jeder Nerve Empfin - dung gluͤhete. Zwar konnte der arme Rinderhirt mit ſeinen zuſammengedraͤngten Unannehmlichkeiten ihr keine zaͤrtlichen Wuͤnſche ablocken; die Ritterideale aus ſeinen Buͤchern hatten ihre Phantaſie erhoͤht, ihren Geſchmack verfeinert, und ihr Auge ekelnd gemacht; ſie lernte aber einen Nachbarsſohn kennen, einen wohl - gewachſenen und wohlgebildeten jungen Menſchen, welcher ganz artige Manieren hatte, und ſogar Verſe zu lieben ſchien. Fuͤr dieſen wurde ſie eingenommen, und vielleicht wuͤrde ſie mit ihm einen ziemlich leidlichen Eheſtand gefuͤhrt haben, wenn ſie zu einer Heirath mit ihm ſeiner Mutter Bewilligung haͤtte erlangen koͤnnen. Allein dieſer Frau war das Maͤdchen darum aufs aͤußerſte zuwider, weil ſie — leſen und ſchreiben konnte, und weil ſie damals, vermoͤge ihres in ihr wirkenden Dichterfeuers ſelten mit den Augen gerade ſah, ſondern beinahe ſchielte. Sie eiferte heftig wider jede Zuſammenkunft mit ihrem Sohne, und kraͤnkte37 ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta - del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt: verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens, jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir - nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor - muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey, wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be - friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.
Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbachc 338tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al - lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn - orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu - geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach - te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu: daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts. Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver - ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd - chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren39 Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler, blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde, ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich. Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in - deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we - nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih - rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt,c 440und die große Jugend, in welcher beide Theile faſt immer verheirathet werden, kann wol nichts anders als uͤble Folgen nach ſich ziehn, weil ſie bei reiferm Ver - ſtande erſt einſehen, wie ſie mehrentheils in ihrer Wahl gefehlt haben.
Ein ſolches Schickſal wartete auch unſerer Dichte - rin; weil ihr Braͤutigam meilenweit entfernt wohnte, ſo konnte ſie weder ihn, noch er ſie beſſer kennen ler - nen, ob ſie ſich zur Ehe fuͤr einander ſchickten. Der Mutter zwar wurde es geſagt, daß er ein geiziger und jachzorniger Mann waͤre; allein ſie, welche glaubte, daß man wol fuͤr die Tugend etwas leiden koͤnnte, hoͤrte weiter nicht auf ſolche Reden, ſondern antwor - tete: „ Wenn der Mann ſchlimm waͤre, ſo muͤßte die Frau deſto nachgebender ſeyn, denn ginge es immer gut. Sie wuͤßte, daß ihre Tochter ein nachgebendes Gemuͤth haͤtte, alſo mache ſie ſich weiter keinen Kum - mer, als dieſelbe an einen ordentlichen Mann zu brin - gen, und das waͤre ihr kuͤnftiger Schwiegerſohn. „ Dergeſtalt ging denn die Hochzeit vor ſich.
Die Braut war ein ſchlankes, noch nicht voll ſech - zehnjaͤhriges Maͤdchen mit bluͤhendem Geſicht, laͤndlich - freundlichen Mienen und feuervollen blauen Augen. Ihre unbeſchreiblich ſchoͤne Stirn trug keine gepuderte Locken, ſondern ihr ſtark kaſtanienbraunes Haar war nach Art der Koͤpfe franzoͤſiſcher Schweizermaͤdchen,41 in Flechten aufgeſchlagen. Statt des Kranzes trug ſie nach damaliger Sitte eine kleine Fontange von Spitzen, welche auf ein goldenes Laͤppchen getollet waren. Ueber einen großen Fiſchbeinrock blaͤhete ſich der Brautrock von ſchwarzer Charge. Den ſchmalen Leib zierte ein Kamiſoͤlchen vom nehmlichen Zeuge, ein goldner Latz ſchimmerte vor der Bruſt, und goldge - ſtickte Pantoffeln, nebſt rothen Struͤmpfen mit bunten Zwickeln paradirten an den Fuͤßen; weiße zwirnene Handſchuh und ein kleiner Zobelmuff ſchmuͤckten die feine Hand. So ſtand ſie vor dem Traualtar, wo ſie fuͤr einen ungluͤcklichen Eheſtand eingeſeegnet wurde.
Nach dreytaͤgiger Hochzeitfeyer wurde ſie von ih - rem Manne heimgefuͤhrt, und in ihr Joch geſpannt. Sobald er ſie ganz allein in ſeiner Gewalt hatte, warf er die Larve ab, und ließ es durch den unertraͤglichſten Geitz ihr empfinden, daß er in Abſicht der Mitgabe ſich betrogen hatte; denn ſie hatte wirklich nichts mit - bekommen, als eine Ausſtattung von etwas Schmuck, Kleidern und Hausgeraͤthe, und ſtatt der eingebilde - ten tauſend Reichsthaler nur hundert. Darzu kam, daß ſie wegen ihrer großen Jugend und Vergeßlich - keit noch ganz unerfahren in der Wirthſchaft war, und daß ſelbſt ihre Bereitwilligkeit und ihr ſtrengſter Gehorſam in ihren Pflichten kein Verdienſt an ihr ſchienen, weil ihr die Wirthſchaftlichkeit ganz und garc 542nicht kleidete, indem ſie durchaus nicht zu ſolchen Ge - ſchaͤften geboren war. Allein, den woͤchentlichen Faden ihrer Pflichten ſelbſt, ſie mochten auch noch ſo muͤh - ſam ſeyn, lernte ſie bald abſpinnen, weil ihr Verſtand zu allem faͤhig war; und ſie uͤbertraf darin ſtets ihren Meiſter, nur mit ſtiller und geſetzter Ordnung konnte ſie nichts verrichten, weil ſie ſich uͤberall vergaß. Das verdroß ihren eigenſinnigen Mann gar ſehr, und er wurde deswegen ſchon im erſten Jahre ihrer uͤber - druͤßig. Haͤtte er aber gewußt, welches edle Feuer in ihr wirkte, ſo wuͤrde er aus Eigennutz und Ehrgeiz ſie beſſer geſchaͤtzt und gehalten haben; denn bey aller ſeiner uͤblen Laune hielt er doch auf den Punkt der Ehre, und in dieſem Fall war ihm das Geld nicht zu lieb; ja, er wuͤnſchte nur deswegen reich zu werden, ſich mit Ehre ſehn laſſen zu koͤnnen. In beſſern Gluͤcksumſtaͤnden waͤre dieſer Mann gut geweſen, an - ſtatt daß er bey wenigem Einkommen ein boͤſer Be - herrſcher der Seinigen wurde.
Das arme junge Weibchen war zu bedauren; bey dem beſten Willen, welchen ſie hatte, ihrem Manne alles nach Wunſche zu thun, konnte ſie doch nicht das Geringſte handhaben, wobei ſie nicht etwas verſchuͤt - tete, im Wege liegen ließ, auf etwas trat, oder etwas verkehrt machte. Ihr Mann konnte daruͤber ſo boͤſe werden, daß er oft handgreiflich wuͤthete. Dadurch43 entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn, welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man - cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten, daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin, und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie.
In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge - bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi - niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich, daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro - hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein - wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom -44 men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte, welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge - fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her - umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein - ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im - mer von neuem aufgebracht wurde.
Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war, gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge - werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be - ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe - rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an ſeiner fleißigen und folgſamen Frau ausließ, und das -45 jenige, was er erſparen wollte, ihren Beduͤrfniſſen ab - zog; denn er gab ihr weder recht ſatt zu eſſen noch zu trinken. Oft,[wenn] ſie in ihren gluͤcklichen Tagen den Wein nicht genießen konnte, welcher ihr uͤberfluͤßig angeboten wurde, erinnerte ſie ſich jenes darbenden Zuſtandes, wo ſie als Amme ihrer Kinder oft nach einem Trunk Bier hat ſchmachten muͤſſen, welches ihr harter Mann vor ihren Augen trank, ohne ihr etwas davon anzubieten. Durch dieſe Haͤrte verleitete er ſie, daß ſie ihm dann und wann kleine Muͤnze zu entwen - den ſuchte, damit ſie ſich, wenn er etwa ausginge, heimlich Bier holen und ihren Durſt laben konnte; welches dann zu andern Unordnungen und Unruhen Anlaß gab, weil ihm nichts verborgen blieb, und weil ſie auch durchaus keine Heimlichkeit verbergen konnte, und dieſelbe ſchon durch ihre ſchuͤchternen Mienen verrieth.
Von ihrer guten Schwiegermutter, welche im naͤch - ſten Hauſe wohnte, ward ſie oft erquickt und unter - ſtuͤtzt, aber auch das mußte heimlich geſchehen, weil er mit ſeinen Eltern ſo hart umging, wie mit ſeiner Frau. Klagen und Vermahnungen halfen bei ihm nicht, er wußte als Mann und Hausvater ſich immer mit ſei - nem Haberecht zu beſchoͤnigen und auszureden; allein ſie beklagte ſich auch gegen niemand, weil ſie nicht wußte, ob ihr Schickſal je anders ſeyn koͤnnte? Selbſt46 ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre, wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war. Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange - nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht, mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel - ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver - druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die - ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon - ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit; da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn, ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man47 Arien nannte, wie davon im Anhang eine Probe zu finden iſt. Sie dachte ſich dieſelben in der Woche aus, und an dem Sonntag, wenn ihr Mann abweſend war, ſchrieb ſie ſie auf, indem ſie dieſelben nach irgend einer Melodie aufs Papier zu ſingen pflegte, welche Gewohn - heit ſie noch im ſpaͤten Alter hatte. Sie meinte, daß ihr durch dieſes Abſingen das Silbenmaaß leichtflie - ßender wuͤrde. Auch an ihren Mann machte ſie Ver - ſe, wie die Probe im Anhange beweiſt; er pflegte gut - launig daruͤber zu laͤcheln, weil er ganz dunkel den Vorzug fuͤhlte, welchen ſeine Frau in dieſer Gabe vor andern hatte; allein da er es nicht voraus ſehen konn - te, daß jemals ſolche Arbeit Geld bringen wuͤrde, ſo machte er weiter nichts daraus. Indeß wurde ſie doch mit dieſer Gabe in der Stadt Schwiebus bekannt, und wen ſie kannte, der wurde von ihr mit ſolchen Proben ihrer Reimluſt beſchenkt, weil ſie jeden Gegenſtand er - griff, woran ihr Feuer Nahrung fand. Einer ſagte dem andern davon, und es kam bald vor die benach - barten Edelleute, daß ſie Verſe machen koͤnnte. Man ward neugierig, ſich ſelbſt davon zu uͤberzeugen, und ſie wurde zuweilen zu ſolchen Herrſchaften gerufen, welche ſie alsdann mit etwas Muͤnze dafuͤr zu beſchen - ken pflegten. Einsmals ließ man ſie in eins der be - nachbarten Doͤrfer in eine adliche Aſſemblee kommen, wo ſie mit vieler Gegenwart des Geiſtes jedem der48 Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte, welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb - ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn - und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor - genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan - negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei - ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou - verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her - ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg - haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein - ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa - lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihnkannten.49kannten. Alles war fuͤr ihn von einem Enthuſiaſmus beſeelt, alles liebte ihn und betete ihn an! und nie war ihnen ſo wohl, als wenn ſie ein: Vivat der Koͤ - nig von Preußen! trinken konnten. Die Dichterin, welche bei dieſen Geſpraͤchen nicht darein reden durf - te, fuͤhlte ſich ſo enge um’s Herz, wenn ſie bei ihrer Arbeit von dieſem Wunderkoͤnige reden hoͤrte; ſie gluͤhte vor Verlangen, ihn ſingen zu koͤnnen. Allein voͤllig unbekannt mit jeder Art eines Heldengeſangs, kehrte nur ihr Verlangen unbefriedigter in ſie zuruͤck, ohne daß ſie es gewagt haͤtte, ein Wort zu des Koͤnigs Ruhm zu ſchreiben. Im Anhange befindet ſich das Stuͤck uͤber die Kaiſerliche Regierung, worin ſie, wie die ſchuͤchterne Liebe, es nur entfernt wagte, gleichniß - weiſe ihre Verehrung gegen ihn zu verrathen. Zu die - ſer Zeit kam auch ihr litterariſcher Hirt nach Schwie - bus; er hatte hier von einem Verwandten ein Stuͤck Land und eine Huͤtte geerbt, welche er als Eigenthum bezog, indem er ſeiner alten Mutter die wenigen Einkuͤnfte ſeines vaͤterlichen Ackers in Tirſchtiegel al - lein uͤberließ. Jezt war ſie beſſer geborgen, als jemals, denn nun hatte ſie den Freund, der fuͤr ihren Sonntag vollauf ſorgte. So ſehr indeß das Leſen den Druck ihres haͤuslichen Zuſtandes erleichterte, ſo zog es ihr doch auch manchen Verdruß zu, wenn ſie ſich nicht enthalten konnte, auch zuweilen in der Woche ein Buchd50in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer. Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das, daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord - nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft - lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand - lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte, und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing, ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel - ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer - floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in ſeinem Entſchluß.
51Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung, ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur - den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi - ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward. Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe - frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.
So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs - vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht - bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam, welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden. Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei - denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwed 252geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder, ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl - redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio - niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter dritten Heirath gequaͤlt wurde.
In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand, daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte. Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war, acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be - ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat - tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand. Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des53 Abends mit einem Raͤuſchchen zuruͤck, welches ihn ſonſt immer gutes Muths machte. Bei dem Herein - treten warf er mit einer luſtigen Art den Hut auf den Tiſch, ſchwung ſich auf einem Beine herum und rief: Vivat! es lebe der Koͤnig von Preußen! darauf ſagte er zu ſeiner Frau: Hoͤre, Louiſe! weißt du ganz was Neues? Der Koͤnig von Preußen hat in ſeinen Lan - den die Erlaubniß zur Eheſcheidung gegeben; was meynſt du, wenn wir die erſten waͤren, die ſich ſchei - den ließen? Seine aͤußerſt erſchrockne Frau konnte ihm hierauf nichts antworten, und er fuhr fort: Na, du haſt doch nichts dawider, wenn wir den Anfang ma - chen? Ach Gott, du wirſt doch das nicht thun, war ihre Antwort. Ja, ja! das werd’ ich wol thun, er - wiederte er; und was iſt denn fuͤr ein Ungluͤck dabei? wenn man einander nicht leiden kann, iſts nicht beſſer, als davon. Die Frau weinte jaͤmmerlich, aber er fuhr fort: Hoͤre, Louiſe, weine nur nicht, das Weinen kann zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe mei - nen Sinn darauf geſetzt, daß ich mich ſcheiden laſſe. Du biſt freilich ein recht gutes, fleißiges und folgſames Weib, aber es muß mir angethan ſeyn; genug, ich kann dich nicht zum Weibe leiden, und kann dich im - mer weniger leiden, was ſoll uns ein ſolch Marter - leben? gieb nur gutwillig dich darein, denn es wird nicht anders, ich gehe auf die Scheidung. Hiermit,d 354ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er in ſeine Kammer.
Ihr Zuſtand war ſchrecklich; ſie liebte ihren Mann und hatte Brod und Anſehn von ihm; ihre Mutter konnte ihr keinen Schutz geben, weil ſie ſelbſt in der niederdruͤckendſten Lage war, und dazu lieber den Tod an ihr Herz geſchloſſen haͤtte, als eine durch die Schei - dung an ihrem Namen gebrandmarkte Tochter. Das alles fuͤhlte die Dichterin, ihr war es nicht unbekannt, welche Schande auf dem Worte Scheidung lag; man nagte und quaͤlte ſich lieber in einer lebenslangen Ehe, als daß man an eine vernuͤnftige Trennung un - ter beiden Theilen haͤtte denken wollen. Und ſolcher Schande ſollte ſie ſich vor allen im Lande zuerſt Preis geben? dazu kam noch die Laſt ihres leiblichen Zuſtan - des; und keinen Zufluchtsort, keinen Freund, kein Obdach, keinen gewiſſen Unterhalt! — Alle dieſe Vor - ſtellungen zuſammengedraͤngt warfen auf das Vorha - ben ihres Mannes ſo etwas Unmenſchliches, daß es ihr unmoͤglich ſchien, daß er ſo abſcheulich ſeyn und es ausfuͤhren koͤnnte. Dieſer Schluß beruhigte ſie eini - germaßen bis am Morgen. Sobald ſie ihren Mann anſichtig wurde, bat ſie ihn mit den ruͤhrendſten Aus - druͤcken des Schmerzes und mit allen Vorſtellungen ihres Zuſtandes: daß er doch den Gedanken zur Schei - dung aufgeben moͤchte, ſie zerfloß faſt in Thraͤnen vor55 ihm; allein er blieb unbeweglich. „ Er koͤnnte ſie ein - mal nicht leiden “— dabei blieb’s. Des andern Ta - ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß - Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte, da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt. Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit. Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin, wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen, und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer - den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf, und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz; ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Eind 456junger Soldat, welcher hier Schildwacht ſtand, ſahe ſie weinen, frug ſie aber nicht warum? ſondern zog ein Stuͤck Kreide aus ſeiner Taſche, und ſchrieb an die Rathhausthuͤr:
Darauf nahm er ſie bei der Hand und ſagte: Hier, junge Frau, kann ſie leſen? ſie ſchlug ihre naſſen Au - gen auf, las, und wurde geſtaͤrkt; denn ſie hielt dieſe Worte fuͤr eine gluͤckliche Weißagung, daß der Himmel ihre jetzigen unverſchuldeten Leiden ihr wieder mit Freude vergelten wuͤrde. Es ahndete ihr aber nicht, daß, ehe dieſes geſchaͤhe, ſie noch weit groͤßere Kum - merberge zu uͤberſteigen haben wuͤrde.
Nun ward ſie zum Scheidungsverhoͤr gerufen, alle Punkte wurden zum Beſten des Mannes verfuͤgt, und die Scheidung bewilliget. Der Mann wurde nun nicht allein ſeine Frau los, ſondern alle vortheilhafte Bedingungen, welche Liſt und Eigennutz erſinnen koͤnnen, wurden ihm noch bey der Trennung zugeſtan - den. Alles dasjenige, was ſie ihm als Ausſtattung zugebracht hatte, behielt er an ſich, als ein Muttergut fuͤr ſeine beiden noch lebenden Kinder, welche, weil es Soͤhne waren, in ſeiner Verſorgung blieben. Das57 dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend, in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn. Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht, daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ, unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand, ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn - nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih - rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar - men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs - brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be - raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte. Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,d 558und ging damit zu dem naͤchſten Thore hinaus, ohne zu wiſſen, wohin? Ihre Schwiegermutter gab ihr das Geleite drei Viertelmeilen weit. Dieſe ſchluchzte und weinte neben ihr her, ſtreckte oft ihre gefalteten Haͤnde vor ſich aus und rief: „ Ach, meine liebe Schwiegertochter! daß Gott ſich erbarme! du wirſt recht aus dem Hauſe geſtoßen. Mein gottloſer Sohn! es wird ihm nicht wohl gehn; aber du wirſt noch Freude erleben. Es muͤßte kein Gott im Himmel ſeyn, wenn du ſo verlaſſen bleiben ſollteſt. Meine liebe Toch - ter! es wird dir noch wohl gehn, denke an mich! es muß dir noch wohl gehn, es muß dir noch wohl gehn — — „ Der Abend fing an zu daͤmmern, und ſie mußten ſich trennen. Es war ein herbes, bittres Lebewohl, was ſich beide ſagten, und niemals ſahen ſie einander wieder.
Jezt ſchlug ſie ihre verweinten Augen auf, und ſahe ſich nach einem Orte um, wo ſie herbergen koͤnn - te. In einiger Ferne entdeckte ſie die friedlichen Stroh - daͤcher eines Dorfs, darauf eilte ſie zu, und nahm darin ihre Nachtruhe. Das Doͤrfchen graͤnzte zwiſchen Schwiebus, wo ihr Mann, und zwiſchen Tirſchtiegel, wo ihre Mutter wohnte. Ihre von Kummer muͤde Seele, welche nichts als den Tod zur Rettung aus ih - rem Elende vor ſich ſah, ſehnte ſich nach der Mutter, nach den Wohnungen ihrer Jugend, wo ſie unter un -59 ſchuldigen Freuden nichts von den Elendsketten, an welchen die Menſchheit ſchmiedet, gewahr worden war. Dort wuͤnſchte ſie zu ſterben. Aber daran war leider ſo wenig zu denken, als daß ſie in Schwiebus bleiben konnte; denn ihrer ſchon hoͤchſtbedraͤngten Mutter hatte die Schmach, in welche der Name ihrer Tochter durch die Scheidung verſunken war, den letzten toͤdtlichen Schlag gegeben. Sie, welche das allerzarteſte Gefuͤhl fuͤr die Ehre in allen Handlungen ihres Lebens beob - achtet hatte, wurde nun durch das Ungluͤck ihres eig - nen Kindes daran aufs hoͤchſte gekraͤnkt. Von Jeder - mann, den ſie ſahe, glaubte ſie getadelt und beſpottet zu werden, und von ihrem dritten boͤſen Manne mußte ſie taͤglich Seelen verwundende Worte daruͤber anhoͤ - ren. So ſchwere innere und aͤußere Leiden auf einmal wuͤrkten ſo heftig auf ſie, daß ſie in eine Auszehrung verfiel, an welcher ſie jedoch, vermoͤge ihrer ſtarken Natur, einige Jahre krankte, ehe ihre ſchoͤne Seele von dem unbefleckten Koͤrper ſich trennte und eine Welt verließ, welche eines ſolchen Kleinods nicht werth war.
Zu einer ſo gekraͤnkten Mutter konnte alſo die Toch - ter nicht Zuflucht nehmen, welche ſo viel Urſach an ihren Leiden hatte. Sie ſchrieb daher nur an dieſelbe und bat ſie um Verzeihung wegen des großen Herze - leides, welches ſie ihr haͤtte machen muͤſſen. Die Mut - ter verzieh ihr, und ſchickte ihre Soͤhne dann und wann60 zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung, milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt - und Hoffnungslie - der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er - leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.
Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein - zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge - ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge - nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen, wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man - chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war, ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben ſich etwas erwerben konnte.
61So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte, als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin, welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo - gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn - te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn, ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy - ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt62 wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei - ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub - te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr.
Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung. Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar - uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent - ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un - ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie koͤnnte ihm darinn helfen, und ſo wuͤrde ſie doch wieder63 eine ehrliche Frau. Die Tochter folgte alſo, weil die Mutter es ſo wollte, oder vielmehr, weil ihr Schickſal ſie auf dieſen neuen Kummerberg trieb. Sie kam mit ſchwerem Herzen ins Dorf zuruͤck, und verlobte ſich mit ihrem Freyer. Beide nahmen dar - auf ihre wenigen Habſeligkeiten, nebſt dem kleinen drei vierteljaͤhrigen Hirſekorn, und wanderten auf gut Gluͤck nach Frauſtadt in Polen’, wo er ſich wohnhaft niederließ, und mit ſeiner Braut getraut wurde. Nach - dem er ihr Mann geworden war, fand ſie ihn aus Vernunft ertraͤglich, und ihre Ehe wuͤrde ziemlich leid - lich geweſen ſeyn, wenn er nicht zuweilen den Trunk geliebt haͤtte. Da ihr erſter Mann aͤußerſt maͤßig gelebt hatte, ſo war ihr die Untugend des Karſches um ſo mehr zuwider; und weil ſie, theils durch Naͤ - hen, theils durch Briefſchreiben, zu welchem ſich in Frauſtadt oͤfters Gelegenheit fand, ihn ernaͤhren half, ſo glaubte ſie ein Recht zu haben, ihm wegen ſeiner Luſt zu trinken, Verweiſe geben zu koͤnnen, beſon - ders da er im erſten halben Jahre ihres Eheſtandes nicht zum Trunke ausgegangen war, und Zeiten hatte, wo er dieſe ſchaͤdliche Gewohnheit lange laſſen konnte. Maͤnner laſſen ſich nicht gern predigen; auch Karſch empfand die Vorwuͤrfe ſeiner Frau uͤbel, und um ih - nen zu entgehen, ging er abermals ſich betrinken. Nun vermehrten ſich die Vorwuͤrfe von beiden Seiten: Er64 hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge - geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn er liebte wirklich ſeine Frau.
Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu - ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win - deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich - terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen - bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali - ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der Menſch in ſeinen Leidenſchaften.
Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte - rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man - chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihresSoͤhn -65Soͤhnchens zu befriedigen. Sie erzaͤhlte oͤfters, daß ſie eines Tages, als ſie ihre Tochter an der Bruſt hat - te, vor Kummer zur Nachbarin heruͤber gegangen ſey; ſie fand die Leute eben beim Mittagseſſen, welches vor ihnen in einer großen Schuͤſſel voll gebackenen Obſt mit Kloͤßen und geraͤuchertem Fleiſche rauchte. Sie gruͤßte die Nachbarn, welche ihr dankten und ſie ſtehn ließen, ohne ihr etwas anzubieten. Ihr Hunger ward durch den Reiz der vollen Schuͤſſel aufs aͤußerſte em - poͤrt; aber ſie bekam nichts, und mit Thraͤnen des Mangels und der Beſchaͤmung ging ſie wieder an ih - ren leeren Heerd zuruͤck.
Mit ihren Kleidern war es eben ſo beſchaffen, wie mit ihrer Kuͤche; ſie hatte kaum ſich nothduͤrftig zu bedecken, und ging deswegen nur immer in den Fruͤh - predigten in die Kirche, wo ſie ſich hinter einen Pfei - ler ſtellte, weil ſie ſich vor den Leuten ihrer Armuth ſchaͤmte. Dennoch war ſie gluͤcklich, wenn ſie bei Froſt und Mangel nur den Prediger hoͤren konnte. Voll von ſeiner ſanften Rede kam ſie dann nach Hauſe, und ſetzte dasjenige, was ſie aus ſeiner Predigt behalten hatte, in Verſe. Dies that ſie lange fuͤr ſich ſelbſt, aus bloßem Drang zum Schreiben; allein einsmals kam ſie auf den Gedanken, eine ſolche verſificirte Pre - digt dem Paſtor zu uͤbergeben, aber auf welche Weiſe? Sie, welche ſich vor andern Leuten wegen ihres arm -e66ſeligen Aufzugs ſchaͤmte, war noch weit ſchuͤchterner, ſich vor dem hochwuͤrdigen Pfarrer ſehn zu laſſen. Um alſo doch ihren Wunſch zu erfuͤllen, nahm ſie das be - ſchriebene Papier, ſchlich damit unter dem Altare weg, und warf es in den Beichtſtuhl, ohne daß ihr Name darauf geſchrieben war. Dies wiederholte ſie einige - male hinter einander, bis der Prediger neugierig wur - de und aufmerkte: wer doch die Verſe in den Beicht - ſtuhl wuͤrfe. So bald er ſie entdeckte, redete er ſie an. Ihr aͤußeres Anſehn und ihre niedergeſchlagene Schuͤch - ternheit machten ihm ſogleich ihren traurigen Zuſtand bekannt. Er noͤthigte ſie in ſein Haus, und wurde bald ihr aufmunternder Freund. Er ſchaffte ihr die Bekanntſchaft eines Rektor Rikkerts, Pruͤvers, des Burgemeiſters Greiffenhagen, und des Doktor Neugebauers in Frauſtadt. Dieſe Her - ren empfohlen ſie ihren Freunden in Pohlniſch Liſſa, welche ihren Ruf bald bis nach Groß-Glogau brachten, wo die Dichterin ſchon Freunde hatte, ehe ſie dieſelben kennen lernte.
Jezt bekam ſie wieder Nahrung fuͤr ihren Geiſt, denn dieſe Herren liehen ihr diejenigen deutſchen Buͤ - cher, welche ſie ſelbſt beſaßen, unter andern die Geſpraͤche im Reiche der Todten, wodurch ſie Helden und Philoſophen der alten und neuern Zeiten kennen lernte. Sie fanden ihr Genie aus67 dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun - terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf, ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben, waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge - drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen - falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit - zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je - dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder - ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge - ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu - ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten, Kindtaufen, Namens - und Geburtstage und allerlei Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu - den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tagese 268ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an - gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch - tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus. Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich - terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih - rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich - keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie - ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch - ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei - nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor -69 zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude, ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben Jahr alt war, zu Groß-Glogau.
Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih - res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr - ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl - tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver - ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte.
So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth,e 370welche jede widerſetzende Schwierigkeit uͤberwand, machte ſie fuͤr jeden Gegenſtand dreiſt. Sie wurde gar ſo kuͤhn, bei einer Durchreiſe des Koͤnigs von Polen, ihm in Verſen ihre Noth vorzutragen; das Gedicht iſt im Anhange abgedruckt, allein es iſt nicht bis zu Seiner Majeſtaͤt gelangt,[und] hat ihr alſo auch nichts weiter geholfen.
Indeſſen nahm ſie in ihrer Geiſtesſtaͤrke immer zu, und ihr Ruf verbreitete ſich durch mehrere Staͤdte bis nach Großglogau. Ihre Frauſtaͤdtiſchen Goͤnner riethen ihr daher, daß ſie nach Glogau reiſen moͤch - te, und dort ihr beſſeres Gluͤck verſuchen. Weil ſie in Frauſtadt nichts zu verlieren hatte, ſo folgte ſie dem Rath, und zog mit den Ihrigen nach Großglogau.
Es war im Jahre 1755, als ſie ſich mit ihrem Manne und drei Kindern in dieſer Feſtung wohnend niederließ. Hier brachte ſie nichts mit her, als die bitterſte Armuth. Indeſſen wirkten die Empfehlungs - ſchreiben ihrer Pohlniſchen Goͤnner ihr ſogleich zwei vortrefliche Haͤuſer aus, welche nicht allein Kenner des Talents waren, ſondern auch ihre wahren Freun - de wurden. Das erſte dieſer Haͤuſer war der noch zu Berlin lebende Herr Geheime Finanzrath Engelbrecht, damaliger Kriegesrath in Glogau; das zweite der da - malige reformirte Hofprediger Doͤbel. Da dieſe Haͤuſer großen Einfluß hatten, ſo ſchloſſen ſich mehrere71 Goͤnner fuͤr die Dichterin an dieſelben an. Sie wurde der Graͤflich Roͤderſchen Familie vorgeſtellt, und ge - noß ihrer Gnade; dem Herrn von Cocceji, von Schlabrendorff, dem Kommandanten von Haak, und mehrern dergleichen, welche alle unermuͤdet in Aufmunterungen fuͤr ſie waren und blieben. Mehrere Perſonen von allen Staͤnden ſuchten ihre Neugier in ihrer Bekanntſchaft zu befriedigen, und munterten durch ihre Guͤtigkeit ihr Talent auf. Der Krieg hielt hier einen Zuſammenfluß von Fremden beiſammen, welche ihr manchen Nutzen brachten. Hier lag die Feſtungsgarniſon, hier war ein Schloß, ein Rath - haus, mehrere Departements, und, fuͤr die Dichterin das vorzuͤglichſte von allen, ein Buchladen. In die - ſem Buchladen bekam ſie bald freien Zutritt; ſie ging alſo, ſo oft ſie ihrem ſchweren Hausſtande eine Stunde entreißen konnte, in demſelben leſen. Hier fand ſie die Ueberſetzung eines Youngs, eines Hora - zes, Gedichte einer Unzerin und anderer angehenden deutſchen Gelehrten, welche nach und nach entſtanden. Auch von dem Koͤniglichen Philoſophen von Sans - ſouci, welcher der Held ihres Buſens war, fielen ihr Ueberſetzungen ſeiner Oden und Epiſteln in die Haͤn - de; welche ſie, aus Vergoͤtterung fuͤr ihn, bei naͤcht - licher Lampe, wenn rund um ſie alles ſchlief, in Verſe etzte; wodurch ſie ſich ſelbſt die vortreflichſte Uebunge 472in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele; und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da - von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher - lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ - ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei - nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum - mer, als um den Koͤnig.
Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen! Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo, als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn - gen gefeiert wurden. — Hier ſtreuete ſie nicht mehr Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte - nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus -73 bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al - lein doch ſo, daß man ſah, daß es ſchoͤn und gefaͤllig werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ - nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt, welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen, einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus - waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn - tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von der Wahrheit verſichert wurden.
Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein, daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er - warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit, welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei - ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin - derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.
Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittese 574Kind, ein gutherziges Maͤdchen, welches mit vier Jah - ren ſtarb. Die Vermehrung derjenigen, welche Nah - rung und Kleider begehrten, machten ihren Hausſtand immer bekuͤmmerter und laͤſtiger. So fleißig und wil - lig ſie arbeitete, ſo empfand ſie doch das Ueberwiegende ihrer Sorgenbuͤrde uͤberſchwenglich. Wann ſie nun geſchrieben hatte, bis oft der Waͤchter den Tag abſang; alsdann mußte ſie nach einigen Stunden ſorgenvollen Schlafs, aus welchem ſie noch zuweilen von ihrem trunkenen und noch durſtigen Karſch geſtoͤrt wurde, am daͤmmernden Morgen im Winter mit halbbedeckten Gliedern gehn und eine lange Straße weit ein Buͤn - delchen Holz zum Einheitzen borgen. Auch die Beduͤrf - niſſe zum Morgenbrod und zu des Tages uͤbrigen Un - terhalt holte ſie mit gleich beſchaͤmenden Aengſten her - bei, und die alleraͤußerſten Nothwendigkeiten konnten nur mit der groͤßten Sorge herbeigeſchafft werden. Ihre Kinder wurden die kleinen Sklaven ihrer Noth, und gingen ſo armſelig gekleidet, wie diejenigen, welche das oͤffentliche Mitleid anflehen. Armuth, Zank, Mißhandlungen, alles was man Elend nennt, war in ihrer Haushaltung vereiniget, und ſie wuͤrde, trotz des Talents der Dichterin bald zur niedrigſten Race ver - ſunken ſeyn, wenn ihres Mannes Stolz nicht gluͤckli - cher Weiſe noch ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre gehabt haͤtte, welches ihm noch von ſeiner genoßenen Erzie -75 hung anklebte. Er ſtammte von Muͤtterlicher und Großelternlicher Seite von der franzoͤſiſchen Kolonie ab. Jedermann kennt die vortreflichen Grundſaͤtze und Sitten, in welchen ſich ſeit laͤnger als hundert Jahren dieſes edle Voͤlkchen in den brandenburgiſchen Landen fortpflanzt. Auch Karſch war nach dieſen Grundſaͤtzen erzogen, und wuͤrde denſelben gewiß treu geblieben ſeyn, wenn nicht deutſche ſittenloſe Kamme - raden ihn verdorben haͤtten. Dennoch hatten Leicht - ſinn, Verfuͤhrung und die Gewohnheit des Trunks, das eingepraͤgte Gute nicht ganz in ihm erſticken koͤn - nen. So feſt haften die erſten Grundlagen der[Er - ziehung]. So lange er nuͤchtern war, war er ein guter Mann und Vater. Er bildete durch vernuͤnfti - ge Reden das Herz ſeiner Kinder; er hielt ſie zu Ord - nung und Gebet an; unterrichtete ſie von Gott, und lehrte ſie, ihn fuͤrchten, lieben und vertrauen. Er fuͤhrte ſie in die Kirche, gab Acht, daß ſie gehoͤrig auf - merkten, und bei ſeiner Arbeit gab er ihnen Erklaͤrung von Tugend und Sitte. Er hielt ſie zum Fleiß an, und lehrte ihnen ſelber leſen und ſchreiben; gab ihnen auch allerlei Lectionen zum Auswendiglernen auf, wel - che ſie ihm wieder herſagen mußten. Er munterte ſie durch Lob, Ernſt und Liebe zu allem Guten auf. Er hielt ſie von dem Umgang unſittlicher Kinder ab, und ſah vor allen bei ihnen darauf, daß ſie ein verſchaͤm -76 tes Gefuͤhl behielten. — Alles dieſes dankt dem Vater im Grabe noch ſeine einzige Tochter!
Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat - tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt.
Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam, fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen, leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch - marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb.
„ Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da - malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte - rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten. Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih - rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter77 dem Getuͤmmel dieſer Kinder, und brachte eine Predigt, die ſie eben in der reformirten Kirche gehoͤrt hatte, in Verſe. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte ſie ei - nen halben Bogen ergriffen, mit dem ſie uns beim Weg - gehen beſchenkte. Hier iſt ſein Inhalt:
Anna Louiſe Karſchin.
Dieſer armſeelige Zuſtand hielt Niemanden ab, ſie zu ſehn; man eiferte um ihre Verſe, und theilte die - ſelben ſeinen entfernten Freunden als Seltenheiten mit; man wuͤnſchte, von ihr beſungen zu werden, und78 die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies; und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an - dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte, ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal, ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes, junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs - kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter - richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf, und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.
Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un - wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen. Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie - ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward. Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit79 des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge - boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ, je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus - frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu - gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket - ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge - duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll - te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe, und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte80 daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte — — Da kam eine unerwartete Erloͤſung.
Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit - laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde entladen.
Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft. Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen. Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden, und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man - nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen. Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben.
Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihreWoh -81Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be - ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron erſucht, „ daß er ſich doch nach der Dichter in in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih - ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte, wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten haͤtte “. Die Dichterin, beſchaͤmt von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei - nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge - ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu - gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei - feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe beſaͤße? Allein ihre Antwort auf ſeine erſte Frage uͤber - zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem rechtf82artigen Verſe. Sie bat hierauf um Schreibzeug, und ſetzte waͤhrend einer halben Stunde ein angenehmes Gedicht an den Baron auf. Als man ſie beurlaubte, ward ſie genoͤthigt, am andern Tage wieder zu kommen, wo der Baron ſie einigen ſeiner Freunde vorſtellen wollte. Kaum war ſie ein paar Stunden wieder zu Hau - ſe, als der Bediente des Barons kam, und ihr im Na - men ſeines Herrn einen beſſern Kopfaufſatz und einige andere feine Kleidungsſtuͤcke brachte, womit er bitten ließ, daß ſie am andern Tage darin erſcheinen moͤchte. Es iſt unmoͤglich, daß der Zaarin Peters des Erſten die Krone mehr ſuͤßen Stolz gegeben hat, als die Dich - terin uͤber dieſe geſchenkten Kleidungsſtuͤcke empfand; jedes war ihr ein Zeichen, daß ſie wirklich geehrt wur - de, und jedes machte ſie vor Freude trunken. So, durch ſeine Hand geſchmuͤckt, ging ſie zu ihrem guͤtigen Baron; hier fand ſie die Fremden ſchon anweſend, und die Freude, welche ſie begeiſterte, gab allem, was ſie der Geſellſchaft ſagte, etwas Blendendes. Als ſie ſich wieder entfernte, beſchenkte ſie der Baron mit einer ſchoͤnen emaillirten Doſe nach damaliger neuſten Mo - de; noch nie hatte man ihr ſo artig begegnet; ſie fuͤhlte in dem angenehmen Geſchenk das Edle des Gebers; er duͤnkte ihr mehr als andere Menſchen zu ſeyn. Sie eilte damit nach Hauſe, und wie ſie nichts auf dem Herzen behalten konnte, ſo zeigte ſie dieſelbe ſogleich83 ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die Doſe um und um beſehn und bewundert, macht den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback! Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih - res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver - heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol - gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und gethan.
Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert. Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver - ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln undf 284Hausgeraͤth beſaß, und behielt nichts als ihre Kleider und ihre zwei Kinder. Vor Erwarten der Dinge, die da kommen ſollten, ward in der Nacht zum letzten Morgen in Glogau nicht geſchlafen, ſondern auf ihren Knieen dichtete ſie Danklieder, bis endlich der Waͤch - ter die letzte ihrer Kummernaͤchte abrief: da kam der Wagen des Barons, worauf ſich die Dichterin mit ih - ren beiden Kindern ſetzte — O Gott! wer nicht elend, nicht bedraͤngt geweſen iſt, der kann das nicht empfin - den, was hier ſo unausſprechlich empfunden ward! Dieſer Wagen, welcher nicht Ueberwundene, ſondern Ueberwinder jedes Leidens fuͤhrte, war gewiß vor den Morgenſternen glaͤnzender, als irgend ein Triumph - wagen der ſtolzen Sieger zu Rom — — Seegen, un - ſterblichen Dank der Aſche des Edlen Barons! Viele Großen wurden nachher bewaͤhrte Freunde der Dich - terin; aber Einer nur hatte den Muth, ſie aus der Tiefe der Armuth zu reißen; und dieſer war der Ba - ron von Kottwitz. Unvergaͤnglich bluͤhe dafuͤr ſein erhabenes Geſchlecht! und nie muͤſſe es ſeinem edlen menſchenfreundlichen Stamme an jeder Freudenfuͤlle mangeln, welche des Daſeyns Gluͤckſeligkeit iſt!
Die Reiſe nach Berlin ging uͤber Boyadel, den Hauptadelſitz des Barons, ſie kamen daſelbſt in Einem Tage an. Ihr Wohlthaͤter war voraus gereiſet, und85 empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck - ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo - gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba - ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be - ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl - thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal - ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit, welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem. Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih - rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr - ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths - hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein - uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſichf 386ſchlummern legte. Sie hatte nur Einen Gedanken: ihren Wohlthaͤter! alles was ihr wiederfuhr, alles was ihre Sinne beruͤhrte, ſchien von ſeinem Einfluſſe beſeelt zu ſeyn. Sie ſah in allem nur ihn, und in ihm die wunderthaͤtige Hand Gottes. So oft ſie allein war, lag ſie auf ihren Knieen, und ihre Dankgefuͤhle floſſen in Thraͤnen uͤber.
Doch, wie Schiffe noch im Hafen ſcheitern koͤnnen, ſo drohete auch hier der Dichterin im Hafen ihrer Gluͤck - ſeligkeit ein zuruͤckſchlagender Sturm, denn in Kroſſen fand ſie ihren Mann. Der Schreck betaͤubte ſie auf: einige Augenblicke, da ſie ihn gewahr wurde und er ſich ihr naͤherte; weil ſie aber in hochfreiherrlichem Schutze reiſete ſo war auf des Mannes Seite auch Furcht, und er, anſtatt zu wuͤthen, fiel ihr um den Hals mit freundlichen Worten und Thraͤnen der Reue. Er nahm ſeine Zuflucht zu Bitten und Vorſtellungen, ſo ruͤhrend es ihm moͤglich war. Haͤtte ſie nicht adeliche Bedek - kung gehabt, ſo wuͤrde ſie aus Furcht ihn erhoͤrt ha - ben; allein da ſie die Uebermacht gegen ihn in Haͤnden hatte, ſo antwortete ſie mit gleicher Freundlichkeit und eben ſo dringenden Vorſtellungen von ihrer Seite: daß es ſo wenig moͤglich als nuͤtzlich waͤre, ſich wieder mit ihm zu vereinigen. Dennoch ließ er mit Bitten und Weinen bis auf den Augenblick ihrer Abreiſe nicht nach, wo er aber auch ſeinen Ton nicht aͤnderte, ver -87 muthlich in der Hoffnung, daß ſie ſich wol noch in Ber - lin zu ſeinem Beſten beſinnen wuͤrde. Als ſie auf den Reiſewagen ſtieg, nahm er ſeine kleine einzige, und ihm liebſte Tochter auf die Arme und rief unter Thraͤ - nenguͤſſen: „ Ach, wenn ich nur wenigſtens dich behal - ten koͤnnte, dich, an der mein ganzes Leben haͤngt! „ Aber der Kutſcher und Diener des Barons trieben zur Abfahrt; er ſetzte ſein Kind auf den Wagen, indem er es ſegnete, ihm tauſend Lebewohl wuͤnſchte und in der Geſtalt eines Verzweifelten, den ſelbſt die Hoffnung verlaͤßt, blieb er hinter dem Wagen zuruͤck. —
Die Dichterin kam gluͤcklich, und ferner unverfolgt in Frankfurt an, wo ſie auf die ſanfteſte Weiſe uͤber - nachtete; von da ging es nach dem pallaͤſte-reichen Berlin.
Es war am 25. Januar 1761, als ſie hier erſchien. Ihre Aufnahme geſchah im Hauſe des Wiener Ge - ſandten, Herrn Grafen von Gotter, woſelbſt auch der Baron von Kottwitz logirte. Hier war, wie uͤberall, ſchon alles zu ihrer Ankunft auf das beguͤnſtigſte be - reitet, und weil es Mittag war, ſo wurde auch ſogleich ihr und ihrer Tochter ein Tiſch mit fuͤnf auserleſenen Schuͤſſeln vorgetragen. Wer mags beſchreiben, wie ihr bei dieſer Mahlzeit zu Muthe war?
Sie hatte im December 1760 ihr 38ſtes Jahr voll - endet. Dieſes Alter, in welchem die mehreſtenf 488Frauenzimmer nach gerade von der glaͤnzenden Buͤhne abtreten, um jungen Schoͤnen fuͤr die Bewunderung Platz zu machen, ward, trotz allen nur moͤglichſten Leiden, durch welche die Dichterin bis zur dieſer Epo - che gekommen war, der Zeitpunkt, wo ſie erſt auf - bluͤhte, bemerkt und bewundert wurde.
Sobald man hoͤrte, die Karſchin ſey angekom - men, ſo eiferte auch alles, was Geſchmack haben woll - te, um die Wette, dieſes Wunder von Frau zu ſehen. So buͤrgerlich ſie auch noch in den erſten Tagen ein - her ging, ſo wurden ihr doch verſchiedene Equipagen geſchickt, um ſie in die vorzuͤglichſten Geſellſchaften abzuholen. Es gereicht wirklich den Herzen, wie dem Verſtande der edlen Berliner zur Ehre, daß ſie nicht zu ſtolz waren, weder der Dichterin ihren gemeinen Stand noch Anzug entgelten zu laſſen, ſondern ihr mit aller der Aufmerkſamkeit und Feinheit begegneten, welche ihrem Talente zukamen. Vorzuͤglich bemuͤhete ſich der fuͤr die ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſo warme Freund, der damalige noch junge Herr Doktor Kruͤnitz (jetzt beruͤhmter Verfaſſer der Encyklopaͤdie), der erſte zu ſeyn, der es ſich zum Vergnuͤgen machte, ihr Freunde anzuwerben. Er fuͤhrte ſie in die Haͤuſer eines Oberkon - ſiſtorialraths Koͤppen, eines Geheimerath Buchholz, Hofrath Stahl, Ober-Hofprediger Sack, Rektor Wippel, und mehrerer dergleichen, ein, wo ſie denn89 Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.
Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck - lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens, nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge - ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte, ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche - kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei - gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ - ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der - ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei - den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin, und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An - zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie - nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei -f 590dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei - nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn - licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge, welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut - ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel - leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie - mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar - tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich - terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen, wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ - nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.
Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich - tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em - pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank - bares Herz einige Ruhe.
Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh - men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was91 ſie wollten, mit ihr ſprachen, indem ſie zugleich ihrem Schreiben zuſahen, in welchem nichts ſie hindern konnte, als das einzige, wenn eine Perſon ihr vorſetz - lich auf die Hand ſah.
Ihre Beſchaͤftigungen wurden nun einzig: Schrei - ben und Leſen; ſie ging vom Schreibpult in die Ge - ſellſchaft, um dort wieder zu ſchreiben und Impromp - tuͤes zu ſagen; und von dieſen wieder zum Schreiben. Durch die taͤgliche Uebung, durch die Ruhe und Eh - renvolle Aufmunterung, welche ſie hier von allen Sei - ten genoß, ſetzte ſich ihr Geiſt zu einer maͤnnlichen Staͤrke, und zu einem unermeßlichen Schwung. Sie machte bald die Bekanntſchaft des Herrn Profeſſor Kamler, welcher ſchon damals als deutſcher Horaz bekannt wurde. Von ihm lernte ſie ihre weitſchwei - figen Sylbenmaaße, an welche ſie durch ihre ehemali - gen einfaͤltigen Leſereien gewoͤhnt war, in vier Zeilen einſchraͤnken, und ihm den Gang der Ode nachahmen. Mit ihrem reichen Genie, deſſen Adel ſelbſt dieſer eigenſinnige Richter anerkannte, haͤtte ſie in ſeiner Schule eine Pindarin werden koͤnnen, wenn ihr Geiſt die Feſſeln der Kunſt haͤtte dulden wollen. Ein vor - gelegter Plan laͤhmte ihre Schwungkraft; ſie konnte es durchaus nicht denken: ſo willſt du anfangen, und ſo wieder endigen, ſondern wie der Zufall ihr einen Gegenſtand entgegen fuͤhrte, ſo faßte ihr Feuer ihn92 auf, und fuͤhrte ihn leuchtend fort; unbekuͤmmert, wo er ſeinen Ruhepunkt nehmen wuͤrde.
Sie lernte Sulzern kennen, dieſen ſtrengen Phi - loſophen; auch er ward ihr Freund und der waͤrmſte Aufmunterer ihrer Muſe. Allein obgleich dieſe beiden Maͤnner, nebſt Mendelsſohn, damals unter den Ge - lehrten zu Berlin die Sterne der erſten Groͤße wa - ren, fuͤr welche die Karſchin mehr als Hochachtung hatte, ſo war ſie doch zu ſehr Genie, um ihnen zu folgen; ſie ging ihren eigenen Gang.
Die vornehmſten Privathaͤuſer, die feinſten Fa - milien nahmen ſie in ihre Geſellſchaft und Freund - ſchaft auf; und das war ihr beinahe nothwendiger, als der Umgang mit Gelehrten, weil ſie ihre Auf - munterung und ihren Privatnutzen befoͤrderten! denn bei ihrem Wohlthaͤter, den Baron von Kottwitz, hatte ſie zwar Wohnung und Bequemlichkeit fuͤr ſich und ihre Tochter, allein auf eine kurze und unbeſtimmte Weiſe; denn dieſer Herr war im Begriff, ſich zu ver - maͤhlen. Er kaufte zu ſolchem Ende ein Haus, welches dazu eingerichtet ward. Unterdeſſen er ſeinem Vor - haben immer naͤher kam, ward er ploͤtzlich krank. Die Krankheit ließ eine ſchwere Hypochondrie zuruͤck, wel - che ihn auf einige Zeit alles Gebrauchs der Freude am Leben beraubte. Die Heirath ging zuruͤck, und er reiſete nach ſeinen Guͤtern, um dort ſeine Beſſe -93 rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi - ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich - terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge - fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be - kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder - te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie, wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig, und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn - ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf - ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge - ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei - gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte94 mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei - heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die - ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen, allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus, Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es, bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un - terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund - lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich - terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder - fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich - terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom - men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar - beit fuͤnf Jahre lang erzog.
Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin - der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor95 der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig - lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib - tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin - gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime, welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden. Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte, einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her - ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre - chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear - beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat -96 ten; auch einige, die faͤhig waren, in Geſellſchaften nach Einfaͤllen zu reimen; allein im Augenblick ſolche dichteriſche Jouwelen zu ſehn, wie ſie ausſtreuete, welche ſchnell einnahmen und der kaͤltern Pruͤfung be - ſtanden, hatte man noch kein Beiſpiel. Und das kam aus dem Kopfe eines Weibes, welches ſo ſchaͤtzbare Schoͤnheiten keiner Erziehung, Anleitung, noch frem - der Feile zu danken hatte! Ihre meiſterhaften Stuͤcke, welche ſie bei ſtiller Muße niederſchrieb, koſteten ihr kaum eine Stunde Arbeit; und dauerte es laͤnger, ſo wars durch Abſchreiben und wieder Abſchreiben; doch wurden diejenigen Stuͤcke niemals die beſten, welche ſie oft abſchreiben mußte, ſondern ihr ſchnellſter Ent - wurf pflegte immer die ſchoͤnſten und feuervollſten Bilder zu haben; und bei allem Feuer hatten ihre Bilder eine Wahrheit und Natur, daß, ſo erhaben ſie auch oft geſtellt waren, ſie doch immer deutlich blieben. Gemeiniglich pflegten ihre damaligen Arbei - ten das Herz zu ruͤhren, indem ſie den Verſtand be - zauberten. Ein Vorzug, welchen die erhabene Dicht - kunſt nur ſelten erreicht!
Nachdem ihre Tochter in Penſion gekommen war, rieth man ihr an, ſich den Halberſtaͤdtern zu zeigen, welche Verlangen hatten, ſie kennen zu lernen. Sie reiſete alſo dahin, wo der Saͤnger, der (nach der Dichterin eigenen Worten) in ſeiner Jugend Anakreonwar,97war, und nun als Preuſſiſcher Grenadier mit Frie - drichs Siegen wetteiferte, ſie gaſtfreundlich in ſeinem Hauſe aufnahm. Er fuͤhrte ſie bei ſeinen Freunden ein, ſchaffte ihr die Gewogenheit des Hochgraͤflich Stollberg-Wernigerodiſchen Hauſes; ſo wie des Herrn Dom-Dechanten Freiherrn von Spiegel. Dieſer, die Muſen und jede Kunſt ſo eifrig liebende Baron, welcher die beruͤhmten Spiegelberge bei Halberſtadt mit unglaublichen Schwierigkeiten und Koſten bepflan - zen ließ, that zur Veredlung des Namens der Dichte - rin vorzuͤgliche Schritte. Er miſchte ſie unter die Zahl ſeiner Freunde, und ließ dieſelbe faſt taͤglich mit ihnen einerlei Ehre genießen. Er gab ihrentwegen zuweilen beſondere Gaſtmale, und munterte ſie mit Geſchenken der Großmuth auf, gab ihr auch den Adel ihres Ta - lents in einem Pettſchaft zu erkennen, welches er aus Kriſtall fuͤr ſie verfertigen ließ, und drei Seiten zeigt: Auf der einen ihr verzogener Geburtsname, auf der andern der Kopf der Sappho, auf der dritten die Leier im goldenen Felde, uͤber welcher ein Lorbeerkranz ſchwebt. Das Haus des regierenden Grafen von Wer - nigerode that noch mehr: es gab der Dichterin ein jaͤhrliches beſtimmtes Taſchengeld mit Fortſetzung der huldreichſten Geneigtheit; und der erhabene Erbe hat den goldnen Faden noch bis jezt nicht abgeſchnit - ten —
g98Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih - rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge - genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen - ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli - che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor - treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver - wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes, und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben99 ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei beſchuldigen konnte.
Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf - gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je - des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim - merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine, indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn dadurch nur ſtrahlender macht.
Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal - berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al - les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam - men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo - phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus - ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei - tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß - te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz undg 2100Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich - ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis, und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder, aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte — Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal - berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu - ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch - land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und Buchhaͤndler nach folgten*)Dieſes iſt die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus - erleſene Gedichte von A. L. Karſchin, 1763 zu Berlin herausgekommen ſind.. Gleims edler Vorſatz war, durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen, daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben101 koͤnnte; und der Plan wuͤrde gelungen ſeyn, wenn ihn nicht der Rath eines andern Freundes durchgeſtri - chen haͤtte, welcher anrieth: die Exemplare der Samm - lung in zwei Klaſſen abzutheilen, in eine theure und eine wohlfeile. Sie ließ ſich den Vorſchlag blen - den, indem ſie nichts dadurch zu verlieren, wol aber zu gewinnen glaubte, und ehe Gleim es hindern konnte, war das Avertiſſement fuͤr die Abaͤnderung ſchon abgedruckt und im Umlauf. Da die mehreſten nur ihre Neugier befriedigen wollten, ſo war es ihnen einerlei, ob ſie das Ganze auf feinem oder gemeinem Papier, mit oder ohne Vignetten, hatten, wenn es nur eine Sammlung von den Gedichten der Karſchin war. Daher praͤnumerirte der groͤßte Theil der In - tereſſenten auf den geringſten Preiß; indeß ging die Sache gut genug von ſtatten, und nach Abzug aller Koſten behielt die Dichterin zwei tauſend Thaler in gutem Golde Ueberſchuß. Gleims Plan ging auf fuͤnf tauſend, und es wuͤrde gelungen ſeyn, wenn man ihm gefolgt haͤtte. Doch ſie, die immer Genuͤgſame! wel - che deſto weniger begehrte, je weniger ſie rechnen konnte, hielt ſich durch das kleine Kapital ſchon fuͤr reich.
Die Sammlung war noch nicht zu Stande, als ſie mit einem Freunde eine Beſuchsreiſe nach Berlin machte, um ihre hieſigen Freunde und ihre Tochter einmal wieder zu ſehn. Sie glaubte bald nach Mag -g 3102deburg zuruͤckzukehren; allein ihr Schickſal hatte es anders beſchloſſen. Kaum war ſie zwei Monat in Berlin, als ſie zufaͤlliger Weiſe erfuhr, daß ihr aͤl - teſter Bruder, derjenige, welchen ſie zuerſt wiegen und warten mußte, und den ſie ſo lieb gewonnen hat - te, gegenwaͤrtig ſei; dieſes hoͤren und ihn aufſuchen war Eins. Sie hatten einander in vierzehn Jahren nicht geſehn, und ihre Freude, ihn in ihrem Gluͤck wieder zu finden, war ohne Graͤnzen. Jetzt em - pfand ſie zum erſtenmal, daß ihr Gluͤck nicht ohne Stachel ſei; denn, indem ſie ihren Bruder betrach - tete, welcher, ob ihm gleich nichts mangelte, doch in ſeiner Sphaͤre tief unter ihr ſtand, ſeufzte ſie, daß ſie allein gluͤcklich war, und daß es nicht in ihrer Macht ſtand, ihn ſogleich mit gluͤcklich zu machen. Um dennoch ihren feurigen Wunſch einigermaßen zu be - friedigen, zog ſie von einer Freundin, bei welcher ſie als Gaſt immer wohnte, weg, und ließ ihren Bruder ein Logis miethen, welches ſie mit ihm bezog, um al - les, was das Gluͤck ihr von nun an zuwerfen wuͤr - de, mit ihm zu theilen. Wegen des endlich erfolgten Friedens waren die Haͤuſer mit Einwohnern uͤber - haͤuft, und es war in der Eil keine andere Wohnung zu bekommen, als die Dachſtube eines großen Eckhau - ſes, welches diejenige Wohnung war, von welcher die Dichterin dem großen Koͤnig ſagte, daß ſie einer103 Baſtillenkammer gliche. Haͤtte ſie einigen Stolz gegen ſich gehabt, ſo wuͤrde ſie weder in ein ſol - ches Quartier gezogen ſeyn, da ſie es nichts weniger als noͤthig hatte, noch ihren Bruder zu ſich genommen haben, welcher ihr zu nichts nuͤtzen konnte. Allein ſie folgte allezeit nur ihrem Herzen, und dachte nie uͤber die Folgen nach, die ihr Wille haben koͤnnte. Auch hier kamen allzu bald die traurigen Folgen ihres ploͤtz - lich durchgeſetzten Entſchluſſes zum Vorſchein; ja, es wurde durch die Aufnahme ihres Bruders, aus der Pflanze ihrer Ruhe und ihres Wohlſtandes das Herz gebrochen. Sie, welche noch ſelbſt abhaͤngig war, in - dem ſie noch keinen Thaler beſtimmte Einkuͤnfte zu he - ben hatte, machte ſich durch dieſen Schritt verbindlich, eine Haushaltung zu fuͤhren, welche, ſo klein ſie war, doch jeden Tag Forderungen auf ihre Sorgen machte. Allerdings mochten in den erſten Augenblicken ihres en - thuſiaſtiſchen Entſchluſſes ihr alle die Schwierigkeiten nicht beigefallen ſeyn; nun wars geſchehn, und nun mußte ſie ſich ſo gut zu helfen ſuchen, als ſie konnte. Sie hatte verſprochen, ihn ſo lange bei ſich zu behal - ten, bis ſie ihn auf irgend eine Weiſe gluͤcklich machen koͤnnte. Darauf wartete er denn von einem Jahre zum andern, ohne daß der Wunſch ihr gelungen waͤre. Jetzt mußte ſie aus Nothwendigkeit, die beſtimmte Ausgaben zu befriedigen, den Schneckengang, von wel -g 4104chem der edelmuͤthige Kottwitz ſie befreiet hatte, wie - der zuruͤckgehen. Gelegenheitsgedichte gaben gewiſ - ſes Einkommen, zu ſolchen ließ ſie ſich, aus Noth - wendigkeit, wieder herab. So verſchnitt die erſte Dichterin Deutſchlands, ihr herrliches Talent, ihr Meer von Gedanken, in lauter kleine verſiegende Baͤche, und empfand es nicht, daß ſie ſich etwas be - raubte, weil ſie zu gutmuͤthig war.
Unterdeſſen war die Sammlung, welche Herr Sul - zer und Herr Kanonikus Gleim beſorgte, zu Stande gekommen. Auch hatte ſie ſchon die Ehre der Unter - redung mit Friedrich dem Einzigen gehabt*)In den Gedichten S. 183. kann man davon ein Mehreres leſen.. Der Mo - narch hatte ihr Verſorgung verſprochen. Darauf ver - ließ ſie ſich vorzuͤglich, als ſie die kleine Haushaltung mit ihrem Bruder anfing; allein, es ſchlug fehl. Frie - drich hielt ſein Koͤnigliches Wort nicht, ſie bekam von ihm ein Gnadengeſchenk von 50 Thalern mit dem Be - deuten, daß ſie ſich wieder melden moͤchte. Ehe ſie dies wagte, hatte eine vormalige Freundin von ihr, mit welcher ſie uneinig geworden war, (jene Phillis, bei der ſie wohnte, als ſie ihren Bruder fand, und welcher ſie die unter dieſem Namen in gegenwaͤrtiger Sammlung befindlichen Lieder gedichtet hat) den Sta - chel der Verleumdung wider ſie gebraucht. Einige Große, die zunaͤchſt um den Koͤnig waren, kannten105 die Phillis, und das ſuͤße Gift ihrer Beredſamkeit wuͤrkte: die verſprochene und gehoffte Verſorgung der Dichterin ging zuruͤck. Von dem, was ihre Freunde fuͤr die Sammlung zuſammengebracht hatten, blieben, durch die Vorſchuͤſſe, wie geſagt, nach Abzug aller Koſten, 2000 Thaler in gutem Golde, nebſt noch ein paar hun - dert, wovon ſie ſich etablirte. Das Kapital wurde auf Intereſſen gethan, und durch das Anſehn ihrer Freunde beinahe eiſern gemacht, aus Furcht, daß es in ihren Haͤnden drauf gehn moͤchte. Weil ſie als Dichterin um Rechnungen ſich nicht bekuͤmmern konn - te, ſo war dieſe Vorſicht von ihren Freunden hoͤchſt noͤthig. Von den zweitauſend Thalern zog ſie jaͤhrlich hundert Thaler in Golde Intereſſen, und das war frei - lich wenig Fond fuͤr eine Haushaltung in Berlin. Dennoch ſuchte ſie nach einiger Zeit eine anſtaͤndigere Wohnung fuͤr ſich aus, dichtete taͤglich und ging taͤg - lich in Geſellſchaften zu ihren Freunden. Jahrelang behielt ſie den ſchoͤnen Traum, daß der Koͤnig ſich noch eines Beſſern beſinnen und ihr eine Penſion geben wuͤrde; allein ihre Hoffnung blieb getaͤuſcht. Der einzige Herzog Friedrich von Braunſchweig dachte großmuͤthiger, als der Koͤnig, ſein Oheim. Seine Durchlaucht gaben aus eigener hoher Bewegung ihr jaͤhrlich ein kleines Gnadengehalt, und haben daſſelbe fortgeſetzt bis ſie ſtarb. Auch der Oheimg 5106Seiner Durchlaucht, der unſterbliche Herzog Ferdi - nand von Braunſchweig-Luͤneburg ward mit ih - rem Talente bekannt, und munterte ſie zwanzig Jahr hindurch mit den fuͤrſtlichen Beweiſen ſei - ner bekannten Großmuth auf. Noch ein paar kleine Penſionen von edlen auswaͤrtigen Freunden wurden ihr jaͤhrlich geſchickt, welches mit den Inter - eſſen zuſammen etwa 200 Thaler beſtimmte Ein - kuͤnfte fuͤr das Jahr betrug. Eine ſolche Summe konnte nicht die Haͤlfte ihrer beſtimmten Hausſor - gen beſtreiten, es war daher natuͤrlich, daß ſie in die immerwaͤhrende Sprache des Lamento’s verfal - len mußte. Sie wagte es noch oft den Koͤnig an ſein Verſprechen zu erinnern; allein, war der Mo - narch fuͤr Andere oft auf einem Ohre taub, ſo war er es fuͤr die Deutſche Dichterin auf beiden.
Wie es aber auch mit dem Innern ihrer Lage ſtand, ſo verlor ihr Anſehn nichts dadurch. Ihr Name war durch die Sammlung ihrer Gedichte ge - macht, und ihr Ruhm allgemein feſtgeſetzt. Von al - len Enden Deutſchlands, aus allen Hauptſtaͤdten Eu - ropens entſtanden fuͤr ſie Freunde, Bewunderer und ſchriftliche Verehrer. Man ſah nur auf ihr Genie, ſchaͤtzte an ihr das Werk der Natur, und forderte nicht von ihr was ihr an Lebenston mangelte, und107 immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck - lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde und Wohlwoller hatte.
Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei - nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum - mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue - berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit - zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt - ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un - ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge - ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr ſeinen Namen. Solche Erſcheinungen waren ihr gar nichts108 neues, und ſie bemerkte auch dieſe nur in ſo weit, daß ihr der edle Ernſt in dem Aeußern dieſes Cavalliers gefiel. Am andern Morgen fruͤh kommt eine Magd in ihre Wohnung, welche ihr von fremder ungenann - ter Hand ein Billet uͤbergab, folgenden Inhalts: Man wuͤnſcht wohl geſchlafen zu haben, und durch Ueberbringerin zu wiſſen, worinnen man ihr dienen koͤnnte, indem jemand nichts angenehmeres wuͤßte, als zu ihren Dienſten bereit zu ſeyn. “ Sie antwortete augenblicklich und mit Freimuͤthigkeit, daß ſie jetzt kein dringenderes Anliegen haͤtte, als ihren Sohn loß zu werden, und ihn in Zucht zu ſehen. Die Magd ging mit der Antwort fort, und nach acht Tagen er - ſchien dieſelbe wieder mit einem zweiten Billet, wor - innen ſtand, „ daß es fuͤr eine gewiſſe Perſon ein ſuͤ - ßes Vergnuͤgen ſei, ihr in einem ſo loͤblichen Anliegen dienen zu koͤnnen; ſie moͤchte ſich nur, nebſt ihrem Sohn, auf die Realſchule bemuͤhn, wo ſie zu ſeiner Aufnahme in Penſion ſchon alles veranſtaltet finden wuͤrde. “ Die hoͤchſterfreute Dichterin gab hierauf eine ſo ſchnelle und feurige Dankſagung, wie es die ſchoͤne That verdiente. Nun ging ſie mit ihrem Sohn auf die Realſchule, und fand es ſo gethan, wie ge - ſagt, ohne daß ſie den Namen ihres Wohlthaͤters er - fahren konnte. Sie rieth zwar auf den oben benann - ten von R * hr, allein ſie iſt niemals davon uͤberzeugt109 worden. Ihr Sohn genoß unter guter Aufſicht einen Unterricht von zwei Jahren, und nach Verlauf der - ſelben ward ihr von der nehmlichen fremden Hand die ſchriftliche Frage zugeſchickt: wozu ſie nun ihren Sohn zu beſtimmen gedaͤchte? Sie hatte daruͤber noch niemals nachgedacht, und verwieß die Antwort an den jungen Menſchen ſelbſt. Er bezeigte Luſt zum Stu - dieren, und wollte ſich der Theologie widmen; man pruͤfte ihn daruͤber, und befand, daß er dazu am faͤ - higſten waͤre. Ihr ward alſo abermals von jener fremden Hand angekuͤndigt: Welchen Entſchluß ihr Sohn genommen haͤtte, und nun wollte man ihn aufs Gymnaſium thun, und alsdann auf freie Koſten nach Halle auf die Univerſitaͤt ſchicken. Sie, welche ſonſt jedes angebotne Gute, auch das kleinſte mit unend - licher Erkenntlichkeit annahm, widerſprach doch hier, wo es auf das lebenslange Gluͤck ihres Sohnes an - kam. Sie gab zur Urſach an, daß er ihr ein Billet geſchrieben haͤtte, in welchem weder Styl noch Ge - danke waͤre; und ſie koͤnnte ſich nicht entſchließen, ei - nen Menſchen von ſechzehn Jahren, der noch kein Billet an ſeine Mutter ſchreiben koͤnnte, auf fremde Koſten ſtudieren zu laſſen. Es iſt aber wahrſchein - lich zu vermuthen, daß ſie hierbei nicht ihrem eige - nen Rath gefolget hat. Der Wohlthaͤter ſchien die Weigerung uͤbel genommen zu haben, und ihr110 Sohn ward ihr zuruͤckgeſchickt, ohne daß ſich jemals wieder eines Menſchen Guͤte um ihn bekuͤmmert haͤt - te. Sie gab ihn darauf in eine Handlung zur Lehr - probe, weil er aber ſeinen Sinn aufs Studieren ge - ſetzt hatte, wovon er ſich fuͤr immer abgeriſſen ſah, ſo hielt er nirgends aus, wurde bald hieher, bald dort - hin gethan, und zuletzt ward wenig oder nichts aus ihm, ob er gleich immer ordentlich und fleißig war, und Faͤhigkeit und Geſchicklichkeit hatte. Auf die Weiſe ſah er ſein Gluͤck fuͤr immer verſchnitten, und nahm halb nothgedrungen vor zwoͤlf Jahren eine Schul - lehrer-Stelle in Ruppin an, wo er rohe Kinder zu braven Menſchen erzieht und bildet, die Liebe der Eltern hat, und von ſeinen Obern ſchon mehreremale oͤffent - lich in gedruckten Blaͤttern gelobt worden iſt. Auch ihm iſt eine baldige Belohnung fuͤr ſeine Amtstreue zu wuͤnſchen.
So das Schickſal des Sohnes; der Tochter ihr Loos fiel ſchlimmer. Sie kam nach fuͤnfjaͤhriger, ſitt - licher Aufſicht von der Realſchule wieder zur Mutter nach Hauſe. Die Mutter, welche niemals mit ihren Kindern ſich Rath gewußt hatte, glaubte nicht beſſer thun zu koͤnnen, als wenn ſie ihr Kind ihrem Bruder in Aufſicht uͤbergaͤbe. Er, welcher ganz und gar nicht auf Charakter - und Geiſtesſtimmung ſich verſtand, be -111 handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un - ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver - ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch - muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die - jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge - habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab, unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel, wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal - ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte, zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab - ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil - len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die112 zu nachgebende und fuͤr ihn zu ſcheue Schweſter nahm die ganze Laſt der neuen Haushaltung auf ihre Schul - tern. Aus Vernunft, welche ſie den eingepraͤgten guten Grundſaͤtzen der Erziehung zu danken hatte fand ſich die Tochter in ihre Beſtimmung, allein, es half nicht; und ſie ward endlich nach einer laͤnger als neunjaͤhrigen Nachſicht mit ihrem unleidlichen Schick - ſale, gezwungen, ſich davon zu befreyen. Sie ver - heirathete ſich nachher zum zweitenmal, und wegen ihres Mannes boͤſen Verwandten auch diesmal nicht beſſer. Die Dichterin hat alſo die Freude niemals erlebt, Eins von ihren Kindern gluͤcklich zu ſehen.
Durch ſolche zerruͤttende Schickſale fiel Tochter und Enkel in ihre Hauptfuͤrſorge wieder zuruͤck, und ſie trug alles, ohne zu glauben, daß es ihr beſ - ſer gehen muͤßte. Ließ man ihr nur die Freiheit zu klagen, und gab man ihr in ihren Vorurtheilen Recht; ſo war ſie zufrieden, was auch ihr ſpaͤtes Loos von Sorgen mit ſich brachte. Dinge, welche ſie freilich durch eine kleine Wendung, oder durch Annehmung eines guten Raths haͤtte zum Beſten verwandeln koͤnnen, hielt ſie, wenn ſie verſehen waren, fuͤr unvermeidliches Uebel, und troͤſtete ſich dann mit einer nothwendigen Philoſophie und mit dem ſuͤßenGlau -113Freundſchaft. Einige ihrer Freunde blieben ihr auch in der That treu: ihre Beſcheidenheit wird ihre Namen nicht genannt haben wollen, aber der ſterben - den Dichterin Dank hat ſie geſegnet. — Man durfte wenig fuͤr ſie thun, wenn man nur freundlich und aufmerkſam gegen ſie war. Mit einer heitern Miene und kleinen hoͤflichen Bewirthung konnte man ſie uͤber - aus vergnuͤgt machen, und ſie glich hierin den Kin - dern, deren Hand immer fordert, aber auch bald ge - fuͤllt iſt.
Durch ihre Genuͤgſamkeit, Offenherzigkeit, Erin - nerung an verlebte Leiden, und Glauben an Freunde geſtaͤrkt, trat ſie ruhig in die Jahre des ermuͤdenden Alters; nichts erwartete ſie weniger, als noch ein be - ſonderes Gluͤck, welches ihr wiederfahren ſollte. Sie hatte nicht verfehlt, den großen Koͤnig noch oͤfter an ſein Koͤnigliches Wort zu erinnern; zuweilen antwor - tete er ihr durch kleine, ein edles Talent zuruͤckſchrek - kende Geſchenke; und einmal ſchickte er ihr, vermuth - lich um ſie dadurch ganz abzuweiſen, zwei Thaler auf der Poſt zu. Das empfand die Dichterin, wie ſie ſollte; ſie ſchrieb das bekannte Impromptuͤ: Zwei Thaler giebt kein großer Koͤnig ꝛc., ſiegelte die zwei Thaler in das beſchriebene Blatt, und unterſtand ſich, dem Koͤnige ſein Gnadengeſchenk wieder zuruͤckzuſchik - ken. Der Einfall ward Koͤniglich belacht. — Friedrichh114der Einzige ward endlich zu ſeinen Vaͤtern geſammlet. Die Sonne des neuen Monarchen ging ſo ſanft und wohlthaͤtig auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunter - te, die allgemeine Gnade zu benutzen; allein ihr fehlte Muth und Unbilligkeit; ſie behauptete: der junge Koͤnig haͤtte in ſeinen Staaten Tauſende, welche durch Tha - ten fuͤrs Vaterland auf Belohnung Anſpruch machen koͤnnten; die Dichter muͤßten die letzten ſeyn. Beſon - ders haͤtte ſie gar kein Recht zu des Monarchen Gna - de, weil er ihr nie etwas verſprochen haͤtte. So blieb es eine Weile, indeß der Koͤnig immermehr durch neue Huld einen Thron befeſtigte, welchen er ſich in den Herzen ſeiner Unterthanen aufrichtete.
Eine verwittwete Freundin der Dichterin hatte ein Naturalienkabinet, welches ſie mit guter Art zu ver - kaufen wuͤnſchte, weil es fuͤr ſie ein unbrauchbarer Schatz war. Sie glaubte, daß vielleicht einer unter den Hoheiten der jungen Koͤniglichen Familie es kau - fen wuͤrde, wenn man eine Vorſprache erhalten koͤnn - te. Die Karſchin machte ſich den Wunſch ihrer Freun - din zum Anliegen; ſie, welche fuͤr ſich keine Bitte wa - gen wollte, ſuchte eilends den Weg zur Gnadenthuͤr, ſobald es darauf ankam, jemanden dienen zu koͤnnen. Menſchen zu dienen, und ihnen mit ihrer Gabe ge - faͤllig zu ſeyn, war uͤberhaupt ihre feurigſte Leiden - ſchaft. Wenn es darauf ankam, ſo ließ ſie die noth -115 wendigſten Geſchaͤfte deswegen liegen, und ſchonte keine Muͤhe und kein Anhalten; und ſie hatte auch immer die Freude, ihre Bitte erfuͤllt zu ſehen, nur in ihren eigenen Angelegenheiten gelang es ihr nicht ſo. Diesmal ging es anders. Sie wendete ſich wegen ihrer Freundin an die damalige Oberhofmeiſterin der erſten Prinzeſſin Tochter des Koͤnigs, an das Fraͤu - lein von Vieregg, jetzt verwittwete Miniſterin von Gaudi, und Gouvernante der regierenden Koͤnigin von Preußen. Dieſer menſchenfreundlichen Dame trug die Dichterin den Wunſch ihrer Freundin vor, allein, ſie kam damit um acht Tage zu ſpaͤt. „ Der Koͤnig, ſagte die Dame, wird nun dergleichen nicht mehr kaufen, es ſind der Ausgaben zu viel. Seine Majeſtaͤt bezahlen alle Schulden des verſtorbenen Koͤnigs. “ Alle Schulden? alle? ruft die Dichterin ihr zu; beim Himmel! dann haben mir ſeine Maje - ſtaͤt auch eine Schuld zu bezahlen. Sein Oheim hat mir vor 24 Jahren eine Verſorgung verſprochen; man verſicherte mir eine Penſion von jaͤhrlich 200 Thalern. Haͤtte ich die Summe von 24 Jahren zu heben, ſo waͤr es ſchon ein Kapitaͤlchen, wofuͤr ich mir ein Haͤuschen kaufen koͤnnte. „ Gut, antwortete die laͤchelnde Gouvernantin, ſetzen ſie das Anliegen ſo auf, wie ſie da ſagen, und wir wollen ſehen, ob wir es dem Koͤnige vorbringen koͤnnen. “ Die Dich -h 2116terin ließ ſich einen ſo liebreichen Vorſchlag nicht zwei - mal ſagen, ſie eilte nach Hauſe, und ſchrieb eine poe - tiſche Schuldforderung an den Koͤnig, und richtete ſolche an die Prinzeſſin Friederike Koͤnigl. Hoheit Die hoͤchſtguͤtige Gouvernante uͤberreichte ſie ſogleich, und die engelmuͤthige Prinzeſſin las das Schreiben dem Koͤnige ihrem Vater vor, als Seine Majeſtaͤt ſich eben mahlen ließen. Der huldreichſte Monarch laͤchelte des Einfalls der Dichterin, er ſteckte das Schreiben zu ſich, und nicht lange darauf gab Seine Majeſtaͤt dem Herrn Miniſter von Woͤllner den un - erwarteten hoͤchſtgnaͤdigen Befehl: der Karſchin anzukuͤndigen, daß ihr ein Haus gebaut werden ſollte; ausgeziert mit allen Al - legorien der Muſen.
Die Dichterin, welche bloß einen verlornen Wunſch gethan zu haben glaubte, dachte an nichts weniger, als an eine ſolche Wirkung. Eines Tages gegen Abend ward ſie in ihrer Nachbarſchaft, in das Haus des Herrn Geheimen Oberhofbuchdruckers Decker zu kommen, genoͤthigt. Weil dies zu ihren freundſchaftlichen Haͤuſern gehoͤrte, ſo glaubte ſie, daß man ein kleines poetiſches Anliegen an ſie habe, und eilte ſogleich wie ſie war in ihrem Haushabit dahin. Aber wie erſtaunte ſie, als man ſie in den ganz erleuchteten Saal des Hauſes fuͤhrte, wo eine117 große glaͤnzende Geſellſchaft verſammlet war. Ein Herr von ſtattlichem Anſehn, in ſchwarz ſammtnen Kleide, woran ein Kreutz befeſtigt flimmerte, kam ihr entgegen und trat vor ſie hin, indem er ſie ſo anredete:
Es war Se. Excellenz, der Herr Miniſter von Woͤllner*)Damals Geheimerath., welcher dieſes Impromptuͤ ſelbſt ausge - dacht hatte, um ſie dadurch deſto angenehmer zu uͤber - raſchen. Die frohe Beſtuͤrzung der Dichterin bei dieſer Anrede iſt unmoͤglich zu beſchreiben, und man thut beſſer, daß man ſich dieſelbe denkt. Sie kam nach Hauſe, vor Freude ganz matt, und Tages darauf ward aller Welt verkuͤndigt, was da geſchehn ſollte. Alle Zeitungen wurden mit der fuͤr ſie ſo eh - renvollen Nachricht erfuͤllt. Von allen Freunden der Muſe ward der Koͤnig fuͤr dieſe That geſegnet.
Das beſtimmte Haus als Gnadengeſchenk ward auf dem Haakſchen Markt gebauet, wo es die eine Ecke von vier andern beſchließt, welche den Eigen - thuͤmern ebenfalls als Gnadengeſchenke ſind bewilliget worden. Das Haus ſelbſt ward nur ein Haͤuschen,h 3118und nicht ſo ausgefuͤhrt, wie Jedermann der vorzuͤg - lichen Ankuͤndigung gemaͤß es erwartet hatte; auch kamen die Allegorien der Muſen in Vergeſſen - heit; allein ſie hatte doch nun eine ſchoͤn ausgebauete eigene Wohnung, und nach Abzug jaͤhrlicher Abgaben fuͤr Servis, Einquartirung u. d. gl. noch etwa hun - dert Thaler Ueberſchuß. Freilich bekam dadurch ihr immer muͤder werdendes Alter noch keine Ruhe, da ihre beiden Kinder ſo ſchlecht verſorgt waren, und zwei Kindeskinder von ihr Unterſtuͤtzung verlangten; allein es war doch immer ein unerwartetes Gluͤck fuͤr ſie, und ſie ward nicht muͤde, den beſten Koͤnig dafuͤr zu loben. Kaum konnte ſie’s erwarten, ihr Koͤnigli - ches Muſaͤum bald genug zu beziehn. Schon ſeit vielen Jahren her hatte ſie gekraͤnkelt, und ahndete, daß ſie nicht lange mehr da ſeyn wuͤrde. Der Wunſch, noch einige Jahre in dem Hauſe zu leben, welches der beſte Koͤnig ihr zur Ehre, und Stuͤtze des Alters hatte aufbauen laſſen, war unglaublich, und ſie be - zog es, als es eben ausgetuͤncht war. Man rieth ihr zwar, wenigſtens noch ein Jahr zu warten, ehe ſie bei ihrer großen Schwaͤchlichkeit einzoͤge; allein ſie folgte, wie immer, auch hier ihrem Willen. Dadurch nahm allerdings ihre Schwaͤche zu, welche ſich in die Vorboten einer Abzehrung verwandelte. Wie hinfaͤl - lig aber auch ihr Koͤrper ward, ſo blieb ihr Geiſt doch119 freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren - theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen; und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien.
Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben, als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie - derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach - mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung geſchrieben hatte: „ daß die große Dichterin Karſchin am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich gegenwaͤrtig befinden wuͤrden. “ Wer die Hoheit die - ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver - wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden koͤnnen, wie die Ehre einer ſolchen Einladung auf dieh 4120ſo tief im Staube geborne Dichterin wuͤrkte. — Oft zwar hatte ſie ſchon des Vorzuges genoſſen, von Aller - hoͤchſten Perſonen gerufen, und mit beſondern Gna - denaͤuſſerungen behandelt zu werden; allein, ſo wie Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeßin Ferdinand, durch dieſe Einladung ſie ehrte, das ging zu weit uͤber alles, was jemals ihren Stolz gereizt hatte. Die Großen beduͤrfen nur wenig zu thun, um jemand in Erfahrung zu ſetzen: „ wie man vor Freude ſterben kann. “ Auch die Dichterin wuͤrde vor Freuden uͤber die Erwartung zum andern Morgen vielleicht ſterbend krank gewor - den ſeyn, wenn ſie nicht den Koͤniglich-denkenden Hof des Prinzen Ferdinands K. H. ſchon mehrma - len beiſammen geſehen und geſprochen haͤtte. Sie erſchien alſo am beſtimmten Morgen vor dem Gar - ten des Hofjaͤgers, wo ihr der Herr Graf als Wirth entgegen kam, und ſie zu den Allerhoͤchſten Herrſchaf - ten, welche ſchon verſammlet waren, einfuͤhrte. Man ließ ſie auf einen Stuhl niederſitzen, welcher zur Rech - ten der Gemahlin des Prinzen Ferdinand K. H. fuͤr ſie ledig gelaſſen war. Die unvergleichliche Prinzeſſin Tochter legte der Dichterin mit eigener ſchoͤner Hand vor, und alle die hoͤchſten Anweſenden ließen ſich herab, die Geſpraͤche auf lauter Gegenſtaͤnde zu lenken, welche der Karſchin angenehm ſeyn konnten. Sie glaubte ſich hier wirklich ſchon unter den guten Goͤttern zu121 befinden, und ſie hatte Recht. — — Drei Tage dar - nach wurde ſie abermals durch ein Paket, welches ihr der Herr Graf ſchickte, auf das angenehmſte uͤber - raſcht: ſie fand darinnen das verbindlichſte[Schreiben] von der Hand des Herrn Grafen, und eine Anden - kens-Aſſe mit der ausgeſuchten Deviſe: Wandle auf Koſen, und Vergiß mein nicht. Auſſer der Kott - witziſchen Doſe in Glogau, war ihr niemals ein Ge - ſchenk willkommner und werther geweſen.
Nach dieſer Ehrenbegebenheit, welche ſie zu ſtark empfunden hatte, ſchwaͤchelte ſie mehr als jemals, ihr Geiſt aber blieb munter, ſo wie die Begierde, ſich ihren Freunden mitzutheilen. Sie hatte ſich ſeit dreyßig Jahren her ſo ſehr auſſer dem Hauſe gewoͤhnt, daß ſie auch bei ihrer aͤußerſten Hin - faͤlligkeit das Gehn zu Andern nicht laſſen konnte. Sie glaubte ſich dadurch zu ſtaͤrken, allein ſie ſchadete ſich offenbar; denn durch das Vergnuͤgen der Mit - theilung ward ſie bei dem Glaſe Wein, welches ſie trank, wie gewoͤhnlich zu poetiſchen Einfaͤllen verleitet, welches ſie unvermerkt angriff. Denn ihr Geiſt war kein Feuer mehr, ſondern hielt nur noch Funken in ihr verborgen; holte ſie dieſelben durch Anſtrengung der Gedanken zuſammen, ſo war es natuͤrlich, daß der entkraͤftete Koͤrper ganz dadurch erſchoͤpft werden mußte. Dennoch konnte ſie weder das eine noch dash 5122andere laſſen, und ohne Geſellſchaft hieß bei ihr ohne Element leben. Sie wuͤrde dieſen Zuſtand weit ſchwe - rer ausgehalten haben, wenn ſie nicht ihren Enkel, Heinrich Wilhelm Hempel, um ſich gehabt haͤtte, welcher ihre letzte Liebe beſaß, und ihr letzter Kummer war. Er ſpielte ihr etwas auf dem Klaviere vor, in - dem ſie entweder im Plutarch, in der Roͤmiſchen Ge - ſchichte, oder im Julius Caͤſar las, welche Lektuͤre ihr nur der Tod aus der Hand nahm, ſo lieb hatte ſie dieſelbe. Ihr Enkel entſchloß ſich endlich zum Studiren (welche Laſt auf ihre Schultern ſank), er ging im Maͤrz 1791 nach Frankfurt an der Oder als Befliſſner der Rechte. Sie verlohr durch ſeinen Abſchied die letzte Ruhe ihres Herzens; und ſeine Abweſenheit war ihr unertraͤglich. Sie reiſete ihm zu Ende des Juni nach, ohnerachtet ihrer auszehren - den Schwaͤche. Laͤngſt war ſie nach Tirſchtiegel, ihrer Vaterſtadt, zu kommen gebeten worden, daſelbſt hatte der Paſtor Senior Herr Sturzel, ihr aus Verlan - gen ſie zu ſehn, ſein Haus zur Aufnahme bereitet, und ſelbſt die Gemeine auf ihre Ankunft erwartend gemacht. Auch der Dichterin einzige Schweſter, die verwittwete Frau Eleonore Borngraͤbern, geborne Hempeln, ſehnte ſich, ihre geehrte Schweſter ein - mal bei ſich zu ſehn, ehe das Alter ſie beide fuͤr die Freude des Wiederſehns zu ſtumpf machte; ſie hatte123 feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge - ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt auf dem Stuhle*)Hierbei iſt dankbarlich anzumerken, daß ſie dieſe drey Mo - nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar - ſches Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank - furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa - che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan - delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem - ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun - derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs - recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach - te! — Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan - zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei - ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte Soldat bleiben.. Dennoch unterlag ihr Geiſt nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie - der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper124 zuweilen wieder auf, und ſie war oft ſo munter, daß ſie Verſe machte, wie in ihrer Jugend. Ihr letztes Ge - dicht verfertigte ſie noch in Frankfurt; es war das, auf die Abreiſe der eben vermaͤhlten Herzogin von York K. H., welches in der Zueignung eingeruͤckt iſt. Mit dieſem kleinen Geſange loſch die Flam - me ihrer dichteriſchen Denkkraft auf ewig in ihr aus. Der Herbſt war da, ſie wollte die Fuͤrſtin ihres Herzens, die Schoͤpferin ihres letzten irdiſchen Gluͤckes vermaͤhlen ſehn, und wagte ſich alſo in ihrer Todes - ſchwaͤche auf die Ruͤckreiſe nach Berlin, wo ſie am letzten September 1791 zu aller Menſchen Erſtaunen gluͤcklich in ihrem Hauſe ankam, ohne daß ſie den Wunſch, ihre Vaterſtadt noch einmal zu ſehen, hatte befriedigen koͤnnen. Drittehalb Tage hielt ſie ſich noch auſſer dem Bette, und wuͤrde vielleicht laͤnger ohne Niederlage geblieben ſeyn, wenn ſie nicht, aus Begierde eine nachbarliche Freundin zu beſuchen, der beſtellten Portechaiſe vorgeeilt, und am Arme des Dienſtmaͤdchens zu ihr heruͤber gewandert waͤre. Der muͤhſame, obgleich kleine Gang auf den Steinen ſchien ſie vollends erſchoͤpft zu haben. Zwar ſaß ſie noch anderthalb Tage in ihrem Lehnſtuhle auf, allein faſt ohne Gedanken. Am dritten Tage legte ſie ſich, und konnte nie wieder aufſtehn. Sie war voͤllig von Kraftloſigkeit erſtarrt. Dennoch blieh ihr Geiſt noch125 lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter, daß ſie derſelben jede Frage aus der vor - und gegen - waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz - ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge - danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. — Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn, als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.
126Ihr Herz hatte, wie ihr Geiſt, ſeine unvergleichliche Seiten; war oft ſchwach in Vorurtheilen und Leiden - ſchaften; aber an unermuͤdeter Gefaͤlligkeit, Dankbar - keit, Offenheit und Wahrheitsliebe — einzig, ganz einzig! Seegen vieler Hunderte, denen ſie durch ihr bereitwilliges Talent mit Vorbitten geholfen, ſchwebt um ihren gruͤnen Huͤgel, und der Geiſt alles Geiſtes wird ihren Geiſt dafuͤr erfreuen. —
Sie hinterlaͤßt zwei Kinder, einen Enkel, eine Enkelin, zwei Bruͤder und eine Schweſter; keinen glaͤnzenden Stammbaum, keine beneidenswerthe Guͤ - ter, aber einen Namen, welchem (bei aller Kaͤlte, mit der man jetzt große Todten in Vergeſſenheit bringt) die Hoͤchſten der Erde noch achtbar begegnen. Ihro Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preu - ßen, gaben nicht allein ihren allerhoͤchſten Namen zur Krone dieſer Sammlung, ſondern ließen aus allerhuldreichſter eigener hoͤchſter Bewegung fra - gen: „ ob die Zerausgeberin dieſes Werks Bei - traͤge verlangte, welche ſich etwa noch in dem Archiv Ihrer Majeſtaͤt vorfinden moͤchten: “Eben ſo verhielt ſich Seine Hochfuͤrſtliche Durch - laucht, der nunmehr verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig und Luͤneburg. Se. Koͤnigl. Hoheit,127 Prinz Heinrich der Große, antwortete der Herausge - berin (indem dieſelbe dieſem goͤttlichen Prinzen ihre Furcht, Se. Hoheit zum Subſkribenten eines deut - ſchen Buchs einzuladen, geaͤußert hatte): „ Le vrai génie s’exprime bien dans toutes les langues, sans entrer en discussion sur la preférence des langues les unes sur les autres etc. Worte, welche durch ihren Seitenblick die ehrenvollſte Erklaͤrung ge - ben. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrten ſich alle die hoͤch - ſten, hohen und edlen Perſonen, welche dieſe Samm - lung mit ihren Namen beehrten. Auch die Muſen ha - ben ihr Grab gekraͤnzt, und nicht die kleinſten des Vaterlandes; ihre Namen zieren die erſten Jour - nale Deutſchlands. Die Dichterin achtete der Loblie - der nicht, welche im Leben ihr zuſtroͤmten, ſelbſt Eines hat ſie ſich nicht mehr erinnert, (ſo wenig eitel war ſie); Eines von dem erſten der Dichter. (Es exiſtirt viel - leicht nur noch einmal, und befindet ſich im Archiv des Reichsgrafen von Stollberg.) Wer den Dichter errathen will, der muß ein lauſchendes Ohr haben. Hier iſt das Gedicht:
Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm mit Unſterblichkeit.
C. L. von Klenke, geb. Karſchin.
[Als ſie zu Berlin wegen Mangel an Quartieren einige Zeitlang in einer Dachſtube wohnen mußte.]
Nach der 14ten Ode aus dem 2ten Buche des Horaz.
Sr. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand von Braunſchweig.
Dem Obriſten von Anhalt geſungen.
Eine Einladung zu den Ruinen bey Potsdam.
[Verſtorbenen Bruder Seiner Majeſtaͤt des Koͤnigs.]
Ich befinde mich außer den Umſchanzungen Magde - burgs, an dem Tage, der die Pallaͤſte erleuchtet von dem Glanz der Feierlichkeit, wovon Ew. Koͤnigl. Hoheit die Urſache ſind; aber meine Erinnerung iſt nichts deſto weniger lebhaft. An dieſe Feſtlichkeit gedenk ich und wuͤnſche mir, in derſelben die Prin -K146zeſſinn zu ſehen, die im leicht flatternden Morgen - gewand alle Reizungen einer Bezauberung hat; ich beneide meinen Freund, aus deſſen Hauſe ich mir das Gluͤck gebe, Ewr. Koͤnigl. Hoheit zu ſchreiben. Er macht mir Beſchreibungen von dem Stolz, den er zu bekaͤmpfen hatte, nach der Gnade, die ihm ein Zufall gab: Sie kamen, gnaͤdigſte Prinzeſſinn! durch Hal - berſtadt, und die veralterten Gemaͤuer zitterten Ihnen Ehrfurcht entgegen.
Ja in Wahrheit, gnaͤdigſte Prinzeſſinn, ich em - pfinde einen Anſatz zum Stolz, ich ſetze dieſe gluͤckliche Stunde Gleim entgegen, wenn er mir ſagt, wie er Sie einſt im Nahmen des Herrn Dohm-Dechants empfing, und eben jezt ruf ich ihm zu, daß er nicht mit mehr Ehrfurcht Ewr. Koͤnigl. Hoheit ergeben iſt, als Sapho.
[Welcher ſich oͤffentlich fuͤr den Ritter ihrer Muſe erklaͤrt hatte.]
Mit dieſer Achilliſchen Geſchwindigkeit, liebſter Freund, wollten Sie ſich auf Ihren Rappen ſchwin - gen, mich zu begleiten, aber nicht mit eben ſo ſtuͤrmi - ſcher Empfindung; nein, in dem Gefuͤhl der Freund - ſchaft. O wie ſanft iſt dieſes Gefuͤhl! Aber warum ließen Sie ſich zuruͤckrufen? Sie ſollten einen ganzen Geſang haben; aber Ihr Bruder ließ mich zur Koͤni - ginn fordern. Sie haͤtten ſehen ſollen, wie ſie in ih - rem Schlafzimmer ſaß und mich anlaͤchelte und ver - ſchiedene Fragen that, die ich beantwortete; ich empfahl ihr meinen Herrn den Baron. Ich wuͤrde noch viel von meinem Freunde reden, aber Ihr Bruder verlangt nach dem Schreiben, die Kommendantin nach mir,
Ihre ꝛc.
u. ſ. w.
[Als in Sansſouci der Koͤnig mit ihr geſprochen hatte.]
Eine wirkliche Begebenheit.
Eine Doſenmalerei-Geſchichte.
An Nanntchen.
An die Frau von Reichmann den 10. Maͤrz 1762.
Eine Traumfabel.
Eine Fabel.
Amarillis.
Siege Lauf Kriege Auf? Minuten Wacht Bluten Macht. Iliaden Heißt Schaden Beweis’t. Erhoͤhen, Verſchließt Geſtehen Iſt Trachtet Fraß Geachtet Vergaß Goͤttern Pflicht Errettern Nicht.
Throne Krone Zopf Kopf Reußen Preußen Spott Gott
Kroͤnen Toͤnen Sie Harmonie Maͤngel Engel Lied Bluͤht Wallen Schallen Steht Poet
Geſang Lang Schlaf Graf Dacht Racht
Ehe Sehe Stand Brand Klage Plage Einerlei Entzwei Denker Henker Qual Wahl.
Ehe Sehe Paradieß Ließ Seide Freude Bruſt Luſt Lachen Wachen Springt Singt.
Mein Dein Koͤnig Wenig Recht Geſchlecht Leben Geben Scharf Darf.
Lieb Dieb Halten Kalten Mann Trennen Brennen Dann Hoben Leben Sehr Mehr.
Wollen Sollen Rollen Kleid Gequollen Moͤglichkeit Aufgeſchwollen Wiederrollen Zollen Zeit.
Gedichtet in einer halben Viertelſtunde. Als ſie beim Aus - fuͤllen dieſer Endreime mitſprechen wollte, und man ihr ſagte, ſie haͤtte ja genug zu ſchreiben, antwortete ſie:
Anmerk. Man wird faſt aus allen der Dichterin vorge - ſchriebenen Endreimen ſehn, daß man darauf ausging, ſie zu einem Quodlibet zu verleiten, allein ihr ſtets ge - genwaͤrtiger Geiſt wußte ſich auch hier augenblicklich zu ordnen.
Ode Schwingt Tode Singt Stifte Bahn Laͤſte Schwan
Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.
In Herrn Doct. Kruͤnitz Stammbuch.
Hoch - und Wohlgebornes Fraͤulein!
Ein Fraͤulein, Namens Evchen, will ihren Namen nicht hoͤren, daruͤber wurde geſungen:
Sr. Wohlehrwuͤrden des Herrn Feldprediger Klettke bei Gelegenheit deſſen Nahmensfeſtes geſungen.
Ih, lange nicht geſahn, und doch noch gut gekannt, Willkommen Vetter Hans, mei Herz giebt dir die Hand, Biſt du noch huͤbſch geſund? du ſcheinſt mir nich recht munter; J worum ſchlaͤgſt du dann die Augen ſo herunter?
Die Zeiten ſeyn darnach. Wer kann doch luſtig ſeyn, Der Krieg iſt noch nich gar; und nach dem prophezeyn Soll er ſich eher nich als in fuͤnf Jahren ſchluͤßen. Wie vielmal wird man da noch Haber liefern muͤßen; Und Haber nich allein auch Stroh und Heu und Korn.
Wer kann ſich helfen, wanns der liebe Goot im Zorn Nu ſo beſchloſſen hat, ſo muͤßen wir es tragen. Doch jo fuͤrwohr! du darfſt dich uͤbern Krieg beklagen;377 Die andre Woche trug ich Butter in die Stadt, Da laß des Buͤrgers Frau das Breßlau’r Zeitungsbladt, Da magſt dus glaͤuben hat mich durch und durch gefroren. Die Ruſſen do ſie nu die große Schlacht verloren Die haben auf der Flucht das Muͤthel ſich gekuͤhlt. Man ſpricht daß der Coſack nur wie a Ochſe fuͤhlt, Un wannn a nich wie wir im Ausſahn menſchlich waͤre So daͤchte man a waͤr die Zucht von Zeidelbaͤre, Und wie geſoht a Ruß, der muß kei Menſch nicht ſeyn Sunſt kaͤm ihm doch auch mohl a bißel Mitleid ein Sonſt wuͤrd a nimmermehr ſo ſengen und ſo brennen Und ſo den armen Baur das Saamkorn naͤhmen koͤnnen. Bedenk dirs nur a mahl wie dir zu muthe waͤr, Wenn ſulch a Feind nu kaͤm der deine Scheuren leer Und deine Speicher rein von Gruͤz und Graupe machte, Dich ſchaͤndlich pruͤgelte, und wenn du flenteſt lachte, Dir Kuͤh und Kaͤlber naͤhm; und Ochſen von dem Pflug Dir fuͤr die Koͤpfe ſchluͤg, und dich den groͤſten Krug Dan du im Hauſe haͤttſt, mit Brandwein fuͤllen hieße, Und dir dan lezten Rock glat von dem Buckel riße. Jo lieber Vetter Hans die Breßla’ur Zeitung ſoht Es iß a Volk was niſcht nach Goot nach Menſchen froht, Sie laßen einen nich a mohl das Hemd am Leibe; Und mancher Man der muß mit ſeinem jungem Weibe Su was beginnen ſahn was ſich nu gar nich ſchickt,A a 5378Man redt nich gern davon. Und wirklich man erſchrickt, Wenn man die Dinge hoͤrt, es iß gar nich zum lachen, Sie ſolns a wing zu arg mit jungen Frovolk machen. Du Vetter Hans du haſt och noch a huͤbſches Weib, Die waͤr fuͤr den Coſack a bißel Zeitvertreib, Du argerteſt dich naͤrſch, und das in einer Stunde.
Mit einer Senſe hieb ich ſieben ſolche Hunde Recht in die Mitten duach. Muhm Ohrte, hohl mich Goot Mir ſolten nimmermehr a ſolch verdammter Spoot Vom boͤſen Volk geſchehn, was? mir mein Weib zu ſchaͤnden? Zehn Kerls die muͤſten erſt vor mir das Leben enden. Denn die ich nich erhieb, die ſpieſt ich an die Wand.
Du armer Stuͤmper du, redſt wie Hans Unverſtand. Der Muſkowitter fragt dir viel nach deiner Senſe A naͤhme dir dein Weib, und wenn du funfzehn Haͤnſe Die auch ſo patzig thun noch zu Gehuͤlfen naͤhmſt, Und wenn du hundertmal mit deiner Gabel kaͤmſt, Wie wuͤrd a das Gewehr dir an dan Schaͤdel ſetzen, Sein Saͤbel wuͤrde dir das kluge Maul zu fetzen, Denn wo viel Hunde ſind da iß der Haaſen Todt. Der liebe Goot bewahr uns weiter fuͤr der Noth, Wir ſitzen hier gewiß noch wie im Roſengarten379 Du kanſt dein Ackerwerk wie ſichs gehoͤrt abwarten, Dort in den Laͤndern wo der Krieg ſich tummeln geht, Da pfluͤgt, da ſaͤt man nich; und was im Felde ſteht Iſt fuͤr die Reuterey, es ab zu furagiren.
Wans ſo iß darf mans nich erſt in die Scheune fuͤhren. Doch Spaß bei Seit geſetzt, Muhm Ohrte du redſt wahr, Der gar zu ſchwere Krieg der kruͤmmt uns noch kei Haar, A kommt uns dann und wan nur ſo a bißel nekken; Verwichen kamen uns die Rußen och erſchroͤcken, Doch haben wir da Schroͤck nich ſunderlich gefuͤhlt, Es kam uns nur ſo fuͤr als wan ſichs Wetter kuͤhlt. Denn Gott ſey Lob und Dank! ſie ſeyn noch nich gekommen Und haben uns von Stroh die Betten weggenommen; Ich kann in Sicherheit noch meine Furchen ziehn Und wenn ich hintern Pflug mich heiſcher gnug geſchrien, Da denk ich Abends dann auch an das Ausgeſpanne, Da fahr ich heim, und dann kommt meine liebe Anne Und lacht mich freundlich an, und dreymal ſtreichelt ſie Mich um das Kinn herum, und macht daß ich die Muͤh Die mir der Pflug gemacht ſchon halb und halb vergeße, Nu wird der Tiſch gedeckt, ich ſetze mich und eße Mei Kaͤſenbrod mit ihr, und meinen Hirſchebrey Und eine dicke Milch, das ſeyn der G’richte drey, Die ſchmecken mir und ihr ſo gut und zehnmal beßer380 Als in der großen Stadt dem Leckerbißel Eßer Das ausgeſchlurfte Ding, wie heſts doch immer mehr? Wie wul ich mag es nich, denn mir graut viel zu ſehr. A ſulcher Schnecken-Fraß iß nicht fuͤr unſer einen, Der Staͤdter ſpuͤlt ſichs ab mit theuren Unger Weinen. Ich wull ſo ſatt wie er trink Waſſer aus dem Quell, Das ſchmeckt aufs Kaͤſenbrodt und iß ſo klar und hell, Als wie der Himmel iß am ſchoͤnen Fruͤhjahr Morgen, Ich trinke mich nich krank, und keiner Schulden Sorgen Die ſchleichen mir a nach bei dem zu Bettegehn; Und nu thut Annel erſt mit mir recht wunderſchoͤn. So muͤd als ich auch bin ſo kan ſie doch nicht laßen, Sie muß mit ihren Arm mich um den Naken ſaßen. Wie lucker thut mir das, mich ſchlaͤffert wull recht ſehr, Sie aber guſchelt mich und ſchmeichelt immer mehr, Bis ich ihr gute Nacht mit großem Schmunzeln ſage, Und nu verſchlafen wir des Tages Laſt und Plage. Wir ſchnarchen ungeſtoͤrt, kein Krieg und Kriegsgeſchrei Weckt mich und ſie vom Schlaf, der Morgen kommt herbei. Der Haushahn kraͤht zweimal und macht daß wir er - wachen, Ich gaͤhn a mal und heiß mei Annel Licht anmachen. Sie iß a flinkes Weib, kaum hab ich ausgeredt So ſpringt ſie eichel ganz und munter aus dem Bett. Ich fahr ihr hurtig nach, und bet a Morgen-Seegen,381 So kurz als moͤglich iß; denn unſers Herr-Goots wegen Verwendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Goot! wir ſeyn Zum Flegel nur gemacht, und zu den Picheleyn. Doch iß ihm auch vielleicht das kurze Stoßgebethe Wohl angenehmer noch als wenn ich heilig thaͤte, Als wie der Staͤdter thut, ders Auge wie a Kalb Im Kopfe rummer draͤht, und doch ſei Harze halb An ſeinen Wucher haͤngt, und halb an die Dukaten, Wir Bauersleute thun was unſre Vaͤter thaten. Wir beten kurz und gut, und gehn zur Arbeit hin: Du kanſt mirs glaͤuben wenn ich in der Scheune bin Und nu den Flegel ſo mit beiden Armen ſchwenke, Daß ich bei jedem Schlag an lieben Goot gedenke. Und wenn der Flegel nu den Hunger hat erweckt, Dann fuͤhl ichs recht wie gut das warme Fruͤhſtuͤck ſchmeckt. Kein Talpatſch, kein Pandur und wie ſie alle heißen, Kommt nicht um mir das Brodt vom Maule weg - zureißen. Ich habe Ruh und Brodt.
J ja! erkenſt dus nu? Vor hingſt du jo den Kopf als wenn du keine Ruh Und keinen Bißen Brodt mehr in der Huͤtte haͤtteſt, Als wenn du mit der Flucht dich fuͤr den Feinde retteſt. Ja unſer Herr Goot machts euch Leuten keinmal recht,382 Es waͤr kein Wunder nich daß er euch ſtrafen moͤcht. Ihr ſeyd wohl blind und taub und gar von Sin - nen kommen, Sonſt ſaͤht ihrs ja daß er uns hat in Schutz genommen. Ihr ſchmaͤhlet auf den Krieg, da doch der Krieg nich kam Und euch durch Feur und Schwerdt noch das geringſte nahm. Das bißel Liefern iß nu alles was ihr traget Woruͤber ihr nu gar a ſu abſcheulich klaget; Doch keiner iß ſo klug, und keiner denket dran, Daß oft der Kuͤnig kaum fuͤr Sorge eßen kann. Och lieber Vetter Hans es iß nich auszuſogen, Wie vielen Kummer och der große Herr muß trogen, Er hat dir meiner Seel nich eine Stunde Ruh, Wie manche Nacht thut er wohl nich a Auge zu. Gedenk dir nur einmal, Er ſchlug die Mußcowitter Und trieb ſie von uns weg als wie a ſchwer Gewitter Zuruͤck getrieben wird, wenns Goot dem Winde ſogt, Daß a wo anders hin die ſchwarzen Wolken jogt. Und als Er fertig war muſt Er ſich jaͤhlig wenden, Er ging nach Sachſen zu. Er muß an allen Enden Mit an der Spitze ſeyn. Denn wo der Kuͤnig ſteht, Da weis man ſchon wie gut die ganze Sache geht.
Ach ja es geht ju doch nicht allemal zum beſten, Den geſtern hoͤrt ich was von unſers Scholzes Gaͤſten;383 Sie kamen aus der Stadt bey ihn zur Kuͤrmes raus, Doch ſie erzaͤhlten ihm die Sache nicht recht aus. Von Oeſterreichern wars und och vom Ueberfalle, Und do ich horchen wolt do wor das Ding ſchon alle.
Ho, ho wenns ſunſt niſcht iß, das Ding iß mir ſchon alt, Und ich vergaß es nur, ſonſt haͤtt’ ich dir es bald Von Anfang her erzaͤhlt, ich will dirs nur noch ſogen: Bey tage wolte ſich kein Oeſterreicher ſchlogen. Im Finſtern kamen ſie; ſo wie in mancher Nacht Der Marder ſich a Loch an meiner Schwelle macht, Und durchgekrochen komt die Huͤhner todt zu beißen, Sie krochen uf den Bauch ins Lager zu den Preußen, Da alles noch im Zelt und tiefem Schlafe lag, Doch wacker wurden ſie bezahlet auf den Tag. Gevatter Urßels Mann der hat es hergeſchrieben, Daß gar a ſchmaͤhlich Volk iß auf den Plaz geblieben, Viel Todten lagen da und niſcht gewonnen ſie, Und gleichwohl thun ſie dick, es lohnt ſich fuͤr die Muͤh. Das kommt mir bald ſo fuͤr als wie vor vierzehn Tagen Des Kretſchmers Knecht im Schlaf da Hofeknecht ge - ſchlagen. A ſchlug ihn nur a mal, und der ſprang auf und ſchlug Des Kretſchmers Knecht daß man ihn auf der Trage trug. Ich daͤchte, wenn ſie ſtill von ihren Thaten ſchwiegen,348[384] Durch Großthun werden ſie die Schleſge doch nich kriegen. Es waͤr och gar nicht gut, doch das laͤſt Goot nich zu, Gelt, lieber Vetter Hanß, du denkſt doch och a ſu?
J freilich denck ich ſu, denn wenns Goot wollen haben, So haͤtte ja der Krieg die Preuſſen ſchon begraben. Das iß gar nich erhoͤrt, daß ſich a einzger Mann, Der eine Crone traͤgt, mit fuͤnfen ſchlagen kann, Und immer Plaz behaͤlt. Das Schlagen waͤhrt ſo lange, A paar mahl kam a och ſchun ziemlich ins Gedrange. Doch eh man ſichs verſoh kam Kuͤnig Friedrich rauß, Und trieb ſie fuͤr ſich her; als wie jezund ums Haus Der Wind die Blaͤtter treibt, die von dem Birnbaum fielen.
Sie purzeln fuͤr ihn hin wie Aepfel mit den Stielen, Wenn zu der Erndtezeit a ſtarker Regen gieſt, Und wenn a grau Gewoͤlk mit weißen Kugeln ſchießt. Es kan nicht anders ſeyn Goot iß auf ſeiner Seite, Sonſt ſchaft ers nimmermehr. Das ſprechen alle Leute, Die klug und ehrlich ſeyn.
Ich ſprech es ſelber auch; Du Muhme kennſt mich ſchon, es iß nich mei Gebrauch, Daß ich ſchmaruzen kann, ich rede wie ichs meine,Mei385Mei Herz iß wie mei Maul natuͤrlich wie das deine. Bey meiner Guͤte ju, mei Herze ſoht es mir, Daß unſer Herr Goot ſelbſt des Kuͤnigs Sache fuͤhr.
J ja der Kuͤnig fuͤhrt des lieben Gottes Sache, Druͤm laͤſt ers nich geſchan daß man ihn klener mache.
Das muß och nich geſchan; wenn wir wolln Gott vertraun, Der wird des Kuͤnigs Stuhl vielleicht noch groͤßer baun.
Das war doch noch a Wort, nu bin ich Vetter Hanßen Auch noch a mahl ſo gut, nu ſoll a ſeinen Banßen Noch groͤßer muͤßen baun, wenn wieder Erndte iſt. Doch ſog mirs Vetter Hans ob du nich hungrig biſt. Mit dem Geſchwaͤtze hat man ja das bißel Eßen Was dort im Ofen ſteht gar rein in Todt vergeßen, Ich werde Kraut uf thun.
Nei laß ihn ſtehn a Topf, Die Kirmes ſteckt mir noch im Magen und in Kopf, Erſt geſtern hat ſie ſich in unſern Dorf beſchloßen. Muhm Ohrte hoͤr nur her es hat mich recht verdroßen, Daß du auch nich a mahl zu mir zur Kirmes kahmſt.
Das dacht ich daß du mirs recht ſehr fuͤr uͤbel nahmſt,B b386Doch lieber Vetter Hans ich hat dirs nich verſprochen Du weiſt doch daß ich erſt vor fuͤnf und zwanzig Wochen Den Mann begraben lies, und ſo verlaſſen blieb, Das Leben ſelber iß mir vielmal nich mehr lieb. Man iſt ſei bißel Brodt nu ſo allein mit Thraͤnen, Wie ſulte man ſich doch nach Kirmes-Gaͤngen ſehnen.
Was das fuͤr Poßen ſeyn du wunder liches Ding, Di Kirmes die vertreibt die Grillen noch a wing. Du biſt noch[jung] und glauch, du wirſt doch ſo nich bleiben? Wer tauſend wuͤrde dir die lange Zeit vertreiben. Ich glaͤube gar du flennſt, a ſcham dich doch ins Herz, Wer todt iß der iß todt.
Ach mir kann menen Schmerz Und meine Traurigkeit niſcht uf der Welt vertreiben, Mir ſtarb a lieber Man ich muſt alleine bleiben, A Man ſo friſch und roth voll wie a voller Mond, Wie Kinder haben wir beyſammen ja gewohnt. Ach die fuͤnf viertel Jahr die gingen wie fuͤnf Tage Ja wie fuͤnf Stunden hin, ich hatte keine Klage. Wie gut war der Begang, was ich wolt wolt auch er, Es war als wenns ei Herz und eine Seele waͤr. 387A ſah mich manchmal an was ich fuͤr Augen machte,[Und] wußt dirs uffen Taußt das was ich wuͤnſcht und dachte.
A war ne gude Haut, doch laß ihn im - mer ruhn Und eh du um den Man dir ſult a Leid anthun, Eh wuͤſt ich andern Rath.
Ach Vetter ſtillgeſchwiegen, Das was verloren iß das werd ich nich mehr kriegen.
Nu nu kumt Zeit kumt Rath, ufs Neu - jahr haſt du mich, Gewißlich wieder hie, nu Goot bewahre dich, Bleib huͤbſch geſund.
O nein ſo war ſie nich die Wette, Ich daͤchte wenn man vor a wing gegaßen haͤtte.
Muhm Ohrt es iß ſo gut als wenn es war geſchahn. Bei Freunden ſucht man nur a G’richte gern geſahn. Mich hungert wirklich nich ich mag nich einen Bißen.
Dein Eigenſinn der iſts, ich muͤſt es gar nich wiſſen. Nu nimm das Maßer raus, geh nicht ungeßen fort.
Ich daͤcht du kenteſt mich und daß bei mir a WortB b 2388So viel als tauſend gilt, laß mich doch nich erſt ſchwoͤren, Genug ich eße nich und wenns Lampreten waͤren, Bleib nur derweil geſund.
Iß kein erhalten mehr, So kumm ufs neue Jahr ich bitte dich recht ſehr. Wenn du zu Hauſe kumſt ſo gruͤße mir ganz ſchoͤne Dei Annel, und dernach auch die Gevatter Lehne.
Gevatter Lehne hat jezunder einen Gaſt, Allein a iß ihr lieb, a wird ihr nich zur Laſt. Ihr Bruder Martin iſts, du wirſt ihn doch wohl kennen, Die Menſcher ſitzen uft a ganzen Abend flennen, Wenn a vom Krieg erzaͤhlt, denn a beſchreibt diers recht.
J machſt du doch daß ich ihn ſelber hoͤren moͤcht.
Wer weis bring ich ihn nich aufs neu Jahr mit Muhm Ohrte,
Topp, lieber Vetter Hans, ich halte dich beym Worte.
Ende.
Lebenslauf.
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Fraktur
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