DAmit ich einigen beſorglichen Mißdeu - tungen vorbiege, welche bey Gelegen - heit dieſer beyden Schreiben gemachet werden moͤgten, muß ich einen kurtzen Vor - bericht vorhergehen laſſen. Das erſte von denſelben laſſe ich zwar den beruͤhmten Mann verantworten, unter deſſen Nahmen und Per - ſon es geſtellt iſt; ich habe dabey nichts wei - ter gethan, als daß ich ſeine Gedancken und Empfindungen ins Schweitzeriſche uͤberſetzet, ſo, wie ich ſie in dem Jnnerſten ſeines Cha - racters und Gemuͤths geleſen habe, und ich habe ſie ſo wahrſcheinlich, und ſo glaubwir - dig gemachet, daß ihnen zur wuͤrcklichen Wahr - heit weiter nichts fehlet, als das Geſtaͤndniß des Hr. Gottſcheds. Jn Anſehung des an - dern Schreibens aber, vor welches ich mei - nen eigenen Nahmen geſetzet habe, halte ich vor noͤhtig mich ausdruͤcklich zu erklaͤren, daß ich, ob ich gleich den Titel meines Schrei - bens an die gantze Geſellſchaft von Greifswal - de gerichtet habe, in welcher dieſe Monaths - ſchrift entſprungen iſt; dennoch wohl erkenne, daß in derſelben geſchickte Mitglieder ſind, welche an den Verſehungen, von denen ich re -A 2de,4de, keinen Antheil haben koͤnnen. Verſchie - dene verſtaͤndigere und gruͤndlichere Artickel ge - ben wir genugſam zu erkennen, daß ſie von Maͤnnern verfertiget worden, welche gruͤnd - liche Einſichten und aufrichtige Abſichten mit ſich zu ihrer Arbeit gebracht haben. Und vermuthlich wird aus Antrieb derſelben die Bedingung in den Vorbericht eingefloſſen ſeyn, daß die hier und dar bemerckten Fehler nicht auf die gemeine Rechnung derer, die an dieſer Monathsſchrift arbeiten, geſchrieben, noch weniger der gantzen Geſellſchaft zur Laſt geleget werden. Sie haben daran vorſichtig gehandelt, und es iſt billig daß man ihnen Recht wiederfahren laſſe. Jch mache dem - nach eine Ausnahme von ihnen, und bin es gar wohl zufrieden, daß ſie meine Anklage von ſich und der gantzen Geſellſchaft abwel - zen, und weiter auf denjenigen einzeln Mann, oder die wenigen Perſonen ſchieben, welchen ſie eigentlich zukommen. Jch kenne dieſe nicht, ſonſt haͤtte ich das Schreiben geradezu an ſie geſtellt; aber die Geſellſchaft wird ſie ſchon kennen, und zur Verantwortung derer Feh - ler, die ſie nicht auf ihre eigene Rechnung nehmen will, anzuhalten wiſſen. Alſo ſteht es in der Gewalt der Geſellſchaft zu verhuͤten, daß die Unſchuldigen mit den Schuldigen nicht vermiſchet werden.
Jn -5Jndeſſen habe ich mich dieſes mahl noch hin - terhalten meine Antungen uͤber einen oder zween Artickel im V. St. zu machen, weil ich ſehe, daß man es in denſelben ſo arg gemacht hat, daß es ſchwer faͤllt, diejenigen von aller Schuld looszuſagen, welche zwar davon eigentlich nicht Verfaſſer ſind, jedoch ſich uͤberhaupt zur Auf - ſicht uͤber das gantze Werck anheiſchig ge - macht haben. Dieſes hat die gantze Geſell - ſchaft in dem Vorberichte gethan, und zu we - nigerm hat man ſich in einem geſellſchaftlichen Wercke nicht verbindlich machen koͤnnen.
Vielleicht hindert meine Erklaͤrung nicht, daß diejenigen aus der Geſellſchaft, auf wel - che meine Beſchuldigungen fallen, mich nicht zu dem Gelehrten zehlen, von welchem man in dem Vorberichte ſagt, er glaube, daß man in critiſchen Schriften aufhoͤren muͤſſe hoͤflich zu ſeyn. Jch glaube dieſes nicht, aber ich meyne doch, daß man ohne Verletzung der Hoͤflichkeit unwiſſende und hochmuͤthige Scri - benten die ſchwere Hand der critiſchen Straffe gerechtigkeit empfinden laſſen duͤrfe.
A 3Hrn.6Hr. Pr. Gottſcheds SchreibenJCh bin eurer Geſellſchaft ſeit euerm Ur - ſprunge gewogen geweſen, und habe euer bey Gelegenheiten ſchriftlich und muͤndlich mit allem Ruhme gedacht, weil ich mir von euern Bemuͤhungen nicht bloß zum Aufnehmen der geſunden Critick und der Sprache uͤberhaupt, ſondern insbeſondere meiner Critick und Sprache viel gutes verſprochen. Denn Mein Vertrauen zu euch blieb nicht dabey ſtehen, daß ihr dem Geſchmack aufzuhelffen befliſſen ſeyn wuͤrdet, ſondern erfuͤllete mich mit der Hoffnung, daß ihr meinen Geſchmack als meine Nachfolger annehmen und ausbreiten wuͤrdet, ſo wie ich ihn in meiner Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen, und folglich fuͤr euch, in meiner Redekunſt, und meinen Beytraͤgen nach ſeinem unbeſtimmten und will - kuͤrlichen, jedoch allemahl unbetruͤglichen Vermoͤ - gen zur Nachfolge angeprieſen habe. Mir war deſto mehr daran gelegen daß ihr ohne eigenſinnige Ausnahmen meinen Meynungen beyfielet, und euch offentlich zu meinem Anhange ſchluͤget, weil in hac temporum injuria nur allzu viele freche Juͤnglinge ſich hier und dar die Freyheit anmaſſen, von meinen Vorſchrifften abzuweichen, und denFein -7an die d. Geſ. von Greifswalde. Feinden ein mehrers einzurauͤmen, als mit mei - nem Anſehen beſtehen kan. Allein ich muß ſchier glauben, daß ich mich ſelbſt in meinem zu ſichern Zutrauen auf eure Gefaͤlligkeit betrogen habe. Ei - ne Menge unbedachter und uͤbereilter Reden und Anmerckungen in eurer Monathsſchrift macht mich hierinn furchtſam und argwoͤhniſch, ungeachtet ich mich gegen alle boͤſe Gedancken, die ſie mir erwe - ken, aus allen Kraͤfften ſperre und ſtraͤube, und mich zu bereden trachte, daß es vielmehr Unacht - ſamkeit und Unvorſichtigkeit, als boͤſer Wille und Eigenſinnigkeit ſey. Da ich euch nun noch nicht fuͤr Ueberlauͤffer zu meinen Feinden halten will, ſo gedencke ich euch die Sachen, die mir in eurer Monathsſchrift ſo bedencklich und nachtheilig vorkommen, mit aller Freundlichkeit und Geduld vorzuſtellen, in der Hoffnung, daß ihr ſelber be - greiffen werdet, wie groſſen Abbruch dergleichen Verfahren einer ſo beruͤhmten Geſellſchaft, wie die eurige in kurtzer Zeit werden wird, meinem Anſehen, meiner Herrſchaft und meinem Ruh - me nothwendig bey nachſinnenden und freyen Ge - muͤthern thun muͤſſe.
I. Jhr bekennet zwar, daß die Nachricht und Abhandlung von meiner Dichtkunſt (wie ihr ſie ſchlechtweg nennet) in der Abſicht dieſes Buch unſern Landesleuten erſt noch bekannt zu machen, gantz unnoͤthig waͤre: Jhr nennet es ein vortreff - liches, ein ſchaͤtzbares Werck: Aber, wenn dieſes Bekaͤnntniß aufrichtig und von Hertzen ge - meinet iſt, was war es denn noͤthig den WerthA 4die -8Hr. Pr. Gottſcheds Schreibendieſes Wercks erſt noch ſo muͤhſam zu beweiſen? Ein Beweis laͤßt ja allemahl vermuthen, daß die Sache nicht voͤllig unſtreitig und auſſer Zweifel ſey, und dergleichen Verdacht iſt zuweilen von groͤſſerer Kraft, als der Beweis, womit man ihn heben will. Laſſe man die Leute in ihrem Wahn im - merhin ungeſtoͤrt, ſonſt duͤrfte man einen eben ſo ſchlechten Danck davon tragen, als jene beym Horatz, die ſich alle Muͤhe gegeben, den gluͤckſeli - gen Wahnwitzigen zu curieren, dafuͤr aber ſtatt des erwarteten Dancks hoͤren muͤſſen:
Das weit ſchlimmere dabey iſt wohl dieſes, daß die Art euers Beweiſes die Schaͤtzbarkeit meines Buchs, im Grunde gantz verdaͤchtig und zweifel - haft machet, in waͤhrender zeit, daß ihr ſelbige zu verfechten und anzupreiſen vermeinet: Jhr neh - met euern Erweis her von dem ſtarcken Abgang und allgemeinen Beyfall, den mein Buch in einer Zeit von wenig Jahren in gantz Deutſchland gefunden: Allein ihr gebet ja in dem I. St. eurer Beytraͤge Bl. 6. ſelbſt mit duͤrren Worten zu verſtehen, daß der allgemeine Beyfall, den eine Sache erhaͤlt, die wuͤrckliche Guͤte derſelben nicht unwieder - ſprechlich ausmache. Und es kan euch nicht ver - borgen ſeyn, wie wenig meine tadelſuͤchtigen Schweitzeriſchen Gegner aus dieſem Grund, auf den ich ehedem in meinen Vorreden auch ſelbſt ge - trotzet hatte, gehen laſſen, und wie ſie ſich hierund9an die d. Geſ. von Greifswalde. und dar in ihren Spottſchriften etwas rechts darauf zu gute thun: So daß nicht ohne Grund zu beſor - gen iſt, ſie werden noch behaupten duͤrffen, es ſey nicht unmoͤglich, daß ein Buch viel geleſen werde, und doch noch unbekannt ſey: Nachdem ſie ſich unterſtanden haben zu behaupten, daß oͤf - ters das ſchlechteſte Buch von der Welt den ſtaͤrcke - ſten Abgang und einen allgemeinen Beyfall erhal - ten koͤnne. Und was werden dann eure ſonſt freygebige Verſprechungen von dem eben ſo gefaͤl - ligen Urtheil der kuͤnftigen Zeiten fuͤr ein Anſehen behalten?
II. Was war es nothwendig die zwo erſten Auflagen meiner Critiſchen Dichtkunſt, deren Ge - daͤchtniß ich nur uͤberhaupt und der Zahl nach zu er - halten ſuche, aus der Vergeſſenheit, in die ich ſie durch die wichtigen Veraͤnderungen und Ver - beſſerungen der dritten Herausgabe geſtuͤrtzt zu ha - ben verhoffete, wieder hervorzuziehen, und ihre Maͤngel in Vergleichung mit der Vollkommenheit dieſer letztern aller Welt zu offenbaren. Jch hat - te mich verſichert, es koͤnnte keinem meiner Schuͤ - ler und Verehrer verborgen ſeyn, daß ich es mit meinen Schriften lediglich wollte gehalten wiſſen, wie mit einem Teſtament, da allezeit das ſpaͤtere die vorhergehenden aufhebet, und alleine rechts - guͤltig bleibet. Und was vor Abſichten kan man wohl demjenigen zutrauen, der ein veraltetes und an dem Rechten unguͤltiges Teſtament wieder aus dem Staube hervorziehet, anders, als daß er mit Fleiß den Neid derjenigen, die ſich durch die neue teſtamentliche Verordnung verkuͤrtzt zu ſeynA 5glau -10Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenglauben, habe rege machen und ohne Noth und Beruff Streit erwecken wollen? So habe ich in meinen erſten Schriften meine Gnaden und Lob - ſpruͤche nach meiner freyen Willkuhr ausgetheilet: Nach eben dieſer Freyheit habe ich in der neuen Herausgabe meiner Critiſchen Dichtkunſt die Nah - men und das Andencken einer Neuberin, der Schweitzeriſchen Mahler, Hrn. Koͤnigs, Hrn. Bodmers und anderer, weil ſie ſich meiner vo - rigen Huld unwuͤrdig gemachet, gaͤntzlich aus - geloͤſchet, in der Meynung, daß hinfuͤr des in meinen vorigen Schriften aus allzuguthertziger Ue - bereilung ihnen verſchwendeten Lobs nicht mehr ſolle gedacht werden. Dieſe meine Abſicht war auch fuͤr alle diejenigen, die es mit meinem Ruhm treu - lich und recht von Hertzen gut meynen, unſchwer zu errathen. Wenn ich demnach noch am billig - ſten und gelindeſten von eurem Vorſatz urtheilen ſoll, nach welchem ihr die drey Ausgaben meiner Critiſchen Dichtkunſt in eine Vergleichung zu zie - hen unternommen habet, ſo muß ich es einer nach - laͤſſigen Unbedachtſamkeit zuſchreiben, daß ihr euch nicht habet vorſtellen koͤnnen, daß die Ausfuͤhrung eines ſolchen Vorſatzes nothwendig den Neid und die Eiferſucht der an ihrem Ruhme gekraͤnckten Perſonen gegen mich zur Rache aufhetzen werde: Denn dadurch ſetzet ihr mich in die verdrießliche Nothwendigkeit, daß ich mich entweder einer ſtrafe baren Uebereilung in meinen erſtern freygebigen Lo - beserhebungen, oder eines boßhaften Neides in Zuruͤckziehung derſelben ſchuldig geben muß: We - nigſtens machet ihr mein Lob und Tadel einer ver -haßten11an die d. Geſ. von Greifswalde. haßten Partheylichkeit bey aller Welt verdaͤchtig, und raubet meinem Urtheil von andern den erworbe - nen Schein und Credit der Critiſchen Gerechtigkeit.
III. Wie nachlaͤſſig fuͤhret ihr nicht meine Sa - che, da ihr ſo kahl daherſaget: „ Jhm iſt wie - „ derſprochen worden, und er hat ſich bisweilen „ verantwortet. „ Es weiß ja jedermann, daß ſich verantworten und ſich rechtfertigen zwey - erley iſt: Und wird nicht die Einſchraͤnckung durch das Zeitwoͤrtgen bisweilen den billigen Verdacht erwecken, als ob es mir an dem Vermoͤgen ge - fehlet haͤtte, mich uͤberall und in allen Stuͤcken zu verantworten? Jſt denn ein Schriftverfaſſer, zu - mahl wenn er ſeine Zeit nuͤtzlicher zu gebrauchen weiß, eben nothwendig verbunden, ſich gegen alle wiedrigen Urtheile von ſeinen Schriften zu verthei - digen, oder, kan man aus der Unterlaſſung deſ - ſelben untruͤglich ſchlieſſen, daß ſolches aus Unver - moͤgen geſchehen ſey? Habe ich nicht hier und dar ausdruͤcklich bezeuget, daß ich weder Luſt noch Zeit habe, mich mit meinen Tadlern einzulaſſen.
IV. Es iſt freylich an dem, daß ich bey der letzten Ausgabe meiner Critiſchen Dichtkunſt die Worte: fuͤr die Deutſchen; auf dem Titelblatt mit gutem Bedacht ausgeſtrichen habe, um da - durch den Schweitzern den ſpoͤttiſchen Fuͤrwurff abzuſchneiden, als ob die meinige nicht eine allge - meine, ſondern eine nur allein fuͤr die Deutſchen eingerichtete Dichtkunſt ſey: Was hat euch aber gedrungen meine geheimen Abſichten bey dieſer Ver - aͤnderung, die ich mit Fleiß verborgen halten woll - te, offentlich zu verrathen, und den ſchimpflichenFuͤr -12Hr. Pr. Gottſcheds SchreibenFuͤrwurff der Schweitzer, der meiner Dichtkunſt zur Verkleinerung gereichet, wiederum aufzuwaͤr - men und zu erneuern. Jhr moͤget wohl nicht be - dacht haben, daß ihr dadurch zum Geſpoͤtte neuen Anlaß gebet, dem ich durch die liſtige Veraͤnde - rung des Titels voͤllig vorgebogen zu haben ver - meint hatte. Die Schweitzer werden ſagen: Der Leipzigiſche Verfaſſer hat den Gebrauch ſeines Buchs ſelbſt eingeſchraͤncket, da er auf dem Ti - telblatt der zwo erſten Ausgaben ausdruͤcklich geſe - zet hat: Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen. Nun kan er ja nicht gemeint haben, daß ſein Buch darum fuͤr die Deutſchen ſey, weil es in deutſcher Sprache geſchrieben, und von niemandem, der dieſe Sprache nicht verſte - het, koͤnne geleſen werden; denn ſo waͤre dieſer Zuſatz bey ſeinen meiſten uͤbrigen Schriften eben ſo noͤthig geweſen; da haͤtte er mit gleichem Grund ſchreiben ſollen, Gottſcheds Redekunſt fuͤr die Deutſchen, Gottſcheds Weltweißheit fuͤr die Deutſchen, Baylens Woͤrterbuch fuͤr die Deut - ſchen ꝛc. ꝛc. Da ſich nun dieſe Einſchraͤnckung nicht auf die Sprache, in welcher das Buch ge - ſchrieben iſt, beziehen kan, ſo muß ſie ſich noth - wendig auf die Sachen beziehen, die darinnen ab - gehandelt werden: Es muͤſſen hiemit nach des Ver - faſſers eigenem Geſtaͤndniß uͤberhaupt ſolche Sa - chen darinnen abgehandelt werden, die fuͤr die Deutſchen alleine brauchbar ſind, und die kein an - derer, wenn ihn gleich die Sprache nicht hinder - te, brauchen koͤnnte. Jſt nun aber dieſes Buch in den zwo erſten Ausgaben allein fuͤr die Deut -ſchen13an die d. Geſ. von Greifswalde. ſchen gewiedmet und brauchbar geweſen, ſo kan die neue Ausgabe, die dem Weſen nach und uͤ - berhaupt von den beyden erſtern nicht unterſchie - den iſt, in ihrem Gebrauche nicht allgemeiner ſeyn, wenn gleich die Worte: fuͤr die Deutſchen; auf dem Titelblatte gaͤntzlich ausgelaſſen worden, denn die Veraͤnderung des Titels veraͤndert darum das Weſen der Sache nicht. Sie werden darum auch das Ausloͤſchen dieſer Einſchraͤnckung auf dem Ti - telblatt der dritten Ausgabe als eine Rechtfertigung ihres gefuͤhrten Tadels und als ein Bekenntniß aufnehmen, daß ich dieſen Zuſatz: fuͤr die Deut - ſchen; ehedem ohne Bedacht und Verſtand hin - geſchrieben, und dieſen Fehler in 14. Jahren nicht eher erkennt habe, als bis ſie mir ſelbigen vorge - ruͤcket haben. Durch dieſe und dergleichen Gedan - ken, die ich durch die ſtille Veraͤnderung gaͤntz - lich zu unterdruͤcken bedacht geweſen; ihr aber durch eure unzeitige Antung ohne Noth veranlaſſet, ma - chet ihr noch ſelbſt die beygefuͤgte pathetiſche Be - ſtraffung uͤber die ſatyriſchen Spoͤttereyen und un - reinen Abſichten der Schweitzer gantz unkraͤftig und abgeſchmackt.
V. Was fuͤr ein Geiſt hat euch doch eingegeben, die fuͤr mein gegenwaͤrtiges Anſehen allzu nieder - traͤchtige Vorrede, die ſich bey der erſten Ausga - be meiner Critiſchen Dichtkunſt findet, aus dem Staube der Vergeſſenheit wieder hervorzuziehen, und ſo gar ihrem Jnnhalt nach zu wiederholen? Jhr nennet ſie unter allen dreyen die merckwuͤr - digſte: Und ich habe ſie unter allen dreyen allein fuͤr verwerfflich gehalten, und darum in der letz -ten14Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenten Ausgabe derſelben allein keinen Platz goͤnnen wollen, da ich die von der zweyten Ausgabe un - veraͤndert beybehalten habe. Man muß ſich ſelbſt bereden koͤnnen, daß ich ohne zureichenden Grund nur ſo in den Tag hinein wehle und verwerffe, wenn man nicht mercken kan, daß ich durch die Ver - werffung dieſer meiner erſten Vorrede zu der Dicht - kunſt, ſelbige zu einer ewigen Vergeſſenheit ver - dammt wiſſen wolle. Wenn ſonſt kein anderer Grund waͤre, der ſie in meinen Augen verwerff - lich machen koͤnnte, ſo waͤren es die mir ſeit A. 1740. ſo verhaßten Nahmen der Zuͤrichiſchen Mahler, Hrn. Prof. Bodmers, und des Hrn. Geh. Secr. Koͤnigs, die dieſe Vorrede noch ſo gar als meine Lehrmeiſter und Anfuͤhrer zu Criti - ſchen Unterſuchungen und zu dem guten Geſchmack in der Poeſie, ja als ſo viel Wetzſteine meiner Floͤte unverſchaͤmter Weiſe angeben darf. Wie wuͤrde es zuſammenſtimmen, wenn ich dieſe Nah - men durch eine neue Auflage dieſer Vorrede haͤtte zu verewigen geſucht, da ich dieſelben aus meinem gantzen Wercke, als meines fernern Schutzes un - wuͤrdig, gaͤntzlich ausgetilget habe? Jch wieder - ruffe demnach hiermit offentlich, was ich zu Gun - ſten dieſer drey Nahmen jemahls wiſſendlich oder unwiſſendlich geredt oder geſchrieben habe, oder was andere aus meinen erſten Schriften, die vor A. 1740. ans Liecht getreten ſind, zum Ruhme derſelben jetzt oder ins Kuͤnſtige anfuͤhren moͤchten.
VI. Was die Vertheidigung der Critick in die - ſer verworffenen Vorrede anſiehet, ſo ſetzet ihr mich ohne Noth und aus bloſſem Mißverſtande mitHrn.15an die d. Geſ. von Greifswalde. Hrn. Bodmer in einen Widerſpruch. Hrn. Bod - mers Antung faͤllt nicht ſo faſt auf die bloͤde Art und Gefaͤlligkeit, womit ich die Benennung mei - ner Critiſchen Dichtkunſt entſchuldiget habe, als vielmehr auf diejenigen von meinen deutſchen Le - ſern, deren falſche Begriffe und wiedrige Vor - ſtellungen von dem Nahmen der Critick meine Ent - ſchuldigung noͤthig gemachet haben.
VII. Was ferner den Auszug von meinem Poetiſchen Lebenslauff anlanget, ſo begleitet ihr denſelben mit einer ſo zweydeutigen Anmerckung, die der Schweitzeriſche Spottgeiſt Conrector Er - lenbach nicht ſchimpflicher fuͤr mich haͤtte erden - ken koͤnnen, bey dem unbaͤndigen Vorſatz, den er hat, mich uͤberall laͤcherlich und verdaͤchtig zu machen. Jhr ſaget: „ Hr. Gottſched hat uns „ das vollkommene Bild eines Kunſtrichters in ſei - „ ner Perſon ſelbſt gegeben; und alſo duͤrffen wir „ nicht zweifeln, daß es ſeinem Urbilde aͤhnlich ſey. „ Giebt denn das Zeugniß von ſeinem eigenen Lob und Geſchicklichkeit einer Erzehlung einen Anſtrich der Glaubwuͤrdigkeit? Oder wem hat man jemahls ſeine Worte anders als eine Spottrede aufgenom - men, wenn er ſich von einem andern ungefehr alſo ausgedruͤckt hat: Sēmpronius iſt ein Grundge - lehrter Mann; es muß wahr ſeyn: Denn er hat es ſelbs geſagt? Und wohin muß es wohl abgeſe - hen ſeyn, wenn ihr die ſpoͤttiſche Anmerckung der Hrn. Schweitzer ohne Antung, ja faſt mit Bey - fall anfuͤhret, da ſie vorgeben duͤrffen, die groſ - ſen Kunſtrichter wuͤrden die Gedancken, die ich ihnen abgeborget, nicht mehr fuͤr die ihrigen er -ken -16Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenkennen, ſo ſehr ſeyn ſie von mir uͤbel gefaſſet und verderbt worden.
VIII. Wenn ihr in eurem Urtheil von meiner Ueberſetzung von Horatzens Dichtkunſt mir zuerſt einen ruͤhmlichen Fleiß, den ich in dreymaliger Ausbeſſerung derſelben gluͤcklich angewandt habe, zugeſtehet: Bald hernach aber mich einer ſtrafba - ren Nachlaͤſſigkeit und die Ueberſetzung ſelbſt hier und dar matter und undeutlicher Ausdruͤcke, die Horatzens Sinn nicht erreichen, beſchuldiget, was heißt dieſes wohl anders, als mir einen groben Un - verſtand, und bey einem unbedachten Vorſatz und loͤblichen Fleiſſe ein unuͤberwindliches Unvermoͤgen Schuld geben? Und verraͤth dieſes nicht eine klei - ne Tadelſucht, wenn ihr meiner Ueberſetzung ei - nen einzigen Fehler vorruͤcken koͤnnet, der darzu nicht viel auf ſich hat; inzwiſchen aber dieſelbe gantz dreiſte verdaͤchtig machet, als ob ſie hier und dar von dergleichen wimmle?
IX. Mit was vor Befugniß will man mir einen Theil der Schuld von dem bey Anlaſſe meiner unſchuldigen Dichtkunſt entſtandenen und noch im - mer fortdaurenden ſo feindſeligen Kriege aufbuͤr - den, da ich bisdahin mich nur gantz leidend verhal - ten, und die harten Streiche, die die Schweitzer auf mich gefuͤhret, mit einer ſanftmuͤthigen und ge - duldigen Großmuth erduldet, und ſo viel moͤglich geweſen, verachtet habe, auſſer daß ich nur eini - ge wenige mahl, aber gantz verſtohlner und ver - kappter Weiſe auf dem Kampfplatz erſchienen bin. Was darnach das ungemeſſene Lob, welches dem mir ſo verhaßten Breitingerſchen Nahmen beygele -get17an die d. Geſ. von Greifswalde. get wird, und die unbillige Vergleichung meiner Perſon, Verdienſte, und meines Werckes mit der Perſon, den Verdienſten, und dem Wercke dieſes Schweitzers anlanget, ſo erlaubet mir mein Un - muth nicht mich deutlicher daruͤber zu erklaͤren: Jch ſage nur ſo viel, daß dieſes alles Wirckun - gen einer unuͤberlegten Syncretiſterey in gantz wie - derwertigen Dingen ſeyn.
X. Was that es noth die haͤmiſchen Urtheile der Schweitzer von meiner Critiſchen Dichtkunſt ſo weitlaͤuſtig anzufuͤhren, zumahlen da ihr doch ſelbſt bekennen muͤſſet, daß ſie voller Haß, Bit - terkeit und Parteylichkeit ſtecken? Allein dieſe Schweitzerſchen Urtheile ſind noch faſt ertraͤglicher, als die Vertheidigung ſelbſt, die ihr denſelben ent - gegen zu ſetzen beliebt, und die ein verſtaͤndiger Le - ſer kaum anders als fuͤr einen kurtzweilenden Schertz, zu meinem groͤſten Nachtheil, aufnehmen kan. Jhr ziehet Folgen aus dieſen Schweitzerſchen Urthei - len, welche die Schweitzer ſelbſt bey aller ihrer Grobheit und unbaͤndigen Spottensluſt annoch zu beſcheiden und bloͤde geweſen ſind, mir zu meiner Beſchimpfung vorzuwerffen: Jhr ſcheuet euch nicht zu bekennen, daß wann das Urtheil der Schwei - zer je Grund haben ſollte, meine Dichtkunſt noth - wendig das elendeſte und abgeſchmackteſte Ge - ſchmiere, und ich einer von den beruͤhmteſten elenden Scribenten ſeyn muͤßte. Werden nicht die Schweitzer dieſe Folge willig einraͤumen? Jſt aber denn dadurch die Ehre meiner Dichtkunſt ge - rettet, oder die Gruͤndlichkeit ihres Urtheiles von derſelben wiederleget? Wie wollet ihr erweislich[Crit. Sam̃l. XI. St.] Bma -18Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenmachen koͤnnen, daß es einen offenbaren Wider - ſpruch einſchlieſſe, und alſo ſchlechterdings unmoͤg - lich ſey, daß ich, oder ein andrer ſonſt ehrlicher, beruͤhmter und nicht ungeſchickter Mann, ein elen - des und abgeſchmacktes Buch von der Dichtkunſt ſchreiben koͤnne? Jhr ſuchet ferner das ſpoͤttiſche Urtheil der Schweitzer von meiner Dichtkunſt da - durch verdaͤchtig zu machen, daß ſie zehn Jahre lang der Verfuͤhrung ſo Vieler ungewarnet zuge - ſehen, ohne derſelben durch die fruͤhere Eroͤffnung ihres Urtheiles Einhalt zu thun: Gerade als ob ſie einen Beruff haͤtten unſere Thorheiten, ſo bald ſie dieſelben einſehen und erkennen, in oͤffentlichen Schriften der Welt bekannt zu machen! Oder als wenn ein langmuͤthiger Aufſchub der Straffe, bis die Bosheit uͤberhand nimmt, die Verbrechen der Menſchen gaͤntzlich entſchuldigte und rechtferti - gete, und den Richter ſeines Straffamts verluſtig machete! Oder als wenn dieſes Urtheil der Schwei - zer von meiner Dichtkunſt, da es erſt nach zehn Jahren bekannt worden, fuͤr meinen Ruhm nicht noch allzufruͤhe erſchollen waͤre; daſerne man auſ - ſer Stand ſeyn ſollte, die Begruͤndtniß deſſelben directe und geradezu zu widerlegen! Auf dieſen Fuß lieſſe ſich ja der elende Scribent Philippi ge - gen die ſchwere Zuͤchtigung eines Liſcovs mit eben ſo gutem Grunde vertheidigen. Wie wenig feh - let es uͤberdas nicht, daß ihr euch nicht ſelbſt wie - derſprechet, da ihr das Urtheil der Schweitzer izo unter dem Scheine der Feindſeligkeit verdaͤchtig zu machen ſuchet; nachdem ihr oben Bl. 425. nicht undeutlich zu verſtehen gegeben habet, daß dieSchwei -19an die d. Geſ. von Greifswalde. Schweitzer aus bloſſer Gefaͤlligkeit gegen mich, nicht eher als bis ich ſie dazu gereitzt und gleichſam aufgefodert hatte, ihre aufrichtige Meynung von der Gottſchediſchen Dichtkunſt frey heraus - ſagen wollen, welches ſie bisher eben noch nicht gethan hatten: Woraus ja zu ſchlieſſen, daß ſie ſchon, noch ehe ſie von mir aufgebracht worden, eine gantz widrige Meynung von meinem Buche gehabt, ſelbige aber offentlich zu entdecken, alleine durch die Gefaͤlligkeit gegen mich waͤren zu - ruͤckgehalten worden. Zugeſchweigen, daß es noch nicht unwiderſprechlich erwieſen iſt, daß ei - ner von ſeinem Feinde niemahls keine Wahrheit ſagen koͤnne: Plutarch in ſeiner Abhandlung von dem Nutzen, den einer von ſeinen Feinden ziehen kan, hat davon gantz andere Gedancken; und der Verdacht der Parteylichkeit haftet erſt dann - zumahlen, wenn man den Grund oder Ungrund eines Urtheils einzuſehen allerdings unvermoͤgend iſt. Endlich verrathet ihr eure Neigung, die Par - tey meiner Feinde nicht voͤllig ungeſchuͤtzt zu laſ - ſen, wenn ihr mit duͤrren Worten ſaget: Wir wollen die Dichtkunſt des Hrn. Gottſcheds gar nicht von allen Fehlern frey ſprechen; wir ken - nen und verehren auch die Verdienſte der Her - ren Schweitzer. Womit ihr ja die Begruͤnd - niß ihres Urtheils von meiner Critiſchen Dichtkunſt wenigſtens in vielen Stuͤcken zu billigen ſcheinet.
XI. Die Vertheidigung meiner Gedancken von dem Geſchmack in dem dritten Capitel meiner Cri - tiſchen Dichtkunſt gegen die Beſchuldigung der Schweitzer, leiſtet mir zwar die Gewaͤhr, daßB 2ihr20Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenihr geſchickt genung ſeyd, meine Worte und Ge - dancken recht vorſichtig herauszuſuchen und zu mei - nem Vortheil zu kehren, wo es euch nicht an dem Willen fehlet. Doch auch dieſe Vertheidigung muß den Geiſt der Syncretiſterey, und die Nei - gung einen Theil meines Ruhms der Gefaͤlligkeit fuͤr die Schweitzer aufzuopfern, verrathen: Oder was hat ſonſt der folgende Ausſpruch, den ihr Bl. 430. habet einflieſſen laſſen, anders zu bedeuten? Wo es heißt: Nach der[Vergleichung], die der Critiſche Hr. Geſchichtſchreiber wuͤrcklich anſtellet, kan der Hr. Gottſched ohnmoͤglich von einem Critiſchen Enthuſiasmus freygeſpro - chen werden: Sonderlich wenn man bey dem 9ten §. des angefuͤhrten Capitels ſtehen bleibt. Jſt dieſes nicht ſo viel als zugeſtanden, daß ich mir in dem Capitel meiner Dichtkunſt, welches von dem poetiſchen Geſchmack handelt, ſelbſt wie - derſpreche, und Weiſſes und Schwartzes unter ein - ander werffe?
XII. Dieſer Geiſt der Syncretiſterey, und ei - ne heimliche Luſt mich dem Geſpoͤtte meiner Fein - de bloß zugeben, offenbaret ſich auch in einigen folgenden Artickeln eurer Vertheidigung. Z. Ex. Jn dem Urtheil von Beſſers Gedichte uͤber ſeine Kuͤhlweinin, wo ihr euch deutlich fuͤr Hrn. Bod - mer erklaͤret, und mich einer[ Ungeſchicklichkeit] mein ſonſt begruͤndtes Urtheil zu rechtfertigen oͤffent - lich beſchuldiget. Jn dem Urtheil uͤber den Cani - ziſchen Ausdruck ſterbend leben Bl. 440. wo ihr wiederum meinem Tadler voͤllig Recht gebet. Jn dem Puncten von der Lehre der Figuren in derPoeſie21an die d. Geſ. von Greifswalde. Poeſie Bl. 439. wo ihr euch gaͤntzlich auf die Par - tey meines Gegners zu ſchlagen ſcheinet. Jn der Streitfrage, ob und wieferne Schoch das ihm beygelegte Lob verdiene, wollet ihr euch gar nicht in eine Eroͤrterung einlaſſen, ſondern eine genaue Neutralitaͤt beobachten. Am allerdeutlichſten aber verraͤth ſich die Syncretiſtiſche Gleichguͤltigkeit in dem Artickel uͤber die Frage: Ob die Critick gluͤcklicher auf verſtorbene, oder auf lebendige ge - richtet werde? Wo ihr bald, wie Bl. 444. Bod - mern faſt gaͤnzlich Beyfall gebet; bald aber, wie auf der folgenden Seite, behauptet, es laſſe ſich nichts gewiſſes beſtimmen; ſondern es komme auf die Gemuͤths-Beſchaffenheit eines jeden Kunſtrichters an. Heißt dieſes nicht auf beyden Seiten hinken? Man vergleiche darmit was ihr oben auf der 417ten Seite aus meiner Vor - rede zu der Dichtkunſt von dem Amt eines Cri - tici anfuͤhret.
XIII. Das Urtheil von Milton und von Hrn. Bodmers Ueberſetzung, welches ich in der dritten Ausgabe meiner Critiſchen Dichtkunſt auf der 685. Seite unter dem Scheine einer Erklaͤrung gaͤntzlich widerruffen habe, begleitet ihr mit einer recht ſpoͤtti - ſchen Anmerckung, die keine andere Wirckung ha - ben kan, als daß ſie mich bey jedermann zum Ge - laͤchter machen muß. Jhr ſaget: Wo die letz - tern Gedancken allemahl die beſten ſind, ſo muß dieſes Urtheil, welches den Milton und die Bodmeriſche Ueberſetzung zugleich, des Ungeheu - ren, Rauhen und Widrigen beſchuldiget, noth -B 3wen -22Hr. Pr. Gottſcheds Schreibenwendig vor jenem gelten. Heißt dieſes nicht ludere in re ſeria?
XIV. Eure letzte Anmerckung von der wichti - gen Veraͤnderung, da ich in der letzten Auflage meiner Dichtkunſt anſtatt meiner eigenen, lauter Exempel von unſern beſten Dichtern eingeſchoben habe, giebt mir wiedrum eine Probe, wie gluͤck - lich ihr ſeyd, wenn ihr nur wollet, eine Sache nach ihrem beſten Vortheil vorſtellig zu machen. Denn da ſonſt dieſe vorgenommene Veraͤnderung in der That eine Wirckung von dem Tadel der Schwei - zer iſt, und hiemit als ein oͤffentliches Geſtaͤndniß eines wichtigen Verſehens und der Begruͤndniß ihres Tadels koͤnnte angeſehen werden; ſo habet ihr eure Anmerckung ſo geſchickt zu drehen gewußt, daß kaum jemand, der nicht von dieſem gantzen Streite vollkommen unterrichtet iſt, die wahre Ur - ſache dieſer vorgenommenen Veraͤnderungen und dieſe fuͤr meine Ehre ſo nachtheiligen Folgen mer - ken wird.
Daferne ihr nun, wie ich nicht zweifeln darf, aus allen dieſen Vorſtellungen begreiffen werdet, wie uͤbel mein Anſehen durch dergleichen Ausdruͤ - ke und eine ſolche zweydeutige Art meinen Wider - ſachern zu begegnen verſorget iſt, ſo verlaſſe ich mich darauf, daß ihr euch kuͤnftig in euern Ur - theilen von mir und meinen Feinden beſſer in Acht nehmen und eine groͤſſere Vorſichtigkeit brauchen werdet. Denn ich ſage aufrichtig, daß ich euch lieber unter den offentlicherklaͤrten Freunden der Schweitzer ſehen wollte, als daß ihr euch derge - ſtalt unter ſie und mich vertheilet, wenigſtens eureFreund -23an die d. Geſ. von Greifswalde. Freundſchaft gegen mir auf eine ſo wanckelmuͤthi - ge Art ausdruͤcket. Jch uͤberlaſſe euch ſelbſt die boͤſen Folgen zu betrachten, die daher fuͤr euch ent - ſtehen moͤgen, wenn ihr mir nicht ſicherere Proben von eurer Gefaͤlligkeit gebet. Sinnet nach, ob dieſes mit eurem Vorhaben meine Freundſchaft zu verdienen uͤbereinkomme. Das Ungluͤck iſt, daß man ſolchen Leuten zu viel Gehoͤre giebt, welche nichts als Unruh und Streit ſuchen. Man ma - chet ſich von meinem Anſehen einen gantz falſchen Begriff, und ſchreibet mir dann die Abſicht zu, daß ich deſſelben gegen heimſche und fremde miß - brauchen wuͤrde. Jch wollte dennoch nicht gerne genoͤthiget werden, alle die Vortheile meiner Macht gegen meine Mißguͤnſtigen oder gegen mei - ne mißlichen Freunde anzuwenden. Jhr koͤnnet die - ſes denjenigen unter euch zu verſtehen geben, wel - che auf die Seite des Gegentheils zu hinken ſchei - nen; bildet euch aber nicht ein, daß Furcht und Bloͤdigkeit an dieſen Erinnerungen einigen Antheil haben. Nichts anders leget mir dieſelben in die Feder als der Verdruß, den ich haben wuͤrde, wenn ich euch nicht mehr unter meine Freunde zehlen duͤrffte. Die Erfahrung hat es gezeiget, daß meine Freundſchaft ſo vortheilhaft iſt, als meine Feindſchaft nachtheilig ſeyn kan; ich will nicht ſa - gen, bey was vor Anlaͤſſen dieſes geſchehen iſt, die moͤgen es ſagen, die es empfunden haben. Den - noch bin ich niemahls zu dem aͤuſſerſten Mittel fort - geſchritten, als wenn die Vermahnungen keinen Eingang mehr gefunden haben. Jch fuͤrchte dieſesB 4nicht24Hr. Pr. Gottſcheds Schreibennicht von eurer Geſellſchaft, und in dieſer Zu - verſicht will ich mich gerne unterſchreiben
Euern gewogenen Freund und Goͤnner. G.
WEr den Vorbericht zu dem erſten Bande eurer Critiſ. Verſuche geleſen hat, der wird von eurer Unparteylichkeit im Urtheilen eine ſo guͤtige Meynung vorgefaſſet haben, daß er ſich nicht entſehen wird, eure Urtheile und Nachrichten fuͤr ſicher und zuver - laͤßig anzunehmen: Denn es iſt nichts, das die Leſer, zumahl ſolche, denen das Nachdencken ohnedem ein wenig verdrießlich iſt, in dem Ver - trauen auf die Unbetruͤglichkeit ihres Scriben - ten ſicherer mache, und ihre eigene Unterſuchung und Pruͤffung mehr hemme, als dergleichen ſtar - ke Verſicherungen, daß man ſich an keine Ar - beit wagen wolle, die ſich uͤber unſere Kraͤfte erſtrecket; daß man nichts ohne Grund loben oder tadeln; alles aus einem reinen Grund herleiten wolle, und was dergleichen mehr in eurem Vorbericht zu leſen iſt. Nach ſo ſtoltzen Verſicherungen mag ſich dann ein Schrifft - verfaſſer noch ſo ſehr erniedrigen, ſeine Fehlbar - keit bekennen, und ſich die Erinnerungen ſeiner Leſer ausbitten; Dieſes alles wird die ſeinen Leſern vorhin beygebrachte gute Meynung und das erſchlichene Zutrauen eben ſo wenig ver -B 5min -26Von Langnau Schreibenmindern, als andere in dem taͤglichen Umgange gewoͤhnliche Hoͤflichkeiten unſerm Stand, Rang und Anſehen einigen Abbruch thun; Jm Ge - gentheil wird eine ſolche Erniedrigung ſeiner ſelbs ſchon ohne dies ſichere und gemaͤchliche Leſer in ihrer Sicherheit nur mehr ſtaͤrcken, und ſie auf die Gedancken fuͤhren, wenn der Ver - faſſer der Gruͤndlichkeit ſeiner Schrift nicht ge - nugſam trauen koͤnnte, ſo wuͤrde er nicht ſo ernſtlich auf eine Unterſuchung dringen.
Bey einer ſolchen Auffuͤhrung eines Schrift - verfaſſers koͤmmt es demnach lediglich auf die Unterſuchung an, wie ferne er in der Ausfuͤh - rung ſeines Vorſatzes die großſprechenden Ver - ſicherungen erfuͤllet, und denen ſtrengen Geſetzen, die er ſelbſt zur Richtſchnur einer billigen Pruͤf - fung ſeiner Schrifften vorgeleget hat, eine Ge - nuͤge geleiſtet habe? Thut die Ausfuͤhrung ei - nem ſo ſtrengen Vorſatz keine Genuͤge, ſo iſt die Gefahr der Verfuͤhrung von einer ſolchen Schrift gedoppelt, indem ſie die Leſer nicht allein mit irrigen Meynungen und Urtheilen taͤuſchet, ſon - dern durch das Blendwerck großſprechender Verſicherungen annoch die Erkaͤnntniß des Jrr - thums und Betrugs ſchwer machet, ja gaͤntzlich hindert.
Wenn ich mir nun die Freyheit heraus neh - me, auf dieſen Blaͤttern eine Unterſuchung an - zuſtellen, wieferne diejenigen Artickel des erſten Bandes eurer Critiſchen Verſuche, in welchen ihr euch in eine Beurtheilung der Schweitzeri - ſchen Critiſchen Schriften, und einiger beſon - derer von denſelben aufgeworffener Streitfra -gen27an die d. Geſ. von Greifswalde. gen einlaſſet, die Pruͤffung aushalten, ſo werde ich in dieſer Unterſuchung die Regeln, die ihr euch ſelbſt gemachet, und nach denen ihr auch wollet beurtheilet werden, zum Grund und Au - genmerck ſetzen, und euer Verfahren darnach pruͤffen: Jch werde mich demnach beſtaͤndig er - innern, daß nach eurer eigenen in dem allgemei - nen Vorbericht gegebenen Verſicherung, 1. Keiner ſich an eine Arbeit gewaget, die ſich uͤber ſeine Kraͤfte erſtrecket; 2. Daß ihr nie - mals gelobet oder getadelt, ohne den Grund anzugeben, warum ihr gelober oder getadelt; 3. Daß alle eure Urtheile aus einem reinen Grund herflieſſen, und keine unlautere Abſich - ten mit untergelauffen; 4. Daß eure Aus - ſpruͤche frey von allem Stoltz mit einer ſo hoͤf - lichen Beſcheidenheit ſollen vorgetragen wer - den, die denjenigen wohl anſtehet, die ſich er - innern, daß ſie ſelbſt nicht ohnfehlbar ſind. An dieſe Regeln werde ich mich ſteiff halten, und nach denſelben eure Critiſche Gerechtigkeit pruͤf - fen: Alle Unhoͤflichkeit, die der Wahrheit nach - theilig iſt, eben ſo behutſam vermeiden; als ſehr ich diejenige ſo genannte Hoͤflichkeit, die der Wahrheit im Licht ſtehet, und logicaliſche Schluͤſſe entkraͤfftet, verabſcheue; Und im uͤbrigen dann euch uͤberlaſſen, welchem von eu - ren Geſellſchaftern ihr die Laſt der Vertheidi - gung auftragen wollet, wo ich etwann in mei - nen Anmerckungen und Schluͤſſen moͤgte geir - ret, oder euch zu nahe getreten haben, denn ich maſſe mir kein Vorrecht der Unfehlbarkeit an, und werde meine Meynungen fuͤr keineun -28Von Langnau Schreibenunwiderſprechlich erwieſene Wahrheiten aus - geben.
Es ſind vornemlich drey Artickel in dem er - ſten Bande eurer Critiſchen Verſuche, wo ihr euer Urtheil von den Critiſchen Schriften und Gedancken der Schweitzer offenherzig entdecket: der VIte des IVten Stuͤcks, und der IIIte und zum Theil auch der Iſte des Vten Stuͤcks. Wir wollen ſie nach der Ordnung durchlauffen.
A. Jn dem VIten Artickel des IVten Stuͤ - kes giebt die Vertheidigung von Hrn. Prof. Gottſcheds Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt Anlaß manches Urtheil der Schweitzer auf die Capelle zu ſetzen, und davon eure Meynung zu eroͤffnen. Gerade auf der 415. Seiten wird aus dem Anhange des Ergaͤntzungs-Stuͤckes zu Hrn. D. Trillers Fabelwercke eine Stelle aus einer Anmerckung angefuͤhret, welche behaup - tet, daß die Gottſchediſche Dichtkunſt eine nur allein fuͤr die Deutſchen eingerichtete Dichtkunſt ſey. Ueber dieſe Stelle wird der Verfaſſer die - ſes Artickels ſo empfindlich, daß er in einer beygefuͤgten ernſthaften Straffpredigt, die mit einer recht Poſtillenmaͤſſigen Bewegung vorge - bracht wird, die Abſichten des Schweitzerſchen Kunſtrichters, als ein anderer Hertzenkuͤndi - ger, entdecket und mit der groͤſten Gewißheit beſtimmet; uͤber die Spoͤtter dieſer letzten Zei - ten eine bittere und gantz aufgeweckte Klage fuͤh - ret; und endlich dieſelbe mit einem feyerlichen Glaubensbekaͤnntniß zum Ruhm der Gottſche - diſchen Dichtkunſt beſchlieſſet. Koͤnnte man hier nicht mit Recht fragen:
Tan -29an die d. Geſ. von Greifswalde.Allein wir wollen ſehen aus was fuͤr einer rei - nen Quelle dieſe Strafpredigt moͤgte gefloſſen ſeyn. Hr. Prof. Gottſched hat in den zwo er - ſten Ausgaben ſeines Verſuches einer Critiſchen Dichtkunſt auf dem Titelblatt hingeſetzt: Ver - ſuch einer Critiſchen Dichtkunſt vor oder fuͤr die Deutſchen. Das Titelblatt eines Buchs ſoll den Haupt-Jnnhalt, die Abſicht, und den Gebrauch deſſelben begrifflich beſtimmen.
Auf einem Titelblatt ſollte demnach von rechts - wegen kein uͤberfluͤſſiges Wort ſtehen, das nicht einer von dieſen Abſichten befoͤrderlich ſeyn koͤnnte: Ob nun gleich dem Schweitzer - ſchen Kunſtrichter die Einſchraͤnckung auf dem Gottſchediſchen Titelblatte fuͤr die Deutſchen gantz neu und ſeltſam vorgekommen, weilen er ſich nicht beſinnen konnte, daß jemahls ein anderer Schriftverfaſſer vor Hrn. Prof. Gottſcheden ſich einer ſolchen Einſchraͤnckung des Gebrauchs ſeines Buchs auf eine beſon - dere Nation bedienet haͤtte; ſo hat er den - noch fuͤr feſt angenommen, daß Hr. Prof. Gottſched, als ein beruͤhmter Lehrer der deut - ſchen Weltweißheit, auch in dieſem Falle nichts ohne zureichenden Grund gethan habe, daß folglich der Zuſatz fuͤr die Deutſchen auf dem Titelblatte ſeiner Dichtkunſt eine in ver - nuͤnftigen Abſichten gegruͤndete Nothwendig - keit haben muͤßte. Auf dieſen aus einem gut - muͤthigen und recht billigen Hertzen angenom - menen Grundſatz nahm er ſich fuͤr, diejeni -gen30Von Langnau Schreibengen Abſichten, die dieſen Zuſatz der Einſchraͤn - kung des Gebrauchs fuͤr die Deutſchen noth - wendig machten, zu errathen. Es kam ihm erſtlich in Sinn, ob vielleicht Hr. Gottſched ſeine Abſicht bey dieſer Einſchraͤnckung auf die Sprache, in welcher ſein Buch geſchrie - ben, gerichtet haben moͤgte; denn er erin - nerte ſich wohl, daß Hr. Gottſcheden nicht un - bekannt iſt, daß er der erſte geweſen, der ei - nen Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt in deutſcher Sprache der Deutſchen Welt gelie - fert hat. Allein er beſann ſich gleich, eines - theils daß der Großmeiſter und Befoͤrderer der deutſchen Sprachgenoſſenſchaft, wenn er dieſe Abſicht gehabt haͤtte, ſich gantz anders und viel deutlicher und reiner wuͤrde ausge - druͤckt, und etwann ſo geſchrieben haben: Der erſte Verſuch einer deutſchen Critiſchen Dicht - kunſt, dergleichen in deutſcher Sprache bis - her nicht geſehen worden. Und anderntheils befand er, daß die Einſchraͤnckung des Ge - brauchs eines ſo nuͤtzlichen Buchs fuͤr die Deut - ſchen in Abſicht auf die Sprache gantz uͤberfluͤſ - ſig und fuͤr einen philoſophiſchen Kunſtrichter, der nichts ohne zureichenden Grund zu ſchreiben gewohnt iſt, gantz nicht anſtaͤndig waͤre: Aller - maſſen es nicht noͤthig iſt, daß man einen, der der deutſchen Sprache gantz unkundig iſt, war - ne, daß er kein deutſches Buch leſe. Da nun aber ein Buch fuͤr die Leſer nicht mehr als in zweyen Abſichten, nemlich entweder in Anſe - hung der Sprache, oder in Anſehung der Sa -chen31an die d. Geſ. von Greifswalde. chen und Gedancken, brauchbar oder unbrauch - bar ſeyn kan, mußte der Schweitzer nicht noth - wendig auf die Vermuthung fallen, wenn die - ſer Zuſatz anders nicht muͤſſig und ohne Ver - ſtand ſeyn ſoll, ſo muͤſſe er den Gebrauch dieſes Buchs in Abſicht auf den Jnnhalt und die Ma - terie oder die Gedancken einſchraͤncken, und es fuͤr die Deutſchen allein vor brauchbar erklaͤren? Jn dieſer Abſicht konnten demnach die Worte fuͤr die Deutſchen keinen andern Verſtand ha - ben, als daß die in dieſem Buche abgehandel - ten Materien, wenn es gleich in eine andere Sprache uͤberſetzt wuͤrde, dennoch von nieman - dem als von einem gebohrnen Deutſchen koͤnn - ten verſtanden und zu Nutze gemachet werden. Sollte nun aber dieſer Sinn Platz haben, ſo mußte ferners folgen, daß die abgehandelten Materien nicht aus der allgemeinen Natur der Menſchen uͤberhaupt hergeleitet und erwieſen worden ſeyn, denn ſo koͤnnte das Buch in An - ſehung ſeines Jnnhalts nicht bloß fuͤr die Deut - ſchen verſtaͤndlich und brauchbar ſeyn: Folglich konnte er nichts anders ſchlieſſen, als daß Hr. Gottſched ſeine Regeln, daß ſie allein fuͤr die Deutſchen brauchbar waͤren, nothwendig aus der beſondern Natur der deutſchen Nation muͤß - te hergefuͤhret haben. Es mag wohl ſeyn, daß der Schweitzerſche Kunſtrichter auch dieſe letzte - re Erklaͤrung mit ihren Folgen Hrn. Prof. Gott - ſcheden nicht im Ernſt zugeſchrieben hat; ſon - dern dadurch nur ſo viel hat zu verſtehen geben wollen, daß dieſe Einſchraͤnckung fuͤr die Deut -ſchen32Von Langnau Schreibenſchen keinen geſunden Verſtand leide, und von Hrn. Gottſched ohne Bedacht ſey hingeſchrie - ben worden: Denn wenn es wahr ſeyn ſollte, wie ihr in eurem Glaubensbekaͤnntniß verſichert zu ſeyn vorgebet, daß die Critiſche Dichtkunſt des Hrn. Gottſcheds mit Vergnuͤgen und Nu - zen von den Auslaͤndern, die unſrer Sprache kundig ſind, ſollte koͤnnen geleſen und verſtan - den werden; ſo moͤgte ich gerne vernehmen, was denn die Einſchraͤnckung fuͤr die Deutſchen auf dem Titelblatte der Critiſchen Dichtkunſt eigentlich zu bedeuten habe; und ob der Ver - ſtand, den dieſer Zuſatz leiden kan, nicht alle - mahl laͤcherlich herauskomme? Wer will es aber einem mit Recht verargen koͤnnen, wenn er uͤber einem laͤcherlichen Ausdrucke das Maul ein wenig verkruͤmmt? Zugeſchweigen, daß der Schweitzer an dem Orte, wo er dieſe Critick anbringet, eben nicht Urſache gehabt hat, gar zu bloͤde, kaltſinnig und ernſthaft mit Hrn. Prof. Gottſched zu reden, allermaſſen das un - geſaltzene Geſpoͤtte, welches dieſer in ſeinen Beytraͤgen uͤber die neue Schweitzerſche Dicht - kunſt ausgegoſſen, eine zuͤchtigende und demuͤ - thigende Abfertigung erforderte, und noch wohl eher eine ſo bewegliche Straffpredigt verdienet haͤtte, als diejenige iſt, mit welcher ihr die Schweitzerſche Anmerckung begleitet. Wir muͤſ - ſen aber dieſe Critiſche Straffpredigt ſelbſt noch ein wenig beleuchten. Jhr ſaget: Dieſe Beur - theilung iſt gewiß nicht aus einem reinen Cri - tiſchen Eifer gefloſſen. Die Herrn Schweitzerwuͤr -33an die d. Geſ. von Greifswalde. wuͤrden ſonſten nicht wieder ihre Gewohnheit, die letzte Beſchuldigung, (daß nemlich Hrn. Gottſcheds Dichtkunſt niemand als ein gebor - ner Deutſcher brauchen koͤnne, weil ſie ihre Re - geln aus der beſondern Natur der Deutſchen her - leite) ſo ſchlechthin ohne Erklaͤrung und Be - weis ſtehen laſſen. Jſt denn das eigene Ge - ſtaͤndniß des Hrn. Prof. Gottſcheds nicht Be - weiſes genug? Er ſagt ja ſelbſt ſein Buch ſey nur fuͤr die Deutſchen brauchbar, nicht in An - ſehung der Sprache, denn darinn hat es fuͤr alle andern deutſche Buͤcher nichts eigenes vor - aus; hiemit in Anſehung der Materie oder des Jnnhalts; wie koͤnnten aber die Regeln dieſer Dichtkunſt nur fuͤr die Deutſchen brauchbar ſeyn, wenn ſie aus allgemeinen Grundſaͤtzen, aus der allgemeinen menſchlichen Natur waͤren her - geleitet worden? Wenn ihr alſo dieſe Folge und Erklaͤrung nicht fuͤr guͤltig erklaͤren wollet; ſo bleibet nichts uͤbrig, als daß ihr bekennet, die - ſe Worte fuͤr die Deutſchen haben gar keinen geſunden Verſtand, und ſeyn vom Hrn. Prof. ohne Bedacht und ohne zureichenden Grund hin - geſchmiert worden. Was wird aber dieſe Be - ſchuldigung vor ein ſchlechtes Zutrauen fuͤr die Gruͤndlichkeit des Werckes ſelbſt gebaͤhren, wenn dem Verfaſſer nicht einmahl die Faͤhigkeit zuge - ſtanden wird, ein Titelblatt mit Verſtande zu ſchreiben?
Und wie muͤßte wohl die Antung und Beſtraf -[Crit. Sam̃l. XI. St.] Cfung34Von Langnau Schreibenfung dieſes Fehlers beſchaffen ſeyn, wenn ſie von euch das Zeugniß verdienen ſollte, daß ſie aus einem reinen Critiſchen Eifer gefloſſen? Vielleicht muͤßte ſie ohngefehr ſo abgefaſſet ſeyn:
„ Jch will mich hier unterſtehen, einen kleinen „ Fehler an dem Titelblatte der Gottſchediſchen „ Dichtkunſt auszuſetzen: Die Gemuͤthsbillig - „ keit des Hrn. Profeſſors iſt mir gar zu bekannt, „ als daß ich fuͤrchten ſollte, er werde meine „ Freyheit mißbilligen. Er verlanget nicht, „ daß man auf alle ſeine Meynungen einen Eyd „ ſchwoͤren ſoll. Die Einſchraͤnckungs-Woͤrt - „ gen fuͤr die Deutſchen haben hier nicht mehr „ zu bedeuten, als leere Worte, die keinen ge - „ ſunden Verſtand leiden, man kan ſie ohne „ Abbruch des Verſtandes ausſtreichen. Nie - „ mand aber ſey ſo unhoͤflich und unbeſcheiden, „ daß er von dem Titelblatt auf das Buch ſelbſt „ einen Schluß machen, und ſich durch die ſtraff - „ bare Vermuthung an dem beruͤhmten Manne „ verſuͤndigen wollte, als ob in dem Wercke „ ſelbs eben dergleichen unverſtaͤndige Verſehen „ moͤgten mit untergelauffen ſeyn. Man wen - „ det eben nicht allemahl den groͤſten Fleiß auf „ das Titelblatt, welchem der beruffene Nah - „ me des Verfaſſers das groͤſte Anſehen geben „ muß: Et bonus nonnunquam dormitat Ho - „ merus. „
Eure folgende Klage uͤber den Miß - brauch der Critick iſt gantz pathetiſch, und ent - decket durch die doppelte Frage und die beyge - fuͤgte nachdruͤckliche Apoſtrophe ein gantz beweg - tes Gemuͤth; Sie lautet:
„ Wird man aber„ nicht35an die d. Geſ. von Greifswalde. „ nicht die vortreffliche Critick zu dem gehaͤſſig - „ ſten Dinge von der Welt machen, wo man „ fortfaͤhret, auch die groͤbſten Spoͤttereyen „ darein zu miſchen? Oder iſt der vortrefflich - „ ſte Criticus vielleicht derjenige, der den an - „ dern am laͤcherlichſten machen kan? Man ver - „ huͤte doch, damit unſre Welt nicht anfange, „ Critiſche und Satyriſche Schrifften fuͤr einer - „ ley zu halten! „
Es wird ſchwer ſeyn, die vor - treffliche Critick fuͤr die elenden Scribenten oh - ne Nachtheil der Wahrheit jemahls angenehm zu machen: Und die hoͤfliche Beſcheidenheit, die Jhr euch in euren Urtheilen zur Regel geſetzet, mag euch den Unterſcheid zwiſchen einem feinen und gruͤndlichen Schertz, und zwiſchen den groͤb - ſten Spoͤttereyen verborgen gehalten haben. Oder muß ein Criticus, der es mit einem ſtol - zen Verfaſſer aufgenommen hat, der ſich ſelbſt laͤcherlich machet, weinen, wenn er ſein Be - finden daruͤber entdecken ſoll? Man wuͤrde ſich faſt bereden, wenn man dieſe Klage ließt, daß euch entweder die groſſentheils unbillige und ſchimpfliche Art der Critick, welche Gottſched in ſeinen Beytraͤgen ſeit zehn Jahren in Deutſch - land ohne Einrede auch gegen die groͤſten Maͤn - ner gefuͤhret hat, gantz unbekannt ſeyn muͤßte, oder daß ihr ſie heimlich billigtet, da ihr ſo emp - findlich werdet, ſo bald man dieſem ſtoltzen und eigenmaͤchtigen Richter der deutſchen Welt we - gen ſolcher Fehler, die keineswegs zu entſchul - digen ſind, mit einer ſchertzenden Mine die Wahrheit ſaget, daß ihr euch nicht enthaltenC 2koͤn -36Von Langnau Schreibenkoͤnnet, ſeinen verdienten Hohn durch eine Pa - ſtormaͤſſige Straffpredigt an den Schweitzern zu raͤchen. Jch erſuche euch demnach die bey - den Abſchnitte in Conr. Erlenbachen Echo des deutſchen Witzes, welche von der Critiſchen Hoͤflichkeit, und der Gerechtigkeit einiger hoch - deutſcher Kunſtrichter abſonderlich handeln, und die ihr in dem VIten Stuͤcke der Schweitzerſchen Critiſchen Sammlungen antreffen koͤnnet, noch einmahl bedaͤchtlich zu durchleſen, und dann mit euren Regeln von der Critiſchen Unparteylichkeit zu Rath zu gehen, ob eure Straffpredigt beſſer auf Hrn. Gottſched oder auf die Schweitzer paſſe, und ſo ferner nachzudencken, wie ihr euch rechtfertigen wollt, daß ihr Gottſchedens un - billige Critick in das zehnte Jahr in der deut - ſchen Welt ohne Warnung und Antung frey habet raſen und ſchwermen laſſen, und noch itzo nicht wol vertragen koͤnnet, daß die Schweitzer ſich unterfangen haben, die deutſche Welt von dieſem eigenſinnigen Critiſchen Tyrannen zu be - freyen, und ihn rechtſchaffen zu demuͤthigen. Allein die zu dieſer Klage hinzugefuͤgte ſeufzende Apoſtrophe verdienet noch eine beſondere Be - trachtung: Man verhuͤte doch, damit unſre Welt nicht anfange, critiſche und ſatyriſche Schrifften fuͤr einerley zu halten. Worauf mag denn wohl der ſo unendlich groſſe Unter - ſcheid Critiſcher und Satyriſcher Schrifften be - ruhen, daß auch die bloſſe Vorſtellung der Gefahr von Vermiſchung derſelben, ſo tiefge - holte Seufzer und gebrochne Stoßgebethgenaus -37an die d. Geſ. von Greifswalde. auspreſſen kan? Nach meinem ſchwachen Sin - ne waltet dieſer Unterſcheid zwiſchen beyden, daß die Critick zur Abſicht hat zu unterrichten und zu verbeſſern; die Satyre hingegen zu beſchaͤmen, zu beſtraffen und zu warnen: Beyde ſuchen die Verbeſſerung des Nebenmenſchen; die Critick durch beſcheidenen Unterricht; die Satyre durch die Beſchaͤmung. Wenn hiemit die Critick ei - nen heilſamen Eingang zur Verbeſſerung finden ſoll, ſo muß derjenige, deſſen Verbeſſerung ſie ſuchet, faͤhig ſeyn einen guten und wohlgemein - ten Unterricht mit ſtillem Gemuͤthe anzunehmen, und zu ſeiner Verbeſſerung anzuwenden. Jſt jemand nicht in dieſer Gemuͤths-Verfaſſung, ſo iſt er fuͤr die Critick unverbeſſerlich. Folglich muͤßte man ſolche Menſchen, die doch den weit groͤſſern Theil ausmachen, ihrem Verderben voͤllig uͤberlaſſen, wenn nicht noch ein ander Mit - tel uͤbrig waͤre, wodurch man nicht ohne Hoff - nung fuͤrfahren koͤnnte, an deren Verbeſſerung zu arbeiten. Stoltze, eigenſinnige Koͤpfe ſind ſchwerlich durch bloſſen Unterricht zurecht zu brin - gen, weil es bey ihnen nicht ſo faſt an der Ver - ſtandes-Faͤhigkeit als an dem Willen fehlet; darum muß bey ſolchen die Satyre der Critick zu Huͤlffe kommen, wo man ihre Verbeſſerung nicht gaͤntzlich verlohren geben will. Dadurch muß man ihnen den Stoltz und Eigenſinn zuerſt brechen, damit ſie wider faͤhig werden den Un - terricht der Critick zu ihrer Beſſerung anzuneh - men. Giebt es denn aber ſolche hartnaͤckige Suͤnder, die alle Mittel zu ihrer VerbeſſerungC 3muth -38Von Langnau Schreibenmuthwillg von ſich ſtoſſen, die man weder durch die uͤberzeugenden Warnungen der Critick, noch durch die gelinde Zuͤchtigung der Satyre zu ei - nem beſſern Sinne verleiten kan, an denen hie - mit alle Arbeit als an ſchlechterdings unverbeſ - ſerlichen gaͤntzlich verloren, ſo kan man ſolche der Geiſſel einer beiſſenden Satyre zur gerechten Strafe uͤbergeben, damit wenigſtens andere aus Furcht vor einem gleichen Gerichte von ihrer Hartnaͤckigkeit abgeſchreckt, und unſchuldige Seelen gegen die Verfuͤhrung verwahret wer - den. Wenn ich nun dieſe Gedancken von dem wahren Unterſcheid der Critick und der Satyre mit einem Wunſch und Seufzer beſchlieſſen ſoll - te, ſo wollte ich wuͤnſchen, daß man verhuͤten koͤnnte, daß unter den beruͤhmten elenden Scri - benten der deutſchen Welt keine fuͤr die Critick unverbeſſerliche Suͤnder mehr moͤgten gefunden werden, in welchem Falle weder die zuͤchtigende noch die ſtraffende Satyre mehr noͤthig waͤre. So lange hergegen ſolche Scribenten noch vor - handen ſind, die aus ſtolzem Eigenduͤnckel jeder - mann richten, Lob und Tadel nach ihrer Will - kuͤhr ausſpenden und widerruffen, den Witz und Geiſt einer gantzen Nation auf ihren Credit nehmen; ſo lange wird die Verbindung der Sa - tyre mit der Critick keine ſo groſſe Gefahr auf ſich haben, daß es eben noͤthig ſeyn ſollte, durch oͤffentliche Kirchengebethe die Abwendung derſel - ben zu erflehen. Was endlich eure letzte Klage uͤber dieſen Artickel angehet, ſo habe ich daruͤber auch noch eine Anmerckung zu machen. Jhr ſa -get:39an die d. Geſ. von Greifswalde. get: „ Wo bleiben die reinen Abſichten der
„ Critick, wenn man ſo gar auf eine gantze Na - „ tion ſchimpfet, weil uns dieſer oder jener Ge - „ lehrte aus derſelben boͤſe gemacht hat? „ Da -
fern ihr es vor einen Schimpf fuͤr die gantze deut - ſche Nation aufnehmet, daß der Schweitzerſche Kunſtrichter geſagt hat:
„ Hr. Gottſched habe „ ſeine Saͤtze und Regeln nicht aus der allge - „ meinen Natur der Menſchen uͤberhaupt, ſon - „ dern aus der Natur der deutſchen Nation ins - „ beſondere hergeleitet; „ ſo muͤſſet ihr die ge -
kraͤnckte Ehre der deutſchen Nation nicht an dem Schweitzer, ſondern an Hrn. Gottſcheden raͤ - chen; ſonſt wuͤrde eure Rache uͤber einen un - ſchuldigen ergehen: Zumalen da ich oben aus - fuͤhrlich dargethan habe, daß die eigenen Worte des Hrn. Prof. auf dem Titel ſeiner Dichtkunſt, wenn ſie anders einen Verſtand haben ſollen, dieſen nothwendig mit ſich fuͤhren, und in ſich einſchlieſſen. Wenn ſie aber keinen Verſtand haben; hat denn der Schweitzer dadurch die gantze deutſche Nation beſchimpft, daß er ſelbi - gen einen Verſtand zugetrauet hat? Dazu koͤmmt, daß der Schweitzer an eben dem Orte, wo dieſe Stelle zu finden, gerade in den aller - naͤchſt-folgenden Worten, bewieſen hat, daß Hr. Gottſched ſeine Urtheile aus der Natur der deutſchen Nation wircklich herleite: Allein ihr habet nicht fuͤr gut angeſehen, dieſen Beweis mit anzufuͤhren, vielleicht auch darum, damit ihr dem Schweitzer wegen Mangel des Bewei - ſes deſto kecker einen unreinen Critiſchen EiferC 4Schuld40Von Langnau SchreibenSchuld geben koͤnnet. Endlich iſt noch zu mer - ken, daß der Schweitzerſche Kunſtrichter hier durch die deutſche Nation nur allein diejenigen verſtanden haben will, die Hrn. Gottſched als den Vormund des deutſchen Witzes glaͤubig er - kennen und verehren, und in ihrem Hertzen ſprechen:
Wer folglich dieſen Schimpf, da man die deut - ſche und die menſchliche Natur von einander un - terſcheidet, auf ſich ziehet, der verrath ſich eben dadurch, daß er vor dem Baal des deutſchen Witzes die Knie gebogen habe. Es hat ſich aber der Schweitzer darum der allgemeinen Benen - nung der deutſchen Nation bedient, ob er gleich nur einen Theil darunter verſtanden haben will, weil Hr. Gottſched dieſe allgemeine Benennung ſo oft gebraucht, als er ſein ſelbſt angemaßtes vormundſchaftliches Amt ausuͤben will, ohnge - achtet nur ſehr wenige ſolches erkennen wollen; wie aus der Vorrede zu dem von Hrn. Heine - ken uͤberſetzten griechiſchen Longin zu ſehen iſt: Womit auch uͤbereinſtimmet, was der Verfaſ - ſer der Goͤttingiſ. Zeitungen in dem 55. Stuͤcke dieſes Jahrs auf der 495. Seite von den Leipzi - giſchen Beluſtigern, als Hrn. Gottſcheds ge - treuen Unter-Bedienten, ſagt;
„ Man kan die „ Verfaſſer der Beluſtigungen nicht durchgaͤn - „ gig vor die Verfechter des deutſchen Witzes „ annehmen. „
B. Auf der 416. Seite dieſes VI. ten Artickels laßt ihr folgendes Urtheil einflieſſen:
„ Der Herr „ Verfaſſer war der erſte, der uns ſowohl dem „ Namen, als der That nach, eine Critiſche „ Dichtkunſt geliefert hat. „
Dieſes Urtheil ſte - het mit demjenigen, welches ihr auf der 427. Sei - te aus dem II. ten Stuͤcke der Schweitzerſchen Sammlungen anfuͤhret, in einem offenbaren Wie - derſpruch, denn da heißt es:
„ Es verdiente auch „ dieſe Dichtkunſt in Abſicht auf den Verfaſſer „ viel ehender hiſtoriſch, als critiſch genennet zu „ werden, es ſey denn, daß man das vortreffliche „ Critiſche Stuͤcke Bl. 181. wo er Sal. Francken „ Abendſegen auf eine ſcharffſinnige Weiſe beur - „ theilet, in eine beſondere Betrachtung ziehen „ wollte. „
Hier mangelt mir nichts als der Er - weis: Jhr widerſprechet, ihr lobet; aber den Grund warum ihr widerſprechet und lobet, den finde ich nirgends, ungeachtet der zweyten Regel, die ihr euch ſelbſt gemachet habet. Es fraget ſich nemlich, ob Herrn Gottſcheds Dichtkunſt mit Recht eine Critiſche Dichtkunſt heiſſen koͤnne? Ei - ne Dichtkunſt verdienet erſt dannzumahl den Na - men Critiſch, wenn ſie nicht bloß verſchiedene Ge - dancken und Meinungen andrer von verſchiedenen Lehrſaͤtzen anfuͤhret, oder eine Anleitung und Re - geln giebt, wie ein Gedichte zu Stande zu bringen, oder auch die Regeln mit einer philoſophiſchen Gruͤndlichkeit erweiſet; ſondern wenn ſie, nach Hrn. Gottſcheds eigner Erklaͤrung,
„ die Schoͤn - „ heiten und Fehler vorkommender Meiſterſtuͤcke, „ nach gruͤndlich erwieſenen und feſt-geſetzten Re -
„ geln vernuͤnfftig pruͤffet, und richtig beurtheilet. „ Urtheile uͤber Sachen, die wir von andern em - pfangen und angenommen haben, gehoͤren nicht zu der critiſchen, ſondern zu der hiſtoriſchen Erkennt - niß. Dieſem zufolge ſodere ich billig von euch, um euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott - ſchediſchen Dichtkunſt als einer Critiſchen zu recht - fertigen, daß ihr mir diejenigen Meiſterſtuͤcke anzei - get, deren Schoͤnheiten und Fehler Herr Gottſched in ſeiner Dichtkunſt zuerſt nach vernuͤnftigen Regeln gepruͤfet und richtig beurtheilet hat. Sonſt werde ich dieſe Dichtkunſt immer nur fuͤr eine ſo-genannte Critiſche Dichtkunſt anſehen, und behaupten, daß das Beywort Critiſch auf dem Titel der Gottſchediſchen Dichtkunſt eben ſo wenig einen zu - reichenden Grund habe, als der Zuſatz fuͤr die Deutſchen. Da hingegen der Schweitzerſchen Dichtkunſt dieſes Beywort kaum ein deutſcher Poet ſtreitig machen wird. Siehe das VI. te Stuͤck der Schweitzeriſch-critiſchen Sammlung Bl. 102. An - merck. Q.
C. Auf der 424. Seite des VI. ten Artickels ſtellet ihr die Schweitzerſche und die Gottſchediſche Dichtkunſt in eine Vergleichung:
„ So gleich - „ lautend der Titel auf beyden war, ſo unterſchie - „ den waren ſie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach. „ Jn einem jeden Wercke war eine beſondere Ord - „ nung und Einrichtung. Man fand in dem er - „ ſten nothwendige Hauptſtuͤcke, die man in dem „ letzten vergebens ſuchte; und in dem letzten wur - „ den dagegen wiederum vortreffliche Materien „ ausgefuͤhret, die in dem erſtern entweder gar„ nicht,43an die d. Geſ. von Greifswalde. „ nicht, oder nur mit wenigem waren beruͤhret „ worden. „
Jch koͤnnte zwar auch hier den Be - weis fodern, was fuͤr nothwendige Hauptſtuͤcke in der Breitingerſchen Dichtkunſt mangeln, die zu dem allgemeinen Theil gehoͤren, und in der Leipzi - giſchen zu finden ſind? Allein da dieſes Urtheil von Herrn Gottſcheds nur in Anſehung des hoͤflichern und gemilderten Ausdrucks unterſchieden iſt: die - ſes Gottſchediſche Urtheil aber ſchon von andern zur Genuͤge beleuchtet worden; ſo will ich mit bloſſem Widerhohlen niemandem verdrießlich ſeyn, ſon - dern euch lediglich auf das verweiſen, was daruͤ - ber in dem dritten Anhange zu dem Ergaͤntzungs - Stuͤcke der Trilleriſchen Fabeln in dem II. ten Stuͤcke der critiſchen Sammluugen von Zuͤrich Bl. 69. u. f. und in den Anmerckungen zu der neuen Vorrede zur III. Gottſched. Dichtk. in dem VI. ten Stuͤcke vorbedeuteter Sammlung Bl. 106. u. f. zu leſen vorkoͤmmt.
D. Auf der 424. Seite des VI. ten Artickels traget ihr euch mit gantz geheimen Nachrichten von der erſten und wahren Urſache der entſtande - nen Feindſchaft zwiſchen Hrn. Gottſched und Hr. Breitinger. Jhr brauchet aber dieſe Nachrich - ten auf eine recht argliſtige Weiſe nur um den Ver - dacht einer bey den Schweitzern gegen Hrn. Gott - ſcheden herrſchenden heimlichen Feindſeligkeit, die an dem hernach erwachſenen offenbaren Streit al - leine Schuld geweſen ſey, den Leſern unvermerckt beyzubringen. Wie ferne aber ein ſolches Betra - gen mit der critiſchen Aufrichtigkeit und Unpartey - ligkeit, und mit euern großſprechenden Verſiche -run -44Von Langnau Schreibenrungen, und denen Regeln, die ihr euch ſelbſt ge - machet haben wollet, uͤbereinſtimme, das laſſe ich alle redlichen Deutſchen ſelbſt ermeſſen. Damit aber die zuverlaͤſſige Glaubwirdigkeit eurer gehei - men Nachrichten bey der heutigen unglaͤubigen Welt nicht etwann Noth leiden moͤgte, ſo war die Behutſamkeit ſolche zu verhehlen ſehr nothwendig; Und die Worte: Die Geſchichte dieſer Tren - nung gehoͤret nicht an dieſen Ort; zeigen, daß ihr gar wol mercket, wo es euch vortraͤglich iſt, Geheimnißreich zu thun. Geheime Nachrichten kan niemand weder billigen noch verwerffen, ſie koͤnnen wahr ſeyn; ſie koͤnnen aber auch falſch oder gar erdichtet ſeyn. Nur ſo viel kan ich euch die - nen, daß Hr. Prof. Breitinger mit Hrn. Prof. Gottſcheden niemals in einer freundſchaftlichen Verbindung geſtanden, und alſo die Trennung, davon euch eure geheime Nachrichten die Urſache entdecken ſollen, recht unbegreifflich iſt. Jnzwi - ſchen kan man die wahren Urſachen des erregten und noch immer fortdaurenden critiſchen Kriegs, in welchem Hr. Gottſched mit ſeinem Heere nach dem erſten Angriff ſich in dem Streitfelde nur nicht mehr darf blicken laſſen, aus der Vorrede zu der Echo des deutſchen Witzes in dem IV. ten Stuͤcke der Critiſch. Sammlung von Zuͤrich ſattſam er - ſehen.
E. Auf der 425. Seiten des VI. ten Artickels machet ihr eine Erzehlung, die mir einen Mangel der Gemuͤthsbilligkeit nur zu ſehr verraͤth, und eure großſprechenden Verſicherungen einer aufrich - tigen Unparteylichkeit beſchaͤmet; Es heißt:
„ Jm45an die d. Geſ. von Greifswalde.„ Jm Jahr 1740. kam die beruͤhmte ſchweitzer - „ ſche Dichtkunſt zum Vorſchein. Des Hrn. „ Gottſcheds und ſeines Wercks ward in derſel - „ ben nur ſehr wenig gedacht; jedoch geſchahe ſol - „ ches allemal in ziemlich ſpoͤttiſchen und gehaͤſſi - „ gen Ausdruͤcken. „
Jch muß hierbey erinnern, daß Hr. Prof. Breitinger, wenn anders die ge - heimen Nachrichten von einer fruͤhern Trennung, und einem gegen Hrn. Gottſched gefaßten Grol - len Grund haben ſollten, bey dieſem Wercke die beſte Gelegenheit gehabt haͤtte, ſich an Hr. Gott - ſched zu reiben: da haͤtte er zeigen koͤnnen, wie wenig das Gottſchediſche Werck den Titel einer critiſchen Dichtkunſt verdienete, und wie nothwen - dig es demnach waͤre, dasjenige erſt noch auszu - fuͤhren, was der Titel deſſelben zwar verſprochen hatte, aber wircklich nicht leiſten koͤnnen. Die Gottſchediſchen Poeſien, voraus auch diejenigen, die er ſeinen Lehrſaͤtzen als Muſter beyzufuͤgen ſtolz genug geweſen, haͤtten ihm Materie zu critiſchen Unterſuchungen vollauf an die Hand gegeben. Er haͤtte alle die Fehler, die erſt ſeither von den Schwei - zern geoffenbaret worden, und noch tauſend andere in dieſem Buche vorſtellen koͤnnen: und damit ich mich durch ein Exempel noch naͤher erklaͤre, wo haͤtte er bequemere Exempel ſchlechter Ueberſetzun - gen, um das Capitel von der Kunſt zu uͤberſetzen critiſch zu beleuchten, finden koͤnnen, als an Hrn. Gottſcheds Ueberſetzung von Horazens Dicht - kunſt, oder der deutſchen Jphigenia? Alleindie - ſes alles hat Hr. Breitinger bedaͤchtlich unterlaſ - ſen; er wollte ſich weder durch unzeitiges Lobenver -46Von Langnau Schreibenverſuͤndigen, noch durch den verhaßten obgleich ge - rechten Tadel den Vorwurff der Eiſerſucht oder des Handwercksneides auf den Hals laden. Es kan einer Hrn. Breitingers critiſche Dichtkunſt gantz durchleſen; er wird daraus kaum mercken, daß ein Gottſched in der Welt iſt, der eine criti - ſche Dichtkunſt geſchrieben haben will: Jhr muͤſ - ſet ihm ſelbs das Zeugniß geben, daß er des Hrn. Gottſcheds und ſeines Werckes nur wenig ge - dacht: Aber wenn ihr ſogleich hinzu fuͤget: Je - doch geſchahe ſolches allemahl in ziemlich ſpoͤt - tiſchen und gehaͤſſigen Ausdruͤcken; ſo iſt die - ſes eine critiſche Verlaͤumdung, die ihr mit den großſprechenden Verſicherungen euers Vorberichts vergleichen koͤnnet. Jn beyden Theilen der Brei - tingerſchen Dichtkunſt koͤmmt der Nahme Gott - ſched kaum dreymahl zum Vorſcheine: Als nem - lich in dem II. ten Theile auf der 331. Seite in den Anmerckungen, wo er nur bloßhin, ohne den we - nigſten Zuſatz, angefuͤhret wird; und in dem I. ſten Theile auf der 325. Seite, wo ſeine Beſchreibung der Sehnſucht nach friedlichen Zeiten, wircklich ge - lobet wird, und nach dem Regiſter annoch auf der 304. wo ſein Nahme nicht ausgedruckt wird ſon - dern es nur heiſſet, er buͤrdet Homer in der Be - ſchreibung des Schildes Achilles ein Verſehen auf. Wer haͤtte nun glauben koͤnnen, daß eben der ernſthafte moraliſche Straf-Prediger, den wir oben angehoͤrt, und der nichts als Aufrichtigkeit, Unparteyligkeit, Hoͤflichkeit, Gemuͤthsbilligkeit ꝛc. und dergleichen in dem Munde fuͤhret, zur Erfin - dung ſolcher Verlaͤumdungen zum Behuf einesandern47an die d. Geſ. von Greifswalde. andern Hertz genug haben ſollte, wenn wir ihm nicht hier, ſo zu reden, die Hand in dem Sack er - wiſcht haͤtten? Kan dieſe Verleumdung nicht
„ zum Beweiſe dienen, wie ſehr die Beurtheilungs - „ Kraft eines Kunſtrichters koͤnne verdorben wer - „ den, wenn er ſich von Haß und Partheylichkeit „ einnehmen laͤßt? „
Wenn Gottſched ſelbſt, da er geſehen, daß er mit der Wahrheit nicht mehr auskommen, noch den Verdacht des erſten An - griffs von ſich ablehnen koͤnnte, auf eine ſolche Er - findung gefallen waͤre, ſo haͤtte man es ihm noch wohl uͤberſehen koͤnnen; aber daß ein dritter, den es eigentlich nichts angehet, ob Gottſched die Schweitzer gereitzt, und zum Kampf aufgefodert habe, oder nicht, und der die ſcheinheilige Larve ei - ner unparteyiſchen Beſcheidenheit uͤberall annimmt, ſich ſolcher Erfindungen bedienet, um demje - nigen Luft zu machen, und ein wenig aus der Noth zu helffen, den man auch der Wahrheit zu Leide gern beſchuͤtzen moͤchte, das iſt ein Beweiß eines gantz verderbten Willens, und ein ſolcher hat wol Urſache zu ſeufzen, daß die Critick nicht mit der Satyre vermenget werden moͤgte. Mithin, un - geachtet dieſes eine offenbar falſche Zulage iſt, daß Hrn. Gottſcheds und ſeines Wercks allemal in ziemlich ſpoͤttiſchen und gehaͤſſigen Ausdruͤcken ge - dacht worden ſey, ſo oft deſſelben in der Breitin - gerſchen Dichtkunſt gedacht worden iſt; ſo iſt hinge - gen die wahre Urſache dieſes Aergerniſſes, welches dieſe Leute ſo weit verleiten koͤnnen, daß ſie endlich bey der Verlaͤumdung Schutz geſucht haben, kei - ne andere, als daß Herr Prof. Breitinger denbe -48Von Langnau Schreibenberuͤhmten Gottſchediſchen Nahmen nur ſo ſpar - ſam in ſeine Schrift gemiſchet, und deſſelben nur ſo wenig gedacht hat: Dieſe ſtoltzen Leute neh - men es vor eine groͤſſere Beſchimpfung auf, wenn man ihrer gar nicht gedencket, als wenn man ſie wircklich tadelt. Nach eben dieſer betruͤglichen Argliſtigkeit, wodurch ihr die Leſer zum Vortheil euers Helden einnehmen wollet, ſchmecket auch der Verfolg eurer Erzehlung, wenn ihr Hrn. Gott - ſcheds Enthaltſamkeit von dieſem Wercke des Schweitzerſchen Kunſtrichters eine vollſtaͤndige Be - urtheilung zu geben, als eine Wirckung ſeines philoſophiſchen und gleichguͤltigen Gemuͤths anmer - ket, da ſie doch ſeinem Drohen zuſolge nicht aus - geblieben waͤre, wenn er ſich darzu gewachſen ge - funden haͤtte; wenn ihr uͤberdas verhehlet, daß Hr. Gottſched in dem XXIV. Stuͤck der Critiſ. Beytr. in dem ſaubern IV. ten Artickel Bl. 666. ein haͤmiſches Urtheil von dieſer Breitingerſchen Dichtkunſt gefaͤllet, da er die armſelige Muthmaſ - ſung, nach ſeinen prophetiſchen Einſichten in das kuͤnftige Geſchicke der Buͤcher, anfuͤhret, vielleicht wird dieſe neue Dichtkunſt noch ein Buch be - doͤrffen, welches ſie anpreiſe und beliebt ma - che. Wenn aber anders wahr ſeyn ſoll, was ihr oben zu Anfange der 424. Seite gemeldet habet, ſo verurtheilet ihr dieſen euern Helden ſelbs als ei - nen falſchen Propheten. Wie kan nun wiederum hiermit und mit der Wahrheit beſtehen, wenn ihr vorgebet, Hr. Gottſched habe nur auf einer Stel - le, und zwar nur gantz kurtz und ziemlich beſchei - den von der neuen Dichtkunſt ſein Urtheil gegeben,und49an die d. Geſ. von Greifswalde. und dieſe kurtze Beurtheilung habe die Schwei - zer zu den bitterſten Gegenbeſchuldigungen auf - gebracht? Wer wuͤrde doch aus einem ſolchen Betragen vermuthen koͤnnen, daß euch ſo ſchwe - re Regeln, als euer Vorbericht ſagt, in eurer Erzehlung geleitet haben ſollten, da dieſelbe gegen alle dieſe Regeln ſchnurſtracks verſtoͤſſet? Und wer wird ins kuͤnftige euren Ausſpruͤchen und Nachrichten mehr Glauben zuſtellen, oder ſich eurer Beurtheilung unterwerffen, wenn er nicht zum voraus eurer Gewogenheit verſichert iſt? Jm uͤbrigen moͤget ihr aus den Urtheilen, welche die Schweitzer von Hrn. Gottſcheds Dichtkunſt gefaͤllt haben, noch ſo verhaßte Fol - gen ziehen, ſo werdet ihr darmit nichts mehrers erhalten, ſo lange dieſe Urtheile noch feſt ſtehen, als daß man das Hertz faſſen wird, euren Fol - gen, ſo fern ſie ſchlieſſen, Platz zu geben, ſo pa - radox und widerſinnig ſelbige etwann vor der Zeit moͤchten geſchienen haben. Bey dem al - lem wird euch dennoch allezeit frey ſtehen, Hrn. Prof. Gottſcheden als einen groſſen Weltwei - ſen, Ueberſetzer, Kunſtrichter und Poeten, als den deutſchen Bayle, Racine und Fontenelle zu loben und zu verehren. Die Hrn. Schwei - zer haben euch ja nirgends zugemuthet, dieſem verdienten Manne eure Hochachtung zu verſa - gen, daß ihr deßwegen von ihnen die Erlaub - niß auszubitten gemuͤſſiget ſeyn ſolltet, denjeni - gen zu loben, den ihr unmoͤglich tadeln koͤnnet: Und ſie vor ſich halten mehr auf Redlichkeit, als[Crit. Sam̃l. XI. St. [Dauf50Von Langnau Schreibenauf Schmeicheleyen, und verlangen kein Lob, wenn ſie es nicht verdienen.
F. Auf der 429. Seite des VIten Artickels kommet ihr auf die Vertheidigung der Gott - ſchediſchen Erklaͤrung von dem Geſchmacke. Wer die Gottſchediſche Sprache, die er in ſeinen Ma - giſterzeiten noch nicht geredet, ſondern erſt ſeit wenig Jahren ſich angewoͤhnet hat, nicht ver - ſtehet, der wuͤrde glauben, daß der Briefwech - ſel von der Natur des poetiſchen Geſchmacks, ſo im Jahr 1729. gefuͤhrt worden, ſeine Ge - dancken, Erklaͤrungen und Saͤtze aus dem 3ten Capitel der Gottſchediſchen Dichtkunſt hergelei - tet, und nur weitlaͤuftiger ausgefuͤhret haͤtte; allein da die Gottſchediſche Dichtkunſt allererſt 1730. hiemit ein Jahr ſpaͤter herausgegeben worden, ſo leidet die Zeitrechnung dieſen Ver - ſtand nicht, und Hrn. Gottſcheds Sprache will auch in der That gantz was anders ſagen, eben wie, wenn er ſagt, der groſſe Leibnitz iſt hier vollkommen meiner Meinung, ſolches nicht ein mehrers zu bedeuten hat, als, ich bin hierinn des groſſen Leibnitzen Meinung, ich gebe derſelben voͤlligen Beyfall: Nicht aber umgekehrt, als ob der groſſe Leibnitz des Gott - ſcheds Meinung Beyfall gegeben haͤtte, denn auch hier leidet die Zeitrechnung dieſen Ver - ſtand nicht. Damit man aber ſolches nicht mißdeutete, als ob man zu verſtehen geben wol - le, Hr. Gottſched habe ſeine Abhandlung vom Geſchmack im dritten Capitel der Dichtkunſt aus dem Briefwechſel ausgeſchrieben, ſo warerfor -51an die d. Geſ. von Greifswalde. erforderlich dieſer Mißdeutung vorzubiegen, und ihn gegen dieſen Argwohn zu vertheidigen: Es hat auch der Schweitzerſche Verfaſſer der Nach - richten von dem Urſprung der Critick bey den Deutſchen ihn von dieſer Beſchuldigung eben ſo geſchickt, als von der Anklage des Ausſchrei - bens uͤberhaupt loßgeſprochen und ſeine Unſchuld vertheidiget. Und ihr koͤnnet nichts buͤndigers wieder dieſe Vertheidigung einwenden, als daß Hr. Gottſched in ſeinem 3ten Capitel von dem Geſchmack doch auch etwas weniges geſagt habe, welches mit dem Critiſchen Briefwechſel meiſtentheils uͤbereinſtimme. Allein iſt darmit erwieſen, was eigentlich ſollte erwieſen werden, daß nemlich einer den andern koͤnnte ausgeſchrie - ben haben? Kan es wohl anderſt ſeyn, wenn zwey oder mehrere eine ausfuͤhrliche Erklaͤrung von dem Geſchmack geben ſollen, als daß ſie einander in einigen wenigen Saͤtzen auch treffen muͤſſen? Jch haͤtte vielmehr gewuͤnſcht, daß ihr Hrn. Gottſcheds Abhandlung von dem Ge - ſchmack gegen die Anklage der Verwirrung und Dunckelheit, worinnen der Schweitzer den Hauptunterſcheid zwiſchen derſelben und dem Critiſchen Briefwechſel ſetzet, zu vertheidigen unternommen haben wuͤrdet, ſo haͤtte ich An - laß gehabt meine weitern Gedancken von dieſem 3ten Capitel der Gottſchediſchen Dichtkunſt an den Tag zu legen, und euch eine Probe von ei - nem catechetiſchen Gottſched zur Beurtheilung vorzulegen.
D 2G. Auf52Von Langnau SchreibenG. Auf der 434. Seite des VIten Artickels beruͤhret ihr den Streit wegen des Schildes des Achilles beym Homer. Jch gebe euch aber den wohlgemeinten Rath, daß ihr euch zufolge der erſten Regel, die euch vorgeſchrieben iſt, nicht zuweit in dieſen Streit einlaſſet, bevor ihr Hrn. Gottſcheds Entſcheid uͤber dieſelbe in ſeinen An - merckungen zu des Ariſtoteles Dichtkunſt, die ſchon lange im Manuſcript fertig liegen, wo er den Dacier mit einer deutſchen Großmuth ab - fertiget, werdet geleſen haben. Denn der klei - ne Verſuch einer Vertheidigung des Gottſche - diſchen Urtheils iſt ſo ſchwach gerathen, daß zu fuͤrchten ſtehet, der Hr. Gottſched ſelbſt werde euch wenig Danck dafuͤr wiſſen. Jhr ſaget erſt - lich, nachdem ihr die angegebene Regel, nach welcher Hr. Breitinger meinet, daß das Wahr - ſcheinliche in den Beſchreibungen von Gemaͤhl - den und andern dergleichen Kunſtwercken muͤſſe beurtheilet werden, fuͤr guͤltig erklaͤret, Homer wird nach dieſer Regel ſchlecht koͤnnen ver - theidiget werden: Das iſt wohl geſagt, aber wo bleibt der Beweis? Dacier hat ihn wircklich nach dieſer Regel vertheidiget, und ihr habt ihn noch nicht widerlegt; und doch zweifelt ihr noch an der Moͤglichkeit einer guten Vertheidi - gung. So werdet ihr ſo gut ſeyn und in eurer Logick das Axioma, ab eſle ad poſſe valet conſe - quentia, ausſtreichen. Nicht beſſer iſt das fol - gende:
„ Der Herr Breitinger ſelbſt hat wider „ den Homer geſchrieben, wenn er in der Ab - „ handlung von der Aeſopiſchen Fabel lehret,„ wie53an die d. Geſ. von Greifswalde. „ wie behutſem ein Dichter ſeyn muͤſſe, den „ Wercken der Kunſt Verſtand und Rede bey - „ zulegen. „
Jch traue euch mehr Verſtand zu, als daß ich noͤthig haben ſollte, euch weitlaͤuftig zu erklaͤren, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen der bloſſen Beſchreibung eines Gemaͤhldes, und zwiſchen einer Fabel, obwalte; Die Beſchrei - bung darf zum Lob der feinen Kunſt des Mah - lers oder Gieſſers ohne Abbruch der Wahr - ſcheinlichkeit, dem Gemaͤhlde ſelbſt zuſchreiben, was immer ein aufmerckſamer Beſchauer dar - aus lernen kan, denn ſo iſt nicht mehr in effec - tu als in cauſa: Aber die Fabel iſt eine Geſchich - te, ſie will, daß man ſich die Sachen einbilde, als ob ſie wircklich geſchehen waͤren; wenn man nun dichtet, daß ein Kuͤnſtler ſeinem Wercke wircklich Verſtand und Leben mitgetheilet, wer will ſich ſolches als wircklich geſchehen einbilden koͤnnen? Zugeſchweigen, daß die an angezoge - nem Orte von Hrn. Breitingern eingeraͤumte Freyheit allen denjenigen Kunſtwercken, die als Emblemata angeſehen werden, und aufmerckſa - men Beſchauern einen heilſamen Unterricht ge - ben koͤnnen, Verſtand und Rede beyzulegen, eben dienet, den Homer vollkommen zu rechtfer - tigen. Was endlich den Beyfall Virgils, auf den ihr euch beruffet, angehet, ſo beruhet der - ſelbe auf einem ſo ſeichten Grunde, daß ich mich dabey aufzuhalten, und meine Zeit darmit zu verderben, mich recht von Hertzen ſchaͤmen wuͤrde.
D 3H. Auf54Von Langnau SchreibenH. Auf der 434. Seite des VI. ten Artickels gerathet ihr auf den Milton: Jhr ſaget;
„ Der - „ ſelbe habe noch nach ſeinem Tode groſſe Unra - „ he, Zwiſtigkeit und oͤffentliche Feindſchaft un - „ ter unſern deutſchen Kunſtrichtern geſtiftet. „
Milton iſt bald 70. Jahre todt; Acht Jahre nach ſeinem Tode gab der von Berge der deut - ſchen Welt eine Reim-freye Ueberſetzung von die - ſes Engellaͤnders Gedichte: allein da dieſer Ue - berſetzer eine den deutſchen Ohren gantz unge - wohnte Versart folgte, und die Ueberſetzung neben dem ſehr hart, gezwungen, und unverſtaͤnd - lich war, ſo ward dadurch das Miltoniſche Ge - dicht bey den Deutſchen nicht bekannt, und die - ſe Ueberſetzung hat nur ein dunckles Andencken von einem verwegenen Vorſatz bis auf unſere Zeiten fortbringen koͤnnen. Von dem Jahre 1682. bis auf das Jahr 1732. hiemit 50. gan - zer Jahre blieb Milton bey der deutſchen Welt gantz unbekannt, wenigſtens hat kein deutſcher Kunſtrichter deſſelben irgendswo gedacht; Bis endlich Hr. Gottſched in gedachtem 1732. ſten Jahre in ſeinen Beytraͤgen eine Nachricht von des von Berge Ueberſetzung gegeben, wo er den ſchlechten Beyfall, den dieſe Ueberſetzung gefun - den, ſelbſt der dadurch allzuſehr veraͤnderten Geſtalt Miltons zuſchreibet, im uͤbrigen von dem Gedichte ſelbs urtheilet,
„ daß es die Eh - „ re verdiene, ſo wol als das befreyte Jeruſa - „ lem des Taſſo, einer Jlias und Aeneis an die „ Seite geſetzt zu werden. „
Daß er aber die - ſes Urtheil hernach voͤllig zuruͤck genommen, iſtſich55an die d. Geſ. von Greifswalde. ſich nicht zu verwundern, wenn man bedencket, was die mittlerzeit mit ihm vorgegangene groſſe Veraͤnderung von ſeinen Magiſter-bis zu den Hoch-Edelgebohrnen Magnificentz-Zeiten noth - wendig vor eine wichtige Veraͤnderung in ſeinem Kopf habe nach ſich ziehen muͤſſen. Seine Ur - theile richten ſich immer nach ſeinem Willen, und dieſer nach ſeinen aͤuſſerlichen Umſtaͤnden; dahero ſie eben ſo unbeſtaͤndig ſeyn muͤſſen. Wenn ihr demnach von Unruhe, Zwiſtigkeit und oͤffentlicher Feindſchaft, die der Milton un - ter unſern deutſchen Kunſtrichtern geſtifftet, gantz unbeſtimmt redet, ſo iſt dieſes nur von Hrn. Gottſched und ſeiner Schule zu verſtehen, die gantze uͤbrige deutſche Welt iſt dieſes Streits halben eben ſo ruhig, als ſie vorhin geweſen iſt, ehe es Hrn. Gottſched beliebt hat, ſein fuͤr Mil - ton allzuguͤtiges Urtheil zuruͤckzunehmen, wel - ches in das Jahr 1741. einfaͤllt. Jm uͤbrigen muß man uͤber die Entſcheidung der Frage:
„ Ob es wahr ſey, daß die Deutſchen an Mil - „ tons Gedichte keinen Geſchmack finden, „ zu
Rath ziehen, was davon in der Fortſezung der Echo des deutſchen Wizes Artick. IX. in dem VI. ten Stuͤcke der Crit. Samml. von Bl. 54. bis 75. weitlaͤuftig ausgefuͤhrt worden iſt.
I. Auf der 436. Seite des VI. ten Artickels nehmet ihr die Vertheidigung Hrn. Gottſcheds wegen einer von ihm verworffenen und von den Schweitzern verfochtenen metaphoriſchen Redens - Art uͤber euch, ſaget aber nichts neues, als was ihr in Gottſcheds Biedermanne, und ſonſt beyD 4andern56Von Langnau Schreibenandern geleſen habet, und welches ſchon vielfaͤltig wiederlegt worden. Jhr gebet zu, daß die ſtreiti - ge Redens-Art, die Augen uͤber einen Gegen - ſtand hinſpazieren laſſen, von den Schweitzern als eine Metapher aus der Analogie gruͤndlich ge - ſchuͤtzt und gerechtfertiget worden: Allein ſie kom - me euch dennoch noch ziemlich verdaͤchtig fuͤr, da - rum weil ſie gantz neu und ungewohut ſey; und Hr. Breitinger ſelbs die Regel gegeben habe: Man muͤſſe keine metaphoriſche Redensart fuͤr guͤl - tig annehmen, die mit dem allgemein einge - fuͤhrten Gebrauche, und mit der guten Mundart ſtreite. Jhr behauptet hiemit einerſeits, daß es freylich erlaubt und gut, und zuweilen nothwendig ſey, neue Metaphern in eine Sprache einzufuͤh - ren, denn dieſes hat euch Hr. Breitinger ſo gruͤndlich und uͤberzeugend gelehret, daß ihr ihm euren Beyfall nicht verſagen koͤnnet. Aber auf der andern Seite glaubet ihr auch, daß es nicht er - laubt und gut ſey, neue und bisher in dem Deut - ſchen ungebraͤuchliche Metaphern einzufuͤhren, denn ihr wollet, daß man eine metaphoriſche Redens - art, ſie mag an ihr ſelbs noch ſo richtig ſeyn, nur darum verwerffe, weil ſie neu und bisher nicht ge - braͤuchlich geweſen: und dieſes ſind eure alten tief - eingeſeſſene Gedancken, die euch Hr. Gottſched gelehret, und die zu verlaͤugnen, wenn man gleich was beſſers erkennet, ſehr ſchwer faͤllt. Jhr glau - bet hiemit widerſprechende Saͤtze, daß eben daſſel - be Ding zugleich erlaubt und nicht erlaubt ſey. Laß mir den einen Kunſtrichter ſeyn, der ſich zur erſten Regel gemacht hat:
„ Jch ſoll mich an kei -„ ne57an die d. Geſ. von Greifswalde. „ ne Arbeit wagen, die ſich uͤber meine Kraͤfte „ erſtreckt! „
Und was ſoll euch die aus Hrn. Brei - tinger auſſer ihrem Zuſammenhang angefuͤhrte Einſchraͤnckung helffen? Wahrlich nichts anders, als daß ſie euern gantz verblendeten Sinn noch mehr offenbaret: Sind denn, mit dem allge - mein eingefuͤhrten Sprachgebrauche ſtreiten, und neu und bisher noch ganz ungebraͤuchlich ſeyn, gleichguͤltige Ausdruͤcke? Oder muͤſſen alle bisher unter den Deutſchen noch ungewohnte Me - taphern, eben darum mit dem allgemeinen Sprach - gebrauche ſtreiten? Zudem hat nicht Hr. Breit. der von euch aus dem II. ten Theile ſeiner Dicht - kunſt Bl. 339. angefuͤhrten Stelle, die er an die - ſem Orte nicht einmal als eine Regel angiebt, ſo - gleich folgendes beygeſetzet, welches eben dienet, dem ihm angedichteten Unverſtand vorzubiegen, und euch zu rechte zu weiſen:
„ Dieſe abſonderli - „ che Erfahrung ſtoͤßt den oben durch die Erfah - „ rung feſtgeſezten Grundſatz von der Freyheit neuer „ Metaphern nicht uͤber einen Hauffen, ſondern „ ſetzet ihn nur in gewiſſe Schrancken, und ma - „ chet von der allgemeinen Regel eine Ausnahme. „ Und dieſe Schrancken werden wir leicht beſtim - „ men koͤnnen, wenn wir einmal die Urſachen, „ welche uns die Einfuͤhrung neuer Metaphern „ ſchwer, und oͤfters unmoͤglich machen, genug - „ ſam einſehen. „
Es werden auch hernach von Bl. 339. bis 348. dieſe Urſachen entdecket, und die Schrancken deutlich beſtimmet; Woraus er denn Bl. 351. den Schluß machet:
„ Jch ſchlieſſe „ alſo dahin, daß man neue Metaphern aus frem -D 5„ den58Von Langnau Schreiben„ den Sprachen, wenn ſie mit dem eingefuͤhr - „ ten Gebrauch der Woͤrter nicht ſtreiten, „ noch wider die Analogie, noch gegen die Natur „ und Regeln einer guten Metapher verſtoſſen, „ ſondern neben der Wahrſcheinlichkeit noch eine „ Nothwendigkeit zum Grund haben, darum nicht „ verwerffen koͤnne, weil ſie bisher ganz unge - „ wohnt geweſen. ꝛc. „
Jm uͤbrigen, wenn die Deutſchen das Wort ſpazieren durch einen Natio - nal-Schluß ſeines deutſchen Buͤrgerrechts entſezen und in die Acht erklaͤren wollen, ſo moͤgen ſie es meinethalben thun: wenn ſie nur die Gnade haben, das durch dieſes Wort bezeichnete Ergetzen nicht zu verbieten. So liegt mir auch wenig daran, ob ſie mehr Ergetzen bey dem gehen, als bey dem ſpa - zieren finden: Aber das muß ich ſie doch erinnern, daß wenn ſie das Wort ſpazieren in die Acht er - klaͤren, und kuͤnftig das gehen darfuͤr gebrauchen wollen, ſie damit das Ergetzen verlieren, welches man bisdahin durch ſpazieren fahren, ſpazieren reiten ausgedruͤcket hat; oder wo ſie es dennoch beybehalten wollen, ſo werden ſie es in Zukunft durch gehen reiten, gehen fahren bezeichnen muͤſ - ſen. Was endlich das vorgeſchlagene tanzen und ſpringen der Augen angehet, ſo verweiſe ich euch auf das III. Stuͤck der Critiſchen Sammlungen Bl. 28. und auf die Fortſetzung der Critiſchen Dichkunſt Bl. 347. wo dieſer ausſchweiffende Vorſchlag ſeine Abfertigung finden wird.
K. So wenig, als ihr auf der 441. Seite des VI. ten Artickels, will ich die ſpitzige Frage an dieſem Orte eroͤrtern: Ob Schoch in der Verfer -tigung59an die d. Geſ. von Greifswalde. tigung ſeiner Hirtenlieder Ehre eingelegt habe oder nicht? Jn dem Tempel des guten Geſchmacks fuͤr die Deutſchen Bl. 26. leſe ich folgendes:
„ Man ſagt, daß Schoch einsmal in dieſen Tem - „ pel hinein gehen wollen, und ſich auf dieſe Verſe „ aus der Critick uͤber die deutſchen Dichter ſehr „ getroſt beruffen habe:
„ Doch die Critick hatte zu ſeinem Ungluͤcke ei - „ nige Blaͤtter aus ſeine Friedensſchaͤferey ge - „ leſen, drum verſagte ſie ihm den Eingang, und „ ließ hingegen den anmuthigen Hagedorn hinein, „ der in ſeinen Schaͤfererzehlungen ſo ungekuͤnſtelt, „ zaͤrtlich und natuͤrlich iſt. „
L. Auf der 444. Seite des VI. ten Artickels hoh - let ihr eine Streitfrage nach, daruͤber ihr euer Ur - theil bisdahin ausgeſtellt habet. Sie iſt dieſe: „ Ob die Critick gluͤcklicher auf verſtorbene, oder „ auf lebende gerichtet werde? „ Und euer Ent - ſcheid uͤber dieſe Frage iſt wiederum ſo ungewiß, daß man faſt vermuthen ſollte, die Frage waͤre euch entweder zu hoch geweſen, ſo daß ihr euch nicht wohl habet zu recht finden koͤnnen; oder es haben euch beyde Meynungen beynahe gleich be - gruͤndet angeſchienen, ſo daß ihr keiner euern Bey - fall geradezu habet verſagen wollen. Jhr beken - net erſtlich:
„ Es iſt wahr, daß die Gruͤnde, die „ der Herr Bodmer anfuͤhret, ein ſtarckes Ge - „ wicht haben, und wir glauben ſelbſt, daß es ge - „ wiſſermaſſen beſſer ſey, die Critick gegen noch„ leben -60Von Langnau Schreiben„ lebende, als gegen bereits verſtorbene zu gebrau - „ chen. „ Bald aber, nachdem ihr ein wenig
uͤberlegt, wie heilſam es fuͤr die allgemeine Si - cherheit einiger heutigen Schriftverfaſſer ſeyn wuͤr - de, wenn man die noch lebenden mit Criticken und Tadel verſchonen wollte; ſo erklaͤret ihr euch, „ man
„ koͤnne uͤber dieſe Frage nichts gewiſſes beſtim - „ men; ſondern es komme auf die Gemuͤths-Be - „ ſchaffenheit eines jeden Kunſtrichters an. „ Es
koͤmmt aber aller Unterſchied in Abſicht auf die Ge - muͤthsbeſchaffenheit eines Kunſtrichters darauf an; daß er in ſeinen Urtheilen von dem Schoͤnen und Tadelhaften einer Schrift entweder gerecht und beſcheiden; oder ungerecht und ſtoͤrriſch iſt: Jſt er gerecht und beſcheiden, warum ſollte er nicht ſo wohl berechtiget ſeyn, die Lebenden, als die Todten fuͤr ſein Gericht zu fodern? Die Haupt-Abſicht eines Schriftenrichters gehet voͤrderſt auf die Ver - beſſerung desjenigen, der gefehlet hat; wo kan man aber von einem Todten einige Beſſerung hof - fen? Folglich kan die voͤrderſte Haupt-Abſicht der Critick bey den Todten unmoͤglich erzielet wer - den. Jſt im Gegentheil ein Kunſtrichter in ſei - nen Urtheilen ungerecht und ſtoͤrriſch, wer will ihm denn die Todten Preis geben? Jſt es nicht eine doppelte Ungerechtigkeit, mortuo inſultare leoni, einen Todten verleumden; der ſich nicht mehr ver - antworten kan? Darum wird auch in foro civili keine Actio gegen einen Todten verſtattet. Jch moͤchte demnach wol ſehen, wie ihr aus der Ge - muͤthsbeſchaffenheit eines Schriftenrichters jemals die Nothwendigkeit und den Vorzug der Critickuͤber61an die d. Geſ. von Greifswalde. uͤber die Todten vor der Critick uͤber die Lebenden wolltet beſtimmen, oder die Gottſchediſche Regel rechtfertigen koͤnnen, welche will, daß man die Critick nur allein auf die Todten richten ſoll. Das laͤßt ſich aus der Gemuͤths-Beſchaffenheit derjenigen, die dieſe Gottſchediſche Regel willig an - nehmen, und ſie gerne verfechten moͤchten, wenn ſie nur koͤnnten, beſtimmen, was ihnen ſelbige ſo beliebt mache, nemlich das boͤſe Gewiſſen elender Scribenten, und das gerechte Mißtrauen in ihre eigene Schriften. Das hat der elende Verfaſſer der Anmerckungen uͤber das Ergaͤntzungs-Stuͤck in den Leipzigiſchen Beluſtigungen des Witzes in der XVI. ten Anmerckung ſelbſt aufrichtig geſtanden, da er ſagt:
„ Einjeder muß billig an dem Hrn. „ Prof. Gottſched als eine wuͤrckliche Klugheit lo - „ ben, daß er ſich nicht auf eine ſtrenge Beur - „ theilung der Herren Jetztlebenden eingelaſſen. „ Was ſollte er ſich Feinde machen, da er es „ erſparen konnte? „
Hr. Prof. Gottſched ſchreibt ſelbſt in ſeiner erſten Vorrede zu der Dicht - kunſt, wie ihr Bl. 417. aus ihm anfuͤhret:
„ Man „ hat keine Urſache vor einer vernuͤnftigen Critick „ einen Abſcheu zu bezeugen, wenn man nur vor „ ſich ſicher iſt, und nicht fuͤrchten darf, ſelbſt in „ ihre Unterſuchung zu gerathen. Wer ein gu - „ tes Gewiſſen hat, daß nemlich ſeine Sachen „ nach den wahren Kunſtregeln ausgearbeitet wor - „ den, der wird keine Feindſchaft gegen die Cri - „ ticos blicken laſſen. „
Welche Worte ja eben ſo viel ſagen, als: Derjenige, der eine gute und gerechte Critick uͤbel nehme und den Criticum des -wegen62Von Laugnau Schreibenwegen anfeinde, der ſey ein elender Scribent, und thue es aus keiner andern Urſache als weil ihm ſein boͤſes Gewiſſen Furcht einjage. Folglich be - ſtehet die Klugheit, die Gottſched durch die Regel, daß man die Lebenden nicht tadeln ſoll, an den Tag legen wollen, und die der Belu - ſtiger ſo ſehr anpreiſet, in der Behutſamkeit die elenden Scribenten nicht zu beunruhigen, oder durch einen gerechten Tadel zu beleidigen. Er wird aber nicht alle Jtztlebenden fuͤr ſolche elende Scribenten halten, die ſich uͤber eine gerechte Critick ſo gleich erzoͤrnen, da er ſich die Regel gemacht, daß er kei - nen Jtztlebenden tadeln wolle.
M. Auf der 455. Seite des VI. ten Artickels wollet ihr den Hrn. Prof. Gottſcheden gemach - ten Fuͤrwurf, daß er die Exempel zu ſeinen Lehr - ſaͤtzen nur allein aus ſeinen eigenen Schriften ge - nommen, damit abheben, daß ihr ſaget:
„ Doch „ dieſer Fuͤrwurff trift nur die beiden erſten Aus - „ gaben ſeines Wercks; denn bey der letzten Auf - „ lage ſind anſtatt ſeiner eigenen Arbeit lauter „ Meiſterſtuͤcke von unſern beſten Dichtern der „ vorigen Zeit eingeſchaltet worden. „
Jhr ſcheinet mit dieſen Worten zu bekennen, daß der Fuͤrwurf die fuͤnfzehn Jahre, ſo lange nemlich die zwo erſten Ausgaben der Gottſchediſchen Dicht - kunſt in den deutſchen Schulen gebraucht worden, gerecht und begruͤndt geweſen ſey. Und es iſt in der That ein Stoltz ohne Exempel, daß ein Lehrer der Dichtkunſt in allen Gattungen von Gedichten ſeine eigenen Hirngeburten als Muſter darlege, da es ſchon laͤngſten zu einer Regel geworden: Op -tima63an die d. Geſ. von Greifswalde. tima quæque ad imitandum eſſe proponenda. Und da Hr. Gottſched unter dieſen Muſtern von ſeiner Arbeit auch Knittelverſe andern zur Nachahmung geſchrieben, und ſelbige als Ehren - und Lob-Ge - dichte aufgeſtellet hat, ſo iſt die von Hrn. Sie - brand hieruͤber gemachte ſcherzhafte Antung wahr - haftig nicht ohne Grund geweſen, und hat nicht verdienet, daß er daruͤber in der feinen Gottſched - critiſchen Sprache von euch ſo veraͤchtlich gehalten wuͤrde: wie es Bl. 442. geſchieht, wenn ihr ſa - get:
„ Der Herr Siebrand hat ſich von uns kei - „ ner weitern Widerlegung zu befuͤrchten; Ei - „ nem ſolchen Kunſtrichter muß billig in Knittel - „ verſen geantwortet werden. „
Das heißt ziem - lich groß und unbeſcheiden thun, und ich bin ſicher, daß ihr auf dieſen Fuͤrwurff nichts antworten koͤnnet als Knittelverſe. Mithin iſt der ruhmraͤthige Stoltz, ſich ſelbſt der deutſchen Welt zum Muſter der Nach - ahmung aufzuſtellen, der dritten und letzten Aus - gabe niemahls vorgeworffen worden, wie ihr heim - tuͤckiſcher Weiſe ſcheinet zu verſtehen zu geben. Und der gekuͤnſtelte Schwung, den ihr eurer Rede ge - bet, da ihr ſaget: Doch dieſer Fuͤrwurff trifft nur die beyden erſten Ausgaben ſeines Wercks, zeiget mir, daß ihr eben ſo wenig Redlichkeit ha - bet, als Hr. Gottſched, Fehler, die keines An - ſtrichs faͤhig ſind, und derer ihr euch heimlich ſchaͤ - met, zu bekennen. Und da Hr. Prof. Gottſched in der letzten Auflage, auf das mit Ernſt und Schertz vermengte Zureden der Schweitzer, dieſe laͤcherliche Hoffartsſuͤnde abgeleget, und zu einer ſo wichtigen Veraͤnderung geſchritten, ſo iſt dieſesein64Von Langnau Schreibenein Zeugniß theils, daß der Herr Profeſſor fuͤr eine um etwas lebhafte Critick nicht gantz unver - beſſerlich ſey, und theils von der heilſamen Wir - kung der Schweitzerſchen Critick auf denſelben, ohne welche dieſe fuͤr die Gottſchediſche Dichtkunſt ſo ruͤhmliche und fuͤr die deutſchen Schulen ſo nuͤtz - liche Hauptveraͤnderung ſeines Werckes niemahls erfolget waͤre, vielweniger aber wenn die Schwei - zer, nach eurem Rath, ſich mit der Critick an Verſtorbene gewaget haͤtten, d. i. wenn ſie mit ihrer Critick dem noch lebenden Gottſched geſcho - net haͤtten. Ob inzwiſchen die anſtatt ſeiner eige - nen Arbeit neu eingeſchalteten Stuͤcke aus unſern beſten Dichtern eben lauter Meiſterſtuͤcke ſeyen, wie ihr Hrn. Gottſcheden glaͤubig nachgebethet, das will ich hier eben ſo genau nicht ausmachen; ſondern nur uͤberhaupt ſo viel ſagen, daß ich man - ches darunter, ſonderlich von Menantes und Neu - kirchen verfertigtes Stuͤcke davor nicht erkenne, auch bereit bin, meine rationes dubitandi auf Ver - langen deutlich anzugeben: So daß ich ſorge, auch dieſe getroffene Wahl moͤgte den Geſchmack Hrn. Prof. Gottſcheds zuweilen beſchimpfen, und es werde ihm eben nicht ruͤhmlich ſeyn, daß er Menantes und Neukirch unter unſre beſten Dich - ter mitrechnet. Endlich laſſe ich hier uneroͤrtert, ob die Einſchaltung ſo vieler fremder Exempel oh - ne Critiſche Pruͤffung aus gedruͤckten und nicht un - bekannten Buͤchern in der neuen Ausgabe der Gott - ſchediſchen Dichtkunſt einen andern Grund ihrer Nothwendigkeit habe, als das Buch um mehr als einen dritten Theil zu vergroͤſſern? und ob dieſer Grund der Nothwendigkeit zureichend ſey?
65an die d. Geſ. von Greifswalde.N. Auf der 456. Seite des VI. ten Artickels, kommt noch eine feine und recht ſpitzfuͤndige Ge - genbeſchuldigung unter einem fremden Nahmen zum Vorſchein, womit ihr eure Critiſchen Be - trachtungen uͤber Hrn. Gottſcheds neue Dicht - kunſt auf eine ſinnreiche Art beſchlieſſet. Jhr ſtellet euch an, als ob ihr gegen einem Freunde die Partey des Schweitzers genommen habet, um demſelben eine feine Stachelrede zu lehnen, die euch als einem Vertheidiger des Schweitzers eben nicht zum beſten angeſtanden: Allein
Und welches iſt denn dieſe ſo gar feine Stachel - rede?
„ Endlich ward er boͤſe und ſprach: Jſt „ denn der Herr Gottſched deßwegen zu tadeln „ geweſen, ſo hat er es gleichwohl noch nicht „ ſo arg gemacht, daß er eines ſeiner Gedichte „ gantz und gar zergliedert, und uns ſorgfaͤl - „ tig alle Schoͤnheiten deſſelben angezeiget ha - „ ben ſollte, aus Furcht, es moͤchten dieſelben „ von andern nicht wahrgenommen werden. „
Unſtreitig waͤre es arg genug fuͤr Hrn. Prof. Gottſcheden, wenn man ſeine Gedichte, die er der Welt ſelbſt als Muſter anpreiſet, eines nach dem andern gantz und gar zergliederte, und ſorgfaͤltig ausſetzte, was ſeine blinden Verehrer bisher daran nicht wahrgenommen haben. Zwar ſollte Hr. Gottſched dieſe Critiſche Operation ſelbſt vorgenommen haben, wie dieſer Unbe - kannte, den ihr redend einfuͤhret, zu wuͤnſchen ſcheinet, ſo glaube ich auch, daß es fuͤr ihn[Crit. Saml. XI. St.] Eeben66Von Langnau Schreibeneben nicht ſo arg herausgekommen waͤre, er wuͤrde gewiß ſolche Schoͤnheiten darinn gefun - den und angezeigt haben, die von keinem an - dern Menſchen weder zuvor noch darnach wuͤrden wahrgenommen worden ſeyn. Wie ſollte es aber moͤglich ſeyn, daß Hr. Gottſched ſelbſt mit ſeinen eigenen Gedichten dergleichen Critiſche und regelmaͤſſige Operation ſollte vornehmen koͤnnen, da dieſelben mehr durch einen gluͤckli - chen Zufall, als nach einem uͤberlegten Ent - wurff, wie zerfloſſenes Bley in einen Klumpen, zuſammen geronnen ſind? Was nach Regeln ſoll unterſucht, zergliedert und beurtheilt wer - den, das muß nach einem vernuͤnftigen Plan und gantz regelmaͤſſig eingerichtet ſeyn. Ein re - gelmaͤſſiger und vernuͤnftiger Verfaſſer muß von allem Rechenſchaft geben und zeigen koͤnnen, in was vor Abſichten er jeden Satz und Theil ſeiner Schrift an dieſem Orte, in dieſem Gra - de, in dieſem Licht, in dieſer Verbindung an - gebracht, wie eines in dem andern, und alles zuſammen genommen in eben derſelben Haupt - Abſicht gegruͤndet ſey. Und es wuͤrde uͤberaus nuͤtzlich ſeyn, wenn die Kunſtrichter nicht nur andern Schriftverfaſſern auf die Spurgiengen, ſondern auch jeder Verfaſſer, der nach Abſich - ten und Regeln handelt, uns dieſelben in ſeinen eignen Wercken verkundſchaften und offenbah - ren wuͤrde, damit wir andere urtheilen koͤnnten, wiefern er ſeine Abſichten gluͤcklich erreicht, und ſeinen Regeln eine Genuͤge geleiſtet habe. Die - ſes kan ohne alle Prahlerey und Ruhmraͤthig -keit67an die d. Geſ. von Greifswalde. keit geſchehen, weil man nicht mehr ſagt, als daß man nach Abſichten gehandelt, und nach welchen man an jedem Orte gehandelt habe, das Urtheil aber von denen Abſichten und Regeln, und wie fern man es getroffen, jedermann frey laͤßt. Womit aber in keine Vergleichung kan gezogen werden, wenn man ſeine eigenen Ge - dichte, ohne einige Anzeige warum, einer gan - zen Nation als Muſter zur Nachahmung anprei - ſet, zumahl wenn ſie hernach bey einer genauern Pruͤfung meiſtens ſo elend und abgeſchmackt be - funden werden.
Jch hatte mir zu Anfang dieſes Schreibens vorgenommen, mit meinen Unterſuchungen wei - ter fortzugehen, allein da ich izo vorherſehe, daß der 3te Art. des V. ten St. mir zum wenig - ſten ſo viel Materie zu verarbeiten an die Hand geben wuͤrde, als ich in dem VI. ten Art. des IV. ten St. gefunden habe, ſo will ich dieſes Schreiben ſchlieſſen, und das uͤbrige kuͤnftig in einem neuen Schreiben nachbringen, damit ſo - wohl mir als meinen Gegnern die Buͤrde der Anklage und der Verantwortung, wenn ſie ſo getheilet wird, einigermaſſen erleichtert werde. Jch werde deſtoweniger damit eilen, wenn ich vernehmen werde, daß meine gegenwaͤrtige Er - innerungen und Beſtraffungen bey denjenigen, welche ſie angehen, einigen Eingang gefunden, und einiges Nachſinnen erwecket haben; denn es wird mir nichts angenehmer ſeyn, als daß ſie ſich ohne meine Bemuͤhung begreiffen, und die Betrachtungen bey und unter ſich ſelber an -E 2ſtellen,68Von Langnau Schreiben. ſtellen, welche ein jeder zum Nachſinnen gewoͤhn - ter Kopf bey einem wohlgearteten Gemuͤthe oh - ne groſſe Kunſt und mit wenigerm Verdruſſe fuͤr ſich ſelbſt wird anſtellen koͤnnen. Die Beſtraf - fung iſt nicht mein Endzweck, ſondern ich ſuche durch die Beſtraffung die Erbauung, und wenn dieſe ohne die erſtere zu erhalten iſt, ſo koſtet es mich keine Muͤhe die Feder nieder zulegen. Jch hoffe dadurch die Freundſchaft der Geſellſchaft uͤberhaupt, aber hauptſaͤchlich derer beſonderen Perſonen, welche ſich von meinen Beſchuldigun - gen getroffen ſehen, vielmehr verdienet als ver - wuͤrcket zu haben. Was mich anlanget, ſo bin ich derſelben, und der gantzen Geſellſchaft
ergebener und gehorſamer Diener Petermann von Langnau.
DJe Schiffer empfiengen den Wind mit froͤhlichem Gejauchze, die aufgeſchwelleten Segel trugen das Schiff pfeilgeſchwin - de durch die flache See weg, der ſtarcke Maſt bog ſich, laͤngſt hatte ſich der gellende Klang verlohren, der abwechſelend kam, verſchwand, und bald et - was ſchwaͤcher unſre Fahrenden erreichte, und der ihnen von tauſend Zungen nachgeſchickt ward, die mit unverſtaͤndlichem Gemiſche Gluͤck und Arion erthoͤnen lieſſen, die verſengten Spitzen des Aetna wurden gantz blau, und vermiſchten ſich mit den Wolcken: Als Arion, der zwar uͤber den innigen Abſchied ſeiner Freunde einige Bitterkeit im Her - zen fuͤhlte, ſich aber mit dem nahen Anblicke ſei - nes Corinthens allen Unmuth vertrieb, auf das Oberdach des Schiffes hinauf ſtieg. Er ſatzte ſich ohnweit von dem Orte, wo das goldene Geraͤthe lag, welches ihm der bezaubernde Ton ſeiner Leyer durch das fruchtbare Jtalien, und das ange - nehme Sicilien erworben hatte. Hier ſtaͤmmete er ſich auf ſeinen Arm, und betrachtete ein Stuͤ - ke nach dem andern; Ringe, darinn Rubinen brann - ten, Saphire, die das klare Gruͤne des Meeres nachmahleten, wenn uͤberher der blaue Himmel laͤchelt, oder den Schmuck, den Flora der jun - gen Erde umſchuͤrzet, wo der fette Klee, und dieE 4braune72Arionbraune Viol mit einander in die Wette ſpielen; theure Teppiche, Becher, darauf die Kunſt, und die Reinigkeit des Goldes, einander die Wage hielten. Er betrachtete ſonderlich einen von dieſen, ein Werck des beruͤhmten Alcons, dem Pallas ſelbſt die Schlaͤge des Hammers gefuͤhret. Or - pheus ſtuhnd hier an der Schwelle des Avernus, der vor den bittern Blicken Plutons erzittert, er ſtuhnd da, wo das ſchwarze, Schrecken des dun - keln Gehoͤltzes an den ſchleichenden Schlamm des Cocytus ſtoͤßt, der ſich durch wuͤſten Schilf neun - mahl um das erſchreckende Reich herumziehet. Die leichten Schatten flatterten um ihn herum. Man ſah Verzweiflung auf ſeinem Geſichte ſitzen, als er mit ſeiner Hand die Saiten ruͤhrte, welche den Tartarus bezwangen, und die Lieder erklingen ließ, welche Hertzen, die von Erbarmen nichts wiſ - ſen, bewegeten, Lieder die das Gebelle des drey - koͤpfigten Cerberus zum Stillſchweigen noͤthigten, das Raſſeln der Peinraͤder und der geſchleppeten Ketten unterbrochen, bis in die innerſten Kluͤfte des Erebus ergelleten, und das Felſen-Hertz des Hoͤllen-Gottes erweicheten. Arion erinnerte ſich, bey Anſchauung dieſer Reichthuͤmer, derer, die ſie ihm geſchencket hatten. Habet Danck, ſagte er, Meine Freunde, Meine Goͤnner. Doch auch ohne dieſe Zeichen wuͤrde ſich euer Andencken bey mir niemahls verliehren. Jch werde ſtuͤndlich euer Gedaͤchtniß verehren. Jch weiß auch gewiß, Arion wird bey euch nicht vergeſſen werden, wenig - ſtens wird ſein Bild euch vorſchweben, wann ihr bey dem Ton einer Laute eure gewohnte Reyhenfor -73eine poetiſche Erzehlung. formieret, oder wann ihr an einen redlichen Freund ſinnen wollet. Mit was vor Schmertzen mangle ich die Luſt, die mir eure Liebe ſtuͤndlich zu machen bemuͤhet war. Jch wuͤrde ungerecht ſeyn, Mei - ne Freunde, wenn ich ohne Urſache unſern Um - gang getrennet haͤtte. Jch ſchien nicht ſtandhaft zu ſeyn; aber ich mußte doch einmahl ſcheiden; be - dencket, daß wir nicht immer einander umfangen konnten. Allein ich habe vergebliche Furcht. Jhr habet ſelbſt, obgleich ungerne, die Nothwendig - keit meines Scheidens erkennt. Jhr werdet mich eben ſowohl abweſend lieben, als anweſend. Jhr habet ja ſelbſt meine Abreiſe beſorget, ſelbſt das Schiff angeordnet, ſelbſt eure getreueſten und er - fahrenſten Knechte mir mitgegeben, die euch den baldigen Bericht bringen ſollten, daß Arion ver - gnuͤgt bey ſeinem Periander ſey. Ach Periander, Mein Koͤnig, Mein Freund, darf ich hoffen, daß mein Anblick dein groſſes Hertz ſo ruͤhren wer - de, als mein Abſcheid es gethan hat? Hoffen, daß meine Laute noch faͤhig ſey dich zu ermuntern, dein ſorgenvolles Gemuͤthe zu erheitern, und zu - gleich die Schaar deiner Diener freudig zu ma - chen? Die Ehrfurcht gegen dir allein machet, daß ich meine neue Geliebte habe verlaſſen koͤnnen. Jch weiß, wie freundlich dein Begruͤſſen ſeyn wird, wie ſorgfaͤltig dein Fragen nach meinen Zufaͤllen, ſeit dem du mich ſo ungerne aus deinen Armen weg - gelaſſen. Kuͤnftig widme ich mich gantz dir allein. Er iſt der Anfang meines Gluͤckes. ‒ ‒ ‒
Dieſes ſagte Arion, das aufrichtige Hertz, als ein Geſchrey von vermiſchten Stimmen, ein na -E 5hes74Arionhes Gepolter von Fußſchlaͤgen, die Gefahr drohe - ten, ihm ein ploͤtzliches Schrecken verurſachten, es betauͤbte ihn ein Getoͤne von Degen, das dem glich, welches erhitzte Soldaten machen, die durch innerlichen Zorn und die Anrede eines klugen Fuͤhrers angeſpornet, Wuth und Feuer von ſich ſchnauben, wenn ſie aus Unmuth uͤber den Ver - zug des Treffens knirrſchen, und die ſchweren Spieſſe auf ihren ehrenen Schilden anſchlagen. Er erſtaunete, da er die Knechte, welche ſeine Freun - ihm zur Aufwart auserleſen hatten, tobend auf ſich eindringen ſah. Jhre Haͤnde waren mit Mord - Gewehren bewaffnet, deren jedes ihm den nahen Tod drohete. Der allerſchaͤndlichſte Geitz hatte ſie verblendet, und ihr Hertz vergiftet. Jhr Vor - haben zwang ihnen eine finſtere Roͤthe aus, ihre Geſichter ſchienen verwirret, da ſie deſſen anſich - tig wurden, den ſie ermorden wollten. Aber es war zu ſpaͤth, den Anſchlag ohne Gefahr liegen zu laſſen. Das vor Augen liegende Gold reitzte ihre Boßheit noch mehr. Jzo hieng uͤber ſeiner Scheitel der zitternde Stahl, der ſein roͤthlichtes Haupt von dem Marmor-Halſe wegreiſſen ſollte; als Arion mit einem lauten Schrey ruͤckwaͤrts ſprang, dem toͤdlichen Schlag auswich, und alle ſein Ver - moͤgen nur fuͤr ſein Leben anboth. Einmahl uͤber das andre rufte er ſeine Freunde, ihre Herren, ihre Gutthaͤter, ihre Ernaͤhrer. Sie ſahen ein - ander an, ſchloſſen ſich in einen Kreiß, zweifel - haftige Seitenblicke fielen aus ihren Augen gegen Arion. Jhr Hertz ſchlug ihnen in dem Buſen, da zwey widerwaͤrtige Begierden, Geitz und Furchtein -75eine poetiſche Erzehlung. einander beſtuͤrmeten. Der Schluß war dieſer: Arion ſollte ſich von der Hoͤhe des Schiffes hinun - ter in das Meer ſtuͤrtzen. Was ſollte er thun? Scharfe Mordeiſen, die vor und hinter ihm blinke - ten, verſchloſſen weitern Bitten den Weg, und noͤthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff - Knechte gefaͤllet hatten, ungeſaͤumt an ſich zu voll - ziehen. Er ergriff ſeine Harfe, ſeine beſtaͤndige Begleiterinn, die Troͤſterinn in ſeinem Ungluͤcke, kuͤſſend. Komm, ſagte er, komm du Stiffterinn meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines, komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod verſuͤſſen. Und indem er ſelbige zwiſchen ſeinen Armen haͤlt, tritt er den lezten Weg betruͤbet und langſam an, und ſtieg auf den Voͤrderſchnabel am Schiffe. Hier ſah er ſich aͤngſtlich nach der Gegend um, von welcher er gekommen, nach dem ſichern Geſtade, das er in einer ungluͤckſeligen Stunde verlaſſen, und ſich dem gefaͤhrlichen Kiele anvertrauet, der ihn dem unverſehenen Tode zu - fuͤhrete. Aber vergebens. Auf allen Seiten iſt nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken, die der Wind hinter dem Meere, das eine oͤde und unermeßliche Ebne ſchien, herfuͤr jagte. Es grauete ihm vor den ungeheuren Geſtalten, mit denen das Waſſer auf der Flaͤche und in der Tiefe beſetzet war. Entweder wuͤrde ihn der Meerwolf mit ſcharfgeſpitzten Zaͤhnen, zwiſchen welchen die rothen Ueberbleibſel von dem letzten Raube noch ſtecketen, mitten entzwey ſagen; oder eine graͤuliche Schlan - ge, die in rothe, gruͤne, und gelbe Schuppen verpantzert iſt, deren Augen mit Blut und Giftunter -76Arionunterſchoſſen ſind, die ihren Schwantz durch das flache Meer als einen langen Stamm nachziehet, wuͤrde ihn in ihrem beinernen und mit Gift ange - feuchteten Rachen zerquetſchen. An ſeinem Ruͤ - ken jagten ihm graͤuliche und verraͤtheriſche Geſich - ter einen kalten Schweiß aus. Bis izo hatte er noch immer gehoffet, etwann ein Schiff von ferne zu erblicken, in welches er ſich mit Schwimmen retten koͤnnte; aber die Augen ſchoſſen vergebens hin und her; er ſah nichts als den nahen Tod. Wie ein zartes Rehe, welches das erſte mahl von ſeiner ſorgfaͤltigen Mutter, die ihm beſtaͤndig zur Seite laͤufft, auf die Weide gefuͤhret wird, und durch ein ploͤtzliches Rauſchen der Diſteln, die den Nachſehenden den Weg hindern, das einsmahli - ge Geſchrey der auf den Raub erpichten Jaͤger, das Bellen der Hunde, das lermende Getoͤne des Jagdhorns ſchuͤchtern wird, und ſich verirret; wenn es ſich gantz allein und umzingelt ſiehet, und mer - ket, daß es dem Verfolger ſelbſt in die Haͤnde ge - lauffen, ungewiß hin und her ſchieſſet, bloͤket, ſich wundert, daß ſeine Mutter ſo lange ausbleibet ihm zu helffen: Da indeſſen der gewiſſe Pfeil von einer ſtarcken Hand ihm nach dem Hertzen eilet, und ſein zartes Blut auf die Erde verſchuͤttet. So ver - laſſen ſtuhnd Arion auf dem hohen Voͤrderſchnabel des Schiffes, mitten unter erboßten Moͤrdern. Kurtz zuvor bluͤhete noch die Jugend auf ſeinen Wangen, und die ſpiegelglatte Stirne, wo ſich noch keine ſorgenvolle Falte aufgeleget hatte, zeig - te den Lentzen des Lebens an; aber izo ſaß die blaſ - ſe Farbe des Todes auf ſeinem Geſichte. Diewei -77eine poetiſche Erzehlung. weiche Lufft ſtrich bey ihm vorbey, und beluſtigte ſich das lezte mahl mit ſeinen Haaren, legte ſie ihm bald auf die Bruſt, bald ſtreuete ſie ſelbige auf die Schultern, bald ſtreckte ſie dieſelbigen in die Laͤnge, und gerade hernach machte ſie darinn eine wallende Bewegung, wie wenn ohngefehr ein Stein in die platte See faͤllt, augenblicklich um ihn herum cirkelfoͤrmige Wellen ſich erheben, nie - derſincken, etwas entfehrnter ſich wieder erhoͤhen, wieder verliehren, und bald in mehrerer Weite wieder da ſind. Ein Guͤrtel hielt den Reſt von ſeinem fliegenden Kleide feſt, welches bis an die Schultern hinter ſich geſtreifet die Arme faſt na - kend ließ. Die Harfe ſtuͤtzete er feſt an ſeine Bruſt, und fuhr muͤhſam mit einer ſchweren Hand uͤber die ſcharfgezogenen Saiten, und ordnete die Toͤne an. Jene gehorſameten ſeinen Griffen.
Darauf hub er mit einem tiefen Seufzer ſeine Augen nach dem Himmel; und damahls fiengen die goldenen Draͤte an ſich zu beſeelen, ſie ant - worteten ſeufzend einander, hertzruͤhrende Klag - toͤne ſchwelleten von ihnen auf. Er miſchte ſeine klingende Stimme unter die Muſick, die auf der zitternden Harfe herumſchweifete, und rufte den Vater der Goͤtter und der Menſchen weheklagend an, daß er die ſchwartze Greuelthat mit ſeinem allesſehenden Auge betrachten, und einen gerech - ten Urtheilſpruch abfaſſen ſollte. Er rufte den Apol - lo an, deſſen Saiten ſelbſt die Goͤtter zu Dienſte ſtehen muͤſſen, und dem er manch rauchendes Opfer auf ſeinen Altar geleget hatte. Und dich ruffete er an, Gerechte Nemeſis, die verhuͤtet, daßdie78Ariondie Boßheit nicht ſchon Himmel und Erden in das vorige Chaos zuruͤckgeſtuͤrtzet hat. Erſchuͤttre dein ſchwartzes Gefieder, O Freundin der Unterdruͤck - ten, O Schrecken der Gottloſen! Fliege hernie - der, und beſichtige eine Laſterthat, dergleichen die Vorwelt nur ſelten geſehen hat; ſie iſt werth, daß deine Hand ſich zur Straffe ausſtrecke, werth, daß dein Schwerdt ſich zur Rache wetze. Jch ſterbe, verlaſſen, huͤlfloß, von denen, die mich ſo gerne retten wuͤrden, weggeriſſen, die Hand niedriger Sclaven toͤdet mich, und verſencket mich in ein ewiges Vergeſſen. O Unbeſtand! Nur einige Augenblicke aͤndern meine Scene ſo erſchreck - lich! Nur wenige Minuten zuruͤck; da floß noch volles Wohlſeyn um mich her! Jzo bin ich in der traurigen Nothwendigkeit mir meinen Lebensfa - den durch meine eigene Hand zu zerreiſſen. O fluͤchtiges Gluͤck! Hubeſt du mich darum ſo hoch, damit du mich deſto tiefer faͤlleteſt? Goͤnneteſt du mir darum ſo groſſe Freude, damit mein Tod mir deſto bitterer ſchmeckete? So hohe Goͤnner, da - mit verruchte Sclaven uͤber mich den Stab braͤ - chen? Wie uͤbel, Meine Freunde, O wie uͤbel ſchlaͤgt mir eure Guͤtigkeit aus! Jhr wolltet mir Diener geben, und ihr gabet mir Hencker; Be - gleiter, die mich beſorgeten, aber was vor giftige Natern ſind daraus erwachſen! Niemand iſt auf Erde, der ein Zeuge dieſer Frevelthat ſey, der ſie den kuͤnftigen Menſchen zum Abſcheue uͤbergebe. Dich ruffe ich zum Zeugniſſe, O Sonne, ob du dich gleich izo mit dicken Wolcken umhuͤlleſt, und meinen Untergang nicht beſchauen willſt. Kuͤnftigwer -79eine poetiſche Erzehlung. werde ich dein Licht nicht mehr genieſſen. Kuͤnf - tig giebſt du nicht mir die Freude, die du den Men - ſchen in ihr Hertz ſenckeſt. Mich wird bald eine ewige Dunckelheit begraben: Und du ſey ein Zeu - ge, O Mond, der du im fehrnen Weſten blaß ſteheſt. Euer Wagen fahre niemahls dieſen Ort vorbey, O Goͤttliche Geſtirne, daß ſich nicht das Andencken meines Unterganges bey euch erneuere. Meine Moͤrder ſehen euch niemahls an, daß ſie nicht ein Schauer ankomme, und ſie nicht ihres verborgenen Laſters wegen gepeinigt werden. Und du, O Meer, deſſen Wogen mich bald in den Abgrund verſchlingen werden; Und ihr Thiere der See, denen ich als ein unſchuldiges Opfer vorge - worffen werde, hoͤret niemahls auf, ſie mit gehei - men Biſſen zu quaͤlen, ſo oft ſie ſich euch naͤhern werden. Erzehlet ihr den Menſchen einen Greuel der ſonſt auf immer wird verſchwiegen bleiben. Gehabe dich wohl, elender Vatter, der mich in einer ungluͤckſeligen Stunde gebohren hat! Du wirſt deinen Sohn nicht mehr ſehen, deinen Troſt, der ſich aus deinen zitternden Armen mit Gewalt weggeriſſen. Wie wird dein graues Haupt ſich aͤngſtigen, wenn du hoͤren muſt, daß er ein Op - fer ſchwartzer Verraͤtherey, ein Raub graͤulicher Thiere geworden! Wurdeſt du darum grau, O Ungluͤckſeliger, damit dein Elend recht groß wuͤr - de? O traͤfe ich dich jetzo ſchon in den finſtern Gaͤn - gen an, die ich bald betreten werde, damit ein ſchreckender Trauerbothe dich nicht mit Graͤmen und Verzweifeln ins Grab druͤckete! Lebe wohl, Groſ - ſer Goͤnner, die Goͤtter laſſen deinen Namenin80Arionin Corinth lange leben! Lebet wohl, O Freunde, die mir der Himmel gegoͤnnet hat! Jch verlaſſe euch; aber wie bitter wird mir das Scheiden! Nimmer - mehr wird mir vergoͤnnet werden, eure Freude mit zugenieſſen. Nimmermehr mit euch zu ſchertzen, mich bey euch zu entladen. Wuͤrde mir nur noch einmahl erlaubet euch zu ſehen, euch anzureden, nur noch ein einziges mahl euch mei - nen Kummer zu klagen: Jch wuͤrde alsdann gerne wieder zuruͤcke kehren; alsdann wuͤrde ich mich freudiger dem Tod uͤbergeben. Aber eine uner - meßliche Kluft ſcheidet mich von euch. Gebet doch Achtung, O Freunde, wenn dieſe Uebelthaͤter zu euch kommen; alles an ihnen wird euch von Arion reden; ihre Haͤnde, Augen, Blicke, al - les wird euch ihre Mordthat verrathen. Gehabe dich wohl! Schoͤnes Corinth! Gehabet euch wohl ihr geheimen Sommergaͤnge, die ihr mich ſo oft einſam gehoͤret, wenn mein Mund Ehrfurchtsvoll einen Gott oder eine Goͤttin beſungen hat. Jhr kuͤhlen Gruͤnde, ihr ſtillen Waͤlder, ihr Triften, wo mich die aufgehende Sonne ſtets gefunden, und da ſie mir taͤglich den letzten Blick gegeben hat, und da ich ſo oft ihren Untergang mit meiner Stimme begleitet habe! Jch werde nimmermehr die warmen Luͤfte fuͤhlen, die euch durchhauchen. Jhr werdet mich nimmermehr ſehen, ausgenom - men wenn mein Schatten bey euch herum irren wird, mit aͤngſtlichen Seufzern die Menſchen zu erſchrecken, und die Goͤtter zur Rache zu zwin - gen. Mir iſt ſchon, ich ſehe das untere Reich, da eine ſtete Daͤmmerung herrſchet, woſelbſt derMit -81eine poetiſche Erzehlung. Mittag die Dunckelheit nicht einmahl vertrei - ben kan. Jch ſehe ſchon die ſchwartzen Kluͤfte, die ein immerwaͤhrendes Schrecken und Ver - zweiflen anfuͤllet; den Schwarm unſeliger Gei - ſter, die ſich aͤchzend um das Geſtade herum draͤngen, und denen ein hartes Schickſal den Durchgang in das ſelige Reich verſperret. Jch rieche ſchon den ſchweflichten Duft des Cocytus; Jch hoͤre ſchon von fehrnen das hoͤlliſche Getuͤm - mel. Ein Brauſen faͤllt mir fuͤr die Ohren; ein ploͤtzlicher Nebel drehet alles vor mir um; ein Schauer durchfaͤhrt mich; die Glieder fangen an zu beben; und das Blut wird mir in den A - dern kalt.
Er ſagte dieſes und die Rede erſtarb in ſeinem Munde. Er ſah ſich noch einmahl erblaſſet um, und hieng mit dem Leibe uͤber dem ſchwartzen Abgrund, wo graͤßliche Thiere ſchon gegen ihn die Zaͤhne bloͤketen, ſchluͤpfte mit den Fuͤſſen aus, und eilete mit ſchnellem Falle dem Tode zu. Dreymahl wiederholte ſeine Laute den lezten Schlag noch in dem Falle mit Seufzen; da der erſte Ton ſich ſchon laͤngſt in die Luft verlohren hatte. Die Meervoͤgel unterbrachen ihren Flug; andere kamen vom fernen Lande her; und da ſie das Ende ſeines Geſanges ausgewartet hat - ten, eilten ſie mit klagendem Geſchrey weg, da - mit ſie ſeinen Untergang nicht anſehen muͤßten. Philomela wurde ihrer Wunde wiederum inne, die ſie damahls ſchmertzte, als die harte Fauſt des Weidmanns ihr die nackete Zucht wegge - raubet; da ſie bey dicker Nacht auf einſamen[Crit. Sam̃l. XI. St.] FZwei -82ArionZweigen ſitzend erbaͤrmliche Seufzerherfuͤr gluch - ſete, mit Graͤmen ſich abkraͤnckete, und den finſtern Wald mit Klagen erfuͤllete. Ja es iſt ein Geruͤchte, daß ſelbſt einigen von den Uebel - thaͤtern das Hertz bey Arions Klagen gewancket habe; aber Morfus, den ein unſinniger Geitz mehr als Felſenhart gemachet, und der alle Spuren der Menſchheit in ſich ertoͤdet hatte, fiel mit thieriſchem Gebruͤlle auf ihn ein, und hub das Eiſen zu einem ſchnellen Schlage empor, und damahls ſtuͤrtzte ſich Arion mit ſchwerem Falle in den Tod.
Kaum hatte das oberſte Waſſer ihn beruͤhret, als etwas ſich unter ihm regete, ihn empor hub, und ſchnell durch die See wegfuͤhrete. Arion ermunterte ſich, und raffete ſeine Kraͤfte zuſam - men, da er ſich auf dem breiten Ruͤcken eines ſchuppichten Delphins erblickete, der ihn allbe - reits aus dem Geſichte ſeiner Verraͤther wegge - tragen hatte. Sein Klagelied fuͤhrete dieſes edle Thier aus der Tiefe hervor, es ſchwamm naͤchſt an dem voͤrdern Theile des Schiffes, bald de - kete es ſich mit leichten Wellen, bald ragete ſein hoher Leib gantz empor; es war unmuthig, daß Arion ſich ſo lange graͤmete, und erwartete den Fall, damit es ihn aus der Hand der Moͤrder davon truͤge. Jetzund legte es ſeinen runden Kopf fuͤr ſich auf die Wellen, und ſtieß ſie rau - ſchend von einander, ſeine Floßfedern ſchlugen auf beyden Seiten mit Macht in die See, ſein maͤchtiger Leib ſtieß ſich fort, mit dem breiten Schweife regierte es den geſchwinden Lauf nachdem83eine poetiſche Erzehlung. dem Lande, und ließ hinter ſich einen langen Strich in der See; indem es ſtets die klaren Au - genwirbel nach der Seite trieb, und um ſeine theu - re Buͤrde bekuͤmmert war.
Arion ſchmiegte ſich feſt an deſſen ſchluͤpfrigen Ruͤcken, das Finſtere, welches ſein Geſicht ver - unzieret hatte, verzog ſich, ſeine Haare rollten ſich nach der Naͤſſe wieder in Circkel, er wurde neu belebet, und fuhr munter auf dem hohen Delphin daher; von welchem er rund um ſich her die glaͤſerne See beſah, die ſich als einen Spiegel flaͤchte, und das blaue Himmelsgewoͤl - be, den gehoͤrnten Mond, die thauenden Abend - wolcken mit wiederſchlagendem Lichte ſpielend darlegte. Die murmlenden Saiten ſchienen mißvergnuͤgt, daß er ſo lange verzog ſeine Er - loͤſung zu beſingen. Er gehorſamete ihrem Ver - mahnen, und legete ſich mit Ernſt auf ſeine Har - fe, und beſang nochmahlen mit gedaͤmpften Toͤ - nen das ſchaͤndliche Vornehmen ſeiner Verraͤ - ther. Die ſchwirrenden Saiten bezeugeten ei - nen Abſcheu, und die Toͤne, die ſich klagend in die Hoͤhe zwangen, blieben ſchwebend liegen, da er ſeine lezten Wuͤnſche wiederholete. Bald faͤhrt er mit leichtem Weben uͤber die Saiten, wie Winde welche uͤber das wallende Gras hin - ſchluͤpfen; bald eilen beyde Haͤnde beſchaͤftiget hin und her, und ſchlagen oben und unten an die geſpanneten Daͤrme, geſchwinder als ihnen das Auge nachfolgen konnte:
da er ſein neues Leben begruͤßte, und den un - tern Delphin prieß, der ihn von den Hoͤllenpfor - ten zuruͤck getragen hatte. Dieſer hoͤrete es, und gab nach ſeiner Art ein groſſes Vergnuͤgen zu erkennen. Die Augen flogen ihm unbeſtaͤndig herum, ſein groſſes Haupt hub ſich hoch empor, ſo daß das Waſſer nur den weiſſen Hals be - ruͤhrte, und dann neben hinunter glitſchte. Der ſtarcke Schweif rollte ſich, und das Waſſer, welches aus beyden Naſeloͤchern herfuͤr ſprudelte, trieb ſeine Bogen noch einmahl ſo hoch.
Arions Stimme trug ſich uͤber die ebene See weg, drang ſelbſt die Wellen durch, und mach - te die Geſchoͤpfe rege, welche in fremdem Mee - re wohneten, Delphinen, Meerpferde, Thie - re die keinen Nahmen haben, welche die Son - ne ſelten vorhin geſehen hatte. Ein blauer Schwarm ſtieg nach dem andern aus der Tiefe herfuͤr, ſie ſchoſſen gleich geſchwinde heran, ſie ſchienen von Ferne wie wohl ausgeruͤſtete Schif - fe, die in gerade Linien hingeſtellet das Treffen erwarten. Sie flogen wie der Wind, ſie wa - ren ſchon da; ein Hauffen der kaum zu uͤberſe - hen war, und dennoch war nichts zu hoͤren, als ein ſanftes Geraͤuſche von der See, welche ſie mit ihren Leibern zerſchnitten. Sie athmeten kaum, damit ihnen nicht ein Ton von der Goͤtt - lichen Harmonie entgienge. Man wuͤrde geſagt haben, da die Wallfiſche aller Orten aus ihren Gruͤften hervorkamen, Neptum jagete etwa mit ſeinem Muſchelwagen, der wenn er von den Vogelſchnellen Pferden gezogen wird, mitden85eine poetiſche Erzehlung. den ehrenen Achſen nicht einmahl das Waſſer be - ruͤhret, durch die Flaͤche hin, und die Meerthiere waͤren da, ihrem Herren den Gehorſam zu be - zeigen.
Der wallende Ton arbeitete ſich durch bis zu den glaͤſernen Zimmern, in welchen die Meer - goͤtter ihre feuchten Wohnungen haben; dieſe erſtauneten einsmahls, recketen ihre Ohren nach dem Klange hin, indem ſie eine Muſick bewun - derten, die ſelbſt reitzender war, als der muth - willigen Najaden, wenn dieſe bey kuͤhlem Abend einander ſingend in der Fluth herum jagen, und den Triton, den Glaucus, und die uͤbrigen muntern Meergoͤtter, die in dem nahen Schilf auf ſie lauren, heranlocken. Unter dieſen ſtrecke - ten einige ihre Haͤupter uͤber die hoͤchſten Wel - len hervor; ſie erblicketen den reitenden Arion, und ſtrichen geſchwind ihr troͤpflend Haar fuͤr den Ohren weg. Alsbald ſind Neſaͤe, Spio, Ly - corias, ſamt der uͤbrigen Schaar ihrer Freund - innen auch da. Sie laͤchelten, und wurden roth da ſie ſich uͤbertroffen ſahen. Sie ſchwam - men in einem Circkel um Arion herum. Mit einer reitzenden Unachtſamkeit flatterten ihre guͤl - dene Locken auf der nacketen Bruſt her, die man zwiſchen denſelben mit einer hohen Roſenfarbe friſch aufſteigen ſah. Die gantze Geſellſchaft be - gleitete den Arion, ſonderlich die neue Farth zu betrachten, dergleichen ihr Reich niemahls ge - ſehen hatte. Nicht anderſt als ehemahls das unwiſſende Volck einem hitzigen Theſſalier ſtarr nachſah; wenn er mit ſcharfen Spornen denF 4ſchaͤu -86Arionſchaͤumenden Gaul ritzte, der den Peneus mit Rennen uͤberholt, mit klappenden Huffen den ſchwindenden Grund erſchuͤttert, und ſchnell dem Aug entweicht.
Die Goͤtter, welche auf den leichten Wol - ken herum ſchweben, und mit ſtets wachendem Auge die Thaten der Menſchen beſchauen, ſe - hen ſonſt mit Vergnuͤgen von den ewigen Mau - ren des Himmels herunter, wenn Zephyr mit heiſchholem Odem die Wellen kraͤuſelt, wie et - wann hier ſich eine regelmaͤſſige Stadt an das Meer gepflantzet hat, dort ein hoher Port die ungeheure See einzudaͤmmen ſuchet, und ſeinen wuͤtenden Wogen zu trotzen ſcheinet, oder wie ein kuͤhner Maſt von einem Welttheile in den andern hineilet. Jzo hatten ſie den treuloſen Anſchlag der Schiffer gehoͤret. Arions Klagen hatten ſie geruͤhret. Sie wollten nicht, daß er der Boßheit aufgeopfert wuͤrde. Sie wollten ihn unverſehrt nach Corinth bringen, und dem Koͤnig ſeinem Freunde in die Arme liefern, be - vor die Schiffsleute ſeine Verraͤther daſelbſt an Bord kaͤmen; damit dieſe Laſterhafte mit pein - lichen Strafen gezuͤchtiget wuͤrden.
Nunmehr fuhr Arion ſchnell dem Lande zu. Er empfand ſchon die gewohnte Luft, er ſah ſchon von weitem die ſpitzen Thuͤrme, die uͤber Corinth herfuͤr rageten, wie etwann eine ſchwan - ke Aehre aus dem gelben Haufen ihr Haupt noch einmahl hoͤher als die andern empor recket, das hohe Schloß, die abgetheilten Aecker, die brau - nen Waͤlder, die der Berge Ruͤcken umhuͤlle -ten,87eine poetiſche Erzehlung. ten, Fluͤſſe welche die vollen Feld[e]r umfaßten, und bald gerade, bald geſchlancke, vorſich, hinderſich, izo breit, dann ſchmal, unordentlich - lieblich ſich umherziehen, als wie eine blaue Ader durch rothen und gelben Marmel ungewiß her - umirret. Er entdeckte die ihm geheimen Bu - chen, praͤchtige Landhaͤuſer, das Geſtade, wo er mit Sorgen entlaſſen worden. Echo fieng ſchon an, ihm klingend aus dem nahen Felſen zu antworten, Echo die er ſo oft ermuͤdet hatte, wenn er das krumme Thal mit dem Namen ſeiner friſchen Licoris erfuͤllet hatte.
ENDE.
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