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Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Sechsten Bandes zweites Stuͤck.

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Fortsetzung der Revision des 4ten, 5ten und 6ten Bandes dieses Magazins.

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Die fortgesetzten Baͤnde dieses Magazins enthalten wieder eine Menge, zum Theil sehr interessanter Aufsaͤtze zur Erfahrungsseelenlehre, und verdienen eben sowohl, wie die drei erstern, eine genaue psychologische Beleuchtung; theils deswegen, um verschiedene Gegenstaͤnde der empirischen Psychologie, und so manches sonderbare Phaͤnomen menschlicher Empfindungen in ein helleres Licht zu setzen; theils auch, und woran jetzt jedem Schriftsteller so viel gelegen seyn sollte, um den immer mehr einreissenden Glauben an die Einwuͤrkung guter oder boͤser Geister auf das Gemuͤth und die2 Handlungen der Menschen mit Gruͤnden der Vernunft zu widerlegen, und durch Aufdeckung seiner unreinen Quellen zu beschaͤmen.

Einige Aufsaͤtze dieses Magazins, dessen erste und vornehmste Absicht Vernunftaufklaͤrung uͤber die Natur unsrer Seele, ihrer Kraͤfte und Empfindungen ist, haben zwar selbst das Ansehn, als ob sie wohl eher jenen laͤcherlichen Geisterglauben befoͤrdern, als hindern, und statt der Aufklaͤrung Verfinsterung bewuͤrken koͤnnten; allein sie sind in keiner andern Absicht aufgenommen worden, als vernuͤnftige Leser zum Nachdenken und Forschen uͤber dergleichen Materien zu reizen, und gelegentlich neuen Stoff zur Bearbeitung noch so manches unangebauten Feldes der Psychologie zu liefern.

Ueberhaupt ist bei Fortsetzung dieses Magazins, das den Beifall der aufgeklaͤrtesten Maͤnner gefunden hat, und, zur Freude und Aufmunterung der Herausgeber, von vielen in Ausarbeitung psychologischer Schriften gebraucht worden ist, immer darauf Ruͤcksicht genommen worden, nicht sowohl eine, etwa einem oder dem andern von den Herausgebern eigene, Theorie der Seelenlehre beim Publikum geltend zu machen; sondern durch eine zweckmaͤssige, vom sel.4Mendelsohnangegebene, Zusammenstellung merkwuͤrdiger psychologischer Phaͤnomene, neue und interessante Materialien zum3 Nachdenken uͤber sich selbst zu liefern, der Paͤdagogik, die ohne ein genaues Studium der empirischen und rationalen Seelenkunde, die mißlichste aller Wissenschaften ist, lehrreiche Winke zu geben, dem Aberglauben und der Schwaͤrmerei entgegen zu wuͤrken, die Heilmittel gegen Krankheiten des Verstandes und der Einbildungskraft aufzufinden und zu untersuchen, und die Speculation uͤber die Natur unsres Geistes und seiner transcendentalen Vorstellungen zu zeigen, wie unsicher man bei jedem Raisonnement uͤber eine immaterielle Substanz, dergleichen unsre Seele seyn soll, verfaͤhrt, wenn man dabei die Theorie der Erfahrung aus dem Auge verliert, und einer bloß abstracten Vorstellungsart, in den Untersuchungen uͤber Form und Entwicklung der Denkkraft, folgen will. So leicht es sich auch aus einer richtigen Vergleichung der uns bekannten Eigenschaften der Materie mit der Natur des Gedankens und Selbstbewußtseyns folgern laͤßt, daß der menschlichen Seele eine unveraͤnderliche, von Organisation und koͤrperlichem Einfluß unabhaͤngige Denkform, als letzte Bedingung der Begriffe, eigenthuͤmlich sey, ohne welche sich nichts a priori erklaͤren liesse: so werden wir doch bei den Handlungen unsres Geistes alle Augenblicke an den Einfluß unsrer Sinne, auf die Entstehung und Fortpflanzung unsrer Jdeen und Empfindungen erinnert, und gegen jene ganz reinen Operationen der Seele, wenn sie auch als letzte Bedingungen4 des Denkens, nach einer abstracten Philosophie ihre Richtigkeit haben sollten, mißtrauisch gemacht.

Je mehr wir die empirische Psychologie, oder die eigentliche Naturhistorie der menschlichen Seele studiren, und dem Ursprunge unsrer Begriffe nachzuspuͤren suchen, je mehr lernen wir es einsehn, was und wie viel die Erfahrung in jedem Moment der Denkkraft uͤber die Form, Bildung und Entwickelung der letztern vermag, wie wir ohne jenes Vehikel keiner einzigen Jdeenaufnahme faͤhig sind, wie die Erfahrung nach und nach einer jeden menschlichen Seele eine eigenthuͤmliche Dimensionskraft ihrer Vorstellungen und Empfindungen, und eine nothwendige Richtung giebt, und wie endlich die feinsten Abstractionen des Denkens selbst, und die moralischen Begriffe von unserm Willen sich vermoͤge der Sprache, der Jmagination, und der auf Vergleichungen beruhenden Schlußkraft auf empirische Grundsaͤtze beziehen, die in der Natur unsrer Gefuͤhle ihren Grund haben. Das Studium der menschlichen Seele kann daher der Kenntniß unsrer Organe, ihrer Einfluͤsse und Wuͤrkungen auf die ganze Jdeenmasse des Menschen, ihrer Krankheiten und Vollkommenheiten auf keine Weise entbehren, und dieses Studium kann fuͤr jeden nachdenkenden Kopf aͤusserst lehrreich und interressant werden, ohne daß man grade mit Gewißheit angeben kann, was wir vielleicht nie werden koͤnnen, ob unsrer Seele das5 Denken als einer immateriellen, oder bloß materiellen Substanz zugeschrieben werden muͤsse.

Nach dieser kurzen Einleitung will ich nun die verschiedenen Aufsaͤtze in den drei letzten Baͤnden der Erfahrungsseelenkunde zu revidiren anfangen, welche gewisse Krankheiten und Verirrungen der menschlichen Vorstellungskraft und Jmagination betreffen, und zum Theil sehr lehrreiche Winke enthalten, wie man sich vor dergleichen Uebeln sichern und davon befreien koͤnne.

Jm 4ten Bande, 1tes Stuͤck S. 70. ff. steht ein lesenswuͤrdiger Aufsatz von einem jungen aufgeklaͤrten Gelehrten, Hrn.5Lenz,welcher sich jetzt in Goͤttingen aufhaͤlt, und obigen Aufsatzes wegen mancherlei Verdruͤßlichkeiten gehabt haben soll.

Daß uͤbrigens einem jungen Maͤdgen von neun bis zehn Jahren, deren Eltern pietistisch gesinnt waren, und ihrem Kinde fuͤrchterlich-schreckliche Begriffe von Teufel, Hoͤlle und Verdammniß mogten beigebracht haben, nach einem froͤlich zugebrachten Geburtstage, wobei das Blut in eine staͤrkere Bewegung gekommen war, des Abends beim Zubettegehn der Teufel erscheint, und sie zu verschlingen droht, konnte sehr natuͤrlich zugehn, indem zu der gehabten vermeinten Erscheinung schon alle6 Bilder und Materialien in der Seele des Kindes bereit lagen, die vielleicht nur eines staͤrkern Blutstoßes bedurften, um mit aller Helligkeit und Lebhaftigkeit eines wirklichen Bildes hervorzutreten. Dergleichen Bilder mahlt die Seele oft mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit in einem Augenblicke aus, und das schnelle Erscheinen des Jmaginationsbildes faͤllt uns dann um so viel mehr auf, weil wir gar nicht daran gearbeitet zu haben scheinen. Bei einem so jungen Kinde waͤre eine so lebhaft imaginirte Vision freilich nicht wohl erklaͤrbar, wenn man, was schon vorausgesetzt worden ist, nicht theils mit Gewißheit annehmen koͤnnte, daß die Eltern ihrem Kinde von demTeufel so manches moͤgen vorgeschwatzt haben; theils auch dem Maͤdgen allerlei gemahlte Bilder von jenem Gespenste der Einbildungskraft vorschweben mogten. Vielleicht konnte auch einer von dem Gesinde oder den Hausleuten sich wirklich, aus Scherz, in die Gestalt des Teufels verkleidet haben, wodurch der heftige Schreck des Maͤdgens, und die darauf sich natuͤrlich gruͤndende vierteljaͤhrige Krankheit derselben veranlaßt wurde. Erfahrnen Aerzten sind sonderbare Faͤlle genug bekannt, welche traurige, und oft fuͤrchterliche, Wuͤrkungen ein ploͤtzliches Schrecken, oder eine dergleichen gehabte Vision der Einbildungskraft, sonderlich bei jungen noch nervenschwachen Leuten nach sich ziehn kann. Uebrigens kann auch vorerwaͤhnte Geschichte lehren, wie abgeschmackt und7 zugleich gefaͤhrlich es sey, junge Kinderseelen, wie fast allgemein noch zur Schande der Paͤdagogik geschieht, mit jenen hoͤllischen Bildern anzufuͤllen, und ihrer Einbildungskraft eine so schiefe und unvernuͤnftige Richtung zu geben. Moͤgte man doch endlich einmal, zur Ehre der menschlichen Vernunft, die Lehre von boͤsen auf uns wuͤrkenden Geistern, denen so offenbar eine furchtsame und mißgeleitete Jmagination ihr Daseyn gegeben hat, ganz aus der Erziehung und dem Religionsunterrichte der Menschen verbannen, und weit edlere, nutzbarere und zweckmaͤssigere Begriffe an ihre Stelle setzen!

Wenn der Herr Einsender des obigen Aufsatzes von sich erzaͤhlt, daß er von seinem sechsten Jahre an bis in's siebente oͤfters des Nachts eine weiße Gestalt gesehn, daruͤber geweint, und gebeten habe, das garstige Ding wegzuschaffen: so ruͤhrte dies unstreitig von irgend einer Erzaͤhlung von einem weisgekleideten Geiste, davon die Ammen und alten Muͤtterchen leider! den Kindern so viel zu erzaͤhlen wissen, her, die auf die junge Seele einen lebhaften Eindruck gemacht hatte, so wie sich uͤberhaupt die folgenden, an sich beobachteten, Phaͤnomene des Herrn Lenz aus einer sehr lebhaften Einbildungskraft, aus einer von ihm selbst angegebenen Anlage zum Nachtwandeln, aus einem sehr feinen Nervensystem, und die naͤchst folgende Erzaͤhlung aus einer Art Schwindel erklaͤren lassen, ob gleich der Ver -8 fasser es nicht Schwindel nennen will. Allein aus so fruͤhen Jahren des Lebens kann man sich selten noch mit Gewißheit besinnen, in welchem Nebenzustande die Seele sich bei gewissen heftigen Empfindungen befunden habe.

» Einige Jahre darauf, heißt es, begegnete es mir mehrere Jahre hintereinander fast alle Naͤchte, daß ich, nachdem ich mich schlafen gelegt hatte, ganz sonderbare Auftritte hatte. Dies waren die, von denen ich mich in keiner menschlichen Sprache, wegen ihrer Ungewoͤhnlichkeit, wegen der bloß dunkeln Vorstellungen, in denen sie mir vorschweben, und wegen des damaligen Mangels an Beobachtungsgeist uͤber mich selbst, nicht auslassen kann; es ging mit mir alles wie in einer Scheibe herum, dazu gesellten sich schoͤpferische Vorstellungen von unendlichen Millionen Zeiten und Raͤumen, die ich zu durchwandern hatte. Der Gedanke der Unmoͤglichkeit, je diese Reise, dieses Unermeßliche, das ich immer wie in einem unaufhoͤrlichen Kreise vor mir sah, zu vollenden (und dies alles im wachenden Zustande), verursachte in mir ausserordentliche Baͤnglichkeit, in der ich mich oft nicht enthalten konnte, mit einem Satz aus dem Bette und aͤngstlichem Zuruͤckwandern in die Stube, wo mein Vater gewoͤhnlich noch am Schreibtische saß, jenem Schrecken zu entgehn. « Alles dies sind Phaͤnomene eines aͤngstlichen Schwindels, welcher oft die son -9 derbarsten Empfindungen und Vorstellungen in der Seele veranlaßt, die man freilich in keiner Sprache ausdruͤcken kann, weil es nur voruͤbergehende verworrene Sensationen sind. Die Baͤnglichkeit entstand aus der Lage des Koͤrpers, indem das Blut sich nach dem Gehirn hindraͤngte, und jene Bilder erzeugen half, wie aus dem Zusatze des Herrn Verfassers selbst erhellet, daß er diese feindseligen Bilder oft nachher dadurch zu verbannen wußte, wenn er sich nur schnell im Bette aufrichtete (wodurch das Blut wieder vom Kopfe herabgeleitet wurde), dann zum Besinnen kam u.s.w.

Zur naͤhern Erklaͤrung jener Phaͤnomene muß man auch noch die vom Herrn Verfasser selbst erzaͤhlten Umstaͤnde hinzunehmen, » daß er uͤberhaupt etwas kraͤnklich und engbruͤstig war, daß er eine schlechte Diaͤt beobachtete, des Abends gemeiniglich viel Kartoffeln u.s.w. Es ist bekannt, welche schwermuͤthige Traͤume ein uͤberladener Magen verursachen kann. Von einer Unordnung in seinem feinen Nervensystem kamen dann auch wohl jene sonderbaren Gefuͤhlsvorstellungen her, indem ihm oft, wenn er zu Bette war, alles, was er anfuͤhlte, eine ganz rauhe und hoͤckrigte Oberflaͤche zu haben schien. Es sey das unausstehlichste Gefuͤhl gewesen, welches ihn oft vermogt habe, die Finger zusammen zu knebeln, um nicht die Bettdecke oder sich selbst mit den Fingerspitzen zu beruͤhren « (wo sich bekannt -10 lich eine Menge sehr empfindlicher Nerven vereinigen). Jch kenne jemand, der noch eine andre sonderbare Empfindung an seinen Fingern wahrnimmt. Wenn er sich zu Bette gelegt hat, scheinen sie ihm oft auf einmal anzuschwellen, und zwar mit einem heftigen Schmerz, und endlich eine solche ungeheure Laͤnge zu bekommen, daß er sich, um sich von dieser Empfindung zu befreien, schnell aus dem Bette machen, und sich wieder ganz ermuntern muß.

Die Erscheinung der blauen Figur im Keller erklaͤrt der Herr Einsender selbst ganz richtig dadurch, daß durch die Bewegung des Auges aus dem hellesten Tageslicht in einen dunkeln Ort im Sehnerven eine Veraͤnderung der Farben bewuͤrkt worden sey, und die Phantasie das Bild vollends ausgemahlt habe. Vielleicht hatten mehrere Menschen von langen Zeiten her auch einmal wegen Beschaffenheit der dortigen Luft und andrer Localumstaͤnde die naͤmliche Empfindung gehabt, und dadurch war dann der Volksglaube entstanden, daß sich in der Gegend eine blaue Figur sehn ließe.

Das bekannte Feuersprechen ist nichts weiter, als ein alberner Volksaberglaube, und die Facta, die man gemeiniglich davon erzaͤhlt, sind entweder ersonnen, oder das Feuer hat sich durch einen andern Umstand, aber wahrlich nicht durch das so genannte Besprechen, gelegt. Ein Landesherr sollte11 doch durchaus nicht dem Aberglauben seiner Unterthanen auf eine solche Art froͤhnen, wie von dem Grafen Reus in Gera erzaͤhlt wird! Die Formeln, welche die Feuerbeschwoͤrer hermurmeln, und die Ceremonieen, die sie dabei beobachten, sind hoͤchst laͤcherlich und unvernuͤnftig. Es verlohnt aber der Muͤhe nicht, sie abzuschreiben.

Der alte Boͤtticher zu Gera, ein vorgegebener Feuerprophet, ist gewiß ein alter aberglaͤubiger Mann, dem es bisweilen im Kopfe spuken mag, und der vielleicht durch eine einzige, zufaͤllig eingetroffene, Feuerprophezeihung durch das leichtglaͤubige Volk in den Prophetenrang erhoben worden ist. Jede Stadt hat dergleichen alberne Menschen aufzuweisen, die sich der Poͤbel zu Gegenstaͤnden seines Erstaunens und seiner Bewunderung gewaͤhlt hat, und die nicht selten eine nicht geringe Gewalt auch uͤber den vornehmen Poͤbel zu behaupten pflegen.

Noch einige Belege zu dem Aufsatze: Ein ungluͤcklicher Hang zum Theater. 4ter Band, 1tes Stuͤck, S. 85. ff.

Dies ist die Aufschrift einer Sammlung an sich ziemlich unbedeutender Briefe, ob ihre Herausgabe gleich in B viel Aufsehn gemacht zu haben scheint. Fuͤr die Psychologie haben sie freilich kei -12 nen andern Werth, als daß sie den sonderbaren Uebergang einer verschrobenen Phantasie von Comedie zur Predigt, und von der Predigt zur Comedie anschaulich machen koͤnnen; ein Uebergang, der sich bei einem jungen Mann, welcher von einer lebhaften Neigung zum Theater beherrscht wird, oder irgend einmal beherrscht wurde, sehr natuͤrlich denken laͤßt, zumal wenn man dazu nimmt, daß es zwischen den Actionen des Schauspielers und so manches Geistlichen eine große Aehnlichkeit giebt. Uebrigens leuchtet aus den Briefen ein gutes ehrliches Herz hervor, das nur durch gewisse Umstaͤnde, durch eine Anlage zur Hypochondrie, und wahrscheinlich durch eine ungluͤckliche Liebe, vielleicht auch durch eine verstimmte Neigung zur Thaͤtigkeit und Eitelkeit, die Quelle uͤberspannter Empfindungen und jener unseligen Liebe zum Theater wurde. Jn einer andern Lage, unter andern Umstaͤnden, wuͤrde der junge Mann, der Talente verraͤth, gewiß ein sehr brauchbarer Buͤrger des Staats geworden seyn.

Man wird uͤbrigens wenig lebhafte Leute finden, welche nicht einmal eine Lust zum Theater in sich bemerkt haben sollten, und es ist von einigen unsrer besten Teutschen Koͤpfe bekannt, daß sie alle Gruͤnde der Vernunft noͤthig hatten, um sich nicht dem Theater zu widmen, wovon ich sonderbare Beispiele erzaͤhlen koͤnnte. Die Sache ist ganz natuͤrlich. Die13 menschliche Seele laͤßt sich erstaunlich gern auf eine angenehme Art taͤuschen, und die Taͤuschung ist ihr unzaͤhlig oft mehr werth, als Realitaͤt. Die im Schauspiel vorgestellten, in einem kurzen Zeitraum zusammengedraͤngten, mit den lebhaftesten Farben geschilderten Auftritte des menschlichen Lebens reissen die Einbildungskraft mit sich fort. Der Wechsel der dadurch hervorgebrachten Empfindungen gewaͤhrt der Vorstellungskraft eine leichte Thaͤtigkeit, spannt die Seele, erhebt das Gefuͤhl fuͤr große Handlungen und Jdeen, und bringt uns gemeiniglich dahin, daß wir gern Triebfedern in der Jntrigue des Stuͤcks seyn moͤgten. Der erwartete und nach wenigen Augenblicken entschiedene Ausgang des Stuͤcks, worin sich alles auf eine geschickte Art concentrirt, worauf wir vorher aufmerksam gemacht wurden, verschafft unsern Gefuͤhlen gemeiniglich eine voͤllige Genugthuung. Wir sehn die ganze Scene vor Augen, anstatt daß wir im gemeinen menschlichen Leben nicht immer die Rollen ausspielen sehn, und wenn dies geschieht, durch die Laͤnge der Zeit die gehoͤrige Aufmerksamkeit und Spannung der Seele verlieren. Durch alle jene Umstaͤnde wird nun so aͤusserst leicht die Liebe zum Theater in jungen lebhaften Gemuͤthern erzeugt, und oft bis zur hoͤchsten Hoͤhe gebracht, wenn sich eine zaͤrtliche Neigung des Herzens mit in's Spiel mischt, was beim Verfasser obiger Briefe sehr wahrscheinlich der Fall seyn mogte.

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Gestaͤndnisse uͤber das Vermoͤgen kuͤnftige (zufaͤllige) Dinge vorherzusehen. 4ter Band, 1tes Stuͤck, S. 110. ff.

Von einem Frauenzimmer eingeschickt. Jch habe mich uͤber jenes vermeinte Vermoͤgen, welches der Natur der menschlichen Seele, in so fern es sich auf bloß zufaͤllige Dinge erstreckt, gradezu widerspricht, schon oͤfter erklaͤrt. Freilich bleibt es immer auffallend, wenn eine gewisse Vorhersage (vielleicht im Scherz oder Zorn gesagt), hinterher zufaͤlliger Weise, und wohl gar genau eintrift; allein dies beweist fuͤr jenes Vermoͤgen nichts.

Auszug aus einem Briefe. Seite 113. ff. Speier etc. Dieser Brief ruͤhrt von einem jungen Gelehrten, Herrn Schlichting in Wien her, welcher mehrere sehr lehrreiche und interessante Aufsaͤtze in dieses Magazin geliefert hat. Gegenwaͤrtiger Brief ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Empfindungen, und ein Belag, wie fruͤhzeitig schon das menschliche Herz einer gewissen religioͤsen Schwaͤrmerei faͤhig sey, je nachdem die Seele mit dahin gehoͤrigen Bildern fruͤhzeitig angefuͤllt wurde. HerrSchlichting erzaͤhlt von seinem Bruder folgendes: » Mit dem eilften Jahre ging er (sein Bruder) mit einem Schulfreunde um, der desselben Temperaments war. Beide15 lesen seit einiger Zeit her ausrufende Asceten und maͤrchenvolle Lebensbeschreibungen der Heiligen. Unter andern zog die Lebensart und der heilige romantische Wandel der Waldbruͤder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Nichts lieber und ergoͤtzender war ihnen, als ein Geschichtchen zu lesen, wie ein frommer Mensch sich entschloß, aus der Welt zu reisen; wie er sich ein oͤdes Plaͤtzchen tief in der Wildniß unter den Wohnungen von Loͤwen, Baͤren, Tiegern, Schlangen, Woͤlfen und andern wilden Thieren auswaͤhlte; da sich aus vier Stangen ein Huͤttchen baute, rohe wilde Kraͤuter zum Mittagsmahl speiste, den ganzen Tag zum Himmel erseufzte, und den Ruͤcken blutig schlug, oder in Dornen zur Abkuͤhlung des Fleisches sich waͤlzte. (Dieser hohe Grad moͤnchischer Schwaͤrmerei war aber wohl bei jenen jungen Leuten noch nicht anzunehmen, da in diesen Jahren die Abneigung vor Schmerz noch so stark ist, und das eingebildetverdienstliche jener strengen Ausuͤbungen der Seele des Kindes noch nicht einzuleuchten, wenigstens sie nicht zu gleichen Handlungen zu stimmen scheint. Die beiden jungen Schwaͤrmer, davon Herr Schlichting erzaͤhlt, mogten andre Gruͤnde, die Schilderungen des gluͤcklichen ungebundenen Lebens des Einsiedlers; die Freiheit vom Joch elterlicher Erziehung; die Bilder des Abentheuerlichen, welches so leicht die Seele mit sich fort reißt, vielleicht auch ein gefuͤhlvolles Herz fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, und16 andre Local - und Gemuͤthsumstaͤnde der jungen Leute zu dem Entschluß, Einsiedler zu werden, bewegen.)

Sie fingen an, an einem einsamen Ort eine Stube auszuzieren; bald hing sie voll Bilder erdichteter Scenen und Personen. Endlich wurden die Bilder der Phantasie (vornehmlich durch ascetische Schriften des Jesuiten V ) in ihrer Seele so lebhaft, stark und dringend, daß sie sich nun schon aller ihrer uͤbrigen Vorstellungen bemaͤchtigte, und in dieser siegenden Darstellung nur nach ihrer Realitaͤt, sich nur nach wirklicher Befriedigung sehnten. Sie entschlossen sich, dem Beispiel ihrer Heiligen zu folgen, packten Kleider und Waͤsche ein, und Buͤcher, die von ihrer kuͤnftigen Lebensart handeln. Zur Nahrung wollten sie nichts bei sich haben, da ihnen die naͤchste beste Wurzel Speise war. Sie bestimmten endlich die Zeit ihrer Pilgrimmsreise, und zwar die Nacht. Sie werden entdeckt, und die Eltern hindern natuͤrlicher Weise den schwaͤrmerischen Plan. «

Je mehr Schwaͤrmer man bei einer Religionssecte antrift, je schwaͤrmerischer, die Einbildung naͤhrender, sinnlicher und bildlicher pflegt dann auch das System ihrer Lehren zu seyn; ob gleich auch dies nicht allemal der Fall ist. Eine einzige sehr stark und lebhaft gedachte Jdee ist faͤhig, ein lebhaftes, oder auch schwermuͤthiges Gemuͤth bis zu17 einem erstaunlichen Grade von Fanatism hinaufzuspannen, und es darin zu erhalten, so lange nicht jene Jdee verwischt wird, oder sich unter einer Menge ganz neuer anziehender Vorstellungen so verliert, daß die Seele nicht mehr die ganze Aufmerksamkeit auf sie richten kann. Doch gewoͤhnlich kommen mehrere Hauptvorstellungen, und also auch mehrere Leidenschaften zusammen, die den Schwaͤrmer bilden, und ihn zu jeder Seelenkur unfaͤhig machen, sobald er sich in seiner Gemuͤthslage gluͤcklich fuͤhlt, und je groͤßer er sich in einer Art von Weltverachtung vorkommt; denn eine versteckte Eitelkeit liegt doch gemeiniglich zum Grunde, die sich nicht selten bis auf gewisse glaͤnzende Vorzuͤge des Schwaͤrmers in einer andern Welt beziehen; nicht zu gedenken, daß sehr viele Enthusiasten, Fanatiker, fromme Bruͤder, und wie sie alle heissen moͤgen, sich deswegen aus der Welt zuruͤckzogen, weil sie in derselben verkannt wurden, und darinn nicht glaͤnzen konnten. Ueberdem hat der stille Umgang mit Gott und himmlischen Wesen, das Gefuͤhl einer innern Erbauung, das Lesen ascetischer Schriften, das Bekaͤmpfen aͤußerer Versuchungen, etwas erstaunlich Hinreissendes fuͤr den menschlichen Geist, sobald er sich von den Geschaͤften des geselligen Lebens abgesondert, und sich ganz in sich selbst hineingesenkt hat, und es hat Menschen genug gegeben, die bei aller Aufgeklaͤrtheit des Geistes endlich, freilich wohl sehr oft durch einen gewissen aͤussern Umstand zur18 Schwaͤrmerei uͤbergingen, weil alles Forschen und Denken, weil Wissenschaften und gelehrte Kenntnisse ihnen jenes behagliche Gefuͤhl des in sich selbst versunkenen Gemuͤths nicht verschaffen konnten. Die Schwaͤchen des Alters und der Nerven, die beunruhigenden Zweifel uͤber Religionswahrheiten, die so haͤufig mit wahrem[ ernstlichen] Forschen nach Wahrheit verbunden sind, die Sehnsucht des Herzens nach einer innern Ruhe bei so vielen Ungewißheiten der Religionssysteme, und vornehmlich der heisse Wunsch, ein in der Jugend gefuͤhrtes zuͤgelloses Leben gleichsam wieder gut zu machen, sind sehr geschickt, die Neigung zur Schwaͤrmerei anzufachen und zu unterhalten, und es ist nicht leicht ein Mensch vor ihren Anfaͤllen sicher, wenn er sich nicht immer in dem Gefuͤhl von dem hohen Werthe einer gesunden Vernunft zu erhalten weiß.

Seite 120. steht ein Brief, nebst einer Einlage von Gesichten und Erscheinungen, die Herr Pfarrer Muͤller in Augspurg eingeschickt hat. Da ich mich hieruͤber im ersten Stuͤck des gegenwaͤrtigen sechsten Bandes der Erfahrungsseelenkunde weitlaͤuftig erklaͤrt habe; so brauche ich's nicht hier zu thun.

C. F. Pockels.

(Die Fortsetzung folgt.)

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Zur Seelenkrankheitskunde.

1. Aehnlicher Fall zu der im zweiten Stuͤck des fuͤnften Bandes erzaͤhlten sonderbaren Ohnmacht.

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Ein verheirathetes, aͤlteres, nervenschwaches Frauenzimmer unsrer Stadt, lag am Faulfieber krank. Da die Krankheit am heftigsten war, verlor sie Nachts um zwoͤlf Uhr die Empfindung. Der Arzt fand, als er kam, sie voͤllig empfindungslos, nur daß die Pulsadern noch immer, wie am Abend, schlugen, und die Augen nicht ganz geschlossen waren. Alle Reizungsmittel, selbst heftiges Buͤrsten unter den Fußsohlen, vermogten keine Bewegung hervorzubringen. Die Umstehenden, welche wider die Versicherung des Arztes glaubten, daß sie nicht wieder erwachen wuͤrde, liessen ihr die letzte Oelung geben. Gegen vier Uhr erwachte sie. Sie hatte alles, was mit ihr vorgenommen worden war, deutlich empfunden; was in ziemlicher Entfernung vom Bette, und nicht laut war ge -20 sprochen worden, hatte sie genau gehoͤrt. Aber durch alle Anstrengung hatte sie es nicht dahin bringen koͤnnen, durch Sprache, oder Mienen oder Bewegungen ihre Empfindungen auszudruͤcken.

Mein Gewaͤhrsmann ist unser wuͤrdiger Arzt Herr Doktor Brandis.

Hildesheim, den 6ten Nov. 1787.

Koͤppen.

2. Aus den Papieren eines Hypochondristen.

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Den 14ten November uͤberfiel mich schnell die Jdee, daß man mich ermorden wolle; ob ich gleich nicht den mindesten hinreichenden Grund zu diesem Glauben hatte, und ich uͤberzeugt war, daß kein Mensch so feindselige Gesinnungen gegen mich hege. Leute, die mir heute mit Stricken in der Hand begegneten, hielt ich fuͤr abgeschickte Moͤrder. Ein Bauer kam hinter mir her ausser der Stadt. Jch blieb aͤngstlich stehen, und redete ihn, um ihn zu21 intimidiren, wenn er etwa einen Anschlag auf mein Leben gemacht haben sollte, mit einem heftigen Ton an: wie das vor uns liegende Staͤdtchen hiesse? Der Mann beantwortete meine Frage, ging voruͤber, und ich empfand eine herzliche Freude, daß der Mann mir nicht mehr hinterm Ruͤcken war. Jch hatte kurz vorher einen hohen Berg erstiegen, dadurch war wahrscheinlich mein Blut in eine heftige Bewegung gekommen, und die Bilder einer schwarzen Phantasie draͤngten sich dadurch um so viel staͤrker hervor. Heute Abend fand ich eine Neige Wasser in meinem Trinkglase stehen, ich vermuthete, daß Gift darin sey, und spuͤlte das Glas erst sorgfaͤltig aus, ob ich gleich wußte, daß ich die Neige Wasser selbst darin hatte stehn lassen.

Den 18ten Nov. Die Wuͤrkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemuͤthsstimmung werden immer gefaͤhrlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O haͤtte ich das Ehebette nie bestiegen, haͤtte ich sonderlich in fruͤhern Jahren die Ausbruͤche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so wuͤrde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt taͤglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit uͤberrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gruͤnden der Vernunft dagegen kaͤmpfe. Gemeiniglich fuͤhle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und22 schwach zum Denken, sondern sehr heiter und aufgelegt, wissenschaftliche Untersuchungen anzufangen, auch bemerke ich dann einen heftigern als gewoͤhnlichen Kitzel zu launigen und witzigen Einfaͤllen in mir; aber der Zustand dauert nicht lange. Jch muß hinterher jeden Augenblick einer genossenen ehlichen Zaͤrtlichkeit mit tagelangen Beaͤngstigungen meiner Seele buͤßen. Jn diesem Zustande bin ich schrecklich muͤrrisch, glaube, die Menschen wollen mich ermorden, fuͤrchte, bei allem guten Gewissen, das ich habe, von meinem Amte abgesetzt zu werden, und Hungers zu sterben, und fuͤrchterliche Zweifel uͤber die Zukunft und deren Ungewißheit verfolgen mich gleich Furien. Die Menschen, die ich sonst so sehr liebe, deren Umgang eines meiner ersten Beduͤrfnisse ist, werden mir unausstehlich, oft meinen herzlichsten Freunden geh ich aus dem Wege, und mein liebes Weib erscheint mir viel schlimmer, als es in der That ist. Was mir das fuͤr Muͤhe kostet, in Gesellschaften meinen Menschenabscheu zu verbergen, und meine uͤble Laune nicht in Grobheiten, oft gegen den Unschuldigsten, ausarten zu lassen, kann ich keinem beschreiben. Bricht sie wirklich aus: so schone ich keines Menschen, ich bereue es hinterher; aber ich bin viel zu stolz, als meine Fehler den Beleidigten abzubitten. Auch sehr scharf und fein ist in jenem Zustande nach einer ehlichen Umarmung mein physiognomisches Gefuͤhl. Jch entdecke im Gesicht andrer, Zuͤge des Herzens, die mir sonst23 entwischten; oder glaube, sie zu entdecken. Ein leiser Strich von Malice scheint mir auf jeder Stirn zu stehn. Jede Veraͤnderung auf dem Gesicht des andern, sie sey so klein, als sie will, setzt mich in heftige Bewegungen. Jch fuͤhle mich oft so aufgebracht, einem dummen Gesicht oder einem heimtuͤkischen, das mir wenigstens so scheint, Ohrfeigen zu geben. Die Ueberwindung, es nicht zu thun, kostet mir die groͤßte Muͤhe.

Den 20ten Nov. Ein satyrisches Gesicht eines Knaben machte mir heute viel Unruhe. Jch war uͤber den Jungen so aufgebracht, ob er mir gleich nichts zu Leide gethan hatte, daß ich hingehn und ihm sagen wollte, daß er noch am Galgen sterben wuͤrde.

Den 23ten Nov. Der Grad der Sensibilité ist oft ganz erstaunlich bei mir, und meine beßten Freunde werden mir nicht selten unausstehlich. Gegen die zuvorkommendsten Beweise ihrer Liebe bin ich oft geflissentlich kalt, und erwiedre sie mit bittern[ Ausdruͤcken] oder Grobheiten. Es schmerzt mich sehr, daß ich auf diese Art so manchen edeln Menschen von mir zuruͤckgestoßen habe, und daß ich ihn jetzt nicht deswegen um Verzeihung bitten kann. Jch kann es mir selten erklaͤren, woher jene Empfindlichkeit augenblicklich entsteht. Am oͤftersten scheint sie eine Folge von Mißtrauen gegen meine Nebenmenschen zu seyn, oder auch eine Einbildung,24 daß meine Eitelkeit beleidigt worden sey. Wenn zwei Menschen sich in der Gesellschaft in's Ohr zischeln, werd ich bange, verliere die Gegenwart meines Geistes, weil ich glaube, daß man uͤber mich uͤbel spricht, und ich gebe mir oft das Ansehn eines Satyrikers, um meine Nachbarn in Gesellschaft in Furcht zu setzen. Aengstlichkeit, unbeschreibliche Aengstlichkeit uͤberfaͤllt mich, wenn ein andrer in mein Spiel sieht, oder sich neben mich stellt, wenn ich das Clavier spiele.

Den 28ten Dec. Mein Freund gab mir heute eine Art Liquor, um meine Magenschmerzen zu tilgen, die so oft der Grund meiner fuͤrchterlichen Launen sind; auf einmal erwachte in mir das ungluͤckliche Mißtrauen, daß der Liquor Gift gewesen seyn koͤnne, und zwar ein langsam verzehrendes Gift, gleich dem aqua tofana.

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Zur Seelennaturkunde.

1. Ueber den Zustand der Seele nach dem Tode. 10Ein Gespraͤch.

Damas.

Was meinen Sie, womit ich mich gestern Abend beschaͤftigte, als ich vom Balle nach Hause gekommen war?

Theokles.

Das wollt ich wohl errathen. Sie machten eine Elegie. Nicht so?

Damas.

Ach nein! Der Ball war gestern fuͤr mich noch erbaulich genug. Aber ich war sehr mißvergnuͤgt, und darum ging ich so fruͤh wieder weg. Jndessen auf meiner Stube wurde ich erst vollends melancholisch. Endlich schlug ich eine Schrift von Herder26 auf, die zufaͤllig auf meinem Tische lag, und stieß grade auf die Zeile: Alles in der Natur ruft uns zu: es muß nur einmal gelebt seyn! Wohl wahr, dacht 'ich, und las nicht weiter; wenn es nach dem Tode nicht besser seyn wird, wie es jetzt im Leben ist: so lohnt es wahrlich der Muͤhe nicht, noch auf einen neuen Beweis

Theokles.

Fuͤr die Unsterblichkeit der Seele zu sinnen, wollen Sie sagen. Der Schluß mag richtig seyn, aber der Vordersatz?

Damas.

Lassen Sie mich doch erst ausreden. Eben der Vordersatz wollte mir nicht ein. Kaum hatt 'ich den Schluß gemacht, so fing ich auch schon an, nachzudenken, ob's denn wohl wirklich nach dem Tode nicht besser seyn moͤgte, wie es hier im Leben ist, gesetzt, daß die Unsterblichkeit der Seele bewiesen waͤre? Und daruͤber ging mir noch der Abend angenehmer hin, wie ich anfangs glaubte.

Theokles.

Also haben Sie philosophirt. Nun, da bin ich neugierig. Was brachten Sie denn durch Jhre Speculation heraus?

27

Damas.

Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natuͤrlicherweise manche Traͤume, aber meine Vernunft wußte sie zu wuͤrdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fuͤhlte.

Theokles.

Was zaͤhlen Sie denn alles zu den Traͤumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Huͤlfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann?

Damas.

Nicht anders. Denn alle die Jdeen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gruͤnden sich allein auf unsre Erfahrungen; jene koͤnnen sich also auch nur in dem Lande ihre Erfuͤllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie aͤhnlich sind diese oft den sonderbarsten28 Traͤumen! Ein jeder idealisirt sich jenseit des Grabes die gute Seite seines gegenwaͤrtigen Verhaͤltnisses, und den gewoͤhnlichen Menschen mag das vergnuͤgen, auch wohl beruhigen; aber der aufgeklaͤrte Mann laͤchelt uͤber die Seifenblase, die das Kind bewundert, weil es sie fuͤr etwas mehr als Seifenblase haͤlt. Fuͤr ihn hat die Beschaffenheit seines gegenwaͤrtigen Daseyns um soviel groͤßern Werth, da er die Unsicherheit der Buͤrgschaft einsieht, welche die Vernunft ihm fuͤr die Fortdauer desselben, auch nur so, wie es hier ist, zu leisten vermag.

Theokles.

Darin haben Sie Recht, mein lieber Freund: jeder denkt sich die Zukunft jenseit des Grabes auf seine Weise. Die Volksvorstellungen davon richten sich immer nach dem Grade der Cultur, auf dem das Volk steht, und sind dem gemaͤß groͤber oder feiner. Auch die Jdeen, welche einzelne Menschen unter gebildeten Nationen daruͤber haben, veraͤndern und modificiren sich gar sehr nach dem Charakter und der individuellen Lage derselben. Allein demungeachtet sollt ich glauben, daß nicht alle Jdeen, welche wir uns von dem Zustande nach dem Tode machen koͤnnen, bloße Traͤume waͤren; wenigstens eine Jdee, die hohe Wahrscheinlichkeit hat, ist fuͤr mich kein Traum der Phantasie mehr.

29

Damas.

Nun, was sind denn das fuͤr Jdeen vom kuͤnftigen Zustande, die Jhnen so wahrscheinlich duͤnken?

Theokles.

Das will ich Jhnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir naͤmlich eine unumstoͤßliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir muͤssen eine voͤllige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftaͤußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewaͤhlt, oder sie habe bei der Schoͤpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergruͤnden, warum uns das hoͤchste Wesen beim Anbeginne der Schoͤpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwaͤrtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst fuͤr den Genuß des kuͤnftigen Zustandes empfaͤnglich waͤre; statt daß es30 uns gleich urspruͤnglich so haͤtte bilden koͤnnen, daß wir faͤhig gewesen waͤren, ohne vorhergehende totale Verwandlung in diesen kuͤnftigen Zustand uͤberzugehn. Also ist nur das andre uͤbrig. Das Grundwesen des Menschen bleibt nach dem Tode, wie es im Leben war; folglich bleibt ihm auch dieselbe Kraft und dieselbe Anwendung davon, und demnach muß der kuͤnftige Zustand des Menschen im Allgemeinen aͤhnlich dem Gegenwaͤrtigen seyn.

Damas.

Wie denken Sie sich aber das Grundwesen des Menschen, das nach dem Tode uͤbrig bleiben wird? Materiell oder geistig?

Theokles.

Jch denke es mir so, wie ich es mir als Mensch denken kann, also materiell und geistig zugleich. Geistig, insofern es Kraft ist, und materiell, insofern keine Kraft ohne ein Subjekt seyn kann, worin sie sich befindet, und wodurch sie erst faͤhig wird, ihre Wuͤrkungen, das heißt, ihr Daseyn fuͤr die menschliche Erkenntniß zu erweisen.

Damas.

Das begreif ich nicht. Wie kann das Materielle des Menschen unsterblich seyn? Wenn sich je Unsterblichkeit beweisen laͤßt, so kann sie von einem bloß geistigen Wesen im Menschen bewiesen werden. 31Wir sehn ja vor Augen, was mit der Materie nach dem Tode vorgeht; sie wird in ihre Bestandtheile aufgeloͤst, und in tausend andre Formen zerstreut.

Theokles.

Sagen Sie mir, lieber Freund, was nennen Sie Geist?

Damas.

Das weiß ich nicht. Ein Etwas, das nicht Materie ist.

Theokles.

Damit bin ich eben so klug. Wenn also Materie die Positive waͤre, so wuͤrde Geist die Negative seyn. Jch fuͤr mein Theil kenne nichts im Weltalle, als Materie, kann mir wenigstens nichts anders denken. Wenn es moͤglich waͤre, alle Materie aus meiner Vorstellung zu verbannen, und mich selbst uͤber die Schranken meiner Erkenntnißform, uͤber Raum und Zeit, zu erheben, so wuͤrde Nichts uͤbrig bleiben, und dieses Nichts waͤre dann nach Jhrer Erklaͤrung Geist.

Damas.

Aber es ist doch nichts ungereimtes, sich ausser der Materie noch Etwas zu denken, das nicht Materie ist, so wie ich mir außer einem absoluten Ganzen noch ein von diesem verschiedenes Ganze, und32 noch eins, und so in einer unendlichen Progression fort, denken kann. Gesetzt also, der Mensch hat keine sinnliche Anschauung des Geistigen, so folgt doch daraus die Nichtexistenz desselben noch nicht. Ueberdies, wenn Sie nichts als Materie anerkennen wollen, so muͤssen Sie auch die Gottheit zu einem materiellen Wesen machen, und dann wird ein Spinozist aus Jhnen.

Theokles.

Erlauben Sie, so weit sind wir noch nicht. Sie nennen Geist ein Etwas, das nicht Materie ist. Gut. Raͤumen Sie denn diesem Etwas die Existenz ein, nicht bloß die in der Vorstellung, sondern auch in der Wirklichkeit?

Damas.

Allerdings. Ein Etwas, das nicht in der Wirklichkeit existirte, wuͤrde mir hier nicht helfen.

Theokles.

Also waͤre dieses wirkliche Etwas doch eine Substanz?

Damas.

Ja, insofern es existirt.

33

Theokles.

Kann aber eine Substanz existiren, ohne einen Punkt im Raume einzunehmen, und einen Moment der Zeit auszufuͤllen?

Damas.

Nach menschlicher Erkenntnißart ist dies unmoͤglich.

Theokles.

Und als Menschen muͤssen wir doch nach menschlicher Erkenntnißart urtheilen.

Damas.

Allerdings.

Theokles.

Folglich, wenn der Geist eine Substanz seyn soll, so muß er auch, als Substanz, einen Punkt im leeren Raume ausfuͤllen, und ein Moment der Zeit einnehmen. Was aber kann dieses? Nichts anders, als das Materielle, und Sie muͤssen also Jhren Geist entweder materiell machen, und das waͤre, nach Jhrer Erklaͤrung desselben, ein Widerspruch, oder Sie muͤssen ihm das Praͤdicat der Substanz, und mithin sogleich die Existenz in der Wirklichkeit absprechen.

34

Damas.

Sie haben mich da freilich in ein Labyrinth gefuͤhrt, woraus ich mich nicht finden kann. Die Existenz eines immateriellen Wesens kann ich mir als Mensch nicht anschaulich denken; aber auf der andern Seite, wenn ein Geist und seine Existenz nicht gedenkbar seyn soll, was fangen wir dann mit unserm Begriffe von der Gottheit an? Jst denn diese auch ein materielles Wesen? Jch moͤgte doch nicht gern Spinozist werden, weil ich mich vor dem Namen fuͤrchte.

Theokles.

Wer wollte sich vor Namen fuͤrchten? Wenn ich darum von der Wahrheit des Spinozismus uͤberzeugt waͤre, wuͤrde es mir sehr gleichguͤltig seyn, was die Welt von mir sagte: Plauderem mihi ipse domi. Aber auch ich bin kein Spinozist, und Sie sollen es noch weniger durch mich werden. Lassen Sie uns einmal die Sache von einer andern Seite ansehn. Wofuͤr halten Sie die Ursache im Menschen, welche die Phaͤnomene des Denkens und Handelns in ihm bewuͤrkt? Halten Sie diese fuͤr ein leidendes oder thaͤtiges Wesen?

Damas.

Natuͤrlich fuͤr ein thaͤtiges.

35

Theokles.

Was setzt Thaͤtigkeit voraus?

Damas.

Eine Kraft.

Theokles.

Was ist Kraft?

Damas.

Ein selbstaͤndiges Prinzipium der Bewegung, dessen Daseyn wir da annehmen, wo wir eine Folge von Veraͤnderungen, entweder in der physischen oder intellectuellen Welt, beobachten.

Theokles.

Damit haben Sie mir bloß erklaͤrt, wie wir auf eine Kraft schliessen, aber nicht, was Kraft sey.

Damas.

Jch kann Jhnen nichts weiter erklaͤren; das Wesen der Kraft kennt ja kein Mensch.

Theokles.

Also nur, weil wir Wuͤrkungen, Bewegungen finden, schliessen wir auf ein Prinzipium, das sie verursache. Die Natur dieses Prinzipiums selbst aber ist uns verborgen. Nun sagen Sie mir, was36 finden Sie bei dem Menschen fuͤr Aeusserungen, die auf eine selbststaͤndige Kraft in ihm schliessen lassen.

Damas.

Zuvoͤrderst die unwillkuͤhrlichen Lebensverrichtungen, das Schlagen des Herzens, das Verdauen der genossenen Speisen, kurz alles, was zum thierischen Leben gehoͤrt, laͤßt mich auf eine besondre Kraft schliessen, auf ein Lebensprinzipium, das in dem Mechanismus des Koͤrpers, und in dem aͤtherischen Hauche, der diesen Mechanismus bei seiner Erzeugung in Wuͤrksamkeit setzte, gegruͤndet ist. Wiederum verrathen das Erkennen, das Verfolgen des Erkannten bis zu hoͤhern Bedingungen, und die Aeusserungen des Willens, die von der Erkenntniß des Verstandes abhaͤngen, eine besondre Kraft, die wir Denkkraft nennen. Unter beiden ist diejenige die edelste, welche die herrschende ist, und die andre zu ihren Bestrebungen gebraucht, also die Denkkraft.

Theokles.

Von welcher Kraft wissen wir gewiß, daß sie einmal aufhoͤrt zu wuͤrken?

Damas.

Von der Lebenskraft. Sie hoͤrt auf zu wuͤrken, sobald der Mechanismus des Koͤrpers zerstoͤrt ist.

37

Theokles.

Wissen wir es aber auch von der Denkkraft?

Damas.

Das Raͤthsel vermag ich nicht zu loͤsen.

Theokles.

Es laͤßt sich vielleicht vermuthen, daß sie einmal zu wuͤrken aufhoͤren werde, doch nicht gewiß behaupten; denn die Denkkraft und Lebenskraft wuͤrken, so lange sie in einer Substanz verbunden sind, mit einander und durch einander; aber jede von ihnen wuͤrkt doch auch in derselben Substanz gewissermaßen fuͤr sich, und unabhaͤngig.

Damas.

Allein, wenn die Lebenskraft ganz aufhoͤrt zu wuͤrken, sollte damit nicht auch das Ende der Aeusserungen der Denkkraft verknuͤpft seyn?

Theokles.

Fuͤr unsre Beobachtung wohl, allein ob absolut? ist eine andre Frage. Eben weil der lebende Koͤrper das Organ der Denkkraft ist, wodurch sie ihre Wuͤrkungen erweist, scheint es uns, daß, wenn der Koͤrper stirbt, auch die Denkkraft aufhoͤre, die wir nur aus ihren Wuͤrkungen durch den Koͤrper, so lange diese, vermoͤge des in ihm seyenden Lebens -38 prinzipiums, fuͤr die Denkkraft, als aͤusseres Werkzeug, brauchbar war, erkannten. Aber der Kuͤnstler kann fortexistiren, wenn auch seine Jnstrumente vernichtet sind; und so, sollt ich meinen, waͤre es auch mit der Denkkraft, gesetzt, daß ihr Organ, der Koͤrper, zerstoͤrt wuͤrde.

Damas.

Nun, wir wollen die Fortdauer dieser Denkkraft nach dem Tode einmal annehmen; worein wuͤrden Sie denn ihr Wesen setzen?

Theokles.

Das weiß ich nicht. Sie sagten ja selbst, das Wesen einer Kraft kenne kein Mensch. Besser, wir nennen dasselbe ein unbekanntes Etwas, als wir nennen es Geist, das nur ein Titel ohne Gehalt ist. Und so wuͤrde ich es auch mit dem Begriffe von der Gottheit machen. Die Gottheit ist die Kraft aller Kraͤfte, und das unermeßliche Weltall ist ihr Organ, wodurch sie in die Unendlichkeit hin ihre Wuͤrkungen erstreckt; denn nur aus den Wuͤrkungen erkennen wir eine Urkraft oder eine Gottheit, und denken Sie sich einmal den Gedanken recht lebhaft; Sie werden eben so ehrfurchtsvoll niederfallen und anbeten, als sonst.

39

Damas.

Also nach dem Tode bliebe nur die Denkkraft des Menschen uͤbrig, das heißt, die Kraft zu erkennen, das Erkannte zu gebrauchen, und nach der Erkenntniß zu wollen; die Natur dieser Kraft aber ist unerforschlich.

Theokles.

Eben, weil sie unerforschlich ist, nannte ich sie vorher geistig. Jch dachte nicht, daß Sie einen andern Begriff mit dem Worte geistig verbaͤnden, und bediente mich des Worts nur, weil ich kein anders zur Bezeichnung der Denkkraft, als Kraft, wußte; denn eigentlich giebt's gar keines dafuͤr.

Damas.

Aber ich erinnere mich, Sie behaupteten auch, daß das Grundwesen des Menschen, welches nach dem Tode uͤbrig bliebe, nicht bloß geistig, sondern zugleich materiell sey?

Theokles.

Das hab 'ich freilich behauptet; allein ich gab Jhnen dabei den Grund an, warum? Keine Kraft kann ohne ein materielles Subjekt seyn, wenn sie faͤhig werden will, fuͤr unsre Erkenntniß ihre Wuͤrkungen zu erweisen. Denken Sie sich das Subject weg, und so mag die Kraft fuͤr sich uͤbrig bleiben,40 aber nach den Schranken unsers Verstandes ist sie alsdann nicht mehr gedenkbar. Wollen wir uns also innerhalb dieser Schranken halten, wie wir, als Menschen, wohl thun muͤssen, so muͤssen wir auch der nach dem Tode uͤbrig bleibenden Denkkraft des Menschen ein materielles Organ einraͤumen.

Damas.

Aber die koͤrperliche Maschine verliert ja durch den Tod nichts von ihren Theilen. Der Abgang des materiellen Theils, der zum Grundwesen gehoͤrt, und sich durch den Tod mit diesem von dem Koͤrper trennt, muͤßte doch bemerklich seyn, wenn gleich unmittelbar nach dem Tode das Gehirn zergliedert wird. Demungeachtet hat noch kein Anatom, soviel ich weiß, diesen Abgang entdeckt.

Theokles.

Ganz richtig! Noch kein Anatom, so wie noch kein Mensch, hat auch je die feinste und subtilste Materie, die sich denken laͤßt, erkannt. Das Subject der Denkkraft kann materiell seyn, und dennoch unsinnlich, das heißt, unerkennbar fuͤr einen menschlichen Sinn. Und so nehmen ja die groͤßten Physiologen ausser den sichtbaren Theilen des Gehirns noch eine feine Materie an, die sie bald Lebensgeist, bald Aether nennen, und die man in dem todten Koͤrper nicht mehr suchen muͤsse. Den Ursprung der Jdeen, deren die Seele sich bewußt wird, erklaͤren41 sie aus den Schwingungen oder dem Drucke, der durch die Einwuͤrkung der aͤussern Gegenstaͤnde in diesem aͤtherischen unsichtbaren Theile des Gehirns entstehe. Sie legen naͤmlich diesem aͤtherischen Theile eben die Elasticitaͤt bei, wie der Materie des Lichts. Wenn man sich nun diese aͤtherische Materie in ihrer moͤglichen und hoͤchsten Feinheit denkt, so wird es wenigstens nicht mehr so unbegreiflich, wie sie im Moment des Todes aus dem Koͤrper entfliehn koͤnne. Jhr Einwurf also scheint mir die Behauptung noch nicht umzustossen, daß, wenn die Seele nach dem Tode existirt, und zwar als eine Kraft, wir ihr auch ein Subject beilegen muͤssen, weil wir uns sonst keinen Begriff von ihrer Existenz zu machen im Stande sind.

Damas.

Jch will es zugeben; aber wo, lieber Freund, an welchem Orte sollen nun die Millionen von denkenden Subjecten existiren, die vor uns ihre koͤrperliche Huͤllen verlassen haben, und sie in den Jahrtausenden der Nachwelt noch verlassen werden? Sie wissen, daß man ihnen bald die Luft, bald irgend einen Planeten oder Fixstern zum Wohnplatze angewiesen hat. Ein neuerer Schriftsteller hat sogar eine Wanderung der geistigen Wesen in Ruͤcksicht auf den Ort angenommen, und glaubt, wir Menschen moͤgten wohl schon im Monde existirt haben, wuͤrden in der Folge in einen der Sonne naͤhern Pla -42 neten, und endlich in die Sonne selbst versetzt werden; natuͤrlich denn weiter aus einem Sonnensysteme in's andre, damit es in den Ewigkeiten nicht an Reisestationen fehle. Diese Jdeen haben mir einmal viel Vergnuͤgen gemacht, und der Dichter kann sie vortreflich brauchen, aber sie gehoͤren zu den Seifenblasen, wovon ich vorher sagte. Das einzige, was sich noch von dem Orte des kuͤnftigen Aufenthalts der Seelen mit Wahrscheinlichkeit sagen laͤßt, ist wohl, daß sie im Raume existiren werden. Allein auch hier tritt eine große Schwierigkeit ein. Der Raum ist unendlich, das heißt, ich kann ihn in meiner Vorstellung nach allen Richtungen ausdehnen, und komme nie an die Graͤnze. Aus der Unendlichkeit des Raumes folgt Unendlichkeit der Materie; denn einen leeren Raum giebt es an und fuͤr sich nicht; da Raum uͤberhaupt an und fuͤr sich nichts, sondern bloße Bedingung der sinnlichen Erkenntniß ist. Wenn also die Materie unendlich seyn muß, so weiß ich nicht, wo die Seelen nach dem Tode, besonders bei den Eigenschaften, die Sie ihnen zuschreiben, Platz finden werden. Eine jede muß doch einen Theil des Raumes einnehmen, sey dieser Theil nun auch so klein er wolle, und doch giebt es keinen Theil des Raumes, der nicht schon Materie enthielte, also nicht schon fuͤr die Aufnahme eines neuen Subjects verschlossen waͤre. Da kommt der besser weg, der Unsterblichkeit der Seele uͤberhaupt leugnet. Alsdann erscheint das ganze Uni -43 versum, wie ein ewiger Kreislauf von Veraͤnderungen, wo aus demselben Stoffe unaufhoͤrlich neue Gestalten und Formen entstehn, die sich nach einiger Zeit in denselben Stoff wieder aufloͤsen.

Theokles.

Fuͤrchten Sie nichts. Wenn ich nur die Unsterblichkeit der Seele mit mathematischer Strenge beweisen koͤnnte; um den Ort ihres kuͤnftigen[ Aufenthalts] wuͤrd 'ich mir weiter keine Sorge machen. Wir koͤnnen uns freilich denselben nicht anders, als im Raume, denken, aber warum koͤnnen wir das nicht anders?

Damas.

Weil uns die Sinne keine andre Vorstellung von der Existenz einer Substanz moͤglich machen.

Theokles.

Also sind doch die Sinne nur allein an der Beschraͤnkung dieser Vorstellung schuld?

Damas.

Jch glaub 'es.

Theokles.

Wie nun? wenn die Sinne aufhoͤren, die Werkzeuge zu seyn, wodurch die Seele allein Vorstellungen erhalten kann; wenn der Koͤrper stirbt,44 und die Denkkraft ihn verlaͤßt, und fuͤr sich absolute existirt; sollte sie denn nicht eine andre Art von Existenz sich noch vorstellen koͤnnen, als die im Raume?

Damas.

Es koͤmmt darauf an, ob die Seele, wenn sie vom Koͤrper getrennt ist, uͤberhaupt noch neue Vorstellungen bekommen kann, außer denen, die sie schon hat?

Theokles.

Warum nicht? Kann sie Vorstellungen bekommen durch das Medium des Koͤrpers; wie viel mehr muß sie dieselben bekommen, wenn dieses Medium nicht mehr zwischen ihr und den Gegenstaͤnden ist, die sie sich vorstellt? Jn jenem Falle erhielt sie dieselben mittelbar; in diesem unmittelbar; in jenem sind die Vorstellungen beschraͤnkt, in diesem unbeschraͤnkt. Und vielleicht gehoͤrte die Jdee, daß Existenz nur im Raume moͤglich sey, zu den beschraͤnkten. Ganz anders wird diese Jdee werden, wenn die Vorstellung des Universums von der Seele unmittelbar empfangen, nicht erst, vermoͤge der Sinne, gebildet wird.

Damas.

Sie nehmen also an, daß nach dem Tode, wenn die Denkkraft nicht mehr durch die Sinne eingeschlossen wird, sie von dem Universum eine unbeschraͤnkte45 Jdee erhalten werde? Gern wuͤrd 'ich Jhnen das zugeben, wenn ich dann nur noch einen Unterschied zwischen der menschlichen Seele und der Gottheit aufzufinden wuͤßte. Bloß diese hat, menschlich zu reden, eine unbeschraͤnkte Jdee vom Universum; nach Jhrer Meinung aber soll die Seele nach dem Tode sie auch haben; sie waͤre also in Ansehung dieses Praͤdicats der Gottheit nicht nur aͤhnlich, was man allenfalls gestatten koͤnnte, sondern sogar mathematisch gleich.

Theokles.

Sie haben mich nicht recht verstanden, lieber Freund. Es war nicht die Rede davon, daß die Seele eine unbeschraͤnkte Jdee des Universum im eigentlichsten Sinne, so wie sie der Gottheit zukoͤmmt, haben werde, sondern nur, daß ihre Jdee davon nicht mehr die Schranken haben wuͤrde, welche sie hat, so lange die Seele dieselbe durch die Sinne erhaͤlt. Jch behauptete, daß die Seele nach dem Tode, wo sie die Fesseln des Koͤrpers abwirft, sich eine andre Existenz, als bloß im Raume, denken koͤnne, und Sie zweifelten, ob die Seele uͤberhaupt ohne Sinne neue Vorstellungen empfangen duͤrfte. Diesen Zweifel wollt 'ich nur aus dem Wege raͤumen.

Damas.

Nun erst begreif ich Sie. Sie meinen naͤmlich:

46
  • 1) Wir Menschen koͤnnen uns, als Menschen, die Existenz der Seele nicht anders, als im Raume, vorstellen.
  • 2) Jm Raume aber kann die Seele nicht seyn, weil die Materie schon unendlich ist, und es gar keinen leeren Raum giebt, der nicht ausgefuͤllt werden koͤnnte.
  • 3) Gleichwohl fließt hieraus noch nicht, daß die Seele darum uͤberhaupt nicht existiren koͤnne. Denn, daß wir uns Existenz nicht anders, als im Raume, vorzustellen vermoͤgen, daran sind unsre Sinne schuld. Wenn die Seele dereinst von diesen nicht mehr gehindert werden wird, kann sie sich eine andre Art der Existenz, als im Raume, vorstellen, und folglich kann sie doch seyn.

Theokles.

Jetzt fassen Sie das Resultat zusammen. Daß die Seele nach dem Tode existiren werde, haben wir vorausgesetzt, wo sie existiren, und wie sie existiren wird, wissen wir nicht, und koͤnnen es als Menschen niemals ergruͤnden.

Damas.

Wie wenig ist es doch, was der Mensch von der Zukunft jenseit des Grabes weiß! Man sollte das einem jeden sagen. Denn ich habe Men -47 schen sterben gesehn, welche die Todesangst um desto heftiger zerriß, weil sie von dem Zustande, der sie erwartete, mehr zu wissen glaubten, als sie wirklich wußten.

Theokles.

Eine sehr wahre Bemerkung, die Sie da machen! und woraus es sich erklaͤren laͤßt, daß oft religioͤse Menschen, besonders wenn sie mystische Religionsbegriffe haben, grade am unruhigsten sterben.

Damas.

Natuͤrlich; es ist gewissermaßen Vorurtheil, daß der Tugendhafte immer ein sanftes Ende nehme. Es haͤngt alles von der Reihe der Bilder ab, welche der Seele in der Todesstunde vorschweben; manches auch von momentanen Eindruͤcken; denn diese koͤnnen dem edlen Mann so gut, wie dem Boͤsewichte, den Tod schrecklich machen. Einer meiner geliebtesten Freunde traͤumte kurz vor seinem Tode, er sey schon in der Hoͤlle, und alles Zureden konnte ihn nicht zu sich selbst bringen. Nachher entdeckte ich, daß die Ursache dieser seiner peinigenden Vorstellung ein Feuer war, welches nicht weit vom Bette im Camine brannte, und wovon die Flamme ihm in die Augen schien. Das Feuer wurde ausgeloͤscht, und er ward ruhiger. Nach einiger Zeit war der Tocht des Lichts sehr lang geworden; ich putzte das Licht, und es verbreitete sich ploͤtz -48 lich eine sanfte Helle im Zimmer. Auf den Sterbenden machte dies den gluͤcklichen Eindruck, daß er sich einbildete, ihm sey die goͤttliche Gnade erschienen, und er werde selig werden. Jm Entzuͤcken daruͤber starb er.

Theokles.

Wir sind von unserm Zwecke abgekommen. Es ist freilich wenig, was der Mensch von dem Zustande jenseit des Grabes weiß, aber aus dem Wenigen lassen sich doch einige fruchtbare Folgerungen ziehen.

Damas.

Und was waͤren das fuͤr welche?

Theokles.

Erstlich. Die Denkkraft strebt hienieden nach Erkenntniß des Wahren, Guten und Schoͤnen; das wird sie auch jenseit des Grabes thun.

Zweitens. Je mehr einer hienieden seine Denkkraft geuͤbt, und je besser er sie angewandt hat, auf einer desto hoͤhern Stufe der Vollkommenheit und Gluͤckseligkeit wird er nach dem Tode stehn.

Drittens. Je reiner, je edler, je erhabner die Vorstellungen sind, die ein Mensch hier im Leben eingesammelt hat, desto schoͤnre Fruͤchte werden sie ihm nach dem Tode bringen.

49

Viertens. Folglich wird das Bewußtseyn der Tugend beseligen, und das Bewußtseyn des Lasters foltern; und da, wo Sinnlichkeit den Tugendhaften nicht mehr zerstreun, und den Lasterhaften nicht mehr betaͤuben kann, ist dies Himmel und Hoͤlle genug.

Damas.

Noch eins; glauben Sie auch, daß wir nach dem Tode uns wiedersehn werden?

Theokles.

Ob wiedersehen? Das wird von den Organen abhaͤngen, worin die Denkkraft nach dem Tode gehuͤllt werden wird. Aber, wenn die Freundschaft unsre Gesinnungen harmonisch macht, wenn wir sympathetisch empfinden, wenn wir gemeinschaftlich nach dem hoͤchsten Wahren, Guten und Schoͤnen streben, wenn wir uns zur Anbetung des Unendlichen vereinigen, dann werden wir uns wieder erkennen, wenn wir uns auch nicht wiedersehen.

Goͤttingen.

Buhle.

50

Zur Seelenheilkunde.

12,13

Die Beitraͤge zur Seelenheilkunde sind bisher immer noch die wenigsten gewesen, obgleich grade dieses Feld in einem Magazin der Erfahrungsseelenkunde am meisten bearbeitet zu werden verdiente. Jeder Mensch liegt an irgend einer Jdee, an irgend einer Lieblingsgrille krank, und es ist uns unendlich viel daran gelegen, sonderlich bei der Erziehung, zu wissen, wie dieser oder jener von jener Krankheit geheilt wurde, durch welchen Jdeenumtausch seine Vorstellungskraft eine bessere Richtung bekam, was Zeit, Umstaͤnde, Umgang, Lectuͤre dazu beitrugen, und wie uͤberhaupt der menschliche Geist nicht nur vor Jrrthuͤmern in fruͤhern Jahren bewahrt, sondern auch in spaͤtern, sonderlich wenn jene Jrrthuͤmer einen großen Einfluß auf's practische Leben hatten, davon zuruͤck gebracht werden konnte.

Die Curen der Seele haben viel Aehnlichkeit mit der Heilung koͤrperlicher Krankheiten. Jn beiden Faͤllen muß der Patient oft Arzeneien gebrauchen, die sehr bitter sind, wenn sie eine gute Wuͤrkung haben sollen. Am bittersten kommen uns gemeiniglich die Heilmittel gegen die Krankheiten der51 Seele vor; theils weil die wenigsten Menschen so sehr es auch andre bemerken, an ihrer Seele krank zu seyn glauben, und also sich gegen die ihnen angebotenen Mittel straͤuben; theils auch, weil die wenigsten Seelenaͤrzte ihre Patienten mit weiser Schonung zu heilen wissen, sondern nach einer Methode verfahren, die den Schwaͤchen jener unangemessen ist, und die Wunden mehr aufreißt, als heilt.

Welcher Menschenfreund wird sich nicht betruͤben, wenn er um sich herschaut, und bemerkt, daß die meisten Leiden, die die Menschheit druͤcken, von uns selbst herruͤhren, daß ein Theil derselben sich durch einen unersaͤttlichen Ehrgeitz, durch eine traurige Habsucht nach Titeln, Ehrenstellen, Belohnungen hoͤchst ungluͤcklich macht, und oft seine heiligsten Pflichten jenen Leidenschaften, die eine gesunde Philosophie nicht billigen kann, aufopfert; daß ein andrer Theil von Menschen durch einen uͤberspannten Grad der Sinnlichkeit vor der Zeit verwelkt, und alle Kraft in Thaͤtigkeit, allen Einfluß in's Beste der Gesellschaft durch einen erschlafften Koͤrper, durch einen noch erschlafftern Geist verliert; daß wieder andere durch eine giftige Verlaͤumdungssucht, durch einen unausloͤschlichen Hang zum Betruͤgen und die Wahrheit zu verstecken, ihr Gluͤck untergraben, und die Zufriedenheit vieler andern vielleicht auf immer stoͤren; daß uͤberhaupt die Unmaͤßigkeit der Leidenschaften und das aufgehobene52 Gleichgewicht der menschlichen Seelenkraͤfte an allen den Uebeln Schuld sind, die von uns selbst herruͤhren, und den Erdkreis uͤberschwemmen. Und welcher Menschenfreund wird, durch dergleichen Beobachtungen veranlaßt, nicht wuͤnschen, daß durch eine genaue Kenntniß des menschlichen Herzens immer mehrere Heilmethoden jener Seelenkrankheiten in Gang gebracht werden moͤgten, und daß vornehmlich jeder aufgeklaͤrte Erzieher es sich zur Pflicht machen moͤgte, auf die Mittel, Umstaͤnde, Lagen, Jdeenverbindungen, moralischen Gefuͤhle Acht zu geben, wodurch die Seele nach und nach, oder auch auf einmal zu einem gesunden Selbstbesinnen kommt.

Jch habe so manchmal daruͤber nachgedacht, woher es doch kommen moͤge, daß bei aller neuen Erziehungskunst und Aufklaͤrung, wenn man das Ding beim Lichte betrachtet, die Menschen doch noch nicht viel besser geworden sind, und zu werden scheinen, und ich habe gefunden, daß noch nicht die genauste Aufmerksamkeit auf die Bildung junger Seelen gewandt werden muͤsse. Bei noch genauern Beobachtungen, und durch den Umgang mit vielerlei Erziehern und Zoͤglingen habe ich vornehmlich wahrgenommen, daß man den ersten versteckten Keimen des moralischen Uebels in den Kinderseelen nicht nur nicht fleißig genug nachspuͤrt, sondern auch bei den ersten Aeußerungen der Sin -53 neslust, des Ehrgeitzes, der Rechthaberei, des Eigensinnes, der Spottsucht und anderer Herzensseuchen zu sorglos ist, und das Uebel nicht auf eine weise und geschickte Art in der Geburt zu ersticken sucht. Man arbeitet immer zu sehr im Ganzen, hemmt nur den Ausbruch grober Fehler, und laͤßt die Cultur des besondern Menschen, oder jeder seiner individuellen Leidenschaften liegen. Freilich kostet dies sehr viel Menschenstudirung, sehr vielen paͤdagogischen Fleiß; allein der Garten wird immer verwildert bleiben, wenn nicht das Unkraut mit der Wurzel ausgerissen wird, und hie und da Nesseln stehen bleiben, die man auszureissen nicht der Muͤhe werth achtet.

Wie aͤusserst interessant muͤßte es daher nicht seyn, wenn mehrere aufmerksame Menschenkenner und Erzieher die Mittel der Welt bekannt machen wollten, wie sie diese und jene Leidenschaft ihrer Zoͤglinge zu bessern, zu mildern, und ihr eine gute Richtung geben lernten. Z.B. Wie sie ein eigensinniges Kind von seinem Eigensinn; eine Gemuͤthsart, die uͤberall das Laͤcherliche aufsucht, von diesem Uebel; einen Knaben oder Maͤdgen von ihrer Verstellungskunst, wieder ein anders von der Neigung zu luͤgen u.s.w. geheilt haben. Eben so wichtig fuͤr die Belehrung der Menschen wuͤrden getreue Darstellungen von schon erwachsenen Maͤnnern und Frauenzimmern seyn: wie sie nach und nach uͤber so manchen Fehler ihres Herzens Herren wurden,54 und wie es ihnen gelang, durch die Stimme der Vernunft das Gewicht der Leidenschaft zu unterdruͤcken. Je genauer dergleichen Schilderungen waͤren, je nutzbarer wuͤrden sie seyn, und je leichter wuͤrden andere Menschen in aͤhnlichen Lagen dadurch zu gleichen Siegen uͤber ihre Fehler vermogt werden. Wir werden selten dadurch zu einer moralischen Besserung gebracht, wenn man uns gradezu die Mittel und Regeln vorschreiben will. Staͤrker und maͤchtiger wuͤrken auf uns Beispiele und Schilderungen von andern Personen, worin wir uns gleichsam wie in einem Spiegel erblicken, und ohne daß sie an uns gerichtet zu seyn scheinen, uns nicht selten die edelsten Entschliessungen ablocken.

Jch bitte und ermuntre die bisherigen Mitarbeiter dieses Magazins, in ihrem Kreise, in ihrem Umgange und ihren Verhaͤltnissen auf die Mittel aufmerksam zu seyn, wodurch Menschen von verjaͤhrten Fehlern des Herzens zuruͤckkamen, oder auch davor bewahrt wurden, und jede ihrer Beobachtungen und Entdeckungen wird gewiß den Lesern der Erfahrungsseelenkunde aͤußerst willkommen seyn.

P.

55

Zur Seelenzeichenkunde.

Fragmente aus dem Tagebuch eines Beobachters Seinselbst.

15

Die Furcht, lieber alles in der Welt als eitel, schmeichlerisch und heuchlerisch zu scheinen, hat mich von unzaͤhligen, wenigstens gesetzmaͤßigen (wenn auch nicht der Quelle nach tugendhaften) Handlungen, besonders solchen, die an Großmuth graͤnzen, zuruͤckgehalten. Denn der moͤgliche Gedanke andrer, ich wolle besser scheinen, als ich sey, war mir unertraͤglich; lieber wollte ich in der behaglichen Mittelmaͤßigkeit bleiben. Aber ist nicht eben diese Furcht ein Beweis von einer raffinirten Eitelkeit, und daß ich eben deswegen den Schein derselben haßte, weil ich wirklich eitel war? Zugleich ist's aber auch ein Beweis, daß ich mit ziemlicher Kaͤlte viel uͤber einen Entschluß zu denken pflegte, und uͤber dem Denken die Waͤrme zum Handeln verlor.

Bei Anton Reisers Bemerkung (Th. 3. S. 176): » Mystik und Metaphysik treffen in so fern56 wirklich zusammen, als jene oft eben das vermittelst der Einbildungskraft zufaͤlligerweise herausgebracht hat, was in dieser ein Werk der nachdenkenden Vernunft ist, « fielen mir Kants Traͤume eines Geistersehers ein, in Beziehung auf seine jetzigen Schriften. Kant realisirt jetzt durch ernste, kalte Philosophie seine Phantasieen und Traͤume; welches um so begreiflicher ist, da in jenem Buche doch ein Philosoph phantasirt hat, und diese sollen ja wohl oͤfters im Traume besser als im Wachen raͤsonniren. Vielleicht wahrer, inniger, origineller! Ob ich gleich kein Philosoph bin, so hab 'ich doch oft die erhabensten, groͤßten und befriedigendsten Blicke und Uebersichten im Schlafe vielleicht sind sie aber nur alsdann im Verhaͤltniß zu der schwaͤchern und mattern Denkkraft groͤßer, erhabner und befriedigender: denn dasjenige, dessen ich mich am Morgen noch deutlich davon erinnere, hat doch bei weitem diesen Werth nicht, den ich am Abend vorher zu fuͤhlen glaubte, vielleicht weil ich fruͤh mehr als Abends verlangte.

Beobachtungen uͤber meinen Charakter: Wenig feine Empfindungen wenig Ruͤhrung intensiv und extensiv schwache Phantasie schweres Denken; muͤhsames Schreiben abstractes und subtiles Denken, zuweilen Spitzfindigkeit Unglaube und Zweifelsucht Kaͤlte, langsame Pruͤfung, Furcht vor Uebereilung und Schwaͤrme -57 rei; beinahe Aergerlichkeit uͤber den, mit dem ich nicht sympathisiren kann. Achtung fuͤr's Gute, so fern es recht und erhaben ist. Gewohnheit, das Mangelhafte, die Schranken des Guten und Boͤsen zu bemerken. Maͤßigung in der Liebe und im Abscheu, Billigkeit, affectfreies Urtheil Gewohnheit, Unaͤhnlichkeiten schnell zu bemerken, Scharfsinn. Unterlassungssuͤnden aus Mangel an Eifer. Diese halte ich meist fuͤr schlimmer, als Begehungssuͤnden aus Stolz und groͤberer Sinnlichkeit. Uebergewicht der vorstellenden Kraͤfte. Hang zur Sonderbarkeit. Langsamer Wechsel der Vorstellungen. Festigkeit einmal befestigter Meinungen und Gewohnheiten, weil solche Lagen der Vorstellungen, worin Neigungen anfangen, selten sind, also leichter vorhandne fortdauern, als neue entstehen. Absondrung des Denkens vom Empfinden und Handeln. Feste Freundschaft. Wenn auch aͤussere Ursachen Trennung veranlassen, und die Empfindung geschwaͤcht ist, so ist doch die innerste verborgne Neigung kaum zu erschuͤttern. Wenig Eitelkeit, viel Stolz. Lebhafte Aeusserung und Gefuͤhl eigner Maͤngel; Verbergung des Guten; eine gewisse Scham, gut zu scheinen, und Empfindungen, Eifer mit Worten zu zeigen, die Beifall erhalten koͤnnten. Schwierigkeit, sich jedesmal in die gehoͤrige Stimmung zu versetzen. Schwaͤche des Triebs, andern zu gefallen, in gewissen Stuͤcken.

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Jch denke mehr in Gesellschaft, und fuͤhle mehr in der Einsamkeit. Der abwesende Freund ist mir mehrentheils wichtiger und interessanter, meine Empfindungen fuͤr ihn zaͤrter, zuweilen gar enthusiastisch, als der Freund, mit dem ich eben spreche. Es ist, als wenn mich etwas gewaltsam zuruͤckzoͤge, wenn ich Freundschaftsgefuͤhle in Worten ergiessen will; ich fuͤrchte, zu wenig zu sagen, und doch vielleicht dem Freunde mehr sagen zu scheinen, als ich empfand. Will ich's doch, so erkaltet mit den Worten die Empfindung. Eine verworrne Empfindung von Schaam unterdruͤckt den Ausbruch von Gefuͤhlen fuͤr's Gute, wo ein Zeuge dabei ist, und diese Scham schwaͤcht auch so lange die Empfindung selbst. Jn erwachsnen Jahren hab 'ich auch vielleicht nie aus eigner Ruͤhrung oder Mitleid in andrer Gegenwart geweint, selbst da, wo ich mit dem innersten Gefuͤhl den Gedanken verband, daß vielleicht eine Thraͤne des Mitgefuͤhls Trost fuͤr den geliebten Leidenden seyn wuͤrde. Kaum war ich allein, so ergoß sich das volle Herz in einen Strom von Thraͤnen.

Die maͤnnlichen Eigenschaften des Geistes zogen mich immer am staͤrksten an. Standhaftigkeit, Festigkeit, Duldsamkeit und Muth waren mir sehr bald die verehrungswuͤrdigsten Eigenschaften eines Mannes, und ich dachte mir immer kuͤnftige Lagen meines erwachsnen Alters, wo ich diese auf eine59 recht auszeichnende und glaͤnzende Art ausuͤben und zeigen wollte; doch lag mir an dem Fecisse beinahe mehr. Der Umgang mit kleinen Kindern war mir mehrentheils zu fad, und ein Erwachsner, der mich in eine ernsthafte Unterredung zog, erwarb sich dadurch meine ganze Zuneigung. Jede eigentlich kindische Behandlung, die manchmal captatio benevolentiae seyn sollte, wuͤrkte grade das Gegentheil; ich fuͤhlte mich gedemuͤthigt. Es war mir fast immer aͤrgerlich, wenn ich aus der Gesellschaft der Erwachsnen unter die Kinder verwiesen wurde.

Wie kommt's, daß mich in Wissenschaften, die ich eigentlich studire, nicht bloß im Vorbeigehn ansehe, beinahe nichts, was ich gearbeitet vorfinde, nur zur Haͤlfte befriedigt, daß mir's, wenn's Andre noch so gut finden, doch das Rechte nicht ist, und ich immer eine oft nur dunkle, aber aͤusserst lebhafte Ahndung von etwas Besserm fuͤhle, die mir den Genuß dessen, was da ist, zur Haͤlfte verdirbt, und macht, daß ich's auch nicht so fortpflanze und brauche, wie es wohl gut waͤre. Wo es dann geschehen muß, weil ich nichts Beßres weiß und habe, da geschieht's doch mit Widerwillen und Unlust, deren unzeitigen Ausbruch ich oft gewaltsam hemmen muß. Jst das Seelenkrankheit, oder was sonst?

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An dem Mangel an Waͤrme und Enthusiasmus fuͤr's Gute, besonders fuͤr's Moralische, ist mein Hang zum Speculiren, zum Aufloͤsen und Zergliedern, zum allgemeinen, abgezognen Denken, vornehmlich schuld. Gespaltne Strahlen waͤrmen minder als vereinte, und gespaltne Gedanken koͤnnen das Herz nicht erwaͤrmen, und ein kuͤhles Herz kann nur aus Eitelkeit Eifer heuchlen. Jch finde immer Bedenklichkeiten gegen die Reinheit und den aͤchten Gehalt des Guten, und kann mich nicht schnell und feurig dafuͤr interessiren. Jch finde es oft verdaͤchtig, wenn auch das Herz zu wallen anfaͤngt, diesen Aufwallungen mich preiß zu geben; besonders haͤlt mich aber die Erinnerung an etwas zuruͤck, das sich meiner oͤftern Bemerkung dargeboten hat. Jch meine dieses, daß wir oͤfters, um das glaͤnzende Gute zu thun, einen Theil der Erfuͤllung unsrer stillen, eingeschraͤnkten, nahen, aber deshalb nicht unheiligen Pflichten aufzuopfern pflegen. Jch bin eingeschraͤnkt, und fuͤhle es, daß ich's bin, und will nicht weiter wuͤrken, als ich kann. Es ist auch eine Art von Aufopferung, und die unedelste Art derselben wohl nicht, auf große Tugenden Verzicht zu thun, um die kleinern zu behaupten, und es ist eine Art von geistiger Enthaltsamkeit, die mir so wichtig scheint, als die koͤrperliche nur immer seyn mag, welche darin besteht, seiner Sittlichkeit keinen hoͤhern Schwung geben zu wollen, als man, ohne Schwindel und gefaͤhrlichen Fall zu befuͤrchten, jetzt61 eben aushalten kann. Auch der Trieb nach Erhoͤhung seiner edelsten Vollkommenheit, das heißt, der sittlichen, kann durch Ausschweifung und Ueberschnellung seinen eignen Endzweck aufhalten und hindern. Der andre Hauptgrund meiner Kaͤlte bei Veranlassungen, wo ich haͤtte warm seyn sollen, ist der Mangel an Biegsamkeit und Geschmeidigkeit meines Charakters, die muͤhsame und schleppende Umschmelzung der Gestalt und des Tons meiner Vorstellungen. Jch bin eben in andre Gedanken vertieft, in fremdartige Betrachtungen und Gefuͤhle hineingezogen, die meine ganze Vorstellungskraft noch beschaͤftigen und fesseln. Nun kann nichts tiefe Eindruͤcke auf meine Seele machen, alles Heterogene wird abgestoßen, oder in meinen vorigen Gedankenkreis hineingezogen, wo es nun ganz anders aussieht, und ganz etwas anders wuͤrkt, als wenn außer dieser und in einer ganz andern Verbindung es mir sich darstellte. Am kaͤltsten werde ich, wo die Begriffe des andern, mit dem ich eben zu thun habe, mir zu idealisch, seine Foderungen uͤbertrieben, der Eifer schwaͤrmerisch und von keiner allseitigen Vorstellung der Sache, wie sie in der wirklichen Welt ist und seyn kann, begleitet zu seyn scheint.

M.

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Belag zur Geschichte der Ahndungen.

17

Die Ahndungsgeschichte, welche Herr Bartels in seinen Briefen uͤber Calabrien und Sicilien*)*) Goͤttingen. 1787. 8. 1ster Theil. S. 408 ff. erzaͤhlt, verdient sehr, in Jhrem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde aufbewahrt und psychologisch beleuchtet zu werden; ob das Phaͤnomen gleich selbst nicht so unerklaͤrbar seyn mag, als Herr Bartels glaubt. Hier ist die ganze Stelle:

» Es scheint, es liegen noch Kraͤfte in den Menschen, bis zu deren Entstehungsquelle bis jetzt das Auge des scharfsinnigsten Psychologen nicht hat dringen koͤnnen, und unter diese gehoͤrt das Vermoͤgen der Vorahndung oder der Vorempfindung zufaͤlliger kuͤnftiger Dinge, bei nicht erhitzter Einbildungskraft. Alle die Hokus Pokus der Somnambuleurs und ihrer Lehrer lassen sich bis jetzt noch wohl, so viel ich glaube, durch Erhitzung der Einbildungskraft, Anstrengung der geschwaͤchten Nerven, und Reiz des Zeugungstriebes, hervorgebracht gedenken; aber63 daß eine Frau alle die Schrecken des Erdbebens im Schlaf voraussah, und sie anzeigte, ihre Phantasie nicht erhitzt war, wie sie dies that, man auch gar nicht weiß, wie durch Jdeenassociation die Vorstellungen grade jetzt in ihr erregt werden konnten, und sie doch alles vorher sah, und vorher verkuͤndigte, das bleibt mir ein unerklaͤrliches Phaͤnomen. Sonderbar aber ist's, daß der groͤßte Theil aͤhnlicher Entdeckungen fast immer an Weibern gemacht wird, aber es fast immer alte abgelebte Menschen, oder von zerruͤttetem Nervensystem sind, bei denen wir diese Kraͤfte bemerken. Komme diese Kraft woher[ sie] wolle, folgende Geschichte ist unlaͤugbar wahr. (Jch habe verschiedene Zeugen davon gesprochen, und die Erzaͤhlung steht selbst ungefaͤhr eben so in der Beschreibung des Erdbebens von der[ Akademie]). Donna Lukrezia Ruffo, eine siebenzigjaͤhrige Frau, sah im Schlaf eine Nacht zuvor alle Schrecken des Erdbebens (1783), und ward dadurch so erschuͤttert, daß sie mit einem heftigen Klaggeschrei erwachte. Jhre Familie, aus dem Schlaf gestoͤrt, eilte furchtvoll zu ihr hin, und wie sie ihr die Ursache erzaͤhlte, und besonders eine genaue Beschreibung von der Seerevolution gab, ward sie verlacht. Jhr Schwiegersohn war hernach einer von denen, der sehr vom Meere gemißhandelt, verschlungen und wieder ausgeworfen ward, dann sich in eine Menge Netze verwickelte, und beinah so auf die traurigste Art erstickte. « So weit der Reisebeschreiber.

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Wenn auch die Sache, wie sie hier erzaͤhlt wird, buchstaͤblich wahr seyn sollte (so leicht auch sonst den Reisebeschreibern etwas Wunderbares und Seltsames aufgebunden wird, wovon fast alle Reisebeschreibungen die deutlichsten Beweise enthalten): so scheint sie doch fuͤr die Ahndungen nichts zu beweisen. Wer weiß denn erstlich gewiß, daß die Frau von aller erhitzten Einbildungskraft frei war, als sie den Traum hatte? Wer weiß, welche Bilder, Beschreibungen und Erzaͤhlungen von vergangenen Erdbeben ihr grade damals vorschwebten, als sie einschlief? Jn einem Lande, wo dergleichen schreckliche Naturphaͤnomene oͤfter vorfallen, wo man die Kinder schon von Jugend auf mit Erzaͤhlung derselben unterhaͤlt, ist's ja wohl nichts unnatuͤrliches, von einem Erdbeben zu traͤumen. Die Frau war ohnedas alt; folglich sehr wahrscheinlich von einer aͤngstlichen und furchtsamen Gemuͤthsart, und von schwachen Nerven; wie viele alte Weiber moͤgen dort von Erdbeben traͤumen! Also in dem Traum selbst liegt nichts ungewoͤhnliches, nichts unerklaͤrbares. Aber sie sah alle Schrecken des nachher erfolgten Erdbebens vorher? Wenn sie einmal von einem Erdbeben traͤumte, so war es wieder sehr natuͤrlich, daß ihr die Phantasie die Schrecken desselben vormalte; sie sah vermoͤge dieser Phantasie Haͤuser umstuͤrzen, Feuer aus der Erde hervorbrechen, die See in heftige Bewegung gerathen, und was sich sonst bei einem Erdbeben65 schreckliches zutragen konnte. Alles dies waren natuͤrliche Folgen einer einmal durch die Einbildungskraft entstandenen Jdeenassociation, die man hier freilich, so wie uͤberhaupt die Folge der Traumideen bei den meisten Menschen, nicht bestimmt angeben kann, weil die Seele im Schlaf uͤber sich selbst zu reflectiren nicht sehr aufgelegt ist. Aber sie sahe die Schrecken dieses wirklichen Erdbebens vorher? Hier entsteht nun die große Frage, die uns der Verfasser nicht beantwortet, ob sie die Schrecken des getraͤumten Erdbebens nur uͤberhaupt, oder nach allen einzelnen Umstaͤnden so genau beschrieben habe, daß man die Erfuͤllung des Traums selbst im Detail nicht laͤugnen konnte. Jene Beschreibung uͤberhaupt wuͤrde nichts beweisen; denn alle Erdbeben haben ja wohl in Absicht des mit sich fuͤhrenden Schrecklichen eine Aehnlichkeit mit einander, ja selbst bei einer genauern Erfuͤllung einzelner getraͤumter Umstaͤnde, die hernach beim Erdbeben wirklich vorfielen, konnte sich vieles noch durch einen bloßen Zufall ereignen, vieles konnte das alte Weib auch hinterher getraͤumt zu haben glauben, was sie nicht getraͤumt hatte, wie gemeiniglich zur Erfuͤllung eines bedeutenden Traums so manches hinterher zugesetzt wird, um dem Dinge so recht den Anschein einer Ahndung zu geben.

Das, was bei der angefuͤhrten Erzaͤhlung am auffallendsten ist, besteht darin, daß die Donna66 Ruffo grade die Nacht vorher von dem Erdbeben traͤumte. Allein, sollte man hiervon nicht lieber einen physischen Grund, als gewisse geheime Kraͤfte der Seele anzugeben suchen, die doch, so lange wir die denkende Substanz des Menschen nicht genauer kennen, nichts als eine Hypothese bleiben werden, die durch die Neigung der Menschen zum Wunderbaren ihre vornehmste Staͤrke erhaͤlt. Wenn die Jdee von einem Erdbeben in der Seele der siebenzigjaͤhrigen Frau entstand: so konnte die Veranlassung dazu aus einem physischen Vorgefuͤhl von jener schrecklichen Revolution entstehn, welches sich mehrere Tage vorher nicht nur bei Menschen, sondern sogar bei Thieren zu aͤussern pflegt, wie ich aus mehrern Erzaͤhlungen von gebornen Jtaliaͤnern und glaubwuͤrdigen Maͤnnern weiß, die jenes aͤngstliche Vorgefuͤhl wirklich empfunden haben. Nach der Erzaͤhlung dieser Maͤnner fuͤhlen viele Menschen vor einem bald entstehenden Erdbeben eine innere Bangigkeit, eine Mattigkeit in ihren Gliedern, ein schweres Athmen, welches wohl von der[ Veraͤnderung] der Luft abhaͤngen mag, die vor jedem Erdbeben hergehn soll. Herr Bartels laͤugnet, daß wenigstens beim letztern Erdbeben die Menschen nichts davon vorher empfunden haͤtten; aber wie leicht konnten selbst die Vorzeichen an Thieren einen aͤngstlichen Traum uͤber eine nahe bevorstehende Erdrevolution hervorbringen, und die Veranlassung zu der Jdeenassociation bei der Donna Ruffo67 werden, die sich der Verfasser nicht erklaͤren kann, da sie doch sehr natuͤrlich in jenen Vorzeichen liegen konnte.

Nachdem er die Lufterscheinungen, die der Aberglaube in dortigen Gegenden fuͤr Vorzeichen halten wollte, als solche gelaͤugnet hat, faͤhrt er so fort: » Merkwuͤrdiger sind unstreitig die Vorempfindungen, die sich an lebenden Geschoͤpfen zeigten. Nur der Mensch blieb von diesen Vorgefuͤhlen frei; (aber alle, und ein jeder? wer kann das bestimmen?) weder auf seinen Koͤrper, noch auf die Heiterkeit seines Geistes hatte es den geringsten Einfluß; seine Empfindungsnerven wurden durch das, was in den Thieren die quaͤlendste Unruhe veranlaßte, nicht geruͤhrt; ein Beweis, wie weit schaͤrfer das Perceptionsvermoͤgen durch den aͤussern Sinn bei den Thieren als bei den Menschen ist. Aber auch bei den Thieren selbst nahm man hier eine große Verschiedenheit wahr. Bei einigen aͤusserte es sich fruͤher, schneller und heftiger, bei andern spaͤter, langsamer und gelinder. Diese Begebenheiten sind zu sonderbar, als daß ich Jhnen nicht das, was ich davon zuverlaͤssig weiß, mittheilen sollte. Die Fische im Meer schienen kurze Zeit vorher, und waͤhrend der ganzen traurigen Periode, wie in einem Taumel zu leben, eilten unruhig im Wasser, haͤufiger als sonst, in die Netze der Fischer, und buͤßten ihre Vorempfindung durch einen fruͤhen Tod. 68Die Voͤgel in der Luft durchkreutzten, wie von irgend einer Furcht gejagt, schreiend die Luft, und auch sie schienen weniger schlau, den Fallstricken der Menschen entgehn zu koͤnnen: eben die Unruhe bemerkte man an Gaͤnsen, Tauben, Huͤnern u.s.w. Unter den vierfuͤßigen Thieren schienen Hunde und Esel die zu seyn, auf die dies Vorgefuͤhl am fruͤhesten und heftigsten wuͤrkte; sie liefen mit wildem starren Blick furchtsam umher, und fuͤllten mit schrecklichem Geheul und Geschrei die Luft. Pferde, Ochsen, Maulesel und andre aͤhnliche Thiere zitterten vorher am ganzen Koͤrper, stampften wiehernd und bruͤllend den Boden, spitzten die Ohren, und ihr Auge rollte starr und argwoͤhnisch umher. Jn dem schrecklichen Moment selbst stemmten sie die Beine auf dem Boden von einander, damit sie sich vor dem Fall sicherten, und doch wurden sie oft niedergestuͤrzt. Einige suchten kurz vorher vergeblich zu fliehen, wurden aber von dem Toben der Erde erreicht, und blieben unbeweglich stehn. Die Schweine schienen am wenigsten dies Vorgefuͤhl zu aͤussern; aber die Katzen, obgleich spaͤter, als die Esel und Hunde, doch sehr heftig. Sie kruͤmmten sich, ihr Haar fing an starr wie Borsten empor zu stehn, ihre Augen wurden blutig und waͤßrig, und sie stellten ein schreckliches Klaggeschrei[ an. «]

Daß uͤbrigens obige Ahndungsgeschichte der Donna Ruffo durch Zeugen bestaͤtigt wird, die69 der Verfasser daruͤber gesprochen haben will, thut zur Verificirung einer wirklichen Ahndung nichts. Waren jene Zeugen aufgeklaͤrte Leute, liessen sie sich nicht hintergehn, waren sie nicht schon fuͤr die Ahndungsgeschichte eingenommen, und hatten sie das Ding mit philosophischer Aufmerksamkeit gepruͤft? Die Menschen werden nur zu leicht betrogen, wenn es auf Wundererzaͤhlungen ankommt, und der scharfsinnigste Kopf muß grade alsdann selbst sehr auf seiner Hut seyn. Die Akademie zu Neapel hat die naͤmliche Geschichte erzaͤhlt, und fast eben so, wie der Verfasser; aber wie oft haben sich die hochloͤblichen Akademieen taͤuschen lassen!

Jch merke noch geflissentlich die Stelle aus des Verfassers Briefen an, daß naͤmlich dergleichen Phaͤnomene fast immer an Weibern, an abgelebten und nervenkranken Personen jene Vorhersehungskraͤfte bemerkt werden sollen. Jch glaube aber, daß uns auch nichts als diese Bemerkung selbst gegen diese Kraͤfte mißtrauischer machen sollte. Die weibliche Phantasie ist, nach dem Zeugniß aller Psychologen und aller Zeiten, der groͤßten Ausschweifungen faͤhig. Die Schwaͤrmerei jeder Art hat immer in der Seele des andern Geschlechts eine freundliche Aufnahme gefunden, und die Geisterseherei, Traumdeuterei, Ahndungswuth, Vorherwisserei wird nie aussterben, so lange es Weiber giebt. Abgelebte Personen sind schon darum70 nicht mehr guͤltige Zeugen ihrer schwaͤrmerischen Aussagen, von gewissen an sich bemerkten sonderbaren Phaͤnomenen, weil sie oft die Schwaͤche des Geistes an richtigen Untersuchungen hindert, weil das Alter sehr aberglaͤubig, furchtsam und leichtglaͤubig ist, und weil sein Hang zum Wunderbaren die Phantasie so leicht auf Abwege bringt. Nervenschwache Menschen endlich sollen die die Gefaͤße jener geheimen Kraͤfte der menschlichen Seele seyn? O welche erbaͤrmliche Maschinen haͤtte dann die Natur zur Darstellung ihrer Geheimnisse gewaͤhlt, und wie wenig koͤnnte die Vernunft solchen Kraͤften trauen, die erst durch eine Erschlaftheit der Menschennatur sichtbar werden koͤnnten.

Unterdessen scheinen unsre aufgeklaͤrten Zeiten in der That jenen sonderbaren unpsychologischen Satz allgemein machen zu wollen, daß die Groͤße und Erhabenheit der Menschennatur erst durch gewisse vorhergegangene Erschlaffungen der Vernunft sichtbar werden koͤnnen, und daß, um die Vollkommenheit derselben kennen zu lernen, allerlei ungewoͤhnliche Krisen der Empfindung vorhergehn muͤßten. Diesen Jrrwahn haben nicht bloß die Bremischen Geschichten einer sonderbaren Gattung des neumodischen Wahnwitzes befoͤrdert, sondern es sind mehrere Umstaͤnde zusammengekommen, selbst von Seiten der religioͤsen Schwaͤrmerei, um jenen Unsinn guͤltig zu machen. Eine natuͤrliche Folge unsrer71 neuen schwaͤrmerischen Religionsbegriffe, die alles auf bloße Empfindungen reduciren wollen, und eben dadurch jedem schwachen Kopfe Gelegenheit geben, sich den Gesetzen eines vernuͤnftigen Nachdenkens uͤber religioͤse Gegenstaͤnde zu entziehn, und seiner verworrenen Einbildungskraft, das, was das Groͤßte, Erhabenste und Heiligste an dem Menschen ist, seine gesunde Vernunft aufzuopfern.

72

Fortsetzung des Lebens des20H. Cardans.

21

» Als ich mehr zum Knaben heranwuchs, und sich obige Erscheinungen verloren hatten, so traten zwei andre an ihre Stelle, die hernach bestaͤndig blieben, und noch jetzt vorhanden sind, obgleich, nachdem ich meine Probleme geschrieben, und meinen Freunden bekannt gemacht hatte, eine jener Erscheinungen bisweilen aufhoͤrte. Die eine besteht darin, daß ich, so oft ich die Augen gen Himmel richte, den Mond sehe; die andre sonderbare Eigenschaft ist die (welche ich zufaͤllig bemerkt habe), daß, wenn ich dazwischen komme, wenn sich Leute streiten, kein Blut vergossen, auch keiner verwundet wird. Jch habe mich daher mit Vorbedacht zwischen Zaͤnker und Aufruͤhrer gemischt, und es ist niemals einer dann verwundet worden. Wenn ich in Gesellschaft mit Jaͤgern war, so habe ich sogar bemerkt, daß das Wild weder durch Spiesse, noch durch Hunde verwundet wurde, und ich habe mich hierin nie getaͤuscht; so daß, als ich einstmals den Fuͤrsten Niglovani auf die Jagd begleitete, und ein Haase gefangen wurde, den man den Zaͤhnen der Hunde entriß, derselbe ganz unbeschaͤdigt war, woruͤber alle erstaunten. Bloß bei freiwilligen Abzapfungen des Bluts, und bei Hinrichtung oͤffentlicher73 Verbrecher aͤussert sich jene sonderbare Eigenschaft meiner Natur nicht. «

» Etwas anders ganz sonderbares in meinem Leben ist auch das, daß ich dann aus meinen traurigen Lagen herauskam, wenn gar keine Huͤlfe mehr da zu seyn schien. Und ob dies gleich ganz natuͤrlich zuging, so machte doch die Art und Weise, daß es haͤufig, ja bestaͤndig so kam, daß man es uͤbernatuͤrlich nennen moͤgte. « (Eben so, ob gleich das obige Gesicht mit dem Hahn natuͤrlich zuging, so war es doch wunderbar, daß das naͤmliche Gesicht so und auf die naͤmliche Art wiederkam.) *) *) Ein lebhaftes Bild der Jmagination, das sich durch irgend einen Umstand tief der Seele eingedruͤckt hat, pflegt im Wachen sowohl als im Schlafen augenblicklich wieder zu erscheinen, daher das oͤftere Traͤumen von dem Hahn, da die Jdee ohnedas mit einer innern Furcht verbunden war, sehr natuͤrlich zuging.P.

[» Jch] will noch zwei Beispiele erzaͤhlen, wie ich auf einmal durch eine besondre Leitung des Himmels aus meiner traurigen Lage herausgerissen wurde. Es war 1543 im Sommer, um welche Zeit ich taͤglich gewohnt war, das Haus des Ant. Vicomerati, eines Patriciers unsrer Stadt, zu besuchen, und daselbst den ganzen Tag hindurch Schach zu spielen. 74Wir spielten um ein bis vier Realen jedes Spiel, so daß ich, da ich zu siegen gewohnt war, fast jeden Tag ein Goldstuͤck, bald auch mehr, bald weniger mit wegtrug. Der Mann gab sein Geld gern, und ich hatte einen doppelten Gewinn, mein Gold und meinen Sieg im Schachspiel. Jch kam aber dadurch so herunter, daß ich schon uͤber zwei Jahre weder auf meine Kuͤnste, noch auf meinen Verdienst, noch auf meinen Ruf und die Studien Ruͤcksicht genommen hatte. Eines Tags, gegen Ende des Augusts, nahm mich der Mann, entweder weil sein oͤftres Verlieren im Spiel ihn zu gereuen anfing, oder weil er sahe, daß ich von meinem Vorsatz auf keine Art abgebracht werden konnte, vor, und zwang mich zu schwoͤren, daß ich niemals des Spiels wegen wiederkommen wollte. Jch schwur bei allen Goͤttern, und von diesem Tage an legte ich mich ganz auf die Studien. «

(Ein andermal noͤthigt ihn der Einsturz seines Hauses sein Vaterland zu verlassen.)

» Jch will noch ein Beispiel, obgleich von einer etwas andern Art, erzaͤhlen. Jch lag eben an einem Brustgeschwuͤr krank, woran ich schon oft bis zur Verzweiflung gelitten hatte, und las in den Collectaneen meines Vaters, wenn jemand des Morgens fruͤh um acht Uhr den 1sten April die Mutter Maria mit gebeugtem Knie und dem Vater Unser75 und mit dem englischen Gruß die heil. Jungfrau anriefe, daß sie bei ihrem Sohn um eine erlaubte Sache eine Fuͤrbitte einlegen moͤgte, man seine Bitte erfuͤllt sehn wuͤrde. Jch bemerkte den Tag und die Stunde, verrichtete mein Gebet, und wurde noch in dem naͤmlichen Jahre kurirt. Lange Zeit drauf wurde ich auch auf die naͤmliche Art vom Podagra kurirt; ob ich mich hierbei auch gleich der Arzneikunst bediente. «

» Nun will ich auch noch vier sehr sonderbare Phaͤnomene in Absicht meines aͤltesten Sohns anfuͤhren, davon sich das eine an seinem Tauftage, das andre in seinem letzten[ Lebensjahre], das dritte in der Stunde, als er sein Verbrechen, warum er hingerichtet wurde, bekannte, das vierte vom ersten Tage seiner Gefangenschaft an, bis an seinen Todestag, ereignet hat. «

Man hoͤre folgende aberglaͤubige Grillen eines Mannes, der uͤbrigens als ein so großer Kopf, als ein Prodigium der Gelehrsamkeit bekannt ist.

» Mein aͤltester Sohn war 1534 gebohren. Als er getauft war, schien die Sonne sehr hell in's Zimmer, um die fuͤnfte und sechste Stunde des Tages. Alle waren nach der Gewohnheit bei der Woͤchnerinn gegenwaͤrtig, das Kind und die Waͤrterinn ausgenommen. Der Vorhang war vom Fenster76 weggenommen, und hing an der Wand, als auf einmal eine große Horniß hereinkam. Sie umflatterte das Kind, alle Anwesende fuͤrchteten sich, sie that aber keinem etwas, sondern flog mit einem so heftigen Geraͤusch gegen den Vorhang, als wenn eine Trommel geschlagen wuͤrde. Wir liefen hinzu; fanden nichts, und doch hatte sie auch nicht hinauskommen koͤnnen, da wir sie genau mit unsern Augen verfolgten. Alle prophezeihten daraus nichts Gutes; aber keiner muthmaßte doch einen so traurigen Tod des Kindes. «

» Jn dem Jahre, als mein Sohn umgebracht wurde, schenkte ich ihm ein neues seidenes Kleid, wie es die Aerzte zu tragen pflegen. Mit diesem Kleide ging er eines Sonntags vor das Thor, wo sich ein Fleischer aufhielt. Eins seiner Schweine sprang aus dem Kothe auf, rannte auf meinen Sohn zu, und beschmuzte ihn so abscheulich, daß die Fleischer und Nachbarn mit Spiessen das Schwein wegzutreiben suchten, bis mein Sohn sich endlich selbst durch die Flucht von ihm befreite. Wider seine Gewohnheit kam er sehr betruͤbt zu mir, erzaͤhlte alles, und fragte: was das Ding zu bedeuten haͤtte? Jch antwortete ihm: er moͤgte sich in Acht nehmen, daß, da er ein so schweinisches Leben fuͤhre, er nicht auch einmal ein solches Ende nehme! ob er gleich, sein Wuͤrfelspielen und seine Unmaͤßigkeit im Essen und Trinken ausgenommen, der beßte Junge war, und ein schuldloses Leben fuͤhrte. «

77

» Es war im Hornung, und der Anfang des naͤchstfolgenden Jahrs, als ich mich zu Pavia aufhielt, und dort Collegia las, als ich von ungefaͤhr meine Hand besah, und unten an meinem rechten Goldfinger das Bild eines blutigen Schwerdtes erblickte. Jch gerieth in ein ploͤtzliches Schrecken. Den naͤmlichen Abend kam ein Bote zu Fuß mit Briefen von meinem Schwiegersohn, worin er mir meldete, daß mein Sohn gefangen sey, und daß ich nach Mailand kommen moͤgte. Von diesem Tage an ließ sich dieses[ Zeichen] dreiundfunfzig Tage lang sehen, es stieg immer hoͤher. Am letzten Tage war es bis zur obersten Fingerspitze hinaufgeruͤckt, und sah flammend blutroth aus. Jch, ob ich gleich nicht so etwas vermuthete, war vor Schrecken doch ganz ausser mir, wußte nicht, was ich sagen oder denken sollte, um Mitternacht wurde mein Sohn mit einem Schwerdte hingerichtet, den Morgen drauf war das Zeichen auf meinem Finger fast ganz verschwunden, den Tag drauf war nichts mehr davon zu sehn. «

» Beinahe zwanzig Tage vorher, als er gefangen saß, studirte ich in meiner Bibliothek, und hoͤrte eine Stimme, als wenn jemand etwas Bejammernswuͤrdiges bekannte, das bald ein Ende nehmen sollte; es war, als wenn mir das Herz geoͤffnet, zerfleischt und aus dem Leibe gerissen wuͤrde. Wuͤthend sprang ich auf, lief in den Hof, fand da Leute, von de -78 nen ich das Haus gemiethet hatte, und schriee laut aus (indem ich wohl wußte, wie sehr ich meinem Sohn helfen konnte, wenn er sein Verbrechen nicht eingestehn, oder gar daran unschuldig seyn wuͤrde,): » Ach! weil er sich des Todes seiner Frau bewußt ist, und ihn nun bekannt hat, so wird er zum Tode verdammt und mit dem Beil hingerichtet werden. « Jch kleidete mich sogleich an und ging auf den Markt, wo ich meinen Schwiegersohn sehr traurig fand. Wo wollen Sie hin? fragt 'er. Jch besorge, war meine Antwort, daß mein Sohn alles bekannt hat. So ist's, erwiederte er, er hat eben alles bekannt; ich hatte jemand ausgeschickt, der horchen sollte, und dieser hat mir den ganzen Verlauf der Sache erzaͤhlt. «

» Zu andern Eigenheiten meiner Natur gehoͤrt auch die, daß mein Fleisch bisweilen wie Schwefel und Weihrauch riecht. «

» Auch dies war sonderbar an mir, daß ich,[ da ich] frei von Sorgen war, selbst mit Beihuͤlfe meiner Lehrer, weder den Archimedes noch Ptolomaͤus verstehn konnte; im hohen Alter hingegen, dreissig Jahre darnach, von Geschaͤften umringt, von Sorgen gehindert, hab 'ich beide, ohne andre Beihuͤlfe, deutlich verstehn koͤnnen. «

Es wird selten ein großer Mann ohne einen kleinen Aberglauben irgend einer Art gefunden wer -79 den. Die Aufgeklaͤrtheit der Vernunft, der Scharfsinn des Geistes schuͤtzt nicht immer vor allerlei Vorurtheilen, die man entweder schon in der Jugend eingesogen hat, oder in spaͤtern Jahren aus einer gewissen Anhaͤnglichkeit an dem Wunderbaren anzunehmen pflegt, sonderlich wenn sich Privatneigungen bei Annahme jener Vorurtheile mit in's Spiel mischen. Jeder große Kopf scheint irgend eine Stelle an sich zu haben, die man nicht stark beruͤhren darf, ohne sehr deutliche Vernunftbloͤßen, ich will nicht sagen, ohne eine kleine Tinktur von Wahnsinn zu bemerken. Die menschliche Seele hat gleichsam ihre Faͤcher; mehrere koͤnnen mit den vortreflichsten Kenntnissen und mit einer lichtvollen Helle der Vernunft angefuͤllt seyn; aber ein einziges kann dem[ ungeachtet] Unsinn enthalten. Daher das unbegreifliche Eclipsiren so vieler vortreflichen Koͤpfe, daher das unbegreifliche Ankleben derselben an gewissen, sonderlich Religionsirrthuͤmern, daher ihr Scharfsinn in andern Faͤchern, z. B. in der Mathematik, und ihr blinder Glaube an theologische Wahrheiten, die der Vernunft schnurgrade entgegen stehn.

24Cardan*)*) Leibnitz sagt von ihm: Qui étoit affectivement un grand homme avec tout ses défauts, & auroit été incomparable sans ces défauts. E. Théodicée pag. 435. vereinigte in seinem Kopfe eine ungeheure Masse gelehrter Kenntnisse. Lessing schaͤtzte80 ihn erstaunlich hoch, und seine Schriften verrathen oft eine durchdachte Philosophie, die man in damaligen Zeiten nicht haͤtte erwarten sollen. Aber bei seinen vortreflichsten Gedanken, sonderlich in der praktischen Philosophie, bei seiner großen Menschenkenntniß, bei seiner reifen Lectuͤre der Alten sieht man dem ungeachtet immer einen Schwaͤrmer, der sich Dinge ertraͤumte, die nicht waren, und die doch in seinen Augen sonnenklare Wahrheiten zu seyn schienen. Seine Neigung zum Sonderbaren, die in tausend physischen und moralischen Stimmungen seiner Natur ihren Grund haben mogten, hielt ihm sehr oft ein falsches Glas vor, durch welches er anders als andre Menschen sah. Eine stete Aufmerksamkeit auf sich selbst, und die Wuͤrkungen seiner Phantasie, ließ ihn Wunderdinge an sich wahrnehmen, die ganz natuͤrlich zugingen, und seine Kraͤnklichkeit des Koͤrpers erzeugte nach und nach in ihm eine Eigenthuͤmlichkeit der Laune, uͤber die er nicht mehr Herr zu werden vermogte. Zugleich lag der Grund zu seinen vielen und sonderbaren Jdeen mit in den Umstaͤnden des damaligen Zeitalters, und in der Art, wie man sich damals gelehrte Kenntnisse erwarb. Wer irgend einen Ruf als Gelehrter haben wollte, mußte sich mit auf die Astrologie legen, was sonderlich im sechszehnten Jahrhundert in Jtalien der Fall war. Diese Wissenschaft, welche bei den meisten in eine bloße Sterndeuterei ausartete, verwirrte damals sehr viele Koͤpfe, und gewoͤhnte81 sie leicht an den Gedanken, zukuͤnftige Dinge vorhersehn zu koͤnnen, und lenkte auf ihre Verehrer eine aͤngstliche Aufmerksamkeit in Absicht der Schicksale ihres Lebens. An eine gesunde, von so vielen physischen Hypothesen gereinigte, Philosophie war uͤberhaupt genommen noch nicht zu gedenken, der Glaube an geheime Wunderkraͤfte der Natur beherrschte noch alle gelehrte Koͤpfe, und der geheime Stolz stellte deswegen eine Menge von sonderbaren Maͤnnern damaliger Zeit auf, die an sich ausserordentliche Dinge wahrgenommen haben wollten, worunter Cardan gewiß den ersten Platz behauptet.

Es sind schon in dem Vorhergehenden eine Menge dergleichen sonderbarer Phaͤnomene von26Cardanerzaͤhlt worden. Manches Ueberfluͤssige, was nicht hierher gehoͤrt, hab 'ich aus seiner Erzaͤhlung ausgelassen. Vielleicht duͤrfte die Fortsetzung seiner Lebensbeschreibung manchem Leser des Magazins noch interessanter als das vorhergehende vorkommen, indeß glaub' ich, wird doch keiner sich von ihm hinreissen lassen, seinen Traͤumereien Glauben beizumessen, sondern wird sein Leben immer aus dem Gesichtspunkte eines ausserordentlichen gelehrten Schwaͤrmers betrachten.

Jm 37sten Kapitel seiner Biographie faͤhrt er fort die sonderbaren Eigenschaften, die er an sich wahrgenommen, zu erzaͤhlen, wozu denn auch seine82 Traͤume gehoͤren, die nach seiner Meinung sehr richtige Vorbedeutungen seiner Schicksale gewesen sind. Wie leicht konnte sich27Cardaneine Erfuͤllung derselben ertraͤumen, da ihm unzaͤhlige Ungluͤcksfaͤlle Gelegenheit gaben, sie auf gewisse vorhergehabte Traumbilder zu appliciren!

» Um das Jahr 1534, da ich mich noch zu nichts bestimmt hatte, und meine Sachen sehr schlecht standen, sah 'ich mich einst des Morgens im Traume, als ob ich am Fuße eines mir rechter Hand liegenden Berges umher lief. Zugleich erblickte ich eine ungeheure Menge Menschen von allerlei Staͤnden, Geschlechtern und Altern, naͤmlich von Weibern, Maͤnnern, Greisen, Knaben, Kindern, Armen und Reichen, die alle verschieden gekleidet[ waren.]Jch fragte, nach welchem Ziele wir nun eigentlich alle liefen? und einer von denselben antwortete mir: zum Tode! Jch erschrack. Da ich grade den Berg zur linken Hand hatte,[ wand ich] mich so, daß ich ihn zur rechten bekam, und fing an, die Weinreben, welche von der Stelle an, wo ich stand, bis in die Mitte des Berges mit duͤrren Zweigen, wie im Herbst, bedeckt und ohne Trauben waren, zu ergreifen und auf den Berg hinanzuklettern. Anfangs ging es sehr muͤhsam, da der Berg oder Huͤgel am Fuße ziemlich steil war; als ich aber die steile Stelle uͤberstiegen hatte, wurde es mir vermoͤge der83 Weinreben leicht hinaufzusteigen. Jch kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, uͤber denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstuͤrzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Jch wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und fuͤhrte einen Knaben von ungefaͤhr zwoͤlf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, wo ich dann erwachte. «

Nun hoͤre man, wie28Cardansich selbst diesen Traum, der ein ganz gewoͤhnlicher Traum war erklaͤrt und auslegt. [» Dieser] Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine bestaͤndigen und ungeheuren Arbeiten und Muͤhseligkeiten, mein Gefaͤngniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Baͤumen und nuͤtzlichen Kraͤutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einfoͤrmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen bestaͤndigen Ruhm haben wuͤrde; denn die Weinreben bringen eine jaͤhrliche Ernd -84 te. Der Knabe zeigte meinen guten Schutzgeist an, oder vielleicht auch meinen Enkel. Das Bauerhaus in der Einoͤde, die Hoffnung zur Ruhe. Der Schrecken und der Abgrund, den ich erblickte, hat den Fall meines Sohns anzeigen koͤnnen. «

» Ein andermal traͤumte es mir, als ob ich vom Koͤrper getrennt im Mondhimmel war, und mich uͤber meinen einsamen Zustand beklagte, als ich auf einmal folgende Stimme meines Vaters vernahm: Jch bin dir von Gott zu deinem Waͤchter gegeben. Alles ist hier voll von Seelen, die du aber nicht siehst, so daß du weder mit mir noch mit ihnen reden kannst. Du wirst aber in diesem Himmel siebentausend Jahre bleiben, und eben so lange in den andern Planeten, bis zum achten, alsdann wirst du in's Reich Gottes eingehn! Diesen Traum hab 'ich mir so ausgelegt: Die Seele meines Vaters zeigte meinen Schutzgeist, der Mond die Grammatik, Mercur die Geometrie und Arithmetik, Venus die Musik, die Weissagungsgabe und die Dichtkunst, die Sonne die Sittenlehre, Jupiter die Naturlehre, Mars die Medicin, Saturn den Ackerbau, die Kraͤuterkunde und die uͤbrigen geringern Wissenschaften, der achte die Erndtelese, naͤmlich die Weisheit und andre Studien u.s.w. an. «

Er erzaͤhlt noch einige andre Traͤume, die wir uͤbergehn koͤnnen. Merkwuͤrdig ist's, mit welcher85 Ueberzeugung, daß jenes alles auf eine wirklich wunderbare Art und auf eigenthuͤmliche Veranlassung Gottes geschehn sey, er seine Traumerzaͤhlung schließt. » Zu meinen Verdiensten, sagt er, kann man alles dies nicht rechnen. Es sind Geschenke Gottes, der keinem etwas, am wenigsten mir, schuldig ist. Diejenigen irren sich auch groͤblich, welche sich einbilden, daß jene Dinge von mir aus einer eiteln und maͤchtigen Ruhmbegierde, wovon ich ganz entfernt bin, ersonnen worden waͤren, und warum sollte ich endlich das Gute, was ich nicht durch mich, sondern durch Gottes Gnade besitze, mit solchen Maͤrchen und Fabeln zu verunstalten suchen? «

Jm 38sten Kapitel beruͤhrt er fuͤnf besondre Eigenschaften, durch welche er unterstuͤtzt worden ist.

» Bisher, faͤhrt er fort, hab 'ich von mir als einem Manne gesprochen, der sogar bisweilen unter andern Menschen in Absicht seiner Natur und seiner Wissenschaft stand. Nun will ich aber von meiner in der That wunderbaren Natur reden, die um soviel bewundernswuͤrdiger ist, da in mir etwas liegt, wovon ich nicht weiß, was es ist, was nicht aus mir durch eigne Kraͤfte hervorgebracht wird, was meine Kraͤfte uͤbersteigt, und was ich am Ende des 1526sten Jahres oder am Anfange des folgenden entdeckt habe, so daß seit86 der Zeit 46 Jahre verflossen sind. Jch nehme naͤmlich wahr, daß etwas von aussen mit einem Geraͤusch, und zwar grade von der Seite in mein Ohr schallt, wo von mir gesprochen wird. Jst's etwas Gutes, so gelangt es, es mag nun von der rechten oder linken Seite herkommen, in mein rechtes Ohr, und macht ein ordentliches Geraͤusch; ist's etwas Boͤses, so ist das Geraͤusch tumultuarisch, und kommt grade von der Stelle her, wo die[ tumultuarischen] Stimmen entstehn. Wenn die Sache oͤfters uͤbel ablaͤuft, so wird die Stimme, da sie auf der linken Seite geendigt werden sollte, angestrengter, und die Toͤne vermehren sich. « Er erzaͤhlt noch mehr von dieser Gabe, fremde Stimmen zu hoͤren, welche mit dem 1568sten Jahre verschwand; ferner behauptet er, daß er vermoͤge der Traͤume kurz bevorstehende Dinge (33 Jahre lang) habe vorhersehn koͤnnen. Was er von einem gewissen Glanze sagt, der ihn gegen seine Nebenbuhler geschuͤtzt, und zu seinen Arbeiten und Geschaͤften auf eine angenehme Art aufgeholfen habe, ist wie so vieles, was er uͤber seine geheimen Kraͤfte geschrieben hat, unverstaͤndlich, ob er gleich jenen Glanz, wo nicht fuͤr eine wirklich goͤttliche Sache, aber doch fuͤr ein Meisterstuͤck der menschlichen Natur erklaͤrt. 29Cardanglaubt, daß ihm jene Eigenschaften von Gott zum Troste bei seinen mannichfaltigen Leiden gegeben worden sind, und fuͤhrt noch zuletzt im 38sten Kapitel an, daß auch dies ein sehr sonderbares Phaͤnomen gewe -87 sen sey, daß er nie von seinem Ungluͤck befreit worden, als bis er habe verzweifeln wollen, bis keine Hoffnung mehr fuͤr ihn dagewesen sey, und daß er dann immer in neue Abgruͤnde hinabgestuͤrzt sey, wenn es mit ihm gut gestanden. » Mein Leben, sagt er, glich einem Schiff mit drei Ruderbaͤnken,[ das] bei den Ungewittern bald in den tiefsten Abgrund geworfen, bald auf die hoͤchsten Wogen hinaufgeschleudert wird. O wie oft hab 'ich bei mir dieses mein klaͤgliches Schicksal beweint! nicht nur, weil alles sehr uͤbel ging, und alle Hoffnung verschwunden war, sondern weil ich auch meine Schicksale nicht so einrichten konnte, wie ich wollte, und keinen Ausweg zu meiner Rettung vor mir sah. Aber nach zwei bis drei Monaten war alles ohne meine Bemuͤhung und mein Zuthun[ veraͤndert «] u.s.w.

Kap. 39. handelt von seiner Gelehrsamkeit.

» Jch habe die Sprachkunst, so wie auch das Griechische, Franzoͤsische und Spanische nie gelernt, bin aber, ich weiß nicht wie, zur Kenntniß dieser Sprachen gelangt. (An einem andern Orte sagt er ausdruͤcklich, daß er die Lateinische Sprache durch eine Art Wunderwerk auf einmal gelernt.) Eben so wenig hab 'ich von der Rhetorik, Optik und der Wissenschaft von Gewichten verstanden, indem ich gar keinen Fleiß darauf gewandt. Die Astronomie ist mir auch unbekannt geblieben, weil sie mir88 zu schwer schien, desto eifriger und bis zur Narrheit hab' ich die Musik getrieben, und mich nicht minder in der Theorie[ verloren.] Auf die Geographie, die polemische Philosophie, Moral, Jurisprudenz und Theologie hab 'ich mich nicht gelegt, weil sie zu weitlaͤuftige und von meinem Plan entfernte Wissenschaften sind, und den ganzen Fleiß eines Mannes erfoderten. Jch habe aber mich doch auch mit keiner boͤsen, schaͤdlichen und eiteln Wissenschaft abgegeben, daher ich mich der Chiromantie, der Kunst Gifte zu bereiten und der Chymie, so wie auch der Physiognomie enthalten habe, weil letztere eine weitlaͤuftige, hoͤchst schwere Sache ist, ein starkes Gedaͤchtniß und scharfe Sinne noͤthig hat, die mir fehlen. Mit der Magie, welche sich auf Zaubereien gruͤndet, mit Citiren der Geister oder Verstorbenen hab' ich mich auch nicht beschaͤftigt. Unter den lobenswuͤrdigen Wissenschaften hab 'ich vernachlaͤssigt die Botanik, weil mir das Gedaͤchtniß fehlte, den Ackerbau, weil man ihn mehr praktisch uͤben, als bloß im Kopfe haben muß; die Anatomie, wovon mich vieles abgeschreckt hat. Verse hab' ich auch nicht gemacht, ausser wenn es noͤthig war, und das sehr wenige. Warum moͤgen mir nun so viele Wissenschaften zugeschrieben worden seyn, woran ich nicht gedacht habe, wenn man nicht meinen Ruf in der Medicin dadurch hat[ verringern] wollen?

Pluribus intentus minor est ad singula sensus.

89

Auf die Astrologie, welche kuͤnftige Dinge vorherzusagen lehrt, hab 'ich mich mehr, als ich gesollt, gelegt, und ihr zu meinem Ungluͤck Glauben beigemessen. Von der natuͤrlichen Astrologie hab' ich keinen Gebrauch gemacht, denn ich habe sie erst seit drei Jahren, naͤmlich in einem Alter von ungefaͤhr 71 Jahren, erlernt. «

» Die Wissenschaften, die ich aber wirklich verstanden habe, sind folgende: die Geometrie, Arithmetik, theoretische und praktische Medicin, die Dialektik, die natuͤrliche Magie, das Schachspiel, die Lateinische und andre Sprachen, theoretische Musik. Die Schiffskunst hab 'ich nicht gelernt, auch nicht die Kriegs - und Baukunst. Wenn man alle vorzuͤgliche Wissenschaften auf sechsunddreissig rechnet: so hab' ich mich um sechsundzwanzig derselben gar nicht bekuͤmmert, sondern nur zehn davon getrieben. Verschiedne haben mir aber eine groͤßre Kenntniß und Erfahrung zugeschrieben, wegen der Darstellung meiner Jdeen, welche durch ein tiefes und festes Nachsinnen, und die Verbindung mit mehrern richtig verstandenen Sachen unterhalten wird. Zu der Anzahl jener zehn Wissenschaften rechne ich nun noch die Kenntniß sehr vieler Geschichten, welche, ob sie gleich keine eigentliche Wissenschaft ausmacht, doch viel zur Zierde dessen, was darin enthalten ist, gereicht. Jch muß noch dies hinzusetzen, indem ich zugleich einen jeden90 ermahne, daß man sich eher mit wenigem als mit vielem, aber mit anhaltendem Fleiß beschaͤftigen muͤsse. Vorzuͤglich muß man vor allen Dingen diejenigen Kenntnisse suchen, welche dem menschlichen Geschlecht, und zuvoͤrderst uns selbst, nuͤtzlich sind; muß zusammenhaͤngende und wahre Prinzipien annehmen, die alten nicht aus Haß oder Ehrgeitz verlassen, sondern bald die bald jene als die besten versuchen. Ob du dich gleich beruͤhmt zu machen oder einen Vortheil daraus zu ziehn suchst, so ist's doch besser, eine neue Wahrheit vollkommen zu bearbeiten, als tausend zu verfolgen und nichts zu Stande zu bringen. «

Das 40ste Kapitel seines Buchs handelt von seinen gluͤcklichen Curen, die er an sehr vielen Kranken verrichtet, und deren Anzahl er auf 180 rechnet. Er betheuert, daß er auch hier nichts aus Ruhmbegierde oder mit Unwahrheit gesagt habe.

[» Es] war der 22ste December 1557, da mir es sehr wohl zu gehn schien. Es war Mitternacht, ich hatte noch nicht einschlafen koͤnnen, als ich aber einschlafen wollte, kam es mir vor, als wenn mein Bette und das ganze Schlafzimmer eine Erschuͤtterung litte. Jch glaubte, es waͤr 'ein Erdbeben. Endlich uͤberfiel mich der Schlaf, und ich fragte, sobald es Tag geworden war, den Simon Sosia,91 der jetzt hier zu Rom lebt, und in einem Rollbette lag, ob er etwas gemerkt habe? Eine Erschuͤtterung der Stube und des Bettes, war seine Antwort. Um welche Zeit? fragt' ich weiter; um sechs oder sieben Uhr, erwiederte er. Jch begab mich darauf auf den Markt, und erkundigte mich bei mehrern, ob sie in der vergangenen Nacht ein Erdbeben verspuͤrt haͤtten? Keiner bejahete es. Jch ging nach Hause, und siehe! ein Bedienter kam sehr traurig zu mir gelaufen, und erzaͤhlte mir, daß Johann Baptista (mein Sohn), die Brandoria Serona, seine Geliebte, die aber aͤusserst arm war, zum Weibe genommen habe. Hinc dolor, hinc lachrymae! Jch gehe zu ihm, und finde, daß alles geschehn ist. Jch hielt es fuͤr einen goͤttlichen Wink, welcher mir des Nachts den am vorhergehenden Abend gefaßten Entschluß meines Sohns habe entdecken wollen; denn sobald es Tag geworden war, ging ich zu meinem Sohn, eh 'er das Haus verließ, und sagte ihm: (nicht bloß weil ich durch jene Erscheinung aufmerksam gemacht wurde, sondern er mir selbst sehr zerstreut vorkam,) Mein Sohn, nimm dich heute in Acht, damit du nicht ein großes Ungluͤck stiftest. Jch weiß noch die Stelle, wo ich's ihm sagte, ich war an der Thuͤr, weiß aber nicht, ob ich etwas von der Erschuͤtterung hinzufuͤgte. Nicht lange darauf fuͤhle ich nochmals, daß das Zimmer bebt; ich fuͤhle mit der Hand um92 mich her, und merke, daß mir das Herz heftig klopft; denn ich lag auf der linken Seite. Jch wandte mich um, und das Beben des Zimmers und das Herzklopfen hoͤrte auf. Jch legte mich wieder auf die linke Seite, und beides kam wieder, daher ich denn schloß, daß eins aus dem andern entstand. Jch wußte wohl, daß das Beben der Stube und des Bettes vermoͤge des Herzklopfens eine natuͤrliche Erscheinung war, ich sah' aber nicht ein, wie die erste Erschuͤtterung entstanden seyn sollte; ich habe nur bemerkt, daß sie eine doppelte Erschuͤtterung war, eine natuͤrliche, welche aus dem Klopfen des Herzens entstand, und eine andre, die durch meinen Schutzgeist, vermoͤge des ersten, hervorgebracht wurde.

Ein aͤhnlicher Zufall trug sich 1531 zu. Eine sanfte Huͤndinn bellte wider ihre Gewohnheit unaufhoͤrlich fort; die Raben saßen auf dem Dachgipfel und kraͤchzten ungewoͤhnlich; ein Knabe spaltete Holz, und es sprangen Feuerfunken heraus, ich heiratete ploͤtzlich meine Frau, und seit der Zeit ist mir viel Uebels begegnet. Doch, setzt der große, aber aͤusserst aberglaͤubige Mann hinzu, waren nicht alle dergleichen Dinge von einem goͤttlichen Einflusse. Denn als ich ungefaͤhr dreizehn Jahr alt war, ergrif auf dem Ambrosischen Felde ein Rabe meine Rockfalte, und wollte sie nicht los93 lassen, ob ich ihn gleich mit Gewalt mit mir fortzog, und wegjagen wollte, und doch ist mir damals viele Jahre hindurch, so wie auch den Meinen, nichts Uebels begegnet.

» Jn meiner Jugend konnt 'ich auch das, was in der Stube war, im Finstern eben so gut sehn, als wenn ich Licht gehabt haͤtte. Aber nicht lange nachher ist diese Faͤhigkeit verschwunden. «

Es ist unbegreiflich, welche Kleinigkeiten der Mensch fuͤr gewisse Vorherbedeutungen halten kann, wenn einmal seine Seele an den Glauben an dergleichen Dinge gewoͤhnt ist. Jm Februar 1565 brennt ihm das Bette zweimal an, und daraus macht er den Schluß, daß er nicht in Bononien bleiben wuͤrde. 1552 steigt eine stille Haushuͤndinn, die zu Hause geblieben ist, auf den Tisch, und reißt seine Hefte zu oͤffentlichen Vorlesungen entzwei, laͤßt hingegen sein Buch de fato, welches naͤher vor ihr lag, unberuͤhrt liegen, und dies soll dann wieder ein Vorzeichen gewesen seyn, daß er am Ende des Jahrs aufgehoͤrt habe, acht Jahre lang keine oͤffentlichen Vorlesungen zu halten. Ein andermal loͤst sich die Binde auf, woran ein Smaragd an seinem Halse angehaͤngt ist; noch ein andermal findet er, daß die Ringe, welche er an seinen Fingern trug, alle an einem einzigen sitzen, und dies haͤlt er dann94 wiederum fuͤr Vorbedeutungen seiner Einkerkerung und Befreiung, so wie andrer Uebel, die darauf erfolgt sind.

Vornehmlich schreibt sich30Cardaneine Faͤhigkeit zu, den Ausgang der Krankheiten auf's gewisseste vorhergesehn und bestimmt zu haben, was die eigentliche Ursache des Todes seyn wuͤrde. Er stellt daruͤber mit vielen kostbare Wetten an, und er gewinnt sie jedesmahl. Er fuͤhrt noch ein Paar sonderbare Beispiele seiner Vorhersehungsgabe im[ 43sten] Kapitel seines Buchs an.

» Ein gewisser J. St. Biffo glaubte, daß ich die Chiromantie verstuͤnde; er kam zu mir und bat mich, daß ich ihm etwas in Absicht seines Lebens prophezeihn moͤgte. Jch erwiederte, seine Bekannten haͤtten ihn betrogen, ich sey kein Chiromant; demungeachtet dringt er in mich, und ich erklaͤre: daß er es mir nicht uͤbel nehmen moͤge, wenn ich ihm etwas sehr hartes vorhersagen wuͤrde, er stehe in Gefahr, im kurzem aufgehangen zu werden. Noch in derselben Woche wird er ergriffen, man bringt ihn auf die Folter, er laͤugnet sein Verbrechen mit vieler Hartnaͤckigkeit, nichts destoweniger wurde er nach sechs Monaten aufgehangen, nachdem man ihm vorher die Hand abgehauen hatte. «

95

» Nicht so zufaͤllig kann das genannt werden, was sich mit dem Paul Eufomia, einem jungen Menschen, und meinem sonstigen Alumnus zugetragen hat. Er war voͤllig gesund; eines Abends ließ ich mir Papier geben, und schrieb darauf: » daß er, wenn er sich nicht huͤtete, in kurzem sterben werde. « Nicht Sterndeuterei, oder ein mir bekannter Streich, den man dem jungen Mann spielen wollte, lag bei diesem Vorherwissen zum Grunde; ich gebe die Ursachen an, binnen sechs bis acht Tagen wird er krank, und stirbt in eben so viel Tagen darauf wirklich. «

» Was soll ich von einer andern Begebenheit zu Rom sagen? Soviel Gaͤste da waren, soviel koͤnnen sie noch bezeugen. Jch erklaͤrte, daß, wenn sie es mir nicht uͤbel auslegen wuͤrden, ich ihnen etwas sagen wolle. Einer aus der Gesellschaft antwortete: Du willst gewiß den Tod eines unter uns vorherverkuͤndigen? Meine Antwort war: ja! Und noch in diesem Jahre, am 1sten December starb er auch wirklich. «

Jm 43sten Kapitel faͤhrt31Cardanfort die Sonderbarkeiten, die er an sich bemerkt haben will, und die er hier gar res prorsus supra naturam nennt, zu beschreiben. Jch fuͤhre auch diese als Belaͤge der erstaunlichen Staͤrke einer hypochondrischen Einbildungskraft uͤber den Verstand der groͤßten Koͤpfe an.

96

» Als ich zu Pavia studirte, hoͤrt 'ich einst des Morgens, eh' ich ganz aufgewacht war, an der Wand einen Stoß; das angraͤnzende Zimmer war ganz leer, als ich ganz aufwachte, hoͤrt 'ich den Stoß nochmals, als wenn er mit einem Hammer geschaͤhe. Jch erfuhr darauf, daß um die naͤmliche Stunde des Abends Galeazius, mein vertrauter Freund, gestorben sey. Doch kann die ganze Sache natuͤrlich zugegangen seyn. Erstlich kann das ganze Phaͤnomen seinen Grund in einem Traume gehabt haben. Zweitens konnte das Schlagen an der Wand von einer natuͤrlichen Ursache herruͤhren. Endlich drittens konnten meine Bekannten, da sie mich wegen jenes Phaͤnomens niedergeschlagen sahn, und ich aus Furcht den ganzen Tag zu Hause blieb, den Tod meines Freundes fingirt und auf die angezeigte Stunde verlegt haben, ob er gleich viel eher gestorben seyn konnte. Daher ich die Sache auch nicht weiter wunderbar nennen will. « Ganz anders urtheilt32Cardanvon folgenden Erscheinungen.

» Es war das 1536ste Jahr, als ich einst, ich glaube, es war im Julius, aus dem Speisezimmer herausging. Jch roch sogleich einen heftigen Gestank, als wenn eben eine Menge Wachskerzen ausgeloͤscht waͤren. Jch rief meinem Knaben, und fragte ihn: ob er einen Geruch empfaͤnde? O welch ein Wachsgeruch! antwortete er ich hieß ihn97 schweigen, fragte die Magd und meine Frau, alle bewunderten die Sache, meine Mutter ausgenommen, welche, wie ich glaube, wegen des Schnupfens[ nichts] roch. Jch glaubte gleich, daß dieses wunderbare Phaͤnomen den Tod von jemand anzeigen muͤßte, ich begab mich wieder in mein Bette, konnte aber nicht einschlafen. Aber nun trug sich noch etwas seltsameres zu. Jch hoͤrte deutlich auf der oͤffentlichen Straße Schweine grunzen, obgleich keine vorhanden waren, und Enten schnattern, welches die ganze Nacht dauerte. Von so vielen Erscheinungen niedergeschlagen, wußte ich nicht, was ich des Morgens machen sollte. Jch lief von der Fruͤhstuͤckzeit an ausser der Stadt herum, kehre endlich wieder nach meinem Hause zuruͤck, und erblicke meine Mutter, welche mich antrieb, dem vom Blitz getroffenen Nachbar zu Huͤlfe zu eilen, ich lief hinzu und fand ihn todt. «

» Noch eine andre Erscheinung ist folgende. Als meine Mutter in den letzten Zuͤgen lag, hoͤrt 'ich, ob ich gleich bei hellem Sonnenlichte nichts sahe, funfzehn Schlaͤge so ungefaͤhr, als wenn das Wasser tropfenweise auf das Pflaster faͤllt. Die Nacht vorher zaͤhlte ich von dergleichen Schlaͤgen an die 120. Aber ich stand bei mir an, ob nicht vielleicht einer meiner Hausleute mir bei meiner Angst einen Streich spielen wollte, weil die Schlaͤge von der98 rechten Hand kamen. Nicht lange darauf hoͤrt' ich das Geraͤusch eines mit Brettern beladenen Wagens, als ob sie mit einmal abgeladen wuͤrden, mein Bette zitterte, und meine Mutter war unterdessen gestorben, weiß aber nicht, setzt er hinzu, was die Schlaͤge bedeutet haben. Jch will das uͤbergehn, was mir in der Mitte des Junius 1570 begegnet ist. Es kam mir vor, als wenn jemand des Nachts bei verschlossenen Thuͤren und Fenstern in meinem Zimmer herumwanderte. «

Alles Vorhergehende uͤbertrift an schwaͤrmerischer Einbildungskraft und ungewoͤhnlichem Unsinn folgendes.

» Wer mag wohl der Mann gewesen seyn, fragt33Cardan,welcher mir in meinem zwanzigsten Jahre den Lateinischen Apulejus verkaufte, und sogleich wieder wegging? Jch war damals nur ein einzigesmal in der (Lateinischen) Schule gewesen, hatte noch gar keine Kenntnisse in dieser Sprache erlangt, hatte den Apulejus bloß deswegen gekauft, weil er vergoldet war und den andern Tag darauf war ich soweit in der Lateinischen Sprache, als ich jetzt bin, hatte auch zugleich das Griechische, Spanische und Franzoͤsische mit gelernt, daß ich Buͤcher darin lesen konnte, ob ich gleich von der Sprache und den grammaticalischen Regeln vorher nichts wußte. Jm99 Jahr 1560 im Monat Mai, da ich wegen des Todes meines Sohns den Schlaf nach und nach verloren hatte, bat ich Gott, daß er sich meiner erbarmen moͤgte, indem ich wegen meines bestaͤndigen Wachens entweder sterben, oder wahnwitzig werden, oder mein Amt nothwendig niederlegen muͤsse. Geschaͤhe das Letztere, so koͤnnte ich nicht mehr ein ehrbares Leben fuͤhren; geschaͤh 'es, daß ich wahnwitzig wuͤrde, so wuͤrde ich ein Spott aller Leute werden, wuͤrde den Rest meines Vermoͤgens verzehren, und alle Hoffnung meines Unterkommens verlieren, da ich in meinem Alter meine Lebensart nicht mehr veraͤndern koͤnnte: ich baͤte also, daß er (Gott) mich moͤge sterben lassen, da dies einmal doch das Schicksal aller Menschen sey, und legte mich sogleich in's Bette. Die Stunde verstrich langsam, ich war gezwungen, um zehn Uhr aufzustehn, weil ich nicht laͤnger als hoͤchstens zwei Stunden im Bette bleiben konnte. Ploͤtzlich uͤberfiel mich aber der Schlaf, und es kam mir so vor, als hoͤrt' ich aus der Dunkelheit eine Stimme; woher? und von wem? sie kam, konnte ich nicht wegen der Finsterniß unterscheiden. Was klagst du, woruͤber beunruhigst du dich? eh 'ich noch antwortete, fuhr sie fort: uͤber den Tod deines Sohns? Jch antwortete, ja allerdings! Darauf antwortete es mir wieder: lege den Stein, welchen du an deinen Hals gehangen, in den Mund, und so lange100 du ihn darin haͤltst, wirst du an deinen Sohn nicht denken! Jch erwachte sogleich, und dachte daruͤber nach, was mein Smaragd mit dem Nichtdenken an meinen Sohn fuͤr eine Verbindung haben koͤnne; ich that es, und was unglaublich scheinen moͤgte, ich vergaß alles, was meinen Sohn betraf, theils damals, als ich wieder in Schlaf kam, theils in dem darauf folgenden ganzen Jahre und einem halben. Jnzwischen, wenn ich , oder oͤffentliche Vorlesungen hielt, und ich dann den wohlthaͤtigen Smaragd nicht gebrauchen konnte, wurd' ich bis zum Todesschweiß gequaͤlt. «

Jn der Nacht vor dem 13ten August 1572 hoͤrte ich von der rechten Seite her ein entsetzliches Geraͤusch. Jch hatte Licht angezuͤndet, wachte, und es war nicht weit von der zweiten Nachtstunde. Es kam mir so vor, als wenn ein Wagen mit Brettern abgeladen wuͤrde. Jch sehe mich um, es war im Eingange meines Schlafgemachs, wo ein Knabe schlief. Die Thuͤr stand offen, und ich sehe auf einmal einen Bauer hereinkommen blicke ihn scharf an, und hoͤre von ihm folgende Worte: Te sin casa. Worauf er sogleich verschwand. Jch kannte weder die Sprache, noch sein Gesicht, noch verstand auch, was obige Worte sagen wollten.

Jm Monat April 1570 trug sich folgendes zu. Als ich eben ein Gutachten fuͤr meinen Patron den101 Cardinal Morono geschrieben hatte, war mir ein Bogen davon auf die Erde gefallen. Jch war mißvergnuͤgt daruͤber, stehe auf, und siehe! das Blatt hebt sich zugleich mit mir in die Hoͤhe, fliegt nach dem Tische hin, und bleibt an seinem Querbalken emporgerichtet haͤngen. Voller Bewunderung rufe ich dem Roduͤlph, und zeige ihm den wunderbaren Vorfall; er sahe aber die Bewegung nicht, und ich habe nicht begreifen koͤnnen, was die Sache mag bedeutet haben. «

34Cardanerzaͤhlt in diesem Kapitel noch mehr dergleichen Histoͤrchen, und sagt am Ende desselben, daß er sehr viele nicht einmal beruͤhrt habe.

Das 44ste Kapitel handelt von seinen neuen Entdeckungen in der Dialektik, Arithmetik, Naturlehre, Moralphilosophie und Medicin. Darauf folgt im 45sten Kapitel das lange Verzeichniß seiner mathematischen, astronomischen, physischen, moralischen, vermischten, medicinischen, theologischen und andrer Schriften. Er erinnert noch einmal, daß er oͤfters im Traume zum Schreiben angereitzt worden sey, und daß ihn zugleich das Verlangen, seinen Namen zu verewigen, dahin vermogt habe. Ausser der ungeheuren Menge seiner noch[ vorhandenen] Schriften hatte er im 37sten Jahre neun seiner Buͤcher ganz verbrannt, weil er einsahe, daß sie102 eben keinen Nutzen stiften wuͤrden. Jm Jahr 1573 verbrannte er noch 120 Buͤcher, und zog nur das Beste davon aus. So interessant uͤbrigens das ganze Kapitel fuͤr den Litterator seyn mag, so zwecklos waͤre es hier noch mehr von seinen gelehrten Arbeiten zu sagen.

Jm 46sten Kapitel, de me ipso uͤberschrieben, gesteht35Cardanein, daß es ihn, ungeachtet seiner unzaͤhligen erduldeten Uebel, nicht gereut, gelebt zu haben, und schaͤtzt sich vornehmlich deswegen gluͤcklich, daß er von so vielen und erhabnen Dingen eine gewisse und seltne Kenntniß besessen habe, und daß er nun (in seinem Alter) wisse, daß die Natur des Menschen an der Gottheit selbst Antheil habe.

Das 47ste Kapitel handelt von seinem Schutzgeist, dessen er schon oft im Vorhergehenden gedenkt. Er nennt eine Menge großer Leute, die einen dergleichen Schutzgeist gehabt haben sollen, worunter er sich ausdruͤcklich rechnet, und die Anmerkung dabei macht, daß alle, die einen dergleichen Daͤmon gehabt haͤtten, Socrates und er ausgenommen, sehr gluͤckliche Menschen gewesen waͤren.

» Daß mir ein solcher Daͤmon beigewohnt, sagt er, davon bin ich schon laͤngst uͤberzeugt gewesen, hab 'es aber nicht eher begriffen, auf welche Art er103 mich von bevorstehenden Zufaͤllen unterrichtet, als nach meinem 74sten Lebensjahre, als ich mein Leben zu beschreiben anfing. « Diesem Schutzgeist schreibt er nun alle die im Vorhergehenden erzaͤhlten sonderbaren Zufaͤlle zu, und glaubt, daß es ohne eine solche goͤttliche Huͤlfe unmoͤglich gewesen, so viel Dinge mit groͤßter Deutlichkeit vorherzusehn, ohne sich darin zu irren. Er glaubt, daß jene oben erzaͤhlten Vorbedeutungen an Raben und Hunden daher geruͤhrt haͤtten, indem der Schutzgeist auf die unvernuͤnftigen Seelen der Thiere eben sowohl als auf die Menschen wuͤrken koͤnne, daß er in diesen durch gewisse Schattenbilder, oder auch durch glaͤnzende Gegenstaͤnde Furcht und Schrecken erregen koͤnne.

Er theilt alle Schutzgeister in folgende Klassen ein. Schutzgeister, die gewisse Uebel verhindern, wie der des Socrates war; Warnungsschutzgeister, wie der beim Tode des Cicero; lehrende Schutzgeister, die uns durch Traͤume, Thiere, aͤussere Zufaͤlle, durch geheime Erinnerungen, daß wir uns an einen gewissen Ort begeben sollen, oder durch Taͤuschung eines oder mehrerer unsrer Sinne, desgleichen durch natuͤrliche und unnatuͤrliche Begebenheiten von zukuͤnftigen Dingen Nachricht ertheilen. Die Schutzgeister sind ferner von guter und boͤser Art.

104

[» Es] bleiben hierbei, faͤhrt er fort, allerlei Zweifel uͤbrig; warum grade fuͤr mich, und nicht eben so fuͤr andre der Schutzgeist soviel Sorge traͤgt, da ich, wie einige meinen, keine Vorzuͤge in Absicht meiner Gelehrsamkeit besitze; oder soll ich mir jene Sorgfalt des Schutzgeistes wegen meiner unermeßlichen Wahrheits - und Weisheitsliebe, oder meiner Verachtung aͤusserer Guͤter, selbst bei meiner Armuth, oder meiner Neigung zur Gerechtigkeit, oder soll ich alles Gott allein zuschreiben, der dies nach einem ihm allein bekannten Endzweck an mir thut?

Noch mehr! warum warnt mich der Schutzgeist nicht gradezu, warum bald auf diese, bald auf jene Art; soll ich etwa, wie z. B. durch jenes[ unordentliche] Geraͤusch, ein Vertrauen auf Gott setzen lernen, daß er alles sieht, ob ich ihn gleich nicht sehe? Er konnte mich ja auch durch einen Traum, durch ein andres Wunder deutlicher unterrichten; aber jene Art mag vielleicht mehr eine goͤttliche Sorgfalt fuͤr mich anzeigen; doch, faͤhrt er fort, es waͤre thoͤrigt, uͤber dergleichen Dinge sich mit voreiligen Untersuchungen abzugeben. «

Uebrigens laͤugnet36Cardannicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich irren koͤnne. Man hoͤre, wie er dies zu erklaͤren und seinen Schutzgeist zu ret -105 ten sucht: » Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Ursache jener Vorzeichen, naͤmlich der Schutzgeist, so wie die ganze Natur, eine gewisse bestimmte Bewegung hat, und so wie in der immer in ihrem Gleise bleibenden Natur aus einem Fehler der Materie unfoͤrmliche Geschoͤpfe entstehn koͤnnen; so kann es auch in Absicht jener Geister Gebrechen geben. Jch glaube nicht, daß der Schutzgeist seiner Natur nach edler als die Vernunft sey, und dennoch irrt sich oft diese wegen der Materie, die auch fuͤr das Jnstrument jenes Geistes gehalten werden muß. Und gleichwie in gewissen Jahren aus Mangel der Sonnenwuͤrkung viele unfoͤrmliche Geschoͤpfe entstehn: so koͤnnen auch durch die auf den Koͤrper oder die Seele wuͤrkende himmlische Kraft, die verhindert worden ist, Unvollkommenheiten und Jrrthuͤmer in der auf gewisse Zeichen gegruͤndeten Vorhererkenntniß kuͤnftiger Dinge entstehn. Da der Schutzgeist ein immaterielles Wesen ist, und als ein gutes Geschoͤpf von Gott abhaͤngt; so zeigt er nach dem Willen Gottes das Kuͤnftige richtig an, und irrt sich nie; denn die menschliche Natur ist an sich so eingerichtet, daß sie der Seele das richtig anzeigen muß, was sie von dem Geiste empfaͤngt; allein das Jnstrument, wodurch sie Unterricht geben will, ist nicht immer zur Aufnahme jener Vorhererkenntnisse gut eingerichtet « u.s.w.

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Jm 48sten Kapitel fuͤhrt er die Zeugnisse von 73 gelehrten Maͤnnern an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren gedacht haben. Selbst seine Feinde gestanden ihm eine ungeheure Gelehrsamkeit zu; und Scaliger, sein Erzfeind, nannte ihn das tiefsinnigste, gluͤcklichste und unvergleichlichste Genie.

Sehr auffallend sind vornehmlich die im Vorhergehenden erzaͤhlten fabelhaften Grillen des grossen Mannes, wenn man sie mit den durchdachten Untersuchungen mathematischer und philosophischer Wahrheiten vergleicht, die in seinen Schriften haͤufig vorkommen. Jn diesen Untersuchungen bemerkt man auf allen Seiten einen scharfsinnigen Denker, und in obigen Erzaͤhlungen seiner an sich bemerkten sonderbaren Phaͤnomene einen Schwaͤrmer, dessen Einbildungskraft alle Augenblicke mit ihm davon laͤuft, und der die allerunbedeutendsten Kleinigkeiten fuͤr Vorzeichen gewisser Begebenheiten, oder Winke seines guten Daͤmons haͤlt. Diese letzte Jdee haben uͤberhaupt mehrere große Koͤpfe gehabt, und sie hat so etwas Behagliches, der menschlichen Eitelkeit Schmeichelndes, und bei unsern mannigfaltigen Schwachheiten und Leiden so etwas Troͤstendes an sich, daß die meisten Menschen sich geneigt fuͤhlen, an gewisse uns begleitende Schutzgeister zu glauben, und sie sich unter allerlei Gestalten zu denken. Die107 Menschen suchen sich gar zu gern die Beweise von einer sie bewachenden goͤttlichen Providenz so anschaulich als moͤglich zu machen, und es ist den meisten leichter, sich in Gedanken einen gewissen Schutzgeist zu waͤhlen, der alle ihre Angelegenheiten auf goͤttliche Veranlassung besorgt, als sich die Harmonie des Ganzen, worin die Schicksale eines jeden einzelnen weislich mit eingeschlossen sind, in Beziehung auf sich, deutlich vorzustellen. Jeder Mensch ist uͤberdem geneigt, entweder, weil er sich fuͤr ein sehr wichtiges Jndividuum haͤlt, oder weil er sehr sonderbare Phaͤnomene an sich wirklich, wenigstens in gewissen Zeiten, zu bemerken glaubt, sich leicht in eine naͤhere Verbindung mit der Gottheit hineinzutraͤumen, und gleichsam durch ein Zwischensubject die Luͤcke auszufuͤllen, die zwischen ihm und der Gottheit ist. Jn dieser Jdee wird er nun durch eine Menge von Umstaͤnden bestaͤrkt, die selbst ein philosophisches Raisonnement uͤber die Kette aller Wesen, vom Wurm bis zur Gottheit hinan, so sehr dies auch noch bloße Hypothese seyn mag, zu bestaͤtigen sucht. Es kommt ihm sehr natuͤrlich vor, daß mit dem Menschen die Grade der Erkenntniß und Geistesvollkommenheit noch nicht aufhoͤren, sondern von Stuffe zu Stuffe in Wesen ausser uns, immer weiter vorruͤcken muͤßten. Da diese Wesen, insofern sie sich nicht durch Sinne und Erfahrungen deutlich beweisen lassen, immer idealische Geschoͤpfe108 bleiben; so behaͤlt die menschliche Einbildungskraft die Freiheit, in dieselben Kenntnisse, und Faͤhigkeiten hineinzudenken, soviel sie will, sich Geschoͤpfe zu schaffen, die die Gottheit wohl nie geschaffen haben mag, und ihnen eine Macht uͤber die menschlichen Angelegenheiten, und sogar einen Einfluß auf unsern Verstand und Willen zuzugestehn, den sie nicht haben koͤnnen. Die ewige Ordnung aller Dinge, die nie aus ihrem Gleise weicht, immer durch die genaueste Verbindung zwischen Ursach und Wuͤrkung dieselbe bleibt, und die Schicksale eines jeden einzelnen, so wie die Denkungs - und Handlungsart aller, an unverletzliche Gesetze bindet, macht, um mich so auszudruͤcken, den Succurs jener aussermenschlichen Wesen voͤllig unnoͤthig und unbegreiflich. Die Gottheit, jene ewige und weise Ordnung aller Dinge und Kraͤfte, bedarf zur Regierung ihres unendlichen Reichs keiner Boten und Gesandten, und keiner Daͤmonen, um die Menschen zu warnen, da sie ihnen die Vernunft zu Lehrern und Erkenntnißquelle aller Wahrheit gegeben hat.

Jch komme nach dieser Episode auf37Cardanzuruͤck. Es ist sehr begreiflich, wie ein Mann von seinem melancholischen und finstern Temperament, ein Mann, der so unzaͤhlich viel Uebel ausgestanden hatte, und in sich gewisse Vorzuͤge vor andern Menschen zu bemerken glaubte, auf den Gedanken kom -109 men konnte, daß ihn ein Daͤmon begleiten muͤsse. Er fand die Beispiele aͤhnlicher Meinungen in andern großen Koͤpfen vor, seine Leiden hatten oft eine sehr sonderbare Wendung genommen; die genaue Aufmerksamkeit auf alle seine koͤrperlichen Empfindungen hatte ihm die Erfuͤllung gewisser vorhergesehenen Begebenheiten (freilich auf eine ganz natuͤrliche Art) sehn lassen, das Alter kam hinzu, das so leicht aberglaͤubig werden kann, und alle diese Umstaͤnde mußten jenen Glauben an einen Daͤmon bestaͤrken helfen. Auch wuͤrkte vielleicht das Ausserordentliche jener Meinung auf ihn so stark, daß er schon des Ausserordentlichen wegen, was bei den Hypochondristen so viele Wuͤrkung thut, an jener Meinung ein Behagen fand; so wie Lessing wahrscheinlich des Ausserordentlichen wegen ein Vertheidiger von der Seelenwanderung der Menschen war.

38Cardanhat die Jdee von einem ihn begleitenden Daͤmon auch nicht gleich anfangs gehabt, sondern erst in seinem spaͤtern Alter angenommen, nachdem er naͤmlich sein Leben zu beschreiben anfing, und nochmals einen genauen Blick auf alle seine Schicksale warf. Am Ende seines Lebens mogten ihm viele derselben in einem ganz neuen Lichte erscheinen, und vieles konnte ihm, durch die Schwaͤchen des Alters verfuͤhrt, wunderbar vorkommen, was jeder unbefangne Leser seiner Schriften ganz natuͤrlich110 findet. Ueberdem ist wohl nicht zu laͤugnen, daß39Cardanoͤfters an einer Art melancholischen Wahnwitzes krank gelegen hat, der ihm Dinge zeigte, die nicht existirten, und seine Einbildungskraft mit Wunderbildern anfuͤllte. Gabriel Naudaͤus, welcher die Schriften40Cardansvielleicht mehr als jeder andrer studirt hat, hat ein eigenes Urtheil uͤber jenen sonderbaren Mann abgefaßt, und sein ganzes Temperament auf eine sehr gute psychologische Art beleuchtet, was im folgenden Stuͤck, nebst dem Rest von41CardansLebensbeschreibung vorkommen wird.

42P.

(Die Fortsetzung folgt.)

Jnhalt.

43

Seite

  • Fortsetzung der Revision des 4ten, 5ten und 6ten Bandes dieses Magazins. 1
  • Zur Seelenkrankheitskunde.
    • 1. Aehnlicher Fall zu der im zweiten Stuͤck des fuͤnften Bandes erzaͤhlten sonderbaren Ohnmacht. 19
    • 2. Aus den Papieren eines Hypochondristen 20
  • Zur Seelennaturkunde.
    • Ueber den Zustand der Seele nach dem Tode. Ein Gespraͤch. 25
  • Zur Seelenheilkunde. 50
  • Jnhalt.

    Seite

  • Zur Seelenzeichenkunde.
    • Fragmente aus dem Tagebuch eines Beobachters Seinselbst. 55
    • Belag zur Geschichte der Ahndungen. 62
    • Fortsetzung des Lebens des H. 44Cardans.72

About this transcription

TextGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
Author[unknown]
Extent112 images; 19982 tokens; 4798 types; 136146 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Christof WingertszahnSheila DicksonGoethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-StiftungUniversity of GlasgowNote: Erstellung der Transkription nach DTA-RichtlinienNote: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-06-09T11:00:00Z Matthias BoenigDeutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu BerlinNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2015-06-09T11:00:00Z UB Uni-BielefeldNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2015-06-09T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte sechsten Bandes zweites Stück Karl Philipp Moritz, Carl Friedrich Pockels, Salomon Maimon (eds.) . MyliusBerlin1788.

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Universitätsbibliothek Bielefeld UB Bielefeld, 2097611

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Psychologie; Wissenschaft; Psychologie; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

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