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Copyright 1898 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Zu meinem Nachfolger in Paris war Graf Robert von der Goltz ernannt worden, der ſeit 1855 Geſandter in Athen, Conſtantinopel und Petersburg geweſen war. Meine Er¬ wartung, daß das Amt ihn diſciplinirt, der Uebergang von der ſchriftſtelleriſchen zu einer geſchäftlichen Thätigkeit ihn praktiſcher, nüchterner gemacht und die Berufung auf den derzeit wichtigſten Poſten der preußiſchen Diplomatie ſeinen Ehrgeiz befriedigt haben würde, ſollte ſich nicht ſogleich und nicht völlig erfüllen. Am Ende des Jahres 1863 ſah ich mich zu einer ſchriftlichen Erörterung mit ihm genöthigt, die leider nicht vollſtändig in meinem Beſitz iſt; von ſeinem Briefe vom 22. December, welcher den unmittelbaren Anlaß dazu gab, iſt nur ein Bruchſtück vorhanden1)S. Bismarck-Jahrbuch V 231 f., und in der Abſchrift meiner Antwort fehlt der Eingang. Aber auch ſo hat dieſe ihren Werth als Schilderung der damaligen Situation und als Beleuchtung der daraus hervorgegangenen Entwicklung.
„ Berlin, den 24. December 1863.
... Was die däniſche Sache betrifft, ſo iſt es nicht möglich, daß der König zwei auswärtige Miniſter habe, d. h. daß derOtto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 12Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. wichtigſte Poſten in der entſcheidenden Tagesfrage eine der mini¬ ſteriellen Politik entgegengeſetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die ſchon übermäßige Friction unſrer Staatsmaſchine kann nicht noch geſteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerſpruch, ſobald er aus ſo competenter Quelle wie die Ihrige hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieſer Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine Majeſtät mir dies zumuthen ſollte, aus meiner Stellung ſcheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorleſung eines Ihrer jüngſten Be¬ richte geſagt; Seine Majeſtät fand meine Auffaſſung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr feſthalten. Berichte, welche nur die miniſteriellen Anſchauungen wiederſpiegeln, erwartet niemand; die Ihrigen ſind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, ſondern nehmen die Natur miniſterieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengeſetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem geſammten Miniſterium im Conſeil ſelbſt beſchloſſen und ſeit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl ſagen ſcharfe, wenn nicht feindſelige Kritik dieſes Entſchluſſes iſt aber ein andres Miniſterprogramm und nicht mehr ein geſandſchaftlicher Bericht. Schaden kann ſolche kreuzende Auffaſſung allerdings, ohne zu nützen; denn ſie kann Zögerungen und Unentſchiedenheiten her¬ vorrufen, und jede Politik halte ich für eine beſſere als eine ſchwankende.
Ich gebe Ihnen die Betrachtung vollſtändig zurück, daß eine ‚ an ſich höchſt einfache Frage preußiſcher Politik‘ durch den Staub, den die däniſche Sache aufrührt, durch die Nebelbilder, welche ſich an dieſelbe knüpfen, verdunkelt wird. Die Frage iſt, ob wir eine Großmacht ſind oder ein deutſcher Bundesſtaat, und ob wir, der erſtern Eigenſchaft entſprechend, monarchiſch oder wie es in der zweiten Eigenſchaft allerdings zuläſſig iſt, durch Profeſſoren, Kreis¬ richter und kleinſtädtiſche Schwätzer zu regiren ſind. Die Jagd hinter dem Phantom der Popularität ‚ in Deutſchland‘, die wir ſeit den vierziger Jahren betrieben, hat uns unſre Stellung in3Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage. Deutſchland und in Europa gekoſtet, und wir werden ſie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben laſſen in der Meinung, ihn zu lenken, ſondern nur dadurch, daß wir feſt auf eignen Füßen ſtehn und zuerſt Großmacht, dann Bundes¬ ſtaat ſind. Das hat Oeſtreich zu unſerm Schaden ſtets als richtig für ſich anerkannt, und es wird ſich von der Komödie, die es mit deutſchen Sympathien ſpielt, nicht aus ſeinen europäiſchen Allianzen, wenn es überhaupt ſolche hat, herausreißen laſſen. Gehn wir ihm zu weit, ſo wird es ſcheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitſchreiben, aber die 20 Procent Deutſche, die es in ſeiner Be¬ völkerung hat, ſind kein in letzter Inſtanz zwingendes Element, ſich von uns wider eignes Intereſſe fortreißen zu laſſen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und ſeine Richtung in die europäiſche Stellung zu finden wiſſen, ſobald wir dieſelbe aufgeben. Die Schmerlingſche Politik, deren Seitenſtück Ihnen als Ideal für Preußen vorſchwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unſre von Ihnen im Frühjahr ſehr lebhaft bekämpfte Politik hat ſich in der polniſchen Sache bewährt, die Schmerlingſche bittre Früchte für Oeſtreich getragen. Iſt es denn nicht der vollſtändigſte Sieg, den wir erringen konnten, daß Oeſtreich zwei Monate nach dem Reformverſuch froh iſt, wenn von demſelben nicht mehr geſprochen wird, und mit uns identiſche Noten an ſeine frühern Freunde ſchreibt, mit uns ſeinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde ſich nicht majoriſiren laſſen? Wir haben dieſen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens ſtrebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oeſtreich hat unſer Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich ver¬ höhnte; es hat die preußiſche Allianz ſtatt der Würzburger geſucht, empfängt ſeine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den Rücken kehren, ſo ſtürzen wir das Miniſterium. Es iſt noch nicht dageweſen, daß die Wiener Politik in dieſem Maße en gros et en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei ſind wir von Frankreich geſucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unſre4Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr ſeit 20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichſte Iſolirung wegen unſrer polniſchen Politik prophe¬ zeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinſtaaten in die Arme zu werfen, ſo wäre das die elendeſte Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geſchoben ſtatt zu ſchieben; wir würden uns auf Elemente ſtützen, die wir nicht beherrſchen und die uns noth¬ wendig feindlich ſind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚ deutſchen öffentlichen Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas ſteckt, was uns in einer Unions - oder Hegemonie-Politik ſtützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantaſie¬ gebilde. Unſre Stärkung kann nicht aus Kammern - und Pre߬ politik, ſondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervor¬ gehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um ſie in falſcher Front und für Phraſen und Auguſtenburg zu verpuffen. Sie überſchätzen die ganze däniſche Frage und laſſen ſich dadurch blenden, daß dieſelbe das allgemeine Feldgeſchrei der Demokratie geworden iſt, die über das Sprachrohr von Preſſe und Vereinen diſponirt und dieſe an ſich mittelmäßige Frage zum Mouſſiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienſtzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holſtein. Wie ſahn Sie ſelbſt die europäiſche Lage im Sommer an? Sie fürchteten Ge¬ fahren jeder Art für uns und haben in Kiſſingen kein Hehl ge¬ macht über die Unfähigkeit unſrer Politik; ſind denn nun dieſe Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich ge¬ ſchwunden und ſollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Auguſtenburg, geſtützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich ſtark genug ſein, alle vier Gro߬ mächte zu brüskiren, und ſind letztre plötzlich ſo gutmüthig oder ſo machtlos geworden, daß wir uns dreiſt in jede Verlegen¬5Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage. heit ſtürzen können, ohne etwas von ihnen zu beſorgen zu haben?
Sie nennen es eine ‚ wundervolle‘ Politik, daß wir das Gagernſche Programm ohne Reichsverfaſſung hätten verwirklichen können. Ich ſehe nicht ein, wie wir hätten dazu gelangen ſollen, wenn wir im Bunde mit den Würzburgern, auf deren Unter¬ ſtützung angewieſen, Europa hätten beſiegen müſſen. Entweder ſtanden die Regirungen uns ehrlich bei, und der Kampfpreis war ein Großherzog mehr in Deutſchland, der aus Sorge für ſeine neue Souveränetät am Bunde gegen Preußen ſtimmt, ein Würzburger mehr; oder wir mußten, und das war das Wahr¬ ſcheinlichere, unſern Verbündeten durch eine Reichsverfaſſung den Boden unter den Füßen wegziehn und dennoch dabei auf ihre Treue rechnen. Mißlang das, wie zu glauben, ſo waren wir blamirt; gelang es, ſo hatten wir die Union mit der Reichsver¬ faſſung.
Sie ſprechen von dem Staatencomplex von 70 Millionen mit einer Million Soldaten, der in compacter Weiſe Europa trotzen ſoll, muthen alſo Oeſtreich ein Aushalten auf Tod und Leben bei einer Politik zu, die Preußen zur Hegemonie führen ſoll, und trauen doch dem Staate, der 35 dieſer 70 Millionen hat, nicht über den Weg. Ich auch nicht; aber ich finde es für jetzt richtig, Oeſt¬ reich bei uns zu haben; ob der Augenblick der Trennung kommt und von wem, das werden wir ſehn. Sie fragen: wann in aller Welt ſollen wir denn Krieg führen, wozu die Armeereorganiſation? und Ihre eignen Berichte ſchildern uns das Bedürfniß Frankreichs, im Frühjahr Krieg zu haben, die Ausſicht auf eine Revolution in Galizien daneben. Rußland hat 200000 Mann über den polniſchen Bedarf auf den Beinen und kein Geld zu Phantaſie-Rüſtungen, muß alſo muthmaßlich doch auf Krieg gefaßt ſein; ich bin es auf Krieg und mit Revolution combinirt. Sie ſagen dann, daß wir uns dem Kriege garnicht ausſetzen; das vermag ich mit Ihren eignen Berichten aus den letzten drei Monaten nicht in Einklang6Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weiſe kriegsſcheu, im Gegen¬ theil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conſervativ, wie gegen alle Phraſen; Sie werden ſich vielleicht ſehr bald über¬ zeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen ſtaatsmänniſch un¬ richtigen. Daß Sie dabei im Einverſtändniß mit Pfordten, Beuſt, Dalwigk und wie unſre Gegner alle heißen, ſich befinden, macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch zur conſervativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn der Bierhaus-Enthuſiasmus in London und Paris imponirt, ſo freut mich das, es paßt ganz in unſern Kram; deshalb imponirt er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß und wenig Groſchen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revo¬ lutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürſten, Stände und Länder, das europäiſche Recht wird eben durch europäiſche Tractate ge¬ ſchaffen. Wenn man aber an letztre den Maßſtab der Moral und Gerechtigkeit legen wollte, ſo müßten ſie ziemlich alle ab¬ geſchafft werden.
Wenn Sie ſtatt meiner hier im Amte wären, ſo glaube ich, daß Sie ſich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als ſo ausſchließlich, patriotiſch‘ anſehn, daß Sie die Freundſchaft darüber kündigen, ſehr bald überzeugen würden. So kann ich nur ſagen: la critique est aisée; die Regirung, namentlich eine ſolche, die ohnehin in manches Wespenneſt hat greifen müſſen, unter dem Beifall der Maſſen zu tadeln, hat nichts Schwieriges; beweiſt der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr, ſo iſt von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung Fiasco in Dingen, die menſchliche Einſicht und Wille überhaupt nicht beherrſchen, ſo hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergeſagt zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege ſei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politiſchen Einſicht; aber ich halte mich ſelbſt auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie7Differenz mit Goltz über Behandlung der Herzogthümerfrage. ſagen, dies ſei eine Selbſttäuſchung. Vielleicht ſteigen mein Patrio¬ tismus und meine Urtheilskraft in Ihrer Anſicht, wenn ich Ihnen ſage, daß ich mich ſeit 14 Tagen auf der Baſis der Vorſchläge befinde, die Sie in Ihrem Bericht Nro. — machen. Mit einiger Mühe habe ich Oeſtreich beſtimmt, die holſteiniſchen Stände zu berufen, falls wir es in Frankfurt durchſetzen; wir müſſen erſt darin ſein im Lande. Die Prüfung der Erbfolgefrage am Bunde erfolgt mit unſerm Einverſtändniß, wenn wir auch mit Rückſicht auf England nicht dafür ſtimmen; ich hatte Sydow ohne Inſtruction gelaſſen, er iſt zur Ausführung ſubtiler Inſtructionen nicht gemacht.
Vielleicht werden noch andre Phaſen folgen, die Ihrem Pro¬ gramm nicht ſehr fern liegen; wie aber ſoll ich mich entſchließen, mich über meine letzten Gedanken frei gegen Sie auszulaſſen, nach¬ dem Sie mir politiſch den Krieg erklärt haben und ſich ziemlich unumwunden zu dem Vorſatz bekennen, das jetzige Miniſterium und ſeine Politik zu bekämpfen, alſo zu beſeitigen? Ich urtheile dabei blos nach dem Inhalt Ihres Schreibens an mich und laſſe alles bei Seite, was mir durch Colportage und dritte Hand über Ihre mündlichen und ſchriftlichen Auslaſſungen in Betreff meiner zugeht. Und doch muß ich als Miniſter, wenn das Staatsintereſſe nicht leiden ſoll, gegen den Botſchafter in Paris rückhaltlos offen bis zum letzten Worte meiner Politik ſein. Die Friction, welche Jeder in meiner Stellung mit den Miniſtern und Räthen, am Hofe, mit den occulten Einflüſſen, Kammern, Preſſe, den fremden Höfen zu überwinden hat, kann nicht dadurch vermehrt werden, daß die Diſciplin meines Reſſorts einer Concurrenz zwiſchen dem Miniſter und dem Geſandten Platz macht, und daß ich die unentbehrliche Einheit des Dienſtes durch Diſcuſſion im Wege des Schriftwechſels herſtelle. Ich kann ſelten ſo viel ſchreiben wie heut in der Nacht am heiligen Abend, wo alle Beamte beurlaubt ſind, und ich würde an niemanden als an Sie den vierten Theil des Briefes ſchreiben. Ich thue es, weil ich mich nicht entſchließen kann, Ihnen amtlich und durch die Bureaus in derſelben Höhe des Tones zu ſchreiben,8Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. bei welchem Ihre Berichte angelangt ſind. Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen, aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienſtlichen Erfahrung und zu Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur Eine Politik auf einmal gemacht werden, und das muß die ſein, über welche das Miniſterium mit dem Könige einig iſt. Wollen Sie dieſelbe und damit das Miniſterium zu werfen ſuchen, ſo müſſen Sie das hier in der Kammer und der Preſſe an der Spitze der Oppoſition unternehmen, aber nicht von Ihrer jetzigen Stellung aus; und dann muß ich mich ebenfalls an Ihren Satz halten, daß in einem Conflict des Patriotismus und der Freundſchaft der Erſtre entſcheidet. Ich kann Sie aber verſichern, daß mein Patriotismus von ſo ſtarker und reiner Natur iſt, daß eine Freundſchaft, die neben ihm zu kurz kommt, dennoch eine ſehr herzliche ſein kann “1)Vgl. Bismarck-Jahrbuch V 232 ff. Goltzens Antwort auf dieſen Brief mit Bismarck's Randbemerkungen ſ. im Bismarck-Jahrbuch V 238 ff..
Die Abſtufungen, welche in der däniſchen Frage erreichbar erſchienen und deren jede für die Herzogthümer einen Fortſchritt zum Beſſern im Vergleich mit dem vorhandenen Zuſtande bedeutete, gipfelten m. E. in der Erwerbung der Herzogthümer für Preußen, wie ich ſofort nach dem Tode Friedrichs VII. in einem Conſeil aus¬ geſprochen habe. Ich erinnerte den König daran, daß jeder ſeiner nächſten Vorfahren — ſelbſt ſeinen Bruder nicht ausgenommen — für den Staat einen Zuwachs gewonnen habe, Friedrich Wil¬ helm IV. Hohenzollern und das Jahdegebiet, Friedrich Wilhelm III. die Rheinprovinz, Friedrich Wilhelm II. Polen, Friedrich II. Schleſien, Friedrich Wilhelm I. Altvorpommern, der Große Kur¬ fürſt Hinterpommern und Magdeburg, Minden u. ſ. w., und er¬ munterte ihn, ein Gleiches zu thun. In dem Protokolle fehlte dieſe9Möglichkeiten der Löſung bei Herzogthümerfrage. meine Aeußerung. Der Geh. Rath Coſtenoble, der die Protokolle zu führen hatte, ſagte, von mir zur Rede geſtellt, der König hätte gemeint, es würde nur lieber ſein, wenn meine Auslaſſungen nicht protokollariſch feſtgelegt würden; Seine Majeſtät ſchien geglaubt zu haben, daß ich unter bacchiſchen Eindrücken eines Frühſtücks ge¬ ſprochen hätte und froh ſein würde, nichts weiter davon zu hören. Ich beſtand aber auf der Einſchaltung, die auch erfolgte. Der Kronprinz hatte, während ich ſprach, die Hände zum Himmel er¬ hoben, als wenn er an meinen geſunden Sinnen zweifelte; meine Collegen verhielten ſich ſchweigend.
Wäre das höchſte Ziel nicht zu erreichen geweſen, ſo konnten wir trotz aller Auguſtenburgiſchen Verzichtleiſtungen auf die Ein¬ ſetzung dieſer Dynaſtie und die Herſtellung eines neuen Mittelſtaates eingehn, wenn die preußiſchen und deutſch-nationalen Intereſſen ſichergeſtellt wurden, die durch das Weſentliche der nachmaligen Februarbedingungen, Militärconvention, Kiel als Bundeshafen und den Nord-Oſtſee-Canal, gedeckt waren.
Wäre auch das nach der europäiſchen Situation und nach dem Willen des Königs nicht zu erreichen geweſen ohne Iſolirung Preußens von allen Großmächten einſchließlich Oeſtreichs, ſo ſtand zur Frage, auf welchem Wege für die Herzogthümer, ſei es in Form der Perſonalunion oder in einer andern, ein vorläufiger Abſchluß er¬ reichbar bliebe, der immerhin eine Verbeſſerung der Lage der Herzogthümer hätte ſein müſſen. Ich habe von Anfang an die Annexion unverrückt im Auge behalten, ohne die andern Abſtufungen aus dem Geſichtsfelde zu verlieren. Als die Situation, welche ich abſolut glaubte vermeiden zu müſſen, betrachtete ich diejenige, welche in der öffentlichen Meinung von unſern Gegnern als Programm aufgeſtellt war, d. h. den Kampf und Krieg Preußens für die Errich¬ tung eines neuen Großherzogthums, durchzufechten an der Spitze der Zeitungen, der Vereine, der Freiſchaaren und der Bundesſtaaten außer Oeſtreich, und ohne die Sicherheit, daß die Bundesregirungen die Sache auf jede Gefahr hin durchführen würden. Dabei hatte die10Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. in dieſer Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präſident Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beiſtande, den England dem iſolirten Preußen leiſten würde. Viel leichter als die engliſche wäre die franzöſiſche Genoſſenſchaft zu erlangen ge¬ weſen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den ſie uns vorausſichtlich gekoſtet haben würde. Ich habe nie in der Ueber¬ zeugung geſchwankt, daß Preußen, geſtützt nur auf die Waffen und Genoſſen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Frei¬ ſchaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfaſſung, ſich auf ein hoffnungsloſes Beginnen eingelaſſen und unter den großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich hätte den Miniſter als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die falſche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre, die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oeſtreich mit uns war, ſchwand die Wahrſcheinlichkeit einer Coalition der andern Mächte gegen uns.
Wenn auch durch Landtagsbeſchlüſſe, Zeitungen und Schützen¬ feſte die deutſche Einheit nicht hergeſtellt werden konnte, ſo übte doch der Liberalismus einen Druck auf die Fürſten, der ſie zu Conceſſionen für das Reich geneigter machte. Die Stimmung der Höfe ſchwankte zwiſchen dem Wunſche, dem Andringen der Liberalen gegenüber die fürſtliche Stellung in particulariſtiſcher und auto¬ kratiſcher Sonderpolitik zu befeſtigen, und der Sorge vor Friedens¬ ſtörungen durch äußere oder innere Gewalt. An ihrer deutſchen Geſinnung ließ keine deutſche Regirung einen Zweifel, doch über die Art, wie die deutſche Zukunft geſtaltet werden ſollte, ſtimmten weder die Regirungen noch die Parteien überein. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß Kaiſer Wilhelm als Regent und ſpäter als König auf dem Wege, den er zuerſt unter dem Einfluſſe ſeiner Gemalin mit der neuen Aera betreten hatte, je dahin gebracht worden wäre, das zur Erreichung der Einheit Nothwendige zu thun, indem er dem Bunde abſagte und die preußiſche Armee für die deutſche Sache einſetzte. Auf der andern Seite aber iſt es auch11Die öffentliche Meinung unter dem Einfluß des Liberalismus. nicht wahrſcheinlich, daß er ohne ſeine vorhergehenden Verſuche und Beſtrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in die er dadurch gerathen war, in die Wege zum däniſchen und damit zum böhmiſchen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürſten¬ congreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedentien nicht ein gewiſſes Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch bei dem Herrn zurückgelaſſen hätten, das ihm vor Olmütz fremd geweſen, ſeitdem aber die natürliche pſychologiſche Folge des Ver¬ langens geweſen war, für die ſeinem preußiſchen Ehrgefühl auf dem Gebiete der deutſchen Politik geſchlagene Wunde auf demſelben Gebiete Heilung und Genugthuung zu ſuchen. Die holſteiniſche Frage, der däniſche Krieg, Düppel und Alſen, der Bruch mit Oeſt¬ reich und die Entſcheidung der deutſchen Frage auf dem Schlacht¬ felde, in dieſes ganze Wageſyſtem wäre er ohne die ſchwierige Stellung, in die ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht eingegangen.
Es koſtete freilich noch 1864 viel Mühe, die Fäden zu löſen, durch welche der König unter Mitwirkung des liberaliſirenden Ein¬ fluſſes ſeiner Gemalin mit jenem Lager in Verbindung ſtand. Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge unterſucht zu haben, blieb er dabei: „ Ich habe kein Recht auf Holſtein. “ Meine Vorhaltung, daß die Auguſtenburger kein Recht hätten auf den herzoglichen und den Schaumburgiſchen Antheil, nie ein ſolches gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1721 und 1852 entſagt hätten, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit Preußen geſtimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holſtein aus Furcht vor preußiſchem Uebergewicht es mit Oeſtreich halten werde, machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieſer von zwei Meeren umſpülten Provinzen und meine geſchichtliche Erinne¬ rung in der Conſeilſitzung vom December 1863 auf das dynaſtiſche Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, ſo war auf der andern Seite die Vergegenwärtigung der Mißbilligung wirkſam, die der12Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. König, wenn er den Auguſtenburger aufgab, bei ſeiner Gemalin, bei dem kronprinzlichen Paare, bei verſchiedenen Dynaſtien und bei denen zu erwarten hatte, welche damals in ſeiner Auffaſſung die öffentliche Meinung Deutſchlands bildeten.
Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelſtänden Deutſchlands ohne Zweifel auguſtenburgiſch, in derſelben Urtheils¬ loſigkeit, welche ſich früher den Polonismus und ſpäter die künſtliche Begeiſterung für die battenbergiſche Bulgarei als deutſches National¬ intereſſe unterſchieben ließ. Die Mache der Preſſe war in dieſen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffent¬ liche Dummheit für ihre Wirkung ſo empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeiſter. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergeſtellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem ſich von ſelbſt ergebenden Berufe, ſich vor Preußen zu fürchten und es mit ſeinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchloſigkeit von allen denen betrachtet, welche ſeit 1848 ſich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgeſpielt hatten. Mein Reſpect vor der ſogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß geweſen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie ſtark die Anſchauungsweiſe des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegſchen Streberfraction imprägnirt war, beweiſt die Zähigkeit, mit der er an dem Widerſpruch feſthielt, in welchem das Oeſtreichiſch-Frankfurter-Auguſtenburger Programm mit dem preußiſchen Streben nach nationaler Einheit ſtand. Logiſch be¬ gründet konnte dieſe Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte ſie, ohne eine chemiſche Analyſe ihres Inhalts vorzunehmen,13Auguſtenburgiſche Sympathien. Schreiben Bethmann-Hollwegs. als Zubehör des Altliberalismus vom Standpunkt der frühern Thronfolgerkritik und der Rathgeber der Königin im Sinne von Goltz, Pourtalès u. ſ. w. überkommen. Ich greife in der Zeit vor, indem ich hier das letzte Lebenszeichen der Wochenblattspartei einſchalte, das Schreiben des Herrn von Bethmann-Hollweg an den König vom 15. Juni 1866, deſſen Hauptſätze lauten1)Vollſtändig veröffentlicht in L. Schneider, Aus dem Leben Kaiſer Wilhelms I. I 334 ff., auch in Kohl, Bismarck-Regeſten I 287 f.:
„ Was Eure Majeſtät ſtets gefürchtet und vermieden, was alle Ein¬ ſichtigen vorausſahen, daß ein ernſtliches Zerwürfniß mit Oeſterreich von Frankreich benutzt werden würde, um ſich auf Koſten Deutſchlands zu vergrößern (wo?)2)Randbemerkung von Bismarck's Hand., liegt jetzt in L. Napoleons ausgeſprochenem Programm aller Welt vor Augen. ... Die ganzen Rheinlande für die Herzogthümer wäre für ihn kein ſchlechter Tauſch, denn mit den früher beanſpruchten petites rectifications des frontières wird er ſich gewiß nicht begnügen. Und Er iſt der allmächtige Gebieter in Europa! ... Gegen den Urheber dieſer (unſrer) Politik hege ich keine feindliche Geſinnung. Ich erinnere mich gerne, daß ich 1848 Hand in Hand mit ihm ging, um den König zu ſtärken. Im März 1862 rieth ich Eurer Majeſtät, einen Steuermann von conſervativen Antecedentien zu wählen, der Ehrgeiz, Kühnheit und Geſchick genug beſitze, um das Staatsſchiff aus den Klippen, in die es gerathen, herauszuführen, und ich würde Herrn von Bismarck genannt haben, hätte ich geglaubt, daß er mit jenen Eigenſchaften die Beſonnenheit und Folgerichtigkeit des Denkens und Handelns verbände, deren Mangel der Jugend kaum verziehen wird, bei einem Manne aber für den Staat, den er führt, lebensgefährlich iſt. In der That war des Grafen Bismarck Thun von Anfang an voller Wider¬ ſprüche. ... Von jeher ein entſchiedener Vertreter der ruſſiſch-franzöſi¬ ſchen Allianz, knüpfte er an die im preußiſchen Intereſſe Rußland zu leiſtende Hilfe gegen den polniſchen Aufſtand politiſche Projecte3)Vergl. Bd. I 309 ff.,14Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. die ihm beide Staaten entfremden mußten. Als ihm 1863 mit dem Tode des Königs von Dänemark eine Aufgabe in den Schooß fiel, ſo glücklich, wie ſie nur je einem Staatsmanne zu Theil ge¬ worden, verſchmähte er es, Preußen an die Spitze der einmüthigen Erhebung Deutſchlands (in Reſolutionen)*)Vergl. den Brief des Prinzen vom 11. December 1863, S. 26. zu ſtellen, deſſen Einigung unter Preußens Führung ſein Ziel war, verband ſich vielmehr mit Oeſterreich, dem principiellen Gegner dieſes Planes, um ſpäter ſich mit ihm unverſöhnlich zu verfeinden. Den Prinzen von Auguſten¬ burg, dem Ew. M. wohlwollten, und von dem damals Alles zu erhalten war, mißhandelte er**)Warum nicht: Verpflichtete er Oeſtreich, nur im Einverſtändniß mit Preußen u. ſ. w.?, um ihn bald darauf durch den Grafen Bernſtorff auf der Londoner Conferenz für den Berechtigten erklären zu laſſen. Dann verpflichtet er Preußen im Wiener Frieden, nur im Einverſtändniß mit Oeſterreich definitiv über die befreiten Herzogthümer zu disponiren1)Einſchaltung Bismarcks., und läßt in denſelben Einrichtungen treffen, welche die beabſichtigte ‚ Annexion‘ deutlich verkündigen. ...
Viele betrachten dieſe und ähnliche Maßregeln, die ſtets, weil in ſich widerſprechend, in das Gegentheil des Bezweckten umſchlugen, als Fehler der Unbeſonnenheit. Andern erſcheinen ſie als Schritte eines Mannes, der auf Abenteuer ausgeht, Alles durcheinander¬ wirft und es darauf ankommen läßt, was ihm zur Beute wird, oder eines Spielers, der nach jedem Verluſt höher pointirt und endlich va banque ſagt.
Dies Alles iſt ſchlimm, aber noch viel ſchlimmer in meinen Augen, daß Graf Bismarck ſich in dieſer Handlungsweiſe mit der Geſinnung und den Zielen ſeines Königs in Widerſpruch ſetzte und ſein größtes Geſchick darin bewies, daß er ihn Schritt für Schritt dem entgegengeſetzten Ziele näher führte, bis die Umkehr unmöglich ſchien, während es nach meinem Dafürhalten die erſte Pflicht eines Miniſters iſt, ſeinen Fürſten treu zu berathen, ihm die15Das Schreiben Bethmann-Hollwegs an den König. Mittel zur Ausführung ſeiner Abſichten darzureichen und vor Allem deſſen Bild vor der Welt rein zu erhalten. Eurer Majeſtät gerader, gerechter und ritterlicher Sinn iſt weltbekannt und hat Allerhöchſt¬ demſelben das allgemeine Vertrauen, die allgemeine Verehrung zu¬ gewendet. Graf Bismarck aber hat es dahin gebracht, daß Eurer Majeſtät edelſte Worte dem eigenen Lande gegenüber, weil nicht ge¬ glaubt, wirkungslos verhallen, und daß jede Verſtändigung mit andern Mächten unmöglich geworden, weil die erſte Vorbedingung derſelben, das Vertrauen, durch eine ränkevolle Politik zerſtört worden iſt. ... Noch iſt kein Schuß gefallen, noch iſt Verſtändigung unter einer Bedingung möglich. Nicht die Kriegsrüſtungen ſind einzuſtellen, vielmehr, wenn es nöthig iſt, zu verdoppeln, um Gegnern, die unſre Vernichtung wollen, ſiegreich entgegen zu treten oder mit vollen Ehren aus dem verwickelten Handel herauszukommen. Aber jede Verſtändigung iſt unmöglich, ſo lange der Mann an Eurer Majeſtät Seite ſteht. Ihr entſchiedenes Vertrauen beſitzt, der dieſes Eurer Majeſtät bei allen andern Mächten geraubt hat “1)König Wilhelm eröffnete den Brief erſt Nikolsburg im Juli 1866; ſeine Antwort begann: „ In Nikolsburg eröffnete ich erſt Ihren Brief, und Ort und Datum der Antwort wären Antwort genug! ꝛc. “; vgl. Schneider a. a. O. I 341.. ...
Als der König dieſes Schreiben erhielt, war er ſchon aus der Verſtrickung der darin wiederholten Argumente frei geworden durch den Gaſteiner Vertrag vom 14. / 20. Auguſt 1865. Mit welchen Schwierigkeiten ich bei den Verhandlungen über dieſen noch zu kämpfen hatte, welche Vorſicht zu beachten war, zeigt mein nach¬ ſtehendes Schreiben an Se. Majeſtät:
„ Gaſtein, 1. Auguſt 1865.
Eure Majeſtät wollen mir huldreich verzeihn, wenn eine viel¬ leicht zu weit getriebene Sorge für die Intereſſen des allerhöchſten16Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Dienſtes mich veranlaßt, auf die Mittheilungen zurückzukommen, welche Eure Majeſtät ſoeben die Gnade hatten mir zu machen. Der Gedanke einer Theilung auch nur der Verwaltung der Herzogthümer würde, wenn er im Auguſtenburgiſchen Lager ruchbar würde, einen heftigen Sturm in Diplomatie und Preſſe erregen, weil man den Anfang der definitiven Theilung darin erblicken und nicht zweifeln würde, daß die Landestheile, welche der ausſchließlich preußiſchen Verwaltung anheimfallen, für Auguſtenburg verloren ſind. Ich glaube mit Eurer Majeſtät, daß I. M. die Königin die Mittheilungen geheim halten werde; wenn aber von Coblenz im Vertrauen auf die verwand¬ ſchaftlichen Beziehungen eine Andeutung an die Königin Victoria, an die kronprinzlichen Herrſchaften, nach Weimar oder nach Baden gelangte, ſo könnte allein die Thatſache, daß von uns das Ge¬ heimniß, welches ich dem Grafen Blome auf ſein Verlangen zu¬ ſagte, nicht bewahrt worden iſt, das Mißtrauen des Kaiſers Franz Joſeph wecken und die Unterhandlung zum Scheitern bringen. Hinter dieſem Scheitern ſteht aber faſt unvermeidlich der Krieg mit Oeſtreich; Eure Majeſtät wollen es nicht nur meinem Intereſſe für den allerhöchſten Dienſt, ſondern meiner Anhänglichkeit an Allerhöchſt¬ dero Perſon zu Gute halten, wenn ich von dem Eindrucke beherrſcht bin, daß Eure Majeſtät in einen Krieg mit einem andern Gefühle und mit freierem Muthe hineingehn werden, wenn die Nothwendigkeit dazu ſich aus der Natur der Dinge und aus den monarchiſchen Pflichten ergiebt, als wenn der Hintergedanke Raum gewinnen kann, daß eine vorzeitige Kundwerdung der beabſichtigten Löſung den Kaiſer abgehalten habe, zu dem letzten für Eure Majeſtät annehm¬ baren Auskunftsmittel die Hand zu bieten. Vielleicht iſt meine Sorge thöricht und ſelbſt wenn ſie begründet wäre und Eure Majeſtät darüber hinweggehn wollten, ſo würde ich denken, daß Gott Eurer Majeſtät Herz lenkt, und meinen Dienſt deshalb nicht minder freudig thun, aber zur Wahrung des Gewiſſens doch ehrfurchtsvoll anheimgeben, ob Eure Majeſtät mir nicht befehlen wollen, den Feldjäger telegraphiſch von Salzburg zurückzurufen. †) Die äußere Veranlaſſung dazu könnte17Gaſteiner Vertrag. Wandel in der Stimmung des Königs. die miniſterielle Expedition bieten, und es könnte morgen ein andrer an ſeiner Statt oder derſelbe rechtzeitig abgehn. Eine Abſchrift deſſen, was ich an Werther über die Verhandlung mit Graf Blome telegraphirt habe, lege ich allerunterthänigſt bei. Zu Eurer Majeſtät bewährter Gnade habe ich das ehrfurchtsvolle Vertrauen, daß Aller¬ höchſtdieſelben, wenn Sie meine Bedenken nicht gutheißen, deren Geltendmachung dem aufrichtigen Streben verzeihn wollen, Eurer Majeſtät nicht nur pflichtmäßig, ſondern auch zu Allerhöchſtdero perſönlicher Befriedigung zu dienen. “
An der mit †) bezeichneten Stelle dieſes Schreibens hat der König an den Rand geſchrieben:
„ Einverſtanden. — Ich that der Sache deshalb Erwähnung, weil in den letzten 24 Stunden ihrer nicht mehr Erwähnung ge¬ ſchah, und ich ſie als ganz aus der Combination fallengelaſſen anſah, nachdem die wirkliche Trennung und Beſitzergreifung an die Stelle getreten war. Durch meine Mittheilung an die Königin wollte ich den Uebergang dereinſt anbahnen zur Beſitzergreifung, die ſich nach und nach aus der Administrations-Theilung entwickelt hätte. Indeſſen dies kann ich auch ſpäter ſo darſtellen, wenn die Eigenthumstheilung wirklich erfolgt, an die ich noch immer nicht glaube, da Oeſterreich zu ſtark zurückſtecken muß, nachdem es ſich für Auguſtenburg und gegen Beſitznahme, wenn freilich die ein¬ ſeitige, zu ſehr avancirte. W. “1)Bismarck-Jahrbuch VI 202 f.
Nach dem Gaſteiner Vertrage und der Beſitznahme von Lauen¬ burg, der erſten Mehrung des Reichs, unter König Wilhelm, fand meiner Wahrnehmung nach ein pſychologiſcher Wandel in ſeiner Stimmung, ein Geſchmackfinden an Eroberungen ſtatt, aber doch mit vorwiegender Befriedigung darüber, daß dieſer Zuwachs, der Hafen von Kiel, die militäriſche Stellung in Schleswig und das Recht,Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 218Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. einen Canal durch Holſtein zu bauen, in Friede und Freundſchaft mit Oeſtreich gewonnen worden war.
Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majeſtät ſchwerer in das Gewicht gefallen iſt, als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landſchaft von Ratzeburg mit ſeinem See. Die deutſche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war ſeit 1848 einer der zündenden Gedanken geweſen, an deren Feuer die deutſchen Einheitsbeſtrebungen ſich zu erwärmen und zu verſammeln pflegten. Einſtweilen aber war der Haß meiner parlamentariſchen Gegner ſtärker als das Intereſſe für die deutſche Flotte, und es ſchien mir, daß die Fort¬ ſchrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Ausſicht auf unſre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fiſcher, als in denen des Miniſteriums Bismarck geſehn hätte1)Vgl. die Rede vom 1. Juni 1865, Politiſche Reden II 356.. Das Recht zu Klagen und Vorwürfen über die Vernichtung deutſcher Hoffnungen durch dieſe Regirung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortſchritt auf dem Wege zu ihrer Erfüllung. Ich ſchalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe2)Politiſche Reden a. a. O. S. 355 ff..
„ Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutſch¬ land in den letzten 20 Jahren ſo einſtimmig intereſſirt, wie grade die Flottenfrage. Wir haben geſehn, daß die Vereine, die Preſſe, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, dieſe Sympathien haben ſich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regirungen, der conſer¬ vativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langſamkeit und über die Kargheit, mit der in dieſer Richtung vorgegangen würde; es waren beſonders die liberalen Parteien, die dabei thätig19Ablehnende Haltung der Fortſchrittspartei. waren. Wir glaubten deshalb, Ihnen eine rechte Freude mit dieſer Vorlage zu machen. ...
Ich war nicht darauf gefaßt, in dem Bericht der Commiſſion eine indirecte Apologie Hannibal Fiſchers zu finden, der die deutſche Flotte unter den Hammer brachte. Auch dieſe deutſche Flotte ſcheiterte daran, daß in den deutſchen Gebieten, ebenſo in den höhern, regirenden Kreiſen, wie in den niedern die Parteileiden¬ ſchaft mächtiger war, als der Gemeinſinn. Ich hoffe, daß der unſrigen daſſelbe nicht beſchieden ſein wird. Ich war einigermaßen überraſcht ferner darüber, daß dem Gebiete der Technik ein ſo großer Raum in dem Berichte angewieſen war. Ich zweifle nicht daran, daß es viele unter Ihnen giebt, die vom Seeweſen mehr verſtehn als ich, und mehr zur See geweſen ſind als ich, die Mehr¬ zahl unter Ihnen, meine Herrn, iſt es aber nicht, und doch muß ich ſagen, ich würde mir nicht getrauen, über techniſche Details der Marine ein Urtheil zu fällen, welches meine Abſtimmung motiviren, welches mir Motive zur Verwerfung einer Marine¬ vorlage geben könnte. Ich kann mich deshalb auch mit der Wider¬ legung dieſes Theils Ihrer Einwendungen nicht beſchäftigen. ... Ihre Zweifel, ob es mir gelingen wird, Kiel zu erwerben, berührt mein Reſſort näher. Wir beſitzen in den Herzogthümern mehr als Kiel, wir beſitzen die volle Souveränetät in den Herzogthümern in Gemeinſchaft mit Oeſtreich, und ich wüßte nicht, wer uns dieſes Pfand, das dem von uns erſtrebten Object an Werth ſo viel über¬ legen iſt, nehmen könnte anders, als durch einen für Preußen unglücklichen Krieg. Faſſen wir aber dieſe Eventualität in's Auge, ſo können wir jeden in unſerm Beſitz befindlichen Hafen ebenſo gut verlieren. Unſer Beſitz iſt ein gemeinſamer, das iſt wahr, mit Oeſtreich. Nichtsdeſtoweniger iſt er ein Beſitz, für deſſen Auf¬ gebung wir berechtigt ſein würden, unſre Bedingungen zu ſtellen. Eine dieſer Bedingungen, und zwar eine der ganz unerläßlichen, ohne deren Erfüllung wir dieſen Beſitz nicht aufgeben wollen, iſt das künftige alleinige Eigenthum des Kieler Hafens für Preußen. ...
20Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.Angeſichts der Rechte, die ſich in unſern Händen und in denen Oeſtreichs befinden und die unantaſtbar ſind, ſo lange nicht einem der Herrn Prätendenten es gelingt, zu unſrer Ueberzeugung ein beſſeres Recht als das auf uns übergegangene des Königs Chriſtian IX. von Dänemark nachzuweiſen, angeſichts der Rechte, welche in voller Souveränetät von uns und Oeſtreich beſeſſen werden, ſehe ich nicht ein, wie uns die ſchließliche Erfüllung unſrer Bedingungen entgehn ſollte, ſobald wir nur nicht die Geduld ver¬ lieren, ſondern ruhig abwarten, ob ſich Jemand findet, der es unternimmt, Düppel zu belagern, wenn die Preußen darin ſind. ...
Zweifeln Sie dennoch an der Möglichkeit, unſre Abſichten zu verwirklichen, ſo habe ich ſchon in der Commiſſion ein Aus¬ kunftsmittel empfohlen: limitiren Sie die Anleihe dahin, daß die erforderlichen Beträge nur dann zahlbar ſind, wenn wir wirklich Kiel beſitzen, und ſagen Sie:, Kein Kiel, kein Geld!‘ Ich glaube, daß Sie andern Miniſtern als denen, die jetzt die Ehre haben, ſich des Vertrauens Sr. Majeſtät des Königs zu erfreuen, eine ſolche Bedingung nicht abſchlagen würden. ...
Das Vertrauen der Bevölkerung zur Weisheit des Königs iſt groß genug, daß ſie ſich ſagt, ſollte das Land dabei (durch Einführung der zweijährigen Dienſtzeit) zu Grunde gehn oder in Schaden kommen, ſo wird es ja der König nicht leiden. Die Leute unterſchätzen eben die Bedeutung der Verfaſſung in Folge der frühern Traditionen. Ich bin überzeugt, daß ihr in die Weisheit des Königs geſetztes Vertrauen ſie nicht täuſchen wird; aber ich kann doch nicht leugnen, daß es mir einen peinlichen Eindruck macht, wenn ich ſehe, daß angeſichts einer großen nationalen Frage, die ſeit 20 Jahren die öffentliche Meinung beſchäftigt hat, diejenige Ver¬ ſammlung, die in Europa für die Concentration der Intelligenz und des Patriotismus in Preußen gilt, zu keiner andern Haltung, als zu der einer impotenten Negative ſich erheben kann. Es iſt dies, meine Herrn, nicht die Waffe, mit der Sie dem Königthum das Scepter aus der Hand winden werden, es iſt auch nicht das21Aus der Rede vom 1. Juni 1865. Stärke des Parteihaſſes. Mittel, durch das es Ihnen gelingen wird, unſern conſtitutionellen Einrichtungen diejenige Feſtigkeit und weitre Ausbildung zu geben, deren ſie bedürfen. “—
Die Forderung für die Marine wurde abgelehnt.
Es liegt im Rückblick auf dieſe Situation ein bedauerlicher Beweis, bis zu welchem Maße von Unehrlichkeit und Vaterlands¬ loſigkeit die politiſchen Parteien bei uns auf dem Wege des Parteihaſſes gelangen. Es mag Aehnliches anderswo vorgekommen ſein, doch weiß ich kein Land, wo das allgemeine Nationalgefühl und die Liebe zum Geſammtvaterlande den Ausſchreitungen der Parteileidenſchaft ſo geringe Hinderniſſe bereitet wie bei uns. Die für apokryph gehaltene Aeußerung, welche Plutarch dem Cäſar in den Mund legt, lieber in einem elenden Gebirgsdorfe der Erſte, als in Rom der Zweite ſein zu wollen, hat mir immer den Ein¬ druck eines ächt deutſchen Gedankens gemacht. Nur zu viele unter uns deuten im öffentlichen Leben ſo und ſuchen das Dörfchen, und wenn ſie es geographiſch nicht finden können, die Fraction, reſp. Unterfraction und Coterie, wo ſie die Erſten ſein können. Dieſe Sinnesrichtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängig¬ keit nennen kann, hat in der ganzen deutſchen Geſchichte von den rebelliſchen Herzogen der erſten Kaiſerzeiten bis auf die unzähligen reichsunmittelbaren Landesherrn, Reichs-Städte, Reichs-Dörfer, - Abteien und - Ritter und die damit verbundene Schwäche und Wehrloſigkeit des Reiches ihre Bethätigung gefunden. Einſtweilen findet ſie im Parteiweſen, welches die Nation zerklüftet, ſtärkern Ausdruck als in der rechtlichen oder dynaſtiſchen Zerriſſenheit. Die Parteien ſcheiden ſich weniger durch Programme und Prinzipien als durch die Perſonen, welche als Condottieri an der Spitze einer jeden ſtehn und für ſich eine möglichſt große Gefolgſchaft von Abgeordneten und publiciſtiſchen Strebern anzuwerben ſuchen, die hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen. Prinzipielle programmatiſche Unterſchiede, durch welche die Fractionen zu Kampf und Feindſchaft gegen einander genöthigt würden, liegen22Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um die leidenſchaftlichen Kämpfe zu motiviren, welche die Fractionen gegen einander glauben ausfechten zu müſſen und Conſervative und Freiconſervative in getrennte Lager verweiſen. Auch innerhalb der conſervativen Partei haben wohl viele das Gefühl, daß ſie mit der Kreuzzeitung und ihrem Zubehör nicht im Einverſtändniſſe ſind. Aber die prinzi¬ pielle Scheidelinie in einem Programme zu präciſiren und über¬ zeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer für eine ſchwere Aufgabe halten, grade ſo wie confeſſionelle Fana¬ tiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit aus¬ weichen, oder die Auskunft ſchuldig bleiben, wenn man ſie nach den unterſcheidenden Merkmalen der verſchiedenen Bekenntniſſe und Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen ſie für ihr Seelenheil befürchten, wenn ſie eine der Abweichungen des Andersgläubigen nicht angriffsweiſe bekämpfen. So weit die Par¬ teien ſich nicht lediglich nach wirthſchaftlichen Intereſſen gruppiren, kämpfen ſie im Intereſſe der rivaliſirenden Führer der Fractionen und nach deren perſönlichem Willen und Streberthum; nicht Ver¬ ſchiedenheit von Prinzipien, ſondern „ Kephiſch oder Pauliniſch? “iſt die Frage.
Ein Andenken an den Gaſteiner Vertrag iſt das nachſtehende Schreiben des Königs1)Bismarck-Jahrbuch VI 203 f.:
„ Berlin, den 15. September 1865.
Mit dem heutigen Tage vollzieht ſich ein Act, die Beſitz¬ ergreifung des Herzogthums Lauenburg, als eine Folge meiner, von Ihnen mit ſo großer und ausgezeichneter Umſicht und Einſicht befolgten Regierung. Preußen hat in den vier Jahren, ſeit welchen ich Sie an die Spitze der Staats-Regierung berief, eine Stellung eingenommen, die ſeiner Geſchichte würdig iſt und demſelben auch eine fernere glückliche und glorreiche Zukunft verheißt. Um Ihrem23Deutſcher Parteigeiſt. Erhebung in den Grafenſtand. hohen Verdienſte, dem ich ſo oft Gelegenheit hatte, meinen Dank auszuſprechen, auch einen öffentlichen Beweis deſſelben zu geben, erhebe ich Sie hiermit mit Ihrer Deſcendenz in den Grafen Stand, eine Auszeichnung, welche auch immerhin beweiſen wird, wie hoch ich Ihre Leiſtungen um das Vaterland zu würdigen wußte.
Ihr Wohlgeneigter König Wilhelm. “
Die Verhandlungen zwiſchen Berlin und Wien, zwiſchen Preu¬ ßen und den übrigen deutſchen Staaten, welche die Zeit von dem Gaſteiner Vertrage bis zum Ausbruch des Krieges ausfüllten, ſind actenmäßig bekannt. In Süddeutſchland tritt Streit und Kampf mit Preußen zum Theil hinter deutſch-patriotiſche Gefühle zurück; in Schleswig-Holſtein beginnen diejenigen, deren Wünſche nicht in Erfüllung gingen, ſich mit der neuen Ordnung der Dinge aus¬ zuſöhnen; nur die Welfen werden des Federkrieges über die Ereig¬ niſſe von 1866 nicht müde.
Die unvortheilhafte Geſtaltung, die Preußen auf dem Wiener Congreß als Lohn ſeiner Anſtrengungen und Leiſtungen davon getragen hatte, war nur haltbar, wenn wir mit den zwiſchen beide Theile der Monarchie eingeſchobenen Staaten des alten Bünd¬ niſſes aus dem ſiebenjährigen Kriege ſicher waren. Ich bin lebhaft bemüht geweſen, Hanover und den mir befreundeten Grafen Platen dafür zu gewinnen, und es war alle Ausſicht vorhanden, daß wenig¬ ſtens ein Neutralitätsvertrag zu Stande kommen werde, als am 21. Januar 1866 Graf Platen in Berlin mit mir über die Ver¬ heirathung der hanöverſchen Prinzeſſin Friederike mit unſerm jungen Prinzen Albrecht verhandelte, und wir das Einverſtändniß beider Höfe ſo weit zu Stande brachten, daß nur noch eine per¬ ſönliche Begegnung der jungen Herrſchaften vorbehalten wurde, um deren gegenſeitigen Eindruck feſtzuſtellen.
24Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.Aber ſchon im März oder April fing man in Hanover unter fadenſcheinigen Vorwänden an, Reſerven einzuberufen. Es hatten Einflüſſe auf den König Georg ſtattgefunden, namentlich durch ſeinen Halbbruder, den öſtreichiſchen General Prinzen Solms, der nach Hanover gekommen war und den König umgeſtimmt hatte durch übertriebene Schilderung der öſtreichiſchen Heereskräfte, von denen 800 000 Mann bereit ſeien, und wie ich aus intimen hanöverſchen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindeſtens durch den Regirungs - Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüſtungen Hanovers wurden mit der faſt höhniſch klingenden Auskunft beant¬ wortet, daß die Herbſtübungen aus wirthſchaftlichen Gründen ſchon im Frühjahr abgehalten werden ſollten1)Vgl. Politiſche Reden IV 137..
Mit dem Thronfolger in Kur-Heſſen, Prinzen Friedrich Wil¬ helm, hatte ich in Berlin noch am 14. Juni eine Beſprechung2)Vgl. Sybel IV 439 Anm. 1., in der ich ihm empfahl, mit einem Extrazuge nach Kaſſel zu fahren und die Neutralität Kurheſſens oder doch der dortigen Truppen ſicher zu ſtellen, ſei es durch Beeinfluſſung des Kurfürſten, ſei es unabhängig von dieſem. Der Prinz weigerte ſich früher als mit dem fahrplanmäßigen Zuge zu reiſen. Ich ſtellte ihm vor, er würde dann zu ſpät kommen, um den Krieg zwiſchen Preußen und Heſſen zu hindern und den Fortbeſtand des Kurſtaats zu ſichern. Wenn die Oeſtreicher ſiegten, ſo würde er immer vis major gel¬ tend machen können, ſeine neutrale Haltung ihm ſogar vielleicht preußiſche Landestheile einbringen; wenn wir aber ſiegten, nachdem er ſich geweigert, neutral zu bleiben, ſo würde der Kurſtaat nicht fortbeſtehn; der heſſiſche Thron ſei immer einen Extrazug werth. Der Prinz machte der Unterredung ein Ende mit den Worten: „ Wir ſehn uns wohl noch einmal in dieſem Leben wieder, und 800 000 gute öſtreichiſche Truppen haben auch noch ein Wort25Hanover und Kurheſſen 1866. Verhandlungen mit dem Erbprinzen. mitzureden. “ Hatte doch auch die von dem Könige noch aus Horſitz am 6. und aus Pardubitz am 8. Juli in dem freundſchaftlichſten Tone an den Kurfürſten gerichtete Aufforderung, ein Bündniß mit Preußen zu ſchließen und ſeine Truppen aus dem feindlichen Lager zurückzurufen, keinen Erfolg.
Auch der Erbprinz von Auguſtenburg hatte durch Ablehnung der ſogenannten Februarbedingungen den günſtigen Moment ver¬ ſäumt. Von welfiſcher Seite1)Erinnerungen und Erlebniſſe des Generalmajor Dammers (Hannover 1890) S. 94 f. iſt neuerdings folgende Verſion verbreitet worden: Der Verfaſſer behauptet, von dem Prinzen er¬ fahren zu haben, daß derſelbe ſich in einer Audienz bei dem Könige Wilhelm zu den geforderten Zugeſtändniſſen verpflichtet, der König ihm die Einſetzung als Herzog zugeſichert und die formelle Er¬ ledigung durch den Miniſterpräſidenten auf den nächſten Tag zu¬ geſagt habe. Ich hätte mich am folgenden Tage bei dem Prinzen eingeſtellt, ihm aber geſagt, mein Wagen hielte vor der Thüre, ich müſſe in dieſem Augenblicke nach Biarritz zum Kaiſer Napoleon reiſen, der Prinz ſei aufgefordert worden, einen Bevollmächtigten in Berlin zurückzulaſſen, und nicht wenig erſtaunt geweſen, am nächſten Tage in den Berliner Zeitungen zu leſen, daß er die preußiſchen Vorſchläge abgelehnt habe.
Es iſt das eine plumpe Erfindung, in der Hauptſache und in allen Einzelheiten. Die Verhandlungen mit dem Erbprinzen ſind von Sybel2)Bd. III 337 f. nach den Acten dargeſtellt; ich habe dazu aus meiner Erinnerung und meinen Papieren Einiges nachzutragen. Der König iſt niemals mit dem Erbprinzen einig geweſen; ich war nie in des Letztern Wohnung und habe ihm gegenüber nie die Namen Biarritz und Napoleon ausgeſprochen; ich bin 1864 am 1. October nach Baden, von dort am 5. nach Biarritz, 1865 am 30. September direct dorthin gereiſt und 1863 garnicht in Biarritz geweſen. Eine26Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Unterredung mit ihm habe ich zweimal gehabt; auf die erſte (am 18. November 1863) bezieht ſich ſein nachſtehender Brief1)Bismarck-Jahrbuch V 256.:
„ Ew. Excellenz wollen mir erlauben, daß ich mich in einigen Zeilen an Sie wende, die veranlaßt ſind durch einen Artikel, den No. 282 der Kreuzzeitung [vom 3. December] bringt, und von welchem ich erſt nachträglich Kenntniß erhalten habe. In dieſem Artikel wird u. A. von mir berichtet, ich habe einem Deputirten gegenüber die Aeußerung gethan, ‚ Herr von Bismarck ſei mein Freund nicht‘. Den Wortlaut deſſen, was ich bei jener Gelegen¬ heit geſagt habe, vermag ich nicht anzugeben, da es ſich hier um eine in der Converſation gefallene Aeußerung handelt. Es iſt recht wohl möglich, daß ich mein Bedauern darüber ausgeſprochen habe, daß Ew. Excellenz politiſche Anſchauungen über die gegenwärtige Lage der ſchleswig-holſteinſchen Angelegenheit nicht mit den meinigen übereinſtimmen, wie ich keinen Anſtand genommen habe, dies Ihnen ſelbſt gegenüber bei meiner letzten Anweſenheit in Berlin offen auszuſprechen. Ich bin mir jedoch vollkommen bewußt, daß ich die in der Zeitung referirte Aeußerung nicht gethan habe, da ich mir ſtets zur feſten Regel gemacht habe, das Politiſche von dem Per¬ ſönlichen zu trennen. Ich bedauere daher aufrichtig, daß eine ſolche Nachricht ihren Weg in die Zeitungen gefunden hat.
Ich habe mich umſomehr verpflichtet gefühlt, mit dieſer Er¬ klärung nicht zurückzuhalten, je mehr ich die loyale Weiſe anerkennen muß, in welcher Ew. Excellenz mir in Berlin offen ſagten, daß Sie zwar perſönlich von meinem Rechte überzeugt ſeien und es billigten, wenn ich ſuchte meinem Rechte Geltung zu verſchaffen, daß Sie je¬ doch in Berückſichtigung der von Preußen eingegangenen Verbind¬ lichkeiten, ſowie der allgemeinen Weltlage mir keine Verſprechungen zu machen vermöchten.
Mit ꝛc. ꝛc.
Gotha, den 11. Dec. 63. Friedrich. “
27Verhandlungen mit dem Erbprinzen von Auguſtenburg.Am 16. Januar 1864 ſchrieb mir Seine Majeſtät1)Bismarck-Jahrbuch V 254 f.:
„ Mein Sohn kam heute Abend noch zu mir, um mir die Bitte des Erbprinzen von Auguſtenburg vorzutragen, aus den Händen des Herrn Samwer ein Schreiben deſſelben entgegenzunehmen, und ob ich nicht dieſerhalb ſeine Soirée beſuchen wolle, wo ich ganz unbemerkt den pp. S. in einem abgelegenen Zimmer finden könne. Ich lehnte dies ab, bis ich den Brief des Prinzen geleſen haben würde, weshalb ich meinem Sohn aufgab, mir denſelben zuzu¬ ſenden. Dies iſt geſchehen und lege ich den Brief hier bei2)Veröffentlicht in Janſen-Samwer, Schleswig-Holſteins Befreiung S. 695 Beil. 11.. Er enthält nichts Verfängliches außer am Schluß, wo er mich fragt, ob ich dem pp. S. nicht einige Hoffnung geben könne? Vielleicht könnten Sie mir eine Antwort morgen noch fertigen laſſen, die ich dem pp. S. mitgeben kann3)S. dieſes von Bismarck verfaßte Schreiben des Königs vom 18. Januar bei Janſen-Samwer S. 601 f. Beil. 13.. Wenn ich ihn incognito bei meinem Sohne doch noch ſehen wollte, ſo könnte ich ihm keine andere Hoff¬ nung geben, als die, welche in der Punctation4)Am 16. Januar von Rechberg und Werther unterzeichnet. angedeutet ſind, d. h., daß man nach dem Siege ſehen würde, welche neue Basen für die Zukunft aufzuſtellen wären, und den Ausſpruch in F. a / M. über die Succession abzuwarten. W. “
Und am 18. Januar5)Bismarck-Jahrbuch V 255.:
„ Ich berichte Ihnen, daß ich mich doch entſchloß, den Samwer bei meinem Sohn zu ſehen ungefähr 6 – 10 Minuten in deſſen Gegenwart6)Ueber den Verlauf der Unterredung berichtet die Aufzeichnung Samwer's a. a. O. 696 ff. Beil. 12.. Ich ſprach ihm ganz im Sinne der projectirten Ant¬ wort7)Des Schreibens vom 18., das im Entwurfe dem Könige am 17. vor¬ gelegt wurden iſt., aber noch etwas kühler und ſehr ernſt. Vor Allem ſagte28Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. ich beſtimmt, daß der Prinz keinen Falls nach Schleswig ein¬ fallen dürfe. W. “
In einer Denkſchrift vom 26. Februar 1864 bezeichnete der Kronprinz folgende Forderungen Preußens als ſachlich begründet1)Sie fußt auf dem Schreiben des Erbprinzen Friedrich vom 19. Febr. 1864, bei Janſen-Samwer S. 705 ff.: Rendsburg Bundesfeſtung, Kiel eine preußiſche Marineſtation, Bei¬ tritt zum Zollverein, Bau eines Canals zwiſchen beiden Meeren und eine Militär - und Marine-Convention mit Preußen; er hegte die Hoffnung, daß der Erbprinz bereitwillig darauf eingehn werde.
Nachdem die preußiſchen Bevollmächtigten am 28. Mai 1864 auf der Londoner Conferenz die Erklärung abgegeben hatten, daß die deutſchen Mächte die Conſtituirung Schleswig-Holſteins als eines ſelbſtändigen Staates unter der Souveränetät des Erbprinzen von Auguſtenburg begehrten, hatte ich mit dem Letztern am 1. Juni 1864, Abends von 9 bis 12 Uhr, in meiner Wohnung eine Be¬ ſprechung, um feſtzuſtellen, ob ich dem Könige zur Vertretung ſeiner Candidatur rathen könne. Die Unterredung drehte ſich haupt¬ ſächlich um die von dem Kronprinzen in der Denkſchrift vom 26. Februar bezeichneten Punkte. Die Erwartung Seiner König¬ lichen Hoheit, daß der Erbprinz bereitwillig darauf eingehn würde, fand ich nicht beſtätigt. Die Subſtanz der Erklärungen des Letztern iſt von Sybel nach den Acten gegeben2)Sybel III 337 ff. ; zu vergleichen ſind der Bericht Bismarck's über dieſe Unterredung im Staatsanzeiger vom 2. Juli 1865, ſowie die Aeuße¬ rungen in den Reden vom 13. Juni 1865 und 20. December 1866, Politiſche Reden III 387. 389, IV 102 ff. ; das Referat des Herzogs in Janſen-Samwer S. 731 (vgl. S. 336 ff.).. Am lebhafteſten widerſprach er den Landabtretungen behufs der Anlage von Befeſtigungen; ſie könnten ſich ja auf eine Quadratmeile belaufen, meinte er. Ich mußte unſre Forderung als abgelehnt, eine weitre Verhandlung als ausſichtslos betrachten, auf die der Prinz hinzudeuten ſchien, indem er beim Abſchiede ſagte: „ Wir ſehn uns wohl noch “—29Verhandlungen mit dem Erbprinzen von Auguſtenburg. nicht in dem drohenden Sinne, in welchem Prinz Friedrich von Heſſen zwei Jahre ſpäter mir dieſelben Worte ſagte, ſondern als Ausdruck ſeiner Unentſchiedenheit. Wiedergeſehn habe ich den Erb¬ prinzen erſt am Tage nach der Schlacht von Sedan in bairiſcher Generalsuniform. Nachdem am 30. October 1864 der Friede mit Dänemark geſchloſſen war, wurden die Bedingungen formulirt, unter denen wir die Bildung eines neuen Staates Schleswig-Hol¬ ſtein nicht als eine Gefahr für die Intereſſen Preußens und Deutſch¬ lands anſehn würden. Unter dem 22. Februar. 1865 wurden ſie nach Wien mitgetheilt. Sie deckten ſich mit den vom Kronprinzen empfohlnen.
Eine der Anlagen, zu denen ich die Berechtigung gefordert hatte, iſt nach langem Zögern jetzt1)D. h. zur Zeit der Niederſchrift dieſer Erinnerungen 1891 / 92. in der Ausführung begriffen: der Nord-Oſtſee-Canal. Im Intereſſe der deutſchen Seemacht, die damals nur unter preußiſchem Namen entwicklungsfähig war, hatte ich, und nicht ich allein, einen hohen Werth auf die Herſtellung des Canals und den Beſitz und die Befeſtigung ſeiner beiden Mün¬ dungen gelegt. Das Verlangen, die Concentrirung der Streit¬ kräfte zur See vermittelſt Durchbrechung der Landſtrecke, die beide Meere trennt, möglich zu machen, war in Nachwirkung des beinahe krankhaften Flottenenthuſiasmus von 1848 noch ſehr leb¬ haft, ſchlief aber zeitweiſe ein, als wir freie Verfügung über das Territorium erworben hatten. In meinem Bemühn, das Intereſſe wieder zu erwecken, ſtieß ich auf Widerſpruch bei der Landes¬ vertheidigungs-Commiſſion, deren Vorſitzender der Kronprinz, deren eigentliche Spitze der Graf Moltke war. Letztrer erklärte als Mit¬ glied des Reichstags am 23. Juni 18732)Moltke's Reden. Werke VII 25 ff., der Canal werde nur im30Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Sommer benützbar und von zweifelhaftem militäriſchen Werthe ſein; für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er koſten werde, baue man beſſer eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung um die königliche Entſcheidung entgegen geſetzt wurden, hatten ihr Gewicht mehr in dem großen Anſehn, das die militäriſchen Kreiſe bei Sr. Majeſtät genoſſen, als in ihrem materiellen In¬ halt; ſie gipfelten in dem Argument, daß ein ſo koſtſpieliges Werk wie der Canal zu ſeinem Schutze im Kriege eine Truppenmaſſe erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann an¬ gegeben, die im Falle eines däniſchen Anſchluſſes an feindliche Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit ſeinen An¬ lagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer würden decken müſſen, auch wenn kein Canal vorhanden ſei. Unter der Laſt des Uebermaßes andrer Geſchäfte und den mannich¬ fachen Kämpfen der ſiebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und Zeit aufwenden, um den Widerſtand der genannten Behörde vor dem Kaiſer zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen. Ich ſchreibe den Widerſtand mehr der militäriſchen Eiferſucht zu, mit der ich 1866, 1870 und ſpäter Kämpfe zu beſtehn hatte, die meinem Gemüthe peinlicher geweſen ſind als die meiſten andern.
Bei meinem Bemühn, die Zuſtimmung des Kaiſers zu ge¬ winnen, hatte ich weniger die handelspolitiſchen Vortheile, als die ihm mehr eingänglichen militäriſchen Erwägungen in den Vorder¬ grund geſtellt. Die holländiſche Kriegsmarine hat den Vortheil, Canäle im Binnenlande benutzen zu können, die den größten Schiffen den Durchgang geſtatten. Unſer analoges Bedürfniß einer Canalverbindung wird durch das Vorhandenſein der däniſchen Halb¬ inſel und die Vertheilung unſrer Flotte auf zwei getrennten Meeren weſentlich geſteigert. Wenn unſre geſammte Flotte aus dem Kieler Hafen, der Elbemündung und eventuell, bei Verlängerung des Canals, der Jahde ausfallen kann, ohne daß ein blockirender Feind es vor¬31Bedeutung des Nordoſtſee-Canals. Helgoland. her weiß, ſo iſt der letztre genöthigt, in jedem der beiden Meere ein unſrer ganzen Flotte äquivalentes Geſchwader zu unterhalten. Aus dieſen und andern Gründen war ich der Meinung, daß die Herſtellung des Canals unſrer Küſtenvertheidigung nützlicher ſein würde, als die Verwendung der Canalkoſten auf Feſtungsbau und Mehranſchaffung von Schiffen, für deren Bemannung wir nicht über unbegrenzte Kräfte verfügen. Mein Wunſch war, den Canal von der Niederelbe in weſtlicher Richtung ſo weit fortzuſetzen, daß die Weſermündung, die Jahde und eventuell auch die Emsmündung zu Ausfallpforten, welche der blockirende Feind zu beobachten hätte, hergerichtet würden. Die weſtliche Fortſetzung des Canals wäre verhältnißmäßig weniger koſtſpielig, als die Durchſchneidung des holſteiniſchen Landrückens, da ſich Linien von gleichmäßigem Niveau darbieten, auch zur Umgehung der hohen Geeſt an der Landſpitze zwiſchen der Weſer und der Elbemündung.
Im Hinblick auf eine, vorausſichtlich franzöſiſche, Blockade war bisher die Deckung Helgolands durch die engliſche Neutralität für uns nützlich; ein franzöſiſches Geſchwader konnte daſelbſt kein Kohlendepot haben, ſondern war genöthigt, zur Beſchaffung des Kohlenbedarfs in beſtimmten, nicht zu langen Zeiträumen nach franzöſiſchen Häfen zurückzukehren oder eine große Anzahl von Frachtſchiffen hin - und hergehn zu laſſen. Jetzt haben wir den Felſen mit eigner Kraft zu vertheidigen, wenn wir verhindern wollen, daß die Franzoſen im Falle des Krieges ſich daſelbſt feſt¬ ſetzen. Welche Gründe um das Jahr 1885 den Widerſtand der Landesvertheidigungs-Commiſſion abgeſchwächt haben, weiß ich nicht; vielleicht hatte Graf Moltke ſich inzwiſchen überzeugt, daß der Gedanke eines deutſch-däniſchen Bündniſſes, mit dem er ſich früher getragen hatte, unausführbar ſei.
Am 30. Juni 1866 Abends traf Seine Majeſtät mit dem Hauptquartier in Reichenberg ein. Die Stadt von 28,000 Ein¬ wohnern beherbergte 1800 öſtreichiſche Gefangne und war nur von 500 preußiſchen Trainſoldaten mit alten Carabinern beſetzt; nur einige Meilen davon lag die ſächſiſche Reiterei. Dieſe konnte in einer Nacht Reichenberg erreichen und das ganze Hauptquartier mit Sr. Majeſtät aufheben. Daß wir in Reichenberg Quartier hatten, war telegraphiſch publicirt geworden. Ich erlaubte mir den König hierauf aufmerkſam zu machen, und infolge dieſer Anregung wurde befohlen, daß die Trainſoldaten ſich einzeln und unauffällig nach dem Schloſſe begeben ſollten, wo der König Quartier genommen hatte. Die Militärs waren über dieſe meine Einmiſchung empfind¬ lich, und um ihnen zu beweiſen, daß ich um meine Sicherheit nicht beſorgt ſei, verließ ich das Schloß, wohin Seine Majeſtät mich befohlen hatte, und behielt mein Quartier in der Stadt. Es war damit ſchon der Keim zu einer der Reſſort-Eiferſucht ent¬ ſpringenden Verſtimmung der Militärs gegen mich wegen meiner perſönlichen Stellung zu Sr. Majeſtät gelegt, die ſich im Laufe des Feldzugs und des franzöſiſchen Krieges weiter entwickelte.
33Verſtimmung der Militärs. Franzöſiſche Einmiſchung.Nach der Schlacht von Königgrätz war die Situation der¬ artig, daß ein Eingehn auf die erſte Annäherung Oeſtreichs zu Friedensunterhandlungen nicht nur möglich, ſondern durch die Ein¬ miſchung Frankreichs geboten erſchien. Letztre datirte von dem in der Nacht vom 4. zum 5. Juli in Hořricz*)So ſchreibt der Generalſtab, geſprochen wird es Horſitz. eingetroffenen, an Seine Majeſtät gerichteten Telegramm, in welchem Louis Napoleon dem Könige mittheilte, daß der Kaiſer Franz Joſeph ihm Venetien abgetreten und ſeine Vermittlung angerufen habe. Der glänzende Erfolg der Waffen des Königs nöthige Napoleon aus ſeiner bis¬ herigen Zurückhaltung herauszutreten1)S. den Text bei L. Schneider a. a. O. I 253 f.. Die Einmiſchung war her¬ vorgerufen durch unſern Sieg, nachdem Napoleon bis dahin auf unſre Niederlage und Hülfsbedürftigkeit gerechnet hatte. Wenn unſrerſeits der Sieg von Königgrätz durch Eingreifen des Generals v. Etzel und durch energiſche Verfolgung des geſchlagnen Feindes vermittelſt unſrer intacten Cavallerie vollſtändig ausgenutzt worden wäre, ſo würde wahrſcheinlich die Sendung des Generals von Gab¬ lenz in das preußiſche Hauptquartier ſchon zu dem Abſchluß nicht nur eines Waffenſtillſtandes, ſondern auch der Baſen des künftigen Friedens geführt haben, bei der Mäßigung, welche unſrerſeits und damals auch noch bei dem Könige in Bezug auf die Bedingungen des Friedens vorwaltete, eine Mäßigung, die damals von Oeſtreich doch ſchon mehr als nützlich beanſpruchte, und uns als künftige Genoſſen alle bisherigen Bundesglieder, aber alle verkleinert und verletzt, gelaſſen hätte. Auf meinen Antrag antwortete Seine Majeſtät dem Kaiſer Napoleon dilatoriſch, aber doch mit Ablehnung jedes Waffenſtillſtandes ohne Friedensbürgſchaften.
Ich fragte ſpäter in Nikolsburg den General von Moltke, was er thun würde, wenn Frankreich militäriſch eingriffe. Seine Antwort war: Eine defenſive Haltung gegen Oeſtreich, mit Be¬Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 334Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegen Frankreich.
Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬ ſchluſſe, Seiner Majeſtät den Frieden auf der Baſis der terri¬ torialen Integrität Oeſtreichs anzurathen. Ich war der Anſicht, daß wir im Falle der franzöſiſchen Einmiſchung entweder ſofort unter mäßigen Bedingungen mit Oeſtreich Frieden und wo möglich ein Bündniß ſchließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß wir Oeſtreich durch raſchen Anlauf und durch Förderung des Con¬ flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, ſchnell vollends lahm zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte, gegen Oeſtreich, uns nur defenſiv zu verhalten hätten. Ich war des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie er ſagte, zuerſt und ſchnell führen wollte, nicht ſo leicht ſein, daß Frankreich zwar für die Offenſive wenig Kräfte übrig haben, aber in der Defenſive nach geſchichtlicher Erfahrung im Lande ſelbſt bald ſtark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn, ſo daß wir dann vielleicht unſre Defenſive gegen Oeſtreich an der Elbe nicht ſiegreich würden halten können, wenn wir einen In¬ vaſionskrieg in Frankreich, mit Oeſtreich und Süddeutſchland feind¬ lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch dieſe Perſpec¬ tive zur lebhafteren Anſtrengung im Sinne des Friedens beſtimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬ leicht nur 60 000 Mann franzöſiſcher Truppen ſofort nach Deutſch¬ land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; dieſe Zuthat zu dem Beſtande der ſüddeutſchen Bundesarmee wäre jedoch aus¬ reichend geweſen, um für die letztre die einheitliche und energiſche Führung, wahrſcheinlich unter franzöſiſchem Obercommando, herzu¬ ſtellen. Allein die bairiſche Armee ſoll zur Zeit des Waffenſtill¬ ſtandes 100 000 Köpfe ſtark geweſen ſein, und mit den übrigen ver¬ fügbaren deutſchen Truppen, an ſich guten und tapfern Soldaten, und 60 000 Franzoſen wäre uns von Südweſten her eine Armee von 200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger franzöſiſcher Leitung35Bedenklichkeit der Lage. Der Appell an Ungarn. anſtatt der frühern, ſchüchternen und zwieſpältigen entgegengetreten, der wir vorwärts Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegen¬ überzuſtellen hatten, ohne Wien gegenüber zu ſchwach zu werden. Mainz war von Bundestruppen unter dem Befehl des bairiſchen Generals Grafen Rechberg beſetzt; wären die Franzoſen einmal darin geweſen, ſo würde es harte Arbeit gekoſtet haben, ſie daraus zu entfernen.
Unter dem Druck der franzöſiſchen Intervention und zu einer Zeit, als es ſich noch nicht überſehn ließ, ob es gelingen werde, ſie auf dem diplomatiſchen Gebiete feſtzuhalten, entſchloß ich mich, dem Könige den Appell an die ungariſche Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weiſe in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unſrer Armee weitre Fortſchritte machte, ſo konnte unſre Lage eine ſo ſchwierige werden, daß wir zu jeder Waffe, die uns die entfeſſelte nationale Bewegung nicht nur in Deutſchland, ſondern auch in Ungarn und Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen*)In dem Briefe an ſeine Gemalin vom 7. Februar 1871 (Denkwürdig¬ keiten III4 297)..
Am 12. Juli fand in dem Marſchquartier Czernahora Kriegs¬ rath, oder, wie die Militärs die Sache genannt haben wollen, Generalsvortrag Statt — ich behalte der Kürze und des allgemeinen Verſtändniſſes wegen den erſtern auch von Roon1)Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 16. Januar 1874, Politiſche Reden VI 140. gebrauchten Ausdruck bei, obwohl der Feldmarſchall Moltke in einem dem Profeſſor von Treitſchke am 9. Mai 1881 übergebenen Aufſatze bemerkt hat, daß in beiden Kriegen niemals Kriegsrath gehalten worden ſei2)Vgl. Moltke, Geſammelte Schriften III 415 ff.. Zu dieſen unter dem Vorſitz des Königs gehaltenen36Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. Berathungen, die anfangs regelmäßig, ſpäter in größern Abſtänden Statt fanden, wurde ich 1866 zugezogen, wenn ich erreichbar war. An jenem Tage handelte es ſich um die Richtung des weitern Vorgehns gegen Wien; ich war verſpätet zur Beſprechung er¬ ſchienen, und der König orientirte mich, daß es ſich darum handle, die Befeſtigungen der Floridsdorfer Linien zu überwältigen, um nach Wien zu gelangen, daß dazu nach der Beſchaffenheit der Werke ſchweres Geſchütz aus Magdeburg herbeigeführt werden müſſe*)In dem Werke des Generalſtabs heißt es S. 484 unter dem 14. Juli: „ Nach Dresden wurde an den Oberſten Mertens telegraphirt, 50 dorthin dirigirte [alſo wohl noch nicht eingetroffene] ſchwere Geſchütze ſo bereit zu halten, daß ſie, ſobald es befohlen würde, ohne Zeitverluſt auf der Eiſenbahn abge¬ ſandt werden könnten. Die Eiſenbahn jenſeits Lundenburg war zerſtört; der General von Hinderſin wurde daher beauftragt, an dem genannten Orte einen Park von Transportmitteln zuſammen zu bringen. “und daß dazu eine Transportzeit von 14 Tagen erforderlich ſei. Nachdem Breſche gelegt, ſollten die Werke geſtürmt werden, wofür ein muthmaßlicher Verluſt von 2000 Mann veranſchlagt wurde. Der König verlangte meine Meinung über die Frage. Mein erſter Eindruck war, daß wir 14 Tage nicht verlieren durften, ohne die Gefahr mindeſtens der franzöſiſchen Einmiſchung ſehr viel näher zu rücken, als ſie ohnehin lag**)Die Situation war ähnlich wie 1870 vor Paris.. Ich machte meine Beſorgniß geltend und ſagte: „ Vierzehn Tage abwartender Pauſe können wir nicht verlieren, ohne das Schwergewicht des franzöſiſchen Arbitriums ge¬ fährlich zu verſtärken. “ Ich ſtellte die Frage, ob wir überhaupt die Floridsdorfer Befeſtigungen ſtürmen müßten, ob wir ſie nicht um¬ gehn könnten. Mit einer Viertelſchwenkung links könnte die Richtung auf Preßburg genommen und die Donau dort mit leichterer Mühe überſchritten werden. Entweder würden die Oeſtreicher dann den Kampf in ungünſtiger Lage mit Front nach Oſten ſüdlich der Donau aufnehmen oder vorher auf Ungarn ausweichen; dann ſei Wien ohne Schwertſtreich zu nehmen. Der König ließ ſich eine37Die Digreſſion nach Preßburg. Diplomatiſche Erwägungen. Karte reichen und ſprach ſich zu Gunſten dieſes Vorſchlags aus; die Ausführung wurde, wie mir ſchien widerſtrebend, in Angriff genommen, aber ſie geſchah.
Nach dem Generalſtabswerke, S. 522, erging erſt unter dem 19. Juli folgender Erlaß des Großen Hauptquartiers:
„ Es iſt die Abſicht Sr. Majeſtät des Königs, die Armee in einer Stellung hinter dem Rußbach zu concentriren. — In dieſer Stellung ſoll die Armee zunächſt in der Lage ſein, einem Angriff entgegen zu treten, welchen der Feind mit etwa 150 000 Mann von Florids¬ dorf aus zu unternehmen vermöchte; demnächſt ſoll ſie aus der¬ ſelben entweder die Floridsdorfer Verſchanzungen recognoſciren und angreifen, oder aber, unter Zurücklaſſung eines Obſervationscorps gegen Wien, möglichſt ſchnell nach Preßburg abmarſchiren können. — Beide Armeen ſchieben ihre Vortruppen und Recognoſcirungen an den Rußbach in der Richtung auf Wolkersdorf und Deutſch - Wagram vor. Gleichzeitig mit dieſem Vorrücken ſoll der Verſuch gemacht werden, Preßburg durch überraſchenden Angriff zu nehmen und den eventuellen Donauübergang daſelbſt zu ſichern. “
Mir kam es für unſre ſpätern Beziehungen zu Oeſtreich darauf an, kränkende Erinnerungen nach Möglichkeit zu verhüten, wenn es ſich ohne Beeinträchtigung unſrer deutſchen Politik thun ließ. Der ſiegreiche Einzug des preußiſchen Heeres in die feind¬ liche Hauptſtadt wäre für unſre Militärs natürlich eine be¬ friedigende Erinnerung geweſen, für unſre Politik war er kein Bedürfniß; in dem öſtreichiſchen Selbſtgefühl hätte er gleich jeder Abtretung alten Beſitzes an uns eine Verletzung hinterlaſſen, die, ohne für uns ein zwingendes Bedürfniß zu ſein, die Schwierigkeit unſrer künftigen gegenſeitigen Beziehungen unnöthig geſteigert haben würde. Es war mir ſchon damals nicht zweifel¬ haft, daß wir die Errungenſchaften des Feldzugs in fernern Kriegen zu vertheidigen haben würden, wie Friedrich der Große die Er¬ gebniſſe ſeiner beiden erſten ſchleſiſchen Kriege in dem ſchärfern Feuer des ſiebenjährigen. Daß ein franzöſiſcher Krieg auf den38Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. öſtreichiſchen folgen werde, lag in der hiſtoriſchen Conſequenz, ſelbſt dann, wenn wir dem Kaiſer Napoleon die kleinen Speſen, die er für ſeine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen können. Auch nach ruſſiſcher Seite hin konnte man zweifeln, welche Wirkung eintreten werde, wenn man ſich dort klar machte, welche Erſtarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutſchlands lag. Wie ſich die ſpätern Kriege um die Behauptung des Gewon¬ nenen geſtalten würden, war nicht vorauszuſehn; in allen Fällen aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei unſern Gegnern hinterließen, unverſöhnlich, die Wunden, die wir ihnen und ihrem Selbſtgefühl geſchlagen, unheilbar ſein würden. In dieſer Erwägung lag für mich ein politiſcher Grund, einen triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleoniſcher Art, eher zu verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unſrige damals war, iſt es politiſch geboten, ſich nach einem Siege nicht zu fragen, wie viel man dem Gegner abdrücken kann, ſondern nur zu er¬ ſtreben, was politiſches Bedürfniß iſt. Die Verſtimmung, die mein Verhalten mir in militäriſchen Kreiſen eintrug, habe ich als die Wirkung einer militäriſchen Reſſortpolitik betrachtet, der ich den entſcheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft nicht einräumen konnte.
Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom 4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedens¬ bedingungen ſo ſkizzirt: Bundesreform unter preußiſcher Leitung, Erwerb Schleswig-Holſteins, Oeſtreichiſch-Schleſiens, eines böhmi¬ ſchen Grenzſtrichs, Oſtfrieslands, Erſetzung der feindlichen Sou¬ veräne von Hanover, Kurheſſen, Meiningen, Naſſau durch ihre Thronfolger. Später traten andre Wünſche hervor, die theils in dem Könige ſelbſt entſtanden, theils durch äußere Einflüſſe erzeugt39Diplomatie und militäriſche Reſſortpolitik. Wünſche des Königs. waren. Der König wollte Theile von Sachſen, Hanover, Heſſen annectiren, beſonders aber Ansbach und Bayreuth wieder an ſein Haus bringen. Seinem ſtarken und berechtigten Familiengefühl lag der Rückerwerb der fränkiſchen Fürſtenthümer nahe.
Ich erinnere mich, auf einem der erſten Hoffeſte, denen ich in den 30er Jahren beiwohnte, einem Coſtümballe bei dem da¬ maligen Prinzen Wilhelm, dieſen in der Tracht des Kurfürſten Friedrich I. geſehn zu haben. Die Wahl des Coſtüms außerhalb der Richtung der übrigen, war der Ausdruck des Familiengefühls, der Abſtammung, und ſelten wird dieſes Coſtüm natürlicher und kleidſamer getragen worden ſein, als von dem damals etwa 37 Jahre alten Prinzen Wilhelm, deſſen Bild darin mir ſtets gegenwärtig geblieben iſt. Der ſtarke dynaſtiſche Familienſinn war vielleicht in Kaiſer Friedrich III. noch ſchärfer ausgeprägt, aber gewiß iſt, daß 1866 der König auf Ansbach und Bayreuth noch ſchwerer ver¬ zichtete als auf Oeſtreichiſch-Schleſien, Deutſch-Böhmen und Theile von Sachſen. Ich legte an Erwerbungen von Oeſtreich und Baiern den Maßſtab der Frage, ob die Einwohner in etwaigen Kriegen bei einem Rückzuge der preußiſchen Behörden und Truppen dem Könige von Preußen noch treu bleiben, Befehle von ihm annehmen würden, und ich hatte nicht den Eindruck, daß die Bevölkerung dieſer Gebiete, die in die bairiſchen und öſtreichiſchen Verhältniſſe eingelebt iſt, in ihrer Geſinnung den Hohenzollernſchen Neigungen entgegenkommen würde.
Das alte Stammland der Brandenburger Markgrafen im Süden und Oſten von Nürnberg etwa zu einer preußiſchen Provinz mit Nürnberg als Hauptſtadt gemacht, wäre kaum ein Landestheil geweſen, den Preußen in Kriegsfällen von Streitkräften entblößen und unter den Schutz ſeiner dynaſtiſchen Anhänglichkeit hätte ſtellen können. Die letztre hat während der kurzen Zeit des preußiſchen Beſitzes keine tiefen Wurzeln geſchlagen, trotz der geſchickten Verwaltung durch Harden¬ berg, und war ſeither in der bairiſchen Zeit vergeſſen, ſo weit ſie nicht durch confeſſionelle Vorgänge in Erinnerung gebracht wurde,40Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. was ſelten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich das Gefühl der bairiſchen Proteſtanten