PRIMS Full-text transcription (HTML)
Verſuch einer ausfuͤhrlichen Erlaͤuterung der Pandecten nach Hellfeld
ein Commentar fuͤr meine Zuhoͤrer
I. Theil.
Erlangenverlegt bey Johann Jacob Palm1790.

Vorrede.

Bey dem großen Vorrath von Commentaren uͤber die Pandecten duͤrfte der gegenwaͤrtige neue Ver - ſuch leicht uͤberfluͤßig ſcheinen, oder doch wenigſtens zu manchen voreiligen Tadel, dem das Buch zwar ohne - hin nie entgehen wird, Anlaß geben, wenn ich nicht meinen Leſern vorlaͤufig uͤber die Entſtehung und Ab - ſicht deſſelben einige Rechenſchaft ablegte.

Die Vorleſungen uͤber die Pandecten machen ſchon ſeit geraumer Zeit einen vorzuͤglichen Theil mei - nes Berufs aus, und mein immer ſehr zahlreiches Au - ditorium, ſo wie der anhaltende Fleiß meiner Zuhoͤrer giebt mir den ſehr beruhigenden Beweiß, daß die Muͤ - he, die ich auf dieſe Vorleſungen verwende, nicht ver - kannt werde.

Allein zu beklagen iſt es, daß man nach dem einmal feſtgeſetzten Plan ein ſo weites und dornichtes Feld in dem engen Zeitraum eines halben Jahres zu durchwandern genoͤthiget iſt, und daher auch ſelbſt fuͤr die wichtigſten Gegenſtaͤnde bey der großen Menge derſelben viel zu wenig Zeit hat, um ſich bey denſelben, ſo wie ſie es verdienten, nur einigermaßen verweilen zu koͤnnen.

Da nun bey einer ſolchen Praͤciſion, deren ſich der Lehrer bey dem Vortrag der Pandecten zu befleiſi - gen hat, auch der aufmerkſamſte Zuhoͤrer, zumal wenn er das erſtemal ein ſolches Collegium hoͤrt, ohn - moͤglich ſo deutliche Begriffe von denen zum Theil wirklich ſchweren und intricaten Rechtsmaterien be - kommen kann, daß er ſich, ohne weitere Anleitung durch eigenes Nachdenken, und den Gebrauch ſeines) (2Cor -Corpus Juris fortzuhelfen im Stande waͤre; ſo bin ich nicht ſelten in eine nicht geringe Verlegenheit ge - rathen, wenn ich von meinen fleißigen Zuhoͤrern um einen Commentar uͤber die Pandecten angegangen wurde, deſſen ſie ſich bey der Wiederholung ihrer Lection als Huͤlfsmittel bedienen koͤnnten.

Zwar fehlt es uns nicht an den treflichſten Werken dieſer Art; denn wer kennt nicht die Schriften eines Cujaz, Noodts, Fabers, Voets, Struvs, Lau - terbachs, Strycks, Leyſers, und anderer großer Rechtsgelehrten mehr, die ſich in dieſem Fache ſo vor - theilhaft ausgezeichnet, ja unſterblich verdient ge - macht haben? allein man wird mir, wie ich hoffe, nicht unrecht geben, wenn ich behaupte, daß eines Theils die Lektuͤre ſolcher Werke einen ſchon geuͤbtern Rechtsgelehrten vorausſetze, und daher wenigſtens dem Anfaͤnger ohne Bedenken nicht empfohlen wer - den koͤnne, andern Theils aber auch die Anſchaffung derſelben einem Studirenden auf Academien zu koſt - bar falle.

Schon laͤngſt habe ich demnach den Gedanken bey mir genaͤhrt, ſelbſt etwas uͤber die Pandecten zum Behuf meiner Zuhoͤrer aufzuſetzen; nicht als ob ich etwas vorzuͤglicheres zu liefern im Stande waͤre, als jene große Maͤnner ſchon geleiſtet haben; nein, eine ſolche Arroganz werde ich nie zu Schulden bringen; ſondern ihre Arbeiten auch fuͤr Juͤnglinge brauchbar zu machen, und der todten Maſſe ihrer critiſchen Unterſuchungen und Rechtseroͤrterungen ein Leben und Intereſſe zu geben, welches im Stande waͤre, auch dem feurigſten Genie das an ſich ſchwere und trockene Studium der Pandecten leicht und angenehm zu machen.

Ein

Ein Werk dieſer Art aber, ſoll es nicht das An - ſehen eines Collectaneenbuchs, oder unrichtig zuſam - men geſchriebener Hefte bekommen, iſt freylich nicht die Sache eines Jahres, ſondern erfordert vieljaͤhri - ges Nachdenken, und eine nur durch unermuͤdetes Studium der Quellen erlangte Reife des Urtheils, und gebildeten Geſchmack.

Vielleicht wuͤrde ich mich daher zu einem ſo muͤhſamen Unternehmen ſobald noch nicht entſchloſ - ſen haben, da ich die Wichtigkeit deſſelben eben ſo lebhaft einſehe, als die Schwaͤche meiner Kraͤfte fuͤh - le, wenn mich nicht das wiederholte dringende Ver - langen meiner Zuhoͤrer gleichſam vor der Zeit hierzu angeſpornet haͤtte.

Furchtſam wage ich es alſo, dieſen geringen Verſuch meines Commentars uͤber die Pandecten, welcher eine Erlaͤuterung der erſtern vier Titel ent - haͤlt, einem juriſtiſchen Publikum vor Augen zu legen.

Ich habe dabey das Hellfeldiſche Lehrbuch zum Leitfaden gewaͤhlt, weil uͤber daſſelbe ſowohl hier, als auf den meiſten deutſchen Academien, ſo viel ich weiß, die Pandecten vorgetragen zu werden pflegen. Ich glaubte alſo, den Commentar hierdurch fuͤr mei - ne Zuhoͤrer, fuͤr die ich ihn zunaͤchſt beſtimmte, de - ſto brauchbarer zu machen.

Doch habe ich mich an dieſe Ordnung nicht ſo ſtreng gebunden, daß ich mir nicht auch unter - weilen, wo es noͤthig zu ſeyn ſchiene, eine Abweichung erlaubt haͤtte. So zum Beyſpiel habe ich zwar bey dem zweyten Titel, de origine juris, die Zahl der Pa - ragraphen beybehalten; aber vergeblich wird man un - ter dieſem Titel eine Rechtsgeſchichte, wie bey Hell - feld ſuchen; nein, ich hielt eine ſolche hiſtoriſche Ent -) (3wick -wickelung des Urſprungs und Abwechſelungen des roͤ - miſchen Rechts darum in einen Commentar uͤber die Pandecten fuͤr zweckwidrig, weil daruͤber auf al - len deutſchen Academien beſondere Vorleſungen ge - halten werden, und daher dieſer Titel bey dem Vor - trag der Pandecten meiſt uͤberſchlagen wird. Statt einer magern Rechtsgeſchichte, denn etwas Vollſtaͤn - diges haͤtte doch wegen der Menge anderer hier zu be - arbeitender Rechtsmaterien nie geliefert werden koͤn - nen, habe ich daher nur im allgemeinen von den Quellen der in Deutſchland uͤblichen buͤrgerlichen Rechtsgelehrſamkeit, und deren Gebrauch gehan - delt. Man wird hier die Regeln zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Gebrauch des roͤmiſchen, canoniſchen und deutſchen Rechts, uͤberall mit treffenden Beyſpielen erlaͤutert, finden, welche denenjenigen, fuͤr die ich ſchreibe, gewiß um de - ſto willkommener ſeyn werden, je weniger ſich die Kenntniß derſelben von einem gruͤndlichen Studium der Rechtsgelahrtheit trennen, und je weniger ſich dennoch in den Vorleſungen uͤber die Pandecten et - was Vollſtaͤndiges daruͤber ſagen laͤſſet.

In der Ausfuͤhrung der hier abgehandelten Rechtsmaterien habe ich Vollſtaͤndigkeit mit der moͤglichſten Deutlichkeit zu verbinden mich beſtrebt; zwey Eigenſchaften, die man von Buͤchern dieſer Art ſchlechterdings erwartet.

Ueberall habe ich immer den naͤchſten Blick auf die Geſetze ſelbſt gerichtet, ſolche, wenn ſie vorzuͤglich merkwuͤrdig[w]aren, in dem Text oder in den Noten abdrucken laſſen, und auch, wo es noͤthig zu ſeyn ſchien, mit kurzen Erlaͤuterungen begleitet, wobey ich die Werke der eleganteſten Rechtsgelehrten, wiediedie Anfuͤhrung derſelben in denen Noten beweißt, genutzet habe.

Man wird hierbey die gute Abſicht, die ich ha - be, hoffentlich nicht mißkennen, nehmlich die Schuͤ - ler der roͤmiſchen Rechtsgelahrtheit an das Studium der Geſetze ſelbſt hin zu leiten, ſie hierdurch an ei - genes Nachdenken zu gewoͤhnen, und ihnen zugleich bey dem Mangel eigener Subſidien die Auslegung der Geſetze zu erleichtern. Ich habe dieſes fuͤr eine um ſo wichtigere Pflicht gehalten, da Reformatoren in unſern Tagen aufſtehen, welche der Rechtsbeflißenen Jugend teutſche Compendien der Inſtitutionen des roͤmiſchen Rechts ohne Anfuͤhrung der Geſetzſtellen in die Haͤnde zu liefern, und ſie hierdurch von dem Studium der Geſetze zu entfernen ſuchen, welches doch von jeher die gruͤndlichſten Rechtsgelehrten der Jugend nie angelegentlich genug haben empfehlen koͤnnen. Denn daß durch jene Lehrmethode, wo dem Lehrling der Rechtsgelehrſamkeit von den geſetzlichen Beweisſtellen gar nichts geſagt wird, der Grund zu einem unſeligen praeiudicio auctoritatis geleget, und dem alten: ipſe dixit wiederum der Weg gebahnet werde, iſt, deucht mir, ganz unlaͤugbar.

Da ich in meinen Commentar aufdie Geſetz - ſtellen in denen Titeln der Pandecten, die ich zu er - laͤutern habe, ganz vorzuͤgliche Ruͤckſicht nehmen wer - de, ohne jedoch die Geſetze des neuern juſtinianeiſchen Rechts im mindeſten dabey zu vernachlaͤßigen, ſo glaube ich in dieſer Ruͤckſicht keinen Tadel befuͤrchten zu duͤrfen, wenn ich meiner Arbeit den Titel eines Commentars uͤber die Pandecten gegeben habe.

Vielleicht moͤchte es aber ungereimt, und ein ſeltſamer Gedanke zu ſeyn ſcheinen, einen deutſchen Commentar uͤber ein lateiniſches Recht zu ſchreiben. ) (4Allein,Allein, da ich hierin ſchon mehrere Vorgaͤnger habe, ſo darf ich wohl ein ſolches Urtheil um ſo weniger befuͤrchten, je nothwendiger es zu Erreichung meines Endzwecks zu ſeyn ſcheinet, meinen Vortrag in ein deutſches Gewand einzukleiden. Ich habe mich zu dem Ende einer ganz natuͤrlichen und ungekuͤnſtelten Schreibart befliſſen, ſo wie ſie ſich zu einen wiſ - ſenſchaftlichen Vortrag ſchickt; dabey zwar alles Blumen - und Bilderreiche, womit manche unſere deutſchen Rechtsgelehrten ihren Vortrag nicht ohne Nachtheil der Deutlichkeit auszuſchmuͤcken pflegen, ſorgfaͤltig zu vermeiden, doch aber meinem Styl die - jenige Vollkommenheiten zu geben geſucht, welche ei - ner maͤnnlichen und ernſthaften, aber doch unterhal - tenden, Schreibart angemeſſen ſind.

Sollte aber dieſer erſte Verſuch nicht wenig - ſtens fuͤr diejenigen, fuͤr welche er beſtimmt iſt, et - was zu ausf hrlich, auch vielleicht etwas zu gelehrt gerathen ſeyn? Ich wage es nicht dieſen Vorwurf ganz von mir abzulehnen. Allein gewiſſer maßen brachte dieſes der Plan meiner Arbeit mit ſich. Denn dieſer erſte Theil, welcher die erſten vier Titel der Pan - decten, jedoch leztern noch nicht ganz vollendet, enthaͤlt, liefert allgemeine Rechtsmaterien, die fuͤr die ganze Rechtswiſſenſchaft anwendbar ſind. Sie ſind gleichſam als Vorerkenntniſſe des geſammten Rechts anzuſehen. Sodann kommen in dieſem Theil ſolche Wahrheiten vor, die ihrer Natur nach dergleichen Vollſtaͤndig - keit und Aufwand einiger Gelehrſamkeit erforderten, die man mir etwa zum Vorwurf machen moͤchte. Hierher gehoͤrt die wichtige Materie von der Verbind - lichkeit, desgleichen von der Auslegung der Geſetze; von dem Gebrauch der Quellen, vom Gewohnheits -rechtrecht und andere mehr. Ferner ſoll nach meiner Abſicht dieſes Buch meinen Zuhoͤrern nicht blos zur Repetition dienen, ſondern auch noch in ihrem kuͤnf - tigen practiſchen Leben, wie ich hoffe, manche gute Dienſte thun; ſollten ſie alſo auch, geſezten Falls, jezt noch nicht alles genau verſtehen, ſo werden ſie es gewiß bey weitern Fortſchritten in der Rechts - gelehrſamkeit kuͤnftig noch verſtehen lernen. Allein wie wenig ich mir deßfalls wirklich etwas vorwer - fen duͤrfe, beweißt das eigne Geſtaͤndniß meiner Zu - hoͤrer, welche mich aufrichtig verſichert haben, daß die - ſes Buch gerade nach ihren Wunſch geſchrieben, und ihnen alles darinne ganz verſtaͤndlich ſey.

Daß inzwiſchen in jedem der folgenden Theile mehr Titel und Buͤcher als in dieſem erſtern, erſcheinen werden, wird die Zukunft lehren, indem das ganze Werk nicht uͤber ſechs Theile ſich erſtrecken ſoll.

Noch muß ich bemerken, daß ich bey einigen in dieſem Theil vorgetragenen Lehren von der ge - woͤhnlichen Theorie der Rechtsgelehrten abgewichen bin. Es verſteht ſich, daß dieſes nie ohne zureichen - den Grund geſchehen, und da ich ſchon in ſolchen Faͤl - len andere bewaͤhrte Rechtsgelehrte zu Vorgaͤngern habe, ſo glaube ich wenigſtens, daß meine Frey - muͤthigke[i]t nicht unbeſcheiden genennt werden kann.

Daß ich endlich auch auf die Litteratur die ge - buͤhrende Sorgfalt und Muͤhe verwendet habe, wird Jeder Sachverſtaͤndiger von ſelbſt finden. Zwar habe ich den Lipen nicht ausgeſchrieben; denn wo - zu dieſer Unrath? allein man wird, wie ich glaube, von den beſten und neueſten Schriften uͤber jede Materie nicht leicht eine vermiſſen, und die ich etwa ja) (5imim Buche ſelbſt uͤberſehen hatte, ſind noch in de - nen beygefuͤgten Verbeſſerungen und Zuſaͤtzen ergaͤn - zet worden.

Uebrigens kann ich nichts ſo angelegentlich wuͤnſchen, als daß die gegenwaͤrtige Arbeit vielen nuͤtzlich ſeyn, und die Abſicht, gruͤndliche Juriſten zu bilden, dadurch voͤllig erreicht werden moͤchte. Sollte bey dieſer Arbeit hie und da etwas verſehen ſeyn, wo - ran ich gar nicht zweifle, ſo bitte ich ein gelehrtes Publicum, mich eines beſſern zu belehren.

Praͤ -

Praͤnumeranten Verzeichnis.

  • Altdorf. 40 Ungenannte. Exemplar 40.
  • Anſpach. Hr Reg. R. Haͤnlein, Hr. Cand. Schaͤtzler, Hr. Proceßr. Buͤttner, Hr. Jagdſcribent Goͤringer, Hr. Hof und Reg. Adv. Burkard, Hr. Hof und Reg. Adv., Roſe, Hr. Secret. Greiner. 7.
  • Aub. Herr von Eckard, Amtsverweſer. 1.
  • Augsburg. Hr. Referendar Schmid, Hr. Biermann, I. U. Lic. Kunſt und Handwerksreferendar, Hr. Ben - cker, Stadtſchreiber, Hr. Edler von Chriſtmann, Raths - Conſulent, Hr. Gullmann, Stadt-Adv. Hr. Nilſon, Rathsprocurator, Hr. Schmidt, Advokat, Hr. Actuar Brucker, Hr. Actuar Bellmann. 9.
  • Bamberg. Hr. Hofrath Pflaum, Hr Hofr. und Prof. Goͤnners, Hr. Reg. Adv. Stoͤcker, Hr. Hof. K. R. Regiſt - rator Grau, Hr. Cand. Iur. Hoffmann, Hr. Kammer - herr und Hofr. von Gebſattel, Hr. Caplan Reuß, Hr. Strambacher, Hr. Iur. Pract. Silbermann, Hr. Stud. Rothlauf, Hr. Hofr. u. Prof. Zeller, Hr. Hofr. Lorber, Hr. Hofrathsſecret. Pfautſch, Hr. Reichs Adv. Ott, Hr. Juriſt Kreutzer, Hr. geiſtl. Rath Ott, Hr. Hofr. Sehubert, Hr Hofr. Steinlein, Hr. Hofr. v. Oberkranz, Hr. Hofr. Pfiſter, und 16 Ungenannte. 36.
  • Kloſter Banz. Hr Conſulent Fiſcher, Hr. P. C. D. Roppelt. 2.
  • Baunach. Hr. Rath und Kaſtner Schmidt. 1.
  • Bayreuth. Hr. Geh. Regiſtr. Schunther, Hr. Kam - merherr. u. Reg. R. v. Voͤlderndorf, Hr. Proceßr. Pfeif - fer, Hr. Geh. Regiſtr. Glaſer, Hr. Reg. Adv. Boͤrger, Hr. Proceßr. Boͤhm, Hr. M. Ellrodt, Hr. Secret. Am - mon, Hr. Geh. Reg. R. Wipprecht. 9.
  • Bruchſal. Hr. Hofkammer Reviſor Lindel, Hr. Jagd - ſecret. Manaß, Hr. Dikaſt. Adv. Machauer, Hr. Hof - bibl. Aſſeßor Breuflek, Hr. Prof. Julich, Hr. Prof. Heinzmann, Hr. Hofkammer Aſſeſ. Schott, Hr. Hofkam - merſecret. Stahl, Hr. Amtspractikant Hofmann, 2 Un - genannte. 11.
  • Caſtell. Hr. Rath Conradi. 1.
  • Cronach. Hr. Kaſtner Axter, Hr. Stadtconſ. Lamprecht. 2.
  • Dachsbach. Hr. Cand. Goͤckel. 1.
  • Praͤnumeranten Verzeichnis. Doͤringſtadt. Hr. Amtsſchreiber Uhlmann. 1.
  • Duͤnkelsbuͤhl. Hr. Raths-Conſulent Wucherer. 1.
  • Ebersbach, bey Neuſtadt an der Saale. 6 Ungenannte. 6.
  • Ellingen. Hr. Iur. Pract. Dilg. Hr. Sec. Abel. 3.
  • Erlangen. Hr. Lobſtein, Hrn. Lips aus Fr. Aurach 2 Ex. Hr. Hotz aus Schweinfurth. Hr. Baron v. Gem - mingen aus Anſpach. Hr. Reg. Adv. Kraft, Hr. Schwarz aus Emskirchen. Hr. Hartlaub aus Regens - burg. Hr. Kaufmann a. Ulm. Hr. Kraft a. Erlang Hr. Ortskaßier Rebmann. Hr. Lenz a Oldenburg. Hr. Bluͤm le, a. Ulm. Hr. Diezel a. Anſpach. Hr. Prof. Tafinger, Hr. Lammers a. Bayreuth. Hr. Secret. Fleiſchmann. Hr. Boye aus Bayreuth. Hr. Schmid aus Bayreuth. Hr. Stepf aus Schweinf. Hr. Goͤs aus Die - tenh. Hr. Baron v. Ploto. Hr. Killinger. Hr. Hartnack. Hr. Baron v. Kleudgen. Hr. Doͤbner aus Roͤhmhild. Hr. Juſtizrath Hoͤflich, 3 Ex Hr. Kremling aus Bay - reuth. Hr. Cand. Schmidt. Hr. Ortsprocurator Waͤch - ter, 3 Ex. Hr. Cand Pfeiffer. Hr. D. Frank. Hr. Bartelmaͤ. Hr. Fuͤßlin. Hr. Bezold aus Heilbronn. Hr. Hofrath Geyer. Hr. Baron v. Tabago. Hr. Uebel. Hr. Baron v. Ompteda. Hr. Baron v. Thuͤngen. Hr. Kammerjunker v. Altenſtein. Hr. Liebeskind. Hr. Rop - pelt aus Herzogaurach. Hr. Brand. Hr. Gromann. Hr. v. Wunſch. Hr. Hofm. Anoſi. Hr. Th. Bruͤxner. Hr. Feez aus Bayreuth. Hr. Bahrmann. Hr. Hab - recht aus Regensb. Hr. Hofkammerrath v. Viſchpach. Hr. Baron v. Roͤder. Hr. Bayer. Hr Nagler aus An - ſpach. Hr. Foͤrtſch aus Bamberg. Hr. Rupprecht. Hr. Cand. Seiler. Hr. Donner aus Anſpach. 63.
  • Eßlingen. Hr. Raths-Conſulent Neundorf. 1.
  • Feuchtwangen. Hr. Cand. Loſchge. 1.
  • Forchheim. 1 Ungenannter. 1.
  • Fruͤhſtockheim. Hr. Kammerherr v. Crailsheim. 1.
  • St. Gallen. Hr. Profeſſor Zollikofer. 1.
  • Goͤttingen. Hr Apell, Hr. v. Berger. Hr. Fromm. Hr. Klein. Hr. Leyſt. Hr. Scheel. Hr. Schneider, 2 Ex. Hr. Tellheim. Hr: D. Schroͤder. Hr. Wedekind. 11.
  • Schw. Hall. Hr. Cand. Maier. Hr. Conſulent Seyfferheld. Hr. Gottlob, Senator und Pfleger imJenPraͤnumeranten Verzeichnis. Jemgomer Kloſter, Hr. Bonhoͤfer. Reg. Adv. Hr. Steuerregiſtr. Lt. Bonhoͤfer. Hr. Raths Adv. Bern - hard. Hr. Archivſecr. Wolff in O. Sontheim. 8.
  • Hammelburg. Hr. Niedermaͤyer, Rath und Steu - ereinnehmer. 1.
  • Heidelberg. Hr. Pfaͤhler. 4.
  • Heidenheim, bey Anſpach. Hr. Lutz, Reg. Adv. Hr. Ober - Scribent Schaudig. 2.
  • Helmſtaͤdt. Hr. Geh. Juſtizrath u. Prof. Oelze. 1.
  • Hemhofen. Hr. Amtmann Touſſaint. 1.
  • Herzogaurach. Hr. Stadtſchreiber Sponſel. 1.
  • Hildburghauſen. Hr. Amtsverweſer Prautſch. 1.
  • Hoͤchſtadt. Hr. Amtsverweſer Weniger. 1.
  • Jena. Hr. v. Kraft, Hr. Prof. Hufeland, 3 Ex. 18 Ungenannte. 22.
  • Ingolſtadt. Hr. Prof. Semmer. 1.
  • Mt Ippesheim. Hr. Zehnd-Inſpector Geyersbach. 1.
  • Kips. Hr Conſulent Frauenholz, Hr. Amtm. Goller. 2.
  • Koͤnigsbronn, im Wuͤrtenbergiſchen. Hr. Adv. D. Kaußler. 1.
  • Kochendorf. Hr. Ottenwaldiſcher Orts. Secretair Hoͤrlin. 1.
  • Langenzinn. Hr. Cand. Siebenkees. 1.
  • Kloſter Langheim. Hr. P. Kanzleyd. Hemmerlein. 1.
  • Leutershauſen. Hr. Prozeßrath u. Stadtvoigt Riedel. 1.
  • Lisberg, bey Bamberg. Hr. Amtmann Sommer. 1.
  • Moosburg, in d. Oberpfalz. Hr. Mitterſchr. Mayer. Muͤhlhauſen, im Thuͤringiſchen. Hr. Kanzleydi - rector Huͤbner. 1.
  • Neuhof. Hr. Proceßr. Makeldey, Hr. Cand. Fiſcher. 2.
  • Neukirchen, im Bambergiſchen. Hr. Verwalter Geiger. 1.
  • Neuſtadt, an der Aiſch. Hr. Landshauptmannſchafts. Secretair Behm. 1.
  • Noͤrdlingen. Hr. Cand. Weng, Hr Regiſtrator Kaiſer, Hr. Cand. Wucherer, 2 Ungenannte. 5.
  • Nuͤrnberg. Hr. Flechſel, Kirchner zu St. Sebald. Hr. Beyer, Amtsſchr. Hr. Muͤhling, Officialis im Waldamt Sebald. Hr. Dublon, Secretair. Hr. Hagen, Iur. Pract. Hr. Regiſtr. Klug. Hr. Stettner, v. Kreßi -ſcherPraͤnumeranten Verzeichnis. ſcher Amtsverw. Hr. Doͤhlemann, v. Geuderiſcher Amts - verw. Hr. Muͤller, v. Welſeriſcher Amtsverw. Hr. Held, Regiſtrator, Hr. Heuſchmann, Heſſen-Caſſelſcher Legat. Canzl. Hr. D. Bahrmann, Hr. Dorn, Conſulent, Hr. Carl, Procurator, Hr. Gerſtner, Gerichtsſchreiber, Hr. Scheuerl, Aſſeſſor, Hr. Volkmar, Aſſeſſ. Hr. v. Fuͤrer, Aſſeſſ. Hr. v. Imhof ſen. Aſſeſſ. Hr. v. Imhof jun. Aſſeſſ. Hr. v. Ebner, Aſſeſſ. Hr. Rath Kaͤſtner, Hr. Procur. Kel - ler, Hr. Oyer, Not. Hr. D. Link, Hr. Gillig, Gerichts - ſchr. Hr. Hartlaub, Not. Hr. I. P. Zwanziger, Hr. von Endtner, Hr. D. Forſter, Hr. Not. Schukart, Hr. Pom - mer, I. P. C. Hr. Kleemann, Not. Hr. Sonntag, Not. 33.
  • Oberlangenſtadt. Hr. Amtsverweſer Kazenberger. 1.
  • Roſtock. Herr D. Behrmann. 16.
  • Roth. Hr. Rath Kraus. 2.
  • Rothenburg an der Tauber. Hr. Kand. Walther, Hr. Archivar Raab, Hr. Conſulent v. Staudt, Hr. Kand. Bezold. Hr. Puͤrkhauer, Advocat. 5.
  • Schleuſingen. Hr. Kammerſecretair Muͤller. 1.
  • Alten-Schoͤnbach. Hr. Amtmann Koͤppel. 1.
  • Schweinfurth. Hr. Hofr. Pollich, Hr. Conſul Schneider. 2.
  • Stuttgardt. Hr. Buchdrucker Joh. Phil. Erhard. 3.
  • Themar. Hr. Hofadvocat u. Stadtſyndicus Sternberger. 1.
  • Thurnau. Hr. Graf von Giech, Hr. Amtmann Neuhof, Hr Kanzleyrath Ehrlicher, 5 Ungenannte. 8.
  • Tuͤbingen. Hr. Profeſſor Hofmann. 1.
  • Uffenheim. Hr. Stadtſchreiber Koͤhler. 1.
  • Ulm Hr. Kanzley Adj. Frick, Hr. Kanzley Adj. Jaͤger, Hr. Goͤcklein, Hr. Regiſtr. Abt, Hr. Frz. Dan. v. Schad. 5.
  • Weingartsgreuth. Hr. Amtsverweſer Helmreich. 1.
  • Weiſſenburg Hr. Stadtſchreiber Hirſchmann. 1.
  • Wezlar. Hr. Koͤſter, Saynhachenburg. Commiſ. Secret. 11.
  • Wilhelmsdorf. Hr. Verwalter Illing. 1.
  • Windsheim. Hr. Actuarius Sauber. 1.
  • Wittenberg. Hr. Kand. und Advocat Zerenner. 3.
  • Wuͤrzburg. Hr. Rechtspract. Ams, Hr. Hofrath Sam - daber, 2 Ex. Hr. Liebler, Regierungs-Fiſcal, Hr. Hofr. Kleinſchrod, Hr. Kand. Papius, Hr. Prof. Seuffert, Hr. Baron von Fuchs, Hr. Baron von Groß, Hr. v. Kronegg, Hr. von Gebſattel, Domherr, Hr. Prof. Gregel, Hr. Ba - ron von Welden, Hr. v. Gebſattel, Page, Hr. Papius, Beneficiat, Hr. Baron von Wurmb, Hr. Kammerherr von Speth, Hr. Kand. Probſt, Kammerherr von Hutten, Hr. Hofrath von Groß, Hr. Hofr. von Hirſchberg, Hr. Schmidt, Hr. Prof. Willhelm, Hr. Otto Philipp v. Groß, Domherr, Hr. Cand. Iur. von Elz zu Ruͤbenach, Hr. Iur. Pract. Goͤtz. 26.

(Die Fortſetzung der Praͤnumeranten folgt in den kuͤnftigen Baͤnden.)

Ausfuͤhrliche Erlaͤuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar zum Gebrauch fuͤr meine Zuhoͤrer.

Erſtes Buch. Tit. I. De iuſtitia et iure.

§. 1.

Schriften; verſchiedene Bedeutungen des Worts ius. Er - laͤuterung der L. 1. §. 1. L. 10. L. 11. L. 12. D. h. t. L. 13. C. de Rei Vind. L. 5. §. 1. und L. 24. D. de his quae ut indign. L. 10. D. de cap minut. L. 27. §. 2. D. de pactis. u. L. 41. D. de peculio.

Die erſten vier Titul der Pandecten enthalten blos allgemeine Begriffe, und ſind gleichſam als Vor - bereitungsgruͤnde der buͤrgerlichen Rechtsgelahrheit anzu - ſehen. Dieſelben vorauszuſchicken, war auf jeden Fall noͤthig, man betrachte nun die Pandecten des K. Juſti - nians als einen Volkscodex1)Daß billig in einem Volksgeſetzbuche, eben ſo wie in allen andern Lehr - und Unterrichtsbuͤchern, zufoͤrderſtallge -, oder, welches ſie nachderGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. A21. Buch. 1. Tit. der Abſicht des Kaiſers gleichfalls ſeyn ſolten, als ein zum wiſſenſchaftlichen Unterricht aptirtes Rechtsſyſtem. Der Anfang wird mit Beſtimmung der Begriffe von Recht und Gerechtigkeit gemacht. Nam iuri ope - ram daturum, ſagt Ulpian gleich zu Anfang dieſes Tituls, prius noſſe oportet, unde nomen iuris deſcen - dat. Eſt autem a iustitia2)Viele haben den Ulpian wegen dieſer Derivation des Worts ius von Iuſtitia getadelt, weil nach den Regeln der Grammatiker das Wort ius vielmehr a iubendo, und Iuſtitia von ius abzuleiten ſey. Andere hingegen haben ihn gegen dieſen Tadel zu rechtfertigen geſucht. Die verſchiedenen Meinungen hier anzufuͤhren, halte ich vor unnoͤthig. Man ſehe raeuard in Variis Lib. I. c. 2. menagius in Amoenitat. iur. civ. c. 39. Gregor. lopez madera in Animadverſion. iur. civ. (Colon Agripp. 1594. 8. ) cap. 1. van der muelen c. l. ad h. L. 1. u. Ger. noodt in Comment. ad Digeſta h. t. Soviel ſieht man wohl, daß Ulpian mehr philoſophiſch als grammatiſch verfahren, und den - jenigen Urſprung des Worts ius angeben wollen, wor - aus der Begrif der Sache ſelbſt entſtanden. Da er nun ius als eine Wiſſenſchaft betrachtet, welche in der Er - kenntniß deſſen, was in jeden gegebenen Fall recht und billig iſt, beſtehet, und folglich die Handhabung der Ge - rechtigkeit zum Endzweck hat, ſo laͤßt ſich’s in ſofern wohl vertheidigen, wenn er ius von iuſtitia ableiten wol - len. S. Ioſ. finestres in Hermogeniani ICtiiuris appellatum, nam (utelegan -1)allgemeine Grundſaͤtze des Rechts vorausgeſchickt, und bey jeder Materie ein richtiger Hauptbegrif angegeben werden ſollte, hat neuerlich der Verfaſſer des Verſuchs eines Auszugs der Roͤm. Geſetze, in den An - merkungen zum I. -- IV. Buch der Pandekten S. 97. u. f. richtig bemerkt, und das neue Geſetzbuch fuͤr die Preuſſiſchen Staaten giebt ein muſterhaftes Beyſpiel davon.3De Iuſtitia et Iure. eleganter celsus definit) ivs eſt ars boniet ae - qui. Unter den mancherley Schriften uͤber dieſen, und zugleich etliche nachfolgende Titul ſind folgende zu empfehlen. Alb. bolognetvs de Lege, Iure et Aequitate. Romae 1570 fol. Guil. marani Commentarius de aequitate ſive iuſtitia, in Oper. Tom I. Thomae papillonii Commen - tarii in IV. priores titulos Libri I. Dige - ſtor in Ger. meermanni Theſauro iur. civ. et canon. Tom. II. p. 570. Wilh. van der muelen Exercitationes in titulum Digeſtor. de iu - ſtitia et iure, et Hiſtoriam Pomponii de origine iuris. Trajecti ad Rhenum 1723. 4. Io. Conr. stieglitzii Fontes iuris civ. Rom. ſecundum ordinem Pandectarum col - lecti. Specim. I. ad tit. Digeſtor. de iuſtitia et iure. Lipſiae 1779. 8. Die kleinern academi - ſchen Schriften uͤber dieſen Titul von Ge. Chriſt. ge - bauer, Ioachim Ge. daries, Aug. Frid. schott und Georg. Chriſtoph. neller, deſſen verſchiedene Commentationen in ſeinen von Ge. Phil. Chriſt. leuxner zu Trier 1787. herausgegebenen Opuſculis T. I. P. I. befindlich ſind, werde ich bey Ge - legenheit anfuͤhren.

A 2Was

2)iuris epitomar. libros VI. Commentar. T. 1. pag. 37. (Cervariae Lacetanor. 1757.) und Ge. Steph. wiesand Vindiciae L. 1. §. 1. D. de Iuſt. et I. Lipſ. 1764. Eine Stelle in gellius lib. XIV. c. 4. und der Zuſammenhang jener Stelle des Ulpians macht es aber auch nicht unwahrſcheinlich, daß Ulpian auf Deam Iu - ſtitiam alludirt habe. S. Io. Th. segeri Opuſcula, herausgegeben von Herrn Prof. Kluͤber, Vol. I. S. 244. u. f.

41. Buch. 1. Tit.

Was iſt nun ius? dieſes Wort hat in unſern Ge - ſetzen mancherley Bedeutungen. Verſchiedene derſelben hat Paulus in L. 11. D. b. t. angegeben, jedoch iſt damit L. 1. und L. 12. eod. zu verbinden. Die vor - nehmſten ſind folgende.

1) Bedeutet ius ſo viel als Geſetz, oder iede an - dere verbindliche Norm, welche Geſetzeskraft hat. So ſagt z. B. Ulpian in L. 9. D. de Legib. non ambigitur, Senatum ius facere poſſe. Noch zu Ul - pians Zeiten zweifelte man nicht, daß der Senat Geſetze machen koͤnne; nur muſte er eine Veranlaſſung dazu vom Kaiſer bekommen, welcher demſelben ſeinen Willen entweder ſelbſt durch eine deßhalb im Senat gehaltene Rede bekannt machte, oder durch ſeinen Quaeſtorem Candidatum eroͤfnen ließ3)M. C. curtius in Commentar. de Senatu Rom. poſt tempora lib. reip. Lib. III. c. 2. §. 57. zach. richter in Diſſ. de Oratione Antonini de donationibus inter Vir. et Vxor. confirmandis Lipſiae 1759. §. 10. Pet. burmann de vectigal. Pop. Rom. cap. 6. p. 85. ſqq. van wachendorf de principe legibus ſoluto cap. III. §. 2. p. 101. . Zu dieſer Bedeutung gehoͤrt auch die bekannte Decemviralſanction: Paterfamilias uti legaſſit, ita ius eſto; und in L. 50. §. 1. D. de legat. 1. deßgleichen in L. 17. § 1. D. de inoff. teſtam heiſt es, ius ex ſententia iudicis fieri4)Wenn in L. 16. D. de condit. et demonſtrat. geſagt wird, ea, quae ex ipſo teſtamento orientur, neceſſe eſt, ſe - cundum ſcripti iuris rationem expediri, ſo haben viel unter der ſcripti iuris ratione den Buchſtaben des Teſta - ments verſtehen wollen, als Io. cannegieter ad dif - ficiliora iuris capita c. 1. schroderus in Ob -ſervat. . In eben dieſer Bedeutung ſagt man auch,daß5de Iuſtitia et Iure. daß etwas ipſo iure geſchehe, wenn es eine unmittel - bare Wuͤrkung der Geſetze iſt, ohne daß ein factum hominis hierzu erfordert wird. Z. B. ſo acquiriten Kinder, welche bis an den Tod ihres Vaters in deßen Gewalt geblieben, (ſui liberi) nach dem Abſterben deſ - ſelben die vaͤterliche Erbſchaft ipſo iure, auch ohne ihr Wiſſen; denn die Geſetze ſelbſt erklaͤren ſie fuͤr die Er - ben ihres Vaters, ohne daß ihre Erklaͤrung, oder ſonſt eine Thathandlung derſelben hiezu erfordert wird5)S. Henr. cocceii diſc. iurid. de co quod fitipſ[o]iure Heidelberg. 1678..

2) Heißt ius auch, was denen Geſetzen gemaͤs iſt, und die Rechte mit ſich bringen; oder was mit denen Geſetzen uͤbereinſtimmt, und daher entweder uͤberall recht und billig iſt, oder doch wenigſtens denen Buͤrgern ei - nes gewißen Staats nuͤtzlich iſt. Hierher gehoͤren die Worte Pauli in L. 11. D. h. t. Ius pluribus mo - dis dicitur. Vno modo, cum id, quod ſemper ac - quum ac bonum eſt, ivs dicitur: ut eſt ius natur ale. Altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque civitate utile eſt: ut eſt ius civile. In eben dieſem Verſtande ſagt man ferner, es ſey etwas Rech - tens: z. B. es iſt iuris, daß der Verkaͤufer dem Kaͤu - fer die Gewaͤhr leiſte.

3) Wird ius fuͤr ein nach denen Geſetzen zuſte - hendes Vermoͤgen etwas zu thun genommen. Hier nennt man es eine Befugnis, ein Recht, eine Ge - rechtigkeit, z. B. ius teſtandi, ius utendi fruendi,A 3ius4)ſervat. iuris Lib. II. c. 13. Henr. Io. arnzenius in Miſcellaneor. libro c. 13. p. 137. ganz unrichtig iſt dieſe Erklaͤrung zwar nicht, allein ſie erſchoͤpft den Sinn doch nicht ganz, wie ich an einem andern Ort gezeigt ha - be. S. Opuſcula iuridica. Faſcic. I. p. 172.61. Buch. 1. Tit. ius poſſeſſionis, ius pignoris, ius ſervitutis. In dieſer Bedeutung kommt das Wort ius auch in der Definition von der Iuſtitia vor, welche Ulpian nach L. 10. D. h. t. in einer conſtanti et perpetua vo - luntate, ius ſuum cuique tribuendi ſetzt, d. i. in den feſten und unveraͤnderlichen Willen, einem jeden dasje - nige zu geben und zu laſſen, was ihm nach den Geſetzen gehoͤrt. Inſofern nun ius ein geſetzmaͤſſiges Vermoͤgen zu handeln anzeigt, wird demſelben das Wort iniuria entgegengeſetzt, und darunter im weitlaͤuftigen Verſtande eine jede unerlaubte widerrechtliche Handlung verſtan - den. L. 5. §. 1. D. ad Leg. Aquil.

4) Nimmt man es fuͤr die moraliſche Eigenſchaft eines Menſchen, von welcher Rechte und Verbindlichkei - ten abhangen. Hierher gehoͤrt, wenn Marcian in L. 12. D. h. t. ſagt: nonnunquam ius etiam pro neceſſitudine dicimus: veluti eſt mihi ius cognationis vel adfinitatis. van der muelen hat dieſe Stelle am beſten erklaͤrt: Per ius hic intelligimus, ſagt er in dem oben angefuͤhrten Commentar p. 321. illam perſona - lem qualitatem, quam inter homines ſive ius natu - rae ſive civile in ſtatu vel naturali vel civili viven - tes introduxit; cuiusmodi qualitas, quia ex iure di - manat, iuridica appellari poteſt, qua efficitur, ut alter ad alterum certam quandam habeat relatio - nem; adeoque qualitas illa reſpicit hominis ſtatum cum relatione ad ſtatum alterius; quamobrem nec a ratione alienum, ut iuris vocabulum aliquando etiam pro neceſſitudine, ſive coniunctionis vinculo, benevolentiae vel propinquitatis vi contracto, L. 5. §. 1. D. quib. ex caus. in poſſ. eat, dicamus. Denn die Verwandſchaft iſt eine moraliſche Eigenſchaft und Verhaͤltniß gewiſſer Perſonen gegen einander, von wel -cher7de Iuſtitia et Iurecher beſondere Rechte und Verbindlichkeiten abhangen. Eben dieſe Bedeutung liegt zum Grunde, wenn die Menſchen in homines ſui iuris, und homines alieni iu - ris eingetheilt werden. Denn homines ſui iuris ſind, wie Gebauer in Diſſ. de iuſtitia et iure §. IX. ſagt, perſonae hac qualitate praeditae, ut in ſe vel alios poteſtate gaudcant, eoque ipſo multa iuſte habeant faciantque, quae negata iis, qui ſub poteſtate alte - rius, adeoque iuris alieni ſunt. Jedoch heißt ius in dieſer Eintheilung auch ſoviel als die Gewalt, der jemand unterworfen iſt, princ. I. de his, qui ſui vel alieni iuris ſunt, und L. 43. D. de obligat. et act. Wenn Perſonen, ſo weder der Gewalt eines Vaters noch eines Herrn unterworffen, unter keiner Auf - ſicht ſtehen, und alſo weder einen Tutor noch Cu - rator haben, ſo ſagen die Geſetze von ihnen, neutro iure tenentur. Princip. I. de tutelis.

5) Auch die Eigenſchaften einer Sache nennen die Geſetze iura, dieſe beſondere Bedeutung hat Celſus in L. 86. D. de V. S. angemerkt, wo er ſagt: Quid aliud ſunt iura praediorum, quam praedia qualiter ſe habentia, ut bonitas, ſalubritas, amplitado6)goeddeus in Commentar. ad tit. Dig. de verb. Signific. ad h. L. . Hier iſt alſo ius eben ſo viel, als was die Geſetze ſonſt cauſam nennen. L. 67. D. de contrab. emt. vendit. L. 13. §. 1. de acquir. poſſ. Eine gewoͤhnlichere Be - deutung iſt

6) diejenige, da ius einen Inbegrif mehrerer Ge - ſetze, beſonders ſolcher, welche von einerley Art ſind, anzeigt. z. B. Ius Romanum.

7) Wird das Wort ius auch fuͤr den Ort genom - men, wo Recht geſprochen wird. So kommt es in denA 4Rubri -81. Buch. 1. Tit. Rubriken der Titul in den Pandekten de in ius vocan - do, ferner de interrogationibus in iure faciendis vor. Hier heißt ius ſoviel als Tribunal des Praͤtors, L. 4. §. 1. D. de interr. in iure: und in dieſer Bedeutung unterſchied man ius und iudicium ſorgfaͤltig von einan - der, Cicero de Orat. Lib. I. c. 11. und Plautus Act. IV. Sc. 2. v. 18. indem man iudicium denjenigen Ort nannte, wo der denen Partheyen nach der Roͤmiſchen Proceßform beſtellte Judex pedaneus ſaß, und das ſtreitige Factum unterſuchte; denn dieſer ſaß nicht pro Tribunali, ſondern ad Praetoris pedes in ſubſelliis. Daher wa - ren bey den Roͤmern die Handlungen vor Gericht zwie - fach, actus in iure, welche beym Praͤtor oder einer an - dern Magiſtratsperſohn des Roͤm. Volks vorgenommen wurden, z. B. ceſſio in iure; und actus in iudicio, die beym iudex pedaneus verrichtet wurden. L. 1. §. 2. D. de poſtul. L. 3. §. 1. D. ne quis eum, qui in ius vocatus etc.

8) Wird unter ius zuweilen auch die Rechts - und Proceßform oder Gerichtsordnung ſelbſt verſtanden. So reſcribiren z B. die Kaiſer Diocletian und Maximian einem gewiſſen Cytichio: in L. 13. C. de rei vindicat. Ordinarii iuris eſt, ut mancipiorum orta quae - ſtione, prius, exhibitis mancipiis, de poſſeſſione iu - dicetur, ac tunc demum proprietatis cauſa ab eo - dem iudice decidatur. Hier heißt ordinarium ius ſoviel als conſueta iuris forma; alſo will das Reſcript ſoviel ſagen: die ordentliche Rechtsform, oder die ge - woͤhnliche Proceßordnung bringt es mit ſich, daß erſt uͤber den Beſitz erkannt, und alsdann die cauſa pro - prietatis entſchieden werde. In dieſer Bedeutung mach - ten die Roͤmer in Anſehung der Art des gerichtlichen Verfahrens einen Unterſchied, ob etwas iuris ordinarii,oder9de Iuſtitia et Iureoder cognitionis ſey. Erſteres hieß, wenn der Praͤtor den Partheyen einen Judex pedaneus beſtellte; und dieß geſchahe gewoͤhnlicher weiſe: cognoſcirte hingegen der Praͤtor ſelbſt, und entſchied den Rechtsſtreit allein, ohne einen Judex pedaneus anzuſtellen: ſo geſchahe dieſes ex - tra iuris ordinem, und hieß cognitio, oder cognitio praetoria. Sueton in Claudio c. 15. Ulpian in L. 178. §. 2. D de V. S. In der letztern Stelle wird geſagt: Fideicommiſſa haͤtten nicht iuris ordinarii executionem, ſondern gehoͤrten ad perſecutiones extra - ordinarias. Den Aufſchluß giebt Ulpian an einem andern Ort Fragm. Tit. XXV. §. 12. Fideicommiſſa non per formulam petuntur, ut legata; ſed cogni - tio eſt Romae quidem Conſulum, aut Praetoris, qui fideicommiſſarius vocatur, in provinciis vero Praeſi - dum provinciarum7)Siehe Ge. Chriſt. gebaueri Commentat. acad. de iu - risdictione ſec. doctr. Rom. (edit. ſec. Lipſiae 1733.) Cap. I. §. XI.

9) Zeigt ius auch bisweilen die Sentenz oder den Ausſpruch eines Richters an, z. B. ius reddere, ius di - cere, einen rechtlichen Ausſpruch thun, wodurch ein Pro - ceß entſchieden wird. Praetor quoque ius reddere di - citur, ſagt daher Paulus in L. 11. h. t. etiam cum inique decernit. Es wurden jedoch jene Aus - druͤcke nur eigentlich vom Praͤtor und ſolchen Roͤm. Ma - giſtratsperſonen gebraucht, denen vermoͤge ihres Amts eine Gerichtsbarkeit zuſtand, denn vom Judex pedaneus ſagte man iudicare8)brissonius de Verbor. Signif. h. v. adde L. 1. C. ubi de cauſ. Status. L. 2. §. 13. D. de O. I. L. 7. D. de off. Proconſ. L. 3. D. de off. eius, cui mand. eſt iurisd. bisweilen haben jedoch die Roͤm. Juriſten dieſen Unterſchied vernachlaͤßiget, v. finestres in Hermogeniano T. I. p. 327..

A 510) Heißt101. Buch. 1. Tit.

10) Heißt ius auch oͤfters ſoviel als die geſetzlich beſtimmte Teſtamentsform. Bekannt ſind die Re - densarten: teſtamentum iure factum, et non iure fa - ctum, ein Teſtament, welches die geſetzliche Form hat, oder nicht hat, L. 5. §. 1. und L. 24. D. de his, quae ut indignis. In eben dieſen Geſetzſtellen kommt auch der Ausdruck de iure diſputare vor, welcher von demjenigen gebraucht wird, der zwar zugiebt, daß das Teſtament den wirklich erklaͤrten Willen des Erblaſſers enthalte, aber doch ſolches aus dem Grund anficht, weil es mit einem Mangel in Anſehung der rechtlichen Form behaftet ſey, und mithin den Rechten nach nicht beſte - hen koͤnne9)Siehe das Geh. Rath Nettelbladts Diſſ. de eo, qui de iure diſputavit haud indigno. Halle 1765. und Herrn Prof. Woltaͤrs Obſervat. iur. civ. et Brandenb. Faſc. I. (Halle 1777.) Obſ. 26. p. 218 ſqq. . Ferner iſt

11) Ius ſoviel als der Titul, wodurch ein ding - liches Recht erworben werden kann. L. 10. D. ſi ſervit. vindicetur.

12) Nimmt man ius auch fuͤr Rechtsgelehrſamkeit, in dieſer Bedeutung nimmt es Celſus beym Ulpian in der oben angefuͤhrten L. 1. h. t. und eben ſo wird es auch in der Rubrik dieſes erſten Tituls genommen.

13) Oft wird in unſern Geſetzen geſagt, daß et - was geſchehe, entſtehe, oder gelte ipſo iure, und wird demjenigen entgegengeſetzt, was iure praetorio, oder per praetoris tuitionem geſchiehet. Siehe L. 1. §. ult. D. de ſuperfic. L. 1. §. 5. D. quod falſo tutore. L. 1. D. quib. mod. uſusfr. amitt. L. 9. §. 1. D. uſusfr. quem cav. In dieſen Stellen heißt ius ſoviel als ius civile, und die Redensart, ipſo iure fit ſoviel als hoc totum fit opera et auctoritate iuris civilis, nequeauxilio11de Iuſtitia et Iure. auxilio Praetoris opus eſt; wie Ioſ. averanius in Interpretat. iuris Lib. I. c. 14. n. 24. et 25. die - ſes erklaͤrt hat. Zuletzt ſcheinen noch

14) die alten Roͤmiſchen Juriſten eine ganz eigene Bedeutung mit dem Wort ius verbunden zu haben, wenn ſie ſich oͤfters des Ausdrucks bedienen, daß etwas mehr in facto als in iure beſtehe, oder ſonſt ius und factum einander entgegenſetzen. Wir finden ſolche Re - densarten in verſchiedenen Stellen unſerer Pandecten, wovon ich einige als Beiſpiele anfuͤhren will. Wenn Herennius Modeſtinus in L. 10. D. de capite mi - nutis, welches Fragment aus dem achten Buch ſeiner Differentiarum genommen iſt, beweiſen will, daß das Vermaͤchtniß der Habitation zwar, wie das Ver - maͤchtniß jaͤhrlicher oder monatlicher Einkuͤnfte, mit dem Tode des Legatars ſich endige, aber keines derſelben durch etwa erlittene Kapitisdeminution des Legatars ver - lohren werde, ſondern, derſelben ohngeachtet, noch im - mer fortdauere, ſo fuͤhrt er den Grund an: quia tale legatum in facto potius, quam in iure, conſiſtit. Paulus L. 27. §. 2. D. de pactis: drukt ſich faſt auf die nehmliche Art aus: In ſtipulationibus ius con - tinetur, in pactis factum verſatur. So ſagt ferner Ulpian L. 41. D. de peculio: Nec ſervus quicquam debere poteſt, nec ſervo poteſt deberi. Sed cum eo verbo abutimur, factum magis demonſtramus, quam ad ius civile referimus obligationem. Man findet in denen Roͤmiſchen Geſetzbuͤchern noch mehrere Stellen, in welchen ius und factum einander entgegen. geſetzet werden. Vergleiche L. 48. §. 1. D. de acquir. rer. dominio, L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. u. a. m. Es fraͤgt ſich alſo, in was fuͤr einer Bedeu - tung das Wort ius in dieſen Stellen der Pandecten vondenen121. B. 1. Tit. denen Roͤmiſchen Rechtsgelehrten genommen werde? Die gewoͤhnliche Erklaͤrung iſt, daß ius daſelbſt ſoviel als Civilrecht, factum aber natuͤrliches Recht, natuͤrliche Verbindlichkeit heiſſe9)S. Ger. noodt de pactis et transact. c. 8. Tom. I. Oper. p. 501. Gregor. maiansius in diſputat. iuris. Tom I. Disp. XVIII. §. 9. p. 319. Io. van nispen in Ex - ercit. ad Fragmenta, quae in Digeſtis ex Herennii Modeſtini IX. libris Differentiar. ſuperſunt; in oelrich Theſ. Diſſert. Belgicar. Vol. I. T. I. N. I. rossmann Abh. Warum die Habitation viel - mehr in facto als iure beſtehe? in den Erlang. gelehrt. Anzeigen auf das J. 1751. N. XXXIII. Ich kann nicht umhin, die Worte eines unſerer heutigen eleganten Civiliſten10)Ich meyne den verehrungswuͤrdigen Herrn Hofr. Gmelin zu Tuͤbingen, deſſen Abhandl. von der eigentlichen Beſchaffenheit der Habitation nach dem roͤm. Rechtsſyſtem, ſich in den gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobach - tungen und Rechtsfaͤllen Dritt. Band N. VII. S. 78. f. befindet; ſiehe beſonders §. 57. ſelbſt hier anzufuͤhren: Die alten Roͤmiſchen Juriſten hatten, ſagt derſelbe, wenn ſie von Rechten und Verbindlichkeiten re - deten, ihre eigne Sprache, die aus der ſeientiviſchen Behandlung derſelben entſtanden iſt. Sie beobachteten zwo Hauptgattungen von Rechten und Verbindlichkeiten. Einige, welche die vor ihnen liegende Geſetze dafuͤr er - kannt, modificirt und beſtimmt hatten, und andere, de - nen dieſelben keine beſtimmte Form gegeben, ſie uͤber - haupt nicht in ihren Schuz genommen, und fuͤr Rechte und Verbindlichkeiten anerkannt haben. Jene waren al - ſo in den Geſetzen gegruͤndet, dieſe hingegen nicht. Da - her ſagten ſie von den letztern, daß ſie mehr in facto beſtehen, weil man dabey auf kein poſitives Geſetz, ſon - dern hauptſaͤchlich auf das Factum, als die unmittelbare Quelle derſelben und die beſonders dabei vorgefalleneUmſtaͤn -13de Iuſtitia et Iure. Umſtaͤnde Ruͤckſicht nehmen muſte, um ihren Umpfang beſtimmen zu koͤnnen. Auch heiſſen ſie iura naturalia, obligationes naturales; Rechte nehmlich, denen kein roͤmiſches Geſetz, ſondern allein das natuͤrliche Recht die Conſiſtenz und Form gegeben hat, und die, wenn ſie durch die Geſetze nicht aufgehoben oder entkraͤftet waren, auch im Roͤmiſchen Staat ihre Eigenſchaften beybehalten haben11)L. 8 D. de cap. minut. . Jeder Menſch iſt derſelben faͤ - hig, er ſey in der Sclaverey oder Freyheit: jene aber ſetzen gewiſſe perſoͤnliche Verhaͤltniſſe bey ihren Subje - cten voraus, und nicht alle Menſchen haben die Recepti - vitaͤt dazu.

Die Anwendung auf obige Geſetzſtellen iſt nun folgende: Der Uſusfructus und Uſus, ſo heißt es wei - ter12)S. Gmelin a. a. O. §. 59. S. 93. folg., um den Modeſtin zu erklaͤren, hatten ihre Form durch die Geſetze erhalten, waren daher Rechte in der eigentlichen Bedeutung, und beſtanden alſo einzig und allein in iure. Die Habitation hingegen war kein ſolches Geſchoͤpf der Geſetze, nicht durch die Geſetze anerkannt und in eine beſtimmte Form gebracht, ſondern ein Reſultat von Vertraͤgen und letzten Willen. Sie ſelbſt konnte zwar ein Gegenſtand eines Rechts ſeyn, aber war ſelbſt kein Recht, nach dem Sinn und der Sprache des Rechtsgelehrten. Oder ſie war vielmehr ein natuͤrliches und nur kein geſetzliches Recht, und beſtand alſo, wie Modeſtin ſagt, mehr in facto als iure. Die aͤltern Geſetze hatten ſich ihrer gar nicht angenommen. Daher entſtanden die mancherley Mei - nungen unter den Roͤm. Rechtsgelehrten uͤber das We - ſen derſelben, weil die Geſetze davon ganz ſtille ſchwei - gen, und ſie aus den vorliegenden Vertraͤgen und letz -ten141. Buch. 1. Tit. ten Willen einzig und allein beſtimmt werden muſte13)Daß die roͤmiſchen Juriſten hieruͤber mit einander unei - nig geweſen, laͤſſet ſich aus den §. 5. I. de uſu et habitat. und L. 13. C. de uſufr. erkennen.. Hieraus laſſe ſich nun begreifen, warum die Habitation durch die Kapitisdeminution nicht aufgehoben worden14)L. 10. pr. D. de uſu et hab. Beym Uſufructu war es anders, dieſer gieng durch erlittene Kapitisdeminution verlohren. paulus lib. III. Sentent. Recept. tit. 6. §. 29. Daher war es eine Cautel der Roͤmiſchen Teſtatoren, den Uſusfructus entweder unter der Formel: Titio uſumfru - ctum fundi lego; et quotiensque capite minutus erit, eun - dem uſumfructum ei do lego, welche wir beym Gajus in L. 8. D. de annuis legat. finden; oder ſelbigen den Lega - tarius ausdruͤcklich auf ſeine ganze Lebenszeit zu vermachen, L. 3. pr. D. quib. mod. uſufr. oder Tag - Monath - oder Jahrweiſe (in ſingulos dies, menſes, annosve) zu legiren. L. 2. §. 1. D. quib. mod. uſufr. amitt. Auf ſolche Art wurde das Legat vervielfaͤltiget; und der Legatar war nun auf jeden Unfall gedeckt. Gieng daher auch das Legat fuͤr ein oder mehrere Jahre wegen erlittener Kapitisdeminu - tion des Legatars verlohren, ſo konnte er doch, ſobald die Urſach des Verluſts gehoben, fuͤr die kuͤnftige Zeit gleich - ſam aus einem neuen Vermaͤchtniß (ex repetitione) die Nutznieſſung behaupten, weil auf jeden Fall einer etwa erlittenen Kapitisdeminution, auf jedes einzelne Lebensjahr des Legatarius, ja auf ieden Monath, oder Tag demſel - ben gleichſam ein beſonderer und wiederholter Uſusfructus vermacht worden, welchen derſelbe nach jeder erlittenen Veraͤnderung immer wieder von neuen anfangen konnte. v. L. 3. § 1. L. 5. D. quib. mod. uſusfr. amit. L. 3. §. 2. D. Uſufr. quemadm. cav. L. 23. D. de uſu et uſufr. . Denn die Kapitisdeminution vertilge zwar geſetzliche Rechte, aber da ſie auf den natuͤrlichen Zuſtand des Buͤrgers gar keine Beziehung hatte, ſo ließ ſie die na - tuͤrliche Rechte unangetaſtet15)L. 8. D. de cap. minut. Eas obligationes, quae naturalempraeſta -.

Der15de Iuſtitia et Iure.

Der andern Stelle, nehmlich des Paulus, wird hiernaͤchſt folgender Sinn beygelegt16)Gmelin a. a. O. §. 58.: Stipulationen, als Contracte, ſind die Quelle geſetzlicher und eigentli - cher Rechte und Verbindlichkeiten; (in ſtipulationibus ius continetur) ſimple Vertraͤge hingegen erzeugen blos natuͤrliche Verbindlichkeiten, welche, wenn ſie in das Licht der Roͤmiſchen Geſetzgebung geſtellet werden, ver - ſchwinden. Daher koͤmmt dabey nur das Facrum oder der Vertrag ſelbſt in Betrachtung (in pactis factum verſatur)17)charondas in Veriſimil. Lib. I. c. 4. n. 2. hat dieſes Fragment eben ſo ausgelegt. S. ottonis Theſ. Iur. Rom. T. 1. p. 692.. Oder, wie ſich ein neuerer Schriftſtel - ler18S. Sammlung der roͤm. Geſeze auf Befehl Kr. Juſtinians verfertiget, ins Teutſche mit erlaͤuternden Anmerkungen uͤberſetzt. 1. Theil Pandekten. Frankf. u. Leipz. 1785. S. 54. Anmerk. d. ausdruckt: die Stipulationen ſind ſchon nach den Civilgeſetzen guͤltig, den pactis aber ſind nur vom Praͤ - tor, der natuͤrlichen Billigkeit wegen, einige Wirkungen beygelegt worden. Die pacta werden als etwas blos factiſches angeſehen, das eigentliche Recht nimmt ſie gar nicht an.

Eben ſo erklaͤrt man die obige Stelle Ulpians19)L. 41. D. de pecutio. . Der Knecht, welcher nach dem Roͤmiſchen Recht gar keine Perſon hatte, ſondern als bloſe Sache, die zum Vermoͤgen des Privatmannes gehoͤrte, behandelt wur - de, war keiner Rechte und Verbindlichkeiten, das iſt, ſolcher, die das Geſetz dafuͤr anerkannt hatte, faͤhig. Dero -15)pracſtationem habere intelliguntur, palam et capitis de - minutione non perire; quia civilis ratio naturalia iura corrumpere non poteſt. 161. Buch. 1. Tit. Derowegen ſagt Ulpian: nec ſervus quidquam de - bere poteſt, nec ſervo poteſt deberi. Als Menſch hingegen konnte er unſtreitig Rechte und Verbindlichkei - ten haben. Aber nach der Sprache der Juriſten waren ſie’s nicht in der eigentlichen Bedeutung, weil das Ge - ſetz ſie nicht dafuͤr erkannte, und der Name der Ver - bindlichkeit hatte hier mehr ſeine Beziehung auf das Factum der Convention, als die Eigenſchaften einer geſetzlichen Verbindlichkeit20)Gmelin a. a. O. und §. 58..

Ich bin weit entfernt, dieſe Geſetzerklaͤrungen als unrichtig zu verwerfen, gebe vielmehr zu, daß, wenn man ius fuͤr ein, durch die Civilgeſetze gebildetes und anerkanntes Recht, und factum fuͤr natuͤrliches Recht, oder natuͤrliche Verbindlichkeit nimmt, ſich manche dieſer Stellen vortreflich erklaͤren laſſen; ob aber dieſe Bedeu - tung bey allen oben angefuͤhrten Geſetzſtellen deßwegen nothwendig zum Grunde gelegt werden muͤſſe, zweifle ich doch ſehr; ich glaube vielmehr, daß manche derſelben weit natuͤrlicher interpretirt werden koͤnne, wenn wir die oben nr. 1. angefuͤhrte Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen, und das Wort factum in ſeiner eigentlichen Be - deutung nehmen. Bey der L. 48. §. 1. D. de acquir. rer. dom. und L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. iſt dieſes ganz offenbar. Ich glaube aber auch, daß ſich dieſes von L. 27 §. 2. D. de pactis ebenfalls behaup - ten laſſe. Paulus, aus deſſen dritten Buch uͤber das Ediet dieſes Fragment genommen iſt, ſagt daſelbſt: Wenn einer, der die Schuld erlaſſen hat, (pactus, ne peteret,) dieſelbe ſich durch einen zweiten Vertrag wieder - herſtellen laſſen (poſtea convenit, ut peteret), ſo wird das erſte pactum durch das zweite aufgehoben; jedoch nicht ipſo iure, wie eine Stipulation, wenn die Par -theyen17de Iuſtitia et Iure. theyen wollen, (ſi hoc actum eſt) durch eine andere aufgehoben wird; (welche nehmlich in der Abſicht, eine Novation vorzunehmen, geſchloſſen worden) warum? quia in ſtipulationibus, ſagt Paulus, ius contine - tur, in pactis factum verſatur: der exceptioni pacti, ſezt daher der Juriſt hinzu, muͤſſe in dem angezeigten Fall durch eine Replik begegnet werden (replicatione exceptio elidetur). Wenn wir ſo dieſe Geſezſtelle in ihrem Zuſammenhange betrachten, ſo ergiebt ſich, wie auch ſchon Hugo Donellus21)in Commentar. de iure civ. Lib. XXIV. c. 2. richtig bemerkt hat, daß hier von den gerichtlichen Wirtungen der Stipulationen und Vertraͤge die Rede iſt, und beſonders auf die Art und Weiſe gezielet wird, wie ſie bey den Roͤmern vor Gericht vorgeſchuͤzt werden muſten oder konnten, um da - durch eine Befreyung oder Erneurung einer Verbindlich - keit zu bewirken. Mich duͤnkt daher diejenige Erklaͤrung weit natuͤrlicher zu ſeyn, wenn wir jene Worte, die den Entſcheidungsgrund enthalten, ſo auslegen; weil Stipu - lationen ipſo iure und vermoͤge Verordnung der Civil - geſetze wirken, ohne daß hierzu ein neues factum per - ſonae erfordert wird; pacta aber ehender nicht, als wenn man die deshalb von Praͤtor ertheilte Exceprion oder Replic in Gerichten vorſchuͤtzt, alſo ein factum unter - nimmt22)So erklaͤret dieſe Stelle auch Nic. Chriſtoph. L. B. de lynker in praeſcript. publicis ad textus quos - dam iuris ſelect. (Viennae 1723. 8.) Praeſcript. XXI. p. 166.. Nach der Roͤm. Proceßordnung muſte da - her die exceptio pacti ſogleich bey der Litis-Conteſta - tion der Klage entgegen geſetzet werden, damit ſie der Praͤtor der formulae iudicii, die er dem iudici peda - neo vorſchrieb, einverleiben konnte. War ich hingegendurchGluͤcks Erlaͤut, d. Pand. 1. Th. B181. Buch. 1. Tit. durch eine Stipulation von meiner Verbindlichkeit frey geworden, ſo war es genug, wenn ich nur bey der Litis - Conteſtation dem Klaͤger ſagte, me dare non oportere, die weitere An - und Ausfuͤhrung meiner Einrede, daß eine Novation vorgegangen ſey, brauchte erſt beym Ju - dex Pedaneus zu geſchehen23)Vergleiche Hugo Donellus a. a. O. pag. 1282.. Was endlich die Stel - le des Herenmus Modeſtinus anbetrift, ſo duͤrfte es wohl noch vielen Zweifeln unterworfen ſeyn, ob unter dem facto natuͤrliches Recht zu verſtehen. Denn Modeſtin ſagt nicht, daß die Habitation mehr in facto als in iure beſtehe, ſondern er handelt von dem Vermaͤcht - nis der Habitation, und ſetzt es mit dem Legato annuo und menſtruo in ſoweit in eine Klaſſe, daß das eine ſo wenig als das andere durch die Kapitis Demi - nution gaͤnzlich aufgehoben werde. So wenig alſo ein legatum in annos ſingulos vel menſes ſingulos reli - ctum fuͤr ein natuͤrliches Recht anzuſehen, ſo gewiß iſt es auch wohl, daß das Legat der Habitation ſeine gan - ze Form und Kraft durch die Civilgeſetze erhalten, und auch daraus allein zu beurtheilen ſey. Ohnſtreitig hat unter allen Interpreten der beruͤhmte Herr geh. Juſtiz R. Boͤhmer24)Siehe Deſſelben elegante Obſervationem ad ſen - tentiam Modeſtini in L. 10. D. de capite minut. Gott. 1778. Auf eine aͤhnliche Art erklaͤrt dieſe Stelle auch donellus in Comment de iure civili Lib. X. cap. 21. den Modeſtinus am richtigſten erklaͤrt, wenn er ſagt:25)in der angefuͤhrten Schrift §. X. p. 13. ſane vix idoneus nexus rationis cum ipſa deciſione intelligitur, niſi legatum, de quo agit Modeſtinus, ratione acquiſitionis et conſtitutionis, ob huius nexum cum amiſſione, in facto potius quam in iure conſiſtere dicatur hoc ſenſu, quod non ipſoiure,19de Iuſtitia et Iure. iure, ſed praevio eo facto, in quo legatum conſiſtit, conſtituatur. Non enim ſemel, ſed iterum iterum - que eodem facto continuo utrumque legatum conſti - tuitur, perinde ut uſusfructus repetitus quotidie con - ſtitui dicitur26)L. 1. §. 3. in fin. D. de uſufr. accreſc. . Modeſtin nimmt alſo das Wort ius hier ebenfals in der oben angegebenen erſtern Be - deutung, und will ſoviel ſagen: darum gehe das Legat der Habitation durch etwa erfolgte Capitisdeminution des Legatars nicht ſchlechterdings verlohren, weil ein dergleichen Legat die beſondere Eigenſchaft habe, quod eius dies poſt aditam hereditatem non ſimpliciter ce - dat ipſo iure, ſed per factum demum habitationis, et ex eo tempore, quo legatarius habitare incipit, id - que ideo nec ſemel cedat, ſed ſaepius. Man ſie - het dies aus der Vergleichung, welche Modeſtin zwi - ſchen dieſem Legat der Habitation und einem legato an - nuo vel menſtruo anſtellet, welches bekanntermaßen nicht ein einziges, ſondern ein vielfaches, und zwar ein ſo viel jaͤhriges oder ſoviel Monathliches Legat iſt, als der Legatar erlebt. So wie nun alſo dieſes Legat, wenn der Legatartus etwa eine Capitisdeminution erleidet, nur fuͤr die verfloßene Zeit, da derſelbe unfaͤhig geweſen, das Legat zu genieſſen, nicht aber fuͤr die kuͤnftige ver - lohren gehet, vielmehr, ſobald das Hinderniß gehoben, gleichſam von neuen wieder anfaͤngt, und ſeinen Fort - gang hat27)L. 1. pr. D. Quando dies uſusfr. legati cedat. , quia ſingulis annis menſibusve veluti renaſcitur; ſo verhalte ſich’s nun eben ſo auch mit dem Vermaͤchtniß der Habitation28)Marcellus ſagt zwar in L. 15. pr. D de uſufr. legat. legatum habitationis unum videtur legatum eſſe. Allein der Juriſt redet hier von einem ſolchen legato habitatio -nis. Ich werde dieſe Er -B 2klaͤrung201. Buch. 1. Tit. klaͤrung am gehoͤrigen Ort Lib. VII. Tit. 4. §. 642. mit den noͤthigen Beweißen unterſtuͤtzen29)Von denen mancherley Bedeutungen des Worts ius ha - ben uͤbrigens G. Chr. gebauer in Diſſ. de iuſtitia et iure Gött. 1738. rec. 1777. §. VI. ſqq. Georg. Chriſtoph. neller in Principiis iuris, de iure, quod tribuit Iuſtitia, und in der Abhandlung de bono, aequo et iuſto in Opuſc. T. I. P. I. N. 3. et 4. desgleichen Ier. Eb. linck in Diſſ. de iure va - riisque eius ſignificationibus. Argent. 1741. obgleich alle nicht vollſtaͤndig, gehandelt..

§. 2.

Begrif, Eintheilung und Quellen der Verbindlichkeit. Er - klaͤrung des pr. I. de obligat. und der L. 1. D. de obligat. et action.

Wo ein Recht iſt, da iſt auch eine Verbind - lichkeit vorhanden, demſelben gemaͤß zu handeln. (luri reſpondet obligatio). Dieſes kann auf zweierley Art verſtanden werden. Einmal, wenn man das Wort ius fuͤr Geſetz nimmt, ſo heißt es ſoviel: wo ein Geſetz iſt, da iſt auch eine Verbindlichkeit, ſeine Handlungen nach der Vorſchrift deſſelben einzurichten. Zum andern,wenn28)nis, quod per formulam damnationis relictum eſt: z. B. Damnas eſto heres, Titium ſinere in illa domo habita - re, quoad vivet. Ein ſolches Legat war freylich ſeiner Natur nach nur ein einiges, nehmlich in Anſehung des Erben, welchem der Teſtator die Verbindlichkeit auferlegt hatte, den Legatarius in dem beſtimmten Hauſe wohnen zu laſſen. Dieſe Verbindlichkeit iſt nur eine einzige, und der Erbe hat derſelben ein Genuͤge gethan, ſo bald er nach angetretener Erbſchaft dem Legatar die Wohnung ein - geraͤumt hat. Nur auf Seiten des Legatars iſt das Ver - maͤchtniß der Habitation mehrfach. S. Boͤhmer a. a. O. §. VII. 21de Iuſtitia et Iure. wenn man unter ius ein nach den Geſetzen zuſtehendes Vermoͤgen etwas zu thun verſtehet, ſo hat jener Grund - ſatz den Verſtand: Wenn die Geſetze jemanden ein Recht ertheilen, ſo verpflichten ſie ſeine Mitbuͤrger, die Aus - uͤbung deſſelben geſchehen zu laſſen. Denn niemand darf den andern in ſeinem Recht kraͤnken, oder ihn an deſſen Ausuͤbung hindern.

Was iſt nun aber Verbindlichkeit? Der Be - grif, den wir in dem Roͤmiſchen Geſetzbuche (pr. I. de obligat. ) davon finden, iſt folgender: obligatio eſt iu - ris vinculum, quo neceſſitate adſtringimur, alicuius rei ſolvendae, ſecundum noſtrae civitatis iura. Es iſt ganz offenbar, daß Juſtinian keinen allgemeinen Begrif gegeben, ſondern eine ſolche Verbindlichkeit de - finirt hat, die buͤrgerlich wirkſam iſt, und aus welcher nach Roͤmiſchen Rechten eine Klage gegen den Schuld - ner erhoben werden konnte. Dies zeigen die Worte ſecundum noſtrae civitatis iura unter andern ſehr deut - lich an; es ſcheint dies auch der recht eigentliche Begrif der Obligation im Sinn des Roͤm. Civilrechts zu ſeyn, wenigſtens kann man ſich’s nun erklaͤren, wenn Julian in L. 16. § 4. D. de fideiuſſor. ſagt, eine natuͤrliche Verbindlichkeit, die keine Klage wirkt, ſey nur uneigent - lich und per abuſionem eine obligatio zu nennen; ja wie lebhaft ſich die Roͤmiſchen Juriſten uͤberzeugt ha - ben muͤſſen, daß nur eine vollkommene Verbindlichkeit, auf deren Erfuͤllung mit Beyſtand der Rechte geklagt werden kann, den Namen einer Obligation verdiene, laͤſſet ſich weiter daraus erkennen, wenn in L. 7. §. 4. D. de pactis geſagt wird, ein ſogenanntes pactum nu - dum wirke keine Verbindlichkeit, (d. i. kein Recht zu klagen) ſondern nur eine Exception; und derjenige nur ſey fuͤr einen Schuldner zu halten, a quo invito exigiB 3pe -221. Buch. 1. Tit. pecunia poteſt. L. 108. D. de V. S. Das Wort ſolvere wird uͤbrigens in der Definition der Obligation im weitlaͤuftigen Verſtande genommen, und begreift dare, facere, praeſtare id, quod debeas, unter ſich, L. 3. D. de O. et A. Siehe auch L. 176. D. de V. S. Der Zuſatz ſecundum noſtrae civitatis iura enthaͤlt eine Modification des rechtlichen Bandes, ſo durch die Obligation geknuͤpft wird, und will, wie Hugo Donellus30)in Commentar. de iure civ. Lib. XII. c. 1. dieſe Worte erklaͤrt, ſoviel ſagen: ad - ſtringimur vero non quibuslibet modis, non ut cui - que viſum eſt, non ut quis quid vi, aut turpiter promiſit; ſed ut ſunt adſtringendi cauſae ſecundum noſtrae ciuitatis iura. Iura civitatis Romanae zeigen zwar vorzuͤglich die mancherley Gattungen des poſi - tiven Roͤmiſchen Rechts an, und geben nicht undeutlich zu erkennen, daß es nicht genug ſey, wenn zwar die Ver - bindlichkeit vom Civilrecht anerkannt, vom Praͤtor aber entkraͤftet worden; denn nur eine buͤrgerlich wuͤrkſame Verbindlichkeit, die kein Geſetz entkraͤftet, verdient nach jenem Roͤm. Begrif den eigentlichen Nahmen Obli - gatio31)Man ſehe Ian. a costa ad h. pr. I. de obligat. und Ern. tentzel de definitione legali obli - gationis Erf. 1737.; inzwiſchen iſt das natuͤrliche Recht (ius gen - tium) nicht auszuſchlieſſen. Nam Populus Romanus, ſagt Juſtiman §. 1. fin. I. de iure nat. gent. et civ. partim ſuo proprio, partim communi omnium ho - minum iure utitur. Nach Juſtinians Begrif waͤre alſo Obligatio die von den buͤrgerlichen Geſetzen als wuͤrkſam anerkannte moraliſche Nothwendigkeit, jeman - den ein gewiſſes beſtimmtes Object zu leiſten32)In einer noch eingeſchraͤnktern Bedeutung wird Obliga - tio in unſern Geſetzen auch fuͤr Verpfaͤndung genom -men;; und ſollalſo23de Iuſtitia et Iure. alſo nicht jede allgemeine Pflicht, z. E. keinem andern etwas von dem Seinigen zu entziehen, und uͤberhaupt keine ſtrafbare Handlung zu begehen, darunter verſtan - den ſeyn, ſondern ſie ſezt vielmehr jederzeit eine Per - ſon voraus, welche einer andern zu einem beſtimmten Thun oder Geben verbindlich gemacht worden iſt33)S. Hugo Inſtitutionen des heutigen Roͤm. Rechts (Goͤttingen 1789.) §. 31..

Daß alſo der legale Begrif des Roͤm. Rechts von der Obligation wenigſtens nicht als allgemeiner Be - grif der Verbindlichkeit gelten koͤnne, weil er den Ge - genſtand nach ſeinem ganzen Umfang nicht in ſich faßt, iſt gewiß. Was iſt alſo Verbindlichkeit uͤberhaupt? Ich muß, ehe ich den richtigern Begrif davon uͤber - haupt feſtſetze, vor allen Dingen bemerken, daß man insgemein die Verbindlichkeit aus einem zwiefachen Ge - ſichtspunct zu betrachten pflegt, je nachdem nehmlich dieſelbe entweder Jemanden auferlegt wird, oder dem - ienigen wirklich obliegt, welcher vermoͤge derſelben ver - pflichtet wird. Jenes nennt man die active, dieſes die paſſive Verbindlichkeit, und ſo wie man die erſtere durch connexionem motivi cum actione definirt, ſo ver - ſtehe[t]man im Gegentheil unter der letztern qualitatem moralem paſſivam, qua quis praeſtare aut pati quid tenetur. Man findet dieſe Begriffe beym Wolf, Puffendorf und andern. Allein wenn ſich gleichwohl die Obligation in die active und paſſive eintheilen laͤſſet, wie in der Folge ſich ergeben wird, auch dieſe Eintheilung in dem Syſtem des buͤrgerlichen Rechts nicht unbekannt iſt; denn wem ſollte wohl die bekannteB 4Ein -32)men; L. 1. §. 2. D. de reb. eor. qui ſub tut. Siehe D. Car. Chriſtph. hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T.I. (Tübingae 1788.) §. 670.241. Buch. 1. Tit. Eintheilung der Correalobligation in die active und paſſive hierbey nicht einfallen? ſo ſind doch jene ge - meine Begriffe viel zu wenig brauchbar, da es ihnen nicht nur an gehoͤriger Deutlichkeit, ſondern auch an Richtigkeit ermangelt. Wenn da, wo Motiven an frem - de Handlungen geknuͤpft werden, allemal auch eine Ver - bindlichkeit vorhanden ſeyn ſoll, ſo wird auch der Straſ - ſenraͤuber mir eine Verbindlichkeit auflegen koͤnnen, wenn er mir den Tod drohet, und mich dadurch noͤthigt, ihm das Meinige hinzugeben. Ich weiß wenigſtens nicht, wie man dieſer Folge ausweichen will, denn ſind in dieſem Fall nicht Motive und Handlung connex? Mo - tive koͤnnen zwar die Erfuͤllung desienigen bewirken, was eine ſchon vorhandene Verbindlichkeit uns auflegt; allein der Begrif der Obligation ſelbſt laͤſſet ſich daraus nicht formiren; denn ein anders iſt Verbindlichkeit an ſich; ein anders aͤuſſere Erfuͤllung derſelben, wie auch ſchon von andern laͤngſt bemerket worden34)S. Chriſtoph. Frid. schott de notione obli - gationis. Tübing. 1754. inter eivsdem Diſſert. iur. naturalis. Tom. I. (Erlang. 1784 8.) Diſſ. III. §. 19. und Adolph Dietrich Webers ſyſtematiſche Ent - wickelung der Lehre von der natuͤrl. Verbind - lichkeit 1. Abth. (Schwer. Wismar u. Buͤtzov.) 1784. §. 1.. Der richtige Begrif der Verbindlichkeit iſt alſo vielmehr die - ſer. Sie iſt uͤberhaupt genommen nichts anders, als eine durchs Geſetz jemanden auferlegte Noth - wendigkeit, etwas zu thun oder zu unterlaf - ſen. Wir bemerken dabey folgendes:

Erſtlich: Daß die Verbindlichkeit der Regel nach keine abſolute, ſondern nur eine moraliſche Nothwendig - keit mit ſich fuͤhrt, welche alſo nicht alle Freyheit zu handeln ausſchließt, ſondern unſere freye Handlungen nur unter der Bedingung determinirt, wenn man einUebel25de Iuſtitia et Iure. Uebel vermeiden, oder ein gewiſſes Gut erlangen will. Unter dieſen Umſtaͤnden bleibt mir alſo das Gegentheil deſſen, was meine Verbindlichkeit erheiſcht, nach mei - nen phyſiſchen Kraͤften noch immer moͤglich, obgleich freylich nach der Natur deſſen, was moraliſch noth - wendig35)schott in der angefuͤhrten Diſſert. §. IX. ſagt: mo - raliter neceſſarium eſſe id, cuius oppoſitum ſalvo reſpe - ctu actionum liberarum ad regulam eſt impoſſibile. genennet wird, das Gegentheil nicht ſtatt finden kann, wenn das Verhaͤltniß meiner freyen Hand - lung zu der Regel, wodurch dieſelbe beſtimmt wird, erhalten werden ſoll. Indeſſen kann doch die Verbind - lichkeit unterweilen auch eine abſolute Nothwendigkeit mit ſich fuͤhren. Ein Beyſpiel davon geben die Zwangs - copulationen, welche in einem ſolchen Fall gewoͤhnlich zu ſeyn pflegen, wenn ein Beyſchlaf unter dem Verſprechen der Ehe geſchehen iſt36)Quiſtorp in den Beytraͤgen zur Erlaͤuterung verſchiedener Rechtsmaterien 1. B. 2. St. N. XIII. , ob ſich gleich gegen die Zweck - maͤſigkeit derſelben noch manches nicht ohne Grund er - innern lieſſe37)S. Joh. Jac. Cella von Strafen unehelicher Schwaͤngerungen, beſonders von denen dieß - falls gebraͤuchlichen Zwangskopulationen. Anſpach 1784. 8..

Zweitens: da die Verbindlichkeit eine vom Ge - ſetz auferlegte Nothwendigkeit zu handeln iſt, ſo iſt folglich das Geſetz der wahre Grund aller Verbindlich - keit. Dieſes ertheilt der Verbindlichkeit ſelbſt Da - ſeyn und Weſen, dahingegen die damit verknuͤpften Mo - tiven, nehmlich die Vorſtellungen des Guten und Boͤ - ſen, wodurch wir derſelben gemaͤß zu handeln beſtimmtB 5werden,261. Buch. 1. Tit. werden, nur in ſo weit in Betrachtung kommen, als ſie die Erfuͤllung desjenigen bewuͤrken koͤnnen, was eine ſchon vorhandene Verbindlichkeit uns auflegt.

Drittens: alle Verbindlichkeit ſezt ein beſtimm - tes Subject voraus; dieſes kann zwifach ſeyn, einmal dasjenige, welchem die Verbindlichkeit obliegt, und das vermoͤge derſelben etwas zu leiſten ſchuldig iſt, zweitens dasjenige, welches berechtiget iſt, die Erfuͤllung derſelben von jenem zu fordern. Erſteres wird das Subjectum paſſivum obligationis oder debitor in weitlaͤuftigem Verſtande L. 108. D. de V. S. letzteres aber ſubie - ctum activum obligationis, oder creditor im allge - meinen Verſtande genennt L. 11. D. de V. S. Eine Verbindlichkeit kann alſo ſowohl auf Seiten des Credi - toris, welcher vermoͤge derſelben etwas zu fordern be - rechtiget iſt, als auf Seiten des Debitoris, welcher vermoͤge derſelben etwas zu leiſten ſchuldig iſt, betrach - tet werden. Iſt nun der Creditor das Subject der Verbindlichkeit, ſo wird ſie obligatio activa38)daß ſich vom Creditor active eine Obligation praͤdiciren laſſe, beweißt auch Ulrich Huber in Digreſſionib. Iuſtinian. pag. 318. ſqq. , iſt es aber der Debitor, eine obligatio paſſiva genennt.

Viertens: alle Verbindlichkeit entſpringt aus den Geſetzen. Fraͤgt man nun, wie ſie daraus entſteht, ſo laſſen ſich zwey Faͤlle gedenken, nehmlich eine Verbind - lichkeit entſpringt entweder unmittelbar aus den Geſe - zen, ohne daß derjenige, welchem ſie obliegt, ſich erſt durch eine beſondere Handlung ſolche zugezogen haͤtte, oder ſie entſtehet nicht unmittelbar aus den Geſetzen, ſondern ſetzt eine moraliſche Handlung desjenigen, dem ſie obliegt, zum voraus, welche den naͤchſten Grund ih - rer Wuͤrklichkeit enthaͤlt. Eine Verbindlichkeit der er -ſtern27de Iuſtitia et Iure. ſtern Art nennt man eine unmittelbare, dahin ge - hoͤrt z. B. die Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Scha - dens, welchen ein unvernuͤnftiges Thier ungereizt auf ei - ne bey der Art von Thieren, zu welchen das ſchaͤdliche gehoͤrt, ſonſt nicht gewoͤhnliche Weiſe angerichtet hat (ſi quadrupes pauperiem teciſſe dicatur): denn hier iſt kein factum hominis, geſchweige denn eine Handlung des Beſitzers, welchen die Verbindlichkeit zur Schadens - erſetzung obliegt, vorhanden, die den naͤchſten Entſte - hungsgrund der Verbindlichkeit abgeben koͤnnte; und da nur freye Handlungen als obligatoriſche angeſehen wer - den koͤnnen, ſo verſtehet ſich’s von ſelbſt, daß die Handlung eines unvernuͤnftigen Thieres ohnmoͤglich da - hin gerechnet werden kann. Dieſe Verbindlichkeit ent - ſtehet alſo unmittelbar aus den Geſetzen. Dahin gehoͤrt ferner die Verbindlichkeit eines Beſitzers, demjenigen eine innehabende Sache vorzuzeigen, welchem, um ſeine ver - meintlich daran habende Anſpruͤche geltend machen zu koͤnnen, beſonders daran gelegen iſt, ſelbige zu ſehen (obligatio ad exhibendum). Wenn im Gegentheil nicht die Vorſchrift des Geſetzes unmittelbar, ſondern eine beſondere vom Geſetz beſtimmte moraliſche Handlung desjenigen, dem die Verbindlichkeit obliegen ſoll, den naͤchſten Entſtehungsgrund derſelben ausmacht, ſo wird ſie eine mittelbare Verbindlichkeit genennt39)Es giebt einige Rechtsgelehrten, welche die Eintheilung der Verbindlichkeiten in mittelbare und unmittel - bare ſchlechterdings verwerffen, weil, ihrer Einſicht nach, ohne alles Factum gar keine Verbindlichkeit denkbar ſey. Siehe Dr. Meurers juriſtiſche Abhandlungen und Beobachtungen. 1. Sammlung 1. Aufſatz. Allein L. 52. pr. und §. 5. D. de obl. et act. beweißt dieſe Eintheilung deutlich. Ueberdies kommt es bey dieſer Diſtinction nichtdarauf.

Fuͤnf -281. Buch. 1. Tit.

Fuͤnftens: da eine mittelbare Verbindlichkeit ein factum obligatorium zu ihrer Wuͤrklichkeit erfor - dert, ſo kommt es nun auf die verſchiedenen Arten der Handlung an, um eine richtige und vollſtaͤndige Theo - rie von Entſtehung der Verbindlichkeit bilden zu koͤnnen. Gewoͤhnlich pflegt man in den gemeinen Lehrbuͤchern die facta, woraus Verbindlichkeiten entſpringen, auf zwey Hauptclaſſen zu reduciren. Erlaubte und uner - laubte Handlungen. Erſtere, ſagt man, ſind die Vertraͤge, leztere hingegen die Verbrechen. Da - her die bekannte Regel der Doctorum, welche den Grund aller mittelbaren Verbindlichkeit in ſich faſſen ſoll: omnis obligatio mediata oritur vel ex pacto vel ex delicto. Allein wie unzulaͤnglich dieſe Theorie ſey, und wie wenig ſie dem Syſtem der Roͤm. und heutigen Rechtsgelahrtheit angemeſſen, laͤſſet ſich leicht erweiſen. Der Kaiſer Juſtinian beſtimmt in ſeinen Inſtitutionen (§. ult I. de obligat. ) den Entſte - hungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeiten dahin: ob - ligationes aut ex contractu ſunt, aut quaſi ex con - tractu, aut ex maleficio, aut quaſi ex maleficio. Wo bleiben nun nach der gemeinen Theorie die hier ausdruͤcklich genannte obligationes, quae quaſi ex con - tractu naſcuntur, wovon ein ganzer Titul der Inſti - tutionen handelt (Tit. 28. Lib. III. )? Dieſe entſtehendoch39)darauf an, ob uͤberhaupt ein Factum desjenigen, welchem die Verbindlichkeit obliegt, vorhanden, oder nicht, ſondern ob ſie ihren naͤchſten Grund (cauſam proximam) aus ge - ſetzlicher Dispoſition, oder aus einer moraliſchen Hand - lung desjenigen, dem ſie obliegt, ableite. Setzt man den diſtinctiven Character der unmittelbaren und mittelbaren Verbindlichkeit darinn, ſo iſt die Eintheilung vollkommen gerechtfertiget. S. nettelbladt in Syſtemate elementari iurispr. poſitivae Germanor. commun. generalis. Halae 1781. §. 295. et 296.29de Iuſtitia et Iure. doch gewiß ſo wenig aus Vertraͤgen, als aus Verbre - chen. Wo bleiben ferner die obligationes, quae quaſi ex maleficio ſunt, wovon Tit. 5. Libri IV. Inſtitut. ? Jedermann ſiehet alſo wohl die Unzulaͤnglichkeit jener Regel ein; nun will man der verlornen Sache zwar mit einer Fiction zu helfen ſuchen, mittelſt welcher man diejenigen facta, welche zu keiner von beyden erwaͤhnten Quellen gehoͤren, bald der einen, bald der andern bei - zuzaͤhlen ſich bemuͤhet. Man ſagt nehmlich, wer durch erlaubte Handlungen, die keine Vertraͤge ſind, verbind - lich wird, bey dem fingiren die Geſetze, daß er einen Vertrag geſchloſſen; und wenn aus unerlaubten Hand - lungen, ſo keine eigentliche Verbrechen ſind, eine Ver - bindlichkeit entſtehet: ſo ruͤhrt dieſes daher, weil die Geſetze ein eigentlich nicht vorhandenes Verbrechen als wuͤrklich geſchehen, annehmen. Allein daß dieſe her - beygezogene Fiction ungereimt, und eine in Geſetzen nir - gends gegruͤndete Chimaͤre ſey, wird zu ſeiner Zeit dar - gethan werden. Etwas verſchieden von jener iſt die Theorie des Gajus in L. 1. D. de obligat et action. Obligationes aut ex contractu ſunt, aut ex ma - leficio, aut proprio quodam iure ex variis cauſarum figuris. Hier wird, auſſer den Verbind - lichkeiten, welche aus einem Contract oder Verbrechen herruͤhren, als einer dritten Gattung, annoch ſolcher gedacht, welche proprio quodam iure ex variis cauſa - rum figuris entſtehen. Dieſe letztere Gattung ſoll alle die Verbindlichkeiten in ſich faſſen, wozu weder Con - tract, noch Verbrechen des Schuldners den Grund ge - geben. So mancherley nun dieſe cauſarum figurae ſeyn koͤnnen, die ein beſonderes Fundament von Ver - bindlichkeiten abgeben, ſo weder zu den Coutracten, noch Verbrechen zu rechnen iſt, ſo ſcheint dennoch Ga - jus unter jener Gattung der Verbindlichkeiten, welcheex301. Buch 1. Tit. ex proprio quodam iure et variis cauſarum figuris ihre Entſtehung herleiten, vornehmlich diejenigen verſtan - den zu haben, die ſowohl unmittelbar aus Geſetzen, als welche quaſi ex contractu oder quaſi ex delicto her - ruͤhren. Schon Anton Schulting in notis ad Gaii inſtitut. L. II. Tit. 9. Iurisprud. Antejuſt. pag. 144. edit. Ayrer. erklaͤrte ſich dieſe Worte des Gajus alſo: Sub illis, quae proprio quodam iure ex variis cauſarum figuris naſcuntur, comprehendere vi - detur, tam quae quaſi ex contractu vel quaſi ex de - licto ſunt, quam quae ex lege, edicto, vel alio ſimili iure naſcuntur. Und Herr Prof. Weber hat dieſe Erklaͤrung in ſeinem klaſſiſchen Werk von der natuͤr - lichen Verbindlichkeit 1. Abtheil. §. 22. S. 55. aus der Verbindung der Fragmente des Gajus, worin derſelbe von dem Entſtehungsgrund der Verbindlichkeiten handelt, und welche in den Pandecten40)Vergleiche L. 1. 4. et 5. D. de obligat. et act. Alle die - ſe Fragmente ſind aus des gaii libris Aureorum ge - nommen, wie die Inſcription derſelben lehrt, und zwar L. 1. ex lib. 2. Aureorum; L. 4. und 5. aber ex lib. 3. Aureor. die Ueberſchrift des L. 4. heißt gaivs lib. 3. Rerum Quotidianarum, ſive Aureorum. Vermuthlich gab Gajus ſeinem Buch dieſen Titul, weil gemeinnuͤtzige Sa - chen darinn enthalten, ſo in foro taͤglich vorkommen, und welche eben deßwegen beſonders ſchaͤtzbar waren. S. Franc. Car. conradi de Caii libris Rer. Quotid. ſive Aurcorum in Parergis Lib. 1. n. VII. p. 113. nach eben der Reihe und Folge geordnet ſind, wie man ſie in ſeinen Schriften ſelbſt angetroffen, ſo einleuchtend bewieſen, daß ich ihm hierin beyzutreten, kein Bedenken finde. Denn wenn der Juriſt zufoͤrderſt (princ. cit. Leg.) die Haupt - quellen der Verbindlichkeiten in allgemeinen angiebt; nehmlich den Contract, das Verbrechen, und das - jenige beſondere Fundament, ſo er unter dem proprioiure31de Iuſtitia et Iure. iure variisque cauſarum figuris verſtehet; darauf aber jede dieſer Quellen wieder beſonders durchgehet; und L. 1. §. 1. ſq. mit dem Contract den Anfang macht, deſſen ver - ſchiedene Eintheilungen angiebt, ohne der Verbindlich - keiten quaſi ex contractu mit irgend einem Worte da - bey zu erwaͤhnen, geſchweige denn ſolche als Untergat - tungen dahin zu rechnen; wenn er darauf L. 4. von den Verbindlichkeiten ex maleficio redet; und dann erſt, nachdem er alles dieſes abſolviret, die beſondern Ver - bindlichkeiten quaſi ex contractu und quaſi ex delicto nachholet, und von erſtern L. 5. pr. et §. 1. ſqq. bis zum 4ten, von leztern aber §§. 4 ſqq. bis zu Ende deſ - ſelbigen L 5.41)L. fin. D. de extraord. crimin. welche auch ex gaii lib. 3. Rerum Quotid. ſeu aureorum genommen iſt, und von dem quaſi delicto iudicis litem ſuam facientis handelt, ſcheint mit dem §. 4. L. 5. D. de obl. et act. einerley zu ſeyn; nicht ohne Grund haben daher prateivs in Iurisprud. med. Lib. I. c. 19. und pancirollvs in Theſ. variar. Lection. Lib. 1. c. 78. ſelbige inter ge - minationes Pandectarum gezaͤhlet. Jedoch urtheilet Wiſ - ſenbach ganz richtig, daß die leztern Worte jener L. fin. nach quaſi ex maleficio teneri, ein Zuſatz der Compilato - ren waͤren. handelt; ſo iſt wohl nichts wahrſchein - licher, als daß er dieſe zu der allgemeinen Rubrik ex variis cauſarum figuris, wovon wir ſonſt keine beſon - dere Erlaͤuterung antreffen, gerechnet habe42)Siehe auch Donellus in Commentar. de iure civ. Lib. XII. c. 5..

So gewiß ich uͤberzeugt bin, daß die vorgetrage - ne Erklaͤrung dem wahren Sinn der Roͤmiſchen Rechts - lehrer von der Entſtehungsart der Verbindlichkeiten voll - kommen gemaͤß ſey; ſo iſt und bleibt doch auch die Theo - rie der Roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſelbſt nicht nur dun -kel,321. Buch. 1. Tit. kel, ſondern iſt auch in manchem Betracht ſehr unzu - laͤnglich, und uͤberhaupt unſerm heutigen Rechtsſyſtem nicht mehr angemeſſen, indem die Roͤmiſchen Juriſten in den oben angefuͤhrten Geſetzſtellen nach Maßgabe des Begrifs, welchen ſie ſich von einer Verbindlichkeit mach - ten, bey Beſtimmung der Entſtehungsart derſelben nur lediglich die Quellen ſolcher Verbindlichkeiten angegeben, welche wuͤrklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen, und daher der Vertraͤge nicht erwaͤhnen, weil aus Vertraͤgen an ſich bey den Roͤmern keine Klage ent - ſtand43)Warum die Roͤm. Rechtsgelehrten die Hauptſumme der buͤrgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha - ben? hat Prof. Weber im angef. Buch. 1. Abth. §. 8. vortreflich gezeigt.. Wollen wir alſo eine vollſtaͤndige Theorie von den Entſtehungsgruͤnden der Verbindlichkeiten for - miren, welche unſerm heut zu Tage gangbaren Rechts - ſyſtem angemeſſen iſt, ſo muß es meiner Meinung nach auf folgende Art geſchehen:

Verbindlichkeiten ruͤhren entweder unmittelbar aus Geſetzen her, oder ſie gruͤnden ſich zunaͤchſt auf obliga - toriſche Handlungen. Jene werden unmittelbare Verbindlichkeiten (Obligationes immediatae ſeu ex legi - bus) dieſe aber mittelbare Verbindlichkeiten genennt.

Leztere ſind nach Verſchiedenheit der Handlungen, die den naͤchſten Grund davon ausmachen, wiederum mancherley und folgendergeſtalt naͤher zu beſtimmen.

Sie entſtehen entweder aus erlaubten, oder aus unerlaubten Handlungen. Iſt das erſtere, ſo beſtehen dieſe entweder in einem acceptirten Verſprechen, oder in andern Arten erlaubter Handlungen. In erſterm Fall haben wir Verbindlichkeiten aus den Ver -traͤ -33de Iuſtitia et Iure. traͤgen, die nach der Roͤm. Rechtslehre entweder Con - tracte, oder eigentlich ſo genannte Vertraͤge ſind, welchen Unterſchied wir zu ſeiner Zeit entwickeln werden. Im andern Fall koͤnnen dieſe erlaubte Hand - lungen entweder in einem blos einſeitig geſchehenen, nicht acceptirten Verſprechen beſtehen, als welches in einigen Faͤllen durch buͤrgerliche Geſetze vor vollkommen verbindlich erklaͤret wird, oder in andern factis, die an ſich erlaubt, und durch die buͤrgerlichen Geſetze der - geſtalt beſtaͤttigt worden ſind, daß ſie in gewiſſen von den Geſetzen ausdruͤcklich beſtimmten Faͤllen aus Gruͤn - den der natuͤrlichen Billigkeit auch ohne allen Vertrag oder Verſprechen, eine eben ſo vollkommene W[e]rkung hervorbringen, als wenn deßhalb ein Contract waͤre geſchloſſen worden. Jene ſind die Verbindlichkei - ten aus Pollicitationen, welche entweder ex voto oder ex pollicitatione in ſpecie ſic dicta herruͤhren koͤn - nen. Dieſe aber werden Verbindlichkeiten quaſi ex contractu genennt. Z. B. die Verbindlichkeit des Erben zur Auszahlung der Vermaͤchtniſſe; dieſe ent - ſpringt aus dem Antritt der Erbſchaft quaſi ex contra - ctu, d. [f]. der Erbe handelt hier gerade ſo, und iſt auch eben ſo verpflichtet, als ein Bevollmaͤchtigter, dem die Legatarien den Auftrag ertheilet haͤtten, die Vermaͤcht - niſſe fuͤr ſie in Empfang zu nehmen, gehoͤrig aufzube - wahren, und zur Zeit an ſie abzuliefern44)Siehe Prof. Webers angef. Schrift. I. Abtheilung. §. 9.. Wenn im Gegentheil Verbindlichkeiten aus unerlaubten Hand - lungen entſpringen, ſo koͤnnen dieſe wiederum verſchieden ſeyn, je nachdem die unerlaubten Handlungen, woraus ſie entſtehen, entweder wahre Verbrechen, die ihren Urhebern moraliſch imputirt werden koͤnnen, oder ſolcheHand -Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. C341. Buch. 1. Tit. Handlungen ſind, die an ſich zwar unerlaubt und ſtraͤf - lich ſind, jedoch entweder nach den Regeln der morali - ſchen Imputation, oder doch wenigſtens nach ſonſtigen Vorſchriften des ſtrengen Rechts diejenige Wuͤrkung nicht geradezu hervorbringen wuͤrden, welche vermoͤge beſonderer Verordnungen daraus entſpringt, d. i. nach ſonſtigen Grundſaͤzen des ſtrengen Roͤm. Rechts demje - nigen nicht geradezu zur Laſt gereichen wuͤrden, welcher nach beſondern geſetzlichen Vorſchriften dafuͤr haften muß. Die Verbindlichkeiten der erſtern Art ſind die Obligationes, quae ex delictis naſcuntur. Die Verbindlichkeiten der letztern Art aber werden obli - gationes quaſi ex delicto genennt. Dahin rech - nen z. B. die Geſetze die Verbindlichkeit eines Richters zur Schadenserſetzung, wenn er aus Verſehen und Un - wiſſenheit einem ſtreitenden Theile zu nahe gethan. Si iudex, ſagt Gajus L. 6. D. de extraord. cognit., litem ſuam fecerit, non proprie ex maleficio obliga - tus videtur, ſed quia neque ex contractu obligatus eſt, et utique peccaſſe aliquid intelligitur, licet per imprudentiam, ideo videtur, quaſi ex maleficio, te - neri in factum actione. Nach den Grundſaͤtzen des ſtrengen Civilrechts konnte eigentlich nur vorſaͤtzliche Par - theylichkeit und grobe Unachtſamkeit einem Richter als ein Verbrechen angerechnet werden, weil er ſein Amt nicht mercede conductus verrichtet, ſondern, als Rechtsgelehrter, eine artem liberalem ausuͤbt arg. L. 1. D. ſi menſor falſum modum dixerit. Ein an - deres Beiſpiel, wo den Roͤm. Rechten nach eine obli - gatio quaſi ex delicto vorhanden, giebt die Verbind - lichkeit eines Wirths, fuͤr den Schaden zu haften, der durch unvorſichtiges Herunterſchuͤtten oder Herunterwerf - fen ſeiner Hausleuthe auf die Straſſe angerichtet wor - den. Der Wirth kann moraliſch betrachtet ganz un -ſchul -35de Iuſtitia et Iure. ſchuldig ſeyn, er hat aber doch unſtreitig ehender Ge - legenheit, den wahren Thaͤter auszufinden, und an ihm ſeinen Regreß zu nehmen, als der Beſchaͤdigte. Grund genug zur Rechtfertigung einer zur Befoͤrderung der oͤf - fentlichen Sicherheit ganz unentbehrlichen Legislation. Allein eben darum, weil der Beſchaͤdigte nicht verbunden iſt, den Wirth oder Bewohner des Hauſes als den Urheber der Handlung anzuklagen, heißt es in §. 1. I. de obligat. quae quaſi ex delict. naſcuntur: ideo non proprie ex maleficio obligatus intelligitur, quia plerumque ob alterius culpam tenetur45)Man vergleiche beſonders des Prof. Wehers angef. Buch. I. Abtheil. §. 10 20. welcher daſelbſt die Begriffe von de - nen obligationibus quaſi ex delicto vortreflich erklaͤrt, und von den Irthuͤmern der Doctorum gereiniget hat..

Dies ſind die Begriffe von denen Obligationi - bus ex delicto et quaſi ex delicto in aͤchtem Sinn des Roͤm. Rechts genommen: welches ich darum erin - nern muß, weil unſere heutigen Rechtslehrer andere Begriffe damit zu verbinden pflegen. Denn heut zu Tage nennt man eigentliche Verbrechen (vera de - licta) ſolche, die mit Vorſaz veruͤbt worden ſind. Hin - gegen, die aus bloſer Unachtſamkeit zu Schulden ge - brachte Vergehungen werden von unſern heutigen Crimi - naliſten nur quaſi delicta genannt46)So lehren Boͤhmer, Engau, Meiſter, Quiſtorp, Koch und Puͤttmann in ihren Lehrbuͤchern der peinl. Rechtsgelahrtheit..

Zum Beſchluß dieſer Theorie nur noch einige Be - merkungen. Erſtlich: wenn in unſern Geſetzbuͤchern ſehr oft geſagt wird, die Verbindlichkeit entſtehe ex re, ſo gilt dieſes von allen denjenigen Faͤllen, wo die Ver - bindlichkeit nicht von der Einwilligung des Schuldners,C 2noch361. Buch. 1. Tit. noch desjenigen abhaͤngt, in deſſen Gewalt oder Auf - ſicht er ſich befindet. Dahin gehoͤrt einmahl, wenn die Verbindlichkeit aus einem Verbrechen entſteht, pr. I. de obligat. quae ex delicto naſc. wo geſagt wird: omnes obligationes ex maleficio eſſe unius generis: nam omnes ex re naſcuntur, id eſt, ex ipſo ma - leficio, veluti ex furto etc. Zweitens, wenn die Verbindlichkeit aus einem erlaubten Geſchaͤft entſpringt, aus welchem derjenige, welcher ohne ſein Verſprechen und Zuſage daraus verpflichtet wird, reicher geworden iſt. Z. B. wenn ich eines Pupillen negotia gerirt habe, und zwar ſo, daß ſein Nutzen dadurch wirk - lich befoͤrdert worden iſt, ſo iſt derſelbe verbunden, mir meine Koſten und Auslagen zu erſtatten. Die Ver - bindlichkeit entſpringt hier ex re, d. i. ex ipſa ne - gotii natura, ne pupillus ex alieno diteſcat, et cum damno meo fiat locupletior. Auf die Art koͤn - nen alſo furioſi, pupilli und andere Perſohnen, die ſich durch ihre Einwilligung nicht ſelbſt verbinden koͤn - nen, dennoch ex re obligiret werden, wie Paulus ſagt L. 46. D. de obligat. et action. Furioſus et pupillus ubi ex re actio venit, obligantur, etiam ſine curatore vel tutoris auctoritate: veluti ſi com - munem fundum habeo cum his, et aliquid in eum impendero, vel damnum in eo pupillus dederit: nam iudicio communi dividundo obligabuntur. Siehe uͤbrigens Huber in Praelect. ad Inſtitut. Lib. III. Tit. 20. §. 2.

Zweitens. Oft iſt es ſchwer zu beſtimmen, zu welcher cauſarum figura, um mich dieſes Ausdruks des Cajus zu bedienen, eine gewiſſe Verbindlichkeit ge - hoͤre. Selbſt die Roͤm. Juriſten konnten ſich nicht immer hieruͤber vereinigen. Ein Beiſpiel giebt Celſusin37de Iuſtitia et Iure. in L. ult. D. de condict. cauſ. dat. cauſ. non ſec. wo er folgenden Fall vortraͤgt: Dedi tibi pecuniam, ut mihi Stichum dares. Utrum id contractus genus pro portione emtionis et venditionis eſt? an nulla hic alia obligatio eſt, quam ob rem dati re non ſe - cuta? in quod proclivior ſum: et ideo, ſi mortuus eſt Stichus, repetere poſſum, quod ideo tibi dedi, ut mihi Stichum dares. Hier gedenkt Celſus einer obligationis ob rem dati re non ſecuta ſcil. ad reſti - tuendum. Was iſt dies vor eine Verbindlichkeit? wel - ches iſt ihr Entſtehungsgrund? eine ſehr ſtreitige Fra - ge; ruͤhrt ſie aus einem contractu innominato her, wie Bynckershock Obſervat. iur. Rom. Lib. VI. c. 24. und Wieling in Lection. iur. civ. Lib. II. c. 4. behaupten? oder entſpringt ſie quaſi ex contractu, wie Ioh. van neck in Diff. ad h. L. ult. Lugd. Batav. 1735. Cap. III. annimmt? in oelrichs Theſ. nov. Diſſ. Belgicar. V. II. T. II. N. X. oder entſteht ſie unmittelbar aus den Geſetzen? Ich werde mich unten am gehoͤrigen Ort hieruͤber naͤher erklaͤren.

§. 3.

Eintheilung der Verbindlichkeit in vollkommene und unvoll - kommene. Pruͤfung der Regel: quod tibi non nocet etc. und Erlaͤuterung der L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc. Vollkommenes und unvollkommenes Recht. Recht - maͤſige Zwangsmittel, erſteres geltend zu machen.

Verbindlichkeiten ſind weiter, wenn man auf den Effect derſelben ſiehet, entweder vollkommene oder unvollkommene; je nachdem ſie entweder ſo beſchaf - fen ſind, daß man durch rechtmaͤſige Zwangsmittel zur Erfuͤllung derſelben genoͤthiget werden kann, oder nicht. Jene werden auch Zwangspflichten, dieſe hingegenC 3Lie -381. Buch. 1. Tit. Liebespflichten genennet47)Wenn Paulus in L. 17. §. 3. D. commod. ſagt, quod quaedam voluntatis et officii magis quam neceſſitatis ſint, ſo zielet er unſtreitig auf dieſen Unterſchied.. Daß dieſe Einthei - lung an ſich gegruͤndet ſey, wird kein Vernuͤnftiger laͤugnen, oder man muͤſte behaupten, daß entweder al - le Pflichten ohne Unterſchied erzwingbar, oder daß alle ohne Unterſchied unvollkommene waͤren, welches beydes gleich laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Wichtiger noch iſt die Frage, welches die Quellen ſind, woraus vollkommene Verbindlichkeiten entſpringen? ich werde mich hiebey blos auf das poſitive Recht einſchraͤnken, um jenem Streit auszuweichen, welchen man hieruͤber im Natur - recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind - lichkeiten von den unvollkommenen zu unterſcheiden, nicht immer den Gegenſtand derſelben zum Augenmerk machen duͤrfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben. Denn es kann ohne Zweifel durch Vertraͤge, Vermaͤcht - niſſe und andere dergleichen Privatdispoſitionen etwas in Zwangspflicht verwandelt werden, was an ſich nur Liebespflicht iſt. Doch ich will noch allgemeiner davon handeln und dieſen Gegenſtand als Wirkung der poſi - tiven Geſetze betrachten, welche hin und wieder dasje - nige, was an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Men - ſchenliebe ſeyn wuͤrde, als wirkliche Zwangspflicht be - handelt wiſſen wollen. Unſere Geſetzbuͤcher enthalten genug Faͤlle, welche dieſes auſſer allen Zweifel ſetzen. Iſt nicht zum Beiſpiel die Pflicht, eines Unmuͤndigen Vormund zu ſeyn, auſſer dem Staat Liebespflicht; nach Roͤmiſchen Rechten aber erzwingbare Schuldig -keit?48)Die neueſten Schriften des Herrn von Reinhards, und Herrn Oberappellations-Raths Hoͤpfners ſind ohne mein Anfuͤhren ſchon bekannt.39de Iuſtitia et Iure. keit49)Daher iſt die Tutel ein munus publicum, d. i. eine Beſchwerde, eine Pflicht, die jeder Buͤrger, dem eine Vormundſchaft aufgetragen wird, zum Beſten des Staats uͤbernehmen muß, wenn er nicht eine rechtmaͤſige Ent - ſchuldigung fuͤr ſich anzufuͤhren vermag.? und legt nicht ferner das Roͤmiſche Recht50)L. 28. D. de religioſ. Zwar ſcheinen die Worte: ne iniuria eius (ſc. mariti) videretur, quondam uxorem eius inſepultam relinqui, eine nur unvollkommene Ver - bindlichkeit dem erſten Anſehen nach anzuzeigen, allein die vorhergehende Worte, maritum, in quantum facere po - teſt, pro hoc conveniri poſſe, benehmen allen Zweifel. einem Ehemann die vollkommene Verbindlichkeit auf, ſeine verſtorbene Ehefrau, auch wenn ſie kein Heiraths - guth eingebracht hat, auf ſeine Koſten beerdigen zu laſſen? da doch die Pflicht der Beerdigung an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Menſchenliebe iſt. Es giebt noch mehrere Faͤlle, wo Liebespflicht an ſich als klag - bare Schuldigkeit vorgeſchrieben worden; dahin gehoͤrt zum Beiſpiel, daß der Vater ſeiner heirathenden Toch - ter einen ſeinem Vermoͤgen angemeſſenen Brautſchaz mitgeben muß51)L. 19. D. de ritu nuptiar. L. fin. Cod. de dotis promiſſ. ; und dergleichen mehr52)Mehrere Beiſpiele hat Richter in der beym Helfeld angef. Diſſ. de obligatione imperfecta ex honeſtate iuris eivilis auctoritate perfecta. Lipſ. 1751. Siehe auch Chriſt. Henr. breuning Spec. de civili obligatione et actione ex praeceptis honeſtatis. Lipſiae 1768.. Es ver - ſtehet ſich jedoch von ſelbſt, daß dasjenige, was an ſich nur Liebespflicht ſeyn wuͤrde, durch die buͤrgerliche Ge - ſetze wirklich vorgeſchrieben ſeyn muͤſſe, wenn es als Zwangspflicht zu behandeln ſeyn ſoll. Denn ein ande - res iſt freylich in denen Faͤllen zu behaupten, wo auch die Civilgeſetze eine Liebespflicht nur als ſolche empfeh -C 4len,401. Buch. 1. Tit. len, nicht aber befehlsweiſe vorſchreiben, wovon wir un - ter andern in L. 1. §. 3. D. de peric. et comm. rei vend. und L. 12. D. de adminiſtr. tutor. Beiſpiele finden. Wenn aber dergleichen mehr anrathende und empfehlen - de Beſtimmung in den Geſetzen nicht angetroffen wird; ſo iſt billig anzunehmen, daß der Geſetzgeber durch ſei - ne Vorſchriften perfecte zu verbinden die Abſicht ge - habt habe. Da es inzwiſchen doch immer nur Ausnah - me von der Regel bleibt, wenn eine Liebespflicht an ſich durch geſetzliche Vorſchrift in Zwangspflicht uͤbergehet, ſo leitet uns die Natur der Sache auf folgende zwey Grundſaͤtze, welche der Richter billig nie auſſer Acht zu laſſen hat. I. Was an ſich nur Liebespflicht ſeyn wuͤr - de, gehoͤrt nur lediglich in den beſondern Faͤllen, welche die Geſetze ausdruͤcklich genennt haben, vor das aͤuſſere forum; in allen uͤbrigen Faͤllen darf der Richter die Graͤnzen nicht uͤberſchreiten, welche der Roͤmiſche Rechts - gelehrte Paulus ihm vorzeichnet53)L. 12. §. 3. D. de adminiſtr. et peric. tutor. : etſi honeſte, ex liberalitate tamen fit, quae ſervanda arbitrio eſt. Es muß daher II. bey Anwendung der buͤrgerlichen Ge - ſetze, welche uns Verbindlichkeiten auflegen, die an ſich zu denen nicht erzwinglichen gehoͤren, allemal auf die Verhaͤltniſſe, welche die geſetzliche Sanction im Allgemei - nen dabey vorausſetzet, insbeſondere aber auf die Art der Wirkung, welche ſolchen Verbindlichkeiten ausdruͤcklich beygelegt iſt, genaue Ruͤckſicht genommen, und keine weitere Ausdehnung geſtattet werden. Dieſen Grund - ſaͤtzen zu Folge laͤſſet ſich daher mit Grunde nicht be - haupten, daß der Vater, um eines der obigen Beiſpiele hier zur Erlaͤuterung wieder zu gebrauchen, auch alsdann ſchuldig ſey, ſeiner heirathenden Tochter aus ſeinem Vermoͤgen einen Brautſchaz mitzugeben, wenn jene zu - laͤngliche eigne Mittel beſitzet. Eben daraus folgt auch,daß41de Iuſtitia et Iure. daß in denen Faͤllen, wo die Geſetze wegen Verbind - lichkeiten dieſer Art nur eine Einrede geſtattet haben, der gerichtliche Effect ohne Ungerechtigkeit nicht weiter erſtrecket werden duͤrfe54)Man vergleiche hierbey vorzuͤglich des gelehrten Herrn Prof. Webers mehrmals geruͤhmtes Werk von der na - tuͤrlichen Verbindlichkeit 3. Abtheil. 7. Abſchnitt §. 99. ff.. Ich werde von dieſen Faͤl - len hernach weiter reden; jezt aber muß ich noch bemer - ken, daß, ſo evident auch immer jene Grundſaͤtze ſind, man dennoch auch noch heut zu Tage ſehr haͤufig da - gegen anzuſtoſſen pflegt, und eine Menge hin und wieder herrſchender Irrthuͤmer ergeben es nur zu deutlich, daß man jene Grundſaͤtze gerade in den Streitigkeiten, welche ſofort ihre Entſcheidung dar - aus hernehmen, faſt gaͤnzlich auſſer Acht gelaſſen hat. Zu der Menge von Unvorſichtigkeiten, welche in dieſer Hinſicht auch noch von den neueſten und angeſehenſten Rechtslehrern begangen werden, zaͤhle ich beſonders den Mißbrauch, den man mit der faſt allgemein angenom - menen Regel, quod tibi non nocet, alteri vero prod - eſt, ad id poteris compelli, insgemein zu machen pflegt. Ich entſinne mich noch gar wohl, dieſe vermeintliche Rechtsregel oft in den wichtigſten Rechtsfaͤllen als Ent - ſcheidungsgrund geleſen zu haben. Allein unterſuchen wir den Grund derſelben genauer, ſo duͤrfte ſie in de - nen Geſetzen wohl ſchwerlich anzutreffen ſeyn. Was ſie wuͤrklich enthalten, und woraus endlich der erwaͤhnte Satz gebildet worden, ſind die Worte des Roͤm. Juri - ſten Paulus in L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae plu - viae arcendae. Opinor, utilem actionem vel interdi - ctum mihi competere adverſus vicinum, ſi velim ag - gerem reſtituere in agro eius, qui factus mihi quidem prodeſſe poteſt, ipſi vero nihil nociturus eſt: haec ae -C 5qui -421. B. 1. Tit. quitas ſuggerit, etſi iure deficiamur. Allein man unterſuche nur den Fall, worauf ſich dieſe Worte ei - gentlich beziehen, ſo wird man leicht finden, daß jene Regel, ſo wie ſie gewoͤhnlich lautet, in gedachter Stelle wirklich gar nicht vorgetragen wird. Den beſondern Fall des Geſetzes ſelbſt ergeben die Anfangsworte der gedachten Stelle ganz genau. Aggerem, qui in fundo vicini erat, vis aquae deiecit, per quod effectum eſt, ut aqua pluvia mihi noceret. Hieraus ſiehet man, daß ich darum berechtiget ſeyn ſoll, auf meines Nachbahrs Grund - ſtuͤck einen Damm, den die Gewalt des Waſſers weg - geriſſen hatte, wieder herzuſtellen, weil es mir zum of - fenbahren Nachtheil gereichen wuͤrde, wenn die Herſtel - lung unterbliebe; und dieſes ſoll mein Nachbahr um ſo mehr zu leiden ſchuldig ſeyn, da ihm die Herſtellung des Dammes ganz unſchaͤdlich iſt. Die Worte prodeſſe poteſt deuten dahero in natuͤrlicher Verbindung mit den vorhergehenden darauf, daß wirklicher Nachtheil durch gewiſſe Unternehmungen auf fremden Grund und Boden abgewendet werden ſoll. Nicht aber werde ich dadurch berechtiget, bloß zu meinem Vortheil uͤber das Eigenthum meines Nachbahrn zu diſponiren, geſetzt auch, daß er durch meine Unternehmungen auf dem Seinigen nicht den mindeſten Schaden litte. Und wo bleibt nun der ge - woͤhnliche Satz, quod tibi non nocet, mihi vero prodeſt, ad id poteris compelli? Werden hierdurch nicht offenbahre Mißbraͤuche und Eingriffe in die Freiheit und Rechte des Privateigenthums der Buͤrger unter dem Deckmantel der Geſetze beſchoͤniget, welche die Geſetze ſelbſt doch gar nicht geſtatten? Ferner harmonirt auch jene Regel mit ihrer Quelle darum nicht, weil nach dem In - halt der obgedachten Geſetzſtellen der Eigenthuͤmer in dem Seinigen nur etwas zulaſſen ſoll, nach der Faſſung der daraus gezogenen Regel aber fuͤr ſchuldig erklaͤretwird,43de Iuſtitia et Iure. wird, dasjenige, was ihm unſchaͤdlich iſt, einem andern zu leiſten; der ſehr unbeſtimmte Zuſatz: ad id poteris compelli, ſchließt wenigſtens dieſe Erklaͤrung auf keine Weiſe aus. Wollte man nun ſtatt der bisherigen Regel eine andere eintretten laſſen, ſo wuͤrde folgende Abaͤnde - rung: was mir noͤthig iſt, um einen Schaden von mei - nem Eigenthum abzuwenden, dir aber unſchaͤdlich iſt, das biſt du zu leiden ſchuldig, wenn ich auch gleich des - halb auf deinen Grund und Boden etwas unternehmen muͤßte; zwar dem Sinn gedachter Geſetzſtelle angemeſ - ſener ſeyn. Allein ich zweifle dennoch ſehr, ob auch dieſe Regel nach der Abſicht des Geſetzes als allgemeine Vor - ſchrift gelten koͤnne. Denn auch dann laͤſſet ſich noch nicht behaupten, daß der Eigenthuͤmer allemal ſchul - dig ſey, etwas auf ſeinem Grund und Boden zu leiden, wenn es ihm gleich unſchaͤdlich iſt, ſondern es beſchraͤnkt ſich alles auf die beſondern Faͤlle, wo die Geſetze es namentlich vorgeſchrieben, und dem Eigenthuͤmer dieſe Verbindlichkeit auferlegt haben; denn nicht aus der Acht zu laſſen iſt der allerdings merkwuͤrdige Umſtand, daß mich jenes Geſetz nur berechtiget, ein ſchon dageweſenes Werk, ſo aber durch die Gewalt des Waſſers war weggeriſ - ſen worden, auf meines Nachbahrs Grundſtuͤcke wieder herzu - ſtellen, wodurch ihm auf keine Weiſe geſchadet wurde55)Ich darf nicht unterlaſſen, hierbey zu gedenken, daß ich bey Erklaͤrung gedachter L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc. von denen eleganten Bemerkungen des Herrn Prof. Webers a. a. O. S. 105. f. Gebrauch gemacht habe. Man vergleiche jedoch hierbey auch Em. merillii Variant. ex Cuiacio. Lib. III. cap. 39.. Dieſes mag zur Erlaͤuterung der Eintheilung der Verbindlich - keit in die vollkommene und unvollkommene aus denen poſiti - ven Geſetzen genuͤgen. So wie nun die Verbindlichkeit ent - weder eine vollkommene oder unvollkommene ſeyn kann, ſoiſt441. Buch. 1. Tit. iſt nun auch das Recht ſelbſt fuͤr die Befugniß genom - men, entweder ein vollkommenes oder unvollkom - menes; je nachdem es entweder ſo beſchaffen iſt, daß derjenige, welcher unſerer Befugniß entgegen handelt, auch wider ſeinen Willen zur Erfuͤllung ſeiner Obliegen - heit gezwungen werden kann, oder nicht. Die Zwangs - mittel, wodurch man ein vollkommenes Recht auf eine erlaubte Art verfolgen und geltend machen kann, ſind entweder auſſergerichtliche oder gerichtliche. Zu denen Zwangsmitteln der erſtern Art gehoͤrt vorzuͤglich die privat Gewalt, welche in denen Faͤllen, in wel - chen die Geſetze ſolche zulaſſen, in ſofern ſie innerhalb der geſetzlich vorgeſchriebenen Grenzen ausgeuͤbt wird, als ein erlaubtes Zwangsmittel auch ſelbſt im Staat ge - braucht werden kann56)Siehe beſonders Claproth in der Einleitung in den ordentlichen buͤrgerlichen Proceß. 1. Theil 1. Hauptſt. §. 2. u. ff. auch Sammlung einiger neuer vorhin gedruckter und bisher ungedruckter Schriften von der im Weſtphaͤliſchen Friedens - ſchluß erlaubten Selbſthuͤlfe. Leipzig 1756. 4.; denn wenn gleich in der Regel die Selbſthuͤlfe in einer ordentlich eingerichteten buͤrgerlichen Geſellſchaft unerlaubt iſt, weil ſie den erſten Endzweck derſelben, nehmlich der innern Sicherheit und Ordnung zuwider laͤuft, ſo erlauben dennoch die buͤrgerlichen Ge - ſetze ſelbſt in gewiſſen ausgenommenen Faͤllen die eigen - thaͤtige Gewalt, und berechtigen mich ſogar meinen Geg - ner, der mich unvermuthet auf eine unrechtmaͤßige und gefahrvolle Art anfaͤllt, mit mein Leben, oder Geſund - heit, oder Ehre, oder meine Guͤter zu rauben, wenn ich die gedrohete Gefahr anders nicht als mit der Toͤdtung des Anfallenden von mir abzuwenden im Stande bin, zu entleiben, welches man die Nothwehr, (defenſioneceſ -45De Iuſtitia et Iure. neceſſaria, moderamen inculpatae tutelae) nennt57)L. 3. D. de Iuſt. et iur. L. 45. §. 4. D. ad L. Aquil. L. 1. §. 27. D. de vi. L. 1. C. unde vi. Art. 140. u. f. C. C. C. Vid. Ioſ. Lud. Ern. puͤttmanni Diſſ. de mode - ratione inculpatae tutelae. Lipſiae 1783.. Gleichwie jedoch der eignen Gewalt auch ſelbſt in denen zugelaſſenen Faͤllen der Weg der gerichtlichen Huͤlfe im - mer vorzuziehen58)Schon Cicero ſagt daher de Offic. I. c. 11. Nam cum ſint duo genera decertandi; unum per diſceptationem, alte - rum per vim; cumque illud ſit proprium hominis, hoc belluarum: confugiendum eſt ad poſterius, ſi uti non licet ſuperiore. iſt, indem auch ſelbſt die Geſetze jene nur in der Ruͤckſicht zulaſſen, weil der Richter nicht im - mer ſogleich bey der Hand iſt, und ohne Selbſthuͤlfe ein unwiederbringlicher Schade geſchehen wuͤrde, ſo ſind nun die gerichtlichen Zwangsmittel ſein Recht geltend zu ma - chen, Klage und Einrede. Denn nicht immer haben die buͤrgerlichen Geſetze, wenn ſie zum Beyſpiel Pflichten der Menſchenliebe als eigentliche Schuldigkeit vorſchreiben, ſofort klagbare Verbindlichkeiten daraus formirt, ſondern hin und wieder wegen des an ſich unvollkommenen Rechts, nur eine Einrede geſtattet. Wir finden dieſes beym Brautſchatze, welchen eine Perſohn, von ihrer Mutter, oder einem andern nahen Verwandten wuͤrklich erhalten hat. Denn ob ſie gleich vorher nicht haͤtte darauf kla - gen koͤnnen, ſo ſoll doch die Liebespflicht an ſich hier die Wuͤrkung haben, daß, wenn auch das Heyrathsguth nicht in der Abſicht, um eine unerzwingliche Tugend aus - zuuͤben, ſondern aus irriger Meinung, daß man perfecte dazu verbunden geweſen, entrichtet worden, dennoch das Gegebene als Nichtſchuld keineswegs zuruͤckgefordert wer - den duͤrfe59)L. 52. §. 1. D. de condict. indeb. cocceii Iur. Controv. Lib. XII. Tit. VI. Qu. 5.. Hier liegt es in der Natur der Sache,daß461. Buch. 1. Tit. daß dadurch nur eine Einrede gegen den Klaͤger bewirkt werde60)S. Weber a. a. O. §. 99.. Wer wird es aber laͤugnen, daß dieſe Ein - rede das gerichtliche Zwangsmittel ſey, den Klaͤger von der Klage abzuhalten?

§. 4.

Verſchiedene Bedeutung des Worts Lex. Begrif vom Ge - ſetz; noͤthige Unterſcheidung des Dispoſitiven von dem Enunciativen in den Worten unſerer Geſetze. Voll - kommenes und unvollkommenes Geſetz.

Wir irren nicht, wenn wir den Grund aller Ver - bindlichkeit auf Geſetze zuruͤckfuͤhren, und ſelbſt diejeni - gen, welche dieſe Behauptung unrichtig finden wollen61)von Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahr - heit S. 17. Allein man vergleiche Weber von der na - tuͤrlichen Verbindlichkeit 1. Abth. §. 2. S. 6., werden uns recht geben, wenn wir uns uͤber den Begrif, den wir mit einem Geſetze verbinden, mit einander ge - hoͤrig verſtaͤndiget haben.

Das Wort Geſetz hat freylich mehrere Bedeu - tungen. Hier nehmen wir es in der allgemeinen Be - deutung, wenn wir das Geſetz als die Quelle aller Obligation anſehen, und gedenken uns darunter uͤber - haupt eine Vorſchrift, welche unſern morali - ſchen Handlungen, das heißt ſolchen, die ſich auf Freyheit gruͤnden, zur Norm dient62)seneca de benef. Lib. IV. c. 12. Legem dicimus iuſti iniuſtique regulam eſſe: und cicero de Nat. Deor. Lib. II. ſagt: Lex eſt recti praeceptio pravique depulſio. ; in welcher Bedeutung es ſowohl natuͤrliches als poſitives Recht in ſich ſchließt. Wir duͤrfen jedoch bey der an -gegebe -47de Iuſtitia et Iure. gegebenen Bedeutung des Worts Geſetz in unſerer Rechtswiſſenſchaft allein nicht ſtehen bleiben, es wird daher noͤthig ſeyn, auch von den uͤbrigen Bedeutungen dieſes Worts das noͤthige annoch anzufuͤhren. Wir muͤſ - ſen aber zufoͤrderſt bemerken, daß das lateiniſche Wort Lex nicht immer durch Geſetz uͤberſetzet werden kann. Alſo I. was heißt Lex in unſern Geſetzen, wenn es durch Geſetz nicht uͤberſetzer werden darf? Die Bedeu - tung iſt verſchieden; denn 1) wird es fuͤr einen Ver - trag oder Contract genommen; z. B. comprehen - ſum lege venditionis L. 60. D. de contr emt. vend. ferner lege locationis comprehenſum eſt L. 77. D. pro ſocio. So wird ferner derjenige Vertrag, wo - durch jemand auf den Fall, wenn er ſeine Schuldigkeit auf die gehoͤrige Art nicht erfuͤllen wuͤrde, ſich verwill - kuͤhret, daß er ſodann gewiſſer Anſpruͤche oder Befug - niſſe verluſtig ſeyn, und einem andern eine gewiſſe Ver - bindlichkeit, die ihm ſonſt obgelegen haben wuͤrde, erlaſ - ſen haben wolle, lex commiſſoria, der commiſſori - ſche Vertrag, genennt. Man ſetze, daß ein Kauf ſub lege commiſſoria ſey geſchloſſen worden; haͤlt nun der Kaͤufer nicht mit der Bezahlung inne, ſo verliehrt er ſein Recht aus dem Kaufcontract, und der Ver - kaͤufer iſt an den Handel nicht mehr gebunden: doch davon unten in Tit. ff. de lege commiſſoria (Lib. XVIII. Tit. 3) ein mehreres 2) Bedeutet Lex auch ſoviel als eine Bedingung, unter welcher etwas geſchiehet, oder geſchehen iſt; z. B. Qui fundum ea lege emerat, ut ſoluta pecunia traderetur ei poſſeſſio etc., L. 78. §. 2. D. de contr. emt. vend. Ferner Ea lege fundum lo - cavi, ut etc. ſagt L. 51. D. locati. Es kann auch ſoviel als Beſtimmung oder Modification eines Han - dels heiſſen. Bekannt iſt der juriſtiſche Satz, pacta dant legem contractui, L. 7. §. 5. D. de pactis, d. i. die481. Buch. 1. Tit. die Vertraͤge, welche ſogleich bey Schlieſſung eines Con - tracts gemacht werden, geben dem Contracte eine gewiſſe Beſtimmung, oder Modification. 3) Wird in unſern Geſetzen unter Lex auch oft ein Teſtament verſtanden; wir wollen zum Beweiß nur L. ult. D de ſuis et legiti - mis anfuͤhren, wo papinianvs mit den Worten ſchließt: privatorum enim cautionem legum auctoritate non cenſeri; das heißt, wie es Galvanus63)de Uſufructu Cap. 20. pag. 219. nach der neueſten Tuͤbinger Ausgabe von 1788. richtig erklaͤrt hat, pri - vat Vertraͤge haben nicht die Kraft der Teſtamente, daß durch ſelbige jemanden eine Erbſchaft entweder hinterlaſſen, oder entzogen werden koͤnne. Eben hieraus erklaͤrt ſich auch der Ausdruck legare, wenn er von letztern Willensver - ordnungen genommen wird. Z. B. Paterfamilias uti legaſſit ſuae rei, ita ius eſto. L. 120. D de Verb. ſignific. wo legare ſuae rei ſoviel heißt als legem di - cere rebus ſuis oder uͤber ſein Vermoͤgen teſtiren; denn es muſte ehemals das Teſtament per verba imperativa, befehlsweiſe, wie ein Geſetz, abgefaßt werden64)S. meine Opuſcula Faſc. I. pag. 168. ſq. not. 27. et 28.. 4) Hieß Lex bey denen Roͤmern zur Zeit des Freyſtaats der Vorſchlag zu einem Geſetze. Zu den Zeiten der Koͤnige und der freyen Republik wurden nehmlich die Geſetze mit Beyſtimmung der Nation auf den Co - mitien gemacht, und der Koͤnig, oder eine Roͤmiſche Magiſtratsperſohn, die hierzu authoriſirt war, that den Vorſchlag dazu, dieſes nennte man legem ferre ad po - pulum einen Vorſchlag zu einem Geſez thun, L. 2. §. 2. D. de Or. lur. genehmigte das Volk den Vorſchlag durch ſeine Stimmen, ſo hieß das lex iubetur, verwarf es hingegen denſelben, ſo ſagte man lex antiquatur, das Volk will es bey dem Alten laſ -ſen.49de Iuſtitia et Iure. ſen65)ernesti in Clavi Ciceron. ſowohl zu Anfang des In - dicis Legum als ſub. voc. Lex. . Endlich 5) iſt Lex ſoviel als Geſetz, und nun fraͤgt ſich’s II. was man eigentlich unter einem Geſetz verſtehe? Da die allgemeine Bedeutung dieſes Worts ſchon oben da geweſen iſt, ſo wollen wir jetzo nur noch die uͤbrigen hinzufuͤgen.

I) Geſez im eigentlichen Verſtande iſt die nach dem Willen des Oberherrn vorgeſchriebene Norm, nach welcher ſeine Unterthanen ihre Handlungen einzurichten vollkommen verbun - den ſind. In dieſem Verſtande nimmt es Hellfeld hier, nun lieſſe ſich zwar dagegen einwenden, daß es auch Permiſſivgeſetze gebe, denn nach dem Ausſpruch des Modeſtins L. 7. D. de legibus, befehlen und verbiethen die Geſetze nicht immer, ſondern ſie erlau - ben auch; z. B. die Geſetze erlauben dem Vater, ſei - nen unmuͤndigen Kindern kraft ſeiner vaͤterlichen Gewalt in ſeinem Teſtament einen Vormund zu ernennen, des - gleichen ihnen pupillariter zu ſubſtituiren Allein der Autor wird in der Folge §. 14. dieſem Zweifel ſelbſt begegnen. Ein Geſetz in der angegebenen Bedeutung giebt alſo 1) ein Oberherr; nun giebt es Oberherrn in jeder ungleichen Geſellſchaft, dahero die Geſetze in dieſer Hinſicht ſehr verſchieden ſeyn koͤnnen. Wir ha - ben Geſetze, welche von dem Regenten der Kirche, wir haben aber auch Geſetze, welche von dem Regenten des Staats ſind vorgeſchrieben worden; erſtere werden buͤr - gerliche Geſetze (leges civiles) leztere Kirchenge - ſetze (leges eccleſiaſticae) genannt. Es iſt auch nicht ungewoͤhnlich, die Civilgeſetze leges ſchlechtweg zu nen - nen, und dieſes wuͤrde alſo eine eigene Bedeutung die - ſes Worts ausmachen. 2) Der Oberherr giebt dasGeſezGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. D501. Buch. 1. Tit. Geſez ſeinen Unterthanen; wenn alſo ein paar Privat - perſonen miteinander pacisciren, ſo iſt dieſer Vertrag kein Geſez im eigentlichen Verſtande, wenn auch gleich eine vollkommene Verbindlichkeit, den Vertrag zu hal - ten, daraus entſtehen kann. 3) Ein Geſez enthaͤlt eine Vorſchrift des Oberherrn, wornach deſſelben Untertha - nen ihre Handlungen einzurichten perfecte verbunden ſind. Man muß daher die Worte des Geſetzes, die die Vorſchrift des Geſezgebers enthalten (verba legis diſpoſitiva) von denen in den Geſetzen haͤufig vorkom - menden verbis enunciativis et relativis wohl unter - ſcheiden; eine Bemerkung, die bey Anwendung der in Teutſchland aufgenommenen fremden, beſonders der Roͤ - miſchen Geſetze, von groͤßter Wichtigkeit iſt. Man pflegt zwar abuſive alle einzelne Stellen in unſerm Roͤmiſchen Rechtskoͤrper leges zu nennen, allein, daß unſer Corpus iuris nicht wenig in ſich faſſe, ſo den Nahmen eines eigentlichen Geſetzes gar nicht verdienet, iſt eine bekannte Wahrheit65)Man vergleiche hier beſonders des gelehrten Herrn Prof. Webers Reflexionen zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Ge - brauch des Roͤm. Rechts. (Schwerin, Wismar und Buͤzow. 1782. 8.) S. 31. fg.. So finden wir 1) in demſelben eine nicht geringe Anzahl ſolcher Stellen, oder daß ich den einmahl uͤblichen Ausdruk beybehalte, ſolcher Legum, in welchen nur blos angerathen wird, etwas zu thun, oder zu unterlaſſen, ohne jedoch eine vollkommene Verbindlichkeit aufzuerlegen, dieſes in Aus - uͤbung zu bringen, (Suaſiones legis)66)Von denen Suaſionibus legum handeln Ge. Steph. wie - sand in Opuſculis. (Leipzig, 1782. 8. ) p. 13. ſqq. und Iac. cuiacius ad L. 1. D. de Iuſt. et Iur. . Es rathet z. B. die angefuͤhrte L. 1. §. 3. D. de peric. et com -modo51de Iuſtitia et Iure. modo rei vend. daß man ſein Recht nicht auf das ſtrengſte verfolgen ſolle, wenn es auf Unbilligkeit hin - ausliefe; noch treffendere Beyſpiele geben L. 34. D. de Legib. L. 24. D. de Rei Vind. §. 7. I. de Verb. obligat. Die erſte Stelle giebt einen Rath, wie man den Beweiß einer ſtreitigen Gewohnheit, worauf man ſich gegruͤndet, am leichteſten fuͤhren koͤnne; man ſoll ſich erkundigen, ob etwa ſchon ſonſt nach dieſer Gewohn - heit gegentheiligen Widerſpruchs ohngeachter in den Ge - richten geſprochen, und rechtskraͤftig erkannt worden ſey, an etiam contradicto aliquando iudicio conſuetudo fir - mata ſit67)Daß dieſe Worte per hypallagen zu erklaͤren, und ſoviel heiſſen ſollen als an etiam in iudicio aliquando contradicta et firmata fit conſuetudo, zeigt der beruͤhmte Herr Prof. Puͤttmann in ſeinen eleganten Interpretat. et Obſervat. iuris, cap. 19.. In der andern Stelle wird gerathen, daß man, ehe man ſeine Sache vindicire, verſuchen ſolle, ob man nicht etwa durch ein Interdict zum Beſiz derſelben gelangen koͤnne: quia longe commodius eſt, ipſum poſſidere, et adverſarium ad onera petitoris compellere, quam alio poſſidente petere. Die drit - te Stelle endlich enthaͤlt eine Cautel fuͤr Contrahenten, auf den Contraventionsfall eine Conventionalſtrafe feſtzu - ſetzen, ne neceſſe ſit actori probare, quid eius in - terſit. Ich uͤbergehe mehrere dergleichen, in denen Roͤm. Rechtskoͤrpern vorkommende ſogenannte leges ſua - ſorias .. Daß nun dieſe keine eigentliche und verbin - dende Geſetze ſind, iſt aus den obigen Grundſaͤtzen evi - dent, auch ſchon ſonſt bekannt, quod conſilium non obliget68)L. 47. D. de R. I. . Wir finden ferner 2) in denen Roͤ - miſchen Sanctionen haͤufige Commendationes legum, beſonders hat es Juſtinian nicht fehlen laſſen, in ſei -D 2nen521. Buch. 1. Tit. nen ſehr wortreichen Conſtitutionen Bewegungsgruͤnde zu haͤufen, wodurch er ſeine Geſetze von Seiten ihres Nutzens und Nothwendigkeit bey ſeinen Unterthanen zu empfehlen geſucht hat. Es kommen nicht weniger 3) in unſerm Korpus Juris auch viele dogmatiſche Saͤtze vor; beſonders finden ſich dieſe in denen Inſtitutionen und Pandecten des K. Juſtinians ſehr haͤufig. Man darf ſich hieruͤber gar nicht wundern, wenn man bedenkt, daß wir unſern Roͤmiſchen Rechtskoͤrper aus einem zwifachen Geſichtspuncte zu betrachten haben. Er iſt einmal ein Geſetzbuch, er enthaͤlt aber auch zwei - tens ein Syſtem der ganzen Jurisprudenz, ſo wie ſie zu den Zeiten des Kaiſer Juſtinians ausgebildet war; beſtehend aus Worterklaͤrungen, Definitionen, Einthei - lungen, allgemeinen Grundſaͤtzen, Cautelen u. ſ. w. Kurz ein zum wiſſenſchaftlichen Unterricht nach damahli - ger Zeit aptirtes Lehrgebaͤude der Rechtsgelahrtheit. Daß wir nun an die im Roͤmiſchen Rechtscoͤrper ſo haͤufig vorkommende dogmatiſche Saͤtze gar nicht gebunden ſind, hat keinen Zweifel, wenn man erwaͤgt, daß der Wille eines Geſetzgebers bloß den aͤuſſerlichen freyen Handlun - gen der Menſchen eine Richtſchnur ertheilen koͤnne; un - ſer Verſtand und Ueberzeugung hingegen ſeiner Diſpoſi - tion nicht unterworfen ſey69)S. Webers Reflexionen a. a. O. S. 35. f.. Ich will dieſes durch ein merkwuͤrdiges Beyſpiel zu erlaͤutern ſuchen, ſo ich aus der Lehre vom Erwerb des Eigenthums nehme. Inſo - fern die buͤrgerlichen Geſetze hier befehlsweiſe feſtſetzen, daß durch einen bloſen Vertrag das Eigenthum einer Sache nicht uͤbertragen werde, ſondern die Tradition hierzu erforderlich ſey, in ſofern verbinden ſie uns, als einmal recipirte Geſetze unſtreitig. Wenn uns aber die Roͤmiſche Geſezgeber lehren wollen, daß die Traditio ein eigentlicher modus acquirendi naturalis ſey, ſo koͤnnenſie53de Iuſtitia et Iure. ſie uns hierinn nicht noͤthigen, unſere Vernunft unter den Gehorſam des Roͤm. Rechtsſyſtems gefangen zu ge - ben; denn nach der geſunden Vernunft iſt kein Grund abzuſehen, warum nicht die Willenserklaͤrung des bishe - rigen Eigenthuͤmers zur Uebertragung des Eigenthums an einen andern ſchon genuͤgen ſollte; daß hierzu noch beſon - ders die Uebergabe noͤthig ſey, iſt eine bloſe Satzung der Civilgeſetze, alſo ohne Zweifel, daß die Traditio an ſich betrachtet, ein wahrer modus acquirendi civilis ſey. Hiermit erklaͤrt ſich nun der Satz des Auctors, not. e. lex differt a dogmate. Wir muͤſſen ferner 4) von der geſetzlichen Diſpoſition die in einem Geſez oft vorkommende hiſtoriſche Umſtaͤnde von der Veranlaſſung deſſelben, fer - ner die darinn unterweilen angefuͤhrte rationem legis, nicht weniger die in demſelben hin und wieder vorgetra - gene Meinungen der Rechtsgelehrten, die durchs Geſetz entſchieden worden ſind, und andere dergleichen propo - ſitiones aſſertivas, wodurch blos angezeiget wird, daß dieſes oder jenes ſey, welche aber keine geſetzliche Vor - ſchrift enthalten, wohl unterſcheiden. Der Roͤmiſch Ju - ſtinianiſche Rechtskoͤrper liefert uns unzaͤhlige Beiſpiele davon. Es war beſonders denen Roͤm. Geſetzgebern ei - gen, die Hiſtorie der Legislation mit der Sanction des Geſetzes zu verbinden; Beiſpiele davon geben das Sena - tusconſultum Iuventianum in L. 20. §. 6. D. de he - redit. petit. Sctum Macedonianum L. 1. pr. D. de Scto Maced. das Sctum Vellejanum in L. 2. §. 1. D. ad Sctum Velleianum; ferner Lex Anaſtaſiana in L. 20. C. mandati. u. a. m. Daß dieſe hiſtoriſche Um - ſtaͤnde zur Erklaͤrung der im Geſetz enthaltenen Sanction dienen koͤnnen, iſt gewiß, doch iſt hierinn Behutſamkeit noͤthig, damit wir nicht wider die Abſicht des Geſezgebers das Geſetz enger einſchraͤnken, als die Worte deſſelben bezeichnen. Denn es iſt im Roͤmiſchen Recht nichts un -D 3gewoͤhn -541. Buch. 1. Tit. gewoͤhnliches, daß allgemeine Verordnungen durch ein - zelne beſondere Vorfaͤlle ſind veranlaſſet worden. So iſt es z. B. ein offenbahrer Irrthum, wenn man die Anordnung des Anaſtaſianiſchen Geſetzes nur auf die Abtre - tung ungewiſſer Schuldforderungen aus dem Grunde ein - ſchraͤnken will, weil der Imperator im Eingang des Ge - ſetzes gleichſam hiſtoriſch anfuͤhrt, daß ungezwelfelte For - derungen ſelten auf dieſe Art verkauft, ſondern diejeni - gen, denen ſie zuſtuͤnden, ihr Recht lieber ſelbſt verfol - gen wuͤrden. Denn die Sanction ſelbſt, die deutlich und kategoriſch abgefaßt iſt, macht zwiſchen gewiſſen und un - gewiſſen Forderungen keinen Unterſchied70)S. die gemeinnuͤzigen juriſtiſchen Beobachtun - gen und Rechtsfaͤlle von Gmelin und Elſaͤßer. IV. Band. N. XII. §. 139.. Eben dieſe Behutſamkeit iſt noͤthig, wenn wir ein Geſetz aus der un - terweilen darinn von Geſetzgeber ſelbſt angefuͤhrten ratio - ne legis interpretiren wollen. Denn die Geſetzgeber ha - ben uns nicht immer die wahren Urſachen ihrer Legisla - tion angegeben. Ich werde in der Folge bey der Lehre von der Logiſchen Interpretation uͤber dieſen wichtigen Gegenſtand mich umſtaͤndlicher erklaͤren. Hier muß ich aber noch gedenken, daß wir dieſelbige Behutſamkeit auch noͤthig haben, wenn in einem Geſetz die Meinungen meh - rerer Rechtsgelehrten angefuͤhret werden, um nicht die legale Meinung mit der doctrinellen zu verwechſeln. Es wird dieſe Bemerkung beſonders bey den legibus Pan - dectarum ihre Anwendung finden. Die Roͤm. Rechts - gelehrten, aus deren Schriften die Pandecten zuſammen - getragen worden ſind, pflegten neben ihrer eigenen Mei - nung uͤber dieſe oder jene Rechtsfrage nicht ſelten das Gutachten anderer Juriſten, welche etwa das Gegentheil behaupteten, anzufuͤhren. Daß nun in ſolcher Ver - ſchiedenheit der Ausſpruch desjenigen Rechtsgelehrten denVorzug55de Iuſtitia et Iure. Vorzug verdiene, deſſen Namen die Ueberſchrift des Geſetzes bezeichnet, leidet gar keinen Zweifel; denn ſeine Meinung iſt es, welche durch die Aufnahme in das Kor - pus der Pandecten legale Auctoritaͤt erlangt hat; woge - gen die Meinung des andern Juriſten, als eine bloſe Lehrmeinung, ſich nicht behaupten kann. Bisweilen iſt es freylich ſchwer, beide Meinungen gehoͤrig von einan - der zu unterſcheiden; daher man ſich nicht wundern darf, wenn hin und wieder hieraus erhebliche Irrthuͤmer ent - ſtanden ſind. Beyſpiele davon geben L. 7. §. 10. D. de minorib. und L. 11. §. 18. D. de Act. emti vend. deren Inhalt ich zu ſeiner Zeit naͤher entwickeln werde71)S. des Herrn Prof. Webers oben angefuͤhrte Refle - xionen §. 8..

II. Bedeuten Leges im Roͤm. Recht auch oft ge - ſchriebene d. i. ausdruͤcklich bekanntgemachte Geſetze, ſo wie im Gegentheil nicht geſchriebene Geſetze, oder Gewohnheitsrechte mores genennet werden72)L. 32. D. de Legib. Vid. B. brissonius de Ver - bor. Signif. v. lex. .

III. Eine der vorzuͤglichſten Bedeutungen, in wel - cher das Wort Lex zu den Zeiten des Roͤm. Freiſtaats genommen wurde, war die, daß man darunter ein mit Beyſtimmung der Nation auf den Comitien gegebenes Geſetz verſtand, beſonders wenn eine dazu berechtigte hoͤhere Magiſtratsperſon, welche aus dem Stand der patrizier war, z. B. ein Dictator, Conſul oder Praͤtor, den Vorſchlag dazu gethan hatte73)§. 4. I. de I. N. G. et C. lex eſt, quod populus Ro - manus, Senatorio magiſtratu interrogante (veluti Conſule) conſtituebat. . Endlich bemerken wir noch

D 4IV. 561. Buch. 1. Tit.

IV. Eine Bedeutung, in welcher das Wort Lex bey den alten Teutſchen denen Capitularien entgegen geſezt wurde. Lex hieß nehmlich bey den alten Teut - ſchen ein von der Nation ſelbſt abgefaßtes, und von dem Regenten nur allein beſtaͤttigtes Geſetz, deſſen Rechts - kraft beſtaͤndig war. Z. B. Lex Salica, Lex Aleman - nica. Hingegen nannte man die von dem Koͤnig mit Zuziehung der Staͤnde auf dem Reichseonvent gemachte Verordnungen Capitularien, und dieſe galten meiſt nur auf ein Jahr, wenn ſie nicht entweder von einem Teutſchen Volk als ein Theil ihrer Geſezſammlung auf - genommen, oder nach dem Ablaufe des Jahrs waren wiederhohlet worden74)S. Henr. Chr. L. B. de senkenberg in Viſioni - bus div. de collect. Legum Germanicar. Cap. II. §. 1. Prof. Fiſchers Entwurf einer Ge - ſchichte des teutſchen Rechts, (Leipzig 1781. 8.) §. 5. Von Selchow Rechtsgeſchichte §. 268. und D. Chriſt. Gottl. biener in Commentariis de ori - gine et progreſſu Legum Iuriumque Ger - man. P. I. Lib. II. Cap. I. §. 51..

Ein Geſez in der oben angefuͤhrten allgemeinen Bedeutung kann entweder lex perfecta oder imperfecta ſeyn, je nachdem es entweder eine vollkommene oder unvollkommene Verbindlichkeit ausdrukt. In einer an - dern Bedeutung unterſcheiden die Fragmenta iuris An - tejuſtinianei75)ulpianus in Fragm. Tit. 1. §. 1. et 2. Ant. schulting ad Eundem in not. 3. et ſqq. Iurispr. vet. Antejuſt. pag. 561. ſqq. et voet ad. Pand. Tit. de L. L. §. 16. legem perfectam, imperfectam und minus quam perfectam von einander. Ein Geſez der erſtern Art war ein ſolches, welches etwas verboth, ſo daß die gegen das Verboth unternommene Handlungfuͤr57de luſtitia et Iure. fuͤr nichtig gehalten werden ſollte. Ein Geſez der an - dern Art wurde dasjenige genennt, welches etwas zwar verboth, aber, wenn es einmahl geſchehen, ſolches nicht fuͤr null erklaͤrte, auch keine Strafe darauf ſezte. Ein ſolches Geſez war Lex Cincia, in welcher unter andern verbothen war, uͤber eine gewiſſe Summe zu ſchenken. Dem Donator ſtand in ſolchem Fall nur actio reſciſſoria zu, wodurch er dasjenige wieder be - kommen konnte, was er uͤber die geſezliche Maſe dem andern geſchenkt hatte76)L. 21. §. 1. D. de donat. . Hatte er die Schenkung noch nicht vollzogen, ſo konnte er ſich in Anſehung deſ - ſen, was die geſezlich beſtimmte Summe uͤberſtieg, mit einer Exception ſchuͤtzen77)L. 24. D. de donat. L. 5. §. 2. et 5. D. de doli mali et met. except. S. brvmmer ad L. Cinciam C. III. Meh. rere Beyſpiele ſolcher Legum imperfectarum findet man beym noodt in Commentar, ad Digeſta. Tit. de religioſis. Tom. II. Oper. p. 268. (edit. Belgicae 1735. fol.) . Ein Geſez endlich von der dritten Art hieß dasjenige, welches eine Handlung zwar verboth, ſolche aber, wenn ſie einmahl unternom - men worden, nicht vernichtete, ſondern nur eine Strafe darauf ſezte. Hierher gehoͤrte Lex Furia teſtamenta - ria, welche verboth, niemanden mehr als 1000. Aſſes zu vermachen, und dem Legatar, welcher mehr nahm, mit der poena quadrupli beſtrafte.

§. 5. Mittel, die Unterthanen zur Befolgung der Geſetze anzutreiben.

Es iſt wohl nicht noͤthig, noch erſt zu erinnern, daß man nicht Geſetze giebt, um Geſetze zu geben, ſondern um das Beſte des Staats entweder durch Er -D 5langung581. Buch. 1. Tit. langung eines gewiſſen Gutes oder durch Abwendung ei - nes gewiſſen Uebels zu bewirken. Wenigſtens haben alle Geſetze dieſe Vermuthung fuͤr ſich, daß ſie in keiner andern Abficht ſind gegeben worden78)Vortreflich ſagt daher cicero in Orat. pro A. Cluen - tio cap. 53. Mens, et animus, et conſilium, et ſenten - tia civitatis, poſita eſt in legibus. Ut corpora noſtra ſine mente: ſic civitas ſine lege, ſuis partibus ut ner - vis, ac ſanguine et membris, uti non poteſt. . Das hoͤchſte Wohl des Staats beſtehet alſo in der genaueſten Beob - achtung der Geſetze. Sind nun gleich Unterthanen in dieſer Ruͤckſicht ſchon an ſich verpflichtet, denen Ge - ſetzen ihres Oberherrn Folge zu leiſten, und ihre Hand - lungen denenſelben gemaͤß einzurichten, ſo ſtehet es doch dem Geſezgeber zu, zweckmaͤſige Mittel zu gebrauchen, und dadurch die Beobachtung ſeiner Geſetze deſto ge - wiſſer und unausbleiblicher zu machen79)Von den Mitteln, wodurch die Heiligkeit der Geſetze geſichert wird, handelt ſehr ausfuͤhrlich und mit dem ge - woͤhnlichen Scharfſinn Guſtav Bernh. Becmann in Diſſ. de aequitate privilegii odioſi et poteſtate imperantis circa illud. Goettingae 1750. §. 8. und folg.. Dieſe Mit - tel werden deſto wirkſamer ſeyn, je mehr ſie der Ver - ſuchung, die Geſeze zu uͤbertreten, in den Gemuͤthern der Unterthanen ein Gegengewicht zu geben vermoͤgend ſind. Gleichwie nun die Vorſtellung des Guten und Boͤſen, welches eine Handlung zur Folge haben kann, allerdings ein ſtarkes Motiv giebt, wodurch wir zur Be - gehung oder Unterlaſſung einer ſolchen Handlung beſtim - met werden, ſo pflegen nun entweder Verheiſſung gewiſſer Belohnungen oder Androhung und Zufuͤgung gewiſſer Uebel die beyden Mittel zu ſeyn, wodurch Geſezgeber ihren Anordnungen Anſehenund59de Iuſtitia et Iure. und Unverbruͤchlichkeit zu geben ſuchen80)Die alten griechiſchen und roͤmiſchen Geſezgeber ſuchten ihren Geſetzen auch dadurch eine groͤſere Heiligkeit zu ge - ben, daß ſie ſolche der Eingebung einer gewiſſen Gottheit zuſchrieben. Bekannt ſind die Taͤuſchungen eines Solons, Zaleucus, Numa Pompilius und anderer mehr. Siehe Io. Sal. brunquelli Proluſ. Acad. de variis vete - rum legibus ſuis ſanctitatem auctorita - temque conciliandi modis. Ienae 1729.. Daher ſagt Ulptan in dieſer Hinſicht richtig, bonos non ſolum metu poenarum, verum etiam praemiorum exhor - tatione effici81)L. 1. §. 1. D. de luſtit. et Iure. . Ob nun gleich die Beyſpiele ſolcher Geſetze nicht unbekannt ſind, in welchen die Geſetzgeber durch verheiſſene Belohnungen ihre Unterthanen zur Be - folgung derſelben zu ermuntern geſucht haben, man denke z. B. an die Legem Iuliam et Papiam Poppae - am; ſo iſt doch ſolches eines Theils nur alsdann ge - ſchehen, wenn denen Geſetzgebern daran gelegen war, eine an ſich unvollkommene Pflicht aus gewiſſen Staats - abſichten bey ihren Unterthanen mehr in Ausuͤbung zu bringen, und es ihnen nicht wohl ſchicklich zu ſeyn ſchie - ne, die Erfuͤllung derſelben ſchlechterdings aufzuerlegen; andern Theils aber iſt auch jenes Mittel, welches Ul - pian in exhortatione praemiorun ſezet, darum nicht zweckmaͤſig genug, weil es dem Staat zu koſtbar faͤllt, und uͤber dies nach der verſchiedenen Denkungsart der Menſchen auch nicht immer wirkſam iſt. Es bleibt da - her die Furcht fuͤr uͤble Folgen wohl das ſicher - ſte Mittel, Unterthanen, welche ſonſt vielleicht geneigt ſeyn duͤrften, der Stimme der Geſetze kein Gehoͤr zu geben, auf dieſelbe aufmerkſam zu machen.

Die Uebel, welche der Geſezgeber mit der Nichtbe - obachtung ſeiner Geſetze verbinden kann, koͤnnen nunmancher -601. Buch 1. Titmancherley ſeyn. Wir wollen nach Anleitung des Hell - feld nur die gewoͤhnlichſten anmerken. Dahin gehoͤrt

  • 1) Nichtigkeit der Handlung, die dem Geſez zu - wider unternommen worden iſt. Zwar ſoll nach der L. 5. Cod. de Legibus jedes verbietende Geſez ſchon an ſich die Nichtigkeit ſolcher Handlungen, welche dagegen unternommen werden, nach ſich ziehen, li - cet legislator prohibuerit tantum, nec ſpecialiter dixerit, inutile eſſe debere, quod factum eſt; allein oft findet man doch auch die Clauſul der Nullitaͤt dem Geſez ausdruͤcklich beygefuͤget. Ein Beyſpiel davon giebt das durch einen Senatsſchluß bekraͤftigte Verboth des Div. Marcus; ſich uͤber kuͤnftige Alimente ohne obrigkeitliche Einwilligung zu vergleichen; in dieſem heiſſet es: ne aliter alimentorum transactio rata eſſet, quam ſi auctore Praetore facta
    82)L. 8. pr. D. de Transact.
    82). So erfordern ferner die poſitiven Geſetze die Einwilligung der Eltern bey der Verheirathung der Kinder, welche noch nicht ſui iuris ſind, und erklaͤren die ohne ſolchen Conſens geſchloſſene Ehe ſchlechterdings fuͤr nichtig
    83)Princ. Inſt. de nupt. verglichen mit §. 12. I. eod. L. 2. D. de rit. nupt. c. 1. 3. 4. Cauſ. XXX. Qu. 5. cap. 3. X. Qui matrim. accuſ. poſſ. Zwar haben die heiligen Vaͤter auf der Kirchenverſammlung zu Trident das Anathema wider diejenigen ausgeſprochen, welche ſich etwa unter - fangen ſollten zu behaupten, daß die Ehe wegen fehlen - der Einwilligung der Eltern zu annulliren ſey, Seſſ. 24. de Reformat. matrimon. cap. I. Allein es kann ſich jenes Anathema der heiligen Synode wenigſtens auf proteſtantiſche Lande nicht erſtrecken.
    83).
  • 2) Ein anderes Uebel, ſo die Nichtbeobachtung eines Geſetzes zur Folge haben kann, beſtehet in dem Verluſt ſeines habenden Rechts oder einesandern61de Iuſtitia et Iure. andern Vortheils, welchen man ſonſt nach den Geſetzen zu erwarten gehabt haͤtte. So erklaͤrt z. B. Kaiſer D. Marcus
    84)L. 7. C. unde vi. L. 13. D. quod met. cauſ.
    84) denjenigen ſeines Rechts verluſtig, der, ohne den Richter anzutreten, ſolches mit eigener Gewalt durchzuſetzen, ſich unternehmen wuͤrde; und die Geſetze machen es jeder Mutter zur Pflicht, nach dem Tode ihres Mannes fuͤr ihre unmuͤndige Kinder bey der Obrigkeit Vormuͤnder zu bitten, und verknuͤpfen mit der vorſezlichen Verabſaͤumung dieſer Pflicht den Verluſt ihres geſezmaͤſigen Erbrechts auf das Vermoͤgen ihrer Kinder
    85)L. 2. §. 1. D. Qui petant tutor. vel curat.
    85).
  • 3) Kann der Oberherr mit der Uebertretung ſeiner Geſeze auch ſchmerzhafte Folgen verknuͤpfen. um durch Vor - ſtellung derſelben dem Reize des Verbrechens entge - gen zu arbeiten. Man nennet dieſe Folgen Strafen. Das Wort Strafen iſt zwar, wie bekannt, ſehr vieldeutig, es iſt aber hier der Ort nicht die mannig - faltigen Bedeutungen deſſelben anzugeben, mit iſt es hier genug, zu erinnern, daß Strafe im eigent - lichen Verſtande ein empfindliches Uebel ſey, welches jemanden wegen eines begangenen Verbrechens vermoͤge geſetzlicher Diſpoſi - tion zugefuͤget wird. Ein ſolches Geſetz, wel - ches dem moraliſchen Uebertretter ein Strafuͤbel dro - het, wird ein Straf - oder Poͤnalgeſetz genen - net; und die freye Uebertretung eines Straf - geſetzes, wodurch der gemeinen Wohlfarth entgegen gehandelt wird, iſt ein Verbre - chen
    86)Herr von valazé uͤber die Strafgeſetze, oder Entwurf zu einem allgemeinen Strafcodex,aus
    86). Da meine Abſicht bloß iſt, das Civil -recht621. Buch. 1. Tit. recht zu erlaͤutern, ſo glaube ich, wird Niemand von mir verlangen, daß ich mich hier in den Dispuͤt uͤber den eigentlichen Zweck der Strafen einmiſchen ſolle
    87)Siehe des Herrn Prof. Caͤſars Abhandlung von dem Zwecke der Strafen, hinter Valazê. S. 59. und ff. und Herrn Prof. Puͤttmanns Progr. de poe - nis exemplaribus. Lipſiae 1787.
    87). Nur das einzige kann ich hier nicht unbemerkt laſſen, daß man die Strafen in zwifacher Ruͤckſicht betrachten kann, einmahl, in ſofern ſie angedrohet, ſodann, in ſofern ſie zugefuͤget werden. Fraͤgt man nun, in welcher Ab - ſicht der gerechte Oberherr die Strafen an - drohe? ſo kann der Zweck kein anderer ſeyn, als die - ſer, daß durch die in den Gemuͤthern der Unterthanen erzeugte Furcht vor den angedroheren ſchmerzlichen Fol - gen ſein Geſez beobachtet, und hierdurch das Gute er - halten werde, um deſſentwillen das Geſez gegeben iſt. Fraͤgt man aber, in welcher Abſicht der Ober - herr die angedrohete Strafe an dem Ueber - treter ſeiner Geſetze vollſtrecken laſſe? ſo iſt der Zweck der Strafen nur ein einziger, nehmlich Sicherheit der Buͤrger, oder Ruhe des Staats. Und da dieſer Endzweck auf eine doppelte Art erreicht wer - den kann, einmahl, wenn man die Miſſethaͤter da - hin bringt, daß ſie in Zukunft nicht mehr Verbrechen be - gehen koͤnnen oder begehen wollen, ſie moͤgen nun entweder gebeſſert, oder ihnen das Vermoͤgen, Verbrechen wei - ter zu begehen, genommen werden; zweitens, wenn andere, durch das Beyſpiel der Zuͤchtigung abgeſchreckt,von
    86)aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſezt von Carl Adolph Caͤſar. (Leip - zig 1786.) ſagt im 1. Buch 1. Cap. Seit. 2. Verbrechen nenne ich eine boͤſe, d. h. den Geſetzen zuwiderlau - fende Handlung, deren Wirkung dieſe iſt, daß ſie Un - ordnung unter den Menſchen anrichtet.
    86)63de Iuſtitia et Iure. von Begehung aͤhnlicher Verbrechen abgehalten werden; ſo ergiebt ſich hieraus eine doppelte Abſicht, welche der Geſezgeber bey Zufuͤgung der Strafen haben kann: erſtens: um den Staat vor denen zu ſichern, welche ſchon Verbrechen begangen haben, und zwei - tens auch vor denen, von welchen etwas aͤhnliches zu befuͤrchten ſtehet. Soviel hier nur im Vorbey - gehen von dem Zwecke der Strafen.

Zulezt bemerke ich noch, daß derjenige Theil des Geſetzes, welcher das Uebel feſtſezt, ſo den Ueber - treter deſſelben treffen ſoll, eigentlich Sanctio genen - net wird88)§. 10. I. de rer. diviſ. L. 41. D. de poenis. cicero in Verr. IV. c. 66. et pro Balbo c. 14. ernesti in Clavi Ciceron. voc. Sanctio. , daher Strafgeſetze bey den Alten leges ſanctac89)Siehe turnebus Adverſar. Lib. IX. c. 6. ho - tomannus in Commentar. de verbis iuris in voc. Sanctum. et brissonius de Verbor. iuris Si - gnificat. in voc. Sancta. , auch ſacratae90)Dieſen Nahmen erhielten in den aͤlteſten Zeiten der Roͤmer inſonderheit diejenigen Strafgeſetze, welche die Clauſul enthielten: Quei aliter faxit, cum pecunia familiaque ſa - cer eſto. Daher ſagt festus de verbor. ſignificat. Lib. XVII. sacratae leges ſunt, quibus ſanctum eſt, ut, qui quid adverſus eas fecerit, ſacer alicui deorum ſit cum familia pecuniaque. Man vergleiche Frid. plat - neri de legibus ſacratis liber ſingularis. Lipſiae 1751. 8. hieſſen; es iſt je - doch ſehr gewoͤhnlich, per ſynecdochen auch die Ge - ſetze ſelbſt Sanctiones zu nennen.

§. 6.641. Buch. 1. Tit.

§. 6.

Innerliche Handlungen der Menſchen koͤnnen kein Gegenſtand menſchlicher Geſetze ſeyn. Bemerkung uͤber L. 18. D. de poenis.

Da die Geſetze des Oberherrn denen Handlungen ſeiner Unterthanen zur Richtſchnur dienen ſollen, ſo ent - ſteher die Frage, was fuͤr Handlungen der Dispoſition eines menſchlichen Geſezgebers unterworfen ſind? Die Handlungen der Menſchen ſind nehmlich, wie bekannt, ſehr mancherley; ſie koͤnnen einmahl bloß innerliche ſeyn, die eine Wirkung unſerer Seele und des Verſtan - des ſind, und daher in Gedanken, Begriffen, Vorſtel - lungen und Ueberzeugung beſtehen. Sie koͤnnen aber auch zweitens aͤuſſerliche Handlungen ſeyn, deren Wirkungen ſich auſſer dem Menſchen zeigen. Ein menſch - liches Geſez kann nun

1) bloß den aͤuſſerlichen Handlungen der Menſchen eine Richtſchnur ertheilen; innerliche Hand - lungen hingegen koͤnnen der Dispoſition eines menſchli - chen Geſezgebers nicht unterworfen ſeyn. Sie koͤnnen darum kein Gegenſtand der Geſetze ſeyn, weil ſie eines Theils keinen Zwang zulaſſen, und andern Theils auch keinen Einfluß in die Wohlfarth des Staats haben. So wenig alſo der Regent im Staat durch ſeine geſez - gebende Gewalt dem Verſtande und der Ueberzeugung ſeiner Unterthanen eine ſolche Richtung zu geben ver - mag, daß ſie etwas fuͤr wahr halten ſollen, von deſſen Gegentheil ſie nach ihren Begriffen und Vorſtellungen uͤberzeugt ſind, vielmehr alles, was den Verſtand und Ueberzeugung angehet, gaͤnzlich auſſer der Sphare der geſezgeberiſchen Dispoſition liegt; ſo wenig kann auch ſchon der bloſe Gedanke, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu begehen, zu deſſen Realiſirung aber durch auſſere Thaͤ -tig -65de Iuſtitia et Iure. tigkeit noch gar keine Anſtalt getroffen worden iſt, in der buͤrgerlichen Geſellſchafft als eine ſtraffaͤllige Ueber - tretung des Geſetzes angeſehen werden91)Daher ſagt ſchon Paulus in L. 53. §. 2. D. de Verb. Signif. Conſilium ſolum habuiſſe non nocet, niſi et fa - ctum ſecutum fuerit. ; vielmehr wird in ſolchem Fall die bekannte Paroͤmie eintreten: Ge - danken ſind zollfrey92)S. Eiſenharts Grundſaͤtze des teutſchen Rechts in Spruͤchwoͤrtern. Fuͤnfte Abtheil. S. 397.; oder wie Ulpian in L. 18. D. de poenis ſich ausdruckt: Cogitationis poenam nemo patitur. Ich muß bey dieſer Stelle mit Cujaz93)Lib. VIII. Obſervat. cap. 22. anmerken, daß Ulpian jene Regel zwar eigentlich nur bey Erklaͤrung des Edicts: quod quisque iuris in alte - rum ſtatuit, ut ipſe eodem utatur, angebracht hat, wie man aus der Ueberſchrift der L. 18. wahrnimmt, wenn man damit die Inſcription der L. 1. u. 3. D. Quod quisque iuris vergleichen will; ſie darf aber deswegen doch auf jenes Edict nicht blos allein eingeſchraͤnkt werden, ſondern muß vielmehr jezt auch als allgemeine Regel des Roͤm. Rechts darum gelten, weil ſie Tribonian unter den allgemeinen Titul de poenis gebracht hat. Hier - aus ergiebt ſich eine fuͤr die Hermenevtic ſehr wichtige Regel, nehmlich dieſe, daß wir bey Erklaͤrung der Fragmente der alten Roͤm. Juriſten, aus de - ren Schriften unſere Pandecten compiltret worden ſind, nicht immer auf die Verbin - dung und den Zuſammenhang ſehen duͤrfen, in welchen ſie urſpruͤnglich geſtanden haben, ſondern ſolche vielmehr in derjenigen Ver - bindung erklaͤren muͤßen, in welcher Tribo - nian ſelbige denen Pandecten einverleibethatGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. E661. Buch. 1. Tit. hat94)Siehe voorda in Electis Cap. XXII. und I. L. E. puͤttmanni Interpretat. et Obſervat. iuris. cap. XIX. pag. 89.. Ich will hiermit keinesweges jene Cujaciani - ſche Methode, die ſogenannten Leges Pandectarum ope Inſcriptionum zu erklaͤren, verwerfen, nein, ich pflege ſie ſelbſt bey jeder Gelegenheit zu empfehlen, ſondern habe nur durch dieſes Beyſpiel beweiſen wollen, daß ſie mit Behutſamkeit zu gebrauchen ſey.

Wenn ich vorher behauptete, daß mich der bloſe Vorſatz, ein Verbrechen zu begehen, in ſofern nehmlich derſelbe noch durch keine aͤußerliche Handlungen zu erken - nen gegeben worden, in foro humano noch nicht ſtraf - faͤllig mache, ſo muß ich, um nicht mißverſtanden zu wer - den, nur noch einen Gedanken hinzufuͤgen. Es iſt eine ganz andere Frage, ob nicht unterweilen die bloſe Ab - ſicht, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu begehen, geſetzt auch, daß man aus Irrthum eine wirklich erlaubte Handlung vorgenommen, geſtrafet werden koͤnne? Man ſtelle ſich den Fall vor, den Johann Owen95)Epigram. I. 80. in folgenden Verſen ſehr naiv erzaͤhlt:

Cum propria imprudens coniux uxore coivit,
Quam falſo alterius credidit eſſe viri.

oder man ſetze, es habe ſich einer vorgenommen einen Diebſtahl zu begehen, im Grunde aber eine Sache ent - wendet, die ihm ſelbſt zugehoͤrte, und auf welcher kei - nem andern ein Recht zuſtand? Kann wohl erſterer als ein Ehebrecher, und letzterer als ein Dieb geſtrafet werden? Rein, dies iſt ganz ohne Zweifel. Schon Ariſtoteles96)Lib. V. ad Nicomachum cap. ult. ſahe dieſes ein, wenn er an den Ni - comachus ſchrieb: Μοιχέυει ὀυδεὶς τὴν ἑαυτȣ͂, ὀυδὲ κλέ -πτει67de Iuſtitia et Iure. πτει τὰ ἑαυτȣ͂, d. i. Niemand begehet mit ſeiner eigenen Frau einen Ehebruch, es kann auch Niemand ſeine eigene Sache ſtehlen. Und eben ſo wird ein aͤhnlicher Fall entſchieden, in §. 8. I. de obligat. quae ex delicto na - ſcunt. Sed et ſi credat aliquis invito domino ſe rem commodatam ſibi contrectare, domino autem volente id fiat, (der Eigenthuͤmer hatte z. B. bey ſich beſchloſſen, daß er dem Commodatar die ihm geliehene Sache ſchenken wolle) dicitur furtum non fieri. Aber wird gleich die Handlung ſelbſt nicht als dasjenige Ver - brechen angeſehen, welches ſich ihr Urheber zu begehen vorgeſetzet hatte, ſo fragt ſich’s doch, ob nicht wenigſtens die dabey gehabte boͤſe Abſicht einige Strafe verdiene? Dieſes iſt allerdings zu behaupten. Zwar koͤnnen die Worte des bekannten Hadrianiſchen Reſcripts beym Cal - liſtratus in L. 14. D. ad Leg. Cornel. de Sicariis: in maleficiis voluntas ſpectatur, non exitus hier zu keinem Beweiß dienen; denn ſo verſchieden auch dieſe Ver - ordnung von den Auslegern des Roͤm. Rechts erklaͤret wird97)Cujaz Obſervat. Lib. XV. c. 25. glaubt, daß die Verordnung nur auf Verbrechen hoͤherer Art Beziehig habe. Andere wenden dieſe Vorſchrift auf alle Verbreen an. Puͤttmann in Elem. iur. crim §. 58. Quiorp in den Grundſaͤtzendes peinl. Rechts. 1. Th. 33. not. d. Eine ganz eigene Meinung hegt Corn van Byn - kershoͤck Obſervat. Iur. Rom. Lib. III. c. 10. haͤlt dafuͤr, daß der Ausdruck maleficium hier keine agemei - ne ſondern eine vorzuͤgliche Bedeutung habe, und nur von ſolchen Miſſethaten, deren der Theodoſiſche und Iſtiniani - ſche Codex unter dem Titul: de maleficis etmathe - maticis erwaͤhnet, angenommen werden duͤrft Haupt - ſaͤchlich will er ihn von der Giftmiſcherey und ſolchen Ar - ten des Menſchen-Mords verſtanden wiſſen, wovon LexCor -, ſo kann man ihr doch in der That keinen an[dern]E 2dern681. Buch. 1. Tit. dern Sinn beylegen, als dieſen, daß der Richter bey ungluͤcklichen Ereigniſſen, ſo das Anſehen eines Verbre - chens haben, um zu beurtheilen, ob eine Perſon ſchuldig oder nicht ſey, nicht bey der That allein, und deren Fol - gen ſtehen bleiben, ſondern beſonders auf die Abſicht deſ - ſen, der ſie veranlaßte, Ruͤckſicht nehmen muͤſſe, um den ohngefaͤhren nicht imputablen Zufall, desgleichen die bloſe Fahrlaͤſſigkeit, von der Argliſt und Boßheit zu un - terſcheiden. Hier ſetzen wir aber einen ſolchen Fall zum Grunde, wo die vorgenommene Handlung an ſich erlaubtund97)Cornelia de ſicariis inſonderheit gehandelt habe. Daher laſſe ſich auch begreifen, wie L. 14. unter dem Titul der Pandecten, worin von den gedachten Corneliſchen Geſetz gehandelt wird, habe gebracht werden koͤnnen. Einige gehen noch weiter, und wollen durch eine Verſetzung der Worte der Sache abhelfen. Sie leſen nehmlich in male - ficiis non voluntas ſpectatur, ſed exitus. Allein die rich - tigſte Erklaͤrung iſt, wenn wir unter maleficium, jeden un - gluͤcklichen Vorfall, der zu einer Kriminal-Unterſuchung Gelegenheit geben kann, oder jedes unerwartete Factum, ſo den Urheber zu irgend einer Verantwortung verpflich - ten kann, verſtehen, eine Bedeutung, in welcher dieſes Wort ſowohl bey den alten claſſiſchen Scriptoren, livivs Lib. V. c. 3. VII. 20. als in den Fragmenten der Roͤm. [R]echtsgelehrten vorkommt L. 1. D. de obligat - et actionib. L. 53. pr. D. de furtis. L. 16. §. 10. D. de poenis. Es be[st]aͤrkt dieſe Erklaͤrung inſonderheit auch das Wort volun - tas welches hier ſo viel als Vorſatz oder Abſicht heißt. Die Worte non exitus heiſſen ſoviel als non ſolus exi - tus. d. i. man ſoll nicht auf den Erfolg der That allein, ſondern beſonders auf die Abſicht ihres Urhebers ſehen. Man vergleiche die gelehrte Abhandlung uͤber L. 14. D. ad L. Corn. de ſicar. in dem neuen Leipziger Ma - gazin fuͤr Rechtsgelehrte herausgegeben von Guͤnther und Otto, auf das Jahr 1786. 1. Stuͤck. Seite 1 17.69de Iuſtitia et Iure. und unſchaͤdlich war, allein durch Taͤuſchung oder Irr - thum ihres Urhebers als Verbrechen unternommen wurde. Folglich paßt jene Vorſchrift der L. 14. hier darum nicht, weil ſie von wirklich ungluͤcklichen Vorfaͤllen z. B. began - genen Todſchlaͤgen handelt. Allein dem ſey, wie ihm wolle, ſo hat unſere obige Behauptung doch ihre voͤllige Richtigkeit, und den Beyfall der beruͤhmteſten Rechts - lehrer98)S. Canzler Koch in Inſtitut. iur. crim. lib. I. c. 2. §. 16. und Prof. Puͤttmann in den Adverſir. iuris univerſi cap. 16. §. 9. fuͤr ſich. Der Grund, den Juſtinian99)§. 8. I. de Obligat. quae ex delicto. in einem aͤhnlichen Falle zur Entſcheidung anfuͤhrt, iſt auch allerdings treffend, damit nicht die gaͤnzliche Un - ſtraͤflichkeit den Thaͤter verleiten moͤge, dasjenige Ver - brechen wirklich annoch zu begehen, was er bisher ohne Erfolg der That ſich nur vorgeſetzet hatte.

§. 7 und 8. Nur den aͤußerlichen freyen Handlungen der Menſchen koͤnnen die Geſetze eine Richtſchnur ertheilen.

Alſo nur aͤuſerliche Handlungen der Menſchen liegen in der Sphaͤre der Geſezgebung. Allein auch dieſe koͤnnen wieder ſehr verſchieden ſeyn. Sie ſind entwede[r]freye oder nicht freye Handlungen. Welc[he]Handlungen werden denn aber freye Handlungen gen[en]- net? Da eine freye Handlung nicht gedacht[wer]- den kann, wo nicht ein Vermoͤgen willkuͤrlich zu[ha]n - deln da iſt, ſo muß nothwendig erſt erklaͤrt we[rd]en, was eine willkuͤhrliche Handlung ſey, u[m]ſich einen deutlichen Begriff von einer freyen Hand[l]ung machen zu koͤnnen. Die Entwickelung dieſer[B]egriffe iſt folgende. Eine Handlung iſt entweder ſo b[es]chaffen,E 3daß701. Buch. 1. Tit. daß wir uns ſelbſt dazu beſtimmen, oder wir werden dazu durch eine unwiderſtehliche Kraft ohne unſern Wil - len determinirt. Im erſten Fall ſtehet ſie in unſe - rer Gewalt; im zweiten aber iſt’s eine Handlung, die nicht in unſerer Gewalt ſtehet. Hand - lungen der letztern Art werden nichtwilkuͤhrliche, oder unfreywillige Handlungen genennet, und dieſe koͤnnen zwiefach ſeyn, entweder ſolche, wozu wir durch eine aͤuſſerliche unwiderſtehliche Gewalt genoͤthiget werden, oder ſolche, wozu wir von unſerer Natur durch ein in der Organiſation unſeres Coͤrpers gegruͤndetes Principium beſtimmt werden, jene werden erzwunge - ne, dieſe aber phyſiſch nothwendige Handlungen genennet. Wenn im Gegentheil eine Handlung in un - ſerer Gewalt ſtehet, ſo daß wir ſie nach Gefallen thun und auch unterlaſſen koͤnnen, ſo nennet man ſie eine willkuͤhrliche Handlung (actio arbitraria). Wer nun eine ſolche willkuͤhrliche Handlung unternimmt, iſt entweder im Stande, ſich die Folgen derſelben vorzu - ſtellen, und darnach mit Ueberlegung ſeinen Willen zu lenken, oder es iſt dem Handelnden dies nicht moͤglich. Im erſten Fall heißt die Handlung eine freye, im weiten eine blos willkuͤhrliche nicht freye Hand -[l]ung. Wer ferner frey handeln d. i. die Folgen einer u[n]ternommenen Handlung uͤberlegen konnte, war nun au[ch]entweder wirklich nicht eher zu der Handlung ge - ſch[rit]ten, als nach einer vorher angeſtellten reiflichen Ue - berl[eg]ung, oder er hatte nicht uͤber die Folgen der Hand - lung gehoͤrig nachgedacht, ſondern die Handlung unuͤber - legt aus Uebereilung oder in der Hitze der Leidenſchaft begangen. Ob nun gleich die Handlung auch im letzten Fall nach immer freye Handlung bleibt, ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß ein Menſch in der Hitze des Affects nicht mit voͤlliger Vernunft handele, undfolg -71de Iuſtitia et Iure. folglich in einem ſolchen Falle keine voͤllige Freyheit da ſey. Denn nur da, wo mit voͤlliger Vernunft und Ueberlegung gehandelt wird, iſt voͤllige Freyheit vorhan - den. Daher heißt nun eine Handlung im ſtrengſten Verſtande frey100)Iſt von Verbrechen die Rede, die mit ſolcher Ueb[er -]legung und voͤlligen Freyheit ſind veruͤbet worden, ſo[ge]- brauchen unſere peinl. Rechte die Ausdruͤcke: fuͤrſez[lich], muthwillig, gefliſſen. S. Peinl. Gerichtsord[nu]ng Carls des V. Art. 137. und 159., welche nach vorhergegangener teiflicher Ueberlegung von jemanden iſt unternommen wor - den, der das vollkommene Vermoͤgen hatte, nach ſei - nem gegenwaͤrtigen Ideenzuſtande, das iſt, nach dem Maaß ſeiner Erkaͤnntniß das beſte zu waͤhlen1)S. Mart. Ehlers uͤber die Lehre von der m[e]nſch - lichen Freyheit. (Deſſau.) Hoͤpfners Natur[r]echt. §. 3. u. 4. und Hofr. Feders Unterſuchungen [be]r den menſchlichen Willen. 2te Auflage.. Dieſes vorausgeſezt, ſo entſtehet nun die Frage, ob nur freye Handlungen allein, oder ob nicht auch unfreywillige, nicht freye Handlungen, denen Geſetzen des Staats un - terworfen ſeyn koͤnnen? Man moͤchte letzteres beynahe glauben, wenn man beym Marcian in L. 2. D. de Legib. ließt, was der Redner Demoſthen vom Ge - ſez ſagt: Lex eſt coërcitio eorum, quae ſponte, vel involuntarie delinquuntur. Was Wunder nun, wenn einige Rechtsgelehrte behauptet haben, daß ein Raſender zwar nicht beſtraft werden koͤnne, aber doch zur Verguͤtung des Schadens, den er angerichtet, aller - dings verbunden ſey2)Dies behaupten mencke ad Pandect. Li[b]. XLVII. Tit. 1. §. 14. schaumburg Compend. D[i]geſtor. Lib. IX. Tit. 1. §. 3. schmidt Inſtit. iur.[c]iv. §. 423. hommel Rhapſod. Quaeſt. Obſ 567. [vo]n Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahrheit[.]S. 58., ſie meinen, daß dem Beſchaͤ -E 4digten721. Buch. 1. Tit. digten deshalb die actio in factum in denen buͤrgerlichen Geſetzen zugeſtanden werde3)Sie haben dergleichen in L. 33. D. ad L. Aquil. ge - funden zu haben vermeint, in welchen Paulus ſagt. In damnis, quae Lege Aquilia non tenentur, in factum da - tur actio. . Allein, daß dieſe Mei - nung nicht allein dem Naturrechte, ſondern auch dem wahren Sinn der buͤrgerlichen Geſetze offenbahr entge - gen ſey, haben Andere ſchon mit beſſern Gruͤnden ge - zeigt4)S. stryck in Uſ. Mod. Pand. Lib. IX. Tit. 2. §. 2. leyser Meditat. ad Pand. Spec. 532. Med. 2. inſonderheit Weber in der ſyſtemat. Entwikelung der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit. 2te Abth. §. 71. S. 270.. Denn ſchon die Geſetze der Vernunft er - fordern zu einer jeden verbindlichen Handlung, daß ſie ihrem Urheber zu imputiren ſey, da dies aber bey denen wegfaͤllt, welchen es an Verſtand und Willen mangelt, um frey handeln zu koͤnnen, ſo iſt der Schade, den ſol - che Perſonen anrichten, offenbahr nur ein damnum ca - ſuale, weshalb derjenige, den es trift, keine Verguͤtung fordern kann. Und mit dieſen Grundſaͤtzen des Natur - rechts, ſtimmen auch die buͤrgerlichen Geſetze uͤberein, Impune puto admittendum, ſagt daher Pompon5)L. ult. in fin. D. de adminiſtr. et peric. tut. , quod per furorem alicuius accidit: quomodo ſi caſu aliquo, ſine facto perſonae, id accidiſſet: und ſehr treffend iſt der Entſcheidungsgrund des Pegaſus beym Ulpian6)L. 5. § 2. D. ad L. Aquil. : Quae enim in eo culpa eſt, quum ſuae mentis non ſit? Aber ſolten nicht die oben angefuͤhrten Geſetze ei - nigen Widerſpruch machen, und die Meinung jener Rechtsgelehrten wenigſtens inſofern rechtfertigen, als nur von einer Schadenserſetzung die Rede iſt? Ich glaubees73de Iuſtitia et Iure. es nicht. Denn wenn Paulus da, wo die eigentliche Klage aus dem Aquiliſchen Geſez wegfaͤllt, dem Beſchaͤ - digten die Befugnis beilegt, in factum zu klagen: ſo kann unmoͤglich ſeine Meinung dahin gehen, daß die letztere Klage ohne Unterſchied, ob der Schade vorſetz - lich, oder aus Fahrlaͤßigkeit, oder durch ein Ungefehr angerichtet worden, immer durchgaͤngig ſtatt finde. Es erhellet vielmehr aus andern Geſezſtellen7)S. §. ult. 1. de L. Aquil. , daß die actio in factum, welche in denen Faͤllen Statt haben ſoll, wo die Klage aus dem Aquiliſchen Geſez ceſſirt, nur gegen den, qui obnoxius fuerit, alſo wer Schuld hat, daß der Schade geſchehen, ſolle angeſtellet werden koͤnnen. Wie mag man aber dieſes in dem Fall zutref - fend glauben, wo alle Imputation gaͤnzlich wegfaͤllt, und nichts als ein damnum caſuale vorhanden iſt, und wo daher ſelbſt nach den Geſetzen der Vernunft, ohne deren Beyſtand die actio in factum gaͤnzlich wegfaͤllt, kei - ne Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Schadens vorhan - den iſt8)S. Weber am angef. Ort. not. 274.. Es kann aber auch eben ſo wenig der von Marcian aus dem Demoſthenes entlehnte Begrif des Geſetzes ſo verſtanden werden, als ob unfreye Hand - lungen nach den Geſetzen beurtheilt, und als Verbrechen beſtraft werden koͤnnten. Denn involuntarie delinquere, heißt daſelbſt nicht, ohne Freyheit des Willens handeln, ſon - dern ohne boͤſen Vorſatz, bloß aus Unachtſamkeit und Unwiſſenheit ſich vergehen, wie ſchon Gerhard Noodt9)in Commentar. in Dig. tit. de Legib. Tom. II. Oper. pag. 12., bemerkt hat. Der Ausdruck involuntarie be - greift auch die aus Uebereilung und in der Hitze der Lei - denſchaft begangene ſtraffaͤllige Handlungen unter ſich. Cadunt enim in ignorantiam atque in imprudentiamE 5per -741. Buch. 1. Tit. perturbationes animi, ſagt Cicero10)Topic. c. 16., quae quam - quam ſint voluntariae, (obiurgatione enim et admonitione deiiciuntur) tamen habent tantos mo - tus, ut ea, quae voluntaria ſunt, aut neceſſaria in - terdum, aut certe ignorata videantur. Es ſcheinet alſo wohl das involuntarie delinquere das nehmliche zu ſeyn, was Papinian11)L. 1. D. de Legib. nennet delictum, quod igno - rantia contrahitur: ignorantia aber iſt hier ſoviel als culpa12)S. Pet. de greve Exercitat. ad Pandectar. loca difficil. tit. de LL. p. 8.. Das Reſultat von allem dieſen iſt nun, daß

2) nur aͤuſſere willkuͤhrliche freye Hand - lungen der Buͤrger des Staats der Gegenſtand der Geſetze ſeyn koͤnnen. Wo alſo das Vermoͤgen frey zu handeln, ganz wegfaͤllt, da kann keine Verbindlich - keit aus den Geſetzen ſtatt finden. Hieraus folget wei - ter, a) daß durch ein Geſez niemanden etwas auferlegt werden kann, was phyſiſch unmoͤglich iſt (ad impoſſibi - lia nulla datur obligatio); denn hier faͤllt alle Freyheit weg. Eben dieſes gilt b) aus dem nehmlichen Grunde auch von phyſiſch nothwendigen Handlungen. c) die Fol - gen der aus Zwang und ohne Freyheit begangenen Hand - lungen, werden in der Regel dem Handelnden nicht zu - gerechnet. Daß aber auf Seiten desienigen allerdings Zurechnung ſtatt finde, in deſſen fuͤrgeſetzten Willen und Bosheit der Grund ihrer Wirklichkeit angetroffen wird, hat keinen Zweifel. Daher ſagt ſchon Seneca13)Troad. v. 870. ganz richtig: Ad auctores redit ſceleris coacti culpa. End - lich d) kann ein Geſez auch in Anſehung derer von keinerWirkung75de Iuſtitia et Iure. Wirkung ſeyn, denen der Gebrauch des Verſtandes, und mithin die Freyheit des Willens abgehet. Es koͤnnen daher raſende und wahnwitzige Perſonen wegen begangener Verbrechen ſo wenig beſtraft, als eigentlich zur Scha - denserſetzung angehalten werde14)S. Quiſtorp in den Grundſaͤtzen des peinl. Rechts. Th. I. §. 38.. Obgleich die Ver - guͤtung dieſes Schadens actione ex lege Aquilia von denen allerdings gefordert werden kann, denen die Auf - ſicht uͤber ſolche Perſohnen gegeben war, wenn durch deren Nachlaͤſſigkeit und Verwahrloſung dieſer Schade hauptſaͤchlich angerichtet worden15)Hellfeld §. 38..

§. 9. Koͤnnen auch Religionshandlungen ein Gegenſtand der geſetzgebenden Gewalt ſeyn?

Der Satz, der in dieſem §. enthalten iſt, daß nehmlich alle aͤuſſerliche willkuͤhrliche freye Handlungen der Menſchen, ohne Unterſchied, ſie moͤgen Religions - handlungen oder weltliche Handlungen ſeyn, denen Ge - ſetzen unterworfen ſind, koͤnnte uns reichen Stof zu ei - ner Abhandlung uͤber die Grenzen der geſetzgebenden Ge - walt in Anſehung der Religionshandlungen darbiethen, wenn hier der Ort dazu waͤre. Ich werde daher hier dieſen Gegenſtand nur in ſoferne beruͤhren, als etwa zur Erlaͤuterung dieſes §. noͤthig ſeyn moͤchte. Es kommt bey der Frage, ob und in wiefern Religions - handlungen ein Gegenſtand der Geſetze ſind ſowohl auf die Beſchaffenheit dergleichen Handlungen ſelbſt, als auf die Art und Weiſe an, wie die geſe[tz]ge - bende Gewalt in Anſehung ſolcher Handlungen ausg[e]uͤbt wird. Man nennt bekanntermaſſen Religionsh[a]nd -lungen761. Buch. 1. Tit. lungen, uͤberhaupt alle Handlungen, welche Religion und Gottesdienſt betreffen, oder, wenn wie nach chriſtlichen Re - ligionsbegriffen davon reden, Handlungen, welche ſich auf die chriſtliche Religion beziehen. Solche Religionshandlungen koͤnnen nun, wenn wir auf die perſoͤnliche Verhaͤltniſſe der Got - tesverehrer ſehen, entweder Handlungen einzelner Menſchen, oder Kirchliche Handlungen ſeyn. Letz - tere ſind das Reſultat einer eigentlichen Religionsuͤbung, und ſetzen eine Religionsgeſellſchaft, das iſt, Vereinigung mehrerer, zur Gottesverehrung, nach gemeinſchaftlich anerkannten Grundſaͤtzen, unter Dazwiſchenkunft eines geordneten und berufenen Geiſtlichen, voraus. Ohne ei - ne ſolche Dazwiſchenkunft und geſellſchaftliche Vereinigung bleiben Religionshandlungen nur Handlungen einzelner Menſchen. Dieſe koͤnnen kein Gegenſtand der geſezge - benden Gewalt ſeyn. Denn an ſich iſt Religion Sache eines jeden einzelnen Menſchen. Sie iſt das Reſultat des in dem Verhaͤltniß gegen die Gottheit denkenden und empfindenden Menſchen, des in jedem Menſchen freyen und ſelbſtthaͤtigen individuellen Gewiſſens. In dieſem Ver - haͤltniß, in dieſer Sphaͤre der Religion und des Gewiſ - ſens giebt es kein Recht, keine Gewalt, die ein Menſch uͤber den andern auszuuͤben haͤtte16)S. Maiers teutſches geiſtl. Staatsrecht in der Einleitung §. 2. und 3.. Von eines jeden einzelnen Menſchen Ueberzeugung haͤngt es daher ab, ob er dieſe oder jene Begriffe von Gott fuͤr wahr und rich - tig halte, und nach ſeiner Ueberzeugung hat er die Be - fugniß und Pflicht, Gott auf diejenige Art und Weiſe zu verehren, die er nach ſeinen Begriffen von dem Hoͤchſten Weſen, fuͤr einzig angemeſſen den Vollkommenheiten deſ - ſelben haͤlt. Deswegen ſtehet er bloß vor ſeinem Gewiſſen und deſſen Richter zur Verantwortung. Niemanden an -ders77de Iuſtitia et Iure. ders braucht er Rechenſchaft davon zu geben17)Vergl. des H. Hofrath Schnauberts vortrefliche Schrift uͤber Kirche und Kirchengewalt in Anſehung des kirchlichen Religionsbegrifs. Jena 1789 S. 23. u. 119.. Allein anders verhaͤlt es ſich mit denen Kirchenhand - lungen. Dieſe ſind von doppelter Art. Einige der - ſelben haben nur einzig und allein Gottesverehrung zum Zweck, und bringen daher in dem Staate keine recht - liche Wuͤrkungen hervor; andere Religionsverrichtungen ſind hingegen von der Art, daß zwar deren Form, An - ordnung, und Vornahme Gottesverehrung zum Zweck hat, und alſo inſofern eigentliche Kirchenhandlungen ſind und bleiben, daß ſie aber daneben mit ſolchen Geſchaͤften in Verbindung ſtehen, die zugleich rechtliche Wirkungen im Staat aͤuſſern, Vorrechte darin geben oder nehmen, Verbindlichkeiten darinn feſtſetzen oder aufheben, und bey denen uͤbrigens das Kirchliche mehr oder minder we - ſentlich nach der Symbole der Gottesverehrung dieſer oder jener Religionsgeſellſchaft ſeyn kann. Kirchenhand - lungen der erſtern Art koͤnnen mit den Namen der geiſt - lichen, die der letztern aber durch den Nahmen ge - miſchter Kirchenhandlungen18)Eben dieſer Benennungen bedient ſich auch der Regierungs - Rath Brauer in ſeinen gelehrten Abhandlungen zu Erlaͤuterung des Weſtphaͤl. Friedens. 3. Hand S. 9. u. folg. nicht unſchicklich bezeichnet werden. Die geiſtlichen Kirchenhandlun - gen19)Man verwechſele damit nicht die kirchliche und niniſte - rial Verrichtungen der Geiſtlichen, denn dieſe machen nur einen Theil derſelben aus. ſind wieder zwifach. Manche davon haben mit den Lehrſaͤtzen der Religion einen weſentlichen Zuſammen - hang, werden durch die Symbolen der Religionsgeſell - ſchaft beſtimmt, und machen alſo noͤthige Beſtandtheileder781. Buch. 1. Tit. der Gottesverehrung aus; dieſe werden aͤuſſerliche nothwendige, oder weſentliche Religionshand - lungen genennet. Zu ſolchen kirchlichen Religionshand - lungen gehoͤret z. B. der Gebrauch des heiligen Abend - mahls oder bey den Katholiken der Meße, letzte Oelung - und dergl. Auf ſolche Handlungen, weil ſie von Reli - gionsuͤberzeugung abhangen, die ſich nicht nach Will - kuͤhr modeln laͤßt, wo eine obrigkeitliche Vorſchrift, die von der Ueberzeugung und Lehrbegrif der Geſellſchaft ab - wiche, in Widerſpruch mit dem Gebot kaͤme: Gott mehr zu gehorchen als den Menſchen, und weil ſie keine rechtliche Wirkung im Staat hervorbringen, alſo nicht in den Zweck der Staatsregierung einflieſſen, hat der Staat nur ein negatives Recht, aufzuſehen und zu verhuͤten, daß nicht die Art ihrer Vornahme und neben einlaufende Umſtaͤnde ſie der Ruhe des gemeinen Weſens nachtheilig machen. Es haͤngt vielmehr die Anordnung und Form ſolcher Handlungen von der Beſtimmung des kirchlichen Religionsbegrifs lediglich ab, welche Vertrags - weiſe unter den Mitgliedern der Kirche geſchiehet20)S. Schnaubert in der angefuͤhrten Schrift. S. 42. u. f., iſt alſo nothwendig ein geſellſchaftliches Recht, bey welchem eine geſezgebende Gewalt darum nicht ausgeuͤbt werden kann, weil hier alles auf gemeinſchaftliche Ueberzeugung der vereinigten Glieder ankommt. Andere geiſtliche Kirchenhandlungen ſtehen mit den Glaubenslehren und Religionsbegriffen der Kirche in keiner weſentlichen Verbindung, ſondern werden von denen Gliedern derſelben zwar aͤuſſerlich aus dem Grunde vorgenommen, weil ſie glauben dadurch den goͤtt - lichen Vollkommenheiten am gemaͤſeſten zu handeln, ſie koͤnnen aber auch ganz unterbleiben, oder auf eine ande - re Art beſtimmet werden, ohne daß deßwegen ein Wi - derſpruch mit denen in ihrem Lehrbegrif als wahr ange -nomme -79de Iuſtitia et Iure. nommenen Glaubenslehren entſtehet. Dieſe Art kirchli - cher Religionshandlungen wird mit dem Nahmen der aͤuſſerlichen willkuͤhrlichen Religionshand - lungen bezeichnet. Zu dieſen rechne ich z. B. das An - zuͤnden der Lichter bey der Verwaltung des heiligen Abend - mahls, und das Abſingen der Einſetzungsworte vor dem Altar, deßgleichen die Beichte, und andere bekannte geiſt - liche Cerimonien mehr, die zwar aus guten Abſichten von der Kirche eingefuͤhrt worden ſind, von welchen aber doch die heilige Schrift nichts enthaͤlt. Man nennt ſolche willkuͤhrliche Religionshandlungen Adiaphora, und dieſe ſind der Diſpoſition der Kirchengewalt allerdings unter - worfen. Vermoͤge derſelben koͤnnen daher mancherley Verfuͤgungen und Abaͤnderungen getroffen werden, je nachdem es zur Erreichung des Zwecks der Kirche noͤ - thig oder nuͤtzlich iſt. Der Regent im Staat hingegen kann als Regent hierinn nichts aͤndern. Er hat zwar die Aufſicht uͤber alle kirchliche Anſtalten, in ſofern ſie einen Einflus haben in die Wohlfarth des Staats; al - lein ob die Kirche ihren Endzweck erreicht, oder ver - fehlt, gehet ihm als Regenten nichts an21)Man vergleiche hierbey des Herrn Prof. D. Carl Wilh. Roberts Abhandl. uͤber das Recht evange - liſcher Landesherrn, die Liturgie abzuaͤn - dern. In Deſſelben Beytraͤgen zu der natuͤrl. und po - ſitiven Rechtsgelahrtheit. Marburg 1789. 8..

Es giebt nun auch gemiſchte Kirchenhand - lungen, die zwar auch Gottesverehrung zum Zweck haben, aber doch auch zugleich rechtliche Wirkungen im Staat aͤuſſern, Vorrechte darinn geben oder nehmen, und Verbindlichkeiten darinn feſtſetzen oder aufheben. Dahin gehoͤrt die Taufe, welche in ihrem Endzweck Gottesverehrung iſt, in ihrer Wirkung auf den Staataber801. Buch. 1. Tit. aber jedem die groſe buͤrgerliche Vorrechte der Chriſten giebt, an welchen die Unglaubigen keinen Antheil ha - ben. Zu dieſen gehoͤrt ferner die Trauung, welche Aufrufung des goͤttlichen Segens zu einer angehenden Ehe, und Erklaͤrung, ſie nach den goͤttlichen Vorſchrif - ten fuͤhren zu wollen, alſo Gottesverehrung zur Abſicht hat, welche aber auch zugleich die groſe buͤrgerliche Wir - kung erzeuget, daß ohne ſie jede Verbindung zum Bei - ſchlaf, wenn ſie auch in der Abſicht, Kinder zu erzeu - gen, und folglich aus ehelicher Zuneigung geſchaͤhe, fuͤr eine unerlaubte Beiwohnung, wenigſtens unter Pri - vatperſohnen in Deutſchland gehalten wird; zugleich aber auch den Perſohnen, die durch die Trauung ſind verbunden worden, die eheliche und elterliche Rechte beygelegt werden. Dahin gehoͤrt ferner auch die Beerdigung der Tod[e]n. Leichnahme aus dem Creis der Lebenden wegzuſchaffen, iſt zwar nicht Religions - ſondern Staatszweck. Aber Leich - name auf die Art, wie es nach chriſtlichen Sitten ge - ſchiehet, durch Einſenkung in die Erde, zur ſinnlichen Erinnerung an das allgemeine Geſetz des Menſchenge - ſchlechts: du biſt Erde, und ſolſt wieder zur Erde werden, unter Einſegnung, Begleitung, und Ermahnung der Geiſtlichkeit, wegzubringen, iſt Handlung, die Gottesverehrung zum Ziel hat. Zugleich aber iſt ſie oͤffentliche Erklaͤrung, daß, wer begraben ſey, die Rechte der Lebenden im Staat verlohren habe, und deſ - ſelben Nachlaß denen Erben, oder in deren Ermanglung dem Staat als herrenloſes Guth zugefallen ſey. Ferner daß der auf jene Art beerdigte von der peinlichen Zurech - nung begangener Verbrechen entbunden ſey, (den uͤber - wieſenen Verbrechern geſtattet man eben deswegen jene feierliche Beerdigung nicht;) deßgleichen daß auch uͤber die Schuld oder Unſchuld anderer Menſchen an ſeinem Tode richterlich erkannt ſey, (denn keinen, deſſen gewalt -ſamer81De Iuſtitia et Iure. ſamer Tod wahrſcheinlich iſt, laͤſſet man vor Unterſuchung des Koͤrpers zu Grabe bringen). Sie hat alſo ihren mannigfaltig wichtigen Einfluß auf den Staat. Das Kirchliche bey die - ſen Handlungen iſt zwar wiederum geſellſchaftliches Recht der Religionsſocietaͤt. Aber das Politiſche davon muß, wie alles, was auf den Staat Einfluß hat, ſeiner Leitung und Anordnung unterworfen ſeyn; es aͤuſſern ſich dabey dem - nach nicht blos negative, ſondern auch poſitive Einwir - kungsrechte der Staatsgewalt. Sie kann damit die mehrere oder mindere Wirkungen, die im Staat davon abhangen ſollen, die Erforderniſſe, die beobachtet wer - den muͤſſen, ehe eine ſolche Handlung, mit Wirkung fuͤr den Staat, vorgenommen werden darf, nach Gut - befinden beſtimmen: wenn aber nun das, was den Staat und deſſen Intereſſe dabey betrift, in Richtigkeit gebracht iſt, ſo bleibt die Verrichtung der kirchlichen Handlung und deren innere Form ein durch die Symbole beſtimm - tes Recht der Geſellſchaft, bleibt alſo Theil der Reli - gionsuͤbung22)Jo. Nicl. Fried. Brauer von dem Reichsgeſetz - maͤſigen Unterſchied zwiſchen oͤffentlicher und privat Religionsuͤbung der Unterthanen §. 5. in deſſelben oben angef. Abhandlungen 3. Band S. 10. u. ff..

§. 10. Mancherley Eintheilungen des Rechts. I. Natuͤrliches, und poſitives Recht.

Wenn wir bisher vom Recht und Verbindlich - keit redeten, ſo nahmen wir das Wort ius theils fuͤr Geſetz, theils fuͤr Befugniß zu handeln. Wenn wir aber jetzt von denen mancherley Eintheilungen des Rechts mit Hellfeld handeln ſollen, ſo muͤſſen wir dabey dieje -nigeGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. F821. Buch. 1. Tit. nige Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen; da es einen Inbegrif von Geſetzen einerley Art anzeigt. In dieſer Bedeutung wird nun ius

1) nach Verſchiedenheit des Erkenntnißgrundes in ius naturale et poſitivum eingethellet. Naturrecht nennen wir den Inbegrif aller derienigen Geſetze, welche, wie der Apoſtel ſagt, dem Menſchen gleichſam ins Herz geſchrieben ſind, und daher mittelſt der Vernunft aus der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer - den koͤnnen. Es wird daher auch das Recht der Ver - nunft genennet. Hommel23)S. Carl Ferdinand Hommel Diſſ. Ius mundiuni - verſale. Lipſiae 1763. nennt es ius mundi univerſale, und er hat nicht ganz unrecht, wenn er ſagt: ivs natvrae eſt voluntas Dei, non litteris, ſed ſignis, in univerſum mundum ſcriptis, manifeſtata. Poſitives Recht wird im Gegentheil der Inbegrif derjenigen Geſetze genennt, welche ſich blos allein auf den erklaͤrten Willen eines Geſezgebers gruͤnden, und alſo aus demſelben lediglich zu erkennen ſind. Z. B. daß ich das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewiſſen geſezlich beſtimmten Zeit uſucapire, Weibsperſohnen aus uͤbernommenen Buͤrgſchaften nicht belangt werden koͤnnen, Eltern und leibliche Geſchwiſter des Verſtorbenen zugleich erben, iſt poſitiven Rechtens; denn Herz und Vernunft lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ernſtlich gethanes Verſprechen halten, daß ich dem Verkaͤufer den bedungenen Kaufſchilling bezahlen muß, lehrt ſchon das Vernunftrecht. Ganz verſchieden war der Be - grif der alten Roͤmiſchen Rechtsgelehrten vom Natur, recht, welches ſie vom lure gentium und civili unter - ſchieden, wie der folgende §. lehren wird.

§. 11.83de Iuſtitia et Iure.

§. 11. Eintheilung der Roͤmiſchen Juriſten in ius naturale, gentium et civile.

Ulpian ſagt in L. 1. §. 3. D. b. t. Natur - recht ſey, was die Natur allen lebendigen Geſchoͤpfen durch die ihnen eingepflanzte thieriſche Triebe gelehrt hat; und welches alſo Menſchen und unvernuͤnftige Thiere mit einander gemein haben. Dahin rechnet er, daß Menſchen heirathen, Kinder zeugen und Kinder erziehen. Dies ſey im Raturrecht gegruͤndet, weil auch die ver - nunftloſen Thiere ſich begatten, ihr Geſchlecht fortpflan - zen, und ihre Junge erziehen. Videmus etenim ſagt Ulpian, caetera quoque animalia, feras etiam, iſtius iuris peritia cenſeri. Dieſe letztern Worte haben Ei - nigen corrupt zu ſeyn geſchienen, welche ſtatt peritia vielmehr perita leſen wollen; allein die Emendation iſt unnuͤtz, peritia cenſeri iſt gerade ſo viel als perita eſſe24)So heißt’s z. B. auch in L. 8. D. de adſign. libertor. manumiſſoris iure cenſeri, d. i. manumiſſoris ius habere. , alſo iſt der Sinn der Worte dieſer: denn wir ſehen, daß auch die unvernuͤnftige und wilde Thiere daſſelbige Naturgeſez in ſich fuͤhlen. So umſchreibt es auch Theophilus in ſeiner grigiſchen Paraphraſe der Inſtitutionen25)Tit. de iure natur. gent. et civili. . Videmus enim non homines modo, ſed caetera quoque animalia his, qui legem hanc obſervant, adſcribi. Ueber jenen Begrif des Ulpians vom Naturrecht iſt nun viel geſtritten und viel geſchrieben worden. Einige haben den Juriſten wegen dieſes Begrifs getadelt; Andere hingegen denſelben zu vertheidigen ge - ſucht. Man vergleiche, was Gregor Lopez Madera26)Animadverſion, iuris civ. cap. 2.,F 2Ferrand841. Buch. 1. Tit. Ferrand Adduenſis27)Explication. Lib. I. cap. 3. Tom. II. Theſaur. iur. civ. Ev. ottonis pag. 507., Wilhelm van der Muelen28)Exercitat. in Tit. D. de Iuſt. et I. ad h. L. Gerhard Noodt29)Commentar. ad Digeſta h. t. pag. 4., inſonderheit M. Aurel Galvanus30)Diſſert. var. de Uſufructu cap. 5., Joſeph Fineſtres31)In Hermogeniani ICti iuris Epitomar. Li - bros VI. Commentar. Tom. I. Lib. I. Exerc. I. , Tho - mas Papillon[i]us32)Comment. ad Tit. D. de Iuſt. et Iure Tom II. Theſaur. iur. civ. et canon. Ger. meermanni pag. 553., Ulrich Huber33)Digreſſ. Iuſtinian. P. I. Lib. I. cap. XI. , und Gott - lieb Kortte34)Vindiciae L. 1. §. 4. D. de I. et I. de iure, quod natura omnia animalia docuit. Lipſiae 1727. daruͤber commentirt haben. Daß Ulpians Begrif vom Naturrecht aus den Lehrſaͤtzen der alten ſtoiſchen Philoſophie zu erklaͤren, wird von denen meiſten Auslegern nicht ohne Grund behauptet, und zwar ſcheint Ulpian die Meinung des Chryſippus an - genommen zu haben, welche Diogenes Laertius in Zenone, und Cicero in ſeinen Buͤchern de Officiis mehrmahlen anfuͤhrt35)de Offic. Lib. I. c. 31. Sic eſt faciendum, ut contra uni - verſam naturam (i. e. communem) nihil contendamus, et ea tamen conſervata propriam (i. e. humanam) ſequa - mur. Siehe Hofacker in Princip. iur. civilis Rom. germ. T. I. §. 5. N. a. . Chryſipp lehrte, der Menſch habe eine zwifache Natur vom Schoͤpfer erhalten; ein - mahl eine thieriſche, welche er mit allen andern, auch un - vernuͤnftigen, Thieren gemein habe; ſodann eine ihm ei - gene, menſchliche Natur. Nach ſeiner thieriſchen Na - tur waͤren gewiſſe Triebe und Neigungen in ihm gepflanzt,die85de Iuſtitia et Iure. die er mit allen andern Thieren gemein habe. Die Stoi - ker nannten dieſe τὰ πρῶτα κατα φύσιν36)Wie der alte Philoſoph Taurus beym gellivs Noct. Atticar. Lib. XII. c. 5. bezeugt.. Allein nach ſeiner eigenen menſchlichen Natur waͤre er ein ver - nuͤnftiges Weſen, welches nicht nur jene natuͤrliche Triebe mit Vernunft zu maͤßigen, ſondern auch nach den Kraͤften ſeines Verſtandes mit moraliſcher Freyheit zu handeln vermoͤchte. Nach dieſer zwifachen Natur des Menſchen nahm man nun auch ein doppeltes Na - turrecht an, das eine war, was man ius naturale im eigentlichen Verſtande nennte, und in der gemei - nen thieriſchen Natur aller lebendigen Geſchoͤpfe ſeinen Grund haͤtte. Dieſes beſtehe in denen von der Natur, worunter die Stoiker Gott verſtanden37)Quid enim aliud eſt natura, ſagt seneca de Benefic. Lib. IV. c. 7. quam Deus, et divina ratio, toti mundo et partibus eius inſerta? , allen leben - digen Geſchoͤpfen eingepflanzten Trieben, welche Menſchen und Thiere mit einander gemein haben. Z. B. ſo fuͤhlt der Menſch einem ihn angebohrnen Trieb in ſich, ſich ſowohl ſelbſt zu erhalten, als auch ſein Geſchlecht fortzupflan - zen. Dieſelben Triebe habe aber auch die Natur allen andern Thieren eingepflanzt. Principio generi animan - tium omni eſt a natura tributum, ſagt daher Cice - ro38)de Offic. Lib. I. c. 4., ut ſe, vitam, corpusque tueatur, declinet - que ea, quae nocitura videantur, omniaque, quae - cumque ad vivendum ſint neceſſaria, anquirat, et paret, ut paſtum, ut latibula, ut alia eiusdem ge - neris. Commune autem animantium omnium eſt coniunctionis appetitus, procreandi cauſa, et cura quaedam eorum quae procreata ſunt. Da nun die Natur dem Menſchen auch ein angebohrnes Recht gege -F 3ben861. Buch. 1. Tit. ben, dieſen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermoͤgen, ſecundum naturam vivendi, aber auch denen Thieren angebohren ſey, ſo erzeugte ſich auf ſolche Art die von Ulpian angenommene Idee eines den Menſchen mit den Thieren gemeinſchaftlichen Naturrechts39)Vergleiche noch Chriſt. Henr. eckhardi Hermenev - tic. iuris Lib. I. Cap. IV. §. 132. und Car. Frid. walch in den Anmerkungen S. 219.. Von die - ſem unterſchied man das denen Menſchen eigne Natur - recht, welches man ius gentium nannte. Hierunter ver - ſtehen die alten Roͤmiſchen Juriſten dasienige Recht, was nur allein Menſchen, jedoch alle Menſchen, mit einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge - meine Vernunft lehrt. Gentes heiſſen hier nicht Na - tionen, Voͤlker, wie es Briſſon erklaͤrt40)de Verbor. iuris ſignificat. v. gens. , ſondern uͤberhaupt Menſchen. Es wird dies Wort hier in eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo - ſen das Wort gens. Ius gentium iſt alſo nicht durch Voͤlkerrecht, ſondern durch Menſchen-Recht zu uͤber - ſetzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Gajus L. 9. D. b. t. ſagt: Quod naturalis ratio inter omnes homines conſtituit, id apud omnes peraeque cuſtoditur: vocaturque ius gentium, quaſi quo iure omnes gentes utuntur. Hiermit ſtimmt auch Ulpian in der oben angefuͤhrten Stelle §. 4. uͤberein, wenn er ſagt, hoc (ſc. Ius gentium) ſolis hominibus inter ſe coin - mune eſt; und Pompon L. 2. h. t. rechnet dahin Got - tesverehrung, Gehorſam gegen die Eltern, und Liebe fuͤrs Vaterland. Florentin L. 3. h. t. fuͤgt noch hin - zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und uͤber - haupt alle aufs geſellige Leben ſich beziehende Menſchen - pflichten; z. B. daß kein Menſch dem andern nach ſeinem Leben oder Gut trachte. Weil nun dieſes ſogenannteIus87de Iuſtitia et Iure. Ius gentium in der menſchlichen Natur gegruͤndet iſt, und ſolche Vorſchriften enthaͤlt, die immer gut und billig ſind, weil ſie die Vernunft lehrt, ſo nennen die Roͤmi - ſchen Juriſten dieſes Recht auch ius naturale41)L. 11. pr. D. h. t. L. 2. D de Rer. diviſ. , und naturalis aequitas42)L. 32. D. de peculio. cicero in Topic. c. 7. 23.. Aus dieſer Quelle des gemei - nen Menſchen-Rechts leitet Hermogenian43)L. 5. D. de l. et l. auch Krieg, Eintheilung der Voͤlker, Staatenerrichtung, Ab - ſonderung des Eigenthums, Begraͤnzung der Aecker, Er - bauung der Haͤuſer und Staͤdte, Treibung des Handels und Gewerbes, Vertraͤge, beſonders Kauf und Pach - tung, ſamt denen daraus entſpringenden Verbindlichkei - ten her44)Ueber dieſe Stelle des Hermogenians verdient inſonder - heit Ioſ. finestres in Hermogeniano a. a. O. Exercit. 3. u. folgg. verglichen zu werden.. Allein heutiges Tages nehmen wir Ius gentium in jener Roͤmiſchen Bedeutung nicht, ſondern verſtehen darunter das eigentliche Voͤlkerrecht, das iſt, den Inbegrif ſolcher Rechte und Verbindlichkeiten, welche freye Voͤlker gegen einander zu beobachten haben; und dieſes kann auch Poſitivrecht ſeyn, inſofern es ſich auf Vertraͤge oder Gewohnheiten gruͤndet45)S. Hoͤpfners Naturrecht §. 215.. Man behauptet insgemein, daß der Roͤmer ius Gentium nichts anders, als das Naturrecht im heutigen Begrif genom - men ſey. Ganz unrichtig iſt dieſe Meinung eben nicht; allein es laſſen uns doch verſchiedene Stellen vermuthen, daß die Roͤmer auch ein ius gentium poſitivum ange - nommen, denn Juſtinian rechnet in §. 2. I. de iure nat. gent. et civ. ausdruͤcklich auch dasjenige Recht zum iure gentium, quod uſu exigente et bumanis neceſ - ſitatibus gentes ſibi conſtituerunt; wenn es auch gleichF 4dem881. Buch. 1. Tit. dem natuͤrlichen Recht zu wieder ſeyn ſollte. z. B. ſo leitet Juſtinian Kriegsgefangenſchaft und Sclaverey aus dem iure Gentium her, und bemerkt dabey, daß beydes dem natuͤrlichen Recht ganz entgegen ſey, weil nach dem Naturrecht alle Menſchen freyer Geburt waͤ - ren. Mit ihm ſtimmt auch Ulpian uͤberein, wenn er L. 4. b. t. die Manumiſſion oder Entlaſſung der Scla - ven aus der Gewalt und Eigenthum ihres Herrn zum iure Gentium rechnet. Hieraus ergiebt ſich, daß die Roͤmiſchen Juriſten eigentlich ein zwiefaches Ius gentium angenommen. Erſtens ein natuͤrliches, wornach alle Menſchen leben, was ſchon die geſunde Vernunft lehrt, und dem Menſchen gleichſam ins Herz geſchrieben iſt. Ein Recht, was nicht von Menſchen eingefuͤhrt, ſondern von Gott ſelbſt durch unveraͤnderliche Geſetze mit der menſch - lichen Natur weſentlich verknuͤpft worden iſt. Von dieſen iſt die Stelle in denen Inſtitutionen des K. Juſtinians zu verſtehen, wo es §. 11. de I. N. G. et C. heißt: Sed naturalia quidem iura, quae apud omnes gentes peraeque obſervantur, divina quadam providentia conſtituta, ſemper firma atque immutabilia perma - nent. Sodann ein poſitives, was zwar Menſchen und Voͤlker mit einander gemein haben, aber doch nur von Menſchen um des gemeinen Nutzens und der Noth - wendigkeit willen iſt eingefuͤhret worden. Das erſtere wird von Einigen Primarium, das letztere aber Se - cundarium genennet.

Von dem iure naturali und gentium in der erklaͤr - ten Bedeutung unterſchieden nun die Roͤmer das Ius Ci - vile: und verſtanden darunter uͤberhaupt das poſitive Recht eines einzelnen Staats. Nam quod quisque populus ipſe ſibi ius conſtituit, ſagt Gajus L. 9. b. t. id ipſius proprium civitatis eſt: vocaturqueius89de Iuſtitia et Iure. ius civile, quaſi ius proprium ipſius civitatis. In einem noch eminentern Sinn aber benennte man das po - ſitive Recht des Roͤmiſchen Staats mit dieſem Namen, ſo wie auch noch heutiges Tages das Roͤmiſche Recht κάτ ἐξοχην das buͤrgerliche oder civil Recht ge - nennet zu werden pfleget. Die uͤbrige Bedeutungen von ius civile uͤbergehe ich, weil man ſie in dem Hoͤpfner - ſchen Commentar uͤber die Heinecciuſſiſchen Inſtitu - tionen §. 31. S. 39. der zweiten Ausgabe ſchon voll - ſtaͤndig angefuͤhrt findet. Statt deſſen aber erlaube man mir noch eine Bemerkung hinzuzufuͤgen. Es iſt bekannt, daß die Peregrini, worunter man bey den Koͤmern ehe - mals alle diejenigen verſtand, die keine Roͤmiſche Buͤrger waren, nicht nach dem Recht der roͤmiſchen Buͤrger gerich - tet, ſondern die bey ihnen ſtatthabende Rechte und Ver - bindlichkeiten vielmehr nach dem Iure Gentium beurtheilt wurden: Georg Schubart denkt ſich dabey das gemeine Natur. und Voͤlkerrecht46)de Fatis Iurisprud. Rom. Exerc. II. pag. 399.. Allein ſeine Erklaͤ - rung ſtimmet mit demjenigen nicht uͤberein, was wir theils in denen Roͤmiſchen Striptoren, theils in denen Fragmen - ten des Antejuſtinianeiſchen Rechts vom iure peregrino - rum aufgezeichnet finden. Dieſe belehren uns, daß man bey den Peregrinis einen Unterſchied gemacht, ob ſie Buͤrger einer gewißen unter Roͤmiſcher Souveraͤnitaͤt geſtandenen Stadt waren, oder nicht: leztere nennte man ἀπόλιδες, d. i. nullius certae civitatis cives, dieſen verſtatteten die Roͤmer blos das, was iuris gen - tium war, wie Marcian in L. 17. D. de poenis anmerkt. Ihre Rechtsſachen entſchied daher der Praͤ - tor peregrinus nach der Vernunft und dem gemeinen Menſchenrecht, inſofern ihm nicht etwa aͤhnliche rechts - kraͤftig abgeurtheilte Faͤlle, oder die Roͤmiſchen Geſetze ſelbſten hierin eine Entſcheidungsnorm an die Hand ga -F 5ben.901. Buch. 1. Tit. ben. Solche peregrinos hingegen, die Buͤrger einer gewißen Stadt waren, richtete der Praͤtor peregrinus nach denen Geſetzen derjenigen Stadt, zu welcher Je - der gehoͤrte. Man vergleiche hierbey folgende Stellen des Cicero Epiſt. Fam. Lib. XIII. Ep. 9. und in Verrem Lib. II. c. 22. Desgleichen Varro de Ling. Lat. in Excerpt. Vett. Grammaticor. Beym Dio - nyſ. Gothofred S. 1375. auch Ulpian in Fragm. Tit. XX. §. 14. und Anton Schulting in den No - ten uͤber den Ulpian Not. 45. 47)Von dem verſchiedenen Recht der Peregrinorum handelt am beſten Franz Carl Conradi in Parergis Lib. I. N. I. §. XI. u. folgg.In beyden Faͤllen ſagte man jedoch vom Praͤtor peregrinus, quod iure gentium iudicaret. Hieraus klaͤrt ſich alſo noch eine beſondere Bedeutung vom iure gentium auf, worunter die Roͤmer auch das poſitive Recht einzelner Voͤlker verſtanden48)Beylaͤufig hat dieſes auch Joh. Theoph. Seger in Diſſ. de vi legum et decretorum interritorio alieno (Lipſiae 1777) §. 3. angemerkt..

§. 12. und 13. Eintheilung des Rechts in Staats - und Privat - recht.

Der Ordnung nach ſollten wir nun 2) das Recht nach Verſchiedenheit des Gegenſtandes in das Staats - und Privatrecht eintheilen. Es wird jedoch zufoͤrderſt noͤthig ſeyn, einige widrige Einthei - lungen und Begriffe aus dem Wege zu raͤumen, wo - durch der Autor das Syſtem ganz verwirrt hat. Er theilt nehmlich das Ius civile hier auf eine doppelteArt91de Iuſtitia et Iure. Art ein, einmahl in ius civile univerſale und particu - lare, und dann in publicum und privatum. Hiergegen muß ich zuerſt erinnern, daß der Autor ſich genoͤthiget ſie - het, die Benennung ius civile in einer Bedeutung zu nehmen, die vom Roͤmiſchen ſowohl als heutigen Sprach - gebrauch ganz abweicht. Unter ius civile verſtehet je - der Juriſt das poſitive Recht eines einzelnen Staats. Dies iſt auch der geſezliche oder Roͤmiſche Begrif, wie beym vorhergehenden §. angefuͤhrt worden iſt. Da dieſes Civilrecht aber ſeiner Natur nach nur jederzeit ein particulaires Recht iſt, ſo iſt es unmoͤglich, ſelbiges in univerſale und particulare einzutheilen. Unſer Au - tor nimmt alſo Civilrecht in einer ganz eigenen Be - deutung. Er verſtehet darunter dasjenige Recht, wor - nach diejenigen leben muͤſſen, welche Buͤrger eines Staats ſind. Dieſes Civilrecht, faͤhrt er nun fort, kann entweder aus dem bloſen Begrif eines Staats mit Huͤlfe der geſunden Vernunft hergeleitet und er - kannt werden, oder es gruͤndet ſich lediglich auf den Willen des Regenten. Erſteres nennt er das allge - meine buͤrgerliche Recht und lezteres das beſon - dere buͤrgerliche Recht. Allein erſteres iſt ja of - fenbahr nur ein Zweig des Naturrechts, welcher von den Lehrern deßelben das allgemeine Staatsrecht genennet wird; und vornehmlich die aus dem Begrif eines Staats herfließende Rechte und Verbindlichkei - ten des Regenten als Regenten, und der Unterthanen als Unterthanen enthaͤlt. Denn ein natuͤrliches buͤrger - liches Privatrecht giebt es nicht, weil ſich, wie der ver - dienſtvolle Herr Oberappellationsrath Hoͤpfner in ſeinem Naturrecht §. 273. richtig bemerkt, keine ſpecielle Rech - te und Verbindlichkeiten angeben laßen, die jeder Buͤr - ger als Buͤrger haͤtte, und die nicht ſchon im außerge - ſellſchaftlichen Zuſtande, oder in der Geſellſchaft uͤber -haupt921. Buch. 1. Tit. haupt ſtatt faͤnden. Wir theilen alſo nun vielmehr das Recht nach ſeinem Gegenſtande in das Staats - und Privatrecht ein. Staatsrecht nennt unſer Au - tor einen Inbegrif von Geſetzen, wodurch die Rechte und Verbindlichkeiten des Regenten und der Untertha - nen gegen einander beſtimmt werden. Privatrecht hingegen iſt ihm der Inbegrif ſolcher Geſetze, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Unterthanen ge - gen einander ſelbſt beſtimmen. Es iſt bekannt, daß bey Beſtimmung des Begrifs des Staatsrechts die Staatsrechtsgelehrten ſelbſt nicht einig ſind, indem ei - nige, zu denen Hellfeld gehoͤrt, dabey auf das Sub - ject, nehmlich auf den Regenten und die Unterthanen im Verhaͤltniß gegen einander betrachtet, ſehen, andere die Rechte und Verbindlichkeiten der hoͤchſten Gewalt zum Mittelpunct ihres Begrifs machen; noch andere auf die Staatsverfaſſung, die Verwaltung der hoͤch - ſten Gewalt darinn, und derſelben Verhaͤltniß gegen Auswaͤrtige geſehen haben wollen. Man findet eine gruͤndliche Pruͤfung dieſer verſchiedenen Begriffe in des Herrn Hofr. Schnauberts gelehrten Schrift de Ana - logia iuris publici Imperii, in fontibus iuris publici S. R. I. territoriorum non numeranda. Helmſt. 1785. §. 1. Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo verdient wohl unter dieſen ſo verſchiedenen Begriffen der von unſerm Autor angenommene den wenigſten Beifall, indem hier - durch offenbahr alle diejenigen Rechte und Verbindlich - keiten, welche das Verhaͤltniß eines Staats gegen Auswaͤrtige betreffen, ausgeſchloſſen werden, mithin die - ſer Begrif in dieſer Ruͤckſicht ohne Zweifel zu eng iſt - Der richtigſte und vollſtaͤndigſte Begrif vom Staats - recht iſt unſtreitig der, wenn man ſich darunter einen Inbegrif von Geſetzen denkt, welche die Rechte und Verbindlichkeiten in Anſehung der Verfaſſung und Re -gie -93de Iuſtitia et Iure. gierung eines Staats beſtimmen49)Daß Staatsrecht auch noch in anderer Bedeu - tung fuͤr Staatsrechtsgelehrſamkeit (Iurisprudentia pu - blica) genommen werde, wird in der Folge bey Entwi - ckelung der mancherley Theile der in Deutſchland uͤblichen Rechtsgelahrtheit geſagt werden.. Privatrecht wuͤrde hingegen der Inbegrif derjenigen Geſetze ſeyn, wel - che die Staats - und Regierungsverfaſſung nicht betref - fen. Das Staatsrecht kann wieder in das allge - meine oder natuͤrliche, und in das beſondere oder poſitive eingetheilet werden, je nachdem die zu demſelben gehoͤrige Rechte und Verbindlichkeiten entwe - der ſchon aus dem Begriffe eines Staats herflieſſen, und daher allen Staaten gemein ſind, oder ſich auf beſondere Vertraͤge und poſitive Geſetze gruͤnden, und daher nur dieſem oder jenem Staat eigen ſind. Zu dem leztern gehoͤrt das teutſche Staatsrecht, wor - unter man den Inbegrif derjenigen Geſetze verſtehet, welche die Rechte und Verbindlichkeiten in Anſehung der Verfaſſung und Regierung des teutſchen Staats be - ſtimmen. Dieſes iſt entweder Reichsſtaatsrecht (Ius publicum Imperii ſ. imperiale) oder Landes - ſtaatsrecht, (Ius publicum territoriale) je nach - dem es entweder die Staatsverfaſſung des ganzen teutſchen Reichs uͤberhaupt, als ein Staatskoͤrper be - trachtet, oder die Regierungsverfaſſung der beſondern teutſchen Reichslande zum Gegenſtande hat. Erſteres pflegt zwar das allgemeine, und lezteres das beſon - dere teutſche Staatsrecht von denen Publiciſten genennt zu werden, allein die Abtheilung in Reichs - und Landesſtaatsrecht iſt der teutſchen Verfaſſung angemeſſener50)S. Hofr. Schnauberts Anfangsgruͤnde des Staats - rechts der geſammten Reichslande. Jena 1787. 8. undJoh.. Dies ſind die heutigen Begriffe vonStaats -941. Buch. 1. Tit. Staats - und Privatrecht; wir wollen nun aber auch noch die Begriffe hinzufuͤgen, die ſich die alten Roͤmiſchen Juriſten davon gemacht haben. Ulpian ſagt L. 1. §. 2. b. t. Publicum ius eſt, quod ad ſtatum rei Romanae ſpectat: Privatum, quod ad ſingulorum utilitatem. Sunt enim quaedam publice utilia, quae - dam privatim. Publicum ius in ſacris, in ſacerdoti - bus, in magiſtratibus conſiſtit. Staatsrecht nann - ten ſie alſo eigentlich dasjenige Recht, was die Verfaſ - ſung des Roͤm. Staats (rei Romanae) betrift, und die - jenigen Geſetze in ſich begreift, welche auf das Wohl des ganzen Staats abzweckten. Zu dieſem rechneten ſie we - gen der genauen Verbindung der Roͤm. Goͤtterlehre mit dem Staatsſyſtem auch das Ius ſacrum, welches theils feciale, theils augurale, theils pontificium war51)Vid. Io. Frid. eisenhart Diſſ. de iure publico Pop. Rom. ad L. 1. §. 2. D. de I. et I. Helmſt. 1764. Franc. Car. conradi Diſp. de Fecialibus et iure Feciali Pop. Rom Helmſt. 1734. Io. lac. mascov. Diſſ. de Iure auſpicii apud Rom. Lipſ. 1721. und Iac. gvtherivs de veteri iure pontificio urbis Romae. in Theſaur. Antiquit. Rom. graevii Tom. V. . Privatrecht hingegen war ihnen alles dasjenige Recht, welches zunaͤchſt bloß den Vortheil der einzelnen Buͤrger zur Abſicht hatte. Auſſer jener eigentlichen Bedeutung des Iuris publici finden wir jedoch noch manche andere Bedeutungen dieſer Benennung in denen Roͤmiſchen Ge - ſetzen, welche merkwuͤrdig ſind. So ſagt z. B. Papi - nian in L. 3. D. Qui teſtamenta facere poſſ. Die Teſtamentifactio ſey nicht privati ſondern publici iuris. Hier wird alsdann dasjenige publici iuris genennt, was von der ausdruͤcklichen Conceſſion der Geſetze abhaͤngt,und50)Joh. Richard Roths Staatsrecht deutſcher Reichslande. Mainz 1788. 8.95de Iuſtitia et Iure. und weder eine Folge des, wenn gleich freyen Eigen - thums iſt, noch durch die Einwilligung eines andern, in deſſen Gewalt man iſt, erlangt werden kann, ſondern was nur bloß ſolchen allein zuſtehet, denen die Geſetze dieſe Macht oder dieſes Recht verliehen haben. Gerade ſo verhaͤlt es ſich mit der Teſtamentifaction. Dieſe ertheilen die Geſetze nur denen Patribus familias. Alſo kann kein filius familias als ein ſolcher, ſolang er in vaͤterlicher Gewalt iſt, ein Teſtament machen. Wenn auch gleich der Sohn das freye Eigenthum ſeiner Ad - ventirien haͤtte, und der Vater ſeine Einwilligung zur Teſtamentsverfertigung gegeben. Die Teſtamentifaction iſt alſo ein Recht, ſo nur die Geſetze ertheilen, was aber kein Privatus dem andern zu ertheilen ver - mag. Sodann wird ius publicum auch fuͤr ein ſolches Recht genommen, was um des gemeinen Beſtens willen eingefuͤhrt iſt, wenn es auch gleich nicht den ganzen Staat, ſondern nur zunaͤchſt Privatperſohnen angehet. So wird z. B. das Recht, die in redlicher Abſicht fuͤr einen andern, in Hofnung der Wiedererſtattung vorge - ſchoſſene Begraͤbnißkoſten zuruͤckzufordern, in L. 20. pr. D. de religioſis publicum ius genennt, was zum Nachtheil eines ſolchen Glaͤubigers durch keine vom Schuldner mit einem Dritten etwa des Begraͤbniſſes halber geſchloßne Vertraͤge vereitelt oder vermindert werden kann. Eben ſo wird ferner das Recht des Muͤndels, ſich wegen erlitte - nen Schadens, in Ermanglung anderweitiger Deckung an dem Vormundſchaftsgericht zu regreßiren, wenn ſol - ches bey der geſchehenen Beſtellung des Vormunds einer ſich zu Schulden gebrachten Fahrlaͤßigkeit oder Pflicht - vergeſſenheit uͤberwieſen werden koͤnnte, in L. 1. §. 9. D. de magiſtrat. conven. ebenfalls ius publicum genennt, und zugleich verordnet, daß wenn etwa das Wayſen - Gericht einem Amtsbeiſitzer allein die Unterſuchung der Si -cherheit961. Buch. 1. Tit. cherheit des Vormunds aufgetragen, und dabey mit dem - ſelben verabredet haͤtte, daß die Beſtellung des Vormunds bloß auf ſeine Gefahr geſchehe, dieſer aber nicht pflichtmaͤſ - ſig verfahren, ſolcher Vertrag den Pupillen nicht praͤjudi - ciren, noch die uͤbrige Mitglieder des Vormundſchaftsge - richts von ihrer Vertretungsverbindlichkeit befreyen ſolle, ſondern nur ſo viel bewuͤrke, daß jener zuerſt allein fuͤrs Ganze haften muͤſſe, und erſt nach ihm die Vertretung an die uͤbrigen Beyſitzer komme. Hieraus erklaͤrt ſich nun, wenn Papinian in L. 38. D. de pactis ſagt: ius pu - blicum privatorum pactis mutari non pot - eſt; welches den Sinn hat, was die Geſetze zum gemeinen Beſten verordnet haben, kann durch Privatvertraͤge zum Nachtheil Anderer nicht abgeaͤndert oder aufgehoben wer - den. Denn durch Vertraͤge koͤnnen die Paciscenten nur uͤber ihr eigenes Intereſſe diſponiren; allein Andern Rechte und Vortheile zu entziehen, oder zu mindern, welche ihnen das gemeine Recht geſtattet, ſind ſie nicht befugt52)Ius publicum, ſagt Ev. otto in Papiniano Cap. X. §. 6. ſey hier nicht illud, quod in ſacris, in magiſtra - tibus, et ſacerdotibus conſiſtit; ſondern ſoviel als ius commune, quod omnium utilitatem reſpicit, und werde dem iuri per conventionem, teſtamentum aut privile - gium quaeſito entgegengeſezt.. Zuletzt wird Ius publicum auch alles dasjenige genennet, was die Verwaltung eines oͤffentlichen Amts oder Staatsbedienung angehet. So ſagt z. B. L. 14. D. ad Sctum Trebell. Quod ad ius publicum attinet, non ſequitur ius poteſtatis, das heiſſet, wie der Zuſammenhang mit L. 13. §. 5. D. eodem lehret, wenn ein filiusfamilias ein oͤffentliches Amt im Staat bekleidet, ſo hat ihm der Va - ter in Amtsſachen nichts zu befehlen. Non ſequitur, nehmlich filiusfamilias, ius poteſtatis, nehmlich patriae, alſo iſt der Wortverſtand, der Sohn kehrt ſich an dieRechte97de Iuſtitia et Iure. Rechte der vaͤterlichen Gewalt nicht, unter welcher er als filiusfam. ſtehet, wenn er als Conſul oder Praͤtor handelt; ſo erklaͤrt dieſe Stelle Joſeph Fine - ſtres53)in Hermogeniano Tom. II. Lib. VI. pag. 1049. und folg., und ich glaube richtig, denn die Emenda - tion des Cornelius van Bynckershoͤck54)in Obſervat. iur. Rom. Lib. I. cap. 18. welcher non ſequimur (i. e. non obſervamus, non attendi - mus ad patriam poteſtatem,) leſen will, ſcheint mir voͤllig uͤberfluͤſſig zu ſeyn. Uebrigens hat von den mancherley Bedeutungen des Iuris publici am aus - fuͤhrlichſten gehandelt Ulrich Huber in ſeinen Di - greſſionib. Iuſtinianeis Part. II. Lib. I. Cap. 21. §. 3. und folg.

§. 14. Eintheilung des Rechts in Permiſſiv - und Zwangs - recht. Nichtigkeit der Handlungen, welche gegen verbie - tende Geſeze unternommen worden, und ob gegen verbietende Geſetze eine guͤltige Entſagung ſtatt finde?

Das Recht, fuͤr einen Inbegrif von Geſetzen genommen, kann auch

3) ſeiner Wuͤrkung nach eingetheilt werden. Denn iſt es entweder Permiſſiv - oder Zwangs - recht. Erſteres (ius permiſſivum) enthaͤlt Geſetze, welche ein Recht oder Vermoͤgen etwas zu thun ver - ſtatten. So Z. B. geben die Geſetze jedem, der ſui iuris, und dabey Pubes iſt, das Recht, ein Teſtament zu machen. Ferner jeder zur Erfuͤllung der Ehezwecke tuͤchtige Menſch hat das freye Recht, eine Ehe einzugehen,oderGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. G981. Buch. 1. Tit. oder ſich derſelben zu enthalten. Eben ſo erlauben auch die Geſetze einem Vater, ſeine natuͤrliche Kinder durch nachfolgende Ehe mit ihrer Mutter zu legitimi - ren. Lezteres (Ius cogens) enthaͤlt im Gegentheil Ge - ſetze, welche eine Handlung gebiethen oder verviethen. Permiſſivgeſetze legen nun zwar demjenigen, dem dadurch etwas verſtattet oder ein gewiſſes beſonderes Recht ertheilet wird, der Regel nach keine Verbind - lichkeit auf, ſich deſſelben zu bedienen, ſondern uͤber - laſſen ſolches eines Willkuͤhr; ich ſage, der Regel nach, denn es findet eine Ausnahme ſtatt, wenn das mir verſtattete Recht mit dem Recht und der Befug - niß eines Andern dergeſtalt in Verbindung ſtehet, daß ſolche durch den Nichtgebrauch meines Rechts ge - kraͤnkt werden wuͤrde. Z. B. So kann ein filiusfami - lias ſich ohne Wiſſen und Willen ſeines Vaters der Rechtswohlthat des Macedonianiſchen Rathsſchluſſes rechtsguͤltig nicht begeben55)Struben in den rechtlichen Bedenken. I. Th. B. 156. S. 377.; auch kein Geiſtlicher ſeinem befreieten Gerichtsſtande ohne Conſens des ordentlichen geiſtlichen Richters entſagen56)cap. 12. X. de foro compet. quia pacto privatorum iuri publico minime derogatur. S. G. L. boehmer in Princip. iuris canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 6. §. 243. not. b. . Allein jeden andern verbinden ſie jedoch perfecte, denjenigen, welchem die Geſetze eine Befugniß zu handeln verſtattet haben, in dem rechtmaͤſigen Gebrauch ſeines Rechts nicht zu ſtoͤhren noch zu verhindern. Auf ſolche Art laͤſſet ſich dieſe Eintheilung des Rechts in ius permiſſivum und cogens wohl vertheidigen, ob ſie ſchon einige Rechts - gelehrten, wiewohl ohne genugſamen Grund, habenver -99de Iuſtitia et Iure. verwerfen wollen57)grotius de I. B. et P. Lib. I. c. l. §. 9. puffen - dorf de Iur. Nat. et Gent. L. I. c. 6. §. 15. Allein man ſehe nach Frid. Lud. doering Diſſ. de quadru - plici Legis virtute. Erford. 1776. §. 5.. Ja ſie iſt ſelbſt in denen Ge - ſetzen gegruͤndet; denn ſo ſagt Modeſtinus in L. 7. D. de Legib. ausdruͤcklich: Legis virtus haec eſt: imperare, vetare, permittere, punire. Zwangsge - ſetze hingegen ſchlieſſen allen Willkuͤhr zu handeln aus, und legen allen und jeden die vollkommene Verbindlich - keit auf, dasjenige, ſo dieſelben befohlen, zu thun, und was ſie verbothen haben, zu unterlaſſen, wenn man ſich nicht die auf dem entgegengeſezten Fall be - ſtimmte Uebel zuziehen will. Daher wird das ius co - gens wieder in ein gebietendes (ius praecepti - vum) und verbietendes Recht, (ius prohibitivum) eingetheilet, nachdem es entweder etwas zu thun oder etwas zu unterlaſſen anbefiehlt. Das verbie - tende Recht kann wieder ſehr verſchieden ſeyn. Man - che Handlungen verbiethet ſchon das Naturrecht (ius prohibitivum naturale); manche Handlungen hingegen ſind natuͤrlich erlaubt und verbindlich, aber die buͤrger - lichen Geſetze verbieten ſie (ius prohibitivum poſitivum). Da die Gruͤnde, wodurch der buͤrgerliche Geſezgeber bewogen wird, eine natuͤrlich erlaubte Handlung zu verbieten, mancherley ſeyn koͤnnen, ſo laſſen ſich hier - aus wieder verſchiedene Claſſen des verbietenden Poſi - tivrechts formiren. Der Grund des buͤrgerlichen Ver - bots iſt entweder aus der Handlung an ſich, ohne Ruͤckſicht auf die Perſohn der Contrahenten, oder aus dem perſoͤhnlichen Verhaͤltniß derſelben herzuleiten. Im erſtern Fall entſtehet ein allgemein verbietendes Poſitivrecht (ius prohibitivum poſitivum obiecti - ve tale), welches diejenigen Faͤlle in ſich begreift,G 2wo1001. Buch. 1. Tit. wo die Handlung nicht blos gewiſſen Perſohnen, ſon - dern allgemein verbothen iſt, weil die uneingeſchraͤnkte Freiheit, ſie zu unternehmen, mit nachtheiligen Folgen fuͤr den Staat verknuͤpft ſeyn kann. Hierher gehoͤren die Hazardſpiele58)L. 3. C. de Aleator. , der unerlaubte Zinswucher (uſu - raria pravitas)59)Ref. Polic. Ordn. von 1530. tit. 26. von 1548. tit. 17. und 1577. tit. 17., der commiſſoriſche Vertrag bey Verpfaͤndungen60)L. ult. C. de pact. pign. , der Vergleich, wodurch kuͤnftigen Alimenten, ohne richterlichen Conſens, entſaget wird61)L. 8. pr. D. et L. 8. C. de tranſact. , die Verabredung, daß ſtatt der auf einen Proceß vor - geſchoſſenen Koſten und geſezmaͤſigen Zinſen davon, ein Theil des gewonnenen Vermoͤgens gezahlt werden ſolle (pactum de quota litis)62)L. 53. D. de pactis. L. 5. C. de poſtul. , die Schenkung einer Summe, welche ſich uͤber 500 Solidos belaͤuft, ohne gerichtliche Inſinuation63)L. 36. §. ult. Cod. de donat. , u. d. m. Im leztern Fall, wenn die buͤrgerlichen Geſetze blos gewiſſen Perſohnen, die Befugniß, rechtliche Handlungen einzugehen, ge - nommen haben, (ius prohibitivum poſitivum ſubie - ctive tale) laſſen ſich wieder zwey Faͤlle annehmen. Einige Perſohnen ſchlieſſen die verbietende Poſitivgeſetze zu ihrem eigenen Beſten von allen oder einigen rechtlichen Handlungen aus, weil ſie annehmen, daß ih - nen die gehoͤrige Einſicht, Ueberlegung und Freiheit des Willens abgehe, oder ſie doch wenigſtens der Ueberei - lung, und ungebuͤhrlicher Verleitung vorzuͤglich ausge - geſezt ſind, dahin gehoͤren z. B. die Buͤrgſchaften und ſonſtigen Interceſſionen der Frauensperſohnen, deßglei -chen101de Iuſtitia et Iure. chen die rechtlichen Geſchaͤfte der Unmuͤndigen und Min - derjaͤhrigen, auch ſolcher Perſohnen, welche gerichtlich fuͤr Verſchwender erklaͤrt ſind, ohne Einwilligung der Vormuͤndere. Andere Perſohnen hingegen entfernt das buͤrgerliche Verbot von Eingehung gewiſſer Rechts - handlungen, weil es die gemeine Wohlfarth erfordert. So iſt z. B. denen Richtern das Annehmen der Ge - ſchenke unterſagt, wenn auch an ſich keine unerlaubte Abſicht dabey obwalten ſollte64)L. 6. C. ad L. Iul. repetund. Nov. 8. und 161.. Ferner darf keinem Chriſten die Schuldforderung eines Juden an einen Chriſten abgetreten werden65)R. A. vom Jahr 1551. §. dieſem zu begegnen. R. P. O. v. J. 1577. tit. 20. §. Es ſoll auch., nicht weniger iſt die Ceſſion an einen Maͤchtigern verbothen66)L. 2. C. ne liceat potentioribuſ. . Hierher gehoͤren auch die verbotenen Heirathen unter gewiſſen Perſohnen, theils wegen zu naher Blutsfreundſchaft und Schwaͤgerſchaft, theils wegen anderer Urſachen. Die Claſſification dieſer verſchiedenen Gattungen des verbietenden Rechts wird uns in der Folge manchen Nutzen ſchaffen67)Siehe Herrn Prof. Webers Entwickelung der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit. 2te Abth. §. 65. 66. und 67.. Zulezt kann das Prohibitivrecht auch in ein durchaus verbietendes (ius abſolute prohibitivum) und ſolches, was nicht durchaus und ſchlechterdings, ſondern nur hypothetiſch verbie - tend iſt, (ius ſecundum quid prohibitivum) einge - theilt werden.

Wie wenn nun aber eine Handlung gegen ein dergleichen verbietendes Geſez unternommen worden iſt, was hat ſie fuͤr Wirkung? iſt ſie ſchlechterdings fuͤrG 3null1021. Buch. 1. Tit. null und nichtig zu halten? Die Note 1. enthaͤlt die Entſcheidung dieſer Frage. Regulariter, ſagt daſelbſt der Autor, actus contra legis probibitionem ſusceptus eſt nullus. Ich trete dieſer Meinung ohne weiteres Bedenken bey. Schon die geſunde Vernunft uͤberzeugt uns von dieſer Regel, denn indem die Geſetze dieſe oder jene Handlung verbieten, ſo wird eben dadurch denen Unterthanen die moraliſche Befugniß dazu entzo - gen. Wie nun von dieſer Befugniß die Guͤltigkeit und rechtliche Wirkung der Geſchaͤfte abhaͤngt; ſo verſtehet es ſich von ſelbſt, daß das buͤrgerliche Verboth die Nichtigkeit ſolcher Handlungen, welche dagegen unter - nommen werden, nach ſich ziehen muͤſſe68)S. puffendorf in I. N. et G. Lib. III. cap. 7. §. 6. Zwar meint grotius de Iure B. et P. Lib. II. c. 5. §. 14. n. 4. et 10. es ſey noch ein Unterſchied unter ver - bieten, und eine Handlung nichtig machen; und erſte - res ſchlieſſe das leztere nicht nothwendig in ſich, indem dem Verbot auch durch eine Strafe ein Genuͤge geſchehen koͤnne. Allein Herr Regierungsrath Eichmann hat dieſe Meinung in ſeinen vortreflichen Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts I. Th. S. 31. gruͤndlich wi - derlegt.. Es be - ſtaͤttigen aber auch das nehmliche die deutlichſten Civil - geſetze. Deutlicher und beſtimmter kann keine Vorſchrift ſeyn, als die Verordnung der Kayſer Theod. und Valent. im L. 5. C. de Legib.69)Die Diſtinction des aͤltern Roͤm. Rechts inter leges perfectas, imperfectas et minus quam perfectas, die ich ſchon oben S. 56. u. 57. erlaͤutert habe, uͤbergehe ich hier um ſo mehr, da ſie durch das neuere Roͤm. Recht gaͤnzlich aufgehoben worden iſt., welche folgen - des Inhalts iſt: Nullum pactum, nullam conven - tionem, nullum contractum inter eos videri volu - mus ſubſecutum, qui contrahunt lege contraherepro -103de Iuſtitia et Iure. prohibente. Quod ad omnes etiam legum interpre - tationes, tam veteres, quam novellas trahi, gene - raliter imperamus: ut legislatori, quod fieri non vult, probibuiſſe tantum ſufficiat: caeteraque, quaſi - expreſſa ex legis liceat voluntate colligere; hoc eſt, ut ea, quae lege fieri prohibentur, ſi fuerint facta, non ſolum inutilia, ſed pro infectis etiam habeantur: licet legislator fieri prohibuerit tantum, nec ſpecia - liter dixerit, inutile eſſe debere, quod factum eſt. Hiermit ſtimmt endlich auch das kanoniſche Recht uͤber - ein, denn das cap. 64. de Reg. iuris in 6to ſagt ausdruͤcklich: quae contra ius fiunt, debent utique pro infectis haberi. So deutlich nun dieſe Geſetze reden, ſo ſehr muß man ſich billig wundern, wenn dennoch die Meinungen der Rechtsgelehrten hieruͤ - ber ſo verſchieden ſind. Einige halten dafuͤr, daß eine verbotene Handlung nur ſodann auch zugleich als nichtig angeſehen werden koͤnnte, wenn das Ge - ſez dieſes ausdruͤcklich verordnet haͤtte70)So denken voetius Comment. ad Pandect. Tit. de Legibus §. 16. Io. Steph. putter in Theo - ria generali de nullitate. Goetting. 1759. §. 17. und 20. Aug. With. meier in Comment. de nullitate ſententiar. ſanabili et inſanabili. Goetting. 1777. §. 5.. Andere laſſen zwar unſern obigen Satz, als Regel, gelten, aber ſie fuͤgen im Allgemeinen die Ausnahme hinzu, daß, wenn die Geſetze etwas bey Strafe verbieten, ohne zugleich die Handlung ſelbſt fuͤr nichtig zu erklaͤ - ren, ſodann zwar die Strafe verwirkt ſey, das verbo - tene Geſchaͤft ſelbſt aber ſeinen ungehinderten Fortgang behalte71)Dies iſt beſonders die Meinung des vinnius in Se - lect. Quaeſt. Lib. 1. c. 1.. Allein die erſtere wie die andere MeinungG 4iſt1041. Buch. 1. Tit. iſt unmoͤglich zu rechtfertigen, weil, was jene Meinung anbetrift, eines Theils nicht abzuſehen, warum dasje - nige, was doch die Natur der Sache ſchon mit ſich bringt, noch erſt durch beſondere geſezliche Vorſchriften angeordnet ſeyn muͤſte, andern Theils aber auch durch die oben angefuͤhrte Geſetze die Ausdruͤckung der Nich - tigkeits-Clauſul bey verbietenden Geſetzen ſchlechterdings fuͤr unnoͤthig erklaͤret wird; nach der andern Meinung aber das offenbahre Abſurdum zugelaſſen werden muͤßte, daß die im Geſez gedrohete Strafe, welche doch nach der Abſicht des Geſezgebers den Unterthan von Un - ternehmung des verbotenen Handels noch mehr zuruͤck - halten ſoll, ein Mittel werden koͤnne, ſich die zur Guͤltig - keit des Geſchaͤfts erforderliche moraliſche Befugniß bey - zulegen72)Man ſehe, was Herr Prof. Weber im angef. Buch §. 74. S. 297. und folgg. mit dem ihm eignen Scharf - ſinn hieruͤber geſagt hat. Vergleiche auch Greg. maian - sii Diſſ. de factis contra legem: Tom. II. Diſ - put. Nr. XI. Eichmann a. a. O. Car. Chriſtph. hofa - cker Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I. Lib. I. cap. VI. Tit. III. §. 210.. Noch zweyerley iſt jedoch hierbey zu bemer - ken.

Erſtens, daß obige Regel in einigen Faͤllen ge - wiſſermaßen eine Ausnahme findet, wo verbotene Rechts - geſchaͤfte nach der Verordnung der Geſetze nichts deſto - weniger aufrecht bleiben. Forſchen wir jedoch dem Grunde davon genau nach, ſo wird ſich bald ergeben, daß in andern Faͤllen keinesweges das nehmliche zu be - haupten ſey. Wir wollen nun einige dieſer Ausnahmen ſelbſt pruͤfen. So iſt z. B. bekannt, daß, wenn eine Wittwe vor Ablauf des Trauerjahrs ſich ohne erhaltene Diſpenſation anderweitig verheirathet, zwar hierdurch die geſetzliche Strafe verwirkt, jedoch die, obgleich ver -botene105de Iuſtitia et Iurebotene, Ehe ſelbſt nicht annulliret werde73)S. I. H. boehmer Iur. Eccl. Proteſt. Lib. IV. Tit. 21. §. 17. und 18. Schotts Einleitung in das Eherecht. §. 106. Hofmann Handbuch des Teut - ſchen Eherechts. Hauptſt. 44. §. 321. püttmann Probabil. iuris civ. lib. ſing. c. XVII. ingleichen Adverſarior. iuris univ. Lib. I. cap. X. . Der Grund hiervon iſt kein anderer, als dieſer; weil die zweite Verheiratung an ſich und uͤberhaupt den Geſetzen nicht zuwider iſt, ſondern das Verbot ſich nur auf ei - ne gewiſſe Zeit beſchraͤnkt: folglich eine gaͤnzliche Auf - hebung der Ehe theils uͤber die wahre Abſicht des Ge - ſezgebers hinausgehen, theils mit noch ſchaͤdlichern Fol - gen verknuͤpft ſeyn wuͤrde, als diejenigen ſind, welche das Verboth der zu fruͤhen Heirath verhuͤten ſoll; ohne einmal die letztere ſelbſt, nachdem die Ehe bereits vollzo - gen worden, verhindern zu koͤnnen74)Weber a. a. O. S. 300.. Eben dieſer Um - ſtand, daß die Aufhebung eines gegen das geſezliche Verboth unternommenen Geſchaͤfts ungleich ſchaͤdlichere Folgen veranlaſſen wuͤrde, als wenn daſſelbe aufrecht bleibt, iſt die Urſach, warum die zwar verbotene, aber doch diſpenſationsfaͤhigen Ehen unter Anverwandten nicht wieder getrennt, ſondern nur diejenigen, die ſie einge - gangen haben, von der Obrigkeit geſtraft werden75)Ge. Lud. boehmer Princip. iuris canon. Lib. III. Sect. II. Tit. 5. §. 386. not. f. hellfeld §. 1218.. Es werden alſo in beyden Faͤllen die an ſich verbotenen Ehen eigentlich erſt durch die nachher erfolgte ſtillſchwei - gende Diſpenſation guͤltig gemacht; Beweiß genug, wie wenig dasjenige, was hier nach beſondern Verhaͤltniſſen eintritt, fuͤr alle uͤbrige Faͤlle, wo die Geſetze etwas verbieten, als Regel gelten koͤnne.

G 5Zwei -1061. Buch 1. Tit.

Zweitens iſt zu bemerken, daß, wenn gegen das Verbot eines Geſetzes gehandelt worden, deswegen nicht immer gleich das ganze unternommene Geſchaͤft nichtig ſen, ſondern der Regel nach nur in ſo weit ſolches dem Geſez zuwider iſt, (quatenus in legem peccatum) es waͤre denn, daß die vorgenommene Handlung durchaus von den Geſetzen ſey verboten worden76)vinnius Select. Quaeſt. Lib. I. c. I. Chr. Lud. crell Ob - ſervat. de fructu et effectu negotii inutilis nullius et imperfecti. Vitembergae 1750. Chriſt. Ferd. harpprecht Diſſ. de effectibus actus nul - liter geſti. Tüb. 1750.. Z. B. eine Schenkung, die ſich uͤber 500 Solidos belaͤuft, und nicht gerichtlich inſinuirt worden, iſt deswegen nicht ganz unguͤltig, ſondern nur in ſo weit ſie dieſe Summe uͤber - ſteigt, ſie gilt alſo wenigſtens doch bis auf die erlaubte Summe77)L. 34. pr. und L. 36 §. 3. C. de donat. . Desgleichen wenn ſich ein Glaͤubiger von ſeinem Schuldner mehr Zinſen hat verſprechen laſſen, als die Geſetze erlauben, ſo iſt deswegen nicht die ganze Stipulation unguͤltig, ſondern nur in ſo weit ſie geſez - liche Quantitaͤr der Zinſen uͤberſteigt78)L. 29. D. de Uſuris. Placuit, ſive ſupra ſtatutum modum quis uſuras ſtipulatus fuerit, ſive uſurarum uſu - ras, quod illicite adiectum eſt, pro non adiecto ha - beri, et licitas peti poſſe. . Auch ſogar bey leztern Willensverordnungen findet dieſes zuweilen ſtatt. Z. B. wenn Eltern ein Kind ohne rechtmaͤſige Urſach enterben, ſo iſt ein ſolches pflichtwidriges Teſtament nicht ganz unguͤltig, ſondern es ſoll nach der Nov. 115. c. 3. nur die Erbenseinſetzung auf erhobene Querel des enterb - ten Kindes reſcindiret werden. Der Grund iſt leicht einzuſehen. Juſtinian will, daß Eltern ihre Kinder zu Erben ernennen ſollen, es ſoll alſo denen Eltern nichter -107de Iuſtitia et Iure. erlaubt ſeyn, ihren Kindern den gebuͤhrenden Pflichtheil, durch Schenkung, Vermaͤchtniß oder Fideicommiß zu hin - terlaſſen, ohne ſie zu Erben einzuſetzen. Haben die El - tern dieſe Vorſchrift nicht beobachtet, ſo haben ſie nur in Anſehung der Erbenseinſetzung wider das Geſez gehandelt, nicht in Anſehung deſſen, was ſie ſonſt an Vermaͤchtniſſen, Fideicommiſſen, Vormundſchaften, u. d. in ihren lezten Willen verordnet haben. Alſo iſt nur jene unguͤltig, alles andere hingegen bleibt aufrecht. Ich uͤbergehe andere Beyſpiele79)Man vergleiche L. 5. §. 2. L. 31. §. 4. D. de donat. inter Vir. et Vx. L. 7. C. de inoff. donat. , und bemerke nur noch, daß in den angefuͤhrten Faͤllen die bekannte Regel: utile per inutile non vitiatur80)L. 1. §. 5. D. de Verb. obligat. cap. 37. de Reg. Iur. in 6to. eintrit, welche jedoch nicht in jedem Fall anwendbar iſt81)averanius Interpretat. iuris Tom. I. Lib. II. c. 3. n. 11. und 12. beſtimmt den Gebrauch obiger Regel folgendergeſtalt: Haec regula obtinet, cum lex ſiatuit certam quantitatem, quam excedere non licet: tunc enim vitiatur ſolus exceſſus, quia vitium eſt ſolummodo in ex - ceſſu. Contra vero, quando lex ſtatuit aliquid de natura actus, eique formam praeſcribit, tunc quia vitium eſt in ipſa natura formaque actus, neceſſe eſt, ut totus actus corruat. .

Noch eine Frage iſt zu eroͤrtern uͤbrig, nehmlich dieſe, ob gegen verbietende Vorſchriften der Geſetze eine Entſagung ſtatt finde? Nach der Natur verbietender Geſetze koͤnnen wir hierauf anders nicht als mit Nein antworten. Denn denken wir uns ein verbietendes Geſez, ſo laͤſſet ſich damit ohne Widerſpruch nicht verbinden, daß es den Unterthanen erlaubt ſey, demſelben nach Gut -befin -1081. Buch. 1. Tit. befinden entgegen zu handeln. Nun wuͤrde aber die Freyheit, dem buͤrgerlichen Verbote zu entſagen, offen - bahr eine ſolche Befugniß involviren. Es beſtaͤttigen auch ſelbſt die Geſetze dieſe Regel, daß gegen verbieten - de Geſetze keine guͤltige Entſagung ſtatt finde, eben ſo klar. So reſeribirt unter andern K. Antonin L. 6. C. de pactis: Pacta, quae contra leges conſtitu - tionesque vel contra bonos mores fiunt, nullam vim habere, indubitati iuris eſt82)Man vergleiche daneben L. 7. §. 14. D. de pactis und L. 15. D. de condit. inſtitut. . Weil aber dennoch in einigen Faͤllen die Geſetze ſelbſt von dieſer Regel abwei - chen, und eine Entſagung dagegen zulaſſen, ſo hat die - ſes zu mancherley Diſtinctionen, und beſondern Regeln in den Syſtemen und Commentarien der Rechtsgelehrten Gelegenheit gegeben. Einige wollen unſere Regel zwar in ſo weit gelten laſſen, wenn man ihr den Sinn bey - legt, daß niemand durch ſeine Erklaͤrung be - wuͤrken koͤnne, daß etwas erlaubt werde, was das Geſez verbietet; allein, wenn der Sinn der Regel dieſer ſeyn ſollte, niemand koͤnne guͤltig ſich erklaͤren, daß er ſich ſeines Rechts in Anſe - hung desjenigen nicht bedienen wolle, was die Geſetze ihm zum Beſten verboten haben, ſo gelte dieſe Regel zwar bey abſolut verbietenden Ge - ſetzen, bey legibus ſecundum quid prohibitivis hinge - gen finde ſie keine Anwendung83)So urtheilt der beruͤhmte Herr Geh. Rath Nettel - bladt in ſ. Syſtem. Element. Iurisprud. poſi - tivae Germ communis general. Lib. I. Sect. V. M. II. C. II. Tit. 2. §. 458.. Allein ich zweifle, ob dieſe Diſtinction eine in jedem Fall untruͤgliche Norm geben werde. Es iſt doch wohl unleugbahr, daß die Roͤmiſche Verordnung von Schenkungen unter den Leben -den,109de Iuſtitia et Iure. den, welche die Summe von 500 Solidis uͤberſteigen, nur ein Lex ſecundum quid prohibitiva ſey, denn ſolche Schenkungen werden nicht ſchlechterdings verbo - ten, ſondern ſie ſollen nur nicht ohne gerichtliche Inſi - nuation geſchehen. Es iſt auch wohl gewiß, daß bey dieſer Verordnung hauptſaͤchlich das Beſte des Schen - kenden beabſichtiget worden ſey, um denſelben fuͤr uͤber - eilte und unbedachtſame Schenkungen betraͤchtlicher Sum - men zu verwahren84)S. Hoͤpfner im Commentar uͤber die Inſtitut. §. 413. und Claproth in der theoret. pract. Rechtswiſſenſchaft von freywilligen Ge - richtshandlungen. (Goͤttingen, 1789.) §. 196.; und dennoch kann dieſem Verbot nicht rechtsguͤltig renunciirt werden. Andere85)Dieſe Meynung hegt H. Hofr. Hartleben in ſeinen Meditat. ad Pand. Spec. 8. welchem H. Reg. R. Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts Th. I. S. 35. und folg. ganz beygetreten iſt. machen einen Unterſchied, ob der Grund des verbietenden Geſetzes vorzuͤglich in der Wohlfahrt des Staats liege, und dann finde ſchlechterdings keine Entſagung ſtatt, dies ſey der Sinn der L. 38. D. de pactis: ius publicum pactis pri - vatorum mutari non poteſt; oder ob das verbietende Geſez vorzuͤglich nur das Intereſſe gewiſſer Perſohnen zum Grunde habe, in dieſem letztern Fall will man zwar eine Renunciation zulaſſen, aber man fuͤgt wieder ſo viele Einſchraͤnkungen hinzu, daß hiexdurch die auf - geſtellte Regel beynahe ganz wieder umgeſtoſſen wird. Man ſagt nehmlich, wenn von ſolchen verbietenden Ge - ſetzen, welche zugleich mit die gemeine Wohlfarth zur Abſicht haben, oder von Perſohnen, welche wegen ihres Geſchlechts, Alters u. ſ. f. nichts zu ihrem Nachtheil vornehmen koͤnnen, oder von ſolchen Rechten, wobey zu - gleich das Intereſſe eines dritten obwaltet, die Redeſey,1101. Buch. 1. Tit. ſey, ſo gelte die Entſagung nicht. Aus allem dieſen er - hellet alſo ſo viel, daß man den ſicherſten Weg erwaͤh - let, wenn man die Zulaͤßigkeit der Entſagung in der Regel verneinet, und nur in ſo fern Ausnahmen davon aner - kennet, als die Rechte ſelbſt ſolche in einzelnen Faͤllen beſtaͤttiget haben86)Eben ſo denkt Herr Prof. Weber in Entwikel. der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit. 2te Abth. §. 74. S. 301.. So verbietet z. B. Juſtinian dem Mann ſchlechterdings alle Veraͤuſſerung des Braut - ſchatzes ſeiner Ehefrau, wenn ſolcher in liegenden Gruͤn - den beſtehet; auch wenn die Frau darinn conſentiren wollte87)L. un. §. 15. C. de rei uxor. act. . Haͤtte hingegen die Frau die Alienation, welche mit ihrer Einwilligung geſchehen, nach zwey Jah - ren genehmigt, und ſie ſich uͤbrigens an den Guͤtern des Mannes erholen koͤnnte, ſo kann ſie die Veraͤuſſe - rung alsdann nicht weiter impugniren88)Nov. 61. cap. I. §. 3. . Unter dieſen Umſtaͤnden erklaͤrt alſo das Geſez ſelbſt die Entſagung des zum Beſten der Ehefrauen abzweckenden Veraͤuſſerungs - verbots fuͤr zulaͤſſig. Eben ſo kann auch eine Ehefrau nach Juſtinianiſchen Rechten in gewiſſen Faͤllen dem Vel - lejaniſchen Senatusconſulto guͤltig entſagen89)Nov. 94. cap. 2. Nov. 118. cap. 5. , welches man in Praxi noch weiter, wie wohl gegen die Abſicht und den wahren Sinn der Geſezgeber, ausgedehnt hat90)leyser. Medit. ad Pandect. Spec. 170. Qui - ſtorp in den Beytraͤgen 1. St. Nr. VIII. . Was uͤbrigens der Eid bey ſolcher Entſagung gegen die Vorſchrift verbietender Geſetze wirke, wird in der Folge beym §. 341. gezeigt werden. Nur das einzige muß ich noch bemerken, daß auch ſchlechterdings gebietende Ge - ſetze ihrer Natur nach eben ſo wenig, als verbietende,durch111de Iuſtitia et Iure. durch privat Vertraͤge der Unterthanen abgeaͤndert oder aufgehoben werden koͤnnen. Bey hypothetiſchen Geſetzen, deren Befolgung der Geſezgeber nicht ſo durchaus und ſchlechterdings erfordert, ſondern welche nach der Abſicht deſſelben nur in Ermanglung beſonderer Verabredun - gen zur Entſcheidungsnorm dienen ſollen, iſt es frey - lich anders.

§. 15. Eintheilung des Permißiv-Rechts in ius abſolute permiſſi - vum und ſecundum quid tale. Was ſind res ſ. actus merae ſacultatis?

Wenn man ſich unter dem Permißivrecht einen Inbegrif von Geſetzen denkt, die ein Vermoͤgen, eine gewiſſe Handlung vorzunehmen (facultatem agendi) oder auch ſonſt eine gewiſſe Freiheit, oder Rechtswohlthat ertheilen, ſo kann ein ſolches Recht zwifach ſeyn. Die Geſetze haben entweder hierbey alles dem eignen Willkuͤhr des Handelnden uͤberlaſſen, ob und was er von der ihm verſtatteten Befugniß fuͤr einen Gebrauch machen will, ohne ſeiner Willkuͤhr hierin Schranken zu ſetzen; oder ſie haben zwar die Handlung ſelbſt dem Willkuͤhr des Han - delnden uͤberlaſſen, aber doch bey der Vornahme derſel - ben eine gewiſſe Foͤrmlichkeit vorgeſchrieben, welche, wenn ſie nicht unguͤltig, ja wohl gar ſtraffallig ſeyn ſoll, zu beobachten iſt. Eine Summe von Geſetzen der erſtern Art machen das Ius abſolute permiſſivum aus, ſo wie im Gegentheil der Inbegrif von Geſetzen der letztern Art ius ſecundum quid permiſſivum genennet wird. So z. B. wird das Recht, bey einer fortdaurenden Guͤter - gemeinſchaft auf die Theilung zu dringen, fuͤr eine Sache des freyen Willkuͤhrs geachtet. Die Geſetze ſagen: in communione vel ſocietate nemo compellitur invitusdeti -1121. Buch. 1. Tit. detineri91)L. 5. C. communi divid. . Auch das Recht in ſeinem Eigenthum zu bauen, iſt iuris abſolute permiſſivi92)Ern. Chriſt. westphal de libertate et ſervitu - tibus praedior. Sect. II. c. I. §. 2.. Allein zu heirathen, ein Teſtament zu machen, iſt iuris ſecundum quid permiſſivi. Daß nun ein ſolches ius ſecundum quid permiſſivum wenigſtens in Anſehung der zu beob - achtenden Foͤrmlichkeit zugleich ein ius praeceptivum ſey, iſt unlaͤugbar. Aus dieſen Praͤmiſſen wird nun der be - kannte Unterſchied inter res iuris ſ. actus facultatis, und res ſ. actus merae facultatis ſich ohne Schwierig - keit erklaͤren laſſen. Die Benennungen kommen zwar in unſern Geſetzen nicht vor, ſondern ſind eine Erfindung der Rechtsgelehrten, allein die Sache ſelbſt iſt doch al - lerdings in den Geſetzen gegruͤndet93)Man pflegt zwar insgemein ſich auf L. 2. D. de via pu - blica et itinere publ. zu berufen, jedoch iſt die Leſeart dieſer Geſezſtelle annoch einigem Zweifel unterworfen; denn in der Florentiniſchen Handſchrift fehlt das andere non, welches Lael. tavrellvs in ſeiner Ausgabe zuerſt ergaͤnzet hat, wie das bekannte Taurelliſche Zeichen der dabey befindlichen beiden Sternchen zu erkennen giebt. Daß jedoch dieſes non da ſtehen muͤſſe, zeigt der Context, und die Βασιλικα. T. IV. p. 778. beſtaͤrken dieſes noch mehr. S. Siegm. Reich. iav - chivs de Negationibus Pandect. Florentin. Cap. I. pag. 4.. Res ſ. actus facultatis ſ. iuris werden uͤberhaupt diejenigen Hand - lungen genennet, welche die Geſetze erlauben, und die man unterlaſſen kann, ohne den Geſetzen entgegen zu handeln94)nettelbladt in Syſtem. Elem. Iurisprud. po - ſitiv. general. §. 73. u. 74.. Es iſt uͤbrigens gleichviel, ob man dieſe Erlaubniß denen Geſetzen unmittelbahr zu verdanken hat, oder ob man darum ſo zu handeln berechtiget iſt, weilman113De Iuſtitia et Iure. man die von denen Geſetzen zugelaſſene Conceſſion des Ei - genthuͤmers oder geſezmaͤſige Verjaͤhrung fuͤr ſich hat. Z. B. wenn mir auf ſolche rechtmaͤſige Art auf eines Andern Feldern die Schaafhuth zuſtehet, und ich mein Vieh zur Weide hintreibe, ſo iſt dieſe Handlung ein actus facultatis. Dieſe Actus facultatis ſind nun von zweierley Art, entweder actus merae facultatis oder actus non merae facultatis. Was ſind aber res oder actus merae facultatis? Hieruͤber iſt viel geſchrieben und ge - ſtritten worden95)Die verſchiedenen Schriften ſind ſchon von unſerm Auctor not. m. angefuͤhrt, ich fuͤge nur noch hinzu Ge. Ad. struv Diſp. de eo quod iuſtum eſt circa res merae facultatis rec. Ienac 1737., und jeder macht ſich beynahe ſei - nen eigenen Begrif. Die wenigſten haben die Sache ganz genau getroffen, auſſer dem Eſtor96)in Opuſc. de abuſu rerum merae facultatis. Cap. II. §. 21. welchen auch Iac. rave in Tr. de prae - ſcriptione §. XIII. litt. b. folgt.; welcher mir auf dem rechten Wege zu ſeyn ſcheinet, wenn er ſagt: res merae facultatis ſeu meri arbitrii ſunt actus, ad quo - rum exercitium qualecunque voluntas libera agentis unice requiritur. Ich denke mir darunter Handlun - gen, die man nach ſeinem Gefallen und Be - lieben thun und unterlaſſen kann, ſolang man will, ohne daß uns daraus ein Nach - theil, oder einem Dritten ein Recht erwaͤchſt. Hier entſtehet nun die Frage, welche Handlungen denn von dieſer Art ſind, daß man ſie ohne Nachtheil thun und un - terlaſſen kann, wie man will? Die Frage iſt um ſo wichtiger, je bedeutender der Unterſchied inter res merae facultatis et non merae facultatis iſt; denn erſtere ſind keiner Ver - jaͤhrung unterworfen, d. i. man verliert ſein Recht, ſiedennochGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. H1141. Buch. 1. Tit. dennoch wieder zu thun, nicht, wenn man ſie auch gleich noch ſolang unterlaſſen haͤtte; letztere aber muͤſſen nach Vor - ſchrift der Geſetze binnen gewiſſer Zeit geſchehen; ſonſt verliehrt man ſein Recht durch den Nichtgebrauch97)L. 25. D. quib. mod. uſusfr. vel uſ. amitt. L. 1. D. de nundinis. L. 7. Cod. de petit. hereditat. L. 3. C. de praeſcript. XXX. vel XL. annor. . Die Antwort auf obige Frage, und die Art, wie man die Sache vorzuſtellen pflegt, iſt nun ſehr verſchieden, wenn man die Schriften unſerer heutigen Rechtsgelehr - ten hierbey vergleicht. Die Meiſten ſagen, alle Hand - lungen der natuͤrlichen Freyheit, welche weder in den natuͤrlichen noch buͤrgerlichen Geſetzen geboten und ver - boten, und alſo unſerm Willkuͤhr uͤberlaſſen ſeyn, ſind res merae facultatis; z. B. lachen, ſitzen, gehen, ſein Brod, Bier u. d. nach Belieben bey dieſen oder jenen zu hohlen, ſeine Wohnung zu aͤndern; auch alle Hand - lungen, die aus dem Rechte des Eigenthums fließen, z. B. verkaufen, verſchenken, mit ſeiner Sache eine Veraͤnderung vornehmen, Bauen auf ſeinem eigenen Grunde, ſein Vieh auf ſeine eigene Felder zur Weide zu fuͤhren, rechnet man ad actus merae facultatis. Dagegen will man alle Handlungen, die ſich auf ein Privilegium gruͤnden, oder aus einem Vertrage herruͤhren, von dieſer Claſſe ganz ausſchlieſſen98)S. rave a. a. O. estor in angef. Opuſc. c. I. §. 7. Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts. I. Th. S. 39. u. folgg.. Ich muß frey bekennen, daß mich dieſe Theorie nicht befriediget. Ich ſtelle mir die Sache ſo vor; actus merae facultatis koͤnnen aus einer dreyfachen Quelle herflieſſen; entweder aus der dem Menſchen angebohrnen natuͤrlichen Frey - heit, inſoweit ſie die Geſetze nicht eingeſchraͤnkt haben. Dieſer Beyſatz iſt ſchlechterdings nothwendig, denn werweiß115de Iuſtitia et Iure. weiß z. B. nicht, wie mannigfaltig die Geſetze die Frey - heit zu kaufen und zu verkaufen99)S. Weſtphals Lehre des gemeinen Rechts vom Kauf, Pacht, Mieth und Erbzins-Con - tract. (Leipzig, 1789.) I. Th. 1. Haupt. 2. Cap., welche man doch ad res merae facultatis insgemein zu rechnen pflegt, modi - ficirt haben? Ferner das Bauen in ſeinem eigenen Grund und Boden haͤlt man fuͤr eine Sache des freyen Will - kuͤhrs. Es iſt wahr, in vielen Faͤllen hat man recht. Ein jeder Eigenthuͤmer iſt z. B. berechtiget, in ſeiner eigenen Wand ſo viel Fenſter anzubringen, als er will, wenn auch von undenklichen Zeiten her keine da geweſen waͤren. Der Nachbahr kann ihm das nicht verwehren. Dem Nachbahr iſt aber auch ſeiner Seits unbenommen, ſolche Fenſter zu verbauen, wenn auch gleich ſolche ſeit 100 und mehr Jahren da geweſen ſeyn ſollten100)L. 9. und 10. D. de Servitut. praed. urbanor. Siehe auch Schroͤters vermiſchte juriſt. Abhandlungen 2ter Band Seite 145.. Allein deswegen iſt doch das Bauen auf dem Seinigen nicht in jedem Fall Sache des freyen Willkuͤhrs. So haben z. B. die Roͤmiſchen Geſetze das Hoͤherbauen ver - ſchiedentlich eingeſchraͤnkt1)S. L. 1. §. 17. D. de novi oper. nunciat. L. 1. L. 12. §. 1. et 4. Cod. de aedific. privat. westphal de li - bertate et ſervitut. praedior. Sect. II. c. I. §. 3.; auch haͤngt es nicht immer von meinem Willen ab, ob ich mein. baufaͤlliges Ge - baͤude will repariren laſſen, ſondern mein Nachbahr kann cautionem damni infecti von mir fordern, wenn er aus dem Einſturz meines Gebaͤudes Schaden befuͤrchtet2)L. 6. L. 7. §. 1. et 2. D. de damno inf. westphal a. a. O. §. 9. und 10.. H 2Zwei -1161. Buch. 1. Tit. Zweitens koͤnnen actus merae facultatis auch aus den Geſetzen ſelbſt entſtehen, wenn dieſelben gewiſſe Rechte ertheilen, und ſie fuͤr impraͤſcriptibel erklaͤren. Nach ka - noniſchen Rechten gehoͤrt dahin das Recht der Kirchen - viſitation, und die dazu noͤthige Procurationen d. i. Verpflegung der geiſtlichen Viſitatoren, oder ſtatt de - ren ein Aequivalent am Geld zu verlangen3)cap. 11. und 16. X. de praeſcript. Ge. Lud. boehmer in Princip. iur. canon. §. 255. und 259.; nach dem Weſtphaͤliſchen Frieden auch das Recht ſolcher Unter - thanen, denen vermoͤge des Entſcheidjahrs von 1624. keine Religionsuͤbung in einem Lande geſtattet iſt, in der Nachbahrſchaft dem oͤſſentlichen Gottesdienſt, wo und ſo oft ſie wollen, beyzuwohnen, auch daſelbſt die noͤthigen Miniſterialhandlungen von Geiſtlichen ihrer Religion ver - richten zu laſſen4)Inſtr. Pac. Osnabr. Art. 5. §. 34. Gs. Lud. boehmer a. a. O. §. 264.; ferner nach dem civil Recht das Recht ein Teſtament zu machen, u. d. m. Endlich drit - tens kann auch etwas, welches an ſich nicht res me - rae facultatis iſt, durch Vertraͤge dazu gemacht werden. Ein Beiſpiel giebt das aus dem Wiederkaufsvertrag ent - ſpringende Wiedereinloͤſungsrecht; dies muß eigentlich, wenn nicht ein gewiſſer Zeitpunkt zum Eintrit der Wie - derkaufsverbindlichkeit verabredet worden iſt, binnen 30 Jahren ausgeuͤbt werden; waͤre aber der Wiederkauf auf gar keine gewiſſe Zeit bedungen, ſondern dem Verkaͤu - fer die voͤllige Freiheit nachgelaſſen worden, die unter dem Vertragsgeſetz des Wiederkaufs verkaufte Sache zu aller Zeit, wenn’s ihm einmahl, es ſey uͤber kurz oder lang, gefallen moͤchte, wieder einzuloͤſen, ſo iſt alsdann die in ſolchen ganz allgemein abgefaßten Zeitausdruͤckennachge -117de Iuſtitia et Iure. nachgelaſſene Wiederkaufsausuͤbungs-Befugnis nach der Natur der Sache und der Abſicht der Paeiſcenten ohnſtreitig eine res merae facultatis6)Man vergleiche hierbey die leſenswuͤrdige Abhandlung uͤber die Verjaͤhrung des aus dem Wieder - kaufsvertrag entſpringenden Wiedereinloͤ - ſungsrechts in dem neuen Leipziger Magazin fuͤr Rechtsgelehrte herausgegeben von Guͤnther und Otto auf das Jahr 1786. beſonders im 3ten St. S. 236. und folg. Eben dies hat auch Herr Profeſſor Kluͤ - ber in ſeiner kleinen juriſtiſchen Bibliothek 3. Band 12. St. N. 143. S. 415. gegen Herm. Beker in den rechtlichen Gedanken uͤber eine Stelle in dem Schaumburgiſchen Compendio iuris Digeſt. in Tit. de contrah. emt. vend. §. 20. Greifswald 1787. gruͤndlich erinnert.. Solche actus oder res me - rae facultatis, die von der Willkuͤhr deſſen, dem ſie zuſtehen, lediglich in der Ausuͤbung abhaͤngen, ſind nun wenigſtens ſo lange, als ihnen das Gepraͤge der Will - kuͤhrlichkeit nicht durch zerſtoͤhrende Gegenhandlungen deſſen, gegen den ſie zuſtehen, benommen wird, keiner Verjaͤhrung unterworfen, wovon zu ſeiner Zeit ad §. 1766 umſtaͤndlicher zu handeln ſeyn wird.

§. 16. Anwendung obiger Begriffe auf das Naturrecht und Einthei - lung deſſelben in Ius naturae abſolutum und hypotheticum.

Auch das Naturrecht kann in ein Zwangs - und Permißivrecht eingetheilt werden. Jenes be - greift diejenigen Rechte und Pflichten in ſich, deren Er - fuͤllung erzwungen werden kann, und kann entweder ein gebietendes oder verbietendes ſeyn. Letzteres hingegen enthaͤlt Rechte und Pflichten, deren Ausuͤbung meinem Willkuͤhr uͤberlaſſen iſt; bey welchem folglich keinH 3Zwang1181. Buch. 1. Tit. Zwang ſtatt findet. Derjenige Theil des Naturrechts, der die Iura et officia perfecta vortraͤgt, hat wiederum verſchiedene Eintheilungen, die ich hier nur blos erzaͤh - len will, ohne mich dabey aufzuhalten7)Hierbey iſt nachzuſehen A. F. Reinhards Sammlung juriſtiſcher, philoſ. und kritiſcher Aufſaͤtze 1. B. 3. St. N. 1. S. 148. woſelbſt die nicht gemeine, aber ſehr wichtige Anmerkung gemacht wird, daß man nicht meinen muͤſſe, als ob alle ſo genannte Iura per - fecta immer wirkliche Befugniſſe ſeyen. Wir ſind ver - bunden, um der allgemeinen Sicherheit willen, vieles als ein Recht gelten zu laſſen, ohne darauf zu ſehen, ob derienige, der ſolches ausuͤbt, wirklich dazu befugt ſey. Ein wahres Recht kann nach natuͤrlichen Rechten nur das - jenige ſeyn, was mit dem ganzen Umfang unſerer Pflich - ten uͤbereinſtimmt. Streitet etwas nur mit irgend einer von unſern Pflichten, z. E. mit der Menſchenliebe; ſo iſt es kein wahres Recht mehr. Wahre Rechte nennt man innerliche Rechte (Iura interna). Was hingegen nur unter den Menſchen als ein Recht gelten muß, ſo daß es nicht darauf ankommt, ob derienige, der ſolches aus - uͤbt, ein innerliches Recht dazu habe, oder nicht, das begreifen wir unter dem Nahmen aͤuſſerlicher Rechte (Iura externa). So hat z. B. eine Obrigkeit, die ihre Rechte nicht nach der Vorſchrift des Gewiſſens ausuͤbt, zu dem, was ſie thut, blos ein aͤuſſerliches Recht. Ein aͤuſſerliches Recht muß in der menſchlichen Geſellſchaft als ein wahres und wirkliches Recht angenommen wer - den. Wir ſind ſelbſt im Gewiſſen verbunden, die aͤuſſer - lichen Rechte fuͤr guͤltig zu erkennen, niemanden im Ge - brauch derſelben zu ſtoͤren, und einem jeden dasienige zu leiſten, was er aus einem ſolchen Rechte von uns fordert. Das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft erfor - dert dieſes nothwendig. Wir muͤſſen es einem jeden uͤberlaſſen, ob er ſich ſeiner Rechte nach Vorſchrift des Gewiſſens bedient, oder nicht, ſo lang er das Ius per - fectum anderer Menſchen nicht beleidigt. Denn wer ſollte hier entſcheiden?. Wenn wiruns119de Iuſtitia et Iure. uns die Rechte und vollkommenen Pflichten der Men - ſchen, welche das Ius naturae cogens in ſich begreift, vorſtellen, ſo folgen dieſelben entweder ſchon aus der menſchlichen Natur an ſich, ohne Vorausſetzung gewiſ - ſer Handlungen, oder ſie ſetzen gewiſſe Handlungen vor - aus, welche den naͤchſten Grund jener Rechte und Ver - bindlichkeiten enthalten. Erſtere heiſſen abſolute, ur - ſpruͤngliche, oder angebohrne Rechte und Ver - bindlichkeiten, und der Inbegrif derſelben macht das Ius naturae abſolutum aus; letztere aber werden hypothe - tiſche, und der Inbegrif derſelben Ius naturae hypo - theticum genennt. Die Hypotheſe, wodurch Rechte und Verbindlichkeiten der letztern Art determinirt werden, iſt entweder eine gemeinſchaftliche Verbindung, in welche Menſchen mit einander getreten; oder ein anderes Fac - tum, welches die Menſchen nicht in gewiſſe Geſellſchaf - ten verbindet, z. B. Vertrag oder Beleidigung. Jener Theil des hypothetiſchen Naturrechts heißt das geſell - ſchaftliche Recht (ius naturale hypotheticum ſociale). Der letztere Theil aber iſt das auſſergeſellſchaftliche Naturrecht. Beyde Theile des natuͤrlichen Rechts haben wieder ihre verſchiedenen Eintheilungen, die ich aber aus dem Hoͤpfneriſchen Naturrecht §. 35 u. 36. bey meinen Leſern als bekannt vorausſetzen kann.

§. 17. Guͤltigkeit des Naturrechts im buͤrgerlichen Staate.

Es iſt wohl keine Frage weniger beſtritten, als die, ob das Naturrecht auch in der buͤrgerli - chen Geſellſchaft gelte? Freylich wird zwar ein Jeder, auch bey geringen Maas von Scharfſinn, leicht begreiffen, daß ohnmoͤglich alles dasienige, was in dem auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande der Menſchen natuͤrlichenH 4Rechtens1201. Buch. 1. Tit. Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn muͤſſe; allein es iſt ja auch bekannt genug, daß man den ſogenannten natuͤrlichen oder auſſergeſellſchaftlichen Zuſtand nicht mit dem natuͤrlichen Rechte ſelbſt vermi - ſchen duͤrfe. Denken wir uns nun unter dem Natur - rechte einen Inbegrif von Rechten und Verbindlichkeiten, die jeder Menſch, wenn er nur den Gebrauch ſeiner Ver - nunft hat, mit bloſem Verſtande als ſolche begreift, wir moͤgen nun den Grund aller natuͤrlichen Rechte und Verbindlichkeiten blos auf das Weſen des Menſchen zu - ruͤckfuͤhren, oder mit andern den aus der bloſen Ver - nunft erkannten Willen des Schoͤpfers, als das wahre und einzige Fundament derſelben betrachten; ſo iſt un - widerſprechlich, daß Menſchen im Staat ſo gut verbun - den ſind, die Geſetze der Natur zu befolgen, als auſ - ſer dem Staat. Denn der Menſch wird Buͤrger eines Staats, ohne die Eigenſchaft des Menſchen abzulegen, und ohne aufzuhoͤren, ein Geſchoͤpf desjenigen zu ſeyn, der ihm ſeinen Willen ins Herz geſchrieben hat. Wie koͤnnte alſo wohl die auf den natuͤrlichen Menſchen ge - pfropfte Eigenſchaft des Staatsbuͤrgers eine ſolche Me - tamorphoſe in ihm hervorbringen, daß er nun der Vernunft und dem durch dieſelbe erkannten goͤttlichen Willen entgegen handeln ſolle8)S. von Juſti Natur und Weſen der Staaten mit Anmerkungen von H. G. Scheidemantel (Mietau 1771.) §. 150.? Es iſt alſo auſſer allem Zweifel, daß eine jede natuͤrliche Verbindlichkeit, welche dem Menſchen auſſer dem buͤrgerlichen Zuſtande obliegen, ferner ein jedes natuͤrliches Recht, ſo demſel - ben im auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande zuſtehen wuͤrde, auch an ſich und nach der Regel im buͤrgerlichen Zuſtande vorhanden und fortdaurend ſey; nur diejenigen Faͤlle aus - genommen, da das buͤrgerliche Verhaͤltniß des Menſcheneine121de Iuſtitia et Iure. eine ſolche Aenderung der Umſtaͤnde hervorbringt, daß dabey jene natuͤrliche Rechte und Verbindlichkeiten nicht beſtehen koͤnnen9)S. Weber a. a. O. §. 59. Seite 187. und folgend.. Ein groſſer Theil des buͤrgerlichen Rechts iſt daher blos Wiederhohlung des natuͤrlichen Rechts, und wuͤrde uns verbinden, wenn es auch weder im Roͤm. Rechte noch in irgend einem andern Geſez - buche wiederholet waͤre. Z. B. daß der Kaͤufer verbun - den ſey, das Kaufgeld zur beſtimmten Zeit zu bezahlen, daß der Depoſitar die ihm anvertraueten Guͤther wieder abliefern, der Verwalter eines fremden Vermoͤgens Rech - nung ablegen, und, wenn er nicht wirthſchaftlich ver - fahren, den Schaden erſetzen, desgleichen daß der Schuld - ner das empfangene Darlehn bezahlen muͤſſe, ſind dieſes nicht lauter Verbindlichkeiten des natuͤrlichen Rechts, wenn ſie auch im Roͤmiſchen Recht ausdruͤcklich enthal - ten ſind? Es iſt alſo wohl richtig, was Juſtinian ſagt §. 4. I. b. t. collectum eſt ius noſtrum ex na - turalibus praeceptis, aut gentium, aut civilibus.

§. 18. Kann der buͤrgerliche Geſezgeber das Naturrecht in ſei - nem Staate abaͤndern, und in wieferne?

So unſtreitig jene Frage von der Guͤltigkeit des Naturrechts im buͤrgerlichen Staate war, ſo ſehr hat ſich man von jeher uͤber die Frage geſtritten: ob und in wie fern das Naturrecht durch buͤrgerliche Ge - ſetze eine Abaͤnderung leiden koͤnne10)Man vergleiche Io. cramer de immutabilitate et mutabilitate iuris naturae, gentium et civilis. Frf. 1669. Io. Casp. brendel Diſſ. de immobilitate iuris naturae. Lipſ. 1689. Henr. cocceii Diſſ. de immutabilitate iu -ris? Ge -H 5meinig -1221. Buch. 1. Tit. meiniglich wird dieſe Frage mittelſt einer Diſtinction da - hin beantwortet, daß der buͤrgerliche Geſezgeber die Vorſchriften des abſoluten Naturrechts in keinem Be - trachte, wohl aber das hypothetiſche Naturrecht, in ſeinem Staate abaͤndern koͤnne. Allein neuere Rechts - gelehrte halten Aenderung des Naturrechts an ſich und im eigentlichen Verſtande fuͤr ein Unding, weil die Fra - ge, was in dieſem oder jenem Falle natuͤrlichen Rech - tens ſey? nur allein aus Vernunftgruͤnden durch unſern Verſtand ihre Beſtimmung erhalten; kein Regent aber, auch der unumſchraͤnkteſte nicht, ſich uͤber res intelle - ctus eine Entſcheidung anmaſſen koͤnne11)S. Weber a. a. O. 1. Abtheil. 3. Abſchn. §. 57. und 58.. Wie aber, bringt es nicht gleichwohl die taͤgliche Erfahrung mit ſich, daß verſchiedene nach dem Naturrecht erlaubte Handlun - gen im Staat nicht erlaubt, verſchiedene nach dem Na - turrecht unerlaubte Handlungen aber im Staate oͤffent - lich als erlaubt geduldet werden? Z. B. die oͤffentlichen Bordelle. Wird alſo nicht ſolchergeſtalt das Naturrecht offendahr durch poſitive Geſetze abgeaͤndert? Nein, kei - neswegs, ſagen Letztere. Denn einmahl folge nicht, daßalles10)ris naturae. Ultraj. 1690. in deſſelben Exercitat. T. I. N. 72. Io. Ioch. schoepfer Diſſ. de iure civ. ius na - turae determinante circa perſona[s]. Roſtoch. 1709. Car. God. winckler de poteſtate legum civilium in ius naturae. Lipſ. 1713. Casp. a rheden Diſſ. de im - mutabilitate iuris naturae. Bremae 1717. God. croo - nenberg de iuris naturae conſtantia et immutabili - tate. Lugd. Batav. 1721. Erh. reusch Diſſ. de im - mutabili naturae lege. Helmſt. 1739. und Joh. Lor. Holderrieder von der Gewalt der Majeſtaͤt uͤber das Recht der Natur, in deſſelben hiſtor. Nachrichten von der Weiſſenfelſiſchen Aletophiliſchen Geſellſchaft. Leipzig 1750.123de Iuſtitia et Iure. alles dasjenige, was im natuͤrlichen Zuſtande der Menſchen Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn muͤſſe; ſodann laſſe ſich auch unmoͤglich da eine Aenderung des Rechts behaupten, wo wegen veraͤnderter Umſtaͤnde die Anwendung deſſelben wegfaͤllt. Da nun die Mit - glieder eines Staats die Direction ihrer Befugniſſe, woruͤber ſie ſelbſt diſponiren koͤnnen, dem Regenten un - terworfen haben; und folglich ſelbſt nach dem Naturrechte ſchuldig ſind, ſeinen Befehlen zu gehorchen, ſo ſey erſicht - lich, daß wenn der Regent vermoͤge dieſer ihm uͤbertrage - nen Direction z. B. gewiſſe an ſich betrachtet nicht uner - laubte oder unguͤltige Handlungen und Vertraͤge verbie - tet, hieraus ſo wenig eine Aenderung des Naturrechts herzunehmen ſeye, daß vielmehr offenbahr ein anderes Naturgeſez zur Anwendung komme, dasjenige nehmlich, wonach jede an ſich erlaubte und rechtsverbindliche Handlung aufhoͤrt, erlaubt und rechtsverbindlich zu ſeyn, wenn der - jenige, deſſen Willen wir gehorchen muͤſſen, ſie unſerer Willkuͤhr entziehet. Allein ſollte auf ſolche Art nicht alles wirklich poſitive Recht am Ende fuͤr natuͤrliches Recht erklaͤret werden koͤnnen? und wo bliebe denn nun der Un - terſchied zwiſchen dem natuͤrlichen und poſitiven Rechte? Es wird alſo wohl zuletzt immer darauf ankommen, was ſich jeder von Aenderung eines Geſetzes fuͤr einen Begrif macht, und alſo die ganze Sache auf einen Wortſtreit hinaus - laufen. In folgenden Saͤtzen kommen jedoch die meiſten Rechtsgelehrte uͤberein. Erſtlich daß kein Regent den Unterthanen ſolche Rechte entziehen koͤnne, deren ſie ſich ſelbſt weder entaͤuſſern durften noch konnten, ohne allge - meine Geſetze der Moral zu verletzen. Z. B. das Recht der Gewiſſensfreyheit. Denn es iſt ein jezt faſt von allen Lehrern des allgemeinen Staatsrechts anerkannter Grundſaz: daß die Mitglieder eines Staats die Direction ihrer freyen Handlungen, ih -rer1241. Buch. 1. Tit. rer Rechte und deren Ausuͤbung dem Regen - ten nur in ſofern uͤbertragen haben, und uͤbertragen koͤnnen, als ſie ſelbſt daruͤber zu disponiren die Befugnis gehabt12)Ich kann nicht umhin, eine ſehr wichtige Stelle aus I. H. boehmer Diſſ. praelim. de iure circa liber - tatem conſcientiae, Tom. II. ſeines Iuris Eccl. Prot. §. XX. S. 18. zu excerpiren, welche ſo lautet: Recta ratio oſtendit, nihil plus in principem esse transla - tum, quam quod in ipſum transferri potuit, quodque ad finem reipublicae obtinendum in eum transferri de - buit. Non autem potuit in eum transferri, ius co - gitationes ſingulorum efformandi, et doctrinam praeſcribendi, ſecundum quam conceptus animi ſui forma - re, et non aliter ſentire aut credere debeant de Deo, eius eſſentia, redemtione per Chriſtum, reſurrectione mor - tuorum, aliisque fidei articulis. Nullo modo homo ita mentis ſuae eſt arbiter, ut eam ſimpliciter alterius arbi - trio ſubiicere, et quam ei Deus tribuit, facultatem ratiocinandi abiicere queat. Quid aliud eſt, liber - tatem cogitandi, credendi, in veritatem inquiren - di, et ſecundum eam ſe emendandi, ſubditis denegare, quam eos ſocietati belluarum adiungere, qui ductu ducto - ris ſui ducuntur, quo velit? etc. Man verbinde hiermit die ſehr gruͤndlich geſchriebene Abhandlung des gelehrten Herrn Prof. Dr. Gottl. Hufelands uͤber das Recht proteſtantiſcher Fuͤrſten, unabaͤnderliche Lehrvorſchriften feſtzuſetzen und uͤber ſolchen zu halten. Jena 1788. 8. S. 8. und folgg.. Hieraus folgt weiter, daß der Regent ſeinen Unterthanen nichts gebieten koͤnne, wodurch ſie ſolchen Verbindlichkeiten entgegen handeln wuͤrden, welche die geſunde Vernunft ſo weſentlich erkennt, daß keine Verbindung der Men - ſchen unter ſich, keine willkuͤhrliche Entſagung davon dispenſiren kann13)S. Weber a. a. O. §. 58. S. 182.. Alle Vertraͤge, alle Geſetze undVerord -125de Iuſtitia et Iure. Verordnungen dagegen waͤren ſchlechterdings unguͤl - tig14)L. 7. §. 16. D. de pactis erkennt ſchon ſelbſt dieſes vor Recht: Generaliter, quotiens pactum a iure commu - ni remotum eſt, ſervari hoc non oportet, et ſi ſtipulatio ſit interpoſita de his, pro quibus paciſci non licet, ſervanda non eſt, ſed omnia reſcindenda. . Denn hier iſt offenbahr der Fall, wo jener goͤttliche Befehl eintrit: Man muß Gott mehr ge - horchen, als den Menſchen. In ſofern aber zweitens die Ausuͤbung ſolcher natuͤrlicher Rechte, in - gleichen die Art und Weiſe der Erfuͤllung ſolcher Verbind - lichkeiten nicht alle Willkuͤhr des Menſchen ausſchließt; in ſofern iſt auch der buͤrgerliche Geſezgeber allerdings befugt, um die Ordnung in ſeinem Staate aufrecht zu erhalten, den modum durch ſeine Vorſchrift zu be - ſtimmen, auch in dieſer Ruͤckſicht manche Einſchraͤnkun - gen zu machen. So iſt z. B. der Regent im Staate allerdings befugt, in Anſehung der Mittel, welche der Menſch zu ſeiner Erhaltung anwenden kann, mancherley Einſchraͤnkungen zu machen. Er kann dieſe oder jene Handthierungen, Kuͤnſte und Gewerbe gewiſſen Perſoh - nen allein geſtatten, und andere davon ausſchlieſſen. Eben ſo verhaͤlt ſich’s mit dem natuͤrlichen Triebe zur Fortpflanzung unſers Geſchlechts. Der Regent kann eine gewiſſe Form der Ehe vorſchreiben; er kann ferner unter gewiſſen Perſohnen die Heirathen gar verbieten. Drittens: alle Rechte hingegen, welche dem Menſchen als Menſchen zwar zuſtehen, die aber das Vernunftrecht ſeinem Willkuͤhr lediglich uͤberlaͤſſet, ſind auch der Dis - poſition des buͤrgerlichen Regenten dergeſtalt unterwor - fen, daß dieſer ſie gaͤnzlich aufheben, und die Unter - thanen davon ausſchlieſſen darf. So z. B. iſt die Oc - cupation, mithin auch die Jagd im Stande der natuͤr - lichen Freyheit einem Jeden erlaubt; allein die Erfah -rung1261. Buch. 1. Tit. rung lehrt, daß die Regenten ihren Unterthanen dieſe Freyheit nicht mehr ſchlechthin geſtatten, ſondern die Jagd und andere Arten der Occupation zu den Rega - lien gezogen haben. Eben ſo verhaͤlt ſich die Sache viertens in Anſehung derienigen Verbindlichkeiten, wel - che willkuͤhrliche, an ſich erlaubte Handlungen zum voraus ſetzen, weil der Regent ohne Zweifel befugt iſt, ſolche Handlungen durchaus zu verbieten, oder wenig - ſtens die gerichtliche Wirkung derſelben einzuſchraͤnken. So z. B. wird niemand laͤugnen, daß eine Weibsper - ſohn, wenn ſie ſich fuͤr eines Andern Schuld verbuͤrgt hat, nach dem Naturrecht zu bezahlen ſchuldig ſey. Al - lein die buͤrgerlichen Geſetze verbiethen die Buͤrgſchaften der Weibsleute fuͤr andere, und erklaͤren ſie fuͤr ganz unkraͤftig. Hingegen die natuͤrliche Verbindlichkeit eines Filiifamilias aus einem Gelddarlehn iſt nur der gericht - lichen Wirkung nach durch die Roͤmiſchen Geſetze einge - ſchraͤnkt worden, ſie heben ſie aber doch nicht ganz auf. Nach dieſen Beſtimmungen wird ſich nun die vom Hellfeld in dieſem §. angefuͤhrte Stelle Ulpians leicht erklaͤren laſſen, wenn er ſagt15)L. 6. D. de Iuſt. et lure. Man vergleiche uͤber dieſe Stelle van der muelen. : cum aliquid addimus vel detrabimus iuri communi, ius proprium, id eſt, civile efficimus. Ius commune heißt hier ſoviel als das natuͤrliche Recht, wie aus den vorhergehenden Worten erhellet. Dieſes Naturrecht iſt, nach Ulpians richtiger Meinung, der Grund und die Hauptquelle des buͤrgerlichen Rechts. Denn lezteres entſtehet eben da - durch, wenn dem natuͤrlichen Recht etwas hinzugefuͤgt oder entzogen wird. Das erſtere, cum aliquid ad - ditur, laͤßt ſich auf verſchiedene Weiſe gedenken:

  • 1) wenn durch verheiſſene Belohnungen, oder angedro - hete Strafen, mehrere Bewegungsgruͤnde zur Erfuͤl -lung127de Iuſtitia et Iure. lung natuͤrlicher Verbindlichkeiten gegeben werden. Z. B. ſchon das Naturrecht verbietet, Sachen, die blos zur Aufſicht und Verwahrung eingegeben wor - den, zu veruntreuen, allein auſſer dem Erſaz des daraus entſtandenen Schadens weiß das Naturrecht von keiner Strafe. Die buͤrgerlichen Geſetze hinge - gen ſetzen die Strafe der Ehrloſigkeit, und in einem gewiſſen Fall noch die Strafe des doppelten Erſatzes darauf; und die peinlichen Rechte
    16)Peinl. Gerichtsordn. Carl des V. Art. 170.
    16) wollen ſogar ſolche Miſſethat einem Diebſtahl gleich beſtraft wiſſen.

Auch

  • 2) dadurch, daß denen Rechtsgeſchaͤften eine gewiſſe Form vorgeſchrieben wird, von deren Beobachtung die Guͤl - tigkeit derſelben abhangen ſolle; die Veraͤuſſerungen der Kirchenguͤter, desgleichen der liegenden Guͤter der Min - derjaͤhrigen, auch die Schenkungen auf den Todesfall koͤnnen hier zum Beiſpiel dienen.

Ferner

  • 3) wenn Rechte und Verbindlichkeiten durch poſitive Ge - ſetze eingefuͤhrt werden, welche das Naturrecht igno - rirt. Man denke hierbey an Teſtamente, Uſucapion, Pollicitation u. d. m. Endlich gehoͤrt noch dahin,
  • 4) wenn den ſogenannten natuͤrlich unvollkommenen Pflich - ten durch buͤrgerliche Geſetze eine vollkommene verbind - liche Kraft beygeleget wird. So verbinden mich zum Beiſpiel die buͤrgerlichen Geſetze in verſchiedenen Faͤl - len bey Strafe der Theilnehmung, die vorhabende Verbrechen anderer zu verhindern, ſie der Obrigkeit zu entdecken, auch unterweilen begangene Miſſethaten oͤffentlich anzuzeigen

    17)Die Erlaͤuterung davon findet man beym Quiſtorp in den Grundſaͤtzen des peiul. Rechts. I. Th. 2. Abſchn -

    .
Das1281. B. 1. Tit.

Das letztere, nehmlich cum aliquid detrabitur iu - ri naturali, geſchiehet vorzuͤglich auf zweyerley Art; nehmlich

  • 1) wenn natuͤrlich erlaubte Handlungen durch buͤrgerliche Geſetze allgemein, oder nur einer gewiſſe Klaſſe von Un - terthanen verboten werden, wie z. B. denen Geiſtli - chen und Soldaten die Treibung eines kaufmaͤnniſchen Ge - werbes ihres Standes und Berufs wegen unterſagt iſt
    18)cap. 6. X. Ne clerici vel monachi ſecular. negot. ſe im - miſceant. Nov. 123. c. 6. L. 1. Cod. Negotiatores ne militent.
    18).
  • 2) wenn einigen natuͤrlichen Zwangspflichten die gerichtli - che Wirkung ganz oder zum Theil genommen wird. Man erinnere ſich hierbey an die oben ſchon gegebne Beiſpiele. Ich bemerke nur noch zum Beſchluß, daß wenn Handlungen, die an ſich unerlaubt ſind, im Staat geduldet werden, ſodann ſo wenig die Abſicht der buͤrgerlichen Geſezgeber ſey, als es in ihrem Ver - moͤgen ſtehe, ſolche Laſter dadurch ſelbſt erlaubt zu machen, ſondern ſie dulden dieſelben, um aus mehrern Uebeln das kleinſte zu erwaͤhlen. Es laͤſſet ſich alſo wohl mit Grunde nicht behaupten, daß durch ſolche Con - nivenz dem natuͤrlichen Rechte zu nahe geſchehe
    19)leyser in Meditat. ad Pandect. Sp. 588. med. 20.
    19).

§. 19. und 20. Ueber die Bekanntmachung der poſitiven Geſetze und deren Wirkungen.

Von dem natuͤrlichen Recht kommt unſer Autor nun auf das poſitive, worunter man den Inbegrif ſol -cher17)Abſchn. 3. Cap. § 61. und 62. I. H. boehmer in Diſſ. de obligatione ad revelandum occulta. T. VI. Exercit. ad Pandect. puͤttmann in Diſſ. de crimine conniventiae. funckler de crimine omiſſionis. u. a. m.129de Iuſtitia et Iure. cher Geſetze verſtehet, welche in dem erklaͤrten Willen des Geſetzgebers ihren Grund haben. Sollen nun poſitive Geſetze verbindlich ſeyn, ſo muͤſſen ſie denenjenigen, welche denſelben gemaͤß handeln ſollen, gehoͤrig bekannt gemacht werden, es geſchehe nun ſolches durch Worte, oder durch Handlungen, woraus die Unterthanen den Wil - len des Oberherrn ſchlieſſen koͤnnen20)L. 9. Cod. de Legib. . Von dieſer Willenserklaͤrung des Geſezgebers haͤngt alſo die Guͤltig - keit poſitiver Geſetze lediglich ab, und ſo lang dieſe nicht auf die gehoͤrige Art geſchehen, verbinden ſolche Geſetze die Unterthanen nicht, auch diejenigen nicht, wel - che ſchon einige Wiſſenſchaft davon gehabt haben ſol - ten21)voet. in Commentar. ad Pandect. Tit. de Legibus §. 10. und Bern. Aug. gaertner in Medi - tat. pract. ſec. ord. Pandectar. Spec. I. (Marb. 1785. 8.) Med. 8. S. 21.. Es laͤſſer ſich alſo auch keine Beſtrafung we - gen einer Uebertretung derſelben, ohne ungerecht zu han - deln, gedenken. Unter der Bekanntmachung ei - nes Geſetzes (Promulgatio legis) verſtehet man aber eigentlich dieienige Handlung, dadurch der Geſezgeber ſeinen Unterthanen ſeinen Willen ausdruͤcklich zu erken - nen giebt, den ſie als Geſez beobachten ſollen22)Man vergleiche die Schrift uͤber die Bekanntma - chung der Geſetze. Freiburg im Breisgau 1783. 8. und eine andere Schrift eben dieſes Inhalts im Maga - zin gemeinintereß. Lektuͤre III. Quart. 1785. 8. S. 415 425.. Sie kann entweder ſchriftlich oder muͤndlich geſchehen. Giebt der Geſezgeber durch Handlungen ſeinen Willen zu er - kennen, indem er eine zur Gewohnheit gewordene Hand - lungsart ſeiner Unterthanen ſtillſchweigend billiget, ſowol -Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. J1301. Buch. 1. Tit. wollen zwar auch einige dieſes promulgationem legis nennen, allein es geſchiehet abuſive. Geſetze, die aus - druͤcklich vom Geſezgeber promulgiret worden ſind, wer - den geſchriebene Geſetze in juriſtiſchem Verſtande genennt, und dem Gewohnheitsrechte entgegengeſezt, wovon im 3ten Titul ein mehreres vorkommen wird.

(§. 20.) In der Lehre von der Bekanntmachung der Geſetze kommt es nun hauptſaͤchlich auf zwey Fra - gen an: Erſtens, wie muß die Bekanntmachung eines Geſetzes geſchehen, wenn ſie von rechtlicher Wirkung ſeyn ſoll? und zweitens: was hat ſie fuͤr Wirkungen? In Betreff der erſtern Frage verſtehet ſich zwar von ſelbſten, daß die Promulgation eines Geſetzes auf eine ſolche Art geſchehen muͤſſe, dadurch alle diejenigen Wiſ - ſenſchaft von dem Geſez erlangen koͤnnen, welche ſich darnach richten ſollen; allein die Frage iſt, was dazu gehoͤre, um ſolches zu bewerkſtelligen? Dieſe Frage iſt beſonders in Anſehung peinlicher Geſetze von groͤ - ſter Wichtigkeit, indem der Mangel hinreichender Wiſ - ſenſchaft derſelben nothwendig die Wirkſamkeit der Stra - fen hindern muß. So gewiß es nun uͤbrigens iſt, daß zur Bekanntmachung eines Geſetzes, wenn ſie auf die gehoͤrige Art geſchehen ſoll, dreyerley erfordert werde, nehmlich:

  • 1) daß ſie an einem oͤffentlichen und dazu ſchickli - chen Orte geſchehe,
  • 2) zu einer ſchicklichen Zeit, und
  • 3) in einer Sprache, die die Unterthanen verſtehen;

ſo lehrt doch die taͤgliche Erfahrung, wie wenig insge - mein durch die gewoͤhnliche Bekanntmachung der ge - wuͤnſchte Entzweck, beſonders in Anſehung der Straf -geſetze131de Iuſtitia et Iuregeſetze bey dem Volk erreicht werde. Es iſt wahr, man verfaßt ſie in der Mutterſprache, ſchlaͤgt ſie an oͤffentlichen Orten an, verkauft ſie gedruckt, ruͤckt ſie in Zeitſchriften ein, und laͤſſet ſie auch wohl von Zeit zu Zeit von denen Canzeln verleſen; und doch trift noch immer ein, woruͤber ſchon Cyprian23)Lib. II. ad Donatum de gratia Dei Ep. 2. zu ſeinen Zeiten klagte: Inciſae ſint licet Leges, et publico aere praefixo iura perſcripta, inter leges tamen ipſas delinquitur, inter iura peccatur. Die Urſa - chen ſind leicht zu errathen. Viele unter dem Volke koͤnnen nicht leſen; die Geſetze, wenn ſie zumahl nur geſchrieben, nicht gedruckt ſind, bleiben ihnen daher, aller Bekanntmachung ohngeachtet, unbekannt. Wenige pflegen uͤberdies oͤffentlich angeſchlagene Schriften zu leſen, und ſolche Anſchlaͤge werden uͤberhaupt bald durch Muthwillen oder Witterung vernichtet. Die Zeitſchrif - ten gelangen ſelten zu den niedern Volksclaſſen und werden von vielen nur fluͤchtig durchblaͤttert oder doch nicht ſorgfaͤltig aufbewahrt. Auch ſcheut der gemeine Mann den Verkaufspreis gedruckter Geſetze. Die Ver - leſung derſelben in den Kirchen hat eben ſo wenig voll - kommen dieienige Wirkung, welche man ſich davon ver - ſpricht. Das Volk giebt entweder wenig Achtung dar - auf, oder verlaͤßt unterdeſſen die, vielleicht ohnehin diesmahl nicht zahlreiche Verſammlung, denn meiſt geſchiehet die Verleſung erſt nach der Predigt; und insgemein lieſet der Prediger die Verordnung unver - ſtaͤndlich und mit moͤglichſter Geſchwindigkeit vor. End - lich ſind auch wenige mit der iuriſtiſchen Schreibart be - kannt genug, um den Inhalt der Geſetze, beſonders der Strafgeſetze, mit allen ihren Abtheilungen, Di - ſtinctionen und Ausnahmen gehoͤrig zu faſſen. Zwar ſolte ſich jeder rechtſchaffene Unterthan um die GeſetzeJ 2des1321. Buch. 1. Tit. Staats von ſelbſt erkundigen, in welchem er lebt, ſol - te ſchon aus Gruͤnden des oͤffentlichen und privat Wohls, nicht aus Furcht vor der Strafe, die Geſetze des Staats beobachten; allein daraus folgt nur ſo viel, daß eben keine Ungerechtigkeit begangen wird, wenn man jemand nach Geſetzen richtet, von denen er durch eigene Schuld nicht gehoͤrige Wiſſenſchaft gehabt hat. Unterdeſſen bleibt doch immer jene, wenn gleich verſchuldete, Un - kunde der Geſetze die Haupturſache, daß oft ſo ſchwere Verbrechen dennoch begangen werden, die doch durch dieſe Geſetze verhuͤtet werden ſollen; und auch das ge - rechteſte Geſez bleibt zu voͤlliger Erreichung ſeines Ent - zwecks unwuͤrkſam. Wieviel liegt alſo nicht an einer ſorgfaͤltigern Bekanntmachung der Geſetze? Allein wie ſoll man genauere und allgemeinere Kenntniß derſelben, und zwar der Strafgeſetze, von denen ich hier vorzuͤg - lich rede, verbreiten? Hieruͤber ſind ſchon mancherley Vorſchlaͤge gethan worden, auf welche mich aber hier einzulaſſen, wider meinen Plan iſt. Man erlaube mir iedoch, von den treflichen Bemerkungen, die ich uͤber dieſen Gegenſtand in der neueſten Schrift eines beruͤhm - ten Rechtsgelehrten24)D. Aug. Frid. schott Diſſ. de ignorantia po - puli circa poenas, earum vim impediente. Lipſiae 1788. geleſen habe, hier Gebrauch zu machen. Dieſer ſagt, man ſolle ſich in der Schreibart ſolcher Strafgeſetze mehr nach der Faſſungskraft der niedern Volksclaſſen und der Nichtiuriſten richten. Da - zu moͤchte vorzuͤglich dienen, wenn man von jedem Strafgeſez unter oͤffentlicher Auctoritaͤt einen zweckmaͤ - ſigen Auszug fuͤr das Volk machte, mit Vermeidung alles Kunſtmaͤſigen, und aller feinern Unterſcheidungen, welche bey den Graden der Moralitaͤt, und bey der Im - putation ſtatt finden u. ſ. w. Man verfertige zu demEnde133de Iuſtitia et Iure. Ende einen Volkscodex oder Strafcatechismus aus al - len und jeden noch geltenden Strafgeſetzen, ſo kurz und ſo wohlfeil als moͤglich; und ſuche dieſen auf jede ſchick - liche Art unter dem Volk zu verbreiten. Das Leztere geſchiehet: a) wenn man ſolchen bey gottesdienſtlichen Verſammlungen, an beſtimmten Tagen, jaͤhrlich zwey - drey - auch wohl viermal, unter Ahndung des willkuͤhr - lichen Auſſenbleibens der Pfarrkinder, nicht nach der Predigt, ſondern vorher, mit zweckmaͤſiger Einleitung, und am Schluſſe der Handlung beigefuͤgter ernſtlichen Vermahnung, laut, langſam, und vernehmlich verleſen laͤſſet; b) wenn man ſolchen einruͤckt oder beyfuͤgt den - jenigen[Schriften], welche in die Haͤnde aller Untertha - nen, ohne Unterſchied des Geſchlechts, Standes oder Alters kommen, z. B. den Kalendern; c) wenn man denſelben in die fuͤr die Volksſchulen beſtimmte Lehrbuͤ - cher aufnimmt, und in jenen fleißig darnach unterrich - ten laͤſſet; d) endlich wenn man die Anſchaffung dieſes wohlfeilen Buͤchleins, nach der neueſten Ausgabe, je - dem Haͤusvater bey Strafe befiehlt. Eben ſo halte man es auch mit denen von Zeit zu Zeit erſcheinenden neuen Geſetzen, die man bey der naͤchſten Auflage in den Volkscodex aufnehmen, und unterdeſſen in die Zeitun - gen, woͤchentliche Anzeigen, und ſolche Schriften einruͤ - cken muß, welche allgemein geleſen werden. Ein Haupt - umſtand, das Andenken derſelben beym Volk bleibend und lebhaft zu erhalten, iſt auch die oͤffentliche, mit einiger, Aufſehen erregender, Zubereitung verknuͤpfte Vollziehung verwirkter merkwuͤrdiger Strafen, und de - ren oͤffentliche Bekanntmachung, wovon in der vorhin gedachten Schrift ebenfalls ſehr practiſche Regeln an die Hand gegeben werden.

J 3Wir1341. Buch 1. Tit.

Wir kommen nun zweitens auf die Wirkungen einer auf die gehoͤrige Art geſchehenen Promulgation; dieſe beſtehen darinn:

  • 1) Daß das Geſez in der Regel gleich von dem Au - genblick die Unterthanen verbindet, als es ihnen be - kannt gemacht worden iſt. Es ſind zwar verſchiedene Rechtsgelehrten
    25)S. lauterbach in Colleg. Theor. pr. Pand. T. I. Lib. I. Tit. 3. §. 20. I. H. boehmer in doctr. Digeſtor. Lib. I. Tit. 3. §. 12. n. δ.
    25) der Meinung, daß ein neues Geſez erſt nach Ablauf zweier Monathe ſeine Guͤl - tigkeit erlange, und Stryk
    26)in Uſu Mod. Pandect. tit. δ de LL. §. 15.
    26) hat nicht nur be - merkt, daß in foro dieſe Regel uͤberall beobachtet werde, ſondern es fehlt auch nicht an Beiſpielen, daß, beſonders in peinlichen Faͤllen, wirklich darnach geſprochen worden iſt
    27)S. de wernher T. I. P. IV. Obſ. 201. in Supplem. nov.
    27). Allein demohngeachtet iſt doch jene Meinung voͤllig irrig, und daher mit Grund von andern Rechtsgelehrten verworfen wor - den
    28)leyser Meditat. ad Pandect. Spec. VII. med. 8. reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. I. Obſ. 33. gaertner Meditat. pract. med. 11. westenberg in Digeſtis tit. de LL. §. 12. hofa - cker in Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I. §. 86. u. a. m.
    28). Denn die Nov. 66. c. 1. enthaͤlt keine all - gemeine Regel, ſondern ſchraͤnkt ſich lediglich auf die - jenigen Verordnungen Juſtinians ein, welche die Te - ſtamente betreffen; und ſelbſt in Anſehung dieſer ſoll es bey der Regel bleiben, wie die Anfangsworte des 1ſten Capitels deutlich beweiſen: Sancimus, ut ex illo tempore conſtitutiones noſtrae de teſtamentis va -leant,135de Iuſtitia et Iure. leant, ex quo in commune manifeſtae factae ſunt. Juſtinian will nur, daß ſich nach zwey Monathen niemand weiter mit der Unwiſſenheit entſchuldigen ſolle. (Ita enim nemo plane excuſationem habe - bit, quare legem noſtram non obſervet). Doch leidet unſere Regel alsdann ohnſtreitig eine Ausnah - me, wenn der Geſezgeber bey der Bekanntmachung eines Geſetzes eine gewiſſe Zeit beſtimmt hat (va - catio), nach deren Verlauf erſt daſſelbe verbindli - che Kraft erlangen ſolle, wovon uns Lex Iulia et Papia Poppaea
    29)heineccius in Commentar. ad L. Iul. et Pap Poppaeam Lib. I. c. 3. pag. 48.
    29), desgleichen Nov. 58. Nov 116. Cap. 32. de praebendis in 6to, andere zu geſchwei - gen, genug Beiſpiele liefern.
  • 2) Eine andere Wirkung iſt, daß die Guͤltigkeit eines gehoͤrig promulgirten Geſetzes ſo lang vermuthet wer - de, bis das Gegentheil erwieſen
    30)L. 22. D. de probat.
    30); nach der be - kannten Regel: quod lex ſemper loqui praeſu - matur
    31)Io. Tob. richter Progr. de eo, an lex ſemper loqui praeſumatur. Lipſ. 1747.
    31).
  • 3) Eine dritte Wirkung iſt, daß die vorgeſchuͤzte Un - wiſſenheit eines Geſetzes nicht vermuthet wird, wenn deſſelben Bekanntmachung auſſer allen Zweifel iſt. Es iſt iedoch, in ſofern etwa von particulaͤren Lan - desgeſetzen oder Statuten die Rede ſeyn ſolte, noch ein Unterſchied zu machen, ob eigentliche Untertha - nen, oder ob Fremde, die ſich nur ihrer Geſchaͤfte wegen in einem Lande oder in einer Stadt aufhal - ten, aus Unwiſſenheit dagegen gehandelt haben Im erſten Fall verdient die zur Entſchuldigung angezo -J 4gene1361. Buch. 1. Tit. gene Unwiſſenheit weder Glauben noch Aufmerkſam - keit
    32)Und zwar theils ob L. 12. C. de iur. et fact. ignorant. theils ob ſupinam, qua id ius facile cognoſcere po - tuerunt, ignorantiam, wie de boehmer ad Carpzovium P. III. Qu. 149. Obſ. 4. S. 150. ſagt. Siehe auch ley - ser Sp. 289. medit. 6.
    32). Dieſe Regel iſt hier allgemein, und ſelbſt die Perſohnen, denen ſonſt die Geſetze in Anſehung der Unwiſſenheit des buͤrgerlichen Rechts einige Nach - ſicht bewilligen, z. B. Frauenzimmer, Soldaten u. d. koͤnnen nicht davon ausgenommen werden
    33)Man vergleiche hier des H. Prof. Webers Abh. uͤber die Proceskoſten, deren Verguͤtung und Com - penſation. §. 8. und gaertner in meditat. pra - cticis ad Pandect. meditat. 10
    33). In - zwiſchen iſt jedoch hierbey alles richterliche Ermeſſen nicht auszuſchlieſſen, ſondern es kann unterweilen die vorgeſchuͤzte Unwiſſenheit allerdings ſodann zu einer Entſchuldigung gereichen, und, wenn inſonderheit von Strafgeſetzen die Rede iſt, eine Milderung der Strafe bewirken, wenn ſie durch wahrſcheinliche Gruͤnde beſtaͤrkt und unterſtuͤzt werden kann. Dahin gehoͤrt, wenn der Verbrecher zu der Zeit, da das Geſez publicirt worden, vielleicht lange Zeit abweſend geweſen ſeyn ſolte; oder erſt neulich das Buͤrgerrecht an einem Orte erhalten habe; oder Beiſpiele vorhan - den ſeyn moͤchten, daß die Strenge des Geſetzes nicht angewendet worden; oder wenn uͤberhaupt der Inhalt des Geſetzes von dergleichen Art von Leuten, als der Uebertreter deſſelben iſt, nicht leicht hat ge - faßt werden koͤnnen, z. B. wenn der Menſch von Natur ſtupide iſt. Was nun im Gegentheil die Fremden anbelangt, ſo vermuthet man zwar nach der Regel, daß ſie die Geſetze des Orts, wo ſieſich137de Iuſtitia et Iure. ſich nur erſt ſeit kurzer Zeit aufhalten, wenn ſie dagegen gehandelt, nicht gekannt haben. Inzwiſchen verdient der von einem Fremden angefuͤhrte Irrthum der Landes - und Stadtgeſetze ſodann in keinen Be - tracht gezogen zu werden, wenn etwa der beſondere Zuſtand des Fremden, oder auch das Gewerbe, wel - ches er trieb, ihn ſchon an ſich verpflichteten, ſich ei - ne Kenntnis der Landes - oder Stadtgeſetze zu er - werben
    34)Quiſtorp in den Grundſaͤtzen des peinlichen Rechts 1. Th. 2. Abſchn. 2. Cap. §. 48.
    34). Ich werde davon an einem andern Ort umſtaͤndlicher handeln. Alles, was ich inzwiſchen hier ſchon geſagt habe, ſezt den Fall zum voraus, daß die geſchehene Bekanntmachung eines Geſetzes an ſich keinem Zweifel unterworfen ſey. Wie nun aber, wenn dieſe ſelbſt von einem Unterthan gelaͤug - net wuͤrde, und alſo die Publication des Geſetzes ſelbſt noch ſtreitig waͤre, ob ſie nehmlich gehoͤriger Art geſchehen ſey oder nicht? Wem wuͤrde in ei - nem ſolchen Fall wohl die Laſt des Beweiſes oblie - gen? Die Frage iſt unter den Rechtsgelehrten ſtrei - tig. Leyſer
    35)Meditat. ad Pand. Spec. VII. m. 1.
    35) behauptet, daß derjenige, welcher ein vorhandenes Geſez fuͤr ſich anfuͤhrt, deſſelben Publication zu erweiſen nicht noͤthig habe, ſondern dieſe vermuthet werde. Allein dieſe Meinung hat wenig Beifall gefunden, und Leyſer ſelbſt hat ſie in der Folge geaͤndert und mehr eingeſchraͤnkt
    36)Vol. XII. Suppl. 1. Spec. 7. med. 16.
    36). Die meiſten Rechtsgelehrten nehmen die Regel an, daß die Bekanntmachung eines Geſetzes von demje - nigen, der ſich darauf gruͤndet, bewieſen werdenJ 5muͤſ -1381. Buch. 1. Tit. muͤſſe, wenn ſie vom Gegner gelaͤugnet wird
    37)hartleben in Meditat. ad Pandect. Spec. VIII. med. 1. 2. 3. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrger - lichen Rechts. 1. Th. S. 55. u. folg.
    37). Es verſtehet ſich, daß hier blos von Landesgeſetzen die Rede ſey. Denn wer ſich auf das gemeine in Teutſchland reci - pirte Recht beruft, hat ohnehin fundatam intentio - nem fuͤr ſich. Ob nun gleich die andere Meinung allerdings fuͤr gegruͤndeter zu halten iſt, ſo darf doch der Unterſchied zwiſchen alten und neuen Lan - desgeſetzen nicht aus der Acht gelaſſen werden, in - dem, wenn von einem alten Geſez die Rede iſt, welches bisher von den Unterthanen immer beobach - tet worden, die geſchehene Publication deſſelben in einem ſolchen Fall allerdings zu vermuthen ſtehet, mithin derjenige, welcher ſich darauf beruft, mit kei - nem Beweiß beſchweret werden kann. Dahingegen ſich die Sache bey neuen Geſetzen, deren Anwen - dung ſelbſt noch ſtreitig iſt, ganz anders verhaͤlt, bey ſolchen kann die geſchehen ſeyn ſollende Bekannt - machung, wenn ſie von dem Gegner gelaͤugnet wird, darum nicht vermuthet werden, weil ſie etwas fa - ctiſches iſt, alles dasjenige aber, was facti iſt, im Laͤugnungsfall und der Regel nach erwieſen werden muß. Und dieſer Beweiß wird auch dann noch noͤ - thig ſeyn, wenn gleich daſſelbe Geſez, wovon die Frage iſt, bereits gedruckt ſeyn ſolte, indem die Erfahrung lehrt, daß manchmahl Geſetze, wenn ſie gleich ſchon gedruckt ſind, dennoch hernach entweder gar nicht, oder wenigſtens etliche Jahre nachher erſt publiciret werden
    38)Ein ſchoͤnes Beiſpiel findet man in des Herrn Direct. gaertner Meditat. pract. ad Pandect. Spec. I. med. 9.
    38).
End -139de Iuſtitia et Iure.
  • Endlich 4) gehoͤrt auch zu denen Wirkungen der Be - kanntmachung eines Geſetzes, daß die Unwiſſenheit der Geſetze Keinem zu ſtatten kommt, der vermoͤge derſelben einen Vortheil haͤtte erlangen koͤnnen, wenn er ſolchen aus rechtlicher Unwiſſenheit einmahl aus den Haͤnden gelaſſen hat. L. 7. D. de iuris et facti ignor. druckt dieſes ſo aus: Iuris ignorantia non prodeſt adquirere volentibus; und L. 9. §. 5. eodem. erlaͤutert dieſen Saz durch ſehr treffende Beiſpiele: wann ein Erbe, welcher uͤber die im Fal - cidiſchen Geſez vorgeſchriebene Maaſe mit Vermaͤcht - niſſen beſchweret worden, ſolche vollſtaͤndig und ohne Abzug ausgezahlt haͤtte, weil ihm das Geſez des Falcidius nicht bekannt war; oder ein Erbe, der mit einem fideicommiſſo univerſali oneriret worden, die Erbſchaft ganz reſtituirt haͤtte, ohne die Trebelliani - ſche Quarte inne zu behalten, weil er von dieſer rechtlichen Wohlthat nichts wuſte; ſo kann keiner von beyden etwas wieder zuruͤckfordern. Der Fehler liegt hier blos in rechtlicher Unwiſſenheit, welche nach L. 8. und 9. D. eodem in compendiis, d. i. wenn vom Erwerb eines erlaubten Gewinnes die Re - de iſt, auch ſogar ſolchen Perſohnen ſchaden ſoll, denen ſonſt die Geſetze die Unwiſſenheit buͤrgerlicher Rechte verzeihen.

§. 21. In wieferne koͤnnen poſitive Geſetze auf vergangene Handlungen gezogen werden?

Da ein poſitives Geſez vor der Bekanntmachung keine verbindliche Kraft hat, ſo folgt, daß Geſetze die - ſer Art eigentlich nur zukuͤnftigen, nicht aber vergan -genen1401. Buch. 1. Tit. genen Handlungen zur Regel dienen39)L. 7. C. de Legib. Leges et conſtitutiones futuris certum eſt dare formam negotiis, non ad facta prae - terita revocari: niſi nominatim et de praeterito tempore et adhuc pendentibus negotiis cautum ſit. . Es kann daher eigentlich kein poſitives Geſez auf ſchon vergan - gene Handlungen, die bereits vor der Bekanntma - chung deſſelben geſchehen ſind, und ihre Vollkommenheit erhalten haben, angewendet werden. Weil niemanden ſein ius quaeſitum, was er rechtmaͤſiger weiſe erworben hat, genommen werden darf. Man ſetze z. B. den Fall, daß in einem gewiſſen Lande das neue Geſez ge - geben wuͤrde, daß keine Verpfaͤndungen liegender Grund - ſtuͤcke ohne gerichtliche Ingroſſation der Hypothec guͤltig ſeyn ſolten; ein Buͤrger aber ſich kurz zuvor von ſeinem Schuldner eine Hypothec, jedoch ohne gerichtliche Con - firmation, habe conſtituiren laſſen. Iſt nun bey kuͤnftig entſtandenem Concurs dieſe Hypothec nach dem neuen Geſez zu beurtheilen, folglich der Glaͤubiger nicht an - ders, als wenn er gar keine Hypothec haͤtte, unter die Chirographarios zu lociren? Nein, dies waͤre offen - bahr unbillig. Der Creditor bekommt ſeinen Plaz un - ter denen Hypothecariis, den ihm das vormahlige Recht anweißt. So einleuchtend nun dieſes zu ſeyn ſcheint, ſo ſchwer iſt es oft, in Anwendung jener Re - gel, zu beſtimmen, ob und in wiefern eine gewiſſe Hand - lung fuͤr vergangen, oder fuͤr noch zukuͤnftig zu halten ſey. Denn oft iſt ein rechtliches Geſchaͤft vor der Bekanntmachung des neuen Geſetzes voͤllig abge - ſchloſſen, und ſeinem Weſen nach vollkommen; allein es iſt noch nicht vollzogen, ſondern die Conſummation haͤngt noch von einer kuͤnftigen Handlung ab. Wenn nun un - terdeſſen Lex nova darzukommt, die dergleichen Handel verbietet, iſt das neue Geſez auf dieſen Fall anzuwen -den?141de Iuſtitia et Iure. den? z. B. es iſt ein Kauf geſchloſſen, die Contrahen - ten waren uͤber Waare und Kaufpreis ſchon vollkom - men einig, allein noch vor der Uebergabe oder Bezah - lung des Kaufgeldes verbiethet ein neues Geſez dieſe Art des Kaufs. Iſt nun der ganze Handel fuͤr unguͤl - tig zu halten? Ich zweifle ſehr. Man merke ſich die Regel, welche Nicol. Chriſtoph Lynker40)in Diſſ. de vi legis in praeteritum occaſ. L 7. Cod. de LL. Ien. 1681. rec. 1751. Th. 5. und Tobias Jacob Reinharth41)in Select. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. I. Obſ. 49. n. 5. geben: Quaecunque negotia iam ante legem novam latam quoad eſſen - tiam ſuam fuerunt perfecta, licet conſummationem ſuam ſuosque effectus ab actu demum poſt legem novam futuro, eoque non extenſivo, adhuc expectent, ea ad praeterita omnino referenda ſunt, adeoque ex anterioribus legibus, nequaquam vero ex nova lege lata diiudicanda, modo non integrum ſit, nego - tium iuxta novae legis placita emendandi et perfi - eiendi. Ich habe hier noch eins und das andere zu mehrerer Erlaͤuterung dieſer Regel hinzuzufuͤgen. Erſt - lich: Geſchaͤfte, welche ab actu extenſivo, d. i. von einer ſolchen kuͤnftigen Handlung, die nicht auf einmahl, ſondern oͤfters geſchehen muß, ihre Erfuͤllung oder Wir - kung erhalten, koͤnnen nicht ſchlechterdings ad negotia praeterita gerechnet werden, ſondern ſie gehoͤren in ge - wiſſer Ruͤckſicht zu den vergangenen, in anderer Bezie - hung aber ſind ſie zu den zukuͤnftigen zu rechnen. Z. B. wenn ich mir in einem Fall, wo es nach dem bisherigen Recht erlaubt geweſen, von meinem Schuldner mehr als gewoͤhnliche Zinſen habe verſprechen laſſen, und nun ein neues Geſez gegeben wuͤrde, daß dem Glaͤubiger in ei - nem ſolchen Fall auch nur gewoͤhnliche Zinſen zu neh -men1421. Buch. 1. Tit. men erlaubt ſeyn ſolte, ſo iſt dieſes Geſchaͤft zwar in Anſehung der vor dem neuen Geſez ſchon gezahlten, oder doch wenigſtens ſchon verfallenen Zinſen pro prae - terito zu halten, und auf dieſe das neue Geſez nicht zu ziehen; allein in Anſehung der kuͤnftig noch zu zahlen - den Zinſen gehoͤrt das Geſchaͤft ad negotia futura, denn die Zinszahlung, weil ſie mehrere Jahre hindurch geſchiehet, iſt ein actus extenſivus, folglich werde ich fuͤr die Zukunft nicht mehr Zinſen fordern duͤrfen, als das neue Geſez erlaubt42)Juſtinian beſtaͤttigt dieſes ſelbſt in L. 27. Cod. de uſu. ris: Iubemus, etiam eos, qui ante eandem ſanctionem ampliores, quam ſtatutae ſunt, uſuras ſtipulati ſunt, ad modum eadem ſanctione taxatum ex tempore latio. nis eius ſuas moderari actiones: ſcilicet illius temporis, quod ante eam defluxit Legem. . Zweitens: Soll ein Rechtsgeſchaͤft, deſſen Wirkung noch ab actu poſt no - vam legem futuro, eoque non extenſivo abhaͤngt, fuͤr ein vergangenes dergeſtalt gehalten werden, daß das neue Geſez darauf nicht anzuwenden iſt, ſo muß es nicht mehr moͤglich ſeyn, das in Frag ſtehende Geſchaͤft nach der Vorſchrift des neuen Geſetzes abzuaͤndern, ohne dem erworbenen Rechte eines andern zu nahe zu treten. Z. B. Ein Nobilis hat mir in ſeinem Teſtament ein Guth vermacht, nach ſeinem Tode, ehe noch der inſtituirte Er, be die Erbſchaft angetreten, wird ein neues Geſez pu - blicirt, daß dergleichen Guͤther, als mir eins vermacht iſt, nicht in buͤrgerliche Haͤnde kommen ſollen. Es fraͤgt ſich nun, ob das neue Geſez auf dieſen Fall zu ziehen ſey? ich glaube nicht, denn durch den Tod des Teſtirers, der noch ante legem novam erfolgt war, hatte der lezte Wille deſſelben ſeine Vollkommenheit, und ich ein Recht auf das legirte Guth erhalten; das Geſchaͤft iſt alſo allerdings zu den vergangenenHand -143de Iuſtitia et Iure. Handlungen zu rechnen, denn nur mein Forderungs - recht allein haͤngt noch von der Antretung des Erben ab; und dieſes ius quaeſitum kann mir durch das neue Geſez nicht entzogen werden. Waͤre im Gegentheil das neue Geſez noch vor dem Tode des Teſtirers gegeben worden, ſo wuͤrde es hier allerdings ſeine Anwendung finden43)reinharth a. a. O. n. 7. 8. S. 125.. Drittens: wenn ein gewiſſes Rechtsge - ſchaͤft unter einer Bedingung iſt geſchloſſen worden, und dieſe erſt nach Bekanntmachung des neuen Geſetzes exi - ſtirt, ſo entſteht die Frage, ob ein ſolches negotium pro praeterito zu halten ſey? Dem erſtern Anſchein nach moͤchte man beynahe dieſe Frage verneinen, weil ein Geſchaͤft, deſſen conditio noch zur Zeit pendens iſt, pro imperfecto gehalten wird44)L. 213. D. de Verb. Signif. . Aber dennoch iſt die bejahende Meinung richtiger, weil bekannt, daß die Bedingung, wenn ſie erfuͤllet wird, ad initium actus zuruͤckgezogen, und vermoͤge einer rechtlichen Fiction es eben ſo angeſehen wird, als wenn das Ge - ſchaͤft gleich anfangs unbedingt geſchloſſen worden waͤ - re45)L. 78. D. de Verb. Obligat. . Aus dieſem Grunde kann alſo lex nova auf die, noch vor dem neuen Geſez abgeſchloſſene, wenn gleich bedingte, Rechtsgeſchaͤfte, nicht angewendet wer - den.

Die Regel, daß poſitive Geſetze nicht auf vorher - gegangene Handlungen zu ziehen ſind, gehet uͤbrigens auch auf Strafgeſetze. Man hat daher bey Be - ſtimmung der Strafe eines begangenen Verbrechens darauf zu ſehen, was zu der Zeit, da das Verbrechen begangen wurde, fuͤr eine Strafe in den Geſetzen be - ſtimmt geweſen, denn nur dieſe hat der Miſſethaͤtereigent -1441. Buch. 1. Tit. eigentlich verwirkt, nicht aber diejenige, ſo erſt nachher durch ein neueres Geſez, wenn auch noch vor geendigter Unterſuchung, iſt eingefuͤhret worden46)L. 1. pr. de poenis. L. 21. D. de iniuriis. koch In - ſtitut. iur. crim. §. 39. d. . Jedoch ſind folgende Ausnahmen von unſerer Regel zu bemerken:

  • 1) wenn der Geſezgeber ausdruͤcklich erklaͤrt hat, daß ſich das Geſez auch auf vergangene Faͤlle zuruͤckerſtrecken ſolle. Wir finden davon verſchiedene merkwuͤrdige Beiſpiele in dem Roͤmiſchen Geſezbuche. Hierher ge - hoͤrt die Verordnung K. Conſtantins, worinn der kommiſſoriſche Vertrag in Ruͤckſicht auf Pfaͤn - der und Hypotheken in ſeinem ganzen Umfange als unerlaubt und unverbindlich verworffen wird L. 3. C. de pactis pignor. Auch in der Verordnung Ju - ſtinians, welche L. 3. C. de quadrienn. prae - ſcript. enthaͤlt, findet ſich am Ende die Clauſul: daß dieſes Geſez bis auf den Anfang der Regierung Juſtinians (ex eo tempore valitura, quo motu divino imperiales ſuſcepimus infulas) zuruͤckwirken ſolle
    47)Mehrere Beiſpiele geben L. 22. §. 1. Cod. de SS. Ec - cleſ. und L. un. §. 4. C. de contractib. iudicum.
    47). Da inzwiſchen eine Ausnahme von der Regel immer ſtricte zu nehmen, ſo kann eine ſolche Verordnung, die ſich zugleich auf caſus praeteri - tos ausdruͤcklich beziehet, doch nur von ſolchen ver - gangenen Handlungen verſtanden werden, die noch nicht durch rechtskraͤftige Urtheile, oder Vergleich, oder auf eine andere Art entſchieden, oder durch Zah - lung und Uebergabe, oder ſonſt ohne Streit bereits vollzogen, und alſo ſchon ante Legem novam voͤllig beendiget ſind, ſondern annoch rechtshaͤngig, oder zwar beurtheilet, aber doch per Remedia appella -tio -145de Iuſtitia et Iure. tionis, und dergleichen ſuſpendiret, oder, wenn ſie auch nicht in Streit gezogen worden, dennoch zur Zeit wenigſtens noch nicht vollzogen und erfuͤllet ſind; weil ſonſt die Proceſſe unaufhoͤrlich ſeyn wuͤr - den
    47)Eben dieſes beſtaͤrken auch die in der vorhergehenden Note angefuͤhrte Geſezſtellen ausdruͤcklich. S. boehmer in Conſultat. T. II. P. I. Reſp. 6. n. 3. und gaert - ner in Meditat. pract. med. XII.
    47). Zu denen Ausnahmen unſerer Regel will man
  • 2) auch den Fall rechnen, wenn das neue Geſez nur Lex declaratoria iſt, wodurch ein ſchon vorhanden geweſenes Geſez blos erklaͤret, oder naͤher beſtimmt wird; desgleichen
  • 3) wenn das neue Geſez etwas verbietet, ſo ſchon vor - her nach denen natuͤrlichen oder buͤrgerlichen Geſetzen nicht erlaubt geweſen. Allein ich zweifle, ob dieſe als aͤchte Ausnahmen angeſehen werden koͤnnen, in - dem in dem zweiten Fall ſo wenig als in dem dritten mit Grunde zu behaupten ſtehet, daß durch das neue Ge - ſez etwas neues verordnet worden ſey. Ich nehme den Fall aus, wenn durch das wiederholte Verbot zu - gleich eine neue geſchaͤrftere Strafe auf eine gewiſſe an ſich ſchon unerlaubte Handlung waͤre geſetzet wor - den, in welchem Fall ſich’s aber auch von ſelbſt ver - ſtehet, daß, wenn das neue Strafgeſez auf vergan - gene Handlungen gezogen werden ſolle, dieſes vom Geſezgeber ausdruͤcklich muͤſſe erklaͤret worden ſeyn; ſo wie denn uͤberhaupt eine ſolche Verordnung doch nur von negotiis adhuc pendentibus verſtanden werden koͤnnte
    48)Man vergleiche noch uͤber dieſe Materie Chriſt. Gottl. reinhardt Comment. de valore et vi legis inprae -
    48).
§. 22.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. K1461. B. 1. Tit.

§. 22. Das poſitive Recht iſt entweder ein goͤttliches oder menſchliches.

Das poſitive Recht wird nun in das goͤttliche und menſchliche Poſitivrecht eingetheilt, je nachdem ſolches entweder Geſetze, welche in dem erklaͤrten Willen Gottes, oder ſolche, welche in dem erklaͤrten Willen eines menſchlichen Geſezgebers ihren Grund ha - ben, in ſich enthaͤlt. Das erſtere theilen viele Gelehr - te wieder ein in das allgemeine (ius poſitivum di - vinum univerſale) und das beſondere goͤttliche Po - ſitivrecht; und nennen erſteres dasjenige, welches alle Menſchen auf der ganzen Welt, denen ſolches bekannt worden, nach der Abſicht Gottes verbinde; lezteres aber dasienige, ſo von Gott nur allein denen Juden vorgeſchrieben worden. Diejenigen, welche ein allge - meines goͤttliches Poſitivrecht ſtatuiren, ſind je - doch in Anſehung der hierher zu rechnenden Geſetze wie - der ſehr verſchiedener Meinung. Einige wollen dieſel - ben im alten Teſtament gefunden haben, und ſetzen in die Claſſe derſelben den Geneſ. IX. v. 6. enthaltenen goͤttlichen Ausſpruch von Ahndung des Todtſchlags, deß - gleichen die Moſaiſchen Eheverbothe wegen Blutsver - wandſchaft und Schwaͤgerſchaft49)S. Sim. Ludw. Eberh. de marées Unterſuchung der Verbindlichkeit der goͤttlichen Geſetze von der Todesſtrafe des Moͤrders, und vonVer -. Andere ſprechenzwar48)praeteritum, occaſ. §. 4. art. XXII. Capitulat. Impp. caroli VII, et francisci I. Halae 1748. Chrſtph. Henr. lorenz Diſſ. de obligatione legis in praeteritum. Lipſiae 1770. und Franc. Ioſ. hart - leben in Meditat. ad Pandectas Vol. I. P. I. Spec. VIII. med. 4. und 5.147de Iuſtitia et Iure. zwar denen im alten Teſtament vorkommenden goͤttlichen Satzungen die allgemein - und ſchlechterdings verbindende Geſetzeskraft ab, inſofern nehmlich dieſelben blos will - kuͤhrliche Vorſchriften ſind; ſie glauben aber, daß das neue Teſtament dergleichen allgemein verbindliche poſitive goͤttliche Geſetze enthalte; ſie rechnen z. B. dahin die Vorſchriften von der Eheſcheidung, ferner von Vermei - dung der Blutſchande u. d.50)Car. Chriſtph. hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 10. Iuris divini positivi univer - salis ratio in eo ponenda eſt, ut omnes, quibus innotuit, obliget, adeoque universale ſit non promulgationis, ſed obligationis ratione. . Die meiſten heutigen Rechtsgelehrten verwerfen jedoch jene Eintheilung des goͤttlichen Poſitivrechts, und nehmen blos ein ius poſi - tivum divinum particulare an51)Die beſte Schrift iſt das von unſerm Auctor not. a. angefuͤhrte Opuſculum des Io. Andr. hannesen, er - ſchienen Goettingae 1744. 8.. Die Frage, ob es allgemeine poſitive goͤttliche Geſetze gebe, iſt freylich von jeher ſehr beſtritten worden, und man kann nicht laͤugnen, daß ſie von wichtigen Folgen ſey; denn ſtatuirt man ſolche Geſetze wirklich, ſo muß man de - nenſelben auch eine unabaͤnderliche Verbindlichkeit beyle - gen, und kann mithin keine Dispenſation dagegen zulaſ - ſen. Ich meines Theils kann mich nun von der Exiſtenz ſolcher Geſetze nicht uͤberzeugen, und ich denke, man wird es mir fuͤr keine Arroganz auslegen, wenn ich ge - radezu ſage, daß diejenigen, welche fuͤr das Daſeyn derſelben ſtreiten, in einem zwifachen Irthum ſich befin - den. Erſtlich: daß ſie manche in der heil. SchriftK 2ent -49)Vermeidung blutſchaͤnderiſcher Heirathen. Deſſau 1771. 8. Ein gruͤndliches Urtheil uͤber dieſe Schrift findet man in Schotts Critic. IV. Bandes 36. Stuͤck. S. 508. und folg.1481. Buch. 1. Tit. enthaltene Satzungen fuͤr goͤttliche Geſetze ausgeben, die doch offenbahr keine Geſetze ſind; ſodann zwei - tens: daß ſie bey denen wirklichen goͤttlichen Geſetzen zwiſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften nicht genugſam unterſcheiden. Wir wollen die Probe machen. Die moſaiſche Stelle Geneſ. IX. v. 6. die nach Lu - thers Ueberſetzung alſo lautet: wer Menſchendlut vergeußt, des Blut ſoll auch durch Menſchen vergoſſen werden, iſt offenbahr kein Geſez, denn im hebraͤiſchen Text wird das futurum (דבשי) gebraucht, es ſcheint alſo blos goͤttliche Prophezeihung zu ſeyn, daß der Moͤrder, wenn er auch gleich der weltlichen Obrigkeit verborgen bliebe, dennoch dem goͤttlichen Ge - richt nicht entgehen, ſondern durch Menſchen wiederum gewaltſamen Todes ſterben werde52)So erklaͤrt dieſe Moſaiſche Stelle auch thomasius in Diſſ. de iure principis Evang. aggratiandi homicid. cap. IV. §. 4. und hannesen im angefuͤhrten Opuſculo, §. 31. u. folg.. Will man aber dieſe Erklaͤrung nicht gelten laſſen, ſondern jenen Aus - ſpruch ſchlechterdings fuͤr ein goͤttliches Geſez erklaͤrt wiſſen, ſo kann doch dieſes Geſez ohnmoͤglich als ein allgemeines unwandelbahres goͤttliches Geſez angeſehen werden. Denn ſonſt waͤre es dem Herrn auch wegen ſeiner Knechte gegeben. Knecht und Freyer ſind doch wohl in Gottes Augen eins, da bey Ihm kein Unter - ſchied der Perſohnen gilt; und da niemand dem Blute, das in den Adern eines Sclaven herumwallet, den Nahmen des Menſchenbluts abſprechen wird, ſo haͤtte nothwendig das Geſez, wenn es nach der Abſicht Got - tes allgemein waͤre, auch den Dienſtherrn treffen muͤſſen, der ſeinen Knecht oder Magd erſchlagen. Allein dieſe That ſoll nach 2. B. Moſe XXI. v. 20. und 21. mit dem Tode nicht, ja auch wohl gar nichtein -149de Iuſtitia et Iure. einmahl beſtrafft werden, mit dem daſelbſt angehaͤngten Entſcheidungsgrunde: denn es iſt ſein Geld. Ja haͤtten nicht die Soͤhne Jacobs wegen des an Hemor und ſeinen Sohn Sichem veruͤbten Mords53)Geneſ. XXXIV. v. 26. ebenfals wieder mit der Schaͤrfe des Schwerds hingerichtet wer - den muͤſſen, wenn jenes Geſez allgemein und unabaͤn - derlich waͤre? Allein daß dieſes nicht geſchehen, erhellet aus 1 B. Moſe XLIX. v. 5. und 6. 54)Noch mehrere Gruͤnde hat Carl Ferd. Hommel in den philoſophiſchen Gedanken uͤber das Cri - minalrecht, herausgegeben von Dr. Roͤßig (Breslau 1784.) §. 58.Soviel hier - naͤchſt die Moſaiſchen Ehegeſetze anbetrift, ſo darf der in denenſelben ſelbſt enthaltene wichtige Unterſchied zwi - ſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften nicht aus der Acht gelaſſen werden. Daß nun denen - ſelben freylich in Anſehung ſolcher Satzungen, die ih - ren Grund ſchon in den natuͤrlichen Geſetzen haben, ei - ne allgemeine und unumſtoͤßlich verbindende Kraft beizu - legen ſey, hat keinen Zweifel, allein von dieſen iſt auch hier die Frage nicht. Sondern die Frage iſt, ob auch denenjenigen Eheverboten Moſis, die blos in will - kuͤhrlichen goͤttlichen Vorſchriften ihren Grund haben, eine allgemeine und unabaͤnderliche Verbindlichkeit zuzu - eignen ſey? und dieſe Frage iſt mit Nein zu beant - worten Denn es mangelt ihnen an einer nothwendi - gen Eigenſchaft eines allgemeinen willkuͤhrlichen Geſetzes, indem ſie in einem Geſezbuche enthalten ſind, welches damahls nur einem einzigen Volke, nehmlich dem Is - raelitiſchen, bekannt gemacht war, und deſſen Sprache die uͤbrigen Voͤlker nicht einmahl verſtunden: dahingegen ein willkuͤhrliches Geboth Gottes, ſo alle Voͤlker der Erde angehen ſolte, nothwendig durch goͤttliche Boten,K 3die1501. Buch. 1. Tit. die es ſo weit, als nur immer moͤglich, bekannt mach - ten, faſt eben ſo, wie das Evangelium durch die Apo - ſtel, an alle Voͤlker haͤtte gebracht werden muͤſſen. Ei - ne ſolche allgemeine Bekanntmachung dieſer Geſetze an alle Menſchen auf der Welt hat aber bis jezt noch von Keinem erwieſen werden koͤnnen. Doch Moſes ſelbſt giebt uns noch einen viel entſcheidendern Beweis in die - ſer Sache. Man leſe nur den Anfang des 18. Capi - tels im 3. B. Moſe, in welchem der Hauptſiz der Mo - ſaiſchen Eheverbote iſt, ſo wird man finden, daß nur allein den Israeliten die Beobachtung dieſer goͤttlichen Vorſchriften eingeſchaͤrft werde; und wenn es gleich Moſes in eben dieſem Capitel v. 24 29. den Canani - tern zur Suͤnde anrechnet, daß ſie nicht nach ſolchen Ehegeſetzen gelebt haben, und von denenſelben zur War - nung der Israeliten ſagt: daß Gott ihre Miſſethaten ahnden, und ſie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande ausſtoſſen wolle, weil ſie ſolches verunreiniget haben; ſo laͤſſet ſich jedoch hieraus, daß die Geſetze Moſis von den verbotenen Graden als leges poſitivae divinae uni - verſales anzuſehen, ſo wenig erweiſen, daß vielmehr das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn dieſe Ge - ſetze fuͤr allgemeine poſitive Geſetze gehalten ſeyn ſol - ten, ſodann nicht abzuſehen waͤre, wie die Cananiter haͤtten wegen einer Uebertretung dieſer Geſetze beſtrafet werden koͤnnen, die doch Gott nicht ihnen zugleich, ſon - dern blos den Israeliten durch Moſen hatte bekannt machen laſſen. Es iſt alſo ganz offenbahr, daß unter den Greueln, daran die Cananiter ſich und ihr Land verunreiniget haben, nicht jede in den Moſaiſchen Ehe - geſetzen auch nur aus blos willkuͤhrlichen Urſachen unter - ſagte fleiſchliche Vermiſchungen, ſondern ſolche Verge - hungen wider die Keuſchheit zu verſtehen ſind, die ſchon von Natur ſo ſchrecklich ſind, daß die Abſcheulichkeiteinem151de Iuſtitia et Iure. einem jeden vernuͤnftigen Menſchen ſofort in die Augen leuchtet, und zu welchen beſonders diejenigen Suͤnden gehoͤren, deren Moſes v. 20. bis 23. des 18ten Ca - pitels Erwaͤhnung thut, als Sodomie, Knabenſchaͤn - dung, Ehebruch u. d. m.55)Man vergleiche hier beſonders des Herrn Hofr. Mi - chaelis Abhandlung von den Ehegeſetzen Moſis, welche die Heyrathen in die nahe Freundſchaft unterſagen. 2. Hauptſt. §. 13. und folg..

Was uͤbrigens das neue Teſtament betrift, ſo trage ich kein Bedenken, denen beyzutreten, welche die darin enthaltenen Vorſchriften fuͤr keine eigent - liche Geſetze, ſondern nur fuͤr Lehr - und Glau - bensſaͤtze halten56)I. H. boehmer in Schiltero illuſtrato ſ. Emen - dat. et Addit. ad Schilterum. Lib. I. Tit. II. §. 2. Desgleichen horn und floercke in ihren Obſervat. ad Schilterum a. a. O. Auch Schott in der Einleitung in das Eherecht §. 49. S. 90. und §. 218. Not. *. Man wird ſich davon ſelbſt leicht uͤberzeugen koͤnnen, wenn man theils die Gelegenheit, bey welcher ſie von Chriſto und ſeinen Apoſteln vorge - tragen worden ſind, theils die Art des Vortrags, theils uͤberhaupt die Verhaͤltniſſe und den Zuſtand der erſten Chriſten hierbey in Erwaͤgung ziehet. Daß wir jedoch die im neuen Teſtament enthaltene heilſame Leh - ren bey Entſcheidung mancher wichtiger Faͤlle zum Grun - de legen, ja die heil. Schrift in dieſer Hinſicht unter die Quellen unſerer Rechtsgelahrheit rechnen, iſt be - kannt57)Ich habe hiervon gehandelt in meinen Praecogni - tis univerſae Iurisprud. Ecclef. poſitiv. Germanor. (Halae 1786.) §. 16. und not. 1. S. 21. und folg. Desgleichen Schott im angef. Eherechte §. 48. S. 88..

K 4§. 231521. Buch. 1. Tit.

§. 23. Heutige Guͤltigkeit des beſondern goͤttlichen, oder Mo - ſaiſchen Poſitivrechts.

Es giebt alſo nur ein beſonderes poſitives goͤttliches Recht, und wir verſtehen darunter vor - zuͤglich die in den Schriften Moſis enthaltene will - kuͤhrliche Vorſchriften, welche Gott beſonders den Is - raeliten durch Moſen hat bekannt machen laſſen. Man theilt dieſes ſogenannte Moſaiſche Recht58)Ueber das Moſaiſche Recht verdienen beſonders Joh. Dav. Michaelis Moſaiſches Recht 2te Ausgabe Frankf. am Mayn 1775. 6. Theile 8. und Petri regis Moſes legislator, ſeu de moſaicarum legum praeſtantia. Auguſt. Taurinor. 1779. 4. bemerkt zu wer - den. in das Kirchliche oder Ceremonialrecht, und in das buͤrgerliche oder politiſche Recht ein (ius mo - ſaicum forenſe ſ. politicum). Erſteres beſtimmt die Art der Gottesverehrung bey den Israeliten, lezteres aber die Rechte und Verbindlichkeiten, die ſie als Buͤr - ger eines beſondern Staats gegen einander zu beobach - ten hatten. Die Ceremonialgeſetze der Juden59)S. Io. spencer de legibus Hebraeorum ri - tualibus, et earum rationibus. Cantabrigiae 1727. Tom. II. fol. und Chriſtph. Frid. sartorius de lege ceremoniali. Tubingae 1762. hatten hauptſaͤchlich ihre Beziehung auf den damahligen Zuſtand des juͤdiſchen Volks. Es ſolte nehmlich die den Israeliten darin vorgeſchriebene Art der Gottesver - ehrung theils Vorbild auf den Meſſias, theils Mittel ſeyn, das Volk Gottes, welches durch den langwierigen Umgang mit den Aegyptiern zu einem ſinnlichen und in das Auge fallenden Gottesdienſt einmahl verwoͤhnt war, gegen heidniſchen Aberglauben und Abgoͤtterey zuver -153De Iuſtitia et Iure. verwahren, und ſolches hierdurch von den uͤbrigen Voͤl - kern der damahligen Zeit ganz abzuſondern. Dieſes Ce - remonialgeſez der Juden iſt nun, wie bekannt, im neuen Teſtament ganz aufgehoben worden, und gehet alſo uns Chriſten gar nichts an. Die buͤrgerlichen oder Forensgeſetze Moſis60)Sam. stryck leges forenſes moſaicae cum iure Romano collatae. Lipſiae 1745. 8. Henr. bodini Diſſ. de obligatione forenſi iuris divini. Halae 1696. rec. 1711. hingegen, welche eben - fals nach denen damahligen Umſtaͤnden der Israeliten eingerichtet waren, gelten heutiges Tages unter denen Chriſten nur inſofern, als ſie in dieſem oder jenem chriſt - lichen Staate ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend recipiret worden ſind. Woraus denn folgt, daß ein Landesherr dieſe Moſaiſche Forensgeſetze abzuaͤndern oder wohl gar aufzuheben allerdings befugt ſey, wenn die veraͤnderte Umſtaͤnde ſeiner Unterthanen ſolches erheiſchen61)Viele Satzungen des Moſaiſchen Rechts ſind daher heu - tiges Tages wegen veraͤnderter Umſtaͤnde gar nicht mehr anwendbar. Ein Beiſpiel geben die Moſaiſchen Straf - geſetze, welche heut zu Tage ihrer allzugroſen Strenge wegen, die freilich der Character des Volks zu erfordern ſchien, beinahe ganz auſſer Gebrauch ſind. S. Hommel in den philoſ. Gedanken uͤber das Criminalrecht §. 3. hell - feld Diſſ. de legis moſaicae valore hodierno §. XXII. Auch das Moſaiſche Geſez, welches Zinſen verbiethet, iſt, aller Beguͤnſtigung des kanoniſchen Rechts ohngeachtet, (c. 3. u. 4. X. de uſuris) durch die teut - ſchen Reichsgeſetze aufgehoben worden. R. A. vom J. 1600. §. 139. und vom J. 1654. §. 174. Denn es ſchraͤnkte ſich blos auf die damahlige Lage und Armuth des Volks ein. Man vergleiche Io. Dav. michaelis Commentat. de mente et ratione legis moſai - cae uſuram prohibentis. Erfurti 1746. 4., oder er ſolches in einzelnen Faͤllen fuͤr gut haͤlt. Daher esK 5kei -1541. Buch. 1. Tit. keinem gegruͤndeten Zweifel unterworffen iſt, daß ein Landesherr einen Moͤrder begnadigen62)koch Inſtitut. iur. crim. §. 148. ibique allegati. Deßgleichen Hommel in den philoſ. Gedanken §. 57., auch in denje - nigen Ehehindernisfaͤllen des Moſaiſchen Rechts, die nicht auf natuͤrliche, ſondern blos auf willkuͤhrliche Vor - ſchriften ſich gruͤnden, dispenſiren koͤnne63)Schott in der Einleitung in das Eherecht §. 133..

Die heutigen Juden ſehen zwar die Geſetze Mo - ſis noch heutiges Tages als Vorſchriften Gottes von im - merwaͤhrender Verbindlichkeit an;64)S. Moſes Mendelſohn Ritualgeſetze der Ju - den (Berlin 1778.) in der Einleitung. allein in Anſehung des heutigen Gebrauchs derſelben iſt zwiſchen Religions - oder Ceremonialſachen und denen buͤrgerlichen Geſchaͤften derſelben ein Unterſchied zu machen. In Anſehung der erſtern geſtattet man ihnen noch heutiges Tages den Gebrauch des Moſaiſchen Rechts mit Inbegrif der in ihrem Talmud enthaltenen naͤhern Beſtimmungen und Erklaͤrungen dieſer Geſetze; allein in buͤrgerlichen Rechts - ſachen, z. B. Eheſachen, nur die aͤuſſere Form der Ehe ausgenommen, welche man ihrem Ritual uͤberlaͤſ - ſet, deßgleichen in Teſtamenten, Succeſſionsfaͤllen, Vor - mundſchaften, Vertraͤgen u. d. ſind die Juden nach den gemeinen Rechten und den Geſetzen des Landes, in wel - chem ſie wohnen und den Schuz genieſſen, ſich zu rich - ten ſchuldig, ſie moͤgen nun entweder unter ſich ſelbſt oder mit denen Chriſten es zu thun haben65)L. 7. u. 8. C. de Iudaeis. Man vergleiche auch das von Ihro Roͤm. Kayſerl. Majeſtaͤt allergnaͤdigſt con - firmirte und von Dero hohen Commißion publicirte neue Reglement der Judenſchaft in Hamburg von 1710. art. 23. Desgleichen die Koͤnigl. Preuß. Ver -ord -. Avto -nomie155de Iuſtitia et Iure. nomie findet nur inſofern bey ihnen ſtatt, als ihnen bey der Aufnahme oder auch nachher der Gebrauch ihres eigenen Rechts durch beſondere Privilegien iſt verſtattet worden; welches aus ihren Schuzbriefen, denen Juden - ordnungen und Privilegien zu beurtheilen iſt66)Es irren daher diejenigen ſehr, welche auch in denen Civilſachen der heutigen Juden den alleinigen Gebrauch des Moſaiſchen Rechts vertheidigen wollen. Z. B. Io. Iod. beck in Tr. de Iuribus Iudaeor. Cap. IV. §. 4. Io. Aug. franckenstein de iuribus ſingularibus circa Iudaeos maxime in germania c. II. §. 4. noch meh - rere Anhaͤnger dieſer Meinung fuͤhrt pfeffinger in Vitriario Lib. III. Tit. 17. §. 87. Vol. III. p. 1299. ſq. an..

§. 24.

65)ordnung, daß Juden in contrahendis matrimoniis quoad gradus ſich nach Churbrandenburgiſchen Rechten hal - ten ſollen vom 4. Oct. 1696. in Corp. Conſti - tut. Marchicar. Th. I. Abth. II. N. LXIII. S. 125. Ferner das Ausſchreiben der Koͤnigl. und Churfuͤrſtl. Hannoͤveriſchen Regierung von 1738. in Corp. Conſti - tut. Calemberg. T. III. Cap. IV. Sect. XIII. Nr. 171. S. 438. u. folg. In dem Darmſtaͤdtiſchen werden die juͤ - diſchen Ehen, in Anſehung der verbotenen Grade, eben - fals nach der Kirchenordnung der Chriſten beurtheilt. Und daß auch in andern buͤrgerlichen Rechtsſachen die Juden nach den gemeinen und Landesgeſetzen ſich richten muͤſſen, haben Io. Frid. kayser in Comment. de Autono - mia Iudaeorum Gieſſae 1739. Chriſt. Hartm. Sam. gatzert in Tract. iuris germ. de Iudaeorum in Haſſia praecipue Darmſtadina iuribus atque obligationibus. Gieſſae 1771. §. VII. Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts 1. Th. S. 76. u. folg. und Joh. Chriſt. Conr. Schroͤter in den vermiſchten iuriſt. Abhandlungen I. Band S. 106. u. folg. erwieſen.

1561. Buch. 1. Tit.

§. 24. Von der geſezgebenden Gewalt in Teutſchland.

Dem goͤttlichen wird das menſchliche Poſi - tivrecht entgegengeſezt, welches diejenigen Geſetze in ſich begreift, die in dem Willen menſchlicher Geſezgeber ihren Grund haben. Dieſes iſt daher nach Verſchie - denheit der Geſezgeber ſehr verſchieden. Wir ſchraͤnken uns hier blos auf Teutſchland ein. Da nun das teutſche Reich nach ſeiner beſondern Verfaſſung, theils im Ganzen, als ein Staatscoͤrper, von einer buͤrgerli - chen Hoheit, der alles unterthaͤnig iſt, umfangen, theils nach ſeinen einzelnen Theilen betrachtet werden kann, deren jeder fuͤr ſich zwar einen beſondern Staat aus - macht, und ſeine eigne der Majeſtaͤt des Reichs unter - geordnete Landeshoheit hat, aber doch mit dem gan - zen Reich im genaueſten Verhaͤltnis ſtehet, ſo ſind nun auch die einheimiſchen Geſetze Teutſchlands von zweier - ley Art, teutſche Reichsgeſetze oder teutſche Lan - desgeſetze. In Abſicht auf das ganze teutſche Reich ſtehet zwar dem Kayſer die geſezgebende Gewalt zu, je - doch kann er vor ſich aus eigner Macht keine Geſetze ge - ben, welche durch das ganze teutſche Reich gelten ſol - len, ſondern dazu iſt die Einwilligung der Reichsſtaͤnde erforderlich. Die geſezgebende Gewalt des Kayſers ge - hoͤrt alſo zu denen gemeinſchaftlichen kayſerli - chen Rechten, bey deren Ausuͤbung gleich Anfangs, als Teutſchland durch die Verduͤner Theilung 843. ein eignes Reich ward, der Conſens der Reichsſtaͤnde erfordert worden iſt67)Haͤberlins Auszug der allgem. Welthiſtorie 1. Band S. 335. 8. B. S. 444. 10. Band S. 181.. Daß alle Staͤnde in das zu gebende neue Reichsgeſez einwilligen muͤſten, wolte manzwar157de Iuſtitia et Iure. zwar in vorigen Zeiten fuͤr noͤthig halten; und noch 1495. wolten die abweſende Staͤnde an der gegenwaͤr - tigen Staͤnde Schluͤſſe nicht gebunden ſeyn, ſondern man muſte die abweſende erſt durch guͤtliche Tracta - ten68)Ein Beiſpiel hievon ſind die noch 1495. verglichene Reverſalien, oder Beybriefe, wornach die nicht perſoͤhn - lich zugegen geweſene Staͤnde ſich des eben damahls er - richteten Landfriedens, Cammergerichtsordnung und Hand - habung Friedens und Rechts halber haben verbinden ſol - len. Das Formular ſtehet in der neuen Sammlung der Reichsabſchiede 2. Th. S. 17. zu bewegen ſuchen, ſolchen beyzutreten69)datt de pace publica Lib. V. cap. 2. n. 18. und Muͤl - lers Reichstagstheatr. unter K. Maximilian I. vierte Vor - ſtell. Kap. 56. §. 1.. Gleichwie indeſſen ſeit 1512.70)Reichsabſchied von 1512. §. 7. Regimentsordnung von 1521. §. 12. Reichsabſchied von 1542. §. 25. von 1555. §. 69. von 1559. §. 44. von 1576. §. 98. von 1594. §. 121. von 1654. §. 183. keinem Zweifel un - terworfen iſt, daß in der Regel die mehrern Stimmen auch die wenigern nach ſich ziehen, und dieſe dadurch eben ſo wohl verbunden werden, als ob ſie mit einge - williget haͤtten; alſo iſt in Ruͤckſicht auf die nicht er - ſcheinende Staͤnde ſchon durch den Freyburger Reichs - abſchied von 1498. §. 59. verordnet, und durch die Reichsabſchiede von 1541. §. 66 und 67. und von 1542. §. 121. wiederholet worden, daß die erſcheinen - de Staͤnde, ihrer ſeyen viel oder wenig, Gewalt haben ſolten, uͤber alles das, weshalb der Reichstag ausge - ſchrieben worden, zu rathſchlagen und zu beſchlieſſen, und was alſo beſchloſſen worden, auch die Abweſenden binden ſolle, als ob ſie gegenwaͤrtig geweſen waͤren71)N. Sammlung der Reichsabſchiede Th. 2. S. 52.. Seit1581. Buch. 1. Tit. Seit dieſer Zeit iſt alſo die Regel feſtgeſtellet worden, daß Reichsgeſetze vom Kayſer mit Einwilligung der Staͤnde des Reichs oder wenigſtens des mehrern Theils derſelben gemacht werden muͤſſen, wenn ſie das ganze Reich verbinden ſollen. Jedoch giebt es Ausnahmen von dieſer Regel, wo noch jezt diejenigen, welche nicht mit eingewilliget haben, an die mehrere Stimmen nicht gebunden ſind; dieſe Faͤlle ſind im os - nabruͤkiſchen Frieden Art. V. §. 2. beſtimmt. Es giebt auch Faͤlle, wo der Kayſer oder gewiſſe Staͤnde vor ſich etwas thun koͤnnen, ſo daß gleichwohl das gan - ze Reich ſich darnach richten muß. Hierher gehoͤrt, a) wenn die Staͤnde dem Kayſer etwas zu freyer Dis - poſition heimſtellen, wovon der Speyeriſche Reichsab - ſchied von 1544. §. 82. ein Beiſpiel giebt; b) wenn der Kayſer und geſammte Staͤnde gewiſſen Staͤnden einen Auftrag thun, den dieſe vor ſich und geſammte uͤbrige Staͤnde vollziehen, daher z. E. die Reichsdepu - tationsabſchiede. In ſeiner Art kann man c) auch die kayſerliche Wahlcapitulationen, die von den Churfuͤrſten allein gemacht werden, hierher rechnen72)Carl Friedr. Gerſtlachers Corpus iuris germa - nici publici et privati. 1. Band von Reichsgeſe - tzen und Reichsordnungen (Frankf. 1786.) 1. Cap. S. 15 u. folg.. In Anſe - hung der einzelnen teutſchen Reichslande ſtehet einem jeden Landesherrn das Recht zu, Geſetze zu geben, und zwar iſt dieſes ein eigenes Recht der Landesho - heit, zu deſſen Ausuͤbung weder eine Conceſſion noch Beſtaͤttigung vom Kayſer verlangt wird. Ob aber un - ſere teutſche Landesherrn nicht wenigſtens die Einwilli - gung der Landſtaͤnde noͤthig haben, wenn ſie Geſetze ge - ben wollen, iſt eine Frage, bey deren Beantwortung die Meinungen der Staatsrechtsgeleheten getheilt ſind,indem159de Iuſtitia et Iureindem Einige die Concurrenz der Landſtaͤnde bey Ausuͤ - bung der geſezgebenden Gewalt fuͤr ſchlechterdings ge - gruͤndet; Andere aber dieſelbe nur in denenjenigen Faͤl - len fuͤr noͤthig halten, wo ausdruͤckliche Landesgrundge - ſetze, oder das Herkommen, oder die Analogie der Lan - desverfaſſung dieſe Einwilligung der Landſtaͤnde erfor - dern. Die erſtere Meinung ſucht Reinharth73)in ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. I. Obſ. 13. zu vertheidigen; die leztere aber behauptet Hellfeld, und hierin ſtimmen die meiſten Publiciſten uͤberein; ich glau - be, daß die leztere Meinung allerdings gegruͤndeter iſt. Denn iſt gleich nicht zu laͤugnen, daß nach der uralten gleich beym Aufkommen der Landeshoheit eingefuͤhrten Verfaſſung der teutſchen Territorien die Landſtaͤnde gro - ſen Antheil an dem Rechte, Geſetze zu geben, gehabt haben74)Vergleiche Struben im gruͤndlichen Unterricht von Regierungs - und Juſtizſachen Sect. II. §. VIII. not. b. S. 27. u. folg.; ſo iſt doch auch gewiß genug, daß die Ver - faſſung von vielen Landen heut zu Tage unleugbar nicht mehr diejenige ſey, welche ſie vor Alters geweſen, und daß der Landesherr heutiges Tages vermoͤge neuerer Landesgrundgeſetze und des heutigen Herkommens in der Landesregierung uͤberhaupt freiere Haͤnde habe. Daher kommt die heutige groſe Verſchiedenheit der teutſchen Territorien in Anſehung der Landſtaͤndiſchen Gerechtſa - me; ja es giebt Lande, in welchen ſich die Landſtaͤnde vermoͤge der notoriſchen Landesverfaſſung nur noch einen kleinen Reſt der ihnen ehemals zugehoͤrigen Rechte er - halten haben. Woraus denn folgt, daß ſich bey ſtrei - tiger Concurrenz der Landſtaͤnde in Anſehung der Geſez - gebung keine allgemeine Vermuthung weder fuͤr den Landesherrn, noch fuͤr die Landſtaͤnde behaupten laſſe,ſon -1601. Buch. 1. Tit. ſondern hierinnen alles auf die Verfaſſung eines jeden einzelnen Landes ankomme75)Schnauberts Beytraͤge zum teutſchen Staats - und Kirchenrecht I. Theil N. X. S. 96. u. folg.. Noch muͤſſen wir hier nach Anleitung unſers Auctors die ſo ſehr beſtrittene Frage eroͤrtern, ob die Reichsſtaͤnde wider die gemeine Reichsgeſetze in ihren Landen neue Ordnungen und Lan - desgeſetze einfuͤhren, und dadurch jene aufheben oder abaͤndern koͤnnen? 76)Ueber dieſe Frage haben auſſer dem angefuͤhrten tho - masius noch folgende geſchrieben: silberrad ſ. reſp. scheid in Diſſ. de poteſtate ſtatuum Imperii leges in territorio ferendi receſſibus Im - perii contrarias. Argentorati 1756. Schnaubert kann ein Landesherr wider das gemeine Recht in Deutſchland Landesgeſetze machen? in Deſſelben Beytraͤgen I. Th. N. III. Moſer von Reichstagsgeſchaͤften S. 273. Derſelbe von der Landeshoheit in Regierungsſachen 4. Kap. §. 48. 49. von der teutſchen Juſtizverfaſ - ſung 1. Th. S. 1160. Carl Friedr. Gerſtlacher in Corpore iuris germanici publici et privati I. Band 1. Cap. S. 33. u. folg. Allein des Ge. Phil. muhl Diſſ. qua expenditur quaeſtio, an et quatenus ſtatus Imperii legibus Imperii derogare poſſint. Gieſſae 1786. ſoll, ſo weit ſie itzo erſchienen, noch nichts zur Sache gehoͤriges enthalten. S. H. Prof. Kluͤbers kleine juriſt. Biblioth. II. B. 5. St. N. XIII. Auch hierin ſind die Meinungen der Publiciſten ſehr verſchieden. Wir gehen den ſicher - ſten Weg, wenn wir einen Unterſchied machen zwiſchen denjenigen Reichsgeſetzen, welche die Staatsverfaſſung des teutſchen Reichs uͤberhaupt, als ein Staatskoͤrper betrachtet, oder die Verfaſſung der einzelnen Reichslan - de zum Gegenſtand haben, und folglich ſogenannte Reichsgrundgeſetze ſind; und ſolchen Reichsgeſetzen, welche blos Privatſachen Reichsſtaͤndiſcher Unterthanenzum161de Iuſtitia et Iure. zum Gegenſtand haben, und daher Reichsprivatge - ſetze genennt werden. Reichsgeſetze der erſtern Art koͤnnen einzelne Reichsſtaͤnde durch ihre Landesgeſetze nicht abaͤndern; denn einmahl iſt hier der Wille des Kay - ſers und Reichs durchaus und ſchlechterdings gebietend; ſodann aber bekoͤmmt auch durch dergleichen Reichs - grundgeſetze ein Theil entweder der Kayſer oder die Staͤnde, oder einzelne Corpora derſelben vertragsweiſe ein ius quaeſitum, in welches durch beſondere Landes - verordnungen nicht eingegriffen werden kann. Inſofern jedoch eine dergleichen Reichsverordnung zum Vortheil der Landesherrn, oder der Landſtaͤnde und Unterthanen gemacht worden iſt, kann ſie durch beiderſeitige Einwil - ligung abgeaͤndert werden. Zum Beiſpiel dient der §. 180. des J. R. A. und Art. V. §. 31. des Os - nabr. Fried. Inſtr. Soviel hiernaͤchſt die Reichspri - vatgeſetze anbetrifft, ſo kommt es in Anſehung der - ſelben zufoͤrderſt darauf an, ob die Clauſula ſalvato - ria denenſelben beygefuͤgt ſey oder nicht. Iſt das er - ſte, ſo iſt keinem Zweifel unterworffen, daß einem Reichsſtande die Befugnis, ſolchen Reichsgeſetzen durch Landesgeſetze zu derogiren, allerdings zuſtehe, denn dies bringt die Natur der ſalvatoriſchen Clauſel mit ſich. Hierdurch werden nicht allein zur Zeit des Reichsgeſe - tzes vorhandene, ſondern auch noch nachfolgende Gewohn - heiten und Landesverordnungen, ob ſie gleich dem Reichs - geſetze widerſprechen, ſelbſt vom Reich genehmiget. Bei - ſpiele liefern uns K. Carls V. Peinl. Gerichtsordnung in der Vorrede, und der juͤngſte Reichsabſchied §. 171. und 176. desgleichen der Reichsſchl. vom 4. Sept. 1731. art. 1. nach welchem jedem Reichsſtande nach Gelegenheit der Zeit und Umſtaͤnde die Aenderung und Verbeſſerung der Innungsbriefe vorbehalten worden iſt. WennGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. L1621. Buch. 1. Tit. Wenn aber ein Privatreichsgeſez dieſe Vorbehaltungs - clauſul nicht enthaͤlt, ſo ſtimme ich denen bey, welche alsdann wieder unter den Reichsgeſetzen ſelbſt einen Un - terſchied machen, ob ſie nehmlich entweder ſolche ſind, welche das Reich fuͤr durchaus verbindliche Verordnun - gen vorgeſchrieben hat, dergeſtalt, daß ſie ſchlechter - dings in allen einzelnen Reichslanden befolgt werden ſollen; (leges Imperii abſolute praeceptivae aut prohi - bitivae) oder ob es ſolche ſind, die zwar wohl als allgemeine Verordnungen in Teutſchland promulgiret ſind, deren Befolgung aber doch das Reich nicht ſo durchaus und ſchlechterdings fordert, ſondern welche nur in ſubſidium, wenn andere verbindliche Verordnungen ermangeln, zur Richtſchnur dienen ſollen. (leges Imperii bypotbeticae) Ob ein Reichsgeſez zu dieſer oder jener Gattung gehoͤre, muß theils aus dem ausdruͤcklichen Inhalt des Geſetzes ſelbſt, theils aus dem ſtillſchwei - genden und vermutheten Willen des Reichs beſtimmt werden. Der ſtillſchweigende Wille des Reichs iſt vorhanden, wenn die Abſicht des Geſezgebers, und das durch das Geſez zu bewirkende Wohl von Teutſch - land nicht anders erhalten werden kann, als wenn das Geſez durchaus und ſchlechterdings in allen einzelnen Reichslanden befolgt wird. Dieſes zum voraus geſezt, ſo iſt nun zu bemerken, daß kein teutſcher Landesherr die Macht habe, gegen ſolche Reichsprivatgeſetze etwas zu verordnen, deren allgemeine und genaue Beobachtung das dadurch zu bewirkende Wohl Teutſchlands noth - wendig macht. Wie wuͤrde z. E. der heilſame Zweck des Reichsſchluſſes von 1731. wegen Abſtellung der Handwerksmisbraͤuche erreicht werden, wenn ſolcher nur an einigen Orten beobachtet wuͤrde, an andern nicht? Es geſtattet auch weder die Unterwuͤrfigkeit der teutſchen Landesherrn und ihrer Territorien gegen die Majeſtaͤtdes163de Iuſtitia et Iure. des Reichs, ſich von der Verbindlichkeit ſolcher Reichs - geſetze loszumachen, noch kann die Abaͤnderung oder Aufhebung derſelben durch entgegengeſezte Landesordnun - gen mit der Einheit des teutſchen Staats beſtehen. Ganz anders hingegen verhaͤlt ſich die Sache mit de - nen hypothetiſchen Reichsprivatgeſetzen, denn in Anſehung dieſer kann die Befugnis der Neichsſtaͤnde, denenſelben durch beſondere Landesgeſetze zu derogiren, darum nicht bezweifelt werden, weil, wenn gleich ein teutſcher Landesherr dem Kayſer und Reich unterthaͤnig iſt, und nur eine von daher abhaͤngige Hoheit beſitzet, dennoch derſelbe nichts deſto weniger zugleich auch ſelbſt Regent in ſeinem Lande iſt, und darinn die oberaufſe - hende und geſezgebliche Gewalt zum Wohl deſſelben hat. Hierzu kommt, daß die Lage, Beſchaffenheit und Um - ſtaͤnde der einzelnen Reichslande ſo mannichfaltig ſind, daß viele Reichsgeſetze nicht fuͤr jedes Land ſich ſchicken, in Anſehung derer es demnach gegen den zuverlaͤſigen Willen des Reichs ſeyn wuͤrde, ein Reichsgeſez zum Nachtheil eines Landes darinn zu beobachten. Vielmehr iſt es in ſolchen Faͤllen dem Willen des Reichs aller - dings fuͤr gemaͤß zu halten, daß der Landesherr, der die beſte Kenntnis von der Beſchaffenheit ſeines Landes hat, und dem zunaͤchſt das Wohl deſſelben am Herzen liegt, das Reichsgeſez in ſeinem Lande naͤher beſtimmen, oder erforderlichen Falls gar abaͤndern koͤnne. Daß gegen die gemeinen fremden Rechte der Landes - herr in ſeinem Lande Geſetze promulgiren koͤnne, hat um ſo weniger Zweifel, da dieſelben blos ſubſidtariſche Rechte ſind, die ohnehin den vorhandenen teutſchen Ge - ſetzen weichen muͤſſen77)Schnaubert a. a. O. §. 2 und hofacker in Prin - cip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 129..

L 2Da1641. Buch 1. Tit.

Da uͤbrigens die geſezgebende Gewalt in den Reichslanden ein eignes Recht der Landesherrn iſt, ſo verſtehet es ſich von ſelbſt, daß denen Juſtizeollegien, Regierungen und Stadtmagiſtraͤten, nehmlich in Lan - desſtaͤdten, ſine ſpeciali Principis conceſſione keine geſezgebende Gewalt zu geſtatten ſey78)Strubens Unterricht von Regierungs - und Juſtizſachen Sect. II. §. VIII. n. b. S. 27..

§. 25. Eintheilung der Verbindlichkeit in die natuͤrliche, buͤr - gerliche und vermiſchte.

Nachdem wir bisher von den verſchiedenen Gat - tungen der Geſetze, beſonders von den beyden Haupt - arten derſelben, den natuͤrlichen und poſitiven gehandelt haben, ſo kommen wir nun auf die daher entſtehende Eintheilung der Verbindlichkeit. Wenn nehmlich die Frage iſt, in welchem Geſez ſich eine Verbindlich - keit gruͤnde; ſo laſſen ſich drey Faͤlle denken; nehmlich die Verbindlichkeit gruͤndet ſich entweder blos in dem Recht der geſunden Vernunft, oder ſie iſt blos im po - ſitiven buͤrgerlichen Rechte gegruͤndet; oder ſie hat in beyderley Rechten, in denen natuͤrlichen wie in den buͤrgerlichen, ihren Grund Im erſtern Fall iſt eine blos natuͤrliche Verbindlichkeit, im zweiten eine blos buͤrgerliche, und im dritten eine vermiſchte Verbindlichkeit vorhanden. Eine obligatio mere naturalis iſt z. B. die Verbindlichkeit einer Weibsper - ſohn aus uͤbernommener Buͤrgſchaft, ferner die Ver - bindlichkeit eines filiifamilias aus einem Geldanlehn. Eine obligatio mere civilis iſt z. B. die Verbindlich - keit eines Depoſitars zum doppelten Erſaz, wenn er ein Depoſitum miſerabile veruntreuet hat. Eine obli -gatio165de Iuſtitia et Iure. gatio mixta endlich iſt z. B. die Verbindlichkeit des Kaͤufers zur Bezahlung des bedungenen Kaufſchillings, und des Verkaͤufers zur Uebergabe. Wir bemerken von denen ſogenannten vermiſchten Verbindlichkeiten noch folgende Wahrheiten:

  • 1) daß eine Verbindlichkeit darum nicht aufhoͤre, eine natuͤrliche zu ſeyn, weil ſie im Civilrecht gleichfals vorgeſchrieben worden;
  • 2) daß ſie durch dieſe Wiederholung ihre innere Kraft und Wirkung nicht verliehre; daß folglich
  • 3) derjenige, welcher ſich auch ſonſt mit der Unwiſſen - heit des buͤrgerlichen Rechts entſchuldigen kann, in Anſehung ſolcher Vorſchriften, die ſchon natuͤrlichen Rechtens ſind, ſich darauf nicht berufen koͤnne
    79)Io. voet in Comment. ad Pandect. Lib. XXII. Tit. 6. §. 1.
    79); daß endlich
  • 4) das ius poſitivum qua tale ſein Anſehen und Guͤl - tigkeit verliehren koͤnne, dadurch aber alles dasjeni - ge, was aus dem Naturrechte darinn aufgenommen worden, nicht gleichfals unverbindlich werde
    80)Weber Entwikelung der Lehre von der na - tuͤrlichen Verbindlichkeit 1. Abth. §. 4. S. 9. u. f. Reflexionen zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Gebrauch des roͤmiſchen Rechts. §. 10. 11. und 12.
    80); Wahrheiten, die eben ſo einleuchtend als practiſch ſind, und daher keines weitern Beweiſes beduͤrfen
    81)Beilaͤufig iſt hieraus zu erſehen, wie nothwendig und unentbehrlich einem Juriſten das Studium des natuͤrlichen Rechts ſey, indem eine gruͤndliche Kenntnis deſſelben ihn erſt in den Stand ſezt, die Grenzen und das Ver - haͤltnis der natuͤrlichen Rechte und Verbindlichkeiten ge - gen die blos buͤrgerlichen richtig zu beſtimmen.
    81).
L 3.§. 26.1661. Buch. 1. Tit.

§. 26. Wirkungen und Verhaͤltnis der natuͤrlichen Verbindlichkeit in foro civili. Begrif der natuͤrlichen Verbindlichkeit im ſtrengſten Verſtande des Civilrechts. Was iſt Billigkeit?

Man pflegt gewoͤhnlich die blos natuͤrliche Ver - bindlichkeiten, um deren Verhaͤltniß und Wirkungen in buͤrgerlichen Gerichten beſtimmen zu koͤnnen, auf zwey Hauptelaſſen zu reduciren, indem man ſie in ſolche ein - theilt, welche durch die buͤrgerlichen Geſetze gaͤnzlich auf - gehoben und verworfen, und ſolche, die zwar nicht beſtaͤttiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und vernichtet ſind. Erſtere nennt man: obligationes natu - rales plane deſtructas ſive reprobatas, leztere hinge - gen obligationes naturales haud reprobatas. Jene, ſagt man, haben in Gerichten ſchlechterdings gar keinen Effect, ſo daß auch die etwa geſchehene Erfuͤllung der - ſelben ſogar zuruͤckgefordert werden koͤnne. Leztere hin - gegen waͤren in Anſehung der gerichtlichen Wirkung nur eingeſchraͤnkt, und zwar dahin, daß wegen ſolcher Ver - bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden koͤnne, ſonſt aber doch alle andere Wirkungen ſtatt faͤnden. Man koͤnne eine Einrede gegen die etwa nach dem ſtren - gen Recht dem Glaͤubiger zuſtehende Klage daraus her - nehmen, das Innebehaltungsrecht ausuͤben, die Kom - penſation vorſchuͤtzen, es habe ferner in Anſehung ſol - cher Verbindlichkeiten ein Conſtitutum, eine Novation, ein Pfandrecht und Buͤrgſchaft ſtatt82)L. 7. §. 4. D. de pact. L. 6. D. de compenſat. L. 1. §. 7. D. de conſtit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5. u. 14. D. de pignor. §. 1. I. de fideiuſſor. . Man fuͤgt weiter hinzu, der unterſcheidende Character, woran man erkenne, ob nicht beſtaͤttigte natuͤrliche Verbindlichkeitenin167de Iuſtitia et Iure. in die eine oder in die andere Claſſe zu rechnen, ſey lediglich darinn zu ſetzen, ob die Civilgeſetze geſtatten, daß die geſchehene Zahlung wieder zuruͤckgefordert wer - den duͤrfe, oder nicht? 83)L. 10. D. de obligat. et action. L. 19. D. de condict. indeb. So iſt die gewoͤhnliche Theorie der Rechtsgelehrten von der natuͤrlichen Ver - bindlichkeit und deren gerichtlichen Wirkung, welche nicht nur Hellfeld in dieſem §. unabgeaͤndert vortraͤgt, ſon - dern die wir auch eben ſo ſchon vom Accurſius an in allen Syſtemen und Compendien des buͤrgerlichen Rechts antreffen. Allein daß dieſe gemeine Vorſtel - lungsart nicht nur mangelhaft, ſondern auch offenbar unrichtig ſey, hat neuerlich einer unſerer beſten Civili - ſten84)Herr Prof. Weber in ſeinem claſſiſchen Werke von der natuͤrlichen Verbindlichkeit, und deren gerichtlichen Wuͤrkung 1. Abth. 1. Abſchn. §. 42. und folg. S. 109. ff. uͤberzeugend dargelegt.

Mangelhaft iſt ſie, weil nach dieſer gewoͤhnlichen Lehre durchaus nicht abzuſehen iſt, unter welche Claſſe man die Liebespflichten bringen ſoll. Zwar will man ſie unter diejenigen natuͤrlichen Verbindlichkeiten mit rangiren, denen das buͤrgerliche Recht die gericht - liche Wirkung entzogen hat85)Man findet eine ſolche Klaſſification unter andern beym Io. Ortw. westenberg in Diſſertationib. de cauſis obligationum Diſſ. I. Cap. IV. §. 9. in - gleichen beym hahn ad Weſenbeccium Tit. de obli - gationib. et action. N. V. , allein eben dadurch erhaͤlt jene Theorie ein noch mislicheres Anſehen. Denn iſt gleich nicht zu laͤugnen, daß die Erfuͤllung derſelben nicht vermittelſt einer Klage gefordert werden koͤnne, ſo liegt doch der Grund-hievon keineswegs in einer Ver -L 4ord -1681. Buch. 1. Tit. ordnung des Civilrechts, ſondern in der Natur und Weſen dieſer Pflichten ſelbſt. Denn da ſie an ſich auch in auſſergeſellſchaftlichem Zuſtande mit Gewalt nicht erzwungen werden koͤnnen: ſo laͤſſet ſich ohne Wider - ſpruch nicht behaupten, daß die Civilgeſetze ihnen eine Wirkung entzogen haͤtten, welche ſie doch ihrer Na - tur nach nicht haben? Es liegt alſo ganz offenbar vor Augen, daß ſie in den Syſtemen und Lehrbuͤchern des buͤrgerlichen Rechts am ganz unrechten Orte ſtehen, wenn ſie mit wirklichen Zwangspflichten, die nur durch beſondere Vorſchrift des Civilrechts ganz oder zum Theil unerzwingbar geworden ſind, eine Claſſe for - miren.

Unzutreffend iſt ferner die gemeine Lehrart von der natuͤrlichen Verbindlichkeit auch darum, weil, wenn man die ganze Summe der blos natuͤrlichen Verbind - lichkeiten, die nicht ausdruͤcklich in den Civilgeſetzen be - ſtaͤttigt worden, in Abſicht der gerichtlichen Wirkung nur auf zwey Claſſen reducirt, nehmlich, daß ſie entweder durch - aus ohne allen Effect, oder nur nicht klagbar, uͤb - rigens aber voͤllig wirkſam ſind, man hierdurch in die Ver - legenheit geſetzet wird, allen natuͤrlichen Zwangspflichten, wovon die buͤrgerlichen Geſetze ſchweigen, den effectum agendi zu verſagen, welches aber gegen die geſunde Vernunft, gegen den Geiſt des Roͤmiſchen und Kano - niſchen Rechts, ja gegen den heutigen Gerichtsgebrauch ſelbſt offenbar ſtreitet, wie zu ſeiner Zeit gezeigt werden ſoll86)Daß dieſe irrige Meinung wirklich in den Syſtemen und Commentarien der treflichſten Juriſten herrſche, will ich nur durch ein paar Beiſpiele erweiſen. So ſchreibt Io. God. schaumburg in Compendio iuris Dige - ſtor. Lib. XLIV. Tit. 7. §. 3. Sigillatim vero, ut obli -gatio.

Irrig169de Iuſtitia et Iure

Irrig aber iſt die gemeine Theorie aus mehr als einer Urſach. Denn erſtlich iſt es ein offenbarer Irthum, wenn die natuͤrliche Verbindlichkeit, deren ge - richtliche Wirkung durch die Civilgeſetze nur zum Theil eingeſchraͤnkt worden, blos dahin beſtimmt wird, daß die Geſetze deshalb keine Klage, wohl aber die uͤbrigen Wirkungen zulieſſen; indem uns theils die Geſetze ſelbſt Faͤlle genug darſtellen, wo bey einer ſolchen in Anſe - hung des gerichtlichen Effects eingeſchraͤnkten natuͤrlichen Verbindlichkeit dennoch das Recht zu klagen nicht gaͤnz - lich wegfaͤllt, ſondern nur limitirt iſt87)Vergleiche L. 5. pr. D. de auct. tutor. L. 16 24. D. de re iudicata. ; theils aber auch, wenn man ſich das ganze Reſultat der gerichtli - chen Wirkungen einer vollkommenen Verbindlichkeit ge - denkt, ſehr leicht einzuſehen iſt, daß die Einſchraͤnkung derſelben auf weit mehr als eine Art geſchehen koͤnne, ſo wie denn in der Folge dieſe verſchiedene Arten aus den Geſetzen ſelbſt erwieſen werden ſollen. Zweitens iſt es irrig, wenn man in den Faͤllen einer ſogenannten reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit die Zuruͤckforde - rung desjenigen, was vermoͤge derſelben iſt gegeben worden, ohne Unterſchied zulaſſen, und hierin den un - terſcheidenden Character zwiſchen einer nicht beſtaͤttigtenL 5und86)gatio in foro efficax ſit, et actionem producat, lex ci - vilis illi aſſiſtat, requiritur. Quod ita neceſſarium eſt, ut ſola naturalis obligatio, licet perfecta ſit, externe actionem non producat. So auch Io. voet in Com - mentar. ad Pandect. T. II. Tit. de obligat. et action. §. 3. Obligatio naturalis tantum eſt, quae ſolo nititur aequitatis naturalis vinculo, nullam quidem effi - cacem iure civili producens actionem ad perſequendum id, quod ita debitum; ſed tamen exceptionem patiens, ac ſoluti retentionem. Et haec ita, ſi vel obligatio na - turalis plena ſit. 1701. Buch. 1. Tit. und einer reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit ſetzen will; da die Faͤlle doch bekannt genug ſind, wo ſelbſt die buͤrgerlichen Geſetze die Zuruͤckforderung des einmahl Gegebenen nicht verſtatten. So z. B. gehoͤrt die Ver - bindlichkeit aus der Buͤrgſchaft einer Frauensperſohn of - fenbar zu denen ſogenannten reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeiten, und doch ſtehet einer Frauensperſohn, welche wuſte, daß ſie nicht aus der Buͤrgſchaft gehal - ten ſey, und dennoch bezahlete, die Zuruͤckforderung nach den Geſetzen nicht zu88)Weber im angef. Buch 2. Abtheil. §. 76. hat noch mehrere Beiſpiele hiervon.. So leuchtet alſo das Mangelhafte, Unbeſtimmte und Irrige des gemeinen Lehrbegrifs allenthalben hervor.

Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu - ſtellen ſeyn. Daß natuͤrliche Verbindlichkeiten zwar auch im buͤrgerlichen Zuſtande vorhanden und fortdaurend ſind, doch aber durch die buͤrgerlichen Geſetze mancher - ley Modificationen erhalten koͤnnen, iſt ſchon oben (§. 17. u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt,

  • Erſtlich: daß eine jede natuͤrliche Zwangspflicht auch in den buͤrgerlichen Gerichten den voͤlligen Effect ha - be, und in der Regel durch Klagen und Einreden geltend gemacht werden koͤnne, ſo weit ihr dieſe Wir - kung durch die buͤrgerlichen Geſetze nicht ausdruͤcklich genommen iſt;
  • Zweitens: daß, wenn auch dergleichen Einſchraͤnkun - gen wirklich vorhanden ſind, dieſe dennoch, als Aus - nahmen von der Regel, auf das ſtrengſte erklaͤret werden muͤſſen, mithin die natuͤrliche Verbindlichkeit in Anſehung des gerichtlichen Effects doch nur ſoviel verliehre, als das poſitive Recht derſelben nahment -lich171de Iuſtitia et Iure. lich entzogen hat; und alſo diejenigen Wirkungen, welche in den Geſetzen nicht ausdruͤcklich aufgehoben ſind, allerdings auch in foro civili fortdaurend ihr verbleiben;
  • Drittens: daß eine natuͤrliche Zwangspflicht der Be - ſtaͤttigung des buͤrgerlichen Geſezgebers nicht beduͤrfe, folglich allerdings auch alsdenn in den buͤrgerlichen Gerichten klagbar ſey, wenn ſie auch gleich in den Civilgeſetzen nicht wiederholt beſtaͤttiget worden; end - lich
  • Viertens: was an ſich nur Liebespflicht iſt, auch in foro civili nicht mehr Kraft habe, mithin in Ge - richten als erzwingbare Schuldigkeit nie gefordert werden koͤnne; es waͤre denn, daß durch Vorſchrift des buͤrgerlichen Rechts das Gegentheil verordnet wor - den. (§. 3. S. 38. u. folgg.)

Dieſes vorausgeſchickt, ſo reducirt ſich nun das Verhaͤltnis der blos natuͤrlichen Verbindlichkeiten, d. i. derjenigen, welche in den Civilgeſetzen nicht aus - druͤcklich beſtaͤttiget worden ſind, in Abſicht der gericht - lichen Wirkung, eigentlich auf drey Faͤlle. Sie ſind entweder durch die buͤrgerlichen Geſetze ganz aufgeho - ben und deſtruirt, oder der gerichtlichen Wirkung nach nur eingeſchraͤnkt; oder ſie ſind weder repro - birt, noch eingeſchraͤnkt worden, ſondern ſolche, deren die poſitiven Geſetze nicht erwaͤhnen. Wir wollen von der leztern Art natuͤrlicher Verbindlichkeiten und ihrer gerichtlichen Wirkung zuerſt handeln. Daß dieſe ent - weder Liebes - oder Zwangspflichten ſeyn koͤnnen, iſt bekannt; und daß beyde auch im buͤrgerlichen Zuſtan - de diejenige Wirkung haben, die ſie auſſer dieſem Zu - ſtande gehabt haben wuͤrden, iſt ſchon vorhin bemerket worden; ich ſetze nehmlich voraus, daß die buͤrgerlichenGe -1721. Buch. 1. Tit. Geſetze ein anders nicht verordnet haben. Soviel dem - nach zuerſt die Liebespflichten und deren Verhaͤltniß im buͤrgerlichen Zuſtande anbetrift, ſo koͤnnen ſelbige nun, wie bereits oben gezeigt worden, keinesweges unter diejenigen natuͤrlichen Verbindlichkeiten claſſificirt wer - den, die der gerichtlichen Wirkung nach eingeſchraͤnkt ſind, ſondern ſie gehoͤren zu der von uns angegebenen dritten Claſſe der blos natuͤrlichen Verbindlichkeiten; und wenn ſie gleich in Gerichten als erzwingbare Schul - digkeit nie gefordert werden koͤnnen; ſo laſſen dennoch die Geſetze, wenn die Erfuͤllung einer ſolchen Liebespflicht einmahl geſchehen, keine Zuruͤckforderung zu. Der Grund hiervon, welchen die Geſetze ſelbſt mit ausdruͤck - lichen Worten angegeben, iſt kein anderer, als weil der - jenige, welcher in der Abſicht, ein officium humani - tatis auszuuͤben, etwas gegeben hat, nach rechtlicher Vermuthung das Gegebene hat ſchenken wollen; (quia donare voluit)89)L. 65. §. 2. D. de condict. indeb. Man vergleiche auch hierbey Sam. de cocceii in iure controverſo Lib. XII. Tit. 6. Qu. 5. folglich wenn er einmahl die Abſicht zu ſchenken gehabt, das einmahl Gegebene auch dann nicht einmahl ſolle wieder zuruͤckfordern koͤnnen, wenn gleich bey der geſchehenen Praͤſtation erweißlich ein Irr - thum zum Grunde liegen ſolte90)L. cit. 65. verb. : quamuis falſo mihi perſuaſerim, re - peti non poſſe. . Was nun hingegen die im buͤrgerlichen Rechte nicht beſtaͤttigten natuͤrlichen Zwangspflichten anbelangt, ſo iſt zwar die gemeine Meinung der Rechtsgelehrten, daß natuͤrliche Zwangs - pflicht an ſich in foro civili nicht klagbar ſey, wenn ſie nicht durch Vorſchriften der Civilgeſetze zu dieſer Wir - kung autoriſiret worden; allein, daß die Sache ſich ge - rade umgekehrt verhalte, und vielmehr alle natuͤrlicheZwangs -173de Iuſtitia et Iure. Zwangspflichten auch in buͤrgerlichen Gerichten voͤllig wirkſam ſeyn, ſofern nicht durch die Civilgeſetze nah - mentlich eine Einſchraͤnkung geſchehen, jene gemeine Lehr - art alſo ganz irrig, ja der geſunden Vernunft, dem Sinn des roͤmiſchen und kanoniſchen Rechts, auch der heutigen Gerichtspraxi offenbar zuwider ſey, iſt leicht zu erweiſen. Denn da emmahl im buͤrgerlichen Zu - ſtande niemand ſich eigenmaͤchtigerweiſe Recht verſchaffen darf, ſondern die Mitglieder des gemeinen Weſens an - gewieſen ſind, ihre Rechte durch richterliche Huͤlfe gel - tend zu machen; ſo muͤſſen ja auch nothwendig die Ge - richte ihrer Seits verbunden ſeyn, einem Jeden zur Er - langung ſeines vollkommenen Rechts zu verhelffen. Da nun dergleichen Zwangsrechte und Verbindlichkeiten an ſich allerdings auch ohne alle Vorſchrift der poſitiven Geſetze ſtatt finden koͤnnen; ſo iſt nicht abzuſehen, wie der Richter eine aus dem natuͤrlichen Zwangsrechte er - hobene Klage blos darum verwerffen koͤnne, weil das Civilrecht derſelben nicht gedenkt91)Eben ſo urtheilen auſſer den oben angefuͤhrten H. Prof. Weber §. 44. auch Io. Balth. wernher in Diſſ. de auctoritate iuris civ. circa obligationes naturales. Viteb. 1701. nettelbladt in Syſtem. elem. Iurispr. po - ſit. Germ. comm. general. §. 281. und Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts Th. 1. S. 87. n. 4.. Mit die - ſen allgemeinen Vernunftgruͤnden ſtimmen aber auch zweitens die in Teutſchland geltende poſitive Rech - te uͤberein. Zwar iſt nicht zu laͤugnen, daß in dem roͤmiſchen Geſezbuche verſchiedene Aeuſerungen enthalten ſind, und manche Stellen vorkommen, welche der ge - meinen Theorie das Wort zu reden ſcheinen; allein dieſes darf uns gar nicht wundern, wenn wir bedenken, daß nach der Beſchaffenheit der aͤltern roͤmiſchen Rechts - gelahrtheit und der Gerichtsverfaſſung faſt alles auf For -meln1741. Buch. 1. Tit. meln und woͤrtliche Solemnitaͤten ankam, und daß nach dieſer Anlage manche im natuͤrlichen Zwangsrecht beſt - gegruͤndete Verbindlichkeit dennoch in foro Romano da - rum kein Gehoͤr fand, weil fuͤr das Factum, woraus dieſe Verbindlichkeit entſprungen, noch keine Klagfor - mel erfunden war. Man erinnere ſich hierbey an den Handel des roͤm. Ritters C. Canius mit dem Py - thius, den uns Cicero92)de officiis Lib. III. c. 14. ſo unterhaltend erzaͤhlt; es war evident, daß Canius war hintergangen worden; ſed quid faceret? ſagt Cicero, nondum enim aquil - lius protulerat de dolo malo formulas. Allein ſeit - dem die roͤm. Praͤtoren in ihren Edicten das alte for - mulariſche und ſtrenge roͤm. Recht auf billigere und dem Naturrecht mehr angemeſſene Grundſaͤtze reducirt haben, und die roͤm. Juriſten ihnen in ihren Commentaren uͤber das Edict auf dieſem Wege nachgefolget ſind, ſo herſcht eine ganz andere Sprache in den roͤm. Geſetzen. Nun wird uͤberall der Richter mehr auf Naturrecht und natuͤrliche Billigkeit, als auf den Buchſtaben der buͤr - gerlichen Geſetze verwieſen. Placuit, ſo ſprechen die Kaiſer constantinus und licinius in L. 8. Cod. de iudiciis, in omnibus rebus praecipuam eſſe iuſti - tiae aequitatisque, quam ſtricti iuris rationem; und an einem andern Orte L. 7. pr. D. de in int. reſtitut. reſcribirt Divus antoninus: Etſi nihil facile mutan - dum eſt ex ſolemnibus: tamen, ubi aequitas evidens poſcit, ſubveniendum eſt. Wie deutlich iſt nicht fer - ner die Vorſchrift, welche dem Richter im L. 4. §. 1. D. de eo quod certo loco bey Gelegenheit gegeben wird: In Summa, aequitatem quoque ante oculos habere debet iudex. Noch eins. War nicht gerade zu die - ſem Endzweck die ſogenannte actio in factum ganz vor - zuͤglich eingefuͤhrt, daß ſie das allgemeine Rechtsmittelſeyn175de Iuſtitia et Iure. ſeyn ſolte, natuͤrliche Verbindlichkeiten, deren das buͤrgerliche Recht nicht gedenket, in foro civi - li geltend zu machen93)Chr. Frid Ge. meister Diſſ. de in factum actio - nibus Goettingae 1748. in Syllog. I. Opuſcul. N. VII. ? Wer hieran zweifelt, leſe nur, was Papinian ſagt in L. 1. D. de praeſcr. verb. Nonnunquam euenit, ut ceſſantibus iudiciis proditis et vulgaribus actionibus, cum proprium no - men invenire non poſſumus, facile deſcendamus ad eas, quae in factum appellantur; und Pompon er - kennt bey dem Mangel, der in den buͤrgerlichen Geſe - tzen ſelbſt beſtimmten Klagen die Nothwendigkeit der actionum in factum in folgenden Worten der L. 11. D. eodem: Quia actionum non plenus numerus eſſet, ideo plerumque actiones in factum deſiderantur. Eben dieſes beſtaͤrkt auch der Imperator ſelbſt §. ult. I. de lege Aquilia. durch folgendes Beiſpiel: Cum non ſuffi - ciat neque directa neque utilis legis Aquiliae actio, placuit eum, qui obnoxius fuerit, in factum actio - ne teneri. Der Grund hiervon iſt kein anderer, als welchen Paulus an einem andern Ort L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluviae mit folgenden Worten an - fuͤhrt: boc aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur94)Mit Recht ſagt daher J. L. Schmidt im praktiſchen Lehrbuch von gerichtl. Klagen u. Einreden (Jena 1786.) §. 26. S. 24. Sonſt bedeutet actio in factum diejenige Klage, welche weder aus den Worten noch aus dem Sinn der Geſetze, ſondern aus der Bil - ligkeit entſpringet.. Wer nun bey ſo klar redenden Geſetzen noch einen Au - genblick daran zweifeln wolte, ob eine aus der bloſen natuͤrlichen Billigkeit erhobene Klage nach dem roͤmi - ſchen Rechte zulaͤſſig ſey, der muͤßte mit Vorſaz derWahr -1761. B. 1. Tit. Wahrheit widerſprechen wollen95)Noch mehrere Beweisſtellen hat H. Prof. Weber a. a. Ort §. 46. S. 126. geſammlet.. Noch viel wenigern Zweifel aber iſt die Sache nach den kanoniſchen und heutigen teutſchen Rechten unterworffen. Denn ſo will das kanoniſche Recht, welches in proceßualiſchen Ma - terien dem roͤmiſchen Rechte vorzuziehen iſt, ausdruͤck - lich, daß nicht mit Spitzfindigkeit unterſucht werden ſol - le, was fuͤr eine Klage angeſtellet ſey, ſondern es ſoll nur auf die Sache ſelbſt Ruͤckſicht genommen werden, cap. 6. X. de iudiciis96)Die Worte dieſes cap. verdienen ſelbſt hier angefuͤhrt zu werden: Provideamus attentius, ne ita ſubtiliter, ſicut a multis fieri ſolet, cuiusmodi actio intentetur, inquiratis, ſed ſimpliciter et pure factum ipsum, et rei verita - tem ſecundum formam canonum, et ſanctorum patrum in - ſtituta, inveſtigare curetis. . Die Teutſchen endlich ha - ben nie eine feſtgeſezte Anzahl der Klagen gehabt, ſagt einer unſerer beruͤhmteſten heutigen Rechtsgelehrten97)D. Juſt. Claproth Einleitung in den ordent - lichen buͤrgerlichen Proces (Goͤttingen 1786.) 1. Th. 1. Abſchn. 1. Hauptſt. §. 1. not. b. S. 2. u. f., ſondern die Verbindlichkeiten blos nach der natuͤrlichen Billigkeit abgemeſſen. Nie aber iſt der roͤmiſche Pro - ceß, am wenigſten das Formularrecht, zur Anwendung gekommen. Die heutigen Rechtslehrer tragen daher mit Recht kein Bedenken, da aus der natuͤrlichen Billigkeit Klagen zu verſtatten, wo die roͤmiſchen Geſetze keine eingefuͤhrt haben98)So z. B. verſtatten Huber in Praelect. ad Inſti - tut. tit. de Rer. diviſ. §. 40. und Heineccius in Elem -iur -. Inzwiſchen duͤrfen auch hier die Grenzen nicht uͤberſchritten werden. Soll nehmlich eine Klage in einem Fall, wo weder aus den Worten nochaus177de Iuſtitia et Iure. aus dem Sinn der Civilgeſetze dergleichen entſpringt aus der bloſen natuͤrlichen Billigkeit zugelaſſen werden, ſo wird hierbey vorausgeſezt, a) daß die Billigkeit nicht wider ein ausdruͤckliches und noch gel. tendes Geſez anlaufe; b) daß ſie in einem unlaͤugbaren Grundſatze des natuͤrlichen Rechts gegruͤndet ſey; und c) ein Zwangs - recht zum Grunde habe.

Ich wende mich nun zu der Ausnahme von der Re - gel, oder zu denjenigen beyden Faͤllen, worauf man ge - woͤhnlich das Verhaͤltnis aller natuͤrlichen Verbindlich - keiten, die in den Civilgeſetzen nicht wiederholt beſtaͤt - tiget worden ſind, in Abſicht der gerichtlichen Wirkung zu reduciren pflegt. Natuͤrliche Verbindlichkeiten koͤn - nen nehmlich im Staat entweder goͤnzlich reprobirt, und durch poſitive Geſetze ſchlechterdings aufgehoben, oder auch nur der gerichtlichen Wirkung nach einge - ſchraͤnkt ſeyn. Im erſtern Fall ceſſirt nicht nur alle gerichtliche Wirkung derſelben, ſondern es hoͤrt auch auf Seiten des Schuldners ſelbſt die natuͤrliche Zwangs - pflicht dergeſtalt auf, daß dasjenige, was vermoͤge ei - ner ſolchen gaͤnzlich deſtruirten Verbindlichkeit dennoch aus Irrthum, ja unterweilen auch wiſſentlich, in. debite gezahlet worden, wieder zuruͤckgetordert werden kann. Ehe wir jedoch hieruͤber weiter ins Detail gehen koͤnnen, wird es noͤthig ſeyn, diejenigen Faͤlle ausein -ander98)iur. civ. ſec. ord. Inſtitut. §. 320. not. *) wider den L 48. D. de Rei Vind. u. L 33. D de condict in - deb. heut zu Tage mit Recht die Klage nach der natuͤrli - lichen Billigkeit (actionem in factum) demjemgen, wel - cher auf fremden Grund und Boden gebauet hat. Stehe auch Hoͤpfner im Commentar uͤber die Inſtitut. § 320.Gluͤcks Erlaͤut, d. Pand. 1. Th. M1781. Buch. 1. Tit. ander zu ſetzen, wo die natuͤrliche Verbindlichkeit nach der Vorſchrift des Civilrechts gaͤnzlich wegfaͤllt. Hier - her gehoͤrt einmahl, wenn die poſitiven Geſetze ge - wiſſe natuͤrlich erlaubte und verbindliche Handlungen aus beſondern Urſachen durchaus verbieten, und dergeſtalt fuͤr unguͤltig erklaͤren, daß gleich Anfangs keine Ver - bindlichkeit daraus im Staat entſtehen kann. Die Gruͤnde, wodurch buͤrgerliche Geſezgeber veranlaſſet wer - den koͤnnen, natuͤrlich erlaubte Handlungen zu verbie - ten, und die daher entſtehende mancherley Claſſen der verbietenden Poſitivgeſetze haben wir oben ſchon eroͤr - tert. (§. 14. S. 99.) Zweitens: wenn der bisheri - ge gerichtliche Effect einer natuͤrlichen Verbindlichkeit zur Strafe des Glaͤubigers wegen Uebertretung verbie - tender oder gebietender Geſetze dergeſtalt aufgehoben wird, daß die Geſetze dem Glaͤubiger nicht blos rich - terliche Huͤlfe verſagen, ſondern ihre Abſicht dahin ge - het, ihm eine ſonſt auch gegruͤndete Forderung ſelbſt abzuſprechen, alſo nicht blos die Ausuͤbung ſeiner Be - fugnis einzuſchraͤnken, ſondern ihn ſeines ganzen Rechts an ſich verluſtig zu erklaͤren. Wir finden dieſes in folgenden Faͤllen: a) wenn die Abtretung einer Schuldforderung an einen Maͤchtigern geſchie - het99)L. 2. C. ne liceat potentior. . b) Wenn der Glaͤubiger, um ſeine Befriedi - gung zu erhalten, ſich der verbotenen Selbſthuͤlfe be - dient100)L. 13. D. quod metus cauſa. . In beyden Faͤllen iſt nicht blos Verluſt der Klage, ſondern des ganzen Rechts an ſich zur Strafe geordnet, und daher faͤllt auch nothwendig die natuͤrliche Zwangspflicht gaͤnzlich weg. Denn iſt es gewiß, daß die Geſetze gewiſſe Handlungen des Glaͤubigers mit dem ganzen Verluſte ſeines Rechts be - ahnden koͤnnen, was nicht leicht jemand leugnen wird;So179de Iuſtitia et Iure. So kann ja nicht fuͤglich den Schuldner eine natuͤrli - che Verbindlichkeit treffen, wenn das buͤrgerliche Ver - haͤltnis macht, daß auf Seiten des Glaͤubigers gar kein Recht mehr vorhanden iſt1)Dieſem iſt L. 19. pr. D. de condict. indeb. keinesweges ent - gegen, wo es heißt: Si poenat cauſa eius, cui debetur, debitor liberatus eſt; naturalis obligatio manet Denn dieſe Stelle beziehet ſich lediglich auf ſolche Verordnungen des Civilrechts, welche dem Glaͤubiger blos die Klage entziehen, und inſofern den Schuldner befreyen; nicht aber auf ſolche Geſetze, wodurch der Glaͤubiger ſeines ganzen Rechts verluſtig erklaͤret wird. Deutlicher wird dieſes in L. 9. §. 4. D. ad Sctum Macedon. auseinander geſezt: Hi demum ſolutum non repetunt, qui ob poe - nam creditorum actione liberantur, non quoniam exone - rare eos lex voluit. Es iſt alſo in jedem einzelnen Falle die buͤrgerliche Dispoſition ihrem ganzen Inhalte nach genau zu pruͤfen, und hieraus zu beſtimmen, ob dem Glaͤubiger das ganze Recht an ſich abgeſprochen, oder ihm nur gewiſſe Rechtsmittel verſagt worden ſind, in wel - chem leztern Fall die natuͤrliche Verbindlichkeit in ſo weit fortdauert, als ihr die gerichtliche Wirkung nicht entzo - gen worden iſt. Z. B. Wenn ein Vormund bey Ueber - nehmung der Vormundſchaft ſeine Forderung an den Pu - pillen verſchwiegen, ſo wollen ihn die Geſetze mit ſeiner Klage nicht weiter gehoͤrt wiſſen Nov. 72. c. 4. Da ſie ihn alſo nicht mit dem Verluſt ſeines ganzen Rechts beſtra - fen, ſo verſtehet es ſich von ſelbſt, daß die natuͤrliche Ver - bindlichkeit mit allen uͤbrigen nicht ausdruͤcklich genomme - nen Wirkungen fortdauere. S. Weber im angef. Buch 3. Abth. 6. Abſchn. §. 92. S. 54. und §. 94. S. 64.. Fraͤgt man nun, in wiefern in den Faͤllen einer reprobirten oder ganz aufgehobenen natuͤrlichen Verbindlichkeit die repetitio ſoluti zulaͤſſig ſey? ſo iſt nach einer richtigern Meinung ein Unterſchied zu machen, ob wegen eines buͤrgerlichen Verbots gleich Anfangs aus dem gegen daſſelbe unter - nommene Geſchaͤfte keine rechtliche Verbindlichkeit ent -M 2ſte -1801. Buch. 1. Tit. ſtehen koͤnnen, oder ob ein ſolcher Fall vorhanden, wo die buͤrgerlichen Geſetze einer wirklich vorhandenen und bisher voͤllig klagbaren Verbindlichkeit zur Strafe des Glaͤubigers ihre Wirkung ganz wiederum entzogen ha - ben. Im leztern Fall findet die Zuruͤckforderung nur alsdenn ſtatt, wenn die Zahlung aus Irrthum ge - ſchehen. Denn zahlet der Schuldner dennoch wiſſent - lich und freywillig ſeinem Glaͤubiger dasjenige, was lezterer den Rechten nach gar nicht weiter haͤtte fordern duͤrfen, ſo wird rechtlich vermuthet, daß die Zahlung animo donandi geſchehen ſey, in welchem Fall die Geſetze keine Repetition der einmahl geleiſteten Zahlung geſtatten2)L. 53. D. de Reg. Iur. Cuius per errorem dati repe - titio eſt, eius conſulto dati donatio eſt. . Im erſtern Fall muß man wiederum auf den Grund des buͤrgerlichen Verbots, und das perſoͤhn - liche Verhaͤltnis deſſen, der die Zahlung geleiſtet hat, Achtung geben, und daraus beurtheilen, wie weit die Zuruͤckforderung des Gegebnen freyſtehe. Hier kom - men nun beſonders diejenigen Faͤlle in Betrachtung, die wir ſchon oben in der Theorie vom verbietenden Rech - te im Allgemeinen angegeben haben. (S. 99. u. folg.) Wir diſtinguiren demnach in Grundlage derſelben nun folgender geſtalt. Das buͤrgerliche Geſez hat entweder diejenige Handlung allgemein verboten, zu deren Er - fuͤllung die Zahlung geſchehen; oder nur allein gewiſ - ſen Perſohnen zu ihren eignen Beſten die Be - fugnis genommen, diejenige rechtliche Handlungen einzu - gehen, die ſie gegen das Geſez dennoch unternommen haben. Im leztern Fall iſt beſonders das perſoͤhn - liche Verhaͤltnis deſſen in Obacht zu nehmen, der die Zahlung geleiſtet hat. Iſt dieſer Contrahent eine ſolche Perſohn, der uͤberhaupt die rechtlichen Erforderniſſe ſich guͤl - tig zu verbinden, ermangeln, ſo iſt es auſſer allen Zwei -fel,181de Iuſtitia et Iure. fel, daß, wenn ein ſolcher ſich dennoch in Rechtsge - ſchaͤfte eingelaſſen, und ſolche erfuͤllet hat, die Zuruͤck - forderung des Gezahlten allerdings zulaͤſſig ſey, ohne daß es darauf ankommt, ob die Zahlung wiſſentlich, oder aus Irthum geleiſtet worden. Z. B. Wenn Pu - pillen, oder gerichtlich declarirte Verſchwender ohne vor - mundſchaftliche Einwilligung contrahirt und bezahlt ha - ben, ſo iſt die von ſolchen Perſohnen geſchehene Zah - lung an ſich ſchon unkraͤftig, weil ſie nicht uͤber das Ihrige eigenmaͤchtig diſponiren koͤnnen. mithin ſiehet ein Jeder, daß in einem ſolchen Falle repetitio ſoluti um ſo mehr ſtatthaben muͤſſe, weil bey ihnen die ſonſtigen Folgen einer freywillig geleiſteten Erfuͤllung nicht zutref - fen koͤnnen3)Dies lehrt auch Ulpian in folgenden Worten der L. 29. D. de condict. indeb. ganz deutlich. Interdum perſona lo - cum facit repetitioni, utputa ſi pupillus ſine tutoris auctoritate, vel furioſus, vel is, cui bonis interdictum eſt, ſolverit. Nam in his perſonis generaliter repeti - tioni locum eſſe non ambigitur. Man ſehe auch L. 41. D. eodem. Desgleichen cocceii in Iure civ. con - trov. Lib. XII. Tit. VI. Qu. 7.. Iſt hingegen Contrahent eine Perſohn, die zwar nach den Geſetzen uͤberhaupt die Faͤhigkeit hat, ſich verbindlich zu machen, auch uͤber ihr Vermoͤgen ungehindert diſponiren kann, allein die Geſetze haben ihr dennoch zu ihrem eigenen Beſten die Eingehung des von ihr erfuͤllten Geſchaͤfts unterſagt, damit ſie nicht durch ungebuͤhrliche Beredungen und uͤbereilte Zu - ſagen um das Ihrige gebracht werden moͤchte; ihr aber doch uͤbrigens eine rechtsverbindliche Ratihabition zuge - laſſen, wenn dabey ſolche Umſtaͤnde eintreten, die den ernſtlichen und freyen Willen einer ſolchen Perſohn hin - laͤnglich zu Tage legen; wie dies der Fall bey einer Frauensperſohn iſt, wenn ſie ſich verbuͤrgt hat; ſo kommtM 3es1821. Buch. 1. Tit. es nun bey geſchehener Erfuͤllung eines ſolchen verbote - nen Geſchafts darauf an, ob dieſelbe wiſſend, daß das eingegangene Geſchaͤft z. B die uͤbernommene Buͤrg - ſchaft, zu Recht nicht beſtaͤndig ſey, dennoch freywil - lig Zahlung geleiſtet, oder ob ſolche aus Irthum ge - ſchehen. So deutlich nun im leztern Fall die Repeti - tion in denen Geſetzen geſtattet wird4)L. 40. D. de condict indeb und L. 9. Cod. ad Sctum Vellejanum, ſo wenig iſt ſie im erſten Fall fuͤr zulaͤſſig zu halten, weil die Geſe - tze hier nicht ohne Grund annehmen, daß unter ſolchen Umſtanden an e[in]em freyen und hinlaͤnglich uͤberlegten Entſchluſſe nicht fuͤglich weiter zu zweifeln ſey5)L. 26 §. 3. D. de cond. indeb. voet in Comment. ad Pandect. Lib. XVI. Tit. 1. §. 12. fuͤgt auch noch beſonders den Grund hinzu: quoniam conſulto dati inde - biti donatio eſt, donanti autem non ſuccurritur. Allein man ſehe, was dagegen Herr Prof. Weber im IV. Abſchn. §. 77. not. 346. S. 335. erinnert hat.. Iſt nun aber der oben angefuͤhrte erſte Fall vorhanden, wo die Handlung nicht blos gewiſſen Perſohnen, ſondern allgemein verbothen iſt, ſo entſtehet die Frage, ob und in wiefern hier dasjenige, was zur Erfuͤllung eines ſolchen verbotenen Geſchafts gegeben oder bezahlet wor - den, wiederum zuruͤckgefordert werden koͤnne6)Hierbey vergleiche man beſonders Webers angef. Buch §. 75 77.? Nach der gemeinen Lehre, vermoͤge welcher die ſogenannte re - probtrte natuͤrliche Verbindlichkeit die condictionem in - debiti allemahl zur Begleiterin haben ſoll, pflegt man die Regel zu formiren, daß in ſolchen Faͤllen die geſche - hene Zahlung immer zuruͤckgefordert werden koͤnne Al - lein daß dieſe Theorie hoͤchſt ſchwankend und unzuver - laſſig ſey, wird die Folge lehren. Man mache vielmehrfol -183De Iuſtitia et Iure. folgenden Unterſchied: Entweder verſiren beyde Theile, die den verbotenen Handel mit einander geſchloſſen ha - ben, in pari turpitudine; oder es iſt nur der Glaͤu - biger allein derjenige, dem eigentlich die Uebertretung der Geſetze vorzuwerffen, weil er ſich auf eine ungerech - te Art zum Schaden des Schuldners zu bereichern ſucht; der Schuldner hingegen der, dem die Geſetze gegen die Gewinnſucht des erſtern ihren Schuz angedei - hen laſſen. Iſt das Erſtere, ſo kann eigentlich keine Zuruͤckforderung des Gegebenen in der Regel ſtatt fin - den, wofern der Klaͤger nicht etwa ein Geſez fuͤr ſich anzufuͤhren vermoͤchte, ſo ihn ſelbſt ausdruͤcklich dazu autoriſirte. Denn einmahl bringt dieſes ſchon die Na - tur der Sache ſelbſt mit ſich, daß wir gegen den, der mit uns gemeinſchaftlich die Geſetze uͤbertreten hat, kei - nen Regres zu unſerer Entſchaͤdigung nehmen koͤnnen. Zweitens beſtaͤrken dieſes auch deutliche Geſetze, welche die Regel enthalten: ubi et dantis et accipientis tur - pitudo verſatur, ſolutum repeti non poſſe7)L. 3. u. 8. D. de condict. ob turp. vel iniuſt. cauſ. Conf. Gebh. Chriſt. bastineller Diſſ. de pari turpi - tudine. Vittemb. 1734. §. XII. . Es wird nicht undienlich ſeyn, einige Faͤlle anzufuͤhren, in welchen zu Folge unſerer Regel die Zuruͤckforderung einer aus verbotenen Vertraͤgen geleiſteten Zahlung aus den angefuͤhrten Gruͤnden wegfaͤllt. Dahin gehoͤrt 1) der Fall, wenn eine Sache verkauft worden, deren Ver - aͤuſſerung die Geſetze verbieten. Zwar hat bey dieſem Fall der gemeine Lehrbegrif manchen Widerſpruch unter denen Rechtsgelehrten veranlaßt, und einige wirklich zur Behauptung des Gegentheils verleitet8)leyser in Meditat. ad Pandect. Spec. CXC. med. 1.. Allein da die - ſes ſchon von andern gruͤndlich widerlegt worden iſt,M 4ſo1841. Buch. 1. Tit. ſo duͤrfen wir uns dabey nicht weiter aufhalten9)Weber am angef. Ort §. 76. S. 323.. Ein gleiches iſt 2) auch von dem Falle zu behaupten, wenn die Geſetze gewiſſe Perſohnen vom Erwerb gewiſſer Sa - chen ausſchlieſſen, z. B. die Juden in Anſehung der un - beweglichen Guͤter; ingleichen wenn dieſes oder jenes Gewerbe gewiſſen Perſohnen unterſagt iſt. Wer ſich mit ſolchen Perſohnen in Handel einlaͤßt, kann dasje - nige, was er ihnen einmahl gegeben und bezahlt hat, fuͤr ſeine Perſohn nicht wieder zuruͤckfordern. Ferner 3) wenn jemand zu einem verbotenen Spiele wiſſentlich Geld dargeliehen, ſo ihm aber hernach von dem Spie - ler freywillig wieder bezahlet worden iſt; auch hier fin - der keine Zuruͤckforderung ſtatt. Denn es iſt unleugbar, daß beide Theile die Geſetze uͤbertreten haben, und eine ſpeciellere Verordnung, welche die Zuruͤckforderung des einmahl bezahlten geſtatten ſollte, findet ſich nirgends. Eigentlich ſollte nun auch nach dieſen Grundſaͤtzen die Zuruͤckforderung einer bezahlten Spielſchuld dem Mit - ſpieler ſelbſt nicht freyſtehen. Denn er hat doch gewiß im Ganzen eben ſo unerlaubt gehandelt, als der ande - dere, dem das Gluͤck guͤnſtiger geweſen Da aber gleich - wohl ausdruͤckliche Geſetze dem Mitſpieler die Condiction durchgaͤngig geſtatten10)L. 3. Cod. de aleatoribus. , ſo iſt dieſes[freylich] als Aus - nahme von der obigen Regel anzuſehen, wenn ſie gleich mit keinem andern Grunde, als dem bekannten: ita lex ſeripta eſt, zu unterſtuͤtzen ſeyn duͤrfte. Ich kom - me nun noch auf den lezten Fall, wenn die Geſetze nur eigentlich dem Glaͤubiger die Uebertretung der Geſetze zur Laſt legen, weil er ſich auf eine unbillige Art zum Schaden des Schuldners zu bereichern ſucht; zum Bei - ſpiel dient der unerlaubte Wucher, der commiſſoriſche Vertrag bey Verpfaͤndungen, das pactum de quotalitis185de Iuſtitia et Iure. litis u. a. m. In allen dieſen Faͤllen iſt es auſſer allen Zweifel, daß die Zuruͤckforderung des ungebuͤrlichen Vor - theils ſtatt finde, und es iſt hier voͤllig einerley, ob die Zahlung wiſſentlich oder aus Irrthum geſchehen ſey11)S. D. Ad. Diet. weber Comment. de uſuris in - debite ſolutis earumque tam repetitione quam in ſortem imputatione. (Suer. Buetz. et Wism. 1783. 8.) §. XIV. S. 66.. Denn hier kann keine guͤltige Ratthabition ge - ſchehen, weil in den angefuͤhrten Fallen die Geſetze durch - aus nicht wollen, daß der gewinnſuͤchtige Glaͤubiger des ungerechten Vortheils theilhaftig werde. Ueberhaupt laͤſſet ſich hier die Regel formiren; Wenn die buͤr - gerlichen Geſetze gewiſſe Vertraͤge und Ge - ſchaͤfte dergeſtalt verbieten, daß keine Ra - tihabition derſelben guͤltig ſeyn ſolle, weil ihre Abſicht vorzuͤglich dahin gehet, daß nie - mand durch liſtige Beredung anderer um das Seinige gebracht werde, wenn er auch gleich ſonſt uͤber ſein Vermoͤgen frey diſponiren kann, mithin dem gemeinen Weſen ſelbſt dar - an liegt, daß das Gegebene oder Bezahlte gerade demjenigen verbleibe, der ſich deſſen entaͤuſſern wollen, damit derſelbe nicht der - einſt als Bettler dem Staat zur Laſt falle, ſo findet repetitio ſoluti allemahl ſtatt, wenn gleich der Empfaͤnger vorſchuͤtzen woll - te, daß der andere Theil nicht durch Irr - thum zur Zahlung veranlaßt, ſondern ſolche wiſſentlich geleiſtet haͤtte. Wenn daher z. E. Jemand, dem zu ſeiner kuͤnftigen Alimentation gewiſſe Guͤter vermacht worden, ohne des Richters Zuſtimmung einen Vergleich ſchließt, und im Gefolge deſſelben dieM 5ver -1861. Buch. 1. Tit. vermachten Stuͤcke weggiebt, ſo ſagen unſere Geſetze12)L. 23. §. 2. D. de condict. indeb. : apparet poſſe repeti, quod datum eſt; quia transactio Senatusconſulto infirmatur; und ſo iſt es auch in An - ſehung desjenigen, was uͤber 500. Solidos ohne gericht - liche Inſinuation iſt geſchenket worden13)L. 27. und 36. §. 3. C. de donationib. . Genug von den ſogenannten obligationibus naturalibus reprobatis. Wir haben nun noch zulezt von denenjenigen natuͤrli - chen Verbindlichkeiten zu handeln, deren gerichtliche Wirkung durch die poſitiven Geſetze nur zum Theil eingeſchraͤnkt, nicht aber ganz aufgehoben worden.

Fraͤgt man nun, in wiefern dieſelben der gerichtli - chen Wirkung nach durch die buͤrgerlichen Geſetze einge - ſchraͤnkt ſeyen, ſo iſt die gewoͤhnliche Antwort dieſe: Es finde wegen ſolcher Verbindlichkeiten nur keine Klage, wohl aber die ganze Summe aller uͤbrigen gerichtlichen Wirkung ſtatt. Allein denkt man ſich den ganzen Um - pfang der gerichtlichen Wirkungen einer volkommenen Verbindlichkeit, ſo wird man leicht einſehen, daß die Einſchraͤnkung derſelben auf weit mehr, als eine Art, geſchehen koͤnne. Jede Befugnis, wenn ſie in einem wirklichen Zwangsrechte beſtehet, berechtiget uns a) un - ſere Forderung vermittelſt einer Klage zu verfolgen, und zwar dahin, daß wir b) gaͤnzlich ohne Abzug, auch c) zur gehoͤrigen, durch Vertrag oder Geſez beſtimm - ten Zeit befriediget werden. Der Schuldner muß auch d) gerade dasjenige leiſten, was ihm wirklich obliegt, nicht, wie man ſagt, aliud pro alio; der Creditor aber iſt berechtiget, e) ſeine Schuld mit ſeiner Forderung zu compenſiren, f) ſich an die Buͤrgen und Pfaͤnder zu halten, und was ſonſt noch fuͤr rechtliche Wirkungen eintreten koͤnnen. So mancherley nun alſo die Rechtedes187de Iuſtitia et Iure. des Glaͤubigers und die Wirkungen einer vollkommenen Verbindlichkeit ſind, ſo laſſen ſich auch natuͤrlicher wei - ſe hier eben ſo viele Einſchraͤnkungen gedenken, als es Falle geben kann, und wirklich giebt, wo bald die ei - ne, bald die andere Wirkung durch Vorſchrift poſiti - ver Geſetze entweder ganz oder nur zum Theil entfernet iſt. Gehen wir nun die buͤrgerlichen Geſetze durch, ſo zeigt ſich auch dieſe Verſchiedenheit wirklich. Bald iſt wegen einer natuͤrlichen Verbindlichkeit die alleinige Klage durchaus unzulaͤſſig; So z. B. iſt es ein Grundſaz des roͤmiſchen Rechts, daß die ſimplen Ver - traͤge (pacta nuda) keine Klage hervorbringen; Eben ſo wenig hat auch aus einer Geldanleihe ſolcher Perſohnen, die noch unter der vaͤterlichen Gewalt ſtehen, eine Klage ſtatt. Bald iſt die Klage nur in gewiſſer Hinſicht unſtatthaft, ſo daß, z. B. nicht die ganze Schuld, ſondern nur ein Theil davon, eingeklagt werden kann. Hierher gehoͤren vorzuͤglich diejenige Verordnungen des buͤrgerlichen Rechts, vermoͤge deren einem Schuldner zur Befriedigung ſeines Glaͤubigers durch richterliche Huͤl - fe nicht mehr genommen werden darf, als es der ſtans desmaͤſige nothwendige Unterhalt deſſelben zulaͤſſet, wel - ches man das beneficium competentiae nennet. Die einzelnen Faͤlle, worin es ſtatt findet, werden in der Fol - ge gelegentlich vorkommen. Bald muß der Glaͤubiger aliud pro alio annehmen, welches in denen Faͤllen ge - ſchiehet, wo dem Schuldner das beneficium dationis in ſolutum zuſtehet, wovon beym §. 1930. Bald darf der Glaͤubiger auf den ordentlichen Zahlungs-Termin nicht beſtehen, ſondern er muß dem Schuldner Nach - ſicht goͤnnen u. d. m. Daß alſo die Lehre derienigen, welche die ganze Einſchraͤnkung des gerichtlichen Ef - fects natuͤrlicher Verbindlichkeiten lediglich darauf re - duciren, daß die Klage ganzlich wegfalle, alle uͤbri -ge1881. Buch. 1. Tit. ge Wirkungen aber fortdaurend blieben, offenbar un - zulaͤnglich ſey, faͤllt in die Augen. Schon dasje - nige, was der roͤm. Juriſt Paulus14)L. 10. D. de obligat. et actionib. Julian ſagt das nehmliche faſt mit denſelbigen Worten in L. 16. §. 4. D. de fidejuſſor. Aus dem Zuſammenhange der leztern Stelle ſiehet man, daß die oben angefuͤhrten Worte in Bezie - hung auf die Buͤrgſchaft zu erklaͤren ſind. Denn im vor - hergehenden §. 3. hatte Julian die allgemeine Regel vor - getragen: Fideiuſſor accipi poteſt, quotiens eſt aliqua obligatio civilis, vel naturalis. Da nun die natuͤrlichen Verbindlichkeiten von verſchiedener Qualitaͤt und Wirkung ſind, indem einige eine Klage hervorbringen, andere nur eine Einrede geben; ſo konnte leicht Zweifel entſtehen, ob auch in Anſehung natuͤrlicher Verbindlichkeiten der lez - tern Art eine guͤltige Fidejuſſion ſtatt finde. Dieſem Zweifel zu begegnen, ſezt Julian §. 4. des gedachten Ge - ſetzes noch hinzu: Naturales obligationes non eo ſolo aeſtimantur, ſi actio aliqua earum nomine competit, verum etiam cum ſoluta pecunia repeti non poteſt; und giebt hiermit zu erkennen, daß in der Materie von Buͤrgſchaften beyderley Arten der natuͤrlichen Verbindlich - keiten zu verſtehen ſind. So faͤllt nun alle Schwierigkeit der oben angefuͤhrten Worte der L. 10. ganz weg, und es iſt gar nicht noͤthig, zur Critic ſeine Zuflucht zu nehmen, und mit Franc. hotomannus Lib. III. Obſervation. cap. 2. zu leſen: actio non competit. Noch eins kann ich hier nicht unbemerkt laſſen. Die Inſcription der mehrge - dachten L. 10. D. de O. et A. lautet in den gemeinen Ausgaben, wie in der Florentiniſchen, ſo: paulus lib. 47. ad Sabinum. Allein Paulus hat nur Libros XVI. ad Sabinum geſchrieben. Dies erweißt der Index Pande - ctarum florentinus. Wahrſcheinlich iſt alſo hier eine Verwechſelung der Nahmen Ulpian und Paulus vorge - gangen. Denn, daß erſterer Libros LI. ad Sabinum ge - ſchrieben, iſt gewiß. Ulpian hat auch gerade im 47ſtenBuch ſagt: Na -tura -189de Iuſtitia et Iureturales obligationes non eo ſolo aeſtimantur, ſi actio aliqua earum nomine competit: verum etiam eo, ſi ſoluta pecunia repeti non poſſit, macht jene Theo - rie aͤuſſerſt bedenklich, wenn wir zumahl erwaͤgen, daß ſogar gegen einen Pupillen, welcher ohne Einwilligung des Vormunds contrahirt hat, die Klage nicht durch - aus wegfalle, ſondern, daß er bekanntlich belangt wer - den koͤnne, inſoferne er durch den Handel rei - cher geworden. Naturaliter obligabitur ſe. pu - pillus, ſo lauten die Worte des Ulpians15)L. 5. pr. D. de auctorit. tutor. , in quantum locupletior factus eſt, hinc in pupillum non tantum tutori, verum cuivis actionem, in quantum locupletior factus eſt, dandam eſſe, D. Pius reſcri - pſit. Hier iſt alſo, wie ein jeder von ſelbſt ſiehet, ei - ne natuͤrliche, in Anſehung des gerichtlichen Effects eingeſchraͤnkte Verbindlichkeit vorhanden, wobey jedoch das Recht zu klagen nicht gaͤnzlich wegfaͤllt, ſon - dern nur gewiſſermaſſen limitirt iſt16)Eben dieſes hat auch ſchon Ge. Chriſtph. neller in Diſſ. de obligatione praeſertim naturali (in Opuſc. T. I. P. I. S. 151. und folg.) §. X. richtig eingeſehen.. Aus al - lem dieſem ergiebt ſich nun ſoviel, daß wenn die roͤ -miſchen14)Buch ad Sabinum von den Fidejuſſoren gehandelt, wie man aus der Vergleichung der aus eben dieſem Buche ge - nommenen Stellen unſerer Pandecten beym Abr. wie - ling in Iurisprud. reſtituta S. 314. deutlich ſie - het, und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß L. 10. zwiſchen die L. 6. und 8. D. de fidejuſſor. ſeinen ehemaligen Sitz behauptet habe. Eben dieſer Meinung iſt auch der be - ruͤhmte ehemalige ICtus Groninganus petrus de toul - lieu in denen von Joh. Wolbers herausgegebenen Collectaneis iuris civilis Diſſ. IV. cap. 4. S. 183. u. ff.1901. Buch. 1. Tit. miſchen Geſetze von einer natuͤrlichen Verbindlichkeit re - den, ſie nicht immer darunter eine ſolche verſtehen, wegen welcher keine gerichtliche Klage ſtatt findet, ſon - dern ſie verſtehen vielmehr eine ſclche Obligation, wel - che an ſich zwar nach Vorſchrift der geſunden Vernunft dem in der buͤrgerlichen Societaͤt ſich befindenden Menſchen wirklich obliegt, jedoch den voͤlligen gerichtlichen Effect, wel - cher in der Regel mit einer Zwangspflicht verbunden iſt, nicht hervorbringt; und dieſe wird die natuͤrliche Verbindlichkeit im ſtrengſten Verſtande des Civilrechts genennet17)Weber a. a. O. §. 55. Das Wort natuͤrlich wird hier dem buͤrgerlichen entgegengeſezt, und unter jenem alles dasjenige verſtanden, was an ſich zwar wirk - lich vorhanden iſt, jedoch vermoͤge der buͤr - gerlichen Geſetze diejenige Guͤltigkeit und Wirkung nicht hat, welche nach Vorſchrift des bloſen Naturrechts ſtatt finden wuͤrde. Es findet dieſe Bedeutung nicht blos ſtatt, wenn die roͤmi - ſchen Geſetze von einer obligatione naturali reden, ſon - dern auch wenn ſie von einem dominio naturali, ſo z. B. der Frau waͤhrend der Ehe am Brautſchaz zuſtehet, ferner von einer cognatione naturali, die aus unehelichem Bei - ſchlaf, oder auch bey den Roͤmern aus einer Sclavenehe entſtund, reden Uebrigens bemerke ich noch hierbey, daß die natuͤrliche Verbindlichkeit, welche den voͤlligen gericht - lichen Effect nicht hat, eine uneigentliche, impropria ſeu abuſiva von den roͤm. Juriſten genennt zu werden pflegt, L. 16. §. 4. D. de fideiuſſ. L. 41. D. de peculio, weil nur eine buͤrgerlich vollguͤltige Verbindlichkeit im Sinn des Civilrechts Obligatio genennt wird, wie ich ſchon oben S. 21. bemerkt habe. Noch eins darf ich hierbey nicht unberuͤhrt laſſen, nehmlich die - ſes, daß die buͤrgerlichen Geſetze die gerichtliche Wirkungeiner191de Iuſtitia et Iure. einer natuͤrlichen Verbindlichkeit nicht immer dergeſtalt ein - geſchraͤnkt haben, daß der voͤllige Effect keinen Anfang gewinnen koͤnnen, ſondern es giebt auch Faͤlle, wo durch die Geſetze einer bisher voͤllig wirkſamen Verbindlich - keit der weitere Effeet aus Gruͤnden verſagt worden, welche nach natuͤrlichen Rechten an ſich den Schuldner von ſeiner Verbindlichkeit nicht befreyen, noch die Be - fugnis des Glaͤubigers einſchraͤnken. Dahin gehoͤrt, wenn der Glaͤubiger die zur gerichtlichen Ver - folgung ſeines Rechts beſtimmte Zeit ver - ſaͤumt hat; deßgleichen wenn die Geſetze den Glaͤubiger zur Strafe wegen Uebertretung verbietender oder gebietender Geſetze die Befugnis zu Klagen abſprechen, ohne jedoch das Recht deſſelben, und die Verbindlichkeit des Schuldners an ſich aufzuheben18)L. 19. pr. D. de condict. indeb. L. 9. §. 4. D. ad SCt. Maceaon. Ein anderes iſt es, wenn die Geſetze den Glaͤubiger zur Strafe ſeines ganzen Rechts verluſtig erklaͤrt haben, wovon oben bey den reprobirten natuͤrli - chen Verbindlichkeiten gehandelt worden iſt. und dergleichen Faͤlle mehr19)Man vergleiche hier Weber im angef. Buch 3. Abth. 6. Abſchn. 1. Kap. §. 90. ff.. Da in allen dieſen Faͤllen die Geſetze dem Glaͤubiger nur blos die Rechtshuͤlfe verſagen, und ihn mit ſeiner Klage nicht weiter gehoͤrt wiſſen wollen, ſo ver - ſteht es ſich von ſelbſt, daß die uͤbrigen Wirkungen der natuͤrlichen Verbindlichkeit doch noch immer fortdauern, welche ihm die Geſetze nicht wirklich abgeſprochen haben. So wenig ſich alſo der Schuldner in dieſen Faͤllen ermaͤchti - gen kann, das Bezahlte wieder zuruͤckzufordern, ſo muß dem Glaͤubiger auch immer noch die Befugnis verbleiben, ſich durch Compenſation, Retention u. ſ. w. zu dem Seini -gen1921. Buch. 1. Tit. gen zu verhelffen20)Die dagegen gemachten Einwuͤrffe einiger Rechtsgelehr - ten hat Herr Prof. Weber a. a. O. 6. Abſchn. §. 92. und ff. gruͤndlich widerlegt.. Soviel von denen natuͤrlichen Verbindlichkeiten im ſtrengſten Sinn des Civilrechts, welche in den buͤrgerlichen Gerichten nicht voͤllig wirk - ſam ſind; nun koͤnnte zwar noch manches uͤber die Wir - kungen des Pfandrechts, der Buͤrgſchaft, des Eides, der Compenſation, des Conſtitutums, u. ſ. w. in An - ſehung dieſer natuͤrlichen Verbindlichkeiten geſagt wer - den21)Hiervon handelt P. Weber im 8. 9. 10. und 11. Ab - ſchnitt ſeines mehrgedachten claſſiſchen Werks., damit ich jedoch die noͤthige Grenzen nicht uͤberſchreite, ſo behalte ich mir vor, von dieſen Gegen - ſtaͤnden an denjenigen Orten der Pandecten zu handeln, wo dieſe Materien ſelbſt vorkommen werden. Da in - zwiſchen Hellfeld in dieſem §. uns noch auf den Be - grif der Billigkeit hinleiten will, ſo wird es noͤthig ſeyn, auch hiervon die noͤthige Erlaͤuterung zu geben, zumahl da der Unterſchied zwiſchen Recht und Bil - ligkeit groͤſtentheils auf undeutlichen Begriffen beru - her22)Ueber die Billigkeit, deren rechtmaͤſige Anwendung, und ihren Unterſchied vom ſtrengen Recht iſt viel geſchrie - ben Man findet die Schriften beym lipenius in Bi - blioth. real. iurid. T. l. S. 36. u. folg. und in Schotts Supplement. S. 14. vollſtaͤndig angefuͤhrt. Ich ſetze nur noch folgende hinzu: Ge Chriſtoph. nelleri Principia iuris de aequitate; in Opuſculis T. I. P. I. N. II. S. 16. 27. und Ernſt Ferd. Kleins Ab - handlung uͤber die Billigkeit bey Entſchei - dung der Rechtsfaͤlle, in Deſſelben Annalen der Ge - ſezgebung und Rechtsgelehrſamkeit in den Preuß Staa - ten 1. Band (Berlin u. Stettin 1788.) S. 357-390.. Hellfeld ſagt, die natuͤrliche nicht reprobirte Verbindlichkeit komme unter dem Nahmen der Billig -keit193de Iuſtitia et Iure. keit im roͤmiſchen Rechte vor. Ganz unrecht hat er nicht, denn in der angefuͤhrten L 95. § 4. D de ſolut. wird die natuͤrliche Verbindlichkeit vinculum ae - quitatis genennt; und daß von einer nicht reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit daſelbſt die Rede ſey, erhel - let daraus, weil in dem angefuͤhrten Geſez geſagt wird, daß ſie durch den Vertrag, wodurch der Glaͤubiger ſeine Forderung dem Schuldner erlaͤßt, ipſo iure, d. i. ſo - fort, und ſelbſt dem ſtrengen Rechte nach, aufgehoben werde. Allein das Wort aequitas iſt im roͤmiſchen Rechte mehr bedeutender, als daß die angegebene Erklaͤ - rung von Billigkeit alles erſchoͤpfen ſollte Billigkeit, wenn dieſe dem ſtrengen Rechte (iuri ſummo, ſtri - cto, rigori iuris) entgegengeſezt wird, bezeichnet erſt - lich alles dasjenige, was mit den natuͤrlichen Rechten uͤbereinſtimmt; was hingegen blos poſitiven oder buͤrger - lichen Rechtens iſt, wird ius ſchlechtweg genannt. So z. B. ſagt Ulpian23)L. 32. pr. D. de peculio. : Licet hoc iure contingat, tamen aequitas dictat etc. und Paulus24L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv. arc. : haec aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur. Dieſe Bil - ligkeit wird im roͤmiſchen Rechte aequitas naturalis25)L. 1. D. de minorib. , naturalis ratio26)Pr. Inſt. de nupt. L. 5. § 16. D. de agnoſ. liber. L. 7. §. 7. D. de acquir. rer dom. und cicero in Topi - cis ſagt: aequitas eſt, quod naturalis ratio perſuaſit. , officium pietatis27)L. 5. §. 17. D. de agnoſ. et alend. liber. , auch pu - dor28)§. 1. l de fideicommiſſ. hered. genennt. Zweitens heißt Billigkeit auch, was der Sinn eines Geſetzes mir ſich bringt, und alſo Reſultat einer Auslegung iſt, wobey die vermuthlicheAb -Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. N1941. Buch 1. Tit. Abſicht des Geſezgebers zum Grunde gelegt, und auf die Umſtaͤnde der Sache, und die beſondern Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe der Perſohnen Ruͤckſicht genommen wird29)Ulric. huber in Digreſſion. Iuſtinian. Lib. I. cap. V. §. 3. ſagt: aequitas nihil quam benigna et hu - mana iuris ſcripti interpretatio eſt, pro diverſitate ſingu - larium, non ex verbis, ſed e mente Legislatoris facta. Und Modeſtin zeigt den Unterſchied inter verba legis et mentem legislatoris durch ein ſchoͤnes Beiſpiel in L. 13. §. 2. D. de Excuſat. . Unter dem ſtrengen Recht hingegen ver - ſtehet man alsdann dasjenige, was die allgemeine Regel und der Buchſtabe des Geſetzes beſagt. Man nennt jene Billigkeit aequitatem iuridicam, oder die Billig - keit des Richters, und der Unterſchied zwiſchen die - ſer und der Strenge des Rechts beſteher darinn, daß leztere ſich an die allgemeine Regel haͤlt, die Billigkeit aber zugleich auf die gute oder ſchlimme Wirkung Ruͤckſicht nimmt, welche die Anwendung der Regel im gegebenen Falle haben wuͤrde. Des - wegen ſetzen diejenigen Rechtsgelehrten, welche uͤber die - ſen Gegenſtand geſchrieben haben, die Billigkeit des Richters vorzuͤglich in die vernuͤnftige Erwaͤgung der zu beurtheilenden Thatſachen30)S. Io Paul. kress in Diſſ. de Aequitate (Helm - ſtaͤdt 1731.) Cap. I. §. 13. not. d. wo dieſes durch die Worte des Alphens in L. 52. §. 2. D. ad L. Aquil. in cauſa ius eſt poſitum, beſtaͤrkt wird.. Sie verlangen fer - ner, daß ein billiger Richter die durch poſitive Geſetze eingefuͤhrte Ungleichheit ſoviel als moͤglich mildern, und uͤberall auf die menſchliche Schwachheit Ruͤckſicht neh - men ſolle31)kress in der angef. Schrift Cap. I. §. 18. wo folgende Beſchreibung der Billigkeit gegeben wird: aequitaseſt. Welchen Begrif aber auch die Rechts -gelehr -195de Iuſtitia et Iure. gelehrten mit der Billigkeit in dieſer zweiten Bedeutung verknuͤpfen moͤgen, ſo kommen ſie doch faſt alle darinn uͤberein, daß das ſtrenge Recht in einer ſteifen An - haͤnglichkeit an die Theorie, die Billigkeit aber in ei - nem vernuͤnftigen Ermeſſen der Folgen beſtehe, welche die Anwendung derſelben auf das Wohl des Staats und die einzelnen Mitglieder deſſelben haben koͤnnte32)kress in Diſſ. de Iure ſummo, iniuria ſum - ma Cap. 2. §. 6. et 7. . Selbſt die roͤmiſchen Geſetze33)L. 8. C. de iudiciis. Placuit in omnibus rebus prae - cipuam eſſe iuſtitiae, aequitatisque, quam ſtricti iuris rationem. empfehlen dem Richter dieſe Billigkeit nachdruͤcklich, ſie weiſen ihn an, ſolche dem ſtrengen Rechte vorzuziehen, inſofern das Geſez dadurch nicht abgeaͤndert, ſondern nur ſeiner Abſicht ge - maͤß angewendet wird. Denn die Billigkeit muß keine Abweichung von einer verbindlichen Regel enthalten. Vielmehr wird in ausdruͤcklichen Geſetzen34)L. 12. §. 1. D. qui et a quib. manumiſſi. Quod qui - dem perquam durum eſt; ſed ita Lex ſcripta eſt. dem Richter befohlen, auch ein hartes Geſez, wenn es deutlich und categoriſch iſt, zu befolgen, und die Beobachtung der Billigkeit dem Geſezgeber anheim zu ſtellen35)L. 1. C. de LL. Inter aequitatem, iusque interpoſitam interpretationem nobis ſolis et oportet et licet inſpice - re. Hier war von einer, dem Geſetze zuwiderlaufenden Billigkeit die Rede, die der eine Theil fuͤr ſich anfuͤhrte, da hingegen der andere Theil das offenbare Recht fuͤrſich. Man merke ſich alſo folgende Regel: nurN 2als -31)eſt habitus mentis vel doctrina, ubi ſecundum aequalitatis regulas, ex rationis rationciniis hauſtas, hoc vel illud in - terpretando, ſive iuri ſupplendo ſive demendo, ad imbecil - litatem generis humani reſpiciendo, benigne diiudicamus. 1961. Buch. 1. Tit. alsdenn, wenn die Abſicht, welche durch das Geſez unmittelbar erreicht werden ſolte, durch eine woͤrtliche Erklaͤrung verfehlt wer - den wuͤrde, iſt der Richter befugt, den Sinn der Worte mit billiger Ruͤckſicht auf die vorhandene Umſtaͤnde dieſer Abſicht ge - maͤß auszudehnen oder einzuſchraͤnken. Es wird ſich in der Folge bey der Lehre von der Inter - pretation noch mehr Gelegenheit finden, die Gren - zen der richterlichen Billigkeit genauer zu beſtimmen.

§. 27. Begrif der Rechtsgelahrtheit. Was iſt Theorie und Praxis derſelben? Begrif des wahren Rechtsgelehrten?

Wir ſchreiten nun zur Entwickelung des Begrifs der Rechtsgelahrtheit ſelbſt, ihrer weſentlichen Ei - genſchaften und Theile, nachdem wir von den Rechten und Verbindlichkeiten, womit ſich dieſelbe beſchaͤftiget, und denen Geſetzen ſelbſt, aus welchen jene herflieſſen, das noͤthige vorausgeſchickt haben. Rechtsgelahrtheit (Iurisprudentia) wird in zwifacher Bedeutung genommen.

  • 1) Objectiviſch genommen denkt man ſich darun - ter den Inbegrif methodiſch bearbeiteter Wahrheiten von den Rechten und Ver -bind -

    35)ſich hatte, wie neller in der oben angefuͤhrten Abhand - lung §. XX. bemerkt hat. Hier darf der Richter nicht zu Gunſten des einen Theils gelind ſeyn, denn ſeine Ge - lindigkeit gegen den einen waͤre Ungerechtigkeit gegen den andern. Wollen die ſtreitenden Theile nicht ſelbſt Gelin - digkeit gegen einander beweiſen, und der Richter findet Bedenklichkeit, dem andern zu zuerkennen, was das offen - bare Recht mit ſich bringt, ſo muß er die Entſcheidung dem Geſezgeber anheim ſtellen.

    197de Iuſtitia et Iure. bindlichkeiten. Wenn Hellfeld in der Note k. ſagt: Obiective conſiderata iurisprudentia eſt ſcientia legum earumque adplicationis ad factum, ſo iſt dies eigentlich der Begrif der Rechtsgelehrſam - keit im ſubjectiviſchen Verſtande.
  • 2) Subjectiviſch genommen iſt Rechtsgelahrtheit die wiſſenſchaftliche Kenntnis der Geſetze, verbunden mit der Fertigkeit, ſie auf vor - kommende Faͤlle anzuwenden. Hellfelds Be - grif: Iurisprudentia, ſubiective conſiderata, eſt habitus leges ad facta obvia recte applicandi, iſt nicht vollſtaͤndig, denn er hat offenbar nur das de - finirt, was man die Praxis der Rechtswiſſen - ſchaft nennt. Unſere Rechtsgelahrtheit gehoͤrt nun nicht zu denen ſpeculativiſchen Wiſſenſchaften, die man blos zum Nachforſchen und Vergnuͤgen zu er - lernen und zu treiben pflegt, ſondern ſie muß durch - aus mit Ausuͤbung verbunden ſeyn, wenn ſie keine tode Wiſſenſchaft ſeyn ſoll. Denn was kann der Welt damit gedient ſeyn, wenn einer Naͤchte durch - wachte, um auszumachen, was in dieſem oder je - nem Falle die Rechte mit ſich bringen, wenn dieſe Rechte gar nicht ausgeuͤbet werden? Solchemnach zerfaͤllt alſo die Rechtsgelehrſamkeit in zwey Haupt - theile, nehmlich die Theorie und Praxis
    36)S. D. Juſt. Claproths Vorrede von dem Ver - haͤltnis der Theorie und der Ausuͤbung der Rechtsgelehrſamkeit, vor Deſſelben Grundſaͤtzen von Verfertigung der Relationen aus Gerichtsacten (Goͤt - tingen 1778.
    36). Unter der Theorie des Rechts verſtehet man die Faͤhigkeit, den wahren Sinn der Geſetze zu beſtim - men; verbunden mit einer genauen Kenntnis von derN 3Be -1981. Buch. 1. Tit. Beſchaffenheit und den Eigenſchaften derjenigen Hand - lungen, welche zu dem Gegenſtand der Rechtsgelehr - ſamkeit gehoͤren; nicht weniger eine vollſtaͤndige und richtige Kenntnis der Folgen, welche die buͤrgerliche Rechtshandlungen nach ſich ziehen. Zur aͤchten The - orie des Rechts gehoͤrt alſo

1) die Faͤhigkeit, den wahren Sinn der Geſetze, als welche die Normen der buͤrgerli - chen Handlungen ſind, feſtzuſetzen. Dieſe Faͤhigkeit muß ein jeder, der auf eine gruͤndliche Rechtsgelehrſamkeit Anſpruch macht, in ihrem Um - pfange beſitzen, denn ohne dieſelbe wird ohne Unter - laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt, daß die Geſetze gemeiniglich nur einen oder wenige Faͤlle zur Veranlaſſung haben; und daß die Abſicht des Geſezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige Kenntnis von den Geſetzen hat. Hier hat nun der Juriſt es auszumachen, ob dieſer oder jener Fall die Abſicht des Geſezgebers erreiche oder nicht. Ferner iſt alsdann auch dieſe Eigenſchaft einem Rechtsgelehr - ten unentbehrlich, wenn ſich zwar der im Geſez be - ſtimmte Fall zutraͤgt, jedoch andere Umſtaͤnde dabey vorkommen, als wovon das Geſez redet, und weswe - gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen oder einzuſchraͤnken iſt.

Zur Rechtstheorie gehoͤrt weiter 2) die genaue Kenntnis von der Beſchaffenheit der buͤrger - lichen Handlungen, welche den Gegenſtand der Rechtsgelehrſamkeit ausmachen. Denn nach der Verſchiedenheit dieſer Handlungen richten ſich die Gerechtſame und die Verbindlichkeiten der Par - theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich -guͤl -199de Iuſtitia et Iure. guͤltig ſeyn, die eine Verbindlichkeit oder Gerechtſame vor die andere anzunehmen, ſo wird es wohl die un - umgaͤngliche Nothwendigkeit erfordern, die buͤrgerli - chen Handlungen nach ihren Eigenſchaften genau ken - nen zu lernen, um in der Beurtheilung derſelben kei - nen Fehler zu begehen.

Endlich gehoͤrt auch 3) zur Rechtstheorie eine ge - naue Kenntnis der Folgen, welche mit denen buͤrgerlichen Rechtshandlungen verknuͤpft ſind. Die verſchiedenen Arten der Klagen, der ver - ſchiedene Proces, die verſchiedene Gerechtſame, Ver - bindlichkeiten und Strafen und deren gehoͤrige Anwen - dung haͤngen alle von dieſem Theile der Rechtsgelehr - ſamkeit ab. Es iſt alſo offenbar, daß in der An - wendung der Rechtsgelehrſamkeit uͤberaus viel darauf ankomme, in dieſen Puncten nicht zu fehlen. Denn welchem Rechtsgelehrten iſt wohl unbekannt, daß eine Art des Proceſſes weit zutraͤglicher als die andere, und die eine Klage entweder in Anſehung des Be - weiſſes oder in Anſehung der Hauptabſicht weit nuͤz - licher, als die andere, ſey?

Die Praxis der Rechtsgelehrſamkeit iſt nun dagegen eine Fertigkeit, die Geſetze auf die vor - kommende Faͤlle anzuwenden, die buͤrgerlichen Handlun - gen mit Klugheit einzurichten, und die entſtandenen Rechtsſtreitigkeiten gehoͤrig zu behandeln, d. i. dieſelben zu unterſuchen, und zu Ende zu bringen. Formelkram, und eine hiſtoriſche Kenntnis von dem Laufe des Pro - ceſſes machen zwar den ſogenannten Schlendrian aus, verdienen aber nicht den Nahmen der juriſtiſchen Praxis.

Theorie und Praxis nach den angegebenen Begrif - fen ſind nun ſo genau mit einander vergeſellſchaftet, daßN 4ſie2001. B. 1. Tit. ſie von einander nicht getrennt werden koͤnnen, daher es eine ungereimte Frage iſt, ob nicht die eine vor der an - dern einen Vorzug habe37)S. Io. Tob. carrach Diſſ. de conflictu theo - riae et praxeos iuris. Halae 1736. und Mart. Gottl. pauli Diſſ. de theoriae et praxis iuridi - cae diſcordia. Lipſ. 1747. In einem andern Ver - ſtande, nehmlich wenn man ſich unter Praxis den Ge - richtsgebrauch oder die Guͤltigkeit der Geſetze in den Gerichten gedenket, kann ein Conflictus zwiſchen der Theorie und Praxis des Rechts ſtatt finden. S. net - telbladt in Syſtem. element. doctrinar. pro - paedeuticar. iurispr. poſ. germanor. comm. §. 41. S. 33.? denn die wahre Praxis laͤßt ſich ohne eine gruͤndliche Kenntnis der Theorie des Rechts ohnmoͤglich gedenken. Die Theorie iſt alſo nur um der Praxis willen da. Die Praxis hingegen muß der Theorie erſt das Leben geben; die Begriffe, die man bey der Theorie ſammlet, werden erſt durch die Praxis in die gehoͤrige Deutlichkeit geſetzet, und be - kommen daher ein Licht, welches ihr durch Umſchrei - bung ohnmoͤglich gegeben werden kann. Derjenige nun, welcher nicht nur eine gruͤndliche und wiſſenſchaftliche Kenntnis von der Theorie ſowohl als Praxi der Rechts - gelahrtheit beſitzet, ſondern auch dieſelbe zur Ehre des allergerechteſten Richters der Welt, und zum Wohl des Naͤchſten wirklich ausuͤbt, heißt ein Juriſt, ein Rechtsgelehrter im eigentlichen Verſtande. Mit die - ſem verwechſele man nicht 1) einen Leguleius, worun - ter man einen ſolchen verſtehet, der keine genaue, ſon - dern eine blos hiſtoriſche Kenntnis von den Geſetzen hat, ſie zwar den Worten nach weiß, und uͤberall mit ſeiner Geſezkenntnis prahlt; aber den Geiſt derſelben nicht verſtehet, und daher eine ungeſchickte Anwendungda -201de Iuſtitia et Iure. davon macht; auch nicht 2) einen Rabuliſten, denn dieſen gehaͤſſigen Nahmen verdienen nur ſolche Juri - ſten, denen es zwar nicht an Kenntnis, aber an Recht - ſchaffenheit und Guͤte des Herzens fehlt, die Geſetze gehoͤrig anzuwenden, und daher ſolche zum Schaden anderer zu verdrehen ſuchen; auch nicht 3) einen Em - piricus, denn ein ſolcher hat gar keine Rechtstheorie geſchoͤpft, ſondern blos den Schlendrian inne, den er aus der taͤglichen Uebung in der Gerichtsſtube erlernt hat, und behandelt daher alle Rechtsſachen blos me - chaniſch. Endlich unterſcheide man einen Rechtsgelehr - ten auch 4) von einem Iurisperito, einem bloſen Rechts - verſtaͤndigen, der zwar eine gruͤndliche Theorie des Rechts verſtehet, allein von den erkannten rechtlichen Wahrheiten keinen Gebrauch macht38)S. Io. Chriſtph. spitz Diſſ. de Iurisconſulto, a iurisperito, leguleio et rabula quam ma - xime diverſo. Erfordiae 1769..

Anmerkung k. Die roͤmiſchen Juriſten definir - ten die Jurisprudenz auf folgende Art. Iurispru - dentia eſt divinarum atque humanarum rerum no - titia: iuſti atque iniuſti ſcientia39)L. 10. §. 2. D. de luſt. et Iur. . Dieſe Definition wird auf verſchiedene Art erklaͤrt. Einige halten da - fuͤr, Ulpian, aus deſſen lib. I. Regularum dieſe De - finition entlehnet worden, habe hierdurch anzeigen wol - len, daß die Jurisprudenz ein Theil der Philoſophie ſey, welche ſich, ſo wie dieſe, mit goͤttlichen und menſch - lichen Dingen beſchaͤftige, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie ſich in keine ſpeculativiſche Unterſuchungen ein - laſſe, ſondern blos beſtimme, was recht und unrecht inN 5An -2021. Buch. 1. Tit. Anſehung derſelben ſey40)Pet. faber in Comment ad L. 1. D. de l. et I. hinter Deſſelben Semeſtr. Io. Gottl. heineccius in Praefat. de Iurisprudentia, divinarum huma - narumque rerum notitia; vor ſeinem Faſcic. Scri - ptor. iur. naut. grotius in Florum ſparſ. ad ius Iuſtinian. p. 13.. Daß die Alten die Phi - loſophie in eine notitiam rerum divinarum atque humanarum geſezt, iſt auſſer allen Zweifel41)cicero de Finibus bon. et mal. Lib. II. c. 12. de offi - ciis Lib. I. c. 43. Quaeſt. Tuſcul. Lib. V. c. 3. seneca Ep. 89.; und daß die alten Philoſophen ſowohl als Rechtsgelehrte die Jurisprudenz fuͤr einen Theil der Philoſophie gehalten, erhellet ſowohl aus dem Zeugnis des Eu - phrates beym Plinius42)Lib. I. Ep. 10. Adfirmat, etiam eſſe hanc philoſophiae, et quidem pulcerrimam partem, agere negotium publi - cum, cognoſcere, iudicare, promere et exercere iuſtitiam. , als auch aus dem, was die roͤmiſchen Juriſten von ſich ſelbſt ſagten: ſe veram philoſophiam, non ſimulatam aſſectari43)L. 1. §. 1. D. h. t. Io. Guil. hoffmann in Obſer - vat. var. ad Pandect. Diſſ. hebd. II. §. 1. lieſet nicht ohne Grund aſſectantes fuͤr affectantes. . Andere hingegen verſtehen unter den rebus divinis das geiſtliche Recht, welches dreyerley war, ius fe - ciale, pontificium und augurale; unter den rebus humanis aber das ius civile. Sie erklaͤren alſo die Ulpianiſche Definition ſo: die Jurisprudenz ſey eine Wiſ - ſenſchaft goͤttlicher und menſchlicher, oder geiſtlicher und weltlicher Rechte44)byn[ck]ershoek in Diſſ. de cultu relig. peregr. Diſſ. I. in Opuſc. (Lugd. Batav. 1719.) S. 237. f. ge - bauer Diſſ. de Iuſtitia et iure §. 11. A. F. schottSpec. . Noch andere denken ſich unterden203de Iuſtitia et Iure. den rebus divinis das natuͤrliche, und unter den rebus humanis das poſitive Recht45)Iac. perenonius in Animadverſ. Lib. I. cap. 24. und Ge. Sam. madihn in Inſtitut. iuris civ. (Ha - lae 1764.) Praecogn. gen. Cap. II. Tit. 1. §. 57. ; die Rechtsgelahrheit ſey alſo die Wiſſenſchaft des natuͤrlichen und poſitiven Rechts. Die Sache iſt zu unbedeutend, um mich auf eine Pruͤfung dieſer verſchiedenen Erklaͤrungen einzulaſſen.

§. 28. Zwey Haupteigenſchaften des Rechtsgelehrten.

Ein Rechtsgelehrter, welcher auf die Wuͤrde die - ſes Nahmens einen gegruͤndeten Anſpruch machen will, muß alſo a) eine Fertigkeit haben, die Geſetze auf die vorkommende Faͤlle anzuwenden. Ein Geſez anwen - den heißt im gegebenen Falle beſtimmen, was nach den beſondern Umſtaͤnden deſſelben denen Geſetzen gemaͤß iſt. Dieſes kann von einem Richter, Rechtsconſulenten und Rechtslehrer geſchehen. Eine ſolche Application, wenn ſie richtig geſchehen ſoll, erfordert 1) eine vollkommene Kenntnis ſowohl des Factums mit allen dabey vorkom - menden Umſtaͤnden an ſich, als auch desjenigen, der die Handlung unternommen, oder zur Wirklichkeit ge - bracht hat. So z. B. muß der Eriminalrichter nicht nur das Verbrechen an ſich, und deſſen Umſtaͤnde, als Zeit und Ort, ſondern auch den Character und Lebens - wandel, auch uͤbrige Verhaͤltniſſe des Miſſethaͤters in Erwaͤgung ziehen, um darnach die Strafe der Abſichtdes44)Specim. iuris Digeſtor. ad Tit. de Iuſt. et Iure Lipſiae 1775. §. 2. brissonius Antiquitat. Lib. IV. c. 16. hoepfner in Commentar. §. 22. Desgleichen muretus, marcilius und ian. a costa ad §. 1. I. de I. et 1. 2041. Buch. 1. Tit. des Geſetzes gemaͤß einzurichten. 2) Eine genaue Kennt - nis des Geſetzes ſelbſt, was im gegenwaͤrtigen Fall an - gewendet werden ſoll. Der Practicus muß alſo nicht nur wiſſen, ob und in wiefern das Geſez noch verbind - lich iſt, ſondern auch eine genaue Kenntnis von dem Inhalte und dem Sinne des Geſezes haben, und die - ſe erlangt er durch die Interpretation. Der Rechtsgelehrte muß alſo auch b) die Faͤhigkeit haben, den wahren Sinn der Geſetze zu beſtimmen. Zuerſt wird nun unſer Auctor von der Erklaͤrung der Geſetze, und dann §. 40. und folgenden von der An - wendung derſelben handeln.

§. 29. Von Erklaͤrung der Geſetze.

Die Undeutlichkeit des Inhalts, Zweideutigkeit der Worte, oder weil die Worte eines Geſetzes mit der Abſicht des Geſezgebers nicht uͤbereinſtimmen, oder ein Geſez mit andern Geſezen im Widerſpruch ſtehet; macht oft die Auslegung der Geſetze nothwen - dig46)Ueber die Erklaͤrung der Geſetze haben viel geſchrieben. Die vorzuͤglichſten Schriften ſind Val. Guil. forster de interpretatione iuris (in otton. Theſau. Iur. Rom. T. II.) Vinc. placcius de Icto perfe - cto ſ. interpretatione Legum. Holm. et Hamb. 1693. 4. Casp. horn Praelect. publicae de in - terpretatione iuridica Viteb. 1733. 8. Io. Laur. holderrieder Diſſ. de principiis interpretationis Legum adaequatis Lipſiae 1736. Car. Aug. ritter Regulae interpretationis iuridicae praeſtan - tioresex adaequatis principiis demonſtratae Lipſiae 1741. Pet. amsinck Diſp. de Legumin corpore iuris Iuſtiniani interpretatione. Trajecti 1743. Io. Iac. . Was heißt aber ein Geſez erklaͤren? nichts205de Iuſtitia et Iure. nichts anders, als den wahren Sinn eines Geſetzes aus den Worten deſſelben, und der Abſicht des Geſez - gebers entwickeln. Sinn des Geſetzes, oder, wie es im roͤmiſchen Rechte genennet wird, ſententia le - gis47)L. 6. §. 1. D. de Verb. Signif. L. 29. D. de LL. iſt der Wille ſelbſt, den der Geſezgeber durch die gebrauchten Worte hat ausdruͤcken wollen. Um die - ſen Willen des Geſezgebers richtig zu beſtimmen, un - terſuche man zuerſt den Wortverſtand des Geſe - tzes (ſenſum litteralem), das iſt, man exponire das Geſez, ſetze die wahre Bedeutung der einzelnen Worte feſt, und verbinde mit demſelben diejenigen Begriffe, die durch die Zuſammenſetzung herauskommen. Weil jedoch die Erfahrung lehret, daß die Worte nicht im - mer den Willen des Geſezgebers ausdruͤcken, indem ſel - ten ein Menſch ſeine Worte ſo genau faßt, daß er weder mehr noch weniger ſage, als er wirklich hat ſa - gen wollen, ſo muß nun hiernaͤchſt der Geſezausleger die wahre Abſicht des Geſezgebers ausforſchen, und den Grund des Geſetzes unterſuchen. Dieſer beſtimmt den ganzen Umpfang des Willens des Geſez - gebers, und iſt alſo mit Recht als die Seele des Ge - ſetzes anzuſehen48)Io. Gottl. faber Diſp. de anima legum. Tübin - gae 1752. Conr. Henr. Andr. hepke Diſſ. de occaſio - ne et ratione legis. Hanov. 1754.. Nur darf die naͤchſte Abſicht mitder46)Iac. oppenritter Diſſ. de concinna Legum in - terpretatione Viennae 1745. 4. Io. Died. mell - mann Comment. de interpretatione Legum Rom. praeſertim Codicis repetitae praele - ctionis Kiel 1770. Io. Lud. conradi Obſervatio - nes iuris. Marb. 1782. 8. und beſonders Chriſt. Henr. eckhard Hermenevtica iuris cum notis Car. Frid. walchii Lipſiae 1779. 8.2061. Buch. 1. Tit. der entferntern nicht verwechſelt werden. Daher erge - ben ſich ſchon vorlaͤufig folgende Auslegungsregeln:

  • 1) Der Rechtsgelehrte darf ſeine Auslegung des Geſe - tzes nur auf Vorausſetzung derjenigen Abſicht gruͤn - den, die der Geſezgeber unmittelbar durch die Wor - te des Geſetzes erklaͤren wolte.
  • 2) Dieſe Abſicht ſelbſt muß aus dem Zuſammenhange der Worte, oder des Geſetzes mit allen uͤbrigen, die uͤber einerley Gegenſtand vorhanden ſind
    49)D. Gottl. hufeland Diſſ. de Legum in Pande - ctis interpretandarum ſubſidio ex earum nexu et conſecutione petendo. lenae 1785. und H. Prof Weſtphal in der unten Note 54. angefuͤhr - ten Schrift §. 4. u. 5.
    49), oder den hiſtoriſchen Umſtaͤnden der Geſetzesgebung, und andern Quellen mehr beurtheilet werden, von welchen ich in der Folge beym §. 36. umſtaͤndlicher handeln werde.

§. 30. Erklaͤrung ſetzt Mangel der Deutlichkeit, und Unvolſtaͤndig - keit des Geſetzes, voraus. Auslegung der Geſetze nach der Billigkeit; und Grenzen derſelben.

Es iſt ein Uebel, ſagt einer unſerer teutſchen Rechtsgelehrten50)von Tevenar Verſuch uͤber die Rechtsgelahr - heit S. 537. Dritt. Abſchn., wenn die Geſetze einer Erklaͤrung beduͤrfen. Die Geſetze ſollten keiner Rechtskluͤgeley aus - geſetzet ſeyn. Dies kann wohl freylich nicht geleug - werden; allein da die meiſten unſerer Geſetze fuͤr ganz andere Zeiten, Sitten und Umſtaͤnde gegeben ſind, ſo muͤſſen wir ſie, ſollen ſie zur Richtſchnur dienen, durch eine vernuͤnftige Auslegung, auch noch fuͤr unſere Zei -ten207de Iuſtitia et Iure. ten anwendbar zu machen ſuchen. Auslegung des Geſetzes ſetzt alſo immer voraus, daß ein fehlerhaftes, dunkeles oder unzureichendes Geſez vorhanden ſey. Ein Geſez, das vollſtaͤndig, deutlich, und beſtimmt gefaßt iſt, bedarf keiner Erklaͤrung; ſondern der Richter iſt verbunden, ſolches in Anwendung zu bringen, wenn es auch gleich hart ſcheinen ſolte. Allein ſolte der Rich - ter nicht wenigſtens unterweilen befugt ſeyn, aus Gruͤn - den einer vordringenden Billigkeit der Strenge des Rechts auszuweichen, und eine mildere Meinung anzunehmen? Verſchiedene Rechtsgelehrten wollen ihm zwar dieſe praͤ - toriſche Macht beylegen51)C. F. hommel Rhapſod. Quaeſtion. in foro quot. obv. Obſ. 430. p. 697., und nach Leyſers52)Meditat. ad Pandect. Spec. III. med. 6. u. 7. Meynung ſoll es einem Richter ſogar freyſtehen, ſich uͤber den Mangel der vorgeſchriebenen Solemnitaͤten hinwegzuſetzen, wenn nur der Wille des Teſtators oder der Contrahenten klar iſt; allein es laͤſſet ſich dieſe Mei - nung nicht ſchlechterdings rechtfertigen. Denn es iſt be - kannt, welche ſchlimme Folgen die ſogenannte Billigkeit der Praͤtoren nach ſich zog, und wie man ihre Partheylich - keit durch das Corneliußiſche Geſez dahin einſchraͤnken muſte, daß ſie wenigſtens waͤhrend ihrer kurzen Amts - fuͤhrung nach einerley Grundſaͤtzen verfahren, und ſchul - dig ſeyn ſolten, eben denſelben Rechtsſaz, den ſie ge - gen andere angenommen hatten, in der Folge auch ge - gen ſich ſelbſt gelten zu laſſen. Es klagten auch die roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſchon uͤber die Ungerechtigkeit, welche ſehr oft unter dem Scheine der Billigkeit aus - geuͤbt wuͤrde; denn da ſelbſt die Meinungen von der Billigkeit ſo ſehr verſchieden, und ihre Grundſaͤtze nichtbe -2081. Buch. 1. Tit. beſtimmt ſind53)scaevola ſagt z. B. in L. 14. pr. D. de div. tem. por. praeſcript. de acceſſionibus poſſeſſionum nihil in perpetuum, neque generaliter definire poſſumus: conſi - ſtunt enim in ſola aequitate. , wie leicht kann ſich der Richter bey deren Anwendung nicht irren? Sehr treffend ſagt da - her bey Entſcheidung eines gewiſſen Rechtsfalles der roͤ - miſche Juriſt Paulus54)L. 91. §. 3. D. de verbor. obligat. eſſe hanc quaeſtionem de bono, et aequo: in quo genere plerumque ſub auctori - tate iuris ſcientiae pernicioſe erratur. Welche Unge - wißheit des Rechts wuͤrde alſo nicht daraus entſtehen, wenn der Richter ſich ermaͤchtigen duͤrfte, unter dem Vorwand der Billigkeit von den Geſetzen abzuweichen? Ja wie leicht wuͤrde Leidenſchaft des Richters, oder Unwiſſenheit deſſelben den Mantel der Billigkeit anneh - men, und der Ungerechtigkeit und Partheylichkeit Thuͤr und Thor geoͤfnet werden? Mit Recht haben daher an - dere jene Meinung verworfen, und den Richter auf ge - horſame Befolgung der Geſetze eingeſchraͤnkt55)Carrach rechtliche Eroͤrterung der Frage: Ob in Teutſchland eine Gerichtsobrigkeit unter dem Vorwande der Billigkeit von den Geſetzen abweichen koͤnne? Nro 44. der woͤchent - lichen Halliſchen Anzeigen vom Jahr 1764. Henr. Chriſtph. bertuch Diſſ. de eo, quod circa aequi - tatem iniquum eſt. Erf. 1736. Henr. God. bauer Pr. de aequitatis in iure uſu Lipſ. 1761. Io. Diet. mellmann Orat. de deciſione cauſarum ex Legibus aequi et boni. Kilonii 1778. hart - leben Meditat. ad Pandect. Vol. I. P. I. Spec. IV. med. 9. u. 10. westphal Unterſuchung der Fra - ge, ob ein ohne die vorgeſchriebene Form ge -mach -. Wennnun209de Iuſtitia et Iurenun aber doch die Geſetze ſelbſt den Richter anweiſen, mehr nach der Billigkeit als nach dem ſtrengen Recht zu urtheilen; ſo ſieht ein jeder wohl, daß dieſes eine ganz andere Bedeutung haben muͤſſe, als welche jene Vertheidiger der Billigkeit zur Unterſtuͤtzung ihrer Mey - nung angenommen haben. Hierher gehoͤrt, was Pau - lus56)L. 90. D. de R. I. ſagt: In omnibus quidem, maxime tamen in iure, aequitas ſpectanda eſt; deßgleichen, wenn die Kr. Conſtantin und Licinius reſcribiren: Placuit in omnibus rebus praecipuam eſſe iuſtitiae aequitatis - que, quam ſtricti iuris rationem57)L. 8. C. de iudiciis.. Man fuͤhrt auch noch die Worte des Marcellus58)L. 183. D. de Reg. Iuris. an; Etſi ni - hil facile mutandum eſt ex ſolemnibus, tamen, ubi aequitas evidens poſcit, ſubveniendum. Allein alle dieſe Stellen helffen der entgegen geſezten Meynung im mindeſten nicht auf, denn uͤberall iſt nicht die Rede von einer Billigkeit, wodurch lex ſcripta abgeaͤndert wer - den ſolle. Die erſte Stelle iſt aus lib 15. Quaeſtionum des Juriſten Paulus genommen, wo von Erklaͤrung der Vertraͤge die Rede war59)Dieſes erhellet aus der Vergleichung der aus eben die - ſem Buch der Quaͤſtionen des Paulus in den Pandecten vorkommenden Stellen beym wieling Iurisprud. re - ſtituta S. 190. und hommel Palingeneſ. iuris., und will, daß mannicht55)machtes Teſtament des vorhanden geweſenen auſſerordentlichen Nothfalls wegen guͤltig ſey? im Niederſaͤchſiſchen Archiv fuͤr Jurisprudenz u. juriſt. Literatur herausgegeben von D. Koppe 2. Band N. 27. S. 293 305.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. O2101. Buch. 1. Tit. nicht bey den Worten ſtehen bleiben, ſondern auf die Abſicht der Contrahenten ſehen ſolle60)cuiacius in Commentar. ad Pauli Quaeſt. und giphanius in Commentar. ad tit. de Reg. Iur. ad L. 90. n. 3.. Die zweite Stelle enthaͤlt ebenfals eine Erklaͤrungsregel fuͤr den Richter, und der Sinn iſt: der Richter ſolle nicht nach den Worten, ſondern nach der Abſicht und dem Willen der Geſetze und Verordnungen entſcheiden. Die lezte Stelle endlich iſt aus L. 7. pr. D. de reſtit. in integr. zu erklaͤren, denn beyde ſind aus lib. 3. Digeſtor. mar - celli genommen. Aus dieſer Verbindung ſieht man, daß von dem Fall die Rede war, wo Jemand, welcher im Gericht, ſeiner Sache wegen die Nothdurft zu beob, achten, war aufgerufen worden, ſich nicht gemeldet, und daher wegen Verſaͤumnis ſein Recht verlohren hat - te. Er hatte den Aufruf nicht gehoͤrt, und nach den Umſtaͤnden, ohne ſein Verſchulden, nicht hoͤren koͤnnen, und ſuchte daher die Wiederherſtellung in den vorigen Stand. Nichts iſt billiger, als daß hier der Par - they, welche ohne ihr Verſchulden um ihr Recht gekom - men, geholfen werde; daher auch Kr. Antonin ihr ſolche durch ſein Reſcript angedeihen laͤſſet61)Iac. gothofredus Comm. in tit. Dig. de R. I. p. 730. Pet. paber Comm. ad tit. Dig. de Reg. Iur. h. l.. Hier iſt alſo eben ſo wenig, wie in den vorhergehender Ge - ſezſtellen, zu befinden, daß ein Richter, als ſolcher, ſich herausnehmen duͤrfe, Geſetze, die er fuͤr unbillig haͤlt, nicht zu befolgen, vielmehr ergiebt ſich aus den angefuͤhrten ſowohl, als andern Stellen des roͤmiſchen Geſezbuchs, daß die dem Richter von den Geſetzen ſelbſt empfohlene Billigkeit darinn beſtehe:

  • 1) Daß er nie bey den Worten des Geſetzes ſtehen bleibe, ſondern uͤberall auf die Abſicht ſehe, wel -che211de Iuſtitia et Iure. che durch das Geſez unmittelbar erreicht werden ſoll. Benignius leges interpretandae ſunt, ſagt Celſus
    62)L. 18. D. de Legibus.
    62), quo voluntas earum conſervetur.
  • 2) auf die Umſtaͤnde der Sache Ruͤckſicht nehme. Sind dieſe beſondern Umſtaͤnde ſo beſchaffen, daß man nicht zweifeln kann, der Geſezgeber wuͤrde fuͤr dieſen beſondern Fall eine Ausnahme beſtimmt haben, wenn er ihn ſo, wie er ſich zugetragen hat, voraus - geſehen haͤtte; ſo iſt es die Pflicht eines billigen Rich - ters auf den Grund des Geſetzes zum Vortheile deſ - ſen Ruͤckſicht zu nehmen, der ſonſt einen unverdienten Nachtheil erleiden wuͤrde. Nulla enim iuris ratio, ſagt Modeſtin
    63)L. 25. D. codem.
    63), aut aequitatis benignitas pati - tur, ut, quae ſalubriter pro utilitate hominum in - troducuntur, ea nos duriore interpretatione con - tra ipſorum commodum producamus ad ſeveritatem.
  • 3) Daß er auf die beſondern Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe der Perſohnen Ruͤckſicht neh - me. Et omnino, ſo reſcribirt K. Antonin
    64)L. 4. §. 1. D. de incendio, vuina etc. Eben dieſes iſt es, wenn die P. G. O. Carls V. ſo oft den Richter anweißt, nach Gelegenheit und Geſtalt der Perſohn die Strafe zu beſtimmen. Z. B. Art. 106. 114. 119. 159. u. a. m.
    64), ex perſonarum conditione, et rerum qualitate, di - ligenter aeſtimandae ſunt poenae, ne quid aut du - rius aut remiſſius conſtituatur, quam cauſa po - ſtulabit. Allein nicht blos Criminal-Faͤlle, ſondern auch buͤrgerliche Verbindungen ſind, vorzuͤglich aber die haͤußliche Geſellſchaft, nach den Regeln der Bil - ligkeit zu beurtheilen. So muͤſſen z. B. die RechteO 2der2121. Buch. 1. Tit. der Eheleuthe, der Aeltern gegen die Kinder, und der Herrſchaft gegen das Geſinde immer mit Ruͤck - ſicht auf die beſondern Eigenſchaften, Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe der Perſohnen beſtimmt werden. Wenn daher der Knecht uͤber ſeinen Herrn Klage fuͤhrte, daß dieſer ihm allzuſchwere Arbeit auflege; ſo muͤßte der Richter ſowohl die Beduͤrfniſſe des Herrn, als die perſoͤhnlichen Eigenſchaften des Knechts erwaͤgen, und hiernach ſein Urtheil ſprechen. Weiter beſtehet auch die Erklaͤrung nach der Billigkeit darinn
  • 4) daß in zweifelhaften Faͤllen, wo es weder der ausdehnenden noch der einſchraͤnkenden Erklaͤrung an Gruͤnden fehlt, jedoch keine derſelben etwas uͤber - wiegendes fuͤr ſich hat, der Richter mehr geneigt ſeyn muͤſſe, die gelindere Meynung vorzuziehen, d. i. diejenige Erklaͤrung anzunehmen, die am meiſten mit dem Naturrechte uͤbereinkommt, oder wenigſtens von der Strenge am meiſten entfernt iſt
    65)nettelbladt Syſtem. elem. Iurispr. poſit. Germanor. commun. general. §. 230. ſagt: Dicitur benigna interpretatio, per quam is ſenſus pro vero adſumitur, qui legibus naturalibus magis conve - nit, quam alter, vel ſaltim a rigore magis alienus eſt; eaque locum habet, ſi adeſt ambiguitas, id eſt, plures interpretationes aeque probabiles sunt. Hinc in L. 9. D. de Reg. Iur. dicitur: ſemper in obſcuris; quod minimum eſt, ſequimur, et in L. 3. D. de his, quae in teſtam. del. haec regula obvenit: in re dubia be - nigniorem interpretationem ſequi, non minus iuſtum eſt, quam tutius.
    65); Mithin
  • 5) in Civil-Faͤllen diejenige Art der Auslegung vor - dringen laſſe, nach welcher die Handlung, uͤber deren Guͤltigkeit geſtritten wird, eher bey Kraͤften erhalten, als zernichtet wird
    66)L. 12. und 21. D. de rebus dubiis.
    66); hingegen
6)213de Iuſtitia et Iure.
  • 6) in Straf - und Criminal-Faͤllen geneigter ſey, zu abſolviren als zu verurtheilen, oder die Strafe eher zu mildern als zu ſchaͤrfen
    67)L. 42. D. de poenis. L. 155. §. 2. D. de Reg. Iuris. Man ſehe rivinus de benigna ICtorum inter - pretatione. Vitemb. 1752.
    67).

§. 31. Eintheilung der Geſezerklaͤrung in die legale und doctrinelle.

Die Auslegung dunkler Geſetze geſchiehet nun ent - weder vom Geſezgeber ſelbſt, oder iſt wenigſtens vom Geſezgeber gebilliget, oder ſie geſchiehet blos von einem Rechtsgelehrten mit Huͤlfe und Anwendung der Regeln der Auslegungskunſt (Hermenevtic). In den beyden er - ſtern Faͤllen wird die Interpretation eine legale, im leztern Falle aber eine Doctrinalerklaͤrung genennt. Von den erſtern wird §§ 32. und 33. von den leztern aber §. 34. bis 38. gehandelt.

§. 32. Von der Avthentiſchen - und Uſualinterpretation.

Die legale Geſezerklaͤrung wird nach der gewoͤhn - lichen Lehre der Rechtsgelehrten wieder in die avthen - tiſche und uſual Interpretation eingetheilt. Je - ne iſt, wenn der Geſezgeber ſeinen Willen, wie das dunkele Geſez zu verſtehen ſeyn ſoll, ſelbſt erklaͤrt; die - ſe aber, wenn der Geſezgeber eine in Gerichten ange - nommene Erklaͤrung eines dunkelen Geſetzes entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend billiget. Gegen dieſe Eintheilung wird zwar verſchiedenes nicht ohne Grund von einigen Rechtsgelehrten eingewendet, welche ſie nicht fuͤr aͤchte Gattungen der Interpretation anſehen wollen,O 3weil2141. Buch. 1. Tit. weil der Geſezgeber nicht wie ein Rechtsgelehrter an die Regeln der Auslegungskunſt gebunden ſey, ſondern den Sinn eines dunkeln Geſetzes nach Willkuͤhr beſtimmen koͤnne; mithin in dem Falle vielmehr ein neu Geſez gege - ben werde, wo man dem Oberherrn eine avthentiſche Interpretation zuſchreibt; die Uſualerklaͤrung aber viel - mehr fuͤr eine Art des Gewohnheirsrechts anzuſehen ſey. In beyden Faͤllen beruhe alſo die Kraft der In - terpretation nicht ſowohl auf richtiger Beſtimmung des Sinnes eines dunkeln Geſetzes, ſie weiche vielmehr oͤf - ters von dem richtigen Sinne des Geſetzes ganz ab, ſondern die avthentiſche Geſezerklaͤrung gruͤnde ſich auf das Anſehen des Geſezgebers, von welchem ſie geſche - hen, die Uſualinterpretation aber auf die Obſervanz und den Gerichtsbrauch68)S. holderrieder de princip. interpretat. ad - aequatis. §. V. et VI. eckhard Hermenevt. iu - ris Lib. I. c. I. § 37. u. 38. I. D. wibeking Diſſ. de incommodis per interpretationes uſuales et obſervant. in iurisprud. infectis. Francof. 1748. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. II. med. 1. u. a. m.. Allein da beyde Arten der Geſezerklaͤrung in den roͤmiſchen Geſetzen ſelbſt als ſol - che anerkannt ſind69)L. 1. L. 9. L. 12. C. de Legibus. L. 37. et 38. D. eodem. Nov. CXIII. cap. 1. princ. ; und uͤberdies dem Geſezgeber die Abſicht wohl am beſten bekannt ſeyn muß, die er unmittelbar durch die Worte des Geſetzes erklaͤren woll - te, ſo kann jene Eintheilung allerdings beybehalten werden70)nettelbladt Syſtem. elem. Iurisprud. poſ. Germanor. commun. gener. Lib. I. Sect. III. §. 227. und §. 239. hofacker Princip. iur. civ. Rom. germ. T. I. Lib. I. c. IV. §. 150. Hoͤpfnerim. Wir bemerken uͤbrigens noch folgendes:

1)215de Iuſtitia et Iure.
  • 1) Da jedem Richter vermoͤge ſeines Amts das Recht zuſtehet, Geſetze zu erklaͤren, ſo lange er nach rich - tigen Regeln der Auslegung den wahren Verſtand derſelben zu beſtimmen vermag; ſo folgt, daß zur Nothwendigkeit einer avthentiſchen Interpretation nur ſodann geſchritten werden duͤrfe, wenn der Sinn ei - nes Geſetzes ſo zweifelhaft iſt, daß er ſich ſchlechter - dings nicht nach vernuͤnftigen Regeln der Auslegung mit Gewißheit beſtimmen laͤſſet.
  • 2) Unter dieſer Vorausſetzung findet auch nur bey denen Privilegien die avthentiſche Auslegung ſtatt
    71)L. 191. D. de Reg. Iur. nettelbladt in Syſtem. elem. Iurispr. gen. §. 238.
    71). Denn diejenigen ſchraͤnken offenbar die Grenzen der richterlichen Gewalt zu ſehr ein, welche den Richter in einem jeden Falle, da uͤber den Ver - ſtand eines Privilegiums ſich Zweifel ereignen, zum Throne des Landesherrn verweiſen wollen
    72)Man ſehe beſonders nach puͤtter Progr. de iure et officio iudicis circa interpretationem privilegiorum in genere. Goetting. 1758. und Deſſelben auserleſene Rechtsfaͤlle I. B. 2. Th. Reſp. XXV. S. 293.
    72).
  • 3) Ob aber ein ſolcher Fall vorhanden ſey, wo eine interpretatio avthentica vom Geſezgeber ſelbſt zu erwarten, kommt nicht ſowohl auf die Aeuſſerung der einen oder der andern ſtreitenden Parthey, oder de - ren Sachwalters, ſondern auf das arbitrium iudi - cis ſelber an.
O 44)

70)im Commentar §. 24. Eichmann in den Erklaͤ - rungen des buͤrgerl. Rechts. I. Th. S. 106. u. folgg. und Io. Chr. woltaer Obſervat. iuris civ. et Brandenb. Faſcic. I. Obſ. I. u. a. m.

2161. Buch. 1. Tit.
  • 4) Auch die avthentiſche Erklaͤrung muß dem Sinne und den Worten des Geſetzes gemaͤß ſeyn; denn indem ſie davon gaͤnzlich abweicht, iſt keine Interpretation, ſondern nun ein neues Geſez vorhanden, auf welchen Unterſchied ſehr viel ankommt, wenn von der An - wendung auf vorhergegangene Handlungen
    73)Eichmann Erklaͤrungen 1. Th. S. 107.
    73) die Frage entſtehet. (S. 145.) Endlich
  • 5) Da die avthentiſche Erklaͤrung ein Theil der geſez - gebenden Gewalt iſt, ſo ſtehet ſie nur dem Landes - herrn ſelbſt, aber keinesweges den hoͤchſten Gerichten in einem Lande zu
    74)hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. 2. med. 4.
    74)

Soviel hiernaͤchſt die Uſualerklaͤrung anbetrift, ſo ſezt nun dieſe voraus,

  • 1) daß das Geſez wirklich dunkel oder zweifelhaft ſey; denn iſt das Geſez klar, und liegt ein of - fenbarer Irthum bey dieſer Auslegung zum Grun - de, ſo kann ſie keine legale Auctoritaͤt behau - pten
    75)celsus in L. 39. D. de LL. ſagt: Quod non ratione introductum, ſed errore primum, deinde conſuetudi - ne obtentum eſt, in aliis ſimilibus non obtinet.
    75).
  • 2) Sie erfordert die Eigenſchaften eines guͤltigen Gewohnheitsrechts.

§. 33. Uſualerklaͤrung iſt ein Theil der gerichtlichen Obſervanz.

Wenn man unter dem Gerichtsgebrauch (obſer - vantia iudicialis) die in den Gerichten bey der Be - handlung und Entſcheidung ſtreitiger Rechtsfaͤlle ange - nommene Gewohnheiten verſtehet, die man bisher und ſchon ſeit langer Zeit auf eine gleichfoͤrmige Art beob -achtet217de Iuſtitia et Iure. achtet hat; ſo kann wohl dieſe nicht als ein Theil der Uſualinterpretation, ſondern leztere vielmehr als ein Theil der erſtern angeſehen werden. Denn die gericht - liche Obſervanz betrift entweder blos die Procesform, d. i. die Art und Weiſe, ſein Recht vor Gericht zu verfolgen; oder das Recht ſelbſt; und in dieſem leztern Falle kann ſelbige entweder die Auslegung eines zwei - felhaften Geſetzes, oder die Entſcheidung eines geſezlich nicht entſchiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich - ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf - geklaͤrten Richtern in der Rechtspflege geſammlet wor - den ſind, koͤnnen unſtreitig zu Beurtheilung vorkom - mender Rechtshaͤndel ſichere und gewiſſe Beſtimmungen darreichen, und haben deſto groͤſern Werth, je weniger oftmals die allgemeinen Geſetze und Verordnungen einem Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei - len76)Hymmens Beytraͤge zur neueſten juriſtiſchen Litteratur in den Preußiſchen Staaten 1. Samm - lung S. 1. ff.. Sie nehmen alsdann, durch die ſtillſchwei - gende Genehmigung des Landesherrn und die Laͤnge der Zeit unterſtuͤzt, das Gepraͤge eines Gewohnheitsrechts an, und verdienen nach den ſchriftlich gegebenen Geſe - tzen den vorzuͤglichſten Rang77)Hierher gehoͤrt die Stelle des Calliſtratus in L. 38. D. de LL. In ambiguitatibus, quae ex Legibus profi - ciſcuntur, conſuetudinem, aut rerum perpetuo ſimiliter iudicatarum auctoritatem, vim legis obtinere debere. In den roͤmiſchen Geſetzen wird dieſer Gerichtsgebrauch durch die Ausdruͤcke ius iudiciorum L. 3. C. de dot. pro - miſſ. mos legum uſitatus, L. 32. C. de Transact. quoti - dianus iudiciorum uſus, §. 6. I. de Satisdat. und ſolitus iudiciorum ordo L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu - dic. angedeutet.. Bloſe Urtheile undO 5Ent -2181. Buch. 1. Tit. Entſcheidungen der Rechtsſtuͤhle, oder gemeine Meinun - gen der Rechtsgelehrten, inſofern ſie denen unſtreitig geltenden Geſetzen entgegen ſind, koͤnnen aber eben ſo wenig das Anſehen einer gerichtlichen Obſervanz be - haupten, als den Richter verbinden, dasjenige, was vormahls in aͤhnlichen Faͤllen erkannt worden, gleichfalls auch noch jezt zu erkennen, geſezt auch daß noch ſo lange auf ſolche Art geſprochen worden waͤre78)Auſer dem von Hellfeld Not. o. angefuͤhrten grieb - ner haben eben ſo geurtheilet reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. I. Obſ. 3. pufen - dorf Proc. civ. P. III. C. 22. §. 16. Seyfarth im teutſchen Reichsproces Cap. 23. §. 4. Quiſtorp Grundſaͤtze des peinlichen Rechts 1. Th. 1. Abſchn. 1. Cap. §. 13. u. a. m.. Denn eines Theils ſind Richter eben ſo wenig, als die Rechts - gelehrten, Geſezgeber; und andern Theils wird der Rich - ter, wenn er gegen die Praeiudicia ſeiner Vorfahren ſpricht, ſich immer mit der deutlichen Verordnung des K. Juſtinians79)L. 13. C. de Sent. et interlocut. iudic. Nemo iudex vel arbiter exiſtimet, neque conſultationes, quas non rite iudicatas eſſe putaverit, ſequendum, non enim, ſi quid non bene dirimatur, hoc et in aliorum iudicum vitium extendi oportet, quum non exemplis, ſed legibus iudicandum ſit; neque etc. ſed omnes iudices no - ſtros veritatem, et legum et iuſtitiae ſequi veſtigia ſan - cimus. decken koͤnnen, welche die Richter anweißt, nicht darnach zu ſprechen, was hin und wie - der in aͤhnlichen Faͤllen iſt erkannt worden, ſondern jederzeit die Geſetze ſelbſt zur Richtſchnur zu nehmen. Hieraus wird ſich nun leicht beurtheilen laſſen, was von der Behauptung derjenigen zu halten ſey, welche den verliehrenden Theil von Erſtattung der Proceßkoſten be - freyet wiſſen wollen, wenn derſelbe die gemeine Meinungder219de Iuſtitia et Iure. der Rechtsgelehrten, oder ſogenannte praeiudicia, d. i. Entſcheidungen und Urtheile eines oder verſchiedener Rechtsſtuͤhle, die in einem aͤhnlichen ſtreitigen Fall er - theilet worden ſind, fuͤr ſich haͤtte80)brunnemann Proc. civ. Cap. 27. n. 78. reinharth de errorib. Pragmaticor. in doctrina de compenſat. ex - penſar. §. 30. lauterbach de expenſis victoriae th. 44. leyser Spec. LXXXVIII. m. 1. Hoffmann teutſche Reichspraxis §. 797. und andere mehr.. Bey der groſ - ſen Anzahl von Rechtsgelehrten, die auſſer unſern Au - ctor (Not. o.) dieſer Lehre zugethan ſind, ſcheint es bey - nahe eine Verwegenheit zu ſeyn, dagegen Zweifel zu er - regen. Allein erwaͤgt man, was ſchon ein beruͤhmter Rechtsgelehrter des vorigen Jahrhunderts81)Casp. ziegler Dicaſtic. Concl. 39. §. 30. mit eben ſoviel Wahrheit als Freymuͤthigkeit ſagte, daß gemeine Meinungen der Rechtsgelehrten nicht ſelten gemeine Ir - thuͤmer ſind, und daß ſich bey dem groſſen Vorrath iu - riſtiſcher Schriften ſchwer beſtimmen laſſe, welche Mei - nung fuͤr eine allgemeine zu halten ſey; daß es ferner bey den Meinungen der Rechtsgelehrten nicht darauf an - komme, was ſie behaupten, oder wie viele unter ihnen einen Saz annehmen, ſondern ob und in wiefern Ge - ſeze und Rechtsgruͤnde ihren Lehren beyſtim - men82)L. un. §. 6. Cod. de vet, iure enucl. ; ſo iſt in keinem Betrachte abzuſehen, wie das bloſe Anſehen der Rechtsgelehrten den verlieh - renden Theil gegen die Verguͤtung der Unkoſten ſchuͤtzen koͤnne, da er weiß, daß der Richter nicht nach Meinun - gen der Rechtsgelehrten, ſondern nur nach Geſetzen und deren Analogie urtheilen duͤrfe. Bedenkt man ferner, daß, wenn die Entſcheidung des Richters gegen die an - gefuͤhrten praeiudicia iuris ausfaͤllt, ſodann vermoͤge des Urtheils der verliehrende Theil als derjenige zu be -han -2201. Buch. 1. Tit. handeln ſey, der ohne Beyſtand des Rechts, das, was in andern Faͤllen erkannt worden, gebraucht, mithin in iure geirret hat, daß uͤberdies dieſer Irthum ein ſol - cher iſt, welchen der Sachfaͤllige Theil haͤtte vermeiden koͤnnen, wenn er die Thatumſtaͤnde und Rechtsgruͤnde der beygebrachten Entſcheidungen ſorgfaͤltiger gepruͤft, und mit ſeiner eigenen Rechtsſache verglichen haͤtte; daß es endlich offenbar ungerecht iſt, wenn der obſiegende Gegner einen ſolchen nicht zu entſchuldigenden Irrthum des andern Theils mit ſeinem Schaden durch die Ein - buſſe der Proceßkoſten entgelten ſolle; erwaͤgt man alles dieſes ohne Vorurtheil, ſo wird man es gewiß nicht un - billig finden, wenn man in unſern Tagen jene alte Lehr - meinung auszurotten angefangen hat83)Man ſehe vorzuͤglich D. Ad. Dietr. Weber uͤber die Proceßkoſten, deren Verguͤtung und Com - penſation. (Schwerin, Wismar und Buͤtzow 1788. 8.) §. 10. u. 11..

Daß uͤbrigens die Meinungen angeſehener und be - waͤhrter Rechtsgelehrten in ſolchen zweifelhaften Rechts - faͤllen, die in den Geſetzen entweder gar nicht, oder nicht deutlich entſchieden ſind, wenn ſie mit der Ana - logie des buͤrgerlichen Rechts, oder mit den Grundſaͤ - tzen des natuͤrlichen Rechts uͤbereinkommen, nicht zu verachten ſind, hat keinen Zweifel84)Io. Wolg. textor Diſſ. de auctoritate Inter - pretum iuris. Altorf. 1670. und Quiſtorp a. a. O..

Zulezt bemerkt unſer Auctor noch, daß eine Ob - ſervanz, worin alle oder wenigſtens die meiſten Rechts - collegia mit einander uͤbereinkommen, Praxis genennt werde. Man verwechſele jedoch hiermit nicht diejenige Bedeutung des Worts Praxis, von der ich oben beym §. 27. gehandelt habe.

Uebri -221de Iuſtitia et Iure.

Uebrigens ſind nun durch den Gerichtsgebrauch oder eigentlich durch eine Uſualerklaͤrung viele neue Rechtsleh - ren und Rechtsmittel eingefuͤhret worden, von denen ich z. B. nur die Provocation ex lege diffamari und ex lege ſi contendat, ferner das iuramentum per - horreſcentiae nennen will, andere mehrere zu ge - ſchweigen.

§. 34. Verſchiedene Arten der Doctrinalerklaͤrung.

Die Doctrinalerklaͤrung der Geſetze iſt wie - der zweierley. Sie iſt entweder bemuͤht, den Sinn ei - nes Geſetzes blos aus denen Worten deſſelben, und de - ren Bedeutung zu beſtimmen; oder ſie unterſucht den Zweck und Abſicht des Geſezgebers, und beſtimmt den Sinn des Geſetzes aus dem Grunde deſſelben. Jene wird die grammatiſche, von andern auch die phi - lologiſche; dieſe aber die logiſche oder philoſo - phiſche Erklaͤrung genennt85)S. I. H. boehmeri Praefat. de interpretationis grammaticae fatis et uſu vario in iure Ro - mano, vor brissonius de Verb. Significat.. Leztere geſchiehet, wenn die philologiſche oder grammatiſche vollendet iſt, und kann ohne dieſe nicht beſtehen. Es darf jedoch auch die grammatiſche Erklaͤrung von der logiſchen nicht getrennt werden86)Die Geſetze ſelbſt geben dieſes deutlich zu erkennen. L. 6. §. 1. D. de V. S. und L. 7. §. 2. D. de iurisdict. . Denn eine blos grammatiſche Auslegung, welche Worte klaubt, und nach Spizfindig - keit haſcht, dabey aber die Abſicht des Geſezgebers ver - fehlt, iſt Chikane87)L. 29. D. de LL. wo geſagt wird, daß derienige ge - gen das Geſez handele und chikanire, qui, ſalvis verbis legis, ſententiam eius circumvenit. , oder wie Cicero88)Lib. I. de officiis cap. 10. die Sacherich -2221. B. 1. Tit. richtig ausdruckt, callida et malitioſa iuris interpreta - tio. Dieſen beiden Arten der doctrinalen Geſetzerklaͤ - rung fuͤgen viele89)schilter Prax. iur. Rom. Ex. II. §. 8. not. a. Chriſt. God. peller Diſſ. de interpretatione Le - gum politica. Altorf. 1719. hartleben Meditat. ad Pandectas Spec. II. med. 3. u. a. m. noch eine dritte Gattung bey, wel - che ſie die politiſche Geſezerklaͤrung nennen. Man verſtehet darunter diejenige Erklaͤrungsart, welche unter - ſucht, ob und in wiefern die Geſetze, deren wir uns bedienen, dem heutigen Zuſtande und Verfaſſung unſe - rer Zeiten angemeſſen, und dahero anwendbar ſeyn oder nicht. Daß dieſe Erklaͤrungsart, welche bey Ent - wickelung des wahren Sinnes der Geſetze, auf die Sit - ten und Verfaſſungen derjenigen Zeiten Ruͤckſicht nimmt, fuͤr welche ſie urſpruͤnglich ſind gegeben worden, von gro - ſer Wichtigkeit, ja unentbehrlich ſey, um ſowohl von denen in Teutſchland geltenden fremden, als auch ein - heimiſchen aͤltern Geſetzen z. B. der peinlichen Gerichts - ordnung Carls V. eine richtige Anwendung zu machen, hat keinen Zweifel. Denn ſo kommen z. B. in dem roͤmiſchen Geſezbuche viele Verordnungen vor, die ſich auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz unbekannte Sit - ten und Verfaſſungen beziehen, desgleichen Geſetze, die nach Heidenthum und Deſpotismus der heidniſchen Kai - ſer ſchmecken, und auf chriſtliche Staaten durchaus kei - ne Anwendung leiden90)Zum Beiſpiel dient das iuramentum per genium Prin - cipis. L. 2. C. de reb. cred. et iureiur. Man ſehe Iul. Frid. malblanc doctr. de iureiurando Lib. III. c. IV. §. 67. S. 249. Mehrere Beiſpiele liefert Henr. Ern. kestner de iurisprudentia paganizante. Rintelii 1713.. Eben ſo macht auch der ſeitden223de Iuſtitia et Iure. den Zeiten Carls V. ſehr veraͤnderte Zuſtand der teut - ſchen Staaten viele Verordnungen der P. Gerichtsord - nung heutiges Tages ganz unanwendbar. Allein deswe - gen glaube ich doch nicht, daß die ſogenante politi - ſche Geſezauslegung eine beſondere Gattung der Geſezerklaͤrung ausmache, ſondern ich rechne ſie mit zur philoſophiſchen.

§. 35. Grundſaͤtze der grammatiſchen Geſezerklaͤrung. Juriſti - ſche Critic.

Alle vernuͤnftige Geſezerklaͤrung muß nun alſo von grammatiſcher Entwickelung des Wort - verſtandes ihren Anfang nehmen. Denn Worte find Zeichen der Gedanken, und das Mittel, den Wil - len des Geſetzes zu erkennen91)Man vergleiche hierbey, was Celſus ſagt in L. 7. §. 2. D. de ſupell. legat. wo beſonders der ſehr richtige Gedan - ke vorkommt: etſi prior atque potentior eſt, quam vox, mens dicentis, tamen nemo ſine voce dixiſſe, exiſtimatar. . Den Sinn der Worte aber beſtimmt der Sprachgebrauch, welcher, wie der Werth der Muͤnzen, bald ein allgemeiner, bald ein beſonderer ſeyn kann. Da jedoch Abwei - chung vom allgemeinen Sprachgebrauch im Zweifel nicht vermuthet wird, ſo bildet ſich nun hieraus die erſte Re - gel der grammatiſchen Geſezauslegung: Worte eines Geſetzes muͤſſen ſo lang in dem Sinn genom - men werden, den ſie, nach dem gewoͤhnlichen Redegebrauch der Nation, fuͤr welche das Geſez beſtimmt war, haben, bis andere zu - ſammentreffende beſondere Umſtaͤnde einen andern nothwendig machen. Iſt aber lezterer Fall vorhanden, ſo muß alsdann der beſon -dere2241. Buch. 1. Tit. dere Redegebrauch des Geſezgebers ausge - mittelt, und zum Maasſtab genommen wer - den92)Dieſe Regel iſt ganz allgemein, und findet auch bey Erklaͤrung anderer Willensverordnungen ſtatt. L. 69. D. de legat. 3. Non aliter a ſignificatione verborum recedi oportet, quam cum manifeſtum eſt, aliud ſenſiſſe te - ſtatorem..

Worte koͤnnen ferner in dieſer oder jener Zuſam - menſetzung oft einen ganz andern Sinn enthalten, als ihnen der Redegebrauch einzeln beylegte. So wie es nun bey Muͤnzen iſt, daß nicht blos der Werth der einzelnen Scheidemuͤnze, ſondern zugleich auch das Ver - haͤltnis, das zwiſchen ihnen und den groͤbern Sorten der Gebrauch feſtſezt, den Werth der leztern beſtimmt; ſo haͤngt nun gleichfalls der Sinn einer Rede nicht blos von dem Sinne der einzelnen Worte, ſondern zu - gleich von dem Werthe ab, den ihnen in ihrer Verbin - dung der Redegebrauch beylegt. Hieraus ergiebt ſich die zweite Regel der grammatiſchen Geſezerklaͤrung: Worte eines Geſetzes ſind jederzeit in dem - jenigen Sinne zu erklaͤren, den ihnen der Sprachgebrauch in der Verbindung, welche ſie in dem Geſez haben, beygelegt hat. Da aber zuweilen Worte auch in ihrer Verbindung einen verſchiedenen Sinn zulaſſen, woraus Zweydeutigkeit der Rede entſtehet, ſo iſt nun alsdann, welches die dritte Regel iſt, diejenige Bedeutung anzunehmen, welche mit dem Gegenſtande, wovon das Ge - ſez redet, d. i. mit dem Subject und deſſel - ben Praͤdicat am beſten uͤbereinſtimmt93)L. 67. D. de Reg. Iur. giebt die Regel: Quoties idem ſermo duas ſententias exprimit, ea potiſſimum accipietur,quae. Auch225de Iuſtitia et Iure. Auch giebt uns ferner der Grundſaz des gemeinen Menſchenverſtandes, nicht gedankenlos zu reden, eine vierte Regel an die Hand: daß im Zweifel kein Wort umſonſt im Geſez zu ſtehen vermuthet werden koͤnne, ſondern in jedem ein Aus - druck, Beſtimmung oder Aufklaͤrung des Wil - lens des Geſezgebers, und zwar derjenige zu ſuchen ſey, der dieſem Wort entſpricht94)celsus L. 7. §. 2. D. de ſupellect. legat. ſagt: Nemo exiſtimandus eſt dixiſſe, quod non mente agitaverit. Zuweilen iſt es jedoch ſelbſt denen roͤmiſchen Rechtsgelehr - ten begegnet, daß ſie anders gedacht, als ſie geredet ha - ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem, was ſie eigentlich ſagen wollten, nicht uͤbereinſtimmen. Man ſehe H. G. von vryhoff Obſervat. iuris ci - vil. cap. XXIV. S. 124.. Da uͤbrigens unſere Geſezbuͤcher, beſonders das roͤmiſche und kanoniſche, aus den Geſetzen ſehr verſchiedener Zeit. alter und Verfaſſer ſind zuſammengetragen worden, ſo verſtehet ſich daraus, welches die fuͤnfte Regel iſt, daß die Worte der Geſetze jederzeit nach denjeni - gen Redegebrauch zu erklaͤren ſind, welcher zu der Zeit, da dieſelbe gegeben worden, und unter der Claſſe von Leuten, die ihre Verfaſſer waren, uͤblich geweſen iſt. Man darf in der That nur wenig Beleſenheit in den roͤmi - ſchen Claſſikern haben, ſo wird man bald einen groſen Unterſchied zwiſchen der Latinitaͤt der roͤmiſchen Rechts -gelehr -93)quae rei gerendae aptior eſt. Und L. 19. D. de LI. ſagt: In ambigua voce legis ea potius accipienda eſt ſignificatio, quae vitio caret; d. i. wie es Ant. faber in Rational. in Pandect. h, l. richtig erklaͤrt, per quam fiat, ne quid male et abſurde conſtitutum videatur.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. P2261. Buch. 1. Tit. gelehrten, aus deren Schriften die Inſtitutionen und Pandecten des K. Juſtinians compilirt worden ſind, und derjenigen lateiniſchen Schreibart gewahr werden, welche in den Verordnungen der chriſtlichen Kaiſer und der roͤmiſchen Paͤbſte herrſcht. Jene iſt noch immer aͤchte roͤmiſche Schreibart und Zuſammenſetzung95)Car. Andr. ducker Opuſcula de Latinitate veter. ICtorum. Lugd. Bat. 1711. Ge. Casp. kirch - maieri Opuſcula VI. rariſſima de Latinitate Digeſtorum et Inſtitutionum D. Iuſtiniani Imp. collecta et edita a Ge. Sam. madihn Halae 1772. 8., wenn auch gleich der Ausdruck nicht immer ciceronia - niſch iſt96)Herm. noordkerck Obſervat. iur. Rom. De - cad. c. IV. p. 85. ſqq. , allein in den Verordnungen der chriſtli - chen Kaiſer leuchtet ſchon uͤberall das ſogenannte patri - ſtiſche, oder Kirchenlatein hervor97)S. Chr. cellarius de barbarism. et idiotism. ſer - monis latini cap. VII. Die Urſachen entwickelt ſehr - ſchoͤn Io. Aug. wolf oder Chr. Frid. pohl Disp. de latinitate eccleſiaſtica in Codice Theodo - ſiano Lipſiae 1774. Daß die Geiſtlichen uͤberdies groſen Einfluß in die Geſezgebung der chriſtlichen Kaiſer gehabt, zeigt Corn. Wilh. de rhoer in Diſ - ſertat. de effectu religionis chriſtianae in lu - risprud. Rom. Faſcic. I. Groeningae 1776. 8. Diſ - ſert. III. , doch immer noch ertraͤglicher, als die in den Verordnungen der Paͤbſte herrſchende, ſchlechte, und mit den groͤbſten Idiotismen und Barbarismen verunſtaltete Schreibart, die man uͤberhaupt durch Moͤnchlatein auszudrucken pflegt98)Ich habe hiervon in meinen Praecognitis iuris - prud. Eccleſiaſt. §. 206. S. 509. umſtaͤndlicher ge - handelt.. So227de Iuſtitia et Iure. So unangenehm auch ein ſolches Studium iſt, ſo we - nig kann man doch ohne dieſe Kenntniſſe bey Erklaͤrung jener Geſetze fortkommen. Selbſt der Styl der aͤltern roͤmiſchen Rechtsgelehrten in unſern Inſtitutionen und Pandecten iſt ſehr verſchieden, je naͤher dem Zeitalter des Cicero, deſto zierlicher; oft aber auch ſehr kurz, und ſchwer zu verſtehen, wie z. B. in denen Fragmen - ten des Africanus, Paulus, Papinians und Scaͤvola99)eckhard Hermenevt. iuris. Lib. I. cap. 3. de Latinitate et ſtilo veterum ICtorum. . Nicht ſelten miſcht ſich auch die Schreibart des Tribonians und ſeiner Gehuͤlfen ein; hierdurch ſind manche Barbarismen in die Fragmente der roͤmiſchen Juriſten gebracht worden, deren man ſie unbillig beſchuldiget hat100)Man vergleiche hier vorzuͤglich Ioſeph. finestres et de monsalvo in Hermogeniano Diſſ. prae - limin. §. 40.. Ueberhaupt iſt es bey der grammatiſchen Erklaͤrung der Geſetze des roͤmiſchen und kanoniſchen Rechtskoͤrpers eine Bemerkung von gro - ſer Wichtigkeit, daß man immer die Worte des Ver - faſſers von den Worten des Compilators unterſcheide, und den Sinn des Auctors einer zu erklaͤrenden Geſez - ſtelle nicht mit dem untergeſchobenen Sinne des Com - pilators verwechſele, welcher oft von jenem ganz ver - ſchieden iſt1)Egregia obſervatio eſt, ſagt Herm. noordkerck Spe - cim. lectionum ſ. Disquiſit. de Lege Petro - nia Cap. II. §. 15. quam a ſummo accepimus cuiacio, in legibus explicandis ad duplicem ſaepe ſenſum attendi debere: alterum genuinum, quem ipſe Auctor exprimere voluit; alterum, quem iustinianus, ſeu quorum mini - ſterio uſus eſt Imperator, verbis affixerunt. Gebrauch ha - ben von dieſer eleganten Bemerkung gemacht Iac. go. tho -. Um nun in jedem Falle diejenigen Be -P 2deu -2281. Buch. 1. Tit. deutungen der Worte eines Geſetzes zu finden, welche ſie in der Verbindung, die ſie in dem Geſez haben, zu der Zeit, da daſſelbe iſt gegeben worden, gehabt haben, ſo dienen uns nun zwar hierbey vorzuͤglich diejenige Schrif - ten, welche uns mit dem geſezlichen Sprachgebrauch bekannt machen2)Hierher gehoͤrt, was die reine lateiniſche Sprache be - trift, vorzuͤglich Barn. brissonius de verborum, quae ad ius civile pertinent, ſignificatio - ne, ſtudio Io. Gottl. heineccii et Iuſt. Henn. boeh - meri Halae 1743. fol. und Io. wunderlich Addita - mentor. volumen. Hamburg. 1778. f. Inſonderheit aber, um den Styl der roͤmiſchen Rechtsgelehrten kennen zu lernen, dienen die Biographien der einzelnen Rechts - gelehrten, dergleichen Ev. otto vom Servius Sulpi - cius, P. Alfenus Varus und Papinian; N. H. gund - ling vom C. Trebatius Teſta; Ian. steenwinckel vom C. Caſſius Longinus (Leiden 1778.) G. A. ieni - chen und Hier. van alphen vom Javolenus Priscus; C. B. acoluthus und Chr. Gott. richter vom Nera[-]tius Priscus; Io. wunderlich vom L. Voluſius Maͤ[-]cianus;; jedoch duͤrfen auch andere Huͤlfs -mittel,1)thofredus Comment. ad L. 5. Cod. ’Theod. de teſtament. und Iac. voorda Elector. lib. ſing. cap. XXII. Da jedoch Juſtinian alles dasje - nige, was ſeine Compilatoren aus denen aͤltern Geſetzen und juriſtiſchen Schriften zuſammengetragen, und in den Worten geaͤndert haben, ſich dergeſtalt zu eigen gemacht hat, als wenn alles von ihm ſelbſt herruͤhre, Praef. Digeſt. Conſt. I. §. 7. ſo wird freylich in ſolchem Colli - ſionsfall ſenſus Triboniani den Vorzug behaupten muͤſ - ſen, ſo lang derſelbe nicht mit andern Stellen, wo Tribonian genuinum et primigenium auctoris ſen - ſum deutlicher vorgetragen, in Widerſpruch ſtehet. Man ſehe Pet. de toullieu Coilectan. iuris civ. Diſſ. IV. cap. IV. S. 163. u. folg. und I. L. E. puͤttmann Interpret. et Obſervat. lib. ſing. cap. XIX. S. 89.229de Iuſtitia et Iure. mittel, als Paralelſtellen; desgleichen Ueberſetzungen, nicht blos griechiſche, wie Theophilus von Juſtinians Inſtitutionen, und die uͤbrigen Verfaſſer der Juſtinia - neiſchen Geſezbuͤcher von den Pandecten und Codex ge - liefert haben, aus welchen die Baſiliken des Kaiſers Leo groͤſtentheils compiliret worden ſind; ſondern auch aͤchtlateiniſche, wie die Haloandriniſche und Hom - bergkiſche von denen griechiſchen Novellen des Kr. Ju - ſtinians; ja auch wohlgerathene und nach richtigen Grundſaͤtzen der grammatiſchen Interpretation geſchrie - bene teutſche Ueberſetzungen, wie z. B. der ohnlaͤngſt erſchienene Verſuch uͤber des zweiten Buchs vierzehnden Titel von Vertraͤgen, nicht hintangeſetzet wer - den3)Sammlung der roͤm. Geſetze auf Befehl K. Juſtinians verfertigt. 1. Th. Pandecten Frankf. u. Leipzig 1785. 8.. Auch ſind die Gloſſen ſowohl des civil - als kanoniſchen Rechts nicht ganz zu verwerfen4)Man vergleiche hier Abr. wieling Orat. pro Gloſ - ſatoribus hinter Deſſelben Lectionib. iuris civ. Traj. ad Rhen. 1740.. EinP 3vor -2)cianus; I. G. heineccius von P. Juventius Celſus; Meinard. tydemann von Ulpius Marcellus; van eck und Chriſt. Gottl. biener von Antiſtius Labeo; heinec - cius vom Salvius Julianus; cuiacius von Sext. Caͤcil. Africanus; B. H. reinold vom S. Pompon; Chr. rau von Claudius Tryphoninus; Ebenderſelbe von Aurel. Arcadius Chariſius; C. van bynckershoeck vom Styl des Ulpians Obſ. VIII. 15. u. a. m. geſchrieben haben, uͤberhaupt vergleiche man franck vitas tripartitas ICtorum veterum Halae 1718. 4. Soviel die barbariſch lateiniſche und griechiſche Sprache des mittlern Zeitalters anbelangt, ſo iſt vorzuͤglich zu gebrauchen Car. du fresne du Cange Gloſſarium nach der Ausgabe der Benedictiner, und carpentier Supplement. ad Cangium. S. meine Praecogn. iur. eccl. §. 205. not. 11. 2301. Buch. 1. Tit. vortrefliches Huͤlfsmittel, den wahren und urſpruͤngli - chen Verſtand eines Geſetzes zu ergruͤnden, iſt jedoch die Vergleichung aller der aus eben demſelben Buch ei - nes Rechtsgelehrten genommenen Stellen in denen Pan - decten mittelſt ihrer Inſcription; desgleichen die Ver - bindung derjenigen Conſtitutionen des Juſtinianeiſchen Codex, welche einerley Ueberſchrift und Unterſchrift ha - ben, auch urſpruͤnglich zuſammengehoͤrten, von den Compilatoren aber getrennt worden ſind5)Dieſes haben mit vielen Beiſpielen beſtaͤrkt Iac. labit - tus in Uſu indicis Pandectarum; Henr. brenc - mann Diſſ. de Legum Inſcriptionibus; und Bern. Henr. reinold Orat. de Inſcript. LL. Di - geſt. et Cod. hinter Abr. wieling iurispr. reſtit. , wobey Abraham Wielings iurisprudentia reſtituta Amſter - dam 1727. 8. und C. F. Hommels Palingeneſia librorum iuris veterum, Leipzig 1767. und 1768. Tomi III. dem Geſezausleger groſen Nutzen leiſten.

Es beſchaͤftiget ſich jedoch die grammatiſche Geſez - erklaͤrung nicht bloß allein mit der B[e]ſtimmung des Wortverſtandes, und Bedeutung der Worte, ſondern ſie hat auch noch ein zwotes wichtiges Geſchaͤft, wel - ches in Berichtigung und Verbeſſerung des Textes, wenn derſelbe verdorben, deßgleichen in Unterſcheidung des Aechten von dem Falſchen beſtehet, inſofern der Text interpolirt ſeyn ſollte. Man nennt dieſen Theil der grammatiſchen Geſezauslegung, welcher in Herſtellung der Richtigkeit des Textes beſtehet, die juriſtiſche Critie6)I. G. heineccii Praefat. bynckershoeckii Obſervat. praemiſſa, de artis criticae utilitate in iuris - prudentia, deque boni critici officio; auch in Deſſelben Opuſc. minorib. varii angumenti Opuſc. III. S. 23. folgg.. Dieſelbe kann von der grammatiſchen In -ter -231de Iuſtitia et Iure. terpretation nicht getrennt werden, weil ohne dieſe der wahre Wortverſtand eines Geſetzes, den man durch die Sprachkenntnis bekommt, weder feſtgeſezt, noch ein ſicherer Grund gelegt werden kann, den eigentlichen Sinn des Geſetzes zu beſtimmen, ſo lang nicht gewiß iſt, daß der Text richtig ſey. Dieſe juriſtiſche Critie iſt nun zwar in jedem Theile der Rechtsgelahrtheit noͤ - thig, jedoch nirgends mehr, als bey Erklaͤrung der Geſetze des roͤmiſchen und kanoniſchen Rechtskoͤrpers. Man darf ſich auch hieruͤber eben nicht wundern. Denn erſtlich ſind die Compilatoren beyder Geſezbuͤcher mit den Geſetzen, die ſie ſammleten, oft ſehr willkuͤhrlich ver - fahren; ſtatt ſie zu excerpiren, und einen kernhaften Auszug aus denſelben darzuſtellen, haben ſie dieſelben zuweilen ganz verſtuͤmmelt, oft Geſetze zerſchnitten, und die einzelnen Stuͤcke unter ganz verſchiedene Titel ge - bracht, oft mehrere, welche ihnen gleichen Inhalts zu ſeyn ſchienen, in eins zuſammengeſchmolzen, und dadurch die Geſetze nicht wenig verdunkelt. Nicht ſelten haben ſie auch weſentliche Veraͤnderungen in denen Worten der Geſetze ſelbſt vorgenommen, manches hinzugeſezt, manches weggelaſſen, und hierdurch den Geſetzen zuwei - len einen ganz andern Sinn beygelegt. Man nennt dergleichen Interpolationen und Veraͤnderungen, welche die Compilatoren unſerer Geſezbuͤcher in den Worten der Geſetze vorgenommen, Emblemata Triboniani, Em - blemata Gratiani und Raymundi7)Chr. Fr. Ge. meister Diſſ. de principio cogno ſcendi emblemata Triboniani, in Opuſc ſyll. I. N. IV. Io. chifletii Diſſ. apologet. de iuris utriusque architectis, Iuſtiniano, Tribo - niano, Gratiano et Raymundo, in ottonis Theſ. iur. Rom. Tom. I. S. 161. u. folgg. Io. Chr. With. . Zudem ſind zwei -P 4tens2321. B. 1. Tit. tens unſere Geſezbuͤcher mancherley Abſchreibern und un - wiſſenden Leuten in die Haͤnde gefallen, die dasjenige, was ihnen dictiret wurde, oder ſie ſelbſt abſchrieben, oft eben ſo wenig verſtanden, als abgerichtete Voͤgel das Liedgen, was ſie uns vorſingen. Dieſe haben durch ihre Unwiſſenheit nicht nur die Worte der Geſetze hin und wieder verdorben, ſondern auch nicht ſelten Rand - gloſſen mit in den Text hineingebracht, und hierdurch die Geſetze nicht wenig verdunkelt8)Beiſpiele von ſolchen Gloſſemen hat Io. van de water Obſervat. iuris Rom. Lib. I. c. 15. Lib. II. c. 9. c. 20. Lib. III. c. 4. Man vergleiche auch walch ad eck - hardi Hermenevt. iuris Lib. I. c. 2. S. 41. u. folg.. Sie haben uͤber - dies bey denen Fragmenten ex libris ad Edictum die Worte des Edicts von den Worten des roͤm. Rechts - gelehrten, wodurch er daſſelbe erlaͤutern wollte; desglei - chen bey denen Stellen ex libris Reſponſorum et Quae - ſtionum die Worte des Anfragenden von der Antwort oder ertheilten Belehrung des Rechtsgelehrten nicht im - mer genau genug unterſchieden9)S. duaren. Anniverſ. Diſputat. Lib. II. c. 28. M. A. galvanus de Uſufructu c. XI. n. 8. und cap. XIV. in fin. van de water Obſervat. iur. Rom. Lib. II. c. 17. S. 208. u. folgg.. Auch ſind durch un - richtige Interpunction, Trennung zuſammengehoͤriger oder Zuſammenfuͤgung unterſchiedener Woͤrter; nicht weniger durch fehlerhafte Abtheilung der Paragraphen eines Geſetzes10)So. z. B. muß in L. 1. §. 33. D. depoſiti vor eiusdem ge - leſen werden eius dem und in L. 6. §. 2. D. ad SCtumTre - viele Stellen unſers roͤmiſchen Rechts -koͤr -7)With. de steck de interpretationibus Raymun - di de Penna Forti decretalium compilato - ris commentar. Lipſiae 1754. eckhard Herme - nevt. iur. Lib. I. c. 6. et c. 8. §. 318. ſqq. 233de Iuſtitia et Iure. koͤrpers verunſtaltet worden. Doch wer vermag ſie al - le zu erzaͤhlen die vielerley Unrichtigkeiten, die durch Unwiſſenheit und Nachlaͤſſigkeit der Abſchreiber und Buch - drucker ſich in unſere Geſezbuͤcher eingeſchlichen haben.

Die Pflichten des critiſchen Geſezauslegers ſind nun:

  • 1) die von den Compilatoren verſtuͤmmelten Geſeztexte aus den Quellen zu ergaͤnzen und herzuſtellen,
  • 2) zu unterſuchen, ob und in wiefern ein Geſez von den Compilatoren interpolirt worden ſey. Zwar duͤr - fen freylich die ſogenannte Emblemata Compilato - rum nicht verworfen werden, da, wo die veraͤnderte Staats, und Rechtsverfaſſung, dergleichen Veraͤnde - rungen in denen Gefetzen nothwendig machte, zumahl die Verfaſſer unſrer Geſezbuͤcher hierzu authoriſirt waren; allein es iſt doch auch gewiß, daß zur richtigen Beſtimmung des Wortverſtandes dem Aus - leger zu wiſſen unumgaͤnglich noͤthig iſt, was in dem Geſez von dem Urheber ſelbſt und was vom Compilator iſt, wenn er nicht in unvermeidliche Wi - derſpruͤche und unaufloͤsliche Schwierigkeiten gerathen will

    11)Zum Beiſpiel kann L. 9. §. 2. D. de ſupell. leg. dienen, woſelbſt die Worte: utique ſi non in uſu creditoris id argentum voluntate debitoris fuit, unerklaͤrbar waͤren, wenn man nicht ein Emblema Triboniani annaͤhme, denn ohne Zweifel war von einem ſolchen Fall die Rede, wo die Sache ſub pacto fiduciae verpfaͤndet war, und der Cre - ditor ein interimiſtiſches Eigenthum hatte; weil aber zuJu -

    . Nur muß hierin nach richtigen Erkennt -P 5nis -
    10)Trebell. gehoͤren die Worte ſed et ad filium offenbar noch zum Schlus des §. 1.
    10)2341. Buch. 1. Tit. nisgruͤnden verfahren werden, damit man nicht Em - blemata zu finden vermeinet, wo doch dergleichen wirklich nicht vorhanden ſind
    12)So hat man z. B. in L. 1. D. de Legat. 1. ein der - gleichen emblema Triboniani zu finden geglaubt; allein ohne genugſamen Grund, wie Walch ad Eckhardum §. 240. S. 431. gezeigt hat.
    12). Hierzu wird nun freylich eine genaue Kenntniß von der Chronologie der roͤmiſchen Rechtsgelahrtheit, und fleißige Ver - gleichung der Quellen, aus denen die Compilatoren geſchoͤpft haben, vorzuͤglich der Fragmente des An - tejuſtinianeiſchen roͤmiſchen Rechts, d. i. der Ueber - bleibſel, die wir noch von einigen Schriften der aͤl - tern roͤmiſchen Rechtsgelehrten, desgleichen vom Gregorianiſchen, Hermogenianiſchen und Theodoſia - niſchen Codex haben, erfordert, um zu beurtheilen, ob das Recht, was uns unter der Aufſchrift eines roͤm. Rechtsgelehrten, oder eines Kaiſers vorgetra - gen wird, wirklich dazumahl uͤblich geweſen ſey. Die Pflicht des Kritikers iſt weiter,
  • 3) mit Huͤlfe der Inſcriptionen, welche uͤber den ein - zelnen Geſetzen der Pandecten und des Codex befind - lich ſind, ſowohl die von den Compilatoren zerriſſe - ne Stellen wieder zuſammen zu fuͤgen ſuchen, und hierdurch den Zuſammenhang der Rede herzuſtellen, als auch denen ſogenannten Legibus fugitivis ihren rechten Plaz anzuweiſen, aus welchen die Compila - toren ſie verdraͤngt haben
    13)Z. B. L. 6. D. de Transact. ſtehet ganz am unrechten Orte, und gehoͤrt vielmehr zum L. 1. D. Teſtam. quem -adm.
    13). Nicht weniger
4) die

11)Juſtinians Zeiten dieſe Fiducia aufgehoben war, ſo ver - wandelte tribonian die Worte ſi non fiduciae credi - toris: in ſi non in uſu creditoris. S. Io. van de wa - ter Obſervat. iur. Rom. Lib. I. cap. 10.

235de Iuſtitia et Iure
  • 4) die durch Unwiſſenheit der Abſchreiber in den Text eingeſchlichene Gloſſeme von den aͤchten Worten der Geſetze gehoͤrig zu unterſcheiden; und endlich
  • 5) verdorbene Leſearten zu verbeſſern. Dieſes muß je - doch immer nur die lezte Zuflucht des critiſchen Ge - ſezauslegers ſeyn, zu welcher er nie eher ſchreiten darf, als wenn es die hoͤchſte Noth erfordert. Ei - ne ſolche Nothwendigkeit aber iſt nur erſt dann vor - handen, wenn die Worte des Geſetzes, ſo wie ſie lauten, entweder gar keinen oder einen offenbar wi - derſprechenden Sinn haben. Man emendire aber auch beſcheiden, das heiſt, man aͤndere in dem feh - lerhaften Geſez ſo wenig als moͤglich; dieſes geſchie - het, wenn man mit Beibehaltung der Worte nur die Unterſcheidungszeichen aͤndert, oder einzelne Worte zuſammenfuͤgt oder von einander trennt, oder einzelne Sylben oder Buchſtaben in den Worten aͤn - dert. Es laſſen ſich jedoch hiervon keine allgemeine Regeln geben; wolte man ins Detail gehen, ſo wuͤr - den die Regeln eben ſo unzaͤhlig ſeyn, als die Ur - ſachen der fehlerhaften Leſearten ſind
    14)Guil. bestius de ratione emendandi leges. Ultrajecti 1707. auch Abr. wieling in Praefat. lectio - num iuris civ. Io. mercerii Conciliator, ſive ars con ciliandorum eorum, quae in iure contraria videntur: cum notis B. H. reinoldi. Duisb. ad Rhen. 1712. eckhard Lib. I. c. 2.
    14). Die Huͤlfsmittel zur Beurtheilung der Richtigkeit desTex -
    13)adm. aperiant. Denn beyde ſind aus des gaii lib. 17. ad Edictum provinciale genommen, und L. 1. §. 1. enthaͤlt die abgeriſſnen Worte des L. 6. de Transact. in ihrem voͤlligen Zuſammenhange. Von denen ſogenaunten Legibus fugitivis handelt eckhard Hermenevt. Lib. I. c. 5. §. 169.
    13)2361. Buch. 1. Tit. Textes und Verbeſſerung deſſelben ſind theils al - te glaubwuͤrdige Handſchriften
    15)Von vorzuͤglichem Werthe iſt zwar die ſehr alte Hand - ſchrift der Florentiniſchen Pandecten, doch kann ſie nicht in jedem Fall bey Beſtimmung der richtigen Leſeart zur Norm dienen, weil es entſchieden iſt, daß ſie auch hin und wieder Fehler hat. Es ſind daher auch andere alte Handſchriften zu Huͤlfe zu nehmen. Von ſolchen Handſchriften nicht allein der Pandecten, ſondern auch der uͤbrigen Juſt. Geſezbuͤcher handelt ſehr ausfuͤhrlich der ge - lehrte Herr Hofr. walch ad Eckhardum Lib. I. c. 2. §. 83. S. 100. ff. und S. 123. ff. S. 135. ff. und S. 140. Auch beſizt unſere Erlanger Univerſitaͤtsbiblio - thek einen alten Codex vom Digeſto vetere, welcher ſehr gute Leſearten enthaͤlt; z. B. in L. 34. §. 4. D. de iure - iur. ließt unſer Codex: hoc iusiurandum de calumnia aeque patrono parentibusque remittitur: wo ſelbſt Codex Florentinus die unrichtige Leſeart neque patrono neque parentibus hat, welche mit andern Stellen unſerer Pan - decten als L. 8. §. 5. D. Qui ſatisdare cog. L. 7. §. 3. de obſeq. parent. et patron. praeſt. in offenbaren Wi - derſpruch ſtehet. Da die alten Codices meiſt ſehr unle - ſerlich geſchrieben ſind, und beſonders viel Abkuͤrzungen enthalten, ſo iſt zum Gebranch ſolcher alter Handſchrif - ten dem critiſchen Rechtsausleger die Diplomatic un - umgaͤnglich noͤthig. Die mancherley Arten der Hand - ſchriften nach denen Zuͤgen der Buchſtaben lernt man aus baring Clavi diplomatica. Hanov. 1754. 4. auch ma - billonius de rediplomatica kennen. Unter den ver - ſchiedenen Abkuͤrzungsarten iſt, was die Florentiniſche Handſchrift der Pandecten anbetrift, beſonders diejenige ſehr gewoͤhnlich, welche man Geminatio nennt. Sie be - ſtehet darin, daß, wenn Buchſtaben, oder Sylben, oder auch Worte unmittelbar auf einander folgten, wel - che einerley lauteten, die Abſchreiber ſolche nur einmahl hinſezten, und die uͤbrigen Buchſtaben oder Sylben weg -war -
    15), theils Ausga -ben237de Iuſtitia et Iure. ben
    17)Unter den Ausgaben der Pandecten zeichnen ſich zunaͤchſt diejenigen aus, welche die florentiniſche Leſeart enthalten, oder wo ſie wenigſtens zum Grunde liegt; zu dieſen ge - hoͤren folgende: 1) Digeſtorum ſ. Pandectarum libri L. ex florentinis Pandectis repraeſentati per Franciſcum taurellium. Florentiae 1553. f. 2) Ius civile MSS. librorum ope infinitis locis emendatum, et perpetuis notis illuſtratum L. russardo auctore. Lugd. 1560. f. und Antwerp. 1567. 8. und Ebendaſelbſt 1570. 3 ) Corpus iuris civ. cum notis Ant. contii. Pariſ. 1562. Vol. IX. 8. 4 ) Digeſta ſ. Pandectae, curante Iac. vintimillio. Pariſ. 1548. IX. vol. 8. u. 1550. 5 ) Satr. Princ. Iuſtiniani iuris enucleati ex omni vetere iure collecti Digeſtorum ſ. Pan - dectarum libri L. opera et diligentia L. charondae. Antw. 1575. f. (Am Rande findet man Leſearten aus ei - nem Cod. MS. Stephani auredani, welche vortreflich ſind, z. B. die ganz verdorbene Stelle L. 7. §. 1. fin. D. de captiv. et poſtlim. reverſis iſt mit Huͤlfe deſſelben voͤl - lig reſtituirt, denn ſtatt neque viri boni nobis praeſunt. ließt codex Auredani: neque iure omni nobis pares ſunt. 6) Corpus iuris G. Chr. gebaueri; ſo nach Deſſelben Tode Prof. spangenberg Goͤttingen 1776. 4. edirt hat; und 7) Corpus iuris civilis diligentia Io. Frid. plitt denuo editum Hagae Comit. et Francof. ad Moen. 1789. 8. Auſſer dieſen Florentiniſchen Ausgaben verdienen noch angefuͤhrt zu werden 8) Digeſtorum ſ. Pandectarum iuris civ. Vol. 5. Pariſiis ex officina Roberti stephani 1527. 8. 9) Di -
    17) von denen juſtinianeiſchen Geſezbuͤchern, die von bewaͤhrten Handſchriften ſind abgedrukt worden. Vor -
    15)warfen; in ſolchen Stellen muͤſſen alſo manchmahl Buch - ſtaben, Sylben, ja zuweilen Worte doppelt geleſen wer - den. So z. B. wird eame fuͤr eam a me in L. 11. §. 3. D. de iureiur. ferner defendum vor defendendum in L. 45. pr. D. de fideic. libert. Desgleichen exhibitis fuͤr exhibitis iis in L. 3. §. 6. D. ad exhib. geleſen. S. eck - hard Lib. I. c. 2. §. 61. u. folg.
    15)2381. Buch. 1. Tit. Vorzuͤglich dienen hierzu auch die Ueberreſte von den Buͤchern der Baſiliken
    18)Carl Hannibal Fabrottus hat die Buͤcher der Baſi - liken edirt. Paris 1647. Tom. VII. fol. vollſtaͤndig ſind aber nur 34. S. hoepfner Praetermiſſa quaedam de Βασι - λικῶν libris. Giſſae 1774. Das 49. 50. 51. u. 52. Buch ſte - hen vollſtaͤndig in Tom. V. Theſ. Meermann. von dem Nutzen derſelben handelt I. G. hoffmann Diſſ. ad Pan[d]ect. X. §. 2.
    18), denn ſie ſind aus den griechiſchen Ueberſetzungen und Paraphraſen der Juſtinianeiſchen Geſezbuͤcher compilirt worden, wel - che nicht lange nach Juſtinians Zeiten von Maͤnnern ſind gemacht worden, die zum Theil ſelbſt an den Text der Juſtin. Geſezſammlungen gearbeitet, und alſo auch wohl die beſten Handſchriften dabey zum Grunde gelegt haben
    19)Jedoch ſind auch die Baſiliken mit Behutſamkeit zu ge - brauchen. Man ſehe eckhard Lib. I. c. VII. §. 304. und walch ad Eundem S. 548.
    19). Einen groſen Schaz dertreflich -
    17)9) Digeſtorum ſ. Pandectarum libri L. editi Norimbergae per Gregor. haloandrum 1529. 4. (Dieſe Ausgabe iſt jedoch mit groſer Behutſamkeit zu gebrauchen. Ad ha - loandrum, ſagt Io. Conr. ruͤcker in Praefat. Obſer - vat. et Interpret. S. 4. in conſtituenda fragmenti alicuius lectione tuto recurrere vix unquam poſſumus: cum enim quam plurima audocter nimis ex ingenio paſſim mutave - rit, detraxerit, addiderit, dignoſcere iam nulla ratione poſſumus, quae ipſi, quae vero antiquis codicibus, ſi forte quos adhibuit, debeantur. Man ſehe auch das Urtheil Aegid. menagii Amoen. iur civ. c. 8.) 10) Digeſtorum ſ. Pandectar. iuris civ. libri L. ad exemplar Florenti - num et Haloandrinum nec non vulgatas editiones quam diligentiſſime collati, paſſimque emendati cura Lud. mi - raei Pariſ. 1552. u. 1553. Vol. VII. 8. mehrere noch fuͤhrt Henr. brencmann in Hiſtor. Pandectar. Lib. III. c. 4. an. Die beſten Ausgaben von den Inſtitutionen, Codex und Novellen findet man beym Walch ad Eck - hardum S. 129. folgg.
    17)239de Iuſtitia et Iure. tre[f]lichſten Bemerkungen zur Critic, und Berichti - gung corrupter Texte wird man endlich in de - nen Schriften der eleganten Rechtsausleger fin - den, welche ſie unter den Tituln Obſervationes, Emendationes, Coniecturae, Probabilia, Lectiones, Membranae und Reprebenſa
    20)Bekannt ſind die eleganten Schriften eines Iac. cuia - cii, Fr. hotomanni, Marc. lyclama a nyholt, Franc. de amaya, Fr. duareni, Em. merillii, Ios. averanii, Ant. fabri, Ant. augustini, Elb. leo - nini, Ger. noodt, Corn. van bynckershoeck, Balth. branchu, Iac. voordae, Herm. noordkerck, Io. Guil. marckart, Abr. wieling, Io. van de water, Hub. Greg. van vryhoff, Ge. D arnaud, Pet. bon - dam, Io. Conr. ruͤcker, Herm. cannegieter, B. H. reinoldi, Chriſtfr. waechtler, Io. Lud. conradi, Io. Gottfr. sammet, (receptae lectiones ad Iauchium) I. L. E. puͤttmanni, und mehrere andere.
    20) herausgegeben ha - ben
    21)Was ich von der Critic des roͤm. Rechts geſagt ha - be, laͤßt ſich zum Theil auch auf die Critic des eanoni - ſchen Rechts anwenden. Einen Verſuch von einer critica iuris canonici enthalten meine Praecognita iuris ec - cleſiaſtici. Cap. III. Sect. II. S. 417 513.
    21).

§. 36. Grundſaͤze der logiſchen Geſezerklaͤrung.

Iſt nun ſolchergeſtalt der Wortverſtand eines Ge - ſetzes nach den Regeln der grammatiſchen Interpretation ausgemittelt worden, ſo kommt es weiter darauf an, ob die wahre Abſicht und Willensmeinung des Geſezge - bers durch die Worte erſchoͤpft ſey, oder nicht. Dieſes muß aus dem Zweck des Geſezgebers oder der Urſach beurtheilt werden, weshalb er das Geſez gegeben hat. Und2401. Buch. 1. Tit. Und hierin beſtehet nun die logiſche Geſezausle - gung, welche die Abſicht und den Beweggrund des Geſezgebers unterſucht, und hieraus beurtheilt, ob man bey den Worten ſtehen bleiben, oder dieſelben ausdeh - nen oder einſchraͤnken muͤſſe. Hat nun der Geſezgeber ſelbſt den Grund hinzugefuͤgt, der ihn bewogen hat, das Geſez zu geben, ſo hat der Ausleger ſodann keine weitere Muͤhe, denſelben aufzuſuchen; nur muß es ge - wiß ſeyn, daß der Geſezgeber den wahren, weſentlichen Grund im Geſez angefuͤhrt habe. Denn nicht ſelten finden wir, daß die Geſezgeber aus Staatspolitic ihre wahre Abſicht verſchweigen, und ihre Geſetze mit aller - hand Scheingruͤnden zu coloriren ſuchen22)Man vergleiche hier Herm. Ern. rumpel Diſſ. de legum rationibus, quae in ipſis legibus mi - nus accurate exhibentur. Erfordiae 1765. Bei - ſpiele aus dem Civilrecht hat auch walch ad Eckhar - dum S. 26. aus dem canoniſchen Recht aber habe ich dergleichen in meinen Praecognitis angefuͤhrt §. 35. Man huͤte ſich jedoch, daß man nicht die in den Geſe - tzen angefuͤhrte Gruͤnde ohne Grund fuͤr unzureichend haͤlt. Hiervon hat Frid. Gottfr. hauck in Diſſ. de ra - tionibus ICtorum veterum falſo ſuſpectis Trajecti ad Rhen. 1734. ſehr ausfuͤhrlich gehandelt, wel - che in Ger. oelrichs Theſ. Diſſert. Belgicar. T. I. S. 314. ſteht.. Iſt aber der Grund dem Geſetze nicht beygefuͤgt, oder iſt der im Geſez angefuͤhrte Grund ſo beſchaffen, daß man billig daran zweifeln muß, ob es der wahre weſentliche Grund ſey; ſo iſt es Pflicht des Geſezauslegers, denſelben aus - zuforſchen, und hier muͤſſen ihn die Geſchichte von der Veranlaſſung des Geſetzes, Kenntnis der damahligen Staatsverfaſſung, Sitten und Gebraͤuche, auch herr - ſchend geweſener Meinungen, inſonderheit aber die Phi -loſo -241de Iuſtitia et Iure. loſophie ſelbſt zum Wegweiſer dienen23)Chriſt. Gottl. einert Diſſ. de Legum rationi - bus earumque inveſtigandarum regulis. Lipſiae 1771. Conr. Henr. Andr. hepke Comm. de oc - caſione et ratione legis. Hanov. 1754. 4.. Schon oben (S. 206.) habe ich vorlaͤuſig auch noch einer andern Quelle erwaͤhnet, woraus man die Abſicht des Geſez - gebers beurtheilen kann, von welcher ich nun jetzo noch etwas genauer handeln will. Dieſe iſt die Ordnung und der Zuſammenhang eines Geſetzes, oder Stelle mit dem Vorhergehenden und Nachfolgenden des Ganzen, wovon ſie ein Theil iſt. Zwar kann dieſes Mittel auch bey der Auslegung einzelner Geſetze, wenn ſie zumahl aus mehrern Puncten oder Capitteln beſtehen, aller - dings angewendet werden; wie z. B. bey der Guͤldnen Bulle, weſtphaͤliſchen Frieden24)Man ſehe Joh. Nikl. Fried. Brauers Verſuch ei - ner auf dem weſtphaͤliſchen Frieden angewen - deten Auslegungskunde. §. 5. in Deſſelben Ab - handlungen zur Erlaͤuterung des Weſtphaͤl. Friedens. I. Band S. 15. u. folg. u. d. Allein haupt - ſaͤchlich findet es doch bey ganzen Geſezbuͤchern ſtatt. Denn es iſt ganz natuͤrlich, daß wenn eine Menge von Geſetzen uͤber einerley Gegenſtand unter einem Titul ſind geſtellet worden, ſolche nothwendig in einem ge - wiſſen Zuſammenhange unter einander ſtehen muͤſſen. Jede Auslegung einzelner Stellen, wenn ſie aͤcht ſeyn ſoll, muß daher ſo geſchehen, daß Harmonie derſelben mit dem Ganzen, und ſeinen einzelnen Theilen, die darauf eine Beziehung haben, vorhanden iſt. Ich will z. B. nur bey den Geſetzen der Pandecten ſtehen blei - ben. So wenig auch zu laͤugnen iſt, daß in den Pan - decten uͤberhaupt eine beſſere Ordnung moͤglich geweſenwaͤre,Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Q2421. Buch. 1. Tit. waͤre, ſo wenig darf man doch die einmahl darin zum Grunde gelegte Ordnung bey Auslegung einzelner Stel - len in denſelben aus den Augen laſſen. Dahero kommt es, daß man zuweilen ein, wenn gleich in allgemeinen Ausdruͤcken abgefaßtes Geſez, dennoch wegen der Ord - nung des Tituls, in welchem es ſteht, blos von ge - wiſſen beſondern Arten und Faͤllen erklaͤren muß. So z. B. handelt das ſiebente Buch der Pandecten von perſoͤhnlichen Dienſtbarkeiten, das folgende achte aber von Dinglichen, und daher muß der erſte Titul des leztern, ſeiner allgemeinen Ueberſchrift (de Servitutibus) ungeachtet, doch nur von dinglichen Dienſtbarkeiten, folglich auch die LL. 4. 8. 15. 16. und 18. deſſelben hiervon erklaͤret werden, obſchon ſie von Dienſtbarkeiten uͤberhaupt zu handeln ſcheinen25)Eben dieſes hat auch ſchon Abr. wieling Lection. iuris civ. Lib. I. cap. 17. gleich zu Anfangs bemerkt.. Nicht weniger fin - det ſich auch, wenn gleich nicht immer, unter den ein - zelnen Geſetzen eines Titels eine gewiſſe Doctrinalord - nung und Verbindung26)Hiervon handelt Ill. Io. Chriſtoph. koch in Diſſ. de ordine Legum in Pandectis. Gieſſae 1784. , ſo daß oft mehrere derſel - ben, ob ſie ſchon aus den Schriften ganz verſchiedener Juriſten genommen ſind, nur eine Periode machen, wo - von ſogleich die drey erſten Geſetze des erſtern Tituls der Pandecten ein Beiſpiel liefern. Andere, die zwar keine Periode zuſammen ausmachen, werden durch die Verbindungswoͤrter, nam, enim, ſed, autem, vero, etiam, idem, item igitur, itaque, et, ideo ergo, imo und dergleichen in Verbindung gebracht27)Z. B. Lib. I. Tit. I. L. 7. u. 8. Tit. II. L. 1. u. 2. Tit. III. L. 1. 2. L. 4 6. 10. 11. 12 14. 20. 21. 26 28. 29. 30. 33 36. 39 41. Tit. V. L. 1 3. 4. 5. 15. 16. Tit. VI. L. 2 4. u. a. m.. Nochan -243de Iuſtitia et Iure. andere ſind zwar nicht durch Verbindungswoͤrter, aber doch durch unverkennbaren Zuſammenhang ihres Inhalts verbunden28)Z. E. Lib. I. Tit. 3. L. 10 13. L.14 16. L. 32 40. u. d. m.. Hieraus laͤſſet ſich auch erklaͤren, war - um Geſetze, die aus den Schriften eines Juriſten ge - nommen ſind, oft an ganz verſchiedenen Orten ſtehen. Iſt alſo die Ordnung der Geſetze in den Pandecten nicht ganz zufaͤllig, ſo folgt, daß man bey Erklaͤrung derſelben hierauf allerdings Ruͤckſicht zu nehmen ha - be29)Hiervon hat Herr D. Hufeland in der oben S. 206. Note 49. angefuͤhrten Schrift umſtaͤndlicher gehandelt.. Dieſe wird uns lehren, daß manches Geſez der Pandecten wegen des Zuſammenhangs und Gegen - ſtands des Tituls, unter welchen daſſelbe von den Com - pilatoren iſt gebracht worden, jezt allgemein zu verſte - hen ſey, obſchon die darin enthaltene Regel von dem roͤmiſchen Juriſten, aus deſſen Schriften das Fragment genommen iſt, blos zu Entſcheidung eines beſondern Rechtsfalls, oder zur Erlaͤuterung einer beſondern recht - lichen Materie oder Verordnung urſpruͤnglich iſt ge - braucht worden30)Oben S. 65. habe ich bey Gelegenheit der L. 18. D. de poenis von dieſer Auslegungsart Gebrauch gemacht.. Es iſt jedoch bey Anwendung der Methode, die Geſetze der Pandecten aus ihrer Ord - nung und ihrem Zuſammenhange zu erklaͤren mit gro - ſer Behutſamkeit zu verfahren, theils weil Tribonian nicht uͤberall auf zuſammenhaͤngende Ordnung einzelner Geſetze dieſelbe Sorgfalt verwandt zu haben ſcheinet, ſondern in manchen Tituln die Geſetze in keiner andern Ordnung zuſammengeſezt hat, als in welcher ſie den Compilatoren bey der Lectuͤre der Schriften der Rechts -Q 2gelehr -2441. Buch. 1. Tit. gelehrten vorgekommen ſind31)Z. B. in dem Tit. 4. 14. 16. 18. bis 22. des erſten Buchs der Pandecten. Im Tit. 7. de adoptionibus laͤßt ſich nur bis zum L. 21. ein Zuſammenhang bemerken, die uͤbrigen Geſetze dieſes Tituls ſcheinen ohne alle Ordnung unter einander zu ſtehen. Auch in Tit. 15. des 2. Buchs der Pandecten de Transactionibus findet ſich wenig Zu - ſammenhang. Es ſcheint, daß die Compilatoren nicht ſo - wohl vor Zuſammenſetzung eines Titels, jedesmal einen ordentlichen Plan entworffen, als vielmehr nur unter den einzelnen dahin gehoͤrigen Fragmenten, einigen Zuſammen - hang herfuͤrzubringen geſucht haben. S. Hufeland a. a. O. §. V. ; theils weil unleugbar iſt, daß es den Compilatoren an hinlaͤnglicher Geſchick, lichkeit und Uebung, eine zuſammenhaͤngende philoſophi - ſche Ordnung zu beobachten, gefehlt hat. Daher denn in ſolchen Faͤllen, wo ſchlechterdings kein Zuſammen - hang der zu erklaͤrenden Stelle mit den vorhergehenden und nachfolgenden Geſetzen ebendeſſelben Tituls zu be - finden, oder das zu erklaͤrende Geſez in dieſer Verbin - dung einen offenbaren Widerſpruch oder Ungereimtheit zur Folge haben wuͤrde, die Cujaziſche Ausle - gungsart, wobey man auf die Inſeription des Ge - ſetzes, den Nahmen, Alter, Schreibart und Grundſaͤtze des Juriſten, von dem es herruͤhrt, ſo wie auf die Zu - ſammenſtellung deſſelben mit dem ganzen Inhalt des Buchs, aus dem es gezogen iſt, Ruͤckſicht nimmt, im - mer ihren vorzuͤglichen Werth behaͤlt32)Ein Beiſpiel giebt uns L. 5. §. 1. D. de pignor. et hypoth. wo es heißt: inter pignus autem et hypothecam tantum nominis ſonus differt. Dieſes wuͤrde mit dem, was L. 9. §. 2. D. de pignor. act. von dem Unterſchied zwiſchen pignus und hypotheca geſagt iſt, einen offenba - ren Widerſpruch verurſachen, wenn uns nicht die Inſcri - ption der L. 5. marcianus lib. ſing. ad FormulamHy -.

Hat245de Iuſtitia et Iure.

Hat man nun nach dieſen Regeln den wahren Grund des Geſetzes entdeckt; ſo findet ſich oft, daß die Abſicht und Willensmeinung des Geſezgebers weiter gehet, und mehr in ſich faſſet, als die Worte aus - druͤcken. Hier muß das Geſez nach der Abſicht des Geſezgebers ausgedehnet, und auf alle diejenigen Faͤlle angewendet werden, welche zwar in den Worten des Geſetzes nicht ausgedruckt ſind, bey welchen aber doch der Grund deſſelben ſtatt findet. So z. B. muß die Verordnung der Guͤldnen Bulle33)G. B. Cap. VII. §. 3. von der Vormund - ſchaft unmuͤndiger Curprinzen, und der Verweſerſchaft der Curlande waͤhrend der Minderjaͤhrigkeit nach dem Geiſt und Abſicht derſelben allerdings auch auf den Fall erſtreckt werden, wenn der rechtmaͤſige Beſitzer der Curlande aus andern Urſachen als wegen Minderjaͤhrig - keit, z. E. wegen Gemuͤthskrankheit oder Bloͤdſinn zur Regierung unfaͤhig ſeyn ſollte. Denn der Grund aller Vormund - und Verweſerſchaft liegt in der vorhande - nen Unfaͤhigkeit, ſich, ſein Vermoͤgen und ſeine Lande zu regieren. Iſt es nun nicht einerley, ob dieſe Un - faͤhigkeit ſich in Minderjaͤhrigkeit oder Gemuͤthskrankheit und Bloͤdſinn aͤuſſert? Ohne dieſe Ausdehnung wuͤrde auch der Zweck des Geſetzes, denen damalen ſo haͤu - figen Streitigkeiten wegen Fuͤhrung der Wahlſtimme bey einem Zwiſchenreiche zu begegnen, nur halb erreicht worden ſeyn34)Man vergleiche die uͤber dieſen Gegenſtand vor Kurzem erſchienene Schrift: Gedanken eines teutſchenRechts -. Oft gehet die Abſicht des Geſezge -Q 3bers32)Hypothecariam lehrte, daß der Saz des Marcians blos in Ruͤckſicht auf die hypothecariſche Klage zu verſtehen ſey, wie Juſtinian dieſes auch ſelbſt §. 7. I. de actionib. beſtaͤrkt hat.2461. Buch. 1. Tit. bers nicht auf alles, was der Ausdruck unter ſich be - greift. Hier iſt das Geſez einſchraͤnkend zu erklaͤren, und blos von denjenigen Faͤllen zu verſtehen, worauf der Wille des Geſezgebers unmittelbar abzielt. So z. B. werden wir in dem Titel der Pandecten de inof - ficioſo teſtamento zeigen, wie eingeſchraͤnkt das Geſez verſtanden werden muß, welches ſagt: exheredatus ha - betur pro mortuo35)L. 1. §. 5. D. de coniung. cum emancipato liberis. Meine Opuſcula Faſcic. III. S. 185. u. folg.. Findet ſich’s aber, daß die Abſicht des Geſezgebers durch die Worte genau er - ſchoͤpft iſt, ſo muß man bey den Worten des Geſetzes ſtehen bleiben, und man darf ſodann gerade nur das zur Norm annehmen, was der Geſezgeber geſagt hat. So z. B. geſtatten die Geſetze von beneficio compe - tentiae keine Erweiterung, und das Verboth des Legis commiſſoriae geht blos auf Verpfaͤndungen. Nach dem Unterſchied dieſer Faͤlle heißt die logiſche Geſezaus - legung bald eine ausdehnende, bald einſchraͤn - kende, bald eine blos erklaͤrende oder declara - tiviſche, wie der folgende §. unſers Auctors lehrt. Die Regeln, worauf ſich dieſe Verſchiedenheit der logiſchen Auslegungsart gruͤndet, ſind folgende zwey: a) Wo der Grund des Geſetzes eintritt, da muß auch die Vorſchrift deſſelben beobachtet wer - den; im Gegentheil b) wo der Grund des Ge - ſetzes nicht ſtatt findet, da faͤllt auch die Verordnung deſſelben hinweg. Allein ſo richtig dieſe beide Regeln an ſich ſind, ſo ſchwer iſt es, ſie in jedem Falle richtig anzuwenden. Denn oft kommen Faͤlle vor, wo bey einzelnen Subjecten der Grund ei -nes34)Rechtslehrers uͤber das Recht des Prinzen von Wallis zur Interimsregierung von Hannover. 1789. 4.247de Iuſtitia et Iure. nes Geſetzes gaͤnzlich wegfaͤllt; und wo man doch ſehr unrecht ſchlieſſen wuͤrde, wenn man darum die Verord - nung deſſelben nicht anwendlich halten wollte36)Eben dieſes hat auch Ioſ. averanius Interpretat. iuris Lib. V. c. 10. n. 2. ſqq. bemerkt, der uͤber dieſen Gegenſtand vorzuͤglich geleſen zu werden verdient. Ich will nur einige wenige Worte excerpiren. Ceſſante legis ratione, ſagt er, ceſſat ipſa lex. Locus hercle lubricus et periculoſus. Saepenumero ceſſat ratio legis, nec eo minus praecepto legis adſtringimur. Iura enim non in sin gu - las personas, ſed generaliter conſtituuntur. L. 8. D. de Legib. ac propterea si aliqua sit persona in tota illa univerſitate perſonarum, quam lex compre - hendit, cui non conveniat ratio legis, non exi - mitur a praecepto legis. . Z. B. ſo verordnet der Macedonianiſche Senatsſchluß, daß Keinem, welcher einem filiofamilias Geld dargeliehen haͤtte, weder bey Lebzeiten, noch nach dem Tode des Vaters eine Klage zuſtehen ſolle, es wieder zu for - dern37)L. 1. pr. D. de Senatusc. Macedon. . Die Abſicht des Geſetzes iſt, damit denen filiisfamilias die Gelegenheit zur Ausſchweifung und verſchwenderiſchen Lebensart genommen werde, welche fuͤr das Leben und Vermoͤgen der Vaͤter die gefaͤhrlich - ſten Folgen hatte38)§. 7. in fin. l. Quod cum eo, qui in aliena poteſtate. . Man ſetze nun: daß das Geld einem wohlgeſitteten und ſparſamen Sohne, jedoch ohne Wiſſen und Willen des Vaters, waͤre angeliehen wor - den, der hierdurch keinesweges zur Liederlichkeit waͤre verleitet worden, ſondern ſich vielmehr von dem erborg - ten Gelde etwas angeſchaft. Sollte nun darum wohl in dieſem Falle die Verordnung des Rathſchluſſes nicht eintreten, weil der Grund des Geſetzes zu ceſſiren ſcheint? Keinesweges39)L. 9. §. 2. D. de SCto Macedon. ; denn die Verordnung desQ 4Geſe -2481. Buch. 1. Tit. ſetzes iſt ganz allgemein. Von der Anwendung ei - nes allgemein geltenden Geſetzes aber iſt in einzelnen Faͤllen keine Ausnahme zu machen, wenn das Unzutreffende des geſezlichen Grun - des nur aus individuellen und auſſerordent - lichen Eigenſchaften eines gewiſſen Subjects hergeleitet wird, das iſt, wenn nur gerade ein oder anderes individuum diejenige Beſchaffenheit nicht haben ſollte, welche ſonſt gewoͤhnlich bey Perſohnen, Sachen und Handlungen dieſer Art einzutreten pflegt, und eben darum einen Beweggrund des Geſetzes aus - macht40)Weber von der natuͤrl. Verbindlichkeit. 2. Abth. 4. Abſchn. §. 64.. Wenn daher z. B. die Geſetze den Un - muͤndigen ein Teſtament zu machen nicht geſtatten, weil es ihnen noch gemeiniglich an der hierzu erforder - lichen Einſicht und Verſtande mangelt (quia nullum eo - rum animi iudicium eſt)41)§. 1. l. Quibus non eſt permiſſ. facere teſt. ; ſo findet dennoch in con - creto keine Ausnahme von der Regel ſtatt, wenn auch gleich bey dieſem oder jenem Individuum der zum Te - ſtiren erforderliche Verſtand vor den ſonſt gewoͤhnlichen Jahren eingetreten ſeyn ſollte. Denn die Legislation kann nur aufs Ganze, nur auf den gewoͤhnlichen Gang der Dinge ihr Augenmerk richten42)L. 5. D. de Legibus. Ad ea potius debet aptari ius, quae et frequenter et facile, quam quae perraro eve - niunt. , kann ihre Vor - ſchriften nicht auf die Eigenheit eines jeden beſondern Falles, ſondern nur auf ſolche Verhaͤltniſſe und Folgen bauen, welche die Dinge gemeiniglich haben43)L. 4. D. eodem. Ex his, quae forte uno aliquo caſu accidere poſſunt, iura non conſtituuntur. . Sol -249de Iuſtitia et Iure. Solchemnach kann nun freylich unter dem allgemeinen Gegenſtande des Geſetzes manches Individuum vorkom - men, bey welchem die Umſtaͤnde, die der Geſezgeber als gewoͤhnlich vorausſezt, nicht zutreffen, die Fol - gen, welche gemeiniglich damit verknuͤpft ſind, nicht zu befuͤrchten ſtehen; allein darum iſt doch nichts deſto weniger nach der allgemeinen Vorſchrift dabey zu ver - fahren, weil ſonſt der ganze Zweck der Geſezgebung ſehr leicht vereitelt werden koͤnnte. Wenn hingegen die Urſach, warum der Grund einer allge - meinen Verordnung ceſſiren ſoll, nicht aus bloſen individuellen und auſſerordentlichen Eigenſchaften eines gewiſſen Subjects her - genommen wird, ſondern wenn in einem gan - zen Inbegrif mehrerer aͤhnlicher Faͤlle und Verhaͤltniſſe ſchon durch die Natur der Sa - che, oder die Vorſchrift beſonderer Ge - ſetze ſolche Beſtimmungen eintreten, wornach gerade das Gegentheil von dem zur Regel wird, was den Beweggrund einer allgemei - nen Verordnung ausmacht: So kann mit Recht von dem fehlenden Grunde des Geſe - tzes auf die Unanwendbarkeit deſſelben ge - ſchloſſen werden44)Weber a. a. O. Seite 212.. Z. B. Wenn die Geſetze das Geſchaͤft eines Minderjaͤhrigen, wozu deſſelben Vormund keine Einwilligung ertheilet hat, aus dem Grunde fuͤr nichtig erklaͤren, weil ſolche junge Leute durch Ueberredung und Mangel an geſezter Ueberlegung leicht um das ihrige kommen koͤnnten; ſo ſiehet ein Jeder, daß dieſer Grund in dem Falle ceſſire, da der Minderjaͤhrige zwar ohne Vormund, jedoch als Mei - ſter einer gewiſſen Kunſt oder HandthierungQ 5einen2501. Buch. 1. Tit. Vertrag geſchloſſen. Der Vertrag iſt alſo guͤltig, und man behauptet mit Recht, daß in einem ſolchen Falle nicht einmahl die Wiedereinſetzung in den vorigen Stand ſtatt finde45)S. Hellfeld §. 458. n. 1.; allein nicht darum, weil man vorgiebt, daß gerade dieſer minor von der ſeinem Alter eigenen Fluͤchtigkeit eine Ausnahme mache; nein, denn es kann bey aller Geſchicklichkeit in ſeiner Kunſt dennoch der jugendliche Leichtſinn einen ſchaͤdlichen Ein - fluß auf den Handel ſelbſt gehabt haben, ſondern weil der Handel ſich auf ein buͤrgerliches Verhaͤltnis bezieht, wobey eine ganz andere Regel eintritt, als diejenige, worauf die ſonſtigen allgemeinen Geſetze von Geſchaͤften ſolcher Perſohnen ſich gruͤnden. Denn darf der Min - derjaͤhrige eine gewiſſe Kunſt oder Handthierung oͤffent - lich treiben; ſo wuͤrde ſich die Legislation widerſprechen, wenn ſie ihm auf der andern Seite in Anſehung eines ſolchen Gewerbes die erforderliche Einſicht und Kennt - nis nicht zueignen wollte46)Weber a. a. O. Seite 219. Not. 218.. Ich ſetze noch folgende Betrachtungen hinzu:

  • 1) wenn die Geſetze eine Handlung z. B. ei - nen gewiſſen Vertrag im allgemeinen ver - bieten; ſo ſind auch nach der Abſicht der - ſelben alle dahin gehoͤrige Unterarten ſo lange als unerlaubt anzuſehen, bis man deutlich zeigen kann, daß dieſe oder jene Species von dem allgemeinen Verbote ausgenommen ſey; oder daß der Grund des Geſetzes in einer einzelnen Gattung gaͤnzlich wegfalle

    47)So z. B. iſt nach dieſer Regel allerdings zu behaupten, daß wegen des allgemeinen Verbots des commiſſoriſchenVer -

    .
2) Wenn251de Iuſtitia et Iure.
  • 2) Wenn die Geſetze eine Handlung, die an ſich und nach dem Naturrecht nicht uner - laubt iſt, verbieten, und ſolche fuͤr unguͤl - tig erklaͤren: So geſchiehet es gemeinig - lich darum, weil ſie leicht uͤble Folgen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft nach ſich zie - hen kann; nicht aber allein nur in ſo fer - ne wirklich uͤble Folgen daraus ſchon ent - ſtanden ſind
    48)Weber von der natuͤrl. Verbindlichkeit a. a. O. Seite 214.
    48). Es iſt daher vergeblich, wenn man, um dem Geſez auszuweichen, beweiſen will, daß der gegenwaͤrtige Vorgang nicht diejenige nach - theilige Folgen zuwege gebracht haͤtte, die das ge - ſezliche Verbot zu verhuͤten geſucht. Eine Schen - kung alſo, welche ſich uͤber 500. Solidos belaͤuft, und nicht gerichtlich inſinuiret worden iſt, wird auch alsdenn in Anſehung deſſen, was uͤber die bemerkte Summe iſt, nicht guͤltig ſeyn, wenn gleich der Do - natarius beweiſen koͤnnte, daß der Schenkende ein reicher Mann ſey, dem eine ſolche Schenkung, wel - che auch uͤber die geſezliche Summe ſich belaͤuft, nicht die mindeſte Unbequemlichkeit verurſachen kann.
3) Es

47)Vertrags bey Verpfaͤndungen in L. ult. C. de pactis pi - gnor. die vorher nach den Geſetzen der Pandecten L. ult. D. de contr. emt. vend. und L. 16. §. ult. D. de pignorib. erlaubt geweſene Faͤlle nunmehro ebenfalls fuͤr unerlaubt zu halten ſeyn. S. Prof. Webers Eroͤrterung der Frage: wieweit erſtreckt ſich eigentlich bey Verpfaͤndungen das Verbot des ſogenannten Legis commiſſoriae: im niederſaͤchſiſchen Ar - chiv fuͤr Jurisprudenz und iuriſt. Litteratur von D. koppe I. Bandes 3. Stuͤck 1788. N. XIV. S. 160. folgg.

2521. Buch. 1. Tit.
  • 3) Es kann zuweilen ein Fall vorkommen, der dem im Geſez enthaltenen Falle von der einen Seite voͤllig gleich iſt, und den - noch kann, weil nicht gleiche Urſach der geſezlichen Sanction bey demſelben vor - handen iſt, das Geſez darauf nicht ausge - dehnet werden. Ein deutliches Beyſpiel hiervon geben die Moſaiſchen Eheverbote. Denn ſo finden wir oft, daß Moſes von zwey dem Grade der Verwandſchaft nach gleich nahen Ehen die eine aus - druͤcklich verboten, die andere aber nicht genannt hat; und dennoch kann nach der richtigen Erklaͤ - rung der heutigen Theologen ſowohl als Rechts - gelehrten das Verbot auf die nicht genannten Ehen nicht extendiret werden, weil man bey einer ge - nauern Unterſuchung gefunden, daß bey denenſelben nicht eben die Urſachen des Verbots vorhanden ſind, als bey den von Moſe ausdruͤcklich verbotenen Faͤllen. So iſt z. E. die von Moſe verbotene Ehe mit der Tante
    49)III. B. Moſ. XVIII, v. 12. 13. XX. v. 19.
    49), der von ihm nicht genannten Ehe mit der Niece; desgleichen die von Moſe ausdruͤck - lich verbotene Ehe mit des Vaters Bruders Wit - we
    50)III. B. Moſ. XVIII. v. 14. XX. v. 20.
    50), der nicht genannten Ehe mit der Mutter Bruders Witwe dem Grade der Verwandſchaft nach voͤllig gleich, aber dennoch nicht in dem einen Falle dieſelbe Urſach des Verbots, wie in dem andern Falle vorhanden, und daher darf auch nicht der Schluß von dem genannten auf den nicht genannten Fall gemacht werden. Da hier der Ort noch nicht iſt, dieſe Gedanken weiter zu detailliren, ſo beziehe ich mich einsweilen auf die gruͤndliche Ausfuͤhrungdes253de Iuſtitia et Iure. des Herrn Ritter Michaelis
    51)Abhandlung von den Ehegeſetzen Moſis. VI. Hauptſt.
    51), und ziehe nur hieraus das Reſultat, daß man ſich nie durch gewiſſe aͤuſſerliche Umſtaͤnde, die unter - weilen eine Aehnlichkeit der Faͤlle veran - laſſen koͤnnen, muͤſſe irre fuͤhren laſſen, und dieſe Aehnlichkeit fuͤr die Urſach des Geſetzes halten, ſondern ſtets a[u]f die wahre Abſicht des Geſezgebers[und]den Hauptgrund des Geſetzes Ruͤckſ[ich]t neh - men, und darnach die Aehnlichkei[t d]er Faͤl - le beurtheilen muͤſſe
    52)Man vergleiche uͤbrigens noch hierbey, was Iac. voor - da Interpretat. et Emendat. iuris Rom. Cap. I. Abr. wieling Lection. iuris civ. Lib. II. cap. 5. und Io. Chriſt. woltaer Obſervat. iuris civ. et Brandenburg. Obſ. 2. uͤber die Regel: ceſſante legis ratione, ceſſat legis diſpoſitio geſagt haben.
    52).

§. 37. Reſultat der logiſchen Auslegung, Analogie des Rechts.

Alle logiſche Geſezauslegung beruhet alſo auf dem Grundſatze der Uebereinſtimmung mit der Abſicht und dem Willen des Geſezgebers, vermoͤge welchen a) bey vorhandener Gleichheit des geſezlichen Grundes vermu - thet werden muß, der Geſezgeber habe in dem nicht ausdruͤcklich angezeigten Falle eben daſſelbe verordnen wollen, was er in dem angezeigten verordnet hat; da - hingegen er b) bey Verſchiedenheit der Gruͤnde in dem entgegen geſezten Falle auch das Gegentheil von dem, was er verordnet hat, wolle ſtatt finden laſſen. Wer demnach ein Geſez logiſch erklaͤrt, argumentirt ex ra -tione2541. Buch. 1. Tit. tione legis, und dehnet entweder nach Maßgabe derſel - ben das Geſez auf aͤhnliche Faͤlle aus, oder ſchließt vom Gegentheil auf die Unanwendlichkeit deſſelben. Das Reſultat in dem einen, wie in dem andern Falle heißt Analogie des Rechts (analogia iuris)53)Hiervon haben geſchrieben Io. Ge. kulpis Orat. de analogia iuris. Io. Phil. slevogt Diſſ. de ar - gumentis legum caute formandis. Chriſt. Henr. friesleben Pr. de ratiocinatione ex ar - gumento legis. Io. lac. hoefler Diſſ. de iuris - prud. analogicae fundamentis. Dan. nettel - bladt Diſſ. de deciſione caſuum ſecundum analogiam. Halae 1751. Die neueſten Schriften hiervon ſind Car. Henr. geisler Proluſ. de analogia iuris publici. Vitemb. 1784. Andr. Ioſ. schnau - bert Progr. de analogia iuris publici Impe - rii in fontibus iuris publici S. R. I. territo - riorum non numeranda. Helmſt. 1785. und Wilh. Gottl. Tafinger uͤber die Beſtimmung des Be - grifs der Analogie des teutſchen Privatrechts. I. Theil. Ulm 1787. 8., bey welcher wir uns jezt noch etwas verweilen muͤſſen. So wichtig dieſer Gegenſtand an ſich iſt, ſo ſehr muß man ſich billig wundern, daß die Rechtslehrer uͤber die Beſtimmung des Begrifs der Analogie des Rechts noch ſo getheilt ſind. Zu weit dehnen offenbar diejenigen den Begrif der Analogie aus, welche darunter den Schluß von einer allgemeinen Dispoſition auf einzelne darunter gehoͤrige Faͤlle verſte - hen wollen, indem unleugbar iſt, daß in dergleichen Faͤllen die Entſcheidung der Sache nicht ſowohl aus der Analogie, ſondern vielmehr aus dem Geſetze ſelbſt hergenommen werde. Zu enge Grenzen ſetzet man hin - gegen dem Begriffe der Analogie, wenn man ihn blos auf Aehnlichkeit der Faͤlle einſchraͤnkt, und ſolchein255de Iuſtitia et Iure. in eine extenſive Auslegung der Geſetze, oder wie ſich andere ausdruͤcken, in einen Uebertrag der Entſcheidung eines beſtimmten Falls auf einen andern wegen Gleichheit der beſtim - menden Umſtaͤnde ſetzet, weil man auch dann zu der Analogie ſeine Zuflucht nehmen muß, wenn von entgegengeſezten Faͤllen der Entſcheidungsgrund in einer unentſchiedenen Rechtsfrage hergeleitet wird, damit kein Widerſpruch und keine Ungereimtheit entſtehet. Denn wer wird glauben, daß der Geſezgeber eine ſei - ner Abſicht und Willensmeinung zuwider laufende Ent - ſcheidung wolle ſtatt finden laſſen? Andere denken ſich daher unter der Analogie des Rechts eine von aͤhn - lichen oder von entgegengeſezten Faͤllen ge - nommene Entſcheidung einer in den Geſetzen nicht entſchiedenen Rechtsfrage. Noch ande - re ſagen, ſie beſtehe in einer Uebereinſtimmung mit andern bekannten Rechtswahrheiten, welche in denen poſitiven Geſetzen gegruͤndet ſind. Ich ſtelle mir unter der Analogie des Rechts uͤberhaupt genommen nichts anders, als eine in dem Geſez nicht enthaltene, aber aus der Ab - ſicht und den Beſtimmungsgruͤnden des Geſez - gebers gefolgerte Entſcheidung eines zwei - felhaften Rechtsfalls vor; und theile ſie I) nach der verſchiedenen Art und Weiſe, wie die Entſcheidung ex ratione legis gefolgert wird, ein in diejenige, wel - che durch ein Argument von aͤhnlichen Faͤllen, und die - jenige, welche durch einen Schluß von entgegen ge - ſezten Faͤllen gefunden wird. Die Analogie der erſtern Art iſt die gewoͤhnlichſte, und wird daher die Anolo - gie des Rechts im ſtrengen Verſtande54)Man vergleiche hier L. 10. 11. 12. u. 13. D. de Legib. ge - nennt.

II. Dif -2561. Buch. 1. Tit.

II) Differirt ſie auch nach dem Unterſchiede der poſitiven Geſetze, aus deren Geiſte ſie gleichſam gezogen wird; und in dieſer Ruͤckſicht laͤßt ſich eine Analogie des roͤmiſchen, des canoniſchen Rechts, des teutſchen Staats-Privat-Peinlichen - und des Lehnrechts gedenken.

Uebrigens iſt bey Anwendung der Analogie groſe Vorſichtigkeit noͤthig. Man hat nehmlich

  • 1) Darauf zu ſehen, daß keine Verſchiedenheit der Perſohnen, auf die einerley Rechte ſich nicht anwenden laſſen, vorwalte. Nach dieſer Regel kann daher weder von den roͤmiſchen Knech - ten, noch von den Leibeigenen auf das heutige Mieth - geſinde wegen der gar zu groſen Verſchiedenheit ein richtiger Schluß gemacht werden; auch gilt kein Schluß von den roͤmiſchen Praͤtoren und Gouver - neurs der Provinzen auf unſere heutige Richter. Hierin haben es viel Rechtsgelehrte nicht blos im roͤmiſchen und teutſchen Privatrechte, ſondern auch im Staatsrechte und andern Theilen der Rechtsge - lahrtheit verſehen.
  • 2) Es darf der Grund und die Urſach des Geſetzes, welches man analogiſch anwen - den will, dem vorliegenden Fall nicht ent - gegen ſeyn. Denn der Grund aller Analogie be - ruhet auf der Uebereinſtimmung mit der Abſicht und dem Willen des Geſezgebers. Daher gilt in Gemaͤß - heit dieſer Regel kein Schluß von dem Reichsſtaats - rechte auf das Territorialſtaatsrecht, weil das teutſche Reich, als ein Staatskoͤrper betrachtet, von den einzelnen Territorien oder kleinern Staaten deſſelben ganz verſchieden, mithin vorauszuſetzen iſt, daß der Geſezgeber, wenn er die Reichsverfaſſung durch Ge -ſetze257de Iuſtitia et Iure. ſetze beſtimmte, das Reich, und nicht die Territorien, zum Gegenſtand ſeiner Geſezgebung gewaͤhlt habe; es kann folglich auch deſſen Abſicht, oder die Ana - logie ſeines Geſetzes auf die Territorialverfaſſung um ſo weniger erſtrecket werden, weil man ſonſt anneh - men muͤſte, daß von einer Staatsverfaſſung auf al - le, ſie moͤgen von einander ſo verſchieden ſeyn, als ſie immerhin wollen, ſich Schluͤſſe machen lieſſen, welches doch hoͤchſt ungereimt waͤre
    55)S. Schnaubert in der angefuͤhrten Schrift §. 5.
    55). Man wird mir verzeihen, daß ich gerade dieſes Beiſpiel hier gebrauche, indem auch das roͤmiſche Recht mir Bei - ſpiele zur Erlaͤuterung der obigen Regel gegeben ha - ben wuͤrde. Allein da ich bey Erlaͤuterung eines Titels der Pandecten ſtehe, der allgemeine Rechts - ſaͤtze enthaͤlt, die nicht auf das roͤmiſche Recht allein ſich einſchraͤnken, ſondern auch auf andere Theile des poſitiven Rechts anwendbar ſind, ſo habe ich kein Bedenken getragen, Beiſpiele auch aus andern Theilen der Rechtsgelahrtheit zur Erlaͤuterung anzu - fuͤhren. Endlich
  • 3) nehme man jederzeit bey der Analogie der Geſetze auf die beſondere Beſchaffenheit der - ſelben Ruͤckſicht, ob nehmlich das Geſez, woraus man argumentiren will, uͤberhaupt von der Art ſey, daß Analogie dabey ſtatt finden kann. Es giebt nehmlich Geſetze, die ſo geeigenſchaftet ſind, daß bey denenſelben keine Schlußfolge von der Aehnlichkeit der Faͤlle gilt. Da - hin gehoͤren einmahl diejenigen, welche ein beſonde - res Recht fuͤr gewiſſe Perſohnen oder Sachen enthal -tenGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1, Th. R2581. Buch. 1. Tit. ten
    56)L. 14. D. de Legib. Quod contra rationem iuris re - ceptum eſt, non eſt producendum ad conſequentias. ra - tio iuris heißt hier die Regel des gemeinen Rechts; wie die folgende L. 15. lehrt. In his, quae contra ra - tionem iuris conſtituta ſunt, non poſſumus ſequi regu - lam iuris: und die nachfolgende L. 16. beweißt, daß hier von einem iure ſingulari die Rede ſey: Ius ſingulare eſt, quod contra tenorem rationis propter aliquam utilitatem (d. i. zum Beſten gewiſſer Perſohnen oder Sachen) au - ctoritate conſtituentium introductum eſt.
    56); ſolche Geſetze laſſen keine Ausdehnung auf andere Faͤlle zu, als welche in denenſelben ausge - druckt ſind, geſezt auch daß bey andern nicht ge - nannten Faͤllen ein gleicher Grund vorhanden ſeyn moͤchte; hier gilt vielmehr der Schluß vom Ge - gentheil: nehmlich daß das Geſez dasjenige nicht wolle, was in den Worten deſſelben nicht ausge - druckt iſt
    57)Ger. noodt in Comment. ad Digeſta Lib. I. Tit. III. S. 15.
    57). Hierher gehoͤren ferner diejenigen Geſetze in den Pandecten und Codex, welche aus den Reſponſis lureconſultorum, desgleichen aus den Reſcriptis und Decretis Imperatorum Roma - norum genommen ſind. Denn da dieſe ſich auf lauter einzelne Anfragen und vorgelegte beſondere Rechtsfaͤlle beziehen, deren Umſtaͤnde uns meiſten - theils unbekannt ſind, ſo kann bey dieſen weder ein Schluß von der Aehnlichkeit der Faͤlle, noch vom Gegentheil ſtatt finden
    58)Eben dieſes haben auch ſchon laͤngſt bemerkt Laur. Andr. hamberger in Opuſculis S. 59. Ger. schroder Obſervat. iuris. Lib. I. cap. 5. Gerl. scheltinga in Diſſ. de emancipationibus P. I. Cap. IV. §. 2. in Dan. fellenberg Iurisprud. AntiquaT. II.
    58). Sie ſind viel -mehr259de Iuſtitia et Iure. mehr blos nach den Worten, und, wenn die Worte unbeſtimmt und nicht genau gefaßt ſind, in Gemaͤß - heit beſtimmterer Rechtsſaͤtze, deren Sinn in andern Stellen aufgeſchloſſener vor uns liegt, zu erklaͤren; denn die Abſicht ihrer Verfaſſer war nicht in den Reſcripten, oder Decreten, oder in den rechrlichen Gutachten neue Grundſaͤtze aufzuſtellen, ſondern laͤngſt bekannte der Anfrage oder dem vorgetragenen Rechts - falle gemaͤß anzuwenden
    59)Siehe Ger. noodt in Diocletiano et Maxi - miano. Cap. II. und eckhard Hermenevt. iuris Lib. I. c. V. §. 201. u. 221.
    59). Da nun aus der Inſcription des Geſetzes zu erkennen iſt, ob daſſelbe aus den libris Reſponſorum ſ. Quaeſtionum des - jenigen Rechtsgelehrten genommen ſey, der fuͤr denR 2Auctor
    58)T. II. Seite 500. Bern. Henr. reinoldus in Opuſcu - lis a Iuglero editis S. 581. Io. Guil. marckart Probabil. Receptar. Lectionum Iur. Civ. P. II. pag. 161. beſonders Adr. Nicol. moller in Diſſ. ſelecta quaedam Iur. Civ. capita continente Traj. ad Rhen. 1763. Cap. IV. in Ger. oelrich The - ſauro No[w]o Diſſertat. Belgicar. T. II. Vol. 2. Diſſ. 3. S. 131. und folg. auch I. L. E. puͤttmann in variis Iur. Civ. capitibus. Lipſiae 1766. cap. II. S. 11. und in Exercitat. ad L. XVI. C. de inoff. teſtam. Lipſiae 1774. S. 21. Eben dieſes gilt auch von der Erklaͤrung der Paͤbſtlichen Decretalſchreiben, wie Io. Aug. bach in Diſſ. de his, quae imputantur in quartam fiduciarii. §. 10. und puͤttmann in Pro - babil. Iur. Civ. libro ſing. S. 195. ſchon erinnert haben. Daß uͤberhaupt die argumenta a conſequentia und a contrario in unſerm iure behutſam zu gebrauchen, und oft ſehr[t]ruͤglich ſind, haben Ger. noodt in Iulio Paulo cap. VII. und Pet. de toullieu in Colle - ctan. Iur. Civ. Diſſ. XIII. §. 18. S. 358. durch viel Beiſpiele erwieſen.
    58)2601. Buch. 1. Tit. Auctor des Fragments gehalten wird; desgleichen ob Lex codicis ein Reſcript oder ein Decret ſey, ſo erhellet hieraus, was auch von dieſer Seite die Inſcriptionen der Geſetze in den Pandecten und Co - dex bey Erklaͤrung derſelben fuͤr einen Nutzen haben
    60)Man vergleiche vorzuͤglich B. H. reinold Orat. de Inſcriptionibus LL. Digeſtor. et Codicis. §. XIII. und wieling ad Eundem in Opuſculis S. 581.
    60).

§. 38. Eintheilung der Rechtsgelahrheit a) falſche.

Die hier von Hellfeld vorgetragene Eintheilung der Jurisprudenz in legislatoriam, iudiciariam und con - ſultatoriam iſt, wenn ſie gleich auch von andern ver - theidigt wird61)S. Programmata Thomaſiana (Halae 1724.) Nr. IIX. Seite 125. und folg., doch offenbar falſch62)Dieſe Eintheilung verwirft auch nettelbladt in Sy - ſtem. element. doctrinar. propaedeuticar. Iurisprud. poſitiv. Germanor. commun. §. 44., weil ſie nicht aus dem Begriffe der Rechtsgelahrheit hergeleitet werden kann. Denn Rechtsgelahrheit iſt eine practiſche Wiſſenſchaft der Geſetze, und der aus denſelben ent - ſpringenden Rechte und Verbindlichkeiten; ſie ſetzet alſo ſchon vorhandene Geſetze voraus, alſo kann ſie nicht mit Geſetzen ſich beſchaͤftigen, die erſt gegeben werden ſollen; mithin kann prudentia legislatoria, quae circa ius conſtituendum ſe exſerit, ohnmoͤglich ein Theil der Rechtsgelahrheit ſeyn. Was anders iſt geſezge - bende Klugheit, oder Politic der Geſezgebung, welche in der Klugheit beſtehet, die beſten und dem Staat angemeſſenſten Geſetze zu geben. Soviel hier - naͤchſt die vom Auctor angegebene gerichtliche undauſ -261de Iuſtitia et Iureauſſergerichtliche oder conſultatoriſche Rechts - gelahrtheit anbetrift, ſo ſind dieſe blos Unterabtheilun - gen der practiſchen Rechtsgelehrſamkeit, von welcher ich beym folgenden §. handeln werde; allein keine Haupttheile der Jurisprudenz.

§. 39. b) wahre Eintheilung der Rechtsgelahrtheit nach Verſchiedenheit 1) ihrer Quellen und 2) ih - rer Gegenſtaͤnde.

Richtiger theilt man die Rechtswiſſenſchaft

I) nach Verſchiedenheit ihrer Quellen, d. i. der Geſetze, woraus die Rechte und Verbindlichkeiten, welche ſie in ſich begreift, entſtehen, in die natuͤrliche und poſitive Rechtsgelahrtheit ein, je nachdem die zu ihr gehoͤrige Wahrheiten von den Rechten und Verbindlichkeiten entweder aus den natuͤrlichen oder aus den poſitiven Geſetzen entſpringen. Die poſitive Rechtsgelehrſamkeit iſt in Ruͤckſicht auf Teutſchland betrachtet, nach Verſchiedenheit der in Teutſchland gel - tenden Geſetze entweder die teutſche, einheimiſche (germanica ſ. domeſtica) oder die fremde (peregri - na). Jene hat zu ihren Quellen die teutſchen, dieſe die in Teutſchland aufgenommenen fremden Rechte, und nach dem Unterſchied derſelben laͤßt ſich die leztere wie - der in die Roͤmiſche, Kanoniſche und Longobar - diſche eintheilen.

II) Nach Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde, worauf ſich die aus den Geſetzen entſpringende Wahrhei - ten von den Rechten und Verbindlichkeiten beziehen, ſind die daher entſtehende Theile der Rechtsgelehrſamkeit entweder Haupt - oder Nebentheile; das ſindR 3ſolche,2621. B. 1. Tit. ſolche, welche nur auf eine gewiſſe Gattung von Din - gen oder Perſohnen ſich einſchraͤnkende Rechtswahrheiten betreffen. Dahin gehoͤrt z. B. das Policeyrecht, welches diejenige Rechtsgrundſaͤtze enthaͤlt, die ſich auf die zu Erhaltung und Befoͤrderung oͤffentlicher Ordnung und Wohlfarth unmittelbar abzweckende Anſtalten be - ziehen; ferner das Cameralrecht, welches alle die rechtlichen Grundſaͤtze enthaͤlt, die ſich auf Beſtimmung, Erhebung und Verwendung der Staatseinkuͤnfte bezie - hen; desgleichen das Landwirthſchaftsrecht, welches ſolche rechtliche Beſtimmungen in ſich faßt, die ſich auf die Mittel beziehen, wie die Naturproducte auf die vortheilhafteſte Art gewonnen und benuzt werden koͤn - nen. Ferner das Wechſelrecht, Kriegsrecht, Handelsrecht, Buͤrgerrecht, Dorf - und Bau - renrecht. Soviel nun die Haupttheile der poſi - tiven Jurisprudenz anbetrift, ſo laſſen ſich dieſelben nach ihrem Gegenſtand folgendergeſtalt beſtimmen. Die zur Jurisprudenz gehoͤrige Rechtswahrheiten betref - fen entweder die Rechte und Verbindlichkeiten an ſich, oder ſie betreffen die Art und Weiſe, wie die rechtli - chen Geſchaͤfte betrieben werden muͤſſen. Erſtere ma - chen die theoretiſche, leztere aber die practiſche Rechtsgelahrtheit aus. Dieſe leztere, welche von der juriſtiſchen Praxi, von welcher wir oben (§. 27.) ge - handelt haben, wohl unterſchieden werden muß, iſt wie - der zwiefach, die gerichtliche und auſſergericht - liche; je nachdem ſie entweder gerichtliche, oder auſſer - gerichtliche Geſchaͤfte, welche ohne alle Beiwirkung des Richters betrieben werden, zum Gegenſtand hat. Die theoretiſche Rechtsgelehrſamkeit hat wieder ihre ver - ſchiedene Theile. Denn die dieſelbe beſtimmende Wahr - heiten von den Rechten und Verbindlichkeiten betreffen entweder Verbrechen und deren Strafen, Kriminal -rechts -263de Iuſtitia et Iurerechtsgelehrſamkeit; oder Religion und Gottesdienſt, Kirchenrechtsgelehrſamkeit; oder die Lehne und den daraus entſtehenden Lehnsnexus, Lehnrechtsgelehr - ſamkeit; oder die Verwaltung und innere Regierungs - verfaſſung eines Staats, und deſſen Verhaͤltnis gegen Auswaͤrtige, Staatsrechtsgelehrſamkeit; oder ſie betreffen die Staats - und Regierungsverfaſſung nicht, ſondern ſind entweder ſolche Rechte und Verbindlich - keiten, welche freye Voͤlker gegen einander zu beobach - ten haben, Voͤlkerrecht; oder ſolche, welche unter Privatperſohnen und Unterthanen ſtatt finden, Privat - rechtsgelehrſamkeit.

§. 40. und 41. Von Anwendung der Geſetze.

Genug von der Theorie des Rechts; wir ſchreiten nun zu dem zweiten Haupttheil der Rechtsgelehrſam - keit, welchen man die Praxis nennt. Dieſe beſtehet a) in einer Fertigkeit, die Geſetze auf die vor - kommende Faͤlle anzuwenden (S. 199.). Was Anwendung der Geſetze ſey, und dazu erfordert werde, wenn ſie richtig geſchehen ſoll, iſt ſchon oben (§. 28.) geſagt worden. Hier bemerke ich nur noch folgendes:

  • 1) Wer ein Geſez richtig anwenden will, muß zunaͤchſt auf diejenigen Eigenſchaften und Beſtimmungen Acht haben, welche das Geſez erfordert; muß
  • 2) genau pruͤfen, ob bey dem gegenwaͤrtigen Rechts - falle dieſe geſezlichen Beſtimmungen vorhanden ſind; und daher
  • 3) ſich bemuͤhen, eine richtige und vollſtaͤndige Kenntniß von der vorgegangenen Handlung und den UmſtaͤndenR 4der -2641. Buch. 1. Tit. derſelben zu erlangen. Die Mittel, eine ſolche Kenntniß zu erwerben, ſind,
    • 1) das Geſtaͤndnis desjenigen, welcher fuͤr den Ur - heber einer Handlung gehalten, oder gegen wel - chen ſonſt ein gewiſſer Thatumſtand behauptet wird, wovon die Entſcheidung der Sache abhaͤngt. Ein ſolches Geſtaͤndnis kann jedoch nur wider den Bekenner und deſſen Erben beweiſen, einem Dritten aber darf es nicht zum Nachtheil gerei - chen
      63)L. 29. D. de probat. L. 74. D. de R. I. c. 1. X. de confeſſ. c. 4 et 10. X. de probat.
      63). In peinlichen Faͤllen muß das Bekennt - nis des Angeſchuldigten durch die Umſtaͤnde wahr - ſcheinlich gemacht, mithin das Corpus delicti, ob ein ſolches Verbrechen wirklich vorhanden ſey, deſſen Jemand beſchuldiget wird, auſſer Zweifel ſeyn, wenn eine Verurtheilung zur peinlichen Strafe darauf gegruͤndet werden ſoll
      64)P. G. O. Carls V. Art. 60. Quiſtorp Grundſaͤtze des peinl. Rechts 2. Th. §. 681. I. G. heinec - cius de religione iudicantium circa reo - rum confeſſiones in eius Opuſcul. variis Exerc. XVII.
      64).
    • 2) der Beweiß, wodurch dem Richter die Erzaͤhlung oder Behauptung von einer Sache auf rechtliche Art glaubwuͤrdig gemacht wird. Die Lehre vom Beweiß, ſo wie auch jene vom Geſtaͤndniſſe wird an andern Orten unſerer Pandecten vollſtaͤndig vorgetragen werden.
    • 3) Oft muͤſſen auch rechtliche Vermuthungen die Stelle des Beweiſes, in Ermangelung deſſel - ben, vertreten. Wenn nehmlich die Behauptung nicht aus einem Geſtaͤndniß, oder Zeugniß glaub -wuͤr -265de Iuſtitia et Iure. wuͤrdiger Perſohnen, oder andern dergleichen recht - lichen Beweismitteln unmittelbar zu Tage liegt, ſondern auf die gewoͤhnlichen Eigenſchaften und Ver - haͤltniſſe der Dinge, und diejenigen Umſtaͤnde, die ſolche gemeiniglich begleiten, auch daher wahrſchein - lich ſind, gegruͤndet wird, ſo nennt man dieſes Vermuthung. Oft nehmen die Geſetze ſelbſt ge - wiſſe Eigenſchaften, Verhaͤltniſſe oder gewoͤhnliche Folgen einer Sache fuͤr Wahrheit an, bis das Ge - gentheil erwieſen worden, (praeſumtiones iuris) ja zuweilen laſſen ſie den Beweiß des Gegentheils nicht einmahl zu (praeſumtiones iuris et de iure). Sol - che Rechtsvermuthungen befreyen daher den - jenigen, welcher ſie fuͤr ſich hat, allemahl vom Be - weiſe, und waͤlzen denſelben auf den Gegentheil, der die rechtliche Vermuthung wider ſich hat. Blos menſchliche Vermuthungen, ſo in den Geſetzen nicht gegruͤndet ſind, haben hingegen dieſe Wirkung nicht, ſondern adminiculiren nur zum Beweiß, und machen, daß zuweilen auf den Erfuͤllungs - oder Reinigungs - eid erkannt werden kann. Die rechtlichen Vermu - thungen ſind nun ſehr mancherley, und laſſen ſich auf keine allgemeine Regel zuruͤckfuͤhren. Man kann ſie inzwiſchen fuͤglich unter zwey Hauptelaſſen brin - gen. Einige derſelben gruͤnden ſich ſchon in der Vernunft und allgemeinen Rechtsgrundſaͤtzen; andere hingegen haben keinen natuͤrlichen und allgemeinen Grund, ſondern ſind durch die buͤrgerlichen Geſetze blos willkuͤhrlich eingefuͤhrt worden. Zu denen recht - lichen Vermuthungen der erſtern Art gehoͤren z. E. folgende: daß die urſpruͤngliche Beſchaffenheit einer Sache vermuthet werde, mithin eine vorgegebene Veraͤnderung allemahl bewieſen werden muß; eine Thathandlung, es ſey Vortrag, Teſtament, Ver -R 5brechen,2661. Buch. 1. Tit. brechen, oder ſonſt etwas, nicht vermuthet wer - de; ein Irrthum nicht zu vermuthen ſey, u. d. m. Zu den Rechtsvermuthungen der leztern Art aber gehoͤrt z. B. daß, wenn bey einer verkauften Sache ſich der Mangel in den erſtern drey Tagen aͤuſſert, angenommen werde, der Fehler ſey ſchon zur Zeit des Verkaufs vorhanden geweſen; wenn Eltern und Kinder in einerley Unfall zugleich umkommen, rechtlich vermuthet werde, das unmuͤndige Kind ſey eher, das muͤndige aber ſpaͤter, als die Eltern, verſtorben; wenn der Klaͤger eine Handſchrift uͤber ein Darlehn in Haͤnden hat, und noch nicht zwey Jahr ſeit der Ausſtellung verſtrichen, angenom - men werde, die Ausſtellung ſey nur in Hofnung zu erhaltender Zahlung geſchehen, die Zahlung aber wirklich nicht erfolgt; nach zwey Jahren aber das Gegentheil fuͤr eine ſo erwieſene Wahrheit gehalten werde, daß der Ausſteller mit dem Beweiſe, er ſey nichts ſchuldig, gar nicht weiter gehoͤret werden ſoll; u. a. m.
      64)S. von Tevenar Theorie der Beweiſe im Ci - vilproceß. (Magdeburg u. Leipzig 1780. 8.) I. Abſchn. 2. Cap. S. 27. und folg.
      64). Ganz verſchieden von dieſen Rechts - vermuthungen ſind die geſezlichen Fictionen; denn eine geſezliche Fiction iſt eine ſolche geſezliche Verordnung, wodurch eine Sache fuͤr wahr ange - nommen wird, welche offenbar nicht wahr iſt, und blos moͤglich geweſen waͤre; bey jenen Praͤſumtionen hingegen nehmen die Geſetze eine zwar noch unge - wiſſe, aber doch wahrſcheinliche, Sache fuͤr gewiß an. Die rechtliche Vermuthung iſt alſo wirkliche juriſtiſche Wahrheit, eine geſezliche Fiction hingegen nicht, ſondern dieſe verhaͤlt ſich zu der Wahrheit, wie ein Gemaͤhlde zu der Sache ſelbſt, welche durch dasGe -267de Iuſtitia et Iure. Gemaͤhlde vorgeſtellet wird. Sie entlehnt alle Zuͤge von der Wahrheit, und verfolgt ihren Gang, wie der Schatten den Coͤrper
      65)Gemeinnuͤzige iuriſt. Beobachtungen und Rechtsfaͤlle. 2. Band N. XVI. §. 125.
      65). Daher die Regel zu erklaͤren: fictio idem operatur in caſu ficto, quod veritas in caſu vero. Dergleichen Faͤlle, wo die Geſetze etwas fingiren, ſind uͤbrigens ſehr viel im roͤmiſchen Rechte anzutreffen. So z. B. gruͤndet ſich die Lehre von der Annehmung an Kindesſtatt, von dem Recht des Poſtliminiums, das Korneliſche Geſez, die alte Querela inofficioſi u. ſ. w. auf Fictionen
      66)A. D. alteserra Tr. de fictionibus iuris Paris 1659. und Chriſt. gmelin oder vielmehr D. Chriſt. Iac. zahn Diſſ. de fictionibus iuris romani. Tubingae 1787.
      66). Man huͤte ſich jedoch vor dem Feh - ler, Fictionen zu fingiren, in welchen diejenigen verfallen, welche Fictionen annehmen, von denen doch kein deutliches Geſez angegeben werden kann
      67)Joh. Jae. Prehns Unterſuchung der Frage: ob die Legitimation auſſer der Ehe gebohr - ner Kinder ſich in einer roͤmiſchen Erdich - tung gruͤnde? Roſtok 1777. 4.
      67). Endlich muß auch
    • 4) durch Gutachten der Kunſtverſtaͤndigen zu - weilen die Wahrheit herausgebracht werden, wenn nehmlich die Beurtheilung derſelben nach den Regeln einer beſondern Kunſt oder Wiſſenſchaft geſchehen muß. Dahin gehoͤrt, wenn uͤber den wahren Werth einer Sache, oder uͤber die Grenzen zweier bey ein - ander liegender Aecker, oder uͤber vorgegebene Schwangerſchaft, und dergleichen Streitigkeiten ent - ſtehen. Beſonders iſt auch in peinlichen Faͤllen dasGut -2681. Buch. 1. Tit. Gutachten der Kunſtverſtaͤndigen von groſer Wich - tigkeit, wenn es auf Beſichtigung und Section an - kommt, um das corpus delicti zur Gewißheit zu bringen. In ſolchen Faͤllen gruͤndet der Richter ſein Erkenntniß auf das Gutachten und Zeugniß der Kunſtverſtaͤndigen, welches ſie ſchriftlich und mit Gruͤnden unterſtuͤzt, zu den Acten geben muͤſſen. Da Kunſtverſtaͤndige als Zeugen anzuſehen ſind, ſo muͤſſen ſie, wenn ſie nicht ſonſt ſchon vereidet ſind, oder die Partheyen mit ihren unbeſchwornen Gutach - ten zufrieden ſeyn wollen, beſonders vereidet werden, weil ein Zeuge keinen Glauben verdient, wenn er nicht beeidiget iſt
      68)L. 9. L. 16. C. de teflib. S. Nettelbladt practiſche Rechtsgelahrtheit. §. 387. (dritte Auflag. Halle 1784.)
      68).

§. 42. Cautelariſche Rechtswiſſenſchaft.

Der andere Theil der juriſtiſchen Praxis beſtehet in der vorſichtigen, buͤndigen und kluͤglichen Einrichtung der buͤrgerlichen Rechtshandlun - gen, (in cavendo) und verdient eine deſto vorzuͤglichere Achtung, je mehr dadurch denen die Eintracht der Buͤr - ger ſo ſehr ſtoͤhrenden Proceſſen vorzubeugen ſtehet. Hierbey aber muß man nicht allein die Form und Ein - kleidungen rechtlicher Geſchaͤfte, ſondern auch alle Ein - wendungen und nachtheilige Folgen kennen, um ſowohl denen leztern vorzubeugen, als auch, wo moͤglich, de - nen zu ſchlieſſenden Geſchaͤften ſelbſt eine vortheilhafte Wirkung beyzulegen. Unſer roͤmiſches Geſezbuch giebt auch hierin dem Rechtsgelehrten vortrefliche Anweiſung, als welches einen groſen Vorrath von Rechtsmitteln,Clau -269de Iuſtitia et Iure. Clauſeln und Klugheitsregeln enthaͤlt, die inſonderheit von den roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſind erfunden wor - den, um hierdurch die Strenge des buͤrgerlichen Rechts, welche zu manchen Chikanen und Unbilligkeiten Anlaß gab, zu mildern, und auf die natuͤrliche Billigkeit zu - ruͤckzufuͤhren. Dieſe Rechtsmittel und Vorſichtigkeits - regeln, welche bey einem zu ſchlieſſenden rechtlichen Ge - ſchaͤft zu beobachten ſind, werden im roͤmiſchen Recht Heurematica69)S. Henr. brenkmann de Eurematicis Diatriba (Lugd. Batavor. 1706.) Cap. I. von εὕρημα, inventum oder inventio, deßgleichen Cautiones, heutiges Tages aber Cautelen genennt; und derjenige Theil der ausuͤbenden Rechts - wiſſenſchaft, welcher in der Fertigkeit beſtehet, buͤrger - liche Rechtshandlungen auf eine vorſichtige, buͤndige und vortheilhafte Art einzurichten, heißt die Cautelar - Jurisprudenz, Iurisprudentia cavens, heurematica oder cautelaris70)Io. Nic. hertius de iurisprudentia cavente, Giſſae 1706. und Io. Gottl. heineccii Commentatio eiusdem argumenti in Opuſculis minorib, varii argumen - ti Opuſc. VIII. S. 301 388.. Zum Beiſpiel dienen die bey den Teſtamenten ſo heilſame Codicillar-Clauſel, die my - ſtiſche Erbeinſetzung, Sociniſche Cautel, Mucia - niſche Caution, das Verbot des Teſtirers, die be - ſonders verſiegelte Pupillar-Subſtitution bey Lebzeiten ſeines noch unmuͤndigen Kindes nicht zu eroͤfnen71)§. 3. I. de pupill. ſubſtitut. u. d. m. Ferner die beym Kaufcontract ſehr vortheilhaf - te Clauſeln des commiſſoriſchen Vertrags, der addictio - nis in diem, des Vorkaufs, des Wiederkaufs, der Reue, des vorbehaltenen Eigenthums oder der reſervir - ten Hypothek, auch des conſtituti poſſeſſorii u. d. m. Es2701. Buch. 1. Tit. Es giebt auch allgemeine Cautelen, welche bey allen, oder wenigſtens bey den mehreſten Geſchaͤften ſtatt finden72)Nettelbladt practiſche Rechtsgelahrtheit 1. Th. 2. Tit. S. 17. und folg.; die gebraͤuchlichſten Cautelen dieſer Art ſind a) die Begebung verſchiedener allgemei - ner Ausfluͤchte, als: des Betrugs, der Furcht und des Zwanges, des Irrthums, der Verjaͤhrung u. ſ. w. b) der Gebrauch der Eidesclauſel, d. i. die Verſtaͤrkung der Verbindlichkeit mittelſt Einſchaltung der Formel: So wahr mir Gott helfe und ſein hei - liges Wort. c) die Clauſel ſub bypotheca bono - rum, oder Verpfaͤndung aller meiner Haab und Guͤter73)Balth. tilesius de cautela bey Verpfaͤndung aller meiner Haab und Guͤter. Ienae rec. 1745.. d) die Proteſtationen und Reſer - vationen. Die Cautelen moͤgen jedoch ſeyn, von welcher Art ſie wollen, ſo muͤſſen ſie geſezlich gebilligt ſeyn; Cautelen, die auf den Betrug anderer, oder eine Hin - tergehung der Geſetze abzielen, und wodurch verbotene Handlungen bemaͤntelt werden ſollen, ſind unerlaubt und unnuͤtz. So z. B. iſt die Renunciation der Ver - letzung uͤber die Haͤlfte74)fratrum becmannorum Conſilia et Deciſ. P. I. Reſp. VII. n. 54., ingleichen die, wenn gleich auf die feyerlichſte Weiſe geſchehene, Begebung der ex - ceptionis uſurariae pravitatis, allen Rechten nach fuͤr ganz unkraͤftig zu halten75)leyser Spec. CCXLVI, med. 8., es bleibt daher der wirk - lich getriebene verbotene Zinswucher unerlaubt und ſtraf - bar, er mag unter den Schein eines Vergleichs, oder daß die uͤbermaͤßigen Zinſen etwa freywillig angeboten, oder dem Glaͤubiger als eine Proviſion, oder fuͤr ſeineMuͤh -271de Iuſtitia et Iure. Muͤhwaltung zugeſtanden worden, oder, daß der Con - tract allenfalls als eine Temperalantichreſis ohne Rech - nung gelten ſolle, oder als ein Wiederkauf eingerichtet worden, oder unter dem Vorwande, daß die Gelder ei - nem Dritten zugehoͤren, oder als eine Conventionalpoen, oder unter irgend einem andern Deckmantel ausgeuͤbet worden ſeyn76)Quiſtorp Beytraͤge zur Erlaͤuterung verſchie - dener Rechtsmaterien. 2. Stuͤck. n. IX. S. 151.. So wie ſich nun unter den roͤmi. ſchen Rechtsgelehrten vorzuͤglich Herennius Modeſti - nus77)Herennius Modeſtinus ſchrieb ein ganzes Buch περ - Εὕρηματικῶν, aus welchem zehen wichtige Fragmente in den Pandecten befindlich ſind, die Heinrich Brenkmann in Diatriba de Eurematicis. Lugduni Batavor. 1706. mit einem vortreflichen Commentar erlaͤutert hat. in dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft ausge - zeichnet hat, ſo duͤrfen unter den neuern die Verdien - ſte eines Stryks78)Samuel Stryck hat bekanntermaſſen de cautelis contractuum, teſtamentorum und iuramen - torum verſchiedene Tractate geſchrieben. und Claproths79)Iuſt. claproth Iurisprudentia Heurematica. P. I. Goettingae 1762. P. II. Ib. 1765. 8. Dieſer beruͤhm - te Rechtsgelehrte gab hierauf den dritten Theil ſeiner iurisprudentiae hevrematicae, welcher die Lehre von Teſtamenten und andern lezten Willen ent - haͤlt, zu Goͤttingen im Jahr 1782. in teutſcher Sprache heraus, welches ihn veranlaßte, auch die beyden vorher - gehenden Theile ins teutſche zu uͤberſetzen, welche unter dem Titel: Rechtswiſſenſchaft von richtiger und vorſichtiger Eingehung der Vertraͤge und Con - tracte zu Goͤttingen 1786. 8. erſchienen ſind. in dieſem Fache nicht ungeruͤhmt uͤbergangen werden.

§. 43.2721. Buch. 1. Tit.

§. 43. Verbindungskraft poſitiver Geſetze.

Unſer Autor fuͤhrt uns jezt noch einmahl auf die poſiti - ven Geſetze zuruͤck, und giebt uns Stof zu einigen Betrach - tungen uͤber die Verbindungskraft ſolcher Geſetze. Geſetze, in ſo fern ſie in dem oben (S. 49.) angege - benen eigentlichen Verſtande genommen werden, koͤnnen ihrem Begriffe nach nur blos die Unterthanen ver - binden, die der oberſten Gewalt und Majeſtaͤt desjeni - gen Staats unterworfen ſind, in welchem ſie ſind ge - geben worden. Da nun die Geſetze in Teutſchland ent - weder Reichs - oder Landesgeſetze ſind, ſo hat es nun, was die erſtern anbetrift, keinen Zweifel, daß ſie alle diejenigen, die der Reichsmajeſtaͤt untergeordnet ſind, ſie ſeyen, wes Standes ſie wollen, mithin nicht nur Privatperſohnen, ſondern auch ſelbſt die teutſchen Lan - desherrn verbinden80)Die Reichsgeſetze ſind zugleich in Anſehung der Reichs - ſtaͤnde, mit deren Einwilligung ſie gemacht werden, als Vertraͤge anzuſehen. S. Carl Fried. Gerſtlachers Corpus iuris germanici publ. et privati 1. B. 1. Cap. S. 24. und 32. Auch ſogar die roͤmiſchen und kanoniſchen Rechte gelten als beſtaͤttigte gemeine Reichsrechte in denen Privatrechtsſachen der erlauchten Perſohnen in Teutſchland, ſofern nicht etwa durch Fami - lienvertraͤge oder Obſervanz ein anders iſt beſtimmt, und in Anſehung ihrer feſtgeſetzet worden. S. leyser Spec. XLI. med. 5. hartleben Meditat. ad Pandect. Vol. I. P. I. Spec. V. m. 2. puͤtter de normis deci - dendi ſucceſſionem illuſtrium controverſam §. 13. und folg. v. Selchovs Rechtsfaͤlle 2. Band S. 70. folgg. und Weſtphals Abhandlung von dem Ge - brauch des juſtinianiſchen Rechts in dem teut -ſchen. Soviel hingegen die teutſchen Landesgeſetze anbetrift, ſo iſt der Landesherr ſelbſtor -273de Iuſtitia et Iure. ordentlicher Weiſe an ſeine Geſetze nicht ge - bunden. Dies hat einen dreifachen Sinn. a) Der Landesherr iſt in der Regel nicht verbunden, bey ſeinen eigenen Handlungen ſeine Geſetze zu beobachten. b) Kann derſelbe auch ſeine Geſetze, inſofern ſie pure Geſetze, keine Landesvertraͤge und Staatsgrundgeſetze ſind, wieder aufheben und abaͤndern, und zwar mit oder ohne Ein - willigung der Staͤnde, wie es der Landesverfaſſung ge - maͤß iſt. c) Er kann zu Gunſten einzelner Untertha - nen ſowohl Privilegien dagegen ertheilen, als diſpenſi - ren81)puͤtter prim. lineae iuris privati Princip. Schnaubert Anfangsgruͤnde des Staatsrechts der geſammten Reichslande §. 259. S. 171.. So richtig nun dieſes an ſich iſt, ſo fehlt es doch nicht an Rechtsgelehrten, die das Gegentheil hierin behaupten82)Unter den neuern Rechtsgelehrten hegt dieſe Meinung hommel Rhapſod. Quaeſt. Forens. Obſ. 480.. Sie wollen ihre Meinung theils mit dem bekannten Ausſpruch des Praͤtors: Quod quisque iuris in alterum ſtatuerit, ut ipſe eodem iure utatur, theils mit einigen andern Geſetzen beſtaͤrken, in welchen einem Regenten die Beobachtung ſeiner Ge - ſetze empfohlen wird83)L. 4. C. de LL. et Conſtitut. Princip. Digna vox eſt maieſtate Regnantis, legibus alligatum ſe Principem pro - fiteri. und L. 3. C. de teſtament. Nihil tam proprium imperii eſt, quam legibus vivere. . Allein dieſe Gruͤnde ſind von keinem ſonderlichen Gewicht, denn jener Ausſpruch des Praͤtors verbietet offenbar nur einer Obrigkeit, ihre Gewalt zu misbrauchen, und unbillige Dinge zu ver -ord -80)ſchen Staatsrecht und der Privatrechtsge - lahrheit der erlauchten Perſohnen des teut - ſchen Reichs. Halle 1779. 4.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. S2741. Buch. 1. Tit. ordnen; und die andern Geſetze enthalten keine verbind - liche, noch weniger eine allgemeine, Regel, und wer - den durch mehrere andere Geſetze des roͤmiſchen Rechts - koͤrpers uͤberwogen, in welchen mehr denn einmahl ge - ſagt wird: quod Princeps legibus ſolutus ſit84)L. 31. D. de Legib. §. ult. l. Quib. mod. teſtam. infir - mantur. Nov. XXIII. c. 2. et Nov. CV. cap. 2. Zwar wollen viele Rechtsgelehrte dieſe Stellen nur auf einige Geſezarten einſchraͤnken, und vorzuͤglich von den unter dem Kr. Auguſt gegebenen legibus caducariis verſtanden wiſ - ſen, weil L. 31. D. de LL. laut der Inſcription aus ulpiani lib. 13. ad Legem Iuliam et Papiam genommen iſt. So denken Iac. cuiacius lib. XV. Obſervat. cap. 30. Iac. lectius in Orat. de vita et ſcri - ptis Ulpiani Tom. I. Theſauri iuris Ottoniani p. 62. Iac. gothofredus in Notis ad Leg. Iuliam et Papiam cap. 30. Ant. augustinus de LL. et SCtis cap. 18. Iac. gutherius de officiis Domus Au - guſtae Lib. I. c. 31. Ger. noodt in Orat. de Le - ge regia. Io. Gottl. heineccius in Syntagm. Antiquitat. Rom. Lib. I. Tit. 2. n. 66. und noch viel andere. Allein Em. merillius Obſervat. iuris lib. VIII. c. 19. und Io. Car. van wachendorf de principe legibus ſoluto, Cap. I. §. 6. und folgg. (in Triade Diſſertationum. Trajecti ad Rhen. 1730. 8. ) haben jene Meinung gruͤndlich widerlegt. Daß L. 31. D. de LL. allgemein, und von allen buͤrgerlichen Geſetzen zu verſtehen ſey, beweiſet unter andern ſchon die Alge - meinheit des Titels de Legibus, SCtis etc. in welchen dieſelbe befindlich iſt. War es nun auch allenfalls fuͤr den Auguſtus oder ſeine Nachfolger ein Privilegium, daß ſie von der Verbindlichkeit der ſogenannten Legum caducariarum frey waren, ſo konnte doch gewiß Juſti - nian, wie er ſeine Pandecten verfertigen ließ, hierauf nicht mehr zielen, weil er in L. un. pr. Cod. de caducis tollendis uͤberhaupt jene Geſetze aufgehoben hatte.. In Gemaͤßheit dieſer Grundſaͤtze koͤnnen daher auch dieSa -275de Iuſtitia et Iure. Sachen der Reichsſtaͤnde nicht nach den Landesgeſetzen und ſtatuariſchen Rechten derjenigen Provinz, in wel - cher ſie regieren, entſchieden werden, wenn ſie ſich nicht freywillig durch einen Vertrag, oder ſtillſchweigend da - zu verbindlich gemacht haben, welches leztere unter an - dern daraus zu ſchlieſen iſt, wenn ein Landesherr will, daß ſeine Sachen in ſeinen eigenen Gerichten entſchie - den werden ſollen85)S. reinharth in Obſervat. ad Chriſtinaei Deciſiones Vol. I. Obſ. 10. hofacker in Prin - cip. iuris civ. Rom. Germ. T. l. §. 84. S. 70. Man vergleiche uͤberdies hartleben in Meditat ad Pandect. Spec. VIII. m. 11. und M. lycklama a ny - holt Membranar. Lib. IV. Eclog. 19..

Dahingegen ſind nun alle Unterthanen eines Lan - desherrn, ohne Unterſchied, ſie moͤgen geiſtlichen oder weltlichen Standes ſeyn, denen Geſetzen deſſelben un - terworffen. Denn wenn gleich die Geiſtlichen einen be - freyeten Gerichtsſtand haben, ſo duͤrfen ſie ſich doch, da ſie ohne Zweifel als Buͤrger im Staate anzuſehen ſind, denen buͤrgerlichen Geſetzen deſſelben keinesweges entziehen, inſofern ſie nicht die Geſetze ſelbſt hiervon eximiren86)Mit Recht ſchreibt Petr. de marca de concordia Sacerdotii et Imperii. Lib. II. c. VII. §. 8. Quia clerici, non tantum qua clerici, ſed etiam qua ciues ſunt, ſpectantur in republica, legibus Principum tenen - tur, niſi earum gratiam aut libertate generali, toti cle - ro indulta, aut alicui ordini ex beneficio Regum conſecuti ſint. . Zwar ſuchte Innocenz III87)cap. 6. X. de maiorit. et obedient. die Geiſt - lichkeit der weltlichen Obrigkeit voͤllig zu entreiſſen, und dieſelbe unter das Joch des geiſtlichen Despotismus zu ziehen; allein in unſern Tagen ſiehet ſelbſt der aufge -S 2klaͤrte2761. Buch. 1. Tit. klaͤrte Katholik dieſes Unternehmen als den ſchaͤndlich - ſten Eingrif in die geheiligten Rechte der Majeſtaͤt an, ſo der Vernunft und heiligen Schrift entgegen ſtrei - tet88)S. Paul. Ioſ. a riegger Inſtitut. iurisprud. eccleſiaſt. P. I. Cap. VIII. §. 119. folgg. u. §. 353. vorzuͤg - lich aber Joſ. Val. Eybel Einleitung in das ka - tholiſche Kirchenrecht (Frankf. n. Leipzig 1779. 8.) 2. Th. 2. Buch 2. Hauptſt. §. 112..

Es giebt uͤbrigens Faͤlle, daß Perſohnen, die in dem Territorium eines Landesherrn ſich befinden, dem - ohngeachtet nicht der Territorial-Hoheit und denen Geſetzen dieſes, ſondern eines andern Landesherrn un - terworfen ſind. Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel hiervon ge - ben uns die Geſanden fremder Staaten, als welche an den Orten, woſelbſt ſie ſich als Geſande befin - den, der Territorial-Hoheit nicht unterwuͤrfig ſind, ſondern vielmehr in Abſicht ihres weſentlichen Cha - racters, nach welchem ſie die moraliſche Perſohn ei - nes freyen unabhaͤngigen Staats vorſtellen, und vermoͤge der in dieſer Ruͤckſicht geſchehenen An - und Aufnahme derſelben die voͤllige Gerichtsfreyheit in dem - jenigen Staate haben, an welchen ſie ſind abgeſchickt worden. Solche Geſanden bleiben daher mitten in dem auswaͤrtigen Staate in allen ihren Handlungen Unterthanen ihrer Principale, der abſendenden Regen - ten, und muͤſſen deſſen Vorſchriften eben ſo puͤnctlich erfuͤllen, als wenn ſie ſolche unmittelbar unter jener Au - gen zu vollſtrecken haͤtten89)S. Chriſt. Heinr. von Roͤmer Grundſaͤtze uͤber die Geſandſchaften und die ihnen zukommende Rechte. (Gotha 1788.) XIII. Abſchnitt S. 312. u. folgg..

§. 44.277de Iuſtitia et Iure.

§. 44. Verſchiedene Gattungen der Unterthanen in Abſicht auf die Verbindlichkeit der buͤr - gerlichen Geſetze eines Staats.

Es iſt ein irriger Saz, den gleichwohl viele be - haupten, daß jeder, der ſich in den Grenzen eines Staats aufhalte, auch Unterthan deſ - ſelben ſey. Ein Irrthum, den ſchon das am Ende des vorigen Paragraphs von denen Geſanden angefuͤhrte Beiſpiel allein ſattſam zu widerlegen im Stande waͤre, wenn nicht derſelbe bereits von den groͤſten Rechtsge - lehrten waͤre widerlegt worden90)Chriſt. Thomaſius de inutilitate brocardici: Quae ſunt in territorio, praeſumuntur eſſe de territorio. Halae 1709. 4. und Ge. Frid. dathe de falſitate vulgati: Quidquid eſt in territorio, praeſumitur etiam eſſe de territorio. Goettingae 1753. 4.. Unterthanen werden vielmehr diejenigen genennt, welche ſich der hoͤch - ſten Gewalt in einem Staate unterworfen haben91)J. J. Moſer von der teutſchen Unterthanen Rechten und Pflichten. Frankf. und Leipz. 1774. 4.. Alſo nicht der bloſe Aufenthalt im Territorium, ſon - dern die mit demſelben verknuͤpfte ſtillſchweigende oder auch ausdruͤckliche Einwilligung in die Abhaͤngigkeit ge - gen die Landeshoheit, welche in der Abſicht, um an den buͤrgerlichen Vortheilen des Staats Antheil zu nehmen, geſchehen, macht denjenigen, welcher ſich in einem Staate befindet, zum Unterthan deſſelben. Hieraus folgt, daß ſich die Oberherrſchaft des Staats uͤber die Unterthanen deſſelben weiter nicht erſtrecke, als in ſo weit ſich dieſe unterwuͤrfig gemacht haben, und ſich ha - ben unterwerfen koͤnnen. Da nun die Menſchen ſich auf dreyerley Art der hoͤchſten Gewalt im Staat un - terwerfen koͤnnen, nehmlich entweder in Anſehung ihrerS 3Per -2781. Buch. 1. Tit. Perſohn, oder in Anſehung ihrer Guͤter, oder in Anſehung ihrer Handlungen, die ſie in einem frem - den Lande unternehmen, ſo entſtehet hieraus eine drey - fache Claſſe von Unterthanen. Erſtere ſind diejenigen, welche ihren Wohnſiz in einem Lande haben; dieſe wer - den Einwohner (incolae), und wenn ſie beſonders mit liegenden Guͤtern anſaͤſſig, und von der vornehmen Claſſe der Unterthanen ſind, Landſaſſen92)H. C. geisler de Landſaſſiatu libellus pri - mus. Marburgi 1780. 8. genennt. Solche Unterthanen ſind an alle Geſetze des Landes, in welchem ſie domicilirt ſind, gebunden, ſo lange nicht beſonders in Anſehung des einen oder des andern eine Ausnahme gemacht worden iſt. In foro domicilii koͤnnen ſie daher aller Forderungen wegen verklagt wer - den; ja nach denen Geſetzen des ſtaͤten und weſentlichen Aufenthalts iſt der Zuſtand ihrer Perſohn, mit denen davon abhangenden Rechten, z. B. ob jemand fuͤr muͤn - dig oder unmuͤndig, ehelich oder unehelich, u. ſ. w. zu halten ſey, lediglich zu beurtheilen93)Weſtphal teutſches und reichsſtaͤndiſches Pri - vatrecht. 1. Th. 3. Abh. §. 6 u. folgg. Io. Th. seger Diſſ. de vi legum et decretorum in territo - rio alieno Lipſiae 1777. §. 5. S. 17. beſonders hart - leben Meditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 4.. Die andere Claſſe von Unterthanen machen diejenigen aus, welche nur allein Guͤter in einem Lande beſitzen, ohne daſelbſt zu wohnen. Dieſe werden forenſes, Eingeſeſſene und Beguͤterte genennt, obwohl auch dieſe Benen - nungen von jenen der erſtern Gattung gebraucht zu wer - den pflegen. Solche ſind ordentlicher Weiſe dem Lan - desherrn, in deſſen Territorium die ihnen gehoͤrigen Guͤter liegen, fuͤr ihre Perſohn nicht unterthaͤnig; nur in Anſehung der Guͤter kommt dieſem Landesherrn dieLan -279de Iuſtitia et Iure. Landeshoheit, und den Beſitzern die derſelben entſpre - chende Unterthaͤnigkeit zu94)So iſt es ordentlicher Weiſe, inzwiſchen kann auch zuweilen nach der Verfaſſung einzelner Laͤnder, wie z. E. in Sachſen, der Guͤterbeſiz in einem Lande die voͤllige Unterthaͤnigkeit bewirken, welches man den vol - len Landſaſſiat nennt. S. Lud. mencken de vi ſuperioritatis territorialis in territoriis clauſ. §. 8 13.. Daher auch die leztere nur in ſofern denen Geſetzen des Landes unterworfen ſind, als ſie die liegenden Guͤter betreffen, weil ſie in ſofern auch den Schuz und Sicherheit im Staate zu genieſſen haben. Beyde jezt gedachte Claſſen von Un - terthanen werden beſtaͤndige genennt, von welchen al - ſo diejenigen zu unterſcheiden ſind, welche blos fuͤr zei - tige Unterthanen (ſubditi temporarii) gehalten werden. Dieſe machen die dritte Claſſe von Untertha - nen aus, und man verſtehet darunter ſolche, welche ſich nur eine Zeitlang in einem Lande aufhalten, und entweder daſſelbe blos durchreiſen, oder auch Geſchaͤfte halber ſich daſelbſt befinden. Dieſe ſind nur in Anſe - hung der Handlungen, die ſie in dem Lande vorneh - men, denen Geſetzen deſſelben unterworfen.

Solche zeitige Unterthanen muͤſſen ſich alſo denen Geſetzen des Orts, wo ſie ſich aufhalten, unterwerfen:

  • 1) wenn ſie daſelbſt Proceſſe fuͤhren. Denn es iſt ein unbeſtrittener Grundſaz, daß in allen Din - gen, welche den Proceß und die Art des gerichtli - chen Verfahrens betreffen, lediglich die Geſetze des Forums, wo der Rechtshandel obſchwebt, zu beobach - ten ſind

    95)C. F. hommel Rhapſod. Quaeſt. For. Obſ. CCCCIX. n. 10. und 16. Weber von der natuͤrl. Ver -

    . Dieſe muß der Richter bey rechtli -S 4chen2801. Buch. 1. Tit. chen Entſcheidungen zur Richtſchnur nehmen, und Auswaͤrtige haben ſelbſt, indem ſie vor dieſem Rich - ter ihre Klagen anbringen, in die Proceßordnung des Landes eingewilliget. Hierher gehoͤrt, wenn von dem Gerichtsſtande des Beklagten, der Art des Proceſſes, der Zeit der Verjaͤhrung einer Klage, der Beſtellung eines Anwalds und uͤbrigen Handlun - gen des gerichtlichen Proceſſes die Frage iſt.
  • 2) Muͤſſen zeitige Unterthanen, auch die Geſetze des Landes, wo ſie ſich aufhalten, zur Richtſchnur anneh - men, wenn ſie daſelbſt rechtliche Geſchaͤfte vornehmen, zu deren Guͤltigkeit eine gewiſ - ſe Form erfordert wird; z. B. wenn ſie daſelbſt Vertraͤge ſchlieſſen, oder ein Teſtament machen. Denn es iſt eine bekannte Regel, daß die Form und Guͤltig - keit rechtlicher Geſchaͤfte nach den Geſetzen des Orts zu beſtimmen ſey, wo die Handlung vorgenommen worden
    96)Weſtphal a. a. O. §. 2. S. 32. hommel a. a. O. seger cit. Diſſ. §. V. S. 17. Io. Nic. hertius Diſſ. de colliſione legum. Sect. IV. Chr. Gottl. ric - cius Exerc. de contractu cambiali §. 81. u. a. m.
    96). Hieraus folgt a) daß alle Vertraͤge, welche da, wo ſie getroffen worden, erlaubt und guͤltig ſind, allenthalben ihre Guͤltigkeit behaupten, wenn ſie gleich mit den Geſetzen desjenigen Landes, wo daraus geklagt wird, nicht uͤbereinſtimmen
    97)L. 34. D. de Reg. Iuris. Weber Entwickelung der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit 2te Abth. §. 62. S. 195.
    97). Je -
    95)Verbindlichkeit. 3te Abth. §. 95. S. 75. seger in der oben angefuͤhrten Diſſ. §. 10. Car. Fr. boeschen Diſſ. de vi legum civil. in ſubditos tempo - rarios. praeſ. A. F. schott. Lipſiae 1772. §. XXXI. ſqq. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 8.
    95)281de Iuſtitia et Iure. Jedoch hat dieſe Regel ihre Ausnahmen, wohin vor - zuͤglich gehoͤrt: 1) Wenn ein Unterthan eines Lan - des in der Abſicht, um den Geſetzen deſſelben auszu - weichen (in fraudem legis domeſticae), in einem fremden Lande eine Handlung vollziehet
    98)hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. IX med. 5. Eichmann Erklaͤrung des buͤrgerlichen Rechts. Th. I. S. 159. voet Commentar. ad Pandect. Tom. I. Lib. I. Tit. 4. Part. 2. §. 14.
    98). 2) Wenn das Verſprechen nicht erfuͤllet werden kann, ohne daß eine Handlung vorgehe, eine Verbindung getroffen werde, die ſchon an ſich nach den Geſe - tzen unſers Landes durchaus nicht gedultet werden ſoll
    99)Z. B. Wenn Perſohnen an einem Orte, wo ihnen die eheliche Verbindung erlaubt war, ſich mit einander ver - lobt haben, und die Vollziehung der Ehe an einem an - dern Orte, wo ſie ſchlechthin verboten iſt, verlangt wird.
    99). 3) Wenn durch das auswaͤrtige Geſez, nach welchem der Handel geſchloſſen worden iſt, den Rechten und Freyheiten unſers Landes offenbar Ein - trag geſchiehet
    100)seger in der angefuͤhrten Diſſertat. §. 5. Weber a. a. O. S. 196.
    100). Aus dem obigen Satze folgt weiter, b) daß, wenn ein Teſtator nur nach denen Feyerlichkeiten, die an dem Orte, wo er ſein Teſta - ment gemacht hat, vorgeſchrieben ſind, ſich gerichtet hat, ein ſolches Teſtament an allen Orten gelte, ob - gleich an dieſen andern Solennitaͤten vorgeſchrieben ſind
    1)voet a. a. O. §. 13. vinnius ſelect. iuris Quaeſtion. Lib. II. cap. 19. gail Obſervat. Lib. II. c. 123. mynsinger Obſervat. Cent. IV. Obſ. 82. Cent. V. Obſ. 20. n. 4. ſqq. huber Praelect. ad Pan - dect. Lib. I. Tit. 3. p. 538. de cramer Obſervat. iu -
    1). Dies iſt wenigſtens die gemeine MeinungS 5der2821. Buch. 1. Tit. der Rechtsgelehrten, welche auch der Gerichtsgebrauch beſtaͤttiget. Wenn daher z. B. ein Kaufmann der Reichsſtadt Frankfurt in Erlang bey ſeiner Durch - reiſe ploͤtzlich von einer gefaͤhrlichen Krankheit uͤber - fallen wuͤrde, und hier ſein Teſtament vor fuͤnf un - tadelhaften Zeugen, die ſolches unterſchrieben und beſiegelt haben, gemacht haͤtte; (denn mehr erfordert die hieſige Landesordnung nicht zur Solennitaͤt eines auſſergerichtlichen Teſtaments) ſo iſt es auch zu Frankfurt guͤltig, wenn gleich die Frankfurter Sta - tuten zur Guͤltigkeit eines ſolchen Teſtaments ſieben Zeugen erfordern. Aus dem roͤmiſchen Rechte laͤßt ſich zwar dieſes nicht erweiſen, vielmehr moͤchte ſich daraus, da die Teſtamente ad iura Quiritium ge - rechnet wurden, und daher die Guͤltigkeit derſelben nach dem Ausſpruch des Cajus
    2)L. 4. D. Qui teſiam. facere poſſ.
    2) ex regulis iu - ris civilis lediglich beurtheilt werden mußte, leicht das Gegentheil darthun laſſen; wie ſchon Anton Schulting
    3)ad ulpiani Fragmenta. Tit. XX. §. 14. not. 45. Inrisprud. Antejuſt. S. 631.
    3), der uͤbrigens, was das heutige Recht anbetrift, ganz unſerer Meinung iſt, bemerkt hat. Man darf ſich auch daher nicht wundern, wenn einige Rechtsgelehrten
    4)cuiacius Obſervat. lib. XIV. cap. 12. schilter Exerc. ad Pandect. de iure obſid. eap. 9. §. 4.
    4), die alles aus dem roͤmiſchen Rechte entſcheiden zu koͤnnen vermeinen,mit
    1)iuris univ. T. II. Obſ. 553. consil. tubingensia Vol. I. Conſ. 41. puffendorf Obſervat. iuris uni - verſi. T. I. Obſ. 28. §. 9. Hoͤpfner Commentar uͤber die Inſtitutionen §. 450. seger in der an - gef. Diſſertat. §. 8. hofacker Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I. §. 142.
    1)283de Iuſtitia et Iure. mit Anfuͤhrung einiger Geſezſtellen
    5)L. 9. Cod. de teſtam. L. 2. C. Quemadm. teſtam. ape - riant.
    5) behaupten wol - len, daß man bey der Errichtung eines Teſtaments jederzeit die Rechte des Vaterlands oder des Domi - ciliums anzuwenden habe. Allein, da die Teſtamente heutiges Tages nun bey allen geſitteten Nationen eingefuͤhrt und geſezlich beſtaͤttigt ſind, mithin iuris gentium geworden, auch deshalb in manchen Pro - vinzen und Staͤdten Teutſchlands eigne Geſetze und Gewohnheiten bey Errichtung der Teſtamente vorhan - den ſind, ſo koͤnnen die roͤmiſchen Rechte hierinn nicht angewendet werden
    6)Mit mir ſtimmt hierin auch der ſeel. Aſſeſſor Seger in der oben angefuͤhrten Diſſ. uͤberein, welcher §. VIII. ſagt: Quae ex Romanis legibus repetuntur, nihil ad rem faciunt. Nihil certius eſt, quam Quiritium iure contrariam opinionem praevaluiſſe. Nempe teſtamen - tum apud Romanos erat lex populi teſtatore rogante condita. Hodierna teſtamenta aliis moribus aeſtiman - tur, ut quae, ſi hoc verbo abuti licet, nunc fere facta ſint iuris gentium, id eſt, apud cultiores populos tan - tum non omnes publice introducta et approbata. Ita - que veritatem magis ultimae voluntatis ſpectamus, quam ſolennitatem. Hanc ſolennitatis obſervationem una ſo - la de cauſa exigimus, ut nempe vera et ſeria teſtatoris voluntas exinde intelligatur, non etiam, ceu olim Ro - mani, ad antiqui moris imaginem exprimendam.
    6). Wir reden jedoch nur von der Form und aͤuſſerlichen Feyerlichkei - ten eines Teſtaments. Denn inſofern von der Subſtanz deſſelben, und den Guͤtern ſelbſt die Rede iſt, woruͤber teſtirt wird, muͤſſen hauptſaͤchlich die Geſetze desjenigen Orts, da die Guͤter liegen, ange - wendet werden. Z. B. wenn die Frage iſt, wen der Teſtator zum Erben einzuſetzen, wem er ein Le -gat2841. Buch. 1. Tit. gat zu hinterlaſſen, ob er uͤber dieſes oder jenes Grundſtuͤck eine teſtamentliche Anordnung zu machen, oder der Legatar das ihm vermachte Grundſtuͤck zu ac - quiriren befugt ſey? u. d. m. Denn die Guͤter ſind je - derzeit dem iuri rei ſitae unterworfen
    7)hofacker Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I. §. 143. Tob. Iac. reinharth ſelect. Obſer - vat. ad Chriſtinaei Deciſiones Vol. IV. Obſ. 13. S. 6.
    7); und nur in dieſer Hinſicht gebe ich denenjenigen Recht, welche die Guͤltigkeit eines Teſtaments nach den Geſetzen desjenigen Orts, da die Guͤter liegen, beurtheilt wiſ - ſen wollen
    8)Nic. burgundus Comment. ad conſuetud. Flan - driae Tr. VI. 10. God. sammet Quaeſt. Foren - ſes. Obſ. 1. §. 4. in Opuſe. S. 244. hartleben Me - ditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 6. et 7.
    8).
  • 3) Auch in Anſehung der Inteſtaterbfolge muß der Fremdling ſich den Geſetzen desjenigen Orts un - terwerfen, wo er ſuccedirt. Bey beweglichen Guͤ - tern und unkoͤrperlichen Dingen, welche unter jenen mit begriffen werden, muß man daher die Ge - ſetze desjenigen Orts, da der Verſtorbene ſeine or - dentliche Wohnung hatte, zur Norm annehmen. Hierin ſind alle Rechtsgelehrte mit einander einver - ſtanden
    9)koch de ſucceſſ. ab inteſtato §. 14.
    9). Hatte der Verſtorbene an mehrern Or - ten ſein Domicilium, ſo iſt es natuͤrlich, daß man die beweglichen Guͤter nach demjenigen Ort der Wohnung, wo ſie angetroffen werden, beurtheile
    10)seger in der angefuͤhrten Diſſertat. §. IX.
    10). Bey Grundſtuͤcken und unbeweglichen Dingen, zu wel - chen auch die denenſelben anklebende Gerechtigkeiten und Pertinenz-Stuͤcke zu rechnen ſind, kommt eszufoͤr -285de Iuſtitia et Iure. zufoͤrderſt darauf an, ob nicht in dem Lande, wo ſie liegen, beſondere Anordnungen aufgeſtellet ſind, nach welchen ſie nach dem Tode des Erblaſſers auf einen andern Erben und Nachfolger, als nach den Geſetzen des Domiciliums, fallen ſollen
    11)hofacker Princip. iuris civ. Rom. Germ. Tom. I. §. 140. S. 113.
    11); wo die - ſes nicht iſt, ſo gehet es auch bey unbeweglichen Guͤ - tern nach den Geſetzen desjenigen Orts, wo der Verſtorbene ſein Domicilium gehabt hat
    12)puffendorf Obſervat. iuris univ. Tom. I. Obſ. 28.
    12). Endlich
  • 4) wird auch ein zeitiger Unterthan nach den Geſetzen desjenigen Orts, wo er ſich aufhaͤlt, behandelt, wenn er daſelbſt ein Verbrechen veruͤbt hat. Juſtinian ſchaͤrft dieſes ſehr expreſſiv ein, wenn er in einer ſei - ner Novellen
    13)Nov. LXIX. cap. 1. princ.
    13) verordnet: ut unusquisque in pro - vincia, in qua deliquit, ibi quoque iudicium accipiat. Dieſes hat auch keinen Zweifel, wenn dem Miſſethaͤ - ter an dem Orte, wo er das Verbrechen begangen hat, der Proceß gemacht wird
    14)carpzov Pract. rer. crim. P. II. Qu. 54. n. 51. ley - ser Spec. CCLXXXIX. med. 6. kress ad Art. CLXXVII. CCC. pag. 650. G. L. boehmer de abi - geatu et furto equorum §. 103.
    14), Man erfordert jedoch nicht unbillig, daß, wenn das Verbrechen des Fremden entweder nur wieder ein Landes - und ſtatu - tariſches Geſez, oder zwar wieder das gemeine Recht laufen, aber doch nach demſelben nicht diejenige harte Strafe verdienen ſollte, als die Geſetze des Orts, wo das Verbrechen begangen worden, darauf ſetzen; der Delinquent an dem Orte ſchon eine Zeitlang ſich auf - gehalten haben muͤſſe, wenn die deshalb beſtimmteStrafe2861. Buch. 1. Tit. Strafe ſtatt finden ſolle: daher ein Ankoͤmling gegen die Strenge der Landesgeſetze zu ſchonen ſey, wenn er darthun koͤnnte, daß er ſich in einer unuͤberwindli - chen oder wenigſtens in einer verzeihlichen Unwiſſenheit befunden habe
    15)Io. Sam. Frid. de boehmer ad Carpzovium Quaeſt. CXLIX. Obſ. 4. n. 67. Struben in den rechtlichen Bedenken Th. II. Bed. 113. und Th. IV. Bed. 28.
    15). Wenn hingegen der Verbrecher an dem einen Orte die Miſſethat begangen haben, an einem andern aber deshalb ertappt, und daſelbſt zur Unterſuchung und Beſtrafung gezogen werden ſolte; ſo entſtehet alsdann die Frage, nach welchen Geſetzen das Verbrechen zu beſtrafen ſey? Hier wuͤrde es nun erſtlich ſehr unbillig ſeyn, den Miſſethaͤter nach den Geſetzen des Orts zu richten, wo demſelben der Pro - ceß gemacht wird, wenn in dieſem Lande auf eben die - ſes Verbrechen eine groͤſere Strafe geſezt ſeyn ſolte. Denn wider dieſe Geſetze hat er doch eigentlich nicht geſuͤndiget, weil Poͤnal - Statuten auſſerhalb Landes keine Verbindlichkeit haben
    16)cap. 2. de conſtitut. in 6to. harpprecht Conſ. XXVIII. n. 87. ſq. Conſ. LIX. n. 83.
    16). Die meiſten Rechts - gelehrten behaupten daher, daß ein auſſerhalb Landes begangenes Verbrechen in foro deprehenſionis nach den Geſetzen des Orts, wo das Verbrechen veruͤbt worden iſt, und in deren Ermanglung nach den Vor - ſchriften des gemeinen Rechts zu beſtrafen ſey
    17)leyser Spec. DCXLIV. med. 10. Struben Beden - ken Th. IV. Bed. 135. Quiſtorp Grundſaͤtze des peinl. Rechts I. Th. 3. Abſchn. §. 95.
    17). Allein geſchaͤhe gleich dem Delinquenten kein Unrecht, wenn er nach den Geſetzen des Orts, wo er die Miſ - ſethat begangen hat, geurtheilt wuͤrde, weil er zunaͤchſt dieſe uͤbertreten hat; ſo laͤßt ſich doch keineswegesbe -287de Iuſtitia et Iurebehaupten, daß der Richter, der den Verbrecher ein - gezogen, an jene Geſetze ſchlechterdings gebunden ſey; weil dieſe in Anſehung des Richters, der die Inqui - ſition formirt, fremde Rechte (iura alieni territorii) ſind. Dahero andere Rechtsgelehrte mit mehreren Grunde behaupten, daß die Strafe in einem ſolchen Falle, da die Geſetze des fori delicti und deprehen - ſionis nicht uͤbereinſtimmen, nach dem gemeinen Rechte zu beſtimmen ſey
    18)Meiſter im peinl. Proceß S. 685. G. L. boeh - mer Diſſ. de delictis extra territorium com - miſſis. Goettingae 1748. §. 16. u. 17. und Derſelbe in Commentat. de abigeatu Cap. III. §. 98. u. folgg.
    18). Da inzwiſchen ein Richter jede Gelegenheit ergreifen muß, wo er die Strenge der Strafe ohne Eintrag der Geſetze mil - dern kann
    19)L. 56. L. 168. D. de Reg. Iur. c. 49. eodem in 6to.
    19), ſo nimmt man billig den Fall aus, wenn das particulaire Recht eine gelindere Strafe be - ſtimmt haͤtte, als in dem gemeinen peinlichen Recht verordnet ſtehet
    20)hommel Rhapſod. Quaeſtion. for. Obſ. 281. koch Inſtitut. iuris crim. Lib. I. c. VI. §. 94. zol - ler Spec. I. Obſervat. practicar. Lipſiae 1778. Obſ. 7.
    20). Ein Richter kann daher in ei - nem ſolchen Falle die mildere Strafe, die nach den Geſetzen ſeines Landes eine Folge des vollzogenen Verbrechens iſt, mit Hintanſetzung der ſtrengern Strafe, die der Verbrecher an dem Orte, da er ſein Verbrechen begangen hat, dulden muͤßte, ohne Anſtand dem Miſſethaͤter zuſprechen; aber auch die mildere Strafe, welche die beleidigte Nation fordert, vorziehen, wenn in ſeinem Lande auf eben dieſes Ver - brechen eine groͤſere Strafe geſezt iſt
    21)seger in der angef. Diſſertat. §. VII.
    21).
§. 45.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. T2881. Buch. 1. Tit.

§. 45. und 46. Begrif und Eintheilungen der Gerechtigkeit.

Wir ſchreiten jezt zu dem zweyten Haupttheil die - ſes Titels, welcher von der Gerechtigkeit (luſti - tia) handelt. Die Handhabung derſelben iſt der Zweck unſerer Rechtsgelehrſamkeit, daher auch die Rechtsge - lehrten Prieſter der Gerechtigkeit genennt wer - den22)L. 1. §. 1. D. de l. et l. Io. lac. bosius de Iuris. conſultis ſacerdotibus iuſtitiae. Lipſiae 1739.. Was iſt nun aber die Gerechtigkeit? Ulpian ſezt ſie nach den Lehrſaͤtzen der Stoiker in eine feſte und beſtaͤndige Bereitwilligkeit, jedem das Seinige zu geben und zu laſſen (conſtans et perpetua voluntas ius ſuum cuique tribuendi23)L. 10. pr. D. eodem. Hiermit ſtimmt auch cicero de Finibus Lib. V. c. 23. uͤberein, wo er ſagt: iustitia eſt animi affectio, ſuum cuique tribuens, et hanc ſocietatem coniunctionis humanae mirifice et aeque tuens. . Die Stoiker betrach - teten die Gerechtigkeit als eine Tugend, und dachten ſich darunter eine conſtantem et perpetuam vitae ra - tionem24)S. cicero de Legib. Lib. I. c. 17. und lib. IV. Acade - micor. aristoteles ad Nicomach. v. 1. gellius Noct. Atticar. Lib. XVII. c. 5. in fine. Mehrere Stellen noch hat walch ad eckhardi Hermenevt. iuris. L. I. c. IV. §. 133. S. 221.. Nach dieſer ſtrengen Tugendlehre ſahen ſie daher bey Ausuͤbung der Gerechtigkeit zugleich auf die innern Neigungen. Die aͤuſſerliche Erfuͤllung der Pflichten genuͤgte ihnen noch nicht; nein, nur denjeni - gen hielten ſie fuͤr gerecht, der auch den Willen, und zwar den feſten und unveraͤnderlichen Willen haͤtte, gerecht zu handeln25)S. Ger. noodt Probabil. iuris civ. Lib. III. c. 1. et 2. Chriſtfr. waechtler ad Noodtium inOpu -. Allein es mag immerhin derange -289de Iuſtitia et Iure. angefuͤhrte Begrif von der Gerechtigkeit ſeine Vertheidi - ger gefunden haben26)Fr. Car. conradi Diſſ. de iuſtitia interna a fi - ne iurisprudentiae civ. non ſeparanda. Helmſt. 1744., fuͤr den Juriſten iſt er wenigſtens nicht brauchbar, deſſen Zweck nur Handhabung der aͤuſſerlichen Gerechtigkeit iſt27)Eben dieſes hat auch ſchon gebauer Diſſ. de iuſti - tia et iure §. IV. gegen die Definition des Ulpians eingewendet.. Die eigentliche Ge - rechtigkeit, die fuͤr das Forum des Rechtsgelehrten gehoͤrt, beſtehet demnach in der Uebereinſtimmung der aͤuſſerlichen Handlungen des Menſchen mit den vollkommenen oder Zwangsgeſetzen. Nach dieſem juriſtiſchen Begrif der Juſtiz wird alſo a) ein jeder fuͤr gerecht gehalten, deſſen Handlungen nur aͤuſſerlich denen Geſetzen gemaͤß ſind, wenn er auch gleich nur aus Furcht vor der Strafe gerecht handelte, ſeine innere Geſinnungen und Neigungen aber nichts we - niger als mit den Geſetzen uͤbereinkaͤmen; denn darum bekuͤmmert ſich der Rechtsgelehrte nicht. Cogitationis poenam nemo patitur28)L. 18. D. de poenis. Man erinnere ſich hierbey an dasjenige, was oben (§. 6.) uͤber dieſen Gegenſtand be - reits geſagt worden iſt.. b) Gerechtigkeit hat im - mer nur Beziehung auf vollkommene oder Zwangsgeſetze. Wer alſo nur Liebespflichten gegen andere Menſchen nicht erfuͤllt, uͤbrigens aber alles dasjenige puͤnctlich beobachtet, was die buͤrgerlichen Zwangsgeſetze von ihm fordern, von dem kann man nicht ſagen, er handleT 2unge -25)Opuſculis pag. 289. ſqq. huber Digreſſ. Iuſtinian. Lib. I. cap. 7. Io. Ge. marckart Receptar. iuris civ. lection. P. I. pag. 20. Aegid. menagius Amoe - nitat. iuris civ. cap. 4. u. a. m.2901. Buch 1. Tit. ungerecht. Denn die Pflichten der Menſchenliebe liegen auſſer den Grenzen der eigentlichen Gerechtigkeit; (iuſti - tiae forenſis) die Hintanſetzung derſelben misbilliget zwar die Moral, und erweckt auch wohl bey dem edler den - kenden Theil des Publicums Verachtung, aber ziehet doch keine eigentliche Strafe nach ſich29)So z. B. erzaͤhlt cicero de officiis Lib. III. c. 13. man habe es zu Athen fuͤr eine Schande gehalten, erran - ti viam non monſtrare. . Hieraus erhellet, daß die Eintheilung einiger Rechtsgelehrten von der Gerechtigkeit, wenn ſie dieſelbe in expletricem, wel - che in der Erfuͤllung der vollkommenen Pflichten, und attributricem, welche in der Beobachtung der Liebes - pflichten beſtehen ſoll, eintheilen30)grotius de I. B. ac P. Lib. I. c. 1. §. 8., fuͤr den Rechtsge - lehrten gar keinen Nutzen habe, weil wir in foro hu - mano nur mit Zwangsrechten und vollkommenen Pflich - ten zu thun haben31)würfel iurisprud. civ. definitiva §. 2..

Eben ſo irrig iſt auch die bekannte Eintheilung der Juſtiz in diſtributivam und commutativam, welche gemeiniglich mit jener verwechſelt wird. Erſtere ſoll diejenige ſeyn, welche ein geometriſches, und leztere, welche ein arithmetiſches Verhaͤltnis zum Maßſtab an - nimmt32)Es iſt dieſe Eintheilung aus des Ariſtoteles Ethik V. Buch 5. Cap. genommen; S. kaestner Commen - tat. de iuſtitia eiusque ſpeciebus, in Ari - ſtotel. Ethic. V. Lipſiae 1737. Daß jedoch ein Miß - verſtand der Worte jenes Philoſophen die eigentliche Quel - le dieſer Eintheilung ſey, hat D. Io. Sam. Traug. geh - ler in Commentat. de laeſione emtoris ultra dimidium recte computanda Lipſiae 1777. §. XIII. gruͤndlich dargethan.. Die arithmetiſche Proportion, ſagtman,291de Iuſtitia et Iure. man, finde nur beym Handel und ſolchen Contracten ſtatt, in denen die Partheyen einander gegenſeitig er - was zu leiſten verſprochen haben; die geometriſche hingegen werde bey Beſchwerungen oder gemeinen Laſten der Unterthanen, ſodann bey Belohnungen und Beſe - tzung der Ehrenſtellen, desgleichen bey der Beſtrafung der Verbrechen, auch bey der Berechnung im Concurſe, wenn die Frage iſt, wie viel ein jeder Glaͤubiger an Unkoſten, oder, wenn mehrere Glaͤubiger derſelbigen Gattung vorhanden ſind, die kein Vorzugsrecht vor einander haben, wegen nicht hinreichender Concursmaſſe, an der Forderung ſich muͤſſen abgehen laſſen, und der - gleichen, angewendet33)Jo. Ge. Eſtor Anfangsgruͤnde des gemeinen und Reichs - Proceſſes 3. Theil S. 4. §. 5. Io. Ge. daries Diſſ. de interpretat. et extenſione L. 2. C. de reſc. vendit. Trajecti ad Viadr. 1775. §. 24. hofacker Princip. iuris civ. Rom. Germ. P. I. §. 16.. Man ſagt ferner, Iuſtitia diſtributiva nehme auf die Perſohn, Stand und Ver - dienſt Ruͤckſicht, die commutativa aber nicht. Allein das Irrige dieſer pur - ſcholaſtiſchen, und in unſern Geſetzen nirgends gegruͤndeten Eintheilung zeigt ſich ſo - gleich offenbar, wenn man erwaͤgt, daß unſere Geſetze auch bey dem Handel und Vertraͤgen, die einzelne Buͤrger mit einander ſchlieſſen, nicht nur einen Unter - ſchied der Perſohnen in Anſehung ihres Alters, Ge - ſchlechts und anderer Verhaͤltniſſe, ſtatt finden laſſen, ſondern auch ſelbſt in Anſehung der verſprochenen Praͤ - ſtationen uͤberall eine geometriſche Proportion beobachtet wiſſen wollen. Wie verſchieden ſind nicht die Rechte der Pupillen und Minderjaͤhrigen bey den Vertraͤgen und Veraͤuſſerungen? der Weibsperſohnen bey Buͤrg - ſchaften? der filiorumfamilias beym Darlehnscon -T 3tract,2921. Buch. 1. Tit. tract, oder auch bey andern Contracten, die ſie guͤlti - ger weiſe ſchlieſſen koͤnnen, wenn es auf die Frage an - kommt, in wiefern ſie ſelbſt waͤhrend der vaͤterlichen Gewalt daraus belangt werden koͤnnen? der Geſell - ſchaftsgenoſſen, wenn ſie der Societaͤtscaſſe ſchulden? u. ſ. w. Daß aber auch in Anſehung der zu leiſtenden Objecte bey den Contracten ein geometriſches Verhaͤlt - nis zu beobachten ſey, beweißt unter andern der So - cietaͤtscontract, bey welchem ſich, wenn die Ge - ſellſchafter ein anders nicht feſtgeſezt haben, die Theilnehmung ſowohl am Gewinn als Verluſt nach den Beytraͤgen richtet34)L. 6. L. 80. D. pro ſocio. conveniens eſt viri boni arbitrio, ut non utique ex aequis partibus ſocii ſimus, veluti ſi alter plus operae aut pecuniae in ſocietatem collaturus erat. ; dieſe geometriſche Proportion fin - det ferner auch beym Kauf35)Der Kaufſchilling wird vermehrt oder vermindert nach dem Maaß und der Guͤte der verkauften Waaren. L. 40. §. 2. D. de contr. emt. vend. L. 4. §. 1. D. de act. emt. vend. - und Mieth - oder Pachtcontract36)Der Miethzins wird nach dem Verhaͤltnis der Zeit und der geleiſteten Dienſte, oder gehabten Nutzung be - rechnet, L. 21. L. 30. pr. et §. 1. D. locati cond. L. 15. §. 7. D. eodem. , desgleichen bey Zahlungen37)L. 8. D. de ſolut. Illud non eleganter ſcriptum eſſe pomponius ait: ſi par dierum et contractuum cauſa ſit, ex omnibus ſummis pro portione videri ſolutum. , bey dem Verſprechen einer Brautgabe38)Der Brautſchatz wird nach Verhaͤltnis des Vermoͤgens desjenigen, welcher ihn beſtellen muß, und des Standes der Verlobten feſtgeſezt. L. 60. u. L. 69. §. 4. D. de iure dot. , und uͤberhaupt in allen denen Faͤllen ſtatt, wo von der Praͤ -ſtation293de Iuſtitia et Iure. ſtation und Beſtimmung einer gewiſſen Quantitaͤt die Frage iſt .39)Ioſ. averanius Interpretat. iuris. Lib. III. cap. 6. hat dieſen Saz mit ſehr vielen Beyſpielen beſtaͤrkt.. Ich uͤbergehe mehrere Argumente mit Stillſchweigen, die man bey andern in den unten an - gefuͤhrten Schriften finden wird40)Henr. cocceh Diſp. de proportionibus. Hei - delberg. 1671. leyser Medit. ad Pandect. Spec. I. med. 3. Io. Ortw. westenberg Digeſt. h. t. §. 15. ſqq. thomasius Diſp. de aequitate cerebrina L. 2. C. de reſc. vendit. Cap. 2. §. 35. hartleben Me - ditat. ad Pandect. Spec. I. med. 2. Eichmann Er - klaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts 1. Th. S. 170. beſonders Lud. herrenschneider Diſſ. de laeſionis enormis computatione Part. Poſter. Argent. 1785. Cap. I. .

Lib. I. Tit. II. de Origine Iuris.

Die Abſicht des Kaiſers Juſtinian bey dieſem Ti - tel der Pandecten war, denen Rechtslehrern ei - nen Leitfaden in die Haͤnde zu geben, nach welchen ſie der rechtsbefliſſenen Jugend die Geſchichte des roͤmiſchen Rechts und der Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen Staats, vortragen, nicht weniger eine Anleitung zur Kenntnis der Litteratur und der roͤmiſchen Rechtsgelehr - ten geben koͤnnten, weil ohne dieſe Kenntniſſe niemand, der ein Rechtsgelehrter werden will, fortkommen kann. T 4Der2941. Buch. 2. Tit. Der groͤſte Theil dieſes Titels iſt aus des pomponii libro ſingulari Enchiridii genommen, wie die Ueber - ſchrift der L. 2. h. t. zeiget; gehet jedoch nur bis auf die Zeiten Hadrians. Daß die Urtheile der Rechts - gelehrten uͤber das Fragment des Pomponius ſehr verſchieden ſind, iſt bekannt, hier aber der Ort nicht, uͤber den Werth oder Unwerth deſſelben zu urtheilen1)Ich habe hieruͤber an einem andern Orte mich erklaͤrt. S. meine Opuſcula faſc. II. S. 90. und folgg.. Da uͤberdies nach der heutigen Lehrmethode die Rechts - geſchichte, und die uͤbrigen in dieſem Titel beruͤhrten propaͤdevtiſchen Wiſſenſchaften der Jurisprudenz nicht mehr bey den Pandecten, ſondern in eignen Vorleſungen ge - lehrt zu werden pflegen, auch uͤberdies an Schriften, wodurch die roͤmiſche Rechts - und Staatsge - ſchichte iſt bearbeitet worden2)Wir koͤnnen die vorzuͤglichſten Schriften dieſer Art in zwey Cleſſen bringen, einmahl in ſolche, die eine Erlaͤu - terung des Pomponiuſſiſchen Fragments oder der L. 2. D. de O. J. enthalten, unter welchen auſſer dem oben ſchon angefuͤhrten van der muelen, noch beſonders ru - perti Animadverſiones, Corn. van bynckers - hoek Praetermiſſa, welche beide in uhlii Opuſculis ad Hiſt. iuris pertinent. ſtehen, deßgleichen Antonii garro - nis in tit. Dig. de O. l. commentaria Bremae 1631. Ger. cocceii Commentarii Groeningae 1660. und Sim. leewius de origine et progreſſu iu - risciv. Rom. Lugd. Batav. 1671. zu bemerken. Die andere Claſſe von Schriften machen diejenigen aus, welche die Ge - ſchichte des roͤmiſchen Rechts und roͤmiſchen Staats vollſtaͤndiger vorgetragen haben; zu dieſen rechne ich auſſer den bekannten claſſiſchen Werken eines Chr. God. hoffmann, Io. Sal. brunquell und Io. Gottl. hei - neccius, mit Ritters und Silberrads Noten, vorzuͤg - lich Io. Aug. bach Hiſtoria iurispr. romanaeLi -, kein Mangel iſt, ſouͤber -295de Origine Iuris. uͤbergehe ich die Contenta dieſes Titels, und will ſtatt deſſen, nur im allgemeinen von den Quellen der in Teutſchland uͤblichen buͤrgerlichen Rechtsge - lahrtheit und deren Gebrauch handeln. Man verſtehet darunter die in Teutſchland geltende Privat - geſetze, aus welchen die zur buͤrgerlichen Rechtsgelehr - ſamkeit gehoͤrige rechtliche Grundſaͤtze und Wahrheiten herzuleiten ſind. Dieſe ſind nun von zweierley Art:

  • I) fremde in Teutſchland recipirte Geſetze;
  • II) teutſche, einheimiſche Geſetze.

1. Abſchnitt. von den in Teutſchland geltenden fremden Geſetzen, die wir als Quellen der buͤrgerlichen oder Privatrechts - gelehrſamkeit anzuſehen haben.

A. Vom roͤmiſchen Rechte.

§. 47. Begrif und Eintheilung des roͤmiſchen Rechts.

Auſſer dem Moſaiſchen Rechte, von deſſen heutigen Guͤltigkeit ſchon oben (§. 23). ausfuͤhrlich iſtT 5ge -2)Lipſiae 1775. und das neueſte Werk des D. Thomas be - ver unter dem Titel: The hiſtory of the Legal Polity of de Roman State, and of the Riſe, progress and extent of the Roman Laws. London 1780. 4. und ins teutſche uͤberſezt unter der Aufſchrift: Geſchichte des roͤmiſchen Staats und des roͤmiſchen Rechts von L. Voͤlkel. Leipzig 1787. 8 Auch ſind die Werke eines Ferguſons und Gibbon’s uͤber den Fortgang und Verfall der roͤm. Republic fuͤr Rechtsgelehrten von groſem Nutzen.2961. Buch. 2. Tit. gehandelt worden, verdient unter denen in Teutſchland recipirten fremden Rechten nun vorzuͤglich das roͤmiſche unſere ganze Aufmerkſamkeit. Unter dem roͤmiſchen Rechte verſtehet man in der weitlaͤuftigern Bedeutung den Inbegrif aller und jeder Geſetze, welche in dem roͤmiſchen Staate von deſſen Gruͤn - dung an, bis auf den Untergang des griechi - ſchen Kaiſerthums gegolten haben. In der eigentlichen Bedeutung aber wird darunter das Juſti - nianeiſche Recht, oder der Inbegrif der zur Zeit des K. Juſtinian in dem roͤmiſch-grie - chiſchen Kaiſerthum guͤltig geweſenen Rechte, welche in dem Corpore iuris civilis enthalten ſind, verſtanden. Nimmt man es nach dem obi - gen generellen Begrif, ſo enthaͤlt ſolches drey verſchie - dene Theile. A) das Antejuſtinianeiſche, B) das Juſtinianeiſche und C) das Poſtiuſtinianeiſche Roͤmiſche Recht.

§. 48. Ueberbleibſel des Antejuſtinianeiſchen Roͤm. Rechts.

Soviel zuerſt die vor Juſtinian gegoltene roͤm. Rechte anbetrift, inſofern ſie der Kaiſer nicht in ſeine Geſezſammlung aufgenommen2)Hierbey verdienen vorzuͤglich Juſt. Henning Boͤhmers Gedanken von denen verlohrnen alten roͤmi - ſchen Geſetzen und Rechtsbuͤchern, wie auch von den groſſen Bemuͤhungen der Gelehrten, ſol - che wiederherzuſtellen, in Schotts iuriſt. Wochen - blatt 3. Jahrgang 1774. N. XXVIII. S. 497 534. nachgeſehen zu werden.; ſo gehoͤren dahin:

I) Die Ueberbleibſel der Koͤniglichen Ge - ſetze. (Aut. §. 47 u. 48.) Die Roͤm. Koͤnige ſind Ur -heber297de Origine Iuris. heber dieſer Geſetze, und durch die Stimmen des roͤmiſchen Volks wurden ſie auf den comitiis curiatis beſtaͤttiget. C. Papirius, dem als Pontifex Maximus die Sorge fuͤr die Erhaltung der Geſetze von Amtswegen oblag, brach - te ſie nach Vertreibung der Koͤnige in eine vollſtaͤndige Sammlung, welche theils zur Ehre ihres Verfaſſers, theils weil ſie das damals geltende ſchriftliche Civilrecht der Roͤmer enthielt, ius civile Papirianum genennet wur - de. Eben dieſer Mann hatte auch ſchon vorher die Tafeln, worauf Ancus Marcius die geiſtlichen Geſetze des Koͤnigs Numa aufzeichnen, und zur allgemeinen No - tiz ein Foro aufſtellen laſſen, weil ſie durch die Laͤnge der Zeit veraltert und verdorben waren, wieder herge - ſtellet3)Auf dieſe Art ſind die Nachrichten des Pomponius L. 2. §. 2. und §. 36. D. de O. l. und des Dionyſius von Ha - liearnaſſus Antiquit. Rom. Lib. III. p. 178. nach der Sylburg. Ausgabe mit einander zu vereinigen.. Daher der gemeine Irrthum entſtanden, als ob nur allein die geiſtlichen Geſetze des Numa von Papirius geſammlet worden waͤren, welchen ich an ei - nem andern Orte widerlegt habe4)S. meine Abhandlung de iure civili papiriano. Opuſculor. faſc. II. . Fragmenta le - gum regiarum et iuris papiriani findet man mit einer Erlaͤuterung beym Hoffmann Tom. II. Hiſtoriae iuris. S. 1 64.

II) Die Fragmente der zwoͤlf Tafelge - ſetze (Autor §. 49.) Sie wurden von zehen dazu ver - ordneten Maͤnnern, die man aus den vornehmſten Glie - dern des Senats erwaͤhlet hatte, hauptſaͤchlich aus grie - chiſchen deshalb eingeholten Geſetzen verfaſſet, und im Jahr der Erbauung Roms 306. unter dem Conſulat des L. Valerius und M. Horatius auf 12. eher -nen2981. Buch. 2. Tit. nen Tafeln bekannt gemacht. Jacob Gothofredus5)Fontes quatuor iuris civ. Genevae 1653. Lib. I. hat dieſe Ueberbleibſel am beſten reſtituirt; und der Etatsrath und Profeſſor bouchaud zu Paris hat ſie am vollſtaͤndigſten erlaͤutert6)Commentaire ſur la Loi des douze Tables. Paris 1787. gr. 4..

III) Die Ueberreſte einzelner roͤmiſcher Geſetze. Z. B. des Legis Mamiliae finium regundo - rum7)Car. saxii Diſp. ad Legem Mamiliam finium regundorum. Traj. ad Rhen. 1779. , Legis Voconiae8)Iac. perizonius Diſſ. de Lege Voconia, femi - narumque apud veteres hereditatibus. in Triade ab heineccio edita. Halae 1722. 4. , Legis Aeliae Sentiae9)Die Wiederherſtellung dieſes Geſetzes haben wir dem beruͤhmten Heineccius zu danken. Man findet es in Deſſelben Antiquit. Rom. Lib. I. Tit. VI. §. 12., Legis Iuliae et Papiae Poppaeae10)Nach Iac. gothofredus hat dieſes wichtige Geſez am vollſtaͤndigſten Io. Gottl. heineccius in Comment. ad Legem Iuliam et Pap. Poppaeam. Amſtel. 1731. 4. reſtituirt. u. d. m. welche durch die ruͤhmlichen Bemuͤhungen verſchiedener Rechts - gelehrten, ſo viel moͤglich geweſen, wiederhergeſtellet worden ſind11)S. Ant. augustini de Legibus et Senatus. conſultis liber. adiunctis Legum antiqua. rum et SCtorum fragmentis, cum notis fulvii vrsini Pariſiis 1584. fol. .

IV) Die Bruchſtuͤcke von dem Edicto Per - petuo. (Aut. §. 65.) Salvius Julianus verfer - tigte dieſe Sammlung auf Befehl Kr. Hadrians aus den brauchbarſten Edicten der roͤm. Magiſtratsperſoh -nen,299de Origine Iuris. nen, vornehmlich der Praͤtoren. Sie wurde im Jahr der Erb. Roms 885. bekannt gemacht. Was davon auf unſere Zeiten gekommen, hat nach Ranchinus, Gothofredus und Noodt, am beſten Hoffmann Tom. II. Hiſt. iuris Rom. N. IV. S. 305 360. reſti - tuirt; der Commentar des Heineccius in Opuſculis po - ſtumis iſt nicht vollſtaͤndig.

V) Die Fragmente der alten roͤmiſchen Juriſten, welche auſſer unſern Corpore iu - ris civ. ſind aufbehalten worden. Dahin ge - hoͤren caii Inſtitutionum libri II. ivlii pavli Sen - tentiarum Receptarum libri V. Tituli ex corpore vlpia - ni xxix. Moſaicarum et Romanarum Legum collatio. modestini Regularum fragmentum unicum; Fragmen - tum veteris ICti de iuris ſpeciebus et manumiſſionibus. Conſultatio veteris ICti de pactis; und papiani reſpon - ſorum liber. Alle dieſe Ueberbleibſel hat Anton Schulting in Iurisprudentia veteri anteiu - ſtinianea. Lugduni Batavor. 1717. 4. und cum praefatione Ge. Henr. ayrer Lipſiae 1737. geſamm - let, und mit ſeinen eignen ſowohl als anderer Rechtsge - lehrten Anmerkungen vortreflich erlaͤutert. Hierbey iſt noch zu bemerken, daß auch Ger. meermann den Cajus mit ſeinen critiſchen Anmerkungen, den Paulus und Ulpianus aber mit den Noten des Peter Faber Tom. VII. Theſauri iur. civ. et canon. Desgleichen Herm. cannegieter die Collationem Leg. Moſaic. et Rom. Lugd. Bat. 1765. 4. auch Io. cannegieter den Ulpianum und die eben gedachte Collationem mit ſeinen Commentarien Lugd. Bat. 1768. 4. endlich Io. Chriſt. amadvtivs das ſogenannte reſponſum Papiani aus einer Ottobonianiſchen Handſchrifft vollſtaͤndiger Rom. 1767. Fol. ediret haben.

VI) Die3001. Buch. 2. Tit.

VI) Die Ueberbleibſel von dem Gregoria - niſchen und Hermogenianiſchen Codex. Beide Sammlungen enthalten Verordnungen der roͤmiſchen Kaiſer vor Conſtantin, ſind iedoch wahrſcheinlich erſt un - ter dieſem Kaiſer, und zwar die erſtere vom Grego - rius, welcher im Jahr Chriſti 336. Praefectus Prae - torio geweſen, die andere aber von dem roͤmiſchen Juri - ſten Hermogenian, vielleicht als Supplement der er - ſtern, verfertiget worden12)S. Chriſt. Frid. pohl de codicibus Gregoria - no atque Hermogeniano Commentat hiſtori - ca. Lipſiae 1777. . (Aut. §. 63.) Am voll - ſtaͤndigſten hat die Fragmenta codicis Gregoriani et Hermogeniani Anton Schulting in iurisprud. vet. anteiuſtin. S. 683 718. edirt, und mit ſeinen An - merkungen erlaͤutert.

VII) Die Fragmente des Theodoſiani - ſchen Codex. Sie enthalten blos Verordnungen chriſtlicher Kaiſer von Conſtantin bis Theodo - ſius II. in ſechzehen Buͤchern. Die ganze Samm - lung machte Theodoſius im Jahr Chriſti 438. be - kannt. (Auct. §. 64.) Nach Sichard, Tilius und Cujacius hat Iac. gothofredus die Fragmente dieſes Codex am beſten und vollſtaͤndigſten ediret, und ſie mit einem vortreflichen Commentar verſehen. Die - ſes unſchaͤzbare Werk kam erſt nach dem Tode des Gothofredus[durch] die Beſorgung des Anton Marvilius zu Lyon 1665. in 6. Folianten heraus. Die neueſte und beſte Ausgabe iſt jedoch diejenige, welche mit Joh. Daniel Ritters herrlichen Zuſaͤtzen zu Leipzig in den Jahren 1736 1745. erſchienen iſt. Endlich

VIII) Die301De Origine Iuris.

VIII) Die Novellen (neue Verordnungen) der roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian, die ſie noch nach dem Theodoſianiſchen Codex in den Jahren 439. bis 468. promulgirt haben. Joh. Daniel Ritter hat ſie unter dem Titel: No - vellae Conſtitutiones Imperatorum Iuſtiniano anterio - rum, Theodoſii, Valentiniani, Martiani, Maioriani, Severi, Leonis et Anthemii, dem 6ten Theil ſeiner Ausgabe des Theodoſianiſchen Codex beygefuͤgt, und mit einem treflichen Commentar begleitet. Die ganze Sammlung iſt in fuͤnf Buͤcher abgetheilt. Auſſerdem haben Anton Zirardini, Faenza 1766. 8. und Joh. Chriſtian Amaduzzi, Rom 1767. Folio aus einer Ottobonianiſchen Handſchrift annoch fuͤnf Verordnungen der Kaiſer Theodoſius II. und Valenti - nian III. mit weitlaͤuftigen und ſehr gelehrten Erklaͤ - rungen herausgegeben, welche vorher nirgends gedruckt waren13)Das Werk des Antonii zirardini hat folgenden Ti - tel: Imperatorum Theodoſii iunioris et Valentiniani III. Novellae Leges, caeteris anteiuſtinianeis, quae in Lipſienſi anni 1745. vel in anterioribus editionibus vulgatae ſunt, addendae. Faventiae 1766. gr. 8. Der Titul von dem Werk des amadutius aber iſt dieſer: Leges Novellae V. anecdotae Impp. Theodoſii iunioris et Valentiniani III. cum caeterarum etiam Novellarum editarum titulis Ro - mae 1767. fol. .

§. 49. Heutiger Gebrauch derſelben.

Alle dieſe bisher gedachten Reliquien des antejuſti - nianeiſchen roͤmiſchen Rechts haben nun zwar heutiges Tages keinen gerichtlichen Gebrauch mehr, weil nur das juſtinianeiſche Recht in Teutſchland recipirt iſt,und3021. Buch. 2. Tit. und uͤberdies K. Juſtinian jene aͤltere Rechtsbuͤcher caſſirt, ja deren Gebrauch in denen Gerichten ver - boten hat14)S. Conſtitut. iustiniani de confirmat. Digeſtor. ad Senatum et omnes populos §. 19.. Allein deßwegen duͤrfen wir ſie kei - nesweges verachten, noch die Bemuͤhungen jener groſen Rechtsgelehrten fuͤr vergeblich halten, die ſich um die Wiederherſtellung derſelben verdient gemacht haben; weil ſie zum gruͤndlichen Studium des roͤmiſchen Rechts in mehr als einer Ruͤckſicht unentbehrlich ſind. Denn ein - mahl lernt man aus ienen Fragmenten das alte roͤmiſche Recht kennen, welches Juſtinian aufgehoben, und oͤf - ters nur mit kurzen Worten erwaͤhnet hat; nun wird man ſich keinen deutlichen und vollkommenen Begrif vom nenern roͤmiſchen Recht machen koͤnnen, wenn man ſich nicht erſt vorhero mit dem aͤltern Rechte gehoͤrig be - kannt gemacht hat. Ja man wird es oft gewahr wer - den, daß Juſtinian durch Aufhebung des vor ſeinen Zeiten uͤblich geweſenen Rechts, ſo durch die aͤltern roͤm. Kaiſer eingefuͤhret worden, zuweilen das weit aͤltere Recht, welches zur Zeit der freyen Republic gegolten, wieder hergeſtellet habe, wie ſolches aus dem Titel des Codex de caducis tollendis und mehreren anderen Materien zu er - ſehen iſt. Sodann laſſen ſich die aus den Schriften der roͤmiſchen Juriſten zuſammengetragene Pandecten des Juſtinians ohne jene aͤltere Quellen ſchlechterdings nicht verſtehen, weil unzaͤhlige Stellen in denſelben ſich auf iene aͤltern roͤmiſchen Geſetze beziehen, und eine Er - laͤuterung derſelben enthalten. Ferner ſind viele Geſetze ſowohl in denen Pandecten als im Codex verſtuͤmmelt, aus ihrem Zuſammenhange geriſſen, und durch die Com - pilatoren interpolirt und veraͤndert worden, welche aus den obenerwaͤhnten Ueberbleibſeln des antejuſt. roͤmiſchen Rechts ergaͤnzt und wiederhergeſtellet werden koͤnnen. Denn303de Origine Iuris. Denn aus der Vergleichung derſelben kann man erſe - hen, wie die Worte der Geſetze urſpruͤnglich gelautet, und was darinn der Kaiſer nach dem Zuſtande ſeiner Zeiten aͤndern oder einſchalten laſſen; dergleichen Aende - rungen in den Worten der Geſetze, wie bekannt, Em - blemata Triboniani genennet werden15)Man ſehe hier vorzuͤglich nach eckhardi Herme - nevt. iuris Lib. I. cap. VI. §. 262. und folg. und Walch in den Anmerkungen S. 477 490. wo man von den oben gedachten Fragmentis iuris anteiuſtinianei eine ſehr vollſtaͤndige Nachricht finden wird.. Auch viele durch fehlerhaftes Abſchreiben und Abdrucken unſerer Ju - ſtinianeiſchen Geſetzbuͤcher entſtandene Verfaͤlſchungen der Geſetze laſſen ſich aus ienen alten Ueberbleibſeln berichti - gen, und d. m. Man ſiehet alſo hieraus, wie wenig man die Kenntnis des alten roͤmiſchen Rechts und das Studium der Quellen deſſelben entbehren kann, wenn man das Juſtinianeiſche Recht gruͤndlich be - arbeiten will, und wie vielen Dank man denenjenigen unſterblichen Rechtsgelehrten ſchuldig iſt, die ſich um die Wiederherſtellung, Sammlung und Erlaͤuterung obiger Fragmente des Anteiuſtinianeiſchen Rechts ſo ruͤhmlich bemuͤhet haben16)Ich darf hier den bekannten Theſaurum iuris Romani des Ev. ottonis, und den Novum the - ſaurum iuris civilis et canonici des Ger. meermanni nicht[unberuͤhrt] laſſen, in welchen beiden Werken man alle zur Erklaͤrung des aͤlteren roͤm. Rechts dien - liche Schriften der eleganteſten Rechtsgelehrten zuſammen - getragen findet, welche einzeln ſehr ſelten geworden ſind. Dieſen kann ich auch noch beyfuͤgen die Iurispruden - tiam Romanam et Atticam deren 1. und 2. Theilcum.

§. 50.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. U3041. Buch. 2. Tit.
§. 50. Von dem Juſtinianeiſchen Rechte oder Corpore iuris civilis, deſſen Begrif und Theilen uͤberhaupt.

Den zweiten Haupttheil des roͤmiſchen Rechts macht das Juſtmianeiſche Recht aus, welches die im Cor - pore iuris ciuilis enthaltene, und zur Zeit des Kaiſers Juſtinian in den roͤmiſch-griechiſchen Kaiſerthum guͤl - tig geweſenen Rechte in ſich begreift. Zu dieſem Juſti - nianeiſchen Rechte gehoͤren alſo theils dieienigen Samm - lungen der roͤmiſchen Geſetze, welche auf Befehl des Kaiſers Juſtinian vom Tribonian und ſeinen Ge - huͤlfen ſind verfertiger worden, nehmlich die Inſtitu - tionen, Pandecten, und der Codex; theils die denenſelben bengefuͤgte eigene Verordnungen dieſes Kai - ſers, als die Novellen und die ſogenannten 13 Edic - te des K. Juſtinian. Den Inbegrif dieſer verſchie - denen Sammlungen des Juſtinianeiſchen Rechts nennet man corpvs ivris civilis; nelcher Nahme weder vom Juſtinian noch von denen ſo genannten Gloſſatoren des roͤmiſchen Rechts herruͤhrt, ſondern erſt in neuern Zeiten entſtanden iſt, als man anfing, die Juſtinianeiſchen Ge - ſezſammlungen zuſammenzudrucken, die man anfangs nur einzeln und beſonders zu ediren pflegte. Dionyſius Gothofredus, der ſich durch ſeine Ausgaben des roͤmiſchen Rechtskoͤrpers bekannt genug gemacht hat, ſoll den Nahmen Corpus iuris civilis zuerſt gebraucht haben; er edirte unter dieſer Aufſchrift die Juſti - nianeiſchen Geſetzſammlungen zu Lyon 1583. 4.17)S. des Herrn Canzlers koch Diſſ. de ordine Legum in Pandectis. Gieſſae 1784. §. 1. Not. b. . Wir16)cum praefatione Io. Gottl. heineccii Leyden 1738. und 1739. fol: Der dritte aber cum praefat. Pet. wesse - lingii 1741. herausgekommen iſt.305de Origine Iuris. Wir wollen ietzt von den einzelnen Theilen des Juſti - nianeiſchen Rechts noch etwas ausfuͤhrlicher handeln18)Hiervon handeln auch Joh. Hieron. Hermann Hiſto - ria corporis iuris Iuſtinianei, oder hiſtoriſche Nachricht von den Inſtitutionen, Pandecten, Codex und Novellen. Jena 1731. 8. Ad. riccius de librorum iuris romani quantitate et qualitate. Regiomont. 1657. 8. u. Alb. gentilis de libris iuris civ. Hannoviae 1605. 12. .

§. 51. Von den Inſtitutionen des K. Juſtinians.

Unter den Haupttheilen des roͤmiſchen Geſetzbuchs nehmen nun die Inſtitutionen des K. Juſtinian den erſten Platz ein19)Sie behaupten jedoch nicht in allen Ausgaden des Cor - poris iuris civ. dieſen erſtern Platz. Z. B. in der Aus - gabe des L. charondae folgen ſie auf die Pandecten, in andern z. E. in der Ausgabe des L. russardi, und des petri ab area baudoza cestii, Lugduni 1593. gr. 4. machen ſie den Schluß.. Sie ſind zwar erſt nach den Pandecten verfertiget worden, aber ſie wurden doch eher als die Pandecten, nehmlich am 21. November des Jahrs 533. bekannt gemacht, ob ſie gleich erſt am 30. December zugleich mit den Pandecten die geſetzliche Beſtaͤttigung erhalten haben. (Autor §. 70.) Die Ver - faſſer derſelben ſind Tribonian, und die beiden Rechts - lehrer Theophilus und Dorotheus. Dieſen be - fahl Juſtinian, die Hauptgrundſaͤtze des aͤltern und neu - ern Roͤm. Rechts zum Unterricht fuͤr die Anfaͤnger ins kurze zu ziehen: ut eſſent totius legitimae ſcientiae prima elementa. Sie ſind nach dem Muſter der In - ſtitutionen des Cajus in vier Buͤcher und iedes Buch in verſchiedene Titel eingetheilt. Ihre Hauptquellen ſindU 2die3061. Buch. 2. Tit. die Inſtitutionen des Cajus, und die Pandecten des K. Juſtinian, aus denen ſie groͤßtentheils excerpirt ſind; jedoch finden ſich auch hin und wieder Abweichun - gen von denen letztern, welche zuweilen mit Vorſatz gemacht worden, zuweilen aber nur einen Irrthum zum Grunde haben. Es kommt hierauf vieles an, weil im erſten Fall die Inſtitutionen, als ein neueres Recht, in letztern Fall aber die Pandecten, als das Original, vorzuziehen ſind20)S Hoͤpfner Commentar uͤber die Inſtitutio - nen. §. 16.. Auſſerdem werden auch in den Inſtitutionen Verordnungen aͤlterer roͤmiſcher Kaiſer, als in den Codex befindlich angefuͤhrt, welche iedoch heuti - ges Tages in demſelben nicht anzutreffen ſind, z. B. § 7 I. de teſtam. ordin. §. 27. I. de legatis u. a. m.21)Man vergleiche deshalb Ioh. God. schaumburg Com - mentar. de conſtitutionibus Imperatorum antiquis iis ſpeciatim, quae in Inſtitutioni - bus citantur, et in Codice repetitae praelect. omiſſae ſunt. Lemgoviae 1735. 4. Manche neue Verordnung von Juſtinian findet man auch hier, die man in den uͤbrigen Geſetzbuͤchern dieſes Kaiſers nirgends weiter antrifft. Z. B. §. 7 9. I. de fidei - comm. hereditat. und §. 10. I. de teſtam ordin. Ue - brigens verdient dieſes kleine Werk ſowohl wegen der darin herrſchenden Methode und Kuͤrze, als wegen ſei - nes guten Styls unſere ganze Bewunderung; man findet auch darin eine vortrefliche Anleitung, die roͤmiſche Rechts - gelahrtheit chronologiſch, d. i. nach den mancherley Abwechſelungen zu ſtudiren, die ſich in den einzelnen Rechtsmaterien zugetragen haben. Unter den Ausga - ben derſelben verdienen folgende bemerkt zu werden. I) Die Haloandriniſche. Nuͤrnberg 1529. 8. II) Die Cujacianiſche; und zwar die zwote verbeſ -ſerte307de Origine Iuris. ſerte, Paris 1585. Joh. Bernh. Koͤhler hat ſie zu Goͤttingen 1773. 8. wieder auflegen laſſen. Auch iſt ſie in den Gebaueriſchen, und Plittiſchen Ausga - ben des Corpus iuris civ. aufs neue abgedruckt. End - lich III) die Ausgabe des Contius, Paris 1560. Die beſten Commentare ſind 1) Iani a costa Commentarius curante Ioanne van de water nach der neueſten Ausgabe des Io Conr rücker Lugd. Batav. 1744. 4. 2 ) Everardi ottonis Commen - tariuset notae criticae ad Inſtitut. libros IV. Ultrajecti 1729. und cum praefat. Chriſtoph. Frid. harpprecht. Francof. et Lipſiae 1743. 4. 3 ) Arnold. vinnii in IV. libros Inſtitution. Commentarius academicus et forenſis cum animadverſionibus Io. Gottl. Heineccii. Lugd. Batav. 1726, 4. Zu den ſeltnern gehoͤren balduinus Pariſ. 1554. fol. hotomannus Baſil. 1560. f. und Franc. broeus. Paris 1622. 4. Wir haben auch Ueberſe - tzungen von den Inſtitutionen des Juſtinians beynahe in allen europaͤiſchen Sprachen. Uns intereſſiren hier nur folgende. I) Die griechiſche Paraphraſe des Theo - philus, ehemaligen Rechtslehrers zu Conſtantinopel. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſer Theophilus eben derſelbe ſey, deſſen Juſtinian in den Proemium ſeiner Inſtitu - tionen mit ſo vielen Lobſpruͤchen gedacht hat22)S. Io. Henr. mylii Theophilus ſ. de graeca - rum iuris Inſtitutionum, earundemque au - ctoris hiſtoria, aetate, auctoritate, fatis, do - tibus, naevis. lib. ſing. Lipſiae 1731. 4. Lugd. Batav. 1733. 8. und in der Reitziſchen Ausgabe des Theophilus T. II. S. 1033. Desgleichen Ioh. Gottfr. sammet con - iecturae de Theophili vita et Εϱμ[ην]εια In - ſtitutionum Lipſiae, 1750. und in Opuſc. N. VIII. S. 213. folgg.. UndU 3eben3081. Buch. 2. Tit. eben ſo glaublich, daß dieſe Paraphraſe aus den Di - craten des Theophilus uͤber die Inſtitutionen des Ju - ſtinians erwachſen ſey23)Sehr gruͤndlich hat dieſes Wilh. Otto Reitz in der Vorrede zu ſeiner Ausgabe der Paraphraſe §. 46. S. 27. dargethan.; wenigſtens kann man ſich nun erklaͤren, woher die mancherley Unrichtigkeiten entſtan - den ſind, die man in dieſer Paraphraſe hin und wieder findet. Dieſe abgerechnet, bleibt die Paraphraſe des Theophilus immer ein ſehr gutes Huͤlfsmittel zur Er - laͤuterung des lateiniſchen Textes24)eckhard hermenevt. iuris Lib. I. cap. VII. §. 294. u. fo[lgg. a]uch walch ad Eundem. . Die beſte Aus - gabe iſt die, welche Wilh. Otto Reitz mit einer neuen lateiniſchen Ueberſetzung und den Anmerkungen, auch verſchiedenen Abhandlungen der eleganteſten Civili - ſten und ſeinen eigenen zu Haag 1751. Tomis II. ver - anſtaltet hat. II) Teutſche Ueberſetzungen, be - ſonders folgende: des K. Juſtinians vier Buͤcher der Inſtitutionen nach dem angehaͤngten Grundtext, uͤberſetzt von zweien Freunden der Rechtsgelehrſamkeit. (Chriſt. Fried. Helwing, und Joh. Alb. Herm. Heldmann) Lemgow 1765. 8.

§. 52. Von den Pandecten des K. Juſtinians.

Den zweiten Haupttheil des Roͤm. Rechtskoͤrpers machen die Pandecten aus. Juſtinian ließ ſie von ſechzehen der gelehrteſten Maͤnner des damahligen Zeit - alters25)In der Conſtitut. Iuſtiniani de confirmatione Digeſto - rum ad Senatum §. 9. findet man ſie angefuͤhrt. und unter der Direction des Tribonians, ſei - nes Hofkanzlers, aus den beſten Schriften der aͤlternRoͤm.309de Origine IurisRoͤm. Rechtsgelehrten zuſammentragen. Sie enthalten demnach lauter Excerpte aus denenſelben, welche nach den Materien unter gewiſſe Buͤcher und Titel ſind ge - bracht worden. Dieſes Werk wurde im Monath De - cember des Jahrs 533. bekanntgemacht, und durch zwey Edicte an den Senat und das Volk beſtaͤttiget26)S. Praefat 2. und 3. ad Digeſta. . Der Nahme der Sammlung iſt bekanntlich Digeſta ſive Pandectae; Benennungen, welche ſchon laͤngſt vor Ju - ſtinians Zeiten die alten roͤmiſchen Juriſten ihren Rechts - ſyſtemen beylegten. Digeſta werden ſie von der Ord - nung genennt, in welche die Geſetze gebracht ſind: Pan - dectae aber darum, weil ſie ein vollſtaͤndiger Inbegrif, oder Sammlung alles deſſen ſeyn ſollen, was in den Schriften der alten roͤmiſchen Juriſten brauchbares ent - halten war, von παν (alles) und δέχομαι (enthalten, in ſich faſſen). Ueber die Zahl der Rechtsgelehrten, aus deren Schriften dieſes Werk compiliret worden, iſt man zwar nicht einig; allein es iſt wohl richtig, daß ihrer vierzig geweſen ſeyn. Ihre Nahmen, mit welchen die Ueberſchriften der einzelnen Legum in den Pandecten bezeichnet ſind, ſind folgende: Aelius Gallus, Caͤci - lius Africanus, P. Alfenus Barus, P. Furius Anthianus, Aurelius Arcadius Chariſius, T. Cajus, Calliſtratus, P. Juventius Celſus, Q. Cervidius Scaͤvola, Claudius Saturninus, Flo - rentinus, J. Gallus Aquila, Claudius Hermo - genianus, Javolenus Priscus, Salvius Julia - nus, M. Antiſtius Labeo, Aemilius Macer, L. Vo - luſius Maͤcianus, Ulpius Marcellus, Aemilius Marcianus, Junius Mauricianus, Rutilius Ma - ximus, Arrius Menander, Herennius Modeſti - nus, Q. Mucius Scaͤvola, Neratius Priscus, Aemilius Papinianus, Papirius Juſtus, JuliusU 4Pau -3101. Buch. 2. Tit. Paulus, S. Pomponius, Sempronius Procu - lus, Licinius Rufinus, Maſurius Sabinus, Ta - runtenus Paternus, Terentius Clemens, Q. Septi - mius Florens Tertullianus, Claudius Tryphoni - nus, Aburnus Valens, Q. Venulejus Saturni - nus, und Domitius Ulpianus. Man findet in der Florentiniſchen Handſchrift der Pandecten ein Verzeich - nis dieſer Rechtsgelehrten und ihrer Schriften vorge - ſezt, welches aber ſehr unvollſtaͤndig und uͤberdies auf eine Art abgefaßt iſt, die es ſehr unglaublich macht, daß es eben dasjenige ſey, was auf Befehl Juſtini - ans27)L. 3. §. 10. C. de Vet. iure enucleando. bey der Verfertigung der Pandecten vorgeſezt werden muͤſſen28)Io. Aug. kettembeil Index Pandectorum flo - rentinus barbariei e medio aevo ad nos transmiſſae απορρος. Francohuſ. 1755. 4. . Vollſtaͤndiger ſind die Verzeich - niſſe in des Abraham Wielings Iurisprudentia reſti - tuta. Uebrigens iſt das ganze Werk in ſieben Theile und funfzig Buͤcher, iedes Buch in ſeine Titel, und je - der Titel wieder in einzelne Abſchnitte, welche insge - mein Leges, von andern aber capita oder Fragmenta genennt zu werden pflegen, abgetheilt. Die erſten vier Buͤcher der Pandecten, welche den erſten Theil derſel - ben ausmachen, werden vom Juſtinian Πρῶτα, der mittlere oder vierte Theil aber, welcher vom 20ten bis zum 27ten Buch gehet, media totius operis, μέσον τȣ͂ παντος, auch umbilicus Pandectarum genennt29)Conſtitut. de confirmat. Digeſtor. ad Senatum et omnes Populos. §. 2. ſqq. und L. 2. §. 5. L. 3. §. 4. C. de V. I. E. . Die alten Gloſſatoren haben noch uͤberdies die Pande - cten in drey Theile, in das digeſtum vetus, infortia - tum und novum eingetheilt. Das digeſtum vetus ge -het311de Origine Iuris. het bis auf den zweiten Titel des vier und zwanzigſten Buchs de divortiis et repudiis, das infortiatum, oder der mittlere Theil, erſtreckt ſich vom 3ten Titel des 24ten Buchs bis ans Ende des 38ten Buchs. No - vum endlich gehet vom 1ten Titel des 39ten Buchs de novi operis nunciatione bis ans Ende der Pandecten. Ueber die Erklaͤrung dieſer Benennungen iſt man nicht einig, anſtatt mich jedoch hierbey aufzuhalten, will ich die Worte eines Johann Coraſius hierher ſetzen, wel - cher an einem gewiſſen Ort ſeiner Epiſtolicarum Quac - ſtionum30)Lib. I. cap. 22. ganz richtig ſagt: iſtiusmodi diſputationem cervicoſis relinquendam, nec in talibus infrugiferis quaeſtionibus vel tantillum operae ponendum eſſe. Um jedoch wieder auf die ſogenannten Leges unſerer Pandecten zu kommen, ſo finden ſich in denenſelben nicht ſelten merkliche Widerſpruͤche, wenn auch gleich Juſti - nian dieſen Vorwurf durchaus nicht gelten laſſen will31)Conſtitut. de confirmat. Digeftor. §. 15. Contrarium autem aliquid in hoc Codice (Pandectarum) poſitum nullum ſibi locum vindicabit etc. . Man vergleiche nur L. 16. §. 3. und L. 22. §. 5. D. de lib. cauſa mit L. 17. D. eodem32)S. püttmann Probabil. iuris civ. lib. ſing. Cap. V. §. 12.. Ferner L. 15. D. de teſtib. mit L. 20. §. 5. D. Qui teſtam. fac. poſſ .33)Meine Opuſcula Faſc. I. S. 143.. Desgleichen L. 68. §. 3. D. de legat. 1. mit L. 65. § 2. D. de legat. 2. 34)püttmann Interpretat. et Obſervat. cap. XXI. Vergeblich hat ſich Io. Conr. rücker Interpretat. Lib. II. c. 4. bemuͤhet, dieſe Stellen mit einander zu con - ciliiren.So wird man ſich hiervon genugſam uͤberzeugen koͤnnen. Die natuͤr -U 5liche3121. Buch. 2. Tit. liche Urſache dieſer Antinomien iſt, weil die Pandecten aus den Schriften ſehr verſchiedener Rechtsgelehrten ſind compiliret worden, welche in ihren Grundſaͤtzen und Rechtsmeinungen oft ſehr von einander abgiengen; die Verfaſſer der Pandecten aber ihre Excerpte aus zu groſer Eilfertigkeit nicht ſorgfaͤltig genug mit einander verglichen haben. Solche wahre Widerſpruͤche, da ei - nerley Rechtsfall unter einerley Umſtaͤnden von gleich - zeitigen Rechtsgelehrten auf eine ganz verſchiedene Art iſt entſchieden worden, conciliiren zu wollen, wuͤrde ei - ne ganz vergebliche Muͤhe ſeyn. Wie ſollen wir uns alſo dabey verhalten? Man befolge diejenige Meinung, welche mit der Rechtsanalogie und Billigkeit am meiſten uͤbereinſtimmt, und, wo dieſes nicht auszumachen ſtehet, nehme man ſeine Zuflucht zur hoͤchſten Entſcheidung des Landesherrn35)hofacker Princip. Tom. I. §. 42. in fine. S. 33.. Man ſey jedoch hierbey behutſam und verwechſele nie ſcheinbare mit wahren Wider - ſpruͤchen. Bey vorkommenden Antinomien unterſuche man daher vor allen Dingen, ob auch die Leſeart richtig ſey; denn zuweilen ruͤhrt ein Widerſpruch in den Geſetzen unſerer Pandecten blos von einer fehler - haften Leſeart her. Ein Beiſpiel giebt L. 34. §. 4. D. de iureiur. welche zwar dem L. 8. §. 5. D. qui ſatisd. cog. und L. 7. §. 3. D. de obſequ. parent. et patron. praeſt. entgegen iſt, allein nur darum, weil die mei - ſten Ausgaben der Pandecten eine falſche Leſeart ent - halten, denn ließt man mit Haloander und den Ba - ſiliken: hoc iusiurandum de calumnia aeque patro - no et parentibus remittitur, ſo verſchwinder aller Wi - derſpruch36)eckhard Hermenevt. iuris. Lib. I. cap. VII. §. 283. und walch ad Eundem. . Iſt aber der Text an ſich richtig, ſozer -313de Origine Iuris. zer gliedere man ferner die in denen ſich ent - gegen zu ſeyn ſcheinenden Geſetzen enthal - tene Faͤlle, und unterſuche alſo den Inhalt dieſer Geſetze. Denn oft wird man finden, daß es wahr ſey, was Juſtinian in Praefat. II. ſeiner Pan - decten §. 15. ſagt, nehmlich, daß der anſcheinende Widerſpruch verſchwinden werde, ſi quis ſubtili animo diverſitatis rationes excutiet. Zum Beiſpiel koͤnnen die L. 41. D. de pignerat. action. und L. 22. D. de pignorib. et byp.37)S. sammet Quaeſtiones forenſes. Quaeſt. 3. in Opuſc. S. 254. und folgg. ferner L. ult. D. de condict. cauſ. data cauſ. non. ſec. und L. 5. §. 1. D. de prae - ſcript. verb.38)Io. van neck in Diſſ. ad hanc. L. ult. cap. 2. in oelrichs Theſ. novo Diſſertat. Belgicar. Tom. II. Vol. 2. S. 394. dienen, deren Widerſpruch auf ſolche Art gar leicht gehoben werden kann, wie ich zu ſeiner Zeit darthun werde. Sollte ſich nun gleichwohl fin - den, daß einerley Rechtsfall in beiden vorliegenden Ge - ſetzen enthalten waͤre, ſo unterſuche man das Zeit - alter der diſſentirenden Juriſten, und halte ſich an die Regel: ius tempore poſterius potius eſt iuri anteriori. Denn mit Recht haben Heinec - cius39)Commentar. ad L. Iul. et Pap. Popp. Lib. III. cap. 5. S. 401., Brenkmann40)de Legum inſcriptionibus. §. 22., und andere ſchon ange - merkt, daß ſich unter Rechtsgelehrten von verſchiedenen Zeitaltern kein wahrer Widerſpruch gedenken laſſe. Ein treffendes Beiſpiel geben uns die L. 17. D. de duob. reis. L. 54. §. ult. und L. 124. D. de legat. 1. wo - ſelbſt die Meinung des Paulus in L. 17. als eines ſpaͤtern Rechtsgelehrten der Meinung der andern beidenaͤltern3141. Buch. 2. Tit. aͤltern Juriſten, des Neratius und Pomponius aller - dings vorgezogen werden muß41)S. püttmann Probabil. iuris civ. Lib. II. c. 3. pag. 25. ſqq. . Hieraus aber erhel - let auch zugleich, wie nothwendig es ſey, die Chronolo - gie der roͤmiſchen Rechtsgelehrten zu ſtudieren42)Auſſer des ſchon oben angefuͤhrten mercerii Conci - liator fuͤhre ich hier nur noch an Ioſ. Mar. schneidt Diſſert. ſiſtens artem conciliandi leges in ſy - ſtema redactam. Wirceb. 1776. Die uͤbrige hierher gehoͤrige Schriften findet man in lipenius und Supple - ment. schottii v. Antinomia. Ich bemerke uͤbrigens noch dieſes, daß ſich Dionyſ Gothofredus in ſeinen Ausgaben der Pandecten ein vorzuͤglichs Verdienſt ge - macht, die widerſprechenden Geſetze an jedem Orte an - zufuͤhren..

Von den Geſetzen der Pandecten muß ich hier noch ferner anmerken, daß einige derſelben urſpruͤnglich in griechiſcher Sprache abgefaßt geweſen, welche jedoch in denen gemeinen Ausgaben der Pandecten ins Latei - niſche uͤberſezt, groͤſtentheils mit Hinweglaſſung des griechiſchen Textes, angetroffen werden. Hierher gehoͤ - ren z. B. die aus des herennii modestini libris ſex Excuſationum excerpirte Stellen. Man iſt nicht einig, wer der lateiniſche Interpres ſey; indem einige den bulgarus, andere einen gewiſſen Piſaniſchen Rechtsgelehrten mit Nahmen burgundio, oder, wie ihn andere nennen, burgundius, noch andere den gandinus oder bandinus, auch einen Piſaner, dafuͤr halten wollen. Es mag jedoch derſelbe ſeyn, wer er will, ſo iſt ſoviel gewiß, daß ſeine Ueberſetzung zum Theil ſehr ſchlecht gerathen, und oft den wahren Sinn des roͤmiſchen Juriſten nicht ausdruͤckt, wie ein neuererberuͤhm -315De Origine Iuris. beruͤhmter Piſaniſcher Juriſt mit vielen Beiſpielen er - wieſen hat43)Leop. Andr. guadagni de Florentino codice, omnium quae extant Pandectarum exemplo - rum parente diſquiſitio, ex edit. walchii Ienae 1755. 8. cap. XIX. .

Endlich findet man heutiges Tages auch verſchie - dene Geſetze in unſern Pandecten, welche in den Hand - ſchriften der Gloſſatoren gefehlet, und erſt in neuern Zeiten von Jacob Cujacius, und Anton Contius aus denen Baſiliken des Kaiſers Leo wieder hergeſtel - let worden ſind. Hierher gehoͤren z. B. aus dem Ti - tel de bonis damnatorum §. 5. ja ſchon einige der lez - tern Worte von §. 4. des L. 7. ferner L. 8. bis 11. eben dieſes Titels; desgleichen aus dem Titel de inter - dictis et relegatis L. 10 19. Dionyſius Gotho - fredus hat dieſe Leges reſtitutas durch Curſiv Schrift zu unterſcheiden geſucht, ſie haben auch keine vollſtaͤndi - ge Inſcription, ſondern nur den Nahmen des Rechts - gelehrten. Sie gelten aber nicht in Praxi, weil ſie nicht gloſſirt ſind.

Ich komme nun auf die Ausgaben der Pande - cten. Dieſe theilt man gewoͤhnlich ein in die Floren - tiniſche, Haloandriniſche und Gemeine. Die Flo - rentiniſche nennt man diejenige Ausgabe, welche von der vortreflichen Handſchrift der Pandecten, die zu den Zeiten der alten Gloſſatoren in den Haͤnden der Piſa - ner war, jezt aber zu Florenz als eine Seltenheit aufbewahret wird44)Von der Florentiniſchen Handſchrift der Pandecten ſehe man eckhard in Hermenevt. iuris Lib. I. c. 2. §. 68. undf olgenden auch walch ad Eundem. , abgedruckt, und durch Franz Taurellius zu Florenz im Jahr 1553. in Folio iſtediret3161. Buch. 2. Tit. ediret worden. Die Haloandriniſche Ausgabe hat ihren Nahmen von Gregorius Haloander, der die Pandecten auf Koſten des Nuͤrnberger Stadtmagiſtrats im Jahr 1529. zu Nuͤrnberg in Quart herausgege - ben hat. Sie wird deßhalb auch editio Norica genennt. Unter der vulgata endlich begreift man alle diejenigen Ausgaben der Pandecten, welche theils von ſolchen Handſchriften ſind abgedruckt worden, deren ſich die al - ten Gloſſatoren bedient haben, theils eine Leſeart ent - halten, worin die meiſten Handſchriften und Ausgaben der Pandecten mit einander uͤbereinſtimmen45)D. Meurers iuriſtiſche Beobachtungen. 1. Samm - lung N. VII. S. 191. und folg. Io. Conr. rücker in Praefat. eius Interpretat et Obſervat. praemiſſa pag. 3.. Daß jedoch dieſe Eintheilung ſehr unrichtig ſey, indem es weit mehrere, auch gemiſchte Ausgaben giebt, die aus der Vergleichung der florentiniſchen, haloandriniſchen und gemeinen Leſeart entſtanden ſind, wie z. B. die Ausga - be des Ludovici miraei Paris 1552. und 1553., haben auch ſchon Andere bemerkt46)S. brunquell Hiſtor. Iuris. P. II. cap. V. . Die vorzuͤglich - ſten Ausgaben habe ich bereits oben angefuͤhrt (S. 237. Note 17.). Da die Gothofrediſchen Ausgaben vom Corpore iuris civilis die gewoͤhnlichſten ſind, die auch am oͤfterſten in - und auſſerhalb Teutſchland in al - len Formaten, Folio, Quart und Octav ſind nachge - druckt worden, mithin in den Haͤnden der meiſten Rechts - gelehrten ſich befinden, ſo iſt es noͤthig, von dieſen Ausgaben der Pandecten verſchiedenes zu bemer - ken. Der Text iſt ziemlich fehlerhaft abgedruckt. Hauptſaͤchlich richtete ſich zwar Gothofredus nach den florentiniſchen Text, allein unlaͤugbar iſt es,[daß] er den - ſelben nicht rein geliefert, ſondern bald der Vulgate, bald der Haloandriniſchen Lection gefolgt ſey. Der un -ver -317de Origine Iuris. verzeihlichſte Fehler des Gothofreds iſt jedoch dieſer, daß er das, was Taurell und die folgenden Editoren mit verſchiedenen Zeichen bemerkt haben, meiſt ohne allen Unterſchied in Haken eingeſchloſſen hat; ſo daß man aus ſeinen Ausgaben nicht ſehen kann, warum etwas auf eine gewiſſe Weiſe bezeichnet worden, ſondern deswegen immer die Taurelliſche Ausgabe zu Huͤlfe nehmen muß47)Es iſt der Muͤhe werth, hier etwas weniges von den Zeichen des Taurells und der uͤbrigen Editoren, deren ſie ſich in ihren Ausgaben der Pandecten bedienet haben, zu bemerken. Taurell hat deren fuͤnf. Das erſte ** bedeutet, daß die damit bezeichneten Worte nicht im Text der Florentiniſchen Handſchrift geſtanden, ſondern demſel - ben hernach durch einen alten Abſchreiber beygefuͤget wor - den. Das andere gebraucht Taurell, wenn ihm et - was uͤberfluͤſſig im Text zu ſeyn geſchienen; das dritte () zeigt an, daß etwas in der Florentiniſchen Hand - ſchrift nicht ſtehe, ſondern vom Taurell, um einen voll - kommenen Verſtand herauszubringen, inſeriret worden; das vierte *) deutet Worte und Stellen an, die ihm verdaͤchtig oder von der roͤmiſchen Schreibart abzuwei - chen gedeucht haben; das fuͤnfte endlich druͤckt zwey verſchiedene Leſearten aus, davon Taurell die erſtere in den Text gebracht, die andere aber mit jenen Zeichen am Rande angemerkt hat. In der Praͤfation ſeiner Aus - gabe hat Taurell alle dieſe Charactere ſelbſt erklaͤrt. Ruſſard bedient ſich noch eines andern Zeichens, , und will damit andeuten, daß dasjenige, was er mit den - ſelben eingeſchloſſen, in der florentiniſchen Handſchrift ſowenig,. Man darf daher nicht glauben, daß irgend ein Wort deswegen verdaͤchtig ſey, weil es in einer Gothofredi - ſchen Ausgabe in Haken oder halbe Zirkel eingeſchloſſen angetroffen wird. Die beſte und auch wohl dem Dru - cke nach die ſchoͤnſte und praͤchtigſte Ausgabe unter den Gothofrediſchen iſt ohnſtreitig diejenige, welche Simonvan3181. Buch. 2. Tit. van Leeuwen 1663. zu Amſterdam veranſtaltet hat. Sie enthaͤlt den Gothofrediſchen Text, nur hin und wieder verbeſſert, daß aber die Pandecten ganz nach der florentiniſchen Handſchrift hier waͤren geliefert worden, wie der Herausgeber verſprochen, iſt eine Un - wahrheit. Mit Verwechſelung der Zeichen ſind auch in dieſer Ausgabe eben die Fehler begangen worden, die wir oben an Gothofred geruͤgt haben. Simon van Leeuwen liefert auſſer den Gothofrediſchen An - merkungen noch viele andere von Auguſtin, Go - vean, Faconius, Bellonius, Contius, Raͤ - vard, Robert, Alciat, Hotmann, Charon - das, Cujaz, Leoninus, Salmaſius und Gro -tius. 47)wenig, als in andern Exemplaren der Pandecten zu be - finden ſey. Ob ihn nun gleich Ludov. charondas und Iul. pacius hierin blindlings gefolgt ſind, ſo haben doch Bynkershoͤk ad L. lecta c. 11. und Brenkmann Hiſtor. Pandectar. S. 92. erinnert, daß jene Angabe des Ruſ - ſards eine aller Welt vor Augen liegende Unwahrheit ſey, indem vieles, was Ruſſard mit ſeiner Note befan - gen, ſowohl in der Florentina als Haloandrina befind - lich iſt, wie einem Jeden, der dieſe Ausgaben mit ein - ander zu vergleichen ſich die Muͤhe geben will, in die Augen fallen wird. Dionyſius Gothofredus bedient ſich nicht nur des Ruſſardiniſchen Zeichens, ſondern auch noch anderer, als () [] * ohne daß man aus ſeinen Ausgaben ſehen kann, warum er etwas auf ſolche Art marquiret hat, wodurch viele Verwirrung im Text iſt an - gerichtet worden. Man ſehe vorzuͤglich die gelehrte Ab - handlung Chriſt. Ulr. Grupens: wie die Pandecten von den verworrenen notis characteriſticis Editorum, und inſonderheit von der men - daciſſima nota russardi und Dionyſ. gothofredi zu ſaͤubern, und zum Theil zu rectifici - ren. in Deſſelben Obſervat. Rer. et Antiquitat. Germ. et Rom. Obſ. XV. 319de Origine Iuris. tius. Dieſen fuͤgte er auch noch ſeine eigene Bemer - kungen hier und da bey, welche jedoch meiſt abge - ſchmackt und, wie Hennr. Brenkmann48)Hiſt. Pandect. Lib. III. c. 5. p. 298. richtig von denſelben geurtheilt, einer ſo ſchoͤnen Ausgabe ganz unwuͤrdig ſind. Uebrigens iſt dieſe Leeuwenſche Aus - gabe zwar richtiger als die uͤbrigen Gothofrediſchen, hat aber doch auch manche grobe Druckfehler49)S. Jo. Conr. Ruͤcker uͤber einige Ausgaben des Corporis iuris civ. in des H. Prof. Sieben - kees neuen juriſt. Magazin 1. Band Anſpach 1784. N. VI. S. 194 201..

Soviel hiernaͤchſt die Commentare uͤber die Pandecten des Inſtinians anbetrift, ſo haben wir auſ - ſer den Brunnemann (Commentar. ad Pandectas Frfti 1674. Fol. und Colon. 1752. F.) welcher aber eben nicht viel bedeutet, faſt keinen, der vollſtaͤndig iſt, und uͤber alle 50. Buͤcher der Pandecten ſich erſtreckt; wenn man nicht etwa den mornacius in Obſervat. ad XXIV. libros priores, und deſſelben Synopſin ad XXVI. libros poſteriores hierher rechnen will. Die uͤbrigen vor - handenen Commentare gehen immer nur uͤber etliche Buͤ - cher, wir wollen folgende als die vorzuͤglichſten anfuͤh - ren. 1) Anton. fabri Rationalia in Pande - ctas Tomi V. Lugduni 1663. F. erſtreckt ſich nur auf die erſtern neunzehn Buͤcher, gehet jedoch auf alle einzelne Geſetze, und fuͤhrt bey Erklaͤrung eines jeden rationes dubitandi et decidendi an. Ein Fehler iſt es jedoch, daß Faber uͤberall den Text verdaͤchtig ma - chen und uͤberall Gloßeme und Tribonianismen finden will. 2) Ger. noodtii Commentar. ad Dige - ſta, gehet nicht nach der Ordnung der Geſetze, und erſtreckt ſich nur uͤber die erſtern 27. Buͤcher der Pan -decten.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. X3201. Buch. 2. Tit. decten. Er hat ſich vorzuͤglich bemuͤhet, die Worte der Ediete zu reſtituiren, und erklaͤrt ſie vortreflich. 3) die erſtern vier Buͤcher erlaͤutert baro in Operib. und uͤber die erſtern beyden hat balduin Notas ge - ſchrieben, welche in T. I. Iurisprud. Rom. et Atticae S. 774 843. anzutreffen. Einzelne Titel der Pande - cten haben mehrere erlaͤutert, welche hier anzufuͤhren, zu weitlaͤuftig iſt. Mehrere Rechtsgelehrten haben die Fragmente einzelner roͤm. Juriſten aus den Pandecten geſammlet und ſelbige erlaͤutert, von denen ich folgende bemerken muß. 1) cujacius ad Africani quaeſtio - nes, ad Papinianum, ad Pauli Quaeſtiones, Mode - ſtini libr. Differentiar. Iuliani Digeſta, libros 6. ex Minicio, et 4. ad Urſeium Ferocem, Pauli, Nera - tii, Marcelli, Ulpiani, Modeſtini, Scaevolae rèſpon - ſa. 2) Gregorii maiansii Commentarii ad tri - ginta ICtorum fragmenta Genev. 1764. 4. 3 ) Franc. balduini Commentar. de Iuris - prudentia Muciana Baſiliae 1558. 8. und in T. I. Iurisprud. Rom. et Atticae S. 434. folgg. 4) Ant. Dadin. alteserrae Recitationes ad Try - phoninum Toloſae 1679. und 1684. 4. 5 ) me - rillius ad Pauli Manual. in Operib. Derſelbe ad Calliſtrati quaeſtion. in Theſauro Otton. Tom. III. 6) lectius ad Macrum de publi - cis iudiciis et Modeſtinum de poenis. Eben - daſelbſt. Tom. I. 7) Ant. augustinus ad Mode - ſtinum de excuſationibus, mit deſſelben Emendationi - bus Baſiliae 1544. F. und im Theſ. Otton. T. 4. 8) retes ad Cervidii Scaevolae Quaeſtio - nes in Theſ. Meermann. T. 6. 9 ) Ioſ. finestres et de monsalvo in Hermogeniani ICti iuris Epitomarum libros VI. Commentarius. To - mi II. Cervariae Lacetanor. 1757. 4. 10 ) Henr. Theod. 321de Origine Iuris. Theod. pagenstecher in S. Pomponii ad Sa - binum de re teſtamentaria et de bonor. poſſeſſionibus libros VI. Commentarius. Lemgoviae 1750. 4. Ebendeſſelben Ius Pegaſia - num Ibidem. 1741. 4. 11 ) Henr. brencmann in Herennii Modeſtini librum ſingularem περὶ ἑυρηματικῶν Commentarius Lugduni Batavor. 1706. 8. 12 ) Io. Flor. rivini Exerc. ad Modeſtini caſus enucleatos Lipſiae 1727. 4. 13 ) Franc. Car. conradi ad Panlum de iu - re ſingulari Lipſiae 1728. 4. 14 ) gronovius ad Marciani libr. regular. (in fellenberg Iurisprud. antiqua Tom. 2.) 15) van nispen ad Fragmenta, quae in Digeſtis ex Modeſti - ni IX. libris Differentiarum ſuperſunt in Ger. oelrich Theſ. Diſſert. Bellgicar. Vol. 1. T. 1. N. 1. 16 ) Herm. oosterdyk Diſp. ad Frag - menta, quae ex Venuleji Saturnini libris de officio Proconſulis ſuperſunt. Traj. ad Rhen. 1755. in oelrich Theſ. novo Diſſ. Belgicar. Vol. I. T. II. N. VII. 17) Anſ. Frid. pistorii Diſſ. ad Fragmenta, quae ex Alfeni Var. libris XL. Digeſtorum ſuperſunt; praeſ. Car. Chriſtph. Hofacker defenſa Tubingae 1775.

Wir haben auch etwas von teutſchen Ueberſetzun - gen der Pandecten. Hierher gehoͤrt:

  • I) Verſuch eines Auszugs der roͤmiſchen Ge - ſetze in einer freyen Ueberſetzung zum Be - huf der Abfaſſung eines Volkscodex. Bres - lau 1783. bis 87. 8. (vom Hofr. Fenderlin in Schweidniz) geht von erſten bis zum 50. Buch.
  • II) Sammlung der roͤmiſchen Geſetze auf Be - fehl K. Juſtinians verfertiget, ins teut -X 2ſche3221. Buch 2. Tit. ſche mit erlaͤuternden Anmerkungen uͤber - ſezt. 1 Theil Pandecten. Frankfurt u. Leipzig 1785. 8. enthaͤlt blos den 14. Tit. des 2. Buchs de pa - ctis. Endlich zum critiſchen Gebrauch dienen
    • 1) Sieg. Reich. iauchii meditationes criti - cae de negationibus Pandectis Flo - rentinis partim recte vel male iam adiectis aut detractis, partim etiam - num adiiciendis aut tollendis aut transferendis. Amſteldami 1728. 8.
    • 2) Io. Gottl. sammet receptarum lectionum ad lauchium liber ſingularis Lipſiae 1750.
    • 3) Iac. labitti Index Pandectarum Paris 1537. und cum praefat. Nic Hieron. gund - lingii Frifti et Lipſiae 1724. 8.
    • 4) Abr. wielingii iurisprudentia reſtitu - ta, ſiue Index chronologicus in totum Iuris Iuſtinianei corpus Amſtelaedami. 1727. 8. enthaͤlt ein Verzeichnis von den ſaͤmmt - lichen aus eines jeden roͤmiſchen Rechtsgelehrten Schriften hergenommenen, in den Pandecten aber hin und wieder zerſtreueten Stellen.
    • 5) Henr brencmanni Pandectae iuris civi - lis auctoribus ſuis et libris reſtitu - tae Amſtelaedami 1769. enthaͤlt nur die Frag - mente des Alfenus Varus. Vollſtaͤndiger iſt
    • 6) C. F. hommelii Palingeneſia librorum iuris veterum ſ. Pandectarum loca integra ad modum Wielingii oculis expoſita. Lipſiae 1767. et 1768. Tomi III.
§. 53.323de Origine Iuris
§. 53. Vom Codex repetitae praelectionis.

Auf die Pandecten folgt der codex repetitae prae - lectionis des K. Juſtinians. Dieſer Juſtinianeiſche Co - dex (Aut. §. 68.) iſt nur eine neue verbeſſerte und ver - mehrte Ausgabe eines vorhergegangenen, aber nicht auf unſere Zeiten gekommenen, aͤltern Codex, wie auch ſchon der Titel zu erkennen giebt. Denn die Alten, deren Beiſpiel Juſtinian hier gefolgt iſt, pflegten die zwoten und verbeſſerten Ausgaben ihrer Schriften libros repe - titae praelectionis zu nennen. Dieſer neue Codex ent - haͤlt nicht nur die Verordnungen der roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian von Hadrian an, welche aus dem Gre - gorianiſchen, Hermogenianiſchen und Theodoſianiſchen Codex, wie auch aus denen nachher noch promulgirten Novellen ſind excerpiret worden, ſondern auch des Kr. Juſtinians eigene Verordnungen, unter welchen die ſo genannten funfzig Deciſionen dieſes Kaiſers die merkwuͤrdigſten ſind. Man verſtehet unter den leztern diejenigen Verordnungen des K. Juſtinians, wodurch gewiſſe unter den alten roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſtrei - tig geweſene Rechtsfragen ſind entſchieden worden50)Es gab nehmlich, wie bekannt, unter den alten roͤm. Juriſten verſchiedene Secten, unter denen die Sabinia - ner und Proculianer die beruͤhmteſten waren. S. Gotfr. mascovii Diatr. de Sectis Sabinianorum et Pro - culianorum in iure civ. Lipſiae 1728. 8.. Abraham Wieling51)Iurisprud. Reſtituta. S. 144 146. hat ſie mit Verbindung de - rer, welche ihres verſchiedenen Inhalts wegen von den Verfaſſern des Codex ſind getrennt und unter verſchie - dene Titel gebracht worden, chronologiſch aufgezaͤhlt. Es wurde dieſer neue Codex im Jahr 534. bekannt ge -X 3macht,3241. Buch. 2. Tit. macht, iſt alſo juͤnger als die Inſtitutionen und Pan - decten, und derogirt beyden52)Hoͤpfner im Commentar. §. 16.. Er iſt in zwoͤlf Buͤ - cher eingetheilt, wovon jedes wieder gewiſſe Titel hat. Jeder Titel hat ſeine Aufſchrift, die allemahl eine ge - wiſſe Rechtsmaterie anzeigt, unter welcher alsdenn die zu derſelben gehoͤrigen Kaiſerlichen Verordnungen, welche Leges Codicis genennt werden, chronologiſch geordnet ſind. Dieſe Leges Codicis enthalten jedoch die Ver - ordnungen der roͤm. Kaiſer nie ganz, ſondern nur Aus - zuͤge aus denenſelben, die oft ſehr dunkel und verſtuͤm - melt ſind, daher uns bey Erklaͤrung derſelben die Frag - mente der oben gedachten aͤltern Codicum trefliche Dien - ſte leiſten53)B. H. reinoldi Exerc. de neceſſitate adeun - di ad fontes, ſi quis in lectione Codicis re - petitae praelectionis feliciter verſari ve - lit. in Opuſc. S. 611.. Sie haben ferner meiſt eine Inſcri - ption und Subſcription. Leztere zeigt das Datum oder Ort und Zeit der Promulgation an, erſtere aber den Nahmen des Kaiſers oder derjenigen Kaiſer, von denen die Verordnung iſt bekannt gemacht worden, auch die - jenige Perſohn, an welche die Conſtitution gerichtet iſt, welche bey den Edicten und Deciſionen eine Magiſtrats - perſohn, bey Decreten und Reſcripten aber nur eine Privatperſohn iſt. Beyde, die In - und Subſcription haben zur Erklaͤrung und Beſtimmung der Chronologie groſen Nutzen54)reinoldi Orat. de Inſcriptionibus Legum Digeſter. et Codicis eum notis Abr. wielingi §. XIII. in Opuſc. S. 580.. Von den aͤchten Legibus Codicis muͤſſen unterſchieden werden,

I) die leges reſtitutae Codicis. Nicht wenig Con - ſtitutionen waren nehmlich theils durch die Nachlaͤſſigkeitund325de Origine Iuris. und Unwiſſenheit der Abſchreiber, welche kein Griechiſch verſtanden, theils durch Verwuͤſtung der Zeit verlohren ge - gangen, welche in neuern Zeiten verſchiedene Gelehrte, Au - guſtinus, Cujacius, Charondas und Contius, zum Theil aus den Baſiliken, Photii Nomocanon, und an - deren Ueberbleibſeln des roͤmiſch-griechiſchen Rechts wie - derhergeſtellet und dem Codex einverleibt haben. Dahin gehoͤren z. B. L. 36. 39. und 40. de Epiſc. et Cleric. L. 24. C. mandati. L. fin. C. de ſponſal. L. 2. C. de privato carcere. L. 4. de in ius voc. L. penult. de aedific. privat. Dieſe haben in den Gerichten keine Auctoritaͤt, weil ſie nicht gloſſirt ſind55)lauterbach in Prolegom. Collegii th. pr. Pande - ctar. §. IV. n. 7. richter Deciſion. P. I. Deciſ. 37. n. 48. Alb. gentilis de libris iur. civ. cap. 5. Io. Frid. klett de iuris Iuſtinianei placitis, quae vim le - gis non habent. Erlangae 1748. §. 13. eckhard Her - menevt. iuris. Lib. I. cap. VII. §. 282. not. *. S. 517.. Man er - kennt ſie daran, daß ſie groͤſtentheils keine Inſcription und Subſcription haben.

II) die ſo genannten Avthenticae (Autor §. 72.) worunter man kurze Auszuͤge aus den Novellen des K. Juſtinians ſowohl, als auch gewiſſen Verordnungen der Kaiſer Friedrichs des erſten und zweyten verſtehet, wo - durch verſchiedene Geſetze des Codex ſind theils abgeaͤn - dert theils vermehret worden, und welche dieſen Geſe - tzen am gehoͤrigen Orte beygefuͤget worden ſind. Man theilt ſie daher in die Juſtinianeiſchen und Frie - dericianiſchen ein. Ihre Verfaſſer ſind die Bo - nonienſiſchen Rechtsgelehrten, und ſo wie von denenſel - ben die Friedericianiſchen Avthentiken auf Befehl K. Friedrichs des zweiten dem Codex ſind inſerirt wor - den56)odofredus in Avth. Caſſa C. de SS. Eccl. , ſo hat ſchon vorher Irnerius, ein Rechts -X 4ge -3261. Buch. 2. Tit. gelehrter des zwoͤlften Jahrhunderts, die Juſtinianeiſchen aus der alten lateiniſchen Novellen-Sammlung (Corpo - re Avthenticarum) excerpirt, und dem Juſtinianeiſchen Codex in der Abſicht beygetragen, um daraus zu erſe - hen, in wieweit das ius Codicis durch die Novellen des K. Juſtinians ſey abgeaͤndert worden57)Der gelehrte Camaldulenſer Abt Maurus sartius hat dieſes in dem ſplendiden Werk de claris Archigy - mnaſii Bononienſis Profeſſoribus a Saeculo XI. usque ad Saec. XIV. Bononiae 1769. f. vita ir - nerii §. VIII. und folgg. gegen Strauch und Byn - kershoͤk aus unwiederleglichen Gruͤnden dargethan. S. Car. Frid. zepernick Biga libellorum Avthenticas Codicis rep - prael. earumque hiſtoriam illuſtrantium. Halae 1788. 8. N. II. S. 114. und folgg. Daß ſchon vor Irnerius der - gleichen Avthendiken beym Codex befindlich geweſen, und Gregor der Groſe, welcher nicht lange nach Juſtinian gelebt, ſolche in ſeinen Briefen angefuͤhrt, iſt unerweis - lich, und der vorhin gedachte Maurus Sarti a. a. O. §. XII. hat gezeigt, daß die Stelle in Gratians Decret c. 38. C. XI. qu. 1. verfaͤlſcht ſey, und daß die aͤlteſten Handſchriften von Gregors Briefen in der angefuͤhrten Stelle des Codex keine Erwaͤhnung thun, ſondern ſtatt der Worte: ſciendum eſt, quod ſuperius in eadem conſtitutione lib. Cod. I. legitur etc. vielmehr leſen: quia ſuperius in eadem conſtitutione LI. cap. (i. e. quinquage - ſimo primo capitulo ſive paragrapho, wie es huguccio Piſanus in ſeiner Summa Decretorum ad ea verba er - klaͤrt) und wird alſo unter der von Gregor angezogenen Conſtitution keine andere als Nov. CXXIII. und deren 51te §. nach der Abtheilung der damahligen Handſchrif - ten verſtanden. Die alten Gloſſatoren, Azo, Odofre - dus und Accurſius ſchreiben alle dem Irnerius die im Codex heutiges Tages befindlichen Avthendiken zu. Lez - terer hat ſich beſonders in ſeiner Gloſſe ad Avth. ſed no - vo iure C. de Serv. Fugit. ſehr deutlich ausgedruͤckt, wenner. Sieſind327De Origine Iuris. ſind mit Curſiv-Schrift gedruckt, und zeigen in der Ue - berſchrift den Nahmen Friedrich, oder die Novelle an, woraus ſie extrahiret worden. Ihre heutige Guͤl - tigkeit haben ſie durch die Reception erhalten, und wer - den in Praxi ſogar den Novellen ſelbſt vorgezogen58)S. strauch Irnerius non errans Cap. II. Th. 7. berlich P. II. Deciſ. 257. n. 44. silberrad ad Hei - neccii hiſtor. iuris civ. Lib. I. Cap. VI. §. 419. S. 610. Io. Iac. scherz Diſſ. de Avthenticarum aucto - ribus et auctoritate Argent. 1733. Cap. II. in C. F. zepernick angefuͤhrter Biga libellorum S. 31. u. folgg. und Herr Dir. Zepernick ſelbſt in der vortreflichen Ab - handlung: Quibus ex cauſis Novellae Leonis Sapientis in Germania receptae dici neque - ant Coniecturae, hinter beck de Novellis Leonis S. 541. Einer andern Meinung ſind brunquell Hiſt. iuris. P. II. Cap. X. §. 14. rittershus Expoſ. No - vellar. p. 33. Prof. Weber Theorie vom heutigen Gebrauch des roͤmiſchen Rechts S. 45. u. a. m..

Wir wollen nun noch zum Beſchluß von den vor - zuͤglichſten Ausgaben und Commentarien des Codex han - deln. Unter den Ausgaben verdient zuerſt diejenige geruͤhmt zu werden, welche Anton Contius zu Pa - ris 1562. in Folio veranſtaltet hat. Er hat nichtX 5nur57)er ſagt: Haec verba non ſunt in corpore Avthenticarum (i. e. Novellarum) ſed ſunt verba irnerii, qui extra - xit omnes Avthenticas ſignatas ſuper leges Codicis. Odo - fredus ad Avth. Sed novo iure Cod. ſi certum petatur ruͤhmt an dieſen Avthendiken des Irnerius vorzuͤglich ihre Kuͤrze und Deutlichkeit, und tadelt die Weitſchweifigkeit des Azo und Hugolinus, welche nach dem Irnerius neue der - gleichen Auszuͤge aus den Novellen verfertiget haben; man ſehe den Odofred ad Avth. niſi rogati C. ad SCtum Tre - bell. Da nun die in unſerm Codex befindlichen Avthendi - ken das Gepraͤge der Kuͤrze haben, ſo macht dieſes die Sache noch gewiſſer, daß Irnerius deren Verfaſſer ſey.3281. Buch. 2. Tit. nur aus 26. Handſchriften, welche er durch den Cuja - cius und Merillius aus Franzoͤſiſchen Bibliotheken erhalten hatte, den Text verbeſſert, ſondern denſelben auch mit 150. griechiſchen Conſtitutionen vermehrt. Die - ſe Ausgabe iſt hernach noch verbeſſerter in dem Con - tiuſſiſchen Corpore iuris civ., welches zu Lyon 1581. in 12. herauskam, aufgelegt worden. Noch beſſer und vollſtaͤndiger iſt jedoch die Ausgabe des L. Charon - das, Antwerpen 1575. Fol Er hat ſich nicht nur hierbey der vortreflichen Handſchriften des Stephani auredani bedient, ſondern den Text auch mit vielen in der vorhergehenden Ausgabe fehlenden griechiſchen und lateiniſchen Conſtitutionen vermehrt59)I. R. reinold in Opuſc. iuridicis S. 410. §. XI. ſagt daher mit Recht: Inter editiones Codicis, illius, quam Charondas curavit, prima ratio eſto. .

Die Commentarien betreffend, ſo haben wir auſſer den Joh. Brunnemann (Commentar. ad Co - dicem Lipſiae 1708. und am neueſten Genevae 1771. F.) keinen, welcher uͤber alle einzelne Geſetze der zwoͤlf Buͤcher des Codex commentiret haͤtte. Denn des Ant. perez Praelectiones in duodecim libros Codicis luſtinianei am neueſten Venetiis 1738. gehoͤren nicht hierher; ich rede auch hier nicht von den Gloſſatoren. Ueber einzelne Buͤcher haben commentirt auſſer Sichard, Frankfurt 1686. F. und Donell, vorzuͤglich Cujacius uͤber die erſten neun Buͤcher; Giphanius in Expoſit. ad VIII. libror. leges celebr. et difficiliores. Colon. 1614. morna - cius Obſervat. ad IV. libros (in Operib. ) uͤber die drey leztern Buͤcher alciatus, vorzuͤglich aber Franc. de amaya in tres poſteriores libros Codicis Imp. luſtiniani Commentarii Lug - duni 1639. Fol. Tomi III. Ueber Verordnungen ein -zelner329de Origine Iuris. zelner Kaiſer im Codex haben geſchrieben Renat. bot - tereau in Hadriano Legislatore. Pictavii 1661. (hoffmann Hiſt. iuris T. II. S. 129-207. Io. Ortwin westenberg in Divo Marco ſ. Diſ - ſertat. ad Conſtitutiones M. Aurelii Antonini Imp. (in Operib. a iungio editis Hanov. et Bremae 1758. 4. Tom. III.) Alex. chassaneus in Conſtitut. Alexandri Severi Paris 1635. 4. Franc. bal - duinus in Conſtantino M. Ebenderſelbe in Iu - ſtiniano (Iurisprud. Rom. et Attica Tom. I.) Ueber die funfzig Deciſionen des K. Juſtinians ſind zu bemer - ken Em. merillii Expoſitio L. Deciſion. Iu - ſtiniani Pariſ. 1618. et in Operib. (Neapoli 1720. 4.) T. II. Pet. Franc. linglois Quinquaginta Deciſiones Imp. Iuſtiniani Antwerpiae 1622. Fol. und Io. strauch Exercitat. VI. ad L. Deci - ſiones Iuſtiniani Imp. Gieſſae 1676. 4. Auch gehoͤrt Fr. raguellus ad Conſtitutiones et de - ciſiones Iuſtiniani Paris 1610. 4. noch hierher. Endlich uͤber die Avthendiken: Chriſtoph. Phil. rich - ter Expoſitio omnium Avthenticarum Co - dici Imp. luſtiniani inſertarum. Ienae 1661. 4. Alex. Arn. pagenstecher Irnerius iniuria va - pulans ſ. Comment. ad Avthenticas. Groen. 1702. 4. Zum critiſchen Gebrauch des Codex dienen Petri relandi Faſti Conſulares ad illuſtratio - nem Codicis luſtinianei ac Theodoſiani ſecundum rationes temporum digeſti. Tra - jecti Batavorum 1715. 8.

§. 54. Von den Novellen des Kr. Juſtinians.

Ich komme iezt auf die, denen bisher gedachten Geſezſammlungen beygefuͤgte, neuere Verordnungendes3301. Buch. 2. Tit. des Kaiſers Juſtinian, welche die Luͤcken iener Sammlun - gen ausfuͤllen, und ihre Fehler verbeſſern ſollten. Zu dieſen neuern Verordnungen des Krs Juſtinian gehoͤren einmahl die ſogenannten Avthenticae ſeu Novellae Con - ſtitutiones D. Iuſtiniani; Sodann die dreyzehen Edicta dieſes Kaiſers. Die Novellen (Autor §. 71.) ſind nach der Verfertigung des neuen Codex in den Jahren 535. bis 559. bekannt gemacht worden60)Abraham Wieling rechnet ſie in ſeinem Indice Chro - nolog. Novellar. Iuſtiniani S. 167. Iurisprud. Reſti - tutae vom Jahr 534. an, und ſoll die Nov 2. de non eligendo ſecundo nubentes mulieres, welche ohne Subſcri - ption iſt, von dieſem Jahr ſeyn; allein es iſt dieſe An - gabe auch ſehr zweifelhaft.. Sie wa - ren urſpruͤnglich in griechiſcher Sprache abgefaßt, einige wenige ausgenommen61)S. Aem. Lud. hombergk zu Vach Diatr. de No - vellarum Conſtitut. Imp. Iuſtiniani lingua originaria in C. F. zepernick Delectu Scriptor. No - vellas Iuſtiniani eorumque hiſtoriam illuſtrantium (Halae 1783. 8.) S. 183. und folgg. Von einigen Novellen ſagt es iedoch Juſtinian ſelbſt, daß er ſie in beyden Spra - chen zugleich, in der griechiſchen ſowohl wie in der la - teiniſchen, habe ausfertigen laſſen. Dahin gehoͤrt Novel - le 17. und 18. Von der erſtern ſehe man nur die Praͤ - fation, von der leztern aber dasjenige nach, was Juſti - nian hiervon in der Nov. 66. c. 1. §. 2. meldet. S. mei - ne Opuſcula Faſc. III. S. 85. und folgg. So ſcheint auch Nov. 34. das lateiniſche Exemplar von der Nov. 32. ſo Thracien angieng, zu ſeyn, jedoch ſo, daß deren Aus - dehnung auf Illyricum nach der Nov. 33. darinn zugleich mit wiederholt wurde. S. Weſtphal Pfandrecht S. 127. Not. 91. und im Nachtrag S. 12. Folgende No - vellen aber ſind blos lateiniſch verfaſſet worden, Non. 9. 11. 23. 62. 143. und 150. S. Weſtphal Syſtem des Roͤm. Rechts uͤber die Arten der Sachen S. 587.. Die Sammlung aber, die wir in unſern Corpus iuris eiv. von denſel -ben331de Origine Iuris. ben haben, enthaͤlt eine und zwar in ſehr ſchlechter, durch Barbarismen entſtellten, Latinitaͤt abgefaßte Ue - berſetzung. Man traͤgt nicht ohne Grund Bedenken, ſelbige dem K. Juſtinian zuzueignen, wenn gleich der - ſelbe eine Sammlung ſeiner neuern Conſtitutionen ver - ſprochen62)S. Conſtitut: de emendatione Cod. Iuſtin. §. 4., und eine dergleichen auch wahrſcheinlich durch den Tribonian hat verfertigen laſſen63)Es laͤſſet ſich ſolches theils aus dem Epilog der Nov. 25. Nov. 26. cap. 5. §. 1. und Nov. 24. cap. 6. §. 1. ſchlieſ - ſen, theils wollen ſolches die griechiſchen Juriſten als Mich. attaliata Praefat. Synopſis §. 2. harmenopu - lus Promtuario iuris. Lib. I. Tit. I. Desgleichen theo - phanes in Chronographia p. 120. verſichern., die aber nicht publici iuris geworden zu ſeyn ſcheint64)S. Aem. Lud. hombergk zu vach Schediaſm de Collectione Novellar. a Iuſtiniano facta; in zepernick Delectu S. 295. Es iſt ſehr wahrſchein - lich, daß Juſtinian den librum ſacrarum ſuarum conſti - tutionum, deſſen er in dem Epilog der Nov. 25. gedenkt, blos fuͤr ſich und zu ſeiner eignen Notiz durch Tribonian habe verfertigen laſſen. Denn alle uͤbrigen Magiſtrats - perſohnen und Richter hatten ja ſeine Novellen ſchon, und muſten ſie auch in ihren Gerichtsbuͤchern ſorgfaͤltig aufbe - wahren, was war alſo eine neue Bekanntmachung derſel - ben in einer beſondern Sammlung noͤthig?. Wer der Verfaſſer derſelben ſey, weiß man nicht, daß ſie indeß keinem der im zwoͤlften Jahrhundert zu Bo - logna und Piſa beruͤhmt geweſenen Rechtsgelehrten zu - zuſchreiben, ſondern weit aͤlter ſeyn muͤſſe, iſt gewiß, weil ſchon der roͤmiſche Biſchof Gregor der Groſe, der nicht lang nach Juſtinian lebte, eine Stelle aus dieſer alten Verſion allegiret65)Lib. XII. Epiſt. 54. wo er die Worte der Nov. 123. c. 19. anfuͤhrt. Die Stelle ſtehet auch, obgleich etwas corrupt,in.

Den3321. Buch. 2. Tit.

Den Nahmen Avthenticae hat die Sammlung von den Gloſſatoren erhalten, weil man die darinn ent - haltenen Novellen fuͤr Originale hielt, und ſie hier - durch von Julians lateiniſchen Auszuge (Epitome No - vellarum) zu unterſcheiden ſuchte66)alciatus Parerg. Lib. II. cap. 46.. Eben dieſe Gloſ - ſatoren haben auch zum Behuf ihrer Vorleſungen jene alte Sammlung in neun Collationen oder Buͤcher, und jede Collation wieder in verſchiedene Titel einge - theilt, wovon ein jeder eine Novelle enthaͤlt67)Conr. rittershus in Expoſit. Novellarum Iu - ſtiniani. Prooem. Cap. I. n. 19. und 20. bach Hiſton iurispr. Rom. Lib. IV. c. I. Sect. II. §. 21.. Nicht nur die Titel einer jeden Collation, ſondern auch die Novellen ſelbſt ſind numerirt, jedoch mit dem Unter - ſchiede, daß die Zahl der Titel immer mit jeder neuen Collation wieder von forn angehet, die Zahl der No - vellen aber von der erſtern bis zur lezten in einer un - unterbrochenen Reihe fortlaͤuft. Daher auch die No - vellen, wie bekannt, nicht nach ihrer Collation und Ti - tel, ſondern nach der Zahl allegieret werden. Jeder Titel hat weiter ſeine Rubric, welche den Inhalt und die Materie der darinn enthaltenen Novelle anzeigt. Dieſe Rubriken ſind jedoch nicht aͤcht, oft ganz unrich - tig, und mangelhaft, und haben daher bey der Erklaͤ - rung der Novellen keine Auctoritaͤt68)Iac. cujacius Obſervat. Lib. XX. cap. 33. Io. Frid. hombergk zu vach Praefat. verſioni Novel - larum praemiſſa S. 22. I. L. E. puͤttmann Ad -ver -. Jede Novel -le65)in Gratians Decrete c. 38. C. XI. qu. 1., daß ſie aber keinesweges untergeſchoben ſey, wie de ludewig in vi - ta Iuſtiniani cap. VIII. §. 46. p. 259. ſich eingebildet, hat maurus sartius in Irnerio §. XIII. aus Vaticani - ſchen Handſchriften erwieſen.333de Origine Iuris. le hat ihre beſondere Inſtription und Subſcription, nur einige ausgenommen, bey denen ſie fehlen. Die In - ſcription zeigt auſſer den Nahmen des Kaiſers beſon - ders diejenige Magiſtratsperſohn, oder denjenigen Bi - ſchof an, an welche oder an welchen die Novelle zur Publication geſendet worden; unterweilen auch die Un - terthanen, an welche ſie gerichtet iſt. Die Subſcri - ption hingegen bezeichnet den Ort und die Zeit der Ausfertigung, und darf bey Beſtimmung des Zeital - ters, und wenn es darauf ankommt, ob und welche Novelle der andern derogiret, nicht aus der Acht ge - laſſen werden69)Die Subſcriptionen ſind jedoch oft fehlerhaft. Z. B. die Nov. 1. iſt vom Jahr 539. datirt, da ſie doch im Jahr 535. promulgirt worden. Um dieſe Fehler zu verbeſſern, ſind Ant. contii Chronologia annorum, Con - ſulum et Indictionum Imp. Iuſtiniani: re - landi Faſti Conſulares und Henr. agylaeus de dierum annotatione in Novellarum Sub - ſcriptionibus in zep[e]rnick Delectu S. 281. vor - zuͤglich zu empfehlen.. Die Novellen ſelbſt ſind uͤbrigens in Praefationem, Capita und Epilogum abgetheilt. Ihre Zahl erſtreckt ſich heutiges Tages auf 168. No - vellen. Dieſe ſind jedoch nicht alle aͤcht Juſtinia - neiſch70)Z. B. Nov. 165. 166. 167. und 168. ſind aus den Epar - chicis, d. i. aus den Buͤchern oder Sammlungen, welche die Edicte der Praefectorum Praetorio enthalten. S. hombergk Verſion, in Not. ad has No - vellas. , auch nicht alle in Teutſchland recipirt, ſon - dern man hat in Anſehung der heutigen Guͤltigkeit der - ſelben einen Unterſchied zu machen zwiſchen denen, wel -che68)verſarior. Iur. univ. Lib. I. S. 133. not. *) und zepernick Diſſ. I. de teſtamenti deſtituti viri - bus Halae 1773. §. XLIII. not. X. S. 79.3341. Buch. 2. Tit. che in den Handſchriften der alten Gloſſatoren befind - lich waren, und mit deren Gloſſen oder Anmerkungen verſehen ſind, und denenjenigen, welche erſt in neuern Zeiten von Haloander, Scrimger, Cujacius und Contius aus des Julians Epitome, den Baſili - ken und andern alten Handſchriften ſind reſtituirt wor - den. Erſtere werden Novellae gloſſatae, leztere aber reſtitutae ſ. non gloſſatae genennt. Nur jene erſteren ſind in Teutſchland recipirt71)Siehe brunquell Hiſtor. Iuris P. II. Cap. XI. §. 14. Alb. gentilis de libr. iuris civ. cap. 7. bach Hiſt. iurispr. Rom. Lib. IV. c. 1. Sect. 2. §. 23. lauter - bach in Prolegom. Collegii Pandectar. §. 6. u. a. m., leztere aber gelten nicht72)Eine andere Meinung hegt God. Lud. mencken Diſſ. de Novellar. gloſſatar. et non gloſſatar. au - ctoritate iuris. Allein der verdienſtvolle Herr Stadt - director zepernick hat ihn in ſeinem Delectu Scri - ptor. Novell. illuſtrant. S. 331. u. folgg. gruͤnd - lich widerlegt., nach der Regel: quidquid gloſſa non agnoſcit, illud nec agnoſcit curia, von welcher ich in der Folge reden werde. Der Gloſſirten Novellen aber ſind nur acht und neunzig, und zwar folgende: Nov. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 22. 23. 32. 33. 34. 39. 44. 46. 47. 48. 49. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 60. 61. 63. 66. 67. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 105. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 123. 124. 125. 127. 128. 131. 132. 134. 143. und 159. Alle uͤbrige Novellen gehoͤren zu den nicht gloſſirten.

Zum335de Origine Iuris.

Zum Beſchluß muͤſſen wir noch einige litteraͤri - ſche Bemerkungen ſowohl von den verſchiedenen lateini - ſchen Ueberſetzungen und Ausgaben des griechiſchen Tex - tes als den Commentarien uͤber die Novellen hinzu - fuͤgen.

I) Unter denen, welche die Novellen des K. Ju - ſtinians ins lateiniſche uͤberſezt haben, verdient zuerſt Julian angefuͤhrt zu werden. Er war Profeſſor der Rechte zu Conſtantinopel, und lebte unter den Kaiſern Juſtin II. Tiber II. und Mauricius. Dieſer verfertigte ums Jahr 570. einen Auszug aus Juſtinians Novellen in aͤcht lateiniſcher Sprache Er enthaͤlt 125. Novel - len, und iſt in zwey Buͤcher eingetheilt. Nicolaus Booͤrius machte dieſe Epitome Novellarum iuliani zuerſt im Druck bekannt Lyon 1512. Sie iſt her - nach oͤfters wieder aufgelegt worden, allein die beſte Ausgabe hat Francois desmares zu Paris 1689. Fol. veranſtaltet.

II) Hat Gregor Haloander hierauf die No - vellen griechiſch mit einer eleganten lateiniſchen Ver - ſion zu Nuͤrnberg 1531. Fol. herausgegeben. Es iſt eine gemeine Meinung vieler Rechtsgelehrten73)Arth. duck de Uſu et Auctorit. iur. civ. Lib. I. c. 4. §. 15. gravina de Ortu et progreſſ. iur. civ. cap. 135. struv Hiſtor. iur. Rom. Cap. 3. §. 9. hoffmann Hiſtor. iuris Rom. Lib. II. cap. 2. §. 14. und brunquell Hiſt. iuris P. II. cap. 12. §. 15., daß Haloander 165. Novellen griechiſch ediret habe, allein man darf dieſe Ausgabe nur ſelbſt vor Augen nehmen, ſo wird man ſich vom Gegentheil ſogleich uͤber - zeugen koͤnnen. Haloander hat nicht mehr als 137. Novellen geliefert, und unter dieſen ſind wieder ſechs, die nicht einmahl die vollſtaͤndigen Verordnungen enthal -ten,Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Y3361. Buch. 2. Tit. ten, ſondern nur Auszuͤge ſind, nehmlich die 111. 114. 138. 140. 150. und 165. Novelle. Dahingegen feh - len die 40. 49. 70. 76. 106. 137. 140. und 149. gaͤnzlich. Von der 6. 7. 10. 46. 54. 55. 56. 57. 62. 98. 127. und 130ten hat er nur den lateiniſchen Text. Endlich von der 2. 5. 74. 75. 79. 83. und 84ten hat er nichts als den Titel angefuͤhrt. Haloan - der gab ſeine Novellen nicht aus den Buͤchern der Ba - ſiliken, wie Hombergk74)Praefat. verſionis lat. Novellar. gegen das Ende. meint, ſondern aus einer eigenthuͤmlichen Handſchrift heraus, wie er in der ſei - ner Ausgabe vorgeſezten Epiſtola nuncupatoria ſelbſt ſagt75)S. 2.. Wie er dazu gekommen, und was das vor ein Codex geweſen, erzaͤhlt suaresius76)Notit. Baſilicor. §. Interpres. Man ſehe auch augustinus Emendat. Lib. II. cap. 9. und Paratit. ad Nov. 2. auch Iac. gothofredus Hiſtor. iur. civ. cap. 4.. Haloan - der erhielt durch Bemuͤhung des Johann Baptiſta Egnatius Copie eines Exemplars von den Novellen, welches ludovicus bologninus oder Bononienſis, aus der Marcianiſchen Bibliothek zu Venedig hatte abſchreiben laſſen, und zu Florenz in der Lauren - tianiſchen oͤffentlich aufbewahret wird. In vielen Stuͤ - cken kommt zwar das Haloandriniſche Exemplar mit den Baſiliken des K. Leo uͤberein, aber oft iſt es von den leztern ganz verſchieden, und viele Novellen erſcheinen weit vollſtaͤndiger in der Haloandrine, die in den Ba - ſiliken defect ſind, wie Jacob Voorda77)Elector. libro ſing. cap. XXVII. S. 259-275. durch viele Beyſpiele auſſer Zweifel geſezt hat.

III) Eine337de Origine Iuris.

III) Eine noch vollſtaͤndigere Ausgabe des griechi - ſchen Textes lieferte Heinrich Scrimger, ehemaliger Rechtslehrer zu Genf, wo er im Jahr 1571. ſtarb. Dieſe iſt ohnſtreitig die beſte griechiſche Ausgabe. Scrim - ger bediente ſich dabey eines vortreflichen Codex, den der Cardinal Beßarion mit ſich von Griechenland nach Ve - nedig gebracht, und daſelbſt der Republik bey ſeinem Ab - ſterben vermacht hatte. Hierdurch hat Scrimger die beym Haloander fehlenden Novellen mit 23. derſelben vermehrt. Der vollſtaͤndige Titel dieſer Ausgabe iſt: Ἀυτοκρατόρων, Ιȣςινιανȣ, Ιȣςίνȣ͂, Λέοντος νεαραὶ διατά - ξεις. Ιȣςινιανȣ͂ ἔδικτα. Impp. Iuſtiniani, Iuſtini, Leo - nis Novellae conſtitutiones. Iuſtiniani Edicta. Ex bibliotheca illuſtris viri Hulderici Fuggeri domini in Kirchperg et Weiſſenborn, publicae commoditati dican - tur. Iuſtiniani quidem opus antea editum, ſed nunc primum ex vetuſtis exemplaribus ſtudio et diligentia Henrici scrimgeri, Scoti, reſtitutum atque emen - datum, et viginti tribus conſtitutionibus, quae deſiderabantur, auctum. Cui et Edicta eiusdem Imperatoris non prius edita, tamquam corollarium acceſſerunt. Iuſtini autem et Leonis conſtitutiones (quae et ipſae in antiquis codicibus Novellae cognomi - nantur) nunquam antea in lucem prolatae. Anno MDLVIII. Excudebat Henricus Stephanus, Hulderici Fuggeri typographus. Fol. Der Druck - ort iſt nicht genennt, wahrſcheinlich iſt es Genf oder Paris78)Man ſehe nach Herrn Direct. Zepernick Praeter - miſſa de vita, rebus geſtis, et conſtitutio - nibus Leonis. Sect. III. §. XVIII. in Mantiſſa Commen - tat. ad beckium de Novellis Leonis. S. 331. folgg. wo man eine ausfuͤhrliche Nachricht von dieſer Scrimgeriſchen Ausgabe der Novellen finden wird.. Nach dieſer Scrimgeriſchen Ausgabe edirte

Y 2IV)3381. Buch. 2. Tit.

IV) Heinrich Agylaͤus Verbeſſerungen und Supplemente zur Haloandriniſchen, indem er nicht nur die in der Haloandrina fehlende Novellen aus dem Scrimger ins lateiniſche uͤberſezte; ſondern auch aus eben demſelben die Fehler der Haloandriniſchen Ver - ſion verbeſſerte. Dies Werk erſchien zu Coͤln 1560. 8. und hat folgenden Titel: Novellarum Iuſtiniani Principis conſtitutionum ſupplementum, antehac non editum, una cum Haloandri ac Scrimgeri editionum collatione, per Henricum agylaeum. Man pflegt zwar eben demſelben auch folgende Edition der Novel - len zuzuſchreiben: Iuſtiniani Principis Novellae Conſti - tutiones latine ex Gregorii Haloandri et Henrici Agy - laei interpretatione, ad graecum Scrimgeri exemplar nunc primum editae. Quibus ſuis locis interſeritur, quicquid vetus verſio amplius babet, atque proximis editionibus ex vetuſtis libris ac Iuliani Epitome ad - ſperſum eſt. In qua editione Henrici Agylaei opera diligentem tum variarum lectionum annotationem, tum Haloandrinae verſionis caſtigationem invenire eſt. Item eiusdem Iuſtiniani Edicta, Iuſtini, Tiberii, Leonis Philoſophi Conſtitutiones, et una Zenonis, quae ad titulum Codicis de privatis aedificiis pertinet, Henri - co Agylaeo interprete. Poſtremo Canones SS. Apo - ſtolorum per Clementem in unum congeſti Gregorio Haloandro interprete. Baſileae per Io. Herwagium. MDLXI. 8vo max. Allein es iſt noch einigem Zwei - fel unterworfen, ob Agylaͤus der Verfaſſer dieſer Aus - gabe ſey79)S. zepernick Praefat. Delectui praemiſſa §. XI. S. 69.. Endlich hat

V) der ehemalige Marburgiſche Rechtslehrer Jo - hann Friedrich Hombergk zu Vach die Novellendes339de Origine Iuris. des Juſtinians aus dem griechiſchen ins lateiniſche uͤber - ſezt, und mit Noten erlaͤutert: dieſe iſt ohnſtreitig die allerbeſte lateiniſche Ausgabe. Sie kam unter dem Ti - tel: Novellae Conſtitutiones D. Iuſtiniani Sacr. Princ. ex graeco in latinum converſae et notis illuſtratae zu Marburg 1717. 4. heraus, und enthaͤlt zugleich Fr. pithoei Gloſſarium obſcurorum verborum Inliani Anteceſſ. Conſt. Desgleichen Ant. augustini quo - rundam verborum Iuliani interpretatio, und des cujacii und agylaei Obſervationes de dierum an - notatione. Dieſe verſchiedenen griechiſchen und lateini - ſchen Ausgaben der Novellen dienen uns nun vorzuͤglich zur richtigen Beſtimmung des Sinnes derſelben, wel - cher nicht ſelten in der verſione vulgata durch Barba - rismen verdunkelt, ja wohl gar entſtellt und verfehlet worden iſt. Wie, wenn nun alſo die Vulgata von dem griechiſchen Texte abweicht, und einen unrichtigen Sinn der Novelle darſtellt, welcher Text wird den Vor - zug behaupten? Die gewoͤhnliche Theorie der Rechtsge - lehrten iſt, die Vulgata gehe nicht nur den uͤbrigen Ueberſetzungen, ſondern auch dem griechiſchen Texte vor, weil nur erſtere in Teutſchland allein recipirt ſey, mit - hin auch nur allein ein geſezliches Anſehen in den Ge - richten erlangt habe. Allein es hat ſchon der vorhin gedachte Hombergk zu Vach dieſes gemeine Vor - urtheil aus Gruͤnden beſtritten, die gewiß bey einem Jeden, dem Wahrheit am Herzen liegt, ihr Gewicht haben werden80)Praefat. verſioni Novell. praem. Man be - herzige beſonders folgende Worte: Uſus et receptio Iuris Iuſtinianei nos ligat, non vero minus accurata interpreta - tio legum ab homine privato concinnata. Neque enim in eius gratiam, vel propter auctoritatem eius Novellas rece -pimus. Warum ſollte bey unrichtiger Ue -Y 3berſe -3401. Buch. 2. Tit. berſetzung eines ſo wichtigen Theils des Juſtinianeiſchen Rechts, welcher das neueſte roͤmiſche Recht enthaͤlt, nicht eben ſo wohl, wie in andern Faͤllen, wo ein offenbarer Irrthum zum Grunde liegt, jener allgemeine Ausſpruch des Celſus81)L. 39. D. de Legib. : Quod non ratione introductum, ſed errore primum, deinde conſuetudine obtentum eſt: in aliis ſimilibus non obtinet, ſeine Anwendung finden?

Zum Beſchluß wollen wir nur noch kuͤrzlich die vorzuͤglichſten Commentare uͤber die Novellen anfuͤh - ren. Hierher gehoͤren auſſer F. balduin in Iuſti - niano, Deſſelben Commentarii in Novellas I. IV. XVIII. et CXVIII. Auch Ebendeſſelben breves Commentarii in praecipuas Iuſtiniani Imp. Novellas. (Beyde ſtehen in der Iurisprud. Rom. et Attica T. I. Fol. 1201. und 1322.) I. cujacii Ex - poſitio Novellarum Colon. 1569. und in Op. Conr. rittershusii Ius Iuſtinianeum ſ. No - vellarum Iuſtiniani expoſitio methodica. Argentorati 1615. 1629. und edit. III. auct. Ibidem 1669. 4. Pet. gudelini Commentarior. de iure noviſſimo libri ſex. Francofurti 1668. 4. und Lucae 1780. F. und stephani Commen - tar. ad Novellas. Lipſiae 1700. 4.

§. 55.

80)pimus, ſed quia illae ſunt pars iuris civilis recepti. Ut autem latinae non Graecae in uſum venirent, id inde fa - ctum, quia Graecae non extabant. His deinde in lucem protractis, Latinae cedant neceſſe eſt, utpote quae non aliter ſe habent, quam ut ἄπογραϕον ſeu exemplum, cui maior, quam archetypo, fides non debetur.

341de Origine Iuris.
§. 55. Von den Edicten des K. Juſtinians.

Die dreyzehen Edicte des K. Juſtinians, wel - che man in neuern Zeiten denen Novellen noch beygefuͤgt hat, ſind von geringer Erheblichkeit, und haben meiſt nur einen particulaͤren Gegenſtand. Das fuͤnfte iſt uͤber - dies ſchon unter denen Novellen enthalten, und macht die 111te Novelle aus. Scrimger edirte ſie zuerſt mit Juſtinians uͤbrigen Novellen griechiſch 1558 und Agy - laͤus uͤberſezte ſie ins lateiniſche 1560. Seit der Zeit ſind ſelbige in die Ausgaben des Corpus Juris aufge - nommen worden, und ſchon in der Rußardiniſchen, Lyon 1560. Fol. anzutreffen. Sie ſind alſo nicht gloſſirt.

§. 56. Von der heutigen Guͤltigkeit des Juſtinianeiſchen Rechts. Erlaͤuterung der Regel: Quidquid non agnoſcit gloſſa etc.

Soviel nun hiernaͤchſt die heutige Guͤltigkeit des Juſtinianeiſchen Rechts anbetrift, ſo iſt zu - foͤrderſt ſoviel auſſer allen Zweifel, daß dieſelbe nicht aus einer Promulgation, ſondern allein ex receptione in Teutſchland herzuleiten ſey, ob es wohl nicht gelaͤug - net werden kann, daß der irrige Wahn, als ob unſe - re teutſche Kaiſer, ohne Teutſchland und Italien von einander zu unterſcheiden, in beyderley Betrachte, die alten roͤmiſchen Kaiſer als ihre Vorfahren am Reich anzuſehen gehabt haͤtten, auſſer andern Urſachen (S. Aut. §. 77.), viel zu der Aufnahme des roͤmiſchen Rechts in Teutſchland beygetragen habe82)S. Joh. Steph. Puͤtters Abhandlung, wie das Ju - ſtinianiſch roͤmiſche Geſezbuch in Teuſchlandzur. Man iſt auch fer -Y 4ner3421. Buch. 2. Tit. ner darin einverſtanden, daß dieſes Juſtinianeiſche Recht als ein gemeines geſchriebenes Recht in Teutſch - land gelte, deſſen Reception in einzelnen Faͤllen, wo man ſich darauf beruft, nie erwieſen werden duͤrfe, viel - mehr derjenige, welcher ſich darin gruͤndet, jederzeit fun - datam intentionem, wie man zu ſagen pflegt, fuͤr ſich habe83)hartleben Meditat. ad Pandect. Vol. I. Part. I. Spec. VI. med. 1. 2.. Fraͤgt man jedoch weiter, in wiefern das Juſtinianeiſche Recht in Teutſchland ein - gefuͤhret ſey? ſo kann, wenn gleich ohne allen Zwei - fel iſt, daß daſſelbe in complexu ſuo recipirt ſey (Aut. §. 78.), dennoch, ohne ſich den groͤbſten Irrthuͤ - mern Preis zu geben, nicht behauptet werden, daß alles, was wirklich Juſtinianeiſchen Rechtens iſt, auch ebenfalls bey uns gelte; ſondern es iſt vielmehr der heutige Gebrauch deſſelben behutſam und nach folgenden Regeln zu beurtheilen84)Vorzuͤglich verdienen hier empfohlen zu werden Herrn Prof. D. Webers Reflexionen zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Ge - brauch des roͤmiſchen Rechts. Schwerin, Wis - mar und Buͤtzow. 1782. 8..

Erſte Regel: Wenn uͤber den heutigen Ge - brauch einer Stelle des Juſtinianeiſchen Rechts die Frage entſtehet, ſo hat man vor allen Dingen darauf zu ſehen, ob dieſelbe gloſſirt ſey oder nicht; indem alle diejenigen Theile und Stuͤcke des Juſtinianeiſchen Rechtskoͤrpers in Teutſch - land kein gerichtliches Anſehen behau -pten,82)zur geſezlichen Kraft gediehen ſey? in Deſſel - ben Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrechte. II. Th. N. 23. S. 30. folgg.343de Origine Iuris. pten, welche nicht gloſſirt ſind; nach der Regel: quidquid non agnoſcit gloſſa, illud non agnoſcit curia85)Vortreflich hat dieſe Regel erlaͤutert Herr Dir. zeper - nick in Coniectur. quibus ex cauſis Novellae Leonis Sap. in Germania receptae dici ne - queant. Cap. II. §. 22. und beſonders Cap. III. §. 24 - 26. beym beck S. 533..

Man nennt diejenigen Theile und Stuͤcke des Ju - ſtinianeiſchen Rechts gloſſirt, welche mit den Anmer - kungen und Erlaͤuterungen der alten Gloſſatoren ver - ſehen ſind. Gloſſatoren aber werden diejenigen ita - liaͤniſchen Rechtsgelehrten genennt, welche im 12. und 13. Saͤculum zu Bologna die roͤmiſchen Rechte lehr - ten, und bey ihrem Vortrag die iuſtinianeiſchen Geſez - ſammlungen zum Grunde legten, und dieſe mit ihren Gloſſen oder Anmerkungen zu erlaͤutern ſuchten. Der erſtere und beruͤhmteſte derſelben, welchen Odofre - dus86)ad L. ius civile D. de Iuſt. et Iure. daher den primus illuminator ſcientiae no - ſtrae nennt, war Irnerius, der aber eigentlich Werner oder Warner geheiſſen, ob er gleich deswe - gen kein Teutſcher von Geburt, wie Brenkmann durch jenen teutſchen Nahmen verfuͤhrt, ſich eingebil - det87)brencmann Hiſtor. Pandectar. Lib. I. c. V. , ſondern ein Italiaͤner, von Bologna gebuͤrtig, geweſen88)S. maurus sartius in Irnerio. §. 2 beym ze - pernick in biga libellor. S. 101.. Dieſer Irnerius fing nach denen, wie - wohl fruchtloſen, Verſuchen eines Pepo89)odofredus a. a. O. Quidam dominus pepo caepit auctoritate ſua legere in legibus, tamen, quidquid fuerit de ſcientia ſua, nullius nominis fuit. , und ver - ſchiedener anderer, die auch ſchon vorher das roͤmiſcheY 5Recht3441. Buch. 2. Tit. Recht zu lehren ſich aufgeworfen, aber wenig Beyfall gefunden hatten, in der erſtern Helfte des zwoͤlften Jahr - hunderts an, uͤber die Juſtinianeiſchen Geſezſammlungen Vorleſungen zu halten, und wuſte theils durch ſeine neue Lehrart, die mit allgemeinem Beyfall aufgenommen wurde, theils durch die Annehmlichkeit ſeines Vor - trags90)Der gute Vortrag ward der Irnerianiſchen Schule ſo eigen, daß es zum Spruͤchwort wurde: bononienſem in morem dicere, und ein guter Ausdruck der Worte ſermo bononicus genennet wurde. S. sartius in Irnerio Prooem. §. XXIII. in zepernick Biga. S. 89., der roͤmiſchen Rechtsgelehrſamkeit ſo viele Ver - ehrer zu verſchaffen, daß ſich nun, ſeitdem Irnerius ſolche oͤffentlich zu lehren anfing, mit einer Art von Enthuſiasmus alles darauf legte. Was eigentlich zur Entſtehung dieſer neuen Irnerianiſchen Schule Veran - laſſung gegeben, und ob etwa die Graͤfin Mathildis, wie der bekannte Abt von Urſperg91)Chronic. ad an. MCXXVI. erzaͤhlt, die Trieb - feder geweſen, oder ob ein grammatiſcher Streit uͤber die Bedeutung des Wortes as, welcher nach dem Zeug - niß des Cardinals zu Oſtia92)Commentar. ad Decretal. in rubric. tit. de teſtamentis. sartius in Irnerio prooem. §. XX. durch Einſicht der Juſtinia - neiſchen Pandecten ſoll entſchieden worden ſeyn, den Ei - fer des Irnerius rege gemacht, iſt hier zu unterſu - chen, meine Sache nicht. Allein die neue Lehrmetho - de, deren ſich Irnerius bey der Erklaͤrung des juſti - nianeiſchen Rechts bediente, und welcher das ausgebrei - tete Anſehen des roͤmiſchen Rechts ganz vorzuͤglich zu - zuſchreiben iſt, muͤſſen wir etwas naͤher kennen lernen. Sie beſtand darin. Irnerius laas ſeinen Schuͤlern den Text des juſtinianeiſchen Rechts von Geſez zu Ge - ſez vor, und ohne ſich in eine weitſchweifige Entwicke -lung345de Origine Iuris. lung der einzelnen Rechtslehren einzulaſſen, erklaͤrte er blos die Worte der Geſetze, (ipſam legum litteram, wie es die Gloſſatoren ſelbſt zu nennen pflegen) gram - matiſch, und begleitete den Text mit kurzen Anmerkun - gen uͤber dunkele Stellen, welche er Gloſſen nannte. Daß Irnerius in ſeiner Lehrmethode die Griechen nachgeahmt, und die Scholien der Baſiliken des Krs Leo benutzet habe, wie Abraham Wieling93)Orat. pro Gloſſatoribus hinter Deſſelben Le - ctionib. iuris civ. S. 300. folg. be - haupten will, kommt mir darum nicht glaublich vor, weil das Vorgeben, als ob Irnerius die Rechte zu Conſtantinopel erlernet habe, und worauf ſich jene Hy - potheſe des Wielings gruͤndet, ganz unerweißlich iſt94)Schon[Do]nat. Anton. d’asti in ſeinem Werk dell uſo e autorita della ragione civile (Neapo - li 1720.) Lib. II. cap. 5. S. 133. verlachte deshalb den gravina, welcher ſich de ortu et progreſſu iuris civ. Lib. I. c. 143. dieſe Fabel von Mornacius und Cironius aufheften laſſen; und Maurus sartius in Irnerio §. 3. und 4. hat dieſes Vorgeben vollends widerlegt, und aus Nachrichten des Odofredus das Gegentheil erwieſen.. Es iſt viel wahrſcheinlicher, daß er die vor - hin beſchriebene Art zu gloſſiren von den damahligen Lehrern der Gottesgelahrtheit zu Bologna erlernet ha - be, welche ſich derſelben ebenfalls bey Erklaͤrung der heiligen Schrift bedienten, und welche Irnerius auch bey Erklaͤrung der Geſetze ſehr zweckmaͤſig fand95)maur. sarti in Irnerio prooem. §. XXI. und im Leben des Irnerius §. V. . Da Irnerius, nach dem Zeugnis des Odofreds96)odofredus ad L. ins civile D. de Iuſt. et Iure: Dominus irnerius, dum doceret in artibus in civitate iſta, cum fuerunt deportati libri legales, coepit per ſ[e]ſtudere vor -her,3461. Buch. 2. Tit. her, ehe er ſich den Rechten widmete, die Philoſophie und ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſtudieret, und auch als Ma - giſter dieſelben zu Bologna oͤffentlich gelehret hatte, ſo iſt nicht zu zweifeln, daß dieſe, einem jeden Rechtsge - lehrten ſo noͤthige Huͤlfswiſſenſchaften nicht nur bey Er - klaͤrung des juſtinianeiſchen Rechts ſeine Fuͤhrerinnen ge - weſen, ſondern auch inſonderheit das Studium der al - ten roͤmiſchen Autoren zur Bildung des guten Geſchmacks und der Eleganz das meiſte beygetragen, wodurch ſich die Irnerianiſche Schule ſo ſehr vor der nachherigen Accurſianiſchen ausgezeichnet hat; und in deſſen Ruͤck - ſicht die Gloſſen eines Irnerius mit Recht gegen die eines Accurſius elegant genennet zu werden verdie - nen97)Dieſes Lob giebt auch ſelbſt odofredus an mehreren Orten ſeiner Commentarien der Gloſſe des Irnerius, ſo z. B. ſagt er ad L. manumiſſionis D. de Iuſt. et Iure: Hic gloſſat dominus irnerius elegantiſſimis verbis: und eben ſo richtig urtheilt sartius in Irnerio §. V. wenn er ſagt: Fuerunt eius gloſſae breves et elegantes, et illae quidem non continenti oratione ſcriptae, ſed interciſae, et ad loca tantum obſcuriora legum et difficiliora adpi - ctae. . Der groſſe Beyfall, den dieſer Rechtslehrer durch ſeine Vorleſungen zu Bologna erwarb, verurſach - te nun, daß nicht nur die Exemplare der juſtinianeiſchen Rechtsbuͤcher mit einem erſtaunenden Eifer abgeſchrie - ben, und in die Haͤnde der Rechtsbefliſſenen ſowohl als der damahligen Gelehrten verbreitet wurden, ſondern es wurden auch die Gloſſen des Irnerius dieſen Hand -ſchriften96)ſtudere in libris noſtris, et ſtudendo coepit docere in legi - bus, et ipfe fuit maximi nominis, et primus illuminator ſcientiae noſtrae; und ad L. Sane ſi haec Cod. de ſa - croſ. Eccl. Dominus irnerius erat magiſter in arti - bus, et ſtuduit per ſe, ſicut potuit, poſtea coepit docere in iure civili; auch ad L. ult. C. de in int. reſt. minor. 347de Origine Iuris. ſchriften ebenfalls mit beygefuͤgt, und zwar gleich zwi - ſchen den Zeilen des Textes bey denenjenigen Stellen und Worten mit eingeruͤckt, worauf ſich ſelbige bezie - hen, und zu deren Erlaͤuterung ſie dienen, daher aus dieſer Urſach die Irnerianiſchen Gloſſen von denen Al - ten gloſſae interlineares genennt zu werden pflegen98)maurus sartius in Irnerio §. V. hat dieſes nicht nur aus verſchiedenen Stellen des Odofreds, z. E. ad L. ius civile D. de Iuſt. et Iure, und ad L. ſi duobus vehi - culum D. commodati vel contra, ſondern auch aus Va - ticaniſchen Handſchriften in Appendice erwieſen. Viſun - tur adhuc ſagt er a. a. O. in pluteis bibliothecarum, quae antiquis libris abundant, veteres codices monu exarati, eiusmodi gloſſematibus, brevibusque adnotaticnibus inſiru - cti, quas vulgo glossas interlineares appellare ſo - lent, quia inter ipſas ſcripturae lineas in ertae ſunt, et raro ad occupandum libri marginem excurrunt. .

Dieſe Irnerianiſche Methode uͤber das juſtinianei - ſche Recht zu gloſſiren dauerte nun unter den Schuͤlern des Irnerius fort, unter denen vorzuͤglich Bulga - rus und Martin Goſias wegen ihrer Streitigkei - ten, die ſie uͤber verſchiedene Rechtsmaterien mit einan - der gehabt, und wegen der dadurch verurſachten beyden Se - cten der Goſianer und Bulgarianer, welche mit denen Sabinianern und Proculianern gewiſſermaſen verglichen zu werden pflegen, vorzuͤglich zu bemerken ſind99)S. Io. Sal. brunquell Proluſ. de Sectis et con - troverſiis iuris Iuſtinianei interpretum, quos Gloſſatores appellamus. Ienae 1725. Wir wuͤrden von denen Rechtsdiſputen zwiſcher Bulgarus und Goſias, die uns, wegen mancher ſich darauf beziehenden Avthendiken im Juſt. Codex und wegen mancher Decretalen allerdings von Wichtigkeit ſind, mehreres wiſſen, wenn wir das Buch haͤtten, welches unter dem Titel: Diver -ſitate.

Accur -3481. Buch. 2. Tit.

Accurſius, mit welchem in der Geſchichte der Gloſſatoren eine neue Epoche anfaͤngt, verließ zuerſt, wo nicht ganz, doch wenigſtens in etwas die Lehrart des Irnerius. Er wurde zu Florenz ums Jahr 1182. gebohren, und ſtarb zu Bologna im Jahr 1260.100)sartius de claris Archigymn. Bonon. Pro. feſſ. in accursio T. I. P. I. S. 141. und folgg.. Dieſer Accurſius fuͤhrte nicht nur ei - ne weitlaͤuftigere Art zu gloſſiren ein, welche nehmlich darin beſtand, daß er den caſum legis uͤberall formir - te, und Fragen aufwarf, welche er ſodann nach den Inhalt des Geſetzes zu entſcheiden ſuchte; ſondern er ſchrieb auch ſelbſt weitlaͤuftige Commentarien uͤber das juſtinianeiſche Recht, wobey er die Gloſſen ſeiner Vor - gaͤnger vorzuͤglich benuzte. Dieſe accurſianiſche Gloſſe erlangte nun ein ſolches erſtaunendes Anſehen, daß man hieruͤber nicht nur die Irnerianiſche vergaß, ſondern auch alle Sectirerey beylegte, und nun ſich gleichſam zur Fahne des Accurſius bekannte1)Wie groß das Anſehen der accurſianiſchen Gloſſe gewe - ſen, beweißt der Ausſpruch des Jaſons: Gloſſae auctori - tatem omnes excellere, et illi tanquam Carotio veritatis perpetuo adhaerendum eſſe; und Cynus pflegte zu ſagen: volo pro me Gloſſatorem potius, quam textum. .

Mit dieſen Gloſſen verſehen erhielten auch wir in Teutſchland die juſtinianeiſchen Geſezſammlungen durch die jungen Teutſchen, die aus Mangel einheimiſcher Academien die Rechte jenſeits der Alpen ſtudieret, und bey den Gloſſatoren gehoͤret hatten. Was Wunderalſo,99)ſitates dominorum in iure noch ungedruckt in der Bibliotheca regali Collegii Hiſpanorum zu Bologna ſich befindet Ein Beiſpiel einer ſolchen unter jenen bei - den Maͤnnem gefuͤhrten Streitigkeit hat Herr geh. Ju - ſtiz R. Walch Reliquiae controverſiae inter Bulgarum et Goſiam de pr[o]elatione dotis. Ienae 1785.349de Origine Iuris. alſo, wenn keine andere Geſetze des juſtinianeiſchen Rechts in Teutſchland recipiret wurden, als welche in den Exemplaren, die man zu den Zeiten der Gloſſato - ren davon hatte, und welche mit den Anmerkungen der - ſelben verſehen waren, anzutreffen geweſen? Und dies iſt nun der Grund der obigen Regel: Quidquid non agnoſcit gloſſa, illud nec agnoſcit curia. Nicht alſo weil die Anmerkungen des Accurſius und ſeiner Vor - gaͤnger eine geſezliche Kraft haͤtten; oder weil dieſe Gloſ - ſatoren es beſtimmen koͤnnten, welche Geſetze in Teutſch - land gelten ſollten, und welche nicht, ſondern, weil unſere Vorfahren das Roͤmiſche Recht in der Geſtalt recipirt haben, wie ſie es aus den Haͤnden der Gloſſatoren empfiengen; nur darum gilt anders nichts, als was die Gloſſe aner - kennt2)zepernick in den oben angefuͤhrten Coniecturis §. XXII. hinter beck S. 526.. Nicht recipirt ſind demnach alle diejenigen Geſetze, welche erſt im ſechzehnden und ſiebenzehnden Saͤculum durch die critiſchen Bemuͤhungen der neuern Civiliſten vorzuͤglich aus den Baſiliken reſtituirt, und denen juſtinianeiſchen Geſezſammlungen eingeſchaltet und beygefuͤgt worden ſind, weil die alten Gloſſatoren dieſe nicht kannten, mithin auch ſelbige mit deren Gloſſen nicht verſehen ſind. Da uns nun alſo die Gloſſe zum Wegweiſer dienen muß, wodurch wir erfahren koͤnnen, welche Verordnungen der roͤmiſche Rechtskoͤr - per zu der Zeit, als er in Teutſchland aufgenommen worden, in ſich gefaſſet habe, ſo laͤſſet ſich ſchon hier - aus abnehmen, daß das corpus iuris gloſſatum noch immer fuͤr einen Rechtsgelehrten von groſſem Nutzen ſey3)Die beſte Ausgabe des Corporis iuris civ. gloſſati iſtdie -.

§. 57.3501. Buch. 2. Tit.
§. 57. Zweyte Regel.

Iſt es auſſer Zweifel, daß die Stelle im Juſtinianeiſchen Rechtskoͤrper, uͤber de - ren heutigen Gebrauch die Frage iſt, wirklich gloſſirt ſey; ſo iſt weiter darauf zu ſehen, ob dieſe Stelle eine wirkliche geſezliche Dis - poſition enthalte, oder nicht? indem, wenn das leztere iſt, ſolche uns gar nicht verbin - den kann, ſondern es uns in einem ſolchen Falle vielmehr freyſtehen muß, nach unſerer Ueberzeugung davon abzugehen.

Daß in unſerm Corpus Juris nicht wenig enthal - ten ſey, ſo den Nahmen eines eigentlichen Geſetzes gar nicht verdienet, iſt ſchon oben (S. 50. und folgg. ) be - merkt worden. So z. B. kommen in unſerm roͤmiſchen Rechte haͤufig Definitionen, Eintheilungen, dogmatiſche und hiſtoriſche Saͤtze, Worterklaͤrungen und dergleichen vor. Dieſe koͤnnen uns als Geſetze aus den ſchon oben angefuͤhrten Gruͤnden ohnmoͤglich verbinden, wenn wir gleich dieſelben, ſofern ſie richtig ſind, mit ihren weſent - lichen Folgen als wahr und gegruͤndet anerkennen muͤſ - ſen. Ob wir nun gleich, um das Geſezliche von dem nicht Geſezlichen zu unterſcheiden, lediglich auf den In - halt der Stelle ſelbſt unſer Augenmerk zu richten ha - ben, ſo duͤrfen wir doch deswegen mit Thomaſius4)Diſp. an legum Iuris Iuſtinianei ſit fre - quens an exiguus uſus practicus in foris Germaniae. §. 10.die3)diejenige, welche Dionyſ. Gothofred zu Lyon 1612. in Fol. in VI. Theilen veranſtaltet hat. Der ſechſte Theil enthaͤlt den Theſaurum Accurſianum, Broſſei Remiſſio - nes, Hennequini Notas et Benedicta ad Accurſium, und des Stephani Daoys indicem generalem. 351de Origine Iuris. die geſezliche Auctoritaͤt ſolcher Stellen des juſtinianei - ſchen Rechts nicht beſtreiten, welche zwar ihrer urſpruͤng - lichen Beſchaffenheit nach in die Zahl der Geſetze nicht gehoͤren, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts - koͤrper ein legales Anſehen bekommen haben. So z. B. beſtehen zwar die Pandecten des K. Juſtinians hauptſaͤchlich aus den Meinungen, Gutachten und Erklaͤ - rungen der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, allein wer vermag dieſen die Eigenſchaft wahrer Geſetze abzuſtreiten, da Juſtinian die Pandecten, darin ſie aufgenommen ſind, als ein wirkliches Geſezbuch beſtaͤttiget hat?

§. 58. Dritte Regel.

Bey den wirklichen Geſetzen unſers roͤmiſchen Rechts - koͤrpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und in wieferne ſie auf unſere Zeiten, Sitten und Verfaſ - ſungen angewendet werden koͤnnen. Es iſt daher eine dritte Regel: diejenigen Verordnungen, welche ſich auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz unbekannte Sitten und Verfaſſungen bezie - hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen - dung5)Herr Prof. Schott in der Encyclopaͤdie §. 109..

Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf - nahme des Juſtinianeiſchen Rechts auch die ganze Re - gimentsverfaſſung und politiſche Einrichtung der Roͤmer zu uns uͤbergegangen ſey, oder daß die Teutſchen die Abſicht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge - ſchaͤfte nach roͤmiſchen Grundſaͤtzen umzuformen. Die Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt alſo, daß ſolche Verordnungen, welche auf Grundſaͤtzen beru -hen,Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Z3521. Buch. 2. Tit. hen, die man in Teutſchland nie aufgenommen hat, oder deren Gegenſtand heutiges Tages ceſſirt, gar keine An - wendung finden koͤnnen. Vermoͤge unſerer Regel faͤllt alſo die heutige Anwendung des roͤmiſchen Rechts weg,

1) wenn ſelbſt das Object des Geſetzes heutiges Tages gar nicht mehrexiſtiret. Da - hin gehoͤren z. B. diejenigen Verordnungen, welche die beſondere Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen Staats und deſſen Verwaltung betreffen. Daher faͤllt heut zu Ta - ge die ganze Reihe von Titeln, welche von dem Amt der roͤmiſchen Obrigkeiten, als de officio praefecti prae - torio, praefecti urbi, praefecti vigilum, praetorum, proconſulis, praefecti auguſtalis, praeſidis u. ſ. w. handeln, (Lib. I. Tit 9. 22. ) ganz weg Aus der nehmlichen Urſach finder auch die Verordnung des roͤmiſchen Rechts von der Legitimation unehelicher Kinder per oblatio - nem Curiae bey uns keine ſtatt. Hieraus erſiehet man zugleich, wie noͤthig es ſey, um uͤber den Gebrauch und Nichtgebrauch roͤmiſcher Geſetze richtig urtheilen zu koͤn - nen, mit den Gegenſtaͤnden derſelben genau bekannt zu ſeyn? und wie unentbehrlich eben aus dieſem Geſichts - puncte das Studium der roͤmiſchen Alterthuͤmer ſey?

2) Kann ein roͤmiſches Geſez auch dann nicht mehr gelten, wenn der weſentliche Grund deſſelben, ohne welchen ſich das Ge - ſez gar nicht denken laͤßt, bey uns ganz weg - faͤllt. Nur unter dieſer Beſtimmung iſt die Regel wahr: ceſſante ratione legis, ceſſat eius diſpoſitio, die nur gar zu oft, wenn es auf den heutigen Ge - brauch einer juſtinianeiſchen Verordnung ankommt, ge - mißbraucht wird. Ein Geſez kann mancherley Veran - laſſungen, kann verſchiedene Urſachen haben. Geſezt nun auch, die Umſtaͤnde haͤtten ſich geaͤndert, es fiele dieſeoder353de Origine Iuris. oder jene Nebenurſache bey uns weg, welche vorzuͤglich etwa den Roͤmern ein Geſez nuͤzlich machte; ſo kann doch deswegen die heutige Guͤltigkeit des Geſetzes ſelbſt nicht bezweifelt werden, ſo lange der Hauptgrund des Geſetzes auch bey uns noch ſtatt findet. Ein Beiſpiel giebt die actio de receptis, deren heutigen Gebrauch einige darum beſtreiten wollen6)Io. Wilh. richter Diff. de actione in factum ex quaſi contractu receptionis moribus noſtris non conveniente Lipſ. 1759., weil unſere Wirthe nicht mit jenen Roͤmiſchen, als welchen die Geſetze von Seiten ihrer Ehrlichkeit eben kein guͤnſtiges Zeugniß beylegen7)L. 1. §. 1. D. Nautae caup. et ſtabul. niſi hoc eſſet ſtatutum, materia daretur cum furibus adverſus eos, quos recipiunt, coëundi; cum ne nunc quidem abſtineant huiusmodi fraudibus. , in eine Claſſe geſetzet werden koͤnnten. Al - lein iſt es nicht auch noch heutiges Tages billig, daß denen Fremden, welche ſich in keine weitlaͤuftige Pro - ceſſe einlaſſen koͤnnen, kurz und ohne Umſchweif zu dem Ihrigen verholfen werde? Kann der Gaſtwirth nicht immer eher Entwendungen verhuͤten, als der Fremde? ja wuͤrde, wenn der Fremde erſt den Urheber ſeines Schadens ausfindig machen muͤſte, und nur gegen die - ſen allein klagen duͤrfte, wuͤrde nicht die hieraus ent - ſtehende Schwierigkeit zu klagen auch noch heutiges Tages unredlichen Wirthen leicht Gelegenheit geben koͤn - nen, den Paſſagier um das Seinige zu bringen? Alle dieſe Gruͤnde, welche allein ſchon das Geſez hinreichend rechtfertigen, bleiben allemahl noch fortdauernd, wenn auch gleich die von den Betruͤgereien der roͤmiſchen Wir - the hergenommene Urſach zu unſern Zeiten wegfallen moͤchte. Soll alſo das roͤmiſche Geſez bey uns ſeine Anwendung verliehren, ſo muß der weſentliche GrundZ 2deſſel -3541. Buch. 2. Tit. deſſelben, ohne welchen ſich die Verordung ſelbſt gar nicht denken laͤſſet, gaͤnzlich ceſſiren. Eben darum laͤſ - ſet ſich in Teutſchland von denen Vorſchriften des roͤ - miſchen Rechts, welche von ſimplen Vertraͤgen, und ſtricti iuris Contracten reden, kein Gebrauch machen; denn ſie gruͤnden ſich auf das beſondere Formularwe - ſen der Roͤmer, welches bey allen ihren gerichtlichen und auſſergerichtlichen Geſchaͤften zur Norm diente. Da aber die Teutſchen das letztere nicht aufgenommen, ſo ſind bey uns nicht nur die bloſen Vertraͤge, welche von Perſohnen, die ſich verbindlich machen koͤnnen, uͤber einen erlaubten Gegenſtand ſind eingegangen worden, vollkommen verbindlich, ſondern auch alle unſere Con - tracte bonae fidei.

Zuweilen kann jedoch der Hauptgrund eines roͤmi - ſchen Geſetzes wegfallen, und das Geſetz bleibt doch verbindlich; dieſes geſchiehet in den Faͤllen, wo der Grund des Geſetzes mit der Dispoſition deſſelben nicht ſo weſentlich verbunden iſt, daß ſich die letztere mit Auf - hebung des erſtern nicht mehr gedenken lieſe. Daher finden wir es ſehr oft, daß in denen roͤmiſchen Geſetzen Conſequenzen uͤbrig geblieben, ob ſchon der Grundſatz, woraus ſie ihren Urſprung herleiten, laͤngſt aufgehoben worden8)Eben dieſes hat auch ſchon bey einer andern Gelegenheit der beruͤhmte Hr. Geh. Juſtitz R. Puͤtter in Diſſ. de prae - ventione in cauſſ. appellationis (Goett. 1776.) Cap. V. §. 64. bemerkt: perfrequenter hoc accidere, ut, principium ac fundamentum legis licet dudum deſeruiſſemus, ipſam tamen legem adhuc in viridi obſervantia habeamus. . Zum Beyſpiel kann die Querela inofficioſi teſtamenti dienen. Dieſe Klage war nach dem alten roͤmiſchen Recht nicht wenig verhaßt, weil der Klaͤger den Vorwand brauchte, als ob der Teſtator nicht recht bey Verſtande geweſen; er movirte alſo gleichſam derAſche355de Origine Iuris. Aſche des Teſtators quaeſtionem ſtatus. Da nun nach denen Verordnungen verſchiedener Kaiſer uͤber den Zu - ſtand eines Verſtorbenen nach fuͤnf Jahren keine weite - re zum Nachtheil gereichende Frage aufgeworffen wer - den ſollte9)Siehe tot. Tit. D. ne de ſtatu defunctorum poſt quin - quennium quaeratur. svetonivs in vita Titi c. 8. und capitolinvs in Marco cap. 10., ſo wurde, ohne Zweifel durch die Aucto - ritaͤt der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, eingefuͤhrt, daß auch die Querela inofficioſi binnen fuͤnf Jahren ange - ſtellt werden, nach dieſer Zeit aber nicht weiter ſtatt finden ſollte10)püttmann Exerc. ad L. 16. C. de inoff. teſtam. Lipſiae 1774. S. 13. u. folg.. Ob nun gleich nach der Nov. 115. c. 3. und 4. jener color inſaniae teſtatoris nicht mehr noͤthig iſt, ſondern der Grund dieſer Querel vielmehr in eine unbilliger Weiſe geſchehene Enterbung oder Praͤter - ition geſezer wird; ſo dauert dennoch auch noch heuti - ges Tages dieſe Klage laͤnger nicht als fuͤnf Jahr; und kann daher, wegen etwa ceſſirenden Grundes dieſer Dauer, die heutige Guͤltigkeit der dieſelbe verordnenden roͤmiſchen Geſetze im mindeſten nicht bezweifelt werden11)püttmann Diſſ. de querela inoff. teſtamenti fratrib. uterin. haud concedenda. C. II. §. 8. fin. .

§. 59. Vierte Regel.

Auch dieienigen Verordnungen des roͤ - miſchen Rechts gelten heutiges Tages nicht, welche ſolche Gegenſtaͤnde haben, die zwar denen Roͤmern eben ſo gut, als den Teut - ſchen, bekannt waren, aber doch bey der Ein - fuͤhrung des roͤmiſchen Rechts von den Teut -Z 3ſchen3561. Buch. 2. Tit. ſchen darum, weil ſie ihren Sitten und Den - kungsart ganz entgegen giengen, nicht reci - pirt worden ſind.

Die Lehre von Erbvertraͤgen giebt uns hier - von ein ſehr treffendes Beyſpiel. Nach roͤmiſchen Rech - ten gelten ſie, einige wenige Faͤlle ausgenommen, nicht, man beſorgte, vielleicht nicht ohne Grund, ſie moͤchten den Wunſch nach des andern Tode rege machen, und wohl gar zu Lebensnachſtellungen Anlaß geben12)L. 2. §. 2. D. de vulg. et pup. ſubſt. L. 27. §. 4. D. ad SCT. Trebell. L. ult. C. de pactis. . Al - lein bey den Teutſchen ſind Erbvertraͤge von jeher uͤblich geweſen, und als guͤltig und unwiderruflich angeſehen worden. Ja ſie waren, ehe die Teutſchen durch Ein - fuͤhrung des roͤmiſchen Rechts die Teſtamente kennen lernten, das einzige Mittel, uͤber ſeine Erbfolge zu dis - poniren. Dieſe Grundſaͤtze haben die Teutſchen auch noch nach Einfuͤhrung des roͤmiſchen Rechts, alles darin enthaltenen Verbots ohngeachtet, bis auf den heutigen Tag aufrecht zu erhalten gewuſt. Daher die Vorſchrif - ten des roͤmiſchen Rechts in dieſer Materie keine An - wendung bey uns finden13)Ad. Fr. hebestreit Vindiciae veri valoris pa - ctor. ſucceſſor. Erfordiae 1768.. Ob auch die roͤmiſchen Geſetze vom Spiel hierher zu rechnen, iſt unter denen Rechtsgelehrten annoch ſtreitig14)S. Weher Entwicklung der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit. 2te Abtheil. §. 65. Not. 224. S. 227. und folg.. Daher ich zu ſei - ner Zeit (Tit. de aleatoribus) davon handeln werde.

§. 60. Fuͤnfte Regel.

Auf ſolche Gegenſtaͤnde und Rechtshand - lungen der Teutſchen, welche den Roͤmernganz357de Origine Iuris. ganz unbekannt waren, und blos aus teut - ſchen Sitten und Verfaſſungen ihrem Ur - ſprung haben, laͤſſet ſich das roͤmiſche Recht ebenfalls nicht anwenden.

So kann daher das einer Witwe aus der Ver - laſſenſchaft ihres Ehemanns nach teutſchen Rechten ge - buͤhrende Witthum eben ſo wenig, als die Gemeinſchaft der Guͤter unter teutſchen Ehegatten aus dem roͤmiſchen Rechte beurtheilet werden.

§. 61. Sechste Regel.

Wo nun aber alle dieſe Regeln den Ge - brauch des roͤmiſchen Rechts nicht hindern, da findet ſolches in allen uͤbrigen Faͤllen ſeine Anwendung, ſofern nicht der Gebrauch deſſel - ben durch die in Teutſchland geltende uͤbri - ge entweder einheimiſche oder kanoniſche Rechte eingeſchraͤnkt wird. Von dieſen Einſchraͤn - kungen werde ich erſt weiter unten reden. Hier bemer - ke ich nur noch, daß, da das roͤmiſche Recht in Teutſch - land einmahl zur Kraft eines gemeinen Rechsrechts ge - diehen, und, als ein ſolches, reichsgeſezmaͤſig bekraͤfti - get worden15)Reichshofr. Ordnung Tit VII. §. 24. So ſollen auch unſere kaiſerliche Wahlcapitulation, alle Reichsabſchied, Cammergerichtsordnung, Corpus iuris civilis und ca - nonici, auf der Reichshofraths Tafel, damit man ſich deren in zweifelhaften Faͤllen gebrauchen koͤnne, ſtets vorhanden ſeyn, und von ſelbiger nicht verruͤckt werden., der Gebrauch deſſelben ſo wenig durch ein Erkenntnis des Cammergerichts, ſo nicht pro lege Imperii zu halten, in einzelnen Faͤllen aufgehoben, als durch ein Zeugniß eines Cammergerichtsaſſeſſoris entkraͤf -Z 4tet3581. Buch. 2. Tit. tet werden koͤnne. Dahero es ganz vergeblich iſt, wenn einige neuere Rechtsgelehrten aus dieſem Grunde den heutigen Gebrauch der L. ult. C. de praeſcript. XXX. et XL. annor. desgleichen der L. 2. und L. ult. C. de litigios. und anderer mehr bezweifeln wollen.

§. 62. Poſtiuſtinianeiſches Recht. a) orientaliſches. I) Baſiliken des Kaiſers Leo.

Wir haben nun noch von dem lezten Theil des roͤ - miſchen Rechts, nehmlich den Poſtiuſtinianeiſchen, zu handeln. Hierher gehoͤren einmahl die nach des Kai - ſers Juſtinians Regierung im Orient promulgirte neue Geſetze und Rechtsbuͤcher, von denen wir noch heutiges Ta - ges betraͤchtliche Fragmente uͤbrig haben16)Einen groſen Theil dieſer orientaliſchen Geſetze und grie - chiſchen Rechtsbuͤcher haben Enimund. bonefidivs in Iure orientali Paris 1573. und Io. levnclavivs Iure Graeco-Romano cura Marq. freheri Francof. 1596. fol. Tom. II. geſammlet.. Außer denen wenig intereſſanten Novellen der Kaiſere Juſtin II. und Tiberius, welche auch nach der Ueberſetzung des Agy - laͤus den meiſten Ausgaben des Corporis iuris civ. an - gehaͤngt ſind; und den Πρόψειρον νομικὸν, (Promptua - rium iuris) ſo Kaiſer Baſilius Macedo, mit ſei - nen beyden Soͤhnen den Conſtantin und Leo, im Jahr 876. bekannt gemacht hat, und aus 40. Titeln beſte - het17)Mehrere Nachrichten hiervon findet man in den gelehr - ten Anmerkungen des Hrn. Dir. Zepernick uͤber beck de Novellis Leonis Halae 1779. 8. S. 18. und folg.; verdienen die ſogenannten Baſiliken des Kai - ſers Leo unſere ganze Aufmerkſamkeit. Kaiſ. Baſilius Macedo ließ dieſes Werk durch eine Geſellſchaft von Gelehrten, unter denen Symbatius Protosphata - rius den erſten Platz behauptet zu haben ſcheinet, vor -nehm -359de Origine Iuris. nehmlich aus den damahlen vorhandenen mancherley grie - chiſchen Ueberſetzungen des juſtinianeiſchen Rechts zuſam - mentragen18)Georg. cedrenvs Annal. ſ. Compend. Hiſtoriae in basilio imperat. S. 468. Sed et civiles leges videns multum habere confuſionis atque obſcuritatis, operam dedit, ut iis convenientem faceret medicinam: itaque abro - gare inutiles, iisque amputatis multitudinem bonarum ex - purgare intendit. Sed mors eius hoc inſtitutum intercepit, res a filio deinde perfecta eſt. Kaiſ. Leo ſelbſt eignet die - ſes Werk nicht undeutlich Nov. LXXI. ſeinem Vater zu. S. zepernick Praetermiſſa de vita, rebus ge - ſtis, et conſtitutionibus, inprimis Novellis Leonis Sap. Sect. III. §. XII. hinter beck de Nov. Leonis. S. 286. u. folg., es kam iedoch erſt nach deſſelben Tode unter der Regierung des K. Leo des Philoſophen zu Stande, welcher dieſes Geſetzbuch im Jahr 887. promulgirte, und zur Ehre ſeines Vaters des Kaiſ. Ba - ſilius ΒΑΣΙΛΙΚΑ nannte. Das ganze Werk iſt in ſech - zig Buͤcher, und jedes Buch in Titel abgetheilt, daher es auch ἑξηκὸνταβιβλος oder ἑξάβιβλος geneunt wird. Von dieſen Baſiliken haben wir iedoch heutiges Tages nur noch acht und dreyßig vollſtaͤndige, nehmlich das 1. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 38. 39. 40. 41. 42. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. und 60te, von welchen das 49. 50. 51. und 52. im fuͤnften Tom des Theſauri Meermanniani, die uͤbrigen aber in der Fabrottiſchen Ausgabe der Baſiliken befindlich ſind. Es iſt daher eine offenbare Unwahrheit, womit Fabrott viele hintergangen hat, die ihm auf ſein Wort ge - glaubt haben, wenn er 41. Buͤcher vollſtaͤndig edirt zu haben vorgiebt19)Praefat. ſeiner Ausgabe (Paris 1647. VII. Volum Fol.) Aequires autem rerum iudices heic monendi ſunt,libros. Denn das 2. 16. 17. 18. undZ 530te3601. Buch. 2. Tit. 30te Buch ſind defect, und ganzer 21. Buͤcher, nehm - lich das 19. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 43. 44. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. und 59. unaͤcht, wo Fabrott nicht die Buͤcher der Baſi - liken ſelbſt, ſondern ſtatt derſelben eine Rhapſodie aus der Synopſi Baſilicorum, den Theodoro Hermopoli - ta, Conſtantino Harmenopulo, denen Gloſſen der Baſiliken und den Commentaren des Cujacius uͤber die drey leztern Buͤcher des Codex geliefert hat20)Vorzuͤglich verdient hierbey das elegante Programm des H. Tribunals-Rath Hoͤpfner Praetermiſſa quae - dam de Βασιλικων libris Gieſſae 1774. nachgeſehen zu werden.. Die Schreibart iſt uͤbrigens in den Baſiliken ſehr ver - ſchieden, bald ungemein weitſchweifig, bald ſehr kurz, je nachdem die Verfaſſer bald eine weitlaͤuftigere, bald eine kuͤrzere Ueberſetzung von Juſtinians Geſezſammlun - gen vor Augen gehabt haben. Denn einige z. B. Tha - lelaeus und Stephanus hatten die Pandecten und den Codex〈…〉〈…〉 ἐις πλάτος (paraphraſtiſch), andere, wie Doro - theus, κατὰ πόδα (woͤrtlich) noch andere hingegen, z. B. Anatolius und Cyrillus κατ̕ ἐπιτομὴν, (auszugs - weiſe) uͤberſezt. Zur Erlaͤuterung des Textes haben die griechiſchen Rechtsgelehrten Scholien und Gloſſen ge - ſchrieben, erſtern hat Fabrott dem Texte beygefuͤgt, leztere aber, welche Erklaͤrungen dunkler Rechtswoͤrter enthalten, ſind zuerſt von Carl Labbaͤus, Paris 1606. 8. geſammlet, und hernach noch mit vielen Zu - ſaͤtzen und Verbeſſerungen auch mit den gelehrten An - merkungen des Anton Schultings von Eberh. Otto dem dritten Tom des Theſauri iuris Rom. inſerirt wor -den.19)libros Baſiliκῶν in libros ſexaginta a Leone Imp. diviſos integros ad nos non perveniſſe, ſed libros tantum XLI. 361de Origine Iuris. den. Matth. Roever21)Specim. Obſervat. et emendat. ad gloſ - ſas veteres verbor. iuris, hinter dem Fragmento veteris ICti de iuris ſpeciebus S. 41., Pet. Bondam22)Animadverſion. criticae ad loca quaedam iuris civ. depravata cap. VI-X. in Oelrichs Theſ. novo Diſſert. Belgicar. Vol. II. T. 2. S. 197. u. folgg. und Pet. Lucret. Struchtmeyer23)Epiſt. crit. in gloſſas nomicas Vltraj. 1769. haben dieſe Gloſſas nomicas hernach noch mehr berichtiget und erlaͤutert.

§. 63. Heutiger Gebrauch der Baſiliken

Dieſe Baſiliken, ſo weit ſie auf unſere Zeiten ge - kommen ſind, haben nun zwar heutiges Tages kein ge - richtliches Anſehen, weil ſie in Teutſchland nicht reci - pirt worden ſind; indeſſen haben doch dieſe Buͤcher ih - ren groſen Nutzen bey der Erklaͤrung des in Teutſch - land geltenden Juſtinianeiſchen Rechts. Denn mit Huͤl - fe derſelben koͤnnen nicht nur manche corrupte Stellen emendiret, und recipirte, von Andern aber in Zweifel ge - zogene, Leſearten beſtaͤrket werden, ſondern man kann auch aus denenſelben beurtheilen, ob etwa Gloßeme durch die Nachlaͤſſigkeit der Abſchreiber in den Text ein - geſchlichen ſind, und uͤbrigens manche dunkele Stellen in unſerm Roͤmiſchen Rechtskoͤrper durch die Baſiliken vortreflich illuſtriret werden. Cujacius, der uns zuerſt den Weg zeigte, mit Huͤlfe jener griechiſchen Ueber - bleibſel das juſtinianeiſche Recht zu erklaͤren, und die uͤbrigen Rechtsausleger, die ihm auf dieſem Wege nach - gefolget ſind, unter welchen ich vorzuͤglich einen Abra - ham Wieling24)Lectiones iuris civ. Trajecti ad Rhen. 1740. nenne, haben dieſen Nutzen derBaſi -3621. Buch. 2. Tit. Baſiliken durch viele Beiſpiele auſſer allen Zweifel ge - ſezt25)Auch eckhard Hermenevt. iuris Lib. I. cap. VII. §. 280-292. und walch ad Eundem haben viel Bei - ſpiele geſammlet.. Inzwiſchen iſt auch hier viel Behutſamkeit noͤthig. Denn einmahl wuͤrde man ſich ſehr irren, wenn man die Baſiliken ganz fehlerfrey halten wollte. Joh. Wilh. Hoffmann26)Meletemat. ad Pandect. Diſſ. XI. §. 2. Baſilico - rum ope innumera lucem et integritatem acceperunt iuris noſtri loca. Vehementer autem illi falluntur, qui parum aut nihil, quod manum medicam deſideraret, in Baſili - cis poſt fabrotti diligentiam ſupereſſe putant. In una de familia erciſcunda tractatione quatuordecim naevos ob - ſervavi, quos vel librariorum, vel operarum, vel ipſorum veterum interpretum reliquit negligentia. entdeckte nur allein in der Lehre von der Erbtheilung vierzehen Fehler. Sodann muͤſſen wir immer bedenken, daß die Baſiliken erſt lange Zeit nach Juſtinian verfertiget worden, die Verfaſſer derſelben manches aus dem Rechte der ſpaͤtern Kaiſer eingemi - ſchet27)Beiſpiele hiervon haben bynckershoeck Obſerv. Iur. Rom. Lib. VIII. c. 17. hoffmann Meletemat. ad Pandect. Diſſ. XXXI. §. 4. und iensius Notitia Baſilicor. Stricturis ad Iuſtiniani Cod. et Pandect. praefixa. , und daß ſelbſt die Verfaſſer der griechiſchen Ver - ſionen, aus denen die Buͤcher der Baſiliken ſind compi - liret worden, viel zu weit von denen Zeiten der alten Rechtsgelehrten und roͤmiſchen Kaiſer, deren Geſetze ſie interpretirten, entfernt geweſen, als daß wir es ihnen zutrauen duͤrften, uͤberall den Sinn derſelben gehoͤrig gefaſſet zu haben28)Mit recht ſagt daher voorda Elect. cap. V. S. 68. Habet quidem Graecorum auctoritas in conſtituenda lectio -ne,. Nicht jede Abweichung derBaſili -363de Origine Iuris. Baſiliken von dem Text des Juſtinianeiſchen Rechts darf uns demnach berechtigen, gleich eine Aenderung in den Geſetzen unſers Rechtskoͤrpers vorzunehmen; nein, es muß offenbar ſeyn, daß die Stelle des juſtinianei - ſchen Rechts corrupt ſey, wenn ſie aus den Baſiliken emendiret werden ſoll29)walch ad Eckhardi Hermenevt. iuris. S. 548. und folg. Von dem Gebrauch dieſer griechiſchen Rechtsuͤberbleibſel hat auch Herr Prof. püttmann in Diſſ. de querela inoffic. teſtam. fratribus ute - rinis haud concedenda Cap. III. ein ſehr gruͤndli - ches Urtheil gefaͤllt.. Dahero ich den Ausſpruch eines beruͤhmten hollaͤndiſchen Rechtsgelehrten30)Io. Guil. marckart Probabil. receptar. le - ction. iuris civ. S. 81. zu un - terſchreiben kein Bedenken trage, welcher ſagte: ex Ba - ſilicis quidquam temere latino textui obtrudendum haud eſſe. Eben dieſes iſt auch bey denen uͤbrigen auf un - ſere Zeiten gekommenen kleinern griechiſchen Rechtsbuͤ - chern und Schriften der griechiſchen Rechtsgelehrten zu erinnern, welche unter den Nahmen Synopſes, Epito - mae, Ecclogae und Promtuaria bekannt, und groͤſten - theils aus den Baſiliken excerpirt worden ſind, obwohl auch hieraus mancher Nutzen zur Aufklaͤrung des roͤmi - ſchen Rechts geſchoͤpft werden kann.

§. 64.

28)ne, de qua ambigitur, pondus nonnunquam haud exiguum; ſed in indaganda atque exponenda ſententia, ubi minime dubia lectio eſt, nihilo unquam plus vaiet, quam cuiuslibet interpretis alius. Videre illi potuerunt, atque ſignificare etiam, quemadmodum ſcriptum fuerit in codicibus procul dubio emendatis maxime, certe antiquiſſimis; quo vero ſenſu quodque fuerit ſcriptum non magis potuerunt perſpicere, quam qui vixerunt poſtea. Hinc tot eorum in reddendis Veterum ſententiis errores, ab aliis deinde anim - adverſi ac notati.

3641. Buch. 2. Tit.
§. 64. Novellen des K. Leo.

Auſſer den Baſiliken hat K. Leo noch viele neue Verordnungen gemacht, welche unter der Aufſchrift Imp. leonis Novellae Conſtitutiones, aut correctoriae Legum repurgationes einen nicht unbetraͤchtlichen An - hang des Roͤmiſchen Rechtskoͤrpers ausmachen. Sie ſind wahrſcheinlich zwiſchen den Jahren 887. und 893. vom Kr. Leo ſelbſt aufgeſezt, jedoch nicht einzeln, ſon - dern alle zugleich und auf einmahl in derjenigen Samm - lung bekannt gemacht worden, welche wir von ihnen ha - ben31)S. Caſp. Achat. beck de Novellis Leonis Phi - loſophi, earumq. uſu et auctoritate lib. ſing. cum animadverſion. D. Car. Frid. zepernick. Halae 1779. 8. Cap. I. §. 5. und zepernick Praetermiſſa de vita, reb. geſtis, et conſtitut. in primis Novellis Leonis Sap. Sect. III. §. 13.. Dieſe Sammlung beſtehet aus 113. Novel - len, man hat jedoch in neuern Zeiten in verſchiedenen Bibliotheken, als in der Wiener, Uffenbachiſchen, und der des Ant. Auguſtinus noch manche nicht gedruckte Novellen des Kr. Leo entdeckt, welche in unſerer heuti - gen Sammlung nicht befindlich ſind32)S. zepernick ad Beckii lib. de Novellis Leo - nis S. 58. und 328. u. folgg.. Heinrich Scrimger gab die Novellen des K. Leo zuerſt in ih - rer griechiſchen Urſprache 1558. heraus. Heinrich Agy - laͤus uͤberſezte ſie hierauf ins lateiniſche 1560. Von der Zeit an ſind ſie auch dem Roͤmiſchen Corpus iuris angehaͤngt worden, und die erſte Ausgabe, in welcher ſie nach der Verſion des Agylaͤus anzutreffen, ſcheint diejenige zu ſeyn, welche zu Lyon 1562. in Folio,wahr -365de Origine Iuris. wahrſcheinlich durch die Beſorgung des Hugo a Por - ta herausgekommen iſt.

§. 65. Heutiger Gebrauch derſelben.

Ob uͤbrigens denen Novellen des Kaiſers Leo ei - ne geſezliche Kraft in Teutſchland beizulegen, iſt eine Frage, woruͤber die Urtheile der heutigen Civiliſten nicht mit einander uͤbereinſtimmen33)Unter denen, welche fuͤr den heutigen Gebrauch der Novellen des Kaiſers Leo ſtreiten, hat ſich Caſpar. Achat. beck am meiſten ausgezeichnet, deſſen ſehr gelehrte Ab - handlung de Novellis Leonis. earumque uſu et auctoritate beſonders nach der neueſten Ausgabe, Halle 1779. 8. die durch die vortreflichen Bemerkungen und eigenen Abhandlungen des gelehrten Herrn Director Zepernick einen ſo vorzuͤglichen Werth erhalten, daß ſie zu den claſſiſchen Schriften der eleganten Rechtsgelahrtheit al - lerdings zu zaͤhlen iſt, ſchon mehrmalen bisher angefuͤhrt worden. Allein wie wenig uͤberzeugend die von Beck muͤh - ſam zuſammengehaͤufte Gruͤnde ſind, haben der ſeel. Aſſeſſ. seger in Diſſ. de Leonis Philoſ. conſtitutio - num Novellarum auctoritatae Lipſiae 1767. vor - zuͤglich aber der gedachte Herr Dir. D. zepernick in Coniccturis, quibus ex cauſis Novellae Leo - nis Sapientis in Germania receptae dici ne - queant, beym Beck S. 403 552. gruͤndlichſt dar - gethan.. Ich meines Theils trage kein Bedenken, auf die Seite der verneinenden Parthey zu treten. Denn pruͤft man die Gruͤnde, aus welchen einige Rechtsgelehrten verleitet worden ſind, je - nen Novellen ein legales Anſehen in Teutſchland zu - zueignen, ſo wird man finden, daß ein offenbarer Trug - ſchluß hierbey zum Grunde liegt. Weil ſie gefunden, daß in unſern Gerichten das nehmliche, was dieſe undjene3661. Buch. 2. Tit. jene Verordnung des Kaiſers Leo enthaͤlt, gleichfalls beobachtet werde, ſo glauben ſie, hieraus die in Teutſch - land geſchehene Aufnahme jener Novellen folgern zu koͤnnen; gerade als ob dies nicht aus andern Urſa - chen geſchehen, und folglich aus richtigern Gruͤnden ab - geleitet werden koͤnnte. Es laͤſſet ſich alſo daraus ſo wenig eine allgemeine Reception aller Novellen des Krs Leo, als eine beſondere Aufnahme einzelner Verordnun - gen dieſer Art erweiſen. Denn wenn, um nur einige Beiſpiele hiervon anzufuͤhren, heutiges Tages die Con - ventionalſtrafe bey Verlobungen zugelaſſen wird, ſo iſt der Grund davon keinesweges in der Aufnahme der Novellae XVIII. Leonis zu ſetzen, ſondern weil die Gruͤnde, aus welchen das Juſtinianeiſche Recht den An - hang einer ſolchen Strafe bey Verlobungen fuͤr unguͤl - tig erklaͤrt, in Teutſchland gaͤnzlich wegfallen, und da - her ſelbige nach den Sitten der Teutſchen von jeher vor verbindlich gehalten worden34)Dies beweiſen die Beiſpiele, die man ſchon vorher bey den Teutſchen von ſolchen denen Eheverloͤbniſſen angehaͤng - ten Conventionalſtrafen findet, ehe einmahl die Novellen des Krs Leo in Teutſchland bekannt worden ſind, welche Io. Aug. hellfeld in Diſſ. de effectu poenae conventionalis ſponſalibus adiectae Ienae 1760. §. XXIX. und Dir. zepernick in den angefuͤhrten Coniecturis Cap. I. §. XIV. S. 483. und folgg. ge - ſammlet haben., zumahl hiermit auch die Vorſchriften des kanoniſchen Rechts35)cap. 29. X. de ſponſal. uͤberein - ſtimmen, als nach welchen eine Conventionalſtrafe nur bey den Verlobungen der Unmuͤndigen fuͤr unverbind - lich erklaͤret wird. Eben ſo vergeblich leitet man die heutige Guͤltigkeit der Erbvertraͤge von der Reception der Nov. Leonis XIX. ab; denn nicht zu gedenken, daß daſelbſt nicht von Erbvertraͤgen uͤberhaupt, ſondernnur367de Origine Iuris. nur von einem beſondern Vertrage die Rede iſt, wel - chen ein Vater der Erbfolge wegen mit ſeinem verhey - ratheten Sohne geſchloſſen hatte, und den Leo gegen die Verordnung der Kr. Valentinian, Gallienus und Valerian L. 15. C. de pactis fuͤr guͤltig erklaͤrt36)S. zepernick am angef. O. §. XVI. S 498. u. folg.; ſo ſind ja bekanntermaſſen bey den Teutſchen die Erb - vertraͤge nicht nur ſchon laͤngſt vor Einfuͤhrung des roͤ - miſchen Rechts uͤblich geweſen, und fuͤr verbindlich gehal - ten worden; ſondern ſie haben auch nachher dieſe ihre Guͤltigkeit gegen alle Gruͤnde des roͤmiſchen Rechts ſtand - haft behauptet37)Man vergleiche hebenstreit Vindiciae veri va - loris pactor. ſucceſſor. tam iure rom. quam germ. Erfordiae 1768.. Ich uͤbergehe mehrere Beiſpiele, und bemerke nur noch, daß ſo wenig das Anſehen der ſo genannten pragmatiſchen Juriſten, als die Urtheile und Entſcheidungen einiger Gerichtshoͤfe, welche dieſe oder jene Novelle des Krs Leo, vielleicht aus bloſem Irr - thum, angefuͤhret, gegen die in Teutſchland angenomme - ne Regel: quidquid non agnoſcit gloſſa, illud non agnoſcit curia, welche dieſen Novellen alles legale An - ſehen in den Gerichten ſchlechterdings abſpricht, etwas gelten koͤnnen. Ja ich zweifele ſogar noch, ob dieſe Novellen zur Erklaͤrung des wirklich geltenden Juſtinia - neiſchen Rechts uͤberall denjenigen theoretiſchen Nutzen haben moͤchten, welchen ihnen doch wenigſtens ſelbſt diejenigen Rechtsgelehrten beylegen wollen, die uͤbrigens die verbindende Kraft derſelben gaͤnzlich laͤugnen38)galvanvs de uſufructu Cap. XXX. n. IV. S. 377. edit. Tubingenſ. gravina Origin. iuris civ. Lib. I. cap. 136. hilliger im Donello enucleat. Lib. XXVI. c. 2. lit. A. Chr. God. hoffmann Hiſtor. Iuris. Lib. II. c. 2. §. 17.. DennGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. A a3681. Buch 2. Tit. Denn wie wenig es dem K. Leo mit aller ſeiner Phi - loſophie gegluͤckt habe, in den Geiſt derjenigen roͤmiſchen Verordnungen einzudringen, die er in ſeinen Novellen reformiren wollen, wie unbillig daher oft ſein Tadel? und wie unnoͤthig und grundlos oft ſeine Abaͤnderungen des Civilrechts ſind, kann niemanden unbekannt ſeyn, der mit Aufmerkſamkeit dieſe Novellen geleſen hat39)Der Kuͤrze wegen beziehe ich mich hier wieder auf die Anmerkungen des Herrn Dir. Zepernicks zum Beckiſchen Tractat de Novellis Leonis S. 124. und folgg. und Deſſelben Coniecturas Cap. I. S. 406. und folgg.. Eben dieſes iſt auch von den uͤbrigen Verordnungen der nachfolgenden Orientaliſchen Kaiſer zu behaupten, die unter der Aufſchrift Imperatoriae Conſtitutio - nes zuerſt vom Charondas aus des bonefidii iu - re orientali denen Novellen des Leo beygefuͤget worden ſind40)Chriſtfr. waechtler Opuſcul. S. 592. und folgg..

§. 66. Poſtjuſtinianeiſches Recht im Occident.

Nun zulezt noch ein Wort von denen im Occi - dent nach Juſtinians Zeiten verfaßten Sammlungen roͤ - miſcher Geſetze, welche vorzuͤglich denen von den Bar - baren unterjochten occidentaliſchen Roͤmern zum Gebrauch dienten. Eine ſolche Sammlung ſcheint diejenige zu ſeyn, die erſt vor Kurzen Paul Canciani41)Barbarorum Leges antiquae cum notis et gloſſariis Vol. IV. Venedig 1789. Fol. S. 461. und folgg. aus einem Codex der Domkirche zu Udien unter der Auf - ſchrift: Lex romana barbaris regnantibus obſervata in Italia, ediret hat, und einen Aus - zug eines Theils des juſtinianeiſchen Geſezbuchs enthaͤlt. Beſonders aber ziehet unſere Aufmerkſamkeit eine ande -re369de Origine Iuris. re aͤhnliche Sammlung dieſer Art auf ſich, welche zuerſt, ich weiß nicht, wer? unter dem Titel: Cor - pus legum per modum inſtitutionum ab in - certo auctore in compendium redactum Lovanii, excudebat Barth. Gravius ann. 1551. her - aus gab42)Mehrere Nachrichten davon giebt Chriſt. sax in Ono - maſt. litterar. P. II. S. 537. und jezt unter dem Nahmen Brachy - logus iuris civilis allgemein bekannt iſt. Der ſeel. Reichshofr. von Senkenberg hat dieſen Brachylog am neueſten mit den Anmerkungen Ludwig Pesnots, Pard. Pratejus und Nicol. Reusners zu Frankfurt und Leipzig 1743. 4. wieder abdrucken laſſen. Verfaſſer, Zeitalter, Ort und Veranlaſſung dieſes Buchs ſind voͤl - lig unbekannt. Senkenberg ſezte es dem Alter nach wenigſtens in die Zeiten K. Juſtinus II. und ſchrieb ihm dem Inhalt nach ſogar groͤſere Vollſtaͤndigkeit, als dem juſtinianeiſchen Geſezbuche ſelbſt zu; allein die Beweiſe fuͤr dieſe Meinung ſind nicht uͤberzeugend43)S. püttmann Miſcellaneor. ad ius perti - nentium Specim. II. Cap. 7.. Daß in - zwiſchen dennoch dieſem Brachylog, ſo wie der vorhin - gedachten Lex Romana der theoretiſche Nutzen nicht abgeſprochen werden kann, hat keinen Zweifel, daher ſelbige wenigſtens in dieſer Ruͤckſicht anzufuͤhren gewe - ſen ſind.

B. Vom Canoniſchen Rechte.

§. 67. Begrif und heutige Guͤltigkeit deſſelben.

Unter denen in Teutſchland geltenden fremden Rech - ten, die wir als Quellen unſerer heutigen Privatrechts -A a 2gelahrt -3701. Buch. 2. Tit. gelahrtheit anzuſehen haben, behauptet nun auch noch inſonderheit das Canoniſche Recht ſeinen Platz. In der allgemeinſten Bedeutung genommen, verſtehet man unter Canoniſches Recht den Inbegrif al - ler der die Verfaſſung und rechtlichen Verhaͤltniſſe der chriſtlichen Kirche beſtimmenden Anordnungen und Ge - ſetze, welche ſeit Entſtehung derſelben bis auf den heu - tigen Tag unter mancherley Veraͤnderungen gegolten ha - ben44)In weitlaͤuftiger Bedeutung wird daher eine jede kirch - liche Verordnung canon genennt. S. gratiani De - cretum pr. Diſt. 3.. Im engern Verſtande aber bezeichnet es blos den Inbegrif der in dem Corpus iuris canonici enthaltenen Verordnungen, und in dieſer Bedeutung nehmen wir es hier. Die vorhergegangenen Samm - lungen des aͤltern canoniſchen Rechts45)Von dieſem habe ich umſtaͤndlich gehandelt in meinen Praecognit. Iurispr. Eccleſ. Cap. III. Sect. II. §. 170. und folgg. betrachten wir alſo in dieſer Hinſicht nur als Huͤlfsmittel zur Geſchich - te und Erklaͤrung des leztern. Daß nun dieſes canoni - ſche Recht in dem engern Verſtande46)Eine Notiz von dem ganzen canoniſchen Rechtskoͤrper habe ich in meinen vorhin gedachten Praecognitis S. 31-91. gegeben. eine allgemeine verbindliche Kraft in Teutſchland habe47)S. Puͤtters Abhandl. wie das paͤbſtl. canoniſche Recht in Teutſchland aufgekommen? in Deſſel - ben Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrechte 2. Theil (Goͤttingen 1779.) N. XXV. S. 53. und Ioſ. Ant. riegger Diſſ. de receptione corporis iu - ris canonici in Germania in Deſſelben Opuſcu - lis ad Hiſtor. et Iurisprud. praecipue eccleſiaſt. pertinent. Friburgi. 1773. S. 197. u. folgg., und eben ſo gut, wie das Juſtinianeiſche Recht, in den teutſchenReichs -371de Origine Iuris. Reichsgeſetzen theils ausdruͤcklich und nahmentlich48)Reichshofraths-Ordnung Tit. 7. §. 24., theils ſtillſchweigend unter dem allgemeinen Ausdruck der gemeinen Rechte beſtaͤttiget worden49)Kaiſerl. Cammergerichts-Ordnung Th. I. Tit. 71. Neueſter Reichsabſchied §. 105., iſt eine Wahrheit, die wohl billig zu denen voͤllig ausgemach - ten und daher ganz unbeſtrittenen gehoͤrt; ſo wie es denn uͤberhaupt auch eben ſo bekannt und ohne Zweifel iſt, daß ſich das paͤbſtliche Recht noch nach der Refor - mation ſelbſt unter den Proteſtanten im beſtaͤndigen Werthe und Anſehen erhalten habe, ſo ſehr ſich auch Luther bemuͤhete, daſſelbe aus den evangeliſchen Gerich - ten gaͤnzlich zu verdrengen und auszurotten50)Die Gruͤnde, warum die gaͤnzliche Abſchaffung des ca - noniſchen und paͤbſtlichen Rechts bey der Reformation nicht moͤglich geweſen, habe ich in meinen angefuͤhrten Praecognitis S. 332. und folgenden entwickelt.. Al - lein wenn die Frage iſt, wieweit das canoniſche Recht in den teutſchen, und beſonders evan - geliſchen Gerichten gelte, oder nicht gelte, ſo finden wir hierin eine groſſe Verſchiedenheit in den Mei - nungen der Rechtsgelehrten, indem einige den Gebrauch des canoniſchen Rechts blos auf einzelne Materien ein - ſchraͤnken, andere hingegen denſelben durch gewiſſe Re - geln zu beſtimmen ſuchen. Um mich jedoch hierauf nicht einlaſſen zu duͤrfen, will ich mich der Kuͤrze wegen nur auf die unten angefuͤhrten51)Ich will unter denen hierher gehoͤrigen genugſam bekann - ten Schriften vorzuͤglich des ſeel. Canzlers Juſt. Henning Boͤhmers beyde Abhandlungen 1) de praxi iuris ca - nonici in terris proteſtantium Halae 1712. 2) de media via in ſtudio et applicatione iuris canonici inter Proteſtantes tenenda, in eiusExer - Schriften beziehen, wor -A a 3in3721. Buch. 2. Tit. in man die verſchiedenen Meinungen gepruͤft finden wird, und gleich mit wenigen Worten meine Meinung ſagen, welche in folgendem Saz enthalten iſt: das canoni - ſche Recht hat in ſoweit noch heutiges Tages in Teutſchland eine unſtreitige Guͤltigkeit, als die darin enthaltenen Vorſchriften nicht andern in Teutſchland geltenden Geſetzen, welche dieſem Rechte vorzuziehen, zuwider ſind, und ſelbige uͤberhaupt mit der heuti - gen Verfaſſung Teutſchlands und dem Zu - ſtande der teutſchen, insbeſondere aber der proteſtantiſchen Kirche beſtehen koͤnnen. Daß nach dieſer Regel das canoniſche Recht heutiges Tages nicht mehr in allen Stuͤcken diejenige Guͤltigkeit behaupten koͤnne, die daſſelbe anfangs und bey der Einfuͤhrung deſ - ſelben in Teutſchland gehabt, iſt auſſer allen Zweifel, wenn man bedenkt, wie ſehr ſeit der Zeit die Verhaͤltniſſe der paͤbſtlichen zur weltlichen Macht ſich veraͤndert, und was ſeit der Reformation der Zuſtand der teuſchen Kir - che, als welche von dieſer Zeit an ſich in zwey Haupt - partheyen, die catholiſche und proteſtantiſche, theilt, fuͤr eine groſe Veraͤnderung erlitten hat. Es iſt dem - nach ganz natuͤrlich, daß durch die Reformation ſchon an und fuͤr ſich alle diejenigen Geſetze des canoniſchen Rechtskoͤrpers ſoweit ihre Guͤltigkeit verlohren haben, als dieſelbe mit dem Zuſtande der durch die Reforma - tion entſtandenen neuen proteſtantiſchen Kirche nicht be - ſtehen koͤnnen. Da aber dieſer Zuſtand der proteſtan - tiſchen Kirche theils aus der Verſchiedenheit der Reli -gion51)Exercitat. ad Pandect. T. I. p. 344. und das neueſte Pro - gram meines unvergeßlichen Freundes des ſeel. Hrn. Hof - raths Schott de auctoritate iuris canonici in - ter evangelicos recepti eiusque uſu apte moderando. Erlangae 1781 empfohlen haben.373de Origine Iuris. gion ſelbſt, theils aus der Verſchiedenheit der innern Verfaſſung dieſer Kirche von der katholiſchen Kirchen - hierarchie entſtehet: ſo erhellet hieraus, daß alle die im canoniſchen Rechte enthaltenen Geſetze mit dem Zuſtande der proteſtantiſchen Kir - che nicht beſtehen koͤnnen, welche entweder den Grundſaͤtzen der proteſtantiſchen Religion oder der innern Verfaſſung dieſer Kirche entgegen ſind. Wie nothwendig iſt es demnach nicht, daß man ſich einen richtigen Begrif von dem heutigen Zuſtande, ſowohl der evangeliſchen als der ca - tholiſchen Kirche mache, daß man ferner eine genaue Kenntniß der verſchiedenen Lehrſaͤtze der catholiſchen und proteſtantiſchen Theologie habe, und uͤberall das cano - niſche Recht aus ſeinen rechten Gruͤnden herleite, um heutiges Tages bey der ſo groſen Verſchiedenheit unſe - rer Zeiten von jenen, aus welchen das canoniſche Ge - ſezbuch herruͤhrt, keinen unrichtigen Gebrauch davon zu machen52)S. Io. Heinr. de berger Progr. de genuino iuris canonici uſu; ſeu de ſumma circumſpectione et cau - tione in legendo iure canonico eiusque Interpretibus doctori Proteſtantium adhibenda. Viteb. 1706. und in Deſſelben Philocalia fori, S. 173. auch meine Praecog - nita iuris Eccleſ. S. 82. und folgenden.? Auch ſelbſt unter den Katholiken hat das canoniſche Recht viel von ſeiner Guͤltigkeit verlohren, und kann daher nicht anders als mit groſer Behutſam - keit unter denenſelben angewendet werden, indem nicht nur das Tridentiniſche Concilium und andere neuere bey ihnen geltende Geſetze betraͤchtliche Abaͤnderungen deſſel - ben enthalten, ſondern auch das ganz im Tone einer allgemeinen und oberſten geiſtlichen Macht von den Paͤb - ſten abgefaßte canoniſche Geſezbuch durchaus nicht mit dem heutiges Tages herrſchenden Epiſcopalſyſtem beſte -A a 4hen3741. Buch. 2. Tit. hen kann. Nicht zu gedenken, daß die heutige durch den Religions - und Weſtphaͤliſchen Frieden ſtabilirte Ver - faſſung des teutſchen Reichs, und die reichsgeſezmaͤſige Beſtimmung der Grenzen zwiſchen der geiſtlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit viele Verordnungen des canoni - ſchen Rechts ganz unanwendbar macht53)So z. B. iſt es ein Grundſaz des canoniſchen Rechts, daß cauſae iuramentorum vor die geiſtliche Gerichtsbar - keit gehoͤrten, c. 34. X. de Elect. c. 8. X. de arbitris, c. 13. X. de iudic. c. fin. de foro compet. in 6to und nur die Paͤbſte allein glaubten als Chriſti Vicarien berechtigt zu ſeyn, von der Verbindlichkeit der Eide loszuſprechen, und uͤberhaupt uͤber die Guͤltigkeit oder Unguͤltigkeit der - ſelben zu urtheilen. c. 34. X. de elect. Daß die Paͤb - ſte dieſer Grundſaͤtze blos als Nahrungsmittel ihrer Herrſchſucht uͤber Monarchen und Unterthanen ſich bedie - net, ſahen Fuͤrſten und Laien ſchon in jenen finſtern Zei - ten ein, und heutiges Tages zweifeln weder Catholiken noch Proteſtanten mehr daran, daß der ordentliche Rich - ter, vor welchem der Rechtsſtreit ſchwebt, er ſey geiſt - oder weltlicher, uͤber einen Eyd erkennen, und ihn aus rechtmaͤſiger Urſach fuͤr nichtig erklaͤren koͤnne. S. mal - blanc doctrina de iureiurando Lib. V. cap. II. §. 123. und Eybel Einleitung in das katholiſche Kirchenrecht IV. Th. 2. Band §. 394. not. i. S. 128.. Daß uͤbrigens durch das canoniſche Recht in den Materien des roͤmi - ſchen Civilrechts manche wichtige Veraͤnderung gemacht worden, iſt zwar uͤberhaupt bekannt genug; nur duͤrfen wir hierin nicht allzuvoreilig ſeyn, und gleich eine jede paͤbſtliche Verordnung, welche mit den Grundſaͤtzen des roͤmiſchen Rechts nicht uͤbereinzuſtimmen ſcheint, fuͤr ei - ne Abaͤnderung des leztern halten, indem die Paͤbſte zuweilen nur eine locale Gewohnheit beſtaͤttiget, oder zum Grunde ihrer Entſcheidung genommen haben54)Beiſpiele davon geben c. 10. und 13. X. de teſtament. wes -. Es375de Origine Iuris. Es iſt auch unlaͤugbar, daß manche Irthuͤmer aus der Gloſſe des roͤmiſchen Rechts in die Decretalen gefloſ - ſen ſind55)S. eckhard Hermenevt. iuris Lib. I. Cap. VIII. §. 339. und folgg. und walch in notis ad Eundem. . In wiefern nun in ſolchen Faͤllen, da das canoniſche und roͤmiſche Geſezbuch ſich in ihren Vor - ſchriften widerſprechen, das eine fuͤr den andern den Vorzug behaupte, werde ich weiter unten beſtimmen, wenn ich auf die Ordnung komme, in welcher die in Teutſchland vorhandene mancherley Privatgeſetze bey ih - rer Anwendung auf einander folgen.

2. Abſchnitt von den in Teutſchland geltenden einheimiſchen Geſetzen, wel - che wir als Quellen der buͤrgerlichen oder Privat - rechtsgelehrſamkeit anzuſehen haben.

§. 68. Eintheilung der teutſchen Geſetze in alte, mittlere und neue.

Wir ſchreiten nun zur zweiten Hauptclaſſe von Quellen unſerer buͤrgerlichen oder Privatrechtsgelehrſam - keit, welche die in Teutſchland geltende einheimiſche Geſetze ausmachen. Auch hier wuͤrde es ganz wider meine Abſicht ſeyn, wenn ich mich in eine umſtaͤndliche hiſtoriſche Entwicklung des Urſprungs und Schickſale dieſer Geſetze einlaſſen wollte, da ich die Kenntnis derA a 5Rechts -54)weshalb Phil. hedderich Diſſertat. iuris eccleſ. germ. Vol. I. Bonnae 1783. 4. S. 69. und folgg. und Meine Opuſcula. Faſcic. 1. S. 145. folgg. nachgeſehen werden koͤnnen.3761. Buch. 2. Tit. Rechtshiſtorie bey meinen Leſern billig vorausſetzen kann56)Zum Ueberfluß empfehle ich hierbey silberrad ad Hei - neccii hiſtor. iur. germ. Heumanns Geiſt der Geſetze der Teutſchen, Fiſchers Litteratur, und Geſchichte des teutſchen Rechts, de sencken - berg Viſiones de collectionibus Legum germanicarum, und beſonders Herrn Prof. D. Chriſt. Gottl. biener Commentarii de origine et progreſſu Le - gum iuriumque germanicor. P. I. Lipſiae 1787. 8.. Es iſt mir alſo zu meinem Zweck hinreichend, die teutſchen Geſetze nur lediglich in Ruͤckſicht ihres heutigen Gebrauchs in die alten, mittlern und neuen ein - zutheilen. Zu den teutſchen Geſetzen der erſtern Art rechne ich theils die Geſetze der alten teutſchen Voͤlker, die Saliſchen, Ripuariſchen, Alemanniſchen, Bayer - ſchen, Frieſiſchen, Saͤchſiſchen u. ſ. w. (Autor §. 76.) welche auſſer Herold, Lindenbrog und Georgiſch, neuerlich Paul Canciani57)Barbarorum leges antiquae cum notis et gloſſariis. Accedunt formularum faſcicu - li et ſelectae conſtitutiones medii aevi. Collegit, plura notis et animadverſionibus illuſtravit, monumentis quoq. ineditis ex - ornavit F. Paul. canciani ord. Serv. B. Mariae Virg. S. T. D. Vol. I. Venetiis 1781. Vol. II. 1783. Vol. III. 1785. Vol. IV. 1789. Fol. wieder herausgegeben, theils die Capitularien der Fraͤnkiſchen Koͤnige, wovon Stephan Baluze58)Capitularia Regum Francorum. Additae ſunt Marculfi Mon. et aliorum formulae veteres et notae do ctiſſ. viror. Steph. baluzius in unum collegit, notis et indice illuſtravit. Paris 1677. Venet. 1772. 1773. unſtreitig die beſte und rich - tigſte Ausgabe geliefert, und von welcher zu Paris durch Peter von Chiniac eine neue vermehrte undver -377de Origine Iuris. verbeſſerte Auflage beſorgt wird59)Lutetiae Pariſ. 1780. Fol.. Die Geſetze des mittlern Alters ſind vorzuͤglich in denen zu dieſen Zei - ten erſchienenen Sammlungen, den Sachſenſpiegel, Schwa - benſpiegel, Kaiſerrechte u. ſ. w. enthalten60)S. de senckenberg et de koenigsthal Corpus iuris germ. publici et privati. Endlich die ſeit der oͤffentlichen Einfuͤhrung des roͤmiſchen Rechts bis auf unſere Zeiten erſchienene teutſche Privat-Geſe - tze gehoͤren zur dritten Claſſe, nehmlich zu den neuen teutſchen Privatgeſetzen. Z. B. die im Jahr 1512. publieirte Notariatsordnung Maximilians I. K. Carls V. Edict von der Erbfolge der Bru - derskinder de 1529. Deſſelben Polizeyordnung vom Jahr 1530. Deſſelben peinliche Gerichtsordnung vom J. 1532. Ferner die unter K. Rudolph II. im Jahr 1577. neue oder reformirte Polizeyord - nung, der ſogenannte juͤngſte Reichsabſchied vom Jahr 1654. Desgleichen der bekannte Reichsſchluß von Abſchaffung der Mißbraͤuche bey Handwerkern, welcher am 16. Auguſt 1731. bekannt gemacht, und im Jahr 1772. erneuert und mit neuen Beſtimmungen vermehret worden u. ſ. w.61)Siehe Neue Sammlung der Reichsabſchiede ſammt den wichtigſten Reichsſchluͤſſen T. I-IV. Frankf. 1747. Fol..

§. 69. Vom heutigen Gebrauch der alten und mittlern teutſchen Rechte.

Ob nun wohl jene alte und mittlere teutſchen Rechte, ſoviel deren heutigen Gebrauch anbetrift, zur Aufklaͤrung des heutigen teutſchen Rechts in ſolchen Ge - ſchaͤften, welche blos aus teutſchen Sitten und Verfaſ - ſungen ihren Urſprung herleiten, und aus denenſelbenzu3781. Buch. 2. Tit. zu entſcheiden ſind, allerdings ihren groſen Nutzen ha - ben62)David Georg Strubens Abhandlung von dem Mis - brauch und guten Gebrauch der alten teutſchen Rechte in Deſſelben Nebenſtunden V. Theil S. 1-82., indem hier, ohne die groͤſte Verwirrung zu veranlaſſen, die Grundſaͤtze des roͤmiſchen Rechts nicht angewendet werden koͤnnen (§. 60.); ſo laͤſſet ſich doch deshalb eine allgemeine und unſtreitige Guͤltigkeit derſel - ben heutiges Tages nicht erweiſſen, da eines Theils noch vielen Zweifeln unterworfen iſt, ob ſelbige ehedem in Teutſchland wirklich ſo allgemein eingefuͤhrt geweſen, als vorgegeben wird, indem es vielmehr an allgemeinen Geſetzen im teuſchen Privatrechte, auch von aͤltern Zei - ten her, faſt gaͤnzlich mangelt63)Io. Sam. Frid. boehmer Progr. de praeiudicio iuris germ. in cauſis privatis Frfti 1750. und Frid. Henr. my - lii Diſſ. de genuino iuris germ. univ. hodierni civi - lis conceptu, Lipſ. 1751. auch Deſſelben Diſſ. de iure conſuetudinario univerſali Germaniae medii aevi. Lipſ. 1756.; andern Theils, wenn auch ein ſolches allgemeines teutſches Recht in den aͤltern Zeiten als erwieſen angenommen werden koͤnnte, dennoch in den neuern Zeiten, und zwar ſchon ſeit meh - rern Jahrhunderten her das roͤmiſche und andere gemei - ne Rechte einen ſolchen Eingang in Teutſchland gefun - den, daß ſie nunmehro unſtreitig zur geſezmaͤſigen Richt - ſchnur dienen, mithin es heutiges Tages immer quae - ſtio facti iſt, ob eine dergleichen Gewohnheit des alten und mittlern teutſchen Rechts, als man anfuͤhrt, ſich bis auf den heutigen Tag wirklich erhalten haben, wel - ches daher nicht vermuthet werden kann, ſondern von demjenigen, welcher es behauptet, bewieſen werden muß64)Verſchiedene Rechtsgelehrte wollen zwar das Gegentheil behaupten, weil die Abſchaffung eingefuͤhrter Gewohnhei -ten. Nicht379de Origine Iuris. Nicht zu gedenken, daß uͤberhaupt die noch heutiges Tages vorhandenen Sammlungen alter teutſcher Rechte und Gewohnheiten meiſt Privatwerke ſind, welche auch nie durch kaiſerliche Verordnungen eine allgemein ver - bindende geſezliche Kraft erhalten haben; daher ihrer auch weder in der Cammergerichts - noch Reichshofraths - ordnung unter den heutigen Rechten, wornach geſprochen werden ſoll, Erwaͤhnung geſchiehet. Hieraus ergibt ſich alſo die Regel, welche heutiges Tages nicht nur von den bewaͤhrteſten teutſchen Rechtsgelehrten65)Ben. carpzov P. II. Conſt. 35. def. 8. n. 4. und an mehrern Orten, Hartm. pistor P. II. Quaeſt. 25. n. 35. Qu. 26. n. 18. Pet. heigius Quaeſt. iuris P. II. Qu. 17. n. 43. Chr. Phil. richter Deciſ. 28. n. 15. Io. schilter Praxi Iur. Rom. Ex. I. §. 13. Io. Nic. hertius Diſſ. de conſult. legib. et iudic. in ſpecial. rom. germ. imp. re - buspubl. §. XV. Sam. stryck praefat. Uſ. Mod. Pand. §. XXVII. Nic. Chriſt. de lyncker Deciſ. 1264. und Reſp. 55. n. 3. und 66. Io. werlhof Spec. I. de iure germa - nis patrio p. 182. ſeq. Io. Melch. de ludolf Obſervat. forens P. III. Obſ. 222. p. 426. Joh. Steph. Puͤtter in Rechtsfaͤllen I. Band S. 157. und II. Band S. 202. Io. Heinr. Chriſt. de selchow Elem. iuris germ. privati ho - dierni §. 36. Ge. lennep Abhandl. von der Leyhe zu Land-Siedelrecht. S. 222. u. a. m. angenom - men, ſondern auch ſelbſt im teutſchen Gerichtsgebrauch66)Aug. a leyser Meditat. ad Pandect. Vol. XII. S. 365. und folg. und S. 422. u. folg. Ferd. Aug. hommelDiſſ. ,ja64)ten nicht zu vermuthen, z. B. rinck de ſpeculo Saxo - nico fonte iuris Saxonici communis Altorf. 1725. kest - ner Problem. de defectibus iuris communis Rintel. 1736. Problem. IV. u. a. m. Allein Struben a. a. O. §. XXVII. und Herr Prof. D. kind in Progr. de Speculi Sa - xonici uſu et auctoritate Lipſiae 1783. §. IV. u. folg. haben dieſe Meinung gruͤndlich widerlegt.3801. Buch. 2. Tit. ja ſelbſt bey den hoͤchſten Reichsgerichten67)S. Io. Ulr. L. B. de cramer Obſervat. iur. univ. T. I. Obſ. 422. eingefuͤhrt iſt, daß die urſpruͤnglich teutſchen Rechte und Gewohnheiten des alten und mittlern Zeit - alters nur in ſo weit heutiges Tages mit Grunde angefuͤhret werden koͤnnen, ſo fern erweislich iſt, daß ſolche in dem Lande oder in der Stadt oder Familie, wovon die Re - de iſt, bis auf den heutigen Tag durch Sta - tuten, Vertraͤge, oder Herkommen beybe - halten worden.

§. 70. Von der Guͤltigkeit und Erklaͤrung der neuen teutſchen Pri - vatgeſetze. Erlaͤuterung der Regel: Statuta interpre - tanda ſunt ex iure communi.

Die neuern teutſchen Privatgeſetze ſind in Anſe - hung ihrer Guͤltigkeit, zwiefach, gemeine, nehmlich Reichsprivatgeſetze, und teutſche Particulargeſetze, nehmlich Landes - und Stadtgeſetze. Wir bemerken hier - von folgendes:

1) Wenn ein teutſches Reichs - oder par - ticulares Landesgeſetz oder Statut gewiſſe Verordnungen der gemeinen in Teutſchland recipirten fremden Rechte ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend aufgehoben, ſo iſt davon wei - ter kein Gebrauch zu machen68)S. Herrn Prof. Weſtphals teutſches und Reichsſtaͤndi - ſches Privatrecht 1. Th. 1. Abh.. Denn diefrem -66)Diſſ. de proëdria Legum Iuſtinianearum prae iure pa - trio antiquo in foris Germanorum. Lipſiae 1739. und die in voriger Note angefuͤhrte Pragmatiker beſtaͤrken die - fen Gerichtsgebrauch durch die von ihnen angefuͤhrten vie - len Beiſpiele.381de Origine Iuris. fremden Rechte ſind nur als Huͤlfsrechte in Teutſchland angenommen (Aut. §. 79.), und muͤſſen alſo denen teut - ſchen Geſetzen weichen, wenn ſie durch dieſelben abge - aͤndert worden ſind. So z. B. gehen in Vormund - ſchaftsſachen, desgleichen in der Materie von Zinſen die Reichsgeſetze von dem roͤmiſchen Recht ganz ab. Es kommt alſo hierin heut zu Tage auf die Vor - ſchriften der gemeinen Reichsgeſetze hauptſaͤchlich an. Eben ſo iſt es, wenn z. E. ein Stadtgeſez deutlich be - ſagt, ein Erblaſſer ſey nicht gehalten, ſeinen Geſchwi - ſtern etwas zu vermachen69)Nuͤrnberg. Reformation Tit. XXIX. n. 8.; der Richter kann hier nicht die Ausnahme hinzu denken, wenn eine ehrloſe Perſohn zum Erben eingeſezt, und den Geſchwiſtern vor - gezogen worden70)Anderer Meinung ſind zwar Struben in Nebenſtunden V. Th. 32. Abh. §. 12. und Io. Mich. Frid. lochner in Select. iuris univerſi, oder Sammlung verſchiedener in die Rechtsgelehrſamkeit gehoͤriger Materien und Faͤlle. II. Stuͤck. N. I. S. 146. Allein man ſehe vorzuͤglich Ge. Chriſt. Alb. spies Diſſ. de cauta germanicorum mixti generis ſtatutorum interpretatione. Altorf. 1764. §. VIIII. .

2) Wenn hingegen eine Verordnung in denen teutſchen Reichs - oder particularen Landesgeſetzen aus dem fremden Rechte her - fließt, und dieſe unvollſtaͤndig, oder dunkel und zweifelhaft, in dem fremden Rechte aber weit deutlicher beſtimmt iſt, ſo iſt ſie aus dieſem allein fuͤglich zu erklaͤren, in ſo weit nehmlich das einheimiſche Geſez mit dem fremden Rechte einſtimmig iſt71)S. Chriſt. Gottl. riccius von Stadtgeſetzen oder Sta - tutis. II. Buch. XI. Hauptſt. §. 12. S. 447. und folgg.. Denn jedes Geſez muß aus ſeiner Quelle erklaͤret werden. Wenn demnach z. B. ein Reichs - oder Landesgeſez von Te -ſtamen -3821. Buch. 2. Tit. ſtamenten, oder von den Wirkungen der roͤmiſchen vaͤterlichen Gewalt, disponirt, ſo iſt ein ſolches, wenn es undeutlich und unvollſtaͤndig iſt, allerdings aus dem roͤmiſchen Rechte zu erklaͤren. Eben deswegen kann auch die Vorſchrift der Reichsgeſetze, welche die Groͤſ - ſe rechtmaͤſiger Zinſen auf 5. pro Cent feſtſetzen, nicht mit Ausſchlieſſung derjenigen Faͤlle verſtanden werden, wo die fremden Rechte Ausnahmen machen, und mehr als ſonſt gewoͤhnliche Zinſen erlauben, als z. B. wenn der Glaͤubiger die Gefahr des Capitals traͤgt, wie bey Aſſecuranzen, Bodmerey und Leibrenthen Contract. Denn die Verordnung der Reichsgeſetze iſt wirklich unbeſtimmt und zweifelhaft, weil ſie eigentlich nur von Verzugs - zinſen redet.

3) Wenn ein einheimiſches Geſez von ſolchen Gegenſtaͤnden redet, die ganz teut - ſchen Urſprungs ſind, und bey deren Erklaͤ - rung man das roͤmiſche Recht ſehr uͤbel und unſchicklich anwenden wuͤrde, ſo muß daſſel - be aus einheimiſchen Grundſaͤtzen, d. i. aus aͤchten teutſchen Rechten und Gewohnheiten ſeine Erlaͤuterung bekommen72)Man vergleiche hier vorzuͤglich Io. Ulr. cramer Diſſ. de interpretatione ſtatutorum. Marburgi 1739. Cap. II. §. 8. und des um die Litteratur ſo verdienſtvollen Herrn D. Joh. Chriſt. Koppe ſchoͤnes Program uͤber die nothwendige Kultur und Erlernung des teutſchen Privatrechts. Roſtok 1789. 4.. Dieſes folgt ebenfalls daraus, weil Geſetze aus ihrer Quelle zu er - klaͤren ſind. Man ſetze z. B. ein Statut oder teut - ſes Partieulargeſez, rede von der Gemeinſchaft der Guͤ - ter unter Ehegatten, oder von der ſtatutariſchen Por - tion derſelben, oder von der ehelichen Errungenſchaft; oder vom Wittum, oder der Einkindſchaft, u. d. m. es383de Origine Iuris. waͤre aber dergleichen Statut nicht ganz deutlich, und unvollſtaͤndig, ſo iſt daſſelbe aus dem, was gemeiniglich bey dieſen Gegenſtaͤnden teutſchen Rechtens zu ſeyn pflegt, zu ergaͤnzen und zu erklaͤren. Dies iſt der Sinn der bekannten Regel: daß die teutſchen Particular - geſetze aus dem gemeinen Rechte zu erklaͤren. (Statuta interpretanda ſunt ex iure communi)73)Sim. Pet. gasser Diſſ. de brocardico vulgari, ſtatu - ta ex iure communi eſſe interpretanda. freisleben Diſſ. de interpretatione ſtatutorum ex iure communi. rivi - nus num iura ſtatutaria dubia vel obſcura ex iure Rom. declarari vel ſuppleri debeant. hommel Rhapſod. Obſ. 660.. Gemeines Recht iſt alſo nicht allein das fremde in Teutſchland aufgenommene Recht, ſondern auch gemei - nes teutſches Recht, was unſere Reichsgeſetze enthalten, oder gemeine Gewohnheiten mit ſich bringen.

4) Sind teutſche Particulargeſetze aus andern ſtatutariſchen Rechten erzeugt wor - den, ſo muͤſſen ſie aus dieſen ihren Muͤttern zunaͤchſt erklaͤret werden74)Weſtphal a. a. O. §. 17.. Denn dieſe ſind die Quellen, woraus jene gefloſſen ſind. Man muß daher die Erzeugung eines ſtatutariſchen Rechts aus dem andern kennen, und dieſe lehrt uns die teutſche Rechts - geſchichte. So z. B. iſt aus dem Soͤſter-Recht das Luͤbiſche, Hamburgiſche, Mindenſche, Lippiſche u. a. m. entſtanden. Uebrigens finden

5) bey Erklaͤrung teutſcher, ſowohl all - gemeiner als particulaͤrer, Geſetze die ge - meinen Grundſaͤtze der Auslegungskunſt ſtatt. Daher es eine ganz irrige und laͤngſt verworfene Mei -nungGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. B b3841. Buch. 2. Tit. nung iſt, wenn man ehedem ſich uͤberredete, daß Sta - tuten jederzeit ſtreng nach den Worten erklaͤrt werden muͤßten75)eckhard in Hermenevt. iuris Lib. II. c. I. §. 18. und folgg.. So z. B. gilt die in vielen Gegenden Teutſchlands aus dem Saͤchſiſchen und Luͤbiſchen Recht angenommene Regel: Hand muß Hand wah - ren, nicht allein bey Verſetzungen und Verleihungen, ſondern man wendet ſie auch bey Hinterlegung der Sa - chen, gegebener Vollmacht, und aͤhnlichen Faͤllen an; weil in dem einen wie in dem andern Falle der Grund dieſer Regel eintrit, welcher in der Erhaltung des ge - meinen Glaubens und Zutrauens im Handel und Wan - del zu ſuchen iſt. Endlich

6) verſtehet ſichs von ſelbſt, daß wenn die beſon - dern teutſchen Geſetze von den Reichs-Privatgeſetzen abgehen, oder in den Stadtgeſetzen ein oder der ande - re Artikel anders als in den Landesgeſetzen abgefaſſet iſt, das beſondere Geſez nur allein zur Entſcheidung dienen koͤnne. Dies will die bekannte Regel: Stadt-Recht bricht Landrecht, Land-Recht bricht gemein Recht76)riccius a. a. O. IX. Hauptſt. S. 424. und folgg. Eiſenharts Grundſaͤtze des T. Rechts in Spruͤchwoͤrtern S. 1. Puͤtters Beytraͤge zum T. Staats - und Fuͤrſtenrechte 2. Th. N. XXII. S. 23..

§. 71. In welcher Ordnung folgen die in Teutſchland geltende man - cherley Gattungen von Privatgeſetzen bey ihrer Anwen - dung auf einander? Erſte Regel.

Da es nun alſo in Teutſchland ſo mancherley Rechtsquellen giebt, aus welchen die Grundſaͤtze des buͤrgerlichen Privatrechts herzuleiten ſind, ſo kann es nicht anders ſeyn, als daß ſie ſich oft in ihren Vor -ſchriften385de Origine Iuris. ſchriften widerſprechen muͤſſen. Es entſtehet alſo die Frage, welches Recht im Colliſions-Falle den Vorzug vor dem andern habe, und in was fuͤr einer Ordnung die mancherley Geſetze, von welchen wir bisher gehan - delt haben, bey ihrer Anwendung auf einander fol - gen? 77)S. H. Hofr. Schnauberts Abhandl. in was fuͤr ei - ner Ordnung folgen die mancherley Entſchei - dungsquellen bey ihrer Anwendung auf Pri - vatſachen auf einander; in Deſſelben Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Kirchenrecht. I. Th. N. IV. S. 54 61. und nettelbladt Syſtem. elem. iurispr. poſ. Germ. comm. § 181.(Aut. §. 81.) Hier finden nun folgende Re - geln ſtatt.

I. Die in Teutſchland geltende einhei - miſchen Geſetze und Gewohnheiten gehen de - nen in Teutſchland recipirten fremden Rech - ten vor. Denn leztere ſind nur in ſubſidium an - genommen, wenn es an erſtern mangelt78)Reichshofr. Ordnung Tit. 2. §. 15. Ob nun gleich die neuern teutſchen Reichs - und Landesgeſe - tze, Statuten und Gewohnheiten ohne alle Einſchraͤn - kung den Vorzug vor den fremden Rechten behaupten; ſo iſt doch in Anſehung der aͤltern bereits vor Einfuͤh - rung des roͤmiſchen Rechts in Teutſchland uͤblich gewe - ſenen teutſchen Rechte und Gewohnheiten, und derjeni - gen, ſo in den Rechtsſammlungen des Mittelalters, nehmlich dem Sachſenſpiegel, Schwabenſpiegel u. ſ. w. enthalten ſind, ein Unterſchied unter den gemeinen Pri - vatperſohnen und unter den erlauchten Perſohnen des teutſchen Reichs zu machen; indem ſelbige in Anſehung der erſtern nur allein in ſofern dem fremden Rechte vor - gehen, als ſie beybehalten worden ſind, und deren Obſervanz von demjenigen erwieſen werdenB b 2kann,3861. Buch. 2. Tit. kann, der ſich in denſelben gruͤndet, da im Gegen - theil das alte und mittlere teutſche Recht unter den erlauchten Perſohnen mehr im Gebrauch geblieben iſt79)S. Joh. Luc. Steins Disquiſ. hiſt. iurid. an, et quatenus iuri Rom. competat praerogativa prae veteri iure germ. in decidendis controverſiis iudicial. Ro - ſtock. 1747. 8. Ferd. Aug. hommel Diſſ. de proëdria Legum Iuſtinian. prae iure patrio antiquo in foris ger - manor. Lipſiae 1739. Io. Ulr. cramer Progr. de prae - ſumtione pro iure Rom. contra mores antiquos Ger - manor. Marb. 1737. Io. Sal. brunquell Commentat. de praeferentia iuris germanici pugnantis cum Rom. niſi huius receptio probetur in cauſar. illuſtrium deci - ſionib. Francof. et Lipſ. 1743. 4. Caſp. Heinr. horn Diſſ. de praerogativa morum Germaniae in concurſu cum LL. receptis. Vitembergae 1702. Vorzuͤglich aber Joh. Steph. Puͤtters Abhandl. von dem vorzuͤgli - chen Gebrauch der einheimiſchen gemeinen Rechte unter den teutſchen hohen Adel; in Deſ - ſelben Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrechte 2. Th. N. XXIX. .

§. 72. Zweyte Regel.

Inſofern nun aber unter mehrern einheimiſchen Geſetzen ein Widerſpruch ſich findet, gehen die be - ſondern teutſchen Privatgeſetze in der Regel denen gemeinen Reichsgeſetzen vor, es waͤre denn, daß die Entſcheidung der vorliegenden Sache in einem durchaus und ſchlechterdings gebietenden oder ver - bietenden Reichsgeſez gegruͤndet waͤre, in welchem Fal - le ſodann ein ſolches die erſte und einzige Entſcheidungs - quelle ſeyn wird, weil gegen ein ſolches Geſez keine wi - drige Verordnung ſtatt findet (§. 24.). Z. B. Wenn eine ſtreitige Handwerksſache ſchon im Reichsſchluß vomJahr387de Origine Iuris. Jahr 1731. wegen der Handwerksmißbraͤuche entſchie - den iſt, ſo muß dieſes Reichsgeſez ohne Ruͤckſicht auf beſondere Statuten und Artikel ſogleich angewendet werden.

§. 73. Dritte Regel. Colliſion beſonderer teutſcher Privatgeſetze 1) einerley Landes.

Wenn die beſondern teutſchen Privatgeſetze nicht uͤbereinſtimmen, ſo iſt ein Unterſchied zu machen, ob ſie einerley Landes oder verſchiedener Terri - torien ſind; im erſten Fall gehet das mehr beſondere Geſez dem weniger beſondern vor nach der Regel: Stadtrecht bricht Landrecht80)Chr. Amand. dorn Progr. de paroemia: Stadtrecht bricht Landrecht. Kilonii 1748.. (§. 70.)

§. 74. Colliſion teutſcher Particulargeſetze, 2) verſchiedener Territorien. Erſte Regel.

Sind im Gegentheil die beſondern Geſetze ver - ſchiedener Territorien einander entgegen81)Hier ſind vorzuͤglich nachzuſehen Io. Nic. hert Diſſ. de colliſione Legum. Sect. IV. in Opuſc. Vol. I. T. I. und Ernſt. Chriſt. Weſtphal. teutſches und Reichsſtaͤndi - ſches Privatrecht I. Th. 3. Abh. S. 32., ſo kommt es entweder blos auf die Art des gerichtlichen Verfahrens (Proceß), oder auf die Beſtimmung der Rechte und Verbindlichkeiten ſelbſt an. Im erſten Fall gehen die beſondern Geſetze des Gerichts, wo die Klage erhoben wird, allen andern vor. (§. 44. S. 279.) Z. B. Wechſelproceß, Coneurs - ordnung ſind nach den Geſetzen des Landes zu beur -B b 3theilen,3881. Buch. 2. Tit. theilen, wo ſie vorkommen. Auch die Anlegung eines Arreſts geſchiehet nach den Geſetzen des Forums, wo dieſelbe geſucht wird82)L. 3. §. 6. D. de teſtib. hert a. a. O. §. LXX. hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 144. S. 116.. Im lezten Falle hingegen finden folgende Regeln ſtatt:

1) Wenn von dem Zuſtandeiner Perſohn, und denen davon abhaͤngenden Rechten die Rede iſt, ſo ſind die beſondern Geſetze des - jenigen Landes anzuwenden, wo die Perſohn wohnhaft iſt, wenn ſie ſich auch auſſer Lan - des befindet83)Quando lex in perſonam dirigitur, reſpiciendum eſt ad leges illius civitatis, quae perſonam habet ſubiectam, ſagt hert a. a. O. §. VIII. . Denn die Perſohn eines Untertha - nen iſt keinem andern unterworfen, als demjenigen Lan - desherrn, in deſſen Lande dieſelbe ihren Wohnſiz hat, (§. 44.) nun iſt der Status ein Zubehoͤr der Perſohn, welcher derſelben anklebt, und die Perſohn uͤberall be - gleitet, wo ſie ſich nur aufhaͤlt; mithin muͤſſen auch die Geſetze des Domiciliums, die dieſe perſoͤhnliche Ei - genſchaft dem Unterthan beylegen, als Normen ange - wendet werden, wenn ſich derſelbe auſſer Landes befin - det, weil die Perſohn doch immer in der Unterthaͤnig - keit gegen den Landesherrn bleibt, in deſſen Lande das Domicilium derſelben iſt84)Schnauberts Anfangsgruͤnde des Staatsrechts der ge - ſammten Reichslande §. 116.. Wolte man ein an - ders annehmen, ſo wuͤrde hieraus noch uͤberdies die groͤſte Unbequemlichkeit entſtehen. Denn ein Muͤndiger zu Hauſſe wuͤrde zu gleicher Zeit auch an dem Orte, wo er auswaͤrts etwas beſizt, unmuͤndig ſeyn; wuͤrde alſo, ſo lang er zu Hauſſe bleibt, muͤndig ſeyn, aber ſobald er verreiſt, in einem andern Gebiete es nichtmehr389de Origine Iuris. mehr ſeyn. Wenn demnach die Frage iſt, ob Jemand fuͤr muͤndig oder unmuͤndig, fuͤr majorenn oder minorenn, fuͤr einen Verſchwender oder nicht, fuͤr einen Filius oder filiafamilias oder fuͤr eine Perſohn, die ſui iuris iſt, zu halten, und daher faͤhig oder unfaͤhig ſey, zu contrahiren, und uͤber das Seinige zu disponiren; des - gleichen, ob Jemand ehelich oder unehelich, ehrlich oder unehrlich ſey, auch welches die Wirkungen der Ehe ſeyn, darin Jemand lebt, ſo kommt es allemahl auf die Geſetze des Domiciliums an. Es iſt daher keinen Zweifel unterworffen, daß eine Perſohn, die nach den beſondern Geſetzen des Orts, wo ſie wohnhaft iſt, fuͤr ſui iuris zu halten, uͤber ihr Vermoͤgen ein guͤltig Te - ſtament machen koͤnne, wenn auch gleich ein Theil deſ - ſelben auswaͤrts und an einem ſolchen Orte liegen ſoll - te, wo dieſelbe noch nicht dafuͤr erkannt wird.

§. 75. Zweite Regel.

2) Wenn aber von den Handlungen ei - ner Perſohn, deren Form, Guͤltigkeit und Strafbarkeit die Rede iſt, ſo muͤſſen in der Regel die Geſetze des Landes angewendet werden, wo die Handlung vorgenommen oder zu Stande gekommen iſt.

Denn die Geſetze eines Landes, welche von den Handlungen der Unterthanen disponiren, koͤnnen ei - gentlich nur in ſo fern zur Richtſchnur dienen, als dieſe Handlungen in dem Territorium vorgenommen werden; nicht weiter. Denn ſonſt ginge der Geſezgeber uͤber die Grenzen ſeines Gebiets hinaus: Leges vero non va - lent extra territorium. Daß nun der Inlaͤnder die - ſen Geſetzen unterworffen, wenn er dergleichen Hand -B b 4lungen,3901. Buch. 2. Tit. lungen, wovon dieſelben reden, im Lande vornimmt, iſt ohne Zweifel. Allein eben dieſes muß auch von dem Auslaͤnder gelten. Denn alle diejenigen, welche in den Grenzen eines fremden Staats ſich aufhalten, ſind, ſo lange als ihr Auffenthalt dauert, in der Regel als Un - terthanen anzuſehen. Ich habe hiervon ſchon an einem andern Orte (§. 44. n. 2. u. 4.) umſtaͤndlicher gehan - delt. Man wende nicht dagegen ein, daß wenn ein Staat die Handlung ſeines Unterthans, welche derſel - be auſſer Landes nach den Geſetzen eines fremden Terri - toriums in dem Diſtrict deſſelben vorgenommen, gelten laſſen muͤſſe, ſolches gegen die obige Regel: Leges non valent extra territorium, ſey. Denn man unterſchei - de zwiſchen der verbindenden Kraft eines fremden Ge - ſetzes in Anſehung einer erſt vorzunehmenden Rechts - handlung, und der rechtlichen Wirkung eines Geſchaͤfts, ſo in dem Gebiet eines fremden Geſezgebers geſchloſſen worden iſt. Die erſtere iſt freylich nur auf das Ter - ritorium des Geſezgebers eingeſchraͤnkt; denn uͤber die Grenzen eines Landes hinaus erſtreckt ſich die Gewalt eines Regenten nie. Allein die rechtliche Wirkung eines ſolchen Geſchaͤfts, ſo nach den Geſetzen eines Staats in den Grenzen deſſelben guͤltig iſt geſchloſſen worden, muß jede andere Nation als verbindlich anerkennen, und der Regent des Auswaͤrtigen darf ſolche, ohne ei - ne offenbare Ungerechtigkeit zu begehen, nicht entkraͤf - ten85)seger Diſſ. de vi legum et decretorum in territo - rio alieno. S. 6. u. folgg. vattel Ius Gentium Lib. II. c. VII. . Solchemnach ſind nun alſo Vertraͤge, Teſta - mente, Form der Wechſel u. ſ. w. auch Verbrechen nach den Landesherrlichen Verordnungen desjenigen Orts zu beurtheilen, wo ſie vorgenommen ſind. Jedoch hat die - ſe Regel ihre Ausnahmen, von denen ich gleichfallsſchon391de Origine Iuris. ſchon am oben angefuͤhrten Ort gehandelt habe. Hier will ich nur noch eine Ausnahme hinzufuͤgen. Sollten Unterthanen bey ihren Rechtshandlungen, die ſie auſſer - halb Landes auf eine erlaubte Art unternommen, z. B. wenn ſie in einem fremden Lande ein Teſtament ge - macht, oder mit einander contrahirt haben, ſich, ohne die Geſetze ihres zeitigen Aufenthalts zu beobachten, blos nach denen Geſetzen ihres Vaterlandes gerichtet haben, ſo ſind ſolche Handlungen nicht nach den Geſe - tzen des Orts, wo ſie vorgenommen worden, ſondern nach den Geſetzen des Domiciliums zu beurtheilen, in ſofern blos von der Guͤltigkeit und rechtlichen Wirkung der - ſelben in ihrem Vaterlande die Rede iſt86)Auſſer Caſp. ziegler in Dicaſtice Concl. XV. §. 11. und folgg. behauptet eben dieſes, auch hert a. a. O. §. X. S. 182. Si actus a ſolo agente dependeat v. g. teſtamentum, et hic ſit exterus; vel ſi actus inter duos celebretur, v. g. pactum, et uterque paciſcens ſit exterus, et unius civitatis cives, dubitandum non eſt, actum a tali - bus secundum leges patriae factum in patria valere. . Denn da Un - terthanen auch auſſer Landes, wenn ſie nur den Vor - ſaz haben, in ihr Vaterland zuruͤckzukehren, in der Un - terthaͤnigkeit gegen ihren Landesherrn verbleiben, mithin die Verbindlichkeit der Geſetze ihres Vaterlandes in An - ſehung ihrer in ſofern nicht aufgehoben wird, ſo muß es ihnen auch noch auswaͤrts freygeſtanden haben, ſich nach den Geſetzen ihres Vaterlandes verbindlich zu ma - chen, oder in Gemaͤßheit derſelben ſonſt eine Handlung vorzunehmen, die nur in ihrem Vaterlande ihre Guͤl - tigkeit und Wirkung haben ſoll87)cuiacius Lib. XIV. Obſ. 12. meint zwar, in dieſem Falle muͤſſe der Auswaͤrtige die Geſetze ſeines Vaterlandesalle -. Nur in ſofernB b 5ihre3921. Buch. 2. Tit. ihre Abſicht iſt, daß auch der fremde Staat ihre in dem Diſtrict deſſelben vorgenommene Rechtsgeſchaͤfte fuͤr guͤltig erkenne, ſind Fremdlinge, als zeitige Untertha - nen, die Geſetze des Orts, wo ſie ſich aufhalten, zu beobachten verbunden, und ſolche Handlungen, die nach dieſen Geſetzen guͤltig und erlaubt ſind, iſt ſodann auch jede andere Nation nach dem Voͤlkerrecht als rechtmaͤ - ſig anzuerkennen ſchuldig.

§. 76. Dritte Regel.

Endlich 3) wenn von Rechten, ſo blos Grundſtuͤcke betreffen, die Frage iſt, ſo ſind die Geſetze des Landes, wo die Guͤter liegen, hauptſaͤchlich zu Rathe zu ziehen, ohne Un - terſchied, wo und von wem daruͤber disponi - ret worden88)hert am angef. Ort Sect. IV. §. IX. S. 177.. Der Grund hiervon iſt, weil die hoͤchſte Gewalt des Regenten im Staat ſich nicht blos uͤber die Handlungen ſeiner Unterthanen, ſondern auch uͤber deren Guͤter erſtreckt, die in ſeinem Gebiete lie - gen, mithin derſelbe ſeine Gewalt nicht uͤberſchreitet, wenn er daruͤber die gehoͤrigen Anordnungen macht. Wenn daher von der Erwerbung, Veraͤuſſerung, Ver -pfaͤn -87)allemahl beobachten; allein die von ihm angefuͤhrte L. 9. C. de Teſtam. redet nicht von einem Fremdling, ſondern von einem ſolchen, der in ſeinem Vaterlande ein Teſta - ment gemacht hatte, ohne die vorgeſchriebenen Feyerlich - keiten zu beobachten; wie Caſp. ziegler a. a. O. §. 16. ſchon gegen Cujaz erinnert hat. Richtiger iſt daher Zieg - lers Meinung §. 18. Potius igitur eſt, ut ſtatuamus, in arbitrio eſſe advenae teſtantis, utrum ſecundum leges pa - trias teſtamentum condere velit, an vero ſecundum ſtatu - ta loci, in quo de praeſenti commoratur. 393de Origine Iuris. pfaͤndung, Vererbung, Verjaͤhrung der Grundſtuͤcke, ferner der Freyheit oder Belaͤſtigung derſelben, dem Abtrieb u. ſ. w. die Rede iſt, ſo gehen die Verord - nungen des Landes, worin die Guͤter befindlich, denen Geſetzen des Orts, wo der Eigenthuͤmer ſeinen Wohn - ſiz hat, vor. Dahingegen werden die Rechte in Anſehung beweglicher Sachen nach den Geſetzen des Domiciliums beurtheilt. Denn die beweglichen Guͤter folgen der Perſohn nach, ſie moͤ - gen angetroffen werden, wo ſie wollen. Daher es eine bekannte Regel iſt: Res mobiles ex conditione perſonae legem accipiunt, et ibi eſſe dicuntur, ubi quis domi - cilium et rerum ſuarum ſummam collocavit89)burgundus ad Conſuet. Flandr. Tr. II. n. 1. u. folg. S. 21. Io. a sande Deciſ. Friſ. Lib. IV. Tit. 8. def. 7. hert a. a. O. §. VI. seger in Diſſ. de vi Legum in territorio alieno. §. VIIII. und noch andere mehr, die daſelbſt angefuͤhrt ſind.. Un - koͤrperliche Dinge, wenn ſie gleich, an und vor ſich be - trachtet, weder in die Claſſe der beweglichen noch unbe - weglichen Guͤter gehoͤren, z. B. Schuldforderungen, ſind nach der gemeinen Meinung unter den beweglichen Sachen mit begriffen90)burgundus a. a. O. S. 22. Nomina et actiones loco non cireumſcribuntur, quia ſunt incorporales. Man ſehe auch carpzov Iurispr. Forenſ. P. II. Conſt. XXIII. Defi - nit. 10. hert a. a. O. seger a. a. O. leyser Spec. XXVI. medit. 2. und pufendorf Obſervat. iur. univ. T. III. Obſ. 174. §. 7. und folgg..

§. 77. Colliſion des roͤmiſchen und canoniſchen Rechts.

Wenn nun weder teutſche Reichs - noch Particular - geſetze eine Entſcheidung fuͤr den vorliegenden Fall ent -halten,3941. Buch. 2. Tit. halten, ſo kommen die in Teutſchland recipirte fremde Rechte in Civil-Rechtsſachen zur Anwendung. Wir ziehen alsdann das roͤmiſche oder canoniſche Recht zu Rathe91)Io. Nepom. endres Diſſ. de diverſo iuris germanici ad civile Romanum et canonicum commune habitu Wirceb. 1771. in schmidt Theſaur. iuris eccleſ. Tom. I. N. II. S. 88 128.. Wie? wenn nun aber die Vorſchriften bey - der Rechte einander widerſprechen, welches von beyden wird den Vorzug vor den andern haben? Die Rechts - gelehrten ſind desfalls nicht einerley Meinung. Die gewoͤhnlichſte Meinung iſt, daß im Colliſionsfalle der Regel nach das Canoniſche Recht den Vorzug habe92)pagenstecher de praeſtantia Iuris Canonici prae civili. Henr. hildebrand de praevalentia iur. can. prae civili in foro. Alt. 1697. Io. Ern. floercke de prae - rogativa iuris canon. prae iure Iuſtinianeo Ienae 1722. und Halae 1757. 4. l. H. boehmer in Iur. Eccl. Pro - teſt. Lib. I. Tit. 2. u. a. m.. Andere hingegen wollen die Sache dergeſtalt beſtimmen, daß in den weltlichen Gerichten das Juſtinianeiſche, in den geiſtlichen aber das Canoniſche Recht vorzuziehen ſey93)Huld. ab eyben de auctoritate iuris canon. §. 18. Io. strauch de origine et auctoritate iuris canon. §. 39. Arth. duck de auctoritate iuris civ. Lib. I. c. 7. §. 11.. Noch andere Rechtsgelehrten ſehen bey der Beſtimmung des vorzuͤglichern Gebrauchs des Canoni - ſchen Rechts auf einzelne Faͤlle. Sie behaupten, in Kirchen-Ehe-Proceß-Gewiſſens - und Eidesſachen habe das Canoniſche Recht den Vorzug, in allen an - dern Sachen aber ſey das Roͤmiſche Recht jenem vor - zuziehen. Dieſer Meinung iſt unter andern94)struv in Syntagm. iur. civ. Ex. 2. Th. 39. lynck in Comment. ad Decretales Diſcurſ. praelim. c. 2. §. 9. S. 33. und Io. Frid. rhetius de auctoritate iuris ca - non. inter A. C. conſortes. unſerHell -395de Origine Iuris. Hellfeld §. 81. Verſchiedene angeſehene Rechtsleh - rer95)lauterbach in Collegio Theor. Pr. Pandectar. Pro - legom. §. IX. n. 15 18. Car. Chriſtph. hofacker Prin - cip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 53. S. 45. und Phil. hedderich Element. iuris canonici P. I. (Bonnae 1778. 8.) §. 113 115. S. 127. und folgg. wollen auch den Vorzug des einen Rechts vor dem andern nach folgenden Regeln beurtheilt wiſſen. 1) So oft in dem einem Rechte etwas deutlich beſtimmt worden, was in dem andern zweifelhaft iſt, ſo gehe das erſtere dem leztern vor. 2) In geiſtlichen - und Ge - wiſſensſachen, desgleichen wenn es darauf ankomme, daß eine Suͤnde verhuͤtet werde, wie z. B. in der Lehre von der Verjaͤhrung, bey vorhandener, oder eintretender mala fide; cap. fin. X. de praeſcr., ſey dem roͤmi - ſchen in der Regel das Canoniſche Recht vorzuziehen. 3) In Sachen, die vor die geiſtliche Gerichtsbarkeit gehoͤren, ſey das Canoniſche vorzuͤglich, in denen aber, die vor die weltliche Gerichtsbarkeit gehoͤren, das Roͤ - miſche Recht, anzuwenden. Endlich 4) wo aus beſon - derer Urſach der Gerichtsgebrauch die Vorſchriften des Canoniſchen Rechts angenommen, wie z. B. in den Ma - terien, die den buͤrgerlichen Proceß betreffen, da muͤſſe auch nach dieſen, und nicht nach dem Juſtinianeiſchen Rechte geſprochen werden. Zulezt will ich noch der Meinung eines beruͤhmten Rechtsgelehrten96)Quiſtorp in den Beytraͤgen zur Erlaͤuterung verſchiedener, mehrentheils unentſchiedener Rechtsmaterien. IV. Stuͤck. (Roſtok u. Leipzig 1780.) N. VIII. S. 124 147. gedenken, welcher bey dem Mangel einer genugſamen geſezlichen Beſtimmung in den Faͤllen, da das Juſtinianeiſche und Canoniſche Recht ſich einander widerſprechen, am mei - ſten auf einen genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauch geſe - hen, und nach demſelben den Vorzug des einen Rechtsvor3961. Buch. 2. Tit. vor dem andern beſtimmt wiſſen will, weil, wenn gleich das Canoniſche Recht in unſern Gerichten in ſehr vielen Faͤllen vor dem Juſtinianeiſchen den Vorzug behaupte, doch auch genug Beyſpiele vorhanden waͤren, da nach dem Gerichtsbrauch das Gegentheil ſtatt finde. Ich bin noch immer uͤberzeugt, daß unter dieſen ſo verſchie - denen Meinungen diejenige die richtigſte ſey, nach wel - cher dem canoniſchen Rechte in der Regel der Vorzug vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumet wird, ſo lange nicht nach einem genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauche das Gegen - theil ſtatt findet97)Dieſer Meinung ſind unter den neuern Rechtsgelehrten auſſer endres in der angefuͤhrten Diſſ. §. XIV. Eich - mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts 1. Th. S. 358. u. folgg. und Io. Th. Ad. kind Diſſ. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa - niam obtinet. Lipſiae 1785. §. V. S. 14.. Schon dadurch, daß der Ge - richtsbrauch dem canoniſchen Rechte in den meiſten Faͤl - len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem roͤmiſchen giebt, rechtfertiget ſich zwar dieſe Regel vollkommen; allein wir wollen die Gruͤnde ſelbſt anfuͤhren, auf wel - chen dieſer Vorzug des Canoniſchen Rechts beruher. Sie ſind folgende. Erſtens hat man ſeit den aͤlteſten Zeiten in Teutſchland fuͤr das Canoniſche Recht ſtets guͤnſtige Vorurtheile geheget, und ſich uͤberredet, daß es den teutſchen Sitten und unſrer Verfaſſung nicht allein an und fuͤr ſich mehr, als das Roͤmiſche, angemeſſen ſey98)Daß das canoniſche Recht manches Ueberbleibſel unſerer alten Geſetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben Car. Ferd. hommel Rhapſod. Obſ. 649. und 650. und Io. Gottl. heineccius in Element. iuris Germ. Lib. I. §. 254. not. *) mit vielen Beiſpielen erwieſen., ſondern auch die Grundſaͤtze deſſelben beſſer, als die des roͤmiſchen Rechts, mit der Billigkeit uͤbereinſtimmen. Zwei -397de Origine Iuris. Zweitens ſtellete man ſich nach der Denkungsart des mittlern Zeitalters eine von Gott verordnete zwiefache Gewalt, eine weltliche und eine geiſtliche vor, deren jede einem ſichtbaren Oberhaupte, jene dem Kaiſer, dieſe dem Pabſte, anvertrauet waͤre, unter ſich aber ein ſolches Verhaͤltnis haͤtte, daß die geiſtliche Gewalt noch vor der weltlichen, ſo wie die Seele vor dem Lei - be, das Geiſtliche vor dem Zeitlichen, die Sonne vor dem Monde den Vorzug haͤtte99)Man vergleiche aus gratiani Decreto die ganze Di - ſtinct. X. und aus den Decretalib. gregorii IX. cap. 6. de maioritate et obedient. Auch den Sachſenſpiegel 1. Buch 1. Art. und die Gloſſe deſſelben.. Nach dieſer da - mahls herrſchenden Idee verſtand ſich’s demnach von ſelbſt, daß das von der geiſtlichen Gewalt authoriſirte Geſezbuch nicht allein in der ganzen Chriſtenheit in geiſtlichen und weltlichen Gerichten zur Richtſchnur dienen100)Hierher gehoͤrt die Stelle des Schwabenſpiegels I. Buch Cap. V. Tom. II. Corp. Iur. Germ. Senckenb. S. 15. Und als die Paͤbſte und Kaiſer zu Concilien und zu Hofen haben geſezt und geboten aus dem Decret und Decretalen. Wann aus den zweyen Buͤchern nimmt man alle die Recht, der geiſtlichen und weltlichen Ge - richten bedarf., ſon - dern daſſelbe auch vor dem weltlichen oder Juſtinianei - ſchen Geſezbuche die Oberhand behalten mußte, wenn es in einzelnen Faͤllen Colliſion zwiſchen beyderley Rech - ten gab1)Eben dieſe Folge zieht gratianus, wenn er in ſeinem Decreto nach Can. 6. Diſt. X. anmerkt; Ecce quod confli - tutiones Principum eccleſiaſticis Legibus poſtponendae ſunt. Ubi autem evangelicis atque canonicis decretis non obvia - rint, omni reverentia aignae habeantur. . Ja es ſchien das Canoniſche Geſezbuch in Teurſchland doppelte Achtung zu verdienen, weil man den Kaiſer als deſſen eignes Oberhaupt, und zugleichals3981. Buch. 2. Tit. als den Schuzherrn der Roͤmiſchen Kirche anſahe. Was Wunder alſo, wenn Kr. Friedrich II. in einer zu Maynz publicirten Reichs-Conſtitution 1235. die Beobachtung des geiſtlichen Rechts in allen Roͤmiſchen Reich an geiſtlichen Dingen (d. i. Gerichten) dergeſtalt einſchaͤrfte, daß er ſogar denienigen, welcher darwider waͤre, fuͤr unglaͤubig gehalten wiſſen wollte2)Corp. Receſſ. Imp. Senckenberg P. I. S. 24.? Ich uͤberge - he andere mehrere Gruͤnde mit Stillſchweigen, und be - ziehe mich der Kuͤrze wegen auf die oben angefuͤhrte Abhandlung des Herrn geiſtlichen Raths enders §. XIV. Wenn nun gleich aus dieſem allen ſoviel ſich ergiebt, daß das vorzuͤglichere Anſehen, welches man dem Ca - noniſchen Rechte vor dem Roͤmiſchen beylegt, urſpruͤng - lich auf irrigen Meinungen des mittlern Alters beruhet, die hauptſaͤchlich aus unrichtigen Vorſtellungen von dem Verhaͤltnis der geiſtlichen und weltlichen Gewalt ent - ſtanden ſind, ſo darf doch hierin heutiges Tages nichts geaͤndert werden, da es bey der heutigen Guͤltigkeit der in Teutſchland recipirten fremden Rechte eine ausge - machte Wahrheit iſt3)S. Puͤtters Abhandlung: Wie die Rechtskraft der in Teutſchland uͤblichen fremden Geſezbuͤcher zwar im Grunde auf irrigen Meinungen beruhe, aber doch noch feſt beſte - he: in Deſſelben-Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſtenrechte. 2. Th. N. XXVI. S. 56. und folgg., daß nicht immer mit der Ur - ſache auch ihre Wirkung aufhoͤre, ſondern auch Irrthuͤ - mer von der geſezgebenden Gewalt, und dem Anſehen der Gerichtsſtuͤhle unterſtuͤzt, ihre Folgen behalten koͤnnen.

§. 78. Ausnahmen von der Regel.

Ob nun gleich das Canoniſche Recht aus den an - gefuͤhrten Gruͤnden noch bis auf den heutigen Tag denVor -399de Origine Iuris. Vorzug vor dem roͤmiſchen behauptet, ſo iſt doch die - ſes nur von der Regel zu verſtehen, welche alsdann ihre Ausnahme leidet, ſobald in dieſem oder jenem Pun - cte ein unſtreitiger und bewaͤhrter Gerichtsbrauch dem Roͤmiſchen Rechte den Vorzug giebt. Daher es ein eben ſo groſſer Fehler iſt, wenn einige das Canoniſche Recht durchgaͤngig und ohne alle Einſchraͤnkung dem Roͤmi - ſchen vorziehen, als wenn andere, wie z. B. unſer Autor, dem Roͤmiſchen Rechte den Vorzug in der Regel geben wollen, indem diejenigen Faͤlle, da das Roͤmiſche Recht den Vorzug vor dem Canoniſchen be - hauptet, nur als Ausnahmen von der Regel anzuſehen ſind. Zu dieſen Ausnahmen rechne ich zuvoͤrderſt, daß die in dem Canoniſchen Rechte gebilligte Art, ein Te - ſtament vor dem Pfarrer und zwey Zeugen zu verferti - gen4)cap. Io. X. de teſtam. , heutiges Tages an wenigen Orten, ſelbſt in ka - tholiſchen Laͤndern, angenommen iſt; vielmehr ſtatt der - ſelben die im Juſtinianeiſchen Rechte vorgeſchriebene Form beobachtet werde5)S. Io. Paul. krieger Disquiſit. de teſtamento coram parocho et duobus teſtibus occaſione cap. Io. X. de teſtam. Altorf. 1734. §. VII. u. folgg. I. H. boehmer Iur. Eccl. Prot. Tom. II. Lib. III. Tit. 26. §. 4. u. folgg. Paul. Ioſ. a riegger Inſtitut. iurisprud. eccleſ. P. III. §. 394.. Zu den Ausnahmen, da nicht ſo - wohl die Grundſaͤtze des Canoniſchen als vielmehr des Juſtinianeiſchen Rechts nach dem Gerichtsbrauch zur An - wendung kommen, gehoͤrt ferner, daß bey Schenkungen in zweifelhaften Faͤllen, nicht, wie das Canoniſche Recht will6)cap. 6. X. de donat. , eine ausdehnende Erklaͤrung, ſondern vielmehr eine einſchraͤnkende Auslegung ſtatt finde, und daher die Abſicht zu ſchenken niemahls zu vermuthen ſey,auchGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. C c4001. Buch. 2. Tit. auch die bey der Schenkung gebrauchten Ausdruͤcke, weiter, als der eigentliche Wortverſtand erlaubt, nicht verſtanden werden koͤnnen7)L. 25. pr. D. de probat. L. 34. D. de R. 1. mevius P. 2. dec. 18. n. 4. P. 4. dec. 318. n. 3. P. 8. deciſ. 194. n. 2. leyser Spec. 433. m. 1.. So wird ferner im Paͤbſt - lichen Rechte das Zufluchtsrecht der Kirchen und Kloͤ - ſter ohne Unterſchied auf alle und jede Verbrecher aus - gedehnt8)cap. 6. X. de immunit. eccleſ. Conſtitut. gregorii X. vom Jahr 1591., welches nach Juſtinianeiſchen Rechten, nur zum Sicherheitsmittel gegen unrechtmaͤſige Gewalt die - nen ſoll9)Nov. XVII. c. 7.; das heutige Recht aber verwirft jenes dem oͤffentlichen Wohl und Strafrechte des Fuͤrſten ſo nach - theilige Aſylrecht, und nimmt die vernuͤnftigern Vor - ſchriften des Juſtinianeiſchen Rechts an10)Io. Conr. engelbrecht Diſſ. de iniuſta aſyli immu - nitatisque eccleſ. ad crimina doloſa extenſione. Phil. hedderich Diſſ. de vero ac genuino ſtatu hodierno aſyli, inter Diſſertat. iur. eccleſ. Germ. Vol. I. Diſſ. XV. S. 360-371. G. L. boehmer Princip. iur. canon. Lib. III. Sect. V. Tit. 4. §. 611.. Noch mehr: Nach dem Canoniſchen Rechte hat der durch Frauensperſohnen gefuͤhrte Beweiß uͤberall keine Kraft11)Can. 17. u. 19. C. XXXIII. qu. 5. Cap. 10. X. de V. S. wo der Grund angefuͤhrt wird: nam varium et muta - bile teſtimonium ſemper foemina producit. , und dieſe ſind nur ſodann zu vernehmen, wenn ſie ent - weder an dem Verbrechen dieſes oder jenes Geiſtlichen Antheil genommen haben12)Cap. 3. X. de teſt. et atteſt. , oder es auch darauf an - kommt, eine vorgebliche Irregularitaͤt dieſes oder jenes Geiſtlichen zu beweiſen13)Cap. 33. X. eodem. . Allein der Gerichtsge -brauch401de Origine Iuris. brauch14)carpzov Pract. rer. crim. Qu. 114. n. 39. boehmer in Iure Eccleſ. Proteſt. Lib. II. Tit. 20. §. 17. cramer Tom. III. Obſ. 894. ſtimmt mit dem Canoniſchen Rechte auch hierin nicht uͤberein, ſondern laͤſſet es vielmehr bey der Vorſchrift des Juſtinianeiſchen Rechts15)L. 18. D. de teſtib. , nach wel - cher Frauensperſohnen, ſowohl in buͤrgerlichen als pein - lichen Sachen, guͤltige Zeugen ſind, inſofern anders die Geſetze, entweder der beſondern Feyerlichkeit der Handlung halben, wie bey Teſtamenten und Codicillen, oder um einem rechtlichen Geſchaͤfte das Anſehen einer oͤffentlichen Beglaubigung zu verſchaffen, wie bey der Verpfaͤndung, das Zeugnis durch Mannsperſohnen nicht genau und ausdruͤcklich erfordern, oder ſonſt eine ande - re gegruͤndete Ausnahme bewieſen werden kann, lediglich bewenden. Aus dem alleinigen Grunde, den man von dem Geſchlecht hernimmt, mag daher heutiges Tages das Zeugnis der Frauensperſohnen bey dem Mangel an - derer Urſachen, die ein Zeugnis an und fuͤr ſich ver - werflich machen, nicht verworfen und fuͤr unguͤltig er - klaͤrt werden. Andere Faͤlle zu geſchweigen, wo noch ſonſt in den heutigen Gerichten nach dem Juſtinianei - ſchen und nicht nach dem Canoniſchen Rechte geſprochen zu werden pflegt, welche man in der unten angefuͤhrten Schrift16)Quiſtorp uͤber die Truͤglichkeit des Satzes: daß das Canoniſche Recht vor dem Juſtinia -nei - beyſammen finden wird.

§. 79. Widerlegung des Autors.

Nun ſollte ich zwar auch noch die Meinungen anderer Rechtsgelehrten uͤber den bisher eroͤrterten Ge -C c 2gen -4021. Buch. 2. Tit. genſtand kuͤrzlich pruͤfen; allein da man aus dem, was ich von dem Vorzuge des Canoniſchen Rechts vor dem Roͤmiſchen, und den Ausnahmen von der Regel vorge - tragen, leicht ſelbſt beurtheilen kann, was von den Grundſaͤtzen anderer als richtig anzunehmen ſeyn moͤch - te, ſo will ich, um nicht in den Fehler der Weitſchwei - figkeit zu verfallen, nur allein gegen die Hypotheſe un - ſers Autors noch einige Erinnerungen machen. Wenn derſelbe (§. 81.) in der Regel dem Roͤmiſchen Rechte den Vorzug vor dem Canoniſchen geben will, und der Meinung iſt, daß lezteres nur in Kirchen - Ehe - Eides - Gewiſſens - und Proceßſachen vorzuziehen ſey; ſo zweifle ich erſtens ſehr, ob dieſe Regel uͤberall zutreffend ſeyn moͤchte. Denn daß einmahl in Eheſachen das Cano - niſche Recht nicht durchgaͤngig, wenigſtens in den pro - teſtantiſchen Gerichten, den Vorzug behaupte, kann ich durch verſchiedene Beiſpiele beweiſen. Einen Beweiß davon giebt zuvoͤrderſt die Materie von den Eheverboten wegen der Blutsfreundſchaft, wo die Evangeliſchen die Paͤbſtlichen Rechte nicht annehmen, ſondern ſich nach der Vorſchrift der Moſaiſchen und Roͤmiſchen Rechte richten17)schott Progr. de auctoritate iur. canon. inter Evangelicos. S. 19. Moſer von der teutſchen Religionsverfaſſung I. Buch. 2. Cap. §. 13. wo ein Vorſtellungsſchreiben des Corporis Evangelicorum vom J. 1665. beygebracht worden, in welchem es heißt: die Evan -geli -. Auſerdem aber kann man auch den Ver - gleich wider die Ehe hierher rechnen, als welcher, un - ter gewiſſen Einſchraͤnkungen, bey den Proteſtanten al - lerdings erlaubt iſt. Das Canoniſche Recht verwirftden -16)neiſchen unter allen Umſtaͤnden in den prote - ſtantiſchen Gerichten den Vorzug habe, in ei - nigen auffallenden Beiſpielen gezeigt, in den Beytraͤgen IV. Stuͤck N. VIII. 403de Origine Iuris. denſelben, weil, in Gemaͤsheit des katholiſchen Lehrbe - grifs, die Ehe fuͤr ein Sacrament geachtet wird, ſchlech - terdings18)cap. ult. X. de transact. . Allein die Proteſtanten nehmen dieſen Lehrſaz nicht an, folglich muͤſſen die aus demſelben ge - zogene Folgerungen ebenfalls wegfallen, und daher bey dem Roͤmiſchen Rechte, nach welchen uͤber eine jede zweifelhafte Sache ein Vergleich guͤltig geſchloſſen wer - den darf19)L. 11. C. de transact. voetius in Comment. ad Pandect. Lib. II. Tit. 15. §. 10., inſofern keine unbeſtrittene Ausnahme zu beweiſen ſtehet, es lediglich das Bewenden behalten20)Ludovici Conſiſtorial-Proceß Cap. XV. §. 3. u. 4. Quiſtorp a. a. O. S. 145.; nur mit der Einſchraͤnkung, daß zu einem ſolchen Ver - gleich wider die Ehe das Vorwiſſen und die Beſtaͤtti - gung des geiſtlichen Gerichts oder Conſiſtoriums erfor - dert wird21)boehmer in Iure Eccleſ. Proteſt. Lib. I. Tit. 36. §. 4. leyser Spec. XLVII. med. 5.. Sodann iſt der Saz, daß das Cano - niſche Recht in der Lehre vom Eide dem Roͤmiſchen durchaus vorgehe, ebenfalls noch vielen Zweifeln unter - worfen, und ſchon von Andern22)thomasius Inſtitut. iurispr. div. Lib. II. c. 9. §. 14. und folgg. ayrer de abuſu iuramentorum §. 33. und folgg. Herr Prof. malblanc in doctrina de iureiuran - do. Lib. V. S. 499. folgg. Chriſt. Fried. Schorcht von der Unguͤltigkeit des Eides bey unguͤltigen Vertraͤgen. Jena 1786. 4. Prof. Weber ſyſtem. Entwickelung der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit. 3. Abthl. 10. Abſchn. §. 123. S. 199. das Gegentheil ſoC c 3buͤndig17)geliſchen erkenneten die paͤbſtlichen Rechte in cauſis impedimentorum matrimonialium ex capite conſanguinitatis nicht, ſondern pflegten ſich nach der Dispoſition der Kai - ſerlichen Rechte zu richten.4041. Buch. 2. Tit. buͤndig dargethan worden, daß man es ſicher fuͤr erwie - ſen annehmen darf. Ohnmoͤglich kann doch wohl das Paͤbſtliche Recht in ſolchen Vorſchriften bey uns gelten, welche den gereinigten Religionsbegriffen unſerer Kirche widerſprechen. Wie koͤnnten wir alſo dieſem Rechte gerade in der Materie einen Vorzug beylegen, wo al - les auf ſolchen Gruͤnden beruhet, welche unſerm Reli - gionsſyſteme gaͤnzlich zuwider ſind? Wie ſollten wir mit Hintanſetzung der weit vernuͤnftigern Grundſaͤtze des Roͤ - miſchen Rechts in einer ſo wichtigen Sache die Vor - ſchriften eines Rechts befolgen, welche zu den gefaͤhr - lichſten Eides-Mißbraͤuchen Anlaß geben, und eine un - ſelige Quelle der ſchaͤdlichſten Folgen fuͤr das gemeine Beſte ſind? Ich werde hiervon in der Folge bey dem §. 341. noch umſtaͤndlicher handeln. Daß auch im Proceß dem Canoniſchen Rechte nicht ohne alle Aus - nahme der Vorzug vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumt wer - den koͤnne, beweißt das bereits in vorhergehendem §. angefuͤhrte Beiſpiel vom Zeugenbeweiſe; bey welchem wir heutiges Tages die Verordnungen des Juſtinianei - ſchen Rechts befolgen. Es iſt jedoch die Regel unſers Autors, wie hieraus genugſam erhellet, nicht nur un - zutreffend, ſondern auch zum andern ſehr unbe - ſtimmt und ſchwankend. Denn was ſind z. B. Kirchenſachen? was ſind Gewiſſensſachen? wer weiß nicht, wie ausgedehnt und uͤberſpannt hiervon die Be - griffe des Paͤbſtlichen Rechts ſind, dem es nie am An - ſtrich und Praͤtext gefehlt hat, auch blos weltlichen Sachen die Geſtalt von geiſtlichen und kirchlichen zu geben, nur um die Grenzen der paͤbſtlichen und geiſtli - chen Gerichtsbarkeit zu erweitern23)S. Hofr. Schnaubert kurze Entwickelung des Begrifs von geiſtlichen Sachen uͤberhaupt, inDeſſel -? Bahnt alſo nichtdie405de Origine Iuris. die Regel unſers Autors den Weg zu neuen Schwierig - keiten oder Irrthuͤmern? Endlich iſt auch jene Regel viel zu ſeicht, als daß ſie diejenigen Faͤlle ganz er - ſchoͤpfen ſollte, in welchen dem Canoniſchen Rechte der Vorzug vor dem Roͤmiſchen wirklich beygeleget wird. Wem iſt wohl unbekannt, daß auch in der Lehre von der Legitimation unehelicher Kinder, den Vertraͤgen, der Emphytevſis, der Verjaͤhrung, dem Abzug der Tre - bellianiſchen Quarte bey Fideicommiſſariſchen Erbſchaften, der Verbindlichkeit der Erben zur Erſtattung des durch ein Verbrechen des Verſtorbenen angerichteten Scha - dens, und ſo mehr, das Canoniſche Recht dem Roͤmi - ſchen unwiderſprechlich vorgezogen werde?

§. 80. Colliſion unter mehreren Geſetzen einerley Rechtskoͤrpers. 1) des Canoniſchen. 2) des Roͤmiſchen.

Noch iſt zu eroͤrtern uͤbrig, in welchem Ver - haͤltniſſe einzelne Stellen des Canoniſchen oder Roͤmiſchen Geſezbuchs unter ſich ſelbſt ſtehen? Wie, wenn alſo erſtlich die geſezlichen Vor - ſchriften des Canoniſchen Rechtskoͤrpers unter ſich in Colliſion gerathen, welche gehet der andern vor? Wir muͤſſen einen Unterſchied machen, ob ſie in verſchiede - nen Sammlungen, oder in eben derſelben Sammlung enthalten ſind24)S. meine Praecognita iuris eccleſ. S. 130. und net - telbladt Syſtem. element. iurispr. poſitivae genera - lis. Lib. I. Sect. III. §. 180. n. 2.. Im erſtern Falle gehet in der Re -C c 4gel23)Deſſelben Beytraͤgen zum teutſch. Staats - und Kir - chenrechte. 1. Th. N. 2. Ge. Lud. boehmeri Princip. iuris canon. Lib. II. Sect. III. Tit. VI. §. 244.4061. Buch. 2. Tit. gel die neuere der aͤltern vor; daraus folgt, daß die Ciementinen dem libro ſexto Decretalium Bonifacii VIII. dieſer den Decretalen P. Gregors IX. und dieſe wieder dem Decret des Gratians derogiren. Nur die ſogenannten Extravaganten machen eine Ausnahme von dieſer Regel; denn wenn gleich die in unſerm Ca - noniſchen Rechtskoͤrper befindlichen beyden Sammlungen derſelben der Zeit ihrer Compilation nach die juͤngſten ſind, ſo kann doch die Guͤltigkeit derſelben, da ſie blo - ſe Privatſammlungen ſind, die nicht unter paͤbſtlicher Auctoritaͤt verfertiget worden, nicht nach dem Orte, den ſie im Korpus Juris behaupten, ſondern nur nach dem eigenen Zeitalter einer jeden einzelnen Verordnung beurtheilet werden25)Lud. engel in Collegio univerſi iur. canon. Lib. III. Tit. V. §. 4. n. 52. in fine. Extravagantes, cum nul - lius Pontificis auctoritate compilatae ſint, debent referri ad ſuos auctores, et tempus, quo datae ſunt. . Im andern Falle, wenn der Widerſpruch unter Stellen ebenderſelben Sammlung iſt, ſo muͤſſen dieſelben durch eine geſchickte Auslegung, wo - bey auf die Verſchiedenheit der Zeit, des Orts, der Perſohn und des Grundes Ruͤckſicht zu nehmen26)Can. 1. 2. u. 3. Diſt. XXIX. Sciendum eſt, quod pleraque capitula ex cauſa, ex perſona, ex loco, ex tempore conſideranda ſunt, quorum modi, quia me - dullitus non indagantur, in erroris Labyrinthum non - nulli intricando impinguntur. , mit einander vereiniget werden27)engel im angefuͤhrten Buch Prooem. n. 18. Quodſi in recenſitis iuris canonici partibus conſtitutionum antinomia reperiatur, eaque ſit in unius Pontificis compilatione v. g. ſi uterque contradicens canon ſit in Decretalibus, vel in Sexto aut Clementinis, per congruam interpretationem con - ciliatio facienda eſt. . Wenn demnach die eine Verordnung ganz allgemein lautet, die andereaber407de Origine Iuris. aber ſich auf einen beſondern Ort und die daſelbſt uͤbliche beſondere Rechte und Gewohnheiten, oder auf eine beſon - dere Claſſe von Perſohnen ſich beziehet, und von deren Gerechtſamen oder Verbindlichkeiten disponirt, ſo wird man in einer ſolchen Colliſion die gemeine und beſonde - re Verordnung nach eben dem Verhaͤltniſſe, wie Regel und Ausnahme, beurtheilen, hingegen unter zwey ge - meinen, oder zwey beſondern Verordnungen derjenigen den Vorzug geben muͤſſen, welche die neuere iſt, nach der Regel: lex poſterior derogat priori28)cap. 1. de conſtitut. in 6to. Licet Rom. Pontifex, conſtitutionem condendo poſteriorem, priorem, quam - vis de ipſa mentionem non faciat, revocare noſcatur: Quia tamen locorum ſpecialium et perſonarum ſingularium conſuetudines et ſtatuta, (cum ſint facti, et in facto conſiſtant) poteſt probabiliter ignorare: ipſis, dum ta - men ſint rationabilia, per conſtitutionem a ſe noviter edi - tam (niſi expreſſe caveatur in ipſa) non intelligitur in aliquo derogare. . Sind ſie gleichen oder ungewiſſen Alters, ſo muß der Gerichts - gebrauch, oder, wenn auch dieſer zweifelhaft ſeyn ſollte, die Rechtsanalogie den Vorzug der einen vor der an - dern entſcheiden29)In verſchiedenen Canonen des Gratianiſchen Decrets, als can. 28. Diſt. L. und can. 11. Cauſ. XXXIII. qu. 2. welche jedoch aus einerley Quelle gefloſſen, wird inſon - derheit bey vorkommender Uneinigkeit in den Concilien - ſchluͤſſen noch die Regel gegeben: ut, quotiescunque in ge - ſtis conciliorum diſcors ſententia invenitur, illius concilii magis teneatur ſententia, cuius aut antiquior, aut potiorextat.

Faſt dieſelbigen Grundſaͤtze, nur mit einigem Un - terſchiede, ſind anzuwenden, wenn unter mehreren Geſetzen des Roͤmiſchen Rechtskoͤrpers ein Widerſpruch vorhanden iſt? Auch hier kommtC c 5es4081. Buch. 2. Tit. es zunaͤchſt darauf an, ob der Widerſpruch unter den Geſetzen verſchiedener Sammlungen, oder eben derſelben Sammlung befindlich iſt. Iſt das erſtere, ſo gehet das neuere Recht dem aͤltern vor. Fuͤr das neuere Recht aber wird in dem Falle, da der Widerſpruch unter den Geſetzen verſchiedener Sammlungen des Ju - ſtinianeiſchen Rechts obwaltet, dasjenige gehalten, wel - ches in der juͤngern Sammlung enthalten iſt. Dieſem zu Folge gehen alſo I) die Novellen des K. Juſtinians, als die allerneueſten Geſetze, allen uͤbrigen Verordnun - gen des Juſtinianeiſchen Rechts vor, welche in den vor - hergehenden Sammlungen, als dem Codex, den Pan - decten und Inſtitutionen des Juſtinians, enthalten ſind. Jedoch iſt dieſes nur von den gloſſirten Novellen zu verſtehen, indem es, was die nicht gloſſirten anbetrift, aus dem ſchon oben (S. 334.) angefuͤhrten Grunde bey den Verordnungen des Codex in Praxi lediglich verblei - ben muß. Der Fall kommt z. B. bey den Zinſen, die den Hauptſtuhl uͤberſteigen (uſurae ultra alterum tan - tum), vor, welche der Gerichtsgebrauch nicht ſchlechter - dings fuͤr unerlaubt erklaͤrt, wofuͤr ſie Juſtinian Nov. 121 cap. 1. angeſehen wiſſen will, ſondern es bey der Einſchraͤnkung der L. 10. C. de uſuris bewenden laͤſ - ſet30)stryck U. M. Pand. Tit. de Uſuris §. 17. rich - ter P. II. Dec. 74. a pufendorf Tom. I. Obſ. 14. §. 4. coc -. II) Aus dem obigen Grundſaz folgt weiter,daß29)extat auctoritas. Allein das Schreiben des Iſidors an den Biſchof Maſſanus oder Maſſio, woraus die angefuͤhr - ten beyden Stellen entlehnt ſeyn ſollen, iſt noch groſen Zweifeln unterworfen. Man vergleiche hier das vortref - liche Werk des Car. Sebaſt. berardi uͤber Gratiani canones Part. III. Cap. XXVII. S. 406. (edit. Venet. 1777.)409de Origine Iuris. daß der Codex den Inſtitutionen und Pandecten derogi - re. Zwar moͤchten, wenn wir auf das eigene Zeitalter der einzelnen Verordnungen des Codex ſehen duͤrften, unter der groſen Zahl derſelben nur wenige gefunden werden, welche der Promulgation nach juͤnger als die Inſtitutionen und Pandecten ſind, d. i. welche erſt nach dem Jahr 533. in welchem beyde die geſezliche Beſtaͤt - tigung erhalten haben, waͤren gegeben worden; indem vielmehr das Datum der meiſten Conſtitutionen des Co - dex, welche eine Subſcription haben, zu erkennen giebt, daß ſie ſchon vor dem bemerkten Jahr, mithin vor den Inſtitutionen und Pandecten, ſind bekannt gemacht wor - den. Kein Wunder iſt es alſo, wenn es Rechtsgelehr - te giebt, welche einer andern Meinung ſind, und dem Codex nur in ſofern den Vorzug vor den Pandecten und Inſtitutionen laſſen wollen, als die einzelnen Ge - ſetze deſſelben neuer ſind. Unter denen, die dieſes be - haupten, wird nicht leicht einer gefunden werden, der angelegentlicher die Beweiſe fuͤr dieſe Meinung zu - ſammengeſucht haͤtte, als Galvanus31)de Uſufructu Cap. XXXI. n. IX. S. 398-416., weil es ihm nahe ging, quod, wie er ſagt, licet iam diu in Ita - lia et in Germania non defuerint, qui contrarium errorem interpretum cum maxima Iurisprudentiae utilitate profligaverint, adhuc tamen multi ita he - betes ſunt ac ſtolidi, ut frugibus inventis glandes quaerant, et ſuum more in veteris inſcitiae coeno volutentur. Allein Galvan mag ſagen, was er will, ſo wird ſeine Meinung bey den heutigen Rechtsgelehr -ten30)cocceii Iur. Civ. Controv. Lib. XXII. Tit. 1. Qu. 7. Struben rechtliche Bedenken Th. III. Bed. 33. de lud - wig differentiae iuris Rom. et Germ. in uſuris prae - cipue ultra alterum tantum. Halae 1740. Quiſtorp Beytraͤge II. Stuͤck N. IX. S. 157. u. a. m.4101. Buch. 2. Tit. ten ſchwerlich einigen Beyfall finden. Denn kann es Galvanus nicht laͤugnen, daß die geſezliche Kraft der Pandecten erſt von der Zeit an zu rechnen ſey, da ſie promulgiret worden ſind, wenn gleich das darinn ent - haltene Recht ungleich aͤlter iſt, und aus ſehr mancher - ley Zeitperioden herruͤhrt, ſo muß doch wohl ein glei - ches von dem Codex des K. Juſtinians gelten. Da nun derſelbe ein ganzes Jahr ſpaͤter, als die Pandecten und Inſtitutionen, nehmlich im Jahr 534. bekannt ge - macht worden iſt (§. 53.), mithin ganz unlaͤugbat als ein neueres Geſezbuch anzuſehen, ſo iſt natuͤrlich, daß derſelbe beyden, den Pandecten wie den Inſtitutionen, derogiren muͤſſe, um ſo mehr, da Juſtinian ſelbſt in dem Promulgations-Ediet des neuen Codex §. 4. ſagt: purgatum iam et candidum, omnibus et circumductis et additis et repletis, nec non transformatis, factum eſſe Codicem32)S. Ioach. hagemeier de authoritate iuris civ. et ca - non. Cap. V. brunquell Hiſtor. iuris. P. II. cap. 9. §. 18. 19. 20. walch Introduct. in controverſ. iuris civ. Proleg. Cap. I. §. 3.. III) Wenn die Pandecten und In - ſtitutionen in einer Rechtsmaterie nicht mit einander uͤbereinſtimmen, ſo gehen die Pandecten, als die Quel - le und das Original denen Inſtitutionen vor, in ſofern leztere dunkel ſind, oder wohl gar unrichtig aus den er - ſtern excerpiret worden; In ſofern aber die Inſtitutio - nen eine offenbare Abaͤnderung, oder avthendiſche In - terpretation der Pandecten enthalten, ſind dieſelben als ein neueres Recht, den Pandecten billig vorzuziehen. Die Beweiſe fuͤr dieſe Saͤtze liegen in dem Obi - gen33)S. Hubert. breuer Disquiſ. hiſt. iurid. qua vera In - ſtitutionum I. R. textus auctoritas contra erroneam quo -rundam (§. 51.). Hier will ich alſo nur noch einigeBei -411de Origine Iuris. Beiſpiele hinzufuͤgen. So z. E. wird man in dem §. 39. de rerum diviſ. wegen des Schazfindens eine ganz abſichtliche Abaͤnderung der L. 3. §. 10. D. de iure fiſci gewahr werden, daß daher die Stelle der Inſtitu - tionen hierin vorzuͤglichern Inhalts ſey, hat keinen Zweifel34)Dieſer Meinung ſind auſſer Cujaz, Ian. a costa, Theod. marcilius, Reinh. bachovius, Ev. otto, und a. m. S. D. Chriſt. Gottl. richter Exercit. iur. civ. de iure theſauri a mercenario inventi. Lipſiae 1773. Cap. I. §. 4.; und vergeblich iſt alle Muͤhe derjenigen ge - weſen, die beyde Stellen mit einander zu vereinigen ge - ſucht haben35)Z. B. charondas Lib. I. Veriſimil. cap. 21. galva - nus de Uſufructu cap. XXX. van de water Obſervat. iur Rom. Lib. III. cap. 3. Dieſe widerlegt aber rich - ter a. a. O.. L. 34. §. 2. D. de Legat. 1. aber erhaͤlt ihre avthendiſche Erlaͤuterung aus dem §. 6. I. de Legat. und der §. 9. I. eodem beſtimmt den rechten Sinn der L. 82. §. 2. und 3. D. de Legat. 1. vor - treflich36)S. van de water Lib. III. Obſervat. cap. 10.. Im Gegentheil behauptet L. 7. §. 7. D. de acquir. rer. dom. den Vorzug billig vor dem §. 25. I. de rer. div. in welchem die Verfaſſer der Inſtitutio - nen das Dreſchen des Getraides irrig zur Specification rechnen.

Wenn nun aber der Widerſpruch unter einzelnen Stellen in einerley Sammlung iſt; ſo kommt es wieder darauf an, ob Geſetze im Codex, oder Novellen mit einander ſtreiten, dann gehet es nach der Regel: lex poſterior derogat priori; oder ob Stellen in den Inſtitutionen oder Pandecten ſich widerſprechen, in die -ſem33)rundam opinionem vindicatur. Bonnae 1784. §. XI. XII. vorzuͤglich aber hartleben in Meditat. ad Pandect. Vol. I. P. I. Spec. VI. med. 3.4121. Buch. 2. Tit. ſem leztern Falle laͤſſet ſich entweder das Zeitalter der ſich widerſprechenden Verordnungen beſtimmen, welches beſonders in den Inſtitutionen leicht iſt, weil faſt bey jeder Materie die Abwechſelungen des Rechts chronolo - giſch ſind dargeſtellet worden, oder nicht, im erſtern Fall muß eben wieder die Regel gelten, das neuere Recht iſt dem aͤltern vorzuziehen; iſt aber das leztere, ſo kommt alsdenn die ſchon oben (S. 312.) gegebene Regel zur Anwendung37)nettelbladt in Syſtem. elem. Iurispr. poſit. Germ. general. Lib. I. Sect. III. §. 180. n. 1. S. 104. Si contra - rietas eſt in una eademque Legum compilatione 1) Novel - larum et Codicis, poſterior derogat priori; 2) In - ſtitutionum et Pandectarum, is textus praefe - rendus, qui analogiae iuris Romani magis conformis eſt, vel uſu receptus. .

§. 81. Rechtsanalogie. Naturrecht. Verhaͤltniß zwi - ſchen Geſezbuͤchern und Gewohnheitsrechten.

Allein wird man zulezt noch fragen, wie? wenn uns alle dieſe Geſetze verlaſſen ſollten, von welchen wir bisher geredet haben, was werden dann fuͤr Richtſchnu - ren des buͤrgerlichen Privatrechts gelten? die Rechtsanalogie? daß dieſe als eine Quelle des buͤrgerli - chen Privatrechts anzuſehen, will ich gar nicht laͤugnen. Allein da der Grund aller Analogie des Rechts auf der Uebereinſtimmung mit der Abſicht und dem Willen des Geſezgebers beruhet, (§. 37.) ſo darf man wohl nicht ſagen, daß uns bey Entſcheidung eines Rechtsfalles die Geſetze verlieſen, ſo lange uns noch der Weg der Ana - logie offen ſtehet. Wer mir nicht glauben will, traue wenigſtens den Worten Ulpians38)L. 6. §. 1. D. de Verbor. Signif. , der uns lehrt:verbum413de Origine Iuris. verbum ex legibus ſic accipiendum eſſe, tam ex le - gum ſententia, quam ex verbis. Und dieſe Rechtsa - nalogie wird daher auch in der Ordnung denjenigen Plaz einnehmen, wo das Recht ſtehet, von deſſen Ana - logie die Rede iſt.

Wie ſoll alſo in Ermangelung poſitiver Privatge - ſetze beſtimmt werden, was in einem Falle recht oder unrecht, wozu dieſer verbunden, jener berechtiget ſey? Da iſt nun die lezte Zuflucht zu demjenigen Recht zu nehmen, welches die geſunde Vernunft jeden Menſchen lehret39)Ubi enim iuris civilis aut poſitivi cuiuscunque deficit de - finitio, ibi Iuris Naturalis diſpoſitio defectum ſupplet, ſagt der beruͤhmte Herr geiſtliche Rath endres in ſeiner vor - treflichen Diſſ. de neceſſario iurisprudentiae naturalis cum eccleſiaſtica nexu, et illius in hac uſu. Wirceb. 1761. Cap. I. §. XIX. in schmidt Theſ. Iur. Eccleſ. T. I. N. I. S. 16.. Denn daß das Naturrecht auch in der buͤr - gerlichen Geſellſchaft gelte, iſt eine unbeſtrittene Wahr - heit. (§. 17.) Indes bleibt dieſes doch immer nur die leztere Zuflucht, ſollten daher ungeſchriebene Geſetze, d. i. rechtsbewaͤhrte und erwieſene Gewohnheiten vorhanden ſeyn, ſo ſtehen dieſe mit geſchriebenen Geſetzen in einer - ley Verhaͤltnis, und dienen, wenn ſie ſonſt nur nicht den guten Sitten, der Religion und der gemeinen Wohlfahrt entgegen, und aus ſolchen Gruͤnden etwa verwerflich ſind, in ſofern allerdings zur Entſcheidung.

Wie aber, wenn Geſezbuͤcher und Gewohnheits - rechte in Colliſion gerathen? Wie, wenn Gebraͤuche, die ohne ausdruͤckliche Genehmigung der hoͤchſten Ge - walt in Gang gekommen ſind, mit dem, was geſchrie - bene Geſetze enthalten, im Widerſpruch ſtehen, wie wird das Verhaͤltniß derſelben gegen einander ſeyn? Da wiruͤber4141. Buch. 2. Tit. uͤber dieſen Gegenſtand ſchon eine vortrefliche Abhand - lung40)Puͤtters Abhandlung vom Verhaͤltniſſe zwiſchen Geſezbuͤchern und Gewohnheitsrechten, in Deſſelben Beytraͤgen zum teutſchen Staats - und Fuͤrſten - Rechte II. Th. N. XXI. S. 1 22. haben, ſo darf ich mich hier ganz kurz faſſen. Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß eine vom geſchriebe - nen Geſetze abweichende Gewohnheit, wenn ſie ſonſt nur die erforderlichen Eigenſchaften eines aͤchten Gewohn - heitsrechts an ſich traͤgt, ſelbſt uͤber die ausdruͤckliche Vor - ſchrift der Geſetze die Oberhand gewinnet. Nur muß ſolche entweder neuer, als das geſchriebene Geſez ſeyn, und, daß ſie vom Landesherrn wirklich gebilliget ſey, deutlich erwieſen werden koͤnnen; oder, wenn ſelbige et - wa ſchon vorher in einem Lande feſten Fuß gefaſſet ha - ben ſollte, ehe darin ein Geſezbuch eingefuͤhrt wurde, ge - wiß ſeyn, daß ſie ſich im Gebrauch erhalten habe. Denn da Gewohnheiten immer nur auf der Frage beruhen: wie es bisher gehalten worden ſey? mithin eine hiſtori - ſche Kenntnis erfordern, die ungleich groͤſere Schwierig - keit hat, als die Kenntnis eines ſchriftlich abgefaßten allgemeinen Rechtsſatzes; ſo wird in Widerſpruchsfaͤllen die Vermuthung immer fuͤr die Guͤltigkeit des geſchrie - benen Geſetzes ſtreiten, bis die entgegenſtehende Ge - wohnheit durch den Beweiß ihrer unwandelbaren Obſer - vanz in voͤllige Gewißheit geſetzet worden iſt. Es wer - den dieſe Saͤtze durch den folgenden Titel ein mehreres Licht erhalten, in welchem die Lehre vom Gewohn - heitsrecht erklaͤret werden wird.

Lib. 415de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

Lib. I. Tit. III. de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuetudine.

Der groͤſte Theil der unter dieſer Ueberſchrift in un - ſern Pandecten geſammleten Fragmente der roͤmi - ſchen Rechtsgelehrten enthalten allgemeine Grundſaͤtze von der Natur, Auslegung und Anwendung poſitiver Geſe - tze, und in ſo weit haben wir ſchon in dem erſten Ti - tul unſers Commentars davon Gebrauch gemacht. Al - lein die LL. 32 39. handeln vom Gewohnheits - rechte, und dieſe, verbunden mit dem Titel des Co - dex: quae ſit longa conſuetudo, machen die Quellen der jezt zu eroͤrternden Rechtslehre aus. Auch im Canoni - ſchen Geſezbuche finden wir hierher gehoͤrige Stellen, denn nicht nur die Decretalen Gregors IX. ſondern auch der liber ſextus Bonifacii VIII. enthaͤlt einen Titel de conſuetudine. (Lib. I. Tit. 4.) Jedoch iſt bey dem Gebrauch dieſer Quellen eine doppelte Vorſicht noͤthig; a) daß man dabey jederzeit auf teutſche Verfaſſung, und deren Unterſchied von der roͤmiſchen Ruͤckſicht nimmt. Ohne dieſe Regel zu beobachten, iſt es unmoͤglich, die - jenigen Irrthuͤmer zu vermeiden, die wir in der Materie vom Gewohnheitsrechte nach der gewoͤhnlichen Vorſtel - lungsart finden. Bey den Roͤmern, wo die Gerichte oͤffentlich vor den Augen des Volks, in deſſen Haͤnden ſich die geſezgebende Gewalt befand, gehalten wurden, und wo in der Folge die Kaiſere ſelbſt ſich mit Entſchei - dung der Rechtshaͤndel beſchaͤftigten; konnte man immer mit mehrerer Gewißheit aus der oͤfteren Wiederholunggleich -Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. D d4161. Buch. 3. Tit. gleichfoͤrmiger Handlungen, wenn kein Wiederſpruch ge - ſchahe, den ſtillſchweigenden Willen des Geſezgebers an - nehmen; als bey uns, wo die Landesherrn von dem Verfahren der Gerichte eine ſolche Wiſſenſchaft nicht haben. Es duͤrfte alſo heutiges Tages das Argument von dem Stillſchweigen des Landesherrn auf deſſelben Genehmigung ziemlich unſicher ſeyn, wenn nicht zu er - weiſen ſtehet, daß die Gewohnheit, wovon die Frage iſt, witklich zur Wiſſenſchaft des Landesherrn gekommen, indem, wenn dieſelbe geſchriebenen Geſetzen gerade ent - gegen gehen ſollte, der Buchſtabe des Geſetzes ſodann immer einen uͤberwiegenden Beweiß von dem Gegentheil abgeben wuͤrde. Bey den Roͤmern traten uͤberhaupt noch andere Umſtaͤnde hinzu, die ſie gewiſſermaſſen in die Nothwendigkeit ſezten, Gewohnheitsrechte gelten zu laſſen, nehmlich der Mangel an geſchriebenen Geſe - zen, deren Unzulaͤnglichkeit, und die Schwierigkeiten, welche mit der Legislation auf den Comitien verbunden waren; ſie nahmen uͤberdies Gewohnheitsrechte weit lie - ber, als geſchriebene Geſetze, an, weil erſtere, als Fruͤch - te der Avtonomie, der Freiheit des Volks mehr ſchmei - chelten, als die leztern, deren drohende Worte in auf - gehangenen ehernen Tafeln geleſen wurden. Man wird ſich nun hieraus erklaͤren koͤnnen, warum das ius civi - le Romanorum, quod ſine ſcripto uſus comprobavit, wie Juſtinian1)§. 9. I. de I. N. G. et C. ſich ausdruckt, von jeher ungleich reichhaltiger an Rechtswahrheiten, als das geſchriebene Recht, geweſen. b) Eine zweite Vorſicht, bey heutiger Anwendung jener fremden Rechte in der Lehre vom Ge - wohnheitsrecht iſt, daß man in den einzelnen Geſezſtel - len immer auf die Bedeutung des Worts conſuetudo genau Acht gebe; denn daß die Geſezgeber dieſes Wort nicht uͤberall im eigentlichen Sinne genommen haben,wird417de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. wird ſich in der Folge zeigen. Haͤtte man hierauf meh - rere Aufmerkſamkeit verwendet, ſo wuͤrde vielleicht man - cher Zweifel uͤber den Verſtand dieſer oder jener Geſez - ſtelle, leichter gehoben, ja mancher Irrthum vermieden worden ſeyn. Die Fabel von der Praͤſcription der Ge - wohnheitsrechte giebt ein deutliches Beiſpiel davon. Uebri - gens iſt die Lehre vom Gewohnheitsrechte deſto wichti - ger, je groͤſern Einfluß ſie auf das Anſehen der geſchrie - benen Geſetze hat, welches, wenn beſonders von den fremden in Teutſchland recipirten Geſetzen die Rede iſt, oft nur gar zu voreilig unter dem Schilde entgegenſte - hender Rechtsgewohnheiten und Obſervanzen beſtritten zu werden pflegt. Unter den dieſe Materie erlaͤuternden Academiſchen Schriften will ich auſſer denen, die in Lipenius, und Schotts Supplementen ſtehen, nur noch folgende anfuͤhren: de senckenberg de iure ob - ſervantiae ac conſuetudinis in cauſis publicis priva - tisve Gieſſae 1743. Ger. von dem busch diſſ. de conſuetudine, unde et quando vim legis obtineat Goettingae 1752. rec. Halae 1773. und Car. Chriſtph. hofacker D. de iure conſuetudinis ſecundum do - ctrinam iuris naturalis et romani. Tuͤbingae 1774.

Dieſes vorausgeſchickt ſchreiten wir nunmehro zur Abhandlung der Lehre vom Gewohnheitsrechte ſelbſt, und erinnern nur noch, daß hier bloß vom Privat - Gewohnheitsrechte die Rede ſey, indem die Mate - rie vom Staatsherkommen, welches von jenem ganz unterſchieden iſt, in das Gebiet des teutſchen Staatsrecht gehoͤrt, mithin eigentlich auſſer unſerer Sphaͤre liegt.

D d 2§. 83.4181. Buch. 3. Tit.

§. 82. Eintheilung des Rechts in geſchriebenes und nicht geſchrie - benes. Erlaͤuterung der §. 3. u. folgg. I. de I. N. G. et C. und L. 32. et 35. D. de LL.

Es iſt eine nicht nur in den Geſetzen ausdruͤcklich enthaltene2)§. 3. 1. de I. N. G. et C. L. 6. §. 1. D. de Iuſt. et Iu - re. L. 32. D. de LL. , ſondern auch ſehr wichtige Eintheilung des Rechts, wenn ſolches, fuͤr Geſez genommen, in ein geſchriebenes (ius ſcriptum, lex ſcripta), und nicht geſchriebenes (ius non ſcriptum, lex non ſcripta) eingetheilet wird. Dieſe muß zuerſt erklaͤret werden, weil ſie bey dem Begriffe des Gewohnheits - rechts, als welches, wie Juſtinian3)§. 9. I. de I. N. G. et Civ. ſagt, ex non ſcripto venit, zum Grunde liegt. Die Begriffe der Rechtsgelehrten ſtimmen jedoch darinn nicht uͤberein, was eigentlich geſchriebenes und nicht geſchriebenes Recht zu nennen ſey. Die meiſten ſagen, das ius ſcri - ptum ſey ein ſolches Recht, was ausdruͤcklich vom Geſezgeber iſt bekannt gemacht worden; ius non ſcri - ptum ſey hingegen dasienige, ſo mit ſtillſchweigender Einwilligung des Geſezgebers durch Gewohnheit ent - ſtanden iſt. Die Scriptur ſey alſo bey einem geſchrie - benen Geſez nichts weſentliches4)westenberg Princip. iuris ſec. ord. Inſtitution. Lib. I. Tit. II. §. 24. ſagt: scriptum dicitur, quia plerumque ſcribi ſolet: Scriptura enim non eſt de eſſentia legis. Man ſehe auch huber Praelect. Inſtitut. tit. de iur. nat. gent. et civ. §. 7.. Eben dies ſcheint auch die Meinung unſers A. zu ſeyn. Andere5)Dieſer Meinung ſind Chriſt. Lud. crell Obſervat. de origine et virtute iuris non ſcripti. Vitemb. 1739. §. 1. und gebauer Ord. Inſtitut. Iuſtinian. Lib. I. Tit. II. §. 7. und folgg. ver -werfen419de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. werfen hingegen dieſe Begriffe ſchlechterdings, und glau - ben, daß ſolche dem roͤmiſchen Sprachgebrauch ganz zu - wieder waͤren; nach dieſem ſey vielmehr ius ſcriptum dasienige Recht zu nennen, was ſchriftlich aufgezeichnet iſt; ius non ſcriptum aber heiſſe ein ſolches, welches blos durch das Gedaͤchtniß und den Gebrauch, ohne ſchriftlichen Aufſatz, erhalten wird6)hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. Tom. I. §. 102. S. 84. scriptum ius dicitur, quod in ſcri - pturam comprehenſum cuſtoditur; non scriptum vero, quod memoriae tantum mandatur, ut pro lege obſerve - tur. . Noch andere7)Beſonders Gottl. sturm in Diſſ. de diſtinctione iuris ſcripti et non ſcripti antiquitati reſtituta. Ienae 1725 in - ter eius Diſſertat. Ienenſ. Vitembergae aditas. S. 20. und folgg. wollen auch dieſe Begriffe nicht ganz billigen, ſondern erfordern zu einem geſchriebenen Rechte im Sinn des roͤmiſchen Rechts, erſtens, daß es ſich auf den ausdruͤcklich erklaͤrten Willen des Geſezgebers gruͤnde, und zweitens, daß es ſchriftlich abgefaßt ſey. In - ſonderheit aber ſey in den aͤlteſten Zeiten der Roͤmer ius ſcriptum dasienige Recht genennet worden, was feyerlichſt durch die Stimmen des Volks auf den Comi - tien als Geſez gebilliget, und in ehernen Tafeln aufge - zeichnet worden; in den neuern Zeiten aber habe man mit dieſem Nahmen dasienige Recht bezeichnet, was vom Kaiſer ſelbſt, oder wenigſtens unter Auctoritaͤt und mit ausdruͤcklicher Genehmigung deſſelben ſchriftlich waͤre bekannt gemacht worden. Alles dieſes beſtaͤttige die unten angefuͤhrte Stelle des Kr. Juſtinians8)§. 3. I. de I. N. G. et C,, in welcher die verſchiedenen Gattungen des geſchriebenen Rechts der Roͤmer aufgezaͤhler werden. Scriptum iusD d 3eſt4201. Buch. 3. Tit. eſt lex, plebiſcitum, Senatusconſultum, Principum placita, magiſtratuum edicta, reſponſa prudentum. Pruͤfe man dieſe Geſezarten, ſo werde man finden, daß ſie alle die oben angefuͤhrte Kenntzeichen eines geſchrie - benen Rechts an ſich truͤgen; denn leges wurden durch die Stimmen des ganzen Roͤm. Volks auf den comi - tiis centuriatis; plebiſcita aber zwar nur in den Ver - ſammlungen der Plebejer, und ohne Zuſtimmung des Senats, gemacht, aber ſie waren doch ſeit dem Geſez des Hortenſius9)§. 4. I. cod. L. 2. §. 8. D. de O. I. auch fuͤr die Patricier unlaͤugbar verbindlich; und beide wurden in ehernen Tafeln aufge - gezeichnet. Eben dieſes geſchahe mit den Senatuscon - ſultis; denn ſeit den Zeiten des K. Tibers vertrat der Senat die Stelle des Volks, und der Kaiſer, als princeps Senatus, ſchlug den verſammleten Vaͤtern Ge - ſetze ungefaͤhr auf die Art vor, wie in den Zeiten der Freyheit von einer Senatoriſchen oder Plebeiiſchen Ma - giſtratsperſohn die rogatio (Vortrag) an das Volk ge - ſchahe. Sogar die Rede des Kaiſers an den Senat pflegte man in Erz zu graben10)plinius Panegyr. cap. 75. init. . Die conſtitutio - nes Principum wurden zwar ohne Solennitaͤt, blos durch den Willen des Kaiſers, aber doch ſchriftlich pu - blicirt. Die Worte Juſtinians §. 6. Quodcumque Imperator per epiſtolam conſtituit, vel cognoſcens de - crevit, vel edicto praecepit, legem eſſe conſtat: haec ſunt, quae Conſtitutiones appellantur; gaͤben ſolches ſelbſt genugſam zu erkennen; womit auch Ulpian11)L. 1. §. 1. D. de conſtitut. princip. uͤbereinſtimme. Vielleicht ſey auch manche kaiſerliche Verordnung in Erz gegraben worden. Die Edicte der Praͤtoren und der curuliſchen Aedilen wur -den421de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. den zwar ſchrifrlich bekannt gemacht, allein vor den Zei - ten K. Hadrians rechnete man ſie doch nur zum iure non ſcripto, weil ſie erſt durch die beſtaͤndige und ununterbrochene Beobachtung mit ſtillſchweigender Geneh - migung des Volks eine geſezliche Kraft erhielten; allein ſeitdem ſie K. Hadrian in das Edictum perpetuum zuſammenfaſſen ließ, und dieſes als Geſezbuch promul - girte, haben ſelbige vim iuris ſcripti, ipſa Imperatoris voluntate, erhalten12)§. 7. I. de I. N. G. et C. . Auch die roͤmiſchen Rechtsge - lehrten ertheilten ihre Gutachten ſchriftlich, ſeitdem Auguſt ſie ſelbſt zu dieſem Geſchaͤft autoriſirt, und die Richter aus politiſchen Staatsabſichten von dieſen Ora - keln des Rechts abhaͤngig gemacht hatte13)§. 8. I. eod. ; und Ju - ſtinian legte ihnen vollends die Kraft eines geſchriebe - nen Rechts dadurch bey, daß er aus den Reſponſis und Commentarien der roͤmiſchen Juriſten die Pandecten com - piliren ließ. Hieraus ergebe ſich alſo unwiederſprechlich, daß auſſer der ausdruͤcklichen Willenserklaͤrung des Ge - ſezgebers die Scriptur zum Begriff eines geſchriebe - nen Rechts, wenigſtens nach der Idee der Roͤmer, ſchlechterdings erfordert werde. Ius non ſcriptum hin - gegen ſey im Sinn des roͤmiſchen Rechts, dasienige Recht zu nennen, dem es entweder an der Scriptur, oder an der ausdruͤcklichen Willenserklaͤrung des Geſez - gebers, oder an beyden zugleich mangele. Zwar habe Juſtinian in ſeinen Inſtitutionen14)§. 9. I. eod. nur einer Gat - tung des nicht geſchriebenen Rechts ausdruͤckliche Erwaͤh - nung gethan, nehmlich des Gewohnheitsrechts: sine scripto ius venit, ſagt er, quod uſus approba - vit: nam diuturni mores, conſenſu utentium compro -D d 4bati,4221. Buch. 3. Tit. bati, legem imitantur; allein daß er damit die uͤbrigen nicht ausgeſchloſſen haben wolle, ſey aus dem folgenden § zu erſehen: Et non ineleganter in duas ſpecies ius civile diſtributum eſſe videtur: nam origo eius ab inſtitutis duarum civitatum, Athenarum ſc. et Lacedaemoniorum, fluxiſſe videtur. In his enim civitatibus ita agi ſolitum erat, ut Lacedaemonii quidem magis ea, quae pro legibus obſervabant, memoriae mandarent: Athenienſes vero ea, quae in legibus ſcripta comprehendiſſent, cuſtodirent. Hier - durch werde zu erkennen gegeben, daß ein zwar aus - druͤcklich, aber doch nur muͤndlich vom Geſezgeber be - kannt gemachtes Geſez ad ius non ſcriptum gehoͤre.

Man ſiehet wohl aus der ganzen Darſtellung die - ſer verſchiedenen Begriffe, daß Juſtinian hauptſaͤchlich an dieſer Verwirrung ſchuld ſey, indem derſelbe §. 10. ganz offenbar nicht geſchriebenes Recht im juriſtiſchen und grammatiſchen Sinn vermiſcht, und hierdurch auf den Irrwahn gerieth, den Urſprung des nicht geſchrie - benen Rechts, ſo durch Gewohnheit entſtanden, von den Lacedaͤmoniern herzuleiten15)Verſchiedene Rechtsgelehrte wollen zwar den K. Juſti - nian vertheidigen, wenn er den Urſprung des nicht ge - ſchriebenen Rechts von den Lacedaͤmoniern, des geſchrie - benen aber von den Athenienſern ableitet; weil die Ge - ſetze der Koͤnige vorzuͤglich aus den Verfaſſungen der La - cedaͤmonier, die Zwoͤlftafelgeſetze aber aus den Geſetzen der Athenienſer ihren Urſprung genommen; S. galva - nus de Uſufructu Cap. VI. S. 45. otto praefat. The - ſaur. T. III. und in Commentar. ad Inſtitut. h. t. §. Io. Henr. Io. arntzenius Specim. Obſervation. eap. XII. S. 92. Allein deswegen waren doch die Geſetze der Koͤ - nige ſo wenig, als die Geſetze des Lycurgs Gewohnheits - rechte; ſie waren nicht einmahl νόμοι ἄγραφαι. dionysius lib. II. S. 94. (edit. Sylburg.) . Wir koͤnnen aberhierin423de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. hierin den Kaiſer um ſo weniger folgen, je bekannter es iſt, daß diejenigen Geſetze, die Lycurg ſeinem Vol - ke gab, keine Gewohnheitsrechte, ſondern nur unge - ſchriebene Geſetze im grammatiſchen Sinn ge - weſen, die ſeine Buͤrger auswendig lernen muſten. Ju - ſtinion redet hier nicht als Geſezgeber, ſondern macht den Hiſtoricus, und in ſolchen Faͤllen hat Schul - ting16)schulting ad Caji Inſtitut. Lib. I. not. 6. Iurisprud. Antejuſt. S. 2 ganz richtig geurtheilt, wenn er ſagt, in re - bus facti, qualis haec eſt, Imperatoris non maior eſt auctoritas, quam alicuius hiſtorici, adeoque hic ab illo licet diſſentire. Vergleicht man dagegen die Fragmente dieſes Titels der Pandecten, ſo wird man daraus ſehen, daß dem iuri ſcripto allemahl dasjenige ius, quod moribus et conſuetudine inductum eſt, entgegen geſetzet wird. Nicht nur Julian17)L. 32. pr. D. h. t. De quibus cauſis ſcriptis legibus non utimur, id cuſtodiri oportet, quod moribus et con - ſuetudine inductum eſt. , ſondern vorzuͤglich auch Hermogenian18)L. 35. D. eod. Sed et ea, quae longa conſuetudine comprobata ſunt, ac per annos plurimos obſervata, velut tacita civium conventio, non minus, quam ea, quae ſcripta ſunt iura, ſervantur. unterſcheidet auf dieſe Art geſchriebenes und nicht geſchriebenes Recht; und daß erſteres im eigentlichen Verſtande anders nichts, als ein vom Geſezgeber ausdruͤcklich bekannt gemachtes Recht ſey, giebt Julian durch die Wor - te deutlich zu verſtehen: quid intereſt, ſuffragio popu - lus voluntatem ſuam declaret, an rebus ipſis et fa - ctis? ohne dabey des Erforderniſſes einer ſchriftlichen Promulgation zu gedenken. Zwar wendet man da - gegen ein, daß jene roͤmiſche Juriſten die demokratiſcheD d 5Ver -4241. Buch. 3. Tit. Verfaſſung Roms vor Augen gehabt, nach welcher die Geſetze der Nation auf den Comitien, ohnehin ſchrift - lich, waͤren verfaſſet worden19)sturm in der angefuͤhrten Diſſert. §. XX. Not. a. . Allein dieſer Einwurf iſt ganz ungegruͤndet, denn beyde oben gedachte Rechts - gelehrte lebten unter den Kaiſern, und man ſiehet aus ihrem Vortrag ganz deutlich, daß ſie von ihren Zeiten reden. Dem roͤmiſchen Zepter waren jedoch zu den Zeiten dieſer Rechtsgelehrten mancherley Nationen un - terthan, die ihre eigene Rechte hatten, welche unter dem Nahmen Lex municipalis in unſern Pandecten ange - fuͤhret werden20)L. 3. §. 5. D. de ſepulchro viol. und tot. Tit. D. ad municipalem, ſc. legem, wie Ev. otto in Praefat. ad Tom. II. Theſ. Iur. Rom. S. 12. gegen Cujaz erwieſen hat. Lex municipalis wird unterweilen auch lex civitatis L. 1. D. de muner. et honor. ferner lex cuiusque loci, L. 5. §. 1. D. de iure immunitat. auch lex ſchlechtweg genennt L. 3. D. quod cuiusq. univ. nom. L. 12. D. de appellat. L. 11. D. de Decurion. L. un. D. de via publ. S. Ge. D arnaud var. Coniectur. iuris civ. Lib. I. cap. 18.. Solche municipia konnten vermoͤ - ge der ihnen verſtatteten Avtonomie nicht nur commu - ni velut ſponſione ſich ſelbſt geſchriebene Geſetze ma - chen, ſondern auch gleichſam durch einen ſtillſchweigen - den Vertrag ein Gewohnheitsrecht einfuͤhren21)Adr. Deodat. steger Diſſ. ad Legem municipalem Romanorum. Lipſ. 1738.. Von dieſen haben wahrſcheinlich beyde roͤmiſche Juriſten gere - det22)S. Ioſ. finestres et de monsalvo in Hermoge - niani iuris epitomar. libros VI. Commentar. Tom. I. ad L. 35. D. LL. S. 216., welches beſonders daraus erhellet, weil Ju - lian ſagt, daß, wenn weder geſchriebenes, noch Ge - wohnheitsrecht eine Entſcheidungsnorm gaͤbe; auch ausder425de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. der Aehnlichkeit der Faͤlle keine Regel abſtrahiret wer - den koͤnne, dasjenige Recht ſodann beobachtet werden muͤſſe, quo urbs Roma utitur23)L. 32. pr. D. de LL. De quibus cauſis ſcriptis legi - bus non utimur, id cuſtodiri oportet, quod moribus et conſuetudine inductum eſt; et ſi qua in re hoc de - ficeret, tunc quod proximum et conſequens ei eſt: ſi nec id quidem appareat, tunc ius, quo urbs Roma utitur, ſervari opportet. Senſus eſt: wie Ant. faber Rational. in Pandect. h. l. dieſe Stelle richtig er - klaͤrt, in iure non ſcripto interpretando idem faciendum eſſe quod in ſcripto, ut ſi quando deficiat, ſupplendum ſit ex eo, quod in ſimilibus cauſis et quae maiorem cum pro - poſito caſu adfinitatem habeant, conſtitutum vel receptum inveniatur. Quod enim legibus ſcriptis ineſſe credi opor - tet, ut ad eas quoque perſonas, et ad eas res pertineant, quae quandoque ſimiles erunt, L. 27. D h. tit. idem de moribus quoque et conſuetudine dici poteſt. .

Aus dieſen allen erhellet nun ſoviel, daß man bey Beſtimmung der Begriffe des geſchriebenen und nicht geſchriebenen Rechts einen zwifachen Sinn unterſcheiden muͤſſe, den eigentlichen oder juriſtiſchen, und den uneigentlichen oder grammatiſchen. In dem erſtern Verſtande heiſſet lex ſcripta ein ſolches Geſez, was ſeine Verbindungskraft durch den ausdruͤck - lich erklaͤrten Willen des Geſezgebers erhalten hat. Hin - gegen ein ſolches Recht, ſo ſich urſpruͤnglich nicht auf den ausdruͤcklich bekanntgemachten Willen des Geſezge - bers gruͤndet, ſondern durch Gewohnheit entſtanden iſt, wird ius non ſcriptum im juriſtiſchen Verſtande genennt24)Daß dieſe Begriffe nicht nur bey denen roͤm. Rechtsge - lehrten, ſondern auch bey andern claſſiſchen Auctoren ge - braͤuchlich ſind, hat Ge. D arnaud in var. Coniectur. iur. civ. . Pau -4261. Buch. 3. Tit. Paulus25)Sententiar. Receptar. Lib. V. Tit. 4. §. 6. u. 8. beym schulting Iurispr. Antejuſt. S. 439. folg. nimmt noch eine dritte Gattung an, die er mixtum ius, d. i. utroque, ſcripto et non ſcri - pto, conſtans, nennt, und giebt zum Beiſpiel die in - iuriarum actio, quae lege Cornelia conſtituta eſt. Im grammatiſchen Sinn aber heiſſet ein Recht oder Geſez alsdann geſchrieben, wenn es[ſchriftlich] ver - faßt, und nicht geſchrieben, wenn es nicht ſchrift - lich aufgezeichnet iſt, ſondern blos durch das Gedaͤcht - nis erhalten wird Nach dieſem Unterſchiede kann da - her 1) ein Recht ein geſchriebenes oder ungeſchriebenes in beyderley Verſtande zugleich ſeyn. 2) Es kann ein Recht, das im grammatiſchen Sinn ungeſchrieben iſt, dennoch ein geſchriebenes Recht im juriſtiſchen Verſtan - de, und ſo auch umgekehrt ſeyn. 3) Es kann ein Recht, ſeinem Urſprung nach ungeſchrieben im juriſti - ſchen Verſtande ſeyn, und in ein geſchriebenes Recht im juriſtiſchen Sinn verwandelt werden. Das roͤmiſche Recht giebt uns davon genug Beyſpiele, wie aus Ge - wohnheitsrechten in der Folge Geſezbuͤcher entſtehen koͤn - nen. War nicht das ganze ius honorarium, welches aus den Edicten der Praͤtoren und anderer roͤmiſcher Magiſtratsperſohnen herſtammt26)cicero de inventione lib. II. c. 22. und in dieſer Hin - ſicht ſchreibt auch der Juriſt paulus Sentent. Recept. V. 4. 6. 7. nahmentlich die vom Praͤtor eingefuͤhrte actionem iniuriarum aeſtimatoriam den moribus zu., desgleichen das ei -gent -24)civ. Lib. I. cap. X. mit vielen Stellen der Alten erwieſen. Jedoch verſtanden die alten Philoſophen, ſo wie auch die alten chriſtl. Kirchenſcribenten unter ius non ſcriptum auch das Naturrecht, ſo Gott dem Menſchen gleichſam ins Herz geſchrieben, wie der Apoſtel ſagt.427de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. gentlich ſogenannte ius civile27)L. 2. §. 5. D. de O. I. Haec diſputatio (fori) et hoc ius, quod ſine ſcripto venit, compoſitum a Pru - dentibus, propria parte aliqua non appellatur ſed communi nomine appellatur ius civile, und §. 12. heißt es: eſt proprium ius civile, quod ſine ſcripto in ſola Prudentium interpretatione conſiſtit. , ſo aus den Geſezer - klaͤrungen und Gutachten der roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſeinen Urſprung genommen, und durch den Gerichtsge - brauch beſtaͤttiget worden, urſpruͤnglich bloſes Gewohn - heitsrecht (ius non ſcriptum), und doch konnte Ju - ſtinian zu ſeinen Zeiten beydes ganz richtig zum ius ſcriptum zaͤhlen28)§. 3. I. de I. N. G. et Civ. ? Auch in neuern Zeiten ſind die Beyſpiele hiervon nicht ſelten. Nur darf in einem ſol - chen Faͤlle, da bisherige Gewohnheitsrechte in geſchrie - bene Geſetze verwandelt werden, ihre urſpruͤngliche Ei - genſchaft nie vergeſſen, und daher ſolche mit andern Geſetzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie auf einerley Fuß behandelt werden. Wenigſtens der Rechtsgelehrte muß immer eingedenk ſeyn, daß der In - halt ſolcher Geſetze ſchon lange vorher ſeine Rechtskraft hatte, und daß alſo der Urſprung und der wahre Grund eines ſolchen Rechts nicht erſt in jenen neuern Geſetzen, ſondern ſchon in weit aͤltern Zeiten zu ſuchen iſt. Denn ſonſt wuͤrde man in Auslegung und Anwendung ſolcher Geſetze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen29)S. Puͤtters Beytraͤge zum T. Staats - und Fuͤrſten - Rechte. 2. Th. S. 22.. Endlich 4) kann auch ein urſpruͤnglich kundgemachtes Recht vim legis ſcriptae verliehren, und nur als Ge - wohnheitsrecht (tanquam ius non ſcriptum) beybehal - ten werden. Die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige, die Geſetze der alten teutſchen Voͤlker, die Capitularien derfraͤn -4281. Buch. 3. Tit. fraͤnkiſchen Koͤnige u. a. m. geben uns davon ſehr tref - fende Beyſpiele. Daher kann man ſich’s erklaͤren, war - um die roͤmiſchen Juriſten dasjenige Recht, welches durch die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige iſt eingefuͤhret worden, z. B. ius patriae poteſtatis, cura prodigorum, u. d. m. den moribus zuſchreiben30)L. 8. D. de his qui ſui vel al. iuris. L. 1. D. de curat. furioſ. Ev. otto in Papiniano Cap. VII. §. 1. S. 130. Io. Gottl. heineccius in Opuſcul. minorib. varii argum. S 59.. Exactis enim re - gibus, erzaͤhlt uns Pomponius31)L. 2. §. 3. D. de Or. luris., Lege Tribuni - cia, omnes leges hae (regiae) exoleverunt: iterum - que coepit populus Romanus incerto magis iure et conſuetudine ali, quam per latam legem.

§. 83. Verſchiedene Gattungen des nicht geſchriebenen Rechts. Herkommen. Gewohnheit. Obſervanz.

Das nicht geſchriebene Recht kann nun von ſehr verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn. Einmahl ein ſolches, ſo zwar ehemals ausdruͤcklich bekanntgemacht, aber nicht ſchriftlich verfaſſet worden, ſondern ſich blos durch den Gebrauch erhalten hat, und ſo auf die Nach - kommen fortgepflanzet worden iſt; dieſes wird ius tra - ditum32)Im Roͤmiſchen Rechte heißt ius per manus traditum, deſſen L. Io. D. de iure codicillor. Erwaͤhnung geſchiehet, dasjenige ius, quod ſine ſcripto traditionibus inductum eſt veterum Iurisconſultorum, und ſonſt unter dem Nahmen der mediae iurisprudentiae bekannt iſt. S. galvanus de Uſufructu. Cap. VI. S. 46. u. folg., ein hergebrachtes Recht, Herkom - men genennt. Von dieſer Beſchaffenheit waren vor Zeiten die meiſten Reichstagsſchluͤſſe. Sie wurden bisgegen429de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts ſelten foͤrm - lich ausgefertiget. Man publicirte ſie zwar, aber nur muͤndlich. Daher wurden ſie in der Eigenſchaft der Reichsſatzungen bald unbekannt und vergeſſen, und nur als ein Herkommen beybehalten und beobachtet. Ei - ne Urſache, warum wir ſo wenig alte aͤchte Reichsſa - tzungen haben33)Car. Fried. Gerſtlachers Abhandlung von den Geſetzen und Ordnungen des teutſchen Reichs. 1. Band 1. Cap. S. 16. 17.. Ein ſolches herkoͤmmliches Recht iſt nun zwar im grammatiſchen Sinn ein nicht geſchrie - benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird; allein in ſofern doch die urſpruͤngliche Bekanntmachung deſſelben erwieſen werden kann, hat es die Natur eines geſchriebenen Rechts im eigentlichen oder juriſtiſchen Sinn, und darf mithin nicht nach den Grundſaͤtzen ei - nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Entſtehet demnach uͤber die Guͤltigkeit eines ſolchen Rechts ein Zweifel, ſo darf nur erwieſen werden, daß die ehe - malige ausdruͤckliche Kundmachung deſſelben geſchehen ſey; iſt dieſe auſſer Zweifel geſezt worden, ſo muß die Vermuthung fuͤr die Guͤltigkeit eines ſol - chen Geſetzes oder Rechts ſo lange Statt finden, bis das Gegentheil von dem andern dargethan wird34)Eichmann Erlaͤuterung des buͤrgerlichen Rechts 1. Th. S. 365. u. folgg.. Sollte aber die Bekanntmachung eines ſolchen Rechts ſo ganz in Vergeſſenheit gerathen ſeyn, daß von der - ſelben keine Beweiſe dargeleget werden koͤnnten, ſo wird es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach den Grundſaͤtzen, die davon gelten, zu beurtheilen ſeyn.

Zweitens kann das nicht geſchriebene Recht ein ſolches ſeyn, ſoſich urſpruͤnglich nicht auf den ausdruͤcklich bekannt gemachtenWillen4301. Buch. 3. Tit. Willen des Geſezgebers gruͤndet, und dann iſt es ent - weder durch Gewohnheit, oder durch Obſervanz eingefuͤhret worden. Was nun aber eine Gewohnheit ſey, und wie ſie ſich von der Obſervanz unterſcheide, wird der folgende §. lehren.

§. 84. Verſchiedene Bedeutung der Worte conſuetudo, und Gewohn - heit. Unterſchied zwiſchen Gewohnheit in eigent - licher Bedeutung und Obſervanz.

Das lateiniſche Wort conſuetudo hat wie das teutſche Gewohnheit mancherley Bedeutungen, und es iſt nothwendig, dieſe kuͤrzlich anzufuͤhren, um hernach den eigentlichen Begrif von Gewohnheit deſto richtiger beſtimmen zu koͤnnen. Conſuetudo zeigt 1) in unſern Geſetzen einen ſehr genauen Umgang, oder geſellſchaft - liche Verbindung verſchiedener Perſohnen mit einander an. In dieſer Bedeutung wird nicht nur die Ehe35)§. 1. l. de patr. pot. Vergleiche auch suetonius Ne - ron. c. 35. init. wo er von Nero erzaͤhlt, eum Octaviae (uxoris) conſuetudinem (eheliche Beywohnung) aſperna - tum. , ſondern auch der Concubinat mit dieſem Worte bezeich - net So z. B. ſagt Modeſtin36)L. 34. pr. D. ad Leg. Iul. de adulter. : Stuprum com - mittit, qui liberam mulierem conſuetudinis cauſa, (d. i. zur Concubine) non matrimonii, continet. 2) Bedeutet conſuetudo auch dasjenige, was nach der Ord - nung der Natur gewoͤhnlich zu ſeyn pflegt. In dieſem Verſtande nimmt Paulus37)L. 9. pr. D. de lib. et poſtum. dieſes Wort, wenn er bey Entſcheidung der Frage, ob durch Ernennung ſol - cher poſtumorum, die der Teſtirer ſeines Alters odereiner431de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. einer vorhandenen Leibesſchwaͤche halben vielleicht nicht mehr erwarten duͤrfte, ein erſteres Teſtament aufgehoben werde? ſeine bejahende Meinung mit dem Grunde un - terſtuͤtzt: quod natura magis in homine generandi et conſuetudo ſpectanda eſt, quam temporale vitium, aut valetudo, propter quam abducatur homo a generandi facultate: das iſt, weil man mehr auf die Regel, nach welcher ordentlicher Weiſe Menſchen die Erzeugungs Kraft haben, als auf die Ausnahme Ruͤckſicht nehmen muß38)S. Weſtphals Theorie des roͤm. Rechts von Teſta - menten (Leipzig 1790.) §. 477. S. 355.. 3) Heißt Conſuetudo auch oft eine Befugniß, oder ein Recht, ſo jemand ſeit langer Zeit ausgeuͤbt hat. So koͤn - nen nach poſitiven Geſetzen Rechte und Befugniſſe durch die langwierige Ausuͤbung (longa conſuetudine) ſo gut als durch ein Geſetz eingefuͤhret werden39)L. ult. cod. de emancipat. liberor. L. un. C. de auro coron. . Bey Dienſt - barkeiten weißt das roͤmiſche Recht nahmentlich der Ge - wohnheit ihren Wirkungskreis an, wie aus den un - ten40)L. 1. §. ult. D. de aqua et aquae pluv. arc. L. 13. §. 1. D. commun. praedior. L. 1. Cod. de Servitut. angefuͤhrten Geſetzſtellen zu erſehen iſt, in wel - chen unter longa conſuetudo nichts anders als ein langer Gebrauch, oder eine ſeit langer Zeit fortgeſetzte Ausuͤbung, welche die Stelle eines Rechtstitels vertreten kann, ver - ſtanden wird; und in eben dieſem Sinn wird jener Aus - druck auch im kanoniſchen Rechte41)cap. 5. 6. 8. u. 11. X. de conſuetut. c. 50. X. de elect. cap. 3. de conſuet. in 6to. gebraucht, da wo von einer conſuetudine praeſcripta die Rede iſt. Dies ſind diejenigen Bedeutungen, die zwar nicht unmittelbar zurSacheGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. E e4321. Buch. 3. Tit. Sache gehoͤren, aber doch zu wiſſen noͤthig ſind42)Mehrere Bedeutungen, auch noch mehrere Beweisſtellen zu den von uns angefuͤhrten findet man beym brissonius de Verbor. ſigniſic. v. conſuetudo. . Wir kommen nun unſerm Zwecke naͤher, wenn wir wei - ter bemerken, daß 4) Gewohnheit fuͤr die oͤftere Wie - derholung gleichfoͤrmiger Handlungen genommen werde; in dieſer Bedeutung nehmen unſere Geſetze das Wort conſuetudo ebenfalls, wenn ſie dieſelbe als den Entſtehungs - grund des iuris non ſcripti anſehen43)L. 32. pr. L. 35. L. 39. D. de LL. conſuetudine inductum, comprobatum, obtentum eſt. . In eben dieſer Bedeutung ſchreiben ſogar unſere Geſetze44)§. 15. I. de rer. divis. L. 5. §. 5. D. de acquir, rer. dom. L. 8. §. 1. D. fam. erciſc. wo geſagt wird, daß Pfauen, Tau - ben und Bienen, ſo lange unſer Eigenthum bleiben, als ſie das Wiederkommen nicht vergeſſen, (quam diu conſuetudinem habeant ad nos revertendi). den Thie - ren eine Gewohnheit (conſuetudo) zu, die nicht ohne recht - liche Wirkung iſt. Sie iſt unterweilen als ein kuͤnſtli - cher Beweiß des Eigenthums eines Thiers gebraucht wor - den45)Einen ſolchen Fall hat crell in Diſſert. de orig. et virt. iuris non ſcripti. Obſ. V. S. 18. Equus furto ſubtractus erat, et a domino deinde deprehenſus. Hic vero, hunc equum ſuum eſſe, iureiurando affirmare detrectabat: ſed offerebat aliam probationem. Inter alia enim petebat, equum ad domum adduci ſuam, et obſervari, quid contingat: Quod facile im - petravit a iudice. Equus cum ad centum paſſus abeſſet a tu - gurio domini, dimiſſus ab auriga, confeſtim tugurium aper - tum curſu citato petiit. Intromiſſus ſtabula nota quaeſivit; quae cum ab aliis equis occupata eſſent, non quievit, donec viam ſibi faceret ad praeſepia, atque ad eundem locum, in quo olim conſiſtere ſolitus fuerat. Ita dominus obtinuit, ut equus redderctur. . Ferner verſtehet man 5) unter Gewohn -heit433de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. heit auch diejenige Regel ſelbſt, welche aus der Gleich - foͤrmigkeit freyer Handlungen entſtanden iſt. So z. B. wollen die Geſetze46)L. 21. §. 1. D. Qui teſtam. fac. poſſ. L. 50. §. ult. D. de legat. 1. L. 14. D. de ann. legat. L. 23. §. 1. D. de pecul. legato. , daß bey vorkommender Undeut - lichkeit lezter Willensverordnungen auf die Gewohnheit des Erblaſſers (conſuetudo patrisfamilias) d. i. auf die ihm eigene Art ſich auszudrucken, und in dergleichen Fall, wovon die Rede iſt, zu handeln, vor allen Dingen Ruͤckſicht genommen werden ſolle. Auch ſchon im gemei - nen Redegebrauch pflegt man es eine Gewohnheit zu nennen, wenn man freye Handlungen ſchon ſeit gerau - mer Zeit nach einer gewißen Regel thut, und die teut - ſchen Reichsgeſetze47)Cammergerichtsordn. von 1495. Tit. I. §. 4. Reichs - abſchied von 1570. §. 76. u. N. R. A. §. 105. K. Carls V. Vorrede zur P. Gerichtsordn. und deren Art. 116. Inſtr. Pac. Oſnabr. art. VIII. §. 4. Kaiſerl. Wahlcapitula - tion art. I. §. 9. u. a. m. beſtaͤttigen dieſe Bedeutung, wenn ſelbige zum oͤftern alte Gebraͤuche und gute Gewohn - heiten beobachtet wiſſen wollen. Es iſt jedoch nicht jede Regel, welche aus einer Reihe gleichfoͤrmiger Handlungen entſtanden, gleich fuͤr verbindlich zu halten, ſondern es iſt ein Unterſchied zu machen, ob dieſe Regel nur von einem, oder mehrern einzelnen Perſohnen, oder ob ſie von allen iſt beobachtet worden. Im erſtern Falle ver - bindet dieſelbe weder dieienigen, die ſie freywillig beob - achten, cum nemo eam ſibi poſſit legem dicere, a qua ei recedere non liceat48)L. 22. pr. D. de legat. 3. ; noch auch andere, nam inter alios geſta, quorum ex voluntate valent,E e 2aliis4341. Buch. 3. Tit. aliis non nocent, qui non conſenſiſſe probari poſ - ſunt49)L. 1. C. inter alios acta etc. L. 74. D. de R. I. ; es waͤre denn, daß die Geſetze ſelbſt die be - ſondere Gewohnheit eines Hausvaters in gewiſſen Faͤllen zur Norm vorgeſchrieben haͤtten, wie z. B. bey Erklaͤ - rung lezter Willensverordnungen. Es hat auch keinen Zweifel, daß der Richter dasienige, was in einem ge - wiſſen Falle gemeiniglich und von den Meiſten zu geſche - hen pflegt, in Zweifel zum Entſcheidungsgrunde anneh - men koͤnne, wenn nicht aus den Umſtaͤnden zu erſehen iſt, daß den Partheyen in dem vorliegenden Falle ein anders gefallen habe50)Man ſehe hier die ſchon mehrmahlen angefuͤhrte Diſſ. des crell Obſ. 3. S. 15. woraus ich nur folgende Stelle anfuͤh - ren will: Quoties non animo, constituendi regulam, aliquid invaluit, quamvis a multis frequentatum ſit, vim con - ſuetudinis et legis non habebit. Eo pertinent, quae vel non diu ſatis, vel non ab omnibus, ſed a multis duntaxat, neque perpetuo similiter, obſervata ſunt: ut appareat, cuiusque arbitrio permiſſum eſſe, an ſequi velit exemplum re - liquorum. Neque tamen, quae a plurimis facta ſunt, pror - ſus negligimus in iudicando. solent enim, quae plerum - que fiunt, quamvis non expreſſa ſint, in dubio praesu - mi; niſi appareat, diversum placuiſſe. Ita pomponius tradidit L. 3. D. de reb. cred. . Im zweiten Falle aber, wenn alle Einwohner einer gewiſſen Region zeithero ſich nach einer gewiſſen Regel gerichtet, und ſolche in der Meinung, daß ſie ſo, und nicht anders, zu handeln verbunden, un - abgeaͤndert beobachtet haben, ſo wird eine ſolche Regel endlich durch die Laͤnge der Zeit zur verbindlichen Gewohnheit51)Sehr richtig ſagte daher cicero de Invent. lib. II. cap. 22. ſchon zu ſeinen Zeiten, consuetudinis ins eſſe putatur id, quod voluntate omnium ſine lege vetuſtas comprobavit. , und dieſe nimmt, ſo fern ſie vom Geſetz -geber,435de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. geber, es ſey ſtillſchweigend oder ausdruͤcklich, gebilliget worden, das Gepraͤge eines Geſetzes an. Daraus ent - ſtehet nun die Idee einer Gewohnheit im ſtrengſten Ver - ſtande, und fuͤr Geſetz genommen. Gewohnheit, in ſo fern man darunter ein nicht geſchriebenes Geſetz ver - ſtehet, iſt alſo endlich 6) eine verbindliche Norm, welche aus gleichfoͤrmigen Handlungen der Unterthanen entſtanden, und durch die Ge - nehmigung des Landesherrn Geſetzes Kraft erhalten hat. Von dieſer wird nun vorzuͤglich zu handeln ſeyn. So gewoͤhnlich es nun zu ſeyn pflegt, die Woͤrter Gewohnheit und Obſervanz in algemei - ner Bedeutung fuͤr Eins zu nehmen, inſofern man dar - unter uͤberhaupt eine Regel verſtehet, welche nicht aus - druͤcklich vorgeſchrieben, ſondern durch Handlungen eingefuͤhrt worden iſt; ſo gewiß iſt es doch, daß im ei - gentlichen Verſtande zwiſchen beyden ein ſehr wichtiger Unterſchied vorhanden ſey. Denn Obſervanz in der eigentlichen und engern Bedeutung iſt eine Regel, die in einem Collegio, oder univerſitate perſonarum durch die ſtillſchweigende Einwilligung des Collegiums, oder zum wenigſten derienigen Mitglieder, welche dabey in - tereſſirt ſind, ihr Daſeyn und verbindliche Kraft erhalten hat52)S. Schnauberts Beytraͤge zum T. Staats - und Kirchen - recht. I. Th. N. VI. §. 2. u. 3. Ge. Lud. boehmer Princip. iuris canon. §. 235. Fiſcher Litteratur des germaniſchen Rechts §. 175. Meurers juriſt. Abhandl. 1. Samml. N. VI. . Der Unterſchied zwiſchen Gewohnheit und Obſervanz, inſofern beydes in ſeiner eigentlichen und engern Bedeutung genommen wird, beſtehet nun im Folgenden. 1) Die Gewohnheit wird durch Hand - lungen der Unterthanen; die Obſervanz durch Hand - lungen in einem Collegio eingefuͤhrt. Sie koͤnnen uͤbri -E e 3gens4361. Buch. 3. Tit. gens von Mitgliedern des Collegiums ſowohl, als auch von Fremden vorgenommen werden, indem auch dieſe dadurch ein Recht in einer Geſellſchaft, deren Genoßen ſie nicht ſind, erlangen koͤnnen53)So z. B. kann das Recht bey der Wahl eines Praͤlaten zu concurriren, und ein Stimmrecht auszuuͤben, durch Obſer - vanz von Fremden erworben werden, die ſonſt keine Mit - glieder des Capitels der verwaißten Kirche ſind, und alſo ordentlicher weiſe in demſelben keinen Sitz und Stimme haben. cap. 8. X. de conſuet. c. 50. X. de elect. Auch das Recht, fuͤr eine erledigte Pfruͤnde einen Geiſtlichen zu ernennen, kann man durch Obſervanz acquiriren. c. 24. X. eodem. S. boehmer a. a. O. §. 236. not. d. Eibel kathol. Kirchen - recht IV. Th. 1. Band 6. Hauptſt. §. 311. Maur. schen - ckel in Iuris Eccleſ. ſtatui Germ. maxime et Bavariae ac - commod. Syntagm. (Salisb. 1786. 8.) §. 467.. II) Die Gewohn - heit erhaͤlt ihre verbindliche Kraft durch die Genehmi - gung des Landesherrn; die Obſervanz aber durch die ſtillſchweigende Einwilligung des Kollegiums, oder der - ienigen Mitglieder deſſelben, welche bey der Sache in - tereſſirt ſind. III) Die Gewohnheit hat demnach die Kraft eines eigentlichen Geſetzes; die Obſervanz aber die Kraft eines ſtillſchweigenden Vertrags (vim taciti pacti)54)Fratr. becmannorum Conſil. et Deciſ. P. II. Deciſ. LI. n. 17. S. 104.. IV) Zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit werden mehrere, und eine lange Zeit hindurch fortgeſezte Handlungen erfordert, zur Obſervanz aber nicht, weil zu einem durch Vertrag erworbenen Rechte weder meh - rere Handlungen, noch der Ablauf einer gewiſſen Zeit vonnoͤthen iſt55)Bey der Lehre von der kirchlichen Obſervanz hat der beruͤhmte Herr Geh. JuſtizR. Boͤhmer in ſeinem vor -treflichen.

§. 85.437de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

§. 85. Wodurch erhaͤlt eine geſetzliche Gewohnheit ihr Daſeyn und Guͤltigkeit?

Es koͤmmt nun in der weitern Entwickelung der Lehre vom Gewohnheitsrechte hauptſaͤchlich auf zwey Fra - gen an. I) Wie entſtehet eine geſetzliche Gewohnheit? und II) Wodurch erhaͤlt ſie ihre verbindliche Kraft? In Anſehung der erſtern Frage bemerken wir hier nur im Allgemeinen, daß zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit ha - bile Handlungen der Unterthanen erfordert werden. Wie aber dieſe Handlungen geeigenſchaftet ſeyn muͤſſen, wird uns der folgende Paragraph erſt lehren. Soviel hier - naͤchſt die zweyte Frage anbetrift, ſo iſt nun zwar ſoviel auſſer allen Zweifel, daß eine geſetzliche Gewohnheit ihre verbindliche Kraft durch den Willen des Geſetzgebers be - komme, ohne welchen ſich uͤberhaupt kein poſitives Geſetz gedenken laͤſſet; allein eine andere Frage iſt, woraus die - ſer Wille des Geſetzgebers zu erkennen ſey? Nach der gewoͤhnlichen Theorie, die auch in dem Syſtem unſers Autors herrſcht, behauptet man, daß die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten lediglich auf den ſtillſchweigenden Con - ſens des Geſetzgebers beruhe, dieſer aber aus der nicht wiederſprochenen oͤftern Wiederholung gleichfoͤrmiger Handlungen der Unterthanen gefolgert werden muͤſſe. Allein pruͤft man dieſe Theorie genauer, vergleicht man ſie mit dem, was die Erfahrung und die Geſetze ſelbſtE e 4uns55)treflichen Lehrbuche des Canoniſchen Rechts §. 236. richtig bemerkt, daß auch unicum factum haud contradictum, opinione iuris, ſciente et non contradicente eccleſia, ſuſceptum zur Begruͤndung einer ſolchen Obſervanz genuͤge; und man kann dies allerdings als einen algemeinen Satz in der Lebre von der Obſervanz gelten laſſen. S. D. Meurers juriſtiſche Abhandlungen u. Beobacht. 1. Samml. N. VI. §. 5. u. folgg.4381. Buch. 3. Tit. uns hiervon lehren, ſo wird man gar bald einſehen, daß ſie aͤuſſerſt mangelhaft ſey. Wie! wenn der Geſetzgeber durch ausdruͤckliche Verordnungen feſtgeſetzet haͤtte, daß in gewiſſen Faͤllen vernuͤnftige Gebraͤuche und gute Ge - wohnheiten den Geſetzen gleich beobachtet werden ſollten! Und haben wir nicht ſowohl im roͤmiſchen Geſetzbuche, als in den teutſchen Reichs - und Landesgeſetzen Beiſpiele genug, die dieſes beſtaͤttigen? Wer hieran zweifelt, leſe nur die Verordnungen des roͤm. Kaiſers Alexan - der56)L. 1. C. quae ſit longa conſuct. L. 3. C. de aedific. pri - vat. Praeſes provinciae probatis his, quae in oppido fre - quenter in eodem controverſiarum genere ſervata ſunt, cauſa cognita ſtatuet. Nam et conſuetudo praecedens, et ratio, quae conſuetudinem ſuaſit, cuſtodienda eſt. , die Cammergerichtsordnung57)ſowohl vom Jahr 1495. §. 3. als von 1555. Tit. XIII. §. 1., die P. Ge - richtsordnung Carls V.58)Art. 104. 116. u. a. m., den neueſten Reichsabſchied von 165459)§. 105., das Inſtrumentum Pacis Osnabrugen - ſis60)Art. VIII. §. 4. u. a. m. Ja es kann der Geſetzgeber nicht nur mittelſt ſeiner allgemeinen durch ein Geſetz ausdruͤcklich erklaͤrten Einwilligung die in ſeinem Lande uͤbliche red - liche ehrbare Gewohnheiten uͤberhaupt beſtaͤttigen, ſon - dern auch in einer Verordnung einer gewiſſen einzelnen Gewohnheit insbeſondere die Kraft eines Geſetzes erthei - len61)S. G. L. boehmer Princip. iuris canon. §. 232. Eich - mann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts I. Th. S. 393. am Ende und folg. Eibel Einleitung in das kathol. Kirchen - recht IV. Th. I. Band 3. Hauptſt. §. 268.. Unſtreitig folgt hieraus, daß die allgemeine Grundlegung einer ſtillſchweigenden Genehmigung desGeſetz -439de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. Geſetzgebers bey dem Gewohnheitsrechte nichts weniger als gegruͤnder ſey, wie ſolches auch ſchon andere mit meh - rern gezeigt haben62)S. hartleben Meditat. ad Pandect. Vol. I. P. I. Spec. XI. med. 2. woltaer Obſervat iuris civ. Faſcic. I. Obſ. 7. §. 1. und deſſelben Anmerkungen uͤber Moͤller Diſtinct. iuris feud. S. 33. crell Obſervat. de origine et virtute iuris non ſcripti. Obſ. 2. am Ende S. 11. Weber Reflexionen zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heut. Gebrauch des roͤm. Rechts §. 24. Paul. Ioſ. a riegger Inſtitut. iuris - prud. eccleſiaſt. P. II. §. 110. S. 59. beſonders von dem busch Diſſ. Cap. III. §. XXVI XXXII. . Es kann vielmehr die Einwilli - gung des Geſetzgebers, wodurch den Gewohnheiten gleich - ſam das Siegel des geſetzlichen Anſehens aufgedruckt wird, eben ſowohl eine ausdruͤcklich erklaͤrte als eine ſtillſchweigende ſeyn. Ob nun wohl in Anſehung des Effects kein Unterſchied iſt, ob der Geſetzgeber ſeine Genehmigung in eine entſtandene Gewohnheit ausdruͤck - lich oder ſtillſchweigend zu erkennen giebt; ſo iſt doch der Unterſchied in Anſehung der Form dieſer beiderlei Art der Willenserklaͤrung deſto wichtiger. Denn ſo gewiß es iſt, daß aus dem bloſen Stillſchweigen ſich nicht immer gleich eine Einwilligung ſchlieſſen laͤſſer, ſofern nicht ent - weder eine Verbindlichkeit vorhanden waͤre, zu wieder - ſprechen, falls man mit dem, was geſchieht, nicht zu - frieden iſt, oder das Stillſchweigen nach den Umſtaͤnden der Sache gar keine andere vernuͤnftige Erklaͤrung litte, als dieſe, daß es aus einer Einwilligung komme63)S. Reinhardts Sammlung iuriſt. philoſoph. u. krit. Auf - ſaͤtze. I. Bandes 5. Stuͤck. S. 308.; ſo unlaͤugbar iſt es auch, daß daraus allein, daß der Geſetz - geber zu den Handlungen ſeiner Unterthanen, die ſie bis - her nach einer gewiſſen unter ſich beobachteten Regel alle auf einerley Art unternommen, ſtillſchweigt, noch kei -E e 5neswe -4401. Buch. 3. Tit. nesweges der Wille deſſelben, dieſer Gewohnheit die Kraft eines Geſetzes zu ertheilen, gefolgert werden koͤnne; ſondern es wird vielmehr dazu erfordert, daß die Hand - lungen und das Bezeigen des Regenten ſo beſchaffen ſeyen, daß daraus mit Gewißheit auf ſeine Einwilligung geſchloſſen werden koͤnne. Dieſes aber kann nur alsdann mit Grunde geſchehen, wenn erwieſen iſt, daß der Geſetz - geber eine gewiſſe Notiz von derienigen Gewohnheit ge - habt, von deren verbindenden Kraft die Rede iſt, und dennoch denen nach derſelben bisher und ſchon ſeit langer Zeit unternommenen Handlungen ſeiner Unterthanen nie - mahlen wiederſprochen, ſondern vielmehr dieſelben ein - oder wohl mehrmahlen ſelbſt beſtaͤttiget habe. Denn da ein Regent in ſeinem Staat nichts geſchehen laſſen darf, was dem gemeinen Beſten nachtheilig iſt, mithin denen Unterthanen ihr bisheriges Verfahren nothwendig haͤtte unterſagen muͤſſen, wenn er nicht gewollt, daß daraus eine Gewohnheit entſtehen ſollte, ſo kann man allerdings in einem ſolchen Falle, wenn kein Widerſpruch erfolgt, auf die Zufriedenheit, und den ſtillſchweigenden Willen des Geſetzgebers ſchließen. Wenn im Gegentheil die Ge - nehmigung vom Geſetzgeber auf die Art geſchehen, daß derſelbe durch eine ausdruͤckliche Verordnung uͤber die in ſeinem Lande uͤbliche Gewohnheiten zu halten befohlen haͤtte, ſo iſt in einem ſolchen Falle nicht noͤthig, daß der Geſetzgeber iede einzelne Gewohnheit, und die Hand - lungen, wodurch dieſelbe eingefuͤhrt worden, muͤſſe ge - wußt haben64)cap. 1. de conſtitut. in 6to. ; nein, es iſt genug, daß einmahl die generelle Beſtaͤttigung geſchehen; es waͤre denn, daß von ſolchen Gewohnheiten die Rede ſey, welche geſchriebenen Geſetzen gerade entgegen gehen; Gewohnheiten dieſer Art muͤſſen durchaus in ſpecie vom Landesherrn gebilligetſeyn;441de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. ſeyn; und es wird der deutlichſte Beweiß erfordert, daß ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft gekommen. Sonſt bleibt es bey der Regel: hundert Jahre Unrecht iſt keine Stunde recht. Denn ohnmoͤglich koͤnnen jene Ge - ſetze, welche die Gewohnheiten im allgemeinen beſtaͤtti - gen, ſo ausgelegt werden, als ob der Regent ſeinen Un - terthanen die Befugniß ertheilet haͤtte, ſeinen einmahl gegebenen Geſetzen, durch Einfuͤhrung anderer Gebraͤu - che, ihre Kraft zu entziehen65)Es ſey mir erlaubt, hier eine vortrefliche Stelle aus des be - ruͤhmten riccii Spicilegio iuris Germanici S. 2. u. folg. einzu - ruͤcken: Quum omnem legis condendae et publicandae poteſta - tem populus in principem transtulerit, et naturali ratione eius ſit ſolvere, qui poteſt velle, fruſtra utique in principem legis - latoria poteſtas foret collata, ſi civibus liceret, leges quas vellent, contrario uſu vel pluribus actibus publice ſuſceptis, legi contrariis antiquare. Graviter proinde et recte iam olim in diplomate ſuo de a. 1360. pronunciavit Rudolphus IV. Ar - chidux Auſtriae: ſo ſoll noch mag dieſelbe Gewohn - heit, wie alt ſie waͤr, die alſo wieder das ge - meine Recht, und wieder die Wahrheit iſt, kein ſunder Recht machen noch bringen. Rei enim veritate inſpecta non plures actus publice ſuſcepti, ſed mutata principis voluntas factis declarata tollit legem autea latam. .

Da uͤbrigens die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten lediglich von der Einwilligung des Geſetzgebers abhaͤngt, ſo verſteht ſich’s, daß die Guͤltigkeit derſelben nie weiter ausgedehnet werden duͤrfe, als der Conſens des Geſetz - gebers ſich erſtreckt. Haͤtte alſo der Landesherr ausdruͤck - lich erklaͤrt, daß nur die alten guten Gewohnheiten allein, oder nur dieienigen Gewohnheiten, welche er in ſein Ge - ſetzbuch aufgenommen haͤtte, eine geſetzliche Kraft haben ſollten, ſo ſind nur dieſe allein fuͤr guͤltig zu halten, undkann4421. Buch. 3. Tit. kann in ſolchen Faͤllen der Conſens des Landesherrn we - der auf kuͤnftige neue Gewohnheitsrechte, noch auf die - ienigen alten Gewohnheiten gezogen werden, die in dem Geſetzbuche nicht begriffen ſind, ſondern es ſind vielmehr ſolche als aufgehoben anzuſehen66)Ein Beiſpiel davon giebt der Entwurf eines allge - meinen Geſetzbuchs fuͤr die Preußl. Staaten I. Th. Einleit. §. 3. Sogenannte Gewohnheits - rechte, welche in dieſe Buͤcher nicht aufgenom - men ſind, ſollen eben ſo wenig, als bloſe Mei - nungen der Rechtslehrer, irgend eine geſetz - liche Kraft haben..

§. 86. Erforderniſſe einer guͤltigen Gewohnheit.

Wir ſchreiten nun zur ausfuͤhrlichern Eroͤrterung der im vorigen Paragraph aufgeworfenen erſtern Frage, und wollen ietzt zeigen, wie dieienigen Handlun - gen beſchaffen ſeyn muͤſſen, durch welche eine legale Gewohnheit eingefuͤhrt werden ſoll? Die geſetzlich beſtimmten Eigenſchaften ſolcher Handlungen ſind folgende:

I) Es werden mehrere Handlungen erfordert. Nicht nur die Natur einer jeden Gewohnheit an ſich, als welche nur aus wiederholten Handlungen entſtehen kann, bringt dieſes nothwendig mit ſich, ſondern die Geſetze67)L. 1. C. quae ſit long. conſuet. L. 3. C. de aedific. privat. Auch die Geſetze der Pandecten, welche von einer conſuetu - dine inveterata, L. 32. §. 1. diuturna L. 33. longa conſuetu - dine, et per annos plurimos obſervata L. 35. h. t. reden, ge - ben dieſes nicht undeutlich zu verſtehen. ſelbſt haben es auch deutlich beſtimmt. Eine einzige Handlung iſt alſo nicht hinreichend. Denn wie koͤnnteman443de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. man daraus eine gewiſſe und beſtaͤndige Regel fuͤr die Zukunft folgern? Zwar fehlt es nicht an Rechtsgelehr - ten68)Z. B. de cocceii Iur. Controv. h. t. Qu. 10. titius iur. privato lib. I. c. 7. §. 9. Bened. oberhauser Praelect. canon. iuxta titulos Decretalium lib. I. tit. IV. de conſuetu - dine §. 9. Eibel kathol. Kirchenrecht. IV. Th. I. Band S. 122. u. a. m., welche dieſem ohngeachtet ſich uͤberredet haben, daß auch durch einen einzigen Act eine Gewohnheit be - gruͤndet werden koͤnne. Allein dieſe Meinung bedarf keiner Widerlegung, wenn ſie auch von andern69)S. hartleben Meditat. ad Pandect. Vol. I. Spec. XI. med. 7. S. 211. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts I. Th. S. 373. Not. z. nicht ſchon ſo gruͤndlich waͤre wiederleget worden. Wie viele Handlungen nun aber zur Einfuͤhrung einer geſetzlichen Gewohnheit erforderlich ſind? Daruͤber treffen wir nirgends in unſern Geſetzbuͤchern eine entſcheidende Beſtimmung an. Was Wunder iſt es demnach, wenn die Rechtsgelehrten desfalls in ihren Meinungen nicht mit einander uͤbereinſtimmen? Eini - ge70)Dieſer Meinung ſind carpzov P. II. Conſt. 3. definit. 22. n. ult. schilter Exerc. 2. th. 17. gail lib. II. Obſ. 31. n. 7. Eichmann a. a. O. S. 374. u. a. m. wollen zwey Handlungen ſchon fuͤr hinlaͤnglich halten. Allein dieſe ſind von Voet71)Commentar. ad Digeſta Tom. I. h. t. §. 29., Noodt72)Comment. ad Dig. h. t. S. 15., und am neueſten von den Verfaſſern der Meditatio - nen uͤber verſchiedene Rechtsmaterien73)Dritter Band (Hildesheim 1789. 8.) Meditat. 182. S. 312. u. folgg.ſehr4441. Buch. 3. Tit. ſehr gruͤndlich wiederleget worden. Nur haben letztere ein Hauptargument uͤberſehen, worauf ſich die Verthei - diger jener Meinung ganz vorzuͤglich ſtuͤtzen. Dieſes iſt der Ausſpruch Ulpians74)L. 12. D. de teſtibus. : pluralis elocutio duorum nu - mero contenta eſt. Ob jedoch dieſes Argument mehr, als die uͤbrigen, beweiſe, daran zweifele ich noch ſehr. Das Geſetz redet eigentlich vom Beweiſe durch Zeugen, und will, daß in jedem Falle, wo mehrere Zeugen erfor - dert werden, die Zahl derſelben aber doch nirgends aus - druͤcklich beſtimmt worden iſt, ſchon zwey genuͤgen ſollen, weil dieſe, vorausgeſetzt, daß ſie untadelhaft ſind, in der Regel einen vollſtaͤndigen Beweis machen. Hier iſt alſo von keiner legalen Gewohnheit die Rede, und der Unterſchied zwiſchen Beweis und Gewohnheit iſt, wie mich duͤnkt, zu auffallend, als daß von der Anzahl der zu einem vollſtaͤndigen Beweis erforderlichen Zeugen, auf die Zahl der Handlungen, wodurch eine Gewohnheit ein - gefuͤhrt werden ſoll, der Schluß gelten koͤnnte75)Von dem gewoͤhnlichen Mißbrauch der L. 12. D. de teſt. und den daher entſtandenen Irrthuͤmern haben bey andern Gelegenheiten ſchon ein Wort zu ſeiner Zeit geredet. God. Lud. mencken in Commentat. ad L. XVIII. C. de teſtib. Lipſiae 1748. S. 14. und I. D. wibekind in Diſſ. de in - commodis per interpretationes uſuales et obſervantias in iuris - prud. invectis. §. 22. Siehe auch meine Opuſcula Faſc. I. S. 16.. Die meiſten behaupten daher, daß zwey Handlungen fuͤr zu - reichend nicht zu halten76)Auſſer den angefuͤhrten noodt, voet u. ſ. w. glauben die - ſes gundling in Gundlingianis St. VII. Obſ. 3. §. 17. kem - merich de probatione conſuetudinis. Sect. II. §. 4. lit. c. vinnius Comment. ad §. 9. I. de I. N. G. et C. Struben rechtl. Bedenken I. Th. Bed. 130. S. 309. u. a. m.. Sie glauben, daß uns dieGeſetze445de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. Geſetze77)L. 1. C. quae ſit long. conſuet. L. 3. C. de aedific. priv. ſelbſt dies lehrten, wenn dieſe zur Begruͤn - dung einer Gewohnheit erfordern, daß etwas frequenter d. i. haͤufig geſchehen ſey, ſo ſich aber von dem, was zweymahl geſchehen, noch nicht ſagen ließe.

Diejenigen, welche in Ermangelung beſonderer Lan - desherrlicher Verordnungen die Sache dem Ermeſſen des Richters uͤberlaſſen wiſſen wollen, hegen ohnſtreitig die richtigſte Meinung78)So urtheilen cuiacius Lib. XX. obſ. 1. zasius ad L. 32. D. de LL. Ant. schulting Enarrat. part. primae Digeſtor. h. t. §. 17. Commentat. academicar. Halae editar. Vol. IV. S. 33. von dem busch de conſuetudine §. VII. und XXXVII. Herr Oberappellations R. Hoͤpfner in Commentar uͤber die Inſtitutionen §. 58. S. 59. u. a. m.. Es kommt alles darauf an, ob ſo viele Handlungen wuͤrklich vorgekommen ſind, daß aus denſelben nicht nur uͤberhaupt eine gewiſſe und be - ſtaͤndige Regel hergeleitet, ſondern auch mit Gewißheit auf die Einwilligung des Landesherrn geſchloſſen werden kann. Dieſer Beweis aber liegt jederzeit demjenigen ob, der ſich in einer ſtreitigen Gewohnheit gruͤndet. Kann dieſer Beweis gefuͤhrt werden, ſo kommt es auf die Viel - heit der Acte gar nicht an. Die Gewohnheiten ſind uͤber - haupt nicht alle von einerley Art. Die eine Gewohn - heit erfordert weniger, die andere mehrere Handlungen. Manche Handlungen ſind ihrer Natur nach ſo beſchaffen, daß ſie nur ſelten vorkommen koͤnnen. Solche Handlun - gen erregen ihrer Neuheit wegen Aufmerkſamkeit, und wenige derſelben koͤnnen daher oft eben dieſelbe Wirkung haben, welche in andern Faͤllen nur aus der oͤftern Wie - derholung gleichfoͤrmiger Handlungen entſtehen kann.

II) Muͤſ -4461. Buch. 3. Tit.

II) Muͤſſen die Handlungen der Unterthanen gleich - foͤrmig, das heißt, alle nach einerley Regel unternom - men worden ſeyn. Aus ungleichen Handlungen kann keine Gewohnheit erwachſen. Denn aus ſolchen laͤßt ſich keine gewiſſe und beſtaͤndige Regel herleiten. Man ſetze alſo, der Richter eines Orts habe in einem Fall, da ein Delinquent ſelbſt nichts im Vermoͤgen gehabt, die peinlichen Koſten von den Unterthanen beytreiben laſſen; ſie haͤtten ſolche auch das erſte und zweytemahl getragen, das dritte - mahl aber ganz verweigert; das viertemahl nur das Henker - geld beygebracht, ſo kann derſelbe, wenn er in einem fuͤnften Falle die Inquiſitionskoſten abermahl verlangt, die Gerichts - unterthanen aber dieſelben verweigern, ſich auf keine Ge - wohnheit berufen. Denn dazu wird erfordert, daß in der ganzen Reihe von Handlungen, wodurch eine Gewohnheit begruͤndet werden ſolle, auch nicht eine einzige vorkomme, welche denen uͤbrigen entgegen iſt. Dieſes iſt es, wenn die Rechtslehrer ſagen, die actus conſuetudinis intro - ductivi muͤſſen uniformes et continui ſeyn. Hieraus er - hellet zugleich, daß eine Gewohnheit, die noch in ihrer Entſtehung iſt, durch eine einzige contraire Handlung gleichſam in ihrer Geburt erſticket werden kann79)S. Tob. Iac. reinharth Select. Obſervat. ad Chriſti - naei deciſiones Vol. IV. Obſ. 65..

III) Duͤrfen die Handlungen nicht der geſunden Vernunft, noch dem Wohl des Staats oder dem Beſten der Kirche zuwider ſeyn. Sonſt iſt die Gewohnheit unvernuͤnftig. Eine ſolche aber kann nie eine geſetzliche Kraft erlangen, weil ſich hier keine Einwilligung des Geſetzgebers annehmen laͤſſet80)Nov. iustiniani CXXXIV. cap. 1. wo es nach der Hom - bergiſchen Verſion heißt: Neque conſuetudines nominent, autquae -. So447de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. So z. B. kann keine Gewohnheit Verbrechen zu erlaubten Handlungen machen, wenn ſie auch noch ſo lange unge - ſtraft geblieben waͤren81)pufendorf Tom. I. Obſ. 189. S. 483.. Denn auch hundert Jahr Unrecht, iſt keine Stunde recht. Solche unvernuͤnftige Gewohnheiten verwerfen die Geſetze aus - druͤcklich, und der 218te Artikel der P. Gerichtsordnung Carls V. enthaͤlt ein ganzes Regiſter von denſelben. Es giebt jedoch auſſer dieſen noch genug andere unvernuͤnf - tige Gewohnheiten, dahin gehoͤrt z. B. wenn die Scharf - richter ſich die Guͤter der Selbſtmoͤrder, die ſie bey und um ihnen finden, anzumaßen pflegen82)de boehmer Meditat. in Conſt. crim. Carol. art. 135. §. VI. n. V. S. 638.. Ferner, wenn man diejenigen, durch welche eine Feuersbrunſt veran - laßt worden, ehemahls in der Wuth und erſten Hitze den Flammen aufopferte83)Quiſtorp Grundſaͤtze des T. Peinl. Rechts. I. Th. 5. Abſchn. 10. Kap. §. 203., u. d. m. Auch die canoniſchen Rechte84)S. cap. 1. 3. 4. 5. 7. 9. 10. X. de conſuet. eifern namentlich gegen unvernuͤnftige Gewohn - heiten, die beſonders dem Wohl der Kirche entgegenſtrei - ten, ſo nachdruͤcklich, daß man ſich billig wundern muß, wie es dennoch habe Rechtsgelehrten85)senckenberg in Diſſ. de iure obſervantiae ac conſuetudi - nis §. 7. geben koͤnnen,die80)quaerant, quas forte aliqui anteceſſorum ad lucrum ſuum in - iuſte excogitarunt. Quae enim male excogitata ſunt, ea nec longa consuetudine confirmari volumus. Peinl. Ge - richtsordnung Carls V. Art. 218. von Mißbraͤuchen und boͤſen unvernuͤnftigen Gewohnheiten, ſo an etlichen Orten und Enden gehalten werden.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. F f4481. Buch. 3. Tit. die auch unvernuͤnftige Gewohnheiten in Schutz genom - men. Doch ihre Gruͤnde ſind ſchon von andern genug gepruͤfet, und in ihrer Bloͤſe dargeſtellet worden86)S. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XI. med. 5. und 6. S. 207. Adde struv Diſſ. de conſuetudinibus ratio - nabilibus et irrationabilibus und Io. eichel de pravis et irra - tionabilibus conſuetudinibus. . Wir bemerken hier nur noch, daß, wenn gleich unver - nuͤnftige Gewohnheiten keine geſetzliche Kraft noch Ver - bindlichkeit haben, vielmehr jeder Obrigkeit obliegt, da - fuͤr zu ſorgen, daß ſie, um mich der Worte K. Carls V. zu bedienen, hinfuͤrter nit geuͤbt, gebraucht oder gehalten werden; denenſelben dennoch darum nicht alle rechtliche Wirkung abzuſprechen ſey, indem ſie z. B. auf die Strafbarkeit einer Handlung wichtigen Einfluß haben koͤnnen87)crell Diſſ. de orig. et virt. iuris non ſcripti Obſ. III. S. 14. temperatur poena facti illiciti, quod quis non dolo, ſed imitatione aliorum, ct consuetudine adductus, admiſiſſe videtur. Imo vero aliquando qui consuetudine peccandi a pluribus recepta, malo increbreſcente, licen - tioſius deliquerit, cum non ignorantia, ſed maiori audacia peccaſſe videatur, severius punitur; ut reliqui exemplo ſupplicii deterreantur. Nam generaliter, poena arritra - ria tunc demum, propter consuetudinis excusationem, mitigatur, ſi appareat, non tam dolo, quam ignorantia peccatum eſſe. Hiermit ſtimmen auch die Geſetze uͤberein. L. 16. §. 10. D. de poenis. L. 1. D. de abigeis. Nov. 154. koch Inſtitut. iur. crim. Lib. 1. c. 9. §. 154. lit. g. .

IV) Die Handlungen muͤſſen ferner in der Mei - nung moraliſcher Nothwendigkeit (ex opinio - ne obligationis) unternommen worden ſeyn88)hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XI. med. 8. rein - harth Select. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. IV. Obſ. ; dasheißt,449de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. heißt, es muͤſſen diejenigen, durch deren gleichfoͤrmige Handlungsart eine rechtliche Gewohnheit bewirkt werden ſoll, darum ſo, wie bisher geſchehen, gehandelt haben, weil ſie ſich verbunden hielten, ihren Handlungen gerade dieſe und keine andere Richtung zu geben. Denn hier iſt von Einfuͤhrung einer ſolchen Gewohnheit die Rede, durch welche eine verbindliche Richtſchnur fuͤr die Unter - thanen aufgeſtellet wird. Da nun dieſe Regel aus den Handlungen derſelben gefolgert werden muß, ſo muͤſſen nothwendig auch dieſe an ſich verbindlich ſeyn. Mich duͤnkt, nicht nur Ulpian89)L. 34. D. de LL. gebe dieſes ſelbſt dadurch zu erkennen, wenn er bey der Beweisfuͤhrung einer ſtrei - tigen Gewohnheit vor allen Dingen nachzuforſchen rathet, ob etwa ſchon vorhin einmahl uͤber die naͤmliche Ge - wohnheit in den Gerichten ſey geſtritten, und ſolche gegneriſchen Widerſpruchs ohngeachtet durch das rechts - kraͤftig gewordene Urtheil des Richters beſtaͤttiget wor - den; ſondern es ſcheint dieſes auch die Meinung des K. Alexanders90)L. 3. Cod. de aedific. privat. zu ſeyn, wenn er hinfuͤhro dasjenige als eine geſetzliche Norm beobachtet wiſſen will, was man bisher in eo controverſiarum genere, naͤmlich von welchem daſelbſt die Rede iſt, zum Grundſatz an - genommen; denn nur uͤber vollkommene Rechte und Ver - bindlichkeiten entſtehen Proceſſe. Hieraus folgt, daß durch Handlungen, die das Gepraͤge der bloſen Will - kuͤhrlichkeit an ſich tragen, oder nur aus Freundſchaft,F f 2oder88)Obſ. 65. n. IV. S. 96. Beiſpiele hiervon haben boehmer Conſultat. et Deciſ. T. I. Part. II. Reſp. 45. n. 417. folgg. und T. II. Reſp. 869. n. 12. ſqq. auch de ludolf Obſervat. forens. P. II. Obſ. 169. S. 382.4501. Buch. 3. Tit. oder Mitleid und Menſchengefuͤhl, wenn gleich von meh - rern, und zu wiederholtenmahlen geſchehen, keine ver - bindliche Gewohnheit begruͤndet werden koͤnne. Man ſetze alſo, es ſey an einem Orte einigemahl geſchehen, daß der Guthsbeſitzer das in ſeinem Eigenthum gefun - dene und von den Eltern ausgeſetzte Kind aus Mitleid aufgenommen, ſolches ernaͤhrt und erzogen haͤtte, ſo laͤſſet ſich hieraus eben ſo wenig eine verbindliche Regel, daß jeder Eigenthuͤmer die in ſeinen Grundſtuͤcken aus - geſetzte Findelkinder zu verpflegen ſchuldig ſey, herleiten, als in einem andern Falle, wenn naͤmlich an einem Orte, wo das Nachbarrecht geſetzlich nicht eingefuͤhrt iſt, zu - weilen der Kaͤufer das erkaufte Grundſtuͤck dem Nachbar des Verkaͤufers aus Freundſchaft fuͤr daſſelbe Geld, was es ihm gekoſtet, wieder uͤberlaſſen haͤtte, behauptet wer - den koͤnnte, daß dem Nachbar der Retract vermoͤge eines Gewohnheitsrechts an dieſem Orte zuſtehe. Ob jedoch Handlungen blos aus gutem Willen, oder in der Mei - nung einer Verbindlichkeit geſchehen, iſt theils aus der Beſchaffenheit der Handlungen ſelbſt, theils aus dem Grunde, warum eine Gewohnheit eingefuͤhrt worden, (ratio, quae conſuetudinem ſuaſit, ſagt K. Alexander91)L. 1. Cod. quae ſit longa conſuetudo. theils aus der Laͤnge der Zeit, theils aus dem nie erfolg - ten, oder nicht geachteten Widerſpruche, theils aus den darauf gegruͤndeten rechtskraͤftigen Erkenntniſſen zu be - urtheilen, auf welches letztere uns Ulpian oben ange - fuͤhrtermaſſen ganz vorzuͤglich verweiſet. Noch eins muß ich hierbey anmerken. Wenn ich moraliſch noth - wendige Handlungen zur Einfuͤhrung einer verbind - lichen Gewohnheit erfordere, ſo folgt, daß alle unfrey - willige, durch unerlaubten Zwang veranlaßte, oderauf451de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. auf offenbaren Irrthum ſich gruͤndende, Handlungen hier auszuſchlieſſen ſind92)Actus per vim metumque geſti nihil operantur, ſagt I. H. boehmer in Introd. in ius Digeſtor. h. t. §. 20. n. 4. Von einer erronea conſuetudine aber handelt L. 39. D. h. t. .

V) Muß nun noch zur Beſtaͤttigung eines Gewohn - heitsrechts die Laͤnge der Zeit (diuturnitas tempo - ris) hinzukommen. Die Ausdruͤcke conſuetudo invetera - ta93)L. 32. §. 1. D. h. t. , diuturna94)L. 33. D. eodem. , per annos plurimos obſervata95)L. 35. D. eodem. , longaevus uſus96)L. 2. C. quae ſit longa conſuetudo. , conſuetudo antiquitus probata et tenaci - ter ſervata97)L. 3. C. eodem. , welche wir in den roͤmiſchen Geſetzen an - treffen, geben ſolches deutlich zu erkennen. Die Zeit ſelbſt aber, wie lange die Regel muͤſſe beobachtet worden ſeyn, die zum lex non ſcripta werden ſoll, haben uns die roͤ - miſchen Geſetze nirgends genau beſtimmt. Man pflegt daher gemeiniglich zum canoniſchen Rechte ſeine Zuflucht zu nehmen, in der Meinung, daſelbſt deutlichere Beſtim - mungen anzutreffen. Die Paͤbſte reden naͤmlich in eini - gen Stellen ihres Geſetzbuchs von einer conſuetudine legi - time praeſcripta98)Man beruft ſich zwar vorzuͤglich auf cap. 11. X. de conſue - tudine; allein es giebt mehrere Texte des canoniſchen Rechts, in welchen einer conſuetudinis praeſcriptae Meldung geſchtehet, als cap. 50. X. de elect. c. 9. de offic. ordinar. in 6to. c. 3. de conſuet. in 6. . Hieraus ziehet man die Folge, daß nach canoniſchen Rechten eben ſo viel Zeit zur Einfuͤh -F f 3rung4521. Buch. 3. Tit. rung einer rechtlichen Gewohnheit erfordert werde, als zur Verjaͤhrung noͤthig iſt. Dies iſt auch die Meinung unſers Herrn Autors. Allein denkt man der Sache et - was genauer nach, ſo wird man bald einſehen, daß die Analogie von der Verjaͤhrungszeit hier ganz unanwend - bar ſey. Was hat doch die Verjaͤhrung, die eines Theils als Strafe der Nachlaͤßigkeit eingefuͤhrt worden, und an - dern Theils nur auf Sachen und Rechte einzelner Pri - vatperſonen ſich beziehet, mit einer geſetzlichen Gewohn - heit gemein, die als eine verbindliche Regel fuͤr viele auf - geſtellet wird? Doch vielleicht wird man ſagen, es kom - me hier nicht auf den Begriff, ſondern nur auf die Zeit der Verjaͤhrung an. Gut; iſt denn aber damit der Schwierigkeit abgeholfen? Wer weiß nicht, wie ſehr ver - ſchieden die geſetzlich beſtimmte Zeit der Praͤſcription ſey? Geſetzt nun alſo, die Paͤbſte haͤtten in den deshalb ange - fuͤhrten Stellen zur Begruͤndung einer rechtlichen Ge - wohnheit den Ablauf einer geſetzlichen Verjaͤhrungsfriſt im Ernſt gemeinet, ſoll dieſes von einer zehen - oder zwan - zig - oder dreyſig - oder vierzigjaͤhrigen oder einer noch laͤngern Zeit zu verſtehen ſey? Kein Wunder, wenn wir daher auch hierin eine ſo große Verſchiedenheit der Mei - nungen gewahr werden99)Einige erfordern zur Begruͤndung eines Gewohnheitsrechts eine Zeit von 10 oder 20 Jahren, weil dieſe den Raum einer langen Zeit beſchraͤnken; dies behaupten donellus in Commentar. iur. civ. Lib. l. c. 10. berger Oeconom. iuris Lib. I. T. I. §. 19. n. 3. schilter Ex. 2. §. 19. von dem busch in der oben angef. Diſſ. cap. III. §. 38. Andere eine Zeit von 30 oder 40 Jahren, wie gibert Corp. iur. canon. S. 87. Hr. geh. Juſtizrath boehmer Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 5. §. 232. Noch andere, und zwar aͤl -tere? Ich meines Theils bin voll -kommen453de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. kommen uͤberzeugt, daß im canoniſchen Rechte ſo wenig als im roͤmiſchen eine gewiſſe Zeit zur Einfuͤhrung einer geſetzlichen Gewohnheit beſtimmt ſey, und die Fabel von der Praͤſcription der Gewohnheitsrechte iſt ſchon von an - dern100)S. Io. Henr. hochstetter Diſſ. de praeſcriptione con - ſuetudinis ad cap. ult. X. de conſuetud. Stuttgard. 1776. und D. Meurers juriſtiſche Abhandlungen und Beobachtungen 1. Samml. Leipzig 1780. S. 157. aus ſo buͤndigen Gruͤnden verworffen worden, daß ſie unter den neuern Rechtsgelehrten wohl nicht leicht noch einen Vertheidiger finden moͤchte. Es iſt ganz un - laͤugbar, daß man jene Stellen des canoniſchen Rechts falſch verſtanden habe, in denen von einer conſuetudine praeſcripta die Rede iſt. Man darf in der That nur mit einiger Aufmerkſamkeit dieſe Stellen durchleſen und ſie mit einander vergleichen, ſo wird man deutlich ſehen, daß daſelbſt gar nicht von einer ſolchen Gewohnheit, die durch den Willen des Landesherrn zu einem Geſetz wird, ſondern von der Ausuͤbung und dem Gebrauch ei - nes Rechts oder einer Befugniß, die durch ge - ſetzmaͤſige Verjaͤhrung erworben werden kann, gehandelt werde, und eine verjaͤhrte Gewohnheit daher in dieſer Ruͤckſicht nichts anders als das ſeit langer Zeit aus - geuͤbte und durch die Gewohnheit befeſtigte Recht ſelbſt ſey1)So verſtehen dieſe Stellen auch die neuern katholiſchen Ca - noniſten. S. schrodt Inſtitut. iur. canon. §. 238. Eihelkathol.. Aus dieſem Geſichtspunct wird ſich nun inſon -F f 4derheit99)tere Rechtsgelehrte, erfordern eine Zeit von 100 Jahren; die - ſen Zeitraum ſollen die Ausdruͤcke longaevus uſus, inveterata conſuetudo in ſich faſſen. Alle dieſe Meinungen findet man jedoch im dritten Bande der Meditationen uͤber ver - ſchiedene Rechtsmaterien 181. Meditat. S. 309. u. folgg. hinlaͤnglich widerlegt.4541. Buch. 3. Tit. derheit auch das Cap. ult. X. de conſuet. am leichteſten erklaͤren laſſen. Wir wollen die Worte deſſelben ſelbſt herſetzen. Cum tanto graviora ſint peccata, quanto diutius infelicem animam detinent alligatam, nemo ſanae mentis (non) intelligit, naturali iuri, cuius transgreſſio periculum ſalutis in ducit, quacunque con - ſuetudine, quae dicenda eſt verius in hac parte cor - ruptela, poſſe aliquatenus derogari. Gregor der neunte redet in dieſen Eingangsworten davon, daß auch eine lange Gewohnheit uns zu Handlungen nicht berech - tige, die nach natuͤrlichen und goͤttlichen Geſetzen verbo - ten ſind, weil man bey deren Uebertretung Seel und Se - ligkeit verlieren koͤnne. Die oͤftere Wiederholung ſolcher Miſſethaten mache uns nur deſto ſtraffaͤlliger, je groͤßere Neigung zu ſuͤndigen, und je groͤßere Bosheit des Ge - muͤths hierdurch an den Tag gelegt werde. Daß der Pabſt hauptſaͤchlich gegen diejenigen eifere, welche unter dem Vorwande einer Gewohnheit, d. i. eines durch Ge - wohnheit erworbenen Rechts ihre unerlaubte Handlungen rechtfertigen wollen, ergiebt ſich aus andern Stellen noch deutlicher. So z. B. werden in dem Concilio Turo - nenſi verſchiedene Arten der Simonie verboten, mit dem Beyſatz: nec ſub obtentu cuiusquam conſuetudinis reatum ſuum quis tueatur, quia diuturnitas temporis non diminuit pecca - ta, ſed auget2)Cap. 8. X. de Simonia. . Eben ſo heißt es in einem andern Con - cilio Lateranenſi: horribile nimis eſt, quod in quibusdam eccleſiis locum venalitas perhibetur habere putant au -tem1)kathol. Kirchenrecht IV. Th. I. Band §. 270. S. 122. Paul. Ioſ. a riegger Inſtitut. iurisprud. eccleſiaſt. P. II. §. 106. Phil. hedderich Element. iuris canon. P. II. §. 21. not. d. u. a. m.455de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. tem plerique, ex hoc ſibi licere, quia legem mortis de lon - ga conſuetudine invaluiſſe arbitrantur, non attendentes, quod tanto graviora ſunt crimina, quanto diutius infelicem animam tenuerunt alligatam3)Cap. 9. X. codem. . Die Kirchen, von denen hier die Rede iſt, ſuchten die Schaͤndlichkeit ihrer Handlung mit einer langen Gewohn - heit zu beſchoͤnigen, wodurch ſie ein Recht erlangt zu ha - ben vermeinten. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Pabſt Gregor IX. ſolche und andere aͤhnliche Faͤlle im Sinne gehabt. Er faͤhrt nun folgendermaſſen fort: Licet etiam longaevae conſuetudinis non ſit vilis auctoritas; non tamen eſt usque adeo valitura, ut vel iuri debeat praeiudicium generare, niſi fuerit rationabilis, et legi - time ſit praeſcripta. Von was fuͤr einer Gewohnheit kann hier wohl die Frage ſeyn? Offenbar von einer ſol - chen, die verjaͤhrt werden kann, und durch welche die poſitiven Geſetze eine Einſchraͤnkung auf irgend eine Art leiden. Dieſe iſt aber keine Regel, die die Vorſchrift der poſitiven Geſetze aufhebt, ſondern ſie beſtehet in einem Recht, welches einem Dritten nach einer geſetzlichen An - ordnung zuſtehet, aber vermittelſt der Verjaͤhrung auf uns uͤbergehen kann. Von einer ſolchen Gewohnheit redet Innocenz III. in dem oben angefuͤhrten cap. 8. X. de Conſuet. und auch Gregors Entſcheidung in unſern cap. ult. beziehet ſich auf eine ſolche Gewohnheit, wodurch das Recht eines Andern, ſo ihm nach dem gemeinen Recht zuſtehet, aufgehoben, oder eingeſchraͤnkt, oder uͤberhaupt nur naͤher beſtimmt wird. Durch eine ſolche Gewohn - heit werden alſo die poſitiven Geſetze nicht aufgehoben, ſondern ihre Wirkſamkeit wird dadurch nur in einem individuellen Fall gehemmt. Herr Prof. Hochſtetter,F f 5den4561. Buch. 3. Tit. den ich hier vorzuͤglich gefolgt bin, oͤffnet uns jedoch noch einen andern Weg zur Erklaͤrung dieſes Capittels4)In der angefuͤhrten Diſſ. §. XXIV. Seine Paraphraſe iſt dieſe. Licet in plerisque conſuetudo ſufficiat, ut aliquis iure quodam, quo diu uſus eſt, tanquam ſuo utatur, et adverſus aliorum impetitiones conſuetudine ſe defendat, non tamen eſt usque adeo valitura, ut quis ſe ab obligatione generali iuris poſitivi confuetudine ſola eximere, vel ius ſibi, quod negat ipſi ius poſitivum, ſola conſuetudine aſſerere poſſit, niſi fuerit rationabilis, i. e. niſi fuerit talis conſuetudo, ut ex cauſa peculiari ipſi contra ius poſitivum concedi poſſet, et legitime praeſcripta (ſi ſoilicet ſolo conſuetudinis ti - tulo nitatur.) Haec conſuetudo non tollit aut abrogat ius poſitivum, de quo neque loquitur Pontifex, ei tamen derogat, ſive praeiudicium facit, i. e. exceptionem conſtituit a regula generali in certis perſonis, quae, quia rationem habet, ad -[m]ittitur, ſi ſit legitime conſtituta. Paulo ante grego - rium IX. eandem ſententiam ſecutum eſt Concilium Latera - nenſe IV. ſub innocentio III. habitum, quo iuxta c. 13. X. de offic. iud. ord. capitulis cathedralium Eccleſiarum ius in - dulgetur, quod diuturna ipſis conſuetudo tribuerat, exercendi iurisdictionem correctivam in ſua membra. Eo iure derogatur iuri poſitivo, quod Epiſcopo eam iurisdictionem tribuit, et eximuntur Canonici cathedralium Eccleſiarum ab obligatione generali, agnoſcendi iurisdictionem Epiſcopi. . Naͤmlich da Gregor in dem erſten Theil deſſelben von den gebietenden und verbietenden natuͤrlichen Recht (iure naturali praeceptivo ac prohibitivo) redet, ſo laͤßt ſich mit gutem Grund vermuthen, daß er in dem zweyten Theil das gebietende und verbietende poſitive Recht zum Gegenſtand genommen habe. Nach dieſem Geſichtspunct lieſſe ſich alſo von dem Text folgende Er - klaͤrung machen: Wenn gleich in den meiſten Faͤllen eine Gewohnheit jemanden ein Recht beylegt, wodurch er ſich aus dem Grunde,daß457de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. daß er ſolches ſchon ſeit langer Zeit aus ge - uͤbt habe, gegen die Angriffe anderer ſicher ſtellen kann; ſo kann man doch einer Ge - wohnheit keine ſolche Kraft zuſchreiben, daß ſich ein Unterthan mittelſt derſelben allein von der allgemeinen Verbindlichkeit der po - ſitiven Geſetze loßmachen, oder ſich ein Recht anmaſſen duͤrfte, welches ihm die poſitiven Geſetze abſprechen, auſſer wenn dieſes Recht ihm aus einer beſondern Urſach der geſetz - lichen Sanction ohngeachtet in dem Falle zugeſtanden wird, da es auf eine rechtmaͤ - ſige Verjaͤhrung gebaut iſt. Dieſe Gewohnheit hebt das poſitive Geſetz nicht auf, ſondern wirkt nur ei - ne Ausnahme von der allgemeinen Regel bey gewiſſen Perſonen, wie die Beyſpiele lehren, die uns die cap. 13. X. de offic. iud. ord. C. 26. X. de V. S. cap. 13. de Elect. in 6to und C. 1. de offic. ord. in 6to hierzu liefern.

Da alſo, wie hieraus erhellet, die Laͤnge der Zeit, welche zur Einfuͤhrung eines Gewohnheitsrechts erforderlich iſt, weder durch die roͤmiſchen noch canoni - ſchen Rechte beſtimmt worden iſt, ſo verdient wohl die Meinung derjenigen Rechtsgelehrten den meiſten Bey - fall, welche dieſe Beſtimmung lediglich dem Guthefinden des Richters uͤberlaſſen5)Arg. L. 1. §. 2. D. de iure delib. Siehe G. noodt Com - mentar. ad Dig. h. t. S. 15. Ant. schulting Enarrat. Part. I. Digeſtor. h. t. §. 17. lauterbach Coll. Theor. Pr. Pan - dectar. h. t. §. 35. stryck Uſ. Mod. Pand. h. t. §. 12. cocceii Iur. Civ. Controv. h. t. Quaeſt. XI. gundlingin, der alsdann, ſo oft daruͤberein4581. Buch. 3. Tit. ein Streit entſtehet, ob eine Gewohnheit fuͤr eingefuͤhrt gehalten werden koͤnne? darauf ſehen muß, ob ſchon eine ſolche Zeit verfloſſen iſt, daß daraus mit Gewißheit auf die Einwilligung des Geſetzgebers geſchloſſen werden kann; wenn nicht etwa durch beſondere Landesgeſetze oder den Landesgebrauch, wie z. B. in Sachſen6)In Sachſen erfordert der Gerichtsbrauch eine Zeit von 31 Jahren 6 Wochen und 3 Tagen. S. Eichmann Erklaͤ - rung des buͤrgerl. Rechs. 1. Th. S. 390., eine gewiſ - ſere Norm hierin feſtgeſetzt worden ſeyn ſollte. Daß je - doch eine Zeit von undenklichen Jahren her zur Einfuͤh - rung eines Gewohnheitsrechts erfordert werde, wie einige Rechtsgelehrten7)Unter den neuern hat dieſes vorzuͤglich zu behaupten geſucht Dr. Meurer in den juriſtiſchen Abhandlungen und Beobach - tungen. 1. Samml. S. 113. behaupten wollen, iſt unerweißlich8)S. walch Introd. in Controv. iur. civ. Prolegom. Cap. II. §. 5. Herr geh. Juſt. R. Walch hat ſich zwar auf keine Pruͤfung der gegenſeitigen Argumente eingelaſſen, ſondern ſein Hauptargument bloß darin geſetzt, daß die Civilgeſetze zur Beſtaͤttigung eines Gewohnheitsrechts nirgens eine un - denkliche Zeit erfordert haͤtten. Es ſind aber auch in der That die Gruͤnde des angefuͤhrten D. Meurers von keinem ſonderlichen Gewicht. Die in den Geſetzen dieſes Titels der Pandecten gebrauchte Ausdruͤcke conſuetudo inveterata, diu - turna, antiquitus probata, beweiſen ſeine Meinung noch nicht. Es koͤnnen Gewohnheiten allerdings von der Art ſeyn, daß ſich ihr Urſprung im hohen Alterthum verliehrt, daraus folgtaber. Endlich

VI)

5)in Gundlingian. P. VII. N. 3. §. 23. müller ad Struvium Ex. 2. th. 20. lit. ξ. reinharth ad Chriſtinaeum Vol. IV. Obſ. 65. S. 96. Eiſenhart Erzaͤhlung beſond. Rechts - haͤndel 2. Th. N. 7. S. 193. Overbeck Meditationen uͤber verſchied. Rechtsmaterien. 3. Band S. 311. u. a. m.

459de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

VI) muͤſſen die Handlungen, aus welchen eine lega - le Gewohnheit entſtehen ſoll, oͤffentlich, das heißt, auf eine ſolche Art geſchehen ſeyn, daß ſowohl die Unter - thanen ſelbſt, unter denen ſie zur verbindlichen Norm werden ſoll, als auch der Landesherr dieſelben haben wiſ - ſen koͤnnen. Ob nun aber noch uͤberdem erfordert werde, daß die Gewohnheit in den Gerichten beſtaͤttiget, und nach derſelben rechtskraͤftig geſprochen worden ſey, iſt un - ter den Rechtsgelehrten ſehr ſtreitig. Diejenigen, welche ſolches behaupten9)D. Meurer a. a. O. S. 125. u. 140. Eben dieſer Mei - nung war auch ſonſt H. Hofr. hofacker in der oben angef. Diſſ. de iure conſuetudinis Cap. II. §. 39 41. allein er hat ſeine Meinung geaͤndert in Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 124. Andere erfordern jedoch nur in dem Fall gerichtlicheHand -, gruͤnden ſich auf den bekannten Aus -ſpruch8)aber nicht, daß uͤberall eine Beobachtung von undenklicher Zeit her erfordert werde, wenn eine Gewohnheit fuͤr einge - fuͤhrt gehalten werden ſoll. Der Ausdruck vetuſtas hedeutet freylich unterweilen in unſern Geſetzen eine undenkliche Zeit L. 2. D. de aqua et aquae pluv. aber auch oft nur eine Zeit von mehreren Jahren L. 10. D. ſi ſerv. vindic. wie ſchon brissonius de V. S. voc. vetuſtas und westphal de libertate et ſervitut. praediorum §. 820. S. 560 angemerkt haben; und daß letztere Bedeutung in der Lehre vom Ge - wohnheitsrecht anzuwenden, erhellet aus L. 35. D. de LL. nur gar zu deutlich, wo longa consuetudo eine ſolche genennt wird, quae per annos plurimos obſervata eſt. Ueber - haupt finden hier die von Meurer aus dem Tit. de aqua et aquae pluv. arc. angefuͤhrten Stellen gar keine Anwendung. Es iſt auch ungegruͤndet, daß nur durch das Alterthum allein die zur Begruͤndung eines Gewohnheitsrechts erforder - liche opinio neceſſitatis generirt werde, denn daß dieſe auch noch mehrere andere Entſtehungsgruͤnde haben koͤnne, iſt ſchon oben bemerkt worden.4601. Buch. 3. Tit. ſpruch Ulpians10)L. 34. D. de LL. , deſſen Worte alſo lauten: Cum de conſuetudine civitatis vel provinciae confidere quis videtur: primum quidem illud explorandum arbitror, an etiam contradicto aliquando iudicio11)Verſchiedene Ausleger des roͤmiſchen Rechts wollen dieſe gemeine Leſeart fuͤr unrichtig halten, ohngeachtet ſie die Aucto - ritaͤt der Florentiniſchen Pandecten fuͤr ſich hat, weil ihrer Meinung nach die Worte contradicto iudicio keinen rechten Verſtand haͤtten. Sie wollen daher ſtatt contradicto lieber contradicta leſen, und glauben ihre Emendation durch die Auctoritaͤt der Griechen beym leunclavius Lib. II. Nota - torum c. 3. unterſtuͤtzen zu koͤnnen. Man ſehe Ger. noodt in Comm. ad Dig. h. t. S. 15. Ant. schulting in Enarrat. Part. primae Dig. h. t. §. 19. cundling in Gundlingian. VII. St. N. 3. §. 19. und eckhardt in Hermenevt. iur. Lib. I. c. VII. §. 303. S. 547. Allein daß dieſe Aenderung ganz unnoͤthig, ja hoͤchſt unſchicklich ſey, haben Io. Guil. hoffmann in Meletemat. ad Pandect. Diſſert. 2. §. 3. und beſonders Herr Prof. puͤttmann in Interpretat. et Obſervat. iuris Cap. 19. hinlaͤnglich gezeigt. Die Erklaͤrung aber, die man von dieſen Worten macht, iſt wieder ſehr verſchieden. Caſp. Conr. staudinger in Diſſ. de conſuetudine contradicto iudicio firmata ad L. 34. D. de LL. Goettingae 1753. §. V. erklaͤrt die Stelle folgendergeſtalt: Contradicto aliquando iudi - cio conſuetudo firmata, denotat conſuetudinem, quae firmata eſt per contradictionem, a Praetore factam ei, qui contra iſtam conſuetudinem, actionem in iudicium deducere intende - hat. Das contradictum ziehet er alſo auf den Praͤtor, von welchem geſagt werde: contradicit iudicium, ſi actionem, ab actore in iure propoſitam, non admittit. Iudicium ſey alſo ſoviel conſuetudofirmata9)Handlungen, wenn die Gewohnheit einem geſchriebenen Geſetz gerade zuwider iſt. schilter Ex. ad Pand. 2. th. 21. de berger Oecon. iuris Lib. I. Tit. I. n. 19. u. L. B. a wern - her ſel. Obſervat. for. T. II. P. IX. obſ. 193. S. 564.461de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. firmata ſit. Allein einmal enthalten dieſe Worte offen - bar keine geſetzliche Dispoſition, ſondern einen bloßenRath,11)viel als actio, und contradicto iudicio heiße nichts anders, als ſi actio ſtatim in limine, qua actio conſuetudini adverſa, a Praetore contradicta eſſet. Allein ich muß geſtehen, daß ich den Ausdruck contradicere iudicium vom Praͤtor nirgends in unſern Geſetzen geleſen habe, die Redensart denegare actionem, wenn der Praͤtor eine Klage nicht geſtattet, ſie fuͤr unzuiaͤßig erklaͤrt, iſt bekannt genug L. 30. D. de ſolut. L. 26. §. 4. D. ex quib. c. maj. L. 4. §. 1. de re iud. L. 3. pr. ſi menſor. L. 14. pr. D. de noxal. act. u. a. m. Solchemnach moͤchte alſo das contradictum wohl mehr auf dem Gegner ſich beziehen, der der Gewohnheit widerſpricht, worauf der Klaͤ - ger ſeine Klage gegruͤndet hatte. Dies beweiſen auch die An - fangsworte cum de conſuetudine confidere quis videtur. Denn confidere iſt ſo viel als niti aliqua re contra obnitentem. S. brisson de V. S. v. confidere. Beſſer erklaͤrt Herr Prof. Puͤttmann a. a. O. S. 87 die Worte an etiam con - tradicto aliquando iudicio u. ſ. w. per hypallagen, von welcher Figur Iod. Ioh. struchtmeyer Animadv. Crit. Lib. II. c. 1. mehrere Beyſpiele geſammlet hat. Ich habe der Puͤttmanni - ſchen Erklaͤrung ſchon bey einer andern Gelegenheit (S. 51. Not. 67.) gedenken muͤſſen. Der wahre Sinn der Worte iſt alſo dieſer: explorandum eſt, an etiam conſuetudo, ab adver - ſa parte licet contradicta, a Practore tamen aliquando iudicio firmata ſit, i. e. Praetor pro ea aliquando pronunciaverit. Noch eins kann ich hierbey nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen. staudinger a. a. O. §. VI und hoffmann a. a. O. wollen uͤberdies die L. 34. nicht allgemein, wenn uͤberhaupt vom Be - weis einer Gewohnheit die Rede iſt, ſondern nur von ſolchen Gewohnheiten erklaͤren, quae circa praerogativas honorum, et vacationes a muneribus in unaquaque provincia vel civitate obtinebant. Der Beweis iſt aus der Inſcription genommen. Libro IV. de officio Proconſulis habe Ulpian von den buͤr - gerlichen Pflicht - und Ehrenaͤmtern, desgleichen von Erledi - gung derſelben, und den Entſchuldigungsurſachen gegen derenAuf -4621. Buch. 3. Tit. Rath, wie ich ſchon an einem andern Orte (S. 51.) bemerkt habe. Das Wort arbitror zeigt dieſes unlaͤugbar an. Sodann aber iſt auch hier gar nicht davon die Re - de, was zur Einfuͤhrung eines Gewohnheitsrechts erfor - derlich ſey, ſondern was das beſte Beweismittel ſey, wenn uͤber eine Gewohnheit ein Streit entſtehet. In einem ſol - chen Falle iſt freylich der Rath des roͤmiſchen Juriſten vortreflich, daß man vor allen Dingen nachforſche, ob nicht ſchon in vergangenen ſtreitigen Faͤllen nach dieſer Gewohnheit, von welcher die Frage iſt, gegentheiligen Widerſpruchs ohngeachtet, rechtskraͤftig ſey geſprochen worden; weil dadurch der ſonſt ſchwere Beweis unge - mein erleichtert wird, wenn man ſich auf ſolche gericht - liche Praͤjudicien berufen kann. Ferner, wenn zur Ein - fuͤhrung eines Gewohnheitsrecht nur gerichtliche Hand - lungen erfordert wuͤrden, wie koͤnnte Calliſtratus12)L. 38. D. de LL. zwiſchen conſuetudo, und rerum perpetuo ſimiliter iudicata - rum auctoritas unterſcheiden? Es muß ſich alſo, deucht mich, doch wohl auch eine Gewohnheit ohne gleichfoͤr - mige rechtskraͤftige Urtheilsſpruͤche gedenken laſſen. Und hiervon wird man ſich noch mehr uͤberzeugen, wenn man bedenkt, daß der Grund, auf welchem die Guͤltigkeiteiner11)Auftrag gehandelt, wie aus der Vergleichung der aus dem gedachten Lib. IV. genommenen Fragmente L. 6. de legat. L. 6. de muner. et honor. L. 4. de Veteran. u. L. 2. de iure immunit. zu erſehen. Nur auf die hierauf ſich beziehende Ge - wohnheiten ſey alſo die L. 34. einzuſchraͤnken, weil dieſe Stelle auch aus eben dem Lib. IV. de officio Proconſ. entlehnet ſey. Allein dieſen Mißbrauch der Critik hat ſchon Herr Prof. Puͤttmann a. a. O. S. 88. ſo vollkommen geruͤgt, daß mir hier nichts uͤbrig bleibt, als meine Leſer an die Regel wieder zu erinnern, die ich deßfalls ſchon bey einer andern Gelegenheit (S. 65) gegeben habe.463de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. einer Gewohnheit beruhet, nicht der Ausſpruch des Rich - ters, ſondern der Wille des Geſetzgebers ſey; welcher auſſergerichtliche Handlungen ſo gut, als gerichtliche ge - nehmigen kann. Aus dieſen Gruͤnden trete ich alſo der Meinung unſers Autors ohne weiteres Bedenken bey, wenn er dieſen Paragraph mit den Worten ſchließt: ut vero actus in contradicto iudicio ſint obtenti, non neceſ - ſario requiritur. Eben dies iſt auch die Meinung der meiſten Rechtsgelehrten13)S. voet in Comment. ad Dig. h. t. §. 30. de cramer Obſervat. iur. univ. T. III. obſ. 847. hartleben Spec. XI. meditat. 9. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts. 1. Th. S. 379 und folgg. Gebruͤder Overbeck in den Me - ditationen uͤber verſchiedene Rechtsmaterien. III. Band 183ſte Meditat. u. a. m. Vorzuͤglich aber verdient hier kemmerich in Diſſ. de probatione conſuetudinis et obſervantiae Sect. II. §. XII. Not. e. S. 75. nachgeſehen zu werden, wo er die Meinung derjenigen gruͤndlich widerlegt hat, welche wenig - ſtens zur Begruͤndung einer conſuetudinis correctivae, actus in contradictorio iudicio obtentos fuͤr noͤthig halten wollen..

§. 87. Von dem rechtlichen Beweis eines in Zweifel gezogenen Gewohnheitsrechts.

Wer nun eine Gewohnheit fuͤr ſich anfuͤhrt, kann ſich, wenn ſolche von dem Gegentheil gelaͤugnet worden, der ihm deshalb auferlegten rechtlichen Begruͤndung der - ſelben um ſo weniger entziehen, je gewiſſer es iſt, daß Gewohnheitsrechte auf Thatſachen beruhen, die recht - lich nicht vermuthet werden14)Cap. 1. de conſtitut. in 6to. . Es waͤre denn, daß die angezogene Gewohnheit ganz notoriſch, das iſt,inGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. G g4641. Buch. 3. Tit. in dem Orte, wo davon die Frage iſt, allgemein bekannt, oder wenigſtens vom Gegentheil ſelbſt eingeſtanden ſeyn ſollte15)S. I. H. boehmer Iur. Eccleſ. Proteſt. T. I. L. I. Tit. IV. §. 45. S. 242. verb. Dieweil aber dennoch Leute - raten gerichtlich Fol. Act. II. eingeſtanden, daß in die 30 Jahre her ein Halbſpaͤnner ratione der Kirchen praeſtandorum ſo viel, als ein Vollſpaͤn - ner, praͤſtiret, woraus denn eine obſervantia conſtans, welche in dergleichen Kirchen praeſtandis pro norma beobachtet werden muß, von ſelbſt er - folget, und keines fernern Beweiſes bedarf, nachdem ſie per confeſſionem adverſariorum gleichſam pro notoria zu halten. Daß auch ein auſſergerichtliches, aber wiederholtes, Geſtaͤnd - niß einer rechtlichen Gewohnheit die Kraft eines voͤlligen Be - weiſes habe, behaupten Fratr. becmanni in Conſil. et De - ciſion. P. I. Deciſ. XI. n. 8. S. 202 u. f., in welchen Faͤllen Gewohnheiten keines weitern Beweißes beduͤrfen16)cap. 3. X. de teſtib. cog. mynsinger lib. V. Obſ. 96 n. 6. reinharth ad Chriſtinaeum. Vol. IV. Obſ. 66. S. 97., wenn auch gleich in dem erſtern Falle der Gegner vorgeſchuͤtzet haͤtte, daß ihm ſolche un - bekannt ſey17)Denn hiſtoriſche Unwiſſenheit desjenigen, was in einem Orte alle wiſſen, wird in der L. 9. §. 2. D. de iur. et facti ignor. fuͤr nie verzeihliche Sorgloſigkeit gehalten, und findet kein rechtliches Gehoͤr. Das Beſtreiten ſolcher ganz notori - ſcher Gewohnheiten, die der verlierende Theil fuͤglich haͤtte wiſſen koͤnnen und muͤſſen, ziehet daher auch billig die Ver -[u]rtheilung in die Proceßkoſten nach ſich. S. Weber uͤber die Proceßkoſten, deren Verguͤtung und Compenſation. §. 7. am Ende.. Soviel nun den Beweiß eines ſtreitigen Gewohnheitsrechts ſelbſt anbetrift, ſo iſt zwar nicht zu laͤugnen, daß derſelbe insgemein mit vielen Schwierig -keiten465de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. keiten verknuͤpft zu ſeyn pflegt, ſo daß ſchon Leyſer18)Meditat ad Pand. Vol. I. Spec. IX. m. 1. S. 87. ſagte, er wiſſe ſich weniger Faͤlle zu erinnern, daß derje - nige, der einen ſolchen Beweiß uͤbernommen, denſelben vollfuͤhret haͤtte; man darf ihn aber doch deshalb mit Caſpar Klock19)Conſil. Tom. I. Conſ. 28. n. 223. nicht fuͤr unmoͤglich halten, weil es uns an Beyſpielen eines ſolchen nach aller Strenge ge - fuͤhrten Beweißes wirklich nicht mangelt20)Ein lehrreiches Beyſpiel findet man in Puͤtters Beytraͤ - gen zum T. Staats - und Fuͤrſtenrecht. Th. II. Nr. XXXIX. S. 288. u. folgg.. Bey dem Beweiße einer beſtrittenen rechtlichen Gewohnheit kommt es nun auf zweyerley an; I) auf das, was eigentlich erwieſen werden muß. II) auf die Beweiß - gruͤnde21)Von dem Beweiſe einer guͤltigen Gewohnheit handeln vor - zuͤglich Diet. Herm. kemmerich in Diſſ. de probatione con - ſuetudinis et obſervantiae. Ienae 1732. Sect. II. und Bern. Aug. gaertner Meditat. practicar. ad Pandect. Spec. I. med. XIII. . Das erſtere, oder das Beweißthema, muß aus der Natur einer rechtlichen Gewohnheit, und deren Erforderniſſen beſtimmt werden. Da nun die Natur ei - ner jeden Gewohnheit in einer Gleichfoͤrmigkeit der Hand - lungen beſtehet, ſo iſt zum Beweiße nicht genug, wenn derſelbe nur uͤberhaupt darauf gerichtet wird, daß der - gleichen Gewohnheit wirklich an einem Orte eingefuͤhrt ſey, wovon die Frage iſt22)Zwar ſind ſolche generelle Beweisartikel, die auf das Da - ſeyn einer behaupteten Gewohnheit uͤberhaupt geſtellet ſind, fuͤr unzulaͤßig nicht zu achten, ſie muͤſſen nur durch nachſtehen - de ſpeciellere, in welchen einzelne gleichartige Faͤlle angefuͤhrt worden ſind, unterſtuͤtzt werden. Es verdient hierbey beſon -ders, ſondern es wird hierzu vor -G g 2nehm -4661. Buch. 3. Tit. nehmlich erfordert, daß diejenigen Handlungen und Faͤlle ſelbſt umſtaͤndlich angegeben werden, wodurch die ſtreitige Gewohnheit ſoll eingefuͤhrt worden ſeyn23)Man ſehe das Praͤjudiz beym wernher ſel. Obſ. forens. P. IV. Obſ. CX. n. 4. u. folgg. S. 240.. Es muß al - ſo bewieſen werden, daß man ſchon vorhin beſtaͤndig und unabgeaͤndert in ſolchen Faͤllen eben ſo zu Werke gegan - gen ſey, als in dem jetzigen ſtreitigen Falle nach der be - haupteten Gewohnheit wieder geſchehen ſoll. Wie viele Faͤlle nun zum vollſtaͤndigen Beweiſe der ſtreitigen Gewohnheit anzufuͤhren ſind, und ob ſchon zwey derſel - ben fuͤr hinlaͤnglich zu achten, muß billig dem Ermeſſen des Richters uͤberlaſſen werden24)S. Kemmerich a. a. O. §. IV. am Ende, auch Stru - ben in rechtlichen Bedenken. 1. Th. Bed. 130. S. 309. Die meiſten Rechtsgelehrten glauben indeß, daß zwey vorgefallene Actus zum Beweiſe einer Gewohnheit zureichten. gail. Lib. II. Obſ. 31. mynsinger Centur. VI. Obſ. 41. n. 7. carpzoy P. II. Conſt. 3. def. 22. n. 7. perez Commentar. in Codic. tit. quae ſit longa conſuet. n. 5. de berger Oecon. iuris Lib. I. Tit. I. §. 19. Allein I. H. boehmer in Iur. Eccl. Proteſt. T. I. Lib. I. Tit. 4. §. 42. will dieſes nur unter der Enſchraͤnkung zulaſſen: ſi actus duo illustres et notabi - les probati fuerint, ita ut exinde fides iudici fieri poſſit, tale ius non ſcriptum extare. . Rathſam aber iſt es immer, wenn der Beweißfuͤhrer ſo viele Faͤlle beybringt, als es ihm nur immer moͤglich geweſen, ausfindig zu ma - chen. Unſtreitig werden auch zum Beweiß einer ſolchen Gewohnheit, die den geſchriebenen Geſetzen entgegen iſt, mehrere einzelne Handlungen erforderlich ſeyn, als wenndie22)ders Matth. colerus de proceſſibus executivis P. I. Cap. III. n. 34. u. folgg. nachgeſehen zu werden. Man vergleiche auch hierbey das Beyſpiel eines ſolchen articulirten Beweiſes beym Puͤtter a. a. O.467de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. die Gewohnheit von der Art nicht iſt, weil ſich aus einer oder der andern Handlung, die der Landesherr gegen das Geſetz zugelaſſen, die Abſicht deſſelben, daß das Geſetz in Zukunft nicht mehr gelten ſolle, noch nicht immer mit Gewißheit folgern laͤſſet25)kemmerich a. a. O. §. XII. S. 74.. Es muͤſſen nun auch fer - ner die Handlungen, aus denen die ſtreitige Gewohnheit dargethan werden ſoll, mit allen dabey vorgefallenen Um - ſtaͤnden angefuͤhret werden, damit der Richter beurthei - len koͤnne, ob dieſelbe ſowohl unter ſich conform ſind, als auch ob inſonderheit die gegenwaͤrtige ſtreitige Hand - lung von gleicher Art, oder doch unter jenen Handlun - gen als Species begriffen ſey. Daß die angezogene Handlungen der Gewohnheit durch entgegen geſetzte nicht unterbrochen worden ſind, gehoͤrt nicht zum Beweiß - thema; ſondern iſt die Gleichfoͤrmigkeit mehrerer Hand - lungen erwieſen, ſo wird ſo lange vermuthet, daß dieſel - be nie unterbrochen worden ſey, bis das Gegentheil dar - gethan wird26)schilter Praxi iur. Rom. Ex. II. §. 21. und kemmerich a. a. O. Sect. II. §. VI. S. 65.. Ob nicht aber die ſtreitige Gewohn - heit ſpecifice und in individuo, erwieſen, das heißt, ob nicht insbeſondere dargethan werden muͤſſe, daß eben derſelbe Fall, woruͤber geſtritten wird, unter den naͤmlichen Um - ſtaͤnden ſchon mehrmalen vorgekommen, und dabey jeder - zeit die behauptete Gewohnheit zur Regel genommen wor - den ſey? iſt eine Frage, wobey die Rechtsgelehrten nicht einerley Meynung ſind. Die meiſten wollen dieſe Frage bejahen27)cothmann II. Reſp. 84. n. 52. mrvius P. IV. Dec. 3. n. 7. de wernher ſel. Obſervat. for. P. V. Obſ. 135. I. H. boehmer in Iure Eccleſ. Proteſtant. T. I. Lib. I. Tit. IV. §. 44.; und dieſen ſtimmt auch unſer Autor bey. G g 3An -4681. Buch. 3. Tit. Andere28)voetius in Commentar. ad Pandect. h. t. §. 36. könig in Diſſ. de iure conſuetudinario §. 35. leyser Spec. IX. med. 8. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XI. med. 12. hingegen laſſen eine Aehnlichkeit der Faͤlle zu. Dieſe letzere Meynung halte ich allerdings fuͤr gegruͤnde - ter. Denn erſtlich, warum ſollte es bey ungeſchriebenen Geſetzen anders, als bey geſchriebenen, ſeyn? Will der Geſetzgeber einmal, daß es bey gewiſſen Faͤllen hinfuͤhro beſtaͤndig eben ſo gehalten werden ſolle, wie es von Alters her bis jetzo uͤblich geweſen iſt; wa - rum ſollte es nicht auch ſeinem Willen gemaͤß ſeyn, bey andern aͤhnlichen Faͤllen daſſelbe Gewohnheitsrecht Statt finden zu laſſen? Sodann aber beſtaͤrken mich hierin auch ſelbſt die Geſetze29)L. 32. pr. D. de LL. und Ant. faber in Rational. ad eandem L. ich habe die Erklaͤrung dieſes Rechtsgelehrten ſchon oben S. 425. Not. 23. mit den eignen Worten deſſelben vor - getragen. Dieſem iſt die L. 1. C. quae ſit longa conſ. ſo wenig entgegen, daß ſie vielmehr in den Worten: eodem controver - ſiarum genere unſern Satz beſtaͤtiget; wenn man zumahl da - mit verbindet, was in eben dieſem Geſetz zur weiteren Be - ſtimmung jener Worte hinzugefuͤgt worden: nam et ratio, quae conſuetudinem ſuaſit, cuſtodienda eſt. . Es muß nur aber freylich ei - ne wahre Aehnlichkeit der Faͤlle vorhanden ſeyn. Daß dieſe bey wirklicher Anwendung oft ſchwer zu beſtim - men ſey, geſtehe ich gern; aber eben deſto noͤthiger iſt es, ein Principium feſtzuſetzen, woraus die Aehn - lichkeit der Faͤlle zu beurtheilen. Eine ſolche Aehnlichkeit iſt nun alsdann unſtreitig vorhanden, wenn der ge - genwaͤrtige Fall, ohnerachtet er in ſpecienoch27)§. 44. S. 235 am Ende u. folg. kemmerich cit. Diſſ. Sect. II. §. VIII. reinharth ad Chriſtinaeum Vol. IV. Obſ. 66. S. 96. u. m. Sie berufen ſich auf L. 1. C. quae ſit longa conſuet. wo die Worte ſtehen: in eodem controverſiarum ge - nere. 469de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. noch nicht vorgekommen, dennoch nicht nur uͤberhaupt unter ein gewiſſes genus von Faͤllen zu zaͤhlen iſt, von welchen derſelbe als eine Species anzuſehen, ſondern auch inſonderheit bey dem jetzigen einzelnen Fal - le eben der Grund, welcher vom ganzen Ge - ſchlecht gilt, ſtatt findet. Iſt dieſes, ſo iſt der gegebene Fall allerdings fuͤr gleichartig zu halten, und es iſt genug, wenn die Gewohnheit nur von dem genere caſuum erwieſen wird, unter welchem der ſtreiti - ge Fall als eine Species begriffen iſt. Man ſetze zum Beyſpiel, daß in einem gewiſſen Orte die Toͤchter aus der Verlaſſenſchaft ihrer Muͤtter die Gerade fuͤr ſich ver - langten, und ſich in einem Gewohnheitsrecht gruͤndeten. Sie bewieſen hierauf, daß man ſich an dieſem Orte in Erbfaͤllen von je her nach dem ſaͤchſiſchen Rechte gerich - tet; ſo haben ſie auch in Anſehung der zum voraus ver - langten Gerade das behauptete Gewohnheitsrecht erwieſen, weil auch dieſe ſaͤchſiſchen Rechtens iſt. Ein anderer Fall. Ein Edelmann verlangt von einem Witwer, der ſeiner ohne Leibeserben verſtorbenen Ehefrauen lehnbahres Guth ererbet, vermoͤge eines Gewohnheitsrechts das Erb - oder Sterbhandlohn. Der Lehnmann glaubt hiezu nicht ver - bunden zu ſeyn. Erſterer ſoll alſo ſeine angemaßte Be - fugniß erweiſen. Der Edelmann beweiſet nun mit einer Reihe von Faͤllen, daß ihm jederzeit die Witwe, welche ihres ohne Kinder verſtorbenen Mannes Lehnguth ererbt, die Sterbelehn als perſona in inveſtitura non com - prehenſa habe entrichten muͤſſen. Quaeritur, hat Klaͤ - ger hierdurch ſein Recht, auch in dem jetzigen Fall ein Erbhandlohn zu fordern, erwieſen? ich glaube, aller - dings! Denn iſt gleich der ſich jetzt zugetragene umgekehr - te Fall vorher noch nicht in individuo vorgekommen, werG g 4wird4701. Buch. 3. Tit. wird deswegen laͤugnen, daß das von dem Lehnsherrn er - wieſene Gewohnheitsrecht auch mit auf denſelben anzu - wenden ſey, da bey demſelben der naͤmliche Grund, daß auch der Witwer keine perſona in inveſtitura compre - henſa iſt, ſtatt findet? Jedoch darf auch hier nicht aus der Acht gelaſſen werden, was wir oben von der Rechts - analogie uͤberhaupt bemerkt haben, (S. 256 u. folg. ) und ich widerſtreite gar nicht, daß Gewohnheiten, die exorbi - tant ſind, und beſondere Rechte (iura ſingularia) zum Gegenſtand haben, billig zu reſtringiren, und daher in ſtreitigen Faͤllen nicht analogiſch, ſondern ſpecifice zu erweiſen ſind30)Dergleichen Faͤlle findet man beym I. H. boehmer Iur. Eccl. Proteſt. T. I. Lib. I. Tit. IV. §. 44. S. 236. ferner in den gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobachtungen und Rechtsfaͤllen von Gmelin und Elſaͤſſer. IV. Band N. VII. S. 86. u. folgg..

Zum Beweiß einer ſtreitigen Gewohnheit iſt jedoch nicht genug, mehrere gleichartige Faͤlle angegeben zu ha - ben, ſondern es muß auch erwieſen werden, daß ſie die zur Einfuͤhrung einer rechtlichen Gewohn - heit erforderliche Eigenſchaften haben, in ſo - fern ſelbige nicht etwa vermuthet werden koͤnnen. So z. B. bedarf die Eigenſchaft der Vernunftmaͤſigkeit keines Beweißes, ſondern dieſe wird bey einem erwieſenen Gewohnheitsrechte in Zweifel vermuthet, bis das Gegen - theil dargethan iſt31)kemmerich cit. Diſſ. Sect. II. §. X. S. 69.. Dahingegen aber muß 1) be - wieſen werden, daß die angefuͤhrten Handlungen, wo - durch die Gewohnheit ſoll begruͤndet worden ſeyn, oͤffent - lich und in der Meinung einer moraliſchen Noth - wendigkeit ſind unternommen worden, inſofern nicht etwa dieſe Eigenſchaften ſich ſchon aus der Natur derange -471de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. angefuͤhrten Handlungen von ſelbſt ergeben ſollten. Denn man ſetze z. B. daß es ſolche Handlungen waͤren, die in den Gerichten vorgekommen, und woruͤber geſtritten wor - den iſt; ſo iſt wegen jener Eigenſchaften kein beſonderer Beweis erforderlich. Allein man nehme nun den Fall an, daß in einem Orte, deſſen Einwohner gewiſſe Hoͤlzer gemeinſchaftlich beſitzen, dergleichen Holzerbſchaften ſich haͤufig in Ober - und Niederteutſchland finden, die maͤnnlichen Erben allein mit Ausſchließung der weiblichen in den Holzantheil des verſtorbenen Erblaſſers zu ſucce - diren begehret, auch desfalls erwieſen haͤtten, daß dieſe Holzgerechtigkeit in dem Orte jedesmahl bey dem Manns - ſtamme verblieben ſey. Wuͤrden ſie wohl hierdurch ſchon die Behauptung einer excluſiven Gewohnheit genugſam dargethan haben? Ich glaube es nicht. Denn ſind gleich noch ſo lange die Holztheile den Soͤhnen verblie - ben, ſo folgt doch daraus noch nicht, daß ſie vermoͤge rechtlicher Nothwendigkeit bey denſelben haben verbleiben muͤſſen32)S. Struben in rechl. Bedenken I. Theil Bed. 128. und beſonders ludolf Symphorem. Conſultat. et Deciſion. Vol. I. Conſ. 44. S. 1335. deſſen Worte hier einen Platz verdienen: Non ſufficit, ſagt dieſer gruͤndliche Rechtsgelehrte, ad pro - bationem excluſivae conſuetudinis, ſi allegetur, in hoc vel illo caſu hereditatis ſucceſſiſſe ſolos maſculos, cum excluſione femi - narum, ſed oportet ſpecialiter doceri, ita propter conſuetudi - nem, vel vi talis conſuetudinis factum eſſe, non alia de cauſa, cum tale quid etiam contingere potuerit ex ſpeciali teſtatoris diſpoſitione, aut, in caſu inteſtati, ex amicabili compoſitione et pacto, unde aliqua neutiquam infertur conſuetudo. Man ſehe auch voet Commentar. ad Pandect. h. t. §. 31. und von Cramer in den wetzlariſchen Nebenſtunden Part. XII. S. 100.. Es muß alſo dieſer letztere Umſtand noch beſonders dargethan werden. 2) Die zur Begruͤndung einer rechtlichen Gewohnheit erforderliche Laͤnge derG g 5Zeit4721. Buch. 3. Tit. Zeit iſt meiſt ſchon aus denen desfalls angefuͤhrten ein - zelnen Handlungen abzunehmen, und bedarf daher in ſo fern keines beſondern Beweiſes; wenn jedoch in einem Lande zur Einfuͤhrung eines ungeſchriebenen Rechts ent - weder durch ausdruͤckliche Landesgeſetze oder durch unbe - ſtrittenen Gerichtsgebrauch eine gewiſſe Verjaͤhrungs - zeit angenommen worden iſt, ſo muß beſonders gezeigt werden, daß dieſe Zeit wirklich verfloſſen ſey33)kemmerich a. a. O. §. XII. S. 77..

Sind nun auf ſolche Art die zur Einfuͤhrung einer ſtreitigen Gewohnheit erforderliche Handlungen und deren weſentliche Eigenſchaften rechtlich dargethan worden, ſo wird die Genehmigung des Landesherrn, inſofern die - ſelbe nicht etwa durch eine allgemeine, oder ſich auf die ſtreitige Gewohnheit beziehende beſondere Verordnung ſchon ausdruͤcklich erklaͤrt worden ſeyn ſollte, ſo lange vermuthet, bis das Gegentheil dargethan worden iſt34)schilter Ex. II. §. 16. not. b. . Es waͤre denn, daß von einer ſolchen Gewohnheit die Rede ſey, die den allgemeinen Landesgeſetzen gerade ent - gegen ſtreitet, in welchem Falle ein deutlicher Beweis erfordert wird, daß ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft gekommen35)Man vergleiche bier beſonders Kemmerich a. a. O. §. XI. . Dieſe erhellet z. B. aus der aus - druͤcklichen hoͤchſten Confirmation36)Haec (confirmatio) ſchreibt Kemmerich a. a. O. not. d. S. 71. in sanctiori Principis senatu potiſſimum, vel, hoc deficiente, in regimine ſaltem provinciali fieri debere videtur: ſi ſcilicet, relatione ad Principem facta, actus con - ſuetudinis inductivus confirmetur. ſolcher Handlungen, oder auch aus andern Umſtaͤnden.

Genug473de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

Genug von dem Beweisthema; ich will nun gleich zu den Beweismitteln ſelbſt ſchreiten, wenn ich zufoͤrderſt nur noch dies bemerkt habe, daß der an ſich ſchwere Be - weis einer ſtreitigen Gewohnheit alsdann viel von ſeiner Schwierigkeit verliehrt, wenn nicht ſowohl uͤber das Da - ſeyn, ſondern blos uͤber den heutigen Gebrauch und Guͤltigkeit37)S. Kemmerich a. a. O. §. 2. S. 60. u. not. e. einer alten Rechtsgewohnheit ge - ſtritten wird; z. B. einer ſolchen, welche in einer Col - lection des Mittelalters z. E. im Sachſpiegel enthalten iſt (§. 69).

Die Beweismittel bey einem Gewohnheitsrechte koͤnnen nun, wie in andern ſtreitigen Faͤllen,

I) Zeugen ſeyn. Wie viele aber zu einem ſol - chen Beweiſe, von welchem hier die Rede iſt, erfordert werden, iſt unbeſtimmt. Daher die meiſten Rechtsge - lehrten der Meinung ſind38)colerus de Proceſſ. executiv. P. I. Cap. III. n. 34. schil - ter Exerc. II. §. 20. zoesius in Commentar. ad Pandect. h. t. §. 86. u. a. m., daß es auch in dieſem Falle bey der Regel bleibe, nach welcher zu einem vollſtaͤndigen Beweiſe nur zwey untadelhafte Zeugen erfordert wer - den39)Ob L. 12. D. de teſtib. . Andere wollen jedoch eine groͤßere Anzahl der Zeugen beym Beweiſe einer rechtlichen Gewohnheit fuͤr noͤthig, oder wenigſtens fuͤr zutraͤglicher halten40)struv Synt. iur. civ. Ex. II. th. 21. faber Cod. Lib. IV. Tit. 15. Definit. 14. kemmerich a. a. O. §. XVII. voet Commentar. ad Pandect. h. t. §. 34. Letzterer erfordert we - nigſtens zehen Zeugen.. Mei - nes Erachtens laͤſſet ſich hiervon in abſtracto nichts be -ſtimmen,4741. Buch. 3. Tit. ſtimmen, ſondern es kommt alles auf ihre Wiſſenſchaft an, die ſie von den einzelnen Handlungen haben, wo - durch die ſtreitige Gewohnheit erwieſen werden ſoll. Ha - ben nun zwey derſelben von denen zum Beweis angefuͤhr - ten einzelnen Faͤllen und deren Umſtaͤnden vollkommene Wiſſenſchaft, ſind ſie uͤberdies claſſiſch, ſo iſt nicht ein - zuſehen, warum der Beweis durch die Ausſagen zweyer ſolcher Zeugen nicht fuͤr vollfuͤhrt geachtet werden ſollte? Daß inzwiſchen der Beweisfuͤhrer eben deßwegen wohl thut, wenn er mehr als zwey Zeugen ernennt, hat keinen Zweifel. So viel nun aber die Ausſagen derſelben anbetrift, ſo iſt es nicht hinreichend, wenn die Zeugen uͤberhaupt deponiren, daß eine dergleichen Gewohnheit wirklich vorhanden ſey41)mynsinger Cent. V. Obſ. XLI. n. 14., woruͤber geſtritten wird, oder daß ſie die ihnen vorgelegten Beweisartikel ſchlechtweg bejahen; nein; es muͤſſen ihre Ausſagen, wenn ſie beweiſen ſollen, nicht nur auf die einzelnen Handlungen der Gewohnheit, und uͤbrigen Eigenſchaften derſelben gerichtet ſeyn, ſon - dern auch einen hinreichenden Grund ihrer Wiſſenſchaft enthalten42)cocceii in iure civ. controv. h. t. Qu. XIV. kemmerich a. a. O. §. XVII. S. 83. puffendorf Obſervat. iur. univ. T. II. Obſ. 138. §. 1.. In ſo fern es jedoch nur auf das Alter - thum eines gewiſſen in Streit gezogenen Gebrauchs allein ankommen ſollte, ſind auch Teſtes de auditu fuͤr zulaͤſſig allerdings zu halten, zumahl wenn ſelbige ihre Ausſagen dahin geſtellet haben, wie ſie es von ſehr alten Leuten gehoͤret, daß etwas immer und ſeit Menſchenge - denken nicht anders geweſen waͤre43)struv a. a. O. wernher ſel. Obſ. for. T. I. P. IV. Obſ. 37. n. 3.. Und da es uͤbri - gens beym Beweiſe eines Gewohnheitsrechts vorzuͤglichauf475de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. auf einzelne Handlungen ankommt, ſo iſt eben ſo weni - gem Zweifel unterworfen, daß auch Teſtes ſingulares, welche von einzelnen verſchiedenen, aber doch homogenen Handlungen, oder von verſchiedenen Umſtaͤnden einerley Factums, die aber einander nicht entgegen ſind, zeugen, fuͤr nicht unzulaͤſſig gehalten werden duͤrfen44)S. gaertner Meditat. pract. S. 29. n. 2..

II) Urkunden, welche entweder dergleichen Hand - lungen ſelbſt enthalten, wodurch die Gewohnheit erwie - ſen werden ſoll, z. B. ſchriftliche und obrigkeitlich be - ſtaͤttigte Aufſaͤtze uͤber Handlungen der Art, wovon die Frage iſt, desgleichen rechtskraͤftige Urtheilsſpruͤche; oder glaubwuͤrdige Atteſtate45)Wie ſolche Atteſtate beſchaffen ſeyn muͤſſen, zeigt Stru - ben in den rechtl. Bedenken V. Th. Bed. 90. S. 187., die eine Erzaͤhlung, daß dergleichen Handlungen vorgekommen ſind, als zur Be - gruͤndung der behaupteten Gewohnheit erfordert werden, enthalten, machen auch hier wichtige Beweismittel aus. Es kann jedoch das bloſe Atteſtat des Richters von einer hergebrachten Gewohnheit, wenn in demſelben keine actus ſpeciales, diuturni et uniformes, uͤber - all mit Beziehung auf die Acten, angegeben worden ſind, die Kraft eines rechtlichen Beweiſes nicht behaup - ten46)S. Struben 2. Th. Bed. LIX. §. 4. S. 222. a wern - her T. I. P. IV. Obſ. 110. ibique in Supplement. und T. III. P. II. Obſ. 252. n. 116. u. folgg. Fratr. becmanni Conſil. et Deciſion. Part. I. Reſp. VI. n. 8. S. 102. und vorzuͤglich Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts. I. Th. S. 408. u. folg., und wenn gleich einige Rechtsgelehrte der Mei - nung ſind47)S. leyser Meditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 9., daß ein ſolches allgemeines Atteſtat, wennes4761. Buch. 3. Tit. es nur durch das Gerichtsſiegel, und die gewoͤhnliche Un - terſchrift des Gerichts bekraͤftiget worden, wenigſtens ei - nen halben Beweiß mache; ſo iſt doch dieſes von An - dern48)reinharth ad Chriſtinaei Deciſion. Vol. IV. Obſ. 66. S. 96. und hartleben Meditat. ad Pandectas. Vol. I. P. I. Spec. XI. med. 13. mit mehrern Grunde gelaͤugnet worden, indem bekannten Rechtens iſt, daß uͤberhaupt kein Zeugniß, wel - ches nicht beſtimmt, ſondern nur in allgemeinen Ausdruͤ - chen, und in folle, abgefaßt iſt, etwas, mithin auch nicht ſemiplene, erweiſe49)L. 4. Cod. de teſtib. Ein anders iſt es, wenn die Ana - logie des teutſchen Rechts das Zeugniß des Richters unter - ſtuͤtzt, wovon Puͤtter in den auserleſenen Rechtsfaͤllen 1. Band 2. Th. Dec. 43. ein Beyſpiel giebt.. Ob nicht

III) in Ermangelung anderer Beweißmittel auch die Zuſchiebung des Eides zum Beweiß einer ſtreiti - gen Gewohnheit gebraucht werden koͤnne? iſt nur in ſo weit zu verneinen, als der Eid uͤberhaupt daruͤber defe - rirt werden ſoll, daß eine ſolche Gewohnheit, als behaup - tet werden will, wirklich vorhanden ſey50)S. Claproth Einleitung in den ordentlichen buͤrgerlichen Proceß. 2. Th. (Goͤttingen 1787.) XX. Hauptſt. 1. Tit. §. 321. n. VIII. S. 461. malblanc doctrina de iureiurando. Lib. III. Cap. III. §. 44. S. 136., weil eines Theils uͤberhaupt kein Eid in folle zugeſchoben werden darf, ſon - dern das factum, woruͤber der Eid deferirt wird, jeder - zeit nach allen denjenigen Umſtaͤnden, wovon die Wahr - heit deſſelben abhaͤngt, beſtimmt ſeyn muß51)S. Ge. Lud. boehmer Diſſ. de auctoritate iudicis circa iusiurandum in iudicio delatum. Goett. 1772. §. XII. n. II. S. 16.; andern Theils aber die Natur eines Gewohnheitsrechts dieſe Be -weiſ -477de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. weißart an ſich nicht zulaͤſſet, indem eine erwieſene Ge - wohnheit, als Geſetz, viele verbindet, niemand aber durch ſeinen Eid den Rechten eines Dritten praͤiudiciren, oder einem Dritten eine Verbindlichkeit aufbuͤrden kann52)malblanc a. a. O. S. 138.. Daß indeſſen uͤber einzelne Umſtaͤnde der zum Beweiß angefuͤhrten Handlungen, wovon der Gegner Wiſſenſchaft haben muß, der Eid zugeſchoben werden koͤnne, leidet keinen Zweifel. Sollte aber nicht auch

IV) in dem Fall, da die vorgegebene rechtliche Ge - wohnheit nur halb, oder auch uͤber die Haͤlfte, aber doch noch nicht vollſtaͤndig, erwieſen worden, wenigſtens auf den Erfuͤllungseid erkannt werden koͤnnen? Die meiſten Rechtsgelehrten leugnen dieſes53)voet Comm. ad Pand. h. t. §. 33. in fine. wo er folgenden Grund anfuͤhrt: Cum tali iureiurando actor id, quod minus plene probatum eſt, conſcientiae propriae teſtimonio, circa proprium, non alienum factum occupato, confirmet; hic vero non de iurantis facto, ſed populi totius conſenſu tacito, ac frequentibus non actoris reive, ſed aliorum actibus, dubitatio ſit; et praeſuppoſita actuum frequentia ad conſuetudinem ne - ceſſaria, non poſſit non eſſe pluribus notum, quod conſuetu - dine obtentum eſt; apparet, niſi fallor, hic iurisiurandi ſup - pletorii materiam deficere. Hiermit ſtimmen auch Struben in den rechtl. Bedenken IV. Th. N. 163. S. 418. hertius Vol. II. deciſ. 408. n. 2. hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 125. S. 102. u. a. m. uͤberein.. Andere aber wollen wenigſtens das iuramentum de credulitate zulaſ - ſen54)wernher P. I. Obſ. 38. gaertner Meditat. pract. ad Pandectas. Spec. I. S. 29.. Ich glaube, wenn an der Vollſtaͤndigkeit des Beweiſes nur noch wenig mangelt, und der Erfuͤllungs - eid nur dazu dienen ſoll, dieſen oder jenen einzelnen Um -ſtand,4781. Buch. 3. Tit. ſtand, der ſchon zu einen ziemlichen Grad der Probabili - taͤt gebracht worden iſt, durch dieſen Eid voͤllig auſſer Zweifel zu ſetzen, ſo kann allerdings darauf erkannt wer - den55)malblanc doctr. de iureiurando S. 276. kemmerich a. a. O. §. XVII. S. 84..

Hiermit beſchließt nun unſer Autor dieſe wichtige Materie vom Gewohnheitsrecht, wenn nun gleich in an - dern Syſtemen und Commentarien auſſer den vorgetrage - nen Saͤtzen auch noch von der Wirkung und Auslegung eines Gewohnheitsrechts gehandelt zu werden pflegt, ſo erfordern doch dieſe Puncte keine weitlaͤuftige Eroͤrterung, ſondern laſſen ſich daraus, daß die rechtlichen Gewohnhei - ten die Geſetze nachahmen56)§. 9. I. de I. N. G. et C. diuturni mores conſenſu uten - tium comprobati, legem imitantur. und mit ihnen gleiche Kraft und Wirkung behaupten57)L. 32. 33. 35. 36. u. 38. D. h. t. S. Tob. Iac. rein - harth Diſſ. de iuris non ſcripti extra territorium efficientia. Goett. 1737., von ſelbſt herleiten. Durch gewohnheiten werden daher nicht nur neue Geſetze einge - fuͤhrt58)L. 32. pr. D. h. t. , und den dunklen Geſetzen ein beſtimmter Sinn gegeben59)L. 37. D. h. t. Optima eſt Legum interpres conſuetudo. , ſondern es koͤnnen ſogar geſchriebene Geſetze durch neue Gewohnheitsrechte ihre Kraft verlieren60)L. 32. §. 1. D. h. t. Dieſem iſt L. 2. C. quae ſit longa conſuet. nicht entgegen, wie ich ad §. 93. zeigen werde.. Die Frage, ob Gewohnheitsrechte nur allein ſtricte zu erklaͤren, wird zwar insgemein bejahet61)S. gaertner Meditat, pract. ad Pandect. h. t. med. 15., allein anderelaſſen479de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. laſſen mit mehrern Grunde auch eine extenſive Ausle - gung gelten62)voet in Comm. ad Pandect. h. t. §. 36..

§. 88 92. Von den Statuten der Gemeinheiten.

§. 88. Begriff und verſchiedene Gattungen der Univerſitaͤten.

Vom Gewohnheitsrechte gehet unſer Autor zu der Leh - re von den Statuten der Univerſitaͤten oder Gemein - heiten und Collegien uͤber, weil auch dieſe in gewiſſer Ruͤckſicht als eine Gattung von Geſetzen anzuſehen ſind. In den Fragmenten dieſes Titels unſ[e]rer Pandecten kommt jedoch nichts davon vor, ſondern es wird davon an einem ganz andern Orte Lib. XLVII. Tit. 22. gehandelt. Ei - ne Univerſitaͤt im weitlaͤuftigen Verſtande, oder ei - ne Gemeinheit, Gemeinde, Collegium, Kor - pus, Zunft ꝛc. iſt uͤberhaupt eine vom Regenten zu ei - nem fortdaurenden, und zunaͤchſt mit dem gemeinen End - zweck des Staats in Verbindung ſtehenden, Endzweck beſtaͤttigte oder geſtiftete Geſellſchaft. Sie erfordert alſo 1) die Vereinigung mehrerer Menſchen zu einen gemein - ſchaftlichen Endzweck; wie jede andere Geſellſchaft; un - terſcheidet ſich jedoch darin, daß ſie 2) zu einen fortdau - renden und beſtaͤndigen Endzweck, welcher zunaͤchſt mit dem gemeinen Endzweck des Staats in Verbindung ſteht; und zwar 3) mit landesherrlicher Approbation errichtet wird. Eine dergleichen Gemeinheit wird als eine mora - liſche Perſon angeſehen; die immer dieſelbe bleibt, wenn auch deren Glieder ganz oder zum Theil ſich veraͤndern, ja ſie beſtehet noch, waͤre auch die Anzahl der GliederbisGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. H h4801. Buch. 3. Tit. bis auf eine einzige Perſon vermindert worden63)L. 7. §. 2. D. Quod cuiusq. univerſ. nomine. . Die Hervorbringung einer ſolchen moraliſchen Perſon iſt nur ein Werk des buͤrgerlichen Geſetzgebers64)Weder hohe Juſtizcollegien, noch Unterobrigkeiten duͤrfen ſich alſo ein ſolches Recht, Gemeinheiten zu beſtaͤtigen, an - maſſen, wenn es ihnen nicht ausdruͤcklich vom Landesherrn ertheilet worden iſt. berger Oecon. iur. Lib. I. Tit. I. §. 18. n. 2. leyser Spec. DLIX. in fin. Coroll. 2. Dem Landes - herrn kommt dieſes Recht vermoͤge ſeiner oberaufſehenden Ge - walt zu. S. Hofr. Schnauberts Reichsſtaͤndiſches Staats - recht §. 238. u. 242.. Das roͤ - miſche Recht ſowohl als auch das reutſche legt dieſes Recht dergeſtalt dem Regenten und hoͤchſten Geſetzgeber im Staate bey, daß es den Unterthanen als eine uner - laubte und ſtrafbare Handlung zugerechnet wird, wenn ſie ſich unterfangen, eine moraliſche Perſon zu gruͤnden, welche von dem Geſetzgeber nicht ausdruͤcklich dafuͤr iſt erklaͤrt worden65)L. 1. L 3. §. 1. D. de collegiis et corporib. Dies mag auch wohl die Urſache ſeyn, warum die Lehre von Gemein - heiten und Collegien unter diejenigen Titel der Pan - decten gebracht worden iſt, die von Verbrechen handeln.. Und dieſe ausdruͤckliche Erklaͤrung des Regenten iſt eben die Beſtaͤtigung, wodurch ſich eine Univerſitaͤt oder Gemeinheit von einer jeden andern Geſellſchaft unterſcheidet, und wodurch ihr zugleich die Faͤhigkeit beygelegt wird, buͤrgerliche Rechte und Ver - bindlichkeiten im Staate zu erwerben66)Die Lehre von den moraliſchen Perſonen hat am beſten Herr Prof. Woltaͤr in den Grundſaͤtzen der Rechts - gelehrſamkeit (Halle 1785. 8. ) zwot. Abſchn. S. 215. u. folgg. abgehandelt..

Da eine Perſonen-Gemeinheit immer eine beſtimmte geſellſchaftliche Verbindung mehrerer Menſchen vorausſetzt,481de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. ſetzt, die vom Landesherrn zu Erreichung eines gemein - ſchaftlichen Endzwecks iſt beſtaͤtiget, oder geſtiftet wor - den; ſo giebt es nun ſo mancherley Gattungen ſolcher moraliſcher Perſonen, ſo verſchieden dieſe geſellſchaftliche Verbindungen unter den Menſchen in Abſicht ihres End - zwecks, ihrer Mitglieder und ihrer innern Verfaſſung ſeyn koͤnnen. Der Zweck, wozu Collegien oder Gemein - heiten geſtiftet ſind, kann entweder ein geiſtlicher, Gottesverehrung, oder ein weltlicher ſeyn, der auf die Regierung des Staats, oder auf die Erleichterung gewiſſer Erwerbungsmittel, oder auf die Befoͤrderung eines andern Nutzens, abzielt; im erſten Fall werden ſie kirchliche oder religioͤſe67)Daß in den kanoniſchen Rechten univerſitates eccleſiaſticae, und congregationes religioſae von einander verſchieden ſind, iſt bekannt, denn letztere haben ein religioͤſes Ordensleben zum Endzweck. S. G. L. boehmer Princip. iur. canon. Lib. III. Sect. III. S. 309., z. B. Kirchen, Stifter, Kloͤſter; im zweyten aber weltliche Gemein - heiten oder Collegien genennt, z. B. Landesregierungen, Staͤdte, Doͤrfer, Innungen und Zuͤnfte der Handwer - ker ꝛc. Schulen und Academien werden jedoch bekann - ten Rechten nach zu denen univerſitatibus eccleſiaſticis, auch ſelbſt unter den Proteſtanten gerechnet; auf was fuͤr Gruͤnden aber dieſe Einrichtung beruhet, dieſes aus - einander zu ſetzen, gehoͤrt nicht hierher68)S. G. L. boehmer Princip. iur. canon. Lib. III. Sect. III. Tit. 6. §. 455. u. 456.. Ferner un - terſcheiden ſich univerſitates perſonarum auch in An - ſehung ihrer Glieder von einander, je nachdem dieſe entweder individual - oder moraliſche Perſonen ſind. Im erſtern Fall werden ſie Collegien; im zweyten aber Corpora im eigentlichen Verſtande genennt. MehrereH h 2Collegia4821. Buch. 3. Tit. Collegia zuſammen, welche in einer gewiſſen Verbindung ſtehen, machen alſo ein Corpus aus. Z. B. eine Aca - demie69)stryck Uſ. mod. Pandectar. Lib. XLVII. Tit. 22. §. 1. ſagt: corpus a collegio ita diſtinguitur. quod illud ſit coniunctio plurium diverſorum collegiorum. Jedoch werden die Worte Collegium und corpus auch oft fuͤr Eins genommen. L. 10. §. 1. D. de vacat. mun. L. penult. §. 12. D. de iure immunit. L. 1. D. quod cuiusq. univ. nom. . Endlich nach dem Unterſchied ihrer innern Verfaſſung ſind Univerſitaͤten entweder von der Art, daß einige Mitglieder eine mit Zwangsrechten verſehene Direction und Gerichtsbarkeit uͤber die andern haben, oder nicht. Erſtere werden univerſitates ordinatae, auch Staatsgeſellſchaften genennt, z. B. Staͤdre, Ca - pittel, Academien70)Andere Begriffe verbindet mit dieſen Benennungen Herr Geh. R. nettelbladt Syſtem. elem. iurispr. poſ. Germ. gen. Lib. II. Sect. I. Tit. I. §. 849. u. folg..

§. 89. Rechte einer Univerſitaͤt. Begriff und verſchiedene Gattungen der Statuten.

Gemeinheiten, als moraliſche Perſonen betrachtet, haben nun ihre Rechte und Verbindlichkeiten, wie andere Menſchen; ja ſo lange in Ruͤckſicht auf die Arten der Rechte, welche Menſchen erwerben koͤnnen, die Geſetze keinen Unterſchied zwiſchen einer moraliſchen Perſon und einen individuellen Menſchen machen, ſo lange iſt eine moraliſche Perſon auch gleicher Rechte faͤhig, wenn nur das Recht, von deſſen Erwerbungsfaͤhigkeit die Rede iſt, nicht von der Natur iſt, daß es ſchlechterdings nur von dem Menſchen, der es erworben, in eigner Perſon muß ausgeuͤbt werden. Denn ſo kann z. B. eine moraliſchePerſon483de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. Perſon keine elterliche Gewalt erwerben, auch kein Te - ſtament oder Codicill machen71)S. Woltaͤr a. a. O. §. 176. S. 224. u. folgg.. Die Rechte einer Univerſitaͤt laſſen ſich uͤbrigens ſehr gut in zwey Haupt - claſſen eintheilen. Einige flieſſen aus der Natur und Zweck der Geſellſchaft her, und ſtehen alſo einer je - den Univerſitaͤt, qua tali, nach Masgabe ihres End - zwecks ſchon von ſelbſt zu, ohne daß eine beſondere Er - werbung vonnoͤthen iſt; dieſe werden Geſellſchafts - rechte, von andern auch Collegialrechte genennt; und verhalten ſich als Mittel zur Erreichung des gemein - ſchaftlichen Endzwecks der Univerſitaͤt. Andere Rechte haben ihren Grund in einer beſondern Conceſſion der Ge - ſetze, oder des Regenten, oder ſie ſind durch einen be - ſondern Rechtstitel erworben. Zu dieſen gehoͤrt, daß Univerſitaͤten die Rechte der Pupillen und Minderjaͤhri - gen haben, und ihnen daher, wie dieſen, bey erweißlicher Laͤſion die Wiedereinſetzung in den vorigen Stand zu ſtat - ten kommt72)L. 22. §. 2. D. L. 4. C. ex quib. cauſ. maior. in int. reſt. L. 3. C. de iure reipubl. cap. 1. und 3. X. de reſtitut. in in - tegr. leyser Meditat. ad Pand. Spec. LIV. m. 3. nettel - bladt a. a. O. §. 869.. Auch koͤnnen, wenigſtens nach dem neuern roͤmiſchen Recht, erlaubte Gemeinheiten zu Erben eingeſetzet, oder ihnen ſonſt etwas vermacht werden73)L. 12. C. de hered. inſtit. L. 2. u. L. 20 D. de reb. dub. Ehemals gieng dieſes nicht an. Warum? werde ich zu ſeiner Zeit ſagen. S. heineccius de collegiis et corpor. opificum. Cap. I. §. 27. u. folgg. in Opuſc. var. S. 412. u. folgg. und Weſtphal Theorie des roͤm. Rechts von Teſtamenten. Kap. III. §. 145. u. folgg. S. 107.. Ja es erlauben ſogar die Geſetze, daß eine moraliſche Perſon ſolche Rechte erwerben koͤnne, welche einem Men -H h 3ſchen4841. Buch. 3. Tit. ſchen nur auf die Zeit ſeines Lebens zugeſtanden werden, und nach deſſen Tode wieder zuruͤckfallen. Nur verord - nen ſie zu gleicher Zeit, daß wenn eine moraliſche Per - ſon dergleichen Rechte erworben haben ſollte, ſolche denn eben ſo nach Ablauf von hundert Jahren zuruͤckfallen ſollen, wie ſie wuͤrden mit dem Tode eines Menſchen zuruͤckgefallen ſeyn, der ſie erworben hatte74)L. 56. D. de uſufructu. L. 8. D. de Vſufr. legat. In beyden Geſetzſtellen wird zum Grunde angefuͤhrt: quia is finis vitae longaevi hominis eſt. S. westphal de libert. et ſervit, praed. S. 659.. Auſſer - dem haͤngt es von dem Willkuͤhr des Geſetzgebers ab, in wie weit er die von ihm beſtaͤtigte oder geſtiftete Gemein - heit der Erwerbung buͤrgerlicher Rechte in ſeinem Staate faͤhig erklaͤren, oder welchen Stand und welche Rechte er ihr ſonſt beylegen wolle75)Woltaͤr a. a. O. §. 173. S. 219.. So viel nun inſonder - heit die Geſellſchaftsrechte einer Gemeinheit anbe - trift, ſo gehoͤren dahin vorzuͤglich folgende:

  • 1) Das Recht, ein eigenthuͤmliches Vermoͤgen zu er - werben, und eine gemeinſchaftliche Caſſe zu haben
    76)L. 1. §. 1. D. Quod cuiusque univ. nom.
    76), woraus die zu Unterhaltung derſelben erforderlichen Koſten beſtritten werden koͤnnen. Hier mit iſt auch das Recht die zu Verwaltung dieſer Gemeinheitsguͤter noͤ - thige Adminiſtratoren zu beſtellen
    77)Zwiſchen dieſen Adminiſtratoren und der moraliſchen Perſon ſelbſt tritt eben dasjenige rechtliche Verhaͤltniß mit allen dar - aus fließenden Folgen ein, welches zwiſchen Vormuͤndern und Pupillen oder Minderjaͤhrigen obwaltet. Clement. 2. de domib. religios. G. L. boehmer Princip. iur. canon, Lib. III. Sect. V. Tit. VIII. §. 629. Woltaͤr a. a. O. §. 180. S. 233. u. folg.
    77), verbunden.
2) Das485de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
  • 2) Das Recht, Vorſteher und andere zur Betreibung der geſellſchaftlichen Angelegenheiten noͤthige Bediente, (officiales univerſitatis,) inſonderheit zur Fuͤhrung ihrer gemeinſchaftlichen Proceſſe einen Anwalt oder Syndicum zu beſtellen; wovon Lib. III. Tit. 4. ein mehreres
    78)L. 1. §. 1. D. quod cuiusq. univ. nom.
    78).
  • 3) Das Recht eines Gemein-Siegels ſtehet eigentlich nur ordinirten Univerſitaͤten und Collegien zu
    79)S. Iuſt. Henn. boehmer Diſſ. de iure et auctoritate ſigilli authentici. Halae 1742. gossel de ſigillis univerſitat. Lipſ. 1750.
    79). Zuͤnf - te aber koͤnnen ein ſolches ohne abſonderliche landesherr - liche Bewilligung nicht fuͤhren, in ſofern es nicht etwa ſchon bey Einrichtung einer Zunft ertheilet worden iſt
    80)Joh. Fried. Chriſtoph Weiſſer Recht der Handwerker. (Stutgardt 1780. 8.) 3. Abſchn. §. 29.
    80).
  • 4) Das Recht, Statuten zu errichten
    81)L. 4. D. de Colleg. et Corporib. Sodales ſunt, qui eius - dem collegii ſunt. His autem poteſtatem facit lex, pactio - nem, quam velint, ſibi ferre: dum ne quid ex publica Lege corrumpant. In den folgenden Worten wird dieſes Geſetz aus den Geſetzen des Solons hergeleitet, welches aber ganz unnoͤthig war, indem jede im Staat erlaubte Geſellſchaft ſchon an ſich das Recht hat, die Mittel zur Erhaltung ihres Endzwecks zu verabreden, ſich deswegen zu vergleichen, und dieſelbe durch einen Geſellſchaftsvertrag feſtzuſetzen. S. Zach. huber Diſſ. de Legibus Solonis, quas recitat Gaius lib. IV. ad Leg. XII. Tabular. Cap. II. in Diſſertat. iurid. et philolog. (Franequerae 1703. 4.) P. I. S. 281. u. folgg.
    81).
H h 4Von4861. Buch. 3. Tit.

Von dieſen wird nun noch inſonderheit zu handeln ſeyn82)Unter den vielen Schriften, welche von Statuten han - deln, verdienen vorzuͤglich empfohlen zu werden: Paul voet de ſtatutis eorumque concurſu. Amſtelod. 1661. 12. Io. voet Commentar. ad Pandect. Lib. I. Tit. IV. P. II. Chriſt. Gottl. riccius Entwurf von Stadtgeſetzen oder Statutis .. Frankf. u. Leipz. 1740. 4. Io. Otto lutterloh Diſſ. de ſtatutis col - legiorum opificum. Goett. 1759. und hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. Lib. I. Cap. III. Tit. 3. S. 105. u. folg.. Was ſind denn aber Statuten der Gemeinhei - ten? Ueberhaupt verſtehet man darunter die verbindli - chen Regeln einer Perſonen-Gemeinheit, z. B. einer Stadt, eines Stifts u. dgl. Dieſe koͤnnen von zweyer - ley Art ſeyn. Entweder ſolche, die unter den Gliedern einer Gemeinheit vertragsweiſe ſind errichtet wor - den, und alſo nur als Vertraͤge verbinden; oder ſol - che, die als Geſetze in der Gemeinheit promulgirt wor - den, und als Geſetze verbinden. Erſtere werden ſtatu - ta conventionalia, iure collegiali condita; letztere aber ſta - tuta legalia genennt. Dieſe koͤnnen entweder vom Regen - ten ſelbſt in und fuͤr eine Gemeinheit promulgirt worden ſeyn; denn es iſt nichts ungewoͤhnliches, ſolche particu - laͤre Landesordnungen Statuta, Stadtgeſetze zu nen - nen83)Cammergerichts-Ordn. P. I. T. 3. §. 1. Reichshofr. Ord - nung Tit. I. §. 15. N. R. A. §. 105.. Oder es kann ſeyn, daß der Regent die geſetz - gebliche Gewalt einer Gemeinheit auf eine von ihm ab - haͤngige Weiſe in einem gewiſſen Bezirk des Staats ver - liehen hat. Was ſodann dieſelbe vermoͤge dieſer Gewalt verordnet, iſt eigentliches Geſetz, und ob es gleich in der Geſtalt, wie ein Gemeindsvertrag z. B. durch die Mehr - heit der Stimmen zu Stande kommt, ſo gehoͤrt dies den - noch blos zu der Art, wie die geſetzgebliche Gewalt vonder487de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. der Gemeinheit ausgeuͤbt wird, aͤndert aber die Natur der geſetzlichen Vorſchrift keinesweges84)S. Schnauberts Beytraͤge zum T. Staats - und Kir - chenrecht. I. Th. N. V. §. 2. S. 62. u. folgg..

Eine ſehr gewoͤhnliche Bedeutung iſt ferner diejeni - ge, da man die Stadtrechte, welche mit oberherrlicher Ge - nehmigung ſind errichtet worden, ſtatuta nennt. Dieſe werden auch mit den Namen Willkuͤhr, Weichbild, oder Marck-Recht beleget85)riccius a. a. O. 1. Buch 1. Hauptſt. §. VII. u. folgg. C. U. grupen Diſſert. de civitatum forma, vulgo Weichbild. Hanover. 1758. 4. Weſtphals teutſches Privatrecht. 1. Theil. 2. Abhandl. S. 28. u. folgg.. Hier verſtehet unſer Autor unter Statuten dasjenige Recht, ſo unter den Mitgliedern einer gewiſſen Gemeinheit oder eines Colle - giums vermittelſt eines Vertrags iſt feſtgeſetzt worden. Statuten in dieſer letztern Bedeutung gelten eigentlich und an ſich nur wie Vertraͤge, ſie erhalten jedoch eine geſetzliche Auctoritaͤt, wenn ſie vom Landesherrn beſtaͤtti - get worden ſind.

§. 90. Guͤltigkeit der Statuten.

Sollen Statuten gelten, welche durch einen Geſell - ſchaftsvertrag errichtet worden ſind, ſo wird dazu er - fordert,

1) daß der Gegenſtand derſelben ein ſolcher ſey, wel - cher Gemeinde - oder Geſellſchaftsſachen betrift. Sonſt tritt die Gemeinheit aus den Schranken ihrer Geſellſchafts - gewalt. Was nun aber Gemeinde-Sachen ſind, iſt theils aus dem Endzweck der Gemeinheit, theils aus derH h 5Natur4881. Buch. 3. Tit. Natur anderer von ihr erworbenen Gerechtſame zu beſtim - men86)Schnauberts Beytraͤge zum T. Staats - und Fuͤrſten - rechte. I. Th. N. V. §. 3.. Denn man ſetze, daß der Gemeinheit oder dem Collegio die Gerichtsbarkeit, oder Episcopal-Rechte zu ſtehen, ſo ſind auch Sachen, welche die Ausuͤbung der - ſelben betreffen, unſtreitig fuͤr Gemeinde-Sachen zu halten. Gleichwie nun aber alle im Staat gebilligte Ge - ſellſchaften der Majeſtaͤt und Hoheit des Staats unterwor - fen ſind, ſo duͤrfen demnach

2) dergleichen Geſellſchaftsvertraͤge nicht gegen aus - druͤcklich und ſchlechterdings gebietende Geſetze des Regen - ten ſtreiten, oder ſonſt dem gemeinen Wohl nachtheilig ſeyn. In einem ſolchen Falle iſt die beſondere Beſtaͤtti - gung des Landesherrn ſchlechterdings erforderlich, wenn gleich die Gemeinheit durch ein ausdruͤckliches Privile - gium das ius ſtatuendi erhalten haͤtte87)Weber Reflexionen zur Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Gebrauch des roͤm. Rechts. §. 25. S. 88. u. folgg.. Denn es laͤßt ſich mit Vernunft nicht annehmen, daß der Landesherr durch ein ſolches Privilegium ſich ſeiner geſetzgebenden Macht, als des hoͤchſten Majeſtaͤtsrechts, habe entaͤuſſern, und eine ganze Gemeinde von dem Gehorſam gegen lan - desherrliche Befehle diſpenſiren, oder die Befolgung ſei - ner Geſetze ihrem Willkuͤhr uͤberlaſſen wollen88)Mit Recht ſagt I. H. boehmer Introduct. in ius publicum univerſ. S. 401. der gleiche Meinung hegt; poteſtas talis con - ceſſa ſemper intelligitur salvo iure imperantis, cui eſt ſubordinata. . Sind jedoch Staatsgeſetze nicht dergeſtalt gebietend oder verbie - tend, ſondern in dieſem Betracht blos hypothetiſch, ſokann489de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. kann einer Gemeinheit das Recht, durch Vertraͤge etwas von denenſelben abweichendes feſtzuſetzen, um ſo weniger verſagt werden, als dieſe Befugniß ſogar einzelnen Buͤr - gern des Staats zuſtehet. Da jedoch Vertraͤge eigent - lich und in der Regel nur die Paciscenten verbinden, die ſie ſchlieſſen, aber keinen Dritten, ſo folgt hieraus,

3) daß durch die Statuten, welche nichts anders als Vertraͤge ſind, Niemand als die Mitglieder der Gemeinheit, ſo dieſelben errichtet, oder doch in dieſelben eingewilliget haben, verbunden werden. Sie erſtrecken alſo ihre Verbindlichkeit nicht auf die forenſes, die keine Gemeindegliederſind; es waͤre denn, daß durch einen Ge - meindeſchluß ſolche Rechte und Verbindlichkeiten waͤren feſtgeſetzt worden, welche blos Grundſtuͤcke betreffen; z. B. wenn vermoͤge eines ſolchen Geſellſchaftsvertrags die Ko - ſten zur Beſtreitung der Gemeindeausgaben unter dem Namen, Anlagen, auf die Haͤuſer und Grundſtuͤcke in der Gemeinde ausgeſchlagen worden; ſo muͤſſen ſich ſolche Laſten auch Fremde gefallen laſſen, welche derglei - chen Guͤter, auf denen ſie haften, acquiriren89)Eben dies beſtaͤrkt auch L. 67. D. de contrah. emt. et vendit. Alienatio cum fit, cum ſua cauſa dominium ad alium trans - ferimus, quae eſſet ſutura, ſi apud nos ea res manſiſſet. causa zeigt hier die ganze Beſchaffenheit der Sache an, und werden darunter nicht nur die auf der Sache ruhende Beſchwe - rungen, ſondern auch zugleich die bey der Sache zu ziehen - den Vortheile verſtanden. S. Weſtphal Lehre des gemeinen Rechts vom Kauf-Pacht-Mieth - und Erbzins - kontract (Leipzig 1789) 1. Th. 1. Hauptſt. 4. Kap. §. 115. S. 99.. Auſſer - dem wird kein Dritter, der nicht Mitglied der Geſell - ſchaft iſt, durch das Statutum einer Gemeinheit verbun - den. Wir reden jedoch blos von conventionellen Statu -ten.4901. Buch. 3. Tit. ten. Bey ſolchen Statuten, die eine geſetzliche Auctori - taͤt erlangt haben, iſt es freylich anders. Denn durch dieſe werden nicht blos die Mitglieder der Gemeinde ſelbſt, ſondern auch andere, welche in dem Bezirke, worin der Gemeinheit die geſetzgebende Gewalt zuſtehet, ſich aufhal - ten, verbindlich gemacht. Stadtgeſetze (ſtatuta legalia) verbinden daher nicht nur diejenigen, welche wirklich Buͤr - ger ſind, ſondern auch die, welche in der Stadt ihren Wohnſitz haben, und die Vorſtaͤdter90)S. Chriſt. Heinr. breuning quaeſt. iur. controv. an iura urbium ſtatutaria obligent incolas municipiorum. Lipſiae 1773. Paul. Wilh. schmidt Diſſ. de ſtatutis civitatum, quatenus incolas ſuburbiorum obligent. Ienae 1755.. Da die Befug - niß gewiſſe Statuten zu machen, eine Gemeinheit noth - wendig auch berechtiget, daruͤber zu halten, und gewiſſe aͤuſſere Motive zu beſtimmen, welche die Mitglieder zur Beobachtung derſelben antreiben koͤnnen; So kann ferner

4) einer Gemeinheit das Recht, mit der Uebertre - tung ihrer Statuten gewiſſe Strafen zu verknuͤpfen, um ſo weniger verſagt werden, je bekannter es iſt, daß auch Paciscenten ſich zu einer conventional Strafe verpflichten koͤnnen, wenn wider den Vertrag, welchen ſie geſchloſſen haben, gehandelt werden ſollte. Nur muͤſſen dieſe Con - ventional-Strafen freylich ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie mit dem Endzwecke und der Beſchaffenheit der Geſell - ſchaft uͤbereinkommen, und hierdurch kein Eingriff in die Majeſtaͤtsrechte geſchehe. Und dieſes Recht, gewiſſe ge - ſellſchaftliche Strafen zu beſtimmen, ziehet auch

5) die Gewalt nach ſich, ſolche denen Uebertretern aufzulegen, und die in dem Endzweck der Geſellſchaft ein - ſchlagende Handlungen nach der feſtgeſetzten Regel derStatu -491de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. Statuten zu beurtheilen. Man will dieſes Geſellſchafts - recht mit dem Namen einer Conventional-Ge - richtsbarkeit belegen, doch immer nur in uneigentli - lichen Verſtande, indem, wenn Gewalt zu brauchen noͤ - thig iſt, die Huͤlfe der Obrigkeit angerufen werden muß. Ein anders waͤre es, wenn einer Gemeinheit die ordentli - che Gerichtsbarkeit als ein beſonderes Recht verliehen wor - den. Endlich iſt

6) noch dieſes zu bemerken, das Gemeindeſchluſſe, ſie moͤgen hernach den Schein der Billigkeit vor oder wi - der ſich haben, ſchlechthin zu befolgen, und unter dem Vorwand einer Unbilligkeit von einzelnen Gemeindeglie - dern nicht umgeſtoſſen werden koͤnnen, da ſie eines Theils einer freywilligen Zuſammentretung und Uebereinſtim - mung der Gemeindeglieder ihren Urſprung zu danken ha - ben, andern Theils aber auch eine Gemeinde die Ver - muthung fuͤr ſich hat, daß ſie zu Abfaſſung eines Schluſ - ſes aus hinlaͤnglichen Gruͤnden geſchritten ſeyn werde91)S. gemeinnuͤtzige juriſt Beobachtungen und Rechtsfaͤlle. 3. Band N. V. S. 57. u. folgg..

§. 91. Von Errichtung der Gemeindeſchluͤſſe.

Vor allen Dingen kommt es jedoch bey der Frage, ob Statuten guͤltig und verbindlich ſind, auf die Art ihrer Errichtung an. Iſt dieſe durch beſondere Grundgeſetze, oder durch Obſervanz feſtgeſetzt, ſo muß es dabey bleiben, und die in Gemaͤßheit derſelben abgefaßte Statuta ſind ſodann allerdings fuͤr die ganze Gemeinde verbindlich, wenn ſie auch nicht einzeln darein gewilliget haben ſollte. So z. B. ſtehet oft dem Stadtmagiſtrat in den Landſtaͤdten das ius ſtatuendi vermoͤge eines landes -herr -4921. Buch. 3. Tit. herrlichen Privilegiums, oder vermoͤge eines ausdruͤckli - chen oder ſtillſchweigenden Vertrags mit der Buͤrgerſchaft zu92)S. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. X. m. 6. Auſ - ſerdem iſt der Magiſtrat einer Landſtadt nicht befugt, der Buͤr - gerſchaft ohne ihre Einwilligung Statuten aufzubuͤrden. Ver - gleiche Leyſer Medit. ad Pandect. Spec. VIII. med. 7.; und es kommt alsdann weiter auf die Obſervanz an, ob er dieſes Recht allein, oder anders nicht als mit Zuziehung einiger Deputirten von der Buͤrgerſchaft aus - uͤben koͤnne93)hofacker Princ. iur. civ. rom. germ. T. I. §. 135. in fin. Riccius von Stadtgeſetzen. II. Buch. 3. Kap. §. 20. S. 354.. Im Fall nun aber wegen der Art, wie die Statuten in einer Gemeinde zu errichten, keine be - ſondere Einrichtung vorhanden iſt, muß die Vorſchrift des gemeinen Rechts zur Richtſchnur genommen werden. Nach dieſer wird nun zur geſetzmaͤſigen Errichtung der Statu - ten folgendes erfordert:

1) Es muͤſſen alle Mitglieder der Gemeinheit, oder des Collegiums auf die darin hergebrachte Weiſe zuſam - men berufen werden. Auch Unmuͤndige und Minderjaͤh - rige mit ihren Vormuͤndern. Von dieſen muͤſſen

2) wenigſtens zwey Drittel erſcheinen; und endlich muß

3) der groͤßte Theil der Anweſenden in den Gemein - deſchluß, oder das zu errichtende Statut einwilligen94)Riccius a. a. O. II. Buch. 6. Hauptſt. §. 3. S. 406.. Was alſo auf ſolche Art durch die Mehrheit der Stimmen beſchloſſen worden iſt, wird als ein einſtim - miger Gemeindeſchluß angeſehen, welchen ſich auch die - jenigen, die den kleinſten Theil ausmachen, gefallen laſ - ſen muͤſſen95)L. 19. D. ad municipal. L. 160. §. 1. D. de Reg. Iuris. . Der Vorwand, daß ihre Meinung dermora -493de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. moraliſchen Perſon vortheilhafter ſey, als die Meinung der entgegengeſetzten Majoritaͤt, (vota minoris partis ſaniora eſſe) kann weder die Ausfuͤhrung des durch die Mehrheit der Stimmen gefaßten Schlußes hindern, noch die Minoritaͤt berechtigen, das durch die Stimmen des groͤſſern Theils beliebte, als von ihnen nicht beliebt, nicht zu beobachten96)reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaei deciſ. Vol. I. Obſervat. 9. In Religions - und ſolchen Sachen, welche iura ſingulorum betreffen, uͤberwiegt jedoch die Mehrheit der Stim - men des groͤßern Theils den kleinern nicht. Inſtrum. Pac. Osnabr. Art. V. §. 9. et 52. Cap. 29. de R. I. in 6to. S. westphal Tr. de iure ſingulorum. Halae 1757.. Denn nicht zu gedenken, daß es ſchwer zu beurtheilen, noch ſchwerer aber zu beweiſen iſt, quae vota ſaniora ſint, ſo hat doch immer im Zweifel der groͤſ - ſere Theil die Vermuthung fuͤr ſich97)reinharth ad Chriſtinaeum. Vol. I. Obſ. 39. n. 7.. Sollte es an einem oder dem andern der oben angefuͤhrten Erforder - niſſe ermangeln, ſo verbinden ſolche Statuten nur allen - falls diejenigen, welche darein gewilliget haben, die nicht convocirten Mitglieder aber ſind daran nicht gebunden, geſetzt auch, daß des Oberherrn Beſtaͤttigung dazu gekom - men waͤre98)a wernher ſel. Obſ. for. P. IX. Obſ. 145. n. 2. leyser Spec. IIX. m. 1. riccius a. a. O. §. 3. S. 406..

§. 92. In welchen Faͤllen die landesherrliche Beſtaͤttigung zur Guͤltigkeit der Statuten erforderlich ſey?

Statuten, welche auf die im vorigen Paragraph beſchriebene Art errichtet worden, und nur die Gemeinde - glieder vertragsweiß verbinden, beduͤrfen eigentlich an undvor4941. Buch. 3. Tit. vor ſich, ſo wenig, als Vertraͤge, der landesherrlichen Beſtaͤttigung zu ihrer Guͤltigkeit. Nichts deſtoweniger aber iſt dennoch jede im Statt erlaubte Geſellſchaft auch in Anſehung ihrer Vertrags-Statuten der oberaufſehen - den Gewalt des Landesherrn unterworfen. Vermoͤge die - ſer Unterwuͤrfigkeit ſind daher Gemeinheiten ſchuldig, ihre Statuten der landesherrlichen Einſicht erforderlichen Falls vorzulegen, um zu ſehen, ob dieſelben auch etwas, ſo de - nen Rechten des Landesherrn und dem gemeinen Weſen nachtheilig iſt, enthalten. Ohne landesherrliche Confir - mation gelten indes Statuten nur als Vertraͤge99)Eben dieſes gilt auch von den Statuten der landſaͤſſigen Staͤdte. S. riccius a. a. O. 2. Buch. 6. Hauptſt. §. 2. Und in ſo weit hat leyser ſpec. VIII. m. 2 6. recht, wenn er denen Staͤdten dieß Befugniß, auch ohne beſondere landes - herrliche Conceſſion und Confirmation Statuten zu machen, geſtatten will. Denn die von ihm angefuͤhrten Gruͤnde paſſen blos auf conventional Statuten. Mit dieſen duͤrfen aber nicht eigentliche Stadtgeſetze verwechſelt werden; ſolche erfor - dern allemal die landesherrliche Conceſſion oder Confirmation, denn an ſich ſtehet den landſaͤſſigen Staͤdten keine Macht, Ge - ſetze zu geben, zu. S. Hofr. Schnauberts Beytraͤge zum T. Staats - und Kirchenrechte I. Th. N. V. S. 61. und folg. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. X. med. 2. u. folgg. Letzterer gehet jedoch hierin zu weit, wie Hr. Reg. Rath Eich - mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts I. Th. S. 433. gruͤndlich gezeigt hat.. Sollen ſie daher eine geſetzliche Auctoritaͤt bekommen, und auch in Anſehung anderer gelten und verbinden, die ei - gentlich keine Mitglieder der Gemeinheit ſind; ſo iſt die oberherrliche Beſtaͤttigung ſchlechterdings erforderlich100)S. Struben rechtl. Bedenken IV. Th. Bed. 62. z. B. wenn Fremde durch das Statut vom Gebrauch eines gemein zuſtaͤndigen Rechts ausgeſchloſſen werden ſollen. lyncker Reſp. II. 24. von Cramer Nebenſtunden P. LXXIX. N. V. . Die -495de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. Dieſe iſt aber auch ſodann vonnoͤthen, wenn durch die - ſelben etwas abgeaͤndert werden ſoll, was in den Ge - ſetzen durchaus und ſchlechterdings geboten oder verboten iſt1)Ohne landesherrliche Confirmation haben dergleichen Sta - tuten nicht einmahl die Kraft eines guͤltigen Vertrags. S. reinharth ad Chriſtinaeum. Vol. II. Obſ. 8. S. 11.; oder ein gewiſſes Reichs - oder Landesgeſetz vor - handen iſt, vermoͤge deſſen die Statuten einer gewiſſen Gemeinheit anders nicht guͤltig ſeyn ſollen, als wenn ſie von der Landes - oder wenigſtens der dazu berechtigten Ortsobrigkeit beſtaͤtiget worden ſind2)Ein Beyſpiel davon giebt uns der Reichsſchluß wegen der Handwerksmißbraͤuche vom Jahr 1731. §. 1. ver - moͤge welchen Handwerksartikel ohne Confirmation ſchlechter - dings nicht gelten ſollen.. Daß die Be - ſtaͤtigung ausdruͤcklich geſchehe, iſt nicht im jeden Fall erforderlich, es kann dieſelbe auch ſtillſchweigend ertheilet werden3)Lud. mencken Diſſ. de ſtatutor. confirmator. auctoritate. breuning de iure ſtatutor. non confirmator. Frick Grund - ſaͤtze des Rechts der Handwerker §. 11.; in welchem Falle, Statuten die Natur un - geſchriebener Geſetze haben, inſofern die Erforderniſſe rechtlicher Gewohnheiten vorhanden ſind4)hommel Rhapſod. Qu. 155. hartleben Spec. X. m. 4. S. 179..

Zuletzt fuͤgt unſer Autor noch den richtigen Satz hinzu, daß Statuten auf gewiſſe Art auch auſſer dem Territorium desienigen Landesherrn, von welchem ſie genehmiget worden ſind, ihre rechtliche Wirkung aͤuſ - ſern koͤnnen. Es laͤuft jedoch dieſes auf diejenige Grund - ſaͤtze hinaus, die ich ſchon oben im Titel de origine iuris§. 74.Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. J i4961. Buch. 3. Tit. §. 74. und den folgenden Paragraphen von der Col - liſion teutſcher Particulargeſetze vorgetragen habe. Aus dieſen ergiebt ſich,

I) daß Statuten, welche blos die Perſon ihrer Buͤr - ger und Gemeindeglieder betreffen, ihren Zuſtand, und die davon abhaͤngende Faͤhigkeit oder Unfaͤhigkeit zu con - trahiren, und zu diſponiren, beſtimmen, bey denenſel - ben, auch wenn ſie ſich auſſer Landes befinden, als Nor - men anzuwenden ſind. Denn diejenige Qualitaͤt, welche die Geſetze des Domiciliums einer Perſon geben, iſt uͤber - all geltend, ſo lang dieſelbe ihren Wohnſitz nicht veraͤn - dert. Man pflegt dergleichen Statuten ſtatuta perſonalia zu nennen. Wer alſo nach den Statuten ſeines Wohn - orts eine Infamie contrahirt hat, oder fuͤr Muͤndig oder Unmuͤndig zu halten, traͤgt dieſe Eigenſchaft uͤberall mit ſich herum. Es kann auch die den Buͤrgern und Ein - wohnern eines Orts nach ihren Statuten anklebende Qualitaͤt in einem fremden Lande ſogar in Anſehung derer daſelbſt gelegenen Guͤter wirken, inſofern naͤmlich der - ſelben kein eigenes Statut daſelbſt entgegen ſtehet. Z. B. wenn ein Sohn oder Tochter nach denen Statuten ihres Wohnorts ſui iuris werden, ſo genießet derſelben Vater nicht weiter die Nutzung ihres Vermoͤgens, auch nicht einmahl in Anſehung der unter einer fremden Landesobrig - keit gelegenen Guͤter5)riccius a. a. O. 2. Buchs 14. Hauptſt. Io. Sam. Frid. boehmer D. de efficacia ſtatuti perſonalis extra territorium. Frfti 1756. Einer andern Meinung iſt voet ad Dig. Lib. I. Tit. IV. P. 2. §. 5. und folgg..

II) Wenn Statuten aber nur lediglich die Guͤter der Gemeindeglieder betreffen, ohne Ruͤckſicht auf die Perſon ihrer Beſitzer, (Statuta realia) ſo haben ſolchezwar497de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. zwar inſofern, als ſie ihre geſetzliche Auctoritaͤt von dem - jenigen Landesherrn erhalten haben, in deſſen Lande die Eigenthuͤmer derſelben wohnen, in Anſehung der auſſer - halb Landes gelegenen Guͤter ſolcher Unterthanen keine Wirkung; der Unterthan wird daher unſtreitig ſeine auſſer Landes gelegene Guͤter unverletzt behalten, wenn derſelbe auch nach dem ſtatutariſchen Recht ſeines Wohn - orts ſein Vermoͤgen, wegen begangenen Delicts, ver - wirkt haben ſollte6)riccius a. a. O. II. Buch 16. Hauptſt. §. IX. S. 553.; auch wenn ſtatuta domicilii die Clauſel enthielten: die Guͤter moͤgen liegen, wo ſie wollen; ſo ſind ſie dennoch auſſer Landes ohne Wir - kung, und kann hierdurch denen Statuten des Orts, wo dieſe Guͤter liegen, nicht derogirt werden7)riccius a. a. O. §. VII. S. 551.. Allein wenn ſolche Real-Statuten von der Obrigkeit desjenigen Landes ihre legale Auctoritaͤt erhalten haben, wo die Guͤter, welche ſie betreffen, liegen, ſo muͤſſen auch Aus - waͤrtige (forenſes), denen dieſe Guͤter zugehoͤren, ſich nach denenſelben richten; inſofern von deren Veraͤuſſer - lichkeit oder Unveraͤuſſerlichkeit, Freyheit oder Belaͤſti - gung u. dgl. die Rede iſt8)Henr. hildebrand Diſp. de obligatione forenſium ex iure ſtatutario. Altorf. 1698. Io. Frid. kayser Diſquiſ. de ob - ligatione et valore ſtatuti intuitu forenſium. Gieſſae 1746. (Der Autor hat den Titel dieſer Schrift unrichtig angegeben) und beſonders D. Chriſt. Th. roemer Diſſ. de efficacia ſtatuto - rum in res extra territorium ſitas, praeſ. Car. Chriſtoph. hof - acker. Tübingae 1778.. Endlich

III) wenn Statuten eines Orts denen rechtlichen Geſchaͤften eine gewiſſe Form vorſchreiben, dergleichen man ſtatuta mixta zu nennen pflegt, oder ſonſt eine Hand -J i 2lung4981. Buch. 3. Tit. lung fuͤr erlaubt und guͤltig erklaͤren, ſo muͤſſen derglei - chen Handlungen, die in Gemaͤßheit derſelben an dem Orte vorgenommen worden ſind, auch auswaͤrts fuͤr guͤltig und rechtsbeſtaͤndig angeſehen werden, (S. 280. n. 2.) ſo wie es denn auch umgekehrt eben ſo richtig iſt, daß ein Geſchaͤft, welches die Erforderniſſe nicht hat, die es nach den Statuten des Orts, wo es vorgenommen worden, haben muͤßte, mithin in ſeiner Entſtehung feh - lerhaft und zu Recht nicht beſtaͤndig iſt, auch nirgend anderswo von einigem Werthe und Guͤltigkeit ſeyn koͤn - ne9)riccius a. a. O. 2. Buch 15 Kap. §. 2. Puͤtter auser - leſene Rechtsfaͤlle. 3. Bandes 1. Theil. S. 80.. Betrifft jedoch die Handlung zugleich Guͤter, die auſſer Landes liegen, ſo muͤſſen auch die in loco rei ſitae geltende Statuten befolget werden, wenn daſelbſt die Handlung als guͤltig anerkannt werden ſoll; es waͤre denn, daß dieſelben nicht ſchlechterdings gebietend waͤren, ſondern nur hypothetiſch diſponirten10)hofacker Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 143. S. 115.. Daher es z. B. keinen Zweifel hat, daß wenn Eheleute nach den Statuten ihres Wohnorts eine allgemeine Guͤtergemein - ſchaft, es ſey nun durch einen ausdruͤcklichen oder ſtill - ſchweigenden Vertrag, mit einander errichtet, dieſelbe ſich auch auf die auſſer Landes belegene Guͤter allerdings erſtrecke11)G. L. boehmer Diſſ. de iurib. et obligat. coniugis ſuper - ſtit. ex commun. bon. univ. §. 10. hofacker Princip. iur. civ. a. a. O. §. 143. Einer andern Meinung iſt riccius a. a. O. II. B. 17. Kap. §. V. S. 596..

§. 93.499de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

§. 93. Von der Veraͤnderung poſitiver Geſetze.

Poſitive Geſetze koͤnnen auf mancherley Art, und aus verſchiedenen Urſachen ihre Kraft verliehren. Hier - von muß nun noch kuͤrzlich gehandelt werden.

I) Kann der Geſetzgeber ſelbſt entweder ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend erklaͤren, daß das Geſetz nicht mehr gelten ſolle. Denn von ſeinem Willen haͤngt die Guͤltig - keit deſſelben ab; und wenn auch dem Geſetz die Clauſel: daß es auf immer gelten, und nie wieder ge - aͤndert oder gar aufgehoben werden ſolle, waͤre angehaͤnget worden12)Wir finden auch in verſchiedenen roͤmiſchen Geſetzen der - gleichen clauſulam derogatoriam. Z. B. L. 6. C. de ſec. nupt. Hac edictali Lege in perpetuum valitura ſan - cimus etc. Unter den teutſchen Reichsgeſetzen giebt uns die guͤldene Bulle ein Beiſpiel.; ſo kann doch dadurch die Macht des Geſetzgebers im mindeſten nicht eingeſchraͤnkt werden, inſofern er nicht etwa vermittelſt eines Vertra - ges ſolches verſprochen haͤtte13)S. Io. Nic. hertii Diſſ. de lege, clauſula, ut ne abrogari unquam poſſit, munita. in Opuſc. Vol. I. Tom. 3. S. 1 23. und gerstlacher Corp. iur. germ. T. I. S. 58.. Der Geſetzgeber hebt nun entweder das ganze Geſetz ſchlechthin auf, dies heißt in der Sprache der Geſetze, lex abrogatur; oder er ver - ordnet etwas anders, ſo einem vorhergehenden Geſetz ge - rade entgegen iſt, legi obrogatur; oder es wird ein vorhergehendes Geſetz durch ein nachher erfolgtes neues Geſetz nur in einem gewiſſen Puncte abgeaͤndert, legi derogatur ſeu exrogatur; oder es wird einem Geſetze noch etwas neues hinzugefuͤgt, und ſolches mit einem neuen Anhange vermehrt, legi ſubrogatur14)ulpianus Fragm. Tit. I. §. 3. beym schulting in Iu - rispr. Antejuſt. S. 563. L. 102. D. de V. S. . WennJ i 3nun5001. Buch. 3. Tit. nun gleich der Regel nach das neuere Geſetz das aͤltere aufhebt15)L. fin. D. de conſtitut. Princip. ; ſo leidet doch dieſe Regel alsdann unſtreitig eine Ausnahme, wenn das aͤltere Geſetz ein beſon - deres Geſetz, Statut, oder Privilegium iſt16)Richtig ſagt boehmer Introd. in ius Digeſtor. Tit. de Iuſt. et Iure §. 6. n. 4. Leges poſteriores generales non ſemper mutare illa, quae antea iure speciali diſpoſita, ſed inde exceptionem capere. Eben dieſes erlaͤutert Papinian L. 41. D. de poenis durch ein ſehr treffendes Beyſpiel, und gruͤndet ſich dabey auf die Regel der L. 80. D. de R. I. In toto iure generi per ſpeciem derogatur, et illud potiſſimum habetur, quod ad ſpeciem directum eſt; welche I. B. d an - toine in dem eleganten, nur wenigen bekannten, Werk: Les Regles du Droit civil, traduites en fran - cois avec des explications et de commentaire ſur chaque regle, a Lion 1710. auf folgende Art ganz richtig uͤberſetzt: c’eſt une maxime generale en Droit, que l’eſpece deroge au genre, d’ou il arrive, que les diſpoſitions ſpeciales font des reſtrictions et des exceptions aux generales. Daher laͤßt ſich nun auch erklaͤren, wenn Paulus L. 26. und Tertullian L. 27. D. de LL. ſagen, es ſey nichts neues, ut priores Leges ad poſteriores trabantur. S. Lud. God. madihn Opuſe. I. viciſſit. ſubſtit. exemplar. eiusq. ve - ram indol. continens. (Halae 1775. 4.) §. 15. und hartle - ben Spec. X. medit. 10.; weil im Zweifel nie zu vermuthen, daß der Geſetzgeber jene beſondere Verordnung habe aufheben wollen, wenn er ſolches nicht deutlich erklaͤret hat17)Cap. 1. de conſtitut. in 6to. . Es wird alſo in dieſem Falle die neuere gemeine, und die aͤltere be - ſondere Verordnung nach eben dem Verhaͤltniſſe, wie Regel und Ausnahme, zu beurtheilen ſeyn. (S. 406. und folg.)

Auch501de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.

Auch durch den ſtillſchweigenden Willen des Geſetz - gebers kann ein Geſetz ſeine Guͤltigkeit verliehren, indem derſelbe eine dem Geſetz entgegenſtehende Gewohnheit auf - kommen laͤſſet. Daß durch ein Gewohnheitsrecht ein aͤlteres Geſetz aufgehoben werden koͤnne, hat uͤberhaupt keinen Zweifel, denn eine legale Gewohnheit hat mit einem geſchriebenen Geſetz gleiche Kraft und Wirkung. (S. 478.) So gut alſo durch ein neues geſchriebenes Geſetz ein aͤlteres aufgehoben werden kann, eben ſo gut kann dies auch durch eine Gewohnheit geſchehen. Es beſtaͤtigen dieſes auch deutliche Geſetzſtellen18)§. 11. I. de iur. nat. gent. et civ. L. 32. §. 1. D. de LL. , und nie wuͤrde wohl deshalb ein Zweifel entſtanden ſeyn, wenn nicht die Mißdeutung eines gewiſſen Geſetzes im Juſti - nianiſchen Codex eine Veranlaſſung dazu gegeben haͤtte. Es iſt die L. 2. C. quae ſit longa conſuet. welche folgender - geſtalt lautet:

Imp. constantinus A. ad Proculum.

Conſuetudinis uſusque longaevi non vilis aucto - ritas eſt: verum non usque adeo ſui valitura momen - to, ut aut rationem vincat, aut legem.

Ich will mich nicht auf die verſchiedenen Erklaͤrun - gen der Rechtsgelehrten einlaſſen, ſondern meine Leſer deshalb auf die unten angezeigten Schriften verwei - ſen19)S. Gregor. lopez madera Animadverſ. iur. civ. cap. 5. Ludov. vitalis variar. lection. Lib. II. c. 28. Pet. faber Semeſtr. Lib. III. c. 22. donellus Commentar. iur. civ. lib. I. c. 10. M. lycklama à nyholt Membranar. Lib. I. Eclog. 11. noodt Comm. ad Digeſta h. t. T. II. Opp. p. 16. Ioſ. averanius Interpretat. iur. Lib. II. c. 1. Ioſ. fine -stres. So viel iſt aber gewiß, daß jenes Geſetz unſererJ i 4obigen5021. Buch. 3. Tit. obigen Behauptung keineswegs zuwider ſey. Die L. 2. iſt ein kaiſerliches Reſcript, alſo auf eine ergangene An - frage, ohne Zweifel eben desjenigen Proculus, er - laſſen worden, an welchen das Reſcript gerichtet iſt. Man muthmaſſet, dieſer Proculus, Proconſul Afri - cae, auch wohl vielleicht noch Heide, habe bey der Gele - genheit, da er vom K. Conſtantin einige mandata erhalten, worinn derſelbe maches in der alten Religion der Roͤmer reformiret, und das Volk ſich auf altes Her - kommen und Gebrauch berufen, deshalb Bericht an den Kaiſer erſtattet, vielleicht in dem Tone, in welchem Symmachus, auch zu Gunſten der heidniſchen Reli - gion, an die Kaiſere Valentinian, Theodoſius und Ar - cadius ſchrieb20)Lib. X. Ep. 61. Dies iſt die Muthmaſſung Ger. noodt Commentar. ad Pandect. h. t. welche auch heineccius in Pan - dect. h. t. §. 105. not. annimmt; und Iac. gothofredus in Comm. ad L. un. Cod. Theodos. de longa Confuet. noch mehr beſtaͤtiget.. Iſt dieſes richtig, ſo war hier gar nicht die Frage, ob ein aͤlteres Geſetz durch eine neuere rechtliche Gewohnheit aufgehoben werden koͤnne? ſondern von dem umgekehrten Falle die Rede. Der Sinn des Reſcripts iſt alſo vielmehr dieſer; wenn gleich ſonſt eine alte Gewohnheit oder Gebrauch keine geringe Auctoritaͤt hat, ſo iſt doch dieſelbe nicht von einem ſolchen Gewicht, daß ſie ge - gen die Vernunft, und die geſetzliche San - ction etwas gelten koͤnne, wodurch jene Ge -wohn -19)stres Hermogenian. Lib. I. S. 215. Fr. Car. conradi Diſſ. de conſuetudine legem haud vincente. Helmſt. 1745. Henr. God. bauer Diſſ. de conciliatione L. 32. D. de LL. et L. 2. C. quae ſit longa conſuet. Lipſ. 1761. und ayrer Progr. de conſuetudine legem vincente. Goett. 1764.503de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. wohnheit, als vernunftwidrig, iſt aufge - hoben worden21)S. kemmerich de probat. Conſuetud. Sect. I. §. XIII. not. c. .

II) Koͤnnen poſitive Geſetze unterweilen ſelbſt aus Nothwendigkeit ihre Guͤltigkeit verliehren, wenn die Umſtaͤnde ſich gaͤnzlich geaͤndert haben, unter welchen ein gewiſſes Geſetz gegeben worden iſt, ſo daß es nun ſchlechterdings keine Anwendung mehr finden kann22)Joh. Heinr. Eberhards Abhandlung von der Clau - ſula rebus ſic ſtantibus, und beſonders von deren Anwendung auf die teutſchen Reichsgeſetze; in deſſelben Beitraͤgen zur Erlaͤuterung der teutſchen Rechte. 1. Th. N. I. . Denn ſo gewiß es iſt, daß das Syſtem eines Staats und die Sitten eines Volks auf die Geſetzgebung ſelbſt einen wichtigen Einfluß haben, ſo gewiß iſt es auch, daß die Veraͤnderungen des Staatsſyſtems und der Sitten eine Veraͤnderung der Geſetze nach ſich ziehen muͤſſen23)Vortreflich philoſophirt hieruͤber Sextus Caecilius beym gellius Noct. Atticar. Lib. XX. c. 1. Non pro - fecto ignoras, ſo ſagt dieſer roͤm. Juriſt, legum opportunita - tes, et medelas pro temporum moribus et pro rerum publica - rum generibus, ac pro utilitatum praeſentium rationibus, pro - que vitiorum, quibus medendum eſt, fervoribus mutari atque flecti: neque uno ſtatu conſiſtere, quin, ut facies coeli ac ma - ris, ita rerum atque fortunae tempeſtatibus, varientur. . Geſetze koͤnnen daher nicht mehr gelten

1) wenn der Gegenſtand, nehmlich die Perſonen oder Sachen, von denen dieſelben reden, jetzt nicht mehr vor - handen ſind; oder

J i 52) die -5041. Buch. 3. Tit.

2) diejenige weſentliche Eigenſchaft der Perſon oder Sache, von welcher das Geſetz redet, veraͤndert worden iſt, worauf die Sanction deſſelben, als ihrem Haupt - grunde beruhete. Gleichwie denn auch

3) keinem Zweifel unterworfen, daß wenn der Hauptzweck eines Geſetzes aufhoͤrt, nothwendig auch deſſen Verbindlichkeit ein Ende haben muͤſſe. Auf den Nebenzweck, ohne welchen die Guͤltigkeit des Geſetzes doch beſtehen kann, darf alſo keine Ruͤckſicht genommen werden. Ueberhaupt iſt zu bemerken: wenn und in - ſoferne auch bey veraͤnderten Umſtaͤnden das Geſetz doch noch angewendet werden kann, ſo bleibt es inſofern guͤltig. Man vergleiche hierbey, was oben in dem Tit. de origine iuris §. 58. von dem heurigen Gebrauch des roͤmiſchen Rechts geſagt wor - den iſt; die daſelbſt angefuͤhrten Beyſpiele koͤnnen auch hier zur Erlaͤuterung dienen.

Zuletzt bemerkt unſer Autor noch, daß durch den bloſen Nichtgebrauch (per ſolum non uſum) ein Geſetz ſeine Kraft und Guͤltigkeit keinesweges verliehre; welches auch ſeine Richtigkeit hat, weil das Geſetz ſeine Kraft durch die Promulgation, nicht aber durch die Be - obachtung (per obſervantiam) erhaͤlt24)lauterbach Colleg. Theor. Pract. Pandectar. h. t. §. 21. Fratr. becmanni in Conſil. et Deciſ. P. I. Reſp. I. S. 20.. Waͤre je - doch bey vorkommenden Faͤllen ein gewiſſes Geſetz ſchon lange nicht mehr befolget worden, da doch genugſame Gelegenheit zur Anwendung deſſelben vorhanden geweſen, und der Geſetzgeber haͤtte dieſen Nichtgebrauch geſchehen laſſen, ohne auf die Beobachtung des Geſetzes zu drin - gen, ſo kann durch eine ſolche Entwoͤhnung ein Geſetzaller -505de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. allerdings aufgehoben werden. Nur muß die ſpecielle Einwilligung des Geſetzgebers erwieſen werden koͤnnen. Unter dieſer Vorausſetzung koͤnnen ſogar auch Straf - geſetze per deſuetudinem ihre Guͤltigkeit verliehren25)§. 7. I. de iniuriis. . Daß der Nichtgebrauch des Geſetzes durch gerichtliche Erkaͤnntniſſe muͤſſe beſtaͤtiget worden ſeyn, wie Leyſer26)Meditat. ad Pand. Spec. IX. med. 10. und mit ihm die Gebruͤdere Becmann27)Conſil. et Deciſ. P. II. Dec. 48. n. 5. S. 40. dafuͤr hal - ten wollen, iſt nicht immer erforderlich, ſo wie auch ſchon andere gegen Leyſer gruͤndlich erinnert haben28)hartleben Meditat. ad Pandectas Spec. XI. med. 14. und Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts. 2. Th. S. 139..

Lib. I. Tit. IV. De Conſtitutionibus Principum.

§. 94. und 95. Entwickelung der roͤmiſchen und heutigen Begriffe von Conſti - tutionen der Regenten.

Unter den ſo verſchiedenen Geſetzgattungen der Roͤ - mer zeichnet ſich nun noch vorzuͤglich durch Reichhal - tigkeit an Rechtsprincipien, ſo durch dieſelbe eingefuͤhrt worden ſind, diejenige aus, welche uns unter dem Na - men Conſtitutiones Principum die Fragmente dieſes Titels kennen lernen29)Io. strauch Diſſ. de ſtatutis a ſummo principe. Inter Diſ - ſertat. academ. n. 3. Marq. freher Orat. de conſtitutio -num. Die Roͤmer legten dieſen Namendenen -5061. Buch. 4. Tit. denenjenigen Verordnungen bey, welche die roͤmiſchen Kaiſere ſelbſt und in Kraft der ihnen durch die Legem regiam uͤbertragenen hoͤchſten Staatsgewalt30)Aus eben dieſer Quelle leitet auch Ulpian L. 1. D. b. t. die Guͤltigkeit der kaiſerlichen Verordnungen her. Quod prin - eipi placuit, legis habet vigorem: utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata eſt, populus ei et in eum omne ſuum imperium et poteſtatem conferat. Es iſt jedoch bekannt, daß die Urtheile der Gelehrten uͤber die lex regia ſehr verſchieden ſind. S. gronovius in Orat. de lege regia. Lugd. 1675. 8. schock Tr. de quadruplici lege regia. Frſti 1668. 8. Leop. metastasius de lege regia ſeu tabula aenea capitolina notis, animadverſionibus, et variis quaeſtionibus illuſtrata. Romae 1757. 4. Petr. van spaan Spec. hiſt. iurid. de SCto de im - perio Veſpaſiani apud Gruterum. T. II. p. 242. ſpurio Lugd. Batavor. 1768. huber Digreſſ. Iuſtin. Lib. I. c. 31. we - stenberg in Div. Marco. Diſſ. II. c. 1. van wachendorf Diſſ. de principe LL. ſoluto Cap. II. Chriſt. Dan. beck Diatr. de Lege regia Romanor. Lipſiae 1780. Eine Unterſuchung uͤber die lex regia findet man auch in Thom. Bevers Geſchichte des roͤm. Staats und des roͤm. Rechts. 3. Buch 6. Kap. wo zugleich D. Voͤlkel in den Anmerkungen S. 264 272. nachzuſehen iſt., mithin ohne Zuziehung des Senats und Volks31)L. 2. §. 11. und 12. D. de Orig. iuris. , an ihre Unterthanen ergehen lieſſen, und welche alſo blos darum, weil es der Kaiſer wollte, das Volk, als Geſetze, ver - banden. Solche Verordnungen publicirten nun die Kai - ſer entweder aus eigner Bewegung, oder auf das Ver - langen ihrer Unterthanen; zur erſtern Claſſe gehoͤrten die kaiſerlichen Edicte und Mandate; zur letztern aber die kaiſerlichen Reſcripte und Decrete.

Edicte

29)num imperialium inter caeteras iuris civ. partes excellentia. Frfti 1672. Ulr. huber oder Andr. bruce de Conſtitutio - nib. Principum. Franeq. 1683.

507de Conſtitutionibus Principum.

Edicte wurden die allgemeinen kaiſerlichen Ver - ordnungen genennt, welche entweder alle Unterthanen des ganzen roͤmiſchen Reichs, oder einen Theil derſelben z. B. eine ganze Provinz angiengen32)Selbige werden daher auch Leges edictales perpetuae, oder in perpetuum valiturae genennt. L. 6. C. de ſec. nupt. L. 6. C. de div. reſcript. Zwar wollen verſchiedene Rechtsgelehrte behaupten, als ob die Edicte ehemahls, falls ſie die Kraft allgemeiner Geſetze haben ſollten, durch ein Senatusconſultum haͤtten beſtaͤtiget werden muͤſſen. S. faber Semeſtr. Lib. I. c. 25. bach hiſt. Iurispr. Rom. Lib. III. Cap. I. S. 4. §. 6. u. a. m. Allein dieſe irrige Meinung hat Herr Dir. Ze - pernick in Diatr. de iudicat. centumviral. §. XXII. not. i. hinter Siccama de iudic. centumvir. S. 402. gruͤndlich wider - legt.. Enthielten dieſel - ben die Entſcheidung einer ſtreitigen Rechtsmeinung, ſo hieſſen ſie Deciſionen, z. B. die 50 Deciſionen des K. Juſtinians. Enthielten ſie aber ſonſt ein neues Recht, ſo wurden ſie im eigentlichen Verſtande Edicte genennt.

Mandate wurden an die Gouverneurs der Pro - vinzen und andere roͤmiſche Magiſtratsperſonen erlaſſen, und es waren ihnen darinn die Grenzen ihrer Amtsge - walt und Gerichtsbarkeit vorgezeichnet33)L. 6. §. 3. fin. D. de offic. Proconſ. L. 19. pr. D. offic. Praeſid. Tit. Cod. de mandat. princip. Nov. 17. S. Car. Em. vizzanius de mandatis Principum. Amſtelod. 1657. 4.. Von dieſen waren Epiſtalmata, oder Epitagmata verſchieden, denn dieſe waren kaiſerliche Ordres, worinnen einem Miniſter oder andern kaiſerlichen Bedienten die Beſorgung eines dem Kaiſer ſelbſt betreffenden Geſchaͤfts aufgetragen wurde34)L. 3. C. de quadr. praeſcr. I. H. boehmer de iure epiſtal - matis. Halae 1735. 4..

Reſcripte5081. Buch. 4. Tit.

Reſcripte hießen kaiſerliche Antwortsſchreiben, welche auf eingereichte Bittſchriften, oder geſchehene An - frage und erſtatteten Bericht ſolcher Unterthanen ergien - gen, die ſich in einem zweydeutigen oder ſchwierigen Rechtsfall, oder in einem andern Anliegen an den Mo - narchen gewandt hatten35)schulting Orat. pro Reſcriptis Imp. Rom. in Commentat. Academ. Halae edit. Vol. I. Diſſ. III. S. 163. u. folgg. und Dav. Capel. hunthum Diſſ. de Reſcriptis Princip. Rom. Lei - dae 1709. in oelrich Theſ. Diſſ. Belgicar. Vol. II. T. 3. S. 307. u. folgg.. Selbige waren von dreyer - ley Art. 1) Solche, welche auf die Suppliken einzelner Privatperſonen erlaſſen wurden; dieſe hießen Reſcripte im engern Verſtande. Schrieben die Kaiſer gleich ſelbſt und mit eigner Hand die Reſolution unter die Supplik, ſo wurden ſelbige Adnotationes oder Subnota - tiones36)Die Kaiſere ſelbſt brauchen ſehr haͤufig die Ausdruͤcke ad - notatio manus noſtrae L. 14. C. Th. de curſu publ. L. 52. C. Th. de Haereticis. Nov. Valentiniani III. de homi - cidiis beym ritter T. VI. Cod. Theod. S. 107. ferner ad - notationis noſtrae decretum. L. 1. Cod. Iuſt. de precib. Imp. offerend. Auch kommen die Ausdruͤcke vor: dextra triumphalis L. penult. C. Theod. de annon. Civic. L. 13. C. Iuſt. de Murileg. dextra principalis, L. 21. 22. u. 23. C. Th. de diverſ. offic. Beyſpiele von ſol - chen kaiſerlichen Adnotationen finden wir in den Acten der Chalcedoniſchen Kirchenverſammlung Act. I. col. 1038. und 1091. nach der Venet. Concilien-Ausgabe des Labbaͤus. Man vergleiche auch Iac. gothofredus ad LL. 27. u. 28. C. Th. de petition. Ioach. von dale Diſſ. de Subſcriptionib. Princip. Ienae rec. 1750. beſonders aber Ant. zirardinus ad Impp. Theodoſii Iun. et Valentiniani III. Novellas leges. S. 236. u. folgg. vorzuͤglich S. 241. und 487. Die Kaiſerebedien - genennt; andere hingegen, welche nur von demkaiſer -509de Conſtitutionibus Principum. kaiſerlichen Cabinetsſecretair (Promagiſter, Magiſter Scri - niorum) ausgefertiget und unterſchrieben wurden, hießen reſcripta ſimplicia37)So werden L. 27. Cod. Theod. de petition. und Novell. Valentin. de homicidiis ausdruͤcklich Adnotationes und Reſcripta ſimplicia unterſchieden. S. Iac. gotho - fredus ad d. L. 27. und Ian. a costa ad Decretales. S. 26.. 2) Solche, die an Magiſtrats - perſonen auf deren erſtattete Berichte ergiengen; dieſe wurden Epiſtolae38)L. 13. §. 5. D. de iure fiſci. L. 6. §. 3. D. de off. Pro - conſ. genennt. Endlich 3) ſolche Re - ſcripte, welche auf die Vorſtellung einer ganzen Gemein - heit, einer Provinz, oder Stadt, oder eines andern Colle - giums in einer oͤffentlichen Angelegenheit ergiengen; dieſe wurden Sanctiones oder Iuſſiones pragmaticae39)L. 7. C. de diverſ. reſcript. iunct. L. 15. C. de proxim. ſacr. ſcrin. Ein Beyſpiel findet ſich L. 4. §. 5. D. de offic. pro - conſ. S. boehmer D. de ſanction. pragmat. indole (Exer - cit. ad Dig. T. I.) genennt.

Kaiſerliche Decrete40)theophilus in Paraphr. Inſtitut. graeca ad §. 6. de I. N. G. et C. ſagt decretum eſt ſententia Principis inter duas partes, de quarum ipſe cauſa cognoſcit, et iudicat, pronun - tiata. Bisweilen wird jedoch das Wort decretum Prin - cipis im weitlaͤuftigern Verſtande fuͤr eine jede kaiſerliche Verordnung genommen. L. 7. pr. D. de I. et I. L 28. §. 2. D. Ex quib. cauſ. maior. S. noodt de pact. et Trans - act. Cap. XIX. zepernick de iudicat. Centumviral. §. XIX. beym siccama S. 378 u. f. waren Urtheile, welche die Kaiſere in ihrem Tribunal (Auditorium Principis) 41)So hieß der Ort, wo die an den Kaiſer gebrachte Rechts - ſachen vorgenommen und entſchieden wurden. L. 22. pr. D. adnach36)bedienten ſich zu ihrer Adnotation einer purpurrothen Dinte, welche in den Geſetzen derſelben ſacrum encauſtum genennet wird. L. 6. C. Iuſt. de div. Reſpript. 5101. Buch. 4. Tit. nach vorhergegangener genauen Unterſuchung des ſtreiti - gen Rechtshandels42)Dies erlaͤutern die Worte Juſtinians L. 12. pr. C. de Legibus: Si imperialis Maieſtas cauſam cognitionaliter exa - minarit, et utrisque partibus cominus conſtitutis ſententiam dixerit. , und desfalls gemeinſchaftlich mit ihren Gerichtsraͤthen und Beyſitzern gepflogenen Erwaͤ - gung ſelbſt bekannt machten43)Lehrreiche Beyſpiele von ſolchen kaiſerlichen Decreten liefern uns die Fragmente, welche aus des iulii pauli libris De - cretorum ſeu ſententiarum in imperialibus eognitionibus prola - tarum in unſere Pandecten gekommen, und von Abr. wie - ling Iurisprud. Reſtitut. S. 159. u. folgg. vollſtaͤndig ange - fuͤhrt worden ſind. Sie enthalten die Entſcheidungen und Urtheilsſpruͤche der Kaiſer septimii severi und antonini caracallae, in deren Tribunal Paulus ſelbſt nebſt an - dern ſehr beruͤhmten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit Bey - ſitzer war. S. Ev. otto in Papiniano Cap. XII. §. 1. S. 364. und Cap. XIV. §. 5. S. 517. Ich will nur einige von dieſen Fragmenten ausheben, als L. 38. D. de minorib. L. 8. D. quod cum eo, qui in aliena poteſt. L. 92. D. de hered. in - ſtit. u. L. 240. D. de Verb. Signif. welche einen Beweis ge - ben, wie ſehr oft der Kaiſer mit ſeinen Tribunalsraͤthen uͤber die Entſcheidung ſtreitiger Faͤlle diſputiret, und wie freymuͤthig der Juriſt Paulus denen Kaiſern ſelbſt ins Geſicht wi - derſprochen habe. S. zepernick Diatr. cit. §. XVI. beym siccama S. 365.. War der Proceß zumEnd -41)ad SCt. Trebell. L. 18. §. 1. D. de minorib. L. 54. D. de re iudic. L. 1. §. fin. D. ne de ſtatu defunctor. L. 40. 44. 48. C. Th. de appellat. (Lib. XI. Tit. 30.) L. 3. 4. 5. eod. de reparat. (XI. 31.) Von dieſem war das Conſiſtorium Prin - cipis, der geheime Rath, oder Cabinetsrath der Kaiſer verſchieden, in welchen blos Staatsgeſchaͤfte abgehan - delt wurden. Man vergleiche die ſchoͤne und gelehrte Schrift des Herrn D. Chriſt. Gottl. haubold de Conſiſtorio Princi - pum. Lipſiae 1788. Cap. III. 511de Conſtitutionibus Principum. Endurtheil noch nicht reif, ſondern kam es noch auf wei - tere Eroͤrterung eines Punctes an, wovon die Entſchei - dung der Hauptſache abhieng, oder war ſonſt nur ein Nebenpunct des obſchwebenden Rechtsſtreits durch das kaiſerliche Erkaͤnntniß decidiret worden, ſo hieß ſolches Interlocutio Principis44)L. 1. §. 1. D. h. t. de plano interlocutus eſt. huber Praelect. ad Inſtitut. Lib. I. Tit. 2. §. 9. hat ſich ganz unrich - tige Begriffe von kaiſerlichen Decreten und Interlocu - tionen gemacht, welchen Ioh. Caſp. heimburg Progr. II. de Interlocutionibus Principum occaſ. L. I. §. 1. D. de Con - ſtitut. Princ. Ienae 1739. gruͤndlich widerlegt.. Durch dieſe Begriffe erhalten nun die Worte Ulpians45)L. 1. §. 1. D. h. t. ihr Licht, wenn dieſer ſagt: Quodcunque igitur Imperator per epistolam et subscri - ptionem ſtatuit, vel cognoſcens decrevit, vel de plano interlocutus eſt, vel edicto praecepit: legem eſſe con - ſtat. Hae ſunt, quas vulgo constitutiones appella - mus. Zuletzt muß ich noch einer Eintheilung der kaiſer - lichen Verordnungen gedenken, deren Ulpian46)§. 2. cit. L. 1. h. t. in fol - genden Worten Erwaͤhnung thut: Plane ex his quaedam ſunt Personales, nec ad exemplum trahuntur. Nam quod Princeps alicui ob merita indulſit, vel ſi quam poe - nam irrogavit, vel ſi cui ſine exemplo ſubuenit: perſonam non egreditur. Dieſemnach ſind alſo die Conſtitutiones Principum entweder generales oder ſpeciales ſ. perſonales47)§. 6. in fin. I. de I. N. G. 65 Civ. . Erſtere werden diejenigen genennt, welche eine gemeine Regel fuͤr alle enthalten; letztere hingegen, welche eine Ausnahme von der allgemeinen Vorſchrift der Geſe - tze in Anſehung einzelner Perſonen enthalten; es ſeynun,Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. K k5121. Buch. 4. Tit. nun, daß entweder dieſe Ausnahme zu Gunſten derſel - ben und auf eine fuͤr ſie vortheilhafte Weiſe, (conſtitutio - nes favorabiles) oder auf eine gehaͤßige Art gemacht wor - den, indem eine haͤrtere Strafe in einem Falle dictiret worden, als die Geſetze ſonſt in demſelben beſtimmt ha - ben (conſtitutiones odioſae)48)Sehr gut erlaͤutert dieſe Eintheilung theophilus Paraphr. Inſtit. graeca ad §. 6. tit. de I. N. G. et C. Atque harum (ſc. Conſtitutionum) quaedam ſunt personales, neque in exemplum trabi poſſunt: quia non hoc princeps voluerit: nam ſi cui Princeps ob egregia in rempublicam merita aliquid con - ceſſerit, veluti immunitatem a tributis aut vectigalibus, ac deinde alius quispiam non peius, aut etiam longe melius de Republica mereatur, is ex illa Lege conſimilem ſibi immuni - tatem vindicare non poterit: propterea, quod illa Lex intra certam perſonam conſiſtat. Sed et ſi cui aut graviorem, quam pro delicto, vel quam Lege cautum eſt, poenam irrogaverit, aut poenae gratiam fecerit, id ad conſequentiam non pertinet. Itaque nec ſi quis poſtea in idem delictum inciderit, aut ſimi - lem gratiam conſequetur, aut gravius, quam par eſt, in eum animadvertet. Quoniam intra perſonas eorum, quibus ſub - ventum eſt, vel auctum ſupplicium, ea ſiſtentur. Perſonales igitur Conſtitutiones perſonas eorum, de quibus emiſſae ſunt, non excedunt. Quae autem generales ſunt, in omnes tum perſonas, tum res, valent, atque extenduntur. . Aus dem Zuſammenhang der ganzen Stelle des Ulpians ſiehet man, daß er die oben gedachten Arten der kaiſerlichen Conſtitutionen und alſo auch die Reſcripta und Decreta Principum zu den generellen Conſtitutionen rechne, dieſes ließ ſich jedoch vor Juſtinians Zeiten anders nicht annehmen, als wenn die Kaiſer ihren Decreten oder Reſcripten die clauſulam Edicti inſerirt hatten49)L. 2. et 3. C. de Legib. et Conſtitut. Einen vortreflichen Commentar uͤber dieſe Stellen findet man in des Herrn Dir. zeper -, ſonſt machten ſie nur ein Rechtunter513de Conſtitutionibus Principum. unter den Partheyen, wenn ſie nicht etwa hernach durch die beſtaͤndige Anwendung in aͤhnlichen Faͤllen die Kraft eines allgemeinen und beſtaͤndigen Gewohnheitsrechts er - halten hatten50)Man vergleiche Henr. brenkmann Diatr. de Eurematicis. Cap. VII. Sect. II. §. XI. und folgg. S. 332. Ger. noodt in Diocletiano et Maxim. cap. 2. Ant. schulting Orat. pro reſcript. Princ. Rom. §. 4. und van wachendorf in Diatr. de principe legibus ſoluto. Cap. III. §. 3.. Ich werde hiervon beym folgenden §. 96. noch etwas umſtaͤndlicher zu handeln, Gelegenheit haben.

Heutiges Tages giebt es nun zwar auch eben ſo mancherley Gattungen landesherrlicher Verord - nungen51)S. Io. Chriſt. kochii meditat. de conſtitut. Principum. Ienae 1754., als es bey den Roͤmern kaiſerliche gab; inzwiſchen werden doch oft mit den roͤmiſchen Benennun - gen ganz andere Begriffe verbunden. Ich werde dieſes gleich naͤher zeigen. Unter einer landesherrlichen Verordnung verſtehet man heutiges Tages uͤberhaupt nichts anders als die ausdruͤckliche Willenserklaͤrung eines Landesherrn, wodurch derſelbe in Anſehung ſeiner Unter - thanen etwas verfuͤgt, was geſchehen oder nicht geſchehen ſoll. Eine ſolche Verordnung ſoll nun entweder nach der erſten und fuͤrnehmſten Abſicht des Landesherrn alle Un - terthanen deſſelben angehen, oder nicht. Im erſten Fall wird ſie eine allgemeine, im zweyten aber eine be - ſondere landesherrliche Verordnung genennt. Die allgemeinen landesherrlichen Verordnungen heißen heu - tiges Tages uͤberhaupt Edicte, in einigen Laͤndern aberK k 2auch49)zepernick Diatr. de iudicat. centumviral. §. XX. beym sic - cama S. 384 u. folgg.5141. Buch. 4. Tit. auch Mandate. Reſcripte aber werden h. z. T. nicht nur die auf Veranlaſſung, z. B. auf vorhergehen - de Vorſtellung eines Supplicanten, oder erſtatteten Be - richt eines Beamten, ſondern auch aus eigner Bewegniß an gewiſſe Perſonen erlaſſene landesherrliche Verordnun - gen genennet52)Dieſer heutige Begriff der Reſcripte ruͤhrt aus dem cano - niſchen Rechte her. Siehe Tit. Decretal. de Reſcriptis (Lib. I. T 3.) und C. 23. de praebend. in 6to. boehmer princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. IV. §. 225.. Ja was noch mehr iſt, es werden ſogar unter Reſcripten auch nur ſolche Schreiben ver - ſtanden, welche nach gewiſſen Curialien von einem Ober - Collegium an den Unterrichter in buͤrgerlichen oder pein - lichen Juſtizſachen zu des leztern Nachachtung ergehen. Und dieſe ſind entweder bloſe Schreiben um Bericht - Erſtattung (reſcripta informativa) oder ſolche, welche auf Juſtizbeſchleunigung abzielen, (promotorialia) oder ſolche, wodurch eine Sache wegen Juſtizverzoͤgerung, oder den Verdacht einer Partheylichkeit abgefordert wird, (avoca - toria) u. d. m.53)S. D. Juſt. Claproths Grundſaͤtze von Verfertigung und Abnahme der Rechnungen, von Reſcripten, und Be - richten ꝛc. Goͤttingen 1783.. Landesherrliche Reſcripte aber werden in Gemaͤßheit des canoniſchen Rechts in Gnaden - (reſcripta gratiae) und Juſtizreſcripte (reſcripta iuſtitiae) eingetheilt, je nachdem dadurch vom Landesherrn entweder eine Gnade, z. B. eine Verſor - gung, oder Anwartſchaft, oder eine Befreyung und Loß - zaͤhlung, oder ſonſt dergleichen verliehen wird, oder aber in einer ſtreitigen Rechtsſache beſtimmt wird, was nach dem ordentlichen Rechtslauf in derſelben geſchehen ſoll. Der Unterſchied zwiſchen beyden Arten landesherr - licher Reſcripte iſt nach canoniſchen Rechten von großerWich -515de Conſtitutionibus Principum. Wichtigkeit. Denn Gnadenreſcripte erhalten ihre Wirkung gleich von dem Tage ihrer Ausfertigung (a tempore datae) an; Juſtizreſcripte aber erſt von der Zeit an, da ſie dem Richter vorgezeiget worden ſind (a tempore inſinuationis)54)c. 7. c. 19. X. de Reſcript. c. 9. c. 14. eodem in 6 to. c. 7. de Praebend. in 6 to. cap. 59. X. de Appellat. G. L. boeh - mer Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 4. §. 227. Paul. Ioſ. a riegger Inſtitut. iurisprud. eccleſ. P. II. §. 95. und Eibel Einleitung in das kathol. Kirchenrecht. IV. Th. I. B. 2. Hauptſt. §. 256.. Und zwar ſollen leztere nach der Vorſchrift des canoniſchen Rechts laͤngſtens innerhalb eines Jahres von dem Impetranten vor - gezeiger werden, nachdem derſelbe Gelegenheit dazu bey dem Richter gehabt hat55)cap. 9. u. 23. X. de reſcript. Franc. florens ad Tit De - cretal. de Reſcript. Tr. 3. Oper. Tom. I. S. 101. Eibel a. a. O. §. 255.. Iſt ſolches aus Gefaͤhrde oder nur aus Nachlaͤßigkeit unterlaſſen worden, ſo gilt das Reſcript nichts mehr gegen ein neueres, welches der Gegner unterdeſſen ausgewirkt hat. Es verſtehet ſich alſo, daß wenn kein gegenſeitiges anderes Reſcript er - folgt iſt, das erſtere auch noch nach einem Jahre ſeine Guͤltigkeit behalten werde56)L. 2. Cod. de diverſ. Reſcript. S. fachinaeus Contro - verſ. iuris Lib. VIII. cap. 65. Jedoch iſt die Ausnahme, die L. 2. macht, ſi modo tempus, in quo allegari vel audiri de - bent, non ſit comprehenſum, nicht aus der Acht zu laſſen..

Die Benennung einer pragmatiſchen San - ction kommt heutiges Tages im roͤmiſchen Sinn gar nicht mehr vor; ſondern man verſtehet vielmehr darunter ein ſchriftlich errichtetes Fundamentalgeſetz, welches den oͤffentlichen Zuſtand und Verfaſſung eines Landes oderK k 3Reichs5161. Buch. 4. Tit. Reichs betrift, und mit Einwilligung der Staͤnde deſſel - ben dergeſtalt gegeben worden iſt, daß es eine beſtaͤndige Guͤltigkeit haben ſolle .57)Man vergleiche boehmer oben angefuͤhrte Diſſertat. Cap. II. . Auch faͤllt der Unterſchied unter Adnotationen und bloſen Reſcripten heut zu Tage von ſelbſt weg. Dagegen aber pflegen die an hohe Landescollegia oder andere Juſtizbeamte ergehende Reſcripte unterweilen Fuͤrſtliche Ausſchreiben ge - nennt zu werden.

Endlich Decrete koͤnnen zwar auch noch heutiges Tages in der roͤmiſchen Bedeutung vorkommen, nur duͤr - fen nicht die Urtheilsſpruͤche der hoͤchſten Juſtiz-Collegien damit verwechſelt werden; denn zwiſchen dieſen und den Sentenzen oder Entſcheidungen des Landesherrn iſt ein großer Unterſchied. Was der Landesherr nach geſchehener Unterſuchung des vorgegangenen Rechtshandels ſelbſt ent - ſcheidet, macht nicht blos ein Recht unter den Partheyen, ſondern wird auch fuͤr aͤhnliche Faͤlle ein Geſetz58)L. fin. C. de Legib. . Allein dieſe geſetzgebende Gewalt ſtehet ſelbſt denen hoͤchſten Ju - ſtizcollegien im Lande nicht zu59)S. reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum. Vol. I. Obſ. 1. und 2.. Landesherrliche De - crete muͤſſen alſo nicht blos im Namen des Landesherrn abgefaßt, ſondern von ihm ſelbſt ertheilet, und unter - ſchrieben worden ſeyn60)Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts. 2. Th. S. 13.. Indeſſen pflegen auch heutiges Tages nicht ſelten unter Decreten landesherrliche Be - fehle verſtanden zu werden, wodurch Jemanden ein oͤffent - liches Amt ertheilet wird.

§. 96.517de Conſtitutionibus Principum.

§. 96. Von der Verbindungskraft landesherrlicher Edicte, Decrete und Reſcripte.

Was haben denn nun aber Edicte, Re - ſcripte und Decrete der Regenten fuͤr ein Anſehen? Sind ſelbige ohne Unterſchied als allge - meine Geſetze zu betrachten, dergeſtalt, daß auch die landesherrlichen Decrete und Reſcripte in allen aͤhn - lichen Faͤllen wieder angewendet werden muͤſſen? oder iſt nicht wenigſtens in Anſehung dieſer eine Ausnahme zu machen? Wir muͤſſen einen Unterſchied machen. Soviel

I) die landesherrlichen Edicte anbetrift, ſo ſind dieſe ohnſtreitig fuͤr alle Unterthanen verbindlich; in ſo fern ſie auf die gehoͤrige Art bekannt gemacht wor - den ſind. Der Grund hiervon iſt nicht, wie der Autor meint, weil ſie ein ganz neues Recht enthal - ten; Nein; die Faͤlle ſind ja nicht ſelten, daß unſere Landesherren durch ihre Edicte nur ſchon vorhandene be - ſtaͤttigen oder erlaͤutern; ſondern der wahre Grund der allgemeinen Verbindungskraft landesherrlicher Edicte liegt in den Willen des Landesherrn ſelbſt. Denn Edicte werden ja lediglich in dieſer Abſicht bekannt ge - macht, daß ſie alle Unterthanen des Geſetzgebers verbin - den ſollen. Auch nach roͤmiſchen Rechten hat dieß ſo wenig Zweifel, daß ſogar Verordnungen, welche ſonſt nur ein Recht unter den Partheyen machten, dadurch das Anſehen allgemeiner Geſetze erhielten, wenn denen - ſelben die clauſula Edicti inſerirt worden61)L. 3. C. de Legib. et Conſtit. et Edict. Leges ut generales ab omnibus aequaliter in poſterum obſerventur, quae vel miſ -ſae. Was aber

K k 4II) die5181. Buch. 4. Tit.

II) die Decreta Principum anbelangt, ſo haben ſol - che bey den Roͤmern nicht immer einerley Wirkung ge - habt. Denn vor Juſtinians Zeiten machten dieſelben in der Regel nur ein Recht unter den ſtreitenden Partheyen, wenn nicht die Kaiſere ausdruͤcklich erklaͤrt hatten, daß ſolche auch in aͤhnlichen Faͤllen zur Entſcheidung dienen ſollten. Hieraus laͤſſet ſich erklaͤren, warum die roͤmi - ſchen Rechtsgelehrten die kaiſerlichen Decrete nur immer illuſtrationis cauſſa und zuletzt anzufuͤhren pflegten, wenn ſie ihren Satz oder Meinung ſchon genugſam durch an - dere, manchmal ſehr weit und muͤhſam herbeygeholte Gruͤnde unterſtuͤtzt zu haben glaubten62)L. 2. D. de offic. Aſſeſſor. L. 3. §. 5. D. de liber. exhib. L. 13. §. ult. D. de Excuſat. . Ja wir fin - den Beyſpiele in den Pandecten, daß zuweilen die roͤmi - ſchen Rechtsgelehrten Meinungen gehegt haben, die den ausdruͤcklichen kaiſerlichen Decreten entgegen waren, und zwar mit den Effect, daß man ſelbſt in den Gerichten je - ne Meinungen denen Decreten der Kaiſer vorgezogen hat63)L. 28. D. de inoff. teſtam. L. 1. §. 14. D. ad Leg. Falcid. . Selbſt die roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian woll - ten nicht, daß ihre Decrete als allgemeine Geſetze gelten ſollten. Hiervon uͤberzeugt uns die bekannte Verordnung der Kaiſer Theodoſius und Valentinian64)L. 2. Cod. de Legib. et Conſtitut. Princip. et Edict. Man vergleiche hier vorzuͤglich des H. Dir. zepernick Diatr. de iudicat. centumviral. §. XX. u. folgg., in welcher es heißt: Quae ex relationibus vel ſuggeſtio -nibus61)ſae a nobis ad venerabilem Coetum oratione conduntur, vel inſerto edicti vocabulo nuncupantur; ſive eas ſpontaneus mo - tus ingeſſerit, ſive precatio, ſive relatio, vel lis mota legis occaſionem poſtulaverit. 519de Conſtitutionibus Principum. nibus iudicantium, vel conſultatione65)Das Wort Conſultatio erklaͤrt Iac. gutherius de Offic. domus Auguſt. Lib. I. c. 28. durch eine kaiſerliche Sentenz, welche nach dem Gutachten der kaiſerlichen Raͤthe, und nach vorhergegangener Unterſuchung der Sache abgefaßt worden; allein es kann auch darunter das Gutachten der kaiſer - lichen Raͤthe ſelbſt verſtanden werden, wornach das kai - ſerliche Decret abgefaſſet zu werden pflegte. in commune flo - rentiſſimorum ſacri noſtri palatii procerum auditorium intro - ducto negotio ſtatuimus, nec generalia iura ſint, ſed leges faciant his duntaxat negotiis atque perſonis, pro quibus fuerint promulgata66)Eben dieſes beſtaͤtigen auch die Worte der L. 3. C de LL. interlocutionibus, quas in uno negotio iudicantes protulimus, vel poſtea proferemus, non in commune praeiudicantibus. . Und gerade daſſelbe muͤſſen wir

III) aus den naͤmlichen Gruͤnden auch von den kai - ſerlichen Reſcripten vor Juſtinians Zeiten ſagen. Es erhellet dieſes auch vorzuͤglich aus einer Verordnung der Kaiſere Arcadius und Honorius vom Jahr Chri - ſti 49867)L 9. Cod. Theod. de diverſ. reſcript. (Lib. I. Tit. 2.) und Iac. gothofredus in Comment. ad eandem. T. I. S. 25. edit. Ritteri. , welche folgender Geſtalt lautet: Reſcripta ad conſultationem emiſſa vel emittenda in futurum iis tantum negotiis opitulentur, quibus effuſa docebuntur. Daher ſich erklaͤren laͤſſet, warum die Kaiſere ſo oft eben daſſelbe re - ſcribirt haben68)L. 29. D. ad L. Cornel. de falſ. L. 1. C. in quib. cauſ. in int. reſtit. L. 2. C. de hered. tutor. L. 26. D. de pign. act. Es iſt merkwuͤrdig, was Kr. alexander an einen gewiſſen Superus L. 1. C. Iuſt. de div. reſcript. zu reſcribiren veran - laſſet wurde, daß das Reſcript, ſo Supplikant mit ſeinem Bruder in cauſa communi erhalten, auf ſie beyde gehe, wennes. Allein Juſtinian hat dieſes geaͤn -K k 5dert,5201. Buch. 4. Tit. dert, und in der L. 12. Cod. de LL. et Conſtitut. beyden, denen Decreten wie den Reſcripten, ein allgemei - nes geſetzliches Anſehen beygelegt. Ich will nur einige Stellen aus dieſer Verordnung Juſtinians excerpiren. Gleich Anfangs heißt es: Si imperialis maieſtas cauſam cognitionaliter examinaverit, et partibus cominus conſtitutis ſententiam dixerit: omnes omnino iudi - ces, qui ſub noſtro imperio ſunt, ſciant, hanc eſſe legem non ſolum illi cauſae, pro qua producta eſt, ſed et omnibus ſimilibus. Quid enim maius, quid ſanctius Imperiali eſt maieſtate? vel quis tantae ſu - perbiae faſtidio tumidus eſt, ut regalem ſenſum con - temnat: cum et veteris iuris conditores conſtitutio - nes, quae ex imperiali decreto proceſſerunt, legis vim obtinere, aperte dilucideque definiant? 69)Dieſe Worte laſſen ſich mit denen oben angefuͤhrten Gruͤn - den nicht zuſammen reimen. Allein man wundere ſich dar - uͤber nicht. Es iſt nichts neues, daß Juſtinian zur Rechtfer - tigung und Empfehlung ſeiner Rechtsaͤnderungen ſich derglei - chen Fictionen erlaubt habe. Beyſpiele haben Ant. contius Lection. ſubceſivar. Lib. I. c. 9. Hieron. de oroz de Apicib. iur. civil. Lib. V. cap. VII. n. 3. 4. u. folgg. und Hr. Dir. zepernick a. a. O. §. XXI. S. 400. nach Siccama, ge - ſammlet.Hier iſt nun zwar blos die Rede von den kaiſerlichen Decre - ten, allein daß Juſtinians Intention ſich auch auf die Reſcripte gleichermaßen erſtrecke, ergiebt ſich aus den nachfolgenden Worten. Definimus autem, omnem Im - peratorum legum interpretationem, ſive in precibus, ſive in iudiciis, ſive alio quocunque modo factam,ratam68)es auch gleich nur an einem derſelben gerichtet worden. Eine ſolche Anfrage wuͤrde hoͤchſt laͤcherlich geweſen ſeyn, wenn damalen die kaiſerlichen Reſcripte ſchon an ſich ein gemeines Recht gemacht haͤtten.521de Conſtitutionibus Principum. ratam et indubitatam haberi. Sollen jedoch Decrete und Reſcripte nach dieſer Verordnung des Juſtinians eine allgemeine geſetzliche Verbindungskraft haben, ſo wird nach den ausdruͤcklichen Worten derſelben erfordert, daß ſelbige eine zweifelhafte und ſtreitige Rechtsfrage ent - ſcheiden muͤſſen. Denn die eine bloſe quaeſtionem facti entſcheiden, z. B. ob der Beweis fuͤr vollfuͤhrt zu halten, welcher dem Klaͤger oder dem Beklagten aufgelegt wor - den? oder ob die ergriffene Appellation fuͤr deſert zu er - klaͤren? koͤnnen ihrer Natur nach nicht die Wirkung ei - nes gemeinen Rechts hervorbringen70)S. reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum. Vol. I. Obſ. I. n. 10. 11. u. folgg.. So weit vom roͤmiſchen Rechte; und ich glaube, durch den eingeſchla - genen Weg der hiſtoriſchen Darſtellung haben wir alle die Schwierigkeiten gluͤcklich vermieden, die andere hier - bey gefunden, welche zwiſchen die L. 2. 3. und 12. Cod. de Legibus eine Vereinigung zu treffen gemeinet ha - ben71)Man vergleiche Fr. balduinus in Iuſtiniano Lib. II. S. 95. (edit. Gundling.) Ebenderſelbe in Commentar. ad §. 6. I. de I. N. G. et Civ. ad verb. Decreta. Ulr. huberus Praelect. ad Digeſt. h. t. §. 5. cocceji Iure Controv. h. t. Qu. 1. Caſp. ziegler in Dicaſtice Concluſ. XXXVI. §. 19. 20. u. folgg.. Die Frage iſt nur noch, ob jene Vorſchrift des juſti nianiſchen Rechts noch heutiges Tages anwend - bar ſey? Die Rechtsgelehrten ſind deshalb nicht einer - ley Meinung. Huber72)a. a. O. §. fin. Quod eo plus hodiernis moribus habet evi - dentiae, quo magis conſtat, bis diebus Principes rebus iudicandis ſe dedere non ſolere, vel ſi his rebus ſe miſceant, fere id eo comparatum eſſe, ut extra ordinem ignoſcant, aut animadvertant, quod ad legis non valere conſequentiam, ipſa iuris eivilis regula dictat. ſcheint es zu verneinen; al -lein5221. Buch. 4. Tit. lein ohne einen uͤberzeugenden Grund, wie ſchon Rein - harth, der ihn gruͤndlich widerlegt, gezeigt hat73)a. a. O. Obſ. 2. S. 3. u. folg.. Nur aber iſt freylich auch heutiges Tages immer die con - ditio ſine qua non, daß das landesherrliche Reſcript oder Decret, welches dem Richter in aͤhnlichen Faͤllen zur geſetzlichen Norm dienen ſoll, eine ſtreitige Rechtsfrage entſchiede, oder ein dunkeles und zweifelhaftes Geſetz erklaͤre, und dabey allen, wo nicht Unterthanen, doch wenigſtens Richtern zur Nach - achtung gehoͤrig bekannt gemacht worden ſey74)Eben dieſes erfordert auch Ziegler a. a. O. §. 23. S. 665. am Ende, wo es heißt: Non alia videtur eſſe ratio deciſionum Principis, quas ſi legis habere vim debent, omni - bus, ſi non ſubditis quibuscumque, ſaltem iudicibus inferio - ribus intimari neceſſe eſt. Immo vero intereſſt Reip. ut in omnium ſubditorum perveniant notitiam, cum litem ſaepe in - cepturus non ſit, cuius ipſe exitum ſibi deciſione principali divinare queat. . Fuͤrſt - liche Machtſpruͤche75)S. Mart. schrader Tr. de ſententiis Principum ex ple - nitudine poteſtatis latis. hingegen kann man auch heutiges Tages ſo wenig als bloſe Gnadenreſcripte in aͤhn - lichen Faͤllen zum Muſter nehmen. Eben dieſes findet ſtatt, wenn der Landesherr, nicht als Geſetzgeber, ſon - dern nur als oberſter Richter ſeines Landes in einer an ihn gebrachten Proceßſache, nach vorhergegangener vollſtaͤndigen Unterſuchung derſelben, ein Decret oder Re - ſcript ertheilet hat, welches nach ſeinem Willen, und nach der Beſchaffenheit der Sache, nur ein Recht unter den ſtreitenden Partheyen machen ſoll76)Richtig ſagt daher Ziegler a. a. O. §. 22. Ubi Princeps non decernit animo faciendae legis, ſed ita interloqui -tur,. Solche Decreteund523de Conſtitutionibus Principum. und Deciſiv Reſcripte werden alsdann, wie Urthei - le, angeſehen, und koͤnnen, wie dieſe, die Rechtskraft beſchreiten77)Dav. Gottl. diez Pr. de reſcriptis Principum auctoritatem rei iudicatae habentibus. Lipſiae 1727. Nettelbladt prak - tiſche Rechtsgelahrtheit. §. 575., dahero derjenigen Parthey, welche damit nicht zufrieden iſt, obliegt, binnen zehen Tagen Vorſtel - lung darwider zu thun, und dieſerhalb ihre Nothdurft entweder bey dem Richter, an welchen das Decret oder Reſcript ergangen iſt, anzubringen, und um Berichter - ſtattung an den Landesherrn zu bitten, oder ſich mit ih - rer Vorſtellung unmittelbar an den Landesherrn ſelbſt zu wenden78)S. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts. 2. Th. §. 97. b. S. 60. u. ff. Iuſt. H. boehmer in Iur. Eccl. Pro - teſt. Lib. I. Tit. 3. §. 9..

§. 97. Form und Guͤltigkeit landesherrlicher Reſcripte und Rechtsmittel gegen deren Erſchleichung.

Sollen jedoch Reſcripte guͤltig ſeyn, ſo wird hier - zu folgendes erfordert.

I) Sie muͤſſen entweder vom Landesherrn ſelbſt un - terſchrieben, oder wenigſtens auf deſſen Befehl von ei - nem Miniſter, oder dem Cabinets-Secretair unterzeich - net worden, und mit dem landesherrlichen Siegel verſe - hen ſeyn79)L. 3. L. 6. Cod. Iuſt. de diverſ. reſcript. Auch bey den Roͤmern war der Fall nicht ſelten, daß nur der Geheimſecre -tair.

II) Sie

76)tur, ut ultra negotium, circa quod pronunciat, ſententia non extendatur, facile exinde patet, alios, quos negotium iſtud non concernit, eo decreto non obligari. Ratio eſt, quia tum nudi iudicis partes ſuſtinet, non legislatoris, quae duo officia in Principe accurate diſtingui debent.

5241. Buch. 4. Tit.

II) Sie muͤſſen das Datum in der Unterſchrift ent - halten. Nach den Worten eines gewiſſen Geſetzes in dem verbeſſerten Codex des Kaiſer Juſtinians, ſollen zwar nur beneficia perſonalia, das heißt, Gnadenreſcripte, ſine die et Conſule nich gelten80)L. 4. C. Iuſt. de div. reſcript. Dieſe Verordnung, welche von Conſtantin dem Groſſen herruͤhrt, iſt jedoch vom Tribonian ſehr interpolirt worden. Denn ſo wie ſie im Theodoſianiſchen Codex Lib. I. Tit. I. L. 1. lautet, gehet ſie auf alle, auch die allgemeinen Conſtitutionen. S. Iac. go - thofredus Commentar. ad h. L. Tom. I. Cod. Theod. S. 6.. Allein auch bey Juſtizre - ſcripten kommt ſehr viel auf das Datum an, um zu beur - theilen, welches unter mehreren Reſcripten dem andern vorgehe; andere Urſachen zu geſchweigen, weshalb die Bemerkung der Zeit, wenn ein Reſcript erlaſſen worden, in jedem Falle erforderlich iſt81)S. voet Comment. ad Pandect. h. t. §. 5. westenberg in Divo Marco Diſſ. II. cap. 2. §. 12..

III) Duͤrfen Reſcripte auch nicht dem oͤffentlichen Wohl des Staats, noch dem auf eine rechtmaͤſige Art ſchon erworbenen Recht eines Andern zuwider ſeyn82)L. 6. Cod. ſi contra ius vel util. publ. L. 3. L. 7. Cod. de precib. Imp. offerend. . Der Landesherr kann daher nicht die Fortſetzung eines Streits, der ſchon durch einen rechtsguͤltigen Transact gehoben iſt, durch ein Reſcript erlauben83)L. 16. Cod. de Transact. ; oder Je - manden durch ein Reſcript ein Recht ertheilen, was ihm ſchon durch ein rechtskraͤftiges Urtheil iſt abgeſprochenwor -79)tair (Promagiſter) das Reſcript Namens des Kaiſers unter - ſchrieb. S. Puͤttmann Probabil. iur. civ. lib. ſec. cap. IV. S. 34. u. 35.525de Conſtitutionibus Principum. worden; es muͤßte den etwa die Wohlfahrt des Staats ſolches erheiſchen. Denn wenn die Wohlfahrt des Gan - zen mit dem Wohl eines einzelnen Buͤrgers in Colliſion kommt, ſo kann der Landesherr ohne Zweifel einer Privat - perſon auch ihre wohlerworbenen Rechte, jedoch nur un - ter Vorausſetzung einer andern hinlaͤngli - chen Entſchaͤdigung, nehmen84)Schlettweins Rechte der Menſchheit. (Gießen 1784.) S. 483. puͤtter Inſtitut. iur. publ. Lib. III. c. 1. §. 117.. Endlich wird nun noch

IV) zur Guͤltigkeit der Reſcripte nothwendig erfor - dert, daß in dem Bericht, oder der Supplik, wodurch das Reſcript iſt ausgewirkt worden, die Sache der Wahr - heit gemaͤß dem Landesherrn muͤſſe vorgetragen worden ſeyn. Denn in der vorausgegangenen Vorſtellung liegt ja der Grund des ganzen Reſcripts, ſind nun alſo dem Landesherrn die wahren Umſtaͤnde der Sache verſchwiegen, und dagegen falſche angefuͤhret worden, ſo faͤllt der Grund des Reſcripts weg, und folglich kann auch das Reſcript ſelbſt nicht gelten. Es muß ſich alſo immer die Sache berichtetermaßen verhalten. Hierin ſtimmen auch die roͤmiſchen und canoniſchen Rechte mit einander uͤber - ein85)L. 7. C. de div. reſcript. L. pen. et ult. C. ſi contra ius vel util. publ. c. 2. 3. 8. 15. 17. 19. 20. 22. 26. X. de re - ſcript. , nur mit dem Unterſchiede, daß erſteres86)L. 7. pr. C. de div. reſcript. die Einruͤkung der Clauſel: ſi preces veritate nitantur, zur Guͤltigkeit eines jeden Reſcrips verlangt, letzteres87)c. 2. X. de reſcript. aber, wornach wir heutiges Tages gehen88)boehmer Iur. Eccl. Proteſt. Lib. I. Tit. 3. §. 4., ſolche als eineſtill -5261. Buch. 4. Tit. ſtillſchweigende Bedingung in einem jedem Reſcript an - nimmt. Alle Reſcripte ſind alſo unter der Clauſel zu verſtehen: wenn die Sache ſich wirklich ſo ver - haͤlt, als ſie dem Landesherrn vorgeſtellet worden iſt; ſie mag nun in dem Reſcript ausdruͤcklich enthalten ſeyn oder nicht. Befindet ſich die Sache anders, als dem Landesherrn von dem Impetranten vorgeſtellet wor - den iſt, ſo wird das auf eine ſolche Art erhaltene Reſcript ein heimlich erſchlichenes genennt. Hierwieder kann ſich Impetrat, dem es zum Nachtheil gereicht, mit einer Einrede ſchuͤtzen, die nach dem Unterſchiede der Faͤlle bald exceptio ſubreptionis, bald exceptio obreptionis heißt. Iſt nehmlich das Reſcript durch Anfuͤhrung falſcher facti - ſcher Umſtaͤnde erſchlichen worden, ſo ſtehet demſelben die Einrede der Subreption entgegen; iſt es aber durch Verſchweigung wahrer, zur Sache gehoͤriger Um - ſtaͤnde veranlaſſet worden, ſo findet dagegen die Ein - rede der Obreption ſtatt89)Dies ſind die gewoͤhnlichen Begriffe, die auch unſer Autor fuͤr richtig haͤlt, und welche in dem cap. 20. X. de reſcript. ihren Grund haben. Andere erklaͤren jedoch die Sache gerade umgekehrt. S. Io. Volckm. bechmann Diſſ. de ſub - et ob - reptione Cap. I. Ueberhaupt ſind die aͤltern Rechtslehrer zum Theil ſehr unbeſtimmt hieruͤber.. Einige nennen auch beyde zuſammen exceptionem mendacii. Ueber die Frage, ob zwiſchen den gedachten Exceptionen ein wahrer Un - terſchied anzunehmen ſey, ſtimmen die Meinungen der Rechtsgelehrten nicht mit einander uͤberein. Einige ver - werfen allen Unterſchied, weil in den Geſetzen Sub - und Obreption fuͤr gleichbedeutend genommen wuͤrden90)mascardus de probationibus Vol. III. Concluſ. 1123. p. 6. u. ff. P. friderus de Proceſſibus Lib. I. c. XV. §. 3. Huld. . Andere527de Conſtitutionibus Principum. Andere hingegen wollen mehr als einen Unterſchied ge - funden haben. Sie ſetzen ihn darinn 1) daß durch die Subreption ein Falſum begangen werde, nicht aber durch die Obreption91)Sam. stryck Diſſ. de falſitate precum principi oblatarum. Halae 1699. Cap. IV. n. 34.. 2) Daß die Einrede der Subreption nicht von dem Exciptenten bewieſen werden duͤrfe, weil dieſer verneine, daß das, was dem Landesherrn vorge - tragen worden, Wahrheit ſey. Bey der Obreption hin - gegen verhalte ſich die Sache ganz anders. Dieſe muͤſſe derjenige, der ſelbige zur Ausflucht vorſchuͤtzet, allemahl beweiſen, weil er nicht blos etwas verneine, ſondern be - haupte, was nicht vermuthet werden koͤnne, naͤmlich, daß nicht alle, und zwar weſentliche, Umſtaͤnde angefuͤhret worden waͤren92)I. H. boehmer in Iure Eccl. Proteſt. T. I. Tit. 3. §. 11. Eibel im katholiſchen Kirchenrecht IV. Th. 1. Band §. 262. not. c. S. 98. u. f. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts Th. II. S. 63. u. f. und eben dieſer Meinung iſt auch unſer Autor.. Allein ſoviel den erſtern Unterſchied anbetrift, ſo iſt dieſer offenbar ungegruͤndet, weil, wie die Criminaliſten umſtaͤndlich zeigen93)S. de boehmer Obſervat. ſelect. ad Carpzovii Practicam rerum criminal. P. II. Qu. 93. Obſ. 1. u. folgg. a leyser Meditat. ad Pandect. Specim. 614. u. ff. und koch Inſtitut. iuris crim. Lib. II. cap. 39., jede Verdrehung der Wahrheit, die auf den Schaden eines andern abzweckt, zumal wenn ſie vorſetzlich iſt, ſie mag begehungs - oderunter -90)Huld. ab eyben in Scriptis (Argentorati 1708. fol.) S. 496. Obſ. Pract. in Perez. Sie berufen ſich auf L. Io. §. 2. D. de in ius voc. L. 8. §. 1. D. de negot. geſt. L. 1. §. 1. D. ſi a parente quis manumiſſ. L. 49. de bon. libertor. L. 2. C. de Legib. L. 1. C. ſi nuptiae ex reſcript. Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. L l5281. Buch. 4. Tit. unterlaſſungsweiſe geſchehen, unſtreitig ein Falſum zu nennen iſt. Der andere bemerkte Unterſchied, welcher den Beweis der vorgeſchuͤtzten Einrede: daß das Reſcript erſchlichen ſey, betrift, iſt auch noch groſ - ſen Zweifeln unterworfen. Denn, wie bekannt, ſind die Rechtsgelehrten hieruͤber noch nicht einig. Einige wol - len den Beweis ohne Unterſchied dem Impetranten auf - legen; weil alle Reſcripte unter der Clauſel zu verſtehen, ſi preces veritate nitantur, der Impetrant aber, daß die Sache ſich berichteter maßen verhalte, jederzeit gegen den Excipienten behaupte, mithin auch den Grund des Re - ſcripts beweiſen muͤſſe94)Dieſer Meinung iſt mascard de probationibus a. a. O. n. 4. dieſelbe Meinung haͤlt auch boehmer a. a. O. §. 11. uͤberhaupt fuͤr gegruͤndet, und ſucht ſelbige nur durch die oben - angemerkte Diſtinction noch genauer zu beſtimmen.. Andere hingegen verlangen den Beweis ſchlechterdings von dem Excipienten. Denn, 1) ſagen ſie, ſey es eine gemeine Regel: reus excipiendo fit actor; er muß alſo fundamentum intentionis ſuae beweiſen; und 2) nach der bekannten praeſumtione doli excluſiva duͤrfe die Begehung eines falſi von dem Im - petranten nicht vermuthet werden95)S. zanger Tr. de exceptionibus P. II. c. XV. n. 18. u. ff. bechmann Diſſ. cit. de Sub. et obreptione Cap. III. §. 9. stryck cit. Diſſ. Cap. 3. von eyben a. a. O. ad n. 4. schaumburg in Digeſtis Lib. I. Tit. IV. §. 6. Hr. GJR. boehmer in Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. IV. §. 228. Hr. Prof. hofacker in Princip. iur. civ. T. I. §. 115. u. m.. Diejenigen haben wohl ohne Zweifel die richtigſte Meinung, welche, ohne eine beſtimmte Regel zu geben, nach Befinden der vorkommen - den Umſtaͤnde bald dem Impetranten, bald dem Impetraten, den Beweiß auferlegt, und daher die Sache lediglich demEr -529de Conſtitutionibus Principum. Ermeſſen eines klugen Richters uͤberlaſſen wiſſen wollen96)tafinger Inſtitut. iurisprud. Cameralis Sect. IV. Tit. III. §. 909. und am neueſten Car. Otto graebe Disquiſit. de exceptionibus Sub et Obreptionis earumque probatione. Rin - teln 1788. 4.. Dieſe Meinung gruͤndet ſich auf die deutliche Verordnung des juͤngſten Reichsabſchieds §. 80. wo es heißt: Ob aber dem Impetranten bey Deciſion der ganzen Sache ſeine Narrata gleich Anfangs zu verificiren, oder aber dem Impetrato ſive reo, ſeine eingewendete Exceptiones ſub et obreptionis zu beweiſen obliege? Das laſſen wir alles zur Ermaͤſſigung und Befindung des Richters, welcher nach Geſtalt und Gelegenheit der Sachen auch deren Um - ſtaͤnden, daraus er ſich informiren muß, ob naͤmlich dem Klaͤger oder dem Beklagten das onus probandi aufzubinden ſey, nach Beſcheidenheit der Rechte zu urtheilen hat, anheim geſtellt ſeyn. Dieſemnach wird nun der Richter beſonders auf folgende Umſtaͤnde Ruͤckſicht zu nehmen haben:

1) Ob das ergangene Reſcript nur auf bloſe, oder auf beſcheinigte Vorſtellung, wie der juͤngſte R. A.97)§. 79. in den Worten: Alle Supplicanten ſollen ihre Narrata zugleich etlicher maßen beſchei - nigen. erfordert, ertheilet worden ſey? indem, wenn letzteres iſt, die Sache des Impetranten ſo lange billig fuͤr richtig und vollſtaͤndig angenommen werden muß, als nicht das Ge - gentheil vom Impetraten iſt erwieſen worden.

2) Ob nicht ſolche beſondere Umſtaͤnde in facto vor - handen ſind, welche die Sache des Impetranten verdaͤch -L l 2tig,5301. Buch. 4. Tit. tig, die Exception des Impetraten aber wahrſcheinlich machen. In welchem Falle ſodann dem Impetranten, weil ihm die Vermuthung entgegenſtehet, der Beweiß von dem Grunde des von ihm erhaltenen Reſcripts auf - zulegen ſeyn wird; wie die Herrn Reviſoren des Concepts der Cammer-Gerichts-Ordnung ebenfalls geurtheiler ha - ben98)S. Hrn. GR. von Selchows Concepte der C. G. O. (Goͤttingen 1782.) Th. III. Tit. 42. S. 329. Not. x. . In Ermangelung ſolcher beſonderer Umſtaͤnde und Vermuthungen aber wird

3) der Richter im Zweifel die Beſchwerde der Beweißfuͤhrung dem Impetraten, er mag nun die Einre - de der Sub - oder Obreption dem Reſcripte entgegenſe - tzen, auflegen muͤſſen. Denn einmal muß nach der all - gemeinen Regel jeder Excipient ſeine Einreden beweiſen, inſofern ſie, wie jene, auf Thatumſtaͤnden beruhen99)L. 19. pr. D. de probat. . Sodann hat Excipient insgemein die Vermuthung wider ſich, denn daß ein Reſcript durch Sub - oder Obreption erſchlichen ſey, wird im Zweifel nicht vermuthet100)Exceptio quippe ſub et obreptionis, ſagt Hr. Prof. grae - be in der oben angefuͤhrten ſchoͤnen Schrift uͤber dieſen Ge - g[e]nſtand §. XV. am Ende, continet opprobrationem mendacii et falſi, a qua ſuſpicione impetrantem liberat praeſumtio viri boni. Wie ſchwankend die Affirmation in den Rechten iſt, und wie viel bey Direction der Beweisfuͤhrung auf Vermu - thungen ankomme, haben unter andern am gruͤndlichſten ge - zeigt Hr. Prof. Weſtphal von dem rechtlichen Beweiſe einer Verneinung. Halle 1783. 4. und Hr. Hofr. Moͤckert in Diſſ. de affirmatione in iure ad varias ſpecies applicata. Rint. 1772. und in Speciminib. de indole praeſumtionum iuris. Rint. 1782. Goetting. 1784..

Uebri -531de Conſtitutionibus Principum.

Uebrigens beſtehet die Wirkung dieſer Einreden darin, daß die Vollziehung des Reſcripts, wider welches ſelbige vorgeſchuͤtzet worden ſind, bis zu Austrag der Sache aus - geſetzt bleiben muß1)boehmer I. E. P. a. a. O. §. XIII. . Nun ſtehet es zwar dem Richter, an welchem das Reſcript iſt erlaſſen worden, allerdings zu, zu unterſuchen, ob die Sache dem Landesherrn der Wahrheit gemaͤß vorgeſtellet worden ſey, oder nicht2)L. 4. C. ſi contra ius. L. ult. C. eodem L. 7. C. de precib. imp. offerend. c. 2. X. de offic. et poteſt. iudic. deleg. c. 7. X. de fide inſtrum. boehmer I. E. P. a. a. O. §. 7. meviu[s]P. I. Deciſ. 143.; er muß ſich jedoch hierin alles eigenmaͤchtigen Erkenntniſ - ſes enthalten, und vielmehr nach geſchehener Unterſuchung noͤthigen Bericht davon an den Landesherrn erſtatten3)c. 5. u. 10. X. de reſcript. mevius P. II. Deciſ. 197. Mich. God. wernher in lectiſſ. Commentat. ad Pandect. h. t. §. 4. u. 5.. Der Landesherr kann nun entweder ſelbſt entſcheiden, ob und in wiefern das Reſcript fuͤr erſchlichen zu halten, und daher aufzuheben ſey, oder auch das Erkenntniß uͤber die Guͤltigkeit des Reſcripts dem Richter uͤberlaſſen4)boehmer I. E. P. a. a. O. §. XVI. . Daß der betruͤgeriſche Impetrant in einem ſolchen Fall auch zu den Koſten und Schadenserſatz gehalten ſey, hat keinen Zweifel5)cap. fin. X. de reſcript. c. 3. eodem in 6to. Clem. 1. h. t. L. 5. Cod. ſi contra ius vel utilit. publ. boehmer a. a. O. §. XVII. .

L l 3§. 98.5321. Buch. 4. Tit.

§. 98. Von den beſondern Conſtitutionen der Regenten, und Privi - legien. Begrif und Unterſchied zwiſchen Privilegien, Diſpenſationen und iura ſingularia.

Die ſpeciellen Verordnungen der Regenten, von welchen unſer Autor mit dieſem §. zu handeln an - faͤngt, ſind nach dem oben davon angegebenen Begriff von ſehr verſchiedener Art. Sie koͤnnen

1) ſolche ſeyn, die nach der Abſicht des Landesherrn nur fuͤr die Partheyen, die ſich an denſelben gewendet, und von ihm hierdurch eine Reſolution oder Entſcheidung erhalten haben, ein Recht machen ſollen. Unter dieſer Einſchraͤnkung gehoͤren landesherrliche Reſcripte und De - crete unſtreitig zu den ſpeciellen Conſtitutionen, wenn ſie gleich ſonſt nach den neuern roͤmiſchen und heutigen Rechten in der Regel auch fuͤr aͤhnliche Faͤlle als Geſetz gelten. (§. 96.)

2) Solche, welche nach der Abſicht des Landesherrn nur einzelnen Unterthanen, an welche ſie deshalb ergan - gen ſind, eine directe Verbindlichkeit auflegen. Dieſe koͤnnen wieder von verſchiedener Art ſeyn; je nachdem ſie entweder nur eine Commiſſion zur Ausrichtung eines dem Fuͤrſten ſelbſt betreffenden Geſchaͤfts, oder einen ohne vorhergegangenen Bericht an ein Collegium oder ſonſt eine Magiſtratsperſon erlaſſenen landesherrlichen Befehl in Sachen, welche ihre Amts - und Juſtizverwal - tung betreffen, enthalten. Man pflegt erſtere Fuͤrſt - liche Ordres6)Ueber dieſe Materie verweiſe ich der Kuͤrze wegen auf die ſchon oben angefuͤhrte Boͤhmerſche Schrift de iure epi - ſtalmatis von Fuͤrſtlicher Ordre. (Epiſtalmata); letztere aber Man -date533de Conſtitutionibus Principum. date im eigentlichen Verſtande oder auch Re - ſcripte in uneigentlicher Bedeutung, zu nennen. End - lich koͤnnen ſpecielle Conſtitutionen der Fuͤrſten

3) auch ſolche ſeyn, welche eine Ausnahme vom ge - meinen Recht machen. Dieſe werden Privilegien in ganz genereller oder uneigentlicher Bedeu - tung7)Unter den vielen Schriften uͤber die Materie von Privi - legien, wovon lipenius in Biblioth. iur. schott in Sup - plement. h. v. und Puͤtter Litteratur des Staatsrechts. 3. Th. §. 1093. f. nachzuſehen, will ich hier nur folgende an - fuͤhren: Ge. Acac. enenckel Baro Hohenheimenſis, Libri III. de Privilegiis iuris civilis. Francof. 1606. 4. I. H. boeh - mer diſſ. de finibus privilegiorum regundis. Halae 1736. (in Exercit. ad. Pand. T. I.) Ge. Chriſt. gebauer ſingularia de privilegiis. Goett. 1749. (Vol. I. Exerc. academ. N. XI.) Petr. de toullieu Diſſ. de Privilegiis, (in Collectan. iur. civ. Diſſ. XV.) und Io. Ge. Frid. wasmuth Diſſ. de privi - legiorum natura generatim, et in ſpecie de modis, quibus finiuntur, vel amittuntur. Goett. 1787. Dieſen kann auch Moſer von der Landeshoheit in Gnadenſachen, beygefuͤgt werden. genennt. Fraͤgt man jedoch, was ein Privi - legium im eigentlichen Verſtande ſey, ſo ſind die Begriffe der Rechtslehrer hierin nicht uͤbereinſtim - mend. Einige ſchraͤnken den Begriff blos auf die per - ſoͤnlichen Privilegien ein, und halten Realprivilegien fuͤr ein nonens8)S. Franc. alef Diſſ. de figmento privilegiorum realium Heidelb. 1741.. Andere ſtellen ſich blos guͤnſtige Verordnungen darunter vor, wodurch der Regent einem gewiſſen Individuum eine fortdauernde Wohlthat erthei - let, von deren Genuß andere ausgeſchloſſen ſind; und laͤugnen daher gaͤnzlich, daß es ſogenannte privilegia odioſa gebe, die dem Privilegirten zum Nachtheil gerei -L l 4chen5341. Buch. 4. Tit. chen koͤnnten9)So Chriſtoph. Gottl. pauli in der unter Joh. Gottl. Siegels Vorſitz gehaltenen Diſſ. de genuino privilegiorum conceptu. Lipſ. 1741. §. XV. . Die meiſten Rechtsgelehrten aber be - ſtimmen den Begriff vom Privilegium auf eine ſolche Art, daß auch privilegia realia, und odioſa als Gat - tungen darunter begriffen werden koͤnnen, unterſcheiden jedoch ſehr genau Privilegien im eigentlichen Verſtande, Diſpenſationen und Iura ſingularia; und dieſe Theorie halte ich fuͤr die richtigſte10)Man vergleiche auſſer den Not. 6. angefuͤhrten Schriften hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XII. m. 1. G. L. boehmer Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 3. §. 218. P. langhaider Diſſ. de multiplici privilegiorum ſignificatio - ne, eorumque notione genuina. Cap. 1.. Es wird jedoch noͤthig ſeyn, zufoͤrderſt etwas uͤber den Na - men und die Bedeutung des Worts Privilegium zu be - merken. Den Urſprung des Worts leiten die alten Grammatiker nicht unrichtig von privus und lex her; privus aber hieß ſoviel als ſingulus oder privatus, wie Nonius Marcellus11)II. 694. edit. Gothofredi p. 574. und Aulus Gellius12)Noct. Attic. Lib. X. c. 20. Non ſunt generalia iuſſa, (ſc. privilegia) neque de univerſis civibus, ſed de ſingulis con - cepta: quocirca privilegia potius vocari debent, quia Ve - teres priva dixerunt, quae nos ſingula dicimus. lehren; privilegium iſt alſo nach ſeiner originellen Bedeutung ſoviel als lex de privo i. e. de ſingulo homine ſeu privato lata, wie Gebauer13)a. a. O. §. 1. u. 2. ſehr ausfuͤhrlich ge - zeigt hat. Dies war nun auch diejenige Bedeutung, in welcher das Wort privilegium in den aͤlteſten Zeiten der Roͤmer, zur Zeit des Freyſtaats, genommen wurde. Privi -535de Conſtitutionibus Principum. Privilegien waren alſo urſpruͤnglich blos perſoͤnlich, es waren Geſetze, wodurch in Anſehung eines einzelnen Buͤrgers etwas auſſerordentliches verfuͤgt wurde. In dieſer Bedeutung waren Privilegien nach den zwoͤlf Ta - felgeſetzen verboten14)Die Geſetze der zwoͤlf Tafeln verordnen, privilegia ne irro - ganto. Cicero fuͤhrt das Geſetz mehr als einmahl an, man vergleiche Orat. pro Domo c. 17. pro Sextio. c. 30. de Legi - bus c. 4. u. c. 19. Jedoch ſind die Ausleger uͤber den Sinn dieſer Sanction nicht einig. Das Wort irrogare wird zwar eigentlich bey den roͤmiſchen Claſſikern der freyen Re - publik in der Bedeutung genommen, daß es ſo viel heißt, als populum lege rogare, ut aliquid iubeat, quod ad alterius in - commodum pertinet. Z. B. multam irrogare cic. pro Domo c. 22. ernesti Clavi Ciceron. voce irrogare. Da - her haben nicht wenige geglaubt, daß das Geſetz der XII. Ta - feln blos von nachtheiligen Privilegien rede. S. Marci - lius in Collect. et Interpret. leg. XII. Tab. p. 296. Rit - tershus Dodecadelto ſ. Comment. ad XII. Tabb. LL. Claſſ. H. c. 2. Noodt Commentar. Digeſtor. ad Tit. de Legibus T. II. Opp. pag. 11. u. a. m. Allein andere verſte - hen jenes Geſetz ganz allgemein von allen Privilegien, und dieſe Meinung kommt mit der Beſchaffenheit einer republika - niſchen Staatsverfaſſung allerdings beſſer uͤberein; und be - kommt durch die Stelle des Cicero de LL. Lib. III. c. 19. ein nicht geringes Gewicht. S. Raͤvard lib. ſing. de LL. XII. Tab. cap. 2. Gothofred Not. ad Tab. IX. pag. 229. IV. Font. iur. civ. denen auch Gebauer a. a. O. §. 6. u. 7. beypflichtet. Dieſe erklaͤren ſich das Wort irrogare durch inducere in rempublicam, rogando populum; wie Ge - bauer §. 8. der angef. Diſſ. ſagt.; denn in einem Freyſtaat, wo Gleichheit unter den Buͤrgern erhalten werden muß, ſchien es eben ſo unſchicklich zu ſeyn, einzelne Buͤrger durch Vorzuͤge und Freyheiten uͤber die andern zu erhe - ben, als Angeſchuldigte ohne genugſame UeberzeugungL l 5und5361. Buch. 4. Tit. und auf eine auſſerordentliche Art zu ſtrafen, zumahl da nach den Legibus ſacratis der Roͤmer uͤber Leben und Tod eines Buͤrgers anders nicht als in den Centuriat - comitien geurtheilet werden ſollte15)Cicero de Legibus Lib. II. c. 4. u. 19. verbindet beyde Geſetze miteinander. Tum leges praeclariſſimae de XII. Ta - bulis tralatae dune, quarum altera privilegia tollit, al - tera de capite civis romani rogari, nisi maximo comitiatu, vetat. An einem andern Ort ſchreibt er bey - de den Legibus Sacratis zu pro Domo c. 17. und pro Sextio cap. 30. Sigonius de antiquo iure civium Rom. Lib. I. cap. 6. haͤlt ſie fuͤr capita derjenigen legum ſacratarum, welche im Jahre der Erb. Roms 260 auf dem von ihnen benannten Monte ſacro wegen Einfuͤhrung der Tribunen des gemeinen Volks gegeben worden ſind. Allein ernesti Clavi Ciceron. in Indice Legum haͤlt ſie mit beſſerm Grunde fuͤr Fragmente des Valeriſchen Geſetzes de provocatione. S. auch platt - ner de legibus ſacratis Romanor. cap. V. . In den folgen - den Zeiten haben die roͤmiſchen Kaiſer nicht nur haͤufig einzelnen Perſonen Privilegien ertheilet, ſondern auch Sachen ihrer Unterthanen von der Vorſchrift der Geſetze befreyet. Schon Ulpian16)L. 3. §. 1. D. de Cenſibus. Eben dieſer Ulpian unter - ſcheidet auch an einem andern Ort ſehr deutlich privilegia rea - lia und perſonalia. L. 1. §. 41 44. D. de aqua quotid. et aeſtiva. gedenkt daher des Unter - ſchieds zwiſchen Real - und perſoͤnlichen Immunitaͤten. Ja es wurde der Begriff vom Privilegium ſo ausge - dehnt, daß ſowohl in den Geſetzen der Pandecten als des Codex auch die iura ſingularia unterweilen, ſo wie noch heutiges Tages, Privilegien genennet werden17)Z. B. privilegium dotis L. 74. D. de iure dot. privilegium militare teſtandi L. 7. C. de teſtam. milit. L. 24. D. eod. Auch im gemeinen Sprachgebrauch iſt nichts gewoͤhnlicher, alsdie. Jedoch537de Conſtitutionibus Principum. Jedoch werden Diſpenſationen davon unterſchieden, welche unſere Geſetze conſtitutiones perſonales18)§. 6. I. de I. N. G. et C. L. 1. §. 2. D. h. t. nennen. Der Unterſchied zwiſchen Privilegien im eigent - lichen Verſtande, Diſpenſationen, und iura ſingularia beſtehet nun darin.

Ein Privilegium un eigentlichen Verſtande, iſt eine beſondere Verfuͤgung des Regenten, wodurch in Anſehung eines gewiſſen Individuums eine Ausnahme vom gemeinen Rechte degeſtalt gemacht wird, daß ſolche nicht blos auf einen, ſondern auf alle oder mehrere zukuͤnftige Faͤlle von gleicher Art ſich erſtrecket. Ein ſolches Pri - vilegium kann alſo

1) nur derjenige ertheilen, welchem die hoͤchſte Ge - walt, oder die geſetzgebende Macht in einem Staat zuſte - het. Die Conceßion des Regenten aber kann entweder eine ausdruͤckliche oder vermuthete ſeyn; eine ſolche Ver - muthung ſtreitet fuͤr denjenigen, der das Recht, welches eigentlich nur durch ein Privilegium erlangt werden konn - te, von undenklichen Zeiten her ausgeuͤbt hat19)Cap. 26. X. de Verbor. Significat. Zwar ſind die Rechts - gelehrten uͤber die Frage: ob auch die unfuͤrdenkliche Verjaͤhrung dem Landesherrn entgegen ge - ſetzet werden koͤnne? ſehr uneinig, und es ſind nicht wenig trefliche Rechtsgelehrten, die dieſes ſchlechterdings ver - neinen wollen, unter welchen ich nur einen Thomaſius in Diſſ. de praeſcriptione regalium ad iura ſubditorum non per - tinente, Beyer in Delineat. iur. Germanici Lib. II. cap. 2. poſit. 38. ff. und Stryk Uſ. Mod. Pandectar. Lib. 44. Tit. 3. §. 4..

2) Ein

17)die beſondern Rechte der Soldaten, Pupillen, Studenten, Geiſtlichen, der Glaͤubiger u. ſ. w. privilegia zu nennen.

5381. Buch. 4. Tit.

2) Ein Privilegium im eigentlichen Verſtande wird immer nur einem gewiſſen Individuum ertheilet. Die - ſes kann nun entweder eine Perſon oder Sache ſeyn. Auch moraliſche Perſonen ſind nicht ausgeſchloſſen, z. B. Staͤdte, Innungen. Denn auch dieſe werden in rechtli - chen Sinn denen einzelnen Perſonen gleich geachtet20)L. 22. D. de fideinſſ. et mandator. .

3) Durch ein Privilegium im eigentlichen Verſtan - de wird eine Ausnahme vom gemeinen Recht fuͤr meh - rere zukuͤnftige Faͤlle gemacht. Dieß kann auf eine zweyfache Art geſchehen; entweder auf eine fuͤr den Privilegirten vortheilhafte, oder eine fuͤr denſelben nachtheilige Weiſe. Erſtere werden guͤnſtige Pri - vilegien genennt. Dahin gehoͤren a) diejenigen, wo - durch der Privilegirte einer ſonſt allgemeinen Erlaubniß allein zu genieſſen befugt wird, alle andere aber von dem Gebrauch eines ſonſt gemeinen Rechts ausgeſchloſſen wer - den; dergleichen man Monopolien nennt; b) diejeni - gen, wodurch der Privilegirte ein Vorrecht erwirbt, ſo nach dem gemeinen Recht keinem Unterthan, ſondern nur dem Landesherrn zuſtehet; c) ſolche, wodurch der Privi - legirte von der ſonſt allgemeinen Verbindlichkeit eines Geſetzes fuͤr das kuͤnftige befreyet wird. Unguͤnſtigeoder19)§. 4. anfuͤhren will. Allein es haben andere nicht weniger beruͤhmte Rechtslehrer, z. B. Leyſer Spec. CCCCXLI. m. 7. Boͤhmer Iur. Eccleſ. Prot. Lib. II. Tit. 26. §. 45. Freyherr von Cramer in Opuſcul. T. II. Op. 1. p. 1. u. ff. von Cocceji in Iure Controverſ. Lib. L. Tit. 6. Qu. 2. Hector Wilh. von Guͤnderrode in denen vom D. Poſſelt herausgegebenen ſaͤmtlichen Werken aus dem T. Staats, und Privatrechte, 2ten Band S. 219. u. a. m. mit weit ſtaͤrkern Gruͤnden das Gegentheil dargethan.539de Conſtitutionibus Principum. oder verhaßte Privilegien, (privilegia odioſa) hin - gegen gereichen dem Privilegirten zum Nachtheil, und werden ihm zur verdienten Strafe ertheilet21)Car. Guil. Maurit. de bode in der unter dem Vorſitz des ſel. Hrn. Prof. Guſtav. Bernh. becmann gehaltenen Diſſ. de aequitate privilegii odioſi, et poteſtate imperantis circa illud, Goͤttingen 1750. ſagt §. 2. privilegium odiosum in genere dicimus exceptionem a lege generaliori in odium per - ſonae ſingularis factam. In ſpecie vero (§. 4.) dicitur exceptio a lege generali facta, vi cuius alicui poena in nulla lege antea determinata in odium ipſius actu irrogatur. . Dahin gehoͤrt, wenn z. B. der Landesherr die erb - und eigene Guͤter eines Unterthanen wegen eines von demſelben be - gangenen Verbrechens zur Strafe in Lehn verwandelt, welches man ein Straf-Lehn (feudum poenae) zu nennen pflegt22)S. Ern Martin. chladenii Diſſ. de feudis poenae, von Straflehnen. Vitemb. 1754. in welcher §. V. merkwuͤrdige Beyſpiele angefuͤhrt werden.; oder wenn er einen Zolldefraudanten damit ſtraft, daß er ins kuͤnftige von jeder zu verzollen - den Waare den doppelten Zoll geben ſolle. Nach dem heutigen Sprachgebrauch pflegt man jedoch nur vornehm - lich die favorabeln Privilegien unter dem eigentlichen Na - men der Privilegien zu verſtehen, welche auch Freyhei - ten, Gnadenbriefe, Handfeſten, genennt zu wer - den pflegen.

Von dieſen Privilegien im eigentlichen Verſtande, ſind nun Dispenſationen zu unterſcheiden, worunter man uͤberhaupt perſonelle Verordnungen verſte - het, dadurch nur blos in einem einzelnen Fall eine Ausnahme von der Regel des gemeinen Rechts ge - macht wird. Auch dieſe koͤnnen von zweyerley Art, ent - weder guͤnſtige oder verhaßte ſeyn; je nachdem ſol -che5401. Buch. 4. Tit. che zum Vortheil oder Nachtheil des Dispenſirten ge - reichen23)§. 6. I. de I. N. G. et C. L. 1. §. 2. D. h. t. . Zur letzten Gattung gehoͤrt, wenn der Lan - desherr einem gewiſſen Delinquenten, um ein Exempel zu ſtatuiren, eine haͤrtere Strafe dictirt, als die in den Geſetzen beſtimmte iſt, wie z. B. Kaiſer Hadrian der Umbriciaͤ, welcher er der an ihren Maͤgden veruͤbten Grau - ſamkeit halber fuͤnfjaͤhrige Landesverweiſung zuerkannte24)L. 2. D. de bis, qui ſunt ſui vel alieni iuris. Ein anders Beyſpiel vom K. claudius erzaͤhlt suetonius in eius vita cap. 14.. Hier iſt jedoch die Strafe nur auf einen Fall einge - ſchraͤnkt, und hat ein Ende, wenn ſie einmal vollſtreckt iſt; allein bey verhaßten Privilegien aͤuſſert ſich die Wirkung der Strafe in mehreren zukuͤnftigen Faͤllen, ſo oft andere Unterthanen nach dem gemeinen Recht be - handelt werden, und die Vertheile deſſelben genieſſen, wie die oben angefuͤhrten Beyſpiele zu erkennen geben.

Die guͤnſtigen Dispenſationen koͤnnen von mancherley Art ſeyn. Sie gehen entweder auf eine noch zukuͤnftige Handlung, oder auf eine ſchon geſchehene Handlung. Im erſtern Fall heißt eine ſolche Verord - nung, wodurch ein Unterthan die Erlaubniß erhaͤlt, eine in den Geſetzen ſonſt vorgeſchriebene und befohlne Hand - lung unterlaſſen, oder eine ſonſt verbotene Handlung un - ternehmen zu duͤrfen, eine Dispenſation im eigent - ſten Verſtande. Z. B. die Erlaubniß, daß Einer ſich trauen laſſen darf ohne vorhergehendes Aufgebot, oder in der ſogenannten geſchloſſenen Zeit, z. B. unter waͤhren - der Adventszeit, oder daß Einer ſich darf von einem in - kompetenten Pfarrer auſſer der Parochie kopuliren laſſen, oder daß Jemand ſonſt eine in den Geſetzen verbotene Ehemit541de Conſtitutionibus Principum. mit einer Perſon eingehen darf, iſt alles eigentliche Dis - penſation25)S. I. H. boehmer Exercit. acad. de ſublimi Principum ac ſtatuum evangelicorum diſpenſandi iure in cauſis et negotiis tam ſacris quam profanis. Halae 1722. Auch verdient noch eine andere Schrift bemerkt zu werden: Wem ſteht in der katholiſchen Kirche das Recht zu, in geiſt - lichen Sachen zu diſpenſiren. Ein Verſuch von einem Deutſchen. 1787. 8. In vielen Laͤndern haben die Landesherrn das Recht, dergleichen Diſpenſation zu er - theilen, unter gewiſſen Einſchraͤnkungen den Conſiſtorien oder Regierungen uͤberlaſſen. S. Schotts Einleitung in das Eherecht. §. 161. S. 339. Hr. GJR. Boͤhmer Princip. iur. canon. §. 355. not. d. . Hier folgt die Handlung erſt auf die ge - ſchehene Ausnahme. Allein es kann zuweilen das Factum vor der Ausnahme vorausgehen, und letztere nur dazu dienen ſollen, nachtheilige Wirkungen deſſelben abzuwenden. Dieſe bekommen ihre beſondere Benennungen Abo - lition und Aggratiation (reſtitutio gratiae). Je - ne geſchiehet noch vor dem Endurtheil, und beſtehet darin, wenn der wider eine Perſon angeſtellte peinliche Pro - ceß nicht bis zum Endurtheil fortgeſetzt, ſondern die Un - terſuchung aus landesherrlicher Gnade aufgehoben, und das Andenken des Verbrechens in Anſehung der peinli - chen Wirkungen gaͤnzlich ausgetilgt wird26)Ich rede hier von der Abolition im Sinne des heutigen peinlichen Rechts. Denn mit der Abolition im Sinne des roͤmiſchen Eriminalrechts hatte es eine ganz andere Be - ſchaffenheit. Es wird davon im 48. Buch Tit. XVI. gehan - delt werden. Den Unterſchied zwiſchen der heutigen und roͤmiſchen Abolition haben am beſten auseinander geſetzet Quiſtorp in den Grundſaͤtzen des teutſchen peinl. Rechts. 2. Th. 12. Abſchn. 2. Kap. §. 850 u. 851. und Ioh. Theoph[.]seger in Diſſ. de abolitione veteri et hodierna. Lipſiae 1778.. Letztere erfolgt erſt nach dem Endurtheil, und beſtehet in eineraus5421. Buch. 4. Tit. aus landesherrlicher Gnade geſchehenen Erlaſſung der zu - erkannten Strafe27)Daß die Abolition und Aggratiation als Gattun - gen der Diſpenſation, in allgemeiner Bedeutung ge - nommen, anzuſehen ſind, behauptet auch becmann oder viel - mehr de bode in der oben angefuͤhrten Diſſ. §. 3. in Nota. S. 10..

Von den Privilegien im eigentlichen Verſtande ſind endlich auch die iura ſingularia zu unterſcheiden. Man verſtehet darunter die in dem Korpus Juris enthaltene, und entweder nur einem gewiſſen Alter, Geſchlecht, Stand oder Klaſſe von Perſonen, oder einer Gattung von Sachen zukommende, oder allen und jeden Unterthanen, in ſo fern ſie ſich in einem gewiſſen Falle befinden, z. B. in Verfall ihres Vermoͤgens gerathen, oder Buͤrgſchaft geleiſtet, u. d. verheißene beſondere Rechte28)Paulus dehnt den Begriff des iuris ſingularis noch wei - ter aus, wenn er in L. 10. D. de Legib. ſagt: ius singu - lare eſt, quod contra tenorem rationis, propter aliquam utilitatem, auctoritate conſtituentium, introductum eſt. Er verſtehet alſo unter ius singulare ein ſolches Recht, ſo aus irgend einem Grunde des gemeinen Beſtens, der Roth - wendigkeit, oder Billigkeit, gegen die Regel des gemeinen und ſtrengen Rechts, es ſey auf welche Art es wolle, durch die Auctoritaͤt der roͤmiſchen Geſetzgeber, iſt eingefuͤhret wor - den. Der Faͤlle eines ſolchen beſondern Rechts ſind im roͤmiſchen Recht unzaͤhlig, wie ſelbſt Julian L. 51. §. fin. D. ad Leg. Aquil. geſtehet. Hierher gehoͤrt z. B. der Quaſi uſusfructus fungibler Sachen, d. i. ſolcher, die durch den Gebrauch an ihrem Werth verliehren, oder gar aufhoͤren zu ſeyn. (Lib. VII. Digeſt. Tit. 5.) Paulus fuͤhrt noch andere Beyſpiele zur Erlaͤuterung ſeines obigen Begriffs an. Man ſehe L. 63. D. de uſufructu und L. 54. D. ſoluto ma - trimonio, welche beyde, wie die oben angefuͤhrte L. 16. D. de. Sieſind543de Conſtitutionibus Principum. ſind meiſt vortheilhafte Rechte, daher ſie auch gewoͤhnlich Beneficia legis, oder Rechtswohlthaten genennt zuwerden28)de LL. aus eben des iulii pauli libro ſingulari de iure ſingulari genommen ſind, wie die Ueberſchrift beweiſet. Sehr merkwuͤrdig iſt die letzt angefuͤhrte L. 54. D. ſoluto matrim. welche von dem beneficio competentiae handelt, und ein Bey - ſpiel von einem iure ſingulari giebt, quod contra tenorem iuris ſingularis introductum eſt. Nach der Regel des gemeinen Rechts kann nehmlich jeder Glaͤubiger verlangen, daß ihm der Schuld - ner ſeine Forderung ganz und ohne Abzug bezahle. Er kann deshalb den Schuldner auspfaͤnden, und ihn bis auf den letz - ten Heller exequiren laſſen. L. 84. D. de iure dot. Allein die Billigkeit erforderte, aus mancher Ruͤckſicht, von dieſer Strenge des Rechts abzuweichen, und die Auspfaͤndung ge - gen einen verarmten Schuldner nicht aufs aͤuſſerſte zu treiben. Dies iſt der Fall bey Eheleuten, wenn die Frau ihr Heyraths - guth zuruͤckfordert; bey Eltern und Kindern; bey Schwie - gereltern, wenn der Schwiegerſohn bey dem Leben ſeiner Ehefrauen verſprochenes Heyrathsguth von jenen fordert; bey Geſchwiſtern, und ſolchen Perſonen, welche miteinander in einer Societaͤt geſtanden; auch bey einem Donator, wenn er eine ſo unmaͤßige Summe verſchenkt hat, daß er am Bet - telſtab gerathen wuͤrde, wenn er ſie ganz bezahlen ſollte. Solche und noch mehrere andere Perſonen, denen die Geſetze dieſe Wohlthat ertheilen, darf man nun nicht ganz auspfaͤn - den, ſondern man muß ihnen ſo viel laſſen, als ſie zur Nah - rung und Nothdurft brauchen. L. 16. 17. 20. 21. 22. 30. D. de re iud. L. 63. D. pro ſocio. L. 173. D. de R. I. Man nennt dieſes die Wohlthat der Competenz (benefi - cium competentiae), und daß dieſelbe ein ſehr exorbitantes und beſonders Recht ſey, iſt ganz unlaͤugbar. Entſteht nun aber die Frage, wie viel ſolche Perſonen, denen die Competenz zu laſſen, ohne Abbruch des noth - duͤrftigen Unterhalts, thun koͤnnen, ſo gehet es nach der Regel, die uns Ulpian in L. 16. D. de re iudi - cata giebt, naͤmlich man ſiehet bey der Competenz nur auf den gegenwaͤrtigen Vermoͤgenszuſtand des verarmten SchuldnersGluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. M mſelbſt,5441. Buch. 4. Tit. werden pflegen. Man denke hierbey an die Rechtswohl - thaten der Minderjaͤhrigen, der Weibsperſonen in Anſe - hung uͤbernommener Buͤrgſchaften, der Perſonen, die waͤhrender vaͤterlichen Gewalt Gelder aufborgen. Ferner der Soldaten, der Geiſtlichen; desgleichen der Erben, der Buͤrgen, der Abweſenden; auch gehoͤren hierher die mit gewiſſen, theils perſonellen, theils hypothekariſchen Forderungen verbundene Vorzugsrechte, u. d. m. Allein es laͤßt ſich deswegen doch auch ein ius ſingulare odioſum gedenken. Ein Beyſpiel giebt uns die berufene Verord - nung der Kaiſer Arcadius und Honorius, vermoͤ - ge welcher auch die Soͤhne des Hochverraͤthers die Schuld ihres Vaters mit buͤßen, und ſeine Schmach tragen ſol -len28)ſelbſt, ohne auf deſſelben uͤbrige Schulden Ruͤckſicht zu neh - men (non deducto aere alleno). Iſt nun das Vermoͤgen des Schuldners vollkommen hinreichend, den Glaͤubiger, der ihn belangt hat, zu befriedigen, ſo daß nach Abzug der Schuld noch immer ſo viel uͤbrig bleibt, als der Schuldner zur Nah - rung und Nothdurft braucht, ſo iſt er die Forderung ganz und ohne Abzug ſeinem Glaͤubiger zu bezahlen ſchuldig, und er kann demſelben nicht entgegen ſetzen, daß er noch mehrere Glaͤubiger habe, die er nun, ohne Verluſt des nothduͤrftigen Lebensunterhalts, zu befriedigen auſſer Stand ſey. Occupan - tis enim melior eſt cauſa, ſ[agt]Paulus L. 19. pr. D. de re iud. Von dieſer Regel der Competenz-Wohlthat iſt jedoch durch eine Conſtitution des Kr Divus Pius, deren L. 12. D. de donat. L. 33. D. de iure dot. u. L. 41. §. ult. D. de re iudic. Erwaͤhnung geſchiehet, bey dem Donator eine ſehr merkwuͤrdige Ausnahme gemacht worden, welche auch Paulus in der oben angefuͤhrten L. 54. D. ſolut. matr. fol - gendergeſtalt bemerkt hat: ut, ex donatione conventus, omni aere alieno deducto, facere poſſe intelligatur. Bey dieſem muß alſo erſt nach Abzug aller Schulden die Competenz be - ſtimmt werden. L. 19. §. 1. L. 49. D. de re iud. Siehe uͤbrigens Franc. Caroli conradi Diſſ. ad iulii pauli ex libro ſingulari de iur[e]ſingulari reliqua. Lipſiae 1728.545de Conſtitutionibus Principum. len29)L. 5. C. ad L. Iul. Maieſtat. woruͤber die neueſte und beſte Schrift iſt Henr. van adrichem Diſſ. de poena perduellio - nis, veroque ſenſu Legis Quisquis 5. Cod. ad L. Iul. Maieſtat. Lugduni Batavor. 1784.. Dieſes iſt gegen die Regel des gemeinen Rechts, nach welcher der Sohn nicht tragen ſoll die Miſſethat des Vaters30)L. 26. D. de poenis. L. 22. C. eodem. ; von welcher aber die gedachte Kaiſere eine Ausnahme zu machen, darum fuͤr noͤthig haben fin - den wollen, quia in filiis paterni h. e. hereditarii criminis exempla metuuntur31)Eben dieſer Meinung iſt auch gebauer de privilegiis. §. XV. .

§. 99. Einige allgemeine Saͤtze von Privilegien; inſonderheit von deren Auslegung.

Alle Privilegien, man nehme nun das Wort in ei - gentlicher oder uneigentlicher Bedeutung, kommen darin mit einander uͤberein:

1) daß ſie nicht zur Folge noch Beyſpiel ange - zogen werden duͤrfen, vielmehr nur in denen Faͤllen ihre Wirkung aͤuſſern, in welchen der Geſetzgeber eine Aus - nahme vom Geſetz gemacht hat, nicht in andern aͤhnlichen Faͤllen, wenn gleich eben derſelbe Grund vorhanden ſeyn ſollte32)§. 6. I. de I. N. G. et C. L. 14. D. de LL. . Hat alſo z. B. der Landesherr dem Cajus in einem gewiſſen Ehefalle dispenſirt, oder ihm ſonſt ein Pri - vilegium ertheilet, ſo kann ich mich nicht darauf berufen, wenn ich mich auch in gleichem Falle mit jenem befinden ſollte33)theophilus Paraphr. Inſtit. graeca ad §. 6. cit. cap. 9. X. de privilegiis. .

M m 22) Pri -5461. Buch. 4. Tit.

2) Privilegien laſſen daher keine ausdehnende Erklaͤrung zu, auſſer in ſofern ſolches dem Willen des Regenten oder Geſetzgebers gemaͤß iſt. Sie ſind alſo ſtricte zu erklaͤren, inſofern ſie a) die natuͤrliche Freyheit einſchraͤnken, oder ſonſt andern Mitbuͤrgern zum Nachtheil gereichen; denn niemand darf durch Privilegien in ſeinem wohlerworbenen Rechte gekraͤnkt werden. Doch aber muß die Auslegung immer ſo geſchehen, daß die Gnade, wel - che der Landesherr dem Privilegirten angedeihen laſſen wollte, nicht vereitelt werde, ſondern letzterer derſelben nach der Abſicht des Ertheilers ſo vollkommen, als moͤg - lich, genieſſe, ſoweit es ſalvo iure tertii quaeſito geſche - hen kann34)enenckel de privilegiis Lib. II. cap. 5. n. 10. boehmer T. II. P. I. Reſp. 190. n. 5. 6. Reſp. 428. n. 9. mevius P. IV. Deciſ. 321. n. 4. boehmer Diſſ. de finibus privile - giorum regundis. Cap. II. §. IX. Puͤtter auserleſene Rechts - faͤlle. 1. Bandes 2. Th. Reſp. XXXV. n. 21. 22.. Wie aber wenn b) das Privilegium blos in die landesherrlichen Gerechtſame einſchluͤge, und nur dem Regenten, der ſolches ertheilet hat, allein zum Nachtheil gereichte, findet auch gegen den Landesherrn die reſtrictive Auslegung ſtatt? z. B. Wenn das Privilegium eine Befreyung von Steuren, oder Ertheilung des ſonſt dem Landesherrn zuſtehenden Abzugsrechts, der Jagd, Ge - richtsbarkeit, Muͤnzrechts, u. dergl. betrift. Die gemei - ne Theorie der Rechtsgelehrten, welcher auch unſer Au - ctor nicht undeutlich ſeinen Beyfall giebt, gehet dahin, daß ein Privilegium gegen den Regenten ſelbſt immer ausdeh - nend erklaͤret werden muͤſſe35)de cocceji Iur. Controv. Lib. I. Tit. IV. Qu. 6. Io. voet ad Pandect. T. I. lib. I. Tit. 10. §. 16. stryck Diſſertat. de privilegiorum interpretatione. cap. IV. leyser Spec. X. med. 3.. Denn hier komme esblos547de Conſtitutionibus Principum. blos auf die Gnade und Mildigkeit des Regenten an, wel - che keine beſtimmte Grenzen habe. Es beſtaͤttige auch eben dieſes der bekannte Ausſpruch Javolens36)L. 3. D. h. t. : beneficium imperatoris, quod a divina ſcilicet eius indulgentia proficiſci - tur, quam pleniſſime interpretari debemus. Allein dieſe Gruͤnde ſind ſeicht, und haben mich nie fuͤr dieſe Mey - nung eingenommen. Denn

1) iſt das von der Freygebigkeit des Regenten herge - nommene Argument viel zu kuͤhn und kann fuͤr denjeni - gen, der auf landesherrliche Gnade losſuͤndiger, ſehr un - angenehme Folgen haben. Verleihet der Regent einem Unterthan ein Regal ſchlechtweg, ohne weder die Gattung deſſelben, noch die Art und Weiſe, daſſelbe auszuuͤben, genau und deutlich auszudruͤcken; ſo muß im Zweifel im - mer eher vermuthet werden, daß ſich der Regent bey der Verleihung des Regals, ſo wenig, als nur ſeyn konnte, habe vergeben wollen; indem ſonſt nicht allein die Sache ſelbſt, ſondern auch der gewoͤhnliche Hofſtyl beſtimmtere und deutlichere Ausdruͤcke erheiſcht haben wuͤrde37)Man vergleiche hier H. Hofr. Schnauberts Erlaͤute - rung des in Deutſchland uͤblichen Lehnrechts. Lib. 1. S. I. Cap. III. §. 65. S. 110. u folgg.. So - dann aber will auch b) der angezogene Ausſpruch Javo - lens gar nicht dasjenige ſagen, was man damit bewei - ſen will; indem der wahre Sinn des Rechtsgelehrten nur dahin gehet, daß ein Privilegium ſo erklaͤret werden muͤſ - ſe, daß die Gnade, die der Regent dadurch hat erzeigen wollen, nicht vereitelt werde, ſondern diejenige vollkomme - ne Wuͤrkung habe, welche der Ertheiler dadurch intendirt hat38)So erklaͤren die Stelle Javolens auch I. H. boehmer in Diſſ. de finib. privilegior. reg. Cap. II. §. 9. und Fratres becmanni in Conſil. et Deciſ. P. I. Reſp. l. S. 23. u. a. m.. Und uͤberhaupt iſt noch die Frage, ob jene Stel -M m 3le5481. Buch. 4. Tit. le Javolens von eigentlichen Privilegien zu verſtehen ſey. Denn nicht ohne Grund erklaͤrt ſie Thomaſius39)In Diſſ. de interpretatione beneficiorum principis §. 11. Man denke z. B. an das, was Ulpian L. 2. §. 1. D. ad SCtum Vellejan. ſagt: hoc Senatusconſulto pleniſſime ſeminis omni - bus ſubventum eſſe. Es fehlt auch nicht an Beyſpielen, wo die roͤmiſchen Rechtsgelehrten dergleichen beſondere Rechte in aͤhnlichen Faͤllen zur Anwendung gebracht haben. Man ver - gleiche z. B. L. 20. u. 21. D. de re iudic. Mehrere Bey - ſpiele hat Fr. Car. conradi in Diſſ. de iure ſingulari §. XII. geſammlet. blos von denen Rechtswohlthaten, die man iura ſingula - ria zu nennen pflegt. Viel richtiger iſt daher die Meinung derjenigen Rechtsgelehrten40)Chriſt. thomasius in der angefuͤhrten Diſſ. Struben in den rechtlichen Bedenken IV. Th. S. 15. Hr. G. J. R. Walch Controv. iur. civ. Prolegom. Cap. II. §. 3. hart - leben meditat. ad Pand. Spec. XIV. med. 2. und D. was - muth in Diſſ. de privilegiorum natura Cap. I. §. 14., welche behaupten, daß ein Privilegium, auch ſelbſt wenn es blos die Rechte des Re - genten angehet, und nur ihm allein zum Praͤjudiz gerei - chet, dennoch nicht immer deshalb extenſive erklaͤret wer - den duͤrfe, ſondern der Sinn deſſelben theils aus der Qualitaͤt der Perſon, welcher ſolches ertheilet worden, theils aus der Beſchaffenheit des Objects, theils aus dem bisherigen Gebrauch und Herkommen41)Es laͤſſet ſich allerdings auch von den Privilegien behaupten: optima privilegiorum interpres eſt conſuetudo, was calli - stratus L. 37. D. de LL. von den Geſetzen uͤberhaupt ſagt. S. mevius P. V. Deciſ. 182. n. 7. Puͤtters Rechtsfaͤlle a. a. O. [v.]24. 25., theils aber auch hauptſaͤchlich aus dem Zweck und Abſicht des Regenten, der das Privilegium ertheilet hat, und ſolchemnach bald reſtrictive bald extenſive zu beſtimmen ſey. So z. B. kann549de Conſtitutionibus Principum. kann die einem Unterthan ertheilte Steuerfreyheit im Zweifel nur von den gewoͤhnlichen Laſten verſtanden, auf auſſerordentliche nicht vorher geſehene Faͤlle aber, woran der Landesherr zur Zeit des ertheilten Privilegiums nicht gedacht hat, z. B. wenn in Kriegszeiten, oder auf andere Art eine allgemeine dringende Landesnoth entſtehet, kei - nesweges gezogen werden42)Hr. Geh. Juſtiz R. Puͤtter in den auserleſenen Rechts - faͤllen I. Bandes 3ter Theil. Deciſ. LXXIII. n. 3. 4. u. folgg. II. Bandes 4ter Theil. Reſp. CCXXXIX. n. 40. 41. u. folgg. III. Bandes 3ter Theil. Reſp. CCLXXI. n. 70. de ludewic Conſilia Halenſia T. II. Lib. II. Reſp. 90. n. 60.. Wenn ferner die Gerichts - barkeit Jemanden innerhalb eines gewiſſen Diſtricts ſchlechtweg verliehen worden iſt, und zweifel entſtehet, ob nur die niedere, oder ob auch zugleich die obere verliehen worden ſey? ſo iſt bey einem landſaͤßigen Unterthan eine ſolche unbeſtimmte Verleihung der Gerichtsbarkeit nur von der niedern zu erklaͤren; denn das Recht uͤber Le - ben und Tod der Unterthanen iſt ein viel zu wichtiges Hoheitsrecht des Landesherrn, als daß man ohne genug - ſamen Grund vermuthen duͤrfe, daß er ſolches ſeinen Un - terthanen werde mitgetheilt haben. Dahingegen, wenn einem Reichsſtande die Gerichtsbarkeit binnen einem ge - wiſſen Diſtrict vom Kaiſer unbeſtimmt ertheilet worden, in Zweifel zu vermuthen, daß auch die Blutgerichte mit darunter verſtanden ſeyn43)von Buri Erlaͤuterung des Lehnrechts 3. Fortſetz. S. 665. Hr. G. JR. Boͤhmer Princip. iur. feudalis. §. 67..

Daß uͤbrigens der Regent die Wohlthat, die er ei - nem durch das Privilegium hat ertheilen wollen, weiter erſtrecken koͤnne, als die Natur deſſelben es mit ſich bringt, hat keinen Zweifel44)L. 191. D. de Reg. Iur. . Auſſerdem ſtehet dem Landes -M m 4herrn5501. Buch. 4. Tit. herrn die avthendiſche Interpretation bey den Privilegien nur alsdann zu, wenn eine ſolche Dunkelheit oder ein ſolcher Zweifel vorhanden, ſo durch die Regeln der Aus - legungskunſt ſchlechterdings nicht gehoben werden kann, wie ich ſchon bey einer andern Gelegenheit bemerkt habe. (S. 215.)45)Verſchiedene Rechtsgelehrten haben behaupten wollen, als ob das Recht, Privilegien auszulegen, nur allein dem Re - genten zuſtehe. Sie berufen ſich deshalb auf L. 43. pr. D. de vulg. et pupillar. ſubſtitut. wo es heißt: Beneficia quidem principalia ipſi principes ſolent interpretari. Allein wer ſieht nicht, daß die Worte des Rechtsgelehrten blos enunciativ ſind, und keinesweges eine Verordnung enthalten, daß Rich - ter und Rechtsgelehrte ſich der Auslegung in Anſehung zwei - felhafter Privilegien enthalten ſollen? S. wasmuth in der angef. Diſſ. Cap. I. §. XII. .

3) Da Privilegien eine Ausnahme vom gemeinen Recht machen, ſo koͤnnen ſie im Zweifel nicht vermu - thet werden, ſondern demjenigen liegt jederzeit der Be - weiß ob, der ſich auf ein Privilegium beruft. Denn in der Regel pflegen Privilegien nicht ordentlich bekannt gemacht zu werden. Die in unſern Korpus Juris ent - haltene beſondere Rechte beduͤrfen jedoch keines Beweiſes. Endlich

4) niemand kann in der Regel genoͤthiget werden, ſich einer ihm durch ein Privilegium oder geſetzliche San - ction zum beſten ertheilten Wohlthat wider ſeinen Willen zu bedienen; denn Wohlthaten werden Keinem aufgedrun - gen. Ein jeder Privilegiat muß alſo die Freyheit haben, ſich ſeines Vortheils auch begeben zu koͤnnen; es waͤre denn daß der Gebrauch des Privilegiums oder des beſon - dern Rechts mit den erworbenen Gerechtſamen eines Drit -ten551de Conſtitutionibus Principum. ten in unzertrennlicher Verbindung ſtuͤnde, und ſolchem durch die Begebung der Rechtswohlthat offenbar zu na - he geſchehen wuͤrde. So z. B. darf kein academiſcher Gerichtsunterthan ſich mit Begebung ſeines befreyten Ge - richtsſtandes der Jurisdiction der buͤrgerlichen Stadtobrig - keit unterwerfen46)Auth. habita Cod. ne filius pro patre. . Solchemnach findet alſo die Ver - zichtleiſtung in Anſehung eines Privilegiums nur in ſo - fern ſtatt, als der Gebrauch deſſelben von dem freyen Willen des Entſagenden lediglich abhaͤngt47)Hr. Geh. Juſtiz R. Boͤhmer Princip. iuris canonici. §. 222. n. 1..

§. 100. Eintheilung der Privilegien in Real - und Perſonal - Privilegien.

Privilegien koͤnnen nun von mancherley Art ſeyn. Siehet man naͤmlich auf daß Subject, welchem ſie an - hangen, ſo ſind ſelbige entweder perſoͤnliche, oder dingliche; je nachdem ſie entweder einer Perſon, ſie ſey eine individuelle oder moraliſche; oder aber einer Sache eigen ſind. Beyde ſind in Anſehung der Dauer und Wirkung ſehr verſchieden. Denn perſonal-Pri - vilegien, die einer moraliſchen Perſon z. B. ei - ner Stadt, Academie, Zunft, u. ſ. m. verliehen ſind48)Beyſpiele von ſolchen Privilegien enthalten die L. 17. D. de excuſat. tutor. L. 37. D. de reb. aut. iud. poſſid. L. 1. §. 2. D. ad Municipal. L. 4. §. 3. D. de Cenſib. , dauern fort, und gehen auf alle Nachkommen uͤber, die zu dieſer privilegirten Univerſitas gehoͤren, und als Mitglieder derſelben anzuſehen ſind49)Cit. L. 4. §. 3. D. de Cenſib. . Denn eineM m 5mora -5521. Buch. 4. Tit. moraliſche Perſon ſtirbt nicht, ſondern bleibt immer die - ſelbe, wenn auch nach und nach die einzelnen Perſonen, die das Ganze ausmachen, durch den Tod, oder auf ſon - ſtige Weiſe abgehen, und andere an ihre Stelle treten50)L 7. §. 2. D. Quod cuiuscunque univerſitat. nomine. L. 76. D. de iudiciis. . Solche Privilegien gehoͤren unſtreitig ad res univerſita - tis, und das durch ſelbige erworbene Recht iſt der Sub - ſtanz nach ein Eigenthum der moraliſchen Perſon. Dieſe aber laͤſſet nun ihr Recht entweder durch gewiſſe dazu beſtellte Mitglieder ſelbſt ausuͤben, z. B. die ihr verliehene Gerichtsbarkeit; oder es darf ein jedes Mitglied der Uni - verſitas das Privilegium gebrauchen, z. B. es iſt derſel - ben eine Immunitaͤt von gewiſſen oͤffentlichen Laſten, oder das Beholzigungsrecht in einem herrſchaftlichen Walde, oder das Privilegium Jahrmarkt zu halten, ertheilet worden. In Anſehung des Gebrauchs kommt es alſo auf die Beſchaffenheit des durch das Privilegium ertheil - ten Rechts an51)Petr. de toullieu Collectan. iuris civ. Diſſ. XV. S. 376..

Sind aber Privilegien wirklichen Perſonen ertheilet, ſo koͤnnen dieſe von zweyerley Art ſeyn; ent - weder ſolche, die bey dem Privilegirten eine gewiſſe per - ſoͤnliche Eigenſchaft vorausſetzen, oder ſie ſind der Perſon ſelbſt, ohne Ruͤckſicht einer ſolchen Eigenſchaft, ertheilet worden. Beyde kommen jedoch darinn uͤberein, daß ſelbige der Regel nach auf die privilegirte Perſon einge - ſchraͤnkt ſind, und ſich, auſſer derſelben, auf andere nicht erſtrecken, auch nicht auf die Erben uͤbergehen, ſondern gleichſam mit der Perſon abſterben52)L. 1. §. 43. D. de aqua quotid. et aeſtiv. L. 68. D. de R. I. L. 196. D. Reg. I. . Jedoch hatdieſe553de Conſtitutionibus Principum. dieſe Regel ihre Ausnahmen53)Von dieſen Ausnahmen handelt ſehr vollſtaͤndig Io. Nic. hert. in Diſſ. de tranſitione privilegii perſonalis ad alios. in eius Commentationib. atque Opuſcul. Vol. I. T. 3. Diſſ. 2. S. 24 40.. Es giebt Privilegien, die ſchon ihrer Natur nach auf die Nachkommen fort - gehen, wenn deren auch keine beſondere Erwaͤhnung ge - ſchehen iſt. Ein Beyſpiel davon giebt uns der ſogenannte Brief-Adel, welcher bekannter maſſen von dem ge - adelten Vater auf alle nach der geſchehenen Nobilitirung deſſelben von ihm ehelich erzeugte Kinder und Nachkom - men fortgepflanzet wird54)S. Hrn. Prof. Kluͤbers Diſſert. de nobilitate codicillari. Erlang. 1788. §. IV. Riccius vom landſaͤſſigen Adel in Teutſchland. II. Theil. Cap. II. §. 4..

Zuweilen erſtrecken auch die Geſetze ſelbſt aus beſon - dern Urſachen perſoͤnliche Privilegien, oder derſelben Wir - kung Folgeweiſe, auf andere, die mit dem Privilegirten in Verbindung ſtehen55)Ge. Ioſ. stein Diſſ. de privilegiorum extenſione. Erford. 1725. §. XXVIII XXXVII. . So z. B. nimmt die Ehefrau bekanntermaßen an den perſoͤnlichen Privilegien ihres Ehe - manns Antheil, und hat ſolche in der Regel auch noch als Wittwe zu genieſſen56)L. 13. Cod. de Dignitat. L. 10. Cod. de nuptiis. L. 6. §. ult. C. de Profeſſ. et Medic. L. fin. C. de incol. . Eben ſo kommt das pri - vilegium aetatis auch den Eroen des Minderjaͤhrigen zu ſtatten57)L. 18. §. fin. L. 19. D. de minorib. L. un. Cod. ſi adver - ſus dotem. , und den privilegirten Vorzug der Hypothek, welche eine Ehefrau ihres Heyrathsguths wegen auf dem ſaͤmmtlichen Vermoͤgen des Mannes hat, geben die Geſe -tze5541. Buch. 4. Tit. tze auch ihren Kindern58)L. ult. §. 1. Cod. qui potior. in pignore. Nov. XCI. pr. et §. 1. S. Weſtphal Pfandrecht §. 82.. Endlich kann es auch geſche - hen, daß Jomanden ein Privilegium fuͤr ſeine Perſon und ſeine Erben zugleich ertheilet wird. Iſt nun in einem ſolchen Falle genau beſtimmt, was fuͤr Erben verſtanden werden ſollen, ſo iſt die Sache keinem Zweifel unterworf - fen. Iſt dieſes aber nicht deutlich beſtimmt worden, ſo koͤnnen, da die Natur der Privilegien im Zweifel keine ausdehnende Erklaͤrung erlaubt, unter den Erben oder Nachkommen der Regel nach nur die Verwandten in abſteigender Linie verſtanden werden, welche den Erwer - ber des Privilegiums zunaͤchſt beerben59)leyser Meditat. ad Pandect. Spec. XI. med. 1. und hart - leben Spec. XIII. med. 1. Anderer Meinung ſind a wern - her Obſervat. forens. T. II. P. VIII. Obſ. 424. und de puf - fendorf Obſervat. iur. univ. T. IV. Obſ. 25.; es waͤre denn, daß der Privilegirte keine Deſcendenz haͤtte, auch derglei - chen nicht mehr hoͤffen duͤrfte, und ſolches dem Ertheiler des Privilegiums wohl bekannt geweſen; im welchen Fal - le ſodann, da nicht anzunehmen, daß der Ertheiler Wor - re ohne Bedeutung habe brauchen wollen, vielmehr im Zweifel kein Wort umſonſt im Privilegium zu ſtehen ver - muthet werden kann, unter den Erben die naͤchſten In - teſtat-Erben des Privilegirten verſtanden werden muͤſ - ſen60)Man vergleiche hierbey, was Hr. Reg. R. Eichmann in ſeinen vortreflichen Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts II. Th. S. 91. u. ff. umſtaͤndlicher hieruͤber geſagt hat.. Aus demſelben Grunde aber iſt auch zu behaup - ten, daß, wenn das Privilegium einem fuͤr ſeine Perſon, Erben und Nachkommen iſt ertheilet worden, daſ - ſelbe nach der Abſicht des Ertheilers nicht blos den Ver - wandten in dem erſten Grade der abſteigenden Linie, ſon -dern555de Conſtitutionibus Principum. dern auch denen im entferntern Grad zu ſtatten kommen ſolle61)arg. L. 13. D. de munerib. et honor. . Auf alle Nachfolger kann jedoch das Pri - vilegium nicht erſtrecket werden, denn dieſe Ausdehnung wuͤrde einmal wider den Sprachgebrauch, welcher zwi - ſchen Nachkommen und Nachfolgern einen Unter - ſchied macht, und zweytens auch wider die Natur der Privilegien ſtreiten, welche eine einſchraͤnkende Ausle - gung verlangt. Ich muß hierbey noch einige Bemer - kungen hinzufuͤgen; Erſtens: iſt dem Privilegirten das Privilegium fuͤr ihn und ſeine Kinder verliehen wor - den, ſo muß das Wort Kinder62)Der lateiniſche Ausdruck liberi hat freylich einen weitlaͤuf - tigern Sinn; denn unter dieſem Namen werden alle Deſcen - denten ohne Unterſchied des Grades verſtanden. L. 220. pr. D. de V. S. §. ult. Inſt. qui teſtam. tutores dari poſſ. Allein dieſer Sprachgebrauch kann bey Erklaͤrung eines in der teut - ſchen Mundart abgefaßten Privilegiums nicht untergelegt werden. nach der Natur der Privilegien in ſeiner eigentlichen Bedeutung genom - men, und ſolches daher nur von Deſcendenten des erſtern Grades verſtanden werden, wie ſolches nicht nur aus dem Urſprunge des Worts Kind63)S. wehner Obſervat. ſelect. ſub voce Kinder. wach - teri Gloſſarium Germ. S. 838., ſondern auch we - gen des davon ganz unterſchiedenen und gleich gewoͤhn - lichen Ausdrucks: Kindes-Kinder bereits von an - dern ausgefuͤhrt worden64)reinharth ſelect. Obſervat. ad Chriſtinaei Deciſiones Vol. III. Obſ. 31. S. 45. u. ff. und Vol. IV. Obſ. 26. S. 26. Chriſt. Ulr. grupen Diſcept. Forenſ. S. 458. u. 489. u. ff. Puͤtter auserleſene Rechtsfaͤlle. 1. B. 2. Th. Reſp. LIII, n. 44. S. 500.. Mithin koͤnnen unter demNamen5561. Buch. 4. Tit. Namen der Kinder ordentlicherweiſe die Kindes - Kinder nicht, und noch weniger entferntere De - ſcendenten, verſtanden werden, ſo lange nicht die Umſtaͤnde einen andern Willen des Ertheilers zu erken - nen geben. Zweytens: iſt das Privilegium dem Privi - legirten fuͤr ſeine Perſon, Kinder und Nachkommen ertheilet worden, ſo iſt im Zweifel nie zu vermuthen, daß ſolches nur auf diejenigen Nachkommen gehen ſolle, wel - che von maͤnnlicher Linie herſtammen, wenn nicht entweder die Geſetze dieſes ausdruͤcklich verordnen65)Ein Beiſpiel enthalten die L. 13. D. de muner. et honorib. und L. 1. D. de iure immunitat. vermoͤge welchen die Einem fuͤr ſeine Perſon, Kinder und Nachkommen er - theilte Befreyung von gemeinen Beſchwerden blos auf die - jenigen Deſcendenten ſich erſtrecken ſoll, welche von Manns - perſonen abſtammen., oder ſolches durch die in dem Privilegium gebrauchte Ausdruͤcke: Nachkommen vom Stamm und Namen des Erwerbers, oder Nachkommen in der Familie, zu erkennen gegeben worden iſt. In ſolchen Faͤllen koͤn - nen freylich dergleichen Privilegien auf die Toͤchter des Erwerbers, welche durch Verheyrathung aus der Fami - lie deſſelben heraus gegangen ſind, und deren Deſcendenz, da dieſe den Namen des Erwerbers nicht fuͤhrt, keines - weges erſtrecket werden. Ich komme nun auf die Real - privilegien, deren Weſen darin beſtehet, daß ſie ei - ner gewiſſen Sache verliehen ſind, und allen Beſitzern derſelben zuſtehen66)L. 1. §. 43. D. de aqua quotid. et aeſtiva. L. 3. §. 1. D. de Cenſib. . Solche Realprivilegien ſind von dreyerley Art; entweder ſie ſind einem gewiſſen Grund - ſtuͤcke ertheilet, z. B. Steuerfreyheit, Jagdgerechtigkeit, u. dergl. oder ſie ſind mit dem Beſitz eines gewiſſen Amtsoder557de Conſtitutionibus Principum. oder Wuͤrde verknuͤpft; man denke z. B. an den mit der erzbiſchoͤflichen Wuͤrde verknuͤpften honor pallii; oder die Geſetze haben eine gewiſſe Klage dergeſtalt privile - girt, daß jeder, der dieſe Klage erhebt, das damit ver - knuͤpfte Privilegium zu genieſſen haben ſoll. Modeſtin nennt ein Realprivilegium der letztern Art privilegium cau - ſae67)L. 196. D. de R. I. , und Paulus68)L. 68. D. eodem. macht uns davon folgende Beſchreibung: in omnibus cauſis id obſervatur, ut ubi perſonae conditio locum facit beneficio, ibi deficiente ea, beneficium quoque deficiat: ubi vero genus actionis id deſiderat, ibi, ad quemvis perſecutio eius devenerit, non deficiat ratio auxilii. Es iſt dieſe letztere Stelle aus pault libro ſing. de dotis repetitione genommen, und es waͤren da - her eigentlich aus dieſer Doctrin die Beyſpiele zur Erlaͤute - rung dieſer Regel anzufuͤhren; wie auch Jacob Go - thofredus69)In Commentar. ad L. 68. cit. und mit ihm Gebauer70)In Diſſ. de privilegiis §. XVII. S. 62. gethan ha - ben. Allein es wird uns erlaubt ſeyn, auch durch ein an - ders Beyſpiel die Sache aufzuklaͤren. Ein ſolches giebt uns die Forderung aufgewendeter Begraͤbniskoſten, wel - che ein beſonders Vorrecht vor andern Glaͤubigern beym Concurs haben71)L. 45. D. de Religioſ. et ſumtib. funer. ; und zwar iſt dieſes der Forderung ſelbſt eigen, ſie mag mit der actione funeraria oder ei - ner andern eingeklagt werden72)L. 17. pr. D. de reb. auct. iud. poſſid. ; der Klaͤger mag ſolche Koſten entweder auf das Begraͤbniß des Schuldners ſelbſt, oder einer dritten Perſon verwendet haben, welche der Schuldner auf ſeine Koſten begraben zu laſſen verbunden geweſen73)L. 17. cit. . Auch dem Erben und Nachfolger des Glaͤu - bigers kommt dieſes Vorzugsrecht zu ſtatten74)L. 31. §. 2. D. de Religioſ. Hierdurch erklaͤren ſich die Worte des Modeſtins in L. 196. D. R. I. Privilegia ad heredes transmittuntur, quae causae ſunt; quae personae,(z. B..

Auſſer5581. Buch. 4. Tit.

Auſſer dieſen beyden Gattungen der Privilegien, den perſoͤnlichen und dinglichen, nehmen die Rechts - lehrer insgemein noch eine dritte an, naͤmlich die ge - miſchten, worunter man diejenigen verſtehet, welche einer Perſon dergeſtalt ertheilet ſind, daß ſie zugleich auf die Erben gehen. Jedoch wird dieſe Theorie von den neuern Rechtsgelehrten mit Grund verworfen75)Hr. Geh. R. nettelbladt Syſtem. elem. Iurispr. poſit. Germ. commun. general. §. 387. Eichmann a. a. O. S. 89. Hoͤpfner in Commentar §. 49..

Nun zum Beſchluß noch einige Bemerkungen.

1) Entſtehet Zweifel, ob ein Privilegium der Perſon oder Sache des Erwerbers ertheilet worden ſey, ſo iſt in einem ſolchen zweifelhaften Falle das Privilegium eher fuͤr ein perſoͤnliches, als dingliches, zu halten; weil die Natur der Privilegien keine ausdehnende Erklaͤrung zulaͤßt76)Hr. GJR. walch Introd. in Controverſ. iur. civ. Prole - gom. Cap. II. §. 4. und D. Chriſt. Gottl. einert Exerc. iurid. privilegium in dubio magis pro perſonali quam reali re - putandum eſſe. Lipſiae 1778.. Aus dem naͤmlichen Grunde aber iſt auch weiter

2) im Zweifel anzunehmen, daß ein Privilegium, welches der Perſon ertheiler worden, mit dem Tode der - ſelben aufhoͤre, und nicht auf die Erben gehe. Denn der Unterſchied, den einige Rechtsgelehrte unter Privilegien, die vermittelſt eines Vertrags durch einen beſchwer - lichen Titel erworben; und ſolchen, die umſonſt, und aus bloſer Gnade ertheiler worden ſind, hierbey machen wollen, beruhet auf irrigen Vorausſetzungen, und laͤſſet ſich mit den Geſetzen77)L. 196. D. de R. I. cap. 7. de R. I. in 6to. nicht vereinigen78)Man vergleiche hier vorzuͤglich gebauer Diſſ. de privile - giis. §. 17. 18. 19..

74)(z. B. beneficium competentiae L. 12. u. 13. D. ſoluto matrim. dos quem. pet. ) ad heredem non tranſeunt.

Ver -

Verbeſſerungen und Zuſaͤtze.

S. 49. Z. 26. ſtatt erſtern muß leztern, und Z. 27. ſtatt leztern erſtern geleſen werden. S. 72. Not. 4. bey stryck muß heißen Tit. 1. S. 129. Not. 22. Z. 2. muß ergaͤnzt werden von Joſeph Herr. S. 142. Not. 42. nach Legem muß hinzugefuͤgt werden: pro tenore ſtipulationis uſuras exacturos. S. 179. Z. 10. von oben leſe man unternommenen Ge - ſchaͤfte. S. 202. Not. 43. nach affectantes iſt hinzuzuſetzen: Herr Prof. Puͤttmann ſucht jedoch in ſeinen Interpretat. et Ob - ſervat. S. 77. die gemeine Leſeart zu rechtfertigen. S. 233. Not. 11. Ueber die L. 9. §. 2. D. de ſupellect. legata verdient Adrian. Nic. moller in Selectis iur. civ. ca - pitib. Traj. ad Rhen. 1763. Cap. IV. §. 5. beym oel - rich in Theſ. Diſſertat. Belgicar. Vol. II. T. II. S. 134. nachgeſehen zu werden, wo derſelbe, auch ohne ein Emblema anzunehmen, dieſe Geſetzſtelle ganz natuͤrlich erklaͤrt hat. S. 265. in der leztern Zeile leſe man ſtatt Vortrag Vertrag. S. 271. Not. 79. iſt noch beyzufuͤgen D. Chriſt. Gottl. Gmelin von Aufſaͤtzen uͤber Vertraͤge uͤberhaupt, von Schuld - und Pfandverſchreibungen und andern damit verwandten Aufſaͤtzen insbeſondere, nebſt For - mularien. Tuͤbingen 1790. 8. S. 280. Not. 96. iſt noch vorzuͤglich hinzuzufuͤgen Puͤtter in den auserleſenen Rechtsfaͤllen. 3ten Bandes 1. Theil. Reſp. 248. §. 11. S. 80. S. 311. verdienen jedoch die treflichen Bemerkungen des Hrn. Hofr. Heyne in dem Programm: Notitia corporis iuris gloſſati MSti Bibliothecae Georgiae Auguſtae. Goettingae 1783. uͤber digeſtum vetus, infortiatum et novum beherzigt zu werden. Man findet ſolches ſo - wohl in deſſelben Opuſcul. acad. Vol. II. N. 17. als in des H. Dr. Koppe neuen Magazin fuͤr die geſammte Rechtsgelahrtheit. 1. Jahrgang. Neuſtreliz 1789. 8. S. 164. Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. N nS. 314S. 314. Sind anzufuͤhren vergeſſen worden: Leop. Andr. gua - dagni ad Graeca Pandectarum Diſſertationes. Piſae 1786. 4. in welchen die in den Pandecten vorkom - mende viele griechiſche Stellen und Woͤrter erlaͤutert und berichtiget worden ſind. S. 319. Z. 20. muß beißen Lugduni 1659. die erſte Ausgabe erſchien in den Jahren 1604 1616. Fol. Not. 49. iſt noch beyzufuͤgen H. Geh. R. koch Diſſ. de ordine Legum in Pandectis. S. 3 6. wo ſehr in - tereſſante Notizen von den verſchiedenen Ausgaben, welche Dionyſ. Gothofredus von dem Corpore iuris civ. beſorgt oder veranlaßt hat, mitgetheilt wer - den. Womit zu verbinden Ren. Car. L. B. de sen - ckenberg Meditat. iurid. (Wezlar. 1789.) Mantiſſ. VI. S. 176. S. 378. Z. 21. ſtatt erhalten haben, leſe man erhalten habe. S. 415. Z. 12. Decretalen iſt zu leſen Decretalenſammlung. S. 422. Not. 15. in der vorleztern Zeile ſtatt ſie waren, muß heißen erſtere waren. S. 446. N. 11. Z. 17. iſt bey den Worten: welche den uͤbrigen entgegen iſt, die Beweisſtelle aus L. 34. D. de R. I. vergeſſen worden, wo es heißt: neque regionis mos appareat, quia varius fuit.

About this transcription

TextVersuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer
Author Christian Friedrich von Glück
Extent583 images; 142764 tokens; 19399 types; 1021127 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVersuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer I. Theil Christian Friedrich von Glück. . [7] Bl., 558 S., [1] Bl. ; 8° PalmErlangen1790.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Gc 8451-1http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=616042523

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Jura; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:30:50Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Gc 8451-1
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.