PRIMS Full-text transcription (HTML)
Allgemeine Geſchichtswiſſenſchaft,
worinnen der Grund zu einer neuen Einſicht in allen Arten der Gelahrheit geleget wird.
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Leipzig, beyFriedrich Lanckiſchens Erben,1752.

Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, Herrn Johann Paul Freyherrn von Vockel, Seiner Kayſerlichen Majeſtaͤt hochverordnetem Reichshofrath, Meinem Gnaͤdigen Herrn und hohem Goͤnner.

Hochwohlgebohrner Freyherr, Gnaͤdiger Herr Reichshofrath,

Ew. Freyherrl. Gnaden gehoͤren zu der edlen Art erhabner Maͤn - ner, welche ſich durch weiſe Ver - waltung der wichtigſten Ge - ſchaͤffte um gantze Staaten verdient ma - chen. Jndem Dero treue Dienſte dera 3glor -glorwuͤrdigſt regierenden Kayſerli - chen Majeſtaͤt gewidmet ſind, ſo brei - ten ſich zu gleicher Zeit die Fruͤchte von Dero Gerechtigkeitseyfer durch gantz Deutſchland aus. Dero großen Ver - dienſte kommen mit der hohen Wuͤrde, zu der der groͤſte Monarch Dieſelben be - ruffen hat, vollkommen uͤberein: und große Wiſſenſchafft, lange Erfahrung, ſtarcke Proben eines unermuͤdeten Fleiſ - ſes, nebſt der angebohrnen reitzenden Ei - genſchafft, die Gewogenheit der Hohen, und die Gnade der Hoͤchſten in der Welt zu erwerben, ſind die Mittel und Stuf - fen geweſen, durch welche die goͤttliche Vorſehung Dero Tugend zu ſo hohen Belohnungen hat aufſteigen laſſen.

Nach einem alten Gebrauche, pflegen Gelehrte ihre Wercke Maͤnnern aus ei - ner hoͤhern Sphaͤre zu widmen. Einige haben ihre Ehrfurcht und Ergebenheit dadurch zu bezeigen geſucht: andere ha - ben ſolches aus Danckbarkeit nicht un - terlaſſen zu koͤnnen geglaubt: andere haben ſich den Weg zur Gewogenheit maͤchtiger Goͤnner zu bahnen geſucht: wiederum andere haben ihre Arbeit demjenigen widmen wollen, von dem ſiever -verſichert geweſen, daß ſie die geneigte Aufnahme ihres großen Goͤnners, als die erſte Frucht ihrer angewandten Muͤ - he und Arbeit, zuverlaͤßig einſammlen wuͤrden.

Ew. Freyherrl. Gnaden geprieſe - ner Nahme ſoll der Schmuck meines ge - genwaͤrtigen Buches ſeyn. Deswegen wird es Hochdenenſelben, vor andern hohen Kennern aͤchter Wiſſenſchafften gewidmet. Dargegen habe die gegruͤn - deſte Hoffnung, daß der Jnnhalt deſſel - ben ſich Dero hohen Einſicht gefaͤllig machen, und mithin dem Verfaſſer die guͤtigſte Aufnahme gar leicht zuwege bringen werde. Die vor Augen liegen - den Wuͤrckungen von Dero Geſinnung, laſſen mich daran nicht zweifeln.

Ew. Freyherrl. Gnaden haben Dero beſondere Achtung vor unſere Uni - verſitaͤt dadurch werckthaͤtig bezeiget, daß Dieſelben zwey Hoffnungsvolle Herren Soͤhne nirgend beſſer, als bey uns aufgehoben zu ſeyn geglaubt haben. Dieſe haben Jhren Academiſchen Lauf allbereit auch mit dem beſten Erfolg an - getreten: und mir iſt dabey die angeneh -a 4meme Gelegenheit zu theil worden, zu der Vollkommenheit und Ausſchmuͤckung ſo edler und wohl zubereiteter Gemuͤther etwas beytragen zu koͤnnen. Richtig dencken, ſcharf urtheilen, Wahrheiten aller Art leicht uͤberſehen koͤnnen, ſind die Stuͤcke, zu welchen ich noch niemahls mit ſo großer Hoffnung, als bey dieſen Ew. Freyherrl. Gnaden ſo nahe an - gehoͤrigen Perſonen, Anleitung gegeben habe.

Ew. Freyherrl. Gnaden ſehen dann, auch aus gegenwaͤrtigem Buche, daß Dero Geliebte Sich auf einer hohen Schule befinden, wo man die Wercke des Verſtandes nicht laͤßig treibet; wo man das Reich der Wahrheiten zu er - weitern ſucht; und wo man unter an - dern, auch durch den Vortrag neuer Lehren kraͤfftigſt angetrieben wird, zu - foͤrderſt die alten Wahrheiten, worauf die neuen gebauet werden, begierigſt einzuſammlen. Dieſe verſicherte Nach - richt kan Denenſelben nicht anders als angenehm ſeyn; und jedes Document, wodurch ſolche beſtaͤtiget wird, muß De - ro Aufmerckſamkeit, mitten unter dengroͤſtengroͤſten Geſchaͤfften nothwendig auf ſich ziehen.

Jndem ich aber durch Ueberreichung dieſer neuen Wiſſenſchafft dem Triebe meiner innigſten Ehrerbietung einiges Gnuͤge thue, ſo gehet zugleich mein eyfrigſtes Wuͤnſchen dahin, daß Ew. Freyherrl. Gnaden die Fruͤchte von Dero weiſeſten vaͤterlichen Vorſorge zu rechter Zeit reichlich einſammlen, und daß Dero ruhmvolleſten Jahre, bis jene zur voͤlligen Reiffe kommen, unter taͤglich vermehrten Verdienſten und erneuerten goͤttlichen Seegen fort - dauren moͤgen. Deutſchland und viele hohe Haͤuſer in demſelben, die die Er - haltung ihrer ihnen unſchaͤtzbaren Ge - rechtſame Ew. Freyherrl. Gnaden hohen Einſicht und gerechteſt abge - faſſeten Ausſpruͤchen zu dancken ha - ben, werden auch in den ſpaͤteſten Zei - ten Dero ſchon erworbenen großen Ruhmes unvergeſſen ſeyn. Der Hoͤch - ſte aber wolle denſelben in Dero Nachkommen, die die vaͤterlichen Fuß - tapfen ſo gluͤcklich betreten, auf dena 5hoͤch -hoͤchſten Gipfel der Dauerhaftigkeit ſtei - gen laſſen.

Hochwohlgebohrner Freyherr, Gnaͤdiger Herr Reichshofrath, Ew. Freyherrl. Gnaden

zu Gebet und Dienſt gehorſamſt verbundenſter Johann Martin Chladenius, D.

Geneigter Leſer!

Es ſind mancherley Banden, durch wel - che mich die goͤttliche Vorſehung gelei - tet hat, dieſes neue Syſtem mit uner - muͤdeter Emſigkeit, unter hoͤherm Beyſtand auszuarbeiten. Die verſchiedenen Veraͤnde - rungen des Standes und der Aemter, welche mich der Wille des Hoͤchſten ſeit der erſten Entſchluͤßung zu ſolcher Unternehmung erfah - ren laſſen, haben meinen Vorſatz ſo wenig un - terbrochen, daß ſie mir vielmehr von Zeit zu Zeit zu einer neuen Triebfeder gedienet haben, ein Vorhaben, das ich immer nuͤtzlicher befun - den, in der That ſelbſt auszufuͤhren. Jetzo, da das Werck zum Preiſe des Hoͤchſten vollbracht iſt, koͤnten jene Umſtaͤnde, die nur den Verfaſ - ſer betreffen, gar wohl in Vergeſſenheit geſtellt werden. Ein Werck wird darum nicht beſſer, und die Wahrheiten, die man vortraͤgt, werden dadurch nicht fruchtbarer, die Umſtaͤnde des Ver -faſſers,Vorrede. faſſers, die ihn darzu angetrieben, moͤgen be - ſchaffen ſeyn, wie ſie wollen: ſo wie ein Berg - werck darum nicht ergiebiger wird, man mag durch Regeln der Kunſt, oder durch einen noch ſo ſonderbaren Zufall, zu der Entdeckung deſ - ſelben gekommen ſeyn. Viel gewoͤhnlicher iſt es, ſich um die Abſicht eines Buches, zumahl von einer neuen Art, zu bekuͤmmern; und man iſt in Sorgen, daß man daſſelbe ent - weder nicht recht verſtehen, oder nicht recht zu Nutzen anwenden moͤchte, wenn man von derſelben nicht gnugſam belehret wird. Die meiſten Leſer dieſer Vorrede werden daher ge - waͤrtig ſeyn, daß ihnen in derſelben die Ab - ſicht der allgemeinen Geſchichtswiſſenſchaft bekannt gemacht werde. Daraus entſtehet vor mich eine Verbindlichkeit, der ich mich nicht fuͤglich entziehen kan. Doch die Frey - heit bleibt mir uͤbrig, es auf diejenige Art zu thun, welche ich vor die beqvemſte halte, mei - ne Leſer am vollſtaͤndigſten, und vielleicht auch zugleich aufs kuͤrtzeſte davon zu belehren. Sie werden aber meine Abſicht am beſten erken - nen, wenn ich ihnen meine Anleitungen, der allgemeinen. Geſchichtswiſſenſchaft immer mehr und mehr nachzudencken, in natuͤrlicher Ordnung erzehlen werde.

SchonVorrede.

Schon bey meinen philoſophiſchen Vorle - ſungen auf der Univerſitaͤt Wittenberg, beſon - ders uͤber die Vernunftlehre, iſt mir bey oͤfte - rer Wiederholung derſelben vorgekommen, als wenn die gegenwaͤrtige Einrichtung dieſer vortrefflichen Wiſſenſchaft ſo beſchaffen waͤre, daß, ohngeachtet ihre Lehren gantz allgemein zu ſeyn ſchienen, ſolche dennoch mehr eine Hauptart der Wahrheiten, als die Wahrheit in ihrer voͤlligen Abſtraction zum Gegenſtan - de haͤtten. Bey der Lehre von Begriffen zum Exempel, kommt zwar vieles vor, wel - ches von allen Begriffen gelten kan, aber die gantze Tabelle der Eintheilungen derſelben, ratione formæ, ſchickt ſich doch mehr vor die allgemeinen Begriffe, als vor das Gegentheil derſelben; nemlich vor die individuellen Be - griffe. Die Lehre von Definitionen betrifft gleichfalls nur die Begriffe der Geſchlechter und Arten. Und ſo wird man durch Zuſam - menhaltung aller uͤblichen Lehren in dieſer Di - ſciplin gewahr werden, daß man in denſelben durchgaͤngig auf die hiſtoriſche Erkenntniß wenig oder gar nicht geſehen habe. Dieſer Umſtand iſt mir alſo nach und nach in die Augen geleuchtet; und wie natuͤrlich war es nicht, daß daraus ein innerlicher Trieb ent - ſtanden iſt, die Gedenckart der menſchlichenSeeleVorrede. Seele bey den hiſtoriſchen Wahrheiten eben ſo in Regeln verfaſſet zu ſehen, als uns nun - mehro faſt alle Triebfedern des menſchlichen Verſtandes bey Erfindung allgemeiner Wahr - heiten, beſonders durch die Bemuͤhungen des unſterblich verdienten Freyherrn von Wolfs, erklaͤrt vor Augen liegen.

Mein Unternehmen, die Hermenevtick philoſophiſch und ſyſtematiſch vorzutragen, welches ebenfalls noch in Wittenberg zu Stande gekommen, ohngeachtet die Ausgabe meiner Einleitung zur richtigen Auslegung vernuͤnftiger Reden und Schriften, erſt bey meinem Aufenthalt auf der Univerſitaͤt zu Leipzig erfolget iſt; hat mich ſodann veran - laſſet, ja genoͤthigt, der Sache naͤher zu treten. Die verſchiedenen Arten der Auslegungen, woraus Commentarii und Noten beſtehen, muſten unter andern, ja vornehmlich, aus dem verſchiedenen Jnnhalte der Buͤcher, und aus ihrer Materie, hergeleitet werden. Die Ein - theilung der Buͤcher und Stellen in dogmati - ſche und hiſtoriſche, war der Hauptgrund, worauf ich zu bauen hatte. Jch muß geſte - hen, daß es mit der Auslegung der erſten Art, in Vergleichung alles uͤbrigen, wenig Schwie - rigkeit hatte. Denn da hatte ich in der Ver -nunft -Vorrede. nunftlehre alle, auch die kleinſten Theile eines dogmatiſchen Buches ſchon ſo zergliedert vor mir, nemlich die Definitionen, die Grundſaͤtze, die Theorems u. ſ. w. daß es nicht viel Muͤhe erforderte, bey jedem Stuͤcke eines dogmati - ſchen Buches zu zeigen, wie dabey vor gewiſſe Leſer Dunckelheiten entſtehen koͤnnten; und wie dieſe durch eine geſchickte Auslegung zu heben waͤren. Aber mit den hiſtoriſchen Buͤ - chern war es gantz anders beſchaffen. Alles was in dogmatiſchen Buͤchern, die allgemeine Wahrheiten in ſich faſſen, vorkoͤmmt, trifft man in hiſtoriſchen Buͤchern nicht an: Hin - gegen, was man in dieſen antrifft, iſt, wie ge - dacht, in der Vernunftlehre gar nicht erklaͤ - ret. Hier war es alſo unumgaͤnglich noͤthig, daß ich uͤber die hiſtoriſchen Stellen, als die elementa hiſtoriſcher Buͤcher, neue Betrach - tungen anſtellte, und alſo die Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Erkenntniß genauer unter - ſuchte. Wie weit ich dazumahl in dieſer ver - wickelten und vorher gantz nicht aufgeklaͤrten Materie gekommen ſey, wird das achte Capi - tel meiner Einleitung zur richtigen Auslegung am klaͤrſten bezeigen. Man kan leicht ermeſ - ſen, daß der Vorſatz, gegenwaͤrtiges Buch zu ſeiner Zeit auszuarbeiten, unter jener Arbeit nicht wenig ſey beſtaͤtiget worden.

DasVorrede.

Das oͤffentliche Lehramt der Kirchenalter - thuͤmer, welches mir nachher auf der Univer - ſitaͤt Leipzig zu theil wurde, drunge mich, ei - nen ſo wichtigen Theil der hiſtoriſchen Erkennt - niß auf alle Weiſe genauer zu beleuchten. Nun weiß man, was vor Schwierigkeiten in dieſer vortrefflichen Art der Gelahrheit vor - walten; zumahl wenn man den Urſprung der Gebraͤuche, Verfaſſungen und Kirchenanſtal - ten nebſt ihren Veraͤnderungen, durch welche ſie oͤfters mit der Zeit ein gantz ander Anſehen bekommen haben, begreiflich machen will. Doch die handgreiflichſten Stuͤcke der Alter - thuͤmer ſind eben ſowohl, als die ruchtbarſten Geſchichte der Kirche, ſchon laͤngſt aus den alten Schriftſtellern geſammlet und dergeſtalt in Ordnung gebracht worden, daß, was in jenen mit deutlichen und duͤrren Worten ent - halten iſt, nunmehro faſt nicht ohne Eckel wiederholet werden kan. Unſre Vorfahren haben, nach ihrem unuͤberwindlichen Fleiße, ſchon alles erſchoͤpfet. Die Nachleſe, welche vor uns uͤbrig geblieben iſt, beſtehet aus lau - ter ſolchen Nachrichten, die man mehr als Spuren gewiſſer Geſchichte, als vor eigent - liche Erzehlungen anſehen kan. Aus dieſen muß man durch Muthmaßungen und Zuſam - menhaltung mancherley Stellen noch eineundVorrede. und andere Particularitaͤt entdecken, welche etwa von unſern Vorfahren nicht iſt bemerckt worden. Hier kommt man freylich ins Wahrſcheinliche. Jndem ich alſo, vermoͤge meines Amts, oͤfters mit ſolchen mißlichen Stuͤcken der Kirchengeſchichte und Kirchen - alterthuͤmer umgegangen bin, wobey wider meinen natuͤrlichen Trieb, ohne Regeln zu dencken genoͤthigt wurde, ſo konnte nichts an - ders als eine ſtarcke Neigung in mir entſte - hen, ſolche Regeln ausfuͤndig zu machen, die in ſo ſchweren Unterſuchungen ſtatt eines Leit - fadens dienen koͤnnten.

Waͤhrender Zeit habe unter andern Bemuͤ - hungen an meiner Einleitung in die ſyſtema - tiſche Theologie ſtarck gearbeitet; obgleich de - ren voͤllige Ausfertigung erſt in Coburg erfol - get iſt. Jndem ich nun hierbey zufoͤrderſt alle Theile unſerer Glaubenslehren genau durchgienge, um deutlich erklaͤren zu koͤnnen, wie ſolche aus der heiligen Schrift, als der einzigen Qvelle aller unſerer geoffenbarten Erkenntniß, muͤſten hergeleitet und erwieſen werden; ſo leuchtete mir gar bald in die Au - gen, daß ein großer Theil der heiligen Lehren von der Art der hiſtoriſchen Erkenntniß waͤ - ren. Jederman wird auch ſolches mit mirberken -Vorrede. erkennen, und einraͤumen muͤſſen; und wer daran zweifeln wollte, den koͤnnte faſt allein der Nahme des Evangelii, welcher bekann - ter maßen eine froͤliche Botſchaft anzeiget, davon voͤllig verſichern. Wie leicht war daraus nicht der Schluß zu machen, daß eine genauere Erkenntniß, was es mit der hiſtori - ſchen Erkenntniß uͤberhaupt vor Bewandniß habe, auch bey der Erklaͤrung und der Ver - theidigung der geoffenbarten Wahrheiten großen Nutzen ſchaffen muͤſſe. Und zwar dieſes um ſo viel mehr, da ſehr viele Stuͤcke der heiligen Schrift, welche unmittelbar nicht zu den Geſchichten gehoͤren, dennoch mit der hiſtoriſchen Erkenntniß große Gemeinſchaft haben. Jch habe ſolches von den meiſten Bitten, von den Verheiſſungen, von den Drohungen, von den Ermahnungen erwie - ſen; woraus zugleich erhellet, wie weit ſich die hiſtoriſche Erkenntniß, unter mancherley Nahmen und Geſtalt erſtrecke. Unter dieſer Abhandlung alſo, welche die Gewißheit und Vertheidigung der reinen Lehre lediglich zur Abſicht gehabt, iſt der Vorſatz, mich ſelbſt an die Ausarbeitung der allgemeinen Geſchichts - wiſſenſchaft zu wagen, dergeſtalt in mir ge - wachſen und befeſtiget worden, daß ich den erſten Anfang und die erſten Anlagen gegen -waͤr -Vorrede. waͤrtiger Abhandlung ſchon damahls, in die Einleitung zur ſyſtematiſchen Theologie, als einen beſondern Abſchnitt eingeſchaltet habe.

Das an dem academiſchen Gymnaſio zu Coburg gefuͤhrte Directorat hat mir ſodann noch anderweitige Gelegenheit gegeben, dieſer neuen Wiſſenſchaft, deren Grundriß ich ein - mahl in Sinn gefaſſet hatte, weiter nachzu - dencken. Es war meines Amts, auf die Er - leichterung bey Erlernung der ſchoͤnen Wiſ - ſenſchaften, da man ietzo alles gerne leicht er - lernen will, meine Gedancken gerichtet ſeyn zu laſſen. Hier aber herrſchet uͤberall die hiſtoriſche Erkenntniß augenſcheinlich. Nur eins ins beſondere zu gedencken. Welchen Rang hat nicht unter den ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften die Beredſamkeit? Man ſehe aber nur die groͤſten Meiſterſtuͤcke alter und neuer Redner an, ſo wird man gewahr werden, daß jede Rede nichts anders als ein rechtes Ge - webe von lauter Erzehlungen von verſchiede - ner Groͤße und Einrichtung iſt. Die meiſten Reden ſind gleich ihrem Hauptinnhalte nach hiſtoriſch. Wenn aber auch ein Redner ſich allenfalls mit einer allgemeinen Wahrheit be - ſchaͤfftiget, ſo wird man doch finden, daß der oratoriſche Vortrag ſolcher Wahrheiten faſtb 2inVorrede. in nichts anders beſtehen, als daß man alle Theile einer ſolchen Rede mit Erzehlungen und Geſchichten, die anmuthig und bewegend ſind, gleichſam zu durchflechten weiß. Eine Geſchichte deutlich und annehmlich zu erzeh - len wiſſen, kan man faſt vor mehr, als vor die Helfte der Beredſamkeit anſehen. Sollte alſo einem Redner die allgemeine Geſchichts - wiſſenſchaft nicht eben ſo dienlich ſeyn, als er die Regeln der Vernunftlehre zu wiſſen unum - gaͤnglich noͤthig hat?

Doch die Gewißheit iſt allem andern Schmucke weit vorzuziehen, in welchen man die Wahrheit nicht ohne Nutzen einkleiden kan. Alle Bemuͤhungen der Gelehrten ſollen deswe - gen zufoͤrderſt auf jene edle Eigenſchaft gerichtet ſeyn. Die neuere Lehre von der Wahrſchein - lichkeit aber, wuͤrde der Gewißheit einen uner - ſetzlichen Schaden zufuͤgen, wenn ſie auf die Art weiter getrieben werden ſollte, wie ſie ge - trieben zu werden angefangen hat. Die Wahrſcheinlichkeit iſt einmahl nichts anders, als eine Art der Ungewißheit; und wo man es nicht weiter als auf eine, obgleich große Wahrſcheinlichkeit, bringen kan, da muß man ſich auch die Ungewißheit gefallen laſſen. Man urtheile, ob meine Bemuͤhung, folgende SaͤtzezuVorrede. zu widerlegen, entweder uͤberfluͤßig, oder un - gegruͤndet geweſen? nemlich dieſe Saͤtze: daß die gantze Auslegungskunſt, die gantze Hiſto - rie, die gantze Phyſick, die gantze Einrichtung unſrer Handlungen, nur wahrſcheinlich ſey? Die gewiſſe Erkenntniß leidet ohnſtreitig ſehr viel, wenn ſo viele und gewaltig große Theile unſerer Erkenntniß derſelben entzogen werden. Und es iſt nicht abzuſehen, warum ſo viele wichtige Erkenntnißarten auf einmahl mit dem Vorwurfe der Ungewißheit ſollen beſchmitzt werden? Mir iſt wenigſtens auch die hiſtori - ſche Erkenntniß viel zu ehrwuͤrdig, als daß mir gleichguͤltig ſeyn ſollte, wenn ſolche in lauter Ungewißheit verkehrt wuͤrde. Jch habe da - her dieſelbe, wie die uͤbrigen Erkenntnißarten, in den vernuͤnftigen Gedancken vom Wahr - ſcheinlichen, und deſſen gefaͤhrlichen Mißbrau - che ſorgfaͤltig vertheidigt. Es iſt aber ſolches, nach meinem damahligen Inſtituto, die Sache in Programmatibus abzuhandeln, nur uͤber - aus kurtz geſchehen. Wie ich aber bey ge - nauerer Pruͤfung gefunden, daß der Scepti - ciſmus in der Hiſtorie ſeine meiſte Nahrung daraus erhielte, daß man von der hiſtoriſchen Erkenntniß gar keine Grundſaͤtze, gar keine be - ſtimmten Lehrſaͤtze hatte; ja daß die Grund - begriffe derſelben, in der groͤſten Verwirrungb 3ſichVorrede. ſich befaͤnden, ſo hat mich die Liebe zur gewiſ - ſen Erkenntniß auch in dieſem Stuͤcke ange - trieben, dem ausbrechenden hiſtoriſchen Sce - pticiſmo durch eine vollſtaͤndige Erklaͤrung der hiſtoriſchen Erkenntniß auf die nachdruͤcklichſte Art zu begegnen.

Jederman, der auf die Zeichen der gegen - waͤrtigen Zeiten Achtung hat, wird es vor eine unumgaͤnglich noͤthige Bemuͤhung erkennen muͤſſen, wenn Gottesgelehrte ſich denen ſo kuͤhnen, als gefaͤhrlichen Unternehmungen der Naturaliſten mit allen Kraͤften widerſetzen, und ſie zwar nicht mit fleiſchlichen Waffen, aber doch mit den Waffen des Lichts zu daͤm - pfen ſich beſtreben. Man darf ſich aber nur etwas in den Schriften der engliſchen Frey - geiſter, und was nach ihrem Exempel auch Spoͤtter in Deutſchland geſchrieben haben, umſehen, ſo wird man bald gewahr, daß we - nigſtens die Helfte ihrer Einwuͤrfe und Spoͤt - tereyen, wider die hiſtoriſchen Capitel und Stellen der heiligen Schrift gerichtet ſind. Bald tadelt man die gantze Erzehlungsart, die in der Schrift gebraucht worden, daß ſolche gar nicht nach den Regeln der Kunſt, und nach den beſten Beyſpielen der Griechiſchen und Roͤmiſchen Geſchichtſchreiber eingerichtet ſey:baldVorrede. bald beſchuldiget man einzelne Stuͤcke der hei - ligen Geſchichte der Unwahrſcheinlichkeit, oder des Widerſpruchs, oder einer Unbilligkeit, die dennoch in der Schrift nicht ſey geahndet worden; bald findet man Stellen und Um - ſtaͤnde in Profanſcribenten, mit deren kund - baren Wahrheit, dieſe oder jene Erzehlung in der Schrift, nicht beſtehen koͤnne. Man darf des hoͤchſtverdienten Herrn D. Baumgartens erſten Theil ſeiner vortrefflichen Kirchenge - ſchichte nachſehen, ſo wird man finden, daß faſt kein Artickel der Geſchichte, die die heili - gen Evangeliſten aufgezeichnet haben, von ſol - chen Vorwuͤrfen frey geblieben ſey. Soll man ſolchen unſeligen Unternehmungen ſich nicht, wie dieſer große Gottesgelehrte bey un - zaͤhligen Stuͤcken der heiligen Geſchichte ſchon gethan, eifrigſt widerſetzen? Nun iſt wohl an dem, daß Streitigkeiten uͤber hiſtoriſche Wahr - heiten ſich nicht ſowohl aus allgemeinen Prin - cipiis, als vielmehr aus den beſondern Um - ſtaͤnden, und ſorgfaͤltigſt aufgeſuchten und un - terſuchten Particularitaͤten der ſtreitigen Ge - ſchichte, ingleichen aus Zuſammenhaltung ver - ſchiedener Zeugniſſe, und aus der ſpeciellen Kenntniß der Geographie, Chronologie und Antiquitaͤten entſcheiden laſſen. Doch wird man auch geſtehen muͤſſen, daß wie die aller -b 4meiſtenVorrede. meiſten Streitigkeiten in andern Wiſſenſchaf - ten zwar nicht lediglich aus der Logick, den - noch aber auch nicht ohne Beyhuͤlfe der Lo - gick, koͤnnen entſchieden, noch in ein voͤlliges Licht geſetzt werden; alſo auch die hiſtoriſchen Streitigkeiten zwar nicht alles, aber doch vie - les, und oͤfters ihr unentbehrliches Licht, aus der allgemeinen Geſchichtswiſſenſchaft erhal - ten muͤſſen. Meines Orts nun habe mich ſeit Antretung meines Lehramts der Gottes - gelahrheit verbunden geachtet, das Maaß der mir verliehenen Kraͤfte, hauptſaͤchlich nach den Umſtaͤnden der gegenwaͤrtigen Zeiten, zum Dienſte der Gemeinde Chriſti anzuwenden, und in dieſer Abſicht zufoͤrderſt die gantze Ge - denckart der Naturaliſten in ihrer Bloͤße dar - zuſtellen. Meine Unterſuchung der Frage: Ob Joſeph ſich gegen die Egyptier tyranniſch erwieſen? ingleichen der andern, noch wichti - gern: Warum unſer hochgelobter Heyland nicht im Angeſicht ſeiner Feinde auferſtanden ſey? wird jeden Leſer gar bald uͤberzeugen, daß ich mir dabey die Lehren der allgemeinen Geſchichtswiſſenſchaft zu nutze gemacht habe. Und mit goͤttlicher Huͤlfe ſollen mit der Zeit noch mehrere nutzbare Anwendungen bey Streitigkeiten und Fragen dieſer Art ans Licht geſtellt werden.

UnterVorrede.

Unter ſo vielerley andern Arbeiten und Be - muͤhungen auf den Grund der Dinge zu kom - men, hat ſich nach und nach gegenwaͤrtige Abhandlung in mir ausgewickelt; und der Grundriß der gantzen hiſtoriſchen Erkenntniß mehr und mehr aufgeklaͤrt; Es fehlte nur noch an einer bewegenden Veranlaſſung, die Feder ſelbſt anzuſetzen, und dieſes neue Lehr - gebaͤude wuͤrcklich aufzufuͤhren, deſſen Schwie - rigkeiten gar leicht den Aufſchub von einer Zeit zur andern haͤtten verurſachen koͤnnen. Die oͤftere Vorſtellung einer neuen Academie, auf der ich, mitten unter andern vortrefflichen Maͤnnern, zum Lehrer geſetzt worden, hat endlich der Sache den Ausſchlag gegeben. Eine neue Academie iſt beynahe ſchuldig und verpflichtet, einen mercklichen Beytrag zum Wachsthum der wahren und nuͤtzlichen Er - kenntniß zu thun. Ein Theil ſolcher Ver - bindlichkeit lieget auf meinen Schultern, ſo viel nemlich als dieſelben von ſolcher Laſt tra - gen koͤnnen. Jch habe alſo nicht Anſtand nehmen wollen, mich eines Theils derſelben, ſo bald als moͤglich, zu entſchuͤtten. Und in dieſer Geſinnung iſt die Ausarbeitung und Ausgabe gegenwaͤrtiges Buchs unter goͤttli - chen Beyſtande, erfolget. So viel bin ver -b 5ſichert,Vorrede. ſichert, daß dieſelbe vor das Reich der Wahr - heit nicht ohne allen Nutzen ſeyn werde. Re - geln, wo vorhin keine geweſen ſind, koͤnnen unmoͤglich gantz unfruchtbar ſeyn. Sollten aber die Leſer meines Buchs die darinne vor - getragene allgemeine Geſchichtswiſſenſchaft von großem Nutzen zu ſeyn befinden, ſo wuͤrde mir ſolches uͤberaus angenehm ſeyn; nicht ſowohl um des Werthes willen, der demſelben dadurch zuwachſen wuͤrde, als viel - mehr darum, weil durch die Anrichtung einer ſo nuͤtzlichen Wiſſenſchaft die große Abſicht wenigſtens einestheils erfuͤllet wuͤrde, welche der Durchlauchtigſte Stiffter unſerer Frie - drichsuniverſitaͤt, nach ſeiner hohen Weis - heit bey der Stifftung derſelben gehabt hat.

Es iſt leicht zu ermeſſen, daß es bey der Ausarbeitung an muͤhſamen Ueberlegungen nicht werde gefehlet haben, wie theils der gantze Grundriß, theils einzelne Capitel, auf die brauchbarſte Art moͤchte eingerichtet wer - den. Bey bekannten und ſchon oͤfters ab - gehandelten Diſciplinen iſt die Einrichtung großer und kleiner Theile viel leichter gefun - den. Eine Entſchlieſſung vornehmlich iſt erſt nach einem langen Zweifel getroffen worden. EsVorrede. Es war nemlich die Frage: Ob ich lieber dieſe Lehren von der hiſtoriſchen Erkenntniß unmittelbar zum beſondern Gebrauch der Gottesgelahrheit einrichten wollte? oder aber dieſelbe ſo allgemein abfaſſen, daß ſie in allen Theilen der Gelahrheit, in hiſtoriſche Erkennt - niß einen Einfluß hat, mit gleichem Nutzen koͤnnten gebraucht werden? Das erſte zu thun ermunterte mich meine Hauptabſicht, welche allerdings auf die Erklaͤrung und Ver - theidigung der geoffenbarten Wahrheiten ge - richtet iſt. Ja ich habe auch auf Seiten meiner Leſer ſicher vermuthen koͤnnen, daß gar vielen eine Abhandlung dieſer Art, nem - lich mit der beſtaͤndigen unmittelbaren An - wendung, auf Stellen der heiligen Schrift, auf Glaubensartickel, auf polemiſche Wahr - heiten, auf die Kirchengeſchichte angenehmer ſeyn duͤrfte, als eine gantz allgemeine Ab - handlung. Jm Gegentheil zeigte mir die allgemeine Abhandlung auch ihre Vortheile. Einmahl theilet ſich das gantze Reich aller Wahrheiten in zwey große Theile; nemlich der allgemeinen Wahrheiten, und der hiſto - riſchen Wahrheiten. Jene ſind mit den ſchoͤnſten Regeln in der Logick verſehen: jeder erlernet ſolche Regeln: man ſiehet ſie als dasLebenVorrede. Leben der Gelahrheit an: man haͤlt denjeni - gen vor einen verdorbenen Gelehrten, der ſich niemahls mit ihnen bekannt gemacht hat. Sollten die hiſtoriſchen Wahrheiten, die in den hoͤhern Facultaͤten ein ſo großes Stuͤck ausmachen, nicht gleiches Recht genieſſen, in Regeln gefaſſet zu werden? und ſollten dieſe Regeln nicht ebenfalls die Gelahrheit, obgleich auf eine neue Art befoͤrdern, aufklaͤren und erleichtern? Meines Orts bin davon voͤllig uͤberzeugt, und eine ſolche Ueberzeugung wird mich bey allen billigen Leſern ohnſchwer recht - fertigen, daß ich lieber eine allgemeine Ge - ſchichtswiſſenſchaft der Welt liefere, die zufoͤr - derſt der Gottesgelahrheit gute Dienſte thun kan, als daß ich eine Abhandlung habe liefern wollen, die bloß der Gottesgelahrheit gewid - met geweſen waͤre.

Um eben den Einfluß der in dieſem Buche abgehandelten Wahrheiten in die Gottesge - lahrheit, und beſonders auch in die Dogma - tick, nur etwas zu erlaͤutern, ſo will folgen - den Satz meinen Leſern zur Erwegung vor - legen. Jch ſage: alles, was bey der Ge - ſchichtserkenntniß auſſer der Theologie, wie im kleinen vorkommt, daſſelbe trifft man inderVorrede. der Offenbarung im großen, und in der An - wendung auf viel hoͤhere und herrlichere Ge - genſtaͤnde an. Exempel ſollen dieſe Wahr - heit beſtaͤtigen. Die gemeinen Weltgeſchich - te gehen doch nur mit Thaten der Men - ſchen um, die Offenbarung aber mit den großen Thaten Gottes; jene beſtehen hoͤch - ſtens aus ſeltenen Begebenheiten, dieſe aber lehret uns die groͤßten Wunderthaten: jene beſtehet und beruhet auf Zeugniſſen der Menſchen; dieſe aber beziehet ſich ſogar auf Zeugen im Himmel: jener ihre Zierde ſind geheime Nachrichten; dieſe aber zeigt uns hohe und goͤttliche Geheimniſſe: jene beſchaͤfftiget ſich mit Anſchlaͤgen der Men - ſchen; dieſe aber vornehmlich mit den ewi - gen Rathſchluͤſſen Gottes, die Seligkeit der Menſchen betreffend: jene beſtehet aus Tha - ten und Begebenheiten, die in die Augen der Menſchen fallen; dieſe haͤlt eine große Menge von Begebenheiten des Hertzens, ſowohl der Frommen, als der Boͤſen, in ſich: in jener finden wir Denckmahle der menſch - lichen Thaten; in der Offenbarung aber Denckmahle der goͤttlichen Wunder: in jenen beziehet man ſich oft auf Brief und Siegel; in dieſer werden uns Siegel dergoͤtt -Vorrede. goͤttlichen Verheiſſungen und Gnade, an den Sacramenten, ja eine Verſiegelung der Glaͤubigen gewieſen, u. ſ. w. Nun urtheile ich alſo: Wer von den goͤttlichen Tha - ten, von den Wundern Gottes, von himm - liſchen Zeugniſſen und Zeugen, von goͤttlichen Rathſchluͤſſen, von Geheimniſſen, von Bege - benheiten und Geſchichten des Hertzens, von Denckmahlen der goͤttlichen Wercke, von den Siegeln der goͤttlichen Verheiſſungen, han - deln, und dieſe hohe Wahrheiten vertheidigen und anpreiſen ſoll, der wird ſolches viel leichter, ausfuͤhrlicher und gruͤndlicher thun koͤnnen, wenn er uͤberhaupt von der innern Beſchaffenheit der Thaten, der Zeugniſſe und Zeugen, der Denckmahle, der Siegel, der Geheimniſſe, der Rathſchlaͤge, u. ſ. w. gruͤnd - lich unterrichtet iſt, als wenn er von allen dieſen Dingen keine weitere Erkenntniß hat, als diejenige, die jederman im gemeinen Le - ben, bloß aus Exempeln, ohne weiteres Nach - dencken erlanget. Von allen dieſen Dingen aber gruͤndlich zu handeln, iſt eben das eigene Werck der allgemeinen Geſchichtswiſſenſchaft, die unſere Leſer hierdurch in die Haͤnde gelie - fert bekommen.

DochVorrede.

Doch ich bemuͤhe mich vielleicht mehr, als noͤthig iſt, die Anwendung der hier vorgetra - genen deutlichen Begriffe bey hoͤhern Wahr - heiten, und beſonders bey den geoffenbarten, darzuſtellen. Wenigſtens iſt zu beſorgen, daß ich daruͤber die Graͤntzen einer Vorrede ſchon uͤberſchritten habe. Und dieſe Beſorg - niß haͤlt mich vollends ab, von der Anwen - dung derſelben bey andern Arten der Gelahr - heit, auch nur ein weniges zu ſagen. Der Gebrauch, den einige gelehrte Goͤnner davon zu machen willens ſind, denen ich den Grund - riß dieſer Wiſſenſchaft ſchon vor einiger Zeit mitgetheilet habe, wird die Sache am klaͤrſten beſtaͤtigen. Und die tieffe Einſicht, welche ich von dem mehreſten Theil meiner Leſer ver - muthen kan, uͤberhebt mich vollends der Nothwendigkeit, in der Vorrede weitlaͤuftig zu ſeyn. Sie werden an dem Nutzen nicht zweifeln, woferne ſie nur verſichert ſind, daß Wahrheiten in dieſem Buche vorgetragen ſind. Und damit ſie zu verwahren, bin ich aͤuſſerſt befliſſen geweſen. Ja! mein einiger Wunſch gehet dahin, daß durch die ange - ſtellten Unterſuchungen manches Vorurtheil, manche Verwirrung, mancher Jrrthum moͤge gehoben werden, welcher bisher ungepruͤftdurch -Vorrede. durchgegangen iſt; und alſo in dem Verſtan - de der Menſchen den Fortgang der Erkennt - niß gehindert, ja dem Glauben wohl ſelbſt zum Anſtoße gereichet hat. So wird denn auch durch dieſe meine geringe Arbeit, die Ehre des Hoͤchſten befoͤrdert, und manchem Feinde der Wahrheit Zaum und Gebiß in den Mund geleget werden. Geſchrieben auf der Friedrichsuniverſitaͤt zu Erlangen den 22ten Sept. 1751.

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Erſtes[1]

Erſtes Capitel, Von der hiſtoriſchen Erkentniß uͤberhaupt.

§. 1. Die Menſchen ſtellen ſich die Begebenheiten der Welt auf eine beſondere Art vor.

Da die Welt nichts anders, als eine un - begreifflich groſſe Menge, oder Reyhe, von lauter endlichen und eingeſchrenckten Weſen iſt; ſo muͤſſen in derſel - ben, und in allen ihren groſſen und kleinen Thei - len unaufhoͤrlich Veraͤnderungen vorgehen. Gleichwie nun der unendliche Geiſt, und das hoͤchſte Weſen ſich dieſelben insgeſamt auf das allerdeutlichſte vorſtellet; alſo treffen wir bey de - nen mit Verſtand begabten Geſchoͤpfen, oder end - lichen Geiſtern, ebenfals eine Krafft an, ſich dieAWelt2Erſtes Capitel,Welt mit ihren Veraͤnderungen, jedoch auf eine gantz andere und eingeſchrenckte Art, vorzuſtel - len: indem ſie weder alle Veraͤnderungen oder Be - gebenheiten erkennen, noch ſich dieſelben auf ein - mahl, und in ihrer gantzen Verbindung vorſtel - len koͤnnen. Und da jede Art der endlichen Gei - ſter eine beſondere Art haben muß, ſich die Welt vorzuſtellen, ſo iſt uns zu wiſſen beſonders noͤthig, wie der Menſchen ihre Erkentniß von denen Veraͤnderungen der Welt beſchaffen iſt.

§. 2. Was die hiſtoriſche Erkentniß iſt?

Wenn wir die Wircklichkeit einer Sache, wel - che fortdauret, anzeigen wollen, ſo ſprechen wir: ſie iſt. Z. E. die Sonne iſt: Es iſt Friede: auf dem Felde ſind Steine. Wenn wir aber Sachen anzeigen wollen, welche entweder gantz, oder in ihren Theilen augenblicklich vergehen: ſo ſprechen wir: ſie geſchehen. Z. E. es geſchie - het eine Schlacht: es geſchiehet ein Donner - ſchlag. Die Erkentniß der Dinge, welche ſind oder geſchehen, wird zuſammen genommen die Hiſtoriſche Erkentniß genennet.

§. 3. Was Begebenheiten und Umſtaͤnde ſind?

Eine Veraͤnderung in der Welt, in ihrer Wircklichkeit, und vor ſich betrachtet, heiſſet eine Begebenheit. Wenn man nehmlich eine Sa - che abgebrochen erzehlet, ſo ſpricht man gemeini - glich: es begab ſich. Eben dieſelben Dinge werden aber auch ſowohl Veraͤnderungen alsBege -3von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. Begebenheiten genennet; nachdem man ſie ent - weder vor ſich, oder aber in der Verbindung mit dem vorher gegangenen betrachtet. Eine Sache die da iſt, welche entweder in dem Begriff einer andern enthalten iſt, oder wenigſtens damit zu - ſammenhanget, und ihr gleichſam an die Seite geſetzet iſt: heiſſet ein Umſtand. Eine Bege - benheit, die die Folge einer andern aͤndert, heiſ - ſet ein Zufall.

§. 4. Was ein hiſtoriſcher Satz iſt?

Wenn wir bey einer Begebenheit gegenwaͤr - tig ſind, und wir uns derſelben bewuſt ſind, ſo entſtehet in unſerm Verſtande ein Urtheil. Ein Urtheil pflegt gemeiniglich uns der Worte zu er - innern, wodurch man ſolches ausdrucken koͤnte. Wenigſtens, wenn wir unſere Vorſtellung von einer Begebenheit andern bekannt machen wollen, ſo brauchen wir Worte dazu, und ſuchen ſolche, wodurch ſich unſer Urtheil geſchickt ausdrucken laͤſſet. Ein Satz, dadurch eine Begebenheit, oder unſer Urtheil von der Begebenheit ausge - druckt wird, wollen wir einen hiſtoriſchen Satz nennen.

§. 5. Was wir eine einige Begebenheit heiſſen?

Gleichwie jeder eintzelne Satz nur ein einiges Praͤdicat haben ſoll; alſo ſoll auch durch einen hiſtoriſchen Satz nur eine einige Begebenheit ausge - druckt werden. Wir muͤſſen daher genauer be - ſtimmen, was eine einige Begebenheit ſey? A 2Die4Erſtes Capitel,Die Begebenheit iſt nehmlich eine Veraͤnderung in einem vorhandenen Dinge (§. 3.). Wenn ich nun in einer vorgehenden Veraͤnde - rung, durch die bloſſe Aufmerckſamkeit nichts weiter unterſcheide, ſo wird die Veraͤnderung als eine einige angeſehen. Z. E. man ſiehet es blitzen. Die Veraͤnderung iſt das helle Licht, welches auf einmahl entſtehet. Wie man nun darinne, wegen der groſſen Geſchwin - digkeit, nichts durch die Aufmerckſamkeit unter - ſcheiden kan, alſo iſt ein geſchehener Blitz eine Begebenheit. Ein Ziegel faͤllt vom Dache: auch hier iſt wegen der Geſchwindigkeit wenigſtens in manchen Faͤllen, nichts zu unterſcheiden: daher iſt dieſer Fall eine Begebenheit.

§. 6. 1. Art, viele Begebenheiten als eine an - zuſehen.

Wenn eine Reyhe von aͤhnlichen Ver - aͤnderungen unmittelbar auf einander er - folgen, ſo werden dieſelben zuſammen als eine Begebenheit angeſehen. Z. E. Ein an - haltender Donnerſchlag iſt eine anhaltende, oder welches einerley iſt, eine vielfache Erſchuͤtterung der Lufft. Man kan aber dieſelben unmittelbar auf einander erfolgende Erſchuͤtterungen nicht von einander unterſcheiden; daher wird ein noch ſo lange anhaltender Donnerſchlag, zumahl wenn ſich der Klang ſelbſt nicht aͤndert, als eine Bege - benheit angeſehen.

§. 7.5von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt.

§. 7. 2. Art, viele Begebenheiten als eine anzuſehen.

Eben ſo, wenn eine Reyhe von aͤhnlichen Veraͤnderungen neben einander zugleich entſtehet, ſo werden ſie ebenfals als eine Begebenheit an - geſehen. Ein Regiment Soldaten z. E. giebt auf einmahl Feuer; hieraus entſtehet ein lang aus - gedehnter Rauch, den man aber vor eine Sache anſiehet.

§. 8. 3. Art, viele Begebenheiten als eine anzuſehen.

Wenn Veraͤnderungen in einer gewiſſen Ord - nung auf einander erfolgen; ſo werden dieſelben (ob man ſie gleich von einander unterſcheiden koͤn - te, auch wohl gar wircklich unterſcheidet,) als ei - ne Veraͤnderung, und mithin als eine Begeben - heit angeſehen. Ein Aufzug und Proceßion, ſo lang dieſelbe auch immer ſeyn mag, wird von al - len als eine einige Sache angeſehen; nehmlich die Ordnung, die die Perſonen unter einander und im Aufziehen beobachten, macht ſie zu einer Sache. Siehet man einer Proceßion aber von ferne zu, wo man die Partheyen, woraus ſie beſtehet, oder we - nigſtens eintzelne Perſonen nicht mehr unterſchei - den kan; ſo wird ihr Aufzug nach dem 6. §. als eine einige Begebenheit angeſehen.

§. 9. 4. Art, viele Begebenheiten als eine anzuſehen.

Wenn viele Veraͤnderungen, entweder zu - gleich, oder nach einander in einerley Abſicht ge -A 3ſchehen,6Erſtes Capitel,ſchehen, ſo machen ſie zuſammen eine Begeben - heit und eine Veraͤnderung aus. Wie viele Hand - lungen werden nicht unter dem Worte: der Aus - richtung einer Hochzeit begriffen? wie vielerley gehoͤrt nicht zu einer Kriegsruͤſtung? Nehmlich ſo vielerley Handlungen werden bloß wegen der gemeinſchafftlichen, oder einerleyen Abſicht, als eine Begebenheit betrachtet.

§. 10. 5. Art, viele Begebenheiten als eine anzuſehen.

Wenn viele Veraͤnderungen unter einem moraliſchen oder phyſicaliſchen Begriffe enthalten ſind, der dem Zuſchauer bekant iſt, ſo gehoͤren dieſelben zu einer Art, und werden daher als ei - ne Begebenheit angeſehen. Z. E. Streitlieb hat ſehr viele Gelehrte angefochten, und ſeinen auf - geſuchten Gegnern fleißig geantwortet: er ſelbſt iſt von vielen angegriffen worden, und iſt nie - mahls iemanden etwas ſchuldig geblieben. Alles dieſes wird ſeiner Aehnlichkeit wegen in einem all - gemeinem Begriffe zuſammen gefaſſet, und man ſagt kuͤrtzlich: Streitlieb habe ſein Leben mit Con - troverſien zugebracht.

§. 11. 6. Art, viele Begebenheiten als eine anzuſehen.

Alle Begebenheiten, welche ſich in einer, und mit einer Sache zugetragen, werden als eine Begebenheit angeſehen. Denn nicht allein ihre Aehnlichkeit, daß ſie zu einer Sache gehoͤren,ſon -7von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. ſondern auch, weil hier gemeiniglich eines den Grund des andern in ſich enthaͤlt, macht, daß ſie als eine Sache angeſehen werden. Wenn man ſagt: Das Leben Alexanders, Carl des groſſen, Luthers, ſo faſſet man alle Begebenheiten ſolcher Maͤnner in einen Begriff zuſammen, und der Grund davon iſt die Einheit der Perſon.

§. 12. Allgemeine Anmerckung und Regel.

Ohngeachtet alſo eine Begebenheit eigentlich dieienige iſt, darinnen durch die bloſſe Aufmerck - ſamkeit nichts unterſchieden werden kan (§. 5.): dennoch pflegen oͤffters Begebenheiten, die ſich entweder der Zeit (§. 6.), oder dem Orte nach (§. 7.), oder auch durch ihre innerliche Beſchaf - fenheiten (§. 9. 10. 11. ) unterſcheiden lieſſen, als eine Begebenheit angeſehen zu werden; weil man ſie nehmlich entweder nicht ſo gleich unterſcheiden kan, oder auch in einer gewiſſen Abſicht (als der Kuͤrtze halber,) nicht unterſcheiden will.

§. 13. Was eine Geſchichte ſey?

Eine Reyhe von Begebenheiten wird eine Geſchichte genennet. Das Wort Reyhe be - deutet allhier, wie es auch der gemeine Gebrauch deſſelben mit ſich bringet, nicht bloß eine Vielheit oder Menge; ſondern zeigt auch die Verbindung derſelben unter einander, und ihren Zuſammen - hang an; welcher, wie kuͤnfftig wird gezeiget werden, vielerley ſeyn kan. Man wird aus den vorhergehenden leichte begreiffen, wie eine Bege -A 4benheit8Erſtes Capitel,benheit, wenn man ſie nehmlich auswickelt, zu ei - ner Geſchichte; und wiederum eine Geſchichte, wenn man ſie zuſammen ziehet, zu einer Bege - benheit werden kan. Die Begriffe aber der Be - gebenheit, und der Geſchichte, muͤſſen dennoch an und vor ſich ſelbſt unterſchieden bleiben.

§. 14. Die Geſchichte iſt von der Erkentniß derſelben, wie auch von der Erzehlung und Nach - richt unterſchieden.

Gleichwie die Vorſtellung der Begebenheit von der Begebenheit ſelbſt unterſchieden iſt, und durch einen hiſtoriſchen Satz ausgedruckt wird (§. 4.), alſo iſt auch von der Geſchichte die Er - kentniß der Geſchichte zu unterſcheiden. Wird nun eine Begebenheit durch ein Urtheil dem Ver - ſtande vorgeſtellt, und durch einen Satz ausge - druckt (§. 4.): ſo wird die Geſchichte, als eine Reyhe oder Menge von Begebenheiten, durch viele Urtheile dem Verſtande vorgeſtellt, und durch viele Saͤtze ausgedruckt werden muͤſſen. Die Saͤtze, wodurch eine Geſchichte ausgedruckt wird, heiſſen eine Erzehlung. Worte, wo - durch entweder eine Begebenheit, oder auch eine Erzehlung ausgedruckt wird, heiſſen uͤberhaupt eine Nachricht. Man ſuchet durch dieſe ſorg - faͤltige Erklaͤrungen nicht etwa den Worten zu ſtatten zu kommen, als wenn ſie unbe - kant oder auch unverſtaͤndlich waͤren, ſondern es iſt uns bloß um die Grundbegriffe der hiſto - riſchen Erkentniß zu thun, welche auf das aller -genaueſte9von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. genaueſte und auf das allerrichtigſte beſtimmet werden muͤſſen.

§. 15. Geſchichte koͤnnen ohne Erzehlungen, dieſe aber nicht ohne jenen ſeyn.

Begebenheiten ſind Veraͤnderungen wirckli - cher Dinge (§. 4.); und Geſchichte ſind nicht minder wirckliche Veraͤnderungen derer wirckli - chen Dinge (§. 13.). Wie nun die wircklichen Dinge nicht noͤthig haben, daß ſie durch Men - ſchen erkant, und von ihnen durch Worte aus - gedruckt werden; alſo koͤnnen Begebenheiten und Geſchichte vorgehen, ohne daß eben deswegen hi - ſtoriſche Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten daraus entſtehen. Hingegen da die Erkentniß wircklicher Dinge nicht ſeyn kan, wenn nicht die Wircklichkeit der Dinge ſelbſt ſchon vorausgeſetzt wird: ſo koͤnnen hiſtoriſche Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten nicht ſtatt finden, wo nicht Be - gebenheiten und Geſchichte vorausgeſetzt werden.

§. 16. Geſchichte und Erzehlungen gehoͤren zuſammen.

Weil hiſtoriſche Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten nicht ſtatt finden, wo nicht die da - durch ausgedruckten Begebenheiten und Geſchich - te vorausgeſetzt werden (§. 15.): hingegen Be - gebenheiten und Geſchichte, die uns nicht vorge - ſtellt werden, auch kein Vorwurff unſerer Betrach - tung ſeyn koͤnnen; ſo gehoͤren zum Begebenheiten auch Erzehlungen und Nachrichten; und wieder -A 5um10Erſtes Capitel,um zum Erzehlungen und Nachrichten gehoͤren Geſchichte. Mithin gehoͤren dieſe Dinge ſo zuſam - men, daß eins ohne das andere nicht ſeyn kan. Sie muͤſſen aber dennoch von einander unterſchieden werden; weil die hiſtoriſchen Schwierigkeiten bald aus der Geſchichte und Begebenheit ſelbſt, bald aber aus den Nachrichten und Erzehlungen entſpringen.

§. 17. Was das Wort Hiſtorie bedeute!

Das eigentlich Griechiſche Wort: Hiſtorie, zeiget ſowohl die Begebenheit an und vor ſich be - trachtet, als auch die Vorſtellung derſelben, und die daraus erſt flieſſende Erzehlung an. Eben dieſes Wort wird auch ſowohl von denen eintzel - nen Begebenheiten und Geſchichten gebraucht; wie aus den haͤufigen Exempeln klar iſt. Daher iſt der Begriff und die Bedeutung des Wortes: Hiſtorie ſehr weitlaͤufftig; und begreifft die Be - gebenheiten, die Zufaͤlle, die hiſtoriſchen Saͤtze, die Umſtaͤnde, die Geſchichte, die Erzehlungen und Nachrichten unter ſich: Das iſt, alle dieſe verſchiedenen Begriffe werden uns zuſammen, und in einer groſſen Verwirrung vorgeſtellt, wenn wir das Wort Hiſtorie brauchen. Und da dieſe Dinge gewiſſer maſſen zuſammen gehoͤ - ren, ſo iſt auch dienlich, daß man ſie ſich, wenigſtens in gewiſſen Faͤllen zuſammen vorſtellt. Wir werden hingegen auch jedesmahl, wo es noͤthig iſt, jedes ins beſondere mit ſeinem eigenen Nahmen benennen.

§. 18.11von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt.

§. 18. Geſchichte muͤſſen ein gewiſſes Subject haben.

Die Begebenheiten, und mithin auch die Geſchichte ſind Veraͤnderungen (§. 3. 13.) Ver - aͤnderungen ſetzen ein Subject, ein dauerhafftes Weſen oder Subſtantz voraus. Folglich muͤſſen 1. die Begebenheiten und Geſchichten ein Sub - ject haben, dahin dieſelben gehoͤren. Und ſo muͤſ - ſen 2. auch die hiſtoriſchen Saͤtze, Erzehlungen und Nachrichten, jedesmahl ihr Subject haben, deſſen Veraͤnderungen darinnen vorgetragen wer - den. Nur, daß einmahl das Subject einer Sub - ſtantz aͤhnlicher ſiehet und uns vorkomt, als das andere mahl. Die Geſchichte Caͤſars haben ihr ungezweifeltes und zwar einiges Subject: inglei - chen die Hiſtorie von Rom. Aber die Hiſtorie der Roͤmiſchen Freyheit, die Hiſtorie der En - thuſiaſterey hat ein Subject, welches nicht von jedem ſogleich als was ſubſtantielles duͤrffte ange - ſehen werden.

§. 19. Wie ſie mehrere Subjects haben koͤnnen?

Weil endliche Dinge mit andern endlichen, und mithin veraͤnderlichen Dingen zu thun haben, ſo gehoͤren die Begebenheiten des einen oͤffters mit zu den Begebenheiten des andern: Wie die Geſchichte eines Menſchen gemeiniglich etwas von den Geſchichten ihrer Eltern und ihrer Kinder in ſich faſſen. Daher komt es nun, daß die Thei - le einer Geſchichte, nicht allemahl ein Subject ha -ben,12Erſtes Capitel,ben, ſondern auch offt von gantz verſchiedenen Dingen handeln.

§. 20. Art des Subjects.

Die Veraͤnderungen wechſeln ab, da unter - deſſen das Subject der Begebenheiten, und der Geſchichte, beſtaͤndig fortdauert. Dannenhero ge - hoͤret das Subject jeder Begebenheit, Veraͤnde - rung, Geſchichte, Erzehlung und Hiſtorie unter die Dinge welche ſind (§. 2.).

§. 21. Wo die Erkentniß einer Geſchichte anfaͤngt.

Das Subject einer Veraͤnderung und Bege - benheit gehoͤret unter die Dinge, welche ſind (§. 20). Es iſt aber auch zugleich das Subject des hiſtori - ſchen Satzes, wodurch die Begebenheit ausge - druckt wird. Da nun das Subject eines Satzes eher erkant wird, als ſein Praͤdicat; ſo muß das Subjectum der Begebenheit und Geſchichte eher erkant ſeyn, als die Begebenheit ſelber.

§. 22. Die Erkentniß der Geſchichte hat zwey Objecte.

Ein hiſtoriſcher Satz beſtehet theils aus der Erkentniß des Subjects, theils aus der Erkent - niß der Veraͤnderung (§. 18.): Das Subject gehoͤret unter die Dinge, welche ſind (§. 20.): und die Veraͤnderung hingegen unter die Dinge, welche geſchehen (§. 2.). Daher 1. iſt in jedem hiſtoriſchen Satze die Erkentniß eines Dinges,wel -13von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. welches iſt, mit der Erkentniß einer Sache ver - bunden, die geſchiehet. Weil aber die Erkent - niß des Subjects voraus geſetzet wird, und die Erkentniß der Begebenheit, oder Praͤdicats dar - auf folget (§. 21.): ſo 2. richtet ſich die Einſicht in die Veraͤnderungen eines Dinges, nach der Erkentniß, die wir von der Sache an und vor ſich betrachtet haben. Z. E. der Gelehrte hat gleich eine andere Jdee vom Monde, wie ſolcher be - ſtaͤndig ausſiehet, als der gemeine Mann: und nach dieſer verſchiedenen Erkentniß entſtehen auch ver - ſchiedene Vorſtellungen, wenn ſich eine Finſter - niß, ein Monden-Hoff, oder ſonſt etwas nicht alltaͤgliches damit begiebet.

§. 23. Die Erkentniſſe der Dinge welche ſind und ge - ſchehen, gehoͤren zuſammen.

Weil ſich die Erkentniß der Veraͤnderungen eines Dinges, nach der Erkentniß richtet, die man von dem Dinge ſelbſt hat (§. 22.): dieſes Ding aber unter diejenigen gehoͤret, welche ſind (§. 20.): ſo kan 1. man von der Erkentniß der Weltbegeben - heiten nicht Rechenſchafft geben, wenn man nicht weiß, was es vor Beſchaffenheit habe, mit den Dingen, welche ſind. Wie nun die Erkentniß der Dinge, welche ſind und geſchehen, die hiſto - riſche Erkentniß ausmachen (§. 2.): alſo ſiehet man 2. daß man den einen und bekanteſten Theil der Geſchichte, der nehmlich die geſchehene Dinge betrifft, nicht wohl ohne dem andern, durch eine brauchbare Theorie erlaͤutern koͤnne.

§. 24.14Erſtes Capitel,

§. 24. Jede Hiſtorie erfordert einen Zuſchauer.

Die Geſchichte werden zu Erzehlungen und Nachrichten, wenn man ſich dieſelbe vorſtellt, und durch Worte ausdruckt (§. 14.): und die Hiſto - rie begreifft alles dieſes in ſich (§. 17.). Eine Hiſtorie erfordert daher eben ſowohl, als jede Er - zehlung, einen Zuſchauer der Begebenheit, wel - cher ſich dieſelbe vorgeſtellt, und ſie in eine Er - zehlung und Hiſtorie gebracht hat.

§. 25. Eintheilung der Dinge, welche geſchehen.

Die Dinge, welche geſchehen, haben unter ſich eine groſſe Abtheilung: theils ſind ſie ge - ſchehen; theils werden ſie geſchehen: jenes heiſſen vergangene, dieſes zukuͤnftige Dinge. Man koͤnte nun zwar bey der hiſtoriſchen Erkent - niß, die dritte Art, nehmlich die gegenwaͤrti - gen Dinge, als die wichtigſten und betraͤchtlich - ſten auſehen: allein weil dasjenige, was geſchie - het, augenblicklich geſchiehet, und mithin indem und ſo lange es geſchiehet, keine beſondere Be - trachtung und Ueberlegung leidet, als worzu Zeit erfordert wird: ſo wird die hiſtoriſche Erkentniß gemeiniglich davor angeſehen, als ob ſie bloß auf vergangene und zukuͤnftige Dinge gerichtet waͤre.

§. 26. Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren zum Geſchichten.

Die Erkentniß der vergangenen Dinge wird im gemeinen Leben vor die gantze hiſtoriſcheErkent -15von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. Erkentniß angenommen; weil ſie nehmlich den groͤſten Theil derſelben ausmachet. Es iſt aber bekant, daß unſere Eintheilungen der Sachen und unſerer Erkentniß, die wir im gemeinen Leben brauchen, nicht allemahl geſchicklich abgefaſſet ſind. Wir folgen allda der Regel: a potiori fit deno - minatio. Und dieſes trifft bey dem Begriff der hiſtoriſchen Erkentniß ein. Denn ohngeachtet die Erkentniß des Zukuͤnfftigen gegen die Erkentniß des Vergangenen ſehr enge und kurtz geſaſſet iſt; ſo haben wir doch mancherley Einſicht ins Zukuͤnff - tige, nicht allein durch die Offenbarung, ſondern auch in der Aſtronomie und in buͤrgerlichen Ge - ſchaͤfften. Die Artzneykunſt hanget von dieſer Erkentniß ſo ſtarck ab, daß der Artzt nicht weni - ger ſeine Aufmerckſamkeit aufs Kuͤnfftige, als auf den gegenwaͤrtigen Zuſtand des Patienten zu richten hat. Und daher muß in der Vernunfft - lehre der Geſchichte, dieſer Begriff allerdings ſo weitlaͤufftig gefaſſet werden, daß er das Zukuͤnff - tige unter ſich begreiffet.

§. 27. Zuſammenhang der Willensmeinungen und der Hiſtorie.

Wenn wir etwas wollen, ſo betrifft es alle - mahl etwas zukuͤnfftiges: wir ſtellen uns nehmlich mancherley moͤgliche Dinge vor, welche kuͤnfftig zur Wircklichkeit gelangen koͤnnen: was uns nun darunter am beſten gefaͤllt, dabey bleiben wir ſte - hen, und daſſelbe wollen wir. Die Erkentniß demnach, woraus unſer Wollen entſtehet, ge -hoͤret16Erſtes Capitel,hoͤret zur hiſtoriſchen Erkentniß (§. 25.): und man kan von der Beſchaffenheit unſers Wollens nicht Rechenſchafft, wenigſtens nicht genaue Re - chenſchafft geben, wenn man nicht von der Be - ſchaffenheit der hiſtoriſchen Erkentniß unterrich - tet iſt.

§. 28. Viele Arten der Dinge, die von der hiſtori - ſchen Erkentniß abhangen.

Jm gemeinen Leben iſt nicht ſowohl der all - gemeine Begriff der Willensmeinungen, als viel - mehr die Arten derſelben bekant, als da ſind: Befehle, Geſetze, Verſprechungen, Pacte, Drohungen, Verheiſſungen u. ſ. w. Was wir aber von den Willensmeinungen uͤber - haupt gewieſen haben (§. 27.), daß ſie ſich auf hiſtoriſche Saͤtze gruͤnden, und daß man von ih - rer innerlichen Beſchaffenheit nichts erweiſen kan, ohne die hiſtoriſche Erkentniß voraus zu ſetzen, das gilt auch von allen ihren angeſuͤhrten Arten. Man kan nehmlich die Beſchaffenheit der Befeh - le, Geſetze, Verſprechungen, Pacten, Verheiſ - ſungen, Drohungen u. ſ. w. nicht recht einſehen, wenn nicht die Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Er - kentniß vorher in ein helles Licht geſetzet worden.

§. 29. Rechtsgelahrheit und hiſtoriſche Erkentniß werden verglichen.

Da die Jurisprudentz mit lauter buͤrgerli - chen Geſetzen zu thun hat, welche, wie offenbar, Geſetze, und mithin Willensmeinungen ſind; dieErkent -17von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. Erkentniß und tieffere Einſicht aber der Willens - meinungen von der hiſtoriſchen Erkentniß abhan - get (§. 27.): ſo iſt nicht zu zweifeln, daß die Rechtsgelahrheit aus einer gruͤndlichen Abhand - lung der hiſtoriſchen Erkentniß einen betraͤcht - lichen Vortheil erhalten werde. Man wird wi - der dieſen Beweis nichts einwenden koͤnnen, man muͤſte denn glauben, daß die Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Erkentniß an und vor ſich, auch oh - ne Regeln, ſo ſo klar und bekant waͤre, daß es keiner Anweiſung und beſondern Wiſſenſchafft da - bey beduͤrffe; welches aber durch dieſe gantze Ab - handlung wird widerlegt werden: worinnen die Lefer gar vielerley Betrachtungen antreffen wer - den, welche bis hieher noch niemahls ſind gemacht worden, und wodurch man vielen Vorurtheilen begegnen kan, die ſich bey der hiſtoriſchen Erkent - niß aus Ermangelung der Regeln eingeſchlichen haben.

§. 30. Weiſſagungen ſind eine Art von Geſchichten.

Gewiſſe und zuverlaͤßige Nachrichten von kuͤnfftigen Dingen, die ſich aber doch nicht durch Schluͤſſe aus dem gegenwaͤrtigen erweiſen laſſen, werden Weiſſagungen oder Prophezeyungen genennet. Es iſt klar, daß dieſelben ſowohl auf Seiten deſſen, der ſie vortraͤgt, als auf Seiten deſſen, der dadurch benachrichtiget wird, zur hi - ſtoriſchen Erkentniß gehoͤren (§. 14. 25.). Je begieriger der Menſch iſt, kuͤnfftige Dinge zu wiſ - ſen, deſto mehr und lieber beſchaͤfftiget er ſich mitBWeiſ -18Erſtes Capitel,Weiſſagungen, wenn dergleichen vorhanden ſind. Man ſiehet ſolches nicht allein daraus, daß ſo gar die eitelſten Ausſpruͤche von kuͤnfftigen Dingen, welche gar nicht den ehrwuͤrdigen Nahmen der Weiſſagungen verdienen, dennoch bey vielen Per - ſonen eine groſſe Aufmerckſamkeit verurſachen; ſondern auch daraus, daß die wahren Weiſſagun - gen, welche in der heiligen Schrifft anzutreffen ſind, faſt bey allen Leſern eine Begierde erwecken, noch mehr, und die Sachen umſtaͤndlicher zu wiſſen, als da ſtehet. Was ſich aber auch an de - nen ſo genanten Auslegungen vor Fehler befin - den, iſt mehr als zu bekant. Wollte man nun ſowohl einen unzeitigen Vorwitz zu daͤmpfen, als auch, wo es moͤglich, tieffer in den Verſtand der goͤttlichen Weiſſagungen einzudringen Regeln er - finden; ſo koͤnnen dieſe nirgends anders, als aus den allgemeinen Eigenſchafften der hiſtoriſchen Er - kentniß hergeleitet werden. Ohngeachtet wir al - ſo hier nicht von den Weiſſagungen handeln wer - den, ſo iſt doch zuverlaͤßig abzuſehen, daß die vor - zutragenden Lehren auch dem exegetiſchen Capitel, von Weiſſagungen, nicht geringen Nutzen ver - ſchaffen werden.

§. 31. Fabeln und Geſchichte werden mit einan - der verglichen.

Fabeln ſind eine Nachahmung der Geſchich - te, welche die Einbildungskrafft, oder vielmehr die Dichtkunſt hervorbringet. Bey ihnen iſt die Wahrſcheinlichkeit dasjenige, was bey denGeſchich -19von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. Geſchichten die Wahrheit iſt, nehmlich ihre vor - nehmſte Tugend. Jm uͤbrigen ſind ſie denen Ge - ſchichten aͤhnlich. Die ungeſchickten Fabeln, wel - che dann und wann zum Vorſchein kommen ſind, haben Gelegenheit gegeben, auf Regeln zu den - cken, wornach man Fabeln verfertigen, oder we - nigſtens beurtheilen koͤnte. Es iſt aber nicht zu zweifeln, daß durch die Erklaͤrung der wahren Geſchichte, oder der eigentlichen hiſtoriſchen Er - kentniß auch die Beſchaffenheit der Fabeln erlaͤu - tert werde. Und wie leicht pflegt nicht auch de - nen wahren Geſchichten etwas fabelhafftes ange - klebet zu werden? Wie offte beſchuldiget man nicht auch wahrhaffte Geſchichte eines fabelhafften Anſehens? alles dieſes macht die Erkentniß der hiſtoriſchen Wahrheit uͤberhaupt noͤthig.

§. 32. Einfluß der Hiſtorie in die Beredſamkeit.

Die Beredſamkeit hat mit lauter eintzelnen Wahrheiten, oder mit Geſchichten zu thun. Die drey Arten der Reden, demonſtratiuum, deli - beratiuum und iuridiciale, welche die alten Leh - rer der Beredſamkeit geſetzt haben, gehen mit nichts anders um, als mit hiſtoriſchen Saͤtzen. Doch laͤugne ich nicht, daß ſowohl alte, als be - ſonders unſere neuen Redner, ihre Beredſamkeit auch bey allgemeinen Wahrheiten angewendet haben; ja daß man ſie jetzo hauptſaͤchlich dabey anwendet. Carneades hat zu Rom die Gerech - tigkeit an dem einem Tage mit allgemeinem Beyfall gelobt, und ſie den andern Tag wieder laͤcherlichB 2gemacht.20Erſtes Capitel,gemacht. Doch wenn man auf den Vortrag die - ſer Redner genauer achtung giebt, ſo wird man bald mercken, daß, indem ſie die allgemeinen Wahrheiten lebhafft vortragen wollen, ſie uͤberall Metaphorn, Gleichniſſe, Exempel brauchen, Per - ſonen redend einfuͤhren, und die Eigenſchafften der Dinge in beſondere Weſen verwandeln; wel - ches alles aus der hiſtoriſchen Erkentniß genom - men iſt. Wann daher die Beredſamkeit, auch wo ſie mit allgemeinen Wahrheiten umgehet, ſich dennoch mit der hiſtoriſchen Erkentniß beſchaͤffti - get; ſo kan man wohl ſicher uͤberhaupt ſchluͤſſen, daß die hiſtoriſche Erkentniß in dieſelbe den groͤ - ſten Einfluß habe. Und dieſes wuͤrde ſich noch deutlicher zeigen, wenn man in der Redekunſt nicht wie bisher, bloß die Beſchaffenheit der groͤſ - ſern Theile einer Rede, ſondern auch die klei - nern, ja die kleinſten, in Betrachtung zu ziehen anfinge.

§. 33. Einfluß der Hiſtorie in die Poeſie.

Eben die Bewandniß hat es mit den Ge - dichten. Sie ſind theils gemahlte Geſchichte, theils gemahlte Fabeln, theils aus beyden zu - ſammengeſetzt. Die poetiſche Mahlerey ſelber beſtehet aus einer Menge kleiner Umſtaͤnde und Begebenheiten, welche augenſcheinlich zur Hiſto - rie gehoͤren. Wollte man in einem Gedichte allgemeine Wahrheiten vortragen, ohne ei - ne Menge von Geſchichten zu Huͤlffe zu nehmen, ſo wuͤrde ſolches gewiß auſſer den Reimund21von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. und das Sylbenmaaß nichts Poetiſches an ſich haben. Kurtz, die Gedichte gehoͤren nicht allein zur hiſtoriſchen Erkentniß, ſondern halten auch ſo gar das allerfeinſte von der hiſtoriſchen Erkent - niß in ſich.

§. 34. Einfluß der Hiſtorie in die Critick.

Die Critick wird in ſo mannigfaltiger Be - deutung genommen, daß es ſchwer werden wird, dem Worte iemahls eine beſtimte Bedeutung zu verſchaffen: Man mag ſie aber in einem ſo weit - laͤufftigen Verſtande nehmen, als man immer will, ſo erſtrecket ſich doch ihre Herrſchafft nicht weiter, als uͤber hiſtoriſche Dinge. Hingegen mag man auch eine ſo enge Bedeutung dieſes Wortes annehmen, als man nur will, ſo wird man doch allemahl mit einem Stuͤcke der hiſtori - ſchen Erkentniß zu ſchaffen haben. Man urtheilt nehmlich uͤber hiſtoriſche und poetiſche Schrifften, uͤber Reden, ob ſie nach der Sprachkunſt unta - delhafft; ob ſie vollſtaͤndig, ob ſie ſchoͤn geſchrie - ben? ob ſie dem vorgeblichen Verfaſſer zukom - men, oder untergeſchoben ſind? ob ſie gantz, oder mit Fehlern in unſere Haͤnde gekommen? und wie dieſen abzuhelffen ſey? Alles dieſes iſt hiſto - riſch; und eine bloſſe Anwendung der allgemei - nen Beſchaffenheit hiſtoriſcher Dinge auf eintzelne Faͤlle. Daher iſt klar, daß die Critick uͤberhaupt, und in allen ihren Theilen, durch die allgemeinen Regeln der hiſtoriſchen Erkentniß muͤſſe erkannt, erklaͤret und bewieſen werden: woferne man nichtB 3unter22Erſtes Capitel,unter dem Titul der Critick ein Befugniß, den andern nach ſeinem Duͤnckel und Eigenſinn zu ta - deln, und mit einer alten Schrifft nach ſeinem Gefallen zu ſchalten und zu walten, verſtehen und einfuͤhren will.

§. 35. Einfluß der Hiſtorie in die Gottes - gelahrheit.

Die Gottesgelahrheit hat mit der hiſto - riſchen Erkentniß mehr zu ſchaffen, und iſt mit derſelben genauer verbunden, als man ſich gemei - niglich einbildet. Jhr Grund iſt die heilige Schrifft. Betrachtet man den Jnhalt derſelben, ſo faͤllt es gleich in die Augen, daß eine recht groſſe Menge derſelben Geſchichte ſind. Gantze Buͤcher werden deswegen ſchlecht weg darinnen die hiſtori - ſchen Buͤcher genennet. Die Prophezeyungen ſowohl altes als neuen Teſtamentes, ſind ohne Zweifel denen hiſtoriſchen Wahrheiten beyzuzeh - len. Jm uͤbrigen finden wir durchgaͤngig die ſchaͤrfſten Geſetze, Ermahnungen, Verheiſſungen und Drohungen, welche mit der Hiſtorie eine ge - naue Verbindung haben (§. 28.). Das Ev - angelium iſt gleich ſeiner Benennung nach, ei - ne gute Bothſchafft, oder eine erfreuliche Nachricht. Selbſt die Gebete und Bitten, der - gleichen in der Schrifft in Menge vorkommen, gehoͤren zur hiſtoriſchen Erkentniß (§. cit.). Kan man alſo wohl zweifeln, daß eine genauere Er - kentniß von der Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Er - kentniß uͤberhaupt, eine gute Einleitung zum Ver -ſtande23von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. ſtande ſehr vieler Stellen der heiligen Schrifft ge - ben werden? oder wird dieſelbe nicht vielmehr hoͤchſt noͤthig ſeyn?

§. 36. Was die allgemeine Betrachtung der hiſtori - ſchen Erkentniß denen Geſchichten nutzet?

Endlich und vornehmlich, die Erkentniß der Geſchichte ſelbſt beruhet zwar hauptſaͤchlich auf vielen und guten Urkunden und Nachrichten; und wenn ſie darinnen klar und deutlich vorgetragen werden, ſo kan man ſie gar wohl erlernen und verſtehen, ohne eben mit einer allgemeinen Ein - leitung zur hiſtoriſchen Erkentniß verſehen zu ſeyn. Allein, haben wir auch allemahl die Nachrichten in der Beſchaffenheit, wie ſie in Abſicht auf den bloſſen Unterricht beſchaffen ſeyn ſollten? Finden wir nicht oͤffters an ſtatt der trockenen Erzeh - lungen, woraus eigentlich die Geſchichte erlernet werden ſollten, nur ſinnreiche Beſchreibungen und Nachrichten, woraus die wahre und eigent - liche Beſchaffenheit der Sache, gleichſam als aus einer Huͤlle erſt ausgewickelt und ausgelegt werden muß? finden wir nicht oͤffters ſtatt deut - licher Nachrichten nur dunckele? und erlernen wir nicht vieles ſo gar nur aus Spuren? Bey allen dieſen Stuͤcken ſind gewiß allgemeine Re - geln der hiſtoriſchen Erkentniß noͤthig; woferne man ſie unter einander verſtehen, und vor ſich ſelbſt nicht nach einem bloſſen Gutduͤncken verfah - ren will. Erfordert nicht ferner die GewißheitB 4der24Erſtes Capitel,der hiſtoriſchen Erkentniß uͤberhaupt, eine allge - meine Betrachtung? Und die hiſtoriſche Wahr - ſcheinlichkeit wird vollends niemahls eine ver - nunfftmaͤßige Geſtalt bekommen, wenn man ſie nicht aus einer allgemeinen Betrachtung der hi - ſtoriſchen Erkentniß herleitet? Unſere Ausfuͤh - rung davon wird ſolches augenſcheinlich beweiſen. Wir verlangen daher gar nicht, die Geſchichte, die man bisher ohne alle Kunſtlehren erkannt hat, durch unſere Wiſſenſchafft in weit ausſehende ſpe - culationes zu verwandeln. Wir wollen nur das Schwere, und Dunckele, woruͤber die Gelehrten einander bisher gar nicht haben bedeuten koͤnnen, deutlich machen. Dieſes kan aber nicht geſche - hen, ohne die gantze Materie bis auf den Grund unterſucht zu haben.

§. 37. Weitlaͤufftiger Umfang der hiſtoriſchen Erkentniß.

Da ſich nun aus der Natur der Rechtsge - lahrheit (§. 29.), der Beredſamkeit (§. 32.), der Poeſie (§. 33.), der Fabeln (§. 31.), der Critick (§. 34.), der Weiſſagungen (§. 30.), der Gottesgelahrheit (§. 35.), der Geſchichte (§. 37.), ja auch der Artzneykunſt (§. 26.) veroffenbaret, wie weitlaͤufftig ſich die hiſtoriſche Erkentniß, un - ter vielerley Nahmen, und Geſtalten, mittelbar und unmittelbar, erſtrecke; ſo laͤſſet ſich leichte ermeſſen, daß alle eintzelne Puncte der hiſtori - ſchen Erkentniß einer beſondern und gruͤndlichen Betrachtung wuͤrdig ſind; weil jeder Punct, wenner25von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. er gleich in einen oder den andern Theil unſerer Erkentniß und Gelahrheit keinen Einfluß haben ſollte, oder keinen zu haben ſcheinen moͤchte, den - noch in einem andern ſeinen offenbaren Nutzen haben wird. Woraus ſich die Nutzbarkeit der gantzen Wiſſenſchafft von der hiſtoriſchen Erkentniß von ſelbſten zu Tage leget.

§. 38. Die Regeln der hiſtoriſchen Erkentniß ge - hoͤren zur Vernunfftlehre.

Da ſich unſer Verſtand ſo oͤffters, ob wohl unter vielerley Titeln, mit der hiſtoriſchen Er - kentniß beſchaͤfftiget (§. 37.); ſo wird derſelbe, wie bey andern oͤffters wiederhohlten Handlun - gen, alſo auch hier, nach gewiſſen, ob gleich nicht bekannten Regeln verfahren. Man kan aber dieſe Regeln, ſo, wie mit den Regeln der allge - meinen Erkentniß ſchon geſchehen, deutlich er - klaͤren, aus einander herleiten; und mithin in ei - ne Wiſſenſchafft bringen. Da nun dasjenige al - les zur Vernunfftlehre gehoͤret, was unſer Ver - ſtand bey Erkentniß der Wahrheit zu beobachten hat: ſo ſind die Regeln, mit der hiſtoriſchen Er - kentniß gebuͤhrend umzugehen, ein Stuͤck der Vernunfftlehre.

§. 39. 1. Anmerckung.

Wenn aber die Wiſſenſchafft der hiſtoriſchen Erkentniß vor ein Stuͤck der Vernunfftlehre aus - gegeben wird, ſo iſt dabey, um allen Mißver - ſtand zu vermeiden, mancherley zu beobachten. B 5Denn26Erſtes Capitel,Denn ſo iſt 1. gewiß, daß vom Ariſtotele an bis auf die jetzigen Zeiten, in der Vernunfftlehre hauptſaͤchlich auf das Lehrgebaͤude der allgemei - nen Wahrheiten geſehen worden; wie ſolches or - dentlich und gruͤndlich eingerichtet werden moͤchte; und daher iſt darinnen von der Beſchaffenheit der hiſtoriſchen Erkentniß kein ausfuͤhrlicher Unter - richt, ja faſt nicht die geringſte Nachricht gegeben worden; als welches nach dem Zuſtande der alten Philoſophie nicht einmahl moͤglich war. 2. Es hat auch unſer Lehrſatz nicht die Meinung, daß die bisherige Verfaſſung der Vernunfftlehre ge - aͤndert, und dieſe Abhandlung, die wir vor uns nehmen, mit jener vermengt werden ſolle. Selbſt dieſe Wiſſenſchafft ſetzet die Logick im bisherigen Umfange genommen, voraus: nicht allein, daß man durch dieſelbe geſchickt werde, die Beweiſe in dieſer Kunſt beſſer zu faſſen; ſondern ſie legt auch die Begriffe und Saͤtze der Vernunfftlehre zum Grunde: indem faſt alles, was in der hiſto - riſchen Erkentniß kuͤnſtlich, und denen Menſchen vor den Thieren eigen iſt, aus der allgemeinen Erkentniß herruͤhret; mit welcher wir ſchon ver - ſehen ſeyn muͤſſen, wenn wir geſchickte Zuſchauer der vorgehenden Veraͤnderungen, Begebenhei - ten und Geſchichte abgeben wollen.

§. 40. 2. Anmerckung.

Es iſt aber nichts gantz neues, daß man ſich einen weitlaͤufftigern Begriff von der Vernunfft - lehre macht, als ſich unſere Vorfahren gemachthaben.27von der hiſtor. Erkentniß uͤberhaupt. haben. Leibnitz hat ſchon den Gedancken ge - habt, daß, wenn man das Recht der Natur in der buͤrgerlichen und Staatsrechtslehre anwen - den wollte, ſo muͤſte eine von der damahligen gantz unterſchiedene Vernunfftlehre noch erfun - den werden. So hat man auch wahrgenommen, daß der Begriff des Wahrſcheinlichen eine viel groͤſſere Ausdehnung verdiene, als dieſes Ca - pitel ſonſt in der Vernunfftlehre gehabt. Unter - deſſen wenn auch dieſe und andere Stuͤcke noch ſo weitlaͤufftig abgehandelt werden, ſo wird doch die Vernunfftlehre, in ihren bisherigen engern Ver - ſtande genommen, an ihrem Werthe nichts ver - lieren, ſondern ſie wird in Anſehung der uͤbrigen Theile allemahl das ſeyn, wovor des Euclides Elemente, in Anſehung der gantzen auch hoͤhern Geometrie, angeſehen werden.

Zweytes Capitel, von den Begebenheiten der Coͤrper.

§. 1. Coͤrper werden uns durchs Geſichte.

Wir werden durch unſere Sinne, beſonders durch Geſichte, viele Dinge gewahr, welche, ſo offte wir unſere Sinne darauf richten wollen, allemal anzutreffen ſind: jedochſind28Zweytes Capitel,ſind ſie nicht von einerley Dauer. Die ſo ge - nannten Weltcoͤrper ſind die allerdauerhaffte - ſten: als welche, weil Menſchen auf der Erde ſind, gedauert haben; auſſer daß die Sternſe - her einen und andern Stern vermiſſen, der ſonſt geſehen worden. Die Cometen hat man, weil ſie eben zu geſchwinde erſcheinen, und wieder unſichtbar werden, lange Zeit nicht vor Weltcoͤr - per angeſehen. Auf unſerer Erde ſind theils eben ſo alte Stuͤcke anzutreffen; theils aber, beſonders die kleinern, ſehen wir hauffenweiſe entſtehen und wieder vergehen.

§. 2. Hauptſaͤchlich aber durchs Gefuͤhl vor - geſtellt.

Ohngeachtet wir faſt alle Coͤrper durch die Augen entdecken, ſo iſt es doch eigentlich das Ge - fuͤhl, wodurch wir von der Exiſtentz der eintzeln Coͤrper auſſer uns, verſichert werden. Wenn wir in der Daͤmmerung etwas ſehen, oder zu ſe - hen vermeinen, ſo gehen wir hin und wollen den geſehenen Coͤrper auch anfuͤhlen, um uns dadurch von ſeinem Daſeyn zu verſichern. Finden wir nichts das wir greiffen koͤnnten, ſo ſagen wir: Es ſey nichts da. Hingegen wenn wir etwas fuͤh - len, wenn wir es gleich nicht ſehen, wie im ſtock - finſtern, ſo zweifeln wir nicht, daß ein Coͤrper vorhanden ſey? und das Sehen, wenn es hin - zukomt, hilfft uns nur genauer zu erkennen, was es vor ein Coͤrper ſey?

§. 3.29von den Begebenheiten der Coͤrper.

§. 3. Das Daſeyn eines entfernten Coͤrpers wird geſchloſſen.

Da nun das Gefuͤhl der Sinn iſt, wodurch wir eigentlich von dem Daſeyn eines Coͤrpers ver - ſichert werden; und wir dennoch ungemein viele Dinge vor wuͤrckliche Coͤrper halten, die wir nur bloß geſehen, nie aber beruͤhrt haben, ſo folgt, daß wir die Exiſtentz deſrelben nicht ſowohl un - mittelbar durch die Sinne, als vielmehr durch einen Vernunfftſchluß, obgleich dunckeln, erken - nen, deſſen Beſchaffenheit wir genauer betrach - ten muͤſſen. Nehmlich wir erfahren, daß Din - ge, die wir von ferne ſehen, auch koͤnnen ange - ruͤhret und gefuͤhlet werden, wenn wir nur nahe genug hinzu kommen. Dieſes geſchiehet taͤglich und ſtuͤndlich ſo offte, daß wir bey nahe eine all - gemeine Regel daraus machen koͤnnen: was wir uns durch die Augen vorſtellen, das kan auch, wenn wir nahe genug kommen, beruͤhret werden; und iſt alſo ein Coͤrper. Die Beſchaffenheit ei - nes bloſſen Scheines macht, daß man dieſe Er - fahrungsregel nicht ſo ſchlecht weg vor wahr - hafftig allgemein annehmen kan. Dem Schei - ne fehlet es gemeiniglich an der Dauerhafftig - keit. Wenn wir alſo etwas in der Ferne ſehen, und ſolches beſtaͤndig und lange ſehen, ſo ſchluͤſ - ſen wir daraus, daß es ein beſonderer und wahr - haffter Coͤrper ſeyn muͤſſe; wie an des Mondes und uͤbriger Planeten und Sterne Wircklichkeit niemand zweiffelt.

§. 4.30Zweytes Capitel,

§. 4. Jrrthum in Anſehung des Daſeyns eines Coͤrpers.

Man kan ſich aber auch durch die Augen, oder vielmehr durch den mit dem Geſichte verknuͤpfften Schluß, betruͤgen laſſen; daß man etwas vor ei - nen Coͤrper und etwas fuͤhlbares haͤlt, welches es doch nicht iſt. Ein gantz Einfaͤltiger kan doch wohl die Perſonen, die er im Spiegel ſiehet, vor wirckliche Perſonen anſehen; und zu ihnen nahen wollen. Wenn man ſonſten ſo offte Ruͤſtungen und Kriegsheere in der Lufft geſehen hat; ſo mag ſolches von einer zwiefachen Wirckung der Ein - bildungskrafft hergeruͤhret haben, die ſich theils den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er an ſich geweſen, theils aber, nach den nicht all - gemeinen Foͤrderſatz (§. 3.) dieſen Schein in ei - nen wircklichen Coͤrper verwandelt hat.

§. 5. Seyn und Schein eines Coͤrpers.

Da wir nun Vorſtellungen durch die Augen von Sachen haben koͤnnen, die nicht fuͤhlbar, und mithin nicht Coͤrper ſind (§. 2.); ſondern nur ei - ne Wirckung anderer Coͤrper: ſo muͤſſen wir auch in der Vorſtellung wircklicher Coͤrper den Schein von dem Seyn unterſcheiden. Der Schein iſt was uns von den Coͤrpern in die Augen faͤllet: das Seyn, oder die Wircklichkeit der Coͤrper be - ſtehet darin, daß er fuͤhlbar iſt. Die Beſchaf - fenheit des Scheins iſt in der Optick auf das treflichſte allbereit erklaͤret worden. Noch allge -meiner31von den Begebenheiten der Coͤrper. meiner ſolches abzuhandeln und zu zeigen, wie man auf den Verdacht des bloſſen Scheins kom - men koͤnne, und ſolle, gehoͤret in die Theorie der Phaͤnomenen, wie wir den Grundbegriff da - von gelegt haben in der Philoſophia noua defi - nitiua C. II. Def.

§. 6. Unterſchied des Anblicks und Anſchauens.

Eine ſehr kurtze Vorſtellung, oder auch die erſte Vorſtellung eines Coͤrpers durchs Geſicht, wird ein Blick, oder Anblick genennet. Eine fortgeſetzte Vorſtellung aber von coͤrperlichen Din - gen durchs Geſicht, wird das Anſchauen ge - nennet. Das Anſchauen iſt daher ein vielfacher und ununterbrochener Anblick. Doch iſt ein groſ - ſer Unterſchied, ob ich einen Coͤrper bloß erblicke, oder ob ich ihn anſchaue.

§. 7. Was die Ausſicht heiſſet?

Weil alles, wovon Stralen in unſere Augen fallen, uns auch vorgeſtellet wird, und es offen - bar iſt, daß zu gleicher Zeit uns gar viele Coͤr - per in die Augen fallen; ſo wird uns auch durch die Augen jedem Augenblick nicht ein Coͤrper, ſon - dern gar viele vorgeſtellet. Auf einer Hoͤhe koͤn - nen wir gar weit, auch mit unverwandten Augen ſehen. Alle die Coͤrper, welche unſerm Auge auf einmal vorgeſtellet werden, heiſſen eine Ausſicht oder Proſpeckt.

§. 8.32Zweytes Capitel,

§. 8. Was es heiſſet: auf eine Sache ſehen?

Ohngeachtet wir uns jedem Augenblick einen gantzen Proſpeckt, und mithin eine Menge Coͤr - per vorſtellen (§. 7.), ſo iſt doch aus der Erfah - rung bekannt, daß wir uns nur eines gewiſſen Gegenſtandes, aus der gantzen Ausſicht, auf ein - mahl bewußt ſeyn. Und dieſes iſt allemahl der - jenige Coͤrper, von welchem die Stralen perpen - diculaͤr auf unſere Sehe fallen. Man ſagt von dieſem Theile der Ausſicht: man ſehe drauf. Z. E. ich ſehe aufs Buch: ich ſehe jemanden auf die Finger. Jngleichen, weil derſelbe Coͤrper zu derſelben Zeit das vornehmſte von der gantzen Ausſicht iſt; ſo pflegt man, wenn man ſagen ſoll, was man ſiehet, nicht die gantze Ausſicht anzuge - ben, ſondern nur das, was directe in unſere Augen faͤllet.

§. 9. Wie der erſte Anblick einer Sache be - ſchaffen?

Der erſte Anblick eines Coͤrpers iſt nicht zu - reichend, einen klaren Begriff davon in uns zu erwecken. Die Erfahrung beweiſet ſolches zur Gnuͤge. Man laſſe jemanden einen Blick durchs Vergroͤſſerungsglaß auf einen Coͤrper thun, ſo wird er nicht wiſſen, was er geſehen hat, ohn - geachtet es gewiß iſt, daß er nicht allein eine neue Ausſicht gehabt, ſondern auch einen gewiſſen Theil des Coͤrpers insbeſondere erblickt hat. Ein an - ders iſt, wenn ihm die Sache ſchon vorher bekanntiſt;33von den Begebenheiten der Coͤrper. iſt; als in welchem Falle ein ſehr kurtzer, und ſo zu reden, ein einiger Blick zureichen kan, einen klaren Begriff zu erwecken. Wir reden aber je - tzo nicht vom oͤffters wiederhohlten, ſondern vom erſten Anblicke.

§. 10. Warum das Anſchauen zu klaren Begrif - fen noͤthig iſt?

Da wir durch das Anſchauen klare Begriffe von den uns dargeſtellten Coͤrpern erlangen, wie die taͤgliche Erfahrung lehret; ſolches aber durch den erſten Anblick nicht geſchiehet (§. 9.); ſo muß in der Wiederhohlung des Blicks der Grund lie - gen, warum ein klarer Begriff endlich entſtehet (§. 6.). Weil es uͤberhaupt beſſer iſt, wenn man weiß, wie und warum eine Sache geſchiehet, als wenn man bloß weiß, daß ſie geſchiehet: ſo iſt freylich nicht undienlich, wenn man einſiehet, was die Wiederhohlung des Blicks zur Hervor - bringung eines klaren Begriffes beytraͤget. Nun geſchiehet die gantze Erzeugung eines ſolchen Be - griffes oͤffters in ſehr kurtzer Zeit, als in einer halben Secunde und darunter. Weil nun die - ſes zur Geſchwindigkeit im gedencken gehoͤret, daß man eher oder langſamer mit einem klaren Be - griffe fertig wird, ſo haben wir in unſerer Diſ - ſertation, de celeritate inprimis cogitandi, un - ter andern auch dieſes unterſuchen muͤſſen, wie durch wiederhohlte Blicke ein klarer Begriff er - zeugt werde? §. XVI.

C§. 11.34Zweytes Capitel,

§. 11. Wenn die Ausſicht deutlich erkannt wird.

Da uns anfangs durchs Geſicht allemahl ei - ne gantze Ausſicht vorgeſtellet wird: ſo lernen wir nach und nach die darinnen enthaltenen Coͤrper von einander unterſcheiden; und erhalten auf ſol - che Art einen deutlichen Begriff von der gan - tzen Ausſicht. Denn indem wir auf dieſen oder jenen Coͤrper insbeſondere ſehen, ſo erhalten wir davon einen klaren Begriff (§. 7.); und zwar auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus - ſicht geſchiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be - mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus - ſicht ſey. Dannenhero, wenn wir bald dieſen, bald jenen Theil nach einander anſehen, und die erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal - ten, ſo wird die totalidee, oder der Begriff der gantzen Ausſicht, deutlich.

§. 12. Wenn der Stand gar zu offte veraͤndert wird?

Wenn wir unſern Stand offte oder augen - blicklich veraͤndern, ſo koͤnnen wir von den um - ſtehenden Coͤrpern weder einen klaren noch deut - lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir unſern Stand augenblicklich veraͤndern, ſo entſtehet auch alle Augenblicke ein neuer Proſpeckt oder Aus - ſicht: wie aus der Optick klar iſt; und wir koͤn - nen auf jeden Proſpeckt nur einen Blick thun. Dieſes iſt denn auch der erſte Anblick; daraus aber kein klarer Begriff entſtehen kan (§. 9.). Einen35von den Begebenheiten der CoͤrperEinen Coͤrper aber davon insbeſondere wahrzu - nehmen, iſt nichts anders, als ſich davon einen fernerweiten klaren Begriff machen, auſſer dem, den man von der gantzen Ausſicht hat; welches aber noch mehr Zeit erfordert. Folglich gehet es nicht an, bey immerwaͤhrender Veraͤnderung ſei - nes Standes, von den Sachen klare und deutli - che Begriffe zu erlangen.

§. 13. So erlangen wir keinen deutlichen Begriff.

Dieſen Satz beſtaͤtiget die Erfahrung: indem wir bey ſehr geſchwinder Bewegung unſeres Kopfs und mithin der Augen, nichts von den umſtehen - den Sachen unterſcheiden. Doch vertragen Sachen, die uns vorher ſchon laͤngſt bekannt ſind, eine groͤſſere Geſchwindigkeit, als Sachen, die wir zum erſten mahle ſehen. Man kan uͤbrigens aus dieſer Regel eines theils erklaͤren, warum die Menſchen in ihrer Kindheit ſo viel Zeit brauchen, ehe ſie zu einer klaren Erkentniß der Coͤrper, die um ſie herum ſind, gelangen. Ein Kind be - kommt nehmlich theils durch die oͤfftere Veraͤnde - rung des Orts, theils auch durch die Wendung der Augen beſtaͤndig eine neue Ausſicht. Ehe dieſe recht klar wird, entſtehet eine neue; und das Anſehen der eintzeln Coͤrper veraͤndert ſich da - bey zugleich; ſo daß ein Kind, nicht anders als ſpaͤte, einen Coͤrper von dem andern unterſcheiden lernet: als welches noch beſondere Umſtaͤnde er - ſordert.

C 2§. 14.36Zweytes Capitel,

§. 14. Wie man eintzelne Coͤrper dencken lernet. Erſte Art.

Die Theile einer Ausſicht hangen, dem Ge - ſichte nach, alle an einander, ſie ſcheinen anfangs aus einem Stuͤck zu ſeyn: aber nach und nach lernen wir die Theile der Ausſicht (die wir an - fangs nur als verſchiedene Theile eines Coͤrpers anſahen,) als beſondere Coͤrper betrachten. Und die - ſes geſchiehet zwar anfangs durch derſelben oͤfftere Bewegung. Denn indem der Coͤrper bewegt wird, ſo wird er uns bald bey dieſer, bald bey jener Sa - che ſtehend, oder liegend, vorgeſtellt. Dieſer Sachen werden endlich ſo viel, daß wir ſie ins - geſamt vergeſſen; und uns die Sache gar ohne derjenigen Verbindung vorſtellen, die ſie jedes mahl, vermittelſt unſers Proſpeckts, mit ſo vielen andern Sachen gehabt hat. Wir gedencken alſo einen ſolchen Coͤrper beſonders; ohne gemeini - glich zu wiſſen, wie eigentlich eine ſolche Jdee in uns entſprungen ſey. Durch die bloſſen Augen geſchiehet es nicht, weil wir niemahls einen Coͤr - per gantz allein ſehen.

§. 15. Wie man eintzelne Coͤrper dencken lernet. Zweyte Art.

Eben dieſes erhalten wir auch, wenn die Sa - che zwar ihren Ort nicht veraͤndert, wir aber die - ſelbe bald aus dieſem, bald aus jenem Geſichts - punckte anſehen. Denn jedesmahl wird ſie uns mit andern Sachen, und in Verbindung mit denſelben vorgeſtellt. Weil der Verbindungenendlich37von den Begebenheiten der Coͤrper. endlich zu viel werden, ſo werden ſie auch endlich alle vergeſſen; und wir lernen den Coͤrper vor ſich, und als einen beſondern Coͤrper gedencken.

§. 16. Einen Coͤrper uͤberſehen, und was eine Seite ſey?

Die Coͤrper haben auſſer ihrer Oberflaͤche auch ihre Dicke. Die Oberflaͤche iſt, wovon Lichtſtralen auf unſer Auge zuruͤckprallen. Nach der Natur des Lichts, welches in gerader Linie fortgehet, und nach einer gewiſſen Regul zuruͤck - prallet, koͤnnen von der gantzen Oberflaͤche nicht auf einmahl Strahlen auf unſer Auge fallen, ſon - dern nur von einem Stuͤcke. So weit als auf einmahl Lichtſtrahlen von dem Coͤrper in unſere Augen fallen: ſo weit uͤberſehen wir ihn: und die Oberflaͤche, die wir auf einmahl uͤberſehen koͤn - nen, nennen wir eine Seite: dergleichen alſo ein Coͤrper ſehr viele hat.

§. 17. Vom Sehepunckte.

Der Ort, den unſer Auge bey Beſchauung eines Coͤrpers einnimmt, heiſſet der Geſichts - punckt: oder der Sehepunckt. Dieſer hat auf dreyerley Weiſe einen Einfluß, daß uns ein Coͤrper ſo, und nicht anders vorgeſtellet wird: 1. Durch die Entfernung von der Sache, daß ſie nahe oder ferne iſt: 2. Durch den Stand des Auges, daß nehmlich dem Auge juſt dieſe Seite des Coͤrpers, und keine andere entgegen ſtehet. 3. Durch die Materie, welche zwi -C 3ſchen38Zweytes Capitel,ſchen dem Auge und dem Objeckt iſt, als wo - durch die Strahlen auf mancherley Weiſe nicht ohne Veraͤnderung des daraus entſtehenden Bil - des, pflegen gebrochen zu werden. Von dieſer Art der hiſtoriſchen Erkentniß ſind wir freylich ſchon laͤngſt aus der Optick treflich verſehen. Nur muͤſſen wir hie und da deutliche Begriffe noch ſuchen, damit man allgemeinere Begriffe abſtrahiren kan, die ſich auch auf Geſchichte, die nicht ſichtlich ſind, anwenden laſſen.

§. 18. Wie ein und mehrere Coͤrper vermengt werden?

Wenn ein Coͤrper B eben die Empfindung bey uns verurſachet, welche ſchon vorher ein Coͤr - per A bey uns hervorgebracht hat; ſo halten wir beydes vor einen Coͤrper. Es kan nehmlich ent - weder wircklich eben derſelbe ſeyn, oder es kan auch ein anderer ſeyn, den wir aber durch einen Jrrthum vor den vorigen halten. Es iſt aber leicht zu ermeſſen, wie es anzufangen ſey, daß wir nicht aus Jrrthum zwey Coͤrper vor einen halten, oder auch, wie es manchmal zu geſchehen pflegt, einen einigen Coͤrper vor zwey ver - ſchiedene Coͤrper halten. Die Lehre von der Aehnlichkeit giebt Licht genug in dieſer Mate - rie; daher wir uns dabey nicht auf halten wollen.

§. 19. Wir ſehen keinen Coͤrper allein?

Wir ſehen weder auf der Erde, noch auch in der Hoͤhe jemahls einen Coͤrper allein: ſondernes39von den Begebenheiten der Coͤrper. es wird allemahl anſcheinen, als wenn er von an - dern Coͤrpern umgeben waͤre. Es ſtehet z. E. ein Baum in einer ziemlichen Entfernung von uns; hinter demſelben aber eine weiſſe Wand: ſo wird es ſcheinen, als wenn er von der Wand umgeben waͤre, oder als ob er in der Wand ſtuͤn - de: ingleichen wenn hinter ihm eine groſſe Ebene iſt, dergeſtalt, daß ich hinter ihm und auf der Seite nichts als den Himmel ſehe, ſo wird es ſcheinen, als ob er von dem Himmel umgeben waͤre; woraus die Poetiſche, oder vielmehr recht ſinnliche Redensart entſtanden iſt, daß die ho - hen Baͤume ihren Gipfel bis in die Wolcken ſtrecken.

§. 20. Gedencken aber doch eintzelne Coͤrper allein?

Wir haben aber auch von vielen Coͤrpern ſol - che Vorſtellungen, daß wir ſie auſſer irgend einer Verbindung mit umſtehenden Coͤrpern betrachten. Eine Bildſaͤule z. E. ſtelle ich mir gantz allein vor, ohne denen umſtehenden Dingen, womit man ſie doch, nach dem (§. 19.) verbunden geſehen. Eben ſo ſtellet man ſich alle bekannte Perſonen vor, oh - ne die Sachen ſich mit vorzuſtellen, die um ſie herum geſtanden haben, zu der Zeit, da wir ſie haben kennen lernen.

§. 21. und wie ſolches zugehet?

Da wir uns Coͤrper auſſer der Verbindung mit andern umſtehenden gedencken (§. 20.); dem bloſſen Augenſchein aber nach kein Coͤrper erkanntC 4wird,40Zweytes Capitel,wird, ohne daß er von andern umgeben ſeyn ſoll - te (§. 19.): ſo koͤnnen ſolche Vorſtellungen von Coͤrpern, auſſer aller Verbindung, keine bloſſe ſinnliche Vorſtellungen ſeyn: ſondern es muß noch eine andere Wuͤrckung der Seele oder des Ver - ſtandes dazu behuͤlflich ſeyn. Wie es nun ge - ſchehe, iſt zum theil ſchon (§. 14. 15. ) gezeiget worden. Es kan aber auch etwas von Schluͤſ - ſen daran Antheil nehmen. Z. E. ich ſehe beym Eintritt in das Zimmer jemanden mitten im Zim - mer ſtehen; ſo werde ich nach der Beſchaffenheit des Sehens (§. 19.) mir ihn vorſtellen, wie er von der Wand, die hinter ihm iſt, umgeben wird, oder, als ob er in der Wand ſtuͤnde. Den - noch wird niemand ſo urtheilen (nehmlich wer ſei - nes Geſichtes von Kindheit an maͤchtig geweſen iſt,), ſondern ſo gleich, wie man ſpricht, ſehen, daß er nicht an der Wand, ſondern mitten im Zimmer ſtehe. Jn der That aber iſt dieſes kein bloß ſinnliches Urtheil, das jeder machen muͤſte, wenn er auch gleich nur erſt ohnlaͤngſt zu ſehen an - gefangen haͤtte: Sondern theils giebt uns das durch die Uebung erlangte Augenmaaß, wie weit wir von der Perſon, und wie weit wir von der Wand hinter ihm entfernet ſind, Gelegenheit zu ſchluͤſſen, daß er mitten in dem Zimmer ſtehe: theils da es eine andere Ausſicht giebt, nachdem eine Perſon nahe oder ferne von der Wand iſt, wegen des verſchiedenen Schattens, (welches wir eben erſt aus der Erfahrung lernen); ſo ſchluͤſſen wir auch auf dieſe Art den wahren Ort eines Coͤrpers, der zwar frey ſtehet, aber doch nach dem bloſſenGeſichte,41von den Begebenheiten der Coͤrper. Geſichte, von andern, obgleich entfernten, um - geben wird. Eben ſo gehet es zu mit den Coͤr - pern, als Bergen, Thuͤrmen, die wir ſchon in der Weite, da ſie noch eine gantz andere Ge - ſtalt, als in der Naͤhe haben, erkennen. Wel - che Wuͤrckung der Seele von uns iſt erklaͤret worden in den Erlangiſchen gelehrten Anzei - gen 1750. No. XLIX. LI. unter dem Titul: Die Gedancken von ferne.

§. 22. Ort, Lage und Stand der Coͤrper.

Der Ort eines Coͤrpers beſtehet darinne, daß er andern ſicht - und fuͤhlbaren Coͤrpern nahe oder ferne iſt. Woraus dann folget, 1. daß wir je - den Coͤrper an einem gewiſſen Orte ſehen; 2. weil wir aber eintzelne Coͤrper auch ohne denen, die ſie umgeben, gedencken (§. 14. 15. 21. ); ſo lernen wir auch die eintzeln Coͤrper auſſer ihren Ort ge - dencken. Mithin 3. koͤnnen wir ſie auch in Ge - dancken an einen andern Ort verſetzen, welches einen Theil der Dichtkunſt ausmacht. Der Ort liegender Coͤrper heiſt die Lage, gleichwie der Ort ſtehender oder wandelnder Coͤrper, der Stand.

§. 23. Vom Anſehen und Geſtalt der Coͤrper.

Die Vorſtellung eines Coͤrpers durch die Au - gen, heiſſet das Anſehen deſſelben. Die Vor - ſtellung, welche ein Coͤrper mit Beyhuͤlffe derer, die ihn umgeben, verurſachen, heiſſet die Geſtalt. Dieſe Definition, welche von der gemeinen Er -C 5klaͤrung42Zweytes Capitel,klaͤrung allerdings abgehet, hat dennoch ihren gu - ten Grund; nehmlich in demjenigen, was (§. 19.) gelehret worden, und kommt mit denen gemeinen Urtheilen der Menſchen genau uͤberein. Wir ge - ben z. E. auf nichts ſo ſehr achtung, als auf die Geſtalt der Menſchen: Wenn aber ſehen wir wohl eines Menſchen Angeſicht, ohne daß die um - ſtehenden Sachen in das Bild deſſelben einen Ein - fluß haben ſollten? Wie aͤndert es nicht gleich die Geſtalt des Geſichts, nachdem die Haare beſcho - ren, oder aber haͤuffig vorhanden ſind: Uns hilfft der Schmuck, womit der Kopf gezieret wird, wenn die umſtehenden Dinge keinen Einfluß in die Geſtalt der Dinge haben. Doch gegenwaͤr - tiger Abhandlung wegen, kan man ebenfalls An - ſehen und Geſtalt mit einander vermengen, wenn anders jemahls eine Vermiſchung zweyer Begrif - fe unſchaͤdlich ſeyn kan.

§. 24. Woraus die Geſtalt beſtehet?

Wenn wir aber etwas genauer achtung ge - ben, was in dem Begriffe des Anſehens oder der Geſtalt eines Coͤrpers enthalten ſey, ſo werden wir finden, daß uns theils die Figur, theils die Farben unter dieſen Nahmen vorgeſtellet werden.

§. 25. Die Groͤſſe gehoͤrt auch zur Geſtalt.

Auſſer der Geſtalt wird zum Anſehen des Coͤr - pers die Groͤſſe deffelben zu rechnen ſeyn; welche in der Hoͤhe und Breite des Coͤrpers beſtehet. Die Dicke eines Coͤrpers laͤſſet ſich unmittelbardurchs43von den Begebenheiten der Coͤrper. durchs Geſichte nicht erkennen; ſondern gehoͤrt zu den Eigenſchafften, welche wir durch Schluͤſ - ſe herausbringen muͤſſen, die aber deswegen nicht allemahl in ihrer Form, oder deutlich muͤſſen er - kannt werden.

§. 26. Was Beſchreibungen ſind.

Wenn wir unſern deutlichen Begriff von ei - nem Coͤrper durch Worte an den Tag legen; ſo wird dieſe Rede eine Beſchreibung genennet. Jch will eben nicht behaupten, daß man jetzo das Wort allemahl ſo genau in dieſer Bedeutung neh - me; maſſen es auch wohl bey Dingen gebraucht zu werden pfleget, welche geſchehen ſind: dieſes aber kommt von der Verbindung der Begriffe her, daß man Sachen, welche geſchehen, oͤffters we - gen ihrer Dauer, als: es iſt ein Gewitter, vor Dinge anſiehet, welche ſind. Wenn man aber in der Philoſophie Beſchreibungen (deſcriptio - nes) vor verdorbene und mißrathene Definitio - nen annimmt, ſo iſt dieſes ein Mißbrauch eines gemeinen Wortes, welchem man auch ſeine ge - meine Bedeutung haͤtte laſſen ſollen.

§. 27. Was in Beſchreibungen ſtehet.

Wir bekommen deutliche Begriffe von eintzeln Coͤrpern, indem wir ſie anſehen. Das Anſehen aber derſelben enthaͤlt die Figur und Farben (§. 24.) nebſt der Groͤſſe in ſich (§. 25.); ſolglich wird auch die Beſchreibung jedes Coͤrpers aus dieſen drey Stuͤcken beſtehen.

§. 28.44Zweytes Capitel,

§. 28. Figuren laſſen ſich nicht gut erklaͤren.

Nachdem man uͤberall Maaßſtaͤbe hat, ſo iſt nichts leichter als die Groͤſſe eines Coͤrpers durch Worte dem andern bekannt zu machen. Die Figuren aber laſſen ſich ſchwerer beſchreiben; wel - ches jedoch auf folgende Art geſchiehet. Die Menge eintzelner Coͤrper, welche einerley Figur haben, veranlaſſet bey uns einen allgemeinen Be - griff dieſer oder jener Figur. So erlernen wir von Jugend auf die verſchiedenen Figuren, von allerhand Arten der Thiere, Baͤume, Pflantzen, Steine, und ſo weiter. Jedoch kommen die Men - ſchen in Anſehung dieſer Begriffe, wenn ſie ſich gleich auf einerley Art durch Worte ausdrucken, dennoch nicht vollkommen, mit einander uͤberein, und zwar aus folgenden Urſachen.

§. 29. Wie man von Figuren verſchieden denckt.

Anfangs iſt bekannt, daß man bey den Figu - ren nicht allemahl auf die Groͤſſe ſiehet, ſondern Dingen von gantz ſehr verſchiedener Groͤſſe den - noch einerley Figur zuſchreibt. Ein Strauſſeney und ein Taubeney haben beyde die Figur eines Eyes: eine Zuckerpyramide und eine Egyptiſche Pyramide ſind beydes Pyramiden. Daraus ent - ſtehet nun folgender Unterſchied der Begriffe und Gedancken. Wer lauter ſolche Coͤrper von einer - ley Figur geſehen hat, die auch zugleich von einer - ley oder von wenig unterſchiedener Groͤſſe gewe - ſen, der wird auch die Groͤſſe mit zur Figur rech -nen:45von den Begebenheiten der Coͤrper. nen: wer aber lauter Coͤrper, die im uͤbrigen von ei - nerley Figur, aber von ſehr verſchiedener Groͤſſe wa - ren, geſehen hat; der wird bey dem Begriffe der - ſelben Figur keinesweges auf die Groͤſſe ſehen Ein gemeiner Mann, wenn er zum erſten mahl ein Strauſſeney zu ſehen bekommt, duͤrffte es an - fangs kaum vor ein natuͤrliches und wahres Ey halten; weil wir nehmlich in unſern Landen lauter viel kleinere Eyer zu ſehen bekommen. Zweytens: wer lauter Coͤrper von einerley Figur, aber auch da - nebſt von einerley, oder wenig unterſchiedenen Far - ben geſehen hat; der wird die Farbe ſelbſt mit zur Figur rechnen; hingegen wird derjenige auf die Farbe nicht reflectiren, wer Dinge von einerley Figur, aber dabey von verſchiedenen Farben ge - ſehen hat. Denen meiſten unter uns iſt ein weiſ - ſer Rabe ein Paradoxon; wer aber weiß, daß es auch weiſſe Raben gebe, der wird bey dieſer Art Thieren, wie bey denen uͤbrigen, bloß auf die Figur achtung geben. Durch Beſuchung der Naturalien-Cabinetter werden gemeiniglich unſere Begriffe von den verſchiedenen Arten der Coͤrper gar ſehr erweitert, die ſonſt ein jeder nach den indiuiduis, die in ſeinem Vaterlande anzu - treffen ſind, einzuſchrencken pfleget.

§. 30. Vom Klumpen.

Wenn die Oberflaͤche eines Coͤrpers aus aͤhn - lichen Theilen beſtehet, aber auch dabey auf kei - ner Seite eine uns bekannte Figur hat, ſo wird es ein Klumpen genennet. Z. E. ein Klum -pen46Zweytes Capitel,pen Wachs, Bley, Thon u. ſ. w. Was aber die Alten von der Materie lehreten, daß es kleine Theilgen, oder kleine Coͤrper gebe, welche ſich voͤllig einander aͤhnlich waͤren, iſt eine Einbildung, welche aus Vermiſchung der Phyſick und Meta - phyſick entſtanden iſt.

§. 31. Verſchiedene Arten der Seiten.

Weil ein Coͤrper viele Seiten hat (§. 16.): ſo kan es geſchehen, daß eine davon die mehreſte Abwechſelung in der Geſtalt der Theile in ſich ent - haͤlt. Dieſe Seite pfleget man die foͤrdere Sei - te, oder von forne zu nennen: die entgegen ge - ſetzte aber von hinten. Bey Coͤrpern, die kei - ne merckliche Dicke haben, nennet man es die rechte und lincke Seite. Es iſt wohl an dem, daß, wenn wir uns in gemeinen Worten aus - drucken wollten, man ſagen muͤſte: von forne, oder die rechte Seite ſey die, welche die meiſte Schoͤnheit hat; allein unſere gegebene Erklaͤrung hanget mit andern philoſophiſchen Begriffen ge - nauer zuſammen, und wird daher billig vorge - zogen.

§. 32. Unzehlige Seiten eines Coͤrpers.

Jn der Geometrie werden die leichteſten Ar - ten der Figuren in natuͤrlicher Ordnung erklaͤret, wie dieſelben immer mehr und mehr Seiten ha - ben: dieſe uns beywohnenden allgemeinen Begrif - fe machen, daß wir auch denen uns vorkommen - den eintzeln Coͤrpern eine gewiſſe Anzahl, als4. 6. 10.47von den Begebenheiten der Coͤrper. 4. 6. 10. und ſo weiter Seiten beylegen. Ei - gentlich aber hat ein Coͤrper unendlich viele Seiten. Denn eine Seite iſt das Theil der Ober - flaͤche, welches man auf einmahl uͤberſiehet (§. 16.): So offte ich alſo ein ander Stuͤck nehmen kan, welches ſich auf einmahl uͤberſehen laͤſſet, ſo offte finde ich auch eine neue Seite. Wie ſich nun um dem Coͤrper herum unzehlig viele Geſichts - punckte, und zwar nur in einerley Entfernung dencken laſſen, aus welchem jedem ein anderes Stuͤck der Oberflaͤche uͤberſehen wird, ſo laſſen ſich auch unzehlige Seiten daran gedencken. Bey unbeweglichen Coͤrpern, wie bey Staͤdten, Ber - gen, u. ſ. w. macht und ſetzet man hauptſaͤchlich 4. Seiten, gegen Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht.

§. 33. Arten der coͤrperlichen Begebenheiten.

Die Veraͤnderungen der Coͤrper ſind uns ſo wohl aus der Erfahrung, als durch Metaphyſi - ſche Betrachtungen uͤber die zuſammen geſetz - ten Dinge bekannt. Sie veraͤndern nehmlich ih - re Figur und Geſtalt: ſie entſtehen oder wer - den ſichtbar, und vergehen, oder werden wieder unſichtbar: ſie veraͤndern endlich ihren Ort, oder bewegen ſich. Bey dieſer letztern Veraͤnderung giebt es bey lebloſen Coͤrpern wenig Abwechſe - lung, und dieſe beſtehet bloß in einer Veraͤnde - rung der Richtung oder des Weges, und der Geſchwindigkeit: Bey lebendigen Coͤrpern aber, als den Thieren, beſonders den Menſchen, giebtes48Zweytes Capitel,es deſto mehr Abwechſelung: indem jede Kunſt und Uebung, derer unzehlige ſind, eine beſondere Art der Bewegung erfordert. Mithin entſtehen aus dieſen Arten der coͤrperlichen Veraͤnderungen auch ſo viele Arten der Begebenheiten (§. 3. C. 1.) und der Geſchichte (§. 16. C. 1.) von Coͤrpern, die hernach durch Erzehlungen zu einem Theile der Hiſtorie werden (§. 16. 17. C. 1.).

§. 34. Die innerlichen Begebenheiten werden nach ihren Wuͤrckungen benennet.

Bey lebendigen Coͤrpern iſt man gewohnt die meiſten Handlungen und Veraͤnderungen, nicht ſowohl darnach zu rechnen, was in der handeln - den Sache ſelbſt vorgehet; als darnach was die - ſelbe wuͤrcket, oder auſſer ſich hervorbringet, und hervorbringen will. Z. E. der Wolff friſt das Schaaf, man ſchieſt breche, man bauet ei - ne Kirche. Man ſiehet nehmlich die Sache auf der Seite an, wo ſie am meiſten in die Sinne faͤllt, oder auch, woran uns am meiſten ge - legen iſt. Nun faͤllet uns bey vielen Sachen der Effect, oder das hervorgebrachte Werck am mei - ſten in die Sinne; und daher wird auch die Be - nennung genommen. Z. E. Apelles mahlet ei - nen Kriegsgott: ſeine Handlung iſt eigentlich die Bewegung ſeiner Finger, die den Pinſel fuͤhren: diß aber faͤllt viel weniger in die Augen, als der nach und nach entſtehende Mars. Wir benen - nen alſo von ihm die Handlung des Mahlers. Beym breche ſchieſſen wuͤrde es vor die Canonierseinerley49von den Begebenheiten der Coͤrper. einerley Handlung ſeyn, wenn ſie gleich die Ku - geln nur in die freye Lufft ſchoͤſſen, aber weil es dabey nicht um die Abfeurung der Canonen, ſon - dern um den Umſturtz des Walles zu thun iſt, ſo wird davon die Arbeit der Canonirer benennet.

§. 35. Ein anſcheinender Widerſpruch bey coͤr - perlichen Begebenheiten.

Die Handlungen der Dinge ſind oͤffters ver - gebens, beſonders der Menſchen: wie viele ma - chen nicht, wie man ſagt, Gold, ohne jemahls darzu zu gelangen? Wie viele fahren nach Oſt - indien, die daſſelbe doch nie zu ſehen bekommen? man fuͤhret offt die Feder, da doch wegen Zaͤhig - keit der Dinten keine Buchſtaben werden. Da man nun die Handlungen nach ihren Wuͤrckun - gen zu benennen pflegt (§. 34.); ſo kan eine Er - zehlung vorkommen, daß etwas geſchehen ſey, welches nach einer andern Erzehlung doch nicht geſchehen iſt: Sie ſind beyde wahr, aber im ver - ſchiedenen Verſtande. Man ſagt z. E. in dieſer oder jener Stadt wuͤrden die Armen reichlich verſorgt: wenn nehmlich milde Stifftungen und andere noͤthige fonds darzu vorhanden ſind. Ob es aber deswegen wuͤrcklich geſchehe, iſt eine an - dere Frage. Wir wollen ein noch ſinnlicher Ex - empel beyfuͤgen. Der Schloſſer wird zu Oeff - nung einer Thuͤre herbey geholt; man ſiehet ihm zu, wie er ſich ans Werck macht: jedermann ſagt: er mache die Thuͤre auf: gleichwohl wenn das Schloß wegen ſeiner kuͤnſtlichen Riegel nicht auf -Dgehet,50Zweytes Capitel,gehet, wird man ſagen muͤſſen: er habe die Thuͤ - re nicht aufgemacht. Wer den Zuſammenhang nicht weiß, ſondern nur dieſe beyde Erzehlungen hoͤret, wird ſie vor widerſprechend halten.

§. 36. Empfindung ſetzt die Wahrheit der Sache voraus.

Wenn wir eine Sache empfinden, ſo muß dieſelbe auch wuͤrcklich vorhanden ſeyn. Denn was wuͤrcken ſoll, muß da ſeyn. Nur machen ſolche Faͤlle dieſen Satz irre, wo man ſich einbil - det empfunden zu haben, was man doch nicht em - pfunden hat; ſondern nur durch Einbildungskrafft und Schluͤſſe zur Empfindung hinzu geſetzet hat. Dieſes iſt eine Art erſchlichener Saͤtze (vitium ſubreptionis), welche durch die Lehren der Optick, und durch eine allgemeine Abhandlung, was und wie weit man Dinge durch die bloſſen Sinne er - kennen kan, muͤſſen vermieden werden.

§. 37. Vom Verborgenen bey coͤrperlichen Dingen.

Es laͤſſet ſich aber der vorige Satz (§. 36.) nicht umwenden und behaupten: was ich nicht empfinde, daſſelbe iſt nicht vorhanden; ſondern darzu gehoͤret mehrere Vorſicht, daß ich von der Verneinung der Empfindung auf die Verneinung der Sache ſelbſt ſchluͤſſen kan. Wie offte glaubt man nicht, daß nach vielen Corrigiren ein Bo - gen von Druckfehlern gantz frey ſey; da doch wohl noch welche vorhanden ſind, welche man auch wohl nachher noch nicht durch vieles Durchleſenwahr -51von den Begebenheiten der Coͤrper. wahrnimmt, da ſie einem andern hingegen gleich in die Augen fallen. Dieſes fuͤhret uns auf den Begriff des Verborgenen bey coͤrperlichen Din - gen. Und da haͤtten wir ein weites Feld vor uns, eine ſo weit ausſehende Sache in voͤllige Ordnung zu bringen. Wir wollen aber Kuͤrtze halber nur einige Grade bemercken. Das Verborgenſte iſt, was durch keine Kunſt von uns kan empfun - den werden: als kleine Plaͤtze im Monde, das innerſte der Erde: wovon wir alſo nichts anders, als durch Schluͤſſe wiſſen koͤnnen. Dann folget, was man nicht ohne Kunſt, und angewandte Huͤlffsmittel empfinden kan: weiter: was einen beſondern Grad der Aufmerckſamkeit erfor - dert: wie Reaumur und Roͤßler bey Jnſeck - ten, Pflantzen u. ſ. w. vieles durch die bloſſe Auf - merckſamkeit entdeckt haben, was andere vor ih - nen aus Mangel derſelben nicht entdeckt haben: endlich, was nur eine Vorſicht erfordert, als ob niemand in der Stube, darinnen man niemanden ſiehet, ſich etwa verſteckt hat.

§. 38. Ob die Kunſt bey Empfindungen dienlich.

Die Kunſt zu erfahren, oder vielmehr zu empfinden, iſt eine Wiſſenſchafft, die Coͤrper in ſolchen Zuſtand zu ſetzen, daß ſie und ihre Eigen - ſchafften koͤnnen empfunden werden. Die heutige Aſtronomie und Phyſick zeiget uns davon tauſend herrliche Exempel. Wenn es einmahl nun da - hin gebracht iſt, daß die Sache, die verborgen ware, kan empfunden werden, alsdenn iſt dieD 2Em -52Zweytes Capitel,Empfindung von der Empfindung gemeiner Din - ge nicht weiter unterſchieden. Beyde koͤnnen nur obenhin, oder auch im Gegentheil mit vieler Auf - merckſamkeit und gelehrt angeſehen werden.

§. 39. Viele Geſchichte betreffen nicht eintzelne, ſon - dern gantze Hauffen Coͤrper.

Wenn man mit einem eintzeln Coͤrper zu thun hat, ſo wird ſich bey Beobachtung ſeiner Veraͤnderungen und Begebenheiten, und mithin auch bey denen daraus flieſſenden Erzehlungen faſt gar keine Schwierigkeit finden. Sind ja welche, ſo entſtehen ſie aus der Beſchaffenheit und dem Zuſtande des Zuſchauers; welche am gehoͤrigen Orte genau ſollen bemercket werden. Allein dieſe Begebenheiten eintzelner Coͤrper ma - chen nur einen Theil der Begebenheiten der coͤr - perlichen Dinge aus. Denn ein nicht geringer Theil derſelben betreffen nicht eintzelne Coͤrper, ſondern einen gantzen Hauffen: als, daß die Baͤu - me in einem gewiſſen Striche von Raupen abge - freſſen werden: daß die Fluͤſſe eines Landes zu ei - ner gewiſſen Zeit hoch angelauffen ſind. Die Vorſtellung eines Hauffens, das iſt, einer un - gezehlten Menge aͤhnlicher Dinge, iſt im gemei - nen Leben eine alltaͤglich und ſtuͤndlich vorkommen - de, auch gantz bekannte Sache: die aber in der Philoſophie und Vernunfftlehre gar nicht bemerckt zu werden pfleget: weil man da gemeiniglich ſein Abſehen nur auf abſtracte Wiſſenſchafften gerich - tet hat; welche nicht mit Hauffen, ſondern mitArten53von den Begebenheiten der Coͤrper. Arten und Geſchlechtern umgehen. Unſere Ab - handlung von locis communibus in der Logica S. p. 147. wird wohl die erſte von dieſer Gattung ſeyn; auf die wir uns Kuͤrtze halber beziehen, und nur dasjenige daraus anfuͤhren wollen, was das nachfolgende zu verſtehen unumgaͤnglich noͤthig iſt.

§. 40. Kurtze Theorie eines Hauffens.

Wenn man von einem Hauffen denckt und redet, ſo ſtellt man ſich nur einige eintzelne Din - ge klaͤrlich vor, die darinnen nebſt andern enthal - ten ſind: was wir an denſelben wahrnehmen, das pflegen wir hernach dem gantzen Hauffen beyzu - legen. Z. E. zwey Soͤhne eines Mannes, die ich kenne, ſind untugendhafft; ich ſage daher: des Mannes ſeine Soͤhne ſind uͤbel gerathen. Es kan ſeyn, daß eben derſelbe Mann auf der Acade - mie zwey andere Soͤhne hat, die ſich gut auffuͤh - ren und fleißig ſind; allda wird man ſagen: Des Mannes ſeine Soͤhne ſind wohl gerathen: Dieſe Saͤtze ſcheinen widerſprechend zu ſeyn; koͤnnen aber doch und muͤſſen vereiniget werden. Dieſes aber kan nicht ohne folgender Reyhe von Begriffen ge - ſchehen, welche den Gelehrten, zum Behuf der hi - ſtoriſchen Erkentniß, eben ſo bekannt werden muͤſ - ſen, als ſchon laͤngſt die Eintheilungen der Saͤtze und der Schluͤſſe bekannt ſind. Eine ungezehlte Menge Dinge (wenn ſie gleich konten gezehlet werden,) heiſſet ein Hauffen. Diejenigen ein - tzeln Dinge, die uns aus einem Hauffen beſonders bekannt ſind, heiſſen Exempel, Muſter, Pro -D 3ben,54Zweytes Capitel,ben, Beyſpiele: Diejenigen Dinge aus einem Hauffen, die wir eintzeln nicht kennen, wollen wir das uͤbrige, oder den Reſt, (turbam fine nomine) nennen.

§. 41. Unterſchied der allgemeinen Anmerckungen?

Wenn man die Eigenſchafften eines oder meh - rerer Exempel dem gantzen Hauffen beylegt, ſo heiſſet das eine allgemeine Anmerckung, lo - cus communis. Nun ſiehet man gleich, daß die indiuidua, welche zuſammen genommen einen Hauffen ausmachen, ihrer Aehnlichkeit, wodurch ſie zu einem Hauffen werden, ungeachtet, widrige Eigenſchafften haben koͤnnen, wie das Exempel (§. 40.) beſaget; und alſo auch zu widerſprechen - den allgemeinen Anmerckungen Anlaß geben koͤn - nen. Wenn alſo ein ſolcher Fall von zwey widerſpre - chenden allgemeinen Anmerckungen vorkommt, ſo iſt kein anderer Weg zur Entdeckung der Wahrheit vorhanden, als daß man die Exempel, worauf ſich je - de von beyden Anmerckungen gruͤndet, aufſuchet, und daraus den Urſprung des Widerſpruches erkennet.

§. 42. Und der allgemeinen Saͤtze.

Noch mißlicher iſt es, wenn man von einer Menge eintzelner Dinge und ihrer Beſchaffenheit auf die gantze Art ſchluͤſſet, und ſolche allg mei - ne Anmerckungen denen wuͤrcklich allgemeinen Saͤ - tzen, welche aus allgemeinen Begriffen herge - leitet werden, gleich ſetzen will: als daß alle Ra - ben ſchwartz ſeyn ſollten; daß kein Fiſch fliegenkan;55von den Begebenheiten der Coͤrper. kan; welche Saͤtze man ſonſten ohne dem gering - ſten Bedencken unter die philoſophiſchen allgemei - nen Wahrheiten wuͤrde gerechnet haben, und die dennoch falſch ſind. Ob es moͤglich ſey, aus der bloſſen Erfahrung wuͤrcklich allgemeine Wahrhei - ten herauszubringen, betrifft bloß die Erweite - rung der Phyſick, nicht aber der Geſchichtskun de, und kan alſo von uns uͤbergangen werden. Hingegen iſt uns an dem eigentlichen Begriffe der Erfahrung allerdings gelegen.

§. 43. Eintheilung eines Hauffens.

Weil ein Hauffen aus ſolchen indiuiduis be - ſtehet, die dennoch ihre verſchiedene Qualitaͤten haben koͤnnen, ſo iſt eine beſondere Art der hiſto - riſchen Erkentniß, daß man an einem Hauffen be - merckt, wie viel er indiuidua von dieſer oder je - ner Gattung in ſich halte: als bey dem groſſen Hauffen der Sterne, wie viel von der erſten, zweyten, dritten Groͤſſe ſind, u. ſ. w. Bey einem Buſche, der nicht groß iſt, kan man durch zehlen erfahren, wie viel Eichen, Buchen, Bir - cken, Fichten u. ſ. w. vorhanden ſind.

§. 44. Unterſchied der Erfahrungen und Em - pfindungen.

Eine Erfahrung iſt, wenn man aus Em - pfindungen einen allgemeinen Satz macht: es mag derſelbe nun entweder allgemein ſeyn, oder nur von einem Hauffen gelten. Die ErfahrungD 4iſt56Zweytes Capitel,iſt daher von der Empfindung unterſchieden, und entſtehet aus derſelben, entweder durch die Ein - bildungskrafft, oder durch Schluͤſſe. Die Em - pfindungen haben in Anſehung der Wahrheit gar keine Schwierigkeit, wenn nur die Empfin - dung ſelbſt vorhanden iſt: Die Erfahrung aber kan dennoch falſch ſeyn, wenn gleich die Empfin - dungen richtig ſind, worauf ſich dieſelbe gruͤndet; weil noch gar nicht ausgemacht iſt, wie man auf eine Art, die Beſtand hat, aus eintzeln Faͤllen eine allgemeine Anmerckung, oder einen allge - meinen Satz zu machen befugt ſey. Am wenig - ſten aber thut es gut, daß man Empfindungen und Erfahrungen mit einander vermenget, wel - ches bisher beſtandig geſchehen, und deswegen von uns iſt widerlegt worden in den Erlangi - ſchen gelehrten Anzeigen No. XIX. 1749. in der genauern Beſtimmung, was Erfahrun - gen ſind?

§. 45. Schluͤſſe von einem Hauffen auf die uͤbrigen.

Wie man von einigen indiuiduis auf die uͤbrigen zu ſchluͤſſen pflegt (§. 41.), alſo pfleget man auch von den Begebenheiten des einen Hauffens, oder einiger Hauffen auf die Eigenſchafften und Begebenheiten der andern Hauffen, von ſolcher Art, zu ſchluͤſſen. Als man hat wahrgenommen, daß in Londen von 100. Woͤchnerinnen zweye ſterben, und dieſes hat man in verſchiedenen Jah - ren wahrgenommen: man ſchluͤſſet daraus, daß es nicht allein in Paris, und andern groſſen Staͤd -ten57von den Begebenheiten der Coͤrper. ten Europens eben ſo ſeyn werde, ſondern daß es auch in kuͤnfftigen Jahren in Londen eben ſo ſeyn werde, woferne nicht auſſerordentliche Faͤlle darzu ſchlagen. Reaumur bemerckt, daß in je - dem Bienenſchwarme nur 1. Koͤnig; der bloſſen Arbeiter 5 mahl mehr als Bienen maͤnnlichen Ge - ſchlechts waͤren: er hat dieſes nehmlich bey ver - ſchiedenen Schwaͤrmen gefunden: man ſchluͤſſet aus den Exempeln, die man gehabt, auf die uͤbrigen Hauffen.

§. 46. Man kan nicht von einer Zeit auf die an - dere ſchluͤſſen.

Es iſt aber klar, daß ſo wenig man von dem jetzigen Zuſtande eines eintzeln Dinges, ſchlecht weg auf den zukuͤnfftigen Zuſtand deſſelben ſchluͤſ - ſen kan: eben ſo wenig gehet es auch an, daß ich von dem gegenwaͤrtigen Zuſtande eines Hauffens ſchluͤſſen kan auf eine andere Zeit. Jch finde z. E. in einem Garten keine gemeine Raupe: dar - aus kan ich nicht ſchluͤſſen, daß derſelbe nicht zu einer andern Zeit, wenigſtens in einem andern Jahre, von ſolchen Raupen wimmeln ſollte. Die Vorſicht, die bey ſolchen Schluͤſſen, wenn man ſie ja machen will, zu gebrauchen iſt, wollen und haben wir hier nicht noͤthig zu unterſuchen: uns iſt nur daran gelegen, daß mit denen Empfin - dungen, welche eigentlich der Grund aller Er - zehlungen ſind, nichts anders vermenget werde.

D 5§. 47.58Zweytes Cap. von den Begebenheiten ꝛc.

§. 47. Was aͤuſſerlich, innerlich, verdeckt und offenbar iſt.

Was man an der Sache, ohne an ihr ſelbſt etwas zu aͤndern, wahrnehmen kan, das iſt dar - an aͤuſſerlich. Was erſt durch gemachte Ver - aͤnderungen in der Sache kan wahrgenommen werden, daſſelbe iſt innerlich. Wenn zwiſchen uns und einem gewiſſen Coͤrper A ein anderer B ſtehet oder lieget, oder kurtz zu reden, da iſt, der die Empfindung von jenem hindert, ſo heiſſet jener verdeckt, wo aber kein Hinderniß der Em - pfindung vorhanden, da liegt die Sache vor Augen, oder ſie iſt offenbar. Und dieſes gilt von allen Arten der Sinnen.

§. 48. Verſchiedene Arten coͤrperlicher Begebenheiten.

Hieraus aber entſtehen verſchiedene Arten der Begebenheiten bey coͤrperlichen Dingen: ſie ſind zum Theil aͤuſſerlich, als, ein Haus wird an - geſtrichen; theils ſind ſie innerlich, als, daß die Zapffen der Balcken verfaulen; theils ſind ſie of - fenbar, als, was dem Menſchen an der Haut fehlet; theils ſind ſie verborgen, als, was ihm innerlich fehlet.

Drittes59

Drittes Capitel, von den Begebenheiten der Moraliſchen Weſen oder Dinge.

§. 1. Sichtbare Willen gehoͤren zur Hiſtorie?

Ohngeachtet die Veraͤnderungen der menſch - lichen Seele, beſonders des Willens, von groſſer Wichtigkeit ſind, weil daraus die Entſchluͤſſungen, Handlungen, Wuͤrckun - gen und Wercke der Menſchen entſtehen; ſo pflegen doch bloſſe Gedancken und bloſſe Willensmeinungen unter den Menſchen in kei - ne ſonderliche Betrachtung gezogen zu werden: beſonders darum, weil Fremde dieſelben nicht wiſſen koͤnnen. Sie koͤnnen alſo auch in der Hi - ſtorie nicht ſehr in Anſchlag kommen. Jm gemei - nen Leben wird nur auf ſolche Gedancken und Willensmeinungen gerechnet, welche aͤuſſerlich in Worte und Wercke ausbrechen, und durch die un - mittelbar aus ihnen flieſſenden Wuͤrckungen ſicht - bar werden.

§. 2. Und werden nach ihren aͤuſſerlichen Folgen betrachtet.

Eintzelne Gedancken bringen auch eintzelne ſichtbare Handlungen und Wuͤrckungen herfuͤr. Und wie ſie ihrer Natur nach genau mit einanderverbun -60Drittes Capitel,verbunden ſind, alſo werden ſie auch gemeiniglich als eine Sache angeſehen. Wer mit Worten jemanden verſpottet, der hat ihn mit Gedancken und Worten verſpottet: beydes zuſammen wird unter dem Worte: ſpotten, begriffen. Wer den andern verwundet, muß auch von dem Wil - len ihn zu verwunden Rechenſchafft geben. Man kan aber zugleich aus dieſen Exempeln ſehen, wie manchmal eine Trennung der innerlichen und der aͤuſſerlichen Handlung moͤglich ſey; welches genauer zu unterſuchen vor die Moraliſten gehoͤ - ret. Nimmt man nun die innerliche und aͤuſſer - liche Handlung vor eine Sache an; ſo werden die eintzeln Begebenheiten der Seele nach eben den Regeln zu beurtheilen ſeyn, welche wir bey den Begebenheiten der Coͤrper angemercket ha - ben: denn ſie werden vor Menſchenaugen nur nach ihrer coͤrperlichen und aͤuſſerlichen Wuͤrckung, die daraus erfolget, angeſehen.

§. 3. Welcher Wille beſonders merckwuͤrdig iſt?

Ein Wille, der fortdauret, iſt ſchon in der Menſchen Augen eine Sache von mehrerer Wich - tigkeit. Er gehoͤrt unter die Dinge, welche ſind (§. 2. C. 1.). Ein treuer Freund macht einen groſſen Theil unſerer Gluͤckſeligkeit aus: ein un - verſoͤhnlicher Feind aber iſt im Stande, uns un - ſer gantzes Leben ſauer zu machen. Alſo auch ein Menſch, der eine Profeßion treibet, oder den Willen hat, ſolche beſtaͤndig zu treiben, be - kommt dadurch gleichſam das Anſehen eines be -ſondern61v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. ſondern Weſens, wornach ſich eine unzehlige Menge anderer Menſchen richten koͤnnen: und ein ſolches Weſen verliehret ſich wieder, wenn der Menſch den Willen, ſeine Profeßion zu trei - ben, ablegt. Alſo iſt z. E. kein Schmid in der Stadt, wenn niemand in der Stadt dieſes Handwerck treibt, oder treiben will, wenn gleich tauſend Perſonen in der Stadt waͤren, die daſſel - be verſtuͤnden. Ein verborgener beſtaͤndiger Wil - le aber, der keine aͤuſſerliche Folgen hat, wie manche in ihrer Stube verſauren, hat keinen Ein - fluß in die Geſchichte (§. 1.).

§. 4. Moraliſche Weſen werden erklaͤtet.

Wenn Menſchen einen beſtaͤndigen Willen haben, (nehmlich ſowohl eintzelne Menſchen als mehrere,) und zwar der bekannt iſt, ſo daß ſich andere darnach richten koͤnnen, ſo heiſſet dieſes ein moraliſches Weſen. Dergleichen iſt ein Lehrer, andere wiſſens und erkennen ihn davor, und richten ſich darnach; beſonders die lernen wollen. Ein Fabricant verfertiget immer ei - nerley Waare, und man kan ſich auf die Fortſe - tzung ſeiner Arbeit verlaſſen. Ein Gaſtwirth hat den Willen beſtaͤndig, Gaͤſte und Fremde aufzunehmen, und ſie zu bedienen: er machts bekannt, und jeder richtet ſich darnach. Ein Lehrſtuhl, eine Fabrique, ein Gaſthof ſind alſo moraliſche Weſen, die eigentlich in dem Wil - len der Menſchen beſtehen, ohngeachtet ſie mit coͤrperlichen Dingen verknuͤpft ſind. So iſt auchein62Drittes Capitel,ein Koͤnigreich, eine Wuͤrde, jeder Stand beſchaffen. Und ſolche moraliſche Dinge, wenn ſie aus mehrern Menſchen beſtehen, pflegen ge - meiniglich viel laͤnger, als die Menſchen ſelbſt zu dauren, weil bey Abgang eines oder des andern, dennoch der Wille der uͤbrigen unveraͤndert bleibt, der erledigte Platz aber gar leicht mit einem an - dern indiuiduo wieder erfuͤllet wird.

§. 5. Wie moraliſche Weſen ſichtbar werden.

Ungeachtet nun der Wille der Menſchen un - ſichtbar iſt, und mithin die moraliſchen Dinge auch an ſich unſichtbar ſind, ſo werden ſie doch auf zweyerley Art ſichtbar und kentlich, daß man von ihrem Daſeyn, ja von ihrer Dauer, ſo wohl verſichert iſt, als von der Exiſtentz eines in die Augen fallenden Coͤrpers: nehmlich 1. durch die coͤrperlichen Dinge, und den apparat, der dazu noͤthig iſt, den Willen und Vorſatz auszufuͤh - ren. Als man legt einen Eiſenhammer an: man kan da aus den koſtbaren Anſtalten, ja aus der Art des Baues leicht urtheilen, daß es nicht dar - auf angefangen ſey, den Hammer etwa einen Tag gehen zu laſſen; ſondern daß es ein dauerhafft Werck ſeyn ſolle. 2. Durch aͤuſſerliche Zeichen, welche den beſtaͤndigen Vorſatz bekannt machen. Alſo pflegt eine neue Handlung ihre Einrichtung oͤffentlich bekannt zu machen. Hieher gehoͤren die Nahmen, welche ſich Geſellſchafften geben, Pri - vilegien, Stifftungsbrieffe, wodurch mora - liſche Weſen theils zu ihrer Exiſtentz gebracht wer -den,63v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. den, theils aber ihre Dauerhafftigkeit verſichert und bekannt gemacht wird.

§. 6. Zwey Arten von Begebenheiten der mora - liſchen Dinge.

Die Begebenheiten der moraliſchen Weſen gruͤnden ſich zwar auf den vereinigten Willen der Menſchen (§. 4.); da ſie aber aͤuſſerliche Dinge zu ihren Vorwurff haben (§. 1.): ſo entſtehen ihre Veraͤnderungen und Begebenheiten auf zweyerley Art: einmahl in und an den Willen der Menſchen, der veraͤnderlich iſt; und ſo wohl eyfriger, als nachlaͤßiger, beſſer und ſchlimmer werden kan; ingleichen daß mehrere Menſchen ihren Willen mit der Zeit vereinigen, oder im Gegentheil von ihrem vorigen Willen abgehen; wie bey allen Dingen geſchiehet, bey welchen es auf den Beyfall der Leute ankommt. So dann werden auch die moraliſchen Weſen veraͤndert, durch die Begebenheiten der Coͤrper, welche mit den moraliſchen Dingen verbunden ſind; als wel - che den menſchlichen Willen und deſſen Ausfuͤh - rung foͤrdern, hindern, aͤndern und gar aufhe - ben koͤnnen. Ein Bergwerck hoͤret auf, ſowohl wenn die Stollen erſaͤufft werden, als wenn die Gewercken abſtehen. Der Fiſchfang vermehret ſich, ſowohl wenn mehrere ſich auf die Fiſcherey, hauptſaͤchlich auf dem Meere, legen, als wenn der Strich der Fiſche ſtaͤrcker wird.

§. 7.64Drittes Capitel,

§. 7. Eine Haupteintheilung der Begebenheiten.

Die Begebenheiten der moraliſchen Weſen ſind mithin von den Begebenheiten eintzelner Men - ſchen gantz unterſchieden; ob wohl die Geſchichte eintzelner Menſchen in jene den groͤſten Einfluß haben. Eine Handlung beſtehet zwar noch im - mer, wenn ſie gleich ihren treuen und klugen Di - recteur verlohren hat, aber ſie leidet doch da - durch. Hingegen ſind die Geſchichte derjenigen Menſchen, welche mit einem moraliſchen Weſen zu thun haben, groſſen theils auch nicht zu den Geſchichten der moraliſchen Weſen ſelbſt zu rech - nen: als ob der Directeur eine Frau gehabt, wie viel er Kinder gehabt, u. ſ. w. Beym Regiment und Koͤnigreichen iſt am deutlichſten zu erſehen, wie die Geſchichte eintzelner Perſonen den Zuſtand moraliſcher Weſen aͤndern koͤnnen. Die Weiß - heit und Tapfferkeit eines Koͤniges giebt dem gan - tzen Reiche eine groſſe Staͤrcke: und ſein Todt in einem Wahlreiche, macht das gantze Land zu ei - nem Schauplatz vieler Unruhen.

§. 8. Vom Urſprunge eines moraliſchen Weſens.

Die Hauptbegebenheit eines moraliſchen We - ſens iſt der Urſprung deſſelben; welcher um ſo viel merckwuͤrdiger iſt, da er den Grund zu allen nachfolgenden Begebenheiten abgiebt, ohne wel - chem dieſe nicht wohl begriffen werden koͤnnen. Weil nun die moraliſchen Weſen eine Vereini - gung vieler Menſchenwillen ſind (§. 4.); ſo pflegtder65v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. der Anfang, oder der Urſprung derſelben in dem Willen eintzelner Perſonen angetroffen zu werden. So iſt es geſchehen, daß bey einer Kirchweyhe, wo viel Volck zuſammen gekommen, ein Kauff - mann auf den Einfall gerathen, wo viel Menſchen zuſammen kaͤmen, waͤre leicht etwas zu loͤſen: er iſt mit ſeinen Waaren hingezogen; er hat Geld geloͤſet, andere haben es nachgethan; man hat es an mehrern Orten nachgethan, ſo ſind Jahr - maͤrckte und Meſſen entſtanden. Der Moͤnchs - orden, deſſen Verfaſſung in der Welt ſo vieles geaͤndert, iſt von zwey Menſchen Anton und Paul entſtanden, die ſich aus verſchiedenen Ab - ſichten in die Wuͤſte und Einſamkeit begeben haben.

§. 9. Warum der Anfang der Dinge meiſt unbe - kannt iſt?

Hieraus nun werden zwey Eigenſchafften be - greifflich, welche man gemeiniglich bey dem Ur - ſprunge moraliſcher Weſen antrifft. Erſtlich, warum der Urſprung moraliſcher Weſen, die doch wohl von groſſer Wichtigkeit ſind, ſo offte unbe - kannt iſt; nehmlich weil das Thun und Laſſen eintzelner Perſonen nicht ſo groſſes Aufſehen macht, und daher auch nicht ſo leichte aufgeſchrieben wird: Wenn es aber wegen ſeiner gar wichtigen Folgen recht merckwuͤrdig wird, ſo weiß man gemeini - glich nicht einmahl mehr, wie ſich die gantze Sa - che angeſponnen habe. Man ſiehet aber leichte, daß hier der Wille groſſer Herren etwas vorausEhabe,66Drittes Capitel,habe, und noch eher, wiewohl es auch oͤffters genug nicht bemerckt wird, angemercket werden, oder nach einiger Zeit doch eher aufzuſuchen ſey. So kan man z. E. leſen, wie die Academie des Inſcriptions et belles lettres entſtanden iſt, in den I. Tome der Memoires. Den erſten Buch - drucker aber weiß man wohl nicht ſo genau.

§. 10. Warum ſich die moraliſchen Weſen in kurtzen aͤndern?

Sodann erkennet man aus dem (§. 8.) an - gemerckten Umſtaͤnden, warum die moraliſchen Dinge mit der Zeit gemeiniglich eine gantz an - dere Geſtalt gewinnen, als ſie im Anfange ha - ben. Denn ſobald viele Menſchen ſich an eine Sache machen: ſo mengen ſich ihre Perſonell Um - ſtaͤnde mit darein, und die Nachfolger ſehen eine Sache allemahl gantz anders an, als die Erfinder.

§. 11. Wie eine moraliſche Sache ſichtbar wird.

Die zweyte Begebenheit eines moraliſchen Dinges iſt, daß es ſichtbar wird. Um hier ein bequemes Merckmal zu haben, wollen wir fol - gendes davor annehmen: Wenn man aus den Anſtalten abſehen kan, daß es eine Sache ſey, die nicht von der Menſchen, die es treiben, ihrem Leben abhangen ſoll. So iſt anfangs ein Werck vor eintzelne Perſonen, daß ſie in einem Fluſſe Lachs fangen: es entſtehet aber ein Lachsfang, wenn man ein Wehr bauet, um ihren Zuruͤck - gang zu verhindern; denn da ſiehet man gleich,daß67v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. daß wenn die ietzigen Lachsfaͤnger nicht mehr da - ſeyn werden: dennoch andere ſich berechtiget zu ſeyn duͤncken werden, den Lachsfang fortzuſetzen, oder die wenigſtens die einmahl vorhandene gute Gelegenheit ſich zu Nutze machen werden. Eine Ketzerey wird ſichtbar, wenn man andere dar - innen unterrichtet. Wenn nun vollends eine or - dentliche Verbindung, Beruff, Stifftung u. ſ. w. gemacht und angetroffen wird, ſo iſt das moraliſche Weſen ſichtbar: Nun kan man das Daſeyn deſſelben wiſſen, ohne von den eintzelnen Perſonen, die darzu gehoͤren, Nachricht zu haben.

§. 12. Verfaſſung oder Geſtalt moraliſcher Weſen.

Die Geſtalt oder Verfaſſung eines morali - ſchen Weſens beſtehet darinnen, daß in den dazu gehoͤrigen Stuͤcken eine gewiſſe Verhaͤltniß iſt, der - geſtalt, daß das eine das Hauptwerck, das an - dere nur eine nothwendige Folge des Haupt - wercks: das dritte ein Nebenwerck; das vierte etwas zufaͤlliges iſt, welches nur von Zeit und Ort, oder den Umſtaͤnden der eintzelnen Perſonen abhanget, die damit zu thun haben. Z. E. bey einer Academie iſt der Unterricht derer Schuͤler der Wiſſenſchafften das Hauptwerck: eine noth - wendige Folge iſt, der Unterhalt der Lehrer, weil dieſe ſonſt nicht beſtehen koͤnnen: ein Nebenwerck iſt, daß durch den Zufluß der Studierenden die Stadt bereichert wird: was zufaͤlliges iſt, daß die Lehrer auch noch andere Aemter in der Stadt mit verwalten, oder daß ſie Characters haben.

E 2§. 13.68Drittes Capitel,

§. 13. Und wie ſolche geaͤndert wird?

Die dritte Begebenheit eines moraliſchen We - ſens beſtehet alſo in der Veraͤnderung der Ge - ſtalt, oder der Verfaſſung, welches geſchiehet, wenn die Verhaͤltniß der Theile und der innerli - chen Umſtaͤnde geaͤndert wird, als wenn eine nothwendige Folge etwa zum Hauptwerck ſelbſt gemacht wird, oder wenn Nebenſachen zur Haupt - ſache, oder zufaͤllige Dinge zu nothwendigen Ei - genſchafften gemacht werden. So wurde die Ge - ſtalt des Einſiedlerſtandes veraͤndert, als man anſinge Lehrer aus ihnen zu nehmen; da doch die Faͤhigkeit zum Lehren eine ſo zufaͤllige Sache vor einen Muͤnch, nach der erſten Verfaſſung war, als dieſes, daß er alt oder jung war: die Verfaſ - ſung aber aͤnderte ſich noch mehr, da man ſie um der Zucht willen in coenobia und Geſellſchafften vereinigte, da ſich vorher die Zucht bey ihnen oh - ne ſolche Anſtalt gefunden. Die Einſamkeit, als das ehemahlige Hauptwerck, wurde nicht allein zum Nebenwercke, ſondern verſchwand gantz und gar.

§. 14. Wachsthum und Verbeſſerung der Dinge.

Man bemercke weiter, als die vierte Ver - aͤnderung eines moraliſchen Weſens, das Wachs - thum, und die entgegen geſetzte Abnahme deſ - ſelben: erſterer erfolgt, wenn mehrere Menſchen durch ihren Willen, freywillig oder gezwungen, daran Theil zu nehmen anfangen; das letztere abergeſchie -69v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. geſchiehet, wenn der Menſchen, die ihr Wille vereiniget hatte, weniger werden. Hievon aber iſt die Verbeſſerung und Verſchlimmerung der Dinge wohl zu unterſcheiden; denn es folgt eben nicht, daß wenn eine Sache ſich ausbreitet, daß ſie darum beſſer wird, oder daß die Abnah - me derer, die daran Theil nehmen, allemahl die Sache verſchlimmere. Meiſtens werden Kuͤn - ſte, wenn ſie allgemein werden, durch Stuͤmper, Betruͤger, und andere Fehler eintzelner Menſchen, theils veraͤchtlich, theils verfaͤlſcht, und verfallen wohl gar durch die Menge.

§. 15. Auf ſichern Fuſſe ſtehen.

Eine Sache kommt zu ihrer Conſiſtentz, oder wird auf einen ſichern Fuß geſetzet, wenn die Unternehmung gewiſſer Perſonen einige gerechte Macht bekommt; denn ohne Macht kan es mit jeder Sache taͤglich und ſtuͤndlich aus werden. Dahingegen Dinge, welche Fuͤrſten anfangen, gar bald zur Conſiſtentz kommen, und auf einen ſichern Fuß pflegen geſetzt zu werden; bey Unter - nehmungen der Privatleute hat es Noth, daß et - was jemahls auf einen ſichern Fuß geſetzt wird, wo nicht die Macht des Landes, oder des Landes - herrn, darzu kommt, welches durch ſo genannte Privilegia und Stifftungen geſchiehet. Das Wort gerechte Macht nehmen wir hier nicht eben ſo genau, ſondern ſo wie es im gemeinen Leben genommen wird, da nur erfodert wird, daß keine offenbare Ungerechtigkeit und Gewaltthaͤtig -E 3keit70Drittes Capitel,keit vorgehet, und da jeder, der in ſeinem Beſi - tze nicht geſtoͤhrt wird, einsweils vor einen recht - maͤßigen Beſitzer gehalten wird.

§. 16. Wenn Sachen ihren Weg gehen.

Die Sache gehet ihren Weg, und iſt in Ruhe, wenn das, woraus ſie beſtehet, fortgeſetzt wird, jedoch ohne hefftige Zunahme oder Ab - nahme, ingleichen ohne Veraͤnderung der Ver - faſſung. Dieſes iſt die ſchlimſte Zeit vor die Ge - ſchichtſchreiber: denn was an einem Tage geſchie - het, das geſchiehet auch am andern, und alles zuſammen laͤſſet ſich aus der Verfaſſung der Sa - che, wenn dieſe einmahl beſchrieben worden, a priori ſchluͤſſen. Vor die Mitglieder aber pfle - get es die beſte Zeit zu ſeyn; weil die Abnahme und Veraͤnderung der Verfaſſung einer Sache faſt nothwendig mit Unruhe und Ungelegenheit verknuͤpfft iſt; ja ſelbſt eine ſchnelle Zunahme, des Vergnuͤgens ohngeachtet, meiſt viel zu ſchaffen macht.

§. 17. Die letzten Begebenheiten moraliſcher Weſen.

Jeder merckt von ſich ſelbſt, daß der Unter - gang eines Dinges eine Hauptbegebenheit jedes Dinges, und alſo auch moraliſcher Dinge und Weſen ſey. Der Untergang aber iſt hier dem Anfange aͤhnlich. Nicht allein, wenn die Per - ſonen ausſterben, welche darzu gehoͤren, oder wenn ſie ihren Willen insgeſamt aͤndern, hoͤreteine71v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. eine Sache auf, ſondern auch denn ſchon, wenn es anfaͤngt ein Werck eintzelner Menſchen zu wer - den, mit deren Tode es aufhoͤren ſoll. Alſo ge - het ein Cloſter ſchon unter, wenn weiter keine novitii duͤrffen aufgenommen werden; es wird nunmehr zu einem perſonell Werck, von deren Leben die gantze Dauer der Sache abhanget. Manchmahl traͤgt ſich aber bey Sachen, die ehe - ſtens voͤllig untergehen wuͤrden, noch vor dem Un - tergang eine Erneuerung zu: wie ſolches beym Adel ſehr gewoͤhnlich iſt.

§. 18. Das Aenſſerliche, Geheime und Jnnerliche der moraliſchen Dinge.

Das Aeuſſerliche und Jnnerliche muß bey moraliſchen Dingen etwas anders genommen werden, als bey coͤrperlichen Dingen. Das Aeuſſerliche und Offenbare iſt, was an der Sache und denen Perſonen, die damit zu thun haben, auch Fremden in die Sinne faͤllt: als bey einer Handlung das Waarenlager, welches ent - weder gefuͤllet, oder im Gegentheil groſſen theils leer iſt: das Geheime iſt, was nur denen, die mit der Sache ſelbſt zu thun haben, in die Sin - ne faͤllet: als der Zuſtand einer Handlung, wel - cher der Buchhalter aus den Contobuͤchern, wie auch alle die hineinſehen duͤrffen, bekannt und of - fenbar iſt, aber Fremden unbekannt iſt: das Jn - nerliche aber beſtehet eigentlich in den Willen der Menſchen, die bey der Sache concurriren. Z. E. das Aeuſſerliche kan bey einer HandlungE 4gut72Drittes Capitel,gut beſtellt ſeyn, als da iſt das Waarenlager: das Geheime kan auch noch in guter Verfaſſung ſeyn, wenn nehmlich die Handlung ein groſſes in Caſſa oder auf Conto bey andern ſtehen hat. Laß es aber ſeyn, daß dieſelbe ietzo von unverſtaͤndigen und untreuen Handlungsfuͤhrern getrieben wird, ſo iſt es mit derſelben, voriger guten Umſtaͤnde ungeachtet, doch in Anſehung des Jnnerlichen ſchlecht beſtellt. Alſo bey einer Academie kan das Aeuſſerliche und Geheime noch viel Splendeur ha - ben: wenn aber den Lehrern die Faͤhigkeit zu ab - ſtrahiren abgehet, ſo wird ſich aus der Folge der da aufwachſender Lehrer, welche immer ſeichter werden, offenbaren, daß in dem Jnnerlichen ein Fehler verborgen geweſen ſeyn muͤſſe.

§. 19. Seiten der moraliſchen Dinge?

Das Wort Seite gehoͤrt eigentlich vor die Coͤrper (§. 16. C. 1.); aber es iſt ſchon laͤngſt ge - woͤhnlich, daß man ſo gar allen Dingen, und alſo auch insbeſondere denen moraliſchen Weſen, Seiten beylegt. Man kan den Eheſtand, den Soldatenſtand, das Seeweſen auf dieſer und auf jener Seite betrachten. Dieſes muß nun von der Betrachtung beſonderer und eintzelner Theile und Umſtaͤnde der Sache was unterſchiedenes ſeyn, und beſtehet darinnen, daß man vielen Theilen, die aus beſondern Urſachen von uns zu - ſammen genommen werden, zuſammen betrach - tet: alſo ſiehet man die Sachen auf der guten und ſchlimmen, auf der ſchweren und leichtenSeite,73v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. Seite, auf der ſtarcken und ſchwachen Seite an, wenn man das Gute oder das Boſe, das Leichte oder das Schwere, das Vollſtaͤndige oder Unvollſtaͤndige davon zuſammen nimmt, und in Erwegung ziehet.

§. 20. Und was daraus vor Begriffe entſtehen?

Eine Sache nach und nach auf mancherley Seite betrachten, heiſſet die Sache beleuchten. Nachdem man eine Seite betrachtet hat, und ſo dann das Gegentheil derſelben in Betrachtung gezogen wird, das heiſſet man eine Sache um - wenden. Man hat z. E. eine neue Abgabe erſonnen: das Project wird beleuchtet, indem man es nach ſeinem Ertrage, nach den erfor - derlichen Unkoſten bey der Einnahme, nach der Schwierigkeit bey der Eintreibung, nach der Beſchwerde, womit die Unterthanen aufs neue belegt werden, nach dem Schaden, der daraus in der Handlung entſtehen kan, unterſucht. Man wendet aber das Project um, wenn man etwa anfangs das Gute und hernach das Boͤſe be - trachtet: wenn man erſt, wie es ſich in Anſehung des Fuͤrſten verhaͤlt, erweget, und ſo dann wie in Anſehung der Unterthanen.

§. 21. Wie man gegen ein moraliſches Weſen ſich verhalten kan.

Diejenigen, deren vereinigter Wille die Ex - iſtentz eines moraliſchen Dinges ausmacht, heiſſen Glieder. Da nun leicht zu erachten, daß woE 5viele74Drittes Capitel,viele Willen zuſammen kommen, ſolche nicht von einerley Wichtigkeit bey der Sache ſeyn werden, alſo unterſcheiden ſich, wo Glieder ſind, diejeni - gen gar bald, auf deren Willen das meiſte an - kommt, welche man Hauptperſonen nennet. Da aber jedes moraliſches Weſen in anderer Men - ſchen ihr Thun und Laſſen einen Einfluß haben muß, ſo werden dieſe, nachdem ſie Nutzen oder Schaden davon haben, oder zu haben ſich ein - bilden, gemeiniglich unter dem Nahmen der Freunde und Feinde begriffen. Um ſie, in ei - nen Begriff zuſammen zu faſſen, wollen wir ſie Theilnehmer nennen. Wer aber weder Scha - den noch Nutzen von einem moraliſchen Weſen hat, und doch davon weiß, der heiſſet ein Frem - der. Derjenige, der mit einer Sache gar nichts zu thun hat, und auch nicht einmahl davon weiß, der kommt gar nicht in Anſchlag, und wird in An - ſehung deſſelben Dinges vor ein non ens zu ach - ten ſeyn. Als in Anſehung des Wechſelcurſes ſind die Hottentotten und die Hurons vor non en - tia zu achten.

§. 22. Woraus Eintheilungen der Begebenheiten entſtehen.

Die Begebenheiten eines moraliſchen Dinges koͤnnen alſo verſchiedene Subjecta haben, und ent - weder die Menſchen ſelbſt, die mit einer Sache umgehen, betreffen, oder die coͤrperlichen Din - ge, die zum moraliſchen Weſen gehoͤren. Was die Perſonen anlanget, ſo betrifft die Begeben -heit,75v. d. Begebenheiten der moral. Dinge. heit, entweder die Glieder, worunter die Be - gebenheiten der Hauptperſonen die merckwuͤrdig - ſten ſind; oder die Theilnehmer: oder endlich die Fremden oder Zuſchauer. Die letztern werden in der Welt wenig geachtet, auſſer bey den Gelehrten. So wird denen Faͤrbern wenig daran liegen, was man in einem andern Welt - theile, wo man ihre Faͤrberey nicht braucht, da - von dencken moͤchte oder nicht: ein Gelehrter aber hat gemeiniglich Freude daran, wenn nur eine Menge Leute von ſeinen Gedancken und Erfin - dungen Nachricht haben. Der Unterſchied kommt daher, weil man von Wiſſenſchafften nicht leichte Nachricht erhaͤlt, oder auch einen bloſſen Zuſchauer abgiebt, ohne endlich ſelbſt daran durch die er - langte Erkentniß Theil zu nehmen.

§. 23. Andere Eintheilungen der Begebenheiten.

Da wir auch die Umſtaͤnde eines moraliſchen Weſens in das Aeuſſerliche, Verborgene, und Jn - nerliche eingetheilt haben; ſo koͤnnen die Begeben - heiten dieſer Dinge auch ſo eingetheilt werden, daß ſie ſich entweder in Anſehung des Aeuſſerli - chen, oder des Geheimen, oder des Jnnerli - chen begeben. Alſo bey einer Banco iſt eine aͤuſſerliche Veraͤnderung, nachdem recht vieles baares Geld, oder nicht vorhanden; ingleichen, daß dieſelbe wenig oder mehr Vorſteher hat: in Anſehung des Geheimen, ob ſie mehr activ - oder paſſiv-Schulden hat: in Anſehung des Jnnerli - chen, ob ſie Credit hat. Die Hiſtorien beſtehenge -76Viertes Capitel,gemeiniglich aus lauter aͤuſſerlichen Veraͤnderun - gen. Als wenn z. E. Tacitus die Hiſtorie des Roͤmiſchen Reaiments oder Republick gleich zu Anfang ſeiner Annalen erzehlet, ſo haͤlt ſolche lauter aͤuſſerliche Veraͤnderungen in ſich, welche aus dem vorhergehenden innerlichen entſtanden ſind; an ſich aber auch denen, die an der Roͤmi - ſchen Buͤrgerſchafft keinen Theil gehabt haben, haͤtten bekannt ſeyn koͤnnen. Mit denen darauf folgenden ausfuͤhrlichen Erzehlungen vom Ende des Auguſts, und der Regierung ſeiner Nachfol - ger, gehet es hernach anders; und weil da viele, ſowohl geheime als innerliche Begebenheiten von Rom bemercket werden, ſo iſt auch der Tacitus immer, als was wunderbares von einem Hiſto - rienſchreiber, verehret worden.

Viertes Capitel, von den Begebenheiten der Menſchen, und denen eintzeln Weltge - ſchichten.

§. 1. Begebenheiten an Leib und Seele machen nur eine Sache aus.

Der Menſch beſtehet aus Leib und Seele, die aufs genaueſte mit einander verbun - den ſind, ſo daß die Begebenheiten dieſerwe -77v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc. weſentlichen Theile, als Begebenheiten einer eini - gen Sachen angeſehen werden: wie ſie denn auch ſo genau an einander hangen, daß es nicht moͤg - lich iſt, nur eine Begebenheit des Leibes anzuge - ben, daran die Seele nicht Antheil naͤhme; und ſo auch mit den Veraͤnderungen der Seele. Doch aͤuſſern ſich dieſe Begebenheiten bald hauptſaͤch - lich in der Seele, bald hauptſaͤchlich im Leibe. Denn ſo kommen in Anſehung des Verſtandes, Erkentniß und Unwiſſenheit, Jrrthum und Wahr - heit; in Anſehung des Willens, Tugend und Laſter, Affecten und Entſchluͤſſungen vor; in An - ſehung des Leibes aber Kranckheit und Geſund - heit. Dieſes alles ſind Veraͤnderungen der gan - tzen Perſon, die wir aber hauptſaͤchlich nur auf der einen Seite erkennen. Ein Scholaſtiſcher Philoſoph wuͤrde den Leib oder die Seele das ſub - jectum quo ſolcher Begebenheiten nennen.

§. 2. Die erſten Begebenheiten des Menſchen.

Die Geburt iſt die erſte augenſcheinliche Be - gebenheit der Menſchen. Die Erzeugung aber gehoͤrt zu den verborgenen oder geheimen (§. 18. C. 3.) Begebenheiten der Eltern; wodurch der Anfang von dem Daſeyn eines andern Menſchen gemacht wird. Der Vater aber iſt vor geſitte - te Voͤlcker ein Hautptumſtand, den die Menſchen von ihren und anderer ihrem Urſprunge zu wiſſen hauptſaͤchlich noͤthig haben.

§. 3.78Viertes Capitel,

§. 3. Nothwendige und beſondere Begebenheiten der Menſchen.

Die Veraͤnderungen, welche ſich mit dem ein - mahl gebohrnen Menſchen zutragen, ſind entwe - der nothwendige und natuͤrliche, die nach dem Lauffe der Natur bey allen Menſchen ange - troffen werden; als die Folge der verſchiedenen Lebensalter; eſſen und trincken, mannbar werden u. ſ. w. oder es ſind beſondere Begebenheiten, die ſich nicht bey jedem zutragen, und alſo nicht vermuthet werden koͤnnen. Letztere laſſen ſich zwar auch auf gewiſſe Arten und Geſchlechter reduciren, davon einige ſehr gaͤnge und gaͤbe in der Welt ſind: als daß man verwaͤyſet iſt, daß man arm iſt: daß man Unpaͤßlichkeiten hat. Sie koͤnnen aber doch, als bey Perſonen von Wich - tigkeit, mit gutem Grunde bey jedem individuo angemercket werden, weil man ſie doch nicht a priori wiſſen kan: da hingegen die nothwendi - gen Begebenheiten bey eintzeln Menſchen nicht pflegen angemerckt zu werden, als daß er Zaͤhne bekommen, denn man kan ſolches von ſelbſt er - meſſen.

§. 4. Jeder Menſch befindet ſich allezeit in einem Stande.

Weil die Menſchen in einer beſtaͤndigen und ſehr alten Geſellſchafft mit einander leben; ſo iſt faſt kein Zuſtand zu erſinnen, der nicht ſchon ſei - nen bekannten Nahmen haben, und als eine ge -wiſſe79v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc. wiſſe Art menſchlicher Zuſtaͤnde, allgemein be - kannt ſeyn ſollte; dergeſtalt, daß man einen ſol - chen Zuſtand als ein moraliſches Weſen betrach - tet; die Armuth, die Kranckheiten, die Aemter, die Ergoͤtzungen, alles hat ſchon ſeinen bekannten Nahmen, und iſt ein ſchon bekannter Zuſtand. Da - her ſo bald der Menſch gebohren, ja ſo bald er empfangen worden, befindet er ſich in einem ge - wiſſen Stande; der wie er das erſte mahl in der Welt vorgekommen iſt, ſchon Aufſehens mag ge - macht haben; als z. E. ein Vater und Mutter - loßer Wayſe zu ſeyn; aber nunmehro ſchon ſo bekannt iſt, daß jeder mit einem allgemeinem Be - griffe ſolches Standes verſehen iſt.

§. 5. Wie man den Stand eines Menſchen

Jeder Menſch befindet ſich in mancherley Stande: er iſt z. E. ein Buͤrger, ein Handwercks - mann, ein Ehemann, ein Kirchenvorſteher, ein Vormund, ein Nachbar u. ſ. w. Man ſehe nur, wie viel Dienſte manchmahl ein einiger Mann hat. Unterdeſſen pflegen wir jedem nur einen Stand zuzuſchreiben; und da gilt die Regel: a po - tiori ſit denominatio. Den vornehmſten Stand eines Menſchen pflegt man alſo ſchlechtweg den Stand deſſelben zu nennen.

§. 6. im gemeinen Leben zu rechnen pfleget.

Nun fragt es ſich: welches der vornehmſte Stand ſey? hier koͤnnen dreyerley in Anſchlag kommen. 1. Derjenige Stand, womit ſich je -mand80Viertes Capitel,mand am meiſten beſchaͤfftiget; 2. der Stand, welcher uns am meiſten eintraͤgt; 3. der Stand, der am meiſten Ehre hat. Der letztere wird ge - meiniglich den andern vorgezogen, und im gemei - nen Leben der Stand eines Menſchen genennet: wovon wir die Urſache denen Moraliſten zu un - terſuchen und zu beurtheilen uͤberlaſſen. Jn die - ſer Abhandlung aber koͤnnen wir uns an dieſen ge - meinen Maaßſtab des Standes nicht halten, ſondern der eine wird uns in den meiſten Faͤllen ſo gut ſeyn als der andere.

§. 7. Viele Begebenheiten verſtehen ſich von ſelbſt, andere nicht?

Weil die Beſchaffenheit derer verſchiedenen Arten von Staͤnden, aus der Erfahrung ſchon laͤngſt unter den Leuten bekannt iſt; ſo kan man von jedem, wenn uns ſein Stand bekannt, gleich aus dieſem unſern Begriffe, und a priori vieles einſehen, was ihm, vermoͤge ſeines Standes, zu thun oblieget, und was ihm, vermoͤge deſſel - ben, begegnen kan. Hingegen kan es auch ge - ſchehen, daß in einem Stande ſich, wegen der Umſtaͤnde der Zeit, manches zutraͤgt, welches man bloß aus dem allgemeinen Begriffe von ſol - chem Stande nicht hat einſehen koͤnnen: als daß eine Gemeinde eine Verfolgung uͤberfaͤllt, dar - auf rechnet jetzo wohl nicht leicht jemand, der ein Predigtamt annimmt. Ueberhaupt aber kommen bey eintzeln Perſonen auch individuelle Umſtaͤnde vor, die mir der allgemeine Begriff nicht an dieHand81v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc. Hand giebt. Als, ich weiß von jemanden, daß er als Advocat practicirt; daraus kan ich freylich nicht abſehen, wie viel er Proceſſe hat? und wem er bedient iſt?

§. 8. Woraus alltaͤgliche Begebenheiten

Was ſich aus dem allgemeinen Begriffe des Standes, worinnen ſich jemand befindet, ſchluͤſ - ſen laͤſſet, das heiſſen taͤgliche Verrichtungen, und alltaͤgliche Begebenheiten; als daß ein Cantzelliſt copirt, oder mundirt, daß der Soldat auf die Wache ziehet, daß der Caßirer Geld ein - nimmt und auszahlet. Das alles laͤſſet ſich aus den allgemeinen Begriffen dieſer Staͤnde ſchon ab - ſehen. Dergleichen Handlungen nun pflegen die Aufmerckſamkeit der Menſchen wenig auf ſich zu ziehen: niemand bekuͤmmert ſich drum, als wer an ſolchen Verrichtungen ſelbſt Theil hat: Frem - de, Abweſende, Nachkommen bekuͤmmern ſich nicht darum, auſſer wer vorwitzig iſt. Un - terdeſſen machen doch dieſe taͤglichen, und nicht in ſonderlicher Achtung ſtehenden Begebenheiten den groͤſten Theil unſers Lebens aus.

§. 9. und Thaten entſtehen.

Was aus dem allgemeinen Begriff unſers Standes nicht fluͤſſet, und alſo auch nicht daraus ge - folgert werden kan, und doch von uns geſchiehet, das heiſſen Thaten. Es iſt zwar an dem, daß man dieſes Wort hauptſaͤchlich von ſehr wichtigen Handlungen, und beſonders von KriegsthatenFbraucht:82Viertes Capitel,braucht: doch iſt jene weitlaͤufftigere Bedeutung des Wortes nicht unbekannt; und da man ſelbſt im gemeinen Leben ſowohl von ſchlechten als von groſſen Thaten zu reden pfleget, ſo wird bey die - ſer Eintheilung jener allgemeine Begriff aller - dings voraus geſetzet. Die Thaten aber ſind ei - gentlich das, was man unter eines Menſchen Thun und Laſſen zu bemercken pflegt; denn ſolche Handlungen ſind vor die Zuſchauer, und die, ſo davon hoͤren, etwas unerwartetes, oder gar was gantz neues; und ſie lernen ſich in vorkom - menden Fallen darnach richten. Beydes macht ihre Aufmerckſamkeit rege.

§. 10. Was vom Stande eines Menſchen zur Hiſtorie gerechnet werde?

Ohngeachtet jede Handlung eines Menſchen zu ſeinen Begebenheiten gehoͤret, welche daher ſaͤmtlich koͤnnten bemerckt, erzehlt, und in hiſtori - ſche Nachrichten verwandelt werden: ſo werden doch gemeiniglich die taͤglichen Verrichtungen und alltaͤglichen Begebenheiten (§. 8.) wegen ihrer groſſen Menge bald vergeſſen; hingegen bemerckt man genauer, 1. wenn ein Menſch ſeinen Stand veraͤndert: denn dieſes iſt allemahl was zufaͤlliges und kan a priori nicht eingeſehen werden; es fol - gen aber daraus eine Menge anderer, obgleich nur taͤglichen Verrichtungen, die ſich aber auf einmahl daraus uͤberſehen laſſen (§. 8.), folglich ſind ſie hoͤchſt merckwuͤrdig. 2. Bemerckt man die Thaten, wegen der (§. 9.) angefuͤhrten Ur - ſachen.

§. 11.83v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc.

§. 11. Fernere Hauptbegebenheiten der Menſchen: als Gluͤcks - und Ungluͤcksfaͤlle.

Und ſo bemerckt man auch bey eintzeln Men - ſchen ihre Gluͤcks - und Ungluͤcksfaͤlle; ſie moͤ - gen ſich nun in Anſehung des Leibes, oder der Guͤter, oder in dem Verhaͤltniß gegen andere Menſchen zutragen, und eine wichtige Veraͤnde - rung verurſachen. Alſo wird bemerckt, wenn je - manden ſeine naͤchſten Freunde abgeſtorben ſind, daß ſeine Stadt abgebrannt iſt, daß ſie belagert worden, daß er eine Erbſchafft gethan, daß er der Aelteſte im Collegio geworden. Nun haben aber auch dieſe Gluͤcks - und Ungluͤcksfaͤlle, we - gen der langen menſchlichen Erfahrung, ihre ge - wiſſe Arten und Geſchlechter, deren Folgen ſchon bekannt ſind: daher pfleget man auch von dieſen Begebenheiten ihren Folgen wenig anzu - mercken; es waͤre denn, daß ſie zu einer beſon - dern That Anlaß gegeben haben.

§. 12. Veraͤnderung der Sitten und Faͤhigkeiten?

Man bemerckt auch gerne an einem Men - ſchen ſeine Sitten und Faͤhigkeiten. Dieſe, wie ſie nicht auf einen Tag entſtehen, und auch ſelten auf einmahl wieder abgelegt werden, ſo ge - hoͤren ſie zu den Dingen, welche ſind: als daß jemand ein Zaͤncker, ein Saͤuffer, ein ſtiller, ein fleißiger Mann iſt. Der Sitz derſelben iſt haupt - ſaͤchlich in der Seele; laſſen ſich aber zuverlaͤßig aus den aͤuſſerlichen Wercken und Thaten erken -F 2nen.84Viertes Capitel,nen. Jndem man aber aus eintzeln Faͤllen und Exempeln auf eine Faͤhigkeit, und auf eine be - ftaͤndige Gemuͤthsverfaſſung ſchluͤſſet, ſo ge - ſchiehet ſolches unter dem Titul der Erfahrun - gen, und iſt eigentlich nicht ein Schluß, ſondern ein locus communis; bey denen allerdings Vor - ſicht zu gebrauchen iſt; wie ſolches bey denen Phy - ſicaliſchen Erfahrungen noͤthig iſt (§. 41. C. 2.). Die Veraͤnderung der Sitten waͤre freylich eine der wichtigſten Begebenheiten eines Menſchen, der mit denen Veraͤnderungen des Standes in gleichen Paare gehet (§. 10.): weil aber ſolches gemeiniglich nach und nach und unvermerckt geſchiehet, ſo kan bey Veraͤnderung der Sitten leichter bemerckt werden, daß ſie geſchehen, als daß, und wenn ſie geſchiehet.

§. 13. und der Todt.

Wenn der Menſch verſchiedene Alter durch - gegangen (§. 3.), ſich in mancherley Staͤnden befunden (§. 5.), darinnen theils alltaͤgliche Ar - beit getrieben (§. 8.), theils aber Thaten verrich - tet (§. 9.), und unterdeſſen mancherley Gluͤcks - und Ungluͤcksfaͤlle erfahren (§. 11.), auch wohl ſeine Sitten geaͤndert hat (§. 12.); ſo iſt ihm nichts uͤbrig, als ſein Ende, und der Todt; wel - cher, als die letzte Begebenheit in dieſer Welt, nicht weniger merckwuͤrdig iſt, als ſeine Geburt.

§. 14.85v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc.

§. 14. Geſchlechtsnachrichten.

Es iſt ſehr gewoͤhnlich, ſich einen Menſchen, als den Mittelpunckt vieler andern vorzuſtellen, von denen er theils in Anſehung ſeiner Erzeugung abhaͤnget, und die er theils erzeuget hat: welches denn ſeine Vorfahren, theils ſeine Nachkom - men unter ſich begreifft. Er wird in Anſehung der erſteren, als ein Zweig, in Anſehung aber der letztern, als der Stammvater angeſehen. Wenn nun die um ihn herumſtehenden Perſonen ein beſonderes Anſehen haben, ſo kan es nicht fehlen, daß ihm dieſes ein groſſes Anſehen, und eine anſehnliche Geſtalt giebt; weil wir bey coͤrperlichen Dingen das Anſehen derſelben eben - falls, nach den umſtehenden Dingen, zu ſchaͤtzen pflegen (§. 23. C. 2.).

§. 15. Zufaͤllige Verbindung vieler Menſchen - geſchichte.

Man pflegt auch vieler Menſchen ihre Ge - ſchichte, nach der Einbildungskrafft, mit einan - der zu verbinden, wegen einer gewiſſen Aehnlich - keit, obgleich ſonſten ihre Begebenheiten keine Verbindung mit einander haben. So ſind des Spizelii gluͤckliche und ungluͤckliche Gelehr - te, Goetzens gelehrte Junggeſellen bekannt. Mein ſel. Vetter, U. G. Siber, hat von den beruͤhmten Alemannen, und Gottſchalcken geſchrieben, auch von denen Makarien, und Martinen zu ſchreiben vorgehabt. Jn der in -F 3nerlichen86Viertes Capitel,nerlichen Einrichtung der auf dieſe Art vereinig - ten Geſchichte iſt, auſſer dem, was wir von eintzeln Lebensbeſchreibungen angemercket, nichts beſonders zu beobachten.

§. 16. Hiſtorie der Geſchaͤffte.

Eigentlich ſind die Begebenheiten, die wir zu wiſſen verlangen, Begebenheiten eintzelner Men - ſchen: und es waͤre alſo eine recht natuͤrliche Er - kentniß der Geſchichte, wenn wir wuͤſten, was de - nen indiuiduis der Menſchen eintzeln begegnet iſt; wie ſolches in denen Lebensbeſchreibungen geſchie - het, deren inerliche Verfaſſung wir umſtaͤndlich erklaͤret haben (§. 13. 14.). Allein es iſt uns auch auf der andern Seite daran gelegen, daß wir die Beſchaffenheit der Begebenheiten ſelbſt erkennen, ſo daß uns an den eigentlichen Per - ſonen, die in dieſelbe verwickelt ſind, weniger ge - legen iſt. Daraus entſtehen nun verſchiedene Ar - ten der Geſchichte. Denn ſo wird oͤffters 1. die Hiſtorie dieſes oder jenes moraliſchen Dinges ſorgfaͤltig aufgezeichnet. Denn wie dieſe ohne Perſonen nicht ſeyn koͤnnen, als kan man die dabey theilhabenden Menſchen (wenn man will,) nur in ſo ferne betrachten, als ſie an dieſem oder jenem moraliſchen Dinge Theil gehabt haben. Von dieſer Art ſind die Hiſtorien der Reiche, der Staͤdte, der Kloͤſter und anderer Geſellſchafften: die biſchoͤffliche Wuͤrde u. ſ. w.

§. 17.87v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc.

§. 17. Hiſtorien von Kriegen und Haͤndeln.

Es ſind 2. die ſo genannten Haͤndel be - kannt, da nehmlich Uneinigkeit und Zwietracht mit denen daraus gefloſſenen Handlungen nach ihren Anfang, Fortgang und Ende betrach - tet werden. Die Kriege und Kriegshaͤndel ſind als die wichtigſten, auch die bekannteſten: denn kommen Rebellionen, Meutereyen, Proceſſe, wo - bey Gewalt vor Recht gehet, Controverſten, da - bey es an Schmaͤhungen, auch wohl Verfolgung nicht fehlet, ingleichen verbotene Liebeshaͤndel ſind auch bekannte Nahmen; welche alle ſolche Ge - ſchichte anzeigen, wo man mehr auf die Folgen der Begebenheit ſelbſt, als auf die Perſonen ach - tung giebt.

§. 18. Hiſtorien der Thaten.

Ferner werden 3. neue und ſonderbare Tha - ten bemerckt, mehr der Sache, als der Perſo - nen wegen: als die erſten Reiſen nach Oſt - und Weſt Jndien: die Hauptconcilia: Geſandſchaff - ten: praͤchtige Beylager und Leichenbegaͤngniſſe.

§. 19. Hiſtorien von wichtigen Geſchaͤfften.

Man iſt endlich 4. auch aufmerckſam auf ein - tzelne wichtige Geſchaͤffte, welche ihre beſon - dere Einrichtung haben, ſo daß man die Folge derſelben aus dem allgemeinen Begriffe nicht wohl abſehen kan, oder die von beſonderer Art ſind,F 4und88Viertes Capitel,und Gelegenheit zu einer neuen Art von Ge - ſchaͤfften geben. Als vor dieſen iſt der recurſus ad Comitia nicht ſo bekannt geweſen, welcher Reichsſtand aber es zuerſt gethan hat, der hat ein neu Geſchaͤffte unternommen, das, wie noch ietzo alle Recurs-Sachen thun, das Publicum ſehr aufmerckſam gemacht hat. Wenn dergleichen Geſchaͤſfte nach den buͤrgerlichen Geſetzen ſollen beurtheilet werden, ſo werden es Faͤlle, caſus, genennet, wiewohl auch die Aertzte die caſus ſehr fleißig bemercken; und wenn man dieſe Ge - ſchaͤffte nach den goͤttlichen Geſetzen beurthei - len ſoll, ſo werden ſie caſus conſcientiae genen - net. Alle Arten von Handlungen koͤnnen durch beſondere Umſtaͤnde ſehr merckwuͤrdig werden: als der Kauff von Dynkercken; die Erbauung der hohen Pyramiden in Egypten. Auch werden ſelbſt grobe Schandthaten, wo dieſelben ſelten ſind, ſehr bemercket.

§. 20. Eintheilung der Geſchichte in die Geſchichte ein - tzelner Menſchen, und eintzelne Welt - geſchichte.

Nun iſt es allerdings noͤthig, daß dieſe Art der Geſchichte, welche den Geſchichten eintzelner Menſchen entgegen geſetzt ſind, mit einem beſon - dern Nahmen benennet, und unter einen allge - meinen Begriff gebracht wuͤrden, damit man de - ſto bequemer von allen zuſammen auf einmahl re - den koͤnte. Wir wollen daher ſolche die eintzeln Weltgeſchichte nennen. Denn die ſo genann -ten89v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc. ten Weltgeſchichte, welcher Nahme bekannt ge - nug iſt, beſtehen aus lauter ſolchen Dingen, wie wir (§. 16. 17. 18. 19. ) bemerckt haben. Von eintzeln Perſonen findet man ſelten weitere Nach - richt, als in ſo ferne ſie in gewiſſe moraliſche We - ſen einen Einfluß gehabt, oder beſondere Thaten verrichtet, und auſſerordentliche Schickſale, wie Ulyſſes, erlitten haben. Daher wir auch von den uͤbrigen perſonellen Umſtaͤnden, ſelbſt groſſer Monarchen, wenig Nachricht haben. Das uͤbri - ge wird nehmlich entweder zu ihren natuͤrlichen und nothwendigen Begebenheiten (§. 3.), oder zun alltaͤglichen Verrichtungen (§. 8.), oder zu den gemeinen Gluͤcks - und Ungluͤcksfaͤllen gehoͤ - ren (§. 11.), die man der Aufmerckſamkeit nicht wuͤrdig achtet, auch wohl niemanden, als die al - lernaͤchſt dabey ſind, etwas angehen; andern auch wohl deswegen, als was Geheimes, unbekannt bleiben. Unſere haupthiſtoriſche Erkentniß iſt da - her die Erkentniß eintzelner Weltbegeben - heiten.

§. 21. Alle Begebenheiten haben ihre Arten.

Bey allen Dingen, die da ſind, oder geſche - hen, haben wir zwar allgemeine Begriffe, dar - unter die eintzeln Geſchaͤffte und Begebenheiten koͤnnen gebracht werden, als Krieg, Frieden, Reiſen, Kuͤnſte, Staͤdte, Kranckheiten, Be - ſchimpffungen, u. ſ. w. dieſe allgemeinen Begriffe aber ſind kein Stuͤck der hiſtoriſchen Erkentniß, ſon - dern entſtehen aus derſelben durch die Abſtraction;F 5helffen90Viertes Capitel,helffen aber nachher, und dienen, neu vorkommen - de aͤhnliche Faͤlle deſto eher zu uͤberſehen. Der allge - meine Begriff eines Congreſſes ſetzt uns bey einem vorſeyenden Congreß gleich in Stand, daß wir vieles davon gleich von uns ſelbſt und a priori wiſſen koͤnnen, was einem andern, der keinen all - gemeinen Begriff davon hat, nicht ins Hertz kom - men wuͤrde. An ſich aber gehoͤren dieſe Begriffe in die Philoſophie.

§. 22. Unterſchied eintzelner Dinge, ſowohl von einan - der ſelbſt, als von ihren Arten.

Die eintzeln Geſchichte und Dinge uͤber - haupt, unterſcheiden ſich von denen allgemeinen Begriffen, unter welchen ſie enthalten ſind: durch die individuellen Umſtaͤnde, die in dem allge - meinen Begriffe gar nicht enthalten ſind. Alſo obgleich alle Brieffe, Brieffe ſind, ſo ſtehet doch in jedem etwas anders, als in allen uͤbrigen: Je - der Brieff wird auch von einer beſondern Per - ſon, an einem beſondern Orte, zu einer beſon - dern Zeit geſchrieben. Jeder Kauff ſetzt beſon - dere Perſonen, beſondere Sachen voraus. Eben ſo werden auch individuelle Begebenheiten von einerley Art durch die beſondern Umſtaͤnde der Perſonen und Coͤrper, die dabey concurriren, von einander unterſchieden. Die allerkuͤrtzeſte Art aber eintzelne Geſchaͤffte und uͤberhaupt eintzelne Dinge von einander zu unterſcheiden, iſt, daß man Zeit und Ort ſich davon bekannt macht: indem viel Dinge an einem Orte und zu einer Zeit nicht geſchehen koͤnnen. Und bey Perſonen iſt derNah -91v. d. Begebenheiten der Menſchen ꝛc. Nahme ein Hauptmerckmahl, wodurch er von andern Menſchen unterſchieden wird.

§. 23. Willkuͤhrliche Verbindungen eintzelner Weltgeſchichte.

So wenig es etwas in der hiſtoriſchen Erkent - niß ſelbſt aͤndert, wenn man die Geſchichte vieler Perſonen, die aber unter einander keine Verbin - dung haben, wegen einer Aehnlichkeit, in eine Abhandlung zuſammen bringt (§. 15.), ſo we - nig kan es auch etwas aͤndern, wenn man etwa Geſchaͤffte wegen einer Aehnlichkeit zuſammen traͤget; die ſelbſt unter einander keine Verbindung haben. Z. E. eine Sammlung von Verbrennung der Ketzer iſt leicht zu machen, ſo bald man die Materialien dazu, oder die eintzeln Geſchichte, wie Ketzer ſind verbrannt worden, bey der Hand hat. Es liegt nichts dran, ob man ſie nach alphabeti - ſcher, chronologiſcher, geographiſcher, oder einer andern Ordnung zuſammen traͤget.

Fuͤnfftes Capitel, vom Zuſchauer und Sehepunckte.

§. 1. Der Zuſchauer iſt bey einer Erzehlung eine Hauptſache.

Die Begebenheiten, und mithin auch die Ge - ſchichte, ſind Veraͤnderungen derer wuͤrck - lichen Dinge; und koͤnten alſo vorgehen,wenn92Fuͤnfftes Capitel,wenn auch gleich keine Zuſchauer dabey waͤren. Jeder vernuͤnfftiger Menſch iſt zwar in Anſehung ſeiner eigenen Handlungen und Begebenheiten, wegen ſeiner Vernunfft, ein Zuſchauer: doch han - get die Exiſtentz ſeiner Handlungen und Begeben - heiten von dieſem Zuſchauer nicht ab: und eben ſo iſt es mit den Begebenheiten jedes Menſchen in Anſehung anderer beſchaffen, daß es ihm an Zuſchauern nicht fehlet: wie daraus erhellet, weil etwas ſo ſchwer zu verbergen iſt. Aber alle die - ſe Zuſchauer ſind zur Exiſtentz der Begebenheiten ſelbſt gar nicht noͤthig. Allein bey der Erkent - niß der Begebenheiten, und denen daraus fluͤſſenden Erzehlungen, iſt es eben ſo noͤthig, auf den Zuſchauer und deſſen Beſchaffenheit achtung zu geben, als auf die Sache ſelbſt. Von beyden hanget die Erkentniß der Begebenheiten, und mit - hin auch die Wahrheit der Erzehlungen ſelbſt ab.

§. 2. Beſonders bey coͤrperlichen Dingen.

Denn ſo iſt bey Coͤrpern offenbar, daß ihre Veraͤnderungen und Begebenheiten eine gantz an - dere Geſtalt bekommen, nachdem ſich der Zu - ſchauer in Anſehung derſelben verhaͤlt, ob er na - he oder ferne, hoͤher oder tieffer ſtehet: ob er ach - tung giebt, oder nicht. Die Fixſterne, wie itzo alle Gelehrte wiſſen, ſind vor diejenigen, die nahe genug ſind, Sonnen, vor uns aber, ſind ſie we - gen der unbeſchreiblichen Weite, kleine Himmels - lichter. Der Mond iſt bald voll, bald halb, bald noch weniger erleuchtet, nehmlich vor uns; denn aus einem andern Sehepunckte betrachtet, iſt eralle -93vom Zuſchauer und Sehepunckte. allemahl halb, oder weil er viel kleiner als die Sonne iſt, etwas mehr als halb erleuchtet. Der gantze Begriff der Mondesviertheile beruhet auf dem Stand der Erdbewohner. Und dieſes gilt nun von allen coͤrperlichen Veraͤnderungen, daß dabey auf den Zuſchauer, nicht in Anſehung der Erzehlung allein, ſondern auch der Empfindung und der Begebenheit ſelbſt (weil wir ſie von der Vorſtellung derſelben nicht trennen koͤnnen,) vie - les ankommt. Der Zuſchauer aber iſt, der ei - ne Sache als gegenwaͤrtig empfindet. Nach die - ſen Erklaͤrungen kan man ſowohl durch die in - nerliche, als durch die aͤuſſerliche Empfindung einen Zuſchauer abgeben; durch jene von dem, was in uns ſelbſt vorgehet; durch dieſe aber von dem, was auſſer dem Zuſchauer vorgehet.

§. 3. Verſchiedene Begriffe des Sehepuncktes.

Bey der Empfindung der Coͤrper giebt man allezeit hauptſaͤchlich aufs Sehen achtung, welches nicht allein der deutlichſte Sinn iſt, ſondern auch der - jenige, womit wir am weiteſten reichen; und bey die - ſem Sinn nun iſt klar genug, was der Sehepunckt ſey, nehmlich der Ort, wo das Auge des Zu - ſchauers ſich befindet. Davon dependiren offen - bar die ſichtbaren Begebenheiten, jeder er - kennt ſie nach dem Stande ſeines Auges: und was ſich dabey zutragen kan, iſt in der Optick ſchon alles auf das klaͤrſte aus einander geſetzt wor - den. Zum Gebrauch der hiſtoriſchen Erkentniß aber muß dieſer Begriff auch ſchon bey ſichtlichen Dingen etwas ausgedehnet werden: man mußihn94Fuͤnfftes Capitel,ihn uͤberhaupt vor den Zuſtand des Auges neh - men; dergeſtalt, daß die Schaͤrffe des Auges, die Krafft in die Naͤhe oder Ferne zu ſehen, mit zum Sehepunckte zu rechnen iſt. Und dieſes iſt die erſte Erweiterung des Begriffes vom Se - hepunckte. Da wir aber mehrere Sinne haben, auf deren innerliche und aͤuſſerliche Beſchaffenheit oder Zuſtand, es eben auch ankommt, daß wir gewiſſe Dinge ſo oder auch anders empfinden; ſo muß man, wenn man des andern ſeine Empfin - dungen begreiffen will, allerdings auf den Zuſtand ſeiner Sinne ſehen; und daher muß bey den Em - pfindungen uͤberhaupt, der Zuſtand unſerer Sinne, der Sehepunckt genennet werden. Welches die zweyte Ausdehnung dieſes Begriffes iſt, die wir nicht enbehren koͤnnen.

§. 4. Wozu noch der dritte kommt.

Die Erfahrung aber lehret, daß, nachdem ein Menſch in ſeiner Seele beſchaffen iſt, wenn er mit ſinnlichen Dingen umgehet, er bald Sachen zu empfinden anfaͤnget, die er vorher nicht em - pfunden hat, bald aber Dinge und Umſtaͤnde nicht wahrnimmt, die ein anderer gleich wahr - nimmt: daß er auch Sachen anders empfindet, widrig, angenehm, leichte, langſam, nachdem er geſund und munter, oder irgendwo beſchwert iſt. Denn ſo ſind alle Krancken ſehr empfindlich und unleidlich. Es iſt auch bekannt, daß ſelbſt Din - ge, die mit Haͤnden gemacht werden, nicht alle Stunden gleich gerathen wollen, ſondern daß ſich manchmahl eine beſondere Unfaͤhigkeit aͤuſſert. Jm95vom Zuſchauer und Sehepunckte. Jm Durſte ſiehet man nicht darauf, was ſich et - wa vor Unreinigkeiten im Waſſer oder Gefaͤſſe befinden; in der Flucht fuͤhlet man die Sachen, die ſonſt druͤcken, oder reiben, oder wohl gar ei - ne groſſe Wunde machen, nicht. Daher hat auch der innerliche Zuſtand der Seele eines Men - ſchen einen Einfluß in das, was er durch die Sin - ne empfindet, und in die Erzehlungen, die aus ſolchen Empfindungen entſtehen. Nun bemerckt man aber den Sehepunckt beym Auge deswegen, weil davon die Empfindungen des Auges, und die Geſchichte, die man dadurch erkennet, abhan - gen (§. 3.); alſo wird auch noͤthig ſeyn, den Zu - ſtand des Leibes und der Seele, mithin des gan - tzen Menſchen zuſammen zu nehmen, wenn man von ſeinen gehabten Empfindungen, und denen daraus fluͤſſenden Erzehlungen Rechenſchafft geben ſoll. Der Zuſtand alſo des gantzen Menſchen, der einer Sache und Begebenheit zuſchauet, ma - chet den Sehepunckt deſſelben Zuſchauers aus: welches die dritte Erweiterung des Begriffes vom Sehepunckte iſt (§. 3.).

§. 5. Was ein Menſch vor Zuſchauer hat?

Bey Geſchichten eintzelner Menſchen iſt oh - ne Zweifel jeder zufoͤrderſt ſein eigener Zu - ſchauer, ſowohl deſſen, was er thut, als deſ - ſen, was ihm begegnet. Jm uͤbrigen iſt jeder Menſch ein Zuſchauer vieler anderen; und jeder Menſch hat gar viele Zuſchauer. Hierbey giebt es nun ſo viele Arten der Zuſchauer, als es Ar -ten96Fuͤnfftes Capitel,ten der Verbindungen giebt, unter Leuten, die an einem Orte leben, oder die in der Naͤhe bey - ſammen ſind: als Hausgenoſſen, und dieſe von verſchiedener Gattung, Nachbarn, Mit - buͤrger, Collegen, Clienten, Creditores u. ſ. w. und je mehr ſolche Verbindungen in einer Perſon zuſammen kommen, deſto eher kan die eine die andere genau in Obacht nehmen, und einen Zu - ſchauer in Anſehung ſeiner mehreſten Handlungen abgeben: daher man zu ſagen pfleget, man ken - ne jemanden auswendig und inwendig. Nehm - lich worzu jemand nicht gelangen kan, einen Zu - ſchauer abzugeben, das haben wir das Geheime geheiſſen (§. 18. C. 3.); welches bey eintzeln Per - ſonen, als Perſonen, mit den Jnnerlichen einerley iſt, (denn was ſo innerlich iſt, daß man es aͤuſſerlich gantz und gar nicht mercken kan, das kan hier gar nicht in Anſchlag kommen). Wer nun wegen ſeiner vielfachen Verbindung faſt alles Thun und Laſſen des andern zu beobachten Gelegenheit hat, der erkennet alſo allerdings ſein Auswendiges und Jnwendiges.

§. 6. Die Zuſchauer eines moraliſchen Weſens.

Bey moraliſchen Weſen ſind augenſcheinlich ſowohl die Mitglieder, als auch die Theilnehmer, und Fremden, welche nahe bey der Sache ſind (§. 21. C. 4.), vor Zuſchauer anzuſehen. Denn alle dieſe wiſſen, und zwar als Gegenwaͤrtige, was mit und in der Sache vorgehet. Doch ſie - het man auch gleich, daß ſich alle dieſe Leute aufſehr97vom Zuſchauer und Sehepunckte. ſehr vielerley, und auf ſehr verſchiedene Art ge - gen das moraliſche Weſen verhalten koͤnnen, deſ - ſen Zuſchauer ſie ſind. Denn ſo ſehen in einem Collegio der Praͤſident und die Subalternen die Sache auf gantz verſchiedene Art an. Die Ge - ſandten ſowohl als ihre Livrebedienten haben an einem Congreſſe Theil, und ſind Zuſchauer auf gantz verſchiedene Art; daher gantz natuͤrlich folgt, daß ſie ſich auch die vorgehenden Dinge auf gantz verſchiedene Weiſe vorſtellen.

§. 7. Die Zuſchauer der Haͤndel, Geſchaͤffte und Thaten.

Bey Haͤndeln (§. 17. C. 4.), Thaten (§. 18. C. 4.), und Geſchaͤfften (§. 19. C. 4.) pflegen vie - lerley Perſonen vorzukommen, die wir, wie bey dem moraliſchen Weſen (§. 21. C. 4.) in Mitglie - der, Theilnehmer und Fremde eintheilen koͤn - nen. Jeder von dieſen giebt einen Zuſchauer, der Haͤndel, Thaten und Geſchaͤffte ab, oder uͤber - haupt der Weltgeſchichte (§. 20. C. 4.), mit wel - chen er zu thun hat. Aber auch bey Haͤndeln, Thaten, Geſchaͤfften, haben die daran nur eini - gen Theil nehmen, nicht einerley Verhaͤltniß; ſon - dern die nur jetzo angefuͤhrte Perſonen, die Mit - glieder, Theilnehmer und Fremden, koͤnnen ein - tzeln noch von gantz verſchiedener Gattung ſeyn. Jeder derſelben aber betrachtet die Sache nach ſeinen Umſtaͤnden, das iſt, ſo viel ihn theils ſei - ne Umſtaͤnde darzu veranlaſſen, theils aber ihm ſeine Umſtaͤnde zulaſſen. Daher giebt es dennGſehr98Fuͤnfftes Capitel,ſehr viel Arten von Zuſchauern bey jeden Haͤndeln, Thaten, Geſchaͤfften, und uͤberhaupt bey jeden eintzeln Weltgeſchichten.

§. 8. Jeder betrachtet die Sachen nach ſeinem Stande;

Daß jemand mit gewiſſen eintzeln Perſonen, oder mit gewiſſen moraliſchen Weſen, oder auch mit gewiſſen Haͤndeln, Thaten, oder Geſchaͤfften zu thun hat, oder damit verwickelt iſt, das ge - hoͤret zu ſeinem Stand (§. 4. C. 4.). Nun be - trachtet jeder die Sache nach ſeiner beſondern Ver - bindung, die er vor ſich mit derſelben hat (§. 5. 6. 7. ): folglich richtet ſich die Vorſtellung, oder das Anſchauen der Geſchichte nach jedes Zuſchauers ſeinem Stande, dergeſtalt, daß ſein Stand dar - an ſchuld iſt, daß der eine dieſes, der andere je - nes wahrnimmt, daß er die Sache auf dieſer, der andere auf jener Seite betrachtet.

§. 9. ingleichen nach ſeiner Stelle;

Wenn diejenigen, die in einerley Stande ſich befinden, dennoch ſich zugleich in ſehr mercklich verſchiedenen Umſtaͤnden befinden, ſo heiſſet ein ſolcher beſonderer Zuſtand eine Stelle. Man kan bey einer Sache die obere, untere, oder auch eine mittlere Stelle haben: wie ſolches bey einem Regimente zu erſehen, das aus gar ſehr ver - ſchiedenen Perſonen zuſammen geſetzet iſt, die doch alle zum Regimente gehoͤren, und mit demſelben als Glieder verbunden ſind. Wie nun das An -ſchauen99vom Zuſchauer und Sehepunckte. ſchauen einer Geſchichte von dem Stande abhan - get, alſo wird das Anſchauen einer Geſchichte ebenfalls von der Stelle eines jede[n]abhangen.

§. 10. und nach ſeinem innerlichen Zuſtande.

Wenn Leute ſich nicht allein in einerley Stand, ſondern auch bey nahe in einerley Stelle, ja voͤl - lig in einerley Stelle, (welches geſchiehet, wenn einer der Nachfolger des andern iſt,) befinden, ſo betrachten ſie doch einerley Sache oͤffters nicht auf einerley Art; ſondern ihre Faͤhigkeit, Sitten, ſchon habende Erkentniß, ja ihr gegenwaͤrtiger verdrießlicher oder froͤlicher Zuſtand macht, daß ſie verſchiedene Umſtaͤnde bemercken und zu Her - tzen nehmen. Und ſo kan ein eintzelner Menſch zu verſchiedener Zeit, wegen des veraͤnderten Zu - ſtandes ſeiner Seele, die Sache gantz mit andern Augen anſehen. Wie ſolches die taͤgliche Er - fahrung lehret, daß man den einen Tag mit der Sache zufrieden iſt, die uns den andern Tag hoͤch - ſtens mißfaͤllet, ohne daß ſich die Umſtaͤnde der - ſelben geaͤndert haben. Der bloſſe Zuſtand der Seele, welcher nicht immer einerley iſt, bringet dieſe verſchiedenen Vorſtellungen hervor.

§. 11. Stand, Stelle und Gemuͤthsverfaſſung ma - chen einen Sehepunckt aus.

Bey coͤrperlichen Begebenheiten bemerckt man den Sehepunckt, nach den drey verſchiedenen Be - griffen, die (§. 3.) feſt geſetzt worden ſind, weil davon die Vorſtellung der Sache, mithin die hi -G 2ſtoriſche100Fuͤnfftes Capitel,ſtoriſche Erkentniß und die Erzehlungen abhan - gen: und der Sehepunckt iſt nichts anders, als der Zuſtand des Zuſchauers, in ſo ferne daraus die Art des Anſchauens, und die Beſchaffenheit der Erzehlung kan verſtanden werden. Da nun die moraliſchen Dinge, Haͤndel, Geſchaͤffte und Thaten von denen Zuſchauern auf verſchiedene Weiſe angeſehen werden, nachdem dieſe ſich in verſchiedenen Staͤnden (§. 8.), Stellen (§. 9.), und Gemuͤthsverfaſſungen befinden (§. 10.), ſo iſt dieſes zuſammen genommen, der Sehepunckt in Anſehung aller ſolcher Dinge, die von Coͤr - pern unterſchieden ſind. Und dieſes iſt alſo die vierte Ausdehnung des Begriffes vom Sehe - punckte (§. 4.).

§. 12. Allgemeiner Begriff des Sehepunckts.

Da nun der Sehepunckt nach den verſchiede - nen Beſchaffenheiten der Objeckten und der Zu - ſchauer, in ſo verſchiedener Weitlaͤufftigkeit muß genommen werden, ſo iſt dienlich, daß man dieſe Begriffe ſaͤmtlich unter einen allgemeinen Begriff bringe: welcher folgender iſt. Der Sehepunckt iſt der innerliche und aͤuſſerliche Zuſtand eines Zuſchauers, in ſo ferne daraus eine gewiſſe und beſondere Art, die vorkommenden Dinge anzu - ſchauen und zu betrachten, fluͤſſet. Ein Begriff, der mit den allerwichtigſten in der gantzen Philo - ſophie im gleichen Paare gehet, den man aber noch zur Zeit zu Nutzen anzuwenden noch nicht gewohnt iſt, auſſer daß der Herr von Leibnitzhie101vom Zuſchauer und Sehepunckte. hie und da denſelben ſelbſt in der Metaphyſick und Pſychologie gebraucht hat. Jn der hiſtoriſchen Erkentniß aber kommt faſt alles darauf an.

§. 13. Bey moraliſchen Dingen kommen die Seiten lediglich vom Zuſchauer her.

Wenn man den Coͤrpern Seiten beylegt, ſo findet man manchmahl den Grund in der innerli - chen Beſchaffenheit derſelben, oͤffters aber auch in dem Zuſtande des Zuſchauers (§. 16. 31. C. 2.), wenn man aber dem moraliſchen Weſen Seiten beylegt, ſo beſtehet es darinnen, daß man gewiſ - ſe Umſtaͤnde und Theile zuſammen nimmt, und ſie ſich auf einmahl, oder unmittelbar auf einan - der vorſtellet (§. 19. C. 3.). Davon kan nun nicht der Grund in der Sache ſelber liegen, ſon - dern er muß in dem Zuſchauer zu ſuchen ſeyn, der vermoͤge ſeiner beſondern Umſtaͤnde und Gedenck - art, ſolche Determinationen vor andern bemerckt und zuſammen nimmt. Wenn alſo dem morali - ſchen Weſen, mithin auch den Geſchaͤfften, Haͤn - deln und Thaten Seiten beygelegt werden, ſo kan dieſes ohne Vorausſetzung eines Zuſchauers nicht gedacht werden. Es handelt z. E. jemand von den Jlluminationen der Alten, wie Mahudel gethan, ſo bringt und traͤgt er aus dem weitlaͤuff - tigen Felde der Alterthuͤmer alles das zuſammen, was zu den unnoͤthigen Gebrauch des Feuers an - getroffen wird. Jn dem Autor liegt hier offen - bar der Grund, warum ihm die Alterthuͤmer eben auf dieſe Weiſe, und nicht auf eine andere, vor -G 3ge -102Fuͤnfftes Capitel,geſtellet werden; und die Urſach wird wohl ſeyn, daß er an dieſer Vorſtellung ein beſonderes Ver - gnuͤgen findet.

§. 14. Sehepunckte bringen auſſer den Seiten noch eine gewiſſe Einſicht hervor.

Wenn denn alſo geſetzt wird, daß viele Per - ſonen einerley Sache auf einer gewiſſen Sei - te anſehen, ſo betrachten ſie dennoch dieſelbe des - wegen noch nicht auf einerley Art; ſondern ſie beweiſen ferner daran eine verſchiedene Einſicht. Man fuͤhre z. E. eine Menge Kriegs - und Artil - leriekundige, Schuͤler und Meiſter in ein Zeug - hauß, ſo werden ſie den groſſen Vorrath vom Ge - ſchuͤtze, alle als eine Sache, die zu ihrer Profeſ - ſion gehoͤret, anſehen, ſie werden ihn auch alle, in Anſehung ſeines Gebrauchs, und alſo auf ei - nerley Seite anſehen; aber deswegen doch nicht alle einerley beobachten: Viele werden noch man - ches mit Verwunderung anſehen, was ein ande - rer gar uͤberſiehet: manche werden bloß auf die Menge, andere aber zugleich und hauptſaͤchlich auf die Ordnung achtung geben; einige werden die Proportion der verſchiedenen Gattung von Ge - ſchuͤtze beobachten. Und ſo werden auch bey Beſchauung eines Muͤntzcabinets die Zuſchauer auf gar ſehr verſchiedene Urtheile verfallen, wel - che von einer verſchiedenen Einſicht zeugen.

§. 15.103vom Zuſchauer und Sehepunckte.

§. 15. Hauptarten der Sehepunckte, wovon die Einſicht abhanget.

Nun laͤſſet ſich jede Sache auf gar vielen Sei - ten anſehen, nachdem Staͤnde moͤglich ſind, von welchen Zuſchauer daruͤber kommen. Und wie dieſe Staͤnde unzehlig ſind, alſo ſind auch die Seiten unzehlig, auf welchen einerley Sache betrachtet werden kan. Was vor eine Menge Leute von verſchiedenen Staͤnden kommen nicht bey einer Kaͤyſerwahl und Kroͤnung zuſammen: jeder da - von giebt nach ſeinem Stande auf verſchiedene Dinge achtung: jeder haͤlt das, wenigſtens in Anſehung ſeiner Perſon vor das wichtigſte, was ihm am meiſten angehet. Und ein nicht gerin - gerer Wechſel findet in Anſehung der Einſicht ſtatt, mit welcher man einerley Sache betrachten kan. Unterdeſſen giebt es doch gewiſſe hauptſaͤch - liche Sehepunckte, welche eine beſondere Art der Einſicht nach ſich ziehen, die man bey einem an - dern Sehepunckte nicht haben kan. Und dieſe Arten verdienen in unſerer Anleitung zur hiſtori - ſchen Erkentniß beſonders bemercket zu werden: weilen die daraus fluͤſſenden Erzehlungen in man - chen Faͤllen ſo verſchieden ausfallen koͤnnen, daß, wenn Leute von verſchiedenen Sehepunckten ihre Erzehlungen gegen einander halten, ſie einander gar nicht verſtehen: Fremde aber ſich einbilden, einer muͤſſe darunter muthwillig die Unwahrheit geſagt haben.

G 4§. 16.104Fuͤnfftes Capitel,

§. 16. Sehepunckt der Jntereſſenten und der Fremden.

Wir haben vorher die Zuſchauer in Mitglie - der, Theilnehmer und Fremde eingetheilt (§. 7.), man kan aber daraus zu gegenwaͤrtiger Abſicht zwey Claſſen machen: Der Jntereſſenten und der Fremden. Jhr Unterſchied iſt dieſer, daß Fremde, als Fremde von einer Sache nicht mehr wiſſen koͤnnen, als was oͤffentlich geſchiehet; als bey einer Kaͤyſerwahl koͤnnen die Fremden nichts mehr wiſſen, als was oͤffentlich vorgehet: die Einzuͤge und Aufzuͤge der Geſandten und an - weſenden Fuͤrſten: die Zuſammenkuͤnffte, aller - hand Solennitaͤten: zu den Geſchaͤfften ſelbſt wer - den Fremde nicht zugelaſſen, und alſo koͤnnen ſie dieſelben auch nicht durch ſich ſelbſt wiſſen; ſon - dern muͤſſen ſie erſt von denen Theilnehmern, als den Zuſchauern, in Erfahrung bringen. Nun heiſſet das an einer Sache geheim, was nur die Theilhaber wiſſen (§. 18. C. 3.); daher wiſſen die Fremden unmittelbar von einer geheimen Sa - che nichts: aber die Mitglieder ſind nach ihren verſchiedenen Gattungen Zuſchauer des Ge - heimen.

§. 17. Sehepunckt eines der zum erſten mahl zur Sache kommt.

Es iſt ferner ein Hauptumſtand, ob man bey einer Sache zum erſten mahle einen Zuſchauer abgiebt, oder ob man ſchon mehrmahlen dabeygewe -105vom Zuſchauer und Sehepunckte. geweſen. Der Unterſchied beſtehet in dieſem Fal - le darinnen: daß man das erſte mahl ohne Vor - bereitung, und der Sache unkundig, dieſelbe betrachtet, bey den nachfolgenden und wiederhohl - ten Vorſtellungen aber, die erſtere zu einer An - leitung dienet, ſo daß man die Sache nunmeh - ro als derſelben kundig und verſtaͤndig anſiehet. Es iſt wohl an dem, daß man aus Erzehlungen, Beſchreibungen und Nachrichten im voraus Wiſ - ſenſchafft von einer Sache erlangen kan, die man beſchauen will, welches auch ſehr gute Dienſte da - bey thut. Nur ſind ſolche aus Nachrichten er - langten Jdeen gemeiniglich von der ſinnlichen Vorſtellung, die man hernach erlanget, himmel - weit unterſchieden. Und uͤberhaupt gehoͤren ſol - che Nachrichten zur gelehrten Erkentniß, welche einen beſondern Sehepunckt ausmacht. Die Neuigkeit der Sache bringt theils die Verwun - derung hervor, theils eine Unentſchluͤßigkeit, was man an der Sache bemercken ſoll, oder was man mit ihr anfangen ſoll, welches beym wieder - hohlten Anſchauen wegfaͤllet.

§. 18. Sehepunckt der Freunde und Feinde.

Ferner iſt als ein Hauptſehepunckt bey allen und jeden Sachen zu betrachten: ob man derſel - ben Freund oder Feind iſt. Dieſe Eintheilung iſt von der vorigen (§. 16.) ſehr unterſchieden. Denn es kan geſchehen, daß ſelbſt die Hauptper - ſonen bey einer Sache derſelben feind ſind: und unter den bloſſen Zuſchauern und Fremden koͤnnenG 5ſich106Fuͤnfftes Capitel,ſich Freunde der Sache finden. Der Unterſcheid, der daraus im Anſchauen und in der Vorſtel - lung entſtehet, iſt dieſer; daß, wer abgeneigt iſt; welches der geringſte Grad der Feindſchafft iſt, und alſo in allen Graden der Feindſchafft ent - halten iſt, 1. nicht die Aufmerckſamkeit zur Sa - che bringt, als wie der Freund. Die Natur der Abneigung bringt dieſes ſo mit ſich, und nur die Begierde zu ſchaden kan einen Feind aufmerck - ſam machen. 2. Daß dem Feinde das Boͤſe und die Fehler allezeit mehr einleuchten, als das Gute; ſo wie hingegen der Freund auf das Gute allemahl aufmerckſamer iſt, als auf das Boͤſe.

§. 19. Sehepunckt aus einer hoͤhern und niedern Sphaͤre.

Ferner iſt ein groſſer und wichtiger Unter - ſcheid, ob man eine Sache aus einer hoͤhern Sphaͤre anſiehet, oder aus einer niedrigen und geringern. Eine Handlung kan ſowohl von einem Amſterdammer Kauffmanne, der nach Oſt - und Weſt-Jndien handelt, betrachtet werden, als von einem Landkraͤmer. Jeder von dieſen wird ſie gantz gewiß anders anſehen. Ein Car - dinal ſiehet ein Bißthum gewiß mit andern Au - gen an, als ein Canonicus bey einem kleinen Stiffte. Bey dieſem Sehepunckte aͤuſſert ſich der Unterſchied darinne, daß, was dem einen ei - ne Kleinigkeit iſt, das wird dem andern eine Sache von groſſer Wichtigkeit ſeyn: was der eine uͤberſiehet, das wird der andere ſorgfaͤltigbemer -107vom Zuſchauer und Sehepunckte. bemercken. Ein Bibliothecarius des Vaticans ſiehet einen Vorrath von Buͤchern gewiß anders an, als der Bibliothecarius einer Privatbiblio - thec, welche gemeiniglich aus Ermangelung der fonds nicht allzugroß zu ſeyn pflegen: wiewohl dieſe beyden, als Gelehrte, die Sache auf ge - wiſſe Weiſe aus einerley Sehepunckte anſehen; und daher einander ziemlich nahe kommen koͤn - nen, welchen Sehepunckt wir gleich beſonders be - mercken wollen.

§. 20. Sehepunckt der Gelehrten und Ungelehrten.

Gelehrte nennen wir, die mit Wiſſenſchaff - ten, wenigſtens eine Zeitlang, beſtaͤndig umge - gangen ſind, und ſich auſſer eintzeln vielen Nach - richten, eine Faͤhigkeit mit allgemeinen Wahr - heiten umzugehen erworben haben: denen alſo die Ungelehrten entgegen geſetzt werden, d. i. ſol - che, die von abſtracten Wiſſenſchafften keine Er - kentniß haben, ob ſie gleich ſonſten guten natuͤrli - chen Verſtand beſitzen, und denſelben durch dieſe oder jene Kunſt, und durch die bloſſe Erfahrung gebeſſert haben. Der Unterſcheid dieſer Men - ſchen, als Zuſchauer betrachtet, iſt folgender: Daß ein Gelehrter zu allem, was ihm zum er - ſten mahl vorkommt, dennoch einiger maſſen zubereitet kommt, und ſich alſo auch eher darein muß finden koͤnnen, als ein Ungelehrter. Will man aber bey eintzeln Menſchen eine Vergleichung anſtellen, ſo muß man allerdings ſubiecta von ei - nerley natuͤrlichen Faͤhigkeit nehmen, deren einerzun108Fuͤnfftes Capitel,zun Wiſſenſchafften angefuͤhret worden, der an - dere aber nicht: ſo muß ſich ein groſſer Unter - ſcheid zeigen. Ja, ein Gelehrter von mittelmaͤſ - ſiger natuͤrlicher Munterkeit, muß es, wenn er anders recht angefuͤhret worden, einem Ungelehr - ten vor weit mehrern natuͤrlichen Geſchicke zuvor - thun. Auch wiſſen Gelehrte die Wuͤrckungen der Einbildungskrafft von den Empfindungen beſſer zu unterſcheiden.

§. 21. Sehepunckt eines academiſchen Lehrers.

Unter den Gelehrten aber, moͤchte denen Leh - rern auf hohen Schulen, wenn ſie geuͤbt ſind, ein beſonderer Sehepunckt zugeſchrieben werden. Denn nicht allein ihr anhaltendes Nach - dencken und Lernen, welches bey andern gemeini - glich mit den academiſchen Jahren aufhoͤret, auſ - ſer was etwa die Erfahrung ihnen noch lehret, muß bey denſelben eine beſondere Faͤhigkeit erwe - cken, ſondern auch ihr beſtaͤndiges Lehren giebt dem Verſtande eine beſondere Krafft. Denn da - durch werden die Jdeen, welche die Gelehrſam - keit ausmachen, immer erneuert, und zu einem hoͤhern Grade der Klarheit gebracht, welche zu erlangen ohnmoͤglich iſt, wenn man ſeine Ge - dancken andern bekannt zu machen keine Gelegen - heit hat: ſie werden auch durch die oͤfftern Leſ - und Diſputiruͤbungen mehr und mehr gelaͤutert, worzu, auſſer dieſen Umſtaͤnden, keine Veranlaſ - ſung vorhanden iſt. Weil auch Lehrer auf Aca - demien beſtaͤndig mit Lehrern von andern Facul -taͤten109vom Zuſchauer und Sehepunckte. taͤten und Wiſſenſchafften umgehen, ſo werden ihre Jdeen gegen tauſenderley andere obiecta ge - halten; wodurch erſt ihr Nutzen, ihre moͤglichen Anwendungen, aber auch ihre Maͤngel erhellen. Ja endlich jeder Begriff wird zu einer gantzen Abhandlung in der Seele, da man denſelben Stunden lang zu erwegen und auf allen Seiten zu betrachten nicht allein Gelegenheit hat, ſondern auch oͤffters ſo gar genoͤthiget wird.

§. 22. Sehepunckt der Traurigen und der Froͤlichen.

Es bekommen auch alle Sachen ein ander Anſehen, nachdem man dieſelben mit froͤlichem und aufgeheitertem Gemuͤthe, oder mit einer niedergeſchlagenen Seele, ingleichen ob man ſie ſatt oder hungrig anſiehet. Der Unterſchied aͤuſſert ſich darinne, daß Verdrießliche uͤberall das Unangenehme am erſten bemercken, welches Froͤ - liche uͤberfehen; ſondern auch daran, daß ein Froͤ - licher vieles eher bemerckt und geſchwinder iſt, als ein Trauriger. Kommt eines von beyden zu ei - nen hoͤhern Grad, den man Affeckt nennet; ſo wird die verſchiedene Art, ſich die Sachen vorzu - ſtellen, noch viel wichtiger.

§. 23. Sehepunckt eines gantz Fremden.

Nicht weniger iſt betraͤchtlich, ob der Zuſchauer mit denen, die die Begebenheit angehet, einerley Sitten habe oder nicht; einerley Religion, oder nicht; mithin, da Laͤnder und Voͤlcker, die zu -mahl110Fuͤnfftes Capitel,mahl weit von einander entfernet ſind, gemeini - glich andere Sitten und andere Religion haben, ob der, der einer Begebenheit zuſiehet, aus eben dem Lande ſey, oder nicht? Der Unterſchied iſt, daß wenn eine Geſchichte und Begebenheit einen Zuſchauer von gantz fremden Sitten hat, er ſich ein gantz ander Bild und Vorſtellung davon macht, als die Einheimiſchen vermuthen; und die Sache dieſen ſelbſt fremde vorkommt, wenn ſie ſie nach des Auslaͤnders Gedenckart erzehlen und beſchrei - ben hoͤren. Die Verfaſſer der Juͤdiſchen, Per - ſiſchen und Chineſiſchen Brieffe haben durch An - nehmung einer ſolchen fremden Gedenckart, de - nen bey uns bekannteſten Sachen ein gantz ander Anſehen zu geben gewuſt. Wir muͤſſen aber die - ſes etwas naͤher erklaͤren.

§. 24. Nach was vor einer Regel die Anſchauungs urtheile gemacht werden.

Der Menſch braucht zwar, als ein Zuſchauer, ſeine fuͤnff Sinne; aber nicht allein: er nimmt dabey auch die Vernunfft zu Huͤlffe; das iſt: ſei - ne Seele iſt mit einer groſſen Menge allgemei - ner Begriffe angefuͤllet, die er bey vorkommen - den eintzeln Empfindungen gleich anwendet; der - geſtalt, daß er ſeine Empfindungen mit denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen, ſo viel als moͤglich, verknuͤpfft. Z. E. Es ſiehet jemand ei - nen Stein, der ſehr funckelt; dieſer wird gleich dieſe beyden Eigenſchafften und die Empfindungen, die er davon hat, zuſammen nehmen, und ſolchesnicht111vom Zuſchauer und Sehepunckte. nicht einen funckelnden Stein, ſondern nach dem ihm ſchon beywohnenden Begriff einen Diaman - ten nennen. Wenn wir jemanden ſchreiben ſe - hen, ſo ſtellen wir uns kaum die beſondern Um - ſtaͤnde, oder was in dem Begriff des Schreibens enthalten vor, wenigſtens bemercken wir ſie nicht eintzeln, als daß er eine Feder in der Hand habe, daß ſie unten zugeſpitzt ſey, daß ſie in Dinte ein - getaucht ſey, und daß ſie auf dem Papiere herum - gefuͤhret werde: ſondern wir faſſen dieſes alles ſo gleich in dem uns ſchon bekannten Begriffe und Worte des Schreibens zuſammen; welches der - jenige nicht thun wuͤrde noch koͤnte, der vom Schreiben uͤberhaupt keine Nachricht haͤtte. Da - her macht jeder Zuſchauer einer Sache nicht ſo viel Urtheile davon, als ſich nach der Anzahl der verſchiedenen Empfindungen machen lieſſen, ſon - dern er bemerckt nur die verſchiedenen Abwechſe - lungen und Veraͤnderungen, die nach denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen zuſammen als eine Veraͤnderung und Begebenheit pflegen angeſehen zu werden. Wie aber dieſes aus vie - lerley Gruͤnden geſchehen koͤnne, iſt (§. 6. 7-11. C. 1.) gewieſen worden. Als man ſiehet einem Buchbinder und ſeinen Leuten zu: man wird wahrnehmen, der eine legt Bogen zuſammen, der andere ſchlaͤgt das Buch, der dritte hefftet, ein vierter beſchneidet, ein anderer vergoldet, ein an - derer endlich collationiret. Jede von dieſen Be - gebenheiten beſtehet aus mehreren Handlungen, die wir wuͤrcklich geſehen haben, welche man aber ſo gleich in allgemeine Begriffe und gewiſſe Ar -ten112Fuͤnfftes Capitel,ten der Begebenheiten verwandelt. Dieſes ge - ſchiehet nun ſo geſchwind, und iſt mit denen Em - pfindungen nach der natuͤrlichen Art zu gedencken ſo genau verbunden, daß eines theils Zuſchauer, wenn er ſich nachher auf das Geſehene beſinnt, nichts mehr als ſolche Hauffen der Begebenheiten zuſammen genommen, vorſtellt, andern theils der Vortrag der auf ſolche Art angemerckten Be - gebenheiten, durchgaͤngig vor die wahre, richtige und vollſtaͤndige Erzehlung gehalten wird, ja nicht geglaubt wird, daß die Sache auch wohl auf ei - ne andere und umſtaͤndlichere Art koͤnne erzehlet werden.

§. 25. Sehepunckt eines Barbarn.

Nun weiß man, daß die Menſchen, nach ih - ren verſchiedenen Landesarten, in den Eintheilun - gen der Dinge, und in den allgemeinen Begrif - fen, die man von Jugend auf zu erlangen pfle - get, nicht genau uͤbereinkommen, ſondern daß ſie, je weniger ſie wegen der Entfernung mit einander zu thun haben, auch deſto mehr in ihren Begrif - fen und Gedenckart unterſchieden ſind. Beſon - ders, wenn die eine Nation cultivirt wird, die andere aber in ihren rohen und wilden Weſen bleibet, ſo erlangen die Leute von jener Nation eine unſaͤgliche Menge von allgemeinen Begrif - fen und Eintheilungen der Dinge, beſonders der kuͤnſtlichen Coͤrper, der Wuͤrden, der Aemter, der Geſchaͤffte, die den Leuten aus dem noch bar - bariſchen Volcke nicht bekannt ſind. Sind dieSee -113vom Zuſchauer und Sehepunckte. Seelen mit andern Begriffen erfuͤllet, ſo bringt auch jeder gantz andere Begriffe zur Betrachtung jeder vor Augen habenden Sache; und macht da - her auch gantz andere Urtheile, als der andere. Geld umſetzen kommt uns ſchon als eine wich - tige Handlung vor: ein wilder Amerikaner, der den Handel nicht verſtehet, wuͤrde ſolches vor ein bloſſes Umtauſchen anſehen, ohne daran zu geden - cken, was wir agio nennen, und weil ihm die Ab - ſicht unbekannt, ſolches vor ein Spiel halten, wie Kinder mit einander zu treiben pflegen.

§. 26. Ein Zuſchauer erlangt keine vollſtaͤndige Geſchichte.

Wenn ein Zuſchauer die Begebenheiten, wel - che er ſelbſt wahrnimmt, ſorgfaͤltig zuſammen faſ - ſet, ſo wird doch gemeiniglich keine vollſtaͤndige Geſchichte daraus entſtehen. Denn weil er die Sache nach ſeinem Stande anſiehet (§. 8.) ſo iſt ihm manches verborgen, welches doch zur Geſchich - te gehoͤret. So ſollte man meinen, daß von dem Artzte die Hiſtorie einer Kranckheit am allerbe - ſten zu erfahren ſey; und ſo iſt es auch wuͤrcklich, nehmlich in ſo ferne der Artzt nach ſeinem Stan - de, oder Amte, Nachricht von der Kranckheit ha - ben kan und muß. Wie aber ſein Amt nicht iſt, den Krancken zu warten, oder beſtaͤndig um ihn zu ſeyn: alſo kan gleichwohl, ohne ſein Vorwiſ - ſen, vieles vorgehen, viele Zufaͤlle koͤnnen ſich er - eignen, wodurch der Zuſtand der Kranckheit gar ſehr geaͤndert wird (§. 3. C. 1.). Wenn manHeine114Fuͤnfftes Capitel,eine Geſchichte daher nur aus ſeinem eigenen Se - hepunckte betrachtet, ſo wird manches vorkom - men, welches nach den vorhergehenden Umſtaͤn - den unbegreiflich iſt; und man merckt alſo, daß an der Geſchichte etwas fehle, was dieſelbe be - greiffen zu koͤnnen noͤthig iſt. Die Wahrheit, daß ein Zuſchauer die mehreſten Sachen nicht uͤberſehen, und nach ſeinem eigenen Sehepunckte allein, nicht in eine foͤrmliche Erzehlung bringen koͤnne, erhellet aus mehreren Exempeln. Bey einer Schlacht iſt unmoͤglich, die groſſe Geſchich - te aus einem einigen Sehepunckte zu uͤberſehen: weil nicht allein vieles zu weit entfernet iſt, ſon - dern auch manches durch Huͤgel, Baͤume, Haͤu - ſer und Doͤrffer bedeckt wird. Jedem Zuſchauer ſind dabey nothwendig viele Dinge verdeckt. Bey einem Friedenscongreß mag einer noch eine ſo wichtige Perſon vorſtellen, ſo weiß er doch nicht alles, was wichtiges daſelbſt vorgehet. Er muß wahrnehmen, daß ein paar Partheyen auf den point ſind, einen Particularfrieden zu ſchluͤſſen, von deren Tractaten er wenig oder nichts gehoͤret. Eine ſo groſſe und vortrefliche Erzehlung des Weſt - phaͤliſchen Friedens, als das geprieſene von Mayeriſche Werck iſt, haͤlt dennoch von denen Churbrandenburgiſchen und Churſaͤchſiſchen Un - terhandlungen wenig in ſich: ohne Zweifel, weil in denen Archiven, daraus dieſe Nachrichten ge - nommen worden, jene Nachrichten nicht haͤuffig vorhanden geweſen. So iſt es bey allen Ge - ſchichten: jeder Zuſchauer hat nur eine gewiſ - ſe Ausſicht und Einſicht in dieſelbe: und dashat115vom Zuſchauer und Sehepunckte. hat hernach ſeine ſichtbare Folgen in alle Erzeh - lungen derſelben.

§. 27. Der Zuſchauer macht Anſchauungsurtheile.

Wenn wir nun die Handlungen eines Zu - ſchauers nach der Vernunfftlehre und ihren Be - griffen abwaͤgen, ſo findet ſich, daß 1. lauter Em - pfindungen vorgehen; 2. daß wenn wir aber auf jede acht geben, ein Anſchauungsurtheil in unſerer Seele entſtehe. Denn indem wir genauer darauf achtung geben, was vorgehet, ſo wird ſich das Beſtaͤndige von der Veraͤnderung, die in ihm vorgehet, diſtinguiren; und ſo entſtehet ein Urtheil. Weil aber hierzu kein Schluß, noch andere beſondere Handlung der Seele erfordert wird, ein ſolches Urtheil zu faͤllen, ſo iſt es ein Anſchauungsurtheil.

Sechſtes Capitel, von der Verwandelung der Geſchichte im erzehlen.

§. 1. Jnhalt dieſes Capitels.

Wenn man die wahre Beſchaffenheit der Geſchichte, oder vielmehr der Erzehlun - gen recht einſehen will, ſo iſt nicht ge - nug, daß wir wiſſen, wie die Begebenheiten de -H 2nen116Sechſtes Capitel,nen Zuſchauern auf verſchiedene Weiſe, gleichſam als in Spiegeln von verſchiedener Gattung und Stellung vorgeſtellet werden, wie ſolches im vo - rigen Capitel ausgefuͤhret worden; ſondern wir muͤſſen auch noch eine andere Handlung der See - le, welche vor der Erzehlung vorhergehet, bemer - cken, welche wir die Verwandelung der Ge - ſchichte nennen wollen; weil die Begebenheit niemahls vollkommen ſo, wie ſie empfunden worden, erzehlet wird, ſondern vielmehr nach ei - nem gewiſſen Bilde, welches aus der Empfin - dung und deren Vorſtellung durchs Gedaͤchtniß herausgezogen wird. Denn wir erzehlen die Sa - chen nicht in der Empfindung, und waͤhrender Vorſtellung, ſondern nach derſelben: und rich - ten uns alſo nach dem Bilde, welches durch die Empfindung in unſere Seele iſt eingepraͤgt wor - den. Da nun dieſes ſchon nicht der Empfindung vollkommen gleich iſt, ſo wird noch erſt mancher - ley Veraͤnderung damit vorgenommen, ſo bald als der Vorſatz, die Sache andern zu erzehlen, darzu kommt.

§. 2. Nothwendige, Theilung der Begebenheiten, die zugleich vorgegangen.

Jn der Empfindung werden uns viele Sa - chen zugleich vorgeſtellt, die ſich bey der vorha - benden Erzehlung einer Sache unmoͤglich auf ein - mahl ausdrucken laſſen. Bey einer Solennitaͤt werden zugleich die Glocken gelaͤutet, und die Stuͤcken geloͤſet: aber ich kan beydes nicht aufein -117v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. einmahl erzehlen, ſondern eines muß auf das an - dere warten. Ein Menſchengeſichte ſehe ich zu - gleich und auf einmahl, aber ich kan es nicht auf einmahl beſchreiben. Und ſo beſtehen faſt alle eintzelne Empfindungen aus ſo vielen Umſtaͤnden, daß ſie, ob ſie gleich auf einmahl empfunden wer - den, dennoch nicht auf einmahl koͤnnen erzehlet werden. Hieraus entſtehet nun offte eine Schwie - rigkeit, wo man die Erzehlung, oder Beſchrei - bung anfangen ſolle? Faͤnget man ſie aber nicht bey dem rechten Ende an, ſo entſtehet her - nach eine Verwirrung, daß man aus der Sa - che nicht klug werden kan, oder daß die Sache wenigſtens unluſtig und unangenehm zu hoͤren und zu leſen wird.

§. 3. Nothwendige Weglaſſung vieler Umſtaͤnde.

Jn der Empfindung iſt ſehr vieles, ja al - les determinirt, nach der Laͤnge, Groͤſſe, Brei - te, die wir nur nach dem Augenmaſſe, auch wohl deutlich, angeben koͤnnen: nach der Zahl, wenn der Sachen nicht allzuviel ſind, als wie viel Ti - ſche, Stuͤhle, Spiegel vorhanden ſind; nach der Farbe, welche durch Staub und andere Umſtaͤn - de ſich gar ſehr aͤndern kan, ohne daß noch dieſel - be ihren Nahmen oder Gattung veraͤndert: auch nach dem Grade: als bey der Waͤrme, bey dem Lichte u. ſ. w. Dieſes alles iſt nicht allein ſchwer mit Worten auszudrucken, ſondern auch uͤberaus weitlaͤufftig; ſo daß man mit Beſchrei - bung einer gemachten ſehr kurtzen Viſite gar leichtH 3ein118Sechſtes Capitel,ein paar Stunden zubringen koͤnte. Dieſe bey - den Schwierigkeiten noͤthigen den geweſenen Zu - ſchauer, daß er bey ſeiner vorhabenden Erzehlung eine Menge von individuellen Umſtaͤnden auslaͤſſet, und auslaſſen muß. Man unterſu - che nur, wenn man erzehlet, wie es in einer Kir - che, in einem Saale, in einer Werckſtaͤte, auf einer Gaſſe ausgeſehen, ob man nicht allezeit, auch wenn man auf das ausfuͤhrlichſte die Sache erzehlen und beſchreiben will, dennoch gar ſehr vieles weglaͤſſet, und im Sinne behalte.

§. 4. Ausdruck der Begebenheit durch allgemeine Woͤrter.

Und dieſe Auslaſſung geſchiehet nun auf eine nicht ſo merckliche Art, wenn man, wie doch be - ſtaͤndig und unvermeidlich geſchiehet, die indivi - duellen Jdeen, die uns beywohnen, in der Er - zehlung durch allgemeine Worte ausdruckt: denn auf dieſe Art wird der individuelle Begriff in den Begriff einer Art verwandelt, welche Begriffe allezeit viel weniger determiniret ſind. Als ich ſage: Da ſtunde eine Saͤule mit einem Knauffe: welch ein Unterſcheid iſt nicht zwiſchen dem indivi - duellen Begriff der Saͤule, den ich im Sinn ha - be, und der die Geſtalt derſelben in ſich begreifft, und dem allgemeinen Begriff, der die Bedeutung des Wortes Saͤule ausmacht: wenn ich auch gleich noch hinzuſetze: von doriſcher Ordnung, ſo iſt doch dieſes nur ein allgemeiner Begriff, davon die indiuidua ein gar ſehr unterſchiedenes Anſehenhaben119v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. haben koͤnnen. Nun aber beſtehet auch die al - lerweitlaͤufftigſte Erzehlung aus ſolchen allgemei - nen Worten: man kan alſo daraus ermeſſen, wie vieles der Zuſchauer bey Erzeugung ſeiner Erzeh - lung bey ſich und im Sinne behalten habe; weil nehmlich ſolches alles zu erzehlen nicht moͤglich iſt.

§. 5. Vermengung ſeiner Empfindungen mit den innerlichen Eigenſchafften.

Wenn wir eine Sache nicht ohne Bewe - gung empfunden haben, ſo pflegen wir an ſtatt die bloſſe Sache zu beſchreiben, die Bewegung, die wir gehabt, in die Sache mit einzuflechten. So ſagt man: Der Loͤwe macht ein fuͤrchterli - ches Gebruͤlle: man ſiehet eine ſchreckliche Feuersbrunſt: der Fiſch Torpedo hat eine wun - derbare Wuͤrckung, nehmlich durch das bloſſe Anruͤhren Krampff zu verurſachen: dieſes oder jenes hat eine altvaͤteriſche Geſtalt. Man ſie - het, daß alle dieſe Beywoͤrter nicht die innerli - chen Eigenſchafften der Dinge, ſondern die Be - wegungen, die durch ihre Vorſtellung in der Seele entſtehen, anzeigen. Solche Verwicke - lungen ſind in Geſchichten nicht zu vermeiden: weil nehmlich in der Erzehlung nicht ſowohl un - mittelbar die Begebenheit ſelbſt, als die Vor - ſtellung davon (§. 14. C. 1.), und zwar wie ſie in dem Gedaͤchtniſſe hafften bleibet (§. 1.), aus - gedruckt wird. Wer hierbey einen Anſtoß hat, der darf ſich nur erinnern, daß der Zuſchauer ein - mahl eine Hauptſache bey der Geſchichte iſt (§. 1. H 4C. 5.):120Sechſtes Capitel,C. 5.): ohne welchen die Geſchichte zwar geſche - hen, aber nicht zu einem Stuͤcke unſerer Erkent - niß werden moͤgen.

§. 6. Unvermeidliche Vergroͤſſerung und Ver - kleinerung der Dinge.

Jndem man ſich beym Ausdruck ſeiner Em - pfindungen, als gantz determinirter Begriffe, nur allgemeiner Worte bedienen muß (§. 4.): ſo brauchen wir mit unter ſolche, die bey jedem Men - ſchen einen andern Begriff haben, nachdem jeder denſelben von dieſen oder jenen Exempeln abſtra - hiret hat, wie (§. 29. C. 2.) in der Materie von allerhand Arten der Figuren gewieſen worden. Wer eine Kirche beſchreibt, der ſollte eigentlich ſagen, wie lang und breit dieſelbe waͤre: weil aber dieſes entweder eine Ausmeſſung, oder wenigſtens ein gutes Augenmaaß erforderte, in beyden Faͤl - len aber eine langweilige Erzehlung verurſachen wuͤrde, ſo ſagt man kuͤrtzlich: eine groſſe, oder eine kleine Kirche. Allein dieſes Wort hat gantz verſchiedene Bedeutungen, nachdem jemand nur Dorfkirchen, oder Stadt - und Thumkirchen geſe - hen hat. Jſt nun der Erzehlende von der erſten, der Zuhoͤrer aber von der letzten Art, ſo wird ſich dieſer einen gantz andern Begriff von der Kirche machen, als des Erzehlers Meinung iſt. Die - ſer hat die Sache ohne ſein Vorwiſſen und in ſei - ner Einfalt vergroͤſſert. So iſt es auch mit der Kleinheit, Schoͤnheit, Menge, Ueber - fluß, Ordnung, und vielen andern Begriffenbe -121v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. beſchaffen, darinnen die Menſchen, ohngeachtet ſie einerley Worte brauchen, gar nicht mit einan - der uͤbereinkommen. Durch ſolche allgemeine Ausdruͤcke nun werden die Sachen in der Erzeh - lung bald vergroͤſſert, bald verkleinert, nicht ſo - wohl durch die Schuld des Erzehlers, als wel - cher ſich nach ſeiner Empfindung richtet (§. 1.); als durch die Schuld deſſen, der ſich die Sache erzehlen laͤſſet, und die gehoͤrige Vorſicht nicht braucht. Man muß nehmlich, wie bey den all - gemeinen Anmerckungen, auf die Exempel ſehen, worauf ſich des Erzehlers ſeine Begriffe gruͤnden, (§. 40. 41. C. 2.), daß man daraus urtheilen kan, was er groß, was er ſchoͤn u. ſ. w. heiſſet. Wenn Leute aus kleinen Staͤdten von Pracht oder Reich - thum erzehlen, ſo muß es von denen, die in der Reſidentz wohnhafft ſind, und in Handelsſtaͤdten wohnen, cum grano ſalis angenommen werden.

§. 7. Vermengung der Begebenheit mit der all - gemeinen Anmerckung.

Eine nicht minder gewoͤhnliche Veraͤnderung, die der Zuſchauer mit dem, was er geſehen, vor - nimmt, iſt, daß er eine allgemeine Anmer - ckung macht, und ſolche ſtatt der Begebenheit ſelbſt vortraͤget. So ſagt man von jemanden: er ſtehe fruͤh auf, er gehe dem andern vor, er ſey reich, er ſey gelaſſenen Gemuͤths, an ſtatt, daß man eigentlich nicht mehr weiß, als daß er dieſen oder jenen Tag fruͤh aufgeſtanden, er ſey dem andern bey einer gewiſſen Gelegenheit vor -H 5gegan -122Sechſtes Capitel,gegangen: er habe eine gewiſſe Menge baaren Geldes in ſeiner Stube gehabt, er habe ſich bey einer gewiſſen Gelegenheit gelaſſen bezeigt. Manch - mahl trifft es zu, daß der locus communis, den wir gemacht, auch wahr iſt; oͤffters auch truͤgen ſie. Worauf gemeiniglich ein groſſer Theil des Betruges ſich gruͤndet, der bey Verheyrathun - gen vorgehet, daß die Verlobten nach der Hoch - zeit die Sachen gantz anders befinden, als vorher. Wer aber mit der hiſtoriſchen Erkentniß umge - het, muß ebenfals dieſe Gedenckart der Menſchen, die nicht zu aͤndern iſt, wohl zu Hertzen nehmen, theils um nicht ſelbſt ſolche falſche allgemeine An - merckungen zu machen, theils auch manche wi - derſprechende Zeugniſſe dadurch zu vereinigen: wie wir ein ſolch Exempel insbeſondere beleuchtet ha - ben, in einer Schrifft, von des Epiphanii Gebet, vor des Biſchoffs Johannis zu Jeruſalem Recht - glaͤubigkeit. Opuſc. Academ. Tom. II. p. 122.

§. 8. Bedaͤchtliche Ausſonderung gewiſſer Stuͤcke der Begebenheit.

Da der Sehepunckt eines Zuſchauers ſchon ſo viel verurſacht, daß die Zuſchauer die Sache nicht auf einerley Weiſe anſehen (§. 8. ſeqq. C. 5.); ſo gilt dieſes nochmehr von einer Geſchichte, wenn es mit derſelben zur Erzehlung kommt. Beym Zuſchauen ſind wir nicht voͤllig Meiſter, was wir wahrnehmen wollen, weilen es hauptſaͤchlich darauf ankommt, was unſere Sinnen am meiſten und ſtaͤrckſten in Bewegung ſetzet. Ein Kleidmit123v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. mit vielen groſſen Diamanten wird bey einer groſ - ſen Solennitaͤt auch ſolche Zuſchauer aufmerckſam machen, welche nichts weniger willens waren, als auf den Kleiderpracht achtung zu geben: ſie werden die Macht des funckelnden Lichtes ſpuͤhren. Ein bellender Hund macht auch die aufmerckfam - ſten Zuhoͤrer irre. Kurtz, wir wiſſen, daß wir unſere Sinne nicht voͤllig in unſerer Gewalt ha - ben (S. v. Wolfs Gedancken von GOtt, der Welt ꝛc. §. 226.). Wenn wir aber die Vorſtel - lung der Sache einmahl in Sinn gefaſſet haben, denn ſind wir Meiſter von unſerer Vorſtellung; dabey kan hernach jeder nach ſeinem Sehepunckte recht frey gedencken. Und da gehet auch haupt - ſaͤchlich das an, was wir gewieſen haben, daß man die Sachen nur immer auf einer Seite an - ſehe (§. 13. C. 5.), und dabey eine gewiſſe Ein - ſicht aͤuſſere (§. 14. C. 5.). Wir laſſen nehmlich weg, was uns nicht anſtehet, und laſſen ſolche Umſtaͤnde bey uns dunckel werden; und wir be - ſchaͤfftigen uns mit dem, was uns gefaͤllet, oder zu unſern Umſtaͤnden dienet: welches denn in un - ſere Erzehlungen, wenn wir es gleich nicht mer - cken, und nicht willens ſind, etwas daran zu aͤn - dern, dennoch einen groſſen Einfluß hat: oͤffters aber auch wiſſentlich und vorſetzlich geſchiehet.

§. 9. Einrichtung der Erzehlung nach einer ge - wiſſen Abſicht.

Denn es muß doch, wenn wir etwas erzehlen wollen, eine Urſach vorhanden ſeyn, warum wires124Sechſtes Capitel,es erzehlen wollen; deren ſich verſchiedene Arten gedencken laſſen. 1. Hat der Menſch einen na - tuͤrlichen Trieb, ſeine Gedancken andern bekannt zu machen; und es iſt wie eine groſſe Erleichte - rung des Hertzens, wenn wir unſere Angelegen - heiten, welche nichts anders als Geſchichte ſind, andern eroͤffnen duͤrffen. Dies iſt die erſte Quel - le vieler Erzehlungen; bey welcher insbeſondere zu mercken iſt, daß ein jeder bald merckt, es ſey einem andern mit Anhoͤrung alltaͤglicher Geſchaͤff - te und Begebenheiten wenig gedienet, als die er vor ſich ſelbſt wiſſen kan (§. 8. C. 4.); daher ſu - chet denn ein jeder ſeine Erzehlung nach ſeinem Vermoͤgen ſo einzurichten, daß ſie ein ſonderba - res, oder gar wunderbares Anſehen bekom - me, und was neues ſey. 2. Jſt jeder, dem was aufgetragen worden zu erkundigen, oder aus - zurichten, verbunden, von dem, was geſchehen, und wie er die Sachen befunden, Bericht ab - zuſtatten. Dabey wird hauptſaͤchlich das Um - ſtaͤndliche erfordert. 3. Offters erzehlet einer dem andern etwas zum Schertz und Zeitvertreib; wobey nothwendig das Verdruͤßliche wegblei - ben muß; auſſer in ſo ferne es auf einer plaiſan - ten Seite vorgeſtellet werden kan. 4. Haupt - ſaͤchlich aber erzehlen wir, daß ſich der Zuhoͤrer darnach richten, und eine Entſchluͤſſung faſſen ſoll, und denn iſt klar, daß man hierbey nur ſo viel aus der uns beywohnenden Geſchichte heraus zu nehmen habe, als zu dem Geſchaͤffte und zu der Entſchluͤſſung dienen kan: ſo wird wegen der ver - ſchiedenen Abſichten die Erzehlung immer etwasanders125v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. anders ausſehen, als die Empfindung, wor - auf ſich die Erzehlung gruͤndet, beſchaffen war. Und dieſe Arten, die Geſchichte zu verwandeln, ſind principia Logicæ naturalis, die von ſelbſt ſich in der Seele aͤuſſern; und als eine ange - bohrne Erzehlungskunſt koͤnnen angeſehen werden.

§. 10. Groſſe Geſchichte werden in eine Begeben - heit verwandelt.

Nun haben faſt alle moͤgliche Arten der Be - gebenheiten ihre allgemeinen Begriffe und Ar - ten, die ſo gar im gemeinen Leben bekannt ſind (§. 21. C. 4.): dieſe fallen nun nebſt denen dazu gehoͤrigen Worten einem Zuſchauer nothwendig ein: er wird alſo unter andern Verkehrungen, auch dieſe Veraͤnderung, deſſen, was er geſehen und angeſchauet hat, vornehmen, daß er die gan - tze Geſchichte auf einen ſolchen allgemeinen Be - griff reducirt, und als eine einige Begebenheit in einem eintzigen Satze vorſtellet, der nur ſehr wenige Merckmahle einer individuellen Begeben - heit, als der Zeit, oder der Perſonen, oder des Ortes, als die nothwendigſten (§. 21. C. 4.), in ſich enthaͤlt: Z. E. es erzehlt jemand ein Bey - lager, eine Belagerung, eine Geſandſchafft, eine Mißion, wo er dabey geweſen iſt. Da wir Geſchichte von vielen Jahren und Jahrhun - derten, als eine Geſchichte anzuſehen pflegen: als der dreißigjaͤhrige Krieg: die Kriege der Nach - folger des Alexanders: ſo iſt das wenige, wobeyein126Sechſtes Capitel,ein eintzelner Menſch einen Zuſchauer abgegeben, noch leichter in eine ſolche Kuͤrtze zuſammen zu faſſen.

§. 11. Das Hauptwerck aus einer Geſchichte her - aus nehmen.

Wenn eine Geſchichte in einen einigen Satz verwandelt wird, ſo heiſſet dieſer Satz und was darinnen angegeben wird: das Hauptwerck, der Hauptpunckt, die Subſtantz der Hiſto - rie. Es iſt alſo eine bey der Erzehlung merck - wuͤrdige Veraͤnderung der Geſchichte, daß man das Hauptwerck heraus nimmt (§. 10.). Die - ſes iſt gemeiniglich das, was auch diejenigen, die am wenigſten von der Sache wiſſen, dennoch wiſ - ſen und in Erfahrung bringen, da hingegen die Zuſchauer in Anſehung der Umſtaͤnde und Par - ticularitaͤten verſchiedene Nachrichten zu haben pflegen. Der Urſprung dieſes Begriffes aber giebt zu erkennen, daß das Hauptwerck doch nicht lediglich von der innerlichen Beſchaffenheit der Sache, ſondern hauptſaͤchlich mit vom Zu - ſchauer abſtamme, der nach ſeiner Einſicht das - jenige, was er an der Geſchichte wahrgenommen, in einen einigen Satz zuſammen ziehet.

§. 12. Urbild und Erzeugung der Erzehlung.

Alle Vorſtellungen der Dinge werden Bilder genennet; zumahl wenn es Dinge ſind, die ſich durch die Augen erkennen laſſen. Nunmehro ſe - hen wir alſo, wie das Bild der Geſchichte,welches127v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. welches ein Zuſchauer durch ſeine Sinne erhalten hat, geaͤndert werde, ehe es zur Erzehlung kommt, und zwar auf ſo verſchiedene Weiſe: als durch Theilung der Dinge die zugleich geſchehen (§. 2.); durch Vermiſchung der Empfindung und der Be - gebenheit (§. 5.); durch allgemeine Ausdruͤcke (§. 4.); durch unvermeidliche Auslaſſung vieler individuellen Umſtaͤnde (§. 3.); durch unvorſetz - liches Vergroͤſſern und Verkleinern (§. 6.); durch die Bildung allgemeiner Anmerckungen (§. 7.); durch Herauslaſſung vieler Stuͤcke (§. 8.), und das auf verſchiedene Weiſe (§. 9.); endlich durch Verwandelung der gantzen Geſchichte in eine ei - nige Begebenheit (§. 10.); welches denn alles auch wohl in einer einigen Erzehlung zuſammen kommt. Damit wir nun von dieſen Bildern ei - ner einigen Begebenheit ohne Vermengung reden, und Lehrſaͤtze geben koͤnnen: ſo wollen wir die Vorſtellung einer Geſchichte, wie ſie lediglich an - fangs durch die Sinne iſt hervorgebracht worden, das Urbild der Geſchichte nennen; die Veraͤn - derungen aber die mit dieſem Bilde vorgehen, ehe es zur Erzehlung kommt, wollen wir die Erzeu - gung der Erzehlung nennen.

§. 13. Nothwendigkeit der Vergleichungen im erzehlen.

Jn der Erzehlung ſelbſt aber pflegen noch Veraͤnderungen des Urbildes vorzugehen. Denn ſo haben zwar die meiſten Handlungen, Veraͤn -derun -128Sechſtes Capitel,derungen, Eigenſchafften der Dinge ihre eige - ne Nahmen und Woͤrter, deren man ſich bey und in der Erzehlung bedienen kan; allein dieſe Worte wollen doch nicht allemahl, die Eigenſchaff - ten der Dinge, die wir im Sinne haben, klar und vollſtaͤndig genug ausdrucken; ſo daß wir zu Gleichniſſen unſere Zuflucht zu nehmen uns genoͤthiget ſehen, die theils unter dem Nahmen der Metaphern, theils unter dem Nahmen der Vergleichungen bekannt ſind. Alſo kan man z. E. die Geſchwindigkeit eines Strohmes nicht mit eignen Worten ausdruͤcken, wie ſich ſolche dem Auge vorſtellt; ſondern man ſagt: Der Strohm ſchuͤſſe fort wie ein Pfeil. Die Wen - dungen der Baͤche in Gebuͤrgen weiß man nicht anders zu geben, als daß ſie ſchlangenweiſe lauffen. Das Blitzen, welches einige in der Atmoſphaͤre des Mondes geſehen, wird wohl nur in Ermangelung eines eigenen und vollkom - men bequemen Wortes ſeyn gebraucht worden. Nun iſt kaum zu verlangen, daß die Hoͤrer und Leſer eines ſolchen Ausdrucks gantz genau eben die - jenigen Begriffe damit verknuͤpffen ſollen, den der Anſchauer und Erzehler damit verknuͤpfft: denn dieſer weiß die Begebenheit an und vor ſich, und haͤlt ſie gegen den Ausdruck: der andere aber ſoll die Begebenheit aus der Beſchreibung erſt lernen. Wie leicht geſchiehet es, daß er den Ausdruck ſtaͤrcker annimmt, als es der Sinn des Erzehlers mit ſich bringet.

§. 14.129v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.

§. 14. Verwandelung der Geſchichte ins Sinnreiche.

Wenn aber der Zuſchauer uͤber dieſes ſinn - reich iſt, oder vor gut befindet, ſich bey ſeiner Erzehlung ſinnreich auszudruͤcken; ſo werden die Anſchauungsurtheile, woraus die Erzehlung be - ſtehen ſoll (§. 27. C. 5.), noch ein ander Anſe - hen bekommen. Die Rhetorick lehret uns, wie man einen Satz, der Wahrheit unbeſchadet, auf mancherley Weiſe ſinnreich ausdruͤcken kan: und wer will einem Erzehler wehren, daß er ſich die - ſer Gedenckarten bedienet? zumahl da alle dieſe ſinnreiche Gedenckarten ſich nicht ſowohl vor all - gemeine Wahrheiten, und vor philoſophiſche Lehrſaͤtze ſchicken, als vor die hiſtoriſchen Wahr - heiten. Wir haben aber dieſe Veraͤnderung der Begebenheiten und ihrer Urbilder, welche die Wahrheit derſelben keines weges aͤndern, ſondern vielmehr in ein helleres Licht ſtellen ſoll, um ſo viel mehr zu mercken, weil die aͤlteſten Geſchichte gar offte in Liedern und Gedichten, und alſo auf eine ſinnreiche Art ſind vorgetragen und fort - gepflantzet worden. Wer wuͤrde von dem Troja - niſchen Kriege viel wiſſen, wenn ihn nicht Homer beſungen haͤtte? Trockene Erzehlungen hat man ehedem nicht geachtet. Die Folge dieſer Ver - wandelung der Geſchichte aͤuſſert ſich hauptſaͤchlich in der Auslegung hiſtoriſcher Buͤcher; indem der - gleichen ſinnreiche Erzehlungen, und zumahl poe - tiſche Vorſtellungen, zwar eine Zeitlang, ſo lan - ge ſich die Sitten und Begriffe nicht aͤndern, dieJSa -130Sechſtes Capitel,Sache ſehr erlaͤutern, aber bey gantz Fremden, und bey der ſpaͤten Nachwelt eine ehrwuͤrdige Dunckelheit uͤber die Geſchichte ausbreiten.

§. 15. Ein Sehepunckt giebt keine gantze Er - zehlung.

Aus einem eintzigen Sehepunckte bringt man nicht leicht eine gantze Geſchichte zuſammen; ſon - dern es kommen auch wohl Dinge darinnen vor, die unbegreiflich ſind (§. 26. C. 5.). Nun traͤgt man Bedencken, ſolche Dinge zu erzehlen, von denen man an ſich ſelbſt begreifft, daß ſie dem Zuhoͤrer und Leſer unbegreifflich oder anſtoͤßig ſeyn werden, und wovon er ehe das Gegentheil ver - muthen muß. Man pflegt daher die Geſchichte, die man erzehlen will, zu ergaͤntzen, und durch eine Muthmaſſung, den Umſtand, wodurch die Sache zuſammen hangend und begreiflich wird, hinzuzufuͤgen. Weiß man aber zu gutem Gluͤck aus Erzehlung anderer Zuſchauer, woran es ge - fehlet, und was es mit dem Knoten vor Be - wandniß habe, ſo pflegt man dieſe Nachrichten, die eigentlich nicht unſer eigen ſeyn, dennoch unter die ſeinigen zu miſchen. Wie man aber durch Muthmaſſungen und Schluͤſſe Hiſtorien und Umſtaͤnde entdecke, ſoll an ſeinem Orte ge - zeigt werden. Nun aber geraͤth dieſe Ergaͤntzung nicht allemahl. Andere bemercken dieſes Flick - werck, und fangen an, demſelben zu widerſpre - chen. Daher wird dieſer Umſtand in der Ein - leitung zur hiſtoriſchen Erkentniß merckwuͤrdig. So131v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. So hat mir bedencklich geſchienen, daß verſchie - dene angeſehene Geſchichtſchreiber von der Bi - bliotheck des Auguſtinus erzehlen, die Van - dalen haͤtten derſelben, bey Einaͤſcherung der Stadt Hippon, verſchonet. Dieſes kam mir von ſolchen Barbarn nicht glaublich vor, iſt auch bey einer ſolchen Verwuͤſtung nicht recht thulich. Kein Zeugniß funde davon nicht angefuͤhret, da - her unterſuchte, was ein ſolches Vorgeben koͤnte veranlaſſet haben; es ſchien mir aus dem Hertzen der Geſchichtſchreiber, nicht aber aus Nachrich - ten, die etwa nicht bemerckt worden, erwachſen zu ſeyn. Sie erzehlen nehmlich, daß wenige Ta - ge nach dem Tode dieſes Biſchoffs, der eine ſtar - cke Bibliotheck geſammlet, die Stadt ſey erobert und in Brand geſteckt worden; welches uns von dem Schickſale derſelben Bibliotheck nichts gutes hoffen laͤſſet; dennoch muſten ſie anfuͤhren, daß ſeine Bibliotheck nach dieſem groſſen Ungluͤck uͤbrig geweſen, und fleißig ſey gebraucht worden; die - ſes waͤre nach den vorhergehenden Umſtaͤnden eben nicht begreiflich: ſie haben es alſo durch dieſen Umſtand, daß die Vandalen der Bibliotheck ver - ſchonet, der ſich auf nichts anders als auf eine Muthmaſſung gruͤnden kan, begreiflich machen wollen. Eine ſolche Ergaͤntzung war auch dem principio, daß man gerne was ſonderbares er - zehlet (n. 1. §. 9.), gantz gemaͤß. Sie haben al - ſo denſelben Umſtand ohne weiteres Bedencken hinzugefuͤgt. Da ich aber in des Poßidons Le - ben von dieſem Biſchoffe eine andere und natuͤrli - chere Urſache gefunden, ſo habe jene verworffenJ 2in132Sechſtes Capitel,in dem Programmate: de fatis Bibliothecæ Au - guſtini in excidio Hipponenſi.

§. 16. Gruͤndliche Erzehlungen ſetzen noch andere Verwandelungen voraus.

Alle dieſe Veraͤnderungen pflegen nun ſowohl eintzeln, als in Menge, bey ſolchen Faͤllen vor - zukommen, wo man nur gelegentlich die Ge - ſchichte, wovon man ein Zuſchauer geweſen, vor - traͤgt. Wenn man aber die Geſchichte, die man als ein Zuſchauer weiß, gruͤndlich, nehm - lich zur Belehrung der Entfernten, und der Nach - welt, erzehlen und aufzeichnen will, ſo daß man einen Geſchichtſchreiber ex inſtituto abgiebt, ſo gehen noch mehr Verwandelungen vor, ehe es mit der Beſchreibung und Erzehlung zur Wuͤrck - lichkeit kommt. Zufoͤrderſt da jeder aus ſeinem eigenen Sehepunckte keine vollſtaͤndige Geſchichte erlangen kan, und aus den Umſtaͤnden, die ihm bey - wohnend ſind, wohl abſehen kan, daß ihm mancher betraͤchtlicher Umſtand verborgen ſeyn muͤſſe (§. 26. C. 5.); ſo muß ſeine erſte Sorge ſeyn, daß er die ihm ermangelnden Nachrichten von den uͤbrigen Zu - ſchauern der Geſchichte herbeyſchaffe, und dieſe dadurch ergaͤntze. Denn Muthmaſſungen wol - len da nicht zureichen (§. 15.). Wer nur das Leben eines Mannes beſchreiben will, den er noch ſo wohl gekennet, wird dennoch der Nachrichten von andern Leuten nicht entbehren koͤnnen. Die Geſchichte einer eroberten Stadt wird nicht voll - ſtaͤndig werden, wenn man nicht ſowohl die Nach - richten aus der eroberten Stadt, als auch demFeld -133v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. Feldlager beyſammen hat und zuſammen haͤlt, und wenn ſie auch der Feldherr ſelber, der ohne Zwei - fel im Lager der vornehmſte Zuſchauer iſt, dieſel - be beſchreiben wollte. Die Uebergabe geſchiehet offt zu einer Zeit, da er ſich derſelben nicht gewaͤr - tig iſt. Bey ſeinen eigenen Geſchichten, die man doch am beſten wiſſen muß, kan man gleichwohl ſolcher fremden Nachrichten nicht entbehren. Denn der Feinde ihre Jntriguen und Anſchlaͤge, die ſo groſſen Einfluß in unſer Leben haben, ſind uns meiſtens nicht bekannt, weil ſie der Natur der Sache nach, geheim gehalten zu werden pflegen.

§. 17. Die Geſchichte muß vom Anfange uͤberſe - hen werden.

Sodann muß der Zuſchauer, wenn er ſeine Geſchichte ausfuͤhrlich erzehlen will, eine Haupt - aͤnderung in ſeiner Vorſtellung vornehmen; daß er nehmlich die Sache umwendet, und das erſte zum letzten macht. Denn nach der Regel der Einbildungskrafft und des Gedaͤchtniſſes, ſchwebt ihm das am klaͤrſten und deutlichſten vor Au - gen, was an der Geſchichte das neueſte iſt. Der Anfang der Geſchichte, wird, als das aͤlte - ſte daran, ihm am wenigſten klar und deutlich vorgeſtellt. Bey der Erzehlung aber muß der Anfang nothwendig von dem Anfange der Ge - ſchichte ſelbſt gemacht werden. Der geweſene Zu - ſchauer muß ſich alſo wieder in die erſten Umſtaͤnde in Gedancken ſetzen, und den Erfolg der Geſchich - te von ihrem Anfange uͤberſehen.

J 3§. 18.134Sechſtes Capitel,

§. 18. Grundriß einer langen Erzehlung.

Jſt nun die Geſchichte lang, ſo will ferner ein Grundriß und Entwurff noͤthig ſeyn; wel - ches, wenn es auch in Anſehung deſſen, was er ſelbſt mit angeſehen, koͤnte erſparet werden; ſo iſt es doch in Anſehung der erborgten Stuͤcke der Geſchichte (§. 16.) noͤthig, damit er abſiehet, an welchem Orte ein jedes Stuͤck einzuſchalten iſt, nehmlich an demjenigen Orte, wo er es wuͤrde erzehlen muͤſſen, wenn er ſelbſt dabey gegenwaͤr - tig geweſen waͤre. Ein ſolcher Grundriß aber entſtehet auf folgende Art. Aus der gantzen Ge - ſchichte wird das Hauptwerck herausgenommen (§. 12.); ſo daß die gantze Geſchichte in einen Satz zuſammen gezogen wird, dadurch kommt ſie einem allgemeinen Begriffe naͤher; daß man ſie - het, zu was vor einer Art, Geſchichte, Geſchaͤff - te, Haͤndel, moralifcher Weſen ſie gehoͤre, wo - von im 4. Capitel gehandelt worden. Der all - gemeine Begriff giebt, nach ſeiner innerlichen Beſchaffenheit, die Theile an die Hand, worin ſich die gantze Geſchichte, wie von ſelbſten zerleget: Z. E. eine Belagerung, als die von Bergenop - zoom, zu beſchreiben, giebt der allgemeine Begriff der Belagerung die Anleitung: wie nehmlich die feindliche Armee in die daſige Gegend gekom - men und die Feſtung berennet habe: Was von Eroͤffnung der Aprochen an taͤglich geſchehen: Die Eroberung, als der Ausgang der Geſchichte ſelbſt. Wenn nun bey einer Geſchichte lauter Dinge vor -kom -135v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. kommen, die nach einander geſchehen, oder auf einander gefolgt waͤren, ſo wuͤrde der Grund - riß ohne alle Schwierigkeit gemacht ſeyn: weil aber vieles zugleich geſchiehet, welches doch nicht zugleich erzehlt werden kan (§. 2.); ſo muß eine Theilung vorgenommen, und eines dem andern, anders als wuͤrcklich geſchehen, nachge - ſetzt werden; welches denn Ueberlegung erfordert. Wobey auf keine andere Art zu einer Entſchluͤſ - ſung zu kommen, als daß man erweget, welches zum Verſtande und Einſicht in das andere das mehreſte beytrage, und deswegen dem andern vorzuſetzen ſey.

§. 19. Gelehrte und politiſche Erzehlungen.

Wenn man bey ſeiner Erzehlung nichts in - tendirt, als den Unterricht der Leſer, oder der Zu - hoͤrer, und daß derſelbe ſo vollſtaͤndig ſey als moͤg - lich, ſo wuͤrde eine Geſchichte zu erzehlen weiter kein Bedencken und keine Schwierigkeit haben. Je umſtaͤndlicher auch die Kleinigkeiten ange - fuͤhret wuͤrden, deſto mehrere und mancherleye Le - ſer wuͤrden dabey ihre Rechnung finden. Die Ordnung der Zeit wuͤrde jede Stelle, wo ein jedes anzubringen ſey, gnugſam beſtimmen. Aber ſolche Erzehlungen koͤnnen ſelten gemacht werden. Diejenigen, welche von einer Geſchichte Zuſchauer ſind, haben gemeiniglich auch mit der Sache ſelbſt zu thun; und bleiben auch lange hernach in ei - ne[r]ſolchen Verbindung, daß ſie nicht freye Haͤn - de haben, mit einer voͤlligen Gleichguͤltigkeit allesJ 4und136Sechſtes Capitel,und jedes aufzuſchreiben, was ihnen von der Sa - che bekannt iſt: eine muͤndliche Ausfuͤhrung und ad unum actum, wird ſo niemahls vollſtaͤndig. Und die wenigſten Perſonen, welche Zuſchauer von wichtigen Begebenheiten abgeben, haben den Willen vor die gantze Welt zu ſchreiben. Mit - hin werden die Erzehlungen gemeiniglich nicht bloß wegen der Belehrung und des Unter - richts vor die, die nicht gegenwaͤrtig geweſen, abgefaſſet: ſondern in einer gewiſſen Abſicht, und etwas dadurch zu erhalten. Ein Notarius beſchreibt eine gewiſſe Begebenheit in ſeinem Jn - ſtrumente, damit im Fall eines erfolgenden Pro - ceſſes der Richter hinlaͤnglich und zuverlaͤßig davon unterrichtet ſey. Vor Gerichte erzehlet jeder ſeine Geſchichte, oder laͤſſet ſie durch ſeinen Advocaten erzehlen, um eine gewiſſe Sententz zu erhalten. Fuͤrſten laſſen den Verlauff entſtan - dener Jrrungen mit ihren Nachbarn bekannt ma - chen, um die Gerechtigkeit ihres Verfahrens der Welt vor Augen zu legen, oder gewiſſe Vorbil - dungen, die ſich der gemeine Mann macht, zu widerlegen. Erzehlungen nun, die bloß zum Unterricht derer, die die Begebenheit nicht wiſſen, abgefaſſet werden, wollen wir gelehrte Erzeh - lungen nennen, weil ſonſt niemand als Gelehr - te dergleichen Nachrichten aufſetzen wird: die aber in einer gewiſſen Abſicht abgefaſſet werden, ſol - len politiſche Erzehlungen heiſſen. Wir ſe - hen alſo hier gar nicht auf das Objeckt der Erzeh - lung: ſondern lediglich auf die Art der Erzehlung, wie ſie aus der verſchiedenen Abſicht fluͤſſet.

§. 20.137v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.

§. 20. Unnuͤtze, noͤthige und ſchaͤdliche Umſtaͤnde einer Geſchichte.

Bey politiſchen Erzehlungen alſo muͤſſen die Stuͤcke der Geſchichte, die ſonſt bey einer gelehr - ten Erzehlung eben derſelben Geſchichte gleiches Recht haben wuͤrden, in drey Claſſen eingetheilt werden. Erſtlich ſind Umſtaͤnde uͤberfluͤßig, fremde, unnuͤtze, welche der Abſicht nicht ſcha - den und nicht nutzen. Als wenn ein Herr Trup - pen in ſeines Nachbars Gebiet einruͤcken laſſen, ſo iſt dabey der Nahme der Capitains offenbar zu erzehlen uͤberfluͤßig: kaum daß die Regimenter von ihren Oberſten benennet werden. Denn es iſt einerley, welches Regiment eingeruͤckt, ſondern es kommt dabey nur auf die Anzahl der Truppen an. Sodann ſind die noͤthigen Stuͤcke, wel - che zur Abſicht der Erzehlung etwas beytragen: endlich die ſchaͤdlichen und nachtheiligen, die der Abſicht zuwider ſind. So erzehlen die Leute bey einer Jnjurienklage ſelten ihre harten Re - den, wodurch ſie die darauf erfolgten Schimpf - worte veranlaſſet haben; ſie bemercken hingegen nicht allein die Schimpfworte, die der andere aus - geſtoſſen, ſondern auch wohl ſeine Gebehrden. Das letztere fuͤhren ſie als Beweiſe des animi in - juriandi an, damit die Gnugthuung deſto eher moͤge erhalten werden; ihre Worte aber laſſen ſie weg, weil ſie eher die Beleidigung mildern und entſchuldigen, als vergroͤſſern moͤchten. Das er - ſte nun bey einer politiſchen Erzehlung iſt, daß das Ueberfluͤßige weggelaſſen werde. NunJ 5iſt138Sechſtes Capitel,iſt dasjenige nicht vor uͤberfluͤßig zu halten, ohne welchem das andere nicht verſtanden werden kan, wenn es gleich an ſich zur Abſicht nichts beytraͤgt.

§. 21. Sachen groß und klein vorſtellen, iſt vom Vergroͤſſern und Verkleinern un - terſchieden.

So erfordert auch die Abſicht der Erzehlung in manchen Faͤllen die Sachen groß, in andern Faͤllen aber ſie klein vorzuſtellen. Die Kunſt - griffe hievon gehoͤren in die Rhetorick. Beydes kan auch oͤffters, der Wahrheit unbeſchadet, ge - ſchehen: Denn man weiß ja, daß bey allen Ge - ſchoͤpffen und ihren Eigenſchafften, die Groͤſſe da - von abhanget, ob man ſie mit was groͤſſern, oder mit was kleinern zuſammen haͤlt. Und alſo kommt die Groͤſſe auf die Vergleichung und auf die Art der Vorſtellung an; und auf was vor einer Sei - te man ſie betrachtet. Es wird auch, wenn man gleich alles zuſammen nimmt, was man Groſſes von der Sache ſagen kan, dennoch wohl noch nicht die rechte Vorſtellung bey dem Zuhoͤrer, der etwa traͤge im Dencken iſt, erwecket. Andere aber machen ſich freylich dieſen Vortheil zu Nutz, daß ſie die Sache groß vorſtellen, ohngeachtet ſie wiſ - ſen, daß ihre Zuhoͤrer die Sache aus Mangel der Ueberlegung noch fuͤr groͤſſer annehmen wer - den, als ſie in der That iſt: ein ſolches betruͤgli - ches Großvorſtellen gehoͤret nun ſchon zum Vergroͤſſern, dem das Verkleinern entgegen geſetzt iſt; deren beydes aber durch Hinzufuͤgungfal -139v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. falſcher und erdichteter Umſtaͤnde bey der Erzeh - lung geſchiehet: als wenn man die Anzahl der Regimenter hoͤher angiebt, als wie ſie ſind, ſo iſt das eine Vergroͤſſerung, weil ſie ſich auf ei - ne Unwahrheit gruͤndet: wenn man aber an ſtatt der Regimenter und ihrer Anzahl erzehlet, wie viel Bataillons oder gar Compagnien beyſammen ſind, ſo ſtellet man durch die ungleich groͤſſere Zahl die Sache groß vor; denn in der Sache und Wahrheit ſelbſt wird nichts geaͤndert. Der Kaufmann, der in einem Conto eine falſche Sum - ma einruͤckt, der vergroͤſſert die Sache; wenn er aber nur an ſtatt der Thaler, Gulden, oder gar Livres rechnete, der ſtellt nur die Sache groß vor: und man weiß, was ſtarcke Zahlen auch bey ſol - chen Menſchen, die doch leicht eine Reduction vornehmen koͤnten, vor einen wunderbaren Ein - druck zu machen pflegen.

§. 22. Erſte Art, Sachen zu verdunckeln.

Man verdunckelt gewiſſe Umſtaͤnde, und durch dieſelben die gantze Sache, nicht allein durch vorſetzliche Weglaſſung gewiſſer Umſtaͤnde, wovon hernach ſoll gehandelt werden, ſondern auch auf andere Art. Denn wenn man anfangs, etwas nur mit einem Worte, oder nur mit we - nigen beruͤhret; ſo kan dieſes nothwendig keinen ſolchen Eindruck machen, als wenn Seiten lang davon gehandelt und geredet wird: es wird von denen Leſern und Zuhoͤrern wohl gar wegen ſeiner Kuͤrtze uͤberſehen. Es iſt mit Erzehlungen wie mitden140Sechſtes Capitel,den Gemaͤhlden: was den meiſten Platz einnimmt, das faͤllt auch am meiſten in die Augen, es muͤ - ſte denn der kleine Theil etwas beſonders glaͤntzen - des an ſich haben, was die Augen, wie man zu reden pfleget, ſonderlich frappirt: auſſerdem wer - den Kleinigkeiten uͤberſehen. Was alſo nun in einer Parentheſe, oder als ein Einwurff, oder als ein Nebenumſtand angefuͤhret wird, da es doch in einer gelehrten Erzehlung ſowohl, als das uͤbrige, umſtaͤndlich angefuͤhret zu wer - den verdiente, das wird verdunckelt.

§. 23. Zweyte Art der Verdunckelung.

Nicht minder wird eine Begebenheit verdun - ckelt, wenn ſie mit einem allgemeinern Worte ausgedruckt wird, als nach der gemeinen Art zu dencken und zu reden geſchehen ſollte: wenn man z. E. eine Wechſelſchuld nur eine Anforderung nennet; oder ein Ritterguth ein Landguth; wenn man ein gantz Regiment nur Mannſchafft, eine Bibliotheck nur Buͤcher nennet. Eine Bi - bliotheck ſpoliren, und aus der Erbſchafft einige Buͤcher zu ſich nehmen, ſtellt die Sache gantz verſchieden vor. Weil bey allgemeinen Aus - druͤckungen einer mehr, der andere weniger, zu gedencken pflegt, ſo wird dadurch die Sache ver - dunckelt, oder ſie wird zweydeutig, welches nicht weniger in Geſchaͤfften, als in Reden ſelbſt, Dunckelheit verurſacht.

§. 24.141v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.

§. 24. Dritte Art der Verdunckelung.

Auch wird eine Sache und Begebenheit ver - dunckelt, wenn man ſie auf einer andern Seite vorſtellig macht, als ſie in die gegenwaͤrtige und vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es hat jemand im Gerichte einen Termin verſaͤumt: er erzehlt und beklagt ſeinen Unfall mit Anfuͤh - rung dieſes Umſtandes, daß er eben eine noͤthige Reiſe vorgehabt haͤtte. So laͤſſet ſich vor gemei - nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden verdienet, hoͤren; da doch dieſer Umſtand nach der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt, weil er, ſeiner Reiſe unbeſchadet, per mandata - rium haͤtte erſcheinen koͤnnen. Er erzehlet alſo die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen Geſchaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel, nach den Jdeen der Proceßordnung ſollte angeſe - hen werden. Es wird jemand wegen ſeines Exa - mens befragt; er giebt die Zeit deſſelben an, und den Umſtand: es waͤren mehrere dabey geweſen, die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten ein gutes Lob, eine gute Cenſur. Es kan ſeyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieſer Zufall, ja ſelbſt die Muthmaſſung, welche etwa von ohngefehr entſtehen koͤnnte, wird durch dieſe Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im uͤbrigen ſich dadurch rechtfertigen laͤſſet; daß man ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re - det, die Eigenſchafft der meiſten, oder auch der vornehmſten Indiuiduorum dem gantzen Hauffenbey -142Sechſtes Capitel,beyleget (§. 41. C. 2.). Eine ſolche Verduncke - lung veranlaſſet freylich gar leicht eine falſche Vor - ſtellung von der Sache, welche daher, wenn ſie vorſaͤtzlich und zu Verleitung anderer gebraucht wird, zu denen Verdrehungen der Geſchichte gehoͤret; wovon hernach ſoll gehandelt werden.

§. 25. Geſchichte verſtuͤmmeln.

Auſſer der unvermeidlichen Auslaſſung vieler Umſtaͤnde bey einer Erzehlung (§. 3.), und der weißlichen Auslaſſung des Unnoͤthigen (§. 20.), giebt es noch eine dritte Art, die man die Ver - ſtuͤmmelung einer Geſchichte nennet; welche aber zu erklaͤren keine ſo leichte Sache iſt, weil ſie noch einen andern Begriff, nehmlich der Ge - ſtalt der Geſchichte voraus ſetzt. Daran liegt in Anſehung der hiſtoriſchen Wahrheit nichts; ob man eine Geſchichte aus Unwiſſenheit ver - ſtuͤmmelt, weil man nehmlich meinet, dieſer oder jener Umſtand truͤge zur Abſicht der Erzehlung nichts bey; wie einem Ungelehrten und Einfaͤlti - gen gar leicht begegnen kan, wenn er dem Advo - caten ſeinen Handel, oder dem Artzte ſeine Kranck - heit erzehlet: oder ob er vorſaͤtzlich, nehmlich der Geſchichte eine andere Geſtalt zu geben, noͤ - thige Umſtaͤnde weglaͤſſet. Jn beyden Faͤllen aber kan eine Weglaſſung gewiſſer Umſtaͤnde nicht eher einer Verſtuͤmmelung beſchuldiget werden, als wenn durch Weglaſſung die Geſtalt der Sa - che wuͤrcklich geaͤndert wird. Statum cauſſæ pflegt man bey einem Proceß, und was dem aͤhn -lich143v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. lich iſt: oder ſpeciem facti, wenn die Sache erſt zu einem Proceß gedeyen ſoll, dasjenige zu nen - nen, was wir hier die Geſtalt heiſſen. Dieſes aber iſt bey einer politiſcyen Erzehlung das Haupt - werck, daß man der Geſchichte, davon ſich je - der ſonſt nach ſeiner Willkuͤhr und gantz nicht hinlaͤnglichen Einſicht einen Begriff machen wuͤr - de, eine gewiſſe Geſtalt gebe.

§. 26. Die bekannten Arten der Geſchichte ſind nicht hinlaͤnglich.

Die Sache kommt darauf an, daß wenn von einer Geſchichte ſoll geurtheilt werden; als von ih - rer Gerechtigkeit, oder was nun weiter daraus er - folgen kan, oder ſoll; ſo muß ſie zufoͤrderſt auf eine gewiſſe Art der Handlungen, Geſchaͤffte oder Thaten, reduciret werden: Und dieſer allgemei - ne Begriff, oder die Art iſt hernach das Licht, wobey man die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, und was irgend mit der Sache anzufangen iſt, abſehen kan. Nun ſind viele Arten der Ge - ſchaͤffte weltkundig. Wenn alſo eine vorkom - mende Begebenheit mit denen uns bekannten Ar - ten der Handlungen und Geſchaͤffte vollkommen uͤbereinkommt, ſo kan jedermann davon urtheilen: als wenn jemand ſchuldig iſt, darbey auch der Schuld geſtaͤndig iſt, ſo kan jeder vernuͤnfftiger Menſch den Schluß machen, daß die Schuld muͤſſe bezahlt werden. Wenn jemand juſt ſo ei - ne That begangen hat, als wie ſie nahmentlich im Geſetze verpoͤnt iſt: ſo kan jedermann die Stra -fe144Sechſtes Capitel,fe dictiren und das Urtheil ſprechen. Nun aber, da die Handlungen der Menſchen auf vielerley Weiſe, ja unzehlige Weiſe, bald getheilt, bald verwickelt, bald nur zum Schein und gefaͤhr - licher Weiſe eingerichtet werden; ſo koͤnnen ſie mit den bekannten Arten der Handlungen nicht allemahl genau uͤbereinkommen; ſondern es giebt von denen bekannten Arten, die man vielmehr als genera anzuſehen hat, unzehlige Arten, ſo viel als man nur Arten der Theilung und Ver - miſchung der Begriffe erſinnen kan: daher eine Erzehlung jedes Handels ſpecies facti, das iſt ei - ne Art, oder neue Art der Handlungen pflegt rubricirt zu werden. Alſo iſt Kauffen und Ver - kauffen eine ſo bekannte und begreifliche menſch - liche Handlung: aber dieſes Geſchaͤffte wird auf mancherley Art angegangen. Manchmahl wird der Handel ſo getroffen, daß man nicht recht weiß, ob ſie des Handels einig worden ſind, oder nicht? man kaufft und bezahlt nicht: man kaufft eine Sache, die noch nicht iſt, und auf Hoffnung: man laͤſſet die gekauffte Waare dem Verkaͤuffer uͤber dem Hals: man machet einen Scheinkauff: man kaufft Bedingungsweiſe u. ſ. w. woraus ſo viele Arten, oder ſubdiviſiones entſtehen, davon jede noch gar auf ſehr vielerley Weiſe in eintzeln Faͤllen kan eingerichtet werden. Mit einem Worte: es iſt nicht moͤglich, daß alle vorkom - mende Geſchaͤffte mit denen ſchon bekannten Arten und Eintheilungen genau uͤbereinkommen ſollten.

§. 27.145v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.

§. 27. Geſtalt der Geſchichte.

Nun werden aber gemeiniglich nur diejenigen Geſchaͤffte und Faͤlle in beſondere Erwegung ge - zogen, und einer beſondern und gruͤndlichen Er - zehlung gewuͤrdiget, welche nicht nach dem gemei - nen Leiſten der menſchlichen Handlungen einge - richtet ſind, ſondern die was auſſerordentliches, verwickeltes, oder gar widerrechtliches an ſich haben. Geſchichte von bekannter Art gehoͤ - ren zu den alltaͤglichen Geſchaͤfften (§. 8. C. 4.): mit deren Erzehlung ſich niemand als gelegent - lich beſchaͤfftiget: und dieſe ſind zu erzehlen auch leichte, weil der allgemeine Begriff die Regel an die Hand giebt (§. 18.), die alſo jedermann wiſſen kan. Wenn hingegen das Geſchaͤffte keine beſtimmte und bekannte Art hat, ſo iſt auch keine ſiche - re Regel vorhanden, wornach der Plan der Er - zehlung, und die Erzehlung ſelbſt eingerichtet wer - den muͤſſe (§. 18.). Daher laͤſſet ſich eine ſolche Geſchichte auf mancherley Weiſe erzehlen: und die Art der Geſchichte, (ſpecies facti,) wird an - ders, nachdem man dieſe oder jene Umſtaͤnde zu - ſammen nimmt. Da nun die gewoͤhnlichſte Con - cluſion, um derentwillen die Erzehlung vorgenom - men wird, dieſe iſt; daß die Sache recht oder unrecht ſey, ſo kan man das vor den allgemei - nen Begriff der Geſtalt einer Geſchichte an - nehmen: daß es die Zuſammenfuͤgung ſolcher Um - ſtaͤnde ſey, wodurch die Gerechtigkeit, oder die Ungerechtigkeit des Handels offenbar gemacht wird. Die Geſtalt findet alſo nur ſtatt, wennKdie146Sechſtes Capitel,die Sache zu keiner bekannten und gemeinen Art der Geſchaͤffte und Haͤndel kan gerechnet werden. Und derjenige verſtuͤmmelt die Erzehlung, der Umſtaͤnde weglaͤſſet, worauf doch die Gerechtig - keit und Ungerechtigkeit der Sache mit beruhet.

§. 28. Wie man Geſchichte erlaͤutert.

Manche Begebenheiten veranlaſſen bey de - nen, die ſie hoͤren, gleich gewiſſe concluſiones, die ſich zwar nicht rechtfertigen laſſen, aber doch faſt bey allen Menſchen entſtehen: als z. E. wenn man die Sache nicht begreiffen kan, daß man ſie vor erdichtet haͤlt: wenn uns was nach - theiliges widerfaͤhret, daß wir glauben, es ſey uns zum Verdruß geſchehen: wenn jemand was thut, daß er es gerne gethan habe; daß er es zu thun geneigt ſey, und wohl nicht das erſte mahl gethan habe. Der - gleichen meiſt ungegruͤndete Urtheile oder Folge - rungen aber fallen hinweg, und werden wider - legt, wenn man die Sache umſtaͤndlicher erzehlet, dergeſtalt, daß auch der Grund der Handlung eingeſehen wird. Die Erlaͤuterung eines Puncktes, oder einer Begebenheit, iſt nur eine ſolche ausfuͤhrliche Erzehlung, die bloß nachtheili - ge Urtheile abzulehnen vorgenommen wird. Wer alſo eine Geſchichte gruͤndlich erzehlen will, der iſt allerdings verbunden, dergleichen nachtheili - gen Urtheilen zu begegnen und ſie zu heben: und es iſt ein Theil der Klugheit eines politiſchen Ge - ſchichtſchreibers, daß er dergleichen nachtheiligeUr -147v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. Urtheile im voraus abſehen kan; ja die gantze Er - zehlung kan eine Erlaͤuterung ſeyn, wenn ſolche nur zu Ablehnung falſcher Vorbildungen bey ei - ner im uͤbrigen notoriſchen Begebenheit dienen ſoll.

§. 29. Wo eine Geſchichte aufhoͤret.

Das Ende einer Geſchichte, oder vielmehr einer Erzehlung, hanget ebenfals wie der gantze Entwurff und Grundriß der Erzehlung von dem allgemeinen Begriffe ab, aus welchem der Grund - riß genommen wird (§. 18.). Denn die Ge - ſchichte an und vor ſich hat kein Ende: ſie ziehet allemahl Folgen nach ſich: ſie werden aber nicht mehr zu der Geſchichte gerechnet, wenn ſie mit dem allgemeinen Begriffe, unter welchem ſie als ein indiuiduum enthalten iſt, keinen Zuſammen - hang haben. Wer von einer Oſtindiſchen Reiſe zuruͤckkommt, faͤngt zwar nunmehro erſt ſeinen Han - del mit den mitgebrachten Waaren an: aber weder der Verkauff noch der Profit hanget mit dem all - gemeinen Begriff der Oſtindiſchen Reiſe zuſam - men: die Erzehlung hoͤret daher auf, wenn der Seefahrer wieder in den Hafen ſeines Vaterlan - des, wo er ans Land ſteiget, angelanget iſt. So laͤſſet ſich der Beſchluß der Erzehlung in den mei - ſten Faͤllen gar leichte beſtimmen.

§. 30. Geſchichte abbrechen.

Man hoͤret alſo nicht auf zu erzehlen, ſo lan - ge etwas, nach Anleitung des allgemeinen Be -K 2griffes,148Sechſtes Capitel,griffes, dem man in ſeiner Erzehlung folget (§. 18.), zu erzehlen uͤbrig iſt: es geſchiehet aber dennoch, daß man aus Mangel der Zeit, oder durch an - dere Zufaͤlle, die Geſchichte nicht hinaus er - zehlen kan. Dieſes aber kan in der hiſtoriſchen Erkentniß nichts aͤndern; denn es iſt nichts zu thun, als daß man die Geſchichte zu ſeiner Zeit fortſetze. Eine Aenderung aber in der Vor - ſtellung iſt, wenn man den letztern Theil der Ge - ſchichte nur in einen ſehr kleinen Auszug bringet, und nur das Hauptwerck in ein oder ein paar Saͤ - tzen vortraͤget, welche ungleiche Eintheilung ab - brechen, oder auch abſchnappen genennet wird.

§. 31. Geſchichte ausdehnen.

Da die Geſchichte in gantz verſchiedener Kuͤr - tze, oder auch in verſchiedener Weitlaͤufftigkeit koͤnnen erzehlt werden, ſo geſchiehet ſolches nicht allein wegen der Abſicht, die die gantze Erzeh - lung hat, ſondern auch wegen anderer Umſtaͤnde. Was beſonders die Erweiterung antrifft, ſo iſt es vor das noͤthige und vernuͤnfftige Maaß aller Arten von Abhandlungen ein ſ[e]hr gefaͤhrlicher Um - ſtand, daß viele gerne groſſe Buͤcher haben, dergeſtalt daß ſelbſt bey manchen Gelehrten, die uͤber ſolche ſinnliche Blendungen weit ſollten erha - ben ſeyn, ein Buch in Folio, und ein ſtarckes volumen, einen beſondern Eindruck macht. Nun erfordert die Klugheit, ſich wie in andere Schwach - heiten der Menſchen, alſo auch in dieſe zu ſchi - cken, und eine gerechte Sache ſo wenig durchdieſe149v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. dieſe Blendung, als durch andere Sophiſtereyen beeintraͤchtigen zu laſſen. Manche Menſchen ſind auch an ſich zur Weitlaͤufftigkeit geneigt. Ueberhaupt alſo, eine Geſchichte weitlaͤufftiger zu erzehlen, als es die Abſicht der Erzehlung erfor - dert, heiſſet dieſelbe ausdehnen.

§. 32. Geſchichte verdrehen.

Eine Geſchichte hat ihrer innerlichen Beſchaf - fenheit nach ihre gewiſſe Arten, oder wenigſtens ihre gewiſſe Geſtalt, die aber freylich ſehr durch die Art der Erzehlungen kan geaͤndert werden (§. 27.); wer aber die Geſchichte ſo aͤndert, daß ſie eine andere Geſtalt bekommt, oder gar von einer andern Art wird, als aus einer Forderung eine Schuld, derſelbe verdrehet die Geſchich - te. Dieſes Verdrehen geſchiehet denn theils durchs Verdunckeln (§. 22. 23. 24. ), theils durchs Ver - ſtuͤmmeln (§. 25.), theils auch durchs Vergroͤſ - ſern. Ein recht groſſes Exempel ſolcher Verdre - hungskunſt findet man in Arnolds Kirchen - und Ketzergeſchichte; worinnen das Verfahren der rechtſchaffenſten Leute auf das gehaͤßigſte vorge - ſtellet, ihre Fehler vergroͤſſert, hingegen die Bos - heiten der Ketzer verkleinert, und dadurch der gantzen Kirchengeſchichte eine ſcheußliche Geſtalt gegeben worden. Dergleichen Verdrehungen muß denn durch eine wahre Erzehlung begeg - net werden, die das Verdrehete wieder in ſeinen rechten Stand ſetzet. Denn zu einer wahren Erzehlung iſt nicht alleine noͤthig, daß alleK 3Stuͤck -150Sechſtes Capitel,Stuͤckgen derſelben eintzeln und vor ſich wahr ſind, ſondern ſie muͤſſen auch ſo geordnet und verbun - den ſeyn, daß nicht durch die Zuſammenfuͤgung irrige Vorſtellungen veranlaſſet werden. Denn auch lauter wahre Stuͤcken eintzeln genommen, koͤnnen durch die Art der Verbindung die Sache verfaͤlſchen und verdrehen. Solche ſchaͤdliche Kunſtſtuͤcke haben bisher mit deſto mehrerm Er - folg von boͤſen Leuten koͤnnen getrieben werden, da man in der gelehrten Welt keine deutlichen Begriffe gehabt, wie eine Erzehlung entſtehe; auch die Sophiſtereyen, die zumahl in der al - ten Logick ſorgfaͤltig bemerckt worden, von den hiſtoriſchen Sophiſtereyen und Verdrehun - gen gar ſehr unterſchieden ſind. Verdunckeln, Vergroͤſſern, Verkleinern, darum hat man ſich in der Vernunfftlehre nicht bekuͤmmert.

§. 33. Ungegruͤndeter Begriff von einer unpar - theyiſchen Erzehlung.

Jeder wuͤnſchet ſich, wenn er von einer Sa - che unterrichtet ſeyn will, eine unpartheyiſche Erzehlung, oder Nachricht. Dieſe Art von Erzehlungen iſt alſo von groſſer Wichtigkeit; aber der Begriff derſelben iſt ſo wenig, als der Be - griff einer partheyiſchen Erzehlung genau be - ſtimmt. Es iſt nehmlich bey einer Erzehlung nicht zu vermeiden, daß jeder die Geſchichte nach ſeinem Sehepunckte anſehe; und ſie alſo auch nach demſelben erzehle. Denn ſie ſetzet einen Zu - ſchauer voraus (§. 1. C. 4.), und der kan ohneSehe -151v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. Sehepunckt nicht ſeyn (§. 12. C. 5.); und davon hanget ab, daß er die Sache auf einer gewiſſen Seite anſehe (§. 14. C. 5.). Es iſt auch nicht zu verlangen, daß er bey ſeiner Erzehlung die Beſchaffenheit eines Jntereſſenten oder Fremdens (§. 16. C. 5.): oder des Freundes und Feindes der Sache (§. 18. C. 5.), eines Gelehrten oder Ungelehrten (§. 20. C. 5.), eines Betruͤbten oder Froͤlichen (§. 22. C. 5.), gaͤntzlich ablegen ſolle. Die Natur der Seele laͤſſet eine ſolche Abſtracktion nicht zu, und hebt den Begriff des Zuſchauers auf, von welchem doch alle hiſtoriſche Erkenntniß abhanget. Nur das vorſetzliche Verdrehen mit ſeinen Theilen kan unterlaſſen werden. Darge - gen aber irren die ſehr, die verlangt haben, daß ein Geſchichtſchreiber ſich wie ein Menſch ohne Religion, ohne Vaterland, ohne Familie anſtel - len ſoll; und haben nicht bedacht, daß ſie unmoͤg - liche Dinge fordern. Dieſes aber iſt daher kom - men, weil man den Unterſchied zwiſchen Geſchich - te und Erzehlungen (§. 17. C. 1.) nicht bemerckt, und alſo geglaubt haben, wie bey der Geſchichte nichts auf den Zuſtand des Zuſchauers ankomme, alſo komme auch nichts bey der Erzehlung darauf an. Eine Erzehlung alſo mit voͤlliger Abſtrack - tion von ſeinem eigenen Sehepunckte, iſt nach dem 4. und 5. Capitel nicht moͤglich. Eine unpar - theyiſche Erzehlung kan alſo auch nicht ſo viel heiſſen, als eine Sache ohne alle Sehepunckte er - zehlen, denn das iſt einmahl nicht moͤglich: und partheyiſch erzehlen, kan alſo auch nicht ſo viel heiſſen, als eine Sache und Geſchichte nach ſei -K 4nem152Sechſtes Capitel,nem Sehepunckte erzehlen, denn ſonſt wuͤrden al - le Erzehlungen partheyiſch ſeyn.

§. 34. Wahrer Begriff einer unpartheyiſchen Erzehlung.

Will man nun etwa eine unpartheyiſche Er - zehlung diejenige nennen, die von einem bloſſen Zuſchauer herruͤhret, das iſt, von einem Frem - den (§. 16. C. 5.): ſo iſt dennoch der Fremde nicht von aller Verbindlichkeit loß, weil ihm die Sache doch gefaͤllt, oder mißfaͤllt, wodurch er zu einem Freunde oder Feinde wird (§. 18. C. 5.): und daher eines eher als das andere bemerckt (§. cit.). Das ſchlimſte aber iſt, daß denen Fremden allzu vieles geheim iſt (§. 16. C. 5.), daß alſo gemeiniglich nur ſehr weniges von ihm zu er - fahren iſt, und alſo meiſt vergebens iſt, von ſol - chen Zuſchauern Erzehlungen zu verlangen. Un - partheyiſch erzehlen kan daher nichts anders heiſſen, als die Sache erzehlen, ohne daß man das geringſte darin vorſetzlich verdrehet oder ver - dunckelt: oder ſie nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen erzehlen: ſo wie hingegen eine par - theyiſche Erzehlung nichts anders als eine Ver - drehung der Geſchichte iſt. Ob aber in der Er - zehlung eine ſolche Verdunckelung oder Verdre - hung etwa vorgefallen, das kan man am beſten aus Zuſammenhaltung zweyer Erzehlungen aus entgegen geſetzten Sehepunckten, abneh - men. Denn was der eine entweder vorſetzlich, oder nach Beſchaffenheit ſeines Sehepunckts kuͤrtz -lich153v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. lich erzehlet, welches einige Verdunckelung nach ſich ziehet, das wird in der entgegen geſetzten Er - zehlung umſtaͤndlich angefuͤhret werden, was der eine groß vorſtellet, wird der andere klein vor - ſtellen: und durch Einſicht in die Regeln der hi - ſtoriſchen Erkentniß wird man urtheilen koͤnnen, wie die Sache innerlich beſchaffen geweſen, welche von dem einen groß, von dem andern klein vorge - ſtellet worden. Dergleichen abſtrackte Einſicht aber niemand als einem Richter noͤthig iſt, oder dem der eine gelehrte Erzehlung machen will, die vor die gantze Welt iſt. Jm geſellſchafftlichen und buͤrgerlichen Wandel und Weſen muͤſſen die - jenigen, welche Freunde ſeyn wollen, auch die Sache aus einerley Sehepunckt anſehen, und ſie wenig - ſtens gemeinſchafftlich approbiren. Leute, die neu - tral ſeyn wollen, auch nur im Dencken, werden ge - meiniglich auf beyden Seiten vor Feinde gehal - ten. Was aber aus dieſen Eigenſchafften der Erzehlungen vor Bedencklichkeiten in Anſehung der Gewißheit entſtehen koͤnnen, ſoll an ſeinem Orte ausgefuͤhret werden.

§. 35. Angenehme und rauhe Erzehlungen.

Die taͤgliche Erfahrung lehret, daß Geſchich - te roh und unluſtig, oder im Gegentheil ange - nehm und ergoͤtzend koͤnnen vorgetragen wer - den. Dies Angenehme und Unangenehme iſt al - ſo nicht eine Eigenſchafft oder Werck der Ge - ſchichte, ſondern der Erzehlung. Wie aber das eine zur Beredſamkeit, das andere aber zuK 5denen,154Sechſtes Cap. v. d. Verwandelung ꝛc. denen, der Beredſamkeit entgegen geſetzten Feh - lern gehoͤret, alſo koͤnnen wir uns in dieſer Ab - handlung, wo alles auf die Wahrheit der Ge - ſchichte und Erzehlungen abzielet, damit nicht be - ſchaͤfftigen. Vor die Redekunſt aber iſt dieſes ei - ne Hauptunterſuchung, weil jede Rede, die zum Vergnuͤgen dienen ſoll, und mithin auch politiſche Reden, wenn ſie die Sache nicht verderben, ſon - dern dieſe Eigenſchafft des Wohlgefallens an ſich haben ſollen, nichts anders als eine Reyhe von abwechſelnden Erzehlungen ſind.

§. 36. Fabeln und Erdichtungen gehoͤren nicht hieher.

Wir haben bisher die Verwandelung der Ge - ſchichte in Erzehlungen, in ſo ferne betrachtet, als ſolches entweder unvermeidlich iſt, oder doch ent - weder unbeſchadet der Wahrheit, oder noch mit einigem Scheine der Wahrheit geſchehen kan. Nun aber wiſſen wir, daß boßhaffte Luͤgenmaͤu - ler denen Geſchichten viele Umſtaͤnde und Stuͤ - cke anhaͤngen, die ſich mit gar nichts, als mit dem Vorſatz, die Unwahrheit zu reden, oder al - lenfals eine ſchlimme Sache gut zu machen legi - timiren koͤnnen. Dieſe erdichteten Umſtaͤn - de gehoͤren aber ſo wenig, als gantze Fabeln, zur hiſtoriſchen Erkenntniß, auſſer daß ſie uns Muͤhe machen, das Wahre vom Falſchen zu un - terſcheiden. Das Luͤgenhaffte aber, es mag im groſſen, oder im kleinen vorgebracht werden,iſt155Siebentes Cap. v. d. Ausbreitung ꝛc. iſt unmoͤglich in Regeln zu bringen. Unterdeſſen haben ſich doch ernſthaffte Geſchichtſchreiber mehr - mahlen eines ſolchen Vorwurffs ſchuldig gemacht: wie ſolches z. E. der P. Daniel dem Varillas und d Avila aufruͤckt. Preface de l hiſtoire de Fran - ce p. VII.

Siebentes Capitel, von der Ausbreitung und Fortpflantzung einer Geſchichte.

§. 1. Heimliche und oͤffentliche Begebenheiten.

Die Handlungen der Menſchen, und die daraus entſtehenden Geſchichte ſind auf verſchiedene Weiſe eingerichtet. Was einer oder etliche thun, ohne das Urſachen vor - handen waͤren, daß Zuſchauer dabey ſeyn ſollten, das thut man fuͤr ſich. Man ſchreibt fuͤr ſich, man iſſet fuͤr ſich: man ſchluͤſſet einen Handel fuͤr ſich. Eine Sache, die in Gegen - wart mehrerer Menſchen zu geſchehen gewoͤhnlich iſt, aber jetzo nur im Beyſeyn der noͤthigen Per - ſonen geſchiehet, die geſchiehet in der Stille. Wo man aber noch Vorſicht braucht, daß nie - mand, als wer zum Geſchaͤffte noͤthig iſt, dabey ſey, das geſchiehet heimlich. Was aber ent -weder156Siebentes Capitel,weder ſeiner Natur nach, als ein Aufzug, eine Feuersbrunſt, oder auch zufaͤlliger Weiſe in Bey - ſeyn vieler fremden Perſonen geſchiehet, das ge - ſchiehet oͤffentlich; doch iſt zu mercken, daß was von einer groſſen Menge geſchiehet, vor oͤffent - lich zu halten iſt, wenn auch ſonſt faſt niemand, als Hauptperſonen dabey zugegen waͤren: Z. E. was ein[Kriegsheer] thut, das geſchiehet oͤffent - lich, indem bey ſo groſſen Mengen, in Anſehung der Partialhandlungen ſchon immer einer in An - ſehung eines andern, als ein Fremder kan be - trachtet werden.

§. 2. Die Ausbreitung geſchiehet von den Gegen - waͤrtigen zu den Abweſenden.

Die Perſonen, die mit einem Vorgange und Geſchichte ſelbſt zu thun haben, ſind in Anſe - hung der Ausbreitung der Geſchichte mit denen Fremden, oder bloſſen Zuſchauern vor einer - ley zu achten. Denn es kommt auf ſinnliche Dinge an, die der Zuſchauer ſo gut wiſſen kan, als der es ſelbſt thut. Beyden iſt natuͤrlich, daß ſie, was ſie geſehen haben, andern erzehlen koͤnnen: obgleich etwa der eine mehr Urſach zu ſchweigen hat, als der andere. Und es kommt nur darauf an, ob dieſer oder jener das Vorgegan - gene wuͤrcklich erzehlet, oder nicht? Wollte man nun, wie es in unſerer Abhandlung noͤthig iſt, allgemein reden, und ſowohl den Thaͤter, als den bloſſen Zuſchauer unter ein Geſchlecht brin - gen, ſo muͤſſen wir ſie gegenwaͤrtig Geweſene,oder157v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. oder Gegenwaͤrtige nennen; denen alſo die Ab - weſenden entgegen zu ſetzen ſind; das iſt ſolche, die die Geſchichte nicht geſehen haben, oder nicht dabey gegenwaͤrtig geweſen ſind.

§. 3. Der Urheber iſt die Hauptperſon bey der Ausbreitung.

Jn ſo ferne ein gegenwaͤrtig Geweſener das Vorgegangene erzehlet oder ausſaget, ſo heiſſet er Autor, Urheber, nehmlich der Erzehlung und der Nachricht. Das Wort Augenzeuge ge - faͤllt uns ſo wenig, als das lateiniſche teſtis ocu - latus, weil wir gerne den wahren Begriff des Zeugens bekannter machen wollten, der mit die - ſen jetzo gegebenen beſtaͤndig vermenget wird. Denn ſo lange dieſes nicht geſchiehet, ſind und bleiben alle unſere Gedancken von der hiſtoriſchen Erkentniß in der g[roͤ]ſten Verwirrung. Autor, welches Wort bey nahe das deutſche Buͤrger - recht ſchon erhalten hat, gefaͤllet uns beſſer, und alſo auch das deutſche Wort: Urheber. Wir treten der Liebe zwar nicht gerne zu nahe, die manche, ja recht viele, vor die eingefuͤhrten For - meln teſtis oculatus und auritus haben: allein die Befoͤrderung der richtigen Erkentniß muß vor - gehen: und die Verwirrung muß bey Anrich - tung einer Kunſt zufoͤrderſt entdeckt, und aus den Wege geraͤumet werden. Nun braucht jede Er - zehlung einen Urheber, aber nicht einen Zeugen, folglich auch keinen Augenzeugen: ſondern Zeu - gen ſind nur denn noͤthig, wenn der Geſchichtewider -158Siebentes Capitel,widerſprochen wird. Zur Noth koͤnten wir uns auch mit dem Worte Zuſchauer behelffen. Denn obgleich derſelbe das Geſehene bey ſich behalten kan, und oͤffters ſolches auch wuͤrcklich thut, ſo iſt er doch in dieſem Falle, in Anſehung der Aus - breitung der Geſchichte, vor ein non ens und vor einen todten Mann zu halten. Wir werden uns alſo zwar auch dieſes Wortes bedienen, wo es ohne Zweydeutigkeit geſchehen kan: aber es iſt doch zu - foͤrderſt noͤthig geweſen, die Hauptperſon bey ei - ner Erzehlung mit ihrem eigenen und beſondern Nahmen zu bezeichnen.

§. 4. Dem Urheber folgen die Nachſager.

Derjenige, der ſich eine Sache vom Zu - ſchauer erzehlen laͤſſet, muß nunmehro auch ſeinen Nahmen bekommen. Wenn er es nicht bey ſich behaͤlt, ſondern weiter erzehlt, ſo heiſſet es von ihm, er ſage es nach, davon man das Sub - ſtantiuum, der Nachſager, ſuͤglich bilden kan; deſſen wir uns forthin bedienen wollen. Jm la - teiniſchen hat uns das Wort ſuffragator zur Zeit am beſten gefallen; aber keines weges die Be - nennung, teſtis auritus. Denn eine Geſchichte, wenn ſie durch tauſend Leute ihren Mund gehet, und alſo bey nahe eben ſo offte nachgeſagt wird, ſo braucht ſie noch immer keinen Zeugen, und mithin auch keinen Ohrenzeugen, ſo lange ihr nicht widerſprochen wird. Aber allemahl muß jemand vorhanden ſeyn, der die Geſchichte, die jemand erſt erkennen ſoll, ausſaget; und dieſeriſt159v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. iſt denn entweder der Autor, oder der Nach - ſager. Nun iſt dieſe Benennung zwar daher genommen, daß man die Geſchichte, die man ſelbſt gehoͤrt, und nicht geſehen, bey andern nach - ſaget, und ſcheinet alſo nicht bequem zu ſeyn, die - jenige Perſon auszudruͤcken, welche eine Erzeh - lung anhoͤret, weil man dieſelbe ja auch bey ſich behalten kan, und eben nicht nachſagen muß: dennoch da ein ſolcher Hoͤrer der Geſchichte, der ſolche bey ſich behaͤlt, in Anſehung der Ausbreitung der Geſchichte vor niemand, vor einen todten Mann zu rechnen iſt; ſo kommt bey uns, unter den Anhoͤrern einer Geſchichte, nur derjenige in Anſchlag, der ſol - che weiter erzehlt. Anhoͤrer der Geſchichte, und Nachſager ſind alſo zwar nicht in abſtracto, aber doch in concreto betrachtet, und zwar in Abſicht auf die Ausbreitung einer Geſchichte, einerley Perſonen. Wer eine Geſchichte vielen erzehlet, der breitet eine Geſchichte aus: denn es iſt nicht zu vermeiden, daß dieſe viele es nicht noch meh - reren Zuhoͤrern und Nachſagern verkuͤndigen ſollten.

§. 5. Man erfaͤhrt die Begebenheiten durch ei - nen Canal.

Wie nun der Zuhoͤrer einer Geſchichte dieſel - be nachſagen kan, wovon er Nachſager genen - net wird; ſo iſt natuͤrlich, daß es auch von die - ſem wiederum geſchehen koͤnne. Und ſo entſtehet eine gantze Reyhe von Perſonen, deren eine es immer von der andern hat. Dieſe ſollten nun ebenfals mit geſchickten Worten von einander un -terſchie -160Siebentes Capitel,terſchieden werden, wenn man anders von der Ausbreitung einer Geſchichte deutlich reden will. Wir wollen dergleichen in Vorſchlag bringen. Den, der die Geſchichte vom Zuſchauer oder Au - tor hat, koͤnte man den erſten Nachſager nen - nen; den aber, der es von dem erſten Nachſager erfaͤhrt, den andern Nachſager; den der es von dieſem erfaͤhrt, den dritten Nachſager u. ſ. w. Eine ſolche Reyhe von Perſonen, deren eine der Autor iſt, die andern aber als Nachſager es von einander haben, heiſſet ein Canal. Was alſo oͤffentlich geſchiehet, das hat ſehr viele, ja un - zehlige Canaͤle, durch welche es ſich aller Orten, und auf allen Seiten ausbreiten kan: was aber heimlich geſchiehet, oder in der Stille, hat viel weniger Canaͤle: weil die gegenwaͤrtigen Men - ſchen, oder Zuſchauer, in dieſen Faͤllen viel weni - ger vorhanden ſind.

§. 6. Wie viele Leute um eine Sache wiſſen.

Wenn man etwas von einem Zuſchauer er - faͤhret, ſo iſt das beſonders merckwuͤrdig, daß man weiß, man habe die Geſchichte vom Zu - ſchauer, nicht aber vom Nachſager gehoͤret: und alſo hat es auch mehr zu bedeuten, wenn ich weiß, daß ich die Sache von dem erſten Nachſager er - fahre: welches geſchiehet, wenn ich entweder uͤber - haupt weiß, daß mein Wehrmann es von einem Zuſchauer habe, oder gar dieſen nahmentlich und individuell kenne. Gleiche Bewandniß hat es mit dem, der es von dem andern, drittenNach -161v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Nachſager u. ſ. w. hat, und der den Canal weiß, durch welchen es an ihm gekommen. Denn nicht allein der Zuſchauer, ſondern auch alle, die wiſſen, durch welchen Canal es an ſie gekom - men, werden unter dem allgemeinen Begriff und Benennung derer zuſammen gefaſſet, welche um die Sache wiſſen. Denn wenn z. E. ei - ne Conſpiration angeſtifftet wuͤrde, und einer der Raͤdelsfuͤhrer ſagt es Cajo, dieſer Sempronio, dieſer Titio, ſo weiß Titius noch um die Sache, wenn ihm anders bekannt iſt, wie die Nachricht von den Theilhabern zu ihm kommen iſt: und er iſt verbunden, ſolches anzuzeigen.

§. 7. Geheim und bekannt ſeyn, iſt zweydeutig.

Sowohl der Begriff des geheimen, als des Bekanntwerdens iſt ſehr unſtat; ſo daß von einerley Sache in verſchiedenem Verſtande kan ge - ſagt werden, ſie ſey bekannt, und auch, ſie ſey noch geheim. Man muß nehmlich in beyden ge - wiſſe Grade ſetzen. Jn beyden Faͤllen aber wird vorausgeſetzt, daß die Geſchichte nach dem Wil - len derer, die ſie angehet, nicht ausgebreitet wer - den ſolle; denn ſo iſt eigentlich geheim, was nie - mand weiß, als diejenigen, deren Vorwiſſen un - vermeidlich iſt. Dieſes ſind nun theils die An - weſenden bey einer Geſchichte, als ſolche abwe - ſende Theilhaber, ohne deren Vorwiſſen die Sa - che nicht fortgehen oder beſtehen kan, denen es alſo muß geſagt, erzehlt und geſchrieben werden. So viel auch immer ſolcher Perſonen ſeyn moͤ -Lgen,162Siebentes Capitel,gen, ſo iſt die Sache noch immer geheim, ſo lan - ge ſie bloß unter ihnen bleibt. Bekannt aber wird etwas, wenn es demjenigen zu Ohren kommt, vor welchem es haͤtte unbekannt bleiben koͤnnen, ja auch unbekannt bleiben ſollen, wenn die Sa - che nicht einen andern Lauff hat bekommen ſollen. Hingegen im weitlaͤufftigern Verſtande wird das noch geheim genennet, wo man noch etwa abſe - hen kan, daß es noch unter lauter Perſonen be - kannt iſt, da eine weitere Ausbreitung zu verhuͤ - ten moͤglich ſeyn moͤchte. Dieſes gehet nehmlich ſo zu. So lange die Geſchichte lauter Perſonen bekannt iſt, die den Canal wiſſen, durch welchen es zu ihnen gekommen (§. 4.), von denen man alſo ſagt: ſie wiſſen um die Sache, ſo lange iſt auch noch eine Urſache vorhanden es verſchwei - gen zu koͤnnen. Denn gleichwie der Zuſchauer einer geheimen Geſchichte es von Rechts wegen bey ſich behalten ſoll, was er davon weiß; alſo koͤnnen es auch ſeine Zuhoͤrer, gegen die er nicht verſchwiegen genug geweſen iſt, thun: und jeder Nachſager kan es dem Vorgaͤnger zu Gefallen thun. Wenn aber Leute von einer Geſchichte Nachricht erhalten, die nicht mehr wiſſen, von was vor einem Zuſchauer, und mithin durch was vor einen Canal, die Nachricht an ſie gekommen, ſo iſt auch keine Urſach vorhanden, warum ſie das, was ihnen ohne Bedencken und Vorſicht geſagt worden, nicht auch ihres Orts weiter ſagen ſollten. Daraus denn endlich erfolget, daß es jedermann ſagt. Eine Sache, die ein - mahl ruchtbar worden, pflegt denn gemei -niglich163v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. niglich in kurtzen zu einer gemeinen Sage zu werden.

§. 8. Geſchwindigkeit der Ausbreitung.

Wie aber ſich eine Begebenheit in kurtzen un - gemein ausbreiten koͤnne, laͤſſet ſich leichte berech - nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht erhaͤlt, ſich ein Geſchaͤffte daraus macht, ſeine er - langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an - dern mitzutheilen. Denn wenn der Zuſchauer ſolches 10 Perſonen ſagt, und jeder davon es eben ſoviel andern nachſagt, ſo wiſſen es bald 111 Per - ſonen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges Nachſagen, gar bald in 1111 Perſonen verwan - deln; die noch alle um die Sache wiſſen, wenn ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird, durch welchen es an ſie gekommen (§. 5.). Es geſchiehet auch, daß Cajus von jemanden eine Begebenheit erzehlen hoͤrt, die er ſelber ausge - bracht, oder wenigſtens nachgeſagt hat, daß ſie an denjenigen gekommen, den er die Geſchichte erzehlen hoͤret. Wenn man eine Begebenheit, die man ſelbſt erzehlet, von ſeinen Nachſagern wie - der hoͤret, ſo iſt das eine Art eines Circkels, der zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beytraͤget. Dieſes aber pflegt ſehr oͤffters zu geſchehen, wenn eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge - worden iſt (§. 7.).

§. 9. Nachricht geben und bekommen.

Bey allen dieſen Faͤllen iſt in der Wiſſen - ſchafft, die wir abhandeln, noͤthig, daß wir unsL 2einer -164Siebentes Capitel,einerley Begebenheit unter zweyerley Verhaͤltniß vorſtellen; wie ſie nehmlich aus der Erkentniß, die einer gewiſſen Perſon davon beywohnet, auch nun zur Erkentniß in einer andern Perſon wird. Und in dieſer Betrachtung nun wird jede Bege - benheit oder Geſchaͤffte, eine Nachricht genen - net; zu welcher unumgaͤnglich zwey Perſonen er - fordert werden: die eine, welche die Nachricht giebt; die andere welche die Nachricht bekommt. Solches ſtimmt mit der Erklaͤrung dieſes Worts, die wir ſchon (§. 14. C. 1.) gegeben haben, ge - nau uͤberein. Denn wenn jemand ſeine Erkent - niß von einer gewiſſen Begebenheit oder Geſchich - te mit Worten ausdruͤckt, ſo geſchiehet es jeman - den anders zu Gefallen, der davon belehret wer - den ſoll. Jede Geſchichte wird alſo durch Nach - richten ausgebreitet und fortgepflantzet. Bey der erſten Ausbreitung einer Geſchichte iſt derjenige, der die Nachricht giebt, niemand an - ders, als der Zuſchauer, oder wenn wir allgemei - ner reden wollen, der gegenwaͤrtig Geweſene (§. 2.); der aber die Nachricht bekommt, iſt eben der, den wir den erſten Nachſager genen - net (§. 5.). Bey der ferneren Ausbreitung ei - ner Geſchichte aber ſind ſowohl der die Nachricht giebt, als der ſie bekommt, beyde Nachſager, nur im entfernten Grade (§. cit.). Die erſte Ausbreitung einer Geſchichte geſchiehet durchs Ausſagen (§. 3.), die fernere Ausbreitung aber geſchiehet durchs Nachſagen (§. 4.).

§. 10.165v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 10. Muͤndliche und ſchrifftliche Nachrichten gelten gleich viel.

Wir machen unſere Gedancken theils durch Reden, theils durch Schreiben einander be - kannt. Dieſes findet alſo auch ſowohl beym Auſ - ſagen, als auch beym Nachſagen, und mit - hin uͤberhaupt beym Nachrichten ſtatt, daß ſie entweder muͤndlich oder ſchrifftlich gegeben werden. Wenn nun in beyden Arten von Nach - richten die Erzehlung in einerley Worten abgefaſſet iſt, ſo gilt es faſt gleich viel, ob man eine Nach - richt muͤndlich oder aber ſchrifftlich erhaͤlt. Jch ſage, faſt gleich viel: denn voͤllig lieſſe ſich ein ſolches nicht behaupten. Denn die Stimme des Redenden, und ſeine Gebehrden, ſein Jnne - halten, ja der Ort wo er redet, kan etwas zu mehreren Verſtande der Worte beytragen (§. 5. 6. 7. 8. Einleitung zur Auslegekunſt. ): welches alles bey einer ſchrifftlichen Nachricht hinwegfaͤllt. Jm uͤbrigen kommen ſchrifftliche und muͤndliche Nachrichten darinne uͤberein, daß wie eine muͤnd - liche Nachricht nicht allein auf einmahl ſehr vie - len Zuhoͤrern ertheilet, ſondern auch gar leichte mehrmahls wiederhohlt werden kan, alſo koͤnnen ſich auch ſehr viele, ja unzehlige Menſchen, aus einer einigen ſchrifftlichen Nachricht belehren.

§. 11. Schrifftliche Geſchaͤffte werden leicht bekannt.

Jn Geſchafften iſt ein groſſer Unterſchied ob ſolche muͤndlich, oder aber ſchrifftlich traL 3ctire166Siebentes Capitel,ctiret werden. Bey jenen iſt leichter zu verhuͤ - ten, daß ſie nicht ausgebreitet werden; indem da - zu nichts weiter noͤthig iſt, als daß die Perſonen, welche dabey gegenwaͤrtig ſind, zu ſchweigen wiſ - ſen. Dieſes hat zwar ſchon ſeine Schwierigkeit, allein auſſer dem, daß dieſe auch bey ſchrifftlichen Unterhandlungen ſtatt findet, ſo kommt bey Schrifften noch dieſe neue Schwierigkeit hin - zu, daß dieſe jemanden durch Nachlaͤßigkeit oder unvermeidliche Zufaͤlle zu Geſichte kom - men, der alſo dadurch benachrichtiget wird. Da - her haben Geſchaͤffte, die entweder gantz oder zum Theil ſchrifftlich tractiret werden, gedoppelte Schwierigkeit, daß ſie geheim bleiben. Hinge - gen erkennet man, wie geſchickt das Aufſchrei - ben und die gedruckten und geſchriebenen Nach - richten ſind, eine Geſchichte in kurtzen allgemein bekannt zu machen, und uͤberall auszubreiten.

§. 12. Die Geſchichte wird bey der Ausbreitung veraͤndert.

Nun aber iſt noͤthig, daß wir genau darauf mercken, ob die Erkentniß einer Begebenheit, oder Geſchichte, bey ihrer Ausbreitung unveraͤndert bleibe; oder ob ſie, und warum ſie bey der Aus - breitung und Fortpflantzung veraͤndert werde? Der erſte Schritt, den eine Nachricht, ſo zu re - den, thut, iſt dieſer, wenn der Zuſchauer, oder gegenwaͤrtig Geweſene einem Abweſenden Nachricht giebt (§. 10.). Unſere Leſer werden ſich erinnern, daß ſchon gezeigt worden, ein Zu -ſchauer167v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ſchauer koͤnne ſchwerlich ſeine gantze Erkentniß, die er von der Geſchichte hat, in ſeiner Erzeh - lung vortragen (§. 3. C. 6.): ingleichen, daß un - vermeidlich mancherley Veraͤnderung der Vor - ſtellungen vorgehen, ehe das Anſchauen ei - ner Geſchichte zu einer Erzehlung wird (§. 12. C. 1.). Hieraus nun laͤſſet ſich zuverlaͤßig ſchluͤſ - ſen, daß die Erkentniß einer Begebenheit, die bey dem Zuſchauer anzutreffen iſt, gar ſehr unterſchieden ſey von derjenigen, die man aus ſeiner Erzehlung erlangt: zumahl bey coͤrperlichen Dingen, wobey es auf Figur, Farben, Geſtalt, Annehmlichkeit und Heßlichkeit ankommt, als welches groſſen Theils von dem Geſchmacke des Zuſchauers abhanget. Unterdeſ - ſen iſt die erſte Erzehlung, oder die von dem Zuſchauer ſelbſt herkommt, der Grund aller uͤbri - gen Erkentniß, die ſich von der Geſchichte in der Welt ausbreiten kan. Dies iſt die Urkunde, auf welche ſich nicht allein die voͤlligen und unver - aͤnderten Nachſagen und Abſchrifften derſel - ben, ſondern auch alle daraus entſtehende ver - aͤnderte Erzehlungen, als auf ihre gemeinſchafft - liche Quelle beziehen muͤſſen.

§. 13. Warum ſchrifftliche Urkunden beſonders geſchaͤtzt werden.

Da wir durch die Urkunde nichts anders, als die erſte Erzehlung oder die erſte Nachricht verſtehen (§. 12.); ſo begreiffen wir ſowohl die muͤndlichen als ſchrifftlichen Nachrichten darun -L 4ter168Siebentes Capitel,ter (§. 10.). Es ſind zwar nur die letzteren, welche man gemeiniglich Urkunden nennet: weil ſie nehmlich diejenige Art der Urkunden iſt, de - ren man ſich bey alten und wichtigen Geſchichten faſt lediglich zu bedienen pfleget; da man ſich hin - gegen auf muͤndlich fortgepflantzte Nachrichten faſt gantz und gar nicht mehr beziehet. Die Uꝛſach iſt, weil die ſehr alten Nachrichten entweder ſchon laͤngſt gaͤntzlich verlohren gegangen, oder was davon auf unſere Zeiten kommen iſt, daſſelbe ſchon laͤngſt in Schrifften iſt gebracht worden, aus welchen wir nunmehro unſere Nachrichten nehmen. Dar - nebſt iſt das Schreiben bey allen Geſchaͤfften und Begebenheiten ſo gemein worden, daß man ſich uͤberall auf das Aufgeſchriebene verlaͤſſet, und vor die muͤndliche Fortpflantzung nicht die geringſte Sorge mehr hat. Wir koͤnnen aber dennoch je - nen allgemeinen Begriff nicht wegwerffen, oder unbekannt werden laſſen, da man in der Welt mehr als ein tauſend Jahr keine ſchrifftliche Ur - kunden gehabt; dasjenige aber, was wir durch unſere ſchrifftlichen Urkunden ausrichten wollen, ihnen nicht unbekannt geweſen ſeyn kan; ja da noch jetzo alte Geſchichte muͤndlich fortgepflantzet werden; wie ſolches der hochbelobte Herr von Haller von ſeinem Vaterlande und Landsleuten, den Schweitzern, zu ruͤhmen weiß, in dem Ver - ſuch Schweitzeriſcher Gedichte: die Al - pen. Und ohne Zweifel hat ein Lied, das die Vaͤter auf ihre Urenckel fortgepflantzet haben, nicht viel weniger Krafft zu beweiſen, als ein Brief, der eben ſo alt iſt.

§. 14.169v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 14. Jede Nachricht muß auf zwey Seiten betrachtet werden.

Die erſte Nachricht muß, wie eine jegliche Rede und Schrifft, von dem, der ſie bekommt, nach dem Gebrauch der Woͤrter angenommen und verſtanden werden, welchen man aus der Gram - matick und aus dem Woͤrterbuche jeder Sprache erlernet (§. 3. 42. Auslegekunſt). Derjenige al - ſo, der die Nachricht bekommt, gedencket dabey einerley mit dem, der ſie ihm ertheilet hat; nehm - lich in Anſehung des unmittelbaren Verſtan - des, d. i. in Anſehung des Bildes, welches ſich der Zuſchauer aus dem, was ihm von der Sa - che bekannt iſt, gemacht hat, um es durch die er - theilte Nachricht bekannt zu machen. Denn auſ - ſerdem wiſſen wir, daß der Zuſchauer nicht alles das, was er weiß oder gedencket, erzehlet (§. 3. C. 6.); da er ſeines Orts ſolches, vermoͤge des Gedaͤchtniſſes, ſo offte gedencken muß, als er die Sache erzehlet, oder ſeine aufgeſchriebene Erzeh - lung ſelber wieder anſiehet: Folglich iſt ſeine Vor - ſtellung bey der Erzehlung von derjenigen Vor - ſtellung unterſchieden, welche der Zuhoͤrer, Leſer, und Nachſager aus der Erzehlung erhaͤlt. Da nun die Fruchtbarkeit einer Stelle darinnen be - ſtehet, daß man weniger oder mehr dabey ge - denckt (§. 164. Auslegekunſt); ſo iſt die Erzeh - lung eines Zuſchauers freylich fruchtbarer bey ihm, als bey dem, der ſie aus ſeiner Erzehlung erlernet. Es kan aber auch im Gegentheil ſeyn, daß die Nachricht aus einer andern Urſache, dieL 5hieher170Siebentes Capitel,hieher nicht gehoͤret, fruchtbarer wird, bey dem, der ſie anhoͤret und bekommt, als bey dem, der ſie giebet: wenn nehmlich der erſtere mehr dabey intereßiret iſt, als der letztere.

§. 15. Der Urheber gedenckt mehr bey der Erzeh - lung, als der Nachſager.

Dieſer Umſtand der Nachrichten und Erzeh - lungen iſt beſonders in folgendem Falle zu mer - cken. Zuſchauer werden gemeiniglich, denen die die Geſchichte angehet, zumahl die die Haupt - perſonen dabey ſind entgegen geſetzt. Doch koͤn - nen auch dieſe als Zuſchauer angeſehen werden, weil ſie ſich doch deſſen, was mit ihnen vorgehet, bewuſt ſind; oder ſie koͤnnen wenigſtens mit jenen, unter den Begriff der gegenwaͤrtigen, zu einer Art gebracht werden (§. 4.). Jn Anſehung aber der Erzehlung iſt ein groſſer Unterſchied, ob ſolcher, wenn ſie auch gleich mit einerley Wor - ten abgefaſſet waͤre, von einer Hauptperſon, oder von einem Theilnehmer, oder von einem bloſſen Zuſchauer vorgebracht werde. Denn die Haupt - perſonen werden, bey Begebenheiten, die groſſe Veraͤnderungen ihres Zuſtandes geweſen, und nach ſich gezogen haben, nicht ohne Affeckt daran gedencken, und alſo auch nicht ohne Affeckt erzeh -[le]n: ſie werden ſich beſonders erinnern, wie ihnen damahls zu Muthe geweſen, als die Sache vorgieng. So iſt es mit den Hauptperſonen bey einer Geſchichte ihrer Erzehlung beſchaffen. Der Zuhoͤrer hingegen, oder Nachſager, wie er ſichin171v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. in gantz andern Umſtaͤnden befindet, und an der Geſchichte, welche erzehlt wird, keinen ſonderli - chen, oder wohl gar, gar keinen Antheil daran hat, kan vermoͤge der Erzehlung (wenn ſie nicht ausdruͤcklich dazu eingerichtet wird,) nicht in den Affeckt gebracht werden, worinne ſich der Erzeh - ler befindet. Z. E. wer abgebrannt iſt, wird vie - le Jahre nachher nicht ohne Regung an das ihm begegnete Ungluͤck dencken, und eben ſo wenig ohne Regung erzehlen, wenn er ſolches gleich mit den duͤrreſten Worten thut. Der Zuhoͤrer aber wird, wegen Verſchiedenheit ſeines Zuſtandes, dadurch keines weges geruͤhret werden. Wie ſehr hat ſich Cicero nicht gefreuet, ſo offt er an ſeine Zuruͤck - kunfft und Einhohlung nach Rom dachte. Man kan aus ſeinen Reden ſehen, wie ihm zu Muthe geweſen iſt, wenn er davon geredet oder erzehlt hat. Weil er nehmlich ein Redner war, ſo hat er ſelten trocken davon geredet, daher haben auch viele ſeiner Zuhoͤrer dadurch koͤnnen bewegt werden: doch wird vielen, ja ihnen allen gantz anders zu Muthe geweſen ſeyn, als dem Cicero: wie wir auch noch jetzo, wenn wir ſeine Oratio - nes poſt reditum leſen, gewiß die Groͤſſe der Freude nicht ſpuͤhren, die er dabey gehabt, ge - ſchweige, daß wir ſeine Freude ſpuͤhren wuͤr - den, woferne er nur gelegentlich davon redet, und wenn er trocken davon geredet haͤtte.

§. 16. Von dem Verſtande einer Nachricht.

Was ſich nun in Anſehung derer zutragen kan, welche eine muͤndliche oder ſchrifftliche Nach -richt172Siebentes Capitel,richt bekommen; oder was eine ertheilte Nach - richt bey dem Hoͤrer oder Leſer vor eine Wuͤrckung thun koͤnne, das iſt aus dem Begriffe des Hoͤ - rers und des Leſers herzuleiten. Und dieſes hat zum Theil keine Schwierigkeit. Denn es iſt ausgemacht, daß die, welche in einer bekann - ten Sprache mit einander reden, einander noth - wendig, wenigſtens zum Theil verſtehen muͤſſen. Eines Theils aber koͤnnen, wie bey allen Reden und Schrifften, alſo auch bey muͤndlichen und ſchrifftlichen Nachrichten, Zweydeutigkeiten, Dunckelheiten, Mißverſtand und Mißdeutung entſtehen. Es wird aber alles was zum Verſte - hen der Reden und Schrifften gehoͤhret, zur Aus - legekunſt gerechnet. Dahero muß das gantze Capitel von der Auslegung hiſtoriſcher Stel - len und Buͤcher, hieher gezogen werden, wel - ches wir in der Einleitung zur richtigen Auslegung vernuͤnfftiger Reden und Schrifften umſtaͤndlich abgehandelt ha - ben; und worauf wir uns, beliebter Kuͤrtze hal - ben, anietzo lediglich beziehen. Nur dies eintzige wollen wir um des nachfolgenden Willen bemer - cken, daß ein Hauptunterſcheid in denen Erzeh - lungen und Nachrichten vor den Zuhoͤrer und Le - ſer ſey, ob dieſelben trocken oder ſinnreich ab - gefaſſet ſind (§. 340. Auslegekunſt) unter wel - chen letzteren, die Poetiſchen, wie leicht zu erach - ten, die angeſehenſten ſind. Dieſe nehmlich ſind es, die gemeiniglich am erſten einer Ausle - gung beduͤrffen.

§. 17.173v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 17. Eine Nachricht hat zu allen Zeiten einerley Verſtand.

Wenn die Geſchichte einmahl in eine Erzeh - lung iſt gebracht, und zu einer Nachricht ge - macht worden; ſo wird der Verſtand der Erzeh - lung nach dem Woͤrterbuch und der Grammatick derſelben Sprache beſtimmt, darinnen die Erzeh - lung abgefaſſet iſt (§. 13. Auslegek. ): Folglich iſt der Verſtand einer Erzehlung bey allen, die uͤber dieſelbe Nachricht kommen, einerley. Denn wer die Sprache, worinnen die Begebenheit er - zehlt wird, entweder faſt gar nicht, oder wenig - ſtens nicht recht verſtehet, muß dieſelbe freylich vorher verſtehen lernen, ehe er die darinnen auf - behaltene, oder gegebene Nachrichten leſen will. Folglich eben den Eindruck, den die Erzehlung des Zuſchauers bey dem erſten Hoͤhrer und Nach - ſager machete, den muß dieſelbe, auch bey den zweyten Leſer, dritten Leſer u. ſ. w. machen: nach der Regel: Poſita eadem ratione ſufficien - te, ponitur ſemper id, cujus ratio ſufficiens da - tur. Es iſt wohl an dem, daß eine Nachricht bey dem einen Leſer fruchtbarer iſt, als bey dem andern, und bey denen die nahe mit der Sache zu thun haben, mehr als bey entfernten: aber die Fruchtbarkeit iſt was anders als der unmittel - bare Verſtand: Welcher eigentlich den Verſtand ieder Stelle ausmacht. Daher muß nun eine aufgeſchriebene Nachricht zu allen Zeiten eben die Belehrung geben, die ſie den er - ſten Tag gegeben, und eben die Belehrungden174Siebentes Capitel,den tauſendeſten Leſern geben, die ſie dem erſten Lefer und Nachſager gegeben. Z. E. der hiſtori - ſche Satz: Salomo iſt Koͤnig zu Jeruſalem ge - weſen; wird jetzo und muß eben den Verſtand haben, und uns eben die Belehrung geben, die man ſich den Tag nach ſeinem Tode aus dieſen Worten hat nehmen koͤnnen.

§. 18. Einerley Urkunde.

Eben die Urkunde, oder einerley Urkun - de, iſt die Nachricht, in ſo ferne ſie mit unveraͤn - derten Worten oͤffters geredet und ausgeſprochen, ingleichen auch abgeſchrieben und nachgeſchrieben wird; mithin aber auch geleſen und gehoͤret wird. Daraus iſt nun klar, daß, ſo lange eben dieſelbe Urkunde, oder einerley Urkunde vorhanden iſt, und gebraucht wird, diejenigen, die die Geſchich - te daraus erlernen, zu allen Zeiten und an allen Orten einerley Erkentniß der Geſchichte daraus erlangen muͤſſen, und daß mithin, in dieſem Fal - le bey Fortpflantzung der Erzehlung nichts veraͤnderliches vorgehe. Eben die Wuͤr - ckung, die die Erzehlung aus dem Munde des Zuſchauers thut, muß ſie auch aus dem Munde des erſten, andern, dritten Nachſagers, u. ſ. w. thun. Wenn aber vollends bey aufgeſchriebener Nachricht, die die es von einander hoͤren, auch uͤberdieſes in der Urkunde leſen koͤnnen, ſo iſt es eben ſo gut, als wenn ſie die Urkunde gleich nach ihrer Ausfertigung in die Haͤnde bekommen haͤtten.

§. 19.175v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 19. Einerley Urkunde lehret auch immer einerley.

Da es nun eine gantze Reyhe von Menſchen geben kan, die es einander nachſagen (§. 4. 5. ); und zwar mit unveraͤnderten Worten (wie haupt - ſaͤchlich bey Liedern geſchiehet,); ſo iſt klar, daß in dieſem Falle, derjenige, der die Nachricht von dem hunderſten Nachſager hat, die Geſchichte eben ſo gut daraus erlernen kan, als ſie der erſte Nachſager daraus erlernet hat. Es iſt zwar an dem, daß gleich der erſte Nachſager ſeine eigene Gedancken und reflexiones bey der erhaltenen Nachricht hat, die vielleicht auch zum Theil nicht mit der Wahrheit uͤbereinkommen; allein weil er nicht dieſe ſeine beygefuͤgten Gedancken, ſondern die Sache mit eben den Worten erzehlet, mit welchen ſie ihm iſt erzehlt worden, ſo haben we - der die wahren noch die falſchen Gedancken des erſten Nachſagers in die Erkentniß des andern Nachſagers einen Einfluß. Und aus dieſer Ur - ſach, obgleich alle nachfolgende Nachſager auch ihre beſondere Gedancken haben, und vielleicht manche falſche Gedancke bey der Geſchichte haben, ſo kan doch nach ſpaͤten Zeiten die Geſchichte rich - tig erkannt werden, wenn nur die Worte und Formeln der Urkunde noch unverletzt beybehal - ten worden.

§. 20. Urkunden koͤnnen muͤndlich fortgepflantzt werden.

Nun iſt an dem, daß die Urkunde, wenn ſie nicht ſchrifftlich abgefaſſet iſt, ſondern nur muͤnd -lich176Siebentes Capitel,lich fortgepflantzet werden ſoll, ſelten unveraͤn - dert bleibt. Denn hierzu waͤre noͤthig, 1. daß der Zuhoͤrer mit einem ſtarcken Gedaͤchtniß be - gabt waͤre, um die Worte genau zu mercken, worinnen die Erzehlung vorgetragen wird. 2. Muß ein ſtarcker Grund vorhanden ſeyn, war - um man beym Nachſagen eben die Worte ge - brauchen ſoll, in welchen man die Nachricht er - halten hat. Denn da jeder ſeine eigene Gedan - cken bey einer Erzehlung, und der daraus erlern - ten Geſchichte zu haben pflegt, ſo hat man gemei - niglich einen ſtarcken Trieb, die Geſchichte mit andern Worten zu erzehlen, als man ſie hat er - zehlen hoͤren. Hier aber hat doch die goͤttliche Vorſehung ein Mittel gefunden, wie die Men - ſchen fruͤhzeitig Geſchichte mit unveraͤnderten Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich durch Lieder; welche auswendig zu lernen ſich die Kinder, und auch Erwachſene, gerne ein Geſchaͤff - te machen, und es hernach vor einen Fehler hal - ten, dieſes oder jenes Wort des Liedes nicht recht zu wiſſen. Auf dieſe Art haben ehedem die Deut - ſchen ihre Geſchichte fortgepflantzet. Cæſar de B. G. Lib. VI. Und von den Spaniern erzehlt eben dergleichen Strabo. Durch gemeinen Fleiß koͤn - ten freylich nur wenige Nachrichten auf dieſe Art fortgepflantzet werden: wenn man aber, wie bey den Deutſchen, eine rechte Profeßion daraus macht, die Gedichte auswendig zu lernen, wie nach Caͤſars Bericht, die alten Deutſchen zum Theil zwantzig Jahr daran ſtudirt haben: ſo lieſſe ſich die Geſchichte, auch ſehr umſtaͤndlich undaus -177v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ausfuͤhrlich in Verſen fortpflantzen. Ja es ſchei - net, daß wir den Mangel der alten Nachrichten nicht ſowohl der Unvollkommenheit und Beſchwer - lichkeit der muͤndlichen Fortpflantzung, als dem Unfleiſſe, ſolche beybehaltene Nachrichten aufzu - ſchreiben, und in den etwa aufgeſchriebenen zu leſen und zu lernen, zuzuſchreiben haben.

§. 21. Veraͤnderungen der Urkunde veraͤndern die Geſchichte.

Wenn aber die Nachſager ſich nicht an die Formel der Urkunde halten, ſo iſt unvermeidlich, daß nicht die Nachricht nach und nach, ja ſelbſt in kurtzen, gar ſehr geaͤndert, und mithin die Geſchichte ſelbſt verunſtaltet, und mit Fabeln vermenget werde. Eine neue Geſchichte, die meiſt muͤndlich fortgepflantzet oder ausgebreitet wird, heiſſet der Ruf: und davon weiß man, was vor Unwahrheiten ſich daran zu haͤngen pflegen, nach Virgils Beſchreibung: Aeneid. IV. 174.

Fama, malum, quo non velocius ullum: Mobilitate viget, viresque acquirit eundo: Parua metu primo, mox ſeſe attollit in auras, Ingrediturque ſolo, & caput inter nubila condit.

Dieſe Veraͤnderungen einer Erzehlung durchs Nachſagen, muͤſſen allerdings hier in Betrachtung gezogen werden. Allein bey muͤndlicher Aus - breitung, wo ſogar das Hoͤren, oder vielmehr das nicht recht Hoͤren, und das Anſehen und Minen des Erzehlenden einen groſſen Einfluß inMdie178Siebentes Capitel,die Zerruͤttung einer Geſchichte hat, iſt es ſehr ſchwer, etwas deutliches zu ſagen, und deswe - gen auch ſo ſehr nicht noͤthig, weil unſere gelehrte Geſchichtskunde ſich nicht mehr auf muͤndliche Nachrichten, ſondern auf ſchrifftliche Urkunden zu beziehen pflegen: und ſind gleich einige Stuͤcke derſelben aus dem Ruffe genommen, wie ſich z. E. Livius in der Roͤmiſchen Hiſtorie, Euſebius in der Kirchenhiſtorie jezuweilen darauf beziehen, ſo koͤnnen wir doch nunmehro nicht bis auf die er - ſte muͤndliche Nachricht, aus welcher der Ruff entſtanden, zuruͤckgehen, ſondern muͤſſen es bey dem, was geſchrieben ſtehet, bewenden laſſen. Wenn es aber einer aus dem andern ſchreibt, und dem andern nachſchreibt, und doch nicht einerley Worte braucht, ſo gehet ebenfals in der Nachricht von der Geſchichte eine Veraͤnderung vor, wie bey der muͤndlichen Ausbreitung: da aber eine ſolche Veraͤnderung der Worte eher mit Vorbedacht und Vernunfft geſchiehet, ſo laͤſ - ſet ſich auch eher etwas deutlich davon ſagen: wie nehmlich ein Nachſager von ſeinem Vorgaͤnger, wenn er nicht genau bey ſeinen Worten bleibt, un - vermerckt die Geſchichte aͤndern kan, ohne daß er Willens iſt, Unwahrheiten zu ſagen. Hat aber ein Nachſager gar den Vorſatz, die Geſchichte zu verſtuͤmmeln, und Unwahrheiten zu ſchreiben, ſo ſiehet jeder, daß ſolches auf unzehlige Weiſe ge - ſchehen koͤnne, und daß ſich davon keine Regeln geben laſſen.

§. 22.179v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 22. Wuͤrckung der Urkunde bey dem Hoͤrer und Leſer.

Um nun zu ſehen, was bey Ausbreitung einer Geſchichte unter den Nachſagern vor Veraͤnde - rungen in der Erzehlung vorgehen koͤnnen, ohn - geachtet ſie nichts anders als die Wahrheit ſagen wollen, ſo duͤrffen wir nur auf den erſten Hoͤrer, Le - ſer, und Nachſager, genau achtung geben, wie er die erhaltene Nachricht und Urkunde anſiehet und annimmt; und was ihn bewegen koͤnne, eine Aen - derung in der Formel der Erzehlung vorzuneh - men. Wenn wir einmahl dieſes wiſſen, ſo laͤſſet ſich die Anwendung leicht auf die nachfolgenden Nachſager machen; als bey welchen ſich eben die - ſe Urſachen einiger Veraͤnderungen, obgleich nicht allemahl auf eben dieſe Art, wie bey dem erſten aͤuſern koͤnnen, demnach, wenn wir eine Nach - richt erlangen, ſo gehet, ehe es noch zum Nachſa - gen kommt, zweyerley in unſerer Seele vor, wel - ches wohl von einander zu unterſcheiden iſt: 1. Das Verſtehen der Urkunde. 2. Die Ue - berlegung und Betrachtung, welche wir uͤber die erhaltene Nachricht haben und anſtellen.

§. 23. Mißverſtand bey der Urkunde veraͤndert die Geſchichte.

Jn Anſehung des Verſtehens, finden ſich Schwierigkeiten, ſowohl durch Dunckelheiten, als durch Mißverſtand, die bey der Urkunde vorkom - men koͤnnen. Beydes wird durch die RegelnM 2der180Siebentes Capitel,der Auslegekunſt entdeckt und vermieden, auf die wir uns ſchon uͤberhaupt bezogen haben (§. 16). Nur bemercken wir hier, daß, wenn wir eine Nachricht, daran wir etwas dunckeles finden, oder die wir nicht recht verſtanden, auf andre fort - pflantzen, und zwar mit veraͤnderten Worten, iedoch in der Meynung, daß die unſrigen, den Worten unſerer Urkunde gleichguͤltig waͤren, die wahre Beſchaffenheit der Geſchichte, die wir nachſagen, nothwendig veraͤndert werden, und die daraus entſtehende zweyte Nachricht, oder unſere Nachſage nothwendig etwas Falſches und Verfuͤhreriſches an ſich haben muͤſſe. Wenn iemand z. E. von einer Schiffsladung von 1000. Pfunden reden hoͤrte, und verſtuͤnde ſol - ches, da es Schiffspfunde bedeuten, von ge - meinen Pfunden, ſolche auch daher auf 10. Cent - ner in ſeinen Gedancken reducirte, der wuͤrde noth - wendig auch eine falſche Erzehlung von dieſen 10. Centnern zum Vorſchein bringen. Wenn der Ruff entſtehet, die Landesfuͤrſtin habe Zwil - linge gebohren, ſo kan iemand von der Hoffnung eines Printzens ſo eingenommen ſeyn, daß er dieſe Nachricht unuͤberlegt davor annimmt, ſie habe zwey Printzen gebohren, welches er denn als eine Wahr - heit, die ihm berichtet worden, weiter ſagen wird. So viel als es daher Moͤglichkeiten giebt, wie ein Hoͤrer und Leſer, beſonders aber ein Hoͤrer, in dem Verſtande der Worte irren, und ſich truͤgen kan; ſo viel Quellen giebt es auch der Verfaͤl - ſchungen einer Geſchichte, indem ſie durch Nach - richten, iedoch mit veraͤnderten Worten, ausgebrei - tet, und fortgepflantzt wird.

§. 24.181v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.

§. 24. Betrachtungen uͤber eine erhaltene Nachricht.

Die Uberlegung, welche ein Zuhoͤrer, oder Le - ſer, bey einer Nachricht braucht, koͤmmt gar ſehr mit dem uͤberein was im 5. Capitel vom Zuſchauer und Sehepunckte iſt gelehret wor - den. Denn wie jeder eine Geſchichte, wovon er einen Zuſchauer abgiebt, nach ſeinem Stande, nach ſeiner Stelle, und nach ſeiner Gemuͤths - verfaſſung anſiehet (§. 8. 9. 10. 11. C. 5.); und ſie auf einer gewiſſen Seite betrachtet (§. 13. C. 5.), alſo geſchiehet dieſes eben auch bey Ge - ſchichten, die wir hoͤren, oder leſen. Nur iſt das Bild oder Vorſtellung einer Geſchichte aus einer Erzehlung und Nachricht, gar ſehr von der Erkenntniß unterſchieden, die der Zuſchauer ſelbſt vor ſeine Perſon davon hat, wie aus dem Capitel von der Verwandelung einer Ge - ſchichte in die Erzehlung auf das klaͤrlichſte zu erſehen iſt. Daraus muͤſſen alſo auch andere Gedancken und Ueberlegungen entſtehen. Das beſondere aber welches das Bild einer Geſchich - te aus einer Erzehlung von dem Bilde, das der Zuſchauer davon hat, an ſich zu haben pflegt, iſt 1. dieſes, daß es kuͤrtzer, oder kurtzgefaſter und kleiner iſt; oder daß es weniger in ſich enthaͤlt. 2. Daß es manches unbeſtimmtes in ſich haͤlt, wel - ches in der Erkenntniß des Zuſchauers beſtimmt iſt. 3. Daß der Geſchichte ſchon eine gewiſſe Ge - ſtalt gegeben worden (§. 27. C. 6.), da man ihrM 3auch182Siebentes Capitel,auch wohl eine andere Geſtalt haͤtte geben koͤn - nen; als worinnen der Zuſchauer freyere Haͤnde hat. Aus dieſen Umſtaͤnden einer Erzehlung und Nachricht iſt es nun herzuleiten, daß der Hoͤrer oder Nachſager andere Uberlegungen bey der Geſchichte macht, als der Zuſchauer, wenn auch gleich der Zuſchauer die Geſchichte unver - faͤlſcht erzehlet, und der Hoͤrer die Erzehlung rich - tig verſtanden hat.

§. 25. Nachrichten ſucht man umſtaͤndlicher zu wiſſen.

Denn daraus, daß die Erzehlung weniger in ſich enthaͤlt, als der Zuſchauer und Urheber da - von weiß, und folglich auch weniger, als man da - von wiſſen koͤnte, und wuͤrde, wenn man ſelbſt da - bey geweſen waͤre, entſtehet natuͤrlicher Weiſe ein Trieb noch mehr davon zu wiſſen. So kan z. E. keine Relation von einer Schlacht, ſie mag ſo ausfuͤhrlich ſeyn, als ſie will, die Begier - de der Leſer gnugſam ſaͤttigen, ſondern ſie erkun - digen ſich, ſo offte es mit Zuſchauern derſelben zu reden Gelegenheit giebt, gar zu gerne nach meh - reren Umſtaͤnden und Particularitaͤten: manche reiſen auch wohl gar an Ort und Stelle, um ſich die Gelegenheit der Orte beſſer vorzuſtellen, und alles genauer zu erkundigen. Jn Ermangelung nun der Gelegenheit weiter nachzufragen, und die Geſchichte genauer zu erkundigen, denckt man der Erzehlung ſelber nach, und ſucht durch Zuſam - menhaltung der Umſtaͤnde unter ſich, und mitdem183v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. dem was uns ſonſten ſchon bekannt iſt, nach den Regeln der Natur und der menſchlichen Weiſe zu dencken und zu handeln, ſolche Umſtaͤnde heraus zu bringen, welche in der Erzehlung, oder Nach - richt, die wir davon erhalten haben, uͤbergangen ſind.

§. 26. Man ſtudirt uͤber die Worte der Urkunde.

Daraus folgt denn, daß man beſonders den allgemeinen Worten, die darinnen vorkommen, und wodurch die Individua nur unbeſtimmt an - gezeigt werden, ſcharf nachdenckt, um nehm - lich naͤhere Beſtimmungen heraus zu bringen. Derjenige der hoͤrt, es ſey ihm ein Praͤſent zu - gedacht, oder vor ihn eingekaufft worden, denckt begierig nach, worinnen es wohl beſtehen koͤnne? Der Ausdruck ein Praͤſent an Silberwerck, be - ſtimmt die Sache ſchon genauer, laͤſſet aber doch noch viel Materie zum Nachdencken uͤbrig. Ein Vater, dem ſein ungerathener Sohn entlauffen, hoͤrt, daß derſelbe ſich bey den Freunden auf - halten ſollte: Entſtehet da nicht gleich die Bemuͤ - hung zu ergruͤnden, welcher unter den Freunden dadurch gemeynt ſey. Hier wird nun zwar, wenn man auf die Gewißheit gehet, nicht allemahl, ſon - dern gar ſelten, viel herausgebracht werden, es waͤre denn, daß man mehrere Nachricht beyſam - men haͤtte, deren eine die andere erlaͤutert: Un - terdeſſen entſtehen doch aus dieſer Bemuͤhung mehr zu wiſſen, bey dem Leſer und Hoͤrer einer Nachricht mancherley Fragen, die er bey ſichM 4ſelbſt184Siebentes Capitel,ſelbſt, offters ohne gnugſamen Grund beant - wortet und ſeine Vermuthung mit der erhaltenen Nachricht vermenget. Erzehlt nun ein ſolcher die Geſchichte nachher, oder ſagt ſie nach, ſo iſt nichts leichters, als daß er ſeine gemachte Entde - ckung, die er ſich als ſeine eigene Erfindung leicht eben ſo klar vorſtellet, als was wuͤrcklich in der Nachricht geſtanden hat, von der Urkunde nicht unterſcheidet, ſondern eines mit dem andern, als wenn er davon waͤre benachrichtiget worden, er - zehlet.

§. 27. Man kan durch eine Erzehlung leichte praͤoccupirt werden.

Jndem der Zuſchauer der Geſchichte, derſel - ben in ſeiner Erzehlung ſchon eine gewiſſe Geſtalt gegeben (n. 3. §. 24.), ſo entſtehet daraus zwiſchen der Vorſtellung die der Zuſchauer hat, und derje - nigen, die der Hoͤrer oder Leſer aus der Erzeh - lung bekommt, ein mercklicher Unterſcheid. Denn er, der Zuſchauer, weiß die beſondern Umſtaͤnde, die ſich auch wohl auf eine andere Art erzehlen lieſſen; er weiß alſo auch und kan wenigſtens wiſſen, daß ſich der Geſchichte auch eine andere Geſtalt geben lieſſe: Der Hoͤrer aber der Er - zehlung weiß nichts von der Geſchichte, (wenig - ſtens nehmen wir dergleichen Hoͤrer hier an) als aus der Erzehlung, die aber gemeiniglich nichts in ſich enthaͤlt, daraus man ſehen koͤnnte, daß auch die Sache eine andere Geſtalt bekommen koͤnne: Alſo: Ein Advocat, der die Sache ſeines Clien -ten185v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ten in eine Klage gebracht, und mithin dem Han - del eine gewiſſe Geſtalt gegeben hat, welches, wenn der Handel verwirrt iſt, allerdings noͤthig iſt (§. 27. C. 6.); merckt etwa wohl was der Gegner und Beklagte vor Umſtaͤnde des Han - dels zu ſeinem Behuf anfuͤhren, und der Sache eine andere Geſtalt geben koͤnne und werde: Der Richter aber, der die Klage annimmt, und davon weiter nichts weiß, als was in der Klage erzehlt wird, kan nicht wiſſen, noch vermuthen, was der Beklagte der Sache vor eine Geſtalt geben wird; und muß daher, wenn der Klaͤger auch alle moͤg - liche Verſicherung gaͤbe und geben koͤnnte, daß er nichts anders, als die Wahrheit vorgebracht habe, vor dem Urtheilfaͤllen den Beklagten hoͤren, nach der Regel: Audiatur eſt altera pars. Denn das iſt nicht zu laͤugnen, und ein Richter muß das uͤberhaupt wiſſen, daß die Menſchen ihre Geſchaͤff - te ſo verwickeln, verwirren, und ſonderbar einrich - ten koͤnnen, daß die Sache gantz auf verſchiedene Art angeſehen werden kan, und beyde Partheyen vie - les vor ſich haben. Die Staͤmme Jſrael, welche nach vollendeten Kriegen in Canaan uͤber den Jordan in ihr Erbtheil zuruͤck giengen, baue - ten ſich einen Altar, und nahmen dadurch eine Handlung vor, die noch keine bekannte Geſtalt hatte: Denn ein Altar iſt zum opfern: Und ein Altar darauf nicht ſollte geopfert werden, war eine annoch unbekannte Subtilitaͤt. Man haͤtte ſagen koͤnnen: Sie haͤtten einen Altar gebauet, und auch: Sie haͤtten keinen gebauet. Unter - deſſen kam die Nachricht vor die uͤbrigen Staͤm -M 5me:186Siebentes Capitel,me: Siehe! Die Kinder Ruben, Gad und der halbe Stamm Manaſſe haben einen Altar ge - bauet, gegen das Land Canaan. Joh. 22, 11. Dieſe Nachricht ſchrieb ſich ſonder Zweifel nicht von Hauptperſonen her, ſondern von bloſſen Zuſchauern, die als Fremde in Anſehung die - ſer Geſchichte, nur das davon ſahen und wuſten, was davon in die Augen fiel, nicht aber das Ge - heime, oder das eigentliche Deſſein (§. 16. C. 5.): Sie aber, die Urheber dieſer Erzehlung, ſahen die Sache nach den gemeinen Begriffen an, und an ſtatt zu erwarten, ob er auch wuͤrde eingeweihet, und wuͤrcklich darauf geopfert werden, erzehlten ſie die Sache, wie man es von einem wuͤrcklichen Opferaltar wuͤrde erzehlet haben: Siehe! Die drittehalb Staͤmme haben einen Altar gebauet. Und in dieſem Sinne wurde auch die Erzehlung von Joſua und den Aelteſten angenommen, und gleich vorlaͤuffig beſchloſſen, ſie mit Heereskrafft zu uͤberziehen. Welcher Krieg auch wuͤrde ausge - brochen ſeyn, woferne die abgeſchickten Geſandten nicht eine andere Nachricht und Urkunde mitge - bracht haͤtten, worinnen die Sache, oder Geſchich - te, in einer andern Geſtalt erzehlt und vorgeſtellt wurde: Und welche den Anſchlag alſo vorſtellig machte: Laſſet uns einen Altar bauen, der ein Zeu - ge ſey zwiſchen uus und euch! Joh. 22, 26. Wenn das Mißverſtaͤndniß entdeckt iſt, ſo wun - dert man ſich oͤffters, wie es habe entſtehen, und ſolche Unruhe veranlaſſen koͤnnen, da es doch ſo leicht zu entdecken geweſen waͤre. Allein, dies iſt die Art der meiſten Geſchichte, die neu, die vonWichtig -187v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Wichtigkeit ſeyn, daß ſie indem man ſie nach dem gemeinen Leiſten foͤrmeln will, ein Anſehen bekom - men, welches ihre wahre Beſchaffenheit und Ge - ſtalt nicht wenig verſtellet.

§. 28. Das Nachdencken uͤber einer Geſchichte veran - laſſet eine andere Erzehlung.

Wenn die Vorſtellung des Nachſagers mit der Vorſtellung des Urhebers nicht genau uͤberein kommt; ſo wird Erſterer ſich in ſeiner Erzehlung auch anderer Worte bedienen, als er in der Urkun - de gefunden: Es waͤre denn, daß er aus Vorſicht, und weil ihm bekannt iſt, der Zuſchauer muͤſſe am beſten gewuſt haben, wie die Geſchichte am rich - tigſten zu erzehlen waͤre, ſolche Veraͤnderung un - terlaͤſſet, und daher bey den Worten der Urkunde lediglich bleibet. Welches auch das eintzige Mit - tel iſt, die Wahrheit und Richtigkeit der Ge - ſchichte unverſehrt zu erhalten. Aendert aber der Nachſager die Urkunde, ſo muß dieſe nothwendig auch andere Vorſtellungen bey den Hoͤrern und Leſern, als kuͤnfftigen zweyten Nachſagern her - vorbringen. Da nun bey dieſen eben diejenigen Urſachen vorkommen, von welchen wir gewieſen, daß ſie eine Aenderung in der Erzehlung bey dem erſten Nachſager veranlaſſen koͤnnen (§. 24.); nehmlich die Begierde mehr zu wiſſen, und das un - beſtimmte naͤher zu beſtimmen, ſo wird die Erzeh - lung des zweyten Nachſagers von der Erzeh - lung des erſten Nachſagers abermahls unterſchie - den ſeyn; ſo daß durch die Menge der Nachſagerund188Siebentes Capitel,und der ſich immer aufs neue aͤuſernden Urſachen der Aenderung in Erzehlen und Nachſagen, die Geſchichte gantz und gar verunſtaltet, und in eine Fabel verwandelt werden kan.

§. 29. Warum der Ruf die Sachen ſehr verdrehe.

Hier zu kommt, daß eine Geſchichte allemahl in einer gewiſſen Abſicht erzehlet wird (§. 9. C. 5.): Wobey in gemeinen Erzehlungen faſt allemahl ein Haupt requiſitum iſt, daß es etwas merckwuͤr - diges und ſonderbares ſeyn muß (§. cit.). Wenn nun jeder derer Nachſager, nach dieſer Er - zehlungsart handelt, und durch ſeine Einbildungs - krafft etwas daran aͤndert, ſo muß die daraus fol - gende Erzehlung bey jedem Nachſager immer um etwas veraͤndert werden, und die Erzehlung einer Fabel naͤher kommen. Wie die lateiniſchen Scri - benten ſich dieſes Kunſtſtuͤckes bedienet, ihre Buͤ - cher und Erzehlungen angenehmer zu machen, habe ich in einem Exempel aus dem Plinio, und ſeiner Hiſtoria Naturali gezeigt in einem Pro - grammate de Macrobiis ſemel in vita parienti - bus. Opuſc. Acad. Vol. II. p. 177.

§. 30. Was bey dem Nachſagen einer Geſchichte noch mehr vorgehe.

Obgleich der Zuſchauer ſeine Erkenntniß von der Geſchichte ſchon verkuͤrtzt, und in einen Aus - zug bringt (§. 3. C. 6.); ſo kan doch ſeine Er - zehlung vor dem Nachſager, wegen beſondrer Um -ſtaͤnde189v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. ſtaͤnde noch zu lang ſeyn, wenn er ſie nachſagen ſoll. Dieſer wird daher aufs neue einen Auszug daraus machen. Dabey findet nun erſtlich ſtatt, was wir von der gefliſſenen Auslaſſung ge - wiſſer Stuͤcke gewieſen haben (§. 8. C. 6.), die ſich offt ſchon ſelbſt in der Erzehlung des Zu - ſchauers findet. Zweytens kommt viel darauf an, ob der Nachſager einen trockenen, oder ſinn - reichen Auszug machen will; welche Wuͤrckung des Verſtandes, §. 40. ſeq. der richtigen Aus - legung ꝛc. erklaͤrt worden.

§. 31. Wenn Geſchichte laufen.

Wir wollen nunmehro von den Veraͤnderun - gen, die ſich mit einer Geſchichte, waͤhrender ihrer Ausbreitung zuzutragen pflegen, wieder abſtrahi - ren, und unſre Aufmerckſamkeit aufs neue auf die Ausbreitung ſelbſt richten. Hierbey finden wir unter andern die Geſchwindigkeit der Aus - breitung betrachtungswuͤrdig. Geſchichte die uns angehen, verurſachen in unſerer Seele, wir moͤgen dabey gegenwaͤrtig ſeyn, oder auch nur da - von hoͤren, eine ſtarcke Beſchaͤfftigung; und das heiſſet, ſich einer Begebenheit oder Geſchichte an - nehmen. Wenn nun die Geſchichte ſo beſchaf - fen iſt, daß ſie entweder nicht heimlich gehalten werden kan, oder keine dringende Urſache vorhan - den iſt, ſie heimlich zu halten, ſo iſt ein natuͤrlicher Trieb vorhanden, mit andern Menſchen, von dem was vorgehet, zu reden, und ihnen unſere Erkennt - niß davon, auch wohl unſer eigen Anliegen bekanntzu190Siebentes Capitel,zu machen. Die Erzehlung erfordert wenig Zeit, und es giebt im kurtzen gar viele Gelegenheit mit Leuten zu reden. Und ſo geſchiehet es, daß neue Geſchichte taͤglich und ſtuͤndlich weiter erzehlet werden; welchen Fortgang man das Lauffen einer Geſchichte oder Erzehlung nennen moͤchte. Dieſes erfolgt nun ſo lange als die Nachricht an Perſonen kommt, welche ſich der Sache anneh - men, oder die dieſelbe etwas angehet.

§. 32. Wenn Geſchichte ſtehen bleiben.

Hingegen bleibt eine Erzehlung ſtehen, wenn ſie an ſolche Perſonen kommt, welche ſich derſelben nicht annehmen, oder welche ſolche nichts ange - het. Es kommt hierbey nicht auf die Wahrheit an, ob die Geſchichte die Hoͤrer wuͤrcklich was angehet oder nicht? ſondern darauf, wie ſie ſich die Sache vorſtellen, und ob ſie dabey intereßirt zu ſeyn glauben. Wie eine Geſchichte ſtehen bleiben koͤnne, kan man daraus abſehen, daß ſich eine Nachricht manchmahl durch weite Laͤnder aus - breitet, davon viele Leute in der Stadt und denen benachbarten Doͤrſfern nichts wiſſen: z. E. ein Gelehrter hat einen neuen und der recipirten Lehre zuwider laufenden Satz ſeinen gelehrten Zuhoͤrern vorgetragen, dieſes kan ſich in kurtzen durch mehr als ein Land unter den Gelehrten ausbreiten. Un - terdeſſen kan ſolches vielen Handwercksleuten, die in eben der Stadt wohnen, unbekannt bleiben, und noch mehr denen Leuten drum herum auf dem Lande. Ein anders iſt es ſchon, wenn eine irrigeLehre191v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Lehre auf der Cantzel vorgebracht wird: Denn wie jeder die Lehren, die von dieſer heiligen Stelle vorgetragen werden, als ſolche anſiehet, die nicht bloß die Gelehrten, ſondern einen ſo gut als den andern angingen, alſo pflegt auch jeder eine ſolche Nachricht ſeines Orts ausbreiten zu helffen. Un - ter Leuten, die eine Sache nichts angehet, ſind diejenigen beſonders bekannt, welche von der Sa - che nichts verſtehen. Sollte man auch etwa bedencklich finden, daß eine Geſchichte in der Welt vorgehen ſollte, die mich und dich nichts anginge, da doch alles in der Welt verknuͤpft ſey, ſo dienet zur Antwort, 1. daß es, wie ſchon gedacht, nicht auf die Wahrheit, ſondern darauf ankommt, ob wir glauben, daß uns die Sache et - was angehe. 2. Sodann koͤnnte man zwar da - von ſagen, daß uns die Sache aͤuſerſt wenig, oder unmercklich wenig anginge; aber eben dieſes wenige wird nach der gemeinen Gedenck - und Mundart, nichts genennet.

§. 33. Wenn Geſchichte einen Anſtoß finden.

Die Geſchichte, oder vielmehr die Erzehlung, findet einen Anſtoß, wenn iemand derſelben widerſpricht. Und dieſes kan ſo wohl deswegen geſchehen, weil man ſie nicht glaubt, oder weil man ſie nicht will ausgebreitet wiſſen. Die Geſchich - te wird deswegen durch ſolchen Anſtoß in ihrem Lauffe gehindert, weil 1. der Widerſprecher das - jenige nicht thut, was er als ein Nachſager thun wuͤrde, daß alſo ein Canal abgehet, durch wel -chen192Siebentes Capitel,chen die Geſchichte auch koͤnte ausgebreitet werden (§. 5.). Sodann 2. weil die Geſchichte durch den Widerſpruch, zumahl wenn ſolcher ſich haͤuf - fet, bey manchen zweifelhafft. Der Zweifel aber mindert den Trieb die Geſchichte nachzuſa - gen, weil man ſelbſt noch nicht mit ſich daruͤber eins iſt. Es iſt wohl an dem, daß wenn es uͤber den Widerſpruch zu einem Streit kommt, als wenn uͤber ein Delictum, davon die Sage entſte - hen wollte ein Jnjurienproceß entſtehet, die Ge - ſchichte wohl noch mehr ausgebreitet wird, als wenn derſelben gar nicht waͤre widerſprochen wor - den. Es darf eben kein groſſer Streit ſeyn, der die Ausbreitung einer Geſchichte mehr befoͤrdern, als hindern kan: Weil die Menſchen gar zu ge - neigt ſind von Unruhen und Streitigkeiten zu hoͤ - ren, woruͤber Leibnitz noch dieſe gegruͤndete An - merckung macht: la malignite naturelle du coeur humain rend ordinairement les attaques plus agreables au lecteur, que les defenſes. Prefa - ce de la Theod. Das Widerſprechen bey einer Geſchichte, wenn es ihren Lauf hindern ſolle, muß ſo eingerichtet werden, daß nicht dadurch eine neue Geſchichte entſtehet, die eben ſo merckwuͤrdig, und allgemein intereßirend iſt, als die, deren Lauf man hindern wollte.

§. 34. Arten eine Geſchichte aufzuhalten.

Hieraus wird ſich weiter verſtehen laſſen, wie uͤberhaupt der Lauf und Fortgang einer Ge - ſchichte aufgehalten werde? Denn die erſte Artdavon193v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. davon iſt eben dieſe, daß derſelben widerſprochen wird. Darzu aber kommt die zweyte, wenn die - jenigen, welche die Nachricht weiter bringen und nachſagen ſollten, ſolche aus beſondern Bewe - gungsgruͤnden, oder aus groſſer Fahrlaͤßigkeit ver - ſchweigen. Alſo wird eine lobenswuͤrdige Bege - benheit durch die Feinde meiſt aufgehalten: Waͤ - ren ſie Freunde oder nur unpartheyiſch, ſo wuͤr - den ſie wie andere von der ruͤhmlichen That reden, und ſie mithin etwa auch ihres Orts ausbreiten: Aber als Feinde ſchweigen ſie gefliſſentlich davon, und laſſen ſie ſich nur von andern vorſagen. Die dritte Art des Aufhaltens entſtehet daraus, wenn ehe die Geſchichte ſich noch ausgebreitet, eine groͤſ - ſere oder wichtigere Begebenheit ſich zutraͤgt. Denn dieſe ziehet die Aufmerckſamkeit der Men - ſchen mehr an ſich, ſie beſchaͤfftigen ſich daher mit der groͤſſern mehr, als mit der kleinern: Sie re - den bey vieler Gelegenheit von der groͤſſern Ge - ſchichte, da ſie in deren Ermangelung von der klei - nern und geringern reden wuͤrden. Und hier hat Wahrheit und Luͤgen gleiches Recht. Durch eine wichtige Unwahrheit kan ebenfalls der Lauf einer Erzehlung aufgehalten werden, und ohngeachtet ſich die Unwahrheit zu rechter Zeit zu Tage legt, ſo hat dennoch unterdeſſen, die wahre Begeben - heit ihre Neuigkeit etwas verlohren; welches den Trieb ſie nachzuſagen gar ſehr vermindert. Eine Geſchichte aber, die vollends ſchon ausgebrochen, gar zu unterdruͤcken, daß nicht mehr davon gere - det wird, iſt eine ſehr mißliche Sache, weil die des - wegen gemachte Anſtalten meiſtens Streit undNUnruhe194Siebentes Capitel,Unruhe veranlaſſen, dieſe aber mehr zur Ausbrei - tung, als zur Verheimlichung der Geſchichte dienen (§. 33.).

§. 35. Fortpflantzung der Geſchichte auf die Nachkommen.

Ohngeachtet jede Ausbreitung einer Erzeh - lung, durch eine Metapher eine Fortpflantzung kan genennet werden, ſo ſcheinet doch ſolches Wort beſonders bequem zu ſeyn, die Ausbreitung einer Geſchichte auf die Nachkommen anzuzeigen. Dieſe Art der Ausbreitung aber hat ihre groſſe Schwierigkeit; weil die Menſchen immer mit gegenwaͤrtigen Geſchaͤfften und Geſchichten ſo viel zu thun haben, daß ſie ſich um das Vergangene nicht groß bekuͤmmern. Es muß alſo eine Ver - anlaſſung da ſeyn, die Erzehlung auf die Kinder zu bringen; welche Veranlaſſung ſich auch wuͤrck - lich bey denen befindet, die bey der Geſchichte ge - genwaͤrtig geweſen ſind, oder auf eine andere Art daran Theil genommen haben: Aber die Kinder, Enckel und Urenckel haben nicht gleichen Trieb, und oͤffters auch nicht gleiche Urſach auf die Fort - pflantzung der Geſchichte bedacht zu ſeyn. Der eintzige Weg, (auſſer wo Gelehrte beſonders zu Fortpflantzung der Geſchichte beſtellt ſind, derglei - chen ſchon ehedem die Deutſchen gehabt §. 20.); iſt wohl dieſer, wenn etwas vorhanden iſt, welches die Kinder veranlaſſet ihre Eltern nach der Ur - ſach und Bedeutung zu fragen. Dergleichen Ding pfleget man ein Denckmahl zu nennen. Die -195v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Dieſes kan ein Coͤrper, der wegen ſeiner beſon - dern Beſchaffenheit, die Aufmerckſamkeit an ſich ziehet, und wenn man ſeine Bedeutung nicht weiß, uns gleichſam im Wege iſt. Es kan aber auch eine Ceremonie, oder Feſt ſeyn, welches we - gen des damit verknuͤpften Vergnuͤgens, von de - nen die das Andencken davon haben, gerne wie - der gefeyert wird: Bey welcher Gelegenheit, die zarteſte Jugend von der alten Geſchichte unterrich - tet, und dadurch zugleich zu abermahliger Feyer zu ſeiner Zeit praͤparirt, und ermuntert wird. Selbſt ſchrifftliche Urkunden, und Brieffe koͤn - nen eine Geſchichte nicht lange fortpflantzen, wo nicht Gelehrte ſind, die dafuͤr beſondere Sorge tragen. Sie beſtehen nicht lange, weil ſie bey den vielen Veraͤnderungen der Menſchen, und ih - ren Wanderungen, nebſt Kriegen, Feuerflam - men, und Waſſerfluthen gar leicht verlohren und verzehrt werden. Drey bis vier hundert Jahr, iſt eine gar zu lange Zeit, darinnen ſich die Perſo - nen, und ihre Umſtaͤnde gar zu offte veraͤndern, als daß ſich auch Brieffe erhalten ſollten, wofer - ne nicht Gelehrte, als Behuͤter und Beſchuͤtzer derſelben, ſie vor ſolchen Unfaͤllen mit beſon - derm Fleiſſe und Eyfer bewahren. Auch hier - bey aber hat die goͤttliche Vorſorge ihre beſondere Wege und Obhuth, daß gewiſſe Nachrichten nicht untergegangen ſind.

§. 36. Erneuerung der Geſchichte.

Wenn die Nachkommen nun aufhoͤren ſich einer altwerdenden Geſchichte anzunehmen, ſo ge -N 2hen196Siebentes Capitel,hen immer mehr und mehr Menſchen ab, die da - von Nachricht haben; bis zuletzt auch nicht einer mehr uͤbrig bleibt. Wie Z. E. die Egyptiſche oder Coptiſche Sprache noch bis ins vorige Jahrhundert gedauert hat; da der letzte geſtor - ben iſt, der ſie verſtanden hat. Maillet Deſcri - ption de l Egypte T. I. p. 22. Zur ſicherern Verhinderung ſolches Untergangs iſt dienlich, daß die Geſchichte, wenn ſie fortgepflantzt werden ſol - len, von Zeit zu Zeit erneuert werden: So daß mit dieſer neuen Geſchichte, als durch ein Ve - hiculum, jene alte aufs neue mit ausgebreitet wird. Dergleichen Neuigkeiten, die den verleſchen wol - lenden Geſchichten wieder aufhelffen, ſind die hun - dertjaͤhrigen Feyern, welche nach Art aller, beſonders aber ſeltener Feſte, jedermann aufmerck - ſam machen, und anreitzen, nach der alten Ge - ſchichte, als nach der Urſachen des gegenwaͤrtigen Otii und Freude ſich zu erkundigen.

§. 37. Eine Geſchichte entdecken.

Wenn man zur Erkenntniß einer Geſchichte we - der durchs Dabeyſeyn, noch durch Nachrichten, ſon - dern auf eine andere Art gelanget: So heiſſet das eine Geſchichte entdecken. Den Unterſcheid dieſes Begriffes von andern, die damit eine groſſe Ver - wandſchafft haben, beſſer zu beſtimmen, wollen wir auch dieſe anzeigen. Wenn man von einer Sache, die vor uns ſollte verborgen gehalten werden, den - noch Nachricht bekommt, ſo ſagt man: Jch bin dar - hinter gekommen: Wenn wir eine muͤndlicheNach -197v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Nachricht von einer Geſchichte bekommen, und nicht auf den Canal ſehen, oder ſehen wollen, durch welchen wir ſie bekommen, ſo ſagt man: Jch habs gehoͤrt: Wenn wir eine uns angehende Geſchichte erſt durch Nachſager, oder von dem Zuſchauer, der es uns eben nicht hat berichten wol - len, vernehmen; ſo ſagt man: ich habe erfahren, daß ꝛc. Eine Nachricht, die wir aus oͤffentlichen Buͤchern genommen haben, davon ſagt man: ich habe es geleſen: wenn wir dergleichen von Ju - gend auf gethan haben, ſo ſagt man: ich habe es gelernet; als wie die bibliſchen Geſchichte. Von Nachrichten aus Buͤchern und Stellen, die nur wenige wiſſen, ſagt man: ich habe es gefunden. Dieſes kommt beſonders bey archiviſchen Urkun - den vor. Wenn man auch eine Sache, die man ſchon laͤngſt haͤtte bemercken koͤnnen, erſt ſpaͤte ge - wahr wird; ſo ſagt man: ich bins gewahr wor - den, ich bins inne worden.

§. 38. Wie man Geſchichte aus Folgen erkennet.

Mit dem Entdecken aber hat es die Be - wandniß, daß eine Geſchichte nicht allein dieſe Wuͤrckung und Folge hat, daß ſie bey den Ge - genwaͤrtigen und Zuſchauern einen Eindruck in die Seele macht, welcher zu einer Erzehlung und Nachricht wird, die hernach durch Nachſagen wei - ter ausgebreitet wird; ſondern 1. ziehet ſie auch ſehr oͤffters ſichtbare Folgen in den Coͤrpern nach ſich: 2. ſie ziehet auch andere Begebenheiten nach ſich, die mit der vorhergegangenen BegehenheitN 3eine198Siebentes Capitel,eine natuͤrliche, obgleich nicht nothwendige Ver - bindung haben. Die erſte Art der Folgen iſt zum Theil ſo beſchaffen, daß jedermann gleich auf die vorhergegangene Geſchichte beynahe untruͤg - lich verfaͤllt. Man ſiehet z. E. eine Menge Brandſtaͤten in einer Stadt, das iſt, eingefalle - ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten Braͤndern; jedermann erkennt darbey, daß es muͤſſe gebrannt haben. Man findet einen todten Coͤrper mit vielen Wunden, woraus eine Menge Blut gefloſſen: da glaubt jeder, daß der Menſch ſey ermordet worden. So iſt es auch mit den Geſchichten beſchaffen, worauf andere Begeben - heiten nach der Natur der Seelen, oder nach den Geſetzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je - dermann bey Erblickung der letzteren auf die er - ſteren ſchluͤſſet. Man ſiehet in einer Stadt, durch die man reiſet, die Leute aus der Kirche gehen; kan man daraus nicht zuverlaͤßig ſchluͤſſen, daß ſie zuvor in die Kirche muͤſſen gegangen ſeyn? kan man nicht aus jedem Hauſe, das man ſiehet, ſchluͤſſen, daß es muͤſſe erbauet worden ſeyn? Ohngeachtet nun dieſe Begebenheiten, die man durch ſolche handgreifliche Schluͤſſe herausbringt, ſchon als Entdeckungen anſehen, und ſie ſo nennen koͤnte, weil ſie nehmlich nicht durch den natuͤrlichen Weg Geſchichte zu erkennen, nehmlich durch Zuſchauen und Nachrichten ſind erkannt worden, ſo pflegt man doch dergleichen Geſchich - te, welche aus ſo klaren Folgen erkannt werden, nicht Entdeckungen zu nennen, ſondern man rechnet ſie zur Erkentniß der Geſchichte undSache199v d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. Sache ſelbſt, woraus ſie ſind erkannt worden. Man heiſſet es wiſſen: denn alſo weiß man, daß jemand ermordet worden, wenn man den todten Leichnam geſehen: man weiß, daß es in einer Stadt gebrannt hat, wenn man die Brand - ſtaͤte geſehen hat. Das Wiſſen aber gehoͤrt im eigentlichen und untruͤglichen Verſtande, die Er - kentniß, welche man vor einer Sache durch ſich ſelbſt, und durch das Anſchauen derſelben erlan - get hat.

§. 39. Entdecken iſt einerley mit Ausſpuͤren.

Entdecken braucht man daher meiſtens nur bey ſolchen Faͤllen, wo man aus einer Folge die Geſchichte heraus bringt, da ein anderer nicht ſo leicht darauf wuͤrde verfallen ſeyn. Solche Fol - gen und Anzeichen einer Geſchichte, die gar leichte koͤnnen uͤberſehen werden, und unbemerckt blei - ben, heiſſen Spuren. Und daher kommt es, daß das Entdecken mit dem Ausſpuͤren uͤber - einkommt, wovon unſere Abhandlung de veſti - giis nachzuleſen iſt. Beym Entdecken thut al - ſo der Verſtand des Erfinders das meiſte. Es ſind aber dabey zwey Faͤlle zu unterſcheiden. Bey mancher Entdeckung wird man durch eine gefaſte Muthmaſſung nur veranlaſſet, nachzufra - gen, und die Ausſagen davon zu erlangen. Wenn wir nun wuͤrcklich dieſer Ausſagen theilhaff - tig werden, ſo gruͤnden wir unſere Erkentniß ſol - cher Geſchichte nicht mehr auf unſere erſte Ver - muthung, als die uns nur Gelegenheit gegeben,N 4nach -200Siebentes Capitel,nachzuforſchen, ſondern auf die erlangten Ausſa - gen. Eine auf dieſe Art erlangte hiſtoriſche Erkent - niß iſt hernach derjenigen gleich zu ſchaͤtzen, die wir unmittelbar aus Ausſagen erhalten haben. Alſo bey einer Jnquiſition, die ſich von einem ge - ringen Verdachte anfaͤnget, oder angefangen h[a]t, braucht es zwar meiſtens viele Muͤhe, ehe man den Jnquiſiten zum Geſtaͤndniß bringet: wenn aber das Geſtaͤndniß einmahl herausgebracht iſt, ſo iſt es in Anſehung des facti hernach eben ſo gut, als wenn man gleich anfangs durch eine nicht ſo ſchwer gemachte Ausſage, die Beſchaffenheit der That erkannt haͤtte. Allein es geſchiehet, daß jemand eine Geſchichte durch ſein Nachdencken uͤber einige Anzeichen entdeckt, ſolche auch, ohn - geachtet ſeine Anzeichen gar nicht untruͤglich ſind, vor bekannt und gewiß annimmt, und ausſagt, als ob er dabey geweſen waͤre, oder Nachricht davon durch einen gewiſſen Canal erhalten haͤtte. Dieſer Fall iſt beſonders zu mercken, weil ein ſolcher, der Urheber der Erzehlung wird, und dennoch von dem Urheber in eigentlichem Verſtan - de, gar ſehr unterſchieden iſt, als welcher bey der Sache gegenwaͤrtig geweſen ſeyn ſoll (§. 3.). Ei - ne ſolche Erzehlung, ob ſie gleich wahr iſt, hat dennoch keinen gewiſſen Grund, ſo lange nicht Ausſagen hinzukommen, welche ſich von einem Zuſchauer herſchreiben. Dieſes aber folget ge - meiniglich gar bald darauf, weil, wenn einmahl von einer Geſchichte haͤuffig geredet wird, die Jn - tereſſenten theils nicht mehr ſo ſtarck uͤber ihr Ge - heimniß halten, weil ſie es vor verrathen anſe -hen,201v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. hen, theils aber auch durch gerichtliche Unterſu - chung zum Ausſagen und Geſtaͤndniß gezwungen werden.

§. 40. Erforſchung einer Geſchichte.

Man ſiehet auch hieraus, worinnen das Er - forſchen, oder Erkundigen einer Geſchichte beſtehe. Sie muß nothwendig ſchon etwas be - kannt ſeyn, wenn darnach ſoll geforſchet werden, weil man nach einer Sache, davon man gar nichts weiß, auch nicht fragen kann. Sie muß aber nicht aus Nachrichten, ſondern auf eine ande - re Art ſeyn erkannt worden; denn ſonſt weiß man ſie ſchon, und die Erforſchung ging nur auf beſondere Umſtaͤnde der Geſchichte. Wenn aber von der gantzen Geſchichte das Erforſchen gebraucht wird, ſo bleibt nichts uͤbrig, als daß man eine Geſchichte, die uns durch Anzeichen be - kannt worden, nunmehro auch durch Ausſagen, als durch den rechten natuͤrlichen Weg vergange - ne Geſchichte zu erkennen, einzuſehen; und des - wegen Perſonen aufzuſuchen, welche uns Nach - richt davon geben koͤnnen. Nachforſchen wird auch in dem Falle gebraucht, wenn wir eine Nach - richt, die wir erhalten haben, nicht glauben; und ſie daher vor eine Unwahrheit annehmen. Die - ſes giebt uns Gelegenheit, durch Ausſagen derer, die davon wiſſen koͤnnen, zu erfahren, daß die Sache nicht geſchehen ſey, und ſich nicht ſo befin - de. Das nicht geſchehen ſeyn muß in dieſem Falle vor die Begebenheit angenommen werden,N 5wel -202Achtes Capitel,welche die gegenwaͤrtigen Perſonen, ſo gut als ei - ne Veraͤnderung, die wuͤrcklich vorgegangen, durch ſich ſelbſt wiſſen koͤnnen; der Uebelberichtete aber, der die Nachricht nicht glaubt, anfangs durch ſeine Vermuthung erkennet (als welches das eintzige iſt, was er der falſchen Nachricht ſtracks entgegen ſetzen kan,); hernach aber, weil er in ſeiner Vermuthung irre gemacht wird, durch Ausſagen zu beſtaͤtigen ſucht. Welches denn mit unſerer Erklaͤrung vom Erforſchen der Geſchich - te uͤbereinkommt. Wenn man durch ſein Erfor - ſchen endlich die Ausſagen der Zuſchauer heraus gebracht hat, ſo ſagt man: man habe die Sache ans Licht gebracht. Sie kan aber auch oh - ne unſere Bemuͤhung, durch beſondere Umſtaͤnde, ans Licht kommen.

Achtes Capitel, von dem Zuſammenhange der Begeben - heiten und der Geſchichte.

§. 1. Vom Zuſammenhange bloß coͤrperlicher Begebenheiten.

Niemand zweifelt, daß die meiſten Veraͤn - derungen und Begebenheiten in der coͤr - perlichen Welt in dem vorhergehendenZuſtan -203v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. Zuſtande, und in den vorhergegangenen Bege - benheiten ihren Grund haben; ſo daß dieſe nach dem von GOtt geordneten Lauffe der Natur, die Urſach der nachfolgenden ſind. Unterdeſſen iſt es bisher gar nicht ausgemacht geweſen, wie der Begriff, und die Erkentniß der Urſachen, mit andern Stuͤcken der Vernunfftlehre zuſammen - hange: allwo man von lauter Begriffen, Saͤ - tzen und Schluͤſſen handelt. Jn meiner Lo - gica Practica Problem. XXX. p. 35. habe aber gewieſen, daß die Erkentniß der Urſach eines Dinges in nichts anders als darinnen beſtehe, daß man aus einem iudicio intuitiuo, d. i. ſolchen, welches man durch die Empfindung oder Erfah - rung erlanget, ein iudicium diſcurſiuum und Schlußſatz machen will. Jn ſo ferne nun die Phyſick, welches eigentlich ihr Amt iſt, allgemei - ne Wahrheiten, die man vors erſte aus der Er - fahrung erkannt hat, in ſich enthaͤlt; ſo hat die Erklaͤrung der Urſachen, wenn von ſolchen allgemeinen Saͤtzen die Rede iſt, von den De - monſtrationen, die bey allen uͤbrigen allgemei - nen Wahrheiten gebraucht werden, nichts vor - aus. Nur mit der Erfindung ſolcher Schluͤſ - ſe gehet es anders zu. Denn da man bey Er - findung anderer allgemeinen Wahrheiten, die nehmlich nur a priori koͤnnen erkannt werden, die Foͤrderſaͤtze (wenigſtens bey dem erſten Erfinder) eher bekannt ſind, als der Schlußſatz; ſo iſt hin - gegen in einem Schluſſe, da man die Urſach ei - nes Dinges, oder einer Erfahrung entdeckt, der Schlußſatz eher bekannt als die Forderſaͤtze. Unddie204Achtes Capitel,die Erfindung der phyſicaliſchen Urſachen noͤthiget uns nach einem noch unaufloͤßlichen Logikaliſchen Problemate zu handeln, welches ſo heiſſet: aus einem gegebenen Schlußſatze die beyden Foͤrderſaͤtze zu finden, welches niemahls in ei - ne Regel wird gebracht werden, wegen der ſchon anderwerts bemerckten Schwierigkeiten. Ver - nuͤnfftige Gedancken vom Wahrſcheinli - chen. IV. Betracht. §. 6. p. 74. Doch jene gantze Betrachtung der Urſachen bey coͤrperli - chen Begebenheiten, womit ſich Phyſici beſchaͤff - tigen, gehet uns hier nicht an. Denn allgemei - ne Wahrheiten, wohin auch die Erfahrungen ge - hoͤren, werden aus allgemeinen Begriffen herge - leitet. Phyſici ſehen nicht auf die Urſache der eintzeln Begebenheiten, auſſer wenn ſolche in der Er - fahrung noch keine Regel haben. Die Regel, oder was allgemeines, iſt das erſte, was ſie ſuchen. Wenn dieſe da iſt, ſo fragt man nicht weiter, war - um eben an dem Tage, Stunde, Orte, dieſe oder jene Veraͤnderung vorgegangen ſey? Hingegen in der Erkentniß der Geſchichte, wenn man ſich anders in Urſachen einlaſſen will, iſt die Fra - ge nicht von der Regel und allgemeinen Begriffe der Begebenheit, ſondern warum an dieſem Or - te, zu der Zeit, ſich etwas zugetragen: daß es z. E. gehagelt, geſchneyet, Kranckheiten gegeben. Hier wird man bald ſehen, daß allemahl, um die Urſach zu finden, auf den vorhergehenden Zu - ſtand der Dinge, und auf die aͤlteren Begeben - heiten muͤſſe zuruͤckgeſehen werden. Wie aber aus einer coͤrperlichen Begebenheit eine andere inein -205v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. eintzeln Faͤllen entſtehe, das iſt eigentlich eine coſmologiſche Betrachtung, wo von der Veraͤnde - rungen der Coͤrper uͤberhaupt gehandelt wird, in die wir uns jetzo nicht einlaſſen wollen.

§. 2. Einſchraͤnckung und wichtiges Vorhaben dieſes Capitels.

Uns iſt jetzo bey gemeinen phyſicaliſchen Be - gebenheiten genug, daß ſie als natuͤrlich ange - ſehen werden, die, wie wir auch im gemeinen Le - ben thun, ohne weitere Erklaͤrung angenom - men werden. Z. E. bey der Geburt und vorgaͤn - giger Empfaͤngniß eines Knaͤbleins, wird niemand in der Erzehlung der Familiengeſchichte fragen, oder forſchen, warum ein Knaͤblein und nicht ei - ne Tochter ſey empfangen und gebohren worden. Auſſerordentliche Begebenheiten aber, die ſich nicht auf Regeln wollen reduciren laſſen, muͤſſen aus der Metaphyſick erklaͤret werden; und ſind alſo auch hier nicht in Betrachtung zu ziehen. Es iſt auch ſchon laͤngſt gewoͤhnlich, daß wenn man von Geſchichten handelt, man dadurch ledi - glich die Begebenheiten der Menſchen verſtehet, wie ihr Verſtand, Willen, aͤuſſerlicher Zuſtand iſt geaͤndert worden. Der Geſchichtskenner nimmt ſich der phyſicaliſchen Dinge nicht weiter an, als in ſo ferne ſie Veraͤnderungen in der See - len, oder im gantzen Zuſtande des Menſchens verurſachen. Dazu aber iſt bloß noͤthig, daß man wiſſe, dieſes oder jenes habe ſich da und dort zugetragen: als z. E. ein Erdbeben, ein Wol -cken -206Achtes Capitel,ckenbruch; es iſt aber nicht noͤthig, daß ich den Urſprung und Urſach derſelben phyſicaliſchen Be - gebenheit weiß. Zuſammenhang, Verbin - dung und Urſachen der Geſchichte, wovon wir hier handeln wollen, gehen auf ſolche Begeben - heiten der Menſchen, die von ihren Willen und Entſchluͤſſungen, und ihren vorlaͤuffigen Vorſtel - lungen abhangen. Das aber iſt nun ein ſchwe - rer und ſehr verwickelter Theil der hiſtoriſchen Er - kentniß; denn man ſiehet, daß Menſchen uͤber Sachen, wobey ſie gegenwaͤrtig geweſen, die ih - nen von innen und auſſen bekannt ſeyn muͤſſen, dennoch ſo ſchwer unter einen Huth zu bringen ſeyn, worin ſie anzeigen ſollen: woran es gefehlt? wer und was Schuld daran ſey? Geſchweige, wenn wir von Urſachen der Begebenheiten reden wollen, wobey wir nicht zugegen geweſen, und wovon wir mithin wenig Erkentniß haben. Hier - bey gedencket noch zur Zeit jeder nach ſeiner Art, ohne der geringſten Regel und Anleitung. Mit - hin iſt auch bey Uneinigkeiten uͤber ſolche Dinge kein Mittel noch Anleitung vorhanden, wie man ſich etwa einander bedeuten, oder die verſchiede - nen Meynungen gar entſcheiden koͤnne. Wir wollen aber einen Verſuch machen, deutlich zu er - klaͤren, wie und was der Menſchen Dencken, wenn ſie uͤber die Urſachen der menſchlichen Be - gebenheiten und der Zeitlaͤuffte Rath pflegen; um zu zeigen, warum hierinne die Menſchen ſo gar wenig mit einander uͤbereinkommen.

§. 3.207v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.

§. 3. Nuͤtzliche Eintheilung der Handlungen, wenn man von den Urſachen derſelben han - deln will.

Die Menſchen handeln zu verſchiedener Zeit, und bey verſchiedener Gelegenheit, auch auf man - cherley Art. So giebt es 1. Handlungen, die an ſich und in ſich mit einem Vergnuͤgen ver - knuͤpfft ſind, welches entweder erlaubt oder uner - laubt ſeyn kan. Der gebohrne Poet macht Ver - ſe, und iſt zufrieden, daß er ſie gemacht und ge - macht hat. Der Liebhaber vom Trunck truͤncket ſo offte, weil er Vergnuͤgen darinnen findet. Es giebt ſo gar Leute, die zum Vergnuͤgen Zanck an - fangen. 2. Die meiſten Handlungen aber wer - den nicht um ſich ſelbſt willen unternommen, ſon - dern wegen der daraus entſtehenden Folgen, die entweder wuͤrcklich nuͤtzlich ſind, oder doch wenig - ſtens vor nuͤtzlich gehalten werden. Man nimmt bittere Artzneyen ein, um geſund zu werden: man arbeitet im Schweiß ſeines Angeſichts, um ſein Brod zu erwerben: man begiebt ſich in Gefahr, um einen Freund daraus zu retten. Dieſe Art der Handlungen iſt in der hiſtoriſchen Erkentniß die wichtigſte. Hier iſt der Bewegungsgrund auſſer der Handlung, oder von der Hand - lung ſelbſt unterſchieden; und heiſſet die Ab - ſicht. Es iſt uns zwar nicht unbekannt, daß man oͤffters den Begriff der Abſicht ſo ausdehnet, daß alle Handlungen Abſichten haben ſollen. Allein uns gefaͤllet dieſe Zerruͤttung der Abſich - ten nicht: denn eine Abſicht muß auſſer der Sa -che208Achtes Capitel,che und von ihr unterſchieden ſeyn, die die Abſicht hat. 3. Ohngeachtet alle dieſe Handlungen des Nutzens halber unternommen werden, ſo kommt doch wieder vieles darauf an, ob wir hierinnen unſerm eigenen Urtheile folgen? oder ob wir nur eines andern Willen und Urtheil befolgen: das letzte geſchiehet, wenn wir den Befehlen, Ge - ſetzen, denen Amtspflichten, dem Herkom - men gemaͤß, unſere Handlungen einrichten; und dieſe machen den groͤſten Theil der menſchlichen Handlungen aus: da wir nehmlich keine lange Deliberation noͤthig haben, ſondern nur unſern Stand und Amt anſehen duͤrffen, um zu der ſi - cherſten Entſchluͤſſung von der Welt zu gelangen.

§. 4. Zwey Arten der Handlungen, wo die Ur - ſachen leicht einzuſehen ſind.

Bey der erſten Art Handlungen hat es keine Schwierigkeit, die Urſache einer Begeben - heit einzuſehen. Jeder weiß, daß die Menſchen dasjenige ſuchen und begehren, was ihnen Ver - gnuͤgen macht. Daher wenn ich im beſondern Falle weiß, daß jemand ſich eine Luſt hat belieben laſſen: ſo bleibt nichts bedenckliches uͤbrig, es muͤſte denn mit ſeinen Pflichten und ſonſtiger Ge - denckart ſtreiten: in welchem Falle die Hefftig - keit des Affeckts dennoch zu einer begreifflichen Urſach der verabſaͤumten Pflichten und uͤbertrete - nen Gebotes wird. Wir wiſſen einmahl, was die ſinnlichen Begierden bey dem Menſchen ver - moͤgen. So iſt auch in Anſehung der Urſachenbey209v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. bey der andern Art der Handlungen keine Schwierigkeit; nehmlich in Anſehung derjenigen, wo man dem Willen des andern mehr, als ſei - nem eigenen folget. Denn die verbindende Krafft der Befehle, Geſetze, Amtspflich - ten, und Gewohnheiten iſt ſo bekannt, daß, wenn ich weiß, daß iemand nach denſelben gehandelt hat, ich ſolches recht wohl begreiffe, warum er es gethan? und hingegen vielmehr betroffen ſeyn wuͤrde, wenn er es nicht gethan haͤtte. Da alſo bey Handlungen noch eine kundbare Verbindlich - keit vorhanden iſt, daſelbſt iſt die Erkenntniß der Urſachen keinen weiteren Schwierigkeiten unter - worffen. Dieſen aber werden nun ſolche Hand - lungen entgegen geſetzet, die bloß wegen des dar - aus zu hoffenden Nutzens, entweder vor ſich, oder vor andere vorgenommen werden, ohne daß ſie aus einer allgemeinen Verbindlichkeit koͤnten hergelei - tet werden. Solche Handlungen, ſo lange man ſie nur im Sinn hat, heiſſen Anſchlaͤge, woraus die Thaten entſtehen (§. 9. C. 4.) ſo bald ſie ausgefuͤhret werden. Sie koͤnnen aber, wie die Handlungen von verſchiedenem Werthe ſeyn, in - dem es auch ſchlechte Thaten giebt, wovon wir ei - nige Stuffen beſtimmt haben, in der Philoſ. De - fin. nova. P. II. c. 8.

§. 5. Dritte Art der Begebenheiten, wie die Urſachen leicht einzuſehen ſind.

Unter dieſen Anſchlaͤgen der Menſchen ſind nun wieder viele, da der Menſch ſich ſo etwas zuOerhal -210Achtes Capitel,erhalten fuͤrſetzt, welches zwar beſondere und nicht taͤglich in der Welt vorkommende Umſtaͤnde voraus ſetzt, aber doch, wenn dieſe einmahl vorhanden ſind, ſchon nach der gemeinen Ge - denckart der Menſchen und dem gemeinen Maſſe menſchlicher Faͤhigkeit, kan abgeſehen werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall bey nahe finden muͤſſen. Auch hier hat die Er - kentniß der Urſach, wenn uns nur die Umſtaͤnde ſelbſt bekannt ſind, noch keine groſſe Schwierig - keit. Man wundert ſich nicht, daß die Livia ih - ren Sohn vor den Anverwandten des Auguſtus zum Erben des Reichs zu machen geſucht hat. Jeder andern Gemahlin wuͤrde es, zumahl unter den Umſtaͤnden, darinnen ſich des Auguſtus maͤnn - licher Stamm befunden, eingefallen ſeyn: Und die Groͤſſe der muͤtterlichen Liebe, nebſt dem da - bey habenden eigenen Jntereſſe, macht leicht be - greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat uͤbers Hertz bringen koͤnnen. Auf geringere Sachen zu kommen, ſo iſt der Anſchlag, in Vorrath einzu - kauffen, wenn die Waaren wohlfeil ſeyn, und ſie bis zu Erhoͤhung des Preiſſes aufzuheben, gantz be - greifflich, obgleich beſondere Umſtaͤnde darzu ge - hoͤren, daß man einen Vortheil ziemlich zuver - laͤßig dabey abſehen kan. Es kommt iemand an einen Ort, gar nicht in der Abſicht, eine Heyrath zu thun, oder einen Dienſt zu bekommen: Er fin - det aber darzu einigen Anſchein, entweder zu ei - nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht den Anſchlag, davon zu profitiren. So beſon -ders211v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. ders als auch die Umſtaͤnde ſind, ſo wundert ſich doch niemand, wenn er nur die Umſtaͤnde weiß, wie der Anſchlag ſey gefaßt worden, weil eine Befoͤr - derung zu erlangen, und eine anſtaͤndige Heyrath zuthun, ein ſo gemeiner Trieb der Menſchen iſt, daß man ihn bey nahe fuͤr allgemein annehmen kan. Jeder ſagt bey ſolchen Anſchlaͤgen, wenn ſie zumahl von ſtatten gehen: Jch wuͤrde es auch ſo gemacht haben. Jn ſolchen Faͤllen iſt daher die Urſach bekannt, wenn man nur die beſondern Umſtaͤnde der Sache weiß: Die Er - fuͤllung der Urſach kan jeder aus der gemeinen Gedenckart der Menſchen vor ſich ſelbſt machen.

§. 6. Sonderbare und neue Anſchlaͤge.

Denn aber kommen Faͤlle vor, wo iemand unter den beſondern Umſtaͤnden, die ſich aͤuſern, und worinnen er ſich dermahlen befindet, nach ſeiner auch beſondern Gedenckart, etwas vor gut und ihm nuͤtzlich befindet, welches ein anderer, ja die meiſten und folglich jeder nach der gemeinen Gedenckart ſich entweder gar nicht wuͤrde einfal - len laſſen, oder ſolches wenigſtens nach Ueberle - gung der Schwierigkeiten, wieder verwerffen wuͤr - de. Alexander funde die Friedensvorſchlaͤge des Darius nicht vor gut anzunehmen, die dem Par - menio uͤberaus wohlgefielen, und vermuthlich auch mehreren wohlgefallen haben: Weil ſie ſich auf die gemeine Gedenckart, die die Billigkeit ſelbſt unter - ſtuͤtzt, gruͤndete, daß ein uͤber aus vortheilhaffter Frie - de einem Kriege allemahl, wegen des ſogar ungewiſ -O 2ſen212Achtes Capitel,ſen Erfolgs vorzuziehen ſey. Wie denn Alexan - der ſelbſt eingeſtehen muſte, daß er eben ſo wie Parmenio urtheilen wuͤrde, wenn er Parmenio waͤre, das iſt, wenn er die Sache mit ſolchen Au - gen, wie dieſer, und nach der gemeinen Denckart, anſaͤhe. Alles was nachher Curtius Buch 4, 11. als Urſachen einer andern Entſchluͤſſung anfuͤhret, iſt kein hinreichender Grund, dieſelbe zu faſſen, ge - weſen, wo man nicht das Genie des Alexanders, der einmahl einen Conqueranten abgeben wollte, zu Huͤl - fe nimmt. Solche Menſchen werden, zu groſſen Gluͤck vor die Menſchen, nur ſelten gebohren. Hieher gehoͤren aber alle Anſchlaͤge, die man neue nennet; nicht bloß in Anſehung einer und der an - dern Perſon, ſondern faſt aller zu derſelben Zeit lebenden Menſchen, denen dergleichen Anſchlag noch nicht vorkommen iſt. So war es ein neuer Anſchlag, da die Portugieſen im funfzehenden Jahrhundert darauf fielen, die Handlung nach Africa anzurichten. Denn es haben ſowohl be - ſondere Umſtaͤnde darzu gehoͤret, daß man weni - ger als ſonſten Hinderniſſe vor ſich geſehen, und die Regenten muͤſſen einen beſondern Trieb ge - habt haben, daß ſie ſich an die mit ſolchem An - ſchlage unvermeidlich verknuͤpften Schwierigkei - ten nicht gekehret haben. Des Columbus An - ſchlag eine neue Welt zu entdecken, war noch wunderbarer. Wiewohl dieſer Ruhm mit meh - reren Rechte, dem groſſen Seefahrer Martin Behaim von Schwartzenbach, einem Nuͤrn - bergiſchen Patritio zuzuſchreiben iſt, als deſſen Seecharten Columbus gebraucht hat, Schwar -zius213v d. Zuſammenhange d. Begebenh ꝛc. zius de columnis Herculis §. 13. Daß die Creutz - zuͤge nicht allein moͤglich geweſen, ſondern auch wuͤrcklich ausgefuͤhret worden, darzu haben beſon - dere Umſtaͤnde der Zeiten, und darnebſt noch die beſondere Gedenckart der damahligen Menſchen, und der Aberglauben, das ihre gemeinſchafftlich beygetragen.

§. 7. Auch boͤſe Anſchlaͤge find groͤſtentheils begreifflich.

Wie ſich die vernuͤnfftigen Anſchlaͤge zum Theil aus der gemeinen und natuͤrlichen Gedenck - art begreiffen laſſen, wenn man nur die Umſtaͤn - de weiß, unter welchen der Anſchlag gemacht wor - den (§. 5.); ſo laſſen ſich auch die boͤſen, wider - rechtlichen, ja unſinnigen Anſchlaͤge zum Theil be - greiffen, aus den Laſtern und verwirrten Seelen Zuſtande derjenigen, die ſolche Anſchlaͤge faſſen. Man wundert ſich uͤber keine Handlung, ſo unge - ſchickt ſie auch immer ſeyn mag, ſobald man weiß, daß ſie von einem Trunckenen begangen worden. Von einem abgeſagten Feinde darf man ſich keinen Schaden, den er uns oͤffentlich oder heim - lich zufuͤget, ſo groß als er auch iſt, befremden laſ - ſen: Die Urſache davon iſt aus der Natur eines ungemaͤßigten Haſſes gantz begreifflich. Wenn uns der Geitzige mit Wucher beſchwert, im Preiße uͤberſetzt, boͤſe bezahlet, unhoͤfflich mahnet, ja eine Schuld, daruͤber wir nicht quittiret worden, zwey - mahl fordert, ſo ſind das alles Begebenheiten, de - ren Urſach wir nicht weit ſuchen duͤrffen.

O 3§. 8.214Achtes Capitel,

§. 8. Ungeheure Anſchlaͤge.

Allein es koͤnnen laſterhaffte Menſchen ie zu - weilen ſolche Anſchlaͤge faſſen, die dennoch ihrer kundbaren Laſter ungeachtet, und nach den gemei - nen Begriffen von Laſtern, nimmermehr vermu - thet haͤtte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa - che in die Augen leuchtete; ſolche Anſchlaͤge die tauſend andere, auch Laſterhafte, wenn ſie ſich gleich in eben ſolchen aͤuſerlichen Umſtaͤnden befunden haͤtten, dennoch nicht wuͤrden gefaſſet haben. Herodes laͤſſet aus Beſorgniß eines neugebohr - nen kuͤnfftigen Koͤniges, der nicht aus ſeinem Hauſe waͤre, alle zweyjaͤhrigen Knaben, und drun - ter toͤdten. Vielen andern Tyrannen wuͤrde doch eine ſolche Grauſamkeit nicht einmahl eingefallen ſeyn, geſchweige daß ſie ſolche wuͤrcklich haͤtten ausuͤben ſollen. Heroſtratus zuͤndet den Dia - nentempel zu Epheſus an, um einen unſterblichen Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele ſolche ausſchweiffende Anſchlaͤge und Ruhmbegierde ge - faſſet haben? Nero laͤſſet Rom in Brand ſte - cken, um ſich Troja im Feuer lebhafft vorſtellen zu koͤnnen: Oder auch die Stadt nach ſeiner Phan - taſey bauen zu koͤnnen. Mahomet erſinnet eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs - heers zu werden. Dergleichen Anſchlaͤge wuͤrden uns noch unbeſonnener und widerſinniger vor - kommen, wenn uns nicht die wuͤrckliche erfolgte Ausfuͤhrung, die Unternehmung weit leichter vor - ſtellte, als ſie vernuͤnfftige Menſchen zu der Zeitanſe -215v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. anſehen konten, ehe und bevor die Ausfuͤhrung er - folgt iſt.

§. 9. Anſchlaͤge die man von einer Perſon nicht haͤtte vermuthen ſollen.

Die Menſchen handeln weder allemahl nach deutlichen Vorſtellungen, noch auch nach ihren ihnen anklebenden dauerhafften guten und boͤſen Trieben; Sondern ſie ſind zu gewiſſen Stunden gantz an - dere Menſchen, als ſie kurtz vorher geweſen. Der gute, oder in ſoferne er gut iſt, verfaͤllt manch - mahl in eine Verſuchung und Verfuͤhrung, die er zu einer andern Zeit, als einen widerſinnigen Ein - fall wuͤrde angeſehen und verlacht haben: Jetzo aber liegt er unter. David wird wider ſein und aller andern Menſchen Vermuthen ein Ehebre - cher, und bald darauf ein Meuchelmoͤrder. Nach - her faͤllt ihm ein, das Volck zehlen zu laſſen, ohne Zweifel weil er Luſt bekommen hatte, ein Conque - rant zu werden, und vergaß, daß er, und das Volck Jſrael nicht durch ſeinen Arm und Krafft groß und maͤchtig geworden war. So hat auch der Boͤſe zuweilen beſſere Stunden, daß er der Mann gar nicht iſt, der er ſonſten zu ſeyn pflegt. Solche Anſchlaͤge nun, die Menſchen zu gewiſſen Zeiten faſſen, ob ſie ſich gleich mit denen ih - nen beywohnenden Tugenden oder Laſtern nicht zu - ſammen raͤumen, ſetzen uns allerdings in Ver - wunderung, dergeſtalt daß auch die, welche die Umſtaͤnde am genaueſten wiſſen, nicht begreiffen koͤnnen, wie die Entſchluͤſſung habe koͤnnen gefaſ -O 4ſet216Achtes Capitel,ſet werden. Solche ſchleinige Verſchlimmerun - gen, und im Gegentheil die ſchleinigen und kurtz - daurenden Ausbruͤche der Vernunfft und des Ge - wiſſens, gehoͤren noch unter die Geheimniſſe des menſchlichen Hertzens. Wir erkennen ſie, wenn ſie da ſind, wiſſen aber nicht, warum ſie da ſind.

§. 10. Wie man ſich Anſchlaͤge gefallen laͤſſet.

Es entſtehen auch Anſchlaͤge und Entſchluͤſ - ſungen durch Rathgeber, oder allgemeiner zu reden, durch ſolche Perſonen, die uns etwas an - muthen und anſinnen: Es ſey mit guten oder boͤſen Worten. Der, dem was angeſonnen, und zugemuthet wird, wuͤrde ſolches oͤffters aus eige - nem Triebe nimmermehr gethan haben, und der der es anſinnt, wuͤrde es ſelbſt nicht thun, wenn ihm es angeſonnen wuͤrde, aber indem dieſer letz - tere durch den andern eine Sache auszufuͤhren ge - denckt, ſo bekommt ſie ein ander Anſehen, die Ge - fahr und der Schaden kommt auf den, der es be - williget. Ueberhaupt macht eine Vorſtellung, wenn ſie uns von jemanden beygebracht wird, zu - mahl muͤndlich, gantz einen andern Eindruck, als wenn wir von uns ſelbſt auf eine Sache verfallen. Der Credit und Anſehen, worinnen eine Perſon, die uns etwas anſinnet, bey uns ſtehet, ſeine Wor - te, ſeine Ausſprache, ſeine Minen, das Tempo, welches er in acht genommen hat, ſein ungeſtuͤ - mes Heiſchen, koͤnnen uns bewegen eine Sache zu billigen, oder zu bewilligen, die weder nach unſe - rer eigenen Einſicht, noch nach den Gruͤnden, dieuns217v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. uns vorgehalten werden, ſollten gebilliget, oder be - williget werden. Man laͤſſet ſich aber doch bere - den, man laͤſſet ſich uͤbereilen; zumahl wer von keinem harten Gemuͤthe iſt. Daraus entſtehen denn abermahl Entſchluͤſſungen, die mit der Ge - muͤthsbeſchaffenheit und Charackter einer Perſon gar nicht uͤberein kommen; ſie ſind daher unbe - greifflich, und bey nahe unnatuͤrlich, wenn man den Umſtand nicht weiß, daß ſie nicht aus eigenem Antriebe, ſondern durch uͤberreden, ſind gefaſ - ſet worden. Jn dieſen Umſtaͤnden befinden ſich hauptſaͤchlich groſſe Herrn, welche offt durch Vor - bildungen ihrer hohen und niedrigen Bedienten, die Zutritt zu ihrer Perſon haben, ja durch ihr bloſſes Bitten, zu Entſchluͤſſungen bewogen wer - den, die nach ihren Neigungen unbegreifflich ſind. Ahasverus z. E. will alle Juden in ſeinen Lan - den umbringen laſſen, die doch keiner Miſſethat ſchuldig waren. Wer nun die Rachbegierde des Hamans, die auch von einem auſſerordentlichen Grade war, nicht gekannt hat, und wie er dem Ahasverus eine ſolche Grauſamkeit, zu einer be - quemen Zeit plauſibel zu machen gewuſt habe, wel - ches allerdings niemand, als er ſelbſt, hat wiſſen koͤnnen, der wird uͤber den grauſamen Befehl gantz erſtaunt geweſen ſeyn, ohne irgend eine Ur - ſach einer ſo barbariſchen Begebenheit ergruͤnden zu koͤnnen. Durch zweyer Perſonen ihre Ein - ſtimmung, dazu doch nur eine den Nahmen her - giebt, werden oͤffters Sachen moͤglich, die nie - mand, wenn ſie nicht von ſelbſten kund wird, er - rathen kan, wie ſie zugegangen iſt.

O 5§. 11.218Achtes Capitel,

§. 11. Die Urſachen eines Anſchlags haben ihre beſondere Einrichtung.

Wenn wir nun die Urſachen eines Anſchlags unterſuchen, der von der vornehmſten Gattung iſt, nehmlich ein ſonderbarer und neuer Anſchlag (§. 6.); ſo wollen wir zweyerley ausfuͤndig ma - chen, oder muͤſſen es ausfuͤndig machen: 1. Die beſonderen Umſtande, die die Gedancken und wuͤrckliche Entſchluͤſſung hervorgebracht haben: 2. Die beſondere Gedenckart, nach welcher man die beſondern Umſtaͤnde angeſehen hat, daß die Entſchluͤſſung daraus entſtanden iſt. Die Um - ſtaͤnde von welchen wir reden, ſind in dem ge - meinen Begriffe und Benennung der Gelegen - heit enthalten. So bekannt aber dieſes Wort im gemeinen Leben iſt, und ſo oͤffters es auch bey der Erkentniß der Geſchichte gebraucht wird, ſo ſchwer iſt es zu erklaͤren: Jndem es hauptſaͤchlich darauf ankommt, daß wir die Gelegenheit, von andern Arten der Urſachen genau unterſcheiden. Unterdeſſen weil es ein Hauptbegriff in der hiſto - riſchen Erkentniß iſt, ſo muͤſſen wir uns dieſer Arbeit unterziehen. Die Sache verhaͤlt ſich alſo: Wo wir die Urſach eines Dinges erkennen, da machen wir einen Schluß: Die Begebenheit, die wir aus ihren Urſachen herleiten, wird ein Schluß - ſatz (§. 1.) dieſes geſchiehet mit Zuziehung eines allgemeinen Satzes. Z. E. Cajus macht ein Te - ſtament: Jch frage warum? und hoͤre: Er will ſterben. Daraus entſtehet der Schluß: Werſterben219v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. ſterben will, und Urſach hat wegen ſeines Ver - moͤgens eine Verordnung zu machen, der macht ein Teſtament: Cajus will ſterben, und hat Urſach, oder duͤnckt ſich Urſach zu haben, wegen ſeines Ver - moͤgens eine Verordnung zu machen, der macht ein Teſtament. Wir werden unten ſehen, was es mit dieſen Schluͤſſen, auch wenn wir an der Ur - ſache einer Begebenheit gar nicht zweifeln, vor Bedencklichkeit habe. Wir wollen ietzo anneh - men: Die Urſach einer Begebenheit erken - nen, ſey nichts anders, als dieſelbe aus andern bekannten Begebenheiten in beſter Forme ſchluͤſ - ſen: So werden wir doch in Anſehung der An - ſchlaͤge von der vornehmſten Gattung, ausnehmen - de Schwierigkeiten finden, die Urſachen derſel - ben zu entdecken. Denn es werden dabey 1. be - ſondere Umſtaͤnde voraus geſetzt (§. 6.): Die alſo von den gemeinen und uns ſchon laͤngſt be - kannten Arten der Handlungen, und der Zu - ſtaͤnde der Dinge, abgehen; und ſie ſind alſo auch nicht ſo leichte in einen foͤrmlichen Satz zu brin - gen, als wie die gemeinen Begebenheiten und Um - ſtaͤnde der Dinge. Es wird aber auch 2. eine be - ſondere Gedenckart erfordert (§. cit. ): Da - von alſo auch keine allgemeine Regeln vorhan - den ſind. Mithin wenn uns auch alles, was zur Exiſtentz eines neuen Anſchlages etwas beygetra - gen hat, an und vor ſich bekannt waͤre; ſo iſt den - noch daraus einen Schluß der foͤrmlich waͤre, zu machen, nicht wohl moͤglich: Und mithin kan man auch den Begriff der Urſach, ja ſelbſt das Wort, Urſach, bey ſolchen Anſchlaͤgen nicht wohlbrau -220Achtes Capitel,brauchen, ſo wie es etwa bey gemeinen Begeben - heiten, davon man informirt iſt, ohne alles Be - dencken gebraucht wird.

§. 12. Unterſchied der Urſach und Gelegenheit.

Unterdeſſen zweifeln wir nicht, daß, wie ge - meine Begebenheiten nnd Entſchluͤſſungen mit ih - ren vorhergegangenen zuſammenhangen; daß nehmlich der Zuſtand der Dinge, den Menſchen, durch die Erkentniß und Einſicht, die er davon gehabt, zur Entſchluͤſſung bewogen; alſo auch die ſonderbaren und neuen Anſchlaͤge auf eben dieſe Weiſe entſtehen; nehmlich, daß die vorhergehen - de oder vorhandene Umſtaͤnde, den Menſchen, nach ſeiner Art zu dencken, und nach ſeinen be - ſondern Maximen zur Entſchluͤſſung bewogen ha - ben. Nur in Anſehung unſerer Erkenntniß iſt ein groſſer Unterſcheid. Wir wollen nehmlich auch bey ſonderbaren und neuen Entſchluͤſſungen, zumahl wo uns die Umſtaͤnde ziemlich bekannt ſind, die Urſach einſehen, und mithin einen Schluß machen, den wir aber nicht zu Stande bringen koͤnnen. Da man nun ſelbſt in gemeinen Leben, da man auf die Vernunfftlehre nicht acht zu ge - ben pflegt, dennoch bemerckt hat, daß etwas an - ders in der Seele vorgehe, wenn man den Grund beſonderer und neuer Anſchlaͤge erforſchen will, als wenn man von gemeinen Begebenheiten urthei - let; ſo hat man auch beſondere Worte ausfuͤn - dig gemacht, dieſe beyden Handlungen des menſch - lichen Verſtandes von einander zu unterſcheiden:Gemei -221v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. Gemeinen Begebenheiten leget man nehmlich eine Urſach, denen beſondern und neuen Entſchluͤſſun - gen aber eine Gelegenheit bey. Dieſe letztere iſt alſo nichts anders als die beſondern Umſtaͤnde in den Sachen, welche durch eine beſondere Ge - denckart einen Anſchlag und Entſchluͤſſung in der Seele hervor bringt. Geſetzt nun wir wiſſen die Gelegenheit zu einem Anſchlage in einem eintzeln Falle, ſo wird man leicht ermeſſen koͤn - nen, daß man ſich, um auch andere davon zu be - lehren, bemuͤhen werde, ſowohl die beſondern Um - ſtaͤnde ins kurtze zu ziehen, und beſtmoͤglichſt in einen Satz zu bringen; als auch die beſondere Gedenckart auf eben ſolche Art zu foͤrmeln, da - mit man nehmlich eine Art eines Schluſſes her - aus bringe: und alſo die Gelegenheit bey nahe das Anſehen einer Urſache, als wornach man bey Geſchichten zu trachten pflegt, bekommen moͤge. Dabey ſucht man ſich auf allerley Weiſe zu helffen.

§. 13. Was man bey Erzehlung der beſondern Umſtaͤn - de vor Vortheile braucht.

Zum offtern ſucht man aus den beſondern Umſtaͤnden, einen und den andern heraus, der am meiſten bekannt iſt, oder am meiſten in die Augen faͤllet, und tribuirt demſelben die gantze Wuͤrckung und Hervorbringung des Anſchlags, und der da - mit verknuͤpften, oder erfolgten Entſchluͤſſung. Z. E. was hat man nicht vor verſchiedene Dingeangege -222Achtes Capitel,angegeben, die die Verlaſſung der Oeſterreichiſchen Parthey im Spaniſchen Succeßionskriege, bey dem Engliſchen Hofe ſollen veranlaſſet haben: Der beziehet ſich auf die Madame Masham, jener auf die kuͤnſtlichen Jnſinuationes des Tallards; andere auf einen Unwillen der Koͤnigin uͤber die Gemahlin des Marlboroughs: Da vielleicht alle dieſe Umſtaͤnde zuſammen, nebſt noch andern gaͤntz - lich unbekannten, dieſe ſo wichtige Entſchluͤſſung moͤgen hervorgebracht haben. Ein Anſchlag, wenn er mit einem Satze ſoll verglichen werden, der ſich demonſtriren laͤſſet; muͤſte nicht mit einem Corollario, ſondern mit einem Theoremate in Parallel geſtellet werden, von welchen wir anders - wo gewieſen haben, daß es nicht durch eine ein - fache Reyhe Schluͤſſe koͤnne erwieſen werden, ſon - dern mehr als eine Reyhe erfordere. Logica pra - ctica (§. 32. p. 25.) Und zwar koͤnnen bey ei - ner Entſchluͤſſung zehen und mehrere Gruͤnde zu - ſammen kommen.

§. 14. Zweyte Art.

Jngleichen ſucht man viele beſondere Um - ſtaͤnde unter eine Claſſe und unter einen allgemei - nen Begriff zu bringen, welcher ſich hernach beſ - ſer mit andern allgemeinen Begriffen verbinden, und in die Geſtalt eines Schluſſes bringen laͤſſet. Z. E. daß Carl V. die Regierung niedergelegt, darzu haben ihn verſchiedene nicht gluͤckliche Ex - peditiones Anlaß gegeben. Wenn nehmlich das Gluͤck ſich aͤndert, ſo wird man einer Sache ſattund223v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. und uͤberdruͤßig. Auf dieſe Art kommt man einem ſo genannten Cauſalſchluß gar nahe. Aber die Wahrheit zu ſagen: So werden dieſe Un - gluͤcksfaͤlle dieſen groſſen Kayſer wohl nicht allein zu einer ſo wichtigen und ungewoͤhnlichen Entſchluͤſſung bewogen haben. Man nimmt daher auch ſeine abnehmende Leibeskraͤffte zu Huͤlffe, die ihn die Ruhe zu wuͤnſchen veranlaſſet. Aber da ſo viele Menſchen die mit Ungluͤcksfaͤllen und Leibesſchwachheit beladen ſind, dennoch ſich zu Ablegung ihrer Wuͤrden nicht entſchlieſſen, ſo moͤchten wohl dieſe beyden Umſtaͤnde, die Gele - genheit gedachter Entſchluͤſſung noch nicht exhau - riren. Es muß vielmehr das Uebrige aus der beſondern Gedenckart dieſes Monarchens gefloſ - ſen ſeyn.

§. 15. Wie man eine beſondere Gedenckart be - greifflich macht.

Wenn man aber die beſondere Gedenckart, die man bey einer Entſchluͤſſung braucht, erklaͤren ſoll, ſo nimmt man gemeiniglich die naͤchſte Art, genus proximum, ſiue ſpeciem, unter welcher die beſon - dere Gedenckart, die ſich nicht wohl beſchreiben laͤſſet, enthalten iſt. Conſtantin der Groſſe, hat nach ſeiner Klugheit, das Roͤmiſche Reich vor all - zugroß angeſehen, als daß es von einem Haupte koͤnnte defendirt werden. Haben aber nicht an - dere Kayſer vor ihn auch dieſe Schwierigkeit ge - ſehen? ohne doch das Reich zu theilen? Chri - ſtiern iſt grauſam geweſen, darum hat er denSchwe -224Achtes Capitel,Schwediſchen Senat hinrichten laſſen: Ohne Zweifel aber muß ſeine Grauſamkeit dazumahl einen beſondern Paroxyſmum gehabt haben, die eine ſo auſſerordentliche blutduͤrſtige Entſchluͤſ - ſung hervor gebracht hat. Alexanders Unter - nehmungen leitet man daraus, daß er durchaus Laͤnder und die gantze Erde bezwingen wollen: Und dieſes zwar nicht ohne Urſach: Jedoch muß man dabey unvergeſſen ſeyn, daß dergleichen Ap - petit gar vielen Monarchen in der Welt vorge - kommen; nur daß es mit den Anſchlaͤgen nicht ſolchen Fortgang gehabt hat, wie beym Alexan - der: Und doch auch die ſehr gluͤcklich geweſenen, wie Seſoſtris, haben wiederum auf Friede, und den geruhigen Genuß ihrer Siege gedacht. Die Gedenckart des Alexanders iſt ohne Zweiffel von einer gantz beſondern Art geweſen, die die gemei - ne Art der Landbezwinger oder Conqueranten noch weit uͤbertrifft. Unterdeſſen muͤſſen wir uns meiſt an den bekannten Begriff eines Conqueran - tens halten.

§. 16. Es iſt genung, daß wir Anſchlaͤge nur einiger maſſen begreiffen.

Und ſolche unvollkommene Erkentniß der Gelegenheit zu Entſchluͤſſungen, muͤſſen wir uns deswegen nicht befremden laſſen, weil es bey Ent - ſchluͤſſungen meiſtens auf den innerlichen Zuſtand der Seele, und auf den Willen ankommt; die - ſer aber ſeine heimlichen und unerforſchlichen Triebfedern hat, die nicht einmahl derjenige ſelbſt,der225v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. der ſich zu etwas entſchluͤſſet, genau und voͤllig bemercken kan, geſchweige denn andere, welche un - moͤglich wiſſen koͤnnen, was in einer fremden Seele vorgehet. Und eben ſo iſt in dem Fall, wo Rath - geber und fremde Vorſtellungen concurriren, in - gleichen Bitten, Flehen, Drohen (§. 10), ſchwer zu beſtimmen, wie viel bey einer Entſchluͤſſung die - ſe aͤuſſerlichen Umſtaͤnde beygetragen haben: Denn ſie koͤnnen in einem Falle, und bey einem Subjecto, ja zu einer Zeit mehr vermoͤgen, als in andern Faͤllen. Die Einſchraͤnckung unſerer Ein - ſicht, ſowohl in die Gemuͤther der Menſchen, als in die aͤuſſerlichen Umſtaͤnde bringt es ſo mit ſich, daß wir zwar etwas von den Urſachen der Bege - benheiten, aber ſie bey weiten nicht voͤllig einſe - hen koͤnnen.

§. 17. Boͤſe Thaten entſtehen aus einer Gelegenheit.

Bey dem Begriffe der Gelegenheit, iſt auch zu bemercken, daß man bey allen ungerechten und boͤſen Entſchluͤſſungen nicht nach der Urſach, ſon - dern nur nach der Gelegenheit, die ſie veran - laſſet, zu fragen pflegt: Oder die Umſtaͤnde durch welche man ſich zu einer boͤſen That und Anſchla - ge bewegen laͤſſet, ſind nicht die Urſach, ſondern nur die Gelegenheit derſelben. Dieſes kommet daher: Weil, wenn man von Urſachen redet, man allemahl vernuͤnfftige Urſachen, das iſt, ſolche Urſachen ſucht, die ſich aus der Natur der Dinge begreiffen laſſen. Nun gehoͤren aber falſche untereinander gemengte, zerruͤttete Vor -Pſtellun -226Achtes Capitel,ſtellungen, ingleichen Vorwitz, Uebereilung, und Unbedacht gar nicht zur Natur der Seele, ſon - dern ſind vielmehr widernatuͤrlich. Die Sa - chen alſo, welche durch den widernatuͤrlichen Zu - ſtand der Seele, und durch irrige Vorſtellungen zu einer Entſchluͤſſung Anlaß geben, koͤnnen nicht die Urſach genennet werden; weil in dem Schluſ - ſe, der gemacht wird, eine falſche Præmiſſa ent - halten iſt. z. E. Der Heyde betet die Sonne an, weil er ſchluͤſſet, wer mir helffen kan, den muß ich anruffen: Die Sonne kan mir helffen, alſo: muß ich ſie anruffen. Und wir, wenn wir die Urſache der heydniſchen Abgoͤtterey in Anſehung der Sonne erklaͤren ſollen, fuͤhren kuͤrtzlich an, weil ſie von derſelben Huͤlffe und Erhoͤrung erwarten. Wie nun ein Schluß, der aus falſchen Præmiſſis beſtehet, nicht ein wahrer Schluß, ſondern ein So - phisma, eine Teuſcherey iſt; ſo kan auch der Zu - ſammenhang zweyer Begebenheiten, die nicht durch richtige Vorſtellungen zuſammenhangen, nicht die Urſach genennet werden. Denn dieſe erfordert einen Schluß (§. 1.) d. i. wie ſich von ſelbſt verſtehet, einen wahren Schluß. Wenn ich aber auf die Unrichtigkeit der Saͤtze bey einem Schluſſe nicht mercken will, welches bey vielen Gelegenheiten geſchiehet; ſo haben auch die aller - alberſten widerrechtlichſten Entſchluͤſſungen ihre Urſach, daher man ſolches Wort auch oͤffters bey boͤſen Thaten zu brauchen pflegt. Eigentlich aber hat man zu einer boͤſen That keine Urſach: David hat keine Urſach zum Ehebruch gehabt: Die Generals des Alexanders haben keine Urſach,aber227v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. aber wohl Gelegenheit gehabt, ſein Reich unter ſich zu theilen: Eben ſo wenig hat auch Phocas Urſach gehabt, den Kayſer Mauritius vom Thron zu ſtoſſen. Die Ausbreitung der chriſtlichen Re - ligion iſt nicht die Urſach, ſondern nur die Gele - genheit geweſen, die den Heyden, ja allen unbekehr - ten Menſchen beywohnende natuͤrliche Grauſam - keit, unter einem Vorwande, den ſie zu finden vermeynten, auszulaſſen.

§. 18. Wenn Entſchluͤſſung und Ausfuͤhrung vor einer - ley angeſehen wird.

Wenn unſer Anſchlag nur auf eine kurtze Be - gebenheit, oder auf ſo etwas gerichtet iſt, was in kurtzen kan ausgefuͤhret werden, und es findet ſich kein Hinderniß, ſo wird auch die Geſchichte davon ſehr kurtz ſeyn: Anſchlag und Ausfuͤhrung werden faſt vor einerley Sache angenommen, haben auch einerley Urſach: Und die Erzehlung hat mehr das Anſehen einer Begebenheit, als einer Geſchichte (§. 13. C. 1.). Z. E. Da - vid trieb mit der Bathſeba Ehebruch, da er ſie vom Dache ſeines Pallaſts, ſich waſchen ſahe - Achan entwandte etwas von dem Raube zu Je - richo. Der Anſchlag wird von der Ausfuͤh - rung ſelbſt nicht einmahl unterſchieden. Bey boͤſen Thaten und Anſchlaͤgen kan man a priori uͤberſehen, daß ſich an den Anſchlag uͤber kurtz oder lang noch eine andere Geſchichte anhaͤngen werde, welche in dem Anſchlage gar nicht enthalten iſt, nehmlich die Beſtraffung und andere uͤble Fol -P 2gen,228Achtes Capitel,gen, die oͤffters betraͤchtlicher ſind, als der Anſchlag ſelbſt. Man kan dieſes deswegen a priori erwar - ten: Weil eine boͤſe That, durch ein Blend - werck der Seele und durch die falſche Vorſtel - lung eines Scheingutes unternommen wird. Mit dieſem Zuſtande der Seele und Jrrthume, kan es nun keinen Beſtand haben: Daher kan gar na - tuͤrlicher Weiſe die Erwartung entſtehen, wie das Blendwerck durch die nachfolgenden Umſtaͤnde, werde entdeckt werden: Welches gemeiniglich und vornehmlich durch die Straffe, aber nur zu ſpaͤte geſchiehet. So lange die Entdeckung des Blend - wercks noch nicht da iſt, ſo iſt die Geſchichte noch nicht aus (§. 29. 30. C. 6. 9.)

§. 19. Verhinderte Anſchlaͤge kommen nicht in die Ge - ſchichts-Buͤcher.

Wenn man einen Anſchlag faſſet, der aber, ehe noch die Ausfuͤhrung angefangen wird, Hin - derniſſe findet, ſo daß man ihn entweder gar fah - ren laͤſſet, oder wenigſtens gantz aufſchiebt, ſo bleibt die Entſchluͤſſung ein Geheimniß, welches, weil man niemanden ins Hertz ſehen kan, auch niemand wiſſen kan. Der Anfang der Ausfuͤh - rung, muß uns erſt von einem Anſchlage, der nehmlich ein ernſter und feſter Vorſatz iſt, beleh - ren. Sonſten wenn ſich auch gleich eine Nach - richt von dem Vorhaben ausbreiten ſollte, wie denn Anſchlaͤge oͤffters eben dadurch, daß ſie noch vor der Ausfuͤhrung bekannt werden, vereitelt wer - den: So kan man hernach doch nicht wiſſen, obes229v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. es nicht ein bloſſer Vorſchlag, Einfall, und fliegender Gedancken geweſen, dergleichen der Menſch in ſeinem Leben viel hat, ohne daß ſie zu Entſchluͤſſungen und eigentlichen Anſchlaͤgen wer - den. Solche Vorſchlaͤge aber, die uns ſelbſt ein - fallen, oder auch von andern uns vorgetragen, und gar nicht zur Ausfuͤhrung gebracht wer - den, kommen bey der Erkentniß der Geſchichte nicht in Anſchlag. Sie haben in die nachfolgen - den Geſchichte keinen ſolchen Einfluß, den menſch - licher Verſtand bemercken koͤnte. Deswegen iſt aber nicht zu laͤugnen, daß ſie nicht wuͤrcklich ihre Folgen in der Seele haben, daß ſie unter die Hand - lungen gehoͤren, davon wir dem Hoͤchſten Rechen - ſchafft geben muͤſſen. Wir moͤgen aber die Sache anſehen, wie wir wollen, ſo iſt ſeine Gedancken aufzeichnen, wie einige gethan haben, wenn wir ſie nicht weiter ausfuͤhren wollen, eine unnuͤtze Arbeit.

§. 20. Anſchlag und Ausfuͤhrung hangen an einander.

Es iſt unſerer Seele und ihrer Gedenckart nicht gemaͤß, daß man einen Anſchlag machen, und beſchlieſſen ſollte, deſſen gantze Ausfuͤhrung erſt uͤber eine, zumahl lange Zeit, hinaus geſetzt wuͤrde. Nur Hinderniſſe halten die Ausfuͤh - rung bey uns auf. Denn was wir mehr aus Luſt und Liebe zur Handlung, oder aus einem Triebe beſchluͤſſen, daſſelbe wird offenbar nur we - gen der Umſtaͤnde aufgehoben, die die AusfuͤhrungP 3nicht230Achtes Capitel,nicht eher zulaſſen. Der Unverſoͤhnliche wuͤrde ſich gleich raͤchen, wenn es bloß auf ſeinen Wil - len ankaͤme: Aber ſo, muß er erſt eine Gelegen - heit abwarten. Ein Gelehrter ſchiebt zwar die Ausgabe eines Buches auf, aber aus keiner an - dern Urſach, als aus Erwartung der Umſtaͤnde, daß ſolches mit mehrerem Nutzen und Wohlge - fallen des Publici geſchehen moͤge. Aller Auf - ſchub die Entſchluͤſſungen, und deren Ausfuͤhrung auch nur anzufangen, kommt von Hinderniſſen her; ſonſten iſt Beſchluͤſſen und die Ausfuͤhrung anfangen gleich mit einander verknuͤpft. Ein an - ders aber iſt es mit der voͤlligen Ausfuͤhrung, oder Vollbringung einer Sache: Als welche aus andern Urſachen, und der innerlichen Beſchaffen - heit des Anſchlages nach, ſich offt gar lange, wenn auch gar keine Hinderniſſe ſich aͤuſſern, verziehen kan. Es giebt aber auch weit ausſehende, oder groſſe Anſchlaͤge, welche wegen der ver - ſchiedenen Theile, oder der auf einander folgenden vielen Mittel, auch ohne Hinderniß, dennoch in weniger Zeit nicht ausgefuͤhret werden koͤnnen. Rom ſagt man, iſt nicht auf einen Tag gebauet: Wobey man nicht ſowohl auf die Schwierigkeit, die aus Hinderniſſen entſtehet, als auf die Groͤſſe und Weitlaͤuftigkeit ſiehet, die viel Zeit erfordert hat. Eine barbariſche Nation cultiviren, iſt eine Sache, welche, wenn ſie ſich auch noch ſo willig darzu bewieſe, dennoch in wenigen Jahren nicht zu Stande zu bringen iſt.

§. 21.231v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.

§. 21. Anſchlaͤge ſind eine Art der Geſchichte.

Ein groſſer und weitlaͤufftiger Anſchlag iſt nichts anders als eine lange Geſchichte, die man erſt noch zur Wuͤrcklichkeit bringen will. Man muß dabey voraus ſetzen, daß man nur Anſchlaͤge ma - chen muß uͤber Sachen, die man in ſeiner Gewalt hat, die man uͤberſehen, und alſo nach Belie - ben, einrichten kan. Dergleichen Anſchlag iſt, wenn ein reicher, oder maͤchtiger Fuͤrſt ein Schloß und Pallaſt auffuͤhren will. Was man nachher ſiehet, daß es von Tage zu Tage gebauet und zu Stande gebracht werde, das hat der Bauherr vorher in ſeinem Verſtande, daß es geſchehen ſolle, uͤberſehen. Jn ſeinem Verſtande iſt es ſchon damahls, als er den Anſchlag machte, nicht anders geweſen, als ob es ſchon wuͤrcklich aufgefuͤhret wuͤr - de. Von Anſchlaͤgen kan man alſo Erzehlungen machen, wie von geſchehenen Dingen. Wenn der Anſchlag weitlaͤufftig iſt, muß man einen Grundriß haben (§. 18. C. 6.): Er kan auch aus ver - ſchiedenen Sehepunckten angeſehen werden (§. 12. C. 5.); wie z. E. ein aufzufuͤhrendes Gebaͤude gantz anders angeſehen wird vom Architecto, der nur auf die Bequemlichkeit und Pracht des Ge - baͤudes ſiehet, anders vom Schatzmeiſter, der den Bau nach den Revenuen ſeines Herrn ab - miſſet, und daher etwa an dem ſchoͤnſten und koſt - barſten Theile, das groͤſte Mißfallen haben kan: Anders von dem Directeur des Baues ſelbſt, der vor die Materialien ſorgen muß, und daherP 4man -232Achtes Capitel,manches inpracticable finden kan, welches nach beyden vorigen Betrachtungen keinen Anſtoß ha - ben wuͤrde. Jn unſern Gebaͤuden muß viel von Sandſteinen gemacht werden, welches, von Mar - mor gebauet weit praͤchtiger und dauerhaffter ſeyn wuͤrde.

§. 22. Wenn der Anſchlag und die Ausfuͤhrung in der Erzehlung einerley lauten.

Woferne der Anſchlag in der Ausfuͤhrung keine Hinderniſſe findet, ſo wird die Geſchichte der Ausfuͤhrung mit dem Anſchlage voͤllig uͤberein kommen, bis etwa auf einige Umſtaͤnde, die ſich bis zur Ausfuͤhrung geaͤndert haben, und alſo an - ders haben eingerichtet werden muͤſſen. Aber das was ſich waͤhrender Zeit in den Sachen und Perſonen aͤndert, auf die man anfangs Rechnung gemacht, iſt vor ein Hinderniß zu rechnen. Wir reden aber ietzo von ſolchen Ausfuͤhrungen, wo - bey ſich keine Hinderniß findet. Auch hierbey iſt nun zwar an dem, daß der menſchliche Ver - ſtand die kleinſten Umſtaͤnde nicht uͤberſehen kan, welche daher erſt bey der Ausfuͤhrung von Zeit zu Zeit muͤſſen ſupplirt werden woraus eine vollſtaͤndigere Erzehlung der Sache zu fol - gen ſcheinet, als man in dem Anſchlage findet. Alle dergleichen Umſtaͤnde, die man vorher nicht uͤberſehen kan, werden auch bey der Erzehlung der geſchehenen Dinge wiederum ausgelaſſen (§. 3. C. 6.). Und alſo bleibt die Regel an ſich rich -tig:233v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. tig: Die Erzehlung der Ausfuͤhrung eines Anſchlages, wenn keine Hinderniſſe dar - zwiſchen kommen, iſt mit dem Anſchlage ei - nerley. Jn der Application auf unſere Anſchlaͤge leydet ſie allemahl ihren Abfall, weilen, wenn auch gleich keine eigentlichen Hinderniſſen vorfielen, ſon - dern alles bis zur Ausfuͤhrung in ſtatu quo blie - be, wie es beym Anſchlage geweſen. Denn ſo 1. finden wir doch bey der Ausfuͤhrung immer et - was anders, als wir uns vorher eingebildet: Wie man bey ſeinem Ruͤſtzeuge immer ſupponirt, daß es im guten Stande ſeyn ſollen, welches ſich bey dem Gebrauche deſſelben oͤffters anders findet; auch ſeine Leute ſich oͤffters abgerichteter einbildet als ſie ſind. 2. Darzu kommt, daß wir manches auch nicht uͤberſehen, was doch zu uͤberſehen waͤre moͤglich geweſen. Setzen wir dieſe Umſtaͤnde bey Seite, ſo werden wir in Exempeln, als bey Feſtins am Hofe, und alſo in der Erfahrung ſelbſt finden, daß die Erzehlung der Geſchichte, wie ſie vorge - gangen, mit dem Anſchlage einerley laute. Es gehoͤret aber eine beſondere Faͤhigkeit und Luſt der Seele darzu, bey einem Anſchlage in alle kleine Umſtaͤnde ſich einzulaſſen, und den Anſchlag, der Erzehlung von der Ausfuͤhrung ſelbſt, in voraus ſo aͤhnlich zu machen, als moͤglich iſt. Man muß dieſe Fertigkeit an Sachen erlernen, die ſchon wuͤrcklich vorhanden ſind, daß man dabey alles aufs genaueſte beobachtet, was beobachtet werden kan. So wird man ſich angewoͤhnen, auch Sachen, die man angiebt, und ordiniret, mit eben ſolcher Umſtaͤndlichkeit ſich vorzuſtellen, undP 5die234Achtes Capitel,die Fertigkeit erlangen, welche man Frantzoͤſiſch, l’eſprit de detail nennet.

§. 23. Alle Anſchlaͤge finden Hinderniſſe.

Hingegen iſt nun die Welt ſo eingerichtet, und der Hoͤchſte hat es ſo geordnet, daß die Anſchlaͤge der Menſchen beſtaͤndig ihre Hinderniſſe finden. Denn theils aͤuſſert ſich 1. Unvermoͤgen, die Sa - che auszufuͤhren; wie es oͤffters an Gelde, an Leu - ten, an geſchickten Helffern und Werckzeugen feh - let. 2. Theils machen andere Menſchen, nach ihrer Einſicht, und nach ihrem Vortheil bald ge - rechte, bald ungerechte Gegenanſchlaͤge, die den unſrigen zuwider ſind, und mit ihnen nicht beſte - hen koͤnnen, woraus der Widerſtand erfolget. 3. Theils kommen auch Faͤlle darzwiſchen, und aͤuſſern ſich waͤhrender Ausfuͤhrung, die, ſo natuͤr - lich ſie auch ſind, dennoch unmoͤglich haben koͤnnen voraus geſehen werden: als das Abſterben ſol - cher Perſonen, auf die wir Rechnung gemacht ha - ben: Veraͤnderungen des Zuſtandes ſolcher Perſo - nen, die ebenfalls in unſern Anſchlag mit gekom - men ſind. Die Himmelsbegebenheiten, wel - che den Zuſtand der Menſchen, durch Fluthen, Winde, Stuͤrme, Hagel, Mißwachs, und auf andere Arten aͤndern, haben in die Ausfuͤhrung un - ſerer Anſchlaͤge den groͤſten Einfluß. Denn alle dieſe Begebenheiten koͤnnen zu Hinderniſſen wer - den, welche die Ausfuͤhrung unſeres Anſchlages in feinen Theilen, aufhalten, beſchwehrlich, ja oͤffters unmoͤglich machen. Boͤſe Anſchlaͤge koͤn -nen235v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. nen ihrer Natur nach faſt nicht anders als Hinder - niſſe finden; weilen dadurch iemand beleidiget wird, der alſo natuͤrlicher Weiſe Gegenanſtalten darwider machen wird. Weil nun ſolchem Wider - ſtande in Zeiten vorzukommen, widerrechtliche An - ſchlaͤge, heimlich und mit vieler Verſtellung tra - ctirt werden muͤſſen: ſo entſtehet daraus eine beſon - dere Gattung von Anſchlaͤgen und Thaten, wel - che man Jntriguen nennet, deren groͤſte Kunſt, oder beſonders Weſen, in der Verſtellung und in dem Geheimniſſe beſtehet: da bey andern An - ſchlaͤgen die Kunſt in Erwehlung der Mittel be - ſtehet, die zu unſerer Abſicht, und deren Erhaltung dienlich ſind.

§. 24. Hinderniſſe machen, daß die Ausfuͤhrung vom Anſchlage abgehet.

Jedes Hinderniß fuͤhret uns von der Ausfuͤh - rung unſeres Anfchlages, wenigſtens etwas, ab. Wir muͤſſen die Zeit und einen Theil unſerer Kraͤffte, zu Hebung der Hinderniſſe anwenden, da unter - deſſen ein Stuͤck unſeres Anſchlages haͤtte koͤnnen ausgefuͤhret werden. Man vergleicht ſie daher widrigen Winden, wodurch ein Schiff offen - bar in ſeinem Lauffe aufgehalten wird. Ja das Hinderniß kan ſo gewiß werden, daß die gantze Ausfuͤhrung unmoͤglich gemacht wird. Der Ade - ptus faͤnget ſeinen Proceß, den er ſich erſonnen hat, den lapidem hervorzubringen, an; er bewerckſtel - liget ein Stuͤck nach dem andern mit der groͤſten ac - curateſſe: aber zum Ungluͤck zerſpringt ihm ſeinGefaͤſſe236Achtes Capitel,Gefaͤſſe uͤber dem Feuer; der Dampf faͤllet ihm auf der Bruſt, und verurſacht eine verzehrende Kranck - heit, die ihm das Aufſtehen vom Bette verbietet: an ſtatt den lapidem hervorzubringen, iſt ihm nichts mehr uͤbrig, als ſein Kranckenbette zu huͤten, und auf demſelben entweder ſeinen eitlen Anſchlag zu be - reuen, oder das Mißrathen eines ſo vortheilhaffti - gen Unternehmens zu bejammern. Der Anſchlag jeder Schiffarth wird auf groſſen Gewinſt und Reichthum gemacht: ein Sturm aber, ein Stoß an eine Klippe, ein Ritz im Schiffe, den man nicht in Zeiten bemercket hat, verwandelt die Hoffnung in Armuth und Elend. So werden die Anſchlaͤge der Menſchen oͤffters zu nichte, und wenn ſie un - gerecht, oder zu trotzig unternommen werden, zur Schande und Thorheit: da unterdeſſen ſelbſt diejenigen Anſchlaͤge, welche wuͤrcklich ausgefuͤhret werden, wenigſtens durch viele Hinderniſſe durch - dringen muͤſſen. Wir koͤnnen in der Theorie der Anſchlaͤge thun, als wenn Ausfuͤhrung und Hin - derniſſe zuſammen gehoͤrten.

§. 25. Die Theile der Ausfuͤhrung hangen nicht ſo, wie die Theile des Anſchlages, zuſammen.

Die Ausfuͤhrung einer weitlaͤufftigen That oder Anſchlags wird daher nicht anders begreifflich, als durch dieſe zwey Stuͤcke, 1) Daß man den Theil des Anſchlags wiſſe, der ausgefuͤhret werden ſoll, 2) und das Hinderniß, welches ſich geaͤuſert, und daher, uͤberwunden, aus dem Wege geraͤu - met; oder wo es moͤglich, gar vermieden werdenmuß.237v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. muß. Die Stuͤcke der Ausfuͤhrung eines Anſchlags koͤnnen daher nicht unmittelbar aus einander herge - leitet werden, wie etwa die Theile des Anſchlags, ſondern es muͤſſen die Hinderniſſe, die Stuͤckweiſe und bey jedem Schritte ſich aͤuſſern, immer dar - zwiſchen geſetzet werden. Der Krieg iſt das klaͤr - ſte, und groͤſte Exempel, wobey die Beſchaffenheit der menſchlichen Anſchlaͤge, wie ſolche bey der Aus - fuͤhrung, durch die Hinderniſſe, eine gantz andere Geſtalt bekommen, am beſten in die Augen leuchtet: Hier iſt das beſtaͤndige Hinderniß gleich anfangs gewiß, wenn man ſich nicht von ſeinem Gluͤcke blenden laͤſſet, daß man ſeinen Feind vor nichts ach - tet: denn man weiß ja, daß man einen Feind vor ſich hat, deſſen Anſchlag dem unſrigen gerade ent - gegen ſtehet, und davon die Ausfuͤhrung jedes Theils, eine Hinderniß von unſerm Anſchlag wird. Ueberdieſes widerſtehet man einander mit moͤglich - ſten Kraͤfften, da man andern Anſchlaͤgen, die uns etwa auch nicht anſtehen, nur in einer gewiſſen Maße widerſtehet: bey dem Kriege aber, weil al - ler moͤglicher Schade gedrohet wird, muß auch al - ler moͤglicher Widerſtand gethan werden.

§. 26. Schwierigkeit in den Geſchichten, daß man immer auf viel Sachen zugleich ſehen muß.

Aus dieſer Beſchaffenheit nun der groſſen An - ſchlaͤge und Thaten, daß nehmlich die Hinder - niſſe ſo betraͤchtlich werden, als die Ausfuͤhrung des Anſchlags ſelbſt, (§. 25.) entſtehet eine Haupt - ſchwierigkeit in der Erzehlung. Bey eintzeln undkleinen238Achtes Capitel,kleinen Geſchichten muß man ſchon in der Erzeh - lung von der innerlichen Beſchaffenheit der Ge - ſchichte etwas abgehen, daß man Begebenheiten nach einander erzehlet, die doch zugleich vor - gegangen (§. 2. C. 6.). Beyn Anſchlaͤgen aber, und deren Ausfuͤhrung, kommen ſolche Hinderniſ - ſe vor, die von gantz andern Perſonen, Orten, und aus der Frembde herruͤhren, und alſo noch ei - ne gantz andere Erkentniß erfordern: ſie ſind auch von ſehr weitem Umfange, weil der Gegenanſchlag, woraus das Hinderniß entſtehet, eben ſo wichtig iſt, als der Anſchlag ſelbſt. Dahero muß in der Erzehlung, bald ein Stuͤck des Anſchlags und deſ - ſen angefangene Ausfuͤhrung vorgetragen, bald ein Stuͤck des Gegenanſchlages eingeſchaltet wer - den: wie bey jeder Erzehlung einer Campagne zu erſehen iſt. Daraus entſtehet denn eine Sorge we - gen der Ordnung der Erzehlung, welches von ſo vielen Dingen, die zugleich geſchehen, zuerſt er - zehlt werden ſolle? Jedoch, weil davon die Wahr - heit der Geſchichte nicht abhanget, auf welche wir in dieſer Abhandlung lediglich ſehen, ſondern nur die angenehmere Vorſtellung und das Ver - gnuͤgen der Hoͤrer und Leſer, wovor zu ſorgen der Redekunſt ihr Werck iſt, ſo ſehen wir dieſes als ein Stuͤck der Oratorie an: Zumahl da ein Ha uptſtuͤck der Beredſamkeit darinne beſtehet, daß man eine Geſchichte natuͤrlich und lebhafft zu er - zehlen weiß: Die Wahrheit der Geſchichte aber bleibt unbeſchaͤdigt, und unverletzt, wenn ſie auch gleich rauh, und mit einer Einfalt vorgetragen wird, wodurch zaͤrtliche Ohren bey nahe beleidigtwer -239v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. werden. Die Geſta Dei per Francos ſind in Anſehung der hiſtoriſchen Wahrheit eben ſo hoch zu ſchaͤtzen, als der Liuius, Cæſar und Tacitus.

§. 27. Aus Anſchlaͤgen entſtehen offt gantz unver - muthete Umſtaͤnde.

Wenn man einen Anſchlag auszufuͤhren an - gefangen hat, ſo hat man bey ſich aͤuſſernden Schwierigkeiten und Hinderniſſen nicht allemahl freye Hand das Geſchaͤffte abzubrechen, und den Anſchlag ſogleich fahren zu laſſen; ſondern man iſt darein verwickelt. Denn theils wuͤrde man Schaden davon haben, an ſtatt des gehofften Nu - tzens, wie bey allen Sachen, deren Ausfuͤhrung gleich im Anfange Unkoſten erfordert; als bey dem Bergbau, bey der Handlung, bey Anlegung ei - nes Gartens: Theils erfordert die Ehre, den An - ſchlag, obgleich deſſen reuſſite nicht abzuſehen iſt, wenigſtens noch eine Zeitlang fortzuſetzen, bis ſich etwa Umſtaͤnde aͤuſſern, welche eine ſcheinbare Urſache an die Hand geben, davon abzuſtehen: Theils laſſen uns andere, die ſich mit uns verbun - den, oder auch, die uns widerſtehen, nicht zur Ruhe kommen. Welches letztere bey ungerechten Unternehmungen natuͤrlicher Weiſe erfolgen muß, weil auch eine nur angefangene Beleidigung eine Beleidigung iſt, und zu Verlangung einer Satis - faction, und Sicherheit aufs kuͤnfftige Urſach an die Hand giebt; woferne nicht etwa ein ſolch Vornehmen mit Großmuth, und Gelaſſenheit uͤberſehen wird. Jngleichen iſt man oͤffters,durch240Achtes Capitel,durch die nur angefangene Unternehmung in gantz andere aͤuſſerliche Umſtaͤnde geſetzet, aus wel - chen man in die vorigen nicht ſo leichte zuruͤck kom - men kan. Caͤſar, ſo lange er nicht uͤber den Rubi - con gegangen, konnte Friede und Krieg erwehlen, ſobald er aber mit ſeinen Truppen uͤber dieſen klei - nen Fluß geſetzt hatte, ſo war der Krieg gegen ſein Vaterland declarirt. Wer einmahl zu Schiffe gegangen, und nicht Herr des Schiffes iſt, kan nicht wieder von der Schiffarth abkommen: Nie - mand fuͤhret ihn zuruͤck, und an eine barbariſche Kuͤſte, will man nicht ans Land geſetzt ſeyn. So entſtehet aus einem einmahl angefangenen Unter - nehmen nicht allein die Nothwendigkeit dabey auszuhalten, ſondern auch die Nothwendigkeit ſich in andere Geſchaͤffte einzulaſſen, an die man bey der Entſchluͤſſung nicht gedacht hat, ja nicht einmahl hat dencken koͤnnen. Denn wer will alle moͤgliche Hinderniſſe und Faͤlle uͤberſehen?

§. 28. Wie ein Anſchlag und Geſchaͤffte zu einem andern Geſchaͤffte wird.

Wenn wir durch Ausfuͤhrung eines Anſchlags in ein Geſchaͤffte verwickelt werden, welches wir dennoch treiben muͤſten, wenn wir auch gleich den Anſchlag wollten fahren laſſen, oder die Ausfuͤh - rung deſſelben, nicht einmahl mehr moͤglich iſt: So aͤndert ſich die Geſtalt des Anſchlages und des Geſchaͤffts: Weil wir nunmehro gantz andere An - ſchlaͤge machen muͤſſen: Oder es wird eigentlich gar, ein anderes Geſchaͤffte daraus. Wieoffte241v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. offte iſt es geſchehen, daß da man ein Haus hat repariren wollen, und weil dadurch gantze Waͤnde eingefallen ſind, des man ſich nicht verſehen, ge - noͤthiget worden iſt, das gantze Haus von Grund auf zu bauen? Meiſtens wenn man ein Mit - glied einer Geſellſchafft angreifft, geraͤth man daruͤber mit der gantzen Geſellſchafft, oder dem gantzen Corpore in Streit, welches der Sache nothwendig ein gantz anderes Anſehen giebt. Die - jenigen, welche man zu Huͤlffe geruffen, werden oͤffters die Hauptfeinde, und das Mittel, welches man wider das Uebel brauchen wollen, wird ſchlimmer und gefaͤhrlicher als das Uebel ſelbſt war. Der General Uſanke ruffte die Tartarn, wider den Rebellen Ly zu Huͤlffe, den Todt ſeines Kayſers zu raͤchen: Aber nachdem dieſe einmahl, als Huͤlffsvoͤlcker, auf Chineſiſchen Boden getre - ten, richteten ſie mehr Ungluͤck an, als alles, was bisher vorgegangen war: Und der Anſchlag den Todt des rechtmaͤßigen Kayſers zu raͤchen, ver - wandelte ſich bald in den Anſchlag der Erobe - rung dieſes Reichs, die auch wuͤrcklich erfolgt iſt.

§. 29. Was verwirrte Haͤndel ſind?

Wenn die Geſtalt der Geſchaͤffte ſich oͤffters veraͤndert, ſo daß uͤber der Ausfuͤhrung eines An - ſchlags immer andere Geſchaͤffte entſtehen, ſo ſagt man: Die Sachen gehen unter einander: Man nennt es verwirrte Haͤndel: Derglei - chen z. E. nach Caͤſars Ermordung entſtunden. Antonius wollte Caͤſars Todt raͤchen: DarausQentſtun -242Achtes Capitel,entſtunde nothwendigerweiſe Widerſtand. Die Vereinigung des Auguſtus mit dem Antonio, wel - ches auf ſeiner Seite, ohne Zweifel eine gantz an - dere Abſicht hatte, gabe der Sache ein gantz an - deres Anſehen, indem daraus das Triumvirat ent - ſtand, wobey kein Menſch mehr an die Rache des Caͤſarianiſchen Mords dachte, ſondern jeder da - von nur auf ſeine Erhaltung, oder gar Unterdruͤ - ckung ſeiner zwey Mitregenten ſein Abſehen richte - te. Das ſchlimmſte iſt, daß bey verwirrten Haͤn - deln, keiner von denen, die hinein geflochten wer - den, wiſſen kan, wie er ſeine Meſures nehmen ſoll: Da man, ſo lange nur ein Anſchlag vorhanden iſt, leichte abſehen kan, ob man ſich damit einlaſ - ſen koͤnne oder nicht? Auch, wo ein Gegenan - ſchlag iſt, kan man auch wohl leichter ſich reſolviren, welchem von beyden Anſchlaͤgen man favoriſiren will? Wenn aber die Geſtalt der Affairen ſich oͤffters aͤndert, ſo wird man in Dinge geflochten, wobey man nicht ſeyn will, und hat doch ſelten die Freyheit abzugehen (§. 27.), daraus entſtehet denn, daß man ſich ſucht loß zu reiſſen: Welches aus Freunden Feinde machte, ſo daß endlich kei - ner dem andern mehr trauet: Und niemand wei - ter weiß, an wen er ſich halten ſoll.

§. 30. Sind die vornehmſte Art von Geſchichten.

Solche verwirrte Haͤndel aber, ſind eben diejenigen Geſchichte, welche vor allen andern die meiſte Aufmerckſamkeit der Geſchichtsliebhaber an ſich ziehen, und daher vorzuͤglich Geſchichte ge -nennet243v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. nennet werden, dergeſtalt, daß wenn iemand eine Geſchichte will erzehlt haben; er in der That kei - ne andere als eine von dieſer Art verſtehet. Denn 1. ſind ſolche verwirrte Haͤndel meiſtens der Weg und Mittel, wodurch groſſe, und dauerhaff - te Dinge in der Welt zur Wuͤrcklichkeit gebracht werden. Die Verwirrungen nach Caͤſars Tode brachten die Monarchiſche Regierung zu Rom zu Stande, die nachher beſtaͤndig fortgedauret hat. Der dreyſigjaͤhrige Krieg hat den Weſtphaͤliſchen Frieden nach ſich gezogen, deſſen ſich unſer Vater - land noch ietzo zu erfreuen hat. Selbſt eintzel - ner Menſchen ihre Wege hat Gott ſo eingerich - tet, daß ehe ſie, wie man zu reden pfleget, zur Ru - he kommen, und ihr Gluͤck machen, in mancher Verwirrung ihrer Umſtaͤnde eine Zeitlang ſchwe - ben muͤſſen. 2. Ruhige Zeiten ſind vor Geſchich - te ein mager Land, verwirrte Haͤndel geben zu Er - zehlungen hingegen den beſten Stoff: Denn ſie geben der Einbildungskrafft der Menſchen eine an - genehme Beſchaͤfftigung, daß jeder ſich bloß durch Leſen und Anhoͤren dabey intereßirt. Weil aber verwirrte Haͤndel die beſte Waare vor Liebhaber der Geſchichte ſind; ſo ſind ſie es auch vor einen Geſchichtsſchreiber, der ſein Talent zeigen will. Denn da haͤuffen ſich die (§. 26.) angefuͤhrten Schwierigkeiten, wie nehmlich die Stuͤcke zu ord - nen ſind, da viele Dinge, die zu gleicher Zeit, bey denen verſchiedenen Jntereſſenten zu einer Zeit vorgegangen, doch nach einander muͤſſen erzehlt werden.

Q 2§. 31.244Achtes Capitel,

§. 31. Anfang einer verwirrten Geſchichte.

Um nun den Zuſammenhang der verworre - nen Begebenheiten, und groſſen Begebenheiten, uͤberhaupt deutlich zu erklaͤren, ſo haben wir zu - foͤrderſt die Gelegenheit, als den allererſten Theil bemerckt. Jhr Anfang iſt das Zweyte, was wir zu beſtimmen haben. Denn daruͤber kan ernſt - lich geſtritten werden, wo ſich die Unruhen an - fangen; weil nehmlich davon die Entſcheidung abhanget, wer am meiſten an den erfolgten Trou - blen Schuld ſey. Wir haben ein klares Exem - pel von ſolcher Streitigkeit an den Weſtphaͤliſchen Friedenstractaten, da man kayſerlicher Seits, den Anfang ins Jahr 1624, oder gar erſt 1629. ſetzen wollte, Schwediſcher Seits eifrigſt auf dem Jah - re 1618. beſtanden wurde: Welche Diſputation manchen Auffenthalt in den Tractaten gemacht hat. Um hiervon nun deutlich zu reden, muͤſſen wir uns auf das beziehen, was wir Cap. 3. von dem moraliſchen Weſen gelehret haben; als wo - hin ein Anſchlag, der zur Ausfuͤhrung mit gluͤck - lichen oder ungluͤcklichen Erfolg gebracht wird, al - lerdings gehoͤret (§. 4. C. 3.) den Anfang dieſer Dinge aber haben wir darinnen geſetzt, daß ſie, durch ſichtbare und handgreiffliche Aeuſſerungen ſichtbar werden (§. 5. C. 3.): Wir muͤſſen alſo den Anfang eines Anſchlags, oder vielmehr ſei - ner Ausfuͤhrung, in ſolchen Handlungen ſetzen, woraus man den gefaßten Anſchlag, ohne Zwey - deutigkeit erkennen oder ſchlieſſen kan. Dieſe Hand -lungen245v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. lungen koͤnnen in Worten, oder auch in Wer - cken beſtehen. Die Worte ſind das deutlichſtr Merckmal: Die Vorſtellung, welche in gewiſſen Faͤllen freylich vorkommen kan, bey Seite geſetzet. Jn Anſehung aber der Wercke dencken wir ſo: Wenn iemand etwas vornimmt, welches nicht ſein Amt, nicht die Geſetze, noch eine andere gegen - waͤrtige Nothwendigkeit erfordert; aber wohl den Anfang zu Ausfuͤhrung eines gewiſſen Deſſeins ab - geben kan, ſo nehmen wir die That vor ein Zeichen des gefaßten Deſſeins, und zwar mit gutem Grunde an. Es giebt uns wenigſtens Gelegenheit, nach der eigentlichen Urſache des Unternehmens genauer zu forſchen, und zu fragen: Da denn die Deutlich - keit der Antwort, oder im Gegentheil, die Difficul - tirung derſelben, oder daß ſie auf Schrauben geſetzt worden, oder gar eine ungeſchickte Urſach angiebt, uns noch zu mehreren Nachforſchen bewegen, und darzu Anleitung geben wird.

§. 32. Vom Anfange der Gewaltthaͤtigkeiten.

Bey Gewaltthaͤtigkeiten, und Kriegen, wird der Anfang mit Recht in der erſten Gewalt - thaͤtigkeit geſetzet. Denn obgleich gemeiniglich vor dem Ausſchlagen, Wortwechſel, und vor dieſem, Uneinigkeit vorher gehet, ſo ſind doch ſolche mehr vor die Gelegenheit, als vor den wuͤrck - lichen Anfang der Gewaltthaͤtigkeiten anzuſehen, die hernach die Urſach von allen nachfolgenden Thaͤtlichkeiten ſind. Nehmlich von dem Streite mit Worten, bis zum Streite mit Thaten iſt ein groſſer Sprung, den man, wenn der Ver -Q 3nunfft246Achtes Capitel,nunfft Gehoͤr gegeben wird, zu thun ſich lange be - ſinnet; der aber bey der Hitze der Menſchen, die Zorn und Gewinnſucht blendet, gar zu bald ge - than wird. Dieſer Sprung iſt faſt allemahl mehr vor einen Ungluͤcksfall anzuſehen, als vor eine Begebenheit, die ſich aus vernuͤnfftigen Ur - ſachen herleiten lieſſe. Zum Anfange der Ge - waltthaͤtigkeiten koͤnnen daher nicht wohl Worte angenommen werden, ſondern es muß ſelbſt eine Gewaltthaͤtigkeit ſeyn. Wenigſtens iſt das eine haupt - und weſentliche Veraͤnderung des Geſchaͤffts, wenn es von Worten zur Thaͤtlichkeit kommt, und iſt mehr ein neues Geſchaͤffte (§. 28.). So lan - ge als man nur mit Worten gegen einander ſtrei - tet, kan ein eintziger froͤlicher Gedancke, der den Eigennutz mindert; ein gluͤcklicher Gedancke, der die ſtreitige Sache in ein klares Licht ſetzet; jeder Zufall, der eine von beyden Partheyen auf was anders mehr ziehet, die Uneinigkeit aufhe - ben: So daß ſie ſo wenig Schaden nach ſich zie - het, als wenn man nie mit einander geſtritten haͤtte; aber die Thaͤtlichkeit, hebt gleich alles freundſchafftliche Commercium auf, und der Re - greſſus zum Streite bloß mit Worten, iſt uͤberaus ſchwer zu finden: Sondern eine Verwirrung folgt aus der andern, an ſtatt der bloſſen Prætenſion, wird nun auch Satisfaction gefordert: Wel - ches viel ſchwerer als das erſte, aus vernuͤnfftigen Gruͤnden auszumachen iſt. Nach dieſem Princi - pio, daß der Anfang der Unruhen und Kriege in einer Thaͤtlichkeit zu ſuchen und zu ſetzen ſey, hat man beſtaͤndig den Anfang des dreyßigjaͤhri -gen247v. d. Zuſamwenhange d. Begebenh. ꝛc. gen Krieges, ins Jahr 1618. geſetzt, weil da im Schloſſe zu Prag, die erſte Gewaltthaͤtigkeit vor - gegangen, die nothwendig Beſtraffung nach ſich ziehen muͤſſen; aber auch durch Veraͤnderung der Umſtaͤnde bey Abſterben des damahls regieren - den Kayſers und Boͤhmiſchen Koͤniges Matthias, eine weit laͤngere Reyhe von Unruhen und Ver - ſtoͤrungen nach ſich gezogen hat.

§. 33. Theile einer Erzehlung, die auf die Gelegenheit und den Anfang derſelben folgen.

So wie unvermuthete Hinderniſſe die Aus - fuͤhrung eines Anſchlags, aufzuhalten, ſchwer zu machen, oder gar zu vereiteln pflegen: Alſo geſchie - het es auch im Gegentheil, daß iezuweilen, Zufaͤlle die Ausfuͤhrung des Anſchlags befoͤrdern und beſchleinigen. Die Roͤmer wuͤrden in ihrer Er - oberung Aſiens und Africa nicht ſo gar geſchwind fertig geworden ſeyn, wenn nicht in allen dieſen Laͤndern innerliche Unruhen geweſen waͤren, die ihnen theils Befugniß gaben, ſich in fremde Sa - chen zu miſchen, theils auch die Griechen, die Egy - ptier und andere Voͤlcker auſſer Stand ſetzten, ſich dem gemeinen Feinde zu widerſetzen. Solche Zu - faͤlle, die die Ausfuͤhrung des Anſchlags befoͤrdern, nennet nun der, der den Anſchlag gemacht, Gluͤcksfaͤlle, der Gegentheil aber kan ſie nicht anders als vor Ungluͤcksfaͤlle anſehen. Wenn daher die Ausfuͤhrung eines Anſchlags einmahl angefangen iſt, ſo beſtehet der Fortgang der Ge - ſchichte nicht allein aus Erfuͤllung der TheileQ 4des248Achtes Capitel,des Anſchlages, und des Gegenanſchlages; ſon - dern auch aus abwechſelnden Zufaͤllen, die die Ausfuͤhrung bald aufhalten, bald aber befoͤr - dern. Worbey jedes Stuͤck des Anſchlags, das zu Stande gebracht worden, einen Abſchnitt der Erzehlung oder Geſchichte ausmacht, bis die Er - fuͤllung des Anſchlags, oder des letzten Theil des Anſchlags erfolgt, welches das Ende der Geſchichte, oder der Erzehlung von einer groſſen Ausfuͤhrung ausmacht.

§. 34. Der Ausgang der Geſchichte wird oͤffters das Hauptwerck.

Wenn ein Anſchlag aber bey der Ausfuͤhrung, durch Hinderniſſe und Widerſtand vereitelt wird, oder auch waͤhrender Ausfuͤhrung durch die Zu - faͤlle, ein wichtigeres Geſchaͤffte daraus entſtehet, ſo wird in der Erzehlung mehr auf das letztere als auf das erſtere, geſehen: Dergeſtalt daß die gantze Geſchichte, nicht ſowohl von dem Anſchla - ge, als von dem Ausgange, den Nahmen be - kommt. Alſo wird man die Schwediſchen Troubeln im 16 Seculo nicht ſowohl von dem Einfalle des Chriſtierns, als von des Guſtavs Gelangung zur Crone, und der unter ihm veraͤnderten Regie - rungsforme benennen. Die Unruhen nach des Caͤſars Tode werden einigermaſſen durch ihren Ausgang verdunckelt, nehmlich daß durch den Auguſtus die monarchiſche Regierung feſte geſtellet worden, daran nach Caͤſars Tode, bey der erſten Unruhen nicht mehr gedacht worden, ſondern jeder bildete ſich vielmehr ein, die Freyheit voͤllig wieder hergeſtellet zu ſe -hen.249v d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. hen. Carl des erſten, Koͤnigs in Engelland Hin - richtung, und die Vſurpation des Cronwells ver - dunckeln die Anſchlaͤge, die zu ſo groſſen Revolu - tionen Gelegenheit gegeben. Alle dieſe Unruhen werden einen gantz andern Nahmen haben, wenn ſie nach den Anfangs gemachten Anſchlaͤgen ihren Fortgang gehabt, und nicht durch unvermutheten Widerſtand, und andere Zufaͤlle, in gantz andere Geſchichte waͤren verwandelt worden. Man wuͤrde von der wiederhergeſtellten Freyheit in Rom; von der Vereinigung der Schwediſchen Krone mit der Daͤniſchen; von der eingefuͤhrten Souverainite in Engelland, und wieder eingefuͤhrten Roͤmiſchca - tholiſchen Religion, in den Geſchichten leſen, da ſol - ches alles nunmehr unbekannte Tittel ſind.

§. 35. Warum uns die Urſachen der Begebenheiten unbekannt ſind.

Wir wiſſen nunmehro, wie die Stuͤcke einer Geſchichte an einander hangen, und aus ein - ander zu erfolgen pflegen: Und die natuͤrliche Vorſtellung der Geſchichten erfordert, daß der Zuſchauer die Begebenheiten, welche die Geſchich - te ausmachen, in eben der Ordnung auf einander erfolgen ſehe, als wie ſie in dem Verlauffe der Dinge wuͤrcklich auf einander, und aus einander, erfolgen: Woraus hernach die natuͤrliche Ord - nung in der Erzehlung, und in denen davon zu ertheilenden Nachrichten von ſelbſt gar leichte er - folgen wird, bis etwa auf die (§. 26. 30. ) ange - fuͤhrte Schwierigkeit. Wenn man die Geſchich - te auf ſolche Art erkennet, ſo wird uns auch dieQ 5Erkent -250Achtes Capitel,Erkentniß der Urſachen, meiſtens keine groſſe Schwierigkeit machen, als wovon wir ſogar die Regeln wiſſen (§. 4. 5. 13. 14. 15. 16.). Allein es kommen bey Erkentniß der Geſchichte, ſelbſt bey denen, dabey wir gegenwaͤrtig ſind, folgende zwey Faͤlle und Umſtaͤnde gar oͤffters vor: 1. Daß man zu einer Sache und Begebenheit kommt, davon man das Vorhergegangene nicht geſehen hat; auch niemand vorhanden iſt, der uns von dem Verlauffe der Sachen, wobey wir nicht zugegen geweſen, oder wie man ſagt, die vor unſerer Zeit geſchehen, umſtaͤndlich belehrete. Denn wenn ein ſolcher Belehrer vorhanden iſt, welcher uns von allem, was zun Urſachen des gegen - waͤrtigen Geſchaͤfftes gehoͤret, ſchicklich unterrich - tet, ſo iſt es, wenigſtens vor einen faͤhigen Kopf, eben ſo gut, als wenn er ſelbſt dabey geweſen waͤre. 2. Daß wir zwar bey den Vorhergegangenen gegenwaͤrtig geweſen ſind, aber die Anſtalten zur ietzigen Begebenheit, und die die Urſach, oder Ge - legenheit darzu ſind, nicht bemerckt haben: Weil ſie entweder ihrer Verborgenheit wegen, nicht haben bemerckt werden koͤnnen; oder weil wir eben nicht auf dieſelben Umſtaͤnde achtung gegeben haben. Alſo empfindet ein Menſch offt ploͤtzlich eine Kranck - heit, oder Schmertzen: Die Anſtalten darzu ſind ohne Zweifel vorher im Leibe nach und nach ent - ſtanden: Aber ſie waren allzu verborgen, als daß man ſie haͤtte wahrnehmen koͤnnen: Jn manchen Faͤllen aber haͤtte man ſie wohl bemercken koͤnnen, wenn man nur mit Mediciniſchen Principiis ver - ſehen geweſen waͤre. Gemeiniglich aber kennetman251v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. man ſeinen Coͤrper nicht, als in ſoferne man ihn ſiehet, und durch Schmertzen und Eckel fuͤhlet. So finden Menſchen Abgang an ihren Vermoͤ - gen, und wiſſen die Urſachen nicht, ob ſie gleich hauptſaͤchtlich bey ihrem Haußweſen, als gegen - waͤrtig anzuſehen ſind. So bricht auch in Rei - chen offt eine Conſpiration und Rebellion aus, oder iſt wenigſtens dem Ausbruche nahe kommen, ohne daß iemand der an der Regierung Theil hat, etwas davon inne geworden iſt:

§. 36. Die Unterſuchung der Urſachen einer Begebenheit iſt ſchwer in Regeln zu bringen.

Jn dieſen beyden Faͤllen, da man zu einer Begebenheit kommt, ohne das Vorhergegangene, welches in das Gegenwaͤrtige einſchlaͤgt, geſe - hen, oder bemerckt zu haben, entſtehet nun eine Un - terſuchung der Urſachen der Begebenheit: Welches eine der ſchwerſten, und verwickelſten Handlungen unſeres Verſtandes, und unſerer Seele iſt. Was nur bey bloß coͤrperlichen Begebenheiten, vor Schwierigkeiten vorkommen, wenn man die Urſachen ausfuͤndig machen will, das haben wir in den vernuͤnfftigen Gedan - cken, vom Wahrſcheinlichen, und deſſen ge - faͤhrlichen Mißbrauche. V. Betracht. all - bereits erklaͤret, worauf wir uns, beliebter Kuͤrtze halber, nun beziehen. Jetzo ſehen wir hauptſaͤch - lich auf die Begebenheiten, die von menſchlichen Willen und Anſtalten abhangen; bey welchen zwar bloß coͤrperliche Begebenheiten auch gar ſehreinſchla -252Achtes Capitel,einſchlagen koͤnnen, wie ſchon Claudianus ſich ausdruͤckt?

O nimium dilecte Deo, cui militat aether: Wobey aber doch der Menſchen Anſchlag das Hauptwerck bleibt. Hierbey dencken die Menſchen nun ſo verſchieden, daß es kaum moͤglich zu ſeyn ſchei - net, etwas ordentliches und regelmaͤßiges davon ſagen zu koͤnnen: Doch wollen wir uns bemuͤhen, Regeln ausfuͤndig zu machen, nach welchen die Menſchen, wo nicht allemahl die Urſachen ſelbſt finden, doch wenigſtens ſich in ihren widerſprechen - den Urtheilen, einander bedeuten und leichter vereinigen koͤnnen. Wir muͤſſen aber zufoͤrderſt zwey Faͤlle unterſcheiden. Der erſte iſt, wo wir die vorhergegangenen zur Sache gehoͤrenden Um - ſtaͤnde erfragen, oder gar wiſſen koͤnnen; denn da kommt es hernach nur darauf an, wornach wir fragen, oder worauf wir ſehen ſollen? Der zweyte Fall iſt: Wo wir die vorhergegangenen Umſtaͤnde nicht wiſſen, und auch nicht erfragen koͤnnen, ſo daß wir ſie lediglich aus den gegen - waͤrtigen muthmaſſen, errathen, und ſchluͤſ - ſen muͤſſen. Der letzte Fall iſt der ſchwehrſte; und man wird davon faſt gar nichts tuͤchtiges lehren koͤn - nen, wenn wir nicht vorher den erſtern in mehrers Licht geſetzet haben.

§. 37. Von der Erfindung der Urſachen, wenn uns das Vorhergegangene bekannt iſt.

Wenn wir das Vorhergegangene wiſſen, (oh - ne doch zur Zeit ſeinen Einfluß in das gegenwaͤrtigeGeſchaͤffte253v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. Geſchaͤffte bemerckt zu haben) oder es wenigſtens erkundigen koͤnnen, und daraus die Urſach finden wollen, ſo muß die allgemeine Theorie der Urſa - chen einer Begebenheit, das Licht ſeyn, welches uns die Urſach der vorhabenden Begebenheit entde - cken muß: nehmlich ſie muß uns zeigen, auf was vor Umſtaͤnde und vorhergegangene Begebenheiten wir zu ſehen haben, um ſie aus ihren Gruͤnden ein - zuſehen. Wir muͤſſen Eintheilungen der menſch - lichen Begebenheiten haben, die aus dem verſchie - denen Urſprunge derſelben hergeleitet ſind, da - mit wir abnehmen koͤnnen, zu welcher Art die ge - genwaͤrtige Begebenheit gehoͤre, und was wir da - bey weiter zu dencken haben, um hinter die Urſa - chen zu kommen. Denn bey eintzeln Dingen iſt kein ander Mittel, hinter die Eigenſchafften, die nicht von ſelbſt in die Augen fallen, zu kommen, als daß man durch den allgemeinen Begriff, darunter die Sache, als unter ihrer Art, oder ih - rem Geſchlecht enthalten iſt, eine Einſicht in die Sache bekomme. Wir wollen alſo nach Anleitung der vorher ſchon fuͤrgegebenen Lehren folgende Re - geln ſetzen.

§. 38. Handlungen, die mit einem Vergnuͤgen verknuͤpfft ſind, koͤnnen verſchiedene Urſachen haben.

Wenn uns eine Handlung vorkommt, ent - weder eines einigen oder mehrerer vereinigten Men - ſchen, die ihrer Natur nach mit einer Luſt verknuͤpft iſt; und wir erfahren oder wiſſen, daß dieſelben Perſonen, da ſie auf weiter nichts geſehen, ſo iſtin254Achtes Capitel,in Anſehung der Urſache weiter kein Zweifel uͤbrig. (§. 4.) Allein es koͤnnen dergleichen Handlungen auch aus Abſichten vorgenommen werden. Denn da Handlungen, die mit keiner Luſt verknuͤpft ſind, ja die ſo gar beſchwehrlich ſind, um der nuͤtzlichen, oder ſcheinbaren Folgen dennoch vorgenommen werden, (n. 2. §. 3): warum ſollte man nicht auch angenehme Handlungen, wenn ſie nuͤtzliche Folgen noch darneben haben, um dieſer Folgen willen, oder aus Abſichten unternehmen koͤnnen. Der Unterſcheid iſt nur, daß alsdenn die Sache der Seele auf zweyerley Art angenehm iſt, und alſo de - ſto mehr erleichtert wird. Und ſo wird aus einer natuͤrlichen Handlung zugleich eine politiſche Handlung. Manchmahl ſiehet man bey angeneh - men Handlungen gar nicht auf das damit verknuͤpf - te Vergnuͤgen, ſondern bloß auf die Abſicht, die dadurch ſoll erhalten werden. Staatsmaͤnner thun vieles aus Abſichten, was andere bloß zur Luſt thun: Sie geben Gaſtmahle, oͤffters gar nicht zum Vergnuͤgen, ſondern es nur an keinen aͤuſerli - chen Zeichen der Freundſchafft fehlen zu laſſen: oder nur, weil es die Gewohnheit und Beſchaffenheit ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena - den fuͤr, oͤffters nur, um nicht zu Hauſe zu ſeyn, gewiſſen Zuſpruch, oder Concurrenz zu vermeiden; oder gewiſſe Entreuven, die nicht abgeredet ſchei - nen ſollen, zu haben. Die gantze Sache kan alſo entweder nur Verſtellung ſeyn, wenn man nach dem Vergnuͤgen gar nichts fragt: oder das Ver - gnuͤgen kan nur eine Nebenurſach ſeyn. Folg - lich fuͤhret uns der allgemeine Begriff ſolcher Hand -lung255v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. lung nicht unmittelbar auf die Urſach, ſondern auf ein Dilemma: daß ſie entweder die Luſt, oder ei - ne Abſicht zum Grunde habe. Denn muß nun unterſucht werden, welches von beyden in dem vor - handenen Geſchaͤffte ſtatt finde. Hier iſt nun frey - lich beſchwehrlich, daß die Handlungen, wel - che man aus einem bloſſen Triebe und Luſt zur Sa - che vornimmt, faſt eben ſo ausſehen, als wenn eben dieſelben Handlungen aus einer Abſicht vor - genommen werden: iedoch wenn man auf die klein - ſten Umſtaͤnde Achtung giebt, oder ſolche genau er - kundiget, ſo wird ſich meiſt einiger Unterſchied fin - den. Denn einerley Art der Handlung, wenn ſie aus verſchiedenen Triebfedern erfolgen, werden nicht auf einerley Art ausgefuͤhrt. Doch macht die Verſtellung die Sache ſchwehr, den Unter - ſcheid zu bemercken. Daher iſt ſchon bey dieſer Art der Handlungen ſchwehr, die Urſachen untruͤg - lich zu erforſchen, wenn man nicht intimæ admiſ - ſionis iſt.

§. 39. Handlungen ohne Vergnuͤgen folgen groſſen Theils aus unſerm Amte und Stande.

Wenn wir von einer Handlung, die nichts unge - buͤhrliches an ſich hat, aber auch zum bloſſen Ver - gnuͤgen nicht pflegt vorgenommen zu werden, die Urſach finden wollen; ſo haben wir darauf zu den - cken: ob ſie nicht ihrer Natur nach, zu einem ge - wiſſen Amte, Stande, Art von Menſchen, oder bekannten Zuſtande der Menſchen gehoͤre? und wenn uns dergleichen einfaͤllt, hernach zu erkundi - gen: ob ſich nicht der Menſch, deſſen Handlungwir256Achtes Capitel,wir unterſuchen, ſich nicht in ſolchem Stande, oder Zuſtande, oder Amte wuͤrcklich befinde, oder befunden habe? Trifft es zu, daß eines von dieſen ihm wuͤrcklich zukommt, ſo werden wir mit Endte - ckung der Urſache fertig ſeyn. Wir werden manch - mahl auf der Reiſe angehalten, oder von Perſo - nen befragt. Wer ſich nicht gleich bedeuten kan, fragt: wer es ſey? der darnach fragt. Die An - fuͤhrung und Benennung des Amtes, das er hat, ſetzt die Sache gleich auſſer Streit. Und derglei - chen Befrembdung und Ungewißheit zu vermei - den, werden ſolche Orte, wo Geleite, Zoͤlle zu entrichten ſind, oder wo ein Paß iſt, und Nach - frage gehalten werden ſoll, fuͤrſtliche Wappen auf - gehangen, durch deren Anblick dergleichen Diſpu - ten gleich vermieden werden.

§. 40. Boͤſe und harte Handlungen werden verſchieden angeſehen.

Bey widerrechtlichen, harten und boͤſen Handlungen, iſt hauptſachlich zu erkundigen, ob es das erſte mahl iſt, daß die Perſon dergleichen un - ternommen, oder aber, ob dergleichen ſchon meh - rere vorher gegangen ſind. Jn dem letztern Fall werden wir leicht das Laſter wahrnehmen, wor - aus dergleichen Thaten, als die vorhabende iſt, zu fluͤſſen pflegen: und wenn wir dieſes einmahl wiſ - ſen, daß es z. E. aus Rachgier, oder aus Geitz ꝛc. geſchehen, ſo werden wir uns um die eintzeln Um - ſtaͤnde der That nicht groß mehr bekuͤmmern, weil man ſo weiß, daß Laſter leichte Gelegenheit finden,ſich257v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. ſich wuͤrckſam zu erzeigen; und daß alſo da nur ge - meine Umſtaͤnde zu ſupponiren ſind. (§. 7.) Wenn aber iemand eine boͤſe That zum erſten mahle unternimmt: ſo wird die Gelegenheit, und beſonders wie er durch ſeine beſondere Gedenckart dazu verleitet worden, (§. 17.) zu unterſuchen ſeyn. Wenn ein Dieb ſchon mehrmahl in Ver - dacht einer ſolchen That, oder gar in Inquiſition geweſen; ſo verlangt man, wenn er wieder ertappt wird, nicht die Urſache zu wiſſen; man begreifft ſie von ſelbſt. Wenn aber ein Achan ſich, des ſtren - gen Verbots ungeachtet, zu einer Entwendung verleiten laͤſſet, oder ein Gelippus, der, als ein La - cedemonier, keinen Gedancken nach Golde haben ſollte, Betrug mit der Beute vornimmt, und ei - nen Theil davon vor ſich behaͤlt, ſo iſt ein jeder be - gierig zu wiſſen, wie ein ſolcher Menſch in ein ſolch Labyrinth gerathen ſey. Wenn ein Tyrann, der durch vieles vergoſſenes Blut ſchon deswegen be - ruͤchtiget iſt, abermahls einen Unſchuldigen hin - richten laͤſſet; ſo wird, wenn man dergleichen nur lieſet, wie vom Nero, Claudius, Caligula, ſich nicht mehr wundern, und alſo auch um die Ent - deckung der Urſachen unbekuͤmmert ſeyn. Wenn aber ein Conſtantin, ſeinen aͤlteſten und tugend - hafften Printzen Criſpus hinrichten laͤſſet; ſo forſcht jeder nach, wie eine ſolche That eigentlich zugegan - gen. Die Hinrichtung der Schottlaͤndiſchen Koͤ - nigin Maria wird noch immer von den Geſchichts - ſchreibern mit bewundernden Augen angeſehen, und einer will es immer mehr als der andere, ſich und ſeinen Leſern begreifflich machen; weil dieſe Haͤr -Rtigkeit258Achtes Capitel,tigkeit mit der vorhergehenden Geſchichte der Koͤni - gin Eliſabeth nicht uͤbereinkommt. Ja man iſt in ſolchen Faͤllen, wie die vorigen Thaten, mit de - nen, deren Urſachen man unterſucht, gar nicht uͤbereinkommen, offt zweifelhafft, ob nicht zu ei - nem, auch ſehr harten Verfahren, dennoch drin - gende Urſachen vorhanden geweſen ſind?

§. 41. Von den Urſachen bey Handlungen, die mit Ambt und Stande keine allgemeine Verbindung haben.

Wenn iemand etwas unternimmt, welches aus dem allgemeinen Begriffe ſeines Ambtes, Standes, und kundbaren Umſtaͤnde nicht kan verſtanden werden, wo auch das etwa damit ver - knuͤpfte Vergnuͤgen (wegen der auf der andern Seite damit verknuͤpften Beſchwehrlichkeiten) die Urſache allein nicht ſeyn kan: ſo muͤſſen beſondere Umſtaͤnde, die nicht jedem in die Augen fallen, da - von die Urſache ſeyn: und die Handlung muß ent - weder der Anfang, Mittel oder Ende eines An - ſchlags ſeyn. (§. 21.) Man nimmt z. E. will - kuͤhrlich eine Reiſe fuͤr, ohne durch ſein Ambt oder Stand darzu gedrungen zu ſeyn, ſondern nur um die Welt zu ſehen, dieſen oder jenen zu ſprechen, und den guten Wuͤrckungen einer haͤuffigen und ſtarcken Motion theilhafftig zu werden. Wie be - ſchaͤfftigen ſich nicht offt Leute damit, die Urſachen davon zu ergruͤnden, die doch die gantze Sache we - nig angehet, und denen es gleichguͤltig ſeyn kan, aus was vor Urſache ſolches auch geſchehen mag. Groſſer259v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. Groſſer Herrren auch an ſich nicht wichtigen Unter - nehmungen, wird dennoch ſehr nachgedacht, was ſie vor Urſachen haben moͤgen, weil man bey ihnen zuforderſt ſupponirt, daß ſie hauptſaͤchlich ſelbſt das - jenige, was Privat-Perſonen etwa zum bloſſen Ver - gnuͤgen thaͤten, dennoch mehr aus Abſichten, als zum eigentlichen Vergnuͤgen thun. Hier wuͤrde nun zufoͤrderſt zu unterſuchen ſeyn: was die Hand - lung, deren Urſache wir unterſuchen, ihrer Na - tur nach vor Folgen nach ſich ziehen koͤnne? denn die Abſicht iſt nichts anders, als eine Folge, oder eine Menge von Folgen, welche man voraus ſiehet, und darnebſt auch zu erhalten begehrt. Es ſind aber die Folgen einer Handlung oder Bege - benheit von verſchiedener Art. 1. Manchmahl iſt die naͤchſte Folge mit der vorigen ſo genau ver - knuͤpft, daß ſie natuͤrlicher Weiſe nicht anders, als daraus erfolgen kan. Denn wenn z. E. ein Trupp mit Pferden und Wagen ſich in eine Defilee einge - laſſen, ſo muß ihre Jntention ſeyn, an den Ort hinzukommen, wo die Defilee ſich endiget: denn das Lencken und Umkehren iſt daſelbſt nicht practi - cable. 2. Zum Theil haben die Handlungen meh - rere moͤgliche Folgen, die ſich aber dennoch noch in eine Zahl faſſen und uͤberſehen laſſen. Als wenn ſich ein Weg in 2. oder 3. andere zertheilet, ſo kan ich zwar noch nicht wiſſen, wo die Menſchen, wel - che auf der Hauptſtraſſe gehen, fahren oder reuten, ſich hinſchlagen werden; aber die Anzahl der Faͤlle iſt doch noch zu uͤberſehen. Wer ſo groſſe Reiſen, wie nach Oſtindien unternimmt, thut ſolches wohl aus Abſichten, entweder zu handeln,R 2oder260Achtes Capitel,oder an der Kentniß des Erdbodens zuzunehmen, oder aus einer Art der Deſperation, weil er ſonſten nicht fortkommen kan. Manchmahl aber 3. koͤn - nen ſelbſt der naͤchſten Folgen ſo viel ſeyn, daß ſie in keine Zahl zu bringen ſind; oder wenigſtens nicht zu uͤberſehen ſind. Jch ſehe, z. E. daß iemand in eine oͤffentliche Bibliotheck gehet: ich vermuthe, daß er ein Buch oder etliche nachſchlagen wolle: ich frage ihn ſelbſt, ob er was ſuchen wolle? ich ver - nehme ſein Ja! Nunmehro aber waͤre die Frage: Welches Buch er wohl zu ſehen verlangt? Wer ſiehet nicht, daß da ſo viel Faͤlle moͤglich ſind, als Buͤcher in der Bibliotheck vorhanden ſind. Wiederum, geſetzt, er erhaͤlt das verlangte Buch, er ſchlaͤgt es auf, er ſucht: man wollte bey ſich ſelbſt fragen: was ſucht er? wie viel tauſend Faͤlle ſind moͤglich von Sa - chen, die er ſuchen kan? Vielleicht etwas, wovon er gar noch nicht weiß, ob es drinne ſtehet? wenn es drinne ſtehet, und er weiß es: ſo kan es ein gantz Capitel, ein Spruch, ein Wort, eine Con - ſtruction, ein Exempel ſeyn, davon er einige Notitz hat, daß es darinne ſtehet, und es alſo finden will. Bey den letztern Faͤllen und deren Unterſu - chung iſt faſt kein ander Mittel, als daß man die Perſon ſelbſt um die Urſache oder Abſicht frage; wie es ietzo unter den Europaͤiſchen Potentaten uͤblich iſt, daß ſie bey allen Unternehmungen, deren Ur - ſache und Abſicht ſich nicht a priori einſehen laͤſſet, einander um die Abſicht befragen laſſen: darauf denn freylich nicht allemahl eine categoriſche Ant - wort zu erwarten iſt. Wenn durch dieſen Canal des Befragens aber, hinter die eigentliche Be -ſchaffen -261v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. ſchaffenheit und Abſicht nicht zu kommen iſt; ſo wer - den wir mit unſerm bloſſen Nachdencken, meiſtens nicht weiter, als ins wahrſcheinliche kommen. Eigentlich aber gehoͤrt dieſe Materie zu der Ein - ſicht ins Zukuͤnfftige.

§. 42. Vergleichung des hiſtoriſchen Zuſammenhangs mit der Verbindung allgemeiner Wahr - heiten.

Wenn man nun den Zuſammenhang der Ge - ſchichte und der Erzehlungen uͤberhaupt betrachtet, und nach den Regeln der Vernunfftlehre beleuchtet; ſo haben wir noch mehrere Anmerckungen zu ma - chen. Erſtlich iſt man in der Vernunfftlehre ge - wohnt, die Verbindung der Saͤtze und Wahrhei - ten lediglich in Schluͤſſen zu ſetzen; und dieſes ge - ſchiehet, weil man da faſt bloß auf die allgemei - nen Wahrheiten ſiehet, mit Recht: auſſer daß doch auch in denen Theorematibus eine andere Ver - bindung vorgehet, daß man nehmlich aus zwey und mehr Saͤtzen einen einigen macht, wie wir in der Logica Practica §. 32. p. 25. gewieſen haben. Dar - aus kan nun gar leicht der Gedancken entſtehen, daß es auch von hiſtoriſchen Wahrheiten gelten muͤſ - ſe, daß ihre Verbindung in Schluͤſſen und De - monſtriren zu ſetzen ſey; zumahl wenn man die Urſachen der Begebenheiten einſehen wolle. Denn ſo iſt bey phyſicaliſchen Dingen die Erklaͤrung der Urſache nichts anders, als eine Demonſtra - tion: welches daher koͤmmt, weil man in der Phy - ſick nicht nach eintzeln Begebenheiten fraget, ſon -R 3dern262Achtes Capitel,dern zufoͤrderſt aus denſelben eine Regel und allge - meinen Satz macht, und dieſem hernach eine Ur - ſache, welches vielmehr Demonſtration heiſſen ſollte, beylegt. ſ. Vernuͤnfftige Gedancken vom Wahrſcheinlichen. V. Betracht. Wenn man nun bey Geſchichten auch von Urſachen hoͤret, ſo kan uns leicht dabey einfallen, daß die Begebenheiten der Welt aus den vorhergehenden auf eben die Weiſe folgeten, als wie Schlußſaͤtze aus den Foͤrderſaͤtzen fluͤſſen, und alſo alles mit Schluͤſſen und Syllogiſmis auszurichten ſey. Hier aber aͤuſſert ſich nun der groͤſte Unterſcheid. Bey allgemeinen Wahrheiten ſolget eine aus der andern, oder eine iſt ſchon in der andern enthalten: Bey hiſtoriſchen Wahrheiten aber iſt keinesweges zu be - haupten, daß das nachfolgende in dem vorher - gehenden enthalten ſey. Ohne uns hierbey in die metaphyſiſche Unterſuchung einzulaſſen, wie in ein - tzeln Subſtantzien die Veraͤnderungen aus ein - ander entſtehen, und die daruͤber entſtandene Un - einigkeiten unter den Gelehrten zu vermeiden, ſo duͤrffen wir nur das vorhergehende und nach - folgende, wie es hier genommen werden muß, genauer beſtimmen. Wir handeln nehmlich von der hiſtoriſchen Erkentniß: was uns alſo von denen Dingen, die ſind und geſchehen, nicht bekannt iſt, das gehoͤret zwar zur Geſchichte, aber nicht zur Geſchichtskunde, noch zur hiſtoriſchen Erkent - niß. Das vorhergehende heiſſet alſo dasjeni - ge, was wir von dem vergangenen wiſſen: und das nachfolgende, was wir von dem nachfolgen - den wiſſen, oder wiſſen koͤnnen. Es iſt alſo hiernicht263v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. nicht die Frage: wie das nachfolgende an ſich aus dem vorhergehenden folget, welches eine meta - phyſiſche Unterſuchung iſt; ſondern wie das nach - folgende, das wir wiſſen, aus dem vorherge - henden folge, das wir auch wiſſen?

§. 43. Ein anders iſt die Verbindung der Geſchichte, und die Verbindung unſerer Erzehlungen.

Wir haben deswegen gleich anfangs die Ge - ſchichte von der Erkentniß derſelben ſorgfaͤltig unterſchieden: (§. 14. C. 1.) und daraus entſte - het der allergroͤſte Unterſcheid der allgemeinen Erkentniß und der hiſtoriſchen Erkentniß. Jene iſt lauter menſchliche Erkentniß, und ein Werck des menſchlichen Verſtandes: die Geſchichte aber iſt nicht menſchliche Erkentniß, ſondern ſie iſt vor - handen, wenn auch niemand vorhanden waͤre, der ſie erkennete. Jn Wuͤſteneyen, wo kein Menſch zugegen iſt, tragen ſich eben ſo wohl Waſſerflu - then, Regenbogen, Gewitter, Bergfaͤlle, Erd - beben zu, als wo Menſchen wohnen. Die Ge - ſchichte muß alſo erſt zur menſchlichen Erkentniß werden: aber ſie wird, wegen unſerer ſo ſehr einge - ſchraͤnckten Erkentniß, niemahls zu einer ſolchen Er - kentniß, darinnen alles ausgedruͤckt, und wie abgedruckt waͤre, was in der Geſchichte an und vor ſich ſelbſt enthalten iſt. Jn der Geſchichte iſt da - her auch, eigentlich zu reden, nichts verborgenes, ſondern in Anſehung unſerer Erkentniß, iſt vieles, ja das allermeiſte verborgen. Welchen Begriff wir etwas mehr auswickeln muͤſſen.

R 4§. 44.264Achtes Capitel,

§. 44. Wir erkennen die phyſicaliſchen Begebenheiten nur Stuͤckweiſe.

So ſind in phyſicaliſchen Dingen 1. verdeck - te Umſtaͤnde und Eigenſchafften, die zwar koͤnten gefuͤhlet werden, oder uͤberhaupt empfunden werden; da aber zufaͤlliger Weiſe niemand dabey geweſen iſt, oder auch niemand dabey ſeyn kan. Was nicht gar zu tieff in der Erden vorgehet, das lieſſe ſich noch durch die Sinne erkennen; wir erken - nen es aber doch nicht, weil wir eben nicht nachge - graben haben; daher wir uns oͤffters wundern, daß ein Gebaͤude ſincket, davon man die Urſache bey tieffern Nachgraben finden koͤnnte. Wir wiſſen den Urſprung mancher Quelle nicht, die man durch nachgraben ebenfalls ausfuͤndig machen koͤnte. Was in unſerm eigenen Leibe vorgehet, iſt uns ver - borgen und verdeckt, weil man den Leib, ohne toͤdtliche Wunden zu verurſachen, nicht oͤffnen kan. 2. Sind die coͤrperlichen Dinge zum Theil zu weit von uns enfernet; wie die Himmelscoͤrper. 3. Sind die meiſten Dinge mit den Sinnen nicht zu er - forſchen, wegen ihrer Kleinigkeit. Wir koͤn - nen nicht bemercken, was mit denen kleinen Thei - len vorgehet in der Jaͤhrung, in der Faͤulniß, in dem Wachsthum: und wir muͤſſen uns an der Betrachtung der Dinge, die auf ſolche Weiſe zu Stande gebracht worden, gnuͤgen laſſen.

§. 45.265v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.

§. 45. Wie viel wir von den Begebenheiten der Seele nicht wiſſen.

Jn der menſchlichen Seele, wovon der groͤſte Theil unſerer hiſtoriſchen Erkentniß abhanget, iſt noch mehr verborgenes. 1. Selbſt klare Gedan - cken, dauerhaffte Gedancken, die der allzu wohl weiß, der ſie hat, koͤnnen andere nicht wiſſen, wenn ſolche nicht in Worte und Wercke ausbrechen. 2. Haben wir ſehr viele Vorſtellungen, die dun - ckel und fluͤchtig ſind, daß wir ſie ſelbſt nicht ein - mahl genau bemercken, ohngeachtet ſie in uns ent - ſtehen: und dennoch iſt dieſen dunckeln Vorſtellun - gen, der Urſprung unſerer Gedancken, die wir wiſſen, meiſtentheils zuzuſchreiben. 3. Aendert ſich der Zuſtand der Seele ſtuͤndlich: daß man nehmlich mehr aufgeraͤumt, oder verdruͤßlicher wird, daß man zu einer Sache bald Luſt hat, bald nicht Luſt hat, welches macht, daß man die Sa - chen gantz mit andern Augen anſiehet. (§. 22. C. 5.) Und dieſe Abwechſelungen unſerer Gemuͤthsverfaſ - ſung bemercken wir das hunderſte mahl kaum ſel - ber: und wiſſen offt ſelbſt nicht, wie uns zu mu - the iſt? geſchweige daß es andere ſollten wiſſen koͤn - nen? 4. Wer will alſo auch die Grade beſtim - men, wenn auch allenfalls offenbar wird, daß wir froͤlich, daß wir traurig, daß wir zornig ſind, da doch auf den Grad der Qualitaͤten alles ankoͤmmt, wenn daraus die Effectus ſollen erklaͤrt werden. Ja was wir einerley Grad der Freude, oder des Unmuths, nennen, wird doch noch ein groſſer Unterſcheid ſeyn, ob eben derſelbe Grad ietzo in derR 5Folge266Achtes Capitel,Folge des zunehmenden, oder abnehmenden Ver - gnuͤgens, oder Mißvergnuͤgens enthalten iſt. 5. Am allerwenigſten aber koͤnnen wir ſelbſt, oder an - dere wiſſen, was wir vor Verwirrungen der Begriffe, vor Vorurtheile, vor Diſpoſitiones zu ſolchen Sachen haben, mit denen wir noch nicht umgegangen ſind. Daher die Handlungen eines Menſchen, mithin ſeine Begebenheiten und Ge - ſchichte, und das, was wir von ſeinen Handlun - gen und Begebenheiten wiſſen, himmelweit unterſchieden iſt. 6. Was nun Menſchen mit einander reden, und geredet haben, gehoͤret zwar in Anſehung derer, die zugehoͤret haben, unter die offenbaren Begebenheiten: allein wie man oͤff - ters mit eintzeln Perſonen im Vertrauen redet: al - ſo ſind ſolche Unterredungen doch noch immer vor andere, wenn ſie nicht ausgeſchwatzet werden, ein unerforſchlich Geheimniß, wovon ſich auch nicht einmahl eine Spur wahrnehmen laͤſſet.

§. 46. Bey Geſchichten wird viel verſchwiegen.

Und was von dieſen verborgenen Umſtaͤnden noch koͤnte bekannt gemacht werden, das muß doch aus moraliſchen und politiſchen Urſachen groͤſten - theils wieder verſchwiegen werden, ſo daß ſich zwar die Geſchichte, ſo weit ſie aͤuſſerliche Veraͤnderun - gen betreffen, ausbreiten, aber auch bey der ge - treulichſten Erzehlung vieles von dem vorhergehen - den zuruͤck gehalten wird, das die oͤffentliche Be - gebenheit begreifflicher wuͤrde gemacht haben. Wer ſein eigen Leben beſchreibt, koͤnte noch am erſtenvon267v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. von ſeinen Entſchlieſſungen oder Begebenheiten die Welt belehren: aber wer | entdecket ſeine Fehler, Schwachheiten und Fehltritte gerne? es wuͤrde ſol - ches oͤffters dem Geſchichtſchreiber nachtheilig, und ſelten dem Publico erſprießlich ſeyn. Man erzeh - let gemeiniglich nichts, als was ſo ſchon vielen be - kannt geweſen. Zwey neuere Schrifftſteller haben die gemeinen Schrancken der Particularitaͤten uͤber - ſchritten: der eine iſt der Freyherr von Hollberg, der andere aber der Leipziger Catechet Bernd. Jh - re Lebensſchreibungen ſind gantz von einem neuen und beſondern Gehalt. Da aber bey einer Erzeh - lung immer viele Perſonen concurriren, die nicht mit gleicher Offenhertzigkeit zu Wercke gegangen, ſo bleibt noch immer dabey viel verborgenes uͤbrig.

§. 47. Jede Erzehlung iſt nur ein Stuͤckwerck.

Jn der Geſchichte ſelbſt iſt an ſich nichts verbor - genes: aber in Anſehung unſerer Erkentniß iſt viel verhorgenes. Die Erzehlung aber beſtehet alle - mahl nur aus bekannten Umſtaͤnden; und iſt daher nur ein Theil der Geſchichte. Da wir aber durch Geſchichte, die in Betrachtung gezogen werden, nur ſolche verſtehen, wobey wir nicht zugegen ge - weſen ſind, ſondern die wir nur aus Nachrichten erlernen; ſo iſt, um die Weitlaͤufftigkeit des ver - borgenen bey einer Erzehlung, zu uͤberſehen, noch hinzuzufuͤgen, was von der Verwandelung der Geſchichte im erzehlen, beſonders von der Aus - laſſung gewiſſer Umſtaͤnde im 6. Capitel gelehret worden. Denn daraus werden wir abnehmen, daßdie268Achtes Capitel,die Geſchichte, wie wir ſie aus einer Erzehlung er - kennen, eine ſchon zweymahl verkuͤrtzte Geſchich - te ſey; ſo daß man ſie nicht unrecht ein Stuͤckwerck nennen kan. Vollends wenn die Nachricht nur ſchrifftlich abgefaſſet iſt, ſo gehet meiſtens eine neue Verkuͤrtzung vor, weil ſo wohl das viele Schreiben, als viele Leſen beſchwehrlich iſt, da man in muͤndlichen Berichten in kurtzer Zeit un - gleich mehrers vortragen, und auf der andern Seite mit viel weniger Unluſt anhoͤren kan. Da - her kommt es denn, daß heut zu Tage die Geſand - ten, wenn ſie gleich noch ſo offte und ſo umſtaͤndlich Bericht an ihre Hoͤfe erſtatten, dennoch gar iezu - weilen eine Reiſe nach Hauſe thun, um ſo wohl noch umſtaͤndlichern Bericht, als in Depechen ge - ſchehen kan, abzuſtatten, als auch ihres Orts von den Anſchlaͤgen ihres Herrn beſſer und ausfuͤhrli - cher belehrt zu werden, als bloß durch ſchrifftliche Inſtructiones geſchehen kan.

§. 48. Begebenheiten laſſen ſich nicht durch Schluͤſſe verbinden.

Jn der Erzehlung alſo einen Zuſammenhang der Theile heraus zu bringen, der in Schluͤſſen ab - gefaſſet waͤre, wenn auch gleich die Sache an ſich der Natur des Zuſammenhanges der Dinge nicht widerſprechen ſollte, iſt wegen der fehlenden, ſo wohl verborgenen, als verſchwiegenen Umſtaͤn - de nicht moͤglich: ſo wenig als man eine Demon - ſtration machen kan, wenn uns nur einige Princi - pia, geſchweige denn die meiſten fehlen. Es iſteben269v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. eben der Fall, als wenn man aus hier und da ab - gebrochenen Stuͤcken das gantze herſtellen wollte. Wir nehmen hier den kuͤrtzeſten und naͤch - ſten Beweiß, daß die Stuͤcke unſerer hiſtoriſchen Erkentniß nicht durch Schluͤſſe verknuͤpft werden koͤnnen; wenn die Begebenheiten gleich ſelbſt nach ſyllogiſtiſcher Art zuſammen hiengen. Sonſten lieſſe ſich die Sache auch tieffer herhohlen, nehmlich zu - foͤrderſt aus der Zufaͤlligkeit der Dinge; inglei - chen daß die Menſchen nicht allein wuͤrcken, ſon - dern auch leyden: welches letztere nicht aus der Sache, die leydet, ſondern aus andern wuͤrckenden Urſachen muß hergeleitet werden. Man koͤnte auch zeigen, daß der Einfluß derer Individuorum in der Welt in einander, und ihr Zuſammenhang von den individuellen Umſtaͤnden eines jeden abhange; wel - che Sachen ſich durchaus nicht in allgemeine Wahr - heiten, und folglich auch nicht in Schluͤſſe verwan - deln laſſen. Aber wir vermeiden dergleichen meta - phyſiſche Betrachtungen mit Fleiß, um erſt dasje - nige, was nach den bekanteſten Begriffen der Men - ſchen unwiderſprechlich iſt, in ſeiner natuͤrlichen Ordnung und Gewißheit unſern Leſern vorzu - ſtellen.

§. 49. Welches weiter bewieſen wird.

Wenn wir alſo die Urſachen einer Begebenheit uns duͤncken einzuſehen; und alſo einen Schluß ge - macht haben, deſſen Schlußſatz die Begebenheit iſt, deren Urſache wir unterſuchen, (§. 1.) ſo wird doch der Schluß niemahls ſeine voͤllige Geſtalthaben.270Achtes Capitel,haben. Die begreifflichſten Arten von Begeben - heiten, wobey niemand zweiffelt, daß er die Urſa - che erkenne, ſind, wo man eine Sache aus Luſt, oder vermoͤge ſeines Ambtes und Standes thut, oder wie man zu ſagen pfleget, thun muß: wo man nach den Geſetzen handelt, hat es eben dieſe Bewandniß. Allein dieſe ſo klare Erkentniß wird doch nie in einen foͤrmlichen Schluß zu bringen ſeyn. Denn wenn wir etwa ſchluͤſſen wollen: Hirten war - ten ihrer Heerde: Cajus iſt ein Hirte: Alſo wartet und weydet er ſeine Heerde: ſo wuͤrde, wenn der Oberſatz allgemein waͤre, kein nachlaͤßiger Hirte, kein Miedling gefunden werden: indem ſich von jedem eben ſo, wie vom Cajus ſubſumiren laͤſſet. Will man aber den Oberſatz ſo machen: Hirten ſol - len ihrer Heerde warten: ſo wird in dem Schlußſa - tze nichts mehr folgen: als daß Cajus ſeiner Heerde warten ſollte: nicht aber, daß er derſelben wuͤrck - lich wartet. Es kommt nehmlich bey den Ge - ſchaͤfften der Menſchen hauptſaͤchlich auf ihren Wil - len und Freyheit an. Doch wiſſen wir auch, daß derſelbe von dem Verſtande regieret wird. Daher, wenn wir nur einiger maſſen einſehen, daß die Men - ſchen theils der Natur der aͤuſſerlichen Dinge, wo - mit ſie umgehen, theils ihren erlangten guten, oder auch boͤſen Faͤhigkeiten gemaͤß gehandelt haben, ſo duͤncken wir uns die Urſachen der Begebenheiten vollkommen zu verſtehen: denn obgleich die Hand - lung daraus noch nicht folget, ſo wird doch das uͤbrige auf die Freyheit des menſchlichen Willens gerechnet.

§. 50.271v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.

§. 50. Geſchichte erklaͤren.

Darinnen beſtehet nun das Erklaͤren der Geſchichte, welches von dem Erlaͤutern derſel - ben, wodurch man ungegruͤndeten und nachtheili - gen Urtheilen vorbauet (§. 28. C. 6.), nicht zu vermengen iſt: Daß man jedes von den vorher - gegangenen Begebenheiten, ſo weit in ſeiner Er - zehlung aus und anfuͤhret, daß das nachfolgende entweder mit der geſunden Vernunfft, oder nach den bemerckten Fehlern, Untugenden und Laſtern der Menſchen, mit zu Huͤlffenehmung der menſch - lichen Freyheit, zu einer natuͤrlichen, und be - greifflichen Entſchluͤſſung wird; ſo daß weder die Sache als ohne allen Grund geſchehen, vor - getragen wird; welchen Fall der menſchliche Ver - ſtand abhorrirt, und nicht glauben kan, noch auch etwas widerſprechendes darinnen hervorleuchtet. Denn ſo, wenn man von zwey guten Freunden erzehlt hat, nachher aber lauter Feindſeligkeiten anfuͤhrete, die ſie einander angethan; ſo iſt die Geſchichte, der Erzehlung nach, widerſprechend: Sie wird aber begreifflich, wenn man die Bege - benheit an rechten Orte anfuͤhret, wie ſie mit ein - ander zerfaller, und Feinde geworden ſind. Der - gleichen Erklaͤrung giebt Cicero, warum Pom - pejus in ſo kurtzer Zeit den Krieg wider die Seeraͤuber ſo bald zu Ende gebracht, und ſonſt in kurtzer Zeit ſo groſſe Thaten gethan habe: Orat. pro L. Manilia c. XIV. Vnde illam tan - tam celeritatem, et tam incredibilem curſum in -uentum272Achtes Capitel,uentum putatis? Non enim illum eximia vis remigum, aut ars inaudita quædam gubernan - di, aut venti aliquot noui, tam celeriter in ulti - mas terras pertulerunt. Sed res, quæ cæte - ros remorari ſolent, non retardarunt: Non aua - ritia ab inſtituto curſu ad prædam aliquam de - uorauit, non libido ad voluptatem, non amoe - nitas ad delectationem, non nobilitas urbis ad cognitionem, non denique labor ipſe ad quie - tem. Poſtremo ſigna & tabulas, ceteraque or - namenta græcorum oppidorum, quæ ceteri tol - lenda eſſe arbitrantur, ea ſibi ille ne viſenda qui - dem exiſtimauit. Man ſiehet, daß ſich Cicero, nach unſerer Regel, wie es mit ausnehmen - den Anſchlaͤgen und Ausfuͤhrungen zugehet (n. 2. §. 11.), ſich auf die beſondere und auſſerordentli - che Gedenckart des Pompejus beziehet; die er auch dergeſtalt ins Lichte ſtellet, daß die meiſten Leſer ſich werden duͤncken laſſen, ſie ſaͤhen vollkom - men ein, warum es mit Ausrottung der Seeraͤu - ber ſo ſchleunig zugegangen. Aber daß hier noch entweder beſondere Umſtaͤnde in den Sachen ge - weſen, oder noch beſondere Gedancken und Triebe in der Seele des Pompejus geweſen, die die Sa - che befoͤrdert haben, laͤſſet ſich unwiderſprechlich daraus wahrnehmen, daß Pompejus, da er in ſeiner eigenen Sache, wider den Caͤſar Krieg fuͤhr - te, dennoch durchgaͤngig des Zauderns und Lang - ſamkeit beſchuldigt wurde, ob es ihm gleich an kei - ner von den Urſachen der Geſchwindigkeit, die Cicero hier anfuͤhret, dazumahl gefehlet haben kan. Das, was man Muth nennet, denn man ſich nichtgeben273v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. geben kan, und den der Hoͤchſte oͤffters den groͤſten Helden, nach ſeinem Wohlgefallen entziehet, war dazumahl, als Pompejus mit den Seeraͤubern ſtrit - te, bey ihm in der groͤſten Uebermaß, und war ihm hingegen entfallen, ſobald, als er wegen Caͤſars Anruͤckung, Rom zu verlaſſen genoͤthigt wurde.

§. 51. Zuſammenfuͤgung derer Begebenheiten.

Nehmen wir alſo zwey Begebenheiten zuſam - men, die nicht allein auf einander gefolgt, ſondern ſogar aus einander gefloſſen ſind, ſo wird ſich den - noch niemahls die eine voͤllig zu der andern, wie der Forderſatz zum Schlußſatze verhalten; weilen nehmlich die nachfolgende allemahl nur zum Theil ihren Grund in der vorhergehenden hat. So iſt zwar nichts natuͤrlicher, als daß ein Moͤrder zu ge - faͤnglicher Hafft gebracht wird: Dieſes kan nicht allein geſchehen, ſondern es ſoll auch geſchehen. Unterdeſſen, wenn wir weiter nichts wiſſen, als daß iemand einen Mord begangen, ſo koͤnnen wir durch keinen menſchlichen Witz ausmachen, oder ſchluͤſſen, daß er muͤſſe arretirt ſeyn, denn er kan entflohen ſeyn, und dieſes kan ſich ſowohl durch Nachſicht, oder Nachlaͤßigkeit des Richters, und der Perſonen, die dazu noͤthig ſind, als auch ohne ihre Schuld geſchehen. Wird er alſo wuͤrcklich gefangen geſetzet, ſo iſt nebſt der That, die Sorg - falt des Richters die Urſach darvon, zu welcher noch die Gefliſſenheit der Diener hinzukommen muß. Das Fluͤſſen einer Begebenheit aus der andern, und das Fluͤſſen der allgemeinenSWahr -274Achtes Capitel,Wahrheiten aus einander, ſind deswegen Him - melweit von einander unterſchieden, und es iſt ſehr noͤthig, daß man dieſe beyden Arten des Zuſam - menhanges wohl unterſcheiden lernet, weil aus der Verwirrung ſchon boͤſe Folgerungen ſind gezogen worden, wie in der Diſſ. de cardine Legis & Pro - phetarum iſt gewieſen worden. Wir ſollten da - her faſt unumgaͤnglich ein beſonder Wort haben, den Zuſammenhang der Begebenheiten anzu - zeigen, um ihn nicht mit der Verbindung der Saͤtze in denen Schluͤſſen, zu vermengen. Der teutſche Ausdruck: Es fuͤgte ſich: Giebt uns Anleitung, das Wort Fuͤgung, als das allerbe - quemſte hierzu, zu erwehlen. Nehmlich bey zwey Sachen, die ſich zuſammen fuͤgen, wie zwey Kerb - hoͤltzer, oder die Glieder an einem Gelencke, ſind dieſelben zwar wuͤrcklich auſſer einander, und von einander unterſchieden, unterdeſſen wird doch je - der urtheilen, wie dieſe Sachen eine Verbindung mit einander haben. Zwey Begebenheiten fuͤgen ſich alſo zuſammen (congruunt). Was nun boͤſe Thaten ſind, die ſchicken ſich freylich ſchlecht, nehmlich zum Geſetzen, zum Willen des Obern: Unterdeſſen wie ſich auch ein Geſchwuͤhr, an ſtatt des geſunden Fleiſches anfuͤgt, alſo kan auch an das gute ſich was Boͤſes anfuͤgen; und auf eben dieſe Art iſt nichts haͤuffiger in der Welt anzutref - fen, als daß bey unſern Anſchlaͤgen und Ausfuͤh - rung derſelben, ſich Ungluͤcks-Faͤlle, Hinderniſſe, und Widerſtand aͤuſſert, der zwar nicht zur Aus - fuͤhrung unſers Vorhabens, aber wohl zu Hinter - treibung deſſelben vollkommen paſſet.

§. 52.275v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc.

§. 52. Was der Grund einer Geſchichte heiſſet?

Eine Geſchichte iſt daher eine Reyhe Be - gebenheiten, die an einander paſſen, und an ein - ander gefuͤgt ſind. Nun trifft man zwar in de - nen allgemeinen Wahrheiten einen innerlichen Un - terſcheid an, daß einige Grundſaͤtze ſind, andere aber Folgen, Corollaria und Theoremata: Und zwar verhalten ſich dieſe ſo gegen einander, daß wenn man nur die erſtern weiß, ſo kan man die andern, aus ſeinem eigenen Nachdencken, erfinden. Dergleichen Eintheilung aber iſt bey denen Be - gebenheiten nicht zu gedencken: Sondern da iſt eines wie das andere zufaͤllig: Jede folgende Be - gebenheit muß ſowohl als die vorhergegangenen, durch ein Anſchauungsurtheil erkannt werden (§. 3. Cap. 1.): Daher iſt die hiſtoriſche Erkent - niß eine Reyhe von lauter Anſchauungsurthei - len: Welche ſich durch Nachrichten, Erzehlungen, Urkunden, Ausſagen, und Nachſagen aus einer Seele in die andere ausbreiten. Will man aber dennoch in denen hiſtoriſchen Saͤtzen, die eine Er - zehlung ausmachen, einen Unterſcheid ſuchen, und etwas denen Principiis einer Demonſtration aͤhn - liches ſetzen, ſo muß es auf eine andere und fol - gende Art geſchehen. Wir haben geſehen, wie es mit dem Urſprunge einer Geſchichte beſchaffen iſt. Es wird nehmlich eine Gelegenheit voraus ge - ſetzt, daraus ein Anſchlag, oder That erfolgt, die denn viele Folgen nach ſich ziehet (§. 12.). Die Gelegenheit iſt noch als etwas anzuſehen, daßS 2auſſer276Achtes Capitel,auſſer der Geſchichte iſt, und von derſelben unter - ſchieden iſt, ob ſie gleich zur Erkentniß der Bege - benheit um deren Urſache einigermaſſen zu verſte - hen noͤthig iſt. Die erſte Begebenheit aber der Zeit nach, welche zu der vorhabenden Geſchichte gehoͤret, iſt, als der Anfang derſelben vor allen nachfolgenden merckwuͤrdig: Und man kan ſie den Grund der Geſchichte nennen. Lateiniſch aber waͤre das Wort cardo beſſer zu gebrauchen, als das Wort principium, welches man bey allge - meinen Wahrheiten zu brauchen, allzuſehr ge - wohnt iſt, die uns alſo bey dieſem Worte immer einfallen, und dennoch mit dem Anfange einer Geſchichte keine Gemeinſchafft haben. Was ſich nach der erſten Begebenheit zutraͤgt, oder fuͤgt, heiſſen Folgen, die man eher von den ſyllogiſti - ſchen Folgen zu unterſcheiden ſchon gewohnt iſt; daher wir dieſes Wort, ohne Verwirrung beſorgen zu duͤrffen, gar wohl beybehalten koͤnnen.

§. 53. Wie man auf die Erfindung der Fabeln gekommen.

Wir haben ſchon bemerckt (§. 16. ſeq. C. 4) daß wir oͤffters bey Geſchichten nicht ſowohl auf die Perſonen achtung geben, die die Geſchichte be - trifft, als bloß auf die Art, wie die Begebenhei - ten in der Geſchichte auf einander erfolgen: Wie denn alle verwirrte Haͤndel meiſtens auf dieſer Seite angeſehen werden (§. 30.). Je weniger man die Folgen aus dem vorhergegangenen ſchlieſ - ſen oder vermuthen kan, deſto merckwuͤrdigerkom -277v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. kommen uns ſolche Geſchichte vor; und unſere Vorfahren haben ſie Maͤhren genennet, welches Wort aber nach und nach zu einem gleichlauten - den Worte von der Fabel, ja endlich zu einem gleichlautenden Worte von einer abgeſchmack - ten Fabel geworden iſt. Bey ſolchen Erzehlun - gen pflegt man nicht ſonderlich auf Zeit und Ort achtung zu geben, weil dieſe in dem angefuͤhrten Falle, zur Geſchichte nicht viel beytragen. Die Geſchichte, deren Verbindung wunderbar iſt, bleibt es allemahl, ſie mag ſich zugetragen haben, wenn ſie will. Daran aber iſt wohl nicht zu zweiffeln, daß von ſolchen auſſerordentlichen Geſchichten, die kuͤnſtlichen Fabeln ihren Urſprung haben. Denn es ſind freylich noch mehr Zuſammenfuͤ - gungen der Begebenheiten moͤglich, als wuͤrcklich exiſtiren: Man hat alſo zur Beluſtigung ſolche Verbindungen der Begebenheiten erdacht, die die wahren Geſchichte an ihrem gantz unvermutheten Zuſammenhange, der ſich mauchmahl zutraͤgt, wohl noch uͤbertreffen.

§. 54. Vornehmſte Arten der Fabeln.

Man hat ins beſondere, dieſen oder jenen An - ſchlag, von dem wir aus den alten Geſchichten Nachricht haben, oder auch deſſen Ausfuͤhrung, der aber nur mit wenigen aufgezeichnet worden, genommen, und eine weitlaͤufftige Ausfuͤhrung deſ - ſelben erſonnen. Da nun die Anſchlaͤge durch Hinderniſſe und Widerſtand wunderbar veraͤn - dert und aufgehalten werden (§. 23.); ſo erſin -S 3nen278Achtes Capitel,nen ſich die Poeten bey ihren Ausfuͤhrungen auch ein ſolch Haupthinderniß, welches die Vollbrin - gung des Anſchlages nicht ſo bald verſtattet: Die - ſes pflegen ſie den Knoten zu nennen: Und ſie leiten daraus, als aus einer Quelle immer neue beſondere Hinderniſſe her. Daraus nun, daß der Anſchlag entweder erfuͤllet, und mit einem gluͤck - lichen Erfolg bekroͤnet, oder durch ein ungluͤcklich Ende der Hauptperſonen vereitelt wird, iſt die Eintheilung der Comoͤdien und Tragoͤdien entſtanden: Welche Erfindung der Poeten in die wahre Erzehlung in ſoferne einen Einfluß hat, daß ſich ein Geſchichtsſchreiber zu huͤten hat, daß ſeine Erzehlung nicht etwa das Anſehen einer Co - moͤdie oder Tragoͤdie bekomme: Weilen ſie ſon - ſten den Verdacht einer Fabel, bey ſehr vie - len Leſern nimmermehr vermeyden wird.

§. 55. Verhaͤltniß der Parallelgeſchichte.

Parallelgeſchichte, ſind nichts anders als aͤhnliche Geſchichte; und zwar in Anſehung des Zuſammenhanges der Theile: Alſo ſind die Ex - empel derer, die von ihrer Hoͤhe und Reichthum ploͤtzlich herunter geſtuͤrtzt werden, Parallelhiſto - rien. Valerius Maximus hat lauter ſolche Pa - rallelgeſchichte, in ſeinem Buche, unter ſo vielen Titeln, als Capitel ſind, vorgetragen. Es pflegt nun in ſolchen Parallelgeſchichten wohl immer ei - niger Unterſcheid zu ſeyn, wenn man gleich ſagt, man habe den Caſum in Terminis ſchon gehabt: Und es koͤnten daher dieſelben um ſo viel eher un -terſchie -279v. d. Zuſammenhange d. Begebenh. ꝛc. terſchieden werden, da ſie uͤberdiß zu verſchiedener Zeit, oder am verſchiedenen Ort geſchehen, und verſchiedene Perſonen betreffen. Aber nach den Regeln der Einbildungskrafft, wenn man nicht auf alle Umſtaͤnde genau acht giebt, nehmlich der Perſonen, der Zeit und des Ortes, koͤnnen ſie auch deſto leichter mit einander verwechſelt werden; oder auch gar mit einander vermiſcht werden.

§. 56. Hiſtorie der Menſchen die einerley Nahmen gehabt haben.

Und aus eben dieſer Urſach ſind die Geſchich - te derjenigen Perſonen, die einerley Nahmen fuͤhren, einander gefaͤhrlich: Judem nichts leich - ter iſt, als daß die Begebenheiten des einen, dem andern beygelegt, und alſo die Perſonen verwech - ſelt werden. Ja es gehet auch an, daß man gar ihren Unterſcheid vergiſſet, und aus zweyen, dreyen und mehreren eine Perſon macht: Wor - aus nichts anders als Verwirrung und Jrrthum in der hiſtoriſchen Erkenntniß entſtehen kan. Die Bemuͤhung der neuern iſt daher gantz loͤblich, die Maͤnner einerley Nahmens in beſondere Samm - lungen zu bringen, um ſowohl deren Verwir - rung, wo ſich ſolche ſchon geaͤuſſert, wieder auf - zuheben; als durch genaue Bemerckung ihrer noch bekannten Umſtaͤnde, die Verwirrung aufs kuͤnfftige, voͤllig zu vermeiden. Man leſe, aus unzehligen Exempeln nur eines anzufuͤhren, wieS 4der280Neuntes Capitel,der Abt Banier, aus einem Minos, deren zweye gefunden, in der Hiſtoire de l Acad. Roy. des bel - les lettres T. II. p. 68.

Neuntes Capitel, von der Gewißheit der Geſchichte; oder der hiſtoriſchen Erkentniß.

§. 1. Die Gewißheit gehoͤret unter die gemeinen Begriffe.

Da die innerliche Beſchaffenheit der Gewiß - heit noch wenig unterſucht worden, welche doch in gegenwaͤrtiges Capitel, darinnen von einer beſondern Art derſelben gehandelt wird, ei - nen groſſen Einfluß hat, ſo ſehen wir uns genoͤ - thiget, in die allgemeine Unterſuchung der Ge - wißheit etwas einzulaſſen, und den Begriff der - ſelben genauer zu beſtimmen. Wir bemercken alſo zufoͤrderſt, daß die Bedeutung des Wortes: Gewiß, und mithin der Begriff der Gewißheit, nicht eine Erfindung der Philoſophen; ſondern vielmehr ein gemeiner Begriff ſey, den wir bey allen Voͤlckern auf dem Erdboden antreffen wer - den: Von welchen ſich alſo auch alles dasjenige urſpruͤnglich her ſchreibt, was nachher die Gelehr - ten und beſonders die Weltweiſen, zur Erlaͤute - rung der Gewißheit unſerer Erkentniß beygebrachthaben.281von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. haben. Woraus denn folget, daß wir nicht freye Hand der Gewißheit eine Bedeutung beyzulegen, welche wir wollen, noch auch den gemeinen Be - griff, durch Definitionen, die damit nicht genau uͤbereinkommen, zu zerruͤtten; ſondern daß wir in der Theorie der Gewißheit uns beſtaͤndig an den gemeinen Begriff halten muͤſſen. Wir ge - hen aber im gemeinen Leben mit nachfolgenden Wahrheiten um: 1. Mit demjenigen, was jeder vor ſich ſelbſt empfunden, d. i. geſehen, geſchmeckt, gefuͤhlt ꝛc. hat. 2. Mit demjenigen allgemeinen Wahrheiten, welche man Erfahrungen nennet: Als daß das Waſſer bey groſſer Kaͤlte erſtarre, daß die Metalle bey ſtarcken Feuer ſchmeltzen ꝛc. 3. Mit eintzeln Wahrheiten und ſolchen Erfah - rungen die man aus anderer Leute ihren Ausſagen erkannt hat. 4. Man gehet aber ſehr wenig mit allgemeinen Wahrheiten, in eigentlichem Ver - ſtande um; auſſer was die Verhaͤltniſſe der Zahlen und der Maaſſe anlanget. Jn Anſe - hung der Folgerungen, welche ſich aus andern, auch ſchon im gemeinen Leben bekannten allgemei - nen Begriffen herleiten laſſen, kommen wir nicht weiter als auf die Conſequentias immediatas, oder hoͤchſtens auf einige Corollaria, die aus ein paar Conſequentiis immediatis flieſſen: Als daß: Wo Berge ſind, auch Thaͤler ſeyn muͤſſen: Daß zu einem Geſpraͤche zwey Perſonen gehoͤ - ren: Daß man das Geborgte wiedergeben muͤſſe. Mit tieffſinnigen allgemeinen Wahrheiten, die man in der Logick Theoremata nennet, pflegen wir uns im gemeinen Leben nicht einzulaſſen.

S 5§. 2.282Neuntes Capitel,

§. 2. Gemeine Gedenckart von der Gewißheit.

Wenn man nun darauf mercket, wie? und wo? man im gemeinen Leben, das Wort: Ge - wißheit brauche, ſo werden wir wahrnehmen, 1. daß wir aller Erkentniß, die wir durch die Sin - ne erhalten haben, oder unſern Empfindungen eine Gewißheit beylegen: 2. Daß wir auch ſehr vielen Erfahrungen eine Gewißheit beylegen. Daß es nicht bey allen geſchiehet, kommt daher, weil ſich manche Arten der ſogenannten Erfahrungen, aus wenigen, ja auch nur aus einem einigen Exempel unwiderſprechlich herleiten laſſen: Dergleichen die - jenigen ſind, wo man nur die Moͤglichkeit ei - ner Sache a poſteriori behauptet: Als daß ein Menſch hundert Jahr alt werden koͤnne: Daß Eiſen durch gefroren Waſſer kan zerſprenget wer - den, nach der bekannten metaphyſiſchen Regel: Ab eſſe ad poſſe valet conſequentia. Wenn man aber aus eintzeln Faͤllen und Exempeln ſolche all - gemeine Regeln machen will, die ſich auch auf neue Faͤlle untruͤglich wieder ſollen appliciren laſ - ſen, als daß gewiſſe Artzneyen, gewiſſe Kranckhei - ten allemahl vertreiben ſollen, da weiß jeder, daß es mit ſolchen Erfahrungen und ihrer Gewißheit groſſe Schwierigkeit habe. 3. Legen wir auch ſolchen Dingen eine Gewißheit bey, iedoch nicht allein, welche wir bloß aus Nachrichten und Aus - ſagen oder Berichten erkannt haben. Denn ſo zweifelt man gemeiniglich an dem Abſterben ſei - ner Eltern, oder Geſchwiſter nicht: Ob man gleichnicht283von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. nicht bey ihrem Ende zugegen geweſen, ſondern bloß davon durch andere iſt benachrichtiget wor - den. 4. Fremde Erfahrungen nehmen wir auch vor gewiß an, wenn uns nur die eintzeln Faͤlle, worauf der Fremde ſeine Erfahrung gruͤndet, nicht ungewiß ſind. Wir zweifeln nicht, daß Neu - hof, der Abt Choiſy, und andere oſtindiſche See - fahrer fliegende Fiſche geſehen haben: Und ma - chen alſo mit ihnen den ungezweifelten locum com - munem: Daß es fliegende Fiſche in der Welt gebe.

§. 3. Man urtheilt ietzo von der Gewißheit gantz an - ders als vor Zeiten.

Aus dieſen beyden Anmerckungen nun, daß man im gemeinen Leben ſich um allgemeine Wahr - heiten wenig bekuͤmmert (§. 1.), denen Empfin - dungen aber durchgaͤngig, und denen Ausſagen nebſt den Erfahrungen groſſen theils Gewißheit bey - legt (§. 2.), erhellet ſo viel, daß man nach der ge - meinen Gedenckart die Gewißheit, hauptſaͤchlich als eine Eigenſchafft der hiſtoriſchen Wahrhei - ten anſiehet. Und ſo haben ſonſten auch ſelbſt die Philoſophen gedacht. Die Zweiffler, unter denen die Platonicker den groͤſten Hauffen ausge - macht haben, haben ſich lediglich mit den Schwie - rigkeiten beſchaͤfftiget, womit die Erkentniß der allgemeinen Wahrheiten umgeben iſt: Selbſt der Pyrrhoniſmus hat ſich nur auf die phyſicali - ſche Erkentniß, in wie weit ſie mit den Sachen auſſer uns, an und vor ſich ſelbſt betrach -tet284Neuntes Capitel,tet, uͤbereinkomme, oder nicht? erſtreckt? Die Hiſtorie hat man in Anſehung der Gewißheit un - angefochten gelaſſen. Dieſe Gedenckart der Phi - loſophen aber hat ſich ſeit einiger Zeit gar ſehr ge - aͤndert: Dergeſtalt daß man ietzo faſt durchgaͤn - gig, zwar denen Wiſſenſchafften die Gewißheit einraͤumet, welche denen Alten immer nicht ein - leuchten wollen; aber der hiſtoriſchen Erkentniß, wenigſtens in ſoferne ſolche auf Ausſagen und Zeug - niſſe beruhet, alle Gewißheit abſprechen, und eine bloſſe Wahrſcheinlichkeit einraͤumen will.

§. 4. Wie man darauf gekommen, der Hiſtorie die Ge - wißheit abzuſprechen.

Die Veranlaſſung zu ſo unſtatthaften Leh - ren iſt folgende. Man hat 1. geſehen, daß allge - meine Wahrheiten, (wo von doch die Conſequen - tiæ immediatæ auszunehmen ſind) wenn ſie ge - wiß ſeyn ſollen, demonſtrirt werden muͤſſen. Weil man nun auf die hiſtoriſche Erkentniß, in der Logick bisher gar nicht gerechnet, und daher die Erkentniß der allgemeinen Wahrheit, mit der Erkentniß uͤberhaupt, haͤuffig vermenget hat: So iſt 2. unvermerckt der Satz entſtanden: Wahrheiten, die gewiß ſeyn ſollen, muͤſſen demonſtrirt werden: Welches doch nur von einer Gattung allgemeiner Wahrheiten gilt: nehmlich von Theorematibus. Ja man hat 3. die Demonſtration vor die Gewißheit ſelbſt genommen: Da ſie doch nur aus der Demonſtra - tion entſtehet. Daraus hat man 4. die Folge ge -zogen285von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. zogen; wo keine Demonſtration iſt, da iſt auch keine Gewißheit. Welcher Satz alſo nicht den geringſten tuͤchtigen Grund hat, ſondern durch eine unerlaubte Converſion des erſten Sa - tzes entſtehet, entſtanden iſt. Nun haͤtte man 5. aus der einmahl unrichtigen Concluſion wei - ter ſchlieſſen ſollen: Wo keine Demonſtra - tion iſt, da iſt alſo nur Ungewißheit und Zweifel: Denn zwiſchen Gewißheit und Unge - wißheit oder Zweifel, giebt es kein Tertium. Die - ſes aber ſo platt heraus zu ſagen, und alle Erkent - niß der Geſchichte auf einmahl ungewiß zu ma - chen, hat man noch zur Zeit Bedencken getragen; fondern man hat 6. ſich hinter dem Titel der Wahrſcheinlichkeit, welches doch nichts an - ders als eine Gattung des Zweifels iſt, verſteckt, und alſo den gantz unrichtigen Satz angenommen: Wo keine Demonſtration ſtatt findet, da iſt nur Wahrſcheinlichkeit. Woraus denn von ſelbſt hat folgen muͤſſen: Daß die hiſtoriſche Erkentniß lauter Wahrſcheinlichkeit ſey: Wobey ſich aber noch dieſe Unſchicklichkeit aͤuſſert, daß man entweder auch ſeinen Sinnen, die der erſte Quell der hiſtoriſchen Erkentniß ſind, wider aller Menſchen Urtheil die Gewißheit abſprechen, oder die ſinnliche Erkentniß nicht zur hiſtoriſchen Er - kentniß rechnen muͤſſe.

§. 5. Lehrſaͤtze wider die allgemeine Wahrſcheinlich - keit der Hiſtorie.

Dieſe groſſe Verwirrung und Verdrehung der Begriffe zu vermeiden, iſt hoͤchſtnoͤthig, daßfolgen -286Neuntes Capitel,folgende Saͤtze deutlich bemerckt und gelehrt wer - den. 1. Die Demonſtration iſt nicht die Gewiß - heit ſelbſt, ſondern ſie fuͤhret uns nur bey allgemei - nen Wahrheiten, ja nur bey manchen Arten der - ſelben, nehmlich bey Corollariis und Theorema - tibus zur Gewißheit. 2. Mithin kan auch auſ - ſer den Demonſtrationen Gewißheit ſeyn; als welche man denen Axiomatibus und denen Em - pfindungen nimmermehr kan abſprechen laſſen. Und dennoch ſind auch 3. die Sinne nicht die Ge - wißheit, ſondern dieſe iſt nur eine Eigenſchafft der ſinnlichen Vorſtellungen. 4. Ohngeachtet bey demonſtrirten Wahrheiten das Oppoſitum alle - mahl contradictoriſch iſt, und die gewiſſen allge - meinen Wahrheiten mithin dieſe Eigenſchafft auch haben: So folgt doch gar nicht, daß die Gewiß - heit eines Satzes darinnen beſtehe, daß das Oppoſi - tum contradictoriſch ſey: Noch auch, daß dasje - nige nicht gewiß ſeyn koͤnne, deſſen Gegentheil kei - nen Widerſpruch in ſich haͤlt. Vielweniger kan man 5. das vor die Definition der Gewißheit annehmen: Wie das Gegentheil einen Wi - derſpruch in ſich haͤlt. Es iſt auch 6. die Gewißheit nicht eine Eigenſchafft der Sachen, ſondern unſerer Erkentniß: Und die Eintheilung in certitudinem objectiuam & ſubjectiuam, da - von jene die Wahrheit, dieſe aber die Gewiß - heit iſt, iſt nichts anders als eine Verwirrung zweyer verſchiedener Dinge; die nur Zerruͤttung anrichtet: Wie wir ſchon gezeigt haben in den vernuͤnfftigen Gedancken vom Wahr - ſcheinlichen. VIII. Betracht. §. 6.

§. 6.287von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc.

§. 6. Wie man ſich uͤber den Begriff der Gewißheit zu vereinigen hat.

Um uns nun uͤber die Erklaͤrung der Gewiß - heit zu vereinigen, muͤſſen wir folgendes voraus ſetzen. 1. Weil der Begriff der Gewißheit aus dem gemeinen Leben hergenommen iſt; (§. 1.) ſo muͤſſen wir zufoͤrderſt uns an denſelben halten, und ihn aufzuklaͤren ſuchen. 2. Sodann wird man bald mercken, daß keine Urſach, oder Anleitung in der Philoſophie vorhanden ſey; warum man da - ſelbſt von dem urſpruͤnglichen und gemeinen Be - griff abgehen ſollte. Wohl aber iſt dieſes einem Philoſophen anſtaͤndig, daß er die allgemeine Be - ſchaffenheit der Gewißheit unterſuche: Beſonders aber, wie ſolche bey denen allgemeinen oder philo - ſophiſchen Wahrheiten ins beſondere koͤnne erhal - ten werden. 3. Wenn man aber den allgemeinen Wahrheiten zu Gefallen, von dem gemeinen Be - griffe nicht abgehen darf, ſo werden wir uns in der Abhandlung von der hiſtoriſchen Eekentniß um ſo viel mehr an denſelben zu halten haben (§. 2.). Endlich muͤſſen wir noch hinzufuͤgen, daß man 4. auch nicht von allen gewiſſen Wahrheiten ver - langen muß, daß ſie zu jedermans Gewißheit koͤnnen gebracht werden; ob gleich ſolches mit mathematiſchen und philoſophiſchen Wahrheiten angehet. Denn obgleich dieſes eine ſehr gute Ei - genſchafft vieler Wahrheiten iſt, ſo gehoͤret ſiedoch288Neuntes Capitel,doch nicht zur Natur, noch zum innerlichen der Gewißheit.

§. 7. Was die Gewißheit iſt.

Der gemeine Begriff der Gewißheit beſte - het aber darinne: Daß das Urtheil, welches wir einmahl von einer Sache gefaͤllet haben, bey uns unveraͤnderlich iſt. Dem iſt die Ungewißheit oder Zweifel entgegen geſetzet, das iſt: Die Ab - wechſelung unſerer Vorſtellung, da wir die Sache bald bejahen, bald verneinen. Jm gemeinen Le - ben ſind die Menſchen mit der Einbildung ihrer Gewißheit meiſtens gar zu voreilig, ſo daß wir faſt von allem, was wir dencken, die Gewißheit ruͤh - men, und uns einbilden, was wir einmahl den - cken, das wuͤrden wir uns auch in Ewigkeit ſo vorſtellen; ja es wiſſe die Sache niemand beſſer, als wir. Wer aber viel mit Menſchen umgehet, lernet nach und nach aus der Erfahrung, daß man durch Nachdencken, durch Nachrichten, und mit der Zeit, gar vieles anders einſiehet, als man Anfangs gedencket. Vollends die Gelehrten, welche auf die Menge der Streitigkeiten achtung geben, und auf die Fehle, die ſo klugen und mit Einſicht begabten Maͤnnern angewandelt haben, ſind viel ſchuͤchterner, ſich ſo bald einer gewiſſen Er - kentniß von Dingen zu ruͤhmen. Aber alle, die nach der Gewißheit ſtreben, trachten nach nichts anders, als daß nebſt der Wahrheit, auch die Vorſtellung und Erkentniß derſelben unveraͤndertbleiben289von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. bleiben moͤge, ſo daß ſie niemahls auf das Gegen - theil durch Ungewißheit verfallen.

§. 8. Vergleichung der Gewißheit und Wahrheit.

Es iſt alſo zu unterſuchen, woher es komme, daß ein Urtheil, welches wir einmahl gefaͤllet, unver - aͤndert verbleibe? und woher wir wiſſen koͤnnen, daß ſolches geſchehen werde? So viel ſiehet man leichte, daß ein falſches Urtheil nicht voͤllig gewiß ſeyn koͤnne, und daß alſo die Wahrheit bey der Gewißheit zu Grunde gelegt werden muͤſſe; ob - gleich auch die Unwahrheiten ſich unglaublich tieff einzupraͤgen pflegen, und denen Leuten oͤffters eine lange Zeit gewiß ſind. Ja! die Menſchen hafften offt ſtaͤrcker an der Luͤgen, als an der Wahrheit. Aber dennoch, da die Wahrheit ihren innerlichen Vorzug vor der Unwahrheit und Luͤgen hat; ſo iſt es allemahl moͤglich, daß man endlich ſeinen Jrr - thum erkennet, und der Wahrheit Platz geben muß: daß alſo bey Jrrthuͤmern und Luͤgen keine Ge - wißheit im eigentlichen Verſtande, ſondern nur auf eine gewiſſe Zeit abzuſehen iſt; welches aber freylich eher Trotz, Blindheit, Tummheit, als Gewißheit zu nennen iſt. Es iſt aber zur Ge - wißheit nicht genug, daß die Sache wahr iſt. Denn vermoͤge der Erfahrung koͤnnen auch Jrr - thuͤmer und Luͤgen den Schein der Wahrheit bekom - men, und hingegen die Wahrheit kan auſſer dem Zuſammenhange ohne ihren Gruͤnden, worauf ſie beruhet, ja auch wohl verſtimmlet vorgetragenTund290Neuntes Capitel,und eingeſehen werden: von welchen Arten der Er - kentniß nicht zu verlangen iſt, daß ein unveraͤnder - liches Urtheil in der Seele daraus entſtehen ſollte. Soll alſo ein Urtheil gewiß ſeyn, ſo muß zur Wahrheit noch etwas hinzukommen, welches uns wider das Blendwerck in Sicherheit ſetzet: und dieſes ausſuͤndig zu machen, iſt res altioris inda - ginis.

§. 9. Eine Sache auf die rechte Art einſehen, macht ſie gewiß.

Bey allen meinen Wahrheiten wiſſen wir ietzo, daß das Demonſtriren eine ſolche Gewißheit her - vorbringt. Was man durch Demonſtration weiß, davon laͤſſet man ſich durch kein Blendwerck abwen - dig machen. Aber eben dieſes erhaͤlt man auch bey conſequentiis immediatis, iedoch auf eine andere Art. Ja! da Rechnungen keine eigentlichen Schluͤſſe ſind, und dennoch eben die Gewißheit, wie Schluͤſſe und Demonſtrationen, gewehren: ſo ſiehet man, daß die Gewißheit nicht in den Schluͤſſen beſtehe, ſondern darinne: wenn man jeden Satz auf die rechte Art einſiehet, und auf dem rechten Wege zu ihn gelanget. Denn ſo muß eine allgemeine Wahrheit, wenn ſie uns gewiß ſeyn ſoll, nicht et - wa als ein bloſſer Einfall, auſſer ihrer Verbin - dung, noch durch bloſſes Hoͤren erkannt werden: ſondern, wenn ſie eine conſequentia immediata iſt, ſo muß man ſie auch als eine conſequentiam imme - diatam einſehen: hingegen als ein corollarium, wenn ſie wuͤrcklich an ſich ein corollarium iſt, undals291von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. als ein theorema, wenn ſie ſich als ein theorema zur Definition verhaͤlt.

§. 10. Logikaliſche Regeln wehren dem Zweiffel.

Alſo uͤberhaupt, wenn man jede Wahrheit nach ihrer rechten Art und auf die rechte Weiſe einſie - het, wie ſie der Natur der Sache und unſerer Seelen nach erkannt werden kan, ſo werden wir von unſern einmahl gefaͤlleten Urtheilen von uns ſelbſt abzugehen ſo wenig Urſache finden, als je - mand bey einem Axiomate oder Corollario zweif - felt. Nur dieſes waͤre etwa zu beſorgen, daß nicht andere ihre irrige und betruͤgeriſche Vorſtellungen uns mittheilten, und uns dadurch in der Seele irre machen, und unſere bisherige Gewißheit ſtoͤh - ren moͤchten. Aber dabey iſt zu mercken: 1. Daß man wenigſtens bey allgemeinen Wahrheiten, wenn man jeden Satz auf die rechte Art erkennet, auch meiſtens im Stande iſt, die Sophiſtereyen zu wi - derlegen: iedoch daß 2. die Widerlegung meiſtens einige Zeit und Nachdencken erfordert: damit man aber 3. unterdeſſen nicht durch das Blendwerck des Jrrthums irre gemacht werde, ſo iſt noͤthig, daß man auch die Regeln wiſſe, wie mit jeder Art der Wahrheiten umzugehen iſt; als wodurch erhal - ten wird, daß wir nicht allein auf dem rechte Wege ſind, ſondern auch wiſſen, daß wir auf dem rech - ten Wege ſind. Und dieſe Regeln gehoͤren ohn - ſtreitig zur Vernunfftlehre. Jn derſelben iſt man nun zwar mit denen allgemeinen WahrheitenT 2zur292Neuntes Capitel,zur Richtigkeit gekommen, daß, wenn man ein - mahl mit der Definition einer Sache fertig iſt, bey den Concluſionen beynahe keine Schwierigkeiten und Zweiffel nur entſtehen, geſchweige denn ferner herrſchen kan: mit der hiſtoriſchen Erkentniß aber haben ſich die Philoſophen bisher noch gar nicht be - ſchaͤfftiget, das wahre und falſche, noch weniger aber das gewiſſe und ungewiſſe aus einander zu ſetzen.

§. 11. Die Gewißheit der Sinne.

Coͤrperliche, oder welches einerley iſt, ſinnli - che Dinge muͤſſen auch durch die Sinne erkannt werden. Dies iſt daher die rechte und beſte Art, coͤrperliche Dinge zu erkennen, wenn man ſelbſt mit ſeinen Sinnen dabey iſt: doch koͤnnen ſie auch auf andere Art, nehmlich aus Ausſagen erkannt werden. Darinnen kommen nun alle Menſchen uͤberein, daß ſie die Urtheile, welche ſie durch die Sinne gemacht haben, unveraͤnderlich beybehal - ten; und daher denen Sinnen die alleruntruͤglich - ſte Gewißheit beylegen. Auch hindert nicht, daß wir iezuweilen, aus Mangel der Aufmerckſamkeit, oder durch ein vitium ſubreptionis uns Dinge em - pfunden zu haben einbilden, die wir doch wuͤrcklich nicht empfunden haben, und die nicht vorhanden geweſen ſind. Denn wie der Gewißheit der De - monſtrationen dadurch nichts abgehet, daß oͤff - ters was im Demonſtriren verſehen wird; und der Gewißheit der Rechnungen, daß man iezuwei - len ſich verrechnet; alſo ſchadet auch der Gewißheitder293von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. der ſinnlichen Erkentniß nicht, daß wir iezuweilen nicht recht ſehen. Bey der demonſtrativen Gewißheit wird die Richtigkeit der Demonſtratio - nen, und bey ſinnlichen Begebenheiten das recht ſehen, recht hoͤren ꝛc. voraus geſetzt.

§. 12. Die Gewißheit handgreifflicher Dinge.

Unter denen Begebenheiten, die coͤrperlich und mithin ſinnlich ſind, muͤſſen wir in Abſicht auf die Gewißheit diejenigen beſonders bemercken, von welchen man zu ſagen pfleget: daß ſie jedermann in die Sinne fallen. Man nennet es auch hand - greiffliche Dinge: (res maxime palpabiles) der - gleichen ſind, daß da ein Hauß, dort ein Thurm ſtehe, daß die Glocken gelaͤutet werden, u. ſ. w. Die beſondere Beſchaffenheit dieſer Dinge nehm - lich iſt, daß ſie eines Theils nur den allergering - ſten Grad der Aufmerckſamkeit brauchen, ja den - jenigen, der dabey iſt, gleichſam noͤthigen und zwingen, darauf Achtung zu geben: andern Theils, daß bey ihnen ſo leichte kein vitium ſub - reptionis vorgehen kan: da hingegen bey vielen Dingen eine beſondere Aufmerckſamkeit darzu ge - hoͤret, und noch uͤberdieſes Vorſicht, daß man nicht falſch urtheile. Man ſiehet z. E. einem Bie - nenſchwarme zu, ſo iſt nicht leichte zu urtheilen, ob ſie alle einerley Geſtalt haben: man wird auch nicht ſo bald die eigentliche Geſtalt des ſo genannten Koͤ - nigs darunter wahrnehmen: weil er, oder viel - mehr ſie, die Koͤnigin ſelten alleine ſehen laͤſſet;T 3und294Neuntes Capitel,und es allemahl mit dem erſten Anblick eine mißliche Sache iſt. (§. 17. C. 5.) Hingegen daß der Bie - nen bey einem Schwarme viel ſind, und das Flie - gen, ſind Eigenſchafften, die jederman in die Au - gen fallen. Ohngeachtet alſo die Vorſtellungen der Dinge an ſich gewiß ſind, (§. 11.) ſo faͤllet doch bey handgreifflichen Dingen auch ſo gar alle Vermuthung der Ueberredung im Urtheile hin - weg, und die Gewißheit kommt alſo der Erkentniß ſolcher Dinge auf eine vorzuͤgliche Art zu.

§. 13. Wird allgemeiner gemacht.

Wer immer mit einer gewiſſen Art Dinge ins - beſondere umgehet, wird endlich mit denen Theilen und beſondern Eigenſchafften derſelben ſo bekannt, als andern nur die Art derſelben bekannt iſt. Z. E. Ein Sattler muß die Theile eines Sattels, eines Wagens, u. ſ. w. eben ſo genau kennen, als jeder Menſch einen Sattel von einem Stuhle, Tiſche, u. ſ. w. unterſcheiden kan. Ein Bootsknecht weiß die Arten der Taue ſo wohl zu unterſcheiden, als jedermann einen Strick von einem Bande, Kette, Ringe, u. ſ. w. unterſcheiden kan. Dergleichen Leute heiſſet man nun Kunſtverſtaͤndige. Man ſiehet aber daraus, daß einem Kunſtverſtaͤndigen eine Sache handgreifflich ſeyn kan, da es einem der Sache nicht kundigen, oder einem Anfaͤnger nicht ſo klar iſt. Jener iſt alſo von einer Sache durch die Empfindung gewiß; woran andere, die doch auch ihre Sinne dabey brauchen, noch zweiffeln.

§. 14.295von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc.

§. 14. Und zu einen groͤſſern Grad erhoͤhet.

Man wird geſtehen muͤſſen, daß, da Sachen, die jedermann in die Augen fallen, ſchon gewiß ſind, wenn wir gleich dieſelben nur einmahl em - pfunden haben, ſolche noch gewiſſer ſeyn muͤſſen, wenn wir ſie zu vielen mahlen, ja, wie man ſagt, taͤglich empfunden haben. Es iſt ohnſtrei - tig, daß niemand bey Sachen dieſer Art einen Zweiffel bey ſich verſpuͤret, und daß aller Verdacht, als ob man etwa nicht recht geſehen oder gehoͤret, da - bey hinweg falle. Sollte es wohl moͤglich ſeyn, daß iemand ſich einbildete, daß ſein Hauß am Marckte, dem Rathhauſe gegen uͤber ſtuͤnde, da es doch an der Seite deſſelben ſtehet: oder daß zwey Thuͤrme da ſtuͤnden, wo nur einer vorhanden iſt? oder daß er ein kleines Hauß vor ein Schloß anſe - hen ſollte? Man hat Urſache, auf alle Stuͤcke Ach - tung zu geben, wo kein Betrug vorgehen kan, weil die Ernde der hiſtoriſchen Gewißheit uͤberall lau - ter Moͤglichkeit des Betrugs abzuſehen ſich ein - bilden.

§. 15. Gewißheit hiſtoriſcher Schlußſaͤtze.

Was man aus einer gehabten Empfindung ſchluͤſſen kan, deſſen Wuͤrcklichkeit iſt eben ſo ge - wiß, als die Empfindung ſelbſten. Z. E. Aus dem Jnhalte des Gefaͤſſes laͤſſet ſich das Gewichte des Waſſers beſtimmen, welches das Gefaͤſſe er - fuͤllet. Wie nun uͤberhaupt durch Schluͤſſe eigent - lich nur notiones partiales und Eigenſchafften her -T 4aus296Neuntes Capitel,aus gebracht werden, die in dem bekannten prædi - cato ſchon wuͤrcklich ſtecken, alſo wird ſolches auch hier von den hiſtoriſchen Schluͤſſen gelten. Aber aus den Begebenheiten ihre Urſachen, und zumahl ihre Spuren finden; welches auch durch ſchluͤſſen zu geſchehen pfleget, kan man nicht recht unter die gewiſſen Erkentniſſe rechnen, wie in der Diſputa - tion de Veſtigiis gewieſen worden.

§. 16. Natuͤrliche Regel vom Reden.

Nun kommen wir auf die Gewißheit der Nach - richten, welches den ſchwehrſten Artickel bey der Gewißheit ausmacht. Um die Sache aber aus ihren Gruͤnden herzuleiten, muͤſſen wir als eine Wahrheit, die die Natur der Seele und eines ver - nuͤnfftigen Weſens an die Hand giebt, voraus ſe - tzen: daß eine Rede und jede an Taglegung ſeiner Gedancken nur aus einem Triebe und Eyfer vor die Sache, die man vortraͤgt, entſtehe: folglich daß die Regel bey vernuͤnfftigen und wahrhafften Creaturen ſey: daß jeder, wenn er redet, die Wahrheit ſage. Der Heyland ſa - get: Weß das Hertz voll iſt, gehet der Mund uͤber. Matth. XII. 34. Wir wollen hier gar nicht laͤugnen, daß die Menſchen zur Un - wahrheit uͤberaus geneigt ſind, ſondern wir ſtellen uns dieſes Uebel in ſeiner wahren Groͤſſe und be - ſchwehrlichen Einfluſſe in die hiſtoriſche Erkentniß klaͤrlichſt vor. Wir muͤſſen aber nothwendig auf den erſten Zuſtand und innerliche Beſchaffenheitder297von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. der Rede zuruͤck gehen, obgleich die Erfahrung ei - ne andere Regel an die Hand giebt: gleichwie man in der Moral des Satzes nicht entbehren kan, daß der Wille das Gute erwehle, ohngeachtet er nach der Erfahrung und nach einer unaufhoͤrlichen Anomalie das Boͤſe erwehlet.

§. 17. Natuͤrliche Regel vom Anhoͤren.

Jene Eigenſchafft nun der Seele, daß ſie die Wahrheit redet, (§. 16.) ziehet auf der andern Seite bey den Zuhoͤrern die Regel nach ſich: daß wir jedem, der uns etwas erzehlet, glau - ben, ſo lange ſich keine Urſache findet, das erzehlte zu laͤugnen: oder daß der erſte Ein - druck, die jede Nachricht bey uns macht, dieſer iſt, daß wir dieſelbe vor wahr annehmen. Wel - chem nicht entgegen ſtehet, daß wir nach und nach bey mehrerm Nachdencken etwa daran zu zweiffeln anfangen. Die Erfahrung beſtaͤtiget unſern Satz auf mancherley Weiſe, daß nehmlich jede Men - ſchenſtimme etwas uͤberzeugendes an ſich habe: in - dem z. E. ein einiger Menſch, der Feuer rufft, im Stande iſt, viele hundert Menſchen toͤdtlich zu er - ſchrecken, die ihn wohl nicht einmahl ſehen, ſon - dern nur hoͤren: der Eindruck und Ueberzeugung iſt bey vielen ſo ſtarck, daß ſie ſich kaum in einiger Zeit wieder zufrieden geben, wenn die boͤſe Nach - richt gleich widerruffen wird.

T 5§. 18.298Neuntes Capitel,

§. 18. Gewißheit der menſchlichen Ausſagen.

Nach dieſen beyden Regeln wuͤrde nun zur Ge - wißheit weiter nichts noͤthig ſeyn, als daß der, der uns von einer Sache Nachricht giebt, ein Menſch ſey: denn daraus wuͤrden wir erkennen, daß er die Sache, die er erzehlet, auf den Hertzen liegen, nicht aber erdichtet habe: daß er ſie alſo entweder ſelbſt geſehen, oder von andern gleichfalls ſo glaub - wuͤrdigen Menſchen erkundigt habe: daß alſo die Sache, weil ſie Zuſchauer gehabt, wuͤrcklich ge - ſchehen ſeyn muͤſſe: oder da dieſes alles Saͤtze ſind, die ſich von ſelbſt verſtehen, ſo wuͤrden wir, ohne Umſtaͤnde uns an die Sache halten, ſo gut, als wenn wir dabey geweſen waͤren. Wovon wir ietzo noch die Exempel an guten Freunden, an Ehe - gatten, die einander hertzlich lieben, und an Zu - hoͤrern ſehen, die vor ihre Lehrer Liebe und Hoch - achtung hegen: hoͤren, glauben und gewiß ſeyn, ſind bey ihnen unzertrennte Dinge, und man wird ausgelacht, wenn man ihnen etwas anders bereden zu wollen ſich erkuͤhnet. Und dies iſt der natuͤrliche Weg, wie die hiſtoriſche Erkentniß fort - geflantzt, und von dem Zuſchauer auf die entfernſten Perſonen kan gebracht werden, ohne daß die Wahr - heit dabey Schaden leidet; nehmlich daß ſie durch den Mund lauter ſolcher Perſonen gehet, die der Luͤgen nicht verdaͤchtig ſind.

§. 19. 1. Wie dieſelbe auf Seiten des Ausſagers zer - ruͤttet wird.

Dieſes iſt aber freylich der Zuſtand nicht, wor -innen299von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. innen ſich dermahlen die Menſchen unter einander befinden: ſondern 1. aͤuſſert ſich haͤuffig Uebereilung und Verwirrung verſchiedener Dinge im Verſrande, ſo daß, wenn auch ein geweſener Zuſchauer etwas nach ſeinem beſten Wiſſen und Gewiſſen erzehlet, ich doch ſolches nicht allemahl als ein durchgaͤngig wah - res Bild der Sache annehmen kan. 2. Hierzu kommt Leichtſinnigkeit, eine Sache zu reden, wo von man doch das Gegentheil im Hertzen glaubt; welches theils durch Eitelkeit veranlaſſet wird, als bey Prahlern; theils durch ſchaͤdlichen Gewinſt, wie bey falſchen Zeugen. 3. Eine ausſchweiffende Einbildungs - krafft macht auch, daß man Sachen erzehlet, als ob man dabey geweſen, die man doch weder geſe - hen, noch genau unterſuchet hat: und eben dieſe Ausſchweiffungen machen, daß Leute oͤffters, wenn ſie gleich in der Hauptſache die Wahrheit erzehlen, dennoch auch allerhand Umſtaͤnde darzu dichten. Welches alles ſo viel ausrichtet, daß jeder Menſch zwar mit ſeiner Ausſage vors erſte den Eindruck der Wahrheit macht; (§. 17.) aber daß bey weitern Nachdencken, wenn wir weiter keine Bekanntſchaft mit ihm haben, allerhand Verdacht der Unwahr - heit entſtehen kan; ja beynahe entſtehen muß: ſo, daß aus der Nachricht eines Autors, den ich wei - ter nicht kenne, als daß er ein Menſch iſt, keine Gewißheit zu erhalten iſt.

§. 20. 2. Wie ſie auf Seiten des Zuhoͤrers zerruͤttet wird.

Da die Gewißheit aber nicht allein auf der Sa -che300Neuntes Capitel,che beruhet, ſondern auch auf dem, der die Sache erkennen ſoll; (n. 6. §. 5.) ſo verurſachen die Un - ordnungen der menſchlichen Seele auch auf dieſer Seite Hinderniſſe der Gewißheit. Nehmlich der Hoͤrer einer Nachricht kan 1. die guten Eigen - ſchafften des Ausſagers, die etwa auch andern Per - ſonen ſchon laͤngſt bekannt ſind, noch nicht wiſſen. 2. Er kan aus Haß und Neid ſie, wenn er ſie er - kennet, nicht nur vor andern verlaͤugnen, ſondern ſich auch ſelbſten blenden, daß er ſie nicht ſehen will. 3. Er kan, wenn ihm die Nachricht nicht erleuch - tet, die Schuld auf den Autor ſchieben, als wenn er Unwahrheit geredet haͤtte. 4. Er kan ſich den unrichtigen Satz in Kopf geſetzet haben: weil der Betrug in der Welt ſo haͤuffig iſt, ſo kan man nir - gends Gewißheit haben; und daraus wider einen unverwerfflichen Autor fechten.

§. 21. Wie die Gewißheit der Nachrichten, der ange - fuͤhrten Zerruͤttungen ungeachtet, hergeſtellet wird.

Ohngeachtet bey dieſen Umſtaͤnden die Gewiß - heit der Ausſagen ſo wohl auf Seiten der Ausſager (§. 19.) als der Anhoͤrer (§. 20.) An - ſtoß leidet; ſo pfleget man doch den Mangel der Gewißheit gemeiniglich bloß auf die Ausſager zu ſchieben, als auf welche man ſich nicht genug ver - laſſen koͤnne. Und in der That iſt dieſes auch die haͤuffigſte Quelle der Ungewißheit bey Nachrichten die Menſchen andern Menſchen ertheilen. Wir wollen daher auch unſre Sorge hauptſaͤchlich aufdieſes301von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. dieſes Stuͤck gerichtet ſeyn laſſen, und zeigen, wie, der angefuͤhrten bedencklichen Eigenſchafften der menſchlichen Ausſagen ohngeachtet, (§. 19.) dennoch hier und da gewiſſe Nachrichten heraus zu bringen ſind.

§. 22. Die Gewißheit beruhet auf dem Anſehen des Autors.

Nehmlich nunmehro iſt es zur Gewißheit einer menſchlichen Ausſage nicht genug, daß ich weiß, daß ich mit einem vernuͤnfftigen Menſchen zu thun habe, (§. 19.) ſondern es wird auch noch ein An - ſehen deſſelben erfordert, oder eine Autoritaͤt. Dieſer Begriff, ſo bekannt er iſt, iſt dennoch zur Zeit nicht bis auf den Grund erklaͤret worden. Es waͤre nehmlich das Anſehen gar nicht noͤthig, wo - ferne die Menſchen nicht uͤberhaupt in einem Ver - dachte der Unwahrheit ſteckten. Nachdem aber dieſer Verdacht einmahl vorhanden iſt, ſo muͤſſen beſon - dere Eigenſchafften eines Menſchen, dem wir glau - ben ſollen, den Verdacht in uns wieder unterdruͤ - cken; und dieſe machen das Anſehen aus; denn alſo weiß ich von jemanden, daß er z. E. die Haupt - perſon, oder wenigſtens ein Hauptintereſſente bey einer Sache ſey: durch dieſen ſeinen Zuſtand werde ich auch ſchon wider den Verdacht, daß er etwa die Sache, wovon er redet, nicht recht wiſſen moͤchte, voͤllig verſichert, oder ich habe mit meinem eigenen Vater, der uͤber dieſes ein ernſtlicher Mann iſt, zu thun; wie ſollte mir nun einfallen, daß derſelbe mit mir ſchertzen werde. Oder ich habe mit einem Freunde zu thun, deſſen Abneigung von Betruͤge -gerey302Neuntes Capitel,gerey mir zur Gnuͤge bekannt iſt; ſollte mir dabey nun einfallen, daß derſelbe wiſſentlich eine Waare vor was anders ausgeben ſollte, als ſie wuͤrcklich iſt. Solche beſondere Umſtaͤnde machen alſo das Anſe - hen eines Autors aus. Woraus folget, daß zwey Perſonen erfordert werden, wenn iemanden ein An - ſehen beygelegt werden ſoll: nehmlich iemand, der Eigenſchafften beſitzet, die mit Unwahrheiten in - compatibel ſind; und ſo dann ein anderer, dem die - ſe Eigenſchafften zur Gnuͤge bekannt ſind.

§. 23. Jnnerliche Beſchaffenheit des Anſehens.

Weil die Unwahrheit, welche Menſchen reden, theils aus Mangel der Erkentniß, theils aus Maͤn - geln des Willens entſtehen, (§. 19.) ſo werden ſich die Eigenſchafften, welche das Anſehen eines Autors ausmachen, auf 2. Stuͤck zuſammen zie - hen laſſen: 1. auf den guten Verſtand, den er beym Anſchauen der Sache und bey der Erzehlung ge - braucht. 2. Auf die Wahrhafftigkeit. Ja da unſere Hiſtorie groͤſtentheils aus ſolchen Begeben - heiten beſtehet, die handgreifflich ſind: Geburt und Sterben der groſſen Herren, Kriegsruͤſtungen und Thaten im Felde, bey denen gelehrten Wercken, die ſie geſchrieben; in der Kirchengeſchichte Conci - cilia, ritus, die in die Augen fallen: wobey alſo keine groſſe Schwierigkeit in Anſehung der Einſicht entſtehen kan; (§. 12.) ſo wird die Liebe zur Wahr - heit und Aufrichtigkeit faſt uͤberall als diejenige Ei - genſchafft angeſehen, welche das Anſehen einesAutors303von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. Autors faſt allein ausmacht. Man hat ſolche Ei - genſchafft das Anſehen genennet, weil natuͤrlicher Weiſe, die Unwahrheit zu reden, eine Verſtellung der Gebehrden und Unordnung in der Ausſage bey ſich hat; ſo daß man es vielen angeſehen hat, daß ſie Unwahrheiten redeten. Nachdem es aber Leute ſo weit gebracht haben, daß ihnen Unwahr - heiten zu reden was natuͤrliches geworden iſt, ſo darff man ſich auf dieſes aͤuſſerliche Anſehen nicht mehr verlaſſen.

§. 24. Eintheilung des Anſehens.

Man ſiehet, daß die Qualitaͤten, welche das Anſehen ausmachen, auch wohl nur zum Theil bey einem Ausſager, ja ſo gar bey einem Autor koͤnnen angetroffen werden. Daher iſt das Anſehen eines Ausſagers manchmahl voͤllig, manchmahl un - vollkommen. Das voͤllige Anſehen eines Autors ziehet die Gewißheit nach ſich: denn weil er vermoͤge dieſes Begriffs 1. bey der Sache ge - genwaͤrtig geweſen, 2. auch die noͤthige Aufmerck - ſamkeit und Einſicht gehabt, daß er im Stande iſt, die Sache zu erzehlen, und daß er 3. ſie wuͤrck - lich erzehlen will; (§. 19. 23. ) ſo kan dieſes Anſe - hen nicht ohne der Wahrheit der Sache ſelbſt ſtatt finden: und es kan kein anderer Autor aufkommen, der ebenfalls ein voͤlliges Anſehen haben, und doch das Gegentheil ausſagen ſollte. Es iſt eben wie bey Demonſtrationen, man kan zwar mit ver - geblichen Demonſtrationen hintergangen werden:aber304Neuntes Capitel,aber das voͤllige Anſehen einer Demonſtration kan dennoch keine andere, als die wahre Demonſtra - tion haben: und ein ſolches voͤlliges Anſehen kan alſo nur der Wahrheit zukommen.

§. 25. Ergaͤntzung des Anſehens.

Da aber das Anſehen des Ausſagers auch wohl unvollkommen ſeyn kan, (§. 24.) ſo iſt in dieſem Falle noͤthig, daß das Anſehen ergaͤntzet werde. Dieſes geſchiehet auf verſchiedene Art; nachdem man von dieſem oder jenem Stuͤcke, das zum voͤlli - gen Anſehen gehoͤrt, nicht gnugſam verſichert iſt. Denn auch eine Perſon, der man uͤberhaupt Auf - richtigkeit zutraut, laͤſſet doch wohl eine unwahre Rede aus ihrem Munde gehen, 1. entweder aus Schertz und Muthwill, 2. oder aus einem Vor - theil, da man ſich ſelbſt, oder etwa andern dadurch Nutzen zu verſchaffen gedencket.

§. 26. Erſte Art, das Anſehen zu ergaͤntzen.

Dem Verdachte des Schertzes wird durch Be - theurungen und Eyde begegnet, und dadurch das voͤllige Anſehen eines Autors in dieſem Falle ergaͤn - tzet. Denn auf ſolche Art wird die Rede, welche man nach der gemeinen, wiewohl falſchen Gedenck - art, vor was gleichguͤltiges angeſehen hatte, zu einer Gewiſſensſache. Man weiß wohl, daß Ju - ramenta auch wohl faͤlſchlich abgelegt werden; und daß dieſelben alſo einer Perſon, die man ſonſtennicht305von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. nicht kennet, noch kein voͤlliges Anſehen geben koͤn - nen. Dieſes iſt alſo auch nicht, was wir hier ver - langen: ſondern wir reden ietzo nur von dem Falle, wo man mit einem ſeiner Ehrlichkeit ſonſten nicht verdaͤchtigen Manne zu thun hat, da man aber doch, ob er nicht etwa einmahl aus Schertz etwas geredet, ſich ein Bedencken macht. Da wird, ſage ich, durch einen Schwur die Sache in eine unfehlbare Gewißheit geſetzt werden.

§. 27. Zweyte Art, das Anſehen zu ergaͤntzen.

Denen Vortheilen, und Neigungen, andern zu gefallen, die Unwahrheit zu reden, wird durch Uebeln begegnet. Dieſe koͤnnen entweder nur gedrohet, oder wuͤrcklich angethan werden. Der Schwur wird billig auch hier als das beſte Mittel angeſehen, das Anſehen des Ausſagers zu ergaͤntzen. Denn die Beſchwehrung des Ge - wiſſens durch einen falſchen Eyd, wird kein ehrlicher Mann iemanden zu Gefallen, oder auch um Vor - theils willen, uͤber ſich nehmen. Man muß aber wohl mercken, daß wir nur von Ergaͤntzung des Anſehens reden, welches alſo ſchon ein Anſehen voraus ſetzet. Denn wenn ein Anfaͤnger ſonſten noch kein Anſehen hat, (als ein fremder) oder gar das Anſehen eines boͤſen Bubens vor ſich hat, (wie die meiſten Jnquiſiten) ſo kan weder Schwur, noch Tortur eine ſolche Gewißheit, als wir hier ver - langen, hervorbringen.

U§. 28.306Neuntes Capitel,

§. 28. Wahrer Grund der Theorie von Zeugen.

Hauptſaͤchlich aber wird das Anſehen eines Ausſagers durch Zeugen ergaͤntzet. Ein Zeuge aber iſt eine Perſon, die eben das ſagt, oder ausſagt, was ſchon ein anderer ausgeſagt hat. Dieſe Er - klaͤrung moͤchte wohl einem oder dem andern be - fremdlich vorkommen, weil ſie von der gemeinen Erklaͤrung des Wortes abgehet. Man darff aber dieſe gemachte Veraͤnderung nicht fuͤr einen Fehler anſehen: Denn unſere Definition gehet nicht, von der gemeinen Bedeutung des Wor - tes, ſondern von der in den Logicken gewoͤhnlichen Erklaͤrung ab; und zwar darum, weil ſelbige falſch iſt. Man ſagt nehmlich: Ein Zeuge ſey, der etwas ausſagt. Das iſt gantz wider den ge - meinen Begriff eines Zeugens. Wer eine Klage vor Gericht anbringt, oder etwas denuncirt, der ſagt ohne Zweifel etwas aus: Wer wird aber eine Klage oder Denunciation vor ein Zeug - niß anſehen? Ein anders iſt Ausſagen, ein an - dres Zeugen. Wenn bey einer Ausſage kein Zwei - fel und Mißtrauen vorwaltet; ſo hat es dabey ſein Bewenden; und es braucht gar keines Zeugniſ - ſes. Darinnen kommt alle Welt uͤberein. Wenn man aber der Ausſage nicht glauben will, alsdenn muͤſſen erſt Zeugen und Zeugniſſe zu Huͤlffe genom - men werden, und dieſe ſind alsdenn vorhanden, wenn ſich mehrere Perſonen finden, die eben das ſagen, was der erſte ſchon ausgeſagt hat. Jn Proceſſen werden zwar auch offters Zeugen ge -nennet,307von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. nennet, die nicht eben das ſagen, welches zu be - zeugen ſie beruffen ſind, ſondern entweder die Sa - che nicht wiſſen oder gar anders ausſagen. Man ſiehet aber wohl, daß ſie dieſen Nahmen nur da - von bekommen, weil man ſich von ihnen verſpro - chen hat, ſie wuͤrden eben das ausſagen. Jn der That aber hat diejenige Parthey, deren Zeu - gen entweder nichts, oder das Gegentheil ausſa - gen, gar keine Zeugen vor ſich.

§. 29. Gemeinſchafftliches Anſehen des Autors und des Zeugens.

Da jede Ausſage unmittelbar einen Wahr - heitsmaͤßigen Eindruck bey dem Zuhoͤrer macht; (§. 17.) ſo muß des Zeugens Ausſage, (welche eigentlich ein Zeugniß heiſſet, und von der Aus - ſage wie Species a genere unterſchieden iſt) eben einen ſolchen Eindruck machen: Ja da aus jeder gehaͤufften Handlung ein ſtarcker Eindruck entſte - hen muß: So wird ein Zeugniß die Wahrheit der Sache noch mehr bekraͤfftigen. Da aber die Ausſagen der Menſchen keine Gewißheit ge - ben, woferne nicht der Ausſager ein Anſehen hat (§. 22.); ſo wird auch auf Seiten des Zeugens ebenfalls ein Anſehen erfordert, welches er an und vor ſich haben muß. Nehmlich er ſoll wie der Autor, ein Zuſchauer der Sache geweſen ſeyn: Er muß Verſtand genug beſitzen: Und aufrichtig ſeyn (§. 23.). Schon dadurch nun, wird der Verdacht vermindert, der die eine Aus - ſage uns noch ungewiß machte, daß noch einerU 2eben308Neuntes Capitel,eben das ſaget. Denn die die Urſachen der falſchen Ausſage hervorbringen, und deswegen die Ausſage der Menſchen truͤglich machen (§. 19.), wider die natuͤrliche Regel ſind (§. 16.); ſo iſt nicht zu vermuthen, daß die Urſach, wenn der eine unwahr reden moͤchte, auch bey dem andern ſtatt finden ſollte: Und das hinzukommende Zeugniß macht alſo, daß wir weiter bey der Ausſage des erſtern kei - nen Trug vermuthen. Daher hat jeder Zeuge eine beweiſende Krafft, die wir aber deswegen nicht fuͤr untruͤglich ausgeben.

§. 30. Beſonderes Anſehen eines Zeugens.

Wenn man aber dem Zeugen, als Zeugen ein Anſehen beylegt, ſo muß ſolches etwas anders erklaͤrt werden, als das Anſehen eines Autors, oder auch eines Ausſagers uͤberhaupt. Nehm - lich Zeugen nimmt man zu Huͤlffe, wenn das An - ſehn des Autors nicht vollkommen iſt (§. 24.). Es muß alſo bey dem Autor ein Umſtand, der zu ſeiner Glaubwuͤrdigkeit gehoͤrt, bey uns nicht auſſer Zweifel geſetzet ſeyn. Ob nun gleich ein Zeuge, wenn er irgend das Anſehen hat, daß er vor ſich mit ſeiner Ausſage etwas gilt, ſchon zur Beſtaͤtigung dienet (§. 29.) ſo wird er doch in dieſem Falle erſt die rechten Dienſte thun, wenn er eben in dem Stuͤcke, woran es dem erſten Aus - ſager fehlet, gar keinem Zweifel ausgeſetzt iſt: Und dieſes wird das beſondere Anſehen eines Zeugens, qua talis, ausmachen. Z. E. auch der ehrlichſte Mann, wenn er in ſeinen eigenen Geſchaͤfften, zu -mahl309von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. mahl zum Nachtheil eines andern etwas ausſagt, nicht voͤlligen Glauben finden. Daß er die Sache wiſſen koͤnne, iſt, weil es ſeine Sache betrifft, kein Zweifel: Aber eben daß es ſeine Sache iſt, hin - dert die Gewißheit; weil man etwa einen Vortheil darunter vermuthen koͤnte: Ja man weiß, daß das Vergroͤſſern und Verringern, das bey Erzeh - lungen ohnedem leicht moͤglich iſt (§. 6. C. 6.), bey eigenen Sachen noch leichter moͤglich ſey. Ohngeachtet nun hier jeder Zeuge nuͤtzlich iſt, ſo beſtehet doch das Anſehen eines Zeugens darinnen, daß er in Anſehung der Sache fremde iſt; und ſolche unpartheyiſch hat betrachten und anſehen koͤnnen. Wenn der erſten Ausſage nicht voͤllig Glauben beygemeſſen wird, weil es dem Ausſa - ger an Jahren fehlet, ſo daß man Leichtſinnig - keit vermuthet, ſo wird das Anſehen eines Zeu - gens darinne beſtehen, daß derſelbe ſeine voͤlligen Jahre hat, die zum reiffen Gebrauche des Ver - ſtandes gehoͤren. Jſt man nicht recht gewiß, ob der Ausſager wuͤrcklich ein Zuſchauer geweſen iſt, welches er doch, wenn er die Sache auf ſich nimmt, geweſen ſeyn ſollte, ſo wird des Zeugens ſein Anſehen darinnen beſtehen, daß bey ihm in Anſehung der Eigenſchafft, daß er ein Zuſchauer geweſen, nicht der geringſte Zweifel vorwaltet.

§. 31. Dritte Art das Anſehen eines Ausſagers zu ergaͤntzen.

Daraus ſiehet man nun wie das Anſehen ei - nes Autors durch Zeugen und Zeugniſſe ergaͤntztU 3wird.310Neuntes Capitel,wird. Denn da bey dem Autor, per hypotheſin nicht das Anſehen gantz vermiſſet wird, ſondern nur ein Umſtand oder Zuverlaͤßigkeit fehlet (§. 24. 25. ), dieſer verdaͤchtige Umſtand aber bey dem Zeugen hinweg faͤllet; ſo ſiehet man, daß der Verdacht den man gehabt, nicht gegruͤndet ſey; und in die Ausſage keinen Einfluß gehabt habe. Und darzu dienet nun beſonders ein Hauf - fen Zeugen: Daß nicht allein die Menge der Ausſager an ſich zur Gewißheit etwas beytraͤgt (§. 29.) ſondern vornehmlich, daß darunter Zeu - gen von allerhand Gattung ſind, ſo daß was bey dem einen uns noch verdaͤchtig vorkommen konte, durch das Anſehen des andern, der ſich in gantz andern Umſtaͤnden befindet, beſtaͤtiget wird.

§. 32. Vermehrung der Zeugen durchs Still - ſchweigen.

Das Stillſchweigen einer Perſon kan ohn - fehlbar die Krafft einer Ausſage haben; denn 1. iſt es uns natuͤrlich einer Sache, die wir an - hoͤren, und die wir beſſer wiſſen zu widerſprechen: So daß ſolches, wo nicht kraͤfftige Urſachen ſich zu verſtellen vorhanden ſind, gewiß erfolgen wird. 2. Wir wiſſen auch, daß unſer Stillſchweigen, vor eine Einſtimmung, und Bejahung der Sache an - genommeu wird, daher wir denn dasjenige nicht gerne unbeantwortet anhoͤren, was wir nicht allen - falls ſelber ausſagen wollten. Wenn iemand von uns in unſrer Gegenwart etwas nachtheiliges re - dete, weil er uns nicht kennet, ſo wird eine groſſeUeber -311von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. Ueberwindung darzu gehoͤren, ſolches ſtillſchwei - gend anzuhoͤren: Eben ſo unruhig werden wir ſeyn, wenn von den unſrigen, oder von unſern Freunden etwas nachtheiliges geſprochen wird. Wie nun das Stillſchweigen zu einer Ausſage werden kan, ſo kan es auch zu einem Zeugniſſe werden: Eines ſolchen ſtillſchweigenden Zeu - gens ſein beſonderes Anſehen beſtehet darinne, daß er eines Theils Urſache zu widerſprechen, andern Theils keine dringende Urſache zum Schwei - gen habe.

§. 33. Vorzuͤge der oͤffentlichen Begebenheiten.

Oeffentliche Begebenheiten ſind die Zu - ſchauer von allerley Gattung Menſchen haben. Dergleichen ſind Erbauungen der Staͤdte, Auf - zuͤge, Schlachten, Brandſchaͤden u. ſ. w. Sachen die fortdauren, als welche mit denen Dingen, die geſchehen, eine groſſe Verwandtſchafft haben (§. 23. C. 1.), haben wegen Laͤnge der Zeit, die meiſten Zuſchauer. Bey oͤffentlichen Begeben - heiten iſt daher am erſten zur Gewißheit zu gelan - gen, weil es da an Zeugen, deren einer das Anſe - hen des andern ergaͤntzet, nicht fehlen kan (§. 31.). Man muß aber damit nicht ſolche Dinge vermen - gen, welche zwar wenn ſie vorhanden waͤren, oͤf - fentliche Dinge ſeyn wuͤrden, aber vorietzo noch keinen andern Grund, als entweder die Erdich - tung oder hoͤchſtens eine Vermuthung haben. So iſt z. E. nicht gewiß, daß in China Goldberg - wercke ſind, ob es gleich in vielen Reiſebeſchrei -U 4bungen312Neuntes Capitel,bungen ſtehet: Denn ſie ſagen zugleich, daß ſie dieſelben aus der ſeltſamen Staatsraiſon, damit des Goldes nicht zu viel werden moͤchte, nicht er - oͤffneten. Uneroͤffnete Goldminen aber haben gar keine Zuſchauer, und iſt alſo nicht eine tuͤchtige Ausſage davon vorhanden. Der Juͤden ihr Fluß, Sabbation, iſt auf nichts gegruͤndet, weil ſie keinen Autor anfuͤhren, der ihn geſehen haͤtte. Hingegen, daß in Amſterdam eine Boͤrſe, in Egypten hohe Pyramiden, in Rom eine Pe - terskirche iſt, und daß in Jtalien der Po flieſſet, ſind Dinge, die oͤffentlich bekannt ſind, und wo - von man gar leichte geweſene Zuſchauer, als Aus - ſager und Zeugen erlangen kan: Darzu das Still - ſchweigen derer kommt, die Gelegenheit und Ur - ſach genug gehabt haͤtten, denen Nachrichten da - von, wenn ſie falſch waͤren, zu widerſprechen.

§. 34. Schrifftliche Haͤndel.

Geſchaͤffte die ſchrifftlich tractirt werden, koͤnnen auch leichte zur Gewißheit gebracht wer - den. Denn wer die Schrifften in die Haͤnde bekommt, iſt eben ſo gut davon verſichert, als von Geſchichten, dabey man ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen iſt. Oeffentliche Schrifften haben noch einen Vorzug; weil da die Urſachen zu wider - ſprechen in groͤſſerer Menge vorhanden ſind; und daher das Stillſchweigen ſich in viele Ausſagen verwandelt (§. 32.). So kan man von den Ge - ſchichten des Reichstages zu Regensburg ſehr zu - verlaͤßige Nachrichten, ja untruͤgliche Nachrichthaben,313von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. haben, weil die Geſchaͤffte meiſtens ſchrifftlich tra - ctirt werden. Eine untergeſchobene Schrifft, muß da entweder gleich Widerſpruch finden, oder ſie muͤſte adoptirt, und durch die Billigung, zu ei - ner wahrhafften Schrifft gemacht werden.

§. 35. Documente und Jnſtrumente.

Weil die Schrifften bey Geſchaͤfften am er - ſten zur Gewißheit gebracht werden koͤnnen, ſo ſind daraus folgende Gewohnheiten entſtanden. 1. Daß man bey einem hiſtoriſchen Beweiſe (davon her - nach gehandelt werden ſoll), zufoͤrderſt das auf - ſucht, was bey der Sache ſchrifftlich iſt tractirt worden, und ſolches als die Hauptſtuͤtzen, der Wahrheit anſiehet. Solche Schrifften, die Stuͤ - cke einer Geſchichte geweſen ſind, werden Docu - mente genennet: Dergleichen man bey allen Acten in Menge anzutreffen pflegt. 2. Hat man ſchon laͤngſt angefangen, bey wichtigen Geſchaͤfften es als ein Stuͤck der Vollziehung anzuſehen, daß ſogleich eine Hiſtorie der Geſchichte aufgeſetzt, und von denen Partheyen und Jntereſſenten vor die wahre Erzehlung agnoſcirt wird. Und ſolche Schrifften werden Jnſtrumenta genennet: Der - gleichen bey Staatsgeſchaͤfften, als der Kayſerwahl, Friedensſchluͤſſen, Vermaͤhlungen, auch nicht min - der, bey Privatgeſchaͤfften, Kauffen, Jnven - tarien, Schenckungen, Teſtamenten u. ſ. w. in Menge gefertiget werden. Wie es nun hierunter viele, ja die meiſten giebt, daran gar nicht der ge - ringſte Zweifel vorhanden, daß ſie untergeſchobenU 5ſeyn314Neuntes Capitel,ſeyn ſollten: Alſo iſt auch klar, daß aus unzwei - felhafften Documenten und Jnſtrumenten eine gantz gewiſſe Erkentniß der Geſchichte erhalten werde.

§. 36. Unterſuchung Notoriſcher Wahrheiten.

Die ſogenannten Notoriſchen Begebenhei - ten, nehmen unter denen hiſtoriſchen Wahrheiten eine der erſten Stellen ein, welchen man am wenig - ſten die Gewißheit abſprechen wird. Nun iſt die Frage, was ſind Notoriſche Sachen? Hal - ten wir die verſchiedenen Exempel zuſammen, wo - von man die Notorietaͤt ruͤhmet, ſo ſcheinen fol - gende Eigenſchafften noͤthig zu ſeyn. 1. Daß es entweder an ſich eine oͤffentliche Begebenheit, als inuaſiones, Schlachten, Waſſerfluthen ſind, oder wenigſtens oͤffentlich bekannt gemachte Begebenheiten. Dergleichen die Geburt fuͤrſtli - cher Kinder iſt. Nun weiß man, was oͤffentliche Begebenheiten ſchon vor einen Anſpruch an die Ge - wißheit haben (§. 33.). Es iſt aber 2. noͤthig, daß dergleichen Begebenheiten auch noch ſo neu ſeynd, daß erforderlichen Falls, die Zuſchauer, auf denen doch allemahl der Grund der hiſtori - ſchen Wahrheit beruhet, zu Zeugen koͤnten aufgefor - dert werden. Von alten Begebenheiten pflegt man eher zu ſagen, daß ſie gewiß, unſtreitig u. ſ. w. als daß ſie Notoriſch genennet wuͤrden. Aber 3. ſchei - net auch dieſes erfordert zu werden, daß man in Anſehung der Entfernung, denen Zuſchauern leicht ſich naͤhern und ihr Zeugniß imploviren koͤn -ne:315von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. ne: Daß dieſelben alſo nicht gar zu weit weg ſeyn muͤſſen. Weil die Correſpondenz durch gantz Europa ſehr erleichtert iſt, daß man in wenigen Wochen aus jedem Theile deſſelben, Nachrichten, Antworten, und mithin auch Zeugniſſe von Sa - chen, daran man etwa Zweifel haben kan; ſo kan faſt von allen publiquen Begebenheiten in Europa geſagt werden: Sie waͤren Notoriſch, oder be - ruheten in der Notorietaͤt. Je naͤher uns aber eine Begebenheit iſt, die auch die andern requiſita hat, deſto notoriſcher iſt ſie. Wenn aber in China, den Philippiſchen Jnſeln, in Peru, was groſſes vor - gehet, ſo wird ſolches nicht leichte bey uns zu einer notoriſchen Wahrheit. Wiewohl bey immer mehr und mehr ſich ausbreitenden Seehandel endlich alles was auf dem Erdboden vorgehet, vor die Eu - ropaͤer zu notoriſchen Wahrheiten werden kan; weil ſie nehmlich aus allen Theilen der Welt in nicht gar langer Zeit Nachricht haben koͤnnen.

§. 37. Gewiſſe Erkentniß des Vergangenen aus dem Gegenwaͤrtigen.

Es iſt ohnſtreitig, daß iezuweilen aus dem was vorhanden iſt, etwas Vorhergegange - nes auf eine ſehr beſtimmte Art, und zwar un - truͤglich kann erkannt werden. Geſetzt man zer - breche eine Muͤntze, oder Stuͤck Eiſen, wie die Al - ten die Teſſeras hoſpitalitatis machten: So wird man lange nachher, ſo lange die Stuͤcke ihre Ge - ſtalt nicht durch Quetſchen, oder Stoſſen, oder Verroſten aͤndern, erkennen koͤnnen, welches das -jenige316Neuntes Capitel,jenige Stuͤck ſey, was davon abgebrochen wor - den, denn es wird niemahls ein Bruch wieder auf ſolche Art gerathen, daß das abgebrochene Stuͤck, an ſtatt des wahren Stuͤckes koͤnte ge - braucht werden. Keines in der Welt wird ſo gut paſſen. Solche Faͤlle der gewiſſen Erkent - niß von Dingen, wo man doch keine Ausſagen, oder nicht hinlaͤngliche Ausſagen hat, ſind um ſo viel merckwuͤrdiger, ie ſeltener ſie ſind.

§. 38. Gemeinere Art aus den Gegenwaͤrtigen das Vergangene zu erkennen.

Hingegen laͤſſet ſich, nach dem Lauf der Na - tur, und aus allgemeinen Begriffen, die man aus Erfahrungen gemacht hat, bey ieder vorhandenen, oder gegenwaͤrtigen Sachen eine Menge vor - hergegangener Begebenheiten, heraus bringen. Welche Erkentniß der Geſchichte mit der ſoge - nannten cognitione a priori eine groſſe Verbin - dung hat. So weiß man nunmehro durch die Reaumuriſchen und Roͤßleriſchen Bemuͤhungen von einer Menge Jnſecten, wie ſie generirt und nach und nach verwandelt werden. Wer nun dieſer Dinge kundig iſt, und etwa einen Schmet - terling vor ſich hat: Derſelbe wird erzehlen koͤn - nen, was ſich von Zeit zu Zeit, mit dieſem Thiere zugetragen hat, daß ſich ein der Sache unkundi - ger daruͤber verwundern wird. Wie nun an der Wahrheit und Gewißheit der Erfahrungen (wobey man voraus ſetzet, daß ſie richtig gefaſſet ſeyn muͤſſen), niemand zweifelt; alſo ſagen wirvon317von der Gewißheit der Geſchichte ꝛc. von ſolchen Begebenheiten, die wir aus dem ge - genwaͤrtigen, durch allgemeine Begriffe und Regeln heraus gebracht haben: Daß wir ſolche wiſſen: Wie wir ſolches bey der Entdeckung der Begebenheiten bemerckt haben (§. 38. C. 7.). Wenigſtens gehet die Gewißheit der auf dieſe Art entdeckten Begebenheiten, mit der Ge - wißheit der Erfahrungen ſelbſt, in einem Paare. Hat die aus der Erfahrung gemachte Regel keine Ausnahme: So koͤnnen wir auch in der Application derſelben auf eintzelne Faͤlle ge - wiß ſeyn: Hat ſie aber ihre Ausnahmen und iſt nicht beſtimmt genug, ſo iſt auch die Anwendung derſelben, und folglich die daraus geſchloſſene Be - gebenheit nicht untruͤglich.

Zehendes Capitel, von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

§. 1. Das Gegentheil der hiſtoriſchen Gewißheit.

Ungewiß iſt alles dasjenige, was wir nicht durch den rechten Weg erkennen, durch welchen wir zur Sache gelangen ſollten. Dieſes erhellet, vi oppoſitorum, aus der innerli - chen Beſchaffenheit der Gewißheit (§. 10. C. 9.). Denn bey ſolcher Erkentniß, wo man nicht durch den rechten Weg hinter die Sache gekommen iſt,kan318Zehendes Capitel,kan man nicht verſichert ſeyn, daß man nicht ſein Urtheil aͤndern, und entweder verleitet, oder auch noch eines beſſern belehrt werden duͤrffte. Und die - ſes geſchiehet, in Anſehung der hiſtoriſchen Erkent - niß, ſo offte das Anſehen desjenigen nicht voͤllig bey uns iſt, von dem wir die Nachricht erhalten haben. Unterdeſſen pflegen wir nicht allemahl an den Nachrichten, die nicht alle Glaubwuͤr - digkeit haben, wircklich zu zweifeln, ſondern oͤffters laſſen wir uns an der allgemeinen uͤberredenden Krafft, die jede Ausſage bey ſich hat (§. 17. C. 9.), eine Zeitlang gnuͤgen. Hingegen auſſern ſich auch mehrmahlen Umſtaͤnde, welche das Gegen - theil von demjenigen, was wir bisher geglaubt, nicht allein zu gedencken, ſondern auch zu glauben veranlaſſen. Daraus erfolgt dann, daß wir eine Sache bald bejahen, bald verlaͤugnen, nachdem wir entweder auf dieſe, oder auf die gegenſeitige Gruͤnde unſere Aufmerckſamkeit richten. Und dieſer Zuſtand unſerer Seele heiſſet der Zweifel. Ein ſehr ausfuͤhrliches Exempel eines hiſtoriſchen Zweifels kan man, auſſer unzehligen andern le - ſen beym Abbe de Vertot, Hiſtoire de Chevaliers de Malthe. T. V. p. 437. wo er mit ſich ſelbſt in einer beſondern Diſſertation uneins iſt, ob die damahligen Rhodiſer Ritter dem verjagten Tuͤr - ckiſchen Printzen Zizim einen Saluum conductum gegeben hatten, oder nicht? indem der Vicecantz - ler des Ordens, Caourſin, als ein Scriptor coœuus, und allem Anſehen nach gar ein Jntereſſente bey dieſer Sache, bezeuget, daß ein Saluus conductus dein Zizim ſey gegeben worden, Jaligni aber, alsein319v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. ein Autor gleiches Alters, und der ebenfalls um die Sache gar wohl hat wiſſen koͤnnen, dieſe Ge - ſchichte ſo vortraͤgt, als wenn dieſer Printz ſich auf Diſcretion in die Jnſel der Ritter begeben, und zu ihnen ſeine Zuflucht genommen habe. Es fin - det aber dieſer Geſchichtſchreiber nicht allein dar - an einen Anſtoß dem Caourſin Glauben beyzu - meſſen, weil ihn der Jaligni, als ein nicht zu ver - achtender Autor widerſpricht, ſondern auch haupt - ſaͤchlich daran, daß das nachherige Bezeigen der Ritter, da ſie nachher den Printzen als ihren Ge - fangenen gehalten, dem Saluo conductui wider - ſpricht, und im Fall ſolcher wuͤrcklich gegeben wor - den, zur Schande des damahligen Ordensmei - ſters und den uͤbrigen vornehmſten Gliedern die - ſes Ordens gereichen wuͤrde, an deren Ehre, er doch als ein Geſchichtſchreiber ihrer Thaten, groſ - ſen Antheil nimmt. Die Exempel ſolcher Zwei - fel ſind zwar unzehlige; aber die Exempel ſind nicht ſo haͤuffig, wo man ſeinen Zweifel recht deut - lich und vollſtaͤndig zu Papier bringt.

§. 2. Unſer Amt bey Zweifeln.

Der gewoͤhnliche Urſprung des hiſtoriſchen Zweifels iſt, daß die Ausſagen und Nachrich - ten, die wir von einer Sache haben, nicht mit einander uͤbereinſtimmen: ſondern einander gerade widerſprechen. Eine jede Ausſage, vor ſich be - trachtet, macht bey uns den Eindruck der Wahr - heit (§. 17. C. 9.): Vollends wenn gar der Aus - ſager ein Anſehen vor ſich hat. Bey widerſpre -chenden320Zehendes Capitel,chenden Ausſagen werden wir daher bald auf die - ſe, bald auf jene Seite gelencket. Und dieſer Fall kommt bey nahe in allen Klagſachen vor Gerich - te fuͤr: Jndem wenige Klagen angebracht wer - den, wo nicht der Beklagte, wenigſtens ein und anderes Stuͤck der Klage laͤugnen ſollte. Bey Kriegsunruhen entſtehen immer neue, und einan - der widerſprechende Spargements, daß man nicht weiß, was man davon glauben ſoll. Was wir nun bey dieſen Umſtaͤnden, die unſerer Seele alle - mahl zur Laſt fallen, und in Ausfuͤhrung der Ge - ſchaͤffte uͤberaus hinderlich ſind, zu thun haben, iſt, daß wir uns von der Ungewißheit loß reiſſen, und zur Gewißheit gelangen. Dieſes iſt nun oͤffters nicht in unſerer Gewalt; wenn wir nehmlich de - nen Perſonen, durch die wir weiter belehret wer - den muͤſſen, nicht beykommen koͤnnen: Und in dieſem Falle muͤſſen wir mehrere Entdeckung mit Gedult erwarten, oder abwarten, daß ſich die Sache mehr und mehr auswickelt, und auf - klaͤrt. Es iſt wahr, daß unſere Seele nicht ru - hig werden kan; daher ſucht ſie bey vorhandenen Zweifel, wenn derſelbe nicht kan gehoben werden, das Wahrſcheinliche heraus; oder wie man zu reden pflegt, das was am wahrſcheinlichſten iſt; wovon wir hernach handeln wollen. Aber dieſes muß doch nun das letzte Refugium bleiben, und die eigentliche Bemuͤhung eines Zweiflers muß dahin gehen, durch neue Entdeckungen den Zweifel zu heben; welches zu thun der Weg gar ſelten gantz und gar abgeſchnitten iſt. Wir be - trachten alſo zufoͤrderſt den Fall eines vorhande -nen321v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. nen Zweifels, da man im Stande iſt, Unterſu - chungen anzuſtellen; und alle darzu dienliche Mit - tel wuͤrcklich anzuwenden; als in welchen Umſtaͤn - den ſich alle Richter, die gnugſam authorißrt ſind, befinden muͤſſen. Wir muͤſſen hier nicht gleich an alte Geſchichte dencken; bey welchen frey - lich Zweifel in Menge vorkommen; und wo man nicht fragen kan, wen man will; ſondern alte und neue Geſchichte muͤſſen hier promiſcue ſupponirt werden. Ein Mittel hinter die Wahrheit zu kom - men iſt hauptſaͤchlich bey den alten Geſchichten, ein anders aber hauptſaͤchlich bey neuen Geſchich - ten dienlich.

§. 3. Erſte Pflicht bey vorhandenen und wider - ſprechenden Ausſagen.

Wenn die Ungewißheit, aus widerſprechenden Ausſagen entſtehet (denn es iſt noch ein anderer Fall moͤglich, von welchem hernach) ſo ſiehet man daß eine von beyden unrichtig ſeyn muß. Da - her muß unterſuchet werden, wo der Fehler ſtecke? und wie dieſe widrigen Ausſagen entſprungen ſeyn moͤgen? Hierbey muͤſſen wir nun 1. in Betrach - tung ziehen, daß wir uns in Anſehung einer erhal - tenen Nachricht, entweder als Zuhoͤrer oder als Leſer verhalten: Die die Beſchaffenheit der zwei - felhafften Geſchichte, nicht durchs Anſchauen, ſondern aus Worten erkennen: Wobey alſo Zweydeutigkeit, Dunckelheit, Mißver - ſtand, und Mißdeutung vorkommen kan (§. 16. C. 7.). Dergleichen nun hat man bey widerſpre -Xchenden322Zehendes Capitel,chenden Ausſagen zu vermuthen, deswegen Ur - ſach, weil einmahl auf einer von beyden Seiten eine Unrichtigkeit in der Sache vorgegangen ſeyn muß. Mithin iſt bey widerſprechenden Aus - ſagen zuforderſt zu unterſuchen: Ob nicht et - wa in einer von beyden Ausſagen, oder in allen beyden auf unſerer Seite ein Miß - verſtand ſey. Denn wir haben bey Gelegen - heit der locorum communium gewieſen, wie zwey einander zuwiderlauffende loci communes, den - noch ihren guten Grund haben koͤnnen (§. 40. C. 2.): Desgleichen wie man von einerley Ge - ſchaͤffte ſagen koͤnne, daß eine Sache geſchehen, und daß ſie nicht geſchehen ſey (§. 35. C. 2.). Auch weiſet die Erfahrung, daß vor Gerichte Zeugen, die anfangs Contraria ausgeſagt haben, wenn ſie genauer befragt werden, wuͤrcklich mit einander eins ſind. Was nun vor Mißver - ſtand bey Ausſagen, oder bey hiſtoriſchen Saͤ - tzen vorkommen koͤnne, daſſelbe gehoͤret in die Auslegekunſt, beſonders in das Capitel von Auslegung der hiſtoriſchen Buͤcher und Stellen, wie wir ſolches in unſerer Hermenev - tick eingerichtet haben. Das Aus - und Nach - fragen, und ſich die Sache mehrmahlen erzehlen laſſen, thut bey neuen Geſchichten die beſten Dien - ſte, widerſprechende Nachrichten und Ausſagen zu vereinigen. Bey alten Geſchichten aber, da man nicht mehr fragen kan, muͤſſen wir zufoͤrderſt, deſto genauer die Formel anſehen, wie ſich jeder Autor ausgedruckt hat: Und wie man jeden von beyden, ohne auf den andern zu ſehen, vor ſich recht ver - ſtehen moͤge.

§. 4.323v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

§. 4. Zweyter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.

Wenn aber bey widerſprechenden Ausſagen und Nachrichten in Anſehung ihres Verſtandes keine Vereinigung zu finden iſt, ſondern der eine klar be - jahet, was der andere verneinet, ſo muß einer da - von nothwendig falſch ſeyn. Und alsdenn iſt 2. noͤ - thig, daß man erforſchet, ob beyde wuͤrcklich Zu - ſchauer geweſen, und alſo Urheber der Erzeh - lung ſind, oder nur einer: ingleichen ob nicht beyde nur Nachſager ſind. (§. 3. 4. C. 7.) Denn iſt der eine ein Zuſchauer, der andere aber ein Nach - ſager; ſo muß bey jedem eine beſondere Unterſu - chung angeſtellt werden. Denn bey dem letztern muß man nothwendig weiter zuruͤck gehen, und den Canal unterſuchen, wo er ſelbſt zu der Nachricht gekommen iſt; (§. 5. C. 7.) bis wir auf den Au - tor oder Zuſchauer kommen, von dem er es in Er - fahrung gebracht hat. Man kan nicht ſo ſchlecht weg dem Zuſchauer recht geben, und den Nach - ſager verwerffen: weil jener vorſetzlich die Wahr - heit verheelen kan, da dieſer vielleicht von einem wahrhafftigen Zuſchauer die Nachricht bekom - men hat. Mit zwey Nachſagern, die einander widerſprechen, iſt nichts anzufangen, als daß man von beyden Erkundigung einziehet, von welchem autor ein jeder unter ihnen die Nachricht erhalten habe.

X 2§. 5.324Zehendes Capitel,

§. 5. Dritter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.

Hat man nun zwey Autoren und geweſene Zu - ſchauer herausgebracht, oder gleich anfangs vor ſich, (wie Klaͤger und Beklagten) die einander widerſprechen: ſo wird 3. zu unterſuchen ſeyn, ob ſie nicht mehr in der Erzehlungsart, als in der Sache ſelbſt einander widerſprechen: indem wir ge - wieſen, daß in den Erzehlungen einerley Geſchichte groſſe Abwechſelungen vorkommen: ſo daß Leute einander widerſprechen koͤnnen, obgleich keiner den muthwilligen Vorſatz gehabt hat, die Unwahrheit zu ſagen. (Cap. 6.) Denn z. E. Titius ſagte: Cajus habe ihm verſprochen, ſo und ſo viel Getrey - de zu einer gewiſſen Zeit zu liefern: Sempronius laͤugnet es, ſo kan eine ſtarcke æquivocation und Mißverſtand darunter vorwalten: ob nehmlich auch das Verſprechen voͤllig zu Stande gekommen, und zu einem gewiſſen Verſprechen geworden iſt. Und da iſt es nicht allemahl klar, ob nicht die Sache bey bloſſen Tractaten geblieben. Jeder aber von den Partheyen ſiehet die Sache nach ſeinem Sinne an, und denckt, wenn er bey ſich feſte entſchloſſen geweſen iſt, ſo werde es der andere auch geweſen ſeyn. Um nun zu erforſchen, ob in der Art der Er - zehlung der Betrug ſtecke, ſo iſt das eintzige Mit - tel, daß man die Begebenheit, welche gemeiniglich mit allgemeinen Worten vorgetragen wird; (§. 4. C. 6.) als man habe einer Perſon die Ehe ver - ſprochen; man habe wo eingemiethet, u. ſ. w. aus dieſer Decke, darein ſie der Erzehler eingeklei -det,325v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. det, (§. cit. ) wieder ausgewickelt werde; und daß man ſich die Sache nach ihren individuellen Um - ſtaͤnden, und ſo viel moͤglich en detail erzehlen laſſe.

§. 6. Vierter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.

Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel ſchon recht ſehr viele widerſprechende Ausſagen koͤnnen gehoben werden, ſo daß man auf ſolche Art durch den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; ſo werden doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan - dene Widerſpruch noch nicht gehoben wird; ja wo man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf ſol - che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die Worte der Ausſagen ſo beſtimmt, ſo genau ge - faſt ſind, daß es iſt, als wenn man bey der Sache ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen waͤre. Hier ſcheinet es nunmehro unvermeidlich zu ſeyn, daß nicht einer von beyden vorſetzlich die Unwahrheit ſagen ſollte: allein es iſt noch vorher ein anderer Caſus moͤglich: nehmlich daß die Ausſager die Sache aus ver - ſchiedenen Sehepuncten angeſehen haben, und darum einander widerſprechen. Z. E. Man be - findet ſich an einem angelauffenen Waſſer, und fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch - fahren koͤnne: die meiſten ſagen: nein! einer et - wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben ſo hohem Waſſer durchgefahren waͤren. Warum widerſprechen dieſe einander? nehmlich der letztere hat etwa einmahl einen hochgebauten WagenX 3durch -326Zehendes Capitel,durchfahren ſehen, und macht daraus nicht ohne Grund den locum communem: man koͤnne bey ſo hohem Waſſer durchfahren. Die andern aber, welche gedencken, daß dem vorhandenen Reiſenden der locus communis nichts hilfft; ſondern die Nachricht, ob er mit ſeinem Wagen und Geſpann durchkommen kan, antworten ihm aus dieſem Se - hepuncte mit Nein! weil ſie wahrnehmen, daß mit einem ſo kleinen und niedrigen Wagen nicht durchzufahren iſt: Tauſenderley Widerſpruͤche im Erzehlen und Ausſagen entſtehen in der Welt dar - aus, daß einer die Sache anders anſiehet, als der andere. Darauf iſt alſo 4. zu ſehen, wenn man durch widerſprechende Ausſagen und Nach - richten in ſeinem Sinne irre gemacht wird: daß man nehmlich erforſchet, ob auch beyde Ausſager die Sache auf einerley Seite und auf einerley Weiſe anſehen?

§. 7. Fuͤnffter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen.

Wenn aber alle dieſe Mittel die wider einander lauffenden Ausſagen mit einander zu vereinigen wegfallen, und ſie alſo wuͤrcklich einander wider - ſprechen, ſo muß des einen ſeine Ausſage die Un - wahrheit ſeyn. Die Frage iſt nun, wie weiter zu erforſchen, auf welcher Seite die Unwahrheit ge - ſagt worden ſey. Weil wir nun annehmen, daß beyde Ausſager Zuſchauer geweſen, (§. 4.) und daß ſie die Sache nicht bloß auf verſchiedene und nur dem Scheine nach widerſprechende Art erzehlet, (§. 5.) noch aus einem verſchiedenen Sehepun -cte327v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. cte angeſehen haben, (§. 6.) ſo muß einer darun - ter vorſetzlich die Unwahrheit ſagen. Da wuͤr - de nun freylich aus der Sache gar nicht zu kommen ſeyn, wenn beyde Ausſager einerley, und zwar voͤlliges Anſehen haͤtten. Allein ein ſolcher Fall iſt in der Schaͤrffe genommen nicht einmahl moͤg - lich, (§. 24. C. 9.) iſt auch dem Scheine nach in der Welt ſelten vorhanden; ſondern es aͤuſſert ſich auf einer Seite irgend ein Mangel des Anſe - hens: So, wenn in der Geſchichte beym Vertot, (§. 1.) die beyden Scriptores von einerley Anſehen waͤren, wuͤrde man nicht leichte nur zu einer Ver - muthung kommen koͤnnen, woran es fehlete: als wenn der eine etwa Cantzler, der andere Vice - Cantzler des Ordens geweſen waͤre. So aber iſt der eine nehmlich Caourſin, Vice-Cantzler, und hat alle Eigenſchafften eines Autors: der andere aber, nehmlich Jaligni, iſt zwar ein Scriptor coæuus, aber ein fremder, ein Frantzoͤſiſcher Staats-Seeretarius, der von der eigentlichen Be - ſchaffenheit der Aufnahme des Tuͤrckiſchen Prin - tzens auf der Jnſul Rhodus nur aus Nachrichten, und etwa aus den Berichten des Ordens an den Koͤnig in Franckreich ſelbſt, kan Kundſchafft ge - habt haben. Wenn dieſe ſehr kurtz geweſen ſind, wie zu vermuthen ſtehet, kan leicht vom ſaluo con - ducto gar nichts drinne geſtanden haben, ſo daß daraus gar wohl die Vorſtellung hat entſtehen koͤn - nen, die ſich Jaligni von der gantzen Affaire ge - macht hat. So viel iſt gewiß, daß ſein Anſehen in dieſer Erzehlung dem Anſehen des Vice-Cantz - lers nicht gleich iſt. Wiewohl auch der Wider -X 4ſpruch328Zehendes Capitel,ſpruch beyder Ausſagen nicht ſo groß iſt, daß ſie nicht ſollten aus der verſchiedenen Erzehlungsart und aus dem verſchiedenen Sehepuncte, mithin nach den (§. 5. 6. ) beſchriebenen Mitteln koͤnten vereiniget werden. Jn den meiſten Faͤllen iſt die eine Aus - ſage ſo gar wegen des Vortheils, den der Ausſa - ger von derſelben hat, verdaͤchtig. Es mag aber damit beſchaffen ſeyn, wie es will, ſo muß bey vor - handenen widerſprechenden Ausſagen 5) die Be - muͤhung dahin gehen, eine von beyden aus dem Wege zu raͤumen.

§. 8. Wie Ausſagen weggeſchafft werden.

Wir haben gewieſen, daß im Fall das Anſehen eines Ausſagers nicht voͤllig waͤre, ſolches ergaͤntzet werden muͤſſe. (§. 25. C. 9.) Nun iſt bey wi - derſprechenden Ausſagen des einen ſeine Ausſage, oder auch beyder nicht voͤllig: (§. 7.) Daher waͤ - re denn ſolches zu ergaͤntzen. Jndem aber dieſes geſchiehet, ſo wird ſich finden, daß in den meiſten Faͤllen zugleich die intendirte Wegſchaffung der ei - nen Ausſage erhalten werde. Denn ſo geſchiehet es 1. daß, wenn man zu Beſtaͤrckung des Anſehens wider den Verdacht der Leichtſinnigkeit den Eyd fordert, (§. 26. C. 9.) mancher ſeine Ausſage zu - ruͤck nimmt. 2. Wenn man den Vortheil, den iemand aus einer falſchen Ausſage haben moͤchte, durch gegenwaͤrtige Uebel, ja wohl nur durch Dro - hungen begegnet, daß viele die Wahrheit zu ſa - gen ſich bequemen. 3. Durch Herbeybringung der Zeugen kan zwar unmittelbar dem Zweiffel dar -um329v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. um nicht abgeholffen werden, weil durch noch ſo ſehr gehaͤuffte Ausſagen die einmahl vorhandene wi - derſprechende Ausſage doch nicht weggeſchafft wird: aber die Menge der entgegen ſtehenden Ausſagen kan doch endlich den Luͤgner irre und ſchamroth ma - chen, daß er mit der Wahrheit heraus ruͤckt. So lange aber noch eine Ausſage uͤbrig iſt, die man nicht heben kan, ſo lange iſt auch der Zweiffel nicht gaͤntzlich gehoben. Unſere Rechtslehrer gehen ſchwehr daran, einen Jnquiſiten zu verdammen, ſo lange er laͤugnet; ohngeachtet ſeine Ausſage we - gen des darunter habenden groſſen Vortheils ſehr verdaͤchtig iſt; worinnen ſie ſich genau nach dem Grundſatz der Ausſagen und Nachrichten (§. 16. 17. C. 9.) achten.

§. 9. Zweyter Hauptgrund der Zweiffel.

Geſchichte werden auch aus Folgen erkannt, (§. 38. C. 7.) und dieſe geben ſtarcke Gelegenheit zum Nachforſchen und Ausſpuͤhren. (§. 39. 40. C. 7.) Nun ſind zwar die meiſten Folgen ſo be - ſchaffen, daß ſich die Geſchichte bloß aus ihnen nicht gewiß erkennen laͤſſet, wie wir in der Abhand - lung de Veſtigiis gezeigt haben; doch findet ſich auch in dieſen ein Unterſcheid. Manche Folgen ſind ſo beſchaffen, daß jeden nach der genaueſten Ge - denckart ein vorhergegangenes factum dabey ein - faͤllt; ob ſich gleich die Wuͤrcklichkeit deſſelben nicht zuverlaͤßig daraus beweiſen laͤſſet. Dieſe Folgen wollen wir handgreiffliche Anzeichen nennen. Andere Folgen aber geben nur dieſen oder jenenX 5Gele -330Zehendes Capitel,Gelegenheit, an das vorhergegangene zu geden - cken, und koͤnnen leicht gar unbemerckt bleiben: dieſes ſind denn die ſo genannten Spuren. Z. E. wenn in einem Hauſe ein Diebſtahl begangen wird, und einer von den Haußgenoſſen wird kurtz darauf, ohne daß man eine Urſache weiß, fluͤchtig; ſo wird jeder auf ihn den Verdacht des begangenen Dieb - ſtahls werffen. Hoͤret man vollends, daß er auf der Flucht einen Vorrath an Gelde blicken laſſen, ſo wird jeder noch mehr auf ihn verfallen. Unter - deſſen giebt doch beydes noch keinen Beweiß der That ab, ſondern nur ein Befugniß, genau zu in - quiriren. Hingegen ſind oͤffters Minen und ande - re geringe Handlungen Spuren geweſen, durch welche man auf iemanden Verdacht zu werffen iſt angeleitet worden, der auch hernach ſchuldig be - funden worden.

§. 10. Andere Mittel wider den Zweiffel.

Aus denen handgreifflichen Anzeichen erfolgen nun zweyerley Gruͤnde des Zweiffels: 1. wenn Anzeichen pro und contra vorhanden ſind; 2. wenn die Anzeichen mit denen Ausſagen nicht uͤbereinkom - men: wie es meiſtens geſchiehet, daß Miſſethaͤter durch Anzeichen in Unterſuchung gezogen werden, aber alles laͤugnen. Weil einmahl hier nicht un - umſtoͤßliche Anzeichen ſupponirt werden, ſo iſt zu Erlangung der Gewißheit nichts zu thun: als daß man 1.) entweder die Ausſage beſtaͤtigen laͤſſet, (§. 21. 26. 28. C. 9.) und darnebſt klar machen laͤſſet, wie die vorhandenen Anzeichen betruͤglichgewe -331v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. geweſen, oder 2) die vorhandene Ausſage weg - geſchafft worden. (§. 8.) Wenn man alle dieſe Regeln bey alten und neuen Geſchichten beobachtet, ſo wird man finden, daß eine ungemeine Menge von Zweiffeln wegfallen wird. Alle Zweiffel he - ben wollen iſt eine Unmoͤglichkeit: denn wie die Menſchen unvermeidlicher Weiſe unendlich vieles nicht wiſſen; alſo iſt auch nothwendig, daß ſie vie - les nur mit zweiffeln wiſſen. Denn das Mittel zwiſchen wiſſen und nicht wiſſen iſt zweiffeln.

§. 11. Von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

Wahrſcheinlichkeit iſt eine Art des Zweif - fels, welche ſchwehr zu beſtimmen iſt. Sie aͤuſ - ſert ſich aber ſo in der Seele. Bey manchem Zweif - fel iſt uns das Bejahen ſo ſehr am Hertzen gelegen, als das Verneinen, und wir trauen uns nicht vor die Wahrheit eines oder des andern zu ſtehen. Manchmahl aber ſind wir auf die Wahrheit einer Sache ziemlich verſichert, nur iſt etwas, daß auch die Vorſtellung des Gegentheils immer bey uns re - ge macht, welches denn zu mancher Stunde mit mehrerer Klarheit geſchiehet, als in der andern. Dieſer Zuſtand der Seele iſt unlaͤugbar, daß er bey vielen Dingen in unſerer Seele vorhanden ſey. Da nun dieſelbe Wahrſcheinlichkeit heiſſet, ſo iſt die Wahrſcheinlichkeit ſo gut, als das op - poſitum, nehmlich der voͤllige Zweiffel, und das Genus davon, welches Zweiffel ſchlecht weg heiſ - ſet, aus der Erfahrung bekannt. Gemeiniglich aber erklaͤret man wahrſcheinlich durch ein Ur -theil,332Zehendes Capitel,theil, welches mehr Grade der Wahrheit vor ſich hat, als das gegenſeitige Urtheil. Man hat dieſe Erklaͤrung auch auf die hiſtoriſchen Dinge applici - ren wollen; wo ſie aber gar nicht brauchbar iſt: ob - gleich einem guten Theile unſerer hiſtoriſchen Er - kentniß die Wahrſcheinlichkeit ſelbſt nicht abzuſpre - chen iſt. Man weiß nehmlich, daß Dinge, die ab - gezehlet und zuſammen gerechnet werden ſollen, in - nerlich einerley Qualitaͤten haben muͤſſen: daß die Einheiten, woraus die Summe entſtehen ſoll, von einerley Werthe ſeyn muͤſſen. Dieſes aber iſt bey dem hiſtoriſchen Zweiffel und der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit nicht zu erhalten. Es ſey der Fall: eine Begebenheit ſoll ſechs Zuſchauer ge - habt haben. Einer ſagt dies, die andern fuͤnffe das Gegentheil aus; ſo wuͤrde jedermann die Aus - ſage der meiſten vor ſehr wahrſcheinlich halten. Dar - zu aber waͤre noͤthig, daß ſie auch alle 6. einerley Anſehen haͤtten; und das wird ſich nicht leicht zu - tragen. Schlechtweg aber kan man aus einer groͤſſern Anzahl Ausſager keine Wahrſcheinlichkeit machen, wo die Anzahl der Zuſchauer nicht be - ſtimmt iſt: denn entweder wird der, dem es an Zeu - gen fehlet, noch mehrere herbey ſchaffen: oder wo - ferne andere Hinderniſſe darzwiſchen kommen, daß er ſie nicht herbey bringen kan, ſo kan ja ſolches der Wahrheit der Sache ſelbſt keinen Nachtheil verur - ſachen.

§. 12.333v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

§. 12. Klare Exempel der hiſtoriſchen Wahr - ſcheinlichkeit.

Es kommen aber verſchiedene Faͤlle vor, da eine Ausſage vor den andern einen merklichen Vorzug hat: woraus alſo eine Wahrſcheinlichkeit entſtehen kan. Als 1. es ſey eine Ausſage vorhanden, von einem, deſſen Anſehen beynahe voͤllig iſt: wider dieſe kommt eine Ausſage zum Vorſchein von ie - manden, deſſen Anſehen auch bey uns etwas gilt. Bey dieſen Umſtaͤnden wird uns die erſte Ausſage nur wahrſcheinlich ſeyn. 2. Es ſey eine Ausſage vorhanden, die klar und deutlich iſt: dargegen fin - det ſich eine gegenſeitige Ausſage, die die Klarheit nicht hat: ſo wird jene, ſo lange dieſe nicht wegge - raͤumt iſt, uns wahrſcheinlich ſeyn. 3. Die Aus - ſage eines Zuſchauers wird durch die Gegenausſage eines Nachſagers, die man doch nicht ablehnen kan, keine Gewißheit, ſondern nur Wahrſcheinlichkeit in uns erwecken. 4. Jſt es vollends, daß die ei - ne Ausſage ungezweiffelt vorhanden iſt, die gegen - ſeitige aber nicht einmahl ausgemacht iſt, (wie man manchmahl hoͤrt, der und der ſollte das geſagt haben: in einem gewiſſen Buche ſolle das und das ſtehen,) ſo wird jene wegen ihres Vorzugs Wahr - ſcheinlichkeit hervorbringen.

§. 13. Was bey der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit zu thun iſt.

Bey der Wahrſcheinlichkeit nun, muß, wie bey dem Zweiffel uͤberhaupt, unſere Bemuͤhung dahingehen,334Zehendes Capitel,gehen, daß man aus derſelben heraus kommt, und zur Gewißheit gelanget. (§. 2.) Man wird auch ſelten Urſach haben, alle Hoffnung darzu fahren zu laſſen. Bey dieſer wichtigen Arbeit aber wird eben ſo zu verfahren ſeyn, wie wir gewieſen haben, daß man aus der hiſtoriſchen Ungewißheit heraus kom - men koͤnne. Geſetzt aber, darzu ſey die Hoffnung verlohren: ſo iſt alsdenn ein nuͤtzliches Geſchaͤffte: daß wir die gantze Beſchaffenheit unſerer wahrſcheinlichen Erkentniß von einer Sa - che klar und deutlich andern vor Augen le - gen. Denn wie uns daran gelegen iſt, daß an - dere mit uns in Anſehung unſerer gewiſſen Er - kentniß einſtimmig ſind; alſo gelten eben auch dieſe Urſachen, daß wir auch auf den Beyfall anderer in Anſehung unſerer wahrſcheinlichen Erkentniß be - dacht ſind. Dieſen Umſtand, oder vielmehr die - ſes nuͤtzliche Geſchaͤffte, haben die bisherigen Lehrer der Wahrſcheinlichkeit gantz aus den Augen geſe - tzet, und dafuͤr ein anders, als das eintzige noth - wendige angeprieſen; nehmlich die Grade der Wahrſcheinlichkeit, auch in der hiſtoriſchen Erkentniß zu beſtimmen, oder zu zeigen, um wie viel der eine hiſtoriſche Satz wahrſcheinlicher ſey, als der andere. Wir wollen von beyden, aber von dem erſtern, zufoͤrderſt handeln. Denn es iſt ei - ne gar mißliche Sache, andern ſeine wahrſchein - liche Erkentniß begreifflich zu machen, daß ſie ih - nen auch wahrſcheinlich wird.

§. 14.335v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

§. 14. Uneinigkeiten in hiſtoriſchen Wahrſchein - lichkeiten.

Wenn eine Ausſage vor der andern einen ſolchen Vorzug hat, wie wir (§. 12.) gewieſen haben, ſo wird jeder, der ſolchen Vorzug einraͤumet, auch uns recht geben, und uns einraͤumen, daß die Ausſage, die wir vor wahrſcheinlich halten, auch ihm wahrſcheinlich ſey. Wenn aber handgreiff - liche Anzeichen wider Ausſagen ſtreiten: ſo wird man in der Erfahrung finden, daß der eine de - nen Anzeichen, der andere den Ausſagen mehr Ge - wichte beyleget, und eher Beyfall geben wird. An - zeichen wider einen jungen Menſchen, die einen Richter faſt bewegen moͤchten, ihn ohne weitlaͤuff - tigere Unterſuchung gleich zu condemniren, wollen immer noch den Eltern nicht einleuchten: Das Laͤugnen des Sohnes gilt bey ihnen immer weit mehr. Wie ſchwehr iſts nicht bey groſſen Herren, daß ihnen durch Anzeichen die Treue ihrer Vertrau - ten verdaͤchtig werde. Hingegen finden wir wie - der bey ſoupconneuxen Leuten, daß ihnen ein gerin - ges Anzeichen die Sache ſo zuverlaͤßig vorſtellen kan, daß ſie ſich durch noch ſo viel Ausſagen nicht wieder zur Ruhe bringen laſſen. Hier laͤſſet ſich die Krafft der Anzeichen und die Krafft der Ausſa - gen nicht gegen einander abwaͤgen: weil es Dinge von gantz verſchiedener Art ſind.

§. 15. Die wahrſcheinliche Erkentniß iſt gantz ein ander Werck, als die gewiſſe.

Ueberhaupt, wenn man einmahl nicht auf demrechten336Zehendes Capitel,rechten Wege iſt, eine Sache zu erkennen, ſo kommt es hernach nicht allein auf die innerliche Beſchaffenheit der Sachen an, und der Gruͤnde, worauf unſere Erkentniß beruhet, ſondern auch vornehmlich 1. auf die Klarheit eines jeden Grundes, wie ſtarck uns derſelbe im Sinne liegt, und unſere Aufmerckſamkeit an ſich ziehet. 2. Auf die Neigung, welche man aus andern Urſachen hat, die Sache zu glauben, oder nicht zu glauben. Eben das Anzeichen wird dem einem Ehemanne die Treue ſeiner Ehegattin ſehr verdaͤchtig machen, welches einem andern kaum der Rede werth zu ſeyn duͤncket. Jeder weiß, daß die meiſten Anzeichen der Dinge nicht untruͤglich ſind. Auch wird da - durch kein Anzeichen zuverlaͤßiger, und beweiſt an ſich deswegen nicht mehr, daß es mir oder dir etli - che mahl eingetroffen: weil wir ja im Voraus wiſ - ſen, daß es bald eintrifft, bald nicht eintrifft, wie viele Prognoſtica des Wetters und des Todes. Unterdeſſen, derjenige, dem ein Anzeichen einige mahl eingetroffen, wird hernach in neu vorkom - menden Faͤllen ſich nicht enthalten koͤnnen, demſel - ben ein groſſes Gewichte beyzulegen, ob er gleich durch ſeine vernuͤnfftige Ueberlegung wiſſen kan und muß, daß dieſer Umſtand die Anzeichen an ſich nicht ſicherer machen kan, daß ſie eben ihm eini - ge mahl eingetroffen ſind: ſo wie im Gegentheil je - der, wenn ein ihm angerathenes Anzeichen etliche mahl fallirt, kuͤnfftig nichts mehr darauf halten wird: ohngeachtet doch dieſes der anzeigenden Krafft deſſelben an ſich nicht ſchaden kan, daß es ihm nicht getreulich angezeiget. Nun laſſe manzwey337v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. zwey ſolche Perſonen zuſammen kommen; wie iſt es moͤglich, daß ſie einander ihre Gruͤnde der Wahr - ſcheinlichkeit begreifflich machen? Denn wenn gleich jeder allenfalls anzeigt, daß er es aus der ei - genen Erfahrung wiſſe, ſo begreifft doch der an - dere das Vertrauen aus dieſer Erzehlung nicht, welches der erſtere auf ſeine Erfahrung ſetzet: und ſo auf dem andern Theile auch. Sie bleiben alſo uneins, wo man nicht gar ſehr zu abſtrahiren, und ſich in die Umſtaͤnde einer andern Seele zu ſetzen ge - lernet hat; welches doch ſchon in theoretiſchen, ge - ſchweige in pracktiſchen Dingen uͤberaus ſchwehr iſt. Was aber die Liebe und Luſt an einer Sache, ſo gar nur bey einem Geſchichtſchreiber, geſchweige bey Dingen, die uns naͤher angehen, ausrichten kan; koͤnnen wir auch aus dem angefuͤhrten Exem - pel des Vertot ſehen. (§. 2.) Dieſer macht ſich ein groß Bedencken, ob auch die Rhodiſerritter dem tuͤrckiſchen Printzen einen Salvum conductum gegeben haͤtten, darum, weil die Ritter den Sal - vum conductum nachher muͤſten violirt, und ſich alſo gar ſehr an den Geſetzen der Treue verſuͤndiget haben. Weil die Folgen des Salvi conductus un - gerecht ſeyn wuͤrden; ſo ſchluͤſſet er daraus, wi - der die Exiſtentz des Salvi conductus. (§. 9.) Al - lein wuͤrde wohl ein anderer, der bey dieſer Sache gantz und gar fremde waͤre, ſich im geringſten dar - an irren laſſen, eine Sache zu glauben, darum, weil ſie zur Ungerechtigkeit nachher Gelegenheit muͤſte gegeben haben? Man weiß ja, daß nicht allein Dinge, die zur Ungerechtigkeit nach und nach verleitet, ſondern unzehlige himmelſchreyendeYUnge -338Zehendes Capitel,Ungerechtigkeiten in der Welt, gerade zu ſind began - gen worden. Aber vor einen Geſchichtſchreiber, der an der Ehre ſeines Heldens Theil nimmt, wie ſolches auch die Liebe des Naͤchſten erfordert; wenn er anders irgend etwas vor ſich ſiehet, das eine Blame abwenden kan; ſo wird ſeine gantze Auf - merckſamkeit daruͤber rege. Wiewohl gedachter Abt auch alſo haͤtte dencken koͤnnen; was der Vice - Cantzler des Ordens, demſelben vor keine Schande gehalten, das darff ein Geſchichtſchreiber demſel - ben auch wohl zuſchreiben, ohne ihm, wegen der Ehre ſeiner Helden bange ſeyn zu laſſen.

§. 16. Schwehre Arbeit, mit wahrſcheinlichen Geſchich - ten umzugehen.

Man merckt ſchon hieraus, in was fuͤr eine Weit - laͤufftigkeit man geraͤth, wenn man ſich wegen der Wahrſcheinlichkeit eines einigen Facti und Bege - benheit, wobey nur ein Ja und ein Nein moͤg - lich iſt, mit andern Menſchen vereinſtaͤndigen will, auch daß es noͤthig ſey, ihnen ſchon vieles von ſeinem Hertzenszuſtand zu entdecken. Aber wie wird es vollends werden, wenn man auf andere hiſtori - ſche Stuͤcke ſiehet, in welchen vornehmlich die Wahrſcheinlichkeit herrſchet, und die, ihrer Natur nach, nicht eine einige Begebenheit, ſon - dern eine groſſe Menge, ja, nach Gelegenheit un - zehlige in ſich faſſen. Da iſt es um ſo viel ſchweh - rer, Menſchen mit einander zu vereinigen, weil bisher wenigſtens noch gar nicht Regeln vorhanden geweſen ſind, wie man nun im geringſten von ſol -chen339v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. chen Sachen zuverlaͤßig urtheilen, und wie man davon vernehmlich reden ſolle. Wir wollen es in beſondern Stuͤcken der Geſchichtskunde zeigen.

§. 17. Erſte wichtige Art der wahrſcheinlichen Stuͤcke in der Hiſtorie.

Oeffters werden Geſchichte unter der Geſtalt der allgemeinen Wahrheiten, und als loci com - munes vorgetragen. Z. E. Der eine ſagt: Die Heyden ſind tugendhafft geweſen; der andere verneinet es. Wird da nicht in der That alles voraus geſetzt, was wir aus den alten Geſchichtſchreibern gutes oder boͤſes von den Heyden wiſſen: und doch kommt es nicht eben auf dieſe oder jene That insbe - ſondere, ſondern auf das meiſte, auf das groͤſte und vornehmſte an. Bey dieſer Art von hiſtori - ſchen Wahrheiten ſind wenigſtens zweyerley Be - trachtungen zu unterſcheiden: 1. Des facti, das voraus geſetzt wird, daß dabey keine fallacia vor - gehe: ſo dann 2. wie aus dem facto der locus com - munis gemacht werde. Nachdem wir nun eine Theorie von dieſen Locis communibus angegeben haben, wie (§. 40. ſqq. C. 2.) iſt gewieſen worden; ſo wird man vermittelſt dieſer Theorie auch nun - mehro im Stande ſeyn, von hiſtoriſchen Wahr - ſcheinlichkeiten dieſer Art vernehmlicher zu re - den, und das, was man ſelbſt vor wahrſcheinlich haͤlt, auch andern wahrſcheinlich zu machen: da man ohne ſolche Regeln de locis communibus we - der den rechten Anfang, noch Ende in dergleichen Abhandlung beſtimmen kan.

Y 2§. 18.340Zehendes Capitel,

§. 18. Zweyte wichtige Art der Wahrſcheinlichkeit in der Hiſtorie.

Die Wahrſcheinlichkeit aͤuſſert ſich ferner hauptſaͤchlich in gantzen Geſchichten; und de - nen daraus entſtehenden langen Beſchreibungen, die zumahl in einer gewiſſen Abſicht gefertiget werden (§. 12. 19. C. 6.); als um die Gerechtig - keit, oder Ungerechtigkeit eines gewiſſen Verfah - rens darzuthun. Warum hierbey die Menſchen nicht leichte unter einen Huth zu bringen ſeyn; und alſo auch, warum wir in ſolchen Stuͤcken oͤff - ters auch nicht eine Wahrſcheinlichkeit bey den an - dern erhalten koͤnnen, iſt ebenfalls aus den in vori - gen Capiteln feſtgeſtellten Lehren deutlicher zu erken - nen. Hauptſaͤchlich ſind dieſe zwey Stuͤcke zu beob - achten. Weil man 1. eine gantze Geſchichte nicht leichte vor ſich ſelbſt und als ein geweſener Zu - ſchauer wiſſen kan (§. 15. C. 6.). Und alſo auch nicht, aus der Ausſage eines eintzigen Autors, den man auch Zeugen nennet, haben kan: So wird man ſich bey Erzehlung einer langen Ge - ſchichte, auf eine Menge Perſonen, und ihre Ausſagen beziehen muͤſſen. Darunter werden nun immer welche ſeyn, die theils noch kein Anſe - hen bey dem, dem wir unſere Sache wahrſcheinlich machen wollen, haben; theils ihm gar verdaͤchtig ſind: Es koͤnnen ſich Schwierigkeiten finden, daß ihm ihre Ausſagen zum Theil nicht klar genug vor - kommen. Einigen darunter koͤnnen wohl gar ge - genſeitige Ausſagen im Wege ſtehen. Was voreine341v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. eine Menge Gedancken! die man in den an - dern erwecken, und denen man begegnen muß, um ihm eine Geſchichte ſo wahrſcheinlich zu ma - chen, wie ſie uns iſt? 2. Da die Einrichtung einer gantzen Erzehlung, auch noch keine bekannte Re - gel hat, auſſer was wir von dem Grundriſſe einer Erzehlung gewieſen (§. 18. C. 6.), welches doch aus einer andern angefuͤhrten Urſach (§. 26. C. 6.), die Einrichtung einer jeden Erzehlung noch nicht genugſam beſtimmet; ſo wird man Noth haben, auch nach Beobachtung dieſer neuen Regeln, ſei - nes Hertzens Sinn, fremden gantz und gar zu er - oͤffnen, und dadurch die Wahrſcheinlichkeit bey andern zu erpreſſen; ſo wie es bey der gewiſſen Erkentniß moͤglich ſeyn muß, den andern von der Gruͤndlichkeit der Sache, ſo uͤbel er ſich auch dar - zu anſchickt, zu uͤberzeigen.

§. 19. Dritte wichtige Art der wahrſcheinlichen Stuͤcke in der Hiſtorie.

Ein Hauptwerck aber, worinnen ſich die hiſto - riſche Wahrſcheinlichkeit recht ſpiegelt, iſt ferner die Angebung der Urſachen von vergangenen Dingen. Nun wird man aus unſerer Theorie von dieſer Sache (§. 36. ſeq. C. 8.) erſehen ha - ben, ſowohl wie man disher keine feſtgeſetzten Prin - cipia gehabt, von den Urſachen der Begeben - heiten zu urtheilen, oder zu reden; als auch, was es vor Bedencklichkeit habe, wenn man in die Ur - ſachen einer Begebenheit hinein gehen will. Un - terdeſſen da wir nunmehro Formeln haben, wieY 3man342Zehendes Capitel,man von den Urſachen einer jeden Begebenheit und Geſchichte mit einander reden und dencken ſoll: So wird man, wenn man ſich nur erſt ſelbſt uͤber einer wahrſcheinlichen Urſache einer Begeben - heit entſchloſſen hat, auch andern ſeine Gedancken hievon mittheilen, und wenigſtens mercken koͤnnen, woran es fehlet, oder fehlen koͤnne, daß der ande - re unſere angegebene Urſach, nicht vor wahrſchein - lich will gelten laſſen. Wir moͤgen Kuͤrtze halber nichts von dem, was wir ſchon geſagt haben, wie - derholen; unſere Leſer aber bitten wir, die ihnen etwa beywohnenden Scrupel, welche ſie wider die hie und da angegebenen Urſachen der Begeben - heiten haben, als Exempel vorzunehmen, und ſie gegen die Lehren (des Cap. 8. §. 36. ſeq. ) zu hal - ten; ſo werden ſie wahrnehmen, daß ſie von ihrem Zweiffel deutlicher zu reden, und weiter zu forſchen Gelegenheit und Anleitung finden werden.

§. 20. Vierte wichtige Art der Wahrſcheinlichkeit in der Hiſtorie.

Der haͤuffigſte Fall, wo die Wahrſcheinlichkeit in der Hiſtorie gebraucht wird, iſt dieſer, wenn uͤber einen hiſtoriſchen Satz und uͤber eine Geſchichte ge - ſtritten wird; dergeſtalt, daß jeder nicht allein das ſeinige beweiſen, ſondern auch das Gegen - theil widerlegen muß. Dabey muͤſſen ſich nun nothwendig alle Arten der hiſtoriſchen Schwie - rigkeiten aͤuſſern: Woferne man nicht, mit allem dem, was zur hiſtoriſchen Erkentniß gehoͤrt, be - waffnet und ausgeruͤſtet iſt: Dergeſtalt daß mannicht343v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. nicht allein die Fehler der gegenſeitigen Ausſage und Zeugniſſe, genau bemerckt, ſondern auch, was ſeinem eigenen Beweiſe, moͤchte vorgeruͤckt wer - den, voraus abſehen, und demſelben vorbauen kan. So wie man bey Diſputationen uͤber allge - meine Wahrheiten den gantzen Apparatum der Logicaliſchen Regeln und Begriffe im Gedaͤchtniß, ja am Griffe haben muß: Alſo muß man bey hi - ſtoriſchen Streitigkeiten, auch alle Begriffe und Regeln der hiſtoriſchen Erkentniß bey der Hand, ja am Griffe haben. Folglich iſt auch, in un - ſerer gantzen Abhandlung Anleitung gegeben worden: Wie man im hiſtoriſchen Diſputiren ſich betragen ſolle, es mag damit auf Gewißheit, oder nur auf Wahrſcheinlichkeit abgeſehen ſeyn.

§. 21. Fuͤnffte wichtige Art der wahrſcheinlichen Stuͤcke in der Hiſtorie.

Aber es iſt noch zu mercken, daß die Wahr - ſcheinlichkeit im Diſputiren oͤffters eine gantz an - dere Geſtalt bekommt. Denn man pflegt ſogar demjenigen einzuraͤumen, daß er ſeine Sache wahr - ſcheinlich gemacht habe; der zwar ſein Vorgeben mit ſchlechten Gruͤnden, z. E. nur mit einer Spur aus einem Autore beweiſet, aber doch dabey wider die gegenſeitigen Gruͤnde, die man bisher vor ſol - che angeſehen hat, an denen nicht das geringſte aus - zuſetzen waͤre, etwas aufzubringen weiß. So hat man neuerlich wider Vermuthung aller unſerer Vorfahren wahrſcheinlich gemacht, daß die letzteren Merovingiſchen Koͤnige, nicht wie manY 4ſonſt344Zehendes Capitel,ſonſt geglaubt, bloͤde Herrn geweſen waͤren. Jn der That aber hat man mehr des Eginhards Zeugniß verdaͤchtig, als das Gegentheil von ſei - ner Ausſage glaublich gemacht. Morin hat ſich vorgenommen wahrſcheinlich zu machen, daß man bey den Heyden niemahls Menſchen geopffert haͤtte, ohngeachtet ſo gewaltig viele Zeugniſſe da - von vorhanden ſind, daß man kaum daran zu zwei - feln ſich in Sinn kommen laſſen koͤnte. Dem aber ohngeachtet ſind des Morins Betrachtungen artig zu leſen. Hiſtoire de l’Academie des belles lettres T. 1. p. 57. und der Abt Boiſſy hat den - noch Verſtand brauchen muͤſſen, ſeine Einwuͤrffe abzulehnen. So hat auch der Abt Boivin den Einfall gehabt, daß die Jſraeliten, da ſie in Egy - pten gewohnet, ſich einsmahls des Regiments be - maͤchtiget, und eine gute Weile darinnen geherr - ſchet haͤtten: Welches auch ſo leichte niemanden in Sinn kommen wird, der bloß auf die glaub - wuͤrdigſte Erzehlung in den Buͤchern Moſes ſie - het. Unterdeſſen hat doch dieſer Anſchlag nicht gleich als abgeſchmackt bey der Academie des bel - les letres moͤgen verworffen werden, ſondern er hat vielmehr den Abt Banier eine gelehrte Gegenbe - ſchaͤfftigung gemacht. Hiſt. de l Acad. T. II. p. 31. Nun in dieſen und andern aͤhnlichen Faͤl - len, wo ſo unvermuthete Begebenheiten auf die Bahn gebracht werden, und als wahrſcheinlich admittirt werden, iſt die Wahrſcheinlich - keit, mehr das Oppoſitum des Paradoxi, oder des Widerſinnigen, als der Gewißheit. Denn bey ſolchen, den klarſten Zeugniſſen zuwider lauf -fenden345v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. fenden Vorgeben, iſt zufoͤrderſt die groͤſte Vor - ſicht zu gebrauchen, daß man nur mit ſeinem An - trage nicht gar ausgelacht wird.

§. 22. Ob widerſprechende Saͤtze Grade der Wahr - ſcheinlichkeit haben:

Grade der Wahrſcheinlichkeit entſtehen dar - aus, wenn der eine Satz dem Zweiffel weniger un - terworffen iſt, als der andere. Und dieſes kan ſich gar wohl bey zwey gantz verſchiedenen hi - ſtoriſchen Saͤtzen zutragen, daß dem einem mehr im Wege ſtehet als dem andern. Aber das iſt eine Verwirrung der Begriffe, die zwar ſehr ge - woͤhnlich, aber keinesweges zu rechtfertigen iſt; wenn man zweyen entgegen ſtehenden Saͤ - tzen, (contradictorie oppoſitis) eine Wahrſchein - lichkeit beylegt; nehmlich dem einen eine gerin - gere, dem andern eine groͤſſere Wahrſcheinlich - keit. Denn unter ſolchen Saͤtzen kan nur einer wahrſcheinlich ſeyn. Wir wollen ſolches nach der Definition der Wahrſcheinlichkeit zeigen, der man ſich gemeiniglich bedienet: Nehmlich, wo mehrere Requiſita, oder auch Anzeichen der Wahr - heit vorhanden ſind, als des falſchen. Es ſey nehmlich ein Factum, dabey zehen Zuſchauer ge - weſen: Wenn dieſe alle unverdaͤchtig ſind, und ein - muͤthig die Sache erzehlen, ſo wird ſie jedermann vor gewiß halten. Geſetzt aber, ſie gehen in der Erzehlung von einander ab: So entſtehet daraus Ungewißheit. Waͤren ihrer fuͤnfe dieſer Meynung, die andern fuͤnfe der entgegen geſetztenY 5Mey -346Zehendes Capitel,Meynung; ſo wuͤrde uns die Nachricht, die wir von ihnen erlangen, voͤllig ungewiß ſeyn (§. 11.). Geſetzt aber, ihrer ſechſe oder ſieben ſagen etwas aus, die drey oder vier uͤbrigen das Gegentheil, ſo wird die erſtere Nachricht, nehmlich die die meiſten geben, uns wahrſcheinlich ſeyn; und zwar nach der Definition der Wahrſcheinlichkeit. Jſt es aber nun auch moͤglich: Daß wir auch die Ausſage der wenigern, nach derſelben Defini - tion wahrſcheinlich nennen koͤnnen? keineswe - ges. Denn es hat dieſelbe ja mehr criteria wi - der ſich, als vor ſich; welches der Definition der Wahrſcheinlichkeit widerſpricht. Folglich kan auch das eine nicht wahrſcheinlicher ſeyn, als das andere. Und alſo giebt es hier keine Grade. Und der Satz iſt der Wahrheit gemaͤß: Unter zwey contradictoriſch entgegen ſtehenden Saͤtzen iſt nur der eine wahrſcheinlich. Dieſes iſt moͤglich: Daß ich die Gruͤnde meiner Erkentniß bey einer einigen Sache theile: Und bey dem einen Grunde weniger Bedencken finde, als bey dem andern: Z. E. wenn von zehen Zu - ſchauern, ſieben die Sache ſo, dreye aber das Gegentheil ausſagen: So iſt die Ausſage der erſten wahrſcheinlich, in Erwegung der An - zahl der Zeugen. Hingegen wenn es ſich eben zutruͤge, daß die drey Ausſager bey mir ein voͤl - liges Anſehen haͤtten, der ſieben ihr Anſehen aber bey mir geringe, oder mir gar verdaͤchtig waͤren: So wuͤrde mir die Ausſage der wenigeren wahrſcheinlich ſeyn, in Betrachtung des Anſe - hens der Ausſager. Nun kommt es auf michan,347v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. an, welches von beyden meine Aufmerckſamkeit mehr an ſich ziehet (n. 1. §. 15.): Ob die An - zahl oder das Anſehen der Ausſager? Und da kan ich ſagen, daß mir der eine Satz wahrſchein - licher ſey, der andere aber noch wahrſcheinli - cher; nehmlich die Sache auf verſchiedene Wei - ſe betrachtet. Gleichwie man aber endlich doch von der gantzen Sache ſein Urtheil faͤllen muß, ob man ſie vor wahr haͤlt, oder nicht? Wobey alle Gruͤnde, die man hat, zuſammen genommen werden muͤſſen: Alſo wird am Ende doch nur vor einen von beyden Saͤtzen, eine Wahrſchein - lichkeit uͤbrig bleiben.

§. 23. Critick uͤber die gewoͤhnliche Definition der Wahrſcheinlichkeit.

Ueberhaupt aber kan man, die Definition der Wahrſcheinlichkeit, wo mehrere Requiſita der Wahrheit vorhanden ſind, in der Hi - ſtorie gar nicht brauchen. Denn die Wahrheit der Geſchichte, welches nichts anders, als die Ge - ſchichte ſelbſt iſt, beruhet auf den Urſachen, wodurch die Begebenheit ſelbſt zur Exiſtentz ge - bracht worden. Hingegen unſere Erkentniß der Geſchichte, die wir nicht mit eigenen Augen ſehen, beruhet auf den Ausſagen derer Zu - ſchauer, welche offenbar mit der innerlichen Be - ſchaffenheit der Geſchichte keine nothwendige Verbindung haben. Sondern eine Hiſto - rie beſtehet, wenn ſie auch von keinem Men - ſchen ausgeſagt, oder nachgeſagt wird. Beyder348Zehendes Capitel,der Erkentniß aus Folgen hat zwar der Grund unſerer Erkentniß, nehmlich die Folgen von ei - ner Geſchichte, mehr Verbindung, mit dem Grun - de der Sache ſelbſt. Doch kan ich auch die Fol - gen einer Begebenheit, nicht eigentlich als den Grund der Begebenheit anſehen: Und die Be - gebenheit bliebe wahr, wenn auch die natuͤrlichen Folgen derſelben durch ein Wunderwerck aufge - hoben wuͤrden. Ferner, wo man das vergan - gene am zuverlaͤßigſten aus dem gegenwaͤrtigen erkennen kan, ſo beruhet unſere Erkentniß auf ei - ner Empfindung der Uebereinſtimmung (§. 37. C. 9.), wobey ſich die Requiſita auch nicht zeh - len laſſen. Bey regelmaͤßigen Bewegungen aber, da man die vorhergehende aus den nachfol - genden, und die nachfolgenden aus dem vorgehen - den nach dem Lauffe der Natur ſchluͤſſen kan, ge - het alles nach den Regeln der Demonſtration, bey welcher uͤberhaupt keine Requiſita ad verita - tem noͤthig ſind.

§. 24. Wahrſcheinlichkeit einer Begebenheit iſt nur vor gewiſſe Leute.

Es iſt auch zu mercken, daß ſich niemand in die wahrſcheinliche Erkentniß dieſer oder jener Bege - benheit einlaͤſſet, der nicht an der Geſchichte ſelbſt Theil naͤhme; welches auf gantz verſchiedene und unzehlige Weiſe geſchehen kan: Nimmt man aber Theil daran; ſo ſiehet man die Sache auch aus einem gewiſſen Sehepuncte an; (§. 15. C. 5.) welches macht, daß man auf gewiſſe Stuͤ - cke genau merckt, da man hingegen andere uͤberſie -het;349v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. het; und unter denen Stuͤcken, auf welche man ſiehet, eines mehr zu Hertzen nimmt, als das an - dere. Daraus entſtehet denn die Wahrſchein - lichkeit auf dieſer oder jener Seite. (§. 15.) Die aber aus der multitudine requiſitorum ad verita - tem die Wahrſcheinlichkeit beſtimmen wollen, ſtellen ſich den Menſchen vor, als wenn ihm die Sache gantz und gar gleichguͤltig waͤre; ſo daß er mit einer gantz reinen Vernunfft einen Umſtand nach dem andern beleuchtete, jedem gleichen Werth beylegte, und hernach durch Zuſammenrechnung der Umſtaͤnde auf beyden Seiten die Wahrſchein - lichkeit herausbraͤchte: Allein dieſe hypotheſis iſt der Natur der Seele zuwider. Eine Sache, die uns nichts angehet, die unterſuchen wir auch nicht; ſondern wenn ſie uns Fragweiſe vorgelegt wird, ſo antworten wir, wir wuͤſten es nicht, welches wahr waͤre, oder auch, die Sache gehe uns nichts an, und man ſollte andere Leute fragen.

§. 25. Von unwahrſcheinlichen Erzehlungen.

Unwahrſcheinlich nennen wir auch oͤffters, was nach den Umſtaͤnden und Eigenſchafften einer Sache, die uns bekannt ſind, nicht geſchehen ſeyn kan; und dieſes Wort bedeutet alſo, in ſolchen Faͤllen, ſo viel, als paradox. Wie nehmlich eine Be - gebenheit, die uns erzehlt wird, wenn ſie mit de - nen uns ſchon bekannten Umſtaͤnden derer Perſonen und Dinge wohl uͤbereinkommt, wahrſchein - lich, plauſibilis, genennet wird, wenn auch gleich der Ausſager nicht das geringſte Anſehen vor ſichhaben350Zehendes Capitel,haben ſollte: ſo nennet man im Gegentheil eine Er - zehlung unwahrſcheinlich, wenn ſich die erzehl - ten Begebenheiten zu dem, was wir von der Sa - che und von denen Perſonen ſchon wiſſen, nicht ſchickt, ſondern denſelben widerſpricht. Waͤre es nun an dem, daß die Erzehlung denen uns bekann - ten und wahren Beſchaffenheiten der Sache wuͤrck - lich widerſpraͤche, ſo muͤſte dieſelbe auch falſch ſeyn. Aber faſt allemahl widerſpricht ſie nicht ſo wohl deu wahren Umſtaͤnden, die uns ſonſt bekannt ſind: ſondern 1. entweder ſie ſcheinet uns ſich nur zu ſolchen Umſtaͤnden nicht zu ſchicken, weil wir den gantzen Zuſammenhang nicht recht wiſſen; 2. manchmahl ſchickt ſie ſich auch wuͤrcklich nicht, nach denen moraliſchen Regeln. Aber dargegen iſt zu mercken, daß das ungeſchickte ſo wohl in der Welt von Menſchen geſchehen kan, als was ge - recht und ſchicklich iſt. Daher iſt die Unwahr - ſcheinlichkeit kein Beweiß, daß die Erzehlung falſch ſey. Hingegen aber iſt ſie wohl ein Hinder - niß des Glaubens und der Gewißheit: denn ſie verurſacht, daß wir das Gegentheil von dem ge - dencken, was wir doch um der glaubwuͤrdigen Ausſagen, und um des Anſehens willen, welches der Ausſager hat, glauben wuͤrden. Aus der Un - wahrſcheinlichkeit alſo in dieſem Verſtande fluͤſſet weiter nichts, als daß der Autor einer ſolchen Erzehlung 1. entweder den Zweiffel durch ſein An - ſehen unterdruͤcke, oder 2. das unwahrſcheinliche durch mehrere Aufklaͤrung der Sache voͤllig aus dem Wege raͤume.

§. 26.351v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.

§. 26. Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen.

Ueberzeigen iſt uͤberhaupt nicht einerley mit Beweiſen und der Sache gewiß machen. Phil. Defin. p. 25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto - riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit an ſich gehoͤren nur Ausſagen von Autoren, die ein voͤlliges Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge - gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin - det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge - hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq. ) und dadurch die Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr - ſcheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter nichts verlangen, als daß die Sache dem andern eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle - mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen: (§. 15. 24. ) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt dieſe Einleitung zur hiſtoriſchen Erkentniß zu - gleich eine Anleitung in hiſtoriſchen Dingen, ſo - wohl ſich als andere zu uͤberzeigen, und in hi - ſtoriſchen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe - re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ - ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des Pyrrhoniſmi hiſtorici nicht zu gedencken, welcher ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er -ſten352Zehendes Cap. von der hiſt. Wahrſch. ſten aber unter den Titul der hiſtoriſchen Wahr - ſcheinlichkeit haͤtte einſchleichen konnen. Die - ſem aber kan nicht beſſer begegnet werden, als da - durch, daß man deutlich zeigt, wie unſere Seele bey hiſtoriſchen Wahrheiten zu verfahren pflegt, und verfahren ſolle. Jn Ermangelung aber der Re - geln verfaͤllt man auf mancherley Weiſe auf den Pyrrhoniſmum: bald dadurch, daß man ſich in ſo viele Zweiffel verwickelt ſiehet, da man keine Moͤglichkeit ſiehet, zu einer ſichern Entſcheidung zu kommen, welches Peter Baylen vornehmlich zum zweiffeln geneigt gemacht: bald dadurch, daß man die Beurtheilung der Erzehlungen von den Zweiffeln nicht zu unterſcheiden weiß, welches zu der Bierlingiſchen Abhandlung dem Pyrrhoni - ſmo hiſtorico Gelegenheit gegeben hat, und welche Pruͤfungen auch vom P. Daniel vor eine Art des Pyrrhoniſmi angeſehen worden. Hiſt. de la Fran - ce Preface p. 2. bald endlich dadurch, daß man aus denen vorhandenen wuͤrcklich zweiffelhafften Begebenheiten und Nachrichten, nach Art eines loci communis, beynahe alle Geſchichtserkentniß vor ungewiß anzuſehen geneigt iſt: wie ſolches un - ter andern in der Philoſophie du bon ſens par Mr. le Marquis d’Argens ſich aͤuſſert. Deutliche Re - geln koͤnnen ſolcher Neigung am beſten begeanen. Denn iſts wohl Wunder, daß man zweiffelt, wenn ſo viele Begriffe, als wir nach der Reihe an - gefuͤhrt und erklaͤrt haben, ohne Ordnung und Deutlichkeit in der Seele vorhanden ſind, und un - ſere Urtheile von hiſtoriſchen Dingen hervorbringen helffen?

Eilfftes353

Eilfftes Capitel, Von alten und auslaͤndiſchen Geſchichten.

§. 1. Erklaͤrung der alten Geſchichte.

Der Begriff des alten iſt bey den meiſten Sa - chen ſehr unbeſtimmt. Manche Sache wird bald alt, manche ſpaͤte. Man rechnet das Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent - lich entſtehet es aus einer Veraͤnderung der Sache ſelbſt. Es iſt alſo die Frage: Was dasjenige ſey, wodurch eine Geſchichte eigentlich alt wird? Wir antworten ſo: Die Art der Erkentniß bey einer Geſchichte wird geaͤndert, wenn alle Zuſchauer ab - geſtorben ſind; dergeſtalt, daß man nunmehro ſie nur von Nachſagern erlernen muß. (§. 3. 4. C. 7.) Nun giebt es der Nachſager vielerley Ar - ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Haͤnde gehet, ehe ſie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn man nun die Geſchichte alsdenn alt nennet, wenn keine Zuſchauer mehr am Leben ſind, ſo wird ſie noch aͤlter ſeyn, wenn auch keiner von den erſten Nachſagern am Leben iſt. Und hauptſaͤchlich wird eine Geſchichte alt zu nennen ſeyn, wenn niemand mehr da iſt, der durchs Hoͤren von ſeinen Vorfah - ren von der Sache waͤre belehret worden: ſo daß man ſich nunmehro bloß an die Denckmale halten muß. Da man nun ſchon ſeit ſehr langer Zeit nichtZmehr354Eilfftes Capitel,mehr ſehr darauf haͤlt, daß einer dem andern, und zwar Alte denen Juͤngern, dasjenige beybraͤchten, was ſie von ihren Eltern gehoͤret haben, ſondern ſich aufs ſchreiben verlaͤſſet, ſo werden die Geſchichte bald ſehr alt.

§. 2. Woraus man alte Geſchichte erlernet.

Da hier das Wort Denckmahl ein Hauptbe - griff iſt, ſo muͤſſen wir deſſen Bedeutung feſte ſe - tzen. Es heiſſet nehmlich jedes Werck, welches vermoͤgend iſt, die Menſchen von vergangenen Dingen zu belehren. Darzu ſind nun die Schriff - ten ohne Zweiffel am allergeſchickteſten; und folg - lich ſind ſie vor die wichtigſte Art der Denckmahle zu halten. Allein man pflegt doch gemeiniglich (wenigſtens nach der Deutſchen Mundart) die Buͤcher, woraus man eine Geſchichte erlernen kan, von den Denckmahlen derſelben zu unterſcheiden. Und dieſes nicht ohne Grund. Denn ein Buch hat ja bey dem Leſer alle Wuͤrckungen einer Rede. (§. 17. C. 7.) So lange alſo noch Buͤcher vor - handen ſind, worinnen Sachen und Geſchichte be - ſchrieben ſind, ſo lange iſt es eben ſo gut, als wenn wir aus dem Munde des Verfaſſers die Nachricht erhielten. Wie man nun eine muͤndliche Erzeh - lung nicht vor ein Denckmahl haͤlt, alſo kan man auch die aufgeſchriebenen Erzehlungen von denen Monumenten und Denckmahlen abſondern. Mit - hin beruhet die Erkentniß der alten Geſchichte theils auf Buͤchern, theils auf Denckmahlen.

§. 3355von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.

§. 3. Der Grund der Erkentniß alter Geſchichte iſt die Chronologie.

Bey denen hiſtoriſchen Schrifften ſetzen wir nun voraus, daß die Chronologie nicht allein eine moͤgliche, ſondern auch eine wuͤrcklich vorhandene Sache ſey, durch die man die vor unſerer Zeit ver - lauffenen Jahrhunderte durch gewiſſe wichtige Begebenheiten von einander unterſcheiden, und alſo die Entfernung der Geſchichte bey unſern Zeiten, und ihre Entfernung von einander beſtimmen kan. Die Nahmen eines Scaligers, eines Calviſius, und anderer, ſind ſo bekannt, daß wir von ihren chronologiſchen Arbeiten vieles zu gedencken nicht noͤthig haben. Vermoͤge dieſer Gelehrten ihrer Arbeit aber kan man Perſonen und Geſchichte be - ſtimmen, wie viel Zeit zwiſchen ihnen und unſern Zeiten verlauffen iſt. Die meiſten Streitigkeiten und Zweiffel dieſer Art, wenn man die alleraͤlteſten Geſchichte bey Seite ſetzet, betreffen etwa einen Unterſchied von 4. oder auch 6. Jahren, welches bey einer Entfernung von etlichen hundert Jahren vor eine Kleinigkeit zu rechnen iſt. Mithin kan man auch daraus die Zeit der hiſtoriſchen Schriff - ten, wenn ſie gefertiget worden, beſtimmen.

§. 4. Eintheilung hiſtoriſcher Schrifften.

Die hiſtoriſchen Schrifften aber, woraus man alte Geſchichte erlernet, ſind nicht von einerley Art. Manche ſind gantz und gar hiſtoriſchen Jn - halts: und dieſe wollen wir die Quellen der altenZ 2Hiſtorie356Eilfftes Capitel,Hiſtorie nennen. Die meiſten Buͤcher aber, die man bey der Erkentniß alter Geſchichte braucht, ſind ſolche, da nur hin und wieder gelegentlich etwas hi - ſtoriſches mit eingeſtreuet iſt. Wie denn kein Buch leichte ſeyn wird, es mag von einer Materie han - deln, wovon es will, darinnen nicht etwas hiſto - riſches vorkommen ſollte. Dieſe gehoͤren zu den hiſtoriſchen Huͤlffsmitteln. (ſubſidia hiſtorica) Ein rechter Liebhaber der Hiſtorie blaͤttert daher alle Buͤcher durch, die ihm vorkommen: er wird ſelten eines finden, darinnen er nicht eine und andere an - genehme Nachricht antreffen ſollte.

§. 5. Quellen der alten Hiſtorie.

Die Quellen der alten Hiſtorie ſind 1. die Brief - fe der Privatperſonen, oder auch der Staats - maͤnner, iedoch ſolche, die ſie nicht in oͤffentlichen Angelegenheiten geſchrieben haben. 2) Staats - ſchrifften, wohin alles zu rechnen iſt, was publi - co nomine bekannt gemacht wird, als Geſetze, Buͤndniſſe, Friedensſchluͤſſe. Nicht minder gehoͤren hieher die Acta publica, wie die Roͤmer ihre Acta diurna hatten: wie auch die Reden, wel - che bey Staatsgeſchaͤfften ſind gehalten worden. Doch muͤſſen ſie nicht, wie die meiſten bey den Latei - niſchen und Griechiſchen Geſchichtsſchreibern er - dichtet ſeyn; welches auch neuere Autores, als Caourſin und Guichardin nachgethan haben.

§. 6. Sicherer Grund alter Geſchichte.

Es iſt klar, daß, wo dergleichen Schrifften vor - handen ſind, wie in Anſehung der Wahrheit derGeſchichte,357von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. Geſchichte, eben ſo gut daran ſind, als wie bey neuen Begeb[e]nheiten. Denn wenn wir in einer ſolchen Schrifft und Buche leſen, ſo iſt es nicht an - ders, als wenn wir in jenes altes Seculum verſetzt wuͤrden, und die aufgezeichneten Nachrichten aus des Verfaſſers eigenem Munde vernaͤhmen. Denn in Anſehung des Verſtandes iſt es ja einerley, ob ich eine Erzehlung hoͤre, oder ob ich ſie leſe: und der Verlauff der Jahre kan den Sinn und Be - deutung der Worte, die ſie bey dem Verſaſſer ge - habt, nicht aͤndern, wenn wir anders nur die Spra - che verſtehen, darinnen das Buch abgefaſſet iſt. Der Grund unſerer Erkentniß von alten Geſchich - ten aus Buͤchern, iſt eben ſo feſte, als der Grund unſerer Erkentniß von neuen Geſchichten, in ſo fer - ne wir dieſe auch aus Nachrichten erlernen muͤſſen.

§. 7. Schwierigkeiten bey den Quellen alter Geſchichte.

Doch in einigen Stuͤcken aͤuſſert ſich manchmahl ein Unterſcheid, daß uns nehmlich ſchwehrer und muͤhſamer wird, die alten Geſchichte aus ihren Quellen zu erlernen, als die neuen. Nehmlich 1. iſt manchmahl wegen der Avthenticitaͤt einer alten Schrifft ein Zweiffel: weil es nehmlich auch nach - gemachte und untergeſchobene giebt. Die ſo genannte Donatio Conſtantini M. iſt ein bekann - tes Exempel hiervon, welches mit dem Privilegio Alexanders des Groſſen den Slavacken gegeben, be[ym]Goldaſto de Regno Bohemiæ T. II. p. 170. Edit. Schminckii in einem Paare gehet. 2. WennZ 3auch358Eilfftes Capitel,auch gleich eine Sprache, darinnen eine hiſtoriſche Nachricht abgefaſſet iſt, lange nachher im Gebrau - che iſt; ſo gehen doch wehrender Zeit manche Ver - aͤnderungen der Woͤrter vor, daß einige gantz aus dem Gebrauch kommen; andere aber neue Bedeutungen bekommen. Dieſes verurſacht dann, daß wenn man die alten Geſchichten in ihren Quellen leſen will, nicht allein die gemeine Erkent - niß der Sprache, worinnen ſie abgefaſſet ſind, er - fordert wird, ſondern auch Critick und Philolo - gie: welche beyde Erkentniſſe man bey neuen Ge - ſchichten entbehren kan. 3. Diejenigen, welche Urkunden abfaſſen, und uͤberhaupt Geſchichte aufzeichnen, ſehen gemeiniglich am meiſten auf die erſten Leſer, an welche die Schrifft gerichtet wird. Dieſe nun, wie ſie ſich in mehrerer, und oͤffters in gantz genauer Verbindung mit der Geſchichte befinden, welche ihnen ſchrifftlich vorgelegt wird; alſo bringen ſie, als Leſer, manche Erkentniß dar - zu, welche ihnen die Schrifft verſtaͤndlich macht: wie ſolches von Brieffen, ja auch von Geſpraͤchen klar iſt. (§. 8. 45. der Auslegekunſt). Wer aber nach ſpaͤten Zeiten uͤber eine ſolche ſchrifftliche Nachricht kommt, weiß meiſtens von der Sa - che weiter nichts, die darinne vorgetragen wird, als was er davon darinnen aufgezeichnet ſindet. Er bringt alſo nicht diejenige Erkentniß darzu, mit wel - cher die erſten Leſer verſehen waren. Dannenhero iſt kein Wunder, daß er manches nicht ſo gleich ver - ſtehet, welches die erſten Leſer ohne den geringſten Anſtoß verſtanden haben. Und dieſes iſt die Urſa - che, warum man auch die Hermenevtick noͤthighat,359von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. hat, wenn man die alten Geſchichte in ihren Quel - len leſen will.

§. 8. Beſondere Art der Quellen alter Geſchichte.

Unter denen Staatsſchrifften hat man ſeit einiger Zeit ſein Augenmerck beſonders auf die Diplomata, oder offene Brieffe gerichtet, durch welche groſſe Herren und alle Obrigkeiten, ſeit 1200. Jahren, ihre Privilegia, Stifftungen, u. ſ. w. bekannt zu ma - chen und zu beſtaͤtigen pflegen: da groſſe Herren in aͤltern Zeiten dasjenige, was nachher in Diploma - tibus gefunden wird, durch Brieffe und Reſcripta an die vornehmſten Staatsbedienten und Collegia bekannt machten und beſtaͤtigten. Bey ſolchen Diplomatibus, wie ſie nur in den Jahrhunderten und Zeiten vorkommen, die wir ſchon als neuere anſehen, und als Schrifften, wovon noch viele Originalia vorhanden ſind: alſo wird bey ihnen als ein Hauptumſtand und zufoͤrderſt angeſehen: ob man von einem Diplomate das Original ſelbſt, oder nur eine Copey und Abſchrifft vor Augen habe?

§. 9. Von der Diplomatick.

Um bey den Diplomatibus dem Betruge zu be - gegnen, welcher um ſo viel eher zu beſorgen, da die Diplomata noch in die ietzigen Rechte der groſſen Herren, der Privatgeſellſchafften, ja eintzelnen Privatperſonen einen groſſen Einfluß haben; hat man ſich ſeit einiger Zeit die groͤſte Muͤhe gegeben, 1. die unterſchobenen und nachgemachten Ori -Z 4ginalia360Eilfftes Capitel,ginalia von denen aͤchten genau zu unterſcheiden. Wobey es auf die Zuͤge der Buchſtaben, auf die Beſchaffenheit der Unterſchrifft, ingleichen des Siegels, ja auch des Papiers und Pergaments an - kommt; 2. auch die untergeſchobenen Diplomata, welche nur vor Abſchrifften ausgegeben werden, von denen aͤchten zu unterſcheiden: welches aus de - nen Materialien, oder auch Formalien, uͤber - haupt aus dem Jnhalte derſelben muß entſchieden werden, ob ſie mit den Umſtaͤnden der Zeit, und derer damahls am Leben geweſenen Perſonen genau uͤbereinkommen. Die unglaublichen Bemuͤhun - gen des vortrefflichen Mabillon, und ſein Werck de Arte Diplomatica, ſind allzubekannt und allzuge - prieſen, als daß wir daſſelbe zu beſchreiben noͤthig haͤtten. Selbſten der Auszug daraus, den der beruͤhmte Hr. P. Eckhard geliefert, erlanget aus der Wichtigkeit der Sache einen nicht geringen Werth. Ueberhaupt koͤnnen wir dieſes vortreffli - che Stuͤck der Gelahrheit und der hiſtoriſchen Er - kentniß nur mit der groͤſten Kuͤrtze beruͤhren, weil er nur einen Theil der Geſchichte, ſelbſt der alten Geſchichte betrifft, nehmlich die Geſchichte des me - dii æui, und zwar nur in den Europaͤiſchen Reichen. Unſere Abhandlung aber iſt auf die hiſtoriſche Er - kentniß uͤberhaupt gerichtet.

§. 10. Dritte Hauptquelle alter Geſchichte.

Eine andere Hauptquelle der alten Geſchichte ſind vor uns die Geſchichtſchreiber, und die von ihnen zum Unterricht der Welt, hauptſaͤchlich derſpaͤten361von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. ſpaͤten Nachwelt, verfertigten hiſtoriſchen Buͤ - cher. Dieſe ſind von den vorigen hiſtoriſchen Schrifften gantz und gar unterſchieden, als welche ſelbſt Stuͤcke der Geſchichte ſind, die darinnen abgehandelt werden, und wegen ihrer vorzuͤglichen Krafft zu lehren, Documenta genennet werden. (§. 35. C. 9.) Der Geſchichtſchreiber ihre Buͤcher aber ſind eigentlich Lehrbuͤcher, die nur per accidens aus denen vorgegangenen Geſchichten entſtehen. Der Hauptplan eines Geſchicht - ſchreibers gehet dahin, daß er jede Geſchichte ſo vortrage, und in ſolche Erzehlung bringe, daß ſie jedem, der auch lange nachher daruͤber kommt, ohne von den Umſtaͤnden ſelbiger Zeiten ſchon mehrere Nachricht zu haben, dennoch bloß aus ſeiner Er - zehlung dieſelbe begreiffen koͤnne. Das iſt die Ab - ſicht, und mithin auch die Pflicht eines Ge - ſchichtſchreibers: er mag nun nur eintzelne wichti - ge Geſchichte beſchreiben, wie Salluſtius den Cati - linariſchen und Jugurthiſchen Krieg beſchrieben, oder er mag die Geſchichte eines gantzen Zeitraumes, in eine Erzehlung bringen, wie Curtius, Ta - citus, Thuanus, und viele andere gethan ha - ben. Einen Geſchichtſchreiber muͤſſen wir daher, als einen Lehrer anſehen, der die Welt weit und breit, und lange nachher von groſſen Begebenhei - ten belehren will.

§. 11. Worinnen das Anſehen eines Geſchichtſchrei - bers beſtehet.

Weil bey der Betruͤglichkeit der menſchlichen Ausſagen zur wahren Erkentniß der GeſchichteZ 5nicht362Eilfftes Capitel,nicht genug iſt, daß es ein Menſch ſaget, ſon - dern auch noch ein Anſehen und eine Autoritaͤt des Ausſagers darbey erfordert wird: (§. 22. C. 9.) ſo wird auch jeder Geſchichtſchreiber, wenn er uns Nutzen ſchaffen ſoll, ein gewiſſes Anſehen haben muͤſſen. Da er nun einen Lehrer gewiſſer Ge - ſchichte abgiebt, (§. 10.) ſo muͤſſen an ihm auch die Qualitaͤten angetroffen werden, die man von einem Lehrer zu erwarten und zu fordern befugt iſt. Nun aber iſt derjenige geſchickt, eine Geſchichte zu lehren, der 1. dieſelbe entweder durch ſein An - ſchauen und Gegenwart, oder aus ſichern Nach - richten erkannt hat. 2. Der im Stande iſt, die Geſchichte, die er in ſeinen Sinn gefaſſet hat, ſo zu Papier zu bringen, und zu erzehlen, daß auch fremde Leſer, die mit der Geſchichte ſelbſt nicht in Verbindung ſtehen, dennoch daraus die Geſchichte verſtehen lernen. Dieſe zwey Umſtaͤnde machen alſo das Anſehen eines Geſchichtſchreibers aus: welches ſo wohl voͤllig, als nur in einer gewiſſen Maſſe vorhanden ſeyn kan. (§. 24. C. 9.)

§. 12. Und wo es am erſten voͤllig iſt.

Wenn der Geſchichtſchreiber Begebenheiten er - zehlt, bey welchen er gegenwaͤrtig geweſen iſt, und einen Zuſchauer abgegeben hat; (er braucht aber eben nicht ein bloſſer Zuſchauer geweſen zu ſeyn, ſon - dern kan gar wohl ſelbſt die Hauptperſon dabey ab - gegeben haben, wie Cæſar in ſeinem bello Gallico und civili) ſo iſt ſein Anſehen in dieſem Stuͤcke vollkommen. Er iſt auch in Anſehung ſolcher Stuͤ -cke363von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. cke von dem Verdachte der Erdichtung frey, wo kein Nutzen von der Verfaͤlſchung der Geſchichte vor ihm abzuſehen iſt. Jn ſolchen Stuͤcken aber, wo ſein Nutzen oder auch ſeine Ehre vorwaltet, braucht er allerdings eine Ergaͤntzung ſeines Anſehens. (§. 25. C. 9.) Nehmlich wir muͤſſen entweder ſehr von ſeiner Aufrichtigkeit verſichert ſeyn, oder die Ergaͤntzung muß durch Zeugen geſchehen, (§. 28. C. 9.) wobey auch in gewiſſen Faͤllen das Stillſchweigen ſeiner Gegner vor ein Zeugniß zu rechnen iſt. (§. 32. C. 9.)

§. 13. Scriptores coæui:

Selten aber kan ein Geſchichtſchreiber, wenn er gleich von Sachen handelt, bey denen er einen Zuſchauer abgegeben, bloß aus ſeiner eigenen Wiſ - ſenſchafft erzehlen, ſondern muß vielmehr die Aus - ſagen anderer und die erhaltene Nachrichten zu Huͤlf - fe nehmen (§. 15. C. 6.) Meiſtens aber ſchreibt ein Geſchichtſchreiber von Sachen, wo er gar nicht dabey geweſen iſt: Jndem er mehr durch ſeine Gabe, Begebenheiten geſchickt zu erzehlen, als durch ſeine Erkentniß der Begebenheiten ſelbſt, bewogen wird, einen Geſchichtſchreiber abzugeben. Dieſes iſt die Urſach, warum man von jedem Ge - ſchichtſchreiber nicht ſo wohl verlangt, daß er ein Zuſchauer geweſen ſeyn ſoll: Auf welchen es doch allemahl hauptſaͤchlich in der hiſtoriſchen Erkent - niß ankommt; als nur dieſes, daß er zu eben der - ſelben Zeit gelebt haben ſoll, daß er ſich alſo der Sachen, wie ſie noch nicht alt waren, ſondern nochZuſchauer364Eilfftes Capitel,Zuſchauer genug vorhanden waren (§. 1.), genau hat erkundigen koͤnnen. Man verlangt alſo auch von alten Geſchichten nicht ſowohl Zuſchauer, als Scriptores coæuos. Und dieſes macht mithin ein Stuͤck des Anſehens bey einem Geſchichtſchrei - ber aus (§. 11.): Weil man nehmlich daraus abnehmen kan, wie er zu der Erkentniß der Ge - ſchichte, die er beſchreibt, gekommen iſt; und daß er ſie entweder ſelbſt muͤſſe geſehen haben, oder doch Perſonen gewuſt haben, die bey der Begeben - heit gegenwaͤrtig geweſen ſind.

§. 14. Haben ein groſſes Anſehen.

Es wird aber das Anſehen eines Scriptoris coæui nicht allein dadurch groß, daß wir verſichert ſind, er habe die Geſchichte von Zuſchauern in Er - fahrung bringen koͤnnen, woferne er nicht ſelbſt da - bey geweſen iſt; ſondern auch dadurch, weil er ſeine Erzehlung und Belehrung zu einer ſol - chen Zeit ans Licht treten laͤſſet, da eine Menge Perſonen vorhanden ſeyn muͤſſen, welche durch ſeine unwahre Erzehlung, falls er ſich dergleichen ſollte geluͤſten laſſen, beleidiget wuͤrden: Die alſo nicht ermangeln wuͤrden, dem Geſchichtſchreiber zu widerſprechen. Dieſer Zuſtand eines Geſchicht - ſchreibers wuͤrckt nun 1. eines Theils ſoviel, daß niemand leichte ſo unverſchaͤmt iſt, daß er ſich getrauen ſollte, zumahl von oͤffentlichen Sachen, daran jedermann Theil nimmt, vorſetzliche Un - wahrheiten hinzuſchreiben. So wird ſich kein vernuͤnftiger Menſch, und alſo auch kein Geſchicht -ſchreiber365von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. ſchreiber unterſtehen, dem Landesherrn eine Ge - mahlin beyzulegen, mit der er nicht wuͤrcklich ver - maͤhlt iſt: Eine Stadt in der Naͤhe zu dichten, die nicht vorhanden iſt: Ein Erdbeben zu erzeh - len, davon niemand im Lande etwas weiß. 2. An - dern Theils aber bringt die Beſchaffenheit eines Scriptoris coæui mit ſich, daß das Stillſchweigen anderer Geſchichtſchreiber, ohngefehr von gleichem Alter, und die bald darauf folgen, und daß ſich niemand darwider gereget, vor eine Beſtaͤtigung zu achten iſt (§. 32. C. 9.).

§. 15. Warum die Geſchichtſchreiber die Nahmen der Zuſchauer weglaſſen:

Ein Geſchichtſchreiber, wenn er ſich nicht auf ſein eigen Wiſſen, ſondern auf Nachrichten, von geweſenen Zuſchauern gruͤndet; ſollte dieſelben lie - ber nahmentlich anfuͤhren; weil auf den Zu - ſchauer bey jeder Geſchichte gar zu viel ankommt (§. 1. C. 5.). Allein da doch die meiſten Leſer, ja alle, die Perſonen meiſtens nicht kennen wuͤr - den, folglich auch, das Anſehen derſelben bey de - nen Leſern geringe ſeyn wuͤrde, ob es gleich bey dem Geſchichtſchreiber ſtarck, ja voͤllig geweſen: So verliert man nicht viel dabey, wenn der Ge - ſchichtſchreiber ſie nicht anfuͤhret. Denn wenn wir ihn einmahl vor einen Lehrer der Geſchichte gelten laſſen (§. 11.) ſo verſtehets ſich, daß wir ihm zutrauen, er werde die Sache von ſolchen Per - ſonen, mittelbar oder unmittelbar in Erfahrung gebracht haben, welche wuͤrcklich Zuſchauer gewe -ſen366Eilfftes Capitel,ſen ſind. 2. Bey oͤffentlichen Begebenheiten braucht es der Anfuͤhrung eintzelner Zuſchauer nicht, weil es der Begebenheit daran nicht hat feh - len koͤnnen (§. 33. C. 9.). Es iſt alſo auch nicht noͤthig dieſen oder jenen, der dabey gegenwaͤr - tig geweſen, nahmentlich anzugeben, weil es bey die - ſer Art der Begebenheit uͤberhaupt auf eintzelne Zeugen nicht ankommt: Denn man kan ſie von al - len Arten haben (§. cit.).

§. 16. Spaͤterer Geſchichtſchreiber ihre Pflicht.

Spaͤtere Geſchichtſchreiber aber, das iſt ſol - che, die ſelber ihr Erkentniß der Geſchichte, die ſie beſchreiben, ſchon aus Buͤchern oder Schrifften ha - ben erlernen muͤſſen, thun allemahl wohl, wenn ſie die Quellen bemercken, woraus ſie ihre Erkenntniß erlanget haben. Denn haben ſie aus Documen - ten genommen, ſo beſtaͤrcken ſie ihr Anſehen, wenn ſie ſolches bemercken: Jndem daraus abzuſe - hen iſt, daß wir ihnen ſo gut trauen koͤnnen, als wenn wir mit den Perſonen ſelbſt redeten, die die alte Geſchichte angehet (§. 6.). Haben ſie aber ihre Nachricht aus aͤlteren hiſtoriſchen Lehrbuͤ - chern, und aͤlteren hiſtoriſchen Geſchichtſchreibern, erlanget: So wird durch Angebung ſolcher Au - toren, der Nachwelt der Canal bekannt (§. 5. C. 7.), durch welchen die alte Geſchichte auf die ſpaͤte Nachwelt iſt fortgepflantzt worden. Beydes - mahl alſo wird die Gewißheit, durch Anfuͤhrung der Quellen befoͤrdert. Die Nachlaͤßigkeit ſeinerVor -367von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. Vorgaͤnger in Anſehung dieſes Stuͤckes, tadelt daher der P. Daniel mit groͤſtem Rechte. Hiſtoire de France Preface. p. XXX.

§. 17. Erſter Fall: Wo Geſchichtſchreiber einander widerſprechen.

Wenn ein ſpaͤterer Geſchichtſchreiber das Gegentheil von demjenigen erzehlt, was wir bey einem aͤlteren, und hauptſaͤchlich bey einem Seri - tore coæuo antreffen, ſo entſtehet daraus einiger, obgleich etwa geringer Zweifel. Denn wider - ſprechende Ausſagen ziehen ſolches nach ſich (§. 2. C. 10.). Hier iſt nun, wie bey allem Zweifel, un - ſere Schuldigkeit zufoͤrderſt, nach der Gewißheit zu ſtreben (§. cit. ); welches entweder durch Weg - raͤumung des Widerſpruchs (§. 4. 5. 6. ) oder durch Wegſchaffung des einen Zeugniſſes (§. 7. C. 10.) geſchehen muͤſſe. Nun laͤſſet ſich bey todten Aus - ſagern, (die man Zeugen zu nennen pflegt), die Mittel, ihr Zeugniß oder Ausſage wegzuſchaffen, nicht anwenden, die wir (§. 8. 9. C. 10.) bemerckt haben. Es ſind aber andere Wege moͤglich, wie ein Zeugniß abkommen kan. Denn 1. weil es dabey auf eine Stelle in einem Buche, das etwa auch das neueſte nicht iſt, ankommt; ſo waͤre zu unterſuchen; ob auch die neuere Ausſage, wuͤrck - lich vorhanden, und nicht etwa durch einen Zu - fall, der ſich bey Abſchreibung der Buͤcher ſonſten wohl begeben, entſtanden ſey. Denn obgleich dieſer Weg ſelten moͤchte brauchbar befunden werden; und man gleich in allen Buͤchern,bey368Eilfftes Capitel,bey dem was einmahl geſchrieben ſtehet, zu blei - ben, und daruͤber zu halten hat, ſo lange als moͤg - lich iſt; ſo iſt doch genug, daß derſelbe moͤglich iſt. Und da einmahl beyde Stellen nicht die Wahrheit ſagen koͤnnen, ſo muß bey der einen oder bey der andern, im Buche, oder in dem Verſtande des Verfaſſers ein Fehler vorgegangen ſeyn. 2. Es kan aber ſeyn, daß des neuen Geſchichtſchrei - bers, der dem coævo widerſpricht, ſein Anſehen geringe, und vor nichts zu rechnen iſt: Jn dem Fall ſo bliebe zwar ſeine Ausſage, aber ſie gaͤlte deswegen nichts.

§. 18. Zweyter und dritter Fall, wo Geſchichtſchreiber einander widerſprechen.

Waͤren der Scriptor coæuus und der ſpaͤtere Geſchichtſchreiber, die einander widerſprechen, an ſich von gleichem Anſehen: So wuͤrde des erſteren ſein Zeugniß ohne Zweiffel doch einen Vorzug ha - ben, und deswegen wahrſcheinlich ſeyn und blei - ben (§. 12. C. 11.). Nur damit wird unſere Seele wenig beruhiget. Zu allem Gluͤck, iſt der Fall ſelten, daß zwey Geſchichtſchreiber, die von gleichem Anſehen ſeyn ſollten, einander gerade wi - derſpraͤchen: Sondern es findet ſich immer bey dem Anſehen des einen, oder des andern ein Fehler. Nun iſt auch der Fall moͤglich, daß zwey ſpaͤtere Geſchichtſchreiber einander widerſprechen: Deren aber einer doch aͤlter iſt als der andere. Jn die - ſem Falle bleibt, wenn nicht andere Umſtaͤnde dazu kommen, die Sache voͤllig ungewiß. Denn369von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. Denn einmahl hat keiner von beyden die Sache, darinnen ſie uneins ſind, durch ſich ſelbſt, noch als gegenwaͤrtig erkannt: Keiner von beyden kan es auch von Zuſchauern in Erfahrung gebracht haben. Beyde muͤſſen es alſo aus ſchrifftlichen Nachrichten haben; oder der eine muß ſeine Nachricht erdichtet haben. An welchem nun die Schuld liege, laͤſſet ſich daraus nicht ausma - chen, ja nicht einmahl vermuthen, daß der eine ſpaͤter nach dem Vorgange der Geſchichte gelebt hat, als der andere.

§. 19. Die Kunſt Geſchichte zu ſchreiben.

Hier waͤre nun auch wohl der Ort, von den Pflichten eines Geſchichtſchreibers zu handeln, oder von den Regeln, wie man zur Belehrung der Nachwelt eine Geſchichte beſchreiben, und eine Erzehlung abfaſſen ſolle? Dieſes aber iſt eine Sa - che von weitlaͤufftigeren Umfange, und tiefferer Unterſuchung. Die Hauptpunckte kommen auf folgende Stuͤcke an. 1. Verſtehet ſich von ſich ſelbſt, daß er die Wahrheit ſagen muͤſſe 2. als - denn kommt es auf die Frage an; wie viel er von dem was er weiß, aufzeichnen oder verſchweigen ſolle? Da iſt nun klar, 3. daß er die Nachwelt belehren will (§. 10.): Dieſes kan aber auf ver - ſchiedene Weiſe geſchehen. 4. Denn will er die Welt auf alle moͤgliche Faͤlle, darzu ſie die Begeben - heit brauchen koͤnnen, erzehlen, ſo muͤſte er alles aufſchreiben, was ihm davon zu ſagen nur moͤg - lich iſt (§. 19. C. 6.): Allein, wie ihm ſolches,A aaus370Eilfftes Capitel,aus politiſchen Urſachen, meiſtens nicht einmahl frey ſtehet (§. cit. ); ſo entſtehet auch 5. daraus eine Weitlaͤufftigkeit, die zwar vielen nuͤtzlich, auch manchem angenehm ſeyn kan; aber welche auch eine Menge von Leſern abſchreckt, ſich in Geſchich - te einzulaſſen, die ſie auszuleſen nicht Gedult ge - nug haben. Zu geſchweigen, daß 6. indem man die Umſtaͤnde gar zu genau bemerckt, bald die - ſer, bald jener, viele Stuͤcke finden wird, die er als uͤberfluͤßig anſiehet; und ohne zu bedencken, daß ſolche doch andern nuͤtzlich und angenehm ſeyn koͤnnen, den Geſchichtſchreiber eines Gewaͤſches beſchuldiget. Daher iſt unumgaͤnglich noͤthig, daß ein Geſchichtſchreiber aus einer Geſchichte, die er auf das ausfuͤhrlichſte weiß, einen Auszug machen muß.

§. 20. Erſtes Kunſtſtuͤck eines Geſchichtſchreibers:

Denn ein Geſchichtſchreiber iſt, vermoͤge dieſes ſeines Amts, das er auf ſich genommen hat, verbunden, allen Eckel und Abneigung der Leſer ſorgfaͤltig zu vermeyden. Denn er ſchreibt zum Dienſte und Gebrauch der Nachwelt; ſein Buch ſoll alſo bis auf ſpaͤtere Zeiten aufbehalten wer - den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge - rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne Mißfallen geleſen wird? Dieſes aber alſo muß vermieden werden. Folglich auch die Weitlaͤuff - tigkeit. Jn den ſpaͤten Zeiten wuͤrde dieſelbe vielleicht angenehm ſeyn: Als wenn wir ietzo von der Expedition des Xerxes in Griechenland, alleMarch -371von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. Marchrouten, Ordres, und was ſonſten von Tag zu Tage vorgegangen iſt, irgendwo leſen koͤnten: Aber wenn eine Geſchichte neu iſt; ſo verurſachen ſol - che Particularitaͤten einen Eckel. Das Mittel darwider iſt die Verkuͤrtzung, und der Auszug. Da wir nun allbereit deutlich gewieſen haben, wie die Geſchichte, wenn ſie erzehlt werden ſollen, verwandelt zu werden pflegen (§. 1. C. 6.) auch wie ſolche verkuͤrtzt werden koͤnnen (§. 3. ſeq. C. 6.), ſo koͤnnen auch die Pflichten eines Geſchicht - ſchreibers in Anſehung des Auszugs, den er machen muß, aus den gegebenen Lehren hergelei - tet werden.

§. 21. Und deſſen Schwierigkeiten.

Da ein Geſchichtſchreiber die Nachwelt von einer Geſchichte belehren will: Die Nachwelt aber von den Perſonen und Orten, die in die Ge - ſchichte einen Einfluß haben, hauptſaͤchlich aber von den Perſonen keine Nachricht hat, ſo muß er 1. Menſchen und Orte alſo angeben, daß man ſie gnugſam von andern unterſcheiden kan. 2. Ohn - geachtet er einen Auszug macht, ſo muß doch die Geſchichte gantz bleiben. Welche Kunſt die la - teiniſchen und griechiſchen Geſchichtſchreiber ſehr wohl verſtanden haben; daß wenn ſie auch noch ſo kurtze Erzehlungen gemacht haben; man doch daran nichts vermiſſet: Sondern ſich duͤnckt, die gantze Geſchichte bey ihnen zu leſen. Ein Ge - ſchichtſchreiber kan daher aus ihren Exempeln un - gemein viel lernen.

A a 2§. 22.372Eilfftes Capitel,

§. 22. Zweytes Kunſtſtuͤck eines Geſchichtſchreibers.

Wenn ein Geſchichtſchreiber wuͤrcklich ſeine Abſicht, nehmlich die Belehrung der ſpaͤten Nachwelt erhalten ſoll; ſo muß er von Zeiten zu Zeiten geleſen; ja ſein Andencken ſelbſt muß von Zeit zu Zeit erneuert werden, damit es nicht un - tergehe (§. 17. C. 3.). Nun fragt ſichs, worauf ein Geſchichtſchreiber wohl rechnen koͤnne, daß man lange nach ihm, ſein Buch leſen, lieben, und vor deſſen Erhaltung beſorgt ſeyn werde. Hier iſt zu mercken 1. ſo lange noch Leute vorhan - den ſind, die die Geſchichte die er beſchrieben, et - was angehet, ſo lange iſt auch zu vermuthen, daß man nach ſeinem hiſtoriſchen Buche fragen werde. 2. Unterdeſſen weiß man auch, daß, Gelehrte aus - genommen, die Menſchen nicht gar zu viel nach dem, was vor ihrer Zeit geſchehen iſt, zu fragen pflegen: Sondern ſie beſchaͤfftigen ſich mit ge - genwaͤrtigen Dingen, mit vorhabenden Ge - ſchaͤfften, und der damit verknuͤpften Arbeit dergeſtalt, daß die Begierde aͤltere Dinge zu er - forſchen, davor gar nicht aufkommen kan. Ja wenn eine Geſchichte weder rechtalt, noch recht neu iſt, ſo pflegen Gelehrte und Ungelehrte ſich nicht ſehr darum zu bekuͤmmern. Darauf darf ein Geſchichtſchreiber alſo keine groſſe Rechnung machen, daß ſein Buch deswegen ſich erhalten werde, weil wichtige Nachrichten darinnen ſtehen. 2. Was aber den Menſchen zu allen Zeiten ange - nehm iſt, das iſt das Sinnreiche, wie uͤberhaupt,alſo373von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. alſo auch im Erzehlen. Die Meiſterſtuͤcke des Witzes, ſie moͤgen betreffen was ſie wollen, er - muntern von Zeit zu Zeit diejenigen, die daruͤber kommen, daß ſie ſich derſelben wieder annehmen, und ſich damit auf eine angenehme Weiſe beſchaͤff - tigen. Die beſte Mitgabe die alſo ein Geſchicht - ſchreiber ſeinem Buche mittheilen kan, iſt, daß es mit Witz angefuͤllt ſey, als welchen noch immer Leute bewundern und lieben werden, die nach der Geſchichte ſelbſt, die darinnen vorkommt, wenig oder nichts fragen wuͤrden. Die groſſe Kunſt eines Geſchichtſchreibers beſtehet demnach kuͤrtzlich darinnen, daß er einen ſinnreichen Auszug aus einer Geſchichte zu machen weiß: Wie dieſes die wahre Beſchaffenheit des Taciti, Liuii, und anderer Hiſtoricorum iſt, die wir noch bis auf den heutigen Tag verehren.

§. 23. Drittes Kunſtſtuͤck eines Geſchichtſchreibers.

Es hat aber der Geſchichtſchreiber auch dar - auf zu ſehen, daß er bey ſeinen Leſern Glauben finde, und alſo nicht ſelbſt Gelegenheit zu unnoͤthi - gen Zweiffeln gebe. Nun iſt die Unwahrſchein - lichkeit einer Begebenheit, eine ſtarcke Veran - laſſung zu zweiffeln (§ 28. C. 10.); ſo daß viele eine Erzehlung gantz und gar bloß wegen ihrer Unwahrſcheinlichkeit verwerffen; ob es gleich nicht folgt: Daß das Unwahrſcheinliche auch falſch ſeyn muͤſſe. Unwahrſcheinlich aber iſt 1. was kei - ne Urſach hat. 2. Was denen bekannten Regeln der Natur, und denen Maximen, die faſt alleA a 3Men -374Eilfftes Capitel,Menſchen in ihren Hertzen haben widerſpricht; oder vielmehr zu widerſprechen ſcheinet. Jede von dieſen Eigenſchafften verbindet den Geſchichtſchreiber zu einer beſondern Pflicht, wenn er Gewißheit bey ſeinen Leſern erhalten will. Nehmlich 1. er muß ſeine Erzehlung ſo einrichten, daß man auch die Urſachen einer Begebenheit daraus abſehen kan. Darzu haben wir im achten Capitel vollſtaͤndige Anleitung gegeben. 2. Daß er das Paradoxe, wo es moͤglich iſt, auf irgend eine Art begreifflich mache. Denn was doch wuͤrcklich geſchehen, das muß ausgemachten Wahrheiten, nicht wi - derſprechen. Was nicht in des Geſchichtſchrei - bers Gewalt hierbey ſtehet, das iſt auch nicht von ihm zu fordern. Ein Exempel ſolcher Sorgfalt, nebſt andern zum unglaublichen Erzehlungen ge - hoͤrigen Dingen, kan man nachleſen in der Aus - legekunſt (§. 315. ſeqq.)

§. 24. Zwey Hauptarten der Denckmahle.

Wir kommen nunmehro auf die Monumenta, oder Denckmahle, in engern Verſtande: Wel - ches denn Coͤrper ſind, die zum Andencken dienen ſollen. Sie ſollen alſo nach langer Zeit denen Menſchen die Erkentniß vorgegangener Begeben - heiten beybringen: Die man eigentlich aus muͤnd - lichen und ſchrifftlichen Nachrichten erlernen ſollte. Dergleichen Coͤrper nun ſind entweder mit einer Schrifft verſehen, oder nicht. Jene haben wir die belebten, dieſe aber ſtumme Denckmahle ge - nennet; in der Abhandlung de Monumentis,in375von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. in den Opuſculis Academ. T. II. p. 265. Was nun die ſtummen Denckmahle anlanget, ſo ſind ſolche ſehr unbequem das Andencken der Menſchen und geſchehenen Dinge zu erhalten. Denn die Zeit, der Ort, als die Hauptumſtaͤnde bey Ge - ſchichten laſſen ſich durch Bilder nicht wohl aus - drucken: Ein Coͤrper aber ſchickt ſich weiter nicht eine Sache auszudrucken, als in ſoferne er ein Bild einer gewiſſen Sache wird; oder auch in ſoferne man aus der Kunſt deſſelben ſchlieſſen kan, daß iemand muͤſſe geweſen ſeyn, der den kuͤnſtlichen Coͤrper verfertiget habe. So weiß man nicht, welche Koͤnige die Wunder der Welt, die Egyptiſchen Pyramiden, erbauet haben: Das aber kan man ihnen wohl anſehen, daß es groſſe und maͤchtige Koͤnige geweſen ſeyn muͤſſen, die folche Berge von Marmor haben auffuͤhren koͤnnen.

§. 25. Erſte Art ſtumme Denckmahle zu nutzen.

Unterdeſſen laſſen ſich doch aus ſolchen Denck - mahlen, auch ohne Schrifft, allerhand loci com - munes machen, wie man in alten Zeiten muͤſſe gedacht, und dieſe oder jene Dinge angegriffen haben. Z. E. aus den Pyramiden der Egyptier laͤſſet ſich ſchlieſſen, wie ſehr dieſelbe vor die Er - haltung ihres Leibes nach dem Tode bedacht gewe - ſen ſeyn muͤſſen, zumahl da ſolches auch aus den Grabmaͤhlern und den Mumien der Privatper - ſonen erhellet. Und da ſie ihre Mumien mit allerhand hieroglyphiſchen Bildern und Schriff -A a 4ten376Eilfftes Capitel,ten uͤberzogen haben, (die uns, weil wir ſie nicht verſtehen, eben ſo gut als keine Schrifft ſind,) und ſich den Zugang zu denſelben offen behielten; ſo folget daraus, daß Privatperſonen in den Ge - ſchichten ihrer Vorfahren viel bewanderter gewe - ſen ſeyn muͤſſen, als bey allen andern Nationen gewoͤhnlich geweſen, und noch iſt. Am allermei - ſten laͤſſet ſich aus den alten kuͤnſtlichen Denck - malen, als Gemaͤhlden, Seulen, gehauenen, und gegoſſenen Statuen, auf das klaͤrlichſte und ſicher - ſte erkennen, wie weit es die Alten in allen dieſen Kuͤnſten gebracht haben.

§. 26. Zweyte Art ſtumme Denckmahle zu nutzen.

Und ſo laͤſſet ſich aus jedem alten Stuͤcke et - was von dem erkennen, was in alten Zeiten ge - ſchehen iſt, was von groſſen Gebaͤuden uͤbrig iſt, nennet man Ruinen, oder rudera: Bewegliche Dinge aber Reliquien und Ueberbleibſel als die fragmenta, von allerhand Haußrathe, und andern Dingen, die man im menſchlichen Leben braucht; beſonders Geſchirr, und Waffen: Dergleichen in den Cabinetten groſſer Herrn aufgehoben werden. Auch in alten Grabmaͤhlern pflegt man dergleichen anzutreffen: Wie des Chifletii theſaurus ſepul - chralis Childerici, als ein vornehmes Exempel beſaget. Von allen ſolchen Dingen ſind dermah - len Ausfuͤhrungen in Menge vorhanden.

§. 27.377von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.

§. 27. Belebte Denckmahle.

Belebte Denckmahle aber, oder die, wel - che Aufſchrifften haben, ſind ebenfalls von vieler - ley Gattung. Man hat Marmorne Tafeln voll Schrifften: Saͤulen, und Gebaͤude mit Aufſchrifften: Gegrabene koſtbare Steine mit Ueberſchrifften. Vor allen andern aber werden die Muͤntzen unter den Alterthuͤmern in Betrach - tung gezogen. Bey dieſen Dingen aber koͤnnen, wie bey alten Urkunden (§. 6.), folgende Eigen - ſchafften, ſchwere Unterſuchung erfordern. 1. Ob das belebte Denckmahl, welches man in Haͤnden hat, auch aͤcht ſey? 2. Daß man die darauf be - findliche Aufſchrifft verſtehen lerne. Wobey oͤff - ters das Leſen die groͤſte Schwierigkeit macht. Jn - dem die Alten ſich ſehr kurtzer und abgebrochener Aufſchrifften bedienet haben. Nun wuͤrde es zu ſpaͤte ſeyn, zu fragen, ob ſie daran recht ver - nuͤnfftig und wohl gethan haben? Welches ſchwer - lich mit ja! kan beantwortet werden. Denn ſolche Dinge ſollen zum Andencken dienen: Und zwar vor ſpaͤte Zeiten. Nun werden ſelbſt die klaͤrſten Schrifften mit der Zeit etwas dunckel: Was ſoll nicht mit ſolchen Aufſchrifften geſchehen, die vom Anfange wie ein Raͤtzel ausſehen. 3. Hat ohne Zweiffel die Auslegung auch bey denen Aufſchrifften, wie bey allen alten Schrifften, ihr groſſes Geſchaͤffte.

A a 5§. 82.378Eilfftes Capitel,

§. 28. Bilder auf belebten Denckmahlen.

Es haben aber auch die Alten vieles auf ihren Denckmahlen, nicht allein durch die Ueberſchrifft und Aufſchrifft, ſondern auch durch Bilder aus - gedruckt. Beſonders haben ſie ſich dabey der Mythologiſchen Jdeen fleißig bedienet. Die Auslegung dieſer Bilder, hat ſeit der Wiederher - ſtellung der Gelehrſamkeit, unzehlig groſſe Maͤn - ner beſchaͤfftiget: Welche die Bedeutung dieſer Bilder, durch Zuſammenhaltung vieler Exempel, und durch Vergleichung derſelben mit denen an - dern Nachrichten aus Buͤchern, ſo ins Licht ge - ſtellt haben, daß man ſich in den meiſten Stuͤcken einer voͤlligen Gewißheit ruͤhmen kan. Beſon - dres ſchwere Dinge dieſer Art findet man unter an - dern in den Memoires de l Academie des Inſcri - ptions & belles Lettres in groſſer Menge.

§. 29. Unſchuld der Ungewißheit bey alten Geſchichten.

Wenn alles Fleiſſes der Gelehrten ungeachtet, dennoch in Anſehung der alten Geſchichten vieles Ungewiſſe uͤbrig bliebe, ſo duͤrffte man ſich daruͤ - ber gar nicht wundern, noch weniger aber daraus eine voͤllige Ungewißheit der hiſtoriſchen Erkent - niß, nur mit dem geringſten Schein ſchluͤſſen. Denn die Mittel, welche zu Wegraͤumung der Zweiffel angewendet werden muͤſſen (§. 8. ſeqq. C. 10.) koͤnnen freylich bey alten Geſchichtennicht379von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. nicht allemahl angewendet werden. Wir koͤnnen nehmlich nicht Zeugen aufſuchen, wie wir wol - len: Weil dieſelben oͤffters gar nicht mehr vor - handen ſind: Wir koͤnnen auch die vorhandenen Autores nicht fragen, wie wir wollen, ſondern wir muͤſſen uns an ihren Ausſagen, die wir haben, gnuͤgen laſſan. Wiewohl man bey oͤfftern und wiederhohlten Nachſchlagen, und durch verdoppelte Aufmerckſamkeit oͤffters dasje - nige endlich findet, was man geſucht, und gleich - ſam gefragt hat.

§. 30. Beſchreibungen und Erzehlungen von ſehr entfernten Dingen.

Die Beſchreibungen von ſehr entfernten Laͤndern, und einige etwa damit verknuͤpffte Er - zehlungen, ſind mit den alten Geſchichten in Anſe - hung der Schwierigkeiten gar wohl in Verglei - chung zu ſtellen. Jn ſolche Laͤnder kommen nur wenige. Und wer in ein ſehr entferntes Land kommt, befindet ſich in ſolchen Umſtaͤnden, wor - innen ſich derjenige befindet, der zum erſten mahl zu einer Sache kommt: welches wir als einen be - ſondern Sehepunckt bemerckt haben. (§. 17. C. 5.) Jeder weiß, daß dem, wer zum erſten mahl zu ei - ner Sache kommt, alles fremde vorkomme. Und in dieſem Zuſtande wird alles mit Verwunde - rung, meiſtens auch mit Uebereilung angeſe - hen; welches freylich ſehr unrichtige Erzehlungen hervor bringen muß. So dann ſiehet man in ei - nem ſehr entfernten Lande alles als ein Fremder an. (§. 22. C. 5.) Endlich aber, ſo iſt es einegemeine380Eilfftes Capitel,gemeine und gantz natuͤrliche Eigenſchafft derer, die von weiten Reiſen wiederkommen, daß ſie die Leu - te durch ihre Erzehlung in Verwunderung ſetzen wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih - nen. Dieſer Erwartung ein Gnuͤge zu thun, ver - groͤſſern dergleichen Perſonen insgemein das, was ſie in fremden Landen geſehen haben. Ob nun gleich ſolches auf eine Art geſchehen koͤnte, welche die Wahrheit noch nicht ſo ſehr beleidigte; (§. 21. C. 6.) ſo tragen doch die von Reiſen zuruͤck gekommene kein Bedencken, offt die groͤſſeſten Unwahrhei - ten und voͤllige Erdichtungen theils zu reden, theils zu dencken. Jhre Frechheit gruͤndet ſich auf fol - genden Umſtand. Von einheimiſchen, zumahl oͤffentlichen Dingen, ſcheuet ſich jeder, Unwahr - heiten, die gar nicht mit einer gewiſſen Erzeh - lungsart koͤnnen entſchuldiget werden, zu ſchrei - ben, weil er zu beſorgen hat, daß ihm jeder wider - ſpricht, und er zum Gelaͤchter werden moͤchte. (§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus ſehr fernen Landen zuruͤck kommt, noch ſo arge Unwahr - heiten redet, ſo darf er doch nicht beſorgen, daß ie - mand gleich da ſeyn werde, der ihm ſeine Abferti - gung geben duͤrffte. Hieraus entſtehet die licentia mentiendi bey denen, die Reiſebeſchreibungen ma - chen. Jetzo aber, da die Reiſen in alle Welttheile haͤuffiger bey uns ſind: ſo wird auch dieſe Licentz bey uns mehr eingeſchraͤnckt.

§. 31. Alte und entfernte Nachrichten klingen offt unwahrſcheinlich.

Bey denen Beſchreibungen der Dinge, die in fernen Landen vorgehen, kan ſich ſo wohl, alsbey381von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten. bey den ſehr alten Geſchichten, am erſten der Um - ſtand aͤuſſern, daß die Nachrichten der Unwahr - ſcheinlichkeit unterworffen ſind. Denn in den Sitten und Verfaſſungen gehen mit der Zeit groſſe Veraͤnderungen vor: und Voͤlcker, die am weiteſten von einander entfernet ſind, ſind auch in Anſehung der Sitten und Verfaſſungen am meiſten von einander unterſchieden. Nun laͤſſet ſich zwar aus der Unwahrſcheinlichkeit, die Unrichtigkeit der Sache ſelbſt nicht ſicher ſchluͤſſen; (§. 25. C. 10.) aber es entſtehet doch daraus eine Schwierigkeit, die Sache zu glauben. Vor den Geſchicht - ſchreiber aber entſtehet daraus die Pflicht, daß wenn er mit ſeiner Erzehlung und Beſchreibung Beyfall finden will, er entweder das, was darunter am al - lerunwahrſcheinlichſten iſt, gar auslaſſen muß; oder er muß wiſſen, die Sache begreifflich zu machen: woran es ſo wohl noch groſſen Theils den alten Geſchichten der Roͤmer und Griechen, als auch vielen Nachrichten aus ſehr entfernten Landen, beſonders von China, fehlet.

Zwoͤlfftes Capitel, Von zukuͤnfftigen Dingen.

§. 1. Zukuͤnfftige Dinge gehoͤren auch zur hiſto - riſchen Erkentniß.

Die Geſchichte und Hiſtorien werden zwar gemeiniglich nur vor geſchehene und vergangene Dinge gebraucht; und zwar darum, weil dieſe den groͤſten Theil unſerer hiſtori -ſchen382Zwoͤlfftes Capitel,ſchen Erkentniß ausmachen. Jndeſſen iſt unlaͤug - bar, daß zukuͤnfftige Dinge mit denen vergange - nen, oder vielmehr die Erkentniß zukuͤnfftiger Din - ge mit der Erkentniß der vergangenen Dinge die groͤſte Aehnlichkeit habe: und daß unſere Seele ſich mit dem einen ſo wohl, als mit dem andern be - ſchaͤfftige. Das Zukuͤnfftige wird mit der Zeit ins Vergangene verwandelt, und manchmahl iſt ſelbſt bey Menſchen, die doch ins Zukuͤnfftige nicht weit ſehen, die Erkentniß der Sache, wenn ſie noch zukuͤnfftig iſt, mit der Erkentniß derſelben, wenn ſie vollbracht iſt, einerley. (§. 22. C. 8.) Da - hero wenn wir von der menſchlichen Erkentniß derer Dinge, welche ſind und geſchehen, ausfuͤhrlich handeln wollen, ſo muͤſſen wir auch darauf unſere Betrachtung gerichtet ſeyn laſſen, wie weit es die Menſchen in Erkentniß zukuͤnfftiger Dinge bringen koͤnnen. Die goͤttlichen Offenbahrungen und die daraus flieſſende Prophezeyungen wuͤrden nun hierunter zwar auf gewiſſe Weiſe den erſten Platz verdienen. Allein nach dem einmahl feſt ge - ſetzten Plan dieſer Abhandlung ſehen wir nur dar - auf, was die menſchliche Seele ihre natuͤrlichen Kraͤffte von zukuͤnfftigen Dingen wiſſen kan. Die Betrachtung aber der Offenbahrungen und Prophezeyungen rechnen wir zur Anwendung dieſer Grundlehren.

§. 2. Erſte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Der Weg ins zukuͤnfftige mit unſern Gedancken zu kommen, iſt dieſer: Daß wir den kuͤnfftigen Zuſtand derer vorhandenen Dinge, undanderer,383von zukuͤnfftigen Dingen. anderer, die an ihre Stelle kommen wer - den, aus den allgemeinen Regeln der Ver - aͤnderungen ſchluͤſſen. Denn ſo finden wir in den Coͤrpern nicht allein 1. allgemeine Regeln der Bewegung, 2. ſondern auch naͤhere, und in der Natur bisher beſtaͤndig beobachtete Regeln: ob ſie ſich gleich aus den allgemeinen Regeln der Bewe - gung nicht, als nothwendige Folgen ſchluͤſſen laſ - ſen. Vermittelſt dieſer Principiorum koͤnnen wir eine groſſe Menge phyſicaliſcher Begebenheiten vor - her erkennen, welche theils nicht truͤgen werden, ſo lange die Erde ſtehen wird: theils deſto weniger truͤgen, ie genauer wir auf das gegenwaͤrtige Achtung geben, und ſolches mit denen allgemeinen Regeln, die wir aus Erfahrung und allgemeinen Begriffen erlernet haben, genau zuſammen halten.

§. 3. Zweyte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Es hat auch die Seele ihre Regeln, die zwar in der Anwendung eine unendliche Abwechſelung ha - ben; aber dennoch ſich auf richtige Principia redu - ciren laſſen: als die Regeln des Gedaͤchtniſſes, der Einbildungskrafft, und noch mehr die Re - geln mit allgemeinen Wahrheiten umzugehen. Nach dieſen kan man oͤffters in eintzeln Faͤllen an - derer ihre Gedancken voraus ſagen: doch nur unter der hypotheſi, daß die einmahl angefangene Rei - he von Gedancken, die ein gewiſſes Objectum be - treffen, nicht durch ein ander Object unterbrochen werde.

§. 4.384Zwoͤlfftes Capitel,

§. 4. Dritte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Ein jeder Menſch aber hat ſeine beſondere Ge - dancken, wie auch nach Gelegenheit ſeine eigene Vorurtheile, Jrrthuͤmer, Eigenſinn, Ge - wohnheiten, darunter ihm immer eines tieffer eingepraͤgt iſt, als das andere. Wenn ich dieſe beſondere Kraͤffte, oder auch Schwachheiten eines Menſchen weiß; ſo kan ich viele ſeiner Gedan - cken, mit Beyhuͤlffe der allgemeinen Principio - rum heraus bringen. Wie aber der Sinn der Menſchen veraͤnderlich iſt; alſo koͤnnen auch ſeine bisherige Gedancken, Vorbildungen, Jrrthuͤmer, eigenſinnige Neigungen ſich aͤndern: gleichwie auch neue entſtehen koͤnnen: doch geſchehen ſolche Aenderungen nicht in einem Augenblick, auch nicht ohne aͤuſſerliche Veranlaſſung: daher hindert die Veraͤnderlichkeit des menſchlichen Sinnes nicht voͤllig, daß wir nicht ſeine Gedancken wenigſtens auf eine kurtze Zeit voraus ſehen ſollten.

§. 5. Vierte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Die freyen Handlungen ſind zwar bey den Menſchen ſo beſchaffen, daß, ſo lange ſie nicht wuͤrcklich angefangen ſind, ſich noch immer eine Reue finden kan; aber doch, da ein Menſch nach ſeiner Einſicht in die Sachen, und nach den ihm ſchon beywohnenden Neigungen und Trieben zu handeln pflegt: ſo muß iemand, der die Einſicht und Triebe eines andern kennt, auch vieles voraus ſehen koͤnnen, was er beſchluͤſſen, was er thun werde. Bey jeder eintzeln Gelegenheit kommenzwar385von zukuͤnfftigen Dingen. zwar eine Menge Umſtaͤnde vor, die man auf die - ſer und auf jener Seite anſehen koͤnte, woraus denn viele moͤgliche Entſchluͤſſungen entſtehen: aber bey der gemeinen Art zu dencken, und natuͤrli - chen Einfalt ſiehet man die Sache meiſtens nur auf einer Seite an. Jſt aber iemand anders an - gefuͤhret worden, welches vornehmlich geſchie - het, wenn man andern, und zwar wunderlichen und heuchleriſchen Leuten gehorſamen muß; da man viel uͤber Sachen zu raffiniren genoͤthiget wird, ſo iſt hernach auch uͤbel im Voraus abzunehmen, was eine ſolche Perſon vor Entſchluͤſſungen faſſen werde.

§. 6. Fuͤnffte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Die an ſich freyen und willkuͤhrlichen Hand - lungen werden doch zu einer Nothwendigkeit durch die eingegangenen Verbindungen: zumahl wenn Zwangsmittel vorhanden ſind, die Erfuͤllung des Verſprechens, oder des Packts, im Fall der Verabſaͤumung zu erpreſſen. Wie nun jedes Ge - ſetz, dem man unterworffen iſt, eben die verbin - dende Krafft hat, wie Packten; die Gewohnhei - ten aber mit den Geſetzen in gleichen Paaren ge - hen: alſo kan man auch aus den Geſetzen, Ge - braͤuchen, Packten vorausſehen, was dieſer oder jener unter den und den Umſtaͤnden thun werde.

B b§. 7.386Zwoͤlfftes Capitel,

§. 7. Sechſte Einſicht ins zukuͤnfftige.

Der Wille eines Menſchen iſt zwar ſehr veraͤn - derlich, daß er, ſo lange die Sache noch nicht ge - ſchehen, immer noch zuruͤck treten kan. Wenn aber eine Sache von vieler Menſchen ihren Willen dependiret, doch ſo, daß alles nur nach einem ge - meinſchafftlichen Schluſſe geſchiehet; ſo kan, was einmahl beſchloſſen iſt, nicht ſo leichte geaͤn - dert werden. Wovon die Urſache leicht einzuſehen; weil nehmlich diejenigen, welchen an der Erfuͤllung des Decreti etwas gelegen iſt, (dergleichen es im - mer in einer Geſellſchafft geben muß) ſich darwi - der ſetzen werden, daß die Sache nicht noch ein - mahl, als unausgemacht, in Deliberation gezo - gen werde. Wird aber nicht deliberiret, ſo kan auch nichts aufs neue beſchloſſen werden. Die Erfuͤllung ſolcher Entſchluͤſſungen iſt alſo gut vor - aus zu ſehen, ſo, daß man auf die Schluͤſſe gantzer Corporum ſehen muß, wenn man wiſſen und in Erempeln zeigen will, was eigentlich ein feſter Entſchluß und ein Decretum ſey.

§. 8. Siebende Einſicht ins zukuͤnfftige.

Unſer eigener Wille, dieſes oder jenes zu thun, macht eben auch einen Grund aus, warum wir das Zukuͤnfftige voraus ſehen koͤnnen: Nicht zwar, daßdas387von zukuͤnfftigen Dingen. das allemahl erfolgen muͤſte, was wir uns zu thun und zu erhalten vorgeſetzt haben; ſondern die goͤtt - liche Vorſehung hat es alſo geordnet, daß doch oͤff - ters, und (wenn man genau zuſammen rechnen wollte) die meiſten mahle die Sachen nach unſerm Willen und Erwarten erfolgen: und die meiſten Anſchlaͤge ihren Fortgang haben: nur daß man ſich in der Ausfuͤhrung beſtaͤndig nach den Umſtaͤnden richten muß, welche man in jedem Zeitpunckte fuͤr ſich ſiehet.

§. 9. Die Decken uͤbers zukuͤnfftige.

Daß aber unſer Vorherſehen und Beſchluͤſſen in unſern eigenen Sachen, die wir doch unter allen Dingen am beſten wiſſen, auch oͤffters ſeinen Fort - gang und Erfuͤllung nicht hat, kommt daher 1. weil wir uns offt von dem gegenwaͤrtigen falſche Be - griffe machen, und alſo einen uͤblen Grund zur Erfin - dung des zukuͤnfftigen legen. 2. Jn den Sachen ſelbſt, die wir vor uns haben, iſt viel verborgenes, welches ſo gut ſeine Folgen haben muß, als das, was wir von den gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden wiſſen. Wie kans alſo anders ſeyn, als daß vieles wider unſer Er - warten entſtehen muß. 3. Ereignen ſich Zufaͤlle, oder aͤuſſerliche Begebenheiten, auf welche wir bey un - ſern Anſchlaͤgen ohnmoͤglich haben rechnen koͤnnen, welche gleichwohl unſer Vorhaben vereiteln.

B b 2§. 10.388Zwoͤlfftes Capitel,

§. 10. Die Gewißheit der zukuͤnfftigen Dingeiſt hinlaͤnglich.

Es iſt an dem, daß dieſe drey Urſachen unſere Einſicht ins zukuͤnfftige ſehr ungewiß machen; Und dieſes iſt ohne Zweiffel ein Stuͤck der goͤttlichen Vor - ſehung und Regierung, welches zur Abſicht hat, daß wir bey unſern Geſchaͤfften und Anſchlaͤgen von der Betrachtung der Creaturen uns abwenden, und an den hoͤchſten Regenten gedencken, ja jeder Er - folg deſſen, das wir wuͤnſchen, von ſeiner Hand gewaͤrtig ſeyn ſollen. Zur klugen Einrichtung un - ſerer Handlungen iſt folgende Gewißheit des zu - kuͤnfftigen ſchon hinlaͤnglich: 1. Daß in der Coͤr - perwelt theils beſtaͤndige Regeln der Bewegung uͤberhaupt ſind, theils auch in jeder Art der Dinge beſondere, und zwar beſtaͤndige Regeln angetrof - fen werden, welche wir Erfahrungen nennen. 2. Daß, ob wir gleich in Anſehung des entfernten Erfolgs oͤffters nichts zuverlaͤßiges ſagen koͤnnen, dennoch das naͤchſtbevorſtehende mit mehrerer Ge - wißheit erkannt werden kan: und ſo koͤnnen wir Schritt vor Schritt immer das Kuͤnfftige, ſo viel uns zu wiſſen noͤthig iſt, voraus ſehen. Eben wie man in der Daͤmmerung, ja in finſterer Nacht zwar nicht weit vor ſich hinſehen, aber doch das, was naͤchſt vor den Fuͤſſen iſt, erkennen kan; wodurch wir dennoch unſere Reiſen, und zwar ſelbſt durch ſehr gefaͤhrliche Orte fortſetzen koͤnnen; ſo iſt es auchmit389von zukuͤnfftigen Dingen. mit der Einrichtung unſerer Handlungen, in ſo ferne ſie von dem Zukuͤnfftigen abhanget. Denn daß man nicht uͤberall aufs zukuͤnfftige zu ſehen noͤ - thig habe, haben wir gewieſen in den vernuͤnffti - gen Gedancken vom Wahrſcheinlichen. (VI. Betrachtung. §. 7.) 3. Daß, wenn ich von fremden und aͤuſſerlichen Zufaͤllen abſtrahire, ich von jeder Sache nach ihrer Art die innerlichen Veraͤnderungen zuverlaͤßig voraus ſehen kan.

§. 11. Von Prognoſticis.

Eine gegenwaͤrtige Sache, darauf, vermoͤge der Erfahrung, eine andere erfolget, heiſſet ein Zeichen, Prognoſticon. Jch ſage, daß ſich Zeichen auf gewiſſe Erfahrungen gruͤnden, nicht aber auf eine deutliche Erkentniß, wie das nachfol - gende aus dem vorhergehenden entſtehet. Denn ſo pflegt man das Wort Prognoſticon zu nehmen. Das Deutſche Wort Zeichen iſt freylich ſehr allge - mein, ſo daß jede Sache, in ſo ferne man eine an - dere daraus erkennet, ein Zeichen genennet wird. Wer nun Prognoſtica feſte ſtellen will, muß da - bey, wie bey allen ſo genannten Erfahrungen, verfahren, daß er nehmlich aus Zuſammen - haltung vieler aͤhnlichen Faͤlle etwas allgemeines heraus bringt. (§. 41. C. 2.) Und dieſes iſt ein Hauptſtuͤck vor die Aertzte.

B b 3§. 12.390Zwoͤlfftes Capitel,

§. 12. Mangel bey Vorherſehung zukuͤnfftiger Dinge.

Wir ſehen zwar oͤffters eine Sache voraus, nach ihrem allgemeinen Begriffe, aber nicht determinirt genug. Z. E. Man ſiehet ein Gewitter aufzie - hen, man weiß aber nicht, ob es recht ſtarck wer - den wird; weil ſie oͤffters durch ploͤtzlich entſtehende Sturmwinde gemildert werden: noch weniger weiß man, ob es einſchlagen wird. Wir erwarten Ant - wort auf eine Frage, und koͤnnen in den meiſten Faͤllen voraus ſehen, daß ſie nicht ausbleiben kan; aber wir wiſſen deswegen die Beſchaffenheit der Antwort nicht: ob es ja oder nein ſeyn werde. Hier entſtehet oͤffters ein Verlangen, das Zukuͤnfftige genauer zu wiſſen. Oeffters iſt es auch moͤg - lich, noch etwas mehr heraus zu bringen, wenn man nehmlich 1. die uns bekannten Umſtaͤnde, oder die Data, die wir ſchon haben, mit noch mehreren Theorien und allgemeinen Wahrheiten zuſammen haͤlt. (§. 2.) Und in Erwegung dieſer Regel koͤnte man ſagen, daß ie laͤnger man uͤber ein gewiſ - ſes Geſchaͤffte ſtudirt, deſto mehr werden ſich auch, vermittelſt zu Huͤlffe genommener allgemeiner Wahrheiten in Voraus davon beſtimmen laſſen. 2. Das andere Mittel iſt, daß man das vorhandene und die gegebenen Data immer mit einer neuen Auf - merckſamkeit betrachtet, und einen Umſtand nach dem andern in Erwegung ziehet. Jeder neu bemerck - ter Umſtand wird auch zu neuen Folgerungen, was etwa daraus entſtehen koͤnten, Gelegenheit geben.

§. 13.391von zukuͤnfftigen Dingen.

§. 13. Wider dieſen Mangel dienet die Kunſt zu muthmaſſen.

Die Kunſt zu muthmaſſen gehet mit ſolchen Sachen um, die vom menſchlichen Thun und Laſſen abhangen: wenn man nehmlich voraus ſehen kan, theils was dieſelben thun werden, theils was ſie mit ihrem Thun ausrichten werden. Weil aber auch nach den gemeinſten Begriffen der Menſchen bey jeder Sache etwas voraus geſehen werden kan, ſo muß die Kunſt zu muthmaſſen darinnen beſtehen, 1. daß man durch dieſelbe gewiſſe Dinge vorher ſa - gen kan, wovon man nach der genauen Erkentniß der Menſchen gar nichts vorher wiſſen kan. 2. Daß man dasjenige genauer beſtimmet, was nach der gemeinen Erkentniß zwar in etwas, aber nicht determinirt genug eekannt wird. (§. 2.)

§. 14. Erſtes Stuͤck, die Kunſt zu muthmaſſen.

Der Fall, wo man im gemeinen Leben gar nichts voraus abzuſehen vermag, (n. 1. §. 13.) iſt der, wenn man mit einer Sache zu thun hat, welche im gemeinen Leben entweder gantz unbekannt iſt, oder doch ſelten, daß man davon keine Erfahrungen hat machen koͤnnen. Z. E. Wenn ein Comet er - ſcheint, ſo weiß man nicht, ob er groͤſſer werden, oder kleiner werden, oder was ſonſten daraus ent -B b 4ſtehen392Zwoͤlfftes Capitel,ſtehen werde. Jn der gemeinen Erkentniß hat man nehmlich davon zu wenige Exempel, und keine Theorie gar nicht, daraus man von der Sache urthei - len koͤnte. Wenn ein Erdbeben entſtehet, ſo weiß noch kein Menſch nicht, was er von dem Fortgange vermuthen ſoll, woraus denn mehr Furcht und Schrecken zu entſtehen pfleget, als aus dem groͤſten vorhandenen Uebel. Wer alſo bey ſolchen Dingen beſondere Gelegenheit hat, Erfahrungen zu ſammlen, oder eine Theorie zu erſinnen, der wird in Anſehung eines ſolchen Stuͤcks auch in Muth - maſſungen ſtarck, und zur Verwunderung der Leute gluͤcklich ſeyn.

§. 15. Anderes Stuͤck der Kunſt zu muthmaſſen.

Wenn man nach der gemeinen Einſicht zwar etwas voraus ſiehet, aber nicht determinirt genug; ſo beſtehet, nach den (§. 13.) vorhin angegebenen Grundregeln, die Kunſt zu muthmaſſen wiederum darinne, daß man 1. ſich entweder nach mehreren allgemeinen Wahrheiten umſehe, oder 2. daß man eine neue Betrachtung der Sache nach ihrer inner - lichen Beſchaffenheit, nochmahls vornehme. Man unterſuche die feinſten Proben eines ſcharfſinnigen Verſtandes, die uns etwa von groſſen Maͤnnern bekannt ſind, welche Dinge voraus geſehen ha - ben, ſo wird man finden, daß ſie darum in ihren Muthmaſſungen gluͤcklich geweſen ſind: Weil ſie entweder gewiſſe, ſonſt nicht bekannt geweſene Ma - rimen gewuſt haben, wornach die Menſchen in ih -ren393von zukuͤnfftigen Dingen. ren Handlungen ſich zu richten pflegen; oder ſie haben in den vorhandenen und gegenwaͤrtigen Dingen gewiſſe Umſtaͤnde entdeckt, die andere nicht wahrgenommen haben. Wie kommt es, daß man zu einem erfahrnen Artzte mehr Vertrauen hat, als zu einem Anfaͤnger, ſelbſt in Anſehung der Einſicht in die Kranckheit, da doch alle bekannte Arten der Kranckheiten aus Buͤchern koͤnnen er - lernt werden? als daher, weil man verſichert iſt, daß die erfahrne Art, doch mehr allgemeine Wahrheiten aus der langen Praxi werde erlernet haben, als ein noch unverſuchter Artzt wiſſen kan: Und daß er vermoͤge eben dieſer ſeiner Erfahrung, auch die geringſten Umſtaͤnde bemercken werde. So iſt es ſchlimm vor Gelehrte zu peroriren, und ihnen was unerwartetes vorzutragen, weil ſie, als Gelehrte, bald Anfangs mercken, wo es mit dem angefangenen Vortrage hinaus will: Sie muthmaſſen zu viel. Geſchaͤffte aber, wie ſie durch die Seclen der Menſchen getrieben werde, haben ſo gut ihren Lauf, als die Gedenckart eines Redners. Wer alſo lange Zeit in Geſchaͤfften geſteckt und vielmals geſehen hat, wie Geſchaͤffte ſind angefangen, abgewieſen, gehindert, befoͤrdert, durchgeſetzt worden, dabey die Perſonen kennt, die mit der Sache zu thun haben, der kan freylich von dem Fortgange des Geſchaͤffts vieles voraus ſagen.

§. 16. Beſondere Art der Scharfſichtigkeit beym Muthmaſſen.

Jndem man aber im Muthmaſſen gluͤcklich ſeyn will; und dieſerhalb auf die gegenwaͤrtigeB b 5Beſchaf -394Zwoͤlfftes Capitel,Beſchaffenheit der Sache genau merckt (n. 2. §. 15.); ſo iſt ein Hauptſtuͤck, daß man nicht al - lein auf die innerliche Beſchaffenheit der Sa - chen achtung giebt; ſondern auch mit gleicher Schaͤrffe auf die Verhaͤltniß der Sache zu an - dern, nehmlich zu andern Geſchaͤfften und Per - ſonen, und mithin auf dieſe ſelbſt ſiehet. Denn von dieſen aͤuſſerlichen Sachen, ſind nicht allein die Befoͤrderungen der Sache, ſondern auch vor - nehmlich die Hinderniſſe zu gewarten. Wie z. E. der allergerechteſte, billigſte, und mit aller Vorſicht eingerichtete Antrag dennoch iezuweilen nicht Eingang findet, wenn er zur unrechten Stunde geſchiehet. Und darinnen iſt der groͤſte Unterſcheid zwiſchen der philoſophiſchen, ja uͤberhaupt der gelehrten, Scharfſichtigkeit. Jn der Gelahrheit, und in allen Arten der Be - trachtungen darf man ſich nur bloß an ſein Ob - ject halten: Je tieffer man in daſſelbe hinein ge - het; und ie mehr man ſich darinnen vertieft, deſto beſſer wird man zu ſeinen Zweck, nehmlich zur Erfindung der Wahrheit, den man ſucht gelangen. Aber bey Dingen die geſchehen, und geſchehen ſollen, kommt es auf aͤuſſerli - che Dinge groͤſtentheils an, und der geringſte Um - ſtand kan die gantze Sache aufhalten. Alſo, um den Erfolg, von Geſchaͤfften voraus zu ſehen, wird ein gantz anderer habitus erfordert, nehm - lich um ſich herum zu ſehen: Und alles ſo an - zuſehen, als wenn es die Sache, von deren Erfolg die Rede iſt, hindern, oder befoͤrdern koͤnte.

§. 17.
395von zukuͤnfftigen Dingen.

§. 17. Warum Stifftungen mißrathen.

Ohngeachtet die Ausfuͤhrung der Anſchlaͤge hauptſaͤchlich durch darzwiſchen kommende Zu - faͤlle, die man nicht abwenden kan, gehindert zu werden pflegen; ſo findet ſich doch, daß auch als - denn der Erfolg nicht allemahl mit der Erwar - tung uͤberein kommt, wenn man es voͤllig in ſei - ner Gewalt hat, das Zukuͤnfftige nach ſeinem ei - genen Willen und Wohlgefallen, zu beſtimmen. Denn man weiß aus der Erfahrung, daß bey Verordnungen, Diſpoſitionen, Stifftun - gen, Friedensſchluͤſſen, ſich manches Hinderniß in der Ausfuͤhrung aͤuſſert, ohne daß iemand iſt, der Hinderniß verurſacht: Sondern die Sache ſelbſt iſt nicht recht eingerichtet, und wie man ſaget, nicht recht eingefaͤdelt worden. Dieſe Schwierigkeiten, welche in dem Fortgange gantz willkuͤhrlicher Geſchaͤffte ſich aͤuſſern, entſtehen dar - aus: 1. Daß einige Stuͤcke der Verordnung etwa einander widerſprechen: Als wenn man eine Sache zwey Perſonen verſpricht; oder einer Perſon zwey Aemter auftraͤgt, die incompatible ſind. Dergleichen widerſprechende Artickel fallen nicht allemahl in die Augen; und kennen alſo un - vermerckt, in Stifftungen, Jnſtructionen, zumahl wenn ſie weitlaͤufftig ſind, einfluͤſſen, 2. wenn man Dinge in der Verordnung unbe - ſtimmt laͤſſet, welche doch aus den allgemeinen Regeln nicht koͤnnen beſtimmt werden. Die letz -tere396Zwoͤlfftes Capitel,tere Schwierigkeit findet ſich 1. bey Packten, die Anfangs eingerichtet werden koͤnnen, wie man wlll: Hat man aber nicht uͤber alles paciſcirt, ſo will nachher jeder den vorkommenden Fall zu ſeinem Vortheil auslegen. 2. Bey letzten Willen, da man bey der Ausfuͤhrung den Teſtatorem nicht mehr fragen kan, wie er es mit der Sache wolle gehalten haben, darbey er ſich zu erklaͤren verab - ſaͤumet hat. So moͤgen die erſten Teſtatores wohl oͤffters nur uͤber gewiſſe Stuͤcke ihrer Ver - laſſenſchafft diſponirt haben: Und man hat nicht gewuſt, wer das uͤbrige bekommen ſoll. Oder er hat zwar uͤber alle Stuͤck diſponirt: Jndem aber jeder, von denen, die bedacht worden, ſein Stuͤck nehmen wollen, niemand aber vorhanden niemand aber vorhanden geweſen, der ſie ihnen ausgetheilt haͤtte, ſo hat daraus eine Art der Pluͤnderung entſtehen muͤſſen. Beyden Ue - beln iſt durch die Inſtitutionem hæredis vniuer - ſalis abgeholffen.

§. 18. Zum Muthmaſſen iſt das Ueberſehen des Geſchaͤffts noͤthig.

Eine Sache uͤberſehen, nehmlich die geſchie - het, oder geſchehen ſoll, heiſſet alles dasjenige daran wahrnehmen, was zu unſern Geſchaͤfften noͤthig iſt, das wir mit der Sache haben. Nehm - lich wir beſchaͤfftigen uns mit einer Sache, indem wir ſie entweder treiben, oder jemanden davon belehren. Als der Concipient eines Teſtamentsmuß397von zukuͤnfftigen Dingen. muß die Willensneigung des Teſtatoris uͤberſe - hen, damit er eine deutliche und hinlaͤngliche Vor - ſchrifft davon aufſetzen koͤnne: Und man weiß wie vieles hierbey unzehlig offte iſt verſehen worden. Auch muß der Erbe der Erbſchafft uͤberſehen, damit er wiſſe ob er Schaden oder Vortheil von Antretung der Erbſchafft haben werde: Und her - nach die Stuͤcke des Teſtaments erfuͤlle. Das Ueberſehen erfordert alſo, Einſicht nicht allein, 1. in die innerliche Beſchaffenheit der Sache, ſon - dern auch 2. in die umſtehenden Sachen (§. 17.), 3. ja zufoͤrderſt auch ins nachfolgende: Als wo ſich der Schade oder Nutzen oͤffters erſt aͤuſſert. Die Antretung der Erbſchafften cum beneficio in - ventarii iſt gewiß aufgekommen, nachdem manche Erblaſſer, zu ſpaͤte erfahren, daß ſie mehr Scha - den als Vortheil von der Erbſchafft gehabt haben.

§. 19. Falſche Wege das Zukuͤnftige zu erkennen:

Da nun Handlungen ſo ungluͤcklich ausfallen koͤnnen, nicht allein durch Ungluͤcksfaͤlle (n. 3. §. 9.), ſondern auch durch ſolche Anſtalten die ein ander in Wege ſtehen (n. 1. §. 17.); und daß man nicht alle noͤthige Verordnung gemacht (n. 2. §. 16.); auch durch innerliche Beſchaffenheit der Sache die man nicht bemerckt (n. 2. §. 9.), wie nicht weniger durch irrige Erkentniß, der Dinge, die man unter Haͤnden hat (n. 1. §. 9.) ja endlich auch dadurch, daß man auf die aͤuſſerlichen Dinge nicht achtung gegeben (§. 16.), darzu wohl, nochNach -398Zwoͤlfftes Capitel,Nachlaͤßigkeit, und Ungeſchicklichkeit in der Aus - fuͤhrung hinzu kommen: Und jeder doch ein Ge - ſchaͤffte, wegen des begluͤckten Fortgangs unter - nimmt; ſo haben ſich die Menſchen zu allen Zei - ten, wegen des Fortgangs ihrer Geſchaͤffte ſehr ge - aͤngſtiget. An ſtatt nun ſich zu beſcheiden, daß der. Ausgang eines zumahl langweiligen Geſchaͤff - tes, nicht untruͤglich zu erkennen iſt; und an ſtatt ſich zu bemuͤhen, die angefuͤhrten Hinderniſſe, ſo viel moͤglich aus dem Wege zu raͤumen; haben ſie ſich oͤffters nur mit der angenehmen Hoffnung eines gluͤcklichen Ausgangs zu unterhalten geſucht. Daraus ſind nun die Auguria und tauſend andere Arten von Zeichendeutereyen entſtanden, daran zwar noch viele Menſchen hangen, und jederzeit hangen werden, die aber doch in der wahren Er - kentniß zukuͤnfftiger Dinge, vor nichts an - ders als vor notiones deceptrices und Hirnge - ſpinſte koͤnnen angenommen werden. Auſſer daß die wahre Religion, ſolche Zeichendeutereyen ver - beut, ſo wird nunmehro auch die Begierde dar - nach, und mithin die vermeynte Nothwendigkeit derſelben, durch die Gelehrten, und derer ſtaͤr - ckere Anzahl vermindert. Denn bey dieſen kan man 1. ſich Raths erholen, wenn man ſelbſt nichts von der Sache einſiehet (§. 13.) 2. man kan bey ihnen, wenn die Sache ſchlecht abgelauffen, mei - ſtens die Urſach erfahren, und alſo 3. wenn es durch ein Verſehen geſchehe, dieſelben durch ihre Leh - ren kuͤnffrig hin vermeyden lernen. So hat man ſonſten offt geglaubt, dieſer oder jener waͤre mitBienen399von zukuͤnfftigen Dingen. Bienen durchaus ungluͤcklich: Woraus denn ohne Zweifel mehrmahlen die Sorge und Frage ent - ſtanden: Ob man auch ietzo, mit denen angeſchaff - ten Bienenkoͤrben gluͤcklich ſeyn werde. Das vermeinte Ungluͤck iſt aber offt nur ein beſtaͤn - diges Verſehen, welches ein Gelehrter, wie Reau - mur, offt gar bald entdecken wuͤrde. Zu auſpi - ciis nimmt man nur ſeine Zuflucht, weil man ſich ſonſten gar nicht zu helffen, ja nicht einmahl zu rathen weiß. Guten Rath aber muß man wenigſtens allezeit bey Gelehrten finden.

§. 20. Zumahl unerforſchliche Dinge.

Ohngeachtet alles in der Welt zufaͤllig iſt, ſo hat man doch ſchon laͤngſt gewiſſe Dinge vor anderen contingentes genennet. Das ſollen nun wohl Sachen ſeyn, die weder von unſerer Ein - richtung noch auch von unſerer Einſicht abhangen. Die man alſo nicht eher wiſſen kan, bis ſie wuͤrck - lich da ſind, oder hoͤchſtens nur kurtz vorher. Man ſollte ſie lieber unerforſchliche zukuͤnf - tige Dinge, als contingentia nennen. Derglei - chen Dinge ſind: Das menſchliche Lebensziel: Wind und Wetter auf einer langen Reiſe: Erb - ſchafften und Succeſſiones, wo noch viele vor uns ſind. Wiewohl es auch Sachen giebt, die vor unerforſchlich gehalten werden, ob ſie es gleich nicht ſind. Vor einem barbariſchen Feldherrn iſt ein unerforſchlicher Zufall, daß bey der Bataille eine Sonnenfinſterniß einfaͤllt: Da es bey cultivirtenVoͤl -400Zwoͤlfftes Capitel, von zukuͤnfftigen ꝛc. Voͤlckern eine jedermann bekannte Sache iſt. Auch von ſolchen zufaͤlligen Dingen, haben den - noch die Menſchen zu allen Zeiten im voraus Nach - richt haben wollen: Daraus denn die Sortilegia, die Aſtrologia judiciaria, und omina entſtanden ſind: Weil aber dieſe Anzeichen in die vernuͤnfftige Einſicht in die Wahrheit keinen Grund haben, und auch durch den Titul der Erfahrungen ſich nicht rechtfertigen laſſen: So werden ſie von al - len die Schrifft und Vernunfft in Ehren hal - ten, billigſt verworffen. Eine richtige Vorſchrifft, wie man mit Dingen, die ſind, und geſchehen, oder auch noch geſchehen ſollen, umzugehen hat, unterdruͤckt die Neigung entweder Dinge werck - ſtellig zu machen, und zu erforſchen, die doch nicht zu erforſchen ſind; oder auch, was erforſcht wer - den kan, auf eine unnatuͤrliche Art anzugreiffen. Beyden Uebeln wird alſo auch gegenwaͤrtige Ab - handlung, die das Wahre oder Falſche in allen Theilen der hiſtoriſchen Erkentniß unterſchei - den lehret, hoffentlich nicht wenig Einhalt thun. Wenigſtens iſt ſie lediglich zur Befoͤrderung der wahren und richtigen Erkentniß von dem Ver - faſſer ſowohl unternommen als ausge - fuͤhrt werden.

S. D. G.

Regiſter[401]

Regiſter I. nach dem Jnhalte des gantzen Werckes, in ſeinen Haupt-Eintheilungen.

  • I. Cap. Von der hiſtoriſchen Erkaͤntnis uͤber - hauptpag. 1-27
  • II. Cap. Von den Begebenheiten der Coͤrper27-58
  • III. Cap. Von den Begebenheiten der morali - ſchen Weſen oder Dinge59-76
  • IV. Cap. Von den Begebenheiten der Men - ſchen und denen eintzeln Weltgeſchich - ten76-91
  • V. Cap. Vom Zuſchauer und Sehepuncte91-115
  • VI. Cap. Von der Verwandelung der Ge - ſchichte im Erzehlen115-155
C cVII. [402]Regiſter.
  • VII. Cap. Von der Ausbreitung und Fortpflan - tzung einer Geſchichte155-202
  • VIII. Cap. Von dem Zuſammenhange der Begebenheiten und der Geſchichte202-280
  • IX. Cap. Von der Gewißheit der Geſchichte, oder der hiſtoriſchen Erkaͤntniß280-317
  • X. Cap. Von der hiſtoriſchen Wahrſcheinlich - keit317-352
  • XI. Cap. Von alten und auslaͤndiſchen Ge - ſchichten353-381
  • XII. Cap. Von zukuͤnfftigen Dingen381-400
II. Verzeich -[403]Regiſter.

II. Verzeichniß einiger angefuͤhrter Autorum und ihrer Schrifften, da denn die beſonders recommendir - ten mit einem* die billig carpirten mit einem bezeichnet ſind.

  • d’Argens (Marquis) du bon-ſens &c. 352
  • Arnolds (Gottfr.) Kirchen - und Ketzer-Hiſtorie149.
  • Bayle (Pierre) Dictionaire &c.353.
  • Bernds (Ad.) Beſchreibung ſeines Lebens267.
  • Bierlingii (Fridr. Wilh.) Pyrrhoniſmus hiſtoricus352 *
  • Cæſar in bello Gallico & Civili176 .362 . *
  • Caourſin (Guil. ) von Maltheſer-Rittern318 .319.327. 356
  • Chifletii (Joh. Jac.) theſaurus ſepulchralis Childerici376. *
  • Chladenii (Jo. Mart.) philoſophia nova definitiva31 .209.351. Logica Practica53 .203.222.261. Auslegekunſt165 .169.172.173.322.358.374. Vernuͤnfftige Gedancken vom Wahrſcheinlichen204 .251.262.286.389. Opuſcula Academ.122 .188 .375 . genaue Beſtimmung, was Erfahrungen ſind56. de celeritate cogitandi33. Gedancken von ferne41. de cardine legis & prophetarum274. de fatis Bibliothecæ Auguſtini132. de veſtigiis199 .296. 329
  • Ciceronis Orationes171 .271 .272 . *
  • Curtius, de rebus Alexandri M.212. 361
  • Daniel, l’Hiſtoire de la France155 .352. 367
  • Eckhard (Jo. Georg) de re diplomat. 360
  • Euclides, in Elementis27. *
C c 2Euſebii[404]Regiſter.
  • Euſebii Hiſt. Eccleſiaſtica178
  • Geſta Dei per Francos239
  • Guichardin356
  • Goldaſt, de regno Bohemiæ357
  • von Haller Verſuch Schweizeriſcher Gedichte168
  • l’Hiſtoire de l Academie Roy. des belles lettres280. 344
  • l’Hiſtoire de France155
  • von Hollbergs, Beſchreibung ſeines eigenen Lebens267
  • Faligni, vom Maltheſer Ritter-Orden318 .319. 327
  • Leibnizens Theodicée100 .101. 192
  • Livii Hiſtoria Romana178 .373 . *
  • Mabillon (Joh.) de arte Diplomatica360
  • Maillet, Deſcription de l’Ægypte196
  • von Mayers Erzehlung des Weſtphaͤliſchen Friedens114
  • Plinii, Majoris, Hiſtor. Natur .188 . *
  • Salluſtius361. *
  • Schwarzius de columnis Herculis212. ſq.
  • Siber (Urb. Gottfr. ) von beruͤhmten Alemannen und Gottſchalcken85
  • Spizeli (Theoph.) Gluͤckliche und ungluͤckliche Gelehrteibid.
  • Strabo, in Geograph. 176
  • Tacitus, in Annalibus76. *361. 373
  • Thuani (Aug. Jac.) Hiſtor. 361
  • Valer. (Maximus) 278
  • de Vertot, Hiſtoire de Chevaliers de Malthe318 .327. 337
  • Wolffs (Chriſtian.) Gedancken von Gott und der Welt123
III. Real -[405]Regiſter.

III. Haupt-Regiſter aller vorkommender Sachen und derer vornehmſten illuſtrirten Exempel, auch Schrifftſtellen.

A.

  • Abbrechen, wie es in einer Erzehlung geſchicht147. 148
  • Abgabe, wie ſie zu beleuchten73
  • Abneigung, was ſie iſt106
  • Abſchreiben, was das zuwege bringt178
  • Abſicht, was es ſey207. 259
  • Abſtrahiren, deſſen Mangel ſchaͤdlich72. wozu es hilfft89. auch ſo gar vor zukuͤnfftige Dinge189
  • Abweſende, wer die ſind157. ſ. auch Fremder.
  • Academie, ein moraliſch Weſen67. deren Geſtalt und Verfaſſungibid. das aͤuſſerliche und innerli - che derſelben72
  • Academiſche, Faͤhigkeit, was die ſey108. Lehrer, Umſtaͤnde67. Fehler72. ſ. auch Sehepunct.
  • Acta diurna der Roͤmer356. publica, dienen zur Hiſtorieibid.
  • Adel, deſſen Erneuerung71
  • Advocat, deſſen Verſtellung184. ſeq.
  • Aegyptiſch, ſ. Egyptiſch.
  • Aehnlichkeit verleitet zum Jrrthum im Sehen38
  • Aeuſſerlich, was das iſt58. wie es von dem innerli - chen getrennet werden kan60. und doch mit jenem vor eins anzuſehenibid. ſ. auch moraliſch Weſen, Handlung ꝛc.
  • Ahasverus laͤſt ſich uͤberreden, und warum217
C c 3Alexan -[406]Regiſter.
  • Alexander M. beſondere Gedenckart224. nach der er Darii Friedensvorſchlaͤge refuſirt211. ſeq. ſoll den Slavakern ein Privilegium gegeben haben357. ſeine Generals theilen ſein Reich226. ſeq.
  • Alltaͤglich, ſ. taͤglich.
  • Alt, was wir ſo nennen353
  • Alte, Geſchichte, was es ſind353. ſeq. Mehr ſiehe in Geſchicht. Muͤntzen, wozu ſie dienen377. Schriff - ten, ſ. Diplom. Docum. Schrifften.
  • Alten hatten es weit in Kuͤnſten gebracht376
  • Amt, bringt offt unvergnuͤgte Handlungen zuwege255. 256
  • Anblick, was er iſt31. der erſte unzureichend32. und doch ein einiger33
  • Anfang der Dinge unbekannt65. warum133. ſ. auch Untergang.
  • Anhoͤrer, wer er iſt159. Regel vor ihn297. ſiehe auch Hoͤrer.
  • Anmerckung, vid. Locus comm.
  • Annehmen ſich einer Geſchichte, was es ſey189. ſeq.
  • Anſchauen, was es iſt31. zu klaren Begriffen noͤ - thig33. hanget von dem Stande98. und Stelle ab99. it. von Freund-und Feindſchafft106. ſ. auch Einſicht.
  • Anſchauungs-Urtheil, was es ſey115
  • Anſchlaͤge, was ſie ſind209 .252 . ſind eine lange Ge - ſchichte231. werden mit der Ausfuͤhrung vor eins angeſehen227. indem beydes zuſammen haͤngt229. ſonderlich in der Erzehlung232. ſeqq. (plur. vid. Ausfuͤhrung.) Doch gehet der Ausgang der Ge - ſchichte von ihnen ab248 .249 . wie deren Umſtaͤnde zu betrachten221 .222 . deren Urſache begreifflich210 .211 . entſtehen von Rathgebern216. ſonder - bare211 .212 . haben eine beſondere Einrichtungibid. und neue212 .213 . boͤſe213. muͤſſen Hinder - niſſe finden235. und ſind doch begreifflich213. ob - wohl nur einiger maſſen224. ſeq. ungeheure214. unver -[407]Regiſter. unvermuthete215. daraus entſtehen unvermuthe - te Umſtaͤnde239 .240 . und neue Geſchaͤffte240. verhinderte bleiben geheim228 .229 . wovon ſie unterſchieden229. weit ausſehende groſſe230. was zu den weitlaͤufftigen gehoͤret231. finden Hinderniſſe, ſiehe Hindern, und werden zu nichte236
  • Anſehen eines Coͤrpers41. mit der Geſtalt vermen - get42. was ſonſt dazu gehoͤret42. 43
  • Anſehen, autoritas, was das heiſſet303. kommt vom Autor her301 .303 . kan doch betruͤgen303. iſt ſonſt noͤthig, und warum301. deren innerliche Beſchaffenheit302. Eintheilung303. und Er - gaͤntzung304 .305 . eines Geſchichtſchreibers362. wie es voͤllig iſt362 .363 . ſonderlich wenn er zu glei - cher Zeit gelebet363-365
  • Anzeichen ſind nicht ſicher336
  • A poſteriori moͤglich ſeyn hat keine Gewißheit282
  • A potiori fit denominatio, wo dies applicable79
  • A priori, etwas einſehen80 .90 .203 .227 .228 .316 . und nicht wiſſen78 .80 .82 . nach dem, das nicht alſo einzuſehen iſt, zu fragen260
  • Ariſtoteles, Meiſter der Vernunfftlehre26
  • Artzt, kan keine Kranckheit gewiß beſchreiben113. ge - het mit prognoſticis um389. ſ. auch Erfahrung.
  • Aſtrologia judiciaria, woher entſtanden400
  • Aufzug, was vor eine Begebenheit5
  • Augenzeuge, ein verwerfflich Wort157
  • Auguria, woraus ſie entſtanden398. wovor ſie zu hal - tenibid. ſind verbotenibid. beſſere Mittel dage - gen398. 399
  • Auguſtini Bibliothec, ob ſie von den Vandalen verſcho - net blieben131
  • Ausbreitung, ſ. Geſchichte.
  • Ausdehnen, eine Erzehlung148
  • Ausfuͤhrung, hanget nicht in ſeinen Theilen, wie die Theile des Anſchlags zuſammen236. ſ. auch An - ſchlaͤge, Hinderniſſe, Zufaͤlle.
C c 4Aus -[408]Regiſter.
  • Ausgang der Geſchichte, oͤffters das Hauptwerck248. 249
  • Auslegungskunſt, was ſie ſey172
  • Ausſagen gehet dem Nachſagen vor164. wozu noͤ - thig200 .201 . bringen eine Sache ans Licht202. Gewißheit derſelben298. kan doch zerruͤttet werden298 .299 . auch auf Seiten des Zuhoͤrers299 .300 . wie dahero aus dem Wege zu raͤumen328. 329
  • Ausſchreiben, ſ. Abſchreiben.
  • Ausſicht, was es heiſſet31. wie ſie deutlich wird34. aber durch den geaͤnderten Stand gehindert34 .35 . deren Theile und Zuſammenhang36
  • Ausſpuͤren, ſ. Geſchichte, Spur.
  • Auswendig und inwendig einen kennen96
  • Autor, wer der ſey157. hat mit dem Zeugen ein Anſe - hen307
  • Autoritaͤt, ſ. Anſehen.

B.

  • Baͤume ſtrecken ſich bis in die Wolcken39
  • Banco, derſelben vielfaͤltige Veraͤnderungen75
  • Banier refutirt den Boivin344
  • Barbar in ſeinen Urtheilen betrachtet112. 113
  • Bauen, wie es geſchiehet231. und divers angeſehen wird231. 232
  • Baum, ſ. Baͤume.
  • Befehle, eine Art der Willensmeinung16. ſind die Urſache der meiſten Handlungen208 .209 . ſ. auch Geſetze.
  • Begebenheiten, Einſicht in dieſelbe80. was ſie uͤber - haupt ſeyn2 .3 . eine einige, was ſie iſt3 .4 . wie viele als eine anzuſehen4-6. iſt von der Geſchichte unterſchieden8. laſſen ſich durch Schluͤſſe verbin - den268. ſ. auch Fluͤſſen und Urſache. der Menſchen, ſ. Menſchen. in der Seele, ſ. Seele. innerliche48. coͤrperliche Begebenheiten47 .58 . dabey ein Wi -der -[409]Regiſter. derſpruch, ſ. auch Phyſical. nothwendige, natuͤrli - che und beſondere78. alltaͤgliche81. zufaͤllige275. ſichtbare93. oͤffentliche156. welche die meiſten Zuſchauer haben311. daß es nicht an Zeugen feh - let311 .312 . heimliche155. man ſehe auch mora - liſches Weſen, Zuſammenhang, Zuſammenfuͤgung.
  • Begriff, allgemeiner89. klarer, woher er entſtehet33. ingleichen der deutliche34. wodurch beyder gehindert wird34. 35
  • Bekannt ſeyn, was es heiſſet162
  • Belebte, ſ. Denckmahle.
  • Beleuchten eine Sache, was man damit ſaget73
  • Bereden ſich laſſen, perſuaderi, quid ſit216. 217
  • Beredſamkeit, womit ſie zu thun hat19. hat3. Arten der Redenibid. ihr wird durch die Hiſtorie aufge - holffen20 .356 . erzehlet eine Geſchichte natuͤrlich und lebhafft238. ſ. auch Carneades.
  • Beſchreibung, was ſie ſey43
  • Betheurungen, was ſie helffen304. wenn und bey wem ſie nicht in Zweiffel zu ziehen305
  • Betrachtung einer Sache, wovon der Unterſcheid her - kommt99
  • Beyſpiele, was ſie ſeyn52. 53
  • Bienen, Jrrwahn dieſerwegen399
  • Bienenſchwaͤrme, Anmerckung davon57 .293. 294
  • Bild, einer Geſchichte vom Bilde des Zuſchauers un - terſchieden181. ſ. auch Denckmahle.
  • Bitten, ſ. Gebethe.
  • Blick, ſ. Anblick.
  • Brieffe, ihr Unterſcheid90. Quellen der alten Hiſto - rie356. 358
  • Boͤſe, ſ. Anſchlaͤge, Haͤndel, Handlungen, Thaten ꝛc.
  • Boiſſy widerlegt den Morin344
  • Boivins neuere Gedancken vom Regiment der Jſraeli - tenibid.
  • Buchdrucker, warum man den erſten nicht genau weiß66
C c 5Buͤcher[410]Regiſter.
  • Buͤcher von Denckmahlen unterſchieden354. ſonſt ſiehe auch Schrifften.

C.

  • Caͤſars Todt verurſacht verwirrte Haͤndel241 .242 . wodurch die Monarchie zu Stande kommt243. 248
  • Calviſius, ein trefflicher Chronologus355
  • Canal, durch welchen man die Begebenheiten erfaͤhret159 .160 . und die alten Geſchichte fortgepflantzet werden366
  • Cardo rei, was es iſt276
  • Carneidis Meiſterſtuͤck in der Beredſamkeit19
  • Caſus, was ſie ſeyn88. inſonderheit conſcientiæibid.
  • Ceremonie kan ein Denckmahl ſeyn195
  • Chriſtierns Grauſamkeit223 .224 . und verurſachte Troublen248
  • Chronologie zur Hiſtorie noͤthig355. ihre Differentz importiret wenigibid. verdiente Maͤnner darinneibid.
  • Cloſter, ſ. Untergang.
  • Coͤrper, erkennt man durchs Geſicht27. und Gefuͤhle28. daher ihre Erkaͤntnis ſinnlich und gewiß292. ſq. ſind nicht von einer Dauer28. eintzele36 ſqq. ma - chen keine Schwierigkeit52. wie man ſie dencken ler - net36 .37 .39 .40 . haben ihre Dicke, Flaͤche, Seite37. (S. a. Ort, Lage, Stand, Geſtalt, Anſehen, Ver - aͤnderung, Begebenheit ꝛc. ) wie ſie vermengt werden38. einer nie alleine38 .39 . ein Hauffen Coͤrper, was es ſey52. koͤnnen Denckmahle abgeben195. ſ. auch Regeln.
  • Coͤrperlich, ſ. Begebenheit.
  • Columbus, ober die neue Welt erfunden212
  • Cometen ſind Coͤrper28. ihr Lauff und Stand gantz unbekannt391. 392
  • Comoͤdien, woher ſie entſtanden278
Con -[411]Regiſter.
  • Conſtantin M. laͤſt ſeinen Printz hinrichten257. war - um er das Reich getheilet223. Urtheil von ſeiner Donation357
  • Contingentia, was das vor Dinge399
  • Controvertiren, was vor eine Begebenheit6. und was dabey vorgehet187
  • Coptiſche Sprache kuͤrtzlich exſpiriret196
  • Corollaria, was ſie ſind281
  • Creutzzuͤge, was dieſelben befoͤrdert213
  • Critick, mannigfaltiger Verſtand des Wortes21. ih - re Verbindung mit der Hiſtorieibid. womit ſie um - gehetibid. als ſonderlich zur alten noͤthig358. fal - ſche, was ſie ſey22
  • Curioſitaͤt, ſ. Natural. Cabinet.

D.

  • Daſeyn, woraus es erkannt und geſchloſſen wird28 .29. Jrrthum darinne30. eines moraliſchen We - ſens67
  • David, ſeine unvermutheten Anſchlaͤge woher215. hatte keine Urſache zur boͤſen That226. welche doch geſchwind vollbracht war227
  • Demonſtrationes machen eine Sache gewiß284 .285 .290 . oder fuͤhren vielmehr zur Gewißheit286. was dazu unzulaͤnglich268. wie ſie in hiſtoriſchen Saͤ - tzen zu machen275 .276 . oder nicht zu machen284. was ſie in der Phyſic ſind261
  • Denckmahle, was ſie ſeyn194 .354 . und wie vielerley195. ſind entweder belebt oder ſtumm374 .375 . be - lebte was ſie ſind377. Bilder drauf378. ſtumme wozu ſie nutzen375 .376 . ſind auch Schrifften354
  • Deſcriptiones nach der Philoſophie betrachtet43
  • Dichtkunſt, woher ihre Redensarten entſtehen39. ein Theil derſelben die Jmagination41. verwandelt die Geſchichte ins ſinnreiche129
Dicke[412]Regiſter.
  • Dicke eines Coͤrpers, was ſie ſey37
  • Diebſtahl verſchieden zu beurtheilen257. Spuren davon330
  • Dinge, welche ſchon geſchehen und noch geſchehen wer - den14 ſ. auch Zukuͤnfft. unerforſchliche, ſ. unerf.
  • Diplomata was ſie ſeyn359. eine beſondre Qvelle der Hiſtorieibid. die untergeſchobenen359 .360 . ſind von den aͤchten zu unterſcheiden360
  • Documenta was man ſo nennet313
  • Donnerſchlag was er iſt4. Wetter, bey dem unſre Vorherſehung mangelhafft390
  • Drohungen, eine Art der Willensmeynung16

E.

  • Egyptiſche, alte Sprache kuͤrtzlich exſpiriret196. Pyramiden88. ihr Erbauer unbekannt375. was aus denenſelben zu ſchlieſſenibid.
  • Ehre, der beſte Stand des Menſchen80
  • Einbildungs-Krafft, ſ. Jmagination.
  • Einfall vom Anſchlag unterſchieden229
  • Einheit der Perſon macht nur eine Begebenheit6. 7
  • Einſicht, verſchiedene, woher102 ſq.
  • Einſiedlerſtand, ſ. Moͤnchsorden.
  • Elemente, ſiehe Euclid. im erſten Reg.
  • Eliſabeth laͤſt Mar. hinrichten zum ſteten Erſtaunen257. 258
  • Empfindung ſetzt die Wahrheit der Sache voraus50. was dazu dienlich51. (ſ. a. Erfahrung, Erzehlung) aͤuſſerliche und innerliche beym Zuſchauer93. Um - fang der Empfindung117. Vermengung mit den innerlichen Eigenſchafften119
  • Ende der Geſchichte was es ſey147. 248
  • Entdecken, ſ. Geſchichte.
  • Entfernte, ſ. Reiſen, Frembder.
  • Entſchluͤſſung anderer, ob man ſie zuvor wiſſen koͤnne385 .386 . ſonſt ſ. Anſchlag.
Ent -[413]Regiſter.
  • Entwurff, ſ. Grundriß.
  • Erbſchafft muß uͤberſehen werden397. wenn ſie un - ter contingentia gehoͤret399
  • Erdbeben, deſſen Seltenheit hebt unſre Muthmaſ - ſung auf392
  • Erfahrung was ſie ſey55 .84 . anders als die Em - pfindung55 .56 . nicht jede hat eine Gewißheit282. die aus Seltenheiten hilfft der Muthmaſſung auf392. iſt als eine Regel anzuſehen388. ihre Dienſte in der Artzneykunſt392. ſ. a. Kunſt. fremde, was von derſelben zu halten283
  • Erfolg, den man in ſeiner Gewalt hat, kommt ins Stecken393. plura v. Folgen.
  • Erforſchung, ſ. Geſchichte.
  • Ergaͤntzung der Geſchichte, wie ſie geſchiehet130. wird offt wiederſprochen.
  • Erkaͤntniß, goͤttliche, die vollkommenſte1. menſchli - che1 .2 . ſ. auch Gelehrte der Welt1. der Geſchichte8. 12 ſqq. (ſ. auch Geſchichte) dazu auch zukuͤnfftige Dinge gehoͤren381 ſqq. hiſtoriſche, ſ. in H.
  • Erlaͤuterung der Geſchichte, was es ſey146. 147
  • Erneuen, ſ. Geſchichte.
  • Erzehlung, was ſie iſt8. wie ſie erzeuget wird126 .127 . kan nicht ohne Geſchichte ſeyn9. ihre Verbin - dung mit denſelben9 .10 .263 . kan nicht ſo weit ge - hen als die Empfindung116 .117 . wie ſie kurtz zu faſſen118. durch allgemeine Woͤrteribid. Fehler darinne122 .123. Schwierigkeiten dabey237 .238 . iſt nur ein Stuͤckwerck267 .268 . wenn ſie wieder - ſprechend wird271. wie, nach gewiſſer Abſicht ein - gerichtet123 .124 .136 . geſchicht vom Zuſchauer169. (v. etiam Nachſager) und præoccupiret offt184 ſqq. iſt theils deutlich, theils dunckel23. theils ſind ſie trocken und ſchlecht23 .129 . welchen der Red - ner abzuhelffen weiß171. theils ſinnreich23 .172 . ſind wie Gemaͤhlde140. Fehler derſelben137-144 .149 .150 . geſchehen durch Vergleichungen127 ſq. geſche -[414]Regiſter. geſchehen auch gelegentlich132 .145 . oder gruͤnd - lich132 .146 . ſind angenehme und rauhe153 ſq. gelehrte und politiſche135 ſq. partheyiſche und un - partheyiſche vid. unparth. conf. etiam Tit. Grund - riß, abbrechen, ausdehnen ꝛc.
  • Erzehlungskunſt angebohren125
  • Erzeugung a) der Erzehlung was ſie ſey127. b) und des Menſchen77
  • l’Eſprit de detail, was ſey234
  • Evangelium, kurtz beſchrieben22
  • Exempel, was es iſt53
  • Eyd, ſ. Betheurungen.

F.

  • Fabeln, woher ſie entſtehen18. wie von den Geſchich - ten unterſchieden18 .19 .154 . und ihnen doch aͤhn - lich ſind19. wie man auf ihre Erfindung kommen276 ſq. was kuͤnſtliche ſind277. vornehmſte Arten derſelben277 ſq.
  • Faͤhigkeit eines Menſchen, was ſie ſey84. mit einem Exempel erwieſen233. ſ. a. Academiſche.
  • Fama quid ſit? 177
  • Farben gehoͤren zur Geſtalt42. werden mit der Figur vermenget45
  • Feind, was ein ſolcher thut106. und warum213. entſtehen offt aus verwirrten Haͤndeln242. ſie un - terdruͤcken das gute193. und ſind ihre Jntrigven unbekannt133. ſ. auch Tit. Freund.
  • Feſt iſt ein Denckmahl195. ſ. a. Jubil.
  • Feuergeben der Soldaten, welche Begebenheit5
  • Figur, macht die Geſtalt aus42. laͤſt ſich ſchwer be - ſchreiben44 wie es doch geſchichtibid. wie man da - von verſchieden denckt44 .45 . ſ. auch Farbe.
  • Fixſterne, ſ. Sterne.
  • Fliegende Fiſche kan es geben283
Fluͤſſen[415]Regiſter.
  • Fluͤſſen einer Begebenheit und einer Wahrheit, welcher Unterſchied273 ſq.
  • Folgen was ſie ſind259. wie vielerley329 .330 . ſind nicht der Grund einer Begebenheit348. wie ſie zum Voraus zu ſehen394. ſ. a. Erfolg, it. Geſchichte.
  • Fortpflantzung, ſ. Geſchichte.
  • Fragen, woher ſie entſtehen183
  • Fragmenta von Haußrath ꝛc. worzu ſolche nutzen376
  • Frembder, wer der ſey74 .75. Sehepunct deſſelben109. abſonderlich in entfernten Lande379. bekuͤm - mert ſich nicht um taͤgliche Verrichtungen81. ſolche ſehen nur ein was oͤffentlich geſchiehet104. hinge - gen bleibt ihnen vieles geheim104 .152 . koͤnnen da - hero keine richtige Erzehlung geben152. nuͤtzen nie - manden als einem Gelehrten75
  • Freund auf das Gute aufmerckſam106. veranlaſſet einen beſondern Sehepunct105 .106. Unterſchied zwiſchen ihm und dem Feinde60. 74
  • Freyheit des Menſchen bey den Geſchaͤfften270 .384 . kan doch zur Nothwendigkeit werden385
  • Froͤhliche, v. Sehepunct.
  • Fruchtbarkeit der Nachrichten169. 173
  • Fuͤgung, was es heiſſet274
  • Fuͤr ſich etwas thun, was es ſey155
  • Fuß, auf ſichern ſtehen68

G.

  • Gebethe, was ſie ſeyn22
  • Geburth des Menſchen, was ſie ſey77. und was da - bey nicht attendiret wird205
  • Gedancken, Urſprung derſelben in dunckeln Vorſtel - lungen365. achten andre Leute nicht59. wiſſen ſie auch nicht265. gehen geſchwinde33. lauffen wie die Geſchaͤffte393. ſind auch von ferne40 .41 . ein - tzele59. ſolche aufzeichnen, wenns eine unnuͤtze Ar - beit229. andrer kan man voraus ſagen383 ſq
Gedenck -[416]Regiſter.
  • Gedenckart, wie ein Anſchlag davon abhanget218 .219 . und die Gelegenheit dazu221. mit Exempeln erwieſen222 .223 . wie man ſie begreiflich macht223 .224. Alexandri beſondre224
  • Gedichte, was ſie ſeyn20. ihr Lob und Schoͤnheit20 .21 .172 . ſ. a. Dichtkunſt, Lieder.
  • Gegenwaͤrtige, wer dieſe ſind156
  • Gegenwaͤrtiges laͤſſet das vergangene erkennen315. (vid. Vorhergegangen) und das zukuͤnfftige381 ſqq. falſche Begriffe davon, wozu ſie hinderlich387
  • Geheime, was alſo heiſſet104. 161 ſq.
  • Geheimniſſe, ſ. Hertz.
  • Geitziger in ſeinen Handlungen betrachtet213
  • Gelegenheit, was ſie ſey218. von der Urſache unter - ſchieden220 ſq. daraus entſtehen boͤſe Thaten225
  • Gelehrte, wer die ſind107. haben andre Erkaͤntniß als der gemeine Mann13 .105 . woher ſolche kommt107 .108 . halten ſich bey Erfindung der Wahrheit an ihr Object394. haben doch ihre Schwachheiten148. ruͤcken einander allerhand auf155. ſind unter - ſchiedener Gattung und Nahmens85. ihnen iſt ſchwer predigen393. Erzehlungen136
  • Gemeine Sage, was die ſey162 ſq.
  • Genus proximum macht die Gedenckart gebraͤuchlich223
  • Gerechtigkeit gelobt und geſtrafft19
  • Geſandten in ihren Geſchaͤfften betrachtet268
  • Geſetze, was ſie ſeyn16. eine Art der Willensmey - nungibid. haben mit der Hiſtorie eine Verbindung22. eine verbindende Krafft385. buͤrgerliche, Ob - ject der Jurisprudentz16. ſonſt ſiehe auch: Befehle.
  • Geſchaͤffte, was ſie ſeyn86. derſelben Hiſtorien87 .88 . ſie haben ihren Lauff393. dabey es vornehm - lich auf den menſchlichen Willen und Freyheit an - kommt268. ſie koͤnnen zu andern Geſchaͤfften wer - den240 .241 . koͤnnen voraus geſehen393. und uͤberſehen werden396 .397. Angſt wegen deren Fortgang398
Ge -[417]Regiſter.
  • Geſchehen, v. Seyn.
  • Geſchichte, was ſie ſey7. von der Begebenheit unter - ſchieden8. inſonderheit der Phyſicaliſchen205 .206 . auch von Erkaͤntniß, Erzehlung und Nachricht8. kan ohne Erzehlung ſeyn9 .262 .347 . und gehoͤret doch mit der Erzehlung zuſammen9 .10 . von den Fabeln unterſchieden18 .19 . muß ein Subject haben11. hat auch wohl mehrere11 .12. Erkaͤntniß der - ſelben12 ſq. aus Folgen197 .198 .199 . ihr Haupt - werck126. Urbild und Erzeugung126 .127. Grund275 ſq. und Unterſchied. eintzele Menſchen, oder eintzele Weltgeſchichte88 .89. Verbindung vieler Menſchengeſchichte85. eintzele, wodurch ſie ſich vor andern unterſcheiden90. groſſe, eine Begeben - heit125. alte, was ſie ſind353 .354 . woraus ſie zu erlernen354 ſqq. (ſiehe auch Qvellen) ihr ſichrer Grund und Nutzen356 .357 . was zu deren Erkaͤnt - niß noͤthig358. ſind nicht ungewiß378. ob ſie wohl offt viel Unwahrſcheinlichkeit haben380 .381. Erzehlung v. ſuo loco. Verbindung der Geſchichte und der Erzehlung263. bey derſelben wird viel ver - ſchwiegen266 .267 . v. m. Ergaͤntzung. Ausbrei - tung, wie geſchiehet156 ſq. deren Geſchwindigkeit163 .189 .190 . veraͤndert die Geſchichte166. ſo auch durch Veraͤnderung der Urkunde geſchiehet177 ſq. und deren Mißverſtand179 .180 . wie ſie laͤufft189 .190 . oder der Lauff gehemmet wird192-194. und gar ſtehen bleiben190 .191 . auch Anſtoß finden191 .192 . wie ſie fortgepflantzet wird194 .195 . und er - neuert195 .196 . auch entdecket196 .197 . ausge - ſpuͤret199 .200 . und erforſchet201 .202 . ſ. auch: Haͤndel, Ausgang. Verwandelung, wie ſie ge - ſchiehet116 .127 . ſonderlich ins ſinnreiche129 .372 .373 . dabey vorlauffende Umſtaͤnde137 .138 . ſ. a. Ge - ſtalt, Ende. Erklaͤrung, wie ſie geſchiehet271. v. m. Erlaͤuterung; præprimis Tit. Hiſtorie & Hiſtoriſch.
D dGe -[418]Regiſter.
  • Geſchichtſchreiber, ſ. Bemuͤhung, Pflicht und Abſicht361. andere Pflichten374. (ſ. a. Kunſt) Anſehen361 ſq. noͤthig requiſitum, daß er coævus ſey363 .364 . ſ. beſonders Anſehen alsdenn364. was ſpaͤ - tere zu beobachten366. was ihm die Arbeit ſchwer macht70. wovor er ſich demnach zu huͤten278. Qvellen, die er zu ſuchen, ſ. Qvellen. Faͤlle, wo ſie ſich widerſprechen koͤnnen367-369
  • Geſchlechtsnachrichten, was ſie in ſich faſſen85
  • Geſchwindigkeit im Gedencken, was es ſey33. und im Sehen35
  • Geſichtspunct, ſ. Sehepunct.
  • Geſtalt der Coͤrper, was ſie ſey41 .42 . woraus ſie beſtehet42. was dazu gehoͤret42 .43 . iſt mit An - ſehen vermenget42. der Geſchichte, worinnen be - ſtehet145
  • Gewahr werden, was es heiſſe197
  • Gewaltthaͤtigkeiten, deren Anfang245
  • Gewißheit, was ſie ſey280 .288 . wovon wir die - ſelbe prædiciren282 .287 . iſt eine Eigenſchafft der hiſtoriſchen Wahrheit283. iſt aber nicht jeder Er - fahrung beyzulegen282. eine Eigenſchafft ſinnli - cher Vorſtellungen286. und unſerer Erkaͤntnißibid. gehoͤret mit unter die gemeinen Begriffe280. ſeqq. Vergleichung mit der Wahrheit289 .290. Unterſchied. Gewißheit der Sinne292. handgreif - licher Dinge293. in Demonſtrationibus284-286. hiſtoriſcher Schluß-Saͤtze295 .296 . der menſchl. Ausſagen298. derer Nachrichten wie herzuſtellen300 .301 . welche auf dem Anſehen des Autoris beruhet301 .302 . der zukuͤnftigen Dinge, ſo da hinlaͤnglich388. falſche289
  • Gewohnheiten ſind dem Geſetze gleich385
  • Gleichnuͤſſe, derſelben Nutzen in Erzehlungen128
  • Glaube ſ. Hinderniß.
  • Glieder eines Weſens was ſie ſeyn73 .74 . wenn ſie gute Zeit haben70. Begebenheiten die ſie betreffen75.[419]Regiſter. 75. haben in einem Regimente ihre Stellen98. ei - nes Angriff irritiret die gantze Geſellſchafft241
  • Gluͤcksfaͤlle der Menſchen, was ſie ſind83 .247 . und Ungluͤcksfaͤlle247
  • GOtt ſ. Erkaͤntniß.
  • Gottesgelahrheit, ihr Grund22. ſ. a. Hiſtorie.
  • Grabmahle, was darinne anzutreffen376
  • Grade der Qualitaͤten der Seele uns unbekannt265. der Wahrſcheinlichkeit, was ſie ſind345
  • Groſſe Herren laſſen ſich bereden217
  • Groͤſſe gehoͤret zur Geſtalt42 .43 . wird durch Maaß - ſtaͤbe bekannt gemacht44
  • Grundriß einer langen Erzehlung134. 135
  • Guſtavs Regierung verurſachet Troublen248

H.

  • Haͤndel, was ſie ſind87. ihre verſchiedene Arten ib. ver - wirrte inſonderheit241 .242 . machen aus Freunden Feinde242. ſind der beſte Stoff der Geſchichte242 .243 . deren Anfang und Zuſammenhang244. ſqq.
  • Handgreifliche Dinge, was es ſind293 brauchen we - nig Aufmerckſamkeitibid. machen den groͤſten Theil der Hiſtorie aus302
  • Handlung, mercat. das aͤuſſerliche, geheime und in - nerliche dabey71 .72 . ihre Veraͤnderung66. der Portugieſen in Africa212
  • Handlungen, allgemeine Eintheilung derſelben207. ſq. worinne ihr groͤſter Theil beſtehe208. wie ſie merckwuͤrdig werden88. ihre mancherley Art144. ſind heimliche155. oͤffentliche156. natuͤrliche wer - den zu politiſchen254. haben entweder ein Vergnuͤ - gen oder Abſicht zum Grunde253. ſq. die ohne Ver - gnuͤgen, folgen groſſen Theils aus dem Amte und Stande255 .256 . boͤſe und harte verſchiedentlich anzuſehen256-258. die mit Amt und Stand keine Verbindung haben258. Folgen derſelben259. undD d 2Ur -[420]Regiſter. Urſachen260. woher ihr Unterſchied komme266. ſ. a. Begebenheit.
  • Handwercksmann, wie er ein Weſen ausmachet61. und zwar ein moraliſches61. 62
  • Hauffen, was es ſey52. bemerckt nicht die Philoſophieibid. Theorie deſſelben53. und Eintheilung55
  • Hauffen Zeugen wozu er dienet310
  • Hauptperſon, was ſie ſey74. wie es mit ihnen bey Erzehlung einer Geſchichte beſchaffen170. wie ſie von den Zuſchauern unterſchieden186
  • Hauptwerck einer Geſchichte126
  • Heimlich etwas thun155. hat wenig Canale160
  • Hermenevti[c]zur alten Hiſtorie noͤthig358. und de - nen alten Monumenten377
    • Herodis
    • Heroſtrati
    Anſchlaͤge ungeheuer214
  • Herren ſ Groſſe.
  • Hertz deſſen Geheimniſſe216
  • Heyden bethen die Sonne an, und warum226. ob ſie tugendhafft geweſen, pro und contra zu diſputiren339. ſollen nicht Menſchen geopfert haben344
  • Himmels Begebenheiten haben den groͤſten Ein - fluß234
  • Himmels gegenden ſ. Plagæ.
  • Hinderniſſe, kommen von aͤuſſerlichen Sachen her394. halten die Ausfuͤhrung auf228 .229 .230 . fuͤhren von derſelben ab235. ſq. machen ſie gar unmuͤglich235. ſind bey allen Anſchlaͤgen234 .235 . auch bey Stifftungen und Pacten und woher394. ſind wiedrige Winde235. des Begriffes34 .35 . des Glaubens die Unwahrſcheinlichkeit350
  • Hiſtorie, was ſie ſey10. und in ſich faſſet14. er - fordert einen Zuſchaueribid. deren Einfluß in die Beredſamkeit19. in die Critic21. in die Gottesge - lahrheit22. dient zur Erklaͤrung der Schrift23. be - ſteht aus aͤuſſerlichen Veraͤnderungen76. ihre un - terſchiedene Art86. von Kriegen und Haͤndeln87. von[421]Regiſter. von Thaten87. wichtigen Geſchaͤfften87 .88 . kommt in allen Schrifften vor356. handgreifliche Dinge ma - chen ihren groͤſten Theil aus302. ſ. a. Geſchichte.
  • Hiſtoriſche Erkaͤntniß was ſie iſt1. ſqq. 89. wor - inne ſie nicht beſtehet89. deren beruhet auf Ur - kunden23. was dazu noͤthig und ſie erfordere23. ſq. iſt von der Phyſic unterſchieden55. deren Grund - Begriffe noͤthig8. ob ſie wohl unvollkommen bleibet14 .15 . ihr Zuſammenhang mit dem Willen15. hilft der Rechtsgelahrheit auf16. woher derſelben Fehler17. deren Nothwendigkeit aus Fabeln erwieſen19. hilft der Beredſamkeit20. ihr weitlaͤuffiger Um - fang24. ihre Nutzbarkeit24 .25 . hierzu noͤthige Regeln25-27. Schwierigkeiten, woher ſie entſte - hen10. Wahrheiten haben Verbindung mit Schluͤſſen261. ſind gewiß283. ſq. ſ. a. Wahrheit Wahrſcheinlichkeit, Schrifften ꝛc. Schrifften ſ. in - fra in S. Zuſammenhang v. Zuſammenh.
  • Hoͤrer, wer er iſt159. was ſein Begriff zur Sache thut172. welcher von der Urkunde herruͤhret179. und unterſchieden iſt von dem Begriffe des Zu - ſchauers182 .197 . kan die Gewißheit der Ausſage zerruͤtten299 .300 . v. m. Anhoͤrer, Zuhoͤrer.

J.

  • Jahrmaͤrckte wie die entſtanden65
  • Jlluminationes werden betrachtet101. 102
  • Imagination, hat ihre Regeln383. machet einen Theil der Dichtkunſt aus41. falſche kan Empfindung wuͤrcken50. 56
  • Jnnerlich, was es iſt58. ſ. a. aͤuſſerlich.
  • Inſtrumenta, was dieſe ſeyn313
  • Jntereſſenten ſ. Theilnehmer.
  • Jntrigven was es ſind235. ſolche brauchen die Fein - de133
D d 3Jo -[422]Regiſter.
  • JoſuaͤXXII. 11. &26. 186
  • Jubilæa was ſie vor Nutzen ſchaffen196
  • Judicium intuitivum & diſcurſivum, was es ſeye203
  • Julius ſ. Caͤſar.
  • Jurisprudentz womit ſie umgehet16. worinne ſie beſtehet17. was ihr aufhilftibid.

K.

  • Kauff, was der voraus ſetzet90
  • Ketzer, von Arnolden defendiret149. ſ. auch Ver - brennung.
  • Ketzerey, wie ſie ſichtbar wird67
  • Kind, warum ihm rechte Begriffe mangeln35
  • Kirchengeſchichte, wer ihre Geſtalt ſcheußlich ge - macht149
  • Klarheit eines Grundes, was darauf ankommt336
  • Klumpen was er ſey45. 46
  • Kranckheit eine Leidenſchafft des Leibes77. woher deren Unleidlichkeit94. ob ihre Hiſtorie ein Artzt am beſten beſchreiben koͤnne113. ihre Arten aus Buͤchern393. beſſer aber aus der Erfahrung zu lernenibid.
  • Krieg, Anfang in Thaͤtlichkeit zu ſuchen246. dar - inne hanget Ausfuͤhrung und Anſchlag nicht zu - ſammen237. dreyſigjaͤhriger, wenn deſſen Anfang zu beſtimmen245-247. bringt den Weſtphaͤliſchen Frieden zuwege244
  • Kriegsthat ſ. That.
  • Kunſt, wie weit es die Alten darinne gebracht376. wodurch ſie verfaͤllet69. zu muthmaſſen was ſie iſt391. was dazu gehoͤret391-394 .396 . zu er - fahren, was ſie ſey51. zu erzehlen ſ. Erzehlung. zu uͤberzeugen351. ſq. Geſchichte zu ſchreiben369-374. Schwierigkeiten dabey371
  • Kunſtverſtaͤndige, wer die ſind294
L.[423]Regiſter.

L.

  • Lachsfang, wie derſelbe entſtehe66. und erhalten wird67
  • Laͤnder, entfernte, ſ. Reiſen.
  • Lage eines Coͤrpers41
  • Laſter erzeigen ſich bald wuͤrckſam256. 257
  • Lauffen einer Geſchichte, was es heiſſe189. 190
  • Leben beſtehet aus taͤgl. Verrichtungen81
  • Lebensbeſchreibungen, was dazu gehoͤret86. ſein ſelbſt, waͤre beſonders einzurichten266. mit Exem - peln bewieſen267
  • Lehrer ſ. Academiſche.
  • Leib, deſſen Eigenſchafften77. ſonſt ſ. a. Seele.
  • Leibnitz entwickelt die Lehre vom Sehepunct100 .101 . ſ. a. Vernunftlehre.
    • Lernen
    • Leſen
    welcher Unterſcheid197
  • Leſer ſ. Hoͤrer, Nachſager ꝛc.
  • Lieder von Geſchichten haben ihr Anſehen168. pflan - tzen eine Sache richtig fort176
  • Locus communis, was er iſt54 .84 . kan auch truͤ - gen121 .122 . der dem andern zuwieder lauft, hat auch ſeinen Grund322
  • Logick ſ. Vernunftlehre.
  • Luͤgen hat eigentlich keine Gewißheit289. hemmet den Lauf der Geſchichte193. nicht in Regeln zu bringen154. wie man darauf verfaͤllt380. breiten viele aus die von Reiſen kommenibid.

M.

  • Maaßſtaͤbe wozu ſie dienen44
  • Macht groſſer Herren, Urſachen des gluͤckl. Fort - gangs69
  • Maͤhren was dies vor ein Wort277
  • Mahomet fuͤhrt ungeheure Anſchlaͤge aus214
D d 4Man -[424]Regiſter.
  • Mangel ſ Kind, Vorherſehung ꝛc.
  • Materie, der Alten Meynung davon46
  • MatthaͤiXII, 34. 296
  • Menſch, nach ſeinem Weſen und Theilen76 .77 . deſſen er - ſte Begebenheit die Geburt77. die letzte der Tod84. Eintheilung andrer Begebenheiten78. deſſen vielfaͤltiger Stand und Zuſtand78 .79 . verurſacht verſchiedene Betrachtungen der Sachen98. der vor - nehmſte Stand79 .80 . iſt geneigt Unruh und Streitigkeit anzuhoͤren192. faͤllt auf unvermu - thete Veraͤnderungen214. ſonſt ſ. Sitten.
  • Meſſen ſ. Jahrmaͤrckte.
  • Mißverſtand macht verwirrte Sachen186. iſt leich - te zu entdeckenibid. wie zu unterſuchen322. ſ. a. Urkunde.
  • Mitglieder ſ. Glieder.
  • Moͤglichkeit a poſteriori iſt ohne Gewißheit282
  • Moͤnchorden deren Stiffter65. und Veraͤnde - rung68
  • Mond, deſſen Wuͤrcklichkeit29. Abwechslung92 .93. Blitzen darinne128
  • Monumenta ſ. Denckmahl.
  • Moraliſch Weſen, was es ſey61. Exempel davon61 .62 .67 .79 . deſſelben Dauer62. wie ſolche be - kannt wird63. wie ſie ſichtbar werden62 .66 . ihre Begebenheiten63. nach ihrer Eintheilung64 .74.75. Veraͤnderung63 .68 . und deren Urſache66. Urſprung64 .65. Geſtalt und Verfaſſung67. Wachsthum und Verbeſſerung68 .69. Abnahme und Verſchlimmerungibid. letzten Begebenheiten70 .71 . und Untergang70. ihr aͤuſſerliches, ge - heimes und innerliches71 .72. Seiten72 .73 . da - her entſtehende Begriffe73. kommen vom Zuſchauer her101. Verhalten dagegen73 .74.
  • Morin vertheidigt die Heyden344
  • Mumien was aus denſelben zu ſchlieſſen375. ſq.
Mu -[425]Regiſter.
  • Muſter, was es ſey53
  • Muthmaſſen ſ. Kunſt.
  • Mythologie, eine ehrwuͤrdige Dunckelheit130. be - ſonders auf belebten Denckmahlen378

N.

  • Nachdencken veranlaſſet eine andere Erzehlung187. 188
  • Nachfolger im Geſchlechte, wer die ſind85. und im Amte99
  • Nachforſchen, wie geſchiehet201
  • Nachricht, was ſie iſt164. wie vielerley ſ. Erzehlung. Erfordert zwey Perſonen164. iſt entweder muͤndl. oder ſchriftlich165 .166. Betrachtung einer erhal - tenen181. ſucht man umſtaͤndlicher zu wiſſen182
  • Nachſager, wer der ſey158. der erſte, andre, dritte160. Unterſchied derſelben160 .161 . wie ſie eine Geſchichte veraͤndern koͤnnen187-189
  • Naturalien und Curioſitaͤten Cabinette, wozu ſie dienen45. 376
  • Naturrecht, wie anzuwenden27
  • Neigung, was darauf ankomt336
  • Nero hat ungeheure Anſchlaͤge214
  • Neu ſ. Anſchlag, Columbus.
  • Neuigkeit der Sache, was ſie zuwege bringt105
  • Neutralitaͤt, wovor zu halten153
  • Nichts, was es ſey28. 191
  • Non-ens, was wir ſo nennen74. z. E. in gewiſſem Fall ein Zuſchauer158
  • Notoriſche Wahrheiten was die ſeyn314. 315

O.

  • Oberflaͤche was ſie ſey37
  • Oeſterreichiſche Parthey, warum ſie oft verlaſſen worden222
D d 5Offen -[426]Regiſter.
  • Offenbahr, was alſo heiſſet58. ſonderl. bey morali - ſchen Weſen71. hat viele Canale160
  • Offenbahrung ſ. Weiſſagung H. Schrift.
  • Optic was ſie vermeiden lernet50. gehet mit Pro - ſpecten um34. und ſichtbaren Begebenheiten93. ſonſt ſiehe: Sehepunct, Strahlen ꝛc.
  • Oratorie ſ. Beredſamkeit.
  • Ort eines Coͤrpers41. und einer Geſchichte, dar - auf vieles ankomt279

P.

  • Pacte, eine Art der Willensmeynung16. warum ſie mißrathen396
  • Paradox, was es iſt349
  • Parallel Geſchichte, was die ſeyn278. ſq.
  • Partheyiſche Erzehlung, was ſie nicht ſey151. 152
  • Perſonen, derſelben Einheit nur eine Begebenheit6 .7 . ihre Geſchichte88 .89 . wie ſie zu unterſcheiden90 .91 . ihre Verbindungen unter einander96. wie ſie einander kennenibid. welche bey Haͤndeln con - curriren97. koͤnnen leicht verwechſelt werden279. ſ. a. Hauptperſon.
  • Philologie zur alten Hiſtorie noͤthig358
  • Philoſophie, alte, ihre Fehler26. gehet ſonſt nicht mit Hauffen um52. ſondern mit Arten93
  • Phocas, deſſen boͤſe That geſchicht ohne Urſach227
  • Phœnomena in der Luft, Urtheile davon30. wo deren Grundbegriffe geleget worden31
  • Phyſicaliſche Begebenheiten, deren Urſache230 .284. Die Erklaͤrung ihrer Urſache macht eine Demon - ſtration aus261. wie das zugehe261 .262 . ſolche erkennen wir nur Stuͤckweiſe264. ſind natuͤrlich205. theils auſſerordentl.ibid. wie ferne ſie einem hiſtorico angehen ib. ſind zuvor zu erkennen383
  • Plagæ mundi ſind Seiten47
Pla -[427]Regiſter.
  • Platonici Zweifler283
  • Poeſie ſ. Gedichte.
  • Politiſche Erzehlungen136. duͤrffen nichts uͤberfluͤßi - ges haben137. ſq.
  • Pompeji Thaten und Gedenckart wird beleuchtet271. ſq.
  • Portugieſen ſ. Handlung.
  • Principium, was falſch alſo genennet wird276
  • Proben, was ſie ſeyn53
  • Proceſſe ſind Haͤndel87. was dabey vorgehet ib. erfordern Zeugen306. 307
  • Proceßion ſ. Aufzug.
  • Profeßion ſ. Handwerck.
  • Prognoſticon, was es iſt389. wie es zuſtellenibid.
  • Prophezeyungen ſ. Weiſſagungen.
  • Proſpect ſ. Ausſicht.
  • Pyramiden ſ. Egyptiſch.
  • Pyrrboniſmus worauf er ſich erſtrecket283. hiſtoricus, wie dem abzuhelfen351 .352 . wer davon geſchrie - ben352

Q.

  • Quelle der Hiſtorie355. werden erzehlet358. beſon - dre Art359-361. Schwierigkeiten dabey357. 358

R.

  • Raben
    • nicht alle ſchwartz
    • weiſe giebt es auch
    45.54.55.
  • Rathgeber, was die thun216
  • Reaumur, was er entdecket .51 .316 . beſonders von Bienen57. 399
  • Recht ſ. Natur.
  • Recurſus ad Comitia, Urtheil davon88
  • Rede, woher ſie entſtehet296. Regel davonibid.
Re -[428]Regiſter.
  • Redekunſt, Dienſt in der Hiſtorie129. ſonderl. bey Erzehlungen153. 154
  • Reden, (Staats) Quelle der Hiſtorie356
  • Regel was ſie ſey204. in der Seele383. in den Coͤr - pern383 .388 . vom Reden296. von Anhoͤren297. Logicaliſche wehren dem Zweiffel291 .292 . ſind ſchwer von Urſachen zu geben251. 252
  • Reiſebeſchreibungen maſſen ſich licentiam mentien - di an380
  • Reiſende, wie ihnen in entfernten Landen zu muthe379. was ſie nach der Heimkunft thun380
  • Reliquien, wozu die nuͤtzen376
  • Reyhe, was es ſey7
  • Reſt, was wir ſo nennen54
  • Richter, was derſelbe zu beobachten185
  • Roͤmer, woher ihr Gluͤck im Kriege247
  • Roͤßler, was er entdecket51. 316
  • Ruinen ſ. Reliquien.
  • Ruff, was er ſey177. woher deſſen Unrichtigkeit177. 188

S.

  • Scaliger, ein treflicher Chronologus355
  • Schandthaten, warum ſie bemerckt werden88
  • Scharfſinnigkeit beym muthmaſſen393. ſq.
  • Schein, was er ſey29. wie von dem Seyn unter - ſchieden30
  • Schlangenweiſe gehen wie die Baͤche128
  • Schluͤſſe, damit geht die Logic um261. bringen nur notiones partiales heraus295. wie ſie vom Sehen entſtehen40. ſind nicht von einer Zeit auf die andre zu machen57. und auf alle Begebenheiten268. ſqq. (v. judicium) Exempel der Schwierig - keit einiger Schluͤſſe,203 .204 .218 .219 . und der falſchen226
Schrifft,[429]Regiſter.
  • Schrift, heilige deren Jnhalt22. ſ. a. Gottesge - lahrh. Weiſſagungen.
  • Schriften, dienen zu Ausbreitung einer Sache166. ſind die wichtigſten Denckmahle354. Hiſtoriſche, die entweder gantz und gar hiſtoriſch355. und als Quellen anzuſehenibid. oder ſtreuen nur hiſtorica gelegentlich ein356. Exempel davonibid. oͤffent - liche, ihr Vorzug312. 313
  • Schriftliche Haͤndel beſtaͤttigen die Gewißheit312 .313. Exempel davon313. ſq.
  • von Schwartzenbach, Erfinder der neuen Welt212
  • Schwediſche Troublen im16. Seculo248
  • Schwierigkeiten ſ. hiſtoriſche Quellen ꝛc.
  • Schwur vid. Betheurung.
  • Scriptores coævi wer die ſeyn363 .364 . ihr Anſehenibidem.
  • Seele, deren Vereinigung76. und Handlungen mit dem Leibe77. Einfluß in die Sinne95. und daher entſtehende Anſchauungsurtheile110 .111 . ihr Zuſtand nicht immer einerley99. daher immer andere Vorſtellungenibid. unwiſſende Begeben - heiten derſelben265. (pl. v. Gedancken) ihr ver - aͤnderter Zuſtand265. wird ſelten bemercktibid. Verwirrungen derſelben266. was der Seele wie - dernatuͤrlich iſt226. ſie hat ihre Regeln383
  • Sehen der deutlichſte Sinn93. wozu es dienet27 .29 . kan doch betruͤgen30. auf eine Sache was es ſey31
  • Sehepunct, was er ſey37 .93 .94 .95 .100, deſ - ſen Einfluß37 .38 . bringt Seiten herfuͤr101. und eine gewiſſe Einſicht102. ihre Hauptarten103. einer giebt keine gantze Erzehlung130. Sehepunct der Jntereſſenten und der Fremden104. des, der zum erſtenmahl zur Sache kommt104 .105 . eines hoͤhern und niedern106 .107 . der Gelehrten und Unge - lehrten107 .108 . eines Academiſchen Lehrers108. der[430]Regiſter. der Traurigen und Froͤlichen109. eines gantz Frem - den109 .110 . eines Barbaren112
  • Seite, was ſie iſt37. verſchiedene Arten46. un - zehlige eines Coͤrpers46 .47 . ſ. a. Moral. We - ſen.
  • Seſoſtris Liebe zum Frieden224
  • Seyn und geſchehen, welcher Unterſchied12 .13 . und Verbindung13. vid. m. Schein, Daſeyn ꝛc. Seyn bey dem Menſchen, woher83
  • Sinne haben wir nicht in unſrer Gewalt123
  • Sinnreich, vid. Geſchichte.
  • Sitten der Menſchen, woher ſie entſtehen83 .84 . werden bemerckt83. und erkannt wie83. 84
  • Sonne, ſ. Heyde.
  • Sophiſtereyen, was ſie ſeyn226. und woher ent - ſtehet150
  • Sortilegia, woher ſie entſtanden400
  • Species macht die Gedenckart begreiflich223
  • Species facti, was es iſt143 .144 . wie ſie veraͤndert werden kan145
  • Spotten, was es heiſſet60
  • Sprache, ſ. Coptiſch.
  • Spuren, was man ſonſt ſo nennt199. 330
  • Staatsſchrifften, Qvellen der alten Hiſtorie356
  • Stammvater, was er ſey85
  • Stand, ſ. Amt.
  • Stand, deſſen oͤfftere Veraͤnderung hindert den Be - griff34 .35 . eines Coͤrpers41. eines Menſchen, ſ. Menſch.
  • Status cauſæ, was das heiſſe142. 143
  • Sterne ſind Weltcoͤrper28 .29 . von ungemeiner Groͤſſe92
  • Stelle, was es ſey98
  • Stifftungen, warum ſie offt mißrathen395 ſq.
  • Stille, in der, etwas thun, was es heiſſe155
Still -[431]Regiſter.
  • Stillſchweigen kan zur Ausſage und zum Zeugniſſe werden310 .311 . macht einem Hiſtorico ein Anſe - hen365
  • Strahlen, woher und wie ſie auffallen37
  • Streit mit Worten und mit Thaten, welcher Unter - ſchied245. 246
  • Strom, der wie ein Pfeil ſchieſſet, welche Redensart128
  • Stuͤckwerck in der Phyſic264. in jeder Erzehlung267
  • Subjectum, was es ſey11. deſſen Art12. inſonderheit Subjectum quo menſchlicher Begebenheiten77
  • Suffragator, was das ſey158

T.

  • Taͤgliche Verrichtungen, was wir ſo heiſſen81. Exem - pel davonibid. werden nicht attendiretibid.
  • Teſſeræ hoſpitalitatis der Alten315
  • Teſtamente werden angefochten396. woher?ibid. wie deme abzuhelffenibid. was Concipient dabey zu thun396 .397.
  • Teſtis oculatus und auritus, was davon zu halten157 ſq.
  • Thaͤtlichkeit, Anfang der Kriege246
  • Tharen, was ſie ſeyn81 .82 . ſind ſchlecht82 .209 . oder groß82. machen aufmerckſamibid. was Hi - ſtorien derſelben ſeyn87. dabey concurrirende Perſonen97. boͤſe (vid. m. Handlungen) entſtehen aus einer Gelegenheit225 ſq. nicht durch Urſa - chen226. ſondern aus falſchen Vorſtellungen228. ſchicken ſich ſchlecht und fuͤgen ſich doch274
  • Theilnehmer, wer die ſeyn74. wiſſen nur das Ge - heime102
  • Theologie, ſ. Gottesgelahrheit.
  • Theoremata, was ſie ſind281
Todt,[432]Regiſter.
  • Todt, letzte und merckwuͤrdigſte Begebenheit des Men - ſchen84. nach demſelben ſuchen die Aegypter den Leib zu erhalten375
  • Tragoͤdien, woher ſie entſtanden278
  • Traurige, ſ. Sehepunct.
  • Trunckene, ihre Handlungen nicht zu verwundern213
  • Turba ſine nomine quid ſit? 54
  • Tyrann verſchiedentlich zu beurtheilen257. ſ. a. Chri - ſtiern, Nero.

U.

  • Uberbleibſel, ſ. Reliqvien.
  • Ubereilen laſſen, was es ſey216. 217
  • Uberſehen eines Coͤrpers, wie geſchiehet37. des Ge - ſchaͤfftes zum muthmaſſen noͤthig396. 397
  • Uberzeugen, was es ſey351
  • Ubrige, was wir ſo nennen54
  • Umſtand, was es iſt3. entweder unnuͤtze, oder noͤ - thig, oder ſchaͤdlich137 .138 . auch wohl erdichtet154. (v. m. Anſchlag) wie und worzu zu betrach - ten390
  • Unerforſchliche Dinge, ob zu ergruͤnden399. 400
  • Ungelehrte, wer die ſind107
  • Ungewißheit, was ſie ſey288. wovon ſie prædiciret wird317. woraus ſie entſtehen kan321. was bey derſelben vorkommt321. von alten Geſchichten re - moviret378. 379
  • Ungluͤcksfaͤlle, ſ. Gluͤck.
  • Unpartheyiſche Erzehlung, was die nicht ſey150 .152 . was ſie ſey152. 153
  • Untergang, was er ſey70. dem Anfange gleich70 .71. Exempel eines Cloſters71
  • Unwahrheit iſt auch offt gewiß289. plura v. Luͤgen.
  • Unwahrſcheinlichkeit, was ſie iſt349 .350 .373 .374 . bey alten Geſchichten381. Hinderniß desGlau -[433]Regiſter. Glaubens und der Gewißheit380 .381 . daher im Geſchichtſchreiben zu vermeiden373 ſq.
  • Urbild der Erzehlung, was es ſey126
  • Urheber bey jeder Erzehlung noͤthig157. (ſ. a. Autor) dieſem folgen die Nachſager158 ſq. welche weniger dencken als jener170
  • Urkunde, was ſie ſey167. ſchrifftliche ſpaͤt aufkom - men168. deren Vorzug168 .178 . beſtehen nicht lange195. GOttes Vorſorge davoribid. was deren Veraͤnderung thut177 .178 . und Mißver - ſtand179 .180 . muͤndliche, Unfleiß darinne177. bleibt ſelten unveraͤndert176. wie man derſelben nachdenckt183 .184 . einerley, was ſie ſey174. lehret auch immer einerley175
  • Urſache, Lehre, Unterſuchung und gewiſſe Anzeige davon iſt ſchwer203 .204 . warum wir ſie nur in etwas einſehen moͤgen225. warum uns die Urſa - chen der Begebenheiten unbekannt ſind249-251. und die Unterſuchung derſelben ſchwer in Regeln zu bringen251 .252 . wie ſolche Schwierigkeit ge - hoben wird .250 . werden aus Betrachtung des vorhergegangenen erfunden252 .253 . hierzu dien - liche Regeln233-256. verſchiedene Urſachen der Handlungen208-211. (ſ. a. Anſchlag, Gelegenheit) vernuͤnfftige, was es ſeyn225 ſq. hat man nicht zu boͤſen Thaten226

V.

  • Vater, warum vornehmlich zu wiſſen noͤthig77
  • Veraͤnderung, was ſie iſt2 .3 . woher ſie entſtehet1. der Coͤrper, woher47. deren Weſen, ſ. Moraliſch.
  • Verborgene bey coͤrperlichen Dingen, was es ſey50. 51
  • Verbrennung der Ketzer, wie zu beſchreiben91
  • Verdeckt, was alſo heiſſet58
E eVer -[434]Regiſter.
  • Verdrehung, wie geſchiehet142. ſonderlich in einer Geſchichte149 .150. 152
  • Verdunckelung, wie die geſchiehet139-142
  • Vergangene Dinge, wie ſie betrachtet werden14 .15 . aus dem gegenwaͤrtigen erkannt315 .316 . ihre Verbindung mit dem Zukuͤnfftigen382. ſ. a. Vor - hergegangene.
  • Vergleichung, ſ. Gleichniſſe.
  • Vergnuͤgen, ſ Handlung.
  • Vergroͤſſerung der Dinge, wie anzunehmen120. was davon unterſchieden138 .139 . iſt denen ei - gen die von Reiſen kommen380
  • Verheiſſung, ſ. Verſprechung.
  • Verkleinerung der Dinge, wie ſie anzunehmen120 ſq. was davon unterſchieden138. 139
  • Vernunfftlehre ſiehet auf allgemeine Wahrheiten26. wie das geſcheheibid. ſetzet ſie nehmlich in Schluͤſſe261. giebt die Regeln zur hiſtoriſchen Er - kaͤntniß25. welche allen Zweiffel heben291 .292. Fehler der Alten150. und Maͤngel203. Leibni - tzens Gedancken davon27
  • Verſprechungen, eine Art der Willensmeynung16
  • Verſtand, deſſen Handlungen77
  • Verſtellung, Urſache mancher Handlungen254. macht eine Sache ſchwer255
  • Verſtuͤmmeln, was das heiſſe142 .150 . geſchicht aus Unwiſſenheit oder Vorſatz142 ſq. durch Weg - laſſung noͤthiger Umſtaͤnde146
  • Verwickelt ſeyn, was es heiſſe239. 240
  • Verwundung, Rechenſchafft davon60
  • Vitium ſubreptionis, was es ſey50. wo ſich ſolches einſchleicht292. wo es nicht zu befahren293
  • Vorhergegangene laͤſſet die Urſache des gegenwaͤrti - gen erfinden252. ſq. ſ. auch Weiſſagungen.
  • Vorherſehung zukuͤnfftiger Dinge Mangel dabey390. Huͤlffsmittel dagegen391
Vor -[435]Regiſter.
  • Vorſchlag vom Anſchlag unterſchieden219. hat doch ſeine Folgenibid.
  • Vorſtellung, wenn wir Meiſter davon ſeyn123. ſiehe auch Seele.

W.

  • Wachsthum, ſ. moraliſches Weſen.
  • Wahrheit, was ſie iſt289. Verhaltung gegen die Gewißheit289. 290
  • Wahrheiten, mit wie vielerley wir umgehen281. phyſicaliſche und hiſtoriſche, welcher Unterſchied un - ter denſelben261 .262 . allgemeine262. mit welchen wir ſelten umgehen281 .283 . notoriſche, ſ. notoriſch.
  • Wahrnehmen, was es heiſſe197
  • Wahrſcheinlichkeit, hiſtoriſche, was ſie ſey331 .332. Exempel davon333 .339-344. Uneinigkeit darin - ne335. und Schwierigkeiten338. ſqq. gewoͤhn - liche Definition wird examinirt347. Lehren davon beſſer excoliret27. iſt anders als die Gewißheit335. ſqq. welche ſie aufhebet285. iſt das oppo - ſitum des paradoxi344. gehet nur gewiſſe Leute an348. ſq. was dabey zu thun333 .334 . in Er - zehlungen349. ſq. im Diſputiren343
  • Weg, wenn Sachen ihren Weg gehen70
  • Weiſſagungen, was ſie ſeyn17 .22 . woher ſie ent - ſtehen17 .18 . wie unterſchieden18. wie damit umzugehenibid. aus dem Vorhergegangenen zu er - kennen382
  • Welt, ſ. Erkaͤntnis.
  • Weltcoͤrper, was ſie ſind28
  • Weltgeſchichte, was ſie ſeyn89. eintzele88 .89 . ihre Verbindung91
  • Weſen, ſ. Moraliſch.
  • Widerſpruch, woher er entſtehet326. wie deſſen Urſprung zu erkennen54. giebt einer GeſchichteE e 2Anſtoß[436]Regiſter. Anſtoß191 .192 . wie es zu heben321-328. ob er Grade der Wahrſcheinlichkeit haben kan345. ſqq. deſſen Mangel macht einem Hiſtorico ein Anſehen364. derer Geſchichtſchreiber367-369
  • Widerſtand, woraus er erfolget234
  • Wille, was er erwehlet297. was daraus entſtehet59. der fortdauert60. verborgener, was er ſey61. taugt zu nichtsibid. deſſen Handlungen und Begebenheiten77. ſ. auch Wollen, Freyheit. der andern, dient zur Einſicht ins kuͤnfftige386. und unſer eigner386. 387
  • Wille, letzter, ſ. Teſtament.
  • Willensmeynung, was ſie ſey15. deren Arten16. worauf ſie ſich gruͤndet16. wird nicht geachtet59
  • Wiſſen um eine Sache, was es heiſſet160. 161
  • Woͤchnerinnen, wie viel ihrer ſterben56. 57
  • Wollen, betrifft das zukuͤnfftige15. Erkaͤntnis, woraus daſſelbe entſtehet15. 16

Z.

  • Zeichen, ein allgemeines Wort389. v. m. Prognoſti - con
  • Zeichendeuterey, ſ. Auguria.
  • Zeuge iſt von dem Urheber unterſchieden157. und vom Ausſager306. was er iſt ſeq. wenn er noͤ - thig157 .158 .306 .308 . und unnoͤthig158. hat mit dem Autor ein Anſehen307 .308 . und noch ein beſonderes308 .309 . ein Hauffen, wozu er dienet310. die contraria ausſagen, ſind doch eins322
  • Zeughauß, unterſchiedene Betrachtung deſſelben102
  • Zeugnis kan das Stillſchweigen abgeben310. 311
  • Zufaͤlle, was ſie ſind3. ihre Concurrentz bey der Aus - fuͤhrung247 .248 . verwandeln die Geſchichte in gantz andere249
Zuhoͤrer,[437]Regiſter.
  • Zuhoͤrer, wie er von dem Erzehler unterſchieden171. ſ. auch Hoͤrer.
  • Zukuͤnfftige Dinge, Betrachtung derſelben14 .15 . ins vergangene verwandelt302. Einſicht dahin - ein382-387. (ſ. auch Gewißheit, Vorherſehung. ) falſche Wege, ſolche zu erkennen397
  • Zuſammenhang coͤrperlicher Begebenheiten202-205. hiſtoriſcher mit allgemeinen Wahrheiten261
  • Zuſammenfuͤgung derer Begebenheiten273. 274
  • Zuſchauer eines moraliſchen Weſens96 .97 . der Haͤndel, Geſchaͤffte und Thaten97 .98 . was er iſt93. (ſ. auch Hiſtorie, it. fremde. ) bey jeder Bege - benheit eine Hauptſache91 .92 . non dat eſſe rei92. ſonderlich bey Coͤrpernibid. kan auch ein non ens ſeyn158. Unterſchied96. ſieht auf unterſchiedene Art97. erlangt keine vollſtaͤndige Geſchichte113. ſq. was in ſeiner Erzehlung vor ein Unterſchied iſt169. bey welchen Dingen die meiſten ſeyn311 .312 . werden von Hiſtoricis nicht nahmentlich angefuͤhret365. 366
  • Zuſtand des Menſchen mannigfaltig79. pl. v. Menſch.
  • Zweiffel, Urſprung deſſelben319. Hauptgruͤnde328-330. was er ſey318. das Mittel zwiſchen wiſſen und nicht wiſſen331. was er bey einer Ge - ſchichte thut192 .283.284. Exempel hiſtoriſcher Zweiffel318 .319 . wegen Avthentic einer Schrifft357. unſer Amt dabey320 .321 . wird durch logi - caliſche Regeln gehoben291 .292 . und andere We - ge330. 331
  • Zweig eines Geſchlechtes, was es ſey85
  • Zweydeutig, was das heiſſet140
Errata. [438]

Errata.

  • Pag.17. lin .10 . deleatur ſo.
  • 19. § .32 . lin .5 . vor juridicale l. judiciale.
  • 29. lin .8 . leg. derſelben.
  • 108. lin .6 . ſtatt vor lege Vor.
  • 177. § .21 . lin .13 . nach non, inſeratur aliud.
  • 185. lin .16 . vor eſt ließ et.
  • 186. lin .3 . it. lin. 27. vor Joh. ließ Joſuaͤ.
  • 214. lin .3 . nach die, inſeratur man.
  • 277. § .53 . lin. penult. ließ manchmahl.
  • 285. lin .5 . deleatur entſtanden iſt.
  • 371. § .21 . lin .7 . ließ Orte alſo angeben.
  • 372. lin .22 . ließ erforſchen.
  • 390. lin. antepenult. muß heiſſen nach dem an - dern in Erwegung ziehet.
  • 393. lin .10 . lege dieſer erfahrne Artzt.
    • 25. ließ worden.
  • 396. lin .3 . ließ paciſci ret.
    • 15.16 . deleatur niemand aber vor - handen wollen.
  • 397. lin .16 . ließ Erblaſſer.
  • lin .14 . ließ Abtretung.
  • lin .21 . vor allen ließ allein.
  • lin .23 . ließ der Sache im Wege.
  • 399. lin .12 . ließ ausgangs
  • 400. lin. ult. vor werden ließ worden.
[439][440][441][442][443][444]

About this transcription

TextAllgemeine Geschichtswissenschaft
Author Johann Martin Chladni
Extent480 images; 92410 tokens; 9946 types; 665570 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAllgemeine Geschichtswissenschaft worinnen der Grund zu einer neuen Einsicht in allen Arten der Gelahrheit geleget wird Johann Martin Chladni. . [16] Bl., 400 S., [19] Bl. LanckLeipzig1752.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Ga 67Dig: http://diglib.hab.de/drucke/ga-67/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Historiographie; Wissenschaft; Historiographie; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Ga 67
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