PRIMS Full-text transcription (HTML)
Verſuch über die wahre Art das Clavier zu ſpielen
Zweyter Theil,
in welchem die Lehre von dem Accompagnement und der freyen Fantaſie abgehandelt wird. Nebſt einer Kupfertafel.
In Verlegung des Auctoris.
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Berlin,1762.Gedruckt bey George Ludewig Winter.

An den Buchbinder. Die Kupfertafel wird am Ende beygebunden.

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Vorrede.

Endlich habe ich das Vergnügen, meinen Gönnern und Freunden dieſen zwey - ten Theil meines Verſuches zu über - geben. Ich war im Anfange willens, die dazu ge - hörigen Noten in Kupfer ſtechen zu laſſen, und hatte bereits mit einer Fantaſie, welche dieſem Buche am Ende beygefüget iſt, eine Probe gema - chet: ich habe aber nachher meinen Vorſatz geän - dert, und die ſchöne Erfindung der Drucknoten gewählet, damit die Exempel gleich bey dem Text* 2ſtehen,Vorrede. ſtehen können, und das beſchwerliche Aufſuchen in den Tabellen wegfallen möge. Der vornehmſte In - halt dieſer Anleitung, wodurch ſie ſich von allen noch bisher bekannten Generalbaßlehrbüchern un - terſcheidet, betrift das feine Accompagnement. Die Anmerkungen über das letztere ſind nicht aus bloſſer Speculation entſtanden, ſondern die Erfah - rung hat ſie hervorgebracht und das Wahre, wel - ches ſie enthalten, beſtätiget. Eine Erfahrung, welcher, ohne Ruhmredigkeit zu ſagen, ſich vielleicht noch niemand rühmen kann, weil ſie aus einer viel - jährigen Bearbeitung des guten Geſchmacks, bey einer muſicaliſchen Ausführung, welche nicht beſſer ſeyn kann, erwachſen iſt.

Ich habe die Exempel auf einem Syſtem vor - bilden müſſen, damit dieſes Werk nicht zu weit - läuftig und zu koſtbar werden möchte: man muß alſo bey dieſen Exempeln hauptſächlich auf die Urſache ſehen, warum ſie angeführet ſind, und ſich an die vorgeſchriebene Höhe und Tiefe nicht binden, weil wegen der Lagen auſſerdem das nöthige allezeitanVorrede. angemerkt iſt. Bey der Unterweiſung können die Feinheiten des Accompagnements, und der zweyte Abſchnitt eines jeden Capitels zuletzt durchgegangen werden. Die erſten Gründe des Generalbaſſes müſſen vorher gehen. In den kurzen Capiteln iſt alles ohne Abſchnitt beyſammen.

Die dreyſtimmigen Sätze ſind mehrentheils mit einem Telemanniſchen Bogen bezeichnet worden, und ein jeder Bezifferer wird wohl thun, wenn er in ſeinen Bezifferungen die Dreyſtimmigkeit die - ſer Sätze durch dieſen Bogen allezeit kennbar ma - chet. Dem Sextquartenaccorde, wobey die aufge - haltene Terz allein nachgeſchlagen wird, und wel - cher im vierſtimmigen Accompagnemente keine Octave, wohl aber eine verdoppelte Sexte ver - träget, habe ich ein beſonderes Zeichen, nehmlich , geben müſſen, damit man ihn von dem dreyſtimmi - gen Sextquartenaccorde, welcher allenfalls zur vier - ten Stimme die Octave bey ſich leidet, unterſcheiden könne. Ichhabe mit Fleiß die Erklärung dieſer Kenn - zeichen vorläufig beybringen wollen, damit ſie man -* 3chem,Vorrede. chem, der dieſes Buch nur flüchtig anſiehet, nicht be - denklich oder gar fürchterlich vorkommen mögen, ſon - dern damit man die Erleichterung, welche dadurch ab - gezielet iſt, ſo gleich einſehen könne. Die zwey Ex - empel, welche nebſt der groſſen in die Höhe gehenden Septime, ſtatt der Secunde die None über ſich haben, und wovon das erſtere auf der 79ſten Seite, auf dem dritten Syſtem das zweyte iſt, und das letztere auf der 129ſten Seite am Ende des erſten Syſtems ſtehet, ſcheinen zwar meiner im vierten Paragraph der 149ſten Seite angegebenen Lehrart zu wider - ſprechen: allein ich habe ſie beyde mit Fleiß ſo vorgebildet, wie ich ſie gefunden habe, damit man dieſe Art der Bezifferung, ohngeacht ich ſie nicht ſo bequem finde, wie die meinige, ebenfalls kennen lerne, weil ſie von einigen gebrauchet wird.

Wenn ich in den erſten Capiteln die Exempel nur auf diejenigen Aufgaben allezeit hätte einrich - ten wollen, welche ſchon da geweſen ſind: ſo hätte ich oft die nöthigſten Erinnerungen vorbeygehen,oderVorrede. oder wenigſtens aus ihrem Zuſammenhange reiſſen müſſen, und viele harmoniſche Veränderungen in der Auflöſung und Vorbereitung hätten nicht ange - führet werden können. Man ſiehet aus unterſchie - denen Anleitungen zum Generalbaß den Zwang gar deutlich, den die Verfaſſer ſich alsdenn ange - than haben, wenn ſie neue Aufgaben in den Exem - peln nicht eher haben vorbringen wollen, als bis dieſe Aufgaben vorher ausführlich abgehandelt wor - den ſind. Ich habe dieſe Ungleichheit vermieden, und verlaſſe mich auch hierinnen auf die Geſchick - lichkeit der Unterweiſer. Man wird mir gar leicht vergeben können, daß verſchiedene Urſachen mich zuweilen genöthiget haben, einige Exempel und Hauptwahrheiten mehr als einmahl anzuführen. Der Ueberfluß in dieſer Art kann niemals ſchaden, die Wichtigkeit ſolcher Wahrheiten entſchuldiget ihn, und meine Leſer haben den Vortheil, wenn ſie gewiſſe einzelne Stelle nachſchlagen wollen, daß ſie alles in der gehörigen Ordnung beyſammen finden.

IchVorrede.

Ich wünſche auch dieſer Anleitung den Beyfall, welchen der erſte Theil erhalten hat, und erwarte ganz gewiß mit beſonderm Vergnügen den aus - nehmenden Nutzen für die Lehrbegierigen von die - ſem zweyten Theile, welchen meine Freunde mit mir von dem erſten augenſcheinlich geſpüret haben. Dieſes kann mich ermuntern, mit der Zeit noch einige Beyträge, beſonders zu dem letzten Capitel dieſes Buches zu liefern, ohngeacht mir meine an - dern Arbeiten nicht viele Zeit zur Autorſchaft übrig laſſen. Ich habe mit vielen Exempeln und nutzba - ren Anmerkungen über die Fantaſie zurück halten müſſen, damit die Koſten nicht zu hoch auflaufen möch - ten. Vielleicht erſcheinen dieſe Beyträge mit denen zu dem erſten Theile alsdenn zu gleicher Zeit.

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Inhalt.

Inhalt.

  • EinleitungSeite 1
  • I. Capitel. Von den Intervallen und den Signaturen11
  • II. Capitel. Vom harmoniſchen Dreyklange32
  • III. Capitel. Vom Sextenaccord45
  • IV. Capitel. Von dem uneigentlichen verminderten Dreyklange61
  • V. Capitel. Von dem uneigentlichen vergröſſerten Dreyklange64
  • VI. Capitel. Vom Sextquartenaccord66
  • VII. Capitel. Vom Terzquartenaccord74
  • VIII. Capitel. Vom Sextquintenaccord87
  • IX. Capitel. Vom Secundenaccord97
  • X. Capitel. Vom Secundquintenaccord109
  • XI. Capitel. Vom Secundquintquartenaccord111
  • XII. Capitel. Vom Secundterzaccord112
  • XIII. Capitel. Vom Septimenaccord113
  • XIV. Capitel. Vom Sextſeptimenaccord134
  • XV. Capitel. Vom Quartſeptimenaccord139
  • XVI. Capitel. Vom Accord der groſſen Septime148
  • XVII. Capitel. Vom Nonenaccord156
  • XVIII. Capitel. Vom Sextnonenaccord161
  • XIX. Capitel. Vom Quartnonenaccord162
  • XX. Capitel. Vom Septimennonenaccord165
  • XXI. Capitel. Vom Quintquartenaccord169
  • XXII. Capitel. Vom Einklange172
  • XXIII. Capitel. Von der einſtimmigen Begleitung mit der linken Haud alleinSeite 176
  • XXIV. Capitel. Vom Orgelpunct181
  • XXV. Capitel. Von den Vorſchlägen185
  • XXVI. Capitel. Von rückenden Noten219
  • XXVII. Capitel. Vom punctirten Anſchlage222
  • XXVIII. Capitel. Vom punctirten Schleifer235
  • XXIX. Capitel. Vom Vortrage242
  • XXX. Capitel. Von den Schlußcadenzen259
  • XXXI. Capitel. Von den Fermaten266
  • XXXII. Capitel. Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements268
  • XXXIII. Capitel. Von der Nachahmung290
  • XXXIV. Capitel. Von einigen Vorſichten bey der Begleitung295
  • XXXV. Capitel. Von der Nothwendigkeit der Bezifferung298
  • XXXVI. Capitel. Von durchgehenden Noten. 301
  • XXXVII. Capitel. Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand309
  • XXXVIII. Capitel. Vom Recitativ313
  • XXXIX. Capitel. Von den Wechſelnoten320
  • XXXX. Capitel. Vom Baßthema322
  • XXXXI. Capitel. Von der freyen Fantaſie325
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Einlei -[1]
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Einleitung.

§. 1.

Die Orgel, der Flügel, das Fortepiano und das Clavicord ſind die gebräuchlichſten Clavierinſtru - mente zum Accompagnement.

§. 2.

Es iſt Schade, daß die ſchöne Erfindung des Hol - feldiſchen Bogenclaviers noch nicht gemeinnützig geworden iſt; man kann dahero deſſen beſondere Vorzüge hierinnen noch nicht genau beſtimmen. Es iſt gewiß zu glauben, daß es ſich auch bey der Begleitung gut ausnehmen werde.

§. 3.

Die Orgel iſt bey Kirchenſachen, wegen der Fugen, ſtarken Chöre, und überhaupt der Bindung wegen unentbehrlich. Sie befördert die Pracht und erhält die Ordnung.

§. 4.

So bald aber in der Kirche Recitative und Arien, beſonders ſolche, wo die Mittelſtimmen der Singſtimme, durch einBachs Verſuch. 2. Theil. Aſimpel2Einleitung. ſimpel Accompagnement, alle Freyheit zum Verändern laſſen, mit vorkommen, ſo muß ein Flügel dabey ſeyn. Man hört leyder mehr als zu oft, wie kahl in dieſem Falle die Ausführung ohne Begleitung des Flügels ausfällt.

§. 5.

Dieſes letztere Inſtrument iſt auſſerdem beym Theater und in der Cammer wegen ſolcher Arien und Recitative unentbehrlich.

§. 6.

Das Fortepiano und das Clavicord unterſtützen am beſten eine Ausführung, wo die gröſten Feinigkeiten des Ge - ſchmackes vorkommen. Nur wollen gewiſſe Sänger lieber mit dem Clavicord oder Flügel, als mit jenem Inſtrumente, accom - pagnirt ſeyn.

§. 7.

Man kann alſo ohne Begleitung eines Clavier - inſtruments kein Stück gut aufführen. Auch bey den ſtärkſten Muſiken, in Opern, ſo gar unter freyem Himmel, wo man gewiß glauben ſolte, nicht das geringſte vom Flügel zu hören, vermißt man ihn, wenn er wegbleibt. Hört man in der Höhe zu, ſo kann man jeden Ton deſſelben deutlich vernehmen. Ich ſpreche aus der Er - fahrung, und jedermann kann es verſuchen.

§. 8.

Einige laſſen ſich beym Solo mit der Bratſche oder gar mit der Violine ohne Clavier begleiten. Wenn dieſes aus Noth, wegen Mangel an guten Clavieriſten, geſchiehet, ſo muß man ſie entſchuldigen; ſonſt aber gehen bey dieſer Art von Ausfüh - rung viele Ungleichheiten vor. Aus dem Solo wird ein Duett, wenn der Baß gut gearbeitet iſt; iſt er ſchlecht, wie nüchtern klingt er ohne Harmonie! Ein gewiſſer Meiſter in Italien hatte dahero nicht Urſache, dieſe Art der Begleitung zu erfinden. Was können nicht für Fehler entſtehen, wenn die Stimmen einander überſteigen! oder will man etwa, dieſes zu verhüten, den Geſang verſtümmeln? Beyde Stimmen halten ſich näher bey einander auf, als der Componiſt wolte. Und die vollſtimmigen Griffe, welche inder3Einleitung. der Hauptſtimme zuweilen vorkommen, wie jung klingen ſie, wenn ſie nicht ein tiefer Baß unterſtützt? Alle Schönheiten, die durch die Harmonie herausgebracht werden, gehen verlohren; ein groſ - ſer Verluſt bey affectuöſen Stücken.

§. 9.

Das vollkommenſte Accompagnement beym Solo, dawider niemand etwas einwenden kann, iſt ein Clavierinſtrument nebſt dem Violoncell.

§. 10.

Wir ſehen alſo, daß wir heut zu Tage wegen der Generalbaßſpieler eckler ſind, als vor dem. Nichts, als die Fei - nigkeiten der jetzigen Muſik, ſind hieran Schuld. Man iſt nicht mehr zufrieden, einen Accompagniſten zu haben, der als ein wah - rer muſicaliſcher Pedant weiter nichts als Ziffern geſehen und geſpielet hat; der die dazu gehörigen Regeln auswendig weiß und ſie bloß mechaniſch ausübt. Man verlangt etwas mehreres.

§. 11.

Dieſes mehrere hat mich zur Fortſetzung mei - nes Verſuches veranlaſſet, und ſoll der vornehmſte Gegenſtand meiner Anleitung ſeyn. Ich werde ſolche Begleiter zu bilden ſu - chen, welche nebſt der Regel dem guten Geſchmack aufs genau - eſte folgen.

§. 12.

Damit man ſich zur Erlernung des Generalbaſſes hin - länglich geſchickt mache: ſo iſt nöthig, daß man vorher eine ge - raume Zeit gute Handſachen ſpielt.

§. 13.

Gute Handſachen nenne ich die, worinnen eine gute Melodie und reine Harmonie ſteckt, und wobey jede Hand hinlänglich geübt wird.

§. 14.

Das Gehör gewöhnt ſich durch dieſe Beſchäftigung bey Zeiten an einen guten Geſang, auf welchen, wie wir in der Folge bemerken werden, beym Accompagnement hauptſächlich mit ge - ſehen wird.

A 2§. 15.4Einleitung.

§. 15.

Man bekommt einen empfindbaren Begriff von aller - hand Tactarten und Zeitmaſſe, ſamt ihren Figuren; eine ſehr nutz - bare Bekanntſchaft mit den meiſten Aufgaben des Generalbaſſes; eine Fertigkeit in den Fingern und Leichtigkeit vom Blatte zu ſpie - len; folglich werden durch dieſe Handſachen zugleich Augen, Ohren und Finger geübt.

§. 16.

Das fleißige Anhören guter Muſiken, wobey man auf gute Begleiter genau Achtung giebt, iſt beſonders anzura - then; das Ohr wird dadurch gebildet, und zur Aufmerkſamkeit gewöhnt.

§. 17.

Dieſe genaue Aufmerkſamkeit läßt keine Schönheit in der Muſik ohne Rührung vorbey. Man empfindet ſogleich, wie ein Muſicus auf den andern genau höret, und einen Vortrag darnach einrichtet, damit ſie vereint den geſuchten Endzweck errei - chen. Dieſes Lauſchen iſt überhaupt bey der Muſik und alſo auch beym Accompagnement, ohngeacht der beſten Bezifferung, unentbehrlich.

§. 18.

Der heutige Geſchmack hat einen ganz andern Ge - brauch der Harmonie, als vordem, eingeführet. Unſre Melodien, Manieren und der Vortrag erfordern dahero oft eine andere Har - monie, als die gewöhnliche. Dieſe Harmonie iſt bald ſchwach, bald ſtark, folglich ſind die Pflichten eines Begleiters heut zu Tage von einem weit gröſſern Umfange, als ehemals, und die bekannten Regeln des Generalbaſſes wollen nicht mehr zureichen, und leiden auch oft eine Abänderung.

§. 19.

Ein Accompagniſt muß alſo jedem Stücke, welches er begleitet, mit dem rechten Vortrag die ihm zukommende Harmonie, und zwar in der gehörigen Stärke und Weite gleichſam anpaſſen. Er muß hierinnen dem Componiſten auf das genaueſte zu folgen ſuchen, und zu dem Ende beſtändig auf dieRipien -5Einleitung. Ripienſtimmen mit gut Achtung geben. Iſt aber keine Harmonie in Mittelſtimmen ausgeſetzt, z. E. beym Solo, oder Trio, ſo wird die Begleitung ganz allein nach dem Affecte des Stückes und dem Vortrag der Mitmuſicirenden eingerichtet, damit die Abſichten des Componiſten und der Ausführer befördert werden.

§. 20.

Auch hier iſt das Vorherſehen auf die Folge eben ſo nöthig, als beym Notenleſen überhaupt.

§. 21.

Nach dem, was im 19 §. erwehnet iſt, werde ich alſo ſo kurz und deutlich, als möglich, die gewöhnlichen Regeln, ihre Abänderungen, und hiernächſt ein Haufen Anmerkungen ſo wohl über das ganze Accompagnement überhaupt, als über jede Aufgabe beſonders anführen. Ich werde auf Mittel bedacht ſeyn, dieſe Aufga - ben leicht finden zu lernen. Die Gefährlichkeit, Fehler zu begehen, und die Mittel dawider ſollen treulich angezeigt werden. Die beſte Lage gewiſſer Aufgaben werde ich bekannt machen und überall ſa - gen, welches die unentbehrlichen, die weniger nothwendigen, die al - lenfals zu wiſſenden und die zu verdoppelnden Intervallen ſind.

§. 22.

Dieſes letztere iſt deswegen nöthig, weil die Har - monie bald ſchwach bald ſtark ſeyn muß, und bisweilen ein Stück in Anſehung der Vollſtimmigkeit alle Arten des Accompagnements erfordert.

§. 23.

Das Accompagnement kann ein zwey drey vier und mehrſtimmig ſeyn.

§. 24.

Das durchaus vier und mehrſtimmige Ac - compagnement gehört für ſtarke Muſiken, für gearbeitete Sa - chen, Contrapuncte, Fugen u. ſ. w. und überhaupt für Stücke wo nur Muſik iſt, ohne daß der Geſchmack beſonders dran Antheil hat.

§. 25.

Bey dem vierſtimmigen Accompagnemente werde ich ſowohl auf die Reinigkeit als beſonders auf eine geſchickte Fort - ſchreitung der Intervallen bedacht ſeyn. Eine Menge vonA 3Exem -6Einleitung. Exempeln wird darthun, wo es, um in einer bequemen Lage zu blet - ben, beſſer ſey, zwo Stimmen in den Einklang zuſammen gehen zu laſſen, als auf vier klingenden Taſten allezeit ſteif zu beſtehen, und lieber unnöthige Sprünge und ungeſchickte Fortſchreitungen dafür zu wählen. Es werden auch Exempel vorkommen, wo die linke Hand der rechten zu Hülfe kommen muß, um dieſe Fehler zu ver - meiden; Fehler, welche man den Clavieriſten zuweilen, wegen ihres vierſtimmigen Satzes vorgeworfen hat.

§. 26.

Das drey und wenigerſtimmige Accompag - nement braucht man zur Delicateſſe, wenn der Geſchmack, Vor - trag oder Affect eines Stücks ein Menagement der Harmonie for - dert. Wir werden in der Folge ſehen, daß alsdenn oft keine an - dre, als ſchwache Begleitung möglich iſt.

§. 27.

Bey unrichtigen und ungeſchickten Compoſitionen, wo oft gar keine reine Mittelſtimme, wegen des falſchen Baſſes, woraus ſie flieſſen ſollen, vorhanden iſt, deckt man, ſo viel möglich, die Fehler mit einer dünnen Begleitung zu; man geht ſparſam mit der Harmonie um; man greift zur Noth eine Ziffer; man nimt ſeine Zuflucht zu Pauſen, Nachſchlägen u. ſ. w.; man än - dert, wenn man allein accompagnirt und es ſich thun läßt, aus dem Stegereif den Baß und erhält dadurch richtige und natür - lich flieſſende Mittelſtimmen eben ſo gewiß, als wenn man mit den falſchen Ziffern ſo verfährt. Wie oft iſt dies letztere nicht nöthig!

§. 28.

Das einſtimmige Accompagnement beſtehet entweder aus den vorgeſchriebenen Baßnoten allein, oder aus ihrer Verdoppelung mit der rechten Hand.

§. 29.

Im erſtern Falle ſetzt man über die Noten t. s. tasto, tasto solo; im zweyten, all’uniſono, uniſoni. Weil dieſe Andeutungen zuweilen fehlen, ſo werde ich durch Anmerkungen undExem -7Einleitung. Exempel Gelegenheit geben zu errathen, wo das einſtimmige Ac - compagnement Statt hat.

§. 30.

Unter der Hauptſtimme verſtehe ich die Stimme, welche den Hauptgeſang in einem Stücke führt, wo nicht alles gleich gearbeitet iſt, z. E. in einem Solo, Concerte, Arie u. ſ. w.

§. 31.

Die Oberſtimme nenne ich die höchſte, ſo der Accompagniſt nimmt.

§. 32.

Bey dem Unterricht muß man ſeine Schüler das vorgelegte erſt ſpielen und alsdenn in zwey Syſteme ausſetzen laſſen. Das Ohr und das Auge lernen dadurch deutlich das Wahre von dem Falſchen unterſcheiden.

§. 33.

Hierbey muß man es aber nicht bewenden laſſen, ſondern mit ihnen über beydes urtheilen; man fordre von jeder Note gleichſam Rechenſchaft; man mache ihnen Einwürfe, welche ſie mit Gründen, warum z. E. dieſe und jene Note ſo, und nicht anders da ſtehen könne, aus dem Wege räumen müſſen.

§. 34.

Man fängt beym vierſtimmigen Accompagnement billig an, und legt es zum Grunde. Wer dieſes gründlich lernt, kann auch ſehr leicht mit den übrigen Arten umgehen.

§. 35.

Man gehe mit ſeinen Schülern, beſonders beym vierſtimmigen Accompagnement, die Aufgaben in allen Lagen durch, damit ſie ihnen bekannt werden. Da man hierbey bloß auf dieſen Endzweck iehet, ſo iſt es freylich nicht zu ändern, daß zuweilen ungeſchickte Fortſchreitungen mit unterlaufen, und Lagen vorkom - men, welche nicht die beſten ſind. Sie lernen indeſſen doch dadurch die beſten Fortſchreitungen und Lagen von den ſchlechten unter - ſcheiden; man muß ihnen aber bey Gelegenheit das Ungeſchickte und die Verbeſſerung zugleich mit deutlich zeigen.

§. 36.

Ob aber dieſe Fortſchreitungen gleich ungeſchickt ſeyn können, ſo müſſen ſie dennoch nicht falſch ſeyn: es muß nehmlich in dernöthi -8Einleitung. nöthigen Vorbereitung und Auflöſung nichts verſehen, und die ver - botnen Quinten und Octaven müſſen aufs ſtrengſte vermieden werden.

§. 37.

Indem man mit den Scholaren die vierſtimmige Begleitung in allen drey Lagen durchgehet, ſo lernen ſie noch auſſerdem, was im 35 §. angeführt iſt, (1) bey gewiſſen Gele - genheiten, wenn es nöthig iſt, eine von den Mittelſtimmen mit der linken Hand nehmen; (2) werden ihnen die Fälle bekannt, wo zwo Stimmen in den Einklang zuſammen gehen; (3) wird ihnen gezeiget, wie man zuweilen, um Quinten zu vermeiden, ohne zur Lage zurück zu kehren, die ſchon da geweſen iſt, noch eine Stimme mehr in der rechten Hand nimmt, welche man nachher wieder verläßt; (4) kommt die Wiederholung der Harmonie in einer höhern Lage auf derſelben Baßnote mit vor, um wieder in die Höhe zu kommen, wenn man zu tief herunter geweſen. Alle dieſe vier Hülfsmittel ſind beym Generalbaſſe nicht allein erlaubt, ſon - dern, wie wir in der Folge ſehen werden, oft nöthig.

§. 38.

Die unvermeidlichen ſteifen Fortſchreitungen, des - gleichen die verdeckten Quinten und Octaven, und einige erlaubte Quinten gegen den Baß, bringt man in die Mittelſtimmen; die Oberſtimme muß jederzeit ſingend, und in Anſehung des Baſſes ganz rein ſeyn.

§. 39.

Man fange in der Unterweiſung bey den leichten Auf - gaben an, und gehe ſie in der Ordnung alle durch. Ueber jede Aufgabe muß ein kurzes Uebungsexempel vorgeſchrieben werden. Dieſe Kürze erhält die Gedult, weil man nicht eher an ein neues Exempel gehen darf, biß das alte recht feſt im Kopfe und in Händen iſt. Im Gegentheil hält man die Lehrbegierigen durch eine unnöthige Weitläuftigkeit zu lange auf, und gewinnt nichts weiter, weil das fleißige Accompagniren ganzer und verſchie - dener Stücke nach der Kenntniß der Aufgaben, wozu kurze Exem -pel9Einleitung. pel hinreichen, folgen muß. Durch dieſe Uebung, wobey immer weniger Fehler nach und nach vorgehen, entſtehet endlich eine Fer - tigkeit, womit man zufrieden ſeyn kann.

§. 40.

Man überſetze dieſe kurzen Exempel mit allen Lagen in alle Tonarten, weiche und harte, damit ſie, nebſt ihrer Schreib - art den Scholaren recht bekannt werden. In der Folge über - laſſe man ihnen dieſes Ueberſetzen ſelbſt.

§. 41.

Ich habe angemerkt, daß es beſſer ſey beym Ue - berſetzen, die Tonarten auſſer der Reihe, und nicht neben einander zu nehmen, weil einige Scholaren gerne, ohne eignes Nachſin - nen, das Unüberſetzte mit der kleinen Veränderung durch Hülfe ihres guten Gedächtniſſes gar leicht Note vor Note nachſpielen und nachſchreiben. Sie verliehren dadurch ungemein; hingegen erlangen ſie im erſtern Falle nach und nach eine Fertigkeit, die Ziffern gleich zu treffen, und in einer proportionirten Lage zu blei - ben. Dieſe letzteren kommen immer verſchieden vor, und man hat alle Augenblicke Gelegenheit, ſich der erlaubten Hülfsmittel zu be - dienen, um in der gehörigen Weite zu bleiben; mit einem Worte, man wird endlich Meiſter über die Intervallen, ſie mögen liegen, wo ſie wollen.

§. 42.

Bey Gelegenheit des Ueberſetzens muß man ſeinen Schülern die Vorzeichnung jeder Tonart und die Urſache davon bekannt machen. Man mahle ihnen die Tonleiter von C dur und A moll vor, und laſſe ſie nach der erſten alle harte, und nach der letzten alle weiche Tonarten aufſchreiben. Es iſt ohne mein Erin - nern bekannt, daß man hierinnen von oben herunter (chagf u. ſ. w.) Stufenweiſe verfährt, und die Stufen, welche ohne Vor - zeichnung zu groß oder zu klein nach ihrem Vorbilde ſind, durch Verſetzungszeichen gleich machet. Sie lernen dadurch gar bald auswendig herſagen, wo, und wie viele Verſetzungszeichen beyBachs Verſuch. 2. Theil. Bdie10Einleitung. dieſer und jener Tonart vorgezeichnet werden müſſen; wie viel z. E. Des dur Been, und Cis dur Creuze hat. Geht man mit ihnen die Tonarten in Quinten - und Quartenprogreßionen durch, ſo ſehen ſie den allmähligen Anwachs der Verſetzungszeichen deutlich.

§. 43.

Dieſe Fertigkeit iſt allen Muſiklernenden anſtändig und nöthig. Es können unvermeidliche Fälle kommen: Man ſoll den Augenblick ans Accompagnement gehen, ohne daß man ſo viel Zeit hat, ſeine vorgelegte Stimme nur obenhin durch zu ſehen; kaum kann man aus der Schlußnote die Tonart erforſchen; die Vorzeichnung ſiehet man nur flüchtig an. Unangenehme Zumu - thung für einen, der die raren Verdienſte und ſchwehren Pflich - ten eines Ripieniſten genau kennt, und der gar wohl weiß, daß alle Ripienſtimmen von Rechtswegen, zur Erhaltung eines guten Vortrages, vor der Ausführung eines Stückes ſolten genau durch geſehen werden! Es können auch, auſſer dem Vortrag, Schreib - fehler, wenigſtens Undeutlichkeiten, Zweydeutigkeiten, unerwartete Veränderungen in Tactarten, Zeitmaſſe, Figuren, Tonarten u. ſ. w. vorfallen, welche auch bey dem geübteſten Ausführer eine Vorbereitung erfordern.

§. 44.

Hat man aber Zeit, ſeine Stimme vorher durch - zuſehen: ſo ſehe man zugleich genau auf die Vorzeichnung. Dieſe letztere iſt oft verſchieden, ohngeacht nur eine davon nach der obi - gen Vorſchrift gut iſt. Vor dieſem fand man ſelten das D moll mit einem Be, das C moll mit dem As, u. ſ. w. vorgezeichnet. Einige Componiſten thun daſſelbe noch jetzo, vielleicht aus Ge - wohnheit, vielleicht aus Liebe zum Alterthum, vielleicht aus an - dern Urſachen. Oft will der Componiſt aus guter Abſicht den Ausführer nicht verwirren, und alle Augenblicke eine neue Vorzeich - nung himahlen, beſonders bey Stücken mit vieler Chromatik, bey Recitativen, wo man im Moduliren viele Freyheit hat u. ſ. w.:ſon -11Einleitung. ſondern bleibt lieber bey einerley Vorzeichnung, oder ſetzt kein Ver - ſetzungszeichen vors Syſtem. Man vermißt alsdenn auch in der Bezifferung viele dieſer Zeichen, weil eine genaue Kenntniß jeder Tonart voraus geſetzt wird.

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Erſtes Capitel. Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 1.

Jeder Componiſt, der mit Recht ſeine Arbeit gut accompag - nirt haben will, iſt verbunden, die Baßſtimme recht und hinlänglich zu beziffern. Alle mögliche Regeln über unbezifferte Bäſſe langen nicht zu, und ſind oft falſch.

§. 2.

Findet ſich bey einem Solo die Hauptſtimme über dem Baſſe, oder alle Stimmen bey mehrſtimmigen Stücken drüber in Partitur: ſo kann der Accompagniſt allenfals ohne Ziffern zu rechte kommen; nur muß er in der Compoſition hinlänglich ge - übt ſeyn. Iſt aber überdem noch eine genaue Bezifferung über dem Baſſe, ſo kann das Accompagnement gut ſeyn. Ich ver - ſtehe hier unter dem guten Accompagnement den vollkom - menſten Grad. Auſſerdem weiß ich wohl, daß einem Clavierſpie - ler ſehr oft unbezifferte Bäſſe vorgelegt werden, und daß er ſich nicht allezeit alsdenn von dem Accompagnement loß machen kann.

§. 3.

Ich werde zu dem Ende Anmerkungen beybringen, wodurch ein geübter Accompagniſt eine groſſe Erleichterung ſpüren wird, auch unbezifferte Bäſſe ſo abzufertigen, daß man zufrieden ſeyn kann. Mein Hauptaugenmerk bey der LehreB 2des12Erſtes Capitel. des Generalbaſſes wird jedoch auf die bezifferten Bäſſe gerichtet werden.

§. 4.

Man kann ſeine Schüler in Erlernung der Ziffern nicht genug tummeln; ich bin deswegen kein Vertheidiger der zu ſehr gehäuften Ziffern; ich haſſe alles das, was einem Lehrbe - gierigen unnütze Mühe macht und die Luſt benehmen kann. Es kann jedoch niemand ohne vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern den Generalbaß gründlich lernen und gehörig accompagniren. So bald man ſich vor keiner Ziffer mehr fürchtet, ſo hat man alle mögliche Freyheit an die Feinigkeiten des Accompagnements zu denken. Dieſe letztern ſind Urſache, daß wir mehr Ziffern brauchen müſſen, als vordem bey der gewöhnlichen Art zu beglei - ten nöthig war. Kann man wohl bey der Erklärung ſeiner Gedanken hierüber der Ziffern entbehren?

§. 5.

Man laſſe dahero ſeine Scholaren fleißig Stücke begleiten, wo wegen der darinnen vorkommenden Chromatik die Bäſſe hinlänglich und folglich ſtark beziffert ſind. Ich habe in dieſer Abſicht meines ſeeligen Vaters bezifferte Bäſſe mit groſſem Nutzen und ohne Lebensgefahr der Scholaren gebraucht. Auch den Fingern ſind ſie nicht ſchädlich. Man wechſle fein oft mit richtig bezifferten Compoſitionen verſchiedener Meiſter ab. Man lernt dadurch allerhand Arten von Bezifferung und Modulation kennen. ; an raiſonnire mit ſeinen Schülern, wenn ſie ſchon hinlängliche Begriffe haben, darüber. Die Einſichten, welche hie - raus entſtehen, ſind in der Folge von groſſem Nutzen, machen aber dabey eine vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern nicht nur unentbehrlich, ſondern defördern ſie vielmehr.

§. 6.

Das Generalbaßſtudium könnte viel leichter und angenehmer gemacht werden, wenn man wegen der Art zu be - ziffern überall einig würde. Hierzu müſten gute Clavierſpieler,wel -13Von den Intervallen und den Signaturen. welche ſelbſt gut accompagniren können, das meiſte beytragen. Man trift groſſe Componiſten und Muſiker an, die ſich ein gu - tes Accompagnement ſehr wohl gefallen laſſen, denen es aber viel - leicht ſchwehr fallen ſolte, alles ſo, wie es auf dem Claviere ſich ausnimmt, und wie es folglich ſeyn muß, anzudeuten. Unter die vornehmſten Puncte, worüber man überein kommen müſte, wür - den wohl folgende gehören: Man muß alles nöthige genau an - zeigen; man muß weder zu viel noch zu wenig Ziffern über die Noten ſetzen; man muß ſolche Ziffern wählen, welche dem Vor - trage gemäß ſind; man muß dieſe Ziffern an ihren rechten Ort ſetzen; man muß Zeichen der Andeutung machen, wenn man keine hat; man muß alle Arten vom Accompagnement, beſonders das drey zwey und einſtimmige, da, wo es ſeyn ſoll, an - deuten u. ſ. w.

§. 7.

Die Vergleichung eines Tons mit dem andern heißt ein Intervall.

§. 8.

Alle im Generalbaſſe vorkommende Zeichen, welche das Accompagnement angehen, heiſſen: Signaturen.

§. 9.

Alle Intervallen werden von der Baßnote aufwärts durch Stufen abgezählt und erhalten daher ihren Namen, welcher durch die Ziffer angedeutet wird.

§. 10.

Die brauchbarſten Intervallen im Generalbaß ſind folgende:

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B 314Erſtes Capitel.
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§. 11.

Ein Intervall behält ſeinen Namen, ſo lang es auf ſeiner Stufe bleibt, es mögen noch ſo viele Verſetzungszeichen da - vor ſtehen; alſo ſtehen alle Secunden auf der zweyten, alle Terzen auf der dritten Stufe u. ſ. w.

§. 12.15Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 12.

Die Verſchiedenheit der Gröſſen, ſie mögen durch Verſetzungszeichen oder ohne dieſelben entſtehen, geben den In - tervallen gewiſſe Beywörter.

§. 13.

Wir merken hierbey, um uns über dieſe Verſchie - denheit deutlich erklären zu können, daß der Schritt von einer Taſte zur nächſten ein halber Ton heiſſe, und daß zween halbe Töne zuſammen genommen einen ganzen Ton begreifen.

§. 14.

Die kleine Secunde enthält einen halben Ton, die groſſe einen ganzen, und die übermäßige anderthalb Ton.

§. 15.

Die verminderte Terz begreift einen ganzen Ton, die kleine anderthalb Ton, und die groſſe zween ganze Töne.

§. 16.

Die verminderte Quarte enthält zween ganze Töne; die reine liegt einen halben Ton höher als die groſſe Terz; die übermäßige begreift einen ganzen Ton mehr als die groſſe Terz.

§. 17.

Die falſche Quinte liegt einen halben Ton höher als die reine Quarte; die reine begreift einen ganzen Ton mehr als die reine Quarte; die übermäßige liegt einen halben Ton höher als die reine.

§. 18.

Die verminderte Sexte enthält ſo viel Töne als die reine Quinte; die kleine liegt einen halben Ton höher als die reine Quinte; die groſſe liegt einen ganzen Ton, und die übermäßige anderthalb Ton höher als die reine Quinte.

§. 19.

Die verminderte Septime enthält einen halben Ton mehr als die kleine Sexte; die kleine liegt einen ganz Ton niedriger als die Octave; die groſſe einen halben Ton unter der Octave.

§. 20.

Die verminderte Octave iſt um einen halben Ton niedriger als die reine; die reine beſteht aus fünf ganzen und zween halben Tönen; die übermäßige liegt einen halben Ton höher als die reine.

§. 21.16Erſtes Capitel.

§. 21.

Die kleine None hat mit der kleinen Secunde, und die groſſe mit der groſſen Secunde gleichen Sitz im Gebrauche. Eigentlich iſt ſie von jener um eine Octave unterſchieden.

§. 22.

Die Primen, Decimen, Undecimen und Duo - decimen ſind nichts anders als Octaven, Terzen, Quarten und Quinten. Sie werden mit einer 1, 10, 11 und 12 an - gedeutet, und kommen mehrentheils in der galanten Schreibart und beym dreyſtimmigen Accompagnement vor. Man braucht ſie, um die ſangbare Fortſchreitung der Stimmen deutlich zu be - merken. Z. E.

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Wir ſehen hierbey, daß die Fortſchreitung der 1 in die 2, und der 2 in die 1 natürlicher iſt, und deutlicher ins Auge fällt, als wenn man von der 8 in die 2, und von der 2 in die 8 gehen wolte (a). Eben dieſe Deutlichkeit äuſſert ſich bey dem Gebrauch der 10, 11 und 12 (b). Man braucht dieſe zuſammen geſetzte Zahlen nur alsdenn, wenn die einfachen, 7, 8 und 9 entweder drauf folgen, oder vorhergegangen ſind (c). Ferner giebt dieſe Bezeichnung deutlich zu erkennen, ob man mit zwoen Stimmen in Terzen oder in Sexten fortgehen ſoll (d); ein Umſtand, der in dem feinen Accompagnement nicht allezeit willkührlich iſt.

§. 23.

Der Einklang im eigentlichen Verſtande iſt: Wenn zwo oder mehrere Stimmen auf einer Taſte zuſammen kom -men.17Von den Intervallen und den Signaturen. men. Er kann alſo nicht wohl ein Intervall heiſſen. Die Octave wird mehrentheils darunter verſtanden, und wir werden weiter unten vom Einklange in dieſer Art beſonders handeln. Einige wählen, ſtatt der Prime, den Ausdruck Einklang, und bezeichnen ihn auch mit der 1.

§. 24.

Die Intervallen behalten in allen Octaven ihren Sitz und Namen.

§. 25.

Die Secunde hat zwar mit der None gleichen Sitz, iſt aber, wie wir unten hören werden, von ihr ſehr unterſchieden.

§. 26.

Die Intervallen nimmt man, was ihre Gröſſe be - trift, ſo wie es die Beſchaffenheit des Syſtems mit ſich bringt; folglich nehmen ſie alſo auch die beym Syſtem vorgezeichneten Verſetzungszeichen ohne beſondere Andeutung mit an. Wenn z. E. beym Syſtem vor dem f ein × ſtehet, ſo iſt die Sexte zu a nicht mehr f, ſondern fis, und die bloſſe 6 wird übers a geſetzt.

§. 27.

Wenn aber bey den Intervallen Verſetzungszeichen vorkommen, welche beym Syſtem nicht vorgezeichnet ſind, ſo wird es beſonders angedeutet.

§. 28.

Ein Intervall heißt natürlich groß u. ſ. w. wenn es ſo iſt, wie es das Syſtem abmahlet: zufällig groß u. ſ. w. wird ein Intervall durch neu hinzu gefügte Verſetzungszeichen.

§. 29.

Ein Strich durch die Ziffer, oder ein × darneben, erhöht das Intervall um einen halben Ton:

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Die Art der Bezeichnung mit dem Strich iſt überall bey uns Deutſchen bekannt und gewöhnlich. Auch die Italiäner haben ſie; bloß die Franzoſen gehen hierinnen ab, und richten eine Verwir -Bachs Verſuch. 2. Theil. Crung18Erſtes Capitel. rung an. Man beſehe Le Clairs bezifferte Bäſſe, welcher ſo wohl die natürlich groſſen als zufällig kleinen Intervallen beyde gleich, nehmlich mit einem Strich, bezeichnet.

§. 30.

Ein b durch die Ziffer, oder darbey, erniedrigt das Intervall um einen halben Ton:

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§. 31.

Ein durch die Ziffer, oder darneben, ſetzt das Intervall in ſeinen natürlichen Platz. Es iſt, ohne mein Erin - nern, bekannt, daß dieſes in den Tonarten mit Creuzen ernie - drigt, und in denen mit Been erhöhet:

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§. 32.

Zween Striche, zwey Creuze, oder ein einfaches Creuz durch die Ziffer, oder darbey, erhöhen das Intervall um einen ganzen Ton:

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Die Andeutung durch zwey Creuze iſt die ſeltenſte und undeutlichſte.

§. 33.

Zwey Been, oder ein groſſes b durch die Ziffer, oder darneben, erniedrigen das Intervall um einen ganzen Ton.

Z. E.19Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.

[figure]

Das groſſe b iſt noch nicht ſehr eingeführt, ſo bequem es auch iſt.

§. 34.

Die Zeichen, und ×, welche nach einer doppel - ten Verſetzung die einfache wieder herſtellen, ſind zwar bey der Bezifferung nicht ſo gewöhnlich als es die genaue Schreibart er - fordert. Weil ſie aber doch vorkommen können, ſo wollen wir ſie mit anmerken, damit man nicht davor erſchrecke.

§. 35.

Man laſſe es ſich nicht befremden, wenn einige über die Noten zuweilen Been und Striche durch die Ziffern, ſtatt des viereckigten Be, ſetzen. Die verſchiedene Bedeutung dieſes Be Quadrats, welches bald erniedriget bald erhöhet, kann an derglei - chen Zerſtreuung Schuld haben. Z. E.

[figure]

Von der falſchen Quinte, auch von der kleinen und verminder - ten Septime iſt man es eher gewohnt, daß ſie mehrentheils mit einem Be erſcheinen.

§. 36.

Die Terz kann, ohne 3, durch bloſſe Verſetzungs - und Wiederherſtellungszeichen angedeutet werden:

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C 2§. 37.20Erſtes Capitel.

§. 37.

Die Andeutung der Striche, der viereckigten und runden Been durch die Ziffer, wenn es ſeyn kann, iſt am leichte - ſten zu überſehen, und zeigt bey den nahe neben einander ſtehenden Ziffern deutlich an, welcher Ziffer dieſe Zeichen zukommen.

§. 38.

Wenn dieſe Zeichen aufgehoben werden ſollen, ſo muß man es andeuten, ſonſt gelten ſie fort.

§. 39.

Derſelbe Umſtand iſt auch bey den Ziffern nöthig, wenn ſie über oft wiederholten Noten ſtehen, welche ihr eigen Ac - compagnement haben. Man bleibt bey der erſten Ziffer ſo lange, bis eine neue kommt:

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Hier wird zu den erſten vier Noten die Sexte viermahl ange - ſchlagen, ehe die Quinte eintritt.

§. 40.

Die Ziffern, welche gerade über einer Note ſtehen, werden mit ihr zugleich angeſchlagen; wenn ſie ſich aber zur rech - ten Hand der Note ſeitwärts befinden, ſo ſchlägt man ſie nach, ob ſie gleich zur Note gehören und von ihr abgezählt werden:

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§. 41.

Es iſt nicht gut, die Ziffern unter die Noten zu ſetzen, weil dahin die Zeichen des forte und piano gehören: es ſey denn bey gewiſſen Stellen, wo es nicht zu ändern iſt, wenn z. E. zwo Stimmen in einem Syſtem übereinander ſtehen, eine für das Violoncell und die andere für das Clavier.

§. 42.21Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 42.

Wenn bey Fugen der Eintritt der Thematum in der Grundſtimme vorkömmt, ſo ſpielt man nach der Vorſchrift, und ſchlägt nicht eher Accorde an, als bis Ziffern kommen. Eben dieſes gilt überhaupt bey kurzen Stellen, wo die rechte Hand etwas obligates ausführen ſoll; man pflegt dieſes in kleinen Noten aus - zudrücken.

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§. 43.

Die Ziffern, die über einem Puncte ſtehen, wodurch die Noten verlängert werden, ſchlägt man beym Eintritt des Puncts an; ſie beziehen ſich auf die vorhergehende Note.

§. 44.

Die Ziffern, welche über einer kurzen Pauſe ſte - hen, werden zur Pauſe angeſchlagen, und beziehen ſich auf die folgende Note:

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§. 45.

Die Ziffern über langen Pauſen werden zwar auch zur Pauſe angeſchlagen, ſie beziehen ſich aber auf die vorherge - hende Note:

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Das geübte Ohr kann gar bald das Beziehen, wovon in die - ſem und vorhergehenden § die Rede iſt, aus dem Zuſammenhange entdecken.

C 3§. 46.22Erſtes Capitel.

§. 46.

Man theilt die Ziffern, welche nachgeſchlagen wer - den, folgender Geſtalt in die Geltung der Baßnote ein. Wenn dieſe letztere zween gleiche Theile, und eine Ziffer, oder mehrere über einander ſeitwärts bey ſich hat, ſo werden die Ziffern, die zur Seite ſtehen, zum zweyten Theil der Baßnote angeſchlagen:

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Bey einer Note von zween gleichen Theilen mit zwoen Ziffern neben einander, theilen ſich die Ziffern in die Geltung der Note gleich:

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Sind drey Ziffern neben einander über einer ſolchen Note, ſo kommt die erſte Hälfte der erſten Ziffer, welche gerade über der Note ſtehet, zu, und die andere Hälfte fällt in gleicher Theilung auf die zwo letztern Ziffern:

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§. 47.

Wenn eine Note von drey gleichen, oder, welches einerley iſt, von zween ungleichen Theilen, zwo Ziffern neben ein - ander über ſich hat: ſo fällt der erſte groſſe Theil, oder zween Dritttheile auf die erſte Ziffer, und der kleine Theil, oder ein Dritttheil auf die letzte Ziffer:

Z. E.23Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.

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Bey einer Note von dieſer Art mit dreyen Ziffern neben einander, fällt auf jede Ziffer ein Dritttheil:

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§. 48.

Dieſe Art der Eintheilung iſt die gewöhnlichſte; wer hiervon abgehen will, muß es ausdrücklich andeuten, als z. E.

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Bey beyden Exempeln will der Vortrag dieſer Vorſchläge, daß man von der obigen Regel abweichet; das Strichelgen, welches in mehreren Fällen die Fortdauer einer Ziffer bedeutet, zeigt hier die Eintheilung deutlich an. Einige laſſen das Strichelgen weg, und ſondern die letzte Ziffer von den zwoen erſten etwas ab: allein dieſe Art der Bezeichnung iſt verwerflich, weil ſie Zweydeutigkeiten veranlaſſen kann. Oft weiß man nicht zuverläßig, ob der Com - poniſt oder der Abſchreiber die Ziffern ſo zuſammen gerückt und abgeſondert hat. Z. E.

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In dieſem Fache fehlt es noch an Zeichen, wie wir weiter ſehen werden.

§. 49.24Erſtes Capitel.

§. 49.

Bey folgenden Exempeln werden die Ziffern zu zween gleichen Theilen in die Noten eingetheilt:

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§. 50.

Weil alſo auf den Stand der Ziffern viel ankommt: ſo muß ſowohl der Componiſt als Copiſt beym Schreiben auf genugſamen Platz bedacht ſeyn, zumahl wenn viele Bogen und andre Zeichen des Vortrags über die Noten geſetzt werden, damit die Ziffern da ſtehen können, wo ſie ſollen.

§. 51.

Alle Intervallen ſind entweder conſonirend oder diſſonirend.

§. 52.

Ein Intervall, welches man ohne Vorbereitung, d. i. ohne, daß es in dem vorigen Griffe ſchon da iſt, anſchla - gen, verdoppeln, und in der Folge damit herauf oder hin - unter gehen oder ſpringen kann, heißt conſonirend.

§. 53.

Mit der kleinen und groſſen Terz, mit der rei - nen Quinte, mit der kleinen und groſſen Sexte und mit der reinen Octave kann man ſo verfahren; folglich ſind dieſe Intervallen conſonirend.

§. 54.

Wir merken beylänſig mit an, daß die Octave und Quinte vollkommene Conſonanzen heiſſen, weil ſie (1) keine Verändrung als Conſonanzen mit ſich vornehmen laſſen, ſondern ſogleich diſſoniren, ſobald ſie gröſſer oder kleiner gemacht werden; (2) weil ein einziger Anſchlag von ihnen das Ohr ſo vergnügt, daß man niemals mit zwoen fortſchreiten darf. Es entſpringt daher die bekannte und erſte Hauptregel der Harmonie: Man muß niemals mit zwo Octaven oder reinen Quin - ten hinter einander in zwo Stimmen in gleicher Bewe -gung25Von den Intervallen und den Signaturen. gung weder fortſchreiten noch ſpringen. Dieß Vergehen heißt ſchlechtweg Quinten und Octaven machen:

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Die gerade Bewegung iſt, wenn ſich zwo oder mehrere Stimmen zugleich hinauf oder herunter bewegen (a); bey der Gegenbewegung gehen und ſpringen ſie auseinander (b):

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§. 55.

Man weiß ohne mein Erinnern, daß man die ver - botenen Octaven nicht da ſuchen muß, wo der Componiſt aus guten Urſachen zuweilen die Stimmen, wie es heißt, im Uniſono gehen läßt. In der Verbindung der Accorde ſind ſie anzutreffen.

§. 56.

Die Terz und Sexte heiſſen unvollkommene Conſonanzen, weil ſie groß und klein gemacht werden können, und doch gut klingen; das Ohr kann auch viele Terzen und Sexten hinter einander vertragen.

§. 57.

Mit den übrigen Intervallen kan man ſo eigent - lich nicht verfahren, als wie wir bey §. 52. von den Conſonanzen gehört haben: folglich ſind ſie aus der Urſache diſſonirend.

§. 58.

Die weſentlichen Eigenſchaften der Diſſonanzen lie - gen ſchon in der Benennung. Vermöge dieſer Benennung ma - chen ſie einen Uebellaut. Hieraus folgt, daß man ſie mit ge - wiſſen Umſtänden gebrauchen muß. Ihre natürliche Härte muß, ſo viel möglich, gemindert werden. Dieſes geſchiehet, wenn manBachs Verſuch. 2. Theil. Dſie26Erſtes Capitel. ſie vorbereitet und auflöſet, d. i. wenn ſie vorher als Con - ſonanzen ſchon da ſind, und nachher wieder zu Conſonanzen wer - den. Sie klingen einfach widrig genug, folglich darf man ſie nicht verdoppeln; ihre Auflöſung iſt nöthig, folglich würde dieſe Verdoppelung verbotene Octaven hervorbringen.

§. 59.

Damit wir bey dieſer Gelegenheit einen deutlichen Begriff von dem Gebrauch der Diſſonanzen überhaupt bekommen, ſo ſehen wir bey dem erſten Tacte in folgenden Exempeln ihre Vor - bereitung, und bey dem zweyten ihre Auflöſung, vermöge wel - cher ſie entweder eine Stufe herunter oder hinauf treten:

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§. 60.

Die Auflöſung iſt bey den Diſſonanzen ganz und gar nothwendig, aber die Vorbereitung nicht allezeit. Wir wer - den weiter unten von ein paar Fällen handeln, wo ebenfals die Auflöſung wegbleiben kann.

§. 61.

Ueber liegenden, oder in einem Tone bleibenden Baßnoten können alle Diſſonanzen unvorbereitet angeſchlagen werden. Weil hier keine Vorbereitung wegen der Unbeweglich - keit des Baſſes möglich iſt: ſo wird dieſer Mangel durch dieſe Unbeweglichkeit erſetzet.

§. 62.

Aber auch auſſer dieſem Falle können viele Diſſo - nanzen bisweilen unvorbereitet vorkommen.

§. 63.

Ein neu hinzugefügtes Verſetzungszeichen, welches eine vorbereitete Diſſonanz noch mehr erniedrigt, hebt die Vorberei - tung nicht auf. Es folgt dieſes aus dem, was wir im eilften § angeführet haben:

Z. E.27Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.

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§. 64.

Die Diſſonanzen werden oft wieder zu Diſſonanzen bey der Auflöſung (a), auch ohne Auflöſung, durch Vermittelung des Baſſes (b), zu letzt aber muß doch die Hauptauflöſung in eine Con - ſonanz geſchehen:

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Dieſes Verfahren nennt man eine Aufhaltung (retardatio) der Auflöſung.

§. 65.

Zuweilen wartet die rechte Hand den Eintritt der Baßnote, worüber eine Diſſonanz aufgelöſet werden ſoll, nicht ab, ſondern fällt mit der Auflöſung vorher ein (a); dann und wann thut daſſelbe der Baß (b):

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Beyde Fälle nennt man eine Vorausnahme (anticipatio) der Auflöſung.

D 2§. 66.28Erſtes Capitel

§. 66.

Wenn man vor der Reſolution den Ton der Grund - ſtimme mit einem andern in der rechten Hand verwechſelt: ſo gehet eine Verwechſelung der Harmonie vor:

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§. 67.

Wenn der Baß den Ton, worein eine Diſſo - nanz in der rechten Hand ſolte aufgelöſet werden, ergreift: ſo nennt man dieſes eine Verwechſelung der Auflöſung. Dieſe Diſſonanz erhält dadurch die Freyheit, und überläßt dem Baſſe die Reſolution:

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Wir überlaſſen den Componiſten die gute Art, dieſer Freyheit ſich zu bedienen, und machen ſie den Accompagniſten hier nur bekannt.

§. 68.

Unter den geſchwinden Noten hat ſelten eine jede ihr eignes Accompagnement. Von den Noten, welche ohne Ac - compagnement angeſchlagen werden, ſagt man: Sie gehen durch.

§. 69.

Einzelne durchgehende Noten werden nicht an - gedeutet; wenn aber viele hinter einander vorkommen, ſo ſetzt man einen Queerſtrich darüber, welcher ſo weit reicht, als die rechte Hand ruhen ſoll. Sie kommen bey allerley Zeitmaaſſe und Tactarten in allerhand Figuren vor. Bisweilen geht die Hälfte von den Noten durch (a); zuweilen weniger als die Hälfte (b); manchmal gehen bey geſchwinder Zeitmaaſſe, und wenn die Noten kurz ſind, die allermeiſten durch (c):

Z. E.29Von den Intervallen und den Signaturen.
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§. 70.

Bey einer langen Dauer durchgehender Roten kann das zuletzt da geweſene Accompagnement wiederholt werden:

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§. 71.

Bey gewiſſen Gelegenheiten, welche an ihrem Orte vorkommen werden, pflegt man auch von den Intervallen zu ſagen: Sie gehen durch. Dieſes kann auf dreyerley Art geſche - hen: (1) Wenn der Baß liegen bleibt:

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(2) Wenn bey der Bewegung des Baſſes die Ziffern liegen bleiben:

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D 3(3) Wenn30Erſtes Capitel.

(3) Wenn ſich beyde bewegen:

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§. 72.

Bey geſchwinden Trommelbäſſen, woran man ſich ſteif ſpielen kann, läßt man auch zuweilen in der linken Hand Noten durchgehen. Das mehrere hiervon kann man im erſten Theile meines Verſuchs, in der Einleitung, in einer Note nachſehen.

§. 73.

Den Ausdruck Durchgang (tranſitus) braucht man eigentlich von ſtufenweiſe gehenden Baßnoten.

§. 74.

Wenn alsdenn das gehörige Accompagnement blos auf die dem innerlichen Werthe nach lange Noten fällt: ſo iſt der Durchgang regulär (tranſitus regularis). Unter Noten von gleicher Geltung iſt die erſte, dritte u. ſ. w. dem innerlichen Werthe nach (virtualiter) lang; und die zweyte, vierte u. ſ. w. kurz:

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§. 75.

Wenn die Begleitung, welche der virtualiter kur - zen Note zukommt, vorausgenommen, und zur langen Note an - geſchlagen wird, ſo iſt der Durchgang irregulär (tranſitus irregularis) und die Noten heißt man alsdenn Wechſelnoten:

[figure]
§. 76.31Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 76.

Wenn man die anſchlagende Note nicht beziffern will, ſo ſetzt man entweder die Ziffern über die nachſchlagende Noten allein, oder bezeichnet die anſchlagenden Noten noch oben ein entweder mit einem Seitenſtrich, einer Null, einer halben Null, oder einem m, welches, wenn es nöthig iſt, verlängert wird:

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Das Zeichen mit dem ſchrägen Strich bey Numer (2) iſt das beſte.

§. 77.

Dieſer irreguläre Durchgang beſtehet aus ſol - chen Vorausnahmen der Auflöſung, davon wir einige im §. 65. bey (a) geſehen haben.

§. 78.

Man braucht die Diſſonanzen, welche in beyderley Arten von Durchgängen vorkommen, wenn ſie gleich vorbereitet ſind, nicht allezeit aufzulöſen:

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§. 79.

Dieſelbe Freyheit hat man bey Diſſonanzen, welche durch Verwechſelung des Klanggeſchlechts zu Conſonanzen werden:

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§. 80.

Hingegen werden wir in der Folge ſehen, daß die Conſonanzen zuweilen ihre Freyheit verlieren, und wie Diſſo - nanzen vorbereitet und aufgelöſet werden.

Zweytes32Zweytes Capitel. Vom harmoniſchen Dreyklange.

Zweytes Capitel. Vom harmoniſchen Dreyklange.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Die vollkommenſte Harmonie von Conſonanzen, mit der ſich mehrentheils ein Stück anfängt, und allezeit endiget, iſt der eigentliche harmoniſche Dreyklang.

§. 2.

Es beſtehet ſolcher aus dem Grundtone, deſſen Quinte und Terz.

§. 3.

Wenn hierzu die Octave genommen wird, ſo ent - ſtehet der eigentliche Accord, bey welchem die Quinte rein ſeyn muß; blos die Terz kann verändert und groß oder klein werden.

§. 4.

Dieſer Accord heißt hart, wenn die Terz groß iſt; und weich, wenn die Terz klein iſt.

§. 5.

Der uneigentliche harmoniſche Dreyklang hat entweder eine falſche oder eine vergröſſerte Quinte bey ſich.

§. 6.

Man nennt ihn im erſtern Falle den vermin - derten, und im letztern, den vergröſſerten Dreyklang.

§. 7.

Wir werden die Lehre von dieſen uneigentlichen Dreyklängen, welche Diſſonanzen bey ſich haben, abhandeln, ſobald wir mit den conſonirenden Accorden zu Ende ſeyn.

§. 8.

Der eigentliche Accord kann, wie alle vierſtimmige Sätze, in dreyen Lagen verändert werden; einmal kann die Quinte, einmal die Octave und einmal die Terz in der Ober - ſtimme ſeyn:

Z. E.33Vom harmoniſchen Dreyklange.

Z. E.

[figure]

§. 9.

Wenn über einer Note, welche nicht durchgehet, entweder gar nichts, oder ein Verſetzungszeichen allein, oder eine 8, 5, 3 einzeln, oder zwey davon, oder alle drey ſtehen: ſo greift man den eigentlichen Accord.

§. 10.

Weil bey dieſem Accorde die Quinte rein ſeyn muß: ſo nimmt man ſie auch ohne Andeutung rein:

[figure]

§. 11.

Es kann nach Beſchaffenheit der Umſtände die Octave wegbleiben, und ſowohl die Terz als Quinte verdoppelt werden.

§. 12.

Wenn aber die Terz zufällig groß iſt, ſo wird ſie nicht verdoppelt.

§. 13.

Im dreyſtimmigen Accompagnement bleibt die Octave weg, es ſey dann, daß wegen einer Auflöſung oder we - gen des Geſanges der Hauptſtimme die Quinte dafür weggelaſſen würde.

Bachs Verſuch. 2. Theil. E§. 14.34Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 14.

Bey der zweyſtimmigen Begleitung nimmt man, wenn es kein andrer Umſtand hindert, die Terz allein.

§. 15.

Man merke ſich, um auf dem Syſtem einen ge - meinen Accord leicht finden zu lernen, daß Noten auf drey Li - nien oder drey Spatiis, welche zunächſt über einander ſind, einen Dreyklang abgeben.

§. 16.

Wenn ich zween Töne greife, wo drey Taſten dar - zwiſchen ſind, ſo habe ich die groſſe Terz; ſind aber nur zwo Taſten in der Mitte, ſo iſt die Terz klein.

§. 17.

Die Gegenbewegung iſt überhaupt beym Accom - pagnement die ſchönſte und ſicherſte, beſonders bey unſern Accorden; man entgehet dadurch den offenbaren und verdeckten Quin - ten und Octaven.

§. 18.

Verdeckte Quinten und Octaven erkennt man, wenn bey zwoen in der gleichen Bewegung ſpringenden Stim - men die ledigen Intervalle ausgefüllt werden, und bey dieſer Ausfüllung in einigen von den letzten Noten Quinten und Octa - ven vorkommen:

[figure]

§. 19.

Man kann ſie noch eher in den Mittelſtimmen unter ſich, und gegen den Baß, als in der Oberſtimme gegen den Baß erlauben, weil bey der letztern auf eine genaue Reinig - keit und auf den guten Geſang hauptſächlich geſehen werden muß; dieſe Progreßion aber macht einen unreinen, und folglich ſchlechten Geſang.

§. 20.

Folgende verdeckte Quinten können auch in den äuſſerſten Stimmen angehen:

Z. E.35Vom harmoniſchen Dreyklang.

Z. E.

[figure]

§. 21.

Zwo offenbare Quinten von verſchiedener Art können auf einander folgen.

§. 22.

Im Heruntergehen kann in allen Stimmen auf eine reine Quinte eine falſche folgen:

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Aber die Folge einer reinen Quinte auf eine falſche erlaubt man nur aus Noth, und nicht leicht in den äuſſerſten Stimmen:

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§. 23.

Im Heraufgehen iſt die Progreßion von einer reinen Quinte zur falſchen beſſer (a), als von einer falſchen zur reinen, weil die falſche Quinte von Natur ſich herunter neigt (b):

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Beyde Arten gehören in die Mittelſtimmen.

§. 24.

Mit der rechten Hand überſchreitet man nicht leicht das zweygeſtrichne f: es ſey dann, daß der Baß ſehr hoch geht, oder ſtatt des Baßſchlüſſels ein höherer in der Grundſtimme ſtehet, oder eine gewiſſe Zierlichkeit in der Höhe ausgedruckt werden ſoll, wenn zum Exempel die Lage bey einer wiederholten Paſſagie ver - ändert werden ſoll u. ſ. w.

E 2§. 25.36Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 25.

Tiefer als die Hälfte der ungeſtrichenen Octave, darf die rechte Hand nicht wohl gehen; es wären dann derglei - chen Umſtände im Gegentheil vorhanden, wie wir im vorigen § angeführet haben.

§. 26.

Bey der Information kann man dieſe vorgeſchriebene Höhe und Tiefe überſchreiten, damit die Scholaren die Exempel in allen Lagen üben können, und dadurch überall bekannt werden.

§. 27.

Auſſerdem pflegt die rechte Hand mit der Ober - ſtimme im Bezirk des Discantſyſtems anzufangen; wenn daſſelbe die Grundſtimme innerhalb ihres Baßſyſtems thut.

§. 28.

Man kann den Grund zum Accompagnement nicht beſſer legen, als wenn man ſeine Schüler alle vier und zwanzig Accorde aufs genaueſte lernen läßt. Dieſes muß nach und nach geſchehen; man läßt ſie dieſe Accorde in allen dreyen Lagen auf der ganzen Taſtatur hinauf und herunter greifen. Im Anfange iſt man zufrieden, wenn dieſes langſam geſchiehet; nach und nach aber muß man beſtändig auf eine mehrere Hurtigkeit dieſer Uebung dringen, damit die Hände endlich die nöthige Fertigkeit erhalten, jeden Accord, welchen man nur will, ſogleich ohne Anſtoß an - zuſchlagen.

§. 29.

Der Anfang muß mit ein paar ſolcher Accorde ge - ſchehen, und man gehet nicht eher weiter, als bis die hinlängliche Wiſſenſchaft und Fertigkeit davon da iſt.

§. 30.

Man verbinde in der Folge eine Lection mit der andern; auf dieſe Art wird das Alte immer wiederholt und nicht vergeſſen.

§. 31.

Sowohl hier, als bey allen übrigen Aufgaben, muß man die Scholaren fleißig nach den Intervallen fragen, damit ſie bey der mechaniſchen Fertigkeit im Treffen auch im Stande bleiben, ſolche ohne langes Beſinnen gleich herzuſagen. Ich37Vom harmoniſchen Dreyklang. Ich habe dieſe Anmerkung aus der Erfahrung nöthig befunden, weil viele durch eine lange Uebung und ihr gutes Ohr die mei - ſten Accorde und Ziffern treffen, ja ganze Stücke begleiten, ohne daß ſie dafür können; die Intervallen ſind ihnen ſo wenig bekannt als die Regeln. So nützlich und nöthig ein gutes Ohr iſt: ſo verführeriſch und ſchädlich kann es ſeyn, wenn man ſich lediglich darauf verläßt, und den Kopf nicht dran ſträngen will.

§. 32.

Man nimmt die Accorde da, wo ſie am nächſten ſind. Dieſes iſt überhaupt beym Accompagnement zu merken.

§. 33.

Wenn alſo der Baß um zwo Stufen ſteigt: ſo be - hält man die Intervalle, welche zur letzten Note ſchon da ſind, und nimmt nur die Quinte aufs neue darzu:

[figure]

Und wenn er um zwo Stufen fällt; ſo hat man blos die Octave aufzuſuchen:

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§. 34.

Steigt oder fällt aber der Baß um eine Stufe: ſo braucht man in allen Stimmen die Gegenbewegung:

E 3Z. E.38Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

Z. E.

[figure]

§. 35.

Steigt der Baß, mit zwoen groſſen Terzen über ſich, um einen halben Ton eine Stufe höher: ſo geht man entweder mit der Quinte und Terz von einander in die Octav, oder zuſammen in den Einklang; folglich nimmt man zur letzten Note die Terz dop - pelt, und die Octave bleibt weg:

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Nimmt man dieſen Gang rückwärts, ſo muß bey der erſten Rote die Octave weggelaſſen, und die Terz doppelt genommen werden:

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Widri -39Vom harmoniſchen Dreyklang.

Widrigenfalls begehet man mit der einen Stimme eine unme - lodiſche Fortſchreitung in die übermäßige Secunde, welche zu vermeiden iſt:

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§. 36.

Die Quinte muß bey den Schlüſſen niemals in der Oberſtimme ſeyn. Die Octave iſt hierzu das geſchickteſte In - tervall, wenn man kann; nächſt dieſer aber die Terz, nur muß die Schlußnote der Hauptſtimme nicht tiefer ſeyn, als dieſe Terz.

§. 37.

Wenn beyde Hände einander zu nahe kommen, oder die rechte Hand zu tief herunter iſt: ſo kann man über eben derſel - ben Note, wenn ſie nicht zu geſchwind iſt, den Accord in einer höhern Lage noch einmal wiederholen; hat man aber die Zeit nicht hierzu, ſo nimmt man in der Höhe noch eine Stimme mehr, und verläßt in der Folge die unterſte. Dieſes Hülfs - mittel braucht man (1) nur aus Noth, weil ich glaube, daß man auſſerdem bey vier regulären Stimmen bleiben und nicht leicht darüber gehen muß; (2) bey Conſonanzen, weil die Diſſonanzen das Accompagnement mehr einſchränken.

Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Man dringe bey ſeinen Schülern fleißig auf die Gegenbewe - gung auch alsdenn, wenn ſie nicht höchſtnöthig iſt. In den Uebungsexempeln bringe man zu dem Ende alle mögliche verführeriſche Gänge vor, um ihnen die Fehler, ſo dabey vorge - hen können, deutlich zu zeigen. Hier thut das Ausſetzen des Generalbaſſes beſonders gute Dienſte.

§. 2.40Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 2.

Endlich, wenn man merkt, daß ſie die Gefährlich - keiten vollkommen kennen, ſo kann man ihnen auch die Fälle zeigen, wo zuweilen, des Geſanges wegen, die gerade Bewegung der andern vorzuziehen iſt, z. E.

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§. 3.

Wir ſehen aus dieſen Exempeln, daß es gut thut, wenn die Oberſtimme in gleicher Bewegung mit dem Baſſe in Terzen fortgehet. Die groſſen Terzen beſonders mögen gerne in die Höhe gehen, wenn es durch eine vorbereitete Diſſonanz, oder durch die Gefahr einer widrigen Verdoppelung nicht gehindert wird, als z. E.

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§. 4.

Daher muß man bey folgendem Exempel, wenn man nun ſchon einmal die groſſe Terz oben hat, nicht mit ihr durch die Gegenbewegung in die Quinte herunter fallen:

Z. E.41Vom harmoniſchen Dreyklang.

Z. E.

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ſondern lieber ein kleineres Uebel, nemlich verdeckte Octaven, wählen, als obige unnatürliche Fortſchreitung bey einer Cadenz:

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§. 5.

Die zufällig groſſen Terzen lieben am meiſten das Aufſteigen (a); dahero nimmt man zur letzten Note des dritten Exempels, wenn die Octave vorher in die Septime gegangen iſt, eine Stimme noch darzu, damit der Dreyklang am Ende voll - kommen da ſey (b): wenn man aber die Quinte verläßt, und dafür die Septime ergreift, ſo iſt dieſes Hülfsmittel alsdenn nicht nöthig (c):

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Bachs Verſuch. 2. Theil. F§. 6.42Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 6.

Beym vierſtimmigen Accompagnement nimmt man es mit dieſen groſſen Terzen, wenn ſie nicht oben liegen, ſo genau nicht, ſondern ſie können herunter ſpringen:

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§. 7.

Iſt das Accompagnement aber dreyſtimmig, ſo geht man mit der groſſen Terz auch in der Mittelſtimme in die Höhe, und ſiehet nicht auf die Vollſtändigkeit des Dreyklanges:

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§. 8.

Unſer Accord wird zwar ohne Andeutung gegriffen: wenn man aber die Ziffern, welche ſeine Intervallen anzeigen, einzeln, oder zuſammen über Noten antrift, ſo hat es ſeine guten Urſachen. Bald ſind Diſſonanzen, welche über derſelben Note in unſern Accord aufgelöſet werden, daran Schuld (a); bald werden zu meh - rerer Deutlichkeit aus dem Accord Ziffern über eine Note geſetzt, wenn Diſſonanzen nachgeſchlagen werden (b), oder die ganze Har - monie ſich verändert (c); bald pflegt man dadurch das Ac - compagnement einer Note zu bemerken, welche durchzugehenſchei -43Vom harmoniſchen Dreyklang. ſcheinet (d). In allen dieſen vier Fällen nimmt man den ganzen Accord.

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§. 9.

Zuweilen aber will man, bey geſchwinden gehenden Noten, durch darüber geſetzte Terzen, dem Begleiter zu verſtehen geben, daß die rechte Hand mit dieſem Intervall ganz allein der Grundſtimme in gleicher Bewegung folgen ſoll:

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§. 10.

Die Uebungsexempel über die eigentlichen Accorde müſſen ſich nicht über die natürliche Modulation erſtrecken, da - mit das Gehör nicht auf einmal mit allen vier und zwanzig Tönen gleichſam überſchüttet werde. Man muß es vielmehr beyzeiten vor Ausſchweifungen bewahren, und an einen natürlichen Zuſammen - hang der Harmonie gewöhnen. Wenn dieſe kurzen Exempel in alle Tonarten überſetzt werden: ſo kommen die Accorde ohnedem alle vor; man ſiehet durch dieſes Ueberſetzen hernach die Urſachen ein, warum gewiſſe Töne zuweilen mit Creuzen, zu - weilen mit Been geſchrieben werden, und doch dieſelben blei - ben, z. E.

F 2Z. E.44Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
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§, 11.

Folgende kleine Exempel mögen hinlänglich ſeyn, meine Meinung wegen des vorhergehenden § zu erklären. Die Ziffern über den Noten zeigen das Intervall in der Oberſtimme bey der beſten Lage an.

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§. 12.45Vom harmoniſchen Dreyklang.

§. 12.

Wenn die Accorde im getheilten Accompagne - ment vorkommen, ſo iſt entweder eine Zierlichkeit oder Noth - wendigkeit daran Schuld. So viel einem Accompagniſten hievon zu wiſſen nöthig iſt, wird an ſeinem Orte in deutlichen Exempeln vorkommen. Das getheilte Accompagnement iſt, wenn die linke Hand auch etwas von Ziffern nimmt, ohne daß der Satz vollſtimmiger wird. Die Harmonie wird dadurch zerſtreut und folglich oft ſchöner; die Auflöſung der Diſſonanzen macht dieſes zuweilen nothwendig.

§. 13.

Was wir oben von der Prime, Decime und Duodecime angeführet haben, gilt auch hier.

Drittes Capitel. Vom Sextenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Der Sextenaccord, welcher blos die groſſe und kleine Sexte angehet, beſtehet aus lauter Conſonanzen, näm - lich der Sexte, Terz und Octave.

§. 2.

Die gewöhnlichſte Bezeichnung dieſes Accordes iſt eine 6 allein; auſſerdem findet man zuweilen die übrigen In - tervallen aus gewiſſen Urſachen mit angedeutet.

§. 3.

Die nöthigen Verſetzungszeichen müſſen bey der Andeutung nicht vergeſſen werden.

§. 4.

Die Unterterz vom Grundtone iſt die Sexte davon, und der Dreyklang von dieſer Unterterz oder Sexte iſt der Sextenaccord.

F 3§. 5.46Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 5.

Man nimmt den Sextenaccord mit der Octave am ſeltenſten, etwa bey einzelnen Grundnoten mit der 6, und aus Noth, wenn es die Diſſonanzen fodern u. ſ. w. Man verdop - pelt lieber die Terz oder Sexte und läßt die Octave weg.

§. 6.

Bey dieſer Verdoppelung, welche ſowohl mit dem Einklange als mit der Octave geſchehen kann, geht keine Ziffer verlohren. Die Intervallen eines eigentlichen Accords, welche er enthält, bleiben allezeit:

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Hingegen entgehet man dadurch vielen Fehlern, und der gute Geſang wird erhalten, wie wir weiter ſehen werden.

§. 7.

Folgende Regeln ſind bey der Verdoppelung zu beobachten: (1) Bey der natürlich groſſen Sexte mit der groſſen Terz überhaupt, kann man von beyden Intervallen verdoppeln, welches man will:

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(2) Weder die natürlich noch zufällig groſſe Sexte wird verdoppelt, wenn ſie die kleine Terz bey ſich hat.

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(3) Wenn aber die zufällig groſſe Sexte eine zufäl - lig groſſe Terz bey ſich hat, ſo läßt ſich beydes verdoppeln; in dieſem einzigen Falle wird eine Terz von dieſer Art verdoppelt:

Z. E.47Vom Sextenaccord.

Z. E.

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(4) Ein zufällig erhöhendes Verſetzungszeichen vor einer Grundnote mit dem Sextenaccord wird nicht ver - doppelt (a): wenn aber über ſolchen Noten die Sexte zufällig groß iſt, ſo kann es verdoppelt werden (b):

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§. 8.

Das dreyſtimmige Sextenaccompagnement beſte - het aus der bloſſen Terz und Sexte.

§. 9.

Bey der zweyſtimmigen Begleitung unſerer Ziffer verliehrt man allezeit ein Intervall; ſie kommt alſo nicht leicht vor. Wenn die Hauptſtimme viele Sexten hinter einander piano vorzutragen hat, ſo wäre dieß der Fall, da der Accompagniſt die Terzen allein darzu nähme:

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§. 10.

Wenn bey gehenden, oder in Terzen ſpringenden Grundnoten viele Sexten hinter einander vorkommen, ſo braucht man die Verdoppelung wechſelsweiſe, um keine Octaven zu machen:

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48Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.
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Obgleich die Nothwendigkeit der Verdoppelung bey dieſen gehenden Baßnoten gröſſer iſt, als bey den ſpringenden: ſo verdoppelt man doch gerne bey den letztern um des guten Geſanges in der Oberſtimme willen.

§. 11.

Dieſe Gänge werden am bequemſten dreyſtimmig accompagnirt, wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt. Man hat als - denn nur eine gute Lage; bey der zweyten werden aus den Quarten Quinten. Die Sexte muß alſo beſtändig oben liegen; auch beym vierſtimmigen Accompagnement iſt dieſes die ſangbarſte und ſicherſte Lage.

§. 12.

Wenn man den Sextenaccord mit der Octave nimmt, ſo greift man die letztere nicht gerne in der Oberſtimme.

§. 13.

Die unmelodiſchen Fortſchreitungen (x) werden durch die Verdoppelung vermieden:

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§. 14.

Wenn auf die 6 gleich darauf eine 5 folgt, ſo geht man in derſelben Stimme mit der Sexte in die Quinte, und läßt die übrigen Stimmen liegen. Dieſe Aufgabe kommtzuweilen49Vom Sextenaccord. zuweilen oft hinter einander vor. Man kann alle drey Arten des Sextenaccompagnements brauchen, wenn nur die oben ange - führten Regeln wegen der Verdoppelung auch hier in acht ge - nommen werden. Wenn dieſe folgenden Exempel in die übrigen Lagen überſetzt werden: ſo kommt die Verdoppelung mit dem Ein - klange mit vor. Bey einem paar Exempeln mit der doppelten Terz finden wir, daß die eine Terz zuweilen die Quinte ergreift, indem die Sexte liegen bleibt; man vermeidet dadurch Sprünge, und kann ſich in der Lage erhalten, welches ohne dieſe Hülfe nicht wohl möglich iſt, wenn dieſe Aufgabe nur einmal vor - kömmt:

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§. 15.

Wenn über einer Note 56 ſtehet: ſo ſchlägt man beym Eintritt der Note den eigentlichen Accord an, und geht mit der Quinte in die Sexte. Die übrigen Stimmen bleibenBachs Verſuch. 2. Theil. Gliegen;50Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt. liegen; kommt dieſer Satz aber oft hinter einander vor: ſo iſt das dreyſtimmige Accompagnement mit der Terz allein das leich - teſte, und bey geſchwinden Noten in Stücken, welche ohnedem eine ſtarke Begleitung nicht nöthig haben, das vorzüglichſte.

§. 16.

Soll in dieſem Falle die Begleitung vierſtimmig ſeyn: ſo hilft man ſich gar leicht, um keine Fehler zu machen, durch die Verdoppelung, weil die ganze Aufgabe aus Conſo - nanzen beſteht. Die Exempel, wo beyde Arten der Verdoppelung abwechſeln, ſind die beſten. Von dieſer regelmäßigen Verdoppe - lung muß man die diſſonirenden falſchen Quinten, die ſich mit einmiſchen können, ausſchlieſſen (a); hiernächſt vermeidet man den Sprung in die übermäßige Quarte (b). Das ſpringende Accompagnement mit, und ohne Verdoppelung bey (c) iſt nicht unrecht, aber nicht allezeit ſchöne. Bey (d) ſehen wir ein Ex - empel im getheilten Accompagnement.

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51Vom Sextenaccord.
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Die falſche Quinte ſcheint zwar wider ihre Art bey (a) (b) (c) (d) im Durchgange in die Höhe zu gehen: allein wenn man den Satz genau betrachtet, ſo ſiehet man die Auflöſung deutlich:

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§. 17.

In der galanten Schreibart kommt zuweilen vor. Dieſes iſt ein dreyſtimmiger Satz, und muß von derſelben Signa - tur, welche vier Stimmen erfordert, ſehr wohl unterſchieden wer - den. Hier wäre es gut, ein Unterſcheidungszeichen zu beſtimmen, weil die Fälle, wo dieſe Bezifferung vorkommt, oft zweydeutig ſind. Dieſe trift man über Grundnoten an, wo zuweilen die Terz (a), zuweilen die Quarte (b), zuweilen gar keine Ziffer weiter, ohne groſſe Härte, zur vierten Stimme genomenenG 2wer -52Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt. werden könnte, wenn man nicht bey dreyen Stimmen blei - ben müßte (c).

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§. 18.

Wenn man aber die Begleitung vierſtimmig einzu - richten hat: ſo kommt dieſe Signatur bey Auflöſungen vorher - gehender Diſſonanzen (a), auch auſſerdem, wenn man die Modulation einer Stimme deutlich bemerken will, vor (b). Da nun dieſe letztere Urſache auch bey dieſem dreyſtimmigen Satze da iſt, und kein Unterſcheidungszeichen hingeſetzt wird: ſo kann man nichts beſſers anrathen, als hören und urtheilen.

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§. 19.

Der Vorgang und die Folge doppelter Ziffern iſt mehrentheils in dieſem Falle ein Zeichen, daß das Accom - gagnement dreyſtimmig ſeyn ſoll; deswegen wenn man über dieſe Signatur einen Telemanniſchen Bogen ſetzte (): ſo würde man die vorhergehenden und folgenden dreyſtimmigen Sätze leicht daran erkennen.

§. 20.

Wenn die Sexte die verminderte Octave bey ſich hat: ſo greift man weiter nichts darzu. Dieſe Octave geht herunter, und wird als eine Vorhaltung der folgenden Note angeſehen. Folgende Exempel ſind merkwürdig; beym letztern kommt vorher, und folgt im Durchgange nach:

Z. E.53Vom Sextenaccord.
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§. 21.

Die übermäßige Sexte iſt eine Diſſonanz, welche mit (a) und ohne Vorbereitung (b) vorkommt, alle - zeit aber in die Höhe gehet. Das nöthige Verſetzungszeichen wird mit der Ziffer angedeutet. Wenn mit dieſer Sexte weiter keine Signatur über der Grundnote ſtehet: ſo hat ſie im drey - ſtimmigen Accompagnemente die Terz bey ſich, welche, wenn der Satz vierſtimmig ſeyn ſoll, verdoppelt wird.

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§. 22.

Die verminderte diſſonirende Sexte kommt ſelten vor. Sie erfordert einen beſondern Liebhaber. Wer ſie braucht, der vorbereitet ſie und löſet ſie im Heruntergehen auf. Am leidlichſten klingt ſie, wenn ſie die groſſe Terz allein bey ſich hat. Das nöthige Verſetzungszeichen darf hier auch nicht fehlen:

G 3Z. E.54Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

Z. E.

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Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Man merke überhaupt, daß das Vorherſehen auf die Folge am allernothwendigſten bey ſolchen Aufgaben iſt, wo mehr als eine Art der Begleitung vorkömmt. Man hat nicht allezeit die freye Wahl, weil man ſich auf die folgenden Fälle geſchickt machen muß.

§. 2.

Bey den Cadenzen, zumahl wenn ſtatt , die kleine Sexte mit der zufällig groſſen Terz gleich eintritt, nimmt man gerne die Octave zur Sexte (a); ingleichen iſt ſie nothwendig, wenn die Vorbereitung (b), oder die Auflöſung (c) einer folgenden Diſſonanz dieſes fordert. Beym letzten Exempel iſt die Octave nöthig, um den unnöthigen Sprüngen aus dem Wege zu gehen. Auch hier kann man zur Vorſicht einen Tele - manniſchen Bogen ſetzen ([1D1A3;]6).

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§. 3.55Vom Sextenaccord.

§. 3.

Wenn in der Grundſtimme eine Note mit dem Sextenaccord um eine Stufe in die Höhe tritt, wobey dieſe letz - tere Note über ſich hat: ſo nimmt man am ſicherſten die Octave zur Sexte, wenn es ſeyn kann. Dieſe Fortſchreitung der Stimmen iſt die beſte (a). Bey der doppelten Terz geht in einer von den dreyen Stimmen ein Sprung vor (b). Mit ſo vielem Recht ein Componiſt zuweilen aus guten Urſachen in den Mittelſtimmen Sprünge anbringt, mit eben ſo zureichendem Grunde vermeidet ſie ein Accompagniſt ſo viel möglich. Die doppelte Sexte kann bey unſerm Exempel leicht Anlaß zu Quin - ten geben (c); will man ſie vermeiden, ſo muß man in zwoen Stimmen Sprünge vornehmen (d). Ich ſage oben mit Fleiß: Wenn es ſeyn kann, weil man dann und wann gezwungen wird, entweder die Sexte oder Terz zu verdoppeln. An der Ver - doppelung der Terz kann ein zufälliges Erhöhungszeichen Schuld ſeyn, welches man nicht verdoppeln darf (e); die Verdoppelung der Sexte können Diſſonanzen verurſachen, welche gehörig aufgelöſet werden müſſen, wie wir bey (f) an der Septime und übermäßi - gen Quinte ſehen:

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§. 4.

Wenn bey einer Grundſtimme Noten mit vielen Sex - ten nach einander ſtufenweiſe herauf und hinunter gehen, und ſich durchgehende Noten mit einmiſchen: ſo wird dadurch die Nothwendigkeit der Verdoppelung bey der vierſtimmigen Beglei - tung nicht aufgehoben;

Z. E.56Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
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§. 5.

Daß ſelbſt die Gegenbewegung bey gewiſſen Lagen nicht allezeit hinlänglich ſey, Quinten zu vermeiden, ſehen wir aus folgenden Exempeln. Durch die Verdoppelung werden dieſe Fehler verbeſſert (a). Bey (b) thut die Gegenbewegung in allen Lagen ohne Verdoppelung gut, blos die Lage bey (c) taugt nicht:

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§. 6.

Die Verdoppelung mit dem Einklange macht in der Oberſtimme einen guten Geſang, hält die Lage beſſer zuſammen, als die mit der Octave, und iſt alſo oft vorzüglicher, wie wir aus folgenden Exempeln ſehen:

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§. 7.

Wenn man nicht gehörig auf die Folge ſiehet, und den Sextenaccord darnach einrichtet, ſo iſt es noch ein Glück, wenn man den Fehlern kaum entgehen kann. Im erſternfol -57Vom Sextenaccord. folgenden Exempel muß man bey der durchgehenden Note die Octave wieder ergreifen, damit die Septime vorherliege (a). Dieſe Art von Bäſſen ſind überhaupt für die Accompagniſten bequem, ſie erlauben ſo viel Zeit, daß man ſich allenfalls vor - her beſinnen kann, was angeſchlagen werden ſoll. Indeſſen wird dieſe Nothhülfe bey (a) niemals zur Schönheit werden. Beym zweyten Exempel muß die kleine Terz zur groſſen Sexte verdop - pelt werden, oder man muß, wenn die Octave zur Sexte ſchon angeſchlagen iſt, das getheilte Accompagnement wählen, weil die Quarte da, wo ſie iſt, liegen bleiben muß (b); aus der Urſache muß man bey dem letzten Exempel entweder die Sexte beym Sext - quartenaccord verdoppeln (×), oder über dem folgenden a bey der zwoten Hälfte dieſer Note die Verdoppelung fahren laſſen, und dafür die Octave ergreifen, damit die Septime vorbereitet ſey: (c)

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§. 8.

Bey folgendem erſten Exempel, wo zwo Verdoppe - lungen hinter einander vorgenommen werden müſſen, ſehen wir die Nothwendigkeit mit den Arten der Verdoppelung abzuwechſeln,Bachs Verſuch. 2. Theil. Hdamit58Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt. damit keine Octaven vorgehen. Bey dem letztern Exempel nimmt dieſe Nothwendigkeit wegen mehrerer Verdoppelungen zu. Auf dieſe Art bleibt man in der Lage, und vermeidet unnütze Sprünge:

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§. 9.

Die groſſe Sexte, wenn ſie die kleine Terz bey ſich hat, neigt ſich in die Höhe, folglich iſt das letztere Accompa - gnement bey folgendem Exempel dem erſtern vorzuziehen. Dieſe Anmerkung iſt am nöthigſten, wenn die Sexte in der Oberſtimme liegt:

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§. 10.

Die Verdoppelung im Einklange erlaubt mehr Frey - heit als die in der Octave. Bey jener kann allenfalls ein zufällig Erhöhungszeichen verdoppelt werden, wenn man z. E. den Sprüngen aus dem Wege gehen will:

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59Vom Sextenaccord.

Da dieſes die Componiſten zuweilen in ihren Mittelſtim - men thun, wobey doch allezeit dieſe Verdoppelung zween Töne hören läßt: ſo kann man es den Clavieriſten noch eher erlauben, weil auf ihrem Inſtrumente nur ein Anſchlag zum Gehör kommt.

§. 11.

Der im erſten Abſchnitte §. 10. angeführte Gang, wenn er dreyſtimmig geſpielt wird, nimmt ſich am beſten aus, wenn die Stimmen vom Baſſe nicht zu weit entfernt ſind, weil ſonſt die einzelnen Quarten zu ſehr hervorſtechen. Uebrigens darf man wegen dieſer Quarten, weil ſie herauf und herunter gehen und ſpringen, keine Unruhe haben; es ſind Quarten gegen die Mittelſtimmen, aber nicht gegen den Baß. Man ſey nur beſorgt, daß ſie durch die Umkehrung nicht zu Quinten werden.

§. 12.

Wenn bey einem unbezifferten Baſſe, die darüber ſtehende Hauptſtimme durch eine kurze Note die Terz oder Sexte ver - ändert: ſo kehrt man ſich hieran nicht, ſondern bleibt bey den ſchon gegriffenen Ziffern, wenn auch die Zeitmaaſſe langſam iſt:

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§. 13.

Zuweilen nöthigt uns die Folge, das Accompagne - ment der Sexte fünfſtimmig einzurichten:

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H 2§. 14.60Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 14.

Es iſt ſchon mehr als einmal angeführt worden, daß man beym Accompagnement die Fortſchreitung in die über - mäßige Secunde zu vermeiden habe. Da aber dem ohngeachtet dieſe Progreßion in der Melodie oft eine Zierde iſt, ſo ereignen ſich daher gewiſſe Fälle, wo man ſie nicht allein ohne Verant - wortung braucht, ſondern man würde den Geſang verderben, wie wir bey (a) ſehen, wenn man das Accompagnement anders einrich - tete. Auſſer dem vermeidet man dieſe Fortſchreitung billig.

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Viertes61

Viertes Capitel. Von dem uneigentlichen verminderten harmoniſchen Dreyklange.

§. 1.

Der uneigentliche verminderte Dreyklang hat, im vier - ſtimmigen Accompagnement, auſſer der falſchen Quinte noch die kleine Terz und Octave bey ſich. Bey der drey - ſtimmigen Begleitung bleibt die Octave weg.

§. 2.

Er wird entweder gar nicht, oder durch die gewöhn - liche Signatur der falſchen Quinte ([5b]) angedeutet. In den Ton - arten mit Creutzen kann, ſtatt des runden Bees, ein viereckigtes bey der 5 ſtehen (5 ). Zuweilen ſtehen die übrigen Ziffern dieſes Dreyklanges noch mit über der Grundnote.

§. 3.

Das Zeichen der falſchen Quinte allein wird oft der Bequemlichkeit wegen über Grundnoten geſetzt, wo dieſes Inter - vall die Sexte bey ſich hat. Die Modulation muß alsdenn ent - ſcheiden, ob unſer Dreyklang, oder der Sextquintenaccord gegrif - fen werden ſoll. Im erſtern Falle ſetzt der Herr Capellmeiſter Telemann mit gutem Grunde in ſeinen Bezifferungen einen Bogen über die . Das Verſetzungszeichen behält dieſe Ziffer demohngeachtet, wenn es nöthig iſt (). Hierdurch wird aller Verwirrung vorgebeuget, und die Ungeübten, welche noch nicht hinlängliche Einſichten in die Modulation haben, werden aus einer groſſen Verlegenheit gezogen.

H 3§. 4.62Viertes Capitel.

§. 4.

Die falſche Quinte iſt eine Diſſonanz, welche mit (a), und ohne Vorbereitung (b) vorkommt, und bey der Auflöſung herunter gehet:

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§. 5.

Sie kommt öfter mit andern Ziffern, als mit der Octave und Terz vor, wie wir in der Folge ſehen werden. Unſer Dreyklang klingt dreyſtimmig gut, aber vierſtimmig etwas leer. Wenn man, ſtatt der Octave, alsdenn die Terz verdoppelt, ſo conſoni[r]en alle Mittelſtimmen unter ſich, dieſes macht ihn erträg - licher: iſt aber die Octave in der Oberſtimme, ſo klingt er am ſchlechteſten. Die Einrichtung der Lage hängt noch eher von einem vorſichtigen Begleiter ab, als die Verdoppelung. Die Auflöſung einer Diſſonanz kann die letztere zuweilen verhindern:

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§. 6.

Wenn vor der Grundnote, mit unſerm Dreyklange, ein zufälliges Erhöhungszeichen ſtehet, ſo läßt man die Octaveweg,63Von dem uneigentl. verminderten harm. Dreyklange. weg, und verdoppelt die Terz (a). Dieſe Verdoppelung iſt auch auſſerdem zuweilen nothwendig, um einen guten Geſang zu er - halten, und unmelodiſche Sprünge zu vermeiden (b):

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§. 7.

Die zweyte Klangſtufe in weichen Tonarten leidet die falſche Quinte, ſowohl mit der Octave, als auch mit der groſſen Sexte, über ſich: wenn nun bey folgenden Exempeln der Baß nicht beziffert iſt, die Hauptſtimme aber über dem Baſſe ſtehet, ſo iſt wegen der Folge dieſe Bezifferung die beſte, welche unter den Grundnoten ſtehet. Bey (a) ſehen wir, daß man in die unvorbereitete falſche Quinte ſpringen kann. Dieſe Diſſonanz hat bey unſerm Dreyklange mehr Freyheit, als auſſerdem:

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Fünftes64Fünftes Capitel.

Fünftes Capitel. Von dem uneigentlichen vergröſſerten harmoniſchen Dreyklange.

§. 1.

Der uneigentliche vergröſſerte Dreyklang hat auſſer der übermäßigen oder vergröſſerten Quinte bey der vier - ſtimmigen Begleitung noch die groſſe Terz und Octave bey ſich. Im dreyſtimmigen[Accompagnement] bleibt die Octave weg.

§. 2.

Die dazu gehörige Grundnote hat entweder das Zei - chen der übermäßigen Quinte allein ([5]) (5 ), oder nebſt dieſer die übrigen dazu gehörigen Ziffern über ſich.

§. 3.

Die übermäßige Quinte iſt eine Diſſonanz, welche nicht leicht ohne Vorbereitung vorkommt, und bey der Auflöſung in die Höhe tritt. Man findet ſie, wenn der Compo - niſt zuweilen, wegen der Zierlichkeit des Geſanges, ſtatt der rei - nen Quinte, dieſes übermäßige Intervall nimmt (a); auſſerdem kommt ſie mehrentheils bey einer aufgehaltenen Sexte vor (b); dann und wann iſt ſie wegen der Modulation ohne Andeutung nothwendig (c):

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§. 4.65Von dem uneigentl. vergröſſerten harm. Dreyklange.

§. 4.

Die Verdoppelung der Terz, mit Weglaſſung der Octave, thut bey unſerm Dreyklange nicht übel, weil die Mittelſtimmen alsdenn insgeſammt unter ſich conſoniren:

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§. 5.

Weil die übermäßige Quinte in unſerm Dreyklange mehrentheils als eine Zierlichkeit vorkommt, ſo verträgt ſie das dreyſtimmige Accompagnement eher als das vierſtimmige. Dieſes letztere kommt eigentlich vor, wenn dieſe Diſſonanz mehr Ziffern bey ſich hat.

§. 6.

Eine langſame Modulation durch halbe Töne, wobey unſre Quinte vorkommt, wird dreyſtimmig begleitet. Dieſe halben Töne in der Hauptſtimme ſchicken ſich nicht wohl in eine geſchwinde Zeitmaaſſe: wenn ſie aber ja vorkommen ſollten, ſo werden ſie nicht mitgeſpielt:

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Bachs Verſuch. 2. Theil. JSechstes66Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt.

Sechstes Capitel. Vom Sextquartenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Der Sextquartenaccord hat auſſer den Intervallen, wovon er den Nahmen führt, die Oetave zur vierten Stimme bey ſich; bey der dreyſtimmigen Begleitung bleibt die letztere weg.

§. 2.

Die Signatur iſt hinlänglich, dieſen Accord an - zudeuten.

§. 3.

Die kleine und groſſe Sexte, und alle unſere drey Arten von Quarten kommen dabey vor; folglich enthält er nur eine Diſſonanz, nemlich die Quarte. Die Gröſſe dieſer Intervallen wird aus dem Syſtem und aus den beygefügten Verſetzungszeichen erkannt.

§. 4.

Die verminderte Quarte hat einer Vorbereitung nöthig (a); die reine und übermäßige nicht allezeit (b). Die erſtern beyden gehen bey der Auflöſung herunter; die letztere tritt in die Höhe, indem der Baß herunter geht:*Weil die wenigſten Exempel mit der übermäßigen Quarte in unſerm Sextquar - tenaccorde taugen, ſo bin ich genöthiget geweſen, um den eigentlichen Gebrauch dieſes Intervalles deutlich zeigen zu können, Vorbilder mit dem Secundenaccorde, wo dieſe Quarte am meiſten gebraucht wird, anzuführen.

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§. 5.

Wenn man den Dreyklang von der Quarte des Grund - tones weiß, ſo kennt man auch den Sextquartenaccord.

§. 6.67Vom Sextquartenaccord

§. 6.

Die Folge wird uns lehren, daß die Sexte, als eine Conſonanz, bey dieſem Accorde gar wohl aus gewiſſen Urſachen verdoppelt werden kann: es gehet kein Intervall verlohren, obgleich alsdenn die Octave wegbleibet.

§. 7.

Die reine Quarte diſſonirt zwar bey unſerer Auf - gabe am wenigſten, dem ohngeachtet aber muß ſie dennoch aufge - löſet werden, wenn ſie nicht im Durchgange vorkommt. Bey dem letztern kann ſie allenfalls verdoppelt werden, wenn es nöthig iſt, und die vorhergehenden Ziffern es erlauben. Folgende Exempel ſind wegen der durchgehenden Quarte anzumerken:

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§. 8.

Die reine Quarte kann die groſſe und kleine Sexte bey ſich haben. Die Auflöſung dieſes Accords kann gleich drauf in geſchehen (a); doch iſt dieſes nicht allezeit nothwendig, der Baß mag liegen bleiben oder ſich fortbewegen, weil wir oft die Folge von Ziffern anders finden, wobey zuweilen die Auflöſung der Quarte zwar aufgehalten, aber nicht abgebrochen wird (b):

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68Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt.
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§. 9.

Wenn bey dem Sextenaccorde die Terz durch die Quarte aufgehalten wird, ſo verträgt dieſer delicate Satz am beſten das dreyſtimmige Accompagnement. Soll die Begleitung aber vierſtimmig ſeyn: ſo läßt man die Octave weg, und ver - doppelt dafür die Sexte. Wir werden aus ein paar Exempeln unter dem folgenden § ſehen, daß ſich dieſer Fall auch vor dem Sextquintenaccord, wobey die Quinte falſch iſt, ereignen kann. Alle drey Quarten, und beyde conſonirende Sexten kön - nen hierbey vorkommen; die erſtern müſſen insgeſamt vorbereitet ſeyn und gehen herunter. Dieſe Aufgabe kommt bey unſern heutigen und gefälligen Geſchmacke alle Augenblicke vor, und verträgt die Octave ganz und gar nicht. Wie nöthig iſt es alſo nicht, ſie durch ein Zeichen den Ungeübten kennbar zu machen! Wir wollen folgendes Zeichen wählen ().

§. 10.

Bey der verminderten Quarte iſt die Sexte klein (a); bey der übermäßigen iſt ſie groß (b), und bey der reinen kann ſie groß und klein ſeyn, wie wir ſchon oben gehöret haben (c). Wenn wir das mit einem (×) bezeichnete Exempel ausnehmen, ſo werden wir finden, daß dieſer Fall nicht leicht anders, als bey herauf und hinuntergehenden Grundnoten vorkommt. Bey den zweyen letztern Exempeln iſt dies die beſte Lage, wo die vorhergehende , oder zerſtreuet liegen.

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69Vom Sextquartenaccord.
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§. 11.

Wenn bey einem ruhenden Baſſe, nach der fal - ſchen Quinte, unſere vorkommt, ſo bleibt man bey der dreyſtimmigen Begleitung: will man aber die vierte Stimme darzu nehmen, ſo verdoppelt man gleichfalls die Sexte und läßt die Octave weg:

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Die kommt hier im Durchgange vor, und der ſimple Satz ſieht eigentlich ſo aus:

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§. 12.

Wenn bey , wo die Sexte groß iſt, die kleine Terz nachſchlägt, ſo nimmt man im vierſtimmigen Accompagne - mente, gleich :

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§. 13.

Bey der übermäßigen Quarte, wenn ſie im Durch - gange vorkommt, darf der Baß nicht allezeit herunter gehen (a). Das zweyte Exempel verträgt nur eine dreyſtimmige Begleitung. J 3Bey70Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt. Bey dem Exempel (b) tritt die übermäßige Quarte über dem f, durch eine Vorausnahme, zu zeitig ein, anſtatt, daß ſie um ein Achttheil ſpäter durchgehend in die groſſe Sexte ſchreiten ſolte, wie wir bey (c) ſehen. In dem letzten Exempel kann die Sexte über dem f verdoppelt werden, wann die Terz zum h oben liegt; dieſe Lage iſt hier die beſte:

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§. 14.

Wenn eine Grundnote mit dem eigentlichen Drey - klange, oder mit dem Sextenaccord um eine Stufe herunter ſteigt, und die letztere Note den Sextquartenaccord über ſich hat: ſo muß bey der erſtern, um Octaven zu vermeiden, eine Verdop - pelung vorgenommen werden:

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§. 15.

Bey dem Heraufſteigen des Baſſes mit einer 6, in eine Note mit , kann man die Octave, und auch die Ver - doppelung zum Sextenaccorde nehmen, es ſey dann, daß die Terz oben läge: alsdenn verdoppelt man die letztere entweder mit derOctave,71Vom Sextquartenaccord. Octave, oder mit dem Einklange (a); widrigenfalls kann ſelbſt die Gegenbewegung die Quinten nicht verhindern (b). Wenn in dieſem Falle die Terz klein und die Sexte groß iſt, ſo nimmt man am beſten die Octave zur Sexte; die Lage aber mit der Terz in der Oberſtimme muß man alsdenn vermeiden, und lieber dafür, wenn man kann, die Sexte oben nehmen (c):

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Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Es iſt beynahe beſſer, wenn man im folgenden Exempel die Auf - löſung der falſchen Quinte durch eine Verwechſelung dem Baſſe überläßt, und bey dem Sextquartenaccord die Sexte verdoppelt, als wenn man ſo verführe, wie es eigentlich ſeyn ſolte, daß nemlich die falſche Quinte bey der zwoten Note in die Octave ginge. Bey dieſer Art von Sextquartenaccord klingt die letztere allezeit widrig. Aus dieſem Grunde würde die Bezifferung unſers Exempels bey (b) beſſer ſeyn, als die vorhergehende bey (a):

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§. 2.

Bey folgendem Exempel muß im vierſtimmigen Accompagnemente die Verdoppelung der Sexte bey aufge -hoben72Sechstes Capitel. Zweyter Abſchnitt. hoben werden, ſobald der uneigentliche verminderte Dreyklang eintritt:

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§. 3.

Die übermätzige Quarte klingt in dem vierſtimmigen Accompagnement unſers Sextquartenaccordes etwas leer; wenn ſie die Secunde oder die Terz bey ſich hat, ſo thut ſie beſſer. Bey unſerm Accorde, wo die Sexte nothwendig mit angedeutet ſeyn muß, hat ſie, wie wir geſehen haben, dann und wann die Octave, und dann und wann die doppelte Sexte bey ſich. Dieſe letztere Verdoppelung klingt nicht allein gut, weil alsdenn die Mittelſtimmen unter ſich conſoniren, ſondern ſie iſt auch, auſſer dem Falle mit , zuweilen nothwendig, um Fehler zu vermeiden und eine geſchickte Progreßion der Stimmen beyzubehalten:

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§. 4.

Die reine Quarte mit der Sexte kommt zuweilen bey einer aufgehaltenen vor, und wird dreyſtimmig begleitet. Man muß dieſe reine Quarte nicht mit demſelben übermäßigen Intervall verwirren, ob ſie ſchon in den folgenden Exempelnalle73Vom Sextquartenaccord. alle die Verſetzungszeichen beynahe bey ſich hat, welche ſonſten die übermäßige Quarte kennbar machen:

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§. 5.

Wenn nach dem dreyſtimmigen Satze , bey einem heraufſteigenden Baſſe, im Wechſelgange folgt: ſo wird dieſe auch nur dreyſtimmig abgefertiget:

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§. 6.

Wenn der Bezifferer im folgenden Exempel über die zweyte Note, worüber eine bloſſe 6 ſtehen muß, entweder , oder ſetzen wolte, weil in der Hauptſtimme die Quarte nach - ſchlägt: ſo hat er unrecht. Dieſe Quarte iſt nur der Zierlich - keit wegen da, um durch dieſen Durchgang mit Manier in den Vorſchlag vor der letzten Note zu kommen. Der ſimple Gang iſt bey (a) abgebildet. Wir wollen hier beyläufig mit anmerken, daß man zur vierten Stimme über dem fis keine Quinte, wegen des vorhergegangenen c, ſondern dafür die Octave zu nehmen hat:

Bachs Verſuch. 2. Theil. KZ. E.74Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.
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Siebentes Capitel. Vom Terzquartenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der Terz, Quarte und Sexte.

§. 2.

Er wird durch die Signatur angedeutet. Dieſer Bezeichnung iſt das Auge ſchon eher gewohnt, als wenn einige ſetzen. Die 6 wird nur alsdenn noch mit darüber ge - ſetzt, wenn ſie ein Verſetzungszeichen bey ſich hat (a); oder wenn die Auflöſung einer Diſſonanz in ihr vorgehet (b); oder wenn ſie über derſelben Note durch den Durchgang in eine an - dere Ziffer ſchreitet (c).

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§. 3.

Die kleine, die groſſe und übermäßige Sexte; die reine und übermäßige Quarte; die kleine und groſſe Terz ſind die Intervallen, welche bey unſerm Accorde vorkommen.

§. 4.75Vom Terzquartenaccord.

§. 4.

Das Sonderbare hierbey iſt, daß die Terz wie eine Diſſo - nanz gebraucht wird, und die Quarte daher mehr Freyheit bekommt, als auſſerdem. Die erſtere wird von der letzteren zuweilen gebunden, und geht allezeit herunter. Die Quarte bleibt als - denn entweder liegen, oder gehet in die Höhe. Wir werden bey Unterſuchung aller Arten dieſes Accordes, wodurch uns vor - nehmlich der ſo ſehr verſchiedene Gebrauch der beyden Quarten nöthiget, in deutlichen Exempeln dieſe Progreßionen genau betrachten.

§. 5.

Wenn die groſſe Sexte die reine Quarte und kleine Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte, oder die Terz vorbereitet ſeyn. Am öfterſten pflegt die Terz ſchon da zu ſeyn, und tritt nachher herunter. Die Quarte bleibt liegen. Dieſe Aufgabe kann bey einer gebundenen Grundnote, auch auſſerdem vorkommen, und wird zuweilen durch eine bloſſe 6, ſtatt der , angedeutet. Der Baß gehet nachher um eine Stufe hinauf oder herunter. Im erſtern Falle pflegt die Grund - note eine 6, und im zweyten Falle den eigentlichen Dreyklang über ſich zu haben. Wer den Sextquartenaccord weiß, der kann auch unſern Accord leicht finden; er darf nur bey jenem die Octave weglaſſen, und dafür die Terz nehmen:

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K 2§. 6.76Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 6.

Folgende etwas ſonderbare Exempel erfordern die Signatur ausdrucklich. Bey dem zweyten Exempel iſt der Sextenaccord ohnſtreitig beſſer als der Terzquartenaccord:

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§. 7.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung unſers Accordes geht zwar allezeit ein Intervall verlohren; es können aber doch gewiſſe Feinigkeiten vorkommen, welche das vierſtimmige Accom - pagnement nicht wohl vertragen. Der Ausdruck erfordert z. E. einen ſchwachen Vortrag, welchen der Begleiter auf ſeinem ſtar - ken Inſtrumente vielleicht nicht anders erreichen kann, als durch eine dünne Harmonie u. ſ. w.; alsdenn iſt man verbunden eine Ziffer wegzulaſſen. Bey den im fünften § bemerkten Fällen kann allenfalls die Quarte wegbleiben. Die unter dem ſechsten § an - geführten Exempel ſetzen zum voraus, daß der Bezifferer nicht weniger als vier Stimmen haben will.

§. 8.

Wenn die groſſe Sexte die übermäßige Quarte und groſſe Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte oder die Terz vorher liegen. Die letztere gehet hernach hinunter,indem77Vom Terzquartenaccordindem die erſtere entweder liegen bleibt, oder in die Höhe tritt. Der Baß kann gebunden auch ungebunden ſeyn, und geht nach - her um eine Stufe hinauf oder herunter. Die Signatur oder iſt hier ſchon nöthiger als im fünften §. (*)Die Ziffern unter den Noten beziehen ſich nicht auf die, ſo über den Noten ſtehen.Es giebt Ge - legenheit zu Verwirrungen, wenn einige in dieſem Falle, ſtatt der nöthigen , eine bloſſe 6, oder gar eine über die Noten ſetzen. Die Lage, wo die Quart und Terz zerſtreuet liegen, klingt über - haupt, beſonders aber bey dieſer Art von Terzquartenaccord am beſten. Bey dem Exempel (a) können Quinten vorgehen, wenn man vorher zur Sexte die Terz verdoppelt, welche man in dieſer Lage, wenn man ſie ſchon hat, dadurch vermeidet, indem man die Quarte oben behält (b). Bey dem dreyſtimmigen Accom - pagnement kann hier die Sexte wegbleiben, nur bey (a) nicht:

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§. 8.

Wenn die kleine Sexte die reine Quarte und kleine Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte oder Terz vorher ſchon da ſeyn; die erſtere bleibt hernach liegen, und die letztere gehet herunter. Dieſe Aufgabe kann über einer ge - bundenen und ungebundenen Grundnote vorkommen, welche nach - her um eine Stufe herunter tritt. Die Exempel (a) kommen zwar zuweilen vor, ſie ſind aber nicht ſonderlich. Die Aus -K 3füh -78Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt. führung bey (b), mit der groſſen Sexte, iſt die beſte. Die Signatur unſerer Aufgabe iſt , und die Sexte wird, wenn es nöthig iſt, mit dem erniedrigenden Verſetzungszeichen noch oben darüber geſetzet. In dem zweyten und dritten Exempel, wobey nachfolgt, iſt nur eine Lage, wo die Sexte oben liegt, gut; in den übrigen beyden Lagen macht man Quinten. Bey der dreyſtim - migen Begleitung wird bey (a) und (b) die Quarte weggelaſſen:

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§. 9.

Wenn die groſſe Sexte die übermäßige Quarte und die kleine Terz bey ſich hat, ſo liegt gemeiniglich vor - her entweder die Quarte oder die Terz. Bey dem Exempel (a) werden ſie beyde, durch eine Vorausnahme des Durchganges (b), frey angeſchlagen. Die Terz tritt bey der Auflöſung herunter, und die Quarte hinauf. Die Grundnote kann gebunden ſeyn, und auch nicht: ſie geht aber hernach um eine Stufe herunter. Die Signatur hierzu iſt , oder . Wer den harten Dreyklang von der Secunde weiß, der kann auch dieſe Aufgabe leicht treffen; er darf nur ſtatt der 2 die 3 nehmen. Wenn man dreyſtimmig accompagnirt, ſo bleibt die 6 weg, nur bey (×) nicht:

Z. E.79Vom Terzquartenaccord.
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§. 10.

Wenn die groſſe Sexte die reine Quarte und groſſe Terz bey ſich hat, ſo liegt entweder die Quarte oder die Terz vorher. Die letztere wird herunterwärts aufgelöſet, indem die erſtere liegen bleibt. Der Baß kann in einem Tone aushalten, wie es bey den Orgelpunkten gewöhnlich iſt, er kann ſich auch fortbewegen. Dieſe Aufgabe klingt am beſten, wenn die Terz und Quarte zerſtreuet liegen, und wird mit bezeichnet. Wenn der Baß gebunden iſt, ſo bleibt man bey vier Stimmen: auſſerdem aber kann die Quarte wegbleiben. Die beyden letzten Exempel vertragen lieber den Sextenaccord ſtatt .

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§. 11.

Wenn die übermäßige Sexte, die übermäßige Quarte und groſſe Terz bey ſich hat, ſo kann die Sexte vorbereitet ſeyn, auch nicht: die Quarte aber, oder die Terzmuß80Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt. muß ſchon da ſeyn, welche letztere hernach hinunter gehet. Die Quarte kann liegen bleiben, und auch in die Höhe gehen. Man findet hierbey den Baß gebunden, und auch frey anſchlagend; in beyden Fällen gehet er hernach mit der Terz zugleich um eine Stufe herunter. Viele beziffern dieſe Aufgabe nicht deutlich genug mit einer bloſſen 6 mit dem Verſetzungszeichen; beſſer iſt es, wenn man alle drey Intervallen über die Note zeichnet. Bey der dreyſtimmigen Begleitung kann die Quarte gar wohl wegbleiben:

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§. 12.

Zuweilen muß man, nicht ſowohl der Vollſtim - migkeit wegen, als vielmehr wegen der Auflöſung einer vorher - gegangenen Diſſonanz (a), oder wegen der nöthigen Vorberei - tung einer folgenden Diſſonanz (b) zu die 8 noch dazu neh - men. Es iſt gut, wenn alsdenn alle vier Ziffern angedeutet ſind, damit man nicht rathen darf. Bey den Exempeln (a) tritt die zu zeitig ein; eigentlich ſolte die None und Quarte vor - her aufgelöſet werden, wie wir bey (c) ſehen, alsdenn zeigt es ſich, daß dieſe Aufgabe (a) ein bloſſer Durchgang iſt, wobey der Baß nicht herunter gehet, ſondern ſpringet:

Z. E.81Vom Terzquartenaccord.
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Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Wenn man zur groſſen Sexte mit der kleinen Terz die reine Quarte, ohne ausdrückliche Andeutung nimmt (a), ſo vermeidet man dadurch zuweilen Fehler (aa); man bleibt bequem in der Lage (b), ohne Sprünge zu machen (c), und erhält einen guten Geſang (d):

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Bachs Verſuch. 2. Theil. L82Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

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§. 2.

Bey dem Exempel (a) klingt die zu dem langen Vorſchlage ſehr gut, die folgenden Ziffern liegen ſchon meiſten - theils, und die Oberſtimme geht ſingend in Terzen mit dem Baſſe fort. Das Exempel (b), wenn man es ſimpel be - trachtet, leidet weder die doppelte Terz zum d, noch das Heraufſteigen dieſer Terz bey der letzten Grundnote c, weil dieſes f, als die Septime zum g, angeſehen wird (c). Die Diſſonanzen in den Exempeln (d) werden durch dieſe bequem vorbereitet:

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83Vom Terzquartenaccord.

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§. 3.

Bey folgendem Exempel nimmt man zu dem d den Sextenaccord. Der Terzquartenaccord klingt, wegen des zweymal nachſchlagenden a, zu widrig (a). Die Modulation leidet oft nicht, daß man greift (b); auch gewiſſe durchge - hende Noten im Baſſe, wie hier das f (c), wollen den ge - wöhnlichen Sextenaccord. Die Folge von Ziffern, welche bey dieſem letzten Accord ſchon bequem in der Hand liegen (d), und die Folge von Noten, wobey die Terz bey dem Terzquarten - accord nicht gehörig heruntergehen kann (e), und wo man alſo bey dieſem Accord Fehler machen würde (f), verbinden den Accompagniſten ſtatt , den Sextenaccord zu nehmen. Die Aufgaben im Generalbaſſe, wobey vielerley Arten von Begleitung möglich, und gleichwol nicht allezeit willkührlich ſind, machen das Vorherſehen auf die Folge, und das Lauſchen mit dem Ohre beſonders nothwendig:

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L 284Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

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§. 4.

Bey folgendem Exempel glauben einige Bezifferer, daß es genug ſey, wenn ſie nach der , ſetzen, weil hier - durch die Fortſchreitung dieſer zwo Ziffern angedeutet wird (a): allein ein Ungeübter kann zu dieſer gar leicht die Octave, nach der Regel des Sextquartenaccordes greifen, anſtatt, daß die Terz dazu gehört. Die Bezifferung dieſes Exempels bey (b) iſt richtiger und deutlicher, ohngeachtet das Auge eine Ziffer mehr zu überſehen hat.

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§. 5.

Das folgende Exempel iſt ſonderbar, und die Be - gleitung davon kann Gelegenheit zu vielen Fehlern geben. Bey der erſten wird die Terz nicht aufgelöſet, ſondern ſie bleibet liegen, und wird in der Folge zur Quarte, weil dieſe wie durchgehend angeſehen wird; die übermäßige Quarte aber geht regelmäßig in die Höhe. Bey der zweyten iſt das Ver - fahren ſo, wie es ſeyn ſoll. Damit keine Ziffer bey der erſtenSigna -85Vom Terzquartenaccord. Signatur〈…〉〈…〉 fehle, und dieſe übermäßige Quarte gehörig in die Höhe gehen könne; ſo nimmt man zu dieſer die Secunde doppelt:

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§. 6.

Bey folgendem Exempel macht die Verdoppelung der Sexte mit dem Einklange eine geſchicktere Fortſchreitung (a), als die Verdoppelung der Terz (b):

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§. 7.

Einer der beſten Fälle, wo die übermäßige Quarte zur übermäßigen Sexte genommen werden muß, iſt wohl fol - gender; auſſerdem klingt die Begleitung der übermäßigen Sexte mit der Quinte oder mit der doppelten Terz allezeit beſſer. Das h, welches hier in der Harmonie meiſt ganz durch aushält, und eine ſtudirte Hartnäckigkeit verräth, macht das Accom - pagnement der gut:

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L 3§. 8.86Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 8.

Bey folgendem Exempel will der Geſang der Haupt - ſtimme, und vornehmlich die Vorbereitung der Terz, daß man das Verbot wegen der Progreßion in die übermäßige Secunde, übertrete. Das vorhergegangene Verſetzungszeichen bey der 6 wird bey ohne Andeutung aufgehoben, weil dieſe übermäßige Quarte die groſſe Sexte zum voraus ſetzet:

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§. 9.

Die oben gegebenen Vorſchriften, wegen der drey - ſtimmigen Begleitung unſers Accordes, haben zwar überhaupt ihre Richtigkeit: man muß ſich aber doch auch in dieſem Stücke vornehmlich nach der Hauptſtimme richten, damit man zu - weilen das Intervall, welches dieſe Hauptſtimme hat, bey der ſchwachen Begleitung weglaſſe:

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Achtes87

Achtes Capitel. Vom Sextquintenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der Sexte, Quinte und Terz.

§. 2.

Er wird durch die Signatur , oder 5 , wenn die Quinte falſch iſt, angedeutet. Die Terz wird nicht eher dazu geſetzet, als wenn ſie ein zufälliges Verſetzungszeichen an - nimmt. Dieſe letztern müſſen bey der Sexte und Quinte eben - falls nicht vergeſſen werden, wenn ſie nöthig ſind.

§. 3.

Es kommen dreyerley Sexten, die übermäßige, die groſſe und kleine, zweyerley Quinten, die falſche und reine, und zweyerley Terzen, die groſſe und kleine dabey vor.

§. 4.

Die Quinte wird wie eine Diſſonanz gebraucht; ſie läßt ſich zuweilen von der Sexte binden, und gehet alle - zeit nachher herunter.

§. 5.

Die reine Quinte kommt nicht leicht anders, als gebunden vor (a); die falſche hingegen kann vorher liegen und auch frey angeſchlagen werden (b); im letztern Falle pflegt die Sexte gemeiniglich ſchon da zu ſeyn. Bey der Auflöſung der Quinte, wenn die letztere zumahl falſch iſt, geht der Baß eigent - lich eine Stufe in die Höhe. In den Exempeln mit (c) ſehen wir, daß der Baß zuweilen auch liegen bleiben und in die Höhe und Tiefe ſpringen kann, wobey manchmal die Auflöſung derQuinte88Achtes Capitel. Quinte aufgehalten wird. Bey dem letzten Exempel mit (c) gehet eine Vorausnahme des Durchganges vor (d):

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89Vom Sextquintenaccord.

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§. 6.

Wer die Aufgaben 65, und 56 weiß, der kann unſern Sextquintenaccord auch leicht treffen, wenn er bey jenen die Octave wegläßt, die nebeneinander ſtehenden Ziffern mit der Terz zugleich anſchlägt, und auf die Vorbereitung genau Acht hat.

§. 7.

Zuweilen muß die Octave zur fünften Stimme, wegen der Auflöſung (a) und Vorbereitung (b) einer Diſſonanz genommen werden:

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§. 8.

Wenn bey einer ruhenden Grundnote vorkommt, ſo nimmt man die Octave zur vierten Stimme, und läßt die Terz weg, weil der ſimple Satz eigentlich der Sextquartenaccord iſt, wobey die Quarte durch die Quinte aufgehalten wird. Dieſe letztere iſt alsdenn rein und vorbereitet (a): wenn aber bey dieſer ruhenden Grundnote auf die 5 keine 4, ſondern andere Ziffern folgen (b), und wenn ſich dieſe Grundnote ſelbſt gleich darauf fortbeweget (c): ſo bleibt man bey der gewöhnlichen Begleitung der . Im erſtern Falle kann man über dieſe Auf - gabe, welche man mit der, bey dem vorigen Paragrapho, nichtBachs Verſuch. 2. Theil. Mver -90Achtes Capitel. Erſter Abſchnitt. verwirren muß, und welche beſonders bey den Orgelpunkten vor - zukommen pflegt, den Ungeübten zu gefallen, einen Teleman - niſchen Bogen (�) ſetzen. Das letzte Exempel unter (a) iſt wegen des getheilten Accompagnements und der verdoppelten Sexte anzumerken:

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91Vom Sextquintenaccord.

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§. 9.

Die übermäßige Sexte hat in unſerm Accord allezeit die reine Quinte und groſſe Terz bey ſich. Die Quinte liegt gemeiniglich vorher (a); wenn der Baß liegen bleibt, ſo kann ſie auch frey angeſchlagen werden, wobey zuweilen die Sexte ebenfalls unvorbereitet iſt (b). Die letztere ſolte eigent - lich um ein Achttheil ſpäter eintreten, wie wir bey (c) ſehen. Die Sexte geht in der Folge in die Höhe, die Quinte bleibt liegen, tritt aber endlich auch eine Stufe herunter:

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M 2§. 10.92Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 10.

Weil bey der dreyſtimmigen Begleitung ein Intervall verlohren gehet, ſo muß man ſie hier ohne Noth nicht brauchen, und, wenn ſie nöthig iſt, genau bemerken, welches Intervall zu miſſen iſt. Die Terz, die reine Quinte und auch die Sexte, wenn dieſe letztere zumahl die falſche Quinte bey ſich hat, kön - nen nach Beſchaffenheit der Umſtände weggelaſſen werden. Wenn unſere Aufgabe im Durchgange vorkommt, ſo wird die Quinte nicht aufgelöſet, ſondern bleibt liegen; hier thut die Terz dazu nicht gut, man läßt ſie daher lieber weg, und greift die Sexte und Quinte allein. Bey folgenden Exempeln werden die, vor der , hergehen - den Aufgaben, wobey die 5 zum Sextquintenaccord ſchon liegt, ebenfalls dreyſtimmig abgefertiget:(*)Weil wir ſchon öfter dreyſtimmige Sätze, zum Unterſchied der vierſtimmigen, mit dem Telemanniſchen Bogen bezeichnet haben: ſo kann auch hier über , wenn die Terz wegbleibet, dieſer Bogen geſetzt werden.

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Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Aus folgenden Exempeln ſehen wir: daß die Sexte ſowohl, als die falſche Quinte zugleich frey angeſchlagen werdenkönnen93Vom Sextquintenaccord. können (a). Bey (b) ſind dieſe Fälle ohne Vorausnahme ſimpel abge - bildet. Bey der erſten Grundnote e muß man die Quinte nicht oben nehmen. Dieſe falſche Quintenprogreßion gehört in die Mitte.

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§. 2.

Wer folgendes Exempel (a) mit der unvorbereiteten reinen Quinte, welches zwar zuweilen vorkommt, aber dennoch nichts taugt, ſetzen will, muß es entweder durch die Voraus - nahme der Quinte, ſtatt der Signatur 65 (b), oder durch die nachſchlagende Septime bey (c) vertheidigen. Bey dem g und f. muß man, aus der Vorbereitung der Sexte ſchreiten, um keine Quinten in gleicher Bewegung zu machen (d). Dieſe Quinten - progreßion in der Gegenbewegung iſt hier bey dem a und c nicht zu hindern und auch erlaubt. Das Exempel bey (e) iſt noch häßlicher:

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M 394Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 3.

Die Auflöſung einer Diſſonanz (a), die Aufrecht - haltung einer bequemen Lage und guten Geſanges (b), und die Vermeidung unreiner Progreßionen in den äuſſerſten Stimmen (c) ſind rechtmäßige Urſachen, aus der Vorbereitung der falſchen Quinte, welche ohnedem frey angeſchlagen werden kann, zu ſchrei - ten. Auſſerdem aber iſt die Hauptregel jederzeit zu beobachten, daß man gebundene Intervallen in derſelben Stimme liegen läßt und auflöſet:

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§. 4.

Man nimmt zuweilen bey einer Grundnote mit der falſchen Quinte, ſtatt der Sexte, die doppelte Terz, ohngeachtet die Sexte nicht wider die Modulation wäre, blos deswegen, damit, bey der Auflöſung vorhergegangener Diſſonanzen, die frey anſchlagende Sexte nicht aufs neue einen widrigen Klang verurſache (a); auſſerdem braucht man dieſe doppelte Terz auch, um einen guten Geſang zu erhalten (b), und Fehler zu ver - meiden (c):Z. E.95Vom Sextquintenaccord.

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96Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 5.

Von Rechtswegen muß das zufällige Verſetzungs - zeichen, wie bey allen Ziffern, alſo auch bey der Terz vorgebil - det werden: dem ohngeachtet aber findet man es zuweilen nicht angedeutet; man ſetzt zum voraus, daß man aus der Modulation von ſelbſt wiſſe, wie die Terz ſeyn muß. Bey folgenden Exempeln müſte die verminderte Terz ausdrücklich mit einem Be über die Grundnote geſetzt werden, wenn man ſie nehmen ſolte:

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§. 6.

Den Liebhabern fremder Harmonie zu gefallen, kann folgendes Exempel mit und in langſamer Zeit - maaſſe, bey Gelegenheit der übermäßigen Sexte mit der Quinte, im Durchgange, wobey die und zerſtreut liegen, allen - falls paßiren:

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§. 7.

Wegen gewiſſer Vorſchläge in der Hauptſtimme, bey einem ſchwachen Vortrage, in langſamer Zeitmaaſſe, kann bey dem erſten Exempel zu die Sexte, und bey dem zweyten die Terz wegbleiben. In dem dritten Exempel kann man auch ſowohl bey , als auch bey , die Terz miſſen, um der Haupt - ſtimme genugſame Freyheit und Stille zu verſchaffen, das Durch - ziehen der langſamen Noten dem Affect gemäß auszudrücken:Z. E.97Vom Sextquintenaccord.

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Reuntes Capitel. Vom Secundenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der Secunde, Quarte und Sexte.

§. 2.

Die Signaturen davon ſind: 2,[4][], 4 , (dieſes iſt hier erhöhend,) und .

§. 3.

Es kommen bey unſerer Aufgabe die groſſe und kleine Sexte, die übermäßige und reine Quarte, die groſſe, kleine und übermäßige Secunde vor.

§. 4.

Die Diſſonanz liegt hier im Baſſe, und kommt in der Bindung (a), und im Durchgange (b) vor, geht aber allezeit nachher herunter. Die Octave davon darf daher in der rechten Hand, als eine Mittelſtimme, nicht gegriffen werden,Bachs Verſuch. 2. Theil. Nob98Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt. ob ſie ſchon die linke zur Verſtärkung nehmen kann. Die Secunde ſelbſt verhält ſich wie eine Conſonanz; ſie kann frey angeſchlagen werden, liegen bleiben, fortgehen und auch verdoppelt werden.

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§. 5.

Wenn die groſſe Secunde, die groſſe Sexte und reine Quarte bey ſich hat, ſo kann die letztere nachher hinauf und herunter gehen, ſie kann liegen bleiben und auch herunter ſpringen. (a). Eben dieſelbe Freyheit hat die reine Quarte bey der groſſen Secunde und kleinen Sexte (b); und bey der kleinen Secunde und kleinen Sexte (c):

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99Vom Secundenaccord.

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N 2100Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

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§. 6.

Wenn die übermäßige Quarte bey der groſſen Secunde und groſſen Sexte iſt, ſo kann ſie hernach liegen bleiben, und in die Höhe gehen (a); auf dieſelbe Art verhält ſie ſich, wenn ſie die übermäßige Secunde und groſſe Sexte bey ſich hat (b); bey dem letzten Exempel geht ſie zwar im Durchgange herunter: gleich drauf aber geht ſie wieder in die Höhe:

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101Vom Secundenaccord.

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§. 7.

Bey dem vierſtimmigen Accompagnement, wobey man allezeit auf vier klingende Taſten ſiehet, pflegt man zuwei - len die übermäßige Quarte herunter ſpringen zu laſſen, und ich ſehe auch nicht die Möglichkeit, vier Klänge allezeit anzuſchlagen, ohne jene Progreßion zu erlauben: allein, die Stimmen haben eine weit ſangbarere und der Natur der übermäßigen Quarte gemäſſere Fortſchreitung, wenn man dieſe letztere in die Höhe gehenN 3läßt,102Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt. läßt, und auch hier mit der Art der Verdoppelung abwechſelt. Alle Lagen ſind alsdenn zu gebrauchen, da auſſerdem der Sprung der übermäßigen Quarte zur Noth in der Mitte erträglich iſt:

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§. 8.

Unſer Secundenaccord iſt leicht zu finden; wenn man den Dreyklang von der Secunde des Grundtones weiß, ſo weiß man auch jenen.

§. 9.

Weil nun dieſer Secundenaccord auf einem Drey - klange beruhet, ſo hat man ſich bey vorhergehenden Dreyklängen und Accorden, welche auf einen Dreyklang zurückgeführet wer - den können, in acht zu nehmen, damit man keine Quinten mache:

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§. 10.103Vom Secundenaccord.

§. 10.

Zur Verſtärkung kann man zuweilen zur fünften Stimme die groſſe und kleine Secunde doppelt nehmen; auch auſſerdem, um den üblen Sprung mit der übermäßigen Quarte zu bedecken. Die groſſe Secunde, wenn ſie bey der kleinen Sexte iſt, und die übermäßige Secunde überhaupt vertragen dieſe Verdoppelung niemals.

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§. 11.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung verliehret man ein Intervall, daher braucht man ſie nicht leicht, es müſten denn hinläng - liche Urſachen dazu da ſeyn. Im letztern Falle bleibt die Sexte weg.

§. 12.

Man greift ohne Andeutung zur übermäßi - gen Quarte die groſſe Sexte (a), und zur kleinen Secunde die kleine Sexte (b); zur übermäßigen Secunde die übermäßige Quarte (c), und zur übermäßigen Quarte, mit einem doppelten Erhöhungszeichen (4[]), die groſſe Secunde und die groſſe Sexte (d). Das Auge wird alsdenn mit allzu vielen Signaturen nicht überhäuft:

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§. 13.104Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 13.

Bey folgenden Exempeln aber iſt es nöthig, die Sexte mit dem Erhöhungszeichen anzudeuten, und wer es nicht thut, der ſetzt einen in der Modulation nicht genug geübten Be - gleiter in eine Verlegenheit und Verwirrung, anſtatt, daß er, ihm eine Bequemlichkeit zu verſchaffen, glaubt. Bey dem letzten Exempel kann man auch, ſtatt der Sexte, die doppelte Secunde, als eine Vorausnahme des folgenden Dreyklanges, nehmen:

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§. 14.

Wenn eine Grundnote mit um eine Stufe in den weichen Dreyklang in die Höhe ſteigt, ſo findet man zuwei - len über der letzten Note oder die Urſachen davon ſind Vor - ſchläge, welche mitgeſpielt werden müſſen, und wobey alſo der Baß nicht herunter tritt, weil dieſe nur der Zierlichkeit wegen da iſt, und der Dreyklang die eigentliche Harmonie iſt. Die Secunde und Quarte gehen in die Terz, und die Sexte in die Quinte. Bey einer ſchwachen Begleitung kann die Quarte (a), und zuweilen die Sexte wegbleiben (b):Z. E.105Vom Secundenaccord.

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§. 15.

Bey einem liegenden, oder in einem Tone bleibenden Baſſe, kommt zuweilen die Signatur vor; die - ſes iſt ein dreyſtimmiger Satz, und es wird weiter nichts darzu - gegriffen. Beyde Intervallen brauchen ſo wenig, wie die Grund - ſtimme einer Auflöſung, weil ſie im Durchgange vorkommen, und ſie können herauf und hinunter gehen. Die vorhergehenden und folgenden Ziffern auf dieſe werden insgemein auch dreyſtimmig abgefertiget. Die Stimmen, ſo man begleitet, haben mehren - theils dieſelbe Progreßion; dann und wann hält eine davon in der Octave oder Quinte aus; im letztern Falle könnte, wenn die Be - gleitung vierſtimmig ſeyn muß, auch die groſſe Septime zu dieſer mit gegriffen werden (a). Man kann auch hier über die einen Telemanniſchen Bogen zur Vorſicht ſetzen:

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Bachs Verſuch. 2. Theil. O106Neuntes Capitel. Zweyter Abſchnitt

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Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Wenn zweymahl hinter einander in folgendem Exempel vor - kommt, ſo trift bey der zweyten Grundnote die um ein Achttheil zu zeitig ein, wie wir bey (a) ſehen. Dieſer Fall kann auch vorkommen, wenn eine reine Quarte vor der übermäßigen vorhergehet (b):

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§. 2.

Wenn einige Bezifferer in folgenden Exempeln die Signatur der übermäßigen Quarte allein über die Grundnote ſetzen, ſo iſt es unrecht. Der Secundenaccord, welcher durch dieſe[4][], oder 4 , angedeutet wird, findet bey dem erſten Exem - pel, wobey gis kurz vorhergegangen iſt, nicht ſtatt, und bey dem zweyten kann er wegen der Auflöſung der Diſſonanzen auch nicht gegriffen werden. Der Sextquartenaccord iſt es, welchen man in beyden Fällen nehmen muß:Z. E.107Vom Secundenaccord.

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Aus Uebereilung vergißt man zuweilen, daß die Signa - tur[4][]durch eine eingeführte Bequemlichkeit, einen ganzen Accord andeutet, und verwirrt daher den Sextquartenaccord mit dem Secundenaccord.

§. 3.

Wenn bey dem Sextquintenaccord, mit der falſchen Quinte, die letztere und die Terz durch einen langſamen doppelten Vorſchlag aufgehalten werden, und dieſer etwas widrige Vorſchlag mitgeſpielt werden ſoll: ſo muß man über die Noten ſetzen, und bey dieſer die Sexte weglaſſen (a). Wenn bey dem Secundenaccord die Secunde durch einen langſamen Vorſchlag von der übermäßigen Octave aufgehalten wird: ſo greift man, wenn zumahl der Gedanke ſchwach vorgetragen wird, blos die Quarte, und nimmt die Secunde und Sexte nicht eher darzu, als wenn die erſtere in der Hauptſtimme eintritt. Jedoch, da dieſe übermäßige Octave fürchterlicher in die Augen als in die Ohren fället, und das Gehör, wenn die Zeitmaaſſe langſam und bloß die Quarte bey dieſer Octave iſt, bey der Auflöſung auf eine nicht widrige Art hintergangen wird, ſo kann man ſie ſowohlO 2mit108Neuntes Capitel. Zweyter Abſchnitt. mitziffern als auch mitſpielen (b). Die Ausführung bey (c), wo die Terz durch einen Vorſchlag in die Quarte gehet, klingt auch nicht übel. Wer gar zu delicate Ohren hat, dem ſtehet es frey, in beyden Fällen dieſe Vorſchläge ohne Begleitung mit der rechten Hand vorbeygehen zu laſſen. Wenn das Accompagnement ſehr ſchwach ſeyn ſoll, ſo überläßt man ohnedem den Hauptſtimmen dieſe Feinigkeiten allein. Die übermäßige Octave iſt eine in die Höhe gehende und nur als ein Vorſchlag vorkommende Diſſonanz.

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§. 4.

Um Octaven zu vermeiden, muß man in folgendem Exempel, bey der letzten Grundnote die Quinte oder die Terz verdoppeln:Z. E.109

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Zehentes Capitel. Vom Secundquintenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der Secunde und Quinte; zur vierten Stimme wird eines von beyden Intervallen verdoppelt.

§. 2.

Er wird durch angedeutet. Die Secunde iſt hier - bey groß, und die Quinte rein.

§. 3.

Die Diſſonanz liegt wiederum, wie bey allen Se - cundenaccorden, im Baſſe, welcher ſchon da ſeyn muß und nach - her hinunter gehet.

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§. 4.

Es erhellet aus dem erſten vorhergehenden Exempel, daß unſer Accord der vorausgenommene Sextenaccord von der folgenden Grundnote ſey. Wenn bey jenem die Secunde verdoppelt wird, ſo hat man bey dieſem ; und wenn die Quinte doppelt gegrif - fen iſt, ſo liegt nachher .

O 3§. 5.110Zehntes Capitel. Vom Secundquintenaccord.

§. 5.

Der Secundquintenaccord klingt allezeit leer, er mag drey - oder vierſtimmig ſeyn. Die Auflöſung macht ihn voll. Er kommt in der galanten Schreibart ſelten vor, aber in der gearbeiteten, und bey den Bindungen deſto öfter; folglich bleibt man bey der vierſtimmigen Begleitung.

§. 6.

Weil bey unſerm Accorde eine Verdoppelung auſſer dem Grundtone vorkommt, ſo muß man bey vorhergehenden Ac - corden, mit ſolchen Verdoppelungen, die nöthige Vorſicht brau - chen, damit keine Octaven vorgehen. Man muß mit der Art zu verdoppeln abwechſeln:

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§. 7.

Unſer Accord mit der vergröſſerten oder über - mäßigen Quinte kommt zuweilen bey dem irregulairen Durchgange oder bey den Wechſelnoten vor:

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Eilftes111Eilftes Capitel. Vom Secundquintquartenaccord.
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Eilftes Capitel. Vom Secundquintquartenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus den Intervallen, wovon er den Namen hat.

§. 2.

Seine Signatur iſt . Die Secunde iſt in dieſem Accorde groß; die Quinte und Quarte rein.

§. 3.

Auch hierbey iſt der Baß gebunden, und gehet her - unter, weil die Diſſonanz da liegt. Entweder die Quinte oder Quarte muß auch vorher liegen. Der Sextquintenaccord mit der falſchen Quinte, welcher über der vorletzten Note ſtehet, wird durch unſern Accord vorausgenommen:

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§. 4.

Weil dieſe Aufgabe auch nur bey Compoſitionen vorkommt, welche das vierſtimmige Accompagnement gar wohl vertragen, ſo bleibt man dabey, um ſo vielmehr, da kein In - tervall von unſerm Accorde gemiſſet werden kann.

§. 5.

Wenn man den Sextquintenaccord von der Unterſecunde des Grundtones nimmt, ſo hat man unſere Aufgabe.

Zwölftes112Zwölftes Capitel. Vom Secundterzaccord.

Zwölftes Capitel. Vom Secundterzaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der kleinen Secunde, groſſen Terz und reinen Quinte.

§. 2.

Seine Signatur iſt eine 2 mit dem erniedrigenden Verſetzungszeichen, und eine 3; wenn dieſe letztere zufällig groß iſt, ſo ſetzet man über die 2 ein bloſſes erhöhendes Ver - ſetzungszeichen ([][2][]).

§. 3.

Die Grundſtimme hat hier wiederum die Diſſonanz, iſt gebunden und wird herunterwärts aufgelöſet:

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§. 4.

Der Secundterzaccord wird allezeit vierſtimmig ge - nommen, weil er ausdrücklich geſetzt wird, damit kein Intervall verlohren gehen ſoll. Wenn man bey dem Dreyklange, ſtatt der Octave, die Secunde nimmt, ſo hat man den Secundterzaccord in Händen.

§. 5.

In dem irregulären Durchgange kommt dieſer Accord als ein vorausgenommener Terzquartenaccord zuweilen mit der groſſen Secunde (a), und zuweilen mit der kleinen Terz vor (b):

Z. E.113
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Dreyzehntes Capitel. Vom Septimenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Der Septimenaccord iſt dreyerley: er beſtehet (1) aus der Septime, Quinte und Terz; (2) aus der Septime, Terz und Octave; (3) aus der Septime und doppelten Terz.

§. 2.

Er wird durch 7 oder angedeutet. Die Verſe - tzungszeichen müſſen nicht vergeſſen werden, beſonders wenn die zufällig groß oder klein iſt.

§. 3.

Es kommen bey dieſem Accorde vor: die vermin - derte, die kleine und groſſe Septime; die übermäßige, die reine und falſche Quinte; die groſſe und kleine Terz Terz und die Octave.

§. 4.

Die Septime iſt eine Diſſonanz, welche mit (a), und ohne Vorbereitung (b) geſetzet wird, und nachher herunter gehet. Den groſſen Septimenaccord, wobeyBachs Verſuch. 2. Theil. Pdieſes114Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt. dieſes Intervall in die Höhe tritt, werden wir beſonders abhan - deln. In dem gegenwärtigen Accorde muß die groſſe Septime ſo gut, wie die übrigen Septimen herunterwärts aufgelöſet werden; blos die durchgehenden Septimen können zuweilen liegen bleiben (c), wenn ſie aber nicht mit der Grundnote zugleich ein - treten, ſo gehen ſie auch herunter (d):

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§. 5.

Die Septime iſt die Unterſecunde vom Baſſe; und der Septimenaccord mit der Quinte iſt der Dreyklang von der Terz der Grundnote.

§. 6.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung bleibt die Octave und Quinte weg. Die Terz muß allezeit da ſeyn, wenn wir die galante Schreibart ausnehmen.

§. 7.

Die dreyfache Einrichtung unſers Accordes iſt nicht allezeit willkührlich. Es entſtehen daher, wie wir in der Folge bemerken werden, zuweilen groſſe Schwierigkeiten, und es würde eine ſchlechte Mühe ſeyn, und nicht blos Anfängern, ſondern auch Geübten zur groſſen Erleichterung dienen, wenn man alle - zeit die 5 und die 8 ausdrücklich mit über die Noten ſetzte, wo ſie gegriffen werden ſollen. Dem Auge ſind dieſe Ziffern nichts neues, weil ſie doch oft mit angedeutet werden. Das vor -nehm -115Vom Septimenaccord. nehmſte, worauf man bey der Einrichtung des Septimenaccordes zu ſehen hat, iſt dieſes: daß die vorbereitete Septime da, wo ſie iſt, liegen bleiben, und in derſelben Stimme auf - gelöſet werden muß.

§. 8.

Die groſſe Terz, wenn ſie auch natürlich iſt, wird bey der kleinen Septime nicht verdoppelt.

§. 9.

Die Septime wird dann und wann über derſelben Grundnote, zuweilen aber auch über einer folgenden aufgelöſet. Beyde Fälle kommen einzeln, auch oft hinter einander vor.

§. 10.

Einzelne Noten mit 7 6 vertragen überhaupt eher die doppelte Terz, oder die Octave, als die Quinte. Wenn die letztere rein und nicht wider die Modulation iſt, ſo kann man ſie allenfalls nehmen, nur muß man ſich vor verbotenen Quintenprogreßionen in acht nehmen. Man kann ſogar die übermäßige Quinte zuweilen, auch ohne Andeutung, zu dieſer 7 6 greifen, wenn ſie modulationsmäßig iſt; beſonders wenn ſie aus einer vorhergegangenen und noch nicht aufgelößten über - mäßigen Quarte, gebunden herkommt. Die falſche Quinte fin - det bey unſerer 7 6 zuweilen auch ſtatt, und man nimmt ſie, auch ohne Andeutung darzu, wenn ſie in der Folge aufgelöſet werden kann. Exempel von allerley Art werden meine Meynung erklären.

§. 11.

Bey (a) kann man ſowohl die Octave, als auch die doppelte Terz nehmen. In jenem Falle gehet die rechte Hand der linken mit der Terz entgegen. Die Lage, wobey zur erſten Grundnote die Quinte oben liegt, iſt die ſchlechteſte, und die, wo die Octave oben iſt, die beſte. Bey der Verdoppelung der Terz mit der Octave verfahren beyde Hände in der geraden Bewegung. Bey (b) iſt, wegen der verbotenen Progreßionen keine andere Begleitung, als die mit der doppelten Terz möglich. P 2Keines116Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt. Keines von beyden Exempeln, weder (a) noch (b), leidet die Quinte, weil wegen der heraufſteigenden erſten Grundnote ver - botene Quinten vorgehen würden. Bey (c) kann man die Quinte, weil ſie reine iſt, zur Noth dazu nehmen, doch ſind die übrigen beyden Arten unſers Accordes beſſer. Bey (d) iſt die Quinte, wegen der übermäßigen Sexte über der folgenden Grundnote, wider die Modulation, und kann alſo nicht genommen werden. Die Octave iſt hier nothwendig, weil die doppelte Terz nach dem achten Paragrapho nicht ſtatt hat. Bey (e) iſt die Quinte nach dem Umfang der Tonart falſch, und kann in der Folge nicht aufgelöſet werden; ein Umſtand, worauf man beſonders zu ſehen hat, und welcher die Begleitung mit der Quinte in dieſem Falle gefährlich machet, Die zwo andern Arten unſers Accordes finden alſo bey dieſem Exempel allein ſtatt. Die vielen auf einander folgenden Sexten müſſen, wo möglich, in der Oberſtimme genom - men werden, widrigenfalls machet man Fehler, oder wenigſtens einen ſchlechten Geſang. Bey (f) iſt unſer Accord mit der Octave allein gut, weil ſonſt unſangbare und unreine Progreſ - ſionen vorgehen:

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117Vom Septimenaccord.

§. 12.

Bey (g) kann man alle drey Arten des Septi - menaccordes brauchen. Die falſche Quinte wird hier deswegen allenfalls erlaubet, weil ſie bey der folgenden groſſen Sexte in die Quarte gehen kann. Bey (h) muß die Quinte übermäßig ſeyn, wenn man ſie nehmen will, und muß hernach mit der Sexte in den Einklang zuſammen gehen. Dieſe Quinte wird oft ſo wenig, als die falſche angedeutet, und wer weiß denn alle - zeit, ob ſie der Componiſt hier haben wolte? Man pflegt ja ſonſt nicht leicht ohne Vorſchrift ein diſſonirend Intervall zu nehmen, welches den ohnedem diſſonirenden Accord noch widri - ger macht. Ein anders iſt es, wenn dieſe Quinten ausdrücklich da ſtehen. Die Art der Begleitung, wobey man beſtändig auf vier klingende Taſten gedrungen hat, iſt Urſache, daß dieſe un - gebetene Quinten ſich eingeſchlichen haben. Bey dem Gebrauch der Verdoppelung mit dem Einklange hat man ſie nicht nöthig. Die übrigen zwo Arten des Septimenaccordes ſind alſo hier, bey (h), ſicherer. Das Exempel bey (i) iſt merkwürdig: die doppelte Terz findet hier nach dem achten Paragrapho nicht ſtatt; die Octave verträgt ſich mit der darauf folgenden Grundnote gis nicht wohl: folglich iſt die Quinte nothwendig. Bey (k) iſt die bequemſte Begleitung die Octave, und allenfalls die Quinte. Die doppelte Terz gehet hier nicht an. Die Verdoppelung mit dem Einklange thut hier gute Dienſte:

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118Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
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§. 13.

Bey (l) iſt ſowohl die reine als übermäßige Quinte, wegen der vorhergegangenen übermäßigen Quarte nothwendig. Die Auflöſung dieſer Quarte nöthiget beyde Quinten nachher in die Höhe zu gehen. Wenn bey einem vorhergegangenen Secunden - accord die Quarte rein iſt, ſo pflegt hernach bey der Septime die falſche Quinte mit angedeutet zu ſeyn (m), und wenn bey dieſer reinen Quarte die Sexte klein iſt, ſo pflegt die vermin - derte Septime mit der falſchen Quinte darauf zu folgen (n). Bey (o) iſt die Octave, wegen der vorhergegangenen Ziffern, nothwendig. Bey (p) accompagnirt man dreyſtimmig, weil die Modulation der Hauptſtimme die vierte Stimme nicht wohl ver - trägt. Die Auflöſungen müſſen hier nicht eher und nicht ſpäter, als es nöthig iſt, vor ſich gehen. Bey (q) muß man zur erſten Grundnote die Octave zur fünften Stimme nehmen, damit die Septime vorbereitet ſey. Man behält bey dieſer letztern entwe - der , oder , und die Septime gehet mit der übermäßigen Quinte hernach in den Einklang zuſammen:

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119Vom Septimenaccord.
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§. 14.

Viele Grundnoten hinter einander mit 7 6 pflegen ſowohl bey dem Abſteigen als Hinaufgehen vorzu - kommen. Im erſtern Falle iſt die dreyſtimmige Begleitung die leichteſte und in den Gelegenheiten, welche keine ſtarke Harmo - nie vertragen, die vorzüglichſte. Die vierſtimmige erhält ihre Reinigkeit durch die Verdoppelung, indem dabey alle Arten von Sexten - und Septimenaccorden mit und ohne Verdoppelung abwechſelnd vorkommen. Alles das, was hierüber bereits erinnert worden iſt, und alſo nicht wiederholet werden darf, muß genau beobachtet werden. Mit einem Worte: alle Vor - bereitungen, Auflöſungen und Verdoppelungen müſſen regelmäßig geſchehen.

§. 15.

Das unten ſtehende Exempel kann auf vielfache Art begleitet werden. Die Arten ſind die beſten, wobey die meiſten Veränderungen wegen der Verdoppelung vorkom - men (a): wo aber zu viel Gleichförmigkeit iſt, indem der Grundton, oder die Terz, oder die Sexte zu oft hinter - einander in einerley Art verdoppelt werden, da kann man leicht Fehler machen, und zuweilen ſtechen die Quinten und Octaven zu ſehr hervor; z. E. die Ausführung unſersExem -120Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt. Exempels in folgenden Ziffern ꝛc. iſt wegen der vielen Quinten widrig, zudem ſind ſie nicht alle rein, und die falſchen wer - den nicht aufgelöſet. Die Begleitung mit ꝛc. iſt wegen der Octaven in der Oberſtimme ekelhaft und wegen der Terzen gefährlich, weil man in der Folge leicht wider den achten Para - graphus unſers Capitels anſtoſſen kann. Die Ausſührung mit ꝛc. iſt wegen der Terzen und Quinten zugleich Fehlern unter - worfen. Das Accompagnement mit ꝛc. taugt wegen der unaufgelößten falſchen Quinte, und überhaupt wegen der in der Oberſtimme liegenden Quinten gar nicht; kommen folgends un - richtige Verdoppelungen dazu, ſo iſt alsdenn alles Uebele bey - ſammen. Die Ausführung mit gehet an, ſo lange keine groſſe Sexten mit der kleinen Terz ſich einmiſchen. Die Beglei - tung mit ꝛc. iſt wegen der unaufgelößten falſchen Quinte, und wegen der Octaven in der Oberſtimme nicht gut:

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§. 16.

Wenn viele Grundnoten hinter einander bey dem Aufſteigen 7 6 über ſich haben, ſo kann man nicht wohl anders als vierſtimmig verfahren. Die rechte Hand gehet hier der linken entgegen. Man nimmt ſowohl zur Septime alszur121Vom Septimenaccord. zur Sexte die Octave und Terz, dieſe Begleitung iſt die beſte (a), die unter (b) iſt nicht ſo natürlich:

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§. 17.

Einzelne Noten mit der Septime, wobey die Auflöſung in der Folge geſchiehet, leiden mehrentheils das vollſtimmigſte Accompagnement unſers Accordes, welches das mit der Quinte iſt. Die beſondern Fälle in dieſer Art verſparen wir bis in den zweyten Abſchnitt. Wenn die Quinte nicht rein iſt, ſo muß ſie ebenfalls in der Folge aufgelöſet werden:

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§. 18.

Viele Grundnoten hinter einander mit der Septime, wo die Auflöſung in der Folge geſchiehet, kommen vor, wenn der Baß in Quarten und Quinten herauf und hinun - ter ſpringet. Bey der dreyſtimmigen Begleitung, wenn ſie nöthig iſt, wird blos die Terz zu der Septime genommen; bey der vier - ſtimmigen wechſelt man mit und ab (a). Dieſe Aus - führung iſt die ſicherſte und beſte. Bey den doppelten TerzenBachs Verſuch. 2. Theil. Qkann122Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt. kann man leicht wider die Regeln der Verdoppelung anſtoſſen; indeſſen habe ich doch bey (b) ein Exempel abgebildet, wo dieſe Verdoppelung gut iſt:

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§. 19.

Die durchgehende Septime in den folgenden Exempeln verträgt die Ouinte nicht wohl; die doppelte Terz, oder die Octave klingen beſſer dazu (a). Wenn die Quarte vorher lieget und die Terz in der Folge herunter gehen kann, ſo kann man beyde Intervallen zu dieſer Septime nehmen. Die Exempel (b) gehören nicht hieher, ſondern zu den geſchwinden durchgehenden Noten, wobey die rechte Hand ſtille ſchweiget; ſie werden dahero nicht beziffert:

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123Vom Septimenaccord.

§. 20.

Die nachſchlagende durchgehende Septime bleibt am beſten in der Stimme, wo die Octave vorher war (a): auſſerdem aber iſt es nicht unrecht, wenn man eine Ver - änderung der Lage vornehmen muß, in dieſe Septime zu ſprin - gen, weil der vorhergehende Accord aus lauter Conſonanzen beſte - het (b). Dieſe Freyheit fällt weg, und man bleibet bey der erſten Vorſchrift, wenn der Baß aushält, wobey viele Ziffern auf dieſe 8 7 zu folgen pflegen (c). Wir wollen bey dieſer Gelegenheit, obgleich auſſer der Ordnung, den Fall mit berühren, wo die Octave mit der nachſchlagenden Septime Diſſonanzen bey ſich hat, und ſelbſt wie eine Diſſonanz vorbereitet und aufgelöſet wird; alsdenn muß auch die Octave in die Septime gehen (d):

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Q 2Zwey -124Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Wenn bey einer Cadenz, auch auſſer derſelben, der Baß eine Stufe in die Höhe gehet, oder eine Quarte hinauf oder eine Quinte herunter ſpringet: ſo kann bey der vorletzten Note ohne Andeutung der Septimenaccord genommen werden, wenn die darauf folgende Note einen Dreyklang über ſich hat. Hier wird mehrentheils die Quinte zur Septime gegriffen (a): befürchtet man aber mit der rechten Hand zu tief herunter zu kommen, ſo kann man zum erſten Exempel (a) die Octave ſtatt der Quinte behalten (b). Der gute Geſang wird nicht allein oft dadurch erhalten, ſondern der letzte Dreyklang behält alle ſeine Inter - vallen. Wenn der Baß eine Stufe in die Höhe ſteiget, ſo iſt bey dem letzten Dreyklange zuweilen eine Verdoppelung nöthig (c):

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§. 2.

Folgende Exempel erfordern die Octave bey de[r]Septime: bey (a) würden Quinten vorgehen, wenn die Septime oben lieget, und die Quinte darzu genommen würde. Man muß alſo in dieſer Lage dieſes letztere Intervall weglaſſen, und dafür die Octave behalten. In den andern beyden Lagen gehet die Quinte an. Bey (b) vermeidet man durch die Octave die ver - botenen Quinten, welche zwiſchen der Hauptſtimme und dem Accompagnement bey und vorgehen können, wenn jene nicht tiefer lieget als dieſes. Dieſe Anmerkung ſcheinet zwar etwaszu125Vom Septimenaccord. zu weit hergeholet zu ſeyn: allein bey einem langſamen Tempo und einer feinen Ausführung ſind ſolche Quinten gar wohl zu hören, und man iſt alſo auch verbunden, wenn die Haupt - ſtimme über dem Baſſe ſtehet, ſie zu vermeiden. Bey (c) muß die falſche Quinte durch die vorhergehende Octave vorbe - reitet ſeyn. Dieſes Exempel hat nur eine gute Lage. Bey (d) liegt ſowohl die Sexte als auch die falſche Quinte zum h, wenn die Octave zum g genommen wird. Die groſſe Terz zu dieſem g gehet alsdenn natürlich in die Höhe, und macht mit der Grund - ſtimme eine gute Fortſchreitung in Terzen. Bey (e) gehet man den verbotenen Quinten aus dem Wege, wenn man zu dem e die Octave nimmt. Bey (f), wo durch eine Aufhaltung der Auflöſung, wie wir bey (ff) abgebildet ſehen, eine Septime in die andere aufgelöſet wird, muß zur erſten die Octave genommen werden: widrigenfalls machet man Quinten. Bey (g) erfordert die Vorbereitung der zweyten Septime, die Octave zur erſten zu greifen. Bey (h) würde kein Platz für die Terz zum c ſeyn, wenn man die Quinte bey der vorhergehenden Septime genom - men hätte. Bey (i) gehet die groſſe zufällige Terz zum a natür - lich in die Höhe, und die Sexte zu dem darauf folgenden Se - cundenaccord lieget alsdenn ſchon, wenn bey dem a die Octave gegriffen iſt. Bey (k) machet man Octaven, wenn die Quinte bey der Septime iſt. Bey (l) gehet eine Verwechſelung der Harmonie vor, wie wir bey (ll) abgebildet ſehen; die zweyte Septime ſcheint zwar eine Auflöſung von der erſtern zu ſeyn: ſie iſt es aber nicht, ſondern man muß ſie nur als eine zierliche Fortſchreitung der Oberſtimme anſehen, welche dieſe Verwechſe - lung unmerklich machet. Man nimmt zur erſten Septime die Octave, damit die erwehnte Fortſchreitung nicht gehindert werde,Q 3und126Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt. und damit bey dem darauf folgenden c die Secunde ſchon liege. Bey (m) muß die erſte verminderte Septime in die Octave der folgenden Note aufgelöſet werden. Man nimmt bey (n) die Octave zur Septime, damit in der Folge keine verbotenen Quin - ten vorgehen, und der ganze Nonenaccord zum e ſchon da ſey. Bey (o) verhütet man durch die Octave ebenfalls eine unreine Progreßion, und der Quartterzenaccord zum h liegt alsdenn ſchon in der Hand. Bey (p) muß man zum f die Octave zur fünften Stimme nehmen, wenn der Bezifferer ausdrücklich über dieſes f geſetzet hat, damit die darauf folgende verminderte Septime vorbereitet ſey. Bey (q) iſt die Octave bey der Septime nöthig, wegen der Vorbereitung der darauf folgenden Quinte. Bey (r) thut die Octave beſſer als die Quinte, um die im Baſſe nach - ſchlagenden Octaven durch die Gegenbewegung zu vermeiden. Bey (s) verhindert die Octave eine unmelodiſche Fortſchreitung, welche die Quinte in der Folge verurſachen würde.

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127Vom Septimenaccord.
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§. 3.

Folgende Exempel erfordern die Quinte zur Septime: bey (a) iſt ſie wegen des folgenden Sextquintenaccordes nöthig. Bey (b) wird die falſche Quinte, ohne Andeutung, zur kleinen und verminderten Septime genommen. Die Lage, wobey die Quinte zur erſten Note oben lieget, tauget nicht. Bey (c) wür - den Octaven vorgehen, wenn man bey dem erſten e die Octave nähme, weil zum c die Octave, wegen der Vorbereitung der darauf folgenden Septime gegriffen werden muß. Dieſer letztereUm -128Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt. Umſtand verurſachet dieſe Fehler, wenn man nicht in der einen Stimme aus dem gis in die Höhe in das c ſpringen will, (cc) nicht die Auflöſung der Septime zu dem e, dieſe übernimmt der Baß durch eine Verwechſelung: man nimmt alſo am beſten die Quinte zur erſten Septime, und ſteiget mit ihr hernach in die Höhe in das c. Die Lage mit der Septime zu dem erſten e in der Oberſtimme, tauget nicht. Bey (d) iſt die Quinte nöthig, damit bey der folgenden Note die Quarte, und folglich alle drey Ziffern da ſeyn. Bey (e) muß die Septime zu dem letzteren c, durch die vorhergehende Quinte zum e, vorbereitet werden. Man nimmt hier bey dem letzteren c die Terz zur fünften Stimme. Schon vorher bey dem e kann man dieſes mit der Octave thun. Bey (f) erfordert die nöthige Vorbereitung der None über der letzten Note, daß man vorher zur Septime die Quinte greife. Im erſten Exempel (f) kann man zu dem e die Octave zur fünf - ten Stimme nehmen, ſo hat man alsdenn bey dem a die Quinte in der Hand, und der Dreyklang iſt bey der Auflöſung voll - ſtändig. Aus dem zweyten und vierten Exempel des erſten § dieſes zweyten Abſchnittes ſehen wir, daß die Quinte ebenfals beſſer bey der Septime ſey, als die Octave, wenn die Grund - ſtimme eine Stufe in die Höhe tritt, und die letztere Note den Dreyklang über ſich hat.

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129Vom Septimenaccord.
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§. 4.

Folgende Exempel ſind ſowohl der Bezifferung, als Begleitung wegen merckwürdig: Bey (a) findet ſich im zweyten Tacte die fünfte Stimme ein; man verläßt ſie in der Folge wie - der, ohne Bedenken, wenn ſie nicht mehr nöthig iſt, und ſiehet nur auf eine regelmäßige Vorbereitung und Auflöſung. Bey (b) hat man ſich, wegen der durchgehenden Noten im Baſſe, vor Quinten und Octaven in acht zu nehmen: man kann ihnen aber gar leicht durch die zweyfache Art der Verdoppelung aus dem Wege gehen, wie wir aus den beygefügten Ausführungen dieſes Exempels ſehen. Bey (c) gehet die erſte Septime über einer Wechſelnote in die Höhe, weil dieſe eigentlich ein voraus - genommener Sextquartenaccord zu dem darauf folgenden e iſt. Bey (d) kann man die Quinte im ungetheilten Accompagnement nicht zu dem d ohne Fehler nehmen; die groſſe Terz darf nicht verdoppelt werden: folglich nimmt man die Octave. Auſſer dem muß man dieſes Exempel entweder dreyſtimmig begleiten, oder das getheilte Accompagnement wählen. Ueber dem c hätte ſchon die Auflöſung der None eigentlich geſchehen ſollen, ſo wäre alsdenn die darauf folgende Septime vorbereitet worden. Dieſe Aufhaltung der Auflöſung fällt durch die Vorſtellung un - ſers Exempels bey (dd) deutlich in die Augen. Die Ausfüh - rung von dem Exempel (d) im ungetheilten Accompagnement iſtBachs Verſuch. 2. Theil. Rdie130Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt. die beſte, wobey die None oben lieget. Wenn über dem c, unter der 9, eine 7 zugleich ſtünde, wie man dieſen Satz oft findet, ſo würde die Begleitung viel leichter ſeyn. Bey (e) ge - hen alle drey Arten des Septimenaccordes an, nur muß man nicht bey e und f mit einer Quinte in die andere ſchreiten, wie wir bey der erſten Ausführung dieſes Exempels ſehen. Bey (f) ſehen wir in der erſten Ausführung die Begleitung ſo, wie ſie eigentlich ſeyn ſoll: man nimmt nemlich zur erſten Septime die Octave, und zur zweyten Septime die Quinte, damit die dritte Septime vorbereitet ſey: Wenn man aber dieſes ver - ſehen, und die Septimenaccorde verwechſelt hat, ſo theilet man bey der zweyten Septime den Accord, wenn die Länge der Grundnote es, wie hier, erlaubet, und nimmt hernach das gehö - rige Accompagnement zu dieſer Septime. Bey dieſem erlaubten Hülfsmittel muß man aber ja bedacht ſeyn, damit keine Vor - bereitung geſtöhret werde. Bey (g) greift man zur erſten Sep - time die doppelte Terz, und zur zweyten die Quarte und Terz; dieſe beyden letztern Intervallen nimmt man wegen der darauf folgenden groſſen Sexte, man hat alsdenn bey der Auflöſung den Terzquartenaccord in der Hand. Die Quinte kann man zur erſten Septime, wegen der folgenden groſſen Sexte cis nicht nehmen; auch nicht die Octave, wegen der Quinten, die man machen würde, wie wir bey (gg) ſehen. Dieſes Exempel iſt bey (x) ohne Aufhaltung der Auflöſung abgebildet. Bey (h) greift man die doppelte Terz zur Septime, weil der Grundton wegen des zufälligen Erhöhungszeichen nicht verdoppelt werden darf, und die Quinte keine ſtatt hat. Bey (i) finden wir, we - gen der Bezifferung, zwey ſonderbare Exempel, die ich gefunden habe; ſie ſollten eigentlich die Signaturen von (ii) über ſichhaben.131Vom Septimenaccord. haben. In jenem Falle iſt keine andere, als die getheilte Beglei - tung, ohne Fehler, und ohne die fünfte Stimme darzu zu nehmen, möglich, wie wir aus der Ausführung ſehen. Bey (k) muß man ſich vor unmelodiſche und falſche Fortſchreitungen hüten. Die angeführten zwo Lagen ſind gut; in der dritten gehen bey der zweyten und dritten Grundnote Quinten vor. Bey (l) ſind auch nur zwo Lagen zu gebrauchen; die dritte, wo zum c die Octave oben lieget, veranlaſſet Fehler. Bey (m) iſt die Abwech - ſelung der Art zu verdoppeln nothwendig. Bey (n) wird im vierſtimmigen Accompagnement die zufällig kleine Terz ohne Andeutung genommen. Die dem Syſtem gemäſſe vermin - derte Terz muß beſonders angedeutet werden, wenn ſie jemand haben will; in der Chromatick thut ſie nicht übel (o):

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R 2132Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
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133Vom Septimenaccord.
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§. 5.

Bey einer feinen Begleitung läßt man zur kleinen und verminderten Septime die Terz weg, zumahl wenn die letztere ein zufälliges Erhöhungszeichen bey ſich hat (a). Im letzteren Falle verdoppeln einige Componiſten lieber dafür die falſche Quinte, und glauben, daß dieſe Verdoppelung erträglicher ſey als jene zufällig kleine Terz. Die übrigen Ziffern fertiget man bey unſern Exempeln ebenfalls dreyſtimmig ab:

R 3Z. E.134Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
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§. 6.

Wenn vor einer Cadenz die Grundnote mit er - höhet wird, und hernach einen halben Ton in die Höhe tritt: ſo nimmt man gerne des guten Geſanges wegen, die doppelte Terz zum letzten Dreyklange mit Auslaſſung der Octave:

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Vierzehentes Capitel. Vom Sextſeptimenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord iſt zweyerley: er beſtehet (1) aus der Sep - time, Sexte und Terz; (2) aus der Septime, Sexte und Quarte.

§. 2.135Vierzehntes Capitel. Vom Sextſeptimenaccord.

§. 2.

Seine Signatur im erſten Falle iſt . Die Terz wird nicht eher angedeutet, als wenn ſie ein zufälliges Ver - ſetzungszeichen annimmt; dieſe letzteren müſſen bey den übrigen Jutervallen unſers Accordes ebenfalls nicht vergeſſen werden.

§. 3.

Wenn, ſtatt der Terz, die Quarte bey dieſer Auf - gabe ſeyn ſoll, ſo wird ſie ausdrücklich mit über die Grundnote geſetzet, und pflegt neben ſich, unter der 5, eine 3 zu haben ().

§. 4.

Die kleine Septime, die groſſe und kleine Sexte, die groſſe Terz, oder, ſtatt dieſer, die reine Quarte kommen bey unſerm Accorde vor.

§. 5.

Die Septime wird frey angeſchlagen und bleibt her - nach liegen; die Sexte wird von ihr, wie eine Diſſonanz, gebun - den, und lieget alſo vorher; bey der Auflöſung gehet ſie herunter in die Quinte. Wenn die Quarte die vierte Stimme iſt, ſo muß ſie auch ſchon vorher da ſeyn, und ſteiget mit der Sexte zugleich herunter in die Terz. Der Baß kann frey und ge - bunden ſeyn:

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§. 6.

Wir ſehen bey obigen Exempeln aus der Auflöſung dieſes Accordes, daß der ſimple Satz der Septimenaccord mitder136Vierzehntes Capitel. der Quinte iſt, wobey die letztere von der Sexte, und die Quarte von der Terz aufgehalten werden. Wenn die Sexte oben, und die Septime in der tiefſten Mittelſtimme lieget, ſo iſt man in der beſten Lage; es hänget nur nicht allezeit von dem Begleiter ab, dieſe letztere zu nehmen, weil ſie durch die nöthige Vorbereitung beſtimmet wird.

§. 7.

Das dreyſtimmige Accompagnement hat an dieſem Capitel nicht vielen Antheil. Unſer Accord kommt in der galau - ten Schreibart nicht leicht vor: und ſollte er ja vorkommen, ſo bleibet man bey vier Stimmen, es müßte dann ein ſchwacher Vortrag den Begleiter nöthigen die Terz auszulaſſen.

§. 8.

Wir ſchlieſſen dieſes Capitel, ſtatt des zweyten Ab - ſchnittes, mit vier merkwürdigen Exempeln. In dem erſten kommt bey , ſtatt der Quarte, die Secunde im Durchgange vor, welche letztere nachher in die Terz gehet. Dieſer Satz kommt bey den Orgelpunkten vor, und läßt ſich, wie die übrigen von der Art, am beſten erklären, wenn man den Baß wegläſſet. Wie er alsdenn beſchaffen iſt, ſehen wir bey (a). In dem zweyten Exempel kommt die verminderte Septime mit der kleinen Sexte und kleinen Terz vor (b). Der eigentliche Satz iſt bey (c) abgebildet, allwo wir ſehen, daß die Quinte von der Sexte auf - gehalten wird. Dieſe Aufgabe klinget in allen Lagen widrig, auch die, wobey die Sexte oben lieget, klinget nicht viel beſſer: dahero würde ich die Ausführung dieſes Exempels bey (d) vor - ziehen. Es iſt etwas beſonders, daß die vordem ſo übel beſchrieene verminderte Octave hier ohnſtreitig beſſer thut, als jene ganz gewöhnlichen Intervallen bey (b), dawider überhaupt niemand jemahls etwas eingewendet hat. So wenig ich für den Gebrauch gar zu fremder Intervallen bin: ſo gewiß bin ich aus unter -ſchiede -137Vom Sextſeptimenaccord. ſchiedenen Anleitungen zum Accompagnement überzeuget, daß ſehr oft der Uebellaut hauptſachlich von einer ungewöhnlichen Ver - bindung ganz gewöhnlicher Intervallen abhänget. Bey dem dritten Exempel hat die verminderte Septime die verminderte Sexte und kleine Terz bey ſich (e). Der eigentliche Satz iſt bey (f) zu ſehen. Die Quinte wird hier abermahls von der Sexte aufgehalten. Wenn die letztere oben lieget, ſo klinget die Ausführung bey (e) nicht gar übel: auſſerdem aber gehören hierzu Ohren, die ſo ſonderbar ſind, wie das Exempel. Die drey - ſtimmige Begleitung bey (g) iſt ſchon erträglicher. Bey dem vierten Exempel geſchiehet im dritten Tacte die aufgehaltene Auflöſung der Quarte in die kleine Terz, wobey die Quinte einen halben Ton herunter tritt (h). Dieſes Exempel wird da - durch gut, daß der Baß vorher und nachher lieget; daß die Zeitmaſſe etwas langſam iſt, und die groſſe Terz zum e, gis, nicht ſo gar kurz vor dieſer aufgelöſeten Quarte vorhergegangen iſt, wie wir bey dem letzten Exempel des 5ten § geſehen haben:

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Bachs Verſuch. 2. Theil. S138Vierzehntes Capitel. Vom Sextſeptimenaccord.
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Das letzte Exempel (h) gehört auch mit zu den Orgel - puncten. Wir werden weiter unten davon beſonders handeln, und melden hier nur zum Voraus denen zum Troſt, welchen die Bezifferung davon zu fürchterlich vorkommet, daß die rechte Hand bey dieſen Orgelpuncten zu ruhen pflegt, und daß man ſie dahero nicht beziffert, ſondern bloß taſto ſolo darüber ſetzet. Hier iſt die Vorbildung der Ziffern nöthig, um die Fortſchrei - tungen der Stimmen, und die Veränderungen der Harmonie anzuzeigen.

Funf -139

Funfzehntes Capitel. Vom Quartſeptimenaccord.

§. 1.

Dieſe Aufgabe gehöret zwar eigentlich zu der Abhandlung von den Vorſchlägen, welche wir noch vor uns haben: weil man ſie aber doch bey Stücken angedeutet findet, wo die Vorſchläge nicht mit geziffert ſind, ſo wollen wir ſie hier beſon - ders betrachten.

§. 2.

Unſer Accord kommt über Grundnoten vor, welche eigentlich entweder mit dem Septimenaccord, oder mit dem Sextquartenaccord begleitet werden ſollten.

§. 3.

Wenn ſtatt des Septimenaccordes unſer Accord gezeichnet ſtehet, ſo iſt er zweyerley: (1) beſtehet er aus der Septime, Quinte und Quarte; 2) aus der Septime, Octave und Quarte. In beyden Fällen iſt ſeine Signatur . Auch hier würde es eine ſchlechte Mühe ſeyn, die dritte Ziffer dazu zu ſetzen. Anfänger würden dadurch eine groſſe Erleichte - rung bekommen, und der Verwirrung mit den: Accord der groſſen Septime, welcher zuweilen eben ſo angedeutet wird, wie wir bald hören werden, wäre vorgebeuget.

§. 4.

Die groſſe, kleine und verminderte Septime; die übermäßige, reine und falſche Quinte; die vermin - derte, reine und übermäßige Quarte kommen bey dieſem Accorde vor.

§. 5.

Der ſimple Satz davon iſt eigentlich, wie wir ſchon oben angeführet haben, der Septimenaccord. Den ganzen Unter -S 2ſchied140Funfzehntes Capitel. ſchied machet die Terz, welche hier von der Quarte aufgehalten wird. Sowohl die Septime, als auch die Quarte können vor - her liegen, und auch nicht; im letzteren Falle aber muß doch wenigſtens eines von dieſen beyden Intervallen da ſeyn. Beyde gehen bey der Auflöſung herunter, auch ſo gar die übermäßige Quarte, weil ſie hier bloß einen zierlichen Vorſchlag, der allen - falls gemiſſet werden könnte, und keine Hauptziffer vorſtellet. Die Auflöſung der Septime und Quarte geſchiehet ſelten zugleich; mehrentheils gehet eine nach der andern herunter. Der Baß verhält ſich hier, wie bey dem Septimenaccord.

§. 6.

Was bey dem letzteren wegen der Quinte und Octave angeführet worden iſt, findet ebenfalls hier ſtatt; folg - lich nimmt man auch bey unſerm Accord bald die Quinte, bald die Octave, nachdem es der ſimple Septimenaccord leidet.

§. 7.

Wenn über derſelben Grundnote die Septime in die Sexte aufgelöſet wird, ſo kommt unſer Accord ſelten vor, und am ſeltenſten geſchiehet alsdenn die Auflöſung der Septime und Quarte zugleich, weil es ſchlecht klinget, und auch nach Be - ſchaffenheit der Lage, wegen der Fehler, gefährlich iſt, mit zwey - ſtimmigen Vorſchlägen in Quarten einher zu gehen. Ich ſage mit Fleiß: mit zweyſtimmigen Vorſchlägen, weil die Diſſonanzen, beſonders ſolche, welche über derſelben Grundnote aufgelöſet werden, im Grunde nichts anders als Vorſchläge ſind.

§. 8.

In folgenden Exempeln wird die Septime mit der Quarte zugleich aufgelöſet. Die Ausführung bey (bb) iſt der, bey (b), vorzuziehen; Man kann allezeit, wenn die Septime in die groſſe Sexte, und die Quarte in die kleine Terz herunter tritt, zugleich nehmen. Bey (c) muß die falſche, und bey (cc) die übermäßige Quinte ausdrücklich mit angedeutet ſeyn. DasExem -141Vom Quartſeptimenaccord. Exempel (d) wird am beſten dreyſtimmig abgefertiget; und das, bey (e), iſt deswegen nicht ſonderlich, weil man die beſte Lage, wobey die übermäßige Quarte und groſſe Terz zum f zerſtreuet liegen, wegen der Quinte nicht brauchen kann.

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§. 9.

Bey folgenden Exempeln, wo die Quarte vor der Septime (a), und wo die letztere vor der erſtern (b) aufgelöſet wird, verfähret man dreyſtimmig. Die vierte Stimme iſt bey (a) etwas gezwungen, und bey (b) ohne Fehler gar nicht möglich.

S 3Z. E.142Funfzehntes Capitel.
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§. 10.

Bey folgenden Exempeln gehet die Quarte gleich in die Terz, die Septime aber wird erſt über den folgenden Grundnoten aufgelöſet. Wenn man bey der frey anſchla - genden Septime die Wahl hat, die Quinte oder die Octave zur dritten Stimme zu nehmen: ſo nimmt man die erſtere, weil nach der Auflöſung die Harmonie alsdenn vollſtändiger iſt, als wenn man die Octave hat, wie wir den Unterſchied hievon bey (a) und (aa) ſehen. Die beſte Lage mit der Quinte iſt die, wobey die Quarte oben lieget. Zuweilen muß man wegen der nöthigen Vorbereitung darauf folgender Ziffern die Octave zu nehmen (b). Die Quinte kann alsdenn, wenn man es gut findet, zur fünften Stimme mitgegriffen werden. In dem Exem - pel (c) verdoppelt man vorher bey dem Dreyklange die Terz, oder die Quinte (1) (2); auſſerdem ſchreitet man lieber aus der Vorbereitung der Quarte (3), als daß man dieſe letztere ſollte liegen laſſen (4). Die Urſache hievon iſt dieſe: Wenn man die Fortſchreitung des Baſſes von a in das gis, und der Mittel - ſtimme vom a in das f anſiehet, und das ledige Intervall der letzteren Stimme ausfüllet, ſo findet man einen unharmoni -ſchen143Vom Quartſeptimenaccord. ſchen Queerſtand, welcher zwar heute zu Tage nicht von der Wichtigkeit iſt, als vordem, aber doch gar leicht vermieden wer - den kann. Niemand wird läugnen, daß die Ausführung dieſes Exempels, wenn man es ſimpel ſetzet, bey (5) in der Gegen - bewegung nicht beſſer ſeyn ſollte, als die bey (6) in der geraden Bewegung. Auſſer dem galanten Styl bleibet man bey (1) und (2).

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§. 11.144Funfzehntes Capitel.

§. 11.

Bey der gebundenen Septime in unſerm Accord iſt man wegen der dritten Stimme ſchon mehr eingeſchränket, und wir werden unter folgenden Exempeln nur wenige finden, wo es willkührlich iſt, die Quinte oder die Octave zu nehmen. Die Ausführung bey (x) klingt in der vorgeſchriebenen Lage am beſten.

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§. 12.

Wenn viele gebundenen Septimen bey einer in Quarten und Quinten ſpringenden Grundſtimme hinterein - ander vorkommen, ſo pflegt zuweilen eine Septime um die an - dere die 43 bey ſich zu haben; man kann in dieſem Falle gar wohl vierſtimmig verfahren, wenn es nöthig iſt (a): Solltenaber145Von dem Quartſeptimenaccord. aber alle Septimen mit 43 vorkommen, ſo kann man mit gutem Gewiſſen bey dem dreyſtimmigen Accompagnement bleiben. Dieſer Fall kommt nur in der galanten Schreibart vor; Bey (b) iſt der ausführliche Satz, und bey (bb) die Begleitung davon angedeutet. Die dreyſtimmige Begleitung hat überhaupt den mehreſten Antheil an dieſem Capitel, weil die Aufgabe davon in ſchwer gearbeiteten Compoſitionen nicht leicht vorkommt.

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§. 13.

Wenn man bey der durchgehenden Septime im folgenden Exempel die Mittelſtimme mit dem Baſſe in Terzen fortgehen laſſen will, wobey die Septime und Quarte liegen blei - ben: ſo pflegen einige nicht deutlich genug über die Grund - note zu ſetzen. Die Signatur iſt hierzu beſſer; Die Beglei -Bachs Verſuch. 2. Theil. Ttung146Funfzehntes Capitel. tung dieſes Exempels mit der doppelten Terz, oder mit der Terz und Octave, iſt dieſer hierunten ſtehenden vorzuziehen:

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§. 14.

Wenn unſer Accord ſtatt des Sextquarten - accordes vorkommt, ſo wird die Sexte von der Septime auf - gehalten, und dieſe letztere, nebſt der Quarte und Octave ſind die Intervallen, woraus er beſtehet. Die Septime iſt mehren - theils klein, die Quarte aber allezeit rein. Beyde Intervallen werden herunterwärts, und jenes vor dieſem aufgelöſet. Die Signatur dieſer Aufgabe iſt .

§. 15.

Aus folgenden Exempeln läſſet ſich dieſer Accord genauer betrachten. Bey (a) bleibt der Baß liegen; weder die Septime, noch die Quarte ſind vorbereitet. Bey (b) lieget die Septime ſchon, die Quarte aber nicht. Zur erſten Note kann man ſowohl , als auch nehmen. Bey (c) iſt die Septime nebſt der Quarte vorher da. Zur erſten Note nimmt man ; die doppelte Terz mit der Sexte machet verdeckte, und die offenbare Octaven (cc). Bey (d) lieget die Septime ſchon. Zur erſten Note mit dem Dreyklange kann man , , oder greiffen. Dieſer Dreyklang mit der Octave thut ſehr gut; aber die Quinte darf nicht oben liegen, weil man ſonſt Fehler machet. Bey (e) ſind beyde Diſſonanzen, ſowohl die Septime, als auch die Quarte vorbereitet. Zur erſten Note greift man entweder , oder . Die Octave kann bey dieſer erſten Septime nicht ſeyn, weil ſie bey der zweyten nöthig iſt. Bey (f) lieget dieSepti -147Vom Quartſeptimenaccord. Septime ſchon. Zur erſten Note nimmt man , wegen der nöthigen Vorbereitung der Septime. Die Lage, wo bey dieſem Sextenaccorde die Terz oben lieget, machet Quinten. Bey (g) ſind beyde Diſſonanzen vorbereitet. Hier muß man bey der erſten Note die Octave zur fünften Stimme nehmen, damit die Septime vorbereitet ſey. Bey (h) liegen wiederum die Quarte und die Septime. Zur zweyten Note nimmt man bey 7 6 die Quinte. Im getheilten Accompagnement kann man auch die doppelte Terz zu dieſer 7 6 greifen, wie wir aus der letzten Aus - führung dieſes Exempels ſehen. Die Octave kann man ohne Fehler zu dieſer 7 6 nicht nehmen:

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T 2148Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

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Sechzehntes Capitel. Vom Accord der groſſen Septime.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet eigentlich aus der groſſen Septime, der reinen Quarte und der groſſen Secunde.

§. 2.

Seine gewöhnlichſte Signatur im vierſtimmigen Accom - pagnemente iſt mit den nöthigen Verſetzungszeichen. Es giebetGele -149Vom Accord der groſſen Septime. Gelegenheit zu Verwirrungen, wenn einige bey der Bezeichnung dieſes Accordes die 2 weglaſſen, oder gar nur eine 7 allein hin - ſetzen, und dem ohngeacht vier Stimmen verlangen.

§. 3.

Unſere Aufgabe kommt ſowohl über einer ruhenden Grundnote im Durchgange, als auch bey der Bewegung des Baſſes als eine Vorhaltung des Dreyklanges vor. In jenem Falle können alle drey Intervallen frey angeſchlagen werden, und hernach in die Höhe gehen (a); in dieſem muß die Septime und Secunde vorher liegen, die Quarte kann mit (b), und ohne Vorbereitung (c) darbey ſeyn. Die Septime und Secunde gehen in der Folge hinauf, die Quarte aber herunter. Wenn bey (a) die letztere in der höchſten Stimme vorhanden iſt, ſo läſſet man ſie auch herunter gehen.

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§. 4.

Man findet oft über Grundnoten geſetzet, an ſtatt, daß nach unſerer Methode, darüber ſtehen ſollte: Wir werden in der Folge bemerken, daß gewiſſe Fälle beyde Signaturen vertragen. Hier unterſcheiden wir ſie dadurch, daß die groſſe Septime mit der None allezeit herunterwärts aufgelöſet wird, und daß die erſtere ſamt der Secunde bey unſerm Accord allezeit in die Höhe gehen. Die letztere, weil ſie auſſer der gebundenen Grundnote, und folglich nur im Durchgange, oder als eine Vorhaltung vorkommt, hat auch hier daſſelbe Recht, was ſie bey andern Aufgaben hat, nehmlich, daß ſie in die Höhe gehen kann.

T 3§. 5.150Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 5.

Wenn man den Dreyklang von der Septime des Grundtones nimmt, ſo hat man in der Hand.

§. 6.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung kann entweder die Secunde, oder die Quarte wegbleiben. Man pflegt dieſes alsdenn, wenn es nöthig iſt, durch , oder anzudeuten. Bey der letzten Signatur, muß man auf die Auflöſung der Septime genau acht haben, damit man nicht, ſtatt unſeres Accor - des, den Quartſeptimenaccord nehme.

§. 7.

Bey unſerm Accorde findet ſich zuweilen die fünfte Stimme ein. Es iſt dieſe entweder die Sexte, welche groß und klein ſeyn kann, oder die reine Quinte. Der Baß kann dabey ruhen, und auch ſich fortbewegen.

§. 8.

Beyde Sexten können mit, und ohne Vorbereitung zu unſerm Accord genommen werden: ſie gehen aber hernach in die Quinte herunter, dadurch erhält der Dreyklang bey der Auflöſung ſeine Vollſtändigkeit. Die Secunde bleibet zuweilen alsdenn weg, wenn man nur bey vier Stimmen bleiben will; dieſes ereignet ſich am öfterſten, wenn eine Grundnote mit 6 oder eine Stufe herunter tritt, wobey über der letzteren Note unſer Accord vorkommt: Iſt in dieſem Falle die Sexte über der erſten Note übermäßig, ſo kann die Secunde zur zweyten ohnedem nicht genommen werden, weil ſie nicht konnte vorbereitet werden.

§. 9.

Folgende Exempel werden meine Meynung deut - licher erklären. Eine genaue Andeutung der Ziffern iſt auch hier beſonders nöthig. Bey (a) kann die Secunde bey unſerm Ac - corde mit da ſeyn, und auch nicht, nachdem es verlanget wird. In den letztern Exempeln gehet die Sexte in die Quinte, indem die Septime und Quarte liegen bleiben. Die Exempel mit der groſſen Sexte klingen nur in der vorgeſchriebenen Lage gut. Bey151Vom Accord der groſſen Septime. Bey (b) und (c) wird das fünfſtimmige Accompagnement, wel - ches bey der erſten Note ſeinen Anfang nahm, fortgeſetzet. Alle Intervallen zu unſerer Aufgabe liegen bey (b) ſchon in der Hand; Bey (c) hat man bloß die Sexte aufzuſuchen. Bey (1) und (2) kommt die Secunde, wegen der zierlichen Fortſchreitungen der Mittelſtimmen in das Gedränge, darum läſſet man ſie gerne weg. Bey (3) hat man wegen der Secunde die Wahl. Die〈…〉〈…〉 wird hier vor der aufgelöſet. Bey (4) (5) und (6) bleibt ſie aus der im vorigen § angeführten Urſache weg.

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152Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
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§. 10.

Wenn die Quinte bey unſerm Accord zur fünften Stimme genommen wird, ſo bleibet ſie hernach liegen; ſie kann im vorigen Griffe ſchon da ſeyn, und auch nicht. Durch ſie wird der letzte Dreyklang vollſtändig, und man behält auch ſo gar in den Exempeln, wo die Secunde wegbleibet, vier richtige Stimmen, wie wir aus den dreyen letztern Exempeln ſehen. Hier muß man wiederum auf die Auflöſung der Septime Achtung geben, um unſere Aufgabe mit dem Quartſeptimenaccorde nicht zu ver - wirren, weil die Signatur von beyden einerley iſt. Das vierte und fünfte Exempel wird zuweilen, ſtatt der 2, mit der 9 bezeichnet.

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Zwey -153Vom Accord der groſſen Septime.

Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Die groſſe Septime darf niemahls aus der Octave der vorher - gehenden Grundnote vorbereitet werden: folglich würde das folgende Exempel falſch ſeyn:

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§. 2.

Wenn bey unſerm Accord die Septime von der Octave aufgehalten wird, ſo kehren ſich die übrigen Stimmen nicht daran, ſondern treten gleich mit der Grundnote ein. Dieſe Octave verhält ſich hier wie eine Diſſonanz, ſie läſſet ſich von der Secunde binden, und wird in die groſſe Septime herunter - wärts aufgelöſet. Bey der Signatur dieſer Aufgabe ſtehet die 8 und 7 neben einander; die übrigen Ziffern ſo mit der Octave zugleich gegriffen werden, müſſen darunter ſtehen. Im Exem - pel (a) wird nebſt dieſer Septime, zugleich die Secunde von der Terz aufgehalten. Dieſe letztere nimmt alsdenn ebenfalls, wie die Octave, die Eigenſchaften einer Diſſonanz an. Bey (b) wird in unſerm Accorde bloß die 2 von der 3 aufgehalten; dieſe letztere kann bey dem Dreyklange vorher verdoppelt wer - den (c). Die vorgeſchriebene Lage bey allen dieſen Exempeln iſt die brauchbarſte.

Bachs Verſuch. 2. Theil. UZ. E.154Sechzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
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§. 3.

Wenn in der Hauptſtimme die Quarte von der Quinte durch einen Vorſchlag aufgehalten wird, ſo nimmt man gleich bey dem Eintritt der Grundnote , , oder nur , nachdem die Begleitung ſtark, oder ſchwach ſeyn ſoll:

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§. 4.

Bey folgendem Exempel verfährt man am beſten dreyſtimmig: ſoll und muß aber die vierte Stimme dabey ſeyn, ſo nimmt man, ſtatt der Quarte, die Quinte, theils deswegen, damit die, wegen der Wiederholung ohnedem ſchon gehäuften Vorſchlägenicht155Vom Accord der groſſen Septime. nicht durch die Quarte noch mehr vermehret, und dadurch ein Eckel erwecket werde; theils damit die vorgeſchriebene Vorſchläge in der Hauptſtimme vorzüglich gehöret werden, und theils, damit bey der Auflöſung der Dreyklang vollſtändig da ſey. Dieſe Voll - ſtändigkeit kann hier durch die fünfte Stimme nicht hergeſtellet werden, weil dieſes Exempel nicht einmahl das vierſtimmige Ac - compagnement wohl verträget, geſchweige das fünfſtimmige.

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§. 5.

Wenn bey folgenden Exempeln (a) die groſſe Sep - time herunter zu gehen ſcheinet, ſo iſt eine Ellipſis hieran Schuld. Der vollſtändige Satz iſt bey (b) abgebildet. Das Exempel (c) zeiget den Unterſchied unter der Auflöſung der und deutlich. Wer bey dem letzten Tacte, ſtatt unſers Accordes, greifet, wird zwar in der Auflöſung nichts verſehen: er wird aber auch nicht wohl läugnen können, daß die Begleitung in derſelben vorgeſchriebenen Progreßion dem Sinne des Componiſten hier am nächſten komme:

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U 2156Siebzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

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Siebzehentes Capitel. Vom Nonenaccord.

Erſter Abſchnitt.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der None, Quinte und Terz.

§. 2.

Seine Signatur iſt 9 8, wenn die None über der - ſelben Grundnote aufgelöſet wird; gehet aber die Auflöſung die - ſes Intervalles über den folgenden Noten vor ſich, ſo iſt eine 9 allein hinlänglich. Die Verſetzungszeichen müſſen hier eben ſo wenig, als bey den andern Aufgaben vergeſſen werden.

§. 3.

Die groſſe und kleine None, die übermäßige, reine und falſche Quinte, die groſſe und kleine Terz kom - men bey dieſem Accorde vor.

§. 4.157Vom Nonenaccord.

§. 4.

Die None iſt eine Diſſonanz, welche allezeit vor - bereitet wird, und bey der Auflöſung eine Stufe herunter tritt:

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§. 5.

Die None hat auf dem Syſtem mit der Secunde einerley Sitz, iſt aber in der Begleitung, Vorbereitung und Auf - löſung von ihr ſehr unterſchieden. Bey der Secunde ſtecket die Diſſonanz im Baſſe, wo ſie vorbereitet und aufgelöſet wird. Bey der None hingegen iſt die Diſſonanz in dem oberſten Termino, wo ihre Vorbereitung und Auflöſung vor ſich gehet. Den Un - terſchied der Begleitung dieſer zwo Diſſonanzen haben wir theils ſchon geſehen, und werden in dieſen und folgenden Capiteln noch mehr davon überführet werden.

§. 6.

Wenn man bey dem Dreyklange des Grundtones, ſtatt der Octave, die None greifet, ſo hat man den Nonenaccord in der Hand. Wer den Secundterzenaccord weiß, der weiß auch den Nonenaccord.

§. 7.

Die groſſe None kommt mit der reinen und übermäßigen Quinte vor. Bey der reinen Quinte kann die Terz groß (a) und klein ſeyn (b): bey der übermäßigen aber iſt die Terz allezeit groß. Dieſe letztere Quinte lieget als - denn vorher, und wird in der Folge entweder mit der None zugleich, oder für ſich beſonders aufgelöſet (c). Die kleine None kann die reine und falſche Quinte bey ſich haben. Bey der reinen Quinte kommt die groſſe (d) und kleine Terz vor (e). Im letzteren Falle pfleget zuweilen die Quinte, bey der AuflöſungU 3der158Siebzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt. der None, in die Sexte zu ſteigen (e). Die falſche Quinte mit der kleinen None kann zwar frey angeſchlagen werden (f): beſſer aber iſt es, wann ſie vorher lieget (g):

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§. 8.

In folgendem Exempel, wo der Nonen - und Sext - quintenaccord abwechſeln, iſt nur eine Lage, nehmlich die, wo die None in der Unterſtimme lieget, ohne Fehler zu gebrauchen. Die Quinten, welche in den zwo übrigen Lagen vorgehen, ſie mögen auch noch ſo ſehr vertheidiget werden, ſind und bleiben allezeit dem Ohr eckelhaft. Es iſt beſſer, wenn man die gute Lage nicht haben kann, daß man bey die Sexte wegläſſet, und dafürdie159Vom Nonenaccord. die doppelte Terz nimmt (a). Auſſerdem iſt die Ausführung bey (b) im getheilten Accompagnement zu merken und gelegentlich zu gebrauchen:

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§. 9.

Bey der dreyſtimmigen Abfertigung unſers Accordes bleibet die Quinte weg. Weil ein Intervall dabey verlohren gehet, ſo muß man, wegen dieſer Begleitung, dieſelbe Behutſamkeit auch hier brauchen, welche wir bey den übrigen Aufgaben von dieſer Art nöthig gefunden haben.

Zweyter Abſchnitt.

§. 1.

Die None iſt und bleibet allezeit eine None, wenn ſie auch dichte neben der Grundnote genommen wird. Man kann dieſes oft nicht ändern. Die Componiſten, wenn ſie z. E. für ein baßirend Inſtrument etwas obligates ſetzen, werden ſehr oft in dieſe Nothwendigkeit geſetzet. Ein Contraviolon kann alsdenn in dieſem Falle der Grundſtimme am beſten ihre gehörige Gra - vität geben. Auſſerdem aber iſt es freylich allezeit beſſer, wenn man die None auf der neunten Stufe nehmen kann.

§. 2.160Siebzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 2.

Folgende zwey Exempel, wo bey dem erſten die None im Durchgange ohne Auflöſung bleibt (a), und bey dem zwey - ten die Auflöſung aufgehalten wird (b), erfordern, wenn man vier Stimmen nehmen will, das getheilte Accompagnement. Auſſerdem fertiget man die dritte Grundnote nur allein drey - ſtimmig ab (c). Bey (d) iſt die Verdoppelung der Terz oder Sexte bey den Sextenaccorden, die vorzüglichſte Art der Beglei - tung, weil dadurch Sprünge vermieden, und die vorkommenden falſchen Quinten in dem Nonenaccord vorbereitet werden. Bey (e) verfährt man am ſicherſten dreyſtimmig. Wenn die vierte Stimme darzu kommet, ſo muß bey der erſten Note, mit , die Sexte oben liegen (f). Die zwo anderen Lagen verur - ſachen Quinten.

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161Achtzehntes Capitel. Vom Sextnonenaccord.
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§. 3.

Die None darf niemahls aus der Octave der vor - hergehenden Grundnote vorbereitet werden: alſo würde folgendes Exempel falſch ſeyn:

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Achtzehntes Capitel. Vom Sextnonenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der None, Sexte und Terz.

§. 2.

Seine Signatur iſt mit den nöthigen Verſetzungs - zeichen. Bey der Auflöſung der None hat man den Sexten - accord des Grundtones mit der Octave in der Hand, und wer alſo dieſen gut kennet, kann auch den Sextnonenaccord leicht finden.

§. 3.

Alle drey Intervallen, woraus unſer Accord be - ſtehet, kommen groß und klein dabey vor, wie wir aus folgen - den Exempeln ſehen. Die Lage, wobey die None in unſerm Ac - corde oben lieget, iſt überhaupt die beſte. Die drey letzten Exem -Bachs Verſuch. 2. Theil. Xpel162Neunzehntes Capitel. pel (a) klingen auch in dieſer beſten Lage etwas widrig. Die Ver - beßrungen ſind gleich darneben geſetzet.

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Neunzehntes Capitel. Vom Quartnonenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der None, Quinte und Quarte.

§. 2.

Seine Signatur iſt mit den nöthigen Verſetzungs - zeichen. Wenn die Auflöſung dieſer zwo Diſſonanzen zugleich über derſelben Grundnote geſchiehet, ſo wird neben die oben ſtehende Signatur geſetzet.

§. 3.

Sowohl die None als Quarte müſſen vorbereitet ſeyn, folglich hat man nur die dritte Stimme aufzuſuchen. Manmerke163Vom Quartnonenaccord. merke folgendes zur Erleichterung: Wenn man den Sextquinten - accord von der Unterſecunde des Grundtones nimmt, ſo hat man unſern Accord in der Hand, welcher mehrentheils nach dem er - ſtern bey dem Heraufſteigen des Baſſes vorkommet. Ferner, wenn man den Secundquintquartenaccord weiß, ſo kennet man auch dieſen. Die beyden diſſonirenden Intervallen unſers Accordes gehen in der Folge mehrentheils zugleich (a), dann und wann nach einander herunter (b):

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§. 4.

Die None kann bey dieſem Accorde groß und klein ſeyn; die Quinte iſt bald übermäßig, bald rein und bald falſch: die Quarte hingegen muß allezeit rein ſeyn, wie wir aus folgenden Exempeln ſehen. Auch hier iſt es beſſer, daß die falſche Quinte vorbereitet ſey, als wenn man ſie frey anſchläget. Die übermäßige Quinte muß vorher liegen:

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§. 5.

Wenn bey unſerm Accorde, ſtatt der Quinte, die Sexte gegriffen werden ſoll: ſo muß es durch ausdrücklich an - gedeutet ſeyn. Dieſe Sexte kann alsdenn groß und klein ſeyn. X 2Wenn164Neunzehntes Capitel. Wenn man den Secundenaccord vom Grundtone nimmt, ſo hat man dieſe Aufgabe in der Hand. Bey der Auflöſung der None und Quarte gehet zuweilen die Sexte in die Quinte mit herunter; es ſind alsdenn nur zwo Lagen zu gebrauchen, weil man in der dritten Quinten machen würde. Die drey letzten Exempel ſind von dieſer Art:

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§. 6.

In der galanten Schreibart kann die Quarte zu - weilen unvorbereitet, mit der None vorkommen (a); dieſe unvorbereitete Quarte kann ſo gar übermäßig ſeyn (b). Dieſes geſchiehet bey Vorſchlägen, wobey man dreyſtimmig verfährt. Das erſte Exempel iſt beſſer, als das letzte.

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§. 7.

Folgende Exempel werden ebenfalls dreyſtimmig be - gleitet. Bey dem zweyten Exempel (a) ſcheinet es, als ob weder die None noch Quarte vorbereitet wären: bey (b) hingegen ſiehetman165Vom Quartnonenaccord. man das Gegentheil, ſo bald die Vorſchläge weg ſind. Die Beglei - tung beyder Exempel iſt nicht anders, als die Ausführung bey (a).

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Zwanzigſtes Capitel. Vom Septimennonenaccord.

§. 1.

Dieſer Accord beſtehet aus der None, Septime und Terz.

§. 2.

Seine Signatur iſt mit den nöthigen Ver - ſetzungszeichen. Wenn dieſe zwo Diſſonanzen über derſelben Grundnote zugleich aufgelöſet werden, ſo findet man gleich darbey geſetzet.

§. 3.

Sowohl die None, als die Septime müſſen vorbe - reitet ſeyn; in der Folge gehen ſie beyde zugleich (a), zuweilen auch nach einander (b) herunter:X 3Z. E.166Zwanzigſtes Capitel.

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§. 4.

Alle drey Intervallen, woraus unſer Accord be - ſtehet, können groß und klein dabey vorkommen, wie wir aus folgenden Exempeln erſehen:

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§. 5.

Zuweilen muß man, wegen der Vorbereitung der Septime, vorher die Octave zur fünften Stimme nehmen: alsdenn behält man hernach die ſchon in der Hand liegende Quinte bey unſerm Accord, dieſe letztere mag falſch, rein oder über - mäßig ſeyn:

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§. 6.167Vom Septimennonenaccord.

§. 6.

Wenn bey dieſem Accord, ſtatt der Terz, die Quarte genommen werden ſoll: ſo muß es ausdrücklich angedeutet ſeyn. Da die letztere ebenfalls vorher lieget, ſo hat man die ganze Auf - gabe in der Hand; auch ſo gar, wenn die Quinte noch mit zur fünften Stimme muß genommen werden. Dieſe letztere kann auch bey dieſer Aufgabe rein, falſch und übermäßig ſeyn, und lieget, wie wir nur jetzo gehöret haben, ſchon vorher. Die nöthige Vorbereitung der Septime iſt hier wiederum Urſache, daß man zuweilen fünfſtimmig verfahren muß, wie wir aus den vier letzten Exempeln ſehen. Bey den zwey erſten Exempeln iſt die Lage zu vermeiden, wo bey der erſten Note die 7 oben lieget:

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§. 7.

Das Exempel (a) wird dreyſtimmig begleitet, und iſt von eben der Art, als wir ſchon mehrere angeführet haben. Bey dem Secundenaccord ergreift man die vierte Stimme wie - der. In den Exempeln (b) und (c), wo im Durchgange die None und Septime vor ihrer Auflöſung in der Höhe gehen, ver -fährt168Zwanzigſtes Capitel. Vom Septimennonenaccord. fährt man ebenfalls dreyſtimmig. Bey (d) tritt der Septimen - accord zu zeitig ein. Dieſe Vorausnahme iſt bey (e) deutlich zu ſehen. Bey (f) kommt unſer Accord, ohne Auflöſung, im Durchgange vor. Dieſer Satz pflegt oft in allerhand Figuren, bey ſtark beſetzten und lärmenden Stücken, in Sinfonien ꝛc. vorzukommen (g):

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Ein169

Ein und zwanzigſtes Capitel. Vom Quintquartenaccord.

§. 1.

Der Quintquartenaccord beſtehet aus der Quarte, Quinte und Octav.

§. 2.

Seine Signatur iſt 43, oder , wenn die Quarte gleich über derſelben Grundnote in die Terz aufgelöſet wird: wenn aber dieſe Auflöſung in der Folge erſt geſchiehet, ſo iſt 4 oder genug. Im erſtern Falle findet man oft, ſtatt der 3, ein Ver - ſetzungszeichen, welches die Gröſſe dieſer Terz beſtimmet. Dieſes Verſetzungszeichen muß nicht zu nahe an der 4 ſtehen, damit man deutlich ſehe, daß es nicht der 4 zugehöre, ſondern die Terz bedeute.

§. 3.

Die reine und falſche Quinte, die reine Quarte, und Octave, ſind die Intervallen, welche bey unſerm Accorde vorkommen.

§. 4.

Die Quarte iſt allezeit vorbereitet, und tritt bey der Auflöſung herunter. Die Quinte, welche jene Diſſo - nanz bindet, lieget nicht allezeit vorher, wenn ſie auch falſch iſt, ſondern wird zuweilen frey angeſchlagen:

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Bachs Verſuch. 2. Theil. Y170Ein und zwanzigſtes Capitel.

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§. 5.

Wenn man bey dem Dreyklang zur Grundnote, ſtatt der Terz, die Quarte nimmt, ſo hat man unſern Accord in Hän - den. Man lernt durch dieſes Hülfsmittel die Lage und Auflöſung der Quarte leicht kennen.

§. 6.

Wenn man bey (a) den Quinten aus dem Wege gehen will, ſo muß man bey unſerm Accord die Octave weglaſſen, und dafür die doppelte Quinte nehmen. Es gehet dadurch kein Intervall verlohren. Dieſe Hülfe iſt bey den zwo übrigen Lagen des Septimenaccordes nicht nöthig. Bey (b) muß vor dem Quintquartenaccord die doppelte Terz genommen werden: wenn man aber dieſe letztere nicht haben kann, ſo muß man das ge - theilte Accompagnement wählen (bb):

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§. 7.171Vom Quintquartenaccord.

§. 7.

In der galanten Schreibart kommt zuweilen durch einen Vorſchlag, den man ohne zu pauſiren nicht vorbeygehen kann, die reine und übermäßige Quarte ohne Vorbereitung, mit der Quinte vor. Bey (a) kann man in die reine Quarte ſowohl gehen, als auch ſpringen: bey (b) hingegen gehet man bloß in die übermäßige Quarte, und man muß alsdenn über die Grundnote ſetzen. Die vorgeſchriebene Lage iſt die leidlichſte von dieſem Exempel; auſſerdem kann man gar wohl ohne Begleitung, durch eine Viertheilpauſe dieſen Vorſchlag in der rechten Hand vorüber gehen laſſen (c). Bey (d) kann man über der erſten Note alle Arten des Sextenaccordes brauchen, und hernach in die reine Quarte gehen und ſpringen: nur muß man die Ausführun - gen bey (dd) vermeiden.

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§. 8.

Wenn man einen hinlänglichen Beruf zur dreyſtim - migen Begleitung unſers Accordes hat: ſo kann man die Octave gar wohl weglaſſen.

Y 2Zwey172

Zwey und zwanzigſtes Capitel. Vom Einklange.

§. 1.

Unter dem Einklange wird hier die Octave mit begriffen. Wenn alſo bey einem Stücke mehr als eine Stimme im Einklange oder in Octaven einerley Fortſchreitungen haben, ſo ſagt man: die Stimmen gehen im Einklange (all uniſono), wenn auch ſchon die Figuren hiebey verſchieden ſind:

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§. 2.

Wir brauchen die Ausnahme dieſer Art von Aus - führung, welche durch die weggelaſſene Harmonie ihre Schönheit bekommt, nicht zu erheben; die häufigen muſikaliſchen Ausarbei - tungen guter Meiſter ſind hierinnen zuverläßige Zeugen.

§. 3.

Nichts deſtoweniger hat man mit Verwunderung angemerkt, daß einige Componiſten, bey der Bezeichnung ihrer Grundſtimmen, dieſe Progreßionen im Einklange nicht allezeit andeuten. Man findet zuweilen Ziffern über den Baß geſetzet, wo keine gegriffen werden ſollen. Der Erfolg davon kann nicht anders als widrig ſeyn. Man ſtelle ſich vor: Ein Componiſt arbeitet ein Stück mit vielem Fleiß aus; er verſchwendet gleich -ſam173Zwey und zwanzigſtes Capitel. Vom Einklange. ſam dabey alle melodiſchen und harmoniſchen Künſte, welche er auf das reizendeſte zuſammen verbindet. Nunmehro glaubet er, daß es Zeit ſey, die Aufmerkſamkeit ſeiner Zuhörer durch einen neuen Gegenſtand zu ermuntern; er ſuchet zu dem Ende mit einer Art von Begeiſterung einen Gedanken auf; die Pracht und das Erhabene dieſes Gedanken ſoll hervorragen und empfunden wer - den. Er entſaget dahero gleichſam auf einige Zeit den Schönhei - ten der Harmonie; ſein Gedanke ſoll einſtimmig bleiben; er ſoll allein der Gedanke und die Beſchäftigung aller Begleiter zugleich ſeyn; er wechſelt nachher glücklich mit dem Gebrauch der Har - monie wieder ab u. ſ. w. Sein Stück wird fertig. Es wird aufgeführet. Mitten in der angenehmſten Erwartung der er - wünſchten Ausnahme dieſes Gedanken ſtöhrt ihn die Begleitung des Clavieriſten. Dieſer vorbereitet und löſet ſeine vorgeſchrie - benen Intervallen ſo ehrlich, und ſo regelmäßig auf, als nur möglich; zur andern Zeit mit vielem Beyfall, nur jetzo zum Verdruß. Zum Glücke für den Accompagniſten beſinnet ſich der Componiſt, daß er ſelbſt in der Vorſtellung der Grundſtimme etwas verſehen hat, und iſt überaus froh, daß jener aus Eckel über ſeine unrechte Begleitung von ſelbſt ſeine Harmonie fahren läſſet, ſich an keine Ziffer weiter kehret, und dieſen Gedanken mit dem Einklange ſo weit verſtärken hilft, als es nöthig iſt, weil ihm die erſte Grundregel des Accompagnements gleich beyfällt, welche wir im 19ten § der Einleitung angeführet haben: Ein Accompagniſt muß jedem Stücke, welches er begleitet, die ihm zukommende Harmonie, in der gehörigen Stärke gleich - ſam anpaſſen.

§. 4.

Um dieſer Regel genug zu thun, merken wir hier zween Fälle an, welche einem Accompagniſten verbinden, die Beglei -Y 3tung174Zwey und zwanzigſtes Capitel. tung mit dem Einklange zu gebrauchen. Die Begleitung mit dem Einklange iſt: wenn man die Baßnoten mit beyden Händen in Octaven ſpielet.

§. 5.

Der erſte Fall betrifft gewiſſe Stellen, welche ein - ſtimmig geſetzet ſind. Wenn alſo alle Stimmen eines Stückes im Einklange fortgehen: ſo iſt nichts natürlicher, als daß auch der Accompagniſt dieſem Einklange folget, und die Harmonie wegläſſet. Dieſer Fall pfleget durch die Wörter uniſoni, all uniſono angedeutet zu werden.

§. 6.

Wir merken hierbey einige beſondere Fälle mit an, welche von dem vorigen etwas abgehen. Wenn bey einem Stücke nur die Ripienſtimmen mit dem Baſſe den Einklang ha - ben, die Hauptſtimme aber zu dieſer einſtimmigen Begleitung entweder eine lange Aushaltung oder einen beſondern Geſang vorträget: ſo giebet man auf die Melodie der Ripienſtimmen genau Acht, ob ſie ſo beſchaffen iſt, daß die nöthigſten Inter - vallen der Grundharmonie, beſonders die Diſſonanzen mit ihrer Auflöſung, in der gebrochnen Harmonie darinnen berühret wer - den; iſt dieſes letztere, ſo bleibet man auch bey der Begleitung im Einklange (a). Wenn aber der die Hauptſtimme begleitende Gedanke ſimpel iſt, und nicht allein Harmonie verträget, ſon - dern dadurch wohl gar einen beſondern Glanz erhält: ſo wählt man die mehrſtimmige Begleitung (b). Weil zu dieſer Wahl eine gute Einſicht gehört, welche im Stande iſt zu urtheilen, ob, und wenn man durch die Harmonie der Hauptſtimme ſchade, oder helfe, und weil der in dieſem § feſtgeſetzte Fall beyde Arten von Begleitungen, nachdem die Umſtände ſind, verträget: ſo iſt deswegen eine genaue Andeutung beſonders nöthig.

Z. E.175Vom Einklange.
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§. 7.

Wenn ein Componiſt aus gewiſſen Urſachen einen Gedanken in die Grundſtimme ſetzet, welcher im eigentlichen Einklange von den übrigen Stimmen begleitet wird, und folg - lich keine Verdoppelung der Octaven, weder in der Höhe, noch in der Tiefe verträget, weil er juſt in der vorgeſchriebenen und keiner andern Lage ausgeführet werden ſoll: ſo läſſet man hierbey die rechte Hand pauſiren, und ſpielt dieſen verführeriſchen Ein - klang bloß mit der linken einſtimmig. Eben ſo werden die Ge - danken abgefertiget, welche zwar nicht allezeit etwas glänzendes haben, aber doch von beſonderm Ausdrucke ſind, und zuweilen ganz allein bey der Grundſtimme in der Tiefe vorkom - men, damit ſie durch eine harmoniſche Begleitung weder bedecket, noch durch eine Verdoppelung der Octave jünger gemachet wer - den ſollen. Der Componiſt, welcher dergleichen ſtudirte Plans machet, muß ſie ſehr accurat bezeichnen, oder er ſtehet in Gefahr, daß ſeine Abſichten nicht erreichet werden.

§. 8.

Der zweyte Fall, wo die Begleitung im Einklange gut thut, betrift alle brillante Stellen in der Grundſtimme, wo - bey der Verfertiger eine beſondere Abſicht gehabt hat; ſie mö - gen in Sprüngen, in Läufern, in gebrochener Harmonie, in Ketten von Trillern, und wer weiß in was für Figuren mehr beſtehen. Unſere Abſicht iſt hiebey, daß dieſe Stellen deutlich hervorragen ſollen, welches durch die harmoniſche Begleitung nicht ſo gut geſchiehet, als durch die, mit dem Einklange. Esiſt176Drey und zwanzigſtes Capitel. iſt noch nicht eingeführt, dieſen Fall mit uniſoni, oder all uni - ſono zu bezeichnen: er wird alſo der Diſcretion eines verſtändi - gen Accompagniſten überlaſſen. Ich bin von der guten Aus - nahme dieſer Begleitung bey ſolchen Stellen durch die Erfahrung genugſam überführet.

§. 9.

Bloß bey einem zweyſtimmigen Stücke, einem Solo, oder einer Soloarie, werden dieſe brillante Bäſſe meh - rentheils harmoniſch begleitet.

§. 10.

Wenn die Begleitung im Einklange aufhören ſoll, ſo muß man es durch Ziffern über den Noten, wo die Har - monie wieder angehet, andeuten. Geſetzt, daß die erſte Note den Dreyklang, welcher auch ohne Ziffern gegriffen wird, über ſich hätte: ſo muß man dennoch in dieſem Falle wenigſtens eine von den Ziffern, welche er enthält, über dieſe Note ſetzen.

Drey und zwanzigſtes Capitel. Von der einſtimmigen Begleitung mit der linken Hand allein.

§. 1.

Dieſe Art von Begleitung, welche durch t. s, taſto, oder taſto ſolo angedeutet wird, und wobey die Grundnoten mit der linken Hand allein einſtimmig geſpielet werden, iſt bey gewiſſen Stellen eines Stückes eben ſo nöthig, als die Begleitung mit dem Einklange, davon wir im vorigen Capitel gehandelt haben. Bey einer unrichtigen Bezeichnung leidet die Ausführung in beyden Fällen gleich viel.

§. 2.177Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein.

§. 2.

Die Italiäner brauchen beyde Arten entweder gar nicht, oder glauben vielleicht, daß man auf unſerm Inſtrumente bey der Begleitung nichts als Ziffern ſpielen könne, und hal - ten es folglich zu ungeſchicki zum Accompagnement der ſchönſten und affecktuöſeſten Stellen, bey welchen ſehr oft die einſtimmige Begleitung vorkommt. Das Geklimper ihrer Clavieriſten wollen ſie alsdenn nicht dabey haben, um ſo viel weniger, da ſie von ihnen wiſſen, daß ſie beynahe keinen Accord, ohne ihn zu brechen, anſchlagen können. Man findet alſo bey ihren Sachen, in delicaten Fällen, gemeiniglich zur Warnung die Wörter, ſenza Cembalo über die Grundnoten geſetzet. Ganze Arien ſind auf dieſe Art bezeichnet, und es kommt ſelbſt den Sängern dieſes Landes lächerlich vor, wenn man ihnen dieſe Vorſchrift in ihren Muſikalien zeiget.

§. 3.

Wir brauchen das taſto ſolo, wenn es nöthig iſt, mit groſſem Nutzen. Wenn z. E. Grundnoten mit der Haupt - ſtimme in vielen Terzen oder Sexten nacheinander fortgehen, ohne daß eine Mittelſtimme weiter darzu geſetzet iſt, ſo findet unſere Art von Begleitung ſtatt. Das Stück kann zwey - oder mehrſtimmig ſeyn. Wenn dieſe Grundnoten piano vorgetra - gen werden ſollen, wenn die Terzen und Sexten ganz nahe bey einander liegen, und folglich in keiner Stimme mit der Octave verdoppelt werden, alsdenn iſt kein ander Accompagnement nach der Natur möglich, als das unſrige; der Contraviolon ſchwei - get alsdenn ſtille, und die übrigen Bäſſe ſpielen mit dem Clavier dieſe Noten im eigentlichen Einklange ganz ſchwach mit. Fol - gende Exempel ſind von dieſer Art:

Bachs Verſuch. 2. Theil. ZZ. E.178Drey und zwanzigſtes Capitel.
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§. 4.

Wenn aber dergleichen Gedanken ſtark vorgetragen werden ſollen, und die Terzen und Sexten nicht zu nahe beyſam - men liegen, ſo kann man die Begleitung mit dem Einklange oder uniſono brauchen, und die Grundnoten verdoppeln. Wenn die letzteren nicht zu tief herunter moduliren, ſo nimmt man dieſe Verdoppelung lieber eine Octave tiefer als höher. Dieſer Fall kommt zuweilen in Sinfonien und Concerten vor, wo die zwo Violinen zuſammen, und die Bratſche mit dem Baſſe auch zu - ſammen im Einklange fortgehen. Z. E.

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§. 5.

Bey ganzen und halben Cadenzen, worein die Haupt - ſtimme mit einem Vorſchlag gehet, und wo der Abzug nachher, wie wir im erſten Theile dieſes Verſuches geſehen haben,piano179Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein. piano vorgetragen wird, ſchläget man ebenfalls auf dem Flügel bloß die Baßnote an: auf dem Clavicord oder Fortepiano hingegen kann man ſowohl den Vorſchlag, als den Abzug mit der rechten Hand mit begleiten; nur muß dieſes in einer nach der Hauptſtimme abgemeſſenen Stärke und Länge geſchehen, damit jene alle Freyheit behalte, bey dem Vorſchlage ſo ſtark und lange anzuhalten, als es der Affect haben will. Auſſerdem kann man auch auf den zuletzt genannten Inſtrumenten bey dem Vorſchlage den Baß allein, ſo ſtark als es ſeyn muß, anſchlagen, und den Abzug ganz ſchwach mit der rechten Hand begleiten.

§. 6.

Man braucht ferner das taſto ſolo bey Grundnoten, worüber der Geſang in der Tiefe ſich aufhält, ohne daß eine Begleitung in der Höhe dabey iſt. Wenn dieſer tiefe Geſang von mehrern Stimmen harmoniſch in der Tiefe begleitet wird, ſo kann man zwar Ziffern über die Grundſtimme ſetzen, welche ein verſtändiger Accompagniſt, der die Einrichtung des Stückes gleich einſiehet, nicht anders als in derſelben tiefen Lage greifen wird: da man ſich aber nicht allezeit auf die Diſcretion des Generalbaßſpielers, welches ſehr oft Dilettanti ſind, verlaſſen kann, ſo iſt es ſicherer und beſſer, auch in dieſem Falle das t. ſ. über die Grundnoten zu ſetzen, und die Harmonie allenfalls bey dem Clavier zu verliehren, als ein Accompagnement zu erdulden, welches wegen der Höhe alles überſchreyet und die Ausnahme verdirbt. Bey Concerten überhaupt, beſonders wenn ſie für baßirende Inſtrumente geſetzet ſind, bey Arien für tiefe Stim - men u. ſ. w. kommen dergleichen tiefe Melodien mit einer tiefen Harmonie zuweilen vor.

§. 7.

Wir wollen noch folgende Exempel wegen unſerer Art von Begleitung mit anmerken. Bey (a), wo die Haupt -Z 2ſtimme180Drey und zwanzigſtes Capitel. ſtimme mit dem Baſſe im eigentlichen Einklange anfänget, wird die erſte Note t. ſ. geſpielet. Bey (b) ruhet die rechte Hand ebenfalls bey der Note, worunter t. ſ. ſtehet, wenn auch Ziffern daruber ſtünden. Der Vortrag würde bey einer langſamen Zeit - maaſſe ſehr leiden, wenn man hier der Hauptſtimme in der Ver - änderung der Harmonie vorgreifen wollte.

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§. 8.181Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein.

§. 8.

Bey unſerer Art von Begleitung werden die Grund - noten niemahls mit der linken Hand verdoppelt, es ſey denn, daß der Vortrag des Gedanken ſo ſtark und das Clavier ſo auſſer - ordentlich ſchwach wäre, daß man eine Proportion auf dieſe Weiſe ſuchen müßte. Es iſt jedoch allezeit beſſer, und der Natur des taſto ſolo gemäſſer, wenn man dieſe Nothhülfe nicht brau - chet. Hierinnen beſtehet eben der weſentliche Unterſchied des taſto vom uniſono, daß bey dieſem die Verdoppelung ſtatt findet, bey jenem aber nicht.

§. 9.

Der Eintritt der Harmonie nach dem t. ſ. muß ebenfalls durch Ziffern angedeutet werden, wie wir im vorigen Capitel geſehen haben.

Vier und zwanzigſtes Capitel. Vom Orgelpunkt.

§. 1.

Wenn über lange aushaltenden oder in einem Tone bleibenden Baßnoten allerhand harmoniſche Veränderungen, welche mehrentheils aus Bindungen zu beſtehen pflegen, vorkommen: ſo nennt man dieſes einen Orgelpunkt oder Point d’orgue.

§. 2.

Dieſer letztere kommt gemeiniglich in gearbeiteten Sachen, beſonders in Fugen, am Ende über der Quinte der Tonart, oder über der Schlußnote vor. Zuweilen findet man ihn auch in der Mitte eines Stückes über der Quinte oder Prime der Tonart, worinnen ſich die Modulation aufhält. Im erſtern Falle pflegen die Componiſten über dieſem Orgelpunkt alleZ 3mög -182Vier und zwanzigſtes Capitel. mögliche contrapunktiſche Künſte gerne in der Enge zuſammen zu bringen.

§. 3.

Dieſe Orgelpunkte können drey - und mehrſtimmig ſeyn. Die Harmonie darüber iſt oft auch ohne den aushaltenden Baß vollſtändig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen der Harmonie und beſondere Zuſammenſetzung der Intervallen recht deutlich überſehen und erklären will, ſo läſſet man den Baß weg. Die ungewöhnlichſten Signaturen werden alsdenn zu ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalbaſſes.

§. 4.

Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, ſondern fertiget ſie mit dem taſto ſolo ab. Wer ſie beziffert, muß ſich gefallen laſſen, daß man ſie dem ohngeacht taſto ſolo ſpielet. Es iſt hieran nicht allein eine ſehr nöthige Bequemlichkeit, ſondern oft die Unmöglichkeit Schuld: und geſetzet, man könnte alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: ſo würde doch der Dank dafür lange noch nicht ſo groß ſeyn, wie die Angſt und Mühe, die es manchem dabey koſtet.

§. 5.

Bey dem t. ſ. in den Orgelpunkten hat das Auge nicht nöthig, ſo viele übereinander gethürmte Ziffern und unge - wöhnliche Aufgaben zu überſehen. Oft iſt die Einrichtung der Harmonie ſo beſchaffen, daß eine Stimme die andere überſteiget, welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalbaſſe ver - anlaſſen kann, die deswegen nicht erlaubet iſt, weil man ſonſt dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht das Ohr zufrieden wäre; man müßte alſo bey dieſem Falle, wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen ſollte, den ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf - löſung im getheilten Accompagnement mitſpielen, welches nicht zufor -183Vom Orgelpunkt. fordern iſt. Oft kommen die Veränderungen der Harmonie ſo ge - ſchwinde hintereinander, daß ſie beynahe nicht heraus zu bringen ſind, wenn man ſie auch mitſpielen wollte.

§. 6.

Folgende Exempel, wobey die Ziffern geſetzet ſind, um von der Einrichtung der Harmonie einen deutlichen Begriff zu geben, und wo die Ausführung ohne Baß gleich hinterher folget, werden hinlänglich ſeyn, das, was im vorigen § ange - führet iſt, zu erklären:

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184Vier und zwanzigſtes Capitel. Vom Orgelpunkt.
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Fünf185

Fünf und zwanzigſtes Capitel. Von den Vorſchlägen.

§. 1.

Es würde zu weitläuftig ſeyn, hier alles zu wiederholen, was bereits im erſten Theile dieſes Verſuches von den Vor - ſchlägen angeführet worden iſt. Ich ſetze zum voraus, daß meine Leſer jene Abtheilung, welche davon handelt, mit Achtſam - keit durchgeſehen haben, weil ſie von dieſem Capitel untrennbar iſt.

§. 2.

Die Vorſchläge kann man bey der Begleitung nur ſehr ſelten übergehen; ſie haben mehrentheils einen groſſen Antheil daran. Sie kommen am öfterſten in Stücken vor, wo der Ge - ſchmack herrſchet, weil ſie eine der vornehmſten Zierden deſſelben ſind. Dieſe Stücke erfordern ein feines Accompagnement, welches die darinnen vorkommenden Schönheiten, an ſtatt ſie zu verdunkeln, oder gar zu verderben, vielmehr auf alle mögliche Art erheben muß.

§. 3.

Die Vorſchläge halten die Harmonie auf, welche der Grundnote eigentlich zukommt. Es iſt bekannt, daß nach den Regeln des guten Vortrages der Vorſchlag ſtark, und der Abzug ſchwach ausgeführet werden. Folglich haben die Bezifferer doppelt unrecht, wenn ſie in der Bezeichnung dieſelben überge - hen; die Begleitung kann alsdenn mehrentheils nicht anders als widrig ausfallen. Die durch die Vorſchläge aufgehaltene Har - monie krieget durch eine genaue Andeutung mehrentheils ein ganz anderes Anſehen, und wir können alſo mit den ſchon da gewe - ſenen Aufgaben nicht auskommen, ſondern müſſen noch einige fremde Signaturen kennen lernen, an die man ſich aber garBachs Verſuch. 2. Theil. A aleicht186Fünf und zwanzigſtes Capitel. leicht wird gewöhnen können. In den Stücken, wo keine Haupt - ſtimme über dem Baſſe ſtehet, ſind dieſe Signaturen unentbehr - lich, weil man da die Vorſchläge nicht errathen kann; und ge - ſetzt, man hat die Hauptſtimme mit allen ihren Vorſchlägen über dem Baſſe, wie ändert man gleich im Spielen die Bezifferung, wenn ſie auf die Vorſchläge nicht eingerichtet iſt, und was nimmt man für Mittelſtimmen zu den letzteren, wenn ſie derglei - chen vertragen?

§. 4.

Bey den Aufgaben iſt ſchon vieles wegen der Vor - ſchläge abgehandelt worden: dieſes laſſen wir mehrentheils hier vorbey, und fangen unſere neue Betrachtungen bey den langen und veränderlichen Vorſchlägen an. Die kürzeſten darunter dürfen nicht geſchwinder, als ein Achttheil im Allegretto, ſeyn.

§. 5.

Wenn eine Grundnote ohne Rückſicht auf den Vor - ſchlag, der darüber vorkommt, beziffert iſt, und die Intervallen dieſes Vorſchlages und des darauf folgenden Abzuges ſich ent - weder mit der vorgeſchriebenen Aufgabe vertragen, oder wohl gar darinnen ſtecken: ſo bleibet man in der Begleitung dabey, welche letztere allenfalls vierſtimmig ſeyn kann, wenn es nöthig iſt. Folgende Exempel ſind von dieſer Art:

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187Von den Vorſchlägen.
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§. 6.

Wenn aber der Vorſchlag alle Intervallen der vor - geſchriebenen Aufgabe nicht verträget, weil dieſe letztere auf die Harmonie des folgenden Abzuges gerichtet iſt: ſo ſpielet man den Vorſchlag mit, und nimmt aus der angezeigten Signatur ſo viele Stimmen noch darzu, als die Stärke des Vortrages und die Har - monie des Vorſchlages erlauben. Wenn der letztere mit vielem Affeckt und ſchwach vorgetragen wird, wobey deſſen Länge bloß von der Willkühr der Hauptſtimme abhänget, ſo greift ihn der Begleiter nicht mit, ſondern nimmt nur eine oder höchſtens zwo Nebenſtimmen. Dieſes ereignet ſich auch oft bey Vorſchlägen,A a 2welche188Fünf und zwanzigſtes Capitel. welche wider die Modulation einen halben Ton zu hoch ſind. Die zweyſtimmigen Vorſchläge werden mit geſpielet, und alſo drey - ſtimmig abgefertiget. Einige Vorſchläge leiden gar keine Harmonie. Aus allen dieſen merken wir überhaupt an: daß, je mehr ein Stück Affeckt enthält, je feiner das Accompagnement ſeyn müſſe. Dieſe Feinigkeit äuſſert ſich in der Wahl, in dem Eintritte, in dem Menagement, auch oft in der Weglaſſung der Harmonie. Exempel von allerley Art werden meine Meynung noch mehr erklären.

§. 7.

In folgenden Exempeln kommen alle drey Gattungen von Secunden als Vorſchläge von unten vor. Ohngeacht man ſie bey der Begleitung nicht allezeit mitſpielet, ſo muß man ſie doch in der Bezifferung andeuten. Wenn man dieſe Secunden nicht als Nonen tracktiren kann, ſo iſt ihre Signatur mehrentheils 2 3. Die nöthigen Verſetzungszeichen dürfen nicht vergeſſen werden, und die übrigen dazu gehörigen Ziffern ſetzet man noch darüber. Wenn über der 2 noch eine Ziffer ſtehet, ſo verfährt man drey - ſtimmig. Bey dieſen Exempeln ſowohl, als bey den übrigen die - ſes Capitels iſt anfänglich die Bezifferung, ohne Rückſicht auf den Vorſchlag, angemerket; bey der Ausführung aber, welche gleich auf jedes Exempel folget, iſt die Bezeichnung ſo, wie ſie ſeyn ſoll. Bey (a) kann im zweyten Tackte genommen werden; im vierten Tackte hingegen läßt man die übermäßige Secunde durch eine Achttheilpauſe halb vorüber gehen, und nimmt nachher bloß die Quinte. Bey (b) greift man bloß die Septime, und bey (bb), wo ein zweyſtimmiger Vorſchlag vorkommt, auch die Secunde mit darzu. Bey (c) kann man, nachdem es nöthig iſt, die Septime auch allein, oder die Secunde mit darzu nehmen, weil ſie vorher ſchon in der Hand iſt. Bey (d) iſt derſelbe Um - ſtand; man nimmt entweder , oder die 6 allein. Bey (e) machet189Von den Vorſchlägen. machet man aus der Secunde eine None. Bey (f) kann man allenfalls den Vorſchlag mitſpielen, wenn die Zeitmaaſſe langſam iſt; auſſerdem übergehet man ihn mit einer Viertheilpauſe und ſchläget die Septime allein an. Bey (g) nimmt man die Vor - ſchläge und ihre Abzüge mit. Ueber muß ein Bogen ſtehen, da - mit die Sexte wegbleibe. Bey (h) würde die Achttheilpauſe zu kurz ſeyn, wenn man dadurch den Vorſchlag vorbey gehen laſſen wollte: man nimmt ihn alſo lieber mit, zumahl da er ſchon in der Hand lieget. Bey (i) läſſet ſich die Secunde, wegen des im Baſſe darauf folgenden ſis, nicht als eine None brauchen: man kann ſie aber weglaſſen, und allein nehmen. Zum erſten fis darf man noch nicht die Sexte greifen, weil man ſonſt Quinten ma - chen würde. In dieſem Exempel pfleget zuweilen die Hauptſtimme bey langſamer Zeitmaaſſe aus Affeckt bey dem a anzuhalten, und ſich bis zum folgenden Tackt fortſchleppen zu laſſen. Der Accom - pagniſt kehrt ſich hieran nicht, ſondern bleibet bey ſeinem gleichen Tempo. Bey (k), wenn die Zeitmaaſſe langſam iſt, kann man gar wohl aus den Secunden Nonen machen: auſſerdem aber übergehet man ſie, und ſchläget den Dreyklang gleich zu den Grundnoten an. Bey (l) und (ll), wo ſo viele Vorſchläge wider die Modulation vorkommen, muß man die Harmonie ganz dünne einrichten und mit Pauſen abwechfeln, damit die Zuſammen - klänge nicht zu widrig ausfallen und die Vorſchläge gut vorſtechen. Bey (m) behält man den Vorſchlag, weil er ſchon vorher lag, und nimmt die Quinte allein dazu. Bey (n) kann man zwar dieſe Secunden mitſpielen: doch iſt die Begleitung, ſo nach die - ſem Exempel folget, bey einem ſchwachen Vortrage beſſer, und auch auſſerdem werden dieſe Vorſchläge in der Hanptſtimme durch das Pauſiren deutlicher, und das Durchziehen wird nicht gehin -A a 3dert.190Fünf und zwanzigſtes Capitel. dert. Bey (o), wo der Vorſchlag bey dem Eintritt einer verän - derten Grundnote um einen halben Ton erhöhet wird, nimmt man die Sexte allein. Bey (p) findet dreyerley Begleitung ſtatt: (1) die Quinte allein; (2) die letztere mit der übermäßigen Se - cunde, und (3) die Octave nebſt der Quinte und dieſer Secunde. Nachdem die Begleitung ſchwach oder ſtark ſeyn ſoll, nachdem wählet man. Bey (q) machet man die erſte Secunde zur None. und nimmt zur zweyten Secunde die Sexte allein, und ſchläget die Terz nach. Zum c greift man bloß die Quinte und None. Bey dem fis nimmt man die falſche Quinte und Terz. Die Quarte und ihre Auflöſung übergehet man in der Begleitung bey dem zweyten Tackte aus der Urſache, damit die Hauptſtimme mit aller Freyheit dieſe Auflöſung vornehmen könne, wenn ſie will. Dieſer Fall gehöret mit zu denen Feinigkeiten, welche die Haupt - ſtimme vorausbehalten muß. Wir wollen bey dieſer Gelegenheit überhaupt anmerken: Alle Schönheiten des Geſanges und der Ausführung deſſelben, ſie mögen in Intervallen wider die Modu - lation, in Aufhaltungen oder Vorausnahmen der Auflöſung, oder überhaupt in Rückungen beſtehen, muß man bey einem Stücke, worinnen viel Affect iſt, und wo ein langſames Tempo genom - men wird, durch die Begleitung in ein noch helleres Licht zu ſetzen ſuchen, oder wenigſtens nicht verdunkeln. Das erſtere geſchiehet am bequemſten durch Pauſen, und das letztere durch eine Vermin - derung der Harmonie. Wollte man alle ſolche Feinigkeiten auf dem Claviere mit ausdrücken, ſo würden die Zuhörer nicht mehr wiſſen, ob ein Stück nur begleitet, oder mit geſpielet würde. Bey (r) hält ein Secundenvorſchlag von oben den Dreyklang durch den Accord der groſſen Septime auf. Wir haben ſchon mehrere Exempel von dieſer Art gehabt. Dieſe Vorhaltung iſt nur ſelten gut; der ſchlechte Geſchmack brauchet ſie alle Augenblicke.

Z. E.191Von den Vorſchlägen.
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192Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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193Von den Vorſchlägen.
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Bachs Verſuch. 2. Theil. B b194Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 8.

Auſſer dieſen Vorſchlägen in der Secunde ſind meh - rere betrachtungs werth. In folgenden Exempeln wird der Septi - menaccord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) kann man den Vorſchlag entweder mit ſpielen, wie es die Bezifferung über dem Syſtem, welche bloß die Grundnoten angehet, erfordert: oder man wählet die gleich hinterher folgende Ausführung. Das Aushalten mit der falſchen Quinte und Terz bey der letztern Be - gleitung läßt der Hauptſtimme die Freyheit, ihren Vorſchlag mit dem gehörigen Affect vorzutragen. Das Exempel (aa) wird eben ſo abgefertiget, wie das bey (a). Bey (b) nimmt man entweder zur erſten Grundnote, und zur zweyten; oder man läſſet den Vor -ſchlag195Von den Vorſchlägen. ſchlag und Abzug in der Begleitung weg, und greift bloß die Quarte, und nachher die Terz, wenn es nöthig iſt. Bey (c), wo ein zweyſtim - miger Vorſchlag vorkommt, iſt das Accompagnement dem Exempel gleich. Wenn die Begleitung ſchwach ſeyn ſoll, ſo läſſet man den Vorſchlag durch eine Viertheilpauſe vorüber gehen, und nimmt nach - her . Die Exempel (d) und (dd) ſind einerley, und unter - ſcheiden ſich bloß dadurch, daß in dem erſtern ein einſtimmiger, und in dem zweyten ein zweyſtimmiger Vorſchlag vorkommt. Die Begleitung beyder Exempel iſt beynahe gleich. Weil bey (dd) langſame und gezogene Noten vorausgeſetzet werden, ſo hat man die Pauſe bey dem Accompagnement weggelaſſen, welche bey (d), wo die Zeitmaaſſe geſchwinder iſt, gut thut. Bey (e) iſt die Begleitung dem Exempel gleich.

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B b 2196Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 9.

In folgenden Exempeln wird der Secundenaccord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) ſchläget man zur Achttheilpauſe den Terzquartenaccord vor, und nimmt nach her zum e den harten Dreyklang. Bey (b) wird zum zweyten f angeſchlagen; die Quinte gehet gleich darauf in die übermäßige Quarte, indem die Sexte und Secunde liegen bleiben. Bey (c) nimmt man den Terzquartenaccord, und gehet darauf mit der Terz in die Secunde; die übrigen zwo Ziffern läßt man liegen. Bey (d) wird genommen und die Sexte nachgeſchlagen, indem die Quarte und Secunde liegen bleiben. Die Septime muß in der Oberſtimme ſeyn, oder man läſſet den Vorſchlag lieber durcheine197Von den Vorſchlägen. eine Viertheilpauſe vorüber gehen. Bey (e) nimmt man bloß die Septime und Quinte, und gehet damit nachher in den Secunden - accord. Man kann über einen Bogen ſetzen, damit die Terz wegbleibe. Bey (f) wird der vorhergegangene Sextquinten - accord behalten, und nachher der Secundenaccord gegriffen. Bey (g) läßt man, wegen der vorhergegangenen kleinen Sexte, zum zweyten d dieſes groſſe Intervall weg, und nimmt bloß die Quinte und Secunde ([]); die erſtere gehet darauf in die übermäßige Quarte. Bey (h) verdoppelt man am beſten zur erſten Grundnote die Terz, und nimmt hernach die Quarte bey dem Terzquartenaccord unten. Bey (i) kommt der eigentliche oder dreyſtimmige Dreyklang vor, weil die vorhergehenden Sätze auch nur dreyſtimmig ſind. Das Exempel (k) vertrüge zwar ganz wohl den vierſtimmigen Terzquartenaccord, und man ſpielte alsdenn den Vorſchlag mit: allein, wenn die Begleitung fein ſeyn ſoll, ſo darf man, wegen der Fermate, die Hauptſtimme in ihrer Freyheit, den Vorſchlag dem Affeckt gemäß aufzulöſen, nicht einſchränken, weil man ſonſt Gefahr läuft, mit der Haupt - ſtimme in der Auflöſung ungleich einzutreffen. Wir haben im erſten Theile dieſes Verſuches geſehen, daß der Affeckt bey dieſen Fermaten viele Freyheit zuläſſet, und daß die Vorſchläge hiebey in der Melodie, wegen angebrachter weitläuftigen Manie - ren und Auszierungen, zuweilen verkürzet, zuweilen aber auch ohne weiterm Schmuck ausgehalten und verlängert werden. In beyden Fällen braucht man zur Vorſicht entweder die beygefügte dreyſtimmige Begleitung, oder man ſchläget die Grundnote zum Vorſchlage allein an, und nimmt nachher den Secundenaccord. Bey (l), wo daſſelbe Exempel mit zweyſtimmigen Vorſchlägen vorkommt, pauſirt die rechte Hand bey den letzteren, und ergreiftB b 3nach -198Fünf und zwanzigſtes Capitel. nachher den Secundenaccord, indem ſie die Harmonie von unten hinauf langſam bricht. Bey (m) iſt die Begleitung dem Exempel gleich, oder man nimmt zum Vorſchlage den Sextquintenaccord.

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199Von den Vorſchlägen.
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§. 10.200Fünf und zwanzigſtes Capitel.

§. 10.

Bey folgenden Exempeln wird der Sextenaccord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) nimmt man im vier - ſtimmigen Accompagnement zum Dreyklange über dem e entweder die Octave, oder noch beſſer die doppelte Terz; in der dreyſtim - migen Begleitung bleibet man bloß bey der Quinte und Terz, und wenn man nur eine Stimme in der rechten Hand nehmen darf, ſo iſt es die Terz, welche liegen bleibet. Bey (aa), mit dem beygeſetzten allegretto und piano, kann man von den zwo beygefügten Begleitungen eine wahlen, welche man will. Wenn der Vortrag nicht piano ſeyn ſoll, ſo kann man bey der erſtern Be - gleitung die Vorſchläge mit ihren Abzügen mitſpielen. Bey (b) nimmt man nicht mehr als drey Stimmen, weil der ſimple Satz auch damit zufrieden iſt. Wenn die Begleitung noch ſchwächer ſeyn ſoll, ſo gehet man bloß in Terzen mit der Grundſtimme hinauf und herunter: nur muß man wegen der Lage bedacht ſeyn, damit, ſtatt der Quarten, keine Quinten gegen die Hauptſtimme vorgehen. Bey (c) kann man nach Gutdünken, wie wir aus dem Exempel und der beygefügten Begleitung ſehen, drey und vier Stimmen, aber nicht weniger nehmen. Bey (d) verfährt man dreyſtimmig: wenn aber aus denſelben Urſachen, welche wir bey (k) im vorigen § angeführet haben, das Accompagne - ment fein ſeyn ſoll, ſo nimmt man zum gis bloß die Terz, und bleibet mit ihr liegen. Die Begleitung zu (e) und (f) iſt den Exempeln vollkommen gleich. Der Vortrag müßte ſehr ſtark ſeyn, wenn die vierte Stimme noch darzu ſollte genommen werden. Bey (g) kann man die beygefügte Begleitung wählen, wenn man nach dem fünften § den Terzquartenaccord nicht nehmen will.

Z. E.201Von den Vorſchlägen.
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Bachs Verſuch. 2. Theil. C c202Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 11.

In folgenden Exempeln wird der Dreyklang durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) nimmt man zu dem f , und den Dreyklang darauf: Bey (b) hingegen greift man nur , und nachher. Bey (c) kann man unter den zwo bey - gefügten Begleitungen wählen. Beyde ſind mit ihrer Bezifferung in den Aufgaben ſchon vorgekommen. Bey (d) findet fünferley Art von Begleitung Statt, worunter die zwo letztern die feineſten ſind. Wir haben ſie hier mit Fleiß zuſammen angeführet, ohngeacht ſie ebenfalls ſchon einzeln da geweſen ſind. Bey (e) klinget zu dem Vorſchlage wider die Modulation weiter gar nichts: man muß ihn alſo in der rechten Hand durch eine Viertheilpauſe vor - bey gehen laſſen:

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203Von den Vorſchlägen.

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§. 12.

In folgenden Exempeln wird der Sextquinten - accord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) kann man den Vorſchlag mitſpielen, oder nur die Sexte allein nehmen, wie man es nöthig findet. Bey (b) läſſet man am beſten den Vorſchlag durch eine Pauſe vorbey gehen. Bey (c) kann man eine Begleitung wählen, ſo ſtark oder ſchwach man ſie haben will. Bey der erſtern iſt die vorgeſchriebene Lage die beſte. Bey (d) iſt das Accompagnement dem Exempel gleich.

C c 2Z. E.204Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 13.

In folgenden Exempeln wird der Accord der groſſen Septime durch Vorſchläge aufgehalten. Die gute Ordnung iſt Schuld, daß einige Aufgaben noch einmahl vorkom - men, die ſchon da geweſen ſind. Bey (a) wird genommen; die Septime wird nachgeſchlagen, und die Quarte und Seeunde bleiben liegen. Weil der Vorſchlag in der leeren Octave geſchie - het, ſo muß wenigſtens darzu angeſchlagen werden, wenn mannicht205Von den Vorſchlägen. nicht gut findet, ihn mitzuſpielen. Bey (b) nimmt man entwe - der allein, und bleibet damit liegen: oder man nimmt den Vorſchlag mit darzu, es muß aber alsdenn die Terz oben liegen. Bey (c) hat man unter der drey - und vierſtimmigen Begleitung die Wahl. Bey der letzteren iſt die vorgeſchriebene Lage die beſte. Zu allen Exempeln bey (d) iſt die einzige zuletzt beygeſetzte Beglei - tung mit der Pauſe die vorzüglichſte.

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C c 3§. 14.206Fünf und zwanzigſtes Capitel.

§. 14.

In folgenden Exempeln wird der Sextquarten - accord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) hat man die Wahl, ob man den Vorſchlag mit der Quarte zugleich anſchla - gen will, oder ob man die Quinte von der Sexte will binden und nachher herunter gehen laſſen. Im erſtern Falle muß die Quinte oben liegen. Bey einer ſchwachen Begleitung wird die Quarte allein genommen. Bey (b) iſt das Accompagnement dem Exempel gleich. Bey (c) verträget dieſer erhöhete Vorſchlag die Quarte gar wohl, wenn man ihn mitſpielen will. Bey (d) iſt die Ausführung des Exempels und der Begleitung einerley. Bey (e) nimmt man, ſo lange der Vorſchlag dauert, den Drey - klang, und hernach den Sextquartenaccord. Die Begleitung dieſes Exempels mit zweyſtimmigen Vorſchlägen (ee) iſt dieſelbe. Bey (f) kann man den ganzen Septimenaccord zum Vorſchlage nehmen, oder nur , auch wohl gar bloß die Septime, nach - dem der Vortrag und Affeckt viel oder wenig Harmonie verträ - get. Wenn dieſes Exempel mit zweyſtimmigen Vorſchlägen (ff) vorkommet, ſo iſt das Accompagnement entweder dem Exempel, oder der beygefügten Vorbildung gleich. Die Exempel (g) und (h) ſind denen bey (f) und (ff) ähnlich.

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207Von den Vorſchlägen.
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208Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 15.

In folgenden Exempeln, das letzte ausgenommen, wird der Terzquartenaccord durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) hat man die Wahl unter dem drey - und vierſtimmigen Accompagnement. Bey der erſten Vorbildung deſſelben iſt die vorgeſchriebene Lage die beſte. Bey (b) bleibet man bey dem Sextquintenaccord, und gehet hernach mit der Quinte in die Quarte. Man kann auch in der Begleitung den Vorſchlag weglaſſen, wie wir bey (bb) in demſelben etwas weniges geän - derten Exempel ſehen. Bey (c) nimmt man den Septimen - accord, und bleibet mit der Terz liegen, indem die in die herunter ſteigen. Bey (d) kann man unter den beygefügten vier - drey - und zweyſtimmigen Begleitungen diejenige wählen, welche man nöthig findet. Bey (e) wird der Nonenquarten - accord durch einen Vorſchlag aufgehalten. Weil dieſer letztere ſich mit der Bezifferung gar nicht verträget, ſo wird er durch eine Pauſe übergangen:Z. E.209Von den Vorſchlägen.

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Bachs Verſuch. 2. Theil. D d210Fünf und zwanzigſtes Capitel.

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§. 16.

Wenn bey einem Solo, oder überhaupt bey einem Stücke, wo die Begleitung fein ſeyn muß, in der Hauptſtimme, bey einer etwas langſamen Zeitmaaſſe, viele Vorſchläge hinterein - ander vorkommen: ſo ſpielet man ſie in der rechten Hand nicht alle mit, damit der Vortrag der Hauptſtimme nicht verdunkelt werde. Wenn man dieſe Vorſchläge ohne Zwang nicht vorbey gehen kann, ſo machet man wenigſtens durch Pauſen eine Ver - änderung, wodurch der Vortrag der Hauptſtimme unterſchieden wird. Man überläſſet dadurch der letzteren den Vorzug, dieſe Manier ohne Begleitung zuerſt hören zu laſſen, und ſchläget ſie in der Begleitung nach. Die Veränderung, welche durch dieſe Pauſen entſtehet, iſt deſto angenehmer, je länger die einförmige Bewegung der Grundnoten vorher ſchon da geweſen iſt, und je länger ſie noch nachher dauert. Die Schönheit und das Schmeichelnde der Vorſchläge wird folglich dadurch auf das deutlichſte empfunden. Die Componiſten kennen die gute Aus - nahme dieſer Art von Ausführung ſehr wohl, und pflegen zu demEnde211Von den Vorſchlägen. Ende bey dem Eintritte der Vorſchläge der Grundſtimme oft Pauſen zu geben: ſind dieſe letztern aber im Baſſe nicht da, ſo kann man ſie doch in der Begleitung anbringen. In folgenden Exempeln thun die Pauſen gut:

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D d 2212Fünf und zwanzigſtes Capitel.

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§. 17.

In den Exempeln bey (a), welche man zuweilen antrifft, ſollten in der Grundſtimme Punkte auf die Achttheile folgen, wie wir in der zweyten Vorbildung aller dieſer Exempel ſehen. Der einmahl feſtgeſetzte Vortrag dieſer Vorſchläge machet dieſe Exempel falſch, woran eine Zerſtreuung oder eine Unwiſſen - heit Schuld ſeyn kann. Wenn man die Vorſchläge ausſchriebe, und ordentlich nach ihrer Geltung in den Tackt mit eintheilete, ſo würden ſolche Fehler nicht vorkommen. Es entſtehet durch den Vortrag dieſer Vorſchläge gegen die Grundſtimme eine unleid - liche Härte, an ſtatt, daß man ſonſt bey allen Vorſchlägen das Schmeichelnde zum Endzweck hat. Oft kann man ſich hier nicht einmahl durch Pauſen helfen, welche die Auflöſung der Vorſchläge oder den Abzug abwarten, indem nachher die rechte Hand bey dieſer Auflöſung wieder einfällt. Der Vorſchlag, der Abzug, alles diſſonirt bey der Fortſchreitung der Grundſtimme. Es flieſſen aus dieſen Exempeln entweder gar keine, oder wenigſtens keine natür - lichen, und folglich guten Mittelſtimmen. Ein ſicheres Kennzeichen eines ſchlechten, oder wenigſtens nicht recht überdachten Satzes. Wer bey der Compoſition richtig denken will, der muß Melodie und Harmonie zugleich denken. Es ſind nicht leicht Exempelmög -213Von den Vorſchlägen. möglich, wo man ſo leicht und ſo viele Quinten machen kann, wie hier: Wenn aber die Grundſtimme Punkte bekommt, ſo iſt die Bezifferung und Begleitung natürlich und leichte. Bey den Exempeln, wo nur eine erträgliche Begleitung möglich iſt, habe ich die letztere beygefüget, welche aber niemahls die Hauptſtimme überſteigen muß. Man geräth zuweilen in Umſtände, wo man nicht das geringſte ändern darf. In den Exempeln, wo gar keine Begleitung darauf iſt, muß man ſich an das tafto ſolo halten. Bey (b) würde die Begleitung ſehr widrig ausfallen, wenn man ſie der Bezifferung gemäß einrichten wollte, welche unter dem Exempel ſtehet, und leyder oft ſo vorkommt. In den beygefügten Accompagnement dieſes Exempels iſt die richtige Bezifferung da - von zugleich mit angemerket. Bey (c) ſollte billig im Anfange eines jeden Tacktes eine Achttheilpauſe in der Grundſtimme ſtehen, damit die eckelhaften anſchlagenden Quinten wegfielen. Unter den heutigen leichten Arbeiten der Italiäner trifft man zuweilen dieſes Exempel an. Wenn ein verſtändiger Accompagniſt mit leichter Mühe gewiſſe Fehler der Componiſten aus dem Stegreife verbeſſern kann und darf: ſo hat er alle Ehre davon, wenn er es thut, ohngeacht ſolche Flecken allezeit auf die Rechnung des Com - poniſten fallen. Es iſt alſo auch bey unſerm Exempel rathſam, daß man mit beyden Händen die Vorſchläge durch Pauſen vor - über gehen läſſet. Bey (d) iſt die Begleitung dem Exempel gleich. Die Diſſonanzen kommen hier im Durchgange vor, und man folget mit der rechten Hand der Hauptſtimme auf das ge - naueſte. Der Componiſt würde übel zufrieden ſeyn, wenn man hier die Strenge der Auflöſung genau beobachten und nur das geringſte in der Vollſtimmigkeit und Fortſchreitung ändern wollte. Die zwo letzten Grundnoten dieſes Exempels vertragenD d 3das214Fünf und zwanzigſtes Capitel. das vierſtimmige Accompagnement. Bey (e) ſpielet man ent - weder das Exempel ganz mit, oder läſſet die rechte Hand ruhen. Bey (f) und (ff) darf das Accompagnement die Hauptſtimme nicht überſteigen.

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215Von den Vorſchlägen.
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216Fünf und zwanzigſtes Capitel.
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§. 18.217Von den Vorſchlägen.

§. 18.

Die kurzen und unveränderlichen Vorſchläge werden nicht mitgeſpielet. Sie machen zwar überhaupt in der Begleitung keine Aenderung: wir wollen aber dennoch einige Ex - empel anführen, wo bey einer langſamen Zeitmaaſſe gewiſſe Vorſichten gebraucht werden müſſen. Bey (a) kann zu dem zwey - ten gis weder , noch der Sextenaccord, ſondern blos die falſche Quinte und die Terz genommen werden. Bey (b) und (c) thun die Pauſen gut; ſie machen bey (b) in der Bewegung eine Ver - änderung, und die Vorſchläge werden zugleich deutlich. Bey (c) ſind die die Pauſen nöthig, weil die mit den Grundnoten zu - gleich angeſchlagenen Terzen ekelhafte Quintenſchläge machen. Bey (d), wo viele Vorſchläge hinter einander vorkommen, ver - mindert man ebenfalls durch Pauſen den widrigen Zuſammenklang, und bey (dd) mit zweyſtimmigen Vorſchlägen läſſet man die rechte Hand gar weg, weil es beſſer iſt gar keine, als eine widrige Har - monie zn haben. Das Exempel bey (e) mit zweyſtimmigen Vorſchlägen erfordert, aus den bey (b) angeführten Urſachen, auch Pauſen:

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Bachs Verſuch. 2. Theil. E e218Fünf und zwanzigſtes Capitel.

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§. 19.219Von den Vorſchlägen.

§. 19.

Wenn vor einer Grundnote ein Vorſchlag ſtehet, ſo wird der Accord, welcher der Grundnote zukommt, mit dem Vorſchlage zugleich angeſchlagen: ſoll aber der letztere eine be - ſondere Aufgabe haben, ſo muß man ſie darüber ſetzen.

Sechs und zwanzigſtes Capitel. Von rückenden Noten.

§. 1.

Durch Rückungen wird die gewöhnliche Harmonie entwe - der vorausgenommen, oder aufgehalten.

§. 2.

Langſame Rückungen, welche die Harmonie vorausnehmen, machen in der Begleitung keine Veränderung. Der Accompagniſt ſchlägt mit der Grundnote zugleich ſeine Ziffern an (a): wenn dergleichen rückende Noten aber die Harmo - nie aufhalten, ſo verfähret man; wie wir bey den Vorſchlä - gen geſehen haben; bald ſpielet man das aufhaltende Intervall in der Begleitung mit, bald läſſet man es weg, man vermindert die Harmonie und nimmt blos die Nebenziffern, welche ſich mit der anſchlagenden und folgenden Note vertragen (b), oder man pauſiret gar (c), oder man ſpielet auch zuweilen alle rückende Noten mit (d). Bey (c) muß die rechte Hand aufgehoben werden, ſo - bald das Dis in der Hauptſtimme eintritt. Wenn das Exempel (d) langſam mit Terzen vorkommt (dd), ſo iſt die Begleitung drey - ſtimmig und dem Exempel gleich: auſſer einer langſamen oder we - nigſtens gemäßigten Zeitmaaſſe aber wird es taſto ſolo geſpielet. Dieſes Exempel (d) ohne Terzen, und bey einem geſchwinden Tempo, hat die Begleitung und Bezifferung von (e):E e 2Z. E.220Sechs und zwanzigſtes Capitel.

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§. 3.

Geſchwinde Rückungen werden, nachdem ihre Beſchaffenheit iſt, mit vorausgenommener oder aufgehaltener Har - monie begleitet, aber niemals mitgeſpielet; ſie mögen in der Haupt -ſtimme221Von rückenden Noten. ſtimme oder im Baſſe ſtecken, ſo gehet der Accompagniſt ſeinen glei - chen Weg fort, und ſchläget bey folgenden Exempeln ſeine Accorde in Viertheilen an; hierdurch erhält die rechte Hand das Gleich - gewicht des Tactes, wenn die rückende Noten im Baſſe liegen (a):

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§. 4.

Die Begleitung der Rückungen durch halbe Töne muß beſonders fein ſeyn, damit dieſe halben Töne ihre Deut - lichkeit behalten, und der Uebellaut nicht befördert werde. Bey (a) wird zu der Grundnote f der Dreyklang ohne Octave genom - men. Bey (b) beſtehet die Begleitung in einer zierlichen Nach - ahmung der halben Töne (bb). Wenn die Harmonie ſtärker ſeyn ſoll, ſo kann man die Intervallen der Hauptſtimme, nach Anweiſung der Bezifferung bey (bb), mitſpielen. Alle dieſe Ex - empel ſetzen ein langſames oder wenigſtens gemäßigtes Tempo voraus:

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E e 3222Sechs und zwanzigſtes Capitel.

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Sieben und zwanzigſtes Capitel. Vom punctirten Anſchlage.

§. 1.

Dieſes Capitel kann nicht mit dem gehörigen Nutzen geleſen werden, wenn man ſich nicht vorher das, was im erſten Theile dieſes Verſuches von dieſer Manier abgehandelt wor - den iſt, bekannt gemacht hat. Man wird vieles gar nicht, und das meiſte unrecht verſtehen: ſobald man aber unſere Manier recht kennet, ſo ſiehet man gar leicht ein, daß ſie in der Har - monie von Wichtigkeit ſeyn müſſe.

§. 2.

Der punctirte Anſchlag kommt nur in Stücken vor, wo der Geſchmack und der Affect den meiſten Antheil haben, und wo alſo die Begleitung beſonders fein ſeyn muß. Die der Grundnote eigentlich zukommende Harmonie wird durch dieſe Ma - nier noch länger aufgehalten, als wir bey den Vorſchlägen geſehen haben, weil in der Ausführung die Hauptnote der Hauptſtimme erſt nach dem letzten kurzen Nötgen dieſes Anſchlages eintritt. Die Stärke und Schwäche des Vortrages iſt bey unſerer Manier und den Vorſchlägen einerley, folglich höret man die aufgehal - tene Hauptnote ſchwach, und die Vorhaltung ſtark. Alle dieſeUm -223Vom punctirten Anſchlage. Umſtände ſolten billig, ſeit der Einführung dieſer Zierde des Ge - ſanges, in der Bezifferung eine genaue Andeutung deswegen ver - anlaſſet haben: aber wir müſſen leider auch hier daſſelbe bekla - gen, was wir chon bey den Vorſchlägen gethan haben. Noch bis hieher haben die Bezifferer unſere Manier ihrer Achtſamkeit nicht werth geachtet.

§. 3.

Bey der Begleitung einer Grundnote, worüber ein punctirter Anſchlag vorkommt, hat man dieſelben Hülfsmittel nöthig, welche ſchon bey den Vorſchlägen angezeiget ſind. Man ändert, man vermindert die vorgezeichnete Harmonie, zuweilen läſſet man ſie auch gar weg. Wenn unſer Anſchlag oft hinter einander vorkommt, und nur einigermaaſſen Harmonie verträget, ſo brauchet man, bey nicht gar langſamer Zeitmaaſſe, die Pauſen nicht allezeit gerne, weil die dadurch entſtehenden vielen Nach - ſchläge in der rechten Hand den gezogenen Geſang leicht ſtöhren können.

§. 4.

Die Harmonie, welche nachgeſchlagen wird, tritt mehrentheils bey der zweyten Hälfte der Grundnote ein. Wenn die letztere von ſehr langer Geltung iſt, ſo wird ihre zweyte Hälfte noch einmal gleich getheilet, und die nachſchlagende Harmonie erſt in der letzten Hälfte angeſchlagen.

§. 5.

In folgenden Exempeln wird durch unſere Manier die Secunde des Grundtones vorgehalten. Bey den Exempeln dieſes Capitels ſelbſt iſt wiederum die gewöhnliche Bezifferung, ohne Rückſicht auf den Anſchlag, beygeſetzet: bey der Ausführung aber folget die richtige Bezeichnung. Bey (a) wird bey dem erſten Viertheil zur Grundnote h pauſirt, und der Sextquintenaccord nachgeſchlagen. Unſere Manier iſt bey (a) nach ihrer wahren Gel - tung abgebildet; bey (x) iſt ihre gewöhnliche Schreibart zu ſehen. Das Exempel (b) hat dieſelbige Begleitung. Bey (c) wird zum hganz224Sieben und zwanzigſtes Capitel. ganz allein die Septime gendmmen und die Terz nachgeſchla - gen. Bey (d) wird die Septime und falſche Quinte, und nachher der Sextquintenaccord grgriffen. Bey (e), wenn die Begleitung ſchwach ſeyn ſoll, nimmt man die Septime allein und ſchläget die Terz nach: wenn aber der Vortrag mehr Harmonie verlan - get, ſo kann man gleich zur Septime die Secunde mit anſchlagen. Dieſe Anmerkung gilt bey allen Fällen von dieſer Art. Bey (f) greift man die falſche Quinte allein, oder die Secunde mit dazu, nachdem es nöthig iſt; die Sexte bleibet weg. Bey (g) wird pauſirt und der Sextenaccord nachgeſchlagen. Bey (h) nimmt man die Sexte und allenfalls die Secunde mit darbey. Bey (i) ſchläget man den Nonenaccord, und bey (ii) den No - nenquartenaccord an, und die gewöhnliche Auflöſung folget dar - auf. Bey einem ſchwachen Vortrage können in beyden Fällen dieſe Accorde wegbleiben, indem man nach einer Viertheilpauſe den Dreyklang nimmt. Bey (k) und (l) kann die Quinte in Geſellſchaft der Secunde, oder allein genommen werden. Bey (l) kann man auch, nach dem erſten Septimenaccorde, den durchge - henden Secundenaccord und den Dreyklang darauf greifen, und die Begleitung drey - oder vierſtimmig einrichten, nachdem man es gut findet (x). Bey (m) ſchlägt man nach einer Achttheil - pauſe die Quinte allein an, und die Terz nachher darzu. Bey (n) nimmt man entweder die Septime allein, und ſchlägt die übermäßige Sexte mit der Terz nach, oder man greift gleich zur Septime die Secunde mit, oder man pauſiret ein Achttheil und ſchlägt darauf die an. Alle drey Arten von Begleitung ſind gut, nachdem der Vortrag und Affect ſtark oder ſchwach iſt. Bey (o) iſt es am beſten, daß man pauſirt, und nachſchläget. Bey (p) nimmt man blos die Sexte und und übermäßige Quarte, und läſſet oie Terz weg. Bey (q) machen die Pauſenin225Vom punctirten Anſchlage. in der Oberſtimme den Anſchlag deutlich; die Septime kann gleich eintreten. Bey (r) wird nach der Achttheilpauſe die Quinte allein, oder die Terz mit darzu angeſchlagen, nachdem es nöthig iſt. Bey (s) nimmt man die Septime und Quarte, und löſet beyde Diſſonanzen nachher auf.

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Bachs Verſuch. 2. Theil. F f226Sieben und zwanzigſtes Capitel.
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227Vom punctirten Anſchlage.
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§. 6.

Auſſer dieſen Vorhaltungen in der Secunde ſind noch mehrere zu betrachten übrig. In folgenden Exempeln wird der Septimenaccord durch unſere Manier aufgehalten. Bey (a) kann man unter beyden Begleitungen wählen. Die erſtere kann allenfalls vierſtimmig eingerichtet werden. Das Exempel bey (aa), weil es aus geſchwinden Noten beſtehet und keinen Affect enthält, kann vierſtimmig begleitet werden. Bey (b) vermehret die erſte Note unſeres Anſchlages das Rauhe der anſchlagenden vermin -F f 2der -228Sieben und zwanzigſtes Capitel. derten Septime; alſo pauſirt man am beſten ein Achttheil, und ſchläget dreyſtimmig nach. Bey (c) kann man die beygeſetzte Begleitung nehmen, oder ſtatt , eine Achttheitpauſe wählen, und darauf ohne Terz nachſchlagen. Die zwey letztern Exempel bey (d) klingen widrig, ob ſie gleich vorkommen. Der Endzweck des Gefälligen und Schmeichelnden iſt durch unſere Manier hier verfehlet. Der Gedanke ohne die letztere klinget weit beſſer, und wenn ja eine Manier angebracht werden ſoll, ſo iſt es der ge - ſchwinde Anſchlag mit dem Terzenſprunge. Man läſſet am beſten einen Theil unſerer Manier bey der Begleitung durch eine Achttheilpauſe vorbeygehen und ſchläget dreyſtimmig nach: hingegen bey dem erſten Exempel (d) kann man auch[] drey - ſtimmig nehmen. Das Exempel (e) iſt deswegen nicht gut, weil durch unſere Manier der Satz einem platten Sextengange ähnlich, und die Septime, welche die Schönheit von dieſem Satze iſt, kaum gehöret wird. Man nimmt bey dem Eintritte der Manier die Terz allein, und zum letzten Viertheil die Sexte und Terz. Das Exempel (f), mit der ſchon vorherliegenden 5b, iſt beſſer. Man nimmt[] dreyſtimmig und zum letzten Viertheil den Sext - quintenaccord. Bey (g) kann man unter den zwoen Begleitun - gen wählen, oder bey dem Eintritt der Manier ein Achttheil pau - ſiren, und zum zweyten Achttheil entweder , oder , beydes drey - ſtimmig, anſchlagen. Die Urſache von der Weglaſſung eines In - tervalles bey dem letztern Septimenaccord iſt die Schwäche des Vortrages, womit das letzte Nötgen unſerer Manier, und die Hauptnote ausgeführet werden.

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229Vom punctirten Anſchlage.
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§. 7.

Bey (a) wird der Secundenaccord durch unſern Anſchlag aufgehalten. Dieſe lange Vorhaltung machet dasF f 3Exem -230Sieben und zwanzigſtes Capitel. Exempel etwas widrig. Ein kurzer Anſchlag thut hier beſſer. Man nimmt zum f den Dreyklang, und ſchläget den Secundenaccord nach. Die dreyſtimmige Begleitung iſt hier die beſte. Bey (b), (c) und (d) wird der Sextenaccord aufgehalten. In dem Exempel (b) wird der Dreyklang genommen, und der Sex - tenaccord nachgeſchlagen. Man kann auch zu dem f blos die Terz nehmen, und nachher die Sexte. Bey (c) hat man unter den beygefügten Begleitungen die Wahl, wenn man eine Achttheil - pauſe nicht brauchen will. Das Accompagnement von (d) iſt dem bey (b) gleich. Die Exempel von (dd) wo der dreyſtim - mige Satz[] aufgehalten wird, werden auf einerley Art beglei - tet. In den noch übrigen hierunter angeführten Exempeln wird der Dreyklang aufgehalten. Bey (e) iſt einerley Begleitung, nem - lich dreyſtimmig, oder eine Achttheilpauſe mitdem nachgeſchlage - nen Dreyklange. Bey (f) nimmt man entweder dreyſtimmig, oder man pauſirt ein Achttheil und ſchlägt den Dreyklang nach. Bey (g) wird der Nonenaccord mit ſeiner Auflöſung genommen. Bey (h) findet der Nonenquartenaccord Statt und wird nachher aufgelöſet. Bey (i) wird und nachher genommen.

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231Vom punctirten Anſchlage.
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§. 8.

Bey (a) und (b) wird der Sextquintenaccord durch unſere Manier aufgehalten. Unter den dreyen beygefüg - ten Begleitungen zu (a) kann man wählen; ingleichen unter den zweyen bey (b). Bey den übrigen Exempeln wird der Accordder232Sieben und zwanzigſtes Capitel. der groſſen Septime verzögert. Das Exempel (c) thut mit dem kurzen Anſchlage beſſer als mit dem punctirten. Der letztere klinget wegen der lange vorgehaltenen Octave leer, und die Be - gleitung muß es wieder gut machen; beyde Arten von Accompa - gnement ſind gut. Bey (d) und (e) iſt die Begleitung einerley, und kann drey und vierſtimmig genommen werden. Bey (f) nimmt man den vierſtimmigen Accord der groſſen Septime gleich bey dem Eintritt der Manier; die Hauptſtimme muß die Begleitung in dieſem Exempel überſteigen, damit die Sexte und Septime zerſtreuet liegen. Bey (g) und (h) thut der kurze Anſchlag beſſer, als der punctirte. Bey (g) verlanget das Ohr ohne Pauſe, gleich bey dem Eintritte der Manier, Harmonie; bey (h) findet eine Viertheilpauſe ſtatt.

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233Vom punctirten Anſchlage.
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§. 9.

In folgenden Exempeln wird der Sextquarten - accord durch den Anſchlag aufgehalten. Bey (a) hat man unter dreyen Begleitungen die Wahl. Die zwo erſtern können drey - und vierſtimmig eingerichtet werden; die dritte bleibet bey zwoen Stimmen und iſt die ſchwächſte. Die erſtere kann in einer andern, als in der vorgeſchriebenen Lage, nicht wohl gebraucht werden. Bey (b) nimmt man die beygeſetzte Begleitung, wenn man bey dem zweyten c keine Achttheilpauſe anbringen will. Dieſe letztere iſt bey (c) nöthig. Das Accompagnement zu (d) muß in der an - gezeigten Lage bleiben; auſſerdem kann man den Eintritt der Ma - nier durch eine Achttheilpauſe vorüber gehen laſſen. Bey (e) und (f) iſt die letztere von Nothwendigkeit. Wenn bey (d), (e) und (f), ſtatt der erſten Grundnote fis, c mit dem Dreyklange vor - kommt, ſo bleibet man bey den vorgeſchriebenen Begleitungen.

Bachs Verſuch. 2. Theil. G gZ. E.234Sieben und zwanzigſtes Capitel.
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§. 10.

Bey (a) und (b) wird der Quintquartenaccord aufgehalten. Das Exempel (a) iſt deswegen nicht gut, weil die Schönheit der angebrachten Diſſonanz durch die Länge un - ſerer Manier mehrentheils verlohren gehet. Ein kurzer Anſchlag thut hier beſſer. Die Begleitung kann nicht anders ſeyn, als wie ſie vorgeſchrieben iſt; oder man müſte bey dem erſten g ein Acht - theil pauſiren, und den ganzen Quintquartenaccord nachſchlagen. Bey (b) iſt die Begleitung einerley, das erſte c mag 4, oder über ſich haben. Das Accompagnement zu (c) iſt daſſelbige. Bey (b) und (c) wird der Quartnonenaccord, und bey (d) der235Vom punctirten Anſchlage. der Septimennonenaccord aufgehalten. Die Begleitung des letztern Exempels kann drey - und vierſtimmig ſeyn. Bey dem Eintritt der Manier pauſirt man ein Achttheil, und ſchlägt nach.

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Acht und zwanzigſtes Capitel. Vom punctirten Schleifer.

§. 1.

Was bey dem vorigen Capitel in den zwey erſten Paragraphen von der unentbehrlichen Kenntniß des punctirten Anſchlages aus dem erſten Theile dieſes Verſuchs, in Anſehung desG g 2wich -236Acht und zwanzigſtes Capitel. wichtigen Antheils, welchen dieſe Manier an der Harmonie nimmt, und von der daraus folgenden nothwendigen Bezeichnung der - ſelben geſaget worden iſt, kann mit allem Rechte auch von dem punctirten Schleifer geſagt werden.

§. 2.

Dieſer letztere kommt zwar nicht ſo oft vor, als die zwo Manieren, welche wir ſchon abgehandelt haben: doch wird die Harmonie zuweilen durch unſern Schleifer hier noch länger auf - gehalten, als dort. Der Affect, mit welchem die punctirten Schlei - fer zuweilen vorgetragen werden, und wo alsdenn bey der erſten punctirten Note länger, als gewöhnlich, angehalten wird, nöthiget den Begleiter in dieſem Falle, der Aufgabe, welche nach unſerer Manier folget, noch die Hälfte von ihrer Geltung abzuziehen, und ſie dem vorhergehenden Accord zuzulegen. In der ſechsten Tabelle unter der drey und neunzigſten Figur des erſten Theils von dieſem Buche finden wir einige Exempel, wobey die Ausfüh - rung unſerer Manier ſehr verſchieden iſt. Wir werden die da - durch verurſachte Veränderung in der Begleitung jedesmal in den folgenden Exempeln anführen.

§. 3.

Bey allen hierunten vorgebildeten Fällen bleibet man in der Begleitung bey den vorgeſchriebenen Aufgaben, ob ſie ſchon ohne Rückſicht auf unſere Manier hingeſetzet ſind; blos ein gewiſſer Vortrag dieſer Manier kann eine kleine Aenderung ver - anlaſſen, wie wir unten angemerkt haben:

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237Vom punctirten Schleifer.
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238Acht und zwanzigſtes Capitel.
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In den obigen Exempeln wird bey (a) die Begleitung nicht verändert, wenn auch noch ſo lange bey dem Schleifer angehal - ten wird: bey (b) hingegen verfähret man nach der Vorſchrift, welche gleich auf das Exempel folget, wenn das erſte Nötgen unſerer Manier noch bey der folgenden Grundnote anhält. Bey (b) (×) klinget die vorhaltende Quarte in dem punctirten Schlei - fer nicht gut, ob man ſie ſchon zuweilen in der Ausführung höret. Wenn unſere Manier nebſt der Hauptnote zuſammen nicht mehr, als die Geltung einer Viertheilnote, beträgt, oder wenn das punctirte Nötgen d noch bey der letzten Grundnote dieſes Tactes vorhält, ſo kann die Wirkung paßiren: auſſerdem aber nicht wohl, wenn nem - lich in der Eintheilung beyde f in der Hauptſtimme und in dem Baſſe zugleich zum Gehör kommen. Dieſe leere Octave nebſt der vor -her -239Vom punctirten Schleifer. hergegangenen nüchternen Quarte machen hintereinander unan - genehme Zuſammenklänge. Die Ausführungen dieſes Exempels (b) (×) mögen indeſſen ſeyn, wie ſie wollen, ſo verfähret man dreyſtimmig und nimmt die Sexte und Terz, oder auch die Quarte und Terz, wie wir beydes angemerkt haben. Bey (b) (y) darf von Rechtswegen die leere Octave nicht zu lange vorgehalten wer - den: wenn es aber dennoch geſchiehet, und das f zur letzten Grundnote c anſchläget, ſo wird zu dieſem c, ſtatt des Drey - klanges, 4 3 genommen.

§. 4.

In folgenden Exempeln würde das Accompagnement widrig ausfallen, wenn man es nach der gewöhnlichen Vor - ſchrift einrichten wolte: man muß alſo in der Bezifferung eine Aenderung treffen. Dieſe letztere iſt hinter jedem Exempel beyge - fuget, die gewöhnliche Bezeichnung iſt bey den Exempeln ſelbſt angemerket. Wo der auſſerordentlich langſame Vortrag der Ma - nier eine Aenderung veranlaſſet, da iſt ſie in der letzten Ausfüh - rung des Exempels abgebildet.

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240Acht und zwanzigſtes Capitel.
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241Vom punctirten Schleifer.

Bey (b) vermindert der Schleifer die Härte der anſchlagen - den Septime. Ob dieſe letztere gleich in der Harmonie vorher ſchon da iſt, ſo thut man doch wohl, wenn man ſie in der Begleitung wegläſſet, und blos die falſche Quinte und Terz zu der Manier und zu dem ganzen Tacte durch anſchläget. Beyde Exempel von (c) haben einerley Accompagnement. Bey (d) kann, wegen der Sexte, womit der Schleifer eintritt, der Dreyklang nicht genommen werden: da nun dem ohngeacht der Dreyklang und kein anderer Accord dieſer Grundnote zukommt, ſo nimmt man entweder blos das Intervall, welches der Sextenaccord auſſer der Octave mit dem Dreyklange gemein hat, nemlich die Terz, oder man ſchlägt die Grundnote allein an. Wenn ſich mit dieſem Exempel ein Stück anfängt, ſo iſt es am beſten, daß der Baß bey dieſer Manier pauſiret Wenn bey (e) der Schleifer gewöhnlich lang iſt, daß nem - lich in der Hauptſtimme das g mit dem letztern h in dem Baſſe zugleich eintritt, ſo ſchläget man mit der rechten Hand zu dieſem letztern Viertheil des Tactes den vollen Sextquintenaccord noch einmal an: wenn aber das erſte kleine punctirte Nötchen in un - ſerer Manier noch bey dem letztern h der Grundſtimme anhält, ſo muß die Begleitung ſo eingerichtet werden, wie ſie neben dem Exempel abgebildet iſt. Beyde Exempel (f) haben die zwiſchen inne ſtehende Begleitung. Bey (g) muß gleich bey dem zweyten Viertheil! der Sextquartenaccord in beyden Exempeln eintreten. Bey (h) nimmt man den Terzquartenaccord, und bey (i) die dreyſtimmige Aufgabe[]; wenn bey dieſem letztern Exempel die erſte Note des Schleifers länger als gewöhnlich, gehalten wird, ſo wird die Terz erſt bey dem letzten Achttheile des Tactes nach - geſchlagen, und die Sexte noch einmal dazu wiederholet, wie wir in der letzten Ausführung angemerket haben.

Bachs Verſuch. 2. Theil. H hNeun242Neun und zwanzigſtes Capitel.

Neun und zwanzigſtes Capitel. Vom Vortrage.

§. 1.

Es iſt ein Irrthum wenn man glaubt, daß ſich die Regeln des guten Vortrags blos auf die Ausführung der Handſachen erſtrecken. Man hat alles dasjenige, was im erſten Theile dieſes Verſuchs vom Vortrage abgehandelt worden iſt, und wohin ich meine Leſer verweiſe, auch bey dem Accompagnement in gewiſſen Umſtänden zu beobachten. Das letztere nimmt noch mehrern Antheil an den Regeln des guten Vortrages, als die Ausübung der Handſachen, weil ein Begleiter nicht nur ſeine vorgeſchriebe - nen Grundnoten dem wahren Inhalt gemäß ausführen muß, ſondern noch überdem wegen der Stärke und Schwäche, und wegen der Höhe und Tiefe der Harmonie vernünftige Einrichtun - gen zu machen hat. Wir haben uns darüber ſchon in dem 19ten Paragraph der Einleitung erkläret, und von einem Accom - pagniſten gefordert, daß er jedem Stücke, welches er begleitet, die ihm zukommende Harmonie mit dem rechten Vortrage in der ge - hörigen Stärke und Weite gleichſam anpaſſen ſoll.

§. 2.

Je wenigerſtimmig ein Stück iſt, je feiner muß die Begleitung dabey ſeyn. Ein Solo, oder eine Soloarie giebet alſo die beſte Gelegenheit, einen Accompagniſten zu beurtheilen. Hier muß man die meiſte Vorſicht anwenden, damit die Abſichten der Hauptſtimme gemeinſchaftlich erreichet werden. Ich weiß nicht, ob dem Begleiter alsdenn nicht noch mehr Ehre gebühre, als dem, der begleitet wird. Dieſer letztere kann vielleicht lange Zeitzuge -243Vom Vortrage. zugebracht haben, um ſein Stück, welches er nach jetziger Mode ſelbſt verfertiget haben muß, gut heraus zu bringen, und darf den - noch deswegen noch nicht auf den Beyfall verſtändiger Zuhörer gewiſſe Rechnung machen, weil ſein Vortrag durch eine gute Be - gleitung erſt belebet werden ſoll. Der Accompagniſt hingegen hat manchmal kaum ſo viele Zeit, das ihm vorgelegte Stück nur flüch - tig anzuſehen, und muß demohngeachtet aus dem Stegreife alle die Schönheiten unterſtützen und befördern helfen, welche mit ſo vieler Mühe und Zeit ausſtudiret ſind. Der Soloſpieler oder der Sänger behält indeſſen alles Bravo gemeiniglich für ſich, und giebet ſeinem Begleiter nichts davon ab. Er hat Recht, weil er den Schlendrian kennet, vermöge deſſen ihm dieſes Bravo eigen - thümlich und ganz allein gegeben wird.

§. 3.

Die Schönheit eines guten Accompagnements beſtehet nicht in vielen bunten Figuren und einem ſtarken Geräuſche, wel - ches man ohne Vorſchrift erfindet. Hierdurch kann der Haupt - ſtimme leicht Tort geſchehen; man benimmt ihr die Freyheit aller - ley Veränderungen bey dem Wiederholen, und auch auſſerdem an - zubringen. Der Begleiter kann zuweilen am meiſten hervorragen, und die Achtſamkeit verſtändiger Zuhörer auf ſich ziehen, wenn er in ſeinem ganz gelaſſenen Accompagnement eine bloſſe Feſtigkeit und edle Einfalt blicken läſſet, und dadurch den glänzenden Vor - trag der Hauptſtimme nicht ſtöhret. Ihm darf nicht bange ſeyn, daß man ihn bey dem Zuhören deswegen vergißt, weil er nicht alle Augenblicke mit lärmet. Nein, einem verſtändigen Zuhörer kann nicht leicht etwas entwiſchen; in den Empfindungen ſeiner Seele ſind Melodie und Harmonie jederzeit untrennbar. Erfordert es die Gelegenheit und der Character eines Stückes, ſo kann der Be - gleiter alsdenn ſeinem aufgehaltenen Feuer allenfalls den Zügel ſchieſſen laſſen, wenn die Hauptſtimme pauſiret, oder ſimple NotenH h 2vor -244Neun und zwanzigſtes Capitel. vorträget. Es wird jedoch hierzu viele Geſchicklichkeit und Ein - ſicht in den wahren Inhalt eines Stückes erfordert, und man kann ſchon mit einem Accompagnemente zufrieden ſeyn, welches blos die Anforderungen, auch ohne ausdrückliche Andeutung, erfüllet, welche im 19ten Paragraph der Einleitung geſchehen ſind. Wir werden zu dem Ende in dieſem Capitel, und in der Folge fortfahren, unſere Anmerkungen nebſt der Reinigkeit zugleich hauptſächlich mit auf das Feine der Begleitung zu richten.

§. 4.

Es iſt zuweilen nöthig, und dem Begleiter nicht eben unanſtändig, ſich vor der Ausführung eines Stückes mit dem, der die Hauptſtimme vorzutragen hat, zu beſprechen, und dem letztern die Freyheit wegen der Einrichtung des Accompagnements zu über - laſſen. Einige wollen den Begleiter ſehr eingeſchränkt wiſſen, einige aber nicht. Man gehet alſo durch eine vorher genommene Abrede den ſicherſten Weg, weil die Meynungen verſchieden ſind, und die Hauptſtimme zu wählen hat.

§. 5.

Wir machen unter den Gegenſtänden des Vortrages den Anfang bey der Stärke und Schwäche, und finden, daß der Flügel mit einer Taſtatur unter allen Inſtrumenten, worauf man den Generalbaß ſpielet, den Begleiter wegen des Forte und Piano am meiſten in Verlegenheit ſetzet. Es bleibet ihm hier nichts übrig, als daß er durch eine verſtärkte und verminderte Harmonie dieſe Unvollkommenheit des Inſtruments zu verbeſſern ſuchet. Man muß ſich alsdenn in acht nehmen, damit keine nöthige Ziffer aus - gelaſſen, und keine unrechte verdoppelt werde. Einige nehmen zur Herausbringung des Piano einen ganz kurzen Anſchlag der Ta - ſten noch mit zur Hülfe: allein der Vortrag leidet hierbey er - ſtaunlich, und ſelbſt unter den abgeſtoſſenen Noten vertragen die wenigſten dieſen ſo gar kurzen Druck. Durch einen ſeltenern Anſchlag mit der rechten Hand, bey durchgehenden Noten, kannman245Vom Vortrage. man noch eher die Stärke der Begleitung ſchwächen. Die ſchöne Erfindung unſers berühmten Herrn Holefelds, wodurch man ſeit kurzem alle Regiſter des Flügels in währendem Spielen, vermittelſt eines leichten Fußtrittes ab - und anziehen kann, hat die Flügel überhaupt, und beſonders diejenigen, welche nur ein Manual haben, vollkommener gemachet, und die Schwierigkeit, we - gen des Piano, bey den letztern glücklich gehoben. Es wäre zu wünſchen, daß alle Flügel in der Welt zur Ehre des guten Ge - ſchmacks ſo eingerichtet würden.

§. 6.

Dieſer Erfindung ungeachtet behält das Clavicord und das Fortepiano wegen der mancherley Art, die Stärcke und Schwäche allmählig vorzutragen, vor den Flügeln und Orgeln vieles voraus. Das Pedal bey den letztern thut ſeine guten Dienſte, wenn die Noten in der Grundſtimme nicht zu geſchwinde ſind, und der Baß durch ein ſechzehnfüßiges Regiſter durchdrin - gender gemacht werden kann. Ehe man aber den Geſang der Grundſtimme verſtümmelt, weil die Noten nicht alle mit den Füſſen heraus gebracht werden können: ſo thut man beſſer, wenn man das Pedal wegläſſet, und die Grundnoten blos mit der linken Hand ſpielet.

§. 7.

Die Regeln, welche man überhaupt wegen des Forte und Piano bey einer Orgel und einem Flügel mit zwo Taſtaturen geben kann, ſind folgende: Das Fortißimo und das Forte wird auf dem ſtärkern Manuale genommen. Bey jenem können die conſonirenden Accorde ganz, und bey den diſſoniren - den, nur die Conſonanzen daraus in der linken Hand mit gegrif - fen werden, wenn es die Ausführung der Grundnoten erlaubet. Dieſe Verdoppelung muß alsdenn nicht in der Tiefe, ſondern nahe an der rechten Hand geſchehen, damit die Harmonie beyder Hände zuſammen gränze, und kein Zwiſchenraum entſtehe, zu geſchweigen,H h 3daß246Neun und zwanzigſtes Capitel. daß widrigenfalls durch die brummende Tiefe eine ekelhafte Un - deutlichkeit verurſachet würde. Die bloſſe Verdoppelung der Grund - noten mit der Octave in der linken Hand iſt ebenfalls von einer durchdringenden Wirkung, und alsdenn unentbehrlich, wenn dieſe Noten nicht ſehr geſchwind ſind, und leicht heraus gebracht wer - den können, dabey aber einen gewiſſen Geſang enthalten, welcher eine ziemliche Weite einnimmt. Bey Fugen, wenn das Thema eintritt, bey Nachahmungen, welche ſtark vorgetragen werden ſollen, thut dieſe Verdoppelung der Grundnoten ſehr gut. Wenn aber bey einem Thema, oder überhaupt bey einem Gedanken, wel - cher einen beſondern Ausdruck erfordert, einige bunte Figuren vor - kommen, welche mit einer Hand in Octaven nicht wohl heraus gebracht werden können: ſo verdoppelt man wenigſtens die Haupt - noten, und ſpielet die übrigen einfach (a). Hierdurch behält die rechte Hand ihre Harmonie, welche bey contrapunctiſchen Sachen nicht wohl gemiſſet werden kann. Bey dem mezzo forte kann die linke Hand mit den Baßnoten allein auf dem ſtärkern Manuale bleiben, indem die rechte auf dem ſchwächern ihre Harmonie vor - träget. Bey dem Piano ſpielen beyde Hände auf dem ſchwächern Manuale. Das Pianißimo wird auf eben dieſer Taſtatur durch die Verminderung der Harmonie heraus gebracht. Man muß, um dieſen Vorſchriften genug zu thun, das Ohr beſtändig mit zu Hülfe nehmen, weil die Andeutungen nicht allezeit genau bey - geſetzet ſind, und weil auch oft die Schwäche und Stärke des Vor - trages von der Willkühr des Ausführers der Hauptſtimme ab - hänget.

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247Vom Vortrage.

§. 8.

Ein Begleiteiter muß genau Achtung geben, ob der - jenige, den er begleitet, mit ſeiner Stimme, oder mit ſeinem In - ſtrumente die Höhe und Tiefe gleich ſtark habe, und ob die Töne der Hauptſtimme in der Ferne und in der Nähe gleich deutlich klingen. Iſt dieſes letztere nicht, ſo muß man die Begleitung, auch ohne ausdrückliche Andeutung, ſo einrichten, damit die ſchwa - chen Töne durch ein zu ſtarkes Accompagnement nicht bedecket werden. Man weiß Z. E. von der Queerflöte, daß ſie in der Höhe weit durchſticht, in der Tiefe aber nicht, ohngeachtet ſie übrigens von gleichem Tone ſeyn kann.

§. 9.

Man muß, wegen der Stärke, das Forte im Tutti vom Forte im Solo wohl unterſcheiden. Das letztere muß in einem genauen Verhältniß mit der Stärke der Hauptſtimme ſtehen; das erſtere hingegen kann ſchon ſtärker ſeyn.

§. 10.

Wenn ſich die Modulation ändert, ſo giebt man es durch eine Verſtärkung in der Begleitung zu erkennen. Wenn der Vortrag alsdenn z. E. fortißimo ſeyn ſoll, ſo nimmt man beyde Hände voller Harmonie, bricht die letztere von unten hurtig her - auf, und läſſet hernach in der linken Hand blos die Grundnote mit ihrer Octave, in der rechten Hand aber alle Ziffern liegen (a). Wenn gewiſſe Gänge durch eine Verſetzung wiederholet werden, ſo verdoppelt man mit der linken Hand blos die Hauptgrund - noten zu mehrerer Deutlichkeit (b). Sind dieſe Gänge ſo beſchaf - fen, daß ſie ganz durch mit der Octave mitgeſpielet werden können, ſo unterſcheidet man ſolche Hauptnoten durch eine verſtärkte Har - monie, allenfalls mit beyden Händen. Die Noten bey (c) mit einem darüber geſetzten Striche ſind es, von denen hier die Rede iſt. Auſſer der guten Ausnahme dieſes Forte, bekommen bey kur - zen Pauſen die vorſchlagenden Noten dadurch ein beſonderes Ge - wichte, und die Mitſpielenden eine groſſe Erleichterung, weil bekann -ter -248Neun und zwanzigſtes Capitel. termaaſſen dergleichen kurze Pauſen, auſſer dem Clavier, viele Schwierigkeiten machen (d). Dieſe letztere Anmerkung erſtrecket ſich auf alle Gelegenheiten, wo kurze Pauſen vorkommen.

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§. 11.

Die erſte Note nach einer Fermate oder General - pauſe ſchläget man gerne ſtark an. Wenn auch ſchon piano unter dieſer Note ſtehen ſolte, ſo giebet man ihr dennoch durch einen mäßig ſtarken Anſchlag einen Nachdruck. Dieſe Freyheit des Vortrages iſt alsdenn beſonders nöthig, wenn der vorhergegangene Stillſtand von dem Baſſe allein zuerſt gebrochen wird. Es iſt beſſer, daß man alsdenn eine Note etwas ſtärker, als es eigent - lich ſeyn ſolte, anſchläget, und dadurch die Mitſpielenden in der Ordnung erhält: als wenn man aus einer übertriebenen Genauigkeit dieſes, denen übrigen Mitmuſicirenden, wegen der gehörigen Nachfolge, unentbehrliche Zeichen weglaſſen, und dadurch wagen wolte, daß ein anſehnlicher Theil vom Stücke, wo derCom -249Vom Vortrage. Componiſt oft eine beſondere Schönheit angebracht hat, durch eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen iſt der erſte Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratſche trift.

§. 12.

Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten, werden ſtark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange - deutet iſt. Man giebet der Hauptſtimme dadurch zu verſtehen, daß man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten werde. Dieſes Zeichen iſt beſonders bey dem Allegro nothwen - dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge - führet ſind, als bey jenem. Die Hauptſtimme pfleget oft in dieſem Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein ſchlep - pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wiſſen, daß die Cadenz verzieret werden ſoll.

§. 13.

Wenn die Hauptſtimme eine lange Aushaltung hat, welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwächſet, und wieder nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: ſo richtet ſich der Begleiter hiernach auf das genaueſte. Er wendet alle Künſte, das Forte und Piano herauszubringen, ſo viel ihm möglich iſt, an. Er wächſt und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger.

§. 14.

Bey Gelegenheit der abgeſtoſſenen und gezoge - nen Noten merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu die Grundnoten nicht ausdrücklich abgeſtoſſen werden ſollen, nicht nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzuſchlagen. Die In - tervallen, welche im vorhergehenden Accorde ſchon da ſind, und im darauf folgenden liegen bleiben können, läſſet man liegen. Durch dieſen Vortrag, wenn er zumal mit flieſſenden Progreſ - ſionen in der beſten Lage vergeſellſchaftet iſt, erhält die Begleitung eine ſingende Wirkung. Bey gezogenen Noten iſt er unentbehr - lich. Aus dieſer guten Urſache ſind die meiſten Exempel dieſesBachs Verſuch. 2. Theil. J iBuches250Neun und zwanzigſtes Capitel. Buches in dergleichen Ausführung vorgebildet worden, damit die Lernenden beyzeiten an dieſe Art von unterhaltendem Vortrage gewöh - net, und vor dem ſo gewöhnlichen als ekelhaften Gehacke bey dem Generalbaſſe bewahret werden. Wenn die Zeitmaaſſe ſo ſehr lang - ſam, und das Inſtrument worauf man ſpielet, ſo ungemein ſchlecht iſt, daß die liegen gebliebenen Intervallen nicht hinlänglich nach - klingen: ſo iſt alsdenn ein wiederholter Anſchlag nöthig. Auf den Orgeln brauchet man dieſe Nothhülfe nicht.

§. 15.

Der Vortrag der Sechzehntheile in den unten fol - genden Exempeln klinget im Adagio ſehr matt, wenn keine Puncte darzwiſchen ſtehen. Man thut alſo wohl, wenn man bey der Ausführung dieſen Mangel erſetzet. In der Schreibart der punc - tirten Noten überhaupt fehlet es noch ſehr oft an der gehörigen Genauigkeit. Man hat daher wegen des Vortrags dieſer Art von Noten eine gewiſſe Hauptregel feſtſetzen wollen, welche aber viele Ausnahme leidet. Die nach dem Punct folgenden Noten ſollen nach dieſer Regel auf das kürzeſte abgefertiget werden, und meh - rentheils iſt dieſe Vorſchrift wahr: allein bald machet die Ein - theilung gewiſſer Noten in verſchiedenen Stimmen, vermöge wel - cher ſie in einem Augenblicke zuſammen eintreten müſſen, eine Aenderung; bald iſt ein flattirender Affect, welcher das dieſen punctirten Noten ſonſt eigene Trotzige nicht verträget, die Urſache, daß man bey dem Puncte etwas weniger anhält. Wenn man alſo nur eine Art vom Vortrage dieſer Noten zum Grundſatze leget, ſo verliehrt man die übrigen Arten.

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§. 16.251Vom Vortrage.

§. 16.

Unter die noch fehlenden Signaturen gehören hauptſächlich die Puncte, welche zwiſchen den Ziffern mit eben dem Recht ſtehen ſolten, mit welchem man ſie zwiſchen den Grund - noten antrift. Man muß ſich wundern, daß man noch bis jetzo bey der Bezifferung dieſe Puncte übergangen hat, ohngeachtet bey dem jetzigen feinen Geſchmacke ihre Nothwendigkeit gar ſehr einleuchten muß. Wie viele Ungleichheiten können nicht bey dem Mangel dieſer Puncte wegen der Auflöſungen vorgehen! Wie ſehr leidet oft nicht auſſerdem der Vortrag und das Genie eines Stückes, und wie unendlich aufmerkſam muß nicht das Ohr ſeyn, um keine Fehler zuzulaſſen! Folgendes Exempel mag einen Beweis von meiner Meynung abgeben:

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§. 17.

Wenn bey einem langſamen Tempo viele geſchleifte Grundnoten auf einer Stufe hintereinander vorkommen, und man will ſie mit der tiefern Octave verdoppeln: ſo geſchiehet dieſes nur bey der erſten und dritten, oder in den Triolen blos bey der erſten. Die unterſten verdoppelten Noten werden alsdenn ausgehalten (a). Wenn dergleichen Noten aber geſchwind und abgeſtoſſen aus - geführet werden ſollen, damit ſie ein ſtarkes Geräuſche machen (b): ſo kann man nach der bey (c) abgebildeten Art vom Vortrage verfahren. Gar lange dürfen dergleichen Paßagien nicht dauern, ſonſt werden die Hände zu ſteif und zu müde. Man thut als - denn beſſer, wenn man ſie wie andere Trommelbäſſe ſpielet, undJ i 2der252Neun und zwanzigſtes Capitel. der deswegen im erſten Theile dieſes Verſuchs, in der Ein - leitung, in einer Note gegebenen Vorſchrift folget.

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§. 18.

Wenn bey einem Concert, oder überhaupt bey einem vielſtimmigen Stücke der Baß mit allen Ripienſtimmen eine Aus - haltung hat, da unterdeſſen die Hauptſtimme ihre beſondere Bewe - gung beybehält, auch ſolche wol gar zuweilen durch Rückungen ver - ändert: ſo thut der Accompagniſt wohl, wenn er zur Aufrecht - haltung des Tactes, und zur Sicherheit der übrigen Mitmuſici - renden die Tactheile mit der rechten Hand harmoniſch anſchläget, ob ſich auch ſchon die Harmonie bey der Aushaltung nicht ein einziges mahl verändern ſolte. Hat der Baß ganz allein eine lange Aushaltung, ſo kann man die auszuhaltende Grundnote alsdenn einfach wieder anſchlagen, wenn ſie nachzuklingen bey - nahe aufgehöret hat. Nur muß dieſes nicht, wie man zu ſagen pfleget, wider den Tact geſchehen. Bey den geradenTacten253Vom Vortrage. Tacten kann dieſe Wiederholung im Anfange und in der Mitte geſchehen, nachdem die Tactart viele Theile hat, und nachdem das Tempo langſam oder geſchwinde iſt. Bey den ungeraden Tacten findet dieſer wiederholte Anſchlag nur im Niederſchlagen Statt: kommt aber im währenden Aushalten ein Forte vor, nachdem ein Piano vorhergegangen iſt, ſo kehret man ſich nicht an die ange - führte Tacteintheilung, ſondern ſchläget, ſo viel man abmerken kann, gleich bey dem Eintritt des Forte die Grundnote nebſt der Har - monie mit beyden Händen, und wenn ein Fortißimo angezeiget iſt, mit vollen Händen an. Auch hier kann man, wegen Man - gel an Zeichen, den Eintritt der Stärke und Schwäche bey der Grundnote und ihren Ziffern nicht pünctlich andeuten.

§. 19.

Wenn mit dem Baſſe zugleich mehrere Stimmen die vorgeſchriebenen Noten geriſſen (pizzicato) auszuführen haben, ſo pauſirt der Clavieriſt, und überläſſet dieſen Vortrag dem Vio - loncell und Contraviolon. Trift aber dieſes pizzicato blos die Grundſtimme, ſo ſpielet der Accompagniſt ſeine Noten mit der lin - ken Hand allein, und ſtöſſet ſie ab: es ſey dann, daß der Com - poniſt aus guten Urſachen Ziffern über die Noten geſetzet hätte, ſo träget man mit der rechten Hand auch die Harmonie abgeſtoſſen vor. Wenn der Vortrag des pizzicato und coll’arco nur mit wenigen Noten abwechſelt: ſo muß jenes von dieſem durch einen ſehr merk - lichen Vortrag unterſchieden werden, es geſchehe nun durch ein gänzliches Pauſiren, durch ein abgeſtoſſenes taſto ſolo oder uniſoni, oder durch einen kurzen Anſchlag der Harmonie. Wenn bey dieſer Nothwendigkeit des Abſtoſſens in der Hauptſtimme Vorſchläge vor - kommen, welche man in der Begleitung ſonſt nicht übergehet, ſo ſpielet man ſie nicht mit, ſondern nimmt blos die übrigen dazu gehörigen Ziffern, weil der geſchleifte Vortrag der Vorſchläge und Abzüge ſich mit dem Abſtoſſen nicht wohl verträget.

J i 3§. 20.254Neun und zwanzigſtes Capitel.

§. 20.

In langſamer oder gemäßigter Zeitmaaſſe wird über - haupt bey den Einſchnitten länger angehalten als es ſeyn ſoll, beſonders wenn der Baß mit den übrigen Stimmen, oder, bey einem Solo, mit der Hauptſtimme allein gleiche Pauſen und Noten hat. Man mu alsdenn genau Acht haben, damit der Vortrag gleich ſey, und keiner eher oder ſpäter, als der andere, nach den Pauſen fortgehe. Dieſer Fall ereignet ſich auch oft auſſer den Ein - ſchnitten bey Fermaten, Cadenzen u. ſ. w. Man pfleget alsdenn mit Fleiß in dem Tempo etwas zu ſchleppen, und man muß alſo von der Strenge des Tactes etwas fahren laſſen, weil ſowohl bey der letzten Note vor der Pauſe, als auch bey der Pauſe ſelbſt, ge - meiniglich länger angehalten wird, als es ſeyn ſolte. Auſſer der Gleichheit, die man durch dieſe Art von Ausführung erhält, be - kommt der Gedanke einen Nachdruck, welcher ihn erhebet.

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§. 21.

Bey dem Schlußtriller eines Stückes wird mehren - theils angehalten, das Tempo ſey wie es wolle. Hat das Stück Repriſen, ſo wird dieſer Triller, und folglich auch die Grundnote dazu, erſt bey der letzten Wiederholung am Ende, verlängert. Hierdurch giebet man dem Schluſſe des Stückes noch zuletzt ein Gewichte, und läſſet den Zuhörer empfinden daß es aus ſey. Dieſe255Vom Vortrage. Dieſe Art zu ſchlieſſen kann vielleicht, ohngeachtet ihrer guten Aus - nahme, in einigen Gegenden nicht eingeführet ſeyn. Der Begleiter muß alſo in dieſem Falle viele Aufmerkſamkeit anwenden, zumal da auch bey uns zuweilen Schlußtriller vorkommen, wo entweder das Feurige oder das Traurige eines Gedanken erfordert, daß man in dem Tempo gerade fortgehe (a). Es verſtehet ſich von ſelbſt, daß der Accompagniſt ebenfalls nicht anhält, wenn die Grund - noten bey dem Schlußtriller fortgehen (b). Wenn aber bey die - ſem Fortgange der Grundſtimme die letzte Note die Quinte der Tonart iſt, ſo hält man dabey noch ſo lange ſtille, bis man merket, daß die Hauptſtimme, oder die übrigen Mitmuſicirenden mit ihrem Triller fertig ſind (c). Eben ſo verfähret man, wenn in der Grundſtimme, nach dem Eintritt des Trillers blos die Quinte der Tonart in der höhern oder tiefern Octave wiederholet wird (d). Wenn ſich ein Stück ohne Schlußtriller endiget, ſo gehet man auch, ohne anzuhalten, gleich weiter fort (e).

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256Neun und zwanzigſtes Capitel.
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§. 22.

Wenn man einem tiefen Inſtrumente, einem Fo - gott, Violoncell u. ſ. w. oder einer tiefen Singſtimme, einem Tenor oder Baß, ein Solo oder eine Soloarie accompagnirt, ſo muß man ſich in der Begleitung niemals wegen der Höhe von der Hauptſtimme zu weit entfernen, ſondern auf die Weite der Mo - dulation der letztern genau Acht haben. Man pfleget ſich als - denn nicht leicht über die eingeſtrichne Octave mit der Harmonie zu verſteigen. Iſt es nöthig, die Aufgaben ganz tief zu nehmen, ſo muß man die Harmonie verdünnen, weil die Tiefe nicht viele Harmonie verträget, ohne die Deutlichkeit zu verliehren.

§. 23.

Sind Ripienſtimmen zu einem Stücke mit einer tie - fen Hauptſtimme geſetzet, ſo muß man auf die Höhe und Tiefe der erſtern genau hören, und die Begleitung des Claviers in derſelben Weite nehmen. Der Geſang der Hauptſtimme muß durch überſteigende Mittelſtimmen alsdenn nicht undeutlich gemacht werden. Aus dieſer Urſache ſetzen zuweilen die Componiſten, der guten Ausnahme und Veränderung wegen, die Mittelſtimmen in die Tiefe, wenn der Hauptgeſang ſich daſelbſt aufhält, und wech - ſeln nachher glücklich wieder mit der Höhe bey den Rittornellen ab. Nach allen dieſen muß der Accompagniſt ſich genau richten. Ge - wiſſe Fälle, wobey man ſich in Anſehung der Höhe und Tiefe der Harmonie, der Zierlichkeit wegen, gewiſſer Freyheiten bedienen kann, werden an einem andern Orte abgehandelt werden. Hier wol - len wir nur dasjenige den Begleitern nochmals anrathen, worauf wir ſchon öfter gedrungen haben, nemlich, daß in der Ober -ſtimme257Vom Vortrage. ſtimme auf einen guten Geſang geſehen werde. Die beſten Lagen ſind hierbey, ſo viel es nur möglich iſt, zu nehmen, und wenn man ja in der Nothwendigkeit ſtehet, die Hauptſtimme mit der Harmonie zu überſteigen, ſo muß man diejenigen Intervallen in die Oberſtimme legen, welche mit andern Mittelſtimmen unter ſich (a), oder mit der Hauptſtimme (b), oder mit dem Baſſe (c) in Terzen oder Sexten fortſchreiten:

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§. 24.

So verwerflich die Begleitung iſt, wobey man in der Oberſtimme den Geſang der Hauptſtimme beſtändig mitſpielet: ſo nöthig, und folglich auch erlaubt iſt ſie zuweilen im Anfange eines geſchwinden Stückes, beſonders wenn dieſes letztere zweyſtimmig iſt. Man bietet ſich dadurch, wegen des Tempo, ein - ander gleichſam die Hände, und die Zuhörer verliehren nicht das geringſte vom Anfange, wegen der Gleichheit und guten Ordnung. Schwachen Muſikern überhaupt, ſie mögen begleiten oder führen, iſt dieſes Hülfsmittel der Einförmigkeit allenfalls auch auſſer dem Anfange erlaubet, wenn ſie dadurch wieder in die Gleichheit des Tactes kommen können, woraus ſie gefallen waren.

Bachs Verſuch. 2. Theil. K k§. 25.258Neun und zwanzigſtes Capitel.

§. 25.

Wenn die rechte Hand durch viele unterwärts auf - gelöſete Diſſonanzen zu tief herunter gekommen iſt, ſo muß man alle, in dieſer Anleitung angezeigte Gelegenheit, beſonders bey langen Grundnoten, bey conſonirenden Sätzen, bey der Wieder - holung derſelben, bey durchgehenden Noten u. ſ. w. ergreifen, mit guter Art nach und nach wieder in die Höhe zu kommen. Dieſes letztere iſt oft aus einer guten Vorſicht nöthig, wenn die Hauptſtimme nicht über dem Baſſe ſtehet, weil die erſtere oder auch mehrere Stimmen zuweilen unvermuthet aus der Tiefe in die Höhe ſpringen können, welches der Accompagniſt nicht thun darf. Wir ſehen alſo aus dieſem und mehrern möglichen Fällen, die ſich zwar nicht alle beſtimmen laſſen, welche aber ein verſtändiger Begleiter gar bald entdecket, die Nothwendigkeit, durch eine fleißige Ue - bung im Accompagnement mit der Zeit Meiſter von der erforder - lichen Höhe und Tiefe der Harmonie zu werden. Ich verſtehe hierunter nicht blos eine Fertigkeit, die Interoallen allenthalben gleich angeben zu können, ſondern eine Geſchicklichkeit, dahin, wo man man nur will, und wo es nöthig iſt, mit der Harmonie auf eine gute Art gleich hinzukommen. Wir wollen bey dieſer Ge - legenheit noch einige Fälle mit anmerken, wobey man bequem mit in die Lagen kommen kann, welche man in Anſehung der Höhe und Tiefe der Harmonie nöthig findet. Wenn z. E. der Baß mit einem con - ſonirenden Satze in die Octave ſpringet, ſo kann man ohne Gefahr, durch die Gegenbewegung, alsdenn die Lage eher verändern, als bey andern Sprüngen der Grundnoten (a). Auſſerdem ſind die Aufgaben mit nachſchlagenden und unvorbereiteten Diſſonanzen ebenfalls bequem, daß man unter den Lagen wählen kann (b):

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259Vom Vortrage.
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§. 26.

Bey der Begleitung muß man eben ſo wenig nur ganz leicht über die Oberfläche der Taſten hinfahren, als bey den Handſachen, ſondern man muß dem Niederdruck allezeit eine ge - wiſſe Kraft geben. Dieſes kann nicht leicht geſchehen, ohne daß man die Hände etwas hoch aufhebet. Wenn dieſes nicht zu Holzhackermäßig geſchiehet, ſo iſt die Erhebung der Hände nicht allein kein Fehler, ſondern vielmehr gut und nöthig, um den Mitmuſicirenden das Tempo leichter merkend zu machen, und den Taſten das gehörige Gewichte zu geben, damit die Töne nach den Regeln des guten Vortrages deutlich herausgebracht werden können.

Dreißigſtes Capitel. Von den Schlußcadenzen.

§. 1.

Meine Leſer werden aus dem erſten Theile dieſes Ver - ſuches geſehen haben, daß die Schlußcadenzen mit und ohne Verzierung vorkommen. Wir wollen alſo den Begleiter hier unterrichten, wie er ſich in beyden Fällen zu verhalten habe.

§. 2.

Bey dem Eintritt der verzierten Cadenzen, ſie mögen durch ein Ruhezeichen in der Grundſtimme angedeutet ſeyn oder nicht, hält der Accompagniſt den Sextquartenaccord eine Weile aus, und ruhet hernach ſo lange, bis bey dem Ende der CadenzK k 2die260Dreißigſtes Capitel. die Hauptſtimme durch einen Schlußtriller, oder andere Figuren, die Auflöſung des erwehnten Accordes nothwendig machet, welche alsdenn durch den Dreyklang, wozu man noch die Septime zur fünften Stimme nimmt, auf dem Claviere vor ſich gehet. Vom Adagio molto an bis zum Andante wird der Sextquartenaccord ſowohl, als der darauf folgende Dreyklang langſam, oder etwas hurtiger von unten hinauf gebrochen, nachdem es die Zeitmaaſſe, oder der Affect erfordert.

§. 3.

Wenn bey einem mehr als zweyſtimmigen Stücke die Grundſtimme, bey dem Eingange in die verzierte Cadenz, Pauſen hat, ſo ſchläget der Accompagniſt bey dem Schluſſe der Cadenz, es mag ſich dieſe letztere durch einen langen Triller, oder ohne den - ſelben durch eine andere Figur, oder durch ein Pianißimo endigen, den Dreyklang, nebſt der Dominante im Baſſe an, und pauſiret hernach weiter fort, wenn noch mehr Pauſen nachfolgen.

§ 4.

Wenn nach einer verzierten, oder auch nur nach einer mit einem bloſſen langen Triller aufgehaltenen Cadenz, der Baß gleich darauf fortgehen ſoll: ſo muß dieſes mit einer Feſtigkeit und ſichern Wiederergreifung des Tempo ſogleich geſchehen, als man merket, daß der Triller von der Hauptſtimme lange genug geſchla - gen worden iſt, und daß er matt werden möchte. Die Noten, womit der Baß gleich nach dem Triller fortgehet, müſſen, auch ohne Andeutung, kräftig und ſtark vorgetragen werden, damit die übrigen Ausführer das wieder ordentlich fortgehende Tempo deut - lich fühlen. Solten dieſe nach der Cadenz ſich gleich weiter fort - bewegenden Grundnoten mit einem Piano bezeichnet ſeyn, welches aber ſelten vorkommt, ſo ſchläget man wenigſtens die erſteren, welche vor dem Eintritte des folgenden Tactes vorkommen, ſtark an, oder giebet allenfalls den Mitmuſicirenden durch eine Bewe - gung des Cörpers die Tacteintheilung zu erkennen.

Z. E.361[261]Von den Schlußcadenzen.
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§. 5.

Zuweilen fehlet es dem Ausführer der Hauptſtimme an der Dispoſition, ſich bey der Cadenz aufzuhalten, ohngeacht ein Ruhezeichen über der Grundnote ſtehet; er pfleget dieſes als - denn ſeinen Begleitern durch eine Bewegung mit dem Kopfe, oder mit dem Leibe zu verſtehen zu geben. Wenn der Accompagniſt dieſes merket, ſo ſchläget er, ſtatt einer auszuhaltenden Grund - note lauter ſolche kurze Noten an, dergleichen vorhergegangen ſind, damit die gute Ordnung erhalten werde, und die übrigen Muſi - ker den Fortgang im Tempo ohne Aufhaltung deutlich hören:

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§. 6.

Wenn im folgenden Exempel der Componiſt bey der Schlußcadenz, ohne Rückſicht auf eine Verzierung derſelben, die Bewegung der Grundnoten fortgehen läſſet: ſo hält der Accom - pagniſt bey dem erſten g gleich an, und wiederholet dieſes Intervall bey dem Triller, worauf er den folgenden Tact anfängt. Dieſer Fall kommt oft im Allegro vor, und erfordert alsdenn ein auf - merkſames Ohr:

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§. 7.262Dreißigſtes Capitel.

§. 7.

Im Andantino und Allegretto wird zur Cadenz ſo - wohl der Sextquartenaccord, als auch der folgende Dreyklang kurz von unten hinauf gebrochen und liegen gelaſſen. Im Allegro hin - gegen ſchläget man, vor der Verzierung der Cadenz, den Sextquar - tenaccord ſammt der Grundnote mehrentheils ganz kurz an. Die Hauptſtimme erhält dadurch die Freyheit, bey einem feurigen Stücke ihre Verzierungen, nach einem ganz kurzen Stillſtand, gleich anzufangen, und viele geſchwinde, und zugleich ſolche Noten anzu - bringen, welche ſich auf den vorgeſchlagenen Accord nicht eben beziehen. Es iſt dieſes auch nicht allezeit nöthig, ohngeacht man dennoch ſo viel möglich bey dem Anfange der Verzierung auf den Sextquartenaccord mit ſiehet. Wenn man das Feld der verzierten Cadenzen zu ſehr einſchränken wolte, ſo würde der Miß - brauch davon, den man nun ſchon mit Geduld ertragen muß, und nicht leicht abſchaffen kann, noch unleidlicher werden, als er ſchon iſt. Auſſer dem Falle, da die Hauptſtimme gleich nach dem Sextquartenaccord mit der Verzierung anfänget, pflegen ſich die Ausführer der gedachten Hauptſtimme, um an die nachklingende Harmonie der nicht zu ſehr gebunden zu ſeyn, dadurch zu hel - fen, daß ſie ihre Note mit dem Ruhezeichen noch eine Weile aushalten und alsdenn erſt ihre Schönheiten anbringen, wenn der Nachklang des Claviers mehrentheils vorbey iſt. Dieſe Art des Vortrages iſt auch deswegen gut, weil die Zuhörer auf die Cadenz gehörig vorbereitet werden, nachdem vorher der Sexquar - tenaccord ihrem Gehör gut eingepräget worden iſt.

§. 8.

Der Triller, womit man die verzierte Cadenz endiget, wird mehr aus Gewohnheit, als aus einer Schuldigkeit in der Quinte, und wenn die Tonart weich iſt, zuweilen auch in der Sexte geſchlagen. Weil nun der Accompagniſt auf dieſen Triller lauren muß, damit er bey dem Eintritt deſſelben den Drey -klang263Von den Schlußcadenzen. klang ſogleich darzu anſchlagen könne: ſo muß man ſich bey ſolchen Cadenzen, welche mit Ketten von Trillern verziert werden, durch eine allzu groſſe Sorgfalt nicht verführen laſſen, und mit dem Dreyklange gleich zuplatzen, ſo bald ein etwas langer Triller in der Terz geſchla - gen wird. Dieſer Triller iſt gemeiniglich ein ſicheres Kennzeichen, daß die Cadenz noch nicht zu Ende iſt, und man waget alſo durch einen zu frühen Anſchlag noch viele Töne zu hören, welche zu dem Dreyklange nicht paſſen. Ein verſtändiger Ausführer der Hauptſtimme wird ſich zwar alsdenn auf alle mögliche Art ein - ſchränken, und, damit das Gehör nichts widriges empfinde, bald zum Schluſſe eilen: allein dieſen Zwang muß ein Accompagniſt nicht veranlaſſen. Solte jemand aus beſonderm Gefallen mit einem ſolchen Triller in der Terz der Grundnote ſeine Cadenz endigen wollen: ſo muß er ſich gefallen laſſen, wenn der Clavieriſt mit ſeinem Dreyklange nicht gleich bey der Hand iſt, ſondern die - ſen Triller zuvor eine Weile anhöret, bis er gewiß weiß, daß die Cadenz damit geſchloſſen werden ſoll. Einige Ausführer der Hauptſtimme haben einen Wohlgefallen daran, wenn ſie den Ac - compagniſten durch einen langen Triller in der Quinte hintergehen und vermögen können, daß er mit ſeiner Auflöſung des Sextquar - tenaccordes dabey einfällt, ob ſie ſchon nachher in ihren Verzie - rungen, welche ſehr oft zu der vorhergegangenen Auflöſung nicht harmoniren, fortfahren: allein der Accompagniſt kann bey dieſer Heldenthat ganz geruhig und vor allen rechtmäßigen Vorwürfen ſicher ſeyn. Er gönnet ſeinem Führer dieſes Vergnügen, und über - läſſet ihm zugleich die Ehre der guten Ausnahme.

§. 9.

Bey folgenden Exempeln, welche zuweilen vorkom - men, wird zur erſten Note der Dreyklang genommen, womit man, wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt, bis zur letzten Note liegen bleibet, und alsdenn erſt anhält. Die mittlern Noten läſſet man, ohn -geacht264Dreißigſtes Capitel. geacht der darüber geſetzten Ziffern, ohne Begleitung mit der rech - ten Hand durchgehen (a). Bey einem langſamen Tempo muß die Bezifferung geändert werden, indem man die Begleitung nach der Abbildung bey (b) einrichtet, und bey dem d anhält:

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§. 10.

Die halben Cadenzen, wobey über der vorletzten Note eines Stückes[7][6]oder[7] ſtehet, kommen jetzo nicht mehr ſo oft vor, wie vordem. Man hält dabey mit dem Septimenaccorde ſo lange an, bis in der Hauptſtimme die Auflöſung erfolget, welche mehrentheils mit einem langen Triller in der Sexte oder Terz der Grundnote geſchiehet, nachdem zuweilen einige Verzierungen vor - hergegangen ſind. Der Begleiter ſchläget alsdenn ſeinen Sexten - accord ſogleich ausgehalten, und wenn das Tempo langſam iſt, gebrochen an.

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§. 11.

Wenn in Arien oder andern Stücken, aus einer harten Tonart, der zweyte Theil in die weiche übergehet, und ein Da Capo darauf folget: ſo muß nach der Cadenz des zweyten Theiles der Accord der letzten Grundnote auch ohne Andeutung hart ſeyn. Eben daſſelbe iſt bey Stücken aus einer harten Tonart in acht zu nehmen, wo der Componiſt zuweilen mit einem Gedanken aus derſelben weichen Tonart in die Cadenz hinein gehet. Ob gleich in dieſem Falle, ſtatt der groſſen Septime und Sexte, dieſe Inter -vallen265Von den Schlußcadenzen. vallen klein vorkommen: ſo muß dennoch der letzte Dreyklang, nach der Cadenz, hart ſeyn:

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§. 12.

Bey dem unten angeführten Exempel, wo die Be - zifferung ohne Rückſicht auf eine Aufhaltung der Cadenz über die Grundnoten geſetzet iſt, kehret ſich der Accompagniſt nicht an die vorgeſchriebene Aufgabe, ſondern nimmt zum g, ſtatt[4][3], , ſo bald er merket, daß die Hauptſtimme bey der Cadenz anhalten will, es mag dieſes mit, oder ohne Verzierung geſchehen. Es werden auf dieſe Art alle Exempel in dem angeführten Falle abgefertiget, ſie mögen beziffert ſeyn, wie ſie wollen.

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Bachs Verſuch. 2. Theil. L lEin266Ein und dreißigſtes Capitel.

Ein und dreyßigſtes Capitel. Von den Fermaten.

§. 1.

Aus dem erſten Theile dieſes Verſuches wiſſen wir, daß die Fermaten auf verſchiedene Art ausgeführet werden. Es bleibet uns hierbey nichts übrig, als zu zeigen, wie man bey der Begleitung mit dieſen Fermaten zu verfahren habe.

§. 2.

Die Hauptſtimme mag in eine Fermate ſpringen (a), oder durch einen Vorſchlag hinein gehen (b), in beyden Fällen wird die fermirende Grundnote ohne Begleitung mit der linken Hand allein angeſchlagen, und bey dem Ende der Fermate mit der gebrochenen darzu gehörigen Harmonie noch einmal wieder - holet. Die Hauptſtimme erhält hierdurch überhaupt alle mög - liche Freyheit dieſe Fermate auszuführen, wie ſie will. So wird z. E. in dem Falle bey (a) das künſtliche Ab - und Zunehmen der Stärke des Trillers, oder Aushaltens, durch das Rauſchen der Harmonie nicht verdunkelt, und bey (b) dem Vortrage des Vorſchlages nichts in den Weg geleget. Solten auch noch andere Verzierungen von der Hauptſtimme angebracht werden, ſo iſt das taſto ſolo in aller Art hier unentbehrlich. Wenn bey (a) unter der fermirenden Grundnote Forte ſtehet, ſo kann man alsdenn die Harmonie in der rechten Hand kurz abgeſtoſſen oder ganz kurz gebrochen mit der Grundnote anſchlagen.

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§. 3.267Von den Fermaten.

§. 3.

Wenn die Hauptſtimme ſchleppend in eine Fer - mate gehet, ſo muß ſich der Accompagniſt mit fortſchleppen laſſen. Dieſes iſt in dem unten folgenden Exempel durch vorgebildet. Wenn die Hauptſtimme daſelbſt bey dem a anhält, und darauf Verzierungen anbringet, ſo gehet der Accompagniſt bis zum fis fort, und bleibet damit, ſamt der dazu gehörigen Harmonie ſo lange liegen, bis er merket, daß der Vorſchlag über der folgenden Grundnote eintritt, da er alsdenn das g allein mit der linken Hand anſchläget, und es bey dem Ende der Verzierung mit dem gebrochenen Dreyklange noch einmal wiederholet.

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§. 4.

Der Begleiter muß ſich überhaupt wegen des Anhal - tens und Fortgehens bey den Fermaten nach der Vorſchrift genau richten, welche wir deswegen im erſten Theile dieſes Verſuches angemerket finden. Es beruhet alles darauf, daß bey der Haupt - ſtimme ſowohl die ſimpeln Noten, als auch die Auszierungen vor der Fermate mit den Grundnoten ſamt ihren Accorden gehörig harmoniren und zugleich eintreffen.

§. 5.

Fermaten ohne Vorſchläge oder Verzierungen, und wo zuweilen das Ruhezeichen über einer folgenden Pauſe ſtehet, werden kurz und platt abgefertiget.

§. 6.

Folgendes Exempel, dergleichen wir im 20ſten Pa - ragraph des neun und zwanzigſten Capitels mehrere ge - ſehen haben, wird zuweilen wie eine Fermate ausgeführet, ohn - geacht kein Ruhezeichen angedeutet iſt. Die Hauptſtimme pfleget alsdenn aus Affect, wider die Strenge des Tactes, mit demL l 2Vor -268Zwey und dreyßigſtes Capitel. Vorſchlage c ganz langſam in das h zugehen, dieſes letztere lange auszuhalten, die Sechzehntheilpauſe zu verlängern, und alsdenn erſt weiter zu gehen. Der Accompagniſt muß auf alles dieſes genau Achtung geben, und vornehmlich die Quinte bey dem dritten f, welche ſich auf den Vorſchlag beziehet, nicht zu frühzeitig auf - löſen Dieſe Auflöſung wird in einer langſam gebrochenen Har - monie des Secundenaccordes nachgeſchlagen, wenn die Haupt - ſtimme kurz vorher in das h gegangen iſt.

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Zwey und dreyßigſtes Capitel. Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.

§. 1.

Wir erinnern hier nochmals, daß die Zierlichkeit des Accom - pagnements nicht in bunten Figuren und Manieren, welche man zur Unzeit erfindet, und wodurch einige ſo gar den Geſang der Grundnoten verſtellen, beſtehen müſſe: wir haben bereits in unſerer Anleitung ganz andere Gegenſtände gezeiget, wodurch ſich ein Begleiter den allgemeinen Beyfall erwerben kann, und wollen noch ferner in dieſer Art fortfahren.

§. 2.

Es wird in dieſem Capitel unterſchiedenes vorkommen, woran ein Accompagniſt nicht eher Theil nehmen muß, als bis ſeineEin -269Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements. Einſichten ſo weit ſind, daß er pünctlich weiß, wenn, und wo Zierlichkeiten angebracht werden können. Auſſerdem iſt es beſſer, daß er ſich nicht weiter verſteiget, als ihm die Flügel gewach - ſen ſind.

§. 3.

Der gewöhnlichſte Ausdruck, wodurch man einen guten Accompagniſten kennbar machet, pfleget dieſer zu ſeyn: er accompagniret mit Discretion. Dieſes Lob iſt von weit - läuftiger Bedeutung, und man will damit ſo viel ſagen: Der Begleiter weiß gut zu unterſcheiden, und hiernach ſeine Einrichtun - gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, deſſen Voll - ſtimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, beſonders der Ausführer der Hauptſtimme, die Inſtrumente oder Singſtimmen, der Ort, die Zuhörer u. ſ. w. beſchaffen ſind. Er ſuchet mit der gröſſeſten Beſcheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht er ſie zuweilen mit ſeinen Kräften überſiehet, die erwünſchte Ehre mit zu erwerben. Dieſe Beſcheidenheit zeiget er beſonders gegen Perſonen, die nicht vom Metier ſind. Er läſſet dieſe letztern lieber hervorragen, als daß er ſie verdunkeln ſolte. Ueberdem ſchläget er in die Abſichten des Verfaſſers und der Ausführer eines Stückes jederzeit ein; er ſuchet dieſe Abſichten zu befördern und zu unter - ſtützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und der Begleitung überhaupt, ſo bald es der Inhalt eines Stückes fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche dieſer Schön - heiten zugleich die nöthige Behutſamkeit an, damit er niemanden einſchränke; zu dem Ende bringet er ſeine Künſte nicht alle Augen - blicke, ſondern ſparſam und nur alsdenn an, wenn ſie die gute Ausnahme befördern. Keine allzu groſſe Weisheit darf ihn drü - cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh - ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines Stückes belebet, und daß im Gegentheil der beſte Ausführer durchL l 3eine270Zwey und dreyßigſtes Capitel. eine elende Begleitung ungemein verliehret, weil ihm alle Schön - heiten verdorben werden, und was das vornehmſte iſt, weil er dadurch aus der guten Dispoſition, worin er war, kommen muß. Mit einem Worte, ein discreter Accompagniſt muß eine gute muſicaliſche Seele haben, welche vielen Verſtand und guten Willen hat.

§. 4.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch zuweilen die Fehler anderer übertragen, und denenſelben nach - geben. Oft befiehlet dieſes die Höflichkeit, oft auch die Noth - wendigkeit, wenn z. E. ein vielſtimmiges Stück von vielen Ausfüh - rern, welche nicht gleiche Fähigkeiten beſitzen, ordentlich ausge - führet werden ſoll. Der beſte Anführer muß alsdenn nachgeben, und folglich auch der Accompagniſt.

§. 5.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch ge - wiſſen Freyheiten, welche ſich die Ausführer der Hauptſtimme zu - weilen herausnehmen, nachgeben. Dieſe letztern pflegen alsdenn bey der Auszierung oder Veränderung des Geſanges, ohne daß es eigentlich ſeyn ſolte, von der Vorſchrift in etwas abzuge - hen. Dem verſtändigſten Ausführer der Hauptſtimme kann dieſes begegnen, wenn er weiß, daß er einen tüchtigen Accompagniſten hat, und ſich folglich mit aller möglichen Freyheit dem Affecte überläſſet. Dieſe Freyheiten müſſen alſo nicht aus einer Unwiſ - ſenheit, ſondern aus einer vernünftigen Sonverainität herrühren, und betreffen nur gewiſſe Kleinigkeiten, welche einem erfahrnen Ac - compagniſten nichts, als ein wenig Aufmerkſamkeit koſten. In den unten angeführten Exempeln (a) pflegen die Ausführer der Hauptſtimme zuweilen in der Ausſchmückung ihres Vortrages eine Bezifferung für die andere zu nehmen. Der Accompagniſt muß ſeine Harmonie hiernach einrichten. Auſſer dieſer Verwechſelung der Aufgaben muß man bey der Begleitung auch aufmerkſam ſeynund271Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements. und nachgeben, wie die Hauptſtimme in ihren Verzierungen mit der Harmonie nicht auf den Punct eintrift, wie es die vorgeſchrie - bene Signatur eigentlich erfordert (b):

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§. 6.

Unter die Zierlichkeiten der Begleitung gehören vor - nehmlich mit, die gleichen Fortſchreitungen in Terzen mit den Grundnoten. Die rechte Hand bindet ſich hier niemals an eine gleiche Vollſtimmigkeit. Das durchaus vierſtimmige Accom - pagnement findet ſelten, und nur bey langſamen Noten Statt (a), weil dieſe Terzen, wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt, nicht gut her - aus gebracht werden können. Die dreyſtimmige, und am aller - meiſten die zweyſtimmige Begleitung, wo man blos die Terzen zu den Grundnoten mitſpielet, ſind hier die vorzüglichſten. Aus allen unten angeführten Exempeln ſehen wir, daß gehende, und in Terzen ſpringende Grundnoten in gewiſſen Umſtänden am bequemſten dieſe Begleitung in Terzen erlauben. Die Ver - meidung falſcher Progreßionen nöthiget den Begleiter dieſe Terzen oft zu nehmen. Gewiſſe Einleitungsclauſeln können ebenfalls mit bloſſen Terzen begleitet werden (b). Wenn das letzte Exempel (b) in der weichen Tonart vorkommt, ſo muß man die Begleitung ändern (c):Z. E.272Zwey und dreißigſtes Capitel.

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273Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.

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§. 7.

Wenn bey einem zweyſtimmigen Stücke die Grund - noten ſo beſchaffen ſind, daß ſie in der rechten Hand mit fort - ſchreitenden Terzen könnten begleitet werden, die Hauptſtimme aber hat entweder dieſe Terzen, oder andere ſich fortbewegende Intervallen vorzutragen, welche mit den Grundnoten von glei - cher Geltung ſind: ſo nimmt man die Accorde ſimpel und läſſet die Fortſchreitung mit Terzen weg. Man würde auſſerdem im erſtern Falle dieſelben Noten mitſpielen, welche blos der Haupt - ſtimme zukommen, und im zweyten Falle den Geſang der Haupt - ſtimme und des Baſſes durch eine neu hinzu gekommene dritte Bewegung, von derſelben Art verdunkeln. Folglich hat der Fort -Bachs Verſuch. 2. Theil. M mgang274Zwey und dreyßigſtes Capitel. gang mit Terzen in der rechten Hand mit den Grundnoten alsdenn am beſten Statt, wenn die Hauptſtimme entweder eine Aushal - tung hat (a), oder ſich in einem Tone beweget (b), oder ſimplere Noten (c), oder wenigſtens noch einmal ſo hurtige Noten, als der Baß, vorzutragen hat (d). Im letztern Falle muß man die Behutſamkeit, welche überhaupt bey dem Gebrauche dieſer Terzen nöthig iſt, verdoppeln, damit keine widrige Zuſammenklänge (e), oder verbotene Fortſchreitungen (f) dadurch verurſachet werden.

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§. 8.

Zuweilen werden bey dieſem Fortgange die Terzen mit Sexten vermiſchet (a). Man kann dadurch vielen Feh - lern aus dem Wege gehen, indem man die Intervallen der Mit - telſtimme gegen die durchgehenden Noten des Baſſes vertauſchet (b). Bey275Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements. Bey (c), wo preſto darüber ſtehet, beläſtiget man ſich nicht bey der erſten Note mit einem vollſtimmigen Accord, ſondern richtet die Begleitung ſo ein, wie ſie gleich neben dem Exempel abge - bildet iſt. Dieſe Ausführung iſt leichte, und die Geſchwindig - keit machet, daß ſie vollſtimmiger klinget, als ſie iſt. Von dem Exempel (d) läſſet ſich daſſelbe ſagen. Bey (e), wo der Baß mit einer Note, worüber eine 6 ſtehet, eine Terz herunter, und wieder zurück ſpringet, kann man ſowohl alle drey Grundnoten mit Terzen abfertigen, als auch die Terz zur erſten Grundnote liegen laſſen, und in der Mittelſtimme 6, 3, 6 nehmen. Die Ex - empel bey (f) ſind deswegen merkwürdig, weil in der Haupt - ſtimme allerley Bewegungen, Bindungen und Aushaltungen darbey vorkommen. Bey (g), wo der Baß geſchwinde Noten hat, würde die Leichtigkeit des Vortrages leiden, wenn man die vierſtimmige Be - gleitung durchaus brauchte: folglich verfähret man der beygefüg - ten Abbildung gemäß, welcher auch mäßige Finger gewachſen ſind. Man ſiehet aus dieſen Exempeln, wie bequem man ſich ſolche ge - ſchwinde fortgehende Bäſſe theils durch die Terzen und Sexten, theils auch vornehmlich durch das Liegenlaſſen ſchon daſeyender Intervallen machen kann. Folglich iſt dieſes Liegenlaſſen aus vielen Urſachen gut; es bindet und ſinget mehr, iſt auch leichter und unſchädlicher als das Anſchlagen. Dieſes letztere iſt, zumal bey der vierſtimmigen Begleitung, in geſchwinder Zeitmaaſſe bey - nahe unmöglich und von ſchlechter Wirkung. Bey (h) iſt ein Septimengang mit der Begleitung in Terzen abgebildet. Da das Accompagnement hierzu vierſtimmig iſt, ſo darf das Tempo nicht ſehr hurtig ſeyn. Bey (i) verhindert die Gegenbewegung der unterſten Mittelſtimme die Octaven, und man brauchet alsdenn nicht herunter in die Quinte zu ſpringen. Bey (k) können zu zu allen Grundnoten Terzen mitgeſpielet werden. Bey (l) darfM m 2man276Zwey und dreyßigſtes Capitel. man, wegen der Modulation, den Fortgang in Terzen nicht brau - chen; man ſchläget alſo die Accorde ſimpel an, oder gehet mit der erſten Terz in der Gegenbewegung mit dem Baſſe fort. Bey (m) und (n) ſind ein Haufen Exempel vorgeſtellet, wo zuweilen die rechte Hand mit dem Baſſe zierlich fortgehet. Bey (o) kann man von den angeführten Exempeln auf die Beſchaffenheit meh - rerer und anderer ſchlieſſen, welche in der rechten Hand eine Terz oder Sexte tiefer durchaus mitgeſpielet werden können, wie wir in der Abbildung ſehen. Dieſes Accompagnement findet nur bey zweyſtimmigen Stücken Statt, wo die Hauptſtimme über dem Baſſe ſtehet. Die gleiche Stärke des Vortrages ſowohl in der Hauptſtimme, als in der Begleitung, wird hier vorausgeſetzet.

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277Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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M m 3278Zwey und dreyßigſtes Capitel.
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279Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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280Zwey und dreyßigſtes Capitel.
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281Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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§. 9.

Eine feine Begleitung, welche ſich an eine gleiche Anzahl von Mittelſtimmen nicht allezeit bindet, verträget zuweilen gewiſſe Sprünge mit der Harmonie in der rechten Hand. Die gute Ausnahme wird oft dadurch befördert. Die Fälle, wo - bey dieſe Freyheit am meiſten Statt findet, werden veranlaſſet durch gewiſſe Gedanken, welche Nachahmungen vertragen (a); durch Aus - haltungen (b), durch Paſſagien, worinnen ſich die Hauptſtimme meh - rentheils in einerley Tönen aufhält, und welche mit (c), und ohne Verſetzung (d) wiederholet werden. Ein verſtändiger Accompagniſt kann bey dieſen Paſſagien die gerechten Anſprüche, welche das Ohr, wegen ihrer allzu groſſen Gleichförmigkeit, auf Veränderungen ma - chet, gar leicht, und mit vieler Freyheit befriedigen. Man kann über - haupt anmerken, daß derjenige Gedanke am bequemſten eine Verände - rung in der Einrichtung der Harmonie erlaube, welcher in ſich wenig Abwechſelung hat. So ſehr, als man einem Stücke, worin ſolche Gedanken ſind, durch eine feine und freye Begleitung aufhelfen kann: ſo viel Behutſamkeit iſt dem ohngeacht nöthig, damit auch dieſe Schönheit des Accompagnements nicht zu oft, und nicht zur Un - zeit gebrauchet werde.

Bachs Verſuch. 2. Theil. N nZ. E282Zwey und dreyßigſtes Capitel.
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283Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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N n 2284Zwey und dreyßigſtes Capitel.
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§. 10.

Das getheilte Accompagnement, wozu man durch vorher geſpielte gute Clavierſachen geſchickt gemachet wird, iſt ſehr oft eine groſſe Zierde. Wir haben bereits in den vorhergehenden Capiteln die ſich zuweilen ereignete Nothwendigkeit dieſer Art von Begleitung gezeiget. Auſſer dieſer Nothwendigkeit iſt es ſattſam be - kannt, wie vorzüglich beſſer die Ausnahme einer zerſtreuten Harmo - nie zuweilen vor einer nahe zuſammen liegenden ſey. Wir ſehen z. E. bey (a), daß die gewöhnliche Einrichtung der Harmonie, wegen ihrer allzu groſſen Gleichförmigkeit, widrig klinget, und daß es alſo beſſer iſt, wenn man den Secundenaccord in dieſem Exempel entweder in einer andern Lage, oder am beſten im ge - theilten Accompagnemente nimmt (b). Wenn ein Satz wieder - holet wird, ſo kann man ihn durch eine Abwechſelung mit dem ungetheilten und getheilten Accompagnemente angenehm machen (c). Bey (d) ſtechen die Sexten in der rechten Hand beſſer durch, und dieſe ſangbare Fortſchreitung wird deutlicher, wenn die unterſte Mittelſtimme, welche keinen Geſang hat, ſondern nur der Voll - ſtimmigkeit wegen da iſt, eine gleiche Bewegung mit den Grund - noten annimmt, und mit der linken Hand gegriffen wird.

Z. E.285Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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N n 3§. 11.286Zwey und dreyßigſtes Capitel.

§. 11.

Die nöthige Ausfüllung langſamer Noten gehöret mit zur Zierde der Begleitung. Wenn die Zeitmaaſſe lang - ſam iſt, ſo kann man bey (a) die Puncte in der rechten Hand mit Doppelſchlägen ausfüllen. Wer dieſe Manier auch bey den Grundnoten hier anbringen wolte, würde in den Fehler der Un - deutlichkeit fallen. Weil der Ton eines Flügels nicht allezeit hin - länglich nachklinget, und langſame und auszuhaltende Noten über - haupt auf dieſem Inſtrumente etwas leer klingen: ſo kann man bey (b), wenn das Tempo langſam iſt, ein Accompagnement wäh - len, welches die Grundnoten mit dem Puncte ausfüllet. Dieſes Exempel ſtellet eine Einleitungsclauſel vor, wobey die Hauptſtimme pauſiret, und den Accompagniſten folglich in die Nothwendigkeit ſetzet, etwas zu erfinden, damit das Gehör nicht zu ſehr leer ge - laſſen werde. Wenn die Hauptſtimme in dieſem Falle ſelbſt mit den Grundnoten in die Folge einleitet, und mit Terzen, oder auf eine andere Art fortgehet: ſo bleibet der Accompagniſt bey ſeiner ſimplen Begleitung. Auſſerdem aber ſind dieſe Einleitungsclau - ſeln ſehr bequem, den erfinderiſchen Geiſt des Clavieriſten heraus - zufordern; nur muß man alsdenn ſeine Erfindungen dem Affecte und Inhalte des Stückes gemäß einrichten. Kann man etwas aus den vorhergegangenen Gedanken alsdenn anbringen, ſo iſt es deſto beſſer und man kann alsdenn, wenn es nothwendig iſt, die Grundnoten ändern, und die Einleitung auf eine andere Art ein - richten. (*)In dieſem Falle muß man dem Accompagniſten ebenfalls eine vernünftige Souverainität um ſo vielmehr zugeſtehen, je weniger die Hauptſtimme dabey ein - geſchränkt wird.Bey (c) kann man zur Ausfüllung unter den beyden an - gezeigten Begleirungen wählen. Bey der letztern muß die Zeit - maaſſe langſamer ſeyn, als bey der erſteren. Die Hauptſtimme kann bey dieſen Exempeln eine Aushaltung, oder Pauſen haben. Wenn287Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements. Wenn man bey (d) der Hauptſtimme etwas voraus laſſen, und die nachſchlagenden Intervallen nicht mitſpielen will, ſo kann man eine von denen bey (1) angeführten Begleitungen nehmen. Ver - ändert aber die Hauptſtimme dieſes Exempel, indem ſie einen jeden Tact durch in der Terz der Grundnote ohne, oder mit einem Triller aushält (2): ſo wählet man das Accompagnement von (3).

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§. 12.288Zwey und dreyßigſtes Capitel.

§. 12.

Endlich merken wir noch gewiſſe Ziffern an, welche von einigen bey der Unterweiſung blos der Zierlichkeit wegen über die Grundnoten geſetzet werden. Man findet dieſe Ziffern zuweilen einzeln, dann und wann auch mehrere über ein - ander. Sie werden entweder nach dem Eintritt einer Grundnote, oder auch mit durchgehenden Noten zugleich angeſchlagen, und zeigen eine zierliche Progreßion einer oder mehrerer Stimmen an. Die Diſſonanzen, welche hier im Durchgange vorkommen, haben keiner Auflöſung nöthig, Die übrigen Intervallen der vorher - gegangenen Aufgabe läſſet man liegen. Alle hierunten vorgebil - dete Exempel haben eine vierſtimmige Begleitung, bis auf die vier letztern, welche dreyſtimmig abgefertiget werden. Die Signaturen, welche auf dieſe zierliche Fortſchreitung eingerichtet ſind, findet man unter dem Syſtem: die gewöhnliche Bezifferung aber iſt über dem Syſtem zu ſehen. Zu dem Gebrauche dieſer harmoni - ſchen Schönheiten wird viele Vorſicht erfordert, damit die Haupt - ſtimme niemals dadurch eingeſchränket oder verdunkelt werde.

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289Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
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Bachs Verſuch. 2. Theil. O o290Drey und dreyßigſtes Capitel.
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Drey und dreyßigſtes Capitel Von der Nachahmung.

§. 1.

Die Nachahmungen gehören mit unter diejenigen Gedanken, welche bey der Wiederholung pflegen verändert zu werden. An dieſer Veränderung muß ein Accompagniſt Theil nehmen, damit die Nachahmungen deutlich bleiben und folglich ihre Schönheitnicht291Von der Nachahmung. nicht verliehren. Man muß alſo mit der Begleitung dem Vor - gänger, ſo viel möglich, auf das genaueſte folgen: Z. E.

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§. 2.

Bey dieſen Nachahmungen müſſen beyde, ſowohl der Vorgänger als der Nachfolger, ſich gut zuſammen verſtehen, und ihre Kräfte und Einſichten kennen, weil ſonſt in der Ausführung vieles verdorben werden kann. Dieſe Vorſicht iſt beſonders dem Accompagniſten anzurathen, wenn er den Anfang der Nachahmung vorzutragen hat, damit er wiſſe, wie viel er ſeinem Nachfolger wegen der Veränderungen zumuthen dürfe. Kann er ſich in dieſem Falle auf die Geſchicklichkeit des letztern nicht gewiß verlaſſen: ſo muß er ſich ſeiner Luſt zum Verändern begeben, und bey den ſimplen Noten bleiben. In folgendem Exempel fänget der Baß die Nach - ahmung an:O o 2Z. E.292Drey und dreyßigſtes Capitel.

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§. 3.

Hat der Begleiter einen ſchlechten Vorgänger, wel - cher ihm mit ungeſchickten, oder gar unrichtigen Veränderungen vor - gehet: ſo muß er das ſicherſte wählen, und ebenfalls den bloſſen vorgeſchriebenen Noten folgen. Er ſetzet ſich dadurch auſſer aller Schuld, und weiß, daß man ſich begnügen könne, eine ſchlechte Veränderung einmal zu hören.

§. 4.

Iſt der Mitſpieler des Accompagniſten hinlänglich geſchickt und vernünftig, ſo kann ihn der letztere, ſo wie über - haupt durch eine gute Begleitung, alſo beſonders auch bey den veränderten Nachahmungen durch einen geſchickten Vorgang und eine richtige Nachfolge aufmuntern, und zuweilen in ein Feuer und in eine gute Dispoſition bringen, worinnen er vorher nicht war. Nur muß der Accompagniſt, wenn er mit den Verände - rungen anfänget, ſeinem Mitſpieler hernach die hinlängliche Frey - heit laſſen, richtig nachzufolgen. Man muß hierbey mit dem Glänzenden und Simplen vernünftig abwechſeln und überhaupt ſo verfahren, wie im letzten Paragraph des erſten Theils die - ſes Verſuchs gezeiget worden iſt. Der Accompagniſt, als Anfänger der Nachahmung, muß auf die Art von Noten, welche in der Haupt - ſtimme, wenn ſie keine Pauſen hat, zugleich mit der anfangenden Nachahmung vorkommen, ſehr wohl Acht haben, damit er eine Ver - änderung erfinde, welche ſich hinlänglich unterſcheidet. Ebenfalls bey dem Ende der Veränderungen muß man mit der Begleitung ſogleich zur Einfalt wieder zurück kehren, damit die Hauptſtimme ihre Nachfolge, wenn ſie zumahl aus vielen Figuren beſtehet,aus -293Von der Nachahmung. ausnehmend endigen könne. Es iſt eben ſo unrecht, wenn beyde zugleich lärmen, als wenn ſie beyde zugleich einſchlafen wol - len. Beyde dürfen alſo weder unwiſſend noch boshaft ſeyn. Im erſtern Falle wird einer dem andern ohne böſe Abſicht, im zwey - ten aber mit Fleiß das Seinige verderben.

§. 5.

Wenn der Clavieriſt mehrere Bäſſe bey ſich hat, ſo muß er mit ſeinen Veränderungen zurück halten, wenn er nicht gewiß weiß, daß ihm die andern zugleich nachfolgen werden.

§. 6.

Zuweilen erlauben gewiſſe Sätze, welche mit bloſſen Terzen begleitet werden, daß die Mittelſtimme die veränderte Nach - ahmung mit dem Baſſe zugleich in Terzen nachmachet (a). Wenn die Hauptſtimme, ſtatt des einfachen Satzes bey (b), die Ver - änderung von (c) anbringet: ſo kann weder der Baß noch die Mittelſtimme juſt in derſelben Fortſchreitung nachfolgen; man be - gnüget ſich alsdenn eine Nachahmung zu erfinden, welche dieſel - ben Figuren hat und die ſimplen Grundnoten beybehält, ob ſie gleich etwas weniges verändert iſt.

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O o 3294Drey und dreißigſtes Capitel.
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§. 7.

Wer eine gute Einſicht in die Setzkunſt beſitzet, kann auch zuweilen, ſtatt der gewöhnlichen Begleitung, eine Mit - telſtimme erfinden, welche die Hauptſtimme zierlich nachahmet. Die Sätze, wobey viele Septimen - und Sextquintenaccorde vor - kommen, indem die Grundnoten ſteigen und fallen, ſind hierzu die bequemſten. Die Zeitmaaſſe darf aber nicht ſehr geſchwind ſeyn, ſonſt fällt man in den Fehler der Undeutlichkeit:

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295Von der Nachahmung.
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Vier und dreyßigſtes Capitel. Von einigen Vorſichten bey der Begleitung.

§. 1.

Da wir das mehreſte von dieſer Materie am gehörigen Orte be - reits abgehandelt haben: ſo wollen wir nur noch einige wenige Anmerkungen in dieſem Capitel über gewiſſe Fälle machen, welche einen vorſichtigen Begleiter erfordern.

§. 2.

Bey (a) nimmt man, ſtatt der 6, lieber 76 zum h, damit keine Quinten vorgehen, wenn die Hauptſtimme das Accom - pagnement überſteiget. Bey (b) läſſet man zum e die Sexte weg, und nimmt dafür , und nachher zum Puncte . Bey (c) läſſet man zum erſtern a ebenfalls die Sexte aus, und greift dafür diedoppelte296Vier und dreyßigſtes Capitel. doppelte Terz und Quinte. In beyden Fällen (b) und (c) würde man in der vorgeſchriebenen Lage Quinten machen, wenn die Begleitung nach den Signaturen eingerichtet würde. Wir haben bereits im 17ten Capitel, §. 8. des erſten Abſchnittes ein ähnliches Exempel angeführet. Alle Aufgaben, wobey Fortſchrei - tungen in Quarten vorkommen, ſind wegen der Quinten gefähr - lich, wenn die Lage verändert wird. Wenn man kann, ſo nimmt man freylich die beſten und ſicherſten Lagen: zuweilen aber iſt es unmöglich. Man ſuchet alsdenn mit guter Gelegenheit aus der Gefahr, und in eine andere Lage zu kommen, indem man durch die Verdoppelung einer Conſonanz die fünfte Stimme ergrei - fet, oder den Anſchlag der Harmonie wiederholet, wenn die Grundnote etwas lang iſt, oder eine Folge von einer, oder von mehrern durchgehenden Noten bey ſich hat. Wenn man aber alle dieſe Hülfsmittel nicht brauchen kann, ſo müſſen diejenigen Zif - fern wegbleiben, welche Fehler veranlaſſen. Die Figuren bey (d) ſind ſehr bequem, die Harmonie in einer andern Lage über den durchgehenden Noten zu wiederholen, wenn es die Vermeidung der Fehler erfordert. Bey (e) iſt die zweyte Begleitung der erſtern vorzuziehen, wenn man die Noten der Hauptſtimme nicht in der Oberſtimme mit ſpielen will. Die erſtere Begleitung, wenn ſie die Hauptſtimme überſteiget, mit welcher ſie in der gleichen Bewe - gung fortgehet, verurſachet Quinten. Bey (f), wo die Grund - ſtimme in gebrochener Harmonie Diſſonanzen auflöſet, muß man in der Begleitung eine Aenderung vornehmen, damit die nach - ſchlagende eckelhaften Octaven vermieden werden. Man läſſet daher die in den Signaturen des erſten Tacktes ſteckenden Diſ - ſonanzen mit gutem Gewiſſen aus. Bey (g) bleiben die Anhänge weg, welche man zuweilen am Ende eines Stückes in der Grund - ſtimme findet, wenn bey dem Schlußtriller vorher angehalten wor -den297Von einigen Vorſichten bey der Begleitung. den iſt. Der Accompagniſt höret alsdenn mit der Hauptſtimme zugleich auf.

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Bachs Verſuch. 2. Theil. P p§. 3.298Fünf und dreyßigſtes Capitel.

§. 3.

Wenn ein Uniſonus einfällt, ſo kann man die Auf - löſung der Diſſonanzen abbrechen, indem man dieſen Uniſonum ſogleich mit beyden Händen ergreifet. Ein geübtes Ohr erſetzet dieſe Auflöſung in der Einbildung.

§. 4.

Es iſt zwar ziemlich gewöhnlich, aber eben nicht noth - wendig, daß die Ausführung eines Stückes bey dem Anfange unordentlich gehet. Es pflegen daher auch die geübteſten Ausführer, der guten Ordnung und des gleichen Vortrages wegen, die Art von Noten, die jeder bey dem Anfange vorzutragen hat, vorher gerne einander zu zeigen. Folglich würde es ſehr gut ſeyn, weil zu dieſem Durchſehen zuweilen keine Zeit da iſt, und ein einziges Stück oft vielerley Tempo annimmt, daß wenigſtens der Anfang der Hauptſtimme in kleinen Noten über die anfangenden Grund - noten geſetzet würde. Dieſe Vorſicht würde auch nach General - pauſen und nach Fermaten von ſehr gutem Nutzen ſeyn, beſonders wenn der Baß nachher mit der hauptſtimme nicht zugleich wieder anfänget.

Fünf und dreyßigſtes Capitel. Von der Nothwendigkeit der Bezifferung.

§. 1.

Wir ſehen allenthalben aus dem Inhalte unſerer Anleitung, daß zu einem guten Accompagnement noch ſehr viel gehöre, wenn auch die Bezifferung ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll. Es erhellet hieraus das Lächerliche der Anforderung, unbezifferte Bäſſe zu accompagniren, und man ſiehet zugleich die Unmöglichkeit ein, die letztern dergeſtallt abzufertigen, daß man nur einigermaſſen zufrieden ſeyn könnte. Manhat299Von der Nothwendigkeit der Bezifferung. hat ſeit einiger Zeit angefangen, mit mehrerm Fleiſſe, als vor - her, die kleinen weſentlichen Manieren, und die nöthigen Zeichen des guten Vortrages in der Schreibart zu bemerken; möchten doch auch die unbezifferten Bäſſe nach und nach rarer werden, und die Clavieriſten weniger Gutwilligkeit zeigen, alles dasjenige gleich zu thun, was man von ihnen fordert! Jeder anderer Ripieniſt darf ſich beſchweren, wenn man ihm eine unrichtig geſchriebene Stimme vorleget, da hingegen der Accompagniſt zufrieden ſeyn muß, wenn ſeine Grundſtimme entweder gar nicht, oder ſo ſpar - ſam beziffert iſt, daß die wenigen Ziffern, welche man noch etwa findet, mehrentheils da angebracht ſind, wo ſie leicht zu errathen waren. Kurz zu ſagen: Man verlanget mit Unrecht von einem Begleiter, daß er den Generalbaß mit, und ohne Ziffern aus dem Grunde gelernet haben ſoll.

§. 2.

Es haben ſich einige wegen der Abfertigung un - bezifferter Bäſſe viele Mühe gegeben, und ich kann nicht läugnen, daß ich zuweilen ſelbſt Verſuche von dieſer Art angeſtellet habe: allein, je mehr ich hierüber nachdachte, deſto reicher fand ich die Harmonie an Wendungen, welche durch die Feinigkeiten des Ge - ſchmacks noch alle Tage dergeſtalt vermehret werden, daß man unmöglich den freyen Gedanken eines Componiſten, welchem die gütige Natur das Unerſchöpfliche ſeines Metiers einſehen läſſet, durch feſt geſetzte Regeln gleichſam Schranken ſetzen, und ſeine willkührlichen Wendungen errathen kann. Und geſetzt, es lieſſe ſich etwas hierinnen beſtimmen: ſoll man etwa mit dem Auswen - diglernen dieſer Regeln, deren Anzahl nicht geringe ſeyn kann, und die dennoch nicht allezeit Stich halten, das Gedächtniß mar - tern? Soll man nachher auf das neue, wenn man nun endlich die gegebenen Regeln gelernet hat, viele Zeit und Mühe verſchwen - den, um die Ausnahmen wider dieſe Regeln zu behalten? UndP p 2deſſen300Fünf und dreyßigſtes Capitel. deſſen allen ohngeacht würde der Nutzen ſehr geringe ſeyn, weil der geſchickteſte Muſiker fehlen kann, wo nur zwo Möglichkeiten da ſeyn, geſchweige bey mehrern.

§. 3.

Es bleibet alſo unumſtößlich wahr, daß zur guten Ausführung eines Stückes eine richtig bezifferte Grundſtimme unentbehrlich ſey. Jeder Componiſt, welcher wünſchet, daß ſeine Arbeit ſo gut als möglich ausgeführet werde, muß auch alle Mittel ergreifen, dieſen Endzweck zu erlangen. Er muß ſich alſo überhaupt in der Schreibart ſo deutlich erklären, daß er an einem jeden Orte verſtanden werden könne. Hierzu gehöret vornemlich mit eine richtige Bezifferung der Grundſtimme. Dieſes iſt das we - nigſte, was man mit Recht fodern kann, weil wir ſchon öfter angeführet haben, daß zur genauen Andeutung des Accompagne - ments noch etwas mehreres, als Ziffern, gehöre. Wir haben ſogar erwieſen, daß es noch hier und da an Zeichen fehle. Ein ſicherer Beweis, daß eine Begleitung mit gar keiner Bezeichnung nicht anders als ſchlecht ausfallen kann. Die Signaturen ſind einmal da; man bediene ſich alſo dieſer nützlichen Erfindung, und martre weder ſich mit dem Ausdenken unzulänglicher Regeln, noch ſeine Schüler mit der Erlernung dieſer letzteren. Wer zu bequem oder zu unwiſſend iſt, ſeine Bäſſe ſo, wie es die gute Aus - nahme erfordert, ſelbſt zu bezeichnen, der laſſe ſolches durch einen geſchickten Accompagniſten verrichten.

§. 4.

Bey der Bezifferung muß man zwar nicht alle Klei - nigkeiten berühren, und aus einem Generalbaß ein Handſtück machen: indeſſen muß dennoch das Nothwendige und Weſent - liche nicht vergeſſen werden. Viele gehen mit ihren Bezeichnun - gen zu ſparſam um, weil ſie das Auge des Accompagniſten nicht zu ſtark bemühen wollen: allein ein geübter Clavierſpieler überſiehet gar leicht eine Grundſtimme, wenn ſie auch etwas mehr Andeutun -gen,301Von durchgehenden Noten. gen, als insgemein Mode iſt, über ſich hat, weil er lange vor der Erlernung des Accompagnements zwey Syſteme, manchmal mit vielen Noten, Verſetzungszeichen und andern über einander ſtehenden Characteren hat überſehen müſſen. Was iſt aber leichter zu überſehen, jene Syſteme mit ſo vielen verknüpften Schwierig - keiten, oder drey, höchſtens vier Ziffern über einander, welche man ohnedem bey der Lehre des Generalbaſſes kennen lernen muß, welche bey dem fleißigen Accompagniren alle Augenblicke vorkommen, und folglich ſo unbekannt und fürchterlich nicht ſeyn können, als mancher bequemer Accompagniſt vielleicht glaubet?

Sechs und dreyßigſtes Capitel. Von durchgehenden Noten.

§. 1.

Die Andeutung der durchgehenden Noten iſt in den mehreſten Fällen eben ſo nöthig, als die Andeutung der Ziffern. Weil nun die Bezifferer auch hierinnen nicht genau genug ver - fahren, ſo muß man nach und nach durch eine fleißige Uebung im Accompagniren, und durch ein aufmerkſam Ohr die durchgehenden Noten heraus ſuchen lernen (a). Man erräth dieſe letztern Zu - weilen aus der vorher gegangenen Harmonie, welche zu den folgenden Noten paſſet (b), und aus der nöthigen Vorbereitung und Auflöſung (a) und (c):

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P p 3§. 2.302Sechs und dreyßigſtes Capitel.

§. 2.

Man hat zwar einige Regeln, die durchgehenden Noten zu erkennen: ſie ſind aber auch nicht immer zuverläßig. Da man alſo auf dieſe Regeln nicht allezeit ſicher bauen kann, da ſich die durchgehenden Noten nicht allezeit gewiß errathen laſſen, und da man weiß, daß es ungleich mehr ſchlechte als gute Begleiter giebet: ſo handelt man durch eine genaue Andeutung am ſicherſten, und thut allenfalls lieber zu viel, als zu wenig. Ein guter Accompagniſt läſſet ſich durch einige überflüßige Queer - ſtriche nicht verwirren, und einem Anfänger iſt dadurch ſehr ge - holfen. Man muß den Franzoſen die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß ſie ihre durchgehenden Noten mit groſſem Fleiſſe be - zeichnen. Sie brauchen hierzu insgemein einen ſchrägen Strich:

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§. 3.

Die durchgehenden Noten kommen im Gange, und im Sprunge vor, und ſind mehrentheils etwas geſchwinde. Wenn ſie einzeln vorkommen, ſo findet man ſie nicht angedeutet. Von den gehenden und ſpringenden Noten bey (a) gehet die zweyte durch. Man kann hierbey zur Regel annehmen, daß auf jene kein Sprung folgen darf, und bey dieſen die Octave der durchgehenden Note ſchon vorher in der rechten Hand liegen muß. Folglich haben die Noten bey (b), wo dieſe zween Umſtände fehlen, allerſeits ihre eigene Begleitung. Wenn die Grundſtimme, anſtatt in die Unterſecunde zu ſteigen (c), in die Septime herauf ſpringet (d): ſo kann dieſe letztere ebenfalls durchgehen, ohne daß die Octave davon ſchon gelegen hat. Ein Sprung in die Octave wird hier nicht als ein Sprung ſondern als eine wiederholte Note angeſehen. Wenn mehr als eine durchgehende Note hintereinander vorkommt, ſoiſt303Von durchgehenden Noten. iſt die Andeutung durch unſern Queerſtrich eben ſo nothwendig, als wenn langſame Noten durchgehen ſollen (e).

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§. 4.

Unter den Grundnoten pflegen ihr eigenes Accom - pagnement zu haben: die Zweyviertheilnoten im Allabreve - und Dreyzweytheiltacte, wenn der letztere kein langſames Tempo hat, und die geſchwindeſten Noten Achttheile ſind; die Vier - theile im langſamen Dreyzweytheiltacte, in der ſogenannten ſchlech - ten Tactart vom Allegretto an, wo keine geſchwindere Noten als Zweyunddreyßigtheile vorkommen, bis zum Preſto, und im Drey - und Sechsviertheiltacte bey geſchwinder Zeitmaaſſe; die Acht - theile im Vierviertheiltacte vom Adagio an, bis an das Alle - gretto, und in langſamen , $$\frac{6}{8}$$ , $$\frac{9}{8}$$ , $$\frac{12}{8}$$ , ¾ und $$\frac{6}{4}$$ Tacten. Wenn dieſe letztern Tactarten ein geſchwindes Tempo haben, ſo hat jede Figur, welche drey Achttheile oder drey Viertheile enthält, ihr eigenes Accompagnement.

§. 5.

Noten, welche ihre eigene Begleitung zu haben ſchei - nen, und dennoch durchgehen ſollen, müſſen vorzüglich einen Queerſtrich über ſich haben. Noten, welche zwar das Anſehen des Durchganges haben, aber demohngeacht ihre beſondere Har - monie erfordern, müſſen beziffert ſeyn. Im erſtern Falle waget man bey einer unrichtigen Andeutung noch mehr, als im letztern.

§. 6.304Sechs und dreyßigſtes Capitel.

§. 6.

Auf was Art gewiſſe durchgehende Noten mit bloſſen Terzen begleitet werden, iſt bereits im zwey und dreyßigſten Ca - pitel angeführet worden.

§. 7.

Wegen der Abfertigung vieler in einem Tone bleibender und durchgehender Grundnoten wollen wir noch unterſchiedenes anmerken. Dieſe Anmerkungen ſind auf die Zeitmaaſſe gerichtet, wie ſie hier eingeführet iſt, und wobey die Adagio weit langſamer, und die Allegro weit ge - ſchwinder ausgeführet werden, als man in andern Gegenden zu thun pfleget.

§. 8.

Von dem langſamſten Tempo an, bis zum Largo werden die Viertheile und noch langſamere Noten mit beyden Händen angeſchlagen, und ganz ausgehalten. Die Achttheile werden ebenfalls alle mit beyden Händen angeſchlagen, aber nur halb ausgehalten. Die Sechzehntheile ſchläget die linke Hand alle an, und hält ſie aus, wenn keine Zeichen des Abſtoſſens vorhanden ſind. Die rechte Hand ſchläget zu dieſen Sechzehntheilen, und zu den noch geſchwinderen Noten halb ausgehaltene Achttheile an, ſo lange kein beſonderer Ausdruck hierinnen eine Aenderung machet. Wenn die Grundſtimme beſtändig hintereinander, oder wenigſtens ſehr viele Zwey und dreyßigtheile, oder noch geſchwin - dere Noten hat: ſo kann der Accompagniſt, wenn er noch einen Baßiſten neben ſich hat, in der linken Hand eine, oder mehrere Noten ohne Anſchlag durchgehen laſſen; iſt er aber ohne Gehül - fen, ſo muß er ſich mit dieſer zitternden Bewegung allein mar - tern. Zu ein - und zweymahl geſchwänzten Triolen ſchläget die rechte Hand bloß bey der erſten Note an, ingleichen zu jeder Figur von drey Achttheilen, oder dem Inhalt davon, in den , $$\frac{6}{8}$$ , $$\frac{9}{8}$$ und $$\frac{12}{8}$$ Tackten.

§. 9.305Von durchgehenden Noten.

§. 9.

Vom Largetto und Andante an, bis zum Alle - gro werden in der rechten Hand zu den Baßviertheilen, Acht - theilen, noch geſchwinderen Noten, und zu den Triolen ganz ausge - haltene Viertheile angeſchlagen. Die langſamern Noten werden mit beyden Händen ausgehalten.

§. 10.

Im Siciliano, es ſey geſchwind oder langſam, werden die Viertheile und noch langſamere Roten mit beyden Händen angeſchlagen und ausgehalten. Die einzelne Achttheile, welche auf die Viertheile folgen, werden in der rechten Hand eben - falls mitgeſpielet. Auſſerdem mögen die Figuren im Baſſe aus - ſehen, wie ſie wollen, ſo ſchläget die rechte Hand blos zu dem Inhalte von drey Achttheilen einmal an.

§. 11.

Vom Allegro aſſai bis zum Preſtißimo werden in der rechten Hand entweder ausgehaltene halbe Tacte, oder halb ausgehaltene Viertheile zu den Baßachttheilen angeſchlagen. Die Viertheile werden in beyden Händen halb, und die noch lang - ſamern Noten ganz ausgehalten. Im übrigen berufe ich mich auf die in der Anleitung des erſten Theiles meines Ver - ſuches befindliche Nota.

§. 12.

Dieſe Anmerkungen gelten nur ſo lange, als die Bezifferung und Andeutung des Vortrages keine Aenderung machet.

§ 13.

Wenn man die Einleitungsclauſeln nicht mit Ter - zen, oder auf eine andere zierliche Art, dergleichen wir im zwey - und dreyßigſten Capitel angeführet haben, begleiten kann: ſo läſſet man ſie durchgehen. Die Anhänge nach dem Schluſſe eines Stückes gehen ebenfalls durch.

§. 14.

Wir wollen dieſes Capitel mit folgenden merkwür - digen Exempeln beſchlieſſen. Bey (a) erfordert zuweilen ein be - ſonderer Ausdruck, den man aus dem Inhalte des Stückes, oderBachs Verſuch. 2. Theil. Q qauch306Sechs und dreyßigſtes Capitel. auch aus der Begleitung der Ripienſtimmen entdecket, daß die rechte Hand die Harmonie zu jeder kurzen punctirten Note wie - derhole, anſtatt daß man auſſerdem die zweyte davon allezeit durchgehen läſſet. In Recitativen mit Accompagnement kommt dieſer Fall oft vor. Wenn der Componiſt die bey (b) im erſten Tacte befindliche durchgehende Note e, wegen des Ausdruckes, begleitet wiſſen will: ſo muß er ausdrücklich eine 6 darüber ſetzen. Bey (c) werden durchgehende Noten begleitet, um Fehler zu ver - meiden; man wechſelt alsdenn entweder in einer Stimme mit der Baßnote, oder wiederholet die vorige ganze Harmonie. Bey (d) erfordert die Vorbereitung der Septime zu fis, daß die durchgehende Note e durch eine neue Einrichtung des Septimen - accordes beſonders begleitet werde. Wenn man mit der rechten Hand nicht zu weit herunter gehen will, und zugleich Quinten zu vermeiden hat: ſo wiederholet man bey (e) über den durch - gehenden Noten die vorige Harmonie. Bey (f) vermeidet man durch dieſe Wiederholung Quinten, wenn vorher zum a die Terz ver - doppelt iſt, und Octaven, wenn zu dieſem a genommen wird, und man bleibet in der Lage. Bey (g), wo man voraus ſetzet, daß zu der erſten Grundnote f die vorgeſchriebene Verdoppelung mit der Sexte oder Terz nöthig iſt, muß der Sextenaccord ohne Verdoppelung zu den durchgehenden Noten gleichfalls wie - derholet werden, damit man bey dem gis die nöthige Verdoppe - lung, ohne unreine und ungeſchickte Fortſchreitungen zu machen, vornehmen könne und in keine tiefere Lage komme. Nach der Italiäniſchen guten Singart pflegen die Sänger vor dem Ende einer Aushaltung um einen ganzen oder halben Ton, nachdem die Modulation iſt, in die Höhe zu ſteigen, und hernach wieder in das vorige Intervall zu fallen, ohne daß das geringſte hievon angedeutet iſt. Bey (h) ſehen wir die Schreibart, und bey (i) die307Von durchgehenden Noten. die Ausführung einer ſolchen Aushaltung. Dieſe Art des Vor - trages findet man zuweilen ausgeſchrieben. Man läſſet alsdenn dieſen Zierat ohne Begleitung durchgehen, und ſchläget die Har - monie mit der rechten Hand nur einmal an, damit das Steigen und Fallen der Hauptſtimme ſeine Deutlichkeit erhalte. Bey (k) ſind zwey Exempel von dieſer Art vorgebildet. Das Accompa - gnement dazu iſt gleich hinterher bemerket. Die Bezifferung dieſer Exempel bey (l) iſt unrecht. Wenn der Componiſt nicht genau genug beziffert, beſonders wenn er bey ſolchen Stellen, wo man eine Auflöſung vermuthet (m), die durchgehenden Noten nicht andeutet, ingleichen, wenn er die durchzugehen ſcheinenden Noten, welche aber doch ihre eigene Harmonie erfordern (n), nicht be - ziffert: ſo iſt auch der geübteſte Accompagniſt Fehlern unterwor - fen, und iſt auſſer Schuld, wenn die Hauptſtimme nicht über dem Baſſe ſtehet. Wir haben dieſes überhaupt bereits im fünften Paragraph angemerket. Bey (o) ſehen wir die gute Art, zur Warnung überflüßige Ziffern über durchgehende Noten zu ſetzen. Man giebet dadurch mäßigen Accompagniſten die Noth - wendigkeit der Verdoppelung deutlich zu erkennen, damit Fehler vermieden werden. Bey (p) iſt der Queerſtrich deswegen nöthig, damit man nicht, ſtatt die vorige Harmonie zu wiederholen, den Dreyklang zur folgenden Note über der Pauſe anſchlage.

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Qq 2308Sechs und dreyßigſtes Capitel.
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309Von durchgehenden Noten.
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Sieben und dreyßigſtes Capitel. Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand.

§. 1.

Das Vorſchlagen mit der Harmonie in der rechten Hand zu kurzen Pauſen in der Grundſtimme iſt oft nothwendig, die Ordnung zu erhalten und eine gute Ausnahme zu befördern.

§. 2.

Diejenigen Bezifferer, welche dieſes Vorſchlagen an - deuten, indem ſie die Aufgabe, oder den Queerſtrich, welcher der auf die kurze Pauſe folgenden Grundnote zukommt, über die Pauſe ſetzen, thun ſehr wohl, und es wäre zu wünſchen, daß jedermann, znr Erleichterung vieler Accompagniſten, dieſe Ge - nauigkeit im Bezeichnen in Acht nähme.

§. 3.

In Ermangelung der gehörigen Andeutung wollen wir überhaupt zweyerley anmerken: erſtlich, daß die Pauſen, wovon wir in dieſem Capitel handeln, nicht langſamer, als ein Sechzehntheil im Allegretto ſeyn dürfen; zweytens, daß die mit der Pauſe eintretenden Noten der übrigen Stimmen ſich mit derQ q 3vor -310Sieben und dreyßigſtes Capitel. vorausgenommenen Harmonie vertragen müſſen. Folgende Ex - empel werden meine Meynung deutlicher erklären.

§. 4.

Bey (a) iſt es einem Anfänger, um den Tact gewiß zu nehmen, erlaubet, zu der Pauſe den Dreyklang c anzuſchla - gen: ein geübter Accompagniſt fällt erſt bey dem e mit dem Sex - tenaccord in der rechten Hand ein, und läßt ſowohl die Pauſe, als auch das c durchgehen. Bey (b) bleibet nichts übrig, als die Nothwendigkeit zur Pauſe vorzuſchlagen, wenn man nicht die ganze Hälfte des Tactes ohne Begleitung vorbeygehen laſſen will. Die Hauptſtimme ſowohl als der Begleiter haben dieſe Tacthülfe bey hurtiger Zeitmaaſſe ſehr nöthig. Dieſes Exempel darf nicht geſchwinder als Andante ſeyn, wenn man mit der rechten Hand erſt nach den Pauſen anſchlagen will, weil ſonſt dieſer An - ſchlag eine widrige Bewegung im Tacte veranlaſſen würde. Bey (c) mag das Tempo beſchaffen ſeyn, wie es will, ſo kann man den Dreyklang c nicht eher, als bey dem Eintritt der erſten Grundnote, anſchlagen, weil dieſer Dreyklang nicht mit dem f in der Hauptſtimme harmoniret. Bey (d) iſt es wegen der Unbeweg - lichkeit der Hauptſtimme, und wegen der rückenden Noten im Baſſe nöthig, daß die Harmonie, auch bey einer langſamen Zeitmaaſſe, in Achttheilen angeſchlagen werde. Das erſte Achttheil kann allenfalls ohne Begleitung vorbey gehen, um das Piano, womit gemeinig - lich eine Aushaltung angefangen wird, nicht zu verdunkeln. Bey (e) iſt das Vorſchlagen zur Pauſe unentbehrlich, zumal wenn dieſes Exempel bey einem weitläuftigen und ſtark beſetzten Orche - ſter, wo alle Stimmen mit ſolchen kurzen Noten zugleich eintre - ten, vorkommt. Dieſer Umſtand ereignet ſich beſonders oft in Opern bey affectuöſen Recitativen mit accompagnirenden Inſtru - menten, welche von den Sängern, wegen der vielen und heftigen Actionen, bald ganz hinten, bald vorne, bald auf der Seite, undbald311Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand. bald in der Mitte des Theaters, zuweilen unter vielem Geräuſche abgeſungen werden. Hier muß der Clavieriſt führen, und bey der kurzen Pauſe das Signal durch einen ſo ſtarken Anſchlag, als nur möglich iſt, geben. Bey (f), wo die Noten, welche auf die Achttheilpauſe folgen, nicht ſo kurz ſind, wie im vori - gen Exempel, und wo ebenfalls alle Stimmen nach einer Gene - ralpauſe mit dem Einklange zugleich einfallen, wird nicht vorge - ſchlagen. Bey dem Exempel (g) mit punctirten Noten ſchlägt der Accompagniſt ebenfalls nicht vor, weil in der Hauptſtimme ein Vorſchlag da iſt, welcher ſich erſt nach der kurzen Grund - note auflöſet. Das Exempel (h) mit dem pathetiſchen Baſſe nach franzöſiſchem Geſchmacke muß ohne vorzuſchlagen accompa - gniret werden, weil es ſonſt vieles von ſeinem Trotzigen verlieh - ret. Die Abbildung bey (i) ſtellet einen Fall vor, wo der Com - poniſt zuweilen ein gewiſſes Gewicht in den Ausdruck der Haupt - ſtimme leget, und zugleich verlanget, daß die letztere mit der Verän - derung der Modulation allein anfangen ſoll. Die Begleitung dieſes Exempels iſt gleich hinterher beygefüget. Bey (k) leidet der Vorſchlag keinen Dreyklang zur Pauſe; man pauſirt alſo am beſten mit der rechten Hand ein Achttheil. Bey (l) wird zu den Puncten und gebundenen Noten vorgeſchlagen.

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312Sieben und dreyßigſtes Capitel.
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313Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand.
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Acht und dreyßigſtes Capitel. Vom Recitativ.

§. 1.

Die Recitative waren vor nicht gar langer Zeit von lauter Verwechſelungen der Harmonie, der Auflöſung und der Klanggeſchlechter gleichſam vollgepfropfet. Man ſuchte, ohne mehrentheils die geringſte Urſache zu haben, in dieſen harmoni - ſchen Seltenheiten eine beſondere Schönheit, und man hielte die natürlichen Abwechſelungen der Harmonie für zu platt zum Reci - tativ. Dank ſey es dem vernünftigen Geſchmacke, vermöge deſſen man heute zu Tage nur ſehr ſelten, und mit zureichendem Grunde in den Recitativen harmoniſche Sonderheiten anbringet. Der Accompagniſt darf alſo bey der Abfertigung der Recitative von der jetzigen Art nicht ſo ſehr mehr ſchwitzen, wie vordem. In - deſſen iſt doch noch allhier eine genaue Bezifferung nöthig, wenn auch die Hauptſtimme über dem Baſſe ſtehet.

Bachs Verſuch. 2. Theil. R r§. 2.314Acht und dreyßigſtes Capitel.

§. 2.

Gewiſſe Recitative, wobey der Baß, oder die übri - gen darzu geſetzten Inſtrumente entweder ein gewiſſes Subject, oder eine ſolche Bewegung in Noten haben, welche beſtändig fortdauret, ohne ſich an die Abſätze der Singſtimme zu kehren, müſſen we - gen der guten Ordnung ſtrenge nach der Eintheilung des Tactes ausgeführet werden. Die übrigen Recitative werden nach ihrem Inhalte bald langſam, bald hurtig, ohne Rückſicht auf den Tact, abgeſungen, ob ſie ſchon bey der Schreibart in den Tact eingetheilet werden. Ein Accompagniſt muß in beyden Fällen genau auf - merkſam ſeyn, beſonders in dem letzteren. Er muß beſtändig auf den Ausführer der Hauptſtimme hören, und wenn das Recitativ mit Action iſt, auch ſehen, damit er mit ſeinem Accompagne - ment bey der Hand ſey, und den Sänger niemals verlaſſe.

§. 3.

Declamirt der letztere hurtig, ſo muß die Harmonie auf das bereiteſte da ſeyn, beſonders alsdenn, wenn ſie bey den Abſä - tzen der Hauptſtimme vorgeſchlagen werden muß. Der Anſchlag einer neuen Harmonie muß auf das geſchwindeſte geſchehen, ſo bald die vorige Harmonie zu Ende iſt. Hierdurch wird der Sän - ger in ſeinem Affecte, und in dem daher nöthigen geſchwinden Vor - trage niemals geſtöhret, weil er bey Zeiten die Modulation und Be - ſchaffenheit der Harmonie beſtändig voraus weiß. Wenn man unter zweyen Uebeln wählen müſte, ſo würde hier das Eilen dem Schleppen vorzuziehen ſeyn. Doch beſſer iſt allezeit beſſer. Bey der geſchwinden Declamation muß ſich der Accompagniſt des Har - peggirens enthalten, zumal wenn ſich die Harmonie oft ändert. Man hat hierzu keine Zeit, und wenn man ſie auch hätte, ſo würde der Clavieriſt ſelbſt, der Sänger und die Zuhörer leicht da - durch in eine Verwirrung gerathen. Dieſes Harpeggiren iſt auch alsdenn unnöthig, weil es blos auſſer dieſem Falle, und bey lang - ſamen Recitativen und lange daurender Harmonie gebrauchet wird,um315Vom Recitativ. um den Sänger zu erinnern, daß er in derſelben Harmonie bleiben ſoll, anſtatt daß er widrigenfalls durch die Länge der Dauer gar leicht aus dem Tone kommen, oder in eine Veränderung der Harmonie gerathen könnte. Kommen dergleichen feurige Recitative in der Oper vor, wo der Umfang des Orcheſters weitläuftig iſt, wo der Sänger auf dem Theater von ſeinen Begleitern entfernt de - clamiren muß, wo noch darzu die Bäſſe zertheilet ſpielen: ſo war - tet der erſte Flügel, wenn zween da ſind, die Cadenzen der Sing - ſtimme nicht völlig ab, ſondern ſchläget ſchon bey den letzten Silben die von Rechtswegen erſt darauf folgende Harmonie an, damit die übrigen Bäſſe oder Inſtrumente ſich bey Zeiten hier - nach richten und mit einfallen können.

§. 4.

Die Geſchwindigkeit und Langſamkeit des Harpeggio bey der Begleitung hänget von der Zeitmaaſſe und dem Inhalte des Recitatives ab. Je langſamer und affectuöſer das letztere iſt, deſto langſamer harpeggirt man. Die Recitative mit aushalten - den begleitenden Inſtrumenten vertragen das Harpeggio beſonders wohl. So bald aber die Begleitung, ſtatt der Aushaltungen, kurze und abgeſtoſſene Noten krieget, ſogleich ſchlägt auch der Clavieriſt die Harmonien, ohne Harpeggio, kurz und trotzig mit vollen Händen an. Wenn auch ſchon in dieſem Falle weiſſe gebundene No - ten da ſtehen ſolten, ſo bleibet man dennoch bey dem kurz abgeſtoſ - ſenen Vortrag. Die Stärke des Anſchlagens iſt vor dem Theater, bey auswendig geſungenen Recitativen wegen der Entfernung am nöthigſten. Auſſerdem muß allerdings der Accompagniſt auch zuweilen vor dem Theater, am allermeiſten aber in der Kirche und in der Kammer, wo die lärmenden und furieuſen Recitative nicht eben hingehören, ſeine Begleitung ganz ſchwach anſchlagen, weil die Harmonie ebenfalls den Recitativen in der gehörigen Stärke angepaſſet werden muß.

R r 2§, 5.316Acht und dreißigſtes Capitel.

§. 5.

Bey einem Recitative mit aushaltenden begleitenden Inſtrumenten bleibet man auf der Orgel blos mit der Grundnote im Pedale liegen, indem man die Harmonie bald nach dem Anſchlage mit den Händen aufhebet. Die Orgeln ſind ſelten rein geſtimmet, und folglich würde die Harmonie zu den erwehn - ten Recitativen, welche oft chromatiſch iſt, ſehr widrig klingen, und ſich mit der Begleitung der übrigen Inſtrumente gar nicht vertragen. Man hat oft zu thun, ein Orcheſter, welches nicht das ſchlechteſte iſt, in dieſem Falle reinklingend zu machen. Das Harpeggio fällt überhaupt auf dem Pfeifwerke weg. Auſſer der gebrochnen Harmonie brauchet man auch auf den übrigen Clavierinſtrumenten zu der Begleitung der Recitative keine an - dere - Manier und Zierlichkeit.

§. 6.

Bey einem Intermezzo und einer comiſchen Oper, wo viele lärmende Actionen vorkommen, ingleichen bey andern theatraliſchen Stücken, wo zuweilen die Actionen ganz hinten auf dem Theater vorgehen, muß man beſtändig, oder wenigſtens ſehr fleißig harpeggiren, doch ſo, daß die Sänger und der Ac - compagniſt einander beſtändig deutlich hören können. Wenn der Inhalt der Worte, oder eine darzwiſchen kommende Action ma - chet, daß der Sänger nach der vorgeſchlagenen Harmonie nicht gleich anfängt: ſo bricht der Accompagniſt die Harmonie noch einmal langſam von unten in die Höhe, bis er merket, daß die Declamation wieder angehet. Man muß überhaupt, wenn es nicht höchſtnöthig iſt, weder zu viel noch zu wenig Leeres bey der Begleitung übrig laſſen. Wenn gewiſſe Recitative mit meh - rern Inſtrumenten, als mit dem Baſſe, ohne Aushaltung begleitet werden: ſo muß der Clavieriſt die darzwiſchen kommenden kleinen Ver - änderungen der Harmonie, dergleichen 8b7 oder 65b ſeyn, wenn ſie blos die Grundſtimme angehen, und zuweilen oft hintereinander vor -kommen,317Vom Recitativ. kommen, entweder ganz ſchwach anſchlagen, oder gar übergehen, damit die Hauptſtimme nicht zu viel accompagnirt werde, und damit die übrigen Inſtrumente den Sänger deutlicher hören, und folglich beſſer Acht haben können, wenn ſie nachher wieder einfallen ſol - len. Das Geräuſche des Flügels, welches die Inſtrumentiſten in der Nähe ſehr ſtark hören, zumal, wenn der Ton deſſelben durchdringend iſt, kann alsdenn oft die gute Ordnung gar leicht ſtören. Zuweilen gewinnet auch bey dieſer Unthätigkeit des Cla - vieriſten der Nachdruck gewiſſer Worte, welche der Componiſt aus guter Urſache bey aller Stille der Inſtrumente will hergeſaget wiſſen. Gehet eine heftige Action ganz hinten auf dem Theater vor, ſo iſt dieſe Vorſicht um ſo viel nöthiger, weil alsdenn die Töne des Sängers mehrentheils über das Orcheſter wegfliehen, welches letztere aus Urſachen tiefer angeleget iſt, als das Parterre.

§. 7.

Wenn der Sänger nicht recht tonfeſte iſt, ſo thut man beſſer, daß man die Harmome zugleich einigemal hinter einander anſchläget, als wenn man einzelne Intervallen angie - bet. Bey den Recitativen kommt es hauptſächlich auf die Rich - tigkeit der Harmonie an, und man muß nicht allezeit fordern, daß der Sänger, zumal bey gleichgültigen Stellen, juſt die vor - geſchriebenen Noten, und keine anderen ſingen ſoll. Es iſt genug, wenn er in der gehörigen Harmonie declamirt. Bey einer frem - den Ausweichung kann man allenfalls das ſchwere Intervall allein anſchlagen. Wenn man ſich auf die Geſchicklichkeit des Sängers hinlänglich verlaſſen kann, ſo muß man nicht gleich ſtutzen, wenn er in folgendem Exempel (a), ſtatt der Vorſchrift, die Aus - führung von (1) und (2) wählet. Oft iſt hieran eine Bequem - lichkeit wegen der Höhe und Tiefe Schuld, oft auch eine Vergeſ - ſenheit, weil die Sänger bey dem Auswendiglernen, die ſich im - mer ähnlichen Recitativmodulationen leicht verwechſeln, indemR r 3ſie318Acht und dreyßigſtes Capitel. ſie ſich mehr die Grundharmonien, als die vorgeſchriebenen Noten einprägen. Ich vergebe es eher einem Accompagniſten, daß er von dem zuweilen vorkommenden Exempel (b) überraſcht wird, wenn die Ziffern fehlen, das Tempo hurtig iſt, und die Hälfte des Exempels vielleicht gar auf dem Anfange einer neuen Zeile geſchrieben ſtehet: als wenn er vor den verwechſelten Ausführun - gen bey (a) ſtutzet.

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§. 8.

Der Accompagniſt thut wohl, wenn er überhaupt, beſonders aber bey fremden Modulationen, das erſte Intervall des Sängers, zu deſſen Erleichterung, bey der letzten Brechung der vorgeſchlagenen Harmonie in der Oberſtimme nimmt, weil es da am deutlichſten zu hören iſt. Ehe man dieſe Hülfe unter - läſſet, ſo erlaubet man lieber einige Unregelmäßigkeiten, wenn es nicht zu ändern iſt, und gehet aus der Vorbereitung einer Diſ - ſonanz, oder nimmt die Auflöſung derſelben in einer unrechten Stimme vor, blos damit man geſchwinde in die Lage kommen könne, wo es die Noth erfordert, welches letztere jedoch, ohne ſich einer ſolchen Freyheit zu bedienen, mehrentheils durch ein geſchwindes Harpeggio gar leicht iſt.

§. 9.

Wenn bey einem Recitativ mit begleitenden Inſtrumen - ten nach einer Cadenz, oder nach einem Abſatze, der Baß vorſchlägt und die übrigen Inſtrumente nachſchlagen: ſo muß der Clavieriſtſeine319Vom Recitativ. ſeine Note mit der Harmonie ſo gleich, wenn es Zeit iſt, ſicher und ſtark anſchlagen, zumal wenn das Orcheſter weitläuftig iſt (a). Haben aber alle Begleiter den Anſchlag zugleich, ſo muß der Clavieriſt ſich nicht übereilen, ſondern zuvor denen übrigen mit dem Kopfe oder mit dem Leibe bey Zeiten ein merkliches Zeichen geben, damit ſie alle zugleich geſchwind einfallen können (b). Das Exempel (c) erfordert zum f den Sextquartenaccord, wobey man gerne die Octave in der oberſten Stimme nimmt; zur Pauſe wird nach - her die Septime und Quinte vom f angeſchlagen. Endlich ge - höret noch hieher das Exempel (c) des vierten Paragraphen im vorigen Capitel mit der dazu gehörigen Anmerkung, wohin ich meine Leſer verweiſe. Man kann von dieſem Exempel auf meh - rere von derſelben Art ſchlieſſen.

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Neun320Neun und dreyßigſtes Capitel.

Neun und dreyßigſtes Capitel. Von den Wechſelnoten.

§. 1.

Wir haben bereits im erſten Capitel erkläret, was unter dem irregulären Durchgange, oder unter den Wech - ſelnoten verſtanden werde. Die Andeutung davon iſt ſehr noth - wendig, weil die Anfänger im Generalbaſſe dieſe Noten nicht leicht errathen können.

§. 2.

Einige beziffern die dem innerlichen Werthe nach lange, und zur Harmonie anſchlagende Note; andere ſetzen die Ziffern über die nachſchlagende Note. Jene Art der Bezifferung iſt nicht zu verwerfen, zumal wenn ſie ſolche Aufgaben betrift, welche bey dem Accompagnement gewöhnlich ſind (a), und wenn eine Zweydeutigkeit dadurch gehoben werden kann (b). Auſſer - dem aber erhält man durch die Andeutung der Wechſelnoten mit einem ſchrägen Striche leichtere Signaturen, und der Accompagniſt darf wegen der ungewöhnlichen Folge, welche ſich bey der erſtern Art der Bezifferung mehrentheils äuſſert, nicht leicht ſtutzen. Indeſſen wollen wir dem ohngeacht jedem Generalbaßſchüler rathen, ſich mit den Ziffern recht bekannt zu machen, weil beyde Arten von Bezeichnung noch zuweilen vorkommen.

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§. 3.321Von den Wechſelnoten.

§. 3.

Die dem innerlichen Werthe nach lange Noten bey dem irregulären Durchgange ſind als ausgeſchriebene und in den Tact mit eingetheilte Vorſchläge zu betrachten, davon die Gel - tung genau beſtimmet iſt. Die rechte Hand nimmt zu dieſen Vorſchlägen die Harmonie, welche der folgenden Grundnote ei - gentlich zukommt, voraus. Wenn alſo gleich die vorausgenom - menen Conſonanzen zu der anſchlagenden Grundnote diſſoniren: ſo behalten ſie doch ihre Freyheit und Eigenſchaft. Sie können verdoppelt werden (a), und haben weder einer Vorbereitung noch Auflöſung nöthig (b). Eben ſo wenig verliehren die vorausge - nommenen Diſſonanzen von ihrem Weſentlichen und ihren Ge - rechtſamen, ob ſie gleich zu der anſchlagenden Grundnote con - ſoniren (c).

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§. 4.

Bey den Wechſelnoten kann der Dreyklang ohne An - deutung nicht ſeyn, ſondern er muß wenigſtens durch eine Ziffer vorgebildet werden (a). Wenn nach dem ſchrägen Striche Aufga - ben folgen, wobey die Verdoppelung nöthig iſt (b), oder welche überhaupt mehr, als eine Art der Begleitung haben (c), ſo mußBachs Verſuch 2. Theil. S sder322Neun und dreyßigſtes Capitel. Von den Wechſelnoten. der Accompagniſt ſchon vorher auf die rechte Einrichtung der Har - monie bedacht ſeyn, beſonders wenn Fehler vermieden werden ſollen (d):

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Vierzigſtes Capitel. Vom Baßthema.

§. 1.

Ein gutes Baßthema mit einer ungezwungenen Ausarbeitung gehöret mit zu den Meiſterſtücken der Compoſition. Die berühmten Capellmeiſter Telemann und Graun, nebſt meinem ſeligen Vater, haben in dieſer Art vortrefliche Proben abgelegt, welche zu vollkommenen Muſtern dienen können. Der Geſang eines ſolchen Thema muß eine männliche Annehmlichkeit haben, welche zuweilen aus den übrigen Stimmen der dazu gehörigen Harmonie durch eine Brechung derſelben, oder durch andere Aus - zierungen der Modulation etwas borget, ohne das Fundament zuver -323Vom Baßthema. verſtecken. Die Modulation darf nicht ausſchweifen. Die Cadenzen und Einſchnitte müſſen baßmäßig ſeyn, wenigſtens müſſen die letzteren eine natürliche Harmonie über ſich vertragen. Die Vorſchläge müſſen in der Grundſtimme mit groſſer Behutſamkeit gebrauchet wer - den, damit ſie das Flieſſende der Harmonie nicht ſtöhren; auſſerdem überläſſet man dieſe und andere Schönheiten des Geſanges lieber der Hauptſtimme, welche zu ſehr eingeſchränkt ſeyn würde, wenn der Baß an allen dieſen Zierden gleichen Antheil nehmen wolte. Statt deſſen müſſen die Grundnoten eine Harmonie mit vielen und guten Bindungen bey ſich haben, damit darüber eine ſang - bare Hauptſtimme gebauet werden könne. Die Gänge, wobey viele Septimen-Quintquarten-Sextquinten - und Nonenaccorde vorkommen, ſind beſonders vorzüglich, wie wir aus folgenden ſimplen Grundnoten ſehen:

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§. 2.

Bey der Einrichtung eines Baßthema können es gewiſſe Componiſten gar leicht auf zweyerley Art verſehen: zu - weilen wollen ſie dabey ihren guten Geſang auf einmal, und zur Unzeit ausſchütten; ſie ſchreiben alſo eine gute Melodie hin, welche jung und ohne Grundnoten iſt, und zu welcher ſich allenfallsS s 2ein324Vierzigſtes Capitel. ein guter Baß ſetzen lieſſe. Einem verſtändigen Accompagniſten würde es alsdenn bey der Begleitung gar leicht ſeyn, anſtatt einen beſondern Geſang zu dieſem Thema zu erfinden, dieſes Thema in der rechten Hand zu nehmen, und mit der linken aus dem Stegereife eine Grundſtimme dazu, mit der gehörigen Har - monie zu machen. Im andern Falle pflegen die Baßthemata gar zu trocken zu ſeyn, indem der Componiſt, um den jetzt gedachten Fehler zu vermeiden, und ſich zur Ausarbeitung der Hauptſtimme alle mögliche Bequemlichkeit zu verſchaffen, einen guten, ehrlichen und ſimplen Baß hinſchreibet, der weiter nichts ausdrücket. Dieſe letztern Themata haben jedoch noch dieſes Gute, daß ſie ein geſchicktes Accompagnement zulaſſen, indem bey jenen oft gar keine Harmonie darauf iſt.

§. 3.

Die Baßthemata werden entweder von den übrigen Inſtrumenten im Einklange begleitet, oder blos von den Bäſſen allein ausgeführet. In jenem Falle läſſet der Accompagniſt die Har - monie weg, und ſpielet ſeine vorgeſchriebenen Noten ebenfalls in Octaven mit beyden Händen: wenn aber der Componiſt aus guten Urſachen Ziffern über den Baß geſetzet hat, weil die Bindungen, welche dabey angebracht werden können, gerne ge - höret ſeyn wollen, und das Thema nicht allein nicht verdunkeln, ſondern vielmehr erklären, ſo muß man ſie mitſpielen. Gewiſſe Themata ſind ſo beſchaffen, daß ein verſtändiger Zuhörer nur ein halbes Vergnügen ſpühret, wenn die Harmonie dazu fehlet, weil dieſe letztere in der Vorſtellung ſeiner Seele von den Tönen, die er höret, untrennbar iſt. Die Orgel iſt alsdenn, ſowohl wegen der Bindungen, als auch wegen der durchdringenden Stärke zur Begleitung das vorzüglichſte Inſtrument. Im zweyten Falle, welcher bey zweyſtimmigen Sing - und Spielſachen vorkommt, iſt eine harmoniſche Begleitung nöthig.

§. 4.325Vom Baßthema.

§. 4.

Das Accompagnement eines Baßthema kann zweyer - ley ſeyn, und giebet allezeit einem geſchickten Accompagniſten eine gute Gelegenheit, ſeine Wiſſenſchaft zu zeigen. Wer hinläng - liche Einſichten in die Setzkunſt hat, und bey einem glücklich erfinderiſchen Geiſte eine gute Beurtheilungskraft beſitzet, der kann bey den Pauſen der Hauptſtimme, auch allenfalls bey gewiſſen fimplen Noten oder Aushaltungen derſelben, einen beſondern Geſang erfinden, und ihn mit der rechten Hand, ſtatt der gewöhn - lichen Harmonie, vortragen. Dieſer Geſang muß nach dem Inhalt und Affect des Stückes abgepaſſet ſeyn, und darf die Hauptſtimme niemals einſchränken.

§. 5.

Wer aber die hierzu gehörigen Fähigkeiten nicht be - ſitzet, bleibet bey ſeiner vorgeſchriebenen Harmonie, und träget ſie nach den Regeln des guten Vortrages vor, wobey allezeit, ſo viel es nur möglich iſt, die beſten Fortſchreitungen und Lagen gewählet werden, und auf eine ſangbare Oberſtimme geſehen wird.

Ein und vierzigſtes Capitel. Von der freyen Fantaſie.

§. 1.

Eine Fantaſie nennet man frey, wenn ſie keine abgemeſſene Tacteintheilung enthält, und in mehrere Tonarten auswei - chet, als bey andern Stücken zu geſchehen pfleget, welche nach einer Tacteintheilung geſetzet ſind, oder aus dem Stegreif erfun - den werden.

§. 2.

Zu dieſen letztern Stücken wird eine Wiſſenſchaft des gan - zen Umfanges der Compoſition erfordert: bey jener hingegen ſindS s 3blos326Ein und vierzigſtes Capitel. blos gründliche Einſichten in die Harmonie, und einige Regeln über die Einrichtung derſelben hinlänglich. Beyde verlangen natürliche Fähigkeiten, beſonders die Fantaſien überhaupt. Es kann einer die Compoſition mit gutem Erfolge gelernet haben, und gute Proben mit der Feder ablegen, und dem ohngeacht ſchlecht fanta - ſiren. Hingegen glaube ich, daß man einem im fantaſiren glück - lichen Kopfe allezeit mit Gewißheit einen guten Fortgang in der Compoſition prophezeyen kann, wenn er nicht zu ſpät anfän - get, und wenn er viel ſchreibet.

§. 3.

Eine freye Fantaſie beſtehet aus abwechſelnden har - moniſchen Sätzen, welche in allerhand Figuren und Zergliede - rungen ausgeführet werden können. Man muß hierbey eine Ton - art feſtſetzen, mit welcher man anfänget und endiget. Ohngeacht in ſolchen Fantaſien keine Tacteintheilung Statt findet, ſo ver - langet dennoch das Ohr, wie wir weiter unten hören werden, ein gewiſſes Verhältniß in der Abwechſelung und Dauer der Harmonien unter ſich, und das Auge ein Verhältniß in der Geltung der Noten, damit man ſeine Gedanken aufſchreiben könne. Es pfleget alsdenn gemeiniglich der Vierviertheiltact dieſen Fan - taſien vorgeſetzet zu werden, und man erkennet die Beſchaffenheit der Zeitmaaſſe aus den im Anfange darüber geſchriebenen Wör - tern. Wir ſind bereits aus dem erſten Theile dieſes Ver - ſuchs, in dem letzten Hauptſtücke deſſelben, von der guten Wirkung der Fantaſien belehret worden, wohin ich meine Leſer verweiſe.

§. 4.

Der Flügel und die Orgel erfordern bey einer Fan - taſie eine beſondere Vorſicht; jener, damit man nicht leicht in einerley Farbe ſpiele, dieſe, damit man gut und fleißig binde, und ſich in den chromatiſchen Sätzen mäßige; wenigſtens muß man dieſe letztern nicht wohl kettenweiſe vorbringen, weil die Or -geln327Von der freyen Fantaſie. geln ſelten gut temperirt ſind. Das Clavicord und das Forte - piano ſind zu unſerer Fantaſie die bequemſten Inſtrumente. Beyde können und müſſen rein geſtimmt ſeyn. Das ungedämpfte Regiſter des Fortepiano iſt das angenehmſte, und, wenn man die nöthige Behutſamkeit wegen des Nachklingens anzuwenden weiß, das reizendeſte zum Fantaſiren.

§. 5.

Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagniſt noth - wendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe ſpielen muß. Bey dieſer Art der freyen Fantaſie, weil ſie als ein Vorſpiel angeſehen wird, welches die Zuhörer zu dem In - halt des aufzuführenden Stückes vorbereiten ſoll, iſt man ſchon mehr eingeſchränkt, als bey einer Fantaſie, wo man, ohne weitere Abſicht, blos die Geſchicklichkeit eines Clavierſpielers zu hören ver - langet. Die Einrichtung von jener wird durch die Beſchaffenheit des aufzuführenden Stückes beſtimmt. Der Inhalt oder Affect dieſes letztern muß der Stoff des Vorſpielers ſeyn: bey einer Fantaſie hingegen, ohne weitere Abſicht, hat der Clavieriſt alle mögliche Freyheit.

§. 6.

Wenn man nicht viele Zeit hat, ſeine Künſte im Vorſpielen zu zeigen, ſo darf man ſich nicht zu weit in andere Tonarten verſteigen, weil man bald wieder aufhören muß, und dennoch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald verlaſſen, und am Ende nicht zu ſpät wieder ergreifen darf. Im Anfange muß die Haupttonart eine ganze Weile herrſchen, damit man gewiß höre, woraus geſpielet wird: man muß ſich aber auch vor dem Schluſſe wieder lange darinnen aufhalten, damit die Zuhörer zu dem Ende der Fantaſie vorbereitet werden, und die Haupttonart zuletzt dem Gedächtniſſe gut eingepräget werde.

§. 7.

Die kürzeſte und natürlichſte Art, deren ſich auch allenfalls Clavierſpieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor -ſpielen328Ein und vierzigſtes Capitel. ſpielen bedienen können, iſt dieſe: daß man die auf - und abſtei - gende Tonleiter der Tonart, woraus geſpielet werden ſoll, mit allerhand Bezifferungen (a), und einigen eingeſchalteten halben Tönen (b), in, und auſſer der Ordnung (c) mit einer gewiſſen Vorſicht, zum Grunde leget, und die dabey vorkommenden Auf - gaben gebrochen, oder ausgehalten in einem beliebigen Tempo vorträget. Die Orgelpuncte über der Prime ſind bequem, die erwählte Tonart bey dem Anfange und Ende feſtzuſetzen (d). Vor dem Schluſſe können auch ſehr wohl Orgelpuncte über der Do - minante angebracht werden (e):

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329Von der freyen Fantaſie.

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Bachs Verſuch 2. Theil. T t330Ein und vierzigſtes Capitel.

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§. 8.

Bey Fantaſien, wo man Zeit genug hat, ſich hören zu laſſen, weichet man in andere Tonarten weitläuftiger aus. Hierzu werden nicht eben förmliche Schlußcadenzen allezeit erfor - dert; dieſe letztern finden am Ende, und allenfalls einmal in der Mitte Statt. Es iſt genug, wenn die groſſe Septime derjenigen Tonart, (ſemitonium modi), worein man gehet, im Baſſe, oder in einer andern Stimme da iſt. Dieſes Intervall iſt der Schlüſſel zn allen natürlichen Ausweichungen, und das Kennzeichen davon. Wenn es in der Grundſtimme lieget, ſo hat der Septimen-Sexten - und Sextquintenaccord darüber Statt (a): auſſerdem aber findet man es bey ſolchen Aufgaben, welche durch die Verkehrung jener Ac - corde entſtehen (b). Es iſt bey dem Fantaſiren eine Schönheit, wenn man ſich ſtellet, durch eine förmliche Schlußcadenz in eine andere Tonart auszuweichen, und hernach eine andere Wendung nimmt. Dieſe, und andere vernünftige Betrügereyen machen eine Fantaſie gut: allein ſie müſſen nicht immer vorkommen, damit das Natürliche nicht ganz und gar darbey verſtecket werde.

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331Von der freyen Fantaſie.
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§. 9.

Man kann bey einer freyen Fantaſie aus der Haupt - tonart in die nächſtverwandten, in die etwas entferntern, und in alle übrigen Tonarten ausweichen. So wenig man bey Stücken, welche ſtrenge nach dem Tact ausgeführet werden, fremde und viele weitläuftige Ausweichungen vornehmen darf: ſo einfältig klinget eine Fantaſie, welche bey den nächſten Tonarten ſtehen bleibet. In den harten Tonarten geſchehen die nächſten Ausweichungen be - kannter maaſſen in die Quinte mit der groſſen Terz, und in die Sexte mit der kleinen. Aus den Molltönen gehet man zunächſt in die Terz mit dem harten Dreyklange, und in die Quinte mit dem weichen. Wenn man in entlegenere Tonarten gehen will, ſo geſchiehet es bey den Durtönen in die Secunde und Terz mit dem weichen Dreyklange, und in die Quarte mit dem harten. Aus den Molltönen weichet man alsdenn in die Quarte mit der kleinen Terz, und in die Sexte und Septime mit der groſſen. Die übrigen Tonarten insgeſammt gehören unter die entlegenſten, und können bey einer freyen Fantaſie gleich gut berühret werden, ob ſie ſchon in einer ungleichen Entfernung von der Haupttonart abſtehen. Dieſes letztere kann man aus den bekannten muſicali - ſchen Cirkeln ſehen, an welche man ſich aber bey der Einrichtung einer Fantaſie nicht weiter binden darf, weil es ein Fehler ſeyn würde, im Fantaſiren alle vier und zwanzig Tonarten cirkel - mäßig durchzugehen. Wir überlaſſen dem eignen Nachſinnen unſerer Leſer, durch eine geſchickte Ergreifung des ſemitonii modi Proben in den nähern Ausweichungen vorzunehmen, und wollen,Tt 2der332Ein und vierzigſtes Capitel. der Kürze wegen, blos einige beſondere Arten, in die nahe ver - wandten Tonarten nach und nach zu kommen, durch die hierunter vorgebildete Exempel zeigen. Wir erkennen hieraus die Mög - lichkeit, auf eine immer verſchiedene Weiſe auszuweichen, man mag nach der erſten Grundnote ein Intervall nehmen, welches man nur will. Die Weitläuftigkeit ſchrecket uns ab, dieſen Satz klar zu beweiſen.

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§. 10.333Von der freyen Fantaſie.

§. 10.

In folgenden Exempeln wird die Art vorgebildet, aus einer harten Tonart durch wenige Umwege in die übrigen Tonarten, welche im vorigen Paragraph noch nicht berühret wor - den ſind, auszuweichen. Die nahe Verwandtſchaft des a moll mit dem c dur überhebt uns der Weitläuftigkeit, noch eben ſo viele Exempel, wo die weiche Tonart zum Grunde lieget, anzu - führen. Wenn man entlegenere Tonarten nicht nur obenhin berühren, ſondern darein förmlich ausweichen will: ſo muß man bey der bloſſen Ergreifung des ſemitonii modi nicht beruhen, und alsdenn glauben, daß man nunmehro da ſey, wo man hin wolte, und daß man ſo gleich weiter gehen müſſe: man muß viel - mehr das Ohr durch einige andere eingeſchaltete harmoniſche Sätze zu der neuen Tonart allmählig vorbereiten, damit es nicht auf eine unangenehme Art überraſchet werde. Man wird Cla - vierſpieler antreffen, welche die Chromatik verſtehen, und ihre Sätze vertheidigen können: aber nur wenige, welche die Chro - matik angenehm vorzutragen wiſſen, und ihr das Rauhe beneh - men können. Wir merken überhaupt, beſonders aber bey dieſen hierunter angeführten Exempeln an, daß man ſich bey den Auf - gaben, wobey man anfänget, ſich etwas weit von der feſtgeſetzten Tonart zu entfernen, etwas länger aufhalten müſſe, als bey den übrigen. Durch das Verſetzen dieſer, und der bereits angeführten Exempel, und durch die Verbindung derſelben erlanget man nach und nach eine beſondere Fertigkeit im Ausweichen.

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T t 3334Ein und vierzigſtes Capitel.
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§. 11.335Von der freyen Fantaſie.

§. 11.

Auf eine noch kürzere, und dabey angenehm über - raſchende Art in die entfernteſten Tonarten zu kommen, iſt kein Accord ſo bequem und fruchtbar, als der Septimenaccord mit der verminderten Septime und falſchen Quinte, weil durch ſeine Ver - kehrungen, und durch die Verwechſelung des Klanggeſchlechts ſehr viele harmoniſche Veränderungen vorgenommen werden können. Wenn man hierzu die übrigen harmdniſchen Künſte und Sel - tenheiten, welche wir in den vorhergehenden Capiteln abgehan - delt haben, mit zur Hülfe nimmt: was eröfnet ſich nicht alsdenn für ein unzuüberſehendes Feld von harmoniſcher Mannigfaltigkeit! Solte es alsdenn wohl noch ſchwehr fallen, dahin zu gehen, wo man nur will? Nein, man darf nur wählen, ob man viele, oder gar keine Umwege nehmen will. Es ſind von dem oben ge - dachten Accorde, welcher aus dreyen über einander geſetzten klei - nen Terzen beſtehet, nur dreye möglich; bey dem vierten iſt die Wiederholung des erſtern ſchon da, wie wir aus der Vorbildung bey (a) ſehen. Wir würden zu weitläuftig werden, wenn wir alle Möglichkeiten anführen wolten, die Harmonie durch dieſen Accord dahin zu lenken, wohin man nur will. Es ſey die bey (b) gegebene Gelegenheit zu Verſuchen in dieſer Art für dieſes mahl hinlänglich. Wir wiederholen nochmals, dergleichen chro - matiſche Sätze nur dann und wann, mit guter Art, und langſam vorzutragen.

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336Ein und vierzigſtes Capitel.
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§. 12.

Das Schöne der Mannigfaltigkeit empfindet man auch bey der Fantaſie. Bey der letztern müſſen allerhand Figu - ren, und alle Arten des guten Vortrages vorkommen. Lauter Laufwerk, nichts als ausgehaltene, oder gebrochene vollſtimmige Griffe ermüden das Ohr. Die Leidenſchaften werden dadurch weder erreget, noch geſtillet, wozu doch eigentlich eine Fantaſie vorzüglich ſolte gebrauchet werden. Durch die Brechungen darf man nicht zu hurtig, noch zu ungleich (a) von einer Harmonie zur andern ſchreiten. Blos bey chromatiſchen Gängen leidet dieſe Vorſchrift zuweilen mit guter Wirkung einige Ausnahme. Man muß nicht beſtändig in einerley Farbe die Harmonie brechen. Auſſerdem kann man zuweilen mit beyden Händen aus der Tiefe in die Höhe gehen; man kann dieſes auch blos mit der vollen linken Hand thun, indem man die rechte in ihrer Lage läßt. Dieſe Art des Vortrages iſt auf den Flügeln gut, es entſtehet daraus eine angenehme Abwechſelung eines gekünſtelten Forte und Piano. Wer die Geſchicklichkeit beſitzet, thut wohl, wenn er nicht beſtändig gar zu natürliche Harmonien brauchet, ſondern das Ohr zuweilen betrüget: wo aber die Kräfte nicht ſo weit hinreichen, ſo muß eine verſchiedene und gute Ausführung in allerhand Figuren diejenige Harmonie angenehm machen, welchedurch337Von der freyen Fantaſie. durch einen platten Anſchlag derſelben einfältig klinget. In der linken Hand können die meiſten Diſſonanzen ebenfalls verdoppelt werden. Die dadurch entſtehende Octaven verträget das Ohr bey dieſer ſtarken Harmonie: die Quinten hingegen ſind zu ver - meiden. Die Quarte, wenn ſie bey der Quinte und None iſt, und die Nonen überhaupt verdoppelt man nicht.

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§. 13.

Alle Accorde können auf vielerley Art gebrochen, und in geſchwinden und langſamen Figuren ausgedrucket werden. Die Brechungen eines Accordes, wobey ſowohl deſſen Haupt - als auch gewiſſe Nebenintervallen wiederholet werden (a), ſind be - ſonders angenehm, weil ſie mehr Veränderungen hervor bringen, als ein ſimples Harpeggio, wobey man blos die Stimmen ſo, wie ſie in den Händen liegen, nach und nach anſchläget. Bey allen gebrochenen Dreyklängen und Aufgaben, welche ſich auf einen Dreyklang zurück führen laſſen, kann man aus Zierlichkeit vor jedem Intervalle die groſſe (b) oder kleine Unterſecunde (c) mit berühren, ohne ſie nachher liegen zu laſſen. Dieſes nennet man: mit Acciaccaturen brechen. Bey den Läufern werden die ledigen Intervallen der Accorde ausgefüllet; mit dieſer Aus - füllung kann man eine, und mehrere Octaven, in der gehörigen Modulation herauf und hinunter gehen. Wenn bey ſolchen Läu - fern Wiederholungen vorkommen (d), und zugleich fremde Inter - vallen eingeſchaltet werden (e): ſo entſtehen hieraus angenehme Veränderungen. Die Läufer, wobey viele Progreßionen durch halbe Töne vorkommen, erfordern eine mäßige Geſchwindigkeit. Bachs Verſuch 2. Theil. U uEs338Ein und vierzigſtes Capitel. Es können zuweilen mitten in dem Laufwerk allerhand Aufgaben abwechſeln (f). Der Dreyklang mit ſeinen Verkehrungen kann einerley Läufer haben, und der Septimenaccord mit ſeinen Ver - kehrungen ebenfalls. Man vermeidet zuweilen bey den Auf - gaben, worin eine überflüßige Secunde ſtecket, die Progreſ - ſion in dieſes letztere Intervall (g); in gewiſſen Figuren kann dieſe Fortſchreitung angehen (h). Gewiſſe Nachahmungen, ſowohl in der geraden als Gegenbewegung, laſſen ſich ſehr gut in ver - ſchiedenen Stimmen anbringen (i). Die im eilften Paragraph an - angeführten chromatiſchen Accorde ſchicken ſich am beſten zu langſa - men Figuren und tiefſinnigen Erfindungen, wie wir aus dem letzten Probeſtück des erſten Theiles dieſes Verſuchs ſehen.

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339Von der freyen Fantaſie.
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U u 2§. 14.340Ein und vierzigſtes Capitel.

§. 14.

Damit meine Leſer in verbundenen Exempeln von allerhand Art einen deutlichen und nutzbaren Begriff von der Einrichtung einer freyen Fantaſie bekommen: ſo verweiſe ich ſie auf das im vorigen Paragraph angeführte Probeſtück, und auf das in der beygefügten Kupfertafel befindliche Allegro. Beyde Stücke enthalten eine freye Fantaſie; jenes iſt mit vieler Chro - matik vermiſchet, dieſes beſtehet mehrentheils aus ganz natür - lichen und gewöhnlichen Sätzen. Ich habe das Gerippe von dem letztern, in bezifferten Grundnoten, hierunter vorgeſtellet. Die Geltung der Noten iſt ſo gut, als es hat ſeyn können, ausgedruckt. Bey der Ausführung wird jeder Accord im Harpeggio zweymahl vor - getragen. Wenn bey dem zweyten mahle, in der rechten, oder in der linken Hand, eine andere Lage vorkommt, ſo iſt es angedeutet. Die Intervallen in den langſamen vollen Griffen, welche alle har - peggirt werden, haben einerley Geltung, ob man ſchon des engen Raumes wegen, zu mehrerer Deutlichkeit, weiſſe und ſchwarze Noten hat über einander ſetzen müſſen. Bey (1) ſehen wir die lange Aufhaltung der Harmonie im Haupttone bey dem Anfange und Ende. Bey (2) gehet eine Ausweichung in die Quinte vor, worinnen man eine ganze Weile bleibet, bis bey ([& ]) die Har - monie in das weiche e gehet. Die drey Noten bey (3), wor - unter ein Bogen ſtehet, erklären die Einleitung in die darauf fol - gende Wiederholung des Secundenaccordes, welchen man durch eine Verwechſelung der Harmonie wieder ergreift. Die Einleitung bey (3) geſchiehet in der Ausführung durch langſame Figuren, wobey die Grundſtimme mit Fleiß weggelaſſen worden iſt. Der Uebergang vom h mit dem Septimenaccord, zum nächſten b mit dem Secundenaccord verräth eine Ellipſin, weil eigentlich der Sextquartenaccord vom h oder c mit dem Dreyklange hätte vor - hergehen ſollen. Bey (4) ſcheinet die Harmonie in das weiche düber -341Von der freyen Fantaſie. überzugehen: Statt deſſen aber wird bey (5) mit Auslaſſung des weichen Dreyklanges d die übermäßige Quarte im Secun - denaccorde zum c genommen, als wenn man in das harte g ausweichen wolte, und ergreift dem ohngeacht die Harmonie des weichen g (6), worauf man mehrentheils durch diſſonirende Griffe wieder in die Haupttonart gehet, und die Fantaſie mit einem Orgelpuncte beſchlieſſet.

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[Druckfehler].

  • Seite 1. §. 3. Linie 2. ſtatt Bindung, lies Bindungen.
  • S. 46. in der unterſten Linie, ſtatt in dieſem einzigen, lies auch in dieſem.
  • S. 51. L. 2. muß (b) weggeſtrichen werden.
  • S. 58. Syſtem 2. muß vor der vorletzten Note h ein ſtehen.
  • S. 62. Syſtem 1. muß über der erſten Note a eine 6 ſtehen.
  • S. 62. Syſtem 3. muß über dem c eine 6 ſtehen.
  • S. 66. muß über dem Syſtem der Bogen, welcher zwiſchen dem dritten und vierten Exempel ſtehet, weg, und die zwey h des vierten Exempels müſſen durch einen Bogen gebunden werden.
  • S. 80. L. 4. von unten, muß bey None und Quarte noch hinzu geſetzt werden: Septime.
  • S. 86. Syſt. 1. muß bey der Begleitung des Exempels die erſte Octave c wegbleiben, und dafür die Terz e mit dem Einklange verdoppelt werden.
  • S. 88. L. 2. ſtatt eine Vorausnahme, lies eine[Verwechſelung] der Harmonie und eiue Vorausnahme.
  • S. 89. L. 5. von unten, muß über 4 ein Queerſtrich ſtehen.
  • S. 103. Syſt. 2. muß über dem letzten Exempel (b) ſtatt[], 2 ſtehen.
  • S. 105. Syſt. 1. muß über dem letzten Exempel (a) ſtehen.
  • S. 105. Syſt. 3, Tact 3. muß über kein Queerſtrich, ſondern ein Bogen ſtehen.
  • S. 113. §. 2. L. 2. muß am Ende das Wort Terz hinzu geſetzt werden.
  • S. 113. §. 3. L. 4. muß das erſte Wort Terz weggeſtrichen werden.
  • S. 126. Syſt. 2. muß bey dem Exempel (d) über der erſten Note eine 7 ſtehen.
  • S. 134. Syſt. 1. muß bey dem Exempel (a) das unterſte vorgezeichnete auf der zweyten Linie ſtehen.
  • S. 136. L. 1 und 2. ſtatt Quarte von der Terz, lies Terz von der Quarte.
  • S. 148. auf der unterſten Linie muß ſtatt , ſtehen.
  • S. 149. muß das dritte Exempel, ſtatt (b), (c) über dem Syſtem haben.
  • S. 151. L. 8. ſtatt bleibt ſie, lies bleibt die Secunde.
  • S. 153. L. 1. ſtatt die groſſe, lies die in die Höhe gehende groſſe.
  • S. 155. Syſt. 1. Tact 2. ſtatt $$\frac{8}{2}$$ , muß $$\frac{8}{3}$$ ſtehen.
  • S. 163. Syſt. 1. muß im zweyten Exempel die zweyte Grundnote c ein Viertheil ſeyn.
  • S. 202. L. 2. ſtatt f, muß ſtehen c.
  • S. 202. Syſt. 3. muß bey dem Exempel (b) die erſte Grundnote g ſeyn.
  • S. 207. Syſt. 3. muß im zweyten Exempel, unter der zweyten Grundnote g, ſtehen.
  • S. 237. Syſt. 4. muß das erſte f ein Viertheil, und das darauf folgende g ein Acht theil ſeyn.
  • S. 271. L. 1. ſtatt wie die, lies wenn die.
  • S. 279. Syſt. 5. muß die zweyte Note in der Oberſtimme e ſeyn.
  • S. 289. Syſt. 3. Exempel 2 muß über dem Syſtem ſtatt , ſtehen.
  • S. 319. L. 10 muß ſtatt (c), (e) ſtehen.
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About this transcription

TextVersuch über die wahre Art das Clavier zu spielen
Author Carl Philipp Emanuel Bach
Extent354 images; 51228 tokens; 4746 types; 358462 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVersuch über die wahre Art das Clavier zu spielen Zweyter Theil, in welchem die Lehre von dem Accompagnement und der freyen Fantasie abgehandelt wird Carl Philipp Emanuel Bach. . [5] Bl., 341 S., 1 Falttaf. SelbstverlagWinterBerlin1762.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 MUS IV, 4750:2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Musik; Wissenschaft; Musik; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:28:44Z
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 MUS IV, 4750:2
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