PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Sammlung Critiſcher, Poetiſcher, und anderer geiſtvollen Schriften,
Zur Verbeſſerung des Urtheiles und des Witzes in den Wercken der Wolredenheit und der Poeſie.
Fuͤnftes Stuͤck.
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Zuͤrich,BeyConrad Orell und Comp.1742.
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Des Hrn. von Mauvillon Briefe Von der Sprache und der Poeſie Der Deutſchen. Aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſezt, und mit Zeugniſſen und Anmerckungen vermehret, worinnen deſſelben Urtheile durch das eigene Geſtaͤndniß der beruͤhmteſten deutſchen Kunſtrichter bekraͤftiget werden.

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Des Herrn von Mauvillon Brief von der Sprache der Deutſchen.

NUnmehr will ich euch, mein wertheſter Freund, meine Gedancken von der Spra - che und der Gelehrſamkeit der Deutſchen in den ſchoͤnen Wiſſenſchaften offenhertzig erklaͤ - ren. Werdet ihr mir nicht Danck davor wiſ - ſen? Oder ſeyd ihr uͤber dieſe Stuͤcke ſo ſchwie - rig, als eure Landsleute insgemeine ſind? Jch fuͤrchte ſchier, ja. Jch kan mir ſchon vorſtellen, daß ihr mir den Verweis gebet, den ein junger Sclave beym Petronius einem frechen jungen Menſchen gegeben hat: Tu lacticuloſus nec mu nec ma arguͤtas! Was wollet ihr ſagen, ihr koͤnnet mit groſſer Muͤhe zwey Worte in dem Deutſchen plappern, und ihr wollet euch zum Richter in dieſer Sprache aufwerffen? So uͤbel gegruͤndet dieſer Verweis waͤre, wuͤrde er mich doch nicht ſonderlich befremden. (a)Uebereinſtimmende Zeugniſſe und Anmerckungen. Sie wiſſen indeſſen wohl, was neulich ein Bel Eſprit (denn ich wuͤrde ihn doch beſchimpfen, wenn ich ihn auf Deutſch einen witzigen Kopf nennen wollte) behauptet hat, daß die Oeſterreichiſche oder die Schweitzeriſche Mundart ſo ſchoͤn deutſch ſey, als die Meißniſche: Und ſie koͤnnen wider den Ausſpruch dieſes Richters nichts einwenden. Denn er ſagr ja von ſich: Avec des peines infinies je ſuis parvenu à jargonner l’Allemand. Unendlich ſchwere Pein hat mich ſo viel gelehret, Daß man gebrochen Deutſch aus meinem Munde hoͤret. (Viel -Schier alle Deutſchen geben dieſe rechtliche Antwort de -A 3nen6Mauvillons Briefnen Auslaͤndern, die uͤber ihre Sprache urthei - len wollen. Sie werffen euch gleich vor, ihr verſtehet ſie ja nicht. Wuͤrdet ihr ſie beſſer re - den, als Cicero Latein geredet hat, ſo verſteher ihr ſie nicht, wenn ihr ſie nicht erhebet.

Aber nur ein wenig Geduld, ſo will ich euch uͤberzeugen, daß ich dieſen Filtz nicht verdiene. Jch bekenne, es ſind viel Auslaͤnder, und vor - nehmlich viel Franzoſen, welche kein deutſches Wort verſtehen, und doch von dieſer Sprache nach ihrem Kopfe reden. Sie ſagen nie was gutes von ihr, und wenn man nachſinnet, wo - her das komme, ſieht man bald, daß ſie aus anderer Leute Munde reden, oder daß ſie dieſe Sprache nur aus Verdruſſe verachten, weil ſie dieſelbe nicht haben lernen koͤnnen. Da ich mir eine Ehre darinnen ſuche, daß ich nichts ohne Beweis vorbringe, ſo will ich auch meine Ur - theile auf weit feſtere Gruͤnde ſetzen. Jhr ſollet mir zum wenigſten zugeſtehen, daß ich keinen Schluß auf die ungewiſſen Vorurtheile des Poͤ - bels ſetze, ſondern einige Einſicht in die Natur der Sache ſelbſt zum Grund lege.

Die
(Vielleicht bin ich der erſte Deutſche, der aus franzoͤſiſchen Briefen etwas in deutſche Verſe uͤberſezt.) Wer ſo viel kan, der iſt gewiß im Stande, zu urtheilen, ob der Meiß - ner oder der Bayer das beſte Deutſch ſprechen, ſo wie ein Deutſcher, der etwa an der Garonne, mit ſehr leich - ter Muͤhe, ein Cadedis gelernet haͤtte, nachdem faͤhig ſeyn wuͤrde, uͤber den Vaugelas Noten zu machen. Belu - ſtigungen des Witzes und Verſtandes. Heumonat 1741. Bl. 25.
27von der deutſchen Sprache.

Die meiſten Deutſchen, nemlich ſolche, die es in den Wiſſenſchaften nicht hoch gebracht ha - ben, wollen behaupten,bCritiſche Beytraͤge. XVIII. Stuͤck. Art. V. Bl. 271. Da aber unſere deutſche Sprache in ihrem Alter uͤber an - dere, ſo gar uͤber die griechiſche und lateiniſche Sprache, hinaufſteigt. ꝛc. Es ſind die Denckmaale der aͤlteſten und eisgrauen Zeiten der deutſchen Sprache ſehr wenig, und diejenigen, welche die verzehrende Zeit noch uͤbrig gelaſſen hat, ſind ſo beſchaf - fen, daß man ihre unſtreitige Richtigkeit leicht in Zweifel ziehen kan. Hernach ſo iſt auch ihre Beſchaffenheit, Ver - faſſung, und ihr Jnhalt ſo dunckel, raͤtzelhaft, und ver - wirrt, daß man beynahe einen Weiſſagergeiſt noͤthig hat, wenn man etwas davon errathen will. Von den Zeiten Carls des Groſſen an iſt an der Verbeſſe - rung dieſer Heldenſprache tapfer gearbeitet worden. Und obgleich in denen dieſem Kayſer naͤhern Zeiten die deutſche Sprache noch rauh genug ausſiehet, und noch wenig ge - puzt erſcheinet; ſo erkennt man doch aus denen von dieſen Zeiten her noch uͤbrigen Denckmaalen und Schriften, daß man zu ihrer Verbeſſerung Hand angeleget habe. daß ihre Sprache ſo alt ſey, als die lateiniſche. Andere, die mehr Einſicht haben, geſtehen, daß man allererſt um das Jahr 1350. angefangen, die deutſche Spra - che mit einiger Richtigkeit zu reden; daß ſie zuvor nur ein wuͤſter u. rauher Miſchmaſch gewe - ſen ſey, unzaͤhlige Mundarten ſeyn durch einan - der vermiſcht worden, vornehme Leute haben ſie nicht geredet, ſie ſey auch aus den oͤffentlichen Urkunden verbannet geweſen. Noch andere glau - ben, man habe ſchon im Jahr 1235. oder 1236. angefangen, ſie auf den Reichstagen, in den Reichskammern, und der Reichscantzley zu ge -A 4brau -8Mauvillons Briefbrauchen. Man fuͤhrt zum Beweiſe die Con - ſtitution von Mainz an, welche in Goldaſts Sammlung deutſcher Urkunden enthalten iſt.

Allein die Authenticitaͤt derer Stuͤcke, wel - che dieſer Sammler zuſammengeleſen hat, ſcheint mir um etwas verdaͤchtig,(c)Hiervon kan nachgeſehen werden (Critiſche Beytraͤ - ge Stuͤck XIX. Art. II. Bl. 367.) J. D. Grubers Schrei - ben aus Hannover, den angeblich in deutſcher Sprache abgefaſſeten Maynziſchen Reichs-Abſchied vom Jahr 1235. betreffend. und man thut wohl, wenn man ſich nicht allzu ſtarck darauf verlaͤßt. Nichtsdeſtoweniger iſt die deutſche Sprache unter allen Europaͤiſchen Sprachen, ſo fern ſie nach ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande be - trachtet werden, die aͤlteſte. Sie iſt die aͤlteſte, ſagt Gracian, aber auch die roheſte. Gracian hat nicht unrecht, mein Freund, welches ich euch aber ins Ohr ſage. Die Barbarey einer Spra - che beſteht eigentlich in der Haͤrtigkeit ihrer Woͤr - ter und der beſchwerlichen Ausſprache. Der erſte von dieſen beyden Maͤngeln bezieht ſich auf die Ohren, der andere auf die Lungen. Jch bin nunmehr eine ziemlich lange Zeit in Deutſchland, und dennoch habe ich meine Ohren noch nicht ſo ſteif und gefroren machen koͤnnen, daß ſie nicht auf Anhoͤren der meiſten deutſchen Woͤrter ein Schauer uͤberfalle; und meine Lungen ſind von euren K und H erſchrecklich aufgetrucknet wor - den.

Man9von der deutſchen Sprache.

Man wirfft mir ein:(d)Dieſen Einwurff hat Fr. A. Aepin zur Vertheidi - gung der nieder - oder plattdeutſchen Sprache gemachet, in einer kleinen Schrift: De Linguæ Saxoniæ inferioris ne - glectu atque contemtu injuſto. Jn dem II. Stuͤcke der Cri - tiſchen Beytraͤge, wo dieſe Schrift in einem Auszuge mit - getheilet wird, heißt es auf der 322ſten Seite: Diejenigen, welche etwas baͤuriſches im Plattdeutſchen zu finden ge - dencken, verweiſet er auf das Urtheil ihrer eigenen Ohren, in denen unmaßgeblich das tiefſte Plattdeutſch ſo zierlich klaͤnge, als das ſchoͤnſte Meißniſche.

Dieſe Woͤrter ſcheinen euch nur darum hart, weil ihr ge - wohnt ſeyd, andere, die euch ſanfter duͤncken, zu hoͤren; fuͤr einen Deutſchen aber ſind jene ſo wenig anſtoͤſſig, als dieſe.

Wenn dem alſo iſt, ſo bleibt mir nichts weiter uͤbrig zu ſa - gen, als daß die Deutſchen nothwendig ſchuß - freye Ohren haben muͤſſen; denn ihr werdet mich zu keinen Zeiten uͤberreden, daß Woͤrter, die in ſtrif, ſtraf, miſch, maſch, tiſch, taſch, ruft, luft, kinn, kan, kom, brick, brack, ausgehen, ſonderlich ſanft klingen, und daß ei - ne Sprache, in welcher dergleichen Endungen gantz haͤufig angetroffen werden, den Ohren an - ſtaͤndig ſey, wofern ſie nicht mit einem Pantzer angethan ſind.

Man ſagt, in Leipzig ſey eine Geſellſchaft ge - lehrter Leute, welche unaufhoͤrlich bemuͤht ſeyn,(e)Diejenigen Mitglieder der deutſchen Geſellſchaft in Leipzig, welche im Jahr 1732. die Critiſchen Beytraͤge an -gefan - die deutſche Sprache vollkommener zu ma -A 5chen.10Mauvillons Briefchen. Jch will glauben, daß ſie ſelbige reicher machen werden, aber ich zweifle ſehr, daß ſie ihre Natur aͤndern werder, die darinnen beſteht, daß ſie rauh und barbariſch iſt. Sonſt fraget es ſich, mit was vor Recht dieſe Herrn ihre Aus - ſpruͤche vor Geſetze aufdringen wollen. Wer hat ſie zu Richtern uͤber die deutſche Sprache geſetzet? Niemand als ſie ſelber. Auf was vor einen Grund verlangen ſie, daß man es auf ihre Ent - ſcheidung ankommen laſſe? Vielleicht wegen ih - rer Geſchicklichkeit, und weil ſie uns ſagen, daß man in Sachſen beſſer(f)Critiſche Beytraͤge. Stuͤck XV. Act. VII. Bl. 423. Wenn alle Provinzen in Deutſchland ſo buchſtabieren ſollen, wie ſie ausſprechen, ſo wird die Anzahl der Rechtſchrei - bung unzaͤhlig ſeyn. Ein Meißner z. E. wird ein P. ſchrei - ben, wo der Schleſier ein B. ſetzet; Ein Schwabe wird ein J. ſetzen, wo der Oberſachſe ein . ſetzet; Ein Thu - ringer wird ein O. ſchreiben, wo der Schleſter ein A. ſchrei - bet. Doch was braucht es mehr, als daß man im gemei - nen Leben nur auf die verſchiedenen Mundarten acht gebe? Da Deutſch redet, als an andern Orten des deutſchen Reiches? Aberdiegefangen, ſchreiben in der Vorrede von der Abſicht ihrer Bemuͤhungen, wie folget: Sie ſchmeicheln ſich nicht, daß ſie dadurch die Ueberbleibſele des altfranckiſchen Ge - ſchmacks gaͤntzlich und auf einmahl ausrotten werden: Sie wollen nur nach dem Maaſſe ihres Vermoͤgens auch etwas dazu beytragen. Man wird das allmaͤhlige Wachsthum der deutſchen Sprache, den Fleiß unſrer Landesleute dieſelbe zu beſſern, die Vollkom - menheit, ſo ſie ſchon erlanget, die Fehler, ſo einige von ihnen begangen, und die Mittel, ſelbige zu vermeiden, als in einem kurtzen Begriff beyſammen antreffen. 11von der deutſchen Sprache. die Oeſterreicher raͤumen ihnen dieſes nicht ein. (g)Sehet was uͤber dieſe Stelle in der Anmerckung (a) angefuͤhrt worden iſt. Wobey ich nur anzumercken bitte, daß hier allein von der der deutſchen Sprache gantz eigenen Ausſprache die Frage iſt, ob ſie in Vergleichung mit an - dern Sprachen rauh oder wohlflieſſend ſey? Davon aber haben das Recht und die Fahigkeit zu urtheilen, alle die - jenigen, die Ohren und Lungen haben.Sie behaupten hingegen, daß man die rei - ne Sprache bey ihnen antreffe, und(h)Vielleicht ſieht man damit auf Carl Guſtav He - raͤus, Kayſerlichen Rath, auch Medaillen - und Antiqui - taͤten-Juſpector, deſſen Vorſchlag zu Errichtung einer deutſchen Sprachgeſellſchaft, ſeinen zu Nuͤrnberg A. 1721. in daß man unter ihnen gelehrte Maͤnner kenne, die dasRich -Da wird der Schweitzer an ſtatt Bein, Boan, an ſtatt auſſen, guſe; der Meißner, an ſtatt es regnet, es reint, an ſtatt ein Buͤrger, ein Perger; der Schleſier, an ſtatt mit dem Gelde, mit dem Galle, an ſtatt ein Bube, ein Buͤbla ſagen. Ein Maͤrcker wird das eu wie oi ausſpre - chen, z. E. Loßt oich die Muͤh nicht roien; und das o wie a, z. E. olle oire Sarge werfet uf den Herren; denn er ſarget fuͤr oich. Und kurtz, ſie werden von einander un - gemein unterſchieden ſeyn. Wollten wir noch vollends die Oeſterreicher dazu nehmen: Hilf Himmel! was wuͤrde das fuͤr eine Barbarey werden. Da wuͤrde man bey einem geſchriebenen Blatte erſt fragen muͤſſen; was es fuͤr eine Sprache ſey? Uns ſcheint alſo die Regel, daß man die Rechtſchreibung nach der Ausſprache einrich - ten muͤſſe, ſehr gefaͤhrlich zu ſeyn, ehe und bevor man diejenige Provinz in Deutſchland ausfuͤndig gemacht hat, deren Mundart die beſte iſt; und nach welcher ſich alle andere richten muͤſſen. 12Mauvillons BriefRichteramt in dieſer Streitſache ſchon vertreten koͤnnen. Die Bayern, die Brandenburger, ja die Schweitzer(i)Der Hr. Hof - und Ceremonien-Rath Joh. Ulrich Koͤnig bekennt in dem Vorbericht zu Hrn. D. Steinbachs deutſchem Woͤrterbuch: Ehe noch einige Geſellſchaf - ten in unſrem Vaterlande ſich hervorthaten, hatten ſchon viele einzele gelehrte Leute manches zur Aufnahm und Erklaͤrung unſrer Sprache beygetragen, ob es gleich nur Stuͤckwerck zu nennen iſt. Man kan den Schwei - zern, den Schwaben, und den Rheinlaͤndern den Ruhm nicht abſtreiten, daß ſie die erſten geweſen, die hierinne einen Verſuch gewaget haben. Wer nur eini - germaſſen weiß, was in Zuͤrch und Tuͤbingen, in Aug - ſpurg und Franckfurt von ſolcher Art Buͤchern, ſchon in der Mitte und zu Ende des ſechszehnten Jahrhunderts, zum Vorſchein gekommen iſt, der wird mir ſeine Bey - ſtimmung in dieſem Stuͤcke ſchwerlich verſagen. Der geleh[r]te ſelber haben eine rechtmaſſige Anſprache auf dieſes Vorrecht. Es geht ſchwer zu, daß eine Nation, die ſo viel Provinzen, dieeinan -in groß Octav zum andern mahl zuſammengedruckten Ge - dichten angehaͤnget, auch in den Critiſchen Beytraͤgen Stuͤck II. Art. VII. Bl. 267. zu finden iſt, wo er unter anderm alſo ſpricht: Wie es im Reden ein ſchweres Begehren ſeyn wuͤrde, daß alle angebohrne Mundar - ten ſollten in der Ausſprache ſich nach einer allein veraͤn - dern; wie es auch, des unterſchiedenen Geſchmackes wegen, ein unausgemachter Streit werden wuͤrde; ob z. E. die Ausſprache eines Schleſiers, oder eines Hol - ſteiners, der Hochdeutſch redet, angenehmer ſey? So iſt dennoch nicht zu leugnen, daß, ſo wohl der Nieder - ſachſe, als der Schleſier, wenn ſie eine gute Feder fuͤh - ren, in der Orthographie und in den Grundſaͤtzen der Sprache einander gleich kommen werden. 13von der deutſchen Sprache. einander nichts zu befehlen haben, in ſich enthaͤlt, ſich den Ausſpruͤchen etlicher weniger Gelehrten unterziehe. Da die Deutſchen ſich in ihren Staatsangelegenheiten ſo ſchlecht mit einander verſtehen, werden ſie uͤber grammatiſche Schwie - rigkeiten noch ſtaͤrcker mit einander uneins wer - den. Mit den Franzoſen hat es desfalls einean - gelehrte Conrad Geßner allein ſchrieb ſchon damahls ſo viel zur Erlaͤuterung unſrer Mutterſprache, daß wir es ihm nicht genug verdancken koͤnnen. ꝛc. Bey dieſer Beſchaffenheit der Sachen koͤnnte man ohne die groͤſte Un - gerechtigkeit die Gelehrten dieſer Provinzen Deutſchlandes ihres Rechtes und Arbitrii uͤber die Sprache nicht entſetzen. Jch muß hier noch die Antung beyruͤcken, welche ein Ge - lehrter Schweitzer ſchon A. 1708. wegen des eigenmaͤchtig angemaßten Richteramts einiger Hochdeutſchen in der Vor - rede zu Laurembergs Acerra philologica gethan hat: Der iſt mir ein kleiner Geiſt, der um orthographiſcher Fehler willen ein Ungewitter erreget, ſonderlich in der deutſchen Sprache, da wir eben kein unwiderſprechliches Modell haben, wie hergegen in der lateiniſchen und griechiſchen; und da noch kein Papſt eroͤrtert hat, ob das Meißniſche, Hollſteiniſche oder Alplaͤndiſche Deutſch das beſte ſey, wenn ſolche Nationen daruͤber diſputieren wollten, wie ſie denn koͤnnten, eine ſo wohl, als die andere. Alſo wenn um der beliebten Kuͤrtze willen etwa ein zuſammen - geſeztes Wort, welches eben in keinem Opitz oder Schot - tel ꝛc. zu finden iſt, vorkoͤmmt, oder wenn ein bekanntes franzoͤſiſches oder lateiniſches, ſo man mit drey deutſchen oder einem dunckeln deutſchen haͤtte geben, und ſich da - ruͤber eine halbe Viertelſtunde beſinnen ſollen ꝛc. ſo wuͤrde mir der wiederum ein muͤſſiger Criticus ſeyn, der Weile haͤtte, einen Proceß daruͤber zu fuͤhren, und koͤnn - te ich nicht ſehen, was er gewinnen wuͤrde. Z. Ex. Wenn14Mauvillons Briefandere Beſchaffenheit, ſie machen nur eine Na - tion aus, ſo groß ihr Reich gleich ſeyn mag; und die franzoͤſiſche Academie iſt von dem Lan - desherrn dazu bevollmaͤchtiget, daß ſie dem Gebrauche der Sprache Schrancken ſetze. Man muß ihren Ausſpruͤchen Folge leiſten, oder in der ſranzoͤſiſchen Sprache unerfahren heiſſen.

Die Muͤhe, welche alle Nationen haben, das Deutſche zu lernen,(k)Jn dem II. Stuͤcke der Critiſchen Beytraͤge, wo Fr. A. Aepins Abhandlung von dem Vorzuge der platt - deutſchen Mundart in einem Auszuge vorgeleget wird, heißt es Bl. 320. unter anderm: Dieſem ſetzet er noch als eine Vortrefflichkeit bey, daß ein Oberſachſe, wenn er iſt ein ſtarcker Beweis ſeiner Barbarie. Jch kenne Franzoſen, welchemehr Wenn ich ſage Object, nicht aber mit etlichen Neulingen Vorwurff, ſo rede ich hier um ein nahmhaftes deutli - cher, als ſie; denn es muß einer erſt wiſſen, was Object iſt, bevor er wiſſen kan, was ich durch Vorwurff verſtehe: Sonſt doͤrfte er wohl, wie jener, den Satz: Der Verdienſt Chriſti iſt der Vorwurff des Glaubens, uͤberſetzen: Exprobratio fidei eſt meritum Chriſti. Der - gleichen giebt es unzaͤhlig viel, wodurch die deutſche Sprache bisher nicht verſchoͤnert, ſondern wohl verdun - kelt, und halb arabiſch gemachet worden iſt. Wer des Herrn von Stuben erg, Harsdoͤrfers ꝛc. Ueber - ſetzungen lieſt, der iſt oͤfters genoͤthiget uͤber die lateini - ſche, italieniſche ꝛc. Originale zu gehen, damit er die Ueberſetzung daraus verſtehen lerne. Genug hiervon. Damit die es Urtheil nicht verkehrt und mißgedeutet werde, ſo bitte ich nochmahls, ſich zu erinnern, daß daſſelbe ſchon A. 1708. ausgeſprochen worden, und vor dieſelben Zeiten ſich trefflich wohl ſchicket.15von der deutſchen Sprache. mehr als vierzig Jahre in dieſem Lande ſind, und doch nicht drey Worte auf Deutſch ſagen koͤnnen. Wer iſt Schuld daran? Sie oder die Sprache? Sie nicht, denn wer will ſich ein - bilden, daß ſich nicht unter einer ſolchen Menge Leute einige finden, welche nicht eine ſo gelen - kige Zunge und einen ſo lebhaften Kopf haben, daß ſie eine Sprache reden lernen, wofern ſol - che geredet werden kan? Jch vor mein Theil bekenne, daß ich ungemeine Muͤhe gehabt habe, in eurer Sprache ſchnattern zu lernen. Dero - wegen muß man nur dieſelbe dieſer beſchwerli - chen Arbeit anklagen. Jezo will ich noch ande - re Beweisthuͤmer bringen.

Neben der rauhen Ausſprache giebt denjeni - gen, die ſich auf die deutſche Sprache legen, nur damit ſie die Buͤcher verſtehen, ohne daß ſie eben darinnen reden lernen, die ſchwere Zuſam - menſetzung viel zu ſchaffen. Dieſe Beſchwerde iſt ſo groß, daß weder das Griechiſche noch das Hebraͤiſche dem menſchlichen Verſtand etwas ſo ſchweres zumuthet. Man zeige mir in dieſen beyden Sprachen eine Schwierigkeit, welche derjenigen zu vergleichen ſey, die man mit euren Vorſetzwoͤrtern an, zu, auf, durch, aus, und andern hat, die ſich von dem Zeitworte tren - nen laſſen, und ſich zwar ſo weit von ihm tren -nen er auch zwanzig Jahre Plattdeutſch lernte, doch weder im Reden noch Schreiben gantz ohne Tadel ſeyn wuͤrde. Wenn dem ſo iſt, ſo zeiget dieſes wohl die Schwie - rigkeiten der Mundart an, allein die Schoͤnheit wird memand daraus wahrnehmen. 16Mauvillons Briefnen laſſen, daß man ſie oft zu Ende einer Seite ſuchen muß, ehe man den Verſtand in der Rede finden kan. Andremahl ſetzet man ſie mitten in einem Satze der Rede, oft vorne am Zeitwort, dem ſie zukommen, ohne daß man deßwegen ei - ne ſichere(l)Mir iſt nicht bekannt, daß ſich bisdahin jemand gewaget haͤtte, dieſe Verſetzungen an gewiſſe Regeln zu binden; welches doch nicht unmoͤglich waͤre. Etwas we - niges davon iſt in Boͤdickers Grundſaͤtzen der deutſchen Sprache IV. St. §. 56. 57. und 58. Bl. 356. zu finden. Dahin gehoͤrt auch die mannigfaltige Verſetzung der Per - ſonswoͤrtgen bey den Zeitwoͤrtern; wovon ebenfalls Boͤ - dicker in dem III. St. §. 41. und dabey Friſchens Anmer - kungen Bl. 291. nachzuſehen ſind. und allgemeine Regel habe, wie man damit verfahren ſolle. Bald bedeuten ſie etwas, bald was anders. Zum Exempel, Ver giebt den Zeitwoͤrtern, zu welchen es geſetzet wird, ich weiß nicht wie vielerley Bedeutungen. Setzet es zu ſaufen, ſo wird es bedeuten ſich zu Tode ſaufen. Greifen heißt ſo viel als nehmen, ſaget vergreifen, ſo iſt das ſo viel, als eine Sache nicht am rechten Orte noch mit Recht neh - men. Ver zu geben geſezt, vergeben, heißt ver - zeihen. Jhr ſehet, wie viel verſchiedene Be - deutungen dieſes Vorſetzwort den Zeitwoͤrtern giebt, zu denen es geſtellt wird: Bald macht es, daß ſie mehr, bald daß ſie das Gegentheil von dem ſagen, was ſie ſonſt ordentlich ſagen. Jm Franzoͤſiſchen iſt es anders, das Vorſetz - wort Des heißt allemahl das Gegentheil, und niemahls was anders, apprendre, deſappren - dre; unir, deſunir, &c.

Die17von der deutſchen Sprache.

Die Deutſchen ſuchen einen Ruhm darinnen, daß ſie ihre Sprache mit fremden Woͤrtern nicht vermiſchen. Vor etlichen Jahren ſagte man nicht vier Worte im Deutſchen, daß man nicht zwey franzoͤſiſche haͤtte mitlauffen laſſen. Das war damahls die herrſchende Mode. Die Ge - lehrten verwarffen dieſen Mißbrauch, eine un - endliche Menge platter Narrenpoſſen kam zum Vorſchem, womit man ihn laͤcherlich machen wollte. Ein groſſer Herr machte ein Staats - geſchaͤfte daraus,(ll)Dieſer gluͤckliche Umſtand fuͤr die deutſche Spra - che hat ſich ſeit der Zeit inſoweit geaͤndert, daß der Selbſt - halter der deutſchen Heldenſprache vor noͤthig geachtet hat, ſeine angebohrnen Herren und Landesfuͤrſten durch folgen - den mehr laͤcherlichen als unehrerbietigen Verweis beſchaͤmt zu machen: Wenn auch Attila, ſagt er, ſeine unſtrei - tig barbariſche Sprache ſo geliebet, daß er ſie auszu - breiten und ſeinen Ueberwundenen anfzudringen geſucht; um wie viel iſt dieſer wilde Sieger nicht einigen Printzen uͤberlegen, die ihre Mutterſprache eher ausrotten, als ausbreiten; lieber ſelbſt verachten und vergeſſen, als andern anzupreiſen und ſie fortzupflantzen ſuchen? Wie ſchlecht muß man nicht von ſeinem Vaterlande ur - theilen, wenn man auch nur in dieſem Stuͤcke ein Feind deſſelben ſeyn, und die Sprache einer Handvoll armſe - liger Fluͤchtlinge, die bey uns Brodt und Schutz geſu - chet haben, ſeiner eigenen vorziehen kan: Da doch Barbarn auch die Sprache des Landes, welches ſie ver - laſſen hatten, noch beybehalten und beliebet haben. Sehet Baylens verdeutſchtes Woͤrterbuch im Artickel At - tilius (F) * und verbot bey einer ſtar - ken Geldſtraffe, daß franzoͤſiſche Woͤrter unterBdie[Crit. Sam̃l. V. St.]18Mauvillons Briefdie deutſchen gemiſcht wuͤrden. Was entſtuhnd daher? Man mußte fuͤr die ausgemerzten Woͤr - ter neue erfinden,(m)Heraͤus in ſeinen Gedancken von Errichtung ei - ner deutſchen Sprach-Geſellſchaft ſagt von der Einfuͤh - rung guter Woͤrter: Dabey iſt die billige Behutſamkeit zu gebrauchen, daß man 1.) alle fremde Worte, wenn ſie mit gleichem Nachdruck nicht koͤnnen gegeben wer - den, inſonderheit die Kunſtworte nicht eigenſinnig ver - banne, wie ſich einige der Fruchtbringenden Geſellſchaft zum Nachtheil des erſten guten Abſehens mit Auswechs - lung des Worts Ueberſetzer fuͤr einen Circkel, Tagleuch - ter fuͤr ein Fenſter ꝛc. laͤcherlich gemacht. Sondern die - ſelben vielmehr nach dem Beyſpiel aller andern Voͤlcker, mit Verleihung des Buͤrgerrechts in die deutſche Spra - che aufnehme, und mit deutſchen Buchſtaben gleichſam in einer gleichen Tracht mit andern ununterbrochenen Zei - len auffuͤhre. Siehe das II. Stuͤck der Critiſchen Dichtkunſt Bl. 278. Jn demſelben Tone lautet, was der Herr von Leibnitz in ſeinen Gedancken von Verbeſſerung der deutſchen Sprache §. 15. 16. und 17. aufgezeichnet hat, wo es heißt: Jn Anſehung derjenigen Woͤrter, die uns mangeln, haͤtte man fuͤrnehmlich auf deren Erſetzung, oder wenn ſie ſchon verhanden, aber vergeſſen und unbe - kannt, auf deren Wiederbringung zu gedencken, und wo ſich dergleichen nichts ergeben will, einigen guten Woͤrternder man vermehrte die Schwierigkeiten und Undeutlichkeiten, weil die - ſe neugepraͤgten Woͤrter aus vielen andern zu - ſammengeſezt ſind, die ſo zuſammengeſezt nur eine fluͤchtige und allgemeine Bedeutung formie - ren. Zum Exempel, die Deutſchen brauchten vor dieſem unſer Wort Lakey, einen Hausge - noſſen zu bezeichnen, der ſeinem Herrn folget, wenn er ausgehet: izt ſagen ſie Nachtreter. Jſtetwas19von der deutſchen Sprache. etwas weniger beſtimmtes auf der Welt? Fragt man nach der Urſache dieſer Ausmerzung, ſo ſagen ſie uns: Unſre Sprache hat einen ſolchen Ueberfluß an eigenen Woͤrtern, daß ſie des Bey - ſtandes anderer Sprachen nicht noͤthig hat. Das iſt falſch. Die deutſche Sprache iſt bey allem ihrem Ueberfluſſe gantz arm. Wie reimt ſich das zuſammen? Jch will es ſagen. Es giebt in dieſer Sprache viele Woͤrter, die nur eine Sache bedeuten; hingegen giebt es unzaͤhlige Sachen, die im Deutſchen keinen Nahmen haben, und die man mit fremden Woͤrtern benennen muß, oder doch mit Umſchreibungen(n)Der Hr. Baron von Leibnitz ſagt in der oben an - gefuͤhrten Schrift §. 59. Es kan zwar endlich eine jedeSpra - oder zuſam -B 2ſam -der Auslaͤnder das Buͤrgerrecht zu verſtatten. So hat es demnach die Meinung nicht, daß man in der Sprache zum Puritaner werde, und mit einer aberglaͤubiſchen Furcht ein fremdes, aber bequemes Wort, als eine Todſuͤnde ver - meide, dadurch aber ſich ſelbſt entkraͤfte, und ſeiner Rede den Nachdruck nehme; denn ſolche allzu groſſe Scheinrei - nigkeit iſt einer durchbrochenen Arbeit zu vergleichen, dar - an der Meiſter ſo lange feilet und beſſert, bis ſie endlich gar verſchwaͤchet, welches denen geſchieht, die an der Per - fectie-Kranckheit, wie es die Hollaͤnder nennen, danie - derliegen. Jch erinnere mich gehoͤrt zu haben, daß wie in Franckreich auch dergleichen Reinduͤnckler aufgekommen, welche in der That, wie Verſtaͤndige anizo erkennen, die Sprache nicht wenig aͤrmer gemacht; da ſolle die gelehrte Jgfr. von Journay, des beruͤhmten Montagne Pflegetoch - ter geſagt haben: Was dieſe Leute ſchreiben, waͤre un bouillon d’eau claire, nemlich ohne Unreinigkeit und ohne Kraft. 20Mauvillons Briefmengeſezten Woͤrtern. Was die Deutſchen vermag, die auslaͤndiſchen Woͤrter zu verwerf - fen, iſt nichts anders, als daß die deutſche En - dung etwas ſo ſonderbares hat, daß ſie mit den Endungen der fremden Woͤrter nicht zurechte kommen kan. Jm Franzoͤſiſchen findet man die fremden Endungen zu ſeinem Gebrauche ſehr be - quem, man macht nur eine kleine Aenderung daran; kurtz man giebt ihnen ein franzoͤſiſches Ausſehen, daß es ſchwer faͤllt, ihren Urſprung zu erkennen. Da nun die franzoͤſiſche Sprache viele ſanfte und leichte Endungen hat, ſo kan ſie ſich die Woͤrter anderer Sprachen eigen ma - chen, und ſie ſo geſchickt naturaliſieren, daß man daͤchte, ſie haͤtten ihr von Alters her zugehoͤret. Mit dem Deutſchen hat es eine andere Bewandt - niß. Die Endungen darinnen ſind in ſehr klei - ner Anzahl, und ſind daneben ſo wild, daß man unmoͤglich fremde Woͤrter darauf pfropfen kan. Alle deutſchen Zeitwoͤrter, nicht ein einziges aus - genommen, enden auf en, die meiſten Haupt - woͤrter auf aft, und die Beywoͤrter auf lich. Jn Anſehung der erſten helffen ſie ſich ziemlichgut,Sprache, ſie ſey ſo arm als ſie wolle, alles geben. Al - lein obſchon alles endlich durch Umſchweife und Beſchrei - bungen bedeutet werden kan, ſo verliert ſich doch bey ſol - cher Weitſchweifigkeit alle Luſt, aller Nachdruck in dem der redet, und in dem der hoͤrt; dieweil das Gemuͤthe zu lange aufgehalten wird, und es herauskoͤmmt, als wenn man einen, der viele ſchoͤne Palaͤſte beſehen will, bey ei - nem jeden Zimmer lange aufhalten, und durch alle Win - kel herumſchleppen wollte. 21von der deutſchen Sprache. gut, indem ſie nur iren hinten an alle fremden Zeitwoͤrter ſetzen; allein dieſe iren kommen ſo haͤufig wieder, daß ſie eine ſehr widerliche Gleich - heit im Tone verurſachen. Was die Haupt - woͤrter und Beywoͤrter belangt, ſo ſie aus den fremden Sprachen nehmen, ſo haben ſie im Deutſchen keine angenehmere Wuͤrckung, weil man genoͤthiget iſt, ihnen ihre eigene Endung zu laſſen, welches einen laͤcherlichen Uebelton verurſachet.

Jrre ich nicht, ſo iſt dieſes die wahre Urſache, daß die Deutſchen den auslaͤndiſchen Woͤrtern keinen Platz in ihrer Sprache einraͤumen wollen, wenn dieſe ihnen gleich anſtaͤndig genug ſind. Es iſt ein bloſſer Eigenruhm, daß die deutſche Sprache ſo reich ſey, daß ſie nicht(o)Derſelbe Hr. von Leibnitz hat uns einen Probier - ſtein gewieſen, daran wir den Reichthum einer Sprache pruͤffen koͤnnen: Diejenige Sprache, ſagt er, iſt die reichſte und bequemſte, welche am beſten mit woͤrtlicher Ueberſetzung zurechte kommen kan, und dem Original Fuß vor Fuß zu folgen vermag: Allein bey der deutſchen Spra - che iſt hierinn kein geringer Abgang zu ſpuͤren. Jch kan bey dieſem Anlaſſe nicht umhin zu zeigen, in welchen Widerſpruch einige neuere deutſche Sprachrichter mit ihren ungewiſſen Urtheilen und Lobeserhebungen von der Voll - kommenheit der deutſchen Sprache gegen einander zerfallen. Stieler in ſeinem Stammbaum der deutſchen Sprache ſagt: Daß unſer hochwerthes Deutſch ſchon izo dem majeſtaͤtiſchen Lateine, dem unerſchoͤpflichen Griechiſchen, dem leichtflieſſenden Franzoͤſiſchen, und dem tiefſinnigen Welſchen und Spaniſchen die Spitze bieten kan. Gleich -wohl noͤthig habe, etwas von fremden zu entlehnen. DieB 3reich -22Mauvillons Briefreichſten Sprachen ſind voll fremder Ausdruͤcke, die griechiſche Sprache ſelbſt iſt davon nicht ge - ſaͤubert. Ein vornehmer Verſtaͤndiger in der - ſelben, der Hr. Dacier, ſagt es; und wenn man die Muͤhe nehmen will, ſich in der deutſchen Sprache umzuſehen, ſo wird man bald wahr - nehmen, daß viele Woͤrter darinnen, die man ihr ohne Bedencken als ihr eigen zuſpricht, von dem Lateiniſchen entſpringen. Es iſt offenbar,daßwohl iſt noch vieles zuruͤckgelaſſen. Siehe Critiſche Bey - traͤge XIII. Stuͤck Bl. 6. Nach dieſem Ausſpruche giebt die deutſche Sprache an Majeſtaͤt, unerſchoͤpflichem Reich - thum, Leichtfluͤſſigkeit und Tiefſinnigkeit keiner andern nichts nach; und doch iſt ſie bey allen dieſen Vollkommenheiten noch mangelhaft. Cramer in ſeinem Woͤrterbuche ſagt: Die deutſche Sprache iſt als eine Grundſprache, an ſich regelmaͤſſig und vollkommen. Ob es gleich allerdings zuviel gethan waͤre, wenn man ſagen wollte, daß ſie zu gegenwaͤrtigen Zeiten in der allerhoͤch - ſten und vollkommenſten Bluͤthe ſtuͤhnde, alſo daß ſie nie - mahls hoͤher getrieben werden koͤnnte: So iſt doch ſo viel ausgemacht, daß ſie derſelben faſt taͤglich naͤher ruͤcket. Man wird mit Vergnuͤgen gewahr, wie ſich faſt alle Meſſen die Anzahl deutſcher Schriften (aber we - niger Originale) vermehret, welche in der That fuͤr Mu - ſter einer ſchoͤnen Schreibart in gebundener und ungebun - dener Rede gelten, und den netten Ausarbeitungen ſinn - reicher Auslaͤnder an die Seite geſtellt werden (koͤnnen). Unſre Landsleute werden immer begieriger, dieſelbigen zu leſen, und legen das laͤcherliche Vorurtheil allmaͤhlig ab, als wenn nur allein in den Schriften der Griechen und Roͤ - mer, der Jtaliener und Franzoſen etwas kluges, etwas erbauliches, und etwas aufgewecktes anzutreffen waͤre. Siehe das XI. Stuͤck der Critiſchen Beytraͤge. Wennaber23von der deutſchen Sprache. daß Schreiben von Scribere; Leſen von Lege - re; Arm von Armus; Spatzieren von Spatiari, kommen: Und ſo iſt es mit noch unzaͤhligen be - ſchaffen.

Jch wuͤrde euch zu verdruͤßlich fallen, wenn ich mich weiter uͤber dieſe Materie einlaſſen woll - te. Ehe ich aber ſchlieſſe, muß ich euch ein Paar Worte von den Schoͤnheiten der deutſchen Spra -B 4cheaber die meiſten von dieſen neuherauskommenden deutſchen Schriften keine Originale, ſondern Ueberſetzungen ſind, ſo iſt die Frage, wieferne dieſelben, wenn man ſie an dem von Hrn. Leibnitzen angewieſenen Probierſteine pruͤfet, eine Probe von dem Reichthum der deutſchen Sprache ablegen. Und es waͤre zu wuͤnſchen, daß die Deutſchen durch das Vorurtheil, welches Hrn. Cramer ſo laͤcherlich vorkoͤmmt, verleitet wuͤrden, das Kluge und Aufgeweckte in den Schrif - ten der Griechen und Roͤmer ꝛc. eifriger zu ſuchen, welches ſie auch darinnen eher und haͤufiger als bey den Deutſchen finden wuͤrden; alsdann wollte ich ihnen dieſes laͤcher - liche Vorurtheil und dieſen nuͤtzlichen Jrrthum gerne verzei - hen. Das dritte Zeugniß iſt des ungenannten Verfaſſers der Abhandlung von der Natur der deutſchen Sprache in dem VIII. Stuͤcke der Critiſchen Beytraͤge Bl. 624. Es iſt mit der deutſchen Sprache noch nicht zu der Voll - kommenheit gediehen, die man doch erlangen kan und wird. Es iſt nicht zu leugnen, daß wir noch zuweilen einen Mangel an guten Woͤrtern verſpuͤ - ren, welchen man ſonderlich bey dem Ueberſetzen mercket; und es fehlt uns insbeſondere an genugſamen zufaͤlligen Nahmen oder Beywoͤrtern, dadurch man geſchickt wird, kurtz, deutlich und hinlaͤnglich ſich auszudruͤcken. Dan - nenhero man unnoͤthige Woͤrter abſchaffen, und neue ein - fuͤhren muß, die entweder von guten deutſchen Woͤrtern zu machen, aus den veralteten und Provinzialwoͤrtern her - auszuſuchen, oder von fremden anzunehmen ſind. 24Mauvillons Briefche ſagen; denn es ſind nicht alles Maͤngel in derſelben. (p)Hr. M. Schwabe hat noch erſt neulich in ſeiner Ueberſetzung von Rollins Anweiſung in dem eilften Ab - ſchnitte des Hauptſtuͤcks, welches von Erlernung der deut - ſchen Sprache handelt, von den Maͤngeln der deutſchen Sprache alſo geurtheilet: Es fehlt dieſer Sprache die Kraft kurtz und nachdruͤcklich zu reden; ſie weiß gemei - nen Woͤrtern keine erhabene Bedeutung zu geben; ſie hat fuͤr die gebundene und ungebundene Rede nur einerley Woͤrter, ſie iſt gar zu ſehr gebunden, und laͤßt ſelten die Freyheit zu, die Woͤrter zu verſetzen; ſie muß ſich in ih - ren Zeitwoͤrtern ſo vieler Huͤlfswoͤrter bedienen; ſie muß die Schoͤnheiten entbehren, welche die Participia und Ge - rundia in eine Sprache bringen koͤnnen, und deswegen iſt ſie vieler Vortheile beraubt, welche die Hauptſchoͤnheit der griechiſchen und lateiniſchen Sprache ausmacheten. Siehe das XVIII. Stuͤck der cririſchen Beytraͤge. Von die - ſem letzten Mangel muß ich noch ein par Zeugniſſe anfuͤh - ren. Jn dem XIX. Stuͤcke der critiſchen Beytraͤge, wo Hofmanns Buͤcher von der Zufriedenheit nach der neuen und verbeſſerten Auflage angeprieſen werden, heißt es un - ter anderm Bl. 511. Es iſt bey ihm nichts ungewoͤhn - liches, daß er durch die Mittelwoͤrter kuͤrtzer zu ſchreiben, und zween Saͤtze in eins zu ziehen ſuchet. Wie aber die - ſes im Dentſchen noch nicht recht klingen will, ob ſich gleich unterſchiedene, ſonderlich in Verſen, bemuͤhet ha - ben, ſolches einzufuͤhren: So hat auch der Herausgeber dieſes geaͤndert, anſtatt, daß es alſo in den alten Aus - gaben auf der 20ſten Seite heißt: Die Fantaſey, durch die Sinne gereitzt, und durch die heftigen Begierden be -tro -Das Deutſche hat die Freyheit, wie das Lateiniſche, daß es ſeine Wortfuͤgun - gen aͤndern kan. Jch habe davon in meinem Briefe von der franzoͤſiſchen Sprache ein Paar Worte geſagt.

Neben25von der deutſchen Sprache.

Neben dieſem Vortheil hat die deutſche Spra - che noch dieſen, daß ſie reicher iſt, ungeachtet ſie nicht gleich ſo viel Sachen mit eigenen Nahmen geben kan. Ferner hat ſie das Privilegium, daß ſie ſich nicht an gewiſſe Ausdruͤcke vor andern binden darf. Zum Exempel wenn man ſagenB 5will:trogen, half kraͤftig zu dieſer Unordnung: Steht in der neuen: Die Fantaſey wurde durch die Sinne gereitzt und durch die heftigen Begierden betrogen, beyde aber halffen kraͤftig zu dieſer Unordnung. Welches denn auch weit verſtaͤndlicher klinget. ꝛc. ꝛc. Hergegen auf der 448ſten Seite in der Beantwortung wegen der Unvollkom - menheit der deutſchen Sprache, wird der Mangel der Schoͤnheit, welche die Participia in eine Sprache bringen, damit beantwortet: Unſre Poeten haben bereits den Ge - brauch der Mittelwoͤrter vielmahlen ſo gluͤcklich gewaget, daß es kein Zweifel iſt, unſre Sprache werde ſich end - lich auch dazu bequemen. Allein die Schuld liegt nicht an der Sprache, angeſehen dieſelbe zu des groſſen Opitzens Zeiten und zuvor ſo wohl in gebundener als ungebundener Rede den freyen und uneingeſchraͤnckten Gebrauch der Mit - telwoͤrter gehabt hat, wie in dem Wercke von den poeti - ſchen Gemaͤhlden, und in dem 2ten Theile der critiſchen Dichtkunſt mit mehrerm dargethan worden: Und wenn man Hoffnung machen darf, daß ſie ſich auch in Zukunft dazu bequemen werde, ſo geſtehet man zu, daß die Na - tur der Sprache dem Gebrauche derſelben nicht im Wege ſtehe. Man hat alſo dieſen Abgang, und den Wider - ſtand, den die Einfuͤhrung derſelben in die deutſche Sprache bisdahin erlitten, alleine der Nachlaͤſſigkeit einiger ſeichten Koͤpfe zu dancken, die emer affectierten wohlflieſſenden Waſchhaftigkeit den Nachdruck aufgeopfert haben.(pp)Er ſagt daſelbſt: Man kan auf Deutſch ſagen; den Menſchen hat Gott gemachet, und, Gott hat den Menſchen gemachet. Hingegen muͤſſen wir ſagen: Dieu a fait l’homme. 26Mauvillons Briefwill: Man hat ihn getoͤdet, ſo kan man wohl ſagen, man hat ihn abgethan. Die Lateiner ſagten: Man hat ihn kalt gemachet; und im Deutſchen bedient man ſich dieſes Ausdruckes ebenfalls, und noch vieler andern, die eben daſ - ſelbe ſagen. Was der Deutſche ausdruͤcken kan, das druͤckt er auf verſchiedene Weiſe aus, und darf weder die Puriſten noch die ſpitzfuͤndigen Koͤpfe fuͤrchten, die nichts als tadeln koͤnnen, und mehr auf dem halten, was in der Sprache neu, als auf dem, was darinnen bequem und brauchbar iſt. Die Deutſchen koͤnnen in ihrer Sprache ma Sororité ſagen, wenn ſie alle ihre Bruͤder und Schweſtern andeuten wollen; ma Valetterie, wenn ſie ſagen wollen, alle meine Knechte. Nichts ſteht ihnen im Wege, daß ſie in dem gemeinen Umgange Woͤrter ſchmieden, und niemand widerſezt ſich ihnen, ſtatt daß un - ter unſren Franzoſen allemahl irgend ein kleiner Hofmeiſter iſt, der euch bey allen Redensarten ins Wort faͤllt, euch zu erinnern, daß dieſes und jenes Wort dem herrſchenden Gebrauche zu - wider laͤuft.

Jn der deutſchen Sprache geht es auch an, ſo wohl als in der griechiſchen, daß man ein Wort aus viel andern zuſammenſetzen, und die - ſe zuſammengeſezten Woͤrter ohne Ende vermeh - ren kan. Sie iſt voller verkleinernder Woͤrter, und es iſt kaum ein Wort, aus welchem ſie mit - telſt Zuſetzung der Sylbe gen, oder lein, nicht ein verkleinerndes machen koͤnne. Waͤre ſie bey allen dieſen Vortheilen ſo ſanft, ſo zierlich,und27von der deutſchen Sprache. und ſo praͤchtig, als die franzoͤſiſche, ſo koͤnnte ſie der griechiſchen und der lateiniſchen beykom - men. Aber weit gefehlt, daß ihr dieſe Eigen - ſchaften zukommen. Jhre verkleinernden Woͤr - ter ſind oͤfters harter, als die urſpruͤnglichen; und es iſt etwas widerliches, daß man auf eine ungemeine Weiſe mit der Bruſt arbeiten muß, die meiſten deutſchen Woͤrter auszuſprechen, es ſey denn, daß man ein gebohrner Deutſcher ſey. Die Gewohnheit eurer Deutſchen, die Auslaͤn - der, die ihre Sprache reden wollen, ins Ange - ſicht auszulachen, iſt auch nicht das rechte Mit - tel ihnen einen Muth zu machen.

Jch habe Deutſche geſehen, die ſich ſehr breit damit macheten, daß es andern Nationen ſo ſauer wird, ihre Sprache zu reden; und die aus Furcht, daß ſie keine wuͤrcklichen Schoͤnheiten darinnen finden moͤgten, ſich damit behalffen, daß ſie dieſen Fehler als etwas ſchoͤnes anprie - ſen. Viel deutſche Gelehrte haben mir gantz dreuſte geſagt, die franzoͤſiſche Sprache verdien - te nicht, daß man ſie lernete, weil ſie ſo gar leicht waͤre. Sonſt hatte ich allezeit geglaubt, die allzu ſchweren und muͤhſamen Sprachen ver - dienten nicht, daß man ſich bemuͤhete, ſie zu lernen.

Der Fuͤrſt von ſagte eines Tages zu mir, es verdroͤſſe ihn, daß er Franzoͤſiſch gelernt haͤtte, weil es allzu gemein worden waͤre. Demnach muͤßte man im Gegentheil nur die unbekannten Sprachen lernen, und alſo haͤtte dieſer Herr das Bas-Breton lernen ſollen. Jhre Hoheitwar28Mauvillons Briefwar weit nicht der Meinung derjenigen Gelehr - ten, welche ſich bemuͤheten, eine Sprache zu er - finden, die aus ſehr wenig leichten Woͤrtern be - ſtuͤhnde, damit alle Nationen ohne Dollmetſchen mit einander handeln koͤnnten. Zu dem Ende haͤtte man gegen alle vier Winde Leute ausſchi - ken muͤſſen, welche dieſe Sprache vollkomment - lich beſeſſen, damit ſie in ſelbiger die Leute unter - richteten, die zur Kaufmannſchaft gewidmet wa - ren, oder auf Geſandtſchaften ſollten gebraucht werden. Waͤre dieſes Vorhaben ausgefuͤhrt wor - den, ſo duͤrfte der Wieneriſche Hof nicht junge Leute nach Conſtantinopel ſchicken, die tuͤrckiſche Sprache zu lernen. Der groſſe Herr, von dem ich geredet habe, haͤtte vermuthlich dieſes Vor - nehmen und dieſe Sprache mit noch groͤſſerer Hitze verworffen, weil ſie zweifelsfrey noch weit gemeiner worden waͤre, als die franzoͤſiſche Sprache.

Man kan nicht leugnen, daß die ernſthaften Sprachen, wie die deutſche von dieſer Art iſt, nicht ſollten langſam und deutlich geredet wer - den. Jndeſſen reden die Sachſen mit einer ge - ſchwinden Ueberweltzung(q)Der oben angezogene Verfechter des Plattdeut - ſchen Fr. A. Aepin hat daruͤber eine Antung gemachet: Die Meißner ſind von der wahren Ausſprache ſo ſehr abgewichen, daß man glauben ſollte, es waͤren nicht Nachkommen der tapfern Deutſchen; ſondern vielmehr ſchwache Weibsbilder. Will man nach dem Be -weiſe der Woͤrter, wel - che etwas ſtammelndes mit ſich fuͤhrt; und alleandere29von der deutſchen Sprache. andere Deutſchen koͤnnen ſie nicht verſtehen. Sie thun dieſes, damit ſie ihrer Sprache etwas ſanftes mittheilen, das ihr nicht eigen iſt, und ſie verderbt. Man muß den Franzoſen und den Jtalienern das Lebhafte und das Sanftflieſſende in der Sprache laſſen; aber das Deutſche und das Spaniſche muß man mit Ernſt und Hoheit reden, wenn man ſie nach ſeiner Wuͤrde reden will; ſonſt bekommen ſie durch eine Fluͤſſigkeit der Ausſprache, die ihnen nicht natuͤrlich iſt, ein gantz laͤcherliches Ausſehen.

weiſe fragen, ſo iſt es dieſer, daß man faſt in allen Wor - ten ein gar nicht maͤnnliches Geziſch nach Art der Franzo - ſen hoͤren laſſe, und alſo das maͤnnliche Weſen der deut - ſchen Sprache gantz unterdruͤcke, nachdem man ſich ſo ſtarck auf das Franzoͤſiſche geleget. Und etwas weiter - hin: Da Niederſachſen gegen Norden liegt, ſo ſollte man eher meinen, daß die Einwohner von Natur zu einer ernſthaften und maͤnnlichen, oder, wie ſie die Veraͤchter nennen, rauhen und harten Sprache geneigt waͤren, als zu der faſt weibiſchen und ziſchenden Meißner Mundart.

Des30Mauvillons Brief

Des Herrn von Mauvillon Brief von den deutſchen Poeten.

EUre Nachbarn haben ſich bisdahin einge - bildet, eure Sprache waͤre Schuld dar - an, daß ihr keine guten Poeten haͤttet. Jn dieſen Gedancken ſteht der Urheber der Juͤ - diſchen Briefe, der, wiewohl er ſonſt viel gu - tes hat, ſich in dieſem, wie in viel andern Din - gen, betrogen hat. Giebt es denn eine Spra - che in der Welt, die einen treflichen Poeten aus einem Menſchen machen koͤnne, der von Natur kein Geſchicke dazu hat? Man muͤßte thoͤrigt ſeyn, wenn man dieſes nur gedencken wollte. Und wie kan man begreiffen, daß eine Sprache ſey, die erhabenen Geiſtern im Wege ſtehe, und ſie hindere, daß ſie ſich nicht emporſchwin - gen koͤnnen? Demnach muͤſſen es eure Poe - ten nicht der deutſchen Sprache zur Laſt legen, daß ſie in einem ſo ſchlechten Anſehen ſtehen. Es fehlt ihr weder an Nachdruck noch an Ausdruͤ - kungen. Sie klingt zwar nicht lieblich in den Ohren; aber was thut das dem ſchoͤnen Gedan - ken, und der geſchickten Ausbildung derſelben? Beſteht etwann die Schoͤnheit der Poeſie uͤber - haupt nur in der Lieblichkeit der Sprache; und nicht vielmehr in gruͤndlichen Gedancken, in arti - gen und geſchickten Ausbildungen? Wer darf nun behaupten, daß die deutſche Sprache ſich zu dieſen Sachen nicht ſchicke? Hat ſie denneine31von den deutſchen Poeten. eine Abneigung dagegen? Und woher koͤmmt dieſe?

Was fehlt Deutſchland denn, daß es keine groſſen Poeten hervorbringt? Nichts als Geiſt. (A)Uebereinſtimmende Zeugniſſe und Anmerckungen. Dieſe Anklage wegen Mangels an Geiſt beziehet ſich nur auf die Wercke der Poeſie und Beredſamkeit. Man iſt nicht ſo unbeſcheiden, daß man der gantzen deut - ſchen Nation, oder einem jeden Gliede derſelben insbeſon - dere die Faͤhigkeit geiſtreich zu ſeyn und zu werden hiermit abſprechen wolle: Man glaͤubt gar gerne, daß unter de - nen, die nicht ſchreiben, ſich viele befinden, die weit beſſer im Stande waͤren, die Ehre des deutſchen Witzes zu retten, als die groſſe Zahl derjenigen iſt, die ſich bis - dahin eigenmaͤchtig zu Verfechtern des deutſchen Geſchmacks aufgeworffen, und durch eine Menge Schriften dieſe An - klage zwar zu zernichten geſucht, aber in Wahrheit groͤſten - theils damit noch mehr geſtaͤrcket, und gleichſam gerecht - fertiget haben. Wenn das bloſſe Vorhaben ein Urtheil von dem Witze und dem Geiſt einer gantzen Nation in Verglei - chung mit andern zu faͤllen, nicht ſchon an ſich ſelbſt ſtrafbar iſt; ſo moͤgte ich wohl wiſſen, wie einer, der dieſes Vor - haben wuͤrcklich auszufuͤhren geſinnet iſt, es anderſt anſtel - len koͤnne, als daß er ſein Urtheil auf die Art und Be - ſchaffenheit derjenigen gedruͤckten Schriften gruͤnde, die von andern als Muſter der geiſtreichen Schreibart und als Prob - ſtuͤcke des feinen Witzes angeprieſen werden. Und dann gilt bey dergleichen Urtheilen auch das bekannte; à potiori fit denominatio: Wobey dennoch wohl beſtehen kan, daß das eine und andere Stuͤcke unter einer groſſen Menge ſchlechtes Zeugs etwann wohl ein Beweißthum von der Faͤ - higkeit des deutſchen Witzes abgeben koͤnnte, wenn derſel -beHaltet mir es zu gut, was ich zum Beweiſe deſſen ſagen muß. Die Deutſchen ſind anſehn -liche32Mauvillons Briefliche Maͤnner, ſie ſind groß, wohlgeſtaltet, und von ſtarcken Gliedmaſſen; aber mit ihrer Ver - guͤnſtiguug zu ſagen, das Spruͤchwort luͤget ſie noch nicht an, homo longus, raro ſapiens. Die Natur hat ſie mit den Vortheilen des Coͤr - pers zum Ueberfluſſe begabet, es waͤre zuviel ge - weſen, wenn ſie ihnen auch noch Witz und Geiſt eben ſo reichlich zugetheilt haͤtte. Sie iſt zu klug, als daß ſie ſo viele treffliche Sachen zuſammen nur bey einer Nation anwende, welche ohne das zum Hochmuth gar zuſehr geneigt iſt.

Ruͤh -

be beſſer gepfleget und angebauet wuͤrde: Faſt auf die Weiſe, wie es geſchehen kan, daß in einem Garten, wenn er nicht mehr gebauet wird, das Unkraut in kurtzer Zeit ſo maͤchtig wird und uͤberhand nimmt, daß auch das aͤuſſer - liche Anſehen eines nach gewiſſen Regeln eingetheilten Gar - tens gaͤntzlich verlohren geht, obgleich noch hier und dar mit - ten unter dem Unkraut eine und andere zierliche Bluhme her - vorſprießt. Jſt im uͤbrigen dem Herrn von Mauvillon in die - ſem Paragraphus die Sprache nicht ſanft genug gefloſſen, ſo will ich zu ſeiner Entſchuldigung, und der deutſchen Nation, d. i. denjenigen, die ſich das Anſehen derſelben eigenmaͤch - tig anmaſſen, zum Troſt erinnerlich zu Gemuͤthe fuͤhren, was in dem III. St. der Critiſchen Beytraͤge in der Zu - ſchrift an Hrn. Abt Mosheim geleſen wird: Wie gute Aerzte nicht allezeit die gelindeſten Wege in ihren Curen gehen; ſondern auch zuweilen mit Feuer und Eiſen dem Uebel ſteuren muͤſſen: So muß auch ein tiefgewurzeltes Uebel in der Schreibart, Poeſie, und Beredſamkeit oft - mahls durch eine ſatiriſche Lauge angegriffen, und da - durch auf das nachdruͤcklichſte ausgerottet werden. Und wie ſehr waͤre es zu wuͤnſchen, daß ſchon unſre Vorfahren uns dergeſtalt aufgeraͤumt haͤtten. Scimus & hanc veniani petimusque damusque viciſſim.

33von den deutſchen Poeten.

Ruͤhmet die Geſtalt der Deutſchen, ihre Staͤr - ke, ihre Leibeskraͤfte; ich will euch das alles ein - raͤumen: Aber ſaget mir nicht, daß ſie Geiſt und Witz haben, wenn ich mit euch eins werden ſoll. Mithin muͤſſet ihr euch auch nicht einbil - den, daß nur die Franzoſen auf dieſe Weiſe von euren Nation urtheilen. Das eben angefuͤhrte lateiniſche Spruͤchwort iſt aus einem ſpaniſchen Scribenten hergenommen, der es bey einer glei - chen Gelegenheit angezogen hat. Wollet ihr es lieber auf das Zeugniß eines Engellaͤnders an - kommen laſſen, ſo vernehmet, was der Ver - faſſer des Maͤhrgens von der Tonne, der bey je - dermann ſo viel gilt, dazu ſagt:(B)Dieſe Anmerckung Hrn. D. Swifts kan denjeni - gen zur Nachricht dienen, die ſich auf die Erfindung der Buchdruckerey zur Ablehnung der Anklage von dem Man - gel des deutſchen Witzes mit groſſem Vertrauen beruffen. So ſagt Hr. Magiſter Schwabe in der Vorrede zu ſeinen Beluſtigungen Bl. 6. Es iſt genug, daß wir verſi - chert ſind, ſie wuͤrden uns unſre duͤrftige Erfindungs - kraft nicht ſo vielmahls erzehlen koͤnnen, wenn ſie nicht von uns gelernet haͤtten, uns einerley Sache auf tau - ſend Bogen kund zu thun; ſo daß alſo ihr Vorwurff, wenn

Die ſchoͤnſten Erfindungen ſind in denen Zeiten ge - macht worden, da die Unwiſſenheit auf das hoͤchſte geſtiegen geweſen, zum Exempel der Compaß, das Schießpulver, die Buchdru - kerey, und dieſe hat die dummeſte Nation, nemlich die D. aus der Finſterniß an den Tag hervorgezogen.
CJch[Crit. Sam̃l. V. St.]34Mauvillons Brief

Jch habe nicht einen Buchſtaben aus dem meinigen hinzugeſetzet; indeſſen ſehet ihr wohl, daß man nicht deutlicher reden kan. Aber wa - rum haben die Deutſchen nicht ſo viel Witz, als andere Nationen? Jſt der Himmelsſtrich Schuld? Traͤgt dieſer etwas dazu bey? Oder ihr gewoͤhnlicher Tranck? Nein, denn wie viel Deutſche giebt es nicht, die nur Wein aus Champagne trincken, und die doch deßwegen nicht eine Unze mehr Witzes haben. Der beſte Grund, den man hievon geben kan, wird wohl dieſer ſeyn, daß es nicht der Geſchmack der Deutſchen ſey,(C)Dieſe einzige Anmerckung Hr. Mauvillons zernich - tet auf einmahl das weitlaͤuftige Gewaͤſche einiger Verfech -ter Geiſt zu haben, daher die -jenigen wenn er gedruckt wird, zugleich innerlich ſeine Widerle - gung allezeit mit ſich fuͤhret. Mit eben dieſer Vorſtel - lung hat Hr. Prof. Gottſched in ſeiner Anmerck. zu dem Art. Bouhours den Unglaubigen den deutſchen Witz ſichtbar ma - chen wollen: Die Deutſchen, ſagt er, haben an dem Schießpulver und Geſchuͤtze, an der Buchdruckerey, an dem Kupferſtechen, an den Fernglaͤſern, an dem Por - cellan, u. a. m. ſolche Proben ihres Witzes abgeleget, daß keine andere Nation ihnen eben ſo viel und eben ſo witzige Entdeckungen aufweiſen kan. ꝛc. Es iſt nieman - dem jemahls in den Sinn gekommen, den Deutſchen die Faͤhigkeit zu mechaniſchen Erfindungen, auf die man oͤf - ters von ungefehr und zufaͤlliger Weiſe geraͤth, ſtreitig zu machen. Aber laß mir das einen ſeltſamen Schluß ſeyn: Es ſind Deutſche geweſen, welche die Buchdruckerey, das Schießpulver ꝛc. erfunden haben; hiemit muͤſſen die deutſche Poeten und Redner geiſtreiche Koͤpfe ſeyn; und wer dieſes nicht zugeben will, der laͤſtert die deutſche Nation.35von den deutſchen Poeten. jenigen unter ihnen, welche Geiſt haben, denſel - ben verabſaͤumen, und gemeiniglich verderben, indem ſie ſich auf eitele Wiſſenſchaften von elen -C 2demter des deutſchen Witzes, womit ſie auf den Vorzug in ei - nigen Theilen der Gelehrſamkeit, und auf die Faͤhigkeit, witzig und geiſtreich zu werden, trotzen; z. Ex. wenn es in dem Schreiben an den Verfaſſer der Beytraͤge Hrn. Gott - ſched, in dem XXIII. Stuͤcke Bl. 518. heißt: Dieß hat den deutſchen Witz gedaͤmpfet, nicht erſtickt. Desgleichen: Zum Baue groͤßrer Wercke Fehlt oft die Kuͤhnheit nur, und nicht des Geiſtes Staͤrcke. Ferner Bl. 520. Sprich, iſt der Erde drum ein Baum zur Laſt erzeuget, Der noch die Aeſte nicht voll reifer Fruͤchte beuget: Und wiederum Bl. 521. Wenn mein Lied ſchallen wird; ſingſt du vielleicht nicht mehr. Jn demſelben Tone laͤßt ſich der deutſche Luſtigmacher Hr. Schwabe in der Vorrede zu ſeinen Beluſtigungen Bl. 6. vernehmen: Jhr Vorzug iſt, daß ſie einige Jahre fruͤ - her auf die Ausbreitung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ge - dacht haben, als wir; aber auch NB. einige Jahre fruͤ - her, als wir, derſelben Verfall ſehen werden. Eine Weiſſagung, die ſich ohne Zweifel auf eine geheime Abrede der deutſchen Nation gruͤndet, daß ſie erſt dann wolle an - fangen witzig werden, wenn die Franzoſen den guten Ge - ſchmack verlieren. Und auf der 10ten Seite ſagt eben die - ſer Vorredner: Waͤren wir ſo zeitig, als andere, auf die Ausbreitung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften in unſrer Mutterſprache gerathen: So wuͤrden vielleicht diejenigen izo von uns lernen muͤſſen, welche wir uns zu Muſtern bey Befoͤrderung der freyen Kuͤnſte vorſtellen. Man giebt gerne zu, daß die Deutſchen Geiſt und Witz haben,und36Mauvillons Briefdem Geſchmacke legen. (D)Man hat noch erſt im Jahre 1735. zu Breßlau und Leipzig eine verbeſſerte Sammlung von J. Chr. Guͤnthers deutſchen und lateiniſchen Gedichten herausgegeben, und iſt dabey ſorgfaͤltig geweſen, alle die Acroſticha, die in die - ſes Poeten erſten Jahren noch gantz gelaͤuftig waren, als Proben des deutſchen Witzes von dem Untergange zu retten, wie Bl. 17. 82. 91. 100. 179. 231. ꝛc. zu ſehen iſt. Es iſt wohl wahr, daß dieſer Dichter ſelbſt bey reifern Jah -renEure meiſten Ge - lehrten beſchaͤftigen ſich Anagrammata, oder, was noch kindiſcher iſt, Chronogrammata zu ver - fertigen. Eure arbeitſamen deutſchen Koͤpfewer -und zeigen koͤnnten; aber man bedauret dabey, daß die - jenigen, welche die Ehre des deutſchen Witzes zu behaup - ten bisdahin uͤbernommen haben, groͤſtentheils dieſelbe zu Schanden gemachet, und zu dergleichen unbeliebigen Ur - theilen Anlaß gegeben haben. Man geſtehet ihnen einen groſſen Vorzug an Gelehrtheit zu, aber aus denen bishe - rigen Proben kan man nicht ſchlieſſen, daß der Geſchmack fuͤr das Witzige und Geiſtreiche noch zur Zeit allgemein ſey. Jch kan dieſes mit dem Beyfalle eines deutſchen Schrift - verfaſſers bekraͤftigen: Jn dem IX. Stuͤcke der Critiſchen Beytraͤge auf der 165ſten Seite, wo der Antilongin re - cenſiert wird, heißt es: Der gute Geſchmack iſt bey uns Deutſchen noch nicht ſo allgemein, daß man ſich fer - ner keine Muͤhe geben duͤrfte, ihn mehr und mehr em - por zu bringen. Wir wollen nur unſre Poeſie anſehen. Was fuͤr wunderlich Zeug koͤmmt nicht darinnen noch taͤglich zum Vorſchein? Und wer ſiehet nicht, daß die - ſes die Ueberbleibſel des altfraͤnckiſchen Geſchmacks ſind? Woher ruͤhret aber ſolches? Von nichts anders, als weil unter den Schriften unſrer Dichter, die wir Anfaͤn - gern als Muſter anpreiſen, noch viel rauſchendes Flit - tergold anzutreffen iſt. 37von den deutſchen Poeten. werden ein Woͤrterbuch gantz durchblaͤtern, da - mit ſie eine ſolche ſcharfſinnige Ueberſchrift her - ausbringen. Man daͤchte, ſie ſuchten eine ge - ſchickte, gut lateiniſche Ausdruͤckung, aber an ſtatt deſſen ſehen ſie ſich nach einem Worte um, darinnen ein L ein M oder ein D iſt. Wenn wir demnach irgend eine ſolche Aufſchrift antref - fen, muͤſſen wir in derſelben vielmehr das Jahr des Herrn, als den Gedancken ſuchen.

Einer von euren Scribenten(E)Jch kenne einen andern deutſchen Poeten, der ſich noch erſt neulich einen groſſen Nahmen unter ſeinen Landsleuten erworben hat. Dieſer hat ſich erkuͤhnet ineiner hat das Hertz gehabt dieſe Chronogrammata, die er gelehrte Sinngebuhrten nennet, zu vertheidigen. ErC 3klagtren das abgeſchmackte Weſen dieſer Kunſt verlachet, und ſeine ehemahlige Thorheit bekennet hat, womit er die Nahmen vor die Lieder geflochten, und oft um ein A. drey Stunden auf und nieder gegangen: Aber was muß ein fremder von dem allgemeinen Geſchmacke der deutſchen Na - tion dencken, wenn er auch in den neueſten Sammlungen und Herausgaben der beſten deutſchen Dichter dergleichen ab - geſchmacktes Zeug mit der groͤſten Sorgfalt aufbehalten ſie - het? Denn daß Guͤnther unter den beſten Poeten, die nach dem Geſchmacke der deutſchen Nation ſind, einen hohen Rang verdiene, wird niemand zweifeln, wer fol - genden Gottſchediſchen Ausſpruch geleſen hat: Woher koͤmmt es, daß die deutſche Nation, die bey Canitzens und bey Guͤnthers Gedichten ſo eifrig geweſen, ſie zu kauffen und zu leſen, und andern anzupreiſen, daß man in kurtzer Zeit ſo viele Auflagen machen muͤſſen, nur im Abſehen auf das eintzige Paradies Milrons ſo phlegma - tiſch geworden? 38Mauvillons Briefklagt ſich, daß gewiſſe Leute ſo unvernuͤnftig ſeyn, und dieſe ſchoͤnen Erfindungen Lappereyen heiſſen; und er behauptet gegen jedermann, daß ſie, wenn ſie kurtz ſind, und ſich vor die Sache gut ſchicken, ihren gewiſſen Werth haben. Er fuͤhrt zum Beweiſe deſſen das Chronogramma an, das im vergangenen Jahr auf den Herzogvoneiner neuen Sammlung poetiſcher Geburten, die erſt die - ſes Jahr ans Licht getreten, eine ernſthafte Schutzſchrift fuͤr eine andere Gattung Sinnſpiele des falſchen Witzes zu verfertigen, worinnen er behauptet, daß diejenigen, wel - che keinen Geſchmack daran finden, fuͤr gewiſſenloſe Reli - gions-Spoͤtter muͤſſen angeſehen werden. Dieſer iſt mit Nahmen der groſſe Triller, der in dem neulichſt herausge - gebenen 3ten Theile ſeiner Gedichte, auf der 500. Seite folgendes Muſter von einem geiſtreichen Wortſpiel gar ge - ſchickt anbringt:Benennt man, Naſſau, dich ſonſt von den naſſen Auen, So machſtu itzt gewiß die Deutung offenbar; Und ſtellten ſich auch nicht die naſſen Auen dar, So kan man doch in dir die naſſen Auen ſchauen. Der Genius, der uͤber die Noten waltet, hat ihm dazu die folgende aus der beſondern Mildigkeit verliehen, nach welcher er die Trilleriſchen Anmerckungen mit allerhand Seltenheiten zu bereichern pfleget: Luſus hic ingenii & verborum, quod probe ſcimus, quem nimium faſtidiunt, & præter rem adſpernantur horriduli quidam noſtri ævi Catones, & intonſi impexique Timones; ſic non injurii ſolum in optimos quosvis Auctores veteres profanos, ſed & impii adeo atque blasphemi in ipſam Scripturam Sacram utriusque Teſtamenti; in qua quippe creberrime acutos ejusmodi verborum luſus paſſim occurrere, contra naſutos hos & frigidos cenſores, magno eruditionis apparatu pri - dem liquidiſſime oſtenſum fuit a Viris magnis, Grotio,Bochar -39von den deutſchen Poeten. von Lothringen und Großherzog von Toſcana gemacht worden, der die kaiſerlichen Voͤlcker in Ungarn als oberſter General angefuͤhrt hatte, VIVat CæſarIs ſVpreMVs bellI DVX. Jn welchen Worten die Jahrzahl von 1737. enthal - ten iſt, da der Herzog in Ungarn hatte comman - dieren ſollen. Trutz ſey euch gebothen, daß ihr in dieſem Chronogramma was weiters, als das Jahr des Herrn finden werdet. Jndeſſen hat der hamburgiſche Zeitungsſchreiber es vor einen unwiderſprechlichen Beweiß gegen diejenigen an - gefuͤhrt, welche dieſe abgeſchmackten Erfindun - gen verlachen. Saget mir doch, ob man eben viel Witzes vonnoͤthen habe, wenn man eine arithmetiſche Zahl in viel verſchiedenen Woͤrtern, die aus allerley Buchſtaben beſtehen, heraus -C 4brin -Bocharto, Vitringa, Glaſſio, Blackwallo, Gatakero, Oleario, & aliis; & noviſſime a Reverendo Michaeli Halenſi, peculiari Diſſertatione. Sed hac de re nos alibi plenius. Eant nunc & deteſtentur omnes ingenii luſus inſulſi Criticaſtri, imprimis Alpini. Und daß Hr. D. Tril - ler von der Vortrefflichkeit der Wortſpiele eine innerliche Ueberzeugung habe, erhellet aus gar vielen Proben, die in ſeinen Gedichten hier und da zu finden ſind. Jch will zur Bekraͤftigung deſſen nur einige von den beſten Exem - peln anfuͤhren. Jn dem erſten Theile ſeiner Gedichte, in der Zueignungsſchrift an Hrn. Brockes:Serenus deſſen Lied Sirenen trotzen kan, Wird auch mit allem Recht in dieſe Reih geſtellet. Eben daſelbſt:Daß ſich die Bluhmen auch zuſammen bruͤnſtig freyhn, Und durch des Zephyrs Gunſt in Stand der Ehe treten,Beſin -40Mauvillons Briefbringen ſoll, und ob dergleichen Entdeckungen der menſchlichen Geſellſchaft groſſen Nutzen brin - gen. Jſt das ein groſſes Lob vor einen Feld - herrn, daß man in etlichen Woͤrtern, welche wenig oder nichts von ſeinen Heldenthaten mel - den, das Jahr ausfindet, in welchem er den Generalſtab gefuͤhrt hat? Man muß kein groſ - ſer Kuͤnſtler ſeyn, eine ſolche herrliche Geburt auf die Welt zu bringen; es braucht weiter nichts, als ein wenig Geduld, Woͤrter auszuklauben, und man wird mehr als genug herausbringen, ſofern man nur die Sprache verſteht, in wel - cher man reden will.

Allein

Beſingen de Croix und Royen im Latein, Sind ſie ſchon, wie es ſcheint, zur Hochzeit nicht gebeten. Jn eben dieſem Gedichte: Vom Vater, Sohn u. Geiſt, u. von des Glaubens Grund Hat Faithfull Thaͤt ein Buch in Verſen fuͤrgetragen, Dieß macht nun Wagner zwar in deutſchen Reimen kund, Allein ſie klingen meiſt, wie ein noch neuer Wagen. Jn dem Gedichte von der Zeugung des Menſchen I. Th. Bl. 164. Doch weil die Wuͤrmer gar zu klein, So mußten groſſe Goͤnner ſeyn. Jn dem IIIten Th. Bl. 312. Und Wolf mit deſſen Wiſſenſchaft Faſt alle Hohen Schulen pralen, Ob ihm der Neid mit heilger Liſt Gleich lange widerſtanden iſt. Da nun Hrn. D. Trillers Gedichte, wie er ſelbſt und die gelehrten Zeitungsſchreiber einhellig ruͤhmen, von der deut - ſchen Nation begierig aufgekauft und geleſen werden, was muß wohl ein Fremder von dem Geſchmacke der deutſchen Nation urtheilen?

41von den deutſchen Poeten.

Allein ihr werdet einwenden, nicht alle Deut - ſchen geben ſich Muͤhe mit dieſem abgeſchmack - ten Zeuge. Gut: Aber ich behaupte hingegen, daß es ihnen in allen Arten der zierlichen Gelehrt - heit an Geſchmack, oder, wenn ich es heraus - ſagen ſoll, an Witz mangelt. Ehe ich dieſes beweiſe, muß ich euch bitten, folgendes anzu - mercken. Es iſt kein Wunder, daß eure Lands - leute nicht geiſtreich ſeyn. Man haͤlt in dieſem Lande ſehr wenig auf Geiſt, und dieſes iſt eben kein Mittel, den Witz in Schwang zu bringen. Jn Deutſchland ſind ein geiſtreicher Kopf und ein Clausnarre eines, was das andere. (F)Jch kan und will mich nicht gar tief in dieſe Un - terſuchung hineinlaſſen, in was Werth in Deutſchland der Geiſt, wenn er gleich der Gelehrſamkeit beraubet iſt, ge - halten werde. Das iſt indeſſen gewiß, daß abgeſchmackte Poſſenreiſſer und Luſtigmacher nicht allein vor geiſtreich wol - len angeſehen ſeyn, ſondern auch wuͤrcklich noch einen groſ - ſen Beyfall finden. Jch verweiſe meine Leſer auf den Heumonat der Beluſtigungen Bl. 36.Der Pedant und der wahre Gelehrte werden hier all - zu gerne mit einander vermiſcht. Eure Gedan - ken ſeyn die ſchoͤnſten auf der Welt, ſie ſeyn auf das geiſtreichſte ausgebildet; wofern ihr nicht ſechs Woͤrter im Lateiniſchen, vier im Griechi - ſchen, und vier im Hebraͤiſchen plappert, ſo wird man meinen, man thue euch viel Ehre an, wenn man euch einen artigen Pantalon heißt.

Jn dieſem Lande ſteigt niemand empor, als die Hofnarren. Die Begierde dergleichen zu haben, iſt etwas recht auſſerordentliches. Ein jeder Fuͤrſt hat zween oder drey in ſeinen Dien -C 5ſten.42Mauvillons Briefſten. Bey einigen von den groͤſſeſten iſt es eine recht eintraͤgliche Bedienung, der foͤderſte Hof - narre, wie im tuͤrckiſchen Serraglio das Haupt der Verſchnittenen zu ſeyn. Die Freyherrn und die bloſſen Edelleute in dieſem Lande haben ins - gemeine einen Lakey, der bey ihnen die Stelle eines Hofnarren vertritt, wiewohl er eben die - ſen Titel nicht fuͤhrt; denn die herrſchenden Fuͤr - ſten behalten das Recht vor ſich, Patenten fuͤr einen Hofnarren zu ertheilen.

Auf was vor hohe Gedancken koͤnnen Leute von dieſem Schrote, die nicht wiſſen, was den - ken iſt, die in den Tag hinein plaudern, und mit lauter Salbadereyen angeſtochen kommen, vornehme Herren fuͤhren? Werden ſie dieſel - ben lehren, wie man gerecht, großmuͤthig, mil - de, nuͤchtern, ſittſam, ſeyn ſoll? Ach nein. Sie wiſſen von dieſen Eigenſchaften allzu wenig, als daß ſie ſich eine Ehre darinnen ſuchen ſollten, je - manden dazu anzufuͤhren.

Ein geiſtreicher Mann iſt in Deutſchland ein Menſch, der zu einem Hofnarren gebohren iſt; und ein Hofnarre iſt ein Thier, das mehr Stock - ſchlaͤge kriegt, als ein Hund, den man zu klei - nen Kuͤnſten abrichten will. Das iſt izo die Nei - gung der deutſchen Herren, ſie brauchen den Stock gerne, und man muß bekennen, daß ſie geſchickt damit umzugehen wiſſen. Hiervon nimmt nun der Verfaſſer Anlaß, mit etlichen E - rempeln zu beweiſen, daß die deutſchen Fuͤrſten eine rechte Freude daran haben, die Leute bis auf den Tod zu pruͤgeln.

Jhr43von den deutſchen Poeten.

Jhr ſehet alſo, zu was vor Poſten man geiſtrei - che Koͤpfe in Deutſchland tuͤchtig haͤlt, wiewohl diejenige, die auf dieſen Poſten ſtehen, nicht allemahl geiſtreiche Koͤpfe ſind. Man muß es bekennen, es giebt in Deutſchland mehr Ge - lehrte, als in vielen andern Laͤndern; aber geiſt - reich zu ſeyn iſt ihnen verboten, falls ſie nicht vor Narren angeſehen ſeyn wollen. Ein geſchick - ter Profeſſor, der in der gelehrten Welt wohl - bekannt iſt, wollte einmahl zeigen, daß er Geiſt haͤtte. Sogleich foderte man von ihm, daß er Hofnarr wuͤrde, und der Fuͤrſt noͤthigte ihn mit Gewalt dazu. Einer von meinen Freunden hat - te Gedancken bey dieſer Gelegenheit eine Comoͤ - die zu ſchreiben, die den Titel fuͤhren ſollte: Der Hofnarre wider ſeinen Willen. Jch hintertrieb es mit allen erſinnlichen Vorſtellungen der Klug - heit. Es iſt hier nichts neues, daß ein Hofnarre, der den Titel eines ſolchen fuͤhret, zugleich Pro - feſſor in der Philoſophie, oder in der Beredt - ſamkeit iſt. Da die Wiſſenſchaften auf dieſe Weiſe entweihet und verhudelt werden, ſo iſt es nicht moͤglich, daß das Naturell keinen Scha - den davon empfange, und daß man nicht mit der Muttermilch eine unuͤberwindliche Abneigung gegen die Wiſſenſchaften, und alles, was geiſt - reich iſt, in ſich ſauge.

Jn Franckreich hat man dieſes nicht zu befuͤrch - ten. Daſelbſt haͤlt man den Geiſt hoch, wenn er gleich der Gelehrſamkeit beraubet iſt. Lude - wig der vierzehnte war ein ſo groſſer Feind der Zotenreiſſer, und Luſtigmacher, als er hinge -gen44Mauvillons Briefgen ein bekannter Beſchuͤtzer aller geiſtreichen Maͤnner war, die er auch von den Pritſchmei - ſtern wohl zu unterſcheiden wußte. Aber der Geſchmack der Deutſchen Fuͤrſten iſt uͤberhaupt ſo beſchaffen, daß ſie zwey Dinge, die an Art ſo verſchieden ſind, mit einander vermiſchen, und ſich nur das ſchmecken laſſen, was unter den Wercken des Geiſtes am ungeſaltzenſten und mat - teſten iſt.

Jn Franckreich liebet man das, was der Witz feines und leckeres hat; nur dadurch kan man ſich hervorthun. Wer nur Geiſt hat, iſt bey al - len Franzoſen willkommen, und kan ſie nur vor ſeine Goͤnner anſehen. Er hat keinen andern Titel noͤthig, als daß er ein geiſtreicher Kopf ſey, ſo wird ihm jedermann wohlgewogen wer - den. Das iſt der Geſchmack der franzoͤſiſchen Nation uͤberhaupt; und niemand wird meines Bedunckens ſo unvernuͤnftig ſeyn, und ihm nicht den Vorzug vor dem Geſchmacke der Deutſchen geben; denn es iſt gewiß, daß man nichts ge - ſchicktes ausrichten kan, wenn man es ohne Geiſt vornimmt. Die gelehrteſten Wercke tau - gen nichts, wenn ſie nicht mit Witze verfertiget ſind; und der groͤſte Lehrer wird nur ein verdruͤß - licher Schmierer ſeyn, wenn er ſeine Beleſen - heit ohne Geiſt auskramet; ſo wie der groͤſſeſte Weltweiſe nur ein langweiliger Schwatzer ſeyn wird, wenn er ſeine Schlußreden nicht mit Geiſt wuͤrtzet, ob ſie gleich ſonſt buͤndig ſind. Der Geiſt iſt das Vermoͤgen des Verſtandes, das macht, daß wir das, was wir ſagen, mit An -muth45von den deutſchen Poeten. muth ſagen, und das, was wir thun, mit gu - ter Art thun. Es iſt die geſchickte Wahl, das feine Weſen, das ſcharfſinnige Urtheil, kurtz etwas nicht genug beſtimmtes, das unſren Ge - dancken und Begriffen eine gewiſſe Zierlichkeit mittheilet; das auszieret, was die Vernunft erfindet, und ausſchmuͤcket, was der Verſtand hervorbringt.

Aber es iſt nicht genug, daß man erklaͤre, was Geiſt ſey, es giebt verſchiedene Arten die - ſes Geiſtes, welche man von einander, oder beſſer zu ſagen, von etwas, das ihm aͤhnlich iſt, unterſcheiden muß. Es iſt eine Art rauhes Gei - ſtes, von welchem die platten und eckelhaften Poſſen und Zoten entſtehen, die doch auch ge - wiſſen Leuten angenehm ſind, welche ſelbſt nur dieſe Geiſtesart beſitzen. Dieſe iſt derjenigen gantz ungleich, welche die Franzoſen haben wol - len, und die ich oben erklaͤrt habe.

Unter dem rauhen und dem feinen Geiſt herr - ſchet der Unterſchied, daß jener die Miltze, und dieſer das Hertz ruͤhret; jener das wilde Gelaͤch - ter, dieſer die Verwunderung erwecket; der erſte einen Augenblick Luſt machet, hernach Ver - druß verurſachet, da hingegen der andere ein reines und deſto gruͤndlicheres Ergetzen mit ſich fuͤhret. Da nun die groſſen Herren in Deutſch - land auf dieſe lezte Eigenſchaft nicht viel hal - ten, ſo erforſchet auch niemand ſich ſelber, ob er nicht etwa dieſelbe von der guͤtigen Natur em - pfangen habe; man ſtreitet nur um den Vor - zug, wer die platteſten Pritſchmeiſterpoſſen ſa -gen46Mauvillons Briefgen kan. Wie oft hoͤret man dieſe vornehmen Deutſchen uͤber den ungeheureſten Einfall eines elenden Luſtigmachers in ein erſchreckliches Ge - laͤchter ausbrechen? Das iſt ihr Geſchmack, und wer ihr Freund ſeyn will, muß mitmachen.

Deßwegen wundert mich nicht mehr, daß in euren Poeten ſolche Jedermannsgedancken, und ſo grobe Ausdruͤcke ſind. Guͤnther,(G)Jn was vor Anſehen Guͤnther bey der deutſchen Nation ſtehe, hat uns Hr. Gottſched oben (D) belehret. Deſſen ungeachtet kan ich das Urtheil, welches Hr. Mau - villon von ſeiner poetiſchen Niedertraͤchtigkeit gefaͤllet hat, mit einheimiſchen Zeugniſſen bekraͤftigen. Jn dem XIV. St. der Critiſchen Beytraͤge, wo Guͤnthers Gedichte be - urtheilet werden, heißt es Bl. 186. Seine Kenntniß in den wahren Regeln der Dichtkuuſt war ſehr mittel - maͤſſig, ſeine Beurtheilungskraft ſehr ſeicht und unfaͤhig, das wilde Feuer der Fantaſie zu maͤſſigen. Und auf der 188ſten Seite: Was die Gedichte ſelbſt anlanget, ſo haben ſie faſt durchgehends ein ſehr flieſſendes We - ſen, ein richtiges Sylbenmaaß, und eine richtigere, re - gelmaͤſſigere Sprache, als man in vielen unſrer Dich - ter anmercket. Allein was das innere anlanget, ſo ſind viele, ja die meiſten Stuͤcke einem Quodlibet aͤhnlicher, als einem ordentlichen und vernuͤnftig zuſammenhangen - den Wercke. Oft ſcheint der Reim, und nicht der Poet den Vers gemacht zu haben: Jndem er nicht anders ausſieht, als ob er lauter Bouts-rimez gemachet, oder die Einfaͤlle im huͤbneriſchen Reimregiſter geſuchet haͤtte. Ja auch in ſeinen Todesgedancken hat er das geiſtliche mit dem weltlichen, die Bibel mit den Fa - beln der Heiden ſo durch einander gemenget, daß man nicht einer der geſchaͤtzteſten iſt damit angefuͤllet. Leſet ſeine Ode auf das Gluͤcke, die vor eines ſeiner beſtenStuͤ -47von den deutſchen Poeten. Stuͤcke gehalten wird; ihr werdet darinnen ei - nen Beweis meiner Meinung finden. Jch wer - de die lezte Strophe dieſer Ode nie vergeſſen; ſie hat etwas allzu ſonderbares, daß ich ſie hier nicht anfuͤhren ſollte; Vielleicht habet ihr nie - mahls Zeit gehabt, ſie genau zu betrachten. Jch bitte nur die Frauensperſonen, denen ihr etwa meinen Brief zeigen moͤgtet, daß ſie ſich an gewiſſenpurſch - nicht wiſſen kan, ob er als ein Heide oder als ein Chriſt habe ſterben wollen. Hernach weiß er ſelbſt in den er - habenſten Oden nicht den Wohlſtand, und das ſo ge - nannte πρέπον zu beobachten. Jn dem XXIV. St. derſelben Critiſchen Beytraͤge, in den Anmerckungen uͤber Clercs Gedancken von der Poeſie Bl. 589. ſtehet: Was ich von Hofmannswaldau ſage, das gilt auch von eini - gen neuern, als Amthorn, Guͤnthern, und ein Paar noch lebenden Dichtern [vielleicht Triller und Gottſched] theils von ſchwuͤlſtiger, theils von niedriger Schreibart. Wohl dem, der von Jugend auf auf gute Muſter ver - fallen iſt. z. E. auf den Virgil, Horatz, Opitz, Canitz. Und wer ſich an dieſen Zeugniſſen noch nicht ſattigen will, der leſe in dem XXIV. St. der Crit. Beytraͤge Art. III. Bl. 63. den Verſuch einer Critick uͤber die guͤntheriſche Ode: Eugen iſt fort! Jhr Muſen nach ꝛc., wo er folgende und dergleichen critiſche Ausſpruͤche bey der Menge antreffen wird: Dieſe Kleinigkeiten koͤnnen das Bathos nicht bergen: Dieſes iſt ein poͤbelhafter Ausdruck: Dieſes iſt Guͤnthers groͤſter und gewoͤhnlichſter Fehler, daß er auch in der praͤchtigſten Rede, ſeinem Saryr biswei - len zu meckern erlaubt: Der gantze Einfall iſt Flitter - gold, das hieher nicht gehoͤrt: Da iſt ein Galimatias, hier ein Phoͤbus: Bald plaudert er, wie ein Fieberhaf - ter, bald aber ſchimpſet er beynahe, wie ein Schoten - huͤter: Ein ſolches abentheurliches Phoͤbus harte noch gefehlt. ꝛc. ꝛc. 48Mauvillons Briefpurſchmaͤſſigen Worten nicht aͤrgern, die ich mich genoͤthiget ſehe, zu brauchen, wenn ich des Poeten Meinung ausdruͤcken ſoll. Sie muͤſſen ſich erinnern, daß ich aus dem Deutſchen uͤberſetze, nun wiſſen ſie wohl, daß in dieſer Sprache dergleichen Zeug nichts neues iſt. Nach - dem Guͤnther zuerſt auf eine ziemlich froſtige Weiſe auf das Gluͤcke geſtichelt, uͤberlaͤuft ihm die Galle, und er bricht gantz entruͤſtet in dieſe Worte aus: Tiens, ſagt er zu ihm, voicy tes plus beaux titres. Tu n’es qu’une girouette, une femmellette aveugle, une voie de per - dition, une garce à laquais, une ſorcière, la ſœur de la folie, une hableuſe, une trom - peuſe: & qui eſt ce qui me punira comme Athée, par ce que je te blasphême! Jch weiß wohl, daß der arme Guͤnther keine Urſache gehabt, mit dem Gluͤcke wohlzufrieden zu ſeyn; und daß er dem Colletet gleich war, von dem man ſagt, er ſey von einer Kuͤche in die andere gegangen, einen Biſſen Brod zu betteln; allein ich kan ihm, die Wahrheit zu bekennen, ſeine poͤbelhaften Ausdruͤcke nicht verzeihen, und ich moͤgte ihn wohl fragen, in welchem Lumpenhau - ſe er dieſe Schreibart an ſich genommen habe. Was vor eine Ungleichheit zwiſchen Guͤnthers Verſen, und denen, welche Rouſſau auf eben dieſes Gluͤcke geſchrieben hat!

Der Poͤbel betet in deinem ſchlechteſten Wercke das Wohlergehen an, er nennt dich Großmuth, Dapferkeit, Klugheit, Standhaftigkeit: Er beraubet die Tugend ihrer eigenſten Titel, und leget49von den deutſchen Poeten. leget ſie einem Laſter, das dir angenehm iſt, bey. Jn ſeinen falſchen Lehrſaͤtzen machet er allemahl vortreffliche Helden aus deinen ſtraf - wuͤrdigſten Lieblingen.

Die franzoͤſiſche Sprache iſt zu ſittſam, als daß ſie ſolche Ausdruͤcke, wie Guͤnthers ſind, vertragen koͤnnte, am allerwenigſten kan ſie die - ſes in einer ernſthaften und erhabenen Ode. Wenn wir von luſtigen Sachen ſchreiben wollen, ſo haben wir eine abſonderliche Sprache vor die - ſelben,(H)Jn dem Heumonat der Leipzigiſchen Beluſtigun - gen, in dem Schreiben an Hrn. M. Schwabe wegen der Unnuͤtzlichkeit ſeines Vorhabens Bl. 20. wird uͤber die - ſe Stelle folgende geiſtreiche Anmerckung gemachet: Jch wollte dieſe Schreibart die Sprache der Freundſchaft, zur Nachahmung der Sprache des Schertzes, nennen; welche ein gewiſſer neuer Briefſchreiber an ſeinen Lands - leuten gantz beſonders erhebt, und es den Deutſchen als einen groſſen Fehler vorwirft, daß ſie dergleichen nicht haͤtten. Die Deutſchen, ſagt er, ſchreiben die ernſthafteſten Oden, und die luſtigſten Gedichte, in ei - nerley Versart. Wir aber haben eine beſondere maro - tiſche Schreibart, in welcher wir nur ſchertzen. Wenn ſie, mein Herr, etwa dieſe Sprache noch nicht kennen, ſo will ich ſie ihnen doch ὡς ἐν παρόδω, ut φιλέλληνες lo - quuntur, erklaͤren. Stellen ſie ſich eine Sammlung alt - fraͤnckiſcher, poͤbelhafter, und wider die Grammatick verſtoſſender Woͤrter und Redensarten vor. Sie ſey alſo noch ein Grad ſchlechter, als dasjenige, was wir im Deutſchen die Hans-Sachſen-Schreibart nennen, welcher wir uns bisweilen zum Lachen bedienen; allein die nemlich des Marots ſeine: Aber im Deutſchen laͤuft alles unter einander, dasDErnſt -[Crit. Sam̃l. V. St.]50Mauvillons BriefErnſtliche mit dem Poſſierlichen; das Hohe mit dem Kriechenden, und das Praͤchtige mit demLuſti - die ein Dichter alsdann ſtarck gebrauchen muͤßte, wenn er das ſicherſte Mittel haben wollte, uns unertraͤglich zu werden. Wenn Sie ſich dieſe Schreibart einbilden, mein Herr, ſo haben ſie dasjenige, was die Groͤſſe gewiſſer auslaͤndiſcher Dichter, und einen Theil von dem Ruhme ihrer Nation ausmachet. Jch weiß nicht, ob nach dem Ur - theile der gantzen Nation, oder nur bloß nach dem Aus - ſpruche des groſſen Kunſtrichters, der vielleicht auch den Homer und Deſpreaux tadelt, daß ſie die Batrachomyo - machie und das Pult nicht in marotiſchen Verſen geſchrie - ben haben. ꝛc. Jch muß die kleine Bosheit dieſes an - ſehnlichen Luſtigmachers ein wenig beleuchten. Es iſt eben ſo laͤcherlich, wenn er die marotiſche Sprache als altfraͤn - kiſch, niedertraͤchtig und poͤbelhaft anſchwaͤrtzen will, als wenn einer ſich uͤber die Hofleute Franciſcus des erſten erzoͤrnen wollte, daß ſie nicht in der itzigen neumodiſchen Kleidung auftreten. Die marotiſche Sprache iſt bey den Franzoſen diejenige, welche an dem Hofe des beſagten Koͤ - nigs geredet worden. Sie war ſo bequem ſchertzhafte und und ſatiriſche Gedancken darinnen einzukleiden, und Ma - rot hatte ſie zu dieſem Ende ſo geſchickt gebraucht, daß ſie als eine todte Sprache noch heutzutage in ſeinen Schriften erlernet, und noch zu demſelben Ende angewendet wird. La Bruͤyere hat davon geurtheilet: Marot ſcheint im Ab - ſehen auf ſeine Redensarten und Ausdruͤcke erſt ſeit Ron - ſards Zeit gelebet zu haben; zwiſchen ihm und uns iſt nur ein Unterſchied von etlichen Woͤrtern. Sofern iſt es, daß dieſe Sprache poͤbelhaft ſey, oder wider die Gram - matick verſtoſſe, wiewohl ſie ihre eigene Grammatick hat. Man findet im Marot einen gantz herrlichen und praͤchtigen Ausdruck, der ihn mitten in dem artigen und zierlichen Schertze unterſtuͤzt, von welchem er der Vater iſt, und zu - gleich das Muſter giebt. Dieſen Character giebt ihm Boi - leau:Imi -51von den deutſchen Poeten. Luſtigen. Alle Ausdruͤcke ſind da gleich gut, und man macht da keinen Unterſchied zwiſchen proſai -D 2ſchenImitez de Marot l’elegant badinage. Zu der marotiſchen Schreibart wird Marots Geiſt, nicht nur ſeine Worte erfodert. Dieſer war ſehr fein und ſehr anmuthig. Jn allem, was er ſagt, iſt Anmuth, und ſeine gemeinſten Gedancken werden durch die Ausbildung geſchmuͤckt. Alſo heißt man die angenehme Leichtigkeit, die natuͤrliche Flieſſendheit, die aus Marots Geiſt, als ihrer wahren Quelle entſprang, aus Danckbarkeit die marotiſche Schreibart, weil ſie ihm ſo gar eigenthuͤmlich war. Alles in ſeinen Gedichten gehoͤrt dem Naturell zu, nichts der Be - muͤhung, nemlich einer Bemuͤhung, die ſich ſelber ver - rathe und mercken laſſe. Jn dieſem Stuͤcke haben ihn die anmuthigſten Koͤpfe unter den franzoͤſiſchen Poeten fuͤr ih - ren Lehrmeiſter erkennt; als der Hr. de la Fontaine, der Abt Chaulieu ꝛc. Jch bin verſichert, daß dieſe geiſtreiche Koͤ - pfe in ihrem Gebrauche der alten marotiſchen Sprache am allerwenigſten derauf geſehen haben, daß ſie die Miltze ihrer Leſer durch den ungewoͤhnlichen und veralterten Klang derſelben beluſtigten. Das veralterte und aus der Gewohn - heit gekommene in dieſer Sprache dienete ihnen mithin, den Schertz durch ein merckliches Kennzeichen von dem Ernſt zu unterſcheiden; ſo wie dem Harlekin auf dem Schauplatze eine abſonderliche an Schnitte und Farbe eigene Kleidung affectirt iſt. Nun iſt es ein Zeichen des guten Geſchmackes, und ein Beweisthum des Reichthums der franzoͤſiſchen Sprache, daß man nicht genoͤthiget iſt, zum Schertze eben die Sprache zu brauchen, welche man zum Ernſte anwen - det: Wie es einen Mangel anzeiget, wo man eine ernſt - hafte und an ſich ſelbſt maͤnnliche Sprache hat, wie die deutſche eine ſolche iſt, die man auch zum Schertze und zu Poſſen brauchen muß, aber ſie eben dadurch mißbraucht, und entweihet; maſſen es ſchwerlich geſchehen kan, daß ſich nicht an einige Worte und Redensarten etwas veraͤcht -liches52Mauvillons Briefſchen und poetiſchen Redensarten. (I)Damit man nicht ſagen koͤnne daß Hr. von Mau - villon ohne Grund nur ſeiner bloſſen Luſt ein Genuͤgen zu thuu, die Schwachheiten der deutſchen Poeten aufdecke;ſoMan fin - det oft unter einem Dutzend Verſe, die ſo ſchwul - ſtig ſind, als des Pindarus, ein poͤbelhaftesSpruͤch -liches nnd laͤcherliches mit anhaͤnge. Mit was vor einer Stirne darf man denn ſagen, daß Marot nicht ein Haar beſſer ſchreibe, als Hans Sachſe; daß ſo wenig wir ſonſt aus unſrem Hans Sachſe machen, wir ihn doch nicht geringer ſchaͤtzen duͤrffen, als den altvaͤteriſchen Marot: Hr. Gottſched hat dieſes in der Anmerckung zu dem Artickel Aretin vorgegeben. Er meint vielleicht, der widerliche Klang, oder die ungewoͤhnliche und altfraͤnckiſche Redensart in Hans Sachſens Sprache machen ſeine Gedichte ſo ver - werfflich und veraͤchtltch; aber das thut es nicht, ſondern das arme und abgeſchmackte Zeug, das Hans Sachſe darinnen vortraͤgt, welches ſo beſchaffen iſt, daß es in die flieſſendſte gottſchediſche Schreibart uͤberſezt Verdruß und Ekel gebaͤhren muß. Da wir hingegen nur Marots Ge - dancken uns bekannt machen muͤſſen, die anmuthigſte Luſt davon zu empfangen. Man betrachte z. Ex. nur einen von ſeinen ſatyriſchen Sendbriefen an ſeine Tadler, ſo wird man ſehen, wie fein und ſtarck er an Witz geweſen; wir koͤnnen daran abnehmen, wie er ſeine ungeſchickten Richter wuͤrde aufgezogen haben, wenn er ihre ungereimten Urtheile von ihm gewußt haͤtte. Was endlich diejenige Art Schertzes anbelangt, da man etwas durch eine Vergroͤſſerung kleiner Dinge laͤcherlich zu machen ſucht, wie Homer und Boileau ge - than haben, ſo iſt ja offenbar, daß man zu dieſem Ende nicht eine veraltete marotiſche, ſondern eine praͤchtige heroiſche Sprache fuͤhren muß, wenn man nicht mit Fleiſſe ſeine Abſichten verderben, und nicht die Sache, ſondern ſich ſelbſt, zum Gelaͤchter machen will.53von den deutſchen Poeten. Spruͤchwort. Die Sprache iſt nicht Schuld daran, ſondern diejenigen, welche ſolches ohneD 3Ge -ſo will ich mit Anfuͤhrung eines Dutzent Exempel zeigen, wie ſo gar ſehr die deutſchen Dichter dieſer poetiſchen Kranck - heit, die man die fallende Sucht nennen kan, unterworf - fen ſeyn. Amthor laͤßt den Jupiter auf ſeinen Adler ſtei - gen, einen kraͤhenden Hahn mit ſeinem Donner zu uͤber - taͤuben. Komm nur! Verziehe nicht den Adler zu beſteigen, Und heiß als deutſcher Jupiter Doch einſt des eiteln Hahns Geplaͤrr Vor deines Donners Knall und Drohen ſchweigen. Jn der Zeile, die unmittelbar auf dieſe folget, traͤgt er ihm das wuͤrdige Geſchaͤfte auf:Schleuß ihn in ſeinen Keficht ein. Es iſt bey dieſem Poeten nichts ungewohntes, daß er die Woͤrter und Redensarten aus der Haushaltungsſprache in die Heroiſche und Virgiliſche verſetzet:Wenn Cynthia die Flucht nach Latmus Hoͤle nimmt, Und nicht der kleinſte Stern in ſeiner Ampel glimmt. * Nach erhaltnem Zweck ſchien auch das Buͤndniß aus: Drum war vor Daͤnemarck izt niemand mehr zu Haus. *Wahr iſts, die Glocke ſchien gefaͤhrlich gnug gegoſſen. *Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß, Worinn der Tyrier ſich haͤuslich niederließ. Dadurch wird oͤfters der Wohlſtand auf eine poſſierliche Art verletzet:Bis Dewitz auch dem Feind noch in die Flancken brach, Und mit der Daͤhnen Daus der Schweden Koͤnig ſtach. Die54Mauvillons BriefGeſchmack und ohne Urtheilskraft anbringen. Und wenn die deutſche Welt ſie deßwegen nichtbeſtraf -*Die Mannheit Gothenburgs war izo gnug verſchnitten. *Der kluge Steuermann muß ſelber unterliegen, Und uͤber Kopf und Hals dem Meer in Rachen fliegen. Dieſes iſt Amthors Schreibart. Jſt es eben diejenige, von welcher Hr. Gottſched in dem eilften Hauptſtuͤcke ſeines Verſuches einer Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen §. 14. ſagt, es ſey die rechte, welche ſich zu einem Heldengedichte ſchicke; Amthor habe damit die edle Einfalt Virgils voͤl - lig erreicht? Neukirchs Telemach redet durchgehends eben dieſe Sprache:Jndem ſie weint und ſeufzt, kommt auf den Waſſerwogen Hier eine Ruderbanck und dort ein Maſt geflogen. Wenn es wahr ſeyn ſoll, wie es Hr. Prof. Gottſched in dem eben angezogenen Hauptſt. §. 17. bezeuget, daß Neukirch Opitzen in der heroiſchen Schreibart weit uͤbertroffen habe, ſo muß man es von dieſer verſtehen. Hr. Pietſch iſt auch damit angeſteckt:Er ſuchte ſeinen Tod und der erboßte Haufen, Der blutbegierig war, muß kaltes Waſſer ſaufen. * Der Scharlach, der dich traͤgt, Hat unſre Treue dir mit Hertzen uͤberlegt. * Wo man das Nacht kan nennen, Wo Fackeln, Ampeln, Licht, u. tauſend Hertzen brennen. Man wird keine groſſe Muͤhe haben in den Meiſterſtuͤcken des Hr. Prof. Gottſcheds ſelber dergleichen Plattigkeiten mit Hof - mannswaldauiſcher Hoheit vermiſcht anzutreffen. Jn ei - ner Serenate deſſelben ſinget die Schamhaftigkeit:Keine55von den deutſchen Poeten. beſtraffet,(K)Der Mangel der critiſchen Freyheit und der Critick in einem Lande iſt ein gewiſſes und untruͤgliches Kennzei - chen, daß die Seribenten deſſelben ſich nach dem herrſchen - den Geſchmacke richten; und aus einer bloͤden Gefaͤllig - keit allen ihren Ruhm in dem Beyfalle des groſſen Haufens ſuchen, deſſen Geſchmack gantz verderbt iſt. So lange ein Krancker ſeine Kranckheit nicht erkennt, ſo iſt keine Hoff - nung zu ſeiner Geneſung: Wie ſollte aber der zur Erkennt - niß ſeines verderbten Zuſtandes koͤnnen gebracht werden, der alle Erinnerungen nicht nur in den Wind ſchlaͤgt, ſon - dern noch daruͤber zoͤrnet? Jch finde in dem XII. St. der Critiſchen Beytraͤge auf der 614ten Seite ein offenhertzi - ges Bekenntniß von der Nothwendigkeit einer geſunden Cri - tick: Es iſt mit allen Veraͤnderungen des Geſchmacks ſo gegangen, daß die critiſchen Kenner zuerſt den An - fang dazu gemacht haben. Man critiſiere alſo alle Ar - ten der Gedichte ſo ſcharf, als man kan. Wenn es nur nach guten Regeln geſchieht; ſo wird man immer vielen die ſo ruͤhrt dieſes daher, daß die Leſer eben ſo wenig Scharfſinnigkeit haben, als die Poeten, und, giebt man ihnen nur ein Blat voll Reimen mit abentheurlichen und platten Aus - druͤcken zuſammengekuppelt, daß ſie daruͤber lachen muͤſſen, ſich im geringſten nichts um das bekuͤmmern, was wir geſchickte Formeln und Redensarten, auserleſene Ausdruͤcke, feine Wahl, u. ſ. w. heiſſen Jch will mithin nicht leugnen, daß man in euren Poeten nicht hierD 4undKeine Laſter, keine Flecken, Sollen mir das Liljenkleid Unberuͤhrter Reinigkeit Durch der Liebe Schmutz bedecken, Der auch Schnee zu Dinte macht. 56Mauvillons Briefund da etliche treffliche Stellen antreffe, doch ſind ſolche ſehr duͤnne geſaͤet. Eine Strophe in Guͤn - thers Ode auf Gott hat mir ſo wohl gefallen, daß mich die Luſt angekommen, ſie in franzoͤſiſche Verſe zu uͤberſetzen. Vielleicht iſt es euch nicht zuwider, daß ich euch dieſe Ueberſetzung zeige. Hier iſt ſie, und damit ihr deſto leichter urthei - len koͤnnet, ob ſie der Urkunde gemaͤß ſey, ſo will ich mit eurer Erlaubniß ſelbige beyfuͤgen.

Was willſt du mit dem Schatten zancken?
Beweiß an ſtaͤrckern deine Macht;
Wer wird dir in der Hoͤlle dancken?
Ach! Haſt du dieß noch nicht bedacht?
(L)Hr. von Mauvillon hat die geprieſene guͤntheriſche Strophe durch ſeine Ueberſetzung viel ertraͤglicher gemacht, und ihr manche Schoͤnheit mitgetheilet, die ſie in dem Ori -ginale
(L)
Du kommſt nut Donner, Blitz und Sturm;
Wer iſt der groſſe Feind? Ein Wurm.
Ueber -

die Augen oͤffnen, und einer gantzen Nation dienen. Oh - ne Zweifel hat die Critick der franzoͤſiſchen Academie uͤber den Cid des Corneille den Geſchmack der gantzen Na - tion mehr gebeſſert, als hundert ſchlechte Stuͤcke vor der Zeit ihn verwoͤhnt hatten. Geſchieht es gleich nicht in einem Jahre, ſo iſt es gar kein Wunder. Eine Kranck - heit, die langſam entſtanden iſt, muß auch langſam geheilet werden. Wie es um die Critick in Deutſch - land ſtehe, das kan man aus der Geſchichte der deutſchen Critick in dem I. Stuͤcke dieſer Sammlung erſehen, und daraus abnehmen, wie viel Grund die ſtoltze Ausſage habe: Wenigſtens bezeigen doch die haͤufigen Criticken, wel - che in Deutſchſand ſo ofte zum Vorſchein kommen, daß die Wahrheit aus unſren Grentzen ſo gantz und gar noch nicht verwieſen iſt. XV. St. der Crit. Beyt. Bl. 423.

57von den deutſchen Poeten.

Ueberſetzung.

Grand Dieu, ta juſtice eternelle
Veut-elle ſe mettre en courroux
Contre moi, figure mortelle,
Ombre trop vile pour tes coups?
Arme plutôt ta main fatale
Contre ta puiſſance infernale,
Qui brave la foudre & l’eclair!
Mais à quoi bon ce bruit de guerre,
Ces dards, ces carreaux, ce tonnerre,
Quand ton Ennemi n’eſt qu’un Ver?

Vielleicht hat kein Franzoſe noch den Einfall ge - habt, deutſche Verſe in franzoͤſiſche zu uͤberſetzen. Nun bin ich zwar nicht ſo ſtoltz, daß ich mich vor einen Poeten halte, doch iſt mir lieb, euch da - mit zu zeigen, daß ich kein Vorurtheil wider eure Poeten hege, ſondern als gut erkenne und anpreiſe, was mir ſo vorkoͤmmt, wie ich es hin - gegen offenhertzig ſage, wenn mir etwas ſchlecht zu ſeyn duͤncket.

Jch erinnere mich bey dieſer Gelegenheit, daß der Verfaſſer der juͤdiſchen Briefe etwas ange - mercket hat, das ein ziemlich billiges Vorurtheil wider den deutſchen Parnaß erwecken muß. Er ſagt, daß eure Poeten kein groſſes Anſehn ver -D 5die -ginale nicht hat. Der Gedancke iſt kuͤhn und edel; aber er iſt nicht eben ſo neu; ſondern dem Heil. Dichter David abentlehnet, deſſen Gedichte eine Quelle des Erhabenen ſind. Mithin, wenn ich die Wahrheit geſtehen ſoll, ſo deucht mich die guͤntheriſche Ausbildung dieſes Gedanckes zu frech; Jnſonderheit kan ich die Zeile,Ach! Haſt du dieß noch nicht bedacht? die um etwas unverſchaͤmt iſt, nicht vertragen.58Mauvillons Briefdienen, ſcheine ihm vornehmlich daher glaub - wuͤrdig,(M)Dieſe Anmerckung des Verfaſſers der juͤdiſchen Briefe dienet in der That den Stoltz einiger deutſchen Kunſt - richter zu demuͤthigen, und ihnen wegen ihrer ruhmraͤthi - gen Großſprechereyen den Mund zu ſtopfen; da ſie ſich nicht ſcheuen, die beruͤhmteſten Nahmen der alten und neuen Verfaſſer fremder Nationen durch ungeſchickte Vergleichun - gen zu verkleinern, um durch dieſe Verkleinerung ihre poe - tiſchen Helden zu erheben. Es wird auch den deutſchen Kunſtrichtern ſchwer fallen, dieſe Gleichguͤltigkeit fremder Nationen fuͤr die deutſchen Schriften ſo zu erklaͤren, daß es dem wahren Werth derſelben nichts benimmt; da die Deutſchen im Gegentheil bey ihrem Stoltze ſo erpicht ſind, den fremden Scribenten ihre Gedancken gleichſam aus dem Munde zu nehmen, und in ihre Sprache einzukleiden. weil nicht einer von ihnen weder ins Franzoͤſiſche, noch ins Jtalieniſche, noch ins Engliſche, noch ins Spaniſche, noch in ſonſt eine Sprache uͤberſezt ſey; da hingegen Milton, Boileau, Pope, Racine, Taſſo, Moliere, und ſchier alle angeſehene Poeten in die meiſten Europeiſchen Sprachen uͤberſetzet worden. Ja, man hat eure Geſchichtſchreiber und Rechtsge - lahrten, die deſſen werth waren, uͤberſetzet, wiewohl dieſes eben nicht beweiſet, daß alle die, ſo uͤberſetzet worden, gleich trefflich ſeyn, weil in Wahrheit nur allzu viele Federn ſind, die ſchlimme Wercke ums Lohn uͤberſetzen. Was aber eure Poeten anlangt, ſo iſt es keine ſo leichte Arbeit, ſie zu uͤberſetzen, weil ſie ſelber ſich ſchier alleine mit Ueberſetzen behelffen. Sie ſind meiſtens ſelbſt Ueberſetzer: Zeiget mir ei -nen59von den deutſchen Poeten. nen Schoͤpfer(N)Hr. Magiſter Schwabe hat in der Vorrede zu ſei - nen Beluſtigungen Bl. 6. eine triftige Apologie der deut - ſchen Poeten gegen dieſe Anklage miteinflieſſen laſſen. Sie lautet alſo: Was die ſo genannten Schoͤpfer unter den erfindſamen Franzoſen betrifft, ſo werden ihrer, wenn man die Benennung in ihrem eigentlichen Verſtande nimmt, wohl eben keine groͤſſere Anzahl ſeyn, als unter unſren Landesleuten. Jhr beruͤhmteſter Satirenſchreiber Boi - leau hat die Gedancken des Horatz und Juvenals ſo gut zu uͤberſetzen, und fuͤr ſeine eigene auszugeben gewußt, als es unſer geſchickte Satirenſchreiber Rachel gekonnt hat; ihr beſter Fabeldichter, la Fontaine, hat nicht mehr eige - nes, als unſer Herr von Hagedorn; und ihr groſſer Corneille hat noch weniger Antheil an ſeinem ſchoͤnen Trauerſpiele, Cid, als ſich unſer groſſe Befoͤrderer der deutſchen Schaubuͤhne von ſeinem ſterbenden Cato aus Beſcheidenheit zugeeignet. Was fuͤr eine Pralerey iſt es denn nicht, wenn man ſich mit ſeinem erfindungsreichen Geiſte in der Dichtkunſt ſo viel weiß? Man darf nur einmahl ein wenig unterſuchen, was fuͤr eigenthuͤmliche Fruͤchte die franzoͤſiſche Dichtkunſt getragen hat, und was fuͤr Arten von Gedichten als eingebohrne bey ihnen anzuſehen ſind. Sollte es nicht gewiſſermaſſen der Ab - ſchaum des Witzes ſeyn? Denn was iſt es wohl anders, das ſie in der Poeſie erſonnen haben, als Endreime, ein Rondeau, ein Virelay? Wahrhaftig dieſes ſind recht beneidenswuͤrdige Erfindungen des franzoͤſiſchen Witzes! Welcher vernuͤnftige Deutſche wollte ihnen die - ſe Vorzuͤge nicht gern alleine laſſen? Wer wollte ihnen nicht gern die Ehre goͤnnen, noch mehr dergleichen Schoͤn - heiten und Seltſamkeiten auszuſinnen? Jch mußuͤber die ſeltſame Art dieſer Vertheidigung unumganglich zwo beſondere Anmerckungen beyfuͤgen, um zu zeigen, wiegeſchickt auf eurem Parnaſſe; ich will ſagen, zeiget mir einen deutſchen Poeten,der60Mauvillons Briefder ein vortreffliches Werck, das ein Aufſehen in der Welt gemacht, aus ſeinem Eigenthumher -geſchickt dieſer Verfaſſer iſt, die Streitfrage zu verdrehen. Die erſte iſt, daß er der Benennung eines poetiſchen Schoͤ - pfers einen weitlaͤuftigern und unbeſtimmtern Verſtand an - dichtet, und dann auf den Grund des comiſchen Spruͤch - leins, Nil dictum eſt, quod non dictum ſit prius, die Moͤglichkeit eines ſolchen poetiſchen Schoͤpfers unter den Menſchen, und hiemit auch unter den Franzoſen, durch - aus laͤugnet. Die zweyte Anmerckung iſt, daß er die Fra - ge von vortrefflichen poetiſchen und andern geiſtreichen Schrif - ten auf die Erfindung von gewiſſen Arten der Gedichte ab - lencket, und durch dieſe Verdrehung der franzoͤſiſchen Na - tion zur Laſt legen will, daß ſie ihre geruͤhmte Erfindungs - kraft uͤbel genug anwende. Bisdahin hat jedermann die virgiliſche Aeneis, (eben wie die Satiren des Deſpreaux,) fuͤr ein eigenthuͤmliches Werck dieſes beruͤhmten Verfaſſers angeſehen, ob er gleich das homeriſche Gedichte ſich zum Muſter genommen, und manches ſchoͤnes Stuͤcke daraus in ſein Werck uͤbergetragen, und ſich gantz eigen zu ma - chen gewußt hat. Und man fodert nicht ein mehrers von der deutſchen Nation, als daß ſie eben dergleichen poetiſche Schoͤpfer, als Maro geweſen, unter ihren Landesleuten aufweiſe. Allein es ſind nicht alle Deutſche ſo ungerecht und ſolche Pocher, als Hr. Magiſter Schwabe iſt. Jn dem 11ten St. der Crit. Beytraͤge auf der 205ten Seite lieſt man: Die Deutſchen ſind zuweilen ſelbſt ſo beſcheiden g weſen, den Auslaͤndern die Ehre der Erfindung zu - zuſchreiben. Und in der Vorrede zu dem erſten St. der Crit. Beytraͤge wird folgendes Bekenntniß abgeleget: So weit es unſre Nation in Vertilgung der alten Bar - barey, und in Abſchaffung des vormahligen ſcythiſchen und gothiſchen Geſchmackes in allerley Dingen gebracht: So wenig kan ſich dieſelbe ruͤhmen, daß ſie es darinnen ihren ſuͤdlichen und weſtlichen Nachbarn, ich meineden61von den deutſchen Poeten. hervorgebracht habe. Jch fodere euch darauf heraus.

Man

den Jtalienern, Franzoſen, Hollaͤndern, und Engel - laͤndern, alldereit gleich gethan haͤtte. Und dieſes iſt gar kein Wunder. Es gehoͤrt mehr als ein Jahrhun - dert dazu, wenn ein gantzes Volck aus ſeiner natuͤrli - chen Rauhigkeit nnd Barbarey geriſſen werden ſoll. Franckreich iſt ſpaͤter, als die Jtaliener, zu demjeni - gen Grade der Vollkommenheit gelanget, den wir bisher dieſem Volck haben zugeſtehen muͤſſen. Wir Deutſchen haben uns hundert Jahre ſpaͤter beſon - nen, ſeit dem nemlich der unſterbliche Opitz ei - nen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret hat. Doch Opitz iſt noch nicht hundert Jahre todt, und es fehlt noch viel daran, daß wir uns andern benachbar - ten Voͤlckern an die Seite ſetzen koͤnnten. Die Anzahl ſchoͤner Schriften in unſrer Mutterſprache iſt noch ſehr klein. Die Meiſterſtuͤcke unſrer Poeten erſtrecken ſich nur erſt bis auf die kleinern Gattungen der Gedichte, ja auch darinn ſind die regelmaͤſſigen und untadelichen noch nicht ſehr haͤufig zu haben. Die Beredſamkeit hat gleichfalls kaum die Kinderſchuhe vertreten, muß auch noch etwa ein halbes Jahrhundert Zeit haben, ehe ſie zu einem maͤnnlichen Alter gelangen wird. Seichte Geiſter ſehen alle unſre Scherben vor Edelge - ſteine an; Wer aber die wahren Vollkommenheiten der Auslaͤnder nach den Regeln der Vernunft und Kunſt kennen gelernet, der kan ſich nicht enthalten, unſren Eigenduͤnckel mit Erbarmen, und die daher entſtehen - de Nachlaͤſſigkeit mit einigem Unwillen anzuſehen. Und in eben dieſem erſten St. auf der 137ſten Seite ſtehet folgendes Zeugniß: So ſchmeichelhaft es unſrer Ei - genliebe klinget, wenn wir es unſrem Vaterlande in dem iztlaufenden Jahrhundert zum Lobe nachſagen, daß darinnen alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften auf den hoͤch - ſten

62Mauvillons Brief

Man wird vielleicht glauben, weil eure Poe - ten ſind gantz und gar auf das Ueberſetzen gele -get ſten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden: So wenig kan man dieſes glauben, wenn man dieſelben ſtuͤck - weiſe durchgehet, und die vermeinten Meiſterſtuͤcke, die daſſelbe hervorgebracht, mit critiſchen Augen betrach - tet. Wer ſollte es z. Ex. nicht dencken, daß wir in der Poeſie, nach einer ſolchen Menge von Poeten, als Deutſchland aufweiſen kan, einen groſſen Vorrath ſchoͤ - ner Muſter haͤtten, die wir in allen Gattungen der Gedichte zeigen koͤnnten? Gleichwohl fehlt es uns in den allerwichtigſten Theilen derſelben, ich will nicht ſa - gen an vollkommenen, ſondern nur an ertraͤglichen Proben. Jn Heldengedichten haben wir noch nichts, als den Wittekind; wieviel aber von demſelben zu hal - ten ſey, wollen wir mit eheſtem in einem eigenen Ar - tickel anzeigen. Jn Tragoͤdien haben wir noch nichts in oͤffentlichem Drucke, als Lohenſteins und des aͤltern Gryphii Stuͤcke: die wir auch bey Gelegenheit nach den Regeln unterſuchen wollen. Jn Comoͤdien haben wir auſſer ein Par Stuͤcken von gedachtem Gryphius, nichts als Riemers und Weiſens Comoͤdien, ſo in eini - gen Ruhm gekommen ſind. Gleichwohl ſind auch dieſe ſo ſchlecht nach den theatraliſchen Regeln eingerichtet, daß man ſich wundern muß, wie ſie ſich ſo lange in der ein - mahl erlangten Hochachtung erhalten koͤnnen. Alle dieſe Stuͤcke aber ſind in dem vorigen Jahrhundert ver - fertiget worden, und da wir in den 30. Jahren des itzigen, anſtatt dieſer unvollkommenen Verſuche was beſ - ſers ſollten geliefert haben; ſo haben wir nichts als etliche Schocke Opern aufzuweiſen; eine poetiſche Mißgeburt ꝛc. Will aber jemand ein neueres Zeugniß, ſo kan ich aus dem XXII. St. der Beytraͤge eins anfuͤhren: Es heißt daſelbſt auf der 466ſten Seite: Jch weiß es nicht zu ſagen, wie mir meine Landsleute, die Deutſchen, in An -63von den deutſchen Poeten. get haben, daß ſie in dieſem Stuͤcke Wundergethan Anſehung ihres Geſchmacks vorkommen. Sie bezeigen eine Neigung zu allen Arten des Sinnreichen, eben ſo wohl als ihre Vorgaͤnger die Alten, und ihre Nachbarn, die uͤbrigen Europeer: Aber hierinnen finde ich einen groſſen Unterſchied, daß jene allemahl ſelbſt gearbeitet, und ſich dabey keine Regeln vorgeſchrieben, als ſolche, die theils die geſunde Vernunft, und die Bequemlich - keit in der Ausarbeitung, theils der Wohlſtand in der Ausuͤbung, erfoderten. Dieſe aber ſcheinen ſich faſt vor eigenen Arbeiten zu fuͤrchten, und laſſen ſich an ſclaviſchen Nachahmungen und Ueberſetzungen begnuͤ - gen; legen ſich aber dabey ſo ſchwere und faſt nicht zu uͤberſteigende Regeln auf, daß ſie mit Widerwillen ar - beiten, ſchwer und unverſtaͤndlich werden, endlich auch der Natur Gewalt thun. Jch laſſe nun meine Leſer ſelbſt urtheilen, ob Hr. Mauvillon nicht beſcheidener von unſren deutſchen Poeten und ihren Unvollkommenheiten ge - redet habe, als dieſe deut chen Kunſtrichter ſelbſt. Ehe ich aber dieſe Anmerckung beſchlieſſe, muß ich noch etwas mit zweyen Worten uͤber die aus Hrn. M. Schwaben Vor - rede zu ſeinen Beluſtigungen oben angefuͤhrte Vergleichung Rachels mit Boileau, Hagedorns mit la Fontaine, und Gottſcheds mit Corneille anmercken. Was den Hrn. von Hagedorn anlanget, ſo wird er hier mit la Fontaine in ei - ne Linie geſezt; in dem XXII. St. der Beytr. Bl. 299. u. f. aber weit unter den Stoppe, der ein eben ſo ſchlechter Fa - beldichter als Triller iſt, hinuntergeſetzet: Beydemahl mit Unrecht, wie er ſelbſt erkennt. Und wer des Hrn. von Hagedorn und Stoppens Fabeln mit Verſtande und cri - tiſcher Einſicht geleſen hat, wird das verkehrte und haͤmi - ſche Urtheil, welches in dem angezogenen Orte der Bey - traͤge Bl. 300. 304. u. 306. gefaͤllet wird, nicht ohne Ver - druß leſen. Jm uͤbrigen ſchaͤme ich mich fuͤr die deutſche Nation, daß ſie an Schwaben einen ſo ungeſchickten Ver -fechter64Mauvillons Briefgethan haͤtten. Jm geringſten nicht. (O)Jch muß doch zur Befeſtigung dieſer Anklage ein Paar Exempel von dergleichen deutſchen Ueberſetzungen beybringen. Hr. Gottſched uͤberſezt das bekannte HoratziſcheNil tanti eſt, ergo fungar vice Cotis; acutum Reddere quæ ferrum valet, exſors ipſa ſecandi,folgendermaſſen:Doch Grillen! weg damit! Jch trachte, den Poeten Hinfort ein Sporn zu ſeyn, ein Wetzſtein ihrer Floͤten. Wenn er Horatzen mit Fleiſſe haͤtte verkleiden und laͤcherlich machen wollen, ſo haͤtte er es kaum beſſer treffen koͤnnen. Das exſors ipſa ſecandi, welches doch der Grund von dieſer horatziſchen Vergleichung iſt, iſt gaͤntzlich aus derAchtSie haben die beſten Franzoͤſiſchen, Engliſchen und Jtaliaͤniſchen Originale verderbt. Unſre dra - matiſche Gedichte beweiſen dieſes nur allzu merck - lich; man kennet ſie in eurer Sprache nicht mehr. Es ſind ungefehr dieſelben Begriffe, aber un - gemein matt ausgedruͤcket.

Allein

fechter hat, der Gottſcheden, weil er aus de Champs und Addiſſons Tragoͤdien ſeinen deutſchen Cato zuſammen - geleimt, und beyde verderbt hat, zu einem Corneille ma - chen will: Eben ſo laͤcherlich, als wenn ein Schuͤlerknabe, der einmahl ad imitationem Ciceronis componiert hat, ſich ſchmeicheln wollte, daß ihm Cicero in der Zierlichkeit der lateiniſchen Schreibart weichen muͤßte. Der ungenannte Verſaſſer des poetiſchen Schreibens uͤber die Lettres Ger - maniques in dem XXIII. St. der Beytr. muß Bl. 520. u. 521. wenn er auf die deutſchen Schoͤpfer koͤmmt, ſeine Zu - flucht zu einem Schweitzer., dem philoſophiſchen Hrn. Hal - ler, nehmen, ſonſt weiß er keinen anzufuͤhren, wiewohl er Gottſched gern an Hallers ſtatt angefuͤhrt haͤtte, wenn er ſolches von ſeinem Gewiſſen haͤtte erhalten koͤnnen.

65von den deutſchen Poeten.

Allein ihr wuͤrdet mich einer Uebereilung be - zuͤchtigen, wenn ich nicht ein Exempel davon anfuͤhrete. Derowegen muß ich euch zeigen, daß ich ohne Hitze ſchreibe, und euch meinen Satz beweiſen. Jch will euch aber nur ein ein - ziges Muſter vor Augen legen, denn ich habe keine Luſt mich hieruͤber weitlaͤuftig einzulaſſen,Ewel -Acht gelaſſen worden. Und der Wetzſtein der Floͤten koͤnn - te nicht poſſierlicher ſeyn. Jch muß auch der ſchoͤnen Stelle des Boileau erwaͤhnen:Ma bile alors s’échauffe, & je brule d’écrire: Et s’il ne m’eſt permis de le dire au papier; J’irai croiſer la terre, & comme ce Barbier, Faire dire aux roſeaux par un nouvel organe, Midas, le Roi Midas a des oreilles d’Ane. Wie viel verliehret dieſes nicht an Schoͤnheit und Farbe in der Satyre, welche in der gottſchediſchen Dichtkunſt die erſte iſt? Bl. 556. Ja ſollt es einſt geſchehn, daß unſre Dichterſchaar So lang an Ohren waͤr, als vormahls Midas war: So wuͤrde man, wie dort, aus den beſchilften Roͤhren Den Ruf: Dies tolle Volck hat Eſelsohren! hoͤren. Die Gottſchediſche Ueberſetzung in der deutſchen Jphigenie machet, daß ein Held, welcher in der Geſchichte nicht als ein Zwitter bekannt geworden, ein Toͤchterlein empfaͤngt:Theſée avec Helene uni ſecrettement Fit ſucceder l’hymen à ſon enlevement, Une Fille en ſortit. &c. Als vormahls Theſeus einſt mit Helenen entgieng, Und aus geheimer Lieb ein Toͤchterlein empfieng. Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß nicht Theſeus, ſon - dern Helena aus geheimer Liebe ein Toͤchterlein empfangenhabe.[Crit. Sam̃l. V. St.]66Mauvillons Briefwelches nur euch und auch mir beſchwerlich ſeyn wuͤrde. Jch will den angeſehnſten von allen eu - ren Ueberſetzern ausleſen. Unter dieſen Herren gehoͤrt Neukirchen ohne Zweifel der erſte Rang;(P)Jn dem XIX. St. der Critiſchen Beytraͤge, auf der 519ten Seite heißt es: Der ſel. Hr. Neukirch hat auf dem deutſchen Parnaß ſchon vorlaͤngſt einen ſolchen Rang erhalten, daß man alles, was aus ſeiner Feder gefloͤſſen iſt, nicht ohne Beyfall und Ergetzung zu leſen pfleget. Und im XIII. St. Bl. 125. Daß Neukirch einer von unſren ſtaͤrckſten Poeten geweſen, das iſt einem jeden Liebhaber deutſcher Gedichte bekannt. Denn ſeitdem er in Berlin, nach dem Exempel des groſſen Canitz, die Natur zur Fuͤhrerinn genommen, hat er al - len alten Kuͤnſten gute Nacht gegeben, und die Exem - pel der beſten franzoͤſiſchen Poeten ſo gluͤcklich nachgeah - met, daß er ſie in vielen Stuͤcken uͤbertroffen. Zwar findet ſich in dem XXIV. St. Art. II. Bl. 605. ein Urtheil, das dem eben angefuͤhrten gaͤntzlich widerſpricht; [wel -ches ſeine Ueberſetzung des Telemachs hat ihm ei - nen groſſen Nahmen gemachet. Dieſer Poetwarhabe. Ueberhaupt iſt die deutſche Jphigenia ſo beſchaffen, daß ſie zu einem Beweiſe dienet, wie Hr. Prof. Gottſched die Franzoſen ſo treulich uͤberſetzet, als die Franzoſen, nach ſeinem Sagen, die Griechen und Lateiner uͤberſetzen. Jch werde darum auch naͤchſtens die Muͤhe nehmen, und die Jphigenia des Racine und die gottſchediſche Ueberſetzung gegen einander halten, und in deutlichen Proben zeigen, wie oft der Franzoſe in ſeinem Ueberſetzer gefunden oder vermißt wird; denn dieſe Arbeit iſt fuͤr eine Anmerckung zu weitlaͤuftig. Nur kan ich es hier nicht ungeantet laſſen, daß dieſe deutſchen Puriſten erſt neulich dem beruͤhmten Bayle ein Woͤrterbuch zugeleget haben.67von den deutſchen Poeten. war bey einem jungen Printzen Hofmeiſter ge - weſen, dem zu gefallen er dieſe Arbeit uͤber ſich genommen, und mit hiſtoriſchen und morali - ſchen Anmerckungen bereichert hat. Er mochte ſie nicht vollends zum Stande bringen,(Q)Hier irret Hr. Mauvillon, und mag ihn wohl zum Theil die Nachricht, welche in dem XIII. St. der Crit. Bey - traͤge Bl. 123. vorkoͤmmt, betrogen uud verfuͤhret haben. Es wird aber dieſelbe in dem XXIV. St. Art. II. Bl. 601. widerruffen. er war noch nicht weit uͤber die Helfte, als er im Kopf verruͤcket ward. So unvollendet ſie iſt, wird ſie doch von den Deutſchen ungemein ge - prieſen, und vor ein Meiſterſtuͤcke angeſehen. Jch will eurer Nation ihr Urtheil nicht wieder - ſprechen; ſondern glauben, daß Neukirch die - ſes Lob verdiene, allermaſſen man hier nicht ge - wohnt iſt, beſſere Ueberſetzungen zu ſehen, als die ſeine iſt. Aber ich kan mich nicht enthalten zu ſagen, daß des Herrn von Fenelon Werck in dieſer Ueberſetzung viel verlohren(R)Jch kan die Leſer desfalls neben dem wenigen, ſoHr., undE 2Hr.ches in dieſen Beytraͤgen eben nicht gar ungewohnt iſt,]; denn ob er gleich ein groſſer Dichter Deutſchlands genennet wird, der aller Hochachtung werth ſey, ſo heißt es doch von ſeinem deutſchen Telemach: Allein es ſind darinn ſo viel matte Ausdruͤcke, langgedehnte Perioden, und ſolche Unrichtigkeiten im Sylbenmaaſſe, daß wir mit Recht wuͤnſchen koͤnnen, daß Neukirch die Arbeit 20. Jahre eher angefangen haben moͤchte. Doch wird er von Hrn. Prof. Gottſcheden in eben dieſem XXIV. St. auf der 659ſten Seite unter die groſſen Dichter Deutſch - landes gezehlt.68Mauvillons BriefHr. Neukirch ihm oͤfters ſolche Linien geliehen hat, welche wahrhaftig ſeinen Werth nicht er - heben. Jch finde eine ſolche Stelle im erſten B. wo Calypſo den Sohn Ulyſſes inſtaͤndig er - ſucht, daß er ihr ſeine Begebenheiten erzehlete. Der junge Fuͤrſt will ihr ungeduldiges Verlan - gen ſtillen, und faͤngt die Erzehlung ſeiner Ge - ſchichte mit dieſen Worten an. ꝛc. Dieſes alles wird von dem Herrn von Fenelon ſo geſchickt vorgeſtellet, daß man ſich einbildet, man hoͤre Telemachen ſelber reden. Jm Neukirch ſehen wir nichts dergleichen. Man daͤchte er haͤtte dieſe Stelle verdrehen wollen, damit ſie poſſier - lich herauskaͤme. Seine Worte lauten auf franzoͤſiſch: Mes malheurs, repon - dit Telemaque à la Deeſſe, ſont trop longs & trop pleins de lamentations, pour meri - ter votre curioſité. Non non, reprit-elle, avec flatterie, je meurs d’envie de les enten - dre. Elie le preſſa encore longtems avant que de pouvoir le faire parler, tant il avoit le cœur ſerré: Mais enfin il ſe laiſſa perſua - der; ET A CE QU’ON DIT ET QU’ON CROIT, IL PARLA DE LA SORTE.

Und

Hr. Mauvillon anfuͤhret, auf die genauere critiſche Unter - ſuchung verweiſen, die in der neuen Critiſchen Dichtkunſt Hrn. Prof. Breitingers im 2ten Theile, in dem Abſchnitt von der Ueberſetzung Bl. 182. u. f. zu finden iſt. Und wer ein Muſter von dem Neukirchiſchen gereinigten Feuer und Geſchmack gepruͤft ſehen will, der ziehe gedachten Verfaſ - ſers Werck von den Gleichniſſen, und daſelbſt den lezten Abſchnitt zu Rathe.

69von den deutſchen Poeten.
Und wie man ſagt und glaubt hat er alſo geſprochen.

Ha, wie zierlich iſt dieſes! Es hat etwas ſo poſ - ſierliches in ſich, das mich aus mich ſelber ſetzt. Es gehoͤrt ein gluͤckliches Naturell dazu, wenn man das Poſſierliche mit dem Erhabenen geſchickt vermiſchen ſoll; und eben in dieſem Stuͤcke ſind die deutſchen Poeten vortrefflich. Wenn ich die - ſe Worte Neukirchs leſe, ſo duͤnckt es mich, ich leſe ein Maͤhrgen im La Fontaine, in welchem nicht viel uͤbrige Wahrſcheinlichkeit iſt; und wo dieſer ſcharfſinnige Verfaſſer mir ſagt, daß er vor die Geſchichte nicht gut ſtehen wolle, wel - ches er in ſeiner marotiſchen Schreibart ſo vor - traͤgt, er gebe ſie, wie er ſie eingenommen habe. Das Mißtrauen, welches La Fontaine dadurch bey dem Leſer erwecket, beluſtiget ihn eben ſo ſehr, als die Geſchichte ſelbſt. Aber was in einem Maͤhrgen artig iſt, das iſt in ei - nem heroiſchen und ernſtlichen Gedichte, wie Neukirchs ſeines iſt, etwas recht ſcheußliches.

Jch wuͤrde niemahls fertig werden, werthe - ſter Freund, wenn ich alle die platten Stellen ausſetzen ſollte, die ich in euren beruͤhmteſten Poeten geleſen habe. Jch weis deren noch eine Menge im Neukirchen, im Opitzen(S)Jch muß dieſe Anmerckung wiedmen, den Vater der deutſchen Poeſie, den groſſen Opitz, und ſeinen getreuen Schuͤler den Canitz, aus dem Haufen der matten Poeten Deutſchlandes zu ſondern, und zum Theil gegen den Hr. Mauvillon zu vertheidigen. Opitz hat das Zeugniß desgroſ -, im Gottſcheden, im Kahnitzen; Brocks ſelbſt iſtE 3davon70Mauvillons Briefdavon nicht gereiniget, ungeachtet er vielleicht de - ren am wenigſten hat, indem er ſich den Geſchmack an die frantzoͤſiſchen und engliſchen Poeten ge - woͤhnt hat: Und ich kan ihm die Stelle nichtver -groſſen Leibnitzen verdienet; dieſer ſagt von ihm in den Ge - dancken von der Verbeſſerung der deutſchen Sprache: Der treffliche Opitz, ſo bey uns, wie Virgil bey den Roͤmern, der erſte und lezte ſeines Schrots und Korns geweſen. Dieſer vortreffliche Opitz iſt bald 80. Jahre in Deutſchland faſt unbekannt geblieben, bis die Zuͤrchi - ſchen Kunſtverſtaͤndigen den Werth deſſelben angeprieſen; welches ſo viel gefruchtet hat, daß die Deutſchen allmaͤhlig angefangen, ſeinen Vorzug vor einer groſſen Menge ſchlech - ter Poeten von ſchlimmem Geſchmacke zu erkennen; wie dann Hr. Prof. Gottſched in der Vorrede zu den Crit. Beytraͤgen folgendes Zeugniß von ihm abgeleget: Der unſterbliche Opitz hat in allem, was unſre Sprache, und die edelſten unter allen freyen Kuͤnſten angehet, einen gantz andern Geſchmack eingefuͤhret. Er ſahe damahls die Muſter der Franzoſen und Niederlaͤnder ſchon in groſſer Vollkommenheit vor Augen, und da er mit den alten Griechen und Roͤmern durch ihre Schrif - ten ſo viel Bekanntſchaft hatte, ſo ſchmerzte es ihn, die Schriften ſeiner Nation noch in ſo unfoͤrmlicher Geſtalt, und ſeine Mutterſprache in ſolcher Rauhigkeit zu ſehen. Er gieng daher einen zu ſeiner Zeit in Deutſchland gantz neuen Weg, und brach allen ſeinen Nachfolgern ſo gluͤcklich die Bahn, daß wir die groſſe Veraͤnderung, ſo dadurch entſtanden, nicht genugſam bewundern koͤn - nen. Doch Opitz iſt noch nicht 100. Jahre todt, und wir ſind mit der Ausfuͤhrung eines ſo groſſen Werckes, als die Verbeſſerung des Geſchmacks der Deutſchen iſt, kaum bis auf die Helfte gekommen. Ohne Zweifel verſiehet er durch den ungewiſſen Ausdruck kaum bis auf die Helfte, einen ziemlichen Grad weniger, als die Helfte:Deutſch -71von den deutſchen Poeten. verzeihen, wo er den milden Ueberfluß eines ge - wiſſen Jahres damit in ein hohes Licht ſetzen wol - len, daß er angezeiget hat, man habe das paar Lerchen um zween Dreyer bekommen koͤnnen.

E 4Aber

Deutſchland hat noch keinen Poeten, der Opitzen in allen Stuͤcken gleichkomme, und wenige, die ihn auch in den ſchlechteſten uͤbertreffen. Canitz, Haller, und Brockes, und der leztere zwar nur in einigen Stuͤcken, haben ſich ſei - ner Hoͤhe genaͤhert. Was zwar den aͤuſſerlichen Aufputz des Verſes, und die Richtigkeit des Sylbenmaaſſes an - langt, geſtehe ich gerne, daß die Neuern mehr Kuͤnſtlich - keit zeigen, und will dieſes nicht in die Rechnung bringen. Jch mag insbeſondere einraͤumen, daß ſeine Sprache und ſein Sylbenmaaß in den Ueberſetzungen mehr Reinigkeit und Putz haben koͤnnten, wiewohl er eben darinnen man - che Eigenſchaft, manche Metapher, in die deutſche Spra - che heruͤbergebracht hat, deren Gruͤndlichkeit, Kraft und Nachdruck noch von den wenigſten deutſchen Poeten und Kunſtrichtern erkannt worden. Jch rede hier nur von dem, was das Weſen der Dichtung eigentlich ausmachet. Darinn beſteht Opitzens Staͤrcke; die geſchickt angebrachten Bil - der, die Neuigkeit in denſelben, die Zierlichkeit in den Ge - dancken, ſein poetiſches Naturell, das ſich in die Ausbil - dung der ſchlechteſten Materien ergieſſet, die Verbindung ſeiner poetiſchen Vorſtellungen zu einem Ende, das er ſtets im Geſichte behaͤlt, die genaue Uebereinſtimmung der Af - fecte, die er erwecket, mit dem Vorhaben und den Sachen; das ſind die Dinge, die ihn uͤber alle andern Poeten erheben. Und dieſe finden wir in ſeinem Veſuvius, dem Lobgedichte auf den Koͤnig in Polen, Zlatna, und andern Gedichten, wo er nach ſeinem eigenen freyen Geiſte geſchrieben hat. Was Hrn. Mauvillon vermocht hat, ihn wegen eingemiſch - ter poſſierlicher Einfaͤlle oder Ausdruͤcke unter ernſtliche mit Gottſched und Neukirchen in eine Linie zu ſtellen, ſind ver - muthlich einige Stellen im Lob des Kriegesgottes Mars, woman

72Mauvillons Brief

Aber wie koͤmmts daß eure Nation nicht ein eintziges theatraliſches Stuͤcke,(T)Jch bekraͤftige dieſes mit einem Zeugniſſe aus dem X. St. der Crit. Beytr. Bl. 274. Es iſt Hrn. Gott - ſched nichts weniger in Sinn gekommen, als die heuti - ge deutſche Schaubuͤhne mit allen ihren Staatsactio - nen und Poſſenſpielen zu vertheidigen. Die gute Tra - goͤdie und Comoͤdie iſt noch zur Zeit in Deutſchland nicht recht zu Hauſe. Was fuͤr elendes Zeug wird nicht von den gemeinen Comoͤdianten uͤberall aufgefuͤhret? Und wer kan es leugnen, daß oft noch weniger Verſtand und Ordnung, Geſchmack und gute Sitten darinnen herrſchen, als in den heutigen Opern? Dieſe Art Schauſpiele iſt noch ſo gemein in Deutſchland nicht, daß man ſie NB. unſre deutſche Schaubuͤhne nen - nen koͤnnte. Sie iſt noch gleichſam als ein Gaſt auf fremdem Boden anzuſehen; ſo lange wir uns mit lau - ter Ueberſetzungen fremder Stuͤcke behelffen muͤſſen. Denn der deutſchen Originale giebt es leider! noch ſo wenige, daß man kaum eine Woche lang gute deutſche Stuͤcke wuͤrde ſpielen koͤnnen. das nur einigen Werth habe, aus ihrem Eigenthum an den Tag bringen kan? Wo wollte ſie es herneh - men? Eure Poeten legen ſich ſchier allein auf kleine Gedichte, und oͤfters auf elendes Zeug. (V)Jn dem XIX. St. der Crit. Beytraͤge Bl. 443. Was diejenigen betrifft, die ſich auf. die Dichtkunſt le - genDie Gedichte, die Brockes geſchrieben,gehoͤ -man ſich aber erinnern muß, daß dieſes nur ein ironiſches Lob iſt; das Geſpoͤtte herrſchet darinnen, doch ſo, daß es zu keiner baͤuriſchen Grobheit hinunterfaͤllt. Der Poet ſagt darum ſelbſt in der Zuſchrift: Abſit à nobis illicita verbo - rum Laſcivia. Ariſtophani, Plauto, Juvenali ſuam linguam relinquamus. Chriſtiano parcius delirandum eſt. 73von den deutſchen Poeten. gehoͤren zu der liriſchen Art; ſeine Vorgaͤnger haben kaum was anders gemachet, als Hoch - zeitgedichte, etliche falſchgenannte Oden, etliche Weihnachts - und andre Geſaͤnge; dazu kommen dann noch die Arien, und hoͤher haben es die deut - ſchen Muſen mit allem ihrem Beſtreben nicht brin - gen moͤgen; nemlich, was Originale anlangt. Jch weis kein Land, wo die Schwoͤſtern des Apol - lo ſich ſo unverſchaͤmt feil bieten, als in dieſem. Kein Schuſter haͤlt Hochzeit, der nicht ſein Hoch - zeitgedichte nett und zierlich gedruͤckt bekomme.

Jn Franckreich iſt der Druck die Klippe, woran die mittelmaͤſſigen Poeten gemeiniglich ſcheitern. Hier iſt es anderſt. Da man hier ohne Ge - ſchmack lieſt, ſo laͤuft niemand in Gefahr, der etwas in den Druck giebt. Darum iſt auch keine Nation, die eine ſo groſſe Anzahl Poeten und Redner aufweiſen koͤnne, wie dieſe.

Die Redner erinnern mich hier an die laͤcher - liche Gewohnheit, die allhier herrſchet, auf je - des Begraͤbniß eine Leichrede zu halten, auf das Abſterben eines Hufſchmieds ſowohl, als eines Generals. Geſtern gieng ich in eine Kir - che hinein, in der Hoffnung daß ich uͤber einen moraliſchen Lehrſatz wuͤrde predigen hoͤren. Aber ich fand mich uͤbel betrogen. Man hielt eineE 5Leich - gen; ſo iſt es freylich eine lange Zeit her in Deutſch - land dabey geblieben, daß man ſich bey den Reimarten, dem Sylbenmaſſe, dem Wohlklang, der Wortfuͤgung, und kurtz um die aͤuſſerliche Geſtalt der Verſe Muͤhe ge - geben. Sonſt kan man nachſehen in der Anm. (N).74Mauvillons BriefLeichrede auf ein Bauerweib, das vor zween Tagen geſtorben war. Der Redner lobete ih - re Treue gegen ihren Ehmann, ihre Haͤuslich - keit und ſ. w. Ach, ſagte er, wie geſchickt wußte ſie nicht die Kuͤhe zu melken! Jhre Haͤn - de, die doch von vielem Arbeiten gantz hart waren, verurſachten dieſen armen Thieren nicht den geringſten Schmertzen. Sie war auch ſo reinlich, daß man niemahls das kleinſte Staͤub - gen in der Milch gefunden, welche man bey ihr gekaufet hatte. Jhr muͤſſet mir doch geſte - hen, mein wertheſter Herr, daß die Poeſie und die Beredtſamkeit, ſo ſie zu dieſem Gebrauche angewendet werden, nothwendig vieles von ih - rer Wuͤrde verliehren muͤſſen; und daß den Poe - ten, ſowohl als den Rednern, nothwendig etwas von der Niedertraͤchtigkeit ihrer Materien an - kleben muß, da denn die groben und poͤbelhaf - ten Gedancken, welche ſie damit an ſich genom - men haben, ſich hernach auch in hoͤhern Mate - rien einſchleichen werden.

Warum finden denn die Deutſchen nicht ſo viel Geſchmack an den Wiſſenſchaften, als an der Kriegeskunſt? Glauben ſie, es ſey genug, daß eine Nation kriegeriſch ſey, wenn ſie von der andern geehret, und von der Nachwelt ge - lobet werden ſolle? Oder bilden ſie ſich ein, wie die alten Gothen, daß ein Volck, welches den Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ergeben iſt, kei - ne guten Soldaten haben koͤnne? Und daß alle diejenige, welche ſich in ihrer Kindheit vor der Ruthe gefuͤrchtet haben, in ihrem maͤnnli -chen75von den deutſchen Poeten. chen Alter den Muth niemahls haben werden, einen gezuͤckten Degen zu trotzen? Jch halte ſie vor vernuͤnftiger; denn ſie wiſſen wohl, daß keine Nation den Griechen und den Roͤmern an kriegeriſchem Muth und Kunſt gleich gekommen, und daß dennoch keine Nation die Wiſſenſchaf - ten mehr geliebet hat, als dieſe beyden. Was ſoll man indeſſen davon dencken, daß man hier ſo wenig Gelegenheit hat, ſich in den Kuͤnſten vollkommen zu machen, und daß man ſo nachlaͤſſig iſt die geſchickten Koͤpfe zu einem edeln Eifer an - zureitzen? Und was ſoll ich von der Verach - tung ſagen, welche gewiſſe vornehme Herren gegen die Gelehrten haben, von den verhaßten Nahmen, womit ſie dieſelben belegen, und dem Schimpfe, den ſie ihnen damit erweiſen, daß ſie dieſelben mit ihren Hofnarren in eine Linie ſetzen?

Jn Franckreich pflegt man gewiſſe Preiſe auf - zuſetzen, die Gelehrten zu einem ruͤhmlichen Wett - ſtreit aufzumuntern; und vielleicht muntert ſie nichts ſo ſehr auf, als die Hochachtung, in der ſie bey der gantzen Nation ſtehen, und die Ehr - beweiſungen, ſo ſie von den Groſſen insbeſon - dere empfangen.

Zeiget mir in Deutſchland eine einzige Stif - tung, wie diejenigen ſind, die wir in Franck - reich zum Aufnehmen der Wiſſenſchaften haben. Zeiget mir in dieſer groſſen Anzahl von fuͤrſtli - chen Landesherren im Roͤmiſch deutſchen Reiche drey oder vier, welche die Wiſſenſchaften oͤffent - lich in Schutz nehmen, und mit ihrer Freyge -big -76Mauvillons Briefbigkeit diejenigen aufmuntern, die ſich vor an - dern hervorthun. Jch bin es zufrieden, daß die Fuͤrſten den Krieg lieben; daß ſie ihre Trup - pen fleiſſig muſtern, daß ſie dieſelben ſorgfaͤltig kleiden, ſorgfaͤltig exercieren, ſorgfaͤltig un - terhalten, ich habe nichts dagegen: Aber man entweihe die Wiſſenſchaften nicht, man beſchim - pfe ſie nicht in ſo weit, daß man Hofnarren auf Profeſſorcathedern ſtelle. Die regierenden Fuͤr - ſten, und vornehmlich die, welche Helden heiſ - ſen wollen, muͤſſen niemahls vergeſſen, was Horatz ſagt: Vor Agamemnon haben dapfere Maͤnner gelebet, derer Nahmen doch mit ih - nen untergangen ſeyn, weil kein Scribent ſie der Nachwelt bekannt gemachet hat. Ein Fuͤrſt muß die Gelehrten werth halten, ſie ſchuͤtzen, und, wenn ich es ſagen darf, ehren, wo nicht aus Zuneigung, doch aus Politick; denn ſie muͤſſen ihn mit der kuͤnftigen Welt bekannt ma - chen, und ihnen iſt ihr Ruhm und ihr Nahme anvertraut.

Jch wuͤrde zuweit verfaͤllen, wenn ich allen denen Betrachtungen, ſo mir uͤber dieſe Ma - terie in den Sinn kommen, Platz geben wollte. Jch fuͤhle und empfinde noch viele Wahrheiten, die ich bey mir ſelbſt behalten muß, ein kuͤhne - rer Menſch, als ich bin, mag ſie zu Papier bringen.

Anfang77von der deutſchen Philoſophie.

Anfang des Briefes von dem Fort - gang der Philoſophie in Deutſchland.

JCh habe euer Schreiben dieſen Augen - blick empfangen, und ich beantworte es ohne einigen Anſtand, um ſo viel lieber, weil der Medicus mir wegen einer kleinen Un - paͤßlichkeit, die mich geſtern Abends angeſtoſ - ſen, das Leſen und ſtarcke Nachdencken verbo - ten hat.

Jch konnte wohl vorherſehen, daß ihr mit demjenigen, was ich von euren Poeten geſchrie - ben habe, nicht gar wohl zufrieden ſeyn wuͤrdet; indeſſen glaubte ich nicht, damit ich offenhertzig mit euch rede, daß ihr die Muͤhe nehmen wuͤr - det, ſie zu vertheidigen. Jhr meinet, ihr ha - bet mich rechtſchaffen widerleget, daß ihr in ei - ner Gegenbeſchuldigung die franzoͤſiſchen Poeten deſſen bezuͤchtiget,(W)Jch beziehe mich hier auf die obige gantze Anm. N. Und ich wundere mich, daß Schwabe, da er hier zum voraus ſeine voͤllige Abfertigung empfangen hat, doch noch ſo keck ſeyn, und eine ſo elende Ausflucht wie - der hervorſuchen duͤrfen. was ich von den Deut - ſchen geſagt habe, nemlich daß ſie bloſſe Ueber - ſetzer waͤren. Jhr ſaget, unſre Poeten ſeyn nichts anders, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie die Alten uͤberſetzet haben, anſtatt daß die Deutſchen nur die Neuern uͤberſetzen.

Wenn78Mauvillons Brief

Wenn ihr nicht ein guter Freund, ſondern ein Widerſacher waͤret, ſo wuͤrde ich euch mit aller Aufrichtigkeit ſagen, daß die deutſche Na - tion, wofern ſie keinen beſſern Verfechter hat, als euch, zum wenigſten was die Feder anlangt, in groſſer Gefahr ſteht, den Proceß zu verlieh - ren. Jſt es moͤglich, daß ihr nicht begriffen habet, daß den Geſchmack der Alten wieder zu eineuern, und ſie einigemahl nachzuahmen, gantz was anders iſt, als ſie zu uͤberſetzen? Wenn ihr den Telemach anfuͤhret, als eine Ueberſetzung der Odyſſee, und damit den Neukirch retten wollet, ſo muß ich mit eurer Verguͤnſtigung zweifeln, daß ihr jemahls den Homer geleſen habet. Dieſer griechiſche Poet hat dem Hr. von Fenelon nichts weiter geliehen, als den Stof zu ſeinem Wercke. Etliche Linien, die im Homer hier und da zerſtreut ſind, waren die Grundfeſte, worauf dieſer gelehrte Prelat ſeinen ſchoͤnen Roman gebauet hat, welchen man alle - zeit bewundern wird, es mag Voltairen noch ſo ſehr verdrieſſen. Die Proſa in demſelben gleicht ſchier der Pracht und Majeſtaͤt der Poeſie. Jch ſage es noch einmahl, Homer hat dem Ertz - biſchof von Cambrai nur die Nahmen und Cha - racter derjenigen geliehen, welche er in ſeinem Werck aufgefuͤhrt; denn er hat uͤbrigens in den meiſten Handlungen, die er von ihnen erzehlt, nichts mit dem griechiſchen Poeten gemein.

Aber wozu dienet es, daß ich mich hieruͤber aufhalte? Jſt dieſes jemanden verborgen? Und kan man es leugnen, wofern man nicht frey -willig79von der deutſchen Philoſophie. willig taub ſeyn will? Jch ſage euch ohne Um - weg, entweder widerleget mich beſſer, oder menget euch nicht ins Widerlegen; denn ich ſchaͤme mich wahrhaftig fuͤr euch, daß ihr ſo ſchlechte Gruͤnde vorbringet. Folget mir, und uͤberlaſſet euren Poeten die Sorge, ſich ſelber zu vertheidigen. Sind ihre Wercke gut, ſo wird alles, was ich von ihnen geſagt habe, und noch weiter ſagen koͤnnte, ihnen nicht den ge - ringſten Nachtheil bringen: Aber wenn ſie nichts taugen, ſo werde ich trutz allen denen recht be - halten, welche gerne das Gegentheil behaupten wollten. Niemahls wird die boshafte Neigung eines Kunſtrichters dem Ruhm eines geſchickten Werckes im Lichte ſtehen; die Welt wird es ſchon gegen die Ungerechtigkeit eines Zoilus zu raͤchen wiſſen. Aber wenn ein Werck elend iſt, ſo wird es kein Cicero mit aller ſeiner Wohlre - denheit gegen den mittelmaͤſſigſten heutigen Ari - ſtarch ſchuͤtzen. Aber wir wollen die Poeten gehen laſſen, und von euren Weltweiſen re - den. ꝛc. ꝛc.

Ab -80

Kurtze Abhandlung von den Dichtungen uͤberhaupt.

DJe Dichtung hat nicht allein Platz in der gebundenen Schreibart: auch die unge - bundene kan reich an Dichtungen ſeyn; und es giebt eine Poeſie in der proſaiſchen Rede. Ein munterer Scribent bildet nicht allein die reichen Wercke, welche ihm die Natur vor Au - gen leget, mit ſeiner Feder nach: Seinem ſtol - zen Sinn iſt auch der weite Umkreis der Natur viel zu enge: Er ſucht ſich neue Spuren,

Und fliegt in eine Welt des Epicurus hin,
Und macht ſich ein Geſchoͤpf, von dem man nie geleſen,
Das kuͤnftig nicht ſeyn wird, noch jemahls iſt geweſen.

Als der groſſe Alexander durch ſeine ſieghafte Waffen die gantze Erden bezwungen, beklagte er mit Thraͤnen, daß nicht mehr Welten waͤren, an deren Beſiegung er ſeinen groſſen Muth und ſeine unuͤberwindliche Macht ferner verſuchen koͤnnte. Aber ein lebhafter Kopf bauet ſich ſelbſt in ſeiner erhizten Phantaſie neue Welten, die er mit neuen Einwohnern bevoͤlckert, welche von einer fremden Natur ſind, und eigenen Geſetzen folgen. Er dichtet ſich neue Perſonen und neue Begegniſſen: Bald giebt er den Todten das Leben wieder, und verbindet ſie in allerley Un -ter -81Von den Dichtungen. terredungen; bald ſchencket er den leb - und vernunftloſen Geſchoͤpfen die Rede; bald fuͤhret er die menſchlichen Neigungen und Zufaͤlle, als ſo viele Individua und Perſonen, vor uns auf; bald giebt er den Fabeln und Maͤhrchen einen groſſen Schein der Wahrheit; bald faͤllt er in eine Entzuͤckung, und mahlet uns die ſeltſamſten Erſcheinungen vor das Geſicht, ꝛc. Alle dieſe und andere dergleichen Arten von Dichtungen ſind nun allein erfunden worden, gemeine und be - kannte Gedancken, auf eine ungemeine, neue und ergetzende Art auszudruͤcken u. vorzubilden. Aber dieſe Freyheit der Dichtung iſt nicht ohne Geſetze; denn ſonſt muͤßte man alle Traͤumereyen und Aus - ſchweifungen verruͤckter Sinnen vor geiſtreich und ſcharfſinnig erklaͤren. Jch wuͤrde mich von mei - nem gegenwaͤrtigen Vorhaben allzuweit verſtei - gen, wenn ich hier alle Grundregeln der Dichtung in ihrer ordentlichen Verknuͤpfung, wie ſie aus einander hergeleitet werden, anfuͤhren wollte: ich verſpare dieſe Unterſuchung in mein vorgenomme - nes groſſes Werck. Zu meinem gegenwaͤrtigen Zweck wird es genug ſeyn, daß ich bloß die allerer - ſten Grundregeln einer guten Dichtung hier aus - ſetze, und hernach mit einigen Exempeln erlaͤutere.

  • 1. Der Zweck der Dichtung iſt, daß ſie auf eine ergetzende Art unterrichte:
    quod & riſum movet,
    Et quod prudenti vitam conſilio monet.
  • 2. Die gantze Dichtung muß einen myſtiſchen Sinn haben.
[Crit. Sam̃l. V. St.] F3. Sie82Abhandlung
  • 3. Sie muß wahrſcheinlich ſeyn, und ſich gruͤn - den entweder auf wahrhafte und aͤhnliche Begebenheiten, oder wenigſtens auf einen angenommenen allgemeinen Wahn.
  • 4. Das gantze Syſtema der Dichtung muß in allen ſeinen verbluͤhmten oder figuͤrlichen Um - ſtaͤnden genau zuſammenſtimmen, ſo daß kein Umſtand den andern umſtoſſe.
  • 5. Alle figuͤrliche Umſtaͤnde der Dichtung muͤſſen ihre beſondere Bedeutung haben, die den my - ſtiſchen Sinn des gantzen Syſtematis vollkom - men machen. Folglich muͤſſen keine leere und unnuͤtzliche Umſtaͤnde geduldet werden.
  • 6. Die Aehnlichkeiten der Bilder des erdichteten Syſtematis und des myſtiſchen Syſtematis muͤſſen nicht allzu nahe, und nicht allzu ent - fernt ſeyn: hiemit muͤſſen ſie nach denen Grundſaͤtzen eingerichtet ſeyn, die ich droben
    (*)Sehet im erſten St. gegenwaͤrtiger Sammlung bl. 93.
    (*) von dem Scharfſinnigen uͤberhaupt gegeben.

An dergleichen regelmaͤſſigen Dichtungen kan ein Autor die Kraͤfte ſeines Geiſtes am beſten pruͤf - fen: Und der muß in der ſcharfſinnigen Schreib - art geuͤbte Sinne haben, der in dergleichen Dich - tungen gluͤcklich ſeyn, und Leuten von gutem Geſchmack gefallen will.

Wie ſich der Hamburgiſche Patriot nicht ge - ringer, als einer von den groͤſten Geiſtern Deutſch - lands zu ſeyn beduͤnckt; alſo hat er auch die Kuͤhn - heit gehabt, ſeine Scharfſinnigkeit in dieſer Art Schriften zu verſuchen; aber er hat auch in die - ſem Stuͤcke ſeine Schwaͤche aufgedeckt, und ſichun -83von den Dichtungen. ungluͤcklich verrathen, daß er zu ſo hohen Dingen nicht abgerichtet ſey. Wir wollen zum Beweiſe deſſen das allegoriſche Raritaͤten, - Cabinet deſſel - ben, wovon er im CLIII. St. unter dieſem Nah - men Meldung thut, mit aufmerckſamen Augen betrachten. Jn demſelben befinden ſich verſchie - dene allegoriſche Jnſtrumente u. Maſchinen, die nach des Patrioten Vorgeben groͤſtentheils eine Erfindung der Sineſen und Jndianer ſind, von denen ſie ihm geſchenckt worden. Nach dem Jn - ventario, welches im LXXXVII. St. befindlich iſt, ſind die merckwuͤrdigſten darunter folgende: Ein Wetterglas, den guten und ſchlechten Ge - ſchmack aller Scribenten und anderer vorkom - menden Perſonen zu erkennen; eine philoſophi - ſche Uhr, welche von der Laͤnge oder Kuͤrtze des menſchlichen Lebens die eigentlichſte Rechnung giebt; ein Pe-kad-en-noſch, die Aufrichtigkeit des Hertzens zu pruͤffen; und ein blaues Waſſer, das den Unterſchied der menſchlichen Leidenſchaf - ten auf eine verwundernswuͤrdige Art anzeiget. Dazu koͤmmt dann ferners das im CLIII. St. angezogene Traumkuͤſſen, und der im LXXXVII. St. geruͤhmte Univerſal-Schnupftoback fuͤr das Gedaͤchtniß, ꝛc. ꝛc. Man beliebe erſtlich uͤber - haupt anzumercken, daß alle dieſe Erfindungen ſelbſt nach der Abſicht des Erfinders keinen andern Nutzen haben koͤnnen, als die Entdeckungen des Patrioten uͤber den moraliſchen Zuſtand des Men - ſchen wahrſcheinlich zu machen; nun ſind aber ſeine Entdeckungen ſo beſchaffen, daß niemandem in den Sinn kommen wird, die Moͤglichkeit der -F 2ſelben84Abhandlungſelben von einer uͤbernatuͤrlichen oder magiſchen Wunderkraft herzuleiten; angeſehen ein jeder anderer gemeiner Menſch mittelſt ſeiner fuͤnf Sin - nen u. einer kleinen Gabe natuͤrliches Verſtands, ohne die Huͤlfe dieſer oder anderer dergleichen Zauber-Maſchinen, eben dieſelbigen und noch wichtigere Entdeckungen machen koͤnnte. Folg - lich haben dieſe ſeltſamen Erfindungen nicht mehr Grund ihrer Nothwendigkeit, als wenn einer ei - nen Haſen mit einer Hellparten erſtechen, oder eine Laſt von wenigen Pfunden mit einem groſſen Hebzeuge bewegen wollte. Mithin iſt es auch fuͤr den Character eines ernſthaften Patrioten hoͤchſtungeziemend, daß er ſich durch dergleichen angemaßte verborgene Kuͤnſte bey dem aberglaͤu - bigen Poͤbel ſuche ein Anſehen zu machen; und dergleichen unnoͤthige Erfindungen koͤnnen oͤfters mit Recht den Verdacht erwecken, daß ein ſolcher moraliſcher Taſchenſpieler an wahrer Einſicht und Kundſchaft des menſchlichen Hertzens groſſen Ab - gang leide, weil er gemuͤſſiget iſt, ſeine, obgleich ziemlich kahlen und fluͤchtigen, Entdeckungen mit dergleichen auſſerordentlichen und zauberiſchen Erfindungen zu beglaubigen. Allein nach dieſer allgemeinen Anmerckung uͤber die relatife Noth - wendigkeit und den Nutzen dieſer Erfindungen wollen wir dieſe Wunder-Maſchinen abſonder - lich pruͤffen, und den Grund ihrer innerlichen Wahrſcheinlichkeit unterſuchen. Die erſte von dieſen wunderbaren Maſchinen iſt das philoſo - phiſche Thermometer, oder das Wetterglas des Verſtandes, welches die Hitze und Kaͤlte deſſel -ben85von den Dichtungen. ben nach ihren verſchiedenen Graden aufs genaue - ſte anzeigen ſoll: Deſſen Erfindung u. Zuruͤſtung wird im XXXIV. St. weitlaͤuftig beſchrieben: Und man darf ſich nur ein gewoͤhnliches Thermo - meter, deſſen Roͤhre mit einem him̃elblauen Saft angefuͤllet iſt, in ſeinem Sinne vorſtellen, ſo wird man mich der Muͤhe einer weitlaͤuftigen Beſchrei - bung gerne uͤberheben. Der Unterſchied lieget in der ſeltſamen Wuͤrckung, maſſen der himmelblaue Saft in dieſem Thermometer nach dem Grade ſteiget oder faͤllt, nach dem die Scribenten oder auch die Redenden in ihrem Vortrage die Staͤr - ke eines geſunden Verſtandes mehr oder weniger zeigen und beweiſen. So ſtieg in dem Verſuch, welchen der Vetter des Patrioten angeſtellt, der blaue Saft bey Leſung Virgils um einige Grade empor; hergegen ſanck er ziemlich tief in der Roͤh - re, ſo bald derſelbe anſtatt Virgils eine alte Logick zur Hand nahm. Eine froſtige und recht aben - theurliche Dichtung, die niemand zweifeln laͤßt, daß nicht der Erfinder derſelben, aus Mangel ei - nes geſunden Witzes, einer durch Kunſt zubereite - ten Maſchine beduͤrfte, den guten und ſchlimmen Geſchmack zu unterſcheiden! Jch habe nicht ein - mahl noͤthig zu erinnern, daß dieſe abentheurliche Maſchine in Abſicht auf ihre Wuͤrckung gegen alle Wahrſcheinlichkeit anlaͤuft. Doch ich will aus Freygebigkeit zugeben, daß die Verfertigung ei - ner ſolchen nicht allerdings unmoͤglich waͤre; was wuͤrde eine ſolche zur Verbeſſerung des Geſchmaks vor Dienſte thun? Wo iſt immer ein Menſch ſo gar dumm und ohne Geſchmack, der nicht ebenF 3ſo86Abhandlungſo gut, als eine Maſchine, den mechaniſchen Aus - ſpruch zu thun wiſſe, das iſt gut, ſchlimm, mun - ter, matt, froſtig, ſeichte, ꝛc. Aber ſeine Ur - theile mit Gruͤnden zu befeſtigen, und die Gruͤn - de deſſen anzuzeigen, was nothwendig gefal - len muß, und warum es gefallen muß, das iſt eine Verrichtung, wozu etwas mehr als eine bloſſe Maſchine erfodert wird. Eine gute Logick iſt das rechte Thermometer des Verſtandes, dieſe raͤu - met den Kopf auf, daß man von der Schoͤnheit ei - nes Vortrags mit Vernunft u. gruͤndlicher Ein - ſicht urtheilen kan; ohne dieſelbe ſind alle unſre Urtheile nicht vernuͤnftiger, als des patriotiſchen Wetterglaſes. Und wie kindiſch iſt die Dichtung von dergleichen zauberiſchen Jnſtrumenten, wo man nicht einmahl die Faͤhigkeit hat, ihren Nu - zen durch die Anwendung und die Wuͤrckung ſelbſt wahrſcheinlich zu machen! Was hat denn der Patriot durch Beyhuͤlfe dieſes Thermometers vor wichtige Endeckungen gemachet? Jch finde da - von auſſer ruhmraͤthigen Großſprechereyen nicht das wenigſte; und es gilt auch diesfalls, was Horatz von den Maſchinen in den Trauerſpielen lehret: Nec Deus interſit, niſi dignus vindi - ce nodus inciderit. Wenn wir inzwiſchen unſ - re Gedancken auf den allegoriſchen u. verdeckten Sinn dieſer Dichtung richten, ſo finden wir, daß dieſelbe auch in dieſer Abſicht nicht genug Wahr - ſcheinlichkeit hat: zumahlen da dieſe gantze Dich - tung nichts mehrers ſagen will, als, der Patriot beſitze eine gute Beurtheilungskraft, und eine Fer - tigkeit in Unterſcheidung guter und ſchlimmer Ge -dan -87von den Dichtungen. dancken, d. i. einen feinen Geſchmack: Ein Satz, der nicht durch eine gezwungene und unnatuͤrliche Erfindung und Vorſtellung, ſondern durch wuͤrck - liche Proben ſeine Glaubwuͤrdigkeit erhaͤlt! Da nun dieſe mangeln, ſo wird die bloſſe großſpreche - riſche Wiederholung deſſelben unter einer unna - tuͤrlichen Allegorie von ſchlechter Kraft ſeyn; zu geſchweigen daß darinnen der groͤſte Theil von dem Zuſammenhange der hiſtoriſchen Umſtaͤnde gantz muͤſſig iſt, und keinen myſtiſchen Sinn er - tragen kan. Damit ich nur einen einzigen beruͤh - re, ſo kan ich nicht errathen, was dieſe Worte fuͤr eine geheime Bedeutung haben: Jch habe mir von eben der Art und Groͤſſe ein Gehaͤuſe und Glas machen laſſen, man kan es ſehr ge - maͤchlich in der Taſche tragen, und in einem dazu verfertigten ſchildkroͤtenen Futteral mit ſich fuͤhren. Jch weiß nicht, was das figuͤrliche ſchildkroͤtene Futteral des guten Geſchmacks, noch auch was die figuͤrliche Taſche ſey, darinnen man denſelben gemaͤchlich tragen kan. Mithin hat mich die folgende Anmerckung merckwuͤrdig beduͤnckt: Wie alle groſſe Erfindungen von un - gefehr ihren Urſprung haben; ſo habe ich auch hierdurch bloß von ungefehr eine Maſchine zu Stande gebracht, die mit Recht ein Probier - ſtein der geſunden Vernunft iſt, welche man zu dieſen Zeiten mehrentheils nur vergebens ſuchet. Jch meines Orts koͤñte ihm desfalls keinen Glau - ben zuſtellen, wenn er es gleich mit einem Eyde erhaͤrten wollte, daß er dieſe Erfindung von un - gefehr gemachet, weil mir der Ort bekannt iſt,F 4wo88Abhandlungwo ſich das Original von dieſer gluͤcklichen Co - pie findet. Addiſſon beſchreibet im 281ſten Bl. des Zuſehers in einem Traume die Anatomie des Hertzens einer Verbuhlten; daſelbſt findet ſich dieſe Stelle:

Es weis ein jeder Anfaͤnger in der Zerglieder - kunſt / daß das Pericardium oder der Hertzbeu - tel einen duͤnnen roͤthlichen Saft in ſich enthaͤlt / der von den Ausduͤnſtungen des Hertzens ent - ſtehen ſoll / welche ſich hier / indem ſie nicht weiter koͤnnen, in dieſe Feuchtigkeit verwandeln. Als wir nun dieſen Saft unterſuchten / ſo fan - den wir / daß er alle die Eigenſchaften desje - nigen Weingeiſtes an ſich hatte, der zu den Wetterglaͤſern gebraucht wird / um die Ver - aͤnderungen des Wetters anzuzeigen.

Jch muß hier einen gewiſſen Verſuch nicht uͤbergehen / welchen einer aus der Geſellſchaft uns mit dieſem Safte gemacht zu haben ver - ſicherte / indem er eine groſſe Menge deſſelben bey dem Hertzen einer vordem zergliederten Buh - lerinn gefunden haͤtte. Er verſicherte uns / daß er ihn noch die Stunde in einer duͤnnen glaͤſer - nen Roͤhre / welche nach Art eines Wettergla - ſes gemacht waͤre, eingeſchloſſen haͤtte: Allein an ſtatt daß er daraus die Veraͤnderungen des Wetters ſehen ſollte; ſo zeigte er ihm nur den Zuſtand derer Perſonen an / welche in das Zim - mer traͤten / allwo dieſe Roͤhre hienge. Er ver - ſicherte zugleich / daß er bey Herannahung eines Federhutes / eines geſtickten Kleides / und eines Paares Handſchuh mit goldenen Franſen merck - lich ſtiege: Sobald hingegen eine verzauſete Per -ruͤke /89von den Dichtungen. ruͤke / ein Paar ſchmutzige Schuhe / oder ein alt - fraͤnckiſches Kleid hinein kaͤme / ſo fiele ſelbiger. Ja / er gieng ſo weit / daß er uns ſagte: Wenn er daneben ſtuͤhnde / und laut zu lachen anfienge / ſogleich ſtiege der Saft in die Hoͤhe / ſaͤncke aber den Augenblick nieder, ſobald er wieder ernſthaft ausſaͤhe. Kurtz er ſagte uns / er koͤnnte es vermit - telſt dieſer Erfindung ſehr wohl wiſſen / ob er ei - nen klugen Mann oder einen Gecken bey ſich im Zimmer haͤtte.

Dieſes laͤßt ſich der Zuſchauer in einem Traume erzehlen, und jedermann muß mir zugeben, daß es eine Coquette trefflich characteriſirt; aber der Pa - triot nimmt ſich mehrere Freyheit heraus, er thut wachend, was jener kaum unter der Dichtung ei - nes Traumes hat vorbringen duͤrffeu. Jch bitte nun meine Leſer, daß ſie die Muͤhe nehmen, und dieſe Stelle mit der 34. No. des Patrioten verglei - chen: ſie ſind einander ſo aͤhnlich, als die beyden Soſier in dem Amphitruo, und ich waͤre bald auf die Gedancken gerathen, die Erzehlung des Zu - ſchauers muͤſſe prophetiſch von dem Patrioten ver - ſtanden werden. Jndeſſen wenn ſie vorwitzig ſind zu wiſſen, ob er ſich etwas auf dieſe Erfindung ein - bilde, ſo duͤrffen ſie nur die 52ſte No. einſehen, in welcher uns die zweyte von dieſen Maſchinen be - ſchrieben wird, die genau zeiget, wer am meiſten nach der geſunden Vernunft und der Vorſchrift eines guten Gewiſſens lebe. Er nennet ſie die Philoſophiſche Uhr. Sie iſt einer gemeinen Ta - ſchenuhrnicht ungleich: ſie hat ein Zieferblat mit zween ſtaͤhlernen Zeigern: der aͤuſſere Cirkel iſt in 360. Grade vertheilet; dreyſſig machen einenF 5philo -90Abhandlungphiloſophiſchen Monath / und jeder Grad einen philoſophiſchen Tag. Der innere Cirkel / der ei - nen gantzen philoſophiſchen Tag anweiſet / iſt in 24. Stunden eingetheilt. Der Gebrauch derſel - ben iſt folgender: Man bringt ſie demjenigen / deſſen Leben man unterſuchen will / ſo nahe / daß ſeine Ausduͤnſtungen dieſelbe erreichen / und von demſelben Augenblick an giebt ſie die philoſophi - ſche Nachricht / wie lange derſelbe Menſch ge - lebet. Ein muͤſſiges Leben deutet ſie an durch ihre Unbeweglichkeit: Ein boͤſes offenbaret ſich durch das Zuruͤcklauffen des Zeigers: Ein tugendhaf - tes kan man daraus erkennen / wenn ſich der Zeiger von Stunden zu Stunden ꝛc. vorwaͤrts beweget / nach dem Maaſſe / als einer in der Tugend alt geworden. Wundert euch, wo man dergleichen ſeltſame Uhren verfertige, ſo kan ich euch ſagen, daß der Patriot ſeine in Mecca gekauft hat; der Meiſter davon heiſſet Joaphat Ebn Jophzdhail. Dieſe Dichtung iſt von dem - ſelben Schrot und Korn, wie die vorhergehende: Und der Patriot iſt gegen ſeinen Schoͤpfer unge - recht, daß er ſeine Vernunft, die ein zulaͤngliches Mittel iſt, das Gute und Boͤſe in moraliſchen Handlungen zu unterſcheiden, gegen eine mecha - niſch-philoſophiſche Sackuhr vertauſchen will, die ihm dieſen Unterſchied ohne ſein Nachdencken zeigen ſoll. Er machet ſich auch recht laͤcherlich, weñ er die Urſachen dieſer mechaniſchen Wuͤrckungen entdecken und wahrſcheinlich machen will. Wie muß es hergehen, daß die Ausduͤnſtungen auf ei - ner Uhr durch den Eindruck einer gemeſſenen Be - wegung nicht allein den Unterſchied laſterhafter,muͤſſi -91von den Dichtungen. muͤſſiger und tugendhafter Leute zeigen, ſondern auch die Grade des einen und des andern bemer - ken. Jch moͤgte wohl auch den Unterſchied tu - gendhafter und laſterhafter Ausduͤnſtungen ken - nen; Aber wann der Patriot den aͤchten Meiſter dieſer Uhr entdecken will, ſo muß er Mecca in Hamburg verwandeln, und er wird der Joaphat Ebn Jophzdhail leibhaftig ſeyn. Die Gedancken zu dieſer Erfindung mag er wohl den Schweitze - riſchen Zuſehern abgekauft haben; ich finde in einem Blatte derſelben folgende Stelle: Geſezt aber / daß du dein Leben bringeſt bis auf 70. Jahre / wie kurtz wird dieſer Periodus ſeyn / wenn du diejenige Zeit / welche du nur zur Un - terhaltung deines Lebens aufgewendet haſt / ab - rechneſt. Ziehe die folgenden Jahre von der Summe deines Lebens ab / ſo werden dir nur etliche wenige uͤberbleiben:

  • 30. Jahre ſind verfloſſen uͤber dem Schlaffen.
  • 4. Jahre uͤber dem An - und Auskleiden.
  • 10. Jahre uͤber dem Eſſen und Trincken.
  • 6. Jahre uͤber den Gemuͤtheszerſtreuungen.

Und ich koͤnnte ſehr klar zeigen, daß die gantze 52ſte No. aus zween Diſcurſen der Schweitzer zu - ſammengeſchmelzt iſt. No. 74. koͤmmt eine neue magiſche Maſchine zum Vorſchein, durch deren Mittel er entdecken kan, ob die Worte und Mei - nungen, oder der Mund und das Hertz mit ein - ander uͤbereinſtimmen. Dieſe Maſchine heiſſet Pe-kad-en-noſch oder die Gemuͤthesproͤbe; ſie iſt ihm von einem Chineſiſchen Philoſophen, Nahmens Bramin-quam-bo-ni verehrt wor -den.92Abhandlungden. Jch will mich nicht mit derſelben Beſchrei - bung verweilen; denn ich gedencke, daß man mei - ne Gedancken von der Art dieſer Dichtung aus dem was ich bisher erinnert habe, ſchon errathen koͤnne. Nur kan ich nicht unangemerckt laſſen, daß mir das Bekaͤnntniß des Patrioten, da er ge - ſtehet, daß er ein magiſches Jnſtrument beduͤrffe, um zu wiſſen, ob er ſelbſt rede, was er dencket, oder ob Mund und Hertz mit einander uͤberein - ſtimme, recht albern vorkoͤmmt. Das vierte magiſche Geheimniß iſt ein himmelblaues Waſ - ſer, wovon er im V. St. folgendes erzehlet: Jm Jahre 1722. den 6ten May empfieng ich durch einen Schiffer / von einem meiner ver - trauten Freunde in China / einem groſſen Chy - miſten / Nahmens Miram Tanſi / ein Schrei - ben / nebſt einer kleinen Flaſche mit himmel - blauem Waſſer: daſſelbe ſtaͤrcket das Geſicht auf ſolche Weiſe / daß man eine beſtaͤndige Aus - duͤnſtung aus dem Gehirne der Menſchen / und in derſelben die Leidenſchaften des Gemuͤthes / figuͤrlich ſehen / auch verſchiedene Creaturen in der Luft / welche darinn / wie Fiſche im Waſſer / ſchwimmen / auf das kenntbareſte entdecken koͤnne. Und wenn der Herr Patriot dieſes Waſſer aus Nova-Zembla haͤtte her - kommen laſſen, wo ſonſt die ſchwartzen Kuͤnſte zur groͤſten Vollkommenheit gebracht ſind; ſo muß er doch nicht glauben, daß die Deutſchen ſo dumm ſeyn, daß ſie dergleichen abentheurli - che Erzehlungen im Ernſte aufnehmen. Er wird wohl der erſte ſeyn, der vorgiebt, daßdie93von den Dichtungen. die Leidenſchaften des Gemuͤthes figuͤrlicher Weiſe aus dem Gehirne ausdaͤmpfen. Den dritten Tag, nachdem er bemeldetes Wunder - Waſſer empfangen, that er damit die erſte Pro - be bey einer Sechswoͤchnerinn; davon er uns die Wuͤrckungen in ſelbiger No. alſo beſchreibet: Hier ward ich mit groſſer Verwunderung gewahr / daß in dem Zimmer die Luft voll haͤßlicher Thiere / wovon einige wie Baſilisken / andere wie Chimaͤren / und die dritte Sorte wie laͤngliche feurige Schlangen / gebildet waren. Jch bin ſicher, daß niemand ſo leicht errathen haͤtte, welche Gemuͤthes-Leidenſchaften hierun - ter ſollen vorgebildet ſeyn; wenn der Patriot nicht ſorgfaͤltig geweſen waͤre, No. 8. uns zu un - terrichten, daß dieſes Ungeziefer den Neid, die Eitelkeit, und die Schmaͤhſucht vorſtellen ſollte. Durch die Augen der meiſten Anweſenden ka - men ploͤtzlich aus dem Gehirne einige ſehr uͤbel - gebildete Figuren mit dicken Koͤpfen und langen Ohren zum Vorſchein. Jhr werdet euch uͤber die verborgene Aehnlichkeit verwundern, wenn ich euch aus No. 8. lehre, daß die Unwiſſenheit unter dieſem dickkoͤpfigten Bilde mit Eſels - Ohren, welches durch die Augen aus dem Ge - hirne hervorgekommen, abgemahlet iſt. Dieſe winckten dem herumfliegenden Ungeziefer / wo - rauf die kleinen Baſilisken in die Augen / die Chimaͤren in die Ohren / und die Schlangen in den Mund / ihren Einzug hielten / ꝛc. Dieſes Hieroglyphicum ſoll euch zu verſtehen geben, daß der Neid, die Eitelkeit und dieSchmaͤh -94AbhandlungSchmaͤhſucht von der Unwiſſenheit ernehret wer - den. Aber ihr werdet es izo noch kaum verſte - hen, nachdem ich euch den myſtiſchen Sinn dieſer Dichtung allbereit erklaͤret habe. Zu die - ſen ſeltſamen Erfindungen gehoͤret auch das im CLIII. St. gemeldete Japaniſche in reicher Sei - de mit Gold bordirte Kraͤuterkuͤſſen, welches die wunderbare Wuͤrckung hat, daß es, wenn man es beym Schlaffengehen unter das Haupt - kuͤſſen leget, die wichtigſten Betrachtungen des Tages dem Gemuͤthe in einem lehrreichen Nacht - geſichte vorſtellet; und von welchem der Pa - triot ruͤhmet, daß alle die ſinnreichen Traͤume und Geſichter, die in ſeinen Blaͤttern vorkom - men, Proben von der geſegneten Wuͤrckung dieſes Traumkuͤſſens ſeyn. Wer dieſen groſſen Vorrath von ſo vielen zauberiſchen Maſchinen anſiehet, der wuͤrde den Patrioten eher vor ei - nen kleinen Hexenmeiſter, als vor einen Patrio - ten halten, und ſich bereden, daß er bey dem Gebrauche aller dieſer Jnſtrumente zu weit ſelt - ſamern Entdeckungen, als in ſeinen Blaͤttern zu finden ſind, eben keiner Vernunft vonnoͤthen habe: zumahlen da dieſe Maſchinen ihm eben denjenigen Dienſt leiſten muͤſſen, den andere Menſchen von ihrer Vernunft empfangen, ſo daß wer ſeinem vornehmen Exempel folgen will, alle ſeine Sorge darauf wenden muß, daß er ohne Vernunft vernunftmaͤſſig handeln lerne. Endlich muß ich des Univerſal-Schnupftobacks fuͤr das Gedaͤchtniß nicht vergeſſen, welcher fuͤreine95von den Dichtungen. eine Europaͤiſche Erfindung des Polymnemons ausgegeben und im LXXXVII. St. beſchrieben wird. Dieſem wird die Kraft beygeleget, das moraliſche Gedaͤchtniß zu ſtaͤrcken, und vor dem Uebel einer muthwilligen Vergeſſenheit zu be - wahren. Polymnemon bedienet ſich dieſer Er - findung allein durch eine geſchickte Beſchreibung der damit verrichteten moraliſchen Wundercu - ren, die muthwillige Vergeſſenheit ſeines vori - gen Standes, ſeiner Zuſagen und Verbindlich - keiten auf eine lebhafte Weiſe laͤcherlich zu ma - chen: Jn welcher Abſicht ich auch dieſe Erfin - dung nicht mißbilligenkan, und iſt uͤberhaupt der gantze Brief davon nicht uͤbel abgefaſſet.

E N D E.

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About this transcription

TextSammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften
Author Johann Jacob Bodmer
Extent96 images; 21696 tokens; 5505 types; 154522 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften Zur Verbesserung des Urtheiles und des Witzes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie Fünftes Stück Johann Jacob Bodmer. . 95 S. OrellZürich1742.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 SVA II, 4845:5

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Prosa; Belletristik; Lyrik; Prosa; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 SVA II, 4845:5
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