PRIMS Full-text transcription (HTML)
Gedichte
Nach der Dichterin Tode nebſt ihrem Lebenslauff herausgegeben von Ihrer Tochter E. E. v. Kl: geb: Karſchin.
[figure]
Berlin1792
gedruckt mit Ditericiſchen Schrifften.
[I]

Ihro Koͤnigl. Hoheit der Frau Herzogin von York geb. Prinzeſſin von Preußen in unterthaͤnigſter Ehrerbietung zugeeignet von der Herausgeberin dieſer Sammlung.

[II][III]

Prinzeſſin!

als das eiſerne Geſchick
Der Atropos befahl: dem Leben
Der deutſchen Dichterin den letzten Augenblick
Durch ihrer Scheere Schnitt zu geben;
Da flog die Muſe her und ſeufzete: Apoll!
O Goͤttlichſter! wer ſoll
Nun meiner Saͤngerin bewahren ihre Leyer?
Die Erſte Grazie der Welt! rief er,
Verhuͤlle ſie in ihren Schleyer!
Die erſte Grazie der Welt, ſprach ſie, o Sohn
Des Jupiters! ſchifft jetzt nach Albion
* 2[IV]
Apollo wandte ſich hinauf zum Sonnenthron
Die Karſchin ſang als Schwan:

An Albion.

Wegen der Ueberfahrt Ihrer Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin Friederike vermaͤhlten Herzogin von York.

Herrſcherin des großen Waſſerreiches!
Tauſend Schiffe bringen Edelſtein,
Gold und Perlen, nur keins lud ein gleiches
Unſchaͤtzbares Kleinod ein.
Friedrich Wilhelms allererſte Blume
Seiner Liebe ſuͤßes erſtes Pfand,
Bringt Dein York zum Ewigeigenthume
An der holden Liebe Band.
[V]
Zart gebaut, und ſchoͤn, und geiſtbeflammet,
Sieheſt du mit feinem Kennerblick,
Wer Sie iſt, von wem Sie abgeſtammet:
Sie wird zweier Staaten Gluͤck!
Dieſer Bund, mit Ihrem York geſchloſſen,
Knuͤpft den Brennus - und den Brittenthron
So zuſammen, daß ihm die Genoſſen
Lucifers vergebens drohn.
Wer beſchreibt die Wonne der betagten
Wittwe Braunſchweigs, deren Muttergram
Oft die Engel Gottes mit beklagten,
Wenn er Kind auf Kind ihr nahm?
Wer vermag die Freude ganz zu ſagen
Deines alten Feldherrn Ferdinands,
Den Bourbon zu Boden wollte ſchlagen,
Und Er ſchlugs und uͤberwands.
Und wer hats ermeſſen und erwogen,
Was der Koͤniginnen Froͤmmſte
*)Ihre Majeſtaͤt die verwittwete Koͤnigin von Preußen.
*) fuͤhlt,
Welche hier die Blume hat erzogen,
Die den hoͤchſten Preiß erhielt?
* 3[VI]
Wie vermag ich’s ſelbſt zu offenbaren,
Was mein altes mattes Herz belebt,
Welches jezt vor dreißig goldnen Jahren
Um Charlottens*) Schiff geſchwebt?
*)Ihre Majeſtaͤt die Koͤnigin von England.
*)
Alſo wird’s auf Lieb - und Ehrfurchtſchwingen
Schweben um das ſanfte Seegelwehn
Dieſes Schiffs, das nicht mehr wiederhringen
Mir dies Kleinod wird zum ſehn.
A. L. K.
Hier, Fuͤrſtin! iſt die Leyer,
Die Saͤngerin die iſt nicht mehr

Berlin, im Sept. 1792.

C. L. von Klenke, geb. Karſchin.

[VII]

Vorrede.

Eine Sammlung Gedichte, und einen Le - benslauf von mir beſchrieben, verſprach ich, und uͤbergebe hier beides; gewiſſe Nebenartikel meines Verſprechens gehen ohne meine Schuld ab, und man wird mir verzeihn. Epiſteln, auf welche ich vorzuͤglich die Leſer einlud, fand ich, bei ge - nauer Pruͤfung, unter einer ganzen Menge nur wenige, welche ſich unter dieſen Namen mitthei - len ließen. Anwendbare Gedichte, das hieß bei mir ſolche, welche viel lehrreiches Salz ent - halten, fand ich auch nicht ſo viel, als ich damals zu finden dachte. Einfaͤlle (poetiſche) haͤtte ich zwar mehrere einruͤcken koͤnnen; aber ein langes Spiel ermuͤdet. Ich ſuchte mir alſo zu helfen, wie ich konnte, und uͤbergebe hier dasjenige, was mir unter tauſend Stuͤcken das beſte duͤnkte. Iſt es nicht gut genug, oder gar aus der Mode, ſo kann ich nicht dafuͤr. Die ehrerbietigſte Achtung fuͤr die Allerdurchlauchtigſten und glaͤnzendſten Na - men, welche der Sammlung vortraten, hat mich bewogen, das Buch zuſammenzutragen, welches hier dem Publikum uͤbergeben wird. Zur Samm - lung ſelbſt lieferte mir der Herr Graf von Stoll -* 4VIIIberg-Wernigerode, Domdechant von Halberſtadt, aus ſeinem Archiv einen dreyßigjaͤhrigen Vor - rath; Seine Hochfuͤrſtliche Durchlaucht, der verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig - Luͤneburg, einen Vorrath von zwanzig Jahren; der Herr Doktor Kruͤnitz, dem ich auch die letzte Kor - rektur des gegenwaͤrtigen Werks verdanke, welche derſelbe bei ſeinen gedraͤngten Geſchaͤften freiwillig uͤbernommen hat, eine Sammlung von dreißig Jahren, und ſo andre mehr. Die große Menge Beitraͤge ließ mir ſo viel zur Auswahl, daß ich es wagen konnte, die Gedichte in Klaſſen zu thei - len. Bei den Oden iſt aber ein Verſehn geſchehn, indem ſich welche davon unter eine Menge ande - rer Papiere verſchoben hatten, ich fand ſie, als es ſchon zu ſpaͤt war, und fuͤgte ſie unter die, welche nur Gedichte heißen. Vielleicht geb ich dadurch der Kritik etwas zu laͤcheln, indem ich zwiſchen der erſten und zweiten Klaſſe einen Unterſchied machte. Einige ſchwaͤchliche Bruchſtuͤcke, welche ſich in der Sammlung mitunter befinden, ſind bloß um ihrer verehrungswuͤrdigen Namen, welchen ſie gelten, mit einrangirt worden, und als Opfer einer ab - geſchiedenen Freundin hoffe ich, daß man ſie nicht beſchaͤmen wird.

So viel von dem poetiſchen Inhalte dieſes Buchs. Was den Lebenslauf betrifft, welcher von mir ſelbſt aufgeſetzt iſt, ſo hab ich viel gewagt, ihn noch einmal zu erzaͤhlen, da er bereits von guterIX Feder zweimal im Publikum erſchienen war. Noch mehr aber wagte ich, daß ich zum erſtenmal vor einer ſo hohen Buͤhne, als das deutſche Publikum iſt, mich in den Erzaͤhlungston einlaſſen wollte, auf welchen ich mich noch niemals geuͤbt hatte. Was mich dazu reitzte, war, daß ich mehrere kleine Umſtaͤnde aus dem Leben der Dichterin bekannt machen konnte, als bisher bekannt worden ſind, wodurch ich wenigſtens die Reugier zu befriedi - gen hoffte. Uebrigens iſt mir die kleine Erzaͤhlung nicht leicht geworden, wie man es auch durch - gaͤngig an dem gezwungenen Styl ſehen wird, wel - cher gar nicht den ruhigen Ton hat, den die Er - zaͤhlung haben muß, wenn ſie uͤberzeugen ſoll. Waͤr ich geuͤbter, und waͤren die Hauptumſtaͤnde nicht ſchon ſo allgemein bekannt, ſo wuͤrde mir vielleicht die Arbeit beſſer gerathen ſeyn; und ich koͤnnte alsdann den Leſern dieſelbe ruhiger uͤberge - ben, als ich jetzt thue. Auch wird es Leſer geben, welche mich dabei des Enthuſiasmus, der Vorliebe und Prahlerei beſchuldigen moͤchten, ſie werden aber nicht immer Recht haben, weil ich von der Wahrheit nirgends abgewichen bin, oblich gleich geſtehen muß, daß mir mein Selbſtgefuͤhl ſagt, daß ich wegen Unge - uͤbtheit in der Eile der Erzaͤhlung oft zu ſelbſtent - ſcheidend mich ausgedruͤckt haben kann. Noch muß ich befuͤrchten, daß gewiſſe Verhaͤltniſſe, die darinn aufgeklaͤrt ſind, mir manche meſſende Seitenblicke und das Laͤcheln des hoͤhern Eigenduͤnkels zuziehen* 5Xwerden; allein, eine geſunde Philoſophie ſcheuet ſich nicht davor, und die Wahrheit, welche meine Feder geleitet hat, wird niemanden ein Anſtoß ſeyn, welcher mit mir weiß und glaubt, daß wir nicht den Zuͤgel unſeres Schickſals in Haͤnden ha - ben, noch unſer Loos nach unſern Wuͤnſchen wer - fen koͤnnen.

Und nun noch ein Wort wegen des von mir verſprochenen Kupferſtichs zur gegenwaͤrtigen Sammlung. Man habe die Guͤte, die kleine, ob - gleich blendende Zahl der Intereſſenten zu uͤber - zaͤhlen, ſo wird man wiſſen, warum ich keinen Kupferſtich liefern kann. Der Kuͤnſtler arbeitet nicht umſonſt, und verſprechen konnt ich ihm nichts.

Alles was ich leiſten konnte, hab ich gethan, und um doch dem Buche wenigſtens eine kleine Verzierung zu geben, ließ ich den Titel in Kupfer ſtechen, und von dem Pettſchaft der Dichterin die - jenige Seite, womit ſie zu ſiegeln pflegte, darun - ter ſetzen.

Geſchrieben im Sept. 1792.

An Deutſchland.

War ſie, was ſie dir hieß, ſo muß ſie’s immer ſeyn,
O Vaterland! warum ſagſt du nun ſchweigend: Nein?

C. L. von Klenke. geb. Karſchin.

[XI]

Subſcribenten - und Praͤnumeranten Verzeichniß.

  • Ihro Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preußen.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Heinrich, Onkel des Koͤ - nigs von Preußen. 6 Exemplar.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Kronprinz von Preußen.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Heinrich, geborne Prinzeſſin von Heſſen-Kaſſel.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Ludwig von Preußen, Bru - der des Kronprinzen.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Auguſte, Tochter des Koͤnigs von Preußen. 2 Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Louiſe, Tochter des Prinzen Ferdinands von Preußen. 3 Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die verwittwete Frau Herzogin von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel, geborne Prinzeſſin von Preußen. 4 Exempl.
  • Se. Koͤnigl. Hoheit, Prinz Ludewig, Sohn des Prinzen Ferdinand, Onkel des Koͤnigs von Preußen.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der Herzog Friedrich von Braun - ſchweig.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Fuͤrſt von Anhalt - Deſſau. 10. Exempl.
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die regierende Fuͤrſtin von Anhalt - Deſſau, geborne Prinzeſſin von Brandenburg-Schwedt, 4 Exempl.
  • Se. Durchlaucht, der Fuͤrſt Haus Juͤrge v. Anhalt-Deſſau. 6 Exempl.
  • Se. Durchlaucht, der Erbprinz von Anhalt-Deſſau.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach - ſen-Weymar. 10 Exempl.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin von Sachſen-Weymar, geborne Prinzeſſin von Heſſen - Darmſtadt.
XII
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Eliſabeth von Braun - ſchweig.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach - ſen Coburg-Saalfeld.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin von Sachſen Coburg-Saalfeld, geborne Herzogin von Braunſchweig-Luͤneburg. 4 Exempl.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. Franz Friedrich Anton, Herzog zu Sachſen Coburg.
  • Se. Hochfuͤrſtl. Durchl Chriſtian Franz, Herzog zu Sach - ſen Coburg.
  • Ihro Hochfuͤrſtl. Durchlaucht, die regierende Frau Her - zogin von Wuͤrtemberg-Stuttgard.

A.

  • Herr Ahe, wirklicher Geheimer Sekretair bey der Staatskanzley in Berlin.

B.

  • Demoiſelle Wilhelmine Bachmann.
  • Chriſtiane Bachmann, zu Langenberg im Her - zogthum Bergen.
  • Herr Benzler, Bibliothekar Sr. Excellenz des regierenden Gra - fen von Wernigerode.
  • Herr Bieber, aus Hamburg.
  • Herr Bieſter, Doktor der Rechte und Koͤnigl. Bibliothekar in Berlin.
  • Madame Bieſter.
  • Herr Bode, Regiments-Quartiermeiſter in Berlin.
  • Demoiſelle Bones, in Berlin.
  • Herr Boyſen, in Hamburg.
  • Herr Bruͤggemann, Gold - und Silberhaͤndler in Berlin.
  • Herr Bucenius, Inſtizrath in Kottbus.
  • Herr Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching in Berlin.

C.

  • Herr Daniel Chodowiecki in Berlin.
  • Herr Eduart von Clermont, in Aachen.
  • Herr Ernſt von Clermont, Referendarius, Erbherr auf Lenzerwiſche in Berlin.
  • Fraͤulein Chriſtiane von Clermont in Aachen.
XIII
  • Herr Cords in Hamburg.
  • Herr Coulon, Jugendlehrer zu Berlin.
  • Die verwittwete Frau Prediger Cruciger in Berlin.

D.

  • Herr Geheimer Oberhofbuchdrucker Decker in Berlin.
  • Herr Johann Philipp Dettmars, Doktorand und Rek - tor bei der Friedrichsſchule zu Frankfurt an der Oder.
  • Herr Deutſch, Koͤnigl. Preußiſcher Hofpoſtſekretair in Berlin.
  • Herr Baron von Diebitſch, auf Groß-Wießewitz.

E.

  • Herr Landrath von Eckartsberg.
  • Herr Profeſſor Eck. in Leipzig. 10 Exempl.
  • Herr Poſtſekretair Emmerich in Frankfurt.
  • Frau Geheime Finanzraͤthin Engelbrecht, geb. Thalwit - zer, in Berlin.

F.

  • Herr Hofkonditor Fechter in Berlin. 3 Exempl.
  • Herr General-Inſpektor Forckert in Berlin.
  • Herr Profeſſor Fromm in Frankfurth an der Oder.

G.

  • Ihro Excellenz die verwittwete Frau Miniſterin von Gaudt, geborne von Vieregg, Gonvernante der regierenden Koͤ - nigin von Preußen Majeſtaͤt.
  • Die Frau Apothekerin Gaßert, geb. Guͤldenhaupt zu Magdeburg.
  • Herr Oberkonſiſtorialrath Gedicke in Berlin.
  • Herr Girard, d. R. B. in Frankfurt.
  • Herr Kanonikus Gleim in Halberſtadt. 10 Exempl.
  • Herr Kriegesrath von Goͤcking in Wernigerode.
  • Der Herr Miniſter von Goͤrne, Excellenz.
  • Herr Licentiat Graͤulich in Hamburg.
  • Herr Grell in Hamburg.
  • Herr Gruner, Haushofmeiſter bei des Ruſſiſchen Geſandten Excellenz.
  • Herr Gulde, Doktor und Buͤrgermeiſter in Kottbus Madame Gruner.

H.

  • Herr von Halmann, Kapitain vom General von Lignows - kyſchen Regiment.
XIV
  • Herr Kantor Haupmann in Schleſien.
  • Herr Heins in Hamburg.
  • Herr Hellmann daſelbſt.
  • Demoiſelle Herbſt in Berlin.
  • Herr Herterich in Hamburg.
  • Se. Excellenz der Koͤnigl. Preußiſche Miniſter, Herr Graf von Hertzberg.
  • Madame Hoffmann.
  • Mademoiſelle Wilhelmine Hoffmann.

K.

  • Herr Kirchenpauer in Hamburg.
  • Herr von Kleiſt in Kahren bei Kottbus.
  • Herr von Knoblauch, auf Peßin bei Nauen.
  • Frau Hauptmaͤnnin von Knobelsdorf, geb. Komteſſe von Reuß, in Berlin.
  • Der Koͤnigl. Kammerherr und Juſtizrath, Freyherr v. Kott - witz, auf Boyadel.
  • Herr Baron von Kottwitz auf Parchau.
  • Die Freyin von Kottwitz auf Pulpenau.
  • Herr J. D. Krahmer, Rektor in Kottbus.
  • Die Frau Graͤfin von Krockow, auf Krockow.
  • Frau Hauptmaͤnnin Krowke, geb. Luther, in Bernau.
  • Herr Doktor Kruͤnitz in Berlin.
  • Frau Doktorin Kruͤnitz.
  • Herr Mahler Kuͤhl in Berlin.

L.

  • Herr Langerhans, Schauſpieler in Hamburg.
  • Herr von Leſtewitz in Schleſien.
  • Herr Senatar Liepner in Loͤwenberg. 5 Exempl.
  • Frau Erneſtine Graͤfin von Lottum, geb. von Cler - mont, in Berlin.
  • Herr Hauptmann von Luͤderitz.
  • Demoiſelle Dorothee Luther in Berlin.
  • Herr von Luͤtke in Schleſien.

M.

  • Herr Kriegesrath Marpurg in Berlin.
  • Herr J. H. Meyer in Hamburg.
  • Se. Excellenz der Herr Generallieutenant von Moſch.
  • Se. Excellenz der Herr von Moͤllendorff, Generallieute - nant der Infanterie, Gouverneur hieſiger Reſid. ꝛc. in Berlin.
XV
  • Herr Carl Ludewig Muͤller, d. R. Bfl. in Halle.
  • Madame Muͤller, Gouvernante bei der Prinzeſſin Auguſte, K. H. in Berlin.
  • Madame Muͤller, geb. Thalwitzer.

N.

  • Herr von Nikolai, Kabinetsſekretair und Bibliothekar Sr. K. H. des Großfuͤrſten aller Reußen, in Petersburg.
  • Demoiſelle Sophie Niklas, Koͤnigliche Saͤngerin in Berlin.
  • Herr Doktor Nießen in Hamburg.
  • Madame Nowachin aus Karge.

O.

  • Herr Oelrichs, Geheimer Legationsrath und akkreditirter Re - ſident zu Berlin.

P.

  • Herr Pehmuͤller in Hamburg.
  • Herr von Platen, auf Peitzig.
  • Ihro Gnaden die Frau von Prinz in Berlin. 2 Exempl.
  • Herr Hauptmann von Prittwitz.
  • Fraͤulein von Prittwitz in Cummerow bei Beeskow.
  • Frau Doktorin Pyl in Berlin.

R.

  • Herr Raͤbell, Zinngießer in Trebbin.
  • Madame Rehbeld, in Berlin.
  • Fraͤulein Erneſtine von Rexin, in Lauenburg.
  • Herr Juſti zamtmann Richter in Kottbus.
  • Herr Hofpoſtſekretair Richter in Berlin.
  • Herr Riſch in der Klaprothſchen Apotheke in Berlin.
  • Herr Rothlieb in Hamburg.
  • Herr Johann Heinrich Roͤding, Schullehrer in Ham - burg und gelehrtes Ehrenmitglied zu Helmſtaͤdt.
  • Herr Elias Roͤding, ebend.
  • Herr Peter Roͤding, ebend.

S.

  • Fraͤulein Wilhelmine von Schlieben in Kroſſen.
  • Herr Graf und Obriſter von Schmettau in Berlin.
  • Frau Juſtiz-Hofraͤthin Schmidt in Berlin.
  • Herr Juſtizkommiſſionsrath Schueider in Schleſien.
  • Madame Schobinger, geborne Decker, in Berlin.
  • Herr Bandagiſt Schropp in Berlin.
XVI
  • Herr von Schweinichen in Berlin.
  • Herr Subkonrektor Seidel in Berlin.
  • Herr Muſikus Seidel in Berlin.
  • Herr Siemers in Hamburg.
  • Herr Profeſſor Spalding in Berlin.
  • Frau Paſtorin Stein in Hamburg.
  • Herr von Stentſch, Landrath in Schleſien.
  • Die verwittwete Frau Poſtmeiſterin Stiller in Berlin.
  • Madame Stolz, Gold - und Silberhaͤndlerin in Berlin.

T.

  • Madame Tauſch, geb. von Hamm, in Berlin.
  • Frau Praͤſidentin von Tevenar, geb. Stahl in Magdeburg.
  • Herr Kriegs - und Steuerrath Teudtſch.
  • Herr Thieme, Konrektor beim grauen Kloſter in Berlin.
  • Frau Sophie, verwittwete Graͤfin von Truchſes.

U.

  • Ungenannter von der Koͤnigl. Poſt-Expedition in Berlin.
  • Ungenannter in Hamburg.

V.

  • Herr Vogel in Hamburg.

W.

  • Herr Landrath von Wagener in Schleſien.
  • Herr Weißbeck, Kammerrath Sr. Koͤnigl. Hoheit des Prinzen Heinrichs.
  • Se. Hochwuͤrdige Excellenz, der regierende Graf von Stollberg - Wernigerode, Domdechant zu Halberſtadt und Ritter des Johanniter-Ordens ꝛc. 2 Exemplar.
  • Fraͤulein Dorothea von Wobeſer zu Luͤbben in Pommern.
  • Herr Peter Friedrich Wolf in Frankfurt.
  • Fraͤulein von Wolffen in Berlin.
  • Se. Excellenz, der wirkliche Koͤnigl. Preußiſche Staats-Miniſter, Herr von Woͤllner. 2 Exemplar.

Z.

  • Madame Zangen, geborne Heitfeldt in Potsdam. 2 Exempl.
  • Herr Geheime Kaͤmmerier Zeiſing in Potsdam.
Inhalt. XVII

Inhalt.

Vorberichtender Lebenslauf der Dichterin Anna Louiſe Karſchin, geb. Duͤrbach.

Gedichte von Anna Louiſe Karſchin. Oden.

  • Seite
  • An die Stadt Berlin wegen Sr. Koͤnigl. Hoheit des Prinzen und Feldherrn Heinrichs. 3
  • An die Mnemoſine, bey dem allerhoͤchſten Feſte, welches Se. Koͤnigl. Hoheit Prinz Heinrich dem Koͤnige gab. 5
  • An die Clio wegen des Koͤnigs. 7
  • Bei dem jubelvollen Empfange der Koͤnigin9
  • Dem Vater des Vaterlandes, Friedrich dem Gro - ßen ꝛc. 11
  • Ueber die Vorzuͤge des Prinzen Friedrichs von Braunſchweig. 14
  • An die Najade. 18
  • An den klagenden G * d. 20
  • Ueber die Begierden und Wuͤnſche. 22
  • An den General-Lieutenant von Seydlitz. 24
  • Jupiter und ſein Adler. 26
  • An den Apoll, daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte. 28
  • XVIII
  • Seite
  • An die Leda. 30
  • An den Herrn Grafen v. Stollberg-Wernigerode. 32
  • An den Phoͤbus Apollo ꝛc. 34
  • An Herrn Profeſſor E. 37
  • Auf die Geburt des jungen Prinzen von Preuſſen. 38
  • Der ſichere Fromme. 41
  • Gedichte. An Ihro Majeſtaͤt die Koͤniginn ꝛc. 45
  • An die Muſe, daß ſie den Abend der großen Illumi - nation ſingen ſolle. 48
  • Aufforderung an die Muſe, daß ſie dem Philoſoph zu Sans-Souci nachfliehen ſoll. 52
  • An den juͤngſtgebornen Prinz Friedrich Carl Ludwig von Preuſſen in Seiner Wiege. 55
  • Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel ꝛc. 57
  • Lied der Clio. 59
  • An Se. Hochwuͤrden Gnaden, den Herrn Dom - dechant Freyherrn von Spiegel. 61
  • Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt. 63
  • An den Phoͤbus. 66
  • An Venus, uͤber die ſtolze Phyllis. 67
  • An die Frau Doktorin M. 68
  • An den einjaͤhrigen Wilhelm von K. 70
  • An den Herrn Kanonikus Gleim. 72
  • An einen jungen Freund. 76
  • An eine Dichterin, welche das Klavier ſpielte. 78
  • XIX
  • Seite
  • Ueber den Unbeſtand des Ruhms. 80
  • Warnung an den jungen Herrn v. H * ſt. 82
  • Das Lob des Eſſens. 84
  • Ueber die Begierde des Saͤuglings. 86
  • Ermahnung an einen jungen Freund88
  • An Phyllis. 90
  • An den Freyherrn von A. aus Coͤthen ꝛc. 92
  • Lied an Se. Fuͤrſtl. Durchl. den jungen Prinzen von Anhalt. 95
  • An den kleinen von K. ꝛc. 98
  • An Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Mutter des Preußi - ſchen Thronfolgers. 101
  • An die Koͤniginn. 104
  • An die Melpomene, wegen des Prinzen Heinrichs des juͤngern ꝛc. 107
  • An den regierenden Reichsgrafen von Stollberg-Wer - nigerode ꝛc. 110
  • Bey dem Eheverbuͤndniß meines juͤngern Bruders Ernſt Daniel Hempel. 113
  • Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin bey den Ruinen. 117
  • An die Sonne ꝛc. 121
  • Lob der ſchwarzen Kirſchen. 125
  • Als ſie des Sonntags zu einer Luſtreiſe nach Char - lottenburg eingeladen wurde ꝛc. 127
  • An Gott bei dem Ausruf des Friedens. 129
  • Geſang auf eine Hochzeit ꝛc. 131
  • Gebet eines Kindes. 134
  • XX
  • Seite
  • Lobgeſang nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen Kindern geſungen. 136
  • Danklied am drey und ſechzigſten Geburtstage ꝛc. 138
  • Loblied bei dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß. 141
  • Epiſteln und Erzaͤhlungen. An die Prinzeſſin Heinrich. 145
  • An Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. den Herzog Ferdinand von Braunſchweig-Luͤneburg. 149
  • An Ebendeſſelben Hochfuͤrſtl. Durchl. 152
  • An den Hrn. von M * p * n in Braunſchweig. 156
  • An die verwittwete Madame R * ldt ꝛc. 159
  • An den Herrn Kanonikus Gleim. 163
  • An den Herrn Baron von Kottwitz zu Boyadel. 165
  • An eine adliche Schuldnerin ꝛc. 168
  • An meinen Freund, den Akteur H. 174
  • Skizze einer Epiſtel an Herrn Sekretaͤr K * ch. 177
  • Des 24ſten Januars muſikaliſche Feier ꝛc. 180
  • Aufforderung an die Dichterin von Herrn Doktor Kruͤnitz. 182
  • Antwort der Dichterin. 183
  • An die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration ꝛc. 188
  • Die klagenden Muſen und Apoll. 191
  • Der Liebhaberhut. 193
  • An den beruͤhmten Maler, Herrn Rode. 195
  • Belloiſens Lebenslauf. 197
  • Der Paͤchter und der arme Schaͤfer. 199
  • An Lehnchen R ** uͤber einen Zuckermann. 202
  • XXI
  • Seite
  • Eine Romanze. 204
  • Die Nadelſtichsheilung. 207
  • An Herrn von G., den Officier und Dichter. 209
  • Duldmanns Rache. 212
  • Skizze einer Epiſtel an Herrn Ober-Conſiſiorialrath Buͤſching. 215
  • Die Waſſersnoth bei Frankfurt an der Oder. 217
  • An den beruͤhmten Chodowiecky. 221
  • Das beſtaͤndige Einerlei. 224
  • Nachricht an den Grafen von Stollberg-Wernige - rode wegen des Rinderhirtens Joh. Chriſt. Grafes. 226
  • Jeremias Klage bei dem Anblick der Flucht ſeines Volkes aus dem Elſas. 229
  • Vermiſchte Gedichte. Verſuch einer Dankſagung an Koͤnig Friedrich Wil - helm den Vielgeliebten. 235
  • An Ihro Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin Louiſe ꝛc. 237
  • Ihro Koͤnigl. Hoheit der Fuͤrſt in von Anhalt-Deſſau ꝛc. 239
  • Verſuch eines Geſanges zur Geburtsfeier Sr. Excel - lenz des Koͤnigl. Preußiſchen Kabinets-Miniſters Grafen von Hertzberg. 241
  • Ein Gebet an den Mars. 244
  • An den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Gedicke. 246
  • An die Frau von Reichmann. 248
  • Ueber die Vergleichung. An Nantchen. 250
  • Die goͤttlichverkannte Phillis im Walde. 252
  • Lied einer alten reichen Wittwe ꝛc. 254
  • XXII
  • Seite
  • Duett zu einer Operette. 256
  • An die juͤngſte Demoiſelle St*hl. 257
  • Das Andenken des Herrn Hofrath Stahl bei ſeinem Grabe. 260
  • Zuruf an den Fremdling beim Marmorſarge Frie - drichs des Großen. 263
  • An Mademoiſelle Sack266
  • Ob Sappho fuͤr den Ruhm ſchreibt? 268
  • An die Oſterſonne. 270
  • Der Skorpion, die Schildkroͤte und die Sans. 273
  • Der Adler und die Pfeifvoͤgel. 275
  • Dorimoͤn und Amariethe in ihrer neuen Wohnung. 276
  • Phillis, die Helferin. 279
  • Lieder der Liebe. Wegen Milon. 287
  • An Milon288
  • An Denſelben. 290
  • An den jungen Tytirus uͤber eine Roſenknoſpe. 292
  • An Milon. 294
  • Elegie auf die Geduld. 296
  • An Milons Billet. 298
  • An eine Freundin. 300
  • An einen Ingenieur, Liebhaber der Phyllis. 301
  • Klagen uͤber eine geſtorbene Roſe an meinen Freund R. 303
  • Eine Rede zu Gott uͤber die Kuͤrze der Zeit. 306
  • XXIII
  • Seite
  • Gedichte nach vorgeſchriebenen Endreimen. 309
  • Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen Burg. 311 313
  • Die Habſucht der Koͤnige. 314
  • Der Zorn uͤber Thyrſis. 315
  • Eigenſchaften der Sapho. 316 317 318
  • Einfaͤlle. Neujahrs-Geſundheit. 320
  • An Herrn D. K. 320
  • Ueber ein Gemaͤlde. 321
  • An Herrn Doktor Kruͤnitz wegen ihres Pettſchafts. 322
  • Unterſchied eines Schmauſes und einer kleinen ver - gnuͤgten Mahlzeit. 322
  • Guter Rath ꝛc. 323
  • Eine Geſundheit. 324
  • An Quitungsſtatt geſchrieben. 324
  • Ueber Friedrichs Weisheit. 325
  • Mittags, als die Dichterin mit bei dem Domde - chant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte. 326
  • Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre an den Kanzleidirektor Brandhorſt und ein Executoriale auf einem Tiſch fand. 326
  • An einen, der das Klavier ſpielte. 328
  • Ueber den Aktien-Handel. 328
  • Geſundheit. 328
  • An einen Alten. 329
  • XXIV
  • Seite
  • An den Wein. 329
  • Recept zur Staͤrkungschokolade. 330
  • An meine Freundin. 331
  • Die neue Verſicherung. 332
  • An einen jungen Herrn von Baronoff. 332
  • An Montan. 333
  • An das kommende Jahr. 333
  • Die große That des Julius Caͤſars. 334
  • An ein gluͤckliches Volk. 334
  • Bei Erinnerung ihres erſten Freundes. 335
  • An den Frieden. 335
  • Aus einer Bußtagspredigt des Hrn. O. C. R. Spalding. 336
  • Anhang von Proben ihrer allererſten Dichtart. Neujahrswunſch an den Rinderhirten. 339
  • An das Fraͤulein von Moſe. 341
  • An ihren erſten Mann. 343
  • Eine Satire auf die Verfaſſung von Schleſien. 345
  • Arie. 350
  • An Se. Majeſtaͤt, den Koͤnig von Polen. 352
  • Das Schickſal. 358
  • Der 13te Mai 1758, als der Tag des Schreckens in Glogau. 362
  • Schleſiſches Bauerngeſpraͤch. 376
  • Die goͤttliche Vorſehung. 389
Vor -[1]

Vorberichtender Lebenslauf der Dichterin Anna Louiſe Karſchin, geb. Duͤrbach.

a[2][3]

So bekannt der Name der Dichterin Karſchin iſt, ſo dunkel iſt der Urſprung ihres Stammes, und in ihrem ſonſt gluͤcklichen Gedaͤchtniſſe konnte ſie denſelben nicht weiter zuruͤckzaͤhlen, als bis auf ihren Großvater muͤtterlicher Seite, welcher ein ſtudierter wohlhabender Amtmann geweſen war. Von dem Vater ihres Vaters iſt ihr nichts bekannt worden; ſie aͤußerte aber oft die Vermuthung, daß er wol die lezte Sproſſe eines aus - gehenden edlen Stammes moͤchte geweſen ſeyn, ſo wie auch ihre Mutter, deren Vorfahren durchaus nicht ge - ringe ſeyn mußten, weil die wenigen noch bekannten Verwandten ſtudierte und wohlhabende Leute waren, welches in der einſamen Gegend, welche ſie bewohnten, nicht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ihre Geburt es nicht erfordert haͤtte. Ihrer Mutter Vater war ein Foͤrſter und Weidmann bei dem Herrn von Moſe geweſen; ſein Name hieß Kuchel, und er heirathete die Amt - mannstochter ſeiner Herrſchaft, Namens Ferke. Dieſe hatte noch einen Bruder, welcher ſtudierte, und nach - her Amtmann wurde. Er iſt derjenige Großonkel dera 24Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: Kommt herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc. Der Foͤrſter Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen, als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren; allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck - ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe. Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft, in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be - griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit - telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe, an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor - zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der Beſchreibung von ihr kommt Jeder uͤberein, der ſie gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin, als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge5 ihres Charakters, welchen ſie ihr ganzes Leben hindurch bis an das Ende ihrer Tage unausgeſetzt behauptet hat, laͤßt ſich ſchließen, daß der Geiſt dieſer außer - ordentlichen Frau roͤmiſch, ihr Gefuͤhl griechiſch, und ihr Herz deutſch geweſen ſei. So ſchnell und zaͤrtlich ſie empfand, ſo feſt hielt ſie, ſelbſt ihre Gedanken, un - ter der Herrſchaft der Tugend; und ihrem ſonſt ſo em - pfaͤnglichen Herzen wurde ſchon durch eine unziemende Geberde, oder durch ein niedriges Wort bis zum Ab - ſcheu kalt und ekel. Nichts uͤbertraf die Strenge in ihren Sitten und die Reinigkeit ihrer Handlungen. Selbſt gegen ſich dachte ſie verſchaͤmt, und durch einen milden aber ernſthaften Anſtand welchen ſie ſich zu geben wußte, entfernte ſie alle unlautere Abſichten Anderer, indem ſie Allen, mit welchen ſie umging, zu - gleich Liebe und Ehrfurcht einfloͤßte. Ihre Soͤhne ſprechen nie ohne Ruͤhrung von dem muſterhaften Wandel ihrer Mutter und von dem Nachruhm, in welchem noch ihr Andenken bei den Nachkommen des ganzen Staͤdtchens, worin ſie wohnte, lebt. Dieſe charakteriſtiſche geiſtige Vorzuͤge, welche ſo ſelten den erſten Preis erhalten, wuͤrden auch vielleicht an dieſer Frau nicht glaͤnzen, wenn ſie nicht bei ihr von ſo viel aͤußern Vorzuͤgen waͤren unterſtuͤzt und hervor - gehoben worden. Ihre Perſon war von laͤnglichter ſchlanker Mittelgroͤße, und in ihrem Wuchs herrſchtea 36ein mit Ausdruck vermiſchter Anſtand. Ihre Bil - dung war nicht regelmaͤßig ſchoͤn, allein doch fein und angenehm. Ihr Auge war blau und ſprechend, ihre Haut weiß, und das Haar glaͤnzend ſchwarz.

Zu dieſem aͤußern Anſehn fuͤgte ſie zwei Talente, welche ſo vollkommen geweſen ſeyn ſollen, daß ſie ihr ſogar von der Dichterin auf eine gutmuͤthige Weiſe beneidet wurden. Es waren dieſe: die Kunſt zu tan - zen und die Gabe der allervortrefflichſten Singſtimme. Wer dieſe wunderbare Frau in ihrem fuͤnf und ſech - zigſten Jahre hat tanzen geſehn, der iſt noch bezaubert von ihr. Sie hat, wie der Vogel uͤber dem Waſſer, gleichſam nur uͤber dem Boden geſchwebt, und mit den ſittſamſten Blicken und Anſtande die leichteſten Wendungen ausgefuͤhrt, welche ſie mehrentheils ſelbſt angab, weil die gewoͤhnlichen Taͤnze ihr zu unbedeu - tend waren. Wenn es bekannt wurde, daß ſie zu einem Tauf - oder Hochzeitsſchmauſe erſcheinen wuͤrde, ſo ſtroͤhmten auch die Zuſchauer des ganzen Staͤdtchens dem Feſthauſe zu, und ſtunden hoch uͤbereinander in den Fenſtern, um ſie nur tanzen zu ſehen. Dennoch, ſo weit die Seele die Reize des Koͤrpers uͤbertrifft, ſo weit uͤbertraf ihre Singſtimme ihre Kunſt zu tanzen. Nur mit Thraͤnen in den Augen wird von ihren Kin - dern dieſe Stimme geruͤhmt; ja, ſie koͤnnen keine Worte finden, um ihr eine Abſchilderung zu geben. 7Auch noch in ihrem fuͤnf und ſechzigſten Jahre, wo Alter, Hinfaͤlligkeit und der grauſamſte haͤusliche Zu - ſtand ihr feines Nervengewebe beinahe zerruͤttet hat - ten, konnte ſie ſo ſingen, daß keine Nachtigall ſie uͤber - traf. Die hoͤchſten Schwierigkeiten, welche ihr eige - nes Genie ihr in die Kehle gab, fuͤhrte ſie mit der Leich - tigkeit der im Fluge ſingenden Lerche aus; und mit der aͤußerſten Hoͤhe der Toͤne vereinigte ſie zugleich ein Adagio, welches jeden, der ſie hoͤrte, bis zu Thraͤnen durchdrang. Sie konnte mit unglaublicher Leichtigkeit in lauter kleinen Ringelkreiſen die Stimme bis zum hoͤchſten Triller erheben, und in lauter neuen uner - hoͤrten Toͤnen ſchwebte ſie allmaͤhlig wieder herab und ſchmolz in einen Seufzer zuruͤck*)Das im Porſtenſchen Geſangbuche befindliche Lied: Ach wie nichtig, ach wie fluͤchtig iſt der Menſchen Leben wel - ches ihr Lieblingslied war, und woraus man auf ihre Den - kungsart ſchließen kann, hat ſie noch in ihrem ſpaͤten Alter mit einer ſo bewundernswuͤrdigen Anmuth geſungen, daß ihre Kinder es nicht genug ausſagen koͤnnen.. Zugleich konnte ſie bei froher Laune theils in ihrer Kehle jedes Inſtrument auf das vollkommenſte nachahmen. Dieſes that ſie theils pfeifend oft aus Taͤndelei, und war eben ſo gluͤcklich in dieſer Nebenvollkommenheit, als es nachher ihre Tochter als Dichterin wurde, wenn ſie die Funken ihres herrli - chen Genies in Impromptuͤes ausſtreuete. Auch Dichte - rin war die Saͤngerin, ob ſie gleich nicht ſchreiben konnte. a 48Ihr Gefuͤhl war ſo fein, daß ihr jene Volkslieder alle zu gemein waren, und ſie pflegte ſich oft andere ſo ge - nannte Arien nach ihrem beſſern Geſchmack auszuden - ken, welche ſie aber nicht aufſchreiben konnte, weil ſie nicht ſchreiben gelernt hatte, und alſo nur in ihrem Gedaͤchtniß blieben. Auch andre Melodieen pflegte ſie ſich oft auf ihre Lieblingslieder auszudenken, und die ſchlechteſte Weiſe wurde durch ihre Stimme zur vor - trefflichſten. Man ſollte glauben, daß ſo viele innere und aͤußere Vollkommenheiten, als in ihr vereiniget waren, ohnmoͤglich ſie im Staube haͤtten laſſen muͤſ - ſen; allein ſie war leider ſechzig Jahre zu fruͤh gebo - ren, wo weder Talente gekannt noch geſucht wurden; und welche auch wegen der einſamen Lage ihres Wohn - ortes nicht einmal entdeckt werden konnten*)Ihr juͤngſter Sohn, welcher ein Tiſchlermeiſter iſt, hatte ihre Stimme geerbt, verlor aber dieſelbe in ſeinem 24ſten Jahre durch eine Verkaͤltung: dennoch konnte man in ſei - nem 34ſten Jahre noch aus den Ueberbleibſeln ſchließen, was ſie geweſen war. Die Fertigkeit ſeiner Toͤne, das Neue, Saͤße und das Eigene, welches jederzeit eine Menſchen - ſtimme von jedem Inſtrumente auszeichnen ſollte, wenn ſie Stimme zu heißen verdiente war noch weit im maͤnn - lichen Alter hin in ſeinem Geſange, und alle ſeine Toͤne, ſo kuͤnſtlich ſie zu ſeyn ſchienen, gingen ins Herz, weil es Na - tur war, welche ſie ihm in die Kehle gab..

Ihre Beſcheidenheit und Unbefangenheit, ihre aͤußerſt ſittſamen Neigungen ließen ihr auch nicht zu,9 weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe - rungs - und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der, in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten, welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei - nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden, welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren, ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun. Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund - ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu - chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge - ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent - zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei - willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder ſtraucheln noch fallen konnte.

a 510

In dieſer Lage wurde ſie ſieben und zwanzig Jahr alt; ihre Wuͤnſche gingen allerdings auf eine Heirath hinaus, allein auf eine ehrliche Heirath. So gern ſie vielleicht einen Mann von einiger Diſtinktion genom - men haͤtte, ſo wurde ihr doch kein ſolcher bekannt, welcher ſie zur Frau geſucht haͤtte. Als ſie end - lich in ihr acht und zwanzigſtes Jahr gekommen war, meldete ſich der Duͤrbach*)Es iſt nicht entſchieden, ob er Duͤrbach oder Derbach geheißen hat; die Dichterin ſchrieb ſich Duͤrbach, gleichwol hat ſich eine ihrer erſten Poeſien aufgeſunden, in welcher ſie ſich Derbach nennt., welcher von den Fraͤuleins Moſe den unter ihre Herrſchaft ge - hoͤrigen Hammer pachtete. Dieſer ſo genannte Hammer war eigentlich eine Meyerei, worin eine Bier - und Brandtweinbrauerei befindlich war, und in einem leimernen mit Stroh gedecktem Wirthshauſe fuͤr Durchreiſende beſtand, an welches nur noch einige entfernte Fiſcherhuͤtten graͤnzten. Uebrigens lag der Ort in einem wuͤſten Flecken, hinter welchem ein klei - nes Erlenwaͤldchen ſtand, und gehoͤrte zum Zuͤllichauer und Schwiebuſer Kreiſe.

Dieſen Pachter und Brauer Duͤrbach nun hei - rathete das vollkommenſte Maͤdchen jener Zeit. Von ihm iſt zu ruͤhmen, daß er im ganzen Kreiſe, und noch uͤber die Graͤnze hinaus bis in das brandenburgiſche11 Gebiet wegen ſeines ſtarken und weinaͤhnlichen Bieres, welches er brauete, beruͤhmt und beliebt war, Ueber - haupt war er ein biederer Mann, welcher ſeiner Wirth - ſchaft pflichtmaͤßig vorſtand und fuͤr die Seinigen Schutzherr und Freund war. In ſeiner Perſon ver - einigte er einen edlen Anſtand, und ſein Geſicht, wel - ches eine freundliche Wuͤrde hatte, war mit einem Stuzbaͤrtchen uͤber der Oberlippe und am Kinne, nach damaliger Mode geziert, welches ihm ein recht herri - ſches Anſehn gab. Die Hochzeit des Duͤrbachs mit der Jungfer Kucheln wurde auf dem adelichen Schloſſe unter den vornehmſten Bekannten der Herr - ſchaft vollzogen, und aus dieſem ſtillen und freien Zu - ſtande folgte die junge Frau Duͤrbach ihrem Manne auf den Hammer, wo er der Bierbrauerei und der Gaſtſtube vorſtand, und wo ſie die Aufſicht uͤber die Viehzucht und die Zubereitung der abgezogenen Waſ - ſer, und die Ordnung uͤber vielerlei Geſinde, nebſt einer großen Haushaltung zu beſorgen hatte. So ſehr ihr Mann ſie liebte, ſo wohl es ihr ging, und ſo gut ſie ſich in alle dieſe Geſchaͤfte zu ſchicken wußte, ſo ſehr litt ſie innerlich durch die ungeſitteten Durchreiſen - den, welche taͤglich im Wirthshauſe einkehrten und zu halben Naͤchten bei ihren Kruͤgen und Glaͤſern vor ihr laͤrmen ſaßen. Dabei geſchah es oft, daß ihr Mann ſich an ſeinem wohlſchmeckenden Biere ein12 Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un - gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu - maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt. Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver - ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden, und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge - witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar - ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach - te, war unſere Dichterin.

Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr. Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt. Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen - dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus: daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu - merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als13 haͤßlich aufwuchs, und haͤtte ſie ihren Koͤrper und ihr Mienenſpiel in der Gewalt gehabt, ſo wuͤrde ſie bis zu ihrem Tode beinahe fuͤr ſchoͤn haben gelten koͤnnen. Sie hatte einen wohlgeordneten feinen Wuchs mitt - lerer Groͤße, ſchoͤne und daurende Geſichtsfarbe, hell - braunes Haar, die ſchoͤnſte menſchliche Stirn, welche jemals geſehn worden iſt, auf welcher ganz das Licht ihres großen Geiſtes ausgebreitet lag; die ſtrahlenvoll - ſten, hellſten, ſprechendſten blauen Augen, beſtaͤndig rothe Lippen, und bei guter Laune herzlichen Froh - ſinn in den Mienen. Allein, wenn ſie ihren Forſch - blikk hatte, welcher die meiſte Zeit in ihrem Geſichte herrſchte, ſo war ſie ſchwer auszuhalten, und man wuͤrde nicht mit ihr haben Umgang pflegen koͤnnen, wenn ihre Gedanken und ihr Thun nicht leicht waͤ - ren abzulenken geweſen, durch Zerſtreuung, welche oft der Augenblikk wuͤrkte. Die Augenlieder zogen ſich bei ſolchem Blikk zuſammen, das Auge wurde kleiner, und ſeine Strahlen ſchoſſen, gleichſam wie die Sonne in einem Brennpunkt, auf ſeinen Ge - genſtand, zuſammen. Es war ein verzehrender Blick; lenkte der Gedanke ihn ab, ſo ſah er ſeit - waͤrts, und ging in eine laͤchelnde Bewegung des Mundes uͤber, welche nicht weniger Scheidewaſſer als der Blikk ſelbſt hatte. Die Dichterin, welche nichts von dieſem Mienenſpiele wußte, hat ſich un -14 zaͤhlige Verdruͤßlichkeiten dadurch zugezogen, und ei - gentlich kann man es die Grundlage aller ihrer Un - gluͤksfaͤlle nennen.

Nach laͤndlicher Sitte wurde nun die kleine Duͤr - bach der Großmutter zur Wartung gegeben. Sie war ein ſtilles, in ſich verſchloßnes Kind, welches weder im Schlaf noch im Wachen jemanden Unruhe machte, und ſo blieb ſie bis in ihr ſechſtes Jahr. Sie kroch unter den Baͤnken der Gaſtſtube herum, und ſaß zu halben Tagen, wie ein Gedanke, ganz ſtill vor ſich weg, ohne auf etwas zu merken, was um ſie her vorging. Vermuthlich hatten die Ge - ſpraͤche der Bauern und gemeinen Gaͤſte des Wirths - hauſes keinen Reiz fuͤr ihr Ohr, und ihren Eltern fehlte die Zeit, ſich mit ihr zu unterhalten. Indeſ - ſen verrieth ſie doch dann und wann Lebhaftigkeit, wenn es Vorfaͤlle gab, welche ſelten genug waren, auf das verborgene Feuer ihres Verſtandes zu wuͤr - ken. So geſchah es zum Beweiſe einsmals, daß ſie als ein dreijaͤhriges Kind auf dem Arme ihrer Großmutter der Hinrichtung eines Delinquenten zu - ſahe, und als ſein Kopf mit einem Schwerdtſtreich des Nachrichters abflog, klopfte ſie in die Haͤnde, und rief von einer ploͤtzlichen Empfindung getrieben: Schwabb, war er ab! Mit dieſem Reime entſprang der erſte Funken ihres dichteriſchen Genies,15 wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin - des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken erhielten.

Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt - we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen - den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter - richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft, und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß - mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be - ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent - deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff - liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that16 ihrer Mutter den Vorſchlag, daß er ſie mit ſeiner Schweſter zugleich mitnehmen wollte. Die Mutter willigte mit frohem Herzen ein.

Seine kleine Nichte gewann ihren Großonkel ſo - gleich von ganzer Seele lieb, und je feiner er mit ihr umging, je oͤftrer er mit ihr Geſpraͤche fuͤhrte, je ver - traulicher wurde ſie zu ſeinem Unterrichte. Jezt wurde ſie gleichſam erſt wach fuͤr ihr Leben, denn jezt erſt lernte ſie durch die Gegenſtaͤnde, welche die Lehren ih - res Oheims ihrem Verſtande zum Wirken gaben, den - ken und empfinden. Sie konnte halb buchſtabiren, als er ſie zu ſich nahm, und in weniger als einen Monat hatte ſie von ihm leſen gelernt. Sobald ſie dies konnte, wurden ihre Begriffe zu Feuerſunken, welche ſich an alles hefteten, was ihnen Nahrung geben konn - te. Sie bekam eine unaufhoͤrliche Neigung zu den Buͤchern und lag halbe Tage lang auf der Bibel mit ihren Augen wie angeheftet. Am Abend ſagte ſie ih - rem lieben Oheim ganze Stellen daraus vor, welche ihr durch bloßes Leſen im Gedaͤchtniß geblieben waren, und ihr Vetter machte ſichs zum Vergnuͤgen, ihr Stunden lang Erklaͤrungen uͤber die geleſenen Stellen zu geben.

Ihr Lieblingsſtudium wurde das Buch der Mak - kabaͤer. Das Heldenmuſter des Judas Makkabaͤus gab ihrem Geiſte die ſtaͤrkſte Nahrung, weil dieſer amliebſten17liebſten bey Bildern verweilte, die ihm auſſerordentlich und unerreichbar ſchienen; denn gewoͤhnliche Gegen - ſtaͤnde hatten ſchon fruͤh zu wenig Nahrung fuͤr ſein gewaltiges Feuer. Dieſes kanoniſirte Heldengedicht hatte ſogar Wuͤrkungen auf ihre Einbildungskraft; ſie vertraute ſich ganz mit demſelben, und wollte kein Maͤdchen mehr ſeyn. Man hatte ihr zum Jahrmarkt eine Puppe gekauft, dieſe warf ſie in den Wipfel eines Birnbaums, und mit ihr jede Neigung zu kindiſchen Spielen. Wenn ſie nicht las, oder lernte, ſo ging ſie in den Garten, nahm ein Haſelſtrauchſtaͤbchen, und zog damit auf die Neſſeln, wie auf eine Legion Feinde los. Ganzen Feldern voll hieb ſie die Koͤpfe ab, und durch dieſen taͤglichen kriegeriſchen Zeitvertreib waren die Neſſeln ausgerottet, ehe noch der Sommer ver - ging. Mit den Uebergaͤngen der Jahrszeit veraͤnderte ſie auch ihre kriegeriſchen Diſpoſitionen. Statt der Neſſeln wurden nun Armeen von Erbſen und Bohnen auf den Tiſch geſtellt, welche auf einander losgehn mußten. Oder draußen im Freyen wurden kleine Kie - ſel geſammlet, in Reihe und Glieder geſtellt, und mit groͤßeren Steinen darauf losgefeuert.

Ihre Großmutter, welche ſchlechterdings keine Pſychologin war, ſchuͤttelte zu ſolchen Zeitvertreiben murrend den Kopf, und ſchalt uͤber das viele Leſen ihrer Enkelin. Als ſie aber ſah, daß ſie ſogar ſchreibenb18lernte, ſo ward ſie uͤber die Verſtoßung der Sitte ih - rer muͤtterlichen Vorfahren ganz entruͤſtet. Sie ſchob die Suͤnde ihrem Bruder in ſein Gewiſſen, und ſagte: Er wuͤrde es einmal zu verantworten haben, wenn das Maͤdchen durch ihr Leſen und Schreiben allerley Muͤßiggang und Untugend lernte. Daß dich der Krankſch derſchluͤge! rief ſie oft in ihrem gutmuͤthigen Eifer, das Maͤdel ſoll mir durchaus nicht ſchreiben lernen; durchaus nicht! ein Maͤdel muß nicht ſchrei - ben koͤnnen, ſie hat anders zu thun, wenn ſie ne Frau wird, als Schreiben. Das verfuͤhrt ſie nur zu Lie - besbriefen, zu weiter nichts Guts. Sie ſoll durchaus nicht ſchreiben lernen.

Allein, je mehr die Großmutter eiferte, je hefti - ger wurde die Begierde der Kleinen, ſchreiben zu koͤn - nen. Sobald ſie die Buchſtaben nachmahlen konnte, blieb kein leerer Raum mehr ſicher vor ihrer Kreide, ſie beſchrieb jeden Klotz, jedes Stuͤckchen Brett, wel - ches ſie auffinden konnte. Ihr lieber Oheim fing nun das Rechnen mit ihr an, und auch hierin nahm ſie die ſchnellſten Fortſchritte. Eben ſo leicht wuͤrde ſie weibliche Handarbeit begriffen haben, wenn zu einem Unterrichte Gelegenheit geweſen waͤre. Stricken lehrte ihr die Großmutter; aber dabey hatte ſie keine Geduld, weil es ein ewiges Einerley war. Sie hat19 oft erzaͤhlt, daß ſie in ihrem ganzen Leben nicht mehr als anderthalb Struͤmpfe geknittet hat.

Ihr Vetter wußte ihr nun ferner nichts zu thun zu geben; ſein Vorrath von deutſchen Buͤchern war klein, ſeine meiſte Bibliothek beſtand in lateiniſchen und andern Sprachen. Er wußte alſo ſeine wißbe - gierige Nichte mit keinem Unterrichte mehr zu be - ſchaͤftigen, und doch plagte ſie ihn, um etwas zu ler - nen. Er fing alſo beynahe Scherzweiſe an, ſie in der lateiniſchen Sprache zu unterweiſen. Er lehrte ihr leſen, und gab ihr nachher Vocabeln auf. In Zeit von vierzehn Tagen konnte ſie ihm viele hundert latei - niſche Woͤrter aus dem Gedaͤchtniſſe herſagen, und er ging ſchon ſo weit, durch Zuſammenſetzung ſolcher Woͤrter ihr einen Autor verſtehen zu lernen. Aber welcher Graͤuel war das vor den Ohren der Großmut - ter! Ihre Geduld riß dabei ganz aus. Weil aber ihre Widerſpruͤche ſtets fruchtlos geblieben waren, ſo ſahe ſie keinen andern Ausweg, als daß ſie heimlich ihrer Tochter einen Wink gab und ihr ſagen ließ: daß wenn ſie ihr Kind lieb haͤtte, ſo ſollte ſie es von ihrem Bruder wegnehmen; denn der ginge gerade darauf aus, das Maͤdchen verruͤckt zu machen, indem er ihr nun gar Lateiniſch lehrte. Die Mutter der kleinen Duͤrbach, welche in der Zeit ſich zum zweitenmale ver - heirathet hatte, und jezt in den Umſtaͤnden war, daßb 220ſie wieder die Welt vermehren ſollte, ſah es zwar nicht ungern, daß ihre Tochter Leſen, Schreiben und Rech - nen gelernt hatte, allein wegen des Lateiniſchen war ſie mit ihrer Mutter ganz einerlei Meinung. Um alſo einer Hirnzerruͤttung vorzubeugen, eilte ſie ſelbſt zu ihrem Vetter, um ihre Tochter, welche jezt ins zehnte Jahr ging, wieder zu ſich zu holen. Unter dem Vor - wande, daß ſie dieſelbe naͤchſtens bei der Wiege brau - chen wuͤrde, halfen alle Bitten und alle Gegenvorſtel - lungen des Oheims nichts; ſie glaubte hier nach Pflicht und beßrer Einſicht zu handeln, und die Trennung zwiſchen Onkel und Nichte geſchah nicht ohne Schmerz und Thraͤnen, wie man leicht denken kann. Seit die - ſem Augenblicke gehen die widrigen Schickſale der Dichterin an, nnd dieſe Eine Trennung hatte Folgen, deren Uebel noch uͤber ihr Grab hinaus dauern.

Kaum war ſie einige Monathe zu Hauſe, als ihre Mutter ihr einen Bruder zur Welt brachte, welchen ſie wiegen, warten und tragen mußte. Ihre Mutter gab ihr dieſes Geſchaͤft blos, um ihr etwas zu thun zu geben, denn ſie befand ſich vor jezt noch in ſo guten Umſtaͤnden, daß ſie dem Kinde wol eine Magd haͤtte halten koͤnnen. Die kleine Duͤrbach, deren Herz, von ihrem lieben Oheim getrennt, eine große Leere em - pfand, gewann ihren Stiefbruder lieb, ſo viele Laſt und Unruhen er ihr auch machte. Er ſoll als ein huͤb -21 ſches Kind zur Welt gekommen und nachher der ſchoͤnſte Knabe und Juͤngling im Staͤdtchen geweſen ſeyn. Das Aeußere, welches ſogleich zu empfehlen pflegt, machte auch Eindruck auf die Dichterin, und ſie hef - tete ihre zaͤrtlichſten Neigungen auf dieſen ihren Stief - bruder, ob er gleich noch vor ſeiner Geburt die Urſach war, daß ſie an ihren geiſtigen Fortſchritten gehindert wurde, ſo wie er in der Folge die Sorgenquelle ihrer letzten dreißig ſonſt goldenen Jahre geworden iſt.

Nachdem dieſer Menſch etwa ein Jahr alt war, geſchah ihrem Hauſe ein Unfall, welcher den Wohl - ſtand der ganzen Familie umſtuͤrzte. Ihr Stiefvater Hempel, welcher ein Paͤchter und Jaͤger war, und ein aufbrauſendes brutales Weſen hatte, konnte ſich nicht, wie ſein Vorfahr, der Brauer Duͤrbach, in die Geſellſchaft der Gaſtſtube ſchicken. Wenn er die ge - meinen Reiſenden noch von fern ſah angewandert kommen, ſo ſchmaͤhlte er ſchon auf ſie, und begegnete ihnen veraͤchtlich, wenn er ſie bedienen ſollte. Dieſes kam bald zu den Ohren der Herrſchaft, und ein junger Kruͤger im adelichen Dorfe, welcher laͤngſt einen Wunſch nach der Pacht des Hammers gehabt hatte, machte ſich die Brutalitaͤt des neuen Paͤchters zu Nutze, und pachtete ihn bei der Herrſchaft aus. Die Eltern der jungen Duͤrbach wurden alſo aus ihrem erſten Wohn - orte verdraͤngt, wo ſie funfzehn Jahr ſo geſeegnet wa -b 322ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng - ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri - ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On - kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ - ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld, ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß - mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr - bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie23 nun vor gaͤnzlichen Muͤßiggang zu bewahren, wurden ihr von der Mutter drei Rinder vertraut, welche ſie taͤglich auf die Weide, die weit entfernt lag und zu ihrer Pacht gehoͤrte, treiben mußte. So unwuͤrdig ein ſolches Geſchaͤft fuͤr eine Karſchin ſcheint, ſo erin - nerte ſie ſich deſſelben doch niemals ohne Vergnuͤgen, und hielt die Jahre ihrer Hirtenſchaft fuͤr die ſchoͤn - ſten ihres Lebens. Die Freiheit, welcher ſie hier ge - noß, die herrliche bluͤhende Natur um ſie her, die mit Baͤchen durchſchlungenen Wieſen, und die liebliche Ruhe, welche hier uͤberall ausgebreitet lag erfuͤll - ten ihre Seele mit tauſend ſchoͤnen Bildern, von wel - chen ſie ſelbſt die Schoͤpferin war. Und welcher Stand befriedigt auch wol mehr das Herz, als der Hirten - ſtand, in welchem die Patriarchen Koͤnige waren, und die hoͤchſten Dichter ſich das goldene Zeitalter traͤumten?

Sie war im dreizehnten Jahre, als ſie mit ihrer kleinen Heerde zuerſt die graßreichen Triften betrat. Hier empfand ſie mehr als jemals den Drang denken - der Vorſtellungen, welchen ſie ſo gern in Bilder uͤber - getragen, wenn ſie nur gewußt haͤtte, wie? Sie hatte weder ein Buch zum Leſen, noch Geraͤth zum Schreiben, noch jemanden, an welchen ſie ihre Gedan - ken haͤtte richten koͤnnen. So brachte ſie ihre Zeit in Geſellſchaft ihrer Rinder mit bloßen Phantaſien hin. Eines Tages aber, als ſie ſo in ſich ſelbſt vertieft ihrenb 424empfindſamen Traͤumen nachdenkt, entlaͤuft ihr ploͤtz - lich ein Rind, welches im blinden Eifer uͤber eine Waſſergraben ſezt, der die Graͤnze einer andern Weide war. In aller Angſt wathet die kleine Hirtin den Graben durch und ihrem Rinde nach; die zwei uͤbri - gen folgten ihr von ſelbſt. Sie mußte eine lange Strecke laufen, ehe ſie daſſelbe einholen konnte; end - lich gelang es ihr. Indem ſie nun ein wenig ausru - hen wollte, ſahe ſie um ſich herum und bemerkte, daß ſie ſich auf einer ganz fremden Trift befand, als ſie in einiger Ferne einen Hirtenknaben gewahr wurde, wel - cher unter einem Baume ſaß, und o wundervolles Gluͤck! in einem Buche las. Ihr Herz ſchlug laut vor Freude, und mit dem zweiten Gedanken war ſie auch ſchon bei dem Knaben. Drei Worte, in drei Augenblicken geſagt, machten einander auf immer be - kannt, und eine gegenſeitige Neigung zum Leſen ſchloß ſogleich das Band der Freundſchaft um ihre Herzen. Jezt haͤtte ein Jupiter vom Himmel ſteigen und in eins ihrer Rinder ſich verwandeln koͤnnen, die Dichterin wuͤrde es nicht bemerkt haben, ſo ſehr war ihre Be - gierde auf das Buch geheftet, welches der junge Hirte las. Es war dieſes[Buch] eins von den Originalen, welche damals die Ehre der deutſchen Schriftſteller ausmachten. In dieſe Klaſſe gehoͤrten: die ſchoͤne Meluſine, der gehoͤrnte Siegfried, Peter mit dem25 goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe, und andere, welche noch ungleich ſeichter waren.

Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie, und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El - tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei - bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa - beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei - nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver - ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli - ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als erb 526etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher, ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt.

Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!

Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge - habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief - chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re - den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu - ſen*)Er pflegte auch zuweilen Verſe zu machen. haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit27 uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn. Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc.

Schwiebus, den 2ten Oſtertag 1762.

Ihr allzeit guter Freund Joh. Chriſt. Grafre.

So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that er ſehr gern und that es daher oft. Ihr Wunſch war, daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver - ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen, damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte, daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver - ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,28 welche er mit aͤußerſter Muͤhe habhaft zu werden ſuch - te. Zwar bekam ihr Geiſt keine Schwingen durch dieſe Lektuͤre, in welcher oft ein geſunder Gedanke in einem Strohm von ermuͤdendem Witze und fremden Sprachwoͤrtern erſaͤuft lag; allein ihre Empfindungen gewonnen doch dadurch mehr Spielraum, und ihre Ideen verfeinerten ſich durch das Leſen, und durch den freundſchaftlichen Umgang ihres tugendhaften Hirten - knaben. Vielleicht wurden die drei Sommer ihres Hirtenſtandes die Quelle, welche ihre Dichterader ſo weit ausdehnte und ſo ſtark anfuͤllte; denn hier be - gnuͤgte ſich ihre Wißbegierde nicht nur an den Buͤchern, ſondern machte ſie auch mit den Gegenſtaͤnden der Natur bekannt. Sie lernte die mannichfaltigen Arten der Voͤgel und der laͤndlichen Inſekten kennen; ſie er - forſchte den Unterſchied der Baumarten, der Pflanzen und Blumen, und in ihrem unvergleichlichen Gedaͤcht - niſſe fand das vergeſſenſte Kraͤutchen ſeinen Namen wieder. Auf gleiche Weiſe wurden ihr die Veraͤnde - rungen der Jahreszeiten, ſo wie der Elemente bekannt, und der geſtirnte Himmel mit ihrem Geiſte vertraut. Daher ſammlete ſie alle die ſchoͤnen Farben zu den herrlichen Bildern der Natur, welche ihren Meiſter - ſtuͤcken einen Vorzug geben, den ſie vielleicht in ihrer Art einzig hat. Haͤtte ſtatt dieſes Hirtenlebens die Dichterin das Gluͤck einer gekuͤnſtelten Erziehung29 genoſſen und die Buͤcher unſrer Tage gehabt, ſo wuͤrde ſie kaum ihr Talent zn der Hoͤhe geſchwungen haben, in welcher es allgemein bekannt iſt. Ein wirkliches Genie kann wol nicht dadurch leiden, wenn es lange ſich nur ſelbſt uͤberlaſſen iſt; denn die Kunſt, welche ihm zu fruͤh die erhabenſten Muſter vorlegt, macht es dadurch ſcheu und zaghaft, ſelbſt den Flug zu wagen. Daher wird ein fruͤh ausgebildetes Talent ſich ſelten zu dem kuͤhnen Schwung erheben, welchen die wilde freie Kraft eines ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Genies mit Leich - tigkeit ausfuͤhrt, weil es die ihm unbekannten Regeln der Kunſt nicht zu ſcheuen hat, ob es gleich auch Ge - fahr laͤuft, im Waͤlzen ſeines Strohms hie und da eine Regel umzuſtoßen, oder etwas mit ſich fortzureißen, welches es nicht wieder an die rechte Stelle bringt.

Nachdem der dritte Sommer dieſer gluͤcklichen Epoche vor ſie voruͤber war, bedachte nun ihre Mut - ter, daß das Maͤdchen ſich dem Ende ihres funfzehn - ten Jahres naͤherte, und noch war ſie von aller haͤus - lichen Kenntniß zuruͤck, welche ihrer kuͤnftigen Beſtim - mung zur Hausfrau ſo nothwendig war. Nach der dortigen Sitte pflegte man die Maͤdchens zu verheyra - then, ſobald ſie erwachſen waren, und die Augen der jungen Duͤrbach ſagten, daß ſie wider dieſe Gewohn - heit nichts einzuwenden haben wuͤrde. Es ward alſo beſchloſſen, ſie zuerſt noch im Naͤhen unterrichten zu30 laſſen, und alsdann ſie in der Hauswirthſchaft anzu - lernen. Damit man aber verhinderte, daß ſie nicht, ihrer Gewohnheit nach, leſen, in den Gaͤrten und auf den Wieſen herumtraͤumen, oder gar ſich bey dem Buͤcherſchaft ihres litterariſchen Schaͤfers vergeſſen koͤnnte; ſo wurde ſie von Hauſe ganz entfernt, und einige Meilen weit davon in die Koſt einer Muͤllers - Frau gethan, welche die Geſchicklichkeit im Ausnaͤhen vorzuͤglich beſaß. Das Gedaͤchtniß der Duͤrbach glich dem Wachs; was ſie lernen ſollte, das druͤckte ſich den Augenblick unausloͤſchlich in ihre Begriffe. So ganz ſie Phantaſie und Gedanke war, ſo war ſie kaum ein Vierteljahr in der Lehre, als ſie ſchon ihrer Lehr - meiſterin alle Kuͤnſte ihrer feinen Nadel auf das ſau - berſte nachmachen konnte. Sie war auf anderthalb Jahre in dieſe Lehre bedungen, und die Muͤllersfrau, welche ihrer Schuͤlerin nichts mehr lernen konnte, miß - brauchte in der uͤbrigen Zeit die folgſame Gemuͤths - art der Duͤrbach, nebſt der entfernten Lage von ihren Eltern, und ließ ihr mehrentheils Magddienſte ver - richten. Dabei blieb es nicht allein, ſondern ſie mußte auch oft das Amt einer Vorpoſt beſtehen: denn die Muͤllerin, welche jung und huͤbſch war; hatte Bekannt - ſchaft mit einem Huſaren-Rittmeiſter, welcher hier auf Graſung ſtand. Er kam mehrentheils wenn der Muͤller auf der Muͤhle war, und bey jedem ſolchen Beſuche wur -31 de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be - ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr - digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit - tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie - der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom - men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu - ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden vermeinten Ungluͤcklichen, und ergriff ihre erſte32 Feder mit welcher ſie wie mit einer ritterlichen Lanze, in beweglichen Klagen auf das harte Schickſal loszog. Es iſt Schade, daß von dieſem erſten Fluͤ - gelſchwunge ihres Geiſtes keine Probe mehr vorhanden iſt; und dieſe Epiſode wuͤrde daher unbedeutend ſeyn, wenn man nicht in ihr die fortwachſende Dichterin bemerkte. Ihren Poſten beſtand ſie ſtets ſonder Feh - de, ſie ward ſogar dafuͤr von dem Rittmeiſter beſchenkt, und die Haushaltung des Muͤllers befand ſich wohl dabei, ſo wie bei den vollen Kammern auch der Haus - friede ſich befand. Allein der Zufall, welcher kein Ver - gnuͤgen ungeſtoͤhrt laſſen mag, that es auch hier. Ei - nes Tages, als eben der Rittmeiſter im Begriff war, zu ſeiner Schoͤnen zu gehn, kommt ploͤtzlich eine Kut - ſche vor ſeine Hausthuͤr gerollt, und wer daraus er - ſcheint, ſind ſeine Gemahlin und ſeine beiden klei - nen Soͤhne. Zaͤrtlich hingen ſie ihm an Hals und Knieen, ehe er noch ein Wort ſprechen konnte; und er, ein ſonſt guter Mann und Vater, empfand, daß er von den Banden der Natur umſchlungen wurde, und weggewiſcht aus ſeiner Seele war das Bild der Kokette. Ohne von ihr Abſchied zu nehmen, eilte er am andern Morgen fruͤh mit den Seinigen nach ſeinem Standquartier zuruͤck, und ſeine ſanfte Frau machte ihm keinen Vorwurf, daß er ſo lange uͤber die Zeit der Graſung weggeblieben war.

In33

In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht, daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei - nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn - dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ - ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel - cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn - te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine, und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge - ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein,c34weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort - zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort, um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge, welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande - nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die - ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be - ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war, ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck.

Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten; dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß35 ſie gluͤcklicher in ihrem Hauſe, als bey dem Hirten war, denn ſie fand auf ihrem Soͤller (Vorfluhr) ei - nige Blaͤtter voll Verſe von dem bekannten Johann Franke, welche uͤber allerlei Gegenſtaͤnde geſchrie - ben waren. Dieſer neue Fund ſchlug einen Funken in ihr an, welcher in ſeiner Neuheit etwas Bezaubern - des fuͤr ſie hatte. Noch niemals waren ihr andere Poeſien als die Lieder im Geſangbuche vor Augen ge - kommen; aus dieſen Blaͤttern ſahe ſie, daß man auch andere Gedanken als geiſtliche in Verſe bringen konn - te; der Takt des Sylbenmaßes war unausſprechlich ſchmeichelhaft fuͤr ihr Gefuͤhl; ſie empfand, daß die Sprache in Verſen einen vorzuͤglichen Unterſchied vor der gemeinen Sprache hatte Sie flog zu ihrem Hirten, entdeckte ihm den Schatz, den ſie gefunden hatte, und brannte nun von keiner geringern Begier - de, als von der: auch Verſe machen zu koͤnnen. Die - ſes wuͤnſchen und auch verſuchen, war eins, und von Stund an keimte ihr Dichtertalent aus dem Verbor - genen hervor. Sie ſchrieb Verſe an den Hirten von der Art, wie ſie im Anhange dieſer Sammlung zur Probe mitgetheilt ſind, und ahndete nicht, daß ſie damit etwas Edleres that, als wenn ſie vormals hin - ter ihrer kleinen Heerde mit dem Staͤbchen in der Hand herging. Auch wurde ſie nicht ſtolzer auf ihr Talent, als es ſchon ihren Namen beruͤhmt gemacht hatte.

c 236

Der ehrgeizige Rinderphiloſoph blieb ihr nichts ſchuldig, er verſuchte, ihr in Reimen wieder zu ant - worten, ob ihm gleich das Steigen in die Dichterſphaͤre herzlich ſauer wurde, weil er nicht wie ſeine Freundin zur Dichtkunſt geboren war.

Jezt aber war ſie nicht mehr das kinderhafte Maͤd - chen auf der Weide, ſondern eine werdende Jungfrau im ſechzehnten Jahre, welcher in jeder Nerve Empfin - dung gluͤhete. Zwar konnte der arme Rinderhirt mit ſeinen zuſammengedraͤngten Unannehmlichkeiten ihr keine zaͤrtlichen Wuͤnſche ablocken; die Ritterideale aus ſeinen Buͤchern hatten ihre Phantaſie erhoͤht, ihren Geſchmack verfeinert, und ihr Auge ekelnd gemacht; ſie lernte aber einen Nachbarsſohn kennen, einen wohl - gewachſenen und wohlgebildeten jungen Menſchen, welcher ganz artige Manieren hatte, und ſogar Verſe zu lieben ſchien. Fuͤr dieſen wurde ſie eingenommen, und vielleicht wuͤrde ſie mit ihm einen ziemlich leidlichen Eheſtand gefuͤhrt haben, wenn ſie zu einer Heirath mit ihm ſeiner Mutter Bewilligung haͤtte erlangen koͤnnen. Allein dieſer Frau war das Maͤdchen darum aufs aͤußerſte zuwider, weil ſie leſen und ſchreiben konnte, und weil ſie damals, vermoͤge ihres in ihr wirkenden Dichterfeuers ſelten mit den Augen gerade ſah, ſondern beinahe ſchielte. Sie eiferte heftig wider jede Zuſammenkunft mit ihrem Sohne, und kraͤnkte37 ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta - del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt: verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens, jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir - nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor - muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey, wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be - friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.

Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbachc 338tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al - lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn - orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu - geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach - te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu: daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts. Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver - ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd - chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren39 Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler, blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde, ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich. Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in - deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we - nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih - rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt,c 440und die große Jugend, in welcher beide Theile faſt immer verheirathet werden, kann wol nichts anders als uͤble Folgen nach ſich ziehn, weil ſie bei reiferm Ver - ſtande erſt einſehen, wie ſie mehrentheils in ihrer Wahl gefehlt haben.

Ein ſolches Schickſal wartete auch unſerer Dichte - rin; weil ihr Braͤutigam meilenweit entfernt wohnte, ſo konnte ſie weder ihn, noch er ſie beſſer kennen ler - nen, ob ſie ſich zur Ehe fuͤr einander ſchickten. Der Mutter zwar wurde es geſagt, daß er ein geiziger und jachzorniger Mann waͤre; allein ſie, welche glaubte, daß man wol fuͤr die Tugend etwas leiden koͤnnte, hoͤrte weiter nicht auf ſolche Reden, ſondern antwor - tete: Wenn der Mann ſchlimm waͤre, ſo muͤßte die Frau deſto nachgebender ſeyn, denn ginge es immer gut. Sie wuͤßte, daß ihre Tochter ein nachgebendes Gemuͤth haͤtte, alſo mache ſie ſich weiter keinen Kum - mer, als dieſelbe an einen ordentlichen Mann zu brin - gen, und das waͤre ihr kuͤnftiger Schwiegerſohn. Dergeſtalt ging denn die Hochzeit vor ſich.

Die Braut war ein ſchlankes, noch nicht voll ſech - zehnjaͤhriges Maͤdchen mit bluͤhendem Geſicht, laͤndlich - freundlichen Mienen und feuervollen blauen Augen. Ihre unbeſchreiblich ſchoͤne Stirn trug keine gepuderte Locken, ſondern ihr ſtark kaſtanienbraunes Haar war nach Art der Koͤpfe franzoͤſiſcher Schweizermaͤdchen,41 in Flechten aufgeſchlagen. Statt des Kranzes trug ſie nach damaliger Sitte eine kleine Fontange von Spitzen, welche auf ein goldenes Laͤppchen getollet waren. Ueber einen großen Fiſchbeinrock blaͤhete ſich der Brautrock von ſchwarzer Charge. Den ſchmalen Leib zierte ein Kamiſoͤlchen vom nehmlichen Zeuge, ein goldner Latz ſchimmerte vor der Bruſt, und goldge - ſtickte Pantoffeln, nebſt rothen Struͤmpfen mit bunten Zwickeln paradirten an den Fuͤßen; weiße zwirnene Handſchuh und ein kleiner Zobelmuff ſchmuͤckten die feine Hand. So ſtand ſie vor dem Traualtar, wo ſie fuͤr einen ungluͤcklichen Eheſtand eingeſeegnet wurde.

Nach dreytaͤgiger Hochzeitfeyer wurde ſie von ih - rem Manne heimgefuͤhrt, und in ihr Joch geſpannt. Sobald er ſie ganz allein in ſeiner Gewalt hatte, warf er die Larve ab, und ließ es durch den unertraͤglichſten Geitz ihr empfinden, daß er in Abſicht der Mitgabe ſich betrogen hatte; denn ſie hatte wirklich nichts mit - bekommen, als eine Ausſtattung von etwas Schmuck, Kleidern und Hausgeraͤthe, und ſtatt der eingebilde - ten tauſend Reichsthaler nur hundert. Darzu kam, daß ſie wegen ihrer großen Jugend und Vergeßlich - keit noch ganz unerfahren in der Wirthſchaft war, und daß ſelbſt ihre Bereitwilligkeit und ihr ſtrengſter Gehorſam in ihren Pflichten kein Verdienſt an ihr ſchienen, weil ihr die Wirthſchaftlichkeit ganz und garc 542nicht kleidete, indem ſie durchaus nicht zu ſolchen Ge - ſchaͤften geboren war. Allein, den woͤchentlichen Faden ihrer Pflichten ſelbſt, ſie mochten auch noch ſo muͤh - ſam ſeyn, lernte ſie bald abſpinnen, weil ihr Verſtand zu allem faͤhig war; und ſie uͤbertraf darin ſtets ihren Meiſter, nur mit ſtiller und geſetzter Ordnung konnte ſie nichts verrichten, weil ſie ſich uͤberall vergaß. Das verdroß ihren eigenſinnigen Mann gar ſehr, und er wurde deswegen ſchon im erſten Jahre ihrer uͤber - druͤßig. Haͤtte er aber gewußt, welches edle Feuer in ihr wirkte, ſo wuͤrde er aus Eigennutz und Ehrgeiz ſie beſſer geſchaͤtzt und gehalten haben; denn bey aller ſeiner uͤblen Laune hielt er doch auf den Punkt der Ehre, und in dieſem Fall war ihm das Geld nicht zu lieb; ja, er wuͤnſchte nur deswegen reich zu werden, ſich mit Ehre ſehn laſſen zu koͤnnen. In beſſern Gluͤcksumſtaͤnden waͤre dieſer Mann gut geweſen, an - ſtatt daß er bey wenigem Einkommen ein boͤſer Be - herrſcher der Seinigen wurde.

Das arme junge Weibchen war zu bedauren; bey dem beſten Willen, welchen ſie hatte, ihrem Manne alles nach Wunſche zu thun, konnte ſie doch nicht das Geringſte handhaben, wobei ſie nicht etwas verſchuͤt - tete, im Wege liegen ließ, auf etwas trat, oder etwas verkehrt machte. Ihr Mann konnte daruͤber ſo boͤſe werden, daß er oft handgreiflich wuͤthete. Dadurch43 entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn, welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man - cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten, daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin, und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie.

In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge - bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi - niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich, daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro - hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein - wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom -44 men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte, welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge - fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her - umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein - ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im - mer von neuem aufgebracht wurde.

Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war, gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge - werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be - ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe - rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an ſeiner fleißigen und folgſamen Frau ausließ, und das -45 jenige, was er erſparen wollte, ihren Beduͤrfniſſen ab - zog; denn er gab ihr weder recht ſatt zu eſſen noch zu trinken. Oft,[wenn] ſie in ihren gluͤcklichen Tagen den Wein nicht genießen konnte, welcher ihr uͤberfluͤßig angeboten wurde, erinnerte ſie ſich jenes darbenden Zuſtandes, wo ſie als Amme ihrer Kinder oft nach einem Trunk Bier hat ſchmachten muͤſſen, welches ihr harter Mann vor ihren Augen trank, ohne ihr etwas davon anzubieten. Durch dieſe Haͤrte verleitete er ſie, daß ſie ihm dann und wann kleine Muͤnze zu entwen - den ſuchte, damit ſie ſich, wenn er etwa ausginge, heimlich Bier holen und ihren Durſt laben konnte; welches dann zu andern Unordnungen und Unruhen Anlaß gab, weil ihm nichts verborgen blieb, und weil ſie auch durchaus keine Heimlichkeit verbergen konnte, und dieſelbe ſchon durch ihre ſchuͤchternen Mienen verrieth.

Von ihrer guten Schwiegermutter, welche im naͤch - ſten Hauſe wohnte, ward ſie oft erquickt und unter - ſtuͤtzt, aber auch das mußte heimlich geſchehen, weil er mit ſeinen Eltern ſo hart umging, wie mit ſeiner Frau. Klagen und Vermahnungen halfen bei ihm nicht, er wußte als Mann und Hausvater ſich immer mit ſei - nem Haberecht zu beſchoͤnigen und auszureden; allein ſie beklagte ſich auch gegen niemand, weil ſie nicht wußte, ob ihr Schickſal je anders ſeyn koͤnnte? Selbſt46 ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre, wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war. Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange - nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht, mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel - ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver - druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die - ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon - ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit; da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn, ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man47 Arien nannte, wie davon im Anhang eine Probe zu finden iſt. Sie dachte ſich dieſelben in der Woche aus, und an dem Sonntag, wenn ihr Mann abweſend war, ſchrieb ſie ſie auf, indem ſie dieſelben nach irgend einer Melodie aufs Papier zu ſingen pflegte, welche Gewohn - heit ſie noch im ſpaͤten Alter hatte. Sie meinte, daß ihr durch dieſes Abſingen das Silbenmaaß leichtflie - ßender wuͤrde. Auch an ihren Mann machte ſie Ver - ſe, wie die Probe im Anhange beweiſt; er pflegte gut - launig daruͤber zu laͤcheln, weil er ganz dunkel den Vorzug fuͤhlte, welchen ſeine Frau in dieſer Gabe vor andern hatte; allein da er es nicht voraus ſehen konn - te, daß jemals ſolche Arbeit Geld bringen wuͤrde, ſo machte er weiter nichts daraus. Indeß wurde ſie doch mit dieſer Gabe in der Stadt Schwiebus bekannt, und wen ſie kannte, der wurde von ihr mit ſolchen Proben ihrer Reimluſt beſchenkt, weil ſie jeden Gegenſtand er - griff, woran ihr Feuer Nahrung fand. Einer ſagte dem andern davon, und es kam bald vor die benach - barten Edelleute, daß ſie Verſe machen koͤnnte. Man ward neugierig, ſich ſelbſt davon zu uͤberzeugen, und ſie wurde zuweilen zu ſolchen Herrſchaften gerufen, welche ſie alsdann mit etwas Muͤnze dafuͤr zu beſchen - ken pflegten. Einsmals ließ man ſie in eins der be - nachbarten Doͤrfer in eine adliche Aſſemblee kommen, wo ſie mit vieler Gegenwart des Geiſtes jedem der48 Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte, welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb - ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn - und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor - genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan - negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei - ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou - verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her - ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg - haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein - ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa - lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihnkannten.49kannten. Alles war fuͤr ihn von einem Enthuſiaſmus beſeelt, alles liebte ihn und betete ihn an! und nie war ihnen ſo wohl, als wenn ſie ein: Vivat der Koͤ - nig von Preußen! trinken konnten. Die Dichterin, welche bei dieſen Geſpraͤchen nicht darein reden durf - te, fuͤhlte ſich ſo enge um’s Herz, wenn ſie bei ihrer Arbeit von dieſem Wunderkoͤnige reden hoͤrte; ſie gluͤhte vor Verlangen, ihn ſingen zu koͤnnen. Allein voͤllig unbekannt mit jeder Art eines Heldengeſangs, kehrte nur ihr Verlangen unbefriedigter in ſie zuruͤck, ohne daß ſie es gewagt haͤtte, ein Wort zu des Koͤnigs Ruhm zu ſchreiben. Im Anhange befindet ſich das Stuͤck uͤber die Kaiſerliche Regierung, worin ſie, wie die ſchuͤchterne Liebe, es nur entfernt wagte, gleichniß - weiſe ihre Verehrung gegen ihn zu verrathen. Zu die - ſer Zeit kam auch ihr litterariſcher Hirt nach Schwie - bus; er hatte hier von einem Verwandten ein Stuͤck Land und eine Huͤtte geerbt, welche er als Eigenthum bezog, indem er ſeiner alten Mutter die wenigen Einkuͤnfte ſeines vaͤterlichen Ackers in Tirſchtiegel al - lein uͤberließ. Jezt war ſie beſſer geborgen, als jemals, denn nun hatte ſie den Freund, der fuͤr ihren Sonntag vollauf ſorgte. So ſehr indeß das Leſen den Druck ihres haͤuslichen Zuſtandes erleichterte, ſo zog es ihr doch auch manchen Verdruß zu, wenn ſie ſich nicht enthalten konnte, auch zuweilen in der Woche ein Buchd50in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer. Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das, daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord - nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft - lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand - lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte, und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing, ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel - ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer - floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in ſeinem Entſchluß.

51

Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung, ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur - den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi - ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward. Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe - frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.

So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs - vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht - bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam, welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden. Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei - denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwed 252geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder, ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl - redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio - niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter dritten Heirath gequaͤlt wurde.

In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand, daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte. Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war, acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be - ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat - tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand. Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des53 Abends mit einem Raͤuſchchen zuruͤck, welches ihn ſonſt immer gutes Muths machte. Bei dem Herein - treten warf er mit einer luſtigen Art den Hut auf den Tiſch, ſchwung ſich auf einem Beine herum und rief: Vivat! es lebe der Koͤnig von Preußen! darauf ſagte er zu ſeiner Frau: Hoͤre, Louiſe! weißt du ganz was Neues? Der Koͤnig von Preußen hat in ſeinen Lan - den die Erlaubniß zur Eheſcheidung gegeben; was meynſt du, wenn wir die erſten waͤren, die ſich ſchei - den ließen? Seine aͤußerſt erſchrockne Frau konnte ihm hierauf nichts antworten, und er fuhr fort: Na, du haſt doch nichts dawider, wenn wir den Anfang ma - chen? Ach Gott, du wirſt doch das nicht thun, war ihre Antwort. Ja, ja! das werd ich wol thun, er - wiederte er; und was iſt denn fuͤr ein Ungluͤck dabei? wenn man einander nicht leiden kann, iſts nicht beſſer, als davon. Die Frau weinte jaͤmmerlich, aber er fuhr fort: Hoͤre, Louiſe, weine nur nicht, das Weinen kann zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe mei - nen Sinn darauf geſetzt, daß ich mich ſcheiden laſſe. Du biſt freilich ein recht gutes, fleißiges und folgſames Weib, aber es muß mir angethan ſeyn; genug, ich kann dich nicht zum Weibe leiden, und kann dich im - mer weniger leiden, was ſoll uns ein ſolch Marter - leben? gieb nur gutwillig dich darein, denn es wird nicht anders, ich gehe auf die Scheidung. Hiermit,d 354ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er in ſeine Kammer.

Ihr Zuſtand war ſchrecklich; ſie liebte ihren Mann und hatte Brod und Anſehn von ihm; ihre Mutter konnte ihr keinen Schutz geben, weil ſie ſelbſt in der niederdruͤckendſten Lage war, und dazu lieber den Tod an ihr Herz geſchloſſen haͤtte, als eine durch die Schei - dung an ihrem Namen gebrandmarkte Tochter. Das alles fuͤhlte die Dichterin, ihr war es nicht unbekannt, welche Schande auf dem Worte Scheidung lag; man nagte und quaͤlte ſich lieber in einer lebenslangen Ehe, als daß man an eine vernuͤnftige Trennung un - ter beiden Theilen haͤtte denken wollen. Und ſolcher Schande ſollte ſie ſich vor allen im Lande zuerſt Preis geben? dazu kam noch die Laſt ihres leiblichen Zuſtan - des; und keinen Zufluchtsort, keinen Freund, kein Obdach, keinen gewiſſen Unterhalt! Alle dieſe Vor - ſtellungen zuſammengedraͤngt warfen auf das Vorha - ben ihres Mannes ſo etwas Unmenſchliches, daß es ihr unmoͤglich ſchien, daß er ſo abſcheulich ſeyn und es ausfuͤhren koͤnnte. Dieſer Schluß beruhigte ſie eini - germaßen bis am Morgen. Sobald ſie ihren Mann anſichtig wurde, bat ſie ihn mit den ruͤhrendſten Aus - druͤcken des Schmerzes und mit allen Vorſtellungen ihres Zuſtandes: daß er doch den Gedanken zur Schei - dung aufgeben moͤchte, ſie zerfloß faſt in Thraͤnen vor55 ihm; allein er blieb unbeweglich. Er koͤnnte ſie ein - mal nicht leiden dabei blieb’s. Des andern Ta - ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß - Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte, da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt. Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit. Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin, wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen, und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer - den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf, und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz; ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Eind 456junger Soldat, welcher hier Schildwacht ſtand, ſahe ſie weinen, frug ſie aber nicht warum? ſondern zog ein Stuͤck Kreide aus ſeiner Taſche, und ſchrieb an die Rathhausthuͤr:

Geduld, Vernunft und Zeit, das ſind gar ſchoͤne
Sachen,
Die, was unmoͤglich ſcheint, noch moͤglich koͤnnen
machen.

Darauf nahm er ſie bei der Hand und ſagte: Hier, junge Frau, kann ſie leſen? ſie ſchlug ihre naſſen Au - gen auf, las, und wurde geſtaͤrkt; denn ſie hielt dieſe Worte fuͤr eine gluͤckliche Weißagung, daß der Himmel ihre jetzigen unverſchuldeten Leiden ihr wieder mit Freude vergelten wuͤrde. Es ahndete ihr aber nicht, daß, ehe dieſes geſchaͤhe, ſie noch weit groͤßere Kum - merberge zu uͤberſteigen haben wuͤrde.

Nun ward ſie zum Scheidungsverhoͤr gerufen, alle Punkte wurden zum Beſten des Mannes verfuͤgt, und die Scheidung bewilliget. Der Mann wurde nun nicht allein ſeine Frau los, ſondern alle vortheilhafte Bedingungen, welche Liſt und Eigennutz erſinnen koͤnnen, wurden ihm noch bey der Trennung zugeſtan - den. Alles dasjenige, was ſie ihm als Ausſtattung zugebracht hatte, behielt er an ſich, als ein Muttergut fuͤr ſeine beiden noch lebenden Kinder, welche, weil es Soͤhne waren, in ſeiner Verſorgung blieben. Das57 dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend, in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn. Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht, daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ, unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand, ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn - nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih - rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar - men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs - brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be - raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte. Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,d 558und ging damit zu dem naͤchſten Thore hinaus, ohne zu wiſſen, wohin? Ihre Schwiegermutter gab ihr das Geleite drei Viertelmeilen weit. Dieſe ſchluchzte und weinte neben ihr her, ſtreckte oft ihre gefalteten Haͤnde vor ſich aus und rief: Ach, meine liebe Schwiegertochter! daß Gott ſich erbarme! du wirſt recht aus dem Hauſe geſtoßen. Mein gottloſer Sohn! es wird ihm nicht wohl gehn; aber du wirſt noch Freude erleben. Es muͤßte kein Gott im Himmel ſeyn, wenn du ſo verlaſſen bleiben ſollteſt. Meine liebe Toch - ter! es wird dir noch wohl gehn, denke an mich! es muß dir noch wohl gehn, es muß dir noch wohl gehn Der Abend fing an zu daͤmmern, und ſie mußten ſich trennen. Es war ein herbes, bittres Lebewohl, was ſich beide ſagten, und niemals ſahen ſie einander wieder.

Jezt ſchlug ſie ihre verweinten Augen auf, und ſahe ſich nach einem Orte um, wo ſie herbergen koͤnn - te. In einiger Ferne entdeckte ſie die friedlichen Stroh - daͤcher eines Dorfs, darauf eilte ſie zu, und nahm darin ihre Nachtruhe. Das Doͤrfchen graͤnzte zwiſchen Schwiebus, wo ihr Mann, und zwiſchen Tirſchtiegel, wo ihre Mutter wohnte. Ihre von Kummer muͤde Seele, welche nichts als den Tod zur Rettung aus ih - rem Elende vor ſich ſah, ſehnte ſich nach der Mutter, nach den Wohnungen ihrer Jugend, wo ſie unter un -59 ſchuldigen Freuden nichts von den Elendsketten, an welchen die Menſchheit ſchmiedet, gewahr worden war. Dort wuͤnſchte ſie zu ſterben. Aber daran war leider ſo wenig zu denken, als daß ſie in Schwiebus bleiben konnte; denn ihrer ſchon hoͤchſtbedraͤngten Mutter hatte die Schmach, in welche der Name ihrer Tochter durch die Scheidung verſunken war, den letzten toͤdtlichen Schlag gegeben. Sie, welche das allerzarteſte Gefuͤhl fuͤr die Ehre in allen Handlungen ihres Lebens beob - achtet hatte, wurde nun durch das Ungluͤck ihres eig - nen Kindes daran aufs hoͤchſte gekraͤnkt. Von Jeder - mann, den ſie ſahe, glaubte ſie getadelt und beſpottet zu werden, und von ihrem dritten boͤſen Manne mußte ſie taͤglich Seelen verwundende Worte daruͤber anhoͤ - ren. So ſchwere innere und aͤußere Leiden auf einmal wuͤrkten ſo heftig auf ſie, daß ſie in eine Auszehrung verfiel, an welcher ſie jedoch, vermoͤge ihrer ſtarken Natur, einige Jahre krankte, ehe ihre ſchoͤne Seele von dem unbefleckten Koͤrper ſich trennte und eine Welt verließ, welche eines ſolchen Kleinods nicht werth war.

Zu einer ſo gekraͤnkten Mutter konnte alſo die Toch - ter nicht Zuflucht nehmen, welche ſo viel Urſach an ihren Leiden hatte. Sie ſchrieb daher nur an dieſelbe und bat ſie um Verzeihung wegen des großen Herze - leides, welches ſie ihr haͤtte machen muͤſſen. Die Mut - ter verzieh ihr, und ſchickte ihre Soͤhne dann und wann60 zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung, milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt - und Hoffnungslie - der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er - leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.

Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein - zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge - ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge - nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen, wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man - chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war, ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben ſich etwas erwerben konnte.

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So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte, als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin, welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo - gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn - te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn, ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy - ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt62 wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei - ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub - te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr.

Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung. Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar - uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent - ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un - ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie koͤnnte ihm darinn helfen, und ſo wuͤrde ſie doch wieder63 eine ehrliche Frau. Die Tochter folgte alſo, weil die Mutter es ſo wollte, oder vielmehr, weil ihr Schickſal ſie auf dieſen neuen Kummerberg trieb. Sie kam mit ſchwerem Herzen ins Dorf zuruͤck, und verlobte ſich mit ihrem Freyer. Beide nahmen dar - auf ihre wenigen Habſeligkeiten, nebſt dem kleinen drei vierteljaͤhrigen Hirſekorn, und wanderten auf gut Gluͤck nach Frauſtadt in Polen, wo er ſich wohnhaft niederließ, und mit ſeiner Braut getraut wurde. Nach - dem er ihr Mann geworden war, fand ſie ihn aus Vernunft ertraͤglich, und ihre Ehe wuͤrde ziemlich leid - lich geweſen ſeyn, wenn er nicht zuweilen den Trunk geliebt haͤtte. Da ihr erſter Mann aͤußerſt maͤßig gelebt hatte, ſo war ihr die Untugend des Karſches um ſo mehr zuwider; und weil ſie, theils durch Naͤ - hen, theils durch Briefſchreiben, zu welchem ſich in Frauſtadt oͤfters Gelegenheit fand, ihn ernaͤhren half, ſo glaubte ſie ein Recht zu haben, ihm wegen ſeiner Luſt zu trinken, Verweiſe geben zu koͤnnen, beſon - ders da er im erſten halben Jahre ihres Eheſtandes nicht zum Trunke ausgegangen war, und Zeiten hatte, wo er dieſe ſchaͤdliche Gewohnheit lange laſſen konnte. Maͤnner laſſen ſich nicht gern predigen; auch Karſch empfand die Vorwuͤrfe ſeiner Frau uͤbel, und um ih - nen zu entgehen, ging er abermals ſich betrinken. Nun vermehrten ſich die Vorwuͤrfe von beiden Seiten: Er64 hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge - geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn er liebte wirklich ſeine Frau.

Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu - ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win - deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich - terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen - bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali - ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der Menſch in ſeinen Leidenſchaften.

Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte - rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man - chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihresSoͤhn -65Soͤhnchens zu befriedigen. Sie erzaͤhlte oͤfters, daß ſie eines Tages, als ſie ihre Tochter an der Bruſt hat - te, vor Kummer zur Nachbarin heruͤber gegangen ſey; ſie fand die Leute eben beim Mittagseſſen, welches vor ihnen in einer großen Schuͤſſel voll gebackenen Obſt mit Kloͤßen und geraͤuchertem Fleiſche rauchte. Sie gruͤßte die Nachbarn, welche ihr dankten und ſie ſtehn ließen, ohne ihr etwas anzubieten. Ihr Hunger ward durch den Reiz der vollen Schuͤſſel aufs aͤußerſte em - poͤrt; aber ſie bekam nichts, und mit Thraͤnen des Mangels und der Beſchaͤmung ging ſie wieder an ih - ren leeren Heerd zuruͤck.

Mit ihren Kleidern war es eben ſo beſchaffen, wie mit ihrer Kuͤche; ſie hatte kaum ſich nothduͤrftig zu bedecken, und ging deswegen nur immer in den Fruͤh - predigten in die Kirche, wo ſie ſich hinter einen Pfei - ler ſtellte, weil ſie ſich vor den Leuten ihrer Armuth ſchaͤmte. Dennoch war ſie gluͤcklich, wenn ſie bei Froſt und Mangel nur den Prediger hoͤren konnte. Voll von ſeiner ſanften Rede kam ſie dann nach Hauſe, und ſetzte dasjenige, was ſie aus ſeiner Predigt behalten hatte, in Verſe. Dies that ſie lange fuͤr ſich ſelbſt, aus bloßem Drang zum Schreiben; allein einsmals kam ſie auf den Gedanken, eine ſolche verſificirte Pre - digt dem Paſtor zu uͤbergeben, aber auf welche Weiſe? Sie, welche ſich vor andern Leuten wegen ihres arm -e66ſeligen Aufzugs ſchaͤmte, war noch weit ſchuͤchterner, ſich vor dem hochwuͤrdigen Pfarrer ſehn zu laſſen. Um alſo doch ihren Wunſch zu erfuͤllen, nahm ſie das be - ſchriebene Papier, ſchlich damit unter dem Altare weg, und warf es in den Beichtſtuhl, ohne daß ihr Name darauf geſchrieben war. Dies wiederholte ſie einige - male hinter einander, bis der Prediger neugierig wur - de und aufmerkte: wer doch die Verſe in den Beicht - ſtuhl wuͤrfe. So bald er ſie entdeckte, redete er ſie an. Ihr aͤußeres Anſehn und ihre niedergeſchlagene Schuͤch - ternheit machten ihm ſogleich ihren traurigen Zuſtand bekannt. Er noͤthigte ſie in ſein Haus, und wurde bald ihr aufmunternder Freund. Er ſchaffte ihr die Bekanntſchaft eines Rektor Rikkerts, Pruͤvers, des Burgemeiſters Greiffenhagen, und des Doktor Neugebauers in Frauſtadt. Dieſe Her - ren empfohlen ſie ihren Freunden in Pohlniſch Liſſa, welche ihren Ruf bald bis nach Groß-Glogau brachten, wo die Dichterin ſchon Freunde hatte, ehe ſie dieſelben kennen lernte.

Jezt bekam ſie wieder Nahrung fuͤr ihren Geiſt, denn dieſe Herren liehen ihr diejenigen deutſchen Buͤ - cher, welche ſie ſelbſt beſaßen, unter andern die Geſpraͤche im Reiche der Todten, wodurch ſie Helden und Philoſophen der alten und neuern Zeiten kennen lernte. Sie fanden ihr Genie aus67 dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun - terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf, ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben, waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge - drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen - falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit - zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je - dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder - ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge - ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu - ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten, Kindtaufen, Namens - und Geburtstage und allerlei Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu - den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tagese 268ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an - gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch - tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus. Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich - terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih - rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich - keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie - ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch - ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei - nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor -69 zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude, ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben Jahr alt war, zu Groß-Glogau.

Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih - res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr - ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl - tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver - ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte.

So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth,e 370welche jede widerſetzende Schwierigkeit uͤberwand, machte ſie fuͤr jeden Gegenſtand dreiſt. Sie wurde gar ſo kuͤhn, bei einer Durchreiſe des Koͤnigs von Polen, ihm in Verſen ihre Noth vorzutragen; das Gedicht iſt im Anhange abgedruckt, allein es iſt nicht bis zu Seiner Majeſtaͤt gelangt,[und] hat ihr alſo auch nichts weiter geholfen.

Indeſſen nahm ſie in ihrer Geiſtesſtaͤrke immer zu, und ihr Ruf verbreitete ſich durch mehrere Staͤdte bis nach Großglogau. Ihre Frauſtaͤdtiſchen Goͤnner riethen ihr daher, daß ſie nach Glogau reiſen moͤch - te, und dort ihr beſſeres Gluͤck verſuchen. Weil ſie in Frauſtadt nichts zu verlieren hatte, ſo folgte ſie dem Rath, und zog mit den Ihrigen nach Großglogau.

Es war im Jahre 1755, als ſie ſich mit ihrem Manne und drei Kindern in dieſer Feſtung wohnend niederließ. Hier brachte ſie nichts mit her, als die bitterſte Armuth. Indeſſen wirkten die Empfehlungs - ſchreiben ihrer Pohlniſchen Goͤnner ihr ſogleich zwei vortrefliche Haͤuſer aus, welche nicht allein Kenner des Talents waren, ſondern auch ihre wahren Freun - de wurden. Das erſte dieſer Haͤuſer war der noch zu Berlin lebende Herr Geheime Finanzrath Engelbrecht, damaliger Kriegesrath in Glogau; das zweite der da - malige reformirte Hofprediger Doͤbel. Da dieſe Haͤuſer großen Einfluß hatten, ſo ſchloſſen ſich mehrere71 Goͤnner fuͤr die Dichterin an dieſelben an. Sie wurde der Graͤflich Roͤderſchen Familie vorgeſtellt, und ge - noß ihrer Gnade; dem Herrn von Cocceji, von Schlabrendorff, dem Kommandanten von Haak, und mehrern dergleichen, welche alle unermuͤdet in Aufmunterungen fuͤr ſie waren und blieben. Mehrere Perſonen von allen Staͤnden ſuchten ihre Neugier in ihrer Bekanntſchaft zu befriedigen, und munterten durch ihre Guͤtigkeit ihr Talent auf. Der Krieg hielt hier einen Zuſammenfluß von Fremden beiſammen, welche ihr manchen Nutzen brachten. Hier lag die Feſtungsgarniſon, hier war ein Schloß, ein Rath - haus, mehrere Departements, und, fuͤr die Dichterin das vorzuͤglichſte von allen, ein Buchladen. In die - ſem Buchladen bekam ſie bald freien Zutritt; ſie ging alſo, ſo oft ſie ihrem ſchweren Hausſtande eine Stunde entreißen konnte, in demſelben leſen. Hier fand ſie die Ueberſetzung eines Youngs, eines Hora - zes, Gedichte einer Unzerin und anderer angehenden deutſchen Gelehrten, welche nach und nach entſtanden. Auch von dem Koͤniglichen Philoſophen von Sans - ſouci, welcher der Held ihres Buſens war, fielen ihr Ueberſetzungen ſeiner Oden und Epiſteln in die Haͤn - de; welche ſie, aus Vergoͤtterung fuͤr ihn, bei naͤcht - licher Lampe, wenn rund um ſie alles ſchlief, in Verſe etzte; wodurch ſie ſich ſelbſt die vortreflichſte Uebunge 472in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele; und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da - von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher - lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ - ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei - nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum - mer, als um den Koͤnig.

Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen! Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo, als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn - gen gefeiert wurden. Hier ſtreuete ſie nicht mehr Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte - nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus -73 bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al - lein doch ſo, daß man ſah, daß es ſchoͤn und gefaͤllig werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ - nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt, welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen, einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus - waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn - tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von der Wahrheit verſichert wurden.

Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein, daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er - warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit, welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei - ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin - derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.

Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittese 574Kind, ein gutherziges Maͤdchen, welches mit vier Jah - ren ſtarb. Die Vermehrung derjenigen, welche Nah - rung und Kleider begehrten, machten ihren Hausſtand immer bekuͤmmerter und laͤſtiger. So fleißig und wil - lig ſie arbeitete, ſo empfand ſie doch das Ueberwiegende ihrer Sorgenbuͤrde uͤberſchwenglich. Wann ſie nun geſchrieben hatte, bis oft der Waͤchter den Tag abſang; alsdann mußte ſie nach einigen Stunden ſorgenvollen Schlafs, aus welchem ſie noch zuweilen von ihrem trunkenen und noch durſtigen Karſch geſtoͤrt wurde, am daͤmmernden Morgen im Winter mit halbbedeckten Gliedern gehn und eine lange Straße weit ein Buͤn - delchen Holz zum Einheitzen borgen. Auch die Beduͤrf - niſſe zum Morgenbrod und zu des Tages uͤbrigen Un - terhalt holte ſie mit gleich beſchaͤmenden Aengſten her - bei, und die alleraͤußerſten Nothwendigkeiten konnten nur mit der groͤßten Sorge herbeigeſchafft werden. Ihre Kinder wurden die kleinen Sklaven ihrer Noth, und gingen ſo armſelig gekleidet, wie diejenigen, welche das oͤffentliche Mitleid anflehen. Armuth, Zank, Mißhandlungen, alles was man Elend nennt, war in ihrer Haushaltung vereiniget, und ſie wuͤrde, trotz des Talents der Dichterin bald zur niedrigſten Race ver - ſunken ſeyn, wenn ihres Mannes Stolz nicht gluͤckli - cher Weiſe noch ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre gehabt haͤtte, welches ihm noch von ſeiner genoßenen Erzie -75 hung anklebte. Er ſtammte von Muͤtterlicher und Großelternlicher Seite von der franzoͤſiſchen Kolonie ab. Jedermann kennt die vortreflichen Grundſaͤtze und Sitten, in welchen ſich ſeit laͤnger als hundert Jahren dieſes edle Voͤlkchen in den brandenburgiſchen Landen fortpflanzt. Auch Karſch war nach dieſen Grundſaͤtzen erzogen, und wuͤrde denſelben gewiß treu geblieben ſeyn, wenn nicht deutſche ſittenloſe Kamme - raden ihn verdorben haͤtten. Dennoch hatten Leicht - ſinn, Verfuͤhrung und die Gewohnheit des Trunks, das eingepraͤgte Gute nicht ganz in ihm erſticken koͤn - nen. So feſt haften die erſten Grundlagen der[Er - ziehung]. So lange er nuͤchtern war, war er ein guter Mann und Vater. Er bildete durch vernuͤnfti - ge Reden das Herz ſeiner Kinder; er hielt ſie zu Ord - nung und Gebet an; unterrichtete ſie von Gott, und lehrte ſie, ihn fuͤrchten, lieben und vertrauen. Er fuͤhrte ſie in die Kirche, gab Acht, daß ſie gehoͤrig auf - merkten, und bei ſeiner Arbeit gab er ihnen Erklaͤrung von Tugend und Sitte. Er hielt ſie zum Fleiß an, und lehrte ihnen ſelber leſen und ſchreiben; gab ihnen auch allerlei Lectionen zum Auswendiglernen auf, wel - che ſie ihm wieder herſagen mußten. Er munterte ſie durch Lob, Ernſt und Liebe zu allem Guten auf. Er hielt ſie von dem Umgang unſittlicher Kinder ab, und ſah vor allen bei ihnen darauf, daß ſie ein verſchaͤm -76 tes Gefuͤhl behielten. Alles dieſes dankt dem Vater im Grabe noch ſeine einzige Tochter!

Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat - tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt.

Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam, fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen, leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch - marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb.

Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da - malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte - rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten. Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih - rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter77 dem Getuͤmmel dieſer Kinder, und brachte eine Predigt, die ſie eben in der reformirten Kirche gehoͤrt hatte, in Verſe. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte ſie ei - nen halben Bogen ergriffen, mit dem ſie uns beim Weg - gehen beſchenkte. Hier iſt ſein Inhalt:

Ihr Freunde von den Wiſſenſchaften!
Ihr kamet, mich zu ſehn, von der Ihr viel gehoͤrt.
Ihr ſaht die Duͤrftigkeit. Ich wurde nie belehrt,
Und keine Regel bleibt mir im Gedaͤchtniß haften,
Ich bin nur von Natur, der zweiten Schoͤpferin,
Von ihr allein nur bin ich was ich bin.
Vier Kinder ſtoͤhren mich; doch das Geraͤuſch von Kindern,
Kann nicht den Trieb in mir und nicht das Feuer mindern.
Mein Gluͤck iſt klein, doch groß genug fuͤr mich,
Und im Geſang iſt mir der Gram nicht hinderlich.
Ihr Freunde, die Ihr Euch die große Muͤhe nahmet,
Und mich ſo niedres Weib zu ſehn nach Glogau kamet,
Euch geb ein ſolches Gluͤck freundſchaftlich das Geleit,
Als Euer Herz verdient und Eure Redlichkeit,
Die ich aus Euren Augen kenne,
Und die ich mich bereit zu Euren Dienſten nenne

Anna Louiſe Karſchin.

Dieſer armſeelige Zuſtand hielt Niemanden ab, ſie zu ſehn; man eiferte um ihre Verſe, und theilte die - ſelben ſeinen entfernten Freunden als Seltenheiten mit; man wuͤnſchte, von ihr beſungen zu werden, und78 die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies; und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an - dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte, ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal, ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes, junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs - kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter - richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf, und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.

Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un - wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen. Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie - ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward. Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit79 des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge - boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ, je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus - frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu - gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket - ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge - duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll - te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe, und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte80 daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte Da kam eine unerwartete Erloͤſung.

Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit - laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde entladen.

Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft. Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen. Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden, und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man - nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen. Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben.

Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihreWoh -81Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be - ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron erſucht, daß er ſich doch nach der Dichter in in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih - ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte, wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten haͤtte . Die Dichterin, beſchaͤmt von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei - nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge - ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu - gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei - feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe beſaͤße? Allein ihre Antwort auf ſeine erſte Frage uͤber - zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem rechtf82artigen Verſe. Sie bat hierauf um Schreibzeug, und ſetzte waͤhrend einer halben Stunde ein angenehmes Gedicht an den Baron auf. Als man ſie beurlaubte, ward ſie genoͤthigt, am andern Tage wieder zu kommen, wo der Baron ſie einigen ſeiner Freunde vorſtellen wollte. Kaum war ſie ein paar Stunden wieder zu Hau - ſe, als der Bediente des Barons kam, und ihr im Na - men ſeines Herrn einen beſſern Kopfaufſatz und einige andere feine Kleidungsſtuͤcke brachte, womit er bitten ließ, daß ſie am andern Tage darin erſcheinen moͤchte. Es iſt unmoͤglich, daß der Zaarin Peters des Erſten die Krone mehr ſuͤßen Stolz gegeben hat, als die Dich - terin uͤber dieſe geſchenkten Kleidungsſtuͤcke empfand; jedes war ihr ein Zeichen, daß ſie wirklich geehrt wur - de, und jedes machte ſie vor Freude trunken. So, durch ſeine Hand geſchmuͤckt, ging ſie zu ihrem guͤtigen Baron; hier fand ſie die Fremden ſchon anweſend, und die Freude, welche ſie begeiſterte, gab allem, was ſie der Geſellſchaft ſagte, etwas Blendendes. Als ſie ſich wieder entfernte, beſchenkte ſie der Baron mit einer ſchoͤnen emaillirten Doſe nach damaliger neuſten Mo - de; noch nie hatte man ihr ſo artig begegnet; ſie fuͤhlte in dem angenehmen Geſchenk das Edle des Gebers; er duͤnkte ihr mehr als andere Menſchen zu ſeyn. Sie eilte damit nach Hauſe, und wie ſie nichts auf dem Herzen behalten konnte, ſo zeigte ſie dieſelbe ſogleich83 ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die Doſe um und um beſehn und bewundert, macht den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback! Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih - res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver - heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol - gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und gethan.

Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert. Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver - ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln undf 284Hausgeraͤth beſaß, und behielt nichts als ihre Kleider und ihre zwei Kinder. Vor Erwarten der Dinge, die da kommen ſollten, ward in der Nacht zum letzten Morgen in Glogau nicht geſchlafen, ſondern auf ihren Knieen dichtete ſie Danklieder, bis endlich der Waͤch - ter die letzte ihrer Kummernaͤchte abrief: da kam der Wagen des Barons, worauf ſich die Dichterin mit ih - ren beiden Kindern ſetzte O Gott! wer nicht elend, nicht bedraͤngt geweſen iſt, der kann das nicht empfin - den, was hier ſo unausſprechlich empfunden ward! Dieſer Wagen, welcher nicht Ueberwundene, ſondern Ueberwinder jedes Leidens fuͤhrte, war gewiß vor den Morgenſternen glaͤnzender, als irgend ein Triumph - wagen der ſtolzen Sieger zu Rom Seegen, un - ſterblichen Dank der Aſche des Edlen Barons! Viele Großen wurden nachher bewaͤhrte Freunde der Dich - terin; aber Einer nur hatte den Muth, ſie aus der Tiefe der Armuth zu reißen; und dieſer war der Ba - ron von Kottwitz. Unvergaͤnglich bluͤhe dafuͤr ſein erhabenes Geſchlecht! und nie muͤſſe es ſeinem edlen menſchenfreundlichen Stamme an jeder Freudenfuͤlle mangeln, welche des Daſeyns Gluͤckſeligkeit iſt!

Die Reiſe nach Berlin ging uͤber Boyadel, den Hauptadelſitz des Barons, ſie kamen daſelbſt in Einem Tage an. Ihr Wohlthaͤter war voraus gereiſet, und85 empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck - ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo - gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba - ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be - ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit nach Berlin genommen.

Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl - thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal - ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit, welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem. Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih - rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr - ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths - hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein - uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſichf 386ſchlummern legte. Sie hatte nur Einen Gedanken: ihren Wohlthaͤter! alles was ihr wiederfuhr, alles was ihre Sinne beruͤhrte, ſchien von ſeinem Einfluſſe beſeelt zu ſeyn. Sie ſah in allem nur ihn, und in ihm die wunderthaͤtige Hand Gottes. So oft ſie allein war, lag ſie auf ihren Knieen, und ihre Dankgefuͤhle floſſen in Thraͤnen uͤber.

Doch, wie Schiffe noch im Hafen ſcheitern koͤnnen, ſo drohete auch hier der Dichterin im Hafen ihrer Gluͤck - ſeligkeit ein zuruͤckſchlagender Sturm, denn in Kroſſen fand ſie ihren Mann. Der Schreck betaͤubte ſie auf: einige Augenblicke, da ſie ihn gewahr wurde und er ſich ihr naͤherte; weil ſie aber in hochfreiherrlichem Schutze reiſete ſo war auf des Mannes Seite auch Furcht, und er, anſtatt zu wuͤthen, fiel ihr um den Hals mit freundlichen Worten und Thraͤnen der Reue. Er nahm ſeine Zuflucht zu Bitten und Vorſtellungen, ſo ruͤhrend es ihm moͤglich war. Haͤtte ſie nicht adeliche Bedek - kung gehabt, ſo wuͤrde ſie aus Furcht ihn erhoͤrt ha - ben; allein da ſie die Uebermacht gegen ihn in Haͤnden hatte, ſo antwortete ſie mit gleicher Freundlichkeit und eben ſo dringenden Vorſtellungen von ihrer Seite: daß es ſo wenig moͤglich als nuͤtzlich waͤre, ſich wieder mit ihm zu vereinigen. Dennoch ließ er mit Bitten und Weinen bis auf den Augenblick ihrer Abreiſe nicht nach, wo er aber auch ſeinen Ton nicht aͤnderte, ver -87 muthlich in der Hoffnung, daß ſie ſich wol noch in Ber - lin zu ſeinem Beſten beſinnen wuͤrde. Als ſie auf den Reiſewagen ſtieg, nahm er ſeine kleine einzige, und ihm liebſte Tochter auf die Arme und rief unter Thraͤ - nenguͤſſen: Ach, wenn ich nur wenigſtens dich behal - ten koͤnnte, dich, an der mein ganzes Leben haͤngt! Aber der Kutſcher und Diener des Barons trieben zur Abfahrt; er ſetzte ſein Kind auf den Wagen, indem er es ſegnete, ihm tauſend Lebewohl wuͤnſchte und in der Geſtalt eines Verzweifelten, den ſelbſt die Hoffnung verlaͤßt, blieb er hinter dem Wagen zuruͤck.

Die Dichterin kam gluͤcklich, und ferner unverfolgt in Frankfurt an, wo ſie auf die ſanfteſte Weiſe uͤber - nachtete; von da ging es nach dem pallaͤſte-reichen Berlin.

Es war am 25. Januar 1761, als ſie hier erſchien. Ihre Aufnahme geſchah im Hauſe des Wiener Ge - ſandten, Herrn Grafen von Gotter, woſelbſt auch der Baron von Kottwitz logirte. Hier war, wie uͤberall, ſchon alles zu ihrer Ankunft auf das beguͤnſtigſte be - reitet, und weil es Mittag war, ſo wurde auch ſogleich ihr und ihrer Tochter ein Tiſch mit fuͤnf auserleſenen Schuͤſſeln vorgetragen. Wer mags beſchreiben, wie ihr bei dieſer Mahlzeit zu Muthe war?

Sie hatte im December 1760 ihr 38ſtes Jahr voll - endet. Dieſes Alter, in welchem die mehreſtenf 488Frauenzimmer nach gerade von der glaͤnzenden Buͤhne abtreten, um jungen Schoͤnen fuͤr die Bewunderung Platz zu machen, ward, trotz allen nur moͤglichſten Leiden, durch welche die Dichterin bis zur dieſer Epo - che gekommen war, der Zeitpunkt, wo ſie erſt auf - bluͤhte, bemerkt und bewundert wurde.

Sobald man hoͤrte, die Karſchin ſey angekom - men, ſo eiferte auch alles, was Geſchmack haben woll - te, um die Wette, dieſes Wunder von Frau zu ſehen. So buͤrgerlich ſie auch noch in den erſten Tagen ein - her ging, ſo wurden ihr doch verſchiedene Equipagen geſchickt, um ſie in die vorzuͤglichſten Geſellſchaften abzuholen. Es gereicht wirklich den Herzen, wie dem Verſtande der edlen Berliner zur Ehre, daß ſie nicht zu ſtolz waren, weder der Dichterin ihren gemeinen Stand noch Anzug entgelten zu laſſen, ſondern ihr mit aller der Aufmerkſamkeit und Feinheit begegneten, welche ihrem Talente zukamen. Vorzuͤglich bemuͤhete ſich der fuͤr die ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſo warme Freund, der damalige noch junge Herr Doktor Kruͤnitz (jetzt beruͤhmter Verfaſſer der Encyklopaͤdie), der erſte zu ſeyn, der es ſich zum Vergnuͤgen machte, ihr Freunde anzuwerben. Er fuͤhrte ſie in die Haͤuſer eines Oberkon - ſiſtorialraths Koͤppen, eines Geheimerath Buchholz, Hofrath Stahl, Ober-Hofprediger Sack, Rektor Wippel, und mehrerer dergleichen, ein, wo ſie denn89 Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.

Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck - lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens, nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge - ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte, ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche - kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei - gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ - ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der - ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei - den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin, und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An - zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie - nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei -f 590dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei - nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn - licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge, welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut - ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel - leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie - mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar - tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich - terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen, wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ - nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.

Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich - tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em - pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank - bares Herz einige Ruhe.

Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh - men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was91 ſie wollten, mit ihr ſprachen, indem ſie zugleich ihrem Schreiben zuſahen, in welchem nichts ſie hindern konnte, als das einzige, wenn eine Perſon ihr vorſetz - lich auf die Hand ſah.

Ihre Beſchaͤftigungen wurden nun einzig: Schrei - ben und Leſen; ſie ging vom Schreibpult in die Ge - ſellſchaft, um dort wieder zu ſchreiben und Impromp - tuͤes zu ſagen; und von dieſen wieder zum Schreiben. Durch die taͤgliche Uebung, durch die Ruhe und Eh - renvolle Aufmunterung, welche ſie hier von allen Sei - ten genoß, ſetzte ſich ihr Geiſt zu einer maͤnnlichen Staͤrke, und zu einem unermeßlichen Schwung. Sie machte bald die Bekanntſchaft des Herrn Profeſſor Kamler, welcher ſchon damals als deutſcher Horaz bekannt wurde. Von ihm lernte ſie ihre weitſchwei - figen Sylbenmaaße, an welche ſie durch ihre ehemali - gen einfaͤltigen Leſereien gewoͤhnt war, in vier Zeilen einſchraͤnken, und ihm den Gang der Ode nachahmen. Mit ihrem reichen Genie, deſſen Adel ſelbſt dieſer eigenſinnige Richter anerkannte, haͤtte ſie in ſeiner Schule eine Pindarin werden koͤnnen, wenn ihr Geiſt die Feſſeln der Kunſt haͤtte dulden wollen. Ein vor - gelegter Plan laͤhmte ihre Schwungkraft; ſie konnte es durchaus nicht denken: ſo willſt du anfangen, und ſo wieder endigen, ſondern wie der Zufall ihr einen Gegenſtand entgegen fuͤhrte, ſo faßte ihr Feuer ihn92 auf, und fuͤhrte ihn leuchtend fort; unbekuͤmmert, wo er ſeinen Ruhepunkt nehmen wuͤrde.

Sie lernte Sulzern kennen, dieſen ſtrengen Phi - loſophen; auch er ward ihr Freund und der waͤrmſte Aufmunterer ihrer Muſe. Allein obgleich dieſe beiden Maͤnner, nebſt Mendelsſohn, damals unter den Ge - lehrten zu Berlin die Sterne der erſten Groͤße wa - ren, fuͤr welche die Karſchin mehr als Hochachtung hatte, ſo war ſie doch zu ſehr Genie, um ihnen zu folgen; ſie ging ihren eigenen Gang.

Die vornehmſten Privathaͤuſer, die feinſten Fa - milien nahmen ſie in ihre Geſellſchaft und Freund - ſchaft auf; und das war ihr beinahe nothwendiger, als der Umgang mit Gelehrten, weil ſie ihre Auf - munterung und ihren Privatnutzen befoͤrderten! denn bei ihrem Wohlthaͤter, den Baron von Kottwitz, hatte ſie zwar Wohnung und Bequemlichkeit fuͤr ſich und ihre Tochter, allein auf eine kurze und unbeſtimmte Weiſe; denn dieſer Herr war im Begriff, ſich zu ver - maͤhlen. Er kaufte zu ſolchem Ende ein Haus, welches dazu eingerichtet ward. Unterdeſſen er ſeinem Vor - haben immer naͤher kam, ward er ploͤtzlich krank. Die Krankheit ließ eine ſchwere Hypochondrie zuruͤck, wel - che ihn auf einige Zeit alles Gebrauchs der Freude am Leben beraubte. Die Heirath ging zuruͤck, und er reiſete nach ſeinen Guͤtern, um dort ſeine Beſſe -93 rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi - ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich - terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge - fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be - kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder - te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie, wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig, und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn - ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf - ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge - ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei - gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte94 mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei - heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die - ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen, allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus, Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es, bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un - terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund - lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich - terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder - fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich - terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom - men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar - beit fuͤnf Jahre lang erzog.

Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin - der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor95 der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig - lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib - tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin - gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime, welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden. Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte, einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her - ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre - chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear - beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat -96 ten; auch einige, die faͤhig waren, in Geſellſchaften nach Einfaͤllen zu reimen; allein im Augenblick ſolche dichteriſche Jouwelen zu ſehn, wie ſie ausſtreuete, welche ſchnell einnahmen und der kaͤltern Pruͤfung be - ſtanden, hatte man noch kein Beiſpiel. Und das kam aus dem Kopfe eines Weibes, welches ſo ſchaͤtzbare Schoͤnheiten keiner Erziehung, Anleitung, noch frem - der Feile zu danken hatte! Ihre meiſterhaften Stuͤcke, welche ſie bei ſtiller Muße niederſchrieb, koſteten ihr kaum eine Stunde Arbeit; und dauerte es laͤnger, ſo wars durch Abſchreiben und wieder Abſchreiben; doch wurden diejenigen Stuͤcke niemals die beſten, welche ſie oft abſchreiben mußte, ſondern ihr ſchnellſter Ent - wurf pflegte immer die ſchoͤnſten und feuervollſten Bilder zu haben; und bei allem Feuer hatten ihre Bilder eine Wahrheit und Natur, daß, ſo erhaben ſie auch oft geſtellt waren, ſie doch immer deutlich blieben. Gemeiniglich pflegten ihre damaligen Arbei - ten das Herz zu ruͤhren, indem ſie den Verſtand be - zauberten. Ein Vorzug, welchen die erhabene Dicht - kunſt nur ſelten erreicht!

Nachdem ihre Tochter in Penſion gekommen war, rieth man ihr an, ſich den Halberſtaͤdtern zu zeigen, welche Verlangen hatten, ſie kennen zu lernen. Sie reiſete alſo dahin, wo der Saͤnger, der (nach der Dichterin eigenen Worten) in ſeiner Jugend Anakreonwar,97war, und nun als Preuſſiſcher Grenadier mit Frie - drichs Siegen wetteiferte, ſie gaſtfreundlich in ſeinem Hauſe aufnahm. Er fuͤhrte ſie bei ſeinen Freunden ein, ſchaffte ihr die Gewogenheit des Hochgraͤflich Stollberg-Wernigerodiſchen Hauſes; ſo wie des Herrn Dom-Dechanten Freiherrn von Spiegel. Dieſer, die Muſen und jede Kunſt ſo eifrig liebende Baron, welcher die beruͤhmten Spiegelberge bei Halberſtadt mit unglaublichen Schwierigkeiten und Koſten bepflan - zen ließ, that zur Veredlung des Namens der Dichte - rin vorzuͤgliche Schritte. Er miſchte ſie unter die Zahl ſeiner Freunde, und ließ dieſelbe faſt taͤglich mit ihnen einerlei Ehre genießen. Er gab ihrentwegen zuweilen beſondere Gaſtmale, und munterte ſie mit Geſchenken der Großmuth auf, gab ihr auch den Adel ihres Ta - lents in einem Pettſchaft zu erkennen, welches er aus Kriſtall fuͤr ſie verfertigen ließ, und drei Seiten zeigt: Auf der einen ihr verzogener Geburtsname, auf der andern der Kopf der Sappho, auf der dritten die Leier im goldenen Felde, uͤber welcher ein Lorbeerkranz ſchwebt. Das Haus des regierenden Grafen von Wer - nigerode that noch mehr: es gab der Dichterin ein jaͤhrliches beſtimmtes Taſchengeld mit Fortſetzung der huldreichſten Geneigtheit; und der erhabene Erbe hat den goldnen Faden noch bis jezt nicht abgeſchnit - ten

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Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih - rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge - genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen - ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli - che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor - treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver - wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes, und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben99 ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei beſchuldigen konnte.

Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf - gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je - des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim - merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine, indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn dadurch nur ſtrahlender macht.

Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal - berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al - les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam - men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo - phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus - ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei - tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß - te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz undg 2100Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich - ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis, und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder, aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal - berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu - ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch - land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und Buchhaͤndler nach folgten*)Dieſes iſt die Sammlung, welche unter dem Titel: Aus - erleſene Gedichte von A. L. Karſchin, 1763 zu Berlin herausgekommen ſind.. Gleims edler Vorſatz war, durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen, daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben101 koͤnnte; und der Plan wuͤrde gelungen ſeyn, wenn ihn nicht der Rath eines andern Freundes durchgeſtri - chen haͤtte, welcher anrieth: die Exemplare der Samm - lung in zwei Klaſſen abzutheilen, in eine theure und eine wohlfeile. Sie ließ ſich den Vorſchlag blen - den, indem ſie nichts dadurch zu verlieren, wol aber zu gewinnen glaubte, und ehe Gleim es hindern konnte, war das Avertiſſement fuͤr die Abaͤnderung ſchon abgedruckt und im Umlauf. Da die mehreſten nur ihre Neugier befriedigen wollten, ſo war es ihnen einerlei, ob ſie das Ganze auf feinem oder gemeinem Papier, mit oder ohne Vignetten, hatten, wenn es nur eine Sammlung von den Gedichten der Karſchin war. Daher praͤnumerirte der groͤßte Theil der In - tereſſenten auf den geringſten Preiß; indeß ging die Sache gut genug von ſtatten, und nach Abzug aller Koſten behielt die Dichterin zwei tauſend Thaler in gutem Golde Ueberſchuß. Gleims Plan ging auf fuͤnf tauſend, und es wuͤrde gelungen ſeyn, wenn man ihm gefolgt haͤtte. Doch ſie, die immer Genuͤgſame! wel - che deſto weniger begehrte, je weniger ſie rechnen konnte, hielt ſich durch das kleine Kapital ſchon fuͤr reich.

Die Sammlung war noch nicht zu Stande, als ſie mit einem Freunde eine Beſuchsreiſe nach Berlin machte, um ihre hieſigen Freunde und ihre Tochter einmal wieder zu ſehn. Sie glaubte bald nach Mag -g 3102deburg zuruͤckzukehren; allein ihr Schickſal hatte es anders beſchloſſen. Kaum war ſie zwei Monat in Berlin, als ſie zufaͤlliger Weiſe erfuhr, daß ihr aͤl - teſter Bruder, derjenige, welchen ſie zuerſt wiegen und warten mußte, und den ſie ſo lieb gewonnen hat - te, gegenwaͤrtig ſei; dieſes hoͤren und ihn aufſuchen war Eins. Sie hatten einander in vierzehn Jahren nicht geſehn, und ihre Freude, ihn in ihrem Gluͤck wieder zu finden, war ohne Graͤnzen. Jetzt em - pfand ſie zum erſtenmal, daß ihr Gluͤck nicht ohne Stachel ſei; denn, indem ſie ihren Bruder betrach - tete, welcher, ob ihm gleich nichts mangelte, doch in ſeiner Sphaͤre tief unter ihr ſtand, ſeufzte ſie, daß ſie allein gluͤcklich war, und daß es nicht in ihrer Macht ſtand, ihn ſogleich mit gluͤcklich zu machen. Um dennoch ihren feurigen Wunſch einigermaßen zu be - friedigen, zog ſie von einer Freundin, bei welcher ſie als Gaſt immer wohnte, weg, und ließ ihren Bruder ein Logis miethen, welches ſie mit ihm bezog, um al - les, was das Gluͤck ihr von nun an zuwerfen wuͤr - de, mit ihm zu theilen. Wegen des endlich erfolgten Friedens waren die Haͤuſer mit Einwohnern uͤber - haͤuft, und es war in der Eil keine andere Wohnung zu bekommen, als die Dachſtube eines großen Eckhau - ſes, welches diejenige Wohnung war, von welcher die Dichterin dem großen Koͤnig ſagte, daß ſie einer103 Baſtillenkammer gliche. Haͤtte ſie einigen Stolz gegen ſich gehabt, ſo wuͤrde ſie weder in ein ſol - ches Quartier gezogen ſeyn, da ſie es nichts weniger als noͤthig hatte, noch ihren Bruder zu ſich genommen haben, welcher ihr zu nichts nuͤtzen konnte. Allein ſie folgte allezeit nur ihrem Herzen, und dachte nie uͤber die Folgen nach, die ihr Wille haben koͤnnte. Auch hier kamen allzu bald die traurigen Folgen ihres ploͤtz - lich durchgeſetzten Entſchluſſes zum Vorſchein; ja, es wurde durch die Aufnahme ihres Bruders, aus der Pflanze ihrer Ruhe und ihres Wohlſtandes das Herz gebrochen. Sie, welche noch ſelbſt abhaͤngig war, in - dem ſie noch keinen Thaler beſtimmte Einkuͤnfte zu he - ben hatte, machte ſich durch dieſen Schritt verbindlich, eine Haushaltung zu fuͤhren, welche, ſo klein ſie war, doch jeden Tag Forderungen auf ihre Sorgen machte. Allerdings mochten in den erſten Augenblicken ihres en - thuſiaſtiſchen Entſchluſſes ihr alle die Schwierigkeiten nicht beigefallen ſeyn; nun wars geſchehn, und nun mußte ſie ſich ſo gut zu helfen ſuchen, als ſie konnte. Sie hatte verſprochen, ihn ſo lange bei ſich zu behal - ten, bis ſie ihn auf irgend eine Weiſe gluͤcklich machen koͤnnte. Darauf wartete er denn von einem Jahre zum andern, ohne daß der Wunſch ihr gelungen waͤre. Jetzt mußte ſie aus Nothwendigkeit, die beſtimmte Ausgaben zu befriedigen, den Schneckengang, von wel -g 4104chem der edelmuͤthige Kottwitz ſie befreiet hatte, wie - der zuruͤckgehen. Gelegenheitsgedichte gaben gewiſ - ſes Einkommen, zu ſolchen ließ ſie ſich, aus Noth - wendigkeit, wieder herab. So verſchnitt die erſte Dichterin Deutſchlands, ihr herrliches Talent, ihr Meer von Gedanken, in lauter kleine verſiegende Baͤche, und empfand es nicht, daß ſie ſich etwas be - raubte, weil ſie zu gutmuͤthig war.

Unterdeſſen war die Sammlung, welche Herr Sul - zer und Herr Kanonikus Gleim beſorgte, zu Stande gekommen. Auch hatte ſie ſchon die Ehre der Unter - redung mit Friedrich dem Einzigen gehabt*)In den Gedichten S. 183. kann man davon ein Mehreres leſen.. Der Mo - narch hatte ihr Verſorgung verſprochen. Darauf ver - ließ ſie ſich vorzuͤglich, als ſie die kleine Haushaltung mit ihrem Bruder anfing; allein, es ſchlug fehl. Frie - drich hielt ſein Koͤnigliches Wort nicht, ſie bekam von ihm ein Gnadengeſchenk von 50 Thalern mit dem Be - deuten, daß ſie ſich wieder melden moͤchte. Ehe ſie dies wagte, hatte eine vormalige Freundin von ihr, mit welcher ſie uneinig geworden war, (jene Phillis, bei der ſie wohnte, als ſie ihren Bruder fand, und welcher ſie die unter dieſem Namen in gegenwaͤrtiger Sammlung befindlichen Lieder gedichtet hat) den Sta - chel der Verleumdung wider ſie gebraucht. Einige Große, die zunaͤchſt um den Koͤnig waren, kannten105 die Phillis, und das ſuͤße Gift ihrer Beredſamkeit wuͤrkte: die verſprochene und gehoffte Verſorgung der Dichterin ging zuruͤck. Von dem, was ihre Freunde fuͤr die Sammlung zuſammengebracht hatten, blieben, durch die Vorſchuͤſſe, wie geſagt, nach Abzug aller Koſten, 2000 Thaler in gutem Golde, nebſt noch ein paar hun - dert, wovon ſie ſich etablirte. Das Kapital wurde auf Intereſſen gethan, und durch das Anſehn ihrer Freunde beinahe eiſern gemacht, aus Furcht, daß es in ihren Haͤnden drauf gehn moͤchte. Weil ſie als Dichterin um Rechnungen ſich nicht bekuͤmmern konn - te, ſo war dieſe Vorſicht von ihren Freunden hoͤchſt noͤthig. Von den zweitauſend Thalern zog ſie jaͤhrlich hundert Thaler in Golde Intereſſen, und das war frei - lich wenig Fond fuͤr eine Haushaltung in Berlin. Dennoch ſuchte ſie nach einiger Zeit eine anſtaͤndigere Wohnung fuͤr ſich aus, dichtete taͤglich und ging taͤg - lich in Geſellſchaften zu ihren Freunden. Jahrelang behielt ſie den ſchoͤnen Traum, daß der Koͤnig ſich noch eines Beſſern beſinnen und ihr eine Penſion geben wuͤrde; allein ihre Hoffnung blieb getaͤuſcht. Der einzige Herzog Friedrich von Braunſchweig dachte großmuͤthiger, als der Koͤnig, ſein Oheim. Seine Durchlaucht gaben aus eigener hoher Bewegung ihr jaͤhrlich ein kleines Gnadengehalt, und haben daſſelbe fortgeſetzt bis ſie ſtarb. Auch der Oheimg 5106Seiner Durchlaucht, der unſterbliche Herzog Ferdi - nand von Braunſchweig-Luͤneburg ward mit ih - rem Talente bekannt, und munterte ſie zwanzig Jahr hindurch mit den fuͤrſtlichen Beweiſen ſei - ner bekannten Großmuth auf. Noch ein paar kleine Penſionen von edlen auswaͤrtigen Freunden wurden ihr jaͤhrlich geſchickt, welches mit den Inter - eſſen zuſammen etwa 200 Thaler beſtimmte Ein - kuͤnfte fuͤr das Jahr betrug. Eine ſolche Summe konnte nicht die Haͤlfte ihrer beſtimmten Hausſor - gen beſtreiten, es war daher natuͤrlich, daß ſie in die immerwaͤhrende Sprache des Lamento’s verfal - len mußte. Sie wagte es noch oft den Koͤnig an ſein Verſprechen zu erinnern; allein, war der Mo - narch fuͤr Andere oft auf einem Ohre taub, ſo war er es fuͤr die Deutſche Dichterin auf beiden.

Wie es aber auch mit dem Innern ihrer Lage ſtand, ſo verlor ihr Anſehn nichts dadurch. Ihr Name war durch die Sammlung ihrer Gedichte ge - macht, und ihr Ruhm allgemein feſtgeſetzt. Von al - len Enden Deutſchlands, aus allen Hauptſtaͤdten Eu - ropens entſtanden fuͤr ſie Freunde, Bewunderer und ſchriftliche Verehrer. Man ſah nur auf ihr Genie, ſchaͤtzte an ihr das Werk der Natur, und forderte nicht von ihr was ihr an Lebenston mangelte, und107 immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck - lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde und Wohlwoller hatte.

Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei - nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum - mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue - berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit - zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt - ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un - ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge - ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr ſeinen Namen. Solche Erſcheinungen waren ihr gar nichts108 neues, und ſie bemerkte auch dieſe nur in ſo weit, daß ihr der edle Ernſt in dem Aeußern dieſes Cavalliers gefiel. Am andern Morgen fruͤh kommt eine Magd in ihre Wohnung, welche ihr von fremder ungenann - ter Hand ein Billet uͤbergab, folgenden Inhalts: Man wuͤnſcht wohl geſchlafen zu haben, und durch Ueberbringerin zu wiſſen, worinnen man ihr dienen koͤnnte, indem jemand nichts angenehmeres wuͤßte, als zu ihren Dienſten bereit zu ſeyn. Sie antwortete augenblicklich und mit Freimuͤthigkeit, daß ſie jetzt kein dringenderes Anliegen haͤtte, als ihren Sohn loß zu werden, und ihn in Zucht zu ſehen. Die Magd ging mit der Antwort fort, und nach acht Tagen er - ſchien dieſelbe wieder mit einem zweiten Billet, wor - innen ſtand, daß es fuͤr eine gewiſſe Perſon ein ſuͤ - ßes Vergnuͤgen ſei, ihr in einem ſo loͤblichen Anliegen dienen zu koͤnnen; ſie moͤchte ſich nur, nebſt ihrem Sohn, auf die Realſchule bemuͤhn, wo ſie zu ſeiner Aufnahme in Penſion ſchon alles veranſtaltet finden wuͤrde. Die hoͤchſterfreute Dichterin gab hierauf eine ſo ſchnelle und feurige Dankſagung, wie es die ſchoͤne That verdiente. Nun ging ſie mit ihrem Sohn auf die Realſchule, und fand es ſo gethan, wie ge - ſagt, ohne daß ſie den Namen ihres Wohlthaͤters er - fahren konnte. Sie rieth zwar auf den oben benann - ten von R * hr, allein ſie iſt niemals davon uͤberzeugt109 worden. Ihr Sohn genoß unter guter Aufſicht einen Unterricht von zwei Jahren, und nach Verlauf der - ſelben ward ihr von der nehmlichen fremden Hand die ſchriftliche Frage zugeſchickt: wozu ſie nun ihren Sohn zu beſtimmen gedaͤchte? Sie hatte daruͤber noch niemals nachgedacht, und verwieß die Antwort an den jungen Menſchen ſelbſt. Er bezeigte Luſt zum Stu - dieren, und wollte ſich der Theologie widmen; man pruͤfte ihn daruͤber, und befand, daß er dazu am faͤ - higſten waͤre. Ihr ward alſo abermals von jener fremden Hand angekuͤndigt: Welchen Entſchluß ihr Sohn genommen haͤtte, und nun wollte man ihn aufs Gymnaſium thun, und alsdann auf freie Koſten nach Halle auf die Univerſitaͤt ſchicken. Sie, welche ſonſt jedes angebotne Gute, auch das kleinſte mit unend - licher Erkenntlichkeit annahm, widerſprach doch hier, wo es auf das lebenslange Gluͤck ihres Sohnes an - kam. Sie gab zur Urſach an, daß er ihr ein Billet geſchrieben haͤtte, in welchem weder Styl noch Ge - danke waͤre; und ſie koͤnnte ſich nicht entſchließen, ei - nen Menſchen von ſechzehn Jahren, der noch kein Billet an ſeine Mutter ſchreiben koͤnnte, auf fremde Koſten ſtudieren zu laſſen. Es iſt aber wahrſchein - lich zu vermuthen, daß ſie hierbei nicht ihrem eige - nen Rath gefolget hat. Der Wohlthaͤter ſchien die Weigerung uͤbel genommen zu haben, und ihr110 Sohn ward ihr zuruͤckgeſchickt, ohne daß ſich jemals wieder eines Menſchen Guͤte um ihn bekuͤmmert haͤt - te. Sie gab ihn darauf in eine Handlung zur Lehr - probe, weil er aber ſeinen Sinn aufs Studieren ge - ſetzt hatte, wovon er ſich fuͤr immer abgeriſſen ſah, ſo hielt er nirgends aus, wurde bald hieher, bald dort - hin gethan, und zuletzt ward wenig oder nichts aus ihm, ob er gleich immer ordentlich und fleißig war, und Faͤhigkeit und Geſchicklichkeit hatte. Auf die Weiſe ſah er ſein Gluͤck fuͤr immer verſchnitten, und nahm halb nothgedrungen vor zwoͤlf Jahren eine Schul - lehrer-Stelle in Ruppin an, wo er rohe Kinder zu braven Menſchen erzieht und bildet, die Liebe der Eltern hat, und von ſeinen Obern ſchon mehreremale oͤffent - lich in gedruckten Blaͤttern gelobt worden iſt. Auch ihm iſt eine baldige Belohnung fuͤr ſeine Amtstreue zu wuͤnſchen.

So das Schickſal des Sohnes; der Tochter ihr Loos fiel ſchlimmer. Sie kam nach fuͤnfjaͤhriger, ſitt - licher Aufſicht von der Realſchule wieder zur Mutter nach Hauſe. Die Mutter, welche niemals mit ihren Kindern ſich Rath gewußt hatte, glaubte nicht beſſer thun zu koͤnnen, als wenn ſie ihr Kind ihrem Bruder in Aufſicht uͤbergaͤbe. Er, welcher ganz und gar nicht auf Charakter - und Geiſtesſtimmung ſich verſtand, be -111 handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un - ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver - ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch - muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die - jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge - habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab, unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel, wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal - ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte, zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab - ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil - len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die112 zu nachgebende und fuͤr ihn zu ſcheue Schweſter nahm die ganze Laſt der neuen Haushaltung auf ihre Schul - tern. Aus Vernunft, welche ſie den eingepraͤgten guten Grundſaͤtzen der Erziehung zu danken hatte fand ſich die Tochter in ihre Beſtimmung, allein, es half nicht; und ſie ward endlich nach einer laͤnger als neunjaͤhrigen Nachſicht mit ihrem unleidlichen Schick - ſale, gezwungen, ſich davon zu befreyen. Sie ver - heirathete ſich nachher zum zweitenmal, und wegen ihres Mannes boͤſen Verwandten auch diesmal nicht beſſer. Die Dichterin hat alſo die Freude niemals erlebt, Eins von ihren Kindern gluͤcklich zu ſehen.

Durch ſolche zerruͤttende Schickſale fiel Tochter und Enkel in ihre Hauptfuͤrſorge wieder zuruͤck, und ſie trug alles, ohne zu glauben, daß es ihr beſ - ſer gehen muͤßte. Ließ man ihr nur die Freiheit zu klagen, und gab man ihr in ihren Vorurtheilen Recht; ſo war ſie zufrieden, was auch ihr ſpaͤtes Loos von Sorgen mit ſich brachte. Dinge, welche ſie freilich durch eine kleine Wendung, oder durch Annehmung eines guten Raths haͤtte zum Beſten verwandeln koͤnnen, hielt ſie, wenn ſie verſehen waren, fuͤr unvermeidliches Uebel, und troͤſtete ſich dann mit einer nothwendigen Philoſophie und mit dem ſuͤßenGlau -113Freundſchaft. Einige ihrer Freunde blieben ihr auch in der That treu: ihre Beſcheidenheit wird ihre Namen nicht genannt haben wollen, aber der ſterben - den Dichterin Dank hat ſie geſegnet. Man durfte wenig fuͤr ſie thun, wenn man nur freundlich und aufmerkſam gegen ſie war. Mit einer heitern Miene und kleinen hoͤflichen Bewirthung konnte man ſie uͤber - aus vergnuͤgt machen, und ſie glich hierin den Kin - dern, deren Hand immer fordert, aber auch bald ge - fuͤllt iſt.

Durch ihre Genuͤgſamkeit, Offenherzigkeit, Erin - nerung an verlebte Leiden, und Glauben an Freunde geſtaͤrkt, trat ſie ruhig in die Jahre des ermuͤdenden Alters; nichts erwartete ſie weniger, als noch ein be - ſonderes Gluͤck, welches ihr wiederfahren ſollte. Sie hatte nicht verfehlt, den großen Koͤnig noch oͤfter an ſein Koͤnigliches Wort zu erinnern; zuweilen antwor - tete er ihr durch kleine, ein edles Talent zuruͤckſchrek - kende Geſchenke; und einmal ſchickte er ihr, vermuth - lich um ſie dadurch ganz abzuweiſen, zwei Thaler auf der Poſt zu. Das empfand die Dichterin, wie ſie ſollte; ſie ſchrieb das bekannte Impromptuͤ: Zwei Thaler giebt kein großer Koͤnig ꝛc., ſiegelte die zwei Thaler in das beſchriebene Blatt, und unterſtand ſich, dem Koͤnige ſein Gnadengeſchenk wieder zuruͤckzuſchik - ken. Der Einfall ward Koͤniglich belacht. Friedrichh114der Einzige ward endlich zu ſeinen Vaͤtern geſammlet. Die Sonne des neuen Monarchen ging ſo ſanft und wohlthaͤtig auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunter - te, die allgemeine Gnade zu benutzen; allein ihr fehlte Muth und Unbilligkeit; ſie behauptete: der junge Koͤnig haͤtte in ſeinen Staaten Tauſende, welche durch Tha - ten fuͤrs Vaterland auf Belohnung Anſpruch machen koͤnnten; die Dichter muͤßten die letzten ſeyn. Beſon - ders haͤtte ſie gar kein Recht zu des Monarchen Gna - de, weil er ihr nie etwas verſprochen haͤtte. So blieb es eine Weile, indeß der Koͤnig immermehr durch neue Huld einen Thron befeſtigte, welchen er ſich in den Herzen ſeiner Unterthanen aufrichtete.

Eine verwittwete Freundin der Dichterin hatte ein Naturalienkabinet, welches ſie mit guter Art zu ver - kaufen wuͤnſchte, weil es fuͤr ſie ein unbrauchbarer Schatz war. Sie glaubte, daß vielleicht einer unter den Hoheiten der jungen Koͤniglichen Familie es kau - fen wuͤrde, wenn man eine Vorſprache erhalten koͤnn - te. Die Karſchin machte ſich den Wunſch ihrer Freun - din zum Anliegen; ſie, welche fuͤr ſich keine Bitte wa - gen wollte, ſuchte eilends den Weg zur Gnadenthuͤr, ſobald es darauf ankam, jemanden dienen zu koͤnnen. Menſchen zu dienen, und ihnen mit ihrer Gabe ge - faͤllig zu ſeyn, war uͤberhaupt ihre feurigſte Leiden - ſchaft. Wenn es darauf ankam, ſo ließ ſie die noth -115 wendigſten Geſchaͤfte deswegen liegen, und ſchonte keine Muͤhe und kein Anhalten; und ſie hatte auch immer die Freude, ihre Bitte erfuͤllt zu ſehen, nur in ihren eigenen Angelegenheiten gelang es ihr nicht ſo. Diesmal ging es anders. Sie wendete ſich wegen ihrer Freundin an die damalige Oberhofmeiſterin der erſten Prinzeſſin Tochter des Koͤnigs, an das Fraͤu - lein von Vieregg, jetzt verwittwete Miniſterin von Gaudi, und Gouvernante der regierenden Koͤnigin von Preußen. Dieſer menſchenfreundlichen Dame trug die Dichterin den Wunſch ihrer Freundin vor, allein, ſie kam damit um acht Tage zu ſpaͤt. Der Koͤnig, ſagte die Dame, wird nun dergleichen nicht mehr kaufen, es ſind der Ausgaben zu viel. Seine Majeſtaͤt bezahlen alle Schulden des verſtorbenen Koͤnigs. Alle Schulden? alle? ruft die Dichterin ihr zu; beim Himmel! dann haben mir ſeine Maje - ſtaͤt auch eine Schuld zu bezahlen. Sein Oheim hat mir vor 24 Jahren eine Verſorgung verſprochen; man verſicherte mir eine Penſion von jaͤhrlich 200 Thalern. Haͤtte ich die Summe von 24 Jahren zu heben, ſo waͤr es ſchon ein Kapitaͤlchen, wofuͤr ich mir ein Haͤuschen kaufen koͤnnte. Gut, antwortete die laͤchelnde Gouvernantin, ſetzen ſie das Anliegen ſo auf, wie ſie da ſagen, und wir wollen ſehen, ob wir es dem Koͤnige vorbringen koͤnnen. Die Dich -h 2116terin ließ ſich einen ſo liebreichen Vorſchlag nicht zwei - mal ſagen, ſie eilte nach Hauſe, und ſchrieb eine poe - tiſche Schuldforderung an den Koͤnig, und richtete ſolche an die Prinzeſſin Friederike Koͤnigl. Hoheit Die hoͤchſtguͤtige Gouvernante uͤberreichte ſie ſogleich, und die engelmuͤthige Prinzeſſin las das Schreiben dem Koͤnige ihrem Vater vor, als Seine Majeſtaͤt ſich eben mahlen ließen. Der huldreichſte Monarch laͤchelte des Einfalls der Dichterin, er ſteckte das Schreiben zu ſich, und nicht lange darauf gab Seine Majeſtaͤt dem Herrn Miniſter von Woͤllner den un - erwarteten hoͤchſtgnaͤdigen Befehl: der Karſchin anzukuͤndigen, daß ihr ein Haus gebaut werden ſollte; ausgeziert mit allen Al - legorien der Muſen.

Die Dichterin, welche bloß einen verlornen Wunſch gethan zu haben glaubte, dachte an nichts weniger, als an eine ſolche Wirkung. Eines Tages gegen Abend ward ſie in ihrer Nachbarſchaft, in das Haus des Herrn Geheimen Oberhofbuchdruckers Decker zu kommen, genoͤthigt. Weil dies zu ihren freundſchaftlichen Haͤuſern gehoͤrte, ſo glaubte ſie, daß man ein kleines poetiſches Anliegen an ſie habe, und eilte ſogleich wie ſie war in ihrem Haushabit dahin. Aber wie erſtaunte ſie, als man ſie in den ganz erleuchteten Saal des Hauſes fuͤhrte, wo eine117 große glaͤnzende Geſellſchaft verſammlet war. Ein Herr von ſtattlichem Anſehn, in ſchwarz ſammtnen Kleide, woran ein Kreutz befeſtigt flimmerte, kam ihr entgegen und trat vor ſie hin, indem er ſie ſo anredete:

Freu Dich, Deutſchlands Dichterin!
Freu Dich hoch in Deinem Sinn;
Der Koͤnig hat befohlen mir,
Ein neues Haus zu bauen Dir.

Es war Se. Excellenz, der Herr Miniſter von Woͤllner*)Damals Geheimerath., welcher dieſes Impromptuͤ ſelbſt ausge - dacht hatte, um ſie dadurch deſto angenehmer zu uͤber - raſchen. Die frohe Beſtuͤrzung der Dichterin bei dieſer Anrede iſt unmoͤglich zu beſchreiben, und man thut beſſer, daß man ſich dieſelbe denkt. Sie kam nach Hauſe, vor Freude ganz matt, und Tages darauf ward aller Welt verkuͤndigt, was da geſchehn ſollte. Alle Zeitungen wurden mit der fuͤr ſie ſo eh - renvollen Nachricht erfuͤllt. Von allen Freunden der Muſe ward der Koͤnig fuͤr dieſe That geſegnet.

Das beſtimmte Haus als Gnadengeſchenk ward auf dem Haakſchen Markt gebauet, wo es die eine Ecke von vier andern beſchließt, welche den Eigen - thuͤmern ebenfalls als Gnadengeſchenke ſind bewilliget worden. Das Haus ſelbſt ward nur ein Haͤuschen,h 3118und nicht ſo ausgefuͤhrt, wie Jedermann der vorzuͤg - lichen Ankuͤndigung gemaͤß es erwartet hatte; auch kamen die Allegorien der Muſen in Vergeſſen - heit; allein ſie hatte doch nun eine ſchoͤn ausgebauete eigene Wohnung, und nach Abzug jaͤhrlicher Abgaben fuͤr Servis, Einquartirung u. d. gl. noch etwa hun - dert Thaler Ueberſchuß. Freilich bekam dadurch ihr immer muͤder werdendes Alter noch keine Ruhe, da ihre beiden Kinder ſo ſchlecht verſorgt waren, und zwei Kindeskinder von ihr Unterſtuͤtzung verlangten; allein es war doch immer ein unerwartetes Gluͤck fuͤr ſie, und ſie ward nicht muͤde, den beſten Koͤnig dafuͤr zu loben. Kaum konnte ſie’s erwarten, ihr Koͤnigli - ches Muſaͤum bald genug zu beziehn. Schon ſeit vielen Jahren her hatte ſie gekraͤnkelt, und ahndete, daß ſie nicht lange mehr da ſeyn wuͤrde. Der Wunſch, noch einige Jahre in dem Hauſe zu leben, welches der beſte Koͤnig ihr zur Ehre, und Stuͤtze des Alters hatte aufbauen laſſen, war unglaublich, und ſie be - zog es, als es eben ausgetuͤncht war. Man rieth ihr zwar, wenigſtens noch ein Jahr zu warten, ehe ſie bei ihrer großen Schwaͤchlichkeit einzoͤge; allein ſie folgte, wie immer, auch hier ihrem Willen. Dadurch nahm allerdings ihre Schwaͤche zu, welche ſich in die Vorboten einer Abzehrung verwandelte. Wie hinfaͤl - lig aber auch ihr Koͤrper ward, ſo blieb ihr Geiſt doch119 freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren - theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen; und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien.

Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben, als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie - derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach - mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung geſchrieben hatte: daß die große Dichterin Karſchin am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich gegenwaͤrtig befinden wuͤrden. Wer die Hoheit die - ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver - wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden koͤnnen, wie die Ehre einer ſolchen Einladung auf dieh 4120ſo tief im Staube geborne Dichterin wuͤrkte. Oft zwar hatte ſie ſchon des Vorzuges genoſſen, von Aller - hoͤchſten Perſonen gerufen, und mit beſondern Gna - denaͤuſſerungen behandelt zu werden; allein, ſo wie Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeßin Ferdinand, durch dieſe Einladung ſie ehrte, das ging zu weit uͤber alles, was jemals ihren Stolz gereizt hatte. Die Großen beduͤrfen nur wenig zu thun, um jemand in Erfahrung zu ſetzen: wie man vor Freude ſterben kann. Auch die Dichterin wuͤrde vor Freuden uͤber die Erwartung zum andern Morgen vielleicht ſterbend krank gewor - den ſeyn, wenn ſie nicht den Koͤniglich-denkenden Hof des Prinzen Ferdinands K. H. ſchon mehrma - len beiſammen geſehen und geſprochen haͤtte. Sie erſchien alſo am beſtimmten Morgen vor dem Gar - ten des Hofjaͤgers, wo ihr der Herr Graf als Wirth entgegen kam, und ſie zu den Allerhoͤchſten Herrſchaf - ten, welche ſchon verſammlet waren, einfuͤhrte. Man ließ ſie auf einen Stuhl niederſitzen, welcher zur Rech - ten der Gemahlin des Prinzen Ferdinand K. H. fuͤr ſie ledig gelaſſen war. Die unvergleichliche Prinzeſſin Tochter legte der Dichterin mit eigener ſchoͤner Hand vor, und alle die hoͤchſten Anweſenden ließen ſich herab, die Geſpraͤche auf lauter Gegenſtaͤnde zu lenken, welche der Karſchin angenehm ſeyn konnten. Sie glaubte ſich hier wirklich ſchon unter den guten Goͤttern zu121 befinden, und ſie hatte Recht. Drei Tage dar - nach wurde ſie abermals durch ein Paket, welches ihr der Herr Graf ſchickte, auf das angenehmſte uͤber - raſcht: ſie fand darinnen das verbindlichſte[Schreiben] von der Hand des Herrn Grafen, und eine Anden - kens-Aſſe mit der ausgeſuchten Deviſe: Wandle auf Koſen, und Vergiß mein nicht. Auſſer der Kott - witziſchen Doſe in Glogau, war ihr niemals ein Ge - ſchenk willkommner und werther geweſen.

Nach dieſer Ehrenbegebenheit, welche ſie zu ſtark empfunden hatte, ſchwaͤchelte ſie mehr als jemals, ihr Geiſt aber blieb munter, ſo wie die Begierde, ſich ihren Freunden mitzutheilen. Sie hatte ſich ſeit dreyßig Jahren her ſo ſehr auſſer dem Hauſe gewoͤhnt, daß ſie auch bei ihrer aͤußerſten Hin - faͤlligkeit das Gehn zu Andern nicht laſſen konnte. Sie glaubte ſich dadurch zu ſtaͤrken, allein ſie ſchadete ſich offenbar; denn durch das Vergnuͤgen der Mit - theilung ward ſie bei dem Glaſe Wein, welches ſie trank, wie gewoͤhnlich zu poetiſchen Einfaͤllen verleitet, welches ſie unvermerkt angriff. Denn ihr Geiſt war kein Feuer mehr, ſondern hielt nur noch Funken in ihr verborgen; holte ſie dieſelben durch Anſtrengung der Gedanken zuſammen, ſo war es natuͤrlich, daß der entkraͤftete Koͤrper ganz dadurch erſchoͤpft werden mußte. Dennoch konnte ſie weder das eine noch dash 5122andere laſſen, und ohne Geſellſchaft hieß bei ihr ohne Element leben. Sie wuͤrde dieſen Zuſtand weit ſchwe - rer ausgehalten haben, wenn ſie nicht ihren Enkel, Heinrich Wilhelm Hempel, um ſich gehabt haͤtte, welcher ihre letzte Liebe beſaß, und ihr letzter Kummer war. Er ſpielte ihr etwas auf dem Klaviere vor, in - dem ſie entweder im Plutarch, in der Roͤmiſchen Ge - ſchichte, oder im Julius Caͤſar las, welche Lektuͤre ihr nur der Tod aus der Hand nahm, ſo lieb hatte ſie dieſelbe. Ihr Enkel entſchloß ſich endlich zum Studiren (welche Laſt auf ihre Schultern ſank), er ging im Maͤrz 1791 nach Frankfurt an der Oder als Befliſſner der Rechte. Sie verlohr durch ſeinen Abſchied die letzte Ruhe ihres Herzens; und ſeine Abweſenheit war ihr unertraͤglich. Sie reiſete ihm zu Ende des Juni nach, ohnerachtet ihrer auszehren - den Schwaͤche. Laͤngſt war ſie nach Tirſchtiegel, ihrer Vaterſtadt, zu kommen gebeten worden, daſelbſt hatte der Paſtor Senior Herr Sturzel, ihr aus Verlan - gen ſie zu ſehn, ſein Haus zur Aufnahme bereitet, und ſelbſt die Gemeine auf ihre Ankunft erwartend gemacht. Auch der Dichterin einzige Schweſter, die verwittwete Frau Eleonore Borngraͤbern, geborne Hempeln, ſehnte ſich, ihre geehrte Schweſter ein - mal bei ſich zu ſehn, ehe das Alter ſie beide fuͤr die Freude des Wiederſehns zu ſtumpf machte; ſie hatte123 feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge - ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt auf dem Stuhle*)Hierbei iſt dankbarlich anzumerken, daß ſie dieſe drey Mo - nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar - ſches Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank - furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa - che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan - delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem - ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun - derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs - recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach - te! Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan - zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei - ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte Soldat bleiben.. Dennoch unterlag ihr Geiſt nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie - der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper124 zuweilen wieder auf, und ſie war oft ſo munter, daß ſie Verſe machte, wie in ihrer Jugend. Ihr letztes Ge - dicht verfertigte ſie noch in Frankfurt; es war das, auf die Abreiſe der eben vermaͤhlten Herzogin von York K. H., welches in der Zueignung eingeruͤckt iſt. Mit dieſem kleinen Geſange loſch die Flam - me ihrer dichteriſchen Denkkraft auf ewig in ihr aus. Der Herbſt war da, ſie wollte die Fuͤrſtin ihres Herzens, die Schoͤpferin ihres letzten irdiſchen Gluͤckes vermaͤhlen ſehn, und wagte ſich alſo in ihrer Todes - ſchwaͤche auf die Ruͤckreiſe nach Berlin, wo ſie am letzten September 1791 zu aller Menſchen Erſtaunen gluͤcklich in ihrem Hauſe ankam, ohne daß ſie den Wunſch, ihre Vaterſtadt noch einmal zu ſehen, hatte befriedigen koͤnnen. Drittehalb Tage hielt ſie ſich noch auſſer dem Bette, und wuͤrde vielleicht laͤnger ohne Niederlage geblieben ſeyn, wenn ſie nicht, aus Begierde eine nachbarliche Freundin zu beſuchen, der beſtellten Portechaiſe vorgeeilt, und am Arme des Dienſtmaͤdchens zu ihr heruͤber gewandert waͤre. Der muͤhſame, obgleich kleine Gang auf den Steinen ſchien ſie vollends erſchoͤpft zu haben. Zwar ſaß ſie noch anderthalb Tage in ihrem Lehnſtuhle auf, allein faſt ohne Gedanken. Am dritten Tage legte ſie ſich, und konnte nie wieder aufſtehn. Sie war voͤllig von Kraftloſigkeit erſtarrt. Dennoch blieh ihr Geiſt noch125 lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter, daß ſie derſelben jede Frage aus der vor - und gegen - waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz - ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge - danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn, als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.

126

Ihr Herz hatte, wie ihr Geiſt, ſeine unvergleichliche Seiten; war oft ſchwach in Vorurtheilen und Leiden - ſchaften; aber an unermuͤdeter Gefaͤlligkeit, Dankbar - keit, Offenheit und Wahrheitsliebe einzig, ganz einzig! Seegen vieler Hunderte, denen ſie durch ihr bereitwilliges Talent mit Vorbitten geholfen, ſchwebt um ihren gruͤnen Huͤgel, und der Geiſt alles Geiſtes wird ihren Geiſt dafuͤr erfreuen.

Sie hinterlaͤßt zwei Kinder, einen Enkel, eine Enkelin, zwei Bruͤder und eine Schweſter; keinen glaͤnzenden Stammbaum, keine beneidenswerthe Guͤ - ter, aber einen Namen, welchem (bei aller Kaͤlte, mit der man jetzt große Todten in Vergeſſenheit bringt) die Hoͤchſten der Erde noch achtbar begegnen. Ihro Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preu - ßen, gaben nicht allein ihren allerhoͤchſten Namen zur Krone dieſer Sammlung, ſondern ließen aus allerhuldreichſter eigener hoͤchſter Bewegung fra - gen: ob die Zerausgeberin dieſes Werks Bei - traͤge verlangte, welche ſich etwa noch in dem Archiv Ihrer Majeſtaͤt vorfinden moͤchten: Eben ſo verhielt ſich Seine Hochfuͤrſtliche Durch - laucht, der nunmehr verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig und Luͤneburg. Se. Koͤnigl. Hoheit,127 Prinz Heinrich der Große, antwortete der Herausge - berin (indem dieſelbe dieſem goͤttlichen Prinzen ihre Furcht, Se. Hoheit zum Subſkribenten eines deut - ſchen Buchs einzuladen, geaͤußert hatte): Le vrai génie s’exprime bien dans toutes les langues, sans entrer en discussion sur la preférence des langues les unes sur les autres etc. Worte, welche durch ihren Seitenblick die ehrenvollſte Erklaͤrung ge - ben. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrten ſich alle die hoͤch - ſten, hohen und edlen Perſonen, welche dieſe Samm - lung mit ihren Namen beehrten. Auch die Muſen ha - ben ihr Grab gekraͤnzt, und nicht die kleinſten des Vaterlandes; ihre Namen zieren die erſten Jour - nale Deutſchlands. Die Dichterin achtete der Loblie - der nicht, welche im Leben ihr zuſtroͤmten, ſelbſt Eines hat ſie ſich nicht mehr erinnert, (ſo wenig eitel war ſie); Eines von dem erſten der Dichter. (Es exiſtirt viel - leicht nur noch einmal, und befindet ſich im Archiv des Reichsgrafen von Stollberg.) Wer den Dichter errathen will, der muß ein lauſchendes Ohr haben. Hier iſt das Gedicht:

An die Frau Karſchin.

Ein neues Alles blickt auf uns
Im Wiederſchein aus deiner Seele,
128
Du reinrer Spiegel der Natur!
Viel ſchoͤner bluͤhet dir die Roſe,
Weit zaͤrtlicher weint dir ein Pylades,
Und heldenmuͤthiger in Wunden
Stirbt dir ein Held, noch mehr, ein Kleiſt.
Weit gruͤner winket dir die Aue,
Und lauter ſingt die Lerche dir,
Und ſchmachtender ſeufzt Philomele,
Wenn ſie dir ihr Geheimniß ſagt,
Daß ſie um ihren Gatten klagt,
Und willſt Du Zaͤrtlichkeit und Kuß vermaͤhlt beſchreiben;
So kuͤßt nicht Damon ſeine Phyllis,
Nein, beide kuͤſſet die Natur
Die meiſten Dichter ſind nur Traͤumer,
Fuͤr ſie liegt die Natur im tiefen Schlaf,
Fuͤr dich erwachet ſie, wenn du ſie gruͤßeſt,
Und reicht dir, wuͤrdiger, die Hand,
Und zeigt Dir die geheimen Wunder.
Fuͤr dich entfaltet ſie der Roſe Blaͤtter,
Fuͤr Dich zieht ſie der Wolken Flor vom Himmel,
Fuͤr dich entlarvt ſie das geputzte Laſter
Und zeigt die Tugend dir im aͤchten Glanze,
Und endlich laͤßt in Andachtsvollen Stunden
Die ewge Wahrheit und die ewge Liebe
Fuͤr dich, anbetende geruͤhrte Karſchin,
Den Schleyer fallen Heilig iſt ihr Name!
Entfern dich, Muſe, ſtoͤhre ſie anbetend nicht!

Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm mit Unſterblichkeit.

C. L. von Klenke, geb. Karſchin.

Gedichte[1]

Gedichte von Anna Louiſe Karſchin.

Oden.

A[2][3]

An die Stadt Berlin wegen Sr. Koͤnigl. Hoheit des Prinzen und Feldherrn Heinrichs.

Die Du der goldnen Zeit zu Dir gewuͤnſchte Tage
Mit Freudenſpiel und Tanz empfaͤngſt,
Und oft mit wiederholter Frage
Dich um des Tuͤrken weißbewundne Stirne
draͤngſt;
*)Die Erſte Tuͤrkiſche Geſandtſchaft, welche ſich hier befand.
*)
A 24
Sieh Du, Neugierige! wie dort in Feuerſtroͤmen
Die Sonne vor Geſtirnen glaͤnzt,
So glaͤnzt vor allen Diademen,
Der Siegeslorbeerſchmuck, der einen Helden
kraͤnzt,
Den ein bezwungnes Volk mit Blumen warf, und neue
Geluͤbde fuͤr Ihn ausgedacht;
Dem niemals Tadel oder Reue
Nach einer kuͤhnen That die Wange roth gemacht;
Der kein Lucullus war den tragenden Soldaten,
Die ihrer Waffen Laſt gedruͤckt;
Und wegen ſeiner großen Thaten
Nie einen Kriegesknecht veraͤchtlich angeblickt;
Der alle Fabier mit den geſchonten Heeren
Zuruͤcke ſtrahlet O Berlin!
Sey dankbar, ſetze zu Altaͤren
Sein Bild an Friedrichs Bild, und rufe:
Flaminin
War nicht ſo werth, als Er, zu glaͤnzen wie die Goͤtter
In ihrer Tempel Ueberſchrift;
Rom hatte niemals einen Retter,
Den Heinrichs großer Geiſt nicht dreymal
uͤbertrift.
5

An die Mnemoſyne, bey dem allerhoͤchſten Feſte, welches Se. Koͤnigl. Hoheit Prinz Heinrich Sr. Majeſtaͤt dem Koͤnige gab.

O Goͤttin, die, vom hoͤchſten Jupiter geliebt,
Die keuſche Muſen hat gebohren,
Wen dir der Fama Lob zur Aufbewahrung giebt,
Derſelbe Held bleibt unverlohren.
Durch deiner Toͤchter hohe Lobgeſaͤnge lebt
Einſt Friedrich nach zehn tauſend Sonnen,
So lebet Heinrich, Den der Voͤlker Lob erhebt,
Von welchen Er den Sieg gewonnen.
Ihm dampfet Weihrauch, weñ Er durch die Laͤnder reiſt,
Von andern Adlern uͤberſchattet;
Und in dem Lande, wo ihr, Muſen, Seinen Geiſt
Zu eurer Unterweiſung hattet.
A 36
Er wird verehrt, und mit Bewundrung angeblickt,
Es ſey, daß Er die Legionen
Im Treffen ordnet, oder Freudenfeſte ſchmuͤckt,
Hier, wo ihr euch entſchloßt, zu wohnen.
Es ſey, daß ſich um Ihn ein laͤndlich Maͤdchenchor
Mit vollen Blumenkoͤrben draͤnget;
Es ſey auch, daß Er hier in Taͤnzen ſtrahlt hervor,
Und Scherz in Seine Blicke menget.
Ihm mag gleich Purpur, oder weiches Waͤldermooß
Zum Seſſel dienen; Ihn empfange
Sein Pallaſt, oder auch Sein Landhaus: Er iſt groß,
Als Menſchenfreund, zum Wettgeſange
Fuͤr deine Kinder, du Gedaͤchtnißgoͤttin! Er
Wird mehr geliebt von Seinem Bruder,
Dem Koͤnige, als ſelbſt Sein ſieggewohntes Heer,
Sein Lorbeer, und Sein Staatenruder.
7

An die Clio wegen des Koͤniges

Die einſt zu jedem honigſuͤßen Liede
Euripides um Beyſtand rief,
Dich, Muſe, fuͤhl ich ganz, jetzt, da mein Tyndaride
Drey hundert Naͤchte ruhig ſchlief.
Jetzt, da kein kalydoniſch Ungeheuer
Zum Kampfe fuͤr Ihn uͤbrig iſt,
Und kein verdeckter Haß; und nicht des Neides Geyer
An Seines Nachbars Leber frißt;
Und nur noch Alexander große Todten
Unruhig macht durch ein Geſchrey:
Daß, von des Orients Geſchenkbeladnen Bothen
Gegruͤßt Sein Ueberwinder ſey;
Daß von dem Eißmeer bis zu Herculs Saͤulen,
Vom Belt bis zu dem Helleſpont,
Dem Koͤnig Ruhm erſchallt, dem Zevs von ſeinen Keilen
Die blitzbeſchwungenſte vergont;
A 48
Den unter ſeinen Lorbeerkraͤnzen neiden
Perikles wuͤrde, der Athen
Neunmahl verfochten, und in praͤchtigen Gebaͤuden
Hieß ſeine goldne Goͤtter ſtehn;
Und in der Hand ein Horn des Ueberfluſſes
Geſchuͤttelt auf das Volk herab,
Als ſelbſt Minerva die Befehle ſeines Schluſſes
Zum Aufbau des Odeons gab,
Und einer Burg, die nach drey tauſend Tagen
Noch dem Pallaſt nicht aͤhnlich ſchien,
Zu welchem Friedrich laͤßt den Marmorboden tragen
Von Starken, die zu Felde ziehn,
Wenn gegen ſtolzerhobne Feindes Stirne
Der Held die Waffen nehmen heißt,
Den jeder liebt, und den ſein gluͤckliches Geſtirne
Hervorgebracht mit dieſem Geiſt,
Der unerſchrocken bliebe, wenn Typhonen
Beſtuͤrmen wollten ſeinen Sitz,
So feſt wie der Olymp, auf dem die Goͤtter wohnen,
Beſchuͤtzt genug durch ihren Blitz.
9

Bei dem jubelvollen Empfange der Koͤnigin.

Die ihr euch nie den Nordwind laßt entkleiden,
Ihr Tannenwipfel, buͤcket euch;
Empfangt die Koͤnigin, und ſeht des Volkes Freuden,
Und rauſcht mit ihm zugleich!
Unuͤberzaͤhlbar waͤlzet ſich die Menge
Dicht aneinander durch das Thor.
Von zehen tauſend Zungen ſteigt, wie Lobgeſaͤnge,
Ein frommer Zank empor.
Welch ein Getuͤmmel! Aller Blicke wollen
Auf einmal in Ihr Angeſicht,
Jetzt kommt Sie; ſehet da den Strom von Thraͤnen
rollen,
Der mehr als Worte ſpricht!
A 510
Vermiſchte Stimmen rufen unaufhoͤrlich:
Der Friede ſchwebet uͤber Ihr;
Der Sieger kommt; Sein Thron, Sein Land bleibt
unzerſtoͤhrlich;
Gluͤckſelig bleiben wir!
Und ich vergeſſe meines Saitenſpieles
Gewohnte Toͤne; mich entreißt
Den Muſen, dem Apoll, der Aufruhr des Gefuͤhles.
Ich werde lauter Geiſt,
Und ſchwimme durch die Wellen des Gedraͤnges,
Zum Purpurſeſſel, der Sie traͤgt:
Sie laͤchelt mir, und horcht, wie ſtark mein viel zu enges
Durchdrungnes Herze ſchlaͤgt.
11

Dem Vater des Vaterlandes Friederich dem Großen, bei triumphirender Zuruͤckkunft geſungen im Namen Seiner Buͤrger.

Der Du den Tempel Deines neuen Freundſchaftbandes
Mit diamantnen Bogen woͤlbſt;
O Koͤnig! Vater! Schutzgott des begluͤckten
Landes!
Uns gegenwaͤrtig biſt Du ſelbſt.
Dich, mit vermehrten Siegeskraͤnzen Ausgeſchmuͤckter!
Empfaͤngt der juͤngſte Fruͤhlingswind,
Erfuͤllt mit Jauchzen Deiner Buͤrger, die entzuͤckter
Jetzt fuͤhlen, daß ſie Menſchen ſind.
12
Zu lange ſuchten Dich befluͤgelte Gedanken,
Und Seufzer Deines Volkes dort,
Wo um das Schlachtfeld ſich die Helden ſtandhaft
zanken,
Und Kriegesdonner iſt ihr Wort.
Zu lange bliebeſt Du, verſteckt in ſchwarzen Wettern,
Rund um Dich werfend Deinen Blitz,
Wir aber wankten gleich verwelkten Lindenblaͤttern,
Um Deinen wuͤſten goldnen Sitz.
Vor unſers nebelvollen Geiſtes Blicke ſchliefen
Die Schoͤpfung ſelbſt und die Natur;
Wir fuͤhlten nicht den Reiz der beſten Welt; wir riefen
Dich aller Welten Wunder! nur.
Das Klaggeſchrey, die Thraͤnenſtroͤhme rauſchten
maͤchtig
Bis an den Himmel und zu Dir;
Du kommſt, und Dein Triumph iſt mehr als Roͤmiſch
praͤchtig:
Nicht uͤber Sclaven jauchzen wir;
Nicht uͤber nachgefuͤhrte fremde Koͤnigsſchaͤtze
Und Kronen, die der Sieger nahm;
Nein uͤber Dich, Monarch, in welchem der Geſetze
Beſchuͤtzer, glorreich wieder kam.
13
In Deinen Augen ging aus tauſend Mitternaͤchten
Ein uns geſchaffnes Sonnenlicht
Hervor, und ſtrahlet nun ſo lieblich Deinen
Knechten,
Als Deines Gottes Angeſicht,
Das uͤber Dir daher geleuchtet und gelaͤchelt,
In undurchdringlicher Gefahr,
Wenn oft das Vaterland wie Sterbende geroͤchelt,
Und zitternd fuͤr Dein Leben war.
O! laß Dein in der Schlacht nie wankend Knie umfaſſen,
Du Ueberwinder! und verſprich,
Nicht mehr Dein bittend Land verwaiſet zu verlaſſen.
Und fodern neue Feinde Dich;
Dann gieb uns Waffen, laß Dein Volk zu Felde ziehen,
Du aber, unſre Wolluſt! bleib
In Sans-Souci, und wer von uns wird ſchimpflich
fliehen;
Den toͤdte ſein beherztes Weib.
14

Ueber die Vorzuͤge des Prinzen Friedrichs von Braunſchweig.

Soll ich zuerſt beſingen den Befreyer,
Den Retter Braunſchweigs? oder das
Gefuͤhl
Des großen Herzens und des ſchoͤnen Geiſtes Feuer:
Was waͤhleſt du mein Saitenſpiel?
Den Heldenmuth des Prinzen, oder Seine
Suͤßredneriſche Suada, die voll Geiſt
Von ſeinen Lippen rauſcht, ſo wie durch Blumenhayne
Der Quell auf goldnem Sande fleußt.
15
Dem Afrikaner Scipio, dem jungen
Pompejus und dem Sieger uͤber ihn,
Dem Caͤſar ſelbſt, iſt niemahls eine That gelungen,
Die mehr des Lorbeers wuͤrdig ſchien
Als dieſe That des kuͤhnen jugendlichen
Beſchuͤtzers von der Aeltervaͤter Grab;
Ihm guͤrteten, nachdem des Feindes Macht entwichen,
Die Grazien den Degen ab,
Und kuͤßten Seine Kranzumwundne Schlaͤfe,
Und ordneten Sein ſtaubbepudert Haar,
Und frugen, welcher Held und Halbgott uͤbertraͤfe
Den Juͤngling? der noch gluͤhend war
Von einem Kampf, in welchem tauſend Stoͤße
Sein ſchlanker Arm mit ſchnellgezuͤcktem Speer
Den Feinden gab. Und jetzt ſchrieb Er: zu welcher Groͤße
Das alte Rom geſtiegen waͤr
Zur Zeit, als von dem pflugzerrißnen Acker
Beſtaͤubt und braun, jedweder Roͤmer kam,
Und fuͤr das Vaterland mit ſchnellem Eifer, wacker
Die roſtbefreyte Waffen nahm.
16
Da liefen ſelbſt des Sonnen-Wagens Raͤder
Nicht ſchneller als der Roͤmer Siegesgluͤck.
Wolluͤſtig flog noch nicht in ſalbenreiche Baͤder
Ihr Feldherr aus der Schlacht zuruͤck.
Als aber die Luculle, die Verſchwender
Sich bruͤſteten an Tafeln groß zu ſeyn,
Da ward die Herrſcherin der unterworfnen Laͤnder
In reichgewordnen Buͤrgern klein.
Als im Senat die Clodiuſſe ſprachen,
Und redend Gold ſich um das Conſulat
Tief unterm Volk bewarb, und der erwuͤrgten Grachen
Vergoßnes Blut um Rache bat:
Da ward durch ihrer eignen Kinder Wuͤten,
Geſtuͤrzt das ſtolze, hochgeſeßne Rom,
Die Koͤnigin der Welt, vor welcher Voͤlker knieten
Vom Euphrat bis zum Donauſtrom.
Nun donnert ſie den fernentlegnen Thronen
Nicht Schrecken mehr durch ihres Nahmens Klang,
Ihr ſonſt beruͤhmter Strom ſieht Maͤnner um ſich
wohnen,
Gewoͤhnt zu weibiſchem Geſang.
Sie17
Sie ſpricht nicht mehr die Sprache der Lateiner,
Und hoͤrt in ihrer neuen Mundesart
Durch Friedrichs waͤlſches Buch erzaͤhlen, daß
ſie kleiner
Aus einer Frau zur Sclavin ward,
Und fraͤgt erſtaunt, ob Taſſo von den Schatten
Gekommen, oder Pluto der Monarch
Des Orcus, ſich bezwang, die Reiſe zu verſtatten
Dem Lauraſuchenden Perrarch?
B18

An die Najade.

Melpomene, die ſelbſt den Fiſchgeſchlechtern,
Selbſt deinen Schwaͤnen Stimme giebt,
Empfing am Havelſtrom von allen Fuͤrſtentoͤchtern
Die Schoͤnſte, die der Halbgott liebt,
Den Pallas und Dein erſter Schutzheld auferzogen;
Und jezt befiehlt die Muſe mir
Geſang an Dich: Komm! unter jenen Ehrenbogen
Von Myrten ſing ich Dir.
Sie koͤmmt Sie koͤmmt, o goͤttliche Najade!
Die neue Deidamia!
So kam mit Grazien aus ihrem Silberbade
Die Venus Acidalia;
So braͤutlich ward die Jugendgoͤttinn Hebe
Dem Sohn Alkmenens zugefuͤhrt,
Und ſo liebreizend iſt Apollens Schweſter Phoͤbe,
Wenn ſie die Naͤchte ziert.
19
Ihr Auge gleicht dem hellen Morgenſterne,
Der im Azurnen Aether ſchwimmt,
Zum Troſt des Steuermanns, der noch vom Hafen ferne
Die Fahrt durch wilde Wellen nimmt.
In ſuͤßen Blicken ſpricht Sie mit des Prinzen Seele,
Der feurigen Gefuͤhles voll
Dem jungen Helden gleicht, der einſt in Cirons Hoͤhle
Beſchenkt ward vom Apoll.
Er geizet gleich der Thetis tapferm Sohne
Mehr nach dem Herzen Seiner Braut,
Als kuͤnftig nach dem Glanz der diamantnen Krone,
Die Ihm das Schickſal anvertraut,
Wenn Friedrich, den der Erde Koͤnige verehren,
Sein fernefunkelnd Ziel erreicht,
Und, die bekannte Zahl der Goͤtter zu vermehren,
Nach dem Olympus fleucht:
Nachdem Sein Blick von jungen Antoninen,
Und Marc Aurelen, ſeinen Thron
Genug umgeben ſieht, die mit den Juͤnglingsmienen
Und ſtolzen Maͤnnerſtirnen drohn
Den Feinden Deines Ruhms, und Muth zum Siege
fuͤhlen;
Und wenn der Friede, Land und Heer
Mit Ruhe traͤnket, des Achilles Leyer ſpielen,
So[h]ochgeſtimmt als Er!
B 220

An den klagenden G*d.

Sprich, welcher Gott ſoll Dich beſchuͤtzen,
Ob Phoͤbus, oder Jupiter?
Du ſchwoͤrſt, Dein Herz wird keine mehr beſitzen,
Und wenn ſie ſchoͤn wie Venus waͤr.
Du fuͤrchteſt nicht den Bogentraͤger,
Dem doch kein Weiſer widerſtand,
Der unterm Loͤwenfell den Hyderſchlaͤger,
Den Sohn Alkmenens, uͤberwand?
Verbirg Dich unter Leichenhuͤgeln,
Und wirf Dich auf den Marmorſtein,
Den unſichtbar zween Genius verſiegeln
Und Elyſaͤer Blumen ſtreun;
21
Doch ſchleichet ſich in Deinem Herzen
Empfindung ein, die Du verſchwurſt,
Als Du, betaͤubt von Tyrannei der Schmerzen,
Unbillig mit Dir ſelbſt verfuhrſt.
Du, von des Greiſes Alter ferne,
Folgſt Adelgundens Schatten nicht,
Dich reizen noch zween Augenſterne,
Dich lockt ein bluͤhend Angeſicht.
Dir laͤchelt des Verſtandes Morgen
Aus faltenloſer Stirne zu,
In jedem Blick iſt Amors Pfeil verborgen,
Und jeden Blick empfindeſt Du.
Erzittre G*d! ich weißage
Mehr als Apollo’s Pythia,
Die vor des Gottes Tempel ohne Frage
Des Weltbezwingers Namen ſah,
Auf jugendlicher Stirn geſchrieben,
Und rief: Wer kann dir widerſtehn?
Und durch die Thuͤr, die ſonſt verſperrt geblieben,
Ihn zum Altar ließ opfern gehn.
B 322

Ueber die Begierden und Wuͤnſche. An den jungen Herrn von der H*ſt.

O glaube mir, der Du im Juͤnglingsfuße
Die Fluͤchtigkeit des Rehes haſt,
Du wuͤnſcheſt viel, und biſt doch im Genuſſe,
Was Du erwuͤnſcheſt, ſatt.
Der Garten lockt; Du girreſt gleich der Taube,
Die lange Zeit verlaſſen ward:
Freund, laß mich gehn zum Roſenſtock Erlaube,
Mein lieber Eberhard?
Er wird beſiegt durch ſuͤße Schmeicheleyen,
Wie von der Juno Jupiter,
Du huͤpfeſt fort, und alſobald erfreuen
Die Blumen Dich nicht mehr.
23
Dir ekelt vor dem Honigduft der Roſe,
Wie Jakobs Enkeln vor dem Mann;
Dein Auge blickt gleich einem Graͤbermooſe
Die gruͤne Myrthen an.
Dein Buſen ſchwillt von neuen Wuͤnſchen ſchwanger
Bis an das glatte Kinn herauf,
Der Sommertag iſt dir ein leerer, langer
Beſchwerter Stundenlauf.
Dein Fuͤhrer braucht bey mancher ungeſtuͤmen
Begierde, die Dein Buſen fuͤhlt,
Mehr Kraft, als Neſtor, der die Lenkungsriemen
Der ſcheuen Roſſe hielt,
Da Diomed wie Mars daher gefahren
Vor Ilium, bis ſeinem Drohn
Des Donnergottes Blitze ſchrecklich waren
Und er zuruͤckgeflohn.
B 424

An den General-Lieutenant von Seydlitz. Auf das Erzgebirge zu Freyberg.

Da liegen ſie, verſteckt in Felſenloͤchern,
Die Feindeshaufen, welche Du
Heruntertriebſt, als floͤg aus zehentauſend Koͤchern
Der Tod auf ihre Koͤpfe zu.
Das blaſſe Schrecken und der Hunger ſitzen
Auf ihrer Stirne. Jeder flucht
Dem Kriegesgotte nach, der in der Schlacht mit Blitzen
Des großen Auges ſie geſucht.
Du aber laͤchelſt von der Wange wieder
Des Pirrhus Miene; dieſer Blick,
Der ſchrecklich vor Dir her den Reuter ſtuͤrzte nieder,
Kam in Dein Auge nicht zuruͤck.
25
Jezt winde von den Schlaͤfen an den Degen
Des wohlverdienten Lorbeers Pracht,
Und eil im Myrthenkranz Aſterien entgegen,
Von Liebesgoͤttern Dir gebracht,
Und laß ihr fuͤhlen, welch ein Ueberwinder
Sein Haupt an ihren Buſen neigt,
Und gieb dem Vaterlande maͤnnlich ſchoͤne Kinder,
Als haͤtte Mavors ſie gezeugt
Mit Jupiters dem Schaum entſtiegnem Kinde,
Das auf der Muſchel fuhr daher,
Und Huldigungen nahm vom Wallfiſch, von dem Winde,
Und ihr zu Fuß gefallnem Meer.
B 526

Jupiter und ſein Adler. An den Verfaſſer des Geſanges Ptolomaͤus und Berenice.

Freund! des Olympus Goͤtter leerten
Juͤngſt ihre Nektarſchaalen nicht,
Sie ließen ſich herab und hoͤrten,
Auf Wolken lauſchend, Dein Gedicht.
Die Wonnelaͤchelnde Cythere
Trat zur Olympia, und ſprach:
Welch Sterblicher ſingt mir zur Ehre
So lieblich dem Apollo nach?
Wie einſt Homer ihm nachgeſungen,
Als er des Donnergottes Trieb
Und neue ſuͤße Schmeichelungen
Und meines Guͤrtels Macht beſchrieb?
27
So ſagte Venus, und die große
Verfolgerinn des Herkuls ſchwieg,
Als von des Wolkenlenkers Schooße
Selbſt Ganimed zur Erde ſtieg;
Und ſelbſt der Adler von dem Sitze
Des Gottes ſich erhub, und kuͤhn
Zuruͤckwarf die getragnen Blitze,
Und auf dem Haine vor Berlin
Sein ewig glaͤnzendes Gefieder,
Indem er horchte, niederſank,
Und Jupiter ihm rief: Komm wieder!
Und bringe mir zum Goͤttertrank
Das goldne Trinkgefaͤß, und bringe
Des Dichters Lied darin gelegt,
Daß der Latona Sohn es ſinge,
Wenn er vor uns die Cyther ſchlaͤgt;
Und trag in deiner rechten Klaue
Der Berenice Locke, die
Ich dir auf immer anvertraue;
Statt meiner Blitze fuͤhre ſie!
28

An den Apoll, daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte.

[Als ſie zu Berlin wegen Mangel an Quartieren einige Zeitlang in einer Dachſtube wohnen mußte.]

1763.

Apoll! nimm deine Leyer wieder,
Des Flakkus Toͤne fehlen ihr,
Er ſang im dunklen Walde Lieder
Und vor ihm ſtaunete das Thier.
Die Woͤlfinn ging fuͤr ihre Jungen
Nach Nahrung, und vergaß den Raub,
Und horchte was Horaz geſungen,
Und nagte, gleich der Ziege, Laub.
Der Tiger und der Loͤwe ließen
Ein lange Zeit verfolgtes Reh,
Und hoͤrten den geſungnen, ſuͤßen,
Reizvollen Namen: Lalage.
29
Ich aber kann durch dieſe Leyer
Nicht oͤffnen deines Friedrichs Ohr;
Mir ſtellt der Traum oft Ungeheuer
In meiner dunklen Kammer vor.
In ihr ſeufz ich oft mitternaͤchtlich
Herauf zum nachbarlichen Mond,
Daß ich dem Poͤbel bin veraͤchtlich,
Der Gold beſitzt und beſſer wohnt.
Mich in dem Winkel unterm Dache
Nennt er ein ſchlechtgebornes Weib;
Und fordert, daß er vornehm lache,
Von mir ein Lied zum Zeitvertreib.
O helfender Apoll! geſchaͤndet
Wirſt du, wenn deine Vaterhand
Mir nicht die goldnen Saiten ſendet,
Die der Sabiner aufgeſpannt,
Wenn mich des dritten Caͤſars Rechte
Nicht uͤber Gluͤck und Poͤbel hebt,
Weit unter dem Bezirk der Naͤchte
Hoch, wie der Tiberſchwan geſchwebt.
30

An die Leda.

Von dem Olympus zogeſt du ihn nieder,
O Leda! deinetwegen traͤgt
Der Donnergott ein lilienweiß Gefieder,
Der ſonſt mit Keulen um ſich ſchlaͤgt.
Er theilt die Wolken, ſeine Fluͤgel trennen
Den Aether und den Sonnenſtrahl,
Er kommt, und deines Auges Blicke brennen,
Dein Antlitz bluͤhet wie das Thal.
Dein Buſen ſchwillt, wie kleine Flocken Huͤgel,
Wenn Boreas durch Fluren blaͤſt
Und jeder Bach verwandelt wird zum Spiegel,
Und das geſtorbne Laub verweſt.
31
Du laͤchelſt mit der fein geſchnitzten Lippe
Dem Schwane, der den Hals erhebt
Und nach der weißen Alabaſter-Klippe
Wolluͤſtig mit dem Schnabel ſtrebt.
Sein maulbeerfarbnes Auge redet Liebe,
Die ganze Macht der Buhlerei,
Den innern Aufruhr ſchlau verſteckter Triebe
Verraͤth der Schwan durch Schmeichelei.
Er will dich kuͤſſen, ſterbliche Begluͤckte!
Beneidenswerthe Leda! dich
Umfaßt mit beiden Fluͤgeln der entzuͤckte,
Beflammte Gott, und wuͤnſchet ſich
Den ſuͤßen Rauſch der Kuͤſſenden auf Erden,
Und fuͤhlet Amors ſtaͤrkſten Pfeil,
Und trinket mit ſuͤßlachenden Geberden
Des Liebes-Nektars lezten Theil.
32

Nach der 14ten Ode aus dem 2ten Buche des Horaz.

An den Herrn Grafen von Stollberg Wernigerode.

Es rinnen dahin die fluͤchtigen Jahre,
Die Froͤmmigkeit ſelber verzoͤgert, o Freund!
Nicht Runzeln des Alters, und ſilberne Haare,
Und jenen noch nimmer gezaͤhmeten Feind.
Gelobteſt du gleich zehntauſend Geſaͤnge
Auf heiliger Harfe; doch wuͤrde dein Spiel
Den Pluto nicht ruͤhren, dem niemals die Menge
Heißrollender Thraͤnen zum Opfer gefiel.
Der ſeinen Bezirk mit Wogen umſchloſſen,
Die jeder beſchiffen muß, welcher die Luft
Getrunken, und Fruͤchte der Erde genoſſen,
Von der ihn das eiſerne Schickſal entruft.
Es33
Es mag ihm ein Land gehorchen und dienen,
Es beten bezwungene Voͤlker ihn an;
Ihm moͤgen auch wenige Furchen nur gruͤnen,
Er ſey gleich ein armer, muͤhſeeliger Mann.
Wir ſcheuen umſonſt in herbſtlichen Tagen
Die ſchaͤdlichen Winde; vergebens entgehn
Wir tobenden Wellen, und ſchrecklichem Schlagen,
Des blutigen Mavors, wo Furien ſtehn.
Wir muͤſſen Welt, Haus und Freunde verlaſſen,
Und bluͤhender Gaͤrten balſamiſchen Duft;
Die falbe Cypreſſe folgt einzig dem blaſſen
Zu kurzen Gebieter in traurige Gruft.
Sein Erbe holt den durch zehnmal zehn Schloͤſſer
Verwahrten Tokayer; dann ſtroͤmet der Saal
Begoſſen vom Weine, den ſelber nicht beſſer
Der Pontifex ſchmauſet bei feſtlichem Mahl.
C34

An den Phoͤbus Apollo wegen des ihr von dem Freyherrn Dohmdechanten von Spiegel geſchenkten dreyſeitigen Pettſchafts.

Der du mir dieſes Saytenſpiel beſpannteſt,
Daß es die Seelen ruͤhren ſoll,
Und mir juͤngſt zum Geſchenk ein dreyfach Wappen
ſandteſt,
O guͤtiger Apoll!
Erſchienſt du nicht im Traume deinem Spiegel,
Der dich in meinen Liedern liebt,
Und oftmals meinem mattgewordnen Geiſte Fluͤgel
Durch ſeine Freundſchaft giebt?
35
Ja, Phoͤbus! ſeinem Geiſte vorgemahlet
Haſt du die Bilder alſo fein;
Du, deſſen gruͤnumkraͤnzte Locke praͤchtig ſtrahlet
Von Sonnenſchein.
Der Griechinn Kopf, die von Leukadens Klippe
In kalte tiefe Fluthen ſprang,
Und noch mit todtenblaſſer halberſtorbner Lippe
Von Liebe ſang;
Ein Saytenſpiel, von ihr allein erfunden,
Und dir geopfert, daß es ſey
Einſt nach Jahrtauſenden mit Roſen friſch umwunden
Fuͤr mich wie neu;
Den Lorber, den ich ſo wie ſie erſungen,
Der uͤber dieſer Leyer ſchwebt;
Und meines Vaters Namen, wie er ſich geſchlungen
In meinen webt:
Dies alles ſeh ich o du Gott der Muſen!
Sprich, ob mein Herz nicht ſchwellen ſoll?
So hoch ſchwoll vormals nicht des Sylla ſtolzer Buſen
Von Freude voll,
C 236
Wenn er ſein blaues Auge lachend wandte
Auf ſeinen großen Siegelring,
Auf deſſen Schnitte man den Koͤnig Bachus kannte,
Der treulos fing
Den Gatten ſeines Kindes, und ihn brachte
Gefeſſelt in des Roͤmers Hand,
Der den Jugurtha, den ein Heer nicht zittern machte,
Jezt uͤberwand,
Und im Triumph zum erſtenmal gefuͤhret
Den Sklaven, der ſonſt Kronen trug,
Auf Purpur ſchlief, und unumſchraͤnkt regieret,
Und Helden ſchlug.
37

An Herrn Profeſſor E.

Bey den Unſterblichen zu ſeyn
Wuͤnſch ich, o Freund! da wollt ich nieder
Von dem Olympus ſehn; Du wuͤrdeſt Blumen ſtreun
Dem Ueberreſt der Geiſtverlaßnen Glieder.
Ich ſaͤhe zu, wie auf mein Grab
Dein Finger junge Myrthen pflanzte:
Der Schatten des Achills ſah nicht ſo ſtolz herab,
Als Philipps Sohn bey ſeiner Aſche tanzte
Und gluͤcklich pries der Thetis Sohn:
Daß ihm in ſeinem Heldenleben
Ein wahrer Freund, und da ſein Kriegesgeiſt entflohn,
Ein Herold ſeinen Thaten ward gegeben.
C 338

Auf die Geburt des jungen Prinzen von Preuſſen Koͤnigl. Hoheit.

Meine Seele taumelt, nicht berauſcht vom Weine,
Im bemoosten Faſſe hergebracht vom Rheine,
Oder uͤber’s Meer geſandt;
Ich bin wonnetrunken, mich erfuͤllen deine
Freuden liebes Vaterland!
Alle Kinder jauchzen, alle Greiſe gluͤhen;
Friedrich Dein Erhalter, wiegt auf ſeinen Knieen
Dieſen Koͤniglichen Sohn,
Den Er dir zum Herrſcher weislich wird erziehen,
Und der Zoͤgling horchet ſchon.
39
Liebling meines Herzens, ſpricht der große Weiſe,
Wie der muͤde Wandrer ſchmachtend Trank und
Speiſe,
Wie der Steuermann den Rand
Tiefer Fluthen wuͤnſchet auf der weiten Reiſe;
Alſo wuͤnſchte Dich das Land.
Heil mir, daß Du kameſt, Heil ſey Deiner keuſchen
Jugendlichen Mutter, die das Sehnſuchts -
heiſchen
Meines Volkes hat geſtillt.
Du wirſt meine Hofnung nimmer, nimmer taͤuſchen;
Sie wird ganz in Dir erfuͤllt.
Fruͤh wirſt Du erkennen, daß man auf der Erde,
Durch die Tugend jenem Herrſcher aͤhnlich werde,
Deſſen Herrſchaft ewig iſt;
Und daß Du dem Hirten bey der kleinſten Heerde
Deine Guͤte ſchuldig biſt.
Deine hoͤchſte Wolluſt wirſt Du mit Entzuͤcken
In der Uebung finden, Menſchen zu begluͤcken,
Und dafuͤr geliebt zu ſeyn.
Keinem als dem Schmeichler wirſt Du zornig blicken,
Und ihm nie Dein Ohr verleihn.
C 440
Alſo redet Friedrich, ſeine Thraͤnen feuchten
Dieſe Stirne, welche dermaleinſt wird leuchten
Ueber uns voll Gnad und Huld.
Wohl uns, daß wir unſrer Wuͤnſche Ziel erreichten,
Nach ſo langer Ungeduld.
Die verlebten Maͤnner nebſt den grauen Muͤttern,
Sprechen: Wohl Euch Enkel! Eure Kinder zittern
Nie vor dem Erobrungsgeiſt!
Keine Donner werden dieſen Thron erſchuͤttern!
Friedrichs Thron wird nie verwayſt!
Toͤchter, ſtreuet Blumen, bringet Opfergaben
Um die goldne Wiege; kleine muntre Knaben
Macht ein Singechor, und ſprecht:
Ach! Du ſollſt zum Opfer unſre Herzen haben,
Kind von goͤttlichem Geſchlecht!
41

Der ſichere Fromme. Aus einer Predigt des Herrn Ober-Conſiſtorialrath Spalding.

Wer nie der ſonnenhellen Wahrheit widerſtrebt
Und ſtets in unveraͤnderlicher
Rechtſchaffenheit und Tugend lebt,
Derſelbe Menſch lebt ſicher.
Es moͤgen uͤber ihm die Himmel, und umher
Die feuerſchwangern Berge krachen,
Es mag das ausgerißne Meer
Noch eine Suͤndfluth machen;
C 542
Der Sturmwind tobe, daß der tauſendjaͤhrge Wald
Und ſelbſt die Felſen niederſinken;
Das Erdreich berſte Spalt an Spalt
Zur Rechten und zur Linken;
Der Seuchen fliegend Gift und das gefraͤßge Schwert
Des Krieges, moͤgen ploͤtzlich kommen:
Das Schrecken und die Zagheit faͤhrt
Nicht in die Bruſt des Frommen.
Denn ihn beſchuͤtzet, ſtaͤrket, muntert und erhaͤlt
Gott, der des Chriſten Werke zaͤhlet,
Wenn ihm der Beyfall einer Welt
Bey ſeiner Tugend fehlet.
[43]

Gedichte.

[44]45

An Ihro Majeſtaͤt die Koͤniginn am Tage nach Ihrem glorreichen Einzuge in den Koͤnigl. Pallaſt.

Ich ſahe Dich, Vortrefflichſte Gekroͤnte,
Und uͤber Deinen Wagen flog
Ein Engel, der die Frau verſoͤhnte,
Die wider Friedrichen das Schwert zu lange zog.
Ich ſahe Dich herauf, in Deine goldne Zimmer
Getragen, und es warf der Abendſonne Glanz
Dir einen purpurfarbnen Schimmer
46
Auf den Pallaſt, und als das Volk zu Spiel und Tanz
Mit Jubelrufen lief, und tauſend Reyhen machte;
Da ward in ſeinem nur geborgten kleinen Prachte
Der halbe Mond beſchaͤmt, und blaͤſſer im Geſicht.
Rings um Dich her war alles Licht.
Es zitterten die Fackelflammen
Schoͤn in der Luft, das Volk flog noch einmal zuſammen;
Und uͤber alle Sphaͤren drang
Das jauchzende Geſchrey vom Frieden.
Gott ſelber, der den Streit der Koͤnige entſchieden,
Vernahm den beſten Lobgeſang.
Der Armuth ungezwungnes Weinen,
Ihr freudig O! ihr dankend Ach!
Klang lieblich in ſein Ohr, als wenn auf gruͤnem Dach
Der bunten Erde ſich die Voͤgel fruͤh vereinen,
Und ſingend vor Gewuͤrm und Korn
Ihm danken, daß der Ton von ihren Simphonien
Bis uͤber Wolken dringt, wo tauſend Sonnen gluͤhen.
So klang das Lobgeſchrey dem Gotte, der den Zorn
Der Erdengoͤtter ließ entbrennen,
Zu ſtrafen ſeine Welt, in der die Bosheit ſtieg;
Und zu bezeugen, daß den Sieg
Von ihm allein erwarten koͤnnen
47
Die Helden, wenn ihr Herr umringt,
Von aufgeſchwollnen Feindeskraͤften
Auf allen Seiten iſt, und taͤglich in Geſchaͤften
Des Wuͤrgens, mit dem Tode ringt.
Zu matt, o Koͤniginn! iſt alles was der beſte
Nachahmer eines Pindars ſingt;
Bey Friedrichs großem Friedensfeſte;
Wenn mitten aus dem Pomp der Seligen herab
Die Schatten eurer Muͤtter blicken,
Und ſich umarmen und den Himmel mit Entzuͤcken
Mehr fuͤhlen, weil er Friede gab.
48

An die Muſe, daß ſie den Abend der großen Illumination ſingen ſolle.

Die du das Feld des Krieges uͤberflogeſt,
Durch Schwefelduft und Kugelregen drangſt,
Zum Sieger, und mit ihm durch Ehrenpforten zogeſt,
Und ſeines Einzugs Jubel ſangſt,
O Muſe! ſinge nun auch kuͤhn den ſtolzen Abend,
Der von des Sturmwinds Fluͤgeln loß,
Den Sternenmantel um ſich habend,
Herabſah, auf Berlin, das ſeinen Koͤnig groß,
Und ſeinen Frieden ewig nannte,
Und, von der Kunſt beflammt, den Sphaͤren aͤhnlich
brannte,
Ganz aͤhnlich jenem Pomp der praͤchtigen Natur.
Haſt49
Haſt du ſie nachgezaͤhlt, die hundert tauſend
Flammen,
Durch deren Glanz der Sieger fuhr?
Sanftlaͤchelnd, wie ſein Gott, wenn, auf der Weizen -
Flur
Von tauſend Schnittern froh zuſammen
Die Stimmen miſchen ſich in ein harmoniſch Lied,
Und jeder Buſen dankbar gluͤht!
Und jeder Blick emporgehoben,
Den Erndtegeber wuͤnſcht zu ſehen und zu loben,
Und ſeiner Guͤte Bild weit ausgebreitet ſieht:
So ausgebreitet, alſo maͤchtig fortgeriſſen,
Drang Freude ſich von Bruſt zu Bruſt;
Es ſtaunte, trunken von des Patrioten Luſt,
Das Auge, wenn den Hercul der beſchuͤtzten Preuſſen,
Des Amphitrions Sohn mißguͤnſtig vor ſich ſah,
Wild, trozend, ſtand das Bild des Stierbekaͤmpfers da,
Und ſchwang, mit Rieſenarm die knotenreiche Keule;
Du glaubteſt, daß der Schlag geſchah,
Und bebteſt vor dem Zungenpfeile
Des ſiebenkoͤpfigen, gekruͤmmten, ſchlangengleich
Geformten Thieres, das ihm drohte,
Und groͤßer wuchs nach jedem Streich;
O! dich erſchreckte ſelbſt die todte
D50
Giftloſe Hyder, an dem Fuß
Des Halbgotts, der ſich tief verbeugen
Vor Friedrichs Goͤttergroͤße muß.
Wenn Malerei und Dichtkunſt ſchweigen;
So redet von dem Vater mehr, als von dem Held,
Sein Landvolk, das ein oͤdes Feld
Nun wieder tief in Furchen ziehet;
Aus Vorrathshaͤuſern Korn empfaͤngt;
Und Huͤtten, die der Feind verſengt,
Aus ihrer Aſche ſteigen ſiehet.
Ihm toͤnet Lob der Mildigkeit
Erhabner, aus der Kinder Munde,
Als Siegsgeſaͤnge, nach dem Streit,
Der jedes Lorbeerblatt erkauft mit einer Wunde
Des Koͤniglichen Herzens hat.
O Muſe! hoͤrſt du nicht das arme Volk der Stadt?
Es jauchzt, und tanzt umher, mit heiterm Angeſichte,
Und feiert uͤber ſeinem Hunger großen Sieg,
Preißt den Geſchmack der Friedensfruͤchte,
Und tilget jeglichen Gedanken an den Krieg
Mit dem Gedanken ſeiner Freude,
Den goͤttlich Sorgenden zu ſehn;
Der ſeine Feinde zwang, die Herzen umzudrehn;
51
Und Sieg vergaß, und frug, ob ſchweren Mangel leide
Sein Volk, bey deſſen Zaͤrtlichkeit
Sein großes Herz ſich mehr erfreut,
Als wenn Berlin, dem Ueberwinder, und dem Frieden
Coloſſen aufgebaut, und mit der Lampen Pracht,
Auf weißen Marmorpyramiden,
Dreimal den Mond beſchaͤmt gemacht.
D 252

Aufforderung an die Muſe, daß ſie dem Philoſoph zu Sans-Souci nachfliehen ſoll.

Du Saͤngerin, tonvolle Muſe flieh;
Erato, ſchwinge dich jezt leichter jezt geſchwinder!
Sey wie des Helden Blick, und ſieh:
Von Seinem Thron nach Sans-Souci,
Ging Friederich der Ueberwinder;
Nahm mit ſich die Philoſophie,
Und Ihn begleiteten Apollo’s ſchoͤnſte Kinder,
Calliope, Melpomene,
Thalia warfen ihre Kraͤnze
Ihm an die Bruſt; und bey der Spree
Stritt die Najade mit dem Lenze,
Daß Er mit keiner gruͤnen Pracht
Dem groͤßten Koͤnige das Ufer ſchoͤn gemacht.
53
Der Fruͤhling wandte ſich, und ließ die Nymphe klagen,
Und laͤchelte dem Helden nach,
Der von dem Streitroß ward getragen,
Das mit Ihm durch die Feldſchlacht brach
Bey Liegnitz und bey Torgau, ſchnaubend
Aus ſeiner Naſe Dampf und Glut,
Und donnernd mit dem Huf, wenn heiße Feindeswut
Nach Friedrichs Lorbeer grif, Ihm in Gedanken raubend.
Dies edle Roß, von Menſchenblut
Oft roth gefaͤrbt, bis an die Maͤhne,
Trug den Monarchen jezt durch Fluren, wo die Thraͤne
Des Wolkenhimmels, in der Nacht
Den Staub geloͤſchet und mooßweiche Bahn gemacht,
Und Veilchen ſchnell hervorgebracht,
Auf beyden Seiten Ihm zu bluͤhen.
Er kam, und Phoͤbus fuhr in aller ſeiner Pracht
Dicht uͤber Friedrichs Ruh. Jezt ſchuͤttelten Statuͤen
Ihr ſteinern Haupt, verwundrungsvoll,
Da, wo in goldner Zeit ſein Saitenſpiel erſcholl.
Pompejus neigte den Caͤſaren
Die Stirne zu, vergaß in dieſem Augenblick,
Daß beyde ſeines Ruhms und Hauſes Feinde waren;
D 354
Und frug: Wie? Kommt der Held zuruͤck?
Verberget euch mit mir, o Roͤmer! alle Celten,
Ambronen, Gallier, und was aus beyden Welten
Sich jemals wider Rom erkuͤhnt!
Bezwungne Parther, Thracier und Scythen,
Die grimmig noch zu ſeyn gefeſſelt ſich bemuͤhten;
Denn jeglicher Triumph verdient
Nicht mehr den Namen; ſeht die groͤßern Lorbeerreiſer
Um unſers Ueberwinders Haupt
Er ſprachs: da buͤckten ſich Roms hochberuͤhmte Kayſer;
Pompejens Lobſpruch ward geglaubt.
Die Caͤſars ſchwiegen, und die Griechen
Vom Agamemnon an bis zum Leonidas,
Belegten ſeiner nun verſoͤhnten Feindin Haß,
Laconiſch mit ſchuldloſen Fluͤchen,
Weil Sie, durch ihren dritten Krieg,
Den Ruhm des Siegers, der ſchon alles uͤberſtieg,
Bis zur Unſterblichkeit erhoben
O Muſe! ſangſt du Seinen Sieg,
So kenn auch deine Pflicht, Thereſien zu loben!
55

An den juͤngſtgebornen Prinz Friedrich Carl Ludwig von Preuſſen in Seiner Wiege.

Zweyter Sohn der kinderreichen
Friederika, ſey gegruͤßt!
Welchem Helden ſoll ich dich vergleichen,
Welchen jungen Gott umſchließt
Dieſer Adern zart Gewebe,
Dieſe ſammetweiche Haut?
Biſt du nicht der milden Phoͤbe
Schoͤnem Bruder gleich gebaut?
D 456
Ha! Du blickeſt wie der weiſe
Große Vater Friederich.
Bey der Tafel liegſt du einſt dem Greiſe
An der Bruſt, und juͤngerlich
Haͤngſt Du an Ihn mit den Augen,
Laͤſſeſt Deinen Nektar ſtehn,
Um die Reden einzuſaugen
Die aus Seinem Munde gehn.
Laͤchle Ihm und beyden Muͤttern
Deiner frohen Aeltern zu:
Laß uns nicht fuͤr Deine Tage zittern.
Denn Geliebter, ehe Du
Dieſen Gliederbau bezogen,
Iſt ſchon mancher junge Fuͤrſt
Von dem Throne fortgeflogen,
Den Du mitbeſchuͤtzen wirſt.
Theurer Prinz bleib auf der Erde,
Wo Du ſehr willkommen biſt;
Bleib bey Deinem Bruder hier, und werde
Ihm dereinſt, was Heinrich iſt
Seinem Bruder unſerm Koͤnig
Unſerm vaͤterlichen Freund,
Dem ein Seculum zu wenig
Zeit zum Thatenraume ſcheint.
57

Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand von Braunſchweig - Wolfenbuͤttel, im Koͤniglichen Garten zu Schoͤnhauſen unterthaͤnigſt gewidmet.

Dugroßer Ferdinand, ich brannte Dich zu ſehn
Dort wo die Koͤniginn jezt wohnet
Und mußte mit Geſang erſt zu dem Gotte flehn,
Der durch Geſundheit Deine Tugenden belohnet.
Sohn des Apollo, (rief mein aͤngſtlich bittend Lied)
O mache mich geſund, verſtatte
Daß bald mein Auge den beruͤhmten Guelfen ſieht,
Der deines Vaters Schutz in Kriegsgefahren
hatte.
D 558
Da half mir Aeſculap, des Fiebers Tuͤck und Macht
Entwich vor einem ſeiner Blicke;
So wich vor Deinem Blick in mehr als einer Schlacht
Aus Deinen Kriegern Furcht und Zagemuth
zuruͤcke.
Ich fand mich ſtark genug, und flog dem Garten zu,
Wo Deine Schweſtern Dich genoſſen;
Und ſahe Dich, und ſprach: O Muſe, ſage du,
War dieſe lichte Stirn mit Heldenſchweiß um -
floſſen?
Hat dieſes Augenpaar, worinnen Liebe ſitzt,
Und Freundlichkeit und holde Guͤte
Dem Feinde Schrecken in ſein ſtolzes Herz geblitzt,
So, daß er waffenlos vor ſeinem Sieger kniete?
Die Muſe laͤchelte und ſprach: Iſt nicht Apoll
Auch freundlich auf des Tages Wagen,
Und ſchrecklich wenn er zuͤrnt, und ſeinen Koͤcher voll
Mit Todespfeilen auf der Schulter pflegt zu
tragen?
59

Lied der Clio.

Sr. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand von Braunſchweig.

Den 12. Jenner 1771.

Als die Mutter zwoer Koͤniginnen
Ihren Ferdinand gebar,
Wußten alle Caſtalinnen,
Daß ein Held geboren war.
Alle wandten gierig ihr Geſichte
Nach der Clio, welche ſchon
Seine kuͤnftige Geſchichte,
Sang in ihrer Laute Ton.
60
Schweſtern, ſang ſie, dieſer unterwindet
Sich ſo viel als Mars zu thun,
Seiner Jahre Mittag findet
Ihn im Lorbeerſchatten ruhn.
Euch gewogen, theilt Er Blumenkraͤnze
Euren Kindern aus, und lebt
Dann noch andre funfzig Lenze,
Bis Ihn Vater Zevs erhebt.
Ewig, ewig ſingen Ihm die Muſen
Auf der Inſul Albion;
So beſang der Syracuſen
Loblied den Timoleon.
Ihre Dichter toͤnten in die Leyer:
Enkel ſingt mit uns ein Lied,
Dem Corinther, dem Befreyer,
Der jezt vom Olympus ſieht.
61

An Se. Hochwuͤrden Gnaden den Herrn Domdechant Freyherrn von Spiegel zur Feyer des 22ſten Februars 1765.

Siehſt Du den alten hochbeſchneyten Brocken
O Freund? ſein Haupt, ſo blendend weiß,
Wie Neſtors dreymal hundertjaͤhrge Locken,
Verhuͤllt ſich jezt in wolkig Eis.
Jezt ſpare nicht der grau gewordnen Eichen
Zerſpaltne Wipfel am Kamin,
Wirf Knoten nach, vom Stamme, der den Streichen
Des ſchaͤrfſten Beils zu trotzen ſchien,
Und fordre Wein, den Hochheims Kelter preßte,
Als Friedrichs Stirn drey Kraͤnze trug,
Und Er den Feind wie trockne Fichtenaͤſte
Bey Keſſelsdorf zu Boden ſchlug.
62
Genieß des gegenwaͤrtgen Tages Stunden,
Der kuͤnftge bleibt noch ungewiß.
Haſt Du nicht ſchon des Schickſals Arm empfunden,
Der grimmig Dir am Herzen riß?
Ward nicht Dein Auge zweymal ſchon verſchleyert
Vom Todes Dunkel? ſah nicht juͤngſt
Dein G *, der Dich bey Hundert Bechern feyert,
Den Weg, den Du beynahe gingſt?
Sah nicht Dein Geiſt ſchon jene Lorbeerhaine,
Wo Pindar an Homerens Hand
Vertraulich geht, und Sapho’s Schatten keine
Ganz duͤſtre Trauergrotte fand?
Ein Gott, ein Gott befreyte von dem Grabe
Den deutſchen Tirteus, welcher nur
Sein Leben ſchaͤtzt, als eine neue Gabe
Der allbeſeelenden Natur,
Weil er Dich funfzig Lenze zu genießen
Noch hoffet, und von Dir gefuͤhrt
Durchs Blumenthal den Balſamduft der ſuͤßen
Bethauten Roſe ſtaͤrker ſpuͤrt.
63

Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt.

Dem Obriſten von Anhalt geſungen.

1763.

Aus allen himmliſchen Bezirken
Verſammleten die Buͤrger juͤngſt
Sich in der Luft zu ſehn, wie Du mit jungen Tuͤrken
Die Bacchanalien begingſt.
Du, der bey rauſchenden Pokaͤlen
So tapfer iſt, und ſo geuͤbt
Als einer Legion den Angriff zu befehlen,
Wenn Mars die Looſung ſchrecklich giebt.
Du, von dem Koͤnig und dem Volke
Zugleich geliebter Anhalt! ſprich,
Ob nicht Lyaͤus ſelbſt in einer Weinduftwolke
Umſchwebte Deinen Tiſch und Dich?
64
Ob nicht der ſchoͤne Goͤtterſchenke
In Deinem Achmet ſich verſteckt,
Der Eure Becher voll gegoſſen mit Getraͤnke,
Das koͤſtlich wie der Nektar ſchmeckt.
Die Muthempoͤrende Trompete,
Der laͤrmeriſchen Pauken Schall
Beflammten das Geſicht mit hoher Purpurroͤthe,
Als hoͤrtet ihr Kanonenknall.
Ihr ſpranget auf mit Trinkerhitze,
So ſprang der Thracier, und flog
Voll Feuer in der Stirn bis an des Heeres Spitze,
Das feindlich ihm entgegen zog.
Ihr folgt mit Fackeln durch die Straßen;
Ein junger Hirſch fliegt kaum ſo ſchnell,
Der ſtolz auf ſein Geweyh die Mutter hat verlaſſen
Und ſelber ſuchet Gras und Quell.
Euch folgten alle Turbantrager,
Centauren waret Ihr, und lieft
An alle Thuͤren Sturm; das Maͤdchen ſprang vom Lager
Und bebte, wenn Ihr Huſſay! rieft.
Umarmte65
Umarmte Maͤnner fuhren ploͤtzlich
Von heißgekuͤßten Lippen ab,
Und horchten das Geſchrey, dem Gott des Weins
ergoͤtzlich,
Der maͤchtig Euch Befehle gab.
Im Glanz des Morgenſterns gekleidet
Trat Venus ſchon Auroren vor.
Mit diamantnem Blick, der Nacht und Tag entſcheidet,
Beſahe ſie das Bachuschor,
Und ſagte laͤchelnd zu Lyaͤen:
Vernimm, o Lieber! dies Geſchrey
Von Helden, welche ſonſt der Schlacht entgegen ſtehen,
Und frag: wer jezt ihr Feldherr ſey?
Nicht Mavors, der ſie vormals weckte,
Wenn ihn Bellonens Wagen trug;
Nein, du! dem Cerberus die Fuͤße freundlich leckte,
Du, der die Himmelsſtuͤrmer ſchlug!
Du ſuͤßer, ſuͤßer Gott der Reben!
Begeiſterſt ſelbſt des Roſſes Tritt,
Der nach dem Takte faͤllt, daß Baͤume ſich erheben,
Und alle Pfeiler huͤpfen mit.
E66

An den Phoͤbus.

Du laͤchelſt, Phoͤbus! dieſe nackten Ruͤmpfe
Der hingeſtreckten Blumenſtengel an,
Willſt du den Weinſtock kuͤſſen, der die Nymphe
Nicht mehr vor dir verſtecken kann?
Soll in bedorrter Zweige Wurzel dringen
Dein warmer Blick, dem Winter zum Verdruß,
Daß tauſendblaͤttrig ſeine Reize bringen
Der Roſenſtock zu Kraͤnzen muß?
Nein, zu gewaltig wirſt du hingeriſſen
Von jener Phillis. Großer Phoͤbus! gluͤh
Vergebens, ihrer Lippen Pracht zu kuͤſſen:
Der Hirt Alexis kuͤſſet ſie.
67

An Venus, uͤber die ſtolze Phillis.

Die du den goldnen Apfel hingeriſſen
Zu dir, mit ſchoͤner Augen Macht,
O Venus! du wirſt zuͤrnen muͤſſen;
Mehr als Ein Apfel ward der Phillis dargebracht.
Mehr als Ein Schaͤfer wirſt ſich vor ihr nieder;
Ein reicher Graf umfaßt ihr Knie
Und ſchmeichelt ihr, und bittet wieder
Wie ſonſt um Zaͤrtlichkeit, um Gegenliebe ſie.
An ihrem andern ausgeſtreckten Fuße
Liegt Deutſchlands groͤßte Saͤngerin,
Und ſinget von dem ſanften Kuſſe,
Den ihre Phillis giebt, ein zaͤrtlich Lied dahin.
Indeſſen laͤßt die Stolze durch den Diener
Die ſchwarzen Locken wickeln ſich,
Und wird den Graf zu ſpotten kuͤhner,
Und heißt der Saͤngerin ein hoͤhniſch Lied an dich.
E 268

An die Frau Doktorin M.

Frau, der das Leben niemals bitter
Bey irgend einem Zufall iſt:
Die Du die Zaͤrtlichſte der Muͤtter
Und der Gattinnen waͤrmſte biſt;
Und in Entzuͤckung aller Sinnen
Umarmeſt den geliebten Mann,
Und ſprichſt: Ihr Lebensſpinnerinnen,
Fangt ſeinen Faden taͤglich an
O Freundin! hilf mir deine Freuden
Vertheidigen in einer Welt,
Wo man nicht glaubt, daß zum Beneiden
Dein Gluͤcke Glanz genug enthaͤlt.
Mein Freund, ein Schuͤler von Apollen,
Ein Meiſter in der Homelie,
*Herr Profeſſor E * b * d.
*
Glaubt, daß die Tauben kuͤſſen wollen
Aus Zaͤrtlichkeit und Harmonie.
69
Nur warme Buſen aͤltrer Ehen,
Als die der Hochzeitmonath ſieht,
Die ſetzt er in das Reich der Feen
In ein Ovidianiſch Lied.
Und in die nie vorhandnen Staaten
Des Plato, der im hohen Styl
Den Juͤnglingen weis anzurathen
Ein leeres geiſtiges Gefuͤhl.
Sey Richterin, und uͤberfuͤhre
Den Freygeiſt, der die Liebe lobt,
Und dennoch ſtoiſch wieder ihre
Gluͤckſeeligkeit mit Laͤugnen tobt.
Dein Freund, Dein Liebling, Dein Getreuer,
Lad ihn auf einen Abendſchmaus;
Dann athme Du der Ehe Feuer
In hundert ſanften Kuͤſſen aus,
Und ſprich: Neun Lenze ſind voruͤber,
Und meine Flamme ward nicht matt,
Und meinem Gatten ward ich lieber,
Seitdem er mich beſeſſen hat.
E 370

An den einjaͤhrigen Wilhelm von K.

Du kennſt noch nicht den Regenbogen
Und nicht die Sonnenſtrahlen, Kind!
Dein erſtes Jahr iſt hingeflogen,
Wo Deiner Vaͤter Jahre ſind;
Und niemals ward der ſchoͤne Morgen
Von Dir bemerkt, von Dir gedacht,
Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen
Aus offnen Augen angelacht.
Die große Kraft zu unterſcheiden,
Liegt in der Seele noch verhuͤllt;
Und dennoch wird ſie ſchon mit Freuden
Und auch mit Traurigkeit erfuͤllt.
Ein ſtiller Gram ſchwaͤcht Deine Blicke,
Und zieht von Deines Mundes Rand
Dein ſuͤßes Laͤcheln oft zuruͤcke
Ins Herz, das den Verluſt empfand.
71
Dem Juͤnglinge, dem unwillkommen
Der Tod ſein liebes Maͤdchen nahm;
Dem Reichen ward nicht mehr genommen,
Wenn in ſein Haus ein Raͤuber kam,
Als Dir in Deinem erſten Gluͤcke
In jener ſo geliebten Bruſt;
Seitdem erſtarb in Deinem Blicke
Das Feuer und des Lachens Luſt.
O holder angenehmer Knabe!
Noch mancher Kummer wartet Dein
Bis Du geſtuͤtzt an einem Stabe
Dich Deiner Nachwelt wirſt erfreun.
Du lerneſt Welt und Menſchen kennen,
Und ſeufzend wirſt Du laut und ſchwer
Oft Welt und Menſchen ſchrecklich nennen,
Wenn keine Tugend in ihr waͤr;
Und uͤber ihr ein Gott nicht wohnte,
Der ſeine Frommen kennt und liebt,
Und ſtille Tugenden belohnte,
Und nach dem Kummer Freuden giebt.
E 472

An den Herrn Kanonikus Gleim.

Sie eilt, wir muͤſſen ſie haſchen
O Freund, die fliehende Zeit,
Komm zum befruchteten Garten,
Der Herbſt hat Freuden fuͤr uns.
Brich dieſe lockende Aepfel:
Sie laͤcheln unter dem Laub,
Wie Wangen bluͤhender Maͤdchen,
Fuͤr Dich gereifet, hervor.
73
Die ſchlanken, neidiſchen Aeſte,
Fuͤr Deine Griffe zu hoch;
Hilf mit dem huͤpfenden Fuße
Der Hand, und pfluͤcke die Frucht.
Du haſt ſie. Lohnender Arbeit
Verrichtung nennen wir Luſt.
Wie viel beſtrebten ſich Haͤnde
Nach Deinem Herzen umſonſt!
Sieh dieſen hoͤckrigten Apfel:
Wie ſeine Bruͤder gebluͤht
Hat er in waͤhrender Bildung,
Und dennoch ward er ein Zwerg.
In ſeinem Fleiſche genaͤhret
Ward der fortfreſſende Wurm:
So waͤchſt mit kommenden Tagen
Im Knaben Bosheit herauf,
Der nicht vom Hauche des Lebens,
Als ein kaum werdender Menſch,
Zu großen ſchoͤnen Gedanken
Beſeelt geworden, wie Du.
E 574
Sieh der hartſchaͤligen Nuͤſſe
Herunterfallen vom Baum:
Ihn zwingt der ſchlagende Juͤngling,
Sonſt wuͤrf er keine herab.
So ſchließt der Geizige treulich
Ans Herz geſammeltes Gold,
Verſchließt die kargende Rechte
Dem Armen, welcher ihn fleht.
Darbt im Beſitze des Reichthums,
Schmeckt nie den koͤſtlichen Wein,
Und nie den ſuͤßeren Nektar
Der Freundſchaft, die er nicht fuͤhlt.
Laß ihm die magere Wolluſt.
Er ruh auf todtem Metall:
Wir, in der deckenden Laube,
Beneiden Koͤnige nicht.
Genieß mit Augen des Geizes
Das bald hinſterbende Gruͤn
Im Garten unter den Baͤumen.
Schon macht der naͤchtliche Reif
75
Die Blaͤtter alle zu Kranken:
So reißt die maͤchtige Zeit,
Und ein durchdringendes Fieber
Den Reiz vom Menſchen dahin.
Spaͤt in dem Sommer des Lebens
Sind wir, ſie fliehen zu ſchnell
Die Stunden, brauche ſie froͤlich,
Uns macht das Alter zu Eis.
76

An einen jungen Freund.

Der Tugend Freund! der Wahrheit Redner, Du
Lobſt mein Talent, ſchreibſt der Natur es zu.
Sie iſt es werth, und ihr gebuͤhrt die Ehre,
Ihr dank ich Einfall, Ausdruck, Geiſt und Schwung;
Mir gab die Kunſt niemals Bereicherung,
Und nie nahm ich von einem Meiſter Lehre.
Mein Vater, der nicht Geld in Kaſten wog,
Der war nicht groß, und wo man mich erzog,
War keiner, der das Unterweiſen kannte.
Ich ſpielte laͤndlich, baute mir im Sand
Oft einen Thurm, er war der Gegenſtand
Von einer Wuth, mit der ich ihn berannte.
77
So kriegeriſch, und doch ein Maͤdchen ſeyn?
Ja! doch ich lud oft Schaͤferinnen ein
Zur friſchen Milch, zu Tanz und Spielen.
Von ungefaͤhr fand ich als Kind ein Blatt,
Von Franken, der ehmals gedichtet hat,
Und las den Vers, und lernte fuͤhlen.
O, die Geſchichte meiner Jugend iſt
Zu ſonderbar; und weil Du guͤtig biſt,
So darf ich Dich zu meinem Freunde waͤhlen:
Dann werd ich Dir, Du ſchoͤner Dichter! nur
Empfindungsvoll zur Ehre der Natur,
Wie ſie mich ausgebildet hat, erzaͤhlen.
78

An eine Dichterin, welche das Klavier ſpielte.

Des Jovis, der Latona Sohn
Hat mir ein Saitenſpiel gegeben;
Du aber kannſt im ſuͤßen Ton
Die Stimme zum Geſang erheben.
Dein Finger huͤpfet wie der Weſt,
Der an dem ſchoͤnſten Tag des Mayen
In jugendliche Blumen blaͤſt,
Die Deines Lieblings Blick erfreuen.
Hoͤr auf, geliebte Zauberin!
Hoͤr auf zu ſingen und zu ſpielen;
Ich brenne, da ich weiblich bin,
Was wird nicht dieſer Juͤngling fuͤhlen,
79
Der uͤber Deine Schultern ſieht,
Bald Deinen weißen Hals betrachtet
Bald dieſes Auge, welches gluͤht
Und redet, und im Sprechen ſchmachtet?
Hoͤr auf, o Maͤdchen! jeder Schlag
Dringt tiefer in des Juͤnglings Buſen,
Und das, was Dein Klavier vermag,
Vermag kaum eine von den Muſen.
80

Ueber den Unbeſtand des Ruhms.

Sollt ich, vom Stolz verblendet, glauben,
Daß mich einſt loben wird die ſpaͤtgeborne Welt?
Sprich, Freundin! ob Dir noch das Muſter an den
Hauben
Der Aeltermuͤtter wohlgefaͤllt?
Im Putz und Hausrath herrſcht die Mode,
Sie herrſcht nicht minder in dem Reich der Wiſſenſchaft;
Der Kenner lobte vormals Guͤnthers Heldenode,
Und jezt nennt er ſie poͤbelhaft.
Beruͤhmt war Neukirch, und bewundert
Ward Broks, der Laub und Gras, Inſekt und Blumen
ſang:
Und Beider Anſehn fiel, eh noch ein ganz Jahrhundert
Vollfuͤhrt den fluͤgelſchnellen Gang.
Die81
Die Zieglerin, im Lorbeerkranze
Schoͤn abgebildet, war beruͤhmt, als kaum an mir
Das Auge ward gebaut; und jetzo ſpricht die ganze
Gelehrte Welt nicht mehr von ihr.
Nur Pindar und Horatz, und jener
Unnachahmbare Mann, der Trojens Untergang
Beſchrieben, und auch der, den von dem Gottverſoͤhner
Ein Engel lehrte den Geſang;
Kleiſt, Ramler, Hagedorn und Haller,
Gleim, Gellert, Weiße, Utz, Duſch, Bodmer, Pope,
Young:
Die trotzen dem Geſchmack der ſtrengſten Kunſt, und
aller
Verfeinerten Veraͤnderung.
Ich aber bin vielleicht vergeſſen,
Wenn unſrer Enkelinnen Kopfputz dem Geſicht,
Den Schlaͤfen und der Stirn iſt beſſer angemeſſen,
Und der Karkaſſe widerſpricht.
Ob ich ein laͤngres Lob erſtrebet,
Das iſt mein Kummer nicht; die Freundſchaft ſey mein
Stolz,
Sie weinet, wenn ich gnug geſungen und gelebet,
Noch Ruhm auf meines Sarges Holz.
F82

Warnung an den jungen Herrn von H*ſt. 1764. Als derſelbe der Mahlerey den Vorzug vor der Dichtkunſt ertheilte.

Der Du den Pinſel des Apelles
Viel eher wuͤnſcheſt als den Trank des Muſenquelles
Und Pindars Saitenſpiel;
Sey doch ein Muſenfreund, und hoͤre,
Dem feineren Geſchmack zur Ehre,
Die Lieder mit Gefuͤhl.
Du biſts Getreulich unterwieſen
Von Deinem Mentor
*Herr Eberhard, jetziger Profeſſor auf der Univerſitaͤt zu Halle.
*, kennſt Du ſchon des Parnaß
Rieſen
Und lachſt der Zwerge ſchon;
Und ſprichſt von jeglichem Gedichte
Mit viel bedeutendem Geſichte
Im richterlichen Ton.
83
Ich lobe Dich, Du Freund der Lieder,
Doch bleib auf Deiner Hut, und ſuͤndige nicht wider
Den richtigen Geſchmack,
Sonſt wird Dein Eberhard ergrimmen
Und Gottſcheds Werke Dir beſtimmen
Auf einen ganzen Tag.
F 284

Das Lob des Eſſens.

Das Lob des Rebenſaftes ward
Von keinem Dichter je vergeſſen,
Doch keiner ſang mit gleicher Art
Das Lob vom guten Eſſen.
O, wenn wir von dem Hunger ſtark
Getrieben ſind zum vollen Tiſche,
Erregt alsdann des Rindes Mark,
Der Bruſtkern, und die Fiſche,
Das Feldhuhn, oder von dem Reh
Der wohlgebratne zarte Ruͤcken,
Und ſelbſt der Hummer aus der See,
Dem Gaumen kein Entzuͤcken?
85
Wie? waͤre nicht aus Calekut
Der Hahn, und eines Hammels Lende
So liederwerth, als Traubenblut,
Das ich vortrefflich faͤnde?
Sprich, Quintus! wenn Du muͤd und matt
Ins Lager kamſt von Kriegesthaten,
Wie reizte Dich das Schulterblatt
Des Ebers friſch gebraten!
Mit welcher Wolluſt des Geſchmacks
Verzehrteſt Du, ſtatt der Melonen
Und Pfirſichen, den trocknen Lachs
Betraͤufelt von Citronen!
Und wenn Dir noch anjezt Cothen
Nichts darf verbieten, nichts befehlen,
Siehſt Du mit Luſt die Schuͤſſeln ſtehn
Und lobſt ſie vor Pokaͤlen.
F 386

Ueber die Begierde des Saͤuglings.

Ob Weizen reift zu Semmel oder Kuchen,
Daruͤber ſorgt der Saͤugling nicht,
Der einen Buſen weiß zu ſuchen,
Und lallend mit der Amme ſpricht.
Er bittet nicht um Regen oder helle
Vom Lerchenchor durchſungne Luft,
Wenn ſelbſt die halbverſiegte Quelle
Zum Jupiter um Naͤſſe ruft.
Er kennet keine Guͤter, des Beſtrebens,
Des Wunſches ſeiner Seele werth,
Ihm iſt das ganze Gluͤck des Lebens
Die volle Bruſt, die ihn ernaͤhrt.
87
Nach ihr verlangt er heißer als die Schaaren
Der Roͤmer bey dem Marc Anton
Nach Waſſer, als ſie ſchmachtend waren,
Und kaͤmpfend vor den Parther flohn.
An dieſe Bruſt faͤllt er mit groͤßerm Geize
Als ein verliebter Juͤnglingsmund
An Lippen, die durch ihre Reize
Sein junges Herze machten wund.
Und wenn er nun dies erſte Gluͤck verlieret
Und ſeinen erſten Kummer weint,
Wird ſeine Mutter tief geruͤhret,
Mit ihm zur Traurigkeit vereint.
Es duͤnkt ihr hart, den Saͤugling ſo zu quaͤlen,
Und doch iſts ein nothwendig Muß:
So weislich laͤßt der Himmel fehlen
Uns Groͤßern oft den Ueberfluß.
Er thaͤt es nie, wenn nicht Sein Auge wuͤßte,
Was jedem Menſchen nuͤtzlich ſey,
Er nimmt die Nahrung unſrer Luͤſte
Und legt uns etwas Beßres bey.
F 488

Ermahnung an einen jungen Freund.

Juͤngling, blaß ſind Deine Wangen,
Leichenblaß,
Ach, Du biſt voll Tugendhaß
Oft der Wolluſt nachgegangen.
Kehre wieder, kehre wieder,
Wirf in Dir
Das ernaͤhrte wilde Thier
Der verdorbnen Neigung nieder.
Maͤßigkeit und reine Sitten
Fuͤhren ſchon
In ſich ſelber ihren Lohn,
Wenn Du keinen Arzt darfſt bitten.
89
Eine fromm genoßne Jugend,
Froͤhlichkeit
Die dem Tritte Roſen ſtreut,
Mit Bewilligung der Tugend:
Ein Gewiſſen ohne Wunden,
Und ein Blick,
Ohne Schaam und Reu zuruͤck,
Auf des Lebens Mittagsſtunden;
O das iſt ein Gluͤck auf Erden,
Und wird hier,
Wenn Du Greishaar traͤgeſt, Dir
Schon zum Freudenhimmel werden!
F 590

An Phillis.

Eine Einladung zu den Ruinen bey Potsdam.

1765.

Durch deines Lagers Ueberhang
Iſt nicht des Tages Blick gedrungen,
O Phillis! als mich zum Geſang
Mein klopfend Herz ſchon aufgezwungen.
Ich nahm die Leyer, dachte dich,
Und frug, ob meine Muſe wuͤßte,
Daß Phillis lieblich traͤumend ſich
Mit mir und ihrem Schaͤfer kuͤßte?
Komm, meine Freundin! kuͤſſe mich,
Und laß mich deine Rechte fuͤhren
Zum Huͤgel, den ſo ſchauerlich
Die Zeichen der Vernichtung zieren.
91
Ein halb zerſtoͤhrter Tempel ragt
Hervor, als haͤtte man vor Zeiten
Hier den Apoll um Rath gefragt
Beim Waffengriff, zu Krieg und Streiten.
Uns duͤnkt, als ob die Pythia
Noch in den dunklen Thaͤlern ſaͤße,
Und murmelte was jezt geſchah,
Und das Zukuͤnftige vergaͤße.
Komm, meine Phillis! wenn der Tag
So heiter bleibt, und fuͤhle Trauer,
Wie damals, da Dein Daphnis lag
Vor Dir im lezten Todesſchauer.
Nein, nicht ſo grauſam fuͤhle ſie,
Dich muͤſſe zaͤrtlich nur durchdringen
Bei Birken die Melancholie,
Und dich zu ſanften Thraͤnen zwingen.
92

An den Freyherrn von A. aus Coͤthen uͤber die Winterluſtbarkeiten in Berlin.

Du, deſſen Auge nichts verraͤth
Vom Stolze, den ſo manche Bruſt bewirthet,
Durch Ordensbaͤnder aufgeblaͤht,
Womit ſie ward umguͤrtet.
O A*! Dein Herz verſchließt
Sich nimmer, wenn die Freuden Dich umgeben,
Der Weiſe braucht ſie, und verſuͤßt
Sich gern dadurch das Leben.
Dich reizt Dein Landgut, wenn im May
Die Voͤgel aus den ſchattigen Gebuͤſchen
Mit eines Schaͤfers Feldſchalmei
Ihr tonreich Lied vermiſchen.
93
Und Deine Rinderheerde ſatt
Im Blumenthal beim Bache lieblich bruͤllet:
Jezt aber reizt Dich Friedrichs Stadt
Mit Spiel und Tanz erfuͤllet.
Jezt ladet Dich der Singe-Saal
Des Helden ein, der uͤber andre glaͤnzet,
Wie Phoͤbus, wenn der goldne Strahl
Sein lokkigt Haupt bekraͤnzet
Die Sterne ringsumher beſchaͤmt;
Hier herrſchen hohe koͤnigliche Freuden,
Und ſelbſt der Buͤrger, der ſich graͤmt,
Verſtaunt hier ſeine Leiden;
Vergißt den Mangel, der ihn druͤckt,
Und ſtuͤrzt ſich mit der zahlenloſen Menge
Ans Schauſpielhaus, und wird erquickt
Vom Wohlklang der Geſaͤnge.
Auch Du betaͤubeſt jezt in Dir
Des Laͤndereibeſitzers kleinſte Sorgen,
Bald aber lokket Dich von hier
Des Hornungs erſter Morgen,
94
An welchem ſich die Lerche ſchon
Hoch uͤber Deine Saatenfelder ſchwinget,
Da ſagt Dir ihrer Hymnen Ton
Mehr als der Saͤnger ſinget,
Dem Menſchenkunſt die Noten ſchrieb,
Und Koͤnige zu ihrer Luſt gedungen;
Der ungeruͤhrt bei Trillern blieb,
Die jedes Ohr durchdrungen:
Und einer Orgelpfeife gleicht
Die ſchmeichleriſch den Hoͤrer uͤberwindet,
Und bis zu Thraͤnen ihn erweicht
Und ſelber nichts empfindet.
95

Lied an Se. Fuͤrſtl. Durchl. den jungen Prinzen von Anhalt, Enkel des regierenden Herrn Grafen von Wernigerode zum Erſten Jahrstage.

Prinz, der von Seiner Mondenzahl
Den erſten Umlauf hat vollendet,
Und ſich in Seiner Lieblingswahl
Zu ſchoͤnen Kleinigkeiten wendet,
O zarte Frucht von hohem Stamm,
Jezt ſpielſt Du noch mit goldnen Pferden
Und nimmſt Dein kunſtgemachtes Lamm,
Und willſt ein Schaͤfer werden.
96
Bald aber, wenn Du groͤßer wirſt,
Bey vorgekeimeten Verſtande,
Begreift Dein Geiſt, daß Du der Fuͤrſt,
Der Erbe biſt von einem Lande,
Worinnen Milch und Honig fleußt:
Dann werden Schmeichler Dich umgeben,
Die Deinen witzbegabten Geiſt
Bis an die Stern erheben.
Dann ſey auf Deiner Hut, o Kind,
Bey dem Geſange der Sirenen,
Die lieblich und betaͤubend ſind,
Und oftmals in den Fuͤrſtenſoͤhnen
Die beſten Seelen ſchlimm gemacht;
Sie gleichen jener bunten Schlangen,
Die liſtig und mit Redepracht
Das erſte Weib gefangen.
Laß nicht in Deiner jungen Bruſt
Den Trieb zur ſtolzen Herrſchſucht ſteigen!
Sey ſanft, und finde Deine Luſt,
Wenn Du Dich fuͤrſtlich kannſt bezeigen,
Großmuͤthig, zaͤrtlich, voll Gefuͤhl
Des Mitleids und der Menſchenliebe,
So daß Dein Herz im Kinderſpiel
Schon fromme Pflichten uͤbe.
Jedoch97
Jedoch warum ermahnt mein Lied
Dich, der zu Tugenden geſchaffen,
Das groͤßte Beyſpiel vor ſich ſieht:
Dein Vater, welcher einſt in Waffen,
Und jetzt im Frieden als ein Chriſt
Des Himmels Augen wohlgefallen,
Lehrt Dich, ſo bald Du denkend biſt,
Auf ebnem Pfade wallen.
G98

An den kleinen von K. uͤber die Landkarte von Perſien, Griechenland und ganz Aſien.

Mein Wilhelm! Strecke nicht die zarte
Die kaum gebaute Kinderhand
Nach dieſer kunſtbezognen Karte,
Du kenneſt weder See noch Land.
Wenn ſieben Sommer ſind entwichen
Und Dein Verſtand begreifen kann,
Da ſtaunſt Du bey den feinen Strichen
Des Alexanders Feldzug an.
99
Dir zeiget Deiner Mutter Finger
Viel Koͤnigreiche, die der Gang
Und Anblick von dem Staͤdtezwinger
Schnell unter ſeine Fuͤße zwang.
Du ſiehſt den Helleſpont und hoͤreſt
Von Xerxes ſtolzen Uebermuth,
Du ſiehſt Thermopylaͤ und ehreſt
Der Griechen edle Heldenwuth.
Das Vaterland der alten Dichter,
Die ſchon Jahrtauſende geglaͤnzt
Wie um den Mond die Sternenlichter,
Von der Unſterblichkeit gekraͤnzt.
Athen und Lesbos ſiehſt Du Knabe,
Und Theben und Lacedaͤmon,
Und fragſt nach des Homerus Grabe,
Und fragſt: Wo ſchlaͤft Anacreon?
Wo Sophoeles? Achill? und jener
Beruͤhmte Pindar? und Socrat,
Der Philoſoph, der als ein ſchoͤner
Erhabner Geiſt im Tode that?
G 2100
Wo ſchlummern Helden? wo die Weiſen,
Von welchen die Geſchichte ſagt,
Nach welchen auf entfernten Reiſen
Des Juͤnglings Neubegierde fragt?
O beſte Mutter! alle dieſe
Beruͤhmte Maͤnner ſind dahin,
Wie Herbſtgras von gemaͤhter Wieſe;
Nichts ſchont des Schickſals Eigenſinn.
Nichts blieb zuruͤck als ihre Tugend
Und ihres großen Geiſtes Ruhm
Geliebte! Treib Du meine Jugend
Stets in der Weisheit Heiligthum!
101

An Ihro Koͤnigl. Hoheit die Mutter des Preußiſchen Thronfolgers.

Die Du gleich einem andern Menſchenkinde
Des Tages Schoͤnheit nicht gekannt,
Als man zuerſt die goldne Fuͤrſtenbinde
Um Deine Stirne wand;
Du wurdeſt von zwe’n Himmliſchen bewundert,
Die Deinen erſten Schlaf bewacht.
Sie ſprachen von dem kuͤnftigen Jahrhundert,
Und von der Krone Pracht,
Die Deines Sohnes Schlaͤfe wuͤrde ſchmuͤcken,
Und wenn er ſaͤß auf ſeinem Thron,
Dann ſegneten die Voͤlker mit Entzuͤcken
Die Mutter und den Sohn.
G 3102
Prinzeßin, alſo ſprachen mit einander
Zwe’n Engel, welche ſich vergnuͤgt,
Daß nicht in Dir ein zweyter Alexander,
Ein Pyrrhus ward gewiegt;
Daß nicht in Dir tief eingewickelt laͤge
Ein Prinz, der einſt voll Kriegeswut
Durch Feld und Wald bezeichnete die Wege
Mit der Erſchlagnen Blut.
Sie ſahen alle Zuͤge, die gezwungen
Dein Freund, Dein Koͤnig, muſte thun,
Und Schlachten, die den Feinden mißgelungen,
Eh Friedrich konnte ruhn;
Und Deinen Sohn bekleidet mit dem Panzer,
Den Heldendegen in der Hand,
Und voller Glut, als waͤr in Ihm Sein ganzer
Sonſt ſanfter Geiſt entbrannt.
O Fuͤrſtin! Die Beſchuͤtzer Deiner Wiege
Begleiteten Ihn durch Gefahr,
Als Er bey Friedrichs leztem großen Siege
An den Sudeten war.
103
Sie brachten dieſen Stolz des Vaterlandes
An Deine Bruſt, und laͤcheln einſt,
Wenn wegen eines ſchoͤn verſchraͤnkten Bandes
Du Deine Freude weinſt;
Wenn Er mit Deinen Tugenden gezieret
Die reizendſte Prinzeßinn ſieht,
Und wenn Er Sie bey Seiner Hand gefuͤhret
An Deinen Buſen zieht,
Und Ihren Geiſt und Ihres Herzens Schoͤne
Mehr als der Wange Bluͤhten liebt,
Und Seinen ewigſichern Staaten Soͤhne,
Nachfolger Friedrichs, giebt.
G 4104

An die Koͤniginn.

O Koͤniginn! an allen Enden
Der Erde wirſt Du nun die Groͤßeſte genannt,
So weit ſich Phoͤbus kann auf goldnem Wagen wenden,
So weit iſt Friedrich auch bekannt.
Der Wilde ſchnitzt Sein Bild aus Holze,
Vom Cocosbaum, und nennet ihn den erſten Sohn
Des Jupiters; und zeigt mit einem edlen Stolze,
Den Altar ſeiner Nation.
Da tanzen Hand in Hand geſchlungen
Mit Muſchelſchaalen und mit Perlen ausgeſchmuͤckt
Um ihren neuen Gott die Greiſe mit den Jungen;
Sind bis zur Raſerey entzuͤckt;
105
Und werfen ihre Blumenguͤrte
Nach ihm, und ſingen: daß er Loͤw und Hyder ſchlug,
Und daß im Kriege ſelbſt ſein gluͤcklich Volk die Myrthe
Beym Gaſtmahl um die Schlaͤfe trug.
So feyren ihn durch ihre Taͤnze
Die Inſeln und der Strand des weiten Oceans;
Der Indianer bringt die Beute vieler Lenze,
Zum Opferdufte dieſes Pans,
Und ruft ihn an, eh er den Bogen
Und volle Koͤcher nimmt: verleihe mir den Sieg!
O du, vor welchem ſtets das Schrecken hergezogen,
Dein Gluͤck zieh mit mir in den Krieg.
So betet, mit der Stirn zur Erde,
Der wilde Canibal von Friedrichs Ruhme voll,
Und wuͤnſcht ſich Fluͤgel, wuͤnſcht ſich Titans Purpur -
Pferde,
Den Mars zu ſehn, und den Apoll,
Von welchen aller Voͤlker Zungen
Geſchichterzaͤhler ſind; der Goͤtterlieder hoͤrt
In allen Sprachen; und von Dichtern wird beſungen,
Bis einſt der Weltbau wird zerſtoͤrt.
G 5106
Auch Dich mit Glanz Umgebne! werden
Virgile ſingen, bis die Felſen nicht mehr ſtehn,
Und keine wollenreiche weiße Laͤmmerheerden
In blumenvollen Thaͤlern gehn.
Du biſt, um Deines Herzens wegen,
Geſangeswuͤrdiger, als Berenice war,
Die fuͤr den Ptolomaͤus erbat den Waffenſegen,
Und angelobt ihr lockig Haar
Dem Gott des Kriegs, und als der ferne
Siegreiche Koͤnig kam, den Hauptſchmuck dargebracht,
Der zum Olymp entruͤckt zu einem neuen Sterne,
Ihr zur Belohnung ward gemacht.
107

An die Melpomene wegen des Prinzen Heinrichs des juͤngern Koͤniglichen Hoheit.

[Verſtorbenen Bruder Seiner Majeſtaͤt des Koͤnigs.]

Den 30ſten December 1763.

Juͤngſt bat ich von dem Schoͤpfer aller Toͤne,
Von dem Apoll, das Saitenſpiel
Des Sophocles, und rief, o Melpomene!
Dich an mit tragiſchem Gefuͤhl.
Dich lud ich ein zum klagenden Geſange,
Denn Preußens großer Genius
Gab mit verhuͤllter thraͤnenvoller Wange
Dem kranken Heinrich ſeinen Kuß.
108
Und ſtuͤrmte des Olymp-Beherrſchers Ohren,
Wenn er fuͤr dieſen Prinzen bat,
Der ſchoͤn iſt, wie das Antlitz von Auroren,
So ſchoͤn war nicht Aleibiad;
Den Soerates platoniſch feurig liebte,
Und kuͤſſend ihn zur Weisheit riß;
So ſchoͤn war nicht Pompejus der Verliebte,
Den in die Lippe Flora biß.
O Muſe! deine Schweſtern ſenkten alle
Mit aufgebundnem Haar und Kranz
Sich uͤber ihn, und riefen: Wenn er falle;
Dann ſchwiegen Saitenſpiel und Tanz.
Dann wuͤrde wie bey Kriegesdonnerwetter
Der Saal verſchloſſen, wo die Nacht
Den Koͤnig ſieht, der Siegeslorbeerblaͤtter
Verſteckt in friſcher Myrthen Pracht.
Und bey der Symphonien ſuͤßem Tone
Die Groͤße ſeines Ruhms vergißt,
Und froher, als auf rund umknieten Throne
In ſeiner Freunde Zirkel iſt.
109
Und jezt Empfindung laͤchelt in die Scene,
Wenn hoch des Saͤngers Buſen bebt;
Und lieblich ſpricht zur preußiſchen Alcmene:
Daß ihr Alcides wieder lebt.
Daß Aesculap und die Natur verbunden,
Ihn riſſen aus des Charons Kahn,
Und ſeinen Blick die Parce ſelbſt empfunden,
Die an dem goldnen Faden ſpann.
110

An den regierenden Reichsgrafen von Stollberg-Wernigerode uͤber die Freude, Seinen einzigen Enkel gluͤcklich vermaͤhlt zu ſehen.

Du, den ich lange ſchon verehrte
Im Sohne, der Dir aͤhnlich ſieht,
Und hundertmal mein Lied mit Wohlgefallen hoͤrte,
Vernimm jezt auch mein Lied.
Graf, der in aufgeklaͤrten Mienen
Dem Patriarchen gleichend iſt,
Vor deſſen Angeſicht der Herr Dein Gott erſchienen,
Dem Du gewidmet biſt.
111
Du liebenswuͤrdiger Gebieter
Des Volkes, das Dich Vater gruͤßt,
O Du begluͤckter Greis, der dieſes Lebens Guͤter
Im hohen Grad genießt.
Was muß Dein Herz fuͤr Freude ſchmecken!
So froh war vormals Abraham,
Als ſeiner Sarah Sohn vertraulich mit Rebeccen
In ihre Huͤtte kam.
So froh war Jacob einſt in Goſen,
Wenn Joſeph kam, und neben ihn,
Die Asnath ſein Gemahl, den Alten liebzukoſen,
Der ganz entzuͤcket ſchien.
Dein juͤngſter lieber Stammerhalter,
Dein Enkel Chriſtian, der Graf,
Der tauſend Juͤnglinge von einem gleichen Alter,
An Weisheit uͤbertraf;
Bringt ſeine ſchoͤne Neuvermaͤhlte,
Mit allen Reizungen geziert,
Und mit mehr Tugenden, als ſie ſchon Jahre zaͤhlte,
An Seinen Arm gefuͤhrt.
112
Jezt ſchlaͤgt Dein Herzenspuls geſchwinder,
Jezt laͤchelſt Du Sie liebreich an,
Und ſprichſt: kommt naͤher, kommt in meinen Arm,
Ihr Kinder,
Daß ich Euch ſeegnen kann.
Komm her, Du Dritte meiner Toͤchter,
Du, wie des Fruͤhlingsblume, ſchoͤn,
Wachs in viel Tauſende, bis Thronen und Ge -
ſchlechter
Auf Erden untergehn.
Und Du, mein Sohn, der Du den Namen
Des Gottes Deiner Vaͤter ehrſt:
Der Herr behuͤte Dich, damit Du Deinem Saamen
Einſt ſeine Wege lehrſt.
Be[y]113

Bey dem Eheverbuͤndniß meines juͤngſten Bruders Ernſt Daniel Hempel.

Du traueſt, mein geliebter Bruder,
Dem Herrſcher, der die Fluren traͤnkt
Aus ſeinem Himmel, und das große Steuerruder
Von aller Menſchen Schickſal lenkt.
Du denkſt in feierlicher Stunde
Zuruͤck an Deiner Jugend Pfad;
Die Dornen machten Dir ſchon eine tiefe Wunde,
Als kaum Dein Fuß die Welt betrat.
H114
Als ſich Dein Arm um meinen Nacken
Noch kindiſch wand, als Du den Sarg
Des Vaters nicht gekannt, wo ihre naſſe Backen
Die Mutter unterm Flor verbarg.
Du wuchſeſt mancher Noth entgegen,
Zu fruͤh verwaiſet warſt Du ſo
Zur Sklaverei beſtimmt, wie Iſrael zu Schlaͤgen
Im Frohndienſt eines Pharao.
Dich armen laſtbeladnen Knaben
Zog oftmahls die Melancholie
Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,
Da ſeufzteſt Du: ich kannt ihn nie.
Da ſankſt Du traurig auf den Huͤgel,
Der Deiner Mutter Staub bedeckt,
Bis ein Poſaunenſchall des Grabes Thor und Riegel
Zerſprenget, und die Todten weckt.
Du weinteſt laut auf jenem Sande,
Der unſern Herzen heilig heißt,
Nahmſt einen Stab und giengſt in unbekannte Lande
Muͤhſelig, wie ein Wandrer reiſt.
115
Der Mutter ſterbendes Gebete,
Ihr lezter Seufzer ging mit Dir
Durch Labyrinthe fort, durch Waͤlder, Meer und Staͤdte,
Ihr Engel brachte Dich zu mir,
Zu einer Schweſter, die den Finger
Des hoͤchſten Weltregierers kennt,
Und ſeine Fuͤhrung preiſt, und taͤglich ſich geringer
Als tauſend andre Menſchen nennt.
O Bruder, truͤge meine Toͤne
Der Nachhall bis zur Sternenwelt,
Wuͤrd unſrer Mutter jezt das Bildniß ihrer Soͤhne
Mit Blumenkraͤnzen vorgeſtellt,
Und dieſes Beiſpiel einer aͤchten
Getreuen Liebe, Deine Braut:
Dann fuͤhlte ſie noch mehr die Wonne des Gerechten,
Der Gottes Angeſichte ſchaut.
Ich hoͤre Fluͤgel ſich bewegen,
Mein Bruder, horche doch, es bringt
Vielleicht ein Engel von dem Himmel einen Seegen,
Den unſre Mutter jezt erringt.
H 2116
Dein Herze fuͤhlet ſtaͤrkre Schlaͤge
Von Hoffnung und von Zuverſicht,
Und Du befiehlſt getroſt dem Herren Deine Wege.
Und ſorgeſt fuͤr die Zukunft nicht.
Und ſiehſt auf ihn, der alle Neſter
Verlaßner Raben unterhaͤlt,
Und Deine tief in Staub herabgeworfne Schweſter
Zum Wunder machte vor der Welt.
117

Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin bey den Ruinen

Blick auf! blick auf von deinem Aſchenhuͤgel,
Hinauf zum Herrn, den keiner fragen darf,
Warum er ſchnell durch ſeines Sturmwinds Fluͤgel
In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?
Im vollen Schmuck ſah dich der Mittag ſchimmern,
Und traurig ſah die Abendſonne ſich
Noch einmal um, du lagſt bei deinen Truͤmmern
Verhuͤllt in Dampf, und weinteſt bitterlich.
H 3118
Gott hoͤrt die Brut verlaßner Waldesneſter,
Er hoͤrt nach Brod auch deine Kinder ſchreyn;
Er haucht in deine koͤnigliche Schweſter,
In ſein Berlin, den Geiſt des Mitleids ein.
Blick auf! und ſchau dahin nach jener Seite,
Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,
Und ſtuͤrzte dich zum Staub herab, und heute
Koͤmmt wie vom Himmel Troſt fuͤr dich daher.
Da kommen Wagen dir ſo vollgehaͤufet
*)Es iſt bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berli - ner ſich gegen die verungluͤckten Ruppiner verhielt; nicht allein die Großen und Edlen, ſondern auch die armen Dienſtboten trugen zur Unterſtuͤtzung bei, und wol me -
*),
Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,
Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereiſet,
Mit Lobgeſang ins frohe Doͤrfchen fuͤhrt.
Die Maͤnner und die Frauen frommer Sitte
Die theilten ihren Kleiderſchrank mit dir,
Vom Pallaſt an bis zu der kleinſten Huͤtte
Herrſcht Thaͤtigkeit fuͤr deine Huͤlfbegier,
119
Kaum kann der Mai mehr auszuſchuͤtteln haben,
Wenn ihn die Zeit ſein Fuͤllhorn ſchwingen laͤßt;
Kaum giebt der Herbſt uns mehr Erquickungsgaben,
Als dir Berlin zum ſuͤßen Labefeſt.
Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,
Der nicht fuͤr dich zum Wohlthun ward geruͤhrt;
Die Nation gedenkt auch thaͤtig deiner,
Die maͤchtig aus Egypten ward gefuͤhrt
*)Die loͤbliche Judenſchaft.
*).
Nimm was da koͤmmt, und eile Dank zu ſagen
(Im Tempel, den die Flamme nicht beruͤhrt)
Der Vaterhand, die dich ſo hart geſchlagen,
Und dir zum Heil die Herzen jezt regiert.
Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten:
Bis hieher und nicht weiter ſollt ihr gehn,
Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,
Die Haͤuſer und die Tempel neu entſtehn.
*)mals ſahe man die angeborne Guͤte des menſchlichen Her - zens ſo allgemein, als bei dieſer traurigen Gelegenheit.
*)
H 4120
Du wirſt es ſehn, wirſt nicht die Hand verkennen,
Wenn hoͤher dich dein Koͤnig hebt empor;
Dann werden dich die Schweſtern ſchoͤner nennen,
Und ſeliger dich preiſen wie zuvor.
Sie ſeufzen alle mit in deine Klagen,
Und ſtellen einen edlen Wettlauf an,
Dir wie auf[Windesfluͤgeln] zuzutragen
Troſt, der dich wieder freudig machen kann.
121

An die Sonne bei dem Leichenbegaͤngniſſe Friedrichs des Groͤßten

Geliebte Fuͤrſtin der Natur,
O Sonne! huͤlle dich in Schleyerwoͤlkchen nur,
Und nicht in eine ſchwere finſtre Wolke,
Du ſchoͤne Himmelsmajeſtaͤt!
Bleib freundlich dieſem Trauervolke.
Sieh, dieſer Zug, der langſam geht,
Der Koͤnigliche Leichenwagen,
Bedeutet mehr, als je dein Blick geſehn,
Wenn Weltbeherrſcher fortgetragen
In Gruͤfte wurden, wo kein Klagen,
H 5122
Kein Opferbringen, und kein Flehn
Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung
Auf ewig kaltem Throne ſitzt,
Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung
Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt
Die winterkrank geweſne Erde,
Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn,
Und Berg und Thal bekleidet werde
Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn:
Nur Gras und Blumen kannſt du wecken
Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,
Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken;
Mehr iſt dir nicht erlaubt
Die Koͤnige, die dir geglichen
An Groͤße, Mildigkeit und Macht,
Und ſo wie Laub und Gras verblichen,
Die werden nicht hervorgebracht
Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe
Durch deine Wuͤrkung wieder lebt,
Und baͤte dich darum die halbe
Verwayßte Welt, die mit begraͤbt
Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne,
Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf
Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne
123
Den Fruͤherwachten, der ſchon in Gedanken ſchuf,
Was Millionen Menſchen nuͤtzte,
Wenn deinem Glanz die Lerch entgegen ſang
Du ſiehſt nicht mehr den Helden, der uns ſchuͤtzte,
Der mit viel Feinden fuͤr uns rang.
Du wirſt in Seiner Hand nicht mehr Sein Schwerdt
verguͤlden,
Er gab es Seinem Folgefuͤrſt,
Den du dereinſt in Schlachtgefilden
Zu Heldenkampf auch wecken wirſt,
Wenn gegen uns ein Feind ſich huͤbe
Vom Waffenlager fuͤrchterlich
Ihn wird auch Landesvaterliebe
Nicht ruhen laſſen, wenn du dich
Schon zeigſt im roſenfarbnen Schleyer:
Dieß iſt Sein Vorſatz koͤniglich
Er weint, Sein Vorbild war ſo groß, ſo lieb, ſo
theuer,
Und ach, du ſelber truͤbeſt ja
Dein Antlitz bei der Leichenfeyer,
Weils Seine Thraͤnen fließen ſah
Zeuch Waſſer aus der Spree und aus der Hafelwelle,
Und aus der Oſtſee, wenn du willſt;
Noch weilt Er auf der Grabesſchwelle,
124
Und ſegnet Friedrichs Schlummerſtelle,
Indeß du dich in Trauer huͤllſt;
Noch toͤnt bei heiligen Gebeinen
Der Todtenſang zu dir empor
Laß eher nicht den Himmel weinen,
Bis Saytenſpiel und Saͤngerchor
Genug geklagt, bis Alles ſchweiget
Und Alles aus dem Tempel wich,
Und nur ein ſtilles Ach noch ſteiget
Weit uͤber dich
125

Lob der ſchwarzen Kirſchen.

Des Weinſtocks Saftgewaͤchſe ward
Von tauſend Dichtern laut erhoben;
Warum will denn nach Saͤngerart
Kein Menſch die Kirſche loben?
O die karfunkelfarbne Frucht
In reifer Schoͤnheit ward vor dieſen
Unfehlbar von der Frau verſucht,
Die Milton hat geprieſen.
Kein Apfel reizet ſo den Gaum
Und loͤſchet ſo des Durſtes Flammen;
Er mag gleich vom Chineſer-Baum
In aͤchter Abkunft ſtammen.
Der ausgekochte Kirſchenſaft
Giebt aller Sommerſuppen beſte,
Verleiht der Leber neue Kraft
Und kuͤhlt der Adern Aeſte;
126
Und wem das ſchreckliche Verboth
Des Arztes jeden Wein geraubet,
Der miſch ihn mit der Kirſche roth
Dann iſt er ihm erlaubet;
Und waͤre ſeine Lunge wund,
Und ſeine ganze Bruſt durchgraben:
So darf ſich doch ſein matter Mund
Mit dieſem Tranke laben.
Wenn ich den goldnen Rheinſtrandwein
Und ſilbernen Champagner meide,
Dann Freunde miſcht mir Kirſchblut drein
Zur Aug - und Zungenweide:
Dann werd ich eben ſo verfuͤhrt,
Als Eva, die den Baum betrachtet,
So ſchoͤn gewachſen und geziert,
Und nach der Frucht geſchmachtet.
Ich trink und rufe dreymal hoch!
Ihr Dichter ſingt im Ernſt und Scherze
Zu oft die Roſe, ſinget doch
Einmal der Kirſchen Schwaͤrze!
127

Als ſie des Sonntags zu einer[Luſtreiſe] nach Charlotten - burg eingeladen wurde, und ſie ſich entſchuldigte, weil ſie den Herrn Rath Spalding predigen hoͤren muͤßte.

Gern fuͤhr ich auf der ſtillen Spree
In einem ſchoͤn beladnen Kahne,
Wo mit dem ſchlanken Arm Dein Neubau’r ruderte,
Vorbei an einem ſtolzen Schwane.
O Wilke! gerne waͤr ich da,
Wo laͤndlich wird geſchmauſet werden.
Der Baumentkleidende, reifreiche Herbſt kommt nah,
Dann bloͤken uns nicht mehr die Heerden.
Die Lerche ſchwingt ſich nicht empor,
Und in dem Garten, in dem Hayne
Iſt nichts Ergoͤtzendes fuͤr unſer Aug und Ohr
Bei mattgewordnem Sonnenſcheine.
128
Jezt iſt es billig, daß wir noch
Die lezten Sommertage geizend
Erhaſchen zum Gebrauch, dies weiß ich; aber doch
Mir ſind noch andre Scenen reizend.
Die Tempel Gottes oͤffnen ſich
Dem Edlen und dem Volke morgen;
Ein Spalding auf der Rednerbuͤhne lehret mich
Fuͤr mein unſterblich Theil zu ſorgen.
Den will ich hoͤren. Durſtig ſoll
Mein Geiſt in ſich die Worte ſchlingen,
Und einer Biene gleich, von Suͤßigkeiten voll,
Will ich mein Herz zuruͤcke bringen.
An129

An Gott bei dem Ausruf des Friedens.

Was hoͤr ich? rauſchen goldne Fluͤgel?
Poſaunet in zertheilter Luft
Ein Seraph, welcher uͤber alle Grabeshuͤgel
Daher faͤhrt, und die Todten ruft?
Was reiſſet mich empor? ich fuͤhle
Den nahen Himmel; bin ich ſchon
Hoch uͤber der Gebuͤrge Gipfel, uͤber Stuͤhle
Der Zepterfuͤhrer weggeflohn?
Hoͤr ich, Du Gott der Erdengoͤtter
Dich loben durch den ganzen Raum
Der neuen Schoͤpfung, ſelbſt von Deines Glanzes
Spoͤtter,
Der Deine Wunder nannte Traum?
J130
Erblick ich Myriaden Sterne
Um Deines Sonnesthrones Fuß?
Hellleuchtend, daß davor ich zitternd in der Ferne
Mein Angeſicht bedecken muß?
Horch ich erſtaunt dem hohen Liede,
Der Saͤnger Deines Namens zu?
Gott, welch ein Saytenſpiel! es toͤnet Friede!
Friede!
Und Kronengeber, den giebſt Du!!
Du laͤſſeſt Deinem Volke wieder
Die Ruhe ſchmecken, rufeſt laut
Uns aus dem Schmerzensſchlaf zum Jubel neuer Lieder
Bei den Altaͤren, Dir gebaut.
Wir lagen, gleich den Blumenſtengeln,
Wenn ſie der Nordoſt niederbeugt;
Du hebſt uns auf, und hoͤrſt dein Lob von allen Engeln,
Wenn unſre ſtumme Freude ſchweigt.
131

Geſang auf eine Hochzeit, welchen die Dichterin in der toͤdtlichen Schwaͤche ihrer letzten Krankheit zu Frankfurth an der Oder gedichtet.

Suͤß iſt die Liebe der Ehen,
Geheiliget wird ihre Glut,
Und nimmer kann ſie vergehen
In Herzen bieder und gut.
Von dieſer Liebe durchdrungen,
Preiswuͤrdige Schweſter! biſt Du,
Und W*ffen, der Dich errungen:
Euch jubeln wir Froͤhlichkeit zu.
Wer kann die Froͤhlichkeit ſchildern,
Die unſere Seelen durchdringt?
Kein Dichter mit reizenden Bildern,
So hoch, ſo herrlich er ſingt.
J 2132
Wir ſehn, wir wiſſen auf immer
Dich gluͤcklich an traulicher Hand,
Die Jahre verſchwaͤchen Euch nimmer
Der Liebe roſiges Band.
Du unſre Herzensverwandte,
Vermaͤhlte Schweſter, Du machſt
Uns oft zu Onkel und Tante,
Wir bitten, daß Du nicht lachſt.
Viel weniger daß Du daruͤber
Das Stirnchen in Falten willſt ziehn;
Denn was iſt ſchoͤner und lieber
Als Fruͤchte der Ehe ſehn bluͤhn.
Du haͤngeſt das Koͤpfchen herunter?
Nun richt es nur wieder empor!
Sey lieblich laͤchelnd, ſey munter,
Dein Braͤutigam laͤchelt Dir vor.
Wir fuͤhlens mit ſtillem Entzuͤcken,
Daß Er verbruͤdert uns iſt;
Wir danken mit Worten und Blicken
Dir, wenn uns Sein Brudermund kuͤßt.
133
Er zeig uns die Brudergeſinnung,
Wie Dir die Liebe, unwandelbar veſt,
Bis Euch des Alters Beginnung
Nur mit Urenkelchen taͤndeln noch laͤßt.
Dann ruhet Euch unter der Laube,
Und ſehet die Spiele der Kindelein an,
Und labet mit ſaftiger Traube
Den Gaumen, der trocken zu werden begann.
Jezt ſeyd Ihr ſo ſaftig wie Trauben,
Jezt ſind Euch die Lippen ſo Pfirſichen weich;
Dem zaͤrtlichſten Paͤrchen der Tauben
Seyd Ihr an zarten Empfindungen gleich
*)Da dieſes Lied ein bloßes Gelegenheitsgedicht iſt, ſo wuͤrd es hier nicht aufgenommen ſeyn, wenn nicht zu vermuthen waͤre, daß man ſolchen Leſern einen Gefallen damit erzeig - te, welche bei den letzten Zuckungen einer Genieflamme, wie bei den ſichtbaren Herzensſchlaͤgen eines aufgeſpann - ten Thierchens Anatomiſche Denker ſind.
*).
J 3134

Gebet eines Kindes.

Aller Menſchen Vater! hoͤre,
Merk auf mich dein lallend Kind,
Gieb mir deinen Geiſt, und lehre
Mich, was deine Wege ſind.
Dich zu fuͤrchten, dich zu ſcheuen,
Dich zu lieben und in dir
Mich der ſchoͤnen Welt zu freuen,
Schoͤpfer, dies verleihe mir!
Meinen Eltern Ehre geben,
Ihrem Wink gehorſam ſeyn,
Dir und ihnen dankbar leben,
Ohne Tadel, fromm und rein;
135
Vater, dieß ſind meine Pflichten;
Ach, ich wachſe wie ein Baum,
Der gepflanzet ward zu Fruͤchten
In des Gartens beſten Raum.
Laß mich gute Fruͤchte tragen,
Herr, du pruͤfeſt Herz und Sinn,
Ob ich in der Zukunft Tagen
Tugendhaft und gluͤcklich bin.
Sollt ich nicht o dann erhoͤre
Mein verdoppelt kindlich Flehn,
Und laß mich zu deiner Ehre
Unſchuldsvoll dein Antlitz ſeyn.
Nimm mich fruͤh von dieſer Erde,
Daß mir nicht dein Auge feind,
Wegen meiner Suͤnden werde,
Wenn mein guter Engel weint.
J 4136

Lobgeſang nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen Kindern geſungen am 6ten December 1789.

Lobet den Schoͤpfer, der Himmel und Erde gegruͤndet,
Der uns wohlthaͤtig die Fackel des Tages entzuͤndet,
Der fuͤr die Nacht flimmernde Sterne gemacht,
Lieblich den Monden geruͤndet.
Lobet den Helfer, den maͤchtigen Retter aus Noͤthen,
Feurige Pfeile des Todes, die wollten mich toͤdten;
Aber ich blieb, habe die Roſen ſchon lieb,
Die ſich mir kuͤnftig noch roͤthen.
Danket dem großen allguͤtigen Vater mein Leben,
Daß ich nun wieder dies Auge kann freudig erheben;
Feyert ein Feſt, daß er im Hauſe mich laͤßt,
Mir durch den Koͤnig gegeben.
137
Preiſet den Herrſcher, der Stroͤme mit Ufern um -
ſchraͤnket,
Der auch wie Baͤche die Herzen der Koͤnige lenket;
Preiſet ihn laut, daß er mir Gaben vertraut,
Daß er mir Freunde geſchenket.
Meine Gefuͤhle des Dankes die ſollen ihm gluͤhen,
Bis mir die lobende Seele vom Munde wird fliehen
Ueber den Mond, wo ſie Gefilde bewohnt
Ewig geſchaffen zum Bluͤhen.
J 5138

Danklied am drey und ſechzigſten Geburtstage nach langwieriger Krankheit.

Mein Schoͤpfer, mein Erhalter,
Du kannteſt, eh du Menſchen ſchufſt,
Mich und mein ſinkend Alter,
Hilfſt meiner Schwachheit auf und rufſt
Allmaͤchtig mich vom Grabe,
Als ob ich wieder neu
Mit deiner Lebensgabe
Ans Licht geboren ſey.
139
Du giebſt zum Ewigheile
Zum Ewigwohlſeyn giebſt du mir
Noch laͤngre Lebensweile,
Daß meine Seele ſich zu dir
Erheben ſoll hiernieden
Wo ſie am Staube hing,
Und ganz von dir geſchieden
Verworrne Wege ging.
Sie grub zum Freudetrinken
Sich ſelber Bruͤnnlein ſuͤß und lieb,
Zur Rechten und zur Linken,
Vergaß dich Urquell, trank und blieb
Stets durſtig, und erkennet
Mit ungeloͤſchter Gier,
Daß ſie nur ſehnt und brennet,
Du Lebensborn nach dir.
Sie kehrt voll Schaam und Reue
Vom langen Irrſaal um, und dankt
Dir deine Vatertreue,
Die nimmer muͤdet, nimmer wankt;
Dich preißt ſie, der dem Suͤnder
Zeit umzukehren giebt,
Und, weil er irrt, nicht minder
Ihn in der Irre liebt.
140
Du liebteſt meine Seele,
Eh du der Erde Grund gelegt;
Du giebſt ſie nicht der Hoͤhle,
Worein man ihre Huͤlle traͤgt;
Der Odem deines Mundes
Belebte dies Gebein,
Kraft meines Hoffnunggrundes
Koͤmmt wieder Leben drein.
Aus meiner Aſche faͤhret
Ein Koͤrper, leicht wie reine Luft,
Zu dir empor gekehret,
Wenn deine Stimme Todten ruft.
Mich kleideſt du mit Schimmer,
Ich ſelber werd es ſeyn,
Ich will Dich ſehn und immer
Mich deiner Liebe frenn!
141

Loblied bei dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß.

Wenn ich mit Lob und Dank mein Auge ruͤckwaͤrts hin
Bis auf den erſten Schritt des Erdenwandels lenke,
Dann ſtaun ich, daß ich bin,
Daß ich noch weiter fort zu wandeln hoff und denke.
Der Truͤbſal ward mir viel gewogen von dem Herrn,
Und ſeine Weisheit wirft noch Kummer in die Wage,
Und dennoch zaͤhl ich gern
Bei grau gewordnem Haupt des muͤden Alters Tage.
142
Denn Freundſchaftsſuͤßigkeit legt ſeine Vaterhuld
Mit jedem Tage mir vollwichtig in die Schaale,
Und giebt mir viel Geduld,
Und ſo wird mir die Welt zu keinem Diſtelthale.
Ein jeder Seelengruß von fernher oder nah,
Iſt eine Roſe mir, die Laufbahn zu verſchoͤnern,
Bis ich, Halleluja!
Dort oben ſing im Chor mit Gottes Jubeltoͤnern.
[143]

Epiſteln und Erzaͤhlungen.

[144]145

An die Prinzeſſinn Heinrich.

Durchlauchtigſte Prinzeſſinn Gnaͤdigſte Frau!

Ich befinde mich außer den Umſchanzungen Magde - burgs, an dem Tage, der die Pallaͤſte erleuchtet von dem Glanz der Feierlichkeit, wovon Ew. Koͤnigl. Hoheit die Urſache ſind; aber meine Erinnerung iſt nichts deſto weniger lebhaft. An dieſe Feſtlichkeit gedenk ich und wuͤnſche mir, in derſelben die Prin -K146zeſſinn zu ſehen, die im leicht flatternden Morgen - gewand alle Reizungen einer Bezauberung hat; ich beneide meinen Freund, aus deſſen Hauſe ich mir das Gluͤck gebe, Ewr. Koͤnigl. Hoheit zu ſchreiben. Er macht mir Beſchreibungen von dem Stolz, den er zu bekaͤmpfen hatte, nach der Gnade, die ihm ein Zufall gab: Sie kamen, gnaͤdigſte Prinzeſſinn! durch Hal - berſtadt, und die veralterten Gemaͤuer zitterten Ihnen Ehrfurcht entgegen.

Gruͤn wie der Fruͤhling war Dein Kleid;
Weiß, wie der Schnee zur Winterzeit,
Die Stirne, die voll Lieblichkeit
Herab zu allem Volke redte.
Die Grazien ſahn neidiſch nach,
Der Dichtergott Apollo ſprach:
Wer ſich in Dich verkleidet haͤtte.
Diana, ſprach er, ſtieg herab,
Und weil der Wald ihr keine Freuden
Fuͤr ihre Goͤtterſeele gab,
Gefiel es ihr ſich menſchlich einzukleiden;
Prinzeſſinn! alſo ſprach Apoll
Zu ſeinem Sohn den Kriegesdichter:
Indem erblickteſt Du hoch auf dem Dohm zween
Lichter,
147
Und forſchteſt nach, warum? Der Dichter ſprach:
es ſoll
Vor Alters ſich verirrt ein frommer Biſchof
haben,
Der ordnete alsdann vor kuͤnftige Gefahr
Die Lichter an, die nun fuͤnf hundert volle Jahr
Dem Wandrer in der Nacht getreu bezeichnet
haben
Die rechte Straße nach der Stadt.
Du laͤchelteſt und ſprachſt:
Der gute Biſchof hat
Das beſte Werk gethan, weil vor fuͤnf
hundert Jahren
Die Menſchen, wie die Zeit, ſo ganz ver -
finſtert waren.
Weich feiner Witz ſprach dazumal
Im Engelton aus Deinem Munde.
Und ſtolzer als mein Freund bin ich auf eine
Stunde,
In der mich Deiner Reime Wahl
*)Ihro K. H. hatten der Dichterin Endreime vorgeſchrieben, welche ſie mit ihrer gewoͤhnlichen Leichtigkeit im hoͤchſten Beiſein der Prinzeſſin mit Gedanken ausfuͤllte.
*)
K 2148
Aufmunterte an Deiner Seite.
So gluͤcklich war die Griechinn nicht,
Die Sapho hieß, ſie ſang vor keinem Angeſicht,
Das Deiner Hoheit Strahlen um ſich ſtreute.

Ja in Wahrheit, gnaͤdigſte Prinzeſſinn, ich em - pfinde einen Anſatz zum Stolz, ich ſetze dieſe gluͤckliche Stunde Gleim entgegen, wenn er mir ſagt, wie er Sie einſt im Nahmen des Herrn Dohm-Dechants empfing, und eben jezt ruf ich ihm zu, daß er nicht mit mehr Ehrfurcht Ewr. Koͤnigl. Hoheit ergeben iſt, als Sapho.

149

An Se. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht den Herzog Ferdinand von Braunſchweig - Luͤneburg.

Wenn Dir, empfindungsvoller Held!
Ein dankbar Herz in meinem Liede
Mehr als die hohe Kunſt gefaͤllt,
O dann wird mir Dein Ohr nicht muͤde,
Dann iſt es meinem Saitenſpiel erlaubt,
Ohn Unterlaß Dir vorzutoͤnen,
Und niemals ſchuͤttelſt Du Dein lorbeerreiches Haupt,
K 3150
Ob Du gleich von den Muſenſoͤhnen
In Pindars Ton beſungen biſt,
Und ich im Ton des kleinen Vogels ſinge,
Der, wenn der Tag erwacht, ſchon in den Luͤften iſt,
Damit er dem ein Opfer bringe,
Durch deſſen Einfluß die Natur
Der Menſchen und der Lerchen Speiſe
Hervorbringt auf der Weizenflur.
O Dir gefaͤllt auch dieſer leiſe
Stets wiederholte Lobgeſang,
Du hoͤrſt ihn oftmals Tagelang
Im Erndtemond, wenn Dich die Rebenlaube decket
In Deinem Garten, wo der ſelbſtgepflanzte Kohl
Vor Deinen Augen waͤchſt und Dir ſo koͤſtlich ſchmecket,
Als jenem Roͤmer, den in’s hohe Capitol
Der Siegeswagen trug, die Ruͤbe ſchmecken mochte,
Die er zur Friedenszeit ſich ſelbſt am Heerde kochte.
Mein Geiſt belauſchet Dich, erhabner Ferdinand!
Er ſiehet Dich Dein laͤndlich Haus bewohnen,
Da fuͤtterſt Du mit eigner Hand
Die Huͤhner die Dir durch ihr freundlich Kirren lohnen,
Und Ceres ſieht Dir laͤchelnd zu.
Kein Augur, der zu Rom die heilgen Huͤhner ſpeiſte,
Gefiel der Goͤttin ſo wie Du,
Denn keiner war von ſolchem Geiſte,
151
So tapfer und zugleich ſo ſanft und angenehm.
Und koͤnnt ich ſelber ſo bequem
Als wie mein Geiſt die Luft durchwandern,
Dann kaͤm ich oft Dir zuzuſehn.
Herr, Deine Maͤßigung fehlt vielen Alexandern,
Die Thaten, welche ſchon von Ihnen ſind geſchehn,
Nicht achten, und hoͤchſt unzufrieden leben,
Weil ſie der Welt von ſich nichts mehr zu reden geben.
K 4152

An Ebendeſſelben Hochfuͤrſtl. Durchl.

Durchlauchter Fels, der ehemals den Wogen
Des Krieges maͤchtig widerſtand,
Warum iſt Dir nicht juͤngſt die Muſe zugeflogen,
Als ſie den bittern Schimpf empfand,
Den Koͤnig Friedrichs Kammerknechte
Ihr hoͤhniſch lachend angethan.
Ich ſchrieb an Ihn und ſprach: daß Er bedenken moͤchte,
Wie zehnmal ſchon auf ſeiner Bahn
Sich Phoͤbus umgewandt, ſeitdem mir Friedrich ſagte
Er wollte mein Verſorger ſeyn.
153
Ich hatte Recht, daß ich Ihn zu erinnern wagte,
Er aber ſchaͤtzt die Deutſchen klein.
Man ſiegelte auf Sein Befehlen
Zwo ganze Friedrichsthaler ein,
Und wollt es oͤffentlich erzaͤhlen,
Indem man auf den Umſchlag ſchrieb:
Zwey Thaler zum genaͤdigen Geſchenke
Fuͤr Deutſchlands Dichterin. Dies that man, wie
ich denke,
Aus eignem ſchadenfreuden Trieb.
Ich faßte kurzen Schluß; ich laͤchelte catoniſch
Auf dies Geſchenk herab, und ſchrieb
Mit kaltem Blute ganz laconiſch,
Weil mir nichts weiter uͤbrig blieb:
Zwei Thaler giebt kein großer Koͤnig;
Ein ſolch Geſchenk vergroͤßert nicht mein Gluͤck,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zuruͤck.
A. L. K.
So ſprach ich, und ſo mußt ich ſprechen,
Und ſiegelte die Thaler ein,
Und ſandte ſie zuruͤck, und will ſich Friedrich raͤchen,
So mag Er Dir an Großmuth aͤhnlich ſeyn
Und mir ein Jahrgeſchenke geben.
Er ſuͤndigte bei Seinem Leben
K 5154
An Seiner eignen Ehre durch die That,
Und ich betrug mich, wie ich ſollte,
Fuͤr mich war gar kein andrer Rath.
Denn wenn ich dies Geſchenk behalten wollte,
Mit ſolcher niedern Art geſandt,
Alsdann verdient ich kuͤnftig nimmer
Die Ehre, daß der große Ferdinand
Sich meiner kuͤhnen Sangart immer
Mit guͤnſtiglichem Auge neigt.
Ich folgte einem meiner Freunde,
Der ehrlich denkt und ehrlich ſich bezeigt,
Und ſchrieb dem Koͤnige, der tauſend neue Feinde
Mit tauſend neuen Doͤrfern ſich erſtrebt.
Der Freund hat’s gut gemeint, indem Er mich belebt,
Den Koͤnig an Sein Wort zu denken
Nach zehn verflogner Jahre Friſt,
Und ich bin ohne Philoſophengruͤnde
So ruhig wie ein Weiſer iſt.
Rings um mich her blick ich und finde
Viel Tauſend mir an Gluͤck nicht gleich,
Und auch nicht gleich an Ruhm und Wuͤrde.
Hab ich nicht eine Goldesbuͤrde,
So bin ich doch an Briefen reich,
Die mir mein goͤttlichgroßer Goͤnner,
Held Ferdinand von Herzen zugeſchickt,
155
Und ſtolzer bin ich drauf, als Weiber auf die Maͤnner,
Die ſie mit Steinchen ausgeſchmuͤckt
Und ihnen Titeldunſt gegeben
Ich bruͤſte mich mit ganz erhabnem Geiſt,
So oft der Held, fuͤr den noch jezt die Franzen beben,
Mich Seine liebe Karſchin heißt.
156

An den Herrn von M*p*n in Braunſchweig.

[Welcher ſich oͤffentlich fuͤr den Ritter ihrer Muſe erklaͤrt hatte.]

1791.

Verhelen kann ich Dir’s, o Ritter, nun nicht laͤnger,
Du ſtammſt in grader Linie
Von einem edlen Minneſaͤnger.
Dem thats im tapfern Herzen weh,
Wenn irgend ſich ein Ritter fand zum Tadel
Der Dame Seiner Huldigung
Ich lobe Deinen Seelenadel
Und Deinen Geiſteswaffenſchwung,
Womit Du den haſt uͤberſtritten,
Der mit dahergeſchwatztem Ton
Den Angriff that auf Weiber-Witz und Sitten;
Es war ja nur ein Alltagshohn,
Ein hundertmal ſchon abgenutzt Geſpoͤtte,
Das Deinen ſtarken Widerſtand
Zur Haͤlfte kaum verdienet haͤtte.
Der Mann, den Du mit einer Hand
157
Gar leicht zu Falle konnteſt bringen,
Iſt ein armſeelig Ritterlein.
Der andre, welchen Dir die Muſe half bezwingen,
Von der ich ruͤhme, ſie ſey mein,
Iſt aller Ehren werth. Gruͤß Ihn von meinetwegen,
Und wenn Du nicht die ganze Welt
Nach Deinem Wunſch mir kannſt zu Fuͤßen legen,
So bleibt es Dir doch freigeſtellt,
Vom Sitz des Herzogs und des Helden
Zu reiſen in die Koͤnigliche Stadt,
Und bei der Dame Dich zu melden,
Die Dich ſo ganz bezaubert hat
Mit einem Reiz, der nie veraltet.
Im uͤbrigen hat die Natur
Sie zum Bezaubern nicht geſtaltet,
Befrag die Freundinn Campe nur,
Sie wird Dir Red und Antwort geben.
Sie ſpricht: das Aug iſt dunkelblau und klar,
Iſt ziemlich noch voll Geiſt und Leben.
Gefallen wuͤrd es, wenn das Haar
Der Augenwimpern laͤnger waͤr gezogen,
Auch fehlt dem Augenbram ein feingewoͤlbter Bogen.
Die Stirn iſt groß, die Schlaͤfe tief gedruͤckt,
Der Mund iſt viel zu platt geſchnitten,
Ob ihn gleich noch die Roͤthe ſchmuͤckt,
158
Die von den Jahren nichts gelitten,
Von acht und ſechzig Jahren nichts
Das iſt beſonders, wirſt Du ſagen;
Doch nach der Bildung des Geſichts
Scheinſt Du, Herr Ritter, nicht zu fragen.
Du liebſt die Seele, die nicht ſtirbt,
Wenn ſich in der begrabnen Huͤlle
Ein Mottenſchwarm um Unterhalt bewirbt,
Wenn eine kalte Schlummerſtille
Den Kopf bedeckt, der ehedem
Gedanken ohne Zahl geboren,
Und nun den Geiſt, der ſie gedacht, verloren.
Du liebſt den Geiſt, das iſt mir angenehm,
Mehr als ein ſchwuͤlſtig Lobgedichte,
Dieß glaube veſt, und eile bald
Mit einem deutlichen Berichte,
Ob Du die drohende Gewalt
Des Ritter Zimmermans verhoͤhnteſt?
Und Deinen Helm, und Deinen Schild
Mit friſcherworbnem Lorbeer kroͤnteſt.
Dafuͤr verheiß ich Dir mein Bild
Als einen Dank, noch eh die Traube
Sich in der Kelter preſſen laͤßt,
Und Jacobs Enkel eine Laube
Sich bauen zum Gedaͤchtnißfeſt.
159

An die verwittwete Madame R*ldt nach Freyenwalde nachgeſchrieben.

Ach, es regnet unaufhoͤrlich,
Und es hat die Nacht geſtuͤrmt
Manchen Wandrer fromm und ehrlich
Hat kein Regenſchirm beſchirmt
Auf der offnen Poſt nach Preußen,
Oder wie in unſrer Welt
All die Laͤnder moͤgen heißen,
Wo es naß vom Himmel faͤllt.
Ach, es iſt doch Jammerſchade,
Wenn der kalte Wolkenwind
Kranken aͤrgert, die zum Bade
Hoffnungsvoll gereiſet ſind,
160
Und nach Aeſkulaps Geſetzen
Ihre ſchwache Nerven nun
Nicht mit Waſſer duͤrfen netzen;
Denn das moͤchte Schaden thun,
Moͤchte noch die Gicht vermehren;
Darum laͤßt der Kranke gern
Sich von einem Arzt belehren,
Wie von ſeines Willens Herrn
Liebe Freundin, du biſt endlich,
Gott ſey Dank, nun hingereiſt,
Weil man da ſo ſtill und laͤndlich
Unter viel Geſellſchaft ſpeiſt;
Menſchen kennen lernt im Gange
Unter Baͤumen hoch und breit,
Und mit Ihnen ſondern Zwange
Sich der ſchoͤnen Gegend freut,
Die du mir ſo ſchoͤn beſchrieben
Und nun nicht genießen wirſt.
Keine Wolke wird vertrieben,
Waͤre gleich der erſte Fuͤrſt
Auf der ganzen weiten Erde
Friedrich Maximus allda,
Spraͤch er, wie ein Gott, es werde
Licht am Himmel fern nnd nah
Wuͤrd es dennoch duͤſter bleiben
Und161
Und er muͤßte ſich im Schach
Langer Weile Druck vertreiben
Unterm Badezimmer-Dach,
Oder ließe vom gelehrten
Marquis Lucheſini ſich
Leſen, was die Roͤmer hoͤrten,
Wenn ihr Redner koͤniglich
Ueber ſie zu herrſchen wußte,
Daß vor ſeiner Stimme Ton
Ihre Seele zittern mußte,
Oder ſchmelzen, oder ſchon
Wieder lieben, wen ſie haßte.
Freundin! findet irgendwo
Sich in einem Badegaſte
Unter Euch ein Cicero,
Wie der große Mann geweſen,
Den ein Roͤmer umgebracht,
Dann braucht keiner vorzuleſen,
Was ein Caͤſar hat gedacht
Und gethan und ausgerichtet,
Oder was Horazius
Kuͤnſtlich noch dazu gedichtet
Fuͤr den Kayſerhuldgenuß
Dieſer Cicero, der deutſche,
Machte, daß kein Badegaſt
L162
Traurig waͤre beim Gepeitſche
Kalten Windes, der die Laſt
Armer muͤder Wandersleute
Schwerer macht, als ſie ſchon iſt
Cicero verkuͤrzt mir heute
Da Du nicht vorhanden biſt,
Dieſes truͤben Tages Laͤnge,
Giebt mir einen Abendſchmaus;
Denn wenn’s ſieben ſchlaͤgt, dann gaͤnge
Ich vermuthlich in Dein Haus
Unter einem Leinwanddache;
Krebſe ſchmauſt ich da mit Dir.
Nun bleib ich daheim und mache
Ein Gedankenſchmaͤuschen mir.
Cicero, ſprech ich beim Leſen,
Eicero, du warſt begluͤckt,
Waͤrſt begluͤckter noch geweſen,
Haͤtte dich ein Weib beſtrickt,
Die ſich fuͤr dein Herz geſchickt
163

An den Herrn Kanonikus Gleim*)Der Dichter hatte ihr geſchrieben, daß er, wie Achill, ſei - nen Rappen ſchon angeredet, ihn zur Dichterinn zu tragen waͤre aber ploͤtzlich abgerufen worden..

Achill, der ſtampfende Held, ſprach mit dem wiehern -
den Pferde
In wildem gluthigem Zorn;
Er ſtieß ſein eiſernes Speer tief in die zitternde Erde
Und ſtach mit blutigem Sporn
Das ſich aufbaͤumende Roß, rief mit hochbruͤllender
Stimme:
Trag mich, befluͤgeltes Thier,
Hin zu dem Opferaltar, da wuͤrgt mit Furiengrimme
Ein Arm das Leben in mir,
Da wuͤrgt der Vater ſich ſelbſt im goͤtteraͤhnlichen Kinde.
Zu Eiſen macht ihn der Stolz,
Ihn ſchlacht ich bei dem Altar, wo ich die Blutende finde,
Und werf ihn zu ihr aufs Holz.
L 2164
Er ſprachs, und ſchwang ſich herauf, flog ſchnell wie
kommende Pfeile,
So kommt mit Fluͤgeln der Sturm
Gebrauſt, da reißen am Schiff die Seegeltuͤcher und
Seile,
Da wankt der praͤchtige Thurm.

Mit dieſer Achilliſchen Geſchwindigkeit, liebſter Freund, wollten Sie ſich auf Ihren Rappen ſchwin - gen, mich zu begleiten, aber nicht mit eben ſo ſtuͤrmi - ſcher Empfindung; nein, in dem Gefuͤhl der Freund - ſchaft. O wie ſanft iſt dieſes Gefuͤhl! Aber warum ließen Sie ſich zuruͤckrufen? Sie ſollten einen ganzen Geſang haben; aber Ihr Bruder ließ mich zur Koͤni - ginn fordern. Sie haͤtten ſehen ſollen, wie ſie in ih - rem Schlafzimmer ſaß und mich anlaͤchelte und ver - ſchiedene Fragen that, die ich beantwortete; ich empfahl ihr meinen Herrn den Baron. Ich wuͤrde noch viel von meinem Freunde reden, aber Ihr Bruder verlangt nach dem Schreiben, die Kommendantin nach mir,

Ihre ꝛc.

165

An den Herrn Baron von Kottwitz zu Boyadel, Neffe desjenigen Freyherrn von Kottwitz, welcher ſie aus Glogau fuͤhrte.

Kammerherr des Koͤniges,
Enkel tapferer Baronen!
Du verlangſt nur weniges
Von der Muſe, die mit Kronen
Des Geſanges, moͤchte lohnen
Dich, Du Folger des Barons,
Der mich aus dem Staube guͤtig
Hob, und ſchnell und edelmuͤthig
Zog zur großen Stadt des Throns.
Viel, ſehr viel hab ich zu ſagen;
L 3166
Aber bald, bald ſchwingſt Du Dich
Auf den raſchen Reiſewagen,
Hinzueilen, wo man Dich
Ganze Tage lang wird fragen:
Was Du zu Berlin gehoͤrt,
Und geſehn mit dem Begleiter,
Deſſen Liebe Dich verehrt,
Der Dich uͤbers Meer und weiter
Gern begleitete, wenn nicht
Dich und Ihn ſo manche Pflicht
Hinderten am Reiſewillen
Und am Vorſatz, hier zu ſeyn
Laͤnger noch als wenig Tage,
Wo ich kuͤhn zu hoffen wage,
Daß wir uns bei aͤchterm Wein
Und ganz unter uns allein
Herzlich freun.
Denn der Wein war eine Luͤgen,
War gekeltert nicht am Rhein,
Schwoͤre Dir’s bei dem Vergnuͤgen,
Bey der Ehre, die Du mir
Zugedacht, daß ich mit Dir
Und mit Conrad ſpeiſen ſollte
*)Der Herr Baron hatte die Dichterinn in einem Hotel zu Tiſche geladen.
*),
167
Aber wenn ich feuerheiß
Mich der Ehre freuen ſollte,
Muſte kein ſo großer Kreiß
Horchen, was ich ſchwatzen wollte,
Was ich leicht zu reimen weiß.
Darum hoff ich, Muſenvetter!
Daß wir Drei beiſammen nur
Flammen bei dem kalten Wetter,
Bei des Schneegeſtoͤbers Spur,
Welche kaͤrglich Deine Flur
Deckt, ſo daß die wollnen Heerden
Saaten ſchmauſen werden
Auf dem Tiſche der Natur.
L 4168

An eine adliche Schuldnerin, fuͤr welche ſich die Dichterin verbuͤrgt hatte.

Weg iſt nun eine Woche ſchon,
Zwei Wochen werden auch verſchwinden
Nach Deiner Kummerbitte Ton
Verſchwand die erſte Woche ſchon,
Woher ſoll ſich Bezahlung finden?
Du macheſt ein Geheimniß mir
Aus der vorgeblich großen Sache,
Ein Abgeſandter kam von Dir,
Der ſagte das Geheimniß laut,
Weil ich ihn frug, worauf die Hoffnung ſey gebaut?
Da nannt er ein Arcanum mir, und prahlte
Er ſey ſelbſt bei der Sache intreſſirt,
Er, deſſen alt Gewand kein Menſch mit Dank bezahlte,
Der nicht den Stab des Mangels fuͤhrt
169
Wahrhaftig, wenn Dein magrer Bote
Ein Mann von den drei Maͤnnern iſt,
Mit welchen Du geſchaͤftig biſt,
An dem Arcanum, das von aͤchtem Korn und Schroote
Dir blanke Thaler bringen ſoll:
Dann ſteht es mißlich um die Leute,
Die ſich verließen hoffnungsvoll,
Daß Deine Miene Gold bedeute,
Wenn Du Dir ſolch ein Anſehn gabſt,
Als ob Du große Renten ſicher
Aus großen hohen Haͤnden habſt
Sprich, was ſtudierſt Du doch fuͤr Buͤcher:
Von deutſcher Wolle willſt Du nun
Die feinſte Spanſche Wolle machen?
Du willſt ein Wunderwerkchen thun?
Ich lache bei ſehr wenig Sachen,
Doch bei dem Wunder muß ich lachen
Zwingt Dich die Drangſaal nicht zu ſchon gewohnter
Liſt;
So wird Dirs dennoch gehn wie manchem Alchimiſt,
Der Tag und Nacht darauf verwendet,
Und wenn er nun das lezte Werk vollendet,
Wenn nun das Wunder ſoll geſchehn,
Veredeltes Metall im Tiegel
Mit rothem Goldesglanz zu ſehn,
L 5170
Ach, dann bekommt der Koͤnig Fluͤgel,
Flieht aus dem Laber’torium
In alle Luͤfte ringsherum
Und nichts bleibt als ein Aſchenhuͤgel.
Der Laborant wird kummerſtumm
Daß Gott erbarm! ſo kann Dir’s auch ergehen,
Dann giebſt Du Deinem Schickſal Schuld,
Und alle Glaͤubiger verlieren die Geduld,
Und ich ſoll fuͤr die Summa ſtehen,
Die Du bei St*zen aufgeborgt.
Nie darf ich’s wagen unbeſorgt
Vor innerlicher Schaam dies Haus noch zu betreten,
Wo Du Dir Silber ausgebeten,
Weil Dich mein redlich Herz empfahl.
Gewoͤhne Dich zur Wahrheit doch einmahl
Jezt in den Jahren des Verſtandes
Was hilft Dir jeder blaue Dunſt;
Du wollteſt ja den Flachs des Landes
Verwandeln auch durch eine Kunſt
In wuͤrklich reine weiße Seide.
Du wollteſt ja durch Liebesfreude
Dein Gluͤck auf Deiner Tochter Gluͤck
Feſt gruͤnden wie auf einem Fels im Meere.
Du bliebſt dabei noch bis zum lezten Augenblick,
Daß Dirs vollkommen kundig waͤre,
171
Wie Guſta mit dem Oberhirt Montan
Sich insgeheim gar wohl verſtaͤnde,
Nun hat die ſchoͤne Truglegende,
Hat die Vorſpiegelung ein Ende;
Nicht nur der Schein iſt wider Dich,
Es ſind vorſaͤtzliche Thatſachen,
Und jede fraͤgt halbrichterlich:
Wer hieß Dich Staat auf fremde Koſten machen?
Wer zwang Dich zum Bedientenlohn?
Zur Wagendingung, und dergleichen?
Ha, der vornehme, große Ton,
Geziemt ſich nur allein den gold - und ſilberreichen,
Nicht denen, die von Tag zu Tag
Sich um die Nothdurft kuͤmmern muͤſſen;
Man wage nur, was man vermag,
Und ſchone ſein Gewiſſen
So reden ohne Schmeichelei
Die wirkliche Thatſachen,
Sie ſchreien laut, und dies Geſchrei
Wird Deinem Wappen Schande machen;
Und fliſtern muß ich Dir ins Ohr:
Die Redlichkeit geht allen Wappen vor,
Und allem Glanz von tauſend Jahren.
Ich ließe mich oft gern bei meine Freunde fahren,
Denn ſauer wird mir jeder Gang,
172
Mein Eingeweid iſt ſchwach, ich fuͤhls bei jedem Tritte,
Muß ruhen unterwegs oft Viertelſtunden lang;
Und dennoch macht ich mirs zur Sitte
Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann
Zu zahlen, der durch Vorgeſpann
Mich ganz bequem zu Freunden braͤchte.
Noch weniger borgt ich mir Geld,
Damit man mich bemerken moͤchte,
Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kutſcher
haͤlt
Ich kenne ſchon, ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren,
Ein wirklich edles Weib
*)Eine verwittwete Majorin von K**, an welche verſchie - dene Gedichte in dieſer Sammlung gerichtet ſind.
*), das zwei Paar Kinder hat,
Es ließ ſich ehedem in vaͤterlicher Stadt,
Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren;
Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt,
Hat ſichs in ſeinen Wittwen-Jahren
Gebuͤhrlich eingeſchraͤnkt
Wenns Gichtſchmerz in den Fuͤßen leidet,
Alsdann bleibts gern daheim, und meidet
Geſellſchaft von der beſten Art;
Und wenn der Schmerz vertrieben ward,
Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann ſcheint es zu
vergeſſen,
173
Daß der Gemahl Major geweſen iſt
Dafuͤr empfindet es auch nie das Drangſalpreſſen,
In welches Du gerathen biſt.
Bey Gott! zu dieſes Weibes Fuͤßen
Da moͤchten Du und ich, und hundert andre ſich
Noch ſetzen, und gutmuͤthiglich
Der Weisheit Unterricht genießen
Denn ohne Prahlerei im Gluͤck,
Und ohne Zittern, ohne Zagen,
Beim widerwaͤrtigen Geſchick,
Bei truͤben Kummertagen
Bleibt dieſes Edlen Weibes Geiſt
Gleich ſtark um alles zu ertragen;
Und wenns die Scheelſucht bitterlich verdreußt,
So darf, ſo will, ſo muß ichs dennoch ſagen:
In dieſes Weibes Herz verlaͤugnete ſich nie
Die thaͤtigſte Philoſophie!
174

An meinen Freund, den Akteur H**.

Mein lieber H**, glaube kuͤnftig
Dem Munde, dem’s die Freundſchaft heißt,
Wenn er Dich warnen will, beſcheiden und vernuͤnftig,
Und ſey nicht mehr ein ſtolzer Geiſt,
Sey nicht ein Trozkopf, weils nicht immer
Nach Deinem Wunſch und Sinne geht;
Sey furchtſam bei des Gluͤckes Schimmer,
Denn wenn die Sonn am hoͤchſten ſteht,
175
Ziehn Ungewitter ſich zuſammen
Gedenke ſtets an meinen Rath,
Nie wieder eine Stadt deswegen zu verdammen,
Weil der und jener nicht nach Deiner Hoffnung that,
Und weil nicht tauſend Haͤnde laͤrmen
Beim Auf - und Abtritt in dem Spiel.
Wer wird ſich um den Schall des Lobgeklatſches
haͤrmen!
Haſt Du der Kenner fein Gefuͤhl
Der klugen Leute Ruhm erſtrebet,
Was fraͤgſt Du nach des Poͤbels Preis,
Der ſeine Stimme laut erhebet
Und nicht den Grund zu ſagen weiß,
Warum er klatſcht und bravo ſchreyet,
Warum er kalt iſt, oder heiß,
Warum er ſich betruͤbt, kraͤnkt, aͤrgert und erfreuet
Sey uͤber Viel hinweg, verdopple Deinen Fleiß,
Verfeinre Deine Kunſt, und reiße keine Poſſen
Zum Lachen fuͤr die Gallerie.
Leg alles ab, was mich verdroſſen;
Es koſtet Dich ja keine Muͤh
Dem Pfade der Natur beſtaͤndig treu zu bleiben,
Mit guter Art ihr nachzugehn;
Wie wird es mich erfreun, wenn große Richter
ſchreiben:
176
Der H ** ſpielet wahr und ſchoͤn
Du haſts in Deiner Macht, es wird in Deinem Willen,
In Deinem Folgewillen ſtehn,
Die beſten Wuͤnſche zu erfuͤllen,
Die Deine Freunde fuͤr Dich thun
Vor allen Dingen iſts vonnoͤthen,
Im Gluͤck und Mißgluͤck voll Gelaſſenheit zu ruhn,
Und nimmer die Geduld zu toͤdten,
Und nimmer die Beſcheidenheit,
In guter und in boͤſer Zeit.
Skizze177

Skizze einer Epiſtel an Herrn Sekretair K*ch. *)Wegen des beruͤhmten Abt Voglers.

Geheimer Sekretaͤr, beim hochgeliebten Bruder
Des Fuͤrſten, der durch Huld ſich als ein Fuͤrſt beweiſt:
Ich bin erfreut, daß Charons Ruder
Mich nur geſchreckt, daß ich nicht aus der Welt gereiſt,
Eh Vogler nach Berlin gekommen,
Und fuͤr ſein wundervolles Spiel
Das Lob der Maͤnner eingenommen,
Und Weiberkuͤſſe viel, ſehr viel!
Ich ſelber gab auf beyde Wangen
Ihm Einen Muſenkuß dafuͤr,
Daß Er im Tempel iſt gegangen,
Wo der Soldat und Officier
Auf Kanzelrede merken muͤſſen,
M178
Da hat Dein Vogler ſo geſpielt,
Daß alle Seelen hingeriſſen
Der Orgel Majeſtaͤt gefuͤhlt
Und droben unterm Himmels-Chore
Hat ſelbſt Caͤcilia ſich halb herabgeneigt,
Und Ihn behorcht mit Einem Ohre,
Und ihren Schweſtern angezeigt,
Daß Vogler doppelt Ruhm verdiente;
Zuerſt von wegen ſeiner Kunſt,
Die ſich des hoͤchſten Flugs erkuͤhnte;
Dann wegen ſeiner frommen Buſenbrunſt,
Ein armes Voͤlklein zu erquicken,
Das bei der Waſſersnoth verarmt
Und ſterben muß vom Hungerdruͤcken,
Wenn ſich das Mitleid nicht erbarmt.
Das Mitleid
*)Der Herr Abt gab ſein Orgelſpiel zum Beſten derjenigen, welche damals durch die groſſen Ueberſchwemmungen ver - armt waren.
*) nun hieß Voglern ſpielen
Im Tempel unſrer Garniſon,
Da ward er laut gelobt von Vielen;
Doch ſeiner Muͤhe ſchoͤnſter Lohn
War’s Opfer fuͤr die Mangelklager,
War aber nicht, wie er’s gehofft,
War ſeinem Wunſche viel zu mager
Das Gabenheiſchen koͤmmt zu oft.
179
Selbſt Fuͤrſtentoͤchter uͤbertrafen
Die buͤrgerlichen Toͤchter nicht,
Die unter niederm Dache ſchlafen
Zwar Voglers ſchoͤne Menſchenpflicht
War ganz erfuͤllt, war ſehr zu preiſen,
Und eigenmuͤndig wird er’s Dir
Erzaͤhlen, wenn er ſeine Reiſen
Beſchreibt, und Du voll Neubegier
Ihm gegenuͤber, ihm zur Seite
Die Rede ſeines Mundes trinkſt,
Und oft, nach Art verliebter Leute,
Mit Funkelaugen Beifall blinkſt.
Dann laß Dir auch von mir noch ſagen:
Daß ich, ein Weib mit deutſchem Sinn,
Troz meinen altgewordnen Tagen,
Noch munter und gar freudig bin.

u. ſ. w.

M 2180

Des 24ſten Januars muſikaliſche Feier in der Darletſchen Wohnung.

Juͤngſt als im Goͤtterrath beſchloſſen
Die Ruh der Erde war, und Becher uͤberfloſſen,
Zu voll geſchenkt vom Ganymed,
Der hinterm Jupiter am goldnen Stuhle ſteht;
Da flog Merkurius unruhig hin und wieder,
Trat ploͤtzlich vor das Goͤtterchor,
Und alle wurden lauter Ohr,
Und alle ließen ſich auf Luftgewoͤlken nieder
Und ſchwebten uͤber jenem Saal,
Wo Friedrichs Lob erſcholl im Saitenſpiel und Liede.
Die Goͤtter ſahen ſich nicht muͤde,
Da hing des Helden Bild! Sein Auge glich dem Strahl
Des maͤchtgen Donnergotts, wenn er in ernſter Strenge
Die Menſchen ſchelten muß; und aus der Stirne ſprach
Der Kriegesgott, der durch die Menge
Von Agamemnons Heere brach,
181
Und in des Mundes Laͤcheln ſaßen
Die Huldgoͤttinnen und Apoll,
So daß hier ganz erſtaunensvoll
Die Goͤtter den Olymp vergaßen,
Und fragten: welcher zweite Graun
Des Liedes Ton erſchuf? Da nannte jemand Uden
*)Der Kammergerichtsrath und zugleich ein vortreflicher Muſenſohn.
*),
Und Goͤtter und Goͤttinnen luden
Sich ein zu dem Concert.
Wenn Friedrich nach dem
Bau’n
Des Eintrachttempels kommt nach Sansſouci zuruͤck:
Dann ſinget die Muſik Ihn und des Volkes Gluͤck.
M 3182

Aufforderung an die Dichterin von Herrn Doktor Kruͤnitz.

[Als in Sansſouci der Koͤnig mit ihr geſprochen hatte.]

Den 24. Okt. 1763.

Zu lange miedeſt Du, o Sappho! dieſes Zimmer;
Verwoͤhnt an Sansſouci, verblend’t von Koͤnigs
Schimmer!
Monarch klingt zwar ſehr ſchoͤn; doch nicht ſo ſchoͤn
als: Freund;
Dein warten Blatt und Kiel; ſchreib, wie’s Dein Herze
meynt!
183

Antwort der Dichterin. Geſchichte der Unterredung mit dem Philoſophen zu Sansſouci.

Freund, wenn mir vor dem Schritt zum Leben
Nicht von der guͤtigen Natur
Schon ein Befehl zur Demuth ward gegeben,
Dann wuͤrd ich kleine Creatur
Mit innerm Stolz mich hoch erheben,
Und Dir erzaͤhlen, daß in Friedrichs Marmor-Saal
Mein falticht Antlitz ſich beſpiegelt,
Und aus der Bruſt das Herz befluͤgelt
Auf meine Lippen trat, und meiner Worte Wahl
Und den Accent geregelt haͤtte,
Indem der Koͤnig mit mir redte,
M 4184
Der groͤßre Redekunſt beſitzt,
Als Marc Anton, der vor dem Volke
Des Caͤſars Moͤrder bald verklaget, bald beſchuͤtzt.
Er kam, und uͤber Ihm in einer goldnen Wolke
Sah ich den ſchwebenden Apoll.
Er ſprach, und in mein Ohr erſcholl
Mit Seiner ſchnell geſprochnen Frage
Der Donner Jupiters, und Seines Auges Blick
War wie der Blitz am Erndtetage:
Doch, Freund! ich ſtaunte nicht zuruͤck.
Ich ſagte, welcher Mann mich zeugte,
Und welcher Staub mich niederbeugte:
Wie mein Genie herauf geſtrebt,
In welchem Dunkel ich der Jugend Zeit verlebt,
Und daß ich nicht der Kunſt geſchriebne Regeln wuͤßte:
Und daß mein Liebling, der Plutarch,
Oft einen finſtern Blick von mir vertragen muͤßte,
Denn in ihm ſaͤnd ich nie den Sieger, den Monarch,
Den Menſch und Philoſoph vereinet,
Ob Alexander gleich geſieget und geweinet,
Und Caͤſar ſelbſt zufrieden ſchien,
Wenn er jedweden Tag bezeichnet mit Verſchonen,
Und einem Brutus ſelbſt verziehn,
Der mit dem Dolch ihm ſollte lohnen,
Doch faͤnd ich auf der Griechen Thronen,
185
Und auf der Roͤmer Kampfplatz nichts
Vergleichendes mit dem, der Seines Angeſichts
In Winterluͤften nicht geſchonet,
Und wenn der Lenz gebluͤht das Kriegeszelt bewohnet,
Von Freuden und vom Throne fern.
Und mehr den Vater als den Herrn
Zuruͤckgebracht aus ſo viel Schlachten.
Er frug: wer lehrte dich Geſang?
Wer unterwies dich in Apollens Saytenzwang?
Held! ſprach ich, die Natur und Deine Siege
machten
Mich ohne Kunſt zur Dichterin.
Er laͤchelte, und wollte wiſſen
Woher ich Nahrung naͤhm; da ſagt ich: Freunde muͤſſen
Mich naͤhren, taͤglich geh ich hin
Zum niemals ſtolzen Stahl, der ſtets mich gerne ſiehet,
Und eine zweyte Saͤngerin
In meiner Tochter Dir erziehet.
Ich ſprach’s, und Friedrichs Blick ſchien meinen
Freund zu loben.
Nach meiner Wohnung frug er mich.
Monarch! ſprach ich, die Sterne graͤnzen nachbarlich
Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben.
Wenn Du nicht zuͤrnteſt, wuͤrd ich Dich
Kniebeugend bitten, daß Du meine Kammer daͤchteſt,
M 5186
Wie einen Winkel der Baſtille zu Paris,
In welche Ludewig viel Menſchen bringen ließ,
Die Du als Krieger brauchen moͤchteſt,
Weil ſie oft tapfer ſind und treu.
Der Koͤnig lachte laut, und ich, beherzt und frey
Wie eine Roͤmerin, ich zog der Stirne Falten
Sanft aus einander, lachte ſo
Wie einer, den ein Brett hat in dem Meer erhalten,
Und izt die Sonne ſieht, und ihren Strahlen froh
Entgegen blickt und vor Entzuͤcken
Das Laͤcheln auf der Lippe traͤgt,
Wenn ihm das Herz ſo laut, als mir das meine,
ſchlaͤgt.
Und er mit Worten ſich nicht halb weiß auszudruͤcken.
Des Vaterlandes Vater ſprach
Zulezt: Er wuͤrde mir das Leben ſorglos machen,
Und alle Muſen ſprachens nach;
Und Grazien ſah ich in ſeinem Munde lachen,
Der tauſendmal Befehle rief
Zum Angriff oder zum Verſchonen eines Heeres,
Das ganz zerſtreut in Waͤlder lief,
Und fiel, wie ſtolzgeſchwollne Wellen eines Meeres,
Dem Zevs mit ſeinem Finger droht.
Ich ging zuruͤck; o Freund! nun gluͤhte Purpurroth
Auf meiner ſonſt ſo blaſſen Wange;
187
Mich gruͤßte Lentulus und ihn
Hab ich verwirrt gedankt, ich taumelte, ich ſchien
Den trunknen Menſchen gleich im Reden und im
Gange;
Und dennoch ſchwoͤr ich dir beym heiligſten Geſange:
Wenn Friedrich mir von Cedernholz
Ein Haus durch Kuͤnſtler bauen ließe,
Doch wuͤrde nicht dadurch der Sappho Seele ſtolz,
Denn ihr iſt nur die Freundſchaft ſuͤße.
188

An die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration wegen ein paar geſchenkter eiſerner Spahroͤfen.

Verzeihung von der Koͤniglichen
Adminiſtration, bitt ich,
Weil mancher Tag ſchon fortgewichen,
Und auch des Winters Laͤnge ſich
So nach und nach hinweg geſchlichen,
Eh die dankbare Karſchin ſich
Mit großem Dank hat abgefunden
Fuͤr ein paar Oefchen, ihr geſchenkt.
Sie zaͤhlte gar viel kranke Stunden,
War halb ſchon aus der Welt gelenkt
In andre nicht bekannte Welten,
Wo man Beſtrafung und Vergelten
Fuͤr gut und boͤſe That empfaͤngt
189
Waͤr nicht mein Geiſt von ſeltner Staͤrke,
Er waͤre laͤngſt hinweggedraͤngt,
Denn ſchwach ſind nur die Außenwerke,
Sie werden wahrlich keinen Schmaus
Fuͤr irgend einen Grabwurm geben,
Man traͤgt nur Haut und Bein ins finſtre Leichenhaus.
Ich denk es ohne grauſes Beben.
Warum ſollt ich betruͤbt ein Achgeſchrey erheben
Beim Anblick meines Bleichgeſichts?
Kalt iſt das Grab, davon empfindet nichts
Das Weſen, welches in mir denket,
Sein Feuer widerſprichts
Und daß ſich’s dermaleinſt an Lethens Ufer traͤnket;
Dieß glaube wer da mag und kann,
Ich nehme dieſen Wahn nicht an,
Weil ich durchaus nicht will vergeſſen,
Was mir hienieden Guts geſchehn;
Weil ich auch dort noch will ermeſſen,
Welch Auge mich hier gern geſehn,
Und welche Hand mirs leichter machte
Zu wallen auf dem Lebenspfad,
Wo oft mein Fuß auf Dornen trat
Selbſt da der beſte Koͤnig dachte,
Daß meine Laufbahn bis ans Ziel,
Nun Roſen ohne Dornen brachte,
190
Denn ſo befahls Sein Koͤniglich Gefuͤhl
Wie der Befehl ward ausgerichtet,
Iſt Jedermann zur Augenſchau,
Der auf der neuen Bruͤcke Bau
Die Sphinx betrachtet, die erdichtet
Von großen Fabeldichtern ward.
Er darf nur rechter Hand ſich drehen,
Da wird er mit Verwundrungsart
Das Eckchen meines Hauſes ſehen
Das ein recht hochgewachsner Mann,
Wie weiland Potsdams Gardemaͤnner,
Mit ſeinem Arm umſpannen kann.
Indeſſen lad ich meine Goͤnner
Und Goͤnnerinnen freundlich ein,
Nicht auf ſechs Schuͤſſeln, nicht auf Wein:
Nein, meine Wohnung nur zu ſchauen,
Lad ich Sie ein,
Und kann’s Euch ſchwoͤren mit Vertrauen,
Daß ihre Niedlichkeit Sie reizt,
So wahr mit wenig Glut das Eiſenoͤfchen heizt.
191

Die klagenden Muſen und Apoll.

Juͤngſt ſah ich der Latona Sohn
Hoch auf dem ſteilen Helicon
Und alle Muſen vor ihm knieen.
Sie baten: Sag uns, Pythius!
Kennſt Du die Nymphe dort an deines Berges Fuß?
Wenn ward ihr deine Gunſt verliehen?
Wenn gabſt du ihren Schlaͤfen Glanz?
Sie prahlt mit einem Lorbeerkranz,
Den ſie ſchon deiner Huld entriſſen;
Ihr Stolz erfrechet ſich ſo gar,
Und ſagt es oͤffentlich der weiſen Menſchenſchaar:
Es kaͤmen Muſen ſie zu kuͤſſen.
192
Sie leugts zu unſrer aller Hohn,
Urania weiß nichts davon,
Polymnia wird dir mit Schwuͤren
Beim Styx betheuern, daß ſie nicht
Den Mund, der viel zu kuͤhn, viel zu verwegen ſpricht,
Gewuͤrdiget hat anzuruͤhren.
Da laͤchelte der Gott und ſprach;
Steht auf, Geliebten! eure Schmach
Wird ohne meinen Arm gerochen;
Die ganze Welt, die fuͤhlen kann,
Und fein zu horchen weiß, hoͤrts ihren Toͤnen an,
Daß nie mein Geiſt aus ihr geſprochen;
Daß keine Muſe ſie gekuͤßt,
Und daß ſie ſo verblendet iſt
Wie Ixion, der einſt entzuͤcket
In ſeinen Arm die Wolke zog,
Und dann geſchwaͤtzig von der großen Juno log,
Er haͤtte ſie ans Herz gedruͤcket.
Der193

Der Liebhaberhut.

Eine wirkliche Begebenheit.

In einer weltbekannten Stadt,
Die rate Kaufmannswaaren
Und wunderſchoͤne Weiber hat,
Kam ſchnell ein Mann gefahren,
Eh ſich’s ſein Weibchen vorgeſtellt,
Und voller Furcht und Schrecken
Entwich ihr junger Liebesheld;
Ach aber zum Entdecken
Der Heimlichkeit gab’s viel Gefahr,
Weil er, zu ſehr getrieben,
Raſch aus dem Fenſter ſprang, ſo war
Sein Hut noch da geblieben,
Lag auf dem Tiſchchen unverhuͤllt,
Viel Argwohn zu erregen,
Doch ſie, mit Weiberliſt erfuͤllt,
Springt ſchlau dem Mann entgegen,
N194
Und ruft: Willkommen, ſuͤßer Mann!
Du ſollſt den Hut probieren,
Ein Troͤdelweib bot mir ihn an;
Er iſt mit goldnen Schnuͤren
Reich eingefaßt und noch ganz neu,
Und ward aus Noth vergeudet.
Dem Mann gefaͤllt die Schmeichelei,
Er kuͤßt das Weib und leidet
Daß ſie auf ſein Tuppe den Hut
Im Puderhaare druͤcket,
Ruft ſelber aus: er laͤßt mir gut!
Und dankt ihr halb entzuͤcket,
Indem ſein Aug im Spiegel gafft,
Den Zierrath ſeines Kopfes,
Den ſie ihm heimlich angeſchafft.
Sie lacht des armen Tropfes
Sehr oft auf ihres Lieblings Schooß,
Und ſpricht mit loſem Muthe:
Mein Schatz! wir kamen wohlfeil los
Mit dem vergeßnen Hute.
195

An den beruͤhmten Maler Herrn Rode.

Auch Goͤtter aͤrgern ſich. Von eines Aergers Glut
Wird Amor ſelbſt einmal entbrannt,
Und ſchwarze Galle kocht ſein roſinfarbnes Blut,
Und ſein Geſicht iſt braun, und ſchwach iſt ſein Verſtand.
O Himmel, Himmel! ſeufzt die arme Venus ſchon,
Ach ich verliere meinen Sohn!
Mit ſchnellen Schritten kommt der Doctor Aeskulap
Und ſtehet vor des Knaben Bette,
Begreifet ſeinen Puls, ſpricht ihm das Leben ab,
Begreift ihn noch einmal, beſinnt ſich, ſpricht: ich rette
Den kleinen allerliebſten Sohn
Und mehr als einen Kuß verlang ich nicht zum Lohn;
Es iſt ein kleines Gallenfieber,
In einem Tag iſt es voruͤber.
N 2196
Ein Kribbelkoͤpfchen iſt der kleine liebe Sohn,
Nicht ſelten laͤuft die Gall ihm uͤber,
Allein er ſtirbt doch nicht davon,
Vielmehr verduͤnnt ſie ihm den dickgewordnen Saft,
Macht ſeine Nieren rein, und giebt ihm neue Kraft.
Bedaͤchtig ſprach alſo der Goͤtter Medicus;
Der Knabe ward geſund, und Venus gab den Kuß!
Die Goͤtter ſpotteten, da ſie den Kuß ihm gab.
Mit Dank nahm er ihn an und bat um einen noch,
Und lachend, wie ein Schalk, rief Amor: Sehet doch,
Die Mutter kuͤßt den Aeskulap.
Mein Rhode ſage mir, was willſt Du lieber malen:
Wie ernſthaft Aeskulap beim kranken Amor iſt?
Wie? oder wie ihn Venus kuͤßt?
Mit einem Kuſſe ſoll Belinde Dich bezahlen.
197

Belloiſens Lebenslauf.

Ich ward geboren ohne feierliche Bitte
Des Kirchſpiels ohne Prieſterflehn
Hab ich in ſtrohbedeckter Huͤtte
Das erſte Tageslicht geſehn,
Wuchs unter Laͤmmerchen und Tauben
Und Ziegen bis ins fuͤnfte Jahr,
Und lernt an einen Schoͤpfer glauben,
Weil’s Morgenroth ſo lieblich war,
So gruͤn der Wald, ſo bunt die Wieſen,
So klar und ſilberſchoͤn der Bach.
Die Lerche ſang fuͤr Belloiſen,
Und Belloiſe ſang ihr nach.
Die Nachtigall in Elſenſtraͤuchen
Erhub ihr ſuͤßes Lied, und ich
Wuͤnſcht ihr im Tone ſchon zu gleichen.
Hier fand ein alter Vetter mich
Und ſagte: du ſollſt mit mir gehen.
Ich ging und lernte bald bei ihn
Die Buͤcher leſen und verſtehen,
Die unſern Sinn zum Himmel ziehn.
Vier Sommer und vier Winter flogen
Zu ſehr befluͤgelt uns vorbei;
Des Vetters Arm ward ich entzogen
N 3198
Zu einer Bruderwiege neu.
Als ich den Bruder groß getragen,
Trieb ich drei Rinder auf die Flur,
Und pries in meinen Hirtentagen
Vergnuͤgt die Schoͤnheit der Natur,
Ward fruͤh ins Ehejoch geſpannet,
Trugs zweimal nach einander ſchwer,
Und haͤtte mich wol nicht ermannet,
Wenn’s nicht den Muſen eigen waͤr,
Im Ungluͤck und in bittern Stunden
Dem beizuſtehn, der ihre Huld
Vor der Geburt ſchon hat empfunden.
Sie gaben mir Muth und Geduld,
Und lehreten mich Lieder dichten,
Mit kleinen Kindern auf dem Schooß.
Bei Weib - und Magd - und Mutterpflichten,
Bei manchem Kummer, ſchwer und groß,
Sang ich den Koͤnig und die Schlachten,
Die Ihm und ſeiner Heldenſchaar
Unſterblichgruͤne Kraͤnze brachten,
Und hatte noch manch ſaures Jahr,
Eh frei von andrer Pflichten Drang
Mir Tage wurden zu Geſang!
*)Dies iſt eine Skizze von der Dichterin Lebenslauf, und deshalb hier eingeruͤckt.
*)
199

Der Paͤchter und der arme Schaͤfer.

Eine Doſenmalerei-Geſchichte.

Dem reichen Paͤchter Schinkenrund
Gefiel im naͤchſten Dorfe
Des ſchoͤnſten Maͤdchens Roſenmund.
Sein Herz hatt gleich dem Torfe
Geglommen, als er ſie geſehn,
Es war in Brand gerathen
Und wollte nicht um Rettung flehn,
Denn Dorchens Blicke thaten
Ihm immer tapfern Widerſtand.
Er konnte nichts gewinnen
Bei ihrem Laͤcheln, denn er fand
Der Tugend Sprache drinnen.
200
Einſt ſaß er in dem Traubenmond
Vor ſeiner Thuͤr und zechte
Er war des Zechens ſehr gewohnt;
Ein Paͤchter trinkt mit Rechte
Den jungen Moſt, den alten Wein
Aus einer großen Kanne,
Die Glaͤſer ſind ihm viel zu klein,
Die ſind dem Buͤrgersmanne
Nur angemeſſen, nur geſund,
Nach kluger Aerzte Sagen
Aus Kannen trinket Schinkenrund,
Sein Kopf kann Wein vertragen.
Claus Aermlich, Dorchens Vater, koͤmmt
Recht zu gelegner Stunde,
Auf ſeinen Schaͤferſtab geſtaͤmmt,
Und gruͤßt mit trocknem Munde
Den Paͤchter und Gevattersmann;
Der horcht mit ſchlauem Ohre,
Dankt ihm ſo freundlich als er kann,
Und fraͤgt nach ſeiner Dore,
Und trinkts dem alten Weißkopf zu
Mit Bitte, mit Bedingen
Ihm morgen um die Mittagsruh
Sein Dorchen herzubringen.
Er wollt ihr einen Vorſchlag thun,
201
Der werth ſey anzunehmen;
Auch ſollte Claus im Alter ruhn,
Und ohne Noth und Graͤmen
Sein Brod genießen, ſeinen Wein,
Das Herz damit zu laben,
Claus Aermlich hoͤrts und ſaget nein,
Ich will, ich mag nichts haben.
Behaltet euren Labetrank,
Ich trinke reines Waſſer
Und bin Zeitlebens, Gott ſey Dank!
Des Laſterlebens Haſſer.
N 5202

An Lehnchen R** uͤber einen Zuckermann.

Lehnchen, dieſer Zuckermann
War ein Menſch, wie andre Leute,
Der auf Liebsgeſchichten ſann
Und ſich auf ein Maͤdchen freute,
Huͤbſch und niedlich von Geſtalt;
Aber ach! Er war ſchon alt,
War ſchon ziemlich ſteif an Fuͤßen,
Und es war zur Winterszeit,
Wo das Eis von Waſſerguͤſſen,
Ueber Nacht ſehr oft verſchneyt,
Truͤglich iſt, und Urſach giebet,
Daß der Kluͤgſte wankt und faͤllt:
203
Alſo ging es unſrem Held,
Der zum Sterben war verliebet.
Voll Gedanken und voll Trieb,
Seine Schoͤne bald zu gruͤßen,
Und das Herzchen aufzuſchließen,
Das ihm noch verſchloſſen blieb;
Voller Hoffnung trippelt er
Auf der Straße, glatt wie Spiegel,
Glitſchte ſchnell, und ſtuͤrzte ſchwer,
Wie ein Baum ins Thal vom Huͤgel.
Amor ſchlug mit ſeinem Fluͤgel
Dreymal uͤber ihn zum Spott,
Weil er einen Arm zerknickte;
Dreimal ſprach der kleine Gott,
Daß der alte Buntgeſchmuͤckte
Sich zu keinem Maͤdchen ſchickte,
Und daß er zu ſeiner Schmach
Auf dem Eiſe muſte wallen,
Niederfiel, und ſich im Fallen
Einen Arm zerbrach.
204

Eine Romanze.

Bei Reichenberg, nach Friedrichs Sieg,
Beſah mein Freund mit Klagen
Die Menſchen, die der boͤſe Krieg
Gottsjaͤmmerlich erſchlagen.
Dort lag ein Kopf hier Arm und Bein,
Erbaͤrmlich anzuſchauen.
Ich bilde mir dies Schlachtfeld ein
Und mir faͤngt an zu grauen.
Ein Korporal aus Habſpurgs Heer
Lag unter tauſend Leichen,
Sein Koͤrper, groß und ſtark und ſchwer,
Zerfezt von Saͤbelſtreichen,
War hingefallen in der Schlacht.
Ihm lag nach guter Beute,
Die irgend ein Huſar gemacht,
Noch ein Papier zur Seite.
205
Mein Freund neugierig, was das ſey,
Hubs auf mit ſeinem Degen,
Zogs an der Spitze ſchnell herbei,
Und fings an zu zerlegen;
Da raſſelte nun das Papier,
Und er ward Schrecken-voller,
Als ſelbſt im Treffen, denn das Thier,
Sein Pferd, bekam den Koller.
Papier und Degen fiel im Sand,
Er durfte nicht verſaͤumen,
Dies wilde Pferd mit raſcher Hand
Zu zuͤgeln und zu zaͤumen;
Doch Zaum und Zuͤgel thatens nicht,
Haͤtt er nicht ſanft geſprochen,
Wie er mit mir zuweilen ſpricht,
Haͤtts ihm den Hals gebrochen
Jezt lenkt ers wieder um, und nahm
Ganz ſtill Papier und Degen;
Las nicht, bis er ins Feldhaus kam,
Da wollt er wunderswegen
Erfahren, was geſchrieben waͤr,
Da fand ſichs auf dem Blatte,
Daß es ein Maͤdchen wehmuthsſchwer
Aus Wien geſchrieben hatte.
206
Viel ſchoͤne Namen waren hier
In ſuͤßem Liebsgeſchwaͤtze;
Es ward erzaͤhlt, wie vielmal ihr
Ein Traum das Herz ergoͤtze,
Wie vielmal ſich auch Furcht und Pein
In ihre Bruſt ergoſſen,
Es muͤſten wol Geſpenſter ſeyn,
Ward jeder Vers geſchloſſen.
Nun loͤßte ſich das Raͤthſel auf,
Warum der Fuß des Thieres
Davon gerannt, im Fluͤgellauf,
Beim Raſſeln des Papieres;
Der Geiſt vom armen Korporal
Wird da geſpucket haben,
Weil er gewollt man ſollt einmal
Dies Blaͤttchen mit begraben.
207

Die Nadelſtichsheilung.

Ditmar ſpielte mit Minetten
Und ſie war ihm zugewandt,
Als ob Beyde ſich gekannt
Mondenlang ſchon haͤtten.
Auf ſein Knie hub er das Kind,
Und wie nun die Kinder ſind,
Raſch und leicht wie Mayenwind,
Fluͤchtig wie des Rehes
Jugendlicher Sprung ins Gras,
War Minettchen, und da ſaß
Eine Nadel bei dem Spas
In dem Schuͤrzchen, und des Wehes
Von dem kleinen Nadelſtich
Schaͤmte Ditmars Finger ſich,
208
Hing herunter und verheilte
Sich mit ſeinem eignen Blut;
Ein halb Viertelſtuͤndchen weilte
Dieſes Schmerzes Wuth
Aber wenn der Ditmar kuͤnftig
Mit erwachsnen Mienchens ſpielt,
Die ſchon groß ſind, und vernuͤnftig,
Wenn Er da Verwundung fuͤhlt,
Von des ſchoͤnſten Auges Blicken,
Von der Lippen Grazie;
O dann thuts im Herzen weh,
Und man muß ſich flehend buͤcken,
Daß Gott Amors Bruder eilt,
Der die Wunde heilt.
An209

An Herrn von G. den Officier und Dichter.

Cyntia laͤchelt uns zu,
Dir vor allen, Apolliſcher Sohn,
Denn ſie waͤhnt, Du ſeyſt Endymion,
Er war nicht ſo angenehm als Du
Dies ſchwazt ich geſtern, Corillas!
Und habe nicht gelogen;
Des Tagegottes Schweſter ſaß
Bei weggelegtem Bogen
Auf dem Olympus in dem Kreiß
Der dienſtbeſtellten Nymphen,
Und ihre Stirne ſilberweiß
Die fing ſich an zu ruͤmpfen,
Ihr ſchoͤnes Auge zog ſich klein,
Wie ſich ein Auge ziehet,
O210
Wenn man, um recht gewiß zu ſeyn,
Tief in die Ferne ſiehet,
Wo etwas wankt, Menſch oder Thier
Sie wollte Dich erkennen,
Und fing voll inniger Begier
Im Buſen an zu brennen,
Und ſeufzte laut: Endymion!
Du haſt es nicht vernommen,
Mir aber iſt der Seufzerton
Sehr klaͤglich vorgekommen,
Denn ich gab auf die Goͤttinn Acht.
Sie ward, indem wir gingen,
Im Antliz feuerroth gemacht,
Das Herz wollt ihr zerſpringen
Vor Schaam und Reue, daß ſie Dich
Geſehen und verkannte
Und mit Endymion verglich
Und eine Nymphe nannte,
Zu deſto groͤßeren Verdruß
Ihr ſchalkhaft Deine Minne,
Da goß des Schamroths Ueberfluß
Urploͤtzlich von dem Kinne
Sich auf der Goͤttinn Buſenraum;
Denn ach die Nymphe ſagte,
Daß Amors Mutter ſelber kaum
211
Sich zu vergleichen wagte
Mit Deiner ſchoͤnen Schaͤferinn,
Die blond wie Ceres waͤre,
Da ſank das Haupt der Luna hin,
Und eine bittre Zaͤhre
Floß zitternd auf ihr Purpurpfuͤhl,
Bis Morpheus ſich erbarmte,
Bis durch ſein ſuͤßes Gaukelſpiel
Ihr Schaͤfer ſie umarmte.
O 2212

Duldmanns Rache.

Wie Duldmann ſich gerochen,
Als ihm in ſein Gebiet
Ein Weiberdieb gebrochen,
Dies ſey mein lehrend Lied
An’s ganze Mannsgeſchlechte,
Und wen von ungefaͤhr
Sein Schickſal treffen moͤchte,
Der mach es ſo wie er.
Sein boͤſer Engel brachte
Zur ungelegnen Zeit
Ihn in ſein Haus und machte,
Daß er mit Haſtigkeit
Nach ſeinem Weibchen fragte.
Stellt euch ſein Schrecken vor,
Als ihm die Koͤchin ſagte:
Bei ihr ſey Coridor.
213
Im Puz - und Oberſtuͤbchem
Auf weichem Sofa war
Sein angetrautes Liebchen;
Er fand ſie offenbar
Mit ihrem Zeitvertreiber,
Wie einſt der Schmiedegott
Die Koͤniginn der Weiber
Zu aller Goͤtter Spott
Was meint ihr? Was begonnte
Des Mannes Grimmgefuͤhl,
Der Stoff uns geben konnte
Zum Mord - und Trauerſpiel,
So ſchrecklich wie’s den Britten
Der große Shakſpear ſang
Vom Mohren, den kein Bitten
Und keine Thraͤne zwang?
Ihr denkt an Dolch und Meſſer,
An Pulver und an Blei,
An giftgemiſcht Gewaͤſſer,
Und an die Barbarei,
Sie beide zu durchboren
Mit einem Degenſtich;
Ihr haͤttet drauf geſchworen,
Daß Mund an Mund verblich.
O 3214
Ihr irrt euch in der Sache:
Herr Duldmann nahm ſein Beil
Und hieb, voll heißer Rache,
Ein großes Mauertheil
Von ſeinem Kuͤchenheerde,
Lief in ein Bacchushaus,
Und trank auf die Beſchwerde
Zwo Quart Burgunder aus.
Drauf ging er heim, und machte
Durch ſuͤßen tiefen Schlaf,
Daß er nicht mehr dran dachte.
Was aber Sie betraf,
Sie bebte vor der Luͤcke
Mit Schaudern, Furcht und Scheu
Ihr Lebelang zuruͤcke
Und blieb dem Manne treu.
215

Skizze einer Epiſtel an den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching.

Ehrwuͤrdiger, und Liebenswerther,
Und immer thaͤtiger, beruͤhmter, großer Mann!
Die Krankheit wuͤthet oft, wie Dolche, Pfeil und
Schwerdter,
Greift aber nicht den Geiſt, greift nur den Koͤrper an,
In Menſchen, die viel Geiſt beſitzen
Drei Sommer fanden Dich ſchon auf der Kran -
kenbahn,
Und doch kannſt Du der Welt noch nuͤtzen,
Und haſt ſchon viel fuͤr ſie gethan;
Der junge Morgen koͤmmt und ſiehet
Dich heiter in Geſchaͤftigkeit,
Ob gleich der Schlaf vom Auge fliehet,
Der ſonſt den Kranken Kraft verleiht;
Ob Du gleich unter tauſend Buͤchern
Die Nacht hindurch zu wandeln pflegſt,
O 4216
Und die Geduld im glaubensſichern,
Gott unterworfnem Herzen traͤgſt;
So ſchoneſt Du Dich doch mit nichten,
Du giebſt ein Beyſpiel rund herum,
Und bleibſt nun bald ein Viertel-Sekulum
Treu den Direktor-Pflichten
Im Kloſter-Stift Gymnaſium
Selbſt, da Dirs nicht erlaubt geweſen
Hinab zu gehn im Klaſſenſaal,
Haſt Du mit Worten auserleſen,
Was Vaterliebe Dir befahl,
In Deinem eignen Muſenſaal,
Den Juͤnglingen geſagt, ſo munter,
Als waͤreſt Du nicht krank einmal;
Mein Tochterſohn war mit darunter! u. ſ. w.
*)Dieſer Skizze ſieht man es allzuleicht an, daß ſie nicht wegen poetiſcher Schoͤnheit hier aufgenommen iſt, ſondern bloß deswegen, weil ſie den Charakter des hierdurch an - geredeten wuͤrdigen Gegenſtandes ſo natuͤrlich und wahr ſchildert.
*)
217

Die Waſſersnoth bei Frankfurth an der Oder im April 1785.

Vom Gebirge ſtroͤmte das Verderben
Ins Gefilde weit und breit,
Saat und Blumenkeime wollten ſterben
Unterm Waſſerwogenſtreit,
Zarte Laͤmmer, junge Buſenkinder
Heiſchten Rettung aus der Fluth
Hungerleiden bruͤllten magre Rinder,
Die des Landmanns einzig Gut
In der niedern Armuthshuͤtte waren.
Groͤßer ſchien die Waſſersnoth
Als ein Feldzug fremder Kriegesſchaaren,
Der mit Schwerd und Feuer droht
Und mit Pluͤnderung dem platten Lande,
Das ſein Rauſchen hoͤrt und zagt,
Wenn der Zug vom aͤußern Graͤnzenrande
Schrecken vor ſich hergejagt
O 5218
Jenem Waffenraſſeln widerſtehet
Heldenklugheit, Heldenmuth;
Aber wenn ſich fuͤrchterlich erhoͤhet
Ausgetretner Stroͤme Wuth,
Kann der Koͤnig ſelber nicht gebieten,
Der mit ſiegesreicher Hand
Sieben Jahre lang dem Waffenwuͤten
Vieler Feinde widerſtand.
Rettung nur war moͤglich, war zu wagen,
Und wenn ſie gelang, alsdann
War kein Dichter ſtark genug, zu ſagen
Wonne, die der Held gewann.
Leopold, ein junger, Menſchenlieber
Guelfenſohn, hat es gewagt
Menſchlich Mitleid riß ihn maͤchtig uͤber
Alle Warnung laut geſagt.
Ueber alle Todesfurcht erhaben,
Sprang er in den Kahn, und ſprach:
Rudert ruͤſtig fort, ihr Schifferknaben,
Folgt der Jammerſtimme nach,
Die ſo klaͤglich Huͤlfe fodert druͤben,
Hoͤrt die Todesangſt und eilt!
Schon zu lange ſeyd ihr kalt geblieben,
Habt zu lange ſchon geweilt,
219
Habt nur hier die Wellen angegaffet,
Die der Bruͤcke Halbtheil ſchon
Angegriffen und hinweggeraffet
Fuͤrchtet nicht dies Waſſerd[r]ohn,
Ich bin Menſch, wie ihr zur Welt gekommen,
Wagt doch, was ich wagen kann,
Seht, da wo die Haͤuſer weggeſchwommen,
Kommts auf Menſchenrettung an
Alſo ſprach der Fuͤrſtenſohn und brannte
Von Begierde, da zu ſeyn,
Wo ſich zu dem Sturmgebieter wandte
Nothgedraͤngter Menſchen Schreyn.
Bald hinuͤber war die Fahrt gelungen,
Als ein Windſtoß ſie ergriff,
Ach, von einer Welle Wuth gedrungen,
Scheiterte das kleine Schiff
An der Wurzel einer alten Weide
Und die wilde Fluth verſchlang
Frankfurts Stolz und Ruhm und Augenfreude[!]
Mit dem Waſſertode rang
Leopold nur wenige Minuten
Seine Seele ſtieg empor
Schoͤner als durch vieler Wunden Bluten
In der Heldenſeelen Chor
220
Und die Buͤrger und die Muſenſoͤhne
Und die Kriegesmaͤnner all
Klagen Ihn, und ihre Klagetoͤne
Wiederholt der Wiederhall,
Daß es alle Luͤfte hoͤren muͤſſen,
Und ein Kuͤnſtler groß und mild
*)Herr Daniel Chodowiecky.
*)
Macht der Folgezeit die That zu wiſſen
Durch der Thatbeginnungs-Bild.
221

An den beruͤhmten Chodowiecky.

Der Du mein Auge gut getroffen,
So, daß Dirs meine Muſe dankt,
O Chodowieck ich will doch hoffen,
Daß ſich des Dichters Kopf nicht mit dem Kopfe zankt,
Der mit ihm in Geſellſchaft reiſet,
Er iſt ſo groß ich bin ſo klein,
Ich ſing ein Lied, das nichts beweiſet,
Er ſingt, um ewig hier zu ſeyn,
Und jede Welt zu uͤberfuͤhren,
Daß Ihn Apollo Sohn genannt;
Mein Bischen Ruhm wird ſich verlieren,
Wenn ich ins Geiſtervaterland
Hinweggeflattert bin und Seiner wird beſtehen.
Ich bin ein Weib, Er iſt ein Mann,
Mein Verschen weiß nur deutſch zu gehen,
Wenn Sein Vers nach dem Takt des Roͤmers tan - zen kann,
222
Der fuͤr die Jugend Roms ein Jubellied gedichtet,
Und fuͤr den Caͤſar und fuͤr ſich
Ein dauernd Denkmahl aufgerichtet;
Auch Du errichteſt eins fuͤr Dich
In den Figuren, die mit Blicken,
Und mit Geberden ſprechend ſind.
Der Paſtor Sebald
*)Sebaldus Nothanker, ein bekannter Roman des Herrn Ni - kolai zu Berlin.
*) weiß ſein Leiden auszudruͤcken,
Sein todtes Weib, ſein ſtarres Kind,
Und ſeine Tochter Mariane,
Der Bauer und ſein Freund, der von der Reiſebahne
Befluͤgelt ihm zu troͤſten kam,
Sind insgeſammt ſo wahr gezeichnet, daß der Gram
Mich ſelbſt ergreift, wenn ich ſie ſehe
Und wann die Frau von Hohenauf
Das arme Maͤdchen ſchreckt dann fuͤhl ich Schauerlauf
Vom Haupte bis zum Fuß, und flehe
Die Goͤtter fuͤr das junge Paar,
Das in der ſchoͤnen Sommerlaube
So keuſch verliebt, ſo zaͤrtlich war;
Ich bin getaͤuſcht, ich denk und glaube,
Daß alles wirklich vor mir ſey,
Der Juͤngling und die boͤſe Tante;
223
Mir duͤnkt, mein Ohr hoͤrt ihr Geſchrey,
Und jedes Afterwort der Zunge, die da brannte
Vom Grimm, der aus dem Herzen fuhr,
Wie Flammen aus dem Hoͤllenſchlunde;
Ich haſſe dieſe Kreatur,
Mit ihrem Mops-geſtalten Munde,
Und fuͤhle ganz des Saͤuglings Schmerz,
Der faſt verſteinert iſt im Starren,
Die Stirn herunter haͤngt aufs Herz,
Den Handſchuh fallen ließ, weil er vor einen Narren
In Folio geſcholten ward,
Vor einen blinden, dummen Knaben,
Der ſichs im Kopf geſetzt, ein Maͤdchen ſolcher Art,
Ein ſtaubgebornes Kind, zur aͤchten Frau zu haben
Dies kraͤnkt mich und die Furcht des Maͤdchens,
das ſo zart,
So fein geſchaffen iſt, ſo wuͤrdig ihn zu lieben,
Ich hoffe, daß er ſie bekoͤmmt,
Wenn ihr Verhaͤngniß ſie genug herumgetrieben,
Und Beyder Wuͤnſche gnug gehemmt,
So wird es endlich ausgeſoͤhnet,
Und Deine Kunſt zeigt uns alsdann die frohe Braut,
Wie Hymen ihre Schlaͤfe kroͤnet,
Vom Neide haͤmiſch angeſchaut.
224

Das beſtaͤndige Einerlei.

Aſpan, ein Edelmann, gewohnt zum Zeitvertreib,
Verirrte dann und wann ſich zu des Dieners Weib,
Denn ſie war jung und ſchoͤn Wie? Was trieb denn
Aſpanen
Zu Weibern ſeiner Unterthanen?
Hat er denn ſelbſt kein Weib? Ja, er hat eine Frau;
Doch welcher Menſch wird alt und grau,
Ohn mehr als einerlei von Speiſe zu genießen?
Wer kann denn ewig nur auf Einem Munde kuͤſſen?
Zum wenigſten kann dieſes nicht Aſpan.
Einſt trift ſein Diener ihn bei ſeinem Weibe an:
Herr! ſpricht er, ſagt mir doch, was euch zu Andern
treibet,
Warum ihr mit dem Kuß bei eurer Frau nicht bleibet?
Der Edelmann lacht laut und ſpricht: du biſt ein Thor,
Ein neuer Kuß kommt uns wie neue Speiſe vor,
Der Wechſel iſt gewiß das ſchoͤnſte Ding auf Erden,
Denn immer einerlei muß uns zum Ekel werden.
Hans hoͤrt es an und ſchuͤttelt mit dem Kopf,
Denn Hanns der war ein dummer Tropf.
Sein225
Sein Herr war liſtig und verſchlagen,
Er heißt dem Koch, zu Hannſens Mittagsmahl
Die beſten Aalpaſteten tragen.
Das Eſſen war fuͤr Hannſens Wahl,
Er ſein Tage nicht vom Aal;
Das Ding war ihm ſo neu, wie alle neue Dinger.
Genug er ißt und leckt die Finger
*)Wen hier ekeln ſollte, der bedenke, daß es Hanns iſt.
*).
Der Koch traͤgts wieder auf den andern, dritten Tag.
So lange bis es Hanns gar nicht mehr eſſen mag.
Er ſitzt und ſtochert mit dem Meſſer:
Wo blieb nun der Paſteteneſſer?
Sein Herr tritt hinter ihn und ſpricht
Und fraͤgt: wie iſts, Hanns! ſchmeckt die Aalpaſtete
nicht?
O! ſpricht der gute Hans mit ziemlichem Erroͤthen,
Wer Henker ißt denn gern nur immer Aalpaſteten?
Man ſehnt ſich auch einmal nach Fleiſch und Zugemuͤß!
Ho ho! ſpricht Hannſens Herr, Veraͤnderung iſt ſuͤß;
Wie du nicht jeden Tag magſt Aalpaſtet genießen,
So mag auch ich mein Weib nicht alle Tage kuͤſſen.
Hanns haͤngt den Kopf, ſchaͤmt ſich und ſchweigt,
Und krazt ſich hinter beiden Ohren,
Ganz von der Wahrheit uͤberzeugt,
Daß wir zum Wechſel ſind geboren!
P226

Nachricht an den Grafen von Stollberg-Wernigerode wegen des Rinderhirtens Johann Chriſtoph Grafes in Schwiebus, zween Meilen von Zuͤllichow.

Der Rinderhirte lebt noch dort,
Wo er mir Fruͤchte gab und Kraͤnze;
Nicht Gram, nicht Mangel trieb ihn fort,
Er zaͤhlte ſechs und vierzig Lenze,
Vielleicht ſeit ſeinem Kinderlauf,
Vielleicht auch druͤber oder drunter.
Sein Auge blickt nicht reizend auf,
Iſt nicht beflammt, nicht groß, nicht munter,
Sein Lippenpaar verlocket nicht
Zur Luͤſternheit nach einem Kuſſe
O Graf! Sein ganzes Angeſicht
Empfing nichts von dem Honigguſſe
Der Grazien, die an der Braut
Des Fuͤrſten, der Dich Vater nennet,
Mund, Auge, Stirn und Bruſt gebaut.
In dieſes Menſchen Miene kennet
227
Man nichts von dem, was die Natur
Ihm mitgegeben zum Geſchenke,
Als er der Dunkelheit entfuhr.
Man ſieht nicht, daß er beſſer denke
Wie mancher, den ſie ſchoͤn gemacht.
Er ſcheinet uns ſo gar zuwider,
So bald er freundlich thut und lacht.
Und doch verdient er funfzig Lieder
Von wegen ſeiner Froͤmmigkeit.
Die Tugend hat von ſeinen Thaten
Gewiß noch keine nicht geſcheut.
Den Weg, auf den die Spoͤtter traten,
Vermied er immer, und die Bahn
Der Gottsvergeßnen und die Freuden
Der Juͤnglinge, die Luſt auf Luſt
Verſchlucken und ihr Auge weiden
An Dingen die vergaͤnglich ſind.
Er ſpannte ſein ererbtes Rind
Am Pflug, den er ſich ſelber machte,
Genoß, was Feld und Garten brachte,
War ſtets zufrieden, war vergnuͤgt
Mit ſeinen ſelbſtgezeugten Ruͤben
Bis Rußlands Voͤlker uns bekriegt
Und manchen Landmann fortgetrieben.
Da ward ſein kleines Gluͤck zerſtoͤrt.
P 2228
O Menſchenfreund! Du haſt ſein Klagen
Mit unverſchloßner Bruſt gehoͤrt,
Und ihn zu retten beygetragen.
Jezt draͤngt ein nachbarlicher Feind
Sein frommes Herz zu neuer Klage;
Reiß ihn heraus, Du Tugendfreund!
Er wendet ſeine Lebenstage
Zu mancher Schnizwerkarbeit an,
Wenn er im Winter nicht die Erde
Mit ſcharfem Pflug durchwuͤhlen kann.
Hilf, Goͤnner! daß er gluͤcklich werde!
Sein Feind, ſein Widerſacher nimmt
Ihm einen Theil von ſeinem Erbe.
Er iſt auf ſeine Stadt ergrimmt,
Laß zu, daß er in Deiner ſterbe,
Und glaube, daß der Hirte frei,
Nicht unterthaͤnig, nicht gebunden
An irgend einem Herren ſey.
Empfinde, was Du oft empfunden,
Wenn Du denjenigen erquickt,
Der bittend Dir durchs Herz geblickt.
229

Jeremias Klage bei dem Anblick der Flucht ſeines Volkes aus dem Elſas.

Jeremias, der vor Zeiten
Der Chaldaͤer Kriegesgrauſamkeiten
Und den Jammer Zions ſang
Jeremias in dem Himmel
Miſchte Klagen unterm Harfenklang,
Da vom Elſaß ein Getuͤmmel
Und ein Angſtgeſchrei empor
Drang bis in das Seraphchor,
Da des Aufruhrs fuͤrchterliche Rotte
Seinem Volke ſchrecklich war.
Nackend, unter bittrem Spotte
Trieb die wuthbeflammte Schaar
P 3230
Das beraubte Volk von hinnen,
Und es konnte durch die Flucht
Lebensrettung kaum gewinnen
Fuͤr den Grimm der Raͤuberſucht.
Gott, du biſt die Liebe ſelber,
Rief der Klageſaͤnger aus
Goß dies Volk ſich goldne Kaͤlber?
Lief es in ein Goͤtzenhaus?
Trat es dein Geſetz mit Fuͤßen?
Baute ſichs Altaͤre dort,
Ein Trankopfer auszugießen?
Sprachs zu Holz und Stein: Du Hort
Meines Heils! Hilf mir, und neige
Doch dein Ohr zu meinem Flehn!
Gott, warſt du des Frevels Zeuge?
Hat dein Auge dies geſehn?
Und haſt du im Zorn befohlen,
Daß wie ein geſchenchtes Reh,
Ohne Athemholen
Dieſes Volk mit Ach und Weh
Fliehen ſoll an der Welt Ende?
Gott, Erbarmer! ſiehe drein;
Mache, daß der Zorn ſich wende!
Laß wie vormals maͤchtig ſeyn
Deine Liebe, dein Erbarmen!
231
Siehe, ſiehe da, die Armen,
Weib und Greis und Kinder fliehn
Voller Todesfurcht und Schrecken:
Wer, o wer wird ſie bedecken?
Welche Huͤlfshand wird ſie ziehn
Von dem Rande des Verderbens?
Welches Zoar nimmt ſie auf
In der Angſt des Hungerſterbens?
Und wo endet ſich ihr Lauf?
So ſprach der Prophet, und ſehet
Die Erbarmung wuͤrkte ſchon
Maͤchtig eh er ausgeflehet.
Zitternd war das Volk entflohn,
Bebend kam es an die Thore
Baſels, einer Schweizerſtadt,
Die ſonſt mit verſchloßnem Ohre
Sich hinweggewendet hat,
Wenn ſich ein Iſraelite
Nur von fernher merken ließ,
Daß er dort um Eingang bitte.
Aber nun wars ihr ſo ſuͤß,
Sich zu oͤffnen; und die Schwachen,
Und das Weib, das jetzt gebar,
Durch Erquickung ſtark zu machen.
Nun ward Baſel ein Altar
P 4232
Frommer Toleranz, wo Speiſe,
Trank und Kleid geopfert ward
Auf Gott angenehme Weiſe.
Und nun ſcholl nach Davids Art
Lob aus des Propheten Munde,
Und auf Gottes Erdenrunde
Unter allen Himmeln weit
Toͤnt auch Baſels Menſchlichkeit.
[233]

Vermiſchte Gedichte.

[234]235

Verſuch einer Dankſagung an Koͤnig Friedrich Wilhelm den Vielgeliebten.

Monarch und Schoͤpfer eines Gluͤcks,
Das meinem Alter Blumen ſtreuet,
Ich habe nur im Ausdruck meines Blicks
Die Sprache, die kein Woͤrterbuch verleihet,
Nur Thraͤnen hab ich, ſtatt des Tons,
Wenn ich Dir danken will, Dir Schutzgott auf der Hoͤhe
Des landesvaͤterlichen Throns
Ich fuͤhl’s, daß ich auf Roſen gehe,
Auf Roſen ſchlummre leicht und ſuͤß,
Seitdem Dein Woͤllner mir’s verkuͤndet,
Was ihm ſein Koͤnig hieß:
236
Ein Haus, ein Haus wird mir gegruͤndet,
Wird aufgebauet, wird geſchmuͤckt,
Als waͤr’s ein Tempelchen der Muſen
O wenn’s mein Auge nun erblickt,
Dann wird mein abgelebter Buſen
Zu enge fuͤr des Herzens Drang,
Es flammt bei dieſer Augenweide
Vielleicht nur Tage lang,
Wird wonnekrank
Und ſtirbt den ſchoͤnen Tod der Freude:
Sein lezter Schlag iſt Dank!
237

An Ihro Koͤnigliche Hoheit die Prinzeſſinn Louiſe, Tochter des Prinzen Ferdinand von Preußen K. H. Als dieſe hoͤchſten Herrſchaften Bellevuͤe beziehen wollten.

Prinzeßin! die ſo lieblich bluͤhet,
So freundlich iſt wie ſchoͤner May
Des naͤchſten Jahres Fruͤhling ſiehet
Dich wandeln, wenn der Morgen neu
Des Tannenhaynes Saͤnger weckte,
Und wie mit Diamanten-Glanz
Der Tau das Ufergras bedeckte,
Da wandelſt Du im Blumenkranz;
Und jede Dryas wird ſich neigen,
Und jedes Wieſenbluͤmchen Dir
Demuͤthig ſich zu Fuͤßen beugen
Und: Flora, Flora wandelt hier!
Wird Nachtigall und Lerche ſingen.
238
Der Wandersmann verwundert ſich
Bei allen dieſen Wunderdingen;
Horcht die Geſaͤnge, ſiehet Dich,
Und ſieht das Landhaus koͤniglich
Emporgeſtiegen in dem Hayne
Auf Ferdinands Befehl ſo ſchoͤn!
An Seinem Arme ſieht Er Deine
Durchlauchte Theure Mutter gehn,
Und wuͤnſchet Heil dem Hohen Paare,
Dem Du gegeben worden biſt
Von einer Liebe die durch Jahre
Nicht kalt geworden iſt.
Aber wehe den Dryaden
Auf der Friedrichsfelder Flur,
Die umſonſt Euch zu ſich laden,
Ach! ſie leben kuͤnftig nur
Ihre Traurigkeit zu fluͤſtern.
Wer ſie ſieht, und ſonſt ſie ſah,
Siehts an ihren Reizverduͤſtern:
Ferdinand ſey nicht mehr da!
Stolz wird Ihn das Spreegeſtade
In der Sommerwohnung ſehn;
Und der Schwan wird Dich um Gnade
Deines holden Blickes flehn
239

Ihro Koͤniglichen Hoheit der Fuͤrſtinn von Anhalt-Deſſau gebornen Prinzeſſinn von Brandenburg - Schwedt am 24. September 1782.

Groß war vor Zeiten
Manch fuͤrſtlich Weib,
Im Kriegesſtreiten
Und im Betreib
Der Throngeſchaͤfte,
Die ſie begann,
Voll Geiſteskraͤfte,
Als waͤrs ein Mann
240
Doch mehr als jene
Biſt Du mir groß!
Du Seelenſchoͤne!
Die Du Dein Loos,
Geliebt zu werden,
So ganz erfuͤllſt,
Und Grambeſchwerden
Der Armen ſtillſt,
Mit Gottesmilde
Ringsher um Dich
Wie das Gefilde
Im Sommer ſich
Durch Thau erquicket,
Labt ſich Dein Land,
Wenn Dich’s erblicket
An Franzens Hand,
Der ſanft regieret,
Und Vater heißt,
Wenn’s Volk geruͤhret
Dich Mutter preiſt.
Verſuch241

Verſuch eines Geſanges zur Geburtsfeier Sr. Excellenz des Koͤniglich Preußiſchen Kabinets-Miniſters Grafen von Hertzberg.

Horcht immerhin auf Siegesboten-Ton
Ihr Barden des beruͤhmten Praters!
Ihr harret lange, lange ſchon
Auf Thaten eures Voͤlkervaters,
Und ruͤſtet euch zu hoher Ode Flug
Ich ſinge nicht den Kaiſerzug;
Was kuͤmmert mich die Kriegesflotte,
Wohin ſie ihren Donner trug
Ich ſinge Dank dem hoͤchſten Gotte
Fuͤr die Geburt des Erſten Koͤniglichen Raths
Zu Kriegs - und Friedenszeiten!
Q242
Er blickt umher und merkt aufs Wohl des Staats,
Sein forſchend Auge ſieht von weiten
Am Horizont der Monarchien
Gewitterwoͤlkchen, eh ſie ſich zuſammenziehn.
Er weiß vorher zu uͤberdenken,
Wohin ſich ihre Blitze lenken
Weiß, ob ſie abzuleiten ſind,
Wenn ein Orcan, ein Wirbelwind
Die Wetterwolken naͤher braͤchte
Ich aber fuͤhle nur, wie gern
Mein Lied die Weisheit ſingen moͤchte,
Die in ihm glaͤnzet wie ein Stern
Am Himmel dunkler Naͤchte.
Waͤr ich noch dreißig Sommer fern
Von der Matronenſtufe,
Haͤtt ich mein zwoͤlftes Luſtrum nicht
Schon uͤberlebt noch vor dem Rufe,
Dem Friedrich folgte zu der Stufe
Des Throns in Gottes Sonnenlicht:
Dann wollt ich einen Hymnus ſingen
Voll Jugend und voll Wonnegluth
Der Weisheit Herzbergs, und dem Muth,
Der beſſer kann durch Hinderniſſe dringen,
Als Cineas und als Maͤcen,
Zwo Staatsminiſter grauer Zeiten
243
Ich bin zu ſchwach, die Stimme zu erhoͤhn,
Drum bet ich nur mit alten Leuten:
Gott! laß den Thron geſichert ſtehn,
Den Friedrich Wilhelm zum Beſitzen,
Befeſtiget von Friedrichs Hand,
Weit uͤber andre glaͤnzend fand.
Erhalte dieſes Thrones Stuͤtzen
Fuͤrs Vaterland!
Laß unerſchuͤttert, laß noch lange
Den Pfeiler Herzberg dicht am Fuß des Throns
Beſungen werden vom Geſange
Des hoͤchſten Dichtertons!
Q 2244

Ein Gebet an den Mars.

Du Gott des Krieges, laß die Erde!
Dein Schritt, mit Blut bemerkt, iſt fuͤrchterlich, iſt
ſchwer,
Veraͤndre doch die ſchreckliche Gebaͤrde,
Und ſchuͤttle laͤnger nicht den Speer.
Dein wartet der Olymp, und Amor mit dem Bogen
Lauſcht an der Mutter Fuß. Steig von des Mordens
Bahn
Zur Goͤttin; dann betruͤg den ſchlafenden Vulkan,
Wie er vor Zeiten ward betrogen.
Von Waffenſchmieden iſt er matt,
Wie Venus, die nach dir ſechs Jahr geſchmachtet hat.
Wie reizend liegt ſie da im Eliſaͤer Lenze!
Die Nymphe windet dir und Venus Mirtenkraͤnze,
Mit Blumen untermengt. Schon gießt ſie Nectartrank
In goldne Schaalen ein; und wenn auch Goͤtter
krank
245
Fuͤr heißer Sehnſucht ſind, ſo iſt’s gewiß Cythere!
Horch im Getuͤmmel auf, ſie ſeufzet goͤttlich, hoͤre!
Begieb vom Kampfplatz dich zuruͤck,
Geharniſcht wie du biſt, an Haupt, an Arm und
Fuße.
Cupido zieht dich aus, und deinem erſten Kuſſe
Dankt unſre ganze Welt ihr Gluͤck.
Der Zorn in einer Frau rief, Mavors, dich hernieder,
Die Sehnſucht einer Frau hol dich den Goͤttern
wieder,
Und ewig komm uns nicht zuruͤck.
Q 3246

An den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Gedicke.

Was ich von Dir an Spaldings Herz geſchrieben,
War nicht Aufmunterung fuͤr Dich!
Mein Herzgefuͤhl hat mich dazu getrieben,
O mit Begeiſterung hab ich
Dein hohes Lied ſchon ſechsmal vorgeleſen,
Und jedes Auge rings um mich
Iſt thraͤnenvoll wie meins geweſen.
Du ſtellſt den Vater Friederich
So liebenswuͤrdig vor, ſo praͤchtig,
Daß unſre Seele niederfaͤllt
Und den anbetet, der ihn maͤchtig
Hat ausgeruͤſtet in der Welt
247
Mit allen Gaben, die vor Alters
Der Koͤnig Iſraels gehabt,
Der jede Nachwelt mit den Hymnen ſeines Pſalters
Und ſeines Harfenſpiels begabt,
Und ſtreitbar war und bei der Landesſtrafe
Sich tief gebuͤckt auf ſeiner Bahn,
Gen Himmel rief und frug: Was haben dieſe Schafe
Dir Herzenskuͤndiger gethan?
Dir, du Vergelter! dir, du Raͤcher!
So ſprach der Koͤnig Iſraels, ſo ſpricht
Der Koͤnig Friedrich, wenn ein ſtolzer Friedenbrecher
Ihn in das Feld getrotzt, wo ihm das Herze bricht
Bei ſo viel Menſchenblutvergießen.
Vielleicht geſchiehts, daß dieſesmal
Sein Feind ihn um Verſoͤhnung wird begruͤßen,
Eh noch vom Blut ein Boͤhmerthal
Wird uͤberſchwemmt und Berge zittern
Vom Fall der Helden in der Schlacht,
Wie wenn aus Gottes Ungewittern
Der Bliz bald hier bald da die Baͤume niederkracht,
Mit der Gewalt des Sturms vereinet
Alsdann ſingſt Du ein Wonnelied,
Woruͤber Braut und Mutter weinet,
Die ihren Liebling wiederſieht
Q 4248

An die Frau von Reichmann, Kommendantin zu Magdeburg.

Der Winter hauchet Froſt an dieſe duͤnne Wand;
Ich aber troz ihm in dem Bette.
Hier ſitz ich, und hier ſchreibt die kaltgewordne Hand
An Dich, und wenn der Nord durch meine Fenſter
redte
Gewaltiger als ſonſt, wenn dieſer Finger krumm
Von Froſt geworden waͤr, ſo wuͤrd ich doch nicht ſtumm,
Ich ſaͤnge Dir ein Lied, Dir! der ich alle Tage
Des Herzens erſten Gruß in einem Liede ſage.
Viel Kaͤlte ſtand ich aus, als Armuth mich gejagt
Fruͤh Morgens aus dem Bett, ſobald es nur getagt,
Wie aͤngſtlich lief ich da nach Holze,
Bei mir voruͤber ging das ſtolze
Und reiche Buͤrger-Volk, nicht vornehm, aber doch
Sehr aufgeblaͤht durch kluges Wiſſen
Des Geldbeſitzens, das ſie noch
Vielleicht, wie Rauch, verlieren muͤſſen.
249
Du haͤtteſt laut geweint, von Mitleid hingeriſſen,
Wenn ich bei Dir vorbeigegangen waͤr!
Der arme Koͤrper war inwendig kalt und leer,
Von außen war er ſchlecht behangen;
Ein Buͤndel Holz trug unter jedem Arm,
Das Weib, nach welcher izt ſo warm,
So eifrig Alt und Jung verlangen.
Ich ſchleppte muͤhſam mich und brach das Reiſicht klein,
Saß vor dem Ofen hin, und heitzte zitternd ein,
Die Kinder vor dem Froſt zu ſchuͤtzen;
O Dein Gedanke ſieht mich bei dem Ofen ſitzen,
Ein Topf mit Waſſer ſteht bei trockner Fichtengluth;
Er kocht, ich heb ihn ab, um Mehl darin zu ſchuͤtten,
Die Suppe, ſchlecht und ohne Schmalz, war gut.
Izt duͤrfte keiner mich darauf zu Gaſte bitten.
Seit dem beruͤhmten Sieg bei Leuthen tadle ich,
Den Kaffee, wenn er nicht ſo kraͤftig iſt, daß mich
Sein waͤrmend Oehl beſchuͤtzt vor einen boͤſen Huſten,
Den alle Suppen mir nicht zu vertreiben wuſten;
Jezt eben komm ich, Frau, und wenn ich Dich gekuͤßt,
So fraͤgt mein erſter Blick: ob Kaffee fertig iſt!
Q 5250

Ueber die Vergleichung.

An Nanntchen.

Den 5. Okt. 1779.

L Dich bey Leibe nicht vergleichen
Mit meiner Kleinigkeit,
Ich lief nur unter Haſelſtraͤuchen
In fruͤher Jugendzeit,
Wenn unter einer Bacchuslaube
Dein zartes Fuͤßchen ging,
Wo Dir die ſchoͤnſte Purpurtraube
Ins Roſenmaͤulchen hing
Ich kannte nur die Nachtigallen;
Kein buntes Papchen ließ
Im Hauſe meinen Namen ſchallen,
Fuͤrs Futter fein und ſuͤß.
Mein Sopha war nur Wieſenerde:
Da ſchwatzete mein Mund
Mit Blumen und mit meiner Heerde,
Die trieb ich ohne Hund.
Mir horchten auf ein Wort drey Rinder,
Wie Dir Fidelchen Boll,
Ich pflegte meiner Mutter Kinder,
251
Wenn Du von Liebe voll
Auf Deinem Schoße Zuckerkuͤchlein
Dem Klaͤffer gabſt, und ihn
Das Maul mit einem ſeidnen Tuͤchlein
Verſtopfteſt, weil es ſchien,
Daß er Mamachen wecken moͤchte
Du warſt geboren reich;
Ich bin vom Ackerbaugeſchlechte,
Darum iſt ein Vergleich
Nie zwiſchen Dir und mir zu machen.
Du ſingſt dem Mann allein,
Biſt groß, kannſt uͤber Fuͤrſten lachen;
Ich darf ſo ſtolz nicht ſeyn!
Doch dring ich nicht auf Marmorſtufen
An karger Fuͤrſten Ohr:
Der Koͤnig ſelber ließ mich rufen
Nach Sansſouci empor,
Ob er gleich nicht das Deutſche liebet;
Und was kann ich davor,
Daß Ferdinand mir Antwort giebet,
Der große Ferdinand!
So vielmal Ihm mein Herz geſchrieben,
Von aller Haabſucht rein:
Er muß bey hohen Heldentrieben
So ſtolz wie Du nicht ſeyn.
252

Die goͤttlichverkannte Phillis im Walde.

Als juͤngſt der Hirſch voll Liebesflamme
Sein Thier verfolgte, das ihn floh,
Da ſtand an einem Birkenſtamme
Der alte Jaͤger Sylvio.
Ein Greis iſt er, und noch verſtocken
In ihm des Lebens Saͤfte nicht,
Ihm flattern taubenweiße Locken
Um roſenfarbnes Angeſicht.
Betrachtend ſtand vom Meſſerſchnitte
Verwachſen in den ſtarren Baum:
Da rauſchten meiner Phillis Tritte
Vorbei und ihres Kleides Saum.
Zuruͤck fuhr Sylvio der Alte,
Ihr Goͤtter! rief er, ja ſie rauſcht
An mir vorbei, die wohlgeſtalte
Diana, die das Wild belauſcht.
253
Welch eine Miene! welche Wangen!
O Phoͤbus! welch ein Angeſicht!
Sie kann den Hirſch durch Blicke fangen
Und brauchet Pfeil und Bogen nicht.
Fleuch nicht, Diana! bleib, ich ſchlachte
Zum Opfer dir ein junges Reh,
Das ich ſo zahm wie Laͤmmer machte,
So weiß iſt es wie neuer Schnee.
Ich will dir einen Eber wuͤrgen,
Der trotzig durch Moraͤſte brach,
Dem ich vergebens auf Gebirgen
Und in Gebuͤſchen ſpaͤhte nach.
Ich will ihn finden, o Diane!
Drei Liebesgoͤtter helfen mir.
Mein Wurfſpieß trift trotz ſeinem Zahne,
Zu Fuͤßen ſoll er bluten dir
Ha! welch ein Blick! mich zu verachten?
Nun will ich dir auf dieſem Block
Kein weißes Reh zum Opfer ſchlachten,
Nein, einen ſchwarzen Ziegenbock.
254

Lied einer alten reichen Wittwe, die gern Dame werden will.

Warum ſollt ich mich denn haͤrmen,
Hab ich doch Reichthum noch,
Junges Muths zu ſchwaͤrmen!
Reichthum, Reichthum ſoll mir geben
Einen Mann, der mich kann
Uebern Poͤbel heben
Dann bin ich Hochwohlgeboren!
Fuͤr mein Geld, alle Welt
Staunt und ſpitzt die Ohren.
Freude wird mich uͤberladen,
Wenn die Magd ſchuͤchtern fragt;
Was befehl’n Ihr Gnaden?
255
Wenn ich ſie zum Dienſtvergelten
Ihrer Muͤh tolles Vieh,
Dumme Gans darf ſchelten;
Wenn Sie mich wird bitten muͤſſen
Oben drein, um Verzeihn,
Und den Rock mir kuͤſſen
Hat ſie mich nun angekleidet,
Stuͤck vor Stuͤck, daß mein Blick
Sich im Spiegel weidet:
Dann traͤgt ein Geſpann von Rappen,
Im Gallop, hop, hop, hop!
Mich und auch mein Wappen!
Welche Wolluſt, welch Entzuͤcken!
Wenn im Saal mein Gemahl
Links und rechts mit Blicken
Zu verſtehn giebt, daß ſein Name
Stolz gebeut: ſeyd geſcheit
Kropzeug, weicht der Dame!
256

Duett zu einer Operette.

A
In dieſem ſtillen Hayne gatten
Sich Freiheit, Friede, Luſt und Ruh,
Hier eilen wir einander zu
Und ſuchen uns im dickſten Schatten,
Hier find ich Dich mich findeſt Du
B
Die Nachtigall in dieſen Straͤuchen
Gleicht im Geſeufz der Liebe mir,
In ſuͤßer Scherzluſt gleicht ſie Dir,
Und ſchluͤpft, uns beiden mehr zu gleichen,
In ſichern Schatten ſo wie wir.
A
Wie girren dort die Turteltauben;
Wer kann ihr Girren nicht verſtehn?
Und o wie kuͤſſen ſie ſo ſchoͤn:
Dir ſolchen Kuß auch zu erlauben,
Dies hab ich ihnen abgeſehn.
An257

An die juͤngſte Demoiſelle St*hl.

Die Du von eines Thronenſitzers Mund gekuͤßt,
Noch ſo beſcheiden bliebſt, ſo liebreich wie Du biſt,
O Freundin! die ſich nicht veraͤndern,
Nicht ſtolzer machen ließe, weil
Ein großer Herr von vielen Laͤndern
Dich liebte, Dir von ſeinem Glanz den halben Theil
Und ſeinen ganzen Namen gaͤbe,
Und ſchwuͤre, daß er Dir nur zu gefallen lebe,
Gefuͤhrt am ſtarken Liebesſeil,
Sprich: ob das moͤglich iſt, was uns Dein Vater ſaget,
Daß einen ſonſt ganz ſanft geſchaffnen Koͤnigsſohn
Die Herrſchſucht und der Geiz nach weitern Graͤnzen
naget,
R258
So bald er auf dem goldnen Thron
Die Schwindel bringende zu ſteile Hoͤh beſtiegen,
Alsdann vereinet ſich die Ehre mit der Macht,
Der junge Herrſcher wuͤnſcht den Nachbar zu
bekriegen,
Am Tage denket er den Plan zu Feldeszuͤgen
Und traͤumet vor dem Zug die Schlacht,
Wirbt Juͤnglinge zu ſeinen Fahnen,
Legt Schatzung auf die Unterthanen,
Und glaubet keinen Gott als ſich,
Macht durch Befehl und ſchnelle Strafen
Sein Anſehn drohend fuͤrchterlich,
Und wird doch niemals froh wie Einer bei den
Schafen
Und Ziegen ſeines Landes lebt,
Der nie nach groͤßerm Raum des kleinen Ackers ſtrebt,
Zufrieden iſt mit ſeinem Garten
Und von dem unverſchnittnen hohen Apfelbaum
Die reifen Fruͤchte bricht und nicht des Weines
Arten
Zu unterſcheiden weiß wie Fuͤrſten mit dem zarten
Zur Kitzelung gewoͤhnten Gaum.
O Freundin, als die Welt noch keine Fuͤrſten
brauchte,
Als noch der Fruͤhlingswind in keine Blumen hauchte,
Die ein gedingter Arm begoſſen und gepflanzt,
259
Und noch die Menſchen vor einander
Sich nicht gefuͤrchtet und verſchanzt,
Da machte noch kein Alexander
Sich ſelbſt zum Gott, und kein Geſchrei
Des Treffens riß die Wolken von einander,
Da war ein Sterblicher dem andern noch getreu,
Die Maͤnner winkten ſich am Pfluge Freundſchaft zu,
Die Maͤdchen waren Schaͤferinnen,
Und ſangen auf der Trift und wußten ſo wie Du
Durch ſuͤßen Blick die Herzen zu gewinnen.
R 2260

Dem Andenken des Herrn Hofrath Stahl bei ſeinem Grabe.

Hier liegen ſie, die heiligen Gebeine
Des Menſchenfreundes, der zum Schooße Gottes
flog,
Komm, meine Tochter, komm und weine!
Hier gab der Mann, der dich erzog
*)Fuͤnf Jahre lang auf der Heckerſchen Realſchule.
*),
Das ſtanbgewebte Kleid der Erde
Zuruͤck, und wird nicht mehr geſehn;
Sein Flug iſt ohne feurige Pferde,
Iſt ohne flammenden Wagen geſchehn,
Durch alle Sterne die uͤber uns glimmen
Wie Funken, und doch Welten ſind;
Ihm rufen tauſend klagende Stimmen:
Mein Vater! mein Vater! denn Er hat manch
verwayſetes Kind
261
Geſpeißt, gekleidet, auf immer begluͤcket,
Viel matte duͤrftige Kranken erquicket,
Erwaͤrmet, und wieder zum Leben erweckt;
Und ſeine ſanfte wohlthaͤtige Rechte
Vor ſeiner Linken verdeckt,
Damit es ihr unwiſſend bleiben moͤchte;
Sein Engel aber hat alles bemerkt,
Und in der letzten zielerſtrebenden Stunde
Die muͤdegewordene Seele geſtaͤrkt,
Die ſich vom freundlich geſchloſſenen Munde
Mit ihrem Begleiter gen Himmel erhob,
In welchem ſein frommer Gedanke laͤngſt ſchwebte;
O Tochter, beſinge du kuͤnftig ſein Lob:
Wie beyſpielleuchtend er lebte,
Wie unveraͤnderlich guͤtig Er blieh!
Ich kann es nicht ſingen,
Mich hindern Thraͤnen, Er war mir zu lieb.
Die Zeit kann Schaͤtze wiederbringen,
Und jedem gewaͤſſerverheereten Thal
Noch ſchoͤnere Blumen verleihen,
Nur mit dem redlichgeprieſenen Stahl,
Kann ſie nicht mehr die Herzen erfreuen
Die ſeine Tugend gewann.
Ihn klagen Spalding, Sulzer und Leßer,
Und Sack und Hermann vereint;
R 3262
Sie alle kannten Ihn laͤnger und beſſer,
Den nimmer wankenden Freund,
Den immer heiteren Chriſten und Weiſen,
Der alles vertragen konnte, nur nicht
Geſchminkte Luͤgen, und heuchelndes Preiſen
Ins Angeſicht.
Sie alle gieſſen, ſtatt Honig und Weines,
Aus trauriger Pflicht
Ihm Thraͤnenopfer aufs Grab, und eines
Der groͤßeſten bringet der edele Mann,
Der aͤlteſten klagenden Tochter, ſie lehnet
Am Pfeiler des Grabes ſich an,
Das Auge zur Erde geheftet, und ſehnet
Sich nach dem Vater, und ſpricht:
Komm juͤngere Schweſter, und miſche die Zaͤhren
Mit meinen; du ſaheſt Ihn nicht
Noch einmal
*)Weil dieſelbe damals zu Magdeburg war.
*); und wirſt es vergebens begehren,
Bis dermaleinſt zum großen Gericht
Des Engels Poſaune die Todten vereinet,
Und Er gleich einem der Engel erſcheinet
Im ſeeligen Licht.
263

Zuruf an den Fremdling beim Marmorſarge Friedrichs des Großen am 18. Auguſt 1786.

Wandrer, weile noch und ſteh,
Dich mit unſern Herzen zu betruͤben
Bei dem weißen Marmor, uͤberſchrieben:
Friedrich, der Alleinzige.
Siehe nur, ſo viel iſt hier geblieben
Von dem Erſten aller Koͤnige
Nur ein enges Beingehaͤuſe
Ward die Wohnung eines theuren Haupts,
Voll Gedanken! ſtark, und hoch, und weiſe!
Keine Nachwelt glaubts,
Was Ihm unter Seinen Zeitgenoſſen
Biographen, Redner, Dichter hier,
Als ein Todtenopfer, ausgegoſſen,
Da Sein Geiſt mit hoher Flugbegier
R 4264
Ueber Laͤnder, Meere, Graͤber, Thronen,
Sich erhob ins unbekannte Reich
Zu den Koͤnigen, die ihre Kronen
Wohl geſchuͤtzet, und zugleich
Suͤßen Landesvaternamen
Lieber hoͤrten, als den Titelklang
Eines Ueberwinders, wenn ſie kamen
Aus dem Siegesthatendrang.
Vaterlandesvater war der Große,
Der Geprieſne, wenn Er weit
Von des Vaterlandes Schooße
Unter fuͤrchterlichem Streit,
Unter Kriegesblitz und Donnerſchlaͤgen,
In Gefahr wie Berg und Felſen ſtand.
So viel Blicke, ſo viel Vaterſeegen
Gab Er Seinem Volke, wenn das Land
Friedensſeeligkeit genoſſen.
Ach, auf Seiner lorbergruͤnen Bahn
Iſt nie eine Tagesfriſt verfloſſen
Ohne daß Er Guts gethan
Niemals kam ein junger Morgen,
Der in Seiner rechten Hand
Den Regierungsſtab nicht fand,
Schwer von Koͤniglichen Sorgen,
265
Oder großer Feldherrn Pflicht.
Immer war Sein Angeſicht
Vor der Morgenroͤthe munter,
Bis Sein Augenglanz ſich unter
Todesdunkelheit verlor
Doͤrfer hieß Er aus der Erde ſteigen,
Wenig Tage noch zuvor,
Eh Sein Mund auf immer mußte ſchweigen:
Ihm zum Hymnus bluͤhen ſie empor!
R 5266

An Mademoiſelle Sack.

Du Prieſterkind! den Muſen nachzuſteigen,
Iſt eines Wandrers Muͤh, der, Berge die ſich zeigen,
Leicht zu erforſchen denkt, er gehet Tage lang
Und iſt noch nicht dem Berg am Fuß gekommen,
Von welchem er das Haupt ſo deutlich wahrgenommen:
Solch ein beſchwerlich Werk iſts, ehe der Geſang
Des Leſens wuͤrdig wird. Da murren ſelbſt die Soͤhne
Apollens auf den Mislaut ihrer Toͤne.
Eh bei mir ſelbſt mein Lied den halben Beifall fand,
Sind ſieben Lenze hingegruͤnet,
Und ob es bei der Welt den Beifall noch verdienet,
Bleibt mir noch zweifelhaft, noch immer unbekannt.
Von der Natur gewaltig fortgetrieben
Hab ich Gedanken hingeſchrieben,
267
Erſt niedrig, ohne Schmuck, und rauh,
Ich waͤhlte, ich verwarf; ſo wirft ein Kind den Bau
Von Karten auf dem Tiſche nieder,
Hebt ſchnell die Blaͤtter auf, und baut das Haͤuschen
wieder
Und freuet des Geſchoͤpfes ſich.
Ich baute eben ſo, war kuͤhn, blieb unverdroſſen,
Wenn gleich mein Lied nicht Meiſterliedern glich;
Du aber wurdeſt aͤrgerlich,
War Dir der Vers nicht halb gefloſſen.
Sei dankbar der Natur; ſie gab Dir Faͤhigkeit
Zu Werken, die ich nicht verſtehe.
Du machſt Dir ſelbſt im Anwand Deiner Zeit
Den weißen Puz, den ich im Laden ſuchen gehe.
Sei gluͤcklich in der Welt! ward nicht die Muſe Dein,
So ſoll ein Muſenfreund Dir mehr als Phoͤbus ſeyn!
268

Ob Sappho fuͤr den Ruhm ſchreibt?

An die Frau von Reichmann den 10. Maͤrz 1762.

Frau, ſchreib ich fuͤr den Ruhm, und fuͤr die Ewigkeit?
Nein, zum Vergnuͤgen meiner Freunde!
O das Geruͤchte traͤgt nur eine kurze Zeit
Mit unſerm Ruhme ſich; ſobald wir von dem Feinde
Der Menſchheit uͤberwunden ſind,
Verflattert er ſo leicht wie Blaͤtter, die der Wind
In irgend einen Fluß gewaltig fortgetrieben,
Homer, Virgil, Horaz und Pindar ſind geblieben;
269
Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug,
So zaͤrtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug
Und nach dem Leben nicht; ſie flog zum Tode wieder.
Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte
Lieder.
Die andern ſchrieb der Neid ſich diebiſch heimlich ab,
Und endlich fanden ſie in einem Brand ihr Grab!
O Sapho war beruͤhmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen,
Trug ſeine Dichterin auf viel Gedaͤchtniß-Muͤnzen,
Und mancher Kuͤnſtler hieb ihr Bild in Marmor aus,
Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß.
Halb Goͤttin war das Weib; neun Buͤcher ſchrieb ſie voll
So ſchoͤn, als waͤren ſie geſchrieben vom Apoll.
Und ach! von alle dem, was ſie ſo ſchoͤn geſchrieben,
Iſt nur ein kleiner Reſt fuͤr unſre Zeit geblieben!
Frau, ſolch ein Schickſal trift auch meine Lieder einſt!
Wenn Du voll Zaͤrtlichkeit bey meiner Aſche weinſt.
Noch ehe ſich an mir die Wuͤrmer ſatt gefreſſen,
Dann, Frau, hat ſchon die Welt mich und mein Buch
vergeſſen ꝛc.
270

An die Oſterſonne.

Oſterſonne! du biſt ſchoͤn
Meiner Freundin aufgegangen,
Kinder werden um ſie ſtehn,
Ihren Seegen zu empfangen,
Und dazu ein buntes Ei,
Und ich hoffe, daß ſie heiter
Wie der Oſtermorgen ſey,
Hoffe, daß ſie mich noch weiter
Lieb behalten wird, ob ich
Gleich ihr Antlitz nicht mehr ſehe
Oſterwaſſer laͤßt Sie ſich
Wol nicht ſchoͤpfen in der Naͤhe
Aus der Elbe, wo du dich
Dreymal huͤpfend haſt geſpiegelt,
Sie will nicht verſchoͤnert ſeyn
Gruͤße hat Sie fortgefluͤgelt,
Und vielleicht iſt einer mein
Unter dieſen Oſtergruͤßen,
Und in dieſem Erdenthal
Werd ich heute Dich genießen
Ganz gewiß zum letztenmal;
Denn ich darf nichts mehr verſuchen
271
Vom gebratnen Oſterlamm,
Oder auch vom Oſterkuchen;
Ich bin wie ein Weidenſtamm,
Den der Wurm ganz hohl gefreſſen
Und die Fluth halb abgeſpuͤhlt
Von dem Raum, wo er geſeſſen.
Meine Seele lebt und fuͤhlt
Nur noch deinen Glanz, du milde
Suͤße Knoſpenoͤfnerin!
Nur mein Auge ſieht noch hin
Ins bebluͤmte Grasgefilde,
Bleibt noch munter, bis es bricht;
Brechen wirds eh du vorhanden
Wieder biſt, und ſingen hoͤrſt:
Von dem, den du huͤpfend ehrſt,
Er ſey auferſtanden
Auferſtehen ſoll auch ich,
Aber ob mit dieſem Leibe,
Den du waͤrmeſt, wenn ich dich
Sehe durch die Fenſterſcheibe,
Ob mit dieſer welken Haut
Und mit dieſen morſchen Knochen?
Ob mein Grab wird durchgebrochen
Von dem Kopfe, der jezt ſich
In die Hoͤhe kann erheben,
Wenn die Nacht dem Tage wich
272
Und du Thaͤtigkeit gegeben
Einer halben Welt wie mir
Ob du mich ſiehſt auferſtehen,
Oder ob auch deine Zier
Mit den Bergen untergehen,
Mit den Thuͤrmen ſtuͤrzen muß?
Ach! dies kann kein Weiſer ſagen,
Und ich wills auch beim Genuß
Nicht ergruͤbeln, nicht erfragen,
Will genießen deinen Glanz
In des jungen Fruͤhlings Tagen,
Will mir einen Blumenkranz
Noch um meine Schlaͤfe winden,
Wo ſich hin und wieder nur
Laͤßt ein graues Haͤrlein finden,
Des geſtiegnen Alters Spur.
Soll mir nun mein Auge brechen,
Ehe noch ein Jahr entſchluͤpft
Und von dir viel Chriſten ſprechen,
Daß du dreimal aufgehuͤpft
An des Oſtertages Morgen,
Dann hab ich den Engel lieb,
Der aus einer Welt voll Sorgen
Mich in eine beßre trieb
Der273

Der Skorpion, die Schildkroͤte und die Gans.

Eine Traumfabel.

Am weidenreichen Spreegeſtade,
Wo die geſicherte Najade
Ihr lockigt Haupt noch ſtolzer trug,
Seitdem in Sachſenland Held Heinrich Feinde ſchlug;
Am Spreegeſtade kroch aus einem holen Baum
Ein Skorpion, das glaubt man kaum.
Giebts zu Berlin auch Skorpionen?
Ich dachte, daß ſie nur in heißen Laͤndern wohnen.
Mein Leſer, hoͤre doch, ich ſah ihn nur im Traum.
Er kroch am Ufer hin und wieder,
Und ſah, von bittern Neid bewegt,
Ins gruͤne Schilf ſcheelſuͤchtig nieder
Auf ein Geſchoͤpf, das ſich mit breitem Schilde traͤgt,
Und ſchmackhaft iſt am Fleiſch, und nach dem Tode
glaͤnzet
In ſeinem Deckel ſchoͤn polirt.
Der Skorpion mit Gift zum Schadenthun geſchwaͤnzet,
Von der Natur, und nicht geziert
S274
Mit bunten Flecken, wie die Schlangen,
Der Skorpion kroch an das Schilf
Und ſprach: dir Freundin ſey geklaget mein Verlangen,
Dort uͤbern Strome will mein Bruder mich umfangen,
Und ſchwimmen kann ich nicht; du aber kannſt, ach hilf
Mit deinen Rudern mir heruͤber!
Die Kroͤte mit dem Schilde ſpricht:
Gefaͤlligkeit iſt meine Pflicht,
Und kein Geſchaͤfte war mir lieber
Als dies; mein Schild iſt breit genug.
Sie ſprichts: er ſetzt ſich auf und da ſie nun getreulich
Den giftigen Verraͤther trug,
Schwamm eine Gans daher und ſchlug
Mit beiden Fluͤgeln auf, und ſchrie: das iſt abſcheulich!
Jetzt floͤßt dir guten Schwimmerin
Der, den du traͤgſt, das Gift im Ruͤcken.
Verdammter! ſprach hierauf die treue Traͤgerin,
Mich panzert die Natur zu ſehr vor deinen Tuͤcken,
Dein Gift floß ſchadlos in den Fluß;
Sey du ihm nachgeſtuͤrzt! Hier tauchte ſie ihn nieder
Der Skorpion hat noch viel Schweſtern und viel
Bruͤder.
O daß nicht jeder Menſch nach dem Verraͤther Kuß,
Den er gegeben hat, alſo erſaufen muß!
275

Der Adler und die Pfeifvoͤgel.

Eine Fabel.

Ein Adlererbe gab vor Zeiten
Der erſten Nachtigall den Preis,
Er hatte ſie behorcht von weiten
Schon manchen Mai, da noch der Greiß
Sein Vorfahr koͤniglich regierte,
Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.
Jezt ward ſie oͤffentlich begabt
Mit Ehre, die ihr laͤngſt gebuͤhrte.
Ha! nun erhub ſich ein Geſchrei:
Der neue Felsbeſitzer ſey
Ein großer Freund des Singechores
Da pfiffen Amſel, Droſſel, Staar,
Und Guͤmpel, und die ganze Schaar
Verſprach ſich auch des Adlerohres
Gehoͤr bei ihrem Schnabelſchall;
Er aber ließ herab befehlen:
Schont Eure Schnaͤbel, eure Kehlen!
Mein Ohr gehoͤrt der Nachtigall.
S 2276

Dorimoͤn und Amariethe in ihrer neuen Wohnung.

Dorimoͤn.
Du Wonne meiner jungen Tage,
Du Leben meines Lebens, ſage,
Wie dieſe Huͤtte dir gefaͤllt?
Amariethe.
Wie einer von den Erdgoͤttinnen
Der allerhoͤchſte Thron der Welt!
Dorimoͤn.
Mein Vater wohnete darinnen
Viel ſchoͤne Sommer lang, und fand
Vergnuͤgen dran mit eigner Hand
Die zarten Baͤume zu begießen,
Die dazumal von mir ſich noch umſpannen ließen,
277
Und nun ſo hoch empor geſtrebt;
Hier hat mein Vater froh gelebt,
Wie in dem ſeligen Gefilde
Der erſte Menſch mit ſeiner Braut.
O du nach eines Engels Bilde
Fuͤr mich ſo liebenswerth gebaut,
Hier will ich leben dir zur Seite
So gluͤcklich wie der erſte Mann.
Amariethe.
Hier geb ich dir durch Blumen das Geleite
Vom kunſtgepflanzten Garten an
Bis in die wilden Roſen-Hecken.
Dorimoͤn.
Der Laube gruͤnes Dach ſoll dich und mich
verſtecken
So oft der Mittag gluͤht; hier will ich Roſenduft
In langen Zuͤgen geitzig trinken,
Und wann aus ungepaarten Finken
Die bange Liebe lockend ruft,
Und wann die Nachtigallen klagen,
Daß Fels und Huͤgel Antwort giebt,
Dann will ich im Entzuͤcken ſagen:
Ich bin geliebt!
S 3277
Amariethe.
Und ich will mich von deinem Buſen ſtehlen
Des Morgens, wenn aus Lerchen-Kehlen
Das erſte Lied gen Himmel toͤnt;
Ich will die ſchoͤnſten Blumen pfluͤcken
Den kleinen Altar auszuſchmuͤcken,
Den deine Mutter oft gekroͤnt
Mit Roſen und mit Reben-Ranken;
Dann wecket dich mein ſanfter Kuß,
Dann folgſt du meinem Wink und knieſt mit mir
am Fuß
Des Opfer-Heerdes, dem zu danken,
Der alle Weſen kommen hieß,
Und uͤber unſern Haͤuptern Sonnen
Und um uns her die Flur entſtehen ließ,
Und dich erſchuf, den ich ſo zaͤrtlich lieb gewonnen,
Dich meines Herzens ſuͤßen Freund!
Dann beten wir und loben mit einander
Den guten Gott, der uns vereint,
Und unſer Lob ſteigt mit einander
Wie zween Flammen hoch empor
Und unſer Lob erreicht ſein Ohr!
279

Phillis, die Helferin. Eine Idylle an Damon. 1763.

Hellaugigte, dem Fruͤhling aͤhnliche Tage wuͤnſch ich
O Damon! dir, und jeglichem zartfuͤhlenden Schaͤfer,
Dem ſein Schickſal verlieh eine Huͤtte von duͤnnen
Gewebten Widerſtand gegen die herbſtlichen Sturm -
winde,
Welche gefiedert mit Schneeflocken, oder mit peit -
ſchenden
Wolkenguͤſſen daher kommen, und in mitternaͤchtlicher
Stunde
Feindſeelig von deinem Auge verſcheuchen den Kraft
einfloͤßenden
Schlummer. Du laͤchelſt meinen Bedaurungen, denn
Deine zufriedne ruhige Seele ſchaͤtzt dich gluͤckſeelig
Gegen einer unzaͤhlbaren Menge von Menſchen, de -
nen nicht
Das gefraͤßige Raubthier, der Krieg, gelaſſen hat
das Fell
S 4280
Eines Lammes, um ihre Schultern zu ſchuͤtzen vor
Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der
Die Waͤlder entbloͤßt, und abſtreift ſorgfaͤltig gepfle -
geten Baͤumen
Des ungezaͤuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig
Stehen ſie da! gleich der nakkenden Armuth weinen
Sie von ihrer ſchmuckloſen Stirn herunter die Naͤſſe
Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau -
chenden
Kaͤlte. Dieſer Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis
An das Bild einer ungluͤcklichen Hirtin. Hoͤre von mir
Du leiſefuͤhlender Schaͤfer! Dieſe das Herz angreifende
Geſchichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.
Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter
Eine nicht weitraͤumichte Huͤtte auf wehrloſer Trift
In jenen ſchrecklichen Tagen, als Raͤuberheerden
Aus fernen Wuͤſteneyen gezogen kamen. Gleich den
Verderblichen Wetterwolken hagelten ſie Verwuͤſtung
Auf bluͤhende Fluren, nnd dichtverwachſene Weitzen -
furchen,
Und zerbiſſen mit ſchaͤumendem Zahn den grasgruͤnen
Apfel
Und die unvollkommene, ſteinharte Birn
Abgeriſſen von den widerſtrebenden Aeſten des un -
willigen
281
Baumes. Bruͤllend ſtuͤrzten ſie uͤber die Felder
Auf Pfeilſchnellen Roß. Ihr Anſehn war das furchtbare
Bild eines Thraciers oder Parthers, vor welchen in
alten Zeiten
Gezittert haben die Schaͤfer unter den Mandelbaͤumen
Und Weinſtoͤkken der immergruͤnenden Huͤgel
Und blumvollen Thaͤlern Italiens. Phillis troͤſtete
Mit uͤberredender Stimme ihre zaghafte Mutter;
Zaͤrtlich druͤckte ſie das bebende Herz an ihren kindlichen
Buſen, in welchem mehr maͤnnlicher Muth klopfte,
Und mehr Zuverſicht redete von den beſchuͤtzenden
Goͤttern.
Aber jetzt ward Phillis geſchreckt aus muͤtterlichen
Armen
Durch Tumult und Geſchrei, gleich dem Geheule eines
Wirbelwindes, der verwickelt geweſen in irgend ei -
nem alten
Gemaͤuer, und nun mit toͤſender Gewalt hervorbrauſet
Und in Grauen verhuͤllt die Seele des naͤchtlichen
Wandrers.
Phillis eilte dem Wirbel entgegen;
Ihr aufgeloͤſetes Haar flog in melancholiſcher Ordnung
Um den eleganteſten Nacken. Mit keichender
Bruſt draͤngte ſie ſich in einen wehklagenden
Zirkel des erſchrockenen Volks. Alle rungen uͤber
S 5282
Beſtaͤubten Haͤuptern die Haͤnde, und in der Mitte
des Kreiſes
Lag ausgebreitet ein elendes Weib auf ihrem ſter -
benden
Mann. Er weidete Rinder unter den Haſelſtauden
Und Pappelbaͤumen, als die Wolke von Feinden
Daher gerauſchet kam. Einer, dem die Schwaͤrze
des Pluto
Die haarichte Wange bedeckte, trat vor dem Rin -
derhirten
Und frug mit der Stimme des Donners: ob jenſeits
Des Berges gelagert waͤren kriegeriſche Juͤnglinge
Zum deckendem Schilde der Heerde? Ihn verſtand
nicht
Der zuruͤckbebende Rinderhirte, und ploͤtzlich flog
Aus den rauhhaͤutigen Haͤnden des Barbaren
Der moͤrderiſche Wurfſpieß in das Eingeweide
Des Mannes, welcher nun ſchwimmend in ſeinem
Blute
Das Leben ausroͤchelte. Drei uͤbelgekleidete Kinder
Vermengeten ihre weinende Stimme in das Jammer -
Geſchrei ihrer Mutter, an deren Buſen ein dreitaͤgiger
Saͤugling einen Theil der Bitterkeit ihres Schmerzes
Verſchluckte. Die mitleidige Luft heulte ihre laute
Seufzer nach, und die Erde des Grabhuͤgels oͤffnete ſich
283
In großen Ritzen, aufzutrinken den ſalzigen Strom
ihrer Augen.
Dazumal rieſelten kleine Baͤche in dem Herzen der
Phillis
Und zween koſtbare Thraͤnen, gleich den Thautropfen,
Die auf Roſen zittern, floſſen auf den Aurorfarbnen
Wangen nieder in ihren Lilienbuſen. Huͤlfreich bot ſie
Ihre Rechte der mattgeaͤchzten Hirtin, und fuͤhrte ſie
Zuruͤck. Ihre Kinder wankten um ſie her. So kommen
Nach einem Wolkenbrechenden Platzregen unvermoͤ -
gende
Bloͤkende Laͤmmer hinter den Schaafmuͤttern, und
tragen
Den Tod in erſtarreten Knoͤcheln. Jezt waren Phillis
Und die Verlaßnen in einer armſeligen Huͤtte.
Sie zog aus ihrer Taſche hervor, Feigen, und Roſinen
Und zween erquickende Aepfel, und ſtaͤrkte mit Reden
Der Weisheit das verzweifelnde Weib, und ging von ihr,
Um das Herz der beſten Schaͤfer zum Mitleid
Gegen die Beduͤrftige zu ſchmelzen. Ein ſo edler Vorſatz
Gelung ihr. Die Schaͤfer gaben zuſammen, und Phillis
Vergaß nicht beizulegen ihr Theil zum Unterhalt
Derer, die alles verloren hatten. Unſere Vorfahren
Haben erzaͤhlet von einem Lautenſpieler, der die Wellen
Und die Meerfiſche horchend gemacht. Deine Geliebte,
284
Mein fernweidender Damon! traͤgt in ihrer Zunge
Ein gleich wunderbares wohlklingendes Saytenſpiel.
Sie oͤffnete die Lippen, und alles ſtand unter der Herr -
ſchaft
Ihrer Honigſtroͤhmenden Beredſamkeit. Nun wan -
delten
Sich die Klagen der ungluͤckſeligen Rinderhirtin
Zu einem Lobgeſang. Einsmals, da ſchon das Angeſicht
Der Nacht mit dunkelgrauem Schleyer verhangen war,
Und nur einige Sterne anzeigten ihre koͤnigliche Wuͤrde;
Da ſchlich die beſcheidene Phillis zu der ſchwarz -
balkigten
Huͤtte ihrer armen Hirtin. Sie lauſchte unter der
Niedrigen Huͤtte, und hoͤrte ſingen, und vernahm
Bald darauf einen betenden Ton. Auf ihren
Abgemergelten Knieen lag das muͤhſelige Weib,
Auf jeglicher Seite knieeten zween Kinder,
Und auf ihren beyden ausgeſtreckten Armen hielt ſie
Den Saͤugling. Hoͤre mich! rief ſie, du Erſter,
Unſichtbarer,
All-Lebenſchaffender! es ſei, daß dich die Himmel Jupiter
Oder Apollo nennen, wie du auch heißeſt, ich fuͤhle
Daß du biſt; denn durch deinen unhoͤrbaren Zuruf
Ward mir gebracht jene helfende Phillis; eine Goͤttin
Muß ſie ſeyn, nachgebildet deiner Erbarmung. Ohne ſie
285
Waͤr ich nicht mehr, und dieſe Kinder muͤßten einen lang -
ſamen Tod leiden. Unter den Biſſen eines nagenden Hungers
Zum Grabe herunterſchmachten wuͤrden ſie mir nach
Und ihrem verbluteten Vater. Wir athmen mit geſaͤttigtem
Munde das Leben, das neue Geſchenk von dir, ein.
Du gabſt es uns durch ſie, an der du verwendet haſt
Alle Reitzungen, die du deinen Geſchoͤpfen zu geben vermagſt.
Laß dieſe[Thraͤnen] und dieſes Wimmern meines Saͤug - lings
Opfer und Hymne ſeyn vor dir; und wenn du Wohl - gefallen haſt
Daran, daß dir nachahmen die Sterblichen;
So vergilt dieſer Erretterin, dieſer wohlthaͤtigen Phillis,
Ihre goͤttlichen Verrichtungen. Alle Gluͤckſeeligkeit
[Und] alle Freuden der Erden beſtimme fuͤr ſie;
Und wenn vor ihrem himmliſchglaͤnzenden Auge
Hundert Fruͤhlinge voruͤber gebluͤhet ſind, alsdann
Sei die bluͤhendſte Gegend in Elyſium bereitet
Zu ihren Empfang. Unter einer Laube von ewig gruͤ - nenden
Myrthen will ich ſie finden; und noch mit Freude zit - ternden
286
Armen umfaſſen will ich ihr Knie, und mit ſtam -
melnder
Zunge lobreden Dir, du Namenloſer, Unſterblicher!
Der die Fluren durch traͤufelnden Regen, und die
Herzen
Der Elenden erfriſchet durch Menſchen, welche wett -
eifern
Mit deiner Huͤlfe verbreitenden Liebe!
  • Anmerkung. Dieſe von der Dichterin im Idyllenton bear - beitete Geſchichte iſt eine wahre Anekdote aus den trau - rigen Begebenheiten des ſiebenjaͤhrigen Krieges.
287

Lieder der Liebe.

Wegen Milon.

Beim Geraͤuſch des Schauſpieltanzes
Wurden neulich durch die Hand
Unſres Taͤnzebilders Lanzes
Hundert Kerzen angebrannt.
Alle Goͤtter blickten nieder;
Denn es war olympiſch Licht,
Morgen (ſagt ich) ſeh ichs wieder;
Aber Milon, der ſo lieblich ſpricht,
Milon ſprach: Verbrenne du nur nicht
Wenn die Flamme jener Kerzen
Dieſen Vorhang hier ergreift,
Und urploͤtzlich weiter laͤuft.
288
Wuͤrd es wohl dem Manne ſchmerzen,
Der noch nie daran gedacht,
Daß die Glut in meinem Herzen,
Die ſein Laͤcheln angefacht,
Die er ungekuͤhlt laͤßt brennen,
Mich zum Aſchenhaͤufchen macht?

An Milon.

Einfaͤltig machte die Natur
Mein Herz und meine Sinnen;
Beſtaͤndig lieben kann ich nur,
Und alle mein Beginnen,
Mein Dichten, Trachten, Wunſch und Flehn
Beſtehet bloß darinnen
Dich aufzuſuchen und zu ſehn
Und Deinen Blick zu fuͤhlen.
Ich habe nie daran gedacht
Dir einen Streich zu ſpielen;
Doch geſtern hab ichs fein gemacht,
O laß Dirs nur geſtehen:
Die Roſe, die ich Dir gebracht
Fing ſchon an zu vergehen,
Sie289
Sie fiel dir endlich aus der Hand.
Du hubſt ſie auf und blieſeſt
Den Staub von ihr, und ich empfand,
Was du ihr jetzt erwieſeſt,
Die Ehre, die ihr ward gethan.
Saß hinter dir mit Lauſchen
Scharfaugicht wie ein Falk, und ſan
Darauf, ſie umzutauſchen.
Und das gelang mir gar zu gut:
Sie lag vor meinem Blicke
Ganz ſaͤuberlich in deinem Huth;
Und mir zum großen Gluͤcke
Sprachſt du mit irgend einem Hirt.
Huſch fuhr ich zu, und raubte
Die Roſe, die mich ſtaͤrken wird,
Bey ſchon geſunknem Haupte.
Huſch legt ich eine groͤßre hin
Mit unverwelkten Blaͤttern,
Und dankete mit frohem Sinn
Herzinnig allen Goͤttern,
Daß ich den Streich ſo klug geſpielt,
Nicht ohne Furcht und Beben
Hab ich den ſuͤßen Raub erzielt,
Du wirſt mirs doch vergeben?
T290

An Denſelben.

Milon, geſtern war ich ſelig,
Wie ein Sonnenbuͤrger iſt:
Ach mein Auge hat unzaͤhlig
Dieſe Stirne ſanft gekuͤßt,
Die der Mahler kaum ſo goͤttlich
Mahlen wird, als du ſie haſt.
Mache mir doch kuͤnftig ſpoͤttlich
Nicht die Tage mehr zur Laſt
O was hab ich ausgeſtanden,
Als Zemire ward geſpielt,
Und mich deine Blicke fanden,
Und ich nicht den Troſt erhielt,
Daß du in der Naͤhe bliebeſt.
Sage mir, warum du ſo
Meiner Seele Kummer liebeſt?
Sprich, warum dein Fuß entfloh,
Daß ich deiner vollen Schlaͤfe
Feine Locken nicht mehr ſah?
Denke nur, wie mir geſchah,
Faſt als ob ein Blitz mich traͤfe,
291
Weinen wollt ich eine Fluth,
Durfte nicht und muſts erſticken,
Schmerz durchflammete mein Blut,
Wehmuth ſaß in meinen Blicken,
Bis Zemirens Roſe kam,
Und ich meine Roſen dachte,
Und der gar zu ſchwere Gram
Sich durch Thraͤnen leichter machte.
T 2292

An den jungen Tytirus uͤber eine Roſenknoſpe.

Am Buſen iſt ſie mir geſtorben
Die Roſenknoſpe, die von dir
Mein Freund durch ſeinen Blick erworben,
Und kannſt du glauben, daß man ihr
Kein beßres Schickſal wuͤnſchen konnte,
Als dieſen Platz, den ich ihr gonnte,
Der bald vielleicht verdorren muß,
Von dem manch Maͤdchenherz entglommen.
Weißt du wo dieſe Roſe nun
Von meinem Buſen hingekommen?
Sie hat ſchon ihren Plaz genommen,
Wo mehr geſtorbne Blumen ruhn,
Die Milon alle mir gegeben.
293
In einer Kiſte liegt ſie ſtill
Bis auf den Tag, da ſich mein Leben
Beſchließen ſoll, und muß, und will.
Da heiß ich mir die Blumen geben,
Kuͤß eine nach der andern noch,
Und ſpreche dann zu meinen Kindern:
Ach Kinder, hoͤrt, ihr wiſſet doch,
Was meine Ruhe kann vermindern,
Wenn ihr mit Thraͤnen mich begrabt,
Mit Ausruf banger Klagelieder,
Und dieſe Blumen mir nicht mitgegeben habt:
Alsdann kommt meine Seele wieder
Und raſſelt um den Nachttiſch her,
Wird uͤber dieſer Kiſte ſchweben,
Als wenn es eine Taube waͤr,
Wird Achtung auf die Blumen geben,
Wie eines Geitzigen ſchwerabgeſchiedner Geiſt
Auf ſein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet,
Darum erfuͤllet gern, was euch die Mutter heißt,
Die noch im Tode liebet

Amarillis.

T 3294

An Milon.

Zanken will ich nicht und klagen,
Aber eins muß ich dir ſagen:
Du, der du mein Herz gewannſt,
Milon, der du mich bewirthen
Durch ein freundlich Laͤcheln kannſt,
Du verſchmaͤhteſt juͤngſt die Myrthen,
Weil du dich nicht drauf beſannſt,
Daß dein Weigern mich betruͤbte,
Ach du wuſteſt nicht, daß ich
In die Veilchen mich verliebte,
Welche zum Beneiden ſich
Dir ans Herz gelegt befanden,
Tauſchen wollt ich gern mit dir,
Und du haſt mich nicht verſtanden.
Dieſe Veilchen waͤren mir
Heiliger noch als die andern,
Die dein Diener mir gebracht;
Und ſie ſollten mit mir wandern
In des finſtern Grabes Nacht.
O wie kannſt du das verachten,
Was dir meine Liebe beut;
295
Kannſt du nicht mein Herz betrachten
Bei der Blumen Kleinigkeit?
Pfluͤcke du mir auf dem Platze,
Wo dein Fuß zu wandeln pflegt,
Bluͤmchen, die der Grasraum traͤgt,
Und ich mache ſie zum Schatze.
Gaͤnſebluͤmchen naͤhm ich an,
Und ein Zweigchen von den Baͤumen,
Die ein jeder nutzen kann;
Wo in luͤgneriſchen Traͤumen
Sich der arme Kriegesmann
Ausgeſtreckt am Tiſche weidet,
Und noch hungert, wenn er wacht,
Und den Reichen noch beneidet,
Der ſich Promenaden macht.
Solch ein Zweigchen, du mein Lieber!
Brich mir im Begegnen ab,
Und ich freue mich daruͤber,
Weil mirs Milon gab.
T 4296

Elegie auf die Geduld.

Nein laͤnger kann ichs nicht ertragen,
Das iſt zu viel, iſt gar zu ſchwer,
Das muͤßte mich zu Boden ſchlagen,
Wenn ich die Staͤrke ſelber waͤr.
Ich habe die Geduld verloren,
Die große Leidentraͤgerin,
Die bei mir war, als ich gebohren,
Und auferzogen worden bin;
Die nimmer noch von mir gewichen
In mancher jaͤmmerlichen Noth:
Ach die Geduld iſt nun verblichen,
Der falſche Milon ſchlug ſie todt.
Mit einem Herzverachtungsſtreiche
Ward ſie getroffen, und mein Herz
Weint Thraͤnen uͤber ihrer Leiche
Erſtarret unter ſeinem Schmerz.
297
Der ſtolze, ſproͤde Milon ſagte
Mir Veilchen zu, und taͤuſchte mich
Viel Tage lang, ſo oft ich fragte,
Mit Aug und Munde kuͤmmerlich.
Zuletzt kam er in meine Huͤtte,
Trug Veilchen bei ſich, ſchenkte ſie,
Ohn Ihren Wink, ohn ihre Bitte,
Der kleinen jungen Corally.
O du Verraͤther meiner Treue,
Veraͤchter meiner Zaͤrtlichkeit,
Ich uͤbergebe dich der Reue,
Und mich der Leidvergeſſenheit.
Ich werde dich noch immer denken,
Ob du die Seele gleich verwarfſt,
Von der du nie mit Goldgeſchenken
Ein ſanftes Laͤcheln kaufen darfſt;
Auch werd ich ſtets dich ſehen wollen,
Ob meine Lieder gleich hinfort
Von meiner Liebe ſchweigen ſollen,
Von ihr hoͤrſt du das letzte Wort.
T 5298

An Milons Billet.

Was ſeh ich! all ihr Thatenrichter!
Ihr Goͤtter! Was erblick ich hier!
Ha, mein Geliebter ſpricht mit mir,
Er ſelbſt, er iſt der feine Dichter,
Der dieſe goldne Worte ſchrieb
Nun wirds in meiner Seele lichter,
Nun hab ichs Leben wieder lieb
O theures Blatt, wo willſt du bleiben;
Mein Herz verlangt dich Schlag auf Schlag
Mit heißen Foderungsbetreiben.
Es will du ſollſt dich Nacht und Tag
An ſeine linke Seite ſchmiegen.
Ach allzuſuͤßes, ſchoͤnes Pfand
Hier koͤnnteſt du nicht lange liegen,
So haͤtte dich die Gluth verbrannt,
Die ſtets in dieſem Herzen lodert;
Auch wuͤrdeſt du nur gar zu oft
Von dieſem Munde hier gefodert,
Der dich noch dann zu kuͤſſen hofft,
299
Wenn er auf ewig ſich ſoll ſchließen.
Nein, nein, du muſt nicht untergehn,
Ich will dich ſehen und genießen,
So lange noch ein Wunſch im Herzen kann entſtehn.
Drey Tage ſoll dies Herz dich haben,
Und nach drey Tagen liegſt du dort,
Wo Milons Roſe ward begraben:
Da ſoll mein allererſtes Wort
Des Morgens fruͤh beim Sonnengruße
Die Frage ſeyn: wo iſt mein Schatz?
Und Abends ſpaͤt nehm ich nach ſiebenfachem Kuſſe
Von dir auf meinem Lager Platz.
300

An eine Freundin.

Dies Tantaluſſiſche Verlangen,
Der heiße Fieberdurſt in mir
Iſt nun, dem Himmel Dank! vergangen.
Nun, meine Freundin! kann ichs Dir
Wohl ſagen froh und unverholen,
Nun gluͤht mir Tag und Nacht der Mund
Nicht mehr wie angeflammte Kohlen,
Seitdem mir Milon hat befohlen:
Bleib ruhig, bleib geſund
Sonſt kraͤnkſt du mich
Er ſprachs, und laͤßt mich denken:
Ihn, meinen Wunſch, mein Augenmerk,
Ihn, meinen Abgott! nicht zu kraͤnken,
That die Natur ein Wunderwerk
301

An einen Ingenieur, Liebhaber der Phyllis.

Du kennſt den Grund der Feſtungswerke.
Mit einem Blicke meſſeſt du
Der Schanzen und der Mauern Staͤrke;
Doch meine Muſe ruft dir zu:
So wahr, als Friedrich unvergeſſen
Bewundert wird in ſpaͤter Zeit,
So wahr iſt dies Unmoͤglichkeit
Des Herzens Tiefen auszumeſſen.
Sei klug, bedenke dich ſo ſchlau
Wie einſt Ulyſſes iſt geweſen,
Nie wirſt du der verſchmitzten Frau
Verborgenſte Gedanken leſen.
Sie decket ihre feinſte Liſt
Mit Blumen zu, bis du gefangen
Gleich einem Dohnenvogel biſt.
Sie ſchmachtet, ſeufzt, netzt ihre Wangen
Mit Thraͤnen, die ſie kuͤnftig weint.
302
Sie nennt dich oft in einer Stunde
Wohl tauſendmal den beſten Freund,
Und ſchwoͤrt mit ſchmeichleriſchem Munde
Beim Grabmal ihres Vaters, bei
Den Sternen und bei allen Goͤttern,
Bei Sonnenſchein und Donnerwettern,
Daß ihr dein Kuß noch ſuͤßer ſei,
Als Suͤßigkeit von jungen Bienen;
Und zaubert dich mit holden Mienen
An ihre giftbeſtrichne Bruſt
Und nennt dich ihre groͤßte Luſt,
Den erſten Abgott ihrer Seele,
Den reichſten Juͤngling von der Welt,
Den Menſchen, der in einer Hoͤhle
Mehr ihren Augen wohlgefaͤllt,
Als Prinzen, die ſo fein nicht fuͤhlen
Im Prunkſaal und auf goldnen Stuͤhlen
Und einer ſammtbezognen Bank.
Sie ſtellt ſich gar vor Liebe krank,
Und redet nur gebrochne Toͤne.
O ſanfter Juͤngling, glaub es nicht:
Es iſt die Stimme der Syrene,
Die ausſtudirte Worte ſpricht,
303

Klagen uͤber eine geſtorbene Roſe an meinen Freund R. *)Verſtorbenen Apotheker und Naturforſcher hierſelbſt,

Den gruͤbchenlaͤchelnden Juͤnks beſang neulich der
Kleine Birtyll, wegen des anmuthigen Getraͤnkes
Der Cacaobohne mit Zucker gemiſcht; ich ſinge
Dir daruͤber kein Lied, ich ſchmeichle Dir nicht
Wegen Deiner Geſchicklichkeit, denn unſern Halbgoͤttern
Und Goͤttinnen ſind jene Taͤfelchen bekannt, welche
Du fuͤr ihren unterſcheidenden Gaumen zubereiteſt,
Ihr freundlicher Lobſpruch beim Morgentrinktiſche
Gehet weit uͤber meinen Geſang;
Aber fragen will ich dich ehrlicher, gefaͤlliger Freund,
haſt
Du keinen aromatiſchen Blumengeiſt unter den
Wundern deiner Kunſt? Keinen, der meiner
304
Geſtorbenen Roſe ihren Geruch wieder geben kann?
O ſie war ſchoͤn, wie die
Innge Friedrika von Preußen;
Sie war eine Knoſpe. Milon brachte ſie
Mir friſch abgebrochen vom Roſenſtocke, welchen
Er ſelber gepflanzet, gepflegt und durch
Gottesfuͤrchtige Froͤmmigkeit vor ſchaͤdliche Taue
Bewahret hat. Ich kuͤßte die Knoſpe,
Die Milon mir gab, noch unaufgefaͤchelt vom
Luͤſternen Zephir, noch feſtverſchloſſen, wie
Ein gluͤhendes Herz, welches in ſich das Geheimniß
Der Liebe verbirgt. Ich erhielt ihr welkendes
Leben acht Tage lang in einem kleinen Gefaͤße
Mit Waſſer, wie deine labende Traͤnke,
Deine Cordialgewaͤſſer den ſterbenden
Kranken aufhalten, ſo erhielt ich die Roſe;
Denn ich gab ihr friſches Waſſer, wenn die
Morgenroͤthe mich weckte, und wenn der Sonnen.
Wagen hinter dem ſchattichten Hain im
Silbernen Schooß der Najade zu ſinken
Schien. Am neunten Tage legt ich traurig
Meine geliebte Verblichne in eine Grabkiſte
Von Silber und Perlmutter. Ach! Ihre Farbe
gleichet
Der Farbe des Angeſichts eines geſtorbenen Maͤdchens,
Das305
Das uͤber und uͤber bis auf die Lippen aͤhrengelb
Wird. Ich oͤffne die Kiſte dreimal des Tages, und
Klage die Roſe. Sie ſtarb! ihre ſuͤßen Geruͤche
Verflogen! aber nur eines von ihren Blaͤttern
Verlor ſie, Zephirus wollt es aufhaſchen, ich
Nahms ihm wieder mit einem Kuſſe des klagenden
Mundes,
Ich weinete Thraͤnen des zaͤrtlichſten
Kummers auf die geſtorbene Roſe; ſie verlor
Alles, Farb und Geruch Verweſung duftet
Aus ihrem Grabe, Tod aus ihren vertrockneten
Blaͤttern. Ach! ſie verdienet beſſer die Klage
Der Muſen und die Balſamirung der
Apothekiſchen Kuͤnſte, als jene verderbliche
Schoͤnheit, jene Egyptiſche Koͤnigin,
Die am verzweifelnden Buſen ſich
Eine giftzungige Natter legte, zum
Erſtaunen des triumphirenden Caͤſars,
Deſſen Siegeswagen ſie ſchmuͤcken geſollt.
U306

Eine Rede zu Gott uͤber die Kuͤrze der Zeit.

Herr, der du uͤber uns des Tages Wagen lenken
Mit deinem Winke kannſt, Herr, lehre mich bedenken,
Daß ich davon muß aus der Zeit.
Mein Leben flieht dahin, iſt kurz, iſt nur ſo breit,
Als dieſe Hand, mit der ich ſchreibe;
O warum denk ich mir hier eine Ewigkeit
In einer Welt, in der ich vierzig, funfzig Jahr,
Wenns hoch koͤmmt, zweymahl vierzig Ernten bleibe!
Herr! wenn du fragen wirſt, wie lang ich Wandrer war
Hier unter dir auf deiner Erde?
Wie ich die Stunden angewandt?
O Gott! bey dem Gedank erzittert mein Verſtand,
Was ich dir Antwort geben werde.
Fruͤh oder ſpaͤt ſchlaͤgt meine Stunde mir,
Beſtimmt zur letzten meiner Stunden,
Eh ich gebildet ward von dir,
Zehntauſend werden wie erwuͤrgt befunden,
Zehntauſend bracht ich fuͤhlloß zu,
Ohn daß ich Guts ohn daß ich Boͤſes wollte,
307
Und viele Tauſende verſchlief ich in der Ruh,
Die mich zum Guten ſtaͤrken ſollte.
Wie wenig Stunden braucht ich wohl
Mich zu dem Schritt vorzubereiten,
Den ich heruͤber ſchreiten ſoll
Ins Thor der unumgraͤnzt endloſen Ewigkeiten!
Die Zeit flieht ſchneller als ein Pfeil,
O moͤcht ich ihren kleinſten Theil
Noch haſchen um ihn anzuwenden!
Moͤcht ich den Tag mit deinem Umgang enden,
Und wenn die Sonne mich begruͤßt,
Erwachend danken, daß ſie meine Tage mißt;
Und wenn der Mond erleuchten kommt die Naͤchte,
Laß mich ihn ſehn und denken, daß
Er auch mir Zeit zur Vorbereitung meſſe!
Erinnre du mich ſelbſt, daß ich es nicht vergeſſe,
Mein Koͤrper welkt dahin wie Graß.
Seh ich die Graͤber, laß mich nicht erſchrecken,
Mich wird auch einſt ſolch kleiner Huͤgel decken,
Mich traͤgt man auch, die Hand voll Staub, zu Staub,
Und ich beſchuldige mir ſelber dieſen Raub
Der groͤſten Haͤlfte meiner Tage;
Nur daß dein Ausruf mirs nicht vor den Engeln ſage,
Du Urſprung alles deſſen, was da iſt.
Herr, der du aller Dinge Anfang biſt,
U 2308
Laß mich, ſo oft ein Jahr vor mir herum gelaufen,
Nachrechnen meine durchgelebte Zeit,
Mit Vorſatz beſſer ſie zu kaufen,
Die Stunden, mir geſchenkt, um in die Ewigkeit
Zu gehn, die Seele anzuſchicken,
Und dieſen Geiſt der mir aus deinen Haͤnden ward,
Mit wahrer Tugend auszuſchmuͤcken,
Herauf zu dir in frommer Zuverſicht
Bey allen Handlungen des kurzen Lebens blicken:
O dann verſchwend ich meine Stunden nicht,
Mich holt der Tod zu dir, und tauſend Jahre werden,
Mir kuͤrzer ſeyn vor deinem Angeſicht,
Als jezt ein Tag auf Erden.
309

Gedichte nach vorgeſchriebenen Endreimen.

Siege Lauf Kriege Auf? Minuten Wacht Bluten Macht. Iliaden Heißt Schaden Beweis’t. Erhoͤhen, Verſchließt Geſtehen Iſt Trachtet Fraß Geachtet Vergaß Goͤttern Pflicht Errettern Nicht.

Was ſeh ich? Friedrichs ſtark erkaͤmpfte Siege,
Gezeichnet bei Planetenlauf,
Und ihn, den Helden, der die Lorbern ſeiner Kriege
Dem Phoͤbus opfert auf?
Nun wuchert Er mit Stunden, mit Minuten,
Wenn ſeine Weisheit fuͤr uns wacht,
Nun wird nicht mehr ſein Herz um ſeine Laͤnder bluten,
Befreit von Feindes Macht.
U 3310
Er zuͤrnet auf den Stoff zu Iliaden,
Und ſeine Menſchenfreundſchaft heißt
Tyrann den Kriegesgott, der einer Welt zum Schaden
Sich wunderſam beweiſ’t.
Gluͤckſeligkeit wird ſeinen Thron erhoͤhen,
Er blickt herunter, und verſchließt
Verborgner Feinde Mund, die ganz verſtummt geſtehen,
Daß Friedrich furchtbar iſt.
Vergeblich ſeinem Leben nachge-trachtet
Ward von der Schlacht, die um ſich fraß,
Wenn Er, ganz Feldherr und ganz Held, nur uns geachtet
Und fechtend ſich vergaß.
Er wird uns neu gegeben von den Goͤttern
Und Lobgeſang iſt unſre Pflicht,
In Roms und Griechenlands triumphiſchen Errettern
Find ich Sein Urbild nicht.
311

Throne Krone Zopf Kopf Reußen Preußen Spott Gott

Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen Burg.

Vom hohen vaͤterlichen Throne
Kam juͤngſt Thereſia, warf Bruſtſchmuck hin und Krone
Und hing, mit aufgebundnem Zopf,
Bis auf die ſchoͤne Bruſt den gramerfuͤllten Kopf,
Und rief: Maria! ach, nun kuͤſſen wilde Reußen
Sich mit den kezriſchen mir ganz verhaßten Preußen!
Verlohren iſt der Krieg, zu meiner Enkel Spott,
Viel Maͤchte halfen mir, und Friedrichen half Gott!

Kroͤnen Toͤnen Sie Harmonie Maͤngel Engel Lied Bluͤht Wallen Schallen Steht Poet

Den 17ten eod.

Mich darf nicht ein Patent des Kaiſers heißen kroͤnen,
Mich darf nur Freundes Lob umtoͤnen,
Mein Lorber und mein Gluͤck ſind ſie.
Mit ihren Herzen fuͤhlt mein Herz viel Harmonie.
U 4312
Sie uͤberblicken meine Maͤngel,
Denn wenn ich Sapho bin, ſo bin ich noch kein Engel,
Auch hat oft Fehler noch mein Lied.
Manch kleines Fleckchen hat die Roſe, wenn ſie bluͤht,
Mein Herz hoͤrt niemals auf zu wallen,
Auch hoͤret mein Geſang nicht auf euch vorzuſchallen,
So lange bis die Uhr des Lebens ſtille ſteht,
Dann ſeufz ich noch dreimal: Mein Schaͤfer! mein
Poet!

Geſang Lang Schlaf Graf Dacht Racht

Am 21. eod. Abends nach 11 Uhr.

Ich bin Empfindung und Geſang,
Geſungen hab ich euch, mir ward der Tag nicht lang.
Ihr folgt der Muͤdigkeit, gefangen nimmt der Schlaf
Mit ſuͤßen Feſſeln unſern Graf.
Nun ſchlummert alle ſanft, und du, den ich ge dacht,
Was ich auch immer ſchrieb, mein Thyrſis, gute Nacht.
313

Ehe Sehe Stand Brand Klage Plage Einerlei Entzwei Denker Henker Qual Wahl.

Halberſtadt, den 21. Febr. 1762.

Verwuͤnſchte Heiligkeit der Ehe!
Ich zittre, wenn ich noch im Geiſt zuruͤcke ſehe,
Abſcheulich war der Sclavenſtand,
Ein nur mit Menſchenhaut bezogner Hoͤllenbrand
Trat herriſch vor mir hin und bruͤllte meine Klage
Mit bitterm Spotte nach, und war geborne Plage
Fuͤr mein ſo ſanftes Herz; mein ewig Einerlei
Blieb er zehn volle Jahr, riß oft ein Blatt entzwei,
Ganz von Gedanken voll, denn dieſer Mann, kein
Denker,
War fehlbar durch den Rauſch, war meines Lebens
Henker,
Sein Gang, ſein Wort, ſein Blick, war alles meine
Qual,
O Gott! behuͤte mich fuͤr eine Mannes-Wahl.
U 5314

Ehe Sehe Paradieß Ließ Seide Freude Bruſt Luſt Lachen Wachen Springt Singt.

Sey mir geſegnet, goldne Ehe,
Die ich in einem Traum mit Seelenaugen ſehe!
Du laͤchelſt und du biſt vielleicht das Paradieß,
Das nicht ein Gott verſchließen ließ.
Du knuͤpfeſt Herzen nur mit Banden weicher Seide,
Und ihr Geſchaͤft iſt nichts als Freude,
Aus beiden wird nur Eine Bruſt!
Des Lebens Stunden werden Luſt!
Ein jeder Tag erſcheint mit Lachen,
Der Naͤchte halber Theil wird zugebracht mit Wachen,
Jedweder Pulsſchlag ſcherzt und ſpringt,
Wer dich genießt, dem ziemt, daß er dich hoͤher ſingt!

Mein Dein Koͤnig Wenig Recht Geſchlecht Leben Geben Scharf Darf.

Die Habſucht der Koͤnige.

Der Vater alles Zanks iſt das verhaßte Mein,
Gepaaret mit dem bittern Dein!
315
An einer halben Welt hat Geizes voll ihr Koͤnig
Noch ſeiner Erde Raum zu wenig.
Er fragt nach Goͤttern nichts, auch nicht nach Voͤlker -
Recht,
Aus Ehrgeiz ſchont er nicht das menſchliche Geſchlecht.
Er ſiehet hundert tauſend Leben
In einem Treffen aufgegeben,
Und ſieht die Mordthat nicht. Der Himmel ſieht ſie
ſcharf.
Heil ſey dem Koͤnig, der nicht mit ihm rechten darf!

Lieb Dieb Halten Kalten Mann Trennen Brennen Dann Hoben Leben Sehr Mehr.

Der Zorn uͤber Thyrſis.

Bei dem Apoll ſchwoͤr ich: mich hat nicht Thyrſis lieb,
Er lauſchet auf mein Lied begierig wie ein Dieb,
Verſpricht zu kommen her und weiß nicht Wort zu
halten,
Bald nenn ich aufgebracht ihn zornig einen kalten
Empfindungsloſen Freund und einen harten Mann;
316
Bald nehm ichs heimlich vor, mein Herz halb abzu -
trennen
Von dem Undankbaren, nicht mehr fuͤr ihn zu
brennen,
Und aͤrgern ſoll er ſich alsdann,
Wenn ihn, den oft mein Lied zu Goͤttern hat erhoben,
Wenn ihn nicht mein Geſang wird loben.
Doch jezt empoͤret ſich in mir mein Herz zu ſehr:
Graf! ſag ihm nichts von Zorn, ich zuͤrne ſchon nicht
mehr.

Wollen Sollen Rollen Kleid Gequollen Moͤglichkeit Aufgeſchwollen Wiederrollen Zollen Zeit.

Eigenſchaften der Sapho.

Nicht immer will ich ſo, wie andre Leute wollen,
Die nicht Geſetze geben ſollen
Der Sapho, der Empfindungsvollen,
Die um den ſchoͤnen Geiſt nicht traͤgt ein ſchoͤnes Kleid,
Der in den Adern iſt ein Dichter-Quell gequollen
Zu aller Lieder Moͤglichkeit,
Der hoch von Zaͤrtlichkeit der Buſen aufgeſchwollen,
Die aus den Augen oft laͤßt Thraͤnen nieder rollen,
317
Dem Himmel ihren Dank zu zollen
Fuͤr dieſen goldnen Theil in ihrer Lebenszeit.

Gedichtet in einer halben Viertelſtunde. Als ſie beim Aus - fuͤllen dieſer Endreime mitſprechen wollte, und man ihr ſagte, ſie haͤtte ja genug zu ſchreiben, antwortete ſie:

Aufblicken iſt ja kein Verbrechen;
Hier denken kann ich ſchon, und dort mit Thyrſis
ſprechen.

Anmerk. Man wird faſt aus allen der Dichterin vorge - ſchriebenen Endreimen ſehn, daß man darauf ausging, ſie zu einem Quodlibet zu verleiten, allein ihr ſtets ge - genwaͤrtiger Geiſt wußte ſich auch hier augenblicklich zu ordnen.

Ode Schwingt Tode Singt Stifte Bahn Laͤſte Schwan

Halberſtadt, den 18. Februar 1762.

Mein Geiſt und mein Gefuͤhl ſind die beflammte Ode,
Die auſſer mir ſich ſchwingt,
Von Freundſchaft, Zaͤrtlichkeit, von Krieg und Helden,
Tode
Und von dem Himmel ſingt.
Wenn ich als Saͤngerin ein Monument mir ſtifte,
So ſcheu ich nicht die letzte Bahn,
Die Welt bleibt unter mir, ich flieg in hohe Luͤfte,
Und ſinge Thyrſis, dir, als Schwan.
318

Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.

Halberſtadt, den 20. Febr. 1762.

Das Thier hat bloß Inſtinkt; der Menſch hat
einen Geiſt,
Der mit Gedanken ſchnell die ganze Welt durchreiſt.
Ein Hund erinnert ſich; ein Biber ſcheint zu denken;
Doch keiner kann den Blick bis an den Himmel lenken.
Nicht zur Unſterblichkeit gemacht
Sind Adler groß und ſtolz; ihr Tod iſt tiefe Nacht.
Des Menſchen Seele nur fuͤhlt ewig ihre Jugend,
Erkennet Gott und ſich, die Welt, die ſchoͤne Tugend;
Iſt voll Empfindungen und fuͤr Vernunft und Wiz
Ein von des Schoͤpfers Hand fein ausgebauter Siz.
Sie liebet oder haßt, verwirft und weiß zu waͤhlen;
Ein Zufall macht ſie froh; ein Zufall kann ſie quaͤlen.
Sie denkt und ihr Begrif macht ſich durch unſern
Mund,
Durch unſers Auges Blick und in Geberden kund.
Sie freut des Lebens ſich und fuͤrchtet nicht zu ſterben;
Der Heiden Tugend ſelbſt hofft ein zukuͤnftigs Erben.
319
Und die Religion verbreitet helles Licht
In eines Chriſten Geiſt, der alle Zweifel bricht,
Die uͤber ihn ſich woͤlken wollen.
Wir wiſſen, daß wir einſt das Reich beſitzen ſollen,
Das uns bereitet iſt, wohin ſich alſobald
Die Seele ſchwingen wird, wenn nun der Koͤrper kalt
Blaß und benetzet liegt von unſrer Freunde Thraͤnen.
Wie aber geht es zu, daß Menſchen ſich nicht ſehnen
Nach dieſem Ueberſchritt? Warum ſtraͤubt unſer Herz
Sich vor dem Tode ſchon bey kleiner Krankheit
Schmerz?
Der Kanzelredner mag des Himmels Wonne loben;
Doch wird kein weiſer Mann fruͤh nach dem Eingang
toben.
Ein kurzes Leben iſt nie unſers Kummers Schuld,
Der Bettler ſelber traͤgt den Brodſack mit Geduld.
Ein Sklav in Tunis wuͤhlt in ſeines Raͤubers Garten,
In Feſſeln geht er gern Kameel und Eſel warten.
Ein an der Ruderbank verdammter Suͤnder ſtrebt
Aus Wellen an das Land, weil er ſo gerne lebt.
Doch alle muͤſſen fort. Das zaͤrtlichſte Umarmen
Verliebter Seelen reizt den Tod nicht zum Erbarmen.
Ich bin von Sterblichkeit zuſammen nur gewebt;
Wer gluͤcklich ward wie ich, der hat genug gelebt.
320

Einfaͤlle.

Neujahrs Geſundheit.

Freunde, wiederholt doch nur
Jenen Wunſch, den die Natur
Uns ins Herz geſchrieben:
Leben muͤſſe was uns ſchaͤtzt,
Leben ſoll was uns ergoͤtzt,
Leben muͤſſe was wir lieben!

An Herrn D. K.

Verſichre doch den Stahl, den Sohn des Hip -
pokrat’s,
Der Achtung, die ich fuͤr ihn habe;
Dem fuͤrchterlichen Tod, dem grauerlichen Grabe
Entging durch Wirkung ſeines Raths
Schon321
Schon eine Menge, die noch lebet,
Und ob mein Herz nicht vor dem Tode bebet,
So ſprech ich doch, ſollt er einmal
Mir ohngefaͤhr von Mitkunft ſagen:
Wart, unverſchaͤmter Tod! ich muß noch erſt den Stahl
Von wegen dieſer Sache fragen;
Und haͤtte nicht der Tod Befehl von Oben her,
So ging er blaͤßer fort, als er gekommen waͤr.

Ueber ein Gemaͤlde.

Dies iſt in ihrem vollen Reitze
Die Flora, die mit Liebesgeitze
Wenn ſich Pompejus von ihr riß
Ihn feurig in die Lippen biß.
So lieblich aufgeſchwollen lachte
Ihr Mund; ſo ſchwamm ihr Augenpaar
In Wolluſt, ſo erhub ihr goldgelocktes Haar
Sich um die Schultern, wenn der Kuß ſie trunken machte
Und ihr Gefuͤhl Entzuͤckung war.
X322

An Herrn Doktor Kruͤnitz wegen ihres Pettſchafts.

Du druckeſt Dir das Siegel ab,
Das mir ein großer Mann geſchenket,
Und von dem Geiſt, den die Natur mir gab,
Der in mir lebt und in mir denket,
Iſt jedes Lied die Abkopie;
Du kleiner Geizhals ſammleſt ſie
Mit groͤßerm Eifer als die Prinzen
Zu Caͤſars Zeit geſchlagne Muͤnzen.

Der Unterſchied eines Schmauſes und einer kleinen vergnuͤgten Mahlzeit.

O Lieber! ſprich, wann eſſen
Die Menſchen mehr als koͤniglich?
Wenn ſie die ganze Welt vergeſſen,
Und ſo vergnuͤgt als Gleim, und Du und ich
323
Mit wenig Schuͤſſeln ſind, und niemand fuͤrchten
duͤrfen,
Und ihren Wein mit einer Zunge ſchluͤrfen,
Die frey und unbeurtheilt ſpricht.
O ſolch ein Mahl, die Fuͤrſten habens nicht!

Guter Rath wider das Aergerniß uͤber die Thorheit Anderer.

Um deinem Naͤchſten zu verzeihn,
Und ſeiner Thorheit nicht zu fluchen,
Mußt du die Sache ſelbſt verſuchen.
Trink einmal uͤbermaͤßig Wein,
Verliebe dich einmal, ſpiel einmal in der Karte,
Und dann bekenne mißvergnuͤgt:
Daß tief in uns verhuͤllt der Thorheit Saame liegt,
Und auf Gelegenheit nur warte.
X 2324

Eine Geſundheit.

Vor alten Zeiten war’s Gebrauch,
Den Namen weltberuͤhmter Todten
Zu nennen bei den Gaſtgeboten.
Wir wollen die Gewohnheit auch
Bei unſerm Tafelrund erneuern.
Hebt eure Becher in die Hoͤh,
Den großen Namen hoch zu feiern:
Friedrich der Einzige

An Quitungsſtatt geſchrieben.

Seine Majeſtaͤt befahlen,
Mir, anſtatt ein Haus zu baun,
Doch drei Thaler auszuzahlen
Der Monarchbefehl ward traun
Prompt und freundlich ausgerichtet,
Und zum Dank bin ich verpflichtet.
325
Aber fuͤr drei Thaler kann
Zu Berlin kein Hobelmann
Mir mein letztes Haus erbauen,
Sonſt beſtellt ich ohne Grauen
Heute mir ein ſolches Haus,
Wo einſt Wuͤrmer Tafel halten
Und ſich aͤrgern uͤbern Schmauß
Bei des abgegraͤmten, alten,
Magern Weibes Ueberreſt,
Die der Koͤnig darben laͤßt.

Ueber Friedrichs Weisheit.

Die Vorſicht giebt mit Fleiß an Trauben oftmals
wenig,
Um deſto beſſer ſchmeckt der Wein:
So ſparſam handelt ſtets der große weiſe Koͤnig,
Denn er will ihr Nachahmer ſeyn;
Indem ſein Officier und Diener klagen muß,
Bewahrt er beide vor dem ſatten Ueberdruß.
X 3326

Mittags, als die Dichterin mit bei dem Dom - Dechant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte.

Wir Menſchen ſind ſo ſehr verſchieden:
Der eine liebt den ſtillen Frieden,
Der andre liebt den Ruhm, der dritte liebt den Scherz,
Und welcher Menſch kann fuͤr ſein Herz?
Dies hat ihm die Natur gegeben
Der beſte Vorſatz muͤſſe leben!

Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre an den Kanzeleidirektor Brandhorſt, und ein Exe - cutoriale auf einem Tiſch fand.

Da Mandloff, der einmal die Kanzelei regiert,
Und jetzt vom ganzen Kreis zu Potsdam Rechnung fuͤhrt,
Da dieſer, wie es uns vom Kammerſekretaire
B*mann eroͤffnet ward, ſo eigennuͤtzig waͤre
327
Und ein poetiſch Buch, das man ihm zugeſtellt,
Schon ſeit geraumer Zeit unartig vorenthaͤlt,
So oft man ihn auch ſchon erinnert, und geſagt:
Daß man es haben will Als wird er hart verklagt,
Und nicht entſchuldiget. Es wird zugleich befohlen
Durch Execution das Buch von ihm zu holen.
Der Muͤller, der umher im Lande reiten muß,
Wird zu ihm hingeſchickt, er ſoll mit Ueberfluß
Sich ſpeiſen laſſen, ja, er ſoll ihm gar nichts ſchenken,
Bey Tiſche laß er ſich mit gutem Biſchof traͤnken,
Und weiche eher nicht, bis er das Buch gewiß
In ſeinen Haͤnden hat; auch mach er uͤberdies
Dem Mandloff noch bekannt, wie viel er ſich entzogen,
Daß er die Billigkeit nicht ganz genau erwogen!
Manch nagelneu Gedicht von ungemeiner Art
Iſt hier bekannt gemacht, das ihm verſchwiegen ward:
Und wird er kuͤnftig nicht die Buͤcher wieder geben,
So ſoll er ohne Wein und ohne Liebe leben.
X 4328

An einen, der das Klavier ſpielte.

Was hoͤr ich? Iſt Apoll zu dir herabgeſtiegen
Und ordnet deiner Triller Lauf?
So lernt ein junger Adler fliegen
Dem Alten nach, der oft herauf
Zu Phoͤbus Wagen flog, und dem Olympus nah
Den Vogel Jupiters, den Pfau der Juno ſah.

Ueber den Aktien-Handel.

Wer Geld beſitzt, dem drohen Diebe,
Er ſchlummert nie in Sicherheit,
Viel ſichrer ſchlaͤft die Zaͤrtlichkeit
Bei Aktien der Liebe.

Geſundheit.

Was unſern Augen ward beraubt,
Was wir nicht zu erreichen wiſſen,
Soll leben! uns iſt doch erlaubt,
Daß wir es in Gedanken kuͤſſen.
329

An einen Alten.

Und haͤtteſt du gleich einen Bart
Wie Neſtor, als er in der Schlacht
Beim Diomed zum Kutſcher ward,
So wuͤrdeſt du doch angelacht
Von Sapho, welche ſtets an Juͤngling, Mann und
Greis
Des Herzens Reitz zu ſchaͤtzen weiß.

An den Wein.

Wein! ich moͤchte dich bald haßen,
Ich bin deiner Allmacht feind,
Denn du willſt mir meinen Freund
Immer nicht vom Becher laſſen.
Du biſt meiner Freuden Dieb,
Koͤnnt ich dich doch ganz verachten.
Milon hat dich gar zu lieb,
Und mich laͤßt er ſchmachten.
X 5330
Loben wollt ich die Begier,
Wein zu trinken halbe Naͤchte,
Wenn mein Milon nur mit mir
Manchen Abend zechte;
Aber nun trinkt er den Wein
Mit den Maͤnnern ganz allein.
Ha ihr Maͤnner, ha ihr Zecher,
Amor jag euch von dem Becher
Durch die Pfeile, die im Koͤcher
Aufgeſammlet ſind zur Pein
Aller Herzenbrecher.

Recept zur Staͤrkungschokolade.

Der Proviſor mengt geſchwinde
Euch zwo Theilchen Teufelsmiſt,
Und ein Theilchen Chinarinde,
Fein wie dies Gemengſel iſt,
Hier im Puͤlverchen zu ſchauen;
Ruͤhmenswerth iſt ſeine Kraft,
Weils den Maͤnnern und den Frauen
Wieder junge Kraͤfte ſchafft.
331
In ein Schaͤlchen Chokolade
Nehmt ihr einer Erbſe groß,
Daß es dem Geſchmack nicht ſchade.
Delicat und tadelloß
Schmeckt euch dieſe Chokolade,
Staͤrkt euch Nerven und Gebein,
Wenn ihr ſchon am Styxgeſtade
Schatten waͤhnt zu ſeyn.

An meine Freundin.

Deine Seele giebt mir immer
Neues Feuer, machet mich
Immer neu verliebt in dich,
Wie der helle Sternenſchimmer
In der ſchoͤnen Winternacht;
Wie der Fruͤhling mich geruͤhrter
Durch die ſchoͤne Roſe macht;
Wie der gruͤne Baum gezierter
Durch die Frucht mir mehr gefaͤllt;
So gefaͤllſt du mir vor allen,
Und wirſt noch in jener Welt
Bei den Engeln mir gefallen.
332

Die neue Verſicherung.

Bei dieſer Sonne ſchwoͤr ichs dir,
Vom Quell des Lichtes angezuͤndet,
Die treue Liebe flammt in mir;
Der kalte Winter findet
Mich gegen dich, ſo wie der Mai
Und Roſenmond mich fanden.
Mein Herz bleibt immer dir getreu
Und ſtirbt in deinen Banden.

An einen jungen Herrn von Baronoff, jetzt Ruß. Kaiſerl. Kreisrichter in Ehſtland.

Wenn im Geſchlecht der Baronoffen
Seit viel Jahrhunderten der Sohn
Den Vater ſtets an Tugend uͤbertroffen,
Dann weißt du deine Pflichten ſchon,
Sie ſind nicht leicht, doch ſolcher Ehre willen
Suͤß zu erfuͤllen.
333

An Montan.

Tauch ich die Feder in den Wein:
So kann dich dieſer Irrthum lehren,
Wo mein Gedanke muͤſſe ſeyn;
O, koͤnnte doch ſein Ohr nur den Gedanken hoͤren!

An das kommende Jahr.

Als Gott der geiſtigen Monaden
Vorausgezaͤhlte Myriaden
Im Reich der Moͤglichkeit allſehend uͤberblickt;
Da ſahe dich, du Punkt der Zeiten,
Sein Auge, dem die Dunkelheiten
Mit tauſend Sonnen ſind geſchmuͤckt.
O kaͤmſt du doch mit vollen Schwingen,
Und braͤchteſt goldne Zeit, von der die Dichter ſingen,
Und faͤndeſt, außer Greis und Kind,
Noch Menſchen, die der goldnen Jahre wuͤrdig ſind!
334

Die große That des Julius Caͤſars.

D den Pompejus Caͤſar uͤberwunden:
Das war ein Werk des Gluͤcks und war der Goͤtter
Rath.
Doch daß er nach dem Sieg die Menſchlichkeit em -
pfunden,
Und jeden Tag ſich ſelbſt vor ſeine Feinde bat:
Dis war des Helden große That.

An ein gluͤckliches Volk.

Aleides ſtritt mit Loͤw und Hyder;
Und matt von Kaͤmpfen ward Achill;
Doch ein Monarche wird noch muͤder,
Der dir, zu muthig Volk, Geſetze geben will.
Der allerſchwerſte Kampf iſt leichter auszufuͤhren.
Als uͤber Gluͤckliche gebietend Herrſcher ſeyn:
Wird nicht ein Gott in dir regieren,
So iſt des Scepters Macht zu klein.
335

Bei Erinnerung ihres erſten Freundes.

Er iſt mein Wunſch, ich ſein Gedanke,
Ihn ſuch ich auf, wo er ſich immer hin begiebt,
Er wird gedacht, er wird geliebt
Bis ich zum Rand des Grabes wanke.

An den Frieden.

Du, den Germanien mit klagenden Geſaͤngen
Von dem Olympus niederzog!
Laß dich das Laſter nicht verdraͤngen,
Das fuͤr dem Kriege nicht entflog;
Laß keinen Griff nach einer Krone
Und keinen Fuͤrſten-Geiz nach einem leeren Throne
Dich kraͤnken, daß du wieder fliehſt
Und von den Himmeln den zerſtoͤrten Weltkreis ſiehſt.
336

Aus einer Bußtagspredigt des Herrn O. C. R. Spaldings.

In Herrn Doct. Kruͤnitz Stammbuch.

Wenn alles alles muß zerrinnen,
Was ſich der Weltmann hier erſinnen,
Erringen und erſchleichen kann,
Wenn Ruhm und Guͤter von dem Reichen
Am Sterbebette treulos weichen:
Wie gluͤcklich lebt alsdann der Mann,
Der ſich die Furcht vor Gott zur beſten Weisheit
machte,
Und Boͤſes meiden, zum Verſtand,
Stets recht gethan, ſtets edel dachte,
Und in der Tugend Ruhe fand!
Anhang. [337]

Anhang von Proben ihrer allererſten Dichtart, wie dieſelbe von Zeit zu Zeit ohne Unterricht und Huͤlfe ſich bis zu der Hoͤhe geſchwungen, in welcher ſie beruͤhmt wurde.

Y[338]339

Neujahrswunſch an den Rinderhirten.

Geliebter Freund! des hoͤchſten Guͤte
Schenkt abermal ein neues Jahr,
Drum bringt dir mein erfreut Gemuͤthe
Die Pflicht ergebner Wuͤnſche dar.
Wenn Zeiten, Tag und Jahre ſchwinden,
So gruͤnet die Beſtaͤndigkeit;
Man wird ſie ſtets im Flore finden,
Sie aͤndert ſich nicht mit der Zeit:
Wenn ſich verwechſeln Jahr und Wochen,
So bleibt ſie doch ununterbrochen.
Wo Redlichkeit und Tugend bluͤhen,
Da iſt die Falſchheit ſchon verbannt,
Y 2340
Es heißt vergebens ihr Bemuͤhen,
Sie findet einen Gegenſtand,
Der ihr von lauter Treue ſaget
Und alle Flatterei verjaget.
Ich kenne ſchon dein reines Weſen,
Du biſt von zarter Kindheit an
Mein tugendhafter Freund geweſen,
Drum nimm die treuen Wuͤnſche an,
Die zwar aus ſchlechter Feder fließen
Und ſich in dieſe Zeilen ſchließen:
Der Geber aller guten Gaben,
Der Herr, von deſſen Guͤtigkeit
Wir Seel - und Leibeswohlfahrt haben,
Der wolle bei erneuter Zeit
Dein Haupt mit Heil und Kraft belegen,
Er kroͤne dich mit reichen Seegen.
Er wende was dich kann betruͤben,
Und ſchenke was dein Wohlſeyn mehrt,
Er ſtuͤrze die dein Ungluͤck lieben;
Und wenn er meinen Wunſch erhoͤrt,
Laß er dich bald was Schoͤnes waͤhlen,
Und viel vergnuͤgte Jahre zaͤhlen.
341

An das Fraͤulein von Moſe.

Hoch - und Wohlgebornes Fraͤulein!

Die Hoffnung ſchmeichelt mir, Sie werden permittiren,
Was Dero Dienerin ſich itzo unterfaͤngt:
Zwar kann ich meinen Vers mit wenig Anmuth zieren,
Weil kein Virgilius mir ſeine Silben ſchenkt;
Doch werden Sie darum die Zeilen nicht verachten,
Die meine Dankbarkeit zu Dero Fuͤßen legt.
Kann man dieſelben nicht als hoch gelehrt betrachten,
Genug, daß jedes Wort vollkommne Treue hegt.
Ein angenehmer Tag, ſo Dero Namen fuͤhret,
Ermuntert mein Gemuͤth zu der Ergebenheit,
Y 3342
Womit ich Ihnen bin Zeit Lebens obligiret:
Drum obſervire ich itzt meine Schuldigkeit,
Und will durch dieſes Blatt gehorſamſt gratuliren,
Weil Sie der Herr der uͤber Erd und Himmel ſchwebt,
Durch ſeinen Vaterarm ſo treulich wollen fuͤhren,
Daß Sie begluͤckt und wohl dies Namensfeſt erlebt.
Es bleibe dieſer Herr noch ferner Dero Fuͤhrer,
Er unterſtuͤtze Sie mit ſeiner Allmachtskraft,
Er ſey Ihr Schild und Lohn, Ihr maͤchtiger Regierer,
Er ſtaͤrke Dero Geiſt mit ſuͤßem Lebensſaft,
Er laſſe niemals was ſo Widriges geſchehn,
Daß Ihre Gnaden kraͤnkt und Dero Ruhe ſtoͤrt.
Nein, nein, es muͤſſe Sie auf ewig wohl ergehen:
Es muͤſſe nur geſchehn, was Dero Freude mehrt,
Es muͤſſe Ihnen nichts an Gluͤck und Wohlſeyn fehlen,
Der hohe Himmel ſey Sie ewig zugethan,
Er laſſe Sie noch viel begluͤckte Jahre zaͤhlen,
Er ſchenke Ihnen mehr als ich nur wuͤnſchen kann.
343

An ihren erſten Mann.

Erlaube, werther Schatz, daß ich fuͤr allen Dingen
Aus ganz beſonderm Trieb und dir ergebnen Pflicht,
Darf meine Schuldigkeit durch dieſe Zeilen bringen,
Weil ein erfreuter Tag erſcheint mit ſeinem Licht,
Ein Tag, an welchem du zuerſt die Welt erblicket,
Ein Tag, der uns zugleich auch deinen Namen zeigt,
Den haſt du abermals erlebet hoͤchſt begluͤcket,
Darum mein Herze ſich zugleich mit dir erfreut.
Dein Wohlergehen kann auch meinen Geiſt ergoͤtzen,
Y 4344
Und dein Vergnuͤgen macht daß ſich der ſchwache Kiel
Mit tauſend Freuden thut in ſchwarzer Dinte netzen,
Wenn ich zu dieſen Tag dir gratuliren will.
Drum leg ich dieſen Wunſch zu deiner Freude bei:
Der Himmel kroͤne dich mit ſtetem Wohlergehen,
Er mache deinen Geiſt von aller Unluſt frei,
Und laſſe lauter Gluͤck an deiner Seite ſtehen.
Er laſſe dieſen Tag dich oftmals uͤberleben
Und uͤberſchuͤtte dich mit tauſend Guͤtigkeit;
Und endlich wolle dir der Hoͤchſte alles geben,
Was dir mein Herze wuͤnſcht, und dich nur ſelbſterfreut.
Indeſſen bitt ich nimm doch dieſes guͤtig an,
Was hier die treue Hand aus Liebe uͤberreicht,
Weil ich fuͤr dieſes mal nichts Beßres geben kann,
So nimm es guͤtig hin und bleibe mir geneigt.
345

Eine Satire auf die Verfaſſung von Schleſien, waͤhrend der Kaiſerlichen Regierung.

Als Friedrichs große Macht in Schleſien marſchiret,
Da bin ich gleichfalls mit als Volontair paſſiret:
Mich trieb der Vorwitz und die Neubegierde an,
So daß ich meinen Weg ein wenig ſeitwaͤrts nahm.
Da ich mich von dem Marſch der Preuſſen abgetrennt,
Kam ich vor eine Stadt, die man Schwibus benennt,
Und als ich im Begriff daſelbſt hineinzugehn,
Sah ich ein Frauenbild bei einem Baume ſtehn.
Sie ließ die Traurigkeit aus allen Mienen blicken,
Die Haͤnde waren ihr gebunden auf den Ruͤcken[,]
Die Augen thraͤnenvoll, die Haare ganz zerſtrent,
Und als ich naͤher kam wars die Gerechtigkeit.
Y 5346
Ich fragte ganz beſtuͤrzt, was iſt euch denn geſchehen,
Madame, daß man ſie hier ſo betruͤbt ſoll ſehen;
Wenns nach den Rechten ging, ſo ſollet ihr ja ſchon
Heut auf dem Rathhaus ſeyn und bei der Seſſion.
Ach, hub ſie ſeufzend an, dem Himmel ſeys geklaget,
Man hat mich ſchon vorlaͤngſt aus dieſer Stadt verjaget,
Da lebt ein jeder ſo wie es ihm ſelbſt beliebt:
Das iſt es, was mir jetzt ſo Geiſt als Herz betruͤbt.
Bemuͤhet euch, mein Freund, ein wenig umzuſehn,
Da wird ein neues Haus vor jenem Thore ſtehen,
Da wohnt ein Herr vom Rath, ein Schalk in ſeiner
Haut,
Der mit Particken hat dies Haͤuschen aufgebaut.
Da geht der krumme Schalk, ſchaut wie er ſpekuliret,
Weil er Betrug und Liſt in ſeinem Schilde fuͤhret:
So ſieht er unter ſich nach Art der falſchen Welt,
Er ſucht die Schluͤſſel zu der Buͤrger Gut und Geld.
Nun wollt ich euch noch mehr von gleicher Gattung
zeigen;
Doch weil ſo Zeit als Ort mir itzt befiehlt zu ſchweigen,
So ſag ich nur noch dies: der Conſul und der Rath,
Die ſtimmen uͤberein ſowohl in Wort als That.
Der große Carolus, der noch in Schriften lebet,
Und deſſen theure Seel itzt bei der Gottheit ſchwebet,
Der gab aus Guͤtigkeit der Invalidenſchaar
Gewiſſes Gnadengeld zur Unterhaltung dar:
347
Es theilt ſich dieſes Volk in unterſchiedne Staͤdte,
Das war nun eben recht vor unſre Herren Raͤthe.
Sie delibrirten bald, und machten dieſen Schluß,
Daß man bei unſrer Stadt auch welche haben muß.
Indem ſie dieſes ſagt, vergoß ſie bittre Thraͤnen:
Ach weh, o Grauſamkeit, thaͤt ſie an mich erwaͤhnen,
Man hat genommen mir die Wage, welcher Werth!
Die Haͤnd gebunden mir, dazu geraubt das Schwerdt,
Die Großen legten an der Buͤrgerſchaft viel Gaben,
Und das zu dieſen Zweck, daß ſie nichts ſollten haben,
Ihr Guͤter brachten ſie an ſich mit Liſtigkeit,
Und die betrieben ſie faſt ſtets zu jeder Zeit.
Weil nun die Buͤrgerſchaft die Steur nicht mehr konnt
geben,
Alſo empfingen ſie dreihundert Mann auch eben,
Mit ſie ward bequartirt ein jeder Buͤrgersmann;
Doch wie es weiter ging hoͤrt mich nur ferner an:
Man richt ihm Zimmer zu, indem ſie gute Zahler,
Ein jeder geben muß des Jahres Mieth ſechs Thaler;
Und ob der meiſten gleich nicht hier war ihr Beſtand,
Indem ſie mußten weg heim in ihr Vaterland,
Jedennoch kamen ſie ihr Geld hier zu empfangen,
Und mußten auch ſobald alda das Miethgeld langen.
Ja dieſe hatten all die Großen unter ſich,
Kein einzger ihm zukam. Nun hoͤret ferner mich:
Sie bauten vor das Volk aus Stall und Winkel Haͤuſer
348
Darein zu ſetzen ſie, die nicht vor ſie der Kaiſer
Wohl aber dieſer Stadt, die in der Buͤrgerpflicht
Die Gaben rechnen dran und ſollten geben nicht.
Es konnten viele nicht nicht einen Mann erlangen,
Ob ſie gleich oft und viel zum Herren ſeyn gegangen;
Sie ſagten bald zu ihm: geht ihr habt eu’r Bericht
Nicht bei euch ſchickt es ſich, und ihr verſtehts auch nicht.
Sie machten ſich gar frey, daß ſie nichts durften geben,
Und alſo thaͤten ſie bei großen Guͤtern leben.
Es mußten ihre Werk und Thun ſtets ſeyn gerecht,
Auch trotz dem, der nur was wieder das aufbraͤcht.
Im Gaben mußten ſie die Buͤrger uͤbertragen,
Und dieſes konnten ſie auch keinem Rechten klagen:
So alſo bin ich hier aus dieſer Stadt verbannt,
Daß ich itzt und darin bin nun nicht mehr bekannt.
Ich ſprach, ſie ſey getroſt, man wird ſie wieder kennen,
Ein jeder Mann wird ſie ſein Schatz und Freundin
nennen:
Dem Koͤnige gehoͤrt mit Recht das ganze Land,
Der der wird geben ihr ihr Schwerdt in ihre Hand;
Und ob er gleich noch iſt in ſeiner Bluͤth der Jugend,
So ſind’t man doch an ihm das Muſter aller Tugend.
Er liebet Froͤmmigkeit, die reine Gotteslehr,
Und mit ihr zieht ins Feld Gott ſelbſt ſein Engelheer;
Ich ſelber werde ihm auch dieſes alles ſagen
Das was ſie ſo betruͤbt und was ſie mir thut klagen.
349
Mit ihr macht ers bald aus, es iſt geſchehn der Schluß,
Daß ſie ſich packen ſoll, daß ſie nun weichen muß.
Sie darf nunmehro nicht an keine Macht gedenken,
Sonſt wird der Koͤnig ſie gewißlich laſſen henken.
Ein jeder nehm ſich nur vor dieſem Weib in acht!
Auf daß er nicht mit ihr werd auf den Bau gebracht.
Sie glaub mir ſicherlich, ſie wird an ihm den finden,
Der ihre Haͤnde wird aufloͤſen und aufbinden:
Sie hoffe nur getroſt, indem ich weiter geh,
Sie leb indeß vergnuͤgt, ich ſage ein Adieu.
350

Arie.

Vergnuͤgte Einſamkeit! du biſt die Ruhe,
So meine ſtille Bruſt ſich laͤngſt erwaͤhlet,
Was ich hier unternehm, gedenk[und] thue,
Das wird der Weltcenſur nicht aufgeſtellt;
Bin ich gleich ſtets allein und ganz verborgen,
So bleibt mein freier Sinn doch ungekraͤnkt:
Ich lebe hoͤchſt content und ohne Sorgen,
Weil mir die Einſamkeit Vergnuͤgen ſchenkt.
Es giebt verſchiedene Art von Luſtbarkeiten,
So die galante Welt hoͤchſt ſchaͤtzbar preiſt;
Doch wenn mans uͤberlegt ſinds Eitelkeiten,
Drum ſag ich noch einmal: mein freier Geiſt
Ehrt mit gelaßnem Muth die ſtillen Stunden,
So das Verhaͤngniß mir hier zugezaͤhlt,
Es wird auch in der That ſonſt nichts gefunden,
Das mehr Vergnuͤgen giebt und mir gefaͤllt.
So magſt du denn o Welt, das Eitle loben,
Geh mache dir Plaͤſir wie dirs beliebt,
Mir iſt die groͤßte Luſt noch aufgehoben,
Die dort das hoͤchſte Gut den Seelen giebt.
351
Ach ich verlache nur das Weltgetuͤmmel,
Indem mein Herze ſich die Loſung ſetzt:
Mein beſter Theil mein Schatz iſt noch im Himmel,
Und hier iſt Einſamkeit was mich ergoͤtzt.

Ein Fraͤulein, Namens Evchen, will ihren Namen nicht hoͤren, daruͤber wurde geſungen:

1742.

Engliſches Evchen, ach gieb dich zufrieden,
Movire dich doch nicht, wenn man dich ſo nennt;
Iſt dir der Name nun einmal beſchieden,
So leid ihn geduldig und lebe content:
Eva ward hoͤchſt vergnuͤgt, da es die Vorſicht fuͤgt,
Daß ſie der Adam ſein Schaͤtzchen genennt.
Nun denn, mein Evchen, ſo wird dirs auch gehen,
Ob dich dein Name gleich itzo verdrieſt;
Ich ſichre, da wirſt du ſchon freundlicher ſehen,
Wenn dich ein Adam einſt rufet und kuͤßt:
Dann wird recht buchſtabirt, geleſen und vexirt,
Wenn uns die Liebe den Namen verſuͤßt.
352

An Se. Majeſtaͤt den Koͤnig von Polen.

Ein Blick, Durchlauchtigſter Auguſt!
Ein Blick nach dem erhabnen Sitze,
Auf welchen Du, der Voͤlker Schutz und Luſt,
Dem halben Monden ſanft die Spitze
Des Koͤniglichen Zepters neigſt,
Und Deines Geiſtes Groͤße zeigſt.
Ein ſolcher Blick entzuͤckt Gemuͤther,
Die Ruhe unterſtuͤtzt den Thron,
Der Friede ſpricht dem Blutdurſt Hohn,
Dein Lorbeer prangt mit Sicherheit. Fern weicht der
Zwietracht Ungewitter
Dein Land, das froh und ruhig iſt;
Schlaͤgt in den Buͤchern grauer Zeiten
Geſchichte nach, erſtaunt und ſieht und lieſt
Wie oft ein feindliches Verbreiten
Der Laͤnder Zier, der Staͤdte Pracht
Zur oͤden Wuͤſte hat gemacht:
Wie353
Wie Greis und Juͤngling hingeſunken,
Ein Schaudern uͤberfaͤllt Dein Reich,
Als fuͤhlt es noch den Saͤbelſtreich;
Doch nein, es fuͤhlt des Friedens Reiz, und wird von
ſeiner Freude trunken.
Der Scyte kommt, man holt ihn ein,
Man draͤngt ſich um den rothen Bunde,
Der ihn bedeckt, vorzuͤglich nah zu ſeyn.
Sein Anſehn ſchlaͤgt uns keine Wunde,
Sein durch die Zeit beſchneites Haar
Zeigt den gefuͤrchteten Barbar
In einem freundſchaftlichen Bilde.
Das Volk ſteht da, und ſtaunt ihn an,
Und ſpricht: o ſeht, der Muſelmann
Iſt nicht ſo grauſam, als ihr denkt: das Gute blinket
durch das Wilde.
Man ſah ihn auf die Stufen gehn,
Die, Herr, zu Deinem Throne fuͤhren;
Doch, o Monarch! hier bleibt die Muſe ſtehn,
Nur ſtille Ehrfurcht muß ſie ruͤhren,
Im Geiſt hat ſie nur hingeblickt,
Wie Stambol ſich vor Dir gebuͤckt.
Die Luͤfte lispelten die Worte,
Z354
Durch die der Fuͤrſt vom Morgenland
Sich neu an Deine Freundſchaft band:
Dein Adler, der die Schwingen hub, der uͤberſchattete
die Pforte.
O Koͤnig! durchs Geraͤuſch betaͤubt
Vernahm die Muſe nicht das Sprechen,
Was feierlich ſich tief in Marmor ſchreibt,
Was auch die Zeit vergißt zu ſchwaͤchen:
Die Wahrheit und Religion,
Die beide ſtanden nah am Thron,
Und ſchrieben jeden Ausdruck nieder:
Die Eintracht und die fromme Ruh,
Die hoͤrten ſtill und laͤchelnd zu,
Selbſt Engel merkten den Vertrag und mengten ihn
in ihre Lieder.
Das rege Volk, die frohe Stadt,
Die lang nach Dir, o Herr! geſchmachtet,
Sieht nie an Dir und Deinem Blick ſich ſatt,
Der liebreich eine Schaar betrachtet,
Die dicht gedraͤngt mit kuͤhnem Schritt
Dem Wagen bald die Bahn vertritt,
Und Aug und Hand entzuͤckt erhebet.
Ihr Auge, was ſich hurtig dreht,
355
Bemerkt den Glanz der Majeſtaͤt,
Der dem Gehorſam zaͤrtlich winkt, vor dem die Untreu
furchtſam bebet.
Sie ſehn die Großen von dem Reich
Mit zarter Ehrfurcht Dich empfangen,
Sie ſehn den Kuß, und ihre Bruſt wird weich,
Die Zaͤhre rollt von ihren Wangen,
Nicht Zaͤhren banger Traurigkeit,
Nein Thraͤnen, die die Luſt gebeut,
Wodurch die Treu ſich ausgedruͤcket.
Herr, ſolche Thraͤnen weinen ſie
Und haben mit vereinter Muͤh
Vor Dich der Wolken Hoͤh beſtuͤrmt, Geluͤbd und Bit -
ten abgeſchicket.
Der Himmel wurde durchgepfeilt
Und ſichtbar ließ er Antwort leſen,
Das Regenmeer, die Wolke ward zertheilt,
Das Weltlicht, was verhuͤllt geweſen,
Wies ſeinen Strahl, ſobald Auguſt,
Sobald der Glanz von ſeiner Bruſt
Der Frauſtadt Gaſſen praͤchtig machte.
O moͤchte ſich doch auch durch ihn
Der Sorgen ſchwarz Gewoͤlk verziehn,
Was meinen Geiſt oft niederdruͤckt, indem ich bang
nach Nahrung ſchmachte.
Z 2356
Monarch, dem tief der Pole dient,
Und den der Sachſe kindlich ehret,
So wahr der Kranz der hohen Raute gruͤnt,
So wahr Dein Beiſpiel Fuͤrſten lehret,
So wahr hat Dir mein niedrer Geiſt
Nur durch Natur den Trieb geweiſt,
Den mir die Huld des Schoͤpfers ſchenkte.
Dein Daſeyn riß den ſchuͤchtern Sinn
Mit ſtarkem Zug zum Throne hin.
O daß die Gnade durch den Blick, der himmliſch iſt,
ſich auf mich lenkte!
Herr, ſieh auf mich, die ich ein Staub,
Ein Atomus der Schoͤpfung heiße,
Der Kummer macht aus dem Gedank ein Raub,
Der ohne Wehen ohne Schweiße
Sich zum gebohren werden ſchickt;
Doch durch die Laſt des Grams erdruͤckt
Vergeht die Kraft, und unvollkommen
Hat, Herr, mein Geiſt von Dir gedacht:
Er mahlt nicht Deines Thrones Pracht,
Er ſchildert die nicht, die den Glanz von Deinem
Strahle hergenommen,
Von Deines Geiſtes Vorzugsrecht,
Vom ſanft und goͤttlichen Regieren;
357
Und wie ſich durch Dein groß und ſchoͤn Geſchlecht
Sicilien und Frankreich zieren.
Von Deinem Folger auf dem Thron,
Dem Dir nachahmend weiſen Sohn,
Von allen Sproßen Deiner Huͤfte:
Davon ſchwieg mein zu ſchwaches Lied;
Mein Blick, der ſchuͤchtern nach Dir ſieht,
Verdunkelte vor ſo viel Licht, und der Gedank
verflog in Luͤfte.
O Koͤnig, den die Huld bewohnt,
Gieb meiner muͤden Muſe Schwingen,
Sie wird den Held, den die Verweſung ſchont,
Den himmliſch großen Geiſt beſingen[,]
Der Dir die theure Bruſt belebt,
Die nach dem Heil der Laͤnder ſtrebt,
Die mehr mit Sanftmuth als mit Schaͤrfe,
Den Fehlern ihre Strafen ſagt:
O Herr, gedenk an Deine Magd,
Die ich voll Hoffnung und voll Furcht vor Deinem
Thron mich niederwerfe.
Z 3358

Das Schickſal.

Sr. Wohlehrwuͤrden des Herrn Feldprediger Klettke bei Gelegenheit deſſen Nahmensfeſtes geſungen.

1755.

O haͤtt ich jezt den Geiſt der Unzerin,
Das denkende und das erhabne Weſen,
Um feuriger und aufgeklaͤrt im Sinn
Begriff und Bilder auszuleſen,
Welch ein Gemaͤhld entwuͤrf ich da von dir,
O Schickſal! dein verborgnes Winken,
Und wie dein Wink der Dinge Gang regier,
Und wie dich der Vernuͤnftler Duͤnken
Mit ſchielem Blick unuͤberdacht verkennt,
359
Und wie dein Ausſpruch unſerm Leben
Die Reihen der Begebenheiten nennt;
Dies alles wuͤrd ich dann der Welt vorzuͤglich zu
betrachten geben.
Eh dies Gebaͤu, was jezt ſo praͤchtig ſteht,
Sich aus des Klumpens Unform riſſe,
Noch eh der Staub beſeelt ward und erhoͤht,
Und ſeines Schoͤpfers Abbild hieße;
Da ſahſt du ſchon Jahrhunderte entdeckt,
Du ſahſts entziffert vor dir liegen,
Wohin der Trieb und ſeine Folge zweckt,
Hier ordnete dein ewig Fuͤgen,
Der Reiche Fall, hier theilteſt du voraus,
Eh noch geborne Herrſcher waren,
Die theure Laſt der Koͤnig-Kronen aus,
Hier ſezteſt du den Zeitpunkt feſt, in welchem wir
uns offenbaren.
Dein Finger ſchreibt in Tafeln hell von Glanz
Die Ordnungen, die ſich erhalten,
Die Weſenheit bleibt durch dich immer ganz,
Die Welten muͤſſen nie veralten,
Du hießeſt ſie in ihren Kreiſen gehn,
In denen ſie ſich jezt noch winden,
Nicht ungefaͤhr kann was geſchieht entſtehn,
Z 4360
Es fuͤgt dein uͤberdacht Verbinden
In einer Welt, die doch die beſte bleibt,
Das Einzle in Zuſammenhaͤnge,
Daß jens entſpringt, und daß es dies vertreibt,
Iſt darum, daß ſich nichts unachtſam durcheinander
menge.
Der Biſſen Zahl, wodurch der Menſch ſich naͤhrt,
Berechneſt du, eh er ſie iſſet,
Das Gluͤckliche, was Jeden widerfaͤhrt,
Iſt ſo, wie es dein Vorſehn miſſet;
Des Geiſtes Zier, der innern Gaben Zahl
Theilt die Natur nach deinem Wollen
Auf dein Geheiß, nach deiner weiſen Wahl
Muß die Vernunft uns Guͤter zollen;
Dem giebt ſie viel des innerlichen Lichts,
Und Jenem mittelmaͤßge Strahlen,
Der andre ſpuͤhrt vom heitern Witze nichts,
Und dieſer kann uns die Natur in ihrer ganzen
Schoͤne mahlen.
Der Forſchende, der unter dreymal Dreyn
Der Wuͤrdigſte zum Lehrer ware,
Sog durch dich Luſt zu Wiſſenſchaften ein,
Und daß der Fruͤhling Seiner Jahre
Den Tugenden die Augenblicke gab,
361
Hat dein verborgner Trieb gemachet,
Und deine Kraft hat von der Hoͤh herab
Die Bruſt zur Weisheit angefachet,
Noch wenn Er ſich in Einſamkeit verſchließt,
Um daß Er Andrer Heil bedenket,
So zeigt dein Wink wie wuͤrkſam daß du biſt,
Dein Wink, der Ihm erſt die Gedanken und auch
alsdann die Seelen lenket.
O lenk Ihm doch nur auch ein Herze zu,
Was zart an Seine Bruſt ſich bindet;
Du knuͤpfſt ja Viel, wolan ſtoͤhr Seine Ruh,
Mach daß dein Ordnen uͤberwindet.
Nur ſo ein Herz, dem du ein zwiefach Pfund
Von Tugend und Vernunft verliehen,
Nur ſolch ein Herz ſchickt ſich, in einen Bund
Des Klettkens freie Bruſt zu ziehen.
O laß Ihn doch die Lieb ein Grabmahl baun,
Man leſe auf dem leichten Steine:
Hier armen ſich die Huld und das Vertraun,
Hier ſchlummern, die das Schickſal hieß: daß ſie
ein Gleich-Gefuͤhl vereine!
Z 5362

Der 13te Mai 1758, als der Tag des Schreckens in Glogau.

Mit einer ihren Gram erzaͤhlenden Gebaͤrde
Wirft Glogau noch den Blick zur Erde,
Und iſt an Schutt und Klagen reich.
Der Fremdling ſiehet noch den Staub vom Heiligthume,
Und wird, der Menſchlichkeit zum Ruhme,
Bey traurigen Ruinen weich.
Und mehr als er vom tiefen Schmerz bezwungen,
Vom ſtaͤrkern Mitleid mehr durchdrungen,
Sing ich die halb zerſtoͤhrte Stadt.
Und noch betaͤubt vom ſchwarzen Schreckens-Tage
Wird mein Geſang wie ihre Klage,
Und mein Gedank wie ihrer matt.
Beim Ueberreſt vom ihrem ſchoͤnſten Kleide,
Beim Aſchenhaufen ihrer Freude
Sitzt ſie, und weint, und iſt von Seufzen voll.
Troſt komm herab und trockne ihre Wange,
Und unterſtuͤtze mich, wenn ich ihr im Geſange
Den Tag des Schreckens ſchildern ſoll.
363
Betruͤbte! da du dich jedweder Luſt verzeihſt,
Und auf dein Haupt den Staub von deinem Schmucke
ſtreuſt,
Da ſing ich einen Tag, der dich voll Jammer machte,
Als deines Scheitels Pracht abſcheulich niederkrachte.
Ich ſinge Gottes Zorn, der uͤber dir entbrannt,
Da als ſein Knecht der Sturm ſich mit der Gluth
verband.
Auf Friedrichs Siege ſtolz, von keiner Furcht
zerſtreuet,
Und lachend hatteſt du dich zu dem Feſt geweihet,
Das man mit Mayen ſchmuͤckt bis an des Altars Horn,
Die Ahndung ſagte dir nichts von des Hoͤchſten Zorn,
Bis die Erſchrockenheit in deinen Gaſſen heulte,
Und der Zerſtoͤhrung Flug die Fluͤchtigen ereilte.
Welch ein verwirrt Geraͤuſch nahm deine Straßen ein!
Befluͤgelt von der Angſt lief unter hohlem Schreyn
Ein Schwarm von Buͤrgern hin, damit er auf die
Thuͤrme
Mit Waſſer und mit Muͤh der Gluth entgegen ſtuͤrme;
Vereitelt ward die Muͤh, vergroͤßert die Gefahr,
Unaufhaltſam die Gluth, der Buͤrger nahm es wahr.
Und nun entſchloß er ſich den Seinen zuzulaufen.
Wie, wann ein Schaͤferſtab den vollen Ameishaufen
Zerſtoͤhreriſch durchwuͤhlt, das ſammlende Inſekt
364
Mit banger Forſchbegier des Schreckens Grund
entdeckt,
Den Nachbarinnen winkt und um den Stab ſich haͤufet,
Dann ſeinem Vorrath nimmt und ſchnell die Flucht
ergreifet,
Und in dem oͤden Wald ſich andre Wohnung ſucht;
So wimmelnd, ſo beſtuͤrzt ergrif dein Volk die Flucht.
Nun wankten Wittwen fort, des Mitleids Gegenſtaͤnde!
Und Wayſen wanden ſich um ihrer Muͤtter Haͤnde;
Nun floh der beſte Mann, ihm loderte das Haus
Schon auf den Nacken nach, die Hitze trieb ihn aus.
Nur ſein geduldig Herz und ſeiner Gattin Schritte
Begleiteten ihn hin in eine fremde Huͤtte;
Dort brannte Dach und Wand, die Wuth der Flam -
men ſchlug
Dem feuchten Bette nach, das einen Kranken trug.
Die Traͤger liefen fort, der Vorwurf vom Erbarmen
Lag in der Ohnmacht da, wie in des Todes Armen;
Und weinend ward ſein Blick dem Himmel zugewandt,
Da er ermuntert ſich im fremden Hauſe fand.
Er rief: Ein Wunderwerk hat mich hieher getragen,
Und hoͤrte rund um ſich vom Tag des Schreckens ſagen.
Egyptens Finſterniß umwoͤlkte dieſen Tag,
Der wie die ſchwere Hand des Himmels auf dir lag.
Verbreitend ward die Furcht, das Schrecken und
die Flamme,
365
Der Saͤuling zitterte am Buſen ſeiner Amme;
Ein Greiß nahm ſeinen Sohn, der wie ein Schat -
ten ſchlich,
Und beyde ſtoͤhnten laut, und jeder wollte ſich
Dem ſchwarzen Dampf entziehn, der graͤßlich ſich
verdickte,
Der Sohn kroch in ein Haus, hier ſchlief er und
erſtickte;
Der Vater, ſtark von Angſt, entdraͤngte ſich der Noth,
Und fuͤhlte halb verbrannt noch mehr als einen Tod.
Sie flohn, ſie bebten fort aus vollgeflammten Gaſſen,
Die Buͤrger, die der Gluth den Vorrath muſten laſſen.
Die Flamme waͤlzte ſich und flog von Dach zu Dach,
Das naſſe Element ward nuͤtzenloß und ſchwach;
Die Winde wirbelten und ſpielten mit dem Bogen,
Der aus Maſchinen ſtieg, die du herbey gezogen.
Begierig fraß die Gluth ein Drittheil deiner Pracht,
Und ach! ihr Hunger ward nur hungriger gemacht,
Und unerſaͤttlich flog ſie uͤber Wall und Mauer,
Ihr Geitz fiel Haͤuſer an, um deren ewge Dauer
Der Vorwelt beſſrer Chriſt ſich fromme Sorgen gab,
Die Huͤtte Gottes fiel auf deiner Vaͤter Grab.
Altar und Lehrſtuhl ward der Vorwurf der Ver -
wuͤſtung,
Sieh hier die Wuͤrkſamkeit der goͤttlichen Entruͤſtung.
So ſchwarz, ſo grauenvoll wie eine Mitternacht,
366
Die ein gekreuzter Blitz erſchrecklich heiter macht,
So war der Kreis der Luft vom Dampf der großen
Huͤtte,
Die ihren Untergang bis auf den Eckſtein litte.
Der Schmerz durchbohrte dich, ſie fiel ach
und ihr Fall
Erſcholl in deinem Ohr ſo furchtbar wie der Knall,
Der zu dem Wetterſtrahl freundſchaftlich ſich geſellet,
Und ſchnell dem Atheiſt ſein Lehrgebaͤud zerſchoͤllet;
Er hoͤrt, erſchrickt und ſpricht zum Zweifel und
zum Spott:
Schweigt, o ihr Raſenden! im Donner ſchilt ein Gott.
So ſcheltend war fuͤr dich des Feuers rauhe Stimme,
So uͤberredend war ſie von des Hoͤchſten Grimme.
Die Redner, die dir oft von ſeinem Zorn geſagt,
Wenn du dich Schritt vor Schritt zur Unart haſt
gewagt,
Die ſahn mit ſtarrem Blick, wie ſich die Flamme
naͤhrte,
Und Zions Herrlichkeit im Augenblick verzehrte.
Ach! ihr gerechter Schmerz entkraͤftete die Hand,
Sie ließen Buch und Kleid der Gluth zum Gegenſtand;
Nur Kinder, die zu nah an ihrem Herzen lagen,
Hat Zaͤrtlichkeit und Augſt aus der Gefahr getragen.
367
Gott! Vater! zaͤrtlichſter und beſter Menſchenfreund!
Iſts moͤglich, wurdeſt du dem Opferberge feind?
Wie? oder haſt du nur den Altar umgeriſſen,
Daß unſre Herzen nun Altaͤre werden muͤſſen?
So ſprach der Schmerz in uns, da unſer Herz erwog,
Was in der Huͤtten Rauch uns fuͤr ein Gluͤck entflog;
Da das betoͤnte Erz im Schutt danieder ſchmelzte,
Und da ein Berg von Gram ſich uns in Buſen waͤlzte.
Die Haͤuſer loderten, wo ſonſt der Prieſter wohnt,
Und von der Flamme ward die Schule nicht verſchont;
Ihr zweiter Lehrer frug nach der, die ihn geboren,
Die alte Redliche, ach Gott! ſie war verloren.
Des Feuers ſtaͤrkrer Schritt hohlt ihre Schritte ein,
Ihr Sarg, ihr Grabmahl mußt ein Aſchenhaufen ſeyn,
Und ihre Aſche ward ein Spielwerk fuͤr die Winde.
So kamen Fromme um, da wegen ſeiner Suͤnde
Das juͤngre Tyrus fiel, da ſich die Erde hub
Und Liſſabonnens Stolz in ihren Riß begrub.
In dir, o Glogau! traf der Donnerſchlag der Strafe
Die Unſchuld wie die Schuld, den Hirten wie die
Schafe.
Gott fuhr auf Fittigen des Sturmes ſtark einher,
Und ſeiner Raͤder Gang war rollend wie das Meer,
Das den, der Schiffbruch litt und nach dem Ufer ſtrebet,
Bald an den Abgrund ſtoͤßt, bald an die Wolken hebet;
Und bald im Kreiſe dreht, und wann er Land gefuͤhlt,
368
Ihn grimmiger verfolgt, und dann zuruͤcke ſpuͤhlt.
Vor Angſt umher geſchwankt im tiefen Thraͤnenmeere
Kams unſern Herzen vor, als ob ſie kleiner waͤre,
Die fuͤrchterliche Gluth, doch ach! ihr Hinterhalt
Brach heftiger hervor mit praſſelnder Gewalt;
Sie machte Wendungen, an die wir nicht gedachten.
So greift der groͤßte Held, der Sieger in den Schlachten,
Den ſchon verwirrten Feind am ſichern Ruͤcken an,
Und ſchlaͤgt ihn bis aufs Haupt, eh er ſich wenden kann.
So wandte ſich die Gluth, die Haͤuſer zu entprachten,
Die ſtolz auf Stein und Kalk ihr nur entgegen lachten;
Nun wuͤtete ſie fort, ſo wie ein Loͤwe bruͤllt,
Der einen weiten Wald mit Furchtbarkeit erfuͤllt.
Und bruͤllend hoͤhnte ſie dem Loͤſchenden entgegen,
Und ſpottend fraß ihr Schlund der Buͤrger Schweiß
und Segen.
Mit einem ſauften Muth voll innerlicher Ruh
Sah der Verzehrerin der Blick des Frommen zu;
So ruhig unterwarf dem goͤttlichen Befehle
Sich einſt der Patriarch, der an des Sohnes Kehle
Das Meſſer ſetzen ſollt, ſo folgſam band er ihn
Und machte ſich geſchickt das Opfer zu vollziehn
Hier opferte ſein Haus, das bis zur Schwelle brannte,
Der Fromme, der den Herrn, den Gott im Feuer
kannte.
Ihm gegen uͤber ſaß und raufte ſich ſein Haar
Der,369
Der, dem des Morgens noch ſein Gut ein Abgott war.
Tiefſinnig ſaß er da, der durch die Gluth verſuchte,
Wie der im Lande Uz einſt ſeinen Tag verfluchte,
Und zagend nur den Tod und die Vernichtung rief,
Und den beneidete, der ſchon im Grabe ſchlief.
So melancholiſch hat die Ungeduld geſeſſen,
Die ihre Seeligkeit nach einem Gut gemeſſen,
Das jenſeits hinters Grab uns nicht begleiten mag,
Und dieſe Seeligkeit entwand ein halber Tag.
O Glogau! welch ein Tag war uͤber dich beſchloſſen,
Die Thraͤne der Natur waͤr gern herabgefloſſen;
Ach! unumwoͤlkt und hell und trocken blieb der Tag,
Der dich Gebeugte ſah, die in der Aſche lag.
Das große Vorrathshaus, gefuͤllt vom Held und
Weiſen
Sein ſtreitbar Heer im Feld mit Ueberfluß zu ſpeiſen,
Ward von der Gluth verſtoͤrt, gewaltig war der Brand,
Ein Berg von Korn und Mehl ward nun der Ge -
genſtand.
Nun fraß die Schreckliche des Hauſes Eingeweide,
Noch lange wird der Duft vom glimmenden Getreide
Durch deine Gaſſen ziehn, noch lange brennt das Haus,
Des Feuers Grauſamkeit ſpaͤht die Gewoͤlber aus,
Stuͤrmt alter Saͤrge Thuͤr, dringt zu den Aſchenkruͤgen
Und laͤßt die Todten nicht in ihren Kammern liegen.
A a370
Hier, wo vor langer Zeit die Kanzel und Altar
In dem geweihten Schiff des Welterloͤſers war
*)Das Koͤnigl. große Provianthaus, ehedem aber, und zwar von 1643 bis 1651, war es unter der Benennung des Schifflein Chriſti, eine Kirche fuͤr die Evangeliſche Gemeinde.
*):
Hier, wo einſt Froͤmmigkeit und Andacht niederknieten,
Und durch Gebaͤrd und Blick ihr betend Herz verriethen,
Hier loderte die Gluth, ſchon ward der Markt erhitzt,
Schon zitterte der Saal, wo die Verſammlung ſitzt,
Die vaͤterlich und treu dein wahres Wohl erwaͤget
Und im beſchloßnen Rath zum Grund dein Beſtes leget.
Schon ward der Thurm von ihr mit heißem Hauch
beruͤhrt,
Der weit entfernt von dir den Schritt des Wandrers
fuͤhrt.
Doch die ergrimmte Gluth, die ließ ſich nicht geluͤſten
Dir deinen Mittelpunkt das Rathhaus zu verwuͤſten.
Mit großen Schritten ging nun die Verderberin
Bis zum berufnen Thor und zu den Waͤllen hin,
Wo einſt mit kriegriſchen, erobernden Vergnuͤgen
Im Angeſicht der Nacht die Preuſſen dich erſtiegen.
Du ſtaunteſt, denn du ſahſt, es brannte Bruͤck und Thor
Und auf dem Lande ſtieg ein dicker Dampf empor.
Voll Angſt und Flammen ſtand das ſchoͤnſte deiner
Doͤrfer,
So wie ein feindlich Heer durch ſchnelle Feuerwerfer
371
Entlegene Haͤuſer trift, ſo traf der Gluth ihr Flug
Das ziemlich ferne Dorf. Der Strohhuth, den es trug
Der fing die Funken auf, die bald zu Flammen worden,
So wie ein ſchneller Blitz vom heißen Suͤd in Norden
Im Augenblicke faͤhrt, ſo fuhr auf Haus und Stall
Der ſich vergroͤßernde geſchwinde Feuerball.
Im kleinſten Punkt der Zeit brannt eine Haͤuſerreihe,
Das Feld erſchuͤtterte vom klaͤglichen Geſchreie.
Dort trug ein fliehend Weib ihr halb bekleidet Kind,
Hier lief ein bloͤkend Schaaf und dort ein bruͤllend Rind;
Nun kommt ein grauer Mann, ſchon nah am Sterbe -
bette,
Er eilt, daß er ſein Geld ſich zum Begraͤbniß rette;
Die niedre Huͤtte brennt, dort draͤngt er ſich hinein,
Das Eſtrich ſtuͤrzt auf ihn, hier muß ſein Kirchhof ſeyn.
Das ganze Dorf ging auf, nur Scheuern blieben ſtehen,
Der reichſte Bauer ſah ſich in die Armuth gehen;
Mitleidig blickteſt du des Dorfes Jammer an;
Du, die von jeglichem ſelbſt Mitleid fodern kann.
Dort, wo der Oderſtrom durch gruͤne Wieſen
ſchreitet,
War ein bekuͤmmert Heer von Buͤrgern hin verbreitet;
So lagern Bienen ſich auf einen breiten Aſt,
Wenn ihren hohlen Raum die Gluth hat angefaßt,
Wenn ihr Geſammeltes und ihre Zellen brennen,
A a 2372
Und wenn die Fluͤchtlinge ihr kuͤnftig Haus nicht kennen.
Hier lag der Greiß, der Mann, der Juͤngling und das
Kind
Und die Geſchoͤpfe, die der Juͤngling lieb gewinnt,
Und Weiber, die der Gluth den Zierrath uͤberließen,
Die nur den beſten Mann ihr uͤbrig Kleinod hießen.
Weit von dem Stolz entfernt, ward hier nicht an die
Pracht,
Nicht an die Eitelkeit und nicht an Rang gedacht.
Der Reich und Arme ſah mit Furcht erfuͤllten Blicken,
Wenn nun der Pulverthurm in Millionen Stuͤcken
Durch Hitz und Gluth zerſprengt, wuͤrd in die Luͤfte
fliehn,
Gegruͤndet war die Furcht, die Flammen drohten ihn.
Doch da ſie noch einmal ſich ſchrecklich wenden wollten,
Ward von dem Ewigen ihr Schritt zuruͤck geſcholten.
Ihn jammerte des Volks, das draußen weinen ſaß
Und traurig ſeinen Zorn im Dampf und Feuer laß.
Er ſprachs: die Flamme ſtand, ſo ſtand im rothen Meere
Die zahmgewordne Fluth, bis die erſchrocknen Heere
Vom Hauſe Iſrael vor des Egypters Macht
Den unbenetzten Fuß ans trockne Land gebracht.
O du gebeugte Stadt! geſteh es Gott zur Ehre,
Sags deinen Kindern vor, daß es die Nachwelt hoͤre!
Sprich, daß der Herr dein Gott von ſeinem Zorne lies,
Und daß ein Blick von ihm der Gluth die Graͤnzen wies,
373
Die viel verwuͤſten kann im Zeitraum einer Stunde.
So ſchnell verderberiſch rollt aus dem offnen Schlunde
Des brennenden Veſuvs ein Schwefelſtrom herfuͤr
Und ſprudelt Meilen weit und ſaͤngt des Landes Zier
Die bunten Auen ab, und wird der Doͤrfer Schrecken,
Der Landmann ſieht ſein Feld mit heißem Gries be -
decken;
Er zittert, zagt und ſchreyt, vor Schrecken wankt ſein
Schritt,
Nun kommt der Feuerſtrom und nimmt ihn grimmig mit,
Und ziſchet durch die Flur, bis ſeine Wuth verkuͤrzet,
Sich brennend in den Schooß grundloſer Seen ſtuͤrzet.
In einen engen Raum, wo arm an Kalk und Stein,
Und reich an Holz und Leim die alten Haͤuſer ſeyn,
Da hat die Gluth vom Herrn ſchnell den Befehl ver -
nommen,
Bis hieher ſoll dein Schritt, nicht weiter ſoll er kommen,
Und dreimal buͤckte ſie vor ſeinem Wort ihr Haupt,
Und ihrer Staͤrke ward von nun an nicht erlaubt,
Des Waſſers Wuͤrkſamkeit ſo frech zu widerſtehen,
Sie eilte klein und matt zu ihrem Untergehen;
Und nun verließ das Volk ſein Lager vor dem Thor,
Nun richteten ihr Haupt die Klagenden empor.
In einem ſaͤuſelnden gelinden Windeswagen
So fuhr der Gott herauf, vor den wir betend lagen,
Und Engel laſen es in ſeinem Angeſicht,
A a 3374
Was die Barmherzigkeit in ſeinem Herzen ſpricht;
Und Engel freuten ſich, daß ſeine Gnade wolle,
Daß deine Aſche ſich in Glanz verwandeln ſolle,
Und daß er im Gefuͤhl der ewgen Liebe ſchwur,
Er wollt in Zukunft nicht die Kraͤfte der Natur
Zu deinem Untergang mit ſtaͤrkern Waffen ruͤſten,
Kein feurig Zorngericht, kein loderndes Verwuͤſten
Sollt dein Zerſtoͤhrer ſeyn, du ſollteſt praͤchtig bluͤhn,
Bis Seraphs einſt mit ihm zum Weltgerichte ziehn.
Sein Laͤcheln, ſeine Huld, das ſoll dich neu geſtalten,
Sein volles Segensmaaß das ſoll dich ſchadlos halten.
Beſchraͤnke deinen Gram, entnaͤſſe deinen Blick,
Und ſieh betrachtungsvoll in jene Zeit zuruͤck,
Da deine Ahnen auch in Staub und Aſche ſaßen,
Und in der Zukunft doch Verluſt und Gram vergaßen;
Da aus den Schwellen, die ein großer Schutt begrub,
Gott eine ſchoͤnre Stadt als die verbrannte hub.
Er iſt noch eben der Allmaͤchtige und Große,
Stark, daß er in den Staub des Helden Feinde ſtoße,
Und wunderthaͤtig, daß er mitten in der Schlacht
Aus grimmigem Gefuͤhl den Trieb zum Frieden macht.
Er ſprichts, ſo ſinkt das Schwerdt, ſo ſchweigen die
Kartaunen,
Und ſein Geſalbter ſchließt, den Voͤlkern zum Erſtaunen,
Vertraͤge, die den Ruhm, den der Monarch erfocht,
Noch mehr verherrlichen, und Kraͤnze, die er flocht,
375
Wird ſich die Ewigkeit um ihre Scheitel winden,
Du aber wirſt dein Gluͤck in ſeiner Ruhe finden.
Da denket er an dich: ſo hat ein Gott gedacht,
Da aus dem Chaos ward die beſte Welt gemacht;
Und ſein Gedanke wird von einem Gott geſchaffen,
Der ſegnend auf dich blickt, als wie auf Friedrichs
Waffen.
Sey ruhig, ſchuͤttle Staub und Kohlen von dir los,
Und bluͤhe wieder neu und wachſe wieder groß.
Sey froh, doch ſey nicht frech, ſo daß auf Feuerwagen
Die Rache Gottes ſich zu dir herab muß tragen;
Sey praͤchtig, bis die Pracht der beſten Welt zerſchmelzt,
Bis in die Ewigkeit der lezte Tag ſich waͤlzt.
A a 4376

Schleſiſches Bauerngeſpraͤch zwiſchen Vetter Hanß und Muhm Ohrten, gehalten zu R .... bei Großglogau im November 1758.

Muhm Ohrte.

Ih, lange nicht geſahn, und doch noch gut gekannt, Willkommen Vetter Hans, mei Herz giebt dir die Hand, Biſt du noch huͤbſch geſund? du ſcheinſt mir nich recht munter; J worum ſchlaͤgſt du dann die Augen ſo herunter?

Vetter Hans.

Die Zeiten ſeyn darnach. Wer kann doch luſtig ſeyn, Der Krieg iſt noch nich gar; und nach dem prophezeyn Soll er ſich eher nich als in fuͤnf Jahren ſchluͤßen. Wie vielmal wird man da noch Haber liefern muͤßen; Und Haber nich allein auch Stroh und Heu und Korn.

Ohrte.

Wer kann ſich helfen, wanns der liebe Goot im Zorn Nu ſo beſchloſſen hat, ſo muͤßen wir es tragen. Doch jo fuͤrwohr! du darfſt dich uͤbern Krieg beklagen;377 Die andre Woche trug ich Butter in die Stadt, Da laß des Buͤrgers Frau das Breßlau’r Zeitungsbladt, Da magſt dus glaͤuben hat mich durch und durch gefroren. Die Ruſſen do ſie nu die große Schlacht verloren Die haben auf der Flucht das Muͤthel ſich gekuͤhlt. Man ſpricht daß der Coſack nur wie a Ochſe fuͤhlt, Un wannn a nich wie wir im Ausſahn menſchlich waͤre So daͤchte man a waͤr die Zucht von Zeidelbaͤre, Und wie geſoht a Ruß, der muß kei Menſch nicht ſeyn Sunſt kaͤm ihm doch auch mohl a bißel Mitleid ein Sonſt wuͤrd a nimmermehr ſo ſengen und ſo brennen Und ſo den armen Baur das Saamkorn naͤhmen koͤnnen. Bedenk dirs nur a mahl wie dir zu muthe waͤr, Wenn ſulch a Feind nu kaͤm der deine Scheuren leer Und deine Speicher rein von Gruͤz und Graupe machte, Dich ſchaͤndlich pruͤgelte, und wenn du flenteſt lachte, Dir Kuͤh und Kaͤlber naͤhm; und Ochſen von dem Pflug Dir fuͤr die Koͤpfe ſchluͤg, und dich den groͤſten Krug Dan du im Hauſe haͤttſt, mit Brandwein fuͤllen hieße, Und dir dan lezten Rock glat von dem Buckel riße. Jo lieber Vetter Hans die Breßla’ur Zeitung ſoht Es a Volk was niſcht nach Goot nach Menſchen froht, Sie laßen einen nich a mohl das Hemd am Leibe; Und mancher Man der muß mit ſeinem jungem Weibe Su was beginnen ſahn was ſich nu gar nich ſchickt,A a 5378Man redt nich gern davon. Und wirklich man erſchrickt, Wenn man die Dinge hoͤrt, es gar nich zum lachen, Sie ſolns a wing zu arg mit jungen Frovolk machen. Du Vetter Hans du haſt och noch a huͤbſches Weib, Die waͤr fuͤr den Coſack a bißel Zeitvertreib, Du argerteſt dich naͤrſch, und das in einer Stunde.

Hans.

Mit einer Senſe hieb ich ſieben ſolche Hunde Recht in die Mitten duach. Muhm Ohrte, hohl mich Goot Mir ſolten nimmermehr a ſolch verdammter Spoot Vom boͤſen Volk geſchehn, was? mir mein Weib zu ſchaͤnden? Zehn Kerls die muͤſten erſt vor mir das Leben enden. Denn die ich nich erhieb, die ſpieſt ich an die Wand.

Ohrte.

Du armer Stuͤmper du, redſt wie Hans Unverſtand. Der Muſkowitter fragt dir viel nach deiner Senſe A naͤhme dir dein Weib, und wenn du funfzehn Haͤnſe Die auch ſo patzig thun noch zu Gehuͤlfen naͤhmſt, Und wenn du hundertmal mit deiner Gabel kaͤmſt, Wie wuͤrd a das Gewehr dir an dan Schaͤdel ſetzen, Sein Saͤbel wuͤrde dir das kluge Maul zu fetzen, Denn wo viel Hunde ſind da der Haaſen Todt. Der liebe Goot bewahr uns weiter fuͤr der Noth, Wir ſitzen hier gewiß noch wie im Roſengarten379 Du kanſt dein Ackerwerk wie ſichs gehoͤrt abwarten, Dort in den Laͤndern wo der Krieg ſich tummeln geht, Da pfluͤgt, da ſaͤt man nich; und was im Felde ſteht Iſt fuͤr die Reuterey, es ab zu furagiren.

Hans.

Wans ſo darf mans nich erſt in die Scheune fuͤhren. Doch Spaß bei Seit geſetzt, Muhm Ohrte du redſt wahr, Der gar zu ſchwere Krieg der kruͤmmt uns noch kei Haar, A kommt uns dann und wan nur ſo a bißel nekken; Verwichen kamen uns die Rußen och erſchroͤcken, Doch haben wir da Schroͤck nich ſunderlich gefuͤhlt, Es kam uns nur ſo fuͤr als wan ſichs Wetter kuͤhlt. Denn Gott ſey Lob und Dank! ſie ſeyn noch nich gekommen Und haben uns von Stroh die Betten weggenommen; Ich kann in Sicherheit noch meine Furchen ziehn Und wenn ich hintern Pflug mich heiſcher gnug geſchrien, Da denk ich Abends dann auch an das Ausgeſpanne, Da fahr ich heim, und dann kommt meine liebe Anne Und lacht mich freundlich an, und dreymal ſtreichelt ſie Mich um das Kinn herum, und macht daß ich die Muͤh Die mir der Pflug gemacht ſchon halb und halb vergeße, Nu wird der Tiſch gedeckt, ich ſetze mich und eße Mei Kaͤſenbrod mit ihr, und meinen Hirſchebrey Und eine dicke Milch, das ſeyn der G’richte drey, Die ſchmecken mir und ihr ſo gut und zehnmal beßer380 Als in der großen Stadt dem Leckerbißel Eßer Das ausgeſchlurfte Ding, wie heſts doch immer mehr? Wie wul ich mag es nich, denn mir graut viel zu ſehr. A ſulcher Schnecken-Fraß nicht fuͤr unſer einen, Der Staͤdter ſpuͤlt ſichs ab mit theuren Unger Weinen. Ich wull ſo ſatt wie er trink Waſſer aus dem Quell, Das ſchmeckt aufs Kaͤſenbrodt und ſo klar und hell, Als wie der Himmel am ſchoͤnen Fruͤhjahr Morgen, Ich trinke mich nich krank, und keiner Schulden Sorgen Die ſchleichen mir a nach bei dem zu Bettegehn; Und nu thut Annel erſt mit mir recht wunderſchoͤn. So muͤd als ich auch bin ſo kan ſie doch nicht laßen, Sie muß mit ihren Arm mich um den Naken ſaßen. Wie lucker thut mir das, mich ſchlaͤffert wull recht ſehr, Sie aber guſchelt mich und ſchmeichelt immer mehr, Bis ich ihr gute Nacht mit großem Schmunzeln ſage, Und nu verſchlafen wir des Tages Laſt und Plage. Wir ſchnarchen ungeſtoͤrt, kein Krieg und Kriegsgeſchrei Weckt mich und ſie vom Schlaf, der Morgen kommt herbei. Der Haushahn kraͤht zweimal und macht daß wir er - wachen, Ich gaͤhn a mal und heiß mei Annel Licht anmachen. Sie a flinkes Weib, kaum hab ich ausgeredt So ſpringt ſie eichel ganz und munter aus dem Bett. Ich fahr ihr hurtig nach, und bet a Morgen-Seegen,381 So kurz als moͤglich ; denn unſers Herr-Goots wegen Verwendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Goot! wir ſeyn Zum Flegel nur gemacht, und zu den Picheleyn. Doch ihm auch vielleicht das kurze Stoßgebethe Wohl angenehmer noch als wenn ich heilig thaͤte, Als wie der Staͤdter thut, ders Auge wie a Kalb Im Kopfe rummer draͤht, und doch ſei Harze halb An ſeinen Wucher haͤngt, und halb an die Dukaten, Wir Bauersleute thun was unſre Vaͤter thaten. Wir beten kurz und gut, und gehn zur Arbeit hin: Du kanſt mirs glaͤuben wenn ich in der Scheune bin Und nu den Flegel ſo mit beiden Armen ſchwenke, Daß ich bei jedem Schlag an lieben Goot gedenke. Und wenn der Flegel nu den Hunger hat erweckt, Dann fuͤhl ichs recht wie gut das warme Fruͤhſtuͤck ſchmeckt. Kein Talpatſch, kein Pandur und wie ſie alle heißen, Kommt nicht um mir das Brodt vom Maule weg - zureißen. Ich habe Ruh und Brodt.

Ohrte.

J ja! erkenſt dus nu? Vor hingſt du jo den Kopf als wenn du keine Ruh Und keinen Bißen Brodt mehr in der Huͤtte haͤtteſt, Als wenn du mit der Flucht dich fuͤr den Feinde retteſt. Ja unſer Herr Goot machts euch Leuten keinmal recht,382 Es waͤr kein Wunder nich daß er euch ſtrafen moͤcht. Ihr ſeyd wohl blind und taub und gar von Sin - nen kommen, Sonſt ſaͤht ihrs ja daß er uns hat in Schutz genommen. Ihr ſchmaͤhlet auf den Krieg, da doch der Krieg nich kam Und euch durch Feur und Schwerdt noch das geringſte nahm. Das bißel Liefern nu alles was ihr traget Woruͤber ihr nu gar a ſu abſcheulich klaget; Doch keiner ſo klug, und keiner denket dran, Daß oft der Kuͤnig kaum fuͤr Sorge eßen kann. Och lieber Vetter Hans es nich auszuſogen, Wie vielen Kummer och der große Herr muß trogen, Er hat dir meiner Seel nich eine Stunde Ruh, Wie manche Nacht thut er wohl nich a Auge zu. Gedenk dir nur einmal, Er ſchlug die Mußcowitter Und trieb ſie von uns weg als wie a ſchwer Gewitter Zuruͤck getrieben wird, wenns Goot dem Winde ſogt, Daß a wo anders hin die ſchwarzen Wolken jogt. Und als Er fertig war muſt Er ſich jaͤhlig wenden, Er ging nach Sachſen zu. Er muß an allen Enden Mit an der Spitze ſeyn. Denn wo der Kuͤnig ſteht, Da weis man ſchon wie gut die ganze Sache geht.

Hans.

Ach ja es geht ju doch nicht allemal zum beſten, Den geſtern hoͤrt ich was von unſers Scholzes Gaͤſten;383 Sie kamen aus der Stadt bey ihn zur Kuͤrmes raus, Doch ſie erzaͤhlten ihm die Sache nicht recht aus. Von Oeſterreichern wars und och vom Ueberfalle, Und do ich horchen wolt do wor das Ding ſchon alle.

Ohrte.

Ho, ho wenns ſunſt niſcht , das Ding mir ſchon alt, Und ich vergaß es nur, ſonſt haͤtt ich dir es bald Von Anfang her erzaͤhlt, ich will dirs nur noch ſogen: Bey tage wolte ſich kein Oeſterreicher ſchlogen. Im Finſtern kamen ſie; ſo wie in mancher Nacht Der Marder ſich a Loch an meiner Schwelle macht, Und durchgekrochen komt die Huͤhner todt zu beißen, Sie krochen uf den Bauch ins Lager zu den Preußen, Da alles noch im Zelt und tiefem Schlafe lag, Doch wacker wurden ſie bezahlet auf den Tag. Gevatter Urßels Mann der hat es hergeſchrieben, Daß gar a ſchmaͤhlich Volk auf den Plaz geblieben, Viel Todten lagen da und niſcht gewonnen ſie, Und gleichwohl thun ſie dick, es lohnt ſich fuͤr die Muͤh. Das kommt mir bald ſo fuͤr als wie vor vierzehn Tagen Des Kretſchmers Knecht im Schlaf da Hofeknecht ge - ſchlagen. A ſchlug ihn nur a mal, und der ſprang auf und ſchlug Des Kretſchmers Knecht daß man ihn auf der Trage trug. Ich daͤchte, wenn ſie ſtill von ihren Thaten ſchwiegen,348[384] Durch Großthun werden ſie die Schleſge doch nich kriegen. Es waͤr och gar nicht gut, doch das laͤſt Goot nich zu, Gelt, lieber Vetter Hanß, du denkſt doch och a ſu?

Hanß.

J freilich denck ich ſu, denn wenns Goot wollen haben, So haͤtte ja der Krieg die Preuſſen ſchon begraben. Das gar nich erhoͤrt, daß ſich a einzger Mann, Der eine Crone traͤgt, mit fuͤnfen ſchlagen kann, Und immer Plaz behaͤlt. Das Schlagen waͤhrt ſo lange, A paar mahl kam a och ſchun ziemlich ins Gedrange. Doch eh man ſichs verſoh kam Kuͤnig Friedrich rauß, Und trieb ſie fuͤr ſich her; als wie jezund ums Haus Der Wind die Blaͤtter treibt, die von dem Birnbaum fielen.

Ohrte.

Sie purzeln fuͤr ihn hin wie Aepfel mit den Stielen, Wenn zu der Erndtezeit a ſtarker Regen gieſt, Und wenn a grau Gewoͤlk mit weißen Kugeln ſchießt. Es kan nicht anders ſeyn Goot auf ſeiner Seite, Sonſt ſchaft ers nimmermehr. Das ſprechen alle Leute, Die klug und ehrlich ſeyn.

Hanß.

Ich ſprech es ſelber auch; Du Muhme kennſt mich ſchon, es nich mei Gebrauch, Daß ich ſchmaruzen kann, ich rede wie ichs meine,Mei385Mei Herz wie mei Maul natuͤrlich wie das deine. Bey meiner Guͤte ju, mei Herze ſoht es mir, Daß unſer Herr Goot ſelbſt des Kuͤnigs Sache fuͤhr.

Ohrte.

J ja der Kuͤnig fuͤhrt des lieben Gottes Sache, Druͤm laͤſt ers nich geſchan daß man ihn klener mache.

Hanß.

Das muß och nich geſchan; wenn wir wolln Gott vertraun, Der wird des Kuͤnigs Stuhl vielleicht noch groͤßer baun.

Ohrte.

Das war doch noch a Wort, nu bin ich Vetter Hanßen Auch noch a mahl ſo gut, nu ſoll a ſeinen Banßen Noch groͤßer muͤßen baun, wenn wieder Erndte iſt. Doch ſog mirs Vetter Hans ob du nich hungrig biſt. Mit dem Geſchwaͤtze hat man ja das bißel Eßen Was dort im Ofen ſteht gar rein in Todt vergeßen, Ich werde Kraut uf thun.

Hans.

Nei laß ihn ſtehn a Topf, Die Kirmes ſteckt mir noch im Magen und in Kopf, Erſt geſtern hat ſie ſich in unſern Dorf beſchloßen. Muhm Ohrte hoͤr nur her es hat mich recht verdroßen, Daß du auch nich a mahl zu mir zur Kirmes kahmſt.

Ohrte.

Das dacht ich daß du mirs recht ſehr fuͤr uͤbel nahmſt,B b386Doch lieber Vetter Hans ich hat dirs nich verſprochen Du weiſt doch daß ich erſt vor fuͤnf und zwanzig Wochen Den Mann begraben lies, und ſo verlaſſen blieb, Das Leben ſelber mir vielmal nich mehr lieb. Man iſt ſei bißel Brodt nu ſo allein mit Thraͤnen, Wie ſulte man ſich doch nach Kirmes-Gaͤngen ſehnen.

Hans.

Was das fuͤr Poßen ſeyn du wunder liches Ding, Di Kirmes die vertreibt die Grillen noch a wing. Du biſt noch[jung] und glauch, du wirſt doch ſo nich bleiben? Wer tauſend wuͤrde dir die lange Zeit vertreiben. Ich glaͤube gar du flennſt, a ſcham dich doch ins Herz, Wer todt der todt.

Ohrte.

Ach mir kann menen Schmerz Und meine Traurigkeit niſcht uf der Welt vertreiben, Mir ſtarb a lieber Man ich muſt alleine bleiben, A Man ſo friſch und roth voll wie a voller Mond, Wie Kinder haben wir beyſammen ja gewohnt. Ach die fuͤnf viertel Jahr die gingen wie fuͤnf Tage Ja wie fuͤnf Stunden hin, ich hatte keine Klage. Wie gut war der Begang, was ich wolt wolt auch er, Es war als wenns ei Herz und eine Seele waͤr. 387A ſah mich manchmal an was ich fuͤr Augen machte,[Und] wußt dirs uffen Taußt das was ich wuͤnſcht und dachte.

Hans.

A war ne gude Haut, doch laß ihn im - mer ruhn Und eh du um den Man dir ſult a Leid anthun, Eh wuͤſt ich andern Rath.

Ohrte.

Ach Vetter ſtillgeſchwiegen, Das was verloren das werd ich nich mehr kriegen.

Hans.

Nu nu kumt Zeit kumt Rath, ufs Neu - jahr haſt du mich, Gewißlich wieder hie, nu Goot bewahre dich, Bleib huͤbſch geſund.

Ohrte.

O nein ſo war ſie nich die Wette, Ich daͤchte wenn man vor a wing gegaßen haͤtte.

Hans.

Muhm Ohrt es ſo gut als wenn es war geſchahn. Bei Freunden ſucht man nur a G’richte gern geſahn. Mich hungert wirklich nich ich mag nich einen Bißen.

Ohrte.

Dein Eigenſinn der iſts, ich muͤſt es gar nich wiſſen. Nu nimm das Maßer raus, geh nicht ungeßen fort.

Hans.

Ich daͤcht du kenteſt mich und daß bei mir a WortB b 2388So viel als tauſend gilt, laß mich doch nich erſt ſchwoͤren, Genug ich eße nich und wenns Lampreten waͤren, Bleib nur derweil geſund.

Ohrte.

kein erhalten mehr, So kumm ufs neue Jahr ich bitte dich recht ſehr. Wenn du zu Hauſe kumſt ſo gruͤße mir ganz ſchoͤne Dei Annel, und dernach auch die Gevatter Lehne.

Hans.

Gevatter Lehne hat jezunder einen Gaſt, Allein a ihr lieb, a wird ihr nich zur Laſt. Ihr Bruder Martin iſts, du wirſt ihn doch wohl kennen, Die Menſcher ſitzen uft a ganzen Abend flennen, Wenn a vom Krieg erzaͤhlt, denn a beſchreibt diers recht.

Ohrte.

J machſt du doch daß ich ihn ſelber hoͤren moͤcht.

Hans.

Wer weis bring ich ihn nich aufs neu Jahr mit Muhm Ohrte,

Ohrte.

Topp, lieber Vetter Hans, ich halte dich beym Worte.

389

Die goͤttliche Vorſehung.

Sey mein Geſang, du, die von Ewigkeit
Mit Jubelſchall die Morgenſterne lobten,
Allſehende! die eher als die Zeit
Und eher war als Meer und Kriege tobten,
Durchdringe du mit deiner Wahrheit Licht
Den dicken Schley’r, vor die Vernunft gebreitet,
Und ſey du ſelbſt mein großer Unterricht,
Wenn ſich mein Herz zu deinem Lob bereitet.
Dich laͤugnet frech der Unſinn und der Spott,
Der Wurm, den du aus ſeinem Nichts gezogen;
Die Luͤſte ſind ſein Himmel und ſein Gott,
Und in ihm baut das Laſter Ehrenbogen.
Sein duͤſtrer Wahn der taumelt blind vorbey,
Und die Natur wird nicht von ihm gehoͤret,
Die doch von dir mit zeugendem Geſchrey,
Mit Harmonie und tauſend Zungen lehret.
Eh du die Welt voll Ordnung und voll Pracht
Hervorgeruft und Menſchen werden ließeſt,
Noch ehe du den Staub beſeelt gemacht
Und ihn den Rang nach Engeln nehmen hießeſt,
Da lagen ſchon Jahrhunderte vor dir.
Du ſahſt das Buch der Weltbegebenheiten,
Und nannteſt ſchon die Menſchen, die in ihr
Wie Goͤtter ſeyn und auf die Thronen ſchreiten!
Eh die Natur in ihre Werkſtatt ging,
Und Gold und Stein den Glanz zu Kronen machte;
390
Eh Purpur noch um eine Schulter hing,
Und eh der Pomp den Herrſchern Laſten brachte,
Da kannteſt Du die Herrſcher und die Laſt,
Und Voͤlker, die ſich vor dem Scepter beugen:
Dein war das Heft, das der Regente faßt,
Du gabſt es ihm, um deine Macht zu zeigen.
Gemeßne Graͤnzen ſetzteſt du dem Meer;
Das Meer gehorcht, dich hoͤrt die ſtolze Welle,
Im Ungewitter brauſte ſie daher;
Sie ſtuͤrzt zuruͤck und uͤber ihr wirds helle!
So ſetzeſt du dem Uebel in der Welt
Den Graͤnzſtein hin. Es kennet ihn und ſchreitet
Nicht weiter fort. Sobald es dir gefaͤllt,
Bricht Schwerdt und Spieß, und Ruhe wird verbreitet.
Dein Griffel ſchrieb des Schickſals Tafeln voll
Dem hellſten Wiz der Sterblichen verborgen,
Steht alles da, was hier geſchehen ſoll;
Des Menſchen Gluͤck, Vergnuͤgen, Noth und Sorgen,
Kein Ohngefaͤhr macht unſre Fluren reich:
Kein Zufall bringt den Mangel und die Fuͤlle,
Nicht Kunſt, nicht Fleiß macht unſre Aecker weich;
Die Wolke thuts, und ihr befiehlts dein Wille.
Dich nennt der Blitz: der Donner nennt dich laut,
Und hoͤret ſich den Abgrund Antwort geben.
Die naſſe Pracht, die aus der Wolke thaut,
Laͤßt deinen Ruhm am kleinſten Graſe kleben;
Ein tauſendfarbig Thal lacht dir zum Preis;
Der Vogel ſingt, daß er dein Loblieb ſinge,
Die Schloſſe rauſcht; der Nordwind athmet Eis
Auf dein Gebot, Regiererin der Dinge!
391
Dich ſtille Gottheit prediget der Glanz,
Der uͤber uns in Feuermeeren brennet,
Der weite Raum du uͤberſiehſt ihn ganz,
Und du erfuͤllſt den Himmel, der dich nennet
Er nennet dich, du namenloſe Macht!
Von dir erzaͤhlt der Morgen aller Tage:
Und ſtill erſcheint die ſtrahlenloſe Nacht
Daß ſie dein Lob mit tauſend Sternen ſage.
Ich hoͤre ſie und denk an jene Nacht,
In der ich lag, da du mich werden hießeſt;
Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht.
Ich lebe noch, weil du mich leben ließeſt.
Dein war der Tag, der meine Kindheit ſah,
Dein waren ſie, die andern die ich zaͤhlte,
Vor deinen Blick ſteht ſchon mein letzter da,
Den deine Wahl zum Sterbetage waͤhlte.
Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth,
Erhaͤlt von dir den Biſſen, den er iſſet.
Du giebſt das Gluͤck, das jedem wiederfaͤhrt,
In einem Maaß, das deine Weisheit miſſet.
Dem giebſt du viel des innerlichen Lichts;
Und jenem viel von Guͤtern dieſer Erde;
Der haͤuft das Gold, und Tauſenden gebrichts.
Doch keiner lebt, der nicht geſaͤttigt werde.
Oft iſt um mich der Sorgen Mitternacht
Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen,
Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht,
Du haͤtteſt mir nur Elend zugewogen.
Doch du befahlſt, und ſchnell verflog die Noth,
Wie uͤber uns die Wetterwolken fliehen,
392
Die nur geblitzt, und dann auf dein Gebot
Mit Guß und Schlag zu oͤden Waͤldern ziehen.
Noch eh die Hand und dieſe Nerve ward,
Die ſich itzt regt, wenn ich dein Lob beſchreibe,
Da ſahſt du ſchon mein Gluͤck und ſeine Art,
Wie wenig treu es meinen Tagen bleibe.
Du ſahſt den Weg, der mich nach deinem Rath
Durch Kruͤmmungen und Thaͤler ſollte leiten.
Und eh mein Fuß in Labyrinthe trat,
Gabſt du mir Muth, um herzhaft fortzuſchreiten.
Unendliche! du gabſt mir dieſen Geiſt,
Und dieſe Ruh, mit der er iſt durchdrungen,
Die ſtolz auf dich dem Gram die Stirne weiſt,
Und izt aus mir dein Loblied hat geſungen.
Du gabſt mir dieſes Herz, das deine Huld
In meinem Brodt und Waſſer ſchmeckt und fuͤhlet.
Und nie empoͤrt in mir die Ungeduld
Den Wunſch nach dem, wornach die Habſucht wuͤhlet.
Mein Gluͤck ſey klein, mir iſt es dennoch groß;
Es koͤmmt von dir, ich kuͤß es deinetwegen.
Mir faͤllt vielleicht auch noch ein lieblich Loos;
Vielleicht ergießt aus deiner See von Seegen,
Die grundlos iſt, ſich noch ein Bach auf mich.
Doch haſt du mir nichts weiter aufgehoben,
So gieb mir nur Zufriedenheit durch dich,
Und ſey mein Lied auf Erden und dort oben.

Ende.

[393]

Berichtigungen.

Lebenslauf.

  • Seite 7 Zeile 15 ſtatt theils in ihre Kehle ꝛc. ; in ihrer Kehls.
  • 8 in der Note lies ſtatt von, vor jedem ꝛc.
  • 9 14 ſtatt in allen, in Allem.
  • 29 14 ſtatt vor ſie, fuͤr ſie.
  • 38 5 ſtatt dieſem, ihrem.
  • 89 22 ſtatt in dem, in den.
  • 91 12 ſtatt unermeßlich, unvergleichlich.
  • 96 8 ſtatt fremder, fremden.
  • 102 18 ſtatt immer, innen.
  • 112 16 ſtatt der, Ihr Wunſch.
  • ganz unten leſe man: den ſuͤßen Glauben an Freund - ſchaft.
  • 118 Zeile 19 ſtatt unglaublich, ungeduldig.
  • 121 ſechste Zeile von oben, lies: Andenkens-Taſſe.
  • 127 19 ſtatt Reichsgrafen, regierenden Grafen. Gedichte.
  • 47 1 ſtatt Herr, Heer.
  • 57 4 ſtatt Wolfenbuͤttel, Luͤneburg.
  • 160 15 ſtatt ſondern, ſonder.
  • 252 9 leſe man: betrachten ſtand er ꝛc.
  • 281 17 ſtatt Ordnung, Unordnung.
  • 18 ſtatt eleganteſten, alabaſternen ꝛc.
  • 285 8 ſtatt Thraͤnen, Thraͤnen. Statt Seite 301 leſe man 287.
  • 303 1 ſtatt Juͤnks, Junkes.
  • 304 7 ſtatt Taue, Thaue.
  • 307 12 ſtatt danken, denken.

About this transcription

TextGedichte von Anna Louisa Karschin geb. Dürbach
Author Anna Luise Karsch
Extent555 images; 70564 tokens; 13990 types; 472677 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGedichte von Anna Louisa Karschin geb. Dürbach Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauf herausgegeben von ihrer Tochter E. E. v. Kl. geb. Karschin Anna Luise Karsch. Caroline Luise von Klencke (ed.) . [1] Bl., XXIV, 128, 392 S., [1] Bl. DieterichBerlin1792.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yl 4801<a> (RARA)http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=546658601

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; china; women

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