PRIMS Full-text transcription (HTML)
Spatziergänge.
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Erſter Theil.
Berlin1774. BeyChriſtian Friedrich Himburg.

Vorrede.

Von meinen früheſten Jah - ren an hab ich einen groſ - ſen Theil meiner Zeit mit Spatzie - rengehen zugebracht. Es iſt mir nicht unbekannt, daſs ich da - durch, bey meinen lieben Lands - leuten, in den unverſchuldeten Ruf eines groſsen Müſsiggängers ge - kommen bin. Freylich wohl, wenn ich nur gegangen wäre und immer gegangen wäre, um zu ge -4 hen, um die Zeit zu tödten, um die Welt anzugaffen, ſo könnt ich leicht an dem Körper meines kleinen Staats ein unnützer Aus - wuchs, ein Hünerauge z. E., oder ſonſt etwas ähnliches geſchimpft werden, und die richteriſche Schee - re verdienen. Aber meine lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen, wie konntet Jhr mich ſo lieblos verurtheilen? Jhr beſonders, Jhr ſchönen Seelen, deren es doch un - ter jedem Tauſend wohl ein Paar giebt, wie konntet Jhr Euch von dem Strome fortreiſsen laſsen, oh - ne einmal einen kleinen, villeicht, villeicht auch nicht unnützen Widerſtand zu wagen? Es iſt5 nun einmal nicht geſchehen! Mein guter Name iſt dahin, und villeicht auf immer dahin: wenn ich nicht das letzte daran ſetze, welches in dem gegenwärtigen Fal - le nichts anders, als meine Selbſt - vertheydigung ſeyn kann. Wohl - an denn, die Sache rede ſelbſt!

Mein Leben war, von der Zeit an, da ich den Händen der Kinder - muhme entronnen, auf meinen bey - den Füſsen einhertrat, ein langer, und wenn ich ihn nach ſeinem gröſ - ſeren Theile benennen ſoll, ein vergnügter Spatziergang. Das iſt die reine Wahrheit. Nun konn - tet Jhr wenigſtens doch wohl ver - muthen, daſs ich zuweilen; wo6 nicht immer, im Gehen etwas ge - dacht haben mögte: Und hättet Jhr das nur ein einziges mal ver - muthet, ſo würdet Jhr villeicht angeſtanden haben zu urtheilen, bis Jhr auf irgend einem Euch be - liebigen Wege, die Materie und Form meiner Gedanken herausge - bracht hättet. Nichts wäre leich - ter geweſen. Jhr hättet gefragt: Jch offenherzig und freymüthig geantwortet. Mir hättet Jhr den Verdruſs erſpart, den ich immer empfinde, wenn man ſchlimmer von mir denkt, als ich es verdient zu haben glaube: und Euch die Beſchämung, Euch in Eurem Richterſpruche übereilt zu haben.

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Was iſt es aber mehr? Wir ſind gute Freunde: Wir müſsen zuſammen leben. Jn kurzem ſollt Jhr mit meinen beſten Spatzier - gängen ſo bekannt ſeyn, als nöthig iſt, Euch zu überzeugen, daſs. ich ſpatzieren muſste, bisweilen um überhaupt zu denken, bisweilen nur um grade ſo und nicht anders zu denken, als ich gedacht habe.

Wie glücklich wär ich, wenn einer und der andre von Euch noch ſonſt etwas in meinen Ge - danken gewahr würde, das ihn vermuthen lieſse, ich könnte damit wohl gar die ehrliche Abſicht ha - ben ihn angenehm zu unterhal - ten! Denn, daſs ich auf einen8 ausgebreiteten, höheren Nutzen denken; hier gute Triebe ſollte aufwecken, dort ſchlimme ein - ſchläfern; böſe Gewohnheiten ausjäten, gute dafür pflanzen wollen: das dürfte unter allen Klaſſen meiner Mitbürger in den erſten Minuten unſerer Bekannt - ſchaft, villeicht Niemanden ein - fallen, als mir, dem

Verfaſſer.

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Spatziergänge.

Der erſte Spatziergang.

Jhr lieblichen Sänger dieſes einſamen Thales! ich komme mein Morgenlied mit dem eurigen zu verbinden. Jhr ſollt mich nicht vergebens aufgefodert haben. Erhebe meine Seele den gütigen Herrn der Natur, den allgemeinen Vater der Freu - de! Höre Gott meinen innigen Dank, höre das Gebet meines Herzens vor Dir!

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Durch Dich ſeh ich den Tag wieder. Du entfernteſt die Gefahren der Nacht von meiner friedlichen Hütte. Daſs ich noch ihr froher Bewohner bin, daſs kein Räu - ber mein Gut und Haabe verringerte, daſs kein feindſeliger Dolch meinen Tagen dro - hete, daſs keine Flut meine Felder verheer - te, daſs keine Flamme über mein Dach zu - ſammenſchlug, daſs ich noch die Freunde meiner Seele fröhlich begrüſse und ihren treuherzigen Gruſs wiederempfange, daſs ich ſelbſt noch lebe, noch athme, daſs ich meine Gedanken zu Dir erhebe, daſs ich in frommer Entzückung was ich empfinde Dir ſtammle: was iſt es anders, als Deine un - verdiente Liebe und Huld die keine Schran - ken kennt?

Gott! was bin ich, daſs Du mich mit Erbarmung und Langmuth trägſt; was bin ich, daſs Du mich zum Ziel Deiner Güte11 machſt? Bin ich beſſer als jene, die Dein Grimm von der Erde vertilgt, die das Schwerdt und die Flamme friſst, die das Meer begräbt, und Hunger und Peſt zu Tauſenden hinraft? Wenn ich es nicht bin; wie ich es mir denn zu ſeyn, ohne ſträfli - chen Stolz nicht einbilden kann wie ſtark, wie dringend iſt dann nicht die Anfoderung Deiner Liebe an mich: Ein ſo guter Bür - ger Deines Reichs zu werden, als ich nur immer, mit Anſtrengung meiner Kräfte, zu werden vermag?

Das ſey denn auch an dem heutigen Morgen mein erneuerter, feſter Entſchluſs, der allgemeine Brennpunkt, in welchem alle meine Handlungen zuſammenflieſsen! Hier in Deinem groſsen Tempel, dem glor - reichen Werke Deiner Hand, den Deine Gegenwart füllt; hier bey dieſem heiligen Hügel, Deinem Altare, gelob ich Dir12 Heute und immer eine unbeſtechliche Treue! Erd und Himmel mögen wider mich zeugen, wenn ich ſie muthwillig ver - letze; oder, dafern ich ſie in dem unglück - lichen Rauſche meiner Leidenſchaften ver - letzt, wenn ich nicht eile, mit Thränen ei - ner unverſtellten Reue Deine verſcherzte Liebe wiederzugewinnen! Jhr Hügel um - her, ihr ſtillen Gebüſche ſeyd Zeugen mei - ner Gelübde! So oft ich mich euch von nun an nähern werde, ſo oft wird auch das Gelübde dieſes ſeligen Tages vor mei - ne Seele treten; ſo oft wird der Richter in mir erwachen und mich anklagen, oder los - ſprechen, und nie werd ich von meinem Gange zu euch zurückkehren, ohne an Tu - gend und Freude; welches nur Eins iſt, gewonnen zu haben.

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Der zweyte Spatziergang.

Von einem Gaſtmahle des ſchwelgeri - ſchen Phanors ermüdet, ſchlich ich dem dunkeln Buchengange zu, der ſich um die alten Mauern von N** in allmähliger Beu - gung herumzieht. O, wie viel ſchöner als jemals fand ich dieſen Schauplatz der harmoniſchen Natur! Welch ein Auftritt, mit dem verglichen, dem ich nur erſt ent - flohen war! Wie ſehr verkennen ſich die Menſchen, die von den feinern Wollüſten nichts wiſsen wollen, die ihnen der gütige Schöpfer, ſo ohne alle Koſten, vorgeſetzt hat! Täglich kann ich ſie, und ohne den bittern Ekel genieſsen, der der gewiſse Gefährte eurer geſchmackloſen Ueberla - dungen iſt. Meine ganze Seele nimmt an ihnen Theil. Jch kann in ihrem Genuſse14 dem Gedanken an einen Schöpfer Raum ge - ben, der mich allgegenwärtig umgiebt, der das Jnnre meiner Seele bemerkt und auf jede geheime Abſicht meiner Handlungen acht hat. Was iſt der flüchtige Kitzel, womit je - ne gekünſtelten Gerichte die Zunge reitzen; was iſt die wollüſtige Fieberhitze, die jene köſtlichen Weine meinen Adern einflöſsen, gegen den reinen Athem der Luſt, die ich hier eintrinke; gegen die innige Wärme, die dieſe mäſsige Bewegung in gleichen Theilen durch meinen ganzen Körper verbreitet?

Phanor, du haſt nichts darum ich dich beneiden könnte! Dein rauſchendes Kon - zert betäubt mich: Jch glaube die Kory - banten zu hören. Dein Feſt iſt ein Bac - chanal und deine Tänzerinnen gleichen den Mænaden an Wildheit. Wie viel glück - licher bin ich, zärtliche Philomele, da ich deiner einſamen Klage zuhöre! Mein Herz,15 von deinen Tönen erweicht, ſchmilzt in ſüſser Wehmuth. Jezt ſchweigſt du; ich - re das ſanfte Geſchwätz eines nahen Bachs, der über entblöſte Wurzeln dahinflieſst, ich höre den liſpelnden Weſt, der ſich auf ſchlanken Zweigen wiegt. Und iſt es nicht ein ungemeiner Gewinn, ſo vieles nicht zu hören: das Getöſe der Spieltiſche nicht, wo Ausrufungen und Flüche ſich unauf - hörlich begegnen; das ungeräumte Ge - wäſch ſo vieler ſchamloſen Zungen nicht, die ohne Leben und Bewegung ſind, wenn ſie nicht der mächtige Weingott regiert?

Phanor! ich bin dein Gaſt nie wieder. Jch entſage deinen Feſten und dir; oder wenn ich ja komme, ſo iſt es um dir einen deiner Gäſte zu entführen, der ein beſsres Schick - ſal verdient, als den nichts würdigen Haufen vollzählich zu machen, der von dem Schweiſ - ſe deines rechtſchaffenen Vaters lebt.

(I. Theil.) B16

Der dritte Spatziergang.

Hier iſt alſo, Klariſſa! die geweihete Erde die meinen Yorick bedeckt? Denn das war er, ſowohl ſeiner Laune, als ſeiner angebornen Gutherzigkeit halber, nach dem Urtheile aller ſeiner Freunde. Alle nann - ten ihn ſo, alle liebten ihn ſo, da er leb - te; alle beweinten ihn ſo, da er ſtarb.

Was iſt dir meine zärtliche Begleite - rinn, was iſt dir Klariſſa? Du wendeſt dein Antlitz hinweg; du ſchweigſt; du ſeufzeſt; eine glänzende Thräne rollt über deine Wangen herab? O! ich muſs dich um dieſer Thräne willen lieben: Gewiſs! du muſst ein weiches, fühlendes Herz und eine ſchöne Seele haben, weil du um mei - nen Yorick weinen kannſt. War es nicht auch deine freundſchaftliche Hand die die -17 ſen Roſenbuſch pflanzte, und dieſen Wald von düftenden Kräutern? Was hätt ich mehr thun können, der ich ihn ganz kann - te, der ich ihn von ganzer Seele liebte, der ich von ihm ſo herzlich wiedergeliebt wur - de, daſs auch der letzte Kampf ſeines bre - chenden Herzens meinen Nahmen nicht aus ſeinem Gedächtniſse zu verdrängen ver - mochte?

Ruhe ſanft heiliger Yorick! heilig mit gröſserem Rechte, als jene vergötterte Menge die der Aberglaube in ſchimmern - den Bildern verehrt.

Wenn noch die Seelen unſrer Freunde ihren ehmaligen Wohnplatz, die Erde beſu - chen; wenn ſie da noch unſre frommen Empfindungen mit Beyfall bemerken; wenn dann noch von uns ein Stral der Freude auf ſie zurückſchlägt: welche Wolluſt muſs es deinem uns umſchwebenden Schatten nicht18 ſeyn, ein harmoniſches Paar zu deinem Gra - be reiſen zu ſehen, um da dein Andenken zu feyern, um da eine kleine Hand voll be - thränter Bluhmen dem verwachſenen Hügel zu ſchenken, der deine Gebeine bedeckt?

Ruhe ſanft, guter Yorick! unter den ländlichen Denkmählern derer, die deine Lehre und dein Beyſpiel auf eine beſsre Zu - kunft vorbereitete. Wie mancher mag hier neben dir ſchlummern, der es dir nun erſt recht dankt, daſs du ſeine Seele ſo oft von den kleinen Geſchäften der Erde auf wür - digere Gegenſtände führteſt; daſs du ſein Herz für andre empfindlicher machteſt; daſs du ihn die groſse Kunſt zu leben, und in ihr, die noch gröſsre zu ſterben lehrteſt! Wie mancher mag hier ſchlummern, den dein Beyſpiel Gleichgültigkeit gegen die - ter der Welt, Mäſsigung im Glück und im Leiden Geduld predigte; wie mancher,19 den deine wohlthätige Hand vor Mangel bewahrte, den du kleideteſt, den du mit Speiſe, mit tröſtender Rede erquickteſt!

Heil dir, rechtſchaffener Mann, in den Wohnungen des Friedens, für ſo manche edle That dadurch du die Menſchheit ehrteſt, und ein ehrwürdiges Amt auch bey denen in Anſehn brachteſt, die ſonſt eben nichts zu achten gewohnt ſind was mit der Reli - gion in näherem Zuſammenhange ſteht! Du haſt die Pflichten deines Lebens erfüllt; du haſt ſeine zweifelhaften Freuden genoſsen, in ſo weit dein immerſiecher Körper des angenehmen Eindrucks äuſserer Gegenſtän - de empfänglich war. Dein für uns zu zeitiger Tod war eine wahre Wohlthat für dich aus den Händen der himmliſchen - te, die dich dieſer beſchwerlichen Bürde früher entlaſten, und deine Seligkeit durch einen zeitigern Genuſs vergröſsern wollte.

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Dieſer Gedanke erhebe uns Klariſſa! Trockne die Thränen von deinen Wangen! Sie nützen ihm ſo wenig als unſer Lob. Dieſs ſey ſein Denkmahl in unſern Herzen, daſs wir uns ermuntern, wie er unſrer Be - ſtimmung gemäſs zu handeln! Wir wollen es verdienen ſeine Freunde geweſen zu ſeyn. Unſer Leben ſey eine redende Lobſchrift für ihn! Unſre Seele ſterbe den Tod dieſes Gerechten! Villeicht wallen dann einſt auch zwey oder drey empfindſame Seelen zu un - ſerm Hügel, um da einige Thränen fallen zu laſsen, um da Bluhmen einer frommen Entſchlieſsung zu brechen.

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Der vierte Spatziergang.

Was macht mich ſo unruhig an dieſem reizenden Tage, in dieſer Elyſiſchen Flur? Jch erwartete meine Lalage, und ich habe ſie vergebens erwartet! Konnt ich un - glücklicher ſeyn? Alle Freuden dieſes Ta - ges ſind nun für mich dahin! Jch empfinde nichts, ich denke nichts mehr; oder wenn ich etwas empfinde, ſo iſt es nagender Un - muth und böſe Laune, die ich nicht über - wältigen kann. Wild irr ich umher. Mei - ne Augen wollen dem geliebten Gegen - ſtande allenthalben begegnen. Von man - cher entfernten Erſcheinung getäuſcht, von manchem rauſchenden Zephyr betrogen, geb ich alles verloren. Nun flieh ich durch un - bepfadete Felder, durch öde Gebüſche zu - rück. Lycidas kommt auf mich zu. Sonſt begegne ich ihm ſo gerne: Jetzt wünſcht22 ich ihm ausweichen zu können, und da ich es nicht kann, ſo ſchrecke ich ihn mit einer ungewöhnlichen Kälte zurück; ich ſpiele die Rolle des Geſchäftigen; ich rede mich von ihm los; es iſt mir unmöglich bey ihm auszuhalten. Jede menſchliche Geſtalt iſt mir verhaſst; jede Rede, die kein Sil - berton von Lalagens Lippen iſt, klingt meinen Ohren abſcheulich. Die ſichtba - re Noth des Dürftigen, die mein Erbarmen mit lauter Stimme fodert, macht einen ſchwachen Eindruck auf mich. Mein Herz iſt gegen alle menſchlichen Empfindniſse, gegen jedes zärtliche Gefühl, gegen Freundſchaft und Menſchenliebe verhärtet. Ich finde mich mürriſch, ungerecht und grauſam. Und dieſs alles, warum? Um ei - ner geringen Fehlſchlagung willen, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht lächer - lich werden will. O, Schande, Schande23 für dich, kleines, verächtliches Herz! Jſt das nun die Frucht eines vieljährigen Nach - denkens über das was Recht und Unrecht iſt, über das was man lieben, haſsen, oder für gleichgültig halten ſoll? Eine einzige ſcheinbare Idee, die villeicht nur ein be - trüglicher Traum einer erhitzten Phantaſie iſt, bringt dieſe fremde Wirkung hervor. Dieſe lange, ſo ſorgfältig geknüpfte Kette moraliſcher Weisheit reiſst in einem fatalen Augenblicke ab. Schon hatte ich, das dacht ich, die heitre Höhe erreicht, wo ich die Stürme der Leidenſchaften verach - ten zu können glaubte: Und ich ſtehe nun, wie durch den Schlag eines Zauberſtabes, auf einmal, mit allen übrigen ehrlichen Bürgern der Erde, auf gleichem, ebenen Boden, allen menſchlichen Schwachheiten und Begegniſsen ausgeſezt! Und ſo klein iſt wohl niemand, als ich mir ſelbſt nach24 dieſer unerwarteten Kataſtrophe zu ſeyn dünke! So aufgeblaſen und ohnmächtig! So ſicher und hülflos! Jch weiſs was ich thun will. Wenn mir die himmliſche Güte ihre helfende Hand beut; wenn ſie mich dieſem gefährlichen Wege entzeucht; wenn ſie es hindert, daſs ich nicht ganz falle: O! dann, dann ſoll die ſchwülſtige Ueberredung mich nie wieder zu einem blinden Vertrauen auf meine Stärke verleiten. Jch kenne dieſe ſchimmernde Rüſtung: ſie bedeckt mich nicht ganz. Es ſind Lücken übrig wodurch ich verwundet werden kann. Nur dann hab ich die Höhe erreicht, die den Sterblichen zu erreichen vergönnt iſt, wenn ich that was ich konnte, und für das Uebrige mich in die Arme meines allgütigen Vaters warf, der meine kindiſche Schwachheit mit unendli - cher Erbarmung überſieht, und von ſeiner Liebe ſeine züchtigende Hand ſelbſt zu mei - ner Glückſeligkeit lenken läſst.

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Der fünfte Spatziergang.

So ſeh ich dich denn wieder, holdſeliges Eyland! zwey traurige Jahre ſind es, ſeit ich mich zum leztenmale im Schatten deiner Geſträuche verbarg. Seitdem ſtrömte die wildeſte Flut hoch über deinen grünen - cken dahin; ſeitdem ſang kein zufriedner Vo - gel aus dieſen Büſchen hervor. Aber nun kömmt ein ſegensvolleres Jahr! Deine ab - hängigen Ufer kleiden ſich ſchon mit düf - tenden Kräutern und Bluhmen. Wellenlos und unmerklich rollet der Strom vorüber, eine glatte, bewegliche Fläche, ſcheinet hier gerne zu verweilen. Wie iſt hier alles ſo ruhig, ſo feyerlich ſtille! Bin ich es nicht ſelbſt ſchon in dieſen glücklichen Augenblicken geworden? Was meine Ver - nunft, mit einem ganzen Heere von Schlüſ -26 ſen, nicht auszurichten vermochte, das kann dieſe ſanftahtmende Luft, dieſes lieb - liche Blau des alles umfaſſenden Himmels, dieſer unnachahmliche Teppich von Bluh - men und Muſcheln und farbichten Steinen, dieſes ſtillflieſsende Gewäſser mit ſeinen Jn - ſeln und büſchichten Ufern. Wo ſind ſie, alle dieſe ſtürmenden Leidenſchaften, die mein Jnnres durchtobten? Mit einem em - pörten Herzen verlieſs ich meine Woh - nung; mit einem beruhigten, lenkſamen, verſöhnten, zu einer jeden Erſetzung bereit - willigen, kehre ich dahin zurück. Mein kühleres Blut gleitet mit gleichem Laufe in ſeinen Ufern fort. Jeder Gegenſtand erſcheinet mir nun wieder in ſeiner eigent - lichen, wahren Geſtalt. Dieſs iſt die Stun - de, die glückliche Stunde eines heilſamen Bewuſstſeyns meiner ſelbſt. Was war ich? Wie weit entfernte mich dieſe auflodernde27 Fieberhitze von dem ſchmalen Wege einer weiſen Mäſsigung, auf dem man doch nur allein zu einer wahren Ruhe gelangt! Frey - lich war es nicht mein Fehler allein, daſs ich zu dieſem unwürdigen Betragen herunter - ſank; aber ich weiſs, daſs ich dazu beytrug, oder ich müſste mich im mindeſten nicht er - kennen wollen. That ich wohl alles was ich konnte, den erſten Funken den ich auffing zu löſchen, ehe er einen zweyten erregte? Wandte ich dazu wohl die halbe Behut - ſamkeit an die ich anzuwenden pflege, wenn es darauf ankömmt eine geliebte Lei - denſchaft, einer Menge ſich entgegenſtel - lender Schwierigkeiten ungeachtet, zu be - friedigen? Jch weiſs es zu gut, daſs ich es nicht taht. Jch fühle darüber den gerech - teſten Verdruſs und das angemeſsenſte Miſs - fallen an mir ſelbſt.

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Prüfe, o Gott! und erfahre mein Jnn - res. Deine Güte fand in dieſem Glanze der verjüngten Schöpfung, in dieſer an - muthsreichen lachenden Landſchaft ein glückliches Mittel, meine betrogne Seele zu einer richtigen Empfindung ihres Zu - ſtandes zurück zu bringen. Du wirſt Dein Werk nicht unvollendet laſsen. Zeige mir den Weg, den ich wandeln ſoll!

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Der ſechſte Spatziergang.

An einem Sonntage, da ich dem öffent - lichen Gottesdienſte in der Frühſtunde beygewohnt hatte, reizte mich das blühen - de Kornfeld und die gemäſsigte Luft, einen weiten Spatziergang zu unternehmen. Jch hatte eben eine Predigt gehört. Es war ganz natürlich, daſs ich mit meinen Ge - danken darauf zurückkam und gewiſs! es war eben ſo natürlich, daſs ich mich ſelbſt befragte:

Jſt denn das was man eine Predigt nennt, überhaupt wohl die rechte Art des Unterrichts für eine ſo gemiſchte Menge von Zuhörern, die ſich an Stand und - higkeiten ſo ungleich, und von ſo verſchie - dener moraliſcher Geſundheit und Krank - heit iſt? Scheint es nicht, daſs eine zu -30 ſammenhängende, lange Rede, deren Thei - le ſich auf irgend einen gemeinſchaftlichen Hauptſatz beziehen müſsen, eine mehrere Anſtrengung der Seelenkräfte erfordere, als man von dem groſsen Haufen erwarten kann?

So ſcheint es, antwortete ich mir ſelbſt; und ſo iſt es auch würklich, fuhr ich fort.

Der Erhohlungsgeſang, mit dem man die Rede zu theilen gewohnt iſt, iſt ſelten recht geſchickt dem angemerkten Mangel abzuhelfen. Der ſogenannte Eingang, der eine Vorbereitung auf das Folgende ſeyn ſoll, iſt mehrentheils ſchon eine Rede im Kleinen, die die Aufmerkſamkeit mancher Zuhörer ſchon ſo weit erſchöpft, daſs ſie nachher für ſich nicht viel mehr übrig ſe - hen, als zu ſchlafen; oder an etwas andres zu denken. Die Anatomie der Predigt ſoll31 dem Gedächtniſe des gemeinen Mannes zu Hülfe zu kommen und ſeine Aufmerkſam - keit zu unterhalten dienen. Die Abſicht iſt gut; aber ſie wird nur zum Theil er - reicht. Mehrentheils nimmt man das Ske - lett für den Körper. Man behält den Text und die darauf gebaueten Sätze, und denkt nicht einmal daran, ob es ſonſt noch worauf ankomme. Und was ſoll denn die Weiſe über einen Text zu predigen? Es mag immer nützlich ſeyn, den groſsen Haufen zu gewiſsen Zeiten mit dem wahren Sinne einer ſchweren bibliſchen Stelle be - kannt zu machen; es mag immer nothwen - dig ſeyn, manchen vorzutragenden Satz aus der Schrift zu erläutern, oder auch zu be - weiſen, wenn er nicht beſſer bewieſen werden kann. Wozu aber der Zwang, ei - nem ſchon bearbeiteten Stoffe eine paſſende Schriftſtelle vorzuſetzen, oder auch von ihr(I. Theil.) G32erſt Anlaſs zur Abhandlung herzunehmen? Der Text iſt mehrentheils nur ein Motto, und der Werth eines Mottos iſt entſchieden genug. Jſt es nun gar eine heilige Sitte über beſtimmte Evangelien und Epiſteln zu predigen, ſo weiſs man vollends nicht, wie man den Gebrauch ſo unſchicklicher Mittel zu einem der wohlthätigſten Endzwecke rechtfertigen ſoll. Wie viele ungehirnte Vorträge, wie viele Kinderſpiele des Witzes, wie viele ſinn - und geſchmackloſe Gedan - ken ſind dadurch nicht veranlaſst worden! Tauſend und aber tauſend Ladenhüter, und noch ſo viel tauſend Makulaturbände in den Buden der Gewürzkrämer ſind redende Be - weiſe davon. Nicht zu gedenken, daſs die Unwiſsenheit ſo mancher Geiſtlichen da - durch unterhalten wird, die ſich nun um den übrigen Theil der H. S. nicht ſonder - lich bekümmern, ſo muſs es doch ſelbſt33 auch einem Manne von Genie ein uner - träglicher Zwang ſeyn, ſein ganzes Leben hindurch in einem immer wiederkommen - den Kreiſe herumzugehen. Nicht minder iſt es ein ſehr nachtheiliger Umſtand, daſs man bey den vorgeſchriebenen Texten bey weiten nicht alles ſagen kann, was dem Zu - hörer zu wiſsen unumgänglich nöthig - re. Freylich hab ich Poſtillen geſehen in denen unter den gewöhnlichen Evangelien und Epiſteln die ganze Dogmatik und Mo - ral abgehandelt war. Aber wehe dem der ſie zu leſen verdammt iſt! Die Sache iſt zu ernſthaft, als daſs man ſie belachen ſollte: ſie verdient den frommen Wunſch, daſs ſich das Licht der geſunden Vernunft und des geläuterten Geſchmacks auch an ſol - chen Orten verbreiten möge, wo man noch ohne alle weitere Prüfung, mit einer Art von Aberglauben, den Gebräuchen ſeiner34 lieben Väter und Groſsväter anhängt. Vil - leicht aber hält uns der gewöhnliche Jnhalt unſrer Predigten für einige der angezeigten Mängel ſchadlos? Gemeiniglich handelt man Glaubenslehren und Lebenspflichten ab. Doch iſt das erſte gewöhnlicher als das letzte. Warum? Weil es leichter iſt. Man darf nur mit ſeinem Syſteme bekannt ſeyn und die geſtempelte Terminologie in ſeiner Gewalt haben; man darf nur eine bekannte Anzahl von Schriftſtellen gehöri - gen Ortes anzubringen wiſsen, ſo geht das Ding von ſelbſt. Kandidaten aus einer ge - wiſsen Schule ſind in dieſer Art des Vor - trags beſonders geübt. Sie gehören zu den theuren Rüſtzeugen einer übelverſtandenen Orthodoxie, die, wie man zu reden pflegt, eine Predigt aus dem Aermel ſchütten kön - nen. Mit dem Vortrage einer geſunden Moral hat es etwas mehr zu bedeuten. 35Dazu gehört Kenntniſs des menſchlichen Herzens, die freylich nicht Jedermanns Ding iſt; dazu gehört Wiſſenſchaft und Erfahrung, die freylich nicht viele Kandi - daten aus den Kollegien mit nach Hauſe bringen. Jn ihren mühſam zuſammenge - ſchriebenen Heften iſt davon ein tiefes Stillſchweigen. Und wenn denn ja hin und wieder einmal ein moraliſcher Satz vor - getragen wird, ſo iſt man der Sache ſo un - gewohnt, daſs man entweder bey ganz all - gemeinen Dingen ſtehen bleibt, Tugend überhaupt lobt, Laſter überhaupt ſtraft, oder zu einem individuellen Fehler irgend eines Mitgliedes der Gemeine heruntergeht, dabey es denn die beſte Gelegenheit giebt einer perſönlichen Widrigkeit Luft zu ma - chen. Aus dieſem Mangel von Weltkennt - niſs rühren denn auch die oftmaligen Aus - fälle auf Religionsſpötter, Naturaliſten,36 Deiſten und Ketzer her, ſelbſt an ſolchen Orten, wo man dieſe Gattungen von Men - ſchen kaum dem Namen nach kennt.

Nach einmal angenommenen Begriffen, iſt alſo die Predigt eine Rede. Und dieſe Rede iſt an den mehreſten Orten bey nahe nur die einzige Art des öffentlichen allge - meinen Unterrichts. Was entſteht daraus? Man erreicht eine jede Abſicht eher, als die eigentliche Belehrung des gröſsern Haufens, auf deſsen Erbauung das Amt der Boten Chriſti doch wohl am meiſten abzwecken ſollte. Gemeiniglich herrſcht in dieſen Re - den ein gewiſser Modeton, der ſich bald weniger, bald mehr von ihrem eigentlichen Ziele entfernt. Gott! was hat man ſeit Luthers Zeiten nicht alles ſchon für Pre - digten, oder wie mann es höchſt ungebühr - lich zu nennen pflegt, für Dein Wort ver - kauft! Jch habe groſse Sammlungen von37 Predigten geſehen, die von Griechiſchen, Hebräiſchen und Lateiniſchen Wörtern ſtrotzten; ich habe Predigten geſehen, die nach dem Leiſten einer Schul-Chrie ge - macht waren. Man hat noch in unſern Ta - gen ganze Kanzelreden, bis aufs Vater unfer und den Segen, in Verſe gebracht. Zu einer andern Zeit wurden nur die Haupt - ſätze mit Reimen verſehen; dann wurde je - de Lücke, die der Redner nicht auszufüllen wuſste, mit einem Verſe aus einem Kir - chenliede beſetzt: ein Stoſsſeufzer machte den Anfang, und ein gereimter Denkſpruch wurde dem Zuhörer mit nach Hauſe gege - ben. Dann wurden wieder einmal die elendeſten Mährchen für Wahrheit erzählt, und mit der Geſchichte des zeitigen Evan - gelii, mit der ſie einige Aehnlichkeit hat - ten, ſo gut es nur immer angehn wollte, verbunden. Dann wurde das Allegoriſiren38 Mode. Dann predigte man philoſophiſch. Nicht, daſs man die vorzutragende Wahr - heiten an die Regel der geſunden Vernunft gehalten, oder eine kluge Ordnung in den Vortrag gebracht, oder in einer verſtänd - lichen Sprache Wahrheiten der geſunden Menſchenvernunft dem Sinne eines mäſsig achtſamen Beobachters ſeiner ſelbſt vorge - legt hätte. Wie ſelten geſchahe das! Selbſt die ſchätzbaren Männer die dieſen Ton zu - weilen angegeben, die Saurins und unter uns die Moſheime, gingen nur gar zu oft über den Horizont des gemeinen Denkers hinaus. Deſto öfter definirte man aus ſei - nen Kompendien; deſto öfter kettete man lange Schluſsreihen zuſammen, und führte die ganze metaphyſiſche Terminologie in Schlachtordnung gegen den armen gähnen - den Zuhörer an, dem mehrentheils nicht viel anders zu Muthe war, als wenn ein39 Malabar die Kanzel beſtiegen und ihn in ſeiner Landesſprache angeredet hätte. End - lich gab ein veränderter Geſchmack und ei - ne umgegoſsene Sprache auch der Kanzelbe - redſamkeit eine neue Geſtalt. Es iſt wahr, es ſind Männer unter uns aufgeſtanden die mein Misfallen an dem Predigen um ein vieles gemindert haben würden; aber wie viel Unkraut iſt nicht um und neben ihnen aus einem Boden emporgewachſen! Hier tönt ein erhitzter Jüngling auf Klopſtocks epiſcher Trompete; die Bruſt voll Olym - pus donnert er aus den Wolken herab. Das iſt ein Prediger! Man verſteht ihm zwar kein Wort; aber es iſt doch alles ſo ausgeſucht, ſo ſchön, ſo wohlklingend! Unſre Damen hören ihn ſo gerne; er er - hält uns in einer ſo angenehmen Betäubung. Ein andrer ahmet in allen ſeinen Ausſchwei - fungen den klagenden Young nach. Er40 hat es einmal beſchloſsen nichts auf eine ge - meine Weiſe zu ſagen. Jeder Gedanke wird ihm ein Bild, jede Erläuterung ein Gleich - niſs, und alle Kraft des Beweiſes zieht ſich in einer entſcheidenden Antitheſe zuſammen. So raſet ein Kranker in der Fieberhitze.

nec pes, nec caput uni
redditur formœ.

Alle dieſe angeblichen Redner würden ſich nicht einen Augenblick bey ihrer Würde behaupten, wenn wir nicht in einem Zeit - raume lebten, in welchem alles was neu iſt für vortrefflich gehalten wird, wo man über den Glanz nicht bis zu dem innern Werthe und über den Wohlklang nicht bis zu dem Sinne der Rede hindurchdringt.

Unter dieſen Gedanken, die ſo unme - thodiſch, nach dem gemeinen Geſetze der Einbildungskraft auf einander folgten, war ich nach einer guten Stunde ſo ganz von41 meinem gewöhnlichen Wege abgekommen, daſs ich, in der Mitte eines ziemlich dich - ten Gebüſches, nicht eigentlich herausbrin - gen konnte, wohin ich mich wenden müſste, wenn ich wieder nach Hauſe zu - rükkehren wollte. Jn dieſen Umſtänden iſt der Anblick eines Menſchen die will - kommenſte Erſcheinung. Jch hörte den Fuſstritt eines Wandrers, und bald genug ſtand ein kleines männliches Weſen, in ei - nem grauen Ueberrocke, von einem Hunde begleitet, in der Hand einen Dornenſtock, unter dem Arme eine Bibel, mir zur Seite. Magiſter Serenus war es, der vom Filiale kommend, nach ſeinem Pfarrdorfe zurück - ging, wo er an dieſem Sonntage die zwey - te Predigt zu halten hatte.

Sind ſie es Herr Magiſter?

Das hätte ich ſie fragen ſollen, mein theuerſter Herr M*! Denn daſs ich es bin,42 den ſie hier ſehen, iſt ſo ganz was gewöhn - liches; aber ſie, ſie müſsen verirrt ſeyn, oder auf Abenteuer ausgehen, ſonſt

Allerdings verirrt, auf eine doppelte Weiſe verirrt! Jch bin froh, daſs ich ſie habe: ſie werden mich auf den rechten Weg helfen müſsen.

Mein Weg geht nach Hauſe. Beglei - ten ſie mich dahin, und wenn ihnen unſer ländlicher Gottesdienſt nicht zu verächtlich ſcheint

Herr Magiſter! ihr Wenn iſt ein wenig beleidigend. Kein Gottesdienſt, der ein einiges höchſtes Weſen zum Gegenſtande hat, iſt mir verächtlich; und wär es der Gottesdienſt des Muhamedaners. Eben dacht ich über einen Theil des chriſtlichen Gottesdienſtes, der meiner Meynung nach einer kleinen Verbeſſerung fähig wäre. Meine Gedanken führten mich dabey ſo43 weit, daſs es leicht ſeyn kann, daſs ich von dem Wege der Wahrheit ſo weit, als von dem Wege nach U*** abgekommen bin.

So laſsen ſie uns fortgehen! Denn mit dem Stillſtehn kommen wir dem Ziele um keinen Schritt näher.

Wir gehen fort, und ich theile meinem guten Begleiter, auf ſein Verlangen, alles das mit, was meine Leſer ſo eben von mir gehört haben.

Wie nun, mein lieber M*, wenn ſie die Macht ſo wie den Willen hätten; nicht wahr? ſie würden ein ganzes Heer von Pre - digern abdanken, und der Magiſter Serenus könnte immer zuſehen, wie er ſein tägliches Brod mit Holzhacken verdiente? Doch ſo böſe meynten ſie es wohl nicht? Hören ſie nur! Sie haben in manchen Stücken ſo ganz unrecht eben nicht meine eigene Er - fahrung ſpricht für ſie. Jch bin nun dreys -44 ſig Jahre im Amte und habe die Sache auf mancherley Weiſe verſucht. Das muſs ich ihnen aber geſtehen, daſs ich durch einen vertraulichen Umgang mit den Gliedern meiner Gemeine hundertmal mehr gutes, als durch alle meine Predigten und übrigen gottesdienſtlichen Vorträge geſtiftet habe. Nächſtdem hab ich auch aus meinen Ka - techiſationen, denen alle Glieder meiner Gemeine unterworfen ſind, viel nützliches entſtehen ſehen. Jch erlaube dabey, daſs man mich über ſchwierige Punkte befragen, daſs man mir ſeine Zweifel freymüthig vor - tragen darf. Doch iſt dieſe Freyheit nur auf die Glieder eingeſchränkt, die über die geſetzmäſsigen Jahre der Minderjährigkeit hinaus und zu reifern Seelenkräften gelangt ſind

Da haben ſie in der That das rechte Fleckchen getroffen! Und ſo vortreffliche45 Einrichtungen ſind nicht über die Zäune ihres Dorfs hinausgekommen? Von alle dem weiſs ich nichts, ungeachtet ich nicht über eine deutſche Meile von ihnen wohne.

Was hätt es ihnen auch helfen ſollen, wenn ſie es gewuſst hätten?

Was es mir hätte helfen ſollen? Jch würde laut davon geredet, ich würde es allenthalben als etwas vortreffliches, als et - was nachahmenswürdiges angeprieſen, ich würde hier und da Beyfall gefunden, ich würde hier und da einigen guten Samen ausgeſtreut, und villeicht jetzt ſchon die Früchte davon geärndtet

Oder die Welt von einer gewiſsen Sei - te kennen gelernt haben. Herr M*! ich habe bey einer Vakanz einmal in ihrer Kirche gepredigt. Gott weiſs es, daſs ich auf meinen Text ſtudirt hatte, und daſs ich die reine, lautre Wahrheit in einem einfäl -46 tigen Tone, obwohl mit einer etwas un - ſichern, ſchwankenden Stimme vortrug! Was geſchah? Ein Theil meiner Zuhörer warf einen verächtlichen Blick zu dem klei - nen Redner hinauf, der nur eben über das Kanzelbrett hinausragte; ein guter Theil ſchlief; das vornehme Frauenzimmer plau - derte und blickte nach den Herren auf dem vergoldeten Chore; und der gröſste Theil, der die Pflichten des Wohlſtandes eben nicht zu beachten gewohnt iſt, hatte die Kirche ſchon bey der erſten Abtheilung meiner Predigt verlaſsen. Nun, mein lie - ber M*! werden ſie doch wohl begreifen, warum der Magiſter Serenus noch nie et - was gutes geſtiftet hat, und es auch jemals, in der Meynung ihrer Mitbürger, zu ſtif - ten unfähig iſt? Doch dieſs bey Seite ge - ſetzt: ſo würd es gleichwohl unendlich ſchwer, wo nicht gar unmöglich ſeyn, in ir -47 gend einer anſehnlichen Stadtgemeine, eine Form des äuſserlichen Gottesdienſtes, die der meinigen an Gemeinnützigkeit gleich käme, einzurichten.

Ja, ja! ich ſehe hier manche Schwie - rigkeiten; aber in Abſicht des öffentlichen Vortrags müſste doch ſchlechterdings eine Aenderung getroffen, und das Predigen ab - geſchafft werden.

Abgeſchaft? Herr M*! für einen Ver - beſſerer übereilen ſie ſich zu ſehr. Man ſollte nichts gutes abſchaffen, es wäre denn daſs man etwas beſſeres dafür in die Stelle zu ſetzen wüſste. Das ſagt ſich alles unge - mein leicht und geſchwinde hin; aber bey der Ausführung ſtöſst man allenthalben an. Und daran ſollte man doch wohl denken, ehe man das Abſchaffen beſchlöſse. Es ſind ja nicht alle Prediger ſchlecht. Hin und wieder wird doch wohl einer der Zu -(I. Theil.) D48hörer einem zuſammenhängenden Vortrage zu folgen im Stande ſeyn; hin und wieder wird doch wohl einer auf einen Gedanken ſtoſsen, der eigentlich für ihn geſagt zu ſeyn ſcheint. Das können ſie unmöglich leug - nen! Freylich wenn ein feinerer Same bey windichten Wetter geſäet wird, ſo fällt bey weitem nicht alles auf den Boden, für den es beſtimmt war; aber wunderlich müſst es doch zugehn, wenn nicht hier und da ein Körnchen hängen bleiben und aufkeimen ſollte.

Jch hatte keine Zeit mehr zu antwor - ten. Wir hatten den Schlagbaum erreicht, bey welchem die Jugend des Dorfs ihren Seelſorger im Sonntagsſtaate erwartete. Geſundheit und Freude war auf allen Ge - ſichtern. Ein treuherziger Guter Morgen erſchallte von allen Lippen. Mein lieber Magiſter dankte mit einer ihm ganz eignen,49 einnehmenden Vertraulichkeit, und nahm von einem wohlgebildeten, ihm entgegen - hüpfenden Mädchen einen zierlichen Strauſs von wohlriechenden Kräutern und Wieſen - bluhmen an. Der ganze Zug folgte uns unter dem Geläute der Glocken zur Kirche. Der Kirchweg war rein gefegt und mit Laub und Bluhmen beſtreut. Vor der Kirchthüre fanden wir alle männlichen Ein - wohner des Dorfs, von dem Greiſe an bis zu dem funfzehnjährigen Knaben, in zwey Reihen geſtellt die uns mit abgenommenen Hüten und freundlicher Begrüſsung empfin - gen. Jch habe ſonſt wohl dem Einzuge fürſtlicher Perſonen zugeſehen: allein auf allen den zehntauſend Geſichtern hab ich nie ein ſo deutliches Wohlgefallen an der Perſon, die man ehren wollte geleſen. Je - des Auge ſchien mir zu ſagen: Das iſt un - ſer lieber Magiſter! Die Kirche fand ich50 ohne Schmuck; aber ſehr reinlich und hel - le; den Boden mit Bluhmen beſtreut, und die Wände mit Meyen verziert. Der Al - tar war ein Tiſch. Der Gottesdienſt nahm ſeinen Anfang mit einem Geſange, der von einer kleinen Orgel regiert wurde. Mei - ne Verwunderung war nicht geringe wie ich das Gellertſche Lied. Mein erſt Gefühl ſey Preis und Dank u. ſ. w. nach der Ba - chiſchen Melodie anſtimmen hörte. Der Geſang wurde langſam, feyerlich und mit einem Anſtande ausgeführt, davon ich noch kein Beyſpiel geſehen hatte. Gott! dacht ich in mir; ſo giebt es doch noch irgend - wo in einem unbekannten Winkel der Welt, einen kleinen verachteten Haufen, der Dir in der Einfalt ſeines Herzens dient und in Deinem Dienſte ſeine Luſt findet. Wie viel anders nahen ſich die ſtolzen Bewohner der Städte Deinem Heiligthume! Welch ein51 Geſang! Jch geſtehe, daſs es mir oft ein Ekel iſt, ihm zuzuhören; geſchweige denn ſelbſt an ihm theil zu nehmen. Der veral - teten Lieder nicht zu gedenken, die ein zweyhundertjähriger Gebrauch geheiliget hat, ſo werden oft noch dazu die Arbeiten der elendeſten Reimſchmiede mit Fleiſs zum ſingen ausgeſucht, an denen ſelten etwas erträglich iſt, es müſste denn die Melodie ſeyn. Auſserdem müſsen die vornehmen Städter in dem falſchen Wahne ſtehn, als ſchicke es ſich für ſie nicht, ihre Stimme mit der Stimme des Pöbels zu vermiſchen. Denn ſie kommen ſelten eher zur Kirche, als wann das Singen beynahe vorbey iſt, und da kann es denn nicht fehlen, daſs nicht ein anſehnlicher Theil der Gemeine, durch den Glanz ihres Aufzugs in ſeiner Andacht geſtört werden ſollte. Nach Endigung des gedachten Morgenliedes,52 kniete der gute Magiſter vor dem Altare nieder, und ſprach mit allem Affeckte einer ungeheuchelten Andacht, ein auf die Um - ſtände ſeiner Gemeine vollkommen paſſen - des Gebet aus, wodurch ich bis in dem Jn - nerſten meiner Seele gerührt wurde. Dem Gebete folgte ein Schlegelſcher Geſang. Und dann die Predigt, die aus wenigen, einzelnen, aus der Schrift hergenommenen, moraliſchen Sätzen beſtand. Sie waren aber mit vieler Ueberlegung gewählt und paſsten alle ganz genau auf die Jahrszeit, auf das gegenwärtige Gewerbe und die übrigen Verhältniſse der Gemeine. Die Sprache des Redners näherte ſich der Sprache des gemeinen Umgangs, ohne jedoch ins Nie - drige zu verfallen, und konnte ſchlechter - dings von einem jeden verſtanden werden. Beyſpiele und Gleichniſse belebten den Vor - trag. Und hier war es; wo ich die Gaben53 meines Magiſters zu bewundern die meiſte Urſach fand. Jch habe auſser ihm nur den einzigen Frankfurther Baumgarten gekannt, der ſeine Beyſpiele und Gleichniſse mit glei - cher Einſicht zuzubereiten und anzubrin - gen wuſste. Der Vortrag dauerte eine gu - te halbe Stunde, und wurde mit einem Ge - bete, und der ganze dieſsmalige Gottes - dienſt mit einem kurzen Geſange beſchloſsen.

Jch war von allem, was ich ſo unerwar - tet geſehn und gehört hatte, ſo ſehr er - bauet, daſs ich den Reſt des Tages mit meinem Magiſter zugebracht haben würde, wenn mich nicht dringende Geſchäffte nach der Stadt zurückgerufen hätten. Ein Bauer übernahm es mich auf den rechten Weg zu bringen. Der Magiſter gab mir ſeinen herzlichen Segen mit, und wünſchte mich bald wieder bey ſich zu ſehen. Nun ging ich meinen guten Schritt, und weil ich Luſt54 zu reden hatte, und weil mir mein Beglei - ter gefiel, ſo erhob ſich unter uns ein klei - nes Geſpräch folgendes Jnhalts:

Jhr ſeyd vermuthlich mit eurem Pre - diger ſehr wohl zufrieden?

Ja Herr! wir wünſchen uns keinen beſ - ſern. Es iſt als wenn mit ihm der Segen des Herrn bey uns eingekehrt wäre. Mein Vater ſeliger hat mir oft erzählt, wie un - ruhig es unter dem vorigen Herrn Paſtor zugegangen iſt. Da iſt nichts als Zank und Streit geweſen. Die Gemeine hat viele Jahre lang mit dem Hrn. Paſtor in Prozeſs gelegen, und das über ein halbes Schock Eyer und einige Würſte mehr oder weni - ger, welche wir unſerm lieben Magiſter, aus gutem Willen, doppelt zugeſtanden ha - ben. Da hat ſich kein Nachbar mit dem andern vertragen. Alle Sonntage hat es in der Schenke Prügel geſetzt. Jn einem ein -55 zigen Jahre haben ſich drey Eheleute ſchei - den laſsen, und eben ſo viel Mädchen ſind zu Huren geworden. Die meiſten Bauern ſind verarmt, ein dreymaliges Viehſterben iſt kurz auf einander gefolgt; der Hagel hat alles zu Grund und Boden geſchlagen; Feuer vom Himmel hat unſre Hütten ver - zehrt, und kurz: des Elends iſt kein Ende geweſen. Darauf iſt endlich der Hr. Paſtor plötzlich vom Schlage gerührt worden, wie er eben den Segen ſprechen wollen. Es war ein ſchlimmer Mann, (Gott hab ihn ſelig!) und man ſagte ihm nach, daſs er ſich nicht ſelten in Brandtwein betrunken hätte. Drauf ſchickte uns der König un - ſern Hrn. Magiſter. Allein die Gemeine war ganz verwildert, und es ging Jahr und Tag hin, ehe man Zutrauen zu ihm faſsen wollte. Wie man ihn aber einmal kannte, ſo gingen alle Sachen in wenigen Jahren56 ganz anders. Da wurden alle Prozeſse ver - glichen. Unſer Gerichtshalter hat nun Langeweile und unſern Advokaten haben wir gar abgedankt. Der Magiſter weiſs um alle unſre Geſchäffte; er iſt unſer Rich - ter und Advokat. Wenn uns etwas fehlt, gehn wir zu ihm. Er leiht uns Geld, wenn wir es brauchen und er es hat. Er iſt un - ſer Apotheker und Wundarzt, und für ſei - ne Arzneyen geben wir ihm einen Groſsen - dank und ſie helfen doch.

Da ſeyd ihr, in der That, die glück - lichſten Leute, die nur jemals in einem Dorfe zuſammengelebt haben!

Ja Herr! das ſind wir, und wir erken - nen es auch. Jch will die Gemeine ſehen, die ihren Seelſorger mehr lieben und ehren ſoll, als wir! Herr! für den Mann, der ſich mit uns freut, wenn wir fröhlich ſind, der uns ſeinen letzten Dreyer nicht verſagt,57 wenn wir ihn brauchen; dem keine Nacht zu kalt oder zu finſter iſt, wenn er uns ei - nen Dienſt erweiſen, wenn er dem Ster - benden Muth einſprechen, wenn er die Be - kümmerten tröſten ſoll, für den Mann, Herr! iſt uns das Beſte nicht zu gut. Wir quälen uns nur darüber, daſs wir ihm nicht Gutes genug erweiſen können. Gott mag ihn dafür belohnen! Keine Heyrath kömmt zu ſtande: er muſs ſeinen Beyfall dazu ge - ben. Meine Frau hab ich ihm zu danken, und ſo eine Frau iſt nur Eine in der Welt! Er erzieht unſre Kinder, und ſie lernen mehr als andre Bauerkinder, und wer - den doch gute Bauern! Herr! alle unſre Nachbarn freyen nach unſern Mädchen; allein unſre Mädchen ſind keine Narren Doch Herr! hier iſt die Gränze! Da ſehn ſie den groſsen Thurm von U*** vor ſich. Sie dürfen nun nur auf der Landſtraſse blei -58 ben, und es müſste wunderlich zugehn, wenn ſie anderswohin als nach U*** kom - men ſollten. Mein armes Weib wird nicht wiſsen wo ich hingerathen bin. Gott be - gleite ſie!

Einen Augenblick, Landsmann! Jch bedanke mich für eure Bemühung. Nehmt dieſe Kleinigkeit dafür an!

Ey was, Herr! Jn unſerm Dorfe neh - men wir kein Geld, wenn wir Jemand auf den rechten Weg helfen.

Mit dieſen Worten wandte er ſich ei - lends um, und überlieſs mich einem ange - nehmen Erſtaunen. Jch kam, ohne wei - tern Aufenthalt, nach Hauſe, und bemerk - te dieſen Tag in meinem Tagebuche mit dem Zeichen eines gänzlichen Wohl - gefallens.

59

Der ſiebente Spatziergang.

Jch habe gefehlt; ich habe ſehr gefehlt! Zwar hatte ich Glück oder Klugheit genug, vor den Augen meiner Bekannten eine Handlung zu verbergen, die mich in ihrer guten Meynung heruntergeſetzt, oder wohl gar zu einem gefährlichen Beyſpiele der Nachahmung unter dem ſchwächern Thei - le derſelben gemacht haben würde. Al - lein wenn auch kein Auge den Schleyer durchdrang, den ich um mich herum zu ziehen wuſste, ſo war es doch unmöglich, daſs ich mich ſelbſt nicht hätte ſehen, daſs ich mich ſelbſt nicht hätte empfinden ſol - len. Und wenn ich es ſo gar auch zu der unſeligen Geſchicklichkeit gebracht hätte, mein Herz vor einem jeden heilſamen Ge - danken zu verwahren, Sinn und Verſtand60 bis zu einer gänzlichen Fühlloſigkeit herun - terzubringen, ſo würde mich doch das Au - ge des Höchſten gefunden, und villeicht zu ſpäte einmal, ein blitzender Stral von Jhm die Dunkelheit aufgehellt haben, unter deren Schatten ich mich ſo ſicher und ſo zufrieden glaubte. Noch hab ich mich ſelbſt wiedergefunden! Auch das iſt Güte von Dir, Du Vater und Herr meines Le - bens! Du ſchufſt den Tag, in deſsen Lich - te ich einhergehe. Von Dir empfing ich dieſe beſſere Erkenntniſs meiner ſelbſt; von Dir das glückliche Vermögen und die zur gelegenſten Zeit erwachende Neigung ſie anzuwenden. Wahr iſt es: die Bahn die wir gehn iſt ſchlüpfrig, ſo ſchlüpfrig, daſs wir es mit aller Kunſt und Stärke nicht verhüten können auszugleiten, nicht ver - hüten können zu fallen. Aber es iſt auch nicht minder wahr: daſs uns unſer liebrei -16[61] cher Schöpfer nicht ſo ganz an Kräften verwahrloſet, nicht auf unſerm beſchwer - lichen Wege ſo ganz aus den Augen gelaſ - ſen hat, daſs wir uns nicht unter ſeiner hülfreichen Begünſtigung ſollten wieder er - heben, und unſern Lauf, je länger, je glücklicher, ſollten verfolgen können. Endlich krönt doch der herrlichſte Sieg al - le unſre Bemühungen! Endlich wirft doch der entkörperte Geiſt die Laſt ab, die ihn zur Erde herabzog! Alle ſeine Begierden ſind dann mäſsig und heilig und alle wer - den mit der ſüſseſten Empfindung geſät - tigt. Jch kann und darf die Stunden nicht beſchleunigen, die mich in den Genuſs dieſer unausſprechlichen Glückſeligkeit ſetzen werden: das weiſs ich. Jch bin auch bereit, unter noch gröſsern Be - ſchwerden, den Winter dieſes Lebens aus - zudauren; aber ich weiſs auch, daſs ich62 nicht zurückſehen werde, wenn mich Gott zu einem Frühlinge abruft, der kein Ende nehmen wird, und zu einer Freyheit, die allein dieſes Namens werth iſt.

63

Der achte Spatziergang.

Räche dich! ſagte der Zorn. Er hat deine Ehre gekränkt; er hat deinen guten Namen befleckt; ſeine Laſter hat er auf dich gebracht: Räche dich! Du haſt Gele - genheit ihn empfindlich zu kränken; du kannſt es leicht, du kannſt es ohne Schaden thun.

Nein! antwortete die Sanftmuth; Die - ſer Menſch, war er nicht dein Freund, ſo war er doch dein Geſellſchafter. Mit ihm haſt du ſo manches Vergnügen getheilt; ſo manche Wohlthat empfing er von dir.

Deſto ſchlimmer! Den Undankbaren wollteſt du ſo hingehen laſsen? Das würde ihn nur ärger, das würde ihn zu gröſsern Beleidigungen fähig machen. Laſs die Ge - legenheit nicht entwiſchen! ſie kömmt ſo gut nicht wieder.

(I. Theil.) E64

Mag ſie doch entwiſchen; mag ſie doch nie wiederkommen! Du kannſt ihn ärger machen, wenn du dich an ihm rächſt: das iſt möglich; allein du machſt dich ſelbſt ärger, wenn du dich rächſt: das iſt gewiſs. Wähle nun unter zweyen Uebeln das klei - nere: Vergib ihm! Es iſt doch möglich, daſs du ihn dadurch überwindeſt. Ganz gewiſs aber erhältſt du dadurch den herr - lichſten Sieg über dich ſelbſt; ganz gewiſs aber verſchaffſt du dir dadurch eine ſüſse, innre Beruhigung und die reinſte Wolluſt, deren das menſchliche Herz fähig iſt.

Das ſind Träume! Deine Ehre iſt et - was reeles. Die Welt wird ſeiner Verlä - ſterung Glauben geben, wenn du dazu ſchweigſt. Man wird dich für den Deï - ſten, für den Wollüſtling, für den Verfüh - rer der Unſchuld halten, dafür er dich in allen Geſellſchaften erklärt hat.

65

Biſt du gewiſs, daſs man es weniger thun wird, wenn du dich rächſt? Und hängt denn deine Ehre von dem Gerichte der Viſitenſtuben und von dem Urtheile der Kaffeeſchweſtern ab? Frage dein Ge - wiſsen! Spricht es dich los: was geht dich das laute Geſchrey einer ganzen läſternden Welt an? Du haſt Ehre bey Gott!

Das heiſst, der Verläumdung Thür und Thor öffnen; das heiſst, dem ſchändlich - ſten Laſter Raum geben!

Jch gebe dir die Macht aller Könige und den Verſtand aller Weiſen auf Erden. Wehre der Verleumdung, wenn du kannſt! Du wirſt es vergebens verſuchen! Der bel - lende Hund verſtummt zuletzt, wenn man ſeinen Weg ruhig fortgeht.

Jch ſehe du biſt furchtſam. Was geht es mich an? Magſt du doch für eine Memme gehalten werden! Nicht genug66 daſs du in den Ruf eines Buben gekommen biſt? Die Welt verſteht deine überſpannte Moral nicht: ſie wird dich trefflich aus - lachen.

Der iſt nicht furchtſam, der bey aller Neigung zum Böſen, bey aller Anreitzung dazu, bey aller Bequemlichkeit es ungeſtraft und mit einer Art von Anſtande zu thun, den Weg der Tugend nicht verläſst. Kann er es leiden, daſs er darüber für thöricht und feige gehalten, daſs er öffentlich ver - lacht wird, ſo hat er ſich zu einer Stärke des Geiſtes erhoben, die ihn den gerühm - teſten Helden an die Seite ſetzt.

Die Vernunft ſelbſt

Welche Vernunft? die nüchterne, die erleuchtete gewiſs nicht! ſie kann kein La - ſter gebieten. Und wenn ſie dich unge - wiſs laſsen ſollte: Denn das iſt alles was ge - ſchehn kann; ſo iſt hier das Wort Gottes,67 der alleinige Orakelſpruch, der nichts un - entſchieden gelaſsen hat, was Glückſeligkeit unter Menſchen veranlaſsen und verbreiten kann. Dieſer füllt die Linien aus, die die zweifelnde Vernunft nur mit unterbroch - nen, blaſsen Zügen gezeichnet hat. Liebe iſt im Himmel und auf Erden die Krone al - ler Tugenden, die Quelle aller Seligkeit. Gott iſt die Liebe. Aus Liebe duldet er dich; aus Liebe verzeiht er dir eine Laſt von Schulden, die dich zu Boden drückte; alte, wiederhohlte, aufgehäufte Verſchul - dungen, alle verzeiht er dir. Und du woll - teſt mit deinem Bruder zürnen, der dich, nur einmal oder zweymal, an einer klei - nen, empfindlichen Stelle berührte? Weg von dem Angeſichte des Herrn, verächtli - cher Sterblicher, hinweg! Dir, ſoll man Al - les, und du, willſt Nichts thun? Bete noch einmal: Vergib uns unſre Schuld, wie wir68 vergeben unſern Schuldigern; und zittre! Es kömmt ein Tag wo dich der Fluch tref - fen wird, den du, in einer freventlichen Ge - dankenloſigkeit, tauſend und aber tauſend - mal auf dich herabgebetet haſt. Du kannſt ihm entrinnen: Eile! Rette deine Seele! Verhöre den leiſen Ruf deines Gewiſsens, verhöre meine brüderliche Stimme nicht! Jch bin dein warnender Engel.

69

Der neunte Spatziergang.

Was bin ich? Woher bin ich? Und was wird aus mir werden? Was kann ich auf dieſe Fragen antworten, die der Nachden - kende doch immer einmal an ſich thun wird, und an deren gründlicher Beant - wortung ihm ſo viel gelegen ſeyn muſs.

Jch empfinde; ich denke: ich bin! Jch denke mit einiger Deutlichkeit, ich handle nach Vorſtellungen, deren ich mir genau bewuſst bin, ich handle nach gewiſsen all - gemeinen Regeln; ich verbinde Begriffe, ich ſchlieſse: mein Daſeyn iſt etwas mehr als das Daſeyn eines bloſsen Thiers. So unaufgelegt zum Nachdenken ich auch im - mer ſeyn mag, ſo geringe meine angebor - nen Fähigkeiten und die mit ihnen erwor - benen Kenntniſse auch nur immer ſeyn70 mögen, ſo weiſs ich doch mit groſser Zu - verläſsigkeit, daſs ich an dieſen Vorzügen, allen übrigen Thieren die ich kenne, über - legen bin.

Jch bin ein Menſch: ein künſtlicher Leib, mit einer vernünftigen Seele verei - niget. Die Gränze meiner kindiſchen Jah - re ha ich vorlängſt überſchritten; meine blühende Jugend iſt dahin; mit geübterem Verſtande, aber auch mit gewaltigern Lei - denſchaften nähere ich mich dem reifern Alter des Mannes. Und ſo eile ich die wechſelnden Auftritte des Lebens hindurch, bis, früh oder ſpät, das unvermeidliche Grab meinem Laufe ſein Ziel ſetzt. Bald hab ich Freude, bald Leid; bald ergreift mich eine plötzliche ſchmerzhafte Krank - heit, bald kehrt Geſundheit und Stärke zu - rück. Mein Leben iſt in ſteter Gefahr; mein ganzes Glück ruht auf einer wanken -71 den Kugel. Was ich zu meiner Selbſter - haltung thun kann, iſt wenig, iſt nichts. Weit weniger kann ich alſo von mir ſelbſt entſtanden ſeyn.

Woher iſt denn der Menſch, wenn er nicht ſein eigner Schöpfer ſeyn ſoll? Jſt er wie ein Schwamm aus der Erde hervorge - wachſen? Woher iſt denn die Erde die ihn hervorgetrieben hat? Oder iſt er von Ewig - keit her geweſen? Das kann ich wenig - ſtens nicht denken. Was veränderlich iſt, muſs einen Anfang gehabt haben. Der Erſte Menſch kann nicht die Wirkung ei - nes andern Menſchen geweſen ſeyn. Er iſt nicht von ſich ſelbſt, er iſt von kei - nem andern Menſchen: es muſs alſo auſser ihm noch ein Weſen vorhanden ſeyn, das ihn hervorgebracht, mit ſo vieler Weisheit gebildet, mit ſo vieler Güte beſeliget hat. Der Menſch iſt von Gott.

72

Jch empfinde; ich denke; ich handle; Das hab ich von Jhm. Dieſer Leib iſt ſein Werk, dieſe Seele kömmt mir von Ihm. Er hat das Band geknüpft das beyde verbin - det: Er erhält es. Daſs meine Kenntniſs wuchs; daſs es in meinem Verſtande täg - lich heller ward; daſs ich mich meiner kin - diſchen Vorurtheile nach und nach ſchämen lernte; daſs ich eine kleine Thorheit nach der andern verlieſs: das bin ich Jhm, und Jhm allein ſchuldig.

Und ſo geh ich denn, wenn ich es nicht ſelbſt hindre, meine Lebensjahre hin - durch, von einer Vollkommenheit, von ei - nem Guten zu dem andern fort. Und wo - zu das? Um zu ſterben? Um zu verweſen? Um nach dieſem Leben nicht mehr zu ſeyn? Oder, was eben ſo viel iſt: um es nicht zu wiſsen, daſs man iſt? Um ewig zu ſchlafen? Wehe mir, wenn das Wahrheit73 iſt! Aber was würd ich von einem Künſtler denken, der eine ſchöne Bildſäule aus dem Groben herausgearbeitet, der ganze Jahre daran gewandt hätte; und nun, bey aller ſeiner Fähigkeit ſie zu vollenden, den Ham - mer ergriffe, und ſie zu Staub zerſchlüge? Hier iſt mehr denn eine Bildſäule; hier iſt mehr denn menſchliche Kunſt! Gott liebt ſein Werk unendlich; Er will die Glückſe - ligkeit ſeiner Geſchöpfe auf das vollkom - menſte. Jch darf alles von Jhm hoffen, was ſich von Seiner Güte hoffen läſt. Jch werde nie ganz ſterben, und wenn dieſer Leib hinſinkt, ſo wird der beſſe - re Theil von mir erſt in ſein eigentliches Leben übergehen, wo ihn eine von Ewig - keit zu Ewigkeit wachſende Kenntniſs mit endloſer Freude ſättigen wird.

74

Der zehnte Spatziergang.

Jch begebe mich in eine groſse Geſell - ſchaft, die ſich hauptſächlich verſammelt hat, ihren Sinnen angenehme Empfindun - gen zu verſchaffen; in eine Geſellſchaft, die die Freuden der Tafel ſchmecken, die den ſüſsen Saft der Reben genieſsen, die Ohr und Herz an Geſang und Harmonie ergö - tzen, ſich an muntern Geſprächen beluſti - gen, durch witzige Spiele zerſtreuen und durch die ſtärkere Bewegung eines Tanzes ihr Blut in eine behägliche Wärme verſetzen will. Jch ſoll ihre Freuden theilen. Es iſt doppelte[Freude]: ſröhlich zu ſeyn mit den Fröhlichen. Und ſie iſt auch erlaubt; ſie iſt von der Tugend ſelbſt und von der menſchenfreundlichen Weisheit empfohlen; ſie iſt auf unſrer beſchwerlichen Wallfarth ein erquickender Labetrunk, der das über -75 ſtandne Leiden verſüſst und zugleich den ermüdeten Geiſt ſtärkt, ſeinen Weg bis an ſein endliches Ziel zu verfolgen. Und die - ſen ſtärkenden Nektar reicht mir mein - tiger Schöpfer. Mit Dank nehme ich ihn von ſeinen liebreichen Händen an. Ja! dieſer Tag ſey ein Tag des Wohllebens und der Freude. Wer weiſs, ob Morgen nicht ein Wetter meinen Himmel verfinſtert? Würd ich es damit entfernen, wenn ich es heute ſchon fürchten, wenn ich mit der ſchwarzen Vorſtellung davon auch heute ſchon alle Gedanken der Freude verſcheuchen wollte? Gewiſs nicht! Jch würde mir, wider die Abſicht des Himmels, einen trüben Tag mehr machen; ich würde mir thörichter Weiſe, dieſe Sonne verdun - keln, die mir heute ſo wohlthätige Stralen leuchten läſst. Alſo eröffne dich der einladenden Freude, mein Herz!

76

So wahr und ſo annehmlich inzwiſchen dieſe Lockungen ſind, ſo ſehr verdienet dabey doch die warnende Stimme der ſelbſtgelaſsenen Vernunft mein aufmerkſa - mes Gehör und meine folgſame Beach - tung.

Da die einfachſten und geſundeſten Nahrungsmittel ſchon, wenn ſie unmäſsig gebraucht werden, die Kräfte der menſch - lichen Maſchine zu ſchwächen, den Lebens - ſaft zu verderben und nach und nach die feſteſte Geſundheit ſelbſt zu zerrütten im Stande ſind: wie viel gröſsere Gefahr wird nicht von dem Genuſse dieſer zuſammen - geſetzten, gewürzreichen Speiſen, dieſer feurigen Getränke zu beſorgen ſeyn? Bin ich über mich ſelbſt ſchon ſo Herr, daſs ich mich ihrer ganz, oder doch bis zu ei - nem beſtimmten Grade enthalten kann? Kann ich, ohne mein Ohr zu verſchlieſsen,77 dem wollüſtigen Eindrucke dieſer zärtli - chen Töne widerſtehen? Jene flammen - den Blicke, die den meinigen begegnen, jene blühenden Wangen, jene Götterge - ſtalt, jene ſilberne Stimme; kann ich das alles ſehen und hören, und meine Gedan - ken und Begierden in meiner Gewalt be - halten, und nichts denken, und nichts wünſchen, als was den unveränderlichen Geſetzen der Weisheit und Tugend ent - ſpricht? Bin ich gewiſs, daſs ich mich des allgegenwärtigen Gottes zur guten Stunde erinnern, und nichts denken und thun wer - de, wodurch ich mich ſeiner heiligen Auf - ſicht unwürdig machen, und nichts reden werde, wodurch ich mich und meine ewi - ge Beſtimmung entehren könnte? Bin ich ſo geſetzt, daſs ich meinen gütigen Schö - pfer, unter allen Umſtänden, auch vor den Menſchen bekennen; daſs ich mich ſeiner78 heiligen Religion, daſs ich mich einer jeden wichtigen Wahrheit auch bey dem Hohn - gelächter der artigen Welt nicht ſchämen werde? Wird mich die Begierde witzig zu ſeyn, zu keiner Ausſchweifung hinreiſſen? Werd ich ſchlüpfrigen Reden meinen Bey - fall zu verſagen, werd ich den guten Na - men meines Mittmenſchen zu retten, werd ich für die unterdrückte Unſchuld unge - ſcheut zu reden, Herz haben? Werd ich es ohne Neid ertragen können, wenn man einem andern einen höhern Grad von Ach - tung erweiſet als mir? Oder wird mich ein finſterer Unmuth befallen, wenn man mich nicht auf das genaueſte mit dem Beyfalle beehrt, den ich zu verdienen glaube? Werd ich mich auch im Spiele nicht von jenen kleinen unwürdigen Leidenſchaften hinreiſsen laſsen, die allem geſellſchaftlichen Vergnügen ſo ganz zuwider ſind? Werd79 ich auch da noch Nachſicht, Enthaltſamkeit und Groſsmuth im Kleinen ausüben? Werd ich es verhüten können, daſs Haab - ſucht und Schadenfreude ſich nicht unver - merkt in meinen Buſen einſchleichen?

Jch zittre, wenn ich an die Gefahr geden - ke, in die ich mich ſo freywillig begeben, mit der ich ein kleines flüchtiges Vergnü - gen erkaufen will. Und doch iſt dieſs Ver - gnügen an ſich nichts unerlaubtes; es iſt vielmehr etwas gutes, eine Frucht, die für mich erſchaffen, für mich ſo lieblich anzu - ſehn und ſo ſüſs zu genieſsen gemacht iſt. Und wenn ich bedenke, daſs es doch nicht unmöglich iſt, daſs ich bey ihrem Genuſse Enthaltſamkeit ausüben, und einen geſez - ten, männlichen Charakter behaupten kann: ſo finde ich am Ende des Zieles ſo gar; wenn ich es anders erreiche, einer Art von Ehrbegierde geſchmeichelt, die in der That(I. Theil.) F80mit unter die höheren Freuden eines em - pfindſamen Herzens zu zählen iſt.

So begleite Du mich denn, o allgütiger Vater! auch auf dem bluhmichten Pfade der Verſuchung. Beſtärke Du ſelbſt mich in dem Vorſatze: mit einer warmen, gefälli - gen Theilnehmung an den Freuden meiner Mitbrüder, eine kalte, überlegte Achtſam - keit auf mich ſelbſt zu verbinden! So werd ich, Dir wohlgefällig, in den Stralen Deiner Allgegenwart wandeln; ſo wird dieſe fro - he Stunde mich zu dem Unfall vorbereiten, den Deine Weisheit mir zuzuſchicken be - ſchloſsen hat.

81

Der eilfte Spatziergang.

An einem ſchönen Sommerabend miſch - te ich mich unter die bunte Schaar der Spatziergänger, die ſich an den Ufern der Spree, in der erfriſchenden Nacht eines fin - ſtern Kaſtanienganges, für die beſchwerliche Hitze eines ſchwülen Tages zu erholen ſuch - te. Nach einem oftmaligen Auf - und Nie - dergehen ſah ich mich nach einem Ruhe - platze um. Jch fand bald genug eine un - beſetzte Bank auf der ich die bequemſte Stelle in Beſitz nahm. Kaum hatt ich mich niedergeſetzt, als ich zu meinen Füſsen ein weiſses Weſen liegen ſah, welches ich ſehr bald für ein zuſammengewickeltes Papier erkannte. Nun hab ich den unwiderſteh - lichen Trieb, nichts was Papier iſt unauf - gehoben liegen zu laſsen; es müſste denn82 mehr als wahrſcheinlich ſeyn, daſs es die letzte und gemeinſte Beſtimmung alles un - nützen Papiers erreicht hätte. Jch darf es alſo wohl nicht ſagen, daſs ich mich meiner Beute, mit einer Art von Beſorgniſs, daſs ſie mir von einem eben ſo neugierigen Spatziergänger vorweggenommen werden könnte, auf das geſchwindeſte bemächtigte. Es war ein ganzer, groſser Bogen, und, ſo viel die Dunkelheit zu bemerken erlaubte, war er auf allen Seiten beſchrieben. Eine neue Freude für mich! Jch entſagte für dieſsmal allem weitern Spatziergange und begab mich nach Hauſe. Meine gefundne Schrift war ein leſerlich geſchriebner Brief, den ich, verſchiedner Urſachen halber, meinen Leſern mitzutheilen für gut finde. Erſtlich kann er beweiſen, daſs ein nach - drücklicher, ernſter Tadel mit der mütter - lichen Zärtlichkeit wohl beſtehen könne:83 Dann iſt es ein herrlicher Text für junge Weiber, deren Männer oft zu verreiſen genöthigt ſind: Endlich und zulezt kann ihn die Schöne, die ihn für ihr Eigenthum erkennt und darüber die nöthigen Beweiſe beyzubringen im Stande iſt, ohne die Fo - derung irgend einer ſonderlichen Erkennt - lichkeit beſorgen zu dürfen, nach Belieben von mir in Empfang nehmen. Jch bin am ſicherſten bey meinem Verleger zu erfragen.

Der gefundene Brief.

Meine liebe Tochter!

Jch bin Deinetwegen in groſser Be - kümmerniſs. Eine Perſon, in deren Red - lickeit ich keinen Verdacht ſetzen kann, hat mich mit vielen unangenehmen Neuigkei - ten von Dir bekannt gemacht, die ich lie - ber nicht gehört hätte; die mir aber jezt, da ich ſie weiſs, unmöglich gleichgültig ſeyn können. Du unterhälſt einen ziem -84 lich vertrauten Umgang mit verſchiednen jungen Mannsperſonen; Du giebſt ihnen Erlaubniſs, Dich vorzüglich und am meiſten zu der Zeit zu beſuchen, da Dein Mann durch ſeine Reiſen von Dir entfernt iſt; Du unterſcheideſt keine Zeit bey dieſen Beſu - chen, und einer Deiner jungen Herren hat ſo gar das Vorrecht, Dich bis in die ſpäte Nacht allein zu unterhalten. Alle dieſe Dinge werden bemerkt, ſorgfältig bemerkt. Du ſtehſt in groſser Gefahr, ſelbſt bey rechtſchaffenen Leuten, Deinen guten Na - men zu verlieren, und in ihren Gedanken villeicht ſchon zu jenen verächtlichen Krea - turen herabgeſetzt zu werden, die die Schande unſers Geſchlechts ſind.

Meine zärtlich geliebte Tochter! Statt dieſes übeln Ruſs von Dir, wollte ich lieber gehört haben, daſs Du krank wäreſt, und ich wüſste kaum, ob mir Dein Tod viel85 empfindlicher ſeyn würde, als der völlige Verluſt Deines guten Namens unter edel - geſinnten, tugendhaften Gemüthern.

Meine liebe Tochter! Jch habe eben nicht Urſach in Deine Tugend ein Miſs - trauen zu ſetzen; ich glaube vielmehr, daſs Du von den meiſten Pflichten, die Du Dei - nem Manne ſchuldig biſt, Kenntniſs, und den feſten Vorſaz haſt, niemals davon zu weichen. Noch mehr: ich bin verſichert, daſs Dir die Untreue das ſchwärzeſte Laſter ſcheinen, und der bloſse Gedanke daran, Dir ein Abſcheu ſeyn wird. Du wirſt Dich für unüberwindlich und wider alle Arten der Verſuchung hinreichend gewappnet hal - ten. Und doch iſt Dein Zuſtand um deſto gefährlicher! Das Bewuſstſeyn unſrer Stär - ke kann Vermeſsenheit werden, und von der Vermeſsenheit bis zum Falle, iſt nur ei - ne einzige Stufe. Wer ſtehet, ſehe wohl86 zu, daſs er nicht falle! Die Lieblinge Got - tes, die Helden in der Tugend, ſind nicht auſser Gefahr, und der Heilige ſelbſt hat Urſach der Verſuchung aus dem Wege zu gehen. Nun bedenke, meine gute Toch - ter! wie viel näher Du der Gefahr biſt, und wie viel mehr Vorſicht Dir bey weit gerin - gerer Tugend obliegt. Es iſt eine ſchreck - liche Wahrheit: Wer ſich in Gefahr giebt, kömmt in Gefahr um; aber ſie iſt wahr, und wehe dem, an dem ſie wahr wird!

Werde nicht unwillig, liebes Kind! Jch bin Deine Mutter. Meine Zärtlichkeit fürchtet villeicht zu viel; aber ich bin ſo eiferſüchtig auf Deine Tugend, als Du es nur immer auf Deine Schönheit ſeyn magſt. Der geringſte Flecken würde mich beküm - mern. Du bleibſt meine innig geliebte Tochter, wenn Du Dich beſtreben wirſt, durch eine behutſamere[Aufführung] alle87 meine Beſorgniſse zu vereiteln. Kann es Dir wohl ſchwer werden mir hierin zu ge - horchen?

Jch kann Dir noch einen Grund an die Hand geben, der mir ſehr wichtig ſcheint, und der Dir wohl noch wichtiger ſcheinen ſollte. Was meynſt Du wohl, wenn es Deinem Manne irgend einmal einfallen ſoll - te Deine Freunde aus einem gewiſsen Ge - ſichtspunkte anzuſehen? Das iſt un - möglich! Nicht ſo unmöglich, meine gute Tochter! Eiferſucht iſt ein ſchleichen - des Fieber, wider welches das beſte Herz und ein ſehr geſunder Verſtand nicht genug verwahrt ſind. Jch kenne Leute, die in aller Abſicht vortreffliche Leute ſind, und die gleichwohl bey noch geringerm Anlaſse und bey einem langen Kampfe mit ſich ſelbſt, den Ausbrüchen dieſer verderblichen Leidenſchaft nicht ganz haben widerſtehen88 können. Jch glaube nicht, daſs du die ſchrecklichen Folgen alle kennſt, die ſie hervorbringen kann und nur allzuoft ſchon hervorgebracht hat, und Gott gebe, daſs Du ſie am wenigſten aus eigner Erfahrung kennen lernen mögeſt! Erſt tödtet ſie lang - ſam die Ruhe in dem Buſen desjenigen der ihr Raum giebt. Widerſteht man ihr dann in der Geburt nicht; und dieſs iſt ſchon ſchwer: ſo verbreitet ſie ſich durch die ed - leren Theile unſers Weſens. Dann ſind die wirkſamſten Heilungsmittel unkräftig, dann wühlet ein wütendes Feuer in unſern Adern; dann äuſsert ſich die Krankheit in den traurigſten ſichtbaren Wirkungen; dann wird ſie den Umſtehenden gefährlich. Dieſer Leidenſchaft iſt nichts heilig; ſie un - ſcheidet den Freund ſelbſt nicht; ſie zer - reiſst die ſtärkſten Bande der menſchlichen Geſellſchaft. Du biſt zu gut, meine Toch -89 ter! als daſs Du mir ein Unglück bereiten ſollteſt, welches den Reſt meines Lebens verbittern würde. Du biſt es mir, und biſt es noch mehr Deinem guten Manne ſchul - dig, auch die erlaubten Handlungen ſchon zu unterlaſsen, die zu einem ſo ſchädlichen Verdachte Gelegenheit geben könnten. Jch zweifle ſehr, ob Du dieſer Regel bisher ſo genau gefolgt biſt; ich denke aber, Du wirſt ſie von nun an nie wieder aus den Augen verlieren. Villeicht iſt es noch Zeit, einen zärtlichen Theil Deiner weibli - chen Ehre zu erhalten, und bey dem Na - men einer gefälligen, auch den noch mehr bedeutenden Namen einer klugen Frau zu verdienen. Es iſt um den guten Ruf eines jeden Menſchen, und beſonders eines Frauenzimmers, keine ſolche Kleinigkeit, als es Dir wohl in dem Rauſche Deiner Ver - gnügungen und bey Deinem groſsen Han -90 ge dazu ſcheinen mag. An die höchſte Ehre, die ein Menſch haben kann: Vor Gott einen Werth zu haben, gränzt die zweyte zunächſt: Jn dem Urtheile frommer und verſtändiger Leute etwas zu gelten. Wer gegen jene gleichgültig iſt, iſt ein er - klärter Böſewicht, und wer es gegen dieſe iſt, hat alle Anlage es zu werden.

Jch kann nicht wiſsen, ob Du die Pflicht hinlänglich verſtehſt, die uns alles Aergerniſs, ſo viel an uns iſt, zu verhüten gebeut. Wenigſtens ſcheint es nicht ſo. Auch iſt ſie eine der ſchwerſten und von ſehr weitem Umfange. Man handelt nicht für ſich allein, man ſteht in Verbindung, man hat auch auf andre zu ſehen. Nicht genug, daſs man ſelbſt gut iſt; man ſey es auch in Beziehung auf andre! Dieſe, noch ſo unſchuldige Handlung, iſt nur für mich und für wenige unſchuldig; andern wäre ſie91 der Weg zum Verderben. Jch verliere kein gemeines Vergnügen, wenn ich ſie unterlaſse; aber ich kann ſie unterlaſsen und ich bin es zu thun ſchuldig. So viel koſtet es, meine geliebte Tochter! ſo viel koſtet es unſträflich zu wandeln! Jch habe Dich zu ei - ner traurigen Wahl gebracht. Du wirſt Dein Auge verlieren müſsen, um Deiner Ehre, um Deiner Liebe, um Deines Gewiſsens willen, um der Pflicht willen die Du Deinen ſchwa - chen Geſpielen ſchuldig biſt. Jch will Dir damit den Umgang mit den jungen Herren von Deiner Bekanntſchaft eben nicht ganz unterſagen. Es ſollen, wie ich höre, mun - tre, unbeſcholtne, gute Leute ſeyn. Du kannſt ſie mit der Behutſamkeit ſehen, die ich Dir wiederhohlentlich empfehle; Du kannſt von ihnen lernen; Du kannſt Dir ihre Geſellſchaft nützlich und angenehm machen. Jch rathe Dir zu dem Ende, ihre92 Beſuche niemals ohne mehrere Zeugen, und am allerwenigſten zu einer Zeit des Tages anzunehmen, die dem Verdachte mehr als andre unterworfen iſt. Sind es wircklich ſo gute Leute als ich zu glauben Urſach ha - be, ſo werden ſie Dir dieſes behutſame Be - tragen als eine neue Vollkommenheit an - rechnen und dich nur deſto höher ſchätzen. Sollten ſie aber Unzufriedenheit darüber be - zeigen; ſollten ſie es Dir wohl gar für eine Schwäche des Geiſtes und für einen Mangel an Lebensart auslegen: ſo haſt Du eine un - trügliche Probe, daſs ſie nicht ſo gut waren, als Du ſie glaubteſt, daſs ihre Abſichten un - lauter und ſie Deiner fernern Freundſchaft unwürdig ſind.

Jch müſste mich ſehr irren; oder ich ſehe meine gute, meine zärtliche Tochter, mit naſsen Augen und gerührtem Herzen, den feſten Entſchluſs eines weiſeren Wan -93 dels faſsen. Thue es, meine Tochter! wenn Dir Deine treue Mutter, wenn Dir Deine zeitliche und ewige Glückſeligkeit lieb iſt.

94

Der zwölfte Spatziergang.

Mit ihrer Erlaubniſs, meine Herren! Jch werde den Umgang mit unſern Philo - kurus ununterbrochen fortſetzen. Mögen ſie doch thun was ihnen beliebt. Es iſt wahr, das Vergehen des Mannes iſt eins von den ſchwereren; es ſündigt gegen die heiligen Rechte der genaueſten und zärt - lichſten Verbindung, die unter Menſchen ſeyn kann. Da ſey Gott für, daſs ich es, ich will nicht ſagen, rechtfertigen; daſs ich es auch nur mit Einem Worte entſchuldigen, oder durch ein unzeitiges Stillſchweigen für unbedeutend erklären ſollte! So gar bin ich der Meynung, daſs es mit einer ihm an - gemeſsenen bürgerlichen Strafe belegt zu werden verdiente, wenn anders eine ſolche Strafe erfunden werden könnte. Unſre Geſetze ſagen hierüber nichts.

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Deſto ſchlimmer! Um ſo viel nöthiger iſt es, daſs alle rechtſchaffenen Gemüther ſich dahin vereinigen, einen ſo ſchändlichen Verbrecher von ihrer Schwelle zu entfer - nen, und ihm die Höflichkeitspflichten ſelbſt, bis zu einem gewiſsen Grade, zu ver - ſagen. Die geſellſchaftliche Klugheit muſs hier die Lücken ausfüllen, die die bür - gerlichen Geſetze unausgefüllt gelaſsen haben

Ganz wohl, meine Herren! Jch bin ihrer Meynung, wenn ſie auch nur mit ei - nem einzigen Beyſpiele erweiſen können, daſs eine ſolche Amputation heilſam gewe - ſen ſey. Und, von welcher Wirkung glau - ben ſie wohl, daſs ſie bey unſerm Philo - kurus ſeyn würde? Jch will es ihnen ſagen. Philokurus iſt ein Menſch, wie ſie alle wiſ - ſen, der keinen Tag ohne Geſellſchaft zu - bringen, der, wenn er nichts zu thun hat;(I. Theil.) G96und er hat beynahe gar nichts zu thun; kei - ne Stunde allein ſeyn kann. Verliert er unſern Umgang, ſo ſucht er einen andern, und, wahrſcheinlicher Weiſe, einen ſchlech - tern. Und wenn er ſich dadurch verſchlim - mert, wie es denn nicht anders ſeyn kann; meynen ſie nicht daſs ſie Mitſchuldige ſei - nes Verbrechens ſind?

Sind wir es denn weniger, wenn wir ihn nach wie vor unſrer Vertraulichkeit werth halten? Sagen wir damit nicht, daſs die Sache ſo viel nicht auf ſich habe?

Das würden wir nur ſagen, wenn wir nichts ſagten. Aber es iſt ja noch ein Drit - tes übrig. Jch bin nun einmal von der Geſellſchaft der barmherzigen Brüder. Laſ - ſen ſie mir immer meine Grille! Was mey - nen ſie zu einer liebreichen Ermahnung? Sollte unſer gutmüthiger Philokurus ſchon ſo tief herabgeſunken ſeyn, daſs ihn die97 beſsernde Stimme der Freundſchaft nicht mehr erreichen könnte? Woraus ſchlieſsen ſie ſeine gänzliche Verſtockung? Welcher Arzt fängt ſeine Kur gleich, ohne alle an - derweitigen Verſuche, bey den verzweifel - ſten Mitteln an? Oder giebt den Kranken verloren, eh er ihn noch mit einem Auge geſehen, eh er ihn noch über ſeine Krank - heit befragt hat?

Wie nun, wenn die Ermahnung ohne Wirkung bleibt?

Villeicht hilft ſie wenn ſie wiederhohlt, wenn ſie oft wiederhohlt, wenn ſie rühren - der, wenn die Ueberzeugung vollſtändiger, wenn die Bitte dringender gemacht wird. Laſsen ſie aber auch alle dieſe Verſuche ein - mal vergebens ſeyn: ſo iſt ja dieſs bey wei - tem noch nicht die einzige mögliche Kur - art. Man zeige ſich in einer ernſtlichern Geſtalt; man rede nachdrücklicher und98 feyerlicher; man nehme die ſtärkſten Mo - tiven, die die Religion an die Hand giebt zu Hülfe; man äuſsere Eifer und Unwillen ſo weit es Menſchenliebe und Klugheit er - laubt; man ſetze ſeine Verſuche lange und unermüdet fort! Der Menſch müſste ein ſehr verruchter Bube, ein ausgelernter, in Laſtern grau gewordener Böſewicht, ein Ungeheuer, ein Teufel ſeyn, wenn wir nicht etwas bey ihm ausrichten, wenn wir nicht einigen Eindruck auf ihn machen ſollten. Und damit wären ja doch ſchon einige Schritte gewonnen. Wir entziehn uns ja den groſsen Miſsethätern nicht ganz, die die Gerechtigkeit ihrer bürgerlichen Frey - heit und Ehre, und wohl gar ihres Lebens zu berauben, für nöthig erachtet. Jſt es wohl billig einem kleinern Sünder das zu verſagen, was man einem ungleich gröſsern ohne Bedenken zugeſteht?

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Sie ſind alſo der Meynung, daſs Philo - kurus unter allen Umſtänden, und auch bey der hartnäckigſten Beharrung in ſeinem La - ſter, unſer Freund bleiben, unſer volles Zu - trauen, unſre ganze Zärtlichkeit genieſsen müſse?

Das nicht, meine Herren! Wenn ich nicht alle Verbindung aufgehoben haben will, ſo will ich darum noch nicht die zärt - lichere beybehalten wiſsen. Das Unmögli - che verlang ich nicht! Es verſteht ſich ja wohl von ſelbſt, daſs ich einen Unglückli - chen an den ich meine ganze Zärtlichkeit umſonſt verſchwendet, den ich durch alle nur erdenkliche Mittel zu retten verſucht habe; wenn er ſelbſt alle meine Bemühun - gen vereitelt, wenn er die Hand nicht er - greifen will die ich ihm darbiete, wenn er ſich, ſelbſt gegen Bitten und Thränen ver - härtet: es verſteht ſich von ſelbſt; ſag ich,100 daſs ich den Mann nicht fernerhin eines un - umſchränkten Zutrauens werth halten kann. Ein herzliches Mitleiden wird alles ſeyn, was ich für ihn übrig behalten werde. Aber umgehn werd ich mit ihm in dem Grade von Zurückhaltung, den ſein Zuſtand nothwendig macht, in der abgemeſsenen Entfernung, woraus er immer erkennen kann, wie ich, bey aller meiner Nachſicht für ihn, ſein Vergehen von ganzem Herzen verabſcheue.

Aber fällt es ihnen denn gar nicht ein, was die Welt von einem ſolchen fortgeſetz - ten Umgange denken wird; die Welt, die ihr vermindertes Zutrauen, ihre angenom - mene Zurückhaltung zu bemerken, keine Gelegenheit hat? Wird man nicht mit dem gröſsten Scheine urtheilen, daſs die Den - kungsart des Philokurus auch die Jhrige ſey? Wird man wenigſtens nicht denken101 müſsen, daſs ſie Wahrheit und Tugend ver - rathen, daſs ſie eines der abſcheulichſten Laſter in Schutz genommen haben? Wer - den ſie dadurch nicht ein Aergerniſs geben, welches, bey ihrer ſonſt bekannten Recht - ſchaffenheit, von ſchlimmen Folgen ſeyn kann?

Das wollt ich, um alles in der Welt willen, nicht! Mein ganzes Betragen ſoll da - gegen reden. Wo ich weiſs und kann, will ich öffentlich ſo reden und handeln, daſs jeder meine gänzliche Abneigung gegen eine jede Art von Untreue, und beſonders gegen die ſchändlichſte von allen bemer - ken und gleichſam mit Händen greifen ſoll. Sollte ich, dem ungeachtet von meinen richtenden Mitbrüdern verkannt werden, ſo werd ich es ertragen wie ich kann, und mich mit dem Beyſpiele des beſten unter allen Menſchen tröſten, der es bey dem hei -102 ligſten Wandel, gleichwohl nicht verhüten konnte, daſs man ihn mit den Zöllnern und Sündern vermiſchte, die er vom Verder - ben zu erretten, die er zu beſſern Men - ſchen zu machen, in die Welt gekommen war.

103

Der dreyzehnte Spatziergang.

Von den Verſöhnungen vor dem Ge - nuſse des Abendmahls und auf dem Sterbe - bette, halte ich nicht mehr und nicht we - niger, als von den Modebekehrungen über - haupt. An den Früchten ſollt ihr ſie er - kennen! Der groſse Haufe iſt, leider! ſo ge - artet, daſs er den übeln Folgen der Unmäſ - ſigkeit lieber, wenn es die Noth erfodert, in der Geſchwindigkeit und auf einmal, ver - mittelſt gewiſser, ſogenannter Univerſalarz - neyen abhelfen, als ſie auf immer, durch ei - ne fortgeſetzte Enthaltſamkeit, in der Wur - zel ſelbſt vertilgen will. Jenes iſt freylich leichter und oft das Geſchäfft eines Augen - blicks. Wem iſt aber im Grunde damit geholfen? Höchſtens dem Quackſalber, der von den Vorurtheilen der betrogenen Ein - falt lebt. Der arme Kranke beſchleunigt104 dadurch nur ſeinen Untergang und ver - ſchlieſst ſich nicht ſelten alle Quellen der Hülfe auf immer. Weg mit den Lebens - pulvern und Tinkturen, die für alle Krank - heiten gut ſind! Die Natur thut nichts durch einen Sprung und die Sittenlehre thuts nichts wider die Natur. Zur Sache!

Sich überhaupt bekehren, einen beſ - ſern Wandel beſchlieſsen; ſich inſonderheit mit ſeinem Bruder verſöhnen, ihm Genug - thuung geben, wenn er ſie fodern kann, Genugthuung willfertig von ihm annehmen, wenn er ſie anbeut: wer kann das tadeln? Wie aber? wenn man dieſs alles nur zu ge - wiſsen Zeiten, bey gewiſsen feyerlichen Ge - legenheiten, oder wohl gar nur Einmal in ſeinem Leben thut; wenn es nicht der fort - dauernde Entſchluſs des Menſchen, wenn es nicht ſeine herrſchende Geſinnung iſt: wer kann es dann loben? Jſt es nicht eben105 ſo gut, als ob es gar nicht geſchehen wäre? Jſt es nicht noch ſchlimmer? Jſt es nicht ſo, als faſtete man heute, um ſich Morgen allem Uebermaaſse deſto ſicherer und mit deſto gröſserem Geſchmacke überlaſsen zu können? Oder ſcheint es nicht, als entſag - te man nur einer Begierde, deren fernere Befriedigung eine unvermeidliche Noth - wendigkeit auf immer unmöglich macht?

Verſöhnlichkeit iſt nicht die Tugend Eines Tages, und noch viel weniger Eines ſchwachen Augenblicks, den villeicht nur die Erſchlaffung unſrer Nerven, oder der langſamere Lauf unſers Blutes befördert hat. Auch muſs ſie ſchlechterdings nur aus dem einzigen reinen Quell aller Tugen - den entſtanden ſeyn, wenn ſie anders den groſsen Charakter erfüllen will, den ſie von ſich ſelbſt ankündiget. Keine Tugend iſt das, was ſie werden kann, auf einmal; ſie106 erhebt ſich nach und nach zu der Hoheit die das Geſetz fodert. Jhr Weg iſt mit Dornen beſetzt; tauſend Hinderniſse ſtehn ihr von allen Seiten entgegen. Ohne dieſe wäre ſie villeicht nur Temperament; ein bloſses, unverdientes Geſchenk aus den Hän - den der Mutter Natur. Ferner, iſt ihr Wirkungskreis unbegränzt. Er umfaſst den ganzen Bezirk unſrer geſellſchaftlichen Ver - bindungen. Kein Individuum iſt davon ausgeſchloſsen: denn ein jedes gehört zu dem Geſchlechte meiner Brüder. Jch kann nicht, Dieſem nur vergeben, und Jenen meiner Rache aufopfern wollen. Auch iſt eine jede Beleidigung, die gröſste nicht ausgenommen, ein würdiger Gegenſtand meiner Verſöhnlichkeit. Jch kann nicht, Dieſen Fehler verzeihen, und Jenen aus den andern zu einer endlichen Beahndung her - ausheben wollen. Die Gröſste der verzie -107 henen Beleidigung und des Kampſs, den die Verzeihung koſtete, beſtimmt erſt die Gröſse der Tugend von der wir reden und ſie gedeyet ſelbſt erſt durch eine oftmalige Wiederhohlung zu einer männlichen Stärke. An dieſen Stein ſtreiche man unſre Verge - hungen nach der Mode und aus Noth: und man wird bald wahrnehmen, wie weit ſie von der Farbe des reinen Goldes abweichen und mit wie vielem geringhaltigern Metalle ſie vermiſcht ſind.

So ſey denn jeder Tag meines Lebens für mich ein Tag einer willfertigen Verſöh - nung, ein allgemeines Friedensfeſt! Keine Beleidingung ſoll meine Tugend ermüden! Und ſo, bey aller meiner Vorſicht, das Feuer der Rache in meinem Buſen auflo - derte, ſo will ich keinen Augenblick an - ſtehn es bis auf den letzten Funken zu er - ſticken. Jch weiſs es aus einer ſeligen108 Erfahrung: Ein himmliſches Vergnügen be - gleitet ſchon hier einen jeden Sieg, den ich über mein Herz erkämpfe, eine jede kleine Verleugnung, der ich mich unterziehe. Und ich ſollte einen Augenblick anſtehn, mir dieſe Freude zu verſchaffen; ich ſollte ſie bis zu einer gewiſsen Periode meines Le - bens, bis zu den letzten Minuten deſſelben hinausſetzen? Nimmermehr! ſo viel an mir iſt. Die Tugend iſt mir verdächtig, die ich nur dreymal oder viermal in einem Jahre zu wiederhohlen geſonnen bin und die iſt in meinen Augen zu klein, die auf meinem Ster - bebette erſt ihren Anfang nehmen ſoll. Der Troſt begleite mich in eine beſſere Welt, daſs ich keinen beleidigte, dem ich nicht Genugthuung zu geben bemüht war, und daſs ich von keinem beleidigt wurde, dem ich nicht bald, und von ganzem Herzen vergab!

109

Der vierzehnte Spatziergang. 1758.

Nein! es iſt nicht möglich: ich bin nicht zum Verderben geſchaffen; Unglück iſt nicht mein ewiges Loos. Jch kenne Jhn, meinen Schöpfer, den Schöpfer der ſeligen Himmel, den Schöpfer der Freude, die um mich aus tauſend Gegenſtänden lacht und in tauſend Stimmen ertönt; ich kenne Jhn, den Gütigſten, die Quelle aller Er - barmungen, der ganz Liebe iſt. Wie? al - les ſollte dieſer Gott um mich her mit Glück und Segen überſtrömt haben, und ich, die Zierde aller Erdgeſchaffenen, ich, der Herr dieſes weiten Reichs, ich allein ſollte das wahre Vergnügen nicht kennen? Mich al - lein ſollte die Freude ſliehn und mich nur unter allen beglückten Geſchöpfen, mich al - lein ſollte nicht ein Stral ſeiner beſeelenden110 Güte anlächeln, ewig nicht anlächeln? Nein! ſo handelſt Du nicht, mein Schö - pfer! Deine Geſchaffenen dürfen dem Ta - ge ihrer Geburt nicht fluchen, noch Dich anklagen, daſs Du ſie, wider ihren Willen, zum Seyn aus dem Nichts hervorgerufen.

Allein; was ſag ich? Sind nicht rund um mich die Fuſsſtapfen des Elends und der Verheerung? Fühl ich nicht ſelbſt das Unglück in tauſend ſchweren Schlägen? Seufzen nicht meine Mitgeſchöpfe rund um mich? Hör ich nicht ihre Klagen, ſeh ich nicht ihre Thränen, theil ich nicht mit ih - nen die Laſt ihres Schickſals? Triefen nicht die Fluren von Blut? vom Blute mei - ner Brüder, vom Blute der erſchlagnen Un - ſchuld? Dampfen nicht weite Provinzen vom Donner des Krieges entzündet? Und werden nicht bald Aſchenhügel und rauchende Trümmer da ſeyn, wo ſonſt111 ruhige Landſitze, wo ſonſt glückliche Städ - te ſtanden?

Jch verliere mich in einer traurigen Ausſicht; alles iſt finſter um mich. Leuch - te du meinem irrenden Geiſte wieder, himmliſche Weisheit, die du dein Licht noch nie dem Flehn eines gleitenden Sterb - lichen verſagt haſt!

Jch bin wieder an der Stelle, von wel - cher ich ausgieng. Dieſe Welt ſey immer der Schauplatz des Unglücks, der Schau - platz blutiger Scenen; die ſterbliche Natur ſey immer einer dauernden Glückſeligkeit unempfänglich! Jſt nichr ein Etwas in mir, ein Etwas das mich über mich ſelbſt erhöht? Jſt’s nicht das innige Gefühl, der ſtolze Ge - danke: Jch bin für etwas mehr, als für die Urnen erſchaffen; iſt ders nicht? Jſts nicht die heiſse Begierde, der unerſättliche Durſt nach Vollkommenheit, der mich unüber -(I. Theil.) H112windlich gewiſs macht, mich erwarte ein Glück von ewiger Dauer, von einem Um - fange für den ich das Maaſs vermiſse und den ich villeicht erſt künftig zu überſehen fähig ſeyn werde? Dieſer Gedanke beru - higt mich. Er thut der Güte ein Genüge die jede denkende Seele an dem Urheber der Welten preiſt, die ſich durch alle We - ſen herab, bis auf die unterſten Stufen der Schöpfung ergieſst.

Ja, gewiſs! ich werde ewig leben; ich werde ewig glücklich leben; ich werde die - ſe irrdiſche Schale abwerfen; mein Geiſt wird frey in das Land der Seligkeit über - gehen. Jch glaube dieſe Verwandlung ſo feſt, daſs ich ſie nicht zu fürchten vermag. Jch kann mich nicht irren! Und geſetzt ich irrte: ſo lieb ich doch dieſen ſchmeicheln - den Jrrthum ſo ſehr, daſs ich ihn um alle Güter der Erde nicht weggeben möchte. 113Und was wär ich ſonder ihn, dieſen ſüſsen, dieſen beruhigenden Gedanken? Was wäre mein Leben anders, als die mitternächtliche Reiſe eines Wandrers in einem unwegſamen Gebirge? Jhm drohen tauſend Tode; hier ein reiſsender Waldſtrom, dort die krachen - de Eiche, die der Winterſturm ſpaltete; hier ein abhängiger Fels und dort eine Mör - dergrube. Er wird der Gefahr nicht ent - gehen, er wird einer Höhe durch einen Fehltritt entſtürzen und von ſpitzen Felſen durchbohrt werden. Aber er iſt es, der göttliche Gedanke, der dieſe Finſterniſse zerſtreut und ein angenehmes Licht über meine Tage verbreitet. Er iſt es, der der tobenden Woge gebietet in ihr Bette zu - rükzukehren, der den Stürmen winkt, zu ſchweigen und den Blitzen, zu verſchwin - den. Nun flieht die Nacht; die Donner rollen nur noch von ferne; die Wellen brül -114 len nicht mehr und gelindere Lüfte ſcher - zen auf der beruhigten Fläche. Bald werd ich den Hafen erreichen. Schon haucht mir ein glückſeliges Ufer entgegen. Da werd ich die Ruhe finden; da werd ich zürnende Meere den ſichern Strand be - ſchäumen ſehen.

Es iſt eine künftige Glückſeligkeit! Dieſe Hoffnung verſüſst alle Bitterkeit mei - nes Schickſals. Mit ihr ſeh ich alle Ge - genſtände aus einem andern Geſichtspunk - te an; von ihr empfangen alle Scenen des Lebens eine veränderte Geſtalt.

Das Glück wirft mir Reichthümer zu. Dieſe Güter werd ich nicht verſchmähen, ich werde ſie brauchen, ich werde ſie werth halten; aber ich werde ſie nur als geliehen betrachten. Das Glück verlangt ſie zurück. Gleichgültig geb ich ſie wieder, gewiſs, daſs mir beſſre Güter zurückbleiben, die115 kein Zufall mir entreiſsen, die die Zeit nicht verderben, die die Ewigkeit ſelbſt noch bis ins Unendliche vergröſsern wird.

Jch beſtrebe mich wohlthätig zu ſeyn. Man belohnt mich mit Undank; für meine Güte verfolgt man mich. Jch handle nach Grundſätzen der beſten Religion; ich ſuche Wahrheit und Tugend auszubreiten. Man verkennt mich, man beſchuldigt mich nie - driger Abſichten. Darüber werd ich nicht muthlos. Jch verfolge meinen Weg. Erſt am Ende der Laufbahn erwart ich die Krone.

Mein Freund ſtirbt. Jch verliere ihn; aber ich weiſs, daſs ich ihn nur auf wenige Tage verliere. Dieſem kurzen Verluſte weih ich meine Thränen; aber ich zürne nicht mit dem Himmel; ich ſtöre die Ru - he meines Geliebten durch ungeſtüme Kla - gen nicht. Ruhe ſanft, geweihte Aſche! 116Bald werd ich ihn wiederſehen, meinen verklärten Freund, in beſſern Welten die der Tod nicht erreicht.

Jch ſterbe. Meine Segel entgehen dem Sturme. Empfang mich giücklicher Hafen! Empfangt mich, ihr Freunde, die ihr mich mit offnen Armen erwartet!

117

Der funfzehnte Spatziergang.

Jch kann es nicht zugeben, meine Freun - de! daſs man der Gutherzigkeit, auf Un - koſten anderer Tugenden, das Wort rede. Alle ſtehn, meines Erachtens, in einer ſo genauen Verbindung unter einander, daſs es unmöglich iſt, daſs eine die andre aufhe - ben ſollte. Sie machen zuſammen nur Ein Ganzes aus, und man kann in der That ſa - gen, daſs es nur Eine Tugend gebe. Jch weiſs es, man thut ſich ſeit einer gewiſsen Zeit nicht wenig darauf zu gute, gutherzig zu ſeyn, oder es vielmehr nur mit einem vermeynten Anſtande zu ſcheinen. Recht - ſchaffner Yorick! dein iſt die Schuld nicht; ſondern deiner tändelnden Nachahmer, die uns in Kurzem villeicht eine der männlich - ſten Tugenden in ein elendes Kinderſpiel118 verwandeln werden. Nicht viel fehlt dar - an, ſo werden unſre feurigen Jünglinge als Don Quixote der Gutherzigkeit, auf ſchöne Abenteuer mit Mönchen und Nonnen, und Kammermädchen und Bettlern ausgehn, und man wird im heiligen Römiſchen Reiche von wohlthätigen Kreuzzügen - ren und von Begebenheiten, die ihrem in - nern Gehalte nach dem Märchen von der Windmühle vollkommen ähnlich ſeyn wer - den. Jn der That, meine Herren! wenn ſie ſolche reiſende Gutherzige für wahre Gutherzige anſehn wollen, ſo beweiſ ich ihnen, daſs der Ritter von der traurigen Geſtalt unter allen Helden der erſte, und ſein vortrefflicher Stallmeiſter ein ſo feiner Kopf war, als jemals einer in dem goldnen Zeit - alter des Witzes geweſen ſeyn mag. Und warum läſst man denn eben den Gutherzi - gen Reiſen? Wo iſt eine Stadt, oder ein119 Haus ſo leer an vernünftigen und unver - nünftigen Bewohnern, daſs man nicht täg - liche Gelegenheit haben ſollte ſeine wohl - wollenden Neigungen in Handlung zu ſe - tzen. Es iſt überhaupt romantiſch, nur Ei - ne Tugend und nur Dieſe in aller mögli - chen Gröſse zeigen zu wollen. Das nenn ich moraliſche Seiltänzerey, die freylich ei - nen ſtaunenden Pöbel um ſich herum ver - ſammlen kann; der aber der geſetzte Mann im Vorbeygehn kaum einen Seitenblick gönnen wird. Die Vorſehung hat uns ein - mal unſern beſtimmten Wirkungskreis an - gewieſen. Wir haben alle Hände voll zu thun, wenn wir einen Theil unſrer Beſtim - mung nur einigermaſsen erfüllen wollen. Auch die kleinſte Oekonomie will mit ei - ner Menge von Tugenden in Ordnung er - halten ſeyn. Und nur ſelten werden wir in eine ſo gefahrvolle Lage hineingerathen,120 aus der wir uns mit Hülfe einer einzigen, auf das höchſte getriebenen Kraft heraus - helfen müſsten.

Doch wir wollten ja nur von der Gut - herzigkeit reden. Sie iſt eine Tugend; aber ſie iſt es nicht immer und ſie iſt es als - dann am wenigſten wenn ſie auch nur ei - ner einzigen wahren Verbindlichkeit entge - gen ſteht.

Mein thätiges Verlangen den Wohlſtand meiner Nebengeſchöpfe zu vergröſsern, iſt Gutherzigkeit. Dadurch unterſcheidet ſie ſich von einem jeden unwirkſamen Wohl - wollen, von einer jeden aufwallenden, weichherzigen Regung und von dem Af - feckte des Mitleidens, der ſich auf Unglück - liche allein nur beziehen kann. Das gute Herz äuſsert ſich gegen Feinde und Freun - de, gegen Glückliche und Unglückliche, gegen Hohe und Niedrige. Aus einem121 Grunde ſpeiſe ich den Hungrigen, kleide den Nackenden, warte den Verwundeten der unter die Mörder gefallen war, rette den angefochtnen guten Namen meines Be - leidigers, erhöhe die Freuden des Glückli - chen, erleichtre dem Sklaven die Kette und dem Kranken Bekümmerten ſeine Schmer - zen; aus Einem Grunde erbarm ich mich einer jeden leidenden Kreatur und des - ſewichts ſelbſt, der nun doch einmal un - glücklich und mein Bruder iſt. Jede menſchliche Bruſt enthält den Keim dieſes wohlthätigen Hanges. Er iſt, wenn ich mich dieſer Sprache bedienen darf; der edle Ueberreſt des göttlichen Ebenbildes in uns, der nicht verloren gegangen iſt. Wir wür - den ihn ſogar nicht durch eine fortgeſetzte Reihe menſchenfeindlicher Handlungen auf immer erſticken können: warum wollen wir nicht lieber die angelegentlichſte Sorg -122 falt auf ſeine Wartung verwenden, die uns eine untrügliche, reiche Aerndte der ſüſse - ſten Früchte verſpricht? Nicht zu geden - ken, daſs die höchſte belohnende Gerech - tigkeit, unſer kleinſtes Wohlwollen, das un - vollkommenere fruchtloſe ſelbſt, wenn kein beſſeres möglich war, wo nicht in dieſer, doch gewiſs in einer künftigen Welt, ver - hältniſsmäſsig belohnen wird; ſo wird doch auch hier ſchon eine jede Handlung dieſer Art von einer angenehmen innern Empfin - dung begleitet. Das Bewuſstſeyn einer ed - len That iſt auch lange nachher noch eine Quelle des Vergnügens, und die Ausbrüche der Dankbarkeit, die wir an manchen, durch unſre Güte gerührten Gemüthern be - merken, müſsen nothwendig auch das ihri - ge zu unſrer Zufriedenheit beytragen. Nur lege man dieſen angenehmen Gefühlen, nicht ohne genaue Prüfung, einen allzu ho -123 hen Werth bey; nur glaube man nicht, daſs ſie die nothwendige Beylage einer jeden gutherzigen That ſind; nur leugne man dem nicht das gute Herz ganz ab, der ſich bey den Aeuſserungen deſſelben nur ſelten ei - nes lebhaften Vergnügens bewuſst gewor - den iſt! Das bloſse Temperament iſt weder Tugend, noch Laſter; ob es gleich zu einer und der andern Tugend, zu einem und dem andern Laſter geneigter machen kann. Sollt ich darum beſſer ſeyn als ein anderer, weil ich von Natur leichter mit andern ſympa - thiſire; weil ich meines eignen Vergnügens wegen nicht umhin kann, mich mit dem Glücklichen zu freuen; weil mir die Lei - den des Unglücklichen beſchwerlich ſind und ich es um mein ſelbſt willen nicht laſ - ſen kann, dieſe Beſchwerde von mir zu ent - fernen? So wäre der feinere Epikureïſmus die beſte Philoſophie und der vernünftigſte124 Wollüſtling der einzige Weiſe! Wehe dann dem unabläſsigen ſtrengen Bearbeiter ſeiner ſelbſt, der mit einer minder empfindlichen Seele geboren, erſt eine Menge Hinderniſse in ſich ſelbſt überwinden muſs, eh er ſich beſtimmen kann ſein Herz ſeinem dürftigen Bruder zu entſchlieſsen; dem jede gröſsere geſellſchaftliche Tugend erſt einen be - ſchwerlichen Kampf koſtet! Aber Gott und die ſehende Vernunft würdigen die Tugend nach einer vollkommnern Regel. Der wahre Gutherziege iſt es nicht in dieſem und jenem Falle; ſondern unter allen Umſtän - den: nicht aus einem unbeſtändigen ſinn - lichen Triebe; ſondern aus deutlicher Ue - berzeugung ſeiner Vernunft: nicht aus Af - feckt; ſondern oft ſeiner herrſchenden Lei - denſchaft entgegen: nicht mit Widerſpruch irgend einer andern Tugend; ſondern in der genauſten Harmonie mit allen.

125

Der wahre Gutherzige, der es mit Weis - heit und in der erforderlichen Unterord - nung ſeiner andern Obliegenheiten iſt, ver - giſst ſich alſo ſelbſt nicht. Er iſt ſich ſeine eigne Erhaltung für heute und Morgen ſchuldig. Mein Leben iſt unter allen meinen Glücksgütern das gröſste. Es iſt die Bedingung, vermöge welcher ich die andern allein nur beſitzen kann. Wer kann es mir verdenken, wenn ich anſtehe, es ohne vorhergegangne groſse Ueberlegung zum Beſten eines andern in Gefahr zu ſe - tzen? Die Gutherzigkeit kann es nicht wol - len; oder Gutherzigkeit und Unbeſonnen - heit müſsten Eins ſeyn. Nur in wenigen Fällen bin ich ihm mein Leben ſchuldig; dieſe wenigen Fälle aber erfordern den Zu - ſammenfluſs weit höherer Tugenden, als die Gutherzigkeit ſelbſt iſt. Viel öfter wird dieſe mich verbinden können, meine126 Geſundheit einiger Gefahr zu unterwerfen, einen Theil meines Lebens zum Wohlſeyn des andern zu verbrauchen, einige meiner Bedürfniſse für ihn hinzugeben. Daran iſt kein Zweifel. Aber nichts wichtiges muſs ohne Ueberlegung geſchehen; keine groſse Verleugnung, ohne genaue Abwä - gung des aufzuopfernden Guts. Auch dem Chriſten ſteht es wohl an das Seine zu Ra - the zu halten. Es würde lächerliche Ver - ſchwendung, es würde Thorheit ſeyn, wenn man ſich ſeines Vermögens berauben woll - te, um hier und da villeicht einen nichts - würdigen Müſsiggänger zu ernähren, dem es ſo freylich beſſer gefällt, als wenn er ſein tägliches Brod mit Arbeit erwerben ſollte.

Der wahre Gutherzige kann nur den Wohlſtand des andern zum Zweck haben. Sollte er alſo mit Wahrſcheinlichkeit wiſsen127 können: ſeine Wohlthaten würden den Zu - ſtand des andern verſchlimmern, ſo iſt es ihm einleuchtend, daſs er hierin ſeinem guten Willen Schranken ſetzen muſs, wenn er nicht auf das mindeſte ſelbſt Gefahr laufen will, in eine ſich und andern verderbliche Thorheit zu verfallen. Die Ausflucht: Jch thue Gutes: was geht es mich an, wie es angewandt wird? Meine Abſicht iſt doch, dem andern zu helfen. Jſt es meine Schuld, wenn ich ſie nicht erreiche? Jch gab doch einem der meiner Unterſtützung bedurfte; war er es übrigens würdig oder nicht würdig, daſs ich ihm gab: das wuſst ich nicht und durft es nicht wiſsen, kann nur da gelten, wo es entweder nur auf eine Kleinigkeit ankömmt, oder drin - gende Umſtände, wenn anders überhaupt Hülfe geleiſtet werden ſoll; eine ſchleuni - ge Hülfe erfodern.

(1. Theil) I128

Endlich iſt der wahre Gutherzige noth - wendig auch gerecht. Seine Wohlthaten können keinen Dritten beleidigen. Jn der That, es muſs ſo ſeyn, meine Herren! wenn anders die ſehende Vernunft eine ſichrere Führerinn als die blinde Leidenſchaft iſt. Wie nennen ſie den ſanguiniſchen Richter, der jetzt noch auf der Seite des Rechts ſteht; bald aber durch das Geſchrey des Schuldigen, durch ſeine falſchen Thränen erweicht, der Unſchuld Sache verräth, den liſtigen Böſewicht losſpricht und den armen Unterdrückten verdammt, deſſen jammern - de Stimme nicht bis zu ſeinen Ohren er - ſchallte? Gutherzig gewiſs nicht; oder ſie müſsen ſeinen Kollegen einen Wirth nen - nen, weil er ſeinen Spruch für das höchſte Gebot feil hat. Was denken ſie von einem Patrone, der den Stümper befödert, weil er ſein Mitleiden zu erregen weiſs und den129 verdienten Mann übergeht, der ſich zu kei - ner niederträchtigen Betteley herablaſsen kann? Sie denken, daſs er ſchwaches Ko - pfes und ich denke, daſs er auch ſchwaches Herzens iſt. Nicht Gutherzigkeit, nicht wahres Mitleiden; Leichtſinn iſt es, Unge - rechtigkeit gegen andre, einem erkannten Böſewichte durch ein falſches Zeugniſs ſei - nes Wohlverhaltens öffentlichen Kredit zu geben. Der Vorwand, daſs man ihn bey Ehren erhalten wolle, iſt durchaus nichtig. Auch die Bedürfniſse meiner Angehörigen werden oft meine Wohlthaten gegen andre, die mit mir in entfernterer Verbindung ſte - hen, einſchränken müſsen. Die Natur ſelbſt ſpricht für jene. Wie könnt ich ſie ver - geſsen? Sollt ich meinen Kindern das Brod nehmen, und es einem andern geben, weil er auf zwey Beinen einhergeht wie ſie? Das ſey ferne! Weg mit den frommen,130 oder daſs ich recht ſage, gottloſen Geſchen - ken und Vermächtniſsen an bevollmächtigte Müſsiggänger, Heidenbekehrer und todte Steinklumpen, wenn ſie ein Raub ſind, den ich tod oder lebendig an den ſeufzenden Meinigen begehe!

Doch was unterfang ich mich ſie zu unterweiſen, meine Herren? Sie ſind wohl nicht um eine Predigt zu hören, mit mir ausgegangen? Ein Wort giebt das andre, und ich habe nun ſchon den ſchon den Fehler, daſs ich mich ganz ausreden muſs, wenn ich ein - mal zu reden angefangen habe.

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Der ſechszehnte Spatziergang.

Glücklicher Tag, an dem ich zum erſten - male wieder einen überlegenden Blick auf mich ſelbſt warf! Glücklicher Tag, an dem ich aus dem langen Taumel erwachte, in welchen mich die Sünde geſtürzt hatte! Wie konnt ich mich ſo vergeſsen? Wie konnt ich die Tiefe nicht bemerken, an deren Rande ich ſpielend einherging, die ich jetzt nicht hinabſehn kann, ohne Schauer und Schwindel zu empfinden? Wie? wenn mich ein Sturm ergriffen; wie? wenn mich der ſinkende Boden mit ſich hinunterge - rollt hätte? Dann wär ich jetzt ſchon in den dunkeln Wohnungen des Todes, aus welchen keiner zurückkehrt; dann hätt ich villeicht ſchon die Stimme des Richters für immer nnd ewig vernommen. Aber nein!132 ich bin mir noch einmal wiedergegeben; ich darf noch mein Auge voll Thränen ei - nes heiligen Entzückens zu meinem Wohl - thäter empor heben. Wann andre ſich in dem leuchtenden Blitze ſeines ſie ergreifen - den Zornes erkannten, ſo erhob ſich für mich eine wohlthätige Sonne, ſo ward ich von den milden Stralen eines glücklichen Tages gerührt.

Was bin ich, o Gott! daſs Du meiner ſo liebreich gedenkeſt? Was bin ich, daſs Du mich aus dem Haufen der Sünder ſo deutlich herausnimmſt? Erwarteſt Du eine vollkommnere Heiligkeit, erwarteſt Du gröſsere Tugenden von mir: o, ſo erhebe meine geiſtigen Kräfte, daſs ich Deine Er - wartungen erfülle! Von heute an müſse mein beſseres Leben, meine eigentliche Se - ligkeit beginnen! Dieſer herausgewagte Wunſch, dieſer erſt entſtehende Entſchluſs133 ſelbſt macht mich ſchon ruhiger. Nicht, daſs ich ihm allein vertrauen; nicht, daſs ich dabey ſtille ſtehen; nicht, daſs ich die - ſe jungen Regungen, bey aller ihrer Leb - haftigkeit, auch ſchon für Tugend halten ſollte. Eine ſo groſse Veränderung wird nicht mit einmal gewirkt. Man ſteigt nicht von der Erde zum Himmel, man habe denn zuvor den Raum zwiſchen beyden durch - ſchnitten. Die moraliſche Vollkommenheit erhebt ſich von Stufe zu Stufe. Es iſt ewig unmöglich die letzte zu erreichen: ſie ver - liert ſich ins Unendliche. Wäre dieſs nicht, ſo möchte man dem Schöpfer vorwerfen, daſs er unſre Seligkeit nicht gewollt, daſs er uns, aus unbegreiflichen Urſachen, nicht auf einmal das habe werden laſsen, was wir werden konnten. Wozu dieſe beſchwerli - che Beſserung an uns ſelbſt? Wozu dieſes mühſame Aufſtehn aus dem Staube, wenn134 er uns in einem Momente aufrichten. und wozu dieſs Aufrichten, wenn er uns gut er - ſchaffen, wenn er für immer verhüten konnte, daſs wir nicht fielen? Das konnte er nicht; oder er muſste die Erde mit Ma - ſchinen bevölkern, die, von ſeinen Händen gelenkt, nur dieſe und jene Wirkung, zu dieſer und der Zeit, und keine von allen aus eigenthümlicher Kraft hervorbrächten. Man iſt nicht recht glücklich, ohne vollkommen frey zu ſeyn. Und wenn es Weſen giebt, die über alle unſre Begriffe ſelig ſind, ſo ſind ſie ſchlechterdings auch auf eine ſo vor - zügliche Weiſe frey, als ſie es nur immer ſeyn können.

Dieſs feſtgeſetzt; bleibt es doch eben ſo gewiſs, daſs unſer moraliſches Wohlſeyn groſsentheils mit von den beſondern Ver - hältniſsen abhange, darin es der höchſten Weisheit und Güte uns gerathen zu laſsen135 gefallen hat. Sie veranſtaltet dieſe Bege - benheiten und zu der Zeit, da ſie grade den und keinen andern Eindruck auf uns machen müſsen. Sie verbindet mit unſern guten Handlungen die guten Folgen, die wir davon erwarteten, und oft nicht einmal er - warteten. Das ſtärkt uns im Guten. Und aus unſern böſen Thaten läſst ſie Uebel ent - ſtehen, die uns an empfindlichen Stellen verletzen. Das verleidet uns den Weg der Laſter, das bringt uns zur Tugend zurück. Wir ſind doch nur Kinder. Wie viel öf - ter würden wir fallen, wenn uns nicht das Auge des zärtlichſten Vaters beobachtete! Oft, wenn er uns ſeine Hand nicht reichte, würden wir aufzuſtehn, aus Unvermögen, wo nicht aus träger Muthloſigkeit unterlaſ - ſen. Oft würden wir in dem ſüſsen Gifte der Lüſte den Tod eintrinken, wenn er uns nicht auf eine, von ihm ſelbſt veranſtal -136 tete, ſchickliche Weiſe von den beſſern Mit - teln unſrer Geſundheit unterrichtete.

So will ich ihm denn für ſeine Hülfe danken, ihm, dem gütigen Vater ſeiner folgſamen Kinder; ſo will ich ihn denn bit - ten, und nicht müde werden, daſs er ſein Auge auf mich richte, daſs er ſeine Hand nach mir ausſtrecke, daſs er mich erleuchte, daſs er mich zum Leben unterweiſe! Aber ich will es dabey nicht vergeſsen, daſs er auch Fodrungen an mich hat, und daſs ich nicht alles von ihm erwarten darf.

137

Der ſiebenzehnte Spatziergang.

Sie ſind ernſthaft, meine Julie? Ein fin - ſtres Gewölk überzieht ihre ſonſt ſo hei - tre Stirne? Ein lange verhaltnes Thrän - chen entwiſcht ihrem Auge? Jch ver - ſtehe ſie; ich verſtehe den deutlichſten Ausdruck ihrer gereitzten Empfindlichkeit, ihres innigen Verdruſses. Und ſie wollen ihren feindſeligen Mitſchweſtern dieſe grau - ſame Freude, dieſen ſo lange, ſo ſehnlich gehofften Triumph gönnen? Ermannen ſie ſich, meine beſte! Nehmen ſie die ruhige Mine, nehmen ſie das ſanfte Lächeln, den Ausdruck des beſten Bewuſstſeyns, das un - terſcheidende Merkmal der Unſchuld von neuem an, und leuchten ſie glänzender aus zertheilten Nebeln hervor!

Freylich, man hat eine der ſchwerſten Beſchuldigungen auf ſie gebracht, man hat138 ſie mit allen Farben der Wahrheit ausge - ſchmückt, man hat ſie mit groſser Unver - ſchämtheit ſo gut als auf öffentlichen Plätzen ausgerufen. Auch Dieſe Tugend war Schein! auch Dieſe Julie war eine kleine Be - trügerinn! Man erzählt eine Geſchich - te; man ruft Zeugen auf. Die Geſchichte kann wahr ſeyn: ſie iſt wahr! Und ſie wür - de einer Julie Ehre machen, wenn ſie mit ihren wirklichen Bewegungsgründen einem noch ſo ſtrengen Richter zur Beurtheilung vorgelegt würde. Aber auch die beſte Fi - gur wird durch den Anzug verunſtaltet. Die Geſchichte war zu kurz und zu trocken: man ſchwellt ſie mit Nebenumſtänden auf; man hohlt hundert Bewegungsgründe aus den finſterſten Winkeln hervor; jede Hand iſt geſchäfftig, und ſiehe! der verächtliche Schneeball iſt zu der Gröſse eines Berges angewachſen. Noch würde ihre Ruhe139 nicht gelitten haben; ſie, die ſich immer mehr um ſich ſelbſt, als um das was auſser ihnen vorgeht bekümmern, hätten den Lerm nicht bemerkt der ihrentwegen erregt war: Aber ſo überläſtig iſt die zudringliche Ge - fälligkeit unſrer ſeynwollenden Freunde, daſs ſie nichts fehlen laſsen, den Sieg der Bosheit, ſo viel an ihnen iſt, entſcheidend zu machen! Sie wiſsen alles; auch die klei - nern Umſtände hat man ihnen nicht verheh - len wollen.

Wie? wenn ſie es nun nicht wüſs - ten? So wären ſie noch das zufriedne Mäd - chen; ſo wären ſie noch die Glückliche, die alle für ſo gut hielt, wie ſie ſelbſt von allen geachtet zu werden wünſchte. Seyn ſie es noch! Sie wiſsen nichts; ſie ha - ben nichts gehört; dieſe Geſchichte war nicht die ihrige. Was hindert es, daſs man ihren Namen dazu geborgt hat? 140Man ſtirbt ja nicht darum, weil man tod geſagt wird!

Und ſind ſie denn von ihren Richtern verurtheilt? Wenn ſie das Auge des Allge - genwärtigen nicht ſcheuen, wenn ſie ſich vor ihrem eigenen nicht verbergen dürfen: was iſt dann das einſtimmige Erkenntniſs, der laute Machtſpruch einer ganzen verur - theilenden Welt anders, als ein Wetter, das weit unter ihnen im Thale wütet?

Aber ſo ſehr verkannt zu werden, bey einem einzigen kleinen Anſcheine, mit den elendeſten Geſchöpfen der Erde vermiſcht, für böſe, und was noch ſchlimmer iſt, für heuchleriſch gehalten zu werden! Eine ei - ſerne Haut müſste man haben, wenn man den Schlag nicht empfinden ſollte!

Jch ſage nicht, daſs ſie ſtolz ſind, mei - ne Julie! Jch ſage nur daſs ſie auf die gute Meynung der Welt kein ſo ausgemachtes141 Recht haben, daſs ſie zürnen könnten, wenn man es ihnen nicht immer und in ſei - nem weiteſten Umfange zugeſtehen wollte. Warum wollen ſie von andern mit ihren eignen Augen angeſehen werden? Warum fodern ſie das Unmögliche? Oder denken ſie, ihre Verdienſte ſeyn ſo groſs, daſs ſie ohne vorſätzliche Blindheit nicht verkannt werden könnten? Andre nach dem Maaſse unſrer Kräfte, nach den Beziehun - gen zu beurtheilen, in welchen wir mit ih - nen ſtehen, oder dereinſt zu kommen ge - denken: iſt eine Befugniſs, die wir uns ſelbſt zueignen, und keinem andern ent - ziehn dürfen. Sein Urtheil iſt Lob, oder Tadel. Jenes will ich ihm gelten laſsen und dieſem will ich empfindlich begegnen? Er kann irren; es iſt wahr: er kann mich für ſchlimmer halten, als ich bin; allein bin ich denn ſo unfehlber, bin ich denn wirk -142 lich ſo gut, als ich mir es zu ſeyn ſcheine? Ein kleines Miſstrauen gegen uns ſelbſt, ei - ne kaltblütige Beleuchtung unſers eignen Werths, meine Julie! wird noch immer dem nachtheiligſten Urtheile, das über uns gefällt wird, etwas von ſeiner Schärfe be - nehmen. So belohnt es denn doch ſchon die Mühe, eine kleine Verleumdung über ſich ergehen zu laſsen, weil man dadurch zur nichtigen Schätzung ſeiner ſelbſt zu - rückgebracht und noch vor der feinern Art von Eitelkeit in Sicherheit geſetzt wird!

Aber davon kann ich ihnen noch deut - lichere Verſicherungen geben. Man beur - theilt uns nicht leicht ohne allen Schein. Mehrentheils haben wir durch unſer Betra - gen, zu den ſchwerern Verleumdungen ſelbſt Anlaſs gegeben. War es Mangel an Klugheit, ſo kömmts uns von nun an zu, keinen Schritt von der Art mehr, als mit143 der abgemeſsenſten Behutſamkeit zu thun. Nicht genug, daſs wir uns der beſten Ab - ſichten bewuſst ſind; wir handeln auch für andre. Das Licht ſoll nicht unter dem Scheffel brennen. Da iſt ſein Platz, wo es ſeine wohlthätigen Sralen über die nützlich - ſten Geſchäffte des Hauſes am vortheilhaf - teſten verbreiten kann. Und wenn nun die getadelte Handlung wirklich von zwey - deutigem Werthe war? Sie war noch unſchuldig: es kann ſeyn; aber ſie war die gerade Straſse zum Verderben. Einen Schritt weiter, und der Abgrund verſchlang uns!

So war denn dieſe Nachrede eine nach - drückliche Warnung? Sie war es! Ja! ſie ſchallte mir lauter ins Ohr als die ſchüchter - ne Stimme der Freundſchaft. So hab ich denn keinen Feind mehr? O! die ich ſo nannte, die ich in der Hitze der Leiden - ſchaft ſo gewiſs dafür hielt, verzeiht es mei -(I. Theil.) K144ner unbedächtigen Uebereilung! ich hab euch verkannt. Jhr habt mich des Stolzes, ihr habt mich der Ungerechtigkeit; ihr habt mich der Jrreligion beſchuldiget? Es iſt wahr: ich gab meinen kleinen Verdien - ſten, bey dieſer und jener Gelegenheit ein zu groſses Gewicht. Das ſah ich zuvor nicht; jetzt ſeh ich es? Gut! Es gab einen Fall, da ich ungerecht wurde, weil ich mein Recht verfolgte. Das wuſst ich nicht; jetzt weiſs ichs. Jch ſtritt wi - der Aberglauben und Heucheley; ich that es mit den Waffen der Satyre; ich that es mit einem Eifer, den man verkennen konn - te. Der Menſch will es mit allem was heilig iſt aufnehmen: ſo dachte man, ſo ſprach man. Gut, daſs ich es weiſs. Jch konnte mich freylich von der Wahr - heit verlieren. Man belacht dieſs, man be - lacht jenes, und zuletzt gewöhnt man ſich,145 alles was man ſieht lächerlich zu fin - den. O ihr meine Kritiker! damit will ich eure Bemühungen vergelten, daſs ich mich immer noch weiter von den Jrrgän - gen entferne, in welchen ihr mich ſchon verloren zu ſeyn glaubt.

Glauben ſie nicht, meine Julie! daſs ſie in dieſen Geſinnungen, bey einem noch ſo lauten und allgemeinen Tadel, die Zufrie - denheit ihres Herzens würden erhalten kön - nen? Setzen ſie allenfalls noch hinzu, daſs es verlorne Mühe ſeyn würde, wenn man mit Beybringung noch ſo vernünftiger Gründe, ſo viele geſchäfftige Zungen zum Stillſchweigen zurükbringen wollte, und daſs man mit den heftigen Ausbrüchen des Unwillens immer noch am wenigſten aus - richtet. Freylich iſt das Konzert der Frö - ſche nicht eben das angenehmſte. Es iſt ihnen villeicht auch heute beſchwerlich. 146Aber wollten wir darum dieſen ſchönen Abend ganz nicht genieſsen, wollten wir darum alle ſeine Reize verkennen? ſchon locket die Nachtigall. Süſser als jemals ſchallt ihre melodiſche Stimme. Haben ſie es nicht ſchon vergeſsen, daſs ſie unwillig waren? Haben ſie es nicht ſchon vergeſsen, daſs es Fröſche giebt?

147

Der achtzehnte Spatziergang.

Lange genug hab ich die trägen Dünſte meines Zimmers einathmen müſsen; lange genug hat das wütende Fieber meine Ner - ven erſchüttert. Oft glaubt ich, ich wür - de den Frühling nicht wiederſehn, als in einer andern Welt villeicht. Fand ein Sonnenſtral den Weg zu meinem Lager: Er iſt der letzte den du ſiehſt; dacht ich. Kam die ſchlummerloſe Nacht, ſo ſah ich die Schatten des Todes in ihr. Dieſe wer - den dich decken, ehe das Morgenroth wie - dererſcheint; dacht ich, und ſeufzte nach Ruhe. Aber der Morgen kam wieder und die wechſelnden Tage führten den heilen - den Frühling heran. Sein kräftiger Ein - fluſs belebte die Schöpfung und mich. Bald konnt ich mein Lager verlaſsen und bald148 den unterſtützenden Stab entbehren, der meine wankenden Schritte geſichert hatte.

Nun will ich keinen Augenblick mehr verlieren, euch wieder zu grüſsen, ihr ver - jüngten Gefilde die ich das letztemal noch mit tiefem Schnee bedeckt ſah. Wie hat ſich alles in euch, aus einem unabſehlichen Chaos in eine Scene des Wohllauts verän - dert! Tauſend Empfindungen ſtrömen von allen Seiten auf mich zu. O! ich will ſie alle, mit allen Sinnen genieſsen. Sie ſol - len meine Seele erquicken, wie ein langege - hoffter Regen die lechzenden Felder er - quickt. Und in der That iſt es, als ob ich alles um mich mit geſchärfteren Sinnen, mit verfeinerten Gefühl empfände. Wie ſanft erwärmt mich, o Sonne, dein allbelebender Stral! Jch fühl ihn jede meiner ſchwellen - den Adern durchirren. Wie erfriſchend umweht mich die geruchreiche Luft! Wie149 flieſsen die Bäche dahin, in ihren kleinſten Beugungen mit dem ſchimmernden Schmel - ze des jungen Jahres beſäumt! Welch ein Konzert! Die ganze Schöpfung ſcheinet dazu zuſammenzuſtimmen: im Thale, die murmelnde Flut; am Ufer, der Büſche me - lodiſches Flüſtern; aus blühenden Hecken, der Nachtigall zärtliche Stimme; der Lerche Jubelgeſang, vom heitern Himmel herab. Jch ſchweige nicht; ich vereinige damit meine lobſingende Stimme. Die Stimme des Menſchen, ſie iſt der ächte Ausdruck der Freude. Und Jch habe vor Tauſenden zur innigſten Freude Recht! Nicht genug, daſs ich mir ſelbſt und meinen Freunden wiedergegeben bin, ſo iſt dieſer Uebergang vom Tode zum Leben, dieſe Abweſenheit ſchmerzhafter Empfindungen, dieſer friſche Eindruck eines lange vermiſsten Vergnü - gens ſelbſt ſchon eine Wolluſt, die allen150 ſſſen und anziehenden Freuden des irrdi - ſchen Lebens die Wage hält.

So rinnen auch Ströme des Vergnügens von rauhen Gebirgen herab! ſo hat auch die Krankheit ihre Vortheile, die aus ihrer Natur ſelbſt entſpringen! Gott der Geſund - heit und des Lebens! ich kenne Dich nun auch von dieſer glänzenden Seite. Jch er - kenne Deine väterliche Sorgfalt: Du biſt meine Stärke. Die dunkeln Stellen des Lebens erhöhen nur die Stralen Deiner Güte. Das mehrt mein kindliches Vertrauen auf Deine Hülfe; das erhebt meinen Muth; das macht mich im Tode getroſt!

151

Der neunzehnte Spatziergang.

Muſs ich denn immer dieſem Menſchen mit der Angelruthe begegnen? Es iſt wahr; ſeine Figur verſchönert die Landſchaft. Meinetwegen möcht er immer hier ſtehn und ſeinen trügeriſchen Widerhacken aus - werfen; aber der Menſch thut nicht was er thun ſoll; ungewiſs iſt der Erfolg ſeiner Bemühungen; ſeine armen Kinder hungern indeſs und er könnte ſein ſichres Brod ver - dienen, wenn er dem Gewerbe nachginge, zu welchem er erzogen iſt,

Der Menſch iſt ein Thor!

Sachte, ihr Herren! Er iſt von einer groſsen Famile, er hat unter beyden Ge - ſchlechtern, unter allen Gattungen von Men - ſchen, unter ihren ehrwürdigſten Ständen, unter ihnen ſelbſt, meine Herren! ſeine Brüder, ſeine Verwandten.

152

Das wäre der Henker!

Nicht anders! Laſsen ſie uns mehr da - von reden! Jch beweiſ es ihnen, wenn ſie es leiden wollen.

Ja! aber ihr Beweiſs muſs mit einem Wege von tauſend Schritten zu Ende ſeyn.

Je nun! wenn wir zuweilen ſtille ſtehn. Von allen Ständen ſprach ich. Laſsen ſie uns von dem erhabenſten, von dem geehrteſten von allen, von dem ge - krönten anfangen! Fliegen haſchen iſt ein ganz intereſſantes Geſchäffte für einen Knaben, der ſein Zuckerbrod oder ſeinen Honig für ſich behalten will. Wenn aber der Herrſcher der Welt, der irrdiſche Jupi - ter, der Bruder des geſchäfftigen Titus der die Luſt des menſchlichen Geſchlechts war, wenn der ſich in die entlegenſte Kammer ſeines Pallaſtes begiebt, und in Einem Feld -153 zuge alle geflügelten Bewohner derſelben zu Grunde richtet

So ſagen wir: er iſt der Mann mit der Angelruthe!

Nein! ſag ich. Wenn Der ein Thor war, ſo iſt es Dieſer noch zehntauſendmal mehr, nach einem ſo richtigen Verhältniſse, als nur jemals eine in der Meſskunſt der Seelen durch Zahlen ausgedrückt wurde. Weiter! Es hat Fürſten gegeben, die ihre Wälder von Wölfen und Bären rein hiel - ten; ihre bedrückten Unterthanen aber den Kaprizen ihrer Tränzerinnen und Poſſen - reiſser Preis gaben. Andre lagen lebens - lang zu Felde; zogen auf Abenteuer aus und bereicherten den nichtswürdigen Hau - fen, der ihren Panieren folgte: indeſs ihr Erbreich, bey aller ſeiner Macht und Gröſ - ſe, bey allem ſeinem Ruhme entvölkert und des Nothwendigen ſelbſt beraubt wurde154 Doch man hat Bücher davon geſchrieben, und ich habe mehr zu beweiſen. Wer kennt die Anmaſsungen der Geiſtlichkeit nicht? Sie ſollte das Volk unterrichten; ſie ſollte die heilſame Lehre Jeſu ausbreiten. Dieſs war ihr Geſchäfft. Wahrhaftig! ein Geſchäfft, das alle ihre Kräſte gefodert, das alle ihre Zeit ausgefüllt hätte. Was hat ſie dagegen gethan? Ein Syſtem erfunden, das Volk bey ſeiner Unwiſsenheit zu erhal - ten; alle Kräfte angeſtrenget, die weltliche Macht zu zernichten, und ſich aus ihren Trümmern einen Thron zu erbauen.

Hoffentlith meynen ſie doch die Geiſt - lichkeit einer gewiſsen andern Kirche? Denn was die proteſtantiſche betrifft

Nun dieſe hat freylich zu der Höhe nicht hinaufklimmen können. Aber wir wollen uns doch des unglücklichen Func - cius erinnern. Sie kennen ſeine lehrreiche155 Grabſchrift, das herrliche Vermächtniſs, das er der Nachwelt ſeiner Amtsbrüder zur ewigen Regel ihres Verhaltens hinterlaſsen hat. Jch dächte, ſie verdiente noch immer mit groſsen goldnen Buchſtaben an eine je - de Pfarrwohnung geſchrieben zu werden. Funccius hat noch Anhänger. Oder iſt es etwas anders, ſeine ganze Zeit einer eitlen Wiſsenſchaft ſchenken, die mit Gott und göttlichen Dingen nur in ſehr entfernter Verbindung ſteht? Jſt es etwas anders, die Gunſt der Reichen und Mächtigen erſchlei - chen, allenthalben als Gewiſsensrath geach - tet, und ſelbſt dem gemeinen Manne unent - behrlich ſeyn zu wollen? Jede Provinz, meine Herren! jede proteſtantiſche Provinz, ſag ich; wenn ſie nur von einigem Um - fange iſt, hat ihre Roſstäuſcher und Schwei - neverkäufer, die die ſorgfältige Bearbeitung einer Predigt lieber als den Beſuch irgend156 eines berühmten Jahrmarkts unterlaſsen würden. Dieſe Herren treiben ein ſehr ehrliches Gewerbe. Darauf iſt nichts zu ſagen. Jch könnte ſie hochſchätzen, wenn ſie es allein trieben. Aber ſo machen ſie von ihren edelſten Pflichten die Ausnah - me; ſo bringen ſie einen wahrhaftig ehr - würdigen Stand, zum Nachtheile der Wahr - heit und Tugend ſelbſt, in Verachtung.

Wollen ſie aus andern Ständen Beyſpie - le? ſo bring ich ihnen einen Hausvater auf die Bühne, der die Beſtellung ſeines Gartens zu ſeiner Liebhaberey gemacht hat. Wie es ſeinen Kindern geht; wie dieſe zar - ten Pflanzen gedeyen; wie ihr Geiſt gebil - det, wie ihre Sitten gebeſſert werden: da - für mag das liebe Geſinde, Hofmeiſter und Franzöſin ſorgen; wenn es nur in ſeinem Garten gut ſteht; wenn ſeine Bäume fort - kommen; wenn Wind und Wetter ſeine157 Beete verſchonen; wenn er nur dieſe Bluh - me zur Vollkommenheit, wenn er nur die - ſe Frucht zur Reife bringt.

Es giebt Leute, die ſich in der Berech - nung ihrer Kräfte betrügen. Sie haben zu zehn verſchiedenen Geſchäften Kraft; ſie übernehmen aber zwanzig, und darüber ge - ſchieht nichts wie es geſchehen ſollte. Soll ich den Mann loben, der der Vormund der halben Stadt iſt, der ſo vielen mit Rath und Hülfe an die Hand geht, dem man al - les auftragen kann, der für andre ſpricht und ſchreibt, geht und reiſet, ſoll ich ihn loben, wenn er dabey auf den Verfall ſei - ner eignen Angelegenheiten nicht Acht hat, wenn eine gänzliche Anarchie ſein Haus - weſen zu Grunde richtet? Noch giebt es Leute, denen es, weder an Gelegenheit, noch an Geſchick fehlt, ſich für andre auf das nützlichſte zu beſchäftigen; aber es158 wird ihnen ſo läſtig, ſie finden dabey ſo we - nig Vergnügen und ſie wollen ſich doch einmal nur vergnügen. Was iſt gewiſser zu vermuthen, als daſs ſie bey ſo gutem Verſtande, bey ſo feinem Geſchmacke und bey ſo vieler Lebhaftigkeit des Tempera - ments, ein Syſtem erfinden werden, ſich ihre ausgeſuchten Vergnügungen, ſich die ſchöne Reihe ihrer Ergötzlichkeiten ſelbſt, zum Geſchäffte zu machen, und alles aus dem Wege zu ſchaffen was ihnen in dieſer Bemühung hinderlich ſeyn würde? Dieſe Leute wenden oft gleich ſo viel Nachden - ken und geſchäfftigen Eifer auf die Aus - richtung eines Gaſtmahls, eines Bals, oder einer andern Luſtbarkeit, als der wohlthä - tige Menſchenfreund auf die Rettung und Wiederherſtellung ſeines in verlaſsene Um - ſtände gerathenen Mitbruders nur immer verwenden kann.

159

Unſre lieben Damen wie könnt ich eine der ſchicklichſten Gelegenheiten, ihnen recht viel ſchönes zu ſagen, ungenutzt laſsen? Unſre Damen, ſag ich; ha - ben eine eigne Weiſe, ihre ſelbſterwählten Beſchäfftigungen ihrer eigentlichen Pflicht und Beſtimmung unterzuſchieben. Jch re - de nicht von den Heldinnen unter ihnen, die ihren Männern allenthalben vortreten, und, ſollt es auch ſchlechter gethan ſeyn, alles durch ſich gethan haben wollen. Kön - nen ſie dafür, daſs ſich die Natur in ihrer Bildung geirrt hat? Für ſie iſt die weibli - che Sittſamkeit eine zu kleine Tugend; der Spinnrocken würde ſie entehren und die Na - del ein viel zu verächtliches Werkzeug ih - rer kraftvollen Hände ſeyn. Setzt die Ama - zone aufs Pferd; ihr braunes Haar walle unter dem Federhute hin; ihr Jagdgewand ſtrale von ſeinen goldenen Schleifen die Son -(I. Theil.) L160ne zurück; ihr Glanz verſammle das Volk; mit aufgeriſsenen Augen ſtaune ihr die Neu - gier nach: Sie iſt mehr als ein Weib; ich bin zu wenig, ſie zu loben, und ſie zu ta - deln, bin ich zu furchtſam.

Warten ſie meine Herren! hier iſt ei - ne Seite aus Kalliſtens Tagebuche. Es iſt ein Geheimniſs; ich begehe eine kleine Verrätherey, wenn ich es ihnen bekannt mache: aber doch die Sache iſt von keinen Folgen; höchſtens hab ich einen Schlag mit dem Fächel und ein: ſie loſer Mann! zu erwarten. Kalliſte wird doch wohl Kalliſte bleiben. Die Sonne hat, auch in den kürzeſten Tagen, ſchon einen anſehnlichen Theil ihrer Laufbahn zurükge - legt, wann ſich meine ſchöne Freundinn erſt von ihrem wollüſtigen Lager erhebt. Aus ihrem erſten Anzuge erkennt man ſchon die Feinheit ihres Geſchmacks. Al -161 les daran iſt, bis auf die gröſsten Kleinig - keiten, mit Nachdenken gewählt und nach Regeln der Kunſt zuſammengeordnet. Und allein in ihrem Gehirne ſind dieſe ſchönen Jdeen entſtanden, die man mit einem jeden Morgen, in einer neuen Verbindung und in einem neuen Lichte erblickt. Aber dieſs alles iſt nur die Morgenröthe, die den vol - len Glanz des heiterſten Tages verkündigt: Alle Seelenkräfte meiner Freundinn, alle dienſtbaren Geiſter ihres Hauſes ſind zu ih - rer Ausbildung geſchäfftig. So erſcheint ſie denn mit Anbruch des Abends in der feſt - lichen Verſammlung ihrer vornehmen Ge - ſpielen, und athmet den Weihrauch ein, den man ihren hervorſtechenden Verdienſten nicht verſagen kann. Jhr Sieg iſt allgemein und faſt immer entſchieden. Auch ermü - det ſie nicht, alle ihre Reize, jeden klei - nen, glücklichen Zufall ſelbſt, mit einer162 Aufmerkſamkeit der nichts entgehn kann, geltend zu machen. Sie erzwingt eine durchgängige Huldigung; ihre neidiſchen Schweſtern werden ſelbſt dazu fortgeriſsen, und nur hin und wieder ein kaltblütiger Beobachter bedauert es, daſs ein ſo vorzüg - licher Verſtand ſo ganz zum Dienſte der Ei - telkeit verſchwendet wird. Unter ſolchen Be - ſchäfftigungen verlängert Kalliſte den Tag bis über die Gränzen der Mitternacht hinaus.

Dieſs, ſind ihre wirklichen Geſchäffte, und Dieſe, ſollten es ſeyn:

Eine weiſe Einrichtung ihrer häuslichen Angelegenheiten, würde allein ſchon hin - reichen, einen Theil des verſchlafenen Mor - gens auszufüllen. Und Kalliſte hätte hun - dert Urſachen, ſich zu dem kleineren œko - nomiſchen Detail herabzulaſsen. So aber wirft ſie einen flüchtigen Blick aufs Ganze, und überläſst die weitere Beſorgung dem163 Gutbefinden eines betrügeriſchen Geſindes, welches immer verſchlagen genug iſt, eine ſo herrliche Gelegenheit nicht ungenutzt aus den Händen gehn zu laſsen. So ko - ſtet ihre Haushaltung etlichemal ſo viel, als ſie unter einer wachſamen Aufſicht koſten würde; ihr Gemahl wird durch einen Auf - wand, der ſo leicht zu vermeiden wäre, wo nicht in Schulden geſtürzt; doch gewiſs an einem edlerem Gebrauche ſeines Vermö - gens gehindert. Jch nehme an, daſs er die Güte, die Nachſicht ſelbſt iſt: wird er es aber immer ſeyn? Wird er immer gleich - gültig zuſehen, wenn eine ſo kluge, ſo reizende Frau ihre Klugheit und ihre Rei - ze zur Verſchlimmerung ſeiner Glücksum - ſtände ſo gefliſsentlich anwendet? Kalliſte hat Kinder, die wild, wie die Bluhmen des Feldes aufſchieſsen. So laſſen ſie nur eine geruchloſe, einfarbichte Blüthe hoffen, da164 ſie doch bey der zärtlichen Pflege einer ſo einſichtsvollen Mutter, vor vielen andern Bluhmen ihrer Art mit einem vorzüglichen Glanze hervorſtralen würden. Es iſt unbe - greiflich, wie Kalliſte eine ſo groſse, ſo rühmliche, mit ſo vielen feinern Vergnü - gungen verbundene Beſchäfftigung, für nichts weggeben kann.

Tauſend Schritte, mein Herr! und noch eine Zugabe von zwey tauſend! ſie kön - nen doch niemals das Ende finden.

Eben wollt ich meinem Beweiſe das letzte Gewicht anhängen, meine Herren! eben wollt ich mich zu ihnen wenden.

Vortrefflich! wir würden ihnen mit dem gröſsten Vergnügen zugehört haben; aber ſie ſehen es ſelbſt: es iſt Mittag; wir haben den Wind ins Geſicht und dieſer Umſtand iſt dem Redner noch gefährlicher, als dem Zuhörer.

165

Der zwanzigſte Spatziergang.

Meine reizende Muſe: Klio, Euterpe, oder wie ſie ſonſt heiſsen! Sie haben heute redlich bey mir ausgehalten; legen ſie nun die Flöte von ſich: man wird auch des beſten Geſchäffts müde. Jch will ihnen ein Vergnü - gen machen: kommen ſie mit auf die Pro - menade! Da ſollen ſie Menſchen ſehen!

Als wenn das ein Vergnügen für mich wäre? Menſchen zu ſehen! wie lächerlich! Beym Jupiter! ihr ſeyd auch die Geſchöpfe die man gerne ſehen möchte.

Thun ſie doch nicht ſo ekel, meine Schöne! Man ſollte glauben: ſie müſsten die Königinn Juno ſelbſt, oder aufs wenig - ſte ihre erſte Kammerjungfer ſeyn. Als wenn man die Damen des Olympus nicht beſſer kennte! Sie gehen auf Abenteuer aus, wie die unſrigen. Haben ſie nie et -166 was von dem Prinzen Adonis, oder von dem ſchönen Jäger Endymion gehört? Den blonden Lycidas, mit allen ſeinen artigen Kaprizen, kennen ſie wohl gar nicht? Was iſt Jhnen? Sie bekommen Vapeurs. Fort! auf die Promenade, Mamſell!

Da ſind wir nun: Sie, mit dem alles - überſehenden Fernglaſe ihrer eingebildeten Weisheit; Jch, mit einer hundertmal gröſ - ſern Doſe von Neugier, als ſie mir jemals mögen zugetraut haben, ſo ſehr ich auch in ihren Augen ein Frauenzimmer bin. Sie ſollen des Antwortens ſatt werden: das weiſs ich. Allons, mein Herr! Kennen ſie da das niedliche Geſicht nicht, mit den ſchönen beſcheidnen Augen? So würd ich die Unſchuld mahlen. Welche natürliche Farbe! welche ebene, reine Haut!

Natürlich? Ja! die Zitronenfarbe iſt freylich in der Natur. Eben und rein?167 allerdings! die kleine Idee von einem Bar - te ausgenommen, der die verbleichten Ro - ſen ihrer Lippen beſchattet. Doch das iſt eine Kleinigkeit, ein glücklicher Schatten, der den Glanz der andern Theile er - höht.

Pfuy! mit ihrem abſcheulichen Glaſe! Sie ſind ein ungezogner häſslicher Menſch! Aber was iſt das für ein Herr da, im grünen Kleide mit Treſſen? Eine wichtige - re Mine hab ich noch in meinem Leben nicht geſehn. Jch ſetze meine jungfräu - liche Ehre zum Pfande: der Herr iſt Mi - niſter oder doch der Præſident eines an - ſehnlichen Kollegiums.

Wie ſchön ſie rathen können! Geld hat der Menſch und Eitelkeit mehr als Geld; und wenn er der Præſident eines Kollegiums ſeyn ſoll, ſo iſt er es von dem weltberühm - ten Kollegium der Dummköpfe. Meine168 liebe Euterpe! man merkt es ihnen an, daſs ſie die Muſe der Hirten ſind. Denn in der That urtheilen ſie, wie eine Land - prediger Tochter die zum erſtenmale in die Stadt kömmt.

Das iſt wahr, mein Herr! ſie verſtehn den artigen Spott aus dem Grunde. So was feines lieſet man in dem ganzen Luzian nicht. Zum Glück weiſs ich mich zu rächen. Antworten ſie! Wer iſt der hübſche junge Menſch da, ganz am Ende der Promenade? Nennen ſie mir die drey Frauenzimmer die er führt; oder nennen ſie mir ſie nicht! Es ſind nichtsbedeutende Figuren. Aber ihr ſchöner Begleiter fällt ins Auge. Was für ein Gewächs! Sie haben eine ganz leid - liche Figur, aber mit Dem Herrn vergli - chen, ſind ſie eine Zuckerpuppe!

Freylich wohl, meine göttliche Schö - ne! Aber laſsen ſie uns etwas näher hinzu169 treten! Nicht wahr: ſie ſehen nur ſchlecht in die Ferne, und urtheilen für eine Muſe etwas zu übereilt? Bewundern ſie doch den hübſchen jungen Menſchen! Wahrhaf - tig! zum Satyr fehlen ihm nur die Füſse. Hab ich jemals einen beſeelten Klotz geſe - hen ſo iſt es Der! Finden ſie das nicht, meine Gnädige? Und wie ſie ſich in Abſicht der Frauenzimmer geirrt haben! Der Unverſchämte würde mit dem guten Willen derſelben nie auf die Promenade ge - kommen ſeyn, wenn er nicht eine ſo un - überwindliche Zudringlichkeit beſäſse. Erſt ſehen ſie die blonde Dorilis an! Jch habe wider ihren Teint nichts; aber gegen den Teint dieſes reizenden Mädchens iſt er nichts mehr, als was die Dämmrung gegen den vol - len Glanz eines heitern Maitages iſt. Es thut mir leid, daſs ich es ſagen muſs; allein es iſt Wahrheit, und ich habe nie ſo wenig170 Luſt gehabt ihnen zu ſchmeicheln, als heute. Und dann ſo ſehen ſie doch, um des Him - mels willen! meiner kleinen Blondine in die Augen. Es iſt wahr, meine Göttin! ſie ha - ben ein feines blaues Auge, wenn man es allein ſieht; aber mit dieſem verglichen, iſt es eine elende Wachskerze, die ſich in dem Schimmer der Mittagsſonne verliert. Ge - gen dieſen niedlichen Mund, der ſich mit einem bezaubernden Lächeln nur halb öff - net, iſt der Jhrige ein kleiner Thorweg, ob ich gleich geſtehn muſs, daſs es auch ihm nicht an unbeſchreiblichen Reizen fehlt. Wider ihren Wuchs iſt ſchlech - terdings nichts einzuwenden. Alles an Jh - nen iſt regelmäſsig und wohl abgemeſsen. Sie vereinigen die Schönheiten aller himm - liſchen Mädchen in ihrer einzigen Perſon. Aber werden ſie nicht böſe, mein Kind! gegen die unausſprechliche Gra -171 zie, die über meine Dorilis ausgegoſsen zu ſeyn ſcheint, iſt das alles nichts. Wel - che Taille! Welch ein unnachahmlicher Gang! Welch ein Fuſs! Den Jhrigen hört man auf hundert Schritte. Dieſer ſchwebt über den Boden hinweg. Und dann ha - ben ſie allerdings einen göttlichen Verſtand und eine Einſicht, wie ſie ſeyn muſs und eine Naïveté und einen unerſchöpflichen Witz; aber

Nicht ein Wort mehr! Sie ſind ein garſtiger Menſch, ein unerträglicher Schwä - tzer, ein Unverſchämter! O ihr Götter! So was hören zu müſsen und von einem Menſchen, der mir alles zu danken hat, der ohne mich nicht drey Worte zuſam - menſetzen könnte! Aber du ſollſt es erfah - ren! Mein Beyſtand iſt dir auf immer ver - ſagt. Zittre vor dem Zorne einer Gottheit, die ein Frauenzimmer iſt!

172

Der einundzwanzigſte Spatziergang.

Sie werden mein kleines Buch villeicht nie zu Geſichte bekommen, und wenn es auch geſchehen ſollte, ſo werden ſie es doch vil - leicht nie leſen. Es iſt ſo langweilig, ſo ſehr moraliſch. Aber es könnte doch wohl ſeyn, daſs ſie es von ungefähr einmal auf dem Sopha ihrer Freundinn liegen ſä - hen; es könnte ſeyn, Chloe! daſs ſie es neu - gierig öffneten; es könnte ſeyn, daſs ſie grade Dieſe, Jhnen gewidmete Seite auf - ſchlügen, daſs ſie ſie läſen, daſs ſie es merk - ten, ich, ihr verſchämter, blöder Verehrer ſey es, der ſich mit ihnen zu reden erdrei - ſte. Auf dieſe unwahrſcheinliche Vorſtel - lungen hin, die villeicht nie in Erfüllung gehn werden, wag ich es, ſie mit den we -173 nigen Gedanken zu unterhalten, die wäh - rend meines heutigen einſamen Spatziergan - ges in meiner Seele aufgeſtiegen ſind.

Jch beſuchte jenes reizende Thal, wel - ches ich an einem glücklichen Tage meines Lebens einmal an ihrer Seite durchwan - delte. Der bluhmichte Steig, den ſie betra - ten; der Lindengang, der ſie mit düftenden Blüthen beſtreute, der ſtille Teich, darin ſie ſich wohlgefällig erblickten; alles, bis auf den himmelblauen Schmetterling, den ſie in einem Anfalle von Muthwillen er - haſchten, und bey allem aufwallenden Mit - leiden, bey meinem Bitten ſelbſt, doch nicht fliegen lieſsen, alles erinnerte mich an ſie. Jch glaubte ſie ſelbſt wiederzuſehn, mit al - len ihren, meiner Ruhe ſo gefährlichen Rei - zen. Doch aber wirkten ſie ſchwächer auf mich, als in jenen Stunden der Trunken - heit und des Nichtbewuſtſeyns. Jch faſste174 alſo Muth, ich vergaſs meine ſchüchterne Rolle, ich lieſs mein Herz reden. Leſen ſie, was ich ihnen ſagte, und was ſie anzuhören die unerwartete Gefälligkeit hatten. Jch glaube nicht, daſs ich jemals vermögend ſeyn werde, es ihnen auf eine andre Art, als auf die gegenwärtige zu ſagen. Und doch wollt ich, daſs ſie es wüſsten.

Sie wiſsen es ſelbſt, meine Chloe! wie reizend ſie ſind. Die gütige Natur hat ih - nen zu der vortheilhafteſten Bildung eine dauerhafte Geſundheit beygelegt, die ſo viel zur Vermehrung ihrer blühenden Reize beyträgt. Sie haben ein noch gröſseres Gut von ihr erhalten: einen Verſtand, der von vielen Dingen richtig zu urtheilen ge - wöhnt iſt, und einen lebhaften Witz, ver - möge deſſen ſie, wenn ſie nur wollen, das Vergnügen einer jeden anſtändigen Geſell - ſchaft erhöhen können. Kurz: ſie ſind175 ein ſchätzbares, liebenswürdiges Mädchen, und ſie dürfen ſelbſt nur eine kleinigkeit hinzufügen, ein vortreffliches zu werden, und die Aufmerkſamkeit der Kenner in Bewundrung, und hie und da eine aufkei - mende Zuneigung in die dauerhafteſte Lie - be zu verwandeln. Schade wenn ein ſol - ches Meiſterſtück des Schöpfers unvollen - det bleiben, oder durch einen ſchlimmen Zufall zu einer geringern Gattung von Gei - ſtern herabgewürdigt werden ſollte! ihre Erziehung hat es gehindert, daſs ſie mit kei - ner eigentlichen Wiſsenſchaft, mit keiner Art von Gelehrſamkeit bekannt geworden ſind. Das iſt ſchon recht. Die gelehrten Frauen - zimmer ſind bey weitem nicht die beſten. Aber doch ſcheint es mir, als wenn es ih - nen zuträglich ſeyn würde, wenn ſie von dem was ſie ſich und andern ſchuldig ſind einen gründlicheren Unterricht empfangen(I. Theil.) M176hätten. Dieſe einzige Wiſsenſchaft iſt für al - le Menſchen gemacht. Ohne ſie iſt das beſte Wiſsen Thorheit und die weitläufigſte Ge - lehrſamkeit eitel; mit ihr ſind die meiſten Menſchen gelehrt und unterwieſen genug.

Was haben ſie für eine Religion, Chloe? Eine ſeltſame Frage! Ja! aber nur ſeltſam für den, der ſie nach dem gemeinen Redegebrauche verſteht und nach ſeinem Katechiſmus beantwortet. Was ſie für eine Religion haben? Eine unzulängliche, ſag ich; eine Religion, die nur in ihrem Gedächtniſse Platz genom - men, ihren Verſtand nie erreicht und ihr Herz kalt gelaſsen hat. Aus den Hand - lungen eines Menſchen; nicht aus ſeinem leeren, mehrentheils nur ſtillſchweigenden Bekenntniſse, muſs auf ſeine Religion zu - rückgeſchloſsen werden können. Und Chloe! nehmen ſie mir es nicht übel: ich177 habe nicht leicht etwas von ihnen gehört, oder geſehen, daraus ich einen zureichen - den Beweis für die Güte ihrer Gottes - furcht hätte hernehmen mögen. Einzelne gute Handlungen, die ich ihnen nicht ableug - nen will, entſcheiden hier nichts. So un - wirkſam iſt eine richtige Erkenntniſs von Gott und göttlichen Dingen nicht, daſs ſie nicht in den ganzen Charakter des Menſchen einflieſ - ſen, daſs ſie nicht ſeine wichtigern Handlun - gen auf eine, auch für andre merkliche Wei - ſe beſtimmen ſollte. Sie ſind eine Chriſtinn, ſagen ſie. Jch ſeh es ſo oft ſie an unſern Religionsgebräuchen Theil nehmen. Sonſt wüſst ich aber nicht, daſs ſie etwas gethan hätten, dabey ſie nicht eben ſowohl für ei - ne Anhängerinn des Korans hätten gehalten werden können. Sie verdienen einen beſ - ſern Unterricht, und es wird nur auf ſie an - kommen, ob ſie ihn annehmen wollen.

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Weiter, meine liebe Chloe! Sie kennen ſich ſelbſt nicht. Noch iſt es ihnen nicht in den Sinn gekommen, daſs ſie, vor ſo vielen andern Bekanntſchaften, Dieſe zu machen, ſchuldig geweſen wären. Doch ich thue ihnen zu viel! Sie ſind ja von dem Werthe ihrer kleinen Perſon ſo vollkom - men unterrichtet; ſie wiſsen es ja ſo genau woran es ihnen fehlt, um die Rolle durch - zuſpielen, die ſie ſich zu ſpielen vorgenom - men haben. Wer will ihnen Das ſtreiten? Wer ſeine Muſche ſo geſchickt aufzutragen weiſs, der muſs doch den verdrüſslichen Fle - cken wohl geſehen haben, den er damit zu verbergen gedenkt. Wo ſind aber die Mu - ſchen für die groſsen Höcker der Seele, die aller ſittlichen Harmonie ſo ganz entgegen ſind? Sie mögen ſich noch ſo vortheilhaft einhüllen; ſie mögen die ſchlaueſte Kunſt zu Hülfe rufen; ſie mögen die beſte Seite179 noch ſo ungezwungen vorkehren: es giebt Augenblicke, Chloe! wo man ſich vergiſst; der Zufall führt ſie herbey, und die Liebe iſt nicht zu allen Zeiten blind.

Sie ſind äuſserſt leichtſinnig Chloe! Die wichtigſten Dinge machen auf ſie nur einen ſchwachen Eindruck. Was neu iſt, ſo un - bedeutend und klein es auch ſeyn mag; was ſinnliche Freuden verſpricht; was ih - ren Augen gefällt; was ihren Ohren ſchmeichelt: das iſt ein Gegenſtand ihres Verlangens und auf einige Minuten villeicht ein Gegenſtand ihrer Achtung. Nur von Dauer muſs es nicht ſeyn. Eine Welle muſs die andre fortdrängen; der Strom des Vergnügens muſs unaufhaltſam vorbeyflieſ - ſen. Sie ſtehn an einem gefährlichen Ufer, Chloe! Jch tadle es nicht, daſs ſie ih - rem Vergnügen nachgehn; aber es ſind dauerhafte Freuden, die ich ihnen empfehle. 180Sie hängen nicht von den Sinnen allein ab; ſie vertragen ſich mit dem Ernſte der Weis - heit, oder vielmehr, ſie beſtehen durch ihn. Sie mögen ſich putzen Chloe! ſie mögen in dem Schimmer und mit dem Anſtande ei - ner Göttin in den Verſammlungen ihrer Geſpielen erſcheinen; vergeſsen ſie darüber nur nicht ihren unſterblichen Geiſt zu ſchmücken; vergeſsen ſie nicht, ſich durch Sittſamkeit, Herablaſsung und jede andre geſellſchaftliche Tugend zu empfehlen. Sie mögen ſich zu den luſtigen Reihen der Tänzer geſellen; wenn ſie nur bedenken, daſs auch dieſem Vergnügen ſeine Schran - ken geſetzt ſind, über die es ohne Verſchul - dung nicht hinausgehn darf. Einen gewiſ - ſen ernſten Blick, eine unzufriedne Grimaſ - ſe, mit der ſie oft das beſcheidne Verdienſt zurückſchrecken, ſparen ſie für den Kreis von Anbetern auf, der ſich ihnen dadurch181 empfehlen will, daſs er ihnen ihre eiteln Vorzüge bey jeder Gelegenheit für Voll - kommenheiten einer höhern Art anrechnet. Ueberhaupt Chloe! ſuchen ſie davon ge - wiſs zu werden, daſs man ſich nicht für Ei - nen Tag allein freut. Der Verſchwender iſt immer leichtſinnig. Heute ſchwimmt er in Ueberfluſs und Morgen jammert er, daſs es ihm an den nothwendigſten Bedürfniſ - ſen des Lebens fehlt. Die Freude erfodert eine haushälteriſche Sparſamkeit, wenn ſie mit dem Leben fortdauern und eine mehr als menſchliche Klugheit, wenn ſie über daſſelbe hinausdauern ſoll.

Jch könnte ſie der Eitelkeit beſchuldi - gen, Chloe! Allein das wäre ihnen ge - ſchmeichelt. Jch ſag es ihnen gerade hin: ſie ſind nicht bloſs eitel; ſie ſind ſtolz, bis zur Beleidigung andrer, vor welchen ſie Vorzüge zu haben vermeynen. Man darf182 ihnen nur an Geburt und Stande nicht gleich kommen, ſo iſt es ſchon genug, ein kaltes Kompliment, ein Achſelzucken, einen ver - ächtlichen Seitenblick zu erhalten. Füh - len ſie das Unanſtändige in dieſem Betragen nicht, Chloe! ſo ſuchen ſie wenigſtens das Häſsliche davon zu Geſichte zu bekommen. Jhr Spiegel kann es ihnen ſagen, wie ſehr ſie der Ausdruck dieſer menſchenfeindli - chen Leidenſchaft verſtellt. Sie ſehen ſich in dieſen Augenblicken nicht mehr ähn - lich; alle Grazien ſind von ihrem, ſonſt ſo reizenden Angeſichte entflohen; ihre gan - ze ſchöne Geſtalt iſt verändert; ſie ſind ihren Freunden ſelbſt fürchterlich. Wer ſie ſo zum erſtenmale ſieht, zittert und danket ſeinem Glücke villeicht, daſs er mit ihnen noch keine genauere Verbindung eingegan - gen iſt. Chloe! ſie ſind ja ſonſt gegen ih - re Figur eben nicht gleichgültig. Sie ken -183 nen die Macht der Schönheit. Wiſsen ſie, daſs nicht leicht etwas mehr zu ihrer Vol - lendung, zu ihrer Fortdauer beyträgt, als jene Heiterkeit des Geiſtes, als jene Güte des Herzens, die mit allen ungeſelligen Ge - müthsbewegungen ſo gar nichts gemein hat. Lernen ſie dieſes von Themiren! An wel - chen Vorzügen iſt ihnen dieſs himmliſche Mädchen nicht überlegen? So lieb ſie mir ſind, meine Chloe! ſo weit ich ſie den mei - ſten Schönheiten ihrer Zeit vorziehe, ſo iſt doch keine jungfräuliche Vollkommenheit, in Abſicht welcher ſie nicht durchaus von Themiren verdunkelt würden. Jhre Ge - burt, ihr Stand, iſt über dem Jhrigen. Und nie hab ich ſo viel Verſtand, nie eine ſo tiefe Wiſsenſchaft, nie eine ſo geübte Klug - heit, mit ſo vieler Schönheit vereinigt ge - ſehen. Und gleichwohl, wie herablaſsend gegen einen jeden, wie unnachahmlich ge -184 fällig iſt Themire! Dafür, wie allgemein geliebt, wie angebetet bey nahe! Das könn - ten ſie auch ſeyn, Chloe! wenn ſie wollten. Jch habe ſie gefällig, ich habe ſie herablaſ - ſend geſehn. Es ſtand ihnen ſo wohl an; es erhöhte ſo ſehr ihre Schönheit; es zeug - te ſo ſehr von ihrem edlen Herzen und von ihrem feinen Verſtande; ſie machten da - durch ſo geſchwinde und ausgebreitete Er - oberungen. Chloe! warum ſtanden ſie auf einem ſo ſchönen Wege ſtille; warum verſicherten ſie ſich ihre erworbenen Vor - theile nicht? O! ihre Laune bringt ſie um alles. Sie entſagen den Vorzügen eines Engels um nur nicht ihrem widerſpänſtigen Herzen eine kleine Gewalt anthun zu dür - fen. Noch vermiſse ich bey ihnen die - heren Grade des Wohlwollens, die zärtliche Menſchenliebe, das innige, thätige Mitlei - den und überhaupt die gütige Theilneh -185 mung an den Empfindungen andrer. Su - chen ſie doch dieſen edleren Eigenſchaften ihres Geſchlechts den Geſchmack abzuge - winnen. Mit ſolchen verſichre ich ſie ei - nen unerſchöpflichen Reichthum von Ver - gnügungen, die eben darum weil ſie ihnen neu ſind, deſto anziehender für ſie ſeyn werden. Jch will nur noch der Freund - ſchaft gedenken. Sie haben Bekannte ge - nug unter beyden Geſchlechtern, in deren Umgange ſie manche müſsige Stunde er - träglich genug hinbringen können. Aber unter allen ihren Bekannten iſt ihnen Nie - mand von ganzem Herzen, und für alle Zeiten ergeben. Eine geringe Verände - rung des Glücks würde dieſen Haufen zer - ſtreuen, der den gemeinſchaftlichen Vor - ſatz mit ihnen hatte, den Bedürfniſsen der Langenweile abzuhelfen. Es giebt Leute, Chloe! von denen man einen beſſeren Ge -186 brauch machen kann. Sie ſind leicht zu kennen. Mit dieſen verbinden ſie ſich auf das innigſte. Da ſie nur in geringer An - zahl zu finden ſind, ſo erleichtert dieſs die vollkommenſte Verbindung mit ihnen. Sie werden es bald erfahren, daſs es ein unge - meines Glück ſey, auf dem Wege zur Tu - gend eine ſichre Begleitung gefunden zu haben. Denn darauf muſs alle Freund - ſchaft abzwecken, die dieſes göttlichen Na - mens werth ſeyn ſoll. Laſsen ſie dann ei - nen unerwarteten Unfall hereinbrechen! ihre kleine Geſellſchaft wird ſich darum nicht von ihnen verlieren; man wird ihnen hülfreiche Hände bieten, man wird ihr Herz zu beruhigen, man wird ſie mit Troſt zu erfüllen, man wird ihnen Muth einzu - flöſsen ſuchen, und wenn man nichts kann, ſo wird man einen treuherzigen guten Wil - len zeigen, der ihnen ſo werth, als die That187 ſelbſt ſeyn wird. Jch ſage nichts von den täglichen Freuden eines wahrhaftig freund - ſchaftlichen Umgangs. Meine Beſchrei - bungen würden immer nur ſehr unvollkom - men ſeyn. Freundſchaft iſt der Himmel auf Erden, iſt der Vorſchmack von dem Glücke einer beſſern Welt. Suchen ſie je - nen zu finden und dieſen zu verdienen!

Jch ſchone ihrer Geduld, Chloe! Für eine Dame haben ſie mir lange genug zu - gehört.

188

Der zweyundzwanzigſte Spatziergang.

So oft ich auch von meinen Beobachtun - gen über den Menſchen mit Vergnügen zu - rückkomme, ſo find ich ihn doch auch nicht ſelten in ſo ſchlimmen Situationen, daſs ich kein Mittel weiſs, wie ich dem Un - willen Einhalt thun ſoll, den ich darüber empfinde. Jch ſehe dann ein allgemeines Verderben durch alle Stände verbreitet, die Gerechtigkeit von der Erde verbannt und einen durchgängigen böſen Willen, ſich al - lein wohl zu wollen. Alles iſt in einer verborgenen Gärung, von der man die ſchlimmſten Folgen zu beſorgen haben würde, wenn nicht eine höhere Hand im Spiele wäre, wenn nicht eine unſichtbare Weisheit dieſe Maſchine im Gange erhielte,189 wenn ſie nicht aus dem Uebel ſelbſt etwas Gutes herauszubringen wüſste. Es iſt in der That ſo, als wenn ein jeder für ſich zu arbeiten beſchloſsen hätte und als wenn ihn die äuſserſte Nothdurft allein nur beſtimm - te, ſich zuweilen auch für einen andern zu verwenden. Alle glaubt man für ſich, und ſich für Keinen geſchaffen. Daher das in der Theorie nicht bezeugte, ungeſchriebe - ne; in der Ausübung aber nur allzudeut - lich befolgte Geſetz: Gebrauche deinen Bruder, ſo viel du kannſt; oder mit andern Worten: Nöthige ihn mit und wider ſeinen Willen, wie es die Umſtände nur immer verſtatten mögen, ſo viel zu deinem Beſten zu thun, oder geſchehen zu laſsen, als dir dazu zu verlangen oder geſchehen zu laſsen beliebt. Die Fürſten und ihre Diener wird man wohl am wenigſten beſchuldigen, daſs ſie dieſer Regel nicht in ihrem ganzen Um -190 fange nachgekommen ſeyn ſollten. Wer will aber ſagen, daſs er, unter gleichen Um - ſtänden, nicht eben ſo viel und noch mehr, für ſich gethan haben würde? Bey aller Verbindlichkeit, die wir den Göttern der Erde ſchuldig ſind, bey dem fühlbaren Zwange dadurch ſie uns in unſerm Gleiſe zu erhalten wiſsen, bey der oft ſo unver - meidlichen Gefahr, in Abſicht auf Gut und Ehre, wenn wir ihren Foderungen nicht ge - nügen wollen, wiſsen wir es doch ſo ein - zuleiten, daſs wir, mit unverwandter Rück - ſicht auf unſern Privatnutzen, nur diejeni - gen ihrer Befehle erfüllen, die wir zu erfül - len nicht umhin können. Unſre Verwe - genheit geht dabey oft ſo weit, daſs wir, nicht wie in einem Lotto, eine Kleinigkeit einlegen, um ſechzigtauſendmal ſo viel zu erhalten; ſondern daſs wir alles aufs Spiel ſetzen, um eine Nuſsſchale zu gewinnen,191 von der man noch nicht ſagen kann, ob ſie hohl oder voll ſeyn werde. Man ſage nicht: Die Fürſten verlangen zu viel. Erſt - lich ſind wir die Leute nicht, die das ent - ſcheiden können, und dann ſo mögen ſie viel oder wenig fodern: der Haabſucht iſt auch das Wenige zu viel. Das ſanfteſte Joch, denkt man, iſt doch ein Joch. Dieſs Bedürfniſs wird mit einem kupfernen Dreyer verſteuert. Es iſt doch immer ein Dreyer! Wie? wenn ich ihn behielte, und doch mein Bedürfniſs befriedigte? Jch kann es ſicher: Wohlan! Dieſen Zoll kann ich verfahren. Laſs ſehen! Jch gewinne den dritten Theil eines Thalers, wenn ich es thue. Eine Kleinigkeit, in der That! um die ich den Fürſten lieber nicht betrü - gen wollte; allein man wird aufgehalten, und das iſt verdrieſslich! Aber der Zollverwalter iſt ein Argus und Briareus(I. Theil.) N192für den Vortheil ſeines Herrn. Deſto beſſer! Es iſt ſchon ein Vergnügen mehr, ſo vielen Augen und Händen entkommen zu ſeyn. So denkt man, ſo handelt man, von dem ſchwülſtigen Kaufmanne an, der ſich bis zu dem Vermögen eines Fürſten hinaufgewuchert hat, bis zu dem Bewohner der leimernen Hütte, der Eyer und Hühner zu Markte bringt! Und man läſst es ſich nicht träumen, daſs damit ein Diebſtahl be - gangen, daſs dadurch das klare, wohlge - gründete Recht eines Dritten gekränkt ſeyn könne. Jch habe ſelbſt Männer die ſich für ſehr ehrlich und muſtermäſsig fromm hielten, und auch von andern dafür gehal - ten wurden, mehr als einmal für ein ſo in - tereſſantes Herkommen die ſtärkſten Gründe anführen hören, die einen jeden, nur mich allein nicht zu überzeugen hinreichten. Aber warum nehmt ihr es denn ſo ſehr193 übel, wenn ihr einen eurer Bedienten über einen kleinen Betrug ertappt; warum wollt ihr es ihm nicht vergeben, wenn er, mit ei - nem unendlich kleinen Theile eures Ueber - fluſses, ſeiner dringendſten Bedürfniſse eins zu befriedigen geſucht hat? Die Verbind - lichkeit dieſes Unglücklichen gegen euch iſt bey weitem ſo ſtark nicht, als es die eurige gegen den Fürſten iſt. Jhr ſeyd dem Für - ſten mehr ſchuldig und Er hat mehr Gewalt euch zur Bezahlung anzuhalten.

Dieſe ungerechte Raubſucht nun hat ſich, wie eine Peſt, durch alle Stände und Ordnungen der Menſchen verbreitet. So handelt man gegen ſeine Obern, ſo handelt man gegen ſeine Untergebene, ſo handelt man gegen ſeines Gleichen! Der gröſste Theil des Gewerbes und Handels kann nur auf Die Weiſe vollzogen werden. Der Kaufmà nn ehret ſeinen Merkur. Der hat194 ihn handeln und ſt ** gelehrt! Wer à lle Künſte des groben und feinen Be - trugs an den Tag bringen wollte, der wür - de eine Herkuliſche Arbeit unternommen, und zuletzt doch nur den kleinſten Theil ſeines Unternehmens vollführt haben. Kein Handwerk, oder es führt ſeinen Betrug mit ſich, zu dem die Lehrlinge, als zu einem unentbehrlichem Stücke deſſelben auf das ſorgfältigſte vorbereitet werden. Einige Jnnungen haben es darin zu einer ſo be - kannten Vollkommenheit und Stärke ge - bracht, daſs man ihre Namen nicht mehr nennen kann, ohne damit zugleich auch den Begriff der Dieberey verbinden zu müſsen. Jch weiſs mich, wie geſagt; aus dieſer allge - meinen Verwirrung nicht anders herauszu - finden, als wenn ich annehme, daſs die Menſchen einen ſtillſchweigenden Vertrag unter einander gemacht haben, vermöge195 deſſen es einem jeden vergönnt ſeyn ſoll, dem andern ſo viel von dem Seinigen zu ent - ziehen, als entweder ohne Wiſsen, oder we - nigſtens ohne lauten Widerſpruch deſſelben geſchehen kann. Dergleichen Beraubungen werden dann für unendlich klein, und ganz und gar nicht für Gegenſtände des Gewiſ - ſens geachtet. Man würde ſich einem lauten Gelächter ausſetzen, man würde für unwiſ - ſend in den täglichen Vorfällen des Lebens gehalten werden, wenn man ernſthaft da - von reden; man würde für unbeſonnen, ei - genſinnig, geitzig und, wer weiſs für was mehr? gehalten werden, wenn man davon viel Aufhebens machen, und in allen dieſen Dingen auf ſein ſtrenges Recht beſtehen woll - te. Nun kann ich es auch wohl über mich erhalten, mich ohne Widerrede hintergehen zu laſsen; aber die Sache luſtig zu finden, wie ich das könnte? das weiſs ich nicht!

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Der dreyundzwanzigſte Spatziergang.

Jſt Die Foderung beſſer: Gebt uns Viel Bürger? Oder iſt Die beſſer: Gebt uns Gute Bürger? Eine ſeltſame Frage! Man verweiſe den, der ſie aufwerfen darf, unter die Träumer! Als wenn es nicht längſt ausgemacht, nicht erwieſen, nicht be - fohlen wäre: Seyd fruchtbar und mehret euch! Das Geſetz von der Bevölkerung iſt in allen wohleingerichteten Staaten das er - ſte, das gröſste, das weiſeſte Grundgeſetz, dem alle übrigen untergeordnet ſind und von dem keine Ausnahme verſtattet werden kann. Gebt uns Viel Bürger! Gute oder Böſe? Daran liegt nichts: gebt uns nur Viele! Das iſt der Ton eines ganzen Jahr - hunderts; das befehlen die Fürſten, das er -197 weiſen die Politiker; das Jſt wahr, das Soll wahr ſeyn! Jch bin wohl ſehr einfäl - tig, daſs ich das nicht begreifen, und ſehr eigenſinnig, daſs ich es nicht für wahr hal - ten kann! Genug ich kann’s nicht! Und wie könnt ich es auch? Meinen einſamen, nächtlichen Fusſteig erhellet nur Ein Stral, unter welchem ich ſehn kann was ich ſehe; an eurem Himmel aber, ihr Weiſen Dieſer Erde! laufen tauſend Sonnen herum, die euch leuchten, die euch wärmen, in deren Glanze ihr ſehen müſst was ihr ſeht. Aber was ich doch ſehe, das ſeh ich und was hin - dert mich, daſs ich es nicht auch ſage?

Noch hab ich, ſo lange ich hören und ſehen kann, von keinem klugen Feldherrn geleſen oder gehört, der einen groſsen, gemiſchten, zuſammengerafften Haufen lieber angeführt hätte, als ein kleines, wohlgeübtes, ausgeſuchtes Heer198 abgehärteter Krieger. Wie oft iſt die Menge nicht untergelegen? Hat man denn nie von Marathon, von Alexanders Siegen, von Narva, von Roſsbach gehört? Der Kopf Eines Mannes galt da ſo viel, als zehntauſend Aerme.

Jhr, die ihr mit den Schickſalen des menſchlichen Geſchlechts, von ſeiner Kind - heit an vertraut zu ſeyn vorgebt; wenn ihr es wiſst und wenn ihr es wollt, ſo ſagt es: Welche Geſellſchaften waren die glücklich - ſten von je her? Die gröſsten? War es die Welt vor der Sündfluth; oder war es die Familie Noah im Kaſten? War es Rom, die Königinn der Erde; oder Rom unter ei - nem friedfertigen, kleinen Beherrſcher, der Tugend und gute Sitten durch Geſetz und Beyſpiel verbreitete? Rom in ſeiner Dürf - tigkeit; Rom das ſeine wenigen Bürger in enge Mauern einſchloſs; oder Rom mit199 dem Raube der Völker bereichert, Rom unter allen Zonen gefürchtet, Rom in ſei - nen Mauern eine weite Provinz? War es Frankreich unter ſeinem Heinrich; oder unter dem vierzehnten Ludwig, der die Welt erſchütterte, der die alten Gränzſtei - ne ſeines Reichs weit in die Felder ſeiner Nachbarn hineintrug?

Je mehr, je beſſer! Dieſs Sprüch - wort wende man hier nicht an!

Je beſſer, je mehr! Darin liegt die Wahrheit. Gut ſey die Grundlage, und kann man des Guten viel haben: da greife man zu, da iſt die weiſe Begierde zu ha - ben erlaubt.

Gebt uns gute Bürger, und könnt ihr uns deren Viele geben, ſo gebt uns Vie - le! Dieſs ihr Fürſten ſey euer Problem! Dazu laſst eure Miniſter die Auflöſung finden!

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Das war eine Promenade im Finſtern, bey dem ſchwachen Schimmer eines erlö - ſchenden Lichts! Wohl mir! ich grüſse meine kleine Hütte wieder. Und noch bin ich wider keine Wand gelaufen und noch geh ich auf unverletzten Beinen einher!

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Der vierundzwanzigſte Spatziergang.

Das möchte noch hingehn, daſs man die guten und böſen Handlungen des andern oh - ne Unterſchied erzählt; allein, daſs man ſie aus ſchlimmen Abſichten entweder ſelbſt herleitet, oder doch dem Dritten Gelegen - heit giebt, ſie daraus herleiten zu müſsen, das verräth ſo viel Stolz und Bosheit, daſs es nicht zu ſagen iſt. Unſre Einſichten hierin ſind ſo eingeſchränkt, und die Ge - fahr zu irren iſt ſo groſs, daſs wir, wenn wir uns ja des Urtheilens nicht enthalten könnten; lieber auf eine gute Abſicht, ſo gar auch bey einem ziemlichen Grade der Wahrſcheinlichkeit fürs Gegentheil, ſchlieſ - ſen ſollten. Der Erfolg lehrt es, daſs man - che, dem Anſcheine nach, recht ſchlimme202 Handlung, in der beſten Meynung unter - nommen worden ſey: Und wir ſind ſo verwegen, daſs wir auch da Flecken ſehen wollen, wo alles Licht zu ſeyn ſcheint? Und wir ſind ſo bösartig, daſs wir oft alle Kräf - te unſers Verſtandes dazu aufbieten? Jn der That! wenn es deutliche Kennzeichen eines verderbten Herzens giebt, ſo müſsen es Die - ſe ſeyn. Was will man dagegen ſagen? Es iſt ſo böſe nicht gemeynt? Jch will es zugeben; man ſucht ſein Kränzchen zu beluſtigen; man ſchmückt ſeine kleine Ge - ſchichte mit ſeinen witzigen Anmerkungen aus; man hat nur angenehm unterhalten, nur ein unſchädliches Lachen erregen wol - len: Darin iſt nichts Böſes; gewiſs aber auch nicht viel Gutes! Anfänglich thut man das aus Leichtſinn; bald gewöhnt man ſich ſo zu handeln, und zuletzt flieſsen Leicht - ſinn und Bosheit ſo ineinander, daſs man die203 Gränze, wo dieſe anfängt und jener auf - hört, nicht mehr zu bemerken im Stande iſt. Und ſollte man ſich nicht ſchämen, den gu - ten Namen ſeines Mitmenſchen, auch nur ein - mal, auch nur in einer Kleinigkeit, auf eine leichtſinnige Weiſe zu behandeln? Wer ſagt uns gut für den Eindruck den unſre Einfälle machen werden? Sie ſollten nur dieſe be - ſtimmte Geſellſchaft beluſtigen, nur dieſen Zir - kel von Freunden zur Unterhaltung dienen. Wird es aber dabey bleiben? Jch zweifle ſehr. Dieſe aufgeputzte Geſchichte iſt Morgen das Mährchen der Stadt. Und ſie hat ſo viel neue Zuſätze erhalten, daſs ſie nur an einigen weſentlichen Theilen noch zu erkennen iſt.

Kleanth legt in einem gewiſsen Hauſe, wo junge Mädchen ſind, öftere Beſuche ab. Dieſs iſt das eigentliche Faktum, das trocke - ne Skelett der Geſchichte. Kleanth muſs Abſichten haben. Freylich wohl! Die204 Mädchen ſind nicht häſslich; Er iſt ein feuriger Jüngling: es müſste mit dem Hen - ker zugehn, wenn er ſich nicht verlieben ſollte. Wie leicht iſt der Sprung von der Wahrſcheinlichkeit zur Gewisheit! Nichts iſt ſicherer: Kleanth iſt verliebt. Er hat heute mit Chloen am Fenſter geſtanden; ſie haben ſich angeſehn; ſie haben mit ein - ander geſprochen: Kleanth iſt in Chloen verliebt. Kleanth ſchickt einen Boten nach Chloens Behauſung. An wen mag er ihn ſchicken? Was ſich liebt, das ſucht ſich. Er ſchickt ihn an Chloen. Der Bote kann hundert Dinge zu beſtellen haben, und in der That ſoll er einer von Chloens Tanten die Gellertſchen Vorleſungen über - bringen. Aber nein! er bringt einen Lie - besbrief. Kleanth und Chloe treffen ſich von ohngefähr auf einer Promenade: ſie haben ſich beſtellt. So heiſst es Heute. 205Morgen weiſs man zuverläſsig: ſie kennen ſich etwas genauer als man meynt; ſie ſe - hen ſich zuweilen ohne Zeugen; man hat ſie zuſammen getroffen; Chloe ſoll gar man trägt Bedenken es zu ſagen; aber alle Umſtände treffen zu, der Augenſchein lehrt es. Bey dem allen iſt Kleanth der ehrlichſte Mann von der Welt, und Chloe, ſo unſchuldig, wie die Sonne am Himmel.

Ein Beyſpiel für hundert! Unſre amü - ſirenden Geſchichtchen nehmen alle den Gang. Eine herrliche Ausbeute unſers er - finderiſchen Witzes! Ein theurer Zeitver - treib in der That, den ein Dutzend beſſe - rer Menſchen als wir ſind, mit ſeinem gu - ten Namen bezahlen muſs! O ihr galan - ten Herren! o ihr einſichtsvollen Spreche - rinnen unſrer geſellſchaftlichen Zirkel! eh ich euch um ein Talent von ſolchem Ge -206 halte beneiden, eh ich eurem weitverbrei - teten Ruhme nacheifern wollte: eher wollt ich mich zu einer ewigen Einſamkeit ſelbſt verdammen; oder in euren Geſellſchaften daſitzen, wie ein hölzernes Bild, mit offe - nem Munde und kreuzweis übereinander geſchlagenen Beinen, und für einen Klotz - kopf gehalten werden! Gehört das zu einer feinen Lebensart, gehört das zu dem arti - gen Umgange einer erleuchteten Welt, ſo will ich mir von einer frommen Groſsmut - ter lieber von Hexen und Geſpenſtern, von Diebesbanden und Hinrichtungen erzählen laſsen; oder mit einem ehrlichen Nachbar mich hinſetzen und um Pfeffernüſse in der Karte ſpielen!

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Der fünfundzwanzigſte Spatziergang.

Man kann ſich gegen ſeine Nachwelt, man kann ſich aber auch gegen ſeine Vor - welt verſündigen. Jn den letzten Fehler kann der Geſchichtſchreiber fallen, der für etwas mehr als für einen bloſsen Erzähler gehalten werden, der das Anſehn eines den - kenden Kopfes, eines unterhaltenden Schrift - ſtellers erwerben will. Fehlt es ihm an dem nöthigen Grade der Menſchenliebe, verbindet er mit einer lebhaften Einbil - dungskraft und mit einem geſchäfftigen Witze ein böſes Herz, ſo kann man ſicher erwarten, daſs er ſeinen Begebenheiten oft ſchlimme, und wenn gleich noch ſo wahr - ſcheinlich gemachte; doch groſsentheils un - zuverläſsige Bewegungsgründe unterlegen,(I. Theil.) O208man kann erwarten, daſs er die Begeben - heiten ſelbſt, ſeinen angenommenen Bewe - gunsgründen gemäſs, unvermerkt verän - dern, daſs er Situationen erträumen, daſs er bon-môts erfinden werde. Den reinſten Charakter wird er mit ſeinem Gifte be - ſpritzen: in dem weiſen Geſetzgeber wird er den politiſchen Betrüger, in dem Helden den haabſüchtigen Eroberer, in dem fried - fertigen Fürſten den ſchwachen, den trägen, den Wollüſtling erblicken. Selten wird er ſich einen Helden erwählen; oder er müſs - te mit ſeinem Lobe irgend eine vorgeſetzte Abſicht zu erreichen, irgend einen Vor - theil für ſein angenommenes Syſtem zu ge - winnen hoffen. Ueberhaupt ſetzt er den Charakter ſeiner handelnden Perſonen im Voraus, und nach einer vollſtändigen Kenntniſs der Sachen feſte. Dieſer iſt ſei - ne Form darin das übrige paſſen muſs. Was209 ſich nicht hinein zwingen läſst wird ver - dächtig gemacht, wird für überflüſsig ge - halten, wird weggeſchnitten. Wenn die groſsen Männer der Vorwelt aufſtehn, wenn ſie ihre Geſchichtſchreiber leſen ſollten, würden ſie es oft auch nur vermuthen kön - nen, daſs von ihnen die Rede ſey; würden ſie nicht oft bey Erblickung ihres Namens erſtaunen und die Unverſchämtheit eines Menſchen bewundern, der ganze Jahrhun - derte nach ihnen in ihren Herzen leſen will, was ihre vertrauteſten Freunde nicht darin leſen ſollten und was oft in der That auch nicht darin befindlich war? Es iſt wahr, würden ſie ſagen; man hätte den Leſer nicht beſſer unterhalten, man hätte nicht reizender erzählen, man hätte uns nicht angenehmer belügen können. Mit dem allen aber iſt die Welt doch betrogen und wir würden uns einer löblichen Polizey210 verbunden erkennen, wenn man dieſen Herren, bey Verluſt ihrer Handthierung, unterſagte: Gebrauch von unſern Namen zu machen; oder irgend etwas anders als einen Roman wider die Langeweile zu ſchreiben.

211

Der ſechsundzwanzigſte Spatziergang.

So will ich denn der Verſuchung wider - ſtehen, das durchſchauen zu wollen, was ſich die Allwiſsenheit allein zu ſehen vorbe - halten hat. Der kurzſichtige Sterbliche ſieht die Begebenheit ſelbſt nur in einer ge - wiſsen Entfernung, nur ihre gröbern Thei - le; die feinern entfliehn ihm. Der Menſch ſieht das nicht einmal, was vor Augen iſt; Gott aber ſiehet das Herz an. Die geheim - ſten Triebfedern unſrer Handlungen, die wir vor dem ſcharfſichtigſten Beobachter ſo glücklich zu verbergen wiſsen, die wir uns ſelbſt gern verhehlen möchten; die Hand - lung ſelbſt in ihrer ganzen Beziehung; je - den kleinen, die Schuld verringernden, oder vergröſsernden Umſtand; dann die Folgen212 der That bis ins Unendliche; das alles ſieht Gott, das alles iſt ihm auf das innigſte ge - genwärtig. Der Gedanke rührt mich. Jch Vermeſsner! ich ſollte in mich ſelbſt hineingehn: das würde mich unendlich mehr intereſſiren; das würde mir gelingen, wenn ich es ernſtlich wollte; das würde mir ſo viel zu thun geben, daſs ich es gerne vergeſsen würde, ein allzugenaues Augen - merk auf andre zu nehmen. Jede meiner wichtigern Handlungen ſollte mich vorzüg - lich zu einer genauern Prüfung veranlaſsen. Warum that ich Das? Der Abſicht Niedrigkeit, erniedrigt groſse Thaten. Wenn ich einen Theil meiner Kräfte und meis Vermögens anwandte, dieſe gemein - nützige Anſtalt zu befödern; wenn ich es mir ſauer darum werden lieſs; wenn ich deshalb ging, reiſete, dachte, ſchrieb: ſo213 ſcheint in dieſem allen ungemein viel Ver - dienſtliches zu ſeyn. Die Sache obenhin betrachtet werd ich es ſelbſt ſo finden müſ - ſen. Aber ich will mich einmal nicht an einer flüchtigen Betrachtung genügen, ich will meinem Gewiſsen freye Ausſicht laſ - ſen; ich will es mir ſelbſt ſagen, was ich villeicht nicht annehmen, was ich für eine Beleidigung halten würde, wenn es mir an - dre ſagten. Nun alſo, dieſe ſo rühmliche Anſtalt war ein Werk meines Ehrgei - zes. Der Gedanke: Deine Zeitgenoſsen werden dich bewundern, du wirſt unter den Sonnen des Vaterlandes glänzen, dein Name wird mit deinem Denkmahle auf die ſpäteſte Nachwelt herunterkommen; dieſer Gedanke, deutlich oder verworren gedacht, erzeugte den Entwurf, begleitete ſeine Aus - führung; Wohlwollen und Menſchenliebe hatten wenig Antheil daran. Woher214 die groſsmüthige Unterſtützung dieſer ver - laſsenen Waiſen, deren Vater mir ſo ſchlim - me Dienſte gethan hat, daſs ich die Folgen davon bis jetzt noch empfinde? Keine Aus - flüchte! Waren es Bewegungsgründe der Religion, die mich ſo zu handeln beſtimm - ten, die mir meinen Haſs und Zorn unter - würfig machten? oder war es nicht eine andre mächtigere Leidenſchaft vielmehr, die die ſchwächere beſiegte? War es die Macht der Tugend, oder der Schönheit, und wür - de ich ſo und nicht anders gehandelt haben, wenn nicht ein reizendes Geſicht, wenn kein ſchmachtendes Auge, wenn nicht die leidende Schönheit mich für ſich eingenommen hätte? Jch ſeh es nun allzuwohl, daſs ich meine Schuldigkeit nur ſchlecht erfülle, daſs ich bey meinen rühm - lichſten Handlungen doch nur auf mich ſehe, und daſs ich wenig genug thun und215 wenig genug aufopfern würde, wenn ich nicht irgend ein heftiges Verlangen meines unruhigen Herzens dadurch zu ſtillen ge - dächte. Meine reinſten Abſichten ſelbſt ſchmecken noch nach der unlautern Quelle, aus welcher ſie herflieſsen.

Vater der Geiſter! welch ein verächtli - ches, kleines Geſchöpf bin ich in der glän - zenden Reihe der Weſen, denen Du Leben und Bewuſstſeyn gegeben haſt! Du allein kannſt mich einer vollkommneren Natur theilhaftig machen; Du allein kannſt mich zu einer höhern Stufe moraliſcher Würde erheben; Du kannſt das Maaſs meiner ge - ringen Kräfte bis zu ihrer Zulänglichkeit erfüllen. Erleuchte mich denn in Abſicht meiner Zwecke; mache Du mich wahrhaf - tig weiſe!

216

Der ſiebenundzwanzigſte Spatziergang.

Jſt denn die ganze Maſſe meiner morali - ſchen Lebensgeiſter verderbt? Findet ſich in meinen Abſichten nichts Gutes; oder wenn es ſich darin findet, iſt es villeicht ſo wenig, daſs es gar nicht in Rechnung ge - bracht werden darf? Soll ich mich im Ernſt für ſo überwiegend böſe halten? ſo wär ich ein Ungeheuer, ſo ſetzt ich mich eigenwillig zur unterſten Stufe des Elends herab, ſo gäb ich allen Troſt auf, ſo entſagt ich einem jeden Schimmer von Hoffnung. Der Teufel ſelbſt kann ſo böſe, ſo elend nicht gedacht werden! Nein! ich bin nicht zu allem Guten verwahrloſet, und wenn ich nicht immer nach den beſten Motiven handle, ſo handle ich doch auch nicht nach217 den ſchlimmſten. Meine reinſten Abſich - ten ſind villeicht nicht ohne Zuſatz; aber auch meine ſchlimmeren ſind nicht ohne Güte. Jch bin ein endliches Weſen von einer unteren Gattung, es iſt wahr; aber ich bin doch immer ein Werk eines unend - lich gütigen Schöpfers; eine Jdee ſeines unendlichen Verſtandes, ein Ausfluſs ſeiner unendlichen Kraft. So würd ich ihn ja ent - ehren, wenn ich mich ſelbſt verkennte!

Jch habe mich oft geprüft. Hier iſt das Reſultat meiner Prüfungen!

Jch handelte ſchon oft nach überwie - gend guten Bewegungsgründen: davon überzeugt mich die genaueſte Beobachtung meiner ſelbſt. Jch bin gewiſs, daſs ich auch fürs künftige meiner groſsen Beſtim - mung noch oftmals Genüge leiſten werde: davon giebt mir mein innigſter Entſchluſs Gewiſsheit.

218

Könnt ich dieſs nicht von mir ſagen, würd ich dann die finſtern Wolken wohl zertheilen können, die das Schickſal über meinen Scheitel verſammelt? Würd ich dann wohl mein Haupt erheben, würd ich dem andringenden Unglücke begegnen können?

So ſind es denn ſo manche Widerwär - tigkeiten des Lebens weniger, die den Frie - den meiner Seele zu ſtören vermögen! Es beunruhiget mich wenig mehr, wenn hier und da eine kleine Unternehmung wider mein Erwarten ausfiel. Jch bin meiner redlichen Abſichten gewiſs; ich bin gewiſs, daſs ich nur ſo viel überſehen konnte; al - les übrige war über meinen Geſichtskreis hinaus. Jch wollte es ſo; eine verborgne Weisheit wollte es anders. Selbſt dieſer gröſsere Unfall, ſelbſt dieſe ſchmerzlichere Empfindung, dieſer nagende Kummer ſelbſt219 ſcheinet mir nun unendlich leichter zu tra - gen. Wuſst ich es, daſs ich mir dieſe Lei - den zuziehen; wuſst ich es, daſs ich ſie auch auf andre ableiten würde? Wuſst ich es? Sollt ich es und konnt ich es wiſsen? Freylich wird ein ſo trauriger Ausgang ei - nes wohlgemeynten Unternehmens ein nie - derdrückendes Gewicht für mich in der Schale meiner unangenehmen Empfindun - gen ſeyn; aber ich werde noch den Muth nicht verlieren dürfen, ich habe mir ein Gegengewicht für dieſen Zufall aufgeſpart: den unüberwindlichen Troſt eines redlichen Herzens.

Wenn nun auch die Bosheit der Men - ſchen ſich bemühen ſollte, mein Elend voll - kommen zu machen, wenn ſie nun auch die Folgen meiner Handlungen mit meinen Abſichten vermiſchen, wenn ſie mich für den unſeligen Urheber dieſer Uebel, die mir220 und andern begegnen erklären ſollte: ſo wird dieſer unverdiente Vorwurf meinem zärtlichen Herzen zwar eine Menge unan - genehmer Empfindungen verurſachen; je - doch

Zu meinem Schutze flammt
Der Unſchuld feurig Schild! ich werd
umſonſt verdammt:
Die Tugend hat mich losgeſprochen,
Da Schmähſucht, die vom Neide
ſtammt,
Mir tückiſchflüſternd nachgekrochen.

Wenn ich nur das Auge des Allſehenden nicht ſcheuen darf! Villeicht kann ich es von ihm noch erwarten, daſs er mich vor meinen unfreundlich geſinneten Richtern rechtfertigen, daſs er meine verſchriene Unternehmung in ein vortheilhaftes Licht ſetzen wird. Jch kann es Villeicht er - warten? Jch erwarte es Gewiſs!

221

Und wenn noch eine feindſelige Zunge ihre grauſamen Angriffe über mein Leben hinaus erſtrecken, und eine frevelnde Hand mein Denkmahl mit ſchmähenden Zügen beſudeln ſollte: Jch werde darum nicht un - ruhiger ſchlafen, ich werde darum nicht minder zu einem groſsen Gerichtstage er - wachen, die über alle Moralität für immer und ewig entſcheiden, und ein jedes Ge - ſchäfft des menſchlichen Geiſtes bis auf den Keim zergliedern wird.

222

Der achtundzwanzigſte Spatziergang.

Es iſt in der That ein Vergnügen, am Ende eines verlaufenen Tages ausrufen zu können: Dieſen Tag hab ich gelebt! Und das kann ich heute! Warum ſollt ich es mir verhehlen, warum ſollt ich Dir nicht, der Du mich hier allein ſieheſt und höreſt, o Allgütiger! warum ſollt ich Dir nicht mit aller Wärme der innigſten Dankbarkeit geſtehen: Dieſen Tag hab ich gelebt? Wenn ich dabey nur die demüthige Ueber - zeugung in mir lebendig erhalte, daſs ich jede gute Gabe von Deinen Händen em - pfing, und daſs mich Deine Vorſehung ſelbſt in die glücklichen Umſtände verſetz - te, da ich alles um mich mit Zufriedenheit und Freude zu erfüllen im Stande war. Jch223 bin mir ſelbſt, ſo gut wie andern, Gerech - tigkeit ſchuldig. Es kann meine Pflicht nie ſeyn, mich für ſträflicher zu erkennen als ich bin. Nur eine ſchwermüthige, ſchwärmeriſche Sittenlehre kann das verlan - gen. Hätt ich Dich, meinen unbegreif - lich groſsen Wohlthäter beleidigt, hätt ich irgend eine meiner wichtigern Verpflicht - ungen gegen meinen Nächſten verletzt: mit bekümmerter Seele würd ich es vor Dir bekennen, mit Thränen würd ich Deine verlorne Gnade wiederſuchen. Nun aber gehorcht ich Deinen Geboten; ich diente Dir in Einfalt des Herzens, ich beföderte das Wohl meiner Brüder und mein eignes, ſo weit ich es nach meiner geringen Ein - ſicht und nach meinem wenigen Vermögen konnte. So wär ich ja meiner eignen Ruhe Feind, wenn ich mir das alles gefliſ - ſentlich ſelbſt verbergen; ſo wär ich ja Dein(I. Theil.) P224gutgeartetes Kind nicht, wenn ich Dir für die Seligkeit des heutigen Tages nicht mit Freudigkeit danken wollte. Stolze Sterb - liche mögen es villeicht verlangen, daſs man in Betracht ihrer, ſeinen wahren Werth ver - leugnen, ſein Gutes nicht merken laſsen und ſeine Mängel vergröſsern ſoll. Aber ſo biſt Du nicht, Du groſser Urheber aller Wahr - heit und alles Rechts! Wer dürfte Dir ſchmeicheln; wer dürfte Dir eine armſelige Höflichkeit, eine ſo übelverſtandne Ehre erweiſen wollen?

O ſo lob ihn denn meine Seele, mit allen Wallungen einer heiligen Freude! Durch Jhn lebteſt du heute. Dieſe mo - raliſche Geſundheit, dieſs heitre Bewuſst - ſeyn deiner ſelbſt haſt du von Jhm. Wie ruhig kannſt du nun den erquickenden Schlummer erwarten! Die Nacht hat keine Schrecken für dich. Der Allgegenwärti -225 ge iſt bey dir und der Allmächtige ſchützt dich. Durch Jhn wirſt du wiederer - wachen.

O Herr! die Stunde meines Todes ſey der gegenwärtigen ähnlich! Laſs mich auch da, mit dem beſten Gewiſsen und mit der gelaſsenſten Ergebung in Deinen Willen ausrufen, oder doch bey mir ſelbſt denken können: Jch habe gelebt!

226

Einzelne Gedanken.

Die Leidenſchaften ſind die Flügel einer Windmühle. Sie bewegen den Stein zum Mahlen und ſchleudern den unvorſichtigen Don Quixote in die Wolken.

Seinen Wahrheitsprediger beſchenkte der König von Babel, den Gott auf der Wage zu leicht fand. Wie leicht werden die Könige ſeyn, die ihre Wahrheitspredi - ger zur Feſtung verdammen!

Wer weiſs ob oft nicht, uns unbemerkt, eine höhere Ordnung von Geiſtern ſich be - ſchäftigt, Erfahrungen und Beobachtungen mit uns anzuſtellen, wie wir es mit den Thieren thun?

Jch habe eine innigliche Freude ſo oft ich einem Manne begegne, der andere für ſo ehrlich hält als er ſelbſt iſt.

227

Uns ſelbſt verzeihen wir leicht Verge - hungen und Laſter. Unſre Schulden ver - geſsen wir ohne Mühe. Alte Verbrechen werden durch neue verdrängt. Darauf achtet Niemand. Aber dem Bruder von uns ſey der Himmel gnädig, der ein Haar breit vom rechten Wege abweicht. Ein Verſtoſs gegen das Herkommen der Mode iſt ein Verbrechen, und ein verrücktes Wort eine unverzeihliche Jgnoranz.

Man hat immer ſo viel Offenherzig - keit zu viel, als man Klugheit zu wenig hat.

Spiele nicht mit der Liebe! Kein Spiel iſt angenehmer und keins iſt gefährlicher. Es müſsen ſchon ſehr geſetzte Leute ſeyn, die nicht dabey verlieren wollen.

Die Mädchen müſsen immer etwas zu ſpielen haben: Puppen und Bilder, Karten, Hunde, Katzen und zuletzt Männer.

228

Ehrlichkeit, Rechtſchaffenheit, gutes Gewiſsen ſind vortreffliche Worte und noch vortrefflichere Sachen. Wer ſie aber immer im Munde hat, ſetzt ſich in den ge - gründeten Verdacht, daſs er ſie nicht im Herzen habe.

Jch ſtelle mir die Wiſsenſchaften als eine groſse Feldmark vor. Hier grünt ein lieblicher Buſch von friſchen Quellen ge - wäſſert, eine Wohnung unzähliger Vögel; dort breitet ſich ein goldnes Waitzenfeld aus, nutzbarer, obgleich minder ſchön fürs Auge; Dort kriechen Erbſen und Wicken am Boden; dort gränzt eine aufkeimende Sommerſaat mit der Farbe des Graſes an die falben Roggenhufen, die dem fleiſsigen Landmann eine nahe Aerndte geloben. Hier liegt unbebaueter Sumpf. Viele ha - ben ihn urbar zu machen vergebens ver - ſucht. Sie erlagen unter der Schwierig -229 keit des Verſuchs. Er ſcheint nun eine glücklichere Hand zu erwarten. Dort breitet ein Eichenwald ſeinen graunvollen Schatten gewaltig umher. Seine Geburts - ſtunde verliert ſich in ein früheres Weltal - ter. Er grünte villeicht ſchon, ehe noch dieſe ganze Gegend einem beſtimmten Be - ſitzer zu theil wurde.

Kein Menſch iſt ſo böſe, daſs er nicht etwas Gutes an ſich haben ſollte. Dieſe Wahrheit, die es ſo gewiſs iſt, als es ſonſt eine Erfahrung in der moraliſchen Welt ſeyn mag, verdient, zu mehrerer Ausbrei - tung einer allgemeinen Menſchenliebe, über - all geſagt, überall mit lauter Stimme ver - kündigt zu werden. Liebe deine Feinde! Dieſs eigentliche Gebot einer erleuchteten Philoſophie iſt hierauf gegründet. Der Verſtand deſſelben kann auch wohl kein anderer ſeyn als dieſer: Verdunkle dir die230 Fehler deines Feindes, und ſtelle dir ſein Gutes klar vor! Gewiſs! du wirſt ihn um des Guten willen lieben, du wirſt ſein Glück wollen, du wirſt es befödern. Jch kom - me zu meiner Erfahrung zurück. Jeder Menſch hat ſeine gute Seite. Der Teufel ſelbſt iſt nicht durchaus böſe. Man be - trüge ſich nur ſelbſt nicht; man ſehe ohne Leidenſchaft, man richte ohne Vorurtheile, und ſo ſehe man einem Böſewicht jeder Art ins Geſicht. Es ſind noch Züge ſeiner angebornen Güte vorhanden, ſo verſteckt ſie auch nur immer ſeyn mögen. Jch kann mich auf einen jeden guten Geſchichtſchrei - ber berufen, der ohne Parteylichkeit gelobt und getadelt hat. Der beſte Fürſt hatte ſeine Fehler und die Nerone ſelbſt waren nicht allezeit, nicht ganz Ungeheuer.

Wer ſpricht nicht von Freundſchaft? Wer glaubt ſie nicht zu empfinden? Wer231 iſt ſo unglücklich, daſs er ſich nicht über - reden ſollte Einige, oder wenigſtens Einen Freund zu haben? Wie viel hat man nicht über eine ſo allgemein bekannte Sache ge - dacht und geſchrieben? Welcher Sittenleh - rer hat ſich darüber nicht erſchöpft? Man hat die Freundſchaft in gebundner und un - gebundner Rede beſchrieben, und es iſt wohl kein akademiſcher Hörſaal und keine finſtre Klaſſe irgend einer Trivialſchule, wo man nicht zehnmal und hundertmal ihr Lob mit aufgeblaſenen Backen verkündiget hät - te. Und gleichwohl wenn ich von einem Pole zum andern reiſe, ſo find ich unter Tauſend kaum Einen, der einen Begriff hat, der der Würde der Sache angemeſsen iſt, und unter ganzen Myriaden kaum Einen, der ſich dieſem erhabnen Begriffe gemäſs zu handeln beſtrebt. Und was iſt denn alſo die Freundſchaft, mein Herr Diogenes? 232Denn ſie thun ſo weiſe als trügen ſie ſeine Laterne. Es iſt leichter zu ſagen, was ſie nicht ſey, als was ſie ſey, und ſie iſt das nicht, was ſie in den Gedanken der meiſten Menſchen iſt. Es iſt ihr wie gewiſsen Reli - quien gegangen, die der Aberglaube ſo ſehr vervielfältiget hat, daſs man von den meh - reſten gradehin ſagen kann: Sie ſind das nicht, was ſie zu ſeyn geglaubt werden. Gleichwohl kann es ſeyn, daſs hin und wie - der ein Läppchen von dem wahren Rocke der heiligen Jungfrau aufbehalten wird.

Sterbt für das Vaterland! Dieſs war ehemals die Stimme eines guten Bür - gers, der es nun in einer beſſern Welt iſt. Sie war zu ihrer Zeit nützlich und er - hitzte den Kopf manches empfindſamen Jünglings und bewegte ſein Herz, daſs er that was ſeine Pflicht war. Eine viel beſſre Ermahnung aber für alle Zeiten, Län -233 der und Stände iſt es: Lebt für das Vater - land! Lebt für euer Haus, für die Eurigen; lebt für die Stadt, die ihr bewohnt; lebt für den Boden, der euch nährt, für den Staat, der euch ſchützt! Und ſo ihr könnt, ſo eure Seele dazu groſs genug, dazu fähig ge - nug geboren iſt Lebt für die Welt!

Sterbt für das Vaterland! Dieſs Wort ſey nicht dem Krieger allein geſagt! Jhr, die ihr dem Staate ſonſt noch auf eine nähere Weiſe zu dienen berufen ſeyd, auch euch gilt dieſs Wort. Sterbt für das Va - terland! Verzehrt euch ſelbſt, verbraucht eure Kräfte, euer Vermögen, euer Leben zum Dienſte eures Fürſten, zum Wohlſeyn eurer Mitbürger! Dieſer Tod möchte vil - leicht ein gröſseres Verdienſt ſeyn, als je - ner; weil er mit mehrerer Ueberlegung, mit gröſserer Sorge, mit anhaltenderen Kummer beſchloſsen und ausgehalten wer -234 den muſs. Sterbt für das Vaterland! Die ſtrenge Pflicht fodert euch auf, euren Schlaf zu unterbrechen, ganze Nächte in ſchwerer Arbeit zu durchwachen, damit andre ru - hig ſchlafen können. Opfert eure Ruhe auf; damit andre derſelben genieſsen! Ent - ſagt euren liebſten Vergnügungen, verzehrt euch durch Denken; damit ganze Millio - nen euch ihr Vergnügen, ihren Wohlſtand, ihre ganze Glückſeligkeit verdanken! Sterbt in dieſem Sinne für die Stadt, die ihr be - wohnt, ſterbt für den Staat dem ihr dient! Und ſo ihr noch mehr könnt, ſo eure Seele dazu Gelegenheit und Stärke genug hat: Sterbt für die Welt!

Aus der Königlichen Hofbuchdruckerey.

[235]

Errata.

  • S. 14, Z. 10. lies trinke für eintrinke.
  • S. 15, Z. 10. ungereimte.
  • S. 25, Z. 13. Fläche, und ſcheinet.
  • S. 64, Z. 3. Wenn du dich nicht an ihm &c.
  • e. d, Z. 15. reelles.
  • S. 83, Z. 1. Dann iſt er &c.
  • S. 107, Z. 6.7. Vergebungen.
  • S. 139, Z. 1. ſie die ſie ſich &c.
  • S. 142, Z. 10. richtigen Schätzung.
  • S. 153, Z. 8. jemals eins.
[236]

Verzeichniſs derjenigen Bücher, welche von Chriſtian Friedrich Himburg in Berlin, auf ſeine eigne Koſten gedruckt worden.

  • Blochs, D. M E. Mediciniſche Bemerkungen, nebſt einer Abhandlung vom Pirmonter Augen - brunnen, 8. 774.10 gr.
  • Blum, J. C. Vermiſchte Gedichte, 8. 771.4 gr.
  • Deſselben Zwey Gedichte, die Hügel bey Rate - nau und Roſalia, 8. 771.3 gr.
  • Deſselben Lyriſche Gedichte, dritte um die Hälfte vermehrte Auflage, 8. 771.8 gr,
  • Deſselben Idyllen, gr. 12 773.8 gr.
  • Brocklesby, D. Richard, œkonomiſche und me - diciniſche Beobachungen zur Verbeſserung der Kriegslazarethe und der Heilart der Feldkrank - heiten, in zwey Theilen. Aus dem Engliſchen überſezt und mit Anmerkungen begleitet von D. Chr. G Selle, gr. 8 772.14 gr.
  • Burmann, G. W. Fabeln und Erzählungen in vier Büchern, 8. 773.12 gr.
  • Cugnot, Herrn, Befeſtigungskunſt im Felde, aus einem neuen Geſichtspunkte betrachtet und aus den Urquellen der Kriegskenntniſse hergelei - tet, mit 12 Kupfertafeln, 8. 773. auf Schreib - papier1 Rth. 4 gr.
  • Daſselbe auf Druckpapier20 gr.
  • Deſtouches, Herrn, Sämmtliche theatraliſche We[i]- ſie; fünfter Theil, enthält: 1. der Erzlügner, ein Luſtſpiel. 2. der vertraute Ehemann, ein[237] Luſtſpiel. 3. der vergrabne Schatz, ein Luſt - ſpiel, 4. der niedergelegte Schatz, ein Luſtſpiel, 8. Berlin 772.16 gr.
  • Einladungsſchreiben an den Herrn von Voltaire die theologiſche Doctorwürde in Deutſchland anzunehmen, 8. 773.3 gr.
  • Elemens de Geometrie; ou les ſix premiers Livres d’Euclides, avec le onzieme & douzieme. Tra - duction nouvelle par Mr. de Caſtillon, 8. 774.1 Rthl. 16 gr.
  • l’Enlevement de Proſerpine, poëme de Claudien traduit en proſe françaiſe, avec un Diſcours ſur ce poëte & des remarques, par Mr. Merian, 8. 774.18 gr.
  • Eſſai d’une Traduction nouvelle des Oeuvres mo - rales de Plutarque, 8. 774.6 gr.
  • Ferbers, Jo, Jac. Beſchreibung des K. K. Queck - ſilber-Bergwerks zu Idria in Mittelcrayn, mit Kupf. gr. 8. 774.18 gr.
  • Deſselben Beyträge zur Mineralgeſchichte von Böhmen, mit Kupf. gr. 8. 7741 Rthl.
  • Garſault, Herrn, Unterricht für Liebhaber der Pferde und Reiter, aus dem franzöſiſcen über - ſetzt von D. J. G. Krünitz. Mit Kupf. 8. 770.8 gr.
  • Gerhard, D. C. Ab. Materia. medica, oder Lehre von rohen Arzneymitteln, zweite vermehrte Auflage, 8. 771.1 Rthl.
  • Deſselben, Beyträge zur Chimie und Geſchichte des Mineralreichs I ter Band, m. K. gr. 8. 773.1 Rt.
  • ater Band, unter der Preſſe, gr. 8.
  • phiſikaliſche Beſchreibung des Schleſiſchen Rieſengebierges. gr. 8. 774.
  • die Holzhauer, oder die drey Wünſche, eine ko -[238] miſehe Oper, in einer freyen Ueberſetzung, 8. 772.4 gr.
  • Jacobi, Jo. G. Winterreiſe, 8. 769.6 gr.
  • Idyllen des Bion und Moſchus Aus dem Grie - chiſchen überſezt, 12. 774.14 gr.
  • Jeruſalems, Joh. Fr. W. Entwurf von dem Cha - rakter und den vornehmſten Lebensumſtänden des Höchſtſeeligen Prinzen Wilhelm Adolph von Braunſchweig. Mit der Franzöſiſchen Verſion, und des Prinzen Bildniſse von Berger geſtochen, gr. 4. 771.1 Rthl.
  • v. Juſti, J. H. G. Geſchichte des Erdkörpers, nach ſeinen äuſserlichen und unterirdiſchen Beſchaf - fenheiten hergeleitet und erwieſen, gr. 8. 771.1 Rthlr.
  • les Jeux de la petite Thalie, ou nouveaux petits Drames dialogués ſur des Proverbes propres à  former les mœurs des Enfans & des jeunes Gens depuis cinq ans juſqu’à  vingt. Nouvelle Edition corrigée, 8. 773.16 gr.
  • Marx, M. T. Obſervata quaedam medica, c. fig. 8 maj. 773.8 gr.
  • Möhſen, Sr. C. W. Verzeichniſs einer Sammlung von Bildniſsen gröſtentheils berühmter Aerzte. Dieſem ſind verſchiedene Nachrichten vorge - ſetzt, die ſowohl zur Geſehichte der Arzney - gelahrheit, als vornehmlich zur Geſchichte der Künſte gehören. Mit vielen Vignetten, 4. 771.3 Rthlr.
  • Oeuvres drammatiques de Mr. de Moiſſy, 3 Vo - lumes, 8. 773.2 Rthlr.
[239][240][241][242][243][244]

About this transcription

TextSpatziergänge
Author Joachim Christian Blum
Extent252 images; 27264 tokens; 6419 types; 187087 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSpatziergänge Erster Theil Joachim Christian Blum. . 222 S. ; 8° HimburgBerlin1774.

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Staatsbibliothek München München BSB, P.o.germ. 1715 n-1

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Antiqua

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Anstandsliteratur; Gebrauchsliteratur; Anstandsliteratur; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
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ShelfmarkMünchen BSB, P.o.germ. 1715 n-1
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