PRIMS Full-text transcription (HTML)
ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ
oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
als ein Lesebuch fuͤr Gelehrte und Ungelehrte.
Siebenter Band. 1
BerlinbeiAugust Mylius1789.
2[1]

Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Siebenten Bandes erstes Stuͤck.

1

Fortsetzung der Revision des 4ten, 5ten und 6ten Bandes dieses Magazins.

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Bei Fortsetzung der Revision der drei letztern vorhergehenden Baͤnde dieses Magazins kann ich die Rubriken, worin gewisse Seelenkrankheiten aufgezeichnet sind, fuͤglich uͤbergehen, da man die Ursachen der meisten dieser Krankheiten und ihre Folgen in den vorhergehenden Stuͤcken zu erklaͤren, und nach psychologischen Gesetzen zu zergliedern gesucht hat, und da schon mehrere Psychologen ihre verschiednen Meinungen hieruͤber in oͤffentlichen Blaͤttern geaͤußert haben. Jch wende mich daher diesmal gleich zu den vorzuͤglichsten Aufsaͤtzen der letzten drei Baͤnde, welche unter der Aufschrift:2 Seelennaturkunde, vorkommen, und hier und da eine genauere Beleuchtung erfordern, als ihnen die Herren Einsender gegeben haben.

Das erste Stuͤck des vierten Bandes enthielt lauter Erzaͤhlungen von Seelenkrankheiten; das zweite hingegen des nehmlichen Bandes hat destomehr Aufsaͤtze, die zur Seelennaturkunde gehoͤren.

Seite 42ff. 4. B. 2. St. befinden sich einige an einem Taubstummen gemachte Beobachtungen, vom Herrn4F.A. Wallroth.Ein sehr interessanter und lesenswuͤrdiger Aufsatz, der manche wichtige Aufschluͤsse uͤber die sonderbare Jdeenentwickelung in der Seele der Taubstummen enthaͤlt, und die Eigenheit ihres oft eben so sonderbaren Charakters in einzelnen Stuͤcken sehr gut darstellt. » Der taubstummgeborne arme Mensch, dessen hier gedacht wird, war zwar in seiner Jugend in die Schule geschickt worden; allein seine Lehrer hatten theils nicht Zeit, theils nicht Lust genug gehabt, sich mit ihm besonders abzugeben, weil sie sich selbst keinen gluͤcklichen Erfolg ihrer Arbeiten versprachen. Sein Verstand blieb also unaufgeklaͤrt, und man fing nur alsdann erst an, ihm etwas als suͤndlich vorzustellen, wenn er es schon begangen hatte, und um so viel mehr, sagt der Herr Verfasser, scheint sein Betragen die Aufmerksamkeit des Psychologen zu verdienen. Die Gelegenheit, wie dieser Mensch zuerst auf die Jdee von dem Daseyn einer Gottheit kam, war sehr besonders,3 und ist vorzuͤglich bemerkenswerth. Schon oͤfters hatte man sich zwar bemuͤht, ihm zu zeigen, daß ein Wesen im Himmel sey, welches alles erschaffen und noch die ganze Welt regierte; allein alle Bemuͤhungen hierin schienen fruchtlos zu seyn. Endlich kam eine Naturbegebenheit seinen Lehrern zu Huͤlfe, und ein Blitz, der vor seinen Augen in eine seiner Wohnung gegenuͤber gelegenen Scheune einschlug, uͤberzeugte ihn auf einmal von dem Daseyn eines Gottes, der im Himmel wohne. « (Ungefaͤhr wie die meisten rohen Voͤlker durch dergleichen Naturbegebenheiten wohl zuerst auf den anfangs freilich noch sehr armseligen Begriff von einer Gottheit gekommen seyn moͤgen.)

» Kaum hatte er sich von seinem Schrecken etwas erholt, als er zu dem Herrn5Wallrotheilte, und ihm das, was er gesehen, erzaͤhlte, und wie er nun auf einmal glaubte, daß ein großer, dicker Mann im Himmel sey, (denn so bildete er Gott ab, indem er die Backen und den Bauch aufbließ, und die Hand so hoch hielt, als er nur konnte, um dadurch seine Groͤße zu bezeichnen.) So oft er seit dieser Zeit Gewitterwolken am Himmel erblickte, fuͤrchtete er sich außerordentlich, und bisweilen war ein schwarzes Woͤlkchen, das im Sommer am Himmel aufstieg, schon vermoͤgend, ihn nach Hause zu treiben; denn so oft er ein Donnerwetter ahndete, floh er nach seiner Wohnung, und selbst Versprechungen waren nicht vermoͤgend, auf4 seine Seele zu wuͤrken und ihn davon abzuhalten. « (Wozu wohl vorzuͤglich seine unten geschilderte große Furcht vor dem Tode kam.) » So oft er nun seit der Zeit einen Menschen etwas thun sah, was nach seinen Gedanken unrecht und boͤse war, so warnte er ihn nicht nur, sondern kuͤndigte ihm auch gleich seine Strafe an, daß nehmlich ein Blitz des Allmaͤchtigen seine Scheitel dafuͤr zerschmettern wuͤrde, welchen Blitz er durch eine schlangenaͤhnliche Bewegung mit der Hand von oben herab auf den Kopf des Suͤnders leitete. Eine gleiche Strafe drohete er auch allen seinen Beleidigern, und besonders seiner Muhme, die ihn oft grausam behandelte, und ihm nichts zu essen gab. «

So viel Muͤhe sich uͤbrigens der Herr Verfasser gegeben hat, dem Taubstummen Religionsbegriffe, besonders von der Erloͤsung durch Christum, von seinem Tod und Auferstehn, seiner Himmelfahrt u.s.w. beizubringen, so zweifle ich doch sehr, daß er diese Begriffe, wobei alle Anschaulichmachung und Versinnlichung ohne muͤndlichen Unterricht nicht viel fruchten kann, richtig gefaßt haben sollte. Einmal sind alle diese Vorstellungen an sich schon so dunkel, daß sie mir ohne einen woͤrtlichen Unterricht fuͤr keinen menschlichen Verstand erreichbar genug scheinen; zweitens liegen sie, als Facta betrachtet, so sehr außer dem Bezirk aller sinnlichen Begriffe, daß der menschliche Verstand ohne jenen vorhergegangenen muͤndlichen Unterricht5 nicht leicht, oder uͤberhaupt gar nicht ein Beduͤrfniß, sie aufzusuchen, empfinden kann. Sie lassen sich zwar in Bildern darstellen, aber der Taubstumme wird doch auch nur immer das Bild im Kopfe haben; nicht den religioͤsen Sinn der Geschichte, oder Glaubenslehre, der dadurch ausgedruͤckt werden soll. Zeigt er ein gewisses Wohlgefallen daran, so wuͤrde man nach meiner Meinung sehr uͤbereilt schließen, daß er eine Neigung zu den vermeintlichen Religionsbegriffen haben muͤsse; es ist wieder das Bild, an dem er sich ergoͤtzt, nicht der dogmatische Sinn der Sache, welchen man ihm beigebracht zu haben glaubt. Dieß erhellet schon selbst aus nachfolgendem Beispiel: » der Taubstumme, heißt es, betete die zweite Person in der Gottheit an. « Es ist unmoͤglich zu glauben, daß der unwissende taubstumme Mensch die dunkle und abstracte Lehre von der Gottheit Christi gefaßt haben sollte. Was er anbetete, war der am Creutz haͤngende Mann, den er sich als einen Ermordeten, als einen unschuldig Ermordeten, vermoͤge der ihm hiervon sinnlich beigebrachten Jdeen, vorstellte. Es konnte ihm ferner sehr anschaulich gemacht werden, daß diesen Mann die Juden ermordet haͤtten, und hieraus floß ganz natuͤrlich die erschreckliche Abneigung, die der Taubstumme vor allen Juden hatte. » So oft er einen Menschen sah, den er an dem Barte fuͤr einen Juden erkannte, brummte er vor lauter Un -6 willen, zeigte, daß die Leute den Heiland in die Seite gestochen haͤtten, und daß der Blitz sie dafuͤr toͤdten muͤsse. «

Ueberhaupt habe ich an den Taubstummen, die ich zu beobachten Gelegenheit gehabt, fast ohne Ausnahme einen erstaunlichen heftigen Unwillen gegen ungerechte, menschenfeindliche Handlungen, und einen sehr hohen Grad des Mitleids gegen Unterdruͤckte bemerkt. Da sie sich nicht durch Worte aͤußern, und dem Beleidiger durch Vorstellungen sein Unrecht vorhalten koͤnnen, so druͤckt sich ihre Wuth, bei der ihnen ohnehin eigenen heftigen Gemuͤthsart, in den wildesten Geberden aus. Da sie sich ferner selbst ungluͤcklich fuͤhlen moͤgen, und durch die harten Behandlungen andrer oft viel leiden muͤssen, so wird dadurch ihr Herz sehr zum Mitleiden gestimmt und weich gemacht. Jch habe einen Taubstummen vor Wuth schaͤumen gesehen, der einer Mutter nicht das Kind aus den Haͤnden reißen konnte, was sie auf eine unbarmherzige Art schlug; obgleich Mutter und Kind ihm ganz fremde Personen waren, und sein nachheriger Haß gegen dieses Weib blieb unausloͤschlich.

Die Erzaͤhlung von dem heftigen Triebe des hier angefuͤhrten Herbst (so hieß der Taubstumme) zum heil. Abendmahl zu gehen, ist sehr interessant, und der Herr Verfasser erklaͤrt ihn ganz richtig aus sehr natuͤrlichen Ursachen; also nicht aus einer Art von Gnadenwirkung, woraus man so viel na -7 tuͤrliche Dinge auf eine schiefe und widersinnige Art selbst in neuern Zeiten zu erklaͤren sucht. » Er sah nehmlich Menschen am Altare etwas in den Mund nehmen, und hernach aus einem schoͤn vergoldeten Kelche trinken, und dieses mochte ihn schon nach dem Genusse desselben luͤstern gemacht haben, welches Verlangen durch die Verweigerung, ihn selbst zu zulassen, unstreitig noch mehr vermehrt wurde. Er mochte daher wohl schon lange auf Mittel gedacht haben, zu diesem ihm versagten Genusse auf eine heimliche Art zu gelangen, und um diese seine Absicht zu erreichen, schien er die beste Gelegenheit darin zu finden, daß er den oͤffentlichen Gottesdienst ganz abwartete, bis alle Leute aus der Kirche gegangen waͤren, und als einstmals der Kirchner die Hostien und den Kelch nicht gleich nach geendigtem Gottesdienste weggenommen hatte, schlich er sich am Altar, nahm aus der auf demselben befindlichen Hostienschachtel eine Oblate, und trank den uͤbrig gebliebnen Wein rein aus, woruͤber er den Seinigen eine lebhafte Freude bezeugte. «

Die ganz außerordentliche Hochachtung, welche Taubstumme gemeiniglich gegen Geistliche empfinden, und gegen den Gottesdienst an den Tag legen, wird auch durch dies Beispiel bestaͤtigt. » Er war in der Kirche ganz Aufmerksamkeit, und ahmte außer der Kirche die Stellung und Bewegung der Prediger so gluͤcklich nach, daß er jedem auf sein Befragen den Prediger durch seine Pantomime zu8 bezeichnen wußte. Nichts war ihm unertraͤglicher, als wenn junge Leute in der Kirche plauderten. Er theilte einst sogar Stockschlaͤge unter Knaben waͤhrend der Predigt aus, die mit einander zu schwatzen anfingen. «

» Den Diebstahl und das Luͤgen verabscheuete dieser Herbst außerordentlich, wie ich uͤberhaupt dieses, setzt der Herr Verfasser hinzu, bei einigen Stummen schon zu bemerken Gelegenheit gehabt habe. « Dies kann aus mehrern Ursachen herruͤhren. Die meisten Stummen sind bei ihrer sonst heftigen Gemuͤthsart doch gemeiniglich furchtsam und schuͤchtern, und fuͤrchten leicht, daß sie, oder andre wegen einer veruͤbten schlechten Handlung bestraft werden duͤrften; ferner sind sie erschrecklich mißtrauisch, und glauben, daß man sie immer genau beobachte. Daß der hier angefuͤhrte Taubstumme so abgeneigt war, ein Stuͤck Geld zu entwenden, hingegen es doch fuͤr kein Unrecht hielt, Speisen hinwegzunehmen, laͤßt sich wohl aus einem guten Appetit, und der allen rohen Menschen eigenen Gefraͤßigkeit erklaͤren, wo die Heftigkeit des Jnstinkts dergleichen Handlungen gleichsam erlaubt macht. Der Herr Verfasser erklaͤrt sichs auch unten aus der Erziehung.

Eine sehr richtige Bemerkung, die Taubstummen betreffend, ist auch die, daß das Laͤcherliche leicht einen tiefen Eindruck auf sie machen kann, und sie oft bei den ernsthaftesten Beschaͤftigungen9 mit laͤcherlichen Bildern, deren sie sich oft von langen Zeiten her wieder erinnern, unterhaͤlt. Da die Einbildungskraft bei dergleichen Leuten gemeiniglich einen sehr hohen Grad der Lebhaftigkeit bekommen muß; da ihre Vorstellungen von aͤußern sinnlichen Gegenstaͤnden ziemlich eingeschraͤnkt sind, und die Seele sich also mehr auf das, was sie ehemals lebhaft empfunden hat, einschraͤnken und concentriren muß; da sie ferner gemeiniglich eines lebhaften Gemuͤths sind, und das Contrastirende aͤußerer Gegenstaͤnde ihnen um so viel mehr auffaͤlt, weil sie sich es aus Mangel symbolischer Begriffe nicht selbst erklaͤren, oder durch andre deutlich erklaͤren lassen koͤnnen, so ists ganz natuͤrlich, daß sich die Eindruͤcke des Laͤcherlichen sehr schwer aus ihrer Seele verwischen.

Auch unser Herr Verfasser schreibt den Taubstummen einen bis aufs Hoͤchste getriebnen Argwohn zu, und dieser laͤßt sich, nach seiner sehr richtigen Meinung, theils aus dem unzulaͤnglichen Unterrichte, den sie gewoͤhnlich bekommen, theils auch ganz besonders wohl daraus am leichtesten erklaͤren, daß es das traurige Loos der Stummen von Jugend an gemeiniglich zu seyn scheint, von muthwilligen Menschen geneckt und auf alle moͤgliche Art verspottet und gemißhandelt zu werden. Diese traurigen Erfahrungen machen sie gegen jedem, der sich ihnen naͤhert, argwoͤhnisch und mißtrauisch, da sie in jedem Unbekannten einen neuen10 Beleidiger ahnden. Daher es denn sehr schwer haͤlt, das Zutrauen solcher Leute zu gewinnen; so wie man sich aber im Gegentheil vollkommen auf ihre Treue und Freundschaft verlassen kann, wenn sie einmal jenes Zutrauen gefaßt haben.

» Zorn und Liebe, faͤhrt der Herr Verfasser fort, waren die zwei Hauptleidenschaften dieses Menschen; aber so groß auch seine Neigung gegen das schoͤne Geschlecht war, so floh und verabscheuete er doch den Umgang mit einer verehligten Person. Nichts war ihm daher unertraͤglicher, als einen Ehemann mit einem Frauenzimmer, sie mochte nun verheirathet, oder ledig seyn, scherzen zu sehen, und ein freundlicher Blick, den eine Frau auf eine andre Mannsperson warf, war schon hinreichend seinen Zorn ganz zu entflammen. Brummend und mit dem Kopfe schuͤttelnd verließ er ein solches, seinen Augen unertraͤgliches, Schauspiel, indem er mit schnellen Schritten zu derjenigen Person eilte, die durch die schaͤndlichste Untreue ihres Ehegatten, nach seiner Meinung, aufs empfindlichste beleidigt worden war, und vertrat die Stelle eines foͤrmlichen Anklaͤgers u.s.w. Wieder ein Beweis von der bei rohen Menschen oft so stark hervorleuchtenden Gerechtigkeitsliebe und Treue. Da aber bei solchen Leuten oft ein gewisser aͤußerer Umstand eine Sache heilig und wichtig macht, so kann auch die feierliche Ceremonie der Copulation, der Eindruck, daß sie in der Kirche und von einem11 Geistlichen geschahe, viel dazu beitragen, daß solche Leute einen jeden scheinbaren Beweis von ehlicher Untreue verabscheuen; und daß ihnen natuͤrliche Mißtrauen kann dann leicht verursachen, daß sie die unschuldigste Handlung fuͤr ein Verbrechen halten.

Auch einer erschrecklichen Furcht vor dem Tode war unser Taubstumme ausgesetzt. » Wenn man ihn daran erinnerte, so schien ein eiskalter Schauder durch alle seine Glieder zu laufen, und eine Todtenblaͤße uͤberzog auf einmal sein Gesicht, und ich wage es nicht zu bestimmen, ob Furcht oder Zorn mehr Antheil daran hatte. Derjenige waͤhlte daher gewiß das sicherste Mittel, ihn auf einige Wochen aus seinem Hause zu verscheuchen, der ihn an seinen Tod erinnerte. « Sonderbar war es aber doch immer bei dieser seiner Furcht vor dem Tode, daß er bei jeder Beerdigung, die bei Tage geschah, zugegen war, und dem Todtengraͤber beim Einscharren getreue Dienste leistete.

Die Taubstummen sind unstreitig ein sehr merkwuͤrdiger Gegenstand fuͤr den Psychologen, und genaue mit Scharfsinn uͤber sie angestellte Beobachtungen wuͤrden mir viel willkommner, als Geschichten von Geistererscheinungen und Ahndungen seyn, die eigentlich nicht einmal in dieses Magazin gehoͤren. Solche Beobachtungen wuͤrden gewiß12 uͤber mehrere Zweige der Seelenlehre ein groͤßeres Licht verbreiten, und uns zeigen, welcher erstaunlichen Erweiterung unsere Gesichtsbegriffe, die lediglich bei Taubstummen das Gehoͤr ersetzen muͤssen, faͤhig sind, ohne daß die menschliche Seele eine Verminderung ihrer Denkkraft zu leiden scheint; nur muͤßte man die Taubstummen durch einen Unterricht im Schreiben auch zugleich so weit zu bringen suchen, daß sie die Entwickelung ihrer Begriffe selbst angeben koͤnnten, damit man, was oft der Fall ist, in ihre Seele nichts hineindenkt, was doch nie darin existirt hat. Solche Versuche, die uns nach und nach die ganze Reihe ohne symbolische Kenntniß erzeugter Begriffe in der Seele des Taubstummen darstellen muͤßten, wuͤrden nach meiner Meinung zweckmaͤßiger seyn, als daß man sich so viel ungeheure Muͤhe giebt, jenen armen Menschen eine Menge dunkler theologischer Begriffe einzuquaͤlen, die sie doch wohl nie ganz fassen koͤnnen, und ihnen wohl gar ganz entbehrlich sind. Vornehmlich muͤßte man aber an den Taubstummen folgende Betrachtungen anstellen.

  • a) Wie sie durch eine Analogie ihrer Empfindungen und Vorstellungen zu Begriffen gelangen, welche andre Menschen bloß vermittelst des Gehoͤrs bekommen; wie sie diese Begriffe, da ihnen das Vehikel symbolischer Wortverbindungen fehlt, an einander reihen, in13 sich aufbewahren, und in die Reihe ihrer uͤbrigen Vorstellungen verweben.
  • b) Wie weit es die menschliche Seele uͤberhaupt in Erlangung solcher analogen Begriffe bringen kann, ohne daß sie durchs Gehoͤr sich Begriffe zu schaffen im Stande ist, und wie sie sich ihre Abstractionen bezeichnet, um sie als solche und nicht als Empfindungen sinnlicher Objecte zu denken.
  • c) Ob sich daher die Seele des Taubstummen, um sich nicht durch die unzaͤhlige Menge von Gegenstaͤnden zu zerstreuen, gleichsam aus einem innern Ordnungsinstinkt eine Art von Sprache bildet, an welche sich alle ihre Gesichtsbegriffe anschließen, und wodurch sie faͤhig wird, Subjecte und Praͤdicate nicht mit einander in der Reihe ihrer Begriffe zu verwechseln.
  • d) Wie es zugeht, daß bei dem Mangel des Gehoͤrs die Beobachtungsgabe der Taubstummen so erstaunlich zunimmt, und wie sie ganze Gespraͤche bloß durch die Lippenbewegung andrer richtig zu verstehen anfangen.
  • e) Vorzuͤglich aber muͤßte man die Eigentuͤmlichkeit ihres Characters zu studi -14 ren suchen; woher diese Eigenthuͤmlichkeit ruͤhrt, und ob bloß der Mangel an Sprache und Gehoͤr die Ursach davon ist.

Jhr erstaunliches Mißtrauen auf der einen Seite und ihr unerschuͤtterliches Zutrauen gegen ihre Freunde auf der andern, ihr so sehr zur Rachgier und zum Zorn geneigtes Gemuͤth, und ihr so sehr zum Mitleiden und zur Sanftheit gestimmtes Herz, ihre Religiositaͤt und Andacht, ihre auffallende fast allgemeine Abneigung gegen verheirathete Frauenzimmer bei dem heftigsten Jnstinkt der Liebe, ihre unbegraͤnzte Furcht vor dem Tode, alle diese Dinge geben die wichtigsten Veranlassungen zur Beobachtung ihres moralischen Characters.

Daß diese armen Menschen uͤbrigens bei der Erziehung gemeiniglich verschroben werden muͤssen, ist ganz natuͤrlich, da man sie so oft wegen gewisser Handlungen bestraft, deren Unrecht sie gar nicht einsehen koͤnnen, und da die wenigsten ihrer Lehrer Geduld und Geschick genug haben, um sich zu ihnen ganz herabzulassen. Jm erwachsenen Alter sind daher dergleichen Leute sehr schwer zu lenken, und aus ihrer ersten Erziehung laͤßt es sich gemeiniglich schon deutlich erklaͤren, warum die meisten zeitlebens ein boshaftes Gemuͤth behalten.

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Erinnerungen aus den ersten Jahren der Kindheit von Herrn6Schlichtingin Wien. Seite 62 ff. 4. B. 2. Stuͤck.

» Unausloͤschlich, sagt der Herr Verfasser, haben sich die Vorstellungen von Figuren und Groͤßen in mir abgedruckt, die aber mit der natuͤrlichen Richtung meiner Seele nichts aͤhnliches hatten, flogen voruͤber. « Hieraus zieht er nun den Schluß: daß nicht die Lebhaftigkeit der Eindruͤcke Ursach ihrer Fortdauer in der Seele, sondern Uebereinstimmung mit dem urspruͤnglichen Character es waͤre. » Jch bin aber, faͤhrt er fort, noch nicht uͤberzeugt, daß urspruͤnglich die Seelenkraͤfte des Kindes zu einer Art der Dinge mehr gestimmt sind, als zur andern, sondern daß sie dieses erst durch Anlaͤsse werden, und daß sie sich nach Verhaͤltniß der vorkommenden Gegenstaͤnde und ihrer Eindruͤcke aufs Herz mehr oder weniger entwickeln; oder das Kind empfand einmal ein Object sehr tief. Nur sind entweder viele von den folgenden Vorstellungen gleichartig, und gesellen sich zu den vorhergehenden, schmiegen sich an sie an, und so bestimmen sie schon den Character des Kindes auf einen Punkt, daß nicht leicht heterogene Gegenstaͤnde sie aus dieser Lage verdraͤngen koͤnnen; an diese aufgefaßte adsociirte Jdeen erinnern wir uns nachher leicht wieder. Sind aber die folgenden Jdeen ungleichartig, so sind sie staͤrker oder nicht; sind sie dieses, so bringen sie uͤbrigens keine16 merkliche Sinnesveraͤnderung vor; man kann noch behaupten, es bleibe derselbe Seelenzustand, dieselbe Seelenrichtung; denn sie gleiten voruͤber und lassen kein Gepraͤg ihrer Existenz zuruͤck; die in dem Menschen da gewesene Modification der Seelenorgane dauert fort im ersten geruͤhrten Tone, bis entweder zu viele, obgleich minder lebhafte, Vorwuͤrfe sie verwirren, dann verdunkeln, dann vernichten; sich selbst als Tyrannen der Seele und ihrer Stimmung eindraͤngen, oder bis ein andrer gleichartiger koͤmmt, und denselben Seelenzustand befestigt. Wenn aber die ungleichartigen Eindruͤcke staͤrker sind, so muß nothwendig die Wirkung dieser uͤberlegenen Kraft diese seyn, daß sie die alten Besitzer, (sind sie noch nicht zu alt, und haben sie sich dem ganzen Menschen noch nicht zu nothwendig und wegen verschiedner Gruͤnde zu interessant gemacht) vertreiben, sich ihrer Stelle versichern, und nun mit dem nehmlichen Rechte und vielleicht wieder mit der nehmlichen Gefahr die Regierung der Seele fuͤhren. «

Der Herr Verfasser urtheilt, wie mich duͤnkt, sehr richtig, daß die Lebhaftigkeit der Empfindungen nicht, wenigstens nicht immer, der Grund von ihrer laͤngern Dauer sey, sondern daß, wenn Empfindungen lange fortdauren sollen, ein gewisser Zustand der Seele, eine gewisse innere Stimmung und Richtung derselben, die ihr natuͤrlich sey, vorausgesetzt werden muͤsse. Aus unzaͤhligen Bei -17 spielen, sonderlich sehr lebhaft, sehr feurig empfindender Menschen wissen wir, daß die lebhaftesten Empfindungen und Vorstellungen gemeiniglich viel zu schnell voruͤber gehen, als daß sie sich, um mich so auszudruͤcken, tiefer in den Grund der Seele hinabsenken sollten. (Ja! in der Lebhaftigkeit der Gefuͤhle liegt sogar der vorzuͤglichste Grund, daß jene Menschen sollten einen fixirten Character erlangen koͤnnen.) Die Seele wird dadurch entweder wie betaͤubt, so daß sie sie nicht mit gehoͤriger Aufmerksamkeit auffassen, und mit ihren uͤbrigen Vorstellungen in Reih und Glied stellen kann; oder es loͤscht eine lebhafte Empfindung die andre augenblicklich wieder aus, weil sie gleichsam nicht Platz, nicht Spielraͤume genug in unserm Gehirn haben; oder die Lebhaftigkeit uͤberschreitet den Grad des Angenehmen oder Unangenehmen der Empfindung, welcher mit der gegenwaͤrtigen Disposition unsrer Natur heterogen ist, so, daß wir der Lebhaftigkeit der Eindruͤcke augenblicklich entgegen zu wirken anfangen. Nach psychologischen Gesetzen wird durchaus zur Dauer einer jeden Empfindung a) eine[ Receptivitaͤt] der Seele erfordert, vermoͤge welcher sie sich geneigt fuͤhlt, diese oder jene Empfindung vorzuͤglich aufzunehmen, (ein positives Streben zu jener Empfindung) weil sie entweder mit andern gleichartigen in der Seele schon vorhandenen eine Aehnlichkeit hat; oder weil eben die Seele muͤßig ist, und mit der ersten besten Sen -18 sation ein gewisses Leere ausfuͤllen moͤchte; oder weil sie die Seele in einem ihr jetzt eben behaglichen Zustande des Vergnuͤgens, des Schmerzens, oder des Denkens uͤberhaupt befestigen. b) Eine in dem Augenblick der einwirkenden Empfindung erweckte Aufmerksamkeit, entweder auf der Totalempfindung oder auch nur auf einzelne Theile derselben, vermoͤge welcher sie das Ganze augenblicklich wieder in sich zuruͤckrufen kann; und diese Aufmerksamkeit kann theils durch eine Geneigtheit der Seele zu gewissen neuen Empfindungen erhalten werden; theils auch durch ein negatives Streben die Empfindung nicht zu behalten, oder durch eine Abgeneigtheit sie sich an andre Vorstellungen anschließen zu lassen. c) Ueberhaupt aber muß die im Augenblick der Empfindung erregte Aufmerksamkeit durch den Contrast der Lebhaftigkeit unterhalten werden; oder um mich anders auszudruͤcken, die Seele muß in sich nicht bloß ein momentanes, sondern anhaltendes Gefuͤhl bekommen, daß die neue Empfindung viel staͤrker, viel auffallender und frappanter ist, als die andern Empfindungen, die sie zu gleicher Zeit erhielt, oder die sich schon in die Seele gelagert hatten; oder sie muß sich die Verhaͤltnisse wenigstens einigermaßen deutlich vorstellen, in welchen die neue Sensation mit andern gleichartigen schon vorhandenen steht. d) Endlich muß vornehmlich mit allen diesen zur Dauer einer Empfindung erforderlichen Umstaͤnden der jedesmalige19 Zustand der Organe harmoniren, weil es bekannt ist, daß Empfindungen bald laͤnger, bald weniger fortdauren, je nachdem unser Nervensystem so und nicht anders gestimmt ist.

Daß die Vorstellungen von Figuren und Groͤßen in unsrer Kindheit, wie der Herr Verfasser von sich erzaͤhlt, gemeiniglich die lebhaftesten sind, und am laͤngsten fortdauren, ergiebt sich nicht nur daraus, daß wir uns anfangs vermoͤge der Natur unsers Denkens gar nichts ohne Raum und Ausdehnung vorstellen koͤnnen, und an diese, obgleich dunkeln, Begriffe gleichsam jede Operation der Seele, wie an einem Stammbaum anhaͤngen; theils auch daraus, weil an sich schon die Gesichtsvorstellungen einen hoͤhern Grad der Lebhaftigkeit vor andern haben, indem uns die uͤbrigen Sinne noch nicht so sehr zerstreuen. Vielleicht liegt auch selbst in der Natur des Lichtsein[ Grund,] warum uns sichtbare Gegenstaͤnde tiefer eingedruͤckt werden; so wie in der originellen Beschaffenheit der Gesichtsfiebern.

Zu den Eindruͤcken, die am laͤngsten aus unsrer Kindheit in der Seele fortexistiren, gehoͤren unstreitig auch die der Farben, woruͤber man einen merkwuͤrdigen Aufsatz im 2ten Stuͤck dieses Magazins 1. Band. S. 82 nachlesen kann, was unstreitig daher ruͤhrt, weil die Eindruͤcke von Farben in der Seele eine sehr20 einfache Totalvorstellung von einer gewissen Ausdehnung veranlassen, und die Gegenstaͤnde gleichsam in den hellern Vordergrund unsers Beobachtungskreises stellen.

Uebrigens reichen die Erinnerungen aus den ersten Jahren unseres Lebens, diese nie versiegenden Quellen unsrer nachfolgenden suͤßesten Freuden, selten uͤber das vierte Jahr hinaus. Die Seelenorgane muͤssen erst eine gewisse Staͤrke erhalten, ehe sie Eindruͤcke dem Gedaͤchtnisse auf lange Zeit uͤberliefern koͤnnen; obgleich die Denkfaͤhigkeit noch keine Fortschritte gemacht zu haben braucht, da das Gedaͤchtniß, um mich so auszudruͤcken, mehr animalischer Natur ist. Um die ersten Eindruͤcke unsrer Kindheit aufzubewahren, und uns nicht ganz unwissend in der ersten Geschichte unsres Daseyns zu machen, heftete die Natur jene Zuruͤckerinnerungen an gewisse Gemuͤthsbewegungen an, ohne welche wir vielleicht in den ersten Jahren unsrer Kindheit unser Gedaͤchtniß gar nicht uͤben wuͤrden, nehmlich Furcht und Freude. Wir werden dieß fast bei allen Zuruͤckerinnerungen aus unserer Kindheit bemerken, indem wir uns nicht leicht an etwas erinnern, ohne daß das Herz Antheil an dem Gegenstande der Erinnerung genommen haͤtte. Weil aber die Empfindungen in der Kindheit, die mit einer Furcht vergesellschaftet waren, gemeiniglich von einer geringern Anzahl, als die angenehmern sind, weil wir als Kinder Kum -21 mer und Mißmuth nur noch wenig kannten, so behaͤlt auch das Zuruͤckerinnern an froͤhliche Scenen unsres fruͤhern Lebens hernach immer die Oberhand, und daher entsteht dann das seelige Gefuͤhl des Herzens, welches aus den Zuruͤckerinnerungen aus unsern Kinderjahren entspringt; ein Gefuͤhl, dem an einer innern Herzlichkeit und Lebhaftigkeit nicht leicht eine andre Freude in spaͤtern Jahren gleich kommt, und welches uns gewiß von der guͤtigen Gottheit zur Versuͤßung unsres mannichfaltigen Kummers in unsern spaͤtern Jahren mitgetheilt worden ist. Wie sehr aber eine Menge unangenehmerEindruͤcke in der Kindheit auf den ganzen nachfolgenden, selbst moralischen Character des Menschen wuͤrken, und ihm eine ganz eigenthuͤmliche finstre Stimmung geben koͤnnen, aus welcher er sich hernach nie wieder herausarbeiten kann, lehrt die große Anzahl duͤstrer, boshafter und schiefer Menschen, die in ihrer Jugend durch eine unbarmherzige Erziehung verdorben wurden.

Auszug aus einem Briefe. Haag den 15ten Dec. 1785, vom Herrn van7Goͤns.

Dieser Brief enthaͤlt einige merkwuͤrdige psychologische Phaͤnomene, davon vornehmlich das erstere: Sonderbare Aeußerung der Gedaͤchtnißkraft im Traume, unsre Aufmerksamkeit und22 Beleuchtung verdient. Hier ist das ganze sonderbare Factum, das um so viel authentischer ist, da es der gelehrte Herr Verfasser an sich selbst beobachtet hat.

» Jn meinem eilften Jahre besuchte ich die lateinische Schule zu Utrecht, wo in der Klasse, in welcher ich saß, eine gewisse Rangordnung unter den Schuͤlern statt fand, die sich nach dem jedesmaligen Beruf des Fleißes und der Aufmerksamkeit richtete, und sich also oft veraͤnderte.

Dasjenige, worin man wetteiferte, waren bald lateinische Exercitien, bald Lectionen zum Auswendiglernen u.s.w., und unter andern auch Fragen, welche grammaticalische Regeln oder lateinische oder griechische Phrasen betrafen, und von dem Lehrer zuerst an den obersten, und wann dieser sie nicht beantworten konnte, an den folgenden u.s.w. gethan wurden; welcher denn die Antwort wußte, wurde uͤber denjenigen gesetzt, der sie nicht wußte.

Nun traͤumte mir einstmals, daß ich mich in der lateinischen Klasse befand, daß der Lehrer eine Frage uͤber den Sinn einer lateinischen Phrasis aufwarf, und daß ich grade der erste in der Reihe war, und den festesten Vorsatz bei mir empfand, diesen Platz, wo moͤglich, zu behaupten.

Da mir aber nun die Frage wirklich vorgelegt wurde, blieb ich stumm, und zerbrach mir23 vergebens den Kopf, um die Antwort darauf zu finden.

Jch sahe denjenigen, der nach mir saß, Zeichen der Ungeduld von sich geben, um befragt zu werden; ein Beweis, daß er die Antwort wußte.

Der Gedanke, an diesen meine Stelle abtreten zu muͤssen, setzte mich beinahe in eine Art von Wuth; aber ich suchte vergebens in meinem Kopfe nach, und konnte den Sinn der Phrases auf keine Weise herausbringen.

Der Lehrer ermuͤdete endlich, mir laͤnger Zeit zu lassen, und sagte zu dem Folgenden: nun ists an Dir.

Und der Schuͤler setzte sogleich den Sinn der Phrases deutlich auseinander, und diese Auseinandersetzung war so einfach, daß ich gar nicht begreifen konnte, wie ich nicht darauf hatte verfallen koͤnnen. «

Der Herr Verfasser setzt am Ende hinzu: » daß es ihm unbegreiflich sey, wie die Seele, welche mit der groͤßten Anstrengung vergebens etwas sucht, in einer Minute, oder vielmehr in einer Secunde, die Seele werden kann, die eben dieselbe Sache sehr gut weiß, indem sie sich zugleich einbildet, es selbst nicht zu wissen, sondern es eine andre sagen zu hoͤren. «

Jch glaube nicht, daß der Herr Verfasser den Sinn der Phrases, indem er sich ihn zu finden an -24 strengte, damals schon wirklich wußte, und sich ihn, nicht zu wissen, nur eingebildet habe, er konnte ja ihn bei aller Anstrengung in dem Momente wirklich nicht herausbringen. Vielmehr ists mir sehr wahrscheinlich, und anders laͤßt sich dieß Phaͤnomen wohl nicht erklaͤren, daß der junge Schuͤler in dem Moment, daß der andre die Frage zu beantworten anfing, die Beantwortung selbst sogleich fand, und da er sie selbst nicht geschwind genug mittheilen konnte, sie dann dem zweiten Schuͤler in den Mund legte. Es laͤßt sich nicht begreifen, daß die menschliche Seele zu gleicher Zeit etwas wissen und auch nicht wissen sollte, und es waͤre ein unerhoͤrter Grad der Einbildungskraft, daß wir uns einen Gedanken als nicht existirend in uns denken sollten, dessen Daseyn wir doch wirklich in uns wahrnehmen.

Vielleicht war auch das erste Wort, das der zweite Schuͤler aussprach, und das die Seele des ersten dem andern auch wohl nur zufaͤllig in den Mund legte, eine gelegentliche Ursach, daß durch eine Association der Jdeen der Sinn der Phrases vom Verfasser hinterher gefunden wurde; eine Erscheinung, die nichts ungewoͤhnliches im Traume ist. Wir traͤumen, daß der andre etwas wissen koͤnne, was wir sonst gewußt haben, worauf wir aber in dem Augenblick uns nicht gleich besinnen koͤnnen und lassen dann durch eine Verwechselung unsrer Person mit einer andern, ihr (der letztern) etwas25 finden, was wir doch selbst gefunden hatten. Daß oft die einfachsten Probleme von uns im Traume nicht aufgeloͤst werden koͤnnen, ist etwas sehr gewoͤhnliches, weil das Gedaͤchtniß oft seinen Faden so sehr verloren hat, daß es sich nicht einmal auf die alltaͤglichsten Dinge besinnen kann. Aus diesem Gedaͤchtnißmangel, der wohl vornehmlich durch die im Schlaf entstandene Erschlaffung der Gehirnfiebern herruͤhren mag, entstehen dann die sonderbarsten Umtauschungen von Vorstellungen und Empfindungen, und die haͤufigen Transgressionen der Einbildungskraft in idealische Welten, wozu es in der wirklichen kein Urbild giebt.

Unempfindlichkeit gegen ihren Zustand bei Wahnwitzigen, von eben dem Verfasser. Seite 91.

Herr van8Goͤnshatte verschiedene Jahre lang ein Maͤdchen von vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahren beobachtet, die so rasend war, daß man sie nackend lassen mußte, weil sie alle ihre Kleider sogleich zerriß.

» Jch habe, sagt er, dieß arme Geschoͤpf, welches schon nichts als Haut und Knochen war, mehr als hundertmal nackend auf dem Stroh liegen gesehen, in einer Kammer, die nichts als ein eisernes Gitter hatte, wodurch das Licht hereinfiel, und26 ohne Fenster war, weil sie die Fensterscheiben, so wie alles zerbrechliche, gleich[ zerbrach. «]

Dieses Maͤdchen bekam endlich ihren Verstand wieder. Herr van9Goͤnsbefragte sie nachher wegen der physicalischen Empfindungen, die sie in Absicht ihres Zustandes gehabt haͤtte, und sie gab ihm zur Antwort, daß sie sich vollkommen erinnerte, nie die geringste Empfindung von Kaͤlte, oder sonst einer Ungemaͤchlichkeit gehabt zu haben; ausgenommen bei Gewittern, wo sie viel Schrecken und Angst ausstand, und sich allemal tief ins Stroh verbarg, oder in einen Winkel verkroch. » So wahr ists, setzt der Herr Verfasser am Ende hinzu, daß es sowohl von Seiten der physikalischen Empfindlichkeit, als von Seiten der Moral selbst, in den Situationen, die uns oft am schrecklichsten vorkommen, Schadloshaltungen giebt, die bewundernswuͤrdig sind. «

» Jch habe, sagt van Swieten in seinem Commentar zu Boͤrhavens Aphorismen, B. III. S. 521, einen Tollen gesehen, der alle seine Kleider zerriß, und mehrere Wochen lang nackend auf dem Stroh an einem gepflasterten Orte bei dem heftigsten Winter lag. Er zuweilen acht Tage hindurch nichts, darauf schluckte er alles, was man ihm gab, mit Heftigkeit, und sogar seinen eigenen Koth hinein, falls ihm auch die besten Speisen im Ueber -27 fluß gegeben wurden. Er blieb viele Wochen lang Tag und Nacht wachend u.s.w. «

Herr van10Goͤnsfuͤhrt S. 94 eine Erinnerung aus den fruͤhesten Jahren seiner Kindheit an, die in der That sehr selten ist. Er erinnerte sich nehmlich eines Besuchs, wozu ihn seine Anverwandten mitgenommen hatten, des Hauses, worin er war, und mehrerer Umstaͤnde, und zwar aus einer Zeit, wo die meisten Kinder noch ganz unfaͤhig sind, Gedaͤchtnißeindruͤcke zu behalten; er war nehmlich damals ungefaͤhr anderthalb Jahr alt. Wir wuͤnschen sehr, daß der Herr Verfasser fortfahren moͤge, zur Bereicherung der Seelenlehre mehrere Beobachtungen dem Publico mitzutheilen, da er, nach seiner Versicherung, schon lange angefangen hat, Materialien zu einer Experimentalseelenlehre zu sammeln.

11C. F. Pockels.

Die Fortsetzung folgt.

28

Zur Seelenkrankheitskunde.

Johann Herrmann Simmen, ein braver Soldat, ein zaͤrtlicher Vater, liebreicher Gatte, ehrbarer, ordentlicher, stiller Buͤrger und kaltbluͤtiger Moͤrder seiner Anverwandten.

12

Das Leben dieses sonderbaren Mannes, so wie sein letztes trauriges Ende, welches er sich durch ein schwarzes Verbrechen selbst zugezogen hatte, ist in einer kleinen, sehr lesenswuͤrdigen Schrift beschrieben*)*) Johann Herrmann Simmen. Ein Beitrag zur Physiognomik und Menschenkenntniß., woraus ich hier einen Auszug mit Anmerkungen liefern will, der in einem Magazin der Erfahrungsseelenlehre allerdings einen Platz verdient, um so viel mehr, da obige kleine, vor sieben Jahren erschienene Schrift lange nicht so bekannt geworden ist, als sie es zu seyn verdient.

Der angezeigten Schrift ist ein Kupferstich des genannten Simmen beigefuͤgt, woraus Lavater, dem es zugeschickt wurde, ohne daß man ihm eine29 naͤhere Nachricht von Simmen mittheilte, schloß: daß es sicherlich das Profil von einem außerordentlichen Mann sey, der groß seyn wuͤrde, wenn er etwas mehr eigentlichen denkenden Scharfsinn, und mehr innige Liebe haͤtte. Etc. Aus dem vor mir liegenden Kupferstich erhellet nach meinem Urtheil, daß Simmen kein gewoͤhnlicher, kein gemeiner Kopf war. Zwar nicht denkender Scharfsinn, aber ein zum ernsthaften Forschen und Untersuchen aufgelegter Verstand leuchtet daraus sehr deutlich hervor, eine feste Seele, ein kuͤhner Character, ein beharrlicher Sinn, ohne einen Zug von Grausamkeit. Vielmehr glaub 'ich in ihm einen nicht geringen Grad von Menschenliebe, von vaͤterlicher Herzlichkeit, obgleich auch einer beigemischten Rohheit der Natur zu bemerken. Steifer Ehrgeitz und Streben nach Vorzuͤgen zeichnet sich auch darin aus. Jm Ganzen ists das Gesicht eines rechtschaffenen Mannes.

» Der Ungluͤckliche, so hebt der Verfasser oben angezeigter kleinen Schrift an, war in seiner Kindheit ein fluͤchtiger Knabe, dem nichts weniger, als das Stillsitzen anstand, der in der Schule von den Grundwahrheiten des Christenthums, und dem Uebrigen, was zum Gebrauch des Lebens darin gelehrt wird, wenig begriffen, und kaum fertig lesen und seinen eigenen Nahmen schreiben gelernt hat. Dieß ist das Zeugniß, das ihm diejenigen geben,30 die sich noch von jenen Jahren her seiner zu erinnern wissen. «

Der Verfasser obiger Schrift zeigt sehr gut, daß diese Schilderung uns keine widrigen Vorstellungen von seiner natuͤrlichen Gemuͤthsart beibringen darf.

» Simmen zeigte fruͤhzeitig Lust zum Soldatenstande. Die Begleiter seiner Jugend erzaͤhlen, daß er woͤchentlich mit Holz nach der Residenz gefahren, wenn er aber solches verkauft, halbe Tage vor der Hauptwache daselbst gestanden, und den Soldaten zugesehen habe. Er ward denn auch in seinem 17ten Jahre Dragoner. «

Der Verfasser glaubt nicht, daß Simmen durch besondre Jugendfehler zu dem gedachten Stande gebracht worden sey. » Sein Verhalten in demselben macht es auch nicht wahrscheinlich, daß er aus Verlangen nach einer ungebundenen Lebensart zu seiner Wahl hingerissen sey, und die Erlaubniß zu dieser Freiheit beim Kriegshandwerk zu finden, irriger Weise geglaubt habe. «

» Er machte mit seinem Regimente im Dienste der Generalstaaten gleich anfangs den letzten Feldzug vor dem Aachner Frieden mit, kam aber bei dem Schluße des Krieges mit seinem Regimente wieder nach Hause. Er muß hernach als Soldat in Friedenszeiten Wohlverhalten, Ordnung und Unverdrossenheit bewiesen haben, da die aͤltesten31 Leute von seinem Regimente ihm nichts uͤbels nachzusagen wußten, und er den Beifall zweier seiner Befehlshaber hatte. Er bekam den 31sten Dec. 1758 von seinem Chef, einem erlauchten Herrn, einen ehrenvollen Abschied. «

» Der zweite Preußische Krieg rief ihn wieder ins Feld. Außer dem Fußvolk mußte sein Fuͤrst auch den groͤßten Theil des Dragonerregiments, unter dem Simmen stand, als ein Contingent zur Reichsarmee stoßen lassen. Simmen durfte mit marschiren; in einer altenburgischen Landstadt wird er aber von preußischen Husaren aufgehoben, durchs Erzgebuͤrge nach Sachsen gefuͤhrt, und nimmt unter dem beruͤhmten Belling Dienste. Beim Aufbruch aus den Winterquartiren in Chemnitz und Eroͤfnung des Feldzugs 1759 rief ihn sein vorgedachter Chef unvermuthet vor die Fronte, erklaͤrte ihn zum Unterofficier, und wuͤnschte ihm dazu Gluͤck, obgleich Simmen sich alle Muͤhe gab, die neue Charge zu verbitten. Bald darauf stieg er bis zum Wachtmeister, zum Beweis, daß er allen Muth, Entschlossenheit, Unerschrockenheit und Ordnungsliebe bewiesen haben muͤsse, die der Preußische Geist und die Preußische Zucht erfordern. «

» Jm Jahre 1760 mußte er mit seinem Regimente nach Pommern, wo er bis 1762 gegen die Schweden fochte. 1762 gerieth er durch einen Zufall im Erzgebuͤrge unter die Reichstruppen und32 wurde von ihnen aufgehoben, durch List aber kam er zur Preußischen Esquadron zuruͤck. Von Feldschlachten hatte er der bei Frankfurt an der Oder und bei Zorndorf, und außerdem sehr vielen Scharmuͤtzeln beigewohnt, bei welchen Gelegenheiten er denn unterschiedene Saͤbelhiebe bekommen. Er versicherte, daß ihm einigemal sein eigner Saͤbel vor der Faust weggehauen sey; Kugeln aber haͤtten ihm nichts gethan. Er bildete sich ein, fest dagegen gewesen zu seyn, und sagte mit Entdeckung eines wunderlichen Aberglaubens, der 91. Psalm habe ihn fest gemacht, den er allezeit ein - oder mehreremale vor dem Handgemenge gebetet habe. Dieses Geheimniß verdankte er einem Prediger zu Hirschberg, der vorher Feldprediger gewesen sey. «

» Nach seinen sechsjaͤhrigen Preußischen Kriegsdiensten bekam er von seinem Chef Erlaubniß, in sein Vaterland zu reisen. Der Kriegsdienst war die Schule, sagt der Herr Verfasser, in welcher dieser Mensch das sanfte, und den guten Anstrich seiner Sitten, auch die Geschicklichkeit, wohlzureden, gewann, und den ehrlichen, ehrbaren, feinen Mann so meisterhaft spielen lernte; daß er aber darin ein Mensch von guten, festen moralischen und Religionsgrundsaͤtzen, ein Mensch von einem eigenthuͤmlich guten moralischen Character geworden sey, das laͤßt sich nicht sagen. Genug, er lernte aus Bewegungsgruͤnden von Anstand oder Uebelstand, von Ehre oder Schande, von Belohnung33 oder Strafe, was gelobt wuͤrde, was ihm zur Empfehlung dienen koͤnnte, nachahmen. «

» Freilich haben alsdann diejenigen nicht Unrecht, die ihn fuͤr einen feinen Heuchler erklaͤren. Die Vorblicke von Ehrlichkeit, von Ehrliebe, von Guͤte des Herzens, die in seinem Betragen hervorstechen, koͤnnten wir fuͤr nichts anders halten, als was Cicero in einer bekannten Schilderung: adumbrata non expressa signa virtutum & vitia radicibus quibusdam virtutum nixa nennt. Jn dem Falle, daß strafbare Begierden und Affecten sich seines Herzens moͤchten bemeistert haben, ist freilich alsdann nicht anders zu erwarten, als daß er diese Geschicklichkeit, sich zu verstellen, und einen guten Schein anzunehmen, mit zum Dienst seiner boͤsen Begierden angewendet, und er alsdenn als ein arglistiger boͤser Heuchler gehandelt haben werde. «

» 1764 erhielt er, wie schon gesagt, Urlaub, und kam in dem nehmlichen Jahre gluͤcklich und mit Ehren an seinem Geburtsorte an. Er fand hier nach seiner Zuruͤckkunft allerlei Verstrickungen, die ihn zu dem Entschluß brachten, den er wohl bei seiner Abreise nicht gehabt hatte, seinen Dienst zu verlassen, und nicht wieder zu seinem Regimente zuruͤckzukehren; er suchte beim Obrist von Belling um seinen Abschied nach, der ihm aber seinen Gesuch zweimal abschlaͤgt. «

34

» Es kamen wohl bei ihm viele Bewegungsgruͤnde zusammen, die ihn vermochten in seinem Vaterlande zu bleiben. Er hatte Freunde, die ihn dazu beredeten, und durch mancherlei Vergnuͤgungen, die sie ihm machten, an sich zogen; vielleicht mischte sich auch die Liebe darein, nach welcher er sich kurz hernach zu seiner Heirath entschloß. Er kaufte sich also in seinem Geburtsorte an, ließ sich haͤuslich nieder, und trat zu einer Gesellschaft Viehhaͤndler, die ihn zu den auswaͤrtigen Geschaͤften ihres Handels gegen gute Vergeltung seiner Dienste gebrauchten. Jn der Folge aber gab die Verbindung mit seinen Handelsconsorten zu Jrrungen Anlaß, woraus Schuldklagen erwuchsen. Wegen einiger derselben will man Simmen beschuldigen, daß er Schuldposten, die er fuͤr die Gemeinschaft gehoben haͤtte, abgeschworen habe. Er hat aber in sehr ernstlichen Unterredungen behauptet, mit Wissen nie falsch geschworen und allezeit ein Entsetzen vor falschen Eiden gehabt zu haben, mit Anfuͤhrung des Denkspruchs des gemeinen Mannes: einen falschen Eid geschworen, heiße die Seele verloren. «

» Durch seine Verheirathung kam er mit dem, mit dessen Blute er sich befleckte, in eine doppelte Verschwaͤgerung. Denn Simmens Weib war George Schmidts leibliche Schwester; und dieser hatte Simmens Schwester zur Frau. «

35

» Simmens Ehe ward eintraͤchtig und gut gefuͤhrt, ohne daß ein Theil uͤber den andern Beschwerden geaͤußert haͤtte. Dem entgegen, was man von ihm vermuthen sollte, wird er von solchen, die sein Haus kennen, als ein gefaͤlliger, sich sehr bequemender Ehemann beschrieben, der haͤuslichen, auch gewoͤhnlicherweise nur weiblichen Verrichtungen sich oft unterzogen habe. «

» Gegen seine Kinder soll er sehr nachgebend gewesen seyn, ob es ihm gleich sehr am Herzen lag, daß sie etwas lernen sollten, daß er Geld auf ihren Privatunterricht außer der Schule wandte, ihnen zum lernen, so gut er konnte, behuͤlflich war, sie mehrmals selbst pruͤfte, und nach befundenem Zunehmen sich gegen ihre Lehrer sehr dankbar bewies. «

» Simmens neue Lebensart und Haushaltung an seinem Geburtsorte schien nun ganz gut eingerichtet zu seyn. Er hielt sich fein, sein Betragen war ordentlich, bescheiden und gesittet; auch selbst diejenigen, denen sein feines Betragen am verdaͤchtigsten war, koͤnnen ihm das Lob eines aͤußerlich ehrbaren, ordentlichen und stillen Mannes nicht versagen. Er erwarb sich dadurch Zutrauen und Ansehn, und weil sein guter Verstand, seine durch Erfahrung erworbene Kenntnisse, seine Bedaͤchtlichkeit und gute Art zu reden dazu kam, wurde auch die Vormundschaft seines Orts bewogen, ihn zu ihrem Mitgliede anzunehmen. Er soll in dieser36 Verbindung alle Obliegenheiten und Auftraͤge gut ausgerichtet haben. «

» Es kann ihm keine einzige Art oͤffentlicher, habitueller Ausschweifungen schuld gegeben werden. Er trank wohl eine Zeche mit, und konnte sie vertragen; aber er war kein Schlemmer von Profession, er wußte sich nicht nur vor Unordnungen in Acht zu nehmen, die beim Trunk vorzufallen pflegen, sondern hielt bei solchen Gelegenheiten immer selbst auf Ordnung, wehrte Haͤndeln, stiftete Frieden, und ich habe ruͤhmen gehoͤrt, daß wenn auch mehrere volle Tische mit einander in Zwist geriethen, er sie, wie der gemeine Mann sich ausdruͤckt, durch seine Redensarten zu befriedigen gewußt habe. «

» Eben so frei ist er von dem Verdacht geblieben, mit Personen andern Geschlechts ausgeschweift zu haben, seit der Zeit, da er den Saͤbel abgelegt und sich verheirathet hat. Er versicherte selbst, vor luͤderlichen Personen dieses Geschlechts allezeit einen Abscheu gehabt zu haben. «

» Verschiedne Jahre ging es gluͤcklich mit seinem Viehhandel, und seine Vermoͤgensumstaͤnde schienen auf einem guten Fuße zu seyn. Allmaͤlig aber wurde seine Familie zahlreicher. Er war schon ein Vater von drei Kindern, als die bekannten theuren Jahre einfielen. Diese traurige Zeit wurde eine Ursach von dem ersten Verfall seines Vermoͤgens und seiner Nahrung; er mußte zusetzen,37 und es war ihm nicht moͤglich, sich ganz wieder aufzuhelfen. Es entstanden zwischen ihm und seiner Handelsgesellschaft Zwistigkeiten, sie trennte sich von ihm, und er sollte nun fuͤr sich allein handeln; das konnte er aber nun mit seinem eigenen Vermoͤgen nicht gluͤcklich durchsetzen. Es ging nun nicht mehr so, wie er es wuͤnschte, er konnte sich nicht mehr auf dem Fuße halten, wie er angefangen hatte; zum Bauer wollte er sich nicht ganz herablassen. « *) *) Jn diesen Umstaͤnden, in diesem Herabsinken aus einer guten anstaͤndigen Lage in einen armseeligen Zustand, den Simmen nicht erwartet hatte, in den Erschuͤtterungen, den sein fruͤher Ehrgeitz dadurch leiden mußte, welcher bei gemeinen Leuten, die eine gewisse Feinheit und Cultur zu besitzen glauben, oft so erstaunliche Fortschritte macht, liegt wohl der erste Grund seines Lebensuͤberdrußes und seine nachher vollbrachte abscheuliche That, die sich auf diesen Ueberdruß zu gruͤnden schien. Wenn die menschliche Seele in einer solchen Lage nicht von Principien einer gesunden Moral unterstuͤtzt wird; wenn sie sich bloß ihrem unterdruͤckten Ehrgeitz uͤberlaͤßt, wenn eine gewisse freiere Denkungsart, ein heimliches, trotziges Wesen, was man wohl leicht als Soldat lernen kann, hinzukommt, so ergiebt sie sich leicht kuͤhnen Projecten, und wird bei aller angebornen Gutmuͤthigkeit, die aus dem Character Simmens unverkennbar hervorleuchtet, ein Opfer momentaner oft schrecklicher16 Leidenschaften, die man nach ihren natuͤrlichen Anlagen gar in ihr nicht vermuthen sollte. Simmen gehoͤrt offenbar zu den Menschen, die vortrefliche Anlagen des Kopfs und Herzens besitzen, meistentheils auch moralisch gut handeln; aber im Drange einer einzigen verschrobenen mißgeleiteten Passion momentane Boͤsewichter, und hinterher wieder gute Menschen werden koͤnnen.17P.

38

» Jn dieser druͤckenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigem Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen und ins Reine bringen wuͤrde. Er folgte hier unsichern Hofnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelten. Mich duͤnkt, daß ihn die Begierde, groͤßer zu scheinen, auch wohl groͤßer zu werden, als er war, und noch einmal wieder einen verhaͤltnismaͤßigen Character zu gewinnen, eben so sehr zu dem Schritte, den er hier that, verleitet haben moͤge, als der Drang haͤuslichen Mangels. Er entschloß sich, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Buͤrger und verkaufte sein Haus an seinem Geburtsorte an seinen Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, taͤuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie ab -39 zuwarten. Er verlor daruͤber, daß er sich fremden Angelegenheiten unterzog, vollends alle Vortheile seines bisherigen Handels und voriger Einrichtung, und durch mehrere Umstaͤnde, die dazu kamen, wurde dieses der Schritt zu seinem Fall und Verderben. «

Vorzuͤglich aber scheint mir in folgenden Umstaͤnden die eigentliche Vorbereitung zu seiner abscheulichen That gelegen zu haben. » Es entsponnen sich uͤber den Hauskauf allerlei Entzweiungen zwischen ihm und seinem Schwager, die bis zu einer toͤdtlichen Verbitterung anwuchsen. Dieser bezahlte von dem Hauskaufsgelde, womit sich Simmen zu helfen gedacht hatte, nicht nur ein darauf haftendes groͤßeres Capital, das mit Willen des letztern geschehen seyn soll, sondern auch andre kleine Posten wider seinen Willen. Simmen glaubte, daß derselbe dabei auch seine Glaͤubiger, die auf andre Art vortheilhafter fuͤr ihn haͤtten befriedigt werden koͤnnen und sollen, unredlicher Weise selbst aufgereitzt habe, so daß ihm hierdurch nicht nur das Kaufgeld zersplittert und seine Huͤlfe benommen, sondern auch die Bezahlung des Geldes zu seinem mehrern Ruin und dem Contract zuwider verzoͤgert sey. Aus dem Wortwechseln hieruͤber entstanden ferner auch wohl Thaͤtlichkeiten und Jnjurienklagen, wodurch der Groll des, besonders durch die letzte Art Klagen, mehrmals empfindlichst gereitzten Wachtmeisters immer staͤrker aufloderte. Hierzu40 kam noch, daß Schmidt seine Schwiegereltern, als Simmens Vater und Mutter, geschlagen, und seine erste Frau, als Simmens Schwester, und welche dieser sehr geliebt, sehr uͤbel gehalten habe, wenigstens hatSimmen dieses in seinem gerichtlichen Verhoͤr behauptet, und als eine Hauptursache seines fuͤrchterlichen Hasses angegeben. Weil aber endlich Schmidt sich auch immer in Absicht seiner aͤußern Lage besser, als der Wachtmeister, befand, so kann daher wohl einige Eifersucht in die Verbitterung des letztern sich mit eingemischt haben. Das konnte der Wachtmeister selbst nicht laͤugnen, daß er in dieser Gemuͤthsfassung seinem Schwager oͤffentlich und vielleicht mehrmals Rache gedrohet und geschworen habe. *)*) Der Verfasser dieser Erzaͤhlung macht hinterher die Bemerkung, daß Simmen, der sich allezeit vor einem falschen Eide entsetzt habe, durch einen falschen Gebrauch seines Schwurs wahrscheinlich noch mehr habe verleiten lassen, seine Mordthat zu begehen, eben weil er sie zugeschworen haͤtte. Allein ich glaube, Simmen war ein Mann von zu viel richtigem Verstande, und hatte nach allem, was man von ihm weiß, wenigstens theoretisch-moralische Begriffe genug, als daß er eine Handlung, daruͤber er in einer stuͤrmischen Gemuͤthsverfassung einen abscheulichen Eid ausgesprochen hatte, fuͤr rechtmaͤßig und fuͤr eine Entschuldigung seiner Affecten haͤtte halten koͤnnen.P. Die naͤchste Ursach des41 Ausbruchs seiner Wuth war unstreitig die, daß er von seinem Schwager einen Vorschuß zu erhalten versuchte, welcher ihm auch vom letztern versprochen wurde; nachmals aber sich von der Erfuͤllung dieses Versprechens wieder ablenken ließ. «

» Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Ungluͤcklichen eigenen Worten beschreiben. Kein Haus! keine Huͤlfe bei Freunden! keinen Trost! keinen Credit! da mir sonst jeder ein paar hundert Thaler zu borgen bereit war. Hierzu kamen nun noch der Drang von Glaͤubigern und zu fuͤrchtende Rechtshuͤlfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, dazu kein Mittel zu wissen, und wer weis, was noch mehr, das verborgener ist? Man denke sich hier den Mann, der gewohnt war, seine Rolle mit Ansehn, ja mit einigem Glanz zu spielen, dem es der Stolz unertraͤglich machte, sich so weit herunter zu lassen, als ihn nun seine Umstaͤnde herabzusetzen droheten, der weder die Gruͤnde der Vernunft, noch der Religion so gefaßt, oder im Herzen hatte, daß sie dasselbe haͤtten beruhigen, aufrichten und bei Muth erhalten koͤnnen! Wenn er gewohnt war, so wie ers wirklich war, bei dem allem im Resultat zu denken und an dem allen ist dein Schwager schuld; so muß man vor dem erzittern, was bei der Unbaͤndigkeit einer solchen Gemuͤthsart, wie die Simmische, von starken,42 schwermuͤthigen Affecten war, endlich zu fuͤrchten schien. «

» An einem ungluͤcklichen Sonntage durchbrach der Damm seiner Verzweiflung und Wuth. Simmen besuchte fruͤh den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt aufmerksam zugehoͤrt habe. Den Nachmittag ging er uͤber Feld, einiger Geschaͤfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche. «

» Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bei einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl noch selbst seinem boͤsen Vorhaben zu entgehn: denn es zog ihn wohl das innere Gefuͤhl noch zuruͤck. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die boͤse Seite, und wandte nicht Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beim Weggehen von seinem Besuch und bei seiner Wiederkunft zu Hause, daß er nicht recht wohl sey, und ging, zu seinem Verderben, auf das zweite Stockwerk, allein zu schlafen. Der Vorsatz, die Mordthat zu veruͤben, drang sich immer mehr in seiner Seele vor; er faßte den Entschluß, und machte Anstalten dazu, doch alles noch mit innerlichem Widerspruch und Widerstreben. Er gerieth daruͤber in einen Schlummer, fuhr aber aus demselben, wie er es bei der Abzeichnung seines43 Bildes erzaͤhlte, gegen eilf Uhr ploͤtzlich und voll von einer Wuth auf, die ihn so gedraͤngt, daß er sich nicht zu helfen gewußt haͤtte, und wie verduͤstert zur Ausfuͤhrung fortgegangen sey. «

» Anderthalb Stunden brauchte der Ungluͤckliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm hoͤchst bekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklaͤren steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affecten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehen gebracht habe. Sehr sonderbar ist folgendes Gestaͤndniß des ungluͤcklichen Mannes: Jch wuͤrde, sagte er, wenigstens diesmal, vielleicht aber auch aufs kuͤnftige, mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Waͤchter auf der Straße begegnet waͤre, oder ich bei der Einlassung in das Mordhaus einige Schwierigkeiten gefunden haͤtte. Aber selbst den Zufall, daß ihm nichts hinderlich gewesen sey, nahm der Ungluͤckliche als ein Kennzeichen an, daß sein Vorhaben ein Verhaͤngniß sey, ja noch damals, wie ich ihn dieses habe erzaͤhlen hoͤren, suchte er darin eine heimliche Entschuldigung seines Verbrechens, die mir bedenklich war. «

» Simmen taumelte aber nun dahin, wo er die Verbrechen begehen wollte, so schwankend, so44 verblendet, so verduͤstert, wie schon gedacht. Er fand noch Licht im Hause, und klopfte, wie er es erzaͤhlte, leise an. Seine Schwaͤgerin sahe heraus, fragte ihn, auf seinen Gruß und Bitte, eingelassen zu werden, wo er so spaͤt herkomme? glaubte seinem Vorwande, uͤber Feld herzukommen, ließ ihn ein, und fuͤhrte ihn in die Stube, wo er seinen spaͤt heimgekommenen Schwager im Bette, wie man sagt, etwas berauscht, aber noch nicht voͤllig eingeschlafen fand. Alles also so leicht, so bequem. Nun ward sein Entschluß fest. «

» Simmen ward von seiner Schwaͤgerin willig und freundlich aufgenommen, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß sie einen Erbitterten einlasse, der mit Huͤlfe der Nacht ihr Moͤrder werden koͤnnte; noch mehr, sie bietet ihm zu essen an, und nimmt ein Licht, um ihm noch um Mitternacht Sauerkraut aus dem Keller zu holen, davon er, wie sie wußte, ein Liebhaber war. Der unempfindliche Moͤrder legte bald darauf seine eben angebrannte Tabackspfeife wieder hin, schleicht ihr nach, nimmt ihr das geholte Sauerkraut ab, das sich nachher noch in der Stube fand, giebt ihr aber zugleich unversehens mit einem dazu mitgenommenen und unter dem Rock verborgenen Knittel noch in dem Keller, als sie eben im Begriff ist, wieder herauszugehen, auf der untersten Stufe einen schweren Schlag auf den Kopf. Sie behaͤlt noch so viel Bewußtseyn, daß sie ihm zuruft:45 warum er das an ihr thue? aber weder die Wuth, noch die einmal gewagten argen Vorschritte, ließen ihn zuruͤckgehn. Er giebt ihr noch einige Schlaͤge, und da sie noch immer wimmert, nimmt er sein gewoͤhnliches schlechtes Taschenmesser, und giebt, wie er es erzaͤhlte, um ihr von ihrer Qual zu helfen, ihr noch einige Stiche und Schnitte, das er selbst im Dunkeln, weil das Licht ausgegangen war, nicht haͤtte unterscheiden koͤnnen. Verlaͤßt darauf den Keller, ungewiß, ob sie ganz todt sey, sieht auch weiter nicht nach ihr, sondern legt nur, als er wieder aus dem Hause ging, den Keller zu. Bei der Section haben sich an ihr acht Wunden, theils vom Schlag, theils vom Messer gefunden, davon zwei fuͤr schlechterdings toͤdlich erkannt sind, ihr Blut aber war bis sechs Schuh weit von ihr gesprungen. Auch diese umzubringen, hatte er den Vorsatz spaͤter gefaßt, und daher nichts bedrohliches sich gegen sie fruͤher verlauten lassen. Zur Ursach hat er angegeben, weil sie ihn und seine Frau vielmals sehr arg und empfindlich geschimpft, diese auch sogar vor kurzem sehr geschlagen habe: auch der Antheil, den sie an der Verweigerung des Vorschusses hatte, den ihr Mann kurz vorher dem Erbitterten versprochen gehabt, gehoͤrt wohl mit zu diesen Ursachen. « *) *) Auch wohl die, daß er, ohne die Frau vorher auf die Seite zu schaffen, schwerlich seinen boͤsen Vorsatz an20 seinem Schwager ausuͤben konnte. Bei einem solchen Tumult der Leidenschaften ist es einer aufgebrachten und erbitterten Gemuͤthsart wohl einerlei, ob einer mehr oder weniger umgebracht wird. Man hat mehrere Beispiele, daß Moͤrder die unschuldigsten Kinder hinrichteten, damit sie von ihnen bei Ermordung andrer erwachsener Menschen nicht hinderlich seyn moͤchten. Freilich moͤgen die oben angegebenen Gruͤnde Simmen wohl mit verleitet haben, sich zugleich an der Frau zu raͤchen, obgleich der Grad seiner Erbitterung gegen sie nicht so stark, als gegen seinen Schwager seyn mochte, indem er selbst, waͤhrend der Ermordung der erstern, noch ein gewisses Mitleiden gegen sie an den Tag legte, da er sie nehmlich sobald als moͤglich von ihrer Qual zu befreien wuͤnschte.P. 21

46

» Nach Veruͤbung dieser Grausamkeit ging Simmen wieder in die Stube, fand seinen Schwager im Bette unterdessen eingeschlafen, und gab ihm zwei bis drei Schlaͤge auf den Kopf, so daß derselbe keinen Laut mehr von sich gegeben haben, sondern auf einmal ohne einige starke Bewegung erstarrt liegen geblieben seyn soll. Es war auch die halbe Hirnschaale entzwei und in das Gehirn selbst hineingedrungen, auch das rechte Ohr von einander geschlagen; doch gab er noch bis in den andern Tag hinein, obgleich sinnlos, einige Zeichen des Lebens von sich. «

47

» Nach Simmens Aussage geschahe es bei dem zweiten Schlage, der den Vater traf, und deswegen auch seine meiste Kraft verloren hatte, daß das Schmidtsche vierjaͤhrige Kind, welches beim Vater im Bette lag, und der Thaͤter vorher nicht bemerkt haben will, sich in die Hoͤhe richtete, und mit von eben dem Schlage auf den Kopf getroffen ward, welches er denn, bevor er aus dem Hause gegangen, noch mit Kissen zugedeckt haben will, das aber nachmals nach des Vaters Fuͤßen zu auf dem Gesichte liegend mit noch einigen Kennzeichen des Lebens gefunden ward. «

» Eine aͤltere Tochter des Erschlagenen schlief indessen auf einer andern Kammer, und hoͤrte von dem allen nichts. Simmen konnte deswegen nach veruͤbten Verbrechen unbemerkt aus dem Hause gehn; das that er aber erst, nachdem er vorher aus der Weste des sinnlos liegenden Mannes den Schluͤssel zu dessen Geldschraͤnkchen gezogen, und demselben das darin vorraͤthige Geld, nach seiner Aussage beinahe ein Dutzend Thaler, weiter aber nichts, genommen hatte. Er hat auch eingestanden, auf dieses Geld zugleich mit Absicht gehabt zu haben. Jch glaube es leicht, vermuthe aber, wiewohl er damals wegen Geldes von mehr als einer Seite im Drang war, daß der Gedanke an dieses Geld sich doch erst spaͤt an den aͤltern Gedanken auf Rache angeschlossen, und, weil er seinen Schwager als die Ursache seines Ruins ansahe, er sich fuͤr48 nicht unberechtiget gehalten habe, auch durch das Geld, so er bei ihm finden wuͤrde, sich schadlos zu halten und aus seinem Drange zu reißen. «

» Was ich jetzt anfuͤhren will, hat er zwar nur außergerichtlich geaͤußert; es wird aber durch die Zusammenbestimmung mit den uͤbrigen Umstaͤnden glaubhaft; daß nehmlich sein Vorsatz gewesen sey, im Ueberdruß seines Lebens, als ein doch ruinirter Mensch, nach veruͤbten Mordthaten, sich selbst abzuhelfen, und zwar, wie er sagte, zu ersaͤufen; wozu er doch hernach nicht kommen koͤnnen, wovon Gottes Hand ihn muͤßte zuruͤckgehalten haben; er sey vielmehr die ersten Stunden nach dem Mord ganz ruhig, ja vergnuͤgt gewesen, habe aber, als er nach und nach zum Nachdenken gekommen, den Willen gehabt, sich selbst der Gerechtigkeit zu uͤberliefern, wiewohl ihn wieder der Gedanke, daß doch wohl niemand auf ihn Verdacht haben, und er durch die Anzeige nur Frau und Kinder ungluͤcklich machen werde, von dieser eigenen Anzeige, so wie von der Flucht, so lange zuruͤckgehalten habe, bis er zur Haft gebracht sey; auch da habe ihn noch Anfangs der Gedanke blenden wollen: du kannst vielleicht mit Laͤugnen durchkommen; sobald ihm aber die Anzeigen seines Verbrechens unter die Augen gehalten worden, sey ihm der Gedanke aufgefallen: Gott hat dich entdeckt, du willst's gestehen. Nun uͤberlasse ich meinen Lesern, mit diesem von ihm selbst angegebenen Gange seiner Ge -49 danken, den fernern Gang seiner Geschichte zu vergleichen. «

» Ruhig also, ja vergnuͤgt uͤber seine Grausamkeiten, verließ der Moͤrder das Haus, in welchem er sich so vielfach mit Blute befleckt hatte, wusch Knittel und Messer im Schnee ab, wiewohl er hernach das letzte aus Abscheu nicht wieder brauchen moͤgen, machte sich auf den Weg und kam unbemerkt in seine Wohnung zuruͤck. Am naͤchsten Morgen ging er auf einige Doͤrfer, wohin er sonst seinen Viehhandel gehabt, und wo er noch einige Reste einzufordern hatte; und bis gegen Mittag, versichert er, sey er noch in diesem Rausch seiner Seele gutes Muths gewesen; alsdann aber sey er unruhig geworden, und habe von selbst angefangen, nachzudenken, was er veruͤbt habe. Damals moͤgen denn auch wohl die Versuchungen bei ihm wieder erwacht seyn, sich selbst das Leben zu nehmen, wozu er aber, nach seinen Privateroͤffnungen, nicht habe gelangen koͤnnen. «

» Unterdessen war am Orte der Entleibten am Morgen nach der That es einem Nachbar befremdend vorgekommen, noch um sieben Uhr die Fenster des Schmidtschen Hauses geschlossen zu sehen. Er gehet also hinzu, findet das Haus unverschlossen, und beim Eintritt in dasselbe die mittlere, etwas bloͤdsinnige Tochter, die deswegen der Moͤrder auch zu verschonen willens gewesen seyn will, eben aufgestanden, noch erst halb angekleidet, und50 noch unwissend, was geschehen sey. Er geht darauf in die Stube, findet den Mann im Blute, sinnlos und bei ihm die juͤngste Tochter in der schon gedachten Lage, ruft darauf voll Bestuͤrzung des erschlagenen Bruders, und beide zeigen es gehoͤrigen Ortes an. «

» Ungesaͤumt wird der Amtsobrigkeit Bericht erstattet, die schleunig Arzt und Wundarzt mitbringt, deren Huͤlfsversuche aber nichts hoffen ließen. Jndessen war die Frau, auf welche anfaͤnglich der Verdacht des Mords, auch bis zur genaueren Untersuchung, des Selbstmords, geworfen worden war, im Keller gefunden. «

» Simmen war nun ebenfalls wieder nach Hause gekommen. Seine Frau hatte ihn durch einen Boten die Nachricht von der Ermordung ihres Bruders und Schwaͤgerin wissen lassen, und mit demselben war er den Tag nach der That, fruͤh, uͤber die Residenz wieder zuruͤck gegangen, wo auch schon einiger Ruf von diesen Mordthaten erschollen war. Jn derselben haͤtte sich Simmen an einigen Orten, wo er einsprach, und viel von dieser ungluͤcklichen Begebenheit geredet wurde, beinahe, und zwar an dem Einen durch seine Aengstlichkeit und Zittern, die ihm nicht einmal ein angebotenes Glas Brandwein auszutrinken, oder einen Anbiß zu nehmen verstattete, verrathen, auch sich dadurch blos gegeben, daß er sich, in dem Gespraͤch, von51 freien Stuͤcken verlauten ließ: Der erschlagene Schmidt habe nicht viel Geld bei sich gehabt. Am andern Orte, wo die aͤlteste Schmidtische Tochter Amme war, die er aber wider seinen Willen nicht zu sprechen bekam, weinte er, und hielt sich nicht lange auf; an dem dritten aber verbarg er die Unruhe seines Gewissens durch eine angenommene Freimuͤthigkeit groͤßtentheils, so, daß er daselbst einige Tassen Caffee mittrank, eine kleine Schuldpost bezahlte, und wieder etwas Waare gegen Bezahlung mitnahm; es entfuhr ihm blos ein tiefer Seufzer, mit den Worten: Er wuͤrde doch wohl auch durch dieses Ungluͤck zu thun bekommen! Er besann sich aber hierbei wieder, und half sich durch; man frug ihn, wie er denn das meinte? und er war mit der Antwort fertig: daß er doch wohl Vormund der Schmidtischen Kinder werden muͤßte. Jndessen verrieth sich seine Unruhe und Angst durch ein verstoͤrtes Wesen der Magd im Hause so, daß sie auch, als Simmen weg war, ihren Verdacht nicht bergen konnte, und sich deswegen mit ihrem Herrn uͤberwarf. Es ist kaum zu glauben, daß ein Mensch so sehr seine Empfindungen unterdruͤcken, oder so geschwind und in der Maße, eine Person annehmen, und wieder eine Rolle spielen kann, die demjenigen so zuwider ist, was in seinem Herzen vorgeht; aber er that entweder das erste oder bewies das letzte, doch stuffenweise, an dem zweiten Orte noch nicht so mei -52 sterlich, als an dem dritten Orte, wiewohl doch auch da noch nicht ganz vollkommen. Noch unglaublicher waͤre es aber, wenn man nicht mehr dergleichen Exempel von Verbrechern haͤtte, daß er gleich nach seiner Zuruͤckkunft das harte Herz gehabt, in das von dem Blute, das er vergossen hatte, noch beschwemmte Haus hinzugehen, und, zu der Zeit der Section der Erschlagenen, wo alles in groͤßter Betruͤbniß war, vor den Augen der durch ihn verwaisten Kinder zu stehen. «

» Jndessen verfolgte ihn die Rache geschwinder als er, der zur Flucht Gelegenheit und Zeit genug hatte, und schon in fremder Herrschaft war, wirklich aber nicht darauf gedacht zu haben scheint, sich es wohl einbildete. Die aͤlteste Schmidtische Tochter, deren wir schon gedacht haben, erklaͤrte, sobald sie von der Ermordung ihrer Eltern hoͤrte, den Wachtmeister Simmen laut und oͤffentlich fuͤr den Thaͤter, behauptete es auch, als sie gerichtlich deswegen vernommen ward, und gruͤndete sich auf die vieljaͤhrige Feindseeligkeit desselben gegen ihren Vater, auf die letzte Verweigerung des von ihm bei ihrem Vater gesuchten Geldvorschusses, und vornehmlich auf die vielfaͤltigen Drohungen, deren Simmen sich habe verlauten lassen, ihren Vater aus Rache umzubringen. Dieses gab den Anlaß zu weiterer Untersuchung der Sache, und zuvoͤrderst zur Jnhaftirung des Wachtmeisters. Un -53 versehens wurde er auf oͤffentlichem Markte, wo er Frucht handelte, eingezogen, wobei sogleich die Veraͤndrung der Farbe und starkes Zittern sein boͤses Gewissen den Zuschauern merklich verrathen haben soll. Zugleich wurde aber auch zu einer Haussuchung bei dem Arretirten geschritten. Bei derselben fand sich ein blutiges Oberhemd, an dem die Flecken nur halb ausgewaschen waren, so wie auch Beinkleider, an denen Blutflecken zu bemerken waren; ein Beweis, daß den Moͤrder damals seine Geistesgegenwart und sein Scharfsinn groͤßtentheils verlassen gehabt, da er nicht bedachte, daß ihn diese Anzeigen noch immer verrathen koͤnnten. «

» Jm ersten Verhoͤr schien es anfangs, er werde sich aufs Laͤugnen und auf seine Verstellungskunst verlassen. Bewegliche und uͤberfuͤhrende Vorstellungen wollten lang nichts bei ihm verfangen, bis ihm, mit einem Feuer und ernstlichen Anrede, von seinem, sich hier vortreflich zeigenden Richter, das blutige Hemd unter die Augen gehalten wurde. Dieses machte ihn bestuͤrzt, und, nun außer Fassung, gab er gute Worte, ergriff die Hand des Richters, versprach alles zu gestehen, und that es auch wirklich, unterwarf sich der Strafe, und bat nur um Beschleinigung seines Processes. «

» Wo war nun der Mann, der noch vor drei Tagen so geschwind uͤber die Schrecken seines Herzens Herr werden, und mit eben so viel Selbstbe54 zwingung, als Kunst, den Unschuldigen, den Unerschrockenen sogleich wieder vorstellen konnte? Aber hier erfuhr er auch wohl zum erstenmal die Kraft des Gewissens recht; bisher hatte es ihn beunruhigt, erschreckt, zitternd gemacht; aber zum freien Gestaͤndniß haͤtte es ihn, ohne diese Ueberraschung, vielleicht niemals, oder etwa erst an der Schwelle des Todes gebracht. Wenn er dem Gerichte bekannte, er sey entschlossen gewesen, ihm freiwillig sein Verbrechen zu bekennen, so betrog er sich wohl selbst dabei; er hielt Trieb und Drang seines Herzens, zu bekennen, fuͤr Entschluß; aber von demselben wuͤrde er sich wohl noch lange losgewunden haben, wenn er nicht so uͤberrascht worden waͤre, nicht so schnelle Eindruͤcke von der ihn verfolgenden goͤttlichen Gerechtigkeit bekommen haͤtte; und Peinlichkeiten selbst, wenn auch die vorliegenden Anzeigen fuͤr stark genug darzu geachtet worden waͤren, duͤrften ihn hernach schwerlich zum Bekenntniß gebracht haben, wenn er vermoͤgend gewesen waͤre, sich auch hier noch zu verhaͤrten. Er erkannte das auch selbst nachher, und seine Entdeckung fuͤr goͤttliche Wohlthat; ich wuͤrde sonst noch viel verstockter und viel verwegener geworden seyn, war sein Ausdruck davon gegen seinen Beichtvater, dem ich die Nachrichten von seinen letzten Wochen und Todesbereitung, so wie mehr andre, verdanke, die mir sonst unbekannt geblieben seyn wuͤrden. «

55

» Nach dem Gestaͤndniß, und waͤhrend der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog. Ueberhaupt war es demjenigen aͤhnlich, davon ich in der Nachricht von seiner Abzeichnung gedachte, und das ich damals einige Stunden zu beobachten Gelegenheit hatte. Jch weiß, daß die Meinungen daruͤber sich oft sehr getrennt haben. Da er fortfuhr, mit seiner Bescheidenheit und Hoͤflichkeit die groͤßte Gelassenheit zu verbinden; so hielten einige ihn fuͤr fuͤhllos und verhaͤrtet, andre fuͤr standhaft und unerschrocken; sein Blick hatte aber dabei nichts wildes, seine Reden nichts ungestuͤmes oder verwirrtes. Er bezeigte nie ein Mißfallen, wenn andere kamen, ihn zu sehen, und wenn es solche waren, die er kannte, oft ein Wohlgefallen und Erkenntlichkeit. Er behielt eine gewisse Freimuͤthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Laͤcheln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichsinn und Frechheit schien. Was ihm von unziemlichen Betragen in der Haft nachgesagt wird, sind sicherlich Mißdeutungen falsch erhorchter Worte, oder muthwillige Erdichtung. Er blieb sich insgemein gleich, mogte wohl essen und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so, daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einsmals einer sagte, der Wachtmeister muͤsse ein sehr gut Gewis -56 sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes fuͤhren moͤchte, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten. Fuͤr Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn uͤbrigens zeigten seine Reden und Erzaͤhlungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt haͤtte scheinen koͤnnen. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung taͤuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzaͤhlung weich machen und Thraͤnen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjaͤhrige Schmidtische Kind; fuͤr die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, fuͤr sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey. «

57

» Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich fuͤr gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es fuͤr anstaͤndiger gehalten, oͤffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausfuͤhrung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung boͤser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getaͤuscht und eingeschlaͤfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und aͤußerte sich sogar, als er auf das Gute gefuͤhrt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefaͤngniß und Ketten, noch wiederfahre, habe er doch auch nichts so boͤses gethan! Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religioͤse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn moͤge, ist nicht unwahrscheinlich. «

» Nach und nach erkannte er aber die Unmoralitaͤt seines Verbrechens, und fuͤhlte sich uͤberzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben muͤsse; daß er die Sorgfalt und Mittel58 seinen grausamen Leidenschaften zu widerstehen, die doch in seinen Kraͤften gewesen, nicht angewandt, daß ihm sein Gewissen Warnung genug gegeben habe, die er nicht geachtet, die er unterdruͤckt haͤtte. Er hat auch freimuͤthig bezeugt, sein Verbrechen waͤre ihm so erschrecklich vorgekommen, daß er zur Verzweiflung an Gottes Gnade gebracht werden wollen; er habe sich aber an die Verheissungen des goͤttlichen Worts und die evangelischen Trostgruͤnde festgehalten, eifrigst gebetet, und dadurch zu der Barmherzigkeit und Gnade Gottes, durch Christum, wieder ein Vertrauen gewonnen. «

» Er gab Beweise einer innigen Reue, nicht nur uͤber seine letzten Missethaten, sondern auch uͤber alles Gott mißfaͤllige, das er nun in seinem Wesen und Thun gewahr werde. Jch muͤßte mir, sagte er, selbst feind seyn, wenn ich diese Zeit, die ich noch habe, nicht rechtschaffen anwendete, meiner Begnadigung von Gott und guter Hoffnung in und nach dem Tode mich zu versichern, und die That bewies es. «

» Der Ausdruck, den er auf die Befragung, wie er sich finde? mehrmals in der letzten Zeit brauchte: traurig und freudig, und in den letzten Tagen: mehr froͤhlich als traurig, war so natuͤrlich, daß man ihn fuͤr die Sprache des Herzens halten mußte, und begriff wohl nichts weniger, als was man von Reue und Glauben in der christ -59 lichen Bekehrung verlangt. Keine Betrachtungen ruͤhrten ihn so sehr, als die Betrachtungen der allzeit erfahrnen goͤttlichen Guͤte, und der Leidensgeschichte, besonders auch der letzten Worte, seines Erloͤsers; sein liebstes Lied, womit er sich auch aus seiner Haft heraus zu seiner Hinrichtung fuͤhren ließ, war das Libichische: » Jch werfe mich in deine Haͤnde etc. «

» Es brach aber seine Reue nicht in heftige Ausbruͤche des innern Schmerzes, in Wehklagen und in Winseln aus, sondern zeigte sich in einer etwas tiefsinnigeren Niedergeschlagenheit, in einer stillen Wehmuth, und mit unter durch das Herabfallen einiger Thraͤnen. Jch glaube auch, daß es zu viel gefordert sey, von allen Gemuͤthsarten jene heftigern Ausdruͤcke zu verlangen, ob es mich gleich nicht befremdet, daß auch zum Theil denen, die an seiner letzten Bereitung arbeiteten, dieses Betragen eine Zeitlang zweideutig, und Simmens Gemuͤthszustand raͤthselhaft oder verdaͤchtig vorkam. Es laͤßt sich nichts anders vermuthen, als daß er sich bei ungleicher Behandlung etwas ungleich gewesen seyn, daß sein Herz sich bei einem rauhen Ton verschlossen, bei der Stimme des Mittleids und Wohlwollens aber geoͤffnet haben muͤsse; denn so ganz und so geschwind konnte er wohl alle Empfindlichkeit seines Characters nicht ablegen; oder so lange er noch zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, immer ganz derselbe seyn. «

60

» Er hat allen, die zu ihm kamen, ihn auf christliche Betrachtungen zu fuͤhren, nicht nur Bescheidenheit, Aufmerksamkeit und Geduld, sondern auch Ehrerbietung, auch Dankbarkeit bewiesen, und sich mehrmals ihren ferneren Zuspruch ausgebeten; insgemein las er auch, was er von dem wieder nachlesen konnte, was vorgekommen war, z. E. Gesaͤnge, mit eigener Ueberlegung, wieder nach. Sein Beichtvater versicherte mich, daß er mehr Erkenntniß der christlichen Religion, und mehr Bekanntschaft mit unsern christlichen Andachtsbuͤchern, bei ihm gefunden habe, als er ihm zugetraut haͤtte: er hat aber auch, nachdem er ein Landmann geworden war, die oͤffentlichen Andachten ordentlich abgewartet, und vielleicht, als Vater, manches wieder durch seine Kinder gelernt. So werde ich auch absonderlich versichert, daß er sich geaͤußert: er habe Gott niemals vergessen, und niemals gaͤnzlich das Gebet verabsaͤumet, aber freilich wohl meistens ohne Ueberlegung und Andacht gebetet, er fuͤhle es nun wohl, daß sein Herz von der rechten Liebe Gottes leer, und er besonders zu stolz gewesen sey, bei der Verschlimmerung seiner Umstaͤnde, Gottes Regierung zu erkennen, und sich unter dessen Hand zu demuͤthigen; daß er sich uͤberhaupt mehr nach Menschen, als nach Gott bequemt und geschmiegt habe, daß es ihn jetzt besonders kraͤnke, seinem Schwager zu einer Zeit das Leben genommen zu haben, da er Ursach haͤtte, seiner guten Bereitschaft wegen61 besorgt zu seyn, daß es ihm nahe gehe, so vielen Menschen Leiden, Unkosten, Beschwerden und Versaͤumniß verursacht zu haben. Dieses alles sind doch wohl unmoͤglich Aeußerungen eines Gedankenlosen, Gefuͤhllosen oder Heuchlers? Er hat vielmals mit allen aͤußerlichen Beweisen der Aufrichtigkeit, die man verlangen kann, jene Reue, deren ich schon gedacht habe, bezeugt und lebhaft zu erkennen gegeben, wie sehr er nun fuͤhle, sich an Gott selbst durch beide Verbrechen, den Mord und Diebstahl, vergriffen, und die Strafen des weltlichen Richters verdient zu haben, wie willig er sich auch denselben unterwerfe, und seinem Tode gelassen entgegensehe; doch hat er auch in der feierlichsten Stunde versichert, er habe keine andere Verbrechen der Art, wie seine letzten waren, sich vorzuwerfen. So weit Menschen urtheilen koͤnnen, koͤnnte man nicht zweifeln, daß seine Bekehrung aufrichtig sey. Denn er bezeigte bei seinen evangelischen Hoffnungen ebenfalls von der goͤttlichen Allwissenheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit eindrucksvolle Ueberzeugungen zu haben; er betheuerte ein Leben nach dem Tode und kuͤnftiges Gericht ungezweifelt zu erwarten, aber doch einen gnaͤdigen Richter und einen unverdienten Antheil an der Gluͤckseeligkeit jenes Lebens sich zu versprechen. Er versicherte mit einem Herzen zu sterben, das allen aufrichtig vergebe, die ihm Unbilligkeiten bewiesen haͤtten; aber auch alle wehmuͤthigst um Verzeihung bitte, die er62 auf irgend eine Weise beleidiget oder gekraͤnket haͤtte, und ersuchte seinen Beichtvater, alle und jede zusammen, Stadt und Land, die er durch sein Verbrechen gedruͤckt, beschwert, betruͤbt und geaͤrgert habe, in seinem Namen um Vergebung zu bitten. «

» Sein Vater, ein zweiundachtzigjaͤhriger Greis, wurde vermocht, den Sohn noch einmal zu besuchen, der von ihm Vergebung alles dessen, worin er etwa seine kindliche Pflicht aus den Augen gesetzt haben moͤchte, auch der letzten Kraͤnkung durch sein Verbrechen, wehmuͤthig suchte, und sie unter guten Ermahnungen und Wuͤnschen vollkommen erhielt, auch dagegen den kummervollen Greis bat, seines Endes wegen sich zu beruhigen: da er versichert sey, daß er Vergebung und Gnade von Gott habe, und ihn bat, seiner Kinder sich noch ferner anzunehmen, das der Greis auch willigst zusagte, und der Sohn ihm hingegen versprach, daß er auch seinen Kindern, dessen Enkeln, beim Abschied von ihm anbefehlen wollte, ihm in allen gehorsam und beistaͤndig zu seyn. Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kraͤfte wuͤnschte, dem besten Fuͤrsten sich zu Fuͤßen zu werfen, und ihm fuͤr die seinem Sohn erwiesene unverdiente Gnade des gemilderten Todesurtheils danken zu koͤnnen. «

» Zween Tage vor seinem Ende nahm der Ungluͤckliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von63 seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zaͤrtlicher und ruͤhrender seyn konnte. Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemals etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein juͤngstes Kind nahm er auf den Schoos, und druͤckte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesenden mit ihm weinen mußten. Diese ruͤhrende Scene bestaͤtigte feierlichst alles gute, was ich von seiner Ehe geschrieben habe. Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund. Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu vaͤterlichen Vermahnungen unvermoͤgend gewesen waͤre, durch eine Tochter aber, die unterdessen wieder bei ihm gewesen, es nachzuholen gesucht habe. Er hat auch an demselben Abend, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, einen Knaben, seinen Paten, der Abschied zu nehmen kam, beweglich ermahnet, Gott vor Augen zu haben und sich fuͤr Suͤnden zu huͤten. Aus Vorsorge fuͤr die Seinigen, denen etwa Mildthaͤtigkeit dadurch erweckt werden koͤnnte, verlangte er bei seiner Ausfuͤhrung von seinem juͤngsten Sohne begleitet zu werden, weil er aber selbst empfand, daß ihn der Anblick leichtlich stoͤren und zu weich machen koͤnnte, stand er davon ab; seinem Begehren aber geschahe doch, auf eine ihm unmerkliche Art, Gnuͤge. «

64

» Auch diejenigen, mit denen er in Streit gewesen war, kamen von ihm Abschied zu nehmen, und freuten sich nachher innigst, sich mit ihm ausgesoͤhnt und ihn in der guten Gemuͤthsfassung gefunden zu haben, bewiesen auch, daß es ihnen anliege, in den Stuͤcken, die sie selbst angingen, den nachtheiligen Vermuthungen und Urtheilen von Simmen zu steuren. Bei einem solchen Besuch entfuhren ihm ein paar Worte, die ein Vorwurf zu seyn und einen noch festsitzenden Groll zu entdecken schienen. Er bat aber selbst den andern Morgen um Verzeihung dieses Ausdrucks, und bezeugte, daß damals noch eben, denn es war gleich nach dem Abschied von dem Seinigen, sein Herz zu voll von Empfindung, dennoch aber nicht voll Grolls, auch seine Worte nicht so gemeint seyen, als sie haͤtten erklaͤrt werden koͤnnen. «

» Bei der ersten Bekanntmachung seines schaͤrfsten Urtheils veraͤnderte er sich wenig, bei dessen Bestaͤtigung aber gerieth er etwas mehr in Bewegung, und bat mit einigen Thraͤnen, doch bescheiden und gefast, um die ihm auch verstattete Erlaubniß, um Milderung seiner Todesart nochmals nachzusuchen. Nach der Ruͤckkunft in seine Haft fiel er, wehmuͤthiger als sonst, auf seine Knie, und sagte, als ihm zugesprochen ward: Es sey doch ganz etwas anders So zu sterben; ein So, das sein Gefuͤhl von allem entdeckte, was die Ursach und die Art seines Todes beugendes fuͤr ihn haben65 mußten. Das Schimpfliche der letzten machte ein großes davon aus, und vielleicht war es ihm gewissermaßen schwerer, als das Sterben selbst; es kraͤnkte ihn besonders die Schande dabei, die er auf die Seinigen zu laden fuͤrchtete. Wenn auch in einem Gesang das Sterbbette vorkam, so ward immer seine Bewegung merklich, und bei den Worten: der Leib habe in der Erde seine Ruh, entfuhr ihm die Wehklage: und der meinige nicht! Doch auch diesen Schauder hatte er uͤberwunden, als er den traurigsten Anblick in den Augen hatte, und doch noch zu den Zuschauern seines Todes reden konnte. «

» Bei der Bekanntmachung der ihm angediehenen Milderung brachen seine Dankbarkeit und Freude in Minen, Worten und Gebehrden auf das lebhafteste aus; er bezeugte, daß er so viel Gnade nicht gehoft haͤtte, und nun gerne sterben wolle. «

» Die Bekanntmachung des Todestages selbst hat er mit dem gesetztesten Wesen und einer Art von Zufriedenheit angenommen, auch dabei nochmals mit Thraͤnen fuͤr die gnaͤdigste Milderung gedanket. «

» Waͤhrend der Zeit, da er nun ein verurtheiltes Opfer der Gerechtigkeit war, blieb seine Bereitung dazu sein ganzes Geschaͤfte; wie er aber auch in dieser Zeit in haͤrtern Banden gehalten wurde, so behielt er ebenfalls die groͤßte Gelassenheit und66 Geduld, auch seine laͤchelnde Mine, und in der Wehmuth selbst eine große Heiterkeit, alles zeigte vom Schuldgefuͤhl und Demuͤthigung, aber auch von Vertrauen und Muth. Er verfehlte nicht, denen, die ihm Liebe erwiesen hatten, seine Dankbarkeit, und zwar mit merklicher Empfindung der Staͤrke ihres Wohlmeinens und der Groͤße ihrer Verdienste um ihn, zu bezeigen. «

» Wenige Tage vor seinem Ende ward er an der Gerichtsstelle vernommen, bat sehr geruͤhrt um Verzeihung, dankte wiederum fuͤr die gnaͤdigste Milderung seiner Todesart und alle ihm bei seinem Proceß erzeigte Wohlthaten, bat wieder wehmuͤthig fuͤr die Seinigen, blieb aber uͤbrigens aufs genaueste bei seinem Bekenntniß, versprach, es auch im Halsgerichte zu thun. Und das that er mit einer Schaam und Standhaftigkeit, die jedermanns Mitleiden erweckte. Er erfuͤllte bei seinem langen beschwerlichen Todesgang, was er mit Gottes Huͤlfe von demselben versprochen hatte, ging ihn getrost, aber nicht frech. Er ließ sich weder durch die viele Tausende, deren Augen auf ihn gerichtet waren, noch auf dem Richtplatz durch die erblickten Anstalten zu seinem Tode und zu seiner Schande stoͤren, blieb unverruͤckt in seiner Andacht, behielt auf dem ganzen sauren Wege, ungeachtet er keine freien Haͤnde hatte, das Gesangbuch in der Hand, sang mit, hoͤrte auf alle Erklaͤrungen und auf jeden Zuspruch aufmerksam, und gab durch67 kurze Worte oder durch Minen die Anwendung, die er davon auf sich machte, und die Empfindung seines Herzens dabei, zu erkennen. «

» Auf dem Richtplatze selbst blieb er sich vollkommen gleich, ungeachtet der Anblick den Zuschauern selbst schauderhaft war, bedankte sich bei seinem ihm aufstoßenden Defensor, und denen, die ihn auf seinem Todesgang mit ihrem Zuspruch begleitet hatten, insgesammt einzeln und mit vieler Ruͤhrung, bezeigte, daß er geneigt, von den Zuschauern Abschied zu nehmen, nahm ihn auch mit gesetztem Wesen und fester Stimme, zwar kurz, aber so, daß nichts, was zweckmaͤßig, vergessen war: Bekenntniß, Abbitte, Vermahnungen, Fuͤrbitte fuͤr die Seinigen und Wuͤnsche zu Gott fuͤr aller Wohlfahrt, war ihr Jnhalt. «

» Er kniete nochmals nieder, bezeugte die Beharrlichkeit seiner Reue und Glaubens, und ließ sich mit heiterer Mine einsegnen, betete innbruͤnstig, sorgte noch beim Auskleiden fuͤr seine Kinder, half dabei denen, unter deren Hand er sterben sollte, ließ sich von ihnen zurecht weisen, und mitten im Gebet floß sein Blut und buͤßte seine Verbrechen. Er starb also, zwar den Tod eines Missethaͤters, und der andern eine Warnung bleiben sollte, aber er starb ihn getrost und muthig, weil er noch gelernet hatte, ihn mit christlichen Vertrauen zu Gott und Hoffnung eines bessern Lebens zu sterben; er starb68 mit groͤßerem Muth, als er vielleicht außerdem auf dem Bette der Ehre wuͤrde gestorben seyn. «

Sein Tod muͤsse jeden mit ihm aussoͤhnen, und sein letztes Wohlverhalten seine Verbrechen bedecken!

Dieser Simmen scheint mir ein eben so merkwuͤrdiger und zwar gewissermaßen noch merkwuͤrdigerer Mensch zu seyn, als der bekannte Ruͤdgerodt, uͤber dessen Silhouette Lavater ein so falsches Urtheil gefaͤllt hatte, und uͤber dessen Character er hernach eine der fuͤrchterlichsten Declamationen in seinen Fragmenten drucken ließ.

Sobald man ihm den Umriß von jenem Boͤsewicht Ruͤdgerodt geschickt hatte, bebte er vor einer Gestalt zuruͤck, die nur fuͤr den entsetzlichsten Unmenschen schlimm genug ist. Den entsetzlichsten Unmenschen! faͤhrt Lavater fort. Ja! seys der einzige in seiner Art: Ein lebendiger Satan! Ein unaufhoͤrlicher Moͤrder! Stiller in sich grabender Bosheit voll! Ein Hurer ohne Maaße; ein Dieb ohne alle Nothdurft; ein Maͤdchenmoͤrder; ein Frauenmoͤrder; Muttermoͤrder; ein Geitzhals, wie kein Moralist sich einen dachte, kein Schauspieler vorstellte, kein Poet dichtete, der in den letzten Lebenstagen nur Wasser, keinen Wein, trank aus Geitz ... Er weidete sich an dem Schat -69 ten der Nacht; schuf sich durchs Verschließen seiner Fensterladen den Mittag in Mitternacht um; verriegelte sein Haus; sein Haus, ein Abgrund von Diebstahl und Mord, Mordgewehr, Diebswerkzeugen. Lichtscheu, Menschenscheu, allein in sich vermauert, grub er in die Erde, in tiefe Kellermauern, in Dielen und Felder seine erstohlnen und erworbenen Schaͤtze; beschauete und zaͤhlte sie in einsamen Mitternaͤchten, wo ihn der Schlaf floh, das Gewissen die letzten Warnungen vergeblich noch versuchte. Mit dem Blicke der Unschuld bespritzt, tanzte er lachend am Hochzeittage der Frau, die er hernach am Grabe, da sie sich selbst, auf sein Geheiß, in seiner Gegenwart, unwissend bereitete, todtschlug. Er blieb gelassen bei den schrecklichsten Erwartungen und laͤchelte uͤber die Bosheiten, um derer Willen er sein verruchtes Leben auf dem Rade endigen mußte u.s.w.

Ruͤdgerodt war durch eine hoͤchstfehlerhafte Erziehung, durch ein natuͤrlich feindseliges Gemuͤth, durch eine Fuͤhllosigkeit gegen alle moralische Principien schon fruͤh ein Boͤsewicht geworden er verrichtete seine erschrecklichen Handlungen aus einer Art von Jnstinkt; sie waren ihm zur andern Natur geworden, seine Seele hatte einmal keine andre Richtung mehr, als die zum Laster. Allein ganz anders war der Fall bei Simmen. Dieser Mensch, an dessen vortreflichen, ehrlichen, großen und denkenden Gesicht die weissagende Phy -70 siognomik einen gewaltigen Schiffbruch leiden mußte, hatte von fruͤhern Jahren an selbst in einem Stande, wo so leicht Ausschweifungen vorfallen, als Soldat, ein ehrbares, wenigstens nicht aͤußerlich schlechtes, Leben gefuͤhrt. Er hatte sich als ein ehrlicher Buͤrger zu naͤhren gesucht, er hatte seinen Kindern eine gute moralische Erziehung geben lassen, er war der gefaͤlligste Vater und Gatte gewesen, man konnte ihn keiner mit Wissen und Willen begangenen boshaften Handlung beschuldigen. Ein einziger Umstand erweckt in seiner sonst stillen Seele den schwarzen Keim zu einer schwarzen That. Das, was wir fuͤr eine Kleinigkeit halten wuͤrden, was aber dem ehrgeitzigen, lebenssatten Simmen wie ein Gebirge vorkam, uͤber welches er nicht hinwegzusteigen vermochte.

Sein Schwager befindet sich in bessern aͤußern Umstaͤnden, wie er, dieß scheint die Anlage seines ganzen moͤrderischen Entschlusses gewesen zu seyn. Der Gedanke, daß er sich durch Arbeitsamkeit und Jndustrie auch wieder hinaufschwingen koͤnne, koͤmmt ihm nicht in Sinn; du bist herabgesunken von deinem sonst etwas glaͤnzenden Standpunkt bleibt immer der Hauptgedanke, dem er nicht mehr ausweichen kann, an diesen heften sich alle uͤbrigen schwarzen Bilder seiner Seele an, und vermehren den Sturm seiner Leidenschaften. Am Ende wird die erstaunliche Kleinigkeit, eben dem gehaßten Schwager einige Thaler71 wegzunehmen, verbunden mit Rachsucht, in der Seele des sonst gutdenkenden Simmen der Ausschlag seiner entsetzlichen That. Man muß bei solchen Entschluͤssen der Menschen vorzuͤglich auf die letzten Motife Acht geben; alle vorhergehenden wirken nur gemeiniglich entfernt, die letztern bringen erst die That zur Reife; und in diesem Moment bemerken wir oft die sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele. Die Frau des Schwagers wird nicht aus Haß sondern gleichsam par compagnie ermordet, sie wuͤrde ihm im Wege gestanden haben, den Hauptmord zu begehen. Der Moͤrder ist noch mitleidig, er schneidet ihr ruhig mit einem Messer die Kehle ab, damit sie nur von ihrer Qual kommt; eben so ruhig erschlaͤgt er seinen Schwager den vornehmsten Gegenstand seines Mordentschlußes und zugleich sinkt auch ein vierjaͤhriges Maͤdchen unter den moͤrderischen Schlaͤgen, durch ein Ohngefaͤhr, wie der Moͤrder betheuerte.

Ruhig ja vergnuͤgt uͤber seine Grausamkeit als haͤtte er eben ein edles Werk der Wohlthaͤtigkeit ausgeuͤbt verlaͤßt der Moͤrder das Haus und waͤscht den blutigen Knittel, das blutige Messer im Schnee ab. Kommt ohne alle Gewissensangst nach Hause schlaͤft ruhig und versichert, daß er noch bis gegen Mittag des andern Tages nach gesaͤttigter Rache gutes Muths gewesen.

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Also ists uͤberhaupt oft Befriedigung der Seele ein gewisses Ziel erreicht zu haben sey es auch, welches es wolle! Gestillte Rachsucht wird Wohlbehagen, da eine Last gehoben ist, welche uns druͤckte, das Blut wird ruhiger, die Vernunft und das Nachdenken tritt erst spaͤt aus dem Hintergrunde hervor und die besten Menschen koͤnnen, durch Rachsucht verleitet, die abscheulichsten Thaten thun.

Wenn auch die guten moralischen Gesinnungen, die Verbrecher am Rande ihrer Bestrafung aͤußern, oft nichts als Folgen einer erzwungenen Besserung sind, die man zu leicht einer großen Einwirkung religioͤser Begriffe zuschreibt, so unterscheidet sich doch Simmen auch dadurch sehr von dem Boͤsewicht Ruͤdgerodt, daß der letztere bis an sein Ende hart wie Eisen blieb, Simmen hingegen sehr deutliche Spuren seiner innigen Reue blicken ließ. Sein ganzes Verhalten im Gefaͤngnisse war exemplarisch gut, und sein Abschied von seiner Familie gleicht der traurigen Scene des Calas, als er von den Seinigen Abschied nahm. Merkwuͤrdig bleibt aber in der ganzen Erfahrungsgeschichte des Simmen ein heimlich verborgenliegender Gedanke, wenigstens anfangs, daß sein Schwager eine solche Behandlung verdient habe. Jmmer schob die Rachsucht hier den Gedanken unter: du hast deinen Feind ermordet, und darum ist die Hand -73 lung des Mordes weniger schaͤndlich. Jn diesem Gedanken lag zugleich mit der Grund, daß der Moͤrder nach vollbrachter That so ruhig blieb, und nichts von den Vorwuͤrfen seines Gewissens litte. Auch war ihm der lange mit sich herumgetragene Gedanke: seinen Schwager zu ermorden, wohl schon so habituel geworden, daß er die Handlung selbst nicht ganz von ihrer abscheulichen Seite betrachtete. Oft verwechseln wir auch bei andern Gelegenheiten das Habituelle des Gedankens mit der Handlung selbst; wir beruhigen uns uͤber die Handlung, da der Gedanke uns vorher keine sehr widrige Empfindungen verursachte nach jener alten Regel, daß wir das, was wir zu denken fuͤr erlaubt halten, auch leicht in wirkliche Handlungen uͤbergehen lassen.

P. 22

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Zur Seelennaturkunde.

Psychologische Bemerkungen uͤber Traͤume und Nachtwandler. 23Fortsetzung. (Siehe vorhergehendes Stuͤck.)

Die genauern Beobachtungen, welche man vornehmlich in diesem Jahrhunderte uͤber diese sonderbare Art Menschen und uͤber das Nachtwandeln selbst angestellt hat, haben, wenn auch nicht grade die Seelenlehre mit ganz neuen Wahrheiten dadurch bereichert wurde, doch zu einer Menge interessanter Untersuchungen uͤber die erstaunliche Wirksamkeit dunkler Jdeen, uͤber die Staͤrke einer isolirten Einbildungskraft, uͤber die Natur des Traͤumens, und folglich auch uͤber die von aͤußern Eindruͤcken nicht unmittelbar abhaͤngende Thaͤtigkeit der Denkkraft sehr viel Stoff und Gelegenheit gegeben, und die Geschichte dieser Menschen mußte daher fuͤr forschende Psychologen desto wichtiger bleiben, je mehr75 sie daraus von den Operationen des menschlichen Geistes in einem so sonderbaren Mittelzustande des Schlafens und Wachens unterrichtet und von dem geheimen Mechanismus dunkler Sensationen belehrt werden konnten. Wenn schon der Traum an sich betrachtet ein sehr merkwuͤrdiges[ Phaͤnomen] der menschlichen Seele ist, so mußte es das Nachtwandeln noch viel mehr seyn, da die Menschen in diesem Zustande nicht nur nach einer mit Ueberlegung angestellten Jdeenfolge zu handeln, sondern auch oft sich zu einer solchen Hoͤhe von Gedanken und Empfindungen zu erheben pflegen, die man oft selbst im Wachen nicht immer an ihnen bemerken konnte.

Mehrere Psychologen haben versucht, diesen Zustand der Seele, noch ehe die zum Theil laͤcherlichen Experimente eines neuerlichen Somnambulismus bekannt wurden, nach gewissen Gesetzen des Denkens und Empfindens zu erklaͤren, und da der eine bald mehr, der andre bald weniger irgend eine Seelenkraft in seinen Schutz nahm, woraus er die geheimen Operationen der Seele zu erklaͤren suchte; so haben sich denn auch die Seelenlehrer in Beantwortung der Frage: Wie das Nachtwandeln eigentlich zugehe? sehr von einander getrennt. Besser haͤtten sie wohl freilich gethan, wenn sie, anstatt sich, wie gewoͤhnlich, in sehr inconsequente und unpsychologische Erklaͤrungen dieses76[ Phaͤnomens] einzulassen*)*) Oder muͤhsam zu untersuchen, ob der Harmonist, Jnfluxionist, oder der Schuͤler des Cartesius das Nachtwandeln am besten mit seinem System vereinigen koͤnne., sich mehr bemuͤht haͤtten, dabei Untersuchungen uͤber die Denkkraft uͤberhaupt, uͤber die Eigenheit, Staͤrke und Associationen der Jdeen dieser Leute, sowie uͤber die Natur des Traums selbst und uͤber die Uebereinstimmung ihrer Handlungen bei verschlossenen Sinnen mit aͤußern Objecten und Umstaͤnden anzustellen.

Es gab eine Zeit, wo die sogenannten Philosophen fast nichts aus eigenthuͤmlichen und natuͤrlichen Gruͤnden zu erklaͤren suchten, wo man sich gewisse Principien gewisser Erscheinungen fingirte, und die Folgerungen aus solchen unrichtig angenommenen Gruͤnden fuͤr ausgemachte Erklaͤrungen der[ Naturphaͤnomene] hielt, ohne sich weiter darum zu bekuͤmmern, ob der Erfolg auch nur einigermaßen mit der Natur der Dinge homogen seyn koͤnne. Die Alten haben, wenige Hypothesen ausgenommen, viel richtiger uͤber die Natur der menschlichen Seele gedacht, als die Psychologen des mittlern Zeitalters, die sich die Koͤpfe durch eine Menge willkuͤhrlich angenommener verborgener Kraͤfte, die nach ihrer Meinung die[ Phaͤnomene] des Denkens, so wie auch alles uͤbrige Unerklaͤrbare erklaͤren sollten, verwirren ließen. Man haͤtte nur immer77 auf den Beobachtungen der Alten, mit Hinwegraͤumung einiges Schuttes, fortbauen sollen, und die Seelenlehre wuͤrde nicht bis zu den neuern Zeiten eine so armselige Wissenschaft geblieben seyn, wenn sie noch anders diesen Nahmen vor ihrer Bearbeitung von Spinoza verdient.

Ehe ich zur Darstellung der sonderbaren[ Phaͤnomene] des Nachtwandelns selbst komme, wollen wir nur ganz kurz hoͤren, wie sich diese und jene Gelehrten das Ding zu erklaͤren gesucht haben.

Einige, z. E. Paracelsus, meinten, der Geist des Menschen habe seine Krankheiten, wie unser Koͤrper; so wie nun dieser, vermoͤge seiner materiellen Einrichtung, den Tag uͤber den Meister uͤber den Menschen spiele, so thue es der Geist waͤhrend der Nacht, und wenn derselbe eben nicht guter Laune sey, fuͤhre er den Leib mit sich herum. Daß aber der Nachtwandrer in einem solchen Zustande keinen aͤußern Schaden naͤhme, ruͤhre daher, weil der gute Daͤmon, den ein jeder Mensch bei sich habe, seinen boͤsen Daͤmon abhielte, dem Nachtwandrer Schaden zuzufuͤgen. Man sollte beinahe glauben, daß diese Erklaͤrung des Nachtwandelns mehr aus Scherz, als zu einer befriedigenden Antwort der Sache ersonnen sey. Jndeß scheint sie sich doch lange, bald mit etwas mehr Vernunft, bald mit noch etwas mehr Unsinn vermischt, erhalten zu haben, zumal da sie aus einer Zeit herruͤhrt,78 wo die guten und boͤsen Daͤmonen in jede Erklaͤrung natuͤrlicher Begebenheiten, sobald sie etwas dunkel schienen, mit hinein gemischt wurden, und solche Saͤchelchen dem Genius des Jahrhunderts sehr angemessen waren.

Daß die angegebene Aufloͤsung eigentlich gar nichts aufloͤse, sieht ein jeder ein, der daruͤber nachdenken will. Denn es wird dadurch gar nicht erklaͤrt, wie es zugehe, daß ein Nachtwandrer Handlungen im Schlafe, wenigstens in einer Art Schlafe, unternimmt, die man sonst nur im Wachen zu verrichten im Stande ist, daß er bei der Eingeschraͤnktheit der schlummernden Sinne doch Handlungen und Entschluͤße verfolgt, die mit den aͤußern ihn umgebenden Objecten in einer genauen Verbindung stehen, daß er sogar Handlungen unternimmt, die er im Wachen nicht zu unternehmen im Stande waͤre, und daß er bei aller im Traume geaͤußerten Lebhaftigkeit seiner Vorstellungen hinterher nichts mehr von dem weiß, was er als Nachtwandrer that, wenigstens sich der Sachen nur noch wie aus einem Traume erinnert.

Eben so unbefriedigend ist die Erklaͤrung andrer Psychologen, welche den Menschen in drei Stuͤcke zergliedern, und dem Geiste als[ einem] Beherrscher der Seele die Verrichtungen der Nachtwandrer zuschreiben, so wie andre die Einbildungskraft allein zum Erklaͤrungsgrunde dieser sonderbaren Erschei -79 nung machen; obgleich diese viel fuͤr sich haben. Nach der Meinung dieser Psychologen soll die Phantasie bei gewissen Menschen, verbunden mit einer dazu eingerichteten Disposition des Koͤrpers, eine solche Lebhaftigkeit bekommen koͤnnen, daß sie die Nachtwandrer aus ihren Betten treibt, sie auf hohe Daͤcher hinaufklettern, zu Pferde steigen, ihre Berufsgeschaͤfte treiben, sprechen, Briefe schreiben und andre Handlungen im Traume thun laͤßt, die man sonst nur im Wachen zu verrichten pflegt. Daß die Einbildungskraft im Zustande des Nachtwandelns vorzuͤglich thaͤtig ist, und die vornehmste Schoͤpferin aller lebhaften Bilder bleibt, wonach sich der Nachtwandrer richtet, leuchtet aus allen ihren Handlungen und Unternehmungen hervor; allein schon mehrere Psychologen haben die Einbildungskraft fuͤr keinen hinlaͤnglichen Erklaͤrungsgrund jenes[ Phaͤnomens] gehalten, wenn man auch annimmt, daß sie bei verschlossenen Sinnen, bei der concentrirten Kraft der Seele auf einen einzigen Punkt, und bei einer, wie es scheint, von aller Furcht freien Anstrengung zu erstaunlichen Dingen faͤhig ist. Aber immer wird dadurch noch nicht erklaͤrt, wie die Seele sich beim Nachtwandeln und im Traume genau nach der Lage aͤußerer Objecte richtet*)*) Eben dieß wird auch nicht durch eine andre Erklaͤrung auseinander gesetzt, daß nehmlich alle Jdeen27 des Gedaͤchtnisses und der Einbildungskraft, und uͤberhaupt alle geistige Jdeen vermittelst eben des Spiels der Gehirnfiebern und Nerven, oder der materiellen Jdeen, die bei den urspruͤnglichen Sensationen in Bewegung sind und wuͤrken, nur auf einem entgegengesetzten Wege, vom Gehirn nehmlich und der Seele, bis zum Nerven der Sinneswerkzeuge herab, hervorgebracht werden, und also wesentlich von jenen urspruͤnglichen aͤußern oder innern Sensationen nicht verschieden sind.Anmerk. d. H. 28, davon den nehmlichen Gebrauch, wie80 im Wachen, macht, und nach einer Ordnung der Jdeen verfaͤhrt, die wir sonst selten bei Traͤumen bemerken.

Man hat daher versucht, da vorhergehende Erklaͤrungen zur Aufloͤsung des psychologischen Raͤtzels nicht zureichten, und immer einige wichtige Fragen ganz unbeantwortet ließen, andre zu finden und gewisse Mittelzustaͤnde zwischen Wachen und Traͤumen anzunehmen. Zwischen dem wachenden Zustande und dem Traume, sagen die neuern Psychologen, kann es noch erstaunlich viele Grade des Bewußtseyns und der Vorstellungen geben, und man kann unmoͤglich annehmen, daß der Nachtwandrer wirklich schlaͤft, denn er verrichtet Handlungen, die nur ein Wachender verrichten kann.

Jn jenen Mittelzustaͤnden des Denkens und Empfindens, wozu man auch den Schlummer rech -81 net, kann es wieder einen Zustand geben, wo der Nachtwandrer nicht, wie im Schlaf, ganz das Gefuͤhl aͤußerer Gegenstaͤnde verliert, sondern wenigstens immer noch einige dunkle Vorstellungen von den Objecten behaͤlt, die ihn umgeben. Seine Einbildungskraft ist sich also nicht ganz allein, wie in dem gewoͤhnlichen Traume, uͤberlassen, sondern sie muß sich bald mehr, bald weniger nach den Eindruͤcken richten, die man im Traume von aͤußern Gegenstaͤnden empfaͤngt, obgleich die Einbildungskraft machen kann, daß er den empfundenen Gegenstand nicht grade fuͤr das haͤlt, was er wirklich ist, z. B. wenn der Nachtwandrer das Dach, worauf er reitet, fuͤr ein Pferd haͤlt.

Weil nun ferner der Nachtwandrer eigentlich nicht schlaͤft, sondern sich in einem Zwischenzustande des Traͤumens und Wachens befindet, wo er eine Menge Vorstellungen von außen bekommt, so ist auch seine Erinnerungskraft groͤßer, als im wirklichen Traume. Diesen Umstand haben die neuern Psychologen in ihren Erklaͤrungen des Nachtwandelns, glaub 'ich, ausgelassen, ob er gleich nach meiner Meinung der wichtigste Punkt zur Aufloͤsung der meisten Handlungen der Nachtwandrer ist.

Die gewoͤhnliche Unordnung unsrer Traumideen, das Hin - und Herspringen unsrer Einbildungskraft, die Bereitwilligkeit, die ungereimte -82 sten Dinge fuͤr wahr zu halten, die Hirngespenste, die wir uns im Traume so leicht erfinden, die Contraste der Empfindungen, worin wir versinken, ruͤhren gemeiniglich daher, daß unsre Erinnerungskraft im Traume oft ganz ausgetilgt zu seyn scheint, und wir den Faden nicht wieder finden koͤnnen, wodurch der Traum mit der wirklichen Welt zusammenhaͤngt. Nicht so bei dem Nachtwandler. Sein Gedaͤchtniß ist ihm viel getreuer, als dem bloßen Traͤumer, seine Vorstellungen werden nicht alle Augenblicke durch die Mißgeburten seiner Einbildungskraft unterbrochen, er erinnert sich sehr genau, daß seine Handlungen so und nicht anders nach der Ordnung der Dinge aufeinander folgen koͤnnen, weil sie im Wachen so aufeinander zu folgen pflegen, er leitet von einerlei Ursachen viel richtiger, als im Traume, einerlei Wirkungen ab, und er weiß diese Wirkungen in die Folge zu stellen, worin sie wirklich stehen muͤssen. Alles dieß kommt von seiner richtigen Erinnerungskraft her, und er wuͤrde sich von einem Wachenden nicht unterscheiden, wenn seine aͤußern Sinne nicht zum Theil verschlossen waͤren. Hieraus erhellet nun zur Gnuͤge, daß sich ein Nachtwandrer von einem gewoͤhnlich Traͤumenden in vielen Stuͤcken unterscheidet. a) Er besitzt eine viel deutlichere und richtigere Erinnerungskraft, als dieser, und weiß, vermoͤge dieser Erinnerungskraft, seine Handlungen besser nach den Gesetzen des Denkens und83 der aͤußern Umstaͤnde einzurichten, als der wirkliche Traͤumende. b) Er hat wenigstens dunkle Empfindungen von den Objecten um ihn her, und sein feineres Gefuͤhl vertritt bei ihm die Stelle des Gesichts ungefaͤhr nach eben der Jdeenassociation, als das letztere im Wachen bei ihm veranlaßt haben wuͤrde. c) Seine Organe sind also offenbar in einem wachendern Zustande, als im gewoͤhnlichen Traume. Die Bewegungen seines Koͤrpers richten sich nach der vorhandenen, obgleich bisweilen ununterbrochenen Jdeenfolge seiner Seele, und diese wickelt den Faden ihrer Vorstellungen fast eben so, wie im Wachen, ab, nur daß sie dieß beim Nachtwandeln mehr mechanisch, als im Wachen treibt.

Endlich ist wohl nicht zu laͤugnen, daß durchaus eine gewisse Disposition des Koͤrpers zu diesem sonderbaren Zustand erfordert wird, indem er sich nach verschiedenen Jahrszeiten und selbst nach dem verschiednen Mondwechsel richtet, und gemeiniglich durch koͤrperliche Mittel geheilt werden kann. Jn so fern dieser Zustand vorzuͤglich von einer gewissen Disposition des Koͤrpers oder der Jahrszeit abhaͤngt, muß dessen Erklaͤrung dem Physiologen uͤberlassen werden, ob ich gleich nicht glaube, daß die bisherigen Erklaͤrungen dieser Herren, die diesen Zustand betreffen, die Sache in ein helleres Licht setzen. Jch habe bei ihnen keine bestimmte Erklaͤrung auffinden koͤnnen, wie das Nachtwan -84 deln koͤrperlich hervorgebracht wird, und vielleicht laͤßt sich eine solche Erklaͤrung auch nicht einmal geben, da uns die Art der Einwirkungen des Koͤrpers auf die Seele bisher immer noch so geheimnisvoll geblieben ist. Hoffmann nennt das Nachtwandeln in seiner 1695 zu Halle herausgekommenen Disputation, de somnambulatione ein semivigilans somnium, in quo ratione subjugata fortior phantasia spiritus in cerebri medullio satis adhuc mobiles determinat ad partes extremas pro variis perficiendis motibus.

Knoll in seiner Abhandlung vom Nachtwandeln behauptet, daß die Ursach des Nachtwandelns ein uͤberfluͤßiges gallichtes Blut sey, welches die Theile desselben mehr und mehr zertheilt, eine Menge Lebensgeister zubereitet, welche durch eine starke Einbildungskraft in Bewegung gegen die Theile des Koͤrpers gebracht werden. Diese Erklaͤrung ist mit jener fast einerlei aber eben so undeutlich und unbestimmt, wie jene. Um keinen Grad besser ist die des Bontekoͤ (vid. dessen œconomiam animalem), welcher das Nachtwandeln von der ungleichen Menge Bewegung und Dicke des Nervensafts, Bluts und andrer Saͤfte herleitet, indem einige Gefaͤße und Gaͤnge dieser Saͤfte verschlossen und einige offen sind.

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Da die zum Theil sehr merkwuͤrdigen Erzaͤhlungen von Nachtwandlern in sehr vielen Schriften zerstreut liegen, ohne daß man grade daraus Folgerungen fuͤr die Seelenlehre gezogen und nach den Gesetzen unsrer Vorstellungen beleuchtet haͤtte, so werde ich nach und nach die wichtigsten[ Phaͤnomene] dieser Art sammeln und erlaͤutern, und mit neuern Beobachtungen uͤber jenen merkwuͤrdigen Zustand der menschlichen Seele vermehren. Aus den Factis wird sichs selbst am deutlichsten ergeben, daß das Nachtwandeln aus einer Art wachenden Traume besteht, und sich genau nach den Erinnerungsgesetzen der Empfindungen richtet, die sich die Seele waͤhrend des Wachens erworben hatte, daß sie aber auch hierbei mit einer groͤßern Ordnung, als gewoͤhnlich im Traume zu Werke gehe, weil nicht die Einbildungskraft allein die Sensationen der Seele beim Nachtwandeln aneinander reihet.

Eins der merkwuͤrdigsten Beispiele dieser Art befindet sich in den Act. Vratislav. 1725 Decemb. Class. IV. art. 7, welches mir um so viel wichtiger scheint, weil es den unwillkuͤhrlichen Mechanismus unsrer Jdeenverbindungen auch in dieser Art des Traͤumens sehr deutlich an den Tag legt, und es außer allen Zweifel setzt, daß der Nachtwandler nicht schlaͤft,86 wenn auch seine aͤußern Sinne zugedaͤmmt zu seyn scheinen.

Ein Seiler (ein wirklicher Nachtwandrer bei Tage) von dreiundzwanzig Jahren, ein Mann von einem melancholischen Temperamente, hatte seit drittehalb Jahren folgende Beschwerung. Es uͤberfiel ihn vielmals am hellen Tage ein Schlaf, mitten unter seiner Handthierung, es sey im Sitzen, Stehen oder Gehen. Wenn ihm der Paroxismus ankam, zog er ihm etlichemal die Stirn und Augen zusammen, bis sich diese fest zuschlossen. Und sogleich hoͤrte der Gebrauch aller aͤußerlichen Sinne auf; hingegen fing er schlafend an, dasjenige zu thun, was er den Tag uͤber bis auf den Augenblick des Paroxismus gethan hatte. (Seine Seele vegetirte also nur gleichsam die den Tag uͤber angelegte Jdeenfolge. *)*) Jn welchem Fall sich die oben in der Anmerkung angefuͤhrte Meinung einiger Psychologen noch am meisten vertheidigen ließe. Z.B. er betete den Morgensegen ganz andaͤchtig, that, als wenn er sich ankleidete, sich wuͤsche, sang ein Morgenlied in gehoͤriger Melodey, und alle Verse in ihrer Ordnung und ganz vernehmlich. Wiederholte dann nach und nach alle Reden mit eben den Worten, wie er sie wachend ausgesprochen hatte, und druͤckte alle Geberden und Minen sowohl im Gesicht, als den uͤbrigen Theilen des Leibes ganz natuͤrlich aus. 87Ueberfiel ihn der Paroxismus im Gehen, so ging er im Zimmer, wo ihm der Zufall begegnet war, hin und her, ohne die Waͤnde oder Tische darin zu beruͤhren, bis ihm eine andre darauf folgende Jdee eine neue Richtung gab. Z.B. Er stieg eine Treppe hinauf oder hinunter, so hebt er die Schenkel einen nach dem andern in die Hoͤhe, und zwar ziemlich derb, und grade so oft, als etwa Stufen in der Treppe gewesen. War es eine Wendeltreppe, so ging er krumm herum; bei einer graden oder gebrochenen aber ging er grade oder winkelmaͤßig.

Wenn ihn der Schlaf im Gehen uͤber Land befaͤllt, so bleibt er nicht stehen, sondern geht seines Weges fort, fast geschwinder, als wachend, ohne des rechten Weges zu verfehlen, oder uͤber etwas im Wege liegendes zu stolpern. Wie er denn mehrmals von Weimar nach Naunburg schlafend gegangen, und einst in eine Gasse gekommen, wo Bauholz im Wege gelegen, woruͤber er ganz ordentlich, wie ein Wachender, ohne allen Anstoß weggestiegen. Er soll auch Pferden und Waͤgen, die ihm begegnet, ausgewichen und wieder in seinen Weg gekommen seyn. Einstmals war er im Begriff nach Weimar zu reiten. Ungefaͤhr ein paar Stunden davon uͤberfaͤllt ihn sein Schlaf, er ritt aber fort, traf den Weg auch durch ein kleines Holz, ohne das Gesicht vom Gestraͤuche zu verletzen, ritte dann durch die Jlme, traͤnkte darin88 sein Pferd, pfiff ihm auch dazu und zog die Beine in die Hoͤhe, damit sie nicht naß werden moͤchten. Passirte hiernaͤchst durch etliche Gassen uͤber den Markt, der eben voller Leute, Buden und Karren stand, und das alles so gluͤcklich und behutsam, daß er, ohne jemand zu beschaͤdigen oder sich Schaden zu thun, in das Haus, wo er hingewollt, gelanget. Hier stieg er ab, band sein Pferd an einen an dem Laden befindlichen Ring, ging durch den Laden seines Mitmeisters, wo allerlei im Wege lag, ohne es zu beruͤhren, in die Stube, und nach einigen gesprochenen Worten wieder heraus, mit dem Vorgeben, daß er durchaus auf die Hochfuͤrstl. Regierung gehen muͤsse. Als er nun da gewesen und an gedachten Ort wieder zuruͤckkam, wachte er auf. Wenn der Paroxismus zu Ende gehen wollte, zog er ihm, wie bei seinem Anfange, Stirn und Augen zusammen. Darauf kam er zu sich selber, oͤffnete die Augen, schaͤmte sich und entschuldigte sich gegen die Anwesenden. Wenn ihn sein Zufall unter seiner Arbeit im Spinnen anwandelt, so spinnt er fort, und macht die Faͤden so gut und eben, als wenn er wachte.

Jm Paroxismo war er ganz unempfindlich, man mochte ihn stechen, kneipfen, raufen, stoßen, oder auch bei seinem Nahmen rufen. Er roch den allerfluͤchtigsten Spiritus nicht, sahe nicht, wenn man ihm auch gleich die Augenlieder von einander zerrte, hatte auch nicht gehoͤrt, als eine89 Pistol ganz nahe bei ihm losgeschossen wurde. Wenn der Paroxismus voruͤber ist, klagt er uͤber große Mattigkeit. Uebrigens spricht er ganz sittsam und ordentlich, was man von einem gemeinen Manne sonst nicht leicht erwarten sollte, mag auch einen aͤußerlich guten Wandel fuͤhren.

Er kam zu jemanden einst des Abends, der ihn niedersitzen hieß, und ungefaͤhr eine Stunde lang mit ihm redete. Waͤhrend der Zeit fiel derselbe in Schlaf und fing an zu erzaͤhlen und zu handeln, was denselben Tag mit ihm vorgegangen war. Er forderte erstlich sich und seine Frau aufzustehen auf, that vorher ein Gebet, forderte seiner Frau ein Hemde ab, geberdete sich, als wenn er dasselbe umhinge, stieg darauf aus dem Bette, setzte sich hin und machte solche Gebehrden, als wenn er Struͤmpfe und Schuhe anziehe, sang aber dabei mit heller und vernehmlicher Stimme ein Morgenlied. Als er einen Vers davon gesungen, fiel ihm ein, daß er sich noch nicht gewaschen hatte, stand also von dem Stuhle, worauf er bisher gesessen, auf, ging in einen Winkel der Stube und that, als wenn er sich wuͤsche und kaͤmmete. Dabei befahl er seiner Frau, daß sie zum Nachbar gehen, und ihn bitten sollte, daß er sein Pferd zurechte machen moͤchte, darauf er von Sulze nach Weimar reiten wollte. Nach diesem sagte er: er waͤre nun allein, ging darauf in eine andre Ecke der Stube und verrichtete kniend sein Gebet. Als er90 von diesem Gebet aufgestanden war, fing er das zuvor angefangene Morgenlied bei dem zweiten Vers in eben demselben Ton wieder an, und sang solches voͤllig aus. Hierauf redete er mit seiner Frau unterschiedenes, vertroͤstete dieselbe den andern Abend wiederzukommen, machte allerlei Abschiedszeichen, und that, als wenn er in des Nachbars Haus ginge, denselben gruͤßte, das Pferd aus dem Stalle hohlte, sich darauf setzte und zum Thore hinausritte. Worauf er denn ungefaͤhr eine halbe Stunde lang auf einer Stelle stehen blieb, und mit der linken Hand und dem Leibe die Bewegungen eines Reitenden machte. Waͤhrend der Zeit, als er einen Reiter vorstellte, nahm er verschiedenemal die Muͤtze ab, und gruͤßte jemand, der ihm begegnete. Als er eine Weile geritten hatte, fing er an zu singen: Von Gott will ich nicht lassen etc. und sang solches Lied unverstuͤmmelt ganz bis ans Ende aus, doch so, daß er zuweilen ganz laut und zuweilen leise sang; von welchem letzten die Ursach mag gewesen seyn, daß ihm etlichemal unterwegs Leute begegnet sind, weshalb er leise gesungen. Als er das Lied ausgesungen hatte, beschaͤftigte er sich den ganzen uͤbrigen Weg mit lauter guten Gedanken und Gespraͤchen, die er im Schlafe alle hersagte. Er hielt auch einmal stille, und forderte ein Maaß Bier, trank zweimal davon, und gab den Krug wieder zuruͤck, mit dem Befragen, ob das Bier einen Dreier gelte? Grif91 darauf in die Tasche, zog verschiedene Stuͤcke Geld heraus, nahm aus derselben einen Dreier und ließ ihn aus der Hand fallen, als wenn er ihn dem Wirthe gaͤbe. Darauf fing er wieder an, sich als ein Reitender zu gebehrden, hielt einige Zeit darauf noch einmal stille und merkte, daß der Sattel auf dem Pferde nicht fest laͤge, stieg herunter und that, als guͤrtete er den Sattel auf dem Pferde wieder fest, setzte sich auch wieder auf, und ritte weiter. Es hatte sich aber zugetragen, daß er bei dem naͤchsten Dorfe vor Weimar auf dem Pferde in Schlaf gefallen war, in solchem Schlafe auch grades Wegs fort durch die Jlme auf Weimar, durch die Stadt und uͤber den Markt, und vor des Hofseilers Haus daselbst geritten war. Er hatte hier, wie oben umstaͤndlich erwaͤhnt, sein Pferd ordentlich angebunden, war auch im Schlaf auf die fuͤrstl. Regierung und wieder herunter und in des Hofseilers Haus gegangen, da er denn erst nach einiger Zeit wieder aufgewacht war. Alles dieses, was er auf der Hinreise im Schlafe gethan, machte er diesmal auch wieder im Schlafe nach, sogar auch die Gebehrden, da er, als er durch die Jlme geritten, die Fuͤße angezogen und dabei gesagt, daß das Wasser tief sey. Er stellte hierauf, da er nun in Weimar war, vor, wie er seiner Geschaͤfte halber in verschiedene Haͤuser ging, und dieselben da ausrichtete. Hierauf kam er endlich zu dem Manne, bei dem er in diesen92 Schlaf gefallen war. Er redete alle Worte und machte alle Gebehrden, die er geredet und gemacht hatte gegen die Magd, welche ihm jenes Mannes Stube hatte zeigen muͤssen. Stieg so viele Treppenstufen hinein, als sich daselbst befanden, klopfte an die Thuͤr und fing eben die Worte zu reden an, die er beim Einlassen wachend gegen jenen Mann gesprochen hatte. Bisher hatte er immer gestanden und gewandelt. Nunmehr fand er im Schlafe eben den Stuhl, darauf ihn jener Mann hatte niedersetzen lassen, der doch etliche Schritte von ihm stand, ging mit festverschlossenen Augen, die auch nicht die geringste Bewegung bei dem davor gehaltenen Licht machten, durch die dazwischen stehenden Leute weg, setzte sich nieder und sprach alle die Worte nach einander wieder her, die er dem Manne, bei dem er in Schlaf gefallen, auf seine Fragen zur Antwort gegeben hatte. Endlich wachte er auf, und bezeugte, daß dieses alles, was er da im Schlafe gethan haͤtte, denselben Tag so mit ihm vorgegangen sey; uͤbrigens koͤnne er sich nicht besinnen, daß er alle diese Handlungen schlafend nachgeahmt habe.

So seltsam die meisten in vorhergehender Erzaͤhlung enthaltenen Facta scheinen moͤgen, so lassen sie sich doch recht gut aus der Natur unsrer Einbildungskraft und unsrer Jdeenfolgen erklaͤren,93 und daß sie nicht unwahrscheinlich sind, erhellet daraus, daß noch taͤglich die Nachtwandrer zum Theil noch unglaublichere Dinge zu verrichten pflegen. Der in dieser Erzaͤhlung vorgestellte Nachtwandler bei Tage befand sich waͤhrend seines Paroxismus gewiß nur in einem geringen Schlummer, obgleich seine aͤußern Sinne geschlossen zu seyn schienen. Eigentlich unternahm er keine neue Handlungen; alles war nur eine Repetition kurz vorhergegangener Vorstellungen und Handlungen, wobei aber doch gewiß die aͤußern Objecte auf die Einbildungskraft desselben nicht ganz unwirksam seyn konnten. Wenn es heißt, daß beim Anfall des Paroxismus der Gebrauch aller seiner aͤußerlichen Sinne aufgehoͤrt habe, so schien dieß nur so, denn aus der Erzaͤhlung selbst erhellet zu deutlich, daß wenn er auch nicht durch den Sinn des Gesichts bei seinen Vorstellungen mit geleitet wurde, doch sein Gefuͤhl desto lebhafter und feiner war, wie dieß bei solchen Faͤllen gemeiniglich zu geschehen pflegt. Außerdem glaub 'ich, daß die Nachtwandler bei ihren Handlungen nicht immer ganz Gesichtslos handeln, weil sich, ohne daß sie einen Gebrauch von ihren Augen machen, viele ihrer gefaͤhrlichsten und verwickelsten Handlungen gar nicht erklaͤren lassen. Sie unterscheiden Gegenstaͤnde, zu deren Unterscheidung das Gefuͤhl nicht zureicht, sie vermeiden in ihrem Schlummer Gefahren, die sie nur blos durch Huͤlfe des Gesichts wenig -94 stens auf eine dunkle Art, wie Menschen in Entzuͤckung und bei Kraͤmpfen, bemerken koͤnnen; sie richten sich genau nach den Verhaͤltnissen buͤrgerlicher Ausdehnung und Raume, ohne daß sie dieselben erst vorher beruͤhrt haben.

Jn so fern sie ihre Jdeen nur nach einem allgemeinen Faden wieder abwickeln, und im Traume nichts anders thun, als vorhergegangene Handlungen vegetiren, koͤnnen sie eher der Augen entbehren, indem die Seele die Entfernungen der Gegenstaͤnde im Schlummer so gut, wie beim Wachen, zu messen pflegt, und sich selbst durch die Erinnerungskraft die Punkte und Momente bezeichnet, wo sie zu handeln anfangen, aufhoͤren oder dabei abwechseln soll, und dieß Messen der Entfernungen ist doch das vorzuͤglichste Stuͤck der Operationen in der Seele des Nachtwanderers, so wie das richtige Wiedererinnern der Zeitmomente, in welchen beim Wachen ihre Handlungen auf einander folgten. Alles dieß beruhet auf dem gewoͤhnlichen Mechanismus unsrer Fiebern, nach deren Eindruͤcken und Bewegungen die Jdeen sich einander erzeugen und an einander knuͤpfen. Der Nachtwandler wird von seinem Paroxismus uͤberfallen, alle Bilder des vergangenen Tages liegen ihm am naͤchsten, es kostet der Seele gar keine Muͤhe, sie wieder in sich zuruͤckzurufen, da die Eindruͤcke jener Bilder noch ganz frisch in ihm vorhanden sind, es bedarf nur eines kleinen lei -95 sen Anstoßes die Jdeenreihe anzuheben, die sich auf die Folge der vorhergegangenen Handlungen gruͤndete. Jst der Schlummer des Nachtwandrers sehr leise, desto aͤhnlicher werden alle seine Handlungen den Handlungen eines Wachenden werden. Sein Gedaͤchtniß zeichnet ihm die Ordnung der vorigen Geschaͤfte deutlich vor. Sein Morgenseegen, sein Ankleiden, alle seine Arbeiten folgen, wie im Wachen, aufeinander. Er geht, macht Bewegungen mit den Haͤnden, weil er nicht wirklich schlaͤft, weil er noch einigen freien Gebrauch seiner Glieder uͤbrig hat, was der Fall im Schlaf nicht ist. Er wendet sich, vermoͤge seiner Zuruͤckerinnerungen nach der Lage aͤußerer Gegenstaͤnde; er weiß, vermoͤge jener Kraft, die Hindernisse, die ihn im Wege liegen; er weicht ihnen aus. Ohne Zuruͤckerinnerung wuͤrde er dieses nicht koͤnnen, wenn ihn nicht anders sein Gefuͤhl leitet, oder seine Augen ihm wenigstens dunkle Vorstellungen von außen gewaͤhren. Vermoͤge jener Erinnerungskraft macht er nun auch einen rechten Gebrauch von den Objecten, die ihn umgeben. Er weiß, ein Pferd zu reiten, und findet den rechten Weg, (vielleicht wurde in gegenwaͤrtigem Fall zufaͤllig selbst das Pferd der Fuͤhrer des Nachtwandrers) weil er ihn schon mehrmals gemacht hat, und in seiner Seele eine deutliche Vorstellung von der Laͤnge und Art des Weges vorhanden ist, weil die Seele die Momente gezaͤhlt hat, die zur Voll -96 bringung der kleinen Reise gehoͤrten, und immer nur auf einen Punkt concentrirt bleibt, und so erfolgen alle seine Handlungen durch eine im Schlummer erregte koͤrperliche Disposition oder aͤußerer Einfluͤße veranlaßte Nachahmung der Geschaͤfte des Tages. Der Mann befand sich gleichsam im geringsten Grade des Schlummers, und seine Vorstellungen waͤhrend des Traums waren zuerst so deutlich, als noͤthig war, alle seine Schritte sicher zu leiten. Daß er in seinem Paroxismo kein Gefuͤhl von Stechen, Kneipfen, Raufen, Stoßen und Rufen hatte, daß er den staͤrksten Spiritus nicht roch, nicht den Pistolenschuß hoͤrte, ruͤhrt doch wohl wieder daher, daß seine ganze Seele auf einen einzigen Punkt gespannt ist, und fuͤr alle Sinne unterdessen gleichsam keine Aufmerksamkeit mehr hatte, welches bei mehrern Zustaͤnden des menschlichen Koͤrpers, bei Ohnmachten, Convulsionen, Entzuͤckungen, heftigem Anstrengen des Kopfs, so wie schon bei außerordentlichen Aufwallungen der Leidenschaften sehr gewoͤhnlich der Fall ist. Endlich hat die Seele den Faden ihrer Vegetitionen abgesponnen sie ist gleichsam aus ihren Traumbildern hinausgeworfen, sie muß sich also von selbst wieder in die wirkliche Welt hineinfinden, denn sie hat keinen Stoff mehr, neue Jdeenassociationen anzuspinnen; die alten sind erschoͤpft; sie faͤngt durch das97 bemerkte Leere ihrer abgeschnittenen Thaͤtigkeit an, sich wieder zu orientiren, und wacht denn endlich wieder auf. Aber mit dem nun auf einmal hereinbrechenden hellen Tageslicht wirklicher, origineller Vorstellungen, die nun nichts mehr mit jenen Traumbildern gemein haben, wird die Erinnerung an dem gehabten Traume, wie ein Lampenlicht durchs Sonnenfeuer gleichsam vertilgt. Der Nachtwandrer kann sich seiner verrichteten Handlungen nicht mehr besinnen, weil sie nur auf der Oberflaͤche der Erinnerungskraft und des Gedaͤchtnisses hinwegglitschten. Dahingegen die wirklichen herbeistroͤmenden Jdeen des Wachenden tiefere, lebhaftere, homogenere und viel umfassendere Eindruͤcke mit dem Bewußtseyn, daß man sie im Wachen empfaͤngt, veranlassen. Allenfalls bleibt in der Seele des Nachtwandrers ungefaͤhr ein solches Nachgefuͤhl jenes Zustandes zuruͤck, wie wir noch einen lebhaften Traum des Morgens zu behalten pflegen. Alle diese psychologischen Bemerkungen beweisen nachfolgende Beispiele eben so deutlich.

Jn vorher angefuͤhrten Act. Vratisl. 1722 Febr. Class. IV. Artic. II. wird folgender besondrer Vorfall von einem unverheiratheten Frauen -98 zimmer erzaͤhlt, der eben so sehr unsre Aufmerksamkeit, als vorhergehender, verdient.

Die hier erwaͤhnte Patientin, ein Maͤdchen von siebzehn Jahren, war Anfangs Febr., nachdem sie Vormittags bei harter Kaͤlte den Gottesdienst abgewartet, Mittags nach dem Essen in einen Schlaf gefallen, darin sie mit den Haͤnden allerlei Grimassen gemacht, nach diesem gelaͤchelt und endlich laut zu lachen angefangen. Worauf bald weinende Minen und thraͤnende Augen wahrgenommen worden, bis sie endlich nach einer starken Viertelstunde wieder zu sich selbst gekommen und von allen diesen Dingen nichts gewußt. (Offenbar war dieser anfaͤngliche Zufall krampfhaft.) Drei Tage nachher hat sich obiger Paroxismus auf gleiche Art wieder eingefunden. Etliche Tage darauf hat sie wegen zustoßender Mattigkeit bettlaͤgrig werden muͤssen, da denn alle Tage, und zwar des Tages etlichemal, sich obige Zufaͤlle eingefunden, wenn sie nehmlich anfangs in einen matten Schlaf gefallen zu seyn geschienen, nachgehends aber allerlei Minen, bald lachend, bald weinend, bald freundlich, bald trotzig, so wie man die Affecten durch Minen auszudruͤcken pflegt, gezeigt, und solche auch mit allerlei Bewegungen der Haͤnde lebhafter gemacht. Endlich hat sie zu reden angefangen, und allerlei moralische und biblische Gespraͤche gefuͤhrt. Wenn man ihr in die Rede gefallen und uͤber dieß und jenes befragt hat, hat sie ganz ver -99 nuͤnftig auf alle Punkte geantwortet, und mit ihrer Schwester und andern Anwesenden sich zu Viertel - und halben Stunden in weitlaͤuftige Discurse eingelassen, und jener oder andern ihrer Bekannten, die sie anwesend zu seyn geglaubt, allerlei Ermahnungen gegeben, wie ein Frauenzimmer christlich, zuͤchtig und vor der Welt unanstoͤßig leben muͤßte. Dabei ihnen die etwa bemerkten Fehler nachdruͤcklich verwiesen, und sie zu verbessern mit sonderbaren Ausdruͤcken erinnert, und vornehmlich von dem elenden und vergaͤnglichen Zustande des Menschen und den seeligen Vergnuͤgungen des Himmels viel geredet, mit stets untermischten biblischen Spruͤchen und Redensarten, wovon sie aber beim Erwachen niemals etwas gewußt. Wie sie denn auch christliche Lieder laut und vernehmlich damals im Schlafe gesungen, auch sich nicht stoͤhren lassen, wenn man mit einer Violine oder einem Clavier darein gespielt, sondern die Music und den Tact wohl beobachtet, auch wohl, wenn man ihr das Clavier aufs Bette gegeben, selbst gespielt und im Schlafe fortgefahren, außer daß in diesem Fall dann und wann ein falscher Grif mit untergelaufen. Sie sagte die in ihrer Kindheit gelernten Rollen aus Comoͤdien mit den dazu erforderlichen Gesticulationen deutlich her, verrichtete andre feine weibliche Arbeiten; *)*) Z.B. entwarf sich Muster zum Sticken, stickte, naͤhete und schrieb. that,100 als wenn sie die in Form des Papiers auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen Concept und Eroͤffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine franzoͤsische Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl, daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Eroͤffnung der Thuͤr glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf eine gefaͤllige Art, dankte fuͤr die hohe Ehre und das Gluͤck des Besuchs in den artigsten Ausdruͤcken, sprach von ihrem Zustande, und fuͤhrte oft lange vernuͤnftige Gespraͤche mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erzaͤhler dieser Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Maͤdchen nach einigen Wochen voͤllig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Staͤrkung der Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemuͤths wirkten, und die Paroxismi ließen101 endlich ganz nach. Sie heirathete, gebar drei Kinder, und nachher hat sie nicht das geringste mehr von solchen Anfaͤllen gespuͤrt.

Eigentlich gehoͤrt diese Person nicht ganz zur Classe der Nachtwandrer, da sie immer im Bette blieb, und nur durch Stimme und andre koͤrperliche Bewegungen einer Wachenden aͤhnlich wurde. Jhr Paroxismus fing unstreitig mit krampfhaften Zufaͤllen und einer ploͤtzlich entstandenen Schwaͤchung der Nerven an, wodurch aber zugleich eine groͤßere Reitzbarkeit derselben hervorgebracht wurde. Sonderbar, daß sich bei dieser Person die Seele erst durch allerlei Gebehrden und Pantomimen, die gewisse Leidenschaften ausdruͤckten, durchzuarbeiten schien, ehe sie in woͤrtliche Aeußerungen ihrer Jdeen ausbrach, und diese Jdeen waren grade wieder die ihr gelaͤufigsten und mit dem Character nervenschwacher Menschen am homogensten. Sie gab Ermahnungen, mischte biblische Spruͤche unter, tadelte Fehler und predigte vom Himmel. Sehr leicht druͤcken sich musicalische Accorde in dem Gehirne ab, die Seele kann sie nachstimmen, ohne sich anzustrengen, im Wachen selbst fließen oft gewisse Melodien von unsren Lippen, ohne daß wir daran denken, sondern dabei etwas ganz anderes treiben. Die Seele thut also gleichsam zwei Sachen auf einmal, aber sie hat zu den Toͤnen keine anstrengende Aufmerksamkeit noͤthig;102 die Toͤne folgen, wie bei einer aufgezogenen Floͤtenuhr, aufeinander, sobald der erste Ton die angeregte Schwingung der Gehirnfiebern veranlaßt hat, die mit den Muskelbewegungen der Sprachorgane in Verbindung stehen. Selbst das Clavierspielen waͤhrend des Schlummers laͤßt sich leicht erklaͤren, indem die mechanische Muskelbewegung der Finger, die mechanische Folge von Toͤnen, obgleich etwas falsch, ausdruͤckte, die die Patientin auswendig wußte.

Die einzige Art, wodurch man den Nachtwandler in die Classe der Traͤumenden setzen kann, ist wohl vorzuͤglich die, daß er seine Handlungen nach einer imaginaͤren Supposition, indem er sich etwas als wirklich fingirt, was nicht vorhanden ist, wenigstens nicht auf die nehmliche Weise vorhanden ist, als ers sich denkt, einrichtet. Die Handlungen folgen dann aber im Traume ganz natuͤrlich aufeinander, und werden theils durch aͤußere Eindruͤcke, theils durch die der supponirten Hauptidee angehaͤngten Nebenvorstellungen, wie es scheint nach freien Entschluͤssen, aber eigentlich unwillkuͤhrlich dirigirt. Wovon die naͤchstfolgenden Beispiele zeigen.

103

Ein Beispiel, welches mit vorhergehendem viel Aehnlichkeit hat, kommt im Arzt. St. 74, S. 295 ff. III. Th. vor. Neueste Ausgabe.

Die Person, von welcher daselbst geredet wird, war nicht nur eine Nachtschwaͤtzerin im hoͤchsten Grade, sondern auch zuweilen eine Nachtwandlerin. Sobald sie des Abends nach verrichteter Arbeit zum Sitzen kam, fing sie auch schon an, einzuschlummern. Jn diesem Schlummer, der anfangs nur sehr leicht ist, beschaͤftigte sie sich sogleich mit ihren Freunden, und war niemals zu Hause, sondern allemal an ihrem Geburtsorte. (Weil dieß die naͤchste Hauptidee war, die sich ihrem Gehirn am tiefsten eingedruͤckt hatte, und womit sich die Erinnerungskraft ihrer Seele unstreitig am liebsten beschaͤftigte.) Sie fing also zu reden an. Man antwortete ihr, ließ sich mit ihr ein, und sobald dieß geschehen, hatte man ihre Vertraulichkeit vollkommen erworben. Fragen und Antworten geschahen wechselsweise. Sie druͤckte sich ordentlich aus, sie dachte und zwar ganz vernuͤnftig. Sie hatte das beste Gefuͤhl von Tugenden und Lastern*)*) Auch hierdurch unterscheiden sich die Nachtwandrer sehr merklich von wirklich Traͤumenden, indem bei diesen gemeiniglich und oft auf die sonderbarste Art waͤhrend des Schlafs alle moralischen Gefuͤhle zu verloͤschen scheinen, und mit groͤßter Bereitwilligkeit allen Unterschied zwischen Tugend und Laster aufgeben.P. , und104 wußte alles, was man ihr vorsagt, sehr wohl zu unterscheiden, und auf das richtigste zu beantworten. Die Einbildungskraft mußte bei ihr ganz außerordentlich stark seyn; denn sobald sie nur wachend ein ihr vorhin ganz unbekanntes Clavierstuͤck hoͤchstens zweimal spielen und singen hoͤren, wußte sie solches in diesem ihren Schlummer auf das genaueste, und ohne eine Sylbe oder einen Ton zu verfehlen, nachzusingen. Spricht ein Fremder, mit dem sie eben nicht vielen, obwohl einigen, Umgang gehabt, in diesem Zustande mit ihr, so erschrickt sie sich zwar anfaͤnglich etwas, weiß aber auf Befragen, was ihr fehle, zu sagen, daß ihr ein Schall in die Ohren gekommen sey, als wenn sie denjenigen, der wirklich zu ihr geredet, sprechen gehoͤrt haͤtte.

Jndessen wird dieser ihr Schlummer stets staͤrker und zuletzt der allerhaͤrteste Schlaf von der Welt (nehmlich nach des Erzaͤhlers Meinung). Jn solchem nun unterscheidet sie, wie gesagt, sowohl die Stimme, als auch das Gefuͤhl und den Geruch. Man kann aber waͤhrend solches Schlafes nicht nur auf das staͤrkste reden, schreien und lachen, ohne daß sie davon erwachen sollte, weil sie sodann gar mitschreiet, mitlacht, sondern auch eine Trommel, ja eine Pistole selbst wuͤrde sie nicht aus dem Schlafe erwecken koͤnnen. Sie geht sogar, wenn man will, mit spatzieren, ob sich sodann gleich105 einige Schwaͤche und einiges Taumeln bei ihr zeigt: Sie schlaͤgt sich mit einem herum, sie weint, sie schilt, betet, ja alle moͤgliche Affecten erregen sich bei ihr, und sie ist aller ihrer Sinnen, außer des Sehens und Schmeckens maͤchtig, und was das Sonderbarste ist, so kann sie in solchem Zustande gar knuͤppeln und allerhand Handarbeiten verrichten, ja sie weiß einer jeden Sache ihre eigenthuͤmliche Stelle zu geben. Daß sie des Nachts im Schlafe geistliche und weltliche Lieder singt, ist bei ihr gar nichts neues, und dennoch weiß sie von allem, was sie entweder im Schlafe gethan, oder man mit ihr vorgenommen, wenn sie nachher erwacht, nicht das mindeste. Sie hat eine Schwester, welche fast gleichen Zufaͤllen unterworfen ist. Beide hoͤrte man im Schlafe die ordentlichsten Discurse mit einander fuͤhren, davon sie doch beim Erwachen nichts wußten.

Es ist ungemein schwer, die vorbeschriebene Person endlich wieder zu erwecken. Je laͤnger man mit ihr gesprochen, je mehr man mit ihr vorgenommen, und je staͤrker ihre Einbildungskraft erregt worden ist, desto schwerer ists, sie aus dem Schlafe zu bringen. Das Rufen bei Nahmen hilft nichts. Jhre Herrschaft nur allein ist nach vielen Rufen im Stande, sie endlich wieder zu ermuntern. Doch alles, was sie bei solchem Erwachen thut, geschieht annoch106 im Traume. Kurz, sie braucht fast eine halbe Viertelstunde, um sich vollkommen zu ermuntern. Daß dieß alles keine Verstellung war, erhellet daraus, weil sie so ehrgeitzig ist, daß wenn sie erfahren, ein Fremder habe sie im Schlafe reden gehoͤrt, sie wohl eher einen ganzen Tag geweint, und sich davor so sehr geschaͤmt hat, daß sie demjenigen, der sie in solchem Zustande gesehen, fast nicht vor Augen kommen moͤgen.

Bei vorher erzaͤhlten Beispielen hat mir besonders folgendes merkwuͤrdig geschienen: a) Daß die Nachtschwaͤtzerin erschrack, wenn sie ein Fremder anredete, und es ihr nur so vorkam, als ob sie jemand fremdes sprechen gehoͤrt. Bei diesem Schlummer hatte sich die Seele der Nachtwandlerin, wie mich duͤnkt, so orientirt, daß sie nur von den Bekannten, die sie umgaben, und deren Stimme ihr gelaͤufig war, klare Eindruͤcke empfing, von einer fremden Stimme aber etwas in Verwirrung gebracht wurde, weil sie nicht genau wissen konnte, von wem die Stimme eigentlich herruͤhre. b) Daß es desto schwerer war, die Nachtwandlerin aus dem Traume zu bringen, je mehr man mit ihr vorgenommen und je staͤrker ihre Einbildungskraft erregt worden war. Hier verirrte sich die Seele gleichsam in einer Menge Traumideen, und brauchte einen groͤßern Weg, um sich wieder in die wirkliche Welt zuruͤckzufinden. Jede Jdee braucht einige107 Momente, ehe eine andre an ihre Stelle treten kann, je mehr vorzuͤglich lebhafte Jdeen nur der Seele vorgeschwebt haben, je tiefer sie sich in dieselben eingelassen hat, je mehr Zeit und Kraft wird erfordert, um entweder die alten vielfachen Jdeen auf die Seite zu schieben, um andern Raum zu geben; oder auch in einem bloß passiven Zustande andre aufzunehmen, die von außen herbeieilen. Da die Nachtwandrer uͤberdem wohl sogleich die Eindruͤcke, die man bei ihnen, um sie aufzureiben, gebraucht, in ihren Traum selbst verweben, indem sie was außer ihnen vorgeht zu traͤumen glauben, so pflegt das Rufen bei Nahmen und andre Mittel nicht leicht auf sie zu wirken, bis eine koͤrperliche Ursache eine neue Spannung der Nerven, oder auch eine entstandene Leere von Vorstellungen die Seele wieder zu sich selbst kommen laͤßt. Daß sie in jenem Zustande Ausdruͤcke von außen mit in die Reihe ihrer Traumideen aufnimmt, und dadurch nicht aufgeweckt wird, siehet man daraus, daß unsre Nachtwanderin, wenn man zu schreien und zu lachen anfing, mitschrie und mitlachte. Es scheint, daß oft eine staͤrkere Erschuͤtterung des Koͤrpers beim Nachtwandler noͤthig sey, als die bloße Stimme eines andern, um ihn aus seinem Traume zu erwecken, wie auch aus nachfolgendem Beispiel erhellet, welches ich wegen seiner Sonderbarkeit und Unlaͤugbarkeit nicht uͤbergehen kann, zumal da es mir Gelegenheit giebt,108 etwas uͤber die gefahrvollen Handlungen der Nachtwandrer zu sagen, die sie im Schlaf mit groͤßter Sicherheit und auf eine Art unternehmen, die ihnen im Wachen unmoͤglich seyn wuͤrden.

D. Knoll erzaͤhlt nehmlich in einer 1747 herausgekommenen Schrift: Historische, theoretische und practische Betrachtung eines kuͤrzlich vorgefallenen Nachtwandelns, daß er einen jungen Menschen von zweiundzwanzig Jahren, von einem melancholisch-cholerischen Temperamente, von robuster Natur und arbeitsamer Lebensart, als einen Nachtwandler gekannt habe und ein Augenzeuge seiner Handlungen gewesen sey. Dieser junge Mann ging als Gaͤrtner in die Dienste einer adlichen Herrschaft. Nach einiger Zeit bemerkten die andern Hausgenossen, daß er des Nachts vom Bette aufstand, den Fensterladen abnahm, aus dem Fenster stieg, nach drei oder vier Stunden erst wieder kam, und sich dann wieder ins Bette legte. Weil sie aber gemeint, es geschehe im Wachen und mit Willen, so hat man anfaͤnglich nicht viel daraus gemacht. Als er aber des Winters nebst andern Bedienten sich in der Stube befand, und Abends auf keine Art beim Wachen erhalten werden konnte, sondern taͤglich nach acht Uhr einschlief, so fing er im Schlafe an, geistliche Spruͤche und Gebete, mit Verwunderung der Umstehenden,109 herzubeten, worauf er aufstand, zur Thuͤr hinaus ging, einmal im Garten uͤber eine ziemlich hohe Blanke kletterte und hinten die hohe Mauer ohne Verletzung hinunterstieg, ging schlafend etliche Gassen und zwar ohne Hut fort, bis ihm ungefaͤhr ein Diener, der ihn kannte, begegnete, und weil er keinen Hut aufhatte, denselben anredete und so lange schuͤttelte, bis er munter wurde, da er denn zuruͤckging, an der Thuͤr klingelte und wiederum eingelassen war, von allem aber, was er gemacht, nichts wußte.

Ein andermal ging er im Schlafe aus der Stube, stieg im Hofe aufs Dach und ritte auf der Dachrinne, als auf einem Pferde mit Erstaunen der Umstehenden, und als er eine Weile auf dem Dache herumgeklettert, kam er unbeschaͤdigt wieder herunter, und man hat besonders angemerkt, daß er im Steigen mit Fuͤhlen forschte, ob auch die Ziegel loß oder feste waren. Waren sie loß, so unterließ er, daruͤber zu steigen.

Da nun die Frau des Hauses von allem diesen benachrichtigt wurde, so war sie besorgt, es moͤchte dieser Bediente einmal verungluͤcken, daher befahl sie, ihn in eine andre Kammer zu betten, und dieselbe wohl zu verwahren, damit er des Nachts nicht herauskoͤnnte, und ließ ihn dabei wohl beobachten. Als er nun im Schlafe zu gewoͤhnlicher Stunde seine Nachtwanderschaft antre -110 ten wollte, und merkte, daß er nicht aus der Kammer kommen konnte, so fing er mit dem darin befindlichen Hausrath und seinen Kleidern verschiedene Arbeit an. Als es ungefaͤhr um neun Uhr war, stand er einstmals mit offenen Augen schlafend aus dem Bette auf, und kroch unter dasselbe; er nahm ein unter demselben liegendes Bret, stuͤtzte es unter die Nase, und rieb dieselbe damit, bis das Blut herausfloß. Er ging hierauf nach dem Ofen, zog die Beinkleider an, nahm aus der Tasche derselben ein Messer, legte solches auf den Ofen, die Gartenschluͤssel, so er gleichfalls aus derselben nahm, warf er hinter den Ofen in Winkel. Er kroch wieder unter das Bette, und rieb sich mit dem Brete die Nase. Er eilte darauf zum Ofen, und suchte das Messer, weil aber solches von den Umstehenden schon weggenommen war, schmeißt er die daselbst gefundenen Steine mit widrigen Minen stark zur Erde, die Gartenschluͤssel aber nimmt er wieder zu sich. Er zog die Beinkleider aus, nahm andre Kleidung, und zog sie bald an, bald wieder aus. Er schmiß einen großen eichenen Tisch mit großer Gewalt bald hier, bald dorthin, und als solcher von einer andern Person, in der Absicht, damit nicht einer von den Umstehenden moͤchte getroffen werden, gehalten wurde, und auf ihn fallen wollte, wich er zuruͤck. Man rief mit starker Stimme seinen Vor - und Zunahmen; aber er erwachte nicht. Sie schuͤttelten ihn, und er bekam einen convulsi -111 vischen Husten. Die Personen, die alle seine Handlungen beobachtet, meldeten, daß er durch Rufung seines Nahmens niemals erwache, sondern durchs Schuͤtteln, und daß der starke convulsivische Husten allezeit entstuͤnde, wenn er erwache.

Er legt sich auf die Erde und schlaͤft sogleich wieder ein, liegt aber kaum einen Augenblick stille, so steht er gleich wieder auf und faͤngt von neuem zu handthieren an. Er sucht alle Kleidung, so in der Schlafkammer befindlich, zusammen, mengt sie unter einander, schmeißt sie herum, holet sie wieder zusammen; die alten Struͤmpfe und Schuhe suchet er paarweise nach der Farbe aus, als wenn er sie saͤhe und kennte, die Kleidung haͤngt er indeß hintern Ofen wieder an ihren ordentlichen Ort, wo sie vorher gehangen hatte. Nachdem die Umstehenden die Kleider und den Tisch weggenommen, faͤngt er mit dem Bette zu Laͤrmen an. Er zieht solches mitten in die Stube, und bricht davon eine Lehne ab. Kurze Zeit darnach will er es wieder an gehoͤrigen Ort bringen, merkt aber, daß ein Bret auf der Seite abgestoßen. Dieses schlaͤgt er mit einem Steine ordentlich wieder zusammen, weil es aber noch wackelte, so kratzte er sich hinter den Ohren, schuͤttelt den Kopf und macht widrige Minen, ingleichen befestigt er wieder die Pfoste unten am Bette, die gleichfalls losgestoßen war. Er steigt ins Fenster, wo kein Wachender stehen kann,112 macht das Fenster auf, gucket durchs Loch des Ladens und laͤchelt ein wenig. Vom Fenster steigt er nach dem Ofen, so gleichfalls kein Wachender verrichten kann, weil der Ofen viel hoͤher, als das Fenster, und ziemlich weit entfernt ist. Er setzt sich auf den Ofen, und reitet darauf, wie auf einem Pferde, klappet auch dabei in die Haͤnde. Vom Ofen kehrt er wieder zum Fenster zuruͤck, er will aus dem Fenster, als er aber nicht kann, lachet er und schuͤttelt mit dem Kopfe. Jndem er im Fenster steht, untersucht er mit den Haͤnden die Waͤnde, ob es gefaͤhrlich sey. Eine Nehnadel, so er vor einigen Tagen in die Wand gestochen, holet er von der Wand, zieht den Faden durchs Loch und naͤhet seine Beinkleider. Die andre Nacht ist er durch die Thuͤr gebrochen und hat in dem Garten mit den Blumentoͤpfen sein Gewerbe getrieben, als wenn er wachte. Man hat bemerkt, daß in dem letzten Viertel des Mondes sein Paroxismus am heftigsten war. Wie er selbst versicherte, hat ihn seine Mutter schon in seiner zarten Jugend oͤfters des Nachts vom Hofe geholt, er wisse aber bis jetzt nicht, daß er dergleichen Handlungen unternehme, wenn es ihm nicht andre erzaͤhlten.

Dieser sonderbare Nachtwandrer unterscheidet sich von den andern vorzuͤglich dadurch, daß seine Handlungen, die er waͤhrend des Paroxismus vornahm, nicht eigentliche Repetitionen seiner kurz113 vorher im Wachen getriebenen Geschaͤfte, sondern gleichsam ganz neue Unternehmungen waren, die durch die Einbildungskraft, verbunden mit dunkeln Einwirkungen aͤußerer Objecte, hervorgebracht wurden. Daß seine Handlungen aber wirklich durch jene Objecte groͤßtentheils determinirt wurden, ergiebt sich aus der Erzaͤhlung von selbst, indem er sogar die Dachziegel untersuchte, ob sie ihn auch wuͤrden halten koͤnnen. Daß uͤbrigens dergleichen Leute bei ihren wirklich gefahrvollen Handlungen keinen Schaden leiden, hat man, wie mich duͤnkt, ganz richtig daraus zu erklaͤren gesucht, weil sie die Gefahr nicht kennen, worin sie sich befinden. Ein Wachender wuͤrde so gut, wie ein Nachtwandrer, auf dem Dache herumklettern koͤnnen, wenn die Furcht zu fallen ihn nicht betaͤubte, und seine Schritte unsicher machte. Der Schwindel, welchem die meisten Menschen unterworfen sind, wenn sie sich auf Anhoͤhen befinden, macht, daß sie waͤhrend des Wachens keiner solchen Handlungen, als der Nachtwandler wirklich verrichtet, faͤhig sind. Von jenem Schwindel weiß aber der Nachtwandrer nichts, weil er sich auf keiner Anhoͤhe zu befinden glaubt, und den Abgrund unter sich gar nicht bemerkt; daher man solche Leute bei ihrem gefahrvollen Steigen nicht zum Wachen bringen darf, weil sie sonst unfehlbar herunterstuͤrzen wuͤrden, indem sie nun die Gefahr vor sich liegen sehen, worin sie sich begeben hatten. Ferner ist das Richten114 der Seele auf einen Gegenstand, oder auf die mechanische Befolgung einer Handlung, der zweite Grund, daß dergleichen Leute bei ihren gefahrvollen Schritten so sicher gehen. Da ihre Sinne gewissermaßen geschlossen sind, so werden sie nicht zerstreut und ihre Jdeen nicht confundirt, was bei dem Schwindel der Fall ist. Diese Richtung der Seele wuͤrde vielleicht selbst dann ihre Schritte sicher machen, wenn sie wuͤßten, daß sie sich grade auf einer Anhoͤhe befaͤnden.

Nicht weniger merkwuͤrdig, als vorhergehende Erzaͤhlungen, sind folgende, die ich ohne weitere Anmerkungen anfuͤhren will, da sie sich nach vorhergehenden psychologischen Grundsaͤtzen und Erlaͤuterungen deutlich erklaͤren lassen; allerdings aber in eine Sammlung jener denkwuͤrdigen Begebenheiten der menschlichenSeele gehoͤren.

Hildan. erzaͤhlt Cent. II. Obs. 84, 85, daß 1607 den 20sten April sein Blutsfreund, ein junger Mensch, in eben dem Hause zu Wittenberg, darin Hildan gewohnt, des Abends berauscht zu Bette gegangen, und bis um Mitternacht wohl geschlafen habe. Da er denn aus dem Bette aufgestanden, erst hin und her gewandert, nachher im Schlaf schnell aus dem Fenster gestiegen und zu demselben sich hinausbegeben. Jch schlief, faͤhrt115 Hildan fort, damals in derselbigen Kammer, und als ich von dem ungewoͤhnlichen Geraͤusch und Getoͤse erwachte, dachte ich gleichsam im Traume bei mir, daß dieser Juͤngling in seiner Kindheit oft im Schlafe gegangen. Da nun mein Diener auf Befragen geantwortet, daß der junge Mann sich nicht mehr im Bette befinde, so stand ich augenblicklich auf, und ging auf das Fenster zu, damit ich vielleicht ihn daselbst noch aufhalten und zuruͤckziehen koͤnnte. Aber in demselbigen Augenblick ist er aus dem dritten Stockwerk, vierzehn Ellen hoch, auf das Pflaster hinabgefallen. Doch ohne sonderlichen Schaden.

Der edle Herr Horrizaͤus hatte dem Hildan erzaͤhlt, daß er eine Baͤuerin im Basler Gebiete gekannt, welche im Schlafe gewandelt. Dieselbe sey bei Nacht aufgestanden, und habe im Schlafe ihre Hausgeschaͤfte verrichtet; ja sie sey einmal auf das Feld zu den Schaͤfern hinausgegangen. Horrizaͤus betheuert, daß er solches mit eigenen Augen gesehen habe.

Zu Lustrien ohnweit Lausanne war ein Buͤrger von achtundzwanzig Jahren, der von Jugend auf im Schlafe gewandelt. Als er noch ein Knabe war, stieg er bei Nacht aus dem Bette, wanderte durchs Haus und die Gassen, schrie und redete im Schlafe ganz verstaͤndlich. Welches von vielen gesehen und wahrgenommen worden. Er wuͤrde116 sein Nachtwandeln fortgesetzt haben, wenn ihn nicht nachher seine Gattin des Nachts zu Hause gehalten haͤtte. Doch ist derselbe niemals recht bei Verstande gewesen.

Plater erzaͤhlt in seinen Observat. Lib. I. pag. 12 von dem zu seiner Zeit sehr beruͤhmten Buchdrucker, Johann Oporinus, folgendes. Als dieser sich einstmals mit meinem (Platers) Vater, welcher auch ein Buchdrucker war, auf der Reise befand, und wegen einbrechender Nacht unterwegs in einem schlechten Wirthshause einkehren mußten, fing an, damit sie die Nacht ohne Schlaf hinbringen moͤchten, ein griechisches Buch zu corrigiren. Oporinus schlief, indem er den Text vorlas, daruͤber ein, dennoch aber hoͤrte er nicht auf fortzulesen. Als ihn endlich Platers Vater aufweckte, wußte er von allem, was er gelesen, nichts, ob er gleich im Schlafe eine ganze Seite gelesen hatte. Eben dasselbe habe ich auch an andern oft beobachtet, faͤhrt Plater fort, und es ist mir selbst zuweilen begegnet, daß, wenn ich Abends zu Bette gegangen und in einem Buche gelesen, daruͤber aber eingeschlafen bin, ich dennoch nicht aufgehoͤrt habe zu lesen. Und wenn man mich nach einiger Zeit ermuntert, habe ich von alle dem, was ich gelesen, mir nicht das Geringste entsinnen koͤnnen. Ja oft bin ich nach dem Abendessen bei117 der Laute eingeschlafen, und habe im Schlafe immer fortgespielt.

Vorzuͤglich merkwuͤrdig scheint mir auch das Beispiel, welches H. ab Heers in seinen Observation. oppido raris angefuͤhrt hat. Jch kenne, sagt er, einen nunmehro bejahrten Mann von Kindesbeinen an, welcher im Schlafe wandelt, und außer andern solchen Leuten ganz gewoͤhnlichen Sachen ganz wunderbare Verrichtungen unternimmt und gluͤcklich bewerkstelligt. Als er noch ziemlich jung war, und die Dichtkunst auf einer beruͤhmten Universitaͤt lehrte und am Tage oft hin und her dachte, wie er die gemachten Verse noch aͤndern und ausbessern koͤnnte, wollte ihm oft nichts einfallen. Hingegen zur Nachtzeit, wenn er schlief, stand er gemeiniglich auf, schloß seinen Schreibtisch auf, fing an zu schreiben, und las dasjenige, was er geschrieben hatte, mit lauter Stimme her. Endlich, wenn er aufhoͤrte zu lesen, fing er an zu lachen, und freuete sich uͤber seine gluͤcklichen Einfaͤlle; ja er ermahnte seinen Stubengesellen, daß er sich doch eben so vergnuͤgt uͤber seine verfertigten Gedichte bezeigen moͤchte. Wenn alles dieses vollbracht war, legte er seine Papiere in Ordnung, schloß den Schreibtisch zu, zog seinen Schlafrock und Pantoffeln aus, legte sich wiederum zu Bette und schlief so lange, bis er aufgeweckt118 wurde. Da er denn von allem, was er in der Nacht gethan, nichts wußte.

Wenn er am Morgen aufgestanden und sein Gebet gethan, ging er mit einiger Bekuͤmmerniß an seine Arbeit, und sorgte, wie er die den vorigen Tag gemachten Poesien noch verbessern und die Luͤcken derselben ausfuͤllen moͤchte. Sobald er aber vom Schreibtische kam und alles dieses, ja was noch mehr, mit seiner eigenen Hand schon bewerkstelligt sah, erstarrte er, gleich einem, der vom Blitz geruͤhrt worden, und bekuͤmmerte sich im rechten Ernst daruͤber, ob solches ein guter oder boͤser Geist gethan. Wenn seine Freunde uͤber sein Bezeigen lachten, so bat er sie mit Thraͤnen, ihn, wo es moͤglich waͤre, von diesem Jrrthum zu befreien. Weil er aber, indem sie dasjenige, was sich mit ihm in der Nacht zugetragen, und was sie wachend mit angesehen hatten, erzaͤhlten, ihnen keinen Glauben zustellen wollte, so brachten sie ihn die folgende Nacht, da er es wiederum eben so gemacht, in ein ander Bette, und legten ihn mit seinem Nachtkleide, welches er von ungefaͤhr anbehalten hatte, verkehrt in dasselbe, so daß er mit dem Kopfe da lag, wo man sonst die Fuͤße hinzulegen pflegte, ließen ihn auch so lange liegen, bis er am hellen Tage von selbst erwachte. Ob er nun gleich abermals laͤugnen wollte, daß er dieselbe Nacht aufgestanden sey, gelesen, geschrieben, auch dieß und jenes ver -119 richtet habe, so wurde er doch gar leicht durch den Augenschein uͤberzeugt, daß er sich im Schlafrock, den er doch den Abend vorher ausgezogen, und in einem andern Bette befand. Es ist in der That zu verwundern, setzt der Erzaͤhler hinzu, daß ein Mann von so unvergleichlichem Gedaͤchtniß, sich dieses naͤchtlichen Schreibens und Lesens, welches doch oft drei bis vier Stunden gedauert, gar nicht zu erinnern gewußt. Aber noch mehr, daß sein Gang, die Art zu schreiben und seine Sprache ihm bei Nacht eben so natuͤrlich gewesen, als er alles dieses am Tage verrichtet, da sonst die meisten Nachtwandrer ihre Sachen sehr unvollkommen und gleich Trunkenen vornehmen. Was aber bei dieser Sache am sonderbarsten ist, ist dieß, daß, nachdem er lange nachher sein Amt aufgegeben, und eine schoͤne und tugendhafte Frau geheirathet, er derselben aber seine Heimlichkeiten verschwiegen, diese des Nachts, wenn er das Kind im Schlafe aus der Wiege auf seine Arme genommen, und damit im ganzen Hause herumgegangen, ihm uͤberall auf dem Fuße nachgefolgt, und durch Fragen alles Verborgene seines Herzens von ihm erfahren, so, daß er sich nachher gewundert, wer seiner Gattin die Geheimnisse seiner Seele, die sonst niemand, als ihm allein, bekannt gewesen, verrathen haben muͤßte.

Jm fuͤnfundvierzigsten Jahre seines Alters hoͤrte er auf im Schlafe zu wandern, dagegen fing120 er zu der Zeit an, desto mehr zu traͤumen, wovon er, so lange er zur Nacht aufstand und arbeitete, frei gewesen. Die ihn bei Nacht wandern und lesen gesehen, haben versichert, daß er die Augen weit offen gehabt. Er selbst aber hat hoch betheuert, daß er gar nichts gesehen habe. (Wahrscheinlich hatte er auch dieß beim Aufwachen vergessen, daß er wirklich waͤhrend seinen naͤchtlichen Arbeiten Gebrauch von seinen Augen gemacht.) Die Traͤume, die er nachher bekam, heißt es weiter, waren gemeiniglich prophetisch. Er sahe in denselben seines Schwiegervaters, seiner Frauen, seines aͤltesten Sohnes und verschiedener Anverwandten Leichen so deutlich vorher, wie sie nachmals in der That bestellt und angeordnet wurden. So sagte er auch viele Dinge, die ihm jeden Tag uͤber begegnen wuͤrden, zum voraus, froͤhliche und traurige Begebenheiten, Streitigkeiten, Verlust, Gewinn und andre dergleichen; ja er wußte gemeiniglich die Stunde gewiß anzuzeigen, wenn solches geschehen wuͤrde.

Wepfer erzaͤhlt in seinen Observat. medico-practic. Observ. 94 folgendes. D. Buoch schrieb im Monat April 1688 von Meßkirchen folgendes an mich. Jn einem benachbarten Kloster sind zwei Nonnen, welche im Schlafe wandeln, und fast alle Naͤchte mit offenen Augen das Kloster121 durchstreichen. Sie laufen die Treppen auf und nieder und zuͤnden Lichter an. Es begleiteten sie gemeiniglich zwei bis drei andre gesunde Nonnen, welche sie nicht gewahr werden, bis man sie recht scharf mit Ruthen streicht.

Del Rio erzaͤhlt (siehe Fritschii Histor. mirabil. Part. II. Hist. 5) Gundisalvus, ein Schulmeister, welcher die Kinder im Catechismus unterrichtete, und in einem Kloster zu uͤbernachten pflegte, hatte im Gebrauch, daß er zur Nachtzeit sang, lehrte, schalt und vermahnte, grade, als wenn er sein kleines Auditorium wirklich vor sich haͤtte. Ein Klosterbruder, in dessen Zelle er lag, drohete ihm, er sollte die Nacht stille seyn, und ihn ruhig schlafen lassen, oder er wollte aufstehen, seine Ruthe nehmen, und ihm, wie er seinen Schuͤlern, das Lermen vertreiben. Der Schulmeister merkt sich dieß, und schlaͤft daruͤber ein.

Des Nachts steht er auf, nimmt eine lange Scheere und geht zu des Bruders Bette, welcher zu allem Gluͤcke gewachet, und bei hellscheinendem Monde diesen Nachtgaͤnger gesehen, und sich hinter das Bette verkrochen. Gundisalvus aber naͤherte sich dem Bette und stieß die Scheere etlichemal in das Hauptkuͤssen, und legte sich darauf wieder nieder. Des folgenden Tages wußte er nichts122 davon, sondern sagte, daß ihm getraͤumet, der Bruder sey mit der Ruthe zu ihm kommen, und er habe sich mit der Scheere vertheidiget.

Ein Schuͤler, wie Clauderus erzaͤhlet, ist im Schlafe aufgestanden, hat sein Exercitium verfertiget, und sich nachher wieder zur Ruhe begeben.

Jm Jahre 1593 den 24sten Maͤrz ist nicht weit von Helmstaͤdt ein Nachtwanderer gewesen, wie Horst berichtet, welcher aus dem Bette aufgestanden, die Treppe hinuntergestiegen, und einen weiten Weg durch den Hof gegangen, darnach in die Kuͤche gekommen, und in den Brunnen gestiegen, hat die Haͤnde und Fuͤße hart und fest eingesetzt, ist auch ganz nackend gewesen, bis aufs Hemde; ist doch nicht ins Wasser kommen, ausgenommen, daß er den Saum am Hemde ein wenig benetzet, und als derselbe erwachet, vielleicht wegen des kalten Wassers, hat er geschrien: O mein Bein, hilft mir. Die andern im Hause, als sie die Stimme hoͤren, suchen und finden ihn, daß er sich in den Brunnen mit Haͤnden und Fuͤßen anhaͤlt, und setzten ihm die Leiter mit einem Licht hinein. Dieweil er aber auf diese Weise nicht herauskommen koͤnnen, lassen sie ihm den Eimer hinunter; da steiget er mit dem rechten Fuße hinein, und mit der rechten Hand haͤlt er die Ketten, und haben ihn also herausgebracht; welches gluͤcklich zugegangen, aber er ist sehr erfroren gewesen und ganz erstarret.

123

Helmont erzaͤhlet, er habe einen Schlafgesellen gehabt, welcher gemeiniglich des Nachts im Schlafe aufgestanden, mit dem Schluͤssel das Schloß aufgemacht, und wenn er eine Weile herumgewandert, bei seiner Zuruͤckkunft wieder zugeschlossen habe. Daher Helmonteinstmals aufgestanden sey, den Schluͤssel hinweggenommen und unter das Kopfkuͤssen versteckt habe. Allein sein Schlafgeselle habe sich hernach aus den Federn gemacht, und den Schluͤssel unter dem Kopfkuͤssen hervorgezogen, gleich, als wenn er es gesehen haͤtte, daß er dahin verstecket worden, und sey hinweggegangen. Da er ihn nun nachgeschlichen, habe er gesehen, daß er auf eine alte mit Moos und Gras bewachsene Wand gestiegen. Den folgenden Morgen habe er aber von allem nichts gewußt.

Es schliefen drei junge Edelleute und Gebruͤder, schreibt eben derselbe, in einem Bette beisammen, von diesem stand der eine einstmals ganz nackend auf, nahm sein Hemde in die Hand, und eilte stillschweigend nach einem Fenster, ergriff das vor dem Fenster von der Rolle herabhangende Seil, und durch Huͤlfe dieses Seils rutschet er bis zum Giebel des Hauses, nimmt daselbst junge Aelstern aus, wickelt selbige ins Hemde, macht sich wieder herunter, begiebt sich zu Bette und versteckt darin die ins Hemde gewickelte junge Aelstern. Da er des Morgens erwachte, und seine Bruͤder wegen124 seines Aufstehens mit ihm sprechen, will er von nichts wissen, außer daß ihm getraͤumet, er sey verwichene Nacht aufgestanden, habe ein Aelsternest zerstoͤret, und die Jungen aus denselben mit sich genommen. Woruͤber seine Bruͤder ihn auslachen. Als er nun aufstehen will, sucht er sein Hemde im Bette, welches er auch unten zu den Fuͤssen mit sammt den lebendigen jungen Aelstern findet, und also nicht nur im Traume, sondern in der That geschehen war, was er seinen Bruͤdern erzaͤhlet hatte.

Es faͤllt mir ein, schreibt der Verfasser der curieusen Betrachtungen bei schlaflosen Naͤchten, wie ich einen gewissen Goldschmidt gekannt habe, welcher mir selbst erzaͤhlete, daß er in seiner Jugend mit dergleichen Uebel sehr beladen gewesen sey. Unter andern meldete er zweierlei, so sich von diesen in seinen Lehrjahren zu Hamburg mit ihm zugetragen hatte. Nehmlich es haͤtte sein Lehrherr immer viel zu thun gehabt, daß die Gesellen und Jungen selten haͤtten vor zwoͤlf bis ein Uhr des Nachts duͤrfen zu Bette gehen. Als dieser Junge sich nun einstmals nebst seinen Cameraden und Gesellen auch so spaͤt schlafen geleget, und sanft eingeschlafen waͤre, waren die andere Gesellen und Jungen zwar des Morgens darauf zu rechter Zeit wieder aufgestanden, haͤtten aber diesen ihren Schlafgesellen nicht mehr bei sich gehabt, ohnerachtet seine Kleider noch125 zugegen gewesen. Da man nun nach vielen vergeblichen Suchen ihn nicht finden koͤnnen, waͤre er am Mittage gegen Tischzeit von sich selbst wieder zum Vorschein gekommen, und zwar in einem pfuͤtznassen Hemde und Haaren. Dieses aber aus folgenden Ursachen: Es waͤre das Dach von seines Herrn Hause an des Nachbarn Haus auf solche Art gestoßen, daß die Dachtraufen von beiden Haͤusern zusammen in eine große Rinne gegangen waͤren. Nun haͤtte ihm geduͤnket, als daß ihm selbige Nacht getraͤumet haͤtte, es waͤre seinem Herrn ein Canarienvogel entflogen, und er waͤre dem Canarienvogel nachgestiegen, ihn wieder zu fangen, haͤtte aber hernach empfunden, was ihm vor ein seltsames Abentheuer im Schlaf begegnet sey. Nehmlich er waͤre im Schlafe aufgestanden, sey zum Dachfenster hinaus auf die Rinne gestiegen, haͤtte sich in solche Rinne gelegt und wohl ausgeschlafen, bis gegen Mittag. Unterdessen aber waͤre ein starkes Gewitter mit einem Platzregen entstanden; also, daß das von beiden Daͤchern zusammenschießende Wasser weit uͤber ihm muͤsse hingegangen seyn. Dem aber ungeachtet haͤtte er solches nicht gefuͤhlet, sondern waͤre ohne Schaden bis in Mittag in solcher Rinne liegen geblieben, bis er von sich selbst erwachet und als eine gebadete Maus aufgestanden waͤre, und nicht gewußt haͤtte, wie er dahin gekommen, oder weswegen er so naß waͤre. Bis ihm seine Leute bedeutet haͤtten, daß gegen den126 Morgen ein heftig Gewitter gewesen; welche sich daneben auch sehr uͤber ihn verwundert haͤtten, daß er nicht gar ersoffen waͤre, weil das Regenwasser doch eine geraume Zeit muͤßte uͤber ihn hingegangen seyn, und er solches nicht gefuͤhlet, noch das starke Donnern gehoͤret haͤtte. Noch wunderbarer kam es heraus, als mir eben dieser Goldschmidt erzaͤhlte, es sey ein gewisser unbewohnter Thurm zu Hamburg, in welchen oft in Jahr und Tag kein Mensch kaͤme, und also stets die Thuͤre des Thurms verschlossen bliebe. Er haͤtte aber einstmals in Acht genommen, daß im Sommer die Mauerschwalben oben in dieses Thurms Mauer heckten. Welches Schwalbennest nicht gar weit von einem Loche, das oben im Thurme, wie eine offene Thuͤr herausgehe, sey. Da haͤtte er manchmal gedacht, wenn er nur zu diesen Schwalbennest kommen und solches ausnehmen koͤnnte. Hierauf haͤtte es sich begeben, daß an einem nicht weit von diesem Thurm stehenden Gebaͤude waͤre gearbeitet worden, an welchem des Tages sowohl, als des Nachts, große Leitern zum Bau gelegen waͤren. Einstmals waͤre er auf vorhererzaͤhlte Weise aus seinem Bette vermißt worden, da doch seine Kleider zugegen gewesen, und Niemand haͤtte ihn zu suchen gewußt. Es haͤtte aber eine von jetztgedachten großen Leitern desselben Morgens fruͤh an mehr erwaͤhnten Thurm gelegen, als ob jemand haͤtte darauf in den Thurm steigen, und haͤtte es, weil sie bis auf die sechs127 Ellen bis an das große Loch nicht zugelanget haͤtte, unterlassen muͤssen. Weil es aber gleichwohl bei jedermann einen Verdacht erwecket haͤtte, aus was Ursachen die große Leiter an den wuͤsten Thurm muͤsse seyn geleget worden, so waͤre die Thurmthuͤre geoͤffnet. Wie man aber hinaufgegangen und sich oben umgesehen, haͤtte man ihn (den damaligen Goldschmiedsjungen) eben bei dem großen Loche auf einem Schutthaufen in dem tiefsten Schlafe liegend gefunden, also, daß sie ihn kaum erwecken koͤnnen. Als er nun endlich erwachet, haͤtte er nicht gewußt, wo er waͤre, oder wie er dahin gekommen. Am allermeisten aber haͤtte jedweder sich verwundern muͤssen, wie er, als ein schwacher Knabe, eine so große Leiter an den Thurm bringen koͤnnen, welches doch der staͤrkste Bauer allein nicht wuͤrde vermocht haben. Jmgleichen, wie er haͤtte koͤnnen von der Leiter bis in das Loch steigen; da doch die Leiter etliche Ellen zu kurz gewesen waͤre.

Der Beschluß im folgenden Stuͤck.

128

Jnhalt.

Note: < Liste der Beitraͤge >

Seite

  • Fortsetzung der Revision des 4ten 5ten und 6ten Bandes dieses Magazins 1.
  • Zur Seelenkrankheitskunde.
    • Johann Herrmann Simmen 28.
  • Zur Seelennaturkunde.
    • Psychologische Bemerkungen uͤber Traͤume und Nachtwandler. Fortsetzung 74.

About this transcription

TextGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
Author[unknown]
Extent130 images; 25036 tokens; 5512 types; 169927 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Christof WingertszahnSheila DicksonGoethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-StiftungUniversity of GlasgowNote: Erstellung der Transkription nach DTA-RichtlinienNote: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-06-09T11:00:00Z Matthias BoenigDeutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu BerlinNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2015-06-09T11:00:00Z UB Uni-BielefeldNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2015-06-09T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte siebenten Bandes erstes Stück Karl Philipp Moritz, Carl Friedrich Pockels, Salomon Maimon (eds.) . MyliusBerlin1789.

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Universitätsbibliothek Bielefeld UB Bielefeld, 2097611

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Psychologie; Wissenschaft; Psychologie; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: &lt;choice&gt;&lt;corr&gt;[Verbesserung]&lt;/corr&gt;&lt;sic&gt;[Originaltext]&lt;/sic&gt;&lt;/choice&gt; vorgenommen.

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