PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Die dreifache Krone Rom’s.
Verſuch einer neuen Beleuchtung und Charakteriſirung des römiſch-katholiſchen Prieſter - und Kirchenthums, namentlich was dessen elementare und principielle Inhaltsbestimmungen und deren vorläufige Begründung und Erſcheinung in vorchriſtlicher Zeit und Welt betrifft.
Münſter. Verlag der Aſchendorff’ſchen Buchhandlung.1859.
[II][III]

Vorrede.

Alles hat ſeine Zeit und jegliches Ding unter dem Him - mel hat ſeine Stunde. Verwunden und heilen, einreißen und bauen, zerſtreuen und ſammeln, wegwerfen und be - wahren ꝛc. ꝛc., Alles hat ſeine Zeit.

So bekanntlich der weiſe König Salomo*)Prediger 3, 1 ff., und die - ſen alten, trefflichen Weisheitsſpruch fing ich in den letzt - vergangenen Jahren an, mir ernſtlich zu Herzen zu nehmen. Die jammervollen Reſultate ungeheuerer Mühen, Kämpfe und Opfer, die troſt - und hoffnungsloſen Weltzuſtände und Zeitſtimmungen, unter deren Betrachtung der Geiſt erlag, die zwar gerettete, aber um welchen Preis gerettete Geſellſchaft, der furchtbare innere Tod, der ſich verkündete, das Ende alles Lebens und Strebens in höherem Sinne des Wortes, das eingetreten ſchien, die evidente Unmög - lichkeit, auf den bisherigen progreſſiſtiſchen Wegen fortzu -*IVgehen und Etwas zu erreichen, was der Rede werth Alles trieb und drängte dazu, eine tiefere und reifere Be - ſinnung anzuſtreben, und eine, wo möglich, ganz neue d. h. nicht zwar dem innerſten, auf das Wahre und Gute gerichteten Sinn und Geiſte, wohl aber der praktiſchen und hiſtoriſchen Anſchauung nach total veränderte Wendung zu nehmen. Verwundet, eingeriſſen, zerſtreut, weggewor - fen war, was das vielfach und leidenſchaftlich umgewühlte Feld der Anſichten, Theorien, Denkweiſen und Tendenzen betrifft, genug und mehr als genug. Ich ſelber hatte mein redlich Theil dazu beigetragen und konnte getroſt, wenn nicht auf meinen Lorbeeren, doch auf meinen Dornen ruhen. Mit den realen Erfolgen ſah es um ſo ſchlechter aus. Von all dem, was man gewünſcht und gewollt hatte, war nur das direkteſte und extremſte Gegentheil bewirkt; denn nur um ſo ſiegreicher, ſelbſtgewiſſer und unbeugſamer erhielt ſich und erhob ſich wieder, was man zu entwurzeln und umzuſtürzen, oder doch weſentlich umzugeſtalten, zu verjüngen und neuzubeleben beſtrebt geweſen war. Was mich betrifft, ſo hatte ich immer, wenn ich an einem alten Gebäude rüttelte, einen neuen, beſſeren und ſchöneren Bau im Sinne; nur um dieſes Poſitiven willen, dem ich Raum ſchaffen wollte, war es, daß ich verneinte, verwarf und be - fehdete; denn die bloße, leere, und darum, wie ſie ſich auch ſtellen, und wie ſie in ihrer Art auch Recht haben möge, doch immer nur ſchlechte, rohe und heilloſe Negation und Deſtruktion war meine Sache nie. Aber die Welt iſt nicht mehr dazu aufgelegt und befähigt, ſich von irgend einem für ſich ſtehenden und bethätigten Individuum etwas Po -V ſitives geben zu laſſen und ſich daran emporzurichten, wie immer auch dies Individuum und ſeine Gabe beſchaffen ſein möge. Kämen die größten, berühmteſten, gefeiertſten Genien, Heroen, Geſetzgeber, Seher, Propheten und Hei - lande des Alterthums wieder, ſie könnten nicht das Ge - ringſte mehr ausrichten; ſie würden an dieſer Zeit, an dieſem Geſchlechte zum Spott. Die Anſtrengungen des Einzelnen, als ſolchen, ſind eitel, ſeine Plane unpraktiſche Ideen, ſeine Thaten unbeſonnene, für ein erfahrenes Alter unverzeihliche Jugendſtreiche, und ſein Leiden und Märty - rerthum erwirbt ihm keinen Antheil und Anhang mehr, ſondern wird entweder gar nicht beachtet oder mit grenzen - loſer Gleichgültigkeit und Verachtung behandelt. Nur für das Negative iſt Sinn und Geneigtheit vorhanden; nur noch das vermag zu gelegener Zeit die zur Auflöſung ſtrebende Maſſe zu begeiſtern; oder, wenn man ſich ande - rerſeits davor entſetzt, und dem wüſten, wilden Weſen Ein - halt zu thun beeifert iſt, ſo ſucht man nur angſtvoll und krampfhaft das Beſtehende feſtzuhalten und das Alte zu erneuern. Wo bliebe da einem Streben, wie das meinige war, irgend ein Spielraum der Thätigkeit für die Gegen - wart, irgend eine Ausſicht auf die Zukunft übrig?

Dies Alles wurde mir allmählig, ich mochte mich ge - gen ſo niederſchlagende, ja zermalmende Erkenntniſſe noch ſo ſehr und noch ſo lange ſträuben, nur allzu klar. Da wandte ich mich, mein Herz verzweifeln zu laſſen ob all der Mühe, womit ich mich unter der Sonne gemühet hatte, wie der ſchon citirte Prediger ſpricht, indem er über die Eitelkeit menſchlicher Beſtrebungen klagt. Weiter konnteVI ich Nichts, ſo lange ſich mein Dichten und Trachten auf dem dürren, unfruchtbaren, mit dem unüberwindlichen Fluche der Zerreißung und Zerſplitterung beladenen Boden bewegte, wo ich, obwohl meinem eigenſten, innerſten Weſen zuwider, zu Hauſe und eingewohnt war. Das, was der Genius der Geſchichte ſeit Jahrhunderten und Jahrtauſen - den die geheimen Anfänge dieſes großen Phänomens gehen, wie ich zeigen werde, tief in’s vorchriſtliche Alter - thum hinein langſam und mühſelig vorbereitet und angelegt, und hoch und herrlich aufgerichtet hatte, um gött - lichen und menſchlichen Zwecken zu einem mächtigen Organe der Ausführung zu dienen, das war mir zu fremd, um es mehr als oberflächlich zu kennen und zu beurtheilen, es in der Tiefe ſeines Weſens zu erfaſſen, und ſeiner inneren, nicht immer dem äußeren Anſchein entſprechenden, Bedeu - tung und Beſtimmung nach zu verſtehen und zu würdigen. Ich hielt es für das werth - und gehaltloſe Ueberbleibſel einer durch die Zeitbildung überwundenen Vergangenheit, das über kurz oder lang in Nichts zerfallen werde wie - wohl es thatſächlich das Einzige iſt, was ſich durch alle welthiſtoriſchen Proceſſe und Metamorphoſen hindurch zu erhalten, und ſelbſt den größten Erſchütterungen und ſchwerſten Niederlagen zum Trotze, immer wieder jugend - friſch und kräftig zu erneuen und zu erheben vermag; wäh - rend alles Uebrige, ſo groß und ſtolz es ſei, ſinkt und ſtürzt und vergeht, wie ein Traum der Nacht. Die Kirche, ſagt ein katholiſcher Schriftſteller, iſt nicht nur auf Wunder gegründet, ihre Dauer ſelbſt iſt ein fortge - ſetztes, immerwährendes Wunder. Königreiche und Kaiſer -VII thümer gehen trotz ihrer Macht im Verlaufe der Zeit zu Grunde; das Reich Chriſti überdauert ſie alle und wächſt immer fort. Nimmt es in einem Welttheile ab, ſo breitet es ſich um ſo mehr in einem anderen aus u. ſ. w. Ich möchte hinzuſetzen: Was der hier unter dem Reiche Chriſti verſtandenen Kirche zu quantitativem Nachtheile ge - reicht, das ſchlägt ihr zu einem überwiegend qualitati - ven Vortheile aus, wie namentlich die auf die Refor - mation des 16. Jahrhunderts folgende Geſchichte des Katholicismus lehrt; und dieſer qualitative Vortheil hat dann wieder nothwendig einen quantitativen zur Folge. Von den Sekten heißt es ebendaſelbſt: Ihr Da - ſein iſt nicht von Dauer. Sie entſtehen, machen Geräuſch und verſchwinden. Nicht ſo die katholiſche Kirche. Jahr - tauſende gehen vorüber, nicht ſchwindet, noch altert ſie; denn von ihr gilt die Verheißung des Herrn: Auf dieſen Felſen will ich meine Kirche bauen und die Macht der Hölle ſoll ſie nicht überwältigen. *)Der Autor dieſer an einem ſehr beſcheidenen Orte ſtehenden Stellen iſt mir unbekannt. Daſſelbe Thema behandelt Dechamps in ſeiner Schrift: Le libre examen de la vérité de la foi. Entretiens sur la démonstration eatholique de la révolution chrétienne. Deutſch durch Dr. Heinrich unter dem Titel; Die Wahrheit und Vernünf - tigkeit des Glaubens. Mainz 1857. S. 56 ff.

Es waren jedoch nicht Darſtellungen ſo gläubiger und pathetiſcher Art, wie ich ſie früher gar nicht zu beachten pflegte; es war die eines ganz ruhig und objektiv betrach - tenden und vergleichenden engliſchen Hiſtorikers, was mei - nen Blick auf das wundervolle Gebäude der römiſch-katho -VIII liſchen Hierarchie hinrichtete und mich bewog, Gedanken feſtzuhalten und auszubilden, die mir allerdings ſchon früher, doch nur zeitweiſe und vorübergehend in den Sinn gekommen waren. *)Die Abhandlung, die ich meine, iſt von Macaulay im J. 1840 bei Gelegenheit einer Ueberſetzung von Ranke’s Geſchichte der Päpſte geſchrieben worden. Er bekennt ſich darin ausdrücklich zum Proteſtan - tismus; deſto merkwürdiger ſind ſeine großen, wenn auch, vom katho - liſchen Standpunkte aus betrachtet, noch keineswegs hinreichenden Zu - geſtändniſſe. Das proteſtantiſche Kirchenthum findet er in Rückſicht auf deſſen Organiſation und grundſätzliches Benehmen mit weſentlichen Mängeln und Fehlern behaftet, wovon ſich das vollkommenſte Gegen - theil in der Einrichtung und in den praktiſchen Maximen und Ge - wohnheiten der römiſchen Kirche finde, die dadurch in entſchiedenem Vortheile ſei. Er hält dieſelbe aus dieſen Gründen für das wahre Meiſterſtück menſchlicher Weisheit und glaubt ihr eine kaum geringere, als ewige Dauer verſprechen zu müſſen. Ich meinerſeits finde mich bewogen, in einer ſo einzigen Erſcheinung, gleich der bezüglichen Kirche ſelbſt, noch Etwas mehr, als Menſchenwitz und Menſchenwerk zu ſehen. Was, dem ſonſt Alles vereitelnden und ver - nichtenden Gange der Weltgeſchichte gegenüber, eine bloß menſchliche Klugheit und Berechnung vermag, das liegt ja in den Schickſalen der weltlichen Staaten, Reiche und Machthaber klar genug vor Augen! Es gibt übrigens nichts Intereſſanteres und Inſtruktiveres, als jene ſo vorurtheilsfreie, keiner Partei ſchmeichelnde, rein und redlich nur der faktiſch vorliegenden Wahrheit huldigende Schilderung, die ich daher meinen Leſern, wenn ſie noch nicht damit bekannt ſein ſollten, dringend anempfehle. Eine mit Anmerkungen verſehene Bearbeitung unter dem Titel: Macaulay über die römiſch-katholiſche Kirche , Frankfurt a. M. 1854, hat Th. Creizenach geliefert.Ich konnte es mir nach reiflichſter Unterſuchung der Sache nicht länger verbergen, daß ent - weder Alles verloren oder hier allein noch Heil und Ret - tung ſei; daß, wofern die immer furchtbarer gefährdete Menſchheit einerſeits vor der keineswegs abgelenkten Ge -IX fahr totaler Auflöſung und äußerſter Entartung und Ver - wilderung bewahrt, andererſeits einer ſchöneren, edleren und höher geſtellten Zukunft, wenn auch langſam und zögernd, doch um ſo ſicherer und unausbleiblicher entgegengeführt werden ſolle, kein anderes Mittel zu finden, als ſich ſo innig, als möglich, an jene Kirche anzuſchließen und die - ſelbe, ſtatt eine fortwährende giftige Oppoſition gegen ſie zu machen, und ſie dadurch an ihrer inneren und äußeren Vollendung zu hindern, vielmehr in aller Weiſe zu unter - ſtützen und in den Stand zu ſetzen, ihre großen, univer - ſellen Zwecke zu erreichen.

Indem ich mir nun aber die Sache, als denkender Menſch und wiſſenſchaftlicher Forſcher, in ihrem allgemei - nen hiſtoriſchen und ſpeculativen Zuſammenhange vorzu - ſtellen trachtete, kam ich auf ganz beſondere Gedanken und Entdeckungen, von denen ich einen Theil in die nachſtehen - den Blätter niedergelegt habe. Es ſollen dieſe den Anfang einer Reihe von Erörterungen und Nachweiſungen bilden, durch welche ich eine Art von Philoſophie des Chriſten - thums und des Katholicismus zu liefern gedenke, wie ſie vielleicht einem ſpeciellen, wenn auch noch wenig zum Be - wußtſein gekommenen, Zeitbedürfniſſe entgegenkommt. Es fehlt nicht an ſehr geiſtreichen und überlegenen Darſtellun - gen katholiſcher Dogmatiker und Polemiker*)Ich erinnere z. B. an den leider zu früh geſchiedenen Prof. Möhler, einen der gebildetſten Geiſter und feinſten Köpfe, die je im Gebiete der Theologie gearbeitet haben. Merkwürdig ſind ſeine letzten Aeuße - rungen. Er ſtarb den 12. April 1838 Nachmittags halb drei Uhr. Um ein Uhr war er aus einem leichten Schlummer erwacht, wo er; es mangeltX aber meines Erachtens an einer gewiſſen vermittelnden Rolle, die ich, wenn ich ihr gewachſen wäre, gern überneh - men möchte, die mir als geborenen und nur durch den freien Gang meines Denkens und Forſchens zur Anerken - nung des Katholicismus hingetriebenen Proteſtanten, ſo nahe liegt, und die ich durch dieſe Verſuche, wie ſie durch die Leiſtungen Anderer leicht übertroffen werden dürften, wenigſtens zu veranlaſſen und hervorzurufen wünſchte. Ich geſtehe, daß es bei dieſem Experimente weniger auf das katholiſche, als auf das proteſtantiſche, weniger auf das gläubige und fromme, als auf das von negativen Denk - arten und Stimmungen beherrſchte Publikum, und unter dem letzteren wieder insbeſondere auf den feinſten, gebil - detſten und intelligenteſten Theil deſſelben abgeſehen iſt. Von dieſem, der dem Vollgehalte katholiſchen Geiſtes und Lebens ohnehin unendlich näher ſteht, als dünkelhafte Halb - bildung und philiſterhafte Selbſtklugheit, werde ich wohl hinlänglich verſtanden werden; dieſem dürften namentlich meine Anknüpfungen an das vorchriſtliche Alterthum nicht ohne Intereſſe ſein; von dieſem wenigſtens hoffe ich nicht allzu unfreundlich betrachtet und behandelt zu werden, was*)wunderſame Dinge geſchaut haben muß. Er wand beide Hände über dem Haupte und ſagte: Ach, jetzt hab ich’s geſehen jetzt weiß ich’s jetzt wollte ich ein Buch ſchreiben, das müßte ein Buch wer - den aber jetzt iſt’s vorbei. Man ſieht, wie es hier gährte und nach geiſtiger Klarheit und Vollendung rang. Sehr bezeichnend für die katholiſche Richtung der neueren und neuſten Zeit iſt unter Anderem auch das ſchon oben berührte Werk von Dechamps und Heinrich, aus welchem wir einige Stellen im Anhange, Beilage F. mittheilen werden.XI er auch gegen meine Auffaſſungen und Combinationen einzuwenden haben ſollte. Geiſtesbeſchränkte, gemeine und übelwollende Beurtheilungen werden mich unberührt laſſen.

Zuſatz zu der Vorrede.

Vorſtehendes, ſo wie die ganze nachfolgende Abhand - lung iſt vor meiner Converſion geſchrieben, was ſich auch wohl in Styl und Ton verräth. Es war damals nicht meine Abſicht, ſchon ſo bald den bezeichneten auffallenden Schritt zu thun; ich wollte erſt dieſe und etwa noch ein Paar andere Schriften der Art erſcheinen laſſen; es wäre dann das Publikum nicht durch eine ſo ganz unvermittelte Nachricht von meinem Uebertritte in Erſtaunen geſetzt, es wäre auch wohl manchem ſchiefen und unfreundlichen Ur - theile vorgebeugt worden. Es traten indeſſen Umſtände ein, welche den von mir gefaßten Zögerungs - und Vorbe - reitungsplan über den Haufen warfen; und ich wollte, da mir Gott ſelbſt zu winken ſchien, auf Unannehmlichkeiten und Aufregungen, wie ſie in ſolchen Fällen vorzukommen pflegen, keine kleinliche und feigherzige Rückſicht nehmen.

Eine vollſtändige Geſchichte meiner Converſion, nament - lich was die Studien, Erfahrungen und Denkprozeſſe be - trifft, die mich allmählig darauf hingeleitet und zuletzt unausweichlich dazu getrieben haben, ſoll in einer künftigen Schrift gegeben werden. Hier bemerke ich nur noch Fol - gendes in Rückſicht auf die vorliegende Abhandlung.

XII

Ich wußte bei dem Entwurfe derſelben und bei der Ausarbeitung der hauptſächlichſten, namentlich der mytho - logiſchen Aufſätze, noch nicht, was im Punkte der Verglei - chung heidniſcher und chriſtlicher Dinge auf katholiſchem Gebiete bereits geſchehen war. Ich kannte z. B. Sepp’s Anſichten und Arbeiten noch gar nicht, und erſtaunte, als ich mich damit vertraut machte, welch ein wichtiger Schritt hier gemacht worden ſei. Ich fand mich indeſſen nicht be - wogen, meine in ähnlicher Richtung vorſchreitenden Dar - ſtellungen für überflüſſig zu halten oder Etwas daran zu ändern. Sie haben ihre beſtimmte, unterſcheidende Eigen - thümlichkeit und nehmen, wiewohl von demſelben Genre, wie jene katholiſchen, doch zugleich ihre beſondere Stellung ein. Ich habe die darin in Anwendung gebrachte Erklä - rungs - und Vergleichungsmanier ſchon in einer früheren Periode meines Lebens und Strebens zu handhaben begonnen, und wer wiſſen will, wie alt bei mir gewiſſe Ideen ſind, der möge meine im Jahre 1835 zu Nürnberg erſchienenen Züge zu einer neuen Philoſophie der Religion und Re - ligionsgeſchichte durchblättern. *)Vergl. insbeſondere über Herakles S. 69 ff., über Apollon S. 39 ff., über die Trinitätslehre des Heidenthums S. 118 ff. Daß ich nicht mehr Alles annehme und vertrete, was ich in dieſer und andern ſolchen Schriften vorgetragen, bedarf wohl keiner Erinnerung. Nichts hindert jedoch, Einzelnes, was ich früher gedacht und ausgeſpro - chen, auch jetzt noch feſtzuhalten und in erneuerte Anregung zu bringen.Ich habe mich dort über das ganze Gebiet der Religionsgeſchichte, Weiſſagung und Mythologie verbreitet. In gegenwärtiger Schrift habe ich mich faſt ganz auf das Griechiſche und Römiſche be -XIII ſchränkt, und ſelbſt aus dieſer Sphäre nur einige Haupt - punkte herausgefaßt, weil dies für den Zweck der Ab - handlung genügte und weil ich durch zu maſſenhaftes Heranziehen mannigfaltiger Stoffe Auffaſſung und Ueber - blick nicht in unnöthiger und unzweckmäßiger Weiſe er - ſchweren wollte.

[XIV][XV]

Inhalt.

  • Seite
  • VorredeIII
  • I. Triadologiſche Analyſe des Papſtthums. Die in ihm enthaltenen Elemente und Principien und deren vor - läufige Erſcheinungsweiſen und Repräſentationen in vorchriſtlicher Zeit und Welt. Das paläſtinenſiſche, römiſche und griechiſche Moment und deren organiſche Vereinigung im römiſch-katholiſchen Prieſter - und Kirchenthum3
  • II. Das alte Rom als weltliche Baſis und Vorſtufe des Papſtthums. Nachweiſung der eigenthümlichen Myſtik, Spaltung und Befriedigungsloſigkeit in ſich ſelbſt, mit welcher es über ſich hinaus auf ein dunkles Jenſeits der Zukunft weiſt10
  • III. Das Griechenthum, ſofern es als eine ideelle Antici - pation des Chriſtenthums zu betrachten iſt. Der Heraklesmythus ein Chriſtenthum der Idee, eine poetiſche und mythologiſche Fata Morgana der chriſt - lichen Wahrheit und Wirklichkeit23
  • IV. Zeus, Herakles und Apollon, eine griechiſche Götter - trias und ein heidniſches Analogon der chriſtlichen Trinität42
  • XVI
  • Seite
  • V. Ethnologiſche Abſpiegelung der Trinität. Die drei wichtigſten und bedeutſamſten Nationen des vorchriſt - lichen Alterthums Römer, Griechen und Juden von dieſem Standpunkte aus betrachtet49
  • VI. Ueberſicht. Zuſammenſtellung der erörterten Triaden. Die ſich in der Trinitätslehre ausſprechende Trias als allgemeines weltgeſchichtliches Myſterium. Noch ein ſchließliches Wort über Papſtthum und proteſtan - tiſche Kirchenthümer55
  • Anhang. Beilagen und Abhandlungen über einzelne Gegenſtände. A. Ueber katholiſche Cultusformen und Cultusmittel. Zu I. 61
  • B. Stoa und Chriſtenthum. Zu II. 71
  • C. Ueber Janus. Zu II. 82
  • D. Ein Blick auf Indien und wieder zurück auf Griechenland. Zu IV. 92
  • E. Neuteſtamentliche Triaden. Zu V. und VI. 101
  • F. Bibliſche und kirchliche Rechtfertigungsgründe in Be - ziehung auf die dieſer Schrift eigene Auffaſſung des Heidenthums105
  • Nachträge121
[1]

Die dreifache Krone Rom’s.

1[2][3]

I.

Triadologiſche Analyſe des Papſtthums. Die in ihm enthaltenen Ele - mente und Principien und deren vorläufige Erſcheinungsweiſen und Repräſentationen in vorchriſtlicher Zeit und Welt. Das paläſtinenſiſche, römiſche und griechiſche Moment und deren organiſche Vereinigung im römiſch-katholiſchen Prieſter - und Kirchenthum.

Dreifach iſt die Krone, die das Haupt des römiſchen Biſchofes ſchmückt. Dreifach iſt der welthiſtoriſche Grund und Stoff, der die Alles überragende Autorität und Be - deutung dieſes erhabenen Kirchenfürſten, und des von ihm zu allerhöchſt repräſentirten Kirchen - und Prieſterthums bildet. Dies auseinanderzuſetzen, ſind nachſtehende Er - örterungen beſtimmt. Wer ihnen folgt, dem wird ſich in der genannten großen Erſcheinung eine Verknüpfung der bedeutungsvollſten, weſentlichſten und großartigſten Prin - cipien und Elemente des welthiſtoriſchen Entwickelungs - und Bildungsproceſſes darſtellen, wie ſie nirgend ihres Gleichen hat, und wie ſie ſchwerlich weder vom Zufall zuſammengewürfelt, noch durch bloß menſchliche Kraft und Kunſt zu Stande gekommen iſt, ſondern nur als ein Er - zeugniß der die menſchlichen Dinge lenkenden allgemeinen1*4Macht, als ein Werk des in der Kirche wirkſamen, ja zu deſſen Vorbereitung ſchon lange zuvor ſelbſt im Heidenthume thätig geweſenen göttlichen Geiſtes betrachtet werden kann.

Es iſt vor Allem der oſtwärts in Paläſtina und dem daſelbſt heimiſchen Volksſtamme ſemitiſchen Urſprunges wurzelnde Idealismus und Spiritualismus die über Natur und Menſchheit in ihrer gegenwärtigen Beſtimmt - heit hinaus in ein höheres Gebiet des Werdens und Seins überleitende Religion des romantiſchen Zeitalters was den Geiſt, Gehalt und Zweck des römiſch-katholiſchen Kir - chen - und Prieſterthums bildet. So weſentlich aber dieſe Beſtimmung iſt, ſo iſt damit doch nur der allgemein chriſt - liche Charakter der Sache, nichts ſpecifiſch Eigenes, Beſon - deres und Unterſcheidendes ausgeſprochen, da das Nehmliche, wenn auch nicht in derſelben Ausführung und Bedeutſam - keit, auch bei den übrigen chriſtlichen Confeſſionen und Kirchenthümern der Fall. Anders verhält es ſich mit den beiden anderen Momenten, die jene eigenthümliche römiſch - katholiſche Trias bilden, wovon insbeſondere das eine ſchon gleich im Namen und örtlichen Mittelpunkte der Sache hervortritt und ausgeprägt iſt.

Wir haben es nehmlich auch mit einem ganz eigen - thümlichen geographiſch-hiſtoriſchen Phänomen zu thun, das in Italien, in Rom ſelbſt zu Haus, deſſen Wurzeln ſich hier bis in das graueſte Alterthum zurück verfolgen laſſen und als deſſen abſtrakt weltliche Baſis und Vorſtufe die ganze alte Geſchichte Roms betrachtet werden kann. Wir werden dieſem Verhältniſſe und Zuſammenhange ſpä - terhin eine beſondere Betrachtung widmen. Hier wird es genug ſein, als Thatſache ſo viel hervorzuheben, daß ſich in Rom mit dem, ſeinem irdiſchen Ausgangspunkte nach, aus Paläſtina ſtammenden höheren Elemente das hier ein - heimiſche römiſche, d. h. abſolut praktiſche und politiſche,5 auf eine die ganze Erde und Menſchheit einheitlich um - faſſende Macht und Herrſchaft gerichtete Princip verbunden hat. Als der eigentliche Begründer der von Rom angeſtreb - ten geiſtlichen Univerſalmonarchie wird Papſt Gregor I. bezeichnet wie merkwürdig daher, daß dieſer große Papſt einem altrömiſchen Patriciergeſchlechte ſeinen Urſprung ver - dankte! Es kann dies zwar allerdings auch auf eine Weiſe betrachtet werden, die einem uns hier ganz fremden oppoſi - tionellen Standpunkte angehört. So hat ein Hiſtoriker darüber folgende Bemerkung gemacht: Derſelbe italieniſche Nationalcharakter, der einſt die Conſuln und Proconſuln des alten Roms mit unbeugſamer Strenge auswärtigen Königen Geſetze vorſchreiben lehrte, trieb hier den Patriar - chen des neuen zur nachdrücklichſten Behauptung ſeiner angemaßten Oberherrſchaft an. Wir hoffen unſeren Leſern klar zu machen, wie ſeicht und wie wenig im Stande, die Räthſel der Geſchichte zu löſen, dergleichen Urtheile und Anſichten ſind. Es fehlt einem ſo beſchränkten Partei - ſtandpunkte die Einſicht in die innere, göttliche Berechtigung jener angeblichen Anmaßung, in die ungeheuere Bedeutung, welche die Umwandlung der größten weltlichen Energie, die wir kennen, und ihres koloſſalen Meiſterwerkes in eine geiſtliche d. h. ganz nur auf höhere Zwecke, wenn auch mit Anwendung weltlicher Mittel, gerichtete Erſcheinung und Anſtalt hat, und in die geheime, providentielle Beziehung jener erſteren auf die letztere. Er ahnet nicht, daß ſich die Sache eher umgekehrt verhält, als er meint und will, ſofern die Kraft, das Glück und das Recht des antiken Römerthums im Grunde darin beſtand, daß es, ſo zu ſa - gen, das noch in der Puppenhülle verborgene, römiſch - katholiſche Prieſterthum war, das einſt dem Willen und der Leitung der Vorſehung gemäß, aus ihm hervorgehen und ſeine geiſtigen Schwingen entfalten ſollte.

6

Wie nothwendig jedenfalls die Verbindung des römiſchen Princips mit dem chriſtlichen war und iſt, offenbart nur allzu genügend die Geſchichte des Proteſtantismus, der daſſelbe in ſeiner abſtrakten Feindſchaft und Empörung wider die alte, concrete Mutterkirche ſo gänzlich verſchmäht und ausgeſchieden hat. Es wurde dadurch nicht nur die angefeindete Kirche, ſondern das Chriſtenthum überhaupt, inſofern ihm eine nicht nur ſubjektive, individuelle, parti - culäre, ſondern auch objektiv-reale, welthiſtoriſche und uni - verſale Stellung, Exiſtenz und Entwickelung gebührt, im gefährlichſten Grade erſchüttert, depotenzirt und in Frage geſtellt. Die eine große, allumfaſſende Kirche zerfiel in Folge deſſen in lauter einzelne, getrennte, zuſammenhang - loſe Lokal - und Nationalkirchen; und die von Rom in Anſpruch genommene und eroberte Freiheit, Unabhängigkeit und Superiorität der geiſtlichen Macht verwandelte ſich in eine unwürdige, ohnmächtige Unterordnung unter das zu - fällig und willkührlich beſtimmte weltliche Regiment, welches vielmehr in angemeſſener Weiſe zu beſtimmen, zu beſchrän - ken, zu zähmen und zu leiten, die Aufgabe des Chriſten - thums und der chriſtlichen Kirche iſt. Die des römiſchen Principes beraubte Kirche ſank im Proteſtantismus zu ei - nem bloßen Momente und dienenden Organe der ſie ab - ſorbirenden politiſchen Macht herab, ward in eine nach Zufall und Laune ſo oder ſo gefärbte und zugeſchnittene knechtiſche Staatslivree geſteckt und zum Werkzeuge äußer - licher, unheiliger und ſelbſtſüchtiger Intereſſen und Zwecke erniedrigt. War der religiöſe Trieb des Menſchen hiemit nicht zufrieden geſtellt, verlangte er nach etwas Wahrerem, Reinerem, Freierem, Weſenhafterem, als ihm eine ſolche Kirche zu bieten vermag, ſo blieb ihm nur die einſame, trübe Zurückziehung in’s ſubjektive Innere des Individuums, oder ein ſektirender Abfall vom gemeinſamen Religions -7 verbande, der, wenn auch auf noch ſo gutem und Achtung verdienendem Grunde beruhend, doch allzu ſehr in’s Kleine, Obſcure, ja Abgeſchmackte und Lächerliche fiel, keiner groß - artigen und machtvollen Entwickelung fähig und ſo eben - falls untüchtig war, die großen, welthiſtoriſchen Probleme des Chriſtenthums zu löſen.

So viel von dieſem zweiten Elemente, dem römiſchen. Wir haben nun noch das dritte zu nennen, welches in Beziehung auf das Papſtthum zugleich in und mit dem römiſchen gegeben iſt das griechiſche. Dieſes war weſentlich ſchon vom alten, vorchriſtlichen Rom in ſich auf - genommen worden, ſo wie es für dieſen univerſalen Welt - ſtaat unumgänglich nöthig war, um nicht als eine, bei aller praktiſchen Tüchtigkeit und Größe doch nur barbariſche Macht und Gewalt, ſondern auch in Kraft und Namen des höheren Menſchengeiſtes und der feineren, dem Schönen huldigenden Bildung, die ſich bei den Griechen zu ihrem Gipfelpunkte erhoben, die Welt zu beherrſchen. Griechen - lands Weſen und Herrlichkeit wurde in Folge dieſes Vor - ganges nach Rom verpflanzt, und als es mit Griechenland und deſſen eigener Culturblüthe zu Ende war, blieben doch in der ſchönen weſtlichen Halbinſel die dahin gewanderten und daſelbſt einheimiſch gewordenen Keime der Intelligenz und des Geſchmackes, der Poeſie und der Kunſt bewahrt, die hier noch in ſpäten Jahrhunderten, als ein den päpſt - lichen Stuhl umgebender Kranz und Schmuck, ihre erneuten Blüthen trieben. Noch immer kann man ſagen, daß die Kunſt katholiſch ſei, während die abgefallenen Culte und Kirchenthümer auch dieſes Element hinweggeworfen oder nur in äußerſt beſchränktem und verkümmertem Maße bei - behalten haben, dadurch aber auch zu jener Dürre, Nüch - ternheit und Reizloſigkeit verkommen ſind, welche poetiſche und künſtleriſche Naturen ſo ungünſtig für ſie zu ſtimmen8 pflegt und ſchon ſo manche derſelben aus ihnen hinaus in den Schooß der alten, poetiſchen, gemüthvollen und kunſt - freundlichen Mutterkirche zurückgetrieben hat. *)Vergl. Beilage A.

Und hiemit hätten wir nun auch den dritten der Be - ſtandtheile genannt, die jene im Eingange vorläufig charak - teriſirte Totalität des römiſch-katholiſchen Kirchen - und Prieſterthums bilden. Damit iſt die Sache vollſtändig erſchöpft, und es gibt Nichts, was weiter von Nöthen wäre und vermißt werden könnte. Das Himmliſche, die Grenzen des Irdiſchen und Menſchlichen Ueberſchreitende, und die zwei weſentlichſten Seiten des Irdiſchen und Menſchlichen, wie ſie durch Rom und Griechenland vertre - ten ſind, verbinden ſich hier, um das allſeitigſte, gehaltvollſte und concreteſte Ganze zu formiren, das ſich denken läßt. Ein Hinzukommen noch anderer Momente könnte nur ta - delhaft, verfälſchend und verunreinigend ſein, ſofern es barbariſche, unmenſchliche und ungöttliche wären und nur wieder ausgeſchieden werden müßten. Die drei, die der Katholicismus, um Alles in Allem zu ſein, in der That in ſich ſchließt und ſeinen Zwecken gemäß in Anwendung bringt, können nun allerdings auch in einer Trennung und mit einer vorwiegenden Geltung einzelner Momente hervor - treten, durch welche die Totalität ihrer Erſcheinung mo - mentan beeinträchtigt, ja gänzlich aufgehoben wird. Es kann dies in der Nothwendigkeit der Zeitumſtände und der hiſtoriſchen Entwicklung liegen; es mag auch wohl zum Theil auf individuelle und perſönliche Urſachen zurückge - führt werden können jene drei großen, weſentlichen und weltwichtigen Momente ſind doch immer da, und ihre Ver - knüpfung zu nothwendig und unentbehrlich, als daß eines davon vollſtändig und für immer aufgegeben werden könnte. 9Es gab Päpſte, in denen vorzugsweiſe der Alles einheitlich verbindende und beſtimmende römiſche Univerſalismus zum Ausſpruche kam; andere, welche ſich, dem griechiſchen Prin - cip gemäß, vor Allem um Gelehrſamkeit und Kunſt ver - dient machten; andere endlich, in welchen die chriſtliche Negation des Selbſtiſchen und Sinnlichen ihre muſterhafte Vertretung hatte, womit auch wohl eine energiſche Reprä - ſentation der päpſtlichen Autorität und Macht verbunden war, ſo daß Mönch und Herrſcher zugleich auf dem Throne ſaß. Dies Alles wird einen tiefer ſchauenden, ächt philo - ſophiſchen Geſchichtsforſcher durchaus nicht befremden; es wird ihm die Nothwendigkeit und der Zuſammenhang der Sache vollkommen einleuchten, ſo weſentlich verſchieden und ſo einheitslos auseinanderfallend auch dieſe Charaktere und Manifeſtationen erſcheinen mögen, wenn man mit ober - flächlicher, ja feindſeliger Betrachtung daran geht, und nicht den Schlüſſel beſitzt, der das Verſtändniß eines ſo reich - haltigen, vielſeitigen und bei aller Varietät des Inhalts harmoniſch angelegten Phänomens eröffnet. Es iſt noch überdies zu bedenken, daß die Geſchichte des Papſtthums noch nicht zu Ende iſt, und daß dieſes große Ganze in der Reife der Zeit, bei vollendeter Ausbildung ſämmtlicher Momente und totaler Ausgleichung aller ſcheinbaren oder wirklichen Widerſprüche, eine Erſcheinung bieten mag, von deren Herrlichkeit und Vollkommenheit wir noch gar keine Vorſtellung haben.

[10]

II.

Das alte Rom als weltliche Baſis und Vorſtufe des Papſtthums. Nachweiſung der eigenthümlichen Myſtik, Spaltung und Befriedigungs - loſigkeit in ſich ſelbſt, mit welcher es über ſich hinaus auf ein dunkles Jenſeits der Zukunft weiſt.

Wir haben bemerkt, daß das geiſtliche Rom nicht bloß, wie proteſtantiſche Hiſtoriker wollen, als eine Erneuerung und Wiederholung des alten, weltlichen in geiſtlicher Form zu faſſen ſei; daß im Letzteren vielmehr ſchon das Erſtere wunderbar angelegt und im Keime vorhanden geweſen. Wir laſſen hiemit eine nähere Erörterung dieſes merkwür - digen Verhältniſſes folgen, das uns den Blick in die ge - heimſten Zuſammenhänge der Dinge und in die ſtaunens - würdigſten Tiefen der göttlichen Weltregierung zu eröffnen im Stande iſt.

Wer das alte Rom nur oberflächlich, ſeiner äußerlichen Erſcheinungsform und Schale nach, d. h. als einen kriege - riſchen, erobernden, Alles allmählig unter ſich zwingenden, ſich auf dieſe Weiſe zu einem ausgedehnten, deſpotiſchen Weltreiche geſtaltenden und endlich bei überhand nehmen - dem Verderben naturgemäß wieder auflöſenden Staat von11 übrigens gewöhnlichem Weſen und Charakter kennt und nimmt, der kann ohne Weiteres damit fertig zu ſein und keiner tieferen Forſchung zu bedürfen glauben, um der Sache auf den Grund zu kommen. In der That aber gibt es nichts Sonderbareres, Räthſelhafteres, ſeiner eigent - lichen Natur und Beſtimmung nach Dunkleres, Verſteckte - res, als dieſes Rom; es ſtellt ſich bei näherem Zuſehen durchaus nicht als etwas einfach Klares, ſich ſelbſt Glei - ches, dem Verſtändniß ſomit unmittelbar Zugängliches, ſondern als etwas vielmehr durchaus Gedoppeltes, Geſpal - tenes, Zweiſeitiges und Zweideutiges dar, und hat auch ſchon ſich ſelbſt als ein ſolches gefaßt und ausgeſpro - chen. Rom war der allbekannte, profane Name der Stadt; aber es hatte dieſelbe auch einen geheimen; und ein eigenthümlicher, geheimnißvoller Genius wachte über ſie; auf dem Capitol war ein Schild geweiht, auf welchem ge - ſchrieben ſtand: Dem Genius der Stadt Rom, ſei er Mann oder Weib. *)Servius ad. Virgil. Aen. 11.293 96: Genio urbis Romae, sive mas sit sive foemina. Es fanden hier, wie es ſcheint, nicht bloß Myſterien im Sinne der Verheimlichung eines dem Eingeweihten wohl bewußten Inhaltes Statt; die Sache litt an und für ſich an Unbeſtimmtheit und Dunkelheit. Der Römer hatte die Ahnung einer noch anderen Beſtimmung und Aufgabe, als diejenige war, die er äußerlich verfolgte; er glaubte, daß ihm in dieſer Beziehung auch eine eigene göttliche Obhut und Leitung zu Theile werde; einen deut - lichen Begriff davon ſcheint er nicht gehabt zu haben. Merkwürdig iſt übrigens, daß man Roma, welches dem Griechiſchen nach Kraft und Stärke bedeutet, rückwärts Amor las und daß dies der Myſterienname Roms ſein ſollte,**)Vergl. Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 1002. wo die Idee der Umkehrung von Roms krie -12 geriſchem und gewaltthätigem Charakter in ein ſanftes, liebevolles Gegentheil zum Vorſchein kommt.

Das Wort des Räthſels, wie es weiterhin die Welt - geſchichte thatſächlich ausgeſprochen hat, iſt dieſes, daß in dem äußeren, offenbaren, militäriſch-politiſchen, mit einem Worte weltlichen Rom, wie in einer Hülle und Ver - puppung, noch ein anderes, das ſpäterhin im Chriſtenthume zu entwickelnde geiſtliche ſtak; daß dieſe große Erſchei - nung mit einer künftigen, noch größeren, dem zum Träger und Organe eines höheren Princips gewordenen chriſtlichen Römerthum, ſchwanger ging, wie dies noch weiter aus Folgendem erhellt.

Der alte Römer war Krieger, Feldherr, Staats - mann. Das iſt die am meiſten hervortretende Seite ſei - nes Weſens; ja es kann ſcheinen, als ſei dies ſeine ganze Beſtimmung und Befriedigung geweſen. Aber eine eben ſo große Rolle ſpielte das religiöſe Moment. Cicero rühmt die Römer als die frömmſte Nation, die überall an die Götter denke, Alles mit Religion thue und den Göt - tern für Alles dankbar ſei. Poſidonius ſagt von den älteren Römern: Herkömmlich war bei ihnen Ausdauer und einfache Lebensweiſe und ein einfältiger, ungeſuchter Genuß ihrer Güter, ingleichen eine bewundernswürdige Ver - ehrung und Frömmigkeit gegen die Gottheit (ευσεβια ϑαυμαστη περι το δαιμονιον), auch Gerechtigkeit, ſehr viel Enthaltſamkeit in Betreff der Beeinträchtigung Ande - rer, verbunden mit fleißiger Betreibung des Ackerbaues. *)Vergl. Posidonii Rhodii reliquiae. p. 169. ed. Bake. Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 494.In ähnlicher Weiſe äußert ſich Valerius Maximus: Es war, ſagt er, ein beſtändiger Grundſatz unſeres Staates, den Religionspflichten jede andere Rückſicht unter -13 zuordnen, und zwar galt derſelbe auch für diejenigen Perſo - nen, die mit dem Glanze der höchſten Macht umgeben waren. Die irdiſche Größe nahm niemals Anſtand, ſich dem Heiligen zu unterwerfen. Unter den Beiſpie - len, die er gibt, iſt folgendes. Der Conſul Poſtumius, der zugleich Prieſter des Mars war, wollte ſich eben zum Kriege nach Afrika begeben. Da verbot ihm der Ober - prieſter Metellus mit Strafandrohung, die Stadt zu verlaſſen und ſich von ſeinem Tempeldienſt zu entfernen. Und es beugte ſich die höchſte Behörde vor dem Stabe der Religion. Der alte Autor nennt dies duodecim fascium religiosum obsequium. Unter ſolchen Umſtänden, meint er, ſei es nicht verwunderlich, wenn ſich die Gnade der Götter die Beſchirmung und Vergrößerung des Reiches ſtets angelegen ſein ließ. Er erzählt auch folgende That - ſache. Nach der Schlacht bei Kannä war kein Haus ohne Trauer, da der größte Theil der römiſchen Helden auf je - ner jammervollen, fluchbedeckten Stätte lag. Da gebot der Staat eine bedeutende Abkürzung der herkömmlichen Trauerzeit, damit ſich die Frauen, in weiße Gewänder ge - kleidet, dem Dienſte der Ceres widmen könnten. Das habe, meint Valerius Maximus, auf die Götter einen ſo beſchämenden Eindruck gemacht, daß ſie beſchloſſen, fortan nicht mehr ein Volk zu verfolgen, das ſelbſt durch die bit - terſten Erfahrungen nicht läſſig in ihrem Dienſte wurde.

Die Religion der Römer kann uns jetzt in vielem Betrachte nur als ein kindiſcher Aberglaube erſcheinen, dem eine ſpätere Aufklärung das ihm gebührende Recht anthat. Aber das iſt hier von keinem Belange. Es handelt ſich um das religiöſe Moment überhaupt, um die Anlage zu ſeiner Ausbildung und um die Thatſache, daß mit dem militäriſch-politiſchen Charakter der Römer ein ſo hochge - ſteigerter Sinn für Religion und eine ſo vorherrſchende14 Berückſichtigung derſelben verbunden war; daß dieſes Volk nicht wild und trotzig nur ſeiner eigenen menſchlichen Kraft und Macht vertraute, ſondern bei aller Energie des Wil - lens und Thuns und bei allem Gefühle und Bewußtſein irdiſcher Größe und Ueberlegenheit doch ſtets demuthsvoll den Blick nach oben richtete und all ſein Glück, ſeine Ho - heit und Herrſchaft nur einer göttlichen Gunſt und Obhut zu verdanken glaubte. Auch dieſe Seite des Römerthums war wieder merkwürdig in ſich ſelbſt geſpalten; eine ganz äußerliche, abergläubiſche, ja läppiſche und lächerliche Schaale enthielt einen edlen und tiefen Kern, der in jenen Zeiten nicht wohl von ihr zu trennen und in ſeiner Reinheit und Freiheit herauszufaſſen war, und der, wenn dieſe Schaale verachtet und verhöhnt wurde, zugleich mit ihr verloren zu gehen drohte; daher diejenigen nicht zu loben ſind, die ſich gegen Gebräuche der Art, ſo kleinlich und albern ſie auch erſcheinen mochten, ein Benehmen erlaubten, wie z. B. von P. Claudius Pulcher bekannt. Derſelbe wollte im erſten puniſchen Kriege ein Seetreffen liefern; die Auſpicien fielen jedoch ungünſtig aus, da die der Sitte gemäß be - obachteten jungen Hühner nicht freſſen wollten. Wenn ſie nicht freſſen wollen, ſo mögen ſie ſaufen , ſagte der irreli - giöſe Feldherr und ließ ſie in’s Waſſer werfen. Das Glück war nicht mit ihm. Er büßte im Gefechte ſeine Flotte ein, wie ſein College, L. Junius Pullus, der ebenfalls die Auspicien verachtete, die ſeinige durch einen Schiffbruch verlor. Der Eine wurde durch das Volksgericht verurtheilt, der Andere tödtete ſich ſelbſt. Man vergleiche über dieſe Gegenſtände namentlich das erſte Buch der Beiſpiel - ſammlung des Valerius Maximus! Dieſer Schrift - ſteller, der zur Zeit des Kaiſers Tiberius lebte, zeigt uns in ſeinem Werke, was damals noch Alles geglaubt wurde. Er führt auch Fälle von Nichtachtung ſolcher15 Dinge und darauf folgendem Unheil an, und bricht einmal nach einer ſolchen Erzählung in die Worte aus: Hier liegt ein Beiſpiel vom Grimme der Götter vor, wenn man ſie verachtet. So werden die Gedanken der Menſchen ge - demüthigt, wenn ſie ſich über den Willen der Götter er - heben.

Ein nicht zu überſehender Umſtand iſt der, daß mit dem religiöſen Momente, wie es von Numa eingeführt wurde, ein humaniſtiſches Princip verbunden war, das allzu un - menſchlichen Verfahrungsweiſen ſelbſt gegen Feinde und Verbrecher wehrte. Das Gegentheil trat gleich wieder nach Numa unter dem wilden Religionsverächter Tullus Hoſtilius hervor. Derſelbe ließ den Mettus Fuffe - tius durch Pferde zerreißen, und das war, wie Livius bemerkt, das erſte und letzte Beiſpiel einer die Geſetze der Menſchlichkeit vergeſſenden Todesſtrafe bei den Römern; ſonſt , ſagt er, dürfen wir uns rühmen, daß kein Volk mildere Strafen beliebte.

Eine vorzügliche Beachtung verdient ferner das heilige Collegium der pontifices mit ſeinem Oberprieſter, dem pontifex maximus, ſo wie auch der höchſt eigenthümliche Name dieſer Prieſterſchaft, wo wieder ein unerwartet großer und tiefer Sinn in die Augen leuchtet. Dieſe pontifices waren keine Diener einzelner Gottheiten und Vollzieher be - ſonderer Religionsgebräuche; es war ihnen die Aufſicht über das Ganze vertraut; wenn von einer höheren geiſtli - chen Würde die Rede iſt, ſo ſteht der Name pontifex, während im Uebrigen der Ausdruck sacerdos gebräuchlich, ſo daß man ſagen kann, jeder pontifex ſei auch ein sa - cerdos, nicht jeder sacerdos aber ein pontifex geweſen. Den höchſten Rang hatte der ſogenannte pontifex maxi - mus, der auf lebenslang gewählt war und Italien nicht verlaſſen durfte. Wir ſehen ihn unter den übrigen Dingen,16 welche er vor den anderen Prieſtern voraus hatte, mit ei - nem öffentlichen Hauſe geehrt, das ſich auf der heiligen Straße befand, wo auch Numa Pompilius ſeine könig - liche Burg gehabt. Er war der oberſte Richter in den die Heiligthümer und Religionsgebräuche betreffenden Angelegen - heiten, und konnte nicht nur Privatperſonen, ſondern auch Behörden ſtrafen, wenn ſie ſeinen Anordnungen ungehorſam waren. Ein Beiſpiel ſeiner Macht iſt ſchon oben vorge - kommen. Man ſieht, wie es auch hier ſchon auf eine überragend große, geiſtliche Autorität angelegt war. Am merkwürdigſten aber iſt der Name; denn pontifex heißt Brückenbauer, was nichts Anderes, als einen prieſter - lichen Vermittler zwiſchen Menſch und Gott, Erde und Himmel, Dieſſeits und Jenſeits, bedeuten kann. *)Es laſſen ſich hiemit die attiſchen Γεφυρεις vergleichen, welche von γεφυρα, Brücke, benannt waren, ihren Urſprung auf Kadmos zurück - führten und für wohlerfahren in geheimen Dingen gehalten wurden.

Betrachten wir die Anfänge Roms, ſo erſtaunen wir billig über die hier ſogleich hervortretenden, ſich wechſelsweiſe zur Geltung bringenden Gegenſätze, Extreme und Wider - ſprüche. Zunächſt ſehen die Dinge gar nicht erbaulich aus und flößen uns mehr Abſcheu und Geringſchätzung, als Achtung und Bewunderung ein. Die Stifter Roms wer - den von einer heidniſchen Nonne geboren, ausgeſetzt, von einer Wölfin geſäugt und von Hirten erzogen; ein Bruder erſchlägt im Streit den anderen; Rom iſt ein Aſyl für Flüchtlinge, Verbrecher, Unzufriedene; man nimmt Alles auf, was kommt; die Nachbarſtaaten wollen mit einem ſolchem Geſindel keine Gemeinſchaft haben; um Frauen zu bekommen, muß man ſie rauben; Romulus wird bei guter Gelegenheit von den Vätern hinweggeräumt; dem Volke ſagt man, er ſei zum Gotte geworden. Aber wie17 durch einen Zauberſchlag iſt die Scene plötzlich umgewan - delt, ſo daß ſich das völlige Widerſpiel und Gegenbild der vorausgegangenen barbariſchen Zuſtände zeigt. Der fromme Sabiner Numa Pompilius tritt auf und verrichtet ein Wunder der Staatskunſt und der Bändigung roher und wilder Kräfte, wie ſonſt keines bekannt, indem er ſich rein nur der ſanften Mittel der Religion und einer Ehr - furcht gebietenden Perſönlichkeit bedient. Plutarch ver - gleicht ihn mit Lykurg und hebt dabei dies an ihm als einzig groß und wunderbar hervor, daß es ihm, dem vom Auslande her auf den Thron Berufenen, gelungen ſei, Alles durch Ueberredung umzugeſtalten, und in einer Stadt, welcher Einigkeit noch fremd war, Herr zu werden nicht durch Waffen und irgend gewaltſame Mittel, wie doch Lykurg ſich an die Spitze der Edlen gegen das Volk geſtellt, ſondern indem er durch Weisheit und Gerechtigkeit Alles zu ſchönſter Harmonie verband. Livius ſagt von ihm, er habe die zunächſt durch Gewalt und Waffen ge - gründete Stadt durch ſeine Geſetzgebung und Sittigung von Neuem gegründet. Und offenbar war dieſe zweite Gründung die eigentliche, da die vorhergegangene Anſiede - lung nur einen rohen Stoff lieferte, aus welchem erſt dieſer erhabene Mann ein wahrhaft geſellſchaftliches Gebäude ſchuf.

So tritt uns denn gleich im altergrauen Hintergrunde der römiſchen Geſchichte eine ehrwürdige prieſterliche Ge - ſtalt entgegen, in der es wohl erlaubt ſein mag, das erſte, entfernte Vorbild der hohen Kirchenfürſten zu erblicken, die im chriſtlichen Weltalter den römiſchen Thron einnahmen. Gleich auf ihn folgt wieder ein kriegliebender und ſtreit - ſüchtiger Herrſcher, der wilde Tullus Hoſtilius, der Zerſtörer Alba Longa’s, der Mutterſtadt Roms, eine Er - ſcheinung, die einen nicht nur einfach rohen, natürlich be - ſtimmten, ſondern oppoſitionellen und tendenziös outrirten218Charakter hat. Dieſer König , ſagt Livius, war nicht nur dem vorhergegangenen unähnlich, ſondern ſogar noch kriegeriſcher als Romulus. Die Abſicht dieſes Fürſten war, den durch ſeinen Vorgänger gedämpften kriegeriſchen Geiſt des Römerthums wieder aufzuwecken, wobei er mit einer Einſeitigkeit und Leidenſchaft verfuhr, die jenes fromme und friedliche Element ſchonungslos zu verdrängen ſuchte, damit aber ſo wenig zu Stande kam, daß ſich daſſelbe am Ende ſogar bei ihm ſelbſt, und das in einer um ſo ängſt - licheren und frömmleriſcheren Manier, wieder geltend machte. Seine trotzige Kraft ward erſt durch eine Krankheit ge - brochen, ſo daß, wie Livius ſagt, derſelbe Mann, der Nichts für unköniglicher gehalten hatte, als ſich mit heili - gen Dingen zu befaſſen, auf einmal jedem großen und kleinen Aberglauben fröhnte und auch das Volk mit allerlei Gedanken frommer Angſt erfüllte. Er ſchlug auch die Bücher des Numa nach und fand da gewiſſe myſteriöſe Opfer beſchrieben, die eine himmliſche Erſcheinung zur Folge haben ſollten. Es ward ihm, als er zu dieſem Opfer ſchritt, keine ſolche zu Theil; er wurde vielmehr von Jupiter mit dem Blitze erſchlagen und verbrannte mit ſei - nem ganzen Haus.

Man wird fühlen, daß dies Alles von der größten Bedeutung iſt. Selbſt wenn dieſe Darſtellungen nur ein Gedicht, oder eine durch Erfindungen ausgeſchmückte Ge - ſchichte ſein ſollten, ſo würden ſie doch immer ein höchſt merkwürdiger Spiegel römiſcher Denkarten, Geſinnungen und Tendenzen ſein. Es wäre jedenfalls dadurch kund gethan und deutlichſt ausgedrückt, daß es ſich bei dieſem Volke und Staate keineswegs nur um Kühnheit, Thatkraft, Sieg und Eroberung handle, und daß Rom noch einen anderen Beruf zu erfüllen habe, den religiöſen und prieſter - lichen, der nie aus den Augen geſetzt werden dürfe. Für19 uns zeigt ſich darin beſtimmter die behauptete Anlage zu der Umwandlung des weltlichen Roms in das geiſtliche, das für jenes Alterthum ſelbſt noch in ferner, dunkler Zu - kunft, doch, deſſen innerſtem Sinn und Geiſte nach, offen - bar ſchon ſehr nahe lag.

Fragt man, ob ſich dieſe Anlage nicht auf ähnliche Weiſe auch in ſpäteren Zeiten herausgeſtellt, ſo fehlt es auch hier an ſolchen Spuren und Analogien keineswegs. Namentlich zeigt ſich dies in der Kaiſerzeit, nachdem der fürchterliche Schwindel und Wahnſinn, der die römiſchen Weltherrſcher ergriff, bereits ſeine Rolle geſpielt, und ſeine hervorragendſten Repräſentationen erhalten hatte. Es gab wohl nirgend ſcheußlichere Tyrannen, als auf dieſem Throne; aber es ſaß auch eine Anzahl der edelſten und liebenswür - digſten Menſchen darauf, die die Geſchichte kennt. Die Güte eines Titus z. B. iſt eben ſo weltbekannt und zu einem eben ſo ewigen Beiſpiele und Sprüchworte geworden, als eines Nero Tollheit und Grauſamkeit. Das gute Princip wird ſogar einen ganzen langen Zeitraum hin - durch entſchieden vorherrſchend und ſiegreich gefunden. Mit Nerva begann eine Reihe von Regierungen, die über achtzig Jahre dauerte, die man als die glücklichſte Periode der Menſchheit, als eine Art von goldenem Zeitalter ge - prieſen hat und der man ihre jedenfalls relativ großen und preiswürdigen Vorzüge nicht ſtreitig machen kann. Der glorreich herrſchende Trajan, der Beſte genannt; der, wenn auch nicht tadelloſe, doch ebenfalls mit vorzüglichen Eigenſchaften ausgerüſtete Hadrian, welcher zehn Jahre lang ſeine ſämmtlichen Staaten in allen drei Welttheilen, meiſt zu Fuße und in bloßem Kopfe, bereiſte; der von ihm adoptirte Antoninus Pius, deſſen Güte, Weisheit, Einfachheit, geräuſchloſe Thätigkeit und ſtrenge Ordnung das Reich beglückte und den von ihm beherrſchten Völkern2*20Ruhe und Wohlſtand ſicherte; der von dieſem wieder adop - tirte Marcus Aurelius, der ſtoiſche Philoſoph, der unter den ſchwierigſten Umſtänden regierte und ein ewig denkwür - diges Muſter jeder Art von Güte, Tugend und Trefflich - keit war das ſind die glänzenden Sterne, die dieſen ausgezeichneten Zeitraum ſchmückten. Von den beiden zu - letzt Genannten ſagt Schloſſer: Unter ihnen ſchien die Zeit da zu ſein, wo nach Plato’s Wunſche Philoſophie und Wiſſenſchaft die Welt regieren würden; denn beide verbanden tiefe, innere Bildung, ächten Sinn für das - here und ein wahrhaft edles Streben mit Einfachheit, Sit - tenreinheit, Gerechtigkeit und Herzensgüte. Nach Marc Aurel kam wieder durch den Zufall der Geburt ein Un - menſch, wie Commodus, zur Herrſchaft. Aber dieſem Zufall war doch wenigſtens eine Zeit lang durch weiſe Adoption edler Menſchen und tüchtiger Nachfolger geſteuert worden. Nun trug zwar die Herrſchaft der vorzüglichen und achtungswerthen Kaiſer Roms, wovon die Rede iſt, nicht den formell religiöſen Charakter, wie Numa’s prie - ſterliches Regiment; dem Weſen nach war ſie jedoch ſo verſchieden nicht. Die ſtoiſche Philoſophie, die mit den Antoninen auf dem Throne ſaß, hatte ſogar eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem Chriſtenthume; manche Anſchauun - gen und Lehren hatte ſie ganz mit dieſer Religion gemein, wie mit unumwundener Anerkennung ſchon Hieronymus in ſeiner Auslegung des 11. Cap. des Jeſaias bemerkt. *)Stoici, qui nostro dogmati in plerisque concordant, nihil appellant bonum, nisi solam honestatem atque virtutem, nihil malum, nisi turpitudinem. Als eine auf dieſe Analogien eingehende Abhandlung wird folgende angeführt: M. D. Omeisii disp., qua stoicorum philosophiam moralem sobriam eorumque placita cum ehristianismo convenientia ostendit. Altorf. 1699.Bekannt iſt der von dem Stoiker Kleanthes verfaßte21 Hymnus auf Zeus, der mit den höchſten und reinſten Vor - ſtellungen, die wir von Gott zu haben im Stande ſind, in bewundernswürdiger Uebereinſtimmung iſt. *)Vergl. hierüber die Aeußerungen Tennemann’s: Geſchichte der Phi - loſophie. IV. S. 236.Die von Epiktet gegebenen Vorſchriften hat ſein Schüler Arrian, ein kleinaſiatiſcher Grieche und Freund des Kaiſers Ha - drian, in einer Schrift zuſammengeſtellt, welche Enchiridion betitelt iſt und mit der Sittenlehre des Chriſtenthums ſo vielfach harmonirt, daß Manche daraus ſchließen zu dürfen geglaubt haben, Epiktet ſei Chriſt geweſen. Die Stoiker ſtellten namentlich auch den Grundſatz der Feindesliebe auf. Marc Aurel ſelbſt hat uns ein in dieſen Bezie - hungen ſehr merkwürdiges Buch hinterlaſſen, eine Samm - lung von Notizen, Reflexionen und Maximen, welche den Titel: An ſich ſelbſt führt. Die ſchönſte Seele, die lauterſte Geſinnung, der ſanfteſte Charakter, das ernſtlichſte Streben nach dem Guten und Edlen, nebſt einer großarti - gen, von allem Particularismus, aller inhumanen Aus - ſchließung und Härte freien Weltanſchauung thut ſich in dieſem Buche kund. **)Vergl. im Anhange den Aufſatz: Stoa und Chriſtenthum. Höchſt intereſſant ſind die Schil - derungen, die hier Marc Aurel von ſeinem einfach gu - ten und großen Vorgänger im Reiche, Antoninus Pius macht; ſie erfüllen uns mit der höchſten Achtung ſowohl für den Preiſenden, als für den Geprieſenen. Als Marc Aurel im Begriffe war, wider die Scythen zu Felde zu ziehen, verſammelten ſich vor ſeinem Palaſte die Römer und ſtellten an ihn die Bitte, er möchte ihnen vor ſeiner Abreiſe eine Anleitung zu ächter Lebensführung und Pflicht - erfüllung aufſetzen, damit ſie für die Zeit, in welcher er, ihr perſönliches Muſter und Vorbild, abweſend ſei, Etwas22 hätten, woran ſie ſich halten könnten. Der Kaiſer wandte drei Tage darauf, um dieſem Wunſche zu genügen. Das iſt doch wahrlich ein mehr geiſtliches, als weltliches Regi - ment zu nennen, wiewohl die Sache die ſpecielle Färbung des Zeitalters trägt, das ſich eben ſo ſehr von dem des Numa, als von dem der ſpäteren chriſtlichen Kirchenfür - ſten unterſcheidet, mit beiden aber, was jene philoſophiſche Richtung und deren wohlthätige Repräſentation auf dem römiſchen Kaiſerthron betrifft, in einem doch unverkennba - ren Zuſammenhange ſteht. *)Schließlich mache ich noch auf den im Anhange zu findenden Aufſatz über Janus aufmerkſam. Es mußte mir, als ich an dem vorliegen - den Capitel ſchrieb, nothwendig auch jene ſonderbare doppelköpfige Gott - heit beifallen, die ein ſo anſchauliches Bild des in ſich ſelbſt geſpaltenen und gedoppelten Römerthums darbietet. Die darauf hin unternommene Erörterung dieſes merkwürdigen Symboles dehnte ſich jedoch zu einer eigenen kleinen Abhandlung aus, die ich denn auch für gut fand, als ſolche beſonders zu ſtellen und unter die Beilagen des Anhanges zu verweiſen.

[23]

III.

Das Griechenthum, ſofern es als eine ideelle Anticipation des Chri - ſtenthums zu betrachten iſt. Der Heraklesmythus ein Chriſtenthum der Idee, eine poetiſche und mythologiſche Fata Morgana der chriſtlichen Wahrheit und Wirklichkeit.

Wir haben im vorſtehenden Capitel zu zeigen verſucht, wie das alte, weltliche Rom zur ganz ſpeciellen und un - mittelbaren Vorbereitung und Grundlegung des geiſtlichen auf Seiten des heidniſchen Weltprozeſſes gedient. Da wir aber bei unſerer Analyſe des römiſch-katholiſchen Prieſter - und Kirchenthums nicht nur ein römiſches, ſondern auch ein griechiſches Element und Princip erkannt, ſo kann es ſchicklich und intereſſant erſcheinen, nun auch einen nähe - ren Blick auf das alte Griechenthum zu werfen, um ſeine etwaige, wenn auch entferntere und verſtecktere Beziehung zu chriſtlichen und kirchlichen Dingen zu erkennen.

Es iſt hier nicht die Rede von einzelnen und abſon - derlichen Erſcheinungen, nicht von ſolchen, die mehr oder weniger aus dem allgemeinen Weſen der griechiſchen Welt heraustraten und dadurch eine gewiſſe Beziehung zum Chri - ſtenthum erlangten, oder die gar ein uns an dieſem Orte ſpeciell intereſſirendes Gepräge erſt bei den Römern an -24 nahmen, wie die im vorhergehenden Capitel berührte ſtoiſche Philoſophie. Wir ſehen auf die griechiſche Welt überhaupt zurück, wie ſie in ihrer reinſten und ächteſten Eigen - thümlichkeit, ihrer volleſten Blüthe, ihrer culminirendſten Kraft und Größe zu welthiſtoriſcher Entwickelung und Er - ſcheinung gekommen. Dieſe nun hat zu chriſtlichen und kirchlichen Dingen ein allerdings ganz anderes Verhältniß, als das Römerthum und ſein militäriſch-politiſches Problem und Werk in der Weltgeſchichte. Sie iſt keine ſo räthſel - hafte, geheimnißvolle, zweiſeitige und zweideutige, für ſich ſelbſt ungenügende, über ſich ſelbſt hinausweiſende und hin - ausgreifende Vorſtufe eines ſpäter zu entwickelnden Phäno - mens geweſen, wie das Römerthum, deſſen Sinn, Bedeu - tung und Zweck erſt durch das in der Entfaltung und Blüthe - zeit deſſelben noch ſo fern liegende chriſtliche Rom aufgeſchloſ - ſen wird. Die griechiſche Welt ſteht weit einfacher, freier und ſelbſtſtändiger da, ſo daß ſie ſehr wohl auch für ſich aufgefaßt und verſtanden werden kann, oder daß ſie wenig - ſtens eine ganze, große, über das griechiſche Denken, Schaf - fen und Leben glänzend ausgebreitete Seite bietet, an die man ſich halten kann, um ſich das helleniſche Cultur - und Kunſtprincip genügend anzueignen. Wer tiefer ſchaut, der bemerkt, daß eine gewiſſe vorläufige und vorbildliche Be - ziehung auf die Erſcheinungen und Thatſachen des chriſt - lichen Weltalters, die zu betrachten von hohem Intereſſe iſt, auch hier nicht fehlt. Es ſcheint, als ob Griechen - thum und Chriſtenthum zwei direkte, totale, völlig aus - einanderfallende und unverſöhnliche Gegenſätze bildeten, und man erinnert ſich wohl, wie in nahe liegender Vergangen - heit dieſer Anſchein benutzt worden iſt, um das Chriſten - thum als ein trübes, finſteres, barbariſches Phänomen ge - gen das gebildete Heidenthum, ſeine heitere Sinnlichkeit und ſchöne Menſchlichkeit in Schatten zu ſtellen. Um ſo25 überraſchender iſt es, wenn man erkennt, wie mächtig und grandios die chriſtliche Idee, wiewohl ganz in die ſpecifiſch nationale und temporelle Form gefaßt, ſchon bei den Grie - chen hervorbricht, ja wie ſie ſo recht eigentlich den Gipfel und die Blüthe der ganzen antiken Poeſie und Mythen - bildung formirt, und das nicht etwa erſt in Folge einer Wendung, wodurch dieſes Alterthum ſich ſelber untreu wurde und einem in daſſelbe verändernd und verfälſchend einbrechenden fremdartigen Einfluß unterlag. Es iſt na - mentlich jenes von Alters her gegebene mythiſch-ſymboliſche Heroenideal, es iſt der allbekannte, aber noch keineswegs genügend erkannte und ergründete Heraklesmythus, worauf wir hinzielen, da ſich in ſelbigem ein poetiſches Analogon und Vorſpiel der Erſcheinung und Geſchichte Chriſti un - möglich verkennen und läugnen laſſen wird. Faſſen wir ihn zunächſt nur ganz kurz und ſcharf in ſeinen offen da - liegenden Haupt - und Grundzügen auf, um uns von die - ſem merkwürdigen Verhältniſſe zu überzeugen!

Es iſt ein wunderbar erzeugter Gottesſohn und Gott - menſch, von dem dieſer Mythus ſpricht, der Sprößling des griechiſchen Gottvaters Zeus und der liebſte ſeiner Söhne; ein Helfer und Heiland, wie ſonſt keiner war, beſtimmt, von Menſchen und Göttern Unheil abzuwehren. Pallas Athene, die Weisheit von oben, iſt ſeine Lenkerin und Hel - ferin. Das in ihm erſcheinende Höhere, Göttliche iſt aber erniedrigt zur Knechtsgeſtalt; er muß einem viel ſchlechte - ren Manne, dem Feigling Euryſtheus, dienen, der die ihm, dem großen Sohne des Zeus, gebührende Herrſchaft in ſei - nen unwürdigen Händen hat. Der Held fügt ſich darein, weil es die Götter wollen; und ſo muß er kämpfen und leiden ſein Lebenlang, ja eines furchtbar ſchmerzlichen To - des ſterben, ſchwingt ſich aber, indem er ſich auch dieſem grauſamen Schickſale willig hingibt, in verklärter Geſtalt26 zum Himmel empor und wird daſelbſt mit Hebe, dem Sym - bole der ewigen Jugend, vermählt.

Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte,
Ging in ewigem Gefechte
Einſt Alcid des Lebens ſchwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmte Leuen,
Stürzte ſich, die Freunde zu befreien,
Lebend in des Todtenſchiffers Kahn.
Alle Qualen, alle Erdenlaſten
Wälzt der unverſöhnten Göttin Liſt,
Auf die willigen Schultern des Verhaßten,
Bis ſein Lauf geendet iſt,
Bis der Gott, des Irdiſchen entkleidet
Flammend ſich vom Menſchen ſcheidet
Und des Aethers reine Lüfte trinkt.
Froh des leichten, ungewohnten Schwebens,
Flieht er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild ſinkt und ſinkt und ſinkt.
Des Olympos Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kronion’s Saal;
Und die Göttin mit den Roſenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.
*)Aus Schiller’s Gedichte: Das Ideal und das Leben. Der Kern des Mythus iſt hier auf eine bewunderungswürdige Weiſe herausgefaßt.
*)

Schon ſo viel würde genügen, um die behauptete auf - fallende Analogie zu documentiren. Zwar hat Alles in dieſem Mythus die ganz eigenthümliche griechiſche Färbung und Form; man wird nirgend verſucht, zu glauben, daß etwas daraus in das Evangelium oder aus dieſem in den Mythus gekommen; beide ſtehen inſofern für ſich in reiner Sonderung und Selbſtſtändigkeit da. Aber eben dies iſt das Intereſſante und Merkwürdige, da der Idee, dem Geiſte,27 dem Sinne nach gleichwohl die unverkennbarſte Verwandt - ſchaft in’s Auge leuchtet. Es iſt der nämliche Prozeß des Herabſteigens aus einer höheren Region, eines daraus ſich ergebenden Zuſtandes der Erniedrigung und des Leidens, einer dabei entwickelten gottmenſchlichen Berufsthätigkeit, eines qualvollen irdiſchen Untergangs und eines ſiegreichen Wiederauflebens und Aufſteigens daraus zu um ſo größe - rer Herrlichkeit innerhalb des höheren Gebietes, aus dem ſich das Göttliche herabgelaſſen, um dieſen Prozeß durch - zumachen. Gehen wir in die Sache ſpecieller ein, ſo wer - den wir uns um ſo mehr überzeugen, wie groß und be - deutſam der nicht äußere, wohl aber innere Zuſammen - hang und Aehnlichkeitsgrund der beiden zu vergleichenden Seiten iſt.

Ich habe hiebei den Vortheil, eine Arbeit des ſcharf - ſinnigen Philologen und Mythologen Buttmann be - nutzen zu können, der eine Abhandlung über den Mythus des Herakles geliefert, worin er aus inneren Gründen wahrſcheinlich zu machen ſucht, daß die Geſchichte des Hel - den durchaus nicht hiſtoriſchen, ſondern rein nur poetiſchen Grundes und Urſprunges, eine ſinnvolle moraliſch-allego - riſche Dichtung ſei. Eine ſolche Wahrſcheinlichkeit ent - ſteht , ſagt Buttmann, wenn in einer Erzählung ein ſo deutlicher poetiſcher Zuſammenhang iſt, eine ſo ſichtbare Einheit zu einem gewiſſen Zwecke herrſcht, die Data, welche offenbar die Haupt - und Grundzüge bilden, ſich dermaßen zuſammenrunden und in Beziehung auf den poetiſchen Zweck ſo vollſtändig ſind, wie es die wirkliche Geſchichte niemals zuſammen darbietet. Wir erkennen die Hand eines Dich - ters, wie ich ſie in der Geſchichte des Herakles von An - fang bis zu Ende erkenne. Weiterhin heißt es: Eine ſo vollendete, runde Schilderung, die Eins iſt von An - fang bis zu Ende, durch und durch von moraliſcher Ten -28 denz und allegoriſcher Einkleidung, deren Grundzüge ſich fortdauernd als Haupttheile der Geſchichte des Helden, mit - ten unter einer Menge der verſchiedenartigſten Zuſätze und planloſer Häufungen, erhalten und deren Nebenzüge, ob - gleich hie und da vereinzelt, ſich doch ſogleich als zu jenem Ganzen gehörig ausſprechen, kann von keinem Vorurtheils - freien für eine bloß durch Sage und Dichtung vergrößerte, mythiſch gewordene Geſchichte gehalten werden; es iſt ein reines Dichterprodukt, das, unter die geſchichtlichen Sagen verwebt, ſelbſt allmählich viel Geſchichtliches an ſich gezo - gen hat.

Ich ſtimme nicht in allem Einzelnen mit dem genann - ten Forſcher überein; im Ganzen aber ſcheint er mir Recht zu haben; nur glaube ich noch tiefer greifen und der Sache namentlich auch eine prophetiſch-viſionäre Bedeutung zuer - kennen zu müſſen, während ſich Jener bei aller Vergeiſti - gung und Idealiſirung des Mythus doch noch viel zu ſehr auf der Oberfläche hält und den tiefſten, innerſten Kern und Ernſt der Sache nicht herauszukehren wagt.

In Beziehung auf den gewichtvollen Umſtand, daß die Weisheitsgöttin Pallas Athene die beſtändige, ſpecielle Schutzgottheit des Helden iſt, ſagt Buttmann: Es beſtätiget dies den von uns gegebenen höheren Begriff des Herakles, daß er nämlich nicht bloß das Ideal ungebilde - ter Körperkraft, nicht nur ein die Welt mit der Keule durchziehender, allenfalls gutmüthiger Todtſchläger, ſondern zugleich das menſchliche Ideal aller Geiſtesvorzüge ſei, de - ren göttliches Urbild Pallas iſt. Was ihn anders darzu - ſtellen ſcheint, erwächſt bloß aus den entſtellenden Zuſätzen ſpäterer Perioden.

Vieles in dem Mythus kann uns anſtößig und un - würdig, wenigſtens allzu unpaſſend und ſtörend in Bezie - hung auf den von uns gewagten Vergleich mit evangeli -29 ſchen Dingen erſcheinen. Man darf aber nur die bildliche Hülle abſtreifen, die populäre Faſſung und Modifikation beſeitigen, ſo liegt, wie öfters in alter Mythologie, ein großer, ſtaunenswerther Sinn vor Augen.

In einer dreifachen Nacht wird der Held erzeugt, weshalb er denn auch τριεσπερος λεων, der in der drei - fachen Nacht erzeugte Löwe, heißt. Wie leicht iſt zu er - kennen, daß hiebei eine bekannte Ausdrucksweiſe ihre Rolle geſpielt, nach welcher dreifach und dreimal, τρις, τρι in vielen Zuſammenſetzungen, wie in τριςευδαιμων, τρις - μακαρ dreimal d. h. ſehr oder höchſt glücklich oder ſelig, τριςκακοδαιμων, τριςαϑλιος, dreimal d. h. ſehr oder höchſt unglücklich, u. ſ. w.*)Vergl. im Lateiniſchen ter in der Bedeutung ſehr oder höchſt, ter felix, terque quaterque beatus, triplex ſtatt groß; dann Zuſammen - ſetzungen, wie triperditus, ganz verloren, trifur, Erzdieb, trifurcifer, Erzſchurke; franz. très, ſehr, von τρις, ter mit verlorener Urbedeutung. eine ſteigernde Bedeutung hat. He - rakles iſt das Licht des Heils, das aus der dreifachen Nacht des Unheils aufleuchtet, von welcher Erde und Menſchheit umfangen iſt, vergl. Jeſ. 9, 1: Das Volk, das im Fin - ſtern wandelt, ſchauet ein großes Licht, und die da ſitzen in Todesnacht, Licht erglänzet über ſie. Und Jeſ. 60, 1 ff. : Auf, werde Licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit Jehova’s gehet auf über dir. Denn ſiehe, Dunkel decket die Erde und Finſterniß die Nationen, aber über dir gehet Jehova auf und ſeine Herrlichkeit erſcheinet dir. Und es gehen Völker nach deinem Lichte und Könige nach dem Glanze, der dir aufgegangen. Ferner im neuen Teſtamente: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nach - folget, der wird nicht wandeln in der Finſterniß, ſondern er wird das Licht des Lebens haben. Ev. Joh. 8, 12. Vergl. Cap. 1, 4 ff., 12, 35 und 46. Luc. 1, 78 f.

30

Es kommt auch eine Verſuchung des Herakles vor, bekannt unter dem Namen: Hercules am Scheidewege. Es iſt eine moraliſche Erzählung, die von Sokrates*)In Xenophon’s Denkwürdigkeiten des Sokrates. auf Prodikos zurückgeführt wird, die aber Buttmann gleichwohl für ächt mythiſch hält. Als Herakles, ſo heißt es, die Jahre der Kindheit über - ſchritten hatte, begab er ſich in eine einſame Gegend, um über den von ihm einzuſchlagenden Lebensweg nachzuden - ken. Da erſchienen ihm zwei allegoriſche Frauengeſtalten, die Wolluſt und die Tugend; jede ſuchte ihn für ſich zu gewinnen; er entſchloß ſich für die letztere, trotz der von ihr nicht verhehlten Beſchwerlichkeiten des Tugendpfades. Mag nun dieſe Darſtellung einen urſprünglichen Zug des Mythus bilden, oder erſt ſpäter hinzugedichtet ſein, ſie macht wirklich einen organiſchen Beſtandtheil des Ganzen aus; denn ein Held und Heiland muß wiſſen, was auf ihn wartet, was er aufgibt und was er zu ertragen haben wird; er muß den Weg, den er einſchlägt, mit vollem, klarem Bewußtſein wählen, da ſonſt ſein Leiden und Thun an innerem Unwerthe krankt und für ein erhabenes Vor - bild voll ſittlicher Kraft und Charaktergröße nicht gelten kann.

Wohl zu bemerken iſt auch dieſes, daß hier Alles auf göttliche Anordnung, unter göttlicher Leitung, dem Wil - len und Ausſpruche der größten und höchſten Gottheiten, des oberſten Herrn und Vaters Zeus, der Athene, dieſer Perſonifikation ſeiner Weisheit, des Apollon, ſeines gött - lichen Propheten, gemäß, geſchieht und daß ſich Herakles, wiewohl ſo kühn und ſtark, daß er ſelbſt Götter zu ver - wunden vermag, alldem unterwirft, ſo ſchwer es ihm auch fallen mag. In den wichtigſten Angelegenheiten fragt der -31 ſelbe zu Delphi an, was er thun ſolle, und folgt dem wenn auch noch ſo harten, Götterſpruche. Der elende Eu - ryſtheus ruft ihn zu ſich, um ihn durch Auflegung ſchwe - rer und unmöglicher Arbeiten und Abentheuer zu verderben. Da Herakles widerſteht, ſo gebeut ihm Zeus, zu gehor - chen, und das delphiſche Orakel beſtätigt dieſen Befehl. *)Diodor 4, 10.In ſeiner letzten Krankheit wünſcht er Geneſung; der Gott aber befiehlt ihm, zu ſterben, und er ſtirbt. Vater, iſt’s möglich, ſo gehe dieſer Kelch vorüber vor mir; doch nicht mein Wille geſchehe, ſondern der deinige. Matth. 26, 39. Vergl. Jeſ. 50, 5 f. Cap. 53, 7. Philipp. 2, 8: Er demüthigte ſich und ward gehorſam bis zum Tode, u. ſ. w.

Herakles hieß beſtimmt der Heiland, er wurde He - rakles Apotropaios, Alexikakos und Keramyn - tes, der Abwehrer des Unheils und Verderbens, Soter, der Retter, Paraſtates, der Helfer, Pacifer, der Frie - denbringer, ευεργετης των ανϑρωπων oder auch bloß He - rakles Euergetes, der Wohlthäter, ja der Abweh - rer des Fluches für Götter und Menſchen ge - nannt. Um dies Letztere zu ſein, dazu hatte ihn nach ei - ner uralten Vorſtellung ſein erhabener Vater erzeugt.

Unter den ſogenannten Arbeiten des Herakles ſind zwei die merkwürdigſten; ſie möchten auch wohl die weſentlich - ſten, wenn nicht die einzigen, in der älteſten Faſſung des Mythus geweſen ſein. Wir meinen den Kampf mit der lernäiſchen Schlange und den mit Hades und Tod, wobei das bekannte Heraufbringen des Kerberus aus der Unter - welt nur Nebenſache iſt. Der chriſtliche Heiland überwin - det Teufel und Tod; der erſtere wird als Schlange, Drache dargeſtellt, und auch die lernäiſche Hydra iſt im Grunde wohl nichts Anderes, als ein Symbol des böſen Princips,32 welches der hier als moraliſcher Heiland thätige Held über - wältiget. Es ſind die zahlreichen, immer neu hervorwach - ſenden Köpfe der Hydra, auf welche der Kampf gerichtet iſt; dabei kneipt den Kämpfenden ein Krebs in den Fuß. Wie nahe liegt es hier, ein altteſtamentliches Bild zu ver - gleichen! Ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen deinem und ihrem Samen; derſelbe wird dir nach dem Kopfe trachten, und du wirſt ihm nach der Ferſe trachten. 1. Moſ. 3, 15.

Die lernäiſche Schlange hat ihren Namen von dem lernäiſchen Pfuhle, wo ſie gehauſt haben ſoll. Lerna iſt ein ſehr ſchwankendes, unbeſtimmtes Wort, womit man eine gewiſſe Gegend im Peloponnes bei Argos und mehrere Gegenſtände daſelbſt benannte, die zum Theil auch wieder ihren eigenen Namen hatten. *)Vergl. Buttmann’s Abhandlung darüber im Mythologus II, S. 93 ff. See und Moraſt, Hain und bewohnter Ort, Strom und Quelle, das Alles hieß Lerna.Es iſt eine mythiſch und myſtiſch ſehr ausgezeichnete Oertlichkeit, an die ſich alte Myſterien knüpften und wo verſchiedene Weihen und Got - tesdienſte bis in die ſpäteſten Zeiten des Heidenthums ge - ſchahen. Man hat ſich namentlich eine Waſſergegend, ein Marſchland, Moor zu denken, das ſpeciell Alkyonia hieß und das für grundlos und für einen der Eingänge in die Unterwelt galt. Man ſagte im Sprüchwort: eine Lerna von Uebeln , und Heſychius bemerkt: wegen der Sündigkeiten, καϑαρματα, die hineingeworfen wer - den , womit Pauſanias zu vergleichen, welcher angibt, daß jährlich in einer Nacht Etwas in den See geworfen werde, worüber er ſich nicht näher auslaſſen dürfe. Man ſagte, der See ziehe, wiewohl ganz ſtill, diejenigen, die ſich hineinwagen, in die Tiefe hinab und reiße ſie in den Abgrund. Durch ihn ſtieg Dionyſos nach der Sage der33 Argeier, in die Unterwelt. Man ſieht alſo, die Lerna im Sinne dieſes Sumpfes oder Sees war in antiker Vorſtel - lung ein Sünden - und Höllenpfuhl; um ſo mehr iſt zu behaupten, daß die Schlange, die ſich da aufgehal - ten haben ſoll, das Böſe iſt, welches Herakles als mora - liſcher Heiland zu beſiegen hatte. Es gibt hier Alles ei - nen großen religiöſen Ernſt und eine Symbolik und Bil - derſprache zu erkennen, die mit der bibliſchen und chriſtli - chen die größte Aehnlichkeit hat.

Um das im lernäiſchen Sünden - und Höllenpfuhle hauſende Ungeheuer zu bezwingen, war das Element des Feuers nöthig. Mit brennenden Pfeilen treibt Herakles die furchtbare, vielköpfige Schlange aus ihrem Lager her - aus; und um die Stellen der ihr abgeſchlagenen Häupter auszubrennen und ſo zu verhindern, daß ſie nicht von Neuem wuchſen, zündet Jolaos, der Wagenlenker des Herakles, einen Wald an und bedient ſich der davon ge - nommenen Feuerbrände. Sicher liegt auch hier wieder ein bedeutender Gedanke verborgen. Die Dichtung wollte wohl andeuten: es ſei, um die Aeußerungen und Erſcheinungen der ſelbſtiſchen Menſchennatur gründlich und für immer niederzuſchlagen, eine feurige Liebe zum Guten und ein brennender Ernſt und Eifer im Streben nach moraliſcher Vollkommenheit nöthig, da oberflächliche Siege unnütz ſeien und das durch ſolche überwältigte und ſcheinbar vertilgte Böſe ſich immer wieder erneuere, ja in nur noch energi - ſcherer Weiſe verdoppelt und verdreifacht gleichſam ſein Haupt erhebe. Darum ſagt der Mythus: ſtatt ei - nes Kopfes, der der Hydra abgeſchlagen wurde, ſeien zwei oder gar drei hervorgekommen, wogegen nur des Jolaos Feuerbrand half. Wegen der ſtets neu hervortrei - benden Köpfe wurde die Schlange παλιμβλαστης und excetra genannt. Etwas dem Sinne nach Aehnliches, doch334ganz anders ausgedrückt, kommt im Evangelium vor. Wenn ein unreiner Geiſt aus dem Menſchen ausgefahren, und wenn er das Haus, das er bewohnt hat, geleert, gefegt und geſchmückt ſieht, ſo kommt er mit ſieben anderen ſol - chen Dämonen wieder, die noch ärger ſind, als er, und ſie fahren ein und wohnen daſelbſt, und es wird mit dem Menſchen noch ſchlimmer, als es geweſen war. Matth. 12, 43 ff.

Eines jener Häupter war unſterblich; darauf wälzte Herakles ein Felsſtück. Das ſcheint dieſen Sinn zu ha - ben. Das Böſe iſt das ſelbſtiſche Weſen der Creatur in der Beſtimmtheit des abſtrakten Für-ſich-ſeins, der excluſi - ven Beziehung auf ſich. Dieſe Abſtraction und Excluſion muß überwunden, die Selbſtheit in dieſer Erſcheinungsform getilgt werden, nicht aber die Selbſtheit überhaupt; denn ſie iſt der Grund der Individualität und Perſönlichkeit, als welche die Creatur nicht negirt werden ſoll, ſondern fortzubeſtehen hat; wäre das ſelbſtiſche Weſen deſſelben nicht nur überwunden und zur Univerſalität erweitert, ſondern völlig und in jeder Beziehung aufgehoben, ſo wäre damit Natur und Creatur nicht bloß moraliſch umgewandelt, ge - beſſert, geheiliget, verklärt, ſondern vernichtet; und dar - auf iſt es nicht abgeſehen.

Das Wunderbarſte von Allem iſt, daß Herakles hin - unter in die Todtenwelt ſteigt und mit dem ſonſt unbe - zwinglichen Herrſcher dieſer finſteren, furchtbaren Region den ſchauerlichen Kampf beſteht. Daß er den Kerberos auf die Oberwelt heraufſchleppt und dadurch dem Curyſtheus beweiſt, daß er auch dieſen Auftrag vollzogen habe, hat ſchon Buttmann als einen unbedeutenden Nebenzug be - trachtet. Hier hat , ſagt er, der ſpätere mythiſche Vor - trag den Sinn der Fabel etwas geſchwächt und die Neben - ſache als Hauptſache hingeſtellt. Es war bei den Alten35 ausdrücklich von einem Kampfe mit dem Hades oder Plu - ton die Rede. Herakles ſoll ihn verwundet haben, als die - ſer den Pyliern wider ihn beiſtand. Die für uns älteſte Quelle der Sage iſt eine ſchon dem Alterthum dunkle und zweideutige Stelle im Homer Il. V, 395 ff., die nach Voß alſo lautet:

Selbſt auch Aides trug’s, der gewaltige Schatten -
beherrſcher,
Als ihn eben der Mann, der Sohn des Aegis -
erſchüttrers,
Unten am Thore der Todten mit ſchmerzendem Pfeile
verwundet.

Dieſe Sielle verſtand ein großer Theil der Alten, ſo, wie ſie hier überſetzt iſt; der dritte Vers läßt ſich jedoch im Griechiſchen auch ſo verſtehen, daß Aides zu Pylos un - ter die Todten geſtreckt worden ſei, und in dieſer Verbin - dung berührt dieſen Kampf Pindar Ol. 9, 46. Man ſehe auch Apollodor II. 7, 3 wo Herakles gegen Pylos ſtreitet, den Periklymenos tödtet, und den Hades verwun - det. Klymenos iſt ein Name des Hades und Periklymenos iſt auch nur wieder derſelbe Gott, in welchem Herakles den Tod tödtet. Es wurde dieſer Kampf, von welchem man alſo ſieht, daß er ein feſter und weſentlicher Theil des Mythus iſt , auch mit der dem Helden zugeſchriebe - nen Befreiung der Alkeſtis aus der Unterwelt in Verbin - dung gebracht. Sie wurde , ſagt Apollodor I, 9. 15, von Perſephone wieder zurückgeſchickt, nach Anderen dem Hades von Herakles wieder abgekämpft. Euripides in der nach dieſer Königin benannten Tragödie läßt den Herakles mit dem Thanatos, dem eigentlichen Tode kämpfen.

Ich führe darüber noch eine Aeußerung von Movers an. Am großartigſten , ſagt dieſer, zeigt ſich die Vor - ſtellung von einem Gotte, der alle phyſiſchen Uebel als3*36Werke eines böſen Princips und als Störungen im Welt - plane aufhebt oder zum Wohle der Menſchen wider ſie an - kämpft, in den Mythen, nach welchen Herakles ſelbſt mit dem Tode kämpft, ihm ſeine Beute entreißt oder den Sterb - lichen aus den Gärten der Heſperiden die Frucht vom Baume des Lebens wiedergeben will. Nach Pherecydes, der die griechiſchen Mythen gewöhnlich in ihrer urſprüng - lichen Faſſung vorträgt, war der Garten der Heſperiden der Göttergarten; die Frucht, welche der Drache hütete, wurde alſo wohl als Götterſpeiſe gedacht, wodurch ſie ſich die Unſterblichkeit friſteten. Herakles tödtete den Drachen, der den Eingang des Gartens, wie der Cherub mit dem Flammenſchwerte den Weg zum Baume des Lebens, be - wachte, und pflückte von der Frucht. Movers ſieht hier Verwandtſchaft mit der bibliſchen Erzählung, was nicht ohne Schein iſt. Man kann auch Offenb. Joh. 2, 7 ver - gleichen, wo es heißt: Wer überwindet, dem will ich zu eſſen geben von dem Baume des Lebens im Paradieſe mei - nes Gottes. Und daſelbſt Cap. 22, 14: Selig, die ſeine Gebote thun, auf daß ſie Macht erhalten über den Baum des Lebens , u. ſ. w. Der Mythus von den Heſperiden - äpfeln, die Herakles erbeutet, ſcheint daſſelbe zu ſein, nur poſitiv ausgedrückt, was, negativ dargeſtellt, jene Beſiegung des Todes iſt. Auf jeden Fall iſt ſo viel klar, daß hier noch ganz andere Dinge angedeutet ſind, als Heldenthaten, zu deren Vollbringung bloße Tapferkeit und Stärke genügt.

Herakles hilft auch den Göttern ſelbſt ihre Feinde be - ſiegen. Als die Giganten den Himmel angriffen, da konn - ten die Götter allein keinen Sieg gewinnen; ſie hatten ei - nen Spruch erhalten, nach welchem ſie der Beihülfe eines Sterblichen bedurften. Da rief Zeus durch Athene ſeinen Sohn Herakles herbei, und mit dieſem im Vereine gewan - nen die Götter die ungeheuere Schlacht. Hiemit iſt das37 Größte ausgedrückt, was geſagt werden konnte, indem ein Gottmenſch, wie Herakles, nöthig war, um die Feinde des Göttlichen zu überwältigen und die allgemeine Weltökono - mie vor Auflöſung und Ruin zu bewahren.

Als Herakles jenes mit der Galle der Hydra getränkte Kleid angezogen und das furchtbare Gift in die Haut ein - drang, ward er von wüthenden Schmerzen ergriffen und beſchloß, ſein Leben durch Feuer zu enden. Er begab ſich auf den Öta, errichtete einen Scheiterhaufen und befahl, ihn anzuzünden, wenn er ihn beſtiegen habe. Niemand wollte ſich dazu verſtehen, bis es endlich Poias that, dem Herakles dafür ſeine Pfeile ſchenkte. Als der Holzſtoß brannte, nahm den an’s Ziel ſeiner Leiden gekommenen Helden eine Wolke auf und trug ihn unter Donnerſchlä - gen zum Himmel empor. Von da wurde er der Unſterb - lichkeit theilhaftig, mit der feindſeligen Here verſöhnt und mit ihrer Tochter Hebe vermählt. So Apollodor II. 7, 7. Nach Diodor’s Erzählung IV, 38. ſandte Hera - kles nach Delphi, um den Gott nach möglicher Hülfe zu fragen. Dieſer antwortete, man ſolle den Helden mit ſei - ner Rüſtung auf den Öta bringen und daſelbſt einen Holz - ſtoß errichten; für das Uebrige werde Zeus ſorgen. Dies führte Jolaos aus. Öta iſt der Berg des Todes auch dem Namen nach; vergl. οιτος, Unglück, Tod ein griechiſches Golgatha.

Der Ausgang des Heraklesmythus zeigt eine auffallende Verſchiedenheit von allen übrigen Vorſtellungen des bezüg - lichen Alterthums. Die ganze Fabel iſt voll von Göt - terſöhnen und beſonders von Söhnen des Zeus, die von ſterblichen Müttern geboren ſind. Aber alle ſolche werden entweder ohne Weiteres zu Göttern, wie Dionyſos, oder ſie ſterben gleich anderen Menſchen, wie Sarpedon vor Troja, oder werden nach ihrem Tode nur für Heroen ge -38 achtet, eine Art von Mittelweſen, wovon das Alterthum ſelbſt vielleicht keinen deutlichen Begriff hatte. Bei He - rakles allein findet ein beſtimmter Läuterungs - und Ver - klärungsprozeß Statt, eine Abtrennung der groben ſterb - lichen Stoffe durch die Negativität eines ſchmerzlichen To - des, dem ſich dieſer Gottesſohn und Gottmenſch freiwillig unterwirft und durch den er mit verklärtem Leibe zum Him - mel erhoben und zum olympiſchen Gotte wird.

Der Heraklesmythus iſt das Größte, Tiefſte, Sinn - vollſte, Bedeutendſte, was das Alterthum in dem ideellen Felde der Poeſie, des Mythus, der Symbolik und Alle - gorie geleiſtet hat; es geht mit dieſem ſeinem höchſten Pro - dukt bereits über ſich ſelbſt hinaus und erhebt ſich zur chriſtlichen Idee. Aber es iſt nur Idee, nicht Reali - tät, was wir vor uns haben. Etwas ganz Anderes prä - ſentirt ſich im Chriſtenthum; denn dieſes iſt die Reali - ſation der Idee, erſt in einem beſtimmten, hiſtoriſch - realen Individuum und dann in der geſammten Menſch - heit, ſofern dieſe auf die Nachfolge Chriſti eingeht und ſich dadurch zur chriſtlichen Frömmigkeit und Heilig - keit erhebt. Das iſt der ungeheuere Unterſchied des Chri - ſtenthums auch ſelbſt von dem gebildeten Heidenthum, na - mentlich dem geiſtvollen Griechenland, und von der höch - ſten Stufe, auf welche ſich daſſelbe erhoben hat. Der He - raklesmythus ſchwebt über der antiken Welt als ein bereits Höheres, wozu ſie ſich dichteriſch und prophetiſch geſteigert hat, als eine Art von anticipirtem Evangelium, als eine Fata Morgana der ſpäterhin hervortretenden chriſtlichen Wahrheit und Wirklichkeit. Er wird aber wieder in die Region, aus der er ſich erhoben, zurückgezogen und zu - rückgenommen, wie es beſonders durch die ſpäteren Zuſätze und populären Ausſchmückungen des Mythus geſchieht; er geht ſo wieder nur in ihr ſelber auf, ohne ſie zu verän -39 dern und etwas Neues, faktiſch Höheres daraus zu machen. Um dies zu bewirken, dazu gehörte mehr, als Phantaſie und Poeſie; mehr als ſelbſt die wunderbare Tiefe der Er - kenntniß, die uns im Heraklesmythus ſo einleuchtend ent - gegentritt. Es gehörte dazu das reale Eingreifen und Ein - gehen eines überweltlichen Princips in den Weltprozeß, eine wahre und wirkliche Vereinigung der göttlichen und menſchlichen Natur, wie wir ſie in Chriſtus vollbracht glau - ben. Wäre auch dieſe Lehre nur Mythus und Dichter - produkt, ſo hätte das Chriſtenthum gar keine eigenthüm - lich hervorragende Stellung in der Weltgeſchichte, und der Heraklesmythus wäre dem Evangelium ſogar vorzuziehen, da er den Vorzug hat, trotz ſeines Ernſtes und Tiefſinnes, an der allgemeinen Schönheit und Heiterkeit griechiſcher Poeſie und Mythologie Theil zu nehmen. Die Wahrheit tritt nicht ſo anmuthig und reizend, wie ein helleniſches Märchen, auf; ſie iſt auch nicht ſo friedlich und harmlos, wie ein ſolches; ſie erweiſt ſich, da ſie die Welt nicht laſ - ſen kann, wie ſie iſt, als ein feindſeliges, ſtörendes und zerſtörendes Princip, das, ehe es den Frieden bringt, erſt das Feuer der Zwietracht entzündet. Aber ſie iſt die Wahr - heit, und als ſolche hat ſie dennoch einen unendlich höheren Werth und Reiz, als die ſchönſte, geiſtvollſte und intereſſan - teſte Erfindung und Darſtellung jenes hochpoetiſchen Al - terthums. Auf die reale Wahrheit und Gewißheit, die evidente Thatſächlichkeit deſſen, was durch das Evangelium verkündigt wurde, iſt denn auch von Anfang an der Accent gelegt worden. Die Apoſtel und neuteſtamentlichen Schrift - ſteller beziehen ſich hiebei allerdings nur auf die altteſta - mentlichen Weiſſagungen und nicht auf die ihnen fernlie - gende heidniſche Mythologie. Sofern wir aber in dieſer denſelben Inhalt zu erkennen im Stande und berechtigt ſind, der uns in den begeiſterten Darſtellungen der hebräi -40 ſchen Propheten entgegentritt, iſt ihr Verhältniß zum Chri - ſtenthum das nämliche. Die chriſtliche Idee vor dem Chri - ſtenthum war in zweierlei Form vorhanden, erſtlich als klar bewußte und ausgeſprochene meſſianiſche Vorſchau und Vorherſage, und dann als Mythus, als ſymboliſche und poetiſche Abſpiegelung und Vergegenwärtigung des Künfti - gen, wie in einer Art von Somnambulismus und Traum - geſicht. Von beiderlei Art der Vorſtellung war die alte Welt erfüllt; beſonders jedoch war dem Judenthum der klare meſſianiſche Prophetismus und die damit verbundene feurige Sehnſucht und Erwartung deſſen, was kommen ſollte, dem Heidenthum der traumartig bildende Mythus eigen; und wenn jener in den beſonders ſogenannten Pro - pheten des alten Teſtamentes ſeinen höchſten und vollkom - menſten Ausdruck findet, ſo culminirt dieſer in der grie - chiſchen Mythologie, wie namentlich in dem erörterten hera - kleiſchen Sagen - und Bilderkreis. Wie ſich nun durch Chriſtus jene Weiſſagungen erfüllen, ſo realiſiren ſich in ihm auch jene mythiſchen Dichtungen und Vorbilder Chri - ſtus, als bloße Idee betrachtet, iſt daſſelbe, was der lei - dende, ſterbende und dennoch triumphirende Meſſias des Jeſaias, daſſelbe, was ſeiner zu Grunde liegenden Natur und Bedeutung nach der eben ſo durch Leiden und Tod zur Verklärung hindurchgehende Herakles. Aber Chriſtus iſt nicht bloß Idee, prophetiſche und mythiſche Vorſtellung, ſondern er iſt die realiſirte Idee, die erfüllte Weiſſagung, die Wahrheit des Mythus, die hiſtoriſch eingetretene Fülle gottmenſchlicher und meſſianiſcher Wirklichkeit. Das iſt ei - nerſeits die Analogie und andererſeits der Unterſchied. Und ſo glauben wir unſere Meinung und Abſicht klar und un - zweideutig genug ausgedrückt zu haben. Es handelte ſich bei dieſer Darſtellung nur darum, zu zeigen, daß ein Evangelium der Idee, wenn man ſo ſagen darf,41 eine Art von mythiſchem und poetiſchem Chriſtenthum ſchon dem claſſiſchen Alterthum nicht fehlte, und daß ein ſolches namentlich im Mythus des Herakles deutlich ausgeprägt ſei, ſomit auch nicht erſt in Paläſtina geſchaffen zu wer - den brauchte, da es ſchon in höchſter Vollkommenheit in griechiſcher Mythologie enthalten war. Das Evange - lium der Wahrheit und Wirklichkeit dagegen iſt und bleibt das originelle, ausſchließliche, charakteriſtiſche Eigenthum der chriſtlichen Zeit und Welt.

[42]

IV.

Zeus, Herakles und Apollon, eine griechiſche Göttertrias und ein heid - niſches Analogon der chriſtlichen Trinität.

An die ſo eben erörterte Geſtalt des Herakles ſchließen ſich im Cultus des griechiſchen Alterthums zwei andere an und bilden mit ihr eine Trias, die zu merkwürdig iſt und in den Zuſammenhang dieſer Forſchungen zu tief eingreift, als daß wir nicht auch ihr einige Aufmerkſamkeit zuwenden ſollten. Drei Götter nämlich waren in Hellas die am all - gemeinſten verehrten: Zeus, Herakles und Apollon; wir finden ſie in dieſer Verbindung auch ganz beſonders hervorgehoben, wie wenn das delphiſche Orakel bei Demoſth. Mid. 15 den Athenern gebietet, dem höchſten Zeus, dem Herakles und dem Apollon Proſtaterios zu opfern, oder wenn es nach Pauſ. 1, 34 im Cultus der Oropier einen Altar gab, der aus fünf Theilen beſtand, von welchen ein jeder einer eigenen Gruppe höherer Weſen geweiht, der erſte aber dem Zeus, Herakles und Apol - lon zuſammen geheiliget war. Wie ſehr nun dieſe griechiſche Trias der chriſtlichen Trinität entſpricht und wie ſehr man berechtiget iſt, ſie für eine geiſt - und ſinnvolle Anticipation dieſes großen Dogmas zu halten, wird leicht zu zeigen ſein.

43

Als ein heidniſcher Gottvater präſentirt ſich uns offen - bar jener große Himmelskönig Zeus, welcher der Vater der Götter und Menſchen hieß, und dem Range, der Macht und der Güte nach, das Höchſte war, was ſich die Alten zu denken vermochten, daher ϑεων ὑπατος και αριστος, αναξ, βασιλευς, Jupiter optimus, maximus, der Beſte und Größte genannt, gentis humanae pa - ter atque custos nach Horaz Carm. 1. 12, qui res ho - minum ac deorum, qui mare ac terras variisque mun - dum temperal horis, wie er ebendaſelbſt geprieſen wird, daher auch als exsuperantissimus, der Hocherhabene, be - ſtimmt. Der Name Vater, womit Zeus vorzugsweiſe in Gebetformeln angerufen wurde*)Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. I. S. 166. II. 498., iſt auch ſchon in dem Namen Jupiter, Juppiter enthalten, denn eigentlich lau - tete er Jovis pater, Vater Jupiter. Der Name Jovis, der auch als Nominativ vorkommt, iſt ſelbſt mit Jehovah zuſammengeſtellt worden; auch ſind in hebräiſchen Namen, die mit Jehovah zuſammengeſetzt, die Formen Jahu, Jeho, Jo gebräuchlich. Was die Verherrlichung dieſer höchſten Gott - heit des klaſſiſchen Alterthums durch die Kunſt betrifft, ſo iſt an das berühmte Werk des Phidias zu Olympia zu erinnern, das eine ſo wunderbare Wirkung that. Hoher Reichthum der die einfach erhabene Figur umgebenden plaſtiſchen Zierden , ſagt Otfried Müller in ſeiner Archäologie, tiefſte Wiſſenſchaft in der Anordnung der Maſſe der ſehr koloſſalen Figur und der höchſte Schwung des Geiſtes in der Auffaſſung des Zeus-Ideales machten dieſe Statue zu einem Wunder der alten Welt. Die zu Grunde liegende Vorſtellung iſt die des allmächtig herrſchen - den, überall ſiegreichen Gottes in huldvoller Gewährung menſchlicher Bitten. In ihm ſchauten die Griechen ihren44 Zeus gegenwärtig an. Dieſes grandioſe Bild der höch - ſten Macht und Güte vor ſeinem Tode nicht erblickt zu haben, ward für ein Unglück gehalten. Hier drängt ſich der nicht unwürdige Vergleich von ſelber auf, auch wenn wir nur bei der älteren und allgemeineren Idee und Dar - ſtellung bleiben, und philoſophiſche Faſſungen, wie ſie bei einem Plato oder Kleanthes hervortreten, ganz bei Seite laſſen. *)Vergl. übrigens Creuzer, Symbol. 2. Ausg. II. 490. 500 f. In Plato’s Philebus wird dem Zeus eine königliche Seele und ein königlicher Verſtand beigelegt. In Beziehung auf den be - rühmten Hymnus des Kleanthes, den Herder in den zerſtreuten Blättern II. S. 209 überſetzt hat, bemerkt Creuzer: Man achte hier vorzüglich auf den ethiſchen Geiſt, worin Zeus aufgefaßt wird. Und Tennemann, Geſchichte der Philoſophie IV. S. 236 ſagt: Wir finden den Pantheismus der Stoiker in der bekannten Hymne des Kleanth ſo erläutert und verfeinert, daß er ganz in die Vor - ſtellung des erhabenen, allmächtigen und allweiſen Beherrſchers der Natur, des heiligſten Weſens, das Alles nach unwandelbaren Geſetzen regiert, übergeht.

Von Herakles, dem leidenden, ſterbenden, zur Knechtsgeſtalt erniedrigten, durch ſeinen Verklärungstod aber zur himmliſchen Glorie emporſteigenden Gottmenſchen und Heilande, als einem ideellen Analogon der großen chriſtlichen Thatſache, iſt ausführlich gehandelt worden; und ſo haben wir nur noch von dem dritten Gotte der genann - ten mythologiſchen Trias, von Apollon zu ſprechen.

Dieſer iſt den Griechen die hochverehrte, auch in Satzung und Leben mächtig und tief eingreifende Quelle der ſehe - riſchen, prophetiſchen und poetiſchen Eingebung und Offen - barung geweſen und hat den Heiden auf dieſe Weiſe ganz den inſpirirenden Gottesgeiſt des jüdiſchen und chriſtlichen Religionskreiſes vertreten. Er heißt der Reine, Unbe - fleckte, Heilige, ἁγνος ϑεος, wie er oft mit Nach - druck genannt wird; sanctus Apollo; Φοιβος, Phoebus,45 vergl. φοιβαζειν, februare, reinigen; ξανϑος, was daſſelbe bedeutet, nämlich rein und hell, daher die Flüſſe bei den Heiligthümern des Gottes in Troja und Lycien Xanthos heißen, und bei den Macedoniern das Sühnfeſt Xanthika. Die Mutter des Gottes heißt Leto, Latona; ſie iſt dieſem Namen nach, der von λαϑειν, latere kommt, die Dunkle, Verborgene und wird als eine mildgeſinnte, mit dunklem Gewande bekleidete Göttin dargeſtellt. Ein Gegenſatz von Licht und Dunkel iſt unzweifelhaft; Apollon, der lichte Gott, geht aus der dunklen Leto hervor; aber dieſe iſt nicht als Finſterniß an ſich und im ſchlimmen, lichtfeindlichen Sinne des Wortes zu faſſen; ſie iſt vielmehr ſelbſt Licht, aber ver - borgenes, noch nicht offenbares, für die Menſchen noch ver - hülltes, und nur in dieſem Sinne Dunkelheit. Durch die Geburt Apollons wird dieſes Licht offenbar; daher Delos, wo der Gott geboren ſein ſoll, die Inſel der Offenbarung (Δηλος), bei den Göttern aber nach Pindar das weit - berühmte Geſtirn der dunklen Erde heißt. Auf dieſer heiligen Inſel durfte Niemand geboren werden und Nie - mand ſterben; ſchwangere Frauen wurden nach dem nahen Rheneia hinübergebracht; auch Hunde durften nicht gehal - ten werden. So wendet ſich nach Ottfr. Müller’s Be - merkung der über die Natur erhabene Gott von ihren Er - zeugungs - und Zerſtörungsprozeſſen, als von etwas für ihn Befleckendem ab. Sog er doch nicht einmal die Mutter - bruſt; denn Themis reichte ihm, als er geboren war, ſogleich Nektar und Ambroſia. Apollon iſt eine ſtrenge und keuſche Gottheit. Er hat keine Gemahlin; die Söhne, die er er - zeugt, ſind es in hohem, geiſtigem Sinne des Wortes; es ſind ſpirituelle Zeugungen*)So iſt Branchos der ſchöne Sohn des Apollon oder des Smikros aus Delphi. Seine Mutter träumte, die Sonne ziehe durch ihren; und was ſeine von Dich -46 tern in ihrer Art behandelten Liebſchaften mit ſchönen Kna - ben und Mädchen betrifft, ſo muß man auf den dabei herrſchenden Zug merken, daß die von dem Gotte gelieb - ten Weſen immer unglücklich ſind und untergehen, und daß dann eine Blume, ein Baum, ein dem Gotte heiliges Gewächs daraus entſteht, wie der Hyakinthos, der Lorbeer, die Weihrauchſtaude. Apollon iſt der Geiſt, und wo die - ſer waltet, da ſtirbt die ihm nicht entſprechende natürliche Lebendigkeit; aber es blüht aus dieſem Tode ein neues, höheres Leben empor. *) Denn wofern du das nicht haſt, Dieſes Stirb und Werde, Biſt du nur ein trüber Gaſt Auf der dunklen Erde. (Göthe.)Das iſt der Sinn dieſer Mythen, die alſo eine urſprünglich ſehr ernſte Bedeutung haben.

Nur in ſolcher Beziehung kann Apollon auch ein her - vorbringender Gott, ein Apollon Genetor ſein; ſo wie ja auch der h. Geiſt des Chriſtenthums ein Lebendigma - cher und Schöpfer heißt. **)Veni, creator spiritus! Nicht die erſte, natür - liche Schöpfung iſt dieſes Geiſtes Werk, ſondern eine zweite, höhere; aus ihm ſoll Menſch und Natur wiedergeboren werden, ein ganz neues erhöhtes und verklärtes Daſein er -*)Leib hin. Da gebar ſie dieſen Sohn, den der Gott liebte und mit Weiſſagerkunſt begabte. Derſelbe gründete das Orakel der Brauchiden in Didyma bei Miletos, das nächſt dem delphiſchen großes Anſehen genoß und beſonders von Joniern und Äolern befragt ward. Den Ruhm und Glanz des Tempels verkünden noch die Ruinen. So iſt ferner Jamos Sohn der Euadne und des Apollon; die Erſtere ge - bar im dunklen Hain einen Knaben, den ſie aus Scham verlies, zwei Schlangen aber mit Honig nährten. Zwiſchen blühenden Veilchen ge - funden, erhielt er den Namen Jamos, das Veilchenkind. Der delphiſche Gott erklärte, es werde ein herrlicher Seher und Haupt ei - nes Sehergeſchlechtes werden. Derſelbe Gott führte ihn nach Olympia, wo dann die Weiſſagerfamilie der Jamiden ihren Hauptſitz hatte. Das iſt Alles ſo göttlich-rein und erhaben, als reizend und ſchön.47 langen. Dies iſt nicht möglich ohne Kampf; denn das zu Verwandelnde, zu einem Andern ſeiner ſelbſt zu Ma - chende widerſteht, und ſucht ſich in ſeiner alten Beſtimmt - heit zu erhalten, auf ſeiner niedrigeren, ihm aber allein faßlichen und genußreichen Entwicklungsſtufe zu behaupten. Dies iſt die Schlange Python, welche der Gott mit ſeinen Pfeilen zu erlegen, die Aufgabe hat. Sie heißt auch Delphine, Delphyne von δελφυς, Bärmutter, wovon auch das ſich ſchnell vermehrende Schwein, δελφαξ, benannt. Python-Delphyne iſt alſo wohl die producirende Natur, dieſer endloſe Prozeß des Entſtehens und Vergehens, dem der Gott abgeneigt iſt, von dem abgebrochen werden ſoll, damit ein höheres, nicht mehr ſo in die Aeußerlich - keit verlorenes Bewußtſein und Daſein zu Stande komme. Sofern nun der Geiſt dieſe negative Stellung zu dem unmittelbaren Sein und Leben der Dinge und der Menſch - heit hat, und ſein erſtes Amt, bevor er ſich poſitiv er - weiſen und entfalten kann, ganz nur noch das der Ver - neinung, der unnachſichtigen, bitter empfundenen Störung und Zerſtörung der Natürlichen iſt, wird er als ein furcht - bares Weſen, als ein Gott des Todes und der Vernich - tung gefaßt und heißt der Verderber, Apollon von απολλω, απολλυω. Sofern er aber, ſtatt der natürli - chen Unmittelbarkeit ein höheres, edleres und ſchöneres Daſein und Leben begründet, iſt er der große Cultur - genius Griechenlands, der Begründer geordneter Zuſtände, der den Colonien ihre Richtung, den Staaten ihre Ver - faſſungen gibt, und deſſen Orakelſprüche Themiſtes, Satzungen heißen, ſowie er ſelbſt den Namen Thermios, der Geſetzliche, führt; der Gott des Geſanges und Saiten - ſpieles, der Muſenführer, der ſchöne Gott, der auf der Hand die Chariten, die Symbole der Anmuth und des Rei - zes trägt. Ueber das Alles wäre ausführlich zu han -48 deln. Es wird jedoch ſchon ſo viel genügen, um die Ueber - zeugung zu begründen, daß es das ſpirituelle Princip iſt, welches in Apollo ſeinen der griechiſchen Stufe angemeſſe - nen Ausdruck gefunden. Was die Darſtellungen Anderer betrifft, ſo iſt namentlich die von Ottfried Müller*)Dorier I. S. 290. ff. 203. zu vergleichen, da dieſer Gelehrte, wenn auch mit uns im Einzelnen differirend, doch im Ganzen übereinſtimmend, behauptet und nachzuweiſen ſucht, daß Apollon keine Na - turgottheit ſei, daß Idee und Cultus deſſelben vielmehr auf dualiſtiſcher und ſupernaturaliſtiſcher Denk - und Gefühlsweiſe beruhe. **)Noch Einiges über Apollon, als dieſe ſpeciell griechiſche Gottheit, kommt im nächſten Capitel, ſowie, was die Hervorbildung der poſitiven Seite aus ſeinem zunächſt ſo negativ erſcheinenden Weſen betrifft, in der Beilage D. des Anhanges vor.

[49]

V.

Ethnologiſche Abſpiegelung der Trinität. Die drei wichtigſten und bedeutſamſten Nationen des vorchriſtlichen Alterthums Römer, Griechen und Juden von dieſem Geſichtspunkte aus betrachtet.

Aus dem Vorhergehenden erhellt, daß die vorchriſtlichen Alten in der ihnen möglichen und eigenen Weiſe auch das chriſtliche Dogma von dem dreieinigen Gotte anticipirt, in ihrem Cultus ausgeprägt und in ihren Dichtungen und Kunſtſchöpfungen ſinnvoll und geiſtreich dargeſtellt haben, ſo nehmlich, daß die drei vom Chriſtenthum in das un - trennbare Eins zuſammengefaßten Beſtimmungen und Cha - raktere (Hypoſtaſen, Perſonen) polytheiſtiſch angeſchaut, in drei beſondere Göttergeſtalten auseinandergelegt und in eigenen großen Mythenkreiſen, religiöſen Einrichtungen, Gottesdienſten und Kunſtdarſtellungen fixirt und verherr - licht wurden. Das iſt indeſſen noch nicht Alles; es kommt noch etwas ſehr Merkwürdiges und Intereſſantes hinzu. Dieſer Trias von Göttern nach heidniſcher Vorſtellungs - weiſe, oder von Hypoſtaſen, Perſonen, beſonderen Beſtimmt - heiten und Charakteren der einen mit ſich identiſchen Gott - heit, wie unſere Dogmatik lehrt, entſprechen in volksthümlich450hiſtoriſcher Form, Weltſtellung und Bethätigung die drei wichtigſten Nationen des Alterthums, welche die drei im Papſtthume vereinigten, unter I. namhaft gemachten Prin - cipien und Elemente geliefert haben, womit es ſich näher in folgender Weiſe verhält.

Das univerſaliſtiſche, weltbeherrſchende Römerthum iſt der beſondere völker - und weltgeſchichtliche Ausdruck des Vaters geweſen, daher die Römer auch ganz beſonders den erhabenen Götterkönig, den Jupiter optimus maximus, wie ſie ihn mit ſchönem und würdigem Ausdrucke nannten, für ihren Gott und Herrn erkannten. Er war die Haupt - gottheit der römiſchen Staatsreligion; ſein Haupttempel befand ſich auf dem Capitol, daher er Capitolinus hieß. *) Die höchſte Herrlichkeit und Oberherrſchaft über Natur und Welt dachte ſich der Römer in ſeinem Jupiter Optimus Maximus vereinigt, der auf dem Capitol ſeinen Sitz hatte und als Capitolinus Mittel - punkt der öffentlichen Staatsreligion und ſofort auch der Reichsreligion geworden war. Creutzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 546.In dieſen Tempel pflegte ſich nach Valerius Maximus 1, 2, 2 Scipio Africanus zu begeben, bevor er ein Geſchäft vornahm; auch wurde dieſer große Römer für einen Sohn des daſelbſt verehrten Gottes gehalten. Das Griechenthum mit ſeiner ſeheriſchen und dichteriſchen Be - geiſterung und Begabung iſt die beſondere Sphäre des Geiſtes geweſen; ihm haben die Hellenen die erhabene Ge - ſtalt ihres Apollon gegeben, der als der Prophet des Vaters Zeus **)Äſchylos Eum. 19. das weltberühmte Orakel zu Delphi be - ſaß. Hier war der Fleck, den man den Nabel oder Mit - telpunkt der Erde nannte; wovon der leicht zu erkennende Grund dieſer iſt, daß man Delphi als das religiöſe und theokratiſche Centrum der griechiſchen Welt, der Völker Griechenlands betrachtete. Es iſt erſtaunlich, was von da51 aus für eine unbedingte, Alles lenkende und beſtimmende Herrſchaft ausgeübt wurde. Ottfr. Müller*)Dorier I. S. 254. ſagt von Delphi: Es tritt mit einer wahrhaft imponirenden Kraft auf, wie kaum ein Inſtitut nach ihm. Der Gott ſchaltet mit den Völkern nach ſeinem Willen, ſendet ſie in Nähe und Ferne, nöthiget ſie, trotz ihres Widerſtrebens, zu wei - ten Zügen, und weiſ’t ihnen mit beſtimmten Worten ihre Wohnſitze an. Die Staaten fragten den Gott wegen ihrer Verfaſſungen um Rath; es wurde keine Kolonie ge - gründet, wenn man nicht zuvor das Orakel befragt hatte, weßhalb Apollon auch als Verfaſſungsgründer, Ertheiler von Satzungen, Kolonienſtifter und Gott der Grundmauern galt und deßhalb αρχηγετης, κτιστης, οικιστης, δωμα. τιτης hieß. Stets erfreut ſich Apollon, ſiehet er Städte bauen, wie Kallimachos ſagt. Megara hatte eine Akropolis mit Tempeln dieſes Gottes; dieſelbe ſollte Al - kathoos, Pelops Sohn, gegründet und Apollon ihm dabei geholfen haben; daher Theognis, der Megarer, ſingt:

Um dem pelopiſchen Sohn Alkathoos Huld zu
erweiſen
Haſt du, o König Apoll, hoch uns gethürmet die
Burg.

Man zeigte daſelbſt einen Stein, auf welchem der Gott ſeine Kithara niedergelegt; wenn man mit einem Steinchen daran warf, ſo tönte er einer zerſchlagenen Kithara gleich. **)Pauſ. I. 42, 1, 2.Sehr entſchieden tritt beſonders das Verhältniß des dori - ſchen Stammes und ſeiner Staatsverfaſſungen zu dieſem Cultus und deſſen Hauptinſtitut, dem Tempel zu Delphi, hervor, zu welchem ſämmtliche Dorier in einem gewiſſen4*52Unterthanenverhältniſſe ſtanden. Es war der Stolz der Spartiaten, daß ihre Geſetze πυϑοχρηστοι, vom Orakel zu Pytho ausgegangen waren; wie denn daſſelbe auch fortwährend die Oberaufſicht über die Verfaſſung behielt. Es wurde dies namentlich durch die ſogenannten Ποιϑιοι, Pythier, vier von den Königen erwählte Abgeordnete, bewerkſtelliget, welche die Ausſprüche des Gottes einzuholen und an die Könige zu bringen hatten, deßhalb auch deren Beiſitzer und beſtändige Tafel - und Zeltgenoſſen waren. Selbſt auf die Philoſophie hatte das Orakel den merkwür - digſten Einfluß. Pythagoras ſoll die Grundlehren ſei - ner Wiſſenſchaft von der Pythia Themiſtokleia oder Ariſtokleia erhalten haben; auch war er ſchon von Haus aus Apollodiener; denn wir hören, daß ſeine Familie Sacren des Apollon Nomios hatte, welchen er ſelbſt zu Kroton als den größten Philantropen, den Geſetzgeber von Hellas und Gott der Humanität empfahl. Daß Pythagoras ſein politiſches Ideal in Kroton zu verwirklichen unternahm, hängt damit zuſammen, daß dies eine ganz apolliniſche Stadt war. *)Ueber alles dies iſt Ottfr. Müller in ſeinem für uns hier ſo wichti - gen Buche Die Dorier zu vergleichen.Wie Socrates von dem Gotte geehrt wurde, iſt bekannt. Es läßt ſich hiebei bemerken, daß Apollon beſonders mit denjenigen Denkern zuſammenhängt und im Bunde ſteht, welche ihr Augenmerk nicht bloß auf Naturprincipien richten und nicht bloß einer unfruchtbaren, ja frivolen Dialektik huldigen, ſondern einen ſeheriſchen und prophetenartigen Charakter entwickeln und tiefen Ernſtes auch in Leben und Sitte einzugreifen verſuchen. So mäch - tig war hier bereits das ſpirituelle Princip, deſſen vor - chriſtliche Manifeſtation und Repräſentation die ſpecielle Beſtimmung des Griechenthums war. Im Judenthum53 endlich mit ſeinem Meſſianismus und mit dem aus ihm hervorgehenden Chriſtenthum iſt eben ſo einleuchtend das Gebiet des Sohnes zu erkennen. Ueberall ſind in Vor - ſtellung, Cultus, Ahnung dieſer Nationen nebſt dem einen ſpeciell vertretenen und ausgeführten Elemente auch die beiden anderen vorhanden; aber nur eines davon gibt dem Volke ſeine ganz eigenthümliche Stellung und Bedeutung; ſo iſt der Jupiter des Römers auch im griechiſchen Zeus und im jüdiſchen Jehova da; der Grieche gibt ihm eine ideale Kunſtgeſtalt; der Jude verehrt ihn bildlos, damit er keine barbariſche Götzengeſtalt annehme; aber nur Rom und der römiſche Weltgebieter ſpielt auf Erden die reale Rolle, in der ſich die univerſaliſtiſche Würde und Größe jenes Gottes ſpiegelt, wie es Horaz, Oden 1, 13 in der ſchließlichen Anrede an Jupiter ausdrückt:

tibi cura magni
Caesaris fatis data, tu secundo
Caesare regnes.
Te minor laetum regat aequus orbem;
Tu gravi curru quaties Olympum etc.

Jupiter regiert die Welt, donnert im Himmel u. ſ. w.; unter ſeiner ſpeciellen Obhut ſteht der große Cäſar, der all - gewaltige Auguſt und beherrſcht, als der zweite nach ihm, den Erdkreis. Apollon ward auch in Italien verehrt,*)Ein merkwürdiges Heiligthum deſſelben war auf dem Berge Sorakte, wo gewiſſe Familien, Hirpi genannt, bis in die ſpäte Zeit mit bloßen Füßen auf glühenden Kohlen wandelten. Plin. H. N. VII. 2. Vergl. Virgil Aen. XI. 786. Man wollte auf dieſe Weiſe anſchaulich ma - chen, daß für den Geiſt die Geſetze der phyſiſchen Natur keine Bedeu - tung haben. aber man ſandte, um ihn zu fragen, nach Delphi, wohin, nach Livius 1, 56 als zu dem berühmteſten Orakel der Welt ſchon Tarquinius Superbus, durch ein54 Zeichen erſchreckt, zwei ſeiner Söhne, durch damals unbe - kannte Lande und noch unbekanntere Meere nach Griechen - land ſchickte. Mächtig und glänzend tritt das prophetiſche Moment auch im alten Teſtamente hervor; aber nur um den Meſſias zu verkünden, der im Judenthume geboren werden ſollte und auf den hier Alles angelegt war. Die Idee des meſſianiſch bethätigten Gottſohnes fehlte, wie wir geſehen haben, auch dem heidniſchen Alterthum nicht; aber ſie bleibt hier nur Idee und idealiſtiſche Vorbereitung; die ungeheuere Thatſache der Realiſirung derſelben fällt in die Sphäre des übrigens zurücktretenden und verachteten Ju - denthums, und ſelbſt, wo ſie in dieſer nur erſt als pro - phetiſche Vorſtellung vorhanden, zeichnet ſie ſich durch jenes ſehnſüchtige, pathetiſche Drängen zur Realität aus, das ſonſt nirgend in demſelben Maße zum Ausſpruche kommt.

[55]

VI.

Ueberſicht. Zuſammenſtellung der erörterten Triaden. Die ſich in der Trinitätslehre ausſprechende Trias als allgemeines weltgeſchichtliches Myſterium. Noch ein ſchließliches Wort über Papſtthum und proteſtantiſche Kirchenthümer.

Hiemit glauben wir nun, jene dreifache Krone, die wir in unſerer Weiſe auszudeuten übernommen haben, jenes drei Principien und Elemente befaſſende Kirchen - und Prieſterthum, das den allgemeinen und eigentlichen Gegen - ſtand unſerer Beobachtungen bildet, zur Genüge betrachtet, nachgewieſen und erläutert zu haben. Die einander deut - lich entſprechenden, in evidentem Zuſammenhange ſtehenden Triaden, die ſich dabei herausgeſtellt, ſind, um ſchließlich noch dieſe Ueberſicht zu geben, die folgenden.

1. Die drei principiellen und elementaren Momente, die ſich im Papſtthume vereinigen, erſtlich das durch den thatſächlichen Eintritt einer überweltlichen Macht und Na - tur in den Weltprozeß zum Chriſtenthum vollendete und geſteigerte paläſtiniſche, und dann auf Seiten des gebilde - ten Heidenthums das der griechiſchen Cultur und das der römiſchen Univerſalherrſchaft.

56

2. Die hiemit ſchon namhaft gemachten drei repräſen - tativen Volksſtämme und Volksgeiſter, welche dieſe Momente geliefert, indem ſie die Aufgabe gehabt, dieſelben zum Be - hufe nachheriger um ſo concreterer und concentrirterer Zuſammenfaſſung für ſich auszubilden und darzuſtellen, der jüdiſche, der römiſche und der griechiſche.

3. Die drei mythologiſchen Göttergeſtalten, welche den angegebenen Momenten und Volksſtämmen entſprechen, und welche zugleich als die ſich vorläufig verkündende, noch polytheiſtiſch auseinanderfallende Trinität des Chriſtenthums betrachtet werden können, Zeus, Herakles und Apollon.

4. Dieſe Trias endlich als chriſtliche Trinität, oder Vater, Sohn und Geiſt, als die eine, dreifach be - ſtimmte und gegliederte, mit ſich jedoch identiſch bleibende Gottheit der chriſtlichen Glaubenslehre.

Man erſtaunt über eine ſolche Alles einem Zwecke und Ziele zu Gute verknüpfende Harmonie und Architek - tonik, ein ſolches Syſtem von Ideen, Principien, Elemen - ten, völkerſchaftlichen und welthiſtoriſchen Charakteren, Be - ſtimmungen und Erſcheinungen*)Ueber einige triadiſche Erſcheinungen und Thatſachen im neuen Teſta - ment und in der erſten Geſchichte des Chriſtenthums iſt in der Bei - lage E. beſonders gehandelt., die theils ſo ganz ein - heitslos auseinanderfallen und ihren Weg für ſich machen, theils wieder in eine überraſchende Einheit zuſammentreten und bei näherem Zuſehen als ſchon von Anfang an auf eine ſolche geheimnißvoll angelegt, berechnet und hingeleitet erſcheinen. Man überzeugt ſich wohl, daß etwas der Art nicht auf zufälligen, ſubjektiven und willkührlichen Urſachen und Grundlagen beruhen kann, daß es vielmehr von der objektivſten und nothwendigſten Natur ſein und im tiefſten Grunde des Weltorganismus und der Weltanlage wurzeln57 muß; man ahnet auf dieſe Weiſe ein großes, allgemeines Schöpfungs - und Weltgeheimniß, dem nachzuſpüren gewiß die würdigſte Aufgabe des Denkers iſt; man merkt nament - lich, daß die Trinität, deren Vorſtellung die chriſtliche Dogmatik gibt, und als deren getreueſte Abſpiegelung im Reiche geſchichtlicher Wirklichkeit wir das katholiſche Kir - chen - u. Prieſterthum erkannt, die innere göttliche Wurzel und Norm der ganzen Weltentwickelung und Weltgeſchichte iſt, und ſieht um ſo deutlicher den ungeheueren Fehler ein, den jene chriſtlichen Kirchen und Sekten begehen, welche die wundervolle Verknüpfung und Totalität zerſtören, deren Bewahrung dem Katholicismus zu ſo großem Vortheil und Vorzuge gereicht. Wer dieſe Organiſation mißbilligt, der ſollte wenigſtens auch das Dogma der Trinität auf - geben, das in ihr ſeinen realen, hiſtoriſchen Ausdruck fin - det, was freilich noch Niemand bemerkt zu haben ſcheint. Iſt aber dieſes Dogma eine weſentliche, nicht aufzugebende Inhaltsbeſtimmung des Chriſtenthums, ja der Kern, die Alles in ſich faſſende Grund - und Hauptlehre dieſer Re - ligion, und hat daſſelbe einen ſo umfaſſenden welthiſtori - ſchen Sinn, ſo wird eine Kirche, welche dieſem Dogma, und das ganz dieſem großartigen Sinn entſprechend, einen ſo vollſtändigen Ausdruck verleiht, nothwendig für diejenige zu gelten haben, in der ſich das Chriſtenthum überhaupt ſeiner adäquateſten Darſtellung und Ausführung in Zeit und Welt erfreut.

[58][59]

Anhang. Beilagen.

[60][61]

A. Ueber katholiſche Cultusformen und Cultusmittel. Zu I. S. 8.

Niemand hat die Wirkung, welche der katholiſche Cultus in Folge ſeiner Objektivität und Anſchaulichkeit auf das Gemüth des Menſchen auszuüben vermag, trefflicher ge - ſchildert, als Schiller in ſeiner Maria Stuart, indem er Mortimer von ſeiner Converſion erzählen läßt.

Ich zählte zwanzig Jahre, Königin; In ſtrengen Pflichten war ich aufgewachſen, In finſterm Haß des Papſtthums aufgeſäugt, Als mich die unbezwingliche Begierde Hinaus trieb auf das feſte Land. Ich ließ Der Puritaner dumpfe Predigtſtuben, Die Heimat hinter mir; in ſchnellem Lauf Durchzog ich Frankreich, das geprieſene Italien mit heißem Wunſche ſuchend. Es war die Zeit des großen Kirchenfeſtes; Von Pilgerſchaaren wimmelten die Wege, Bekränzt war jedes Gottesbild, es war, Als ob die Menſchheit auf der Wandrung wäre,62 Wallfahrend nach dem Himmelreich Mich ſelbſt Ergriff der Strom der glaubensvollen Menge Und riß mich in das Weichbild Rom’s Wie ward mir, Königin! Als mir der Säulen Pracht und Siegesbogen Entgegenſtieg, des Koloſſeums Herrlichkeit Den Staunenden umfing, ein hoher Bildnergeiſt In ſeine Wunderwelt mich ſchloß! Ich hatte nie der Künſte Macht gefühlt; Es haßt die Kirche, die mich auferzog, Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet ſie, Allein das körperloſe Wort verehrend. Wie wurde mir, als ich in’s Inn’re nun Der Kirche trat, als die Muſik der Himmel Herunterſtieg und der Geſtalten Fülle Verſchwenderiſch aus Wand und Decke quoll, Das Herrlichſte und Höchſte, gegenwärtig, Vor den entzückten Sinnen ſich bewegte; Als ich ſie ſelbſt nun ſah, die Göttlichen, Den Gruß des Engels, die Geburt des Herrn, Die heilige Mutter, die herabgeſtiegene Dreifaltigkeit, die leuchtende Verklärung Als ich den Papſt drauf ſah in ſeiner Pracht Das Hochamt halten und die Völker ſegnen. O, was iſt Goldes, was Juwelen-Schein, Womit der Erde Könige ſich ſchmücken! Nur er iſt mit dem Göttlichen umgeben, Ein wahrhaft Reich der Himmel iſt ſein Haus; Denn nicht von dieſer Welt ſind dieſe Formen. Maria. O, ſchonet mein! Nicht weiter! Höret auf, Den friſchen Lebensteppich vor mir aus - Zubreiten Ich bin elend und gefangen. 63Mortimer. Auch ich war’s, Königin, und mein Gefängniß Sprang auf, und frei auf Einmal fühlte ſich Der Geiſt, des Lebens ſchönen Tag begrüßend. Haß ſchwur ich nun dem engen, dumpfen Buch, Mit friſchem Kranz die Schläfe mir zu ſchmücken, Mich fröhlich an die Fröhlichen zu ſchließen.

Allerdings ſpricht hier Schiller nicht in ſeinem ei - genen Namen, ſondern aus der Seele einer ſeiner Theater - figuren heraus, die er zu charakteriſiren hat. Seine Dar - ſtellung iſt aber ſo warm und wahr, daß ſie fühlbar auch aus eigener Gefühls - und Anſchauungsweiſe gefloſſen iſt und als ein Votum dieſes großen Dichters und Denkers zu Gunſten des Katholicismus betrachtet werden darf. Auf jeden Fall mußte eine ſolche Dichterſeele dieſem unendlich holder ſein, als dem engen, dumpfen Buch , und als der Puritaner dumpfen Predigtſtuben. Wer eine aus katholiſcher Feder gefloſſene Darſtellung vergleichen will, der wird eine ſolche in Beda Weber’s Cartons aus dem deutſchen Kirchenleben , Mainz 1858, S. 766 ff. unter der Ueberſchrift: Der große Roſenkranz auf dem heiligen Berge bei Vareſe im Mailändi - ſchen finden. Ich ziehe hier mit großer Abkürzung nur Folgendes aus.

In dem Geiſte des h. Carlo Borromeo, Cardi - nal-Erzbiſchofs von Mailand, deſſen Wirkſamkeit in die Jahre 1548 1584 fällt, tauchte die Idee auf, die Ge - heimniſſe des Evangeliums plaſtiſch darzuſtellen und zu die - ſem Zwecke nicht nur alle Mittel der Kunſt, ſondern auch die großartigen Bilder der Natur ſelbſt als Rahmen dazu in Anwendung zu bringen. Sein Vetter, Federigo, ebenfalls Erzbiſchof von Mailand, brachte dieſe Idee in den Jahren 1563 1631 zur Ausführung. Es erhob ſich64 die wunderbare Schöpfung des heiligen Berges zu Vareſe als Einheits - und Erfriſchungsort des Volkes der lombardiſchen und piemonteſiſchen Ebenen und der an - grenzenden Schweizerthäler, eine aus weißem Marmor ge - bildete rieſige Chriſtenlehre. Ein freiſtehender, faſt pyra - midenartiger Hügel erhebt ſich aus der Ebene des Dorfes Vareſe, welcher in ungeheuren Wellungen vom friſcheſten Grün überkleidet, in’s Hochgebirge der Teſſiner Alpen aus - läuft, an ſeinem Fuße mit unzähligen Landhäuſern, dar - über mit Feldern und Wieſen voll ſchwellender Fruchtbar - keit, zuhöchſt mit beherrſchendem Ausblick auf die weite Landſchaft des Po und die abgränzenden Berge. Eine gutgepflaſterte Straße, zu beiden Seiten mit einer Mauer eingefaßt, führt auf den Gipfel deſſelben empor.

Iſt der Wanderer aus dem Bereiche üppiger Villen und ihrer Waldungen in’s Freie emporgedrungen, ſo quillt aus dem Fels am Wege ein kühler, wohlumhegter Brun - nen, dem müden Wanderer ein erwünſchtes Labſal. Gleich daneben wölbt ſich über die Straße ein mächtiges, kunſt - reich aus Marmor gebautes Portale und bezeichnet durch ſeine chriſtliche Anlage den Eintritt in’s Gebiet der heili - gen Jungfrau. Dahinter ſtehen in mäßiger Entfernung fünf Kapellen, rings mit Säulengängen, durch die ein Reiter bequem paſſiren kann, ſtets auf einer Hügelecke, wo die reichſte Ausſicht in die ewig wechſelnden Bilder ei - ner reichen Natur das Auge entzückt. Sie enthalten die ausführliche Darſtellung der freudigen Geheimniſſe des hei - ligen Roſenkranzes mit originellen Bildereien, die aus ei - ner Erdart gebrannt und mit Farben lebenstreu bemalt ſind. Den Anfang macht in der erſten Kapelle der eng - liſche Gruß, die Heimſuchung Mariä, die Geburt Chriſti, die Darſtellung Jeſu im Tempel und deſſen Wiederfindung unter den Schriftgelehrten. Ihnen ſchließen ſich die ſchmerz -65 haften an, abermals durch eine rieſige Thorhalle über dem Wege eröffnet nach der nämlichen Anlage und Ausführung, der heilige Oelberg, die Geißelung, die Dornenkrönung, die Kreuzfahrt und die Kreuzigung. Aus dieſem Gebiete der Todesſchmerzen treten wir aufwärtsſteigend durch ein drittes Thor in die lichte Region der glorreichen Geheim - niſſe der Menſchenerlöſung, wo in vier auf einander fol - genden Kapellen die Auferſtehung und Himmelfahrt Chriſti, die Sendung des heiligen Geiſtes und die Aufnahme Ma - riens in den Himmel dargeſtellt ſind. Die Hügelpyramide iſt immer ſchlanker und luftiger geworden; mit den Licht - maſſen, die ſich von allen Seiten auf uns niedergießen, haben ſich die Düfte und Kühlungen der überragenden Alpen gemiſcht, um unſere Seele durch die glorreichen Thaten Jeſu Chriſti, welche den Tod gebrochen und die Hölle beſiegt haben, fröhlich aufathmen zu laſſen. Weite dunkellaubige Thäler haben ſich rings um unſere Höhen - wanderung aufgethan und unſere erhabene Stellung auf eine faſt ſchwindelerregende Weiſe in den Lüften iſolirt. Auf der höchſten Spitze des Hügels befindet ſich die Kirche der allerſeligſten Jungfrau und das ihr verbundene Non - nenkloſter. Die Kirche iſt der Krönung Maria’s, alſo dem letzten glorreichen Geheimniſſe des h. Roſenkranzes geweiht. Fünf Geiſtliche verſehen an der Kirche den Wallfahrtsdienſt und ſind an Marienfeſten beſonders viel beſchäftigt.

Tritt man an ſolchen Tagen aus der Kirche auf die Höhenteraſſe heraus, ſo genießt man einen Anblick, der ſich mit Worten nicht ausdrücken läßt. Der heilige Berg iſt von oben nach unten mit Menſchen bedeckt, alle ſelig und froh im Reviere der Himmelskönigin, hier an Mar - morſtufen, dort unter rieſigen Bäumen gelagert, von mild - thätigen Reichen leiblich geſpeiſt, nachdem ſie im Krönungs - ſaale der heiligen Jungfrau die Himmelsſpeiſe genoſſen,566rings im Ausblick auf die wunderherrliche Welt, welche eine unermeßliche Ebene, wogende Seen, prangende Berge zeigt und ſich ſchmiegſam herangelaſſen hat, das Evange - lium unſeres Herrn Jeſu Chriſti in den prachtvollſten Rah - men zu faſſen. Der Rieſenbau des Mailänder Doms und die borromäiſchen Inſeln ſchauen aus der Ferne wie Sterne ewiger Hoffnungen tröſtend in’s Volksgewühl herein, das ſich als lebendige Pyramide zum Himmel aufgebaut hat, ſo daß man mit Wahrheit ſagen kann: Alles was Herz und Stimme auf Erden hat, Licht und Farbe, Frucht und Blüthe, Geiſt und Natur haben ſich zu Vareſe ver - einigt, die Offenbarung Gottes unter den Menſchen wahr und wirklich zu machen.

Der h. Carlo Borromeo ging bei dem Plane zu dieſer Schöpfung von einer Anſicht aus, die wir bei einem gleichzeitigen Schriftſteller entwickelt finden und hier im Auszuge wiedergeben wollen. Wenn der chriſtlichen Lehre zur Wirkung auf die Gemüther nur das Wort und die Schrift gelaſſen wird, ſo hat die Seelſorge einen beſchränk - ten Kreis, um für alle Einzelheiten individueller Begriffe zu ſorgen und in’s innerſte Lebensmark erfolgreich einzu - dringen. Die Predigt, von einem irdiſchen Menſchen ge - tragen, daher leider oft ſeinen natürlichen Talenten und Schwächen unterthan, wird nur zu leicht die nächſte Ver - anlaſſung, alle himmliſchen Wahrheiten durch menſchliche Fehlerhaftigkeit zu blamiren. Kommt noch dazu, daß die Predigt allein ohne individuelle Kenntniß der Seelenzu - ſtände in den Zuhörern allzuleicht in leeres Phraſengeklin - gel, carrikirtes Geberdenſpiel und in einen ganz eigenthüm - lichen Heulerton ausartet, der einem Theater ſchlecht ſteht und in der Kirche nur dem verdorbenſten Geſchmacke zu - ſagen kann, ſo iſt die Langeweile und der Ekel der Zu - hörer unvermeidlich und fällt leider nicht ſelten auf den67 ungeſchickten Redner zurück. Noch bedenklicher ſteht es mit der Schrift, welche uns die ewige Wahrheit deuten ſoll. Sie iſt ein äußeres Zeichen, als Symbol des Unausdenk - baren und Ewigen tauſend verſchiedenen Auslegungen un - terworfen, die Jeder nach dem Stande ſeiner Bildung, ſeines Eigenſinnes, ſeiner vorgefaßten Meinung macht, und in dieſe ſubjektive Auffaſſung ſeine eigenen Anſichten und Meinungen hineinlegt, ſo daß zehn Menſchen über die nämliche Bibelſtelle verſchiedene Verſtändniſſe und Miß - verſtändniſſe hegen können ohne Mißbrauch ihrer Freiheit, ohne vorſätzliche Bosheit. So iſt ſie nur zu oft ein Spie - gel, in dem jeder Menſch nur ſich ſelbſt, ſeine eigenen Züge, ſein eigenes Weſen erblickt. Dieſe Erfahrungen, ſeit Jahrhunderten durch unzählige Thatſachen der Geſchichte gemacht und beſtätigt, haben in der katholiſchen Kirche von jeher zur univerſellen Auffaſſung der Offenbarung und Vermittlung derſelben mit dem ganzen Umfange un - ſeres irdiſchen Lebens geführt und dadurch das Wort Got - tes auf der breiteſten Grundlage entwickeln helfen. Da nämlich das Wort ſo gut als die Schrift nicht die Wahr - heit ſelbſt, ſondern nur Sinnbilder ſind, um die Lehre des Heilandes dem Menſchengeiſte zu vermitteln und nahe zu legen, da ferner Wort und Schrift nach dem Bildungs - ſtande gewöhnlicher, oft roher Menſchen, nicht einmal die populärſten Mittel ſind, um das ſinnliche Element mit ewigen Ideen zu durchdringen, und nothwendig zum rech - ten Verſtändniſſe einen gewiſſen, leider oft nicht vorhan - denen Bildungsgrad erfordern, ſo nahm die katholiſche Kirche keinen Anſtand, nicht bloß dieſe Mittel allein, ſon - dern alle tauglichen Wege in Anwendung zu bringen, wo - durch die Seele zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit ge - bracht werden kann. Die Malerei, die Bildhauerkunſt, die Schnitzkunſt, die Bildnerei durch Guß und Formbil -5*68dung und die Baukunſt werden zu Hülfe genommen, um das Ewige nicht bloß einſeitig, ſondern univerſell in die Seele einzuſenken. Alle dieſe Künſte werden unmittelbar mit Welt und Leben in Verbindung gebracht, und der un - ermeßliche Reichthum der Welt und des Lebens ſelbſt be - nutzt, um dadurch der Lehre unſeres Heilandes die um - faſſendſte Wirkung auf das menſchliche Gemüth zu ver - ſchaffen, ſo daß ſich ſelbſt der Blödeſte und Ungebildetſte derſelben nicht entziehen kann. Dieſem natürlichen Lebens - triebe der katholiſchen Kirche verdanken wir die runde Vol - lendung unſeres chriſtlichen Lebens, die Naturwüchſigkeit der Empfindung, die Klarheit und Anſchaulichkeit der er - habenſten Wahrheiten der geoffenbarten Religion. Wo die Einleitung der evangeliſchen Heilslehre in das Leben bloß auf Wort und Schrift beſchränkt bleibt, wird ſie mehr oder minder ewig in der Luft ſchweben und mit den Wor - ten bald dahin, bald dorthin über den Köpfen der meiſten Menſchen erfolglos tanzen, je nachdem die Winde und Luft - züge gebieten, weil die wurzelhafte Einſenkung derſelben in Welt und Zeit nicht beliebt worden iſt.

Der Katholicismus nimmt Kunſt und Natur zu Hülfe, um ſeine Wirkungen zu thun, ſeine Abſichten zu erreichen. Thut er es nicht immer und überall in einer jedem Geſchmacke zuſagenden Manier, ſo iſt doch durchweg der Grundſatz, das Princip anzuerkennen. Dabei iſt in Betrachtung zu ziehen, zu welch ödem, geiſtloſem und ennuyantem Extreme ſich der Gegenſatz häretiſcher Par - teien in dieſem Punkte fortbewegt hat. Wenn Carlſtadt in Wittenberg und Zwingli in Zürich Altäre und Bil - der zertrümmert, ja letzterer die Orgeln zerſtört hatte, ſo erklärten die Wiedertäufer auch ſelbſt noch die entleerten Tempel für Götzenhäuſer. Vom Geſange urtheilten ſie un - gefähr wie Peter v. Bruys, der ihn für eine Anbetung69 Satans hielt. *)Möhler, Symbolik, Mainz und Wien 1838. S. 483.Daran reihen ſich auch die Quäker. Ihre gottesdienſtlichen Uebungen und Verſammlungen ſind von der ſubjektivſten und abſtrakteſten Art. In einem ſchmuckloſen, kahlen, nur mit Bänken angefüllten Saale, wo kein äußerer Gegenſtand irgend eine Wirkung thun darf, ſitzen ſie im tiefſten Schweigen, um ſich von aller irdiſchen Zerſtreuung in ſich ſelbſt zurückzuziehen und zum Vernehmen innerer himmliſcher Einſprache zu be - fähigen. Wer ſich endlich nach langem Harren dazu an - getrieben fühlt, läßt ſich in einer Rede oder einem Ge - bete vernehmen; es geſchieht auch wohl, daß die Ver - ſammlung auseinander geht, ohne daß es zu einer ſol - chen Aeußerung gekommen iſt. Nicht nur Romanenlektüre, Theaterbeſuch, Tanz und Spiel jeder Art, ſondern auch Muſik, ſowohl Geſang, als Inſtrumentalmuſik, iſt von dieſen Leuten verworfen worden. **)Daſelbſt S. 516 f. 519 ff. Die Quäker , ſagt Thomas Paine, würden, wenn man ihren Geſchmack bei der Schöpfung zu Rathe gezogen hätte, die ganze Na - tur lautlos gemacht und in trübe Farben gekleidet haben. Nicht eine Blume hätte ihre Farbenpracht entfalten, nicht ein Vogel ſein Lied ſingen dürfen. Das ſind die Con - ſequenzen dieſer Richtung. Alle menſchliche Herrlichkeit iſt Kinderſpott; der Menſch iſt nicht dazu da, Paläſte zu bauen und ſchöne Bilder zu malen, und Gott hat kein Wohlgefallen an dem Betrieb irgend einer eitlen, irdiſchen Kunſt. So läßt Jung-Stilling in ſeinen Scenen aus dem Geiſterreiche einen Engel im Himmel ſprechen. Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, wie weh mir einmal der pietiſtiſche Profeſſor Kanne in Erlangen that, als er über alle Poeſie den Stab brach. Auch das nega -70 tive Moment des Chriſtenthums hat ſeine Wahrheit und Berechtigung; aber es hat nur ein Moment des Ganzen, nicht das Ganze ſelbſt zu ſein. So wird es denn auch vom Katholicismus behandelt. Er treibt, da Alles in ihm enthalten und vertreten iſt, die Abſtraktion und Negation theilweiſe noch viel weiter, als irgend eine nichtkatholiſche Sekte und Partei; aber er ſchließt ſie in ihre Grenzen ein und breitet ſie nicht zum Nachtheil der Religion und zur deſtruktiven Abſchwächung ihrer Manifeſtationen und Effekte über das ganze chriſtliche Leben aus.

[71]

B. Stoa und Chriſtenthum. Zu II.

Einwürfe, die nicht nur zu erwarten, die von achtungs - wertheſter Seite bereits in der That gemacht worden ſind, veranlaſſen uns zu folgenden näheren Erörterungen über das Verhältniß der ſtoiſchen Philoſophie zum Chriſtenthum.

Bei der am Ende unſeres II. Capitels angeſtellten Vergleichung der beiderſeitigen Lehre und Denkweiſe war es nicht unſere Abſicht, die hier eben ſo ſehr auch Statt findenden großen und weſentlichen Differenzen zu läugnen. Eine zu weit getriebene Verähnlichung heidniſcher und chriſt - licher Dinge liegt überhaupt gar nicht in unſerem Inte - reſſe; die Verwiſchung des Unterſchieds iſt ein eben ſo gro - ßer Fehler, als die totale Auseinanderreißung; und wir brauchen, um unſerer Tendenz zu genügen, nicht weiter zu gehen, als der Apoſtel Paulus, die Kirchenväter und neuere katholiſche Theologen und Hiſtoriker gethan. Was die von uns ſelbſt durchaus anerkannte eigenthümliche Na - tur des Chriſtenthums betrifft, ſo kommt dieſem bei all72 den Berührungspunkten, die es mit ſonſtigen Phänomenen in Geſchichte und Bewußtſein der Menſchheit hat, eine Bedeutung, Größe, Tiefe und Würde zu, die mit nichts Anderem in der Welt vergleichbar iſt. Es handelte ſich und handelt ſich fortwährend bei ihm um noch ganz andere Dinge, als um die Anſichten und Lehren, die es mit der Stoa und ſonſtiger Philoſophie und Moral gemein hat und haben kann. Es iſt dies namentlich die ganz neue Ein - ſenkung und Einverleibung eines höheren Princips in Menſch und Welt, wie ſie in Chriſtus geſchehen iſt und in der von ihm geſtifteten Kirche perennirend zu geſchehen hat. Durch ihn ſollte eine zwiſchen Welt und Gott entſtandene furchtbare Kluft getilgt*)Coloſſ. 1, 19 ff. 2. Corinth. 5, 18 f. Epheſ. 1, 10. Cap. 2, 14., dem Tode ſeine Macht genom - men, der Anfang zu einem ganz neuen Weltalter und Welt - prozeß gemacht, der zu einer ganz neuen Art von Exiſtenz hinüberführende Weg eröffnet, ein Inſtitut in’s Leben ge - rufen werden, welches den Zweck und Beruf, ſo wie die aus übermenſchlicher Sphäre ſtammende Kraft hat, dieſes ungeheuere Werk durch die Jahrtauſende hindurch zu ſei - nem Alles verwandelnden und verklärenden Ende zu füh - ren. **)1. Corinth. 15, 45 ff. Der erſte Adam war nur eine lebendige Seele , wie hier mit Bezug auf 1. Moſ. 2, 7 geſagt; der zweite aber iſt ein belebender Geiſt ; der erſte Menſch war irdiſcher, der zweite iſt himmliſcher Natur. Es ſind auf dieſe Weiſe zweierlei Schöpfungen un - terſchieden, wovon die erſte eine noch unvollkommene, auf relativ niedri - ger Stufe ſtehende war; dieſe Stufe muß überſchritten werden, damit die zweite, höhere Schöpfung, die aus dem Geiſte, zu Stande komme. Das iſt der Inhalt und die Bewegung der ganzen Weltgeſchichte und Paulus der wahrhafte Geſchichtsphiloſoph. Vergl. Galat. 6, 15: In Chriſto Jeſu iſt weder Beſchneidung Etwas, noch Vorhaut, ſondern eine neue Schöpfung. 2. Corinth. 5, 17: So Jemand in Chriſto iſt, ſo iſt er eine neue Schöpfung; das Alte iſt vergangen, ſiehe, es iſt Alles neu geworden. 2. Petr. 3, 13: Wir war -Das konnte kein Heros und Genius, keine Re -73 ligion und Philoſophie der heidniſchen Zeit und Welt, das konnte nur er, der incarnirte, leidende, ſterbende, aufer - ſtehende Gott des Chriſtenthums. Vorbereitet und heran - gereift für dieſe Erſcheinung mußte aber eben ſo gut das Heidenthum, als das Judenthum, ſein; mußte es um ſo mehr, da die Stiftung Chriſti, die neue Religion und Kirche zwar im Judenthume gegründet wurde, ſich aber in keiner Weiſe auf daſſelbe beſchränken konnte, ſich der Feindſeligkeit wegen, womit ſie von ihm behandelt wurde, vielmehr in’s Heidenthum ergießen und da ihr Reich er - richten mußte.

Zu dieſer Vorbereitung und Reife gehört denn auch die Philoſophie und Ethik der Stoiker, ſofern ſie ſich der chriſtlichen Lehre und Denkart nähert, ja mit ihr zum Theil ſelbſt bis zur formellen Uebereinſtimmung zuſammenfällt. Hiebei iſt wohl zu merken, daß ſich unter den Stoikern und ihren Lehren ſelbſt ein bedeutender Unterſchied findet und nicht Alles, was unter dem Namen der Stoa zuſam - mengefaßt wird, aus einem Geiſte ſtammt und unter denſelben Geſichtspunkt fällt. Darum haben wir oben auch nur die Namen Kleanthes, Epiktetes und Marcus Aurelius Antoninus genannt. Was man den Stoikern vorwirft, iſt beſonders der Hochmuth, der ihrem Syſteme zu Grunde liege , in welcher Rückſicht Döllinger*)Heidenthum und Judenthum S. 874. eine Reihe von Citaten aus Seneca gibt. Hören wir indeſſen, wie ſich Tennemann, und wie ſich Döllinger ſelbſt über Epiktet äußert. Seine Leh - ren , ſagt der Erſtere, haben weit mehr Einfalt, als die des Seneca; ſie ſind ganz der Abdruck ſeines Charakters**)ten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in wel - chen Gerechtigkeit wohnet ; und Offenb. Joh. 21, 6: Und der auf dem Throne ſaß, ſprach: Siehe, ich mache Alles neu. 74und Lebens. Sein ganzes Leben ſtand mit den Grund - ſätzen, die er vortrug, in Harmonie; er wollte das, was der Menſch nach ſeiner Ueberzeugung ſein ſollte, nicht ſcheinen, ſondern ſein; in ſeinen Lehren iſt nicht die ge - ringſte Anwandlung von anmaßendem Stolze, keine Spur von der Sucht, zu gefallen und zu ſchimmern, bemerklich. Sein Hauptgrundſatz war: Alles, was die innere Ueber - zeugung, das Gewiſſen, als gut und böſe vorſtellt, als ein untrügliches Geſetz zu betrachten, und ſich weder durch Luſt noch durch Unluſt davon abwendig machen zu laſſen. *)Tennemann’s Geſchichte der Philoſophie V. S. 178.Noch viel bedeutender iſt, was Döllinger aushebt und zugeſteht. Der Anfang der Philoſophie , ſagt er, iſt ihm das Bewußtſein unſerer Schwäche und Ohnmacht. Um gut zu werden, müſſen wir erſt zu der Einſicht kom - men, daß wir ſchlecht ſind. Die Philoſophie muß uns vor Allem vom Dünkel reinigen, der Nichts zu bedürfen wähnt. Epiktet verweiſt den Menſchen auf Gott; bei ihm ſolle der Menſch das ihm Mangelnde, die ſittliche Hülfe ſuchen, und noch nie war eine Moral mit ſo ſtarken und zahlreichen chriſtlichen Anklängen ent - wickelt worden. **)Döllinger a. a. O. S. 577.Hier kehrt ſich jedenfalls eine ganz andere Seite, als die gerügte, heraus und das genügt vollkommen für unſeren Zweck. Uebrigens haben die Ver - theidiger der Stoa ſelbſt die ſtolze Höhe, auf welche die - ſelbe ihren Weiſen ſtellt, mit chriſtlicher und bibliſcher Idealität in Einklang zu bringen gewagt. In der Vor - rede zu Hofmann’s Ueberſetzung der Selbſtbetrachtun - gen des Marc Aurel***)Hamburg 1755. Fünfte Ausgabe. heißt es: Es wird für irrig, ja für gottlos gehalten, daß die Stoiker ihren Weiſen, oder75 nach unſerer Sprache, ihren vollkommenen Menſchen, Gott gleich machen wollen. Will aber nicht Chriſtus ſeine Schü - ler gleichfalls ſo vollkommen haben, als Gott? Schuf nicht Gott den erſten Menſchen nach ſeinem Bilde? Und ſoll nicht der neue Menſch wiederum nach Gott geſchaffen ſein in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit? *)3. Moſ. 19, 2. 1. Petr. 1, 15 f. Matth. 5, 48. Coloſſ. 1, 22. Cap. 3, 9 ff. 2. Corinth. 3, 18. Cap. 7, 1. Epheſ. 1, 4. 1. Theſſal. 5, 23.Daß ein ſolches Ideal, wie es auch übrigens beſchaffen ſein mochte, auch auf dieſer Seite hervorgetreten, iſt jedenfalls als eine bedeutende Thatſache und als ein weſentliches Moment in der Entwicklung des heidniſchen Bewußtſeins zu betrachten. Der mit ſich und ſeiner Welt zerfallene Menſch ſtrebte über ſich und dieſe Welt hinaus nach einem harmoniſcheren, ſeligeren, würdevolleren Ziel. Er hatte das Bedürfniß, einen weſentlich höher geſtellten, von dem ſchmählich laſtenden Drucke der Welt und Zeit befreiten Menſchen ſich wenigſtens idealiſtiſch vorzuſtellen. Der ſtoiſche Weiſe war ſomit ein heidniſches, und inſofern frei - lich nicht weniger differentes, als analoges Seitenſtück zu dem neuen Menſchen, dem anderen Adam des Chriſten - thums; er war die höchſte Anſtrengung des Heidenthums, ſich mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln auf einen über das Menſchliche im untergeordneten und ſchlechten Sinne des Wortes erhabenen Standpunkt zu verſetzen. Die Stoiker rühmten ſich jedoch nicht, das Ziel erreicht zu haben; ſie ſpreizten ſich mit ihrem Ideale nicht perſönlich auf; ſie geſtanden, daß Niemand zu nennen ſei, in welchem es ſich realiſirt zeige; nicht einmal z. B. in einem Sokra - tes, Antiſthenes, Kleanthes, Chryſippus finde es ſich dar - geſtellt. Je höher die Stufe, auf welche man den idealen76 Denker und Ethiker ſtellte, deſto unerreichlicher erſchien dieſes Muſterbild; je ſtolzer die Idee, um ſo beſchämter und de - müthiger empfand ſich das ſeine Mangelhaftigkeit damit vergleichende Individuum. Was den in Beſchreibung des ſtoiſchen Weiſen, ſeiner Würde und ſeines Glückes aller - dings ſehr hochfliegenden und überſchwänglichen Seneca betrifft, ſo erklärt ſich derſelbe doch in Rückſicht auf ſich ſelbſt mit einer Offenheit und Beſcheidenheit, an der Nichts auszuſetzen iſt. So ſagt er de vita beata 17: Ich bin kein Weiſer, werde auch keiner werden. Meine For - derung an mich ſelbſt iſt nicht dieſe, daß ich den Trefflich - ſten gleich, ſondern nur beſſer, als die Schlechten ſei. Es iſt mir genug, wenn ich täglich von meinen Fehlern Etwas ablege und mir meine Verirrungen vorwerfe. Von der Tugend rede ich, nicht von mir; und wenn ich auf die Laſter ſchelte, ſo ſchelte ich am erſten auf die meinigen. Nichts ſoll mich hindern, die Tu - gend anzubeten und ihr von meinem mächtigen Abſtande aus mit wankendem Schritte nachzugehen. Und de tranquill. an. 7: Es iſt nicht gemeint, als ob ich dir zur Regel machte, du ſolleſt dich nur mit einem Weiſen berühren; denn wo wirſt du den finden, den man ſchon ſo viele Jahrhunderte ſucht! Für den Beſten muß der gelten, der am wenigſten ſchlimm. Der idealiſtiſchen Ethik des Stoikers genügt nicht bloße Geſetzlichkeit und äußere Schuldloſigkeit; wer aber will ſich rühmen, auch den höhe - ren Anforderungen des Sittengeſetzes vollkommen Genüge gethan zu haben! So heißt es bei Seneca de ira I. 14: Es gibt keinen Menſchen, der ſich frei ſprechen könnte; und wenn Jemand behauptet, er ſei ohne Schuld, ſo kann dies nur in Rückſicht auf Zeugen, nicht aber auf ſein Gewiſſen gelten. Und daſelbſt II. 28: Kein Menſch iſt ohne Schuld. Du ſprichſt: Ich habe nicht gefehlt; ich77 habe Nichts gethan. Nein, du geſtehſt nur Nichts. Wir nehmen es übel auf, wenn wir durch Mahnung oder Ein - ſchränkung zurecht gewieſen werden, und fehlen in demſel - ben Momente, indem wir zu begangenen Sünden noch die der Anmaßung und des Trotzes hinzufügen. Wer kann ſagen, er habe nie gegen ein Geſetz gehandelt? Und ge - ſetzt, du könnteſt es, welch eine allzu beſchränkte Unſchuld, vor dem Geſetze gut zu ſein! Um wie viel weiter erſtreckt ſich der Umfang unſe - rer Pflichten, als die Regel des Rechtes! Wie Vieles fordert die Frömmigkeit, die Menſchen - liebe, die Freigebigkeit, die Treue was Alles auf den Tafeln der bürgerlichen Geſetze nicht geleſen wird! Das iſt eine Sprache, wie ſie aus dem chriſtlichſten Munde der Welt zu gehen, geeignet wäre. Kann nun aber, ſagt der Stoiker, unſer Tugendideal nicht erreicht werden, oder wird es nur höchſt ſelten erreicht, ſo iſt doch darnach zu ringen; und ſelbſt das bloße Aufſtellen eines ſolchen Ideals und das hinter ſeinen Forderungen zurückbleibende, jedoch ernſtliche und redliche Streben iſt Etwas. So heißt es bei Seneca, de vita beata 20: Die Philoſophen leiſten nicht, was ſie vortragen. Aber ſie leiſten doch viel, indem ſie es ausſprechen, indem ſie ein ſolches Ideal auf - ſtellen. Die Beſchäftigung mit ſo heilſamen Studien iſt lobenswerth, wenn es auch am Vollbringen fehlt. Darf man ſich wundern, wenn die, welche ſich an ſo ſchroffe Höhen gewagt, nicht bis zum Gipfel kommen? Den Mann, der Großes verſucht, muß man achten, auch wenn er fällt. Was den von den Stoikern aufgeſtellten Grundſatz der Feindesliebe betrifft, ſo ſagt der treffliche Marc Au - rel ausdrücklich VII. 22: es zieme ſich für den Menſchen, auch diejenigen zu lieben, die ihn beleidigen; VII. 36 führt er den Ausſpruch des An -78 tiſthenes an: Es iſt königlich, Gutes thun und böſe Nachrede leiden; I. 7 ſpricht er von dem Stoiker Ruſticus, von dem er gelernt habe, ſich jeder Art von Stolz, Hochmuth und Oſtentation zu enthalten, ſtets bereit zu ſein, dem Beleidiger zu verge - ben, und ſtets willfährig, wenn Feinde ver - ſöhnliche Abſichten zeigten ganz in Ueberein - ſtimmung mit den bekannten Lehren des Evangeliums. *)Vergl. Cicero pro Marcello 3: Animum vincere, iracundiam co - hibere, victoriam temperare, adversarium nobilitate, ingenio, virtute praestantem non modo extollere jacentem, sed etiam amplificare ejus pristinam dignitatem, haec qui faciat, non ego eum cum summis viris comparo, sed simillimum Deo judico. In Hofmann’s Ueberſetzung der Selbſtbetrachtungen Marc Aurel’s, Hamburg 1755, S. 146, wird zu der oben angeführten Stelle bemerkt: Erkennet ein Heide, daß es menſchlich ſei, die Feinde zu lieben, ei, was ſchreien denn die Chriſten wider das Gebot unſeres Heilandes: Liebet euere Feinde u. ſ. w. Aehnliche Bemerkungen ſtehen in Spener’s Predigten über Arnd’s Bücher vom wahren Chriſtenthum, Frankf. a. M. 1711, S. 179: Nächſtenliebe iſt eine Pflicht, die allen Menſchen von Natur bekannt und in’s Herz geſchrieben iſt, Röm. 2, 14 f. Daher es auch die Heiden verſtanden haben, und der Kaiſer Alexander Severus den Spruch Chriſti, Matth. 7, 12 geführt, daß Jeder dem Anderen thun ſolle, was er ſelbſt von ihm verlange. Und S. 187: Die Tugend der Feindesliebe findet ſich in einigem Grade auch bei einigen Heiden, welches zeiget, daß auch die Vernunft ſolcher Tugend Billigkeit und Würde erkenne. Dadurch diejenigen, die Chriſten heißen wollen und ſolche nicht allein nicht haben, ſondern für unmöglich halten, beſchämt werden können. Wie geneigt dieſer edle Fürſt geweſen, ſolchen Grundſätzen, ſelbſt ſeinen ärgſten Feinden gegenüber, praktiſche Folge zu geben, das beweiſt ſein Benehmen gegen den Aufrührer Caſſius. Wer, ſagt ein älterer Forſcher**)In der Vorrede zu Hofmann’s Ueberſetzung des Marc Aurel. von den Stoikern, hat je die allgemeine Menſchenliebe eifriger und höher getrieben, die Güte ohne Wucher, die Gerechtigkeit ohne Einſchränkung und die Demuth ohne Niederträchtig -79 keit beſſer zu üben gelehrt? Von den Stoikern der Kaiſerzeit ſagt Aehnliches auch Döllinger:*)Heidenthum und Judenthum, S. 729. Als Moraliſten ſtanden ſie auf einer hohen Stufe; ihr geiſtiger Horizont war freier und weiter geworden, der Begriff der Menſchheit als eines großen, zuſammengehörigen Ganzen hatte ſich bei ihnen entwickelt; Marc Aurel redet bereits von einer Weltrepublik, in welcher Römer und Barbaren, Sklaven und Krüppel Bürgerrecht hätten und Gleichheit herrſche. Wie die Aerzte in Zeiten großer Krankheiten ihre beſten Studien machen, ſo hatten auch die Stoiker in dem allgemein herrſchenden Sittenverderben ihren moraliſchen Blick geſchärft; ſie waren ernſte Sittenrichter, ſie wußten mitunter ſehr treffende Rathſchläge zu ertheilen über die Methode ethiſcher Reini - gung und Beſſerung. Wie einſchneidend, lebendig, glän - zend, voll tiefer Kenntniß des menſchlichen Herzens, ſeiner Schwächen und Tücken iſt Seneca; wie feierlich weh - müthig und rührend Marcus Aurelius! Wie ver - traulich und unwiderſtehlich wiſſen Epiktet und ſein Dollmetſcher Arrian den Leſer für ihre Predigt des Dul - dens und der Selbſtverläugnung zu gewinnen, und ihn ſtets wieder darauf zurückzuführen, daß er Nichts leiden - ſchaftlich begehre und, ſeiner geiſtigen Freiheit immer ein - gedenk, auf dem Wege der Tugend keiner Furcht Raum gebe! Tennemann**)Geſchichte der Philoſophie V. S. 180 f. ſagt: In der anziehendſten Geſtalt erſcheint der Stoicismus bei dem philoſophiſchen Kaiſer Antonin, welcher der Menſchheit und der Fürſten - würde ſo viel Ehre machte. Sein gebildeter Geiſt hatte das ſtoiſche Syſtem als eine Lehre für das Leben, nicht für die Schule, mit inniger Lebendigkeit ergriffen, und ſein80 wahrhaft menſchlicher Charakter, ſein religiöſer Sinn und ſeine Humanität gaben dem Ganzen ein eigenes, hervor - ſtechendes Gepräge. Ohne den weſentlichen Geiſt des ſtoiſchen Syſtemes aufzuopfern und den ſtrengen moraliſchen Grundſätzen Etwas zu vergeben, verbindet er damit in der Anwendung mehr Milde und Toleranz in Beurtheilung der nicht nach denſelben Grundſätzen lebenden Menſchen, mehr Nachſicht mit den Fehlenden, mehr Liebe und Ach - tung für die Menſchheit in jedem Individuum des Men - ſchengeſchlechts. Die theoretiſchen Behauptungen des Syſte - mes von einem vernünftigen Geiſte, welcher die Seele des Weltalls iſt, braucht er nur zur Befeſtigung moraliſcher Grundſätze und zur Belebung der allgemeinen Menſchen - liebe. Der Menſch ſoll ſich als das Glied eines Ganzen, welches von einer höchſt weiſen Intelligenz regiert wird, ſich mit anderen Menſchen als Kind eines gerechten und liebevollen Vaters, alle ſeine Schickſale als weiſe Fügungen des oberſten Geſetzgebers der Natur betrachten und ſeinen Privatwillen dem unveränderlichen Willen des Einen höchſt weiſen Weſens unterwerfen. Dieſe religiöſe Anſicht der Welt und des Menſchen liegt zwar in dem ſtoiſchen Sy - ſteme überhaupt; ſie iſt aber doch durch die eigene Denkart Antonin’s mehr hervorgehoben, und hat dadurch etwas ungemein Herzliches erhalten. Eine Folge davon iſt auch dieſe, daß er, ſo wie Epiktet, weit weniger dem Selbſt - morde das Wort redet. Beide verlangen nur eine der Vernunft angemeſſene ruhige Ergebung in den Willen Got - tes, eine furchtloſe Erwartung des Todes und ein fleißiges Andenken an ihn, als moraliſches Uebungs - und Stär - kungsmittel. Selbſt die Terminologie der Stoiker nähert ſich der chriſtlichen, ſo z. B. was den Ausdruck σαρξ, caro, Fleiſch, betrifft. Non est summa felicitatis nostrae in carne ponenda, ſagt Seneca epist. 74. Nunquam81 me caro ista compellet ad metum, daſelbſt 65 u. ſ. w. Dies Alles zuſammen genommen wird man bekennen müſ - ſen, daß das Heidenthum, daß ſpeciell der Stoicismus, daß ganz beſonders der in den Antoninen auf dem Throne der Welt ſitzende philoſophiſche, religiöſe und ſittliche Geiſt des Alterthums bei Weitem mehr geleiſtet, als uns ohne ſo beſtimmt vorliegende Zeugniſſe der Literatur und Ge - ſchichte glaublich ſein würde.

6[82]

C. Ueber Janus. Zu II ..

Die oben unter II. erörterte Doppelnatur des alten - merthums ſpricht ſich auch wohl in jener räthſelhaften Gottheit aus, von welcher Ovid ſagt, daß Griechenland keine ähnliche habe:

Quem tamen esse deum te dicam Jane biformis?
Nam tibi par nullum Graecia numen habet.
*)Fast. 1, 89.
*)

Dieſer römiſche Doppelgott Janus biformis, bifrons, biceps, geminus, ancipiti mirandus imagine Janus**)Letzterer Ausdruck nach demſelben Dichter Fast. 1, 95. Der vierköpfige Janus war ein fremder Gott, den die Römer wohl nur ſo nannten, weil er ſie an ihren zweiköpfigen erinnerte. Serv. ad. Aen. VII. 608: Postea captis Phaleris (al. Faliscis), civitate Tusciae, inventum est simulacrum Jani cum frontibus quatuor. Der Name Janus, worüber unten das Nähere, iſt rein lateiniſch. Vergl. Ottfr. Müller, Etrusker. II. S. 58. iſt im Grunde nichts Anderes, als ein Bild, eine Perſo - nifikation des römiſchen Volkes und Weſens ſelbſt, das, wie mehrere ſchon oben berührte Spuren lehren, keines -83 wegs ohne Bewußtſein über ſeine wunderliche, zweiſeitige und zweideutige Beſchaffenheit und Beſtimmung geweſen iſt. Dieſer Ausdeutung entſpricht auch das theils offene, theils verſchloſſene Heiligthum dieſes Gottes, welcher deß - halb auch ſelber Patulcius und Clusivius oder Clusius heißt, und als ſolcher zugleich Kriegs - und Friedensgott iſt, ſich theils kämpfend und erobernd nach außen, theils myſtiſch - tief und abgeſchloſſen nach innen kehrt. Der Doppelkopf iſt gewöhnlich ein auf beiden Seiten männlicher und bär - tiger, was einer Ausdeutung, wie der auf Sonne und Mond, nicht günſtig iſt. Derſelbe wird noch jetzt auf tauſend Bronzen, auf Aſſen und Denaren erblickt. Den geſchmackvollen, ihrem ganzen Weſen nach weit einheitlicher und natürlicher beſtimmten Griechen war dieſes römiſche Monſtrum, das für ſie auch gar keinen Sinn hatte, ein Anſtoß und Aergerniß; und erſt ſpät entſchloſſen ſich, wie die Münzkunde lehrt, ſiciliſche und macedoniſche Städte, es zum Münztypus aufzunehmen. Die Römer wußten am Ende ſelber nicht mehr, was ſie aus dieſem alten Symbole und Denkmale einer tiefſinnigen, in ihren Darſtellungen dunklen und räthſelhaften Vorzeit machen ſollten, das ſich aber ſehr wohl verſtehen und durchaus befriedigend erklären läßt, ſo wie man, ohne irgendwie weiter auszugreifen und anzuknüpfen, ganz einfach bei dem alten, ernſten, in ſich ſelbſt geſpaltenen, mehr der Zukunft, als der Gegenwart angehörigen, ſelbſt über die hohe griechiſche Stufe, aber noch ohne alle Vollendung, Heiterkeit und Ruhe in ſich, hinausgehenden, in dieſem Bilde rein nur ſich ſelbſt ſpie - gelnden Römerthume ſtehen bleibt.

Alte Münzen zeigen auf der einen Seite einen Janus - kopf, auf der anderen ein Schiffsvordertheil und eine Victoria darauf. Das deutet Fortbewegung und Sieg, ſiegreichen Fortgang der römiſchen Angelegenheiten an. 6*84Es kommt ſtatt der letzteren Symbole auf der einen Seite auch ein Delphin vor; Beides, Schiff und Fiſch, bezeichnet Vordringen und Fortgang. Die Formen Cameses, Ca - mesenus, Camises, Camise, Camisene, Camasene ſind Namen eines Bruders, einer Schweſter und Gattin des Janus, womit ſich das ſicilianiſche Wort καμασινες, κα - μασηνες, Fiſche, vergleicht. Das ſtimmt mit dem Fiſche der Münzen zuſammen. Es tritt das Bild des Quellens, Fließens, Strömens hinzu; ein Sohn des Janus von der Juturna hieß Fontus, und die Familie der Fonteji führte auf ihren Münzen den Doppelkopf und ein Schiff. Juturna war eine italiſche Quellnymphe; aus ihrem Borne wurde das Waſſer zu allen Opfern nach Rom gebracht, ſo daß hier zugleich das religiöſe Moment bemerklich, der Fortgang Fontus als auf heiligem Grunde beruhend dar - geſtellt iſt. Alſo Schiffen, Schwimmen, Strömen d. h. Fortbewegung, Fortgang ohne Raſt und Ruhe, ohne Hem - mung und Aufhalt wird ausgedrückt. Es wird dem Ja - nus auch eine Venilia beigegeben, das Wort venilia aber durch unda, quae ad litus venit, die Welle, die an’s Ufer kommt, erklärt; es wird alſo auch ein Gelangen an’s Ziel in Ausſicht geſtellt. Iſt hier das Einzelne dunkel und zweifelhaft, ſo wird es klar und gewiß durch eine ſolche Zuſammenſtellung, einen ſolchen Zuſammenhang, und man kann um ſo weniger zweifeln, daß man unter Janus nichts Anderes als Rom ſelbſt, ſein Weſen, ſeinen Charakter, ſeine welthiſtoriſche Idee und Beſtimmung, ſeine Abſichten, Angelegenheiten und Hoffnungen zu ver - ſtehen habe.

Einige haben gemeint, der Doppelkopf des Janus deute darauf, daß Letzterer dem Leben der Menſchen in Italien eine mildere Geſtalt gegeben habe; worin die Wahrheit liegt, daß er der das Princip der Milde und des Friedens85 mit ſich vereinigende römiſche Kriegsgott und Staatsgenius iſt, das auf ſolche Weiſe humaniſtiſch und idealiſtiſch ver - edelte und höher geſtellte römiſche Weſen und Streben bedeutet. Man hat ihn auch auf die Vereinigung der Sabiner mit den Römern bezogen. Als Titus Tatius und Romulus Frieden ſchloſſen, da gaben ſie, heißt es, dem Janus dieſe zwei in einem Bilde vereinten Ge - ſichter, zum Zeichen, daß nun die zwei kämpfenden Völker - ſchaften verſöhnt und verbunden ſeien. *)Servius zum Virgil, Aen. I. 147: Postquam Romulus et T. Tatius in foedera convenerunt, Jano simulacrum duplicis frontis effectum est, quasi ad imaginem duorum populorum. Das iſt unſerer Auffaſſung ebenfalls vollkommen gemäß. Die ganz ſpe - cielle, genealogiſche und volksthümliche Wurzel Roms in ſeiner rein weltlichen Natur und Beſtimmtheit war der latiniſche Stamm; die Sabiner hingegen vertraten den Römern ſchon im Voraus das religiöſe und ſittliche Mo - ment, das nachher aus Paläſtina als Chriſtenthum ein - wanderte und die Seele des in höherem Sinne wiederer - ſtehenden und auflebenden Römerthums wurde; wie denn ſchon ihr Name, ſo wie der des ſamnitiſchen Volksſtammes, zu dem ſie gehörten, mit σεβομαι, σεβαστος, σεμνος ver - wandt zu ſein und ein heiliges, prieſterliches Volk zu be - deuten ſcheint. **)Ein ſabiniſcher Gott hieß Sabus, Sancus, Semo, ſoll auch der erſte König der Sabiner und Vater des Sabinus geweſen ſein. Sancus, wobei man an das lat. sancire, sanctus erinnert wird, ſoll in der Sprache der Sabiner den Himmel bedeutet haben, Ioh. Laur. Lyd. de mens. spec. 58. Mit Semo kann σαμος, Anhöhe, arab. sema, hebr. schamaim, Himmel, verglichen werden. Es läßt ſich auch an die unter den Sueven durch ihre Frömmigkeit und ihren Gottesdienſt in einem ſehr heiligen Haine ausgezeichneten Semnonen, ſo wie an den ſich von den übrigen Brutenern durch ſeine ſonderliche Lebensweiſe und ſeine Andacht in einem heiligen Eichenwald unterſcheidenden Stamm des Samo denken, vergl. Tacit. Germ. c. 39. Tettau u. Temme,Romulus, der Sohn des Mars, und86 der wilde Tullus Hoſtilius waren latiniſchen, der friedliche, hehre, prieſterliche Numa ſabiniſchen Urſprunges. Daß der Gründer Rom’s ein Sohn des römiſchen Kriegs - gottes Mars geweſen ſein ſoll, iſt höchſt bezeichnend für den kriegeriſchen Charakter dieſes Volkes und Staates; wie denn auch Rom die Stadt des Mars, urbs Mavortis, heißt. *)Virg. Aen. VI. 813.Mit dem dieſem Gotte geweiheten Monate, dem martiſchen oder März, begann in älteſter Zeit auch das römiſche Jahr, das nur zehn Monate hatte; daher die Namen September, October, November, December, noch jetzt, wiewohl ganz falſch nach jetziger Einrichtung, ſtatt des neunten bis zwölften, den ſiebenten bis zehnten Monat bezeichnen. Der unbändige Gott der Schlachten Mavors, Mamers, Mars Gradivus, der mit raſchem Schritte zum Kampf eilende, war der natürliche Volks - und Staatsgenius des urſprünglichen Rom, der vor Allem gefeiert wurde, und deſſen Feſt daher ganz an gemeſſen auch an der Spitze des römiſchen Kalenders ſtand. **)preußiſche und litthauiſche Volksſagen, Berlin 1837. S. 9 f. Die Richtung auf ein Höheres, Himmliſches ſcheint hiemit ſchon durch die Namen dieſer Völker ausgedrückt. Was den moraliſchen Charakter und Einfluß der Sabiner auf die Römer betrifft, ſo findet ſich eine ſchöne Schilderung davon in Schloſſer’s Weltgeſchichte III. S. 142 ff. Von allen ſamnitiſchen Völkerſchaften haben die Sabiner die alten, guten Sitten und den einfachen, frommen und gerechten Sinn der frü - heren Zeit am ſtrengſten und reinſten bewahrt. Von den Samniten ging eine Art ſtrenger Sittenlehre auf die Römer über und entwickelte bei dieſen in ihrer früheren Zeit eine beſondere Gattung der Poeſie. Die alten Samniten, namentlich das wackere Volk der Sabi - ner, verliehen, als ſie mit den Römern innig vereinigt wurden, dieſen nicht allein durch ihre unverdorbenen Sitten, ihre moraliſche Feſtigkeit, ihre Frömmigkeit und Gerechtigkeit Macht und Anſehen unter den Völkern Italiens; ſie blieben auch den ſpäteren Römern, die zum Theil ihre Nachkommen waren, Muſter der Einfachheit und Biederkeit, ſo daß der Name ſabiniſche Tugend ſprüchwörtlich wurde und in den Werken der römiſchen Dichter nicht ſelten erwähnt wird. 87Ihm pflegten zu dieſer Zeit die ſogenannten Salier oder Marsprieſter bewaffnet und im Prachtgewande, tanzend und ſingend, den bekannten Aufzug zu halten. Dann aber wurde dieſer gewaltſame Gott als ausſchließliches Symbol des Römerthums und Krone des Feſtkalenders ſeines Ranges und Anſehens beraubt und der doppelte Janus, welcher Aeußeres und Inneres, Krieg und Frieden, Kraft und Milde, Trotz und Demuth zugleich bedeutete und bezeichnete, an die Stelle geſetzt; daher nun ſein Monat, der von ihm benannte Januarius, den kalendari - ſchen Reigen begann. An ſeinem Tage ſah man alle Haus - thüren mit Lorbeerzweigen und Kränzen geſchmückt; es wurde von den Conſuln und ſpäter von den Kaiſern ein feierlicher Feſtzug gehalten; man bekränzte ſein Bild mit Lorbeer; es ward ihm ein Opfer mit Weihrauch, Wein, Früchten, Opferkuchen aus Mehl und Honig gebracht; man beſchenkte und beſuchte einander; die Obrigkeiten legten den Purpur der Amtskleidung an. In den Feſten des Mars und Janus ſpiegelte, ehrte, feierte Rom ſich ſelbſt. Mars war das erſte, urſprüngliche, einfach rohe, Janus das durch den Zutritt ſabiniſcher Tugend und Frömmig - keit eine doppelte Natur, Bedeutung und Beſtimmung an - genommen habende, ſich nicht bloß auf ſich, ſondern zugleich auf etwas Anderes, Höheres, mehr Künftiges und Ideelles, als Gegenwärtiges und Wirkliches beziehende Rom. Der erſte Januar, wiewohl dem Gotte ganz beſonders heilig und ſehr feſtlich begangen, war doch eigentlich kein Feier - tag; denn man ſaß zu Gericht, verrichtete ſeine Geſchäfte und arbeitete, was ſchon Ovid auffallend gefunden hat:

Postea mirabar, cur non sine litibus esset
Prima dies etc.
*)Fast. I. 165.
*)
88

Das erklärt ſich befriedigend nur aus der Annahme, daß Janus kein eigentlicher Gott, keine ſelbſtſtändige, reale Macht, wie der über Rom beſonders wachende, ſich in ihm welthiſtoriſch manifeſtirende Jupiter, ſondern nur ein Bild, eine Perſonifikation des römiſchen Weſens, Staates und Lebens ſelbſt geweſen, welches als kein müßiges, ſondern als ein ſtets tüchtiges und thätiges dargeſtellt werden mußte. Rom ſollte die Welt beherrſchen; darum iſt Janus Welt - herrſcher, hat in ſeiner Hand den Schlüſſel, das alte Zei - chen der Herrſchaft und Gewalt und heißt Claviger, der Schlüſſelträger. *)Vergl. Offenb. Joh. 1, 18. und was Böttiger in ſeiner Kunſtmy - thologie S. 248 und 258 ff. über jenes Bild bemerkt und in umfaſſend ge - lehrte Vergleichung zieht. So viel iſt als erwieſen anzunehmen, daß der Ausdruck: den Schlüſſel haben ſchon in der früheſten Vorwelt als Gewaltzeichen der Herrſchaft im Himmel und auf der Erde allge - mein gegolten hat. Der Schlüſſel iſt im Begriffe der alten vorderaſiatiſchen und ägyptiſchen Symbolik das Zeichen der Gewalt über die Ober - und Unterwelt. So iſt Pluto der κλειδουχος, Schlüſſel - halter, des Orkus im orphiſchen Hymnus, und ſo geht der Ausdruck Schlüſſelgewalt durch die ganze griechiſche Sprache und Mytho - logie. Ja ſelbſt die dem Petrus übertragene Schlüſſelge - walt kann in Vergleichung der Stelle der Apokalypſe 1, 18: εγω εχω τας κλεις του ἁδου, als damals allgemeiner Sprachgebrauch hieher gezogen werden. Schon der Altdorfer Philologe Schwarz hat in einer Abhandlung von den ſchlüſſelhaltenden Göttern zur Erklärung der oben angeführten Bibelſtelle, wo dem Heilande die Schlüſſel der Hölle und des Todes zugeſchrieben werden, alles Hiehergehörige zuſam - mengeſtellt; ſ. die Schwarziſchen Opuscula, in der Ausgabe von Har - les 1792. N. III. P. Weſſeling in ſeinen Observationibus. Spanheim ad Callim. in Cerer. 45. Creuzer, Symbol. 2. Ausg. S. 883.Dieſer Schlüſſel iſt dann nach dem bekannten Ausſpruche Chriſti**)Math. 16, 19: δωσω σοι τας κλεις της βασιλειας ϑεου. auf Petrus und die - miſche Kirche übergegangen.

Wir haben bemerkt, wie der wilde Kriegsgott Mars um ſeine erſte Stelle im römiſchen Kalender gekommen. Der -89 ſelbe wurde zwar nicht abgeſchafft; es blieb ihm ſeine Ehre, ſein Monat, ſeine Feſtfeier; aber er wurde degradirt, und das bedeutend. Denn er kam nicht nur um die erſte Stelle, welche ſtatt ſeiner der doppelte Janus, als das wahrhaftere Symbol des Römerthums, einnahm, ſondern auch um die zweite, ſo daß er ſich mit der dritten begnü - gen mußte. Die Anordnung war nehmlich dieſe, daß zwiſchen den Monaten des Janus und des Mars ein Reinigungs - und Sühnmonat, Namens Februarius, von dem ſabiniſchen Worte februare, reinigen, ſühnen, zu ſte - hen kam. In dieſen Monat fielen jene merkwürdigen Chariſtien, ein von der holden Charis benanntes Feſt, wo der Aelteſte der Familie ſämmtliche Mitglieder derſelben zu einem Liebes - und Verſöhnungsmahle ver - ſammelte. Hier ladet ſelbſt der Name zur Vergleichung mit einem chriſtlichen Gebrauche ein, ſofern Euchariſtie das h. Abendmahl bezeichnet. Die in dem doppelten Ja - nus vereinigten Momente wurden in den beiden Monaten, die auf den ſeinigen folgten, ſinnreich auseinandergelegt; im Februar trat das religiöſe und ſittliche, im März das kriegeriſche hervor, ſo daß jenes den Vorrang hatte. Es gab auch eine Juno Februa, Februalis, Februlis, Februtis, Februata; und wenn die Monate ſymboliſch abgebildet wurden, ſo erhielt der Februar allein eine weib - liche Geſtalt. *)Eine ſolche Abbildung nach einem alten Calendarium findet ſich in Graevii thesaur. antiqu. Roman. Tom. VIII. zu fol. 97.Damit mag es zuſammenhängen, wenn der eine Kopf des Janus, ſtatt, wie gewöhnlich, ein ebenfalls männlicher und bärtiger zu ſein, als ein weiblicher erſcheint. Dem Prin - cip des Inſichgehens, der Zurückziehung vom Aeußeren, des Friedens, der Milde, dem Janus Cluſius, wie man es ſonſt im Unterſchiede von dem Janus Patulcius90 bezeichnete, ward, ganz angemeſſen, dieſe ſanftere und wei - chere Form gegeben. Janus hieß auch Junonius, ſofern das in der Juno Februa für ſich angeſchaute und im Fe - bruar beſonders gefeierte Princip in ihm, als dem Ganzen, enthalten war, ja das Hauptmoment bildete, dem das an - dere, wenigſtens theoretiſch und formell nachzuſtehen hatte.

Noch iſt Etwas über den höchſt ſonderbaren Namen Janus zu ſagen. Das lat. janus bedeutet nehmlich ei - nen nach beiden Seiten offenen, oben bedeckten Durchgang, womit in nächſter Verwandtſchaft janua, Thüre, zuſammen - hängt. In einem ſolchen Durchgang im Forum hatten die Bankiers ihre Tiſche zu Geldgeſchäften, was janus medius hieß. Die Formen janus, janua, ſind von eo, ire gemacht, wie denn ſchon Cicero den Namen Janus ab eundo herleitet. *)De nat. Deor. II. 27. Vergl. Buttmann, Mythologus. II. S. 78. 81.Dieſe Gegenſtände haben ihre Be - nennungen nicht von dem Gotte; letztere ſind offenbar ganz ſelbſtſtändig formirte Wörter der Sprache, und von janus, als von einem ſolchen ſchon vorhandenen Worte, war der Gott benannt nicht aber als Gott der Durchgänge, Thore und Thüren überhaupt, ſondern in einem ganz an - deren, höheren Sinn. Das in ihm perſonificirte Römer - thum nehmlich ward als ein bloßer Durch - oder Ueber - gang zu etwas noch weit Höherem und Größerem betrachtet. Eigentlich ſagte man Janus Quirinus, der heilige Durchgang oder der Durchgang, Uebergang zum Heiligen, Höheren, Gött - lichen. Quirinus hieß bekanntlich der vergötterte Romu - lus; aber auch Männer, wie Auguſtus und Antonius, wurden ſo genannt. Das Wort hat alſo wohl eigentlich hoch, hehr, heilig, göttlich bedeutet. In dieſen Zuſammen - hang möchte auch die Notiz gehören, daß man den Janus für den Chaos gehalten habe. Das Römerthum ward91 als etwas noch Unentwickeltes, Unfertiges betrachtet, das ſeine Bedeutung, Vollendung und Wahrheit nicht unmittel - bar in ſich ſelbſt, ſondern in etwas Anderem, Künftigem habe. *)Von chaos im Sinne des Anfangs und Grundes von Etwas ſcheint inchoare gemacht, welches anfangen, begründen, den Grund zu Etwas legen, bedeutet; inchoatus, angefangen, aber noch unvollendet, unvoll - kommen, im Gegenſatze zu perfectus; ab inchoato, von Grund aus.Mit ſo deutlichem Gefühle der Unvollkommen - heit und Befriedigungsloſigkeit im Eigenen und Gegen - wärtigen erwartete dieſes Alterthum die ihm übrigens noch ſo ferne und dunkle Erſcheinung des Chriſtenthums und chriſtlichen Kirchenthums, welchem es ſeine weltliche Stätte bereiten ſollte, und ſo wunderbar-tief begründet iſt dies Letztere auch von der ſcheinbar ganz außer Zuſammenhang mit ihm ſtehenden heidniſchen Seite her.

[92]

D. Ein Blick auf Indien und wieder zurück auf Griechenland. Zu IV.

Ich habe es bei den obigen Vergleichungen vermieden, auf andere religiöſe und mythologiſche Kreiſe, als die der Griechen und Römer, hinzublicken und auszuſchweifen. Da ich aber eine klaſſiſche Göttertrias nachzuweiſen und als eine ſo merkwürdige heidniſche Anticipation der chriſtlichen Trinitätslehre zu beſtimmen geſucht, ſo erinnert man ſich leicht an eine längſt bekannte und berühmte Dreiheit der Art, bei welcher der Vergleich formell weit näher liegt, als bei der griechiſchen; ich meine den indiſchen Trimur - tis oder Dreigeſtaltigen, der aus den Göttern Brah - man, Vishnus und Sivas beſteht, eine förmliche Dreieinigkeit bildet, und als ſolche durch eine Figur mit drei Köpfen, wie ſie ſchon in den alten Felſentempeln er - ſcheint, auch durch die aus drei Buchſtaben beſtehende Sylbe AUM, womit das Leſen jeder h. Schrift beginnt und ſchließt, und ſonſt noch auf andere Weiſe ausgedrückt wird. Ich93 will dieſe frappante Erſcheinung hier in kurze Betrachtung ziehen, hauptſächlich um ihr Verhältniß zu jener griechiſchen Trias zu beleuchten, die zwar nicht ſo unmittelbar auf - fällt und zur Vergleichung zwingt, vielmehr erſt durch Un - terſuchungen, wie unſere obigen, herausgebracht wird, bei genauerer Betrachtung aber eine weit nähere Verwandtſchaft mit dem chriſtlichen Dogma zeigt, und namentlich, was die dritte Perſon, den Geiſt, betrifft, unendlich mehr aus der Barbarei herausgearbeitet iſt.

Voran ſteht Brahman mit Scepter, Ring (Sym - bol der Ewigkeit) und Vedas, und mit ſeiner Gattin Vach, der Urvernunft, die ſich mit der Griechiſchen Metis ver - gleicht. Er heißt der Urvater, Schöpfer, Weltenſchöpfer, Herr der Weſen und der Götter u. ſ. w. Vishnus, der Durchdringer, iſt die ſich durch Materie und Natur hindurchdringende, einen Weg der Verwandlungen vom Niedrigſten bis zum Höchſten durchmachende Gotteskraft. Hier treten die bekannten Avatara’s oder Verkörperungen der Gottheit auf, welche dem Vishnus zufallen und deren zehn gezählt werden. Eine davon iſt noch zukünftig und hat den Zweck, die Menſchen von ihrer Sünde zu befreien und alle Laſter zu tilgen. Vishnus eigentliches Amt iſt, Erhalter der Welt zu ſein, und zwar in dem Sinne, daß er, wenn die Welt durch Bosheit, Ruchloſigkeit und Ty - rannei in Gefahr kommt, als erhaltende Schutzgottheit zu ihrer Rettung in allerlei Geſtalten erſcheint und auch die geringſte nicht verſchmäht, die zum Rettungsmittel dienen kann. *)Kleuker’s aſiatiſche Abhandlungen I. S. 52. Die katholiſche Theo - logie hat keinen Anſtand genommen, das dem Chriſtenthum Analoge dieſer Vorſtellungen anzuerkennen; ſiehe z. B. Möhler’s Symbolik unter der Aufſchrift: Betrachtung über das Heidenthum S. 82 ff. Wer , ſo heißt es hier, hat jemals die Lehren der Indier von denNun kommt Sivas, der dritte Gott, und in94 dieſem müßte das ſpirituelle Princip, der Geiſt, zu erken - nen ſein. Seine Farbe auf Bildwerken iſt ſchneeweiß; das zeigt die Reinheit ſeines Weſens, wie auch Apollon der Reine, Heilige iſt, und einen ſilbernen Bogen führt, welches ein Reſt derſelben Farbenſymbolik zu ſein ſcheint. Uebrigens iſt der hervortretende Charakter dieſer Gottheit ein ſehr abſtoßender; er iſt der Gott der Zerſtörung, Ver - nichtung, daher als Feuer bezeichnet; er wird Rudras, Ugras, der Fürchterliche, genannt; ſeine Attribute ſind Schlingen, Keule, Bogen, Pfeil und Dolch; auch wird er mit einer Halskette von Schädeln gebildet. Auf dieſe Weiſe wird ein grauenhafter Götze daraus, und es wider - ſtrebt unſerem Gefühle, dergleichen mit der eigenen Reli - gion und Bildungsſtufe in Beziehung zu ſetzen. Ganz anders ſpricht uns die herrliche Geſtalt Apollon’s an; auch iſt derſelbe als jene mächtig und tief eingreifende Quelle prophetiſcher Begeiſterungen und Begabungen, als jene ſo beſtimmt ausgeprägte, vom menſchlichen Selbſt unterſchie - dene und doch in ihm und durch daſſelbe wirkende höhere Geiſtigkeit der bibliſchen und chriſtlichen Idee des h. Gei - ſtes entſchieden näher gerückt. Es iſt die verneinende, mit der unmittelbaren, natürlichen Beſtimmtheit der Welt und des Menſchen im Streite liegende Eigenſchaft dieſer gött - lichen Macht, was in dem indiſchen Sivas ſo einſeitig her - ausgefaßt und ſo barbariſch dargeſtellt iſt. Es iſt jedoch zu bemerken, daß auch noch der griechiſche Gott zunächſt ganz vorzüglich dieſe Seite zeigt. Seinem Namen nach, der von απολλω, απολλυω kommt und auch vom grie - chiſchen Alterthume ſelbſt ſo verſtanden und abgeleitet*)göttlichen Incarnationen kennen gelernt, ohne darin wenigſtens eine entfernte Sehnſucht nach einer göttlichen Befreiung vom Falle anzu - erkennen! Eine Sehnſucht, die ſich im ganzen Alterthume findet. 95wurde*) O Fürſt Apollon, ſchädige Du die Schuldigen; Vernichte ſie, ſo wie Du zu vernichten pflegſt! ſagt ſehr ausdrucksvoll Archilochos., iſt er der Verderber, Vernichter, inſofern alſo kein anderer Gott, als jener indiſche. Die finſtere, ſchreck - liche Seite Apollon’s wird auch von Homer, der ſeine Götter ſonſt mit parodiſcher Leichtfertigkeit zu behandeln pflegt, mit auffallendem Ernſte hervorgekehrt. Wie Nacht - grauen wandelt er her, von der Schulter raſſeln die ſicher und tödtlich treffenden Pfeile. Er treibt die Troer von der Zinne der Burg herab mit lautem Schlachtgeſchrei zum Kampfe an; er ſchreitet ihnen, eine Wolke um die Schulter und die Ägis in der Hand, als λαοσσοος (Auf - reger der Kriegsluſt und Kampfbegier im Volke) vor, an Kriegsgewalt dem Ares gleich, wiewohl hoch erhaben über deſſen ſtürmiſchen Trotz. Den verderblichſten Gott nennt ihn Achilles, und ſelbſt wenn er unter den Göttern er - ſcheint, zittern Alle im Hauſe des Zeus und fahren von ihren Sitzen empor. Nur Leto freut ſich, daß ſie einen ſo ſtarken, bogentragenden Gott geboren. **)Ottfr. Müller, Dorier I. S. 292 f.Ein den The - banern gehöriges Heiligthum dieſes Gottes, eine dreigipfliche Höhe, an deren waldigem Abhange ein Apollotempel ſtand, hieß Ptoon, Schreckenshain, und er ſelber ward hier als Apollon Ptoos, der Schreckbare, verehrt. Was die Kunſt betrifft, ſo bildete ſie ihn, bevor ſie ihm die bekannte ideale Geſtalt verlieh, ſehr roh. Man ſah ihn mit vier Händen und vier Ohren, recht wie ein indiſches Monſtrum, gebildet, oder als Säulenpfeiler mit Bogen, Lanze und Helm, wie zu Amiklä der Fall; einen lanzen - bewaffneten Apoll weiheten die Megarer nach Delphi; zu Tenedos erſchien er mit dem Doppelbeil gerüſtet; die Ko - loſſe des Kanachos von Sikyon hatten eine breite Bruſt,96 einen viereckigen Körperbau und faſt ſäulenartige Beine. Er war auch Wolfgott, Lykeios, worauf die Tragiker anſpielen, wenn es z. B. bei Äſchylos heißt:

O König Wolfgott, ſei es für der Feinde Heer! Ein Wolf aus Erz mit alten Inſchriften lag bei dem gro - ßen Altar zu Delphi, und daß ein Wolf in eine Stier - heerde fällt, veranlaßt die Verehrung des Apollon Lykeios in Argos, wo man auf dem Markte die Gruppe in Erz gebildet ſah. Zu Athen war dieſer Wolfgott allgemeiner Gerichtsvorſtand, daher ſich vor jedem Gerichtshofe die Statue eines Wolfes befand. Die Argiver führten den Wolf auch auf Münzen. *)Hieher gehören auch wohl die hirpi, die auf dem Berge Sorakte bei Rom dem Apollo dienten; ſie hießen ſo vom ſabiniſchen hirpus, Wolf.Bei Homer nimmt Phöbos die Geſtalt des taubenwürgenden Habichts an, und auf einer Bergſpitze bei Epheſus verehrte man ihn als Apol - lon Gypaieus oder Geiergott. **)Vergl. Ottfr. Müller, Dorier I. S. 303, 245, 335.So war er ge - wiß eine der ſchreckhafteſten und furchtbarſten Gottheiten des Alterthums und in keineswegs holder und heiterer Form gedacht und vor’s Auge geſtellt. Um ſo merkwür - diger iſt die Verwandlung und Umgeſtaltung deſſelben durch Hervorbildung der poſitiven Seite, dieſes Meiſterſtück und Wunderwerk des helleniſchen Nationalgeiſtes, das gewiß nicht ohne göttliche Leitung und Kraft, wie ſie ſchon im Heidenthum wirkte, vollbracht worden iſt. ***)Siehe unten Beilage F. Angedeutet iſt ſie zwar ſchon bei den Indiern. Sivas iſt der ſchreck - liche Feuergott; aber von ſeinem Haupte rinnt die heilige Ganga herab. Zur Schönheit und Grazie, wie in dem feinſinnigen und hochbegabten Hellas, ward hier im Oriente nicht fortgegangen. Apollon trug in alten Wandbildern zu Delos und Delphi die Chariten oder Grazien auf der97 Hand, dieſe Symbole der Anmuth und Feſtfreude, die durch Tanz, Muſik und geſelligen Lebensgenuß in lieblich - ſter Weiſe das Daſein erheitern. Dahin gehört auch der Ausſpruch Pindars, Apollon ſei den Menſchen zum freund - lichſten Gotte beſtimmt. In dieſer Erſcheinungsform iſt er namentlich der muſikaliſche Gott und treibt durch den ſanften Zauber der Tonkunſt die Menſchen zu dem Guten und Rechten an, das er als Orakelgott verkündet und ge - beut. Beim Bau der Mauern Ilions werden die Steine dazu durch ſein Saitenſpiel zuſammengeführt. Schon bei Homer ſpielt er beim Schmauſe der Götter die Phorminx und unterrichtet Sänger; ſpäterhin wird er Muſaget, Mu - ſenführer. Was den apolliniſchen Opfercult betrifft, ſo iſt auch hier eine Umwandlung in’s völlige Gegentheil zu be - merken. Ein urſprünglich ſo zorniger und furchtbarer Gott heiſchte ernſte und düſtere Culte und Beſänftigungsmittel. Zu Athen wurden an den Thargelien zwei Menſchen zum Opfer geſchmückt, feierlichſt, wie Opferthiere, vor’s Thor geführt und dann vom Felſen geſtürzt, zu welchen Sühn - opfern, φαρμακοι genannt, überwieſene Verbrecher genom - men wurden. Es gab jedoch in demſelben Cultus auch andere Opfer und Huldigungen, friedlich und zart und ſelbſt vom Blute der Thiere frei. Auf Delos ſtand hin - ter dem Hornaltare der ſogenannte Altar der Frommen , worauf man nur Weizen - und Gerſtenkuchen legte, der einzige, der Sage nach, auf welchem Pythagoras opferte. Er war dem Apollon Genetor heilig; da war Apollon nicht mehr Verderber, Vernichter, Richter, Rächer, Wolf - gott u. ſ. w.; da hatte er aufgehört, zu negiren und war Zeuger und Schöpfer im höheren Sinne des Wortes, crea - tor spiritus nach dem Ausdrucke des Chriſtenthums. Da - ſelbſt war es auch, wo man an Feſten Malven und Ähren in die Tempel trug. Zu Delphi weihete man Kuchen und798Weihrauch in heiligen Körben, zu Patara Kuchen in Form von Bogen, Pfeil und Leier, an die doppelte Natur des Gottes erinnernd, während jedoch die letztere bei einem ſo harmloſen Opfer entſchieden überwog. An dem attiſchen Herbſtfeſte der Panepſien pflegte man einen mit Wolle um - wundenen Oliven - oder Lorbeerſtab, Eireſione genannt, mit Trauben, Früchten und kleinen Gefäßen voll Honig und Öl zu behängen und an die Thüre eines Apollotempels zu tragen. Auch Leierkuchen kamen in der Eireſione vor. Der Name hängt mit Eirene, Friede zuſammen. Es wurde auf dieſe Weiſe ausgedrückt, daß der Geiſt mit der Natur keinen Krieg führe, ſofern ſie durch ihn geweiht und ge - heiligt und ſo wieder rein, unſchuldig und gottvoll ge - worden.

War doch auch die von dem Gotte bezwungene Del - phyne, in der wir die Natur, als Gegenſatz des Geiſtes, erkannten, nicht ganz verſtoßen und verbannt, da ſie bei dem Erdſpalt an den Füßen des Dreifußes im innern Adyton lag. *)Lukian de astrol. 23.Dahin gehört auch, daß der Delphin, dieſes muſikaliſche und menſchenfreundliche Thier, als die gleichſam geiſtig umgewandelte und ſo mit dem Gotte verſöhnte und befreundete Delphyne oder Delphine dem Apollon heilig war; daß er ſelbſt die Geſtalt des Delphins annahm, um ſeine Kreter nach Kriſſa zu füh - ren, und als Delphinios Tempel und Verehrung hatte.

Der Geiſt iſt an und für ſich kein Ungeheuer, keine bösartig verneinende Kraft und Macht; denn ſeine Nega - tivität iſt nur Mittel zum Zweck, ein Uebergangsprincip, welches verſchwindet, ſowie der Uebergang vollbracht; das Ziel iſt die abſolute Milde, Schönheit und Seligkeit. Aber er kann als ein Ungeheuer und Schreckniß der furchtbar -99 ſten Art aufgefaßt und dargeſtellt werden, das dann auch die entſprechenden Opfer empfängt, wie es im Reiche der Barbarei überall auf eine rückſichts -[ und] ſchonungsloſe, für gebildetere Völker und Zeitalter oft ganz unbegreifliche Weiſe zur Erſcheinung kommt. Die fürchterlichſten Götzen des Heidenthums mit ihren barbariſchen Opferculten ſind nichts Anderes, als der in ſo rein verneinender Weiſe vor - geſtellte, verehrte und geltend gemachte Geiſt geweſen. Der Geiſt iſt die Negation der Natur; er iſt der zweite Schöpfer, der die erſte, natürliche Schöpfung, als ſolche, aufzuheben und eine neue daraus zu geſtalten hat, die dem zu reali - ſirenden göttlichen Ideale entſpricht. Wenn das Bewußt - ſein hierüber in dem übrigens noch rohen Menſchen auf - zugehen beginnt, ſo wird der Geiſt nur ganz abſtrakt und einſeitig, als Feind der Natur und des Lebens, als Zer - ſtörer und Vernichter gefaßt und ſein Cult iſt dieſer Auf - faſſung conform, d. h. grauſam und gräuelhaft. Das iſt aber nicht die Schuld des großen, göttlichen Princips ſelbſt, ſondern die des ſubjektiven menſchlichen Verhaltens zu ihm, für welches die poſitive Natur und Tendenz deſſelben eine noch fremde, dunkle, verſchloſſene Sphäre iſt, und welches daher bei dem Negativen ſtehen bleibt, wozu es keines Aufwandes ſchaffender und geſtaltender Kräfte bedarf und wo man in der einfachſten und unmittelbarſten Weiſe, wie namentlich durch Tödtung des Lebendigen, zu Werke gehen kann. Für den Naturmenſchen iſt nur die Natur poſitiv; der Geiſt iſt ihm nur das verhaßte und gefürchtete Gegen - theil, oder wenn er denſelben, zu einer höheren Stufe über - gehend, zum eigenen Principe macht, ihn in ſeine Geſin - nung aufnimmt, ihm als ſeiner Gottheit zu huldigen und zu dienen beginnt, ſo entſteht zunächſt nur eine fanatiſche Feindſchaft gegen das Natürliche, die ebenfalls wieder zu bekämpfen und zu bewältigen iſt. Erſt dem gebildeten7*100Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli - gende Verſtändniß des Poſitiven im Geiſtprincip auf, wel - ches die Natur nicht bloß verneint, ſondern in ſich erhebt und auf dieſe Weiſe zugleich auch bewahrt und bejaht; und in dem Grade, daß der Menſch gebildet iſt, hört der Geiſt auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly - keios, ein fürchterlicher Feuer - und Wolfgott zu ſein, und fängt er an, die holdſelige Geſtalt des Gottes anzunehmen, der ſich an unblutigen Opfern erfreut, durch ſein liebliches Saitenſpiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die reine, vollendete Herausbildung dieſer Seite jedoch iſt das Schwierigſte und Letzte im Reiche menſchlicher Entwick - lungen, die Krone und der Abſchluß der Cultur, wozu es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils ſinnlichen Rohheiten, theils ſpirituellen Barbarismen kommt, was denn auch der griechiſche Mythus beſagt, wenn er die Geburt des ſchönen, helleniſchen Gottes als eine ſo ſehr erſchwerte und gefährdete beſchreibt. *) Mit der Zeit ward Apollon geboren ſagt Pindar, auf die vielen Hinder - niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer, bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie Pindar ſagt, die Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber das weitberühmte Geſtirn der dunklen Erde nennen. Auch dieſe Inſel ward der Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle - niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh.Die Griechen wa - ren das Volk, das in dieſer Hinſicht das Höchſte erreicht hat, was in vorchriſtlicher Zeit und Welt zu erreichen war das iſt ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm und Glanz in der Weltgeſchichte.

[101]

E. Neuteſtamentliche Triaden. Zu V. und VI.

Es ließe ſich zu den in den genannten Capiteln aufge - ſtellten Triaden, namentlich was völkerſchaftliche und per - ſönliche Charaktere und Verhältniſſe betrifft, noch Vieles hinzufügen; ja es möchte bei tieferer Forſchung wohl ein - mal eine triadiſche Darſtellung der ganzen Menſchheits - entwicklung und Weltgeſchichte gelingen. Was ich hier noch als beſonders merkwürdig und beachtenswerth heraus - faſſen und erläutern will, ſind einige im neuen Teſtamente und in der erſten Geſchichte des Chriſtenthums vorkommende Erſcheinungen der Art.

Man ſehe ſich einmal die Verklärung Chriſti Matth. 17., Marc. 9., Luc. 9. an, wo dieſer mit zwei altteſta - mentlichen Perſönlichkeiten zuſammen, die dabei erſcheinen, eine Dreiheit bildet, die nicht ohne ſymboliſche und reprä - ſentative Bedeutung im Sinne des von uns angedeuteten triadiſchen Syſtemes zu ſein ſcheint.

102

Moſes, Elias und Chriſtus ſind zuſammenge - ſtellt. Der Erſtere als Fürſt, Geſetzgeber, Feldherr, Ver - trauter Jehova’s, iſt jedenfalls geeignet, das Moment der erſten, oberſten Einheit, Herrſchaft und Macht zu bezeich - nen und ſo zu einem menſchlichen Nachbilde und Analogon des Gottvaters der bezüglichen Religionskreiſe zu dienen. Elias repräſentirt den prophetiſchen Genius, das Geiſtprin - cip, wie es ſich in altteſtamentlicher Zeit manifeſtirt hat; Chriſtus vertritt einfach ſich ſelbſt, den Sohn. Dieſen dreien nun will Petrus auf dem Verklärungsberge drei Hütten bauen. Er iſt der apoſtoliſche Repräſentant der Kirche, die auf ihn gegründet iſt; und ſo könnte damit wohl angedeutet ſein, daß die Kirche jene drei Principien in ſich enthalten, bewahren und ausbilden ſolle.

Es ſind übrigens noch zwei andere Apoſtel zugegen; Chriſtus hatte von ſeinen Jüngern nur Petrus, Jo - hannes und Jakobus zu ſich genommen; und ſo ha - ben wir wieder eine Trias, beſtehend aus denſelben aus - gewählten Jüngern und Apoſteln, von welchen wir Gal. 2, 9. erfahren, daß ſie für Säulen oder Grundpfeiler der Kirche galten. Es fragt ſich, ob hier nicht dieſelbe Glie - derung zu entdecken; ob ſie nicht als die ſich in ähnlicher Weiſe unterſcheidenden Vertreter jener triadiſchen Momente zu faſſen ſeien. Dieſe drei bilden jedenfalls einen ganz beſonderen enggezogenen Kreis um ihren Meiſter und Herrn; erſt in zweiter Reihe kommen die neun Anderen; dann weiter und in äußerſter Peripherie die Siebenzig und die Uebrigen. Was auf jenem Berge vorgeht, iſt Myſterium; die drei allein dürfen es wiſſen und ſollen es vor der Hand Niemandem mittheilen. Dieſelben werden von Chriſtus auch bei anderen wichtigen Anläſſen ganz allein zu ſich genom - men, wie Marc. 5, 37. Luc. 8, 51. Matth. 26, 27. Marc. 14, 33. Hiebei iſt es nun wohl einleuchtend ge -103 nug, weßhalb Petrus und Johannes, dieſe ſo ausgezeich - net hervortretenden apoſtoliſchen Perſönlichkeiten, der Eine der Fels, auf welchen Chriſtus ſeine Kirche baut, und dem er die Schlüſſel des Himmelreichs übergibt; der Andere, der perſönliche Liebling Chriſti, der Verpfleger ſeiner Mut - ter und eigenthümliche neuteſtamentliche Schriftſteller, einen ſo großen Vorzug haben; weniger begreifen wir aber, weß - halb Jakobus hinzugenommen iſt. Er iſt zwar ein Bru - der des Johannes und, wie er, ein Donnerskind d. h. vom größten religiöſen Eifer erfüllt; ein ſpecieller Charak - ter jedoch wird hiedurch nicht in ihm erkannt. Apoſtelgeſch. 3, 1 ff. erſcheinen Petrus und Johannes zuſammen, vergl. 21, 20. Dieſe Beiden zeigen ſich als ſehr verſchiedene Naturen; jeder von ihnen iſt bedeutſam und wichtig in ſeiner Art, ſo daß man wohl die Repräſentanten zweier triadiſcher Elemente in ihnen ahnen und ſuchen kann, wo - zu aber durch Jakobus kein drittes, ergänzendes hinzu - kommt. Dieſer tritt auch bald vom Schauplatz ab; er wird Apoſtelgeſch. 12, 2 hingerichtet und es wird an ſei - ner Statt kein neuer Apoſtel gewählt. Ein ſolcher aber und zwar einer der größten und wichtigſten Art tritt durch Paulus hinzu, durch den ſich in Wahrheit die durch die Idee geforderte Triade geſtaltet. Es hat ſomit den An - ſchein, als ob Jakobus, bei überhaupt würdigem, aber nicht in beſonderer Weiſe beſtimmtem Charakter, die dar - zuſtellende Trias nur erſt formell auszufüllen gehabt, weil das wahrhafte, eigenthümlich beſchaffene Dritte noch nicht vorhanden war. Bezeichnen wir die drei Momente der Idee als Vater, Sohn und Geiſt oder ethnologiſch als römiſches, chriſtlich-jüdiſches und griechi - ſches Princip, ſo ſind in dem Apoſtelfürſten Petrus, auf den ſich die römiſche Kirche zurückführt und in dem mit Chriſtus ſo innig verbundenen, ihn ſo hoch faſſenden,104 und ſo gewichtvoll auch mit der Pflege ſeiner Mutter be - trauten Johannes, leicht die den beiden erſten dieſer Momente entſprechenden Perſönlichkeiten zu erkennen. Das dritte ſtellt ſich in jeder Beziehung in dem nicht nur von flammendem Eifer getriebenen, ſondern auch gebildeten und geiſtreichen, nicht nur jüdiſch-gelehrten, ſondern auch mit griechiſcher Literatur bekannten Paulus heraus.

[105]

F. Bibliſche und kirchliche Rechtfertigungsgründe in Be - ziehung auf die dieſer Schrift eigene Auffaſſung des Heidenthums.

Für Diejenigen, welche glauben ſollten, man thue dem Heidenthume zu viel Ehre an, wenn man ſo viele poſitive Beziehungen zu bibliſchen, chriſtlichen und kirchlichen Din - gen darin finde, wie hier geſchehen iſt, ſei ſchließlich noch Folgendes bemerkt.

Durch die von uns dem Heidenthum, namentlich dem den Culminationspunkt ſeines Culturprozeſſes bildenden Griechen - und Römerthum, zuerkannte Stellung und Be - deutung wird das Chriſtenthum nebſt ſeiner altteſtament - lichen Grundlage und kirchlichen Fortbildung ſo wenig de - gradirt und in Schatten geſtellt, daß dadurch im Gegen - theil erſt ſeine ganze Würde und Hoheit vor Augen tritt, indem ſich ergibt, wie die Größe und Herrlichkeit der edel - ſten und berühmteſten Nationen des Alterthums nur dazu beſtimmt war und gedient hat, eine Vorſtufe und Vorbe - reitung deſſelben auf Seiten des Heidenthums zu ſein. Das Römerthum hatte die Aufgabe, der Kirche, die an106 ſeine Stelle treten ſollte, einen irdiſchen und weltlichen Grund und Boden zu bereiten, worüber auch ein von uns nachgewieſenes myſtiſches Bewußtſein in ihm ſelbſt exiſtirte. Das Griechenthum hatte keine ſo unmittelbare und prak - tiſche Beziehung zum Chriſtenthum; deſto näher aber ſtand es ihm in ideeller Beziehung; es erzeugte aus ſich auf mythologiſchem und poetiſchem Wege ein[ Chriſtenthum] der Idee, wie namentlich in ſeinem bewundernswürdigen He - raklesmythus, enthielt auch ſchon eine Art von Trinität, die, insbeſondere was die Darſtellung des Geiſtes betrifft, der augenſcheinlichſten Analogien und merkwürdigſten Züge voll. Aber es fehlte das Chriſtenthum der thatſächlichen Wahrheit und Wirklichkeit, wie es erſt in und durch Chri - ſtus, als dem nicht bloß mythologiſch und poetiſch vorge - ſtellten, ſondern wahrhaften Gottmenſchen und Heiland, er - ſchienen iſt. Auf dieſes reale Chriſtenthum als ſolches, weiſt und führt direkt und ausdrücklich der meſſianiſche Prophetismus des alten Teſtaments hin; und das iſt der charakteriſtiſche Unterſchied deſſelben von dem ſinnreichen Phan - taſieſpiele des Griechenthums, das hiebei ſtehen bleibt und nicht, wie das prophetiſche Judenthum, über ſich hinaus auf das Zukünftige geht.

Die Sache ſtellt ſich alſo in der Kürze ſo. Das Hei - denthum producirt die mythologiſch ausgeprägte und poe - tiſch gehandhabte Idee und begnügt ſich damit; der alt - teſtamentliche Prophetismus will und verkündet die Wirk - lichkeit, die kommen ſoll, deren die Welt bedarf und deren Mangel von ihm ſo ſchmerzlich empfunden wird, und Chri - ſtus endlich iſt dieſe Wirklichkeit. Auf dieſe Weiſe wird man ſich die Sache wohl immer gefallen laſſen dürfen.

Daß aber die Heiden in der That nicht ſo ganz ohne Licht und Gott geweſen, wie eine Anſicht will, die billig als veraltet gilt, läßt ſich auch aus bibliſchen Schriftſtel -107 lern und Kirchenvätern beweiſen. So ſagt der Apoſtel Paulus Röm. 1, 19: Die Erkenntniß Gottes iſt un - ter den Menſchen offenbar; denn Gott offenbarte ſich ihnen, da ſeine anſchaulichen Eigenſchaften ſeit der Weltſchöpfung in ſeinen Werken durch Nachdenken erkannt werden; es gibt ſich ihnen ſeine ewige Macht und Göttlichkeit kund, ſo daß ſie keine Entſchuldigung haben. Noch merkwür - diger iſt, was er in der Apoſtelgeſchichte 17, 27 f. den Athenienſern vorträgt, indem er nicht nur eine alle Men - ſchen betreffende, wenn auch aus ſubjektiven Gründen un - erkannte und undeutliche Nähe des Göttlichen und eine weſentliche, ſchon im Urſprunge des Menſchen begründete Beziehung deſſelben zu Gott ausſpricht, ſondern dabei auch auf heidniſche Autoren hinweiſ’t, welche daſſelbe geäußert. ..... Die Menſchen ſollten Gott ſuchen, ob ſie ihn etwa taſtend fühlten und fänden, wiewohl er nicht ferne von einem Jeden unter uns, denn in ihm leben, weben und ſind wir; wie auch einige von eueren Dichtern geſagt haben: Denn deſſen Geſchlecht auch ſind wir. Im Jo - hanneiſchen Evangelium 1, 1 ff. iſt von dem göttlichen Lo - gos, als einem in der Welt vorhandenen, ſich allgemein darbietenden geiſtigen Lichte die Rede, das der Menſch fähig ſei, in ſich aufzunehmen, wenn es auch nicht von Allen wirklich aufgenommen werde. In dem Logos war das Leben und das Leben war das Licht der Menſchen. Er iſt das wahre Licht, welches jeglichen Menſchen er - leuchtet, der in die Welt kommt , welche Stelle ſo oft angeführt und benützt worden iſt und unter Anderem auch eine ſo große Bedeutung in der Lehre der Quäker von dem inneren Lichte erhalten hat. *)Barclaii apolog. theolog. christ. London 1729. S. 126. Hic lo - cus nobis ita favet, ut a quibusdam Quakerorum textus nun -Ebendaſelbſt 5, 17 ſagt108 Chriſtus: Mein Vater wirket bis jetzo und ſo wirke auch ich. Nach dem alexandriniſchen Clemens war es der nachher menſchgewordene Logos, der von Anfang der Welt an gute Menſchen theils durch die Propheten, theils durch die griechiſche Philoſophie, theils durch andere Anſtalten zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Ausübung der Tu - gend geleitet hat. Wir tragen nach Clemens das Eben - bild des Logos in uns: του Θεου τα λογικα πλασματα ἡμεις; und tief eingeſenkt in unſer Weſen beſteht von An - fang her zwiſchen Gott und uns ein gewiſſer magiſcher Zuſammenhang, der Beide zu einanderzieht: το φιλτρον ενδον εστιν εν τῳ ανϑρωπῳ, τουϑ̕ ὁπερ εμφυσμα λεγεται Θεου. Und ſo haben alle Menſchen Funken des Göttlichen, einen Ausfluß des göttlichen Lichtes in ſich, eine Weſensbeſtimmung, die ſich nie ganz verläugnen läßt und in Folge deren der Menſch bei aller Geſunkenheit ſelbſt ohne klares Bewußtſein wieder zu Gott und Wahr - heit hingetrieben wird. Clemens erkennt auch im gefalle - nen Menſchen noch die Anlage und Empfänglichkeit für das Wahre und Gute an, die nur des Unterrichtes warte, um ſich ſelbſtthätig dafür zu entſcheiden. Was die grie - chiſche Philoſophie betrifft, ſo glaubt er, ſie ſei in ihrer Art eben ſo ſehr eine Vorbereitung auf Chriſtus geweſen, als das moſaiſche Geſetz. Durch den Ausſpruch 1. Cor. 1, 22: Die Juden begehren Zeichen, die Griechen verlan - gen Weisheit , ſieht er ſich veranlaßt, die Heiden ſelig zu preiſen, die nicht geſehen und dennoch geglaubt. Er ver - gleicht das Judenthum ſehr geiſtreich und merkwürdig mit Hagar, welche geboren habe, aber ausgeſtoßen worden ſei; die Philoſophie mit Sara, welche lange unfruchtbar ge -*)cupetur. Luculenter enim nostram propositionem demonstrat, ut vix consequentia vel deductione egeat. 109 blieben, dann aber dennoch den Sohn des Hauſes zur Welt gebracht, indem auch jene ſterile Weisheit endlich empfan - gen und Kinder der Verheißung geboren habe.

Aehnliche Erklärungen finden ſich auch bei Auguſtin und Juſtinus Martyr. Der Letztere ſagt: Was die Weiſen und Geſetzgeber des Alterthums jemals Wahres, Schönes, Rechtes gelehrt und geboten haben, das ſchöpf - ten ſie aus derſelben Weisheit, welche jedem Menſchen leuchtet und ſpricht, der in die Welt kommt u. ſ. w. Der Keim der Vernünftigkeit, die vernünftige Anlage iſt nach Juſtinus von dem Logos, als der göttlichen Ver - nunft, allen Seelen eingepflanzt worden, und dadurch, folgert er, iſt unter Anregung von außen eine gewiſſe Gotteserkenntniß auch im Heidenthume möglich geweſen. Er trägt kein Bedenken, diejenigen, welche jene Anlagen dankbar entwickelten und benützten, für Verehrer des Lo - gos und darum auch für Chriſten zu erklären, wie ei - nen Heraklit und Sokrates. *)Vergl. Clem. Alex. Paedag. I. 5. Cohort. c. 6. Strom. I. 5. Juſtin. Mart. Apol. I. 46. II. 10. Münſcher, Dogmengeſchichte, Marburg 1848, II. S. 221. III. S. 255. Möhler, Patrologie, Regensburg 1840. I. S. 219 f.Mit den dogmati - ſchen Beſtimmungen der Reformatoren des 16. Jahrhun - derts und der proteſtantiſchen Orthodoxie, welche den ge - fallenen Menſchen ganz in den Abgrund der Finſterniß und Bosheit verſinken läßt und ihm die Fähigkeit, das Göttliche und Gute zu erkennen und zu wollen, mit der Wurzel ausreißt, reimt ſich eine ſolche Anſicht vom Hei - denthum allerdings nicht; jene Beſtimmungen ſind aber nicht nur unkatholiſch, ſondern auch im evidenteſten Wi - derſpruche mit der h. Schrift, und wenn das Menſchliche vor dem Eintritte der chriſtlichen Erlöſung und Wiederge -110 burt ſo abſolut verfinſtert und verderbt, ſo völlig diabo - liſirt ſein ſoll, ſo iſt es auch gar nicht zu faſſen, wie die Heiden, ja die Menſchen überhaupt, im Stande geweſen, das chriſtliche Heil in ſich aufzunehmen. *) Der Menſch, der alle Verwandtſchaft und alles Ebenbildliche mit Gott verloren hätte, wäre nicht einmal mehr fähig, Gottes Einwirkung zur Vollziehung der Wiedergeburt aufzunehmen, da die göttliche Thätigkeit ſo wenig Anklang mehr finden würde, als in einem vernunftloſen Thiere. Möhler, Symbolik, Mainz und Wien, 1838 S. 108. Nur die Annahme einer abſoluten inneren Neuſchöpfung kann dieſe Einwen - dung beſeitigen, womit aber die Identität der Perſon verloren geht.Bekannt iſt Göthe’s Ausſpruch, der auch hieher gezogen werden kann.

Wär nicht das Auge ſonnenhaft, Die Sonne könnt es nicht erblicken! Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt uns Göttliches entzücken!

Vom Standpunkte des Katholicismus aus erfreut ſich die natürliche und außerchriſtliche Vernunft und Sittlich - keit einer weit größeren Anerkennung. Wenn die refor - matoriſche Orthodoxie nicht nur die Vernunft, ſondern auch das Wort Gottes, an welches ſie ſich ſo vorzugsweiſe zu halten vorgibt und welches hier ſo deutlich ſpricht, für Nichts achtet, um auch die letzte Spur des Guten im Geiſt und Herzen des Menſchen zu vertilgen, ſo ſteht dagegen der Katholicismus ganz auf dem Standpunkte der Bibel und des älteſten Kirchenthums, und hat daher auch ein weit anerkennenderes Verhältniß zu den dem Chriſtenthum analogen Erſcheinungen im Heidenthum. Wir haben ſchon oben gelegentlich auf ein bekanntes katholiſches Buch, auf Möhler’s Symbolik verwieſen, wo uns eine in dieſem Sinne gehaltene Betrachtung über das Heidenthum begeg - net, wo auf Chineſen, Perſer, Indier hingewieſen und die indiſche Incarnationslehre in eine wenigſtens entfernte111 Beziehung zum Chriſtenthume geſetzt wird. Möhler lobt auch die Quäker ihrer univerſelleren Anſicht über das Hei - denthum wegen, wiewohl er ihnen den Vorwurf macht, daß ſie den charakteriſtiſchen Unterſchied zwiſchen den chriſt - lichen und unchriſtlichen Zeiten verwiſchten. Die Art , ſagt er, wie die Quäker die beſſeren vorchriſtlichen Er - ſcheinungen auf dem Gebiete der Sittlichkeit und Religion betrachten, verräth ein ſehr zartes Gefühl. Und ebenſo weiterhin: Die Anſicht der Quäker von dem Verhältniſſe der Heiden zu Gott iſt allerdings weit zarter, als die lu - theriſche und reformirte; es liegt ihr eine unbefangenere und reinere Wahrnehmung der Erſcheinungen in der nicht - chriſtlichen Welt zu Grunde. Ferner wird berichtet: Die Quäker laſſen auf eine ſehr merkwürdige Weiſe gleich nach Adams Fall die erlöſende Thätigkeit eintreten. Gott ver - heißt nicht bloß einen künftigen Erretter, er lenkt nicht nur die allgemeinen und beſonderen Schickſale der Völker und Menſchen, um ſie auf den großen Tag des menſchge - wordenen Gottes vorzubereiten; er begnügt ſich auch nicht, unter allen Völkern weiſe Männer, Lehrer ihrer Zeitge - noſſen in Wort und That, große Geſetzgeber und Regen - ten zu erwecken. Von dem Logos, der in der Mitte der Geſchichte perſönlich erſcheint, geht durch alle Zeiten hin - durch ein ſchöpferiſches Lebensprincip, wie vom Mittelpunkt eines Kreiſes nach allen Theilen der Peripherie Strahlen ausgeſandt werden. Der Geiſteshauch Chriſti geht vor - und rückwärts und läßt Nichts unberührt. Von dem in - neren Lichte , der Quäker, dieſem von Chriſtus ausgehen - den, durch alle Dimenſionen des Raumes und der Zeit waltenden Lebensprincip, um welches ſich Alles dreht, was ſie ſinnen und denken, und auf welches Alles fromm und ehrfurchtsvoll bezogen wird, zeugen, wie ſie annehmen, auch die alten Philoſophen und Lehrer der Völker; es zeu -112 gen von ihm alle höheren Beſtrebungen, die ſich in der Weltgeſchichte finden. *)Möhler, Symbolik S. 496. 522. 554.

Auch aus Möhler’s Patrologie ſind Stellen zu ci - tiren. So wenn von Juſtin, dem Märtyrer, gerühmt wird, daß er die beſſeren Erſcheinungen im Heidenthume nicht mißkannte, auch in dieſen eine gewiſſe Gotteserkennt - niß für möglich hielt und diejenigen, welche eine ſolche ausgebildet, ſogar für Chriſten erklärte. Dieſes unbe - fangen und frei ausgeſprochen zu haben , heißt es, muß bei dem ſchroffen Gegenſatze der damaligen chriſtlichen Welt zu der heidniſchen als ein ſehr großes Verdienſt bezeichnet werden; denn man war nur zu ſehr geneigt, alles Nicht - chriſtliche und vom auserwählten Volke der Juden nicht Stammende als Sünde abzuweiſen u. ſ. w. **)Möhler, Patrologie I. S. 219 f.Man wird ferner bei Dieringer unter dem Titel: Die göttliche Zubereitung für die Erlöſung ***)S. deſſen Lehrbuch der katholiſchen Dogmatik. Mainz 1847. S. 322. Alles bemerkt finden, was zu unſerer Rechtfertigung nöthig zu ſein ſcheint. Es wird daſelbſt auf den Grund der Offenbarung hin im All - gemeinen ſo viel beſtimmt, daß Gott nicht unterlaſſen habe, auch die heidniſchen Völker auf die Ankunft und Wirk - ſamkeit des Erlöſers vorzubereiten. Es heißt namentlich S. 324: Der göttliche Logos, wie er die äußeren Offen - barungen des alten Bundes vermittelte, hat auch die übri - gen Völker auf ſeine Ankunft im Fleiſche vorbereitet. Dieſe von der Schrift angedeutete und in der kirchlichen Litera - tur ſo oft vorgetragene Wahrheit gründet ſich auf die fortwährende univerſelle Wirkſamkeit des Sohnes. Daher behauptet auch der h. Hilarius mit Recht, das Heil der heidniſchen Völkerſchaften habe ſchon in den Zeiten des113 Geſetzes angehoben; denn der Erſtgeborene des Vaters habe nicht nur Iſrael, ſondern auch die Geſammtheit der Völker der Leitung ſeiner Engel unterworfen. *)Hilar. Tract. in Pſ. LXVII. No. 27. II. No. 31. Vergl. daſelbſt S. 310 f.: Die Offenbarungsurkunden pflegen die Sen - dung des Erlöſers im Zuſammenhange mit dem ſchon Dageweſenen, von Gott ſelbſt Veranſtalteten darzuſtellen; es fehlt auch nicht an Hinweiſungen, daß die propädeutiſche Wirkſamkeit Gottes ſich nicht auf den engen Kreis des jüdiſchen Volkes eingeſchloſſen habe, ſo daß diejenigen - ter, welche eine univerſelle Wirkſamkeit des göttlichen Logos vor dem Zeitpunkte der Incarnation und zwar zum Be - hufe der Vorbereitung auf die Fülle der Zeiten behaupten**)Hier iſt eine Reihe von Citaten angebracht., jedenfalls den Geiſt der Offenbarung auf ihrer Seite ha - ben; nicht zu gedenken, daß die Vorſtellung, die Zeit von Adam bis Chriſtus ſei als die Periode der durch Gott vor - bereiteten Erlöſung zu betrachten, als die Ueberzeugung der Kirche ſelbſt anzuſehen iſt. Hören wir weiter, wie ſich Laſaulx in ſeiner Abhandlung über das Studium der griechiſchen und römiſchen Alterthümer erklärt: Selbſt in der Religion iſt zwiſchen der griechiſch-römiſchen und der jüdiſch-chriſtlichen ein viel tieferer Zuſammenhang, als gewöhnlich angenommen wird. Es ſind, wie es ſcheint, dieſelben der menſchlichen Natur eingeborenen Ideen, die allen Religionen zu Grunde liegen und klarer oder trüber, offener oder verhüllter, überall hervortreten. Nicht bloß das Judenthum, auch das Heidenthum bildete eine Vorſtufe des Chriſtenthums. Weit entfernt, daß der religiöſe Cultus des griechiſchen und römiſchen Alterthums in keinem Zuſammenhange mit unſerem Cul - tus ſtände, bietet gerade er die intereſſanteſten Parallelen8114für jeden denkenden Menſchen dar; denn unzählige Ge - bräuche unſerer Religion ſind uns hiſtoriſch aus jener über - kommen. Der Cultus der Griechen und Römer enthält, wie ihre ganze Bildung, mehr ächt und urſprünglich Menſchliches, als irgend ein anderer volksthümlicher Gottesdienſt. Das Chriſtenthum wollte von Anfang an als Weltkirche nicht bloß die Juden, ſondern alle Völker umfaſſen; von den Juden verworfen, wandte es ſich vorzugsweiſe zu den Hei - den und wählte zu ſeinem Centrum Rom. Es nahm darum auch keinen Anſtand, ſich alles ächt Menſch - liche aller Völker zu aſſimiliren, was es um ſo leich - ter durfte, als die Schrift ausdrücklich behauptet, daß der mit ſeiner Lehre identiſche Stifter des Chriſtenthums ſo alt, ja älter als die Welt, ſei, und, vorhergeſehen im Plane der göttlichen Providenz, aller menſchlichen Entwicklung von der Welt her zu Grunde liege. Und in der That, wenn der Logos ſeit Grundlegung der Welt der Vermittler zwiſchen Gott und Welt und der Menſch nach ſeinem Bilde geſchaffen iſt, ſo iſt alles rein Menſch - liche, als ſolches, auch chriſtlich, und die Kirche hat, indem ſie ſich daſſelbe angeeignet, nur ihr Eigenthum, nur die unter die Völker vertheilte, ihr gehörige Wahrheit an ſich gezogen. Aus ſolchen Ausſprüchen mögen die mit ſo großen Vorurtheilen gegen den Katholicismus erfüllten Proteſtanten erkennen, was in ihm vorgeht, und in wie mächtigem Vorſchreiten derſelbe begriffen iſt. Auch Prof. Sepp zu München iſt in dieſe Reihe von Autoren zu ſtellen. Derſelbe hat ein Werk geſchrieben unter dem Titel: Das Heidenthum und deſſen Bedeutung für das Chriſten - thum, Regensburg 1853, und mit dem Motto von De Maiſtre: Wer wird uns die Mythologie von der Seite erklären, daß in ihr alle chriſtlichen Wahrheiten115 vorbildlich erfüllt erſcheinen? Ich faſſe aus der Einlei - tung dieſes Buches folgende Stellen heraus. Es werden Aeußerungen und Verfahrungsweiſen von Chriſtus, Pe - trus und Paulus angeführt und dann bemerkt: Dies mag uns die Augen öffnen, daß die Naturreligion und Myſterienlehre der Heiden doch nicht ſo gänzlich diaboliſch war, ſondern vielmehr reine Elemente ſymboliſcher Wahr - heit in ſich trug. S. 7. Die Mythologien der Völker ſind wirkliche Religionsſyſteme, wenn auch nicht rein wahre. Andererſeits war aber auch der Moſaismus mit ſeinen Blutopfern und ſeinem Ceremoniendienſt zu keiner Zeit die vollendete Wahrheit, ſondern nur eine vorbildliche Re - ligion. S. 8 f. Das Chriſtenthum knüpfte zuerſt an die moſaiſche Offenbarung an; aber auch im Heidenthume haben ſich zerſtreute Funken der göttlichen Wahrheit erhal - ten, welche Zeugniß von dem wahren Lichte geben, das von Anfang an in die Geſchichte geſchienen hat und in der Fülle der Zeiten vollends offenbar werden ſollte zur Erleuchtung der Völker. S. 10. Chriſtus iſt der Er - löſer von Anbeginn, nicht bloß der Juden; er iſt der Hei - land der Welt. S. 10. Den Juden war ſogar geboten, die Götter nicht zu läſtern, und daß ſie 2. Moſ. 22, 28. wirklich in dem Sinne verſtanden, zeigt die Paraphraſe des Philo und Joſ. Flavius: Ein fremdes Weſen, welches für göttlich gehalten wird, ſollſt du nicht verächt - lich behandeln. S. 11. Das Heidenthum ſteht in einer durchgreifenden Analogie zum Chriſtenthum und war nichts weniger als gottlos. Man höre Bekenntniſſe, wie die von Horat. Carm. II. 6., Valer. Maximus I. 8., Plu - tarch Marcell. 4. 5., und erſtaune über die Gläubigkeit der alten Welt! Das eigentliche Heidenthum ſteht dem Chriſtenthum unendlich näher, als der moderne Proteſtantismus und der abge -8*116ſtandene Katholicismus; denn dort war wohl Vie - les verfehlt und mißverſtanden, bei der jetzt dominirenden Freigeiſterei und anmaßlichen Aufklärung aber iſt die Grundlage falſch. Den Heiden war es mit ihrer Religion heiliger Ernſt; ſie zerſtörten nicht die Fundamente der Glaubens - und Sittenlehre, ſondern entſtellten nur die Wahrheit und geriethen auf dieſe Weiſe in Irrthümer; unſere Zeit iſt an ſich gottlos. S. 13*)Daß ihr euch Heiden nennet, hör ich ſagen. Wißt, Jene ſah’n den Gott im Sturm der Meere; Den Gott im Donner und im Sonnenwagen. Ihr aber möchtet mit dem ehrnen Speere In Trümmer jedes Götterbild zerſchlagen; So bleibt euch nur die ungeheure Leere. (Geibel. ). Es folgen ſpecielle hiſtoriſche Nachweiſe in Beziehung auf die Fröm - migkeit der Heiden und ihren Abſcheu vor Irreligiöſität und Frivolität. Es wird gezeigt, welche, vom chriſtlichen Standpunkte aus betrachtet, achtungswerthe und ehrenvolle Rolle die Heiden im Evangelium ſpielen. Einer der evangeliſchen Geſchichtſchreiber, Lucas, iſt ein geborener Heide. Endlich ſo wie das Evangelium durch die Apoſtel außer Paläſtina verkündigt wird, gewahren wir ſogleich, daß das ganze Heidenthum eine Anlage zum Chriſtenthum hat, und eine Vorſchule dazu bildet. S. 15. Chri - ſtus iſt der Inhalt aller religiöſen Mythen; er iſt der Oedipus der Mythologie und muß als ſolcher erkannt werden. S. 20. Es iſt mit der Menſchengeſchichte nicht, wie mit dem Gewebe der Pe - nelope, ſo daß, was an einem Völkertage gewebt worden, die darauf folgende Nacht wieder auflöste und die An - ſtrengung erfolglos bliebe; auch iſt die Erde nicht nur als der Kirchhof untergegangener Völker und dahingeſchiedener117 großer Männer zu betrachten. Die geiſtigen Errungen - ſchaften derſelben wollen vielmehr als zuſammenhängende Ringe einer einzigen großen Kette der Entwicklung erkannt und in fortlaufender Scala bis zum Hochaltar des Chri - ſtenthums hinan verfolgt ſein. S. 20 f. Die Welt - weisheit der alten Zeit iſt nur die Vorſchule der chriſtlichen Gottesweisheit. Das eben macht die Katholicität und den beſeligenden Charakter des Chri - ſtenthums aus, daß Alle, die früher ihr Heil wirkten, dies nur kraft des Zuſammenhanges der mythologiſch ſymboli - ſchen Religionen mit der Offenbarung im neuen Bunde vermochten. Das Chriſtenthum iſt keineswegs ſo unange - meldet in die Welt getreten; es hat die Gemüther nicht unvorbereitet getroffen. Die Verheißung des Erlö - ſers, die den gefallenen Stammeltern gewor - den, bildete die frohe Botſchaft, an welche auch die Heidenwelt gewieſen war und die ſie ſelbſt in der tiefſten Verſunkenheit noch feſtgehalten hat. Chriſtus, das Licht der Welt, iſt zu - gleich das Licht der Weltgeſchichte, nicht bloß das Ziel und Ende der hebräiſchen Volksgeſchichte. S. 24. Das Chriſtenthum hat in ſeinem innerſten Kerne nicht bloß den Moſaismus und deſſen Pro - phezieen, ſondern auch die Mannigfaltigkeit der Mythologien zu ſeiner Vorausſetzung. Es hat nicht bloß das heidniſche Weſen, es hat auch das Ju - denthum überwunden. Es handelt ſich hier nicht um eine Beeinträchtigung, ſondern um eine ungewöhnliche Erweite - rung der chriſtlichen Erkenntniß; nicht um Entkräftung, ſondern um hundertfältige Bekräftigung der Offenbarungs - wahrheiten. Wir lernen die göttliche Heils - ökonomie bei den Juden kennen; warum ſollten wir nicht auch Verlangen tragen, die Erbarmung, die Gott der Hei -118 denwelt zugewendet, und die Wege kennen zu lernen, die er ſie wandeln ließ, bis ſie des Heiles ungleich zahlreicher theilhaftig werden ſollten, als die Kinder Abrahams! Das Heidenthum als reine Dämono - logie und direkten Widerſpruch gegen alle Offenbarungswahrheit aufzufaſſen, iſt weder hiſtoriſch, noch auch evangeliſch. S. 25. Wir kehren die Behauptung: alle Religion ſei Mythologie, gerade um, und erklären vielmehr: alle Mythologie iſt Religion und hat ihr Endziel in Chriſtus. Die Kirchenleh - rer ein Clemens, Origenes, Juſtin, und zum Theil Auguſtin, ſo wie noch Boethius, fühlten von Anfang den Beruf und ſtellten ſich die Aufgabe, das Chriſtenthum mit der Philoſophie und den vorangegangenen Religionen der Völker in ein ſyſtematiſches Verhältniß zu ſetzen; und die Gegenwart, die dies ignorirte und davon Umgang nahm, hat die Erfahrung gemacht, wie man Chri - ſtus für die Mythologie in Anſpruch genommen gleichſam zur Strafe dafür, daß man verſäumte, die Mythologie wiſſenſchaftlich für das Chriſtenthum zu erobern. S. 35. Der Logosbegriff des Johannes und Paulus läßt ſich eigentlich nur in Verbindung mit der heidniſchen Philo - ſophie zur Genüge würdigen und hiſtoriſch entwickeln. S. 5 f. So kommen denn auch in dem eigentlichen Werke die merkwürdigſten Aeußerungen und Combinationen vor, worauf ich hier ohne unverhältnißmäßige Breite und Aus - führung nicht näher eingehen kann. Eine ſehr merkwür - dige und in Beziehung auf die hier angeregten Punkte wichtige Schrift iſt auch die von Dechamps, Le libre examen de la vérité de la foi, worin ſich der fromme Verfaſſer, ein berühmter Redemptoriſt zu Brüſſel, über die Kräfte der natürlichen Vernunft überhaupt und über das119 im Heidenthum vorkommende Licht der Wahrheit insbe - ſondere in einer ſehr befriedigenden und erfreulichen Weiſe erklärt. Wir haben oben eines Ausſpruches von Goethe gedacht: Wär nicht das Auge ſonnenhaft, die Sonne könnt es nicht erblicken u. ſ. w. Ganz ſo ſagt De - champs: Wäre die Wahrheit nicht in uns, woran ſoll - ten wir die Wahrheit erkennen außer uns! Wenn wir nur das als wahr anerkennen dürfen, was wir als ſolches erkannt haben, ſo geſchieht es offenbar darum, weil wir eine Regel in uns haben, woran wir es erken - nen; und dieſe Regel heißt die Vernunft. Auf die Lehre, daß der Menſch nach dem Ebenbilde Gottes ge - ſchaffen, gründet Dechamps den Satz, daß der Menſch in ſich alle Wahrheit trage, nehmlich ebenbildlich, ſo wie ſie Gott urbildlich in ſich trägt. *)Vergl. die Bemerkungen meines hochverehrten Freundes, Herrn Dom - capitulars und Profeſſors der Theologie Dr. Heinrich zu Mainz, der ſich in der Vorrede zu ſeiner Ueberſetzung des genannten Werkes S. XIII. f. in entſprechender Weiſe vernehmen läßt. Er verwirft die An - nahme, daß man in Sachen der Religion nur glauben und auf den Gebrauch der Vernunft verzichten müſſe, und fügt hinzu: Die katho - liſche Kirche und mit ihr die ganze große und geſunde Theologie und Philoſophie, die ſich von der Zeit der Kirchenväter bis auf den heuti - gen Tag ſtets gleich geblieben, hat mit aller Entſchiedenheit jenes Vor - urtheil verworfen und den von Gott gegründeten Einklang zwiſchen Vernunft und Offenbarung, Glauben und Wiſſenſchaft behauptet. Demgemäß hat ſie allezeit, wie die Rechte des Glaubens, ſo auch die der menſchlichen Vernunft vertheidigt, und es wird die Zeit kom - men, ja ſie iſt ſchon da, wo die Kirche den Beruf hat, nicht bloß den Glauben, ſondern auch Vernunft und Philoſophie, gegenüber einem troſtloſen Scepticismus und geiſtleugnenden Materialismus einerſeits, und einem falſchen Myſticismus andererſeits zu retten. Er bezeichnet es fer - ner als einen Irrthum, zu glauben, die wahre Religion ſei in einem gewiſſen Zeitalter in einen Winkel der Erde verbannt geweſen. Gott hatte ſeine Heiligen,120 ſeine Prieſter, ſeine Kinder überall. Hiob war ein Araber; Melchiſedek, dieſes erhabenſte Vorbild des Prieſterthums Chriſti, ein Chanaaniter; die h. Schrift führt unter den Königen Aegyptens, Aſſyriens, Perſiens und Griechenlands mehrere an, welche den wahren Gott bekannten; das Volk von Ninive that Buße auf den Ruf des Propheten; und von einem Römer, dem Centurio Cornelius, redet der Apoſtelfürſt, da er ſagt: In Wahrheit, ich erfahre, daß Gott die Perſon nicht anſieht, ſondern in jedem Volke, wer ihn fürchtet und Recht thut, der iſt ihm angenehm. Apoſtelg. 10, 34. *)Die ausgehobenen Stellen finden ſich S. 178. 179 f. 227 ff. der Be - arbeitung von Heinrich, die unter dem Titel: Die Wahrheit und Vernünftigkeit des Glaubens Mainz 1857, erſchienen iſt. Vergl. ebendaſelbſt S. 716 f.Be - merkenswerth dürfte endlich auch eine Stelle in dem be - kannten Kirchengeſange: dies irae ſein, wo David und Sibylla zuſammen als prophetiſche Autoritäten aufge - führt werden**)Teste David cum Sibylla, wie David und Sybilla zeugen., ſomit ein Antheil an ächter Offenbarung auch dem Heidenthum zuerkannt iſt.

Hiemit glauben wir getroſt abſchließen und wenigſtens der katholiſchen Kirche gegenüber ohne alle Beſorgniß eines die hier dargelegten Auffaſſungen und Darſtellungen tref - fenden Anſtandes und Tadels ſein zu können.

[121]

Nachträge.

I.

In Beziehung auf die äſthetiſche Form und Wirkung des katholiſchen Cultus, worüber oben S. 8 und in der Beilage B. die Rede war, kann ich aus letzter Lektüre noch Folgendes anführen.

Diderot*)Essais sur la peinture. erzählt: Ich habe einen proteſtantiſchen Maler ge - kannt, der mir oft geſtand: er habe nie den Papſt in der St. Peters - kirche zu Rom den Gottesdienſt feiern geſehen, ohne katholiſch zu werden.

Nicolas glaubt den platoniſchen Satz, daß das Schöne der Ab - glanz des Wahren ſei, in Anwendung bringen zu dürfen. Dieſer Spruch, ſagt er, ſcheint eigends dazu erfunden zu ſein, um eine ſcharfe und klare Bezeichnung des katholiſchen Cultus zu bilden. Es weiſt derſelbe auch auf das Dogma vom fleiſchgewordenen Worte hin, womit ſchon ebenſo das Princip der ſinnlichen Vermittlung und Er - ſcheinung des Göttlichen für den Menſchen ausgeſprochen ſei. **)S. deſſen Studien über das Chriſten - thum, Paderborn 1857. III. S. 475. 479.Das iſt ein treffendes Wort, das man wohl bedenken und beherzigen ſollte. Wer den katholiſchen Cultus verwirft, der verneint und erſchüttert, ſo wenig Bewußtſein er davon haben mag, dem Princip, der Grundan - ſchauung und dogmatiſchen Baſis nach das ganze Chriſtenthum.

122

Ich fühle mich um ſo mehr bewogen, noch einmal auf dieſen Punkt zurückzukommen, da ich neueſtens wieder den alten Vorwurf zu hören hatte, daß der Katholicismus ja doch ein offenbarer Götzendienſt ſei, der ſich für Heiden, nicht aber für Chriſten ſchicke. Man hat es hier mit jener altproteſtantiſchen Anſicht und Kritik zu thun, welche es über - nommen hat, die große, chriſtliche Entwicklung ſo gewaltſam und un - natürlich auf die jüdiſche Abſtraktion zurückzuſchrauben, eine Ab - ſtraktion, über welche der Gang der Cultur, wie ſchon im klaſſiſchen Alterthume, ſo auch im katholiſchen Chriſtenthum und dann ſelbſt auch im Proteſtantismus durch die daſelbſt Statt gefundene Zurückwendung zur antiken Geſchmacksbildung und Kunſtanſchauung längſt vielfach hin - ausgeſchritten, welche daher durchaus keine zeitgemäße Geltung und Anwendung mehr hat und nur noch in den Köpfen derjenigen ſpukt, welche ſich auf die Höhe der Zeitbildung niemals erhoben haben. Was die Juden betrifft, ſo war bei dieſen das Gebot, ſich von der Gottheit kein Bild und Gleichniß zu machen, der barbariſchen Idololatrie der umgebenden Nationen und Culte gegenüber, in ſeinem vollen Rechte, indem es einer unwürdigen und gräulichen Darſtellung des Göttlichen vorbeugen ſollte. Dieſe Prophylaxis hat jetzt keinen Sinn mehr; es iſt, wie wenn die Aerzte in Cholerazeiten gewiſſe Genüſſe verbieten; wenn die Seuche vorüber iſt, wäre es lächerlich, ſich daran zu kehren. Schon Goethe hat hier das Richtige geſehen und kurz und ſcharf ausgeſprochen, indem er den Satz aufſtellte, das Göttliche ſei entweder ganz form - und bildlos, oder in der ſchönſten und würdigſten Geſtalt zu verehren. Die erſtere, rein negative, verhütende Norm wird von der Bildung der Barbarei, nicht aber ſich ſelbſt entgegengeſtellt, wenn ſie das Göttliche in äſthetiſcher Form zur Anſchauung zu bringen ver - ſucht; und dieſe zweite Methode, als die poſitive, iſt die offenbar vor - züglichere und zweckmäßigere, iſt diejenige, die auf die Dauer allein zu genügen vermag. Jene moderne Richtung, welche ſich auf ihrer wohl - begründeten und tiefberechtigten Flucht vor dem Abſtrakten und Nega - tiven ſo leidenſchaftlich auf das äſthetiſch-reizende und lebensvolle Hei - denthum zurückgeworfen, hat über den bezeichneten altproteſtantiſchen Standpunkt das thatſächliche hiſtoriſche Gericht gehalten; ſie hat das anachroniſtiſch Unangemeſſene und Unhaltbare dieſes Judaismus ge - offenbart und, da jenes Heidenthum, als eine überſchrittene Stufe menſchlicher Entwicklung, doch auch nicht bleibend erneuert werden kann, einen zum Katholicismus bewußtlos zurückführenden Weg eingeſchlagen. 123Wenn es nun in Folge deſſen für ein der feineren und gebildeteren Klaſſe der Geſellſchaft angehöriges Individuum höchſt unpaſſend er - ſcheint, ſich von einer ſchönen griechiſchen Statue mit dem Bemerken hinwegzuwenden, es ſei dies ein Götze, an dem man ſich nicht erfreuen und erbauen dürfe, ſo muß es für wenigſtens eben ſo unſchicklich und tiefſtehend gelten, wenn man ſich eine ſolche Sprache gegen die Dar - ſtellungen des katholiſchen Cultus erlaubt, ſei es auch, daß ſie durch die Würde des Gegenſtandes und die Meiſterſchaft des künſtleriſchen Urhebers über irgendwie mögliche Beziehungen zu idololatriſcher Bar - barei ſelbſt vor profanen Augen unendlich hinausgehoben ſind.

Es gehören in dieſen Kreis der Betrachtung ferner auch einige gute Bemerkungen, die ich in den Briefen von Clemens Brentano finde. So ſchreibt er einmal*)S. den 1. Bd. der Briefſammlung. Frankf. a. M. 1855. S. 330. an eine Ungenannte Folgendes.

Deine Klagen über Äſthetik und Schriftſtellerei kommen aus dei - ner abſurden Ueberſättigung her; du biſt ungerecht, dies ſo plattweg zu verdammen. Alle wahre Kunſt iſt ein Vorläufer der Wiedergeburt; denn ihr Streben nach dem Ewigen ſtrebt, ohne es zu wiſſen, nach dem Herrn. Auch die Künſte ſind Stimmen in der Wüſte. Es ſind die Teppiche, die unter die Füße des Einziehenden geworfen werden. Bete, daß die Kunſt gut werde! Sie lehrt ſingen und loben, ſie liegt, wie das Leben, zwiſchen Himmel und Hölle und öffnet beiden die Thore.

Das thieriſche Fell muß gegerbt werden, ſoll es ein Träger des Buchſtabens und Wortes ſein, heißt es ebendaſelbſt.

Eine andere die Bedeutung des Sinnlichen überhaupt betreffende Stelle**)S. dieſelbe Sammlung I. S. 293. iſt folgende.

Was in den Kreis unſerer Sinne hineinfällt, deſſen bemeiſtern wir uns und mit dem kann, darf und muß guter Wille vertraut werden, ſo es ein Saum des Gewandes Gottes iſt, der auf die Erde fällt. Auf anderem Orte können wir nicht beten, als auf dieſem Teppiche knieend, und ſo wir glaubend das Gewand berühren, werden wir ge - heilt, wie das blutflüſſige Weib.

So hat auch hier wieder ein geiſtreicher Mann ſehr ſchöne Worte geſprochen und ſehr treffende Bilder gebraucht. Leider hat dergleichen noch lange hin, um populär zu werden. Die vererbte und verbreitete antikatholiſche Phraſeologie wird in ihrer flachen und faulen Gewohnheit124 ewig nur über götzendieneriſchen Unfug, ſinnloſes Hängen am Aeußeren, pfäffiſches Blendwerk u. ſ. w. ſchimpfen. Auf einer ſolchen Stufe iſt nur der einſeitige judaiſirende Standpunkt möglich. Die concrete, le - bendige, poetiſche, anſchauliche Entwicklung des Chriſtenthums, wie ſie ſich im katholiſchen Cultus präſentirt, kann nur einerſeits von der frommen, empfindungsreichen Hingebung, Einfalt und Unbefangenheit eines von reformatoriſcher und aufkläreriſcher Kritik noch unberühr - ten und ungeſtörten Volkes, andererſeits von der höchſten, reifſten, durchgeführteſten Bildung und Einſicht goutirt, verſtanden und gewür - digt werden.

II.

In den philoſophiſchen Studien über das Chriſtenthum von Rico - las iſt ein Capitel unter dem Titel: Beſtändigkeit des Chriſtenthums in der Dauer ſeiner Katholicität ein von uns in der Vorrede ebenfalls berührter Punkt. Nicolas kommt hiebei auch auf Macau - lay’s gewichtvolle Abhandlung über das Papſtthum zu ſprechen. Drei Hiſtoriker, ſagt er, Profeſſoren im proteſtantiſchen Deutſch - land, Hurter, Voigt und Ranke, verlegten ſich, Jeder für ſeinen Theil, auf das Studium des Papſtthums. Der erſte machte zu ſeinem Gegenſtande das Leben Innocenz’s III. Der zweite wählte ſich das Leben Gregor’s VII. Das Studium des dritten umfaßte die Ge - ſchichte des Papſtthumes vorzugsweiſe im Hinblicke auf die Reformation. Aber es iſt wunderbar! dieſe Gegenſtände, die wegen der Vor - urtheile und Schmähungen der vorigen Jahrhunderte ſo gefährlich wa - ren, und die ſelbſt von den Katholiken nur mit Furcht und Zittern behandelt wurden, ſind unter der gewiſſenhaften, obgleich feindlichen Feder dieſer drei proteſtantiſchen Schriftſteller die Ehre des Katholicis - mus und der gründliche Beweis ſeiner Wahrheit geworden. Was muß die Beſtimmung dieſer Kirche ſein, die nach ſo vielen Jahrhunderten und ſo lange ſelbſt von ihren eigenen Kindern geſchmäht, nun endlich in den Reihen ihrer Gegner Vertheidiger findet und ihren Ruhm von den Erben derer, die ihr denſelben entreißen wollten, wieder entgegen -125 nimmt! Was aber noch mehr Bewunderung einflößt, das iſt das Echo, welches dieſer vom proteſtantiſchen Deutſchland ausgehenden Huldi - gung in dem proteſtantiſchen England folgte, wo bekanntlich eine große Bewegung der Rückkehr zum Katholicismus gerade die hervorragendſten Vertreter der Wiſſenſchaft ergriffen hat. Ein Staatsmann dieſes be - rühmten Landes, einer der ausgezeichnetſten Publiciſten, iſt durch Ranke’s Werk veranlaßt worden, über die katholiſche Kirche die Wahrheit zu ſagen. Sein Zeugniß iſt um ſo bedeutender, weil er die Vorurtheile ſeiner Sekte noch nicht völlig abgelegt hat, und ſich bloß auf jenem Abhange zur Wahrheit befindet, wohin ſich heutzutage ſo viele vortreff - liche Geiſter neigen. Es folgt nun ein Auszug aus Macaulay’s Abhandlung. Dann heißt es: Seit dem Erſcheinen dieſes Aufſatzes hat die katholiſche Bewegung in England nicht aufgehört, denſelben in allen ſeinen Einzelheiten zu rechtfertigen. Was ſeine volle Trag weite betrifft, ſo dürfen wir nicht glauben, daß ſie der Verfaſſer geſe - hen habe. Die große Folgerung, die ſich daraus herleitet, nehmlich die Göttlichkeit des Katholicismus, hat er ſich ſelber noch nicht eingeſtanden; er hat ſich darauf beſchränkt, frei und klar das Faktum hinzuſtellen. Das iſt aber ſchon ſehr viel; es genügt; denn das Faktum iſt hier mit der Idee, mit dem Dogma identiſch. Es wird dann noch ein in Belgien erſchienener Artikel von Eugen Robin mitgetheilt, der daſſelbe Faktum zur Sprache bringt und auf deſſen Bedeutſamkeit hin - weiſt. Dann wird bemerkt, das in Rede ſtehende welthiſtoriſche Wun - der beſtehe erſtlich in der unzerſtörbaren Fortdauer der katholiſchen Kirche durch ſo viele Jahrhunderte hin, ihrem Wachsthum in der Ge - genwart und ihren Ausſichten in die Zukunft; zweitens ganz beſonders darin, daß ſich dieſe Erſcheinung nicht innerhalb eines ſtagnirenden und ſtabilen Theiles der Erde, ſondern in dem beweglichen Europa, der Heimath der Revolutionen, mitten in einem ſo beſtändigen Drängen und Treiben, einem ſo ewigen Wechſel der Ideen, Thatſachen, Einrich - tungen, Herrſchaften und Zuſtände finde. Drittens ſei zu bemerken, daß die Kirche bei den Bewegungen, die ſie umwogten und umſtürm - ten, aber nicht zu ſtürzen vermochten, in ſo hohem Grade ſelbſt mit betheiligt geweſen; viertens, daß ſie ſich darin erhalten ohne furchtſame Nachgiebigkeit und charakterloſe Schmiegſamkeit, und fünftens, daß dies Alles von Anfang an vorausgeſehen und prophezeit geweſen iſt.

126

III.

Eine rührende Stelle habe ich endlich in den nachgelaſſenen reli - giöſen Schriften von Chriſtian Brentano*)München 1854. I. S. 246 f. gefunden, die ich noch ſchließlich mittheilen will.

O kommt, liebe Seelen, kommt zu uns, ſo ruft derſelbe; kehret zurück in das Haus des Heils, das auf den Felſen gegründet iſt in unwandelbarer Eintracht; ſeid dem Werke des Herrn nicht alſo entge - gen! Und ſeid ihr ſonſt beſſer als wir, ei, um ſo mehr gehet ein! Denn um ſo unrechter iſt es, daß ihr aus ſeinem Hauſe entflieht, daß ihr, als edle Steine, noch ſäumet, euch in den Bau des Tempels zu fügen, den zu verherrlichen ihr vielleicht beſonders begabt, aber dann auch beſonders verantwortlich ſeid. Ja, wenn es vielleicht Gottes Rathſchluß iſt ich meine die Edlen, deren ich ſo viele kenne daß durch euren Eingang die Gemeinde gebeſſert werde, ſo wird die Freude doppelt ſein und mitſammen wollen wir Gott dafür loben u. ſ. w.

Ich glaube nicht, daß man auf proteſtantiſcher Seite beſſer, als auf katholiſcher ſei. Sofern das überall hervortretende Menſchliche ſeine traurige Rolle ſpielt, ziemet auf beiden Seiten nur das demüthige Bekenntniß der Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit. Fragt ſich aber, wo ſich neben dem Menſchlichen nicht weniger klar und augen - ſcheinlich auch das Göttliche manifeſtire; wo ethiſch-große, ehrwürdige, ja übermenſchliche Charaktere und Beiſpiele hervortreten und zum fakti - ſchen Beweiſe dienen, daß mitten in menſchlicher Verfinſterung und Verderbniß ein Licht, ein Leben, eine Kraft walte und obſiege, die nicht von dieſer Erde iſt, ſo wird die Antwort nicht zweifelhaft ſein man muß nur ſeine Kenntniß des Katholicismus nicht etwa bloß aus dem Frankfurter Journal und anderen ſolchen einſeitigen und ſkandal - ſüchtigen Quellen geſchöpft, ſondern auch ſonſt noch etwas geleſen, ge - hört und geſehen haben. Es ſind auch nicht allein ſo hervorragende und berühmte Muſter und Glanzpunkte großartiger Tugend und Treff - lichkeit zu erwägen, wie man ſie in einem Franz Xaver, einem Vincenz von Paula, einem Karl Borromeo u. ſ. w. anzuſtaunen und zu verehren gezwungen iſt. Man denke z. B. an die zahlloſen127 Genoſſenſchaften der ſogenannten barmherzigen Brüder und Schweſtern, die mit der größten Anſpruchsloſigkeit ſo himmliſche Thaten verrichten und einen ſo ächt chriſtlichen Heroismus der Liebe und Barmherzigkeit entfalten, dergleichen man, einige iſolirt ſtehende Ausnahmsfälle abge - rechnet, ſonſt nirgend trifft. In dem ſchon öfters citirten Werke von Dechamps*)Die Wahrheit und Vernünftigkeit des Glaubens. S. 608. heißt es: Die philanthropiſche Hingebung der Miß Nightingale im Krimmfeldzuge rührt uns. Es iſt dies eine ſchöne Seele, die man loben muß. Aber wer erkennt nicht dennoch die vielen Unterſchiede zwiſchen der Miß Nightingale und einer barmherzi - gen Schweſter! Ich will nur folgende nennen. Miß Nightingale hat die Probe einer perſönlichen rühmlichen Aufopferung abgelegt; aber ſie iſt allein geblieben, ſie hat kein bleibendes Werk ſtiften können. Ihr Namen iſt berühmt geworden und man hat Beifall geklatſcht. Die barmherzige Schweſter iſt unbekannt, Niemand weiß ihren Namen. Es iſt das gleichſam die Verkörperung der Liebe, die von Oben ſtammt, auf Erden aber in Verborgenheit wandelt und Gutes thut. Die gu - ten barmherzigen Schweſtern haben die Wunden der Sieger und der Beſiegten verbunden, ſie haben gelitten und ſind geſtorben an den Sterbebetten, wie ſie es überall thun; ihre Namen aber kennt Niemand, als Gott. Sie haben auf Erden keinen anderen Namen, als den ih - rer unvergänglichen Genoſſenſchaft; und wenn die Armen, die Kranken, die Sterbenden ſie ſegnen wollen, ſo reden ſie eben nur von den Schweſtern, die ihnen das Crucifix zeigen. Nicolas in ſeinen Studien über das Chriſtenthum bemerkt, man müſſe nicht nur die von der Kirche kanoniſirten Heiligen in Anſchlag bringen. Es gibt, ſagt er, eine Menge anderer, die ein verborgenes Leben geführt, die noch fortwährend in der Dunkelheit leben und ſterben, und die eine um ſo größere Heiligkeit beſitzen, als ſie der Welt und ſich ſelbſt unbekannt bleiben. Mit den Heiligen iſt es, wie mit den Sternen am Firma - ment: außer denen, welche uns bemerkbar ſind und die bekannten Fi - guren bilden, gibt es unzählige andere, die ſich unſeren Blicken entzie - hen und gerade ihrer Höhe wegen unbekannt bleiben. Auch der geiſtige Himmel hat ſeine Milchſtraße. Will man ein proteſtantiſches Zeugniß vernehmen, ſo läßt ſich auf das Halliſche Volksblatt vom 5. Auguſt 1854 verweiſen, wo ein Prediger dieſer Confeſſion aus Paris an ei - nen Mitbruder Folgendes ſchreibt: Es beſteht hier ein Frauenorden,128 der vom heil. Lazarus, und die Nonnen dieſer Congregation üben die Barmherzigkeit in den Gefängniſſen. Dieſe Damen, von denen viele den höheren Ständen angehören, widmen ſich mit aller Hingebung ihrem undankbaren Geſchäfte. Ich weiß aus ſicheren Quellen, daß keine von ihnen über fünfzig Jahre alt wird; es kommt das von der ſchlechten Gefängnißluft, welche ſie einathmen ....... Sie ſtellen ſich vielleicht vor, daß die Aufnahme in dieſen Orden leicht zu erlangen ſei! Allein dem iſt nicht ſo. Ehe man die Poſtulantinnen zuläßt, werden ſie der ſtrengſten Prüfung unterworfen; man verlangt überdies ein Einbringen von 5000 Francs. Was ſagen Sie dazu? Wenn man von unſeren Mädchen als Bedingniß ihres Eintrittes in das Diaconiſſen-Haus zu Berlin oder Sonnenburg 1000 Thaler verlangte, was würde daraus werden? ...... Es iſt eine mir unerklärliche Er - ſcheinung, daß, während es uns alle Mühe von der Welt koſtet, eine Schweſter zu erwerben, die Katholiken deren im Ueberfluß finden. Der Katholicismus iſt Leben und That das iſt es, das zeichnet ihn, wie man auch übrigens von ihm denken möge, notoriſch aus; das ſuchte, das fand ich in ihm. Daß übrigens im Schoße der außer - und antikatholiſchen Societät viel edle, ſchöne, herrliche, in ihrer Art einzige Kräfte vorhanden, die, wenn ſie in den Dienſt der alten, gro - ßen Mutterkirche träten, dieſer von unſchätzbarem Werthe ſein und ihr die Welt vollends erobern würden, darüber dürfte ſich eben ſo wenig ein Streit erheben. Ich ſelber vergleiche mich nicht mit denen, welche ich hier im Sinne habe. Um ſo mehr wünſchte ich, daß ſie meinem Beiſpiel folgten und daß auf dieſe Weiſe die Geiſter wieder einen ge - meinſchaftlichen Boden, eine umfaſſende Heimath gewännen, um ſich zuſammen mit jeder Art von Kraft, Begabung und Tüchtigkeit dem großen Ziele zu nähern, deſſen Erreichung der Zweck und Drang der Weltgeſchichte iſt.

Aſchendorff’ſche Buchdruckerei in Münſter.

About this transcription

TextDie dreifache Krone Rom's
Author Georg Friedrich Daumer
Extent153 images; 32656 tokens; 8342 types; 237349 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie dreifache Krone Rom's Versuch einer neuen Beleuchtung und Charakterisirung des römisch-katholischen Priester- und Kirchenthums, namentlich was dessen elementare und principielle Inhaltsbestimmungen und deren vorläufige Begründung und Erscheinung in vorchristlicher Zeit und Welt betrifft Georg Friedrich Daumer. . XVI, 128 S. AschendorffMünster1859.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Di 5450http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=45747890X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Theologie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:30:00Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Di 5450
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.