PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Zweites Heft.
Enthaltend die Reiſe durch Lithauen, und eine Schilderung von Warſchau, nebſt Anekdoten aus der Geſchichte des Konſtitutions-Reichstages, mit den Bildniſſen der vornehmſten Theilhaber begleitet.
Berlin,1795. bei Friedrich Vieweg dem aͤltern.
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Dritter Abſchnitt. Warſchau.

Staatsbuͤrgerliche Verhaͤltniſſe der Bewohner von Polen uͤberhaupt. Grundſatz der polniſchen Verfaſſung. Wer ein echter polniſcher Edelmann iſt. Bund der Edelleute. Knoten dieſes Bundes der Koͤnig. Die drei Staatsmaͤchte, bei wem? Freiheit der Edel - leute. Jhre Vorrechte. Hoffnung zur Krone. Aus - ſchließender Guͤterbeſitz. Natur der adelichen Erb - guͤter. Freiheit der Perſon. Was ein Todtſchlag den Edelmann koſtet? Was einen Buͤrgerlichen? Fuͤrſten, Grafen, Knees, Marcheſe. Das polniſche Jndigenat. Erhebung in den Adelſtand. Wodurch man den Adel verliert? Die drei Staͤnde des Reichs. Der Koͤnig und deſſen Vorrechte. Der Senatorenſtand. Der Fuͤrſt-Primas. Die Bi - ſchoͤfe, Woiwoden, Kaſtellane, Marſchaͤlle, Kanzler, Schatzmeiſter. Der Ritterſtand. Urſprung deſſelben und Wachsthum ſeiner Macht. Das liberum veto. Aemter, die aus ſeinem Mittel beſetzt werden. De - ren Eintheilung. Oberſekretaire. Reichsreferendare. [4]Hofſchatzmeiſter. Unterkaͤmmerer. Fahntraͤger. Schwerttraͤger. Stallmeiſter. Kuͤchenmeiſter. Mund - ſchenken, Truchſeß, Kanzleiregenten, Metrikanten, Großſchatznotare, Kron - und Schatzbewahrer, Jn - ſtigatoren, Großfeldherren, Unterfeldherren, Feld - notare, Großfeldwachtmeiſter, Lagermeiſter, Ge - ſchuͤtzmeiſter, Generalſtaroſten. Die Dignitarien oder Beſitzer der Landaͤmter: Unterkaͤmmerer, Fahn - traͤger, Richter, Truchſeß, Mundſchenk, Unterrich - ter, Untertruchſeß, Untermundſchenk, Jaͤgermeiſter, Nottmeiſter, Schwerttraͤger, Unterrottmeiſter, Schatz - meiſter, Marſchaͤlle, Civunen, Horodnicki. Koͤnig - liche Guͤter. Staroſten. Biceſtaroſten. Burggra - fen. Notare. Unadeliche Einwohner von Polen. Betrachtung uͤber die verfaſſungsmaͤßige vollkommene Freiheit und Gleichheit der polniſchen Edelleute. Bauern. Jhr Zuſtand. Jhre Klaſſen. Aufhebung der Leibeigenſchaft von einigen polniſchen Großen gluͤcklich unternommen. Die Buͤrger der adelichen und geiſtlichen Staͤdte. Die Bewohner der koͤnig - lichen und der Municipalſtaͤdte. Die niedere Geiſt - lichkeit. Die Juden.

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Ehe ich zu der Schilderung der Lebensart, der Sitten und des Charakters der Bewohner von Warſchau uͤbergehe, wird es noͤthig ſeyn, etwas von den ſtaatsbuͤrgerlichen Verhaͤltniſſen der Bewohner von Polen uͤberhaupt zu ſagen. Manche Erſcheinungen in jenen werden ſich ſodann, ohne daß es vieler Worte bedarf, aus dieſen erklaͤren laſſen.

Der Verfaſſung von Polen, wie ſie ſeit Errichtung der ſogenannten pacta conventa im Jahre 1572, und ſeit der Einſetzung des immerwaͤhrenden Rathes im Jahre 1776 beſteht, liegt der Satz zum Grunde: Bei dem eingebornen Landbeſitzer iſt alle politiſche Auszeichnung und Wichtig - keit, er allein iſt Staatsbuͤrger*)Man vergleiche bei den folgenden ſtaatsrechtlichen Angaben Lengnich Jus. publ. Pol. II. Tom. Gedani, 1742-1744. Was er bei den hier be - handelten Gegenſtaͤnden nicht anfuͤhrt, oder was ich nicht anfuͤhre, oder worin ich von ihm abweiche, das iſt durch Geſetze, die nach der Erſcheinung ſei -.

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Wer in Polen Land beſitzt, von einem polniſchen Vater geboren iſt, der Land beſaß, (mit der Mutter nimmt man es nicht ſo genau) auf ſeinen Guͤtern unabhaͤngig lebt und kein buͤrgerliches Gewerbe treibt, der iſt Edelmann; mithin iſt jene Auszeichnung, Wichtigkeit und Staatsbuͤrgerſchaft in Polen ausſchließend bei dem Edelmann.

Jeder dieſer Edelleute iſt frei und unum - ſchraͤnkt in ſeinem Gebiete, mithin iſt die ge - ſammte Geſellſchaft der Edelleute frei und un - umſchraͤnkt im ganzen Lande.

Dieſe Geſellſchaft wird geachtet, der Frei - heit ihrer Perſonen und der Sicherheit ihres Eigenthums wegen, in einem Bund getreten zu ſeyn, welchem eine allgemeine Uebereinkunft zum Grunde liegt. Die Bedingniſſe dieſes Bundes bilden die Geſetze des Landes. Da*)nes Buches gegeben worden, oder durch neuere von außenher angerathene Einrichtungen, oder durch Mißbraͤuche, aus dem polniſchen Staatsrechte ent - weder verdraͤngt, oder demſelben hinzugeſetzt worden.7 ſie die Vorſchriften fuͤr das Wohl des Ein - zelnen und Aller enthalten, ſo ſind ſie ver - bindlich fuͤr Einen und fuͤr Alle. Nur ihren Entſcheidungen iſt der Einzelne unterworfen, weil ſie von ihm ſelbſt und ſeinesgleichen kom - men, nur nach ihnen kann alſo auch das Ganze handeln. Dies iſt ſo weſentlich, daß Einer und Alle ihre Freiheit und Sicherheit verlieren, wenn nach fremden Vorſchriften entſchieden und gehandelt wuͤrde.

Die Geſellſchaft waͤhlt ſich zum Knoten ihres Bundes, aus ihrem Mittel, frei, einen Koͤnig. Dieſer Koͤnig ſoll die Ausuͤbung ihres Willens, das heißt, der Landesge - ſetze haben, und auf ſeiner Perſon ſollte die Majeſtaͤt der Geſellſchaft haften. Jene Aus - uͤbung hat er ſeit der Errichtung des im - merwaͤhrenden Raths nicht mehr, und von der Majeſtaͤt iſt ihm viel abgeſchnitten.

So wie alſo die Nation, d. i. die Geſellſchaft der Landbeſitzer*)Polniſch Ziemiànie, terrigenae, auf dem Lan - de geboren. Dieſes Wort bezeichnet, ſo wie, in ihren Stell -8 vertretern, Geſetze giebt, ſo beſorgt ſie nun auch die Ausuͤbung derſelben, in an - dern Stellvertretern. Erſteres thut ſie durch den Reichstag, letzteres durch den immer - waͤhrenden Rath; und dieſe beiden Staats - maͤchte haben die dritte, die richterliche, zur nothwendigen Folge.

Dieſe drei Gewalten ſtehen ausſchließend bei dem vorhin bezeichneten Adel, und die daraus herfließende Freiheit kommt keinem an - dern Einwohner des Landes zu gute, als dem Edelmann, deſſen ſaͤmmtliche Rechte daraus herfließen.

Die wichtigſten dieſer Vorrechte ſind fol - gende:

Der Edelmann hat ausſchließende Anſpruͤ - che auf alle weltliche und geiſtliche Ehrenſtellen*)die Woͤrter indigena, terreftria bona poffidentes, nobiles poffeffionati, den eigentlichen Stimm -, Wahl -, Aemter - und Regierungsfaͤhigen Adel, zum Unterſchiede von dem gemachten Adel und den Buͤrgerlichen. Man findet weiterhin mehr hier - uͤber.9 und Staatsaͤmter, die erhabenſten, die Wuͤrde des Koͤnigs und des Fuͤrſten-Primas, nicht ausgenommen.

Michael Wisniowiecki, Johann Sobieski, und Stanislaus Poniatowski waren vor ihrer Erwaͤhlung, polniſche Edelleute. Jndeſſen iſt der Genuß dieſes Vorrechts nicht der ſicherſte fuͤr den polniſchen Adel, und noch immer iſt er, wenn man ihm denſelben geſtattete, die Quelle der ſchrecklichſten Unordnungen geweſen. Es iſt unmoͤglich, daß ein Koͤnig von Unter - thanen, die Seinesgleichen waren, und auf einem vertrauten Fuße mit ihm ſtanden, ge - ziemend geachtet und geehrt werden kann; es iſt unmoͤglich, daß Eiferſucht und Neid unauf - geregt bleiben, wenn ſeine Verwandten an - dern vorgezogen und durch Wuͤrden und Guͤ - ter ausgezeichnet werden; es iſt unmoͤglich, daß ein Koͤnig, der nicht ſelbſt außerordent - lichen Reichthum beſitzt, die Koſten der Maje - ſtaͤt beſtreiten kann, fuͤr die der Staat ſelbſt ſo wenig ausgeſetzt hat; es iſt unmoͤglich, daß10 die benachbarten Maͤchte, die in ihrem politi - ſchen Syſteme Polen mit berechnen, ſich nicht in das Wahlgeſchaͤft miſchen, und durch ihren Einfluß, ihre Drohungen und Beſtechungen Partheien errichten und alle die aus der polniſchen Geſchichte ſattſam bekannten Auf - tritte verurſachen ſollten.

Der Edelmann beſitzt ausſchließend alle Landguͤter in Polen, bis auf die, welche den großen Staͤdten zu beſitzen erlaubt iſt. Die Staatsguͤter und die koͤniglichen Tafelguͤter glaubt er, inſofern ſeine Genoſſenſchaft den Staat bildet, auch zu beſitzen, und deshalb hat er ausſchließende Anſpruͤche auf ſie, wenn ſie vergeben werden, ja, er hat, wie die Geiſt - lichkeit, einen großen Theil derſelben an ſich zu bringen und in Erbguͤter zu verwandeln gewußt. Die Beſchaffenheit ſeiner Erbguͤter iſt aber ganz eine andre, als die der koͤnig - lichen, geiſtlichen und ſtaͤdtiſchen. Nur durch ſie wird er der beſitzliche Edelmann, dem die Geſetze ſo viel Vorrechte gewaͤhren. 11Sie duͤrfen nicht mit Soldaten belegt, kein Lager darf in ihrem Umfange geſchlagen wer - den; was ihr Beſitzer an Metall -, Salz -, Schwefel - und andern Gruben auf ſeinem Gebiet entdeckt, benutzt er zu ſeinem eignen Vortheil, nicht, wie anderwaͤrts, der Staat; die Fluͤße, die durch ſie hinſtroͤmen, gehoͤren dem Beſitzer, ſo weit ſie ſein Gebiet beruͤh - ren, doch mit Ausſchluß ſolcher, die durch die Geſetze fuͤr oͤffentliche erklaͤrt worden ſind. Die Erbfolge auf dieſen Guͤtern ſteht allein bei den Soͤhnen; die Toͤchter werden mit einem Braut - ſchatz abgefunden, der nicht uͤber den vierten Theil des Werths derſelben ſteigen darf. Auf die Guͤter ſelbſt koͤnnen ſie, ſo lange Soͤhne vorhanden ſind, keine Anſpruͤche machen; ſind dieſe aber nicht da, ſo treten die Toͤchter in den Beſitz der Guͤter und bringen ſie ihren Maͤnnern zu. Sind auch keine Toͤchter da, ſo fallen die Guͤter, nicht nach der natuͤrlichen Erbfolge, ſondern nach den Regeln der Reka - denz, die in Polen gilt, an den naͤchſten12 maͤnnlichen Seitenverwandten des Vaters, entweder an deſſen Bruder oder deſſen Sohne. Auch kann kein Erblaſſer uͤber ſolche Guͤter willkuͤhrlich verfuͤgen, ſondern er muß ſie dem rechten Erben vermachen. Werden endlich ſolche Guͤter verſchuldet und uͤberlaͤßt ſie der Schuldner ſeinen Glaͤubigern, ſo gehen ſie dadurch nicht fuͤr ihn verloren. Die Glaͤu - biger werden, nach der Prioritaͤt, in die Guͤ - ter eingelaſſen und benutzen ſie, aber nur als Pfandhaber, ſo lange bis ſie ſich bezahlt ge - macht haben. Der Eigenthuͤmer kann ſie im - mer wieder einloͤſen, wenn er im Stande iſt, die Jura crediti an ſich zu kaufen, und dann iſt er wieder Beſitzer, wie vorher. Guͤter dieſer Art koͤnnen in ihrer Beſchaffenheit nicht veraͤndert, mithin nicht vom Staat eingezogen werden; man muß erſt oͤffentlich anfragen, ob irgend jemand da ſey, der Anſpruͤche dar - an hat und beweiſen kann, und findet ſich ein ſolcher, ſo tritt er in den Beſitz, und wenn auch ſeine Abſtammung von dem vorigen Be -13 ſitzer in die Jahrhunderte zuruͤckginge; findet ſich aber keiner, ſo wird zwar die Kaducitaͤt uͤber dieſe Guͤter verhaͤngt, aber eingezogen koͤnnen ſie darum doch nicht werden, ſondern der Staat muß ſie wiederum einem Edelmann uͤbergeben. So bleibt den Guͤtern beſtaͤndig ihre adeliche Natur, wie ihr Eigenthum bei den Familien, die ſie anfangs beſaßen und nicht foͤrmlich Verzicht darauf thaten; und daher koͤmmt es, daß die aͤrmſten Edelleute, wenn ſie nur beweiſen koͤnnen, daß ihr Vater ehedem ein ſo geeigenſchaftetes Gut beſeſſen, daß ſie ſelbſt nicht durch Handel oder Hand - werk die Rechte eines Edelmanns verloren haben, nach der Verfaſſung, dieſelben Vor - zuͤge genießen, wie der reichſte, jetzt noch be - ſitzliche Edelmann. Denn ſolch ein armer kann in Umſtaͤnde kommen, die ihm erlauben, ſich den Beſitz ſeines Familiengutes wieder zu ver - ſchaffen, das viele Jahre aus einer Hand in die andre gehen kann, ohne daß die verarmte Familie ihr Eigenthum daran verliert.

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Die Abgaben von dieſen Guͤtern ſind ge - ringe, und koͤnnen nur ſolche ſeyn, welche die geſetzgebende Macht, deren Mitglied der Edel - mann ſelbſt iſt, feſtgeſetzt hat. Eben ſo ver - haͤlt es ſich mit den Zoͤllen, von denen er zwar nicht mehr ganz frei iſt, die aber ver - haͤltnißmaͤßig ſehr geringe ſind.

Seine perſoͤnliche Freiheit iſt groß. Selbſt im Fall eines Kriminalverbrechens bleibt er ſeiner Perſon ſo lange maͤchtig, bis er deſſel - ben gerichtlich uͤberwieſen worden. Nur dann kann er verhaftet werden, wenn man ihn auf friſcher That ertappt, z. B. bei Diebſtaͤhlen, Mordbrennereyen, gefliſſentlichen Todtſchlaͤgen, Maͤdchen - und Weiberraube, Pluͤnderungen u. ſ. w. Am Leben kann er nur durch den Reichstag geſtraft werden, und es finden ſich in der polniſchen Geſchichte ſehr wenig Bei - ſpiele, daß das Todesurtheil uͤber einen Edel - mann ausgeſprochen und wirklich vollzogen worden waͤre.

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Er kann Todſchlaͤge mit Geld abkaufen. Begeht er einen ſolchen an einem Buͤrgerli - chen, ſo bezahlt er 100 Mark; geſchieht er an einem Adelichen, und zwar mit dem Saͤ - bel, ſo bezahlt er 240, mit dem Feuergewehr 480 Mark, wozu noch eine Gefaͤngnißſtrafe von einem Jahr und ſechs Wochen gefuͤgt wird.

Ein Buͤrgerlicher hingegen, der einen Edelmann erſchlaͤgt, zahlt mit dem Kopfe.

Dieſe Rechte ſind allen eingebornen Edel - leuten gemein, und Alterthum der Familie oder Reichthum machen keinen Unterſchied. Daher ſind alle Edelleute von Natur gleich. Die Vorzuͤge die einer vor dem andern hat, gehen nicht aus dem Grunde der Verfaſſung, ſondern aus den Staatsaͤmtern hervor, die er bekleidet. Ein Edelmann, der Senator iſt, wird nur als Senator einem andern Edel - mann vorgezogen. Auch die Unterſcheidungen, die in andern Laͤndern durch die Titel: Herzog, Graf, Baron, unter dem Adel verurſacht16 werden, finden in Polen nicht ſtatt, und es iſt dem Koͤnige nicht erlaubt, dieſe Titel einem eingebornen Edelmann zu verleihen, ſo mit ein ſolcher auch nicht darum anhalten darf. Vor etwas mehr als hundert Jahren wurde ſogar durch ein Geſetz die Strafe der Ehr - loſigkeit darauf geſetzt, wenn jemand durch auswaͤrts erhaltnen Titel, Wappen und Sie - gel, die Gleichheit unter dem eingebornen Adel ſtoͤrte.

Jndeſſen giebt es einige Familien, denen die Geſetze, der Gleichheit des Adels unbe - ſchadet, den Fuͤrſten und Grafentitel erlau - ben. Es ſind die noch bluͤhenden von denen, deren in den verſchiedenen Vertraͤgen erwaͤhnt wird, durch welche Lithauen, Kiow, Volhi - nien und Braclaw, mit Polen verbunden wurden: die Oſtrog, Czartoryski, Sangusto, Wisniowiecki, Radziwil, Jbaraz, Luzk, Czetwerlinsky, Fuͤrſten, und die Tenczyn und Olenski, Grafen. Die Oſtrog und Wiesnio - wiecki ſind ausgeſtorben, die Jbaraz werdenvon17von den Woroniecki fortgefuͤhrt, eben ſo die Grafen Tenczyn von den Oſſolinski. Vor kurzem ſtarb ein Olenski, aber ich habe noch keine ſichere Auskunft, ob in ihm dieſe Fa - milie ausgegangen iſt. Von neuerer Schoͤ - pfung ſind die fuͤrſtlichen Familien Oſſolinski, Lubomirski, Sulkowski, und ein Zweig der Familie Sapieha, die der Kaiſer in den Reichs - fuͤrſtenſtand erhoben hat, die aber dieſen Titel in oͤffentlichen Verhandlungen weder brauchen noch empfangen; vom allerneueſten Dato ſind die fuͤrſtlichen Familien Jablonowski und Poniatowski, mit welchen es eine aͤhnliche Bewandniß hat. Wenn der Erzbiſchof von Gneſen Fuͤrſt-Primas des Reichs, und der Biſchof von Krakau Herzog von Severien genannt werden, ſo ruhen dieſe Titel nicht auf ihren Familien, ſondern auf ihren Wuͤr - den, und ſie gehen auf ihre Nachfolger uͤber. Die Oginski und Maſſalski fuͤhren den Titel Knees, weil ſie von ruſſiſchen Familien ab - ſtammen. Außerdem ſind noch mehrere Reichs -Zweites Heft. B18grafen vorhanden und ſogar ein Marcheſe, Wielopolski, der dieſen Titel von der erloſche - nen Familie Myſzkowski uͤberkommen hat, die von dem Papſt, Klemens dem Achten, den - ſelben erhielt. Die Geſetze verbieten wieder - holt, daß dieſe Titel ihren Beſitzern irgend einen ſtaatsbuͤrgerlichen Vorzug vor den unbe - titelten Edelleuten geben ſollen, weder in Ver - gebung der Ehrenſtellen, Aemter und Staro - ſteyen, noch in dem Wahl - und Stimmge - ſchaͤft und den oͤffentlichen Verhandlungen. Zum Zeichen der Gleichheit reden ſich die Edelleute ohne Ausnahme mit Bruder an; der oberſte Senator den gewoͤhnlichen Edel - mann, und dieſer, wenn er will, den oberſten Senator; aber letzterer enthaͤlt ſich deſſen ge - woͤhnlich aus Ehrfurcht. Auch iſt es her - gebracht, daß man in oͤffentlichen Berathſchla - gunge den Senat mit der Benennung der aͤltern Bruͤder, und den Ritterſtand mit der Benennung der juͤngern Bruͤder be - zeichnet.

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Fremde Edelleute, die in Polen leben, oder daſelbſt von einem fremden Vater ge - boren ſind, koͤnnen nicht Theil an den Rechten des eingebornen Adels haben; ſie muͤſſen, mit Vorwiſſen des Staats, unter die Eingebornen aufgenommen werden. Jn aͤltern Zriten war dies nicht noͤthig. Damals wurden fremde Ankoͤmmlinge aus Schleſien, Boͤhmen, Un - garn und Deutſchland ſogleich den Eingebor - nen zugezaͤhlt, wenn ſie einen feſten Wohnſitz gefunden hatten. Nach der Zeit aber ward das Geſetz gegeben, daß das Jndigenat nicht heimlich, nicht vom Koͤnige allein, ſondern oͤffentlich, mit Einwilligung der Staͤnde, ver - liehen werden ſollte. Spaͤtere Geſetze beſtimmen noch, daß ſich die Kandidaten des Jndigenats auch um die Stimme des auf den Landtagen verſammleten Adels der Provinz, in welcher ſie ſich beſitzlich machen wollen, zu bewer - ben, und deſſen Empfehlung fuͤr den Reichs - tag zu gewinnen haben. Auch wird das Jn - digenat nicht jedem ohne Unterſchied verliehen,B 220ſondern nur aͤchtadelichen und verdienten Kan - didaten. Deshalb muͤſſen dieſe am Reichstage vor den Staͤnden ihre Verdienſte erweiſen, und ihren Adel, mittelſt Zeugniſſes des Fuͤr - ſten, in deſſen Lande ſie geboren ſind, dar - thun; ſodann entſcheidet erſt der Reichstag, ob ſie des Jndigenats wuͤrdig ſind oder nicht. Wenn Edelleute, die außerhalb Polen leben, das Jndigenat erhalten, ſo macht man ihnen zur Bedingung, daß ſie ſich in Polen anſaͤßig machen; oft laͤßt man aber auch dieſe Klauſel weg. Seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts ward geſetzlich beſtimmt, daß die Neuaufgenommenen des Jndigenats ver - luſtig gehen ſollten, wenn ſie ſich nicht vor dem naͤchſten Reichstage in Polen ankauften; und daß das Jndigenat denen nicht zu gute kommen ſollte, die nicht zum roͤmiſch-katholi - ſchen Bekenntniſſe uͤbergingen. Zudem muͤſſen ſie, weil ſie durch das Jndigenat Staatsbuͤr - ger werden, dem Koͤnige und der Republik den Eyd der Treue ſchwoͤren. Uebrigens iſt21 der niedergeſchriebene Beſchluß des Reichs - tages wegen ihrer Aufnahme nicht genug: ſie bekommen auch daruͤber ein eignes Patent aus der Kanzley. Die Koſten, die mit dieſem ganzen Geſchaͤfte verknuͤpft ſind, ſteigen ſehr hoch, weil die Stimmen auf den Landtagen und am Reichstage ſelbſt, ſo wie die Arbeiten der Kanzley, nicht umſonſt gegeben werden*)Der Stempelbogen fuͤr das Jndigenatsdiplom koſtet allein ſchon 3350 polniſche Gulden.. Dies iſt der Hauptgrund, weßhalb das Jndi - genat in Polen ſo ſelten geſucht und verliehen wird, und weßhalb ſich der polniſche Adel mehr, als irgend ein anderer, von fremdem Blute rein erhalten hat.

Wenn diejenigen, die das Jndigenat er - halten, mit ihrem Arme oder Vermoͤgen das Vaterland geſchuͤtzt haben oder noch ſchuͤtzen, oder wenn ſie von fremden, alten Familien ſtammen, ſo koͤnnen ſie ſogleich Staatsaͤmter bekleiden; andern Falls koͤnnen nur erſt ihre Urenkel zu den Ehrenſtellen und Geſchaͤften22 der Republik zugelaſſen werden. Daher ſteht bald in den Reichstagsbeſchluͤſſen, daß der Neuaufgenommene aller Rechte des polniſchen Adels faͤhig ſey, bald iſt es ausgelaſſen.

Nicht-adelich Geborne, Einheimiſche wie Fremde, koͤnnen in den Adel erhoben werden. Ehedem hatte der Koͤnig dies Recht; jetzt muͤſſen die Staͤnde, mit Vorwiſſen des Ra - thes, auf Empfehlung der Senatoren, Reichs - boten, Miniſter oder Generale, daruͤber ent - ſcheiden. Ein bloßes koͤnigliches Adelsdiplom iſt nicht hinlaͤnglich, den Adel zu verleihen, es muß ein Reichstagsbeſchluß, eine ſogenannte Konſtitution ſeyn. Uebrigens wird von den Kandidaten ebenfalls verlangt, daß ſie roͤmiſch - katholiſch ſind, daß ſie ſich die Stimme und Empfehlung des Adels auf den Landtagen ver - ſchaft, und ihre Verdienſte dem Reichstage dargelegt haben. Auch werden erſt ihre Ur - enkel dem alten Adel gleich geachtet, und, wie dieſer, zu den Staatsaͤmtern, gezogen, es muͤßte denn ſeyn, daß der erſte Erwerber23 des Adels vorzuͤgliche Verdienſte beſeſſen haͤtte.

Man glaube aber nicht, daß es mit die - ſen verlangten Verdienſten ſo genau genom - men werde. Das Geld, welches auf den Landtagen und am Reichstage ſelbſt, den Land - und den Reichsboten, die Einfluß haben, ge - geben wird, beſtimmt unbedingt das groͤßere oder kleinere Verdienſt. Diejenigen, die ſich etwa dagegen ſetzen, oder daran zweifeln ſoll - ten, werden, durch eben dieſe Gruͤnde, da - von am kraͤftigſten und ſchnellſten uͤberzeugt. Jn neuern Zeiten bedurfte es oft bloß der Empfehlung eines oder des andern auswaͤrti - gen Geſandten, den man von den Verdienſten des Suchenden uͤberzeugt hatte, und der Reichs - tag that willig, was man verlangte.

Die Geſetze verbieten nachdruͤcklich, daß ein Edelmann einem Unadelichen ſeinen Adel mittheile, oder ihn fuͤr ſeinen Verwandten ausgebe; daß jemand die Wappen von Fami - lien brauche, zu denen er nicht gehoͤrt; und24 daß jemand ein Edelmann zu ſeyn vorgebe, der es nicht iſt. Wird aber ein Edelmann von einem andern falſch beſchuldigt, daß er nicht Edelmann ſey, ſo kann er dieſen gericht - lich belangen und auf zu verfuͤgende Todes - ſtrafe wider ihn dringen.

Uebrigens gehen geborne wie gemachte Edelleute der Rechte des Adels verluſtig, wenn ſie Kaufmannſchaft oder Handwerke treiben, oder Schenken halten, oder in den kleinen Staͤdten Magiſtratsſtellen bekleiden. Jn den groͤßern koͤnnen ſie, ihrem Adel unbeſchadet, ſolche Stellen annehmen, weil dieſe in dem Punkte den Edelleuten gleich ſind, daß ſie Landguͤter beſitzen duͤrfen. Ferner gehen ſolche Edelleute ihres Adels verluſtig, die, wegen Kriminalverbrechen, fuͤr ehrlos erklaͤrt worden ſind; und endlich ſolche, denen der Adel, ohne daß ſie Verdienſte hatten, verliehen worden: ein Fall, der, nach der Bemerkung, die ich oben mitgetheilt habe, faſt unerhoͤrt iſt. Denn wer ohne Verdienſte den Adel ſich durch Geld25 verſchaffen konnte, kann ihn auch, wenn er angefochten wird, ſich durch Geld erhalten, und nur die Staͤnde, die ihn gaben, koͤnnen ihn nehmen, aber auch von neuem wieder geben. Nur verdienſtloſen Edelleuten, die zu - gleich arm ſind, koͤnnte dieſes Ungluͤck begeg - nen, von dem man in der polniſchen Geſchichte wohl wenig Beiſpiele finden moͤchte.

Da ſich einmal die ganze Verfaſſung des Staats um den Adel drehet, ſo zielen, wie man aus obigem ſieht, auch alle Geſetze und Einrichtungen zu ſeinem Vortheil, zu ſeinem Glanze, zu ſeiner Erhaltung und zu ſeiner Echtheit ab. Nur dieſer echte Adel bildet die - jenige Einwohnerklaſſe, aus welcher die Reichs - ſtaͤnde erleſen werden. Die Konſtitution des immerwaͤhrenden Raths nimmt drei ſolcher Staͤnde an, den Koͤnig, die Senatoren, die Ritter; aber eigentlich ſind ihrer nur zwei: der Senatoren - und der Ritterſtand*)Lengnich Jus. publ. Pol. Lib. II. Cap. 1. §. 3. . 26Kein aͤlteres Geſetz weiß von drei Staͤnden; keines vermengt den Koͤnig mit den Staͤnden. Die Geſetze wollen, daß der Koͤnig die Staͤnde zum Reichstag berufe, mit ihnen berathſchlage und beſchließe. Sie ſelbſt tragen an der Stirne den Namen des Koͤnigs, welcher erklaͤrt, er habe ſie nach dem Willen der Staͤnde, voll - zogen und beſtaͤtigt. Stirbt der Koͤnig, ſo heißt es nicht, der Stand, ſondern der Fuͤrſt iſt todt, und dann verfuͤgen alle Staͤnde in den Geſchaͤften des Staats, dann verſammlet man ſich zur Wahl, nicht eines Standes, ſondern eines Koͤnigs, der, wenn er gewaͤhlt iſt, und ſeine Pflichten anerkannt und beſchworen hat, die Rechte der Staͤnde beſtaͤtigt, und, wenn ihm die Reichsinſignien uͤbergeben ſind, eingefuͤhrt wird. Der Koͤnig iſt alſo durch die Geſetze von den Staͤnden unterſchieden und uͤber ſie erhoben.

Da indeſſen die Einſetzung des immer - waͤhrenden Raths mehrere aͤltere Konſtitutio - nen, theils aufhob, theils veraͤnderte, und da27 dieſer Rath neuerlich als Staatsmacht, was er durch die Revolution zu ſeyn aufhoͤrte, wieder hergeſtellt worden iſt: ſo laſſen wir es billig auch bei der Eintheilung in drei Staͤn - de, die das Geſetz, welches ihn errichtete, an - zunehmen fuͤr gut befunden hat. Nach dem - ſelben iſt.

Der Koͤnig das Oberhaupt der Na - tion, der erſte Reichsſtand, der Traͤger der Majeſtaͤt der Republik, der Vorſitzer des im - merwaͤhrenden Raths. Er beruft die ordent - lichen und außerordentlichen Reichstage; weder der Reichstag noch der immerwaͤhrende Rath kann etwas beſchließen, wenn er nicht gegen - waͤrtig iſt; unter ſeinem Namen werden alle Geſetze und Verordnungen des Reichstags und des immerwaͤhrenden Raths, und alle und jede oͤffentliche Urkunden ausgefertigt; in ſeinem Namen werden alle Gerichte gehalten und den Reichstags - und Relationsgerichten ſitzt er in Perſon vor; er ertheilt neue Rechte und Privilegien und beſtaͤtigt alte, inſoferne28 ſie nicht den oͤffentlichen polniſchen und lithaui - ſchen Rechten zuwider ſind; beſetzt alle niedere geiſtliche, buͤrgerliche und ſoldatiſche Aemter; und kann noch endlich Univerſitaͤten und Schu - len anlegen.

Dies ſind die Vorrechte des Koͤnigs. Man ſieht, daß kein weſentliches, welches ihm ir - gend einen bedeutenden Einfluß auf den Staat und deſſen Geſchaͤfte verſchafte, darunter iſt. Vormals hatte er wichtigere. Er beſetzte alle hohe Staatsaͤmter, geiſtliche, buͤrgerliche und kriegeriſche, und vergab die koͤniglichen Guͤter und Staroſteyen. Hierin lag die Quelle ſeiner Macht und ſeines Einfluſſes im Staate; denn, wer von ihm eine Stelle oder eine Staroſtey hoffte, war ihm ergeben, und wer eine oder die andere bekam, war, aus Dank - barkeit, ſein Anhaͤnger. So waren die Be - ſitzer der hoͤhern Wuͤrden, der ergiebigern Staroſteyen, die als Biſchoͤfe, Woiwoden und Kaſtellane zugleich die Senatorenwuͤrde be - kleideten, bei den Staatsverhandlungen mit29 der Stimmenmehrheit auf ſeiner Seite, und ein Theil des Ritterſtandes, der Staatsaͤmter, koͤnigliche Guͤter und Staroſteyen inne hatte, oder auf ſolche hoffte, ebenfalls. Dies hat aufgehoͤrt, ſeitdem der immerwaͤhrende Rath jene Stellen und Guͤter vergiebt, indem er dem Koͤnige jedesmal drei Suchende vor - ſchlaͤgt, aus denen er Einen waͤhlt: ſo ſind dem Koͤnige auf allen Seiten die Haͤnde ge - bunden, und es iſt kein wichtiges Staatsge - ſchaͤft vorhanden, deſſen Beſorgung er nicht, entweder mit dem Reichstag oder dem immer - waͤhrenden Rathe, theilen muͤßte. Man ſieht alſo, warum es einer der erſten Schritte des Revolutionsreichstages war, letztern aufzu - heben.

Der zweite Reichsſtand, der Senato - renſtand, wird durch die Erzbiſchoͤfe, Bi - ſchoͤfe, Woywoden, Kaſtellane und vornehm - ſten Miniſter gebildet. Mit dieſen Wuͤrden iſt die Senatorenſtelle genau verbunden, und ſie wird mit ihnen zugleich verliehen. Es30 verſteht ſich, daß nur eingeborne, beſitzliche Edelleute, die gleiche Rechte mit den andern Staatsbuͤrgern genießen, uͤbrigens Verdienſte, das erforderliche Alter und Faͤhigkeiten haben, auch roͤmiſch-katholiſch ſind, dieſe Stellen be - kleiden koͤnnen.

Die Anzahl der Senatoren iſt nicht im - mer dieſelbe, und bald ſtaͤrker, bald ſchwaͤ - cher geweſen. Durch die doppelte Entgliede - rung Polens iſt ſie geringer, als je ge - worden.

Ehedem bildeten ſechzehn dieſer Senato - ren, die vom Reichstage erleſen wurden, einen Rath, der dem Koͤnige zur Seite war, und mit dem er die oͤffentlichen Geſchaͤfte uͤber - legte. Er konnte nichts ohne deſſen Genehmi - gung verfuͤgen, und in Faͤllen, wo die Mei - nungen getheilt waren, entſchied die Mehr - heit. An die Stelle dieſes Raths iſt der im - merwaͤhrende getreten, der aber auch Mit - glieder aus dem Ritterſtande hat, und ohne deſſen Billigung der Koͤnig ebenfalls nichts31 beſchließen kann. Bei demſelben gilt der Ein - ſpruch eines Einzelnen nichts; er wird auch ſchon dadurch vermieden, daß in Faͤllen, wo man ſich nicht vereinigen kann, geſtimmt wer - den muß.

Damit der Koͤnig nicht Raths entbehrte, mußten die Senatoren im Lande bleiben, und konnten, ohne Einwilligung des Reichstags nicht verreiſen; will jetzt der Koͤnig eine Reiſe machen, ſo braucht er dazu die Genehmigung des immerwaͤhrenden Raths und dieſer muß ſich an den Ort verfuͤgen, wo ſich der Koͤnig befindet. Reiſet dieſer, nach eignem Willen, von Warſchau weg, ſo bleibt die Wahl zu den Staatsaͤmtern zwei Monat ausgeſetzt, aber nach Verlauf derſelben begiebt ſich eines der Mitglieder zum Koͤnige und ſtellt durch Briefwechſel den noͤthigen Zuſammenhang mit dem Rathe her.

Die Senatoren haben den Titel Excellenz. Beſoldung ziehen ſie als ſolche nicht. Jhr Auskommen und ihren Glanz erhalten ſie32 durch die Einkuͤnfte von andern Staatsſtellen und von den ihnen verliehenen koͤniglichen Guͤ - tern. Den erſten Rang unter ihnen nehmen die geiſtlichen Senatoren, die Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe, ein.

Schon in den aͤlteſten Zeiten hatten dieſe viel Vorzuͤge vor den weltlichen, theils ihres geiſtlichen Amts, theils der Gelehrſam - keit wegen, in deren Beſitz ſie ausſchließend waren. Ehedem beſtanden ſie aus zwei Erz - biſchoͤfen, dem von Gneſen und dem von Lemberg, und aus funfzehn Biſchoͤfen. Dieſe Anzahl iſt durch die doppelte Theilung ver - ringert worden. Der Erzbiſchof von Lemberg iſt, ſeit der erſten, nicht mehr polniſcher Se - nator; der Erzbiſchof von Gneſen wird es, als ſolcher, ſeitdem Gneſen preußiſch gewor - den iſt, nicht mehr ſeyn, aber wohl als Bi - ſchof von Krakau. Doch iſt uͤber dieſen Ge - genſtand noch nichts beſtimmt worden.

Auf dem Erzbiſchofe von Gneſen haftete Wuͤrde und Titel des Fuͤrſten-Primas,und33und dieſer iſt, als ſolcher, der erſte unter den geiſtlichen Senatoren. Seine Vorrechte ſind hoͤchſt wichtig. Er iſt geborner Legat des Papſtes; er iſt Zwiſchenkoͤnig, von dem Tode des einen Fuͤrſten bis zur Einfuͤhrung des an - dern, und beſorgt waͤhrend dieſer Zeit koͤnig - liche Obliegenheiten; wenn der Koͤnig nicht im Lande iſt, und er ſieht eine Gefahr fuͤr den Staat aufſteigen, ſo kann er jenen ſo - gleich davon benachrichtigen; er kann dem Koͤnige Vorſtellungen thun, wenn er von der Vorſchrift des Geſetzes abweicht, und Dinge befiehlt, die demſelben widerſprechen*)Er muß aber bei der Ausuͤbung dieſes Rechts ſehr behutſam ſeyn, und nicht auf bloßen Verdacht, ſondern auf Thatſachen, die vom Koͤnige auch wirk - lich herruͤhren, ſeine Erinnerungen gruͤnden, und dieſe vorher, entweder ſchriftlich oder unter vier Augen, auch, zu noch groͤßerer Sicherheit, nach Zuratheziehung der Kanzler, vortragen. Des Koͤ - nigs Benehmen oͤffentlich ruͤgen, ihn ohne Grund anſchuldigen und die Staatsbuͤrger dadurch gegen ihn aufbringen, waͤre Hochverrath.; er iſtZweites Heft. C34geborner Kanonikus von Plozk; er hat das Recht Geld auszumuͤnzen*)Dies Recht kann er aber eben ſo wenig nutzen, als ehedem der Biſchof von Ermeland, der es auch hatte. Spaͤtere Geſetze naͤmlich haben das ge - ſammte Muͤnzweſen dem Koͤnige und den Staͤnden uͤbertragen, ohne deren Genehmigung niemand Geld ſchlagen darf; auch muͤßte der dadurch erhaltene Gewinn in den oͤffentlichen Schatz fließen.Das Recht zu jagen war ehedem wichtiger, wo bloß der Herzog oder die, denen er es erlaubt hatte, jagen durften; jetzt haben es alle Edelleute mit dem Erzbiſchofe gemein. Eben ſo das Recht wegen der Abgaben und Zoͤlle und der Gerichts - barkeit. und auf den Guͤ - tern ſeiner Kirche zu jagen; er iſt, wie ſeine Unterthanen, von Abgaben und Zoͤllen an die Woiwoden frei, und ihrer Gerichtsbarkeit nicht unterworfen; er nimmt im immerwaͤh - renden Rathe den oberſten Platz ein, ſelbſt wenn ein Kardinal unter den beiſitzenden Bi - ſchoͤfen waͤre; er unterſchreibt, wenn er im gedachten Rathe ſitzt, ſeinen Namen nach dem Koͤnige; iſt dieſer nicht gegenwaͤrtig, ſo hat35 er, wie waͤhrend des Zwiſchenreichs, zwei Stimmen, um, bei einer Stimmengleichheit, zu entſcheiden; er weicht dem paͤpſtlichen Nun - tius nicht, und deshalb verhuͤten beide, an einem dritten Orte zuſammen zu treffen; nie - mand darf, nach zwei alten Verordnungen aus den Zeiten Kaſimirs des Großen, in ſei - ner Gegenwart ſich unanſtaͤndiger Worte be - dienen, noch Saͤbel oder Meſſer ziehen, bei einer Geldſtrafe, die in des Primas Seckel fließt ꝛc.

Zu ſeiner aͤußern Auszeichnung gehoͤrt, daß er den Purpur eines Kardinals traͤgt; daß ihm die andern Senatoren entgegen kom - men, wenn er in die Stadt einzieht, wo der Reichstag gehalten wird; daß ihm einige da - von begleiten, wenn er den erſten Beſuch beim Koͤnige abſta[t]tet; daß ihm die Mar - ſchaͤlle dabei vorangehen; daß der Koͤnig ſelbſt aufſteht und ihm entgegen geht; daß ihm, wenn er ſich oͤffentlich zeigt, ein Marſchall aus dem Senatorenſtande, von den KaſtellanenC 236zweiter Klaſſe, den Stab vortraͤgt, gehend wenn der Primas geht, reitend wenn er faͤhrt, aber immer zur Linken, weil der Kanonikus, der ihm ein Kreuz vortraͤgt, die Rechte ein - nimmt. Dieſer Kreuztraͤger iſt dem Primas zur Seite, wo er ſich auch befindet, im Se - nat und auf dem Reichstage. Der Marſchall des Primas iſt Kaſtellan, und die Marſchaͤlle des Reichs ſind nur Miniſter aus dem Sena - torenſtande; dagegen muß jener den Marſchall - ſtab dort ſenken, wo die Staͤbe der Krone und Litthauens ſich aufrecht zeigen. Noch hat der Primas, außer dem Marſchall und Kreuz - traͤger, einen Kanzler, einen Referendar, Kam - merherrn, Stall -, Jaͤger -, Kuͤchen -, Keller - und Silbermeiſter ꝛc. ; und endlich noch das Recht, welches keiner der uͤbrigen hoͤchſten Staatsbeamten hat: daß die Glocken von Warſchau gelaͤutet werden, wenn es bei ihm Zeit zum Mittagseſſen iſt.

Man verzeihe mir die Anfuͤhrung dieſer letztern Kleinigkeiten. Sie ſtehen bloß als eine37 Probe da, was eine vollkommen-freie, voll - kommen-gleiche Nation gethan hat, um einen ſogenannten Mitbruder zu zwingen, daß er dieſe vollkommene Gleichheit vergeſſen ſollte.

Die Biſchoͤfe haben, einer vor den an - dern, gewiſſe Auszeichnungen, die ſich auf ihren Rang in der Kirche und im Senate, und auf den Vortritt beziehen, welche ich aber hier nicht anfuͤhren mag. Der Koͤnig waͤhlte ſie ehedem und der Papſt beſtaͤtigte ſie; jetzt ſchlaͤgt der immerwaͤhrende Rath ihm drei Kandidaten vor, von denen er Einen waͤhlen muß. Sie koͤnnen nicht zwei Bißthuͤmer zu - gleich beſitzen; aber man hat Ausnahmen von dieſer Regel. Sie wechſeln oft in ihren Stel - len, und vertauſchen bald ein niederes Biß - thum mit einem hoͤheren, bald ein minder ein - traͤgliches mit einem reichern; oft nutzen ſie neben ihrem Bißthum, noch gewiſſe Abteyen und Propſteyen, um den Glanz ihrer Wuͤrde zu behaupten. Auf jedem Fall haben ſie alle vortrefliche Einkuͤnfte, aber der Biſchof von38 Krakau die reichſten. Vor Zeiten konnten ſie, ohne Ausnahme, die Kanzlerwuͤrde bekleiden, jetzt ſind die vordern davon ausgeſchloſſen, ſie muͤßten denn ihr hoͤheres und reicheres Biß - thum gegen ein niederes und minder reiches vertauſchen, was nicht ſelten der Fall geweſen iſt; aber eben ſo oft iſt es geſchehen, daß ein Biſchof, der Kanzler war, dieſe Stelle nie - derlegte, wenn er zu einem der hoͤheren Biß - thuͤmer vorruͤckte. Sie koͤnnen Koadjutoren haben, aber dieſe ſind nicht Senatoren; der immerwaͤhrende Rath bewilligt und ſetzt ſie ihnen, wenn ſie Alters oder Krankheitshalber darum anhalten; ſie haben auch Weihbiſchoͤfe, die ſie ſelbſt anſtellen, die aber keine Anſpruͤche auf das Bißthum haben. Drei von ihnen (den Primas eingeſchloſſen) haben Sitz und Stimme im immerwaͤhrenden Rathe; aber ſie ziehen dafuͤr keine Beſoldung, eben ſo we - nig als der Primas und die Miniſter. Uebri - gens haben ſie in dem, zu ihren Bißthuͤmern gehoͤrigen Gebiete, die Vorrechte und Frei -39 heiten der eingebornen, beſitzlichen Edelleute, in ihrem ganzen Umfange.

Den naͤchſten Rang nach ihnen nehmen im Senatorenſtande die Woiwoden ein. Jhr lateiniſcher Name (palatini) ſtammt von den Aemtern her, die ſie ehedem im Pallaſte, am Hofe der Fuͤrſten bekleideten. Von Rom und Konſtantinopel ging dieſe Benennung nach Frankreich uͤber, wo die Großen, die dem Fuͤrſten als Raͤthe zur Seite waren, Palatine genannt wurden. Von da kam ſie nach Po - len, wo man diejenigen damit belegte, die unter den Baronen die vorderſten waren, und wo man zugleich die Provinzen, aus welchen Polen beſtand und diejenigen, die damit ver - bunden wurden, Palatinate nannte. Ein Pa - latin heißt in polniſcher Sprache Woiewoda (Herzog, Heerfuͤhrer) und der Landes - ſtrich dem er vorſtehet, Woiewodtzwo (Herzogthum). Die deutſche Sprache hat die polniſche Benennung beibehalten, und man ſagt Woiwode, Woiwodſchaft. Jn40 den aͤlteſten Zeiten, als Polen noch unter mehrere Fuͤrſten vertheilt war, deren jeder ſeinen eigenen Hof hatte, waren mehrere Pa - latine zugleich vorhanden, welche die Krieger gegen den Feind fuͤhrten, und daher den Na - men Woiwoden erhielten. Auch nach der Vereinigung dieſer Provinzen unter Einen Fuͤrſten, wo einige Hoͤfe eingingen, blieben mehrere Woiwoden uͤbrig, die nun, anſtatt dem Hofe vorgeſetzt zu ſeyn, groͤßern Landes - ſtrichen vorgeſetzt wurden, welche man daher Woiwodſchaften nannte; denn in der Geſchichte koͤmmt das Wort Woiwodſchaft ſpaͤter vor, als das Wort Woiwode, und in aͤltern Zeiten lieſ't man nur von Provinzen und Laͤndern.

Die Fuͤrſten bedienten ſich des Raths der Woiwoden, ſie mochten an ihrem Hofe, oder in den ihnen zugetheilten Provinzen leben. Daher kommt es, daß ſie ihre Stelle unter den Senatoren, und da ſie die erſten bei Hofe waren, auch den Rang vor den uͤbrigen be - halten haben.

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Die aͤlteſten unter den Woiwoden ſind die in Kronpolen; die uͤbrigen, in den hinzu - gekommenen Laͤndern, ſind juͤnger, weil dieſe Provinzen erſt nach der Verbindung mit Po - len in Woiwodſchaften abgetheilt wurden. Man hat aber keine Rangordnung nach den Provinzen unter ihnen feſtgeſetzt, ſondern ſie ſind unter einander gemiſcht. Sonderbar iſt es, daß der Kaſtellan von Krakau allen Woi - woden vorgeht, und daß zwei andre Kaſtellane, die von Wilna und Trozk, und der Staroſt von Samogitien (alle ſonſt hinter den Woi - woden) dieſen zugezaͤhlt werden. Die Ge - ſchichtſchreiber ſind nicht einig, woher der Ka - ſtellan von Krakau jenen Vorzug erhalten hat. Einige ſagen, ein Woiwode von Krakau habe ſich gegen den Koͤnig empoͤrt, und dieſer habe ſein Verbrechen noch an ſeinen Nachfolgern dadurch beſtrafen wollen, daß er verordnet, die Woiwoden von Krakau ſollten auf ewige Zeiten den Kaſtellanen von Krakau nachgehen; andre ſagen, es ſey eine Strafe dafuͤr, daß42 bei einer Schlacht ein Woiwode ſchaͤndlicher - weiſe die Flucht genommen habe. Wenn die Kaſtellanen von Wilna und Trozk, und der Staroſt von Samogitien, zu den Woiwoden gezaͤhlt werden, ſo ſcheint es daher zu kommen, daß ehemals in Lithauen nur zwei Woiwoden und eben ſo viel Kaſtellane, naͤmlich die von Wilna und Trozk, vorhanden waren, die uͤbrigen Bezirke aber von koͤniglichen Statt - haltern regiert wurden. Als man nachher dieſe Bezirke in Woiwodſchaften verwandelte, ließ man jenen Kaſtellanen den Rang vor den neuern Woiwoden in denſelben. Gleiche Be - ſchaffenheit hat es wohl mit dem Staroſten von Samogitien, der ebenfalls fruͤher vorhan - den war, als die auf ihn folgenden lithauiſchen Woiwoden. Ueberdies gebuͤhrt ihm, ſchon ſeines Amts wegen, eine Stelle unter den Woiwoden, denn er hat in ſeinem Gebiete alle die Macht, welche die Woiwoden in dem ihrigen ausuͤben, ſo daß er nur der Benen - nung nach von ihnen unterſchieden iſt. Einige43 Woiwoden nennen ſich General-Woiwoden, aber dieſer Titel legt ihrer Macht nichts zu, und ſie bleiben denen gleich, die ihn nicht fuͤhren.

Ein Woiwode kann nicht zugleich zwei Woiwodſchaften inne haben, auch nicht zu - gleich Kaſtellan und Miniſter aus dem Sena - torenſtande ſeyn. Jſt er Kaſtellan, wenn er zum Woiwoden gewaͤhlt wird, ſo hoͤrt er ſo - gleich auf, erſteres zu ſeyn; wird ein Woiwode zum Miniſter aus dem Senatorenſtande ge - waͤhlt, ſo muß er die Woiwodſchaft aufgeben, und es kommen in der Geſchichte mehrere Beiſpiele vor, daß Woiwoden ihre Wuͤrden gegen Kanzler -, Schatzmeiſter und Marſchalls - Aemter wirklich vertauſcht haben. Dagegen koͤnnen die Woiwoden zugleich Großfeldherren oder Unterfeldherren ſeyn, wovon die Urſache keine andre iſt, als daß die Feldherrnſtellen nicht zu den ſenatoriſchen Aemtern gehoͤren. Kein kronpolniſcher Woiwode, der von Krakau ausgenommen, darf innerhalb ſeiner Woiwod -44 ſchaft, eine von den Staroſteyen beſitzen, die Gerichtsbarkeit haben; außerhalb derſelben iſt es ihm nicht verwehrt. Aber die lithauiſchen Woiwoden koͤnnen Staroſteyen mit Gerichts - barkeit innerhalb ihres Gebietes beſitzen. Uebri - gens haben die Woiwoden, außer den Vor - rechten, die ihnen mit den andern Senatoren gemein ſind, noch dieſe, daß ſie den Adel ihres Gebiets zu den Landtagen berufen und bei dieſen den Vorſitz fuͤhren; daß ſie in ihrer Woiwodſchaft die ſogenannten Palatins-Ge - richte halten; den Preis der Lebensmittel be - ſtimmen; uͤber Maß und Gewicht wachen; die Juden richten und gegen Mißhandlungen in Schutz nehmen u. ſ. w. Dieſe Geſchaͤfte uͤberlaſſen ſie aber ihren Stellvertretern, den Vicewoiwoden, die ſie ſelbſt waͤhlen koͤnnen, die aber eingeborne, beſitzliche Edelleute ſeyn muͤſſen, und die, nach Recht zu richten und die uͤbrigen Geſchaͤfte gewiſſenhaft zu betrei - ben, durch einen Eyd verpflichtet werden.

45

Die eigentlichſte Beſtimmung der Woi - woden, die ihr Name anzeigt, iſt, bei einem allgemeinen Aufſitze, den Adel ihrer Woiwod - ſchaft anzufuͤhren; da aber ſolche Aufſitze in neuern Zeiten nicht mehr uͤblich und moͤg - lich ſind, ſo iſt auch der Name Woiwode nichts, als ein Titel, um welchen ſich aber der polniſche Adel ſo angelegentlich draͤngt, als ob noch die Gelegenheit, Thaten zu thun, damit verbunden waͤre.

Auf die Woiwoden folgen die Kaſtel - lane. Sie haben ihren Namen von dem Worte Castellum, welches von feſten Schloͤſ - ſern, allerley befeſtigten Oertern, auch von Lagern gebraucht wurde. Die Befehlshaber ſolcher Plaͤtze nannte man alſo Kaſtellane, und ſie waren nicht bloß den Kaſtellen, ſon - dern auch einem gewiſſen Bezirke vorgeſetzt, der dazu gehoͤrte und der die Benennung Ka - ſtellaney trug. Aus aͤltern Geſchichtſchreibern erhellt, daß Polen vormals in ſolche Kaſtel - laneyen eingetheilt war; jetzt aber wird dieſes46 Wort nicht mehr von einem Landesſtriche, ſondern nur von der Wuͤrde des Kaſtellans gebraucht. Die Kaſtellane hatten volle Ge - richtsbarkeit uͤber ihre Bezirke, aber in ſpaͤtern Zeiten ſind dieſe Kaſtellaney-Gerichte einge - gangen, und die Staroſtey Gerichte, (Grobgerichte, indicia castrensia) ſcheinen an ihre Stelle getreten zu ſeyn. Dagegen haben die Kaſtellane ihre ehemalige Senatorenwuͤrde beibehalten, denn ſie waren mit unter den Baronen begriffen, von denen die alten Schrift - ſteller ſagen, daß ſie von den Fuͤrſten zu Rathe gezogen worden. Jn einer alten Urkunde iſt ihrer ſogar vor den Woiwoden erwaͤhnt. Jn Gleichheit mit dieſen koͤnnen ſie ebenfalls keine Miniſterſtellen aus dem Senatorenſtande be - kleiden und zugleich Kaſtellane bleiben; ſie duͤrfen aber, wie dieſe, zugleich Befehlshaber bei der Armee ſeyn. Die kronpolniſchen Ka - ſtellane, der von Krakau ausgenommen, koͤn - nen in der Woiwodſchaft, zu der ſie gehoͤren, keine Staroſtey mit Gerichtsbarkeit inne haben;47 auch die Aemter, die man Landaͤmter nennt, bekleiden ſie nicht, weder inner - noch außer - halb ihrer Woiwodſchaften. Wenn ein Auf - ſitz geboten wird, ſo befehligen ſie den Adel ihres Bezirks und fuͤhren ihn zum Woiwoden, der dem Adel der geſammten Woiwodſchaft vorgeſetzt iſt. Sie ſind alſo, naͤchſt dieſen, die vornehmſten Anfuͤhrer des Adels. Obgleich ſie alle gleiches Anſehen haben, werden ſie doch in groͤßere und kleinere abgetheilt. Die Anzahl der letztern iſt ſtaͤrker, als der erſtern. Vor der doppelten Entgliederung Po - lens waren dieſer drei und dreißig, jener drei und vierzig. Die kleinern Kaſtellane wurden auch powiatowi, Diſtriktskaſtellane, ge - nannt, weil ſie ihren Titel nicht von ganzen Woiwodſchaften, ſondern von den kleinern Be - zirken derſelben, fuͤhren; auch niekrzeslowi, Kaſtellane ohne Stuͤhle, weil ſie im Reichsrathe nicht, wie die groͤßern Kaſtellane, auf Stuͤhlen, ſondern auf Baͤnken ſaßen.

48

Jch erinnere durch dieſe Kleinigkeiten abermals an die Jnkonſequenz in den Gleich - heitsgrundſaͤtzen der polniſchen Verfaſſung.

Zu den Senatoren zaͤhlt man einige Mi - niſter, und nennt ſie deshalb Miniſter aus dem Senatorenſtande. Sie bekleiden die hoͤheren Staatsaͤmter um die Perſon des Koͤnigs. Jhrer ſind folgende zehn: Zwei Großmarſchaͤlle, zwei Großkanzler, zwei Un - terkanzler, zwei Schatzmeiſter, zwei Hof - oder Untermarſchaͤlle.

Fuͤnf dieſer Miniſter gehoͤren zur Polni - ſchen und fuͤnf andre zur Lithauiſchen Nation.

Sie ſind nach den Kaſtellanen in den Senat gekommen, ſtimmen alſo auch nach ihnen. Am Reichstage ſitzen ſie nicht an der Seite der Kaſtellane, ſondern beſonders; in den Relationsgerichten aber fuͤhren ſie die Reihe der Senatoren nach den Kaſtellanen fort, nach welchen ſie auch am Reichstage ihre Stimmen geben. Die Geſetze erlauben nicht, daß dieſe Miniſter zugleich Woiwodenoder49oder Kaſtellane ſeyn koͤnnen; wollen ſie es werden, ſo muͤſſen ſie die Miniſterſtelle nie - derlegen. So darf ein Miniſter auch nicht zwei Miniſterſtellen inne haben, und er muß die erſte Stelle niederlegen, wenn er eine zweite bekleiden will; ja, zwei Perſonen aus einer Familie koͤnnen nicht zugleich zwei Mi - niſterſtellen beſitzen. Dagegen koͤnnen ſie Sta - roſteyen mit Gerichtsbarkeit in jeder Woiwod - ſchaft inne haben, ſogar Generalſtaroſten von Polen ſeyn. Jhre Aemter behalten ſie auf Lebenszeit, oder bis ſie dieſelben mit andern verwechſeln. Sie bringen ihre Zeit meiſt um den Koͤnig zu, damit er ihres Amtes nicht entbehre, welches eine faſt ununterbrochene Anweſenheit erfordert. Auch auf Reiſen in Polen und Lithauen begleiten ſie den Koͤnig, wo nicht alle, doch einer oder der andre von ihnen. Auf Reiſen außerhalb Landes iſt einer der Unterkanzler in ſeinem Gefolge. Der Fall koͤmmt oft vor, daß Woiwoden und Kaſtellane ihre Wuͤrden gegen Miniſterſtellen aufgeben,Zweites Heft. D50theils weil ſie durch ihren Aufenthalt um den Koͤnig haͤufiger Gelegenheit haben, ſich und ihre Familie ſeiner Freigebigkeit zu empfehlen, theils weil die Miniſterſtellen mit anſehnlichen Privateinkuͤnften verbunden ſind. Jhr Titel iſt derſelbe, der den Woiwoden und groͤßern Kaſtellanen gegeben wird.

Dies von den Miniſtern im Allgemeinen; es iſt noͤthig, von ihren Stellen im Beſon - dern einiges anzumerken.

Die erſten in der Ordnung ſind die Mar - ſchaͤlle. Oben iſt bemerkt worden, daß ih - rer vier ſind, naͤmlich der Groß - und der Hofmarſchall von Polen und der Groß - und Hofmarſchall von Lithauen. Das Abzeichen ihrer Wuͤrde iſt der Marſchallsſtab. Die Hof - marſchaͤlle pflegen in die Stellen der Groß - marſchaͤlle zu ruͤcken, doch iſt kein Geſetz dar - uͤber vorhanden, und der Koͤnig, oder jetzt vielmehr der immerwaͤhrende Rath, koͤnnen nach Willkuͤhr andre zu Großmarſchaͤllen er - nennen. Jhre Pflichten und Rechte ſind:51 daß ſie die Hofbedienten ernennen, auszahlen, uͤber ihre Auffuͤhrung wachen, ungehorſame, ſittenloſe entfernen; daß ſie Gaͤſte und koͤnig - liche Raͤthe empfangen, und ſorgen, daß ſie nach Wuͤrde behandelt werden, daß ſie Auf - lauf, Gewaltthaͤtigkeiten und alles was belei - digen kann, abwenden und die Anſtifter be - ſtrafen; daß ſie alle, den Hof betreffende, Ge - ſchaͤfte fuͤhren, und was darin abgeht oder fehlerhaft iſt, unter Mitwiſſen des Koͤnigs, verbeſſern. Ehedem beſtimmten ſie auch den Preis der Dinge, die der Hof brauchte; da ſich aber manche unter ihnen von den Kauf - leuten beſtechen ließen, den Preis zu ihrem Vortheil anzuſetzen, ſo wurde ihnen dies Vor - recht durch die Konſtitution vom Jahre 1768 genommen. Alle Hofbediente ſtehen unter ih - rem Tribunal, die Marſchallsgerichte ge - nannt, ſelbſt die Offiziere der Leibwache, und ſogar die Gemeinen, wenn ihre Vorgeſetzte zu nachſichtig gegen ſie geweſen ſind. Dieſe Ge - richte erſtrecken ſich auf drei Meilen um denD 252Wohnſitz des Koͤnigs; ſie begleiten ihn, wo - hin er ſich, innerhalb des Reichs, begiebt; und von ihren Spruͤchen kann nicht appellirt, doch kann die von ihnen zuerkannte Strafe vom Koͤnige gemildert, auch geſchenkt werden. Stirbt der Koͤnig, ſo werden dieſe Gerichte um ſeinen Leichnam fortgehalten. Seit 1768 haben die Marſchaͤlle bei ihren Gerichten ſechs Beiſitzer, ohne die ſie nicht mehr entſcheiden duͤrfen. Sonſt beſorgen ſie noch, in Ab - ſicht der Hofgebraͤuche, ſowohl um die Perſon des Koͤnigs, als am Reichstage, alles das, was Herkommen und Sitte iſt, und wachen, daß nichts darin veraͤndert werde; und ſie muͤſſen in dieſem Punkte nicht minder bedenk - lich und genau ſeyn, als die Marſchaͤlle an monarchiſchen Hoͤfen. Vermoͤge der Konſti - tution des immerwaͤhrenden Raths ſind ſie verbunden, jaͤhrlich 6 Monate um den Koͤnig zu ſeyn, und die Beiſitzer ihrer Gerichte jeder 4 Monate. Die Hofmarſchaͤlle haben, wenn die Großmarſchaͤlle nicht zugegen ſind, deren53 ganzes Anſehen und alle ihre Vorrechte. Ue - brigens beſorgen die Marſchaͤlle der Krone das, was Kronpolen angeht, und die Mar - ſchaͤlle von Lithauen das, was auf dieſes Groß - herzogthum Bezug hat.

Der Kanzler ſind eben ſo viel als der Marſchaͤlle: ihrer zwei fuͤr Polen und zwei fuͤr Lithauen, fuͤr beide ein Groß - und ein Unterkanzler. Sie duͤrfen nicht zugleich Woi - woden und Kaſtellane ſeyn. Ehedem ernannte ſie der Koͤnig am Reichstage, doch mit Zu - ſtimmung des Reichsraths, jetzt ſchlaͤgt auch zu dieſen Stellen der immerwaͤhrende Rath die Kandidaten vor. Die Kanzlerſtellen ſind unter den hoͤhern Staatsaͤmtern die einzigen, in deren Bekleidung Weltliche und Geiſtliche mit einander abwechſeln. Jn aͤltern Zeiten kamen Weltliche ſeltener dazu, weil es ihnen an den noͤthigen Kenntniſſen fehlte, aber ſeit Siegmund dem Erſten iſt ein Geſetz vorhan - den, daß jedesmal einer von den Kanzlern ein Geiſtlicher und der andre ein Weltlicher54 ſeyn ſoll. Auch die Stelle des Großkanzlers muß abwechſelnd mit einem Geiſtlichen und einem Weltlichen beſetzt werden. Wenn alſo beide Kanzlerſtellen offen ſind, und der letzte Großkanzler war ein Geiſtlicher, ſo muß ſein Platz mit einem Weltlichen und im umgekehr - ten Falle mit einem Geiſtlichen, beſetzt wer - den. Dieſe Einrichtung iſt aber nur in Kron - polen, nicht in Lithauen, wo die Kanzler im - mer Weltliche zu ſeyn pflegen.

Man macht in Kronpolen gewoͤhnlich Biſchoͤfe zu Kanzlern, ſeltener Geiſtliche von geringerer Wuͤrde. Der letzte Unterkanzler, Kollontay, machte eine Ausnahme: er wurde vom Kronreferendar zum Kanzler er - hoben. Uebrigens iſt ſchon oben bemerkt wor - den, daß nicht alle Biſchoͤfe das Kanzleramt bekleiden koͤnnen, ſondern nur ſolche, die ein Bißthum mit geringern Einkuͤnften inne ha - ben, und daß ſie, wenn ſie als Kanzler ein reicheres bekommen, dieſe Stelle niederlegen muͤſſen. Wer, ehe er Kanzler wurde, noch55 nicht Biſchof war, hat vor andern Anwart - ſchaft auf das naͤchſte erledigte Bißthum, und wer ſchon Biſchof war, auf das naͤchſtaufge - hende reichere. Eben ſo die weltlichen Kanzler auf die eintraͤglichſten koͤniglichen Guͤter, auf Woiwodſchaften und Kaſtellaneyen.

Die Groß - und Unterkanzler haben glei - ches Anſehen, und nur dieſe Unterſcheidung findet zwiſchen beiden Statt, daß der Groß - kanzler den Vortritt hat, und daß der Unter - kanzler, wenn jener abweſend iſt, die Geſchaͤfte beſorgt. Auch ruͤckt er in deſſen Stelle, wenn ſie offen wird. Doch iſt dies nur der Fall in Kronpolen, wo man den Wechſel zwiſchen weltlichen und geiſtlichen Kanzlern erhalten muß; in Lithauen kann der Unterkanzler, bei Beſetzung der Großkanzlerſtelle, uͤbergangen werden.

Das Amt des Kanzlers iſt ſehr wichtig und umfaſſend. Er traͤgt im Namen des Koͤ - nigs vor, ſowohl am Reichstage als außer demſelben bei allen Gelegenheiten, wo der56 Koͤnig oͤffentlich zu reden hat. Er antwortet den fremden Geſandten auf ihre Anreden; be - ſpricht ſich auch beſonders mit ihnen, um ihre Antraͤge zu vernehmen, den Koͤnig davon zu unterrichten und deſſen Antwort zu uͤberbrin - gen. Er empfaͤngt die Bittſchriften an den Koͤnig, und er entwirft und beſiegelt die oͤffent - lichen Geſchaͤftsſchriften, Mandate, Vorla - dungen, Entſcheidungen, Privilegien, Diplo - me und Schenkungen. Zu dieſen, wie zu ſei - nen muͤndlichen Vortraͤgen, bedient er ſich der lateiniſchen oder der polniſchen Sprache, die von jeher die Sprachen der oͤffentlichen Ge - ſchaͤfte in Polen waren.

Jeder der Kanzler hat ſeine eigene Kanz - ley, ſein beſonderes Archiv (in polniſch-latei - niſcher Sprache metrica genannt) und ſein beſonderes Siegel. Da die Geſchaͤfte, die bei ihren Stellen vorkommen, die mannigfaltigſten Beziehungen auf das polniſche Staatsrecht und auf die verwickelten Privatrechte der ein - zelnen Einwohnerklaſſen haben; ſo muͤſſen ſie57 in den geſchriebenen und ungeſchriebenen Ge - ſetzen, und in den Gebraͤuchen und dem Her - kommen, vorzuͤglich bewandert ſeyn. Sie ha - ben zwar einen Kanzleyaufſeher (Regent ge - nannt) deſſen Pflicht es iſt, zu wachen, daß nichts, was gegen Geſetze und Herkommen waͤre, aus der Kanzley hervorgehe; aber ſie ſind darum nicht von aller Sorge frei, weil ſie, wenn ein Verſtoß geſchieht, verantwort - lich dafuͤr bleiben.

Schriften, die des Koͤnigs Unterzeichnung nicht beduͤrfen, fertigt der Kanzler ohne deſſen Mitwiſſen aus; die aber deren beduͤrfen, muͤſ - ſen dem Koͤnige im Auszuge vorgetragen wer - den. Die Diplome uͤber Privilegien, Ehren - ſtellen, verliehene Guͤter ꝛc. muͤſſen, ehe der Kanzler ſie ausgiebt, in deſſen Aktenbuͤcher eingetragen werden, fuͤr den Fall, daß ſie verloren gingen, oder daß man Abſchriften davon verlangte. Die Kanzleygebuͤhren, wel - che Privatleute zu zahlen haben, ſind zwar in aͤltern Zeiten feſtgeſetzt, aber nur fuͤr den58 Adel; die Nichtadelichen, die Fremden und Juden ſind der Willkuͤhr der Kanzley uͤber - laſſen, und dieſe iſt in der That nicht billig. Die Gebuͤhren fuͤr Diplome, die dem Em - pfaͤnger Freude oder Nutzen bringen, ſtellt man gewoͤhnlich der Großmuth deſſelben an - heim, und man kann denken, daß ſie in die - ſem Falle nicht geringe ſeyn duͤrfen, da Kanz - ler, Regent und Metrikant, und ſonſt noch irgend ein paar Schreiber, zugleich befriedigt werden muͤſſen*)Der Stempel an einer Muͤndigerklaͤrung koſtet allein 10,000 polniſche Gulden..

Die Kanzler ſind Vorſitzer bei den Aſ - ſeſſorial-Gerichten; ſie haben die Pflicht, die vom Reichstage gefaßten Beſchluͤſſe nach Endigung deſſelben drucken zu laſſen und, mit ihrem Siegel verſehen, in die Provinzen zu ſenden; ſie koͤnnen zu außerordentlichen Ge - ſandten gebraucht werden; einer von ihnen iſt Mitglied des auswaͤrtigen Departements im immerwaͤhrenden Rathe, und, wenn der59 Koͤnig nicht zugegen iſt, deſſen Vorſitzer; ſie koͤnnen, wenn die Marſchaͤlle abweſend ſind, deren Stelle vertreten; ſie koͤnnen endlich ſo - gar die Armee anfuͤhren, wenn kein Feldherr und kein Marſchall vorhanden iſt.

Die Kanzler vom weltlichen Stande zie - hen eine jaͤhrliche Beſoldung, die vom geiſt - lichen, keine, weil ihre Einkuͤnfte aus der Kirche anſehnlich genug ſind. Durch die Er - richtung des immerwaͤhrenden Raths ſind einige ihrer alten Vorrechte eingeſchraͤnkt worden. Man hat ihnen ſechs Beiſitzer zugegeben, ohne die ſie ihre gerichtlichen Geſchaͤfte nicht abthun koͤnnen; ſie muͤſſen alle Monat jenem Rathe ein Verzeichniß der Privilegien, die ſie ausgefertigt haben, einreichen, und jedes - mal zwei von ihnen muͤſſen ſechs Monat jaͤhr - lich in Warſchau gegenwaͤrtig bleiben.

Noch ſind von den Staatsbeamten aus dem Senatorenſtande uͤbrig:

Die Schatzmeiſter beider Nationen, die, zum Unterſchiede von den beiden Hof -60 ſchatzmeiſtern, Großſchatzmeiſter ge - nannt werden. Sie ſind Aufſeher der Reichs - inſignien und des Schatzes; empfangen die oͤffentlichen Einkuͤnfte; beſorgen die oͤffentlichen Ausgaben, und bringen ſie in Rechnung. Sie haben die Aufſicht uͤber das Muͤnzweſen und ſind Vorſitzer eines Tribunals, die Schatz - kommiſſion genannt. Ehedem waren ſie in ihrem Departement faſt unumſchraͤnkt, und eine Reihe von Unordnungen war die Folge davon; aber ſeit der Konſtitution von 1768 und ſeit der Errichtung des immerwaͤhrenden Raths, ſind ihren Vorrechten und Befugniſſen engere Graͤnzen geſetzt worden. Sie haben jetzt eine Kommiſſion zur Seite, ohne die ſie nichts verfuͤgen koͤnnen, und unter welcher das Schatzdepartement ſteht, das aus Mitgliedern des immerwaͤhrenden Raths zuſammengeſetzt iſt. Sie muͤſſen monatlich einen Bericht von allen ihren Verhandlungen dem gedachten Ka - the vorlegen; die Vorſchlaͤge, die zur Ver - beſſerung und Erweiterung des Handels und61 der Einkuͤnfte, zur Errichtung von Manufak - turen, Anlegung von Straßen und Kanaͤlen ꝛc ihnen eingereicht werden, koͤnnen ſie unter - ſuchen, aber weder verwerfen noch annehmen, ohne die Billigung jenes Raths; nur mit Ge - nehmigung eben deſſelben koͤnnen ſie zufaͤllige Ausgaben des Schatzes, als Geſchenke, Preiſe ꝛc. auszahlen; wenn ſie ſich weigern, einen Beſchluß der Kommiſſion zu unterſchrei - ben und zu unterſiegeln, ſo iſt ſie doch guͤltig, wenn der naͤchſte, ihnen im Rang folgende, ſie unterſchreibt, was in ihrer Gegenwart ge - ſchehen kann u. ſ. w.

Vor die Gerichte dieſer Schatzkommiſſion gehoͤren beſonders alle Sachen, welche die Ab - gaben angehen, die von dem Adel, der Geiſt - lichkeit und den Staͤdten abzutragen ſind; ferner Streitigkeiten uͤber Vertraͤge, Wechſel und Schulden der Kaufleute; uͤber Maß und Gewicht; uͤber Schuldforderungen der Hand - werker u. a. m.

62

Von der Beſchreibung des erſten und zweiten Reichsſtandes gehe ich auf den brit - ten, den

Ritterſtand uͤber, und verzeichne einige Angaben, welche deſſen Urſprung, Vorrechte, Befugniſſe und die Aemter betreffen, die aus ſeinem Mittel beſetzt werden.

Dieſer Stand heißt der Ritterſtand, weil die Staatsbuͤrger, die denſelben bilden, uͤber die Klaſſe der Ritter oder der Edelleute nicht hinausgehen. Dieſe wurden zuerſt im Jahre 1404, von Wladislaus Jagello um ihre Einwilligung erſucht, als er eine Abgabe zu einer kriegeriſchen Unternehmung zu erheben Willens war, was er fuͤr ſich nicht thun konnte, da ihnen der Koͤnig Ludwig die Be - freiung von Auflagen zugeſtanden hatte. Da - mals hielten die Edelleute zuerſt Landtage, und auf dem darauf folgenden Reichstage (Tagefahrt?) wurde, mit Genehmigung der Praͤlaten, Barone und Kriegsmaͤnner (militarium) die Zahlung einer Auflage be -63 ſchloſſen. So nahm die Gewohnheit, den Adel zu befragen, wenn von Abgaben zum Behufe des gemeinen Weſens die Rede war, ihren Anfang. Einen groͤßern Einfluß erhielt der Adel durch das von Kaſimir dem Dritten gethane Verſprechen, daß weder ein neues Geſetz gegeben, noch ein Aufſitz ge - boten werden ſolle, ohne daß der Adel jedes Bezirks erſt darum befragt worden waͤre. Eben dieſer Kaſimir erhielt ſchon, als er den Adel von Klein - und Großpolen, jeden beſonders auf ſeinen Landtagen, um Bewilligung einer Auflage erſuchte, die Antwort: die Auflage koͤnne nicht beſchloſſen werden, wenn dem Adel beider Laͤnder nicht erlaubt wuͤrde, auf dem Reichstage gegenwaͤrtig zu ſeyn. So er - ſchienen denn von jeder Landſchaft zwei Boten auf dem Reichstage zu Petrikau und die Auf - lage ward beſchloſſen. Von dieſer Zeit an wohnte der Adel, mittelſt ſeiner Stellvertreter, allen Reichstagen bei, nicht bloß wenn Auf - lagen zu bewilligen, ſondern auch wenn andre64 Geſchaͤfte zu verhandeln waren, und zwar mit dem Rechte, daß nichts ohne ſeine Zuſtim - mung verfuͤgt werden koͤnnte. Unter Albert Kaſimir und Alexander blieb es nicht nur dabei, ſondern unter letzterm ward es ſogar zum Geſetz, daß fuͤr die Zukunft nichts Neues ohne einſtimmige Genehmigung der Raͤthe und der Landboten feſtgeſetzt werden ſollte. Dies Geſetz iſt ſtandhaft befolgt worden, und nichts Neues wurde verfuͤgt, außer am Reichstage und unter Gegenwart und Mitwiſſen der Se - natoren und Abgeordneten des Adels.

So wurde die Gewalt, die in aͤltern Zeiten der Koͤnig ausſchließend beſaß, den Senatoren und Edelleuten mit uͤbertragen, und was vor - her Rath und Unterthan war, bildete nun zwei Staͤnde, denen die Verwaltung des Staats mit oblag, und die das Recht hatten, dem Willen des Koͤnigs zu widerſprechen. Dieſe Staͤnde nutzten in der Folge jede Ge - legenheit, ihre Macht und ihr Anſehen zu vermehren, wozu ihnen die Zwiſchenreiche be -ſonders65ſonders guͤnſtig waren; und ſo wurde die Macht des Koͤnigs allmaͤhlig in die Graͤnzen zuſammen gedraͤngt, in welchen wir ſie jetzt erblicken.

Der Ritterſtand wird von den Edelleuten gebildet, die nicht Senatoren, und die dem Koͤnige unmittelbar unterworfen ſind. Ob - gleich die Senatoren nicht aufhoͤren, Edelleute zu ſeyn, ſo werden ſie doch von dieſen, in - ſoferne ſie einen Stand ausmachen, getrennt, da ſie Mitglieder eines andern Standes ſind, und niemand zu zwei Staͤnden zugleich gehoͤ - ren kann. Unter den Edelleuten giebt es auch mittelbare, das heißt ſolche, die, wie in Severien und zum Theil anderwaͤrts, mittelſt ihres Herrn (in Severien z. B. durch den Biſchof von Krakau) dem Koͤnige unterthan, und den unmittelbaren in ſo fern unter - geordnet ſind, als ſie bei den Staatſverhand - lungen nicht zu Rathe gezogen werden.

Die unmittelbaren Edelleute alſo berathen den Staat, in Perſon auf den Landtagen,Zweites Heft. E66und auf dem Reichstage durch ihre Stellver - treter. Letztre nennt man Reichsboten, und ſie werden von den einzelnen Woiwod - ſchaften und Powiats, (kleinern Bezirken) die das Recht dazu haben, abgeſendet. Die Anzahl der Boten, die jeder Bezirk abfertigt, iſt durch Geſetze oder durch Gewohnheit be - ſtimmt; erſcheinen ihrer mehr, als gewoͤhn - lich, ſo werden ſie aus der Landbotenſtube ent - fernt. Jhre Wahl geſchieht auf den Landtagen, die jedesmal einige Wochen vor den Reichs - tagen gehalten werden. Wahlfaͤhig ſind nur ſolche, die in der Woiwodſchaft oder dem Powiat, deſſen Vertreter ſie werden ſollen, Land beſitzen. Wer einen Rechtshandel vor den Reichstagsgerichten hat; wer Richter eines Tribunals iſt; wer, als Einnehmer der Landes - abgaben, ſeine Quittung von der Schatzkom - miſſion noch nicht erhalten, wer Kondemnate auf ſich hat; wer nicht vom roͤmiſch - katholi - ſchen Bekenntniſſe iſt der kann nicht zum Landboten gewaͤhlt werden.

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Die Macht des Ritterſtandes iſt ſo groß, daß nur die einmuͤthige Zuſtimmung deſſelben einen Beſchluß guͤltig macht, und daß keiner zu Stande kommt, wenn auch nur Ein Bote widerſpricht. Dies Vorrecht, das in der That gegen alle Vernunft ſtreitet, aber doch ſehr alt iſt, hat man zwar im Jahre 1768 einge - ſchraͤnkt; aber geſetzlich aufgehoben iſt es noch immer nicht, ſeitdem die Konſtitution von 1791, die es verbannte, wieder vernichtet wor - den. Zwar darf es nur bei Staatsmaterien, d. i. in Faͤllen, wo von Krieg und Frieden, neuen Auflagen, neuen Geſetzen und Truppen - vermehrungen die Rede iſt, ausgeuͤbt werden; aber man ſieht, daß dies gerade die wichtig - ſten Gegenſtaͤnde ſind, die zur oͤffentlichen Be - rathſchlagung kommen koͤnnen. Rachſucht, Eigennutz und Schadenfreude eines einzelnen Staatsbuͤrgers haben, wie die Geſandten aus - waͤrtiger Maͤchte, an dieſem Vorrechte ein kraͤftiges Mittel, ihre Plane durchzuſetzen und alles zu verhindern, was denſelben zuwider -E 268laufendes vom Reichstage beſchloſſen werden koͤnnte. Man nennt dies gefaͤhrliche Vorrecht die freie Stimme, das Widerſpruchs - recht, das liberum veto.

Die Landboten ſollen zwar im Namen ihrer Vollmachtsgeber rathen; aber ſie han - deln doch oft nach eigenem Willen. Bald halten ſie die Berathſchlagungen auf, bald treiben ſie dieſelben, bald miſchen ſie, bei un - erwarteten Wendungen, fremde Dinge ein; bald ſind die Boten Einer Woiwodſchaft, Eines Bezirks unter einander ſelbſt nicht einſtimmig; bald wirkt auf den einen Privatintereſſe, bald auf den andern Drohung oder Beſtechung und ſo kann man mit Recht ſagen, daß ſie nicht nach ihren Auftraͤgen, ſondern nach eige - nem Willen die Geſchaͤfte betreiben.

Der Wuͤrden und Aemter, die ausſchlieſ - ſend aus dem Ritterſtande beſetzt werden, ſind weit mehr als derer, die der Senatoren - ſtand beſetzt. Man kann ſie fuͤglich in drei Arten abtheilen, in ſolche, die von Kron -69 polen und von Lithauen, die von gewiſſen Provinzen, und die von den einzelnen Woi - wodſchaften ihren Namen haben. Die Edel - leute, die ſolche Stellen beſitzen, gehen aber - mals denen vor, die keine inne haben.

Die Beamten von Kronpolen und Li - thauen ſind theils Hof - und Gerichts -, theils Kriegsbeamte*)Lengnich theilt ſie nur in zwei Klaſſen ab, in togatos und militares, gleichſam in gentil - hom - mes de robe und gentil-hommes d'épéc; aber die Hofſchatzmeiſter, Kammerherren, Fahntraͤger u. a. ſind offenbare Hofaͤmter, die weder zur Toga nach zum Saͤbel gerechnet werden koͤnnen..

Zu der erſten Klaſſe gehoͤren: die beiden Oberſekretaire, die beiden Referenda - rien, Hofſchatzmeiſter, Unterkaͤmme - rer, Fahntraͤger, Hoffahntraͤger, Schwerttraͤger, Ober - und Unterſtall - meiſter, Ober - und Unterkuͤchenmei - ſter, Mundſchenken, Vorſchneider, Truchfeſſe, Oberjaͤger, und Hofjaͤger -70 meiſter, Kanzleyregent, Metrikan - ten (Archivare) Dekretsnotare, Groß - notare, Großſchatznotare, Kron - und Schatzbewahrer, Jnſtigatoren und Viceinſtigatoren.

Zu der zweiten Klaſſe gehoͤren: die Groß - und Unterfeldherren, die Feld - notare, die Großwachtmeiſter, die La - germeiſter und die Geſchuͤtzmeiſter fuͤr Polen und Lithauen.

Die Oberſekretaire ſind die vorderſten Beamten aus dem Ritterſtande. Vermoͤge des Gebrauchs werden nur immer Perſonen vom geiſtlichen Stande dazu gewaͤhlt. Sie haben den Vorzug bei Beſetzung der Kanzlerſtellen und bei Vergebung von Bißthuͤmern, und ſie gelangen fruͤher oder ſpaͤter zu beiden. Man braucht ſie zur Verfertigung von Schriften und Briefen, welche geheime Angelegenheiten betreffen, und wenn die Kanzler abweſend ſind, verrichten ſie einige von ihren Geſchaͤf - ten. Am Reichstage leſen ſie die pacta con -71 venta, Rathsbeſchluͤſſe und andre oͤffentliche Schriften vor. Sie duͤrfen, ohne guͤltige Gruͤnde, nicht vom Hof abweſend ſeyn, weil ihre Gegenwart dort oft nothwendig iſt.

Den naͤchſten Platz nach ihnen nehmen die Referendarien ein. Jhrer ſind zwei fuͤr Polen und zwei fuͤr Lithauen, ein geiſt - licher und ein weltlicher jedesmal neben einan - der. Ehedem, als die Koͤnige noch ſelbſt zu Gerichte ſaßen, trugen ſie ihnen Klagen und Geſuche vor, die man bei ihnen eingereicht hatte; ſpaͤterhin durften ſie ſogar richten, und noch jetzt ſind Referendariats-Gerichte vorhanden, vor welchen beſonders die Strei - tigkeiten zwiſchen den Jnhabern koͤniglicher Guͤter und Pachtungen, und zwiſchen den da - zu gehoͤrigen Bauern geſchlichtet werden. Sonſt ſind die Referendarien noch Beiſitzer in den Aſſeſſorialgerichten, wo ſie ihre Stimmen haben und die gefaͤllten Urtheile den Partheien vortragen. Auch bei den Rela - tions - und Reichstagsgerichten ſind ſie72 zugegen; bei den erſtern leiten ſie die Klag - ſachen, nach der Ordnung, wie ſie im Regi - ſter verzeichnet ſind, ein, und ſagen ihre Mei - nung, wenn die Advokaten geſprochen und die Raͤthe geſtimmt haben; bei den letztern rufen ſie die Rechtshaͤndel, nach der Folge, wie ſie bei ihnen eingeſchrieben ſind, auf, unterſchrei - ben die Entſcheidungen und ſchicken ſie den Kanzlern zu. Ohne hinlaͤngliche Gruͤnde duͤr - fen ſie nicht vom Hofe abweſend ſeyn.

Die Hofſchatzmeiſter verwalten die Einkuͤnfte des Koͤnigs, einer in Polen, der andre in Lithauen, und wenn die Großſchatz - meiſter abweſend ſind, vertreten ſie deren Stelle; eben ſo, wenn jene mit Tod abgehen, wo ſie alsdann ihre Geſchaͤfte beſorgen, bis zur Ernennung der neuen.

Die Unterkaͤmmerer von Polen und Lithauen ſind die oberſten Kammerherren des Koͤnigs. Sie bekleiden eine der aͤlteſten Wuͤr - den im Reiche. Jhre vornehmſte Pflicht iſt, um den Koͤnig zu ſeyn, Sorge fuͤr ſeine Per -73 ſon zu tragen, nichts aus der Acht zu laſſen, was den Glanz des Hofes unterhalten kann, und uͤber alles zu wachen, was um den Koͤ - nig geſchieht, damit keine Unbequemlichkeit daraus fuͤr ihn entſtehe. Auf Reiſen, im La - ger, bei oͤffentlichen Ausgaͤngen und Ausfahr - ten, muͤſſen ſie ihm zur Seite ſeyn. Eben ſo, wenn er am Reichstage, im Rathe, in den Gerichten zugegen iſt. Will jemand Ge - hoͤr bei ihm haben, ſo beſtimmt der Unter - kaͤmmerer die bequemſte Zeit und Stunde, und Bittſchriften und Geſuche haͤndigt er dem Koͤnig ein ꝛc.

Die Fahntraͤger, Schwerttraͤger, Stallmeiſter, Kuͤchenmeiſter, Mund - ſchenken, Truchſeſſe, verrichten die Aem - ter, die ihr Name andeutet, bei feyerlichen Gelegenheiten, bei Kroͤnungen, Todesfaͤllen, Ritterſchlaͤgen, Gaſtmalen ꝛc.

Der Kanzleyregenten und Metri - kanten iſt ſchon oben beilaͤufig erwaͤhnt wor - den. Die Großſchatznotare, deren einer74 vom geiſtlichen, der andre vom weltlichen Stande iſt, beſorgen die Ausfertigungen, Un - terſuchungen und Entſcheidungen, die beim Schatzdepartement vorkommen. Die Kron - und Schatzbewahrer haben das Geſchaͤft auf ſich, welches ihr Name andeutet. Die Jnſtigatoren des Reichs und des Groß - herzogthums ſind die oͤffentlichen Anklaͤger, und bringen die Kondemnate in Erfuͤllung, die uͤber Verbrecher gegen den Staat und gegen Privatperſonen ergangen ſind u. ſ. w.

Die Kriegsbeamten von Polen und Li - thauen haben folgende Pflichten und Rechte:

Die Großfeldherren und Unter - feldherren, deren die polniſche und die li - thauiſche Armee jede zwei hat, ſind die Be - fehlshaber uͤber die Kriegsmacht der Republik. Als man noch keine ſtehende Armeen hatte, waren auch keine ſtehende Feldherren vorhan - den, ſondern ſie wurden jedesmal gewaͤhlt, wenn ein Krieg ausbrach und entlaſſen, wenn er zu Ende war. Ein Johann Zamoiski75 war der erſte, der, im Jahre 1581, zum lebenslaͤnglichen Feldherrn fuͤr Polen erklaͤrt wurde; in Lithauen war ſchon gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts ein ſolcher vor - handen. Der Großfeldherr legt ſeine Wuͤrde fuͤr eine andere nicht ab, er muͤßte denn, wie Johann Sobieski, Koͤnig werden, und der Unterfeldherr folgt ihm, wenn er ſtirbt, in ſeiner Stelle.

Jn aͤltern Zeiten konnte die Großfeldherrn - wuͤrde nur am Reichstage vergeben werden, in ſpaͤtern aber auch außer demſelben. Nur eingeborne, beſitzliche, geſchickte, um den Staat verdiente Edelleute koͤnnen ſie bekleiden. Die Feldherren duͤrfen nicht Staatsbeamte aus dem Senatorenſtande, und zwei Perſonen aus einer Familie duͤrfen nicht Feldherrn und Miniſter zu gleicher Zeit ſeyn.

Die Feldherrn ſchwoͤren der Republik. Sie befehligen die Armee; iſt aber der Koͤnig bei derſelben, ſo hat er den Oberbefehl. Er kann auch ſogenannte Regimentarien zu76 Befehlshabern der Armee einſetzen, wenn die Feldherren im Kriege geblieben ſind. Letztert ſind nicht an ſich ſchon Senatoren, pflegen aber zugleich Woiwoden und Kaſtellane zu ſeyn, und als ſolche gehoͤren ſie zu jenen. Vor der Errichtung des immerwaͤhrenden Ra - thes war ihr Einfluß in den Geſchaͤften ihres Departements faſt unumſchraͤnkt; aber jetzt haben ſie eine Kriegskommiſſion neben ſich, die mit ihnen zugleich unter jenem Rathe ſteht, ohne deſſen Bewilligung nichts unternommen werden darf. Jetzt beſorgt der lithauiſche Großfeldherr auch nur noch die Diſciplin des lithauiſchen Militairs, aber der Krongroßfeld - herr befehligt daſſelbe, wie die Kronarmee.

Der Feldnotare ſind zwei, bei jeder Armee einer. Jhre Pflicht iſt, Roß und Mann zu muſtern, uͤber die Abgaͤnge ein Ver - zeichniß zu halten und den Sold auszuzahlen. Die Großfeldwachtmeiſter und Lager - meiſter, deren bei jeder Armee einer iſt, verrichten ihre Dienſte auf Maͤrſchen gegen77 den Feind und die Geſetze beſtimmen nichts beſonderes daruͤber. Die Geſchuͤtzmeiſter (auch Generale der Artillerie genannt) haben den letzten Platz unter den Kriegsbe - amten, weil ſie unter allen am ſpaͤteſten ſind angeſtellt worden. Unter ihrer Aufſicht ſteht (wie ſchon ihr Name anzeigt) das geſammte Geſchuͤtzweſen. Vormals hatten ſie in ihrem Fache freyen Willen, und ſie waren nur dem Reichstage Rechnung abzulegen ſchuldig; jetzt ſtehen ſie unter dem Kriegsdepartement des immerwaͤhrenden Raths, und ſind Beiſitzer der Kriegskommiſſion.

Jch komme zu den Wuͤrden, die von den Provinzen ihren Namen haben: zu den Wuͤrden der Generalſtaroſten, deren einer von Großpolen und einer von Kleinpolen vor - handen iſt. Der von Großpolen hieß ehedem Oberrichter und er war es auch wirklich. Als Staroſt mit Gerichtsbarkeit hegte er die Grodgerichte, und da ſeine richterliche Ge - walt uͤber die Woiwodſchaften Poſen und78 Kaliſch ſich erſtreckte, ſo nannte man ihn Ge - neralſtaroſte von Großpolen. Jetzt, da dieſe Landesſtriche an Preußen gefallen ſind, hoͤrt ſeine Gerichtsbarkeit dort natuͤrlich auf, mit - hin auch ſeine Stelle, aber ich vermuthe, daß man dennoch den Titel beibehalten werde. Der Generalſtaroſt von Kleinpolen und der Staroſt von Krakau ſind ein und dieſelbe Perſon, und es iſt nicht erklaͤrlich, woher er den erſtern Titel hat, da nur eine Woiwod - ſchaft von Kleinpolen (Krakau) unter ſeiner Gerichtsbarkeit ſtehet.

Die Wuͤrden endlich, die von einzelnen Woiwodſchaften und Bezirken ihren Namen haben, koͤnnen in Land - und Schloß Aem - ter abgetheilt werden.

Die Jnhaber der Landaͤmter nennt man Dignitarier und es ſind folgende: ein Unterkaͤmmerer, Fahntraͤger, Richter, Truchſeß, Mundſchenk, Unterrichter, Unter - truchſeß, Untermundſchenk, Jaͤgermeiſter, Rott - meiſter, Schwerttraͤger, Unterrottmeiſter,79 Schatzmeiſter. Einige dieſer Dignitarier waͤhlt der Koͤnig auf Vorſchlag des immerwaͤhrenden Raths, die Kandidaten zu andern ſchlaͤgt ihm der Adel der einzelnen Woiwodſchaften und Powiats vor, und er waͤhlt, mit Genehmi - gung jenes Raths, einen der vorgeſchlagenen. Mehrere dieſer Aemter ſind nur Titel und mit keiner, Verrichtung verbunden. Dagegen werden die Unterkaͤmmerer zu Graͤnzbe - richtigungen zwiſchen den verſchiedenen Land - guͤtern, die Richter zu Hegung der Land - gerichte und die Rottmeiſter zur Erhal - tung der Polizey gebraucht, wenn der Adel zu Felde liegt ꝛc. Jn Lithauen ſind, außer den gedachten Dignitariern, noch einige andere vorhanden, z. B. Marſchaͤlle, die Gerichte hegen und den Landtagen vorſitzen, Civunen, nach gewiſſen Guͤtern ſo genannt, die an den Adel vergeben werden, Horodnicki, welche die Befeſtigungen der Schloͤſſer beſorgen, u. ſ. w.

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Die Schloßaͤmter werden von Sta - roſten mit Gerichtsbarkeit, von Vice - ſtaroſten, Burggrafen und Notaren bekleidet.

Jn Polen liegen, durch alle Provinzen zerſtreut, gewiſſe Guͤter, die man koͤnigliche Guͤter nennt. Jn aͤltern Zeiten gehoͤrten ſie den Koͤnigen in der That, und ſie wurden entweder von Aufſehern verwaltet, welche den Ertrag derſelben berechneten, oder auch an Privatleute fuͤr eine gewiſſe Summe ver - pachtet. Die Koͤnige hatten uͤberall ihre Speicher, und ihre Verwalter verkauften das aufgeſchuͤttete Getraide. Jetzt haben dieſe Guͤter nur noch den Namen koͤnigliche, damit ihr Urſprung und ihre vormalige Be - ſchaffenheit nicht vergeſſen werde; aber die Benutzung derſelben iſt auf Privatleute uͤber - gegangen, und was dieſe dafuͤr abtragen, kommt nicht dem Koͤnige, ſondern der Republik zu Gute. Sonach gehoͤren ſie wirklich der letztern, und der Koͤnig, oder vielmehr jetztder81der immerwaͤhrende Rath vergiebt ſie an Staatsbuͤrger, welche die erforderlichen Eigen - ſchaften beſitzen, das heißt, welche eingeborne, beſitzliche Edelleute ſind. Von den eigentlichen koͤniglichen Guͤtern (Tafelguͤtern, Oekonomien) ſind ſie ganz verſchieden.

Jener Staatsguͤter giebt es drei Arten: Staroſteyen, Tenuten (tenutae) und Advokatien oder Schulzeneyen (Scul - tetiae.)

Die Advokatien oder Schulzeneyen ſind die geringſten, und ſie beſtehen nur aus Aeckern von einigen Morgen, aus Wieſen, Muͤhlen, Kruͤgen, Vorwerken, und einem oder auch mehreren Doͤrfern. Sie ſcheinen dadurch entſtanden zu ſeyn, daß die aͤltern Herzoͤge und Koͤnige unangebauete Striche Privatleuten zum Anbau uͤberließen und ihnen die Gerichtsbarkeit uͤber die Anſiedler, ſo wie einige Morgen Landes zu eigner Benutzung verliehen.

Zweites Heft. F82

Die Tenuten (ein polniſch-lateiniſches Wort, von tenere beſitzen, inne haben, gemacht) ſind betraͤchtlicher, als die Advoka - tien, und es iſt wahrſcheinlich, daß ehedem die Staroſteyen ohne Gerichtsbarkeit ſo ge - nannt wurden. Sie ſchließen nur Doͤrfer und Aecker ein, ſtatt daß die Staroſteyen auch Schloͤſſer und Staͤdte einſchließen, und ſind in ihrem Ertrage verſchieden.

Die Staroſteyen (poln. Starostwa, Sitze fuͤr die Alten) ſind Guͤter von ſehr betraͤchtlichem Umfang und Ertrage. Sie ha - ben theils Gerichtsbarkeit, theils keine. Die Staroſten, die eine der erſtern Art beſitzen, hegen ihre Gerichte (Schloß-Grobgerich - te, judicia castrensia genannt) auf einem zur Staroſtey gehoͤrigen Schloſſe, und ſchlich - ten Streitigkeiten unter den Edelleuten ihres Bezirks, oder Jrrungen derſelben mit den Staͤdten, und andre bedeutende oder unbedeu - tende Rechtshaͤndel, doch ſo, daß den Par - theyen frei bleibt, an die hoͤheren Tribunale83 zu appelliren. Der Staroſten ohne Gerichts - barkeit ſind mehr, als der Staroſten mit Ge - richtsbarkeit, und der Grund davon iſt, daß viele, die bloß Tenutarien waren, allmaͤhlig den Titel Staroſt ſich angemaßt haben.

Jch darf wohl kaum anmerken, daß nur diejenige Klaſſe der Edelleute, fuͤr welche die Verfaſſung alles thut, daß nur die einge - bornen und beſitzlichen faͤhig ſind, ſolche Staroſteyen zu erhalten; man muß hinzuſetzen: auch nur die reichen, aus maͤchtigen Familien ſtammenden, ſchon mit Ehrenſtellen verſehe - nen. Es waͤre ſehr natuͤrlich, daß man dieſe Staatswohlthaten den aͤrmern beſitzlichen Edel - leuten erwieſe, aber dieſe kommen ſehr ſelten dazu, eben weil ſie die Koſten, welche die Verleihung dieſer Wohlthat erfordert, nicht beſtreiten koͤnnen. Vordem vergab der Koͤnig die Staroſteyen, und ſie waren weniger koſt - bar zu erhalten, weil es leichter war, die Zu - gaͤnge zu einem Einzigen mit Gold zu be - ſtreuen, oder ſeine Gutmuͤthigkeit auf irgendF 284eine andre Art zu gewinnen; aber jetzt, wo der immerwaͤhrende Rath drei Kandidaten zur Wahl vorſchlaͤgt, wo gegen zwanzig Goͤn - ner zu erobern ſind, ehe man durch die Mehr - heit nur unter die Zahl der Vorzuſchlagenden aufgenommen wird; wo man dann immer noch zwei andre Suchende zu beſiegen hat: da bleibt keine Hoffnung fuͤr den aͤrmeren, unbekann - tern, durch keine maͤchtige Familie unterſtuͤtz - ten, Staatsbuͤrger uͤbrig. So faͤllt in Polen alles an den, der ſchon hat; und das Geſetz iſt faſt laͤcherlich geworden, welches gebietet, daß, bei Verleihung der Wuͤrden und Aemter ſowohl, als der koͤniglichen Guͤter, nicht auf Anſehen der Perſon, der Wuͤrde, des Ranges, des Reichthums und der Familie geſehen wer - den ſolle.

Die koͤniglichen Guͤter duͤrfen, ſo wenig als die Staatsaͤmter und Wuͤrden offen ge - laſſen, ſondern muͤſſen, binnen einer Zeit von ſechs Wochen, wieder beſetzt werden. Jhrer mehrere ſollten, nach dem Geſetze, nicht auf85 Eine Perſon gehaͤuft werden, aber auch hier - in weiß man Ausfluͤchte, und mehrere Große haben, bei ihren Staroſteyen, noch einige Tenuten und Advokatien inne. Man beſitzt aber ſolche Guͤter nicht bloß auf Lebenszeit, ſondern ſie koͤnnen ſogar auf Gemahlin und Kinder uͤbertragen werden. Viele derſelben ſind durch dieſen Umſtand, und durch andre Kunſtgriffe, ſogar auf immer in den erblichen Beſitz mancher Familie gerathen und dem Staat entzogen worden. Der Koͤnig und der immerwaͤhrende Rath, der ſie vergiebt, kann ſie nicht wieder nehmen, der Beſitzer muͤßte ſich denn eines Kriminalverbrechens ſchuldig gemacht haben, wegen deſſen er von den Tri - bunalen wirklich verurtheilt worden waͤre. Uebrigens ſind ſolche Staroſten auf ihren Staroſteyen ſo gut als unumſchraͤnkt. Jhre richterliche Geſchaͤfte laſſen ſie durch die oben - erwaͤhnten Unterſtaroſten, Burggrafen und Notare beſorgen; ihre oͤkonomiſche durch Kommiſſare. Was zu Grunde geht, geht86 dem Staat zu Grunde. Sie verſchlimmern gewoͤhnlich die Guͤter, mergeln die Bauern und ihr Vieh ab, laſſen die Doͤrfer vermo - dern, die Schloͤſſer und Wirthſchaftsgebaͤude verfallen, die Waldungen aushauen oder ver - wildern: niemand iſt da, der ſie dafuͤr zur Verantwortung zoͤge, oder ihnen Erſatz auf - erlegte. Sie geben den vierten Theil ihrer Einkuͤnfte dem Staate, bekuͤmmern ſich nicht weiter um ihn und kommen oft in mehrern Jahren nicht nach ihren Staroſteyen.

Wenn ich hier die wichtigſten der Vor - rechte, Freiheiten, Wuͤrden, Aemter, Wohl - thaten und Titel, die in Polen von dem Adel ausſchließend beſeſſen und benutzt werden, den Leſern kurz angedeutet habe: ſo geſchah es, um den Abſtich deſto auffallender zu machen, der zwiſchen ihm und dem Reſt der Bewoh - nerſchaft von Polen obwaltet. Dieſer Reſt, der aus Buͤrgern, aus der niedern Geiſtlich - keit, Juden und Bauern beſteht, nimmt eigent - lich an den ſtaatsrechtlichen Vorzuͤgen der87 Nation gar keinen Theil; das polniſche Staats - recht erwaͤhnt ihrer auch nicht beſonders; die Verfaſſung ſelbſt nimmt auf ſie gar keine Ruͤckſicht. Was die Buͤrger und Juden an Rechten beſitzen, ſind gewiſſe Verwilligungen und Freiheiten, die ſo eben hinlangen, um ſie vor Sklaverey zu ſchuͤtzen, und die ſie nur durch einen ewigen Kampf mit der Geſellſchaft der eigentlichen Staatsbuͤrger, die ſich immer weiter auszubreiten ſucht, in den noch uͤbrigen Truͤmmern aufrecht erhalten koͤnnen. Der Bauer, im Ganzen genommen, hat gar kein Recht im Staate. Der gute oder boͤſe Wille ſeines Herrn iſt ſein Schutz oder ſeine Plage.

Wenn aber irgend ein Umſtand die nicht adelichen Bewohner von Polen uͤber ihre Huͤlf - loſigkeit troͤſten kann, ſo iſt es der, daß der groͤßte Theil des Adels nicht weniger, und noch empfindlicher, von dem kleinern, aber reichern und deßhalb maͤchtigern, Theile ſeiner Mitglieder, gedruͤckt und verachtet wird. Eine allgemeine Freiheit und Gleichheit iſt vielleicht88 nirgend ſo ſehr Hirngeſpinnſt, als in Polen, wo die ganze Verfaſſung, und die ganze Reihe von Geſetzen, aus denen ſie hervorgeht, auf beiden gebauet iſt; und es giebt ſchwerlich ein zweites Land, wo man, in wichtigen und un - wichtigen Dingen, ſo begierig nach Unter - ſcheidungszeichen waͤre und wo man, mit ſo fruchtbarer Erfindungskraft, die Anzahl der - ſelben ſo vermehrt haͤtte. Vergebens ſchmei - chelt man ſich damit, daß es nur aͤußerer, gleichguͤltiger Prunk ſey, und daß weder Ehrenſtellen noch Ordensbaͤnder den Werth des Edelmannes erhoͤhen, noch denſelben, wenn er ihrer ermangelt, herabſetzen koͤnnten. Man ſieht alle Tage, daß der Titel eines Woiwo - den oder eines Kaſtellans, und der Anblick eines blauen und rothen Bandes, Thuͤren ſchnell oͤffnen, die vor dem Edelmann, der nichts von dem allen iſt und hat, verſchloſſen bleiben, und daß betitelte und bebaͤnderte Bruͤ - der uͤber andern, die es nicht ſind, in Be - werbungen um Wuͤrden und Aemter, wie in89 Rechtshaͤndeln, Siege davon tragen, die ſie nicht dem Verdienſt und dem Rechte, ſondern allein dieſem, fuͤr unbedeutend gehaltenen, Uebergewichte zu danken haben. Sonach iſt zwar der aͤrmere polniſche Edelmann, als Edel - mann, frei und unabhaͤngig, aber als armer Edelmann, der Knecht ſeines reichern Bru - ders; ſo iſt er, als dummer Edelmann, ſo viel, als der kluge, aber als dummer Mann, des letztern veraͤchtliches Spielwerk; ſo iſt denn auch die polniſche Ariſtokratie bald eine Ochlo - kratie, bald eine Monarchie, bald das eroberte Land eines auswaͤrtigen Fuͤrſten; und das alles wird ſie dadurch, daß ſich einzelne Glie - der, einzelne Partheyen in derſelben, fuͤr voll - kommen-gleich, fuͤr vollkommen-frei halten, und daß ſie das als den Willen, als das Jn - tereſſe der geſammten Nation durchſetzen koͤn - nen, was Privatwillen und Privatintereſſe einzelner Perſonen oder Partheyen iſt. Hier die Buͤchſe der Pandora!

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Man erlaube mir, von dem Edelmann ſogleich zum Bauer uͤberzugehen. Da dieſe beiden Klaſſen das platte Land von Polen bewohnen, ſo ſcheint es mir in der Ordnung, ſie hinter einander zu beſchreiben. Zwar ſind ſie, politiſch genommen, durch den ſcharfen Graͤnzſtrich der Herrſchaft und der Sklaverey geſchieden; aber, menſchlich genommen, koͤnnte der Herr doch nicht einmal eſſen, wenn er die Arme ſeines verachteten Sklaven nicht haͤtte.

Der obenerwaͤhnte Grundſatz: nur der Landbeſitzer iſt Staatsbuͤrger, hat das Schickſal des Bauern in Polen entſchieden und ihn zu ewiger Knechtſchaft verurtheilt. Es iſt wahr, die Leibeigenſchaft folgt nicht geradezu aus demſelben, aber doch ein hoher Grad von Unterwuͤrfigkeit. Der Vertrag zwiſchen dem Landbeſitzer und Bauer kann nur folgender ſeyn: Jch, Bauer, will leben. Um mir meinen Unterhalt zu verſchaffen, habe ich nichts gelernt, als das Land bauen. Jch habe kein Land, denn du, Edelmann, beſitzeſt91 es ausſchließend. Gieb mir ein Stuͤck davon, ich will dir dafuͤr arbeiten. Jch will dir ein Stuͤck Land einraͤumen, erwiedert der Edelmann: das dich ernaͤhren kann. Du thuſt mir dafuͤr eine gewiſſe beſtimmte Arbeit. Dein Eigenthum kann dieſer Fleck nicht ſeyn; aber du ſollſt ihn behalten, ſo lange du deine Arbeit thuſt. Aus dieſem Vertrage folgt, daß der Bauer kein Eigenthum, aber nicht, daß er ſeiner Perſon nicht maͤchtig ſey, wenn er die verabredete Arbeit gethan hat. Hat er ſie nicht gethan, ſo kann ihn der Herr von ſeinem Boden jagen; aber er kann ihn eigentlich nicht zwingen, ſie, wider ſeinen Willen, ferner zu thun, wenn er z. B. bei einem andern Herrn, unter beſſern Bedingungen, ein Stuͤck Landes bekommen kann; oder wenn ſein jetziger Herr, weil er maͤchtiger iſt, als er, die verabredete Arbeit vermehren will. Geſchieht letzteres und be - hauptet es der Herr mit Gewalt, dann erſt wird durch dieſe Ungerechtigkeit der Bauer92 leibeigen, dann wird er Sklav, da er, ver - moͤge ſeines Vertrages, nur Knecht, nur Ar - beiter geworden war.

Schon ſeit Jahrhunderten iſt der Bauer in Polen auf jenem Wege ſeiner perſoͤnlichen Freiheit beraubt und dadurch zu einer Waare geworden, die man, wie das Gut ſelbſt, zu dem er gehoͤrt, erbt, kauft und verſchenkt. Jn der polniſchen Verfaſſung liegt nichts, das zu ſeinem Vortheil ſpraͤche, aber wohl iſt eine Reihe von Geſetzen vorhanden, die alle zu ſeinem Nachtheile ſind. Kein Bauer darf einen Rechtshandel gegen ſeinen Herrn anfan - gen; darf ohne deſſen Erlaubniß ſein Dorf verlaſſen; darf heurathen, Vieh vertauſchen oder verkaufen, Branntwein anderswoher als aus ſeinem Kruge nehmen, Waaren anderer Art kaufen, die nicht der betraute Jude lie - ferte; kein Bauer darf ſeine Habſeligkeiten Verwandten vermachen, wenn er keine Kinder hat, weil ſein Herr der naͤchſte Erbe iſt; er darf nicht fuͤr andre arbeiten, ſelbſt wenn ſeine93 beſtimmte Arbeit gethan iſt; ja, er kann nicht einmal ein armſeliges, erſpartes Suͤmmchen beſitzen, ohne die Beſorgniß, ſein Herr moͤchte es ihm abfordern oder abborgen; er kann in ſeinen Feyerſtunden nichts durch ſeinen Fleiß hervorbringen, worauf ſein Herr nicht An - ſpruͤche machen koͤnnte; er hat gegen Grau - ſamkeiten nicht den mindeſten Schutz, denn ſein Beleidiger iſt zugleich ſein Richter; und ein muthwilliger Todtſchlag, an ihm begangen, bleibt, obwohl ein neueres Geſetz da iſt, das den Kopf dafuͤr verlangt, ungeſtraft, weil zu viel zum Beweiſe gehoͤrt, weil der Thaͤter da - bei ertappt ſeyn muß, weil der oͤffentliche An - klaͤger leicht beſtochen wird, und weil die Rich - ter ſelbſt, da ſie mit ihren Bauern in gleichem Verhaͤltniſſe ſtehen, nur zu ſehr geneigt ſind, ihn gleichmaͤßig zu behandeln, um ihre eigenen Rechte uͤber ihn nicht zu untergraben.

Jn dieſen Zuſtand hat ſich der Bauer begeben, um ſich das Leben zu erhalten, und dieſen Zweck hat er auch wirklich erreicht. 94Das ihm eingeraͤumte Land naͤhrt ihn, das ihm erbaute Haus giebt ihm Obdach, die ihm uͤberlaſſenen Pferde, Kuͤhe und Schaafe hel - fen ihm arbeiten und gewaͤhren ihm Nah - rungsmittel und Kleider. Was davon ſtirbt, muß ihm der Herr wieder verſchaffen; wenn es ihm an Brot fehlt, (dieſer Mangel mag durch ſchlechte Aernte oder ſchlechte Wirth - ſchaft verurſacht worden ſeyn,) ſo muß der Herr ihn ebenfalls damit verſorgen; kurz, dieſer darf ihn nicht umkommen laſſen, weil ſein Daſeyn den Werth und Ertrag ſeiner Guͤter begruͤndet. Dies weiß der Bauer ſehr gut, und daher ſeine Sorgloſigkeit und ſeine Faulheit; daher ſelbſt ſeine Zufriedenheit mit ſeinem Zuſtande; daher ſogar ſein Widerwillen, aus demſelben gezogen zu werden, vermoͤge deſſen er eine Freigebung fuͤrchtet, die ihn in die Nothwendigkeit verſetzen wuͤrde, fuͤr ſich ſelbſt zu ſorgen und den Ueberfluß der einen Jahrszeit, gegen den Mangel der andern, als guter Wirth aufzuſparen.

95

Etwas ertraͤglicher iſt das Schickſal der ſogenannten koͤniglichen Bauern, das heißt derer, die zu den Kronguͤtern, zu den Staroſteyen gehoͤren. Sie ſtehen nicht ſo un - bedingt unter der Willkuͤhr ihrer Staroſten, und es iſt ihnen erlaubt, dieſe bei den koͤnig - lichen Gerichten zu belangen, wenn ſie ſich Gewaltſamkeiten und Ungerechtigkeiten gegen ſie zu Schulden kommen laſſen. Freilich muß man ſich dieſe Erlaubniß nur als eine Schranke denken, die der Staroſt uͤberſchreiten kann, ſobald er nur will; aber ihr bloßes Daſeyn verhindert ſchon vieles, und gewaͤhrt dem nicht ganz Huͤlfloſen eine Art von Zuverſicht und Beruhigung.

Eine dritte Gattung von Bauern naͤhert ſich ſchon mehr den Buͤrgern in den adeli - chen Staͤdten. Dieſe ſind die ſogenannten deutſchen oder freyen Bauern, deren ich oben bei dem Dorfe Gog in Lithauen er - waͤhnt habe, wohin ich zuruͤckverweiſe. Hier merke ich nur noch an, daß diejenigen Bauern,96 die der Geiſtlichkeit gehoͤren, in ihrem Zu - ſtande wenig Vorzuͤge vor den adelichen haben. Die Richter, Voͤgte und Schreiber, welche die Aufſicht uͤber ſie fuͤhren, behandeln ſie ganz auf dem in Polen hergebrachten Fuße, und ſie kennen in ihren Pfarrern, Proͤpſten und Biſchoͤfen nur ihre unumſchraͤnkten Herren, nicht ihre Rathgeber und Lehrer. Man be - merke noch, daß die Bauern, die ihren Herrn ſchon mit Leib und Willen unterthaͤnig ſind, auch dem Staate jaͤhrlich noch eine Abgabe in baarem Gelde, von 4 bis 8 polniſchen Gulden, zu entrichten haben.

Uebrigens wird der huͤlfloſe Zuſtand der Bauern in Polen ſo lange dauern, als die gegenwaͤrtige Verfaſſung. Das Schickſal derer, die bei der erſten und zweiten Theilung unter die Herrſchaft der benachbarten Maͤchte gekommen ſind, iſt, nach Maßgabe der Ver - faſſungen dieſer drei Reiche (mehr oder weni - ger, aber doch immer) beſſer geworden. Jn den Augen eines Monarchen gilt, in ſtaats -buͤrger -97buͤrgerlicher Ruͤckſicht, der Bauer ſo viel als der Edelmann, der Jude ſo viel als der Wechsler, und nur Nutzbarkeit und Treue beſtimmen ſeinen eigentlichen Werth; in mo - narchiſchen Staaten erhaͤlt der Bauer zugleich mit einem Eigenthum ein Vaterland, mit einem Herrn einen Vater und Beſchuͤtzer, und mit beiden, Liebe zu ſeinem Wohnplatz und Vertrauen zu ſich ſelbſt; in ariſtokratiſchen Staaten dagegen, hat und fuͤhlt er nichts von dem allen, und er verlaͤßt ſeinen vaͤterlichen Boden, wie ſeinen Herrn, mit gleicher Leich - tigkeit, und vertauſcht beide mit Freuden gegen andre, wenn er auch keinen andern Ge - nuß dabei haben ſollte, als die Hoffnung, ſei - nen Zuſtand zu verbeſſern. Ein Land, worin der Bauer politiſch nichts iſt, hat an ihm keinen Vertheidiger; denn fuͤr was ſollte er ſtreiten? Soll er fuͤr den Vortheil Anderer ſein Leben aufopfern, da er nichts verlieren kann, wenn er den Herrn wechſelt, da er vielleicht gewinnt? So ſind ariſtokratiſche Ver -Zweites Heft. G98faſſungen noch immer durch die Nullitaͤt ihrer Bauern und Buͤrger zu Grunde gegangen; und nur Eine, die Venetianiſche, wird ſich noch lange erhalten, weil ſie dem Volk eine Art von Freiheit zu geben oder vorzuſpiegeln verſteht, waͤhrend ſie den Adel, den Doge, ja die Handhaber der Unumſchraͤnktheit ſelbſt, durch Maßregeln des Schreckens, in der voll - kommenſten Nullitaͤt zu erhalten weiß.

Die Konſtitution vom 3ten May 1791, ſchien fuͤr die Verbeſſerung des Zuſtandes der Bauern etwas gethan zu haben; aber wer ſieht nicht, daß der Ausdruck: der Bauer ſteht unter dem Schutze des Geſetzes wenig mehr, als ein leeres Wort, war und blieb, da man dem Bauer nicht zugleich einen Weg eroͤffnete, um, vor ſeinem Herrn vorbei, zu dem Geſetze zu gelangen, das denn doch von jenem mitgegeben war und von ihm erklaͤrt und geltend gemacht wurde?

Einzelne polniſche Guͤterbeſitzer der erſten Klaſſe haben es gewagt, ihre Bauern frei zu99 laſſen. Jch ſage gewagt, denn ein Wag - ſtuͤck iſt es immer. Die Sklaverey verdirbt das menſchliche Herz, und ploͤtzlich zugeſtan - dene Freiheit reitzt den Uebermuth. Vielleicht iſt es auch im gegenwaͤrtigen Augenblicke ge - faͤhrlicher als ſonſt, dieſen Schritt zu thun. Man koͤnnte aber die Menſchen allmaͤhlig darauf vorbereiten, in der Art, wie ich ſchon oben geaͤußert habe. Das Gefuͤhl, etwas Eigenes zu beſitzen, iſt ein angenehmes, er - munterndes Gefuͤhl und gewaͤhrt dem rohe - ſten Gemuͤthe Anhaͤnglichkeit fuͤr den, der es ihm verſchaft. Wenigſtens haben die er - waͤhnten polniſchen Großen dieſe Erfahrung gemacht. Zamoiski, der Geſetzgeber, Czar - toryski, Großfaͤhnrich von Lithauen, Chrep - towicz, der noch lebende lithauiſche Unter - kanzler, der Neffe des Koͤnigs, Prinz Sta - nislaus Poniatowski, der Feldherr Oginski, Jgnaz Potocki u. a. haben mehrere ihrer Doͤrfer frei gelaſſen. Unter an - dern benahm ſich Zamoiski ſehr weiſe dabei. G 2100Als er ſeine Leute frei gab, machte er einen fuͤr den andern verantwortlich in Abſicht der Abgaben, die ſie ihm in Zukunft entrichten ſollten. Sonach wachten ſie ſelbſt daruͤber, daß Faulheit und Trunkenheit nicht unter ih - nen einriſſe, damit der fleißige, nuͤchterne Wirth nicht fuͤr den Taugenichts zu bezahlen gezwungen waͤre. Ueberdies ermunterte Za - moiski auch den Kunſtfleiß durch Preiſe. Wer das feinſte Stuͤck Leinwand, das feinſte Schock Garn lieferte, erhielt den Preis, deren jaͤhr - lich mehrere am Joſephstage feierlich vertheilt wurden. Jn kurzer Zeit verbeſſerten ſich dieſe Doͤrfer und ihre Bewohner in dem Grade, daß ſie kaum wieder zu erkennen waren.

An die Bauern ſchließt ſich, in Abſicht ihres politiſchen Zuſtandes, eine dritte Klaſſe der Einwohner von Polen, die aus den Buͤr - gern der adelichen und geiſtlichen Staͤdte beſteht. Sie ſind meiſt Juden, Freigelaſſene und Ueberlaͤufer. Mit den letztern hat es folgende Bewandtniß. Viele Herren101 laſſen ihre Bauern irgend ein Handwerk ler - nen und entheben ſie des Landbaues. Dafuͤr muͤſſen ſie ihnen in ihrem Handwerke arbei - ten, und bekommen, außer ihrem Unterhalt, entweder gar nichts, oder eine unbedeutende Kleinigkeit. Dieſe Leute entlaufen haͤufig, in - dem ſie ſich, in Abſicht des Broterwerbs, auf ihr Handwerk verlaſſen. Sie begeben ſich in Gegenden, die von den Guͤtern ihrer Herren entfernt ſind, werden dort, weil man keine Unterſuchungen uͤber ſie anſtellt, ohne Schwie - rigkeiten aufgenommen, und nur, wenn ihr erſter Herr ſie entdeckt und zuruͤckfordert, aus - geliefert. Deutſche finden ſich in dieſen Staͤdten ſehr einzeln, und die ſich finden, tau - gen nicht viel, weil ein Deutſcher, nur im hoͤchſten Nothfalle, ſich an polniſche Gerichts - barkeit gewoͤhnt.

Dieſer Art von Buͤrgern gewaͤhrt der Edelmann Schutz, weil er ſie braucht; er gibt ihnen aber auch einen Fleck Bodens, weil nur er Boden beſitzt. Was der Buͤrger von dem,102 was er mitbringt oder erwirbt, auf dieſem Flecke erbauet, gehoͤrt ihm; mithin hat der Edelmann kein Recht darauf und eben deshalb auch nicht auf ſeine Perſon; aber der Boden bleibt ſein und von dieſer Seite bleibt er des Buͤrgers Herr. Der Unterſchied zwiſchen ſei - nem Bauer und ſeinem Buͤrger iſt alſo der: erſterem giebt er Boden, Material und Werkzeug zu ſeiner Erhaltung, letzterem nur den Boden, worauf er ſein Material und ſein Werkzeug legen und ſtellen kann; erſte - rer hat gar kein Eigenthum, vertauſcht alſo ſeine Freiheit fuͤr ſeine Erhaltung; letzterer hat ein Eigenthum, kann alſo die Sicherheit deſſelben von dem fordern, in deſſen Gebiet er es, nebſt ſeiner Perſon, bringt, und dem er fuͤr die Stelle, die er damit einnimmt, einen verabredeten Schoß bezahlt, indem er zugleich die Vorrechte anerkennt, welche die Beſitzer des Bodens hier zu Lande haben. Jn dieſem Verhaͤltniſſe ſteht denn auch wirklich der ade - liche Buͤrger mit ſeinem Herrn, oder vielmehr103 mit ſeinem Grundherrn. Da aber ſein Ver - trag mit ihm ohne Wiſſen und Beſtaͤtigung des Staats geſchloſſen worden, und da er der ſchwaͤchere iſt: ſo haͤngt er immer von dem beſſern oder ſchlechtern Willen ſeines Grund - herrn ab, und ſeine Rechte ſind jedem Ein - drange bloß geſtellt. Das Loos dieſer Klaſſe iſt ſonach Unterwuͤrfigkeit, Faulheit und Ar - muth und was daraus natuͤrlich folgt.

Wie ſich die Bewohner der adelichen Staͤdte zum Bauer verhalten, ſo verhalten ſich die in den koͤniglichen Staͤdten zu den Bewohnern der adelichen. Sie ſtehen eine Stufe hoͤher, weil ihre Vorrechte und perſoͤnliche Freiheit weniger leicht beeintraͤchti - get werden koͤnnen. Sie haben ihre eigenen Magiſtraͤte, welche ihre innern Angelegenhei - ten beſorgen, und die, wie dieſe Staͤdte uͤber - haupt, unmittelbar unter den Hof - oder Kanzleygerichten ſtehen, an die ſie ſich auch bei Mißhandlungen oder Beeintraͤchtigun - gen von Seiten ihrer Nachbarn, der Edelleute104 oder der Staroſten und Steuereinnehmer, mit etwas weniger Gefahr, von deren Rachſucht zu leiden, mit ihren Klagen wenden koͤnnen. Jn dieſen Staͤdten werden die Deutſchen ſchon haͤufiger, und ſie wechſeln bald, bald theilen ſie ſich mit den Polen im Magiſtrat. Sie ſind theils Kraͤmer, theils Handwerker und Tageloͤhner.

Den erſten Rang unter den polniſchen Staͤdten nehmen die großen Municipalſtaͤdte ein, von denen Polen jetzt nur noch Krakau, Warſchau und Wilna uͤbrig hat, nachdem Lemberg, Poſen und Gneſen an die benach - barten Maͤchte gefallen, und Sendomir, Ka - liſch, Sandecz, Vladislaw und Brsz, die in aͤltern Zeiten auch zu der Zahl jener Staͤdte gehoͤrten, ganz unbedeutend geworden ſind. Danzig, Thoren und Elbing gehoͤrten nicht hieher, weil ſie nicht unter der Herrſchaft Polens, ſondern als Freiſtaaten unter deſſen Schutze ſtanden, in den ſie ſich, unter Be - dingungen, begeben hatten.

105

Die erwaͤhnten großen Staͤdte wurden ſeit der Mitte des 15ten Jahrhunderts nach und nach auf das deutſche oder magdeburgi - ſche Recht, wie es die polniſchen Verordnun - gen nennen, gegruͤndet, auch groͤßtentheils durch deutſche Anſiedler bevoͤlkert. Dieſe blie - ben, ihrer Perſon nach, vollkommen frei, was die Bewohner der Staͤdte, die nach dem polniſchen Rechte behandelt wurden, nicht wa - ren und eigentlich noch nicht ſind. Die Ver - ſicherung ihrer Freiheit und ihrer Vorrechte lag in dem doppelten Umſtande, daß ſie ihre eigene Municipalitaͤt waͤhlen, mithin ihre ſtaͤdtiſchen Angelegenheiten ſelbſt beſorgen, und daß ſie, bei allgemeinen Landesangelegenheiten, als eine Art von Landſtand, mit berufen, ſo - gar zuweilen zu Staatsſtellen befoͤrdert und im Ankauf und Beſitz von gewiſſen Landguͤtern nicht gehindert werden konnten. So lange man ſie bei dieſen Grundvorrechten ſchuͤtzte, hatten ſie Bedeutung im Staate, waren ſie geachtet und wohlhabend. Jn dieſem Zuſtande106 befanden ſie ſich noch unter den Koͤnigen vom Jagelloniſchen Stamme.

Aber Polen ward nicht ſobald ein voll - kommenes Wahlreich, als bei jeder neuen Koͤ - nigswahl die Staͤdte, wie die Koͤnige ſelbſt, einige von ihren Vorrechten verloren, und ſo nach und nach in den Zuſtand kamen, worin ſie jetzt ſind. Der Adel unterdruͤckte dieſe ſeine Nebenbuhler, die er geringſchaͤtzte und doch, ihres Fleißes und Verkehrs wegen, beneidete, gaͤnzlich. Die ihnen noch uͤbrigen Vorrechte bedeuten in der That wenig, ſeitdem ihnen jene wichtigern genommen ſind, die ihnen allein den Genuß derſelben ſichern konnten. Jetzt giebt ihnen der Adel auf dem Reichstage Geſetze, richtet ſie in den Aſſeſſorial-Gerich - ten und ſchraͤnkt ſie auf den Bezirk ihrer Stadt und innerhalb der Graͤnzen ihres Ge - werbes ein.

Die Urheber der Konſtitution vom 3ten May 1791 ſahen wohl, wo man dieſen107 Staͤdten helfen muͤſſe. Da ſie aber bei ihrem Werke die alte Ariſtokratie zum Grunde legten und, ſelbſt Ariſtokraten, mit und gegen Ari - ſtokraten Geſetze gaben: ſo konnte das, was ſie zu Gunſten des Buͤrgerſtandes (man ſagt in Polen lieber Staͤdte, oder hoͤchſtens ſtaͤdtiſcher Stand, um das Eiferſucht er - weckende Wort Stand, das nur der Adel fuͤhren will, zu vermeiden) durchſetzten und verordneten, nicht anders, als zweideutig ſeyn. So erlaubten ſie ihnen, Abgeordnete beim Reichstage zu haben, aber dieſe mußten Adeliche ſeyn. Dieſe adelichen Stellvertreter hatten eine berathſchlagende Stimme, aber nur in Sachen, welche die Staͤdte ausſchlieſ - ſend betrafen; in allgemeinen Landesangelegen - heiten, die in ſo vielen Punkten die Staͤdte beruͤhren mußten, hatten ſie keine Stimme. So erlaubte man dem Buͤrger ferner, Land - guͤter zu beſitzen, aber er ſollte dadurch adelich werden; mithin beſaß denn doch kein Buͤr -108 ger ein Landgut, vielmehr zog man dadurch die reichern, gebildetern Buͤrger aus dieſer Klaſſe, und ließ die aͤrmern, rohern, kurz, die Hefen, darin zuruͤck. Man gab ihr den letzten Schlag, indem man die wohlhabendern und kluͤgern, die ſonſt noch, durch Geld und Verſtand, den Reſt ihrer Vorrechte behaupte - ten, zur Mitunterdruͤckung ihrer ehemaligen Mitbuͤrger den Weg oͤffnete. Sonach waren die Vorrechte nur ſcheinbar, die jene Konſti - tution dem Buͤrgerſtande zuruͤck gegeben haben wollte. Der Adel fuhr, nach derſelben, fort, in ſeinen Bruͤdern, Freunden und Geſchoͤpfen, der Geſetzgeber und Richter zu ſeyn und ſoll - te, um die Huͤlfloſigkeit des Buͤrgerſtandes vollkommen zu machen, ſogar noch deſſen Wortfuͤhrer und der Vertreter ſeiner Vorrechte gegen ſeine eigenen Vorrechte werden, die er durch jeden neuen Zuwachs von neuem beein - traͤchtigt glaubte.

Noch eine andre untergeordnete Klaſſe iſt die Geiſtlichkeit. Jch ſpreche hier nur von109 der niedern, buͤrgerlich-gebornen Geiſtlichkeit, denn die hoͤhere, adelich-geborne, iſt, als Ver - treterin der todten Hand, die in Polen Guͤter beſitzen darf, Landbeſitzerin, alſo auch Mitbeherrſcherin von Polen, gehoͤrt zur Klaſſe der Edelleute, und ſtellt nicht nur die Aebte, Konventualen und Kanonikos der Stiffter, ſondern ſogar die vorderſten Mitglieder des Senatorenſtandes, und aus dieſen den Fuͤrſten - Primas, nach dem Koͤnige die erſte Perſon im Staate. Die buͤrgerlichen Geiſtlichen ſind und bleiben Pfarrer, Kloſterbruͤder oder Welt - prieſter, die in den Schulen und in den Fa - milien Unterricht geben, oder ſich in den groͤßern Haͤuſern zu Schreibern, Rathgebern, Freunden, auch wohl zu ſchlechtern Dien - ſten brauchen laſſen. Dieſe Geiſtliche ſind freie Leute, haben auch, fuͤr einige Faͤlle, ihre eigene Gerichtsbarkeit; aber in den meiſten buͤrgerlichen Sachen ſtehen ſie unter den ge - woͤhnlichen Gerichten. Machen ſie ſich eines110 Kriminalverbrechens ſchuldig, ſo werden ſie von dem weltlichen Gericht eingezogen; aber ihren Handel entſcheidet das Konſiſtorium, deſſen Urtheil wiederum von dem weltlichen Richter vollſtreckt wird. So ſieht man, daß auch bei dieſer Klaſſe der Edelmann ſeine Vor - rechte als Richter mit wenig Ausnahmen gel - tend macht; oder, genau erwogen, mit keiner Ausnahme: denn die Biſchoͤfe, die den Me - tropolitan - und Konſiſtorial - d. i. den ganz eigentlich geiſtlichen Gerichten vorſitzen, ſind und bleiben polniſche Edelleute, und ſehen die niedre Geiſtlichkeit eben ſo an, wie die weltlichen Edelleute ihre Bauern, ſind auch eines gleichen ſtrengen Gehorſams von ihnen gewohnt.

Endlich bilden noch die Juden eine fuͤr ſich beſtehende Klaſſe der Einwohner von Po - len. Es iſt bekannt, daß ſie hier mehr Frei - heiten beſitzen, als ſonſt irgendwo, Holland111 und England ausgeſchloſſen. Kaſimir der Große und nach ihm Johann Sobieski haben das meiſte fuͤr ſie gethan. Jn aͤltern Zeiten, wo der Auslaͤnder, beſonders der Deutſchen, in Polen noch weniger waren, als jetzt, ward es eine Art von Nothdurft, dieſe Leute in das Land zu ziehen und ſie durch Freiheiten feſt zu halten. Da der Edelmann den Handel unter ſeiner Wuͤrde hielt, auch jetzt noch nicht treiben darf, wenn er nicht ſeine Vorrechte als Edelmann verlieren will; da der Bauer der Scholle anklebt und deſſen Anzahl von jeher nicht einmal zulangte, das Feld gehoͤrig zu beſtellen; da der Buͤrger nicht reich und unbedruͤckt genug war, um Handels - unternehmungen zu wagen: ſo blieb kein an - dres Mittel uͤbrig, als jenes Volk zu ermun - tern, dies noch unangebaute Feld in Polen fuͤr ſich zu nehmen, und ſo kam es, daß, be - ſonders in aͤltern Zeiten, alles was Handel war, durch die Haͤnde der Juden ging, und112 daß ſie, ſo wie ſie dem Edelmann ſeinen Krug, eben ſo dem Staate ſeine geſammten Einkuͤnfte abpachteten. Letzteres iſt nach der Zeit verboten worden, und ihr Einfluß auf den Handel iſt auch, gegen ſonſt, betraͤchtlich geſunken.

Sie koͤnnen, gegen eine Kopfſteuer, im Lande wohnen und verkehren. Die kleinern Staͤdte in Polen und Lithauen, die koͤnigli - chen wie die adelichen, ſind großentheils von ihnen beſetzt; in mehreren der großen Muni - cipalſtaͤdte duͤrfen ſie ſich ebenfalls haͤuslich niederlaſſen, in andern aber nicht, je nach - dem die Buͤrger mehr oder weniger wachſam, mehr oder weniger ſtark oder entſchloſſen, mehr oder weniger freigebig gegen die Staats - beamten geweſen ſind: denn in Polen iſt kein Recht vorhanden, das nicht durch Geld un - tergraben werden koͤnnte, und nicht durch Geld aufrecht erhalten werden muͤßte.

Nach113

Nach dem Bauer ſtehen die Juden zu - naͤchſt, trotz ihren Freiheiten, unter der Will - kuͤhr des Edelmanns; er mißhandelt ſie als Privatmann und als Mitbeherrſcher von Po - len. Er handelt mit ihnen und bezahlt ſie wann, wie und wo es ihm gut duͤnkt; auch gar nicht, wenn er es will darauf ankommen laſſen; er ſchlichtet ihre Handelsſtreitigkeiten und laͤßt ſich als Richter von ihnen bezahlen, wenn ſie Recht behalten wollen. Nur Din - ge, die ihre Religion betreffen, z. B. ihre Ehen, ihre Erbſonderungen, ihre Bußen ꝛc. uͤberlaͤßt er ihren geiſtlichen Vorgeſetzten; iſt aber immer bereit, wenn er dafuͤr bezahlt wird, auch hier Eingriffe zu Gunſten des Verurtheilten zu thun. Mit einem Worte: die Unordnungen des Lehnſyſtems machen, daß auch die Juden, wie alle uͤbrige mit Freiheiten begabte Einwohner Polens, ih - res politiſchen Daſeyns nie ganz ſicher ſind.

Zweites Heft. H114

Jch komme nun von der Betrachtung der verſchiedenen Bewohnerklaſſen Polens uͤber - haupt, auf die Bewohner von Warſchau ins - beſondere, und theile einige Wahrnehmungen uͤber deren Lebensart, Sitten und Charakter mit.

115

Vierter Abſchnitt. Warſchau.

Schilderung eines großen polniſchen Hauſes. Erlaͤute - rung derſelben. Familien, die das flache Land von Polen beſitzen. Die groͤßeſten, reichſten und maͤch - tigſten Haͤuſer. Wink uͤber die neueſte polniſche Aufklaͤrung. Sorgloſigkeit in Abſicht des Landbaues, der Haushaltung, der Einnahme und Ausgabe. Kommiſſarien, Verwalter, Oberbauern. Polniſche Art, die natuͤrlichen Erzeugniſſe zu verkaufen. War - um man ſich gern in verſchiedenen Provinzen an - kauft. Was dies fuͤr Folgen hat. Schloͤſſer, die ein Magnat zu beſitzen glaubte. Polniſche Land - ſitze. Schwankendes Finanzſyſtem der polniſchen Haͤuſer. Art der Geſchaͤftsleute und Wechsler. Rei - ſen der reichen Polen. Nothwendigkeit zu reiſen und Bewegungsgruͤnde dazu. Art zu reiſen. Koſten. Jn welche Laͤnder? Frankreich, England, die Schweiz, Jtalien. Graf Johann Potocki, ein merk - wuͤrdiger Reifer. Wie man das Reiſen benutzt. H 2116Die große und feine Welt in Warſchau. Ton und Charakter derſelben. Was ſie darin gemein hat, mit der großen Welt andrer Laͤnder. Eigenthuͤmli - che Zuͤge. Das geſellſchaftliche Leben in Warſchau. Große Feſte. Schilderung derſelben. Große mas - kirte Baͤlle im Faſching. Aſſembleen an beſtimmten Tagen. Offene Tafeln. Geſellſchaftliche Beluſtigun - gen. Muſik. Die verwittwete Fuͤrſtin Radziwil und ihre Kinder. Tanz. Die Polonoiſe und Ma - ſurka. Charakter dieſer Taͤnze. Prinz Joſeph, ein vortreflicher Taͤnzer. Sein Aeußeres. Graͤfin Julie Potocka, eine reizende Taͤnzerin. Menuet. Eng - liſche und Koſakiſche Taͤnze. Kleine Abendgeſell - ſchaften. Bemerkungen uͤber den geſellſchaftlichen Ton.

117

Vielleicht findet man in keiner andern euro - paͤiſchen Hauptſtadt, Petersburg und Neapel ausgenommen, ſolch eine einfache und ſcharfe Graͤnzlinie zwiſchen den Einwohnern gezogen, als in Warſchau. Armuth oder Reichthum, Pallaſt oder Huͤtte bezeichnen hier die beiden Hauptklaſſen; von einer dritten, die in der Mitte dieſer beiden laͤge, findet man wenig Spuren. Diejenigen Mitglieder derſelben, die man unter der Benennung der Wohlhabenden bezeichnet, miſchen ſich unter die Reichen, und diejenigen, die man rechtliche Buͤrger nennt, ſchließen ſich unmittelbar an die Armen.

So wie der hohe landbeſitzende Adel, in politiſcher Hinſicht, die erſte Stelle im Staat einnimmt, ſo gebuͤhrt ihm dieſelbe auch im geſellſchaftlichen Leben, wegen ſeines Reich - thums und des damit verbundenen Glanzes. Zu ihm gehoͤrt die obere Geiſtlichkeit, die fremde Miniſterſchaft und derjenige Adel, der, ohne das Jndigenat, mithin ohne hoͤhere118 Staatswuͤrden zu beſitzen, von ſeinen Ein - kuͤnften lebt. Dieſen bilden die diſſidentiſchen Familien, die, ihres Bekenntniſſes wegen, von den Staatsaͤmtern und Ehrenſtellen ausge - ſchloſſen ſind. An dieſe draͤngen ſich die Wechsler, Negotianten und wohlhabenden Kaufleute, unter welche die Advokaten und vorderen Beamten der Staatskollegien gemiſcht erſcheinen. Alle dieſe verſchiedene Klaſſen bil - den im geſellſchaftlichen Verkehr eine Einzige, bilden die erſte Klaſſe, oder die ſogenannte große Welt. Was alſo im folgenden von dem Charakter und den Sitten, von dem Reichthum und der Verſchwendung, von der Erziehung und der Lebensart der Warſchauer bemerkt wird, geht hauptſaͤchlich dieſe Klaſſe an, deren einzelne Beſtandtheile ſehr ſelten durch Anmaßungen getrennt werden. Reich - thum, oder auch nur deſſen Schein, macht hier alles gleich, Genuß fuͤhrt hier alles zu - ſammen; und dieſer Umſtand mildert den Ab - ſtich ſehr, den die ausſchließenden politiſchen119 Vorrechte des eingebornen, beſitzlichen Adels verurſachen.

Um dem Leſer einen Maßſtab von der Art, wie eine große polniſche Familie iſt und lebt, in die Hand zu geben, waͤhle ich eines der glaͤnzendſten Haͤuſer in Warſchau, wie es im Fruͤhlinge des Jahres 1792 daſelbſt vor - handen war, zu einer umſtaͤndlichen Schilde - rung aus, und erlaͤutere ſodann die einzelnen Zuͤge derſelben durch weitlaͤuftigere Nachrich - ten. Wenn ich dies Haus nicht nenne, ſo wird der Grund davon aus der Schilderung ſelbſt hervorleuchten.

Dieſe Familie iſt eine der aͤlteſten, deren die oͤffentlichen Verhandlungen der Republik erwaͤhnen, und eine von jenen, auf welchen der Fuͤrſtentitel ruhet. Jhre Beſitzlichkeiten ſind durch ganz Polen zerſtreut, und ſie hat deren noch ſehr anſehnliche in denjenigen Pro - vinzen, die an Rußland, Oeſterreich und Preußen gefallen ſind, von denen ſie ſich aber allmaͤhlig los zu machen und dafuͤr andre in120 dem republikaniſchen Polen zu erkaufen ſucht. Jhre jaͤhrlichen Einkuͤnfte giebt man in einer runden Summe zu 200,000 Dukaten an. Sie hat funfzehn Staͤdte, eilf Schloßaͤhnliche Land - ſitze und zwei Pallaͤſte in Warſchau.

Das Haupt dieſer Familie, der Fuͤrſt, durchſieht den Zuſtand ſeiner Finanzen ſelbſt nicht. Viele ſeiner einzelnen Guͤter haben Schulden, viele nicht; auf vielen Guͤtern ſei - ner Nachbarn hat er, ſeit Urgroßvaters Zei - ten, große Summen ſtehen. Er weiß nur im Ganzen, daß er jaͤhrlich die Zinſen bezah - len kann, die er bezahlen muß, daß er die Ausgaben ſeines Hauſes beſtritten hat, ohne zu borgen. Das uͤbrige wiſſen ſeine Geſchaͤfts - traͤger auf den Guͤtern, und ſeine Wechsler in der Stadt. Jene zahlen an dieſe und dieſe haben fuͤr den Herrn offenen Saͤckel, ſtehen bald in Vorſchuß, bald in Nachſchuß. Der Abſchluß der Rechnungen geſchieht jaͤhrlich einmal, oft in vielen Jahren nur einmal. So viel Guͤter, ſo viel einzelne, abweichende121 Bewirthſchaftungs - und Vertriebsarten. Ein einziges, feſtes, zur Ueberſicht, Verbindung und Belebung des Ganzen zureichendes Sy - ſtem, iſt undenkbar. Auf den Kontrakten*)Kontrakte nennt man in Polen, was man ander - waͤrts Umſchlaͤge nennt. in Dubno kann der Fuͤrſt Geld zu ungewoͤhn - lich hohen Zinſen ſuchen muͤſſen; auf den Kontrakten zu Grodno kann er große Sum - men zu ungewoͤhnlich niedrigen Zinſen nicht unterbringen. Wenn die Kaſſen ſeiner Be - amten und ſeines Wechslers von ſeinem Gelde voll ſind, fehlt es ihm oft an hundert Duka - ten baarer Muͤnze, und er muß ſich Zinſen fuͤr ſein eignes niedergelegtes Geld anſchrei - ben laſſen, waͤhrend ſein Beamter ſeine Ein - kuͤnfte fuͤr eigene Rechnung zu Monaten und Jahren anlegt, und der Wechsler in Holland und Amerika zum zweiten und drittenmal Pro - cente davon einaͤrntet.

Dieſe Familie beſteht aus fuͤnf Gliedern, dem Fuͤrſten, der Fuͤrſtin, zwei Soͤhnen und122 einer Tochter. Jhr Wohnſitz iſt nicht feſt be - ſtimmt und nicht ein Jahr wie das andre: bald iſt er auf dem Lande, bald in der Stadt, bald in Wien, bald in Berlin, bald in Pa - ris, bald in England, bald in Jtalien. Jſt er auf dem Lande, ſo ſchraͤnkt er ſich nicht auf Ein Gut ein, ſondern er wird von einem zum andern, aus einer Woiwodſchaft in die andre, verſetzt. Wo ſich die Familie befindet, iſt taͤglich Hof; die Menge von Klienten und Beamten, die ſolch ein Haus, ſeiner oͤkonomi - ſchen und politiſchen Verhaͤltniſſe wegen, hat und unterhaͤlt, finden ſich ein aus Pflicht, die Nachbarn aus Hoͤflichkeit oder aus Poli - tik. Man haͤlt offene Tafel, giebt Muſiken, veranſtaltet Schauſpiele und laͤndliche Feſte. Was man an Menſchen braucht: Hofmeiſter, Kaplane, Kammerdiener, Tonkuͤnſtler, Aerzte, Schreiber, Bedienten u. ſ. w. fuͤhrt man in einer Reihe von Wagen mit ſich. Die Gar - derobe, der Keller, die Kuͤche, die Betten ꝛc. werden auf andern Fuhrwerken fortgeſchaft. 123Die Wagen - und Reitpferde folgen in langen Zuͤgen mit Stallmeiſtern, Bereitern, Kut - ſchern und Knechten; und ſelbſt Horn - und Federvieh wird, wenn die Reiſe durch ſchlecht verſehene Gegenden geht, oder wo man nicht etwa bei Gaſtfreunden Herberge weiß, in Menge nachgetrieben. Weil die Kruͤge meh - rentheils ſchlecht ſind, ſo verſieht man ſich mit Zelten, und wo man Raſt nehmen will, da werden ſie aufgeſchlagen, und das Ganze la - gert ſich nach patriarchaliſcher Sitte.

Macht man Reiſen in fremde Laͤnder, ſo wird die Perſonenzahl etwas eingeſchraͤnkt, aber unter drei bis vier ſechsſpaͤnnigen Wagen faͤhrt man ſelten. Will man ſich in einer großen Stadt verweilen, ſo miethet man ganze Haͤuſer, richtet ſich foͤrmlich ein, giebt Mit - tags - und Abendeſſen, Spiel und Baͤlle, haͤlt ſich zu den glaͤnzendſten Geſellſchaften und laͤßt alle Schmarotzer zu. Oft gefaͤllt es der Fuͤrſtin in einer Stadt beſſer, als dem Fuͤr - ſten: ſie bleibt dort mit ihrem Hofe und er124 reiſet mit dem ſeinigen weiter; ſie iſt in Wien und er in Rom; er reiſt nach Polen zuruͤck und trift ſie in Piſa auf ihrer Reiſe nach Neapel. Die Tochter laͤßt man auch wohl in Berlin, waͤhrend man die Soͤhne mit ihren Hofmeiſtern, Bedienten, Pferden und Hun - den nach Straßburg ſchickt, um Sprachen und Lebensart zu lernen; und ſo iſt oft die Familie durch ganz Europa zerſtreuet, ihre Dukaten blinken uͤberall, und nach Jahren findet ſie ſich erſt in Warſchau wieder zu - ſammen.

Hier hat unterdeſſen ein Haushofmeiſter, der den praͤchtigen Namen eines Marſchalls fuͤhrt, die Geſchaͤfte beſorgt; er hat die zuruͤck gebliebenen, maͤnnlichen und weiblichen Be - dienten, beſoldet; die Pallaͤſte, Gaͤrten, Ne - bengebaͤude, das Hausgeraͤth und die Moͤbel in Ordnung gehalten; Holz und andre haͤus - liche Beduͤrfniſſe anfahren laſſen; den Stall mit Heu und Hafer verſehen ꝛc. mit einem Worte: er hat alle Ausgaben der Haushal -125 tung beſtritten, ganz auf dem Fuße, als ob der Herr ſelbſt da waͤre, oder als ob er jeden Augenblick eintreffen wuͤrde. Die noͤthigen Summen hat er bei dem Wechsler des Hau - ſes, gegen Unterſchrift ſeines Namens, auf - genommen, und, ohne einen Gegenſchreiber zur Seite, aufgewandt und in Rechnung ge - bracht. Eben ſo haben unterdeſſen die Be - amten auf den Guͤtern, die man Kommiſſarien nennt, die Pachter und die Aufſeher aller Art, hausgehalten, waͤhrend zwei oder drei Schreiber den Briefwechſel in den oͤkonomi - ſchen und politiſchen Geſchaͤften ihres Herrn beſorgten, und einige Edelleute, die ſich an den Fuͤrſten halten, einige Kammerherren und Edelknaben, voͤllig muͤßig gingen, aber taͤglich am Tiſche des Marſchalls, oder von ihrem Koſtgelde reichlich aßen und tranken.

Jſt die Familie in Warſchau wieder bei einander, ſo beginnt die Lebensart auf dem gewoͤhnlichen Fuße. Man ſchließt ſich wieder an das Publikum der Genießer, und dieſes126 bevoͤlkert mehreremal woͤchentlich die Zimmer und Saͤle des Pallaſtes, bei Mittags - und Abendtafeln, bei Koncerten, bei Theegeſell - ſchaften und Baͤllen.

Der Herr hat ſeine eigne Wohnung im Pallaſte, die Frau ihre eigene, die Soͤhne ihre eigene und eben ſo die Toͤchter; alle ſind mit ihren eigenen Bedienten verſehen, die ſich genau an das ihnen angewieſene Fach halten, ſo daß zuweilen Herr und Frau, bei zwoͤlf Bedienten im Hauſe, ohne Bedienung ſind, und daß Fremde, die zum Herrn wollen, aber mit ihrem Geſuch um Anmeldung an einen Bedienten der Frau gerathen, kaum eine Antwort erhalten, hoͤchſtens zu dem Zimmer der Bedienten des Herrn gewieſen werden, wo ſie oft unter zehn Menſchen den eilſten erwarten muͤſſen, der ſie endlich meldet.

Je nachdem das Abendeſſen oder der Ball von geſtern ſpaͤter oder fruͤher zu Ende gegangen iſt, je nachdem ſteht der Herr des Hauſes heute fruͤher oder ſpaͤter auf. Das127 Thor des Pallaſtes wird ſo lange zugehalten, bis er ſichtbar ſeyn will, aber die kleine Thuͤr iſt offen. Durch dieſe ſchleichen ſich die Ver - trauten, die Beamten, die Klienten, die Glaͤu - biger, die Sollicitanten, Gelehrte und Kuͤnſt - ler, die bei dem Fuͤrſten etwas zu ſuchen ha - ben, herein. Die Bedienten empfangen ſie mit einem Pan spie! (der Herr ſchlaͤft!) laſ - ſen ſie aber in das Vorzimmer, wenn ſie ver - ſichern, daß ſie gern ſo lange warten wollen, bis er aufſteht. Jn dieſem finden ſie oft ſchon Geſellſchaften von funfzehn bis zwanzig Per - ſonen, die ſeit Stunden auf der Lauer ſtehen und mit Sehnſucht erwarten, daß das Schlaf - zimmer aufgeſchloſſen werde. Wenn ſich von Zeit zu Zeit ein Bedienter ſehen laͤßt, ſo um - ringt ihn alles, was gerne vor den Fuͤrſten will, und bittet um Meldung. Er ſieht die Leute kaltbluͤtig an und waͤhlt ſolche aus, die ihm bekannt ſind, oder die ſich ihm auf der Stelle durch einen fruchtbaren Druck der Hand bekannt machen, oder die ihm der Fuͤrſt128 ausdruͤcklich befohlen hat, kommen zu laſſen, wenn ſie da ſind. Dieſe fuͤhrt er ein, ſchließt aber ſogleich die Thuͤr wieder zu. Andre, die das Lokale kennen, ſuchen einen der Edelkna - ben oder der Schreiber auf, tragen ihr Ge - ſuch vor, begleiten es mit einem Geſchenke, oder laſſen eine Dankbarkeit deutlich hoffen, und werden durch eine Seitenthuͤr eingefuͤhrt. Sie finden den Herrn entweder noch im Bette oder im Puderhemde vor dem Kamin, allein, oder von attachés und andern Geſuchha - benden oder Aufwartenden umgeben. Jn keinem Falle laſſen ſie ſich verhindern, ihre Bitte vorzutragen, die auch gewoͤhnlich her - ablaſſend angehoͤrt und mit einigen guͤtigen Worten erwiedert wird. Sodann drehet ſich der Herr im Bette herum, oder redet einen der Anweſenden an. Der Bittſteller entfernt ſich, um bald, immer auf demſelben Wege, wieder zu kommen, und ſich in Erinnerung zu bringen. So folgen ihm mehrere und der Herr zieht ſich unterdeſſen an. Jſt er fertig,ſo129ſo geht er in das Vorzimmer hinaus, wo der groͤßere Schwarm ihn erwartet hat, tritt mit - ten unter denſelben, hoͤrt an, was jeder vor - zubringen hat und giebt in wenig Worten Beſcheid und Auskunft. Jn zehn bis zwan - zig Minuten thut er alles ab.

Unterdeſſen iſt das große Thor des Palla - ſtes geoͤffnet worden, und Wagen auf Wagen rollen herein. Die Mitglieder ſeiner Partey fuͤllen ſeine Wohnzimmer, und es entſpinnen ſich politiſche Verhandlungen uͤber das, was heute am Reichstage betrieben oder hintertrie - ben werden ſoll; es werden Entwuͤrfe vorge - leſen, erwogen, angenommen oder verworfen; es werden Plane gemacht, wie man eine an - dre Partey uͤberſtimmen, wie man ſich mit ei - ner dritten vereinigen, wie man mit einer vier - ten ſich vergleichen will; mit einem Worte: es bildet ſich ein kleiner einſeitiger Reichstag, der ſo lange bey einander bleibt, bis der große ſeinen Anfang nimmt; und dieß iſt gewoͤhnlich zwiſchen Zwoͤlf und Ein Uhr. Dahin faͤhrt ſodann derZweites Heft. J130Herr des Hauſes und ſein Gebiet verſinkt in tiefe Stille.

Jſt nicht gerade Reichstag, ſo macht er wohl einen Spatzierritt außerhalb der Stadt, oder geht zu Fuße aus, um ſeinen Bekannten Beſuche zuruͤckzugeben; oder ſchluͤpft, auf der Krakauer Vorſtadt, zu einem Maͤdchen, die er bald foͤrmlich unterhaͤlt, bald als fliegen - der Kunde, fuͤr jedesmalige Bezahlung, be - nutzt; oder er geht zu ſeiner Freundin, wie man es nennt, die ihren Freund im Bette oder am Putztiſch erwartet; oder, was gewoͤhnlich der Fall iſt, er thut das Alles an Einem Vormittage auf Einmal.

Unterdeſſen iſt das Gebiet der Frau vom Hauſe in Bewegung gekommen. Weil ſie ge - ſtern um zwey Uhr erſt zu Bette gegangen iſt, ſo ſteht ſie heute erſt zwiſchen zehn und eilf Uhr auf. Sie findet entweder ein paar Freundinnen vor ihrem Bette, die ihre Be - merkungen uͤber die Geſellſchaft von geſtern ihr mitzutheilen, die ihrigen zu hoͤren, ein Feſt131 fuͤr heute zu verabreden und andre Dinge mit ihr abzuthun haben; oder ſie findet auf einem Seitentiſch ein artiges Briefchen von einem alten Liebhaber, und ein paar Sendſchreiben von zwey neuen, die ſeit geſtern Abend an ih - rem Triumphwagen ziehen und ein Verzeich - niß ihrer Gefuͤhle und Wuͤnſche mittheilen; oder ſie ſpringt eiligſt aus dem Bette, ſchluͤpft in einen reißenden Morgenanzug, bindet ein blendend weißes indiſches Tuch um den Kopf, ſo daß kaum mehr als das blitzende Auge zu ſehen iſt, um eine Beſtellung im Saͤchſiſchen Garten nicht zu verfehlen; oder die Thuͤr des Schlafkabinets oͤffnet ſich leiſe, und der Be - guͤnſtigte tritt auf den Zehen herein, ſetzt ſich auf das Bett, ihr zu Fuͤßen, und erwar - tet, daß die Schlaͤferin erwache, die, zum Un - gluͤck, gerade in dem Augenblick, wo er her - eintrat, erſt recht tief eingeſchlafen iſt; oder ſie ſchellet um ihr Fruͤhſtuͤck, und befiehlt, die Leute herein zu laſſen, die im Vorzimmer ſind, worauf denn Kaufleute aller Art, von beydenJ 2132Geſchlechtern, mit neuen Waaren oder alten Rechnungen, Maler, Poeten, und ſchamhafte Arme, Wappenſtecher, Steinſchneider, fremde Virtuoſen, die zu Koncerten einladen, neu an - gekommene Haarkuͤnſtler aus Paris, Zahn - putzer und ſolche Subjecte hereintreten, ver - mengt mit bebaͤnderten und beſternten Herren, die durch die Frau auf den Mann zu wirken nicht verſchmaͤhen, mit Abbees, die Stoͤße von Zeitungen und Reichstagsverhandlungen vor - zuleſen bereit ſind, und mit Advocaten und Faciendenmachern, welche die Rechts - und Geldgeſchaͤfte der durchlauchtigen Frau zu be - ſorgen haben; oder ferner: ſie hat einem Fruͤh - ſtuͤck in der Stadt, in Mokatow, in Marie - mont beyzuwohnen, das ſie nicht verſaͤumen darf; oder es iſt eine anziehende Sitzung des Reichstags, deren Ausgang ihr ſehr wichtig iſt; oder es iſt ein Pferdehaͤndler mit engliſchen Pferden angekommen, die ſie beſehen muß; oder endlich: es werden Truppen gemuſtert, es iſt eine Muſik in St. Johannes, es ſind133 neue Moͤbel bey Jaſchewiz oder Hampla angekommen alle dieſe Dinge beſorgt, genießt, hoͤrt, ſieht und beurtheilt ſie, mit einander, nach einander, durch einander, in Zerſtreuung oder mit Sammlung, in boͤſer oder guter Laune, mit Beyfall oder mit Ta - del, binnen Stunden oder Minuten, einzeln an verſchiedenen Vormittagen, oder an Einem alle, alle.

Dieſe Geſchaͤfte ſind bis gegen zwey oder drey Uhr abgethan; und dann macht ſie die große Toilette. Der Wagen faͤhrt vor und ſie ſteigt in demſelben hinauf. Der Vorreiter zwaͤngt die ungeduldigen Roſſe, der Kutſcher ſchwebt hoch in der Luft und ſchwingt die Peitſchenſchnur; die Bedienten ſchlagen die Kutſchenthuͤr zu, und auf ein Jez! (Fahre!) ſtiebt der Zug uͤber den Vorhof zum Thore hinaus, waͤhrend vier bis fuͤnf reiche Livreen, mit Lebensgefahr, ihre Stellen hinter dem Wa - gen einnehmen und, eine an die andere ge - klammert, in Maſſe von der rechten zur lin - ken ſchwanken.

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Oder ſie ſpeiſ't auch zu Hauſe auf ihrem Zimmer; oder ſie giebt auch ein großes Mit - tagseſſen. Jm letztern Falle ſchießen die Wa - gen in ihren Pallaſt herein, wie der ihrige in andre hineinzuſchießen pflegt; die Fenſter des großen Saales und der große Balkon ſind of - fen, und vor demſelben ſtehen bunte Gruppen von Herren und Damen, und bilden eine glaͤn - zende und reitzende Gallerie, die in den Au - genblick durch den Jnhalt des neuangekomme - nen Wagens vermehrt wird.

Waͤhrend dieß alles in den Wohnungen des Herrn und der Frau vorgegangen iſt, ſind die Kinder nicht muͤßig geweſen. Jn den Zim - mern der Tochter waren Sprach - Tanz - Kla - vier - und Zeichenmeiſter beſchaͤftigt, oder wur - den auch ſaͤmmtlich weggeſchickt, weil die Prin - zeſſin heute Kopfweh, oder auch nur zum Sticken Luft hatte; aus den Zimmern der Soͤhne erſchollen ſchneidende Geigen - oder zi - ſchende Floͤtentoͤne, vermengt mit dem Geklirr der Rappiere, oder dem Geſcharre der Polo -135 noiſe, oder dem Jauchzen von einem hal - ben Dutzend junger Leute, die ſich herum - balgten, herumjagten und Tiſche und Stuͤhle uͤbereinander warfen. Durch dieß Getoͤſe her ließ ſich die bittende, oder drohende, oder gar fluchende Stimme der Hof - Fecht - und Tanz - meiſter vernehmen, die von einem lauten Ge - laͤchter begleitet wurde; waͤhrend unten im Hofe einige tatariſche Pferde, welche die Prin - zen und ihre Geſellſchafter und Bereiter auf einem Spatzierritte tragen ſollten, das Pfla - ſter zerſcharrten und zerſtampften und, durch Schlagen und Baͤumen, die Peitſchen und die rauhen Kehlen der Stallknechte in Bewegung ſetzten. Die junge Geſellſchaft war endlich die Treppe herunter geſtuͤrmt, hatte die Roſſe beſtiegen, und war zum Thore hinausgeſprengt. Darauf war endlich auch hier Ruhe geworden.

Sobald ſolchergeſtalt das Haus von der Herrſchaft geraͤumt iſt, ſetzen ſich die Zim - merputzer, die Stubenmaͤdchen, die Strußen in Bewegung, und ſaͤubern Hof, Treppen,136 Saͤle und Schlafzimmer. Die Strußen ſind eine Art von Hausknechten, aus der Hefe des Volks oder den leibeigenen Bauern des Herrn ausgehoben und zu den niedrigſten und ſchmutzigſten Dienſten des Hauſes beſtimmt. Sie heitzen die Oefen, kehren die Treppen, Flure und Vorhoͤfe, dienen in der Kuͤche zum Holz - und Waſſertragen, ſaͤubern die Staͤlle, warten den uͤbrigen Bedienten und Maͤgden auf ꝛc. Jhr Aeußeres entſpricht ihren Be - ſchaͤftigungen. Ein grober linnener Kittel mit breiten Streifen, auf welchem von jeder ihrer Verrichtungen ein eigenthuͤmlicher Fleck zu haften pflegt, iſt ihre Kleidung im Sommer; ein durchloͤcherter, abgeſchabter, ſteifgeworde - ner Schafspelz, im Winter. Jn beyden Jah - reszeiten gehen ſie mit bloßem Kopfe, der, bis auf ein paar Zoͤpfchen auf dem Wirbel, kahl abgeſchoren iſt. Die Faulheit des Kochs, der Bedienten und Maͤgde, macht, daß ſie oft auch anſtaͤndigere Dienſte verrichten, z. B. Fleiſch, Gemuͤſe, Sallat, Teller und Glaͤſer137 an dem Brunnen waſchen, die Kleider des Herrn auspochen, das niedliche Schlafgemach der Frau in Ordnung bringen: alles mit den - ſelben Haͤnden, in demſelben Kittel oder Pelze, in denſelben bloßen, oder mit Fetzen umwun - denen Fuͤßen, eben ſo ungewaſchen und unge - kaͤmmt, wie ſie im Stalle, vor den Oefen, im Straßenkothe beſchaͤftigt ſind.

Solcher Feinde aller Sauberkeit findet man in jedem großen Hauſe ſechs bis acht; und ſie ſind ſich ihrer Umgebungen ſo wenig bewußt, daß ſie, bey ihren Beſchaͤftigungen, durch die Verſammlungen in den Vorzimmern ohne Arg durchdringen und, wie man denken kann, uͤberall gebahnten Weg finden. Gewoͤhnlich ſind ſie gegen zehn Uhr des Morgens ſchon be - trunken, und die Fehler, die ſie in dieſem Zu - ſtande begehen, werden von dem erſten dem beſten beſtraft, der ſich die Muͤhe nehmen will, ſie zu zuͤchtigen, vom Stallknecht an, bis zum Marſchall. Zuweilen liegen ſie, ihrer Sinne beraubt, ſtundenlang in einem Winkel des Pal -138 laſtes, oder eines Vorſaals, ohne daß jemand ſie wegſchaft, weil keiner ſeine Haͤnde an ih - nen verunreinigen will.

Die uͤbrigen Bedienten gehen unterdeß, bis auf einen oder zwey, welche die Wache haben, ein jeder ſeinen Weg: in die Speiſe - Trink - und Spielhaͤuſer die maͤnnlichen; in die Meſſe, zu Beſtellungen und zu Beſuchen, die weibli - chen. Die Schreiber, Hofmeiſter, Hausver - walter entfernen ſich, jeder in ſeinen Geſchaͤf - ten und zu ſeinen Vergnuͤgungen, und laſſen ſich nicht eher wieder ſehen, als um die Zeit, wo ſie die Zuruͤckkunft der Herrſchaft wiſſen oder vermuthen, oft auch erſt den andern Morgen. Unterdeſſen erfaͤhrt kein Fremder, kein Hausfreund, kein Geſchaͤftsha - ber ein Wort von der Herrſchaft, wenn er ihr Beſuche zu machen, wichtige Dinge mit ihr abzuthun, oder ihr dringende Berichte mitzu - theilen hat. Die zuruͤckgebliebenen Bedienten wiſſen nicht, wo ſie iſt, und wenn ſie es auch wiſſen, ſo ſind ſie meiſt immer unfaͤhig, ſich139 deutlich zu machen, weil ſie ſich bey dem ge - meinſten Getraͤnke die lange Weile der Wache zu vertreiben, und zu dem hoͤchſten Grad ih - res irdiſchen Gluͤckes durch Betaͤubung und todesaͤhnlichen Schlaf zu erheben pflegen. Ue - berdieß iſt es in Warſchau Sitte, Kutſcher und Bediente nicht nach Hauſe zuruͤckzuſchicken, ſondern jedesmal auf ſich warten zu laſſen, waͤren es auch im haͤrteſten Winter mehrere Stunden. Oft ſogar, wenn man Wagen und Pferde des Geſuchten irgendwo vor einem Pal - laſte halten ſieht, iſt es noch kein Beweis, daß er wirklich dort ſey. Er iſt wohl mit einem Andern, in deſſen Wagen, anders wohin ge - fahren, oder er hat den ſeinigen einem Andern geborgt, und dieſer iſt jetzt hier; mit einem Worte, man kann ſelbſt ſtundenlang umher - fahren, ohne zu finden, was man ſucht. Dazu koͤmmt, daß die Bedienten, wenn ſie meynen, ihr Herr oder ihre Frau werde an einem Orte, z. B. am Reichstage, in der Komoͤdie, auf einem Ball, lange bleiben, in das naͤchſte140 Wirthshaus gehen, hinter dem Kruge, oder den Karten, foͤrmlich Platz nehmen, und ſich ſo lange um nichts bekuͤmmern, als bis ſie ungefaͤhr vermuthen, daß man ihrer beduͤrfen koͤnne. Auch der Kutſcher ſteigt von Zeit zu Zeit von ſeinem Bock herab und thut in eben dem Wirthshauſe Beſcheid. So kommt es nicht nur, daß man ſich bey dieſen auch keine Auskunft verſchaffen kann, weil man ihre Schlupfwinkel nicht weiß, ſondern auch, daß die Herrſchaft ſelbſt, wenn ſie fruͤher erſcheint, als man vermuthet hat, warten und andre Bediente durch ein Trinkgeld vermoͤgen muß, die ihrigen aufzuſuchen. Dieß iſt eine Unbe - quemlichkeit, die ſich in andern großen Staͤd - ten auch findet, aber nicht in dem Maße, als in Warſchau, wo ſie gerade aus zu großer Bequemlichkeit entſteht.

Die Pferde, die ſchoͤnſten Kreaturen, die man ſehen kann, wenn ſie auch mehrere hundert Duka - ten gekoſtet haben, ſtehen zu ſechs bis acht Stun - den, bey der ſtrengſten Kaͤlte, in freyer Luft, und141 werden dadurch in kurzer Zeit ſteif, mager und unbrauchbar, und dieß um ſo eher, da ſie gleich darauf, durch das uͤbertriebene Jagen, welches hier gewoͤhnlich iſt, in den entgegenge - ſetzten Zuſtand von Anſtrengung und Erhitzung uͤberzugehen gezwungen ſind. Aber es iſt hier ein Zeichen der Pracht, oft andre Pferde zu brauchen. Man bedeckt ſie zwar, um einen andern Lurus zu zeigen, mit den ſchoͤnſten Ue - berwuͤrfen vom feinſten engliſchen Wollenzeuge, oder mit koſtbaren Fellen, ſo wie man die Kutſcher in lange, ſchleppende Pelzroͤcke, und die Bedienten in dicke Wolfshaͤute kleidet; aber die aͤußern Theile Aller leiden darum doch, und erfrorene Fuͤße, Haͤnde und Naſen ſind bey den Menſchen, wie bey den Pferden er - frorene Ruͤſtern und Ohren, im Winter ganz gewoͤhnliche Dinge. Jndeſſen denkt man nichts dabey, als daß die Menſchen geheilt und die Pferde ausgemuſtert werden muͤſſen.

Die Mittagsſtunde, welche zerſtreuete Fa - milien anderwaͤrts wieder zuſammenfuͤhrt, und142 die in Warſchau zwiſchen drey und vier Uhr eintritt, bewirkt dieß daſelbſt nicht. Man hat geſehen, daß die Frau auswaͤrts, oder auf ih - rem Zimmer allein, oder in großer Geſell - ſchaft, die ſie ſich gebeten hat, eſſen kann, ohne daß der Herr es weiß, oder, wenn er es weiß, daß er ſich daran bindet. Jſt er auf dem Reichstage, und werden gerade Dinge verhandelt, die ihm und ſeiner Partey wichtig ſind, ſo muß er den Ausgang abwarten, und ſollte es bis an den Abend dauern. Jn dieſem Fall ißt er entweder gar nicht, oder er faͤhrt auf einige Minuten in ein Speiſehaus, oder zu einem Freund, dem die Verhandlung nicht ſo wichtig iſt, und der zu Hauſe angerichtet findet; oder er laͤßt ſich einen Becher Schoko - late in das Vorzimmer des Reichstagsſaales bringen, und kehrt ſodann in denſelben zuruͤck. Jſt er bey ſeinem unterhaltenen Maͤdchen, und gefaͤllt es ihm gerade bey ihr, ſo liefert das naͤchſte Speiſehaus fuͤr ihn und fuͤr ſie das Mittagsmahl; iſt er bey ſeiner Freundin,143 und dieſe hat ſich nicht anders wohin verſagt, ſo bleibt er bey dieſer zu Mittage. Hat er ei - nen Spatzierritt außerhalb der Stadt gethan, und das Wetter iſt ſchoͤn, ſo findet er ſein Mittagseſſen in Wola, in Mariemont, oder in Villanow; mit einem Worte, er bleibt, wo es ihm gefaͤllt und er hat keinen dringen - den Grund, gerade deshalb ſeinen eigenen Tiſch aufzuſuchen. Eben ſo iſt es mit ſeinen Kindern. Hat dieſe ihr Spatzierritt nach La - zienka gefuͤhrt, ſo eſſen ſie dort; haben ſie in der Stadt, oder auf einem Landhauſe, einem Verwandten oder einer Verwandtin einen Beſuch gemacht, ſo bleiben ſie mit ihrer ganzen Geſell - ſchaft bey dieſen; finden ſie irgend eine andre Luſt - partie, die ihnen behagt, ſo nehmen ſie ohne Be - denken Theil daran, und ſie moͤgen um drey, ſechs, zehn oder zwoͤlf Uhr erſt zuruͤckkommen, ſo verſchlaͤgt dieß dem Reſte der Familie nichts, wenn man nur weiß, daß ihre Hof - oder Stallmeiſter bey ihnen ſind. Am regelmaͤßig - ſten lebt noch die Tochter, die, da ſie noch144 nicht in den Jahren iſt, wo ſie mit der Mut - ter die große Welt bewohnen, und allein, oder mit ihrer Hofmeiſterin, herumſchwaͤrmen kann, den groͤßeſten Theil des Tages zu Hauſe bleibt und hoͤchſtens nach Tiſche zu einer Freundin ihres Alters, oder in den Saͤchſiſchen Garten, oder in das Schauſpiel, oder auf einen Kin - derball faͤhrt. Der Fall iſt nicht ſelten, daß man, wenn niemand zu Hauſe ißt, ihr Mit - tagsmahl aus dem naͤchſten Speiſehauſe kom - men laͤßt. So vergehen oft drey Tage, und ſie hat weder Mutter, noch Vater, noch Bruͤ - der geſehen, wie ſie auch dieſen nicht zu Ge - ſichte gekommen iſt. Oft aber trift die ganze Familie an einem dritten Orte zuſammen, ohne daß einer den andern erwartet hat. Liegt es dem Gemal zuweilen daran, zu wiſ - ſen, wo die Gemalin iſt, ſo erkundigt er ſich ohne Bedenken bey ihrem dermaligen Freund, und er erhaͤlt ſichere Nachricht; ein gleiches thut, mit gleicher Ruhe, die Gemalin bey der Freundin ihres Gemals, und oft trift es ſich,daß145daß ſie ſich bey der Gemalin ihres Freundes nach ihrem Gemal, und dieſer ſich bey dem Gemal ſeiner Freundin nach ſeiner Gemalin erkundigt hatte. Dieſe Freyheit hat man und giebt man hier.

Der Nachmittag, deſſen erſte Haͤlfte als Morgen verbraucht worden iſt, geht waͤhrend der Mittagstafel voruͤber, und des Winters findet die anbrechende Nacht die Gaͤſte noch an derſelben. Auf ſie folgt das Schauſpiel, das zwiſchen ſechs und ſieben Uhr ſeinen An - fang nimmt, das aber verſaͤumt werden muß, wenn man etwas ſpaͤter, als gewoͤhnlich, zu Tiſche gegangen iſt, oder laͤnger an demſelben bleibt, was man beſonders auf biſchoͤflichen Schmauſereyen nicht vermeiden kann. Dage - gen giebt ein anderes Haus eine Muſik um acht Uhr, ein drittes große Geſellſchaft und Spiel, und ein viertes eroͤffnet ein Privat - theater um eben dieſe Zeit. Die Genießer haben die Wahl unter dieſen drey Zufluchts - oͤrtern; und ſo waͤhlt denn der Fuͤrſt das Ge -Zweites Heft. K146ſellſchaftstheater, und die Fuͤrſtin die Muſik, waͤhrend die Prinzen und die Prinzeſſin das Schauſpielhaus beſuchen. Die große Geſell - ſchaft mit Spiel wird dieſen Abend ungenutzt vorbeygelaſſen, aber nicht ſo ein Pickenick, das man noch, wenigſtens zur Haͤlfte, ge - nießen kann, wenn jene andre Luſtbarkeiten zu Ende ſind. Die Fuͤrſtin beſucht es dann noch und bleibt bis zu deſſen Schluſſe, das heißt, bis zwey oder drey Uhr des Morgens; der Fuͤrſt genießt nur einen Theil davon, weil er zu einem Abendeſſen eingeladen iſt, zu welchem er ſich um zehn oder eilf Uhr einfindet und welches bis um zwey Uhr dauert. Jſt es im Faſching, ſo bringt einer von der Tiſchgeſell - ſchaft in Vorſchlag, daß man noch die Re - doute beſuchen muͤſſe, und dieß geſchieht. Der juͤngere und ſchoͤnere Theil des erwaͤhnten Picke - nicks hat denſelben Einfall gehabt, und ſo fin - den ſich Gemal und Gemalin noch einmal zu - ſammen, aber beyde nicht ohne Begleiter und Begleiterin am Arme, vermummt oder nicht147 vermummt, erkannt oder nicht erkannt, auf keinem Fall aber zuſammen haltend. Um ſie herum ſpringen von Zeit zu Zeit ein paar Teufelchen mit langen Schweifen, und ein al - ter Teufel mit ungeheuren Hoͤrnern. Dieß ſind die Prinzen und einer ihrer Hofmeiſter. An dieſe ſchließt ſich, in Begleitung einer al - ten haͤßlichen Baͤuerin, ein niedliches Bauer - maͤdchen, das mit reizender Unbefangenheit Blumen austheilt dieſe iſt die Prinzeſſin und jene ihre Hofmeiſterin. Man bleibt eine kleine oder groͤßere Weile dort, und faͤhrt end - lich, je nachdem ſich die einzelnen Glieder der Familie mehr oder weniger beluſtigen, fruͤher oder ſpaͤter, aber immer einzela, und ſelten vor Anbruch des Tages, nach Hauſe und legt ſich ſchlafen, um zu einem aͤhnlichen Tage wie - der zu erwachen.

Jch bin verbunden einzelne Zuͤge dieſes Gemaͤldes, die unverſtaͤndlich ſeyn koͤnnten, weiter auszufuͤhren.

K 2148

Die Anzahl der Familien vom Adel, welche die groͤßeſten Strecken des flachen Landes und die meiſten Ehrenſtellen und Wuͤrden des Staats unter einander getheilt haben, belaͤuft ſich vielleicht kaum auf hundert in ganz Po - len. Unter dieſen giebt es wiederum ungefaͤhr dreyßig, die durch ihren Reichthum und durch ihre, uͤber jede Woiwodſchaft verbreiteten, Be - ſitzthuͤmer, die Stimmen und Perſonen der geringern Edelleute, eben ſo gewiß, als die Gunſt oder Nachgiebigkeit des Koͤnigs, die Bereitwilligkeit der auswaͤrtigen vermoͤgenden Miniſter, die Anhaͤnglichkeit bedeutender Fa - milien, und, durch das alles, einen ſiegenden Einfluß in den Geſchaͤften der Republik, ſich zu verſchaffen verſtehen. Zu dieſen letztern ge - hoͤren die Czartoriski, Potocki, Branicki, Rzewuski, Czetwertinski, Soltyk, Sapieha, Malachowski, Oginski, Czacki, Radzivil, Lu - bomirski, Maſſalski, Mosſtowski u. a. ; Na - men, die von jeher, theils ihres Reichthums, theils ihrer Wuͤrden, theils ihres Einſtuſſes in149 den Staatsgeſchaͤften, bey ruhigen und unru - higen Zeiten, theils ihrer Weisheit, Klugheit und Gelehrſamkeit, theils ihrer Thorheit, Sittenloſigkeit, Seltſamkeit und Barbarey wegen, vor allen andern beruͤhmt und beruͤch - tigt geweſen ſind. Es iſt eine Freude fuͤr den Beobachter der Menſchen und ihrer Sitten, ſagen zu koͤnuen, daß die Enkel dieſer Fami - lien, die jetzt noch bluͤhen, weniger dieſer letz - tern Untugenden wegen getadelt, als jener er - ſten Tugenden wegen, geruͤhmt zu werden ver - dienen. Jndeſſen iſt nicht zu leugnen, daß ſich ihm in manchen Dingen noch ziemlich merk - bare Spuren von der altpolniſchen Art zu ſeyn, verrathen, und daß das, was an feine - rer Ausbildung des Geiſtes, an groͤßerer Mil - digkeit der Sitten, an Menſchlichkeit, an ver - minderter Selbſtſucht und an Ordnungsgefuͤhl bey den neuern Polen in die Augen faͤllt, mehr derjenigen Aufklaͤrung zugeſchrieben werden muß, die aus der Gewohnheit des Tages, aus der Nachahmungsſucht und aus dem Luxus,150 als aus derjenigen hervorgeht, die ſeit langen Jahren in den Sitten, dem Charakter und der politiſchen Verfaſſung eines Volkes befe - ſtigt iſt, und durch Grundſaͤtze, die zu natuͤr - lichem Gefuͤhle geworden ſind, unterhalten und erweitert wird.

Der verfaſſungsmaͤßige Grundſatz: es ſey unter der Wuͤrde eines polniſchen Edelmanns, ſich um ſeine Land - Haus - Geld - Erwerbs - und Handelsgeſchaͤfte perſoͤnlich zu bekuͤmmern und ſich gruͤndlich davon zu unterrichten, iſt die Haupturſache des unvollkommenen Anbaues der Laͤnder und deren geringern Ertrages, der Unordnungen in der Bewirthſchaftung, der Verkehrtheiten im Haushalt und im Vertrieb der Erzeugniſſe, der Betruͤgereyen von Seiten der Aufſeher, Verwalter und Pachter, und endlich des ſchwankenden Finanzſyſtems der polniſchen Haͤuſer uͤberhaupt, wodurch der ei - gentliche Vermoͤgensbeſtand, auch des Reichſten, ſo zweifelhaft wird, daß nicht einmal der Herr ſelbſt, vielweniger die Geſchaͤftsleute, die ſich151 mit demſelben einlaſſen ſollen, ſich feſte Anga - ben daruͤber verſchaffen koͤnnen.

Der geſammte Feldbau wird durch leibei - gene Bauern betrieben, mithin, trotz der un - freundlichen Aufſicht dabey, nachlaͤßig, ohne Einheit, ohne Einſicht, nach alter unvollkom - mener Gewohnheit. Die Kommiſſarien und Verwalter, die der Herr uͤber ſeine Guͤter ſetzt, thun ihre Pflicht wie Miethlinge, das heißt, nur ſo weit, als es ihre Bequemlichkeit und ihr Eigennutz zulaſſen. Einen großen Theil ihrer Obliegenheiten uͤbertragen ſie, weil ſie doch auch meiſt Edelleute ſind, die ihren Adel nicht herabſetzen wollen, wiederum nie - drigern Schreibern und Voͤgten, und dieſe, gerade wie ſie, den Schulzen, Oberbauern, oder Großknechten der einzelnen Dorfſchaften, die zu den Guͤtern gehoͤren. Dieſe Leute thun bey der Beſorgung der Aecker, Wieſen, Vieh - zucht und der geſammten laͤndlichen Arbeiten noch am erſten ihre Pflicht, aber oft auf die empoͤrendſte Weiſe. Das Gefuͤhl, uͤber etwas152 geſetzt, und nicht ſo oft dem Kantſchu unter - worfen zu ſeyn, als ihre Mitbauern, theilt ihnen einen ſklavenhaften Hochmuth mit, den ſie jenen auf das haͤrteſte fuͤhlen laſſen, und der ſie den Unterthanen noch verhaßter macht, als ihre eigentlichen Vorgeſetzten, deren Druck ihnen bey weiten nicht ſo ſchwer daͤucht, da ſie einmal gewohnt ſind, ſie fuͤr Weſen hoͤhe - rer Art anzuſehen. Eben dieſe Leute werden oft mit anſehnlichen Ladungen von Getreide, Hanf, Unſchlitt, Honig, Haͤuten, Holz ꝛc. zu Lande oder zu Waſſer abgeſchickt, um ſie zu verkaufen. Jhr Mangel an Vorſicht und Klugheit bewirkt, daß die Kaufleute, denen ſie in die Haͤnde fallen, leichtes Spiel mit ih - ren Waaren und dem dafuͤr zu zahlenden Preiſe haben. Der gewoͤhnlichſte Kunſtgriff iſt, daß man ſie betrunken macht, und mit ihnen in dieſem Zuſtande das Geſchaͤft ab - ſchließt. Oft bringen ſie auch, waͤhrend deſſel - ben, einen Theil der Kaufſumme durch, oder laſſen ſich beſtehlen, und bezahlen dann zu153 Hauſe mit dem Ruͤcken. Aber ſelbſt die Kom - miſſarien machen es wenig beſſer, und die Kaufleute nutzen auch bey ihnen ihre Kunſt - griffe mit Gluͤck. Sie laſſen ſich geradezu be - ſtechen, geben, fuͤr ein verhaͤltnißmaͤßiges Ge - ſchenk, die Waaren ihres Herrn unter dem gewoͤhnlichen Preiſe weg, und beweiſen ihm dann mit den Rechnungen der Kaufleute, die verabredet ſind, daß ſie nur ſo viel und nicht mehr gegolten haben. Da ſie gewoͤhnlich be - vollmaͤchtigt ſind, andre Waaren dafuͤr zuruͤck - zubringen, ſo hat auch noch an dieſen der Kaufmann doppelten Gewinn und der Edel - mann doppelten Schaden. Die Edelleute der mittleren Klaſſe, die ſich zuweilen herablaſſen, ihre Erzeugniſſe nach einem Handelsorte zu bringen, machen nicht immer beſſere Geſchaͤfte. Mangel an Erfahrung, Trunk, Spiel und Haͤndelſucht bewirken nicht ſelten, daß ſie ohne Geld, aber auch ohne Waaren, aus Thoren, Danzig, Breslau, Warſchau, Riga und Li - bau nach ihren Guͤtern zuruͤckkehren.

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Es iſt Grundſatz bey den großen polniſchen Haͤuſern, in ſo vielen Woiwodſchaften, als moͤglich, Guͤter anzukaufen, um in ſo vielen, als moͤglich, Einfluß auf den Landtagen, bey Beſetzung der Landaͤmter, bey der Wahl der Reichsboten, zu ihrem Vortheile ſowohl als zum Vortheil ihrer Anhaͤnger und Verwand - ten, ſich zu verſchaffen. Da aber nicht jede Provinz von Polen gleiche Bequemlichkeit zur Ausfuhr ihrer Erzeugniſſe hat, da die angraͤn - zenden Laͤnder derſelben mehr oder weniger beduͤrftig ſind, ſie mithin hoͤher oder niedriger bezahlen; da die Auflagen und Einfuhrgefaͤlle in dem einen benachbarten Staate hoͤher oder niedriger ſind, als in dem andern: ſo liegt hierin ein neuer Grund, warum ſie nicht zu einer beſtimmten Ueberſicht ihrer Beſitzungen und deren Ertrages gelangen koͤnnen. Haͤtten ſie auch einen Maßſtab fuͤr ihre Guͤter in der einen Provinz, ſo paßt dieſer nicht auf ihre Beſitzlichkeiten in andern, und einige davon liegen oft ſo entfernt von ihrem eigentlichen155 Wohnſitze, daß ſie nur binnen Jahren ſie ein - mal beſuchen und ſich, wenn ſie uͤberhaupt darauf fallen, von ihrem Zuſtande unterrich - ten koͤnnen. Viele ihrer Kommiſſarien und Pachter lernen ſie kaum perſoͤnlich kennen, und doch drehet ſich um die Treue und Wachſamkeit dieſer Leute ihr ganzes oͤkonomi - ſches Daſeyn und die Aufrechterhaltung ihrer Guͤter. Man hat mir von einem Großen er - zaͤhlt, der ihrer ſehr anſehnliche in Podolien und Braclaw beſaß. Zu drey oder vier der - ſelben ſollten große Schloͤſſer gehoͤren. Er lebte, nach gewoͤhnlicher Sitte, entweder in Warſchau oder in fremden Laͤndern, und war nie nach ſeinen Guͤtern gekommen, wo ſeine Geſchaͤftshaber und Pachter, einer nach dem andern, auch nach ihrer Sitte, hausgehalten hatten. Seine Verſchwendung zerruͤttete end - lich ſein Vermoͤgen, und er war gedrungen, dieſe Guͤter zu verkaufen. Die Schloͤſſer ſtan - den auch mit im Verkaufs - Verzeichniſſe. Der Kaͤufer reiſete hinaus, um die Guͤter zu beſe -156 hen, und fand zwar ſie, aber nicht die Schloͤſ - ſer. Auf ſeine Erkundigung zeigte man ihm gewiſſe Plaͤtze, wo ehedem, nach den Truͤm - mern zu urtheilen, Schloͤſſer geſtanden haben konnten, und ein ſehr alter Bauer verſicherte ihm, daß er noch die Steine des Einen habe wegfahren helfen, um auf einem andern Gute einen Viehſtall davon zu erbauen. Von dem allen wußte der gegenwaͤrtige Beſitzer nichts, und wahrſcheinlich hatte ſchon ſein Vater nichts davon gewußt, der vielleicht bloß nach jenem Jnventarium, das ſich noch in der Familie fand, den Ankauf abgeſchloſſen. Noch ſeltſa - mer, und, alle Umſtaͤnde berechnet, nicht un - wahrſcheinlich waͤre es, wenn ſich in den Rech - nungen der Kommiſſarien Angaben fuͤr die Unterhaltung und Ausbeſſerung der Schloͤſſer, die nicht vorhanden waren, gefunden haben ſollten.

So kommt es, daß ein großer Theil der Landſitze in Polen, die nicht unausgeſetzt be - wohnt werden, verfallen und leer da ſtehen. 157Sonſt geben viele davon einen guten Anblick, ſind groß und haben meiſt weitlaͤufige gaͤrtne - riſche Anlagen; koͤmmt man aber naͤher, ſo ſieht man hohes Gras auf den Hoͤfen, die Fenſter vernagelt, und die Gaͤrten zu einer Haide verwildert. Will der Beſitzer ja einmal eine Weile auf denſelben wohnen, ſo wird nur ſo viel Platz, als er nothduͤrftig zur Unterkunft braucht, eiligſt vorgerichtet, und man ſorgt, daß er wenigſtens vor Wind und Wetter geſchuͤtzt iſt, ſo lange er da bleibt; das uͤbrige, als Betten, Tiſch - Kuͤchen - und Stallgeraͤth bringt er jedesmal mit, weil er weiß, daß er dort dergleichen nicht findet. Aber auch die Schloͤſſer, die man den groͤße - ſten Theil des Jahres bewohnt, ſind gemei - niglich ſchlecht unterhalten und armſelig moͤ - blirt, und man muß darin nicht den Glanz und Geſchmack finden wollen, die in vielen Pallaͤſten, oft von denſelben Familien, in Warſchau ſo uͤppig angebracht ſind. Der Schmutz, den man immer noch, nicht mit158 Unrecht, den Haushaltungen der Polen zur Laſt legt, iſt beſonders in ihrem Landleben ſichtbar; und kein Wunder, da hier ihre Magd - und Knechtſchaft meiſt aus leibeigenen Bauerburſchen und Maͤdchen beſteht, welche die Nothwendigkeit des Waſchens, Scheurens und Aufraͤumens kaum ahnen. Jn Warſchau finden ſie Bequemlichkeiten und feinere Dienſt - leiſtungen aller Art fuͤr Geld, aber auf dem Lande finden ſie weder die Begriffe davon, noch die Geſchicklichkeit dazu. Wenn indeſſen ihnen hier alles fehlt, ſo haben ſie gewiß keinen Mangel an Wein, engliſchem Bier, gebrann - ten Waſſern und andern fremden - und Trinkwaaren, die ſie ſelbſt in großer Menge verbrauchen, und ihren Gaͤſten in Fuͤlle und mit der aufrichtigſten Gaſtfreundſchaft vor - ſetzen.

Doch je naͤher dieſe Landſitze an Warſchau liegen, deſto ſeltener findet man ſolche Unord - nungen in denſelben. Mehrere der groͤßern Familien unterhalten dergleichen um jene159 Stadt, die Geſchmack, Bequemlichkeit und Pracht in einem hohen Grade vereinigen.

Alle bisher aufgeſtellte Angaben, die Land - wirthſchaft und die Haushaltung betreffend, beweiſen, daß es den polniſchen Edelleuten, beſonders den groͤßern darunter, unmoͤglich iſt, einen beſtimmten Anſchlag uͤber den Ertrag ihrer Beſitzlichkeiten und mithin ihrer Ein - kuͤnfte zu machen. Daher greifen ſie auch, bei ihren Ausgaben, eben ſo unbeſtimmt und planlos in ihre Kaſſen. Wenn es ihnen an baarem Gelde fehlt, ſo wiſſen ſie nie gewiß, ob es ihnen uͤberhaupt auf immer, oder nur einer augenblicklichen Stockung wegen, abgeht; aber deſto beſtimmter ſetzen die Geſchaͤftsleute, bei denen ſie Summen aufnehmen wollen, voraus, daß ſie unſicher ſind, und ſehen ſich dem gemaͤß, ſowohl in Abſicht der Sicherheit ihres Kapitals, als des Betrags der Zinſen, kluͤglich vor. Letztre ſind in Polen an ſich ſchon hoͤher, als anderwaͤrts, und ſie ſind beſonders wegen der unbeſtimmten Kreditge -160 ſetze, und wegen des langſamen, koſtbaren, in der Ausuͤbung ohnmaͤchtigen, Rechtsganges, der noch dazu ausſchließend in den Haͤnden der Edelleute iſt, ſo hoch geſtiegen. So koͤmmt es, daß die polniſchen Geſchaͤftsleute ungefaͤhr das Syſtem befolgen, welches die juͤdiſchen und chriſtlichen Wucherer in manchen großen Staͤdten bei jungen Wuͤſtlingen fuͤr das ſicher - ſte halten: ſie ziehen bei der Auszahlung der darzuleihenden Summe ſchon die hohen Zin - ſen ab, nehmen ſodann noch ein betraͤchtliches Geſchenk fuͤr die Muͤhe, die ſie ſich gegeben haben wollen, um dieſe Summe von einem Freunde herbei zu ſchaffen, und treffen uͤber - haupt ſolche Maßregeln, daß ſie nichts oder wenig verlieren, wenn das Kapital nicht zuruͤck gezahlt wird, aber ausſchweifend gewinnen, wenn es wieder einlaͤuft. Gelingt es ihnen aber vollends mit mehreren großen Haͤuſern jene Verbindungen einzugehen, deren ich vor - hin erwaͤhnt habe, vermoͤge deren ſie ihre Einnahmen und Ausgaben, gleichſam auf demFuße161Fuße einer Girobank, beſorgen: ſo iſt ihr Gewinn deſto ſtaͤrker und ſicherer, indem ſie aus ihren Buͤchern ſehen koͤnnen, wie viel oder wie wenig, ein Jahr in das andere ge - rechnet, die Beſitzlichkeiten ſolcher Familien eintragen. Daß ſie dieſe Kenntniß mehr zu ihrem als zu jener Vortheil benutzen, verſteht ſich von ſelbſt, und daher der ſchnelle Wachs - thum mancher Wechſelhaͤuſer in Warſchau, deren Beſitzer zum Theil von allen, nur nicht von Kopf, entbloͤßt, in Warſchau einge - wandert ſind.

Auf dieſes ſchwankende Finanzſyſtem bauen ſie ſodann ihre Art zu leben, ſie moͤgen ſich in Warſchau oder in fremden Laͤndern befin - den. Letzteres iſt bei den reichern polniſchen Familien ſehr haͤufig der Fall, und in der That hat auch keine Nation das Reiſen noͤthi - ger als die polniſche. Jhre Entfernung von den mehr verfeinerten europaͤiſchen Laͤndern; die Unmoͤglichkeit, ſich in ihrem eigenen Va - terlande von Dingen anſchaulich zu unterrich -Zweites Heft. L162ten, die in Buͤchern oder Erzaͤhlungen ihre Neu - und Wißbegierde gereizt haben; die Nothwendigkeit, ihre politiſchen Begriffe und Grundſaͤtze, durch Beobachtung anderer Ver - faſſungen, zu erweitern und zu berichtigen; die Verpflichtung uͤber Ackerbau, Manufak - turen und Handel, in Laͤndern, welche die hohe Schule derſelben ſind, Kenntniſſe einzu - ſammlen und nach ihrem Vaterlande zu ver - pflanzen; und das Beduͤrfniß, Gefuͤhl fuͤr die Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte eben ſo wohl, als fuͤr feinere Sitten und reineren Lebensgenuß, in ſich zu erwecken und zu naͤhren: dieſe Um - ſtaͤnde ſollten den Polen beſonders zum Reiſen dringen, und ſie ſind auch bei vielen die eigent - lichen Bewegungsgruͤnde dazu; aber bei den meiſten pflegen es Mangel an Beſchaͤftigung und die daraus entſtehende Unruhe, Mode - ſucht, Begierde es andern gleich zu thun, oder ſich vor ihnen auszuzeichnen, geſcheiterte poli - tiſche Entwuͤrfe, Unzufriedenheit mit der herr - ſchenden Parthey, Verfolgungen, Wunſch,163 ihre Geſundheit wieder herzuſtellen und an - dere Abſichten zu ſeyn, deren Erreichung weni - ger wohlthaͤtig iſt, als die vorhin angege - benen.

Die Art, wie die Polen gewoͤhnlich rei - ſen, iſt koſtbarer, als die bei allen andern Nationen uͤbliche. Die Franzoſen, Englaͤnder und Deutſchen reiſen mit einem moͤglichſt kleinen Gefolge; ſie reiſen mit gewiſſen wirth - ſchaftlichen Grundſaͤtzen, jeder nach ſeinem Stande und Vermoͤgen; gewohnt, von weni - gern Haͤnden bedient zu ſeyn, und uͤberzeugt, daß eine eigene Dienerſchaft, welche die frem - den Sprachen und Sitten nicht kennt, auf Reiſen fuͤr ſich ſelbſt eine Dienerſchaft braucht, behelfen ſie ſich meiſt mit gemietheten Leuten; Empfehlungen verſchaffen ihnen ohne Muͤhe uͤberall ſoviel Bekannte, als ſie beduͤrfen, und es faͤllt ihnen ſelten ein, ihren Gaſtfreunden, an Ort und Stelle ſelbſt, einen Erſatz fuͤr ihre Aufnahme zu geben; ſie wiſſen, daß es in der Fremde unendlich koſtbar iſt, durchL 2164Pracht und Aufwand ſich bemerkbar machen zu wollen, und daß es nicht minder eitel iſt; ſie brauchen nicht ſo viel Waaren zum Nutzen und zur Pracht in der Fremde einzukaufen, weil ſie dergleichen in ihrem eigenen Lande finden koͤnnen; und ſie haben endlich weniger Hang zum ſinnlichen Genuſſe, zum Wohlleben und zum Spiele, und wiſſen ſich mehr mit geiſtigen Dingen zu beſchaͤftigen und zu naͤh - ren, als die Polen, die ohne oͤkonomiſchen Ueberſchlag, ohne Geduld, ſich uͤber den Werth der Dinge zu unterrichten, mit einem zahl - reichen Gefolge polniſcher Geſellſchafter und Bedienten, ihre Reiſen antreten, meiſt ohne Empfehlungen ſich in fremden Staͤdten nieder - laſſen, foͤrmliche Haͤuſer machen, um Bekannt - ſchaften zu erhalten, die Sucht zu glaͤnzen und aufzufallen nach polniſcher Sitte befriedi - gen, Geſellſchaften, Spiel und Gaſtmahle geben und alles aufkaufen, was ſie noch nicht geſehen haben, oder nicht in Polen zu finden und doch zu brauchen glauben.

165

Unter dieſen Umſtaͤnden ſteigen gewoͤhn - lich bei ihnen nicht nur die unvermeidlichen Koſten des Reiſens, ſondern auch die zufaͤlli - gen, hoͤher. Alles, was mit ihnen zu thun hat, betruͤgt ſie, beſonders in den Laͤndern, deren Einwohner zum Theil auf den Beutel der Fremden angewieſen zu ſeyn ſcheinen: in der Schweiz, in Frankreich und vor allen in Jtalien. Da ſie uͤberdieß den Grundſaͤtzen einer mißverſtandenen Großmuth folgen und Betruͤger durch Verachtung beſchaͤmen wollen: ſo gelten ſie nicht bloß fuͤr ſehr reiche, ſondern auch fuͤr ſehr alberne, und ſehr verſchwende - riſche Leute, und ermuntern dadurch ſchlechte Gemuͤther, ihre ganze Erfindungskraft an ih - nen zu verſuchen. Es iſt unglaublich, was einem Polen, der nach ſeiner Art in Jtalien reiſet, fuͤr eine Summe Geldes aufgeht, und wie ſich die Poſthalter, die Poſtknechte, die Wirthe, die Lohnbedienten, die Kuppler, die Bilder -, Stein - und Muͤnzenhaͤndler an ihn ſetzen und um die Wette ausſaugen; und fuͤr166 das alles hat die Nation nichts gewonnen, als daß die Redensart far viaggio alla polacca von den Jtalienern gebraucht wird, wenn ſie einen Reiſenden bezeichnen wollen, der ſich von jedem auf die plumpeſte Art be - truͤgen laͤßt, und dabei bloß um zu eſſen, zu trinken, zu ſchlafen und liederlichen Weibern nachzurennen, ſeine Reiſe unternommen zu haben ſcheint.

Frankreich war von jeher das Lieblings - land der Polen. Sie ſchickten haͤufig ihre Kinder nach Straßburg, um in den Wiſſen - ſchaften, und ſodann nach Paris, um in den feinen Sitten Bildung zu erhalten. Sie ver - ſchrieben ſich von daher Lehrer aller Art, Wundaͤrzte, Kammerdiener, Friſeurs, Schnei - der, Putzmacherinnen ꝛc. und bevoͤlkerten da - mit das flache Land und die Staͤdte. Sie wohnten in franzoͤſiſch aufgeputzten Zimmern, ſchliefen in franzoͤſiſchen Betten, kleideten ſich in franzoͤſiſchen Stoffen und Tuͤchern. Da in ihrem Charakter mehrere Zuͤge ſind, die ſie167 mit den Franzoſen gemein haben, als eine ge - wiſſe Lebhaftigkeit und Heiterkeit des Geiſtes, viel Sinnlichkeit, viel Leichtſinn, viel feinen, aber weniger gruͤndlichen, Verſtand, Hang zum Wohlleben und zur Galanterie: ſo ſchmieg - ten ſie ſich um ſo leichter ihren Sitten an; und da ſie zugleich mit dieſen die Litteratur jener Nation kennen lernten, beſonders den Theil derſelben, der die große Welt naͤhrte, ſo nahm auch ihre wiſſenſchaftliche Bildung einen aͤhnlichen Gang, und die franzoͤſiſche Art, die Dinge anzuſehen und zu behandeln, ward die ihrige. Die Auswahl der Gegen - ſtaͤnde aus der Philoſophie der Schule und der Welt, die man fuͤr ſeine geiſtige und po - litiſche Haushaltung braucht, die Einſichten in der Religionslehre und in der Staatskun - de, und die Verſchlagenheit, das leichte Ge - wiſſen, die Vorſchnelligkeit und Unachtſamkeit in Fuͤhrung der oͤffentlichen Geſchaͤfte, ſind lauter Dinge, die man in Polen ganz auf franzoͤſiſchem Fuße wieder findet. Die Menge168 von Franzoſen, die ſich jetzt noch*)Jm May 1793. in Polen befinden, erhalten immerfort dieſe Vorliebe fuͤr ihr Volk. Es giebt wenig glaͤnzende Fa - milien, deren Mitglieder nicht nach und nach, in fruͤhern oder ſpaͤtern Jahren, laͤngere oder kuͤrzere Zeit, in Frankreich geweſen waͤren; es giebt einige, die ganz nach Frankreich ge - zogen ſind und dort leben; es fehlt ſogar nicht an ſolchen, die ihre Beſitzlichkeiten in Polen ganz verkauft und ſich dort als Staats - buͤrger niedergelaſſen haben.

Nach England gehen die Polen weder ſo haͤufig, noch auf ſo lange Zeit. Der Charak - ter der Englaͤnder ſagt dem ihrigen weniger zu, weil er nicht zuvorkommend, nicht mit - theilend gegen Fremde iſt, und weil der Zug von Nationalhochmuth in demſelben den eitlen Polen beleidigt. Dazu koͤmmt, daß dieſer, bei dem ausſchweifendſten Aufwande, unter den dortigen Verſchwendern ſich doch nicht169 auszeichnen, und daß er, trotz ſeinem Gelde, von dem dortigen gemeinen Volke doch keine Achtung, vielweniger die gewohnte Demuth und Unterwuͤrfigkeit, erlangen kann.

Die Schweiz und Jtalien ziehen ihn weit mehr an. Die Natur in dieſen beiden Laͤn - dern, iſt der Natur ſeines vaͤterlichen Bodens und Himmels ſo entgegengeſetzt, zeichnet ſich auf ſo mannigfache Weiſe vor denſelben aus, daß ſchon hierin eine große Quelle von Ver - gnuͤgen fuͤr ihn liegt. Jn Jtalien koͤmmt noch dies hinzu, daß er in den meiſten Staͤd - ten Adel findet, der diejenigen Fremden ſehr freundlich behandelt, die ihm in ihrem eigenen Gaſthofe zu eſſen geben; an ihn im Spiele verlieren; mit ſeinen Conversationi , bei bitterem Thee und matten sorbetti , zufrie - den ſind; bei ſeinen Kleider -, Bilder - und Uhrenlotterien fleißig Looſe nehmen; bei den von ihm empfohlenen Kuͤnſtlern, ohne zu han - deln, einkaufen; und endlich bei der Abreiſe, fuͤr alle dieſe gaſtfreundlichen Gefaͤlligkeiten,170 der Frau vom Hauſe noch ein feines Ge - ſchenk anzwingen. Dieſe Aufmerkſamkei - ten, die er ſich ſolchergeſtalt bei den Vorneh - men erkauft, und die erheuchelte Ehrfurcht, mit welcher ihm das Volk begegnet, um ihn deſto beſſer zu betruͤgen, tragen viel dazu bei, daß er ſich in Jtalien lieber, als in andern Laͤndern, verweilt. Am haͤufigſten findet man ihn aber in Venedig, Rom, Neapel und Florenz, wo er, da es ihm uͤberdies nicht an Geſchmack fuͤr die Kuͤnſte fehlt, ſich am laͤng - ſten aufzuhalten pflegt. Der groͤßeſte Theil der neuerlich ausgewanderten Patrioten, die Malachowski, Sapieha, Soltyk, Moſtowski, Sobolewski, u. a. befinden ſich jetzt in einer von dieſen Staͤdten. Eine Fuͤrſtin Lubomirs - ka und der aͤltere Neffe des Koͤnigs, Stanis - laus Poniatowski, leben ſchon ſeit mehreren Jahren in Rom.

Der merkwuͤrdigſte unter den neuern ge - reiſ'ten Polen iſt ein Graf Johann Po - tocki. Er hat eine Reihe von Jahren nach171 und nach in allen Laͤndern von Europa ge - lebt, und iſt in Frankreich, Jtalien, England und Spanien wie zu Hauſe; er hat die Tuͤr - key durchſtreift, und Arabien, Syrien und einen großen Theil von Perſien geſehen. Die Nachricht von der Revolution in ſeinem Va - terlande brachte ihn zur Zeit des Konſtitutions - reichstages dahin zuruͤck. Er hatte ſie in Marocko erhalten. Seine Kleidung war halb orientaliſch, halb polniſch. Da er den groͤße - ſten Theil der Oberflaͤche des Erdballs geſehen hatte, ſo wollte er ihn ſelbſt noch endlich un - ter ſeinen Fuͤßen ſehen. Als naͤmlich Blan - chard um jene Zeit mit ſeinem Luftball nach Warſchau kam, ſtieg er mit ihm, von dem Garten des Hofmarſchalls Mniczech aus, uͤber die Erde empor. Er nahm ſeine gewoͤhnlichen Reiſegefaͤhrten, einen wohlbeleibten Tuͤrken und einen weißen roͤmiſchen Pudel, mit in die Luft, und flog von Warſchau nach Wola, wo er wohlbehalten ankam.

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Er iſt uͤbrigens ein Mann von einem ſonderbaren, aber liebenswuͤrdigen Charakter, der Gelehrſamkeit und Kuͤnſte ſehr ſchaͤtzt, auch ſelbſt ein Buch uͤber die polniſche Ge - ſchichte in franzoͤſiſcher Sprache geſchrieben hat. Er vermaͤhlte ſich bei ſeiner letzten Zu - ruͤckkunft, mit der beruͤhmten, hoͤchſt reizenden Prinzeſſin, Julie Lubomirſka, und ſchien ſeinen unſtaͤten Geiſt dadurch feſſeln zu wol - len. Die Aufhebung der neuen Konſtitution entfernte ihn abermals aus ſeinem Vaterlan - de, und da bald nachher ſeine Gemahlin ge - ſtorben iſt, ſo wird er wahrſcheinlich eine neue Wanderung angetreten haben. Es fehlt mir aber an neuern Nachrichten von ihm.

Jm Ganzen genommen nutzen die Polen ihre haͤufigen Reiſen ſo gut, als irgend eine andre Nation, aber nur fuͤr gewiſſe Faͤcher. Sie lernen die Sprachen der fremden Laͤnder mit großer Leichtigkeit, und ſprechen ſie mit Anmuth und Richtigkeit; ſie ſchmiegen ſich fremden Sitten mit Gewandtheit an, und173 ihre Manieren erhalten in einem hohen Grade jene Abgeſchliffenheit, die den Mann von Welt und gutem Tone verraͤth, und die bei ihnen um ſo angenehmer wirkt, da ihnen die Natur meiſt mit einem regelmaͤßigen, geſchmei - digen Wuchs und einer feinen, edlen Geſichts - bildung zu Huͤlfe gekommen iſt; ſie erwerben ſich einen feinen Geſchmack in den Kuͤnſten und manche angenehme Kenntniß fuͤr Unter - haltungen, die zu ihrem Begriffs - und Wir - kungskreiſe gehoͤren; mit einem Worte: ſie ſammlen fuͤr ihre Exiſtenz; als adeliche, reiche, unbeſchaͤftigte, flatterhafte, geiſtvolle, egoiſti - ſche und eitle Lebensgenießer reichlich ein, ver - nachlaͤßigen aber faſt ganz, was ſie, um eben den Preis, Nuͤtzliches fuͤr ihr Vaterland und Wohlthaͤtiges fuͤr ihre Unterthanen in Abſicht des Ackerbaues, der Manufakturen, des Han - dels, der Wiſſenſchaften und der ſittlichen Bil - dung einſammlen und durch eigene Ausuͤbung verbreiten koͤnnten, auch des hoͤhern und gluͤck - lichern Platzes wegen, den ſie einnehmen, zu174 verbreiten dem Reſte ihrer Nation ſchuldig waͤren.

Der Kern der großen und feinen Welt in Warſchau beſteht meiſt aus Perſonen, die auf dieſem Wege zu ihrer Ausbildung gekom - men ſind. Sie bleiben Muſter und Richt - ſchnur fuͤr die uͤbrigen, die nicht an der Quelle ſelbſt ſchoͤpften, und werden von dieſen ſo willig nachgeahmt, wie ſie ſelbſt ihre Vorbil - der in Frankreich, England und Jtalien nach - ahmten. Die große Welt in Warſchau hat alſo einen Ton, der in vielen Stuͤcken den Ton anderer Nationen aͤhnelt, der aber auch eine Menge eigenthuͤmlicher Zuͤge darbietet.

Vormals war in Frankreich der Charak - ter der großen Welt: Streben nach Wuͤr - den und Auszeichnung im Staate, nach per - ſoͤnlicher Gunſt des Fuͤrſten, nach dem Ruf eines muthvollen Kriegers, eines ſchlauen Ge - ſchaͤftsmannes, eines praͤchtigen Wirths, eines angenehmen Geſellſchafters, eines geſchmack - vollen Kunſt - und Kleiderkenners, eines witz -175 ſprudelnden Schoͤngeiſtes, eines zuverſichtlichen Weiberſtuͤrmers, eines unerſchoͤpflichen Erfin - ders von Pomaden, Friſuren, kleinen Spielen und niedlichen Geraͤthſchaften

Jn England ſuchen die Großen ihre Aus - zeichnung in koſtbaren Pferden und Wagen, in hohem Spiel, in gewagten Wetten, in der ſtudierteſten Bequemlichkeit aller zum Le - ben gehoͤrigen Dinge, in praͤchtigen Landſitzen, in hofaͤrtiger Beguͤnſtigung der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, in einer gewiſſen koſtbaren Einfachheit ihrer Kleidung, in einem zwang - loſen aber kalten Benehmen, in einer ſorg - faͤltig ausgebildeten - und Trinkfaͤhigkeit und einer praleriſchen Vermoͤgenheit bei Wei - bern

Jn Jtalien iſt die Art der großen Welt: Glanz von außen und Wirthſchaftlichkeit von innen, praͤchtige Pallaͤſte mit vernagelten Fenſtern, unſchaͤtzbare Kunſtſammlungen und kein ertraͤglicher Tiſch und Stuhl, Heere von Bedienten und Laͤufern mit ungekaͤmmten176 Haaren, Dutzende ſchoͤner Wagen in Schup - pen verſchloſſen, glaͤnzende Geſellſchaften und kein rauchender Schornſtein, hunderttauſend Zecchini im Vermoͤgen, und nichts als kupferne bajochi , oder grani , oder crazie oder foldi im Beutel, mit allem, was Jtalien Erlauchtes hat, verwandt, und in einem verblaßten Seiden - oder abgeſchab - ten Tuchrock gekleidet.

Die polniſche große Welt vereinigt viele dieſer, unter drei Nationen zerſtreuten, Zuͤge, hat aber auch fuͤr andre gar keinen Sinn. So hat ſie mit den aͤltern Franzoſen den Durſt nach Wuͤrden, Orden und andern Ab - zeichen, den Hang zur Geſellſchaftlichkeit, zum Wohlleben, und zum galanten Verkehr mit Weibern, die Gaſtfreundſchaftlichkeit aus Politik und Eitelkeit, ganz gemein; weniger, die Sucht, Verſe und Bonmots und neumo - diſche Erfindungen zu machen; am wenigſten, das Ringen und Streben nach der Gunſt des Koͤnigs. Das Letztre hat ſie, der Verfaſſungwegen,177wegen, nicht noͤthig; es iſt ſogar, aus eben der Urſache, uͤblich, ſich wenig um den Fuͤr - ſten zu bekuͤmmern und ihn mit einem ge - wiſſen ſtolzen Selbſtgefuͤhle zu behandeln. Wenn man ſich dieſen Ton gegen den jetzigen Koͤnig ſeltener erlaubt, ſo hat er es nicht ſeiner Wuͤrde als Koͤnig zu danken, ſondern bloß ſeinen hoͤchſt liebenswuͤrdigen Manieren und Eigenſchaften als Privatmann, und ſei - nem feinen, uͤberaus geſchickten Benehmen als Menſchenkenner.

Mit den engliſchen Großen und Reichen haben die polniſchen dies gemein, daß ſie viel auf Pferde und Fuhrwerk halten, hohes Spiel lieben, gerne fuͤr Herkules bei den Weibern gelten, gern viel eſſen und trinken moͤgen; aber der Hang zum Wetten, zum Anbau praͤchtiger Landſitze; (die man freilich in Polen nicht ſo haͤufig aufſuchen wuͤrde, um ſie zu beſehen) das Streben nach der uͤppigſten Bequemlichkeit, nach Einfalt in der Kleidung; ein kaltes Benehmen und Beguͤn -Zweites Heft. M178ſtigung der Wiſſenſchaften: dieſe Dinge liegen weder in ihrem Charakter, noch in ihren Sit - ten, noch in ihrer Verfaſſung und Landes - art.

Mit der Jtalieniſchen großen Welt hat die polniſche zwar in einigen Zuͤgen Aehnlich - keit, aber in den meiſten iſt ſie ihr ganz ent - gegengeſetzt. Sie liebt, wie jene, z. B. den Anbau großer und praͤchtiger Pallaͤſte, vollen - det ſie aber oft nicht, wie jene, theils, weil die Anlage fuͤr ihre Mittel zu koſtbar war, theils, weil ſie die Zeit, ſie zu bewohnen, nicht erwarten kann; ſie haͤlt gern Schwaͤr - me von Bedienten, wie die Jtalieniſche, kann aber nicht, wie dieſe, es dulden, daß ſie ſchlecht gekleidet ſind und Mangel leiden; ſie liebt Glanz von außen, aber auch Fuͤlle von innen; und koſtbare Kunſtſammlungen haͤtte ſie ſo gerne, wie die Jtalieniſche, aber Polen iſt das Land nicht, wo der Eitelkeit dieſer Genuß verſchaft werden koͤnnte. Wagen hal - ten die Polen weniger, als die Jtaliener, und179 die ſie haben, ſind in der That nicht einge - ſperrt, ſondern auf allen Straßen. Geſell - ſchaften geben ſie mehr, als die Jtaliener, und die Schornſteine hoͤren nicht auf dabei zu rauchen. Hohen Verwandtſchaften machen die Polen, uͤber ihre Kraͤfte, Ehre, durch Aufwand, Orden und Wuͤrden; und wenn ſie baares Geld haben, ſo fuͤhren ſie es in ſtro - tzenden Beuteln, mit Ausſchluß aller Scheide - muͤnze, in den ſchoͤnſten hollaͤndiſchen Duka - ten, bei ſich, die ſie fuͤr die geringſten Ge - faͤlligkeiten, mit etwas mehr als Freigebigkeit ausſpenden.

Zuͤge, die man bei der großen Welt kei - ner andern Nation in Europa findet, ſind, daß die Magnaten wahre Hofhaltungen ha - ben, die von Unterthanen und Vaſal - len bevoͤlkert werden; daß ſie wahre Armeen halten, die in ihrem Golde ſtehen; und endlich, daß ſie Anſpruͤche auf die erhabenſte Wuͤrde im Staate machen, und alle moͤglicheM 2180Mittel, ſie zu erhalten, wirklich in Bewe - gung ſetzen koͤnnen.

Waͤhrend des Revolutions-Reichstages, zwiſchen den Jahren 1788 und 1792 hatte das geſellſchaftliche Verkehr der großen Welt in Warſchau einen Grad von Lebhaftigkeit und Glanz erreicht, auf welchem es ſich viel - leicht ehedem, bei wichtigen Angelegenheiten der Nation, Wochen lang, aber nie eine Reihe von Jahren hindurch, erhalten hatte. Was ſich nur von hohen, mittleren und niederen adelichen Familien, jede nach ihrem Rang und ihren Anſpruͤchen, in Warſchau erhalten konnte, war da. Die bisher auf Reiſen ge - weſen waren, kamen nach Hauſe. Was Theil fuͤr oder gegen die Staatsveraͤnderung nahm, ſtreuete Geld mit vollen Haͤnden aus und gab Feſte uͤber Feſte, um Anhaͤnger zu gewinnen. Ein aͤhnliches thaten diejenigen fremden Mi - niſter, deren Hoͤfe nach der Zeit, bei Aufhe - bung der neuen Konſtitution, die thaͤtigſte Rolle ſpielten. Dies brachte eine Lebendig -181 keit, eine Abwechslung, ein Jntereſſe und eine Pracht in das geſellſchaftliche Leben, die ihres gleichen kaum hatten und die Theilneh - mer daran, in mehr als einer Ruͤckſicht, gleich - ſam aufzureiben droheten.

Unter den großen polniſchen Haͤuſern, welche die Hauptſammelplaͤtze dieſer unruhigen Welt waren, zeichneten ſich beſonders Czarto - ryski, Malachowski, Sapieha, Potocki, Oginski u. a. aus. Der Koͤnig gab auch oͤfter zu eſſen als gewoͤhnlich. Sein Bruder, der Primas, und die Biſchoͤfe von Polen, von Liefland u. a. gaben ebenfalls haͤufig Geſell - ſchaften. Der preußiſche Geſandte, Lucheſini, gab ihrer mehr, als ſonſt dieſe wirthſchaftliche Macht ihren Miniſtern gut zu thun pflegt, und der unſrige, Herr von Bulgakow, ver - anſtaltete, aber nur in den erſten Zeiten des Konſtitutions-Reichstages, dergleichen, die ſeinem Geſchmack und dem Glanze unſeres Hofes Ehre machten. Es gab ein ſolches Gedraͤnge von Luſtbarkeitrn, daß nur wenig182 einzelne Perſonen koͤrperlich ſtark genug wa - ren, ſie alle zu ertragen und zu uͤberwinden. Uebrigens waren ſie, je nachdem ſie ſtark oder ſchwach, und von dieſen oder von jenen Perſonen beſucht wurden, der Maßſtab, nach welchem man die politiſche Parthei des Wir - thes und die politiſchen Grundſaͤtze und Ent - wuͤrfe der Gaͤſte beſtimmen konnte. Zwar wurden auch einige veranſtaltet, die gleichſam fuͤr das allgemeine Publikum beſtimmt, und bei deren Zuſammenſetzung alle politiſche Ruͤck - ſichten vergeſſen ſeyn ſollten. Solche waren die Feſte bei Geburts - und Namenstagen der Kaiſerin, des Koͤnigs von Preußen, des Koͤ - nigs von Polen, der polniſchen Großen, bei der Ankunft hoher Perſonen, die man ehren wollte, bei Durchſetzung der Konſtitution und bei ihrer Jahresfeyer; aber man glaube nicht, daß ſie darum ohne politiſche Bedeutung be - ſucht oder verſaͤumt worden waͤren. Unter - richtete wußten unter der großen Menge der Anweſenden wohl zu bemerken, wer nicht da183 war und warum er nicht da war; und es er - weckte z. B. ſchon vielen die peinlichſte Be - ſorgniß, als unſer Miniſter Bulgakow bei keinem der zahlreich beſuchten Feſte, die wegen der Einfuͤhrung der neuen Konſtitution und bei ihrer Jahresfeyer gegeben wurden, zuge - gen war; ſo wie er ſelbſt, bei den Feſten, die er veranſtaltete, an den Ausgebliebenen eben ſo viel Gegner unſeres Syſtems leicht er - kennen und ſich dem gemaͤß gegen ſie beneh - men konnte.

Die Anzahl von Menſchen, die ſich zu dieſen großen Geſellſchaften verſammelten, be - lief ſich oft auf fuͤnf -, ſechs - und achthundert Koͤpfe. Gewoͤhnlich nahmen ſie nach Tiſche ihren Anfang, und dauerten bis nach Mitter - nacht. Sie vereinigten, was ſonſt einzeln große Geſellſchaften unterhaͤlt: Spiel, Muſik, Ball, Goutee, Soupee, Konverſation ꝛc. Der den Polen ganz eigenthuͤmliche Geſchmack an Huͤlle und Fuͤlle zeigte ſich bei ſolchen Gele - genheiten in ſeiner ganzen Groͤße. Mehrere184 Zimmer und Saͤle waren rund herum mit Tiſchen beſetzt, die unter ihrer Laſt haͤtten brechen moͤgen. An Eßwaaren aller Art war der hoͤchſte Ueberfluß. Ungariſche, franzoͤſiſche, ſpaniſche und deutſche Weine, von denen man anderwaͤrts nur koſtet und nippt, wurden hier in langen Zuͤgen getrunken. Gebrannte Waſſer wurden in ungebuͤhrlichen Glaͤſern ge - geben. Limonade, Orgeade, Bavaroiſe ſtan - den in Gefaͤßen da, worin man anderwaͤrts ſtarken Trinkern Bier hinſtellen wuͤrde. Kaffee und Chokolate floſſen unaufhoͤrlich aus unge - geheuren ſilbernen Kannen. Berge von Kon - fekt, von Fruͤchten, von geroͤſtetem Brot, wandelten auf weiten Tellern in den Saͤlen unaufhoͤrlich herum. Rotten von Schwelgern verſuchten, wie weit die Amalgamationskraft ihrer Verdauung ginge, wie lange die Ge - ſchmacksnerven ihrer Zunge Empfindung behiel - ten; und eben ſo boten unerſaͤttliche Genießer anderer Art, im Koncertſale, im Tanzſale, unter den Augen, an der Hand, in den Ar -185 men der reizendſten Weiber, in der Unterre - dung mit den geiſtvollſten Maͤnnern, oder der anlockendſten, reichſten Bank gegenuͤber, allen Empfindungen und Leidenſchaften volle Weide dar.

Jn dieſem Gedraͤnge ſchien alles gleich, und Anmaßung und Schuͤchternheit waren gleich weit entfernt. Wer ein Kleid trug, das zur Geſellſchaft paßte, hatte alle uͤbrige Eigenſchaften, die dazu erforderlich waren, zugleich mit ihm angezogen. Kein neugieriger Blick, keine kleinſtaͤdtiſche Frage, beunruhigte ſein Selbſtgefuͤhl; die ſchoͤnſte Hand war zum Tanze ſein, wenn ſie nicht ſchon verſprochen war; die erlauchteſten Perſonen ſetzten ſich mit ihm an einen Spieltiſch; die geiſtvollſten Sprecher wußten es ihm Dank, wenn er ihre aufmerkſamen Kreiſe erweiterte. Selbſt Plump - heit im Benehmen und Gierigkeit im Ge - nuſſe fielen an einem Orte nicht auf, deſſen Dunſtkreis und wolluſtvolle Regſamkeit nicht beſtimmt waren, die Gefuͤhle und ihre Aeuße -186 rungen in wohlabgewogener Ordnung zu er - halten. Das Geraͤuſch und die Haͤndelſucht der Trinker, die egoiſtiſche Trockenheit der Eſſer, der tretende und reißende Frohſinn der Taͤnzer, die blaſſe Standhaftigkeit der Spie - ler, die blinde und taube Gluͤckſeligkeit der Verliebten, die Unterhaltungsſucht gern ge - hoͤrter Schoͤnſprecher, und viele andre Dinge, zeigten ſich, wie immer, wenn der Menſchen viele in einer gewiſſen Bewegung bei einander ſind, in einem gemilderten Lichte, und die nuͤchternſten Gemuͤther fuͤhlten mit jedem Pulsſchlage ihr Blut waͤrmer und ſchneller kreiſen, und, ſtatt den trunkenen Saͤnger neben ſich, den beredtſamen Schwachkopf hin - ter ſich, den linkiſchen Taͤnzer vor ſich, mit Strenge zu beurtheilen, loͤßte ſich wohl dies - mal ihre Selbſtgefaͤlligkeit in ein Laͤcheln uͤber ſolche Menſchlichkeiten auf.

Das Ende dieſer Geſellſchaften war eine allgemeine Abſpannung. Die Eſſer, Trinker187 und ungluͤcklichen Spieler waren gewoͤhnlich die erſten zum Aufbruche, die Taͤnzer, die zu - gleich verliebt waren, und die gluͤcklichen Spie - ler, die letzten; arme diplomatiſche Unterkund - ſchafter, die bezahlt waren, bloß zu ſehen und zu hoͤren, was vorginge, und fuͤr den folgenden Tag einen Geſandtſchaftsbericht zu fuͤllen, die allerletzten.

An - und Trinkwaren blieb in Neigen gewoͤhnlich noch ſoviel uͤbrig, daß ſich die ge - ſammte Dienerſchaft zum Schluſſe des Gan - zen, die ungeheuerſten Magen vollends uͤber - laden und den Verſtand, bis auf die entfern - teſte Spur, vollends hinwegtrinken konnte.

Vom Verwahren und Verſchließen der Ueberbleibſel, die mit Gewalt nicht haben weggeſtopft und verſchlungen werden koͤnnen, iſt in den großen polniſchen Wirthſchaften keine Rede; und rettet ja der Marſchall et - was, ſo iſt es nicht zum Beſten der Herr -188 ſchaft, ſondern zu ſeinem eigenen Genuß und Vortheile.

Die großen maskirten Baͤlle, die man waͤhrend des Karnevals zu geben pflegte, ka - men den erwaͤhnten Feſten ſehr nahe und waren oft, der Perſonenzahl nach, ungleich ſtaͤrker. Gewoͤhnlich ging eine Abendtafel von neunzig bis hundert und zwanzig Gedecken voran, und nach derſelben wurden die Masken eingelaſſen. Fuͤr ſolche Baͤlle, wie fuͤr jene Feſte, wurden zwar Billets ausgetheilt, aber aus keiner andern Urſache, als weil doch der Raum nur eine gewiſſe Anzahl Gaͤſte faſſen konnte. An Knickerey, oder Ausſchließung mancher Staͤnde oder Perſonen, wurde nicht dabei gedacht. Die Koſten ſolcher Geſellſchaf - ten ſtiegen von fuͤnfhundert bis auf zweitau - ſend Dukaten. Daß dieſe Angabe nicht zu hoch ſey, kann man nach dem einzigen Um - ſtande berechnen, daß ſelbſt in den einfachſten nichts als Champagner und Burgunder zum Getraͤnk gegeben wird.

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Außer dieſen zufaͤlligen, wurden in meh - reren großen und mittlern Haͤuſern, ſtehende Geſellſchaften an beſtimmten Tagen gegeben. Eine der zahlreichſten und glaͤnzendſten dieſer Art war Sonntags bei der Schweſter des Koͤnigs, Madame de Cracovie. An dieſem Tage pflegt er ſchon ſeit Jahren des Mit - tags bei ihr zu ſpeiſen. Nach der Tafel, von vier Uhr an, fuͤllten ſich die Saͤle mit allem, was Warſchau Großes, Reiches und Schoͤ - nes an Einheimiſchen und Fremden in ſich faßte, um dem Koͤnig die Kour zu machen. Um ſieben Uhr fuhr er gewoͤhnlich nach dem Schloſſe zuruͤck und die Geſellſchaft zerſtreuete ſich zu andern Vergnuͤgungen.

Der Reichstagsmarſchall Malachowski gab Dienſtags eine große Geſellſchaft, die nicht minder zahlreich und praͤchtig war, als die bei der Schweſter des Koͤnigs. Koncert, Spiel, Konverſation, zuweilen Tanz, waren die Unterhaltung in derſelben. Niemand190 wurde dazu eingeladen, ſie ſtand jedermann, der nur anſtaͤndig gekleidet war, ohne Aus - nahme, offen. Doch wurde es denen, die zum Abendeſſen bleiben ſollten, angezeigt.

Bey dem Primas war Freytags Cofetta, eine offene Geſellſchaft, die nur im Namen von den gewoͤhnlichen verſchieden war. Sie nahm um ſieben Uhr ihren Anfang und dauerte bis um neun Uhr. Das große und feine Pu - blikum von Warſchau fand man hier immer ſehr vollſtaͤndig beyſammen. Die Unterhaltung war die gewoͤhnliche. Zum Abendeſſen wurde niemand behalten.

Der Reichstagsmarſchall Sapieha, der Kronmarſchall Mniczech, der Feldherr Ogins - ki, die Fuͤrſtin Radzivil, der Fuͤrſt Czarto - ryski, der Marſchall Radezinski und mehrere andre Haͤuſer, ſorgten, daß die uͤbrigen Wochentage oft doppelt und dreyfach beſetzt waren; und ſo durchlief man den ganzen Cir -191 kel von Zeitvertreib und Beluſtignngen, welche die große Welt fuͤr ſich erfunden hat, und die, trotz ihrer Mannichfaltigkeit, einer oͤfter Wie - derholung und mithin dem Ueberdruſſe ſehr unterworfen ſind.

Die kleinern Geſellſchaften waren in War - ſchau, bey der dort uͤblichen Gaſtfreyheit, uͤberaus zahlreich und angenehm. Man fand mehrere groͤßere und mittlere Haͤuſer, die theils offene Mittagst; afel gaben, theils beſtaͤn - dig fuͤr einige Perſonen mehr, als die Fa - milie enthielt, anrichten ließen. Man brauchte nur zu wiſſen, ob Dieſer oder Jener zu Hauſe aͤße, um, zur geſetzten Zeit bey ihm vorzufahren und an ſeinem Tiſche Platz zu nehmen. Ausn; ahmen machte man, wenn man wußte, daß gerade eine gebetene Ge - ſellſchaft bey ihm war. Man mußte ihm uͤbrigens bekannt ſeyn, wenn auch keine ge - naue Freundſchaft ſtatt fand; oder man konnte ihm auch ganz unbekannt ſeyn, wenn nur192 ein guter Freund von ihm das Geſchaͤft des Einfuͤhrers vertrat. Dieſe Einrichtung war nicht nur in adelichen Haͤuſern, ſondern auch in mehreren buͤrgerlichen. Die Wechſler, Tepper und Kabrit, hatten meiſt alle Wo - chentage offenen Tiſch und man kam nie da - hin, ohne ſehr bedeutende Perſonen vom ho - hen Adel an demſelben zu finden. Der Koͤnig ſelbſt ſpeiſ'te nicht ſelten bey ihnen, noch haͤu - figer aber bey dem Wechſler Blank, mit dem er vorzuͤglich Geſchaͤfte hatte. Einige Kauf - mannsh; aͤuſer unterhielten fuͤr ihre buͤrgerlichen Bekanntſchaften, nach eben dem Fuße, einige Gedecke.

Muſik, Tanz, Spiel und Galanterie waren die vorzuͤglichſten Beluſtigungen aller warſchauiſchen Geſellſchaften. Die hoͤhern Klaſſen beſonders liebten die Muſik und ſie gehoͤrte bey ihnen zur Erziehung. Man fand manche angenehme Stimme unter den Wei - ber und Maͤnnern, und manche der letztenſpielten193ſpielten das eine oder andre Jnſtrument gut. Aber etwas außerordentliches einnre ich mich nicht gehoͤrt zu haben, vielleicht bloß aus dem Grunde, daß der polniſche Charakter zu un - ſtaͤt und die Lebensa; rt zu ſtuͤrmiſch iſt, als daß man Geduld und Zeit behalten ſollte, irgend ein Talent bis zur Vollkommenheit auſ - zubilden. Doch weiß man, was man an An - lagen beſitzt, durch eine ganz eigenthuͤmliche Anmuth und Leichtigkeit herausz; uheben, die faſt immer von einem vortheilhaften Koͤrper, den Natur und Kunſt zu gleichen Theilen auſ - gearbeitet haben, unterſtuͤtzt werden. So gab es kein reizvolleres Gemaͤlde, als die ver - wittwete Fuͤrſtin Radziwil mit ihren vier Kin - dern bey einer Muſik. Sie ſelbſt iſt noch eine ſchoͤne Frau, uͤber deren Zuͤge Sanftmuth und Zaͤrtlichkeit verbreitet ſind. Jhre beyden Soͤhne, wohlgebildete junge Maͤnner; ihre Toͤchter, Prinzeſſin Chriſtine von ſechsz; ehn, Prinzeſſin Angelia von vierzehn Jahren, beyde in einer verſchiedenen Gattung reizend, hattenZweites Heft. N194die Muſik zu ihrer Lieblingsb; eſchaͤftigung ge - macht, und trieben ſie unter dem Vorſitze und der Aufmunterung der Mutter. Es war ein hoͤchſt angenehmer Genuß, die Mutter bald ein Terzett mit ihren beyden Soͤhnen, bald ein anderes mit ihren beyden Toͤchtern ſingen zu hoͤren, um ſo angenehmer, da ſich das Auge zugleich an dem Schauſpiele der innigſten muͤtterlichen und kindlichen Liebe, das einem in Warſchau nicht oft geboten wird, weiden konnte. Jn den Geſellſchaften, worin ſich dieſe ſeltene Mutter befand und hoͤren ließ, fehlte es immer noch nicht an Maͤnnerherzen, auf die ihre Stimme und ihr Weſen bedeuten - der, als aus alle uͤbrige Zuhoͤrer, wirkte.

Der Tanz, die Seele der polniſchen Ge - ſellſchaften, wurde mit einer Anmuth und Leichtigkeit, aber auch mit einer Koketterie, und zum Theil, mit einer Wildheit behan - delt, die man nirgend in einem gleichen Grade findet. Vorzuͤglich angenehm fuͤhrte man die195 beyden Nalionaltaͤnze, die Polonoiſe und die Maſurka, auſ, beyde ihrer Natur nach ganz entgegengeſetzt, aber beyde der hoͤchſten Auſ - bildung durch Kunſt und koͤrperlichen Bau faͤ - hig. Die Polonaiſe iſt der Triumph ſchoͤn gewachſener Perſonen, die Feinheit in ihre Bewegungen, Adel in ihren Anſtand, Feſtig - keit und Geſchmeidigkeit in ihren Gang zu le - gen, und ihre Zuͤge mit Frohſinn und dem feinſten Ausd; rucke geſelliger Achtuug zu bele - ben wiſſen. Dieſe Bedingungen ſind nicht er - dacht, ſondern wirklich von dem Beyſpiele der beſten Polonaiſen-Taͤnzer, die ich geſe - hen habe, abgezogen. Noch eine moͤchte ich hinzufuͤgen, die, daß dieſer Tanz nie an - derſ, als in der langen, voͤlligen National - tracht von den Maͤnnern, und in der leich - ten, ſchwebenden, von der Luft getragenen, Taralatka, von den Weibern getanzt wuͤrde. Das kurze franzoͤſiſche Kleid paßt eben ſo we - nig zu dem langſamen, praͤchtigen Charakter des Tanzeſ, als das knappe, nach der Sou -N 2196brette ſchmeckende Karako, oder jeder andre kurze korſettartige Anzug. Deſto reizender ſteht letzterer zur Maſurka bey den Weibern, und die Kurtka und Charivari bey den Maͤn - nern. Der leichte, huͤpfende Charakter dieſes Tanzeſ, der den Koͤrper in ſo mannigfachen, kurzen, ſchnellabwechsl; enden Bewegungen und Verſchraͤnkungen ſich zu zeigen, und auch den Armen ein ungezwungenes Spiel er - laubt, der von dem Auge Feuer und Leben, Zaͤrtlichkeit und Wolluſt fordert und dem Kopfe gebietet, der Leidenſchaft gemaͤß, ſich zu erheben, oder ſanft aus die Schulter zu neigen, oder uͤber die Bruſt herabzuſenken: dieſer Tanz bedarf der hoͤchſten Einfalt, Leich - tigkeit und Zartheit im Anzuge, damit das Spiel der Umriſſe weder verhindert noch be - deckt werde. Auch dieſe Vorſchriften ſind von einem wirklichen Taͤnzerpaar abgenommen, das nicht leicht ein anderes in Vollkommen - heit erreichen noch weniger uͤbertreffen wird. Es war der Prinz Joſeph Poniatoweki und197 Julie Potocki, die Gemalin des oben erwaͤhn - ten Johann Pokocki.

Prinz Joſeph iſt eine der vollkommenſten maͤnnlichen Figuren, die man ſehen kann. Sein Fuß, wie ſein ganzes Bein, iſt ſein und voll, ganz ohne Tadel, und das lange Beinkleid ſchließt ſich, ohne Grube und Faͤlt - chen in einem Guß, daran. Die Kurtka legt ſich eng an ſeinen feinen, geſchweiften Wuchſ, ruhet mit den Schoͤßen auf zwey vollen Huͤf - ten, und iſt uͤber einer gewoͤlbten Bruſt feſt zugeknoͤpft. Seine Zuͤge haben viel maͤnnlichen Auſdruck, und ein paar große ſchwarze Au - gen verbreiteten ein Feuer uͤber ſie, daſ, die letzte Zeit, mehr fuͤr den Krieg, als fuͤr die Liebe zu brennen ſchien.

Julie Potocki war die Grazie ſelbſt. Wenn ihr kleiner, netter Fuß den rundli - chen, elaſtiſchen Koͤrper, in der Maſurka, ſchwebend umhertrug, und kaum die Erde zu198 beruͤhren ſchien; wenn ſie aus den Armen des einen Mannes in die Arme des andern hinuͤberflog, von dieſem gefuͤhrt, von jenem geſchwenkt wurde; wenn ſie endlich in die Arme ihres eigentlichen Taͤnzers zuruͤckſchwebte, der ſie mit ſtuͤrmiſcher Eil auffaßte und ſich mit ihr herumwirbelte, waͤhrend ihr Kopf ſich laͤßig und wie in Erſchoͤpfung nach der Schulter neigte, oder ihr anmuthsv; olles Ge - ſicht ſich mit wolluͤſtiger Grazie, uͤber die noch ein Flor von Sittſamkeit ſchwamm, auf den Buſen ſenkte, oder ihr Auge ſich ploͤtzlich mit dem Auſdrucke der ſiegenden Leidenſchaft in das Auge ihres Taͤnzers ergoß - ſo ſtan - den die Maͤnner in Gruppen, kaum athmend, die ganze Lebensk; raft im Auge, umher, ſpra - chcn bloß mit den Blicken, die ſie von ihr abmuͤßigen konnten, uͤber ſo viel Reize zu einander, und hier und da preßte ſich aus einer uͤbervollen Bruſt ein: grand Dieu! que Julie est belle! laut oder leiſe hervor.

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An dem maſuriſchen Tanze, wie er in Warſchau gegeben wird, habe ich uͤbrigens nur dieß ausz; uſetzen, daß man ihn mit Fi - guren uͤberladet, und daß er mithin zu lange dauert, als daß Taͤnzer und Taͤnzerinnen die dazu noͤthige Friſchigkeit bis ans Ende unter - halten koͤnnten.

Jn der Menuet und im Engliſchen Tanze zeichnen ſich die warſchauer Taͤnzer nicht auſ, weil ſie beyde nicht lieben; aber die wunder - lichen Karrikaturen des Koſakiſchen geben ſie mit großer Leichtigkeit und Verwegenheit an. Am liebſten habe ich ihn von Kindern tanzen ſehen. Dieſe werden uͤberhaupt ſehr fruͤh im Tanze unterrichtet. Von den Kinderbaͤllen, die fuͤr dieſe, meiſt immer reizenden Kreatu - ren, entſcheidend werden, ſpreche ich weiter unten an einem paßlichern Orte.

Galanterie und Spiel, beyde auf einen ſehr hohen Grad getrieben, ſind zwey andere200 große Triebraͤder der polniſchen Geſellſchaft und Geſelligkeit. Einige Bemerkungen dar - uͤber ſehe ich ebenfalls fuͤr einen andern Platz zuruͤck.

Die kleinen freundſchaftlichen Geſellſchaf - ten, die ſich des Abends ohne Zwang und Putz haͤufig zuſammen zu finden pflegten, wa - ren unſtreitig die reizendſten unter allen in Warſchau. Anhaͤnglichkeit, Freundſchaft und Liebe ordneten ſie gewoͤhnlich an und beſeelten ſie. Es waren maͤßige Cirkel, deren Mitglie - der wechſelſeitig einander, ihren Herzensb; e - duͤrfniſſen nach, kannten, einander hierin nichts verhehlten, einander trugen, einander Einſeitigkeit und Auſzeichnung verziehen, ſich bald in Paare zerſtuͤckelten, bald zu kleinen Spielen, bald am Fluͤgel, wieder ſammle - ten. Frohſinn und Ungezwungenheit waren ihr Band, ſanftere Gefuͤhle ihre Nahrung, witzige Unterhaltung die Luͤckenbuͤßerin. Jn dieſen ergoß ſich die ganze Liebensw; uͤrdigkeit201 der Nation, und Ehrfurcht, Eitelkeit, laͤr - mender, unmaͤßiger Genuß, und Unterhand - lungsſucht verhuͤllten hier nicht laͤnger ihr gluͤckliches Naturell.

Die Leerheit und lange Weile, die an - derwaͤrts die große Welt fuͤr ihre Unmaͤßig - keit in Vergnuͤgungen beſtraft, bemerkt man in Warſchau weniger. Die natuͤrliche, hoͤchſt ungezwungene Art, wie man hier in der Ge - ſellſchaft kommt und geht, einander anredet, unterhaͤlt und verlaͤßt, ſeine Meinung ſagt, ſeine Talente zur Unterhaltung geltend macht, hat ungemeinen Reiz. Man ſpricht in jeder Sprache, die man verſteht; man ſpricht (und es iſt nicht zu verkennen, daß Eitelkeit dabey zum Grunde liegt) alle Sprachen, die man verſteht, in einer einzigen Unterhaltung, be - ſonders polniſch, franzoͤſiſch, italieniſch, deutſch. Bis auf den Spanier und Tuͤrken, finden Fremde hier Perſonen, die ihre Sprache re - den; und wenn ſich jene hierin uͤber etwas202 zu beklagen haben, ſo iſt es uͤber den Um - ſtand, daß die Polen, mit denen ſie in Kon - verſation begriffen ſind, unter einander pol - niſch das Geſpraͤch weiter fuͤhren, wenn ſie auch die Sprache des Fremden wiſſen; und daß ſie eben ſo oft, wenn z. B. der ganze Cirkel franzoͤſiſch verſteht, den Jtaliener, den Deutſchen, den Spanier, in ſeiner Mutter - ſprache anreden, ihn durch dieſen ihm lieben Ton verleiten, eben ſo zu antworten und da - durch das Geſpraͤch wie zerhacken und fuͤr Andre unverſtaͤndlich machen, die nicht alle dieſe Sprachen verſtehen.

Man iſt, im Ganzen genommen, hier ſehr hoͤflich gegen einander, aber nicht auf eine gezierte und pedantiſche Art, und meiſt nur immer in den erſten Augenblicken der An - rede und den letzten des Abſchiedes, beſonders aber gegen Leute, die man braucht, oder einmal zu brauchen denkt. Andre, die man nicht braucht, behandelt man mit der Ach -203 tung, die man ſelbſt fordert, das heißt, ganz auf gleich und gleich. Die kleinſtaͤdti - ſchen Ruͤckſichten auf den obern und untern Platz, die Schuͤchternheit im Widerſpruche, das furchtſame Erwarten, ob ein Groͤßerer einen anreden werde, das Zuruͤckdruͤcken von Gruppen, die einem nicht bekannt ſind, das erbaͤrmliche Warten auf einen Gruß, das aͤngſtliche Studium, einem jeden ſeinen Titel zu geben, das kindiſche Mildern des natuͤrli - chen Lautes der Stimme, das Zuruͤckhalten eines witzigen Einfalles, aus Furcht irgend jemand damit anzuſtechen, das matte, unter - wuͤrfige, uͤberfeine Benehmen gegen die Wei - ber, und tauſend andre Dinge, welche manche kleine große Welt in Deutſchland quaͤlen; von allen dieſen findet man in den warſchauiſchen Geſellſchaften keine Spur, ſondern man ſpricht und lacht, wie man ſich gewoͤhnt hat, man behauptet, wovon man uͤberzeugt iſt, man widerſpricht, wenn man anders denkt, man freuet ſich laut uͤber frohe Dinge, man macht204 Witz ſo viel man kann, man ſchaͤmt ſich nicht, der Erſte bey Tiſche, der Durſtige beym Glaſe, der Verliebte beym ſchoͤnen, der Eiferſuͤchtige beym treuloſen Weibe zu ſeyn; mit einem Worte: man giebt ſich wie man iſt, und verſperrt dadurch jedem Zwange die Thuͤre.

Daß dieſe Natuͤrlichkeit zuweilen in ein Benehmen ausarte, welches mit den Begrif - fen, die man anderwaͤrts von Wohlſtand hat, ſehr zuſammenlaͤuft, iſt zu erwarten. Wenn man den ungluͤcklichen Spieler zuweilen derb auf den Tiſch ſchlagen und kraͤftig fluchen hoͤrt; wenn man einen ſtattlichen Mann, bey Stern und Orden mit einer etwas zu ſtarken Ladung von Wein, auf ſchlotternden Fuͤßen herumſchwanken ſieht; wenn ein etwas zu ſtarker Eſſer, mit der Serviette vor dem Munde, uͤbereilt vom Tiſch aufſpringt und zur naͤchſten Thuͤr hinausfaͤhrt; wenn eine Taͤnzerin ihrem Taͤnzer ein wenig zu lebhaft in den Arm fliegt, und ſein Auge ein wenig205 zu ausdrucksvoll auf Schoͤnheiten verweilt, oder ſein Arm oder Kopf ſich zu innig an an - dre lehnt; wenn ein paar erhitzte Staatskenner oder Vaterlandsfreunde, unter einem ſtarken Wortwechſel, auf ihre Saͤbel ſchlagen: ſo ſind dieß freylich Dinge, die anderwaͤrts feine Geſellſchaften empoͤren, ſogar zerreißen koͤnn - ten, und nicht ganz ohne Unrecht; aber hier bemerkt man es kaum, oder beurtheilt es mit großer Gelindigkeit und mit der Billigkeit, die das Gefuͤhl erweckt, daß man, bey ſeinem eigenen lebhaften Charakter, vielleicht heute noch, oder wohl morgen, einer aͤhnlichen Nach - ſicht beduͤrfen werde.

About this transcription

TextReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol
Author Friedrich Schulz
Extent221 images; 27647 tokens; 5964 types; 200190 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol Enthaltend die Reise durch Lithauen, und eine Schilderung von Warschau, nebst Anekdoten aus der Geschichte des Konstitutions-Reichstages, mit den Bildnissen der vornehmsten Theilhaber begleitet Erster Theil, Zweites Heft Friedrich Schulz. . 205 S. ViewegBerlin1795.

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LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Reiseliteratur; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; mts

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
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