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Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Zehnten Bandes drittes Stuͤck.

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Einleitung zur Realuͤbersicht des Magazins zur Erfahrungsseelenkunde. von2Salomon Maimon.

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Der Plan zu einem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde ist gluͤcklich entworfen; das Werk selbst, im Ganzen genommen, mit gutem Erfolg fortgesetzt, und mit Beifall aufgenommen worden.

Es enthaͤlt schon eine solche Menge und Mannigfaltigkeit von psychologischen Faktis und deren Erklaͤrungen, daß schwerlich ein psychologisches Phaͤnomen dem Beobachter aufstoßen kann, das nicht, kleine Unterschiede abgerechnet, irgend einem, in diesem Magazin vorkommenden aͤhnlich, und mit demselben aus einerlei Gruͤnden erklaͤrbar seyn sollte.

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Materialien sind schon genug gesammlet. Es ist nun Zeit davon einen Gebrauch zu machen, und aus diesen Materialien das Gebaͤude einer Erfahrungsseelenkunde, als Wissenschaft, aufzufuͤhren.

Herausgeber und Verleger sind daher einig geworden, dieses Magazin nicht weiter (in dieser Form) fortzusetzen, und dieses Werk mit dem zehnten Bande zu beschließen.

Jch hoffe sowohl denjenigen die dieses ganze Werk im Besitz haben, als andern die dessen Jnhalt im Kurzen zusammengefaßt zu uͤbersehen wuͤnschen, keinen unwichtigen Dienst zu leisten, und dem Werke selbst keine unbetraͤchtliche Vollstaͤndigkeit zu geben, wenn ich in diesem letzten Stuͤcke eine Realuͤbersicht des ganzen Werkes seinem wesentlichen Jnhalte nach liefre.

Unbedeutende Aufsaͤtze oder auch solche die zwar an sich nicht uͤbel gerathen sind, und sich recht gut lesen laßen, aber dennoch nicht eigentlich zur Psychologie gehoͤren, werde ich gaͤnzlich in dieser Realuͤbersicht mit Stillschweigen uͤbergehen. Andere die zu weitlaͤuftig gerathen sind, werde ich abkuͤrzen, und auf ihren wesentlichen Jnhalt und wahren Werth reduziren.

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Wichtige Aufsaͤtze hingegen koͤnnen wenig abgekuͤrzt werden. Jch werde sogar einige derselben mit Erlaͤuterungen und Anmerkungen begleiten.

Zuletzt will ich noch eine allgemeine Jnhaltsanzeige, die viel zweckmaͤßiger, als bisher geschehen, eingerichtet seyn soll, hinzufuͤgen.

5S. Maimon.

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Ersten Bandes erstes Stuͤck zur Seelenkrankheitskunde.

I. 4-6.

Wird von einem Menschen erzaͤhlt, der so bloͤdsinnig war, daß er bei voͤlliger menschlicher Bildung, nicht die geringste Spur von Menschenverstand und Sprache von sich gab. Er forderte nicht einmal die ihm unentbehrlichen Nahrungsmittel. Diese mußten ihm die Eltern, so wie ei -4 nem Kinde, von Zeit zu Zeit, darreichen. Er blieb in diesem Zustand bis zu seinem Tod, der in seinem fuͤnf und zwanzigsten Jahre erfolgt ist. Jn seiner Krankheit ließ er, so wie in gesunden Tagen, von seinem Haͤndeklatschen und dem gewoͤhnlichen Ausrufen: Gack, Gack! nicht ab.

Man gab zur vermuthlichen Ursache dieses Bloͤdsinns an, daß die Mutter dieses Menschen, als sie mit ihm schwanger gieng, einem, in einer Klause gesessenen Unsinnigen das Essen habe zutragen muͤssen.

II. 7-15.

Ein Mann von vieler Gelehrsamkeit, und, wie man aus seiner zwar nicht zahlreichen aber auserlesenen Buͤchersammlung und den uͤber einige Buͤcher von ihm geschriebenen Anmerkungen ersieht, von großer, mit guter Beurtheilung verbundener Belesenheit, der verschiedene Sprachen verstand, sich auf die Jurisprudenz, Weltweisheit und Geschichte legte, und in der Arzneikunde nicht ganz unwissend war, ausser diesem eine Geschicklichkeit in Verfertigung mancher zur Bequemlichkeit des Lebens erforderlichen Dinge besaß, hegte eine lange Zeit den Gedanken, als habe er ein Buch gegen die Religionsgrundsaͤtze des Koͤnigs von Preußen5 geschrieben, woruͤber er seine Strafe zu befuͤrchten Grund zu haben glaubte.

Er gieng darin so weit, daß er alles fuͤr Nachstellung ansah, was nur auf irgend eine entfernte Art dafuͤr angesehen werden kann. Zuletzt verschloß er sich in seinem Zimmer, welches er, um allen Ueberfall zu verhuͤten, von aussen befestigt und mit Schießgewehr versehen hatte.

Er schrieb seine Traͤume sorgfaͤltig auf, indem er sie fuͤr goͤttliche Eingebung hielt, und brachte seinen mit ihm eingesperrten Vetter durch Schlaͤge dahin, daß dieser eidlich versichern mußte, daß er seines Onkels Traͤume fuͤr goͤttliche Eingebung halte.

Jn diesem Zustande blieb der vorerwaͤhnte Mann bis zu seinem Tod, der im sechzigsten Jahre seines Alters erfolgte.

Die Angaben zur Erklaͤrung dieser sonderbaren Seelenkrankheit sind: 1) War es einigermaßen eine Familienkrankheit. 2) Dazu kommt noch, daß dieser Mann, zur Zeit da er in koͤniglichen Diensten stand, viel mit dem Kopfe hatte arbeiten muͤssen.

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III. 16-20.

Ein Mann, der eine Profession gelernt hatte, und auf seinen Reisen, wider Willen, in Soldatenstand gerathen war, wurde, aus Widerwillen gegen den Dienst liederlich. Als er nun einst als Deserteur bestraft zu werden, mit Recht zu fuͤrchten glaubte, entschloß er sich aus Lebensuͤberdruß, Hungers zu sterben. Zu diesem Ende versteckte er sich auf den obersten Boden von eines Tabackspinners Haus, wo er vierzehn Tage nachher ganz vom Hunger entkraͤftet gefunden wurde. Darauf wurde er in das Lazareth geschickt. Hier hoͤrte er, daß er allem Vermuthen nach Zeitlebens auf die Festung kommen moͤchte. Um also dieser lebenslangen Strafe zu entgehen, da er ohnedem schon des Lebens uͤberdruͤssig war, faßte er den Entschluß, durch einen Mord, seine Strafe zum Tode zu graviren; welchen Entschluß er auch an seinem Kameraden (da ihm die Zeit zu lang war, auf die Wiederkunft seiner ihm gehaͤssigen Waͤrterin, an der er diese Rache hatte ausuͤben wollen, zu warten) ausfuͤhrte. Jm Verhoͤre gestand er alles, und bereuete sehr, daß er das Leben einer unschuldigen Person zum Opfer seines Lebensuͤberdrusses gemacht hatte.

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IV. 20-24.

Ein spanischer Weber, den vermuthlich das bestaͤndige krumme Sitzen, oft scharfes Nachdenken, und weitlaͤuftiges Ueberrechnen bei schweren und kuͤnstlichen Mustern, die mit seiner Profession verknuͤpft sind, zu hypochondrischen Zufaͤllen geneigt gemacht hatten, und wahrscheinlich auch eine Neigung zum Muͤßiggang, ein bequemeres Leben zu suchen veranlaßte, gerieth auf den Gedanken, Schaͤtze zu graben.

Diese Jdee wurde in seiner lebhaften Einbildungskraft so fixirt, daß er zuletzt an ihre Wirklichkeit zu glauben anfieng. Dieses verwirrte schon seinen Verstand. Krankheit, Nothduͤrftigkeit und Kummer zerruͤtteten denselben vollends.

Er glaubte im Jahre 1764 wirklich mit Huͤlfe seines schon verstorbenen Bruders einen Schatz (den er sehr umstaͤndlich beschrieb) gefunden zu haben. Die heiligen Engel und Geister, wie auch zwei schon verstorbene Menschen hatten ihnen denselben offenbart, und mit Huͤlfe eines solchen Geistes und der Wuͤnschelruthe hatte er die Stelle wo der Schatz sich befand, entdeckt. Boͤse Geister aber hatten ihm und seinem Bruder Hindernisse in den Weg gelegt. Er entdeckte also dieses Geheimniß andern Leuten, die er nannte, und wollte mit ihrer Huͤlfe die zweite Nacht sein Heil probiren. 8Diese aber waren zu klug als daß sie auf ihn warten sollten. Sie gruben also den Schatz fuͤr sich aus, gaben auch einen Theil davon einem gewissen Prediger, der den ihn bewachenden Geist bannen mußte. Vieles davon kam auch nach P. wie dieser arme Weber versicherte.

Seine Schwester, die der Arzt uͤber die Umstaͤnde ihres Bruders befragte, bekraͤftigte alle seine Einbildung, und war voͤllig so naͤrrisch wie er. Ein Beleg zu der Erfahrung, daß Wahnwitz ansteckend ist.

V. 26-29.

Ein an sich einfaͤltiger und aberglaͤubischer Mensch gerieth durch allerhand mißliche Umstaͤnde in einen ganz ungewoͤhnlichen Zustand von Furcht und Aengstlichkeit, welche ihn vorzuͤglich des Nachts quaͤlte, und gar nicht schlafen ließ, und die er, seiner Aussage nach, blos durch Lesen in geistlichen Buͤchern und Singen geistlicher Lieder vertreiben konnte.

Da er nun fleißig die heilige Schrift las, gerieth er unter andern auf das Buch Daniel. Die darin erzaͤhlten wunderbaren Erscheinungen und Verrichtungen wurden ihm durch diese Lektuͤre so familiaͤr, daß er nun selbst Wunder zu verrichten im Stande zu seyn glaubte.

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VI. 26-29.

Ein Mensch, der von seiner Jugend an den hypochondrischen Zufaͤllen sehr unterworfen, uͤbrigens einfaͤltigfromm war, gerieth durch hinzukommende aͤußere mißliche[ Umstaͤnde] verschiedenemal auf den Gedanken, sich selbst das Leben zu nehmen.

Da ihm dieses aber mißlang, so verfiel er darauf, ein Kind, das er sehr liebte und zur Froͤmmigkeit anfuͤhrte, zu ermorden, und sich dadurch die Todesstrafe zuzuziehen.

VII. 30-31.

Ein Mann, der ein unmittelbarer Abgesandter der heiligen Dreieinigkeit zu seyn glaubte, die jetzt die Regierung auf Erden selbst uͤbernommen, und aller[ anderer] Gewalt aufgehoben habe, verpanzerte seinen Leib, aus Furcht vor den ihn plagenden (vermuthlich aus Neid uͤber die Wichtigkeit seines Amts) boͤsen[ Geistern,] auf eine sehr sonderbare Art. Parallel zwischen diesem und No. II.

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VIII. 31-38.

Grundlinien zu einem ohngefaͤhren Entwurf in Ruͤcksicht auf die Seelenkrankheitskunde.
  • 1) Mangel der verhaͤltnißmaͤßigen Uebereinstimmung aller Seelenfaͤhigkeiten ist Seelenkrankheit.
  • 2) Die Zerstoͤrung dieses Verhaͤltnisses ist nur alsdann Seelenkrankheit, wenn sie anhaltend ist.
  • 3) Die thaͤtigen Kraͤfte muͤssen mit den vorstellenden Kraͤften in einem gewissen Verhaͤltniß stehen.
  • 4) Die zum Denken erforderliche Klarheit der Vorstellungen, setzt eine verhaͤltnißmaͤßige Verdunklung andrer voraus.
  • 5) Alle durch Zufall oder durch die freie Wirkung der Einbildungskraft veranlaßten Jdeenverbindungen duͤrfen die durch die Natur der Dinge selbst bestimmte Jdeenverbindung nicht aufheben.
  • 6) Einige Seelenkrankheiten koͤnnen so wie[ einige] Krankheiten des Koͤrpers angeerbt, einem11 Volke oder Lande eigen, ansteckend, heilbar oder unheilbar seyn.
  • 7) Es giebt gegen die Seelenkrankheiten keine Universalmittel.
  • 8) Es giebt allerdings Seelenaͤrzte, die es im groͤßern oder kleinern Grade sind.

Zur Seelennaturkunde.

I. 39-44. Einige Beobachtungen uͤber einen funfzehnjaͤhrigen Taub - und Stummgebornen.

Er schien es zu wissen, daß ihm der Sinn des Gehoͤrs mangelte. Auch schien er den Mangel der Sprache zu empfinden, welches er durch Zeichen andeutete.

Er bildete gleich Anfangs die zur Hervorbringung der leichten Buchstaben b, d, f, u.s.w. erforderliche Bewegung des Mundes nach, aber er setzte keinen vernehmlichen Laut hinzu, bis12 ihn derjenige der ihn sprechen lehren wollte, durch Lachen und Husten, das er gleichfalls nachmachte, darauf aufmerksam gemacht hatte.

Der Lehrer bediente sich mit ihm erstlich statt der Buchstaben der natuͤrlichen Zeichen. Er zeichnete ihm eine Wellenlinie vor, welche dieser mit der Volubilitaͤt der Zunge verfolgte, und auf diese Weise ein L aussprechen lernte. Eben so verfolgte er den vorgezeichneten geraden Strich mit einem Stoß der Zunge, und lernte das D aussprechen u.d.g.

Nun fieng der Lehrer an, ihn verschiedene Gegenstaͤnde mit einzelnen Lauten benennen zu lassen. Auf diese Art lernte er die Arten dieser Gegenstaͤnde bezeichnen.

Nach und nach lernte er auch aus Buchstaben Sylben, und aus Sylben ganze Woͤrter zusammensetzen.

Er hatte eine starke und richtige Einbildungskraft, ein gutes Gedaͤchtniß, und eine gesunde Beurtheilungskraft.

II. 44-47. Aus einem Tagebuche.

Ein hoͤchst uninteressanter Ausdruck aus einer Arie in einer Operette, den der V. zufaͤlligerweise13 hatte singen hoͤren, draͤngte sich demselben unwillkuͤhrlich in den ernsthaftesten Geschaͤften auf.

Die Abenddaͤmmerung veranlaßte beim V. den Wunsch nach den stillen haͤuslichen Freuden.

Die Veraͤnderung vom langsamen zum schnellen Gehen bestaͤrkte den niedergeschlagenen Muth des V. und belebte seine Hofnungen. Der Glanz der Abendroͤthe aber erregte in ihm den Wunsch, ein thaͤtiges ruhmvolles Leben zu fuͤhren, und erweiterte seine Aussichten.

III. 47-53.

Beobachtungen uͤber das Alpdruͤcken, die aber nichts ungewoͤhnliches zur Betrachtung darbieten.

IV. 53-55.

Wird erzaͤhlt von Personen, die einige Zeit gewisse Handlungen verrichtet zu haben glaubten, wovon sie nachher uͤberzeugt worden, daß sie dieselbe nie verrichtet hatten.

VII. 70-84.

Ein in der gelehrten Welt bekannter Mann erzaͤhlt von sich folgendes:

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Er habe in der .... Ziehung der Koͤnigl. Preuß. Zahlenlotterie auf die Zahlen ..... und ..... gesetzt.

Jn der Nacht vor dem Tage der Ziehung traͤumte ihm, er wuͤrde des Mittags gegen zwoͤlf Uhr, zu welcher Zeit die Lotterie gezogen zu werden pflegt, von dem Herrn, bei dem er damals in Diensten stand, wegen Besorgung eines Geschaͤfts, nach einem Hause in der Nachbarschaft des Generallotterieamts geschickt. Gut dachte er! ich werde sobald als moͤglich ist, mich meines Auftrags entledigen, und gleich nach dem Generallotterieamte laufen, und sehen, ob meine Nummern herauskommen? Er kam dahin, nach bestelltem Auftrage, und fand die gewoͤhnliche Zuruͤstung und eine ansehnliche Menge Zuschauer, und in dem Augenblick, da er ankam, wurde beim Hineinzaͤhlen der Nummern eine der Nummern, worauf er gesetzt hat, vorgezeigt und ausgerufen. Beim Hinauszaͤhlen wurde erstlich die zweite, und darauf auch die erste Nummer, worauf er gesetzt hat, gezogen, vorgezeigt und ausgerufen. Darauf gieng er frohen Muths nach Hause. Hier erwachte er.

Dieser Traum wurde aufs Puͤnktlichste erfuͤllt. Der V. fuͤhrt noch mehrere Beispiele dieser Art an.

Ein anderer erzaͤhlt, es habe ihm in .... Nacht getraͤumt, wie Diebe das Haus seines Oheims (der ausser dem Orte wo sich der V. befand, wohnte)15 bestohlen, er sehe sie einbrechen, sehe sie dieses oder jenes sich bemaͤchtigen; welches alles zu eben der Zeit aufs Puͤnktlichste eintraf.

IX. 92-106. Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.

Durch die Jmpersonale wird eine Veraͤnderung gedacht, ohne sie auf eine handelnde Person, ja selbst auf eine sie hervorbringende wirkende Ursache uͤberhaupt zu beziehen. Es donnert, z. B. heißt so viel als: das Donnern geschieht, u.d.g. Wir gebrauchen dieselben von solchen Veraͤnderungen, deren wirkende Ursache uns unbekannt ist.

Daß wir aber verhaͤltnißmaͤßig so wenig Jmpersonale in der Sprache haben, da die Ursachen der mehresten Veraͤnderungen uns unbekannt ist, ruͤhrt daher, weil bei uns jede Vorstellung aͤußerer Gegenstaͤnde erst durch die Vorstellung von uns selber, oder von unserm Jch gleichsam durchgehen muß, und wir der ganzen Natur unser Bild eindruͤcken. Wir betrachten also bloß Veraͤnderungen als Handlungen und beziehen dieselbe auf die naͤchste, in die Augen fallende Ursache, die wir zu diesem Behuf personifiziren. Z.B. die Baͤume bringen Fruͤchte hervor u.d.g.

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Jst aber selbst diese unbekannt, wie z. B. bei den Erscheinungen, die den Geistern zugeschrieben werden, so werden die Jmpersonale gebraucht. Es wandelt, es spukt u.s.w.

Eben so ist es auch mit den innern Veraͤnderungen. Es scheint mir; es deucht mir u.d.g. zeigt eine Veraͤnderung des Gemuͤths, deren mir unbekannte Ursache ich ausser mir denke. Dahingegen: ich glaube, eine solche anzeigt, deren Ursache meine Selbstthaͤtigkeit ist.

Hier werden noch mehrere Jmpersonale angefuͤhrt, die auf eben die Art erklaͤrt werden.

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Zweites Stuͤck

II. zur Seelenkrankheitskunde.

10-18.

Ein Schuhmacher, dem auf seinen Reisen, sein Felleisen und mit diesem sein Handwerkszeug und seine Kundschaften gestohlen worden waren, ließ sich als Soldat anwerben. Lebensuͤberdruß und fromme Schwaͤrmerei spannten sein Verlangen aufs hoͤchste nach der Gluͤckseligkeit eines kuͤnftigen Lebens. Er dachte daher darauf, wie er seine koͤrperliche Huͤlle von sich abwerfen koͤnne, um so bald als moͤglich dieser Gluͤckseligkeit theilhaftig zu werden; doch so, daß er demohngeachtet selig sterben koͤnnte. Er waͤhlte dazu den Weg, sein Leben durch einen Mord zu verwirken, nach dessen Vollbringung er sich zu Gott zu bekehren, und selig zu werden glaubte.

Diesen Mord uͤbte er nachher wirklich an einem Kinde aus.

Die Buͤcher die man bei ihm gefunden, und worin er fleißig gelesen hat, waren Arnds wahres18 Christenthum, das Paradiesgaͤrtlein, Freilingshausens Gesangbuch, und das haͤllische goldne Schatzkaͤstlein.

18-28.

Ein Schullehrer dem es an philosophischen Kenntnissen nicht mangelte, erhielt wegen Aeusserung einiger sogenannten atheistischen Grundsaͤtze seinen Abschied.

Darauf gerieth er in die aͤußerste Duͤrftigkeit. Nun war er fest entschlossen, seinem Leben, das ihm verhaßt geworden war, ein Ende zu machen; brachte sich auch in dieser Absicht zwei Stiche mit einem kleinen Federmesser bei, aber ohne Erfolg.

Da ihm nun dieser Versuch mislungen war, faßte er den festen Entschluß, sich todt zu hungern, den er mit der schrecklichsten Hartnaͤckigkeit viele Tage lang durchsetzte; und ob er zwar durch vieles Zureden, dann und wann etwas zu sich zu nehmen bewogen wurde, so behielt doch immer der vorige Entschluß die Oberhand.

Da er nun auf diese Art von seinem Entschluß nicht abzubringen war, so gab das Polizeidirektorium einen Befehl, alles anzuwenden, um den Kranken zu bewegen, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, und ihm besonders, die Versicherung eines Prinzen,19 ihn zu einer hohen Ehrenstelle zu befoͤrdern, zu Gemuͤthe zu fuͤhren.

Dieses wirkte. Er wurde durch die dazu dienlichen Mittel wieder hergestellt.

Da aber dieses Versprechen unerfuͤllt blieb, und er sich also in seiner Hofnung getaͤuscht sahe, so verfiel er daruͤber aufs neue in Raserei, ward ins Tollhaus gebracht, rennte mit dem Kopf gegen die Mauer, und starb.

28-34.

Ein junger Mensch von funfzehn Jahren wurde eine geraume Zeit wegen seines seltsamen Betragens in der Schule fuͤr wahnwitzig gehalten.

Der Vater wußte aber bald Mittel ein Gestaͤndniß von ihm herauszubringen, er gestand nehmlich, daß das Mißvergnuͤgen uͤber den Unterricht in der franzoͤsischen Sprache, sein Widerwille gegen den Umgang mit kleinern als er ist, und der Ekel das schon gehoͤrte immer wieder anhoͤren zu muͤssen, ihn auf den Gedanken gebracht habe, sich wahnwitzig zu stellen.

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III. Zur Seelennaturkunde.

38-43.

Ein beruͤhmter gelehrter Mann von sehr ehrwuͤrdigem Charakter erzaͤhlt von sich einen sonderbaren psychologischen Casus von ohngefaͤhr folgender Art:

Er hatte an .... Vormittag in geschwinde abwechselnder Folge viele Leute zu sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, wobei die Gegenstaͤnde fast durchgehends von sehr unaͤhnlicher Art waren, und also die Aufmerksamkeit ohne Unterlaß auf etwas ganz anderes gestoßen ward. Zuletzt war eine Quittung zu schreiben. Er schrieb einige dazu erforderliche Worte. Aber auf einmal war er unvermoͤgend, weder die uͤbrigen Woͤrter in seiner Vorstellungskraft zu finden, noch die dazu gehoͤrige Zuͤge zu treffen.

Er strengte seine Aufmerksamkeit aufs aͤußerste an, suchte langsam einen Buchstab nach dem andern hinzumahlen, mit bestaͤndiger Ruͤcksicht auf den Vorhergehenden, um sich zu versichern, daß er zu demselben passe, merkte aber doch, daß es nicht diejenigen Zuͤge wurden, die er haben wollte, ohne sich21 dessen was ihnen fehlte im geringsten bewußt zu seyn. Er mußte abbrechen, und blieb ohngefaͤhr eine halbe Stunde hindurch in dem Zustande einer tumultuarischen Unordnung gewisser Vorstellungen, worin er nichts zu unterscheiden vermochte, die sich ihm ganz unwillkuͤhrlich aufdraͤngten, und auf deren Wegschaffung und Vertauschung mit andern Zweckmaͤßigern er bemuͤht war.

Er versuchte zu reden. Aber bei aller Anstrengung der Aufmerksamkeit und mit der groͤßten Langsamkeit, womit er hierin verfuhr, folgten nicht anders als unfoͤrmliche und ganz unzweckmaͤßige Worte.

Nach der vollen halben Stunde fieng sein Kopf an heller und ruhiger zu werden. Die sich ihm unwillkuͤhrlich aufdringenden Vorstellungen wurden nach und nach weniger lebhaft und brausend; und er konnte mit mehrerer Selbstthaͤtigkeit, seine zweckmaͤßigen Vorstellungen mit mehrerer Klarheit und Ordnung durchsetzen, und also seine Gedanken durch die Sprache auf eine verstaͤndliche Art ausdruͤcken.

Gleich dachte er auf seine angefangene, aber fuͤr irrig erkannte Quittung, und fand anstatt: » funfzig Thaler halbjaͤhrige Zinsen « wie es heißen sollte: » Funfzig Thaler durch Heiligung des Bra - « mit einem Abbrechungszeichen, weil die Zeile zu Ende war. Er konnte sich auf nichts in seinen zuruͤckgerufenen Vorstellungen besinnen, welches22 zu diesen unverstaͤndlichen Worten haͤtte Anlaß geben koͤnnen.

44-73.

Ein beruͤhmter Arzt beschreibt seine eigene Krankheitsgeschichte.

Von der ganzen auf dreißig Seiten sehr schoͤn beschriebenen Krankheitsgeschichte ist das in psychologischer Ruͤcksicht merkwuͤrdige ungefaͤhr folgendes:

Nach der ersten, sieben Tage dauernden Epoche seiner Krankheit, wovon er sich nichts mehr zu erinnern im Stande ist, gerieth er in den Zustand der Raserei, deren Partikularitaͤten er sich wohl erinnern kann. Es war, wie er selbst sagt, Methode in seiner Tollheit.

Das Hauptsaͤchlichste davon bestand darin, er konnte sich nicht bereden, daß er sich in seiner eigenen Wohnung befaͤnde. Es kam ihm vor, als wuͤrde er von einem oͤffentlichen Platz zum andern gefuͤhrt, und von seinen Waͤchtern im Bette festgehalten. Er flehte bestaͤndig, man sollte ihn nach seinem Logis in der .... Straße bringen. Man versprach es von Zeit zu Zeit. Man suchte ihn durch Vorzeigung seiner Bibliothek, Kupferstiche u.d.g. seines Jrrthums zu uͤberfuͤhren. Es half nichts, er hielt alles fuͤr Taͤuschung und Betrug.

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Den Ursprung dieser Einbildung leitet der V. von einer wirklichen oͤrtlichen Veraͤnderung seiner gewoͤhnlichen Schlafstaͤtte, waͤhrend seiner Krankheit her, in Verbindung mit einer Schwaͤche des Gesichts, die ihn gleich zu Anfange seiner Krankheit uͤberfallen, und ihn verhinderte, sich durch die Gegenwart der in seinem Zimmer befindlichen Gegenstaͤnde von seiner Einbildung los zu reissen.

Die zweite waͤhrend seiner Raserei herrschende Phantasie war, daß er alle Menschen, selbst seine besten Freunde, die am meisten seine Wiederherstellung wuͤnschten, und sich um seine Wartung beeiferten, fuͤr seine aͤrgsten Feinde hielt, deren Handlungen er von der schlechtesten Seite beurtheilte.

74-78.

Ein junges Maͤdchen war mit einer Krankheit behaftet, welche die Englaͤnder Louping nennen. Es ist eine Art von Raserei, welche die Kranken im Schlafe ergreift, und macht daß sie springen und rennen, als ob sie besessen waͤren.

Der Paroxysmus ergriff sie allemal bei Tageszeit zu Morgens, nachdem sie schon einige Stunden außer Bette war. Sie verfiel alsdann in eine Art des Schlafs mit verschlossenen Augen.

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Jn diesem Zustande sprang sie mit erstaunenswuͤrdiger Behendigkeit, lief mit groͤßerer Schnelligkeit, als sie beim Wohlbefinden thun konnte.

Das Laufen geschahe allemal nach irgend einem bestimmten Orte in der Nachbarschaft, mit unveraͤnderter Richtung.

Oft sagte sie, wenn sie den[ Paroxysmus] herannahen fuͤhlte, sie wolle nach diesem Orte gehen, war sie nun an dem Orte ihrer Bestimmung angelangt, so kam sie in derselben sichern Richtung zuruͤck, ob sie sich gleich nicht immer auf der großen Landstraße hielt, sondern haͤufig einen naͤhern Weg querfeld ein lief; und ungeachtet dieser Fußsteig oft sehr rauh war, so fiel sie doch niemals.

Wenn sie bei Annaͤherung des Paroxysmus sagte, sie wolle nach diesem oder jenem Orte laufen, so pflegte sie dabei zu erzaͤhlen, es habe ihr die Nacht vorher getraͤumt, sie solle dahin laufen, und ohnerachtet man ihr zuweilen von irgend einem bestimmten Orte, wegen einiger Gefahr abrieth, so wollte sie doch diesen und keinen andern Weg laufen.

Nach dem Erwachen pflegte sie sich sehr schwach zu fuͤhlen, kam aber bald wieder zu Kraͤften. Wurde sie aber im Laufen gehindert, so befand sie sich viel kraͤnker.

War sie nun zu sich selbst gekommen, so hatte sie nicht die geringste Erinnerung von dem, was waͤhrend ihres Schlafs vorgefallen war.

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Einige Zeit ehe die Krankheit sie verließ, traͤumte ihr, wie sie erzaͤhlte, das Wasser eines benachbarten Brunnens Tropfbrunnen genannt, werde sie heilen. Diesem zufolge, trank sie in reichem Maße davon, sowohl in als außer dem Paroxysmus.

Reichte man ihr waͤhrend des Paroxysmus anderes Wasser, so stieß sie es mit Widerwillen von sich. Brachte man ihr hingegen das Wasser aus diesem Brunnen, so trank sie es sehr gierig mit immer verschlossenen Augen.

Vor ihrem letzten Paroxysmus sagte sie: nun habe sie gerade noch drei Spruͤnge zu machen, und dann wolle sie weiter weder springen noch laufen.

Diesem zufolge, nachdem sie in ihren gewoͤhnlichen Schlaf gefallen war, sprang sie auf das Gesimse des Kamins, und wieder herunter. Dies that sie dreimal, hielt drauf Wort, und sprang niemals wieder.

78-82.

Einer Frauensperson von sehr lebhaftem Temperament und feuriger Einbildungskraft, von sehr feinem Nervenbau und folglich sehr empfindsam, ist im Jahre .... Monat .... ein Kind, das sie ungemein zaͤrtlich liebte, durch den Tod entrissen worden.

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Schon damals sagte sie, daß sie dies Kind nicht lang uͤberleben wuͤrde; auf folgendes Jahr wuͤrde sie in eben diesem Monat wieder entbunden werden, und in diesen Sechswochen wuͤrde sie sterben.

Jhr Mann suchte ihr dieses aus dem Gemuͤthe zu bringen. Es gelang ihm aber nicht.

Hierauf ward sie wirklich im folgenden Jahre in diesem Monat, ja an diesem Tage, an welchem ihr Kind voriges Jahr gestorben war, entbunden.

Sie versicherte noch immer daß sie gewiß sterben wuͤrde, und auf Befragen, woher sie dieses wisse? antwortete sie, sie koͤnne es zwar nicht sagen, doch aber sey ihr das gar wohl erinnerlich, daß schon am Sterbetage ihres vorigen Kindes, welches nun ein Jahr sey, dieser Gedanke ihr sehr lebhaft geworden waͤre. Aller ihr gemachten Hofnung zur Genesung ungeachtet, blieb sie bei diesem Gedanken fest. Sie starb wirklich in dem darauf folgenden Monat.

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Drittes Stuͤck.

Seelenkrankheitskunde.

III. 28-32.

Eine Frauensperson von der Herrnhutischen Bruͤdergemeine, entleibte sich selbst aus einem aufs hoͤchste gestiegenen Religionsenthusiasmus.

Ein Tagebuch der Bruͤdergemeine, welches Denkspruͤche aus der heiligen Schrift auf jeden Tag im Jahre enthaͤlt, fand sich aufgeschlagen, nahe bei dem Bette der Verstorbenen. Der Tag den sie zur Ausfuͤhrung ihres Vorhabens gewaͤhlt hat, war ein großer Festtag dieser Bruͤdergemeine.

Vor ihrem Tode rief sie auf eine sehr feierliche Art mit immerfort gefalteten Haͤnden, aus: Jn deine Wunden mein Heiland Ja? ja!

Die Seitenwunde die sie sich beibrachte, war wahrscheinlicherweise eine Nachahmung der Seitenwunde des Heilands.

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IV. 32-40.

Aufsaͤtze eines Selbstmoͤrders, die unmittelbar vor der That geschrieben worden sind, und worin er die Bewegungsgruͤnde seines Selbstmordes zu rechtfertigen sucht.

Zur Seelennaturkunde.

I. 46-75. Erklaͤrung der No. III. erzaͤhlten psychologischen Erscheinungen.

Bei jeder aͤußerlichen willkuͤhrlichen Handlung geschieht eine Art von Uebergang aus der Seelenwelt in die koͤrperliche. Die koͤrperliche Veraͤnderung erfolgt aus dem vorgestellten Bewegungsgrund der Seele. Die Vorstellung des Zwecks ist die Ursache, und die, zur Erreichung desselben erforderliche Bewegung die Wirkung.

Was waͤhrend diesem Uebergange aus dem Geistigen in das Materielle noch geistig ist, kann29 die wirksame Jdee (im Gegensatze der blos spekulativen Jdeen, die sich nicht uͤber das Gehirn und die Empfindungsnerven erstrecken, ohne auf die Bewegungsnerven Einfluß zu haben), und was davon in die Materie zuerst uͤbergeht, organischer Anstoß genannt werden. Die wirksame Jdee erzeugt den organischen Anstoß, den Anfang der Bewegung, die sich nach den Gesetzen der Bewegung alsdann in der Materie weiter fortsetzt, und zum Ziele fuͤhrt.

Jst eine freiwillige oder willkuͤhrliche Bewegung aus mehreren einfachen zusammengesetzt; so wird eine Folge von organischen Stoͤßen a b c d mit einer, ihr entsprechenden Reihe von wirksamen Jdeen A B C D gleichfoͤrmig fortruͤcken, dergestalt daß in dem ersten Augenblicke der Veraͤnderung die Jdee A, das aus der Vorstellung des begehrlichen Guten entspringende Bestreben, nach demselben das groͤßte Moment der Wirksamkeit haben, und den organischen Stoß a hervorbringen wird. Jn dem zweiten Augenblick wird die Vorstellung B an Wirksamkeit das groͤßte seyn, und den Stoß b[ verursachen] u.s.w., bis die Absicht erreicht wird.

Dieses geschieht anfangs bei ungeuͤbten Handlungen kraft des Vorsatzes, mit vollem Bewustseyn, gleichsam unmittelbar auf Befehl der Seele; wie wenn man schreiben oder auf einem Jnstrument30 spielen lernt. Nach oͤfterer Wiederhohlung dieser Handlung aber entsteht eine solche Verbindung zwischen den Jdeen sowohl, als zwischen den organischen Stoͤßen, daß sie sich einander, wie die Glieder einer Kette, nachziehen, sobald das erste Glied fortgezogen wird. Alsdann ist das deutliche Bewustseyn bei jeder einzelnen Handlung nicht mehr noͤthig. Das Bewustseyn des Vorsatzes im ganzen erzeugt die erste wirksame Jdee; diese die ihr entsprechende organische Regung. Alles Uebrige erfolgt von selbst, nach dem Gesetze der Jdeenassociation, als Wirkung der Seele, aber ohne Bewustseyn. Das anfaͤngliche Bewustseyn nimmt bis zum voͤlligen Verschwinden, nach dem Gesetze der Thaͤtigkeit, nach und nach ab; ohne daß deswegen die Handlung selbst der Seele entzogen wird.

Dieses kann im Allgemeinen so ausgedruͤckt werden:

Wenn x und y veraͤnderliche Grade vorstellen, und wir bemerken, daß Ax und By unter mancherlei Ab - und Zunahme von x und y, in Kausalverbindung stehen, so muß diese Kausalverbindung nicht aufhoͤren, wenn auch x oder y oder beide = 0 werden.

Es ist eine Anwendung der, in der Algebra so nuͤtzlichen Fluxionsmethode auf die unausgedehnte31 Groͤße, die in der Philosophie mit gutem Nutzen gebraucht werden kann.

So laͤßt sich z. B. durch diese Methode beweisen, daß die Seele im tiefsten Schlafe nicht aufhoͤre, Vorstellungen zu haben u.s.w.

Gewohnte und geuͤbte Handlungen, worin wir einige Fertigkeit erlangt haben, koͤnnen wir verrichten, und zugleich etwas anderes deutlich denken; d.h. wir koͤnnen eine Reihe von wirksamen Jdeen fortsetzen, und die ihnen gemaͤßen organischen Veraͤnderungen hervorbringen, indem wir eine heterogene Reihe von unwirksamen Jdeen mit den Gedanken verfolgen, deren wir uns bewust sind; ja wir koͤnnen neben einer Reihe von unwirksamen Vorstellungen mehr als eine Reihe von wirksamen Jdeen verfolgen, auf mehr als ein Organ des Koͤrpers zugleich wirken, ohne daß sich diese verschiedenen Reihen einander hemmen oder verwirren.

So kann ein Musikus z. B. auf einem Jnstrument mit beiden Haͤnden und Fuͤßen spielen, und zugleich etwas anders denken und sprechen. Auf solche Art kann die Seele viele Reihen von wirksamen Jdeen zugleich durchsehen, und neben denselben eine heterogene Reihe von deutlichen Gedanken verfolgen, ohne sie zu verwirren.

32

Es ist aber unglaublich, daß sie mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich haben, d.h. mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal fuͤhren kann, ohne sie zu verwirren.

So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch ihre Staͤrke oder ihr Jnteresse, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sobald dieses geschieht, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt, die Handlung unterbrochen, bis sich die Seele sammelt, und kraft des deutlich bewusten Vorsatzes wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennt man Zerstreuung, wenn man nehmlich durch fremde angelegentliche Vorstellungen, verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehoͤriger Ordnung zu verrichten, wenn man nicht Gegenwart des Geistes besitzt.

Hieraus laͤßt sich erklaͤren, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden; hauptsaͤchlich in den Faͤllen, wo die zusammengesetzte Handlung ein stetiges Ganze ausmachen soll, wie z. B. in den schoͤnen Kuͤnsten. Durch die Schnelligkeit wird alsdann verhuͤtet, daß keine fremde Jdee sich einschleiche, und den Zusam -33 menhang der wirksamen Begriffe, so wie der organischen Regungen unterbreche, indem das oͤftere Ablassen und Ansetzen der willkuͤhrlichen Handlung ihr das Ansehen der Aengstlichkeit giebt, welches Misfallen erregt.

Ferner muͤssen auch nie zwei wirksame Jdeen zusammenstoßen, die auf eben dasselbe Organ wirken, und Verrichtungen verschiedener Art hervorzubringen bemuͤht sind; woraus eine Unbestimmtheit der Wirkung, die wir in Ruͤcksicht auf die Sprachorgane Stottern nennen, entspringt.

Dieser Fehler ist mehr psychologisch als mechanisch oder organisch, aus folgenden Gruͤnden.

1) Jn Affekt sind wir mehr oder weniger diesem Fehler unterworfen.

2) Man ist demselben in einer fremden Sprache mehr ausgesetzt, als in der Muttersprache.

3) Mehr wenn jemand zugegen ist, vor dem wir uns scheuen, diese Schwachheit merken zu lassen.

4) Am wenigsten aber, wenn man allein ist, laut und langsam spricht oder singt.

5) Wenn der Stotternde zu sprechen fortfahren will, so wiederholt er einige bereits ausgesprochene Sylben, um gleichsam auszuholen, und faͤhrt mit der aͤußersten Geschwindigkeit uͤber die schwierige Sylbe, sehr oft ohne Anstoß hinweg. Zuweilen muß die Operation zu diesem Behuf wie -34 derholt werden. Dieses alles laͤßt sich aus dem Vorhergehenden psychologisch erklaͤren.

Gesetzt es trete in der Reihe der wirksamen Jdeen A B C D u.s.w. an die Stelle von D eine fremde auf eben dasselbe Organ wirksame Jdee K ein, die mit D gleiches Moment hat, so wird ein Hin - und Herschwanken zwischen D und K entstehen, und anstatt des organischen Stoßes D kann K erfolgen, oder gar ein Stocken im Sprechen entstehen.

Die fremde Jdee ist zuweilen aus einer ganz andern Reihe. Mehrentheils aber scheint sie eine spaͤtere Jdee zu seyn, die der Stotternde antizipirt. Das Stottern ist, diesem zufolge, nichts anders als eine Art von Kollision einer zweckmaͤßigen mit einer unzweckmaͤßigen Jdee, welche beide auf die Sprachwerkzeuge zugleich wirken wollen, und fast gleiche Momente der Kraft haben. Dieses geschieht besonders in einer Gemuͤthsbewegung.

Eben so verhaͤlt es sich auch mit Erlernung einer fremden Sprache.

Beim langsamen sprechen oder singen wirkt die Seele weniger nach dunklen Jdeenreihen und Fertigkeiten, als durch Aufmerksamkeit und Vorsatz; sie kann daher weniger von einer fremden unzweckmaͤßigen Vorstellung in Verwirrung gebracht werden. Jm lauten Lesen hilft noch das Gehoͤr mit zur Fixirung der Seele auf die zweckmaͤßigen Vorstellungen.

35

Das Schwanken und Taumeln der Berauschten und Fieberhaften, das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen, so wie auch Schwindel hat mit dem Stottern viel Aehnliches, und laͤßt sich auf eben die Art erklaͤren. Nun zur Erklaͤrung des vorgelegten psychologischen Phaͤnomens.

Dieser beruͤhmte Gelehrte erzaͤhlt von sich: er habe zu eben der Zeit in geschwinder abwechselnder Folge, viele Leute sprechen, vielerlei Kleinigkeiten schreiben muͤssen, » wobei die Gegenstaͤnde fast durchgehends von sehr unaͤhnlicher Art waren. « Es entstunden in ihm also verschiedene Jdeenreihen, die zugleich auf die Organe des Sprechens und Schreibens wirksam waren. Diese mußten sich einander durchkreuzen und in Verwirrung bringen, je mehr die Aufmerksamkeit immer auf etwas anders gestoßen ward. Besonders bei einem Manne, der zu anhaltenden buͤndigen Betrachtungen gewohnt ist, und dergleichen geringfuͤgige Geschaͤfte mit Unlust zu verrichten pflegt. Seine Aufmerksamkeit wurde durch die große und ungewohnte Vertheilung geschwaͤcht, und zuletzt so betaͤubt, daß sie sich nicht mehr vom Bewustseyn des Vorsatzes lenken ließ.

Die Seele dieses Selbstbeobachters konnte, wie aus seiner Erzaͤhlung erhellt, in Ansehung der spekulativen Jdeen, ihre Funktion ohne Fehler und Verwirrung verrichten. Nicht aber die Funktion der wirksamen Jdeen die in die Gliedmaße des36 Schreibens und Sprechens wirken, und die ihnen gemaͤßen koͤrperlichen Veraͤnderungen hervorbringen sollten.

Hier hatten sich mancherlei unzweckmaͤßige Jdeen dermaßen gehaͤuft, und die gedachte Verwirrung verursacht.

Die Aufmerksamkeit, so weit als es angieng, zu sammeln, und auf die gelaͤufigen spekulativen Jdeen zu richten, war eben nicht das beste Mittel wider diese Verwirrung, die nicht die spekulativen, sondern die wirksamen Jdeen betraf. Alles uͤbrige laͤßt sich aus dem vorhergehenden leicht erklaͤren.

Anmerkung.

Dieser Aufsatz, der mit sehr vielem Scharfsinn und einer diesem Verfasser eigenthuͤmlichen Eleganz des Stils abgefaßt worden ist, verdiente gewiß ganz gelesen zu werden. Jch stimme in der Erklaͤrung des vorgelegten psychologischen Phaͤnomens vollkommen uͤberein, und bemerke nur so viel:

Der V. legt seiner Erklaͤrung die aus der Erfahrung bekannte Verbindung von Seele und Koͤrper, als Faktum, zum Grunde, ohne sich in die neuern Hypothesen uͤber die Art dieser Verbindung einzulassen, (S. 48.) und hierin hat er vollkommen Recht. Aber diesem zufolge, sollte er auch die Substantialitaͤt der Seele als Jndividuum und ihr fortdauerndes Wirken, wenn auch ohne Bewustseyn, (50-51) die in der That auch37 nichts anders als eine Hypothese der neuern ist, ganz unberuͤhrt lassen.

Nach der Hypothese der Alten von der Weltseele ist die Seele als Jndividuum keine Substanz. Die allgemeine Weltseele aͤußert sich in jeder individuellen Organisation auf eine individuelle Art. Hoͤrt diese Organisation voͤllig auf, (wie im Tode) oder fehlt es ihr an der zur Aeusserung der Seelenwirkung erforderlichen Spannung (wie im Schlafe, Ohnmacht u.d.g.) so hoͤrt auch das Daseyn der Seele als Jndividuum auf.

Zur Erklaͤrung psychologischer Erscheinungen ist es hinlaͤnglich, wenn man besondere psychologische Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen subsumirt. Diese Gesetze aber betreffen blos die Wirkungsart der Seele waͤhrend sie wirkt, und lassen die Dauer dieser Wirkung ganz unbestimmt.

Jch habe schon (Streifereien im Gebiete der Philosophie uͤber die Progressen der Philosophie) das Ungegruͤndete, ja das Widersinnige in der Lehre der dunklen Vorstellungen, die die Neuern als Luͤckenbuͤßer der Seelensubstantialitaͤt gebrauchen, genugsam gezeigt.

Man kann allerdings die Methoden der Fluxion, der Jnterpolation u.d.g. in der Philosophie mit Nutzen gebrauchen, wie ich (ibid.) gezeigt habe. Nur muß man nicht vergessen, daß es bloße Methoden, d.h. nuͤtzliche Fiktionen sind. Das unendlich Kleine ist so wenig in der38 Philosophie als in der Mathematik ein reelles Objekt, sondern blos eine Grenzidee. Aber hier ist der Ort nicht, mich hieruͤber weitlaͤuftiger einzulassen. (Siehe am gedachten Orte.) 9S. M.

II. 7-82.

Der Taubstumme, wovon[ No. I.] gesprochen worden ist, hatte sogar Religionsbegriffe von Gott und Christo, und selbst religioͤse und andaͤchtige Empfindungen.

Er bezeigte einen großen Haß gegen die Juden, weil sie, wie er durch Zeichen zu erkennen gab, Christum gekreuzigt haben, und daher vom Teufel in die Hoͤlle werden geworfen werden.

Der Lehrer wollte untersuchen, ob er wohl einen Begriff von Suͤnde habe. Zu dieser Absicht zeichnete er ihm ein Kruzifix aufs Papier vor, mit Attributen, womit der Taubstumme den Teufel vorstellte. Sein Abscheu daruͤber war ganz unbeschreiblich. Er sah seinen Lehrer starr und mit Entsetzen an, und indem er auf denselben wies und einen Bart bezeichnete, aͤußerte er, daß dieser selbst ein Jude oder noch schlimmer seyn moͤchte; und zweifelte sehr an dessen Seligkeit.

Er hielt zugleich den Selbstmord fuͤr eine große Suͤnde, und mehreres dergleichen.

Er hatte zugleich viele aberglaͤubische Begriffe von Hexen u.d.g.

39

Auch hatte er einen sehr richtigen Kalender im Kopfe, und konnte die vornehmsten Festtage bei ihrem Eintritt bezeichnen.

Er konnte auch an dem Standpunkte der Sonne die Tagszeit mit Genauigkeit angeben.

III. 82-102. Nachrichten von der mit Erfolg gebrauchten Lehrart bei einer Taubstummen.

Zweiten Bandes erstes Stuͤck.

III. 16-18.

Ein Soldat, der sich sonst gut aufgefuͤhrt hat, bekam auf einmal ein Ahndungsgefuͤhl, das ihn veranlaßte um Urlaub anzuhalten, um seine Mutter (die sich außer dem Orte, wo er zu Garnison lag, befand) aufs Schleunigste zu besuchen.

Da es nun kurz vor der Revuͤe war, und also dieses Gesuch ihm abgeschlagen werden mußte, so drohte er, daß wenn man ihm dieses nicht gutwillig zugestehe, er es mit Gewalt durchsetzen wolle. Man achtete auf seine Drohung nichts.

Gegen Mitternacht unterdeß unternahm dieser Mensch seine Desertion wirklich. Weder Waͤlle noch Graben, noch die vielen Schildwachen, die damals, wegen der haͤufigen Desertionen scharfe Patronen gehabt haben sollen, konnten ihn abschrecken.

40

Er wurde gleich von der ersten Schildwache entdeckt. Dies stoͤrte ihn unterdeß nicht, und unter dem Feuer von beinahe dreißig Posten, kam er dennoch gluͤcklich aus den Festungswerken heraus.

Er lief, so zu sagen, in einem Athem nach Hause, wo er erst gegen Tage ankam.

Hier fand er ganz wider Vermuthen die Hausthuͤr offen, und als er oben in die Stube trat, waren zwei Spitzbuben beschaͤftigt, seine Mutter zu knebeln.

Bei seinem Anblick ergriffen sie die Flucht, und ließen die bereits zusammengepackten Sachen zuruͤck.

Nachdem er auf diese Weise seine Mutter von der ihr drohenden Gefahr gerettet hatte, fand er sich wieder von selbst beim Regimente ein, wo er, wegen des sonderbaren Zufalls mit einer gelinden Strafe davon kam.

IV. 18-19.

Ein Rekrut beim .... Bataillon der eines von ihm begangenen Diebstahls wegen bestraft werden sollte, gestand beim Verhoͤr, daß ohne durch Noth oder Liederlichkeit dazu angetrieben zu werden, er einen unwiderstehlichen Hang zum Stehlen habe.

Der Paroxysmus uͤberfaͤllt ihn gewoͤhnlich mit Zittern und entsetzlicher Angst, und er wird nicht eher ruhig, bis er etwas, es mag ihm nutzen oder nicht, genommen habe. Oft ergreift er in dieser41 Angst Toͤpfe und andere zerbrechliche Dinge, die er denn in Stuͤcken zerschmeißt und sodann ruhig wird. Noch ein Beispiel dieser Art. ebend.

VII. 54-59.

Ein Sattlerbursche, der nach einem Schnitt in die Finger, zur Erlernung dieser Profession untuͤchtig, und also das fuͤr ihn von seinem Vater vorausgezahlte Lehrgeld, von seinem Meister auf eine unrechtmaͤßige Weise erhalten worden zu[ seyn glaubt,] geraͤth auf den Einfall, seinen Meister um so viel zu bestehlen, als sein Vater fuͤr ihn ausgezahlt hat, um es demselben wieder zuzustellen. Da er aber fuͤrchtete, es diesem geradezu zu wissen zu thun, so schmiß er das Geld auf den Weg, wo er wuste, daß sein Vater gehen, und dasselbe gewiß finden wuͤrde. Der Vater faßte Verdacht, entdeckte diesen Vorfall dem Meister, und so wurde nach untersuchten Umstaͤnden alles entdeckt.

VIII. 60-64.

Ein Soldat, der seine Frau und seine Kinder, die er bei seiner Anwerbung hatte verlassen muͤssen, sehr zaͤrtlich liebte, gerieth auf den sonderbaren Einfall, sich selbst zu kastriren, damit er als zum Dienste untuͤchtig, wieder nach Hause kommen, und mit seiner Frau und Kinder leben duͤrfte.

42

IX. 64-69.

Eine Frau von melancholischem Temperament und schwaͤrmerischer Gemuͤthsart, bekam, durch einige misverstandene Stellen aus dem Gesangbuch und der heiligen Schrift, verleitet, eine unuͤberwindliche Sehnsucht nach dem Tode. Sie verfiel daruͤber von Zeit zu Zeit in eine Art von Raserei, wider welche alle Bemuͤhungen ihrer Freunde und des ihr zuredenden Predigers fruchtlos waren, bis endlich ein tuͤchtiger Arzt durch ganz andere Mittel, sie von dieser Krankheit befreiet hat.

X. 69-70.

Ein Knabe von etwa neun Jahren verfiel, nachdem er von einer uͤberstandenen Nervenkrankheit genesen war, in eine Art von Schlafsucht, daß er auch bei Tage, er mochte stehen oder sitzen, unversehens einschlief, und uͤberhaupt weit mehr Zeit schlafend als wachend zubrachte.

Man konnte mit ihm im Schlafe sprechen, und ob er gleich die Augen zu hatte, so nannte er doch auf Befragen, die Sachen die man ihm vorhielt.

Bei seinem Erwachen wuste er von dem allem nichts, was man mit ihm im Schlafe gesprochen hatte. Man konnte aber mit ihm von andern Sachen sprechen, bald schlief er wieder ein, und dann konnte man den Faden der Unterredung, die man vorher im Schlafe mit ihm gefuͤhrt, fortsetzen.

43

Erwachte er wieder, so wuste er abermal nichts vom Gespraͤche im Schlafe, sondern nur von dem was man vorher im Wachen mit ihm gesprochen hatte; und wechselte es mit ihm darin ab, so daß es schiene als habe er zwei von einander unabhaͤngige Seelen; eine fuͤr den Schlaf und eine fuͤr den Zustand des Wachens.

Dieser Zustand dauerte ein Vierteljahr. Nach Verlauf eines Jahres ließ sich wiederum die Nervenkrankheit spuͤren, wovon er aber durch einen gewaltigen Schreck voͤllig hergestellt wurde.

Zur Seelennaturkunde.

I. 71-72.

Ein Mann, der in seinem dreizehnten Jahre durch einen Zufall ins Wasser gefallen, und waͤre nicht schleunige Huͤlfe gekommen, dem Ertrinken sehr nahe gewesen, glaubte von dieser Zeit an, so oft er zu Selbstbetrachtung kam, durch vorerwehnten Zufall wirklich ertrunken zu seyn, keinen Koͤrper mehr zu haben, und hielt denselben und die ihn betreffenden Empfindungen fuͤr bloße Erinnerungen aus dem vorigen Leben.

44

Dieses alles zu einer Zeit, wo er noch von den skeptischen und idealistischen Vorstellungsarten gar nichts wuste.

Diese Taͤuschung waͤhrte drei Jahre lang, bis er, nachdem er den Ort seines Aufenthalts veraͤndert, und in ganz neue Situationen gerieth, davon los geworden ist.

II. 72-75.

Ein Zwillingsohn eines .... dessen Bruder zur Zeit dieser Begebenheit schon laͤngst gestorben war, klagte uͤber ein halbes Jahr lang uͤber oͤftere Kopfschmerzen. Dieses hinderte aber nicht, daß er nicht sein erlerntes Handwerk und andere haͤusliche Geschaͤfte abwarten sollte.

Den letzten Sonntag vor seinem Ende geht er spazieren, kommt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahre gestorben ist, und sagt zu seinen ihn begleitenden Freunden: » auf kuͤnftigen Sonntag koͤnnt ihr mich auch hieher tragen. «

Jn dieser Woche nahmen die Kopfschmerzen zu, er arbeitete aber noch die Woche auf dem Gestelle bis auf den Freitag.

Nachdem er an diesem Tage des Morgens aufgestanden, laͤßt er sich das Bette in die Stube bringen, deklarirt gegen jedermann, daß er morgen Abend um zehn Uhr sterben werde; verlangt das45 heilige Abendmahl, und verhielt sich dabei ganz ordentlich und vernuͤnftig.

Die folgende Nacht hindurch bringt er mit unterbrochenem Schlummer zu. Beim Erwachen sagte er, er waͤre bei den Engeln im Himmel gewesen, und als er das Blasen der Musikanten in der Nachbarschaft hoͤrte, versicherte er, die Engel im Himmel machten viel schoͤnere Musik.

Den Sonnabend gerieth er in ein offenbares Delirium.

Den Nachmittag nimmt er von seinen Freunden und Bekannten Abschied, und laͤßt Traͤger, die er namhaft macht, bestellen, die ihn zu Grabe tragen sollen.

Endlich des Abends um zehn Uhr geraͤth er in eine voͤllige Wuth. Dieses dauerte mit einiger Remission, bis uͤber drei Stunden fort, worauf er unbemerkt verschied.

Er ist an eben dem Tage gestorben, an welchem sein Bruder sieben Jahr vorher sein Leben geendigt hat.

Nach seinem Tode hat man in einem Kleiderschrank von ihm eingeschrieben gefunden, er werde nach drei Jahren an eben dem Tage, und um die Zeit sterben, da sein Bruder gestorben waͤre.

46

Zweites Stuͤck zur Seelenkrankheitskunde.

II. 14-16.

Eine Magd aus einem Dorte wurde nach einem, eine kleine Stunde davon entlegenem Orte geschickt, um Fleisch einzukaufen.

Sie verrichtete ihren Auftrag, und trat den Ruͤckweg gesund an.

Auf einmal kam es ihr vor, als ob es gewaltig hinter ihr rausche, wie das Rauschen vieler Wagen, und mitten in demselben Gerausch tritt ein kleines graues Maͤnnchen in Kindesgroͤße neben sie, und fordert von ihr, daß sie mit ihm gehen solle.

Sie antwortet nichts, und geht ihren Weg fort. Die kleine Figur verfolgte sie mit seiner Aufforderung bestaͤndig, bis sie in den Hof ihrer Herrschaft anlangte, und als der Kutscher sie fragte, wo sie gewesen sey, erhielt er von ihr die gehoͤrige Antwort. Er sieht ihren kleinen Begleiter nicht, sie aber sieht ihn, und hoͤrt noch an der Schloßbruͤcke zum letztenmale seine Aufforderung mitzugehen; und da sie sich noch immer weigerte, die Drohung, daß sie vier Tage blind und stumm seyn sollte, und damit geht das Maͤnnchen seiner Wege.

47

Die Magd eilt aufs Schloß in ihr Schlafgemach, wirft sich aufs Bette, und kann Mund und Augen nicht mehr oͤffnen.

Sie wird da aufgesucht. Man weiß nicht was ihr begegnet. Sie verstand alles, was mit ihr geredet wurde, und suchte besonders ihre lamentirende Mutter durch Zeichen zu beruhigen, konnte aber nicht sprechen.

Man wandte alle nur erdenkliche Mittel zu ihrer Wiederherstellung an. Aber ohne Erfolg. Nach Verlauf von vier Tagen aber steht sie wieder auf, ist gesund, sieht und spricht wie zuvor, und erzaͤhlt ihre Begebenheit selbst.

III. 16-17.

Wird von einem Manne erzaͤhlt, der ein solches Ahndungsvermoͤgen besaß, daß er einem Menschen aus dem Gesichte lesen konnte, ob er bald und ploͤtzlich sterben werde.

VII. 66-72. Schreiben des Herrn Direktor10Heinickean den11Abbe l'Epee.Ueber die Lehrart der Taubstummen.

Der V. habe die Lehrart des12Abbe's(durch Schriftzeichen) schon laͤngst vorher ehe dieser seine Jnstitution bekannt machte, aber ohne Erfolg bei den Taubstummen angewandt.

48

Die Taubstummen lernen zwar auf eine muͤhsame Art, mit schriftlichen Woͤrtern Begriffe zu verbinden, diese Woͤrter aber samt manchen Begriffen, die sie bezeichnen, verschwinden bei ihnen leicht, und gehen in Vergessenheit uͤber.

Der Grund davon liegt in der Jrregularitaͤt der mannigfaltigen Abwechselung in der Zusammenfuͤgung der Woͤrter.

Es ist falsch, wenn man glaubt, der Sinn des Gesichts vertrete durch Schriftsprache, bei den Taubstummen, den Sinn des Gehoͤrs. Durchs Gesicht erlangen wir zwar Vorstellungen von Farben und Gestalten, die wir nachher auch abwesend, in unserer Einbildungskraft darstellen koͤnnen. Worte hingegen, obschon sie sich aufs Papier darstellen lassen, koͤnnen doch nicht deswegen in Abwesenheit von uns vorgestellt werden, und kaum koͤnnen wir einzelne Buchstaben in uns mit Stetigkeit vorstellen.

Es kann ein jeder leicht den Versuch machen, ob er irgend ein schriftliches Wort, z. B. Paris, wenn er von dessen Ton abstrahirt, in seiner Einbildung vorstellen kann? Er wird es gewiß nicht koͤnnen. Er wird zwar bei diesem Versuche, einen Buchstab nach dem andern gaukelnd und neblicht zu diesem oder jenem Worte, nicht aber ein ganzes Wort lesbar darstellen koͤnnen. Weil schriftliche Worte, wegen ihrer Jrregularitaͤt, unmittelbar empfunden, nicht aber in Abwesenheit vorgestellt49 werden koͤnnen. Der Taubstumme, ehe er eine Schriftsprache lernt, denkt durch allerlei sinnliche von ihm anerkannte Zeichen von sinnlichen Gegenstaͤnden und in die Augen fallenden Handlungen. Nachher lernte er auch durch Analogie aus der sinnlichen in die intellektuelle Welt uͤbergehen. Erlernt er nun eine Schriftsprache, so ist sie, nicht wie bei uns die Kopie der Tonsprache und des dadurch bezeichneten Gegenstandes zugleich, sondern bloß eine charakteristische Bedeutung von diesem. Er kann diesen Gegenstand, auch in seiner Abwesenheit durch das gegenwaͤrtige ihn bezeichnende schriftliche Wort, nicht aber das Wort selbst, wenn es nicht gegenwaͤrtig ist, denken.

Nimmt man dem Taubstummen die geschriebenen Zeichen weg, so behaͤlt er nichts mehr als die von ihm selbst gewaͤhlten bildlichen Zeichen.

Eben die große Fertigkeit pantomimisch zu denken, macht, daß er die Schriftsprache vernachlaͤßigt.

Wir andern denken durch die Tonsprache, die Gegenstaͤnde selbst schweben uns dunkel vor.

Um also diesen Maͤngeln in der Lehrart der Taubstummen abzuhelfen, gerieth der V. auf eine neue Methode, nehmlich die Taubstummen sprechen, und laut lesen (durch Nachahmung der Mundsbewegungen) zu lehren.

50

VIII. 73-82. und drittes Stuͤck 73-81. Antwort des Herrn13Abbe l'Epeeauf das vorige Schreiben.

Der V. tadelt die Lehrart des Herrn Direktor14Heinicke(welche, wie er behauptet, mit der Methode des Perriere uͤbereinstimmt) weil dieser Lehrart zufolge, die ganze lange Zeit die die Taubstummen auf die[ mechanische] Erlernung der Sprache verwenden muͤssen, fuͤr ihren Verstand verloren geht.

Die Methode des V. ist weit natuͤrlicher, indem die fruͤhsten Lehrer der Jugend, Ammenwaͤrter u.s.w. sich, ohne den Nutzen davon einzusehen, derselben bedienen. Sie begnuͤgen sich nicht mit der Benennung der Dinge, sondern sie bedienen sich zugleich noch anderer sichtbarer Zeichen.

Die Taubstummen lernen mit dem geschriebenen Alphabet zugleich ihr Handalphabet. Sie bringen ihre Finger in verschiedene Lagen, die mit den geschriebenen Buchstaben einige Aehnlichkeit haben.

Das Buchstabiren geschieht nicht durch einen Laut der Stimme, sondern durch eine Folge dieser abwechselnden Lagen. Man schreibe z. B. das Wort Fenster und lasse den Taubstummen seine Augen darauf richten. Dieser bedient sich sogleich der Handzeichen, womit er jeden einzelnen Buch -51 stab andeutet, dieses[ wiederholet] er einigemal, so daß er seine Augen auf das Wort richtet, und alle die Buchstaben in ihrer Ordnung bezeichnet. Alsdann kehrt er die Augen von dem Worte weg, und bezeichnet dieselben Buchstaben in derselben Ordnung durch seine Daktylologie. Darauf muß er wieder dieses Wort, ohne es vor sich geschrieben zu haben, von seinem Handalphabet in das gewoͤhnliche Alphabet abschreiben.

Gegen die Behauptung, daß die Gestalt der Buchstaben nicht ausgezeichnet genug ist, um unwandelbare Vorstellungen in der Einbildungskraft zuruͤck zu lassen, beruft sich der V. auf die Erfahrung, indem die Taubstummen in einer sehr kurzen Zeit, die einzelnen Buchstaben, auf Befragen, auch in Abwesenheit des Geschriebenen, durch ihr Handalphabet darzustellen lernen.

Die geschriebenen Buchstaben sind freilich schwer im Gedaͤchtniß zu behalten, wenn man sie an sich abstrahirt von dem Grunde, worauf sie geschrieben sind, betrachtet. Nimmt man hingegen diesen zu Huͤlfe, so befoͤrdert die bestaͤndige Abwechselung der Farben (das Schwarze der Buchstaben mit dem Weißen des Grundes) ihren Eindruck in der Einbildungskraft.

Es ist nicht an dem, daß wir immer in der uns gelaͤufigen Tonsprache denken. Wir denken sehr oft ohne alle Sprache, die Einbildungskraft reicht uns eine Menge Vorstellungen dar, wozu wir52 gar keine Namen haben, auch fallen uns oft Gegenstaͤnde bei, ohne daß wir uns auf ihre Namen besinnen koͤnnen.

Die Taubstummen sollen auch nicht durch die Methode des V. alle Woͤrter einer Sprache erlernen, sondern nur die nothwendigsten derselben.

Durch Huͤlfe der Daktylologie allein koͤnnen die Taubstummen zwar lesen und schreiben, nicht aber die Bedeutung der Woͤrter verstehen lernen. Zu diesem Behuf sind die methodischen Zeichen (Bewegungen und Mienen) unentbehrlich. Diese sind keiner besondern Sprache eigen. Sie bezeichnen keine Woͤrter oder Buchstaben, sondern Jdeen. Dahingegen die Daktylologie zur Bezeichnung der nomina propria, welche durch methodische Zeichen nicht ausgedruͤckt werden koͤnnen, brauchbar ist.

Eben diese methodischen Zeichen muͤssen einer zu erfindenden allgemeinen Sprache zum Grunde gelegt werden; die jede Nation in ihre Muttersprache leicht uͤbertragen kann. Die Verschiedenheit der Wortfolge in verschiedenen Sprachen thut hier nichts zur Sache, indem hier nicht aus einer besondern Sprache in eine andere, sondern aus der allgemeinen (Jdeenbezeichnenden) in eine jede besondere uͤbersetzt wird, und so auch umgekehrt.

53

Zweites Stuͤck. 81-93.

Der V. macht seine Beobachtungen und Bemerkungen uͤber das Taubstummeninstitut in ... H. St. lehrte die Taubstummen nach der Methode des15l'Epeedurch methodische Zeichen sprechen.

Er hat dreierlei Zeichen. 1) Fuͤr einzelne Buchstaben. 2) Fuͤr Worte und die dadurch angezeigten Begriffe. 3) Fuͤr grammatische Bestimmungen der Worte.

Die Zeichen der sinnlichen Begriffe von Sachen und Handlungen sind die dargestellten Sachen und Handlungen selbst. Die Lehrlinge haben auch eine besondere Fertigkeit im Lesen, d.h. die, den Schriftzeichen entsprechende, pantomimische Zeichen mit allen grammatischen Bestimmungen zu machen. Auch im Schreiben, d.h. die pantomimischen Zeichen in Schriftzeichen uͤberzutragen.

Der V. zweifelt aber, ob sie auch die, durch diese Zeichen zu bezeichnenden Begriffe hatten? Besonders wenn es gar zu abstrakte Begriffe sind. Die Zeichen der nichtsinnlichen mit den sinnlichen analogischen Begriffen, fuͤhren eine unvermeidliche Zweideutigkeit mit sich; indem es in besondern Faͤllen zweifelhaft bleibt, ob dadurch die sinnlichen selbst, oder die ihnen analogischen nichtsinnlichen Begriffe angedeutet werden? Auch muß die Art sich durch methodische Zeichen auszudruͤcken wegen54 Veraͤnderung der Wortfolge, Mangel der Artikel, Huͤlfswoͤrter u.s.w. sehr unvollkommen seyn.

Der V. muthmaßt, daß die Fertigkeit im Schreiben mit aller grammatischen Sprachrichtigkeit, keineswegs eine Folge der damit verknuͤpften Gedanken, sondern bloß die Folge eines guten Gedaͤchtnisses ist, welches das Geschriebene, so wie es dasselbe erhalten hat, treulich wieder darstellt, weil[ es sonst] nicht so grammatischrichtig haͤtte ausfallen koͤnnen.

Anmerkung.

Die Zweifel, die der V. hier aͤußert, betreffen nicht mehr die Lehrart der Taubstummen als die Lehrart aller Kinder uͤberhaupt.

Laßt uns sehen, wie lernt ein Kind sprechen? Das bloße Aussprechen einzelner Toͤne und ganzer Woͤrter lernt es durch das Nachahmen. Die Bedeutung der Woͤrter lernt es durch Darstellung der Gegenstaͤnde selbst bei ihrer Benennung. So lernt es z. B. die Bedeutung des Worts Brod dadurch, daß man zu wiederholten malen dieses Wort ausspricht, indem man zugleich auf das gegenwaͤrtige Brod hinweist.

Wie lernt es aber die Bedeutung solcher Worte, deren Gegenstaͤnde nicht sinnlich darstellbar sind? Wie lernt es z. B. die Bedeutung des Wortes Verstand. Es hat zwar hierin einen Vorzug vor dem Taubstummen, daß es das Wort nach -55 sprechen, in Ansehung der Bedeutung hingegen befindet es sich mit diesem in eben denselben Umstaͤnden. Man spreche das Wort Verstand aus, und ztige dabei z. B. auf den Kopf (als den fuͤhlbaren Sitz des Verstandes) das Wort Kopf muß in diesem Falle, als die Benennung des dadurch bezeichneten Theil unsers Koͤrpers, dem Kinde schon bekannt seyn, weil es sonst glauben koͤnnte, daß das Wort Verstand, indem man dabei auf den Kopf zeigt, diesen koͤrperlichen Theil bedeutet. Nun aber denkt es, Verstand kann nicht diesen koͤrperlichen Theil bedeuten, weil dieser schon einmal Kopf heißt, sondern etwas was mit demselben in irgend einer Beziehung steht. Da es aber mehrere Dinge seyn koͤnnen, die mit dem Kopfe in irgend einer Beziehung stehen, und mehrere Arten dieser Beziehung, so muß das Kind sie alle in seiner Einbildungskraft die Musterung passiren lassen, und alle die Dinge und Beziehungsarten, deren Namen ihm schon bekannt sind, als solche, die das Wort Verstand nicht bedeuten kann, verwerfen, und nur auf diejenige, deren Namen ihm noch unbekannt sind, seine Aufmerksamkeit richten. Dieses laͤßt noch immer eine Vieldeutigkeit zuruͤck, bis es endlich so viel von der Sprache erlernt hat, daß es gewiß seyn kann, daß dieses Wort nichts anders als dieses Vermoͤgen bedeutet. (Freilich kann das Kind nicht alles dieses deutlich denken, aber es muß doch dunkel in seiner Vorstellungskraft vorgehen.)

56

Warum soll nun der Taubstumme nicht auf eben die Art die richtige Bedeutung der Woͤrter lernen? Bei ihm vertritt das geschriebene Wort die Stelle des ausgesprochenen. Das eine ist so gut ein willkuͤhrliches Zeichen als das andere. Man schreibt ihm das Wort Verstand auf, und nachdem er Lesen, d.h. die pantomimischen Zeichen die der Lehrer anfangs mit diesem geschriebenen Worte verknuͤpft (z. B. das Zeigen auf die Stirn) in seine Einbildungskraft zuruͤckzurufen, gelernt hat, so wird er auch wissen, daß dieses geschriebene Wort nichts anders als das Denkensvermoͤgen bedeuten kann, weil er fuͤr alle andere Sachen, die mit eben diesen pantomimischen Zeichen angedeutet werden koͤnnen, schon andere geschriebene Woͤrter erlernt hat.

Das Ungrammatische in der Wortfolge u.s.w. kann bei dem Taubstummen so wenig als bei irgend einem andern der eine Sprache lernt, ein Beweis von dem Mangel der Gedanken abgeben. Das giebt sich schon, und wird durch Nachahmung anderer die der Sprache maͤchtig sind, nach und nach verbessert. Sonst muͤßte man behaupten, daß wenn z. B. ein Anfaͤnger der franzoͤsischen Sprache viel Germanismen begeht, er ganz und gar nicht weiß, was er spricht! Der Taubstumme kann auch mit der Zeit, die grammatische Wortfolge in seiner pantomimischen Sprache, nach der grammatischen Wortfolge der Schriftsprache einzurichten lernen. 57Anfangs aber muß ihm freilich die natuͤrliche Wortfolge leichter seyn, als die willkuͤhrliche. Durch vieles Beobachten auf die Wortfolge im Schreiben lernt er auch sie im Lesen beobachten. Nicht bloß Kinder und Taubstumme, sondern auch Erwachsene, die ihre Muttersprache in voͤlligem Besitz haben, gerathen dennoch in Ansehung der zu sehr abstrakten und komponirten Worte nicht selten in Mißverstaͤndnisse und Vieldeutigkeit, die nur durch Bemuͤhung der Philosophen, nach und nach gehoben werden koͤnnen, wenn nicht diese selbst nicht selten, eben durch ihre an sich sehr loͤblichen Bemuͤhungen die Worte richtig zu bestimmen, neue Misverstaͤndnisse veranlaßt haͤtten. Doch davon bei einer andern Gelegenheit!

16S. Maimon

Nachtrag zur Seelenkrankheitskunde.

I. 83.

Eine besondere Art Krankheit, worin die mit dem Nachtwandeln aͤhnlichen Erscheinungen vorkommen.

58

II. 99-101.

Verschiedene Beispiele von einem Ahndungsgefuͤhl.

Drittes Stuͤck.

118-121.

Abermal Beispiele eines Ahndungsgefuͤhls.

Dritten Bandes erstes Stuͤck.

IV. 47-56.

Ein Mann von sehr gesunden Leibeskraͤften und heiterm Gemuͤth, ahndete seinen bevorstehenden Tod vier Wochen vorher, und sprach davon sehr oft.

Seinem Freunde, der ohngefaͤhr eine Viertelmeile von ihm wohnte, traͤumte einst: er wuͤrde von den Kindern seines Freundes gerufen, um sie bei ihrem harten Schicksal aufzurichten, da sie in Gesellschaft ihres Vaters nach ..... gereist, und an .... durch die scheugewordene Pferde umgeworfen, ihr Vater mit dem Kopfe an[ einen] am Wege stehenden Fichtenbaum geschlagen, ihn zerschmettert, und ohne einen Laut von sich zu geben, todt liegen geblieben sey.

Dieser Traum wurde aufs genaueste erfuͤllt.

V. 56-74.

Wird die Nichtigkeit des Ahndungsvermoͤgens mit nichtigen Gruͤnden bewiesen. Der V. leitet59 die diesem Vermoͤgen zugeschriebenen Wirkungen aus dem Temperament und dem Zufalle ab. Von der Wirkung selbst aber fuͤhrt er zwei unbezweifelte Fakta an.

Anmerkung.

Daß z. B. ein Mensch von[ melancholischem] Temperament leicht auf traurige Ahndungen verfaͤllt, ist sehr natuͤrlich. Es ist aber hier die Frage nicht, wie der Mensch auf solche Gedanken verfaͤllt? sondern, wie es kommt, daß die Naturbegebenheiten, die nach nothwendigen Gesetzen folgen, und keinesweges von dem Temperament dieses Menschen abhaͤngen koͤnnen, mit seinen melancholischen Gedanken zutreffen?

Treffen also diese bestaͤndig zu, wie man in diesem Magazin Beispiele genug davon antrift, so ist dieses nicht mehr eine Wirkung des Zufalls.

Es waͤre freilich uͤbereilt, deswegen ein Ahndungsvermoͤgen anzunehmen. Nur alsdann wird ein neues Vermoͤgen angenommen, wenn eine besondere Wirkungsart, nach besondern Gesetzen, entdeckt wird. Die Ahndungsgesetze sind noch unbekannt. Wir wissen noch nicht von welcher Beschaffenheit die Personen sind die Ahndungen haben, und in welchem Verhaͤltniß sie mit den andern, von denen sie Ahndungen haben, seyn muͤssen? Die Behauptung eines Ahndungsvermoͤgens will fuͤr jetzt nichts mehr sagen, als: Es giebt unbezwei -60 felte Fakta von Personen, deren Ahndungen genau eintreffen.

Auf der andern Seite ist es auch eitel, Fakta, die sich,[ alle Umstaͤnde] genau untersucht, aus den bekannten Gesetzen nicht erklaͤren lassen, dennoch in[ dieselben] hineinzwingen zu wollen. 17S. M.

II. 88-89.

Ein junger Studirender sollte einen Gedanken in zwei griechischen Versen ausdruͤcken. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Er schlaͤft an einem Abend unter der Bemuͤhung, diese Verse herauszubringen, ein. Steht in der Nacht auf, schreibt die zwei Verse nieder, und laͤßt sie auf seinem Schreibetisch liegen.

Nach dem Erwachen wuste er von nichts was in der Nacht geschehen ist, setzte sich aufs neue, an den herauszubringenden[ Versen] zu arbeiten, aber mit nicht besserm Erfolg als bisher.

Endlich findet er diese von ihm selbst aufgeschriebenen Verse, wuste aber nicht, woher sie gekommen waren, bis ihm seine Aufwaͤrterin (die ihm des Nachts hatte Licht bringen muͤssen) den Vorfall erzaͤhlt hatte.

Zweites Stuͤck.

I. 1-14.

J. Varmeier, ein gelehrter Mann, der aber schon von seiner fruͤhesten Jugend an zur Me -61 lancholie geneigt, worin er durch verdruͤßliche Zufaͤlle noch immer tiefer gerathen war, erwachte einst um zwoͤlf Uhr in der Nacht mit dem Gedanken, an das betruͤbte Kriegeswesen, und daß Gott den Obristen von .... durch einen schleunigen Tod von dieser Welt absondern wolle, mit einem grausamen Antrieb, den er fuͤr eine besondere goͤttliche Eingebung hielt, daß jene That durch ihn geschehen sollte.

Die Lesung der heiligen Schrift, besonders des Buchs Judith, vermehrte noch seinen Enthusiasmus und bestimmte ihn den Obristen (den er mit Holofernes verglich) zu ermorden, welche grausame That er an ihm wirklich vollzog.

III. 58-62.

Einen jungen Menschen, der mit seinem juͤngern Bruder in einem Bette schlief, uͤberfiel einst der Gedanke, er solle diesen mit dem auf dem Tische liegenden Federmesser erstechen.

Die bruͤderliche Liebe kaͤmpfte eine lange Zeit mit diesem Vorsatz. Er umarmte den so unbekuͤmmert Schlafenden, kuͤßte ihn, stand auf, ergriff das Messer, legte es zusammen, und verbarg es sorgfaͤltig zwischen Buͤcher und Papier, legte sich wieder zu ihm nieder, umarmte ihn nochmals und betete.

62

Nach und nach verschwand dieser grausame Gedanke, und die Ausfuͤhrung unterblieb.

Drittes Stuͤck.

I. 1-14.

Wird 1) von einem Manne erzaͤhlt, der die Erinnerung seines Zustandes waͤhrend einer fuͤnfwoͤchentlichen Krankheit aus dem Bewustseyn gaͤnzlich verloren hatte, so daß die letzte Vorstellung, die diesem Zustande vorhergieng, die erste war, die auf denselben folgte.

2) Ein Schullehrer in .... hatte mehrere Wochen an einem hitzigen Fieber darnieder gelegen, sein Tod schien unvermeidlich. Er starb endlich nach der Meinung der Umstehenden wirklich. Man legte ihn in einer Kammer aufs Stroh. Man bestellte einen Sarg. Nachdem dieser herbeigeschaft worden war, gieng man in[ gedachte] Kammer, um den Todten in den Sarg zu bringen. Aber wie wurde man nicht erstaunt, als man ihn voͤllig angezogen sein gewoͤhnliches Geschaͤfte verrichtend fand: und als man alles was mit ihm waͤhrend seiner Krankheit vorgefallen war, erzaͤhlte, konnte er sich an nichts erinnern, ja nicht einmal daß er krank war. Nach einem halben Jahre erst war er im Stande, sich alles dessen zu erinnern.

3) Ein Mann hielt auf dem Geruͤste eines zu erbauenden Hauses eine Rede. Das Geruͤste stuͤrzte63 nieder, und er mit demselben. Er lag einige Tage sinn - und sprachlos. Als er wieder zu sich selbst kam, setzte er seine Rede fort, die durch den Einsturz des Geruͤstes unterbrochen war.

4) Ein Professor hatte nach einer gewissen Krankheit, so wenig Besinnungskraft behalten, daß ihm selbst das Alphabet ganz fremd vorkam, und er genoͤthigt war, mit den Elementen der Schriftsprache wieder den Anfang zu machen, bis nach einiger Zeit alles Licht in seine Seele zuruͤckkehrte.

II. 14-19.

Ein Mann, dessen Gedaͤchtniß mit dem Alter sehr geschwaͤcht wurde, hatte sich den ungluͤcklichen Gedanken in den Kopf gesetzt, daß er geschlachtet und aus seinem Fleische Wuͤrste gemacht werden sollten, den ihm bis zu seinem Tode niemand hatte ausreden koͤnnen, obschon er zuweilen die Thorheit davon selbst einsah.

III. 46-47.

Wird von einer Person erzaͤhlt, die bei dem Worte Aderlassen allemal in eine Art von Ohnmacht verfaͤllt.

Vierten Bandes erstes Stuͤck.

110-113.

Eine Frauensperson wurde fuͤr eine Prophetin gehalten. Sie pflegte daruͤber selbst zu spaßen.

64

Aus bloßer Gefaͤlligkeit, nachdem sie sich genug geweigert hatte, sagte sie jemanden allerlei vor, wovon sie behauptete, es werde nie eintreffen.

Jm Scherz gefodert, im Scherz gesagt, und es traf dennoch voͤllig ein.

Ein Landkavalier hatte sich zur Lust, jemanden zu uͤberraschen, im Predigerrock versteckt.

Der Scherz gluͤckte, der Mann dem es galt, verkannte ihn wirklich. Die vorerwaͤhnte Frauensperson aber sagte: Spotten sie nicht mit dem schwarzen Rock, vielleicht kommt noch unter vier und zwanzig Stunden ein Bote, und meldet ihnen etwas, wo sie wirklich nachher einen tragen muͤssen. Wenn es aber geschieht, so bedeutet es eine reiche Erbschaft; auch liegt der Kranke ihrem Herzen nicht nahe, wohl aber der Frau Gemahlin, gehen sie zu ihr, um sie zu troͤsten.

Sie sagte es bloß um seine Lust zu daͤmpfen, er nimmt es auch so, nachdem er aber ins Haus tritt, findet er wirklich den Boten. Dieser meldete ihm, sein Schwager, dem noch wenige Stunden seines Lebens uͤbrig waͤren, verlangte ihn zu sprechen. Der Kavalier reist, der Schwager stirbt; die Frau als die Schwester des Verstorbenen, erbt ansehnlich.

Noch eine Begebenheit von eben der Art.

65

Zweites Stuͤck.

80-86.

Eine Frau von ohngefaͤhr sechzig Jahren hat seit ihrem funfzehnten Jahre von jedem Todesfall, der sich unter ihren Bekannten und Verwandten ereignete, nicht bloß Ahndung, sondern wirkliche Erscheinung.

Jn ihrem funfzehnten Jahre erschien ihr ihre Großmutter an einem Nachmittag in einem Zimmer, wo sie zu gehen pflegte; sie glaubte auch es sey die Großmutter, redete sie an. Das Bild verschwand vor ihren Augen.

Einige Wochen darauf aber war die Großmutter todt, die bei der Erscheinung noch frisch und gesund war.

Von diesem Zeitpunkte an hat sie oͤftere Erscheinungen dieser Art gehabt, und die Erfahrung hat sie gelehrt, daß solche zuverlaͤssig den nahen Tod der erscheinenden Personen bedeutet. Die Erscheinungen sind aber nicht immer gleich; bald erscheint die Person ganz, wie sie im Leben ist, bald erscheint ein weißes Bild von ihr.

Ein einzigesmal erschien ihr die Leiche voͤllig angekleidet im Sarge, von einer lebenden Bekanntin.

Es ist mit dieser Frau so weit, daß wenn jemand krank ist, man sie fraͤgt, ob er wieder wird66 hergestellt werden, oder nicht? Und ihre Wahrsagung ist Gewißheit.

Eine ihrer Freundinnen war gefaͤhrlich krank, die Aerzte hatten ihr schon das Leben abgesprochen. Die Geisterseherin aber behauptete, ihre Freundin wuͤrde nicht sterben, weil sie noch davon keine Erscheinung gehabt hatte.

Die Freundin wurde wirklich wieder gesund. Alle Erscheinungen die sie in der ganzen angekleideten Gestalt der Personen gehabt hat, sind ihr immer ruͤckwaͤrts erschienen, und die weißen Bilder, welche ihr erschienen, haben niemalen ein ordentliches Gesicht, sondern das Gesicht ist wie ein dunkler Schatten, die einzige vorhererwaͤhnte Erscheinung von der Leiche im Sarge ausgenommen, wo sie ein deutliches kennbares Gesicht sahe.

Wenn ein Todesfall unter ihren Blutsverwandten entsteht, so hat sie oͤftere Erscheinungen von dem nehmlichen Bilde; bedeutet es aber einen ihrer Bekannten, so hat sie die Erscheinung nur einmal.

Doch ereignete sich einmal, daß sie den Tod eines Verwandten, der sich in P. aufhielt, nicht vorhergesehen hat.

88-91.

Ein Knabe von eilf Jahren wurde in eine lateinische Schule gegeben, wo in der Klasse, in welcher er saß, eine gewisse Rangordnung unter67 den Schuͤlern statt fand, die sich nach dem jedesmaligen Rufe des Fleißes und der Aufmerksamkeit richtete. Die zur Uebung aufgeworfenen Fragen wurden zuerst an den obersten, und wenn dieser sie nicht beantworten konnte, an den folgenden u.s.w. gethan. Welcher denn die Antwort wuste, wurde uͤber denjenigen gesetzt, der sie nicht gewust hatte.

Nun traͤumte diesem Knaben einsmals, er befaͤnde sich in der lateinischen Klasse. Der Lehrer warf eine Frage uͤber den Sinn einer lateinischen Phrasis auf. Die Frage wurde diesem Knaben, der gerade der erste in der Reihe war, zuerst vorgelegt. Er konnte bei aller Muͤhe die er sich deswegen gab, sie nicht beantworten. Die Frage wurde also dem Folgenden vorgelegt, der sogleich den Sinn der Phrasis deutlich auseinander setzte.

Anmerkung.

Dieser Traum hat viel Aehnlichkeit mit dem prophetischen Traume in Daniel, wo es heißt:

» Daniel hatte einen Traum etc. « Mein Gemuͤth wurde unruhig, und meine naͤchtliche Erscheinung setzte mich in Schrecken. Jch naͤherte mich einem der Umstehenden, bat ihn um eine Erklaͤrung und Auslegung daruͤber, die er mir auch gab. Diese vier großen Thiere u.s.w. (Daniel VII. 15)18S. M.

68

75-78.

Ein Rendant hatte das Ungluͤck, daß ihm durch einen Bedienten eine betraͤchtliche Summe Kassengelder entwendet wurden. Der Thaͤter war ploͤtzlich mit seinem Raube entwichen, so daß man seinen Aufenthalt nicht hatte entdecken koͤnnen.

Die Zeit, da er Rechnung ablegen sollte, ruͤckte an, das Fehlende sollte ersetzt werden, ohne daß er Huͤlfe zu finden wuste.

Nun traͤumte ihm in der einen Nacht, er moͤchte in die ** Straße in das ** Haus gehen. Jn dem Hause nun soll er zwei Treppen hinaufgehen, sich aber auf der zweiten in Acht nehmen, daß er nicht herunterfalle, und so wuͤrde er das noͤthige Geld erhalten.

Am Morgen des folgenden Tages kommt einer seiner Freunde zu ihm, dem er seinen Traum erzaͤhlt, und von dem er zugleich erfaͤhrt, wer in dem bezeichneten Hause in der zweiten Etage wohne, und der ihm uͤbrigens so unbekannt war, daß er sich nur erinnerte, ihn ein einzigmal in einer großen Gesellschaft gesehen zu haben, und da er ohnedem von Traͤumen nichts hielt, so vernachlaͤßigte er es, und suchte anderwaͤrts Huͤlfe; aber vergebens.

Am zweiten Tage nach seinem gehabten Traum glaubte er seiner eigenen Ruhe doch das schuldig zu seyn, zu dem Unbekannten zu gehen, besonders da er nichts zu verlieren hatte.

69

Er geht also in das getraͤumte Haus, kommt die erste Treppe gluͤcklich hinauf, und erinnert sich der ihm gegebenen Warnung bei der zweiten Treppe.

Er gerieth wirklich, durch einen Zufall in die Gefahr, herunter zu fallen. Der Bewohner dieser Etage kam ihm entgegen, entschuldigte sich wegen der Eilfertigkeit, womit er auf ihn zulief, durch die Eilfertigkeit seiner Geschaͤfte.

Dieser trug ihm seine Anliegen ohne Umwege vor. Worauf jener: » warum sind sie nicht gestern gekommen? ich habe eine noch groͤßere Summe verliehen, die ich ihnen gern gegeben haͤtte. Doch da sie jetzt Huͤlfe brauchen, so will ich denjenigen, dem ich das Geld geliehen habe, und der es jetzt nicht so noͤthig hat, zu bewegen suchen, noch einige Zeit zu warten, weil ich ihm bald das noch Fehlende an der verlangten Summe geben kann. «

Dies geschahe, und der Mann ward durch seinen Traum, aus seiner Verlegenheit gerissen.

[Fuͤnften] Bandes erstes Stuͤck.

1-8.

Gruͤnde wider das Ahndungsgefuͤhl. 1) Streitet ein solches Gefuͤhl mit der natuͤrlichen Entstehungsart unsrer Empfindungen und Vorstellungen, und hebt die Jdentitaͤt unseres Erkenntnißvermoͤgens durch eingeschobene Jdeen, auf.

70

Anmerkung.

Daß ein solches Ahndungsgefuͤhl nach unsern bisherigen Einsichten in der Natur der Seele aus den bekannten Gesetzen unsers Erkenntnißvermoͤgens, unerklaͤrbar ist, hat allerdings seine Richtigkeit. Woher koͤnnen wir aber mit Gewißheit behaupten, daß es damit streitet? Es[ kann] mehrere Wirkungsarten der Seele geben, die sich nur unter gewissen Umstaͤnden aͤußern, und die mit den uns bekannten Wirkungsarten in einem natuͤrlichen Verhaͤltnisse stehen. Die verschiedenen Associationsarten (der Koexistenz, der Folge u.d.g.) heben sich in ihren Wirkungen wechselseitig auf, eine jede Reihe von Jdeen, die durch eine dieser Associationsarten bestimmt wird, wird durch eingeschobene Jdeen aus einer andern Associationsreihe unterbrochen, ohne daß deswegen die Jdentitaͤt des Vorstellungsvermoͤgens im Ganzen unterbrochen wird.

19S. M.

2) Wird dieses Vermoͤgen bei unzaͤhligen Menschen gar nicht bemerkt; am wenigsten aber NB. bei aufgeklaͤrten und vorurtheilsfreien Menschen.

3) Wuͤrde ein solches Vermoͤgen mehr zu unsrer Quaal als zu unsrer Gluͤckseligkeit beitragen.

71

Anmerkung.

Da dieses Vermoͤgen sich bei sehr wenigen aͤußert, so stoͤrt es bloß die Gluͤckseligkeit dieser wenigen. Ueberhaupt beweist ein teleologischer Grund nichts gegen die Moͤglichkeit der Sache an sich.

20S. M.

4) Die meisten Ahndungen lassen sich sehr natuͤrlich aus psychologischen Gruͤnden erklaͤren. Hierauf folgen einige dazu brauchbare Erklaͤrungsarten, die aber nichts unbekanntes enthalten, daß sie hier besonders angefuͤhrt werden sollten.

55-62

Herr von .... hatte ein halbes Jahr vor seiner Krankheit und seinem Tode folgenden Traum, den er oft erzaͤhlte und schriftlich aufgesetzt hat.

Es erschien ihm im Traume ein Mann von gewoͤhnlicher Gestalt und Kleidung, welcher ihm sagte, er sollte sich eins von den beiden nach Gefallen von ihm ausbitten, welches er ihm auch gewaͤhren wolle; nehmlich entweder seine vergangenen oder kuͤnftigenSchicksale sich der Reihe nach, vorgestellt zu sehen. [H.] von .... waͤhlte das Erstere. Der Mann hielt ihm einen Spiegel vor, worin er die Szenen seines vergangenen Lebens, deren er sich im Wachen kaum bewust war, aufs Lebhafteste und Deutlichste erblickte, bis er zuletzt72 durch eine sehr interessante Liebesszene aus seinem Traume erwachte.

Darauf schlief er wieder ein. Der nehmliche Mann erschien ihm noch einmal, fragte ihn, ob er mit dem, was er ihm gezeigt habe, zufrieden sey; und ob er noch einmal die Menschen, welche er in seinem Leben gekannt, zu sehen wuͤnschte? Nachdem dieser diese Frage mit ja beantwortet, hielt ihm jener abermal einen Spiegel vor, worin er wirklich alle seine Bekannten, Lebende und Verstorbene der Reihe nach voruͤbergehen sahe. Mit dem Unterschiede, daß die noch lebenden Gluͤcklichen seiner Bekannten ihn freundlich ansahen und stehen blieben, die Ungluͤcklichen hingegen alle mit der Hand vor den Augen schnell ohne sich umzusehen, voruͤbergiengen. An den Verstorbenen bemerkte er gleichfalls diesen Unterschied.

Jetzt wachte er zum zweitenmal auf. Er gieng aus dem Bette, um sich zu zerstreuen. Gegen drei Uhr Morgens legte er sich etwas beruhigt abermal nieder.

Er fieng an im Traume uͤber seinen vorigen Traum nachzudenken, und verfertigte im Schlafe ein recht huͤbsches Gedicht daruͤber, welches er auch zugleich in Musik setzte. Nach dem Erwachen schrieb er den ganzen Traum, das Gedicht und die Komposition auf.

73

103-105.

Ein Student in H. wurde krank. Er versicherte seinen Lehrer Pr. M. der ihn besuchte, daß er gewiß sterben wuͤrde; weil er daruͤber einen sonderbaren Traum gehabt hatte. Dieser wurde von ihm aufgeschrieben, und nach seinem Tode unter seinen Papieren gefunden.

Es traͤumte ihm nehmlich als gieng er auf dem H ... schen schoͤnen Kirchhofe spazieren, wo er die vielen Leichensteine und Epitaphien, die ihm außerordentlich gefielen, eines nach dem andern besahe, und ihre Aufschriften las; als er sich endlich entfernen wollte, stieß er auf einen Leichenstein, welcher ihm besonders auffiel. Er las nehmlich darauf seinen eigenen Vor - und Zunahmen, und sogar den Tag seines Todes angezeigt (an dem er wirklich gestorben ist) nur das Jahr seines Todes war nicht deutlich genug. Das dem Leichenstein bedeckende Moos saß gerade auf der vierten Ziffer der Jahrszahl, und indem er das Moos davon wegkratzen wollte, wachte er auf.

74

[Drittes] Stuͤck zur Seelenkrankheitskunde.

15-18.

Ein junges Frauenzimmer hatte an einer heftigen Nervenschwaͤche lange krank gelegen, und war endlich allem Ansehen nach gestorben, und als man sich aller[ Merkmale] des Todes versichert hatte, brachte man sie aus dem Zimmer, legte sie in einen Sarg, und bestimmte ihren Begraͤbnißtag.

Der Tag erschien, es wurden nach der Gewohnheit des Landes, Sterbelieder vor der Thuͤre gesungen, und als man endlich den Sarg zunageln und wegtragen wollte, gab sie von sich Zeichen des Lebens, schlug mit einem erbaͤrmlichen kreischenden Geschrei die Augen auf, und bekam die heftigsten Konvulsionen, wovon sie durch Huͤlfe der Aerzte nach einigen Tagen wieder hergestellt wurde. Sie erzaͤhlte nachher von sich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben waͤre, und doch hat sie alles deutlich vernommen, was außer ihr waͤhrend dieses Todesschlafs vorgegangen, alle Reden, die man in Ansehung ihrer geaͤußert, alle Handlungen, die man mit ihr vorgenommen u.s.w. Sie wurde daruͤber in eine un -75 aussprechliche Seelenangst versetzt, ohne daß sie Kraft hatte, dieses zu aͤußern. Diese Seelenangst ist zuletzt aufs hoͤchste gestiegen, als man die Sterbelieder zu singen und den Sarg zuzunageln angefangen hatte, und aͤußerte sich endlich in einer heftigen Muskelbewegung und einem kreischenden Geschrei.

18-22.

Eine Ehefrau, die sehr gluͤcklich mit ihrem Manne lebte, wurde durch eine Reise, die dieser vornehmen mußte, auf einige Zeit von demselben getrennt. Sie troͤstete sich waͤhrend dieser Zeit mit den von ihrem Manne erhaltenen Briefen, und als sie einmal uͤber der Lesung eines solchen Briefs einschlief, worin ihr Mann sie seines Wohlbefindens versicherte, wachte sie auf einmal mit einem kreischenden Geschrei auf. » Mein Mann ist dahin, sagte sie zu den Umstehenden, ich habe ihn eben sterben gesehen. Er war an einer Wasserquelle, um welche einige Baͤume herum standen, sein Gesicht war todtenblaß; ein Offizier in einem blauen Kleide bemuͤhte sich das Blut zu stillen, das aus einer großen Wunde an seiner Seite floß. » Er gab ihm darauf aus seinem Huthe zu trinken u.s.w. « Man gab sich alle moͤgliche Muͤhe sie zu beruhigen. Aber vergebens.

76

Als sie darauf wieder einschlief, wurde sie bald durch den nehmlichen Traum abermal erwacht, an der Wahrheit dessen Jnhalts sie nun nicht mehr zweifelte. Sie verfiel darauf in ein heftiges Fieber mit Verruͤckung.

Waͤhrend der Zeit ihrer Krankheit kam wirklich die Nachricht ein, daß ihr Gemahl unterwegs getoͤdtet worden sey.

Einige Monate nachher gieng sie zur Messe. Nachdem diese geendigt war, fiel ihr ploͤtzlich ein fremder Kavallier in die Augen, worauf sie ein großes Geschrei erhub und in Ohnmacht sank. Nachdem sie wieder zu sich gebracht worden war, sagte sie, sie habe diesen Kavallier fuͤr eben denjenigen erkannt, der die letzten Seufzer ihres Mannes angehoͤrt hat.

Darauf wurde dieser befragt, und es fand sich alles mit ihrem Traume uͤbereinstimmend.

48-52.

Ein Mann, der, nachdem er mit seinem Freunde uͤber die Unsterblichkeit der Seele lange genug disputirt, sehr unruhig zu Bette gieng, hatte folgenden Traum: Es kam ihm im Traume vor, als waͤre er bettlaͤgerig krank, und fuͤhlte daß er sterben muͤsse. Endlich sahe er sich wirklich sterben. Er beweinte seinen eigenen Tod, und betrachtete mit wehmuͤthigem Blick seinen entseelten Leichnam. 77Auf einmal bekam er einen Strahl der Hoffnung, daß seines Todes unerachtet, seine Seele dennoch unsterblich sei. Nicht lange darauf wurde es in seiner Seele wieder truͤbe, er fieng an zu zweifeln uͤber die Unsterblichkeit. Darauf sahe er eine lichte Wolke von dem Scheitel seiner Leiche emporsteigen. Er sahe sie in die Luft zerflattern, und gerieth in eine solche Seelenangst, daß er daruͤber aufwachte.

Psychologische Betrachtungen uͤber die Leidenschaften.

56-66. Neid Mißgunst

Wir beneiden einen andern, wenn wir ihm gewisse Vorzuͤge, die er besitzt, nicht wuͤnschen, sondern sie gern selbst besitzen moͤchten. Welches Letztere sonderlich der Charakter des Mißguͤnstigen ist.

Anmerkung.

Jch glaube dem Sprachgebrauch gemaͤß, gerade das Gegentheil behaupten zu koͤnnen. Mißgunst bedeutet blos, daß man dem andern die Vorzuͤge, in deren Besitz er ist, nicht goͤnnt, ohne irgend einen anscheinenden Grund des Selbstinteresses (ob zwar der Psycholog diesen Grund allerdings78 entdecken kann.) Neid hingegen bedeutet einen Wunsch, daß der andere die Vorzuͤge, die uns mangeln, und in deren gluͤcklichen Besitz er ist, nicht besitzen sollte.

Hier kommt es gar[ nicht darauf] an, wie der Neidische und Mißguͤnstige selbst, sondern wie andere die Vergleichung anstellen, und die Sache beurtheilen. Koͤnnen sie das besondere Jnteresse entdecken, so nennen sie es Neid, wo nicht, so heißt es Mißgunst, welches letztere des Entgegengesetzte vom Wohlwollen ist, das gleichfalls als uninteressirt vorgestellt wird. Fuͤr den Psychologen giebt es so wenig das eine als das andere.

21S. M.

An sich ist der Wunsch des Selbstbesitzens nicht allemal mit dem Neide verbunden.

Anmerkung.

Der Wunsch des Selbstbesitzens der Vorzuͤge, um derentwillen man einen andern beneidet, ist freilich nicht immer im Bewustseyn mit dem Neide verbunden. Aber ohne alles Jnteresse uͤberhaupt, ist so wenig Neid als Mißgunst moͤglich. Wie der V. nachher selbst bemerkt.

22S. M.

Der Neid, setzt eine gewisse Gleichheit oder Aehnlichkeit des Standes, der Geburt der Lebensart u.s.w. voraus. Die uͤbrigen Bemerkungen des V. sind von der Art, daß sie einem jeden, der79 daruͤber nachdenkt, leicht in die Augen fallen. Verdienen also keine besondere Eroͤrterung.

75-77.

Der Herzog von .... hatte im Jahre ... in der .... Nacht die Ahndung im Traume: Es wuͤrde ihm am folgenden Tage ein fuͤrchterliches Ungluͤck begegnen. Dieser Traum wurde genau ein Jahr nachher durch den ploͤtzlichen Tod seiner Gemahlin erfuͤllt.

77-82.

Wird das solamen miseris socios habere malorum, als ein merkwuͤrdiges psychologisches Phaͤnomen aufgestellt, und aus der Zerstreuung, die das Gefuͤhl des Mitleidens mit andern in uns verursacht, erklaͤrt.

Jch halte dieses fuͤr kein sonderliches psychologisches Phaͤnomen, und glaube, die Erklaͤrung davon liege uns weit naͤher in der Erhoͤhung der Vorstellung unsers Ungluͤcks durch den Kontrast in Vergleichung mit dem Gluͤcke anderer. Sind also mehrere mit uns gleich ungluͤcklich, so faͤllt dieser Kontrast weg, und dadurch wird das Gefuͤhl unsers Ungluͤcks erleichtert.

23S. M.

80

93-94.

H ... hatte einen Knaben, den er sehr liebte. Dieser ward krank. H ... legte sich zu Bette. Um Mitternacht geschahen drei Schlaͤge an die verschlossene Thuͤre seines Schlafzimmers. Ueber eine Weile abermal so viel, und da H ... diesem ungeachtet, noch immer ruhig liegen blieb, geschahen wieder drei staͤrkere Schlaͤge. Er stand auf, oͤffnete die Thuͤre, suchte und fand niemand. Darauf legte er sich wieder zu Bette. Zu Morgens wurde ihm der Tod seines Geliebten, der um Mitternacht erfolgt ist, gemeldet.

94-95.

Ein Mann, der in sehr schlechten Umstaͤnden lebte, befand sich einst in seinem Garten, und dachte seinem traurigen Schicksale nach. Auf einmal glaubte er eine Stimme zu hoͤren, die sprach: » Sorge nicht, es wird dir und deiner Familie noch recht gut gehen. « Gleich nach der Zeit wurden seine Umstaͤnde wirklich verbessert, und er wurde ein recht wohlhabender Mann.

[Sechsten Bandes erstes Stuͤck. ]

27-31.

Wird von einem Manne, der viele Kenntnisse und einen vortreflichen Charakter besaß, er -81 zaͤhlt, der, nachdem sein Bruder, mit dem er in Uneinigkeit lebte, ihn auf freiem Felde begegnet, und auf ihn ein Pistol losgedruͤckt hatte, welches aber gluͤcklicherweise versagte, sich endlich entschloß von der Welt sich zu entfernen, und in der großen Stadt L. in Einsamkeit zu leben, und in diesem Entschlusse beharrte er auch bis ans Ende seines Lebens. Seine nach den Grundsaͤtzen der Weisheit und Tugend gewaͤhlte Einrichtung und Lebensart ist sehr merkwuͤrdig.

72 folg.

Ein Mann gieng mit noch etlichen guten Freunden eine Pulvermuͤhle zu besehen. Als sie auf dem Weg waren, und sich mit mancherlei Gespraͤchen unterhielten, fieng dieser Mann auf einmal an in seiner Rede zu stocken, und verfiel in die tiefste Schwermuth. Seine innere Herzensangst nahm mit jedem Schritt zu. Man untersuchte, ob nicht einer unter ihnen etwas Feuerfangendes bei sich habe. Aber es fand sich nichts. Als er endlich uͤber die Thuͤrschwelle geschritten war, stieg seine Angst am hoͤchsten, und er schwitzte am ganzen Leibe. Er bat die ganze Gesellschaft um Gotteswillen, sich mit ihm in moͤglichster Geschwindigkeit zu retiriren. Dieses geschahe.

Sie waren kaum tausend Schritte von der Muͤhle weg, als sie in die Luft sprang.

82

Eben dieser Mann fuhr einst mit mehrern Passagieren auf der Post. Gegen Abend waren alle eingeschlafen. Die sich selbst uͤberlassenen Pferde kamen aus dem Wege. Der Wagen war schon auf dem Punkt in einen See hinabzustuͤrzen. Dieser Mann schlief ziemlich fest, und es kam ihm im Traume vor, als ob ihn jemand mit Gewalt ruͤttelte, daß er geschwind aufwachen moͤchte.

Er erwachte auch wirklich, und sahe die Gefahr, worin sie alle schwebten, hielt die Pferde an, und rettete sich und die ganze Gesellschaft.

Ein Student wollte nach H ... reiten. Die Nacht vorher traͤumte ihm, daß er die Gegend bei der S ... Faͤhre erblickte, und von einem Jaͤger durch den Kopf geschossen wuͤrde.

Als er nachher wirklich an die Faͤhre kam, erzaͤhlte er seinen Begleitern den Traum, die aber darauf nicht achteten.

Sie kamen gluͤcklich hinuͤber, gelangten in H.. an, wo sie sich einige Tage aufhielten.

Sie kehrten zuruͤck, und mußten wieder uͤber die Faͤhre. Der Student blieb zu Pferde sitzen, und hinter ihm stieg ein Jaͤger mit einer Flinte hinein. Dieser sahe eine Elster uͤbers Wasser fliegen, und wollte sie im Fluge schießen. Der Student, dessen Pferd etwas schuͤchtern war, wollte erst absteigen. Jener aber schoß zu, und sogleich sprang des Studenten Pferd in den Fluß hinein, so daß er kaum mit vieler Muͤhe gerettet wurde.

83

Ein junger Gelehrter war im Begriff nach ... auf der Post zu reisen. Zwei Offiziere, die eben den Weg zu machen gesonnen waren, boten ihm ihren bequemen Wagen an, welches Anerbieten er auch mit Freuden annahm.

Sie wollten eben in den Wagen steigen, als die Offiziere eine sichtbare Veraͤnderung an dem mitreisenden Gelehrten wahrnahmen. Sie fragten ihn, was ihm fehlte? Er erwiederte: ich weiß nicht, wie mir ist, ich empfinde am ganzen Leibe ein Schaudern, ich kann nicht mitreisen. Er trennte sich von ihnen, und kam mit der Post gluͤcklich uͤber die Elbe. Die Offiziere hingegen ertranken.

78-87.

Ein sehr glaubwuͤrdiger Mann erzaͤhlt von sich, daß als seine nunmehro selige Mutter in .... an einer Auszehrung darnieder lag, zu welcher Zeit er sieben Meilen von ihr in .... sich aufhielt, er in der Nacht .... nach ein Uhr ein Klopfen, das abwechselnd mit einem Geraͤusche war, in seinem Schlafzimmer hoͤrte, und dieses Klopfen gieng im ganzen Zimmer herum.

Anfangs glaubte er, es waͤren Ratten oder Maͤuse die dieses Geraͤusch verursachten, und wunderte sich uͤber ihre vermuthliche große Menge, die er doch niemals vorher bemerkt hatte. Als es84 aber dicht vor seinem Gesicht, das nach der Wand gekehrt war, zu klopfen anfieng, so kehrte er sich im Bette nach der andern Seite hin, und ward darauf in einer Entfernung von einem Schritte vor seinem Bette eine weiße Dunstfigur, die in einer gebuͤckten Stellung (wie auch damals die Stellung seiner kranken Mutter war) ihm den Ruͤcken zugekehrt hatte, und ihn mit bei Seite gedrehtem Kopfe ansahe. Er erkannte sie sogleich fuͤr die Gestalt seiner Mutter, und rief in Bestuͤrzung: Herr Jesus, Mutter! Sie schien dies zu hoͤren, und drehte den Kopf in dem Augenblick weiter mit einem wehmuͤthigen Blick zu ihm herum, und er erkannte deutlich ein violettes Band, das sie auf der Nachthaube hatte. Er fuhr aus dem Bette heraus, stand auf den Fuͤßen, und sie war noch da. Jn eben dem Augenblick floh sie einige Schritte von ihm weg, er sahe auf der Stelle, wo sie verschwand, einen Feuerstrahl, der vorn spitz, hinten breit und etwa anderthalb Ellen lang war, entstehen, welcher sich in einem Dunst wie eine Wolke aufloͤste, immer duͤnner ward, bis er gaͤnzlich verschwand.

Es war Mondschein, so daß er alles im Zimmer unterscheiden konnte.

Er hielt es fuͤr gewiß, daß seine damals kranke Mutter in dem Augenblick der Erscheinung gestorben sey. Jn der That lag sie, den nachher eingelaufenen Nachrichten zufolge, zu eben der Zeit ohne allen Athemzug; hatte auch damals ein violet Band85 um ihre Nachthaube gehabt; starb aber dennoch erst sieben Wochen nach dieser Erscheinung. Der V. betheuert die Wahrheit alles dessen was er erzaͤhlt hat hoch und heilig.

Eine dieser aͤhnliche Erscheinung wird 87-91 erzaͤhlt.

99-126. Zweites Stuͤck.

72-110. Auszug aus24KardansLeben.

Seine Geburt. Er findet in der Konstellation der Gestirne, die auf seine Geburt Einfluß hatten, daß er gar leicht als ein Monstrum hatte geboren werden koͤnnen, welches nur dadurch verhuͤtet wurde, daß gluͤcklicherweise diese Konstellation im menschlichen Zeichen zutraf.

Aus welcher Konstellation er seine Verwahrlosung (auf einige Zeit) in Absicht des maͤnnlichen Gliedes, seine lispelnde Sprache, seine schnelle und uͤberraschende Divinationskraft herleitet. Daraus leitet er auch eine ihm eigene Verschlagenheit und Sklaverei des Gemuͤths, seine Handlungsart nach abgebrochenen und unerlaubten Schluͤssen, sein geringes Vermoͤgen, und daß er wenig Freunde und viele Feinde, deren groͤßten Theil er nicht einmal dem Namen nach kennt, sein schwaches Gedaͤchtniß, Mangel an Lebensklugheit u.s.w.

86

» Jch hatte, erzaͤhlte er von sich selbst, die Gewohnheit, woruͤber sich die meisten verwundert haben, daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst aufsuchte. Dadurch gieng ich der Krankheit erregenden Ursache entgegen, indem ich glaubte, daß das Vergnuͤgen in dem vorhergestillten Schmerz bestehe, und daß, wenn derselbe willkuͤhrlich sey, er auch leicht gestillt werden koͤnne; und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals ohne Schmerz ganz frei seyn kann, so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so beschwerlicher Gemuͤthsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der Schmerz, oder eine Ursache des Schmerzens, vorausgesetzt, daß sie nicht schaͤndlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang, den ich im schmerzlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel mich selbst zu quaͤlen erfunden u.s.w. «

Er strebte nach einem unsterblichen Ruhm. Er hatte keine festgesetzte Lebensart gewaͤhlt, sondern bestimmte sich hierin, der Veraͤnderlichkeit der Dinge in dieser Welt gemaͤß, nach den Zeitumstaͤnden. Festen Plaͤnen zu folgen fehlten ihm alle Huͤlfsmittel. Er hielt dies auch der Muͤhe nicht werth, da er sowohl aus astrologischen als andern Gruͤnden nicht lange zu leben glaubte. Er uͤberließ sich daher den Vergnuͤgungen und der Nothwendigkeit, und handelte oͤfters sehr unweise.

87

Er war von der Disputirsucht beherrscht; grausam, starrsinnig, roh und hart, unvorsichtig und hitzig, hatte ein uͤber seine Kraͤfte steigendes Verlangen zur Rache, und war geneigt ein Gefallen zu aͤußern, an dem was andere mißbilligen.

Er behauptete den Satz als allgemein wahr, daß unsere Natur zu allem Boͤsen geneigt sey. Dabei war er doch Freund der Wahrheit und Gerechtigkeit, dankbar, Veraͤchter des Geldes und alles Kleinen oder Mittelmaͤßigen.

Er hatte eine uͤberwiegende Neigung zum Nachdenken uͤber viele aͤußerst wichtige und selbst unmoͤgliche Dinge, konnte seine Aufmerksamkeit auf zwei Sachen zugleich wenden.

Er hatte die Seelenstimmung nichts zu hoffen sich zu erlangen bemuͤht; er kehrte sich daher nicht an das Urtheil der Welt, war launisch und veraͤnderlich in seinem ganzen Betragen, wenig gottesfuͤrchtig, und konnte seine Zunge nicht im Zaume halten. Welches ihn oft sehr gereuet hatte.

» Jch weiß, sagte er, daß dies einer meiner groͤßten und sonderbarsten Fehler ist, daß ich von nichts lieber rede, als was den Zuhoͤrern misfaͤllt. Mit Wissen und Willen fahre ich hierin fort. «

Er liebte die Einsamkeit. Besaß die Schwaͤche, Sachen, an die er sich einmal gewoͤhnt hatte, selbst zu seinem Schaden beizubehalten.

Er war in seinem Urtheil zu schnell, faßte uͤbereilte Rathschlaͤge, und konnte in seinen Geschaͤften88 keinen Aufschub leiden. Dieses suchten sich seine Feinde zu Nutze zu machen; und haͤtte er sich nicht angewoͤhnt, uͤber keine Sache, die er freiwillig unternahm, wenn sie auch schlecht ablief, keine Reue zu empfinden, so waͤre er sehr ungluͤcklich gewesen.

Er war standhaft im Gluͤck und Ungluͤck, und suchte die groͤßten Leiden des Gemuͤths durch selbstgewaͤhlte koͤrperliche Leiden zu uͤberwinden. Auch war er in Freundschaft bestaͤndig.

Er heirathete ein Maͤdchen, in welches er sich im Traume verliebt hatte.

Schon in seiner Jugend hatte er die sonderbarsten Erscheinungen im Traume. Allerhand Luftbilder schwebten ihm vor. Sehr oft sahe er auch im Traume einen Hahn, vor dem er sich fuͤrchtete, daß er nicht einmal mit menschlicher Stimme zu reden anfangen moͤchte, welches auch kurz darauf zu geschehen pflegte. Es waren gemeiniglich Drohworte, deren er sich nicht mehr zu erinnern vermochte. Der Hahn hatte rothe Federn, einen rothen Kamm und Backenbart, den er wohl hundertmal gesehen hatte.

Als er zum Knaben heranwuchs, verloren sich die obigen Erscheinungen, und es traten andere an ihre Stelle, die hernach bestaͤndig blieben, obgleich, nachdem er seine Probleme geschrieben und bekannt gemacht hatte, eine jener Erscheinungen bisweilen aussen blieb. Die eine besteht darin, daß er, so oft er die Augen gen Himmel richte, den Mond89 sehe. Die andere (die er zufaͤlligerweise bemerkt habe) ist, daß wenn sich Leute streiten, und er dazwischen komme, kein Blut vergossen, auch keiner verwundet werde, welches er, nachdem er es an sich bemerkt hatte, als ein probates Mittel solche Uebel zu verhindern, vorsetzlich brauchte. Selbst das Wild, wenn er mit auf der Jagd ist, kann so wenig durch Schießgewehr als durch Hunde verwundet werden.

Dieser, wie Leibniz sich ausdruͤckt, mit allen seinen Fehlern wirklich große Mann erzaͤhlte noch mehrere dergleichen schwaͤrmerische Grillen, die wegen ihrer zu großen Eccentricitaͤt, hier uͤbergegangen werden muͤssen.

Folgende sind in psychologischem Betracht merkwuͤrdig.

Er erzaͤhlt von sich, daß er ungefaͤhr seit 46 Jahren von der Seite, wo von ihm gesprochen wird, ein Geraͤusch in seinem Ohr schallen wahrnimmt. Jst es etwas gutes, so gelangt es, es mag von der rechten oder linken Seite herkommen, in sein rechtes Ohr. Jst es etwas Boͤses, so ist das Geraͤusch tumultuarisch, und kommt von der Stelle her, wo die Stimme entsteht. Er behauptet ferner, daß er durch Traͤume bevorstehende Dinge (33 Jahr lang) habe vorhersehen koͤnnen.

» Wer, sagt Kardan, mag wohl der Mann gewesen seyn, welcher mir in meinem zwanzigsten Jahre den lateinischen Apulejus verkaufte, und90 sogleich wieder weggieng? Jch war damals nur ein einziges mal in der (lateinischen) Schule gewesen, hatte noch gar keine Kenntnisse in dieser Sprache erlangt; hatte den Apulejus bloß deswegen gekauft, weil er vergoldet war, und den andern Tag darauf war ich so weit in der lateinischen Sprache als ich jetzt bin, hatte auch zugleich das Griechische, Spanische und Franzoͤsische mit gelernt, daß ich Buͤcher darin lesen konnte. «

Als er uͤber den Tod seines Sohnes (der eines Verbrechens wegen hingerichtet wurde) sich sehr betruͤbte, kam ihm einmal im Schlafe vor, als hoͤrte er eine Stimme, welche ihm zurief! Was klagst du, woruͤber beunruhigst du dich? uͤber den Tod deines Sohnes? Nachdem Kardan dieses bejahet hatte, antwortete die Stimme: lege den Stein, welchen du an deinen Hals gehaͤngt, in den Mund, und so lange du ihn darin haͤltst, wirst du an deinen Sohn nicht denken. Er that es, und vergaß seinen Sohn wirklich ganze anderthalb Jahr, nur wenn er zum essen oder sprechen den Mund aufthun und folglich den wohlthaͤtigen Smaragd nicht gebrauchen konnte, wurde er bis zum Todesschweiß gequaͤlt.

Er spricht auch von einem Schutzgeist, den er gleich mehrern großen Maͤnner gehabt haben wollte; und dem er alle die im vorhergehenden erzaͤhlten sonderbaren Zufalle zuschrieb.

91

Doch leugnet25Kardannicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich so wie die menschliche Vernunft, irren koͤnne. Nicht zwar an sich als ein reiner Geist, sondern in so fern er auf materielle Organe wirken muß. Er fuͤhrt 73 gelehrte Maͤnner an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren erwaͤhnen, und selbst Skaliger sein Erzfeind nennt ihn das tiefsinnigste, gluͤcklichste und unvergleichlichste Genie.

Drittes Stuͤck.

34-35.

Ein 72jaͤhriger blinder Prediger ermordete seine Frau des Nachts durch viele toͤdtliche Wunden, die er ihr beibrachte.

Beim Untersuchen gestand er diese von ihm praͤmeditirte That, die durch die Reflexion uͤber seine elenden Umstaͤnde veranlaßt worden war, ein. Denn da er durch Alter und Blindheit zur Vorstehung seines Amts untuͤchtig, und also einen Adjunkt anzunehmen genoͤthigt war, dieser aber mit der ihm zugestandenen Haͤlfte des Einkommens unzufrieden, den armen Pfarrer auch in dem zu seinem Unterhalte Uebergebliebenen zu schmaͤhlern suchte, woruͤber dieser von seiner Frau taͤglich Vorwuͤrfe hoͤren mußte, so beschloß er durch diesen Mord sowohl seine Frau von ihrem Elend zu befreien, als durch die Haͤnde des Gerichts sein eigenes muͤhvolles Leben zu beschließen.

92

42-44.

Eine alte Frau von beinahe siebenzig Jahren, wurde, durch einen Zufall auf einmal vom Schlage geruͤhrt, so daß sie die Tage hindurch fast ganz einer todten Person glich. Vier Tage darauf bekam sie ihre Sprache wieder, und ernannte diejenige Personen, welche ihr das Sterbekleid anziehen, und sie, da sie bereits wirklich todt sei, in den Sarg legen sollten.

Alle Muͤhe, die man sich gab, sie von ihrem laͤcherlichen Wahn zu befreien, war vergeblich. Man mußte, um sie zu beruhigen, sie wie eine Leiche ankleiden, und auf ein Paradebette legen. Sie selbst beschaͤftigte sich hier so geputzt als moͤglich zu erscheinen. Endlich fiel sie in einen Schlaf, wo man sie alsdann wieder auskleidete, und in ihr Bette legte. Nachdem sie wieder aufgewacht war, bekam sie wieder die vorige Grille. Durch Huͤlfe des Arztes aber wurde sie endlich dahin gebracht, daß sie im Lande der Lebendigen zu seyn glaubte. Aber nun aͤußerte sie oft, daß sie in N ... bei ihrer Tochter waͤre, und machte zuweilen Anstalt zur Ruͤckreise nach K ... Man ließ sie die Stadt herumfahren und zuruͤck nach Hause bringen, so daß sie wirklich glaubte von N ... zuruͤckgekehrt zu seyn. Nachher bekam sie ihren Paroxysmus alle Vierteljahr, und wunderte sich hernach allemal, wie sie wieder ins Leben zuruͤckgekehrt sey. Waͤhrend93 der Zeit, daß sie sich todt glaubte, unterredete sie sich mit laͤngst verstorbenen Personen, und bewirthete sie mit vieler Sorgfalt.

76-89.

Wird angemerkt, daß es zur Erklaͤrung der Entstehungsart des Traums nicht noͤthig sey, immer eine aͤußere dunkel empfundene Sensation[ vorauszusetzen;] da wir aus eigener Erfahrung wissen, daß wir bisweilen im Wachen zu denken aufhoͤren, und daß sehr oft die Seele neue Jdeen gleichsam aus nichts, nach jenen Jntervallen wieder hervorruft, oder durchs Gedaͤchtniß herbeifuͤhrt, indem sie nehmlich ihre Denkkraft wieder in Bewegung setzt, oder besser, indem diese Kraft, als Seele selbst betrachtet, sich wieder zu aͤußern anfaͤngt, so kann auch dies gerade der Fall im Traume seyn, u.s.w.

Anmerkung.

Daß die Seele im Wachen nach den Jntervallen der Unterbrechung ohne irgend eine aͤußere Sensation, aus sich selbst, ihre Denkkraft aufs neue aͤußern soll, kann schwerlich bewiesen werden. Das Gedaͤchtniß setzt die Wirkung der Association, und diese Jdeen, womit die schon gehabten associirt werden, voraus. Sonst ist die Art, wie die Seele nach einer Unterbrechung aufs neue zu wirken anfaͤngt, unerklaͤrbar. Die der Seelenwirksamkeit94 korrespondirende koͤrperliche Jntension und Remission kann selbst nicht anders als durch aͤußere Ursachen bestimmt werden.

26S. M.

a) Sagt der V. » unter allem was mir bei Beobachtung des Traums am merkwuͤrdigsten geschienen hat, ist mir vornehmlich dies aufgefallen daß die Seele, ob ihr gleich auch im Traume ihre Denkkraft beiwohnt, und sich nach Gesetzen derselben so gut, wie im Wachen richten muß, bei Bildern und Vorstellungen waͤhrend des Traums gleichguͤltig bleibt, die sie waͤhrend des Wachens mit groͤßtem Erstaunen empfinden wuͤrde u.s.w. «

Anmerkung.

Aber von welcher Art sollte dieses Erstaunen der Seele uͤber ihre Bilder und Vorstellungen im Traume seyn? Sollte es bloß ein solches Erstaunen seyn, das man uͤber die Unbegreiflichkeit eines Faktums aͤußert, ohne deswegen seine Wirklichkeit zu bezweifeln? wie z. B. der gemeine Mann die neuern Luftsegler mit Erstaunen betrachtet, so behaupte ich, daß ein solches Erstaunen allerdings auch im Traume statt findet. Jch weiß, aus eigener Beobachtung, daß wenn ich zuweilen traͤume, als floͤge ich in die Luft, ich im Traume selber eben so daruͤber erstaune, als wie ich daruͤber erstaunen wuͤrde, wenn es im Wachen geschehen sollte. Jn95 andern Faͤllen liegt bloß ein Mangel des Gedaͤchtnisses zum Grunde, wenn man uͤber ihre Sonderbarkeit nicht in Erstaunen geraͤth; wie wenn man traͤumt, in einem Orte zu seyn, und gleich darauf einen Gegenstand zu sehen, der sich in einem vieler Meilen davon entfernten Orte befindet; wo bei der Vorstellung des Gegenstandes die Vorstellung des vorigen Ortes sich aus dem Gedaͤchtniß verliert, und also keine Vergleichung statt findet.

Versteht aber der V. darunter ein solches Erstaunen, das uns die Wirklichkeit der Vorstellungen zu bezweifeln zwingt, so ist dies eben der Fall, wo wir im Traume wissen, daß wir traͤumen. Der V. sagt: » Jst dies bisweilen der Fall, daß wir im Traume wissen, daß wir traͤumen, so geschieht es doch eigentlich nicht, weil wir durch die Ungereimtheit unsrer Hirngespinste darauf gebracht wurden, sondern weil wir uns wahrscheinlich aus dem Wachen erinnern, daß wir eine Jdee vom Traume uͤberhaupt haben. «

Ein sonderbarer Grund! weil wir uns erinnern, daß wir eine Jdee vom Traume uͤberhaupt haben, erklaͤren wir die gegenwaͤrtige Vorstellung fuͤr einen Traum, warum faͤllt uns die Jdee vom Traume uͤberhaupt, vielmehr bei[ diesem] ungereimten als bei irgend einem andern Traum ein? Die Jdee vom Traume uͤberhaupt ist blos die conditio sine qua non, von der Moͤglichkeit des Praͤdikats in dem Satze: die gegenwaͤrtige Vor -96 stellung ist ein Traum, sie kann aber nicht den Grund zur Verbindung von Subjekt und Praͤdikat abgeben.

27S. M.

Zweites Stuͤck.

114-116.

Ein junger Geistlicher, der einen Herrn in seinen Garten begleitete, wo er niemals gewesen war, fuͤhlte auf einem gewissen Platz einen Schauer, der am besten mit einer elektrischen Erschuͤtterung verglichen werden kann. Nach vielen Zudringen bekannte Jener, daß ihn dieser Schauer fast immer an Orten anwandle, wo jemand begraben liegt. Bei Untersuchung fand es sich wirklich so.

Siebenter Band erstes Stuͤck.

85-92.

Ein Seiler von dreiundzwanzig Jahren, von einem melancholischen Temperament, hatte seit drittehalb Jahren folgende Beschwerung.

Es uͤberfiel ihn vielmals am hellen Tage ein Schlaf mitten unter seiner Handthierung, es sey im Sitzen, Stehen oder Gehen. Sobald der Paroxysmus ankam, wurden ihm die Augen geschlossen, und der Gebrauch aller aͤußerlichen Sinne hoͤrte auf. Dahingegen fieng er schlafend an, das -97 jenige der Reihe nach zu verrichten, was er den Tag uͤber bis auf den Augenblick des Paroxysmus verrichtet hat.

98-101.

Ein Maͤdchen von siebzehn Jahren war, nach einer ausgestandenen Kaͤlte, in einen Schlaf gefallen, darin sie mit Haͤnden allerlei Bewegungen gemacht, nachher gelaͤchelt, und endlich laut zu lachen angefangen. Worauf bald weinende Mienen und thraͤnende Augen wahrgenommen worden, bis sie endlich nach einer Viertelstunde wieder zu sich selbst gekommen, und von allen diesen Dingen nichts gewust.

Drei Tage nachher hat sich dieser Paroxysmus wieder eingefunden. Einige Tage darauf hat sie wegen zustoßender Mattigkeit bettlaͤgrig werden muͤssen, da denn alle Tage, ja des Tages etliche mal sich obige Zufaͤlle eingefunden. Sie machte im Schlafe allerlei Mienen, wodurch man Affekten auszudruͤcken pflegt; endlich hat sie zu reden angefangen, und alle ihr gethane Fragen ganz vernuͤnftig beantwortet; wovon sie aber beim Erwachen niemals etwas gewust. Sang auch im Schlafe christliche Lieder, und wenn man mit einer Violin oder Klavier darein spielte, so hat sie die Musik und den Takt wohl beobachtet; auch wenn man ihr das Jnstrument gegeben, selbst gespielt. 98Sie verrichtete auch im Schlafe feine weibliche Arbeiten, und dergleichen mehr.

117-120.

Wird von einem Nachtwandler erzaͤhlt, der Arbeiten, die er im Wachen nicht haͤtte verrichten koͤnnen, im Schlafe aufs gluͤcklichste bewerkstelligte. Nachdem, daß er im fuͤnfundvierzigsten Jahre seines Alters im Schlafe zu wandern aufgehoͤrt hatte, fieng er von der Zeit an viel zu traͤumen. Die Traͤume die er hatte, waren gemeiniglich prophetisch.

123.

Wird von einem Nachtwandler erzaͤhlt, der das, was er im Schlafe verrichtet, bloß getraͤumt zu haben glaubte.

Zweites Stuͤck.

26-57.

Der V. unterscheidet mit Recht Laster von bloßer Schwaͤche oder Temperamentsfehler. Diese haben ihren Grund in der koͤrperlichen Disposition; jene aber in der Seele selbst. Er spricht auch von incorrigibeln Lastern, die er durch Beispiele erlaͤutert.

99

Anmerkung.

Jn Abstrakto kann freilich Laster von Schwaͤche auf diese Art unterschieden werden. Jn Konkreto aber lassen sie sich in den mehresten Faͤllen sehr schwer von einander unterscheiden. Laster im Allgemeinen kann als eine freiwillige Aufhebung des freien Willens erklaͤrt werden. Je oͤfter eine lasterhafte Handlung begangen wird, um desto weniger wird auch der Willen frei, sie in der Zukunft zu vermeiden. Die Freiheit des Willens nimmt, in Beziehung auf diese Handlung, mit