PRIMS Full-text transcription (HTML)
ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ
oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
als ein Lesebuch fuͤr Gelehrte und Ungelehrte.
Ersten Bandes drittes Stuͤck.
BerlinbeiAugust Mylius1783.

Jnhalt.

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Seite

  • Zur Seelenkrankheitskunde.
    • I. Etwas aus Roberts G ... s Lebensgeschichte oder die Folgen einer unzweckmaͤßigen oͤffentlichen Schulerziehung, vom2Herrn Jakob,Lehrer am Gymnasium in Halle. 1.
    • II. Auszug aus einem Briefe, vom Herrn Hofgerichts-Sekretair3Woͤrkin Jnsterburg. 27.
    • III. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden, vom Herrn D. Hofrath und Stadtphysikus4J. D. Metzgerin Koͤnigsberg. 28.
    • IV. Eigener Aufsatz von einem Selbstmoͤrder unmittelbar vor der That. 32.
    • V. Einige Reflexionen uͤber den vorhergehenden Aufsatz, vom Herrn Regierungs - und Hofgerichtsrath5C. G. G. Glavezu Jnsterburg. 40.
  • Zur Seelennaturkunde.
    • I. Psychologische Betrachtungen auf Veranlassung einer von dem Herrn Oberkonsistorialrath6Spaldingan sich selbst gemachten Erfahrung, vom Herrn7Moses Mendelssohn. 46.
    • II. Fortgesetzte Beobachtungen uͤber einen Taub - und Stummgebohrnen,8v. d. H.76.
    • III. Geschichte eines taub - und stummgebohrnen Frauenzimmers, vom9Herrn Pastor Paulmannin Braunschweig, nebst einer Nachricht von der Lehrart dieser Person von dem Herrn Schullehrer10Schweinhagen. 82.
  • Zur Seelenheilkunde.
    • I. Etwas aus der Geschichte eines Hypochondristen. 102.
    • II. Ueber Anstrengung des Geistes. Bemerkungen von eben diesem ehemaligen Hypochondristen. 105.
  • Zur Seelenzeichenkunde.
    • Beitrag zur Nebeneinanderstellung jugendlicher Charaktere, vom Herrn11Muͤller,Hofmeister in Halle. 108.
  • Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.12v. d. H.122
[1]1

Zur Seelenkrankheitskunde.

I. Etwas aus Robert G ... s*)*) Der Mann, dessen Geschichte hier erzaͤhlt wird, ist noch am Leben, und dem Verfasser dieses Aufsatzes, Herrn3Jacobin Halle, persoͤnlich bekannt. Lebensgeschichte oder die Folgen einer unzweckmaͤßigen oͤffentlichen Schulerziehung.

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Beinahe, lieber6Moritz,gereut mich das Versprechen, das ich gethan habe, Jhnen einzelne Zuͤge aus dem Charakter eines sonderbaren2 Mannes mitzutheilen. Jch fuͤhle jetzt, daß ich diesen Charakter lange nicht so studiert habe, um die Erscheinungen, die ich zu bemerken Gelegenheit hatte, aus psychologischen Gruͤnden erklaͤren zu koͤnnen, oder auch nur dem Erklaͤrer gehoͤrige Data zu liefern. Jnzwischen hab ich Jhnen einmal mein Wort gegeben, und ich glaube wenigstens ein Beispiel mehr zu der Wahrheit herzugeben, die zwar schon lange dafuͤr erkannt, aber doch nie lebhaft genug kann vorgestellt werden; ich meine, daß die Handlungen unsres ganzen Lebens sich nach den Grundsaͤtzen richten, die sich in unsrer ersten Jugend bei uns festgesetzt haben, und daß es große Muͤhe kostet, einige irrige, aber beinah unmoͤglich ist, sie alle auszurotten.

Der Mann, von dem ich reden will, hieß Robert G ... und war in einem Staͤdtchen bei Stettin geboren. Seinen Vater behielt er nur bis in sein achtes Jahr, aber, ob ihm gleich seine Gestalt und Gesicht ganz entfallen war, so hat er mir doch in seinem zweiunddreißigsten Jahre noch kleine Auftritte erzaͤhlt, deren er sich recht lebhaft erinnerte. So wußte er auch noch viele Reden seines Vaters, von welchen er gestand, daß die lebhafte Erinnerung an sie, ihn oft mitten im Sturm unedler Leidenschaften aufgehalten habe. Bis in sein zwoͤlftes Jahr genoß er Privatunterricht in dem Hause seiner Mutter, wo er auf das Gymnasium nach Stettin gebracht wurde. Die Schuͤler leben hier3 von ihren Lehrern ziemlich entfernt, und sind allein waͤhrend der Lehrstunden unter ihrer Aufsicht. Die innre Bildung ihres Charakters wird ihnen also, so wie beinah in allen oͤffentlichen Schulen, ganz allein selbst uͤberlassen; die gelehrten Namen, Dogmatik, Logik, Metaphysik, Jus Naturæ u.s.w. blasen sie auf, und sie sind stolz, daß sie Vorlesungen hoͤren, die sie nicht verstehen. Sie bilden sich ein, Studenten zu seyn, und ahmen wenigstens ihre Thorheiten nach. Die irrigen Begriffe von akademischer Freiheit und Unabhaͤngigkeit druͤcken sich ihnen schon hier tief ein, daß sie sie oft in spaͤtern Jahren noch nicht los werden koͤnnen. Robert G ... war ein starker muthiger Junge, dergleichen Pommern noch viele hervorbringt. Man weiß, welcher Geist eine Gesellschaft rascher Juͤnglinge beherrscht, und wie leicht sie sich untereinander zu Jrrthuͤmern und Ausschweifungen verleiten, wenn sie keinen Fuͤhrer haben. Unerschrockenheit, Vertrauen auf Leibesstaͤrke, Gefuͤhl von der innern Ueberlegenheit seiner Kraͤfte galt bei ihnen alles, und wenn man[ diesen] rohen Heldentugenden Schranken setzen wollte, so geschah dies gewoͤhnlich nicht mit der gehoͤrigen Behutsamkeit und viel zu spaͤt. Die Gesetze schienen ihnen fuͤr Sklaven und Feige gemacht zu seyn; sie aber wollten ihre Handlungen blos durch eigne Wahl und Ueberzeugung bestimmen. Solche Grundsaͤtze schienen dem Robert G ... so angenehm, und seiner ganzen Denkungsart so an -4 gemessen, daß er mit allen Kraͤften darnach strebte, sich die Vorzuͤge seiner angesehnsten Mitschuͤler zu erwerben. Seine hitzige Gemuͤthsart, seine natuͤrliche Staͤrke und sein entschloßner Muth waren ihm hierzu auch sehr behuͤlflich, und er hatte bald den Ruhm unter seinen Mitschuͤlern, daß er sich nicht ungestraft beleidigen lasse, und sich aus Haͤndeln als ein braver Kerl zu retten wisse. So leicht eine solche Gesinnung zu einer Art von wilder Ausschweifung verfuͤhrt, zumal bei einem Haufen roher Juͤnglinge, die oft zusammen leben, so verfuͤhrte sie doch hierzu unsern Robert G.. nicht. Er besuchte seine Lehrstunden ordentlich und hatte das Zeugniß seiner Lehrer, daß er fleißig waͤre. Jedoch wurde er zur Unabhaͤngigkeit so gewoͤhnt, daß es ihm immer noch schwer wird, sich dem Willen eines andern, ohne Gruͤnde vor sich zu sehen, zu unterwerfen. Nach fuͤnf Jahren starb seine Tante, bei welcher er lebte, und seine Mutter beschloß, ihren Sohn nach Halle zu schicken, weil sie die Kosten an dieser Schule auf laͤngere Zeit glaubte bestreiten zu koͤnnen. Es ward ihm also der Entschluß gesagt, daß er nach Halle aufs Waisenhaus sollte. Er erschrack uͤber diese Nachricht; denn die Schilderung, die er von dieser Anstalt hatte machen hoͤren, hatte einen Widerwillen bei ihm zuruͤckgelassen, der sich besonders auf die Eingeschraͤnktheit der dasigen jungen Leute gruͤndete. Jnzwischen brachte ihn doch die Vorstellung seines Vetters, des Herrn Pastor5 L ..., der ihm alle Vortheile dieser Anstalt, die sie wirklich hat, sehr reizend vorzumahlen wußte, und die Thraͤnen seiner Mutter, die dies Haus wegen dem Rufe der Froͤmmigkeit vor allen schaͤtzte und sich die gewisse Hofnung machte, er wuͤrde hier sein hitziges stuͤrmisches Temperament ablegen, und als ein stiller und geduldiger Waisenhaͤuser in ihre Arme zuruͤckkehren; dieses brachte ihn so weit, daß er sich entschloß, sich alles gefallen zu lassen, was sie uͤber ihn beschließen wuͤrden. Die Briefe, die in diesen Angelegenheiten mußten nach Halle geschrieben werden, verzoͤgerten seine Abreise vier Wochen, und diese ruͤhmte er immer als die schoͤnsten seines Lebens. Der Tod seiner Tante hatte ihn in ein ernsthaftes Nachdenken versenkt und er hatte sich schon bei seinem letztern Auffenthalt in Stettin waͤhrend ihrer Krankheit von allen seinen Mitschuͤlern zuruͤckgezogen, ihre Gesinnungen schienen ihm zu leichtsinnig und zu jugendlich, denn wirklich machten diese haͤußlichen Vorfaͤlle, welche er sich sehr zu Herzen nahm, daß sein Verstand einige Jahre fruͤher maͤnnlich wurde. Hierzu trug auch ein Lehrer vieles bei, der zuletzt durch seine Verheirathung mit ihm verwandt wurde, und der ihn ausserordentlich liebgewann, so, daß er ihm alle Rechte der zaͤrtlichsten Freundschaft genießen ließ. Dieser Mann waͤre vielleicht der einzige gewesen, der seine Heftigkeit haͤtte kuriren koͤnnen, wenn er lange mit ihm umgegangen waͤre. Er sprach oft mit ihm6 uͤber die Schaͤdlichkeit der allzuheftigen Leidenschaften, wußte seine Aufmerksamkeit durch eine Menge trauriger Beispiele so zu reizen, daß er nichts lieber hoͤrte, und sie mit dem groͤßten Ernst auf sich anwendete. Der liebenswuͤrdige sanfte Charakter seines Lehrers bezauberte ihn so, daß er es fuͤr die groͤßte Gluͤckseeligkeit hielt, ihm aͤhnlich zu werden. Auch hatte sich dieser Mann eine solche Gewalt uͤber ihn erworben, daß er durch einen einzigen sanften mitleidigen Blick mehr ausrichten konnte, als alle Bannstrahlen und Gefaͤngnisse. So besuchten sie zusammen ein Koncert, wo Robert mit Violin spielte. Er that einen falschen Grif, der Koncertmeister, der, wie viele Musiker, eigensinnig war, wurde hieruͤber verdruͤßlich und rief ganz laut: » O, wenn Sie nicht wollen Achtung geben, so spielen Sie lieber nicht mit! « Robert wurde uͤber diese Worte so wuͤthend, daß er in dem Augenblick die Violine mit der groͤßten Gewalt zur Erde warf und sie in tausend Stuͤcken zertrat. Die Musik hoͤrte auf, und er stuͤrzte wie ein Loͤwe auf den Musikdirektor zu, um ihn zu mißhandeln. Der Professor T. (es dauert mich, daß ich diesen wuͤrdigen Mann wegen der vielen Lokalumstaͤnde, die dadurch verrathen wuͤrden, nicht nennen darf) faßte ihn auf dem Wege bei der Hand, und sagte mit einem traurigen Tone: Robert! Wie kaltes Wasser auf ein gluͤhendes Eisen; so diese Worte. Er fing an zu zittern und sank sprachlos ne -7 ben dem Professor T. auf einen Stuhl. Professor T. uͤberredete den Musikdirektor fortzufahren und endigte diesen Aufstand auf die gluͤcklichste Weise. Alle diese Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß, wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, ertraͤglich, ja sogar angenehm wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauskaͤme, die ihn zuweilen noch genoͤthigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln, und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich blos einige Freunde zu erwaͤhlen, und wenn er auch diese nicht antreffen sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos zu halten. Auf diese Art, glaubte er, wuͤrden die strengsten Gesetze seine Freiheit nicht einschraͤnken koͤnnen, weil er sich freiwillig bemuͤhen wollte, nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit waͤre, und nur gegen Ausschweifende, glaubte er, koͤnnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der Familienfreuden, die fuͤr ihn eben so suͤß und reizend als neu waren, entriß. Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm viel Thraͤnen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele, daß er diese Stadt nie wieder sehen wuͤrde. Seine Seele hatte also die8 vortreflichste Stimmung als er in Halle ankam. Sich das Wohlgefallen seiner Mutter, die Zufriedenheit des Professor T., die Liebe seiner Lehrer und die Achtung seiner Mitschuͤler zu erwerben, wollte er alle seine Kraͤfte anwenden. Ein Brief von seinem Verwandten dem Herrn Pastor L. sollte ihn bei dem Direktor des Waisenhauses dem Doktor Knapp einfuͤhren. Die vaͤterliche Behandlung dieses wuͤrdigen Mannes gefiel ihm ausserordentlich, und er schenkte ihm in dem ersten Augenblicke sein ganzes Zutrauen. Ein Auszug aus seinem Briefe an den Professor T. mag seine Ankunft auf dem Waisenhause beschreiben:

» Vierzehn Tage leb 'ich nun in Halle, doch nein, in Halle nicht, sondern auf dem Waisenhause! O ich habe schon vier Briefe an Sie angefangen, liebster Herr Professor, und alle hab ich sie zerrissen. Es war Lug und Trug ich wollte recht vergnuͤgt, ich wollte zufrieden schreiben, aber ich kann nicht, ich kann mich nicht verstellen, und vor wem soll ich mein gepreßtes und gedruͤcktes Herz sonst ausschuͤtten, wenn ich es nicht vor Jhnen thun darf? O wie sind meine Vorstellungen getaͤuscht dies Hauß scheint fuͤr Diebe und Moͤrder bestimmt zu seyn. *)*) Hier lasse ich eine ganze Stelle, die seine Unzufriedenheit in den heftigsten Ausdruͤcken an den Tag legt, weg. Man glaube ja nicht, daß ich durch die Bekanntmachung dieses Briefes eines traurigen aufgebrachten Juͤnglings dieser grossen Anstalt einen Streich versetzen will. Wenige denken wie Robert, und fuͤr diese Wenigen ist freilich das Waisenhauß nicht. Doch hoͤren9 Sie erst die ganze Geschichte dieser vierzehn Tage, und dann versagen Sie mir Jhren Trost und Jhren Rath nicht, denn ich weiß bald nicht mehr, was ich anfangen soll. Eine Viertelstunde bei Jhnen wuͤrde mir mehr helfen, als alle die Predigten und Gebete, die ich hier mit anhoͤren muß.

***

Den Dienstag fruͤh meldete ich mich bei dem Herrn Direktor, dessen Aufnahme meiner ganzen Erwartung entsprach. Jch faßte gleich ein solches Zutrauen zu ihm, als wenn er mein Vater waͤre, und er sprach lange und sehr guͤtig mit mir. Hierauf ließ er mich durch einen Waisenknaben zu dem Jnspektor S. bringen; wir mußten lange vor der Thuͤr warten; endlich trat ein weinender Knabe heraus, und uns wurde die Thuͤr geoͤfnet. Er stand an einem gruͤnen Schreibepult und fragte den Waisenknaben, ohne daß er uns ansah: Was bringt ihr? » Einen Novitius vom Herrn Direktor. « Gut! wie heißt ihr? fragte er mich, und schien mich durch das eine Brillenglas anzusehen. Jch sagte ihm Namen, Vaterstadt u. d.gl. Er gab mir hierauf einen Zettel, der mir die Stube10 anwieß, auf der ich wohnen sollte, und ließ mich zu dem Jnspektor bringen, der mich examiniren sollte*)*) Hier folgt eine Beschreibung des Examens, die sonderbar genug ist, die ich aber doch hier weglasse, weil sie nicht hierher gehoͤrt..

***

Jch wußte also nun, daß ich in Kleintertia sitzen wuͤrde. Auf meiner Stube wohnen neun, Grosse und Kleine. Jch bin einer der Groͤßten. Der Stubenpraͤceptor ist ein langer Mann, der sich aber wenig um uns zu bekuͤmmern scheint. Den Tag, als ich ankam, war er just verreißt. Die Schuͤler machten einen Kreis um mich, und thaten eine Menge neugieriger[ Fragen], die ich auch, so gut ich konnte und wollte, beantwortete. Endlich verliessen uns die andern und wir blieben ihrer neun allein. Der Senior (das ist einer, der unter denen Schuͤlern, die auf einer Stube wohnen, in der obersten Klasse sitzt) hohlte eine Pfeife unter dem Tische hervor, und fragte mich, ob ich Lust haͤtte eins mitzumachen? O ja, sagte ich, und hohlte meine Pfeiffe aus meinem Koffer. Wir rauchten also zusammen, und die andern laͤchelten. Nicht lange darauf kam ein Geistlicher herein, und es entstand ein allgemeines Gelaͤchter. Jch glaubte, man wollte diesen Mann verspotten; dies dauerte mich; ich11 ging ihm also entgegen und wollte ihn eben invitiren, naͤher zu kommen und sich niederzulassen und zu fragen, wen er hier suchte. Als ich aber die andern ansah, bemerkte ich, daß sie alle in einer demuͤthigen Stellung standen, und daß der Große die Pfeiffe versteckt hatte. Dies brachte mich auf die Gedanken, daß dies einer unsrer Vorgesetzten sei, und es war wirklich ein Jnspektor, der alle Tage einigemal die Stuben visitirt. Jch blieb also vor ihm stehen, und hielt meine Pfeiffe in der Hand. » Jhr boͤses Kind, sagte er zu mir in einem steifen Ton, und hob den Finger in die Hoͤhe, fangt Jhr mit solchen luͤderlichen Streichen Eure Lebensart hier an? « Jch ward uͤber und uͤber roth und merkte, daß mich dieser große Mensch hatte anfuͤhren wollen. Mein Blut kochte, und ich wußte nicht, wen ich zuerst anreden sollte. » Jch weiß zwar nicht, fing ich endlich an, worinn ich gesuͤndigt habe, aber ich vermuthe, das Tabacksrauchen ist hier verboten. Jst das, sagte ich zu dem Großen; so ist es ein sehr niedriger Streich von Jhnen, mich auf diese Weise anfuͤhren zu wollen. Dieser Mensch, sagte ich zu dem Jnspektor, hat mich dazu eingeladen! « Ei, fiel er ein, muͤßt Jhr denn solche Bosheiten mitmachen? Nehmt Euch in Acht. Gebt mir Eure Pfeife! » Diese Pfeife, sagte ich, ist mein! « Was? Jhr wollt Euch wiedersetzen? Er faßte meine Pfeife; Jch gluͤhte vor innrer Wuth, und wollte eben mein Eigenthum mit der12 Staͤrke der Faust vertheidigen, als das Bild meiner Mutter, das auf diesem porcellainenen Pfeifenkopf ist, mir auffiel, und stellen Sie sich vor, was ich that? ich ließ sie ihm. An dieser Pfeife, sagte ich mit einem angenommenen kalten Tone, liegt mir so viel nicht, aber ich versichre Sie, daß, wenn ich einmal weiß, daß es wider die hiesigen Gesetze laͤuft, auf der Stube Taback zu rauchen, ich dies recht gut werde vermeiden koͤnnen, wenn ich auch im Besitz dieser Pfeife bleibe. Ei, Jhr luͤderlicher Mensch, sagte der Jnspektor zu mir, Jhr sollt gar keinen rauchen, und schlug mich mit dem Pfeifenkopfe auf die Nase. Mein Herr! sagte ich hitzig Aber ich besann mich auch hier. Und Jhr, sagte er zu dem Senior, kommt einmal mit auf meine Stube, ich will Euch Euren Lohn geben. Dieser ging trotzig hinter ihm drein. Guͤtiger Gott! welche Behandlung! Jch lief in die Kammer, steckte meinen Kopf in das Bett, und zerriß vor Aerger mit meinen Zaͤhnen die Leinwand; endlich stuͤrzten grosse Thraͤnentropfen aus meinen Augen, und ich hatte alle Muͤhe, mich in eine solche Verfassung zu setzen, daß meine Nebenschuͤler die entsetzliche Zerruͤttung nicht merkten, die dieser Vorfall bei mir verursacht hatte. *) *) Hier folgt eine lange Betrachtung uͤber sich und seinen vorigen Zustand, die ich aber, um nicht zu weitlaͤuftig zu werden, auslasse.

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Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Jch setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Jch las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmoͤglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thuͤren gingen auf und zu, und der eine Schuͤler, der mir ein uͤberaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg der Jnspektor! Jch sah ihn an und lachte mit der groͤßten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? Romane nicht, uͤberhaupt deutsche Buͤcher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? Geht es wohl einem Gefangnen so?

Gegen Abend kam ein Student an des gewoͤhnlichen Stubenpraͤceptors Stelle. Die Schuͤler begruͤßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzaͤhlte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betaͤubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte uͤber verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Jhr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespraͤch gehoͤrt? Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu14 schoͤn, als daß ich es haͤtte ganz verhoͤren koͤnnen, aber Sie haben recht, ich habe wirklich viel verhoͤrt*)*) Hier folgt die ganze Unterredung mit ihm, die als Vorschrift dienen koͤnnte, wie man empoͤrte Gemuͤther zur Ruhe bringt; ich ruͤcke nur ein kleines Stuͤck mit ein..

***

Freilich, fuhr er fort, muß Jhnen dies alles sonderbar vorkommen, aber dergleichen Anordnungen sind hier noͤthig. Daß alle deutsche Buͤcher zu lesen verboten sind, ist falsch; das Verbot betrift blos schluͤpfrige Sachen und Romane. Zu solcher Lektuͤr hat ein hiesiger Schuͤler wirklich keine Zeit, wenn er nicht seine Schularbeiten vernachlaͤßigen will, und gesetzt, er koͤnnte auch einige Stunden darauf verwenden, so sind gewoͤhnlich junge Leute lange nicht genug vorbereitet, Schriften, die die Sinnlichkeit reizen, zu lesen. Daher waͤre es freilich gut, wenn eine besondre Stunde zur Anweisung solcher Schriften bestimmt waͤre, die junge Leute lesen sollten, und wenn die Gruͤnde vorgetragen wuͤrden, warum man das Lesen aller Schriften nicht zugeben koͤnnte.

15

Das Gespraͤch dieses Mannes war sehr lehrreich fuͤr mich und heiterte meine Seele wieder in etwas auf. Der Große war unterdessen wieder gekommen, und sah mich ziemlich haͤmisch an; man laͤutete zu Tische, aber ich blieb zu Hause, denn ich hatte weder Lust zu essen noch zu trinken. Jch war nun allein und uͤberließ mich ganz meiner schwaͤrmerischen Phantasie, rennte wie ein Rasender herum, und sprach fuͤr mich ganz laut. Es klinkte jemand; es war aber zugeschlossen; ich oͤfnete die Thuͤr und es war der Jnspektor; er hatte ein Paar lederne Handschuh in der Hand und schlug damit nach meiner Backe; zum Gluͤck fuͤr ihn bog ich aus; Jhr unordentlicher Mensch, sagte er zu mir, koͤnnt 'ihr denn nicht zu Tische gehn? Mich hungert nicht, Herr Jnspektor. Es wird Euch schon schmecken! kommt doch einmal mit heruͤber! Jch ging und er fuͤhrte mich an einen Tisch, worauf einige zinnernne Schuͤsseln mit Essen standen, da, sagte er, stellt Euch hin und eßt. Jch dachte, ich sollte vor Demuth in die Erde sinken, welch ein Ton! Jch nicht. Er sprach einiges mit mir. Aber ich merkte, daß ich ihm so wenig gefiel, als er mir. Man kam von Tische und er befahl mir auf meine Stube zu gehn und ruhig zu sein. Hier fand ich viele, die ich noch nicht gesehen hatte. Der Senior fragte mich, wo ich denn gesteckt haͤtte? Jch16 sah ihn veraͤchtlich an. Wir woll'n Jhm das Betzen*)*) So nennt man es auf dem Waisenhause, wenn einer den andern verraͤth oder anklagt, und wird fuͤr die niedertraͤchtigste Handlung bei den Schuͤlern gehalten. schon anstreichen! fuhr er fort. Nun konnt ich nicht laͤnger. Bube, sagt 'ich, schweig! Buͤrschchen, fing einer hinter mir an, und kriegte mich beim Ohrlaͤppchen. Jch riß mich los wie ein Rasender, ergrif eine glaͤserne Wasserbouteille, die auf dem Tische stand, und warf sie ihm mit solcher Gewalt an den Kopf, daß er uͤber und uͤber blutete. Jch faßte ihn, aber das Blut stroͤmte so warm uͤber meine Hand, daß ich sie zuruͤckzog. Man sagte zu diesem ganzen Auftritte kein Wort. Die Groͤßern liefen durch die Kammer und ich blieb mit einigen Kleinern zuruͤck. » Das war Recht, fing der Eine an, der denkt immer, er ist der Staͤrkste. « Jch schaͤmte mich, und sprach kein Wort, bis ich zu Bette ging.

Dies war mein erster Tag denken Sie sich alle diese Auftritte und dabei mich! Wie geliebt war ich in Jhrem Hause, und wie geehrt von meinen Mitschuͤlern! Jnzwischen verhielt man sich gegen mich ruhig, und ob ich mich gleich bis um zwoͤlf schlaflos im Bette herumwaͤlzte, so schlief ich doch von da an fest ein, bis mich ein ungeheurer Lerm um fuͤnf Uhr weckte. Jch sprang17 schnell heraus, und glaubte, es waͤre Feuer; es war aber nichts, als ein Kerl mit einem Hammer, der die Schuͤler alle Morgen auf diese Art weckt. Zween standen nach mir auf, die uͤbrigen aber schliefen ruhig bis gegen sieben. Jch konnte in diesen Morgenstunden nichts anfangen! Jch unterredete mich mit dem einem jungen Menschen wegen dieses Vorfalls und war neugierig, was daraus werden wuͤrde? Nichts, antwortete mir dieser, als daß Sie Kleinsekunda auf den Hals kriegen! Dies war also ein guter Anfang, mir die Liebe meiner Mitschuͤler zu erwerben. Jch kam nun in die Klasse. *)Hier folgt eine umstaͤndliche Beschreibung seiner Lektionen und der Lehrer.

Um neun Uhr mußten wir uns alle an die Wand auf dem Hofe stellen, um frische Luft zu schoͤpfen, aber keiner darf von der Stelle weichen. Wenn ich hier stehn muß, so schaͤme ich mich, wenn jemand vorbei geht, und glaube noch unter dem Viehe zu stehn. Ein Viertel auf zehn ging es herauf, aber es kam kein Lehrer. Es wurde unvernuͤnftig gelermt. Der Eine kam zu mir und wieß mir den Staͤrksten, welcher N.. oldi hieß und eine grosse ungeheure Maschine war. Die andern neckten ihn, wie kleine Hunde einen grossen; er warf bald hier bald da einen von sich, drehte ihnen den18 Arm auf den Ruͤcken, und gab ihnen Faustschlaͤge. Endlich wettete er, ein Dintefaß, dergleichen hier auf allen Tischen mit grossen Naͤgeln zum oͤffentlichen Gebrauch befestigt sind, mit einem Tritt abzustoßen. Viele, die sich stark duͤnkten, versuchten es vorher, aber es gelang keinem; er invitirte auch mich, und schien es besonders meinetwegen veranstaltet zu haben, um zu sehen, was ich vermoͤge. Jch sagte aber, daß ich es gewiß nicht koͤnnte. Endlich trat er es mit leichter Muͤhe, daß es bis an die Thuͤr flog und viele mit der Tinte besudelte. Alle lachten ihm Beifall. Seht, rief er nun, laßt einmal die Kleinsekundaner kommen! Fuͤrchten Sie sich nicht, sagte er zu mir, ich stehe Jhnen bei.

Jch verstand hiervon kein Wort, und der Mensch schien mir so roh, daß ich ihn nicht einmal um eine Erklaͤrung bitten wollte.

Gegen fuͤnf wurde zu einem Spatziergange gelaͤutet; wir mußten uns Klassenweise versammeln, und alsdann paarweise vor einem Jnspektor vorbeimarschieren, der uns wie Musketier musterte. Ein Lehrer ging voran und einer hinterdrein; sie unterschieden sich dadurch, daß sie einen Stock trugen. Jch konnte keinen finden, mit dem ich Lust gehabt haͤtte zu gehn, ich kam also ganz zuletzt in einer ziemlichen Entfernung von den uͤbrigen. » Haltet Euch zum Coͤtus! « rief der Jnspektor. Jch schloß mich also schnell an den letzten Mann an, denn ich glaube, der Klaps mit der Pfeife, und die ledernen19 Handschuh hatten mich furchtsam gemacht. Wir gingen auf dem Felde an einer langen Mauer herunter; ein Haufen kleinerer Menschen nahm neben uns einen andern Weg, worunter ich den kleinen Wollenberg aus Prismark entdeckte. Jch rief ihn an, und er wunderte sich sehr, mich hier zu sehen. Er hat eine ungesunde Farbe, aber durch sein lebhaftes Sprechen verliert sie sich. Jch sprach viel von seinen Verwandten und auch von Jhnen mit ihm, und er versicherte mich, daß es ihm hier weit besser gefalle, als in Stettin. Sehn Sie, rief er, als wir ein Stuͤck zusammen gegangen waren, Jhr Coͤtus kriegt Schlaͤgerei mit den Sekundanern. Jch sah einen Haufen dem meinigen entgegenkommen, und hoͤrte die Praͤceptoren laut sprechen. Auf einmal breiteten sich beide Theile aus, und einige theilten Knuͤppel aus, die sie aus den Garben holten. Jetzt standen sie wie zwei in Schlachtordnung gestellte Armeen; ich war von diesem neuen Auftritte wie betaͤubt. Man rief wie rasend meinen Namen. Gehn Sie doch, sagte der kleine W., Sie sollen helfen! Ein großer Stein fiel vor meinem Fuße nieder, und sie schleuderten eine große Menge aus Schnupftuͤchern nach mir. Jch trat einige Schritte zuruͤck, und lehnte mich, um den Ruͤcken frei zu haben, an einen Kornhaufen. Beide Partheien geriethen nun aneinander, und schlugen wie rasende Menschen auf sich los; endlich siegte mein Haufen, und der andre wurde20 mit großem Geschrei verfolgt. Die vier Praͤceptoren standen in der Ferne und sahen zu, und giengen, als die Schlacht vorbei war, ganz ruhig hinter ihrem Haufen her. *)*) Dieß war auch das Beste, was sie thun konnten, denn ihre Gewalt geht nicht weiter. Jch folgte meinem Coͤtus; kaum aber hatten sie mich erblickt, so hoͤrte ich ein verwirrtes Murmeln und Schimpfen. Jch wußte noch nicht, daß dieß mir galt. Endlich kam der große N. .oldi auf mich los von der Seite und gab mir einen empfindlichen Schlag auf den Kopf. Verfluchte Memme, schrie er, deinetwegen ist der ganze Streit, und du laͤufst davon! Jch glaube nicht, daß ich ihm etwas antwortete, ich drehte mich aber um, und trat das große Ungeheuer, daß er zur Erde stuͤrzte, drehte ihm seinen großen Knuͤppel aus der Faust, und vergalt ihm den Schlag so reichlich, daß ich selbst glaube, ich habe ihm zuviel gethan. Jch sprang auf, und machte mich auf die blutigste Scene gefaßt; aber es wagte sich keiner mehr an mich. Wirklich weiß ich nicht, was mir immer so gluͤcklich durchhilft; es waͤre dieser Menge ein Kleines gewesen, mich zu mißhandeln, und doch kam keiner, selbst auf mein wiederholtes Fodern, nicht. Endlich schrie einer, ich sollte mich vertheidigen, warum ich der Klasse nicht beigestanden? Kleinsekunda haͤtte mich heraushaben wollen, und sie haͤtten sich fuͤr mich geschlagen. Jch bedauerte, daß sie das gethan haͤt -21 ten, und versicherte sie, daß ich davon keine Silbe gewußt. Der Große verlangte, ich sollte mich auf einem freien Platze mit ihm balgen, damit er sich seine Ehre wieder erwerben koͤnne. Jch sagte ihm, ich wuͤrde dieß nicht thun. Der eine Lehrer mischte sich drein, und suchte ihn zu einer Aussoͤhnung zu bewegen. Dieß wollte er auch thun, wenn die Klasse es zugaͤbe, und oͤffentlich gestuͤnde, daß seine Ehre nichts dabei litte. Dieß thaten sie durch einen lauten Zuruf; er gab mir die Hand, und ich mußte an seinem Arme nach Hause gehen. Von diesem allen erfaͤhrt der Jnspektor kein Wort.

***

Am Donnerstage erhielt ich Nachricht von meiner Schwester aus Frankfurt, daß sie nun wirklich mit dem Major du B. verlobt sey. Jhre Laune und ihr Gluͤck schenkten mir den ersten gluͤcklichen Tag in diesem Kerker; ich wurde so heiter und so froh, als ob ich noch in ihrem Hause waͤre; ich arbeitete mit Lust, und alles ging treflich. Um diesen Tag recht vergnuͤgt zu beschließen, wollte ich den Abend bei dem Herrn Magister Herrmann zubringen, an den Sie mich empfohlen haben. Um recht vorsichtig zu gehen, sagte ich zu einem Schuͤler, er moͤchte mich bei dem Stubenlehrer entschuldigen, wenn ich etwa spaͤt zu Hause kaͤme. Mit dieser vergnuͤgten Seele kam ich bis an die Apotheke des Waisenhauses. Wo wollt Jhr hin? rief mir ein Mensch nach, der hoͤch -22 stens zwei Jahre aͤlter war, als ich. Aus diesem Jhr schloß ich, daß dieß wohl ein Jnspektor seyn muͤsse. Jch nahm also meinen Hut ab, und sagte: Jch will nur eine kurze Visite geben. » Narr! sagte er, habt Jhr denn einen Zettel? Wie denn? Einfaͤltiger Knabe, stellt Euch doch nicht so dumm! marschirt den Augenblick auf Eure Stube! « Es stund ein Cirkel Studenten um ihn herum, die lachten mich aus, und ich stand da, wie ein Mensch, der nichts thut, weil er glaubt, er traͤumt. Der Fall von meiner stolzen Freude uͤber das Gluͤck meiner Schwester bis zu dieser tiefen Demuͤthigung war so groß, daß er mich ganz gedankenlos machte. Endlich besann ich mich, und fuhr hitzig auf ihn hinein: Herr, sagte ich, denken Sie denn, ich bin ein Kind! Er trat einige Schritte zuruͤck, und ich glaube, der Elende erschrack, denn er sagte: Nun, so geht nur! Jch war aber viel zu aͤrgerlich, als daß ich nun haͤtte sollen einen Schritt weiter gehn. Jch kehrte um, und ging auf meine Stube. Sind Sie geschossen? *)*) Heißt auf dem Waisenhause so viel, als gesehen von einem Jnspektor auf einer unerlaubten That ertappt. sagte ein kleiner Schuͤler zu mir. Was wollen Sie damit? Jch meine, ob Sie der Schießhund nicht durchgelassen hat? So nennt man hier diesen Jnspektor, der die Aufsicht uͤber das Ausgehn der Schuͤler hat, allgemein. Jch hoͤrte23 dieß alles zum erstenmale, und war aufgebracht genug, mich uͤber diesen Beinamen zu freuen, und uͤber sein Amt zu spotten. Jch habe nun erfahren, daß man ohne einen ausdruͤcklichen Erlaubnißschein von dem Jnspektor nicht zehn Schritt von seiner Wohnung gehen darf, und selten erhaͤlt man ihn. Jch habe mir daher vorgenommen, dieß Gesetz wirklich zu halten, so lange ich in diesem Gefaͤngnisse sitzen muß, und ich will doch sehen, ob ich es werde so weit bringen, diese Gesetze alle zu halten. Jch habe schon angefangen, mir ein Verzeichniß davon zu machen. *) *) Das Uebrige dieses Briefes hab ich verlegt.J.

Wirklich hielt er auf das eigensinnigste alle Gebote, die er erfahren konnte, und sah die ganze Zeit uͤber Halle nicht, als von den Bergen auf seinen Spaziergaͤngen. Seiner Mutter schrieb er, daß es ihm in Halle ziemlich wohl gefiele, und daß er hofte, er wuͤrde sich recht gut in die Ordnung finden lernen. Seinem Vetter, dem Pastor L., meldete er etwas mehr von seinen wahren Empfindungen, und seiner Schwester in Frankfurt entdeckte er sich ganz, weil er glaubte, sie wuͤrde es bewirken koͤnnen, daß er zu ihr nach Frankfurt zoͤge, und die dasige Schule besuchte. Allein er erhielt eine kalte gleichguͤltige Antwort. Der Pastor L. warf ihm Eigensinn und Stolz vor, und die Antwort seiner Mutter war voll24 zaͤrtlicher Freude uͤber seine geaͤußerte Zufriedenheit, doch nicht ohne Bekuͤmmerniß fuͤr die Zukunft, die vielleicht der Pastor L. noch mochte vermehrt haben. Diese Briefe hatten verschiedne Wirkungen auf ihn. Gegen seine Schwester faßte er einen Groll, weil er glaubte, einen andern Ton in dem Briefe der Majorin zu finden, als in den Briefen der buͤrgerlichen Schwester; sie hatte ihm einen Dukaten beigelegt; er schickte ihr denselben aber wieder zuruͤck, und hat nie wieder an sie geschrieben. Den Pastor L. fing er an zu verachten, und auf den Brief seiner Mutter stroͤmten bittre Thraͤnen herab. Aus des Professor T. Briefen schoͤpfte er Rath, Trost, Muth und Hofnung einer bessern Zukunft. Sechszehn Wochen hielt er dies Leben aus. Da er aber sah, daß ihm alle seine Projekte, die er in ruhigen Stunden zur Veraͤndrung seines Auffenthalts gemacht hatte, fehl schlugen; so brachen auf einmal alle seine Leidenschaften los, er raßte und seine Phantasie mahlte ihm den tiefsten Abgrund vor die Augen. Wo er ging machte er Bewegungen mit den Haͤnden, die seine schrecklichen Leidenschaften ausdruͤckten, und wenn er irgend glaubte allein zu seyn, hielt er stundenlange Selbstgespraͤche. Jn einem solchen Anfalle von innerlicher Wuth ging er die Treppe herunter und trat, unversehens, weil er nichts vor und um sich bemerkte, dem Jnspektor mit einem schmutzigen Stiefel auf seinen neuen Schuh. Robert trat erschrocken zuruͤck, und wollte sich entschuldigen; er -25 hielt aber, eh 'er dazu kommen konnte, eine Ohrfeige. Dies machte ihn rasend; er stieß fuͤrchterliche Fluͤche aus, schlug nach dem Kopfe des Jnspektors, der aber ausbog, und traf sich mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß seine Hand blutete. Der Jnspektor nutzte diesen Augenblick und wischte in eine Stube, die er schnell hinter sich zuwarf. Robert rennte mit seinem ganzen Koͤrper dagegen und sprengte sie auf. Er ergrif einen Stiefelknecht, der im Wege lag, fand aber keinen mehr, an dem er seine Rache haͤtte auslassen koͤnnen. Dies war fuͤr beide sehr gut. Er ging hierauf mit verstellter Ruhe auf seine Stube, zog ein Kleid unter seinen Oberrock, packte alles was herumlag in seinen Koffer, und steckte drei Dukaten zu sich, die er vor wenig Tagen von einem Onkel bekommen hatte; schloß dann seinen Koffer zu, und ging einigemal in der Stube hin und her, vielleicht um sich zu besinnen, was er in diesem Augenblicke thun wollte. Jndem trat der Aufwaͤrter herein und foderte ihn zum Jnspektor S. Die Schuͤler hatten sich truppweise versammelt, um zu sehen, was aus dem Dinge werden wuͤrde. Jch werde kommen, rief er, in der halben Stunde, denn jetzt bin ich nichts da nutze. Er fing nun an zu uͤberlegen, was er gethan hatte, aber er konnte sich nicht schuldig finden: er machte sich also auf eine Vertheidigung bei dem Jnspektor S. gefaßt, und glaubte, man wuͤrde ihm, wenn man ihn gehoͤrig vornaͤhme, wohl eine Abbitte auflegen. Er zog wirklich seinen26 Oberrock wieder aus, und ging zum Jnspektor S. Zwei Kerl standen mit Pruͤgeln in der Thuͤr, und der Jnspektor schrie ihm entgegen: Nun! wo bleibt Jhr denn so lange? Hat's man Euch nicht gesagt? O ja, Herr Jnspektor, aber ich war nicht faͤhig, ehr vernuͤnftig mit Jhnen zu sprechen; ich wollte erst meine Hitze vorbei lassen! Ei! Hitze! sagte S. wir woll'n Euch schon Eure Hitze abkuͤhlen. Jetzt sollt Jhr Eure Pruͤgel fuͤr Euren boshaften Streich haben! stellt Euch' rum! Pruͤgel, fuhr Robert auf, und das so schnell! hoͤren Sie mich erst! Wollt Jhr auch noch raͤsonniren, Bube! 'rum, sag' ich! Er faßte ihn hier bei der Brust! Herr Jnspektor, rief Robert, maͤßigen Sie sich, und riß sich von ihm los. Daraus wird nichts. Wer mich anruͤhrt, den tret ich mit Fuͤssen. Packt ihn an, rief er den Aufwaͤrtern zu. Robert aber stieß den einen, der auf ihn los kam, mit großer Gewalt in die Stube hin. Sie sind ein Esel, sagte er zum Jnpektor; ich mag mich von Jhnen nicht richten lassen. Leben Sie wohl. Jndem oͤfnete er die Thuͤr und trat heraus. Die Schuͤler standen auf dem Flur und freuten sich uͤber den alten Aufwaͤrter, der noch auf der Erde lag, eingedenk so mancher Empfindungen, die er auf ihrem Buckel und Hintern verursacht haben mochte. Der andre lies ihn ruhig davon gehn, und von den Schuͤlern ward er wie ein Sieger die Stufen herunter begleitet. Der Jnspektor rief umsonst, man sollte ihn halten. Er27 ging langsam und unangeruͤhrt aus dem Waisenhause hinaus.

(Die Fortsetzung folgt.)

II. Auszug aus einem Briefe.

16

Folgende beide Vorfaͤlle von Selbstmord ereigneten sich im Monat May d. J. Der eine in der Nacht vom 16-17ten in Koͤnigsberg, der andere den 18ten Morgens um 10 Uhr in Jnsterburg.

Der erste Beitrag ruͤhrt vom Hofrath Dokt. Med. und Kreisphysikus Herrn18Johann Daniel Metzgerin Koͤnigsberg her, und ist so vollstaͤndig, daß ich noch etwas hinzuzufuͤgen fuͤr uͤberfluͤßig halte. Der andere Aufsatz, und zwar der zweite Abschnitt, hat den Regierungs - und Hofgerichtsrath Herrn19Carl George Gottfried Glavein Jnsterburg zum Verfasser, und bei diesem bemerke ich, daß der Ungluͤckliche, der den ersten Abschnitt aufsetzte, der hiesige Hofgerichts-Assistenzrath20Clooßwar.

Jnsterburg den 24sten Februar 1783.

21Woͤrk,Hofgerichts-Secretarius.

28

III. Geschichte eines Selbstmords aus Verlangen seelig zu werden.

22

Man hat wohl oͤfters Beispiele von Selbstmord aus Verzweiflung, Ueberdruß des Lebens, und aͤhnlichen Ursachen gesehen, aber einzig in seiner Art, und seltsam ist der Selbstmord aus uͤbertriebener Froͤmmigkeit und Verlangen, seelig zu werden, wovon ich vor kurzem ein Beispiel erlebt, von welchem ich, weil ich glaube, daß es zur Befoͤrderung der Menschenkenntniß etwas beitragen kann, den Verlauf erzaͤhlen will.

Dorothea R.. in, eine hier gebuͤrtige ledige Person von 38 bis 40 Jahren war der Herrnhutischen Bruͤdergemeine einverleibt, dabei kraͤnklich, mehrentheils bettlaͤgerig. Diese Person, welche beinahe immer einen von ihren leiblichen Bruͤdern oder Schwestern bei sich hatte, die ihr aus Geschwisterliebe zur Hand giengen und Gesellschaft leisteten, foderte in der Nacht vom 16ten zum 17ten May a. c von dem bei ihr seyenden Bruder ein Messer, welches er ihr auch, nichts Arges vermuthend, zureichte, bald darauf verlangte sie auch eine Scheere, welche er ihr aber entweder auf der Stelle nicht schaffen konnte, oder nicht schaffen wollte. Kurz hernach bemerkte er, daß sie unter Zuckungen den Geist aufgab, und als er zusprang und Blut entdeckte, so fand es sich bei29 naͤherer Untersuchung, daß die Verstorbene sich mit dem ihr gereichten Messer eine Wunde in den Unterleib beigebracht, und sich verblutet hatte. Die Obrigkeit, welcher der Zufall gemeldet wurde, ließ sogleich eine Obduction anstellen. Man fand eine Wunde am Unterleib vier Zoll lang von außen, drey von innen, durch welche die Gedaͤrme hervorgedrungen waren; sie war ungleich und folglich durch wiederholtes Ansetzen des Messers verursacht. Am untersten Winkel der Wunde war die Arteria epigastrica verletzt, und daher die Verblutung entstanden.

Ein Umstand war zwar hierbei verdaͤchtig. Der Bruder war bei der Schwester allein gewesen, und hatte, ehe die versammelten Geschwister beschlossen, die Sache pflichtmaͤßig anzuzeigen, das Messer ins Wasser geworfen. Er wurde daher zwar auch eingezogen, allein es mittelte sich bald aus, daß er ihr Moͤrder weder war, noch seyn konnte, und daß bloß das Vorurtheil, ein Selbstmord und die darauf folgende gerichtliche Untersuchung bringe Schande auf eine Familie, ihn veranlaßt, das Messer wegzuwerfen, um die Sache desto besser geheim halten zu koͤnnen. Jn der Mine der Verstorbenen herrschte noch Ruhe und Heiterkeit des Gemuͤths; keine Spur irgend einer anderweitigen Gewaltthaͤtigkeit aͤußerte sich an dem Koͤrper.

Mir schien der Vorfall nicht sowohl der Toͤdtlichkeit der Wunde, als des Beweggrunds wegen, welcher die Verstorbene zum Selbstmord mochte ver -30 anlaßt haben, merkwuͤrdig. Jch gab mir daher Muͤhe, eine genaue Erkundigung von ihrer Gemuͤthsbeschaffenheit einzuziehen. Ein Tagebuch der Bruͤdergemeinde, welches Denkspruͤche aus der heiligen Schrift auf jeden Tag im Jahr enthaͤlt, fand sich aufgeschlagen nahe bei dem Bette der Verstorbenen, und der diesem Tage gewidmete Spruch konnte wuͤrklich als ein Abschied aus der Welt ausgedeutet werden, wiewohl ich mich des eigentlichen Jnhalts nicht mehr erinnere. Jch wand mich an einen der Bruͤder, welcher mir ein Mann von gesundem, schlichtem Menschenverstand zu seyn schien; (er war es, der darauf gedrungen hatte, den Vorfall der Obrigkeit anzuzeigen) ich that die Frage an ihn, ob die Schwester wohl melancholisch gewesen, oder an ihrer Seeligkeit gezweifelt habe? Niemalen, sagte er, habe man etwas Unrichtiges in ihren Reden bemerkt, und an ihrer Seeligkeit habe sie so wenig gezweifelt, daß sie vielmehr ihm und den uͤbrigen Geschwistern als weltlichgesinnten sehr oft die ewige Verdammniß gedroht, wenn sie nicht eben denselben Weg des Heils einschluͤgen, wie sie. Sie habe seine Frau veranlaßt, ebenfalls in die Bruͤdergemeine zu treten, welches ihm um destomehr zum Verdruß und Plage gereiche, da sie nun die Haushaltung uͤber dem oͤftern Beten und Heiligung der vielen vorkommenden Feyertage vernachlaͤßige; er habe sich aber besonders bei Lebzeiten seiner Schwester desto weniger hieruͤber auslassen duͤrfen, da ihm dieselbe jederzeit die ewige Ver -31 dammniß angedroht, wenn er seiner Frau in ihren gottseeligen Uebungen das geringste in den Weg legte.

Wahnsinn also laͤßt sich bei dieser Person nicht vermuthen, wenn man nicht den aufs hoͤchste gestiegenen Religionsenthusiasmus mit diesem Namen belegen will.

Besonders aber ist bei diesem Vorfall merkwuͤrdig:

1) Daß der 17te des Maymonats ein großer Festtag bei der Brudergemeine ist, und daß die Verstorbene gerade den Tag erwaͤhlte, um heimzugehen, und der ewigen Seeligkeit theilhaftig zu werden. Auch bereitete sich

2) Die Verstorbene sehr feyerlich zu ihrem Tode, indem sie sehr oft, doch jedesmal nach einer langen Zwischenpause, mit immerfort gefaltenen Haͤnden ausrief: Jn deine Wunden, mein Heiland Ja? ja!

So dialogirte sie im Nahmen des Heilandes mit sich selbst, der anwesende Bruder, welcher dergleichen feurige Andachten schon an ihr gewohnt war, argwoͤhnte nichts Bedeutendes in diesen Worten; und sah den Sinn davon erst nach Endigung des Trauerspiels ein.

3) So wahrscheinlich es ist, daß die Verstorbene mit der verlangten Scheere ihre Wunde, die ihr anfaͤnglich vielleicht noch nicht gros genug schien, zu erweitern im Sinn hatte, so wahrscheinlich ist es auch, daß diese Wunde in der Seite des Unterlei -32 bes eine Nachahmung der Seitenwunde des Heilandes seyn sollte, als wodurch sie demselben auch in ihrem Tode aͤhnlich zu werden hofte. Jedoch wenn wir auch diese Vermuthung auf ihren Werth und Unwerth beruhen lassen, so bleibt immer ein praͤmeditirter Selbstmord durch Froͤmmigkeit und Sehnsucht nach dem Heiland veranlaßt, eine sehr auffallende Begebenheit. Sie ist ein Raͤthsel, dessen Aufloͤsung ich denjenigen uͤberlasse, deren psychologisch-theologische Kenntnisse weiter gehen, als die meinigen. Fuͤr die Wahrheit der Thatsache bin ich Buͤrge.

24J. D. Metzger,Doct. Med. Hofrath und Kreisphysikus in Koͤnigsberg.

IV. Eigener Aufsatz von einem Selbstmoͤrder unmittelbar vor der That.

25

Es hat dem Allmaͤchtigen gefallen, meinen Verstand zu schwaͤchen, meine Denkkraft zu zerruͤtten, und mich zu Erfuͤllung meiner Pflichten unfaͤhig zu machen. Mein Blut wallt seit der Zeit in verzweifelnden Schlaͤgen, und ich muß ihm Luft machen. Wie? ich bekleide einen Dienst ich schaͤnde ihn, indem ich seinen Pflichten nicht genuͤge33 ich hindere einen besseren Menschen, ihn wuͤrdiger zu bekleiden?

Dieß kleine Brodt, uͤber das ich klagen muͤßte, daß es mich und mein Haus nicht ernaͤhren kann auch das verdien 'ich nicht? auch das esse ich mit Suͤnden? und ich athme noch? und ich! Toͤdtender Vorwurf, den ein wohlbehaltenes Gewissen mir macht Ja! eine Gattin und ein Kind, das mir sein Daseyn vorruͤckt erfordern meine Vorsorge Aber ihr wißt nicht Jhr meine Angehoͤrigen, daß wenn mein ungluͤckliches Wesen nicht ploͤtzlich aufgeloͤset wird meine geschwaͤchte Geisteskraͤfte euren Beistand erfodern, und ich statt zur Huͤlfe euch zur Last seyn werde! Besser, daß ich beizeiten meinem Ungluͤck ein Opfer werde, als daß mein Stand, wenn die Taͤuschung auch noch lange waͤhrte, die letzten Pfennige des Erbtheils meiner armen Gattin aufzehre Wie sehr hat mich jede kleine Post, die ich davon zu Beduͤrfnissen, die gemein waren, aufnehmen mußte, weh' gethan, ohne daß meine Gattin meine Thraͤnen verursacht oder gesehen hat Es ist Pflicht fuͤr jeden, das zu thun, was ihm am zutraͤglichsten ist das fordert Vernunft dasselbe die Religion Mein Leben, so wie es jetzt ist, ist ein thierisches, vernunftloses Leben es genuͤgt nicht seiner Bestimmung, nicht seinen Pflichten Ein pflichtwidriges Leben ist fuͤr mich moralischer Tod, und dieser aͤrger, als der physische 34 fuͤr die wenigen, denen ich nun schon ihr Daseyn nicht erleichtern kann, ists wenigstens Pflicht, es ihnen nicht zu erschweren, und eine Buͤrde ihnen abzunehmen, die uͤber kurz oder lang sie druͤcken muͤßte.

Ein spaͤterer Absatz, einige Monate nach vorstehendem geschrieben.

Jch setze die Gedanken auf, die ich schon vor wenigen Wochen hatte, meinem ungluͤcklichen Leben ein Ende zu machen, und mein Herz recht vor mir selbst auszuleeren und zu ergruͤnden Taͤuschende Hofnungen eines ertraͤglicheren Zustandes setzten meine verzweifelnden Entschluͤsse bisher aus Nun habe ich noch das liebe Kind verloren Jch Unsinniger ganz widersinnisch schmerzt mich sein Verlust, da ich doch Gott preisen sollte ihn allen Leiden entruͤckt, meinen Sorgen ihn entnommen zu haben Mein Hoffen der verlornen Geisteskraͤfte ist vergebens gewesen mein Kopf versagt mir noch die kleinsten Dienste, und die laͤppischsten Beschaͤftigungen wollen ihm nicht gelingen.

Jetzt ist es Zeit, den ungluͤcklichen Lebensfaden zu zerreißen, jezt, da meine Gattin von der Sorge fuͤr ein verwaistes Wesen frei ist, bevor noch taͤuschende Augenblicke einer vorbeirauschenden Freude mich dahin fuͤhren, Abkoͤmmlinge meines jetzigen trauervollen Zustandes in die Welt zu setzen. Und welch ein quaͤlender Vorwurf, der Urheber des Ungluͤcks anderer zu seyn!

35

So blute dann dein Herz, armes Weib einmal muß es doch bluten, und gewiß laͤnger, gewiß gefaͤhrlicher, wenn meines nicht verbluten sollte Mein Kopf sollte meine und deine einzige Stuͤtze seyn hoͤrt er auf, es zu seyn, so wird er Last mir und dir und was hilft ein Herz ohne Kopf eine Larve ohne Gehirn deinem ungluͤcklichen Gefaͤhrten.

Dieß sey dein Trost, du verlierst keine Stuͤtze, sondern eine Buͤrde, und er laͤsset dir wenigstens keine Erben seines Elendes dir zur Last.

Meinen Trost mag meine Asche finden, wenn sie in Luͤften zerstaͤubt.

Deine Standhaftigkeit ist jezt mit mein Trost, sie uͤbertrift hunderte meines und tausende deines Geschlechts Du hast als Mutter und Gattin deine Pflichten stets treulich erfuͤllt, und das giebt dir die gerechtesten Anspruͤche an deiner Nebenmenschen Huͤlfe, die nicht Barbaren sind Gott, der mir seinen Schutz versagte, sey mit dir Dein Gluͤck ist noch nicht verdorben wie es durch die Fortdauer meines ungluͤcklichen Lebens werden koͤnnte.

Neuer Absatz.

Beynahe vier Monate habe ichs von neuem gewagt zu leben, aber mein Elend hoͤrt nicht auf das hin und wieder gehabte Vergnuͤgen war Blendwerk, und konnte die gewissere Stimme, mit mei -36 nen Pflichten uneins zu seyn, nicht ersticken; auch der einzige bisherige Trost, daß mein Ungluͤck nicht meine Schuld ist, verlaͤßt mich So hilf mir denn mein Gott die Huͤtte gaͤnzlich zerbrechen, die du als die meine mir gabst, und die Pflicht gegen mich und andere zu verlassen gebietet.

15. Mai 1783.

Letzter Absatz vom 18ten May, am Tage der Entleibung.

Nun noch eine kleine Erklaͤrung, wills Gott, die letzte an die, die im Leben mich ihrer Freundschaft, Gewogenheit und Theilnehmung, und daß ichs recht sage, Mitleids wuͤrdigten. Mitleids wie grausam, wie erniedrigend, wenn man nichts als Mitleid erwarten kann, wenn man auf eigene Mittel, auf eigenen Trieb zu seinem Fortkommen entsagen muß.

Wie demuͤthigend dieß sey wie schaudernd der Gedanke, seine Pflicht hintanzusetzen, seinen Amtseid zu vernachlaͤßigen, dem, der Jahre lang darinnen seine Genugthuung, seine Wollust gesucht hat sey Gott bewußt Behalte ich nach diesem Leben noch Freunde, nu dann weihet meinem ungluͤcklichen Andenken eine mitleidige Zaͤhre!

Jch danke denn Gott, der uns alle schuf, fuͤr unzaͤhlige gluͤckliche Vorfaͤlle, die er nicht selten auch mir hat zufließen lassen aber nun erschwert das Andenken verlebten Gluͤcks meine Verzweiflung.

37

Jhr, die ihr nach den Buchstaben der Schrift lebet, ruft sie nicht auch euch zu: aͤrgert dich dein Auge, so reiß es aus, deine Hand, dein Fuß, so haue ihn ab. Wenns nun der Kopf ist, der mich aͤrgert, warum soll ich mich seiner auch nicht entledigen?

Mein Leben war ein Geschenk Gottes er lieh es mir, um zu meinem und meiner Nebenmenschen Vortheile damit zu wuchern Diese Aussichten sind nun nach vielfaͤltigen Versuchen fuͤr mich verloren ich bringe es also dem zuruͤck, der mir es gab, unfaͤhig, den Gebrauch, wozu er mir es lieh, davon zu machen.

Jch rufe dich, mein Gott! noch hier zum Zeugen, daß ich nicht Gutes that, weil ich Belohnung hofte, nichts Boͤses ließ, weil ich vor ewigem Feuer mich fuͤrchtete Nein, weil ich glaubte, daß dieß meinem Gotte, den ich unverfaͤlscht als meinen Herrn, als ein unendliches Wesen ehrte, gefaͤllig seyn wuͤrde wie sollte ich wider ihn murren, daß er mich mit Sinnlosigkeit strafte Viel Tausende leben gluͤcklich, und ihr Schicksal entscheidet fuͤr seine unendliche Guͤte.

Nicht meinem Eide kann ich gerecht werden denn der Kopf schwaͤrmt, stockt, wenn er seinen Pflichten nachgehen soll [ Partheyn], deren Zutrauen, deren Gerechtsame mir heilig seyn sollen, leiden, und ich schaͤnde durch eine unwillkuͤhrliche Unthaͤtigkeit ein ansehnliches Collegium, dessen Mit -38 glied ich geheißen habe Jch soll meine Gattin versorgen, und die Quelle eigener Erhaltung versiegt Jch war der Stolz meiner Verwandten, und ich soll nun ihre Schande werden was bleibt mir Armen noch uͤbrig nichts, als hinzukehren, wo ich herkam Es ist nicht Standhaftigkeit der Seele dieser Entschluß, wiewohl man Weise darum fuͤr weise gehalten, weil sie ihn ergreifen konnten. Aber es ist Noth, die meine Seele aus dem Zirkel draͤnget, worinnen sie bisher als ein Fremdling gewandelt hat Du wirst sie nicht darum verwerfen, mein Gott! Und solltest du sie in Staub und Asche gleich der zerbrechlichen Huͤtte verwandeln, so ist ihr Schicksal ertraͤglicher, als Schade und Nachtheil einem ganzen Staate, oder doch einer ganzen Familie, deren Wohl dem Beherrscher der Menschen mehr als das Wohlseyn Eines Menschen am Herzen liegen muß, Jahrelang zu verursachen.

Wie danke ich dem uͤber alles wuͤrdigen Herrn Hofgerichtsdirektor fuͤr die mir bewiesene Nachsicht mit meiner Schwachheit, ohne welche ich unbedacht diesen Schritt schon lange unternommen haben wuͤrde, den ich nun nach vielen mißlungenen Proben, das ungluͤckliche Leben thaͤtig zu verleben, verschoben, und nun erst dazu schreite, da die vergeblichen Versuche mich uͤberzeuget, daß mein Hoffen thoͤricht sey Wie beruhigt mich der Gedanke, diese Ueberzeugung zu haben!

39

Man ergruͤnde meine jetzige Geisteskraͤfte, besonders wenn sie auf Arbeiten, die mein Fach sind, angewandt werden, man wird finden, daß sie so wenig als gar nichts leisten Der Kopf verliert sich in Gruͤbeleien, in dem Wunsche, alles recht zu machen, und in der Besorgniß, die die Folge begleitet, nichts Vernuͤnftiges hervorzubringen Man balancire dagegen den großen Umfang meiner Pflichten und wie richtig wird der Schluß: daß zum Tollseyn nichts uͤbrig bleibt Jsts nun nicht vernuͤnftiger, der Rechnung ein Ende zu machen, als die unvermoͤgenden Geisteskraͤfte mit mehreren Schulden zu haͤufen? Nicht besser, die Null davon zu ruͤcken, auszustreichen, als durch sie tausend Uebel entstehen zu lassen?

O moͤchte die Nachwelt dieß zu meiner Entschuldigung dienen lassen! Dank dir, lieber Gott, wenn du mit mir mein Elend hinwegschafst, und o, moͤchtest du alles Unheil andern Menschen auf eine gelindere Art abnehmen! Dir sey meine gute, wuͤrdige Gattin zur bessern Versorgung empfohlen Oefne ihr die Augen, daß sie durch meinen Verlust nicht verliert, sondern gewinnt Die Reichen unter ihren Verwandten muͤssen vor der Hand und dann wollest du weiter fuͤr sie sorgen Vergelte, mein Gott, auch allen denen, die mir waͤhrend der Zeit meines Hierseyns manche vergnuͤgte Stunde gemacht, jede derselben mit tausendfaͤltigen Wohlthaten, und erhoͤre dieß letzte Gebet.

40

V. Einige Reflexionen uͤber den vorhergehenden Aufsatz.

27

Der Ungluͤckliche, der dieß schrieb, schickte Sonntags den 18ten May 1783 seine Frau in die Kirche, schrieb den Schluß seines vorstehenden Vermaͤchtnisses, nahm ein Scheermesser, schnitt sich in den Hals, und verfehlte den Tod. Er oͤfnete sich die Handadern, und verfehlte ihn noch; darauf trat er ans Fenster, sah seine Gattin aus der Kirche kommen, floh zuruͤck, nahm einen Hirschfaͤnger, und durchstieß sich die linke Herzkammer. Da lag er noch blutend, als seine Frau zu ihm ins Zimmer trat, sah sie an und verschied.

Du bebest, Leser! wohl bebe! das ist der Mensch. Vernunft und Unsinn fuͤhren ihn so oft zu demselben Punkte. Aber verweile noch bei dem blutenden Leichnam. Es liegt kein Werther vor dir, der einem Mannsleben ein Knabenende machte, weil er sich in eines andern Weib vergaft hatte. Ein Mann hat sich in den Staub gestreckt, der Edelmuth und Nachdenken besaß, lange seinen Entschluß uͤberlebte, und mit festem Schritte aus der Welt gieng.

Dieser Tod ist werth des Anschauens des Weisen, werth der Betrachtung des Seelenarztes; was41 ich zu seiner Erlaͤuterung weiß, will ich zu Ergaͤnzung deines Nachdenkens erzaͤhlen.

Dieser entflohne diente der Justiz vor der letzten Verbesserung der Ostpreußischen Justizeinrichtung, bei einem der nun aufgehobenen kleinen Justizcollegien als Mitglied. Von da ward er bei Stiftung des Ostpreußischen Hofgerichts zu Jnsterburg an selbiges als Assistenzrath befoͤrdert. Seine Mutter ist irre, ist es bei der Niederkunft mit diesem Ungluͤcklichen geworden; das ist ein erheblicher Umstand. Er selbst war ein Mann von Verstand und lebhaftem Witze. Er hatte gute theoretische Gelehrsamkeit. Sein Herz war unverbesserlich ehrlich. Er besaß viele Lebhaftigkeit. Er hatte was jeder vernuͤnftige Selbstmoͤrder hat Stolz! aber nicht den Stolz eines Federnhuts, den Stolz des Geldkastens, des Patents oder Diploms, nicht einmal den Stolz der Gelehrsamkeit, sondern den Goͤtterstolz der Selbstkraft, des Verstandes und der Rechtschaffenheit.

Seine Physionomie war auffallend. Ein großes dunkles sehr lebhaftes Auge, das nur darum mißfiel, weil es so oft einen unterdruͤckten Gedanken zuzudecken schien, und eben so oft Wildheit wegstrahlte, ein unangenehm weiter Mund, eine große hart herausstehende Nase, sind die Hauptzuͤge, die mir so erinnerlich sind, daß ich sie herzeichnen kann.29Lavaterwuͤrde beides, Selbstmord und lan -42 ges wuͤrksames Leben, nach Belieben daraus hervor geschwaͤrmt haben.

Sein aͤußeres war ohne Grazie. Die Geckereien eines Maineck, maitre de danse & des graces de plusieures residences de l'Europe, waren den Koͤnigsbergern damals, als unser gefallener erzogen ward, noch nicht bekannt.

Als er noch beim Justizcollegio diente, fuͤhlte er Wallungen des Bluts, die auf sein Gehirn wirkten, und ihn in seinen Amtsgeschaͤften hinderten. Er kam ans Hofgericht zur Zeit einer Proceßordnung, die den Richter nicht mehr so lange schlafen laͤßt, bis Advokaten sich satt und fett geredet haben, sondern zu einer Zeit, wo der Richter in jedem Schritte jedes Processes mit Vernunft und Weisheit das Wohl der Partheyen selbst uͤberlegen soll. Er fuͤhlte den hohen Werth des Vertrauens, das der Staat in seine Buͤrger setzt, wenn er ihnen Mitbuͤrgerwohl anvertraut. Er fuͤhlte den hohen Adel des Berufs, Richter des Volks zu seyn. Er fuͤhlte alles lebhaft, also auch diese Berufsgefuͤhle. Er strebte mit unermuͤdetem Eifer, seine Pflicht zu erfuͤllen. Dabei aber fuͤhlte er wiederhohlte Anfaͤlle von Verstandesschwaͤche; Anfaͤlle, die in alltaͤglichen Gesellschaften sogar auffielen, und von denen seine Bekannte und Freunde oft in die Besorgniß gesetzt wurden, daß er mit der Zeit wahnsinnig werden koͤnnte.

43

Seine Amtsarbeiten waren muͤhsam erdachte Gruͤbeleien. Sie glichen einem vorsetzlichen Bestreben, dem wahren Gesichtspunkte durch Trugschluͤsse auszuweichen. Wenn man sie las, so fand man Fleiß darin und Scharfsinn, zugleich aber auch die gesuchteste Sophisterei und unaufhoͤrliche Distinktionen, deren Verkettung die Wahrheit fast unvermerkt aus der Bahn schob.

Sophisterei wie sein Vermaͤchtniß Sophisterei ist, aber nie war sein Stil so klar, wie in diesem letzten Aufsatze, stete Einschiebungen, Verwebung der Perioden machten, was er schrieb, unangenehm zu lesen.

Es konnte nicht fehlen, daß seine Arbeiten das Collegium nicht hin und wieder befremden musten. Er kam auch der oͤfteren Jndispositionen wegen in Ruͤckstaͤnde. Als er vor acht Monathen einst daruͤber in Freundschaft erinnert ward, antwortete er: » ich sehe es recht wohl ein, daß meine Arbeiten unbrauchbar sind. Mein Kopf ist ganz unfaͤhig zu arbeiten, und wenn sich das nicht bald aͤndert, so muß man einen andern Entschluß fassen. « Diese letzte Aeusserung sprach er mit Nachdruck aus. Sie konnte aber nicht auf das jetzt geschehene gedeutet werden.

Einige Zeit darnach ist er gefunden, wie er alle seine zugeschriebene Arbeiten rund um sich ge -44 legt gehabt, jede angefangen und abgebrochen hat, weil es ihm Kopfschmerzen nicht erlaubt haͤtten, sie fortzusetzen. Sein Verstand ließ ihn seinen Zustand ganz fuͤhlen. Er besorgte zu seinen Amts - und haͤuslichen Pflichten einst ganz untuͤchtig zu werden, beide lagen ihm gleich treu am Herzen.

Er hatte veranstaltet, daß seiner verlassenen Gattin, noch an dem Tage, da er sie verließ, eine genaue Nachweisung ihres Eingebrachten zugeschickt ward.

Sein letzter Aufsatz beweiset, daß er sich selbst gefuͤrchtet hat, wahnsinnig zu werden, und daß diese Furcht, Furcht der damit begleiteten Schande, und des seiner Ehegattin daraus besorglichen Ungluͤcks, ihm den Tod, als das leichtere Uebel gezeigt, und ihn aus der Welt gedraͤngt hat.

Ein alter Weiser sagte: » will man dir nicht verstatten, zweckmaͤßig zu leben, so mache deinem Leben ein Ende, aber so, daß es dir nicht lasse, als obs dir ein Ungluͤck duͤnke; wenn's in meiner Stube raucht, so gehe ich heraus; was ist dabei schweres oder erschreckliches? «

Dieser Philosoph sagt offenbare Spitzfuͤndikgeit: wie leicht ist jeder Rauch zu stopfen, und wenn das gar nicht mehr moͤglich ist, so loͤscht der Mann das Feuer aus, um des Rauchs enthoben zu seyn,45 und nur der Weichling entlaͤuft lieber, um nicht ohne Waͤrme zu wohnen.

» Mein Entschluß ist nicht Standhaftigkeit, sondern Noth der Seele. «

Dies ist das redliche Bekenntniß des Blutenden, der uns, meine Leser! hier zusammenbrachte. Wir haben ihn nun gesehen. Laßt uns wieder zu unserm Berufe gehn! Es geschiehet nichts neues unter der Sonne.

30C. G. G. Glave,Regierungs - und Hofrath zu Jnsterburg.

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Zur Seelennaturkunde.

I. Psychologische Betrachtungen auf Veranlassung einer von dem Herrn Oberkonsistorialrath31Spaldingan sich selbst gemachten Erfahrung. 32(S. dieses Magazin 1. B. 2. St. S. 38.)

Bei jeder aͤußerlichen willkuͤhrlichen Handlung geschiehet eine Art von Uebergang aus der Seelenwelt in die Koͤrperliche. Die Ursache ist geistig, die Wirkung koͤrperlich. Die Veraͤnderung im Koͤrperlichen erfolgt, weil die Seele fuͤr gut findet, begehrt, will, einen Antrieb empfindet, oder einen Bewegungsgrund denkt; mit einem Worte, nach etwas zielet, das sie zu erreichen strebt. Absicht, Endzweck, Vorsatz, begehrtes Gut ist die wirkende Ursache, und die Wirkung ist Bewegung in den Gliedmaßen des Koͤrpers. [Was waͤhrend] diesem Uebergange aus dem Geistigen in das Materielle, noch geistig ist,47 nenne ich wuͤrksame Jdee; (im Gegensatz der blos spekulativen Jdeen, die sich nicht uͤber das Gehirn und etwa das System der Empfindungsnerven erstrecken, ohne auf die Bewegungsnerven Einfluß zu haben, und die ich dieserhalb unwuͤrksame Jdeen nennen will;) und was davon in die Materie zuerst uͤbergeht, organischen Anstoß, erste Regung. Die in dem Augenblick des Ueberganges wuͤrksame Jdee erzeugt den organischen Anstoß, und diese ist der Anfang einer Bewegung, die sich, nach den Gesetzen der koͤrperlichen Bewegung, alsdann in der Materie weiter fortsetzt, und zum Ziele fuͤhret.

Jch weiß, daß nicht alle Weltweisen einen solchen Anfang der Bewegung zugeben; daß man gute Gruͤnde hat, zu glauben, es entstehe uͤberall keine neue Bewegung in der Natur; ja, wie einige hinzuthun, auch keine neue Richtung der Bewegung; sondern eine gewisse Quantitaͤt der Bewegungskraͤfte, so wie der Richtungen, bleibe vor und nach jedem Anstoße, vor und nach jeder Veraͤnderung, gleich groß. Wenn Koͤrper an Koͤrper stoßen, hat dieses seine Richtigkeit. Ob sich aber dieses beim Uebergange aus der Jdeenwelt in das Materielle eben also verhalte, und auch da keine neue Bewegung entstehe, und keine neue Direktion ihren Anfang nehme, scheint so ausgemacht noch nicht zu seyn, und die Analogie kann hier nicht voͤllig entscheiden. Jndessen koͤmmt es mir hier auf diese spe -48 kulative Untersuchung nicht an. Jch bleibe bei der bloßen Erfahrung stehn, die einen solchen Uebergang außer Zweifel setzt. Wie dieser Uebergang erklaͤrt und begreiflich gemacht wird, lasse ich vor der Hand dahingestellt seyn, und halte mich an die Erfahrung selbst, die ein jeder mit seinem spekulativen System in Uebereinstimmung zu bringen, suchen mag.

Jst eine freiwillige, oder willkuͤhrliche Bewegung aus mehrern einfachen zusammengesetzt; so wird eine Folge von organischen Stoͤßen a. b. c. d. mit einer ihr entsprechenden Reihe von wuͤrksamen Jdeen A.B.C.D. gleichfoͤrmig fortruͤcken; dergestalt, daß in dem ersten Augenblicke der Veraͤnderung, die Jdee A, oder die Vorempfindung und Vorstellung von dem begehrlichen Gute, das Verlangen und Bestreben nach demselben, das groͤßte Moment der Wuͤrksamkeit habe, und den organischen Stoß a hervorbringen wird. Jn dem zweiten Augenblicke, wird dem Vorsatze gemaͤß, das Moment der Vorstellung B. an Wuͤrksamkeit das groͤßte seyn, und den Anstoß b. verursachen, u.s.w. bis am Ende die Absicht erreicht, und das Begehrte erzielt wird. Jndem ich hier schreibe, entsteht in meiner Seele, Kraft des Vorsatzes; die Reihe der Buchstaben, die zu meiner Absicht gehoͤren, erlangen in ihrer Folge, einer nach dem andern die groͤßte Lebhaftigkeit, das groͤßte Moment der Wuͤrksamkeit, und erzeugen in den Organen die ihnen ange -49 messene Reihe von Bewegungen, bis der Vorsatz ausgefuͤhrt ist.

Daß das Moment der Wirksamkeit auf diese Weise von Jdee auf Jdee fortruͤckt, und so die ganze Reihe durchwandert, geschiehet Anfangs bei ungeuͤbten und ungewohnten Handlungen, Kraft des Vorsatzes, der diesen Fortgang erfordert, und die Jdeen auf diese Weise verbindet; geschiehet also in so fern noch mit vollem Bewußtseyn der Seele, und gleichsam unmittelbar auf ihren Befehl; wie an einem Menschen zu ersehen ist, der buchstabiren, schreiben oder ein Jnstrument spielen lernt. Wenn aber diese Handlungen oͤfter wiederhohlt werden, so entstehet eine so genaue Verbindung zwischen den Begriffen sowohl, als zwischen den organischen Stoͤßen, daß sie sich einander, wie die Glieder einer Kette, nachziehen, sobald das erste Glied fortgezogen wird.

Alsdann ist das deutliche Bewußtseyn der Seele bei jeder einzelnen Handlung nicht mehr noͤthig. Das Bewußtseyn des Vorsatzes im Ganzen erzeugt die erste wirksame Jdee und die ihr entsprechende organische Regung; alles uͤbrige erfolgt von selbst, vermittelst des festen Zusammenhangs der Jdeen, immer noch als eine Wirkung der Seele, aber ohne deutliches Bewußtseyn derselben. Jch sage, die ganze Reihe der Veraͤnderungen hoͤrt deswegen nicht auf, eine Wirkung der Seele zu seyn; ob diese sich gleich derselben nicht mehr bewußt ist. Denn da50 dergleichen Handlungen Anfangs nicht anders als mit Bewußtseyn der Seele und durch ihre thaͤtige Einwuͤrkung erfolgen, das Bewußtseyn aber in der Folge allmaͤlig und nach dem Gesetze der Stetigkeit abnimmt; indeß der Einfluß der Seele noch immer dieselbe Wirkung hervorbringt; so muß auch alsdann, wenn das Bewußtseyn voͤllig verschwindet, die Handlung selbst der Einwirkung der Seele nicht entzogen werden. Anfangs beim Buchstabiren z. B. muß jede Silbe, jeder Buchstab mit Bewußtseyn der Seele betrachtet und zum Laute gebracht werden. So wie die Fertigkeit von der einen Seite zunimmt, nimmt von der andern Seite das Bewußtseyn allmaͤlig und stetig ab, bis es am Ende ganz verschwindet, und wir ohne deutliches Bewußtseyn fortlesen koͤnnen. Diese ganze Folge von dem deutlichsten Bewußtseyn, bis auf die schnellste Fertigkeit, gehet so ununterbrochen fort, daß es nirgends absetzende Graͤnzen giebt, wo die Handlung selbst eine Wirkung der Seele zu seyn aufhoͤret, und eine blos mechanische Wirkung des Koͤrpers zu werden, anfangen sollte.

Jm Vorbeigehen sei es erinnert, daß ich diese Beweisesart fuͤr sehr fruchtbar in der Philosophie, und insbesondre in der Seelenlehre halte; und ich weiß mich keines Logikers zu erinnern, der sie ausdruͤcklich angefuͤhrt haͤtte. Jm allgemeinen wuͤrde ich sie folgendergestalt ausdruͤcken:

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Wenn x, und y veraͤnderliche Grade vorstellen, und wir bemerken, daß Ax und By, unter mancherlei Ab - und Zunahme von x und y, in Causalverbindung stehen; so muß diese Causalverbindung nicht aufhoͤren, wenn auch x oder y, oder beide = o werden.

Es ist, wie es scheint, eine bloße Anwendung der in der Algebra so nuͤtzlichen Fluxionalmethode auf die unausgedehnte Groͤße, die aber in der Philosophie mit gutem Nutzen gebraucht werden kann. So laͤßt sich z. B. durch diese Methode beweisen, daß die Seele im tiefsten Schlafe nicht aufhoͤre, Vorstellungen zu haben; daß die Gegenstaͤnde, die mit ihrer Entfernung, immer schwaͤcher auf die sinnlichen Organe wuͤrken, in der groͤßten Entfernung doch niemals ihre Einwirkung auf die Sinne voͤllig verlieren; und daß alle Lebensbewegungen in dem Koͤrper Mitwirkungen der Seele seyn muͤssen, so daß eben die Seele, welche in den heftigsten Leidenschaften auf die Verdauung, Umlauf des Gebluͤts u.s.w. einen so merklichen Einfluß zeigt, auch in dem ruhigsten Gemuͤthszustande nicht ganz ohne Einwirkung auf diese Lebensverrichtungen bleiben koͤnne. Dergleichen psychologische sowohl als physiologische Saͤtze giebt es so manche, die von verschiedenen Weltweisen in Zweifel gezogen werden, und, wie mich duͤnkt, auf diese Weise unumstoͤßlich zu beweisen sind. Jedoch ist hier der Ort nicht zur weiteren Ausfuͤhrung derselben. Jch begnuͤge52 mich, sie hier dem Nachdenken der Leser empfohlen zu haben, und kehre zu meinem Thema zuruͤck.

Gewohnte und geuͤbte Handlungen, in welchen wir einige Fertigkeit erlangt haben, koͤnnen wir verrichten, und zugleich etwas anders deutlich denken; das heißt, wir koͤnnen eine Reihe von wirksamen Jdeen fortsetzen und die ihnen gemaͤßen organischen Veraͤnderungen hervorbringen, indem wir eine heterogene Reihe von unwirksamen Jdeen mit den Gedanken verfolgen, deren wir uns bewußt sind; ja wir koͤnnen neben einer Reihe von unwirksamen Vorstellungen, mehr als eine Reihe von wirksamen Jdeen verfolgen, auf mehr als ein Organ des Koͤrpers zugleich wirken, ohne daß sich diese verschiedene Reihen einander hemmen oder verwirren. So kann ein geuͤbter Musikus z. B. auf einem Jnstrument mit beiden Haͤnden und Fuͤssen spielen, das heißt in jedem dieser Organe eine andre Reihe von organischen Bewegungen hervorbringen, und zugleich etwas ganz anders denken und sprechen. Man kann gehen, singen, und nachsinnen zugleich. Froͤmmlinge, die sich gewoͤhnt haben, gewisse Gebetsformeln, ohne Andacht herzuplappern, koͤnnen unterdessen ganz heterogene Gedanken verfolgen, und ihre Formel gleichwohl ganz richtig hersagen.

Auf solche Weise kann die Seele fuͤnf bis sechserlei Bewegungen in den Gliedmaßen willkuͤhrlich53 hervorbringen*)*) So viel nehmlich Organe uͤberall in unsrer Willkuͤhr stehen; als der Kopf, der Mund, beide Haͤnde und beide Fuͤße, ohne die ganz dunkeln Jdeen mitzuzaͤhlen, die zur Bewegung, Richtung und Haltung des ganzen Koͤrpers, selbst beim Sitzen, erforderlich sind. Die genaue Anzahl der willkuͤhrlichen Bewegungen, die zu gleicher Zeit geschehen koͤnnen, laͤßt sich schwerlich bestimmen. Es ist erstaunlich, wie weit es gewisse Menschen durch anhaltende Uebungen hierinn gebracht haben., das heißt, so viele Reihen von wirksamen Jdeen zugleich durchzusetzen, und neben denselben eine heterogene Reihe von deutlichen Gedanken verfolgen, ohne sie zu verwirren. Sie muß indessen ihre Kraft theilen, und die dunkeln Jdeen mancherlei Art, die zugleich wirken sollten, vermittelst der Jdeenverbindung durcheinander weben, ohne ihre Aufmerksamkeit von den Gedanken abzuziehn, die sie nebenher fortsetzen will. Jch glaube aber nicht, daß es moͤglich sei, mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich zu haben; das heißt, mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal zu fuͤhren, ohne sie zu verwirren. Daß so mancher mehr als einem Schreiber, und jedem eine andre Reihe von Gedanken zugleich diktiren kann, macht hierinn noch keine entscheidende Erfahrung. Es scheint, daß man genoͤthigt sey, jedesmal den Faden der uͤbrigen Gedanken gleichsam fallen zu lassen, indem man Einen verfolgt, und so wechsels -54 weise einen Faden nach dem andern wieder aufnehmen muß, um das Gewebe zu vollenden. Dieses heißt aber nicht, verschiedene Reihen von Gedanken zu gleicher Zeit denken, so wie man verschiedene willkuͤhrliche Bewegungen zu gleicher Zeit hervorbringen kann.

So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch die Staͤrke des Eindrucks, oder des Antheils, den die Seele daran nimmt, ihre ganze Aufmerksamkeit an sich ziehet. Sobald dieses geschiehet, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt; die Handlung wird unterbrochen, und es entsteht ein Stocken und Anhalten in der Fortschreitung, bis die Seele sich sammlet, und Kraft des deutlich bewußten Vorsatzes, wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennen wir Zerstreuung. Wir sagen, der Mensch sei zerstreut, wenn er durch fremde, ihm angelegentliche Vorstellungen verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehoͤriger Ordnung zu verrichten. Wenn er nicht gegenwaͤrtiges Geistes ist, das heißt, oͤfters durch interessantere Vorstellungen abgerufen wird.

Hierdurch laͤßt sich erklaͤren, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden. Dem Redner, der eine gewisse Rede auswendig gelernt hat, wird sein Gedaͤchtniß treuer bleiben,55 wenn er solche mit der gewohnten Geschwindigkeit hersagt. Der Schreibmeister muß seine gewundenen Zuͤge, und der Maler seine Pinselstriche mit Keckheit gleichsam hinwerfen, wenn sie gelingen sollen; und dieses wird hauptsaͤchlich in allen Faͤllen noͤthig seyn, wo die zusammengesetzte Handlung Ein stetiges Ganzes ausmachen soll, wie in den schoͤnen Kuͤnsten und Wissenschaften der Fall ist. Alsdann muß durch die Schnelligkeit verhuͤtet werden, daß keine fremde Nebenidee sich einschleiche, und der Zusammenhang der wirksamen Begriffe, so wie der organischen Regungen, die sich einander von selbst anrufen sollen, unterbreche. So oft dieses geschiehet, geraͤth die Handlung, wie wir gesehen, ins Stocken; die Seele muß, durch Bewußtseyn des Vorsatzes, von neuem wieder anfangen, und den ersten organischen Stoß geben; daher das Ganze seine Einheit und Stetigkeit verlieret. Das oͤftere Ablassen und Ansetzen der willkuͤhrlichen Handlung giebt ihr ein Ansehn der Aengstlichkeit, das Mißfallen erregt, wie solches an muͤhsamen Copien nach einer fremden Hand wahrgenommen wird, wo der Kuͤnstler nicht aus eigener freier Kraft und Jdeenverbindung, sondern immer nach Vorschrift und Muster wirken, das heißt, wo er die organischen Regungen nicht in ununterbrochener Reihe fortruͤcken lassen kann, sondern oͤfters absetzen, und wiederum von Neuem anfangen muß.

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Ferner muͤssen auch nie zwei wirksame Jdeen zusammenstoßen, die auf eben dasselbe Organ wuͤrken, und Verrichtungen verschiedner Art hervorzubringen bemuͤht sind. Denn so oft eine solche Collision entstehet, erfolgt eine Art von Schwanken und Ungewißheit in der Seele, ein Zittern in den Organen der Bewegung, das wir in Ruͤcksicht auf die Organen der Sprache, mit einem besondern Namen zu belegen, und Stottern zu nennen pflegen.

Man sollte glauben, dieser Fehler sey den Organen zuzuschreiben; es muͤsse nehmlich in der Anlage und dem innern Baue der Sprachwerkzeuge etwas mangelhaft und unrichtig seyn, woraus sich diese Unfaͤhigkeit erklaͤren lasse. Es ist aber aus mancherlei Beobachtungen abzunehmen, daß der Fehler mehr psychologisch, als mechanisch oder organisch seyn muͤsse. Jch will einige derselben, die ich anzustellen, die beste Gelegenheit gehabt, hier anfuͤhren.

1) Jm Affekt sind wir alle, mehr oder weniger, dem Fehler unterworfen.

2) Man ist demselben in einer fremden Sprache, die uns nicht so gelaͤufig ist, mehr ausgesetzt, als in der Muttersprache.

3) Mehr, wenn jemand zugegen ist, vor dem wir uns scheuen, diese Schwachheit merken zu lassen.

4) Am wenigsten, wenn man allein ist, laut und langsam spricht, oder gar singet.

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5) Wenn der Stotternde zu sprechen fortfahren will, so wiederholt er einige Silben, die er bereits ausgesprochen, um gleichsam auszuholen, und faͤhrt mit der aͤußersten Geschwindigkeit uͤber die schwierige Silbe, sehr oft ohne Anstoß, hinweg; zuweilen aber gelingt es das erstemal nicht, und die Operation muß oͤfter wiederholt werden.

Alles dieses wuͤrde unbegreiflich seyn, wenn ein Mangel in dem Baue der Organen die Ursache des Stotterns waͤre. Die Hypothese, nach welcher ich mir alle diese Erscheinungen zu erklaͤren suche, ist diese. Wir haben gesehen, daß die Seele zu gleicher Zeit mehrere Reihen von wirksamen Jdeen verbinden koͤnne, im Falle sie nur nicht in Collision kommen, daß nehmlich mehr als eine Jdee auf dasselbe Organ zugleich wirken wolle. Mit diesen Reihen von wirksamen Jdeen kann sie auch noch eine Reihe von spekulativen, deutlichen Gedanken verbinden, die, so lange sie fuͤr die Seele kein hervorstechendes Jnteresse haben, den Lauf der willkuͤhrlichen Verrichtungen nicht unterbricht.

Gesetzt nun, es trete in der Reihe der wuͤrksamen Jdeen A.B.C.D. u.s.w. an die Stelle von D., eine fremde, auf eben dasselbe Organ wirksame Jdee, oder interessante Vorstellung K. ein, die mit D. gleiches Moment von Wirksamkeit hat; so wird in der Seele gleichsam ein Hin - und Herschwanken zwischen D und K entstehn, und indem sie bemuͤhet58 ist, den organischen Stoß d. hervorzubringen, kann wider ihren Willen und Vorsatz, der Anstoß k. erfolgen. Sobald nehmlich K. so wirksam wird, daß es der Vorstellung D. die Wage haͤlt; so entstehet ein Stocken im Sprechen. Es ist nehmlich zwischen den Gliedern der Kette, die sich einander nachziehen sollen, ein Hinderniß eingetreten, das ihre fernere Bewegung hemmet. Nimmt K, durch Nebenideen etwa, an Kraft und Wirksamkeit zu; so erfolgt der unzweckmaͤßige Anstoß[ k,] anstatt des zweckmaͤßigen und verlangten Anstoßes d. Die Seele wird dieses gewahr, haͤlt ein, und ziehet sich gleichsam zuruͤck, um durch Lenkung der Aufmerksamkeit, die Gewalt der Vorstellung D. zu verstaͤrken, und den Anstoß d. hervorzubringen. Dieses gelinget zuweilen; aber zuweilen entsteht durch diese Bemuͤhung blos ein zweites Stocken, das mit dem vorigen denselben Weg nimmt. Die fremde Vorstellung, welche diese Verwirrung verursacht, kann zuweilen von der Beschaffenheit seyn, daß sie in die Reihe der zweckmaͤßigen Jdeen gar nicht passet, sondern aus einer ganz andern Folge von Begriffen sich hier eingemischt hat. Mehrentheils aber scheint es eine spaͤtere Jdee zu seyn, die der Stotternde anticipirt, ein Glied der Jdeenkette, das zu fruͤh eintreten will, und dadurch die Bewegung hemmet. Die Vorstellung K. nehmlich, die nach dem Erfordern des Vorsatzes, erst in der Folge, nach I. ihren Platz hat, erhaͤlt etwas zu fruͤh das groͤßte Moment der59 Kraft, und unterbricht dadurch die Einwirkung der zweckmaͤßigen Vorstellung D.

Das Stottern waͤre also, nach dieser Hypothese, nichts anders, als eine Art von Collision einer zweckmaͤßigen mit einer unzweckmaͤßigen Jdee, welche beide auf die Sprachwerkzeuge zugleich wirken wollen, und fast gleiche Momente der Kraft haben. Die Glieder der Jdeenkette, die sich, ohne unmittelbare Lenkung der Seele einander nachziehen sollen, werden, durch eine fremde Jdee, die sich dazwischen gelegt, aufgehalten, und nunmehr findet die hinzutretende Seele ihre Schwierigkeit, das Hinderniß aus dem Wege zu nehmen.

Jn einer Gemuͤthsbewegung draͤngen sich gewisse Jdeen mit einer solchen Lebhaftigkeit und Wirksamkeit vor, daß sie gar leicht den Lauf der zweckmaͤßigen Jdeen unterbrechen koͤnnen.

Wenn wir uns in einer fremden Sprache ausdruͤcken wollen, so pflegen wir selten, so lange sie uns nicht sehr gelaͤufig ist, in derselben zu denken, sondern wir denken noch immer in der Muttersprache, und uͤbersetzen uns selbst, in waͤhrendem Sprechen, aus der gelaͤufigen in die fremde Sprache. Wir haben also zu gleicher Zeit, nicht nur fuͤr das Gegenwaͤrtige, in einer Sprache zu denken, in welcher sich der Ausdruck von selbst darbietet, und in einer andern den Ausdruck aufzusuchen, der uns zu fliehen scheinet; sondern muͤssen auch fuͤr das Naͤchstkuͤnftige sorgen, denken und uͤbersetzen, damit wir60 nicht stocken. Wie leicht ist hier nicht Collision moͤglich?

Je mehr Personen auf die Worte des Redenden aufmerksam sind, destomehr fremde Vorstellungen koͤnnen sich einmischen, und ihn in Verwirrung bringen, und dieses um desto leichter, wenn sich die Furcht mit einmischt, ihnen durch den Fehler in der Sprache zu misfallen.

Beim langsamen Lesen oder Singen wuͤrkt die Seele weniger durch dunkele Jdeenreihen und sich selbst uͤberlassene Fertigkeiten, als durch rege Aufmerksamkeit, mit Willen und Bewußtseyn, und kann daher weit weniger von einer fremden, unzweckmaͤßigen Vorstellung beschlichen und in Verwirrung gebracht werden. Das laute Lesen hat noch uͤberdem den Vortheil, daß die Seele vermittelst des Gehoͤrs, sinnlich beschaͤftiget und an das Gegenwaͤrtige in der zweckmaͤßigen Jdeenreihe gleichsam befestiget wird; dadurch sie weit weniger ausschweifen und auf etwas fremdes zu verfallen, aufgelegt wird.

So kann auch auf die entgegengesetzte Weise, durch die aͤußerste Schnelligkeit, mit welcher der Stotternde die Reihe der Worte durchfaͤhrt, die innige Verknuͤpfung der wuͤrksamen Begriffe verstaͤrkt, das Eintreten fremder unzweckmaͤßiger Jdeen verhindert, und die Sprachwerkzeuge in den Stand gesetzt werden, uͤber die schwierige Silbe ohne Anstoß hinzurollen. Eben so, wie in der physischen61 Bewegung ein Hinderniß, das im Wege liegt, leichter zu uͤberkommen ist, wenn wir ausholen, und mit der moͤglichsten Geschwindigkeit darauf zueilen.

Das beste Mittel wider dieses Uebel ist, meiner Erfahrung nach, folgendes: Man gewoͤhne sich fruͤhzeitig niemals anders, als laut und langsam zu lesen, und vornehmlich nicht mit den Augen zuvoreilen, und das Folgende zu schnell vorausnehmen zu wollen. Man belege sich vielmehr das Folgende mit der Hand, und lasse Silbe nach Silbe, so wie sie ausgesprochen werden soll, erst in die Augen fallen. Hierdurch werden nicht nur fremde Vorstellungen entfernt, sondern hauptsaͤchlich das Zuvoreilen spaͤterer Begriffe verhindert, welches in den mehresten Faͤllen die Ursache des Stotterns zu seyn pflegt. Anfangs wird diese Uebung am besten mit solchen Sachen vorzunehmen seyn, die noch unbekannt sind, davon man also das Folgende nicht aus dem Gedaͤchtnisse vorausnehmen kann. Nach und nach versuche man es mit bekanntern Sachen. Man wiederhole die Bemuͤhung oͤfters in Gegenwart andrer und vornehmlich solcher Personen, denen man Ehrerbietung schuldig ist, und zu gefallen Ursache hat. Dadurch wird die Seele in der Fertigkeit gestaͤrkt, ihre Jdeenreihe in Ordnung zu halten, und alle fremden und unzweckmaͤßigen Vorstellungen zu entfernen.

Jn den uͤbrigen Gliedmaßen der freiwilligen Bewegung kann sich etwas aͤhnliches zutragen, als62 hier zur Erklaͤrung des Stotterns in Absicht auf die Gliedmaßen der Sprache angenommen worden ist, und hieraus laͤßt sich das Schwanken und Taumeln der berauschten und fieberhaften Personen, so wie das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen begreiflich machen. Bei jenen folgen die Jdeen zu schnell auf einander, und die Gliedmaaßen der Bewegung koͤnnen ihnen in eben der Geschwindigkeit nicht folgen. Es durchkreuzen sich auch bei ihnen verschiedene Jdeenreihen, und laufen dermaßen durcheinander, daß sie oͤfter in Collision kommen, und sich einander hemmen; daher wechselsweise das schnelle Zufahren in der Bewegung und das oͤftere Stocken, welches zusammengenommen das Taumeln genennt wird. Bey alten und schwaͤchlichen Personen aber folgen zwar die Jdeen mehrentheils in ihrer natuͤrlichen Geschwindigkeit aufeinander; allein die Gliedmaaßen der Bewegung sind bey jenen zu steif, bey diesen zu schwach, mit den wuͤrksamen Jdeen gleichen Schritt zu halten, und ihnen in eben der Zeit harmonisch zu folgen. Es mischen sich also fremde und itzt nicht zum Zweck dienliche Begriffe mit ein, und bringen die Reihe der organischen Stoͤße, die der Reihe der wuͤrksamen Jdeen entsprechen soll, in Unordnung und oͤftere Unterbrechung. Der Schwindel selbst scheint nichts anders zu seyn, als das Durchkreutzen und Jneinanderlaufen verschiedener Reihen von unwuͤrksamen Begriffen, die sich mit einer solchen Lebhaftigkeit ineinander verlieren, daß63 die Seele zu schwach ist, sie dem Bewußtseyn unterzuordnen, und sich derselben zu bemeistern. Man wird sich dieses deutlich machen koͤnnen, wenn man auf die verschiedne Art aufmerksam ist, auf welche der Schwindel zu entstehen pflegt. Jedoch ich verlasse diese besondere Krankheit, die ein philosophischer Arzt von meinen Freunden mit mehrerer Ausfuͤhrlichkeit zu behandeln im Werke hat, und verweise meine Leser auf die Abhandlung desselben, die wahrscheinlicherweise naͤchstens zum Vorschein kommen wird.

Jch komme zu der seltnen Beobachtung, die Herr35Spaldingan sich selbst gemacht hat, und die zu diesem Aufsatze die Veranlassung gewesen. Jener Weltweise spricht: die Frage eines Weisen fuͤhret die Antwort zur Haͤlfte mit sich. Mich duͤnkt, dieses treffe allhier vollkommen ein. 36Herr S.hat mit so vieler Genauigkeit beobachtet, und die Umstaͤnde, die er wahrgenommen, so treffend beschrieben, daß die Hypothese, aus welcher sie erklaͤrt werden koͤnnen, sich gleichsam von selbst darbietet. Man darf nur seiner Erzaͤhlung folgen, und dabei nicht aus der Acht lassen, was oben von der Harmonie zwischen den wuͤrksamen Begriffen und organischen Stoͤßen ist angefuͤhrt worden.

» Jch hatte, erzaͤhlt37Herr S.,denselben Vormittag in geschwinder abwechselnder Folge viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, wobei die Gegenstaͤnde fast durchge -64 hends von sehr unaͤhnlicher Art waren. « Diesem nach entstunden in ihm viele Jdeenreihen mancherlei Art, deren verschiedene auf dieselben Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander desto oͤfter durchkreutzen und in Verwirrung bringen, je weniger Verbindung sie unter sich hatten, und je mehr die Aufmerksamkeit, wie Herr S. hinzusetzt, immer auf etwas anders gestoßen ward. Dergleichen vielerlei Geschaͤfte, die durcheinander laufen, pflegen bei jedem andern schon Zerstreuung zu verursachen; einen Zustand, in welchem wir etwas anders verrichten, als wir verrichten wollen. Bei einem Manne, der gewohnt ist, anhaltenden, buͤndigen Betrachtungen nachzuhaͤngen, und vielleicht geringfuͤgige Geschaͤfte dieser Art mit Unlust verrichtet, mußte die Wirkung staͤrker und von laͤngerer Dauer seyn. Seine Aufmerksamkeit ward desto haͤrter angegriffen, da sie nicht gewohnt ist, sich so zerren und stoßen zu lassen, und jeder Kleinigkeit, die sie auffordert, sogleich zu Dienst zu seyn; daher sie am Ende so eingenommen und gleichsam betaͤubt ward, daß sie seiner freyen Willkuͤhr den Gehorsam versagte, und sich nicht mehr von dem Bewußtseyn des Vorsatzes lenken ließ.

» Zuletzt, faͤhrt38Herr S.fort, war noch eine Quitung zu schreiben. Jch setzte mich nieder, schrieb die beiden ersten dazu erforderlichen Woͤrter. « Hier trat, nach meiner Hypothese, eine65 fremde, auf eben das Organ wuͤrkende Jdee dazwischen, hielt der zweckmaͤßigen Jdee die Wage, und unterbrach die Folge der organischen Stoͤße. » Jn dem Augenblicke, erzaͤhlt der Beobachter, war ich nicht weiter vermoͤgend, weder die uͤbrigen Woͤrter in meiner Vorstellungskraft zu finden, « (die Menge der mannigfaltigen Jdeen hatte diese Dunkelheit verursachet) » noch die dazu gehoͤrigen Zuͤge zu treffen « (die zweckmaͤßigen Vorstellungen waren am Moment der Kraft in diesem Augenblicke nicht die staͤrksten). » Jch strengte aufs aͤusserste meine Aufmerksamkeit an, suchte langsam einen Buchstab nach dem andern hinzumahlen « (grade so, wie die Stotternden beim Sprechen, zuweilen mit gutem Erfolge, zu thun pflegen,) » mit bestaͤndigem Ruͤckblick auf den vorhergehenden, um sicher zu seyn, ob er auch zu demselben passe « (daß sich39Hr. S.dieses Ruͤckblicks und der Bedenklichkeit, ob auch der Buchstab passen wuͤrde, so deutlich bewußt war, mag wohl den Zustand in etwas verschlimmert haben; indem dadurch die Aufmerksamkeit noch mehr getheilt, und unzweckmaͤßigen Jdeen mehr Gewalt eingeraͤumt wurde) » merkte aber doch, und sagte es mir selbst, daß es nicht diejenigen Zuͤge wuͤrden, die ich haben wollte. « (Eben so, wie der Stotternde eine Silbe nicht herausbringen kann, und eine andre dafuͤr hoͤren laͤßt. Er merkt es, daß es nicht die zweckmaͤßige Silbe sei, haͤlt ein, und setzt zu verschiedenen Malen von neuen an,66 um die rechte, zur Absicht dienliche Silbe toͤnen zu lassen.)

» Jch brach also ab, faͤhrt40Hr. S.fort, hieß den Mann, der darauf wartete, theils einsilbigt, theils durch Winken, weggehen, und uͤberließ mich unthaͤtig dem Zustande, in welchem ich mich befand. Es war eine gute halbe Stunde hindurch eine tumultuarische Unordnung in einem Theile meiner Vorstellungen « (in der Region der wuͤrksamen Jdeen) » in welchen ich nichts zu unterscheiden vermochte: nur daß ich sie ganz zuverlaͤßig fuͤr solche Vorstellungen erkannte, die sich mir ohne und wider mein Zuthun aufdraͤngten, deren Unwichtigkeit ich einsahe, auf deren Wegschaffung ich arbeitete, um den eignen und bessern Jdeen, deren ich mir im Grunde meiner Denkkraft « (in der Region der unwuͤrksamen, spekulativen Jdeen,) » bewußt war, mehr Luft und Raum zu verschaffen. Jch warf mich nehmlich, so viel ich unter dem Schwarm der andringenden verwirrten Bilder konnte, auf die mir gelaͤufigen Grundsaͤtze von Religion, Gewissen, und kuͤnftiger Erwartung zuruͤck: ich erkannte sie fuͤr gleich richtig und fest: ich sagte mir selber, mit der groͤßten Deutlichkeit und Gewißheit: wenn ich, das eigentliche denkende Wesen, jetzt gleich, etwa durch eine Art von Tod, aus diesem in dem Gehirn erregten Getuͤmmel, welches mir, nach meiner innersten Empfindung, immer etwas fremdes außer mir selbst vor -67 gehendes blieb, herausgesetzt wuͤrde; so wuͤrde ich in der besten gluͤcklichsten Ordnung und Ruhe fortdenken und fortdauern. Bei dem allen war nicht die mindeste Taͤuschung der aͤusserlichen Sinnlichkeit: ich sahe und kannte alles um mich herum in seiner wahren Gestalt: nur des fremden Andranges und Gewirres im Kopfe konnte ich nicht loswerden. Jch versuchte zu reden, gleichsam zur Uebung, ob ich etwas zusammenhangendes hervorzubringen im Stande waͤre; aber so sehr ich auch Aufmerksamkeit und Gedanken zusammenzwang, und mit der aͤußersten Langsamkeit dabei verfuhr; so merkte ich doch bald, daß unfoͤrmliche und ganz andere Gedanken erfolgten, als die ich wollte: meine Seele war itzt eben so wenig Herr uͤber die innerlichen Werkzeuge des Sprechens, als vorhin des Schreibens. «

Man siehet gar deutlich, daß die Seele unsers Beobachters, was die unthaͤtigen spekulativen Jdeen betrift, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten konnte: das Widernatuͤrliche lag bloß in der Funktion der eigentlichen wirksamen Jdeen, die in die Gliedmaßen des Sprechens und Schreibens wirken und die ihnen gemaͤßen koͤrperlichen Veraͤnderungen hervorbringen sollten. Hier hatten sich mancherlei andre, unzweckmaͤßige Jdeen dermaßen gehaͤuft und zusammengedraͤngt, daß sie sich zwar einander das Licht benahmen und dunkel in der Seele schwebten; aber das Moment ihrer Kraft ward68 dadurch nicht vermindert, und sie stellten sich der Seele gleichsam in den Weg, so oft sie eine von den ihr sonst so willigen Saiten, nach Erforderniß ihres Endzweckes, beruͤhren, und in Bewegung setzen wollte. Wir sind zwar Meister uͤber unsre Aufmerksamkeit, und im Stande, sie nach unserm Vorsatze zu lenken; aber nur bis auf einen gewissen Grad. Die Gewalt der Jdeen kann aber so sehr zunehmen, daß wir mit aller Anstrengung die Aufmerksamkeit von ihnen nicht abrufen koͤnnen, und in der Region der wirksamen Jdeen koͤnnen die dunkelsten Begriffe eine solche Gewalt besitzen, oder vielmehr die Begriffe, die eine so große praktische Gewalt haben, sind mehrentheils undeutlich, wegen der Geschwindigkeit, mit welcher sie aufeinander folgen, wie bei allen Fertigkeiten und Geschicklichkeiten der Menschen zu ersehen ist.

Daß in der Region der Gedanken alles wohl und in Ordnung sey, und gleichwohl in der Region der wirksamen Jdeen etwas widernatuͤrliches, oder gar eine gaͤnzliche Unfaͤhigkeit obwalten koͤnne, habe ich selbst, bei der Nervenschwaͤche, an der ich seit vielen Jahren leide, nur zu oft erfahren. Die Zufaͤlle meiner Krankheit hat mein Freund, der D. Bloch, der mich, als Arzt und Freund genau zu beobachten Gelegenheit gehabt, in seinen Beobachtungen mit vieler Deutlichkeit beschrieben. Jm Anfalle, der mich beim ersten Erwachen aus einem unruhigen Schlafe anzuwandeln pflegte, hatte ich mein voͤlliges69 Bewußtseyn, war im Stande, jede Gedankenreihe, die ich mir vornahm, mit Ordnung und Deutlichkeit zu verfolgen; nur daß ich aller willkuͤhrlichen Bewegung schlechterdings unfaͤhig war; weder ein Glied am Leibe regen, noch einen Laut von mir geben, oder die Augen aufthun konnte, und jede Bemuͤhung, die ich anwandte, irgend ein Glied zu bewegen, war voͤllig fruchtlos, und vermehrte nur die sehr widrige Empfindung, von welcher dieser Zustand begleitet war. Es war mir nehmlich dabei, als wenn etwas gluͤhendes vom Gehirn herab, den Ruͤckgrad entlang, einstroͤmen wollte, und Widerstand faͤnde, oder als wenn jemand mit gluͤhenden Ruthen mir den Nacken geisselte. Jch mußte mich also vollkommen ruhig halten, bis ein Eindruck von außenher den Lebensgeistern gleichsam die Schleusen oͤfnete, daß sie freien Einfluß hatten, und nunmehr war auch in demselben Augenblick alles wieder hergestellt, und ich voͤllig wieder Herr uͤber meine freiwilligen Bewegungen.

Demohngeachtet aber ist es immer dieselbe Seele, dieselbe einfache Substanz, welche beides verrichtet, Gedanken hat, und Willkuͤhr oder freien Willen ausuͤbt; nur daß sie, so wie der Koͤrper, in Absicht auf Eine von ihren Funktionen in einen widernatuͤrlichen Zustand gerathen und gehemmet werden kann; das heißt, die Seele kann, so wie der Koͤrper in Ansehung dieser Verrichtungen, gesund und wohl, und in Ansehung einer andern hingegen70 schwach oder krank seyn. Dasselbe denkende Wesen, das Hr. S. sein eigentliches Jch nennet, und das von Seiten seiner Gedankenfaͤhigkeit voͤllig gesund war, empfand von Seiten seiner Bewegungsfaͤhigkeit, die Verwirrung, das Fremde, Widernatuͤrliche, die Jndisposition, die leicht in eine Krankheit haͤtte uͤbergehen koͤnnen. Die Reihe der spekulativen unthaͤtigen Begriffe blieb in ihrem natuͤrlichen Zustande und konnte, so oft der Denker wollte, mit freier Willkuͤhr fortgesetzt werden. Aber die Reihe der thaͤtigen Jdeen, und der mit ihnen harmonisch zu erregenden organischen Stoͤße hatte gelitten. Hier war der Andrang und das Getuͤmmel, welches41Hr. S.fuͤhlte; und so oft er ans Reden oder Schreiben ging, drang sich aus dieser Verwirrung immer eine fremde unzweckmaͤßige Vorstellung vor, die auf dasselbe Organ wirkte, und eine andre Bewegung hervorbrachte, als er haben wollte.

Mich duͤnkt indessen,42Hr. S.habe in der Ueberraschung einen mißlichen Versuch gewagt, in waͤhrendem Andringen verwirrter Bilder und Vorstellungen, sich nach seinen philosophischen und religioͤsen Betrachtungen umzusehen, und seine Aufmerksamkeit von dem gegenwaͤrtigen Getuͤmmel gleichsam mit Gewalt abzuziehen. Dieser Versuch haͤtte, wo ich nicht irre, von traurigen Folgen seyn koͤnnen. Jene Betrachtungen, auf die sich43Hr. S.zu werfen wagte, enthalten blos spekulative Jdeen, die unmittelbar auf keine aͤußere Gliedmaßen wirken. Und71 in dem Gehirn selbst, wo sie so lebhaft wirken, beschaͤftigen sie, als allgemeine, abstrakte Begriffe, bloß einen gewissen Bezirk, eine ihnen zukommende Region, und lassen das uͤbrige System ohne alle Thaͤtigkeit. Sie erfordern also mehr Sammlung und Anstrengung der Lebensgeister und eine staͤrkere Richtung derselben gegen die obern Theile, als in dem tumultuarischen Zustande, in welchem sie sich bei44Hrn. S.ohnehin befanden, dienlich gewesen seyn mochte, und daher mußten sie, wie mich duͤnkt, das Uebel vermehren. Eine freie Aussicht in die offene Natur; ein ruhiger Blick auf das thaͤtige Leben der Menschen und Thiere; ein koͤrperlicher Schmerz, oder jede andre aͤußere sinnliche Empfindung von einiger Kraft, etwas Speise oder ein kuͤhlender Trunk, den er etwa zu sich genommen haͤtte, wuͤrde wahrscheinlicher Weise heilsamer gewesen seyn. Dadurch wuͤrden die Lebensgeister von ihrem allzuheftigen Andrange im Gehirne abgeleitet, und in das ganze Nervensystem gleichmaͤßig vertheilt worden seyn. Nur durch sinnliche Eindruͤcke werden die Jdeenbilder in Ordnung gebracht, und Licht und Schatten so uͤber die Masse verbreitet, daß sie sich einander unterstuͤtzen, und die Wirkung des Ganzen befoͤrdern helfen. Betrachtungen und Vernunftgruͤnde, wie diejenigen, denen sich45Hr. S.uͤberließ, mußten grade von entgegengesetzter Wirkung seyn; ja die Besorgniß, die er sich in diesem Zustande machte, die doch wahrscheinlicherweise mit einiger Unruhe verbunden72 seyn mußte, konnte nach meiner Hypothese den Zustand nicht wenig verschlimmern helfen; indem jede Gemuͤthsbewegung die ordentliche Einwirkung wirksamer Jdeen auf die Organe zu verhindern pflegt; wie solches vom Stottern ist angemerket worden.

Es thut nichts zur Sache, daß46Hr. S.sich auf nichts in seinen vorhergegangenen Vorstellungen oder Geschaͤften zu besinnen wußte, das zu den unverstaͤndlichen Worten, die er in der Verwirrung niederschrieb, haͤtte Anlaß geben koͤnnen. Wir haben gesehen, daß die dunkelsten Empfindungen, die mit keinem Bewußtseyn der Seele verbunden sind, auf die Organe dennoch sehr kraͤftig wirken, und die zweckmaͤßigen willkuͤhrlichen Handlungen hervorbringen, und eben so wohl unterbrechen koͤnnen. Ein Wort, das etwa in waͤhrender Verwirrung in einem Nebenzimmer laut gesprochen ward, konnte zufaͤlliger Weise, da alles in dem Haupte47Hrn. Sso gespannt war, einen sehr lebhaften Eindruck machen, und von staͤrkerer Wirkung in die Organe seyn, als die zweckmaͤßige Jdee, die kein sonderliches Jnteresse hatte. Jndem nun48Hr. S.seine Lebensgeister anstrengte, die Bewegung der Hand hervorzubringen, die zu seinem Endzweck erforderlich war, drang jene fremde Vorstellung vor, und ließ ihn etwas unzweckmaͤßiges niederschreiben, so wie dem Stotternden wider Willen Silben entfahren, die er nicht hat aussprechen wollen. Die Seele, ihres Vorsatzes deutlich bewußt, merkte gar bald, daß etwas73 unrechtes hingeschrieben worden, hielt ein, um von neuem wieder anzusetzen; daher das Unterbrochene, Unvollendete in der Sprache des Stotternden sowohl, als in dem Niedergeschriebenen des49Hrn. S. Und eben dieses, daß die unwillkommenen Jdeen in der Seele fremde waren, und sich nur zufaͤlliger Weise eindraͤngten, daß sie noch das Buͤrgerrecht nicht erlangt, an keine Reihe von Begriffen sich angefuͤgt hatten; eben dieses, sage ich, ist die Ursache, daß sich50Hr. S.ihrer nachher nicht wieder zu erinnern vermochte. Man hat im Traume zuweilen die lebhaftesten und wirksamsten Vorstellungen; man weiß es, beim Erwachen, daß man dergleichen gehabt, ohne sich ihrer wieder erinnern zu koͤnnen, so lange man nicht auf eine Jdee geraͤth, die mit ihnen verbunden ist, und vermittelst derer jene hervorgerufen worden. Die Seele kann nur diejenige abwesende Vorstellung anrufen, zu der sie das eine Ende der Schnur gleichsam vor sich hat, um sie anziehen zu koͤnnen. So lange sie dieses nicht gefunden hat, ist ihre Bemuͤhung vergebens. Nur vermittelst des Gegenwaͤrtigen ist die Seele im Stande, sich des Vergangenen wieder zu erinnern.

Und nun auch etwas auf die philosophische Frage51Hrn. S.zu antworten:

» Wenn die ganze Denkkraft von dem jedesmaligen Zustande des Gehirnes abhaͤngt, oder eigentlich darinn liegt; so muß in meinem Fall, der eine Theil meines Gehirns gesund, in gehoͤ -74 riger Lage und Ordnung, der andre in unordentlicher, verwirrter Bewegung gewesen seyn. Und welcher von beiden sagte denn: ich? unterschied die durcheinander kreutzenden Vorstellungen von sich selber? urtheilte von der Unrichtigkeit derselben? fuͤhlte so innig sich selbst, als etwas ganz anders und abgesondertes von jenem? «

Nach obiger Erklaͤrungsart war eigentlich in dem Gehirn des52Herrn S.kein Theil in unordentlicher, verwirrter Bewegung; und es hatten nur fremde, unzweckmaͤßige Vorstellungen mehr Wirkungskraft erlangt, als sie seinem Vorhaben nach, haben sollten. Das Jch seiner Seele hatte weder Ort noch Bestimmung veraͤndert. Daß wir neben einer Reihe von spekulativen, mit Bewußtseyn verbundenen Jdeen, die nicht auf aͤußere Organe wirken, auch noch so manche Reihe von thaͤtigen Jdeen verfolgen, und zum Ziele leiten koͤnnen, ist bekannt, und bereits oben angefuͤhrt worden. Die Seele beherrscht diese verschiedenen Reihen, lenkt jene durch deutliches Bewußtseyn jedes Gliedes, diese durch Gewohnheit und Uebung, und die durch dieselben hervorgebrachten Fertigkeiten; wirkt hier selbst, und laͤßt dort andre nach ihrem Plane fortwirken. Alles dieses weis sie, wie die Buͤrger eines wohlgeordneten Staats dermaßen in Harmonie zu bringen, gleichsam wie in eine einzige gruppirende Masse von Licht und Schatten zu verbinden, daß die Wirkung75 des Ganzen zu ihrem Hauptendzwecke uͤbereinstimmet. Allein sie herrscht in diesem ihrem innern Staate nicht unumschraͤnkt, und ihre Befehle werden nicht alle ohne Weigerung vollzogen. Jhre Kraft uͤberhaupt hat Graͤnzen. Zuweilen gelanget eine Vorstellung zu einer groͤßern Gewalt, versagt ihr den Gehorsam, will thaͤtig seyn, wo sie nicht soll; verdraͤnget eine zweckmaͤßige Jdee aus ihrer Stelle, oder hemmet sie wenigstens in ihrer Verrichtung; wodurch Unordnung und Stocken in den oͤffentlichen Angelegenheiten entstehen muß. Die Beherrscherin eilt hinzu, der Unordnung zu steuern. Jhrem Befehle nach sollte eine gewisse Reihe von organischen Stoͤßen hervorgebracht werden, und eine fremde Jdee hatte sich dazwischen eingedraͤngt. Sie suchet also die Aufmerksamkeit, die sie zum Theil in Haͤnden hat, mehr der zweckmaͤßigen Jdee zuzuwenden, und sie dadurch wirksamer zu machen. Es laͤßt sich aber begreifen, daß die widerspenstige Vorstellung nicht immer alsofort weichen wird, sondern auch zuweilen in dem ersten Kampfe obsiegen, und einen organischen Stoß hervorbringen kann, den der herrschende Theil des Jchs ganz verkennt, und seinem Endzwecke zuwider findet.

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II. Fortgesetzte Beobachtungen uͤber einen Taub - und Stummgebohrnen

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Da ich wegen meiner fortdaurenden Kraͤnklichkeit meine Versuche mit diesem Taubstummen, nicht, wie ich wuͤnschte, habe fortsetzen koͤnnen, so bin ich wenigstens aufmerksam auf seine Handlungen und auf die pantomimische Aeußerung seiner Gedanken gewesen, um daraus auf die Denkart eines solchen Menschen weiter zu schließen.

Jch habe schon von ihm angefuͤhrt, wie außerordentlich wahr und richtig seine Erinnerung des Vergangnen, wie stark seine Einbildungskraft, und wie gut seine Beurtheilungskraft ist: nachher aber habe ich auch zu meiner groͤßten Verwunderung bemerkt, daß er fast alle Religionsbegriffe von Gott und Christo, und selbst religioͤse und andaͤchtige Empfindungen dabei habe.

So lange ich ihn kenne, hat er bestaͤndig einen großen Haß gegen die Juden bezeigt, den ich mir anfaͤnglich nicht erklaͤren konnte, bis er einmal gegen einen, der mich besuchte, erstaunlich aufgebracht war, und durch Ausbreitung der Arme, wie bei einem Cruzifix, und sehr genaue Bezeichnung der fuͤnf Wunden Jesu, sehr deutlich ausdruͤckte, daß Christus von den Juden gekreuziget sey. Er bildete darauf mit den Fingern eine Figur von zwei Hoͤr -77 nern auf seinem Kopfe, und druͤckte durch Pantomime aus, indem er nach dem brennenden Feuer im Ofen wieß, das der Teufel die Juden in die Hoͤlle fuͤhren wuͤrde.

Dieses mußte ihm natuͤrlicher Weise von seinen Eltern oder andern Leuten in der Kindheit durch Zeichen beigebracht seyn. Aber nun wollte ich untersuchen, ob er auch wohl einen Begriff von Suͤnde oder Unrecht im religioͤsen Verstande habe, und zeichnete ihm in dieser Absicht ein Cruzifix aufs Papier, wo ich an dem Kopfe Hoͤrner, und an Haͤnden und Fuͤßen Krallen anbrachte, mit welchen er sich nehmlich den Teufel vorstellte.

Sein Abscheu dagegen war unbeschreiblich. Er sahe mich starr und mit Entsetzen an, und das erste, was er that, war, daß er diese Hoͤrner und Krallen, wovon die Dinte noch naß war, so geschwind er konnte, wieder auswischte, gleichsam, als ob er den Anblick nicht laͤnger ertragen koͤnnte. Jndem er auf mich wieß und einen Bart bezeichnete, aͤusserte er, ich sey wohl selbst ein Jude, oder doch so schlimm wie ein Jude.

Er erzaͤhlte dieses sogleich mit eben den verabscheuenden Gebehrden meiner Aufwaͤrterin wieder, und seitdem aͤußert er auch bestaͤndig großen Zweifel an meiner Seeligkeit. Diese bezeichnet er, indem er die Arme wie Fluͤgel leicht emporschweben laͤßt, und dabei eine heitre, laͤchelnde Miene annimmt; da er hingegen die Verdammniß auf vorerwaͤhnte78 Art durch die Gestalt des Teufels, der die Seele in seine Klauen faßt, und sie in den feurigen Ofen wirft, bezeichnet.

Frage ich ihn nun durch Zeichen, ob er wohl glaube, daß ich seelig werde, so will er mich zwar nicht geradezu verdammen, aber er schuͤttelt doch mit dem Kopfe, und mahlt ein Cruzifix aufs Papier, wobei er alsdann die Hoͤrner und Krallen, die ich dazu gemahlt, zwar mit der Feder uͤber dem Papier bezeichnet, aber es nicht wagt, das Papier mit der Feder wirklich zu beruͤhren, und nur einen Zug davon zu entwerfen. Die Miene, die er dabei macht, ist aus Verwunderung, Andacht und Abscheu zusammengesetzt.

So haͤlt er auch den Selbstmord fuͤr eine große Suͤnde. Denn indem ich einmal in seiner Gegenwart mich stellte, als ob ich mir ein Messer in die Brust stoßen wollte, so suchte er mich durch sehr ernsthafte Mienen und Gebehrden davon abzuhalten, indem er mir zugleich bezeichnete, daß mich gewiß der Teufel hohlen und mit Fuͤßen zertreten wuͤrde, sobald ich auf die Weise stuͤrbe.

Jch stellte mich darauf, wie einer, der vor Krankheit auf dem Bette stirbt, um ihn zu fragen, was denn mit mir geschehen wuͤrde, worauf er nach seiner Art zu verstehen gab, daß ich alsdenn wohl seelig werden koͤnnte. Dieß war noch vorher, ehe ich die Hoͤrner und Krallen gemahlt hatte.

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Wenn er glaubt, daß ihm selber Unrecht geschieht, und er sich nicht raͤchen kann, so zeigt er gen Himmel, und macht mit der Hand eine Bewegung, wie der Donner allmaͤlig herankommen, alsdann seinem Beleidiger ploͤtzlich auf den Kopf fahren, und ihn toͤdten, oder wie Gott ihn mit seinem Donner todtschlagen werde. Dieß ist seine ernsthafteste Aeußerung von der Bestrafung des Unrechts: bei geringeren Veranlassungen begnuͤgt er sich damit, daß er dem, der ihn beleidigt, ein paar Hoͤrner vormacht, als ob er sagen wollte, der Teufel werde ihn schon fruͤh genug hohlen.

Die erste ernsthafte Aeußerung pflegt er auch zu machen, wenn ein Stuͤck Brodt muthwillig an die Erde geworfen, oder damit gespielt und Kugeln davon gemacht werden, welches er ebenfalls fuͤr eine der groͤßten Suͤnden haͤlt.

Bedeutet man ihn, er werde wegen seiner eignen Suͤnden auch verdammt werden, so giebt er zu verstehen, daß er ja nicht hoͤren koͤnne, und daß sich Gott deswegen sein erbarmen, und ihn seelig machen werde.

Dieß geschahe auch einmal bei der Gelegenheit, wo er mir durch Zeichen vorwarf, daß ich nicht so fleißig in die Kirche gienge, wie meine Aufwaͤrterin, sondern waͤhrend der Zeit andre Geschaͤfte triebe; daß er selbst aber nicht hineingienge, entschuldigte er damit, weil er nicht hoͤren koͤnne.

80

Uebrigens sind ihm auch viele aberglaͤubische Begriffe von Hexen u. d.gl. beigebracht. Er weiß z. B. sehr genau, wenn die Hexen in der Walpurgisnacht auf den Blocksberg reiten; und hierbei habe ich eben zuerst gefunden, daß er einen sehr richtigen Kalender im Kopfe hat: denn den Abend vor dem ersten May beschrieb er zu meiner großen Verwunderung alle Thuͤren und Eingaͤnge mit Kreuzen, ohne daß ihn, wie ich gewiß weiß, irgend jemand ein Wort von der bevorstehenden Walpurgisnacht gesagt hatte.

Eben so bezeichnete er mir auch nachher, wenn es Ostern, Pfingsten, oder Himmelfahrtstag war. Es waͤre doch wirklich viel, wenn er einen Tag nach dem andern zaͤhlte und sich merkte, und nun die ganze Reihe dieser vergangnen Tage im Gedaͤchtniß behielte, wie es doch beinahe der Fall seyn muß, wenn er wirklich eine Art von Kalender im Kopfe hat. Auch kann er an dem Standpunkte der Sonne sehn, was die Uhr ist, und trift dieß gemeiniglich sehr richtig.

Wenn er bezeichnen will, daß er etwas wisse oder nicht wisse, so zeigt er mit dem Finger auf die Stirne, wobei er entweder mit dem Kopfe nickt oder schuͤttelt. Es sieht poßierlich aus, wenn er bedeuten will, daß einer verruͤckt sey, alsdann zeigt er ebenfalls mit dem Finger auf die Stirne, und macht dabei eine sonderbare verwirrte Miene.

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Einmal hatte er sich oder jemand anders ihm in den Kopf gesetzt, daß mir der Koͤnig jaͤhrlich 30 Rthlr. fuͤr ihn bezahlte; bis ich ihm diese Vorstellung aus dem Kopfe brachte, glaubte er bestaͤndig Unrecht zu leiden. Seine Kleidung, Essen, nichts war ihm gut genug, und er hatte mich bei jeder Gelegenheit im Verdacht, daß ich das Koͤnigliche Geld unterschluͤge, und er daruͤber leiden muͤsse.

Gegen den Koͤnig bezeigt er sehr viel Respekt. Wenn man ihm allerlei Fragen thut, was er werden will, und ihn unter andern, durch einen großen Stern, den man auf die Brust zeichnet, fraͤgt, ob er etwa Koͤnig werden wolle, so macht er dabei eine Miene, wie bei einer delikaten und gefaͤhrlichen Sache, und bezeichnet, daß ihm alsdann der Kopf werde vor die Fuͤße gelegt werden.

Als das erste Stuͤck dieses Magazins herausgekommen war, so ich ihm seinen Nahmen in demselben, den er wegen der Aehnlichkeit der gedruckten mit den geschriebnen Buchstaben sogleich erkannte, und dieß that eine ganz außerordentliche Wirkung auf ihn. Allen, die er kannte, zeigte er mit Verwundrung und Freude seinen Nahmen in einem gedruckten Buche. Jch bezeichnete ihm nun, daß einige Seiten bloß von ihm handelten, und er fand auch hier die Buchstaben b, d, f, u.s.w., die er zuerst hatte aussprechen lernen, besonders gedruckt, dieß vermehrte noch seine Verwunderung. Als ich ihm aber am Ende des Aufsatzes die Woͤr -82 ter stolz und neidisch erklaͤrte, und bezeichnete, daß sie ebenfalls auf ihn gingen, so war nun seine Aergerlichkeit hieruͤber eben so groß, als vorher seine Freude daruͤber, daß er seinen Nahmen gedruckt sah.

Sobald das zweite Stuͤck dieses Magazins herauskam, und er es bei mir auf dem Tische liegen sahe, blaͤtterte er es gleich sehr sorgfaͤltig durch, um zu sehen, ob er wiederum seinen Nahmen darinn finden wuͤrde.

III. Geschichte eines taub - und stummgebohrnen Frauenzimmers.

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Dorothea Johanna Catharina Klingesporn, ist den 4ten Mai 1751 hieselbst in Braunschweig gebohren. Jhr seeliger Vater, Christian Gottfried Klingesporn, war ein Musquetier, und ihre, auch schon laͤngst verstorbene Mutter, hieß Jlse Maria Klingesporn. Diese Eltern erfuhren leider bald aus allerhand Proben, daß ihr Kind nicht muͤßte hoͤren koͤnnen; aber sie befuͤrchteten hierbei nicht zugleich auch das andere traurige Elend, daß es stumm waͤre. Jn den Jahren aber, da sich bei den Kindern sonst die voͤllige Sprache zeiget, bemerkten sie auch den Mangel der Sprache bei ihrem Kinde mehr denn zu gewiß. Ohngefaͤhr da es sechs Jahr alt war, hat -83 ten die Eltern Gelegenheit, es dem damals sehr beruͤhmten Hofrath Heister, da er sich eben in Braunschweig aufhielt, vorzuzeigen, und dieser große Arzt seiner Zeit, sagte es ihnen, daß keine Hofnung waͤre, daß ihr Kind je wuͤrde hoͤren und sprechen koͤnnen. So wurde es also damals fuͤr ein taub - und stummgebohrnes Kind gehalten, und dafuͤr haͤlt sie ein jeglicher noch, der sie kennet. Damit ich aber hier nichts schreiben moͤchte, wovon ich nicht, so viel moͤglich, vergewissert waͤre, so erbat ich mir hieruͤber das Urtheil des hiesigen einsichtsvollen Hofmedikus duͤ Roi, welches ich auch erhielt.

Jch komme wieder zuruͤck in meiner Erzaͤhlung, auf die Jugendjahre dieses tauben und stummen Maͤdchens. Jhre Eltern machten mit ihr alle Versuche, ob ihr nicht sowohl im Jrrdischen, als auch besonders in der Religion etwas koͤnnte beigebracht werden. Sie schickten sie viele Jahre nacheinander zur Schule, und auch dahin, wo sie in Handarbeiten Unterricht haben konnte. Von den irrdischen Geschaͤften lernte sie verschiedenes; aber in der Schule weiter nichts, als mechanisch das Schreiben; und nicht das geringste von der Religion.

Nachdem ihre Eltern fruͤhzeitig verstorben waren, so nahm sie ihre jetzt im 92ten Jahre noch munter und gesund lebende Großmutter zu sich und hat sie bereits dreizehn Jahr als eine Vater - und Mutterlose Waise verpfleget. Auch diese ihre alte84 Großmutter hat anfangs noch einige Bemuͤhungen angewandt, um ihr Großkind noch ein mehreres lehren zu lassen. Allein alle Frucht, die sie davon hatte, war, daß sie in irrdischen Geschaͤften, Naͤhen, Stricken, auch Verkaufung der Gartengewaͤchse immer geschickter wurde. Von der Religion aber wußte sie nichts.

Jn einem solchen bejammernswuͤrdigen Zustande war sie nun bereits 25 Jahr alt geworden, als sie mir hier, in einem gewissen Hause christlicher Menschenfreunde, wohin dieselbe nebst ihrer Baase oͤfters mit Gartengewaͤchse gekommen, zu meiner Untersuchung, ob ihr nicht noch wohl einige Kenntniß der Religion beizubringen, und zugleich meiner Fuͤrsorge, wer dazu wohl zu gebrauchen sei, guͤtigst anempfohlen wurde. Man communicirte mir hiebei des Herrn Superintendenten Lasius Unterricht der taub - und stummen Fraͤulein von Meding.

Jch machte hierauf mit unserer Tauben und Stummen eine Probe. Sie hatte wirklich von der Religion nicht das geringste Erkenntniß. Aber ich bemerkte bei ihr ein recht sanftes, freundliches, lehrbegieriges, folgsames Wesen, was zu lernen, und anzunehmen. Nun gedachte ich darauf, wem ich hier wohl mit am besten, zur bestaͤndigen Aufsicht und zur taͤglichen Unterweisung, sie anvertrauen koͤnnte. Nach einigen Tagen redete ich desfalls mit dem hiesigen Schulhalter, den ich als einen treuen, fleißigen Schulmeister schon lange gekannt85 hatte, und bat ihn, daß er sie in sein Haus nehmen, und unter goͤttlicher Gnade einen Versuch mit ihrer Unterweisung machen moͤchte. Ob es ihm nun gleich nicht moͤglich war, die Taube und Stumme in seine Wohnung aufzunehmen, so war er doch willig genug, sie taͤglich zu unterrichten. Er erhielt von mir einige hiezu dienliche Buͤcher, und zugleich meinen Rath, wie das Werk wohl unter goͤttlichen Beistand anzufangen waͤre.

Er fing wirklich dies wichtige Werk mit der Huͤlfe Gottes vor anderthalb Jahren an; widmete dazu taͤglich zwo Stunden, und so setzte er es mit allem treuen ununterbrochenem Fleiße fort. Seine angewandten Bemuͤhungen segnete Gott von Zeit zu Zeit recht merklich. Jeder, der davon ein Augenzeuge wurde, mußte daruͤber erstaunen. Selbst verschiedene Standespersonen bewunderten, wenn er mit seiner Schuͤlerin zu ihnen gerufen wurde, ihre erlangte Kenntniß der Religion. Nach allen meinen moͤglichst angestellten Pruͤfungen glaubte ich, daß sie, nach den Faͤhigkeiten, die ihr Gott gegeben hatte, so viel von dem Christenthum gefasset, daß sie wohl koͤnnte confirmiret und zum heiligen Abendmahle angenommen werden.

Jch berichtete hierauf das alles, was bisher mit Unterweisung dieser Tauben und Stummen vorgegangen, und wie weit ich glaubte, daß sie in der Kenntniß der Religion gekommen sei, mit aller Unterthaͤnigkeit an Jhro Durchlauchten, unsern86 gnaͤdigsten Herzog. Hoͤchstdieselben geruheten auch durch ein gnaͤdigstes Rescript Hoͤchstdero huldreichstes Wohlgefallen auf die mildeste Weise hieruͤber zu bezeugen.

So wurde nun also ein Tag zu der heiligen Confirmationshandlung dieser Tauben und Stummen angesetzt, und ein jeder, der dieser Handlung beiwohnete, preisete die wunderbare Guͤte Gottes, die er an ihr bewiesen hatte.

Jeglicher ruͤhmte auch den treuen Fleiß ihres Schullehrers; und ich selbst kann ihm hier oͤffentlich das gewissenhafteste Zeugniß geben, daß er sie mit aller Treue und unermuͤdeten Fleiße unterwiesen hat. Davon habe ich mich so oft aus dem Augenscheine uͤberzeuget, und die heiligen Handlungen, die ich mit dieser seiner Schuͤlerin habe anstellen koͤnnen, sind davon auch sichere Beweise.

Und damit der geneigte Leser selbst von dem, was ich von seinem Fleiße und seinen treuen Bemuͤhungen geruͤhmt habe, ein guͤtiges Urtheil faͤllen moͤchte; so hat er einige Nachrichten von der Lehrart, nach welcher er die Taube und Stumme unterrichtet, aufsetzen muͤssen. Er hat diesen Aufsatz so gemacht, wie er hier zu lesen ist. Jch haͤtte freilich wohl einiges darinnen weiter ausdehnen, anderes enger zusammenziehen; und hie und da dieses und jenes aͤndern koͤnnen; aber ausser einigen Verbesserungen in der Schreibart und in dem Ausdruck, habe ich lieber die Sachen selbst so87 lassen wollen, wie sie aus seinem guten Herzen ungekuͤnstelt geflossen sind.

Einige Nachrichten von der Lehrart, nach welcher die Unterweisung der Taub - und Stummgebohrnen Dorothea Johanna Catharina Klingesporn, unter goͤttlicher Gnade angefangen und fortgesetzt ist.

Es war am 20ten Maͤrz 1776, da mich der hiesige Herr Pastor57Paulmannhohlen[ ließ], und mir[ eroͤfnete], daß sie wegen Unterrichts dieser Person ein Vertrauen in mich gesetzet, und mich zu diesem wichtigen und seeligem Geschaͤfte ausersehen haͤtten: ich moͤchte nach aller Treue und Fleiß thun, was mir moͤglich waͤre. Sie wollten nicht ermangeln, mich mit Rath und Beistand zu unterstuͤtzen. So bereit und willig ich nun war, zur Ehre Gottes und zum Dienste meines Naͤchsten auch in diesem Falle alles beizutragen, so war es mir doch ein fremder Gedanke, wie es moͤglich waͤre, eine taube und stumme Person zu unterrichten. Worauf mir der Herr Pastor des Herrn Superintendent Lasius Unterricht von der taub - und stummgebohrnen Fraͤulein von Meding, und des Herrn Pastor Solbrigs Bericht von Unterweisung tauber und stummer Personen zum Gebrauch reicheten, und dabei alle moͤgliche Anweisung gaben. Dieses machte mir Muth und Hofnung, daß da es doch nicht bei andern Personen unmoͤglich gewesen, so wuͤrde Gott auch zu diesen vorzunehmenden Unterrichte seinen Seegen geben.

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Jch versprach nach aller schuldigsten Treue und Fleiß zu thun, was mir unter goͤttlicher Gnade moͤglich waͤre. Und ich hatte Ursach Gott zu danken, daß er mich als ein Werkzeug in seiner Hand gebrauchen wollte, das Elend meines Naͤchsten in etwas zu erleichtern.

Worauf wir an dem Tage den Anfang machten, und auf alle Art versuchten, ob es nicht moͤglich waͤre, daß sie Buchstaben koͤnnte aussprechen lernen. Allein vergebens, kein anderer Buchstabe wurde gehoͤret als B, weil das eine Prellung der Lippen ausmachte. Da nun nach aller ersinnlichen Bemuͤhung, sie reden zu lehren, keine Hofnung war, so mußte ich auf Mittel denken, ihr andere Wege zu bahnen, um ihr doch fuͤr das erste eine richtige Kenntniß der Buchstaben beizubringen. Jch sahe mich in diesem Falle von vorerwehnten Buͤchern verlassen. Da die Fraͤulein von Meding die Buchstaben schon gekannt hatte; in Solbrigs Bericht aber keine Erwaͤhnung dieserhalb geschehen, und das von dem Herrn Superintendent Lasius angezeigte Fingeralphabet uns wohl zu weitlaͤuftig gewesen seyn moͤchte, indem ich nur taͤglich zwo Stunden zu diesem Unterricht widmen konnte. Daher machte ich den Versuch, und nahm einen Stock, dessen eines Ende sie zwischen ihre Vorderzaͤhne nehmen mußte, und das andere Ende nahm ich zwischen meine Zaͤhne und redete ihr dadurch zu, wodurch sie in Verwunderung und Erroͤthung gesetzet89 wurde. Dieses ließ uns hoffen, ihr auf solche Weise die Buchstaben beizubringen, und kenntlich zu machen, welches auch durch die Gnade Gottes so gluͤcklich von statten ging, daß sie in vierzehn Tagen die Buchstaben alle richtig anzeigen konnte, wenn ich ihr dieselben sowohl in als außer der Reihe zurief. Sobald sie die Buchstaben gefasset hatte, schrieb ich ihr das currente Alphabet auf, und wir gingen sodann die gedruckten und geschriebenen Buchstaben mit einander durch, so daß sie zum innigsten Vergnuͤgen in kurzer Zeit alle diese Buchstaben auf das deutlichste kennete. Den Unterschied zwischen einem harten P und weichen B, und harten T und weichen D ihr begreiflich zu machen, fassete ich sie bei der Hand, und druͤckte bei dem harten Buchstaben ihre Hand feste, und bei dem weichen sanfte. Da nun dieses Zurufen durch den Stock seine gute Wirkung hatte, so machten wir weiter den Versuch, ob sie auch alles durch denselben verstehen koͤnnte; allein vergebens. Sobald es Woͤrter waren, die aus mehreren, als einer Silbe bestunden, konnte sie solche nicht verstehen, ja sogar wenn das Wort aus mehr als drei bis vier Buchstaben bestand, so konnte sie es nicht unterscheiden, außer solche Woͤrter, als Jch, Du, er, Sie, u. d.gl. die konnte ich ihr verstaͤndlich zurufen. Nun mußten wir uns blos ans Schreiben, und an Zeichen, und Bilder halten. Nichts war noͤthiger, als sie durch ein bestaͤndiges liebreiches Betragen so einzu -90 nehmen, daß sie nirgends lieber war, als in der Schule zum Unterricht bei ihrem Lehrer, und daß man ihre Zeichen, durch welche sie eine Sache angab, kennen lernete, und dabei ja immer eine ernsthafte Miene behauptete, so laͤcherlich auch wohl zum oͤftern ihre Zeichen gewesen waͤren. Daher sahe sie auch gar nicht gerne, wenn Kinder gegenwaͤrtig waren, außer kleine Kinder von einigen Jahren. Auf diese ihr angenehm gemachte Jnformation wurde sie immer freudiger, und zeigte eine solche Lernbegierde, daß sie auf alle nur moͤgliche Art sich befleißigte, was zu lernen, und auf alles sehr genaue Achtung gab. Wenn ihr, z. E. gezeigt wurde, wie sie die Feder halten, und zu welcher Zeit sie derselben einen Druck geben muͤßte, wenn die Buchstaben ein Ansehen gewinnen sollten, so war sie stets achtsam. Nun wurden ihr eine Menge Woͤrter vorgeschrieben; als von dem Menschen, die Augen, Ohren, Arm, Hand u.s.w. Die Kleidung und andere in die Sinne fallende Dinge, wobei ihr bei einem jeden Worte die Sache angezeigt werden konnte. Wenn sie nun eine Anzahl Sachen vor sich auf dem Tische oder sonsten vor Augen liegen sahe, und dieselben nach dem Namen unterscheiden konnte, so wurden die Sachen aus der Stube oder sonst bei Seite geleget, und ihr denn durch ein Wort eine Sache angezeiget, die sie hohlen mußte. Auf diese Weise ging der Unterricht unter goͤttlichem Beistande gluͤcklich fort.

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Um nun das Buchstabiren und Lesen ihr auf eine angenehme Art gelaͤufig zu machen, schafte ich einen Buchstabierkasten an, aus welchem sie einen Buchstaben nach dem andern hinsetzte und Woͤrter daraus formirete: solche mußte sie alsdenn hinschreiben, damit ihr immer ein jedes Wort doppelt ins Gedaͤchtniß kaͤme, und so gingen wir in dem Jrrdischen und Sinnlichen fort, bis zur Religion. Da nun vor allen Dingen hier noͤthig war, ihr zuerst ihren Gott kennen zu lernen, so gelang es uns auch durch seinen Geist und Beistand, daß wir uͤber alles Vermuthen in dieser so sehr schweren und wichtigen Sache taͤglich um ein großes weiter kamen; wozu ihr innerlicher Trieb, solches zu wissen, ungemein vieles beitrug. Nun zeigte ich ihr erst am Abend den Himmel mit seinen unzaͤhligen Lichtern, nehmlich die Sterne, und frug: ob sie die zaͤhlen koͤnnte? sie hielt das anfaͤnglich fuͤr eine sehr leichte Sache. Wie ich ihr aber eine Hand voll Sand auf das Papier schuͤttete, und eine Rechentafel voll lauter durcheinander punktirter Punkte vorlegte, und befragte: ob sie dieselben zaͤhlen koͤnnte? so sahe sie gar bald ihre Schwaͤche ein, daß da sie diese geringe Anzahl nicht zaͤhlen koͤnnte, es ihr gar nicht moͤglich waͤre, die große und unbeschreibliche Zahl der Sterne zu zaͤhlen. Und als ich ihr nun weiter zeigte, daß ich einen wuͤßte und kennte, der die Sterne zaͤhlen koͤnnte, so war sie begierig zu wissen, wer der seyn moͤchte? Jch schrieb ihr vor: der92 heißet Gott, und sie freuete sich, den naͤher kennen zu lernen. Am andern Tage zeigte ich ihr die Sonne, und befahl ihr, daß sie dieselbe ansehen sollte; da sie aber ihres starken Glanzes wegen solche nicht ansehen konnte, schrieb ich ihr vor: Gott hat die Sonne auch erschaffen, und dieser Gott ist so groß und so herrlich und glaͤnzend, daß ihn niemand ansehen kann. Gleich darauf kam uns ein starkes Gewitter sehr zu ihrem Unterricht zu Nutze. Wie sie eine Furcht vor dem Blitze, und vor der Erschuͤtterung des Donners zeigte, so wieß ich ihr, das thaͤte Gott, der waͤre aber uns nicht boͤse, wie sie wohl daͤchte, sondern gut, und er waͤre hier bei uns, ob wir ihn schon nicht sehen koͤnnten.

Jch nahm hierauf ein Kind und band dem die Augen zu, nun frug ich sie: ob das Kind uns sehen koͤnnte? worauf natuͤrlich ihr Kopfschuͤtteln, ihr Nein, erfolgte. Jch frug weiter, koͤnnen wir denn das Kind sehen? Ja; nickte sie; nun brauchte ich ein Exempel und zeigte ihr, wenn jemand in die Stube kaͤme und diesem Kinde Leid zufuͤgen wollte, ob ich denn als Vater das Kind nicht wuͤrde beschuͤtzen. Sie nickte wieder Ja. Oder wenn der Durchlauchtigste Herzog die Kanonen abfeuern ließen, (N B. den Durchl. Herzog bezeichnete sie mit dem Stern auf der Brust) und Jhro Durchlauchten Prinzen waͤren gegenwaͤrtig, ob denn denenselben bei dieser donnernden und blitzenden Kanonade wuͤrde ein Leid zugefuͤget werden. Nein, schuͤttelte sie93 mit dem Kopfe. Nun eben so bedeutete ich ihr: wuͤrde Gott uns auch gnaͤdiglich beschuͤtzen, das uns kein Leid wiederfuͤhre, ob es auch noch so sehr donnerte und blitzete, denn er waͤre unser Vater und wir seine Kinder.

Weil ich nun leicht erachten konnte, daß sie mir den Einwurf gewiß machen wollte, ich sehe aber Gott nicht? So bedeutete ich ihr hierauf fuͤr das erste, daß man viele Dinge nicht sehen koͤnnte, und waͤren doch da. Z.E. das Ding, mit welchem sie wuͤßte, was sie thaͤte, das waͤre nicht ihr Finger, oder Hand, oder Arm, sondern das waͤre in ihr, ihr Geist. Nun frug ich sie durch Zeichen: ob sie schon gesehen haͤtte, das jemand gestorben waͤre? welches sie mit ihrem Ja Zeichen anzeigte. Worauf ich weiter frug, ob sie denn auch die Seele gesehen haͤtte, daß die gestorben waͤre? Die habe ich nicht sterben sehen, schrieb sie.

Jch bezeichnete ihr, daß die auch nicht sterben koͤnnte, weil sie kein Finger, oder Hand, oder Fuß waͤre. Aber, schrieb ich, die Seele ist vielleicht noch in dem todten Menschen geblieben? worauf sie aber antwortete: Nein, denn der Mensch haͤtte seine Haͤnde, Augen, Mund und nichts mehr ruͤhren koͤnnen, welches ihre Seele sonst befohlen. Dieses uͤberzeugte sie deutlich, daß die Seele nicht mehr in dem verstorbenen Menschen sei, indem man nach weniger denn Acht Tagen seinen besten Freund nicht mehr sehen moͤchte, wenn er todt waͤre. Aber die94 Seele desselben mag man doch noch gerne sehen? Die kann ich nicht sehen, bezeichnete sie.

Hierbei nahm ich denn Gelegenheit ihr zu zeigen: daß da Gott auch ein Geist sey, so waͤre er doch wahrhaftig als Gott da, ob man ihn schon nicht sehen koͤnnte. Und von dem haͤtten wir unsern Ursprung. Unser Leib waͤre aus Erde gebildet, wie ich ihr bei Schoͤpfung des Menschen gezeiget hatte. Wenn der Mensch nun stuͤrbe, fuhr ich fort, muͤßte der Leib zur Erde werden, wovon er genommen waͤre, die Seele aber ginge wieder zu Gott, von dem sie ihren Ursprung haͤtte. Ja, ich wollte ihr noch mehr sagen, dieser Gott waͤre unsichtbarer Weise allgegenwaͤrtig, wir moͤchten uns hinwenden, wo wir wollten, so waͤre Gott da, er saͤhe und hoͤrete, alles was wir thaͤten und redeten, und dieser Gott sey allmaͤchtig, das hieße: er koͤnnte alles hervorbringen, z. E. daß die Sonne uns schiene und nicht schiene, daß es regnete und aufhoͤrte, daß es donnerte und wieder aufhoͤrte, und das Gewitter gnaͤdiglich voruͤber ginge, u.d.m.

Nun frug ich sie, ob das ein Mensch koͤnnte hervorbringen und abwenden, es fiel ihr leicht hierauf: Nein zu schreiben, und sie zeigte mir durch Zeichen, daß ihr jetzt eben eine solche Begebenheit einfiele. Wie wir vor einigen Jahren das schwere Hagelwetter gehabt haͤtten, so sei kein Mensch vermoͤgend gewesen, demselben zu wehren, sogar des Durchl. Herzogs Fenster waͤren auch zerschlagen. 95Nun glaubte sie also wohl, daß ein allmaͤchtiger Gott waͤre. Und so giengen wir das Pflanzenreich auch mit einander durch. Da sie vorher natuͤrlicher Weise mußte gedacht haben: daß das alles von dem Fleiße der Menschen herruͤhrte, und die Erde solches alles hervorbraͤchte, so lernte sie nun einsehen, daß wenn es nicht regnete, alles auf dem Lande vertrocknete, oder wenn keine Sonne schiene, daß es denn im Wachsthum damit nicht fort wollte, wie ihr denn solches am besten bekannt war, weil sie mit Gartengewaͤchse zum Verkauf umzugehen pflegte. Nun faßte sie es auch gar bald, daß alles von einem allmaͤchtigen Wesen, auch das Leben, und die Gesundheit der Menschen abhinge.

Da ich nun uͤberzeuget war: daß sie Gott aus dem Reiche der Natur mit vieler Gewisheit und Ueberzeugung hatte kennen lernen; so giengen wir zum zweiten Beweise: nehmlich zu dem Zeugniß des Gewissens. Jch suchte ihr unter allerlei Begebenheiten vorzustellen, daß ein Mensch nicht immer einerlei Gemuͤthsbewegung haben koͤnnte, wenn er Gutes oder Boͤses thaͤte. Z.E. ein Dieb haͤtte bei der finstern Nacht gestohlen, und niemand haͤtte es gesehen, und nun saͤße er am Tische und zaͤhlte sein Geld, es kaͤme aber jemand und klopfte an die Thuͤre: ob der Dieb wohl ein ruhiges Gemuͤthe haͤtte, oder ob er nicht vielmehr sein Geld wuͤrde suchen zu verbergen, ehe er jemanden hereinkommen96 ließe? Dagegen stellte ich ihr weiter vor, wenn ein Kaufmann aus seinem Laden tausend Thaler Geld, die er redlich aufgenommen, auf seinem Tische liegen haͤtte, und jemand kaͤme und klopfte an, so wuͤrde der sein Geld nicht verbergen, sondern ungescheut rufen: herein! Und solche Faͤlle giengen wir sehr viele durch. Nun ließ ich sie selbst urtheilen, ob der Dieb ein so ruhiges Herz und Gewissen habe, als der Kaufmann? Nein! zeigte sie an, der Dieb hat was Boͤses gethan, und der Kaufmann nicht.

Es hats aber niemand gesehen, schrieb ich ihr auf, vor wem fuͤrchtet er sich denn? Doch, zeigte sie an, Gott hat es gesehen. Und der Gott, bezeichnete ich ihr, ist auch Beherrscher uͤber unser Gewissen, und keiner kann, wenn er Boͤses gethan, der Unruhe desselben sich entziehen. Dagegen wenn wir nichts Boͤses gethan haben, und es kommt denn auch wegen einer gestohlnen Sache Nachfrage, so koͤnnen wir ganz ruhig seyn, das waͤre laut des Gewissens sein untruͤgliches Kennzeichen, daß ein Gott sey.

Hierauf fing ich an, ihr die Gebote eins nach dem andern begreiflich zu machen, welche sie auch bald fassete, und sie suchte selbst jeden aͤhnlichen Fall in die Gebote einzuruͤcken. Z.E. nach dem ersten Gebote, daß es nicht erlaubt waͤre, Bilder anzubeten; nach dem andern, daß es so viele Leute gaͤbe,97 die nicht beteten; nach dem dritten, es giengen zwar viele Leute in die Kirche, die wenigsten aber aus der rechten Absicht. Sie zeigte nun und klagte: die Leute koͤnnten hoͤren und reden, und bekuͤmmerten sich so wenig um die Predigt. Ein Theil plauderte, ein Theil saͤhe nur zu, was die Leute fuͤr Kleider und Frisuren haͤtten, ein Theil saͤße und blaͤtterte in Buͤchern, und ein Theil schliefe, was Gott wohl moͤchte davon denken; sie wollte gerne zuhoͤren, wenn sie nur koͤnnte. Jndessen haͤtte sie doch den Nutzen von ihrem Kirchengehen, daß sie von Gott den Seegen empfinge.

Nach dem vierten Gebote, das waͤre nicht erlaubt, wenn Kinder ihren Eltern nicht gehorchten u.s.w. Hier zeigten sich die hoffnungsvollesten Fruͤchte der jetzigen Bemuͤhung, und daß sie nicht mechanisch gelernt hatte, aus folgenden Umstaͤnden: Wie sie nach Hause koͤmmt, nimmt sie eine Tafel, macht einen Ring darauf, und theilet den in zehn Theile, und schreibet die Gebote darein; nun gehet sie zu ihrer alten Großmutter, und zeiget, wenn sie sich vergangen und sie beleidiget haͤtte, so baͤte sie um Vergebung. Von der Zeit an hat sie sich sehr gehorsam bewiesen.

Nach dem fuͤnften Gebote zeigte sie die Kindermoͤrderin an, die vor einigen Jahren gerichtet war.

Nach dem sechsten Gebote war es ihr ein rechter Schauder, wenn junge Leute so vor die Thore98 zum Tanzen und Springen liefen, oder wenn sich sonst wer betrunken hatte. Wie sie nun in eben diesem Gebote den frommen und keuschen Juͤngling Joseph in dem Bildercatechismus erblickte, wie ihn Potiphars Weib beim Kleide hielt, so glaubte sie, das waͤre ein Fehler in dem Bildercatechismus, und gehoͤre ins siebente Gebot, weil sie dachte, Joseph haͤtte stehlen wollen, und waͤre dabei erhascht. Wie ich ihr aber, so viel die Wohlanstaͤndigkeit erlaubte, verstaͤndlich machte, was die Ursache davon waͤre, gerieth sie in eine rechte Verbitterung auf das Weib. Nach dem siebenten Gebote bemerkte sie, daß es schon hier bestraft wuͤrde, wenn jemand stehle, wovon sie denn viele Exempel anfuͤhrte. Und so wußte sie auch leicht anzuzeigen, was in dem achten, neunten und zehnten Gebot enthalten sey.

So weit ging alles gut, aber wie wir im Gebete Christi oder Vaterunser an die fuͤnfte Bitte kamen: und vergieb uns unsere Suͤndenschuld! da glaubte sie, das waͤren nur bloße offenbare Missethaͤter, die das bitten muͤßten; wie ich sie aber uͤberfuͤhren wollte, daß alle Menschen Suͤnder und Schuldner waͤren vor Gott, daß kein Koͤnig, kein Fuͤrst, kein Priester, in Summa kein Mensch waͤre, der nicht suͤndigte, so zog sie die Schultern, und bedauerte es sehr, daß sie denn manchen fuͤr so ganz fromm angesehen haͤtte, und thaͤte doch noch Suͤnde. Und daß99 ich auch noch Suͤnden begienge, das haͤtte sie nicht geglaubt. Wie ich ihr aufschlug, was David sagt: meiner Suͤnden sind mehr, denn des Sandes am Meer, das war ihr sehr bedenklich. Aber sie und ihre Großmutter, meinete sie, haͤtten doch keine Suͤnden gethan, wenn sie ja, wie sie noch klein gewesen, sich versehen, so waͤre das laͤngst geschehen, und ihr vergeben. Folglich koͤnnte Gott keine Schulden mehr zurechnen. Wie ich ihr nun zeigte, daß sie nicht allein mit Werken, sondern auch mit Gedanken und Gebehrden noch immer suͤndigte, auch nicht allein mit Vollbringung des Boͤsen, sondern auch mit Unterlassung des Guten die Gebote uͤbertreten habe, und daß sie auch dafuͤr, was sie von Kindheit an Boͤses gethan, strafbar waͤre; so fiel alle Liebe und Zutrauen zu mir weg, und wollte nichts mehr erklaͤrt wissen. *) *) Hierauf folgt eine fernere Erzaͤhlung, wie Herr59Schweinhagenihr dennoch, nach seiner besten Ueberzeugung, die von ihm fuͤr noͤthig gehaltenen Religionsbegriffe beizubringen suchte.

Ruͤhrend ist die Anrede, die Herr Pastor60Paulmann,bei der Konfirmation dieser Taub - und Stummgebohrnen, an den Herrn Schullehrer100 Schweinhagen, und eine betagte Großmutter dieses Frauenzimmers hielt: sein gutes, gefuͤhlvolles Herz ergießt sich hier, wie folget:

» O bewundre, bete an, danke mit mir dem Herrn, und freue Dich, Du guter Lehrer dieser unsrer treuen Schuͤlerin! Du hast gepflanzet, ich habe begossen, und Gott hat das Gedeihen dazu gegeben. Sie ist unter den Dir anvertrauten Laͤmmern in der Schule, und unter meiner mir anbefohlnen Heerde, von dieser Art mein und Dein Erstling, von uns dem Herrn gebracht, hier in der Gemeine Gottes, und das wird sie auch dereinst fuͤr uns seyn im Himmel. Da, da wird sie uns mit Himmelssprache ewig Dank sagen.

O bewundert, betet an, dankt dem Herrn, und freuet Euch mit mir, die Jhr dieser Eurer Freundin als Anverwandten angehoͤret. Und Du, alte Betagte, die Du schon laͤngst das sonst so hochangesetzte Ziel des menschlichen Lebens uͤberstiegen hast; die Du als Großmutter diese Deine Großtochter an dieser heiligen Staͤte erblickest; Dein Wunsch ist erfuͤllt; die Du muͤtterlich gepflanzet, die Dich kindlich liebet, Dein Kind ist Gottes Kind, eine Erbin des Himmels. Wenn Du nach Gottes Willen vor ihr, oder sie nach seinem weisen Rath vor Dir in die Ewigkeit geht;101 dort kommt Jhr wieder an einem Orte zusammen, wo keine Leiden, keine Stummheit, keine Taubheit, sondern lauter Freude, lauter Himmelsfrohlocken auf ewig seyn wird!

O bewundre, bete an, danke mit mir dem Herrn, und freue Dich, ganze christliche Versammlung, uͤber diese unsre liebe Tochter, Deine Mitchristin! Keiner verachte sie! niemand aͤrgere sie! niemand verderbe den Tempel Gottes, denn wer den verdirbt, den wird Gott verderben! Jeglicher sehe wohl zu, wie er mit ihr, und vor ihr fuͤrsichtiglich, christlich, heilig, exemplarisch wandle! Nehmet sie auf, liebet sie, schaͤtzet sie, sorget fuͤr sie, betet fuͤr sie! «

102

Zur Seelenheilkunde.

I. Etwas aus der Geschichte eines Hypochondristen.

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Da ich einmal fand, daß die Gemuͤthsfassung außerordentlich viel zur Gesundheit thue: so habe ich alles von mir entfernt, was ich entfernen konnte, dessen schaͤdlicher Einfluß hierinn mir bekannt geworden ist. Die Vielwisserei und Angst des Nichtwissens ist bezaͤhmt.

Jch gehe noch gern den Untersuchungsweg fort, wenn er auch rauh, steil, oder dunkel ist. Aber ich uͤberlaufe mich nicht, sondern gehe Schritt vor Schritt. Bin ich einmal nicht so weit gekommen, als ich wuͤnschte, so denke ich, auch fuͤr den morgenden Tag muß noch Beschaͤftigung und Ausbeute seyn. Dadurch bleibt man bei Athem und Kraͤften.

Das Studium des Menschen und der Natur ist gesunde Nahrung. Ueber Kindereien, woruͤber sich die ehrwuͤrdige Versammlung zu und zu den Kopf zerbrochen hat, zerbreche ich den meinigen nicht, nachdem ich eingesehen habe, daß sie103 nicht ad bene beateque vivendum noͤthig sind. Den schoͤnen Wissenschaften, die die Einbildungskraft auf die Folter englischen Spleens spannen, oder ein paar koͤrnichte Jdeen in einem Meere von faden und suͤssem Gewaͤsch ersaͤufen, bin ich nicht gut. Man kann mir viel Geld bieten, um mich zum Lesen eines Trauerspiels, oder Romans, wenns nicht etwa ein Spitzbart ist, oder auch Gedichts, zu bewegen, das nicht mit so vielen, in jedem Worte ausstroͤmenden Vergnuͤgen, wie ein Homer, Virgil, Horaz, Haller, Gellert, und einige wenige mehr, angefuͤllet ist und aufheitert.

Ein witziges und vergnuͤgendes Epigramm, eine drollichte Romanze, ist ein wahrer staͤrkender Leckerbissen fuͤr mich, aber keine Jdylle, keine Elegie etc. etc. Kleist war, und ist gewissermaßen noch der Dichter meiner Seele; aber er ist feine Nahrung sanfter hypochondrischer Laune, und in sofern nicht der beste Gesellschafter.

So aufmerksam, zum Exempel, muß der ungluͤckliche Hypochondrist, der aus dem Schifbruch entronnen ist, uͤber alles wachen, womit er sich naͤhret und beschaͤftiget. Ueber viele andere, hieher gehoͤrige Dinge, kann ich mich nicht erklaͤren, ohne den Vorhang zu weit zuruͤckzuschlagen, hinter welchem ich meine Schwachheiten bekenne.

Jm ganzen weiß ich meine Gemuͤthsfassung und Neigungen, in Beschaͤftigung, Vergnuͤgen und Ge -104 schmack, nicht kuͤrzer und gewissermaßen kraͤftiger auszudruͤcken, als wenn ich sage: ich bemuͤhe mich, ein Teutscher zu seyn. Die Teutschheit, in allen Stuͤcken, ist ein wahres Antiseptikum gegen dieses giftige Uebel. Auch waren wir nicht so leicht hypochondrisch, so lange wir nicht von fremden Sitten zu sehr angesteckt waren.

Jch koͤnnte diese Vergleichung weit fuͤhren: aber ich fuͤrchte schon, hie und da zu weitlaͤuftig gewesen zu seyn. Doch noch eins. Der Umgang mit unsers Gleichen ist bei der Wahl eines Hypochondristen bedeutend. Gleich und Gleich darf sich hier nicht sonderlich gesellen. Jch suche immer einen Zirkel zwar von denkenden, aber immer teutschfuͤhlenden und maͤnnlich heitern Freunden zu finden.

Selbst der ungelehrte Lustigmacher ist mir lieb; und ich moͤchte beinah sagen, lustige, wenn schon nicht immer sokratische Scherze, sogar Plattituͤden von Spas, wenn man auch zuweilen den Erfinder mit der Erfindung zu belachen nicht umhin kann, sind dem Hypochondristen immer besser, als die schoͤnste Stelle aus Youngs Nachtgedanken, oder dem M

Wo zuweilen, neben dem Glase in Zuͤchten, unter ungenirten, doch moralisch guten Koͤpfen, so etwa ein asmussischer Schwank umhergehet, und das Zwergfell nicht viel Ruhe hat, das gehoͤrt zu den Festen, die dem Erbfeind der Gelehrten ein wahrer Dorn im Auge sind. Aber einem mond -105 suͤchtigen Empfindler zuzuhoͤren, wenn er quelque chose de gracieux ou de noble vorlispelt, oder aus dem Buche hergrimmaßirt, dafuͤr wollte ich jetzt lieber mit Eulenspiegeln in Gesellschaft seyn, mit dem alten.

II. Ueber Anstrengung des Geistes. 63Bemerkungen von eben diesem ehemaligen Hypochondristen.

Anstrengung des Geistes ist fuͤr Gelehrte schlechterdings in einigem Grade unvermeidlich; man kann sich zwar nicht ganz davor huͤten, aber unter gewissen Regeln, kann man sie sich weniger schaͤdlich machen.

Erstlich suche man seine Gesundheit so stark wie moͤglich zu machen: so wird eine staͤrkere Anstrengung weniger schaden, als unter andern Umstaͤnden eine weit geringere. Vorzuͤglich ist der Gebrauch des guten Weins und Obstes ein Mittel, staͤrkere Anstrengung des Geistes laͤnger zu ertragen.

Zweitens, arbeite man nicht lange unmittelbar aneinander mit dieser Anstrengung. Sobald es damit nicht recht mehr fort will, so lasse man dies sein Werk nicht nur sogleich liegen, sondern suche sich, wenn schon nur auf eine kurze Zeit, zu zer -106 streuen. Man gehe im Zimmer umher, in die Luft, in den Garten u.s.w. oder zerstreue sich mit kleinen Arbeiten und Gespraͤchen.

Je abgelegener diese von unserer Gedankenreihe, je simpler, in Absicht der noͤthigen Aufmerksamkeit, je lustiger sie sind, desto besser. Drittens, suche man die hohen Arbeiten des Geistes in solchen Zeiten vorzunehmen, worinn wir am staͤrksten sind; des Morgens, nach starken Bewegungen und Erholungen, nach den nicht schwaͤchenden Vergnuͤgungen u.s.w. Durch eine[ moͤglichst weise] Einrichtung der Geschaͤfte gehe man vom Schwerern nur zum Leichtern fort; nie aber umgekehrt. Dadurch werden wir unendlich mehr thun, als sonst moͤglich ist, und immer mit genugsamer Kraft. Zwingt man sich aber zu Anstrengungen dieser Art, wenn just die Seele nicht heiter ist, so trift das Virgilianische

frustraque laborem / Ingratum trahit

ein. Man sieht hieraus, daß die Stunden gegen Abend und die Nacht gerade, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, die unschicklichsten sind.

Wer hypochondrisch ist, und dabei freiwilligen grossen Geistesanstrengungen obliegt, ist de tempore der groͤßte Thor und Selbsthasser. Man wende nicht ein, daß man aus seiner Erfahrung und Gewohnheit wisse, daß die Stunden gegen und nach Mitternacht die besten Zeiten zu starken See -107 lenarbeiten seyn. Jch gebe es zu, daß es bei Manchem fuͤrs erste wirklich so ist. Jch habe diese scheinbar beweisende Erfahrung und Meinung auch gehabt. Aber es ist nichts weiter als die Frucht der Gewoͤhnung der Seele und des Koͤrpers an eine gewisse periodenmaͤßige Epoche, wornach wir, wie mit vielen Dingen, z. E. dem Essen geschieht, wenn diese Zeit wiederkoͤmmt, wieder vorzuͤglich Lust zur Sache haben, weil wir einmal dazu gewoͤhnt sind.

Aber man kann es a priori schon einsehen, daß dieses schlechterdings nicht die bequemste Zeit dazu sei, da es doch immer am Ende der Thaͤtigkeit eines Tages ist, wornach die Kraͤfte doch allemal etwas geschwaͤcht werden. Wie kann das gesund auf der einen, und die Arbeit erleichternd auf der andern Seite seyn, jetzt vorzuͤglich die Seelenkraͤfte und Nerven anzustrengen? Man versuche es, und verlege diese epochenmaͤßige Thaͤtigkeit der Seele in die Morgenstunden, so wird man finden, sobald man dazu gewoͤhnt ist, daß man dennoch jetzt noch mehr, als damals, und mit groͤsserer Leichtigkeit arbeiten koͤnne, und weniger Schaden fuͤr die Gesundheit davon habe. Da ich jene Mode ehedem gehabt, und nachher mit voͤlliger Ueberzeugung diese hier vorgezogen habe, so sind diese Saͤtze lauter Erfahrung.

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Zur Seelenzeichenkunde.

Beitrag zur Nebeneinanderstellung jugendlicher Charaktere.

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Heinrich, ein Knabe von acht bis neun Jahren, hat ein durch haͤufige Krankheiten sehr geschwaͤchtes Nervensystem, und daher in seinem Aeussern nicht das mindeste Lebhafte. Sein Gang ist schleppend, und seine Sprache langsam und matt. Sein Blick ist ohne alles jugendliche Feuer, aber sehr sanft und ein treuer Schattenriß seines ruhigen, freundschaftlichen Herzens, das keine aufbrausenden Leidenschaften kennt, und sich an jeden seiner Bekannten, wenn ich so sagen darf, anschmiegt.

Er liebt zwar Reinlichkeit und Ordnung, mag aber nicht gern selbst dafuͤr sorgen; er ist gesellig und liebt das Spiel, macht aber selten Geraͤusch dabei. Entstehen Zaͤnkereien zwischen ihm und seinen Geschwistern, so giebt er nach und kann sich nicht leicht beruhigen, wenn er jemanden gekraͤnkt hat.

Er thut fast alles, um gelobt zu werden; da er aber das verdiente Lob nicht von der Schmeichelei unterscheidet, so hat sein Ehrtrieb leider die rechte Spannung schon verloren, und ihn auf den Weg109 der Heuchelei und Verstellung gebracht; er weiß seine Fehler sehr geschickt zu verbergen, und ihnen, wenn sie je entdeckt werden, einen so guten Anstrich zu geben, daß sie ihm, von allen, die ihn nicht kennen, gewiß auf der Stelle vergeben werden. Mit eben so vieler Geschicklichkeit weiß er auch sein Gutes allenthalben sichtbar zu machen. Diese uͤble Gewohnheit muß er sich so, wie seine ziemlich große Fertigkeit im Luͤgen, abgewoͤhnen, wenn ihn seine, uͤbrigens dienstfertige, liebevolle, nachgebende und zu allen sanften Tugenden faͤhige Seele, allgemein beliebt machen soll.

Schmerz und Vergnuͤgen bringen ihn beide leicht außer Fassung, und er kann sich eben so wenig im Klagen als im Froͤhlichseyn maͤßigen.

Seine zu große Furchtsamkeit haͤlt ihn von jeder Unternehmung zuruͤck, bey welcher etwas gewagt werden muß. Bey den kleinsten Uebungen im Springen, Klettern und Bergablaufen, die ich mit ihm anstellte, um ihn beherzter zu machen, kostete es mir sehr viel Muͤhe, ihn zu den kleinsten Versuchen zu bewegen, denn seine Vorstellungen von den damit verbundenen Gefahren waren immer uͤberspannt.

Durch Schilderungen des Elends oder guter Charaktere wird er so, wie durch Erzaͤhlungen trauriger Begebenheiten, leicht geruͤhrt; er laͤuft dann im ganzen Hause umher, und sucht jede theilneh -110 mende Seele auf, der er erzaͤhlen kann, was er gesehen oder gehoͤrt, und was er dabei empfunden hat. Freilich verschwindet der Eindruck, den der Anblick eines Elenden oder eine ruͤhrende Erzaͤhlung auf sein Herz gemacht hat, auch bald wieder, denn sein allzureizbares Nervensystem findet in jedem Augenblick einen anziehenden Gegenstand, der ihn zerstreuet. Daher ist die Reihe vernuͤnftiger Vorstellungen, die er an sinnliche Eindruͤcke knuͤpft, gewoͤhnlich sehr kurz. Ueberhaupt mag er nicht gern lange nachdenken, und er wird sich sehr anstrengen muͤssen, wenn er es in irgend einer Wissenschaft, die viel abstraktes Denken erfordert, zu einiger Vollkommenheit bringen will. Desto ausdauernder ist er hingegen bei kuͤnstlichen Beschaͤftigungen, bei denen die Sinne im Spiel sind. So schnitzt er z. B. Pfeifen aus Schilf und Haberstroh, und bessert so lange, mit unglaublicher Geduld, daran, bis ihre Toͤne rein und seinem Ohr harmonisch werden. Er zeichnet oft halbe Tage lang, ohne vom Tische aufzustehen; seine Zeichnungen sind aber so, wie die kleinen Figuren, die er in Wachs poußirt, gemeiniglich bloße Kinder seiner Jmagination, denn er nimmt selten bei diesen Arbeiten ein Muster vor die Augen; daher entstehen denn oft die sonderbarsten Gestalten, deren Bedeutung er gemeiniglich erst erklaͤren muß. Sein Ehrgeitz findet sich durch nichts so sehr beleidigt, als wenn diese seine Werke, oder seine oft zu kindischen Einfaͤlle, etwa von seinen Ge -111 schwistern bespoͤttelt werden. Jch habe ihn oft Stundenlang hieruͤber weinen sehen.

Sein siebenjaͤhriger Bruder, Philipp, ist ein gesunder, starker Knabe, von außerordentlichem Talent und eben so vieler Betriebsamkeit. Er ist keinen Augenblick muͤßig, sondern immer thaͤtig, und seine Beschaͤftigungen sind gemeiniglich von so guter Art, daß sie auch dem erwachsenen Beobachter derselben Vergnuͤgen machen, sonderlich, wenn er faͤhig ist, schon von den Kinderspielen auf die Beschaͤftigungen des kuͤnftigen Mannes zu schließen. Er pflanzt z. E. kleine Gaͤrten, bauet Haͤuser und Thuͤrme, und sucht sich die kleinen Baumaterialien im ganzen Hause dazu zusammen. Auf die Weise legt er Doͤrfer und Staͤdte an, giebt ihnen Einwohner von Papier, sticht Kanaͤle mit einem Span und traͤgt das Wasser mit Nußschalen hinein u.s.w. Bei diesen Beschaͤftigungen ist er, wie uͤberhaupt bei seinen Arbeiten, unermuͤdet. Er ruhet nicht eher, als bis er sein Projekt ausgefuͤhrt hat, und laͤßt nicht leicht ein Werk unvollendet liegen. Er pflegt gemeiniglich uͤber alles, was ihm vorkoͤmmt, nachzudenken: wozu es wohl nuͤtzt, was daraus verfertigt werden koͤnnte u.s.w. Faͤllt ihm nun ein Brettchen oder sonst etwas in die Haͤnde, so sinnet er gleich nach, wozu er es anwenden will; und auf die Weise entstehen denn die kleinen Plane zu seinen Unternehmungen, die, nach Maaßgabe seines Kinderverstandes, oft ziemlich gut uͤberdacht sind. Diese112 Plane fuͤhrt er nun am liebsten selbst aus, ohne seine Geschwister daran Theil nehmen zu lassen; nicht aus Mangel der Geselligkeit, sondern weil ihre Projekte gewoͤhnlich mit den seinigen in Kollision kommen und er bei seinen Entwuͤrfen schlechterdings nach seinem Sinne handelt. Dem Rathe erwachsener Personen folgt er dabei gern, nur muͤssen sie ihm das Ganze nicht zerstoͤren wollen, sondern bloß die Miene eines Gehuͤlfen annehmen. Uebrigens ist er bei den Spielen, mit andern, nicht eigensinnig, sondern sehr friedfertig, und verlangt nie bei einer Sache, bei welcher er nur Theilnehmer ist, seinen Willen zu haben.

Einer seiner Lieblingszeitvertreibe ist das Blumen - und Jnsektensammeln, wobei er alle andere Freuden, sogar oft das Mittagessen vergißt, und gern mit einem Butterbrot fuͤrlieb nimmt, wenn man ihn nur nicht von seinen kleinen botanischen Excursionen zuruͤckruft. Er hat dabei auf die kleinsten Pflanzen Acht, und erkundigt sich, wenn er ein neues, ihm noch unbekanntes Bluͤmchen findet, sogleich nach dem Namen desselben, oft auch: » obs der Apotheker brauchen kann. «

Sein Blick ist lebhaft und scharf; seine Sprache deutlich und angenehm, und seine offene, immer heitere und freundliche Miene, scheint einem jeden zu sagen, daß er es mit der ganzen Welt gut meint, und daß in seinem Herzen nicht das mindeste Falsche ist.

113

Er kann im hoͤchsten Grade froͤlich, aber selten ganz niedergeschlagen werden. Seinen Schmerz klagt er selten, und dann muß er sehr heftig seyn; aber an seiner Freude muͤssen alle seine Bekannten Theil nehmen.

Er ist ziemlich empfindlich, gleichguͤltig gegen aͤußere Ordnung und Reinlichkeit, und aͤußerst hitzig, wenn er glaubt, daß ihm oder einem seiner Freunde Unrecht geschiehet. Außer diesem, weiß ich aber auch weiter keinen herrschenden Fehler an ihm. Er liebt die Wahrheit im strengsten Sinne, und wuͤrde einen begangenen Fehler nicht leugnen, wenn er auch die schmerzhafteste Strafe zu befuͤrchten haͤtte; er koͤmmt vielmehr sogleich, wenn er etwas versehen hat, und zeigt es selbst an. Furcht scheint er gar nicht zu kennen, daher ist er bei seinen Unternehmungen beinahe zu leichtsinnig und unbedachtsam. Lob muntert ihn auf, ohne ihn stolz zu machen; tadelt ihn ein Erwachsener, so wird er schamroth, thut es aber jemand von seinem Alter, so meint er, es sey besser, sich um sich selbst zu bekuͤmmern. Durch Koͤrperstrafen bewirkt man selten etwas Gutes bei ihm, sie machen ihn vielmehr eigensinnig und fast unbiegsam; denn er kann gar nicht begreifen, wie man jemanden aus einer guten Absicht Schmerz machen kann. Es war einmal noͤthig, ihn durch Koͤrperschmerz auf gewisse Unreinlichkeiten aufmerksam zu machen, die seiner Gesundheit schaͤdlich waren, und an die er sich zu sehr114 gewoͤhnt hatte, als daß bloße Vorstellungen hinreichend gewesen waͤren, ihn davon zu heilen. Jch konnte ihn uͤber diese erlittene Strafe lange nicht beruhigen, denn er meinte immer, es sey zwar gut, daß man ihm das Boͤse abgewoͤhnen wolle, allein Schlaͤge thaͤten doch weh, und wenn man einem gut waͤre, muͤsse man ihn nicht schlagen.

Er denkt gern und lange uͤber einen Gegenstand nach, und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf einen, ihm wichtig gewordenen, Gegenstand. Jch habe oft mit Vergnuͤgen bemerkt, daß er auch sogar auf das genau Acht hat, was man fuͤr ihn noch fuͤr zu schwer haͤlt, und was nur seinen erwachsenen Geschwistern gesagt wird; er denkt dabei zuweilen schaͤrfer nach als jene, und ist daher manchmal im Stande, ihre unrichtigen Antworten zu verbessern. Hoͤrt und versteht er eine gute Antwort, oder einen richtigen Schluß, so pflegt er oft, fuͤr sich, auszurufen: » das ist natuͤrlich! « Dabei hat er ein sehr treues Gedaͤchtniß, denn er erinnert sich bei der geringsten Veranlassung an eine ganze Reihe gehabter Vorstellungen, aus deren genauen und natuͤrlichen Verkettung man schließen kann, wie gut er etwas gefaßt oder uͤberdacht hat.

Jm Fragen ist er unermuͤdet, und man hat oft Stundenlang zu thun, wenn man seine Wißbegierde uͤber eine Sache befriedigen will. Oft blieb er nach geendigten Schulstunden bei mir sitzen, oder kam aus eigenem Triebe wieder, sich mit mir uͤber115 eine gehoͤrte Geschichte, oder uͤber einen in den Lectionen nur halb gefaßten Satz zu unterhalten; und diese Privatunterredungen gewaͤhrten mir oͤfters die herzlichste Freude, denn er weiß sich, fuͤr seine Jahre, schon ziemlich bestimmt auszudruͤcken, und seine Fragen fuͤhren nicht selten auf sehr ernste Materien.

Jch will einige Skizzen unserer Unterredungen hersetzen, der Leser mag denn urtheilen, ob ich zu viel gesagt habe.

Einst hatte ich mit seinen aͤltern Geschwistern, von den Freuden des kuͤnftigen Lebens, und sonderlich vom Wiedersehen unserer verstorbenen Freunde gesprochen, wobei er sehr aufmerksam zugehoͤrt hatte. Nach der Stunde blieb er bei mir, und hob folgendes Gespraͤch an:

Philipp. Das ist doch herrlich, daß ich meinen seligen Vater wiedersehen werde! Aber er wird mich doch nicht mehr kennen, wenn ich in den Himmel komme; er wird mirs doch nicht mehr ansehn koͤnnen, daß ich sein Philipp bin!

» Warum nicht?

Phil. Jch werde noch lange leben, und dann werde ich so alt und krumm, wie der alte Schiele, und kriege auch solche Runzeln im Gesicht; woran soll er mich dann kennen?

» Willst Du denn Deinen Koͤrper mit in den Himmel nehmen, wenn Du stirbst?

Phil. Nein, das kann ich nicht; wenn man todt ist, wird der Leib begraben.

116

» Wird also Dein Vater den Leib, den Du jetzt hast, je wieder sehen koͤnnen?

Phil. Nein!

» Was meinst Du nun, woran soll er Dich wieder kennen, wenn Du diesen Leib nicht mehr hast?

Phil. An meiner Seele.

» Recht, denn die koͤmmt ja eben in den Himmel; aber wird denn der Vater Deine Seele wohl sehen koͤnnen?

Phil. Nein, er hat keine Augen mehr; die sind ja auch mit dem Leibe begraben.

» Aber wenn er nun Augen haͤtte?

Phil. Denn koͤnnte er sie doch nicht sehen.

» Warum nicht?

Phil. Ja, weil man eine Seele nicht sehen kann.

» Da hast Du Recht, eine bloße Seele kann weder sehen, noch gesehen werden. Aber denn weiß ich doch wirklich nicht, woran sie Dein Vater kennen wird; hilf mir doch die Sache ausdenken, lieber Philipp; besinne Dich einmal, ob Du noch nie so etwas gehoͤrt hast, woran man eine Seele kennen kann. Hoͤrst Du jetzt nicht etwas?

Phil. Ja, Kuͤsters Johann laͤutet Feierabend.

» Woher weißt Du denn, daß es Johann ist, es kann ja wohl der Vater selbst seyn?

Phil. Nein, es laͤutet so sachte, und denn ists Johann, denn der kann noch nicht so sehr ziehen, wie sein Vater.

117

» Also kennst Du jetzt Kuͤsters Johann doch, ob Du ihn gleich nicht siehest, Du kennst ihn an dem, was er thut.

Phil. Haha, nun besinne ich mich; Sie sagten einmal, man koͤnne die Seele an dem kennen, was sie thut.

» Nun daran wird auch Dein Vater die Deinige wieder kennen. Du weißt schon, daß sich alle Menschenseelen besinnen, oder denken, daß sie manche Dinge wollen, und manche nicht wollen; daran sind sie sich alle aͤhnlich. Deine Seele denkt und will, die Seelen Deiner Bruͤder denken und wollen auch; daran seyd Jhr Euch also aͤhnlich. Aber weil ein jeder von Euch, seine eigene Art, zu denken und zu wollen hat, so kann man Euch auch wieder von einander unterscheiden und jeden besonders kennen. Verstehst Du das?

Phil. Nein!

» Nun so hoͤre mir zu, ich will Dich deutlicher unterrichten. Der Kuͤster laͤutet, sein Sohn auch; daran sind sie sich ?

Phil. Aehnlich!

» Richtig, wenn Dir also jemand sagt, es hat gelaͤutet, so weißt Du, daß es jemand von Kuͤsters Leuten gethan hat; aber weißt Du nun auch schon, ob es Johann oder sein Vater war?

Phil. Nein!

» Warum nicht?

118

Phil. Ja, denn muß ich erst wissen, obs sehr gelaͤutet hat.

» Also am sehr Laͤuten sind sie sich nicht aͤhnlich?

Phil. Nein.

» Siehst Du, daran sind sie unterschieden, und darum kannst Du jeden besonders kennen; den Vater am starken und den Sohn am schwachen Laͤuten. Nun denke weiter nach: ich habe gesagt, alle Seelen denken und wollen, darum sind sie sich aͤhnlich; sie denken und wollen aber nicht alle einerlei, daran sind sie unterschieden, und darum kann man jede besonders[ kennen.]Du denkst und willst, Dein Bruder auch; daran weiß ich, daß ihr beide Seelen habt; aber Du denkst oft und lange uͤber eine Sache nach, und Dein Bruder selten und nicht lange; Du magst gern Blumen sammeln, Dein Bruder nicht. Du denkst und willst also anders als Dein Bruder, daran merke ich, daß ihr zwei verschiedene Seelen habt; ich kann Dich also von ihm unterscheiden, und Dich besonders kennen. Nun merke Dir noch eins; wenn man sich von einer Seele etwas merken will, um sie wieder zu kennen, so muͤssen es nicht Handlungen seyn, die sie selten thut, sondern solche, die man oft von ihr siehet. Denn siehe, Philipp, was Du oft thust, das gewoͤhnst Du Dir endlich an, das wird Dir eigen, nicht wahr?

Phil. Ja; wie das schnelle Laufen.

119

» Man nennt es drum Deine Eigenschaft. Solche Eigenschaften hat nun eine jede Seele; eine hat die uͤbele Eigenschaft, daß sie gern luͤgt, d.h. sie hat sichs angewoͤhnt, oft Dinge zu sagen, die nicht wahr sind; eine andere hat die Eigenschaft, uͤber eine jede Sache lange nachzudenken, u.s.w. Jn diesen Eigenschaften kennt man eigentlich die Seelen. Wenn ich Dich nun frage: woran einst Dein Vater Deine Seele wieder kennen wird, was wirst Du mir nun antworten?

Phil. An den Eigenschaften, die sie hat.

» Recht, merke Dir das fuͤr jetzt, und sorge dafuͤr, daß Deine Seele lauter gute Eigenschaften bekoͤmmt, denn wird sich einst Dein Vater recht uͤber Dich freuen. Jch koͤnnte Dir freilich noch manches uͤber diese Sache sagen, aber Du bist ein siebenjaͤhriger Knabe, und wuͤrdest mich also doch noch nicht recht verstehen. Warte noch eine Weile, bis Du verstaͤndiger wirst, denn kannst Du aus Buͤchern und von klugen Leuten mehr erfahren; vielleicht erraͤthst Du auch, durch vernuͤnftiges Nachdenken, manches, was Du itzt nicht weißt, selbst; und das wird Dir denn recht viel Freude machen, wenn Du selbst so was erdenken kannst.

Phil. Wirds wohl noch lange, ehe ich so verstaͤndig werde?

» Wenn Du uͤber alles, was Du hoͤrst, siehest und liesest, fleißig nachdenkst, so kannst Du es bald werden.

120

***

Einst fand ich ihn an einem strengen Winterabend unter freiem Himmel, und als ich ihn fragte, womit er sich da so allein beschaͤftige? antwortete er mir: ich gucke nach den Sternen; sehen Sie nur, wie sie da flimmern!

» Macht Dir denn das Freude?

Phil. Ja wohl! o ich moͤgte die ganze Nacht hier stehen und den Himmel ansehen.

» Da wuͤrdest Du ziemlich frieren muͤssen; ich daͤchte, Du koͤnntest ihn durchs Stubenfenster eben so gut beobachten?

Phil. Nein, da kann ich nicht so viel Sterne sehen, und denn ists gleich nicht so schoͤn.

» Also freuest Du Dich daruͤber, daß ihrer so viele sind?

Phil. Ja, da gucke ich am ganzen Himmel umher, und allenthalben sind Sterne; hier ein großer, dort ein kleiner und denn wieder ein großer, und so gehts immer fort Aber hoͤren Sie einmal: kommen wir denn, wenn wir sterben, dort in das Blaue oder auf einen Stern?

» Lieber Philipp, das ist eine Sache, die ich nicht gewiß wissen kann, weil wir es erst erfahren, wenn wir todt sind. Jns Blaue werden wir nun wohl nicht kommen, denn das ist lauter Luft; ob wir aber auf einem Stern oder an einem Orte leben werden, von dem wir noch gar nicht wissen, wo er ist, das kann ich Dir nicht sagen. Allein121 es sei wo es wolle, so wird uns dort recht wohl seyn, wie ich Dir schon oft gesagt habe. Moͤgtest Du denn wohl gern auf einem Stern seyn?

Phil. Ach ja, da wollte ich mich recht umsehen! Aber wenn es nur dort nicht noch kaͤlter ist als hier?

» Deshalb sei unbesorgt; wenn der liebe Gott will, daß Du einmal auf einem Sterne leben sollst, so wird er Dir auch einen ganz andern Koͤrper geben, der es gewiß ertragen kann, es mag so kalt oder warm dort seyn, als es will.

Phil. Also kriegen wir wieder einen andern Leib, wenn wir todt sind?

» Viele kluge Leute vermuthen es, aus Gruͤnden, die ich Dir ein andermal sagen will. *)*) Da ich uͤberzeugt bin, daß man eine Kinderseele am leichtesten aus ihren Fragen und Antworten kennen lernen kann, so habe ich kein Bedenken getragen, diese Dialogen mit einzuruͤcken.68Muͤller..

***

Koͤmmt alle das Gute, was in ihm liegt, zur Reife, wird es von allen seinen Erziehern sorgfaͤltig entwickelt, und von den Beispielen unserer heutigen Welt nicht zu sehr vergiftet; so wird er gewiß einst ein kluger, thaͤtiger, biederer Mann, ein nuͤtzlicher Buͤrger des Staats, ein treuer, redlicher Freund, ein Wohlthaͤter der Armen, kurz, ein Mann, der uͤberall Menschengluͤck befoͤrdern wird, so viel er kann.

122

Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.

69

Um uns ein fuͤr sich bestehendes Ding, als wirklich außer unsrer Vorstellung zu denken, ist es nicht hinlaͤnglich, seine Beschaffenheiten zu bezeichnen, die in oder an demselben befindlich sind, sondern wir muͤssen auch die Dinge benennen, welche um dasselbe her sind, damit es Festigkeit erhaͤlt, und nicht in die Luft zerflattert.

Alles dasjenige z. B. was wir mit einem Baume, und um ihn her, zu gleicher Zeit erblicken, giebt dem Baume erst seine Wirklichkeit außer unsrer Vorstellung, und macht es uns gewiß, daß derselbe kein Blendwerk und kein Geschoͤpf unsrer Einbildungskraft ist. Das koͤmmt daher, weil der Zusammenhang der Dinge ihnen erst Wahrheit geben muß.

Wir sehen aber hieraus, wie noͤthig es ist, daß die Sprache nicht nur die innern Beschaffenheiten eines wirklich fuͤr sich bestehenden Dinges, sondern auch vieles außer demselben, benenne, wenn es seine Wirklichkeit außer unsrer Vorstellung erhalten soll.

Dasjenige, woran sich nun alle unsre uͤbrigen Vorstellungen fest halten, sind erstlich die Vorstellungen von gewissen sehr auffallenden und in unun -123 terbrochener Ordnung wiederkehrenden Veraͤnderungen in der Natur, die wir Zeit nennen: dieß sind die Abwechselungen zwischen Tag und Nacht, zwischen den Jahrszeiten u.s.w.

Alles was wir in unserm Leben erfahren, pflegen wir an die Vorstellung von irgend einer solchen Abwechselung in der Natur anzupassen, die wir Tag, Nacht, Morgen, Abend, fruͤh, spaͤt, Sommer, Fruͤhling u.s.w. benennen. Daher koͤmmt es nun, daß wir alle Begebenheiten und Erfahrungen unsers Lebens nach der Reihe uͤberschauen koͤnnen, die sonst ein Labyrinth fuͤr uns seyn wuͤrden, aus welchem wir uns nicht herausfinden koͤnnten.

Wenn es heißt, jetzt war die Huͤtte gebauet, so sieht man leicht, daß jetzt weder eine Beschaffenheit der Huͤtte noch des Bauens anzeigt, sondern einen aͤußern Umstand, nehmlich einen gewissen Zeitpunkt, woran sich unsre Vorstellung festhalten muß, wenn wir uns die Vollendung der Huͤtte als wirklich denken wollen.

Solcher Woͤrter wie jetzt giebt es nun mehrere, die sich aber groͤßtentheils in Hauptwoͤrter aufloͤsen lassen, als jetzt (in dieser Zeit) heute (an diesem Tage) u.s.w.

Mit diesem Begrif von der Zeit ist der Begrif von der Zahl auf das genaueste verwandt; indem es heißt, er laͤchelte noch einmal und starb, so denke ich mir unter mal ebenfalls einen gewissen Zeitpunkt, woran sich meine Vorstellung von sei -124 nem Laͤcheln festhaͤlt, ein aber schreibt dem Laͤcheln seine Grenzen vor, daß es nicht oͤfter wiederholt wird; oft hingegen wuͤrde diese Grenzen der Wiederholung ganz unbestimmt gelassen haben.

Die regelmaͤßige Wiederholung einer und eben derselben Veraͤndrung in der Natur, nach einer eben so regelmaͤßigen Unterbrechung, war es, welche den Begrif von Zahl zuerst erweckte; waͤre die Unterbrechung nicht gewesen, so wuͤrde alles in eins geflossen seyn.

Unsre Vorstellungen von den wirklichen Dingen muͤssen sich ferner an dem Begriffe des Ortes festhalten; dieses ist ein großer Begrif, welcher jedesmal die Vorstellung von der ganzen Welt in sich faßt. Wenn es von der Huͤtte heißt, daß sie neben einem Bache stand, so hoͤrt unsre Vorstellung da nicht auf, sondern wir muͤssen dem Bache wiederum neben etwas andern seinen Platz anweisen, und das geht so fort, bis wir mit unsern Gedanken die ganze Welt und den Zusammenhang aller Dinge umfaßt haben, und nun in diesem Zusammenhange aller Dinge, auch der Huͤtte ihren wirklichen Platz anweisen.

Jndem wir sagen, die Huͤtte steht da, so schraͤnken wir sie grade auf den Raum ein, den sie einnimmt, eben so wie wir bei jetzt dasjenige, was geschiehet, gerade auf den kleinen Zeitpunkt einschraͤnken, worinn es wirklich geschiehet, und uns demohngeachtet den Zusammenhang alles Vergang -125 nen und Zukuͤnftigen dabei vorstellen muͤssen, worin wir uns dasjenige, was jetzt geschiehet, allein als wirklich denken koͤnnen. Jn den kleinsten Woͤrtern der Sprache ruhen oft die erhabensten Begriffe.

Die kleinen Woͤrter, welche einen Ort im Allgemeinen bezeichnen, lassen groͤßtentheils sich ebenfalls sehr leicht in Hauptwoͤrter aufloͤsen, als dort (an dem Orte) fort (von dem Orte) u.s.w.

Endlich muͤssen sich alle unsre neuen Vorstellungen an unsern eignen Vorstellungen festhalten, die schon in unsrer Seele sind, und nur im Zusammenhange mit denselben bekommen sie Wahrheit: nun werden aber die verschiedenen Verhaͤltnisse unsrer Vorstellungen gegeneinander durch mancherlei Woͤrter ausgedruͤckt, die also wiederum keine Beschaffenheiten der Dinge anzeigen. Wenn es also heißt,

die Huͤtte wird gewiß einstuͤrzen, die Huͤtte wird vielleicht einstuͤrzen, die Huͤtte wird nicht einstuͤrzen,

so bezeichnen die Woͤrter gewiß, vielleicht und nicht weder die Beschaffenheit der Huͤtte, noch die Art ihres Einstuͤrzens, sondern das jedesmalige Verhaͤltniß der ganzen Vorstellung von dem Einstuͤrzen der Huͤtte, gegen eine andre Vorstellung, die schon vorher in der Seele war, die aber hier nicht besonders ausgedruͤckt wird. Diese nicht ausgedruͤckten Vorstellungen, wodurch die Ausdruͤcke126 vielleicht, gewiß und nicht veranlaßt werden, koͤnnten vielleicht folgende gewesen seyn:

die Huͤtte ist baufaͤllig, die Huͤtte kann gestuͤtzt werden, die Huͤtte soll gestuͤtzt werden.

Durch die erste von diesen drei Vorstellungen ward die Jdee, daß die Huͤtte gewiß einstuͤrzen wuͤrde, bestaͤrkt, und diese Bestaͤrkung ward durch gewiß ausgedruͤckt, welches beinahe so viel heißt, als ich weiß es; durch die zweite ward die Vorstellung von dem Einstuͤrzen der Huͤtte schwankend gemacht, und dieses schwankende Verhaͤltniß wird durch vielleicht ausgedruͤckt, welches so viel heißt, als es kann seyn; durch die dritte Vorstellung wird die Jdee, daß die Huͤtte einstuͤrzen sollte, als unmoͤglich dargestellt: denn wenn sie gestuͤtzt wird, wird sie stehen bleiben; da nun aber die Vorstellungen, daß sie stehen bleiben, und daß sie einstuͤrzen soll, nicht nebeneinander bestehen koͤnnen, so wird die letztere von der erstern aufgehoben, und diese Aufhebung wird nun durch nicht ausgedruͤckt. Nicht ist also eigentlich ein Ausdruck dessen, was wir dunkel dabei empfinden, wenn eine Vorstellung, die erst in unsre Seele koͤmmt, sich nicht in den Zusammenhang aller uͤbrigen paßt, die schon darin sind. Durch das Wort nicht koͤnnen wir uns also den Jrrthum, unbeschadet der Wahrheit, denken, in -127 dem wir ihn in eben dem Augenblicke wieder aufheben, da wir ihn festsetzten.

Die Art, wie nun eine Vorstellung, oder eine Reihe von Vorstellungen, die andre in unsrer Seele entweder ganz oder zum Theil aufhebt, festhaͤlt, bestaͤrkt oder zernichtet, wird durch mehrere solche kleine Woͤrter, als aber, und, auch, denn, wie u.s.w. bezeichnet.

Diese kleinen Woͤrter bezeichnen eigentlich keinen Gegenstand in der ganzen Welt, und auch nicht einmal den Zusammenhang der Gegenstaͤnde, sondern bloß die Art des Zusammenhangs unsrer Vorstellungen, die wir uns von den Gegenstaͤnden außer uns machen. Man kann also auch von ihnen nicht einmal sagen, daß sie Zeichen irgend einer Vorstellung in uns selber waͤren: demohngeachtet aber sind sie in der Sprache aͤußerst wichtig, weil sie erst Wahrheit in unsere Gedanken bringen helfen, indem diese dadurch auf mancherlei Weise eingeschraͤnkt und bestimmt werden, bis sie in den Zusammenhang aller unsrer uͤbrigen Vorstellungen passen.

Wie oft muͤssen wir daher nicht zu diesen Woͤrtern unsre Zuflucht nehmen, insbesondre wenn wir uͤber eine Sache urtheilen, weil wir dann eine jede einzelne Vorstellung nach dem Zusammenhange aller uͤbrigen einzuschraͤnken und zu bestimmen suchen muͤssen.

Jn einer Erzaͤhlung kommen diese Woͤrter nicht so oft vor, weil darin mehr der Zusammen -128 hang der Dinge außer uns, als der Zusammenhang der Vorstellungen in uns, dargestellt werden soll.

Das passende Verhaͤltniß einer Vorstellung in den Zusammenhang aller uͤbrigen, oder dasjenige, was wir die Wahrheit derselben nennen, bezeichnen wir nun im Allgemeinen durch das Wort ist. Und so wie wir bei dem Worte da die ganze nebeneinander bestehende Welt, und bei dem Worte jetzt die ganze Reihe aller aufeinander folgenden Zeiten, mit unsern Gedanken umfassen mußten, so muͤssen wir nun auch bei dem Worte ist jedesmal den ganzen Zusammenhang unsrer Vorstellungen uͤberschauen, um denjenigen, die wir uns als wahr denken wollen, ihren gehoͤrigen Platz unter denselben anzuweisen.

Dasjenige also, was wir durch das Wort ist bezeichnen, enthaͤlt den ganzen Grund unsres Denkens, und in so fern die Sprache ein Abdruck unsrer Gedanken ist, enthaͤlt wiederum das Wort ist den ganzen Grund der Sprache.

About this transcription

TextGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
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Extent132 images; 25834 tokens; 5631 types; 170435 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Christof WingertszahnSheila DicksonGoethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-StiftungUniversity of GlasgowNote: Erstellung der Transkription nach DTA-RichtlinienNote: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-06-09T11:00:00Z Matthias BoenigDeutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu BerlinNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2015-06-09T11:00:00Z UB Uni-BielefeldNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2015-06-09T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte ersten Bandes drittes Stück Karl Philipp Moritz, Carl Friedrich Pockels, Salomon Maimon (eds.) . MyliusBerlin1783.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Psychologie; Wissenschaft; Psychologie; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.

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