Gr. Excellentz Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, HERRN Johann Adolph von Looß, Gr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachſen, Hochbetrauten wircklich geheimten Rathe und Oberſten Stallmeiſtern ꝛc. Meinem gnaͤdigen Herrn.
Wie auch Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, HERRN Chriſtian von Looß Gr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachſen Hochanſehnlichen Cammerherrn, Hofrathe und geheimtem Referendario &c. Meinem gnaͤdigen Herrn.
MJtten unter den wichtigſten Geſchaͤften, womit Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden in den Dienſten unſers aller gnaͤdigſten Landes-Vaters, das Beſte dieſer Lande befoͤr - dern helfen; erkuͤhne ich mich, Denenſelben ein Buch, ſo von der Poeſie handelt, vor die Augen zu bringen, ja gar Dero Hohe Nahmen auf die erſten Blaͤtter deſſelben zu ſetzen.
Es iſt den groͤſſeſten Leuten niemahls gleich - guͤltig geweſen, ob ihre Leibes-Geſtalt wohl oder uͤbel abgeſchildert worden; und wir fin - den Prinzen in den Geſchichten, die ſich nur von* 3denden beſten Kuͤnſtlern ihrer Zeiten haben ge - mahlt wiſſen wollen. Was die Mahler-Kunſt im Abſehen auf den Coͤrper bewerckſtelliget, das verrichtet die Dichtkunſt, als eine weit vollkommnere Mahlerey, auch im Abſehen auf die Eigenſchafften des Geiſtes und Gemuͤthes: Daher es denn ein Wunder iſt, daß groſſe Her - ren es nicht laͤngſt allen ungeſchickten, ja mittel - maͤßigen Poeten unterſaget haben; ſich mit ihren groben Zuͤgen, an die Abbildungen ihrer Tugenden und Thaten zu wagen, die von rechtswegen nur von lauter ungemeinen Fe - dern entworfen werden ſollten.
Dieſes Buch, ſo Ew. Excell. und Hochwohl - geb. Gnaden zuzueignen ich die Ehre habe, ent - haͤlt unter andern auch diejenigen Regeln, dar - nach ſich alle Verfaſſer der Lobgedichte, und folg - lich auch diejenigen werden zu achten haben, die ſich kuͤnftig an Dero hohes Lob machen duͤrften. Je trefflicher die Eigenſchafften ſind, dadurch Dieſelben ſich die Gnade eines groſſen Monar - chen, und die Hochachtung eines ſo zahlreichen Hofes erworben haben; und je groͤſſer alſo das Feld iſt, ſo ſich hier einem Poeten oͤffnen wird: deſto verwerfflicher wuͤrde ſeine Arbeit ſeyn, wenn er ſich in einer ſo wuͤrdigen Materie ver - gienge, und ein ſo praͤchtiges Lob aus Unwiſ -ſenheitſenheit oder Mangel der Faͤhigkeit gleichſam entweyhete.
Jn Wahrheit, der durchdringende Verſtand Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden; De - ro Erfahrung in den oͤffentlichen Staats-An - gelegenheiten; die mit den vollkommenſten Hofmanieren ſo genau verſchwiſterſte Auf - richtigkeit des Hertzens; die aus der maͤnnlich ſchoͤnen Bildung, Dero vollkommenſten Lei - bes-Geſtalt hervorleuchtende leutſeelige Groß - muth, dadurch ſich dieſelbe Hohe und Niedrige verbinden, ja gantz zu eigen machen; und was ich zu allererſt haͤtte erwehnen ſollen, der un - verbruͤchliche Eifer in den Dienſten unſers al - lergnaͤdigſten Koͤniges, der niemahls beſſer, als durch das vollkommene Vertrauen Seiner Majeſtaͤt, gegen Dieſelben vergolten werden koͤnnen: Dieſes alles, ſage ich, verdiente ja wohl von einem ſolchen Dichter beſchrieben und geprieſen zu werden, deſſen Gabe zu ſchildern ſo vollkommen waͤre, als die Vorzuͤge, dadurch ſich Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden eine all - gemeine Bewunderung zuwege gebracht haben.
Da nun die Abſicht dieſes Buches auch dieſe hauptſaͤchlich iſt, den Groſſen dieſer Welt ge - ſchickte Herolde ihrer Thaten zu verſchaffen; ſo wird es verhoffentlich ſo unbillig nicht ſeyn,* 4wennwenn ſich auch dieſe Grundregeln der Dicht - Kunſt, der Pruͤfung ſolcher erlauchten Ken - ner unterwerfen, denen es ſelbſt nicht einerley ſeyn kan, ob Jhre Abbildungen durch dieſe oder jene Hand der Nachwelt uͤberbracht werden. Finde ich mich alſo gleich zu ſchwach, die Nahmen Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden durch meine Gedichte unvergeßlich zu machen: ſo werden Dieſelben mich doch vielleicht darum Jhrer Gnade nicht gantz unwuͤrdig ſchaͤtzen, weil ich zum wenigſten mittelbar etwas zur Verewigung derſelben beyzutragen geſucht.
Erlange ich nun das ſonderbare Gluͤck, die Protection ſo groſſer Staats-Leute zu ge - nieſſen; ſo werde mit der eifrigſten Devotion lebenslang verharren,
Hochwohlgebohrne Herren, Gnaͤdige Herren, Ew. Excell. u. Hochwohlgeb. Gnaden Leipzig 1729 den 6 Octobr. unterthaͤnigſt-gehorſamſter Diener M. Joh. Chriſtoph Gottſched.
DJeſes Buch wuͤrde keiner Vorrede bedoͤrfen, wenn ich es nicht vor noͤthig hielte, den Titel deſſelben, wieder die Einwuͤrfe derjenigen zu vertheidigen, denen derſelbe gleich bey dem er - ſten Anblicke anſtoͤßig ſcheinen doͤrfte. Jch beſorge, daß ſolches auf zweyerley Art geſchehen werde; darum will ich mich uͤber beydes ausfuͤhrlich erklaͤren.
Zuerſt wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine Dicht-Kunſt eine Critiſche Dicht-Kunſt nenne: theils weil ſie an allem was critiſch iſt, einen Mißfallen haben; theils, weil ſie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich mit ſattſamer Faͤhigkeit dergleichen Werck auszufuͤhren unterſtanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns giebt, ſo haben ſie entweder keinen rechten Begriff von der - ſelben; oder ſie verſtehen gar wohl was critiſiren heißt, haſſen es aber deswegen, weil ſie ein boͤſes Gewiſſen ha - ben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr ſetzen wol - len, als ſchlecht erfunden zu werden. Denen erſten kan man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die wahre Critick keine ſchulfuͤchſiſche Buchſtaͤblerey, kein unendlicher Kram von zuſammengeſchriebenen Druck - und Schreibefehlern, die in den alten Scribenten began -* 5genVorrede. gen worden; kein uͤbelverdauetes Buͤcherleſen; kein wuͤ - ſter Haufe unendlicher Allegationen und fremder Mey - nungen von einer verderbten Stelle in Hebraͤiſchen, Grie - chiſchen und Roͤmiſchen Buͤchern ſey. Leute, ſo dieſes al - les thun, und ihr Handwerck in der That verſtehen, thun uns gute Dienſte, indem ſie ſich bemuͤhen uns die alten Scribenten ſo richtig, als es moͤglich iſt, zu liefern. Sie koͤnnen auch gewiſſermaßen Critici heiſſen: aber Critici von der unterſten Claſſe, weil ſie nur mit Buchſtaben und Sylben umgehen. Die Critick iſt eine weit edlere Kunſt. Jhr Nahme ſelber zeiget zur Gnuͤge, daß ſie ei - ne Beurtheilungs-Kunſt ſeyn muͤſſe, welche nothwendig eine Pruͤfung oder Unterſuchung eines Dinges nach ſei - nen gehoͤrigen Grundregeln, zum voraus ſetzet. Da die - ſer Begriff aber noch gar zu allgemein iſt, ſo darf man nur mercken, daß die Critick ſich nur auf die freyen Kuͤn - ſte, das iſt auf die Grammatic, Poeſie, Redekunſt, Hiſto - rie, Muſic und Mahlerey erſtrecke. Die Geometrie, ſo bey den Alten auch zu den freyen Kuͤnſten gerechnet wur - de, iſt in neuern Zeiten ſo wohl als die Baukunſt mit gu - tem Grunde unter die Wiſſenſchafften gezehlet worden: weil man es darinn laͤngſt zu einer demonſtrativen Ge - wißheit gebracht hat; die man in jenen noch lange nicht erreichen koͤnnen. Ein Criticus iſt alſo dieſer Erklaͤrung nach, ein Gelehrter, der die Regeln der freyen Kuͤnſte phi - loſophiſch eingeſehen hat, und alſo im Stande iſt, die Schoͤnheiten und Fehler aller vorkommenden Meiſterſtuͤ - cke oder Kunſtwercke, vernuͤnftig darnach zu pruͤfen und richtig zu beurtheilen.
Dieſen meinen Begriff zu rechtfertigen, will ich mich nur auf den, ſeiner groſſen Einſicht und Gelehrſamkeit halber, beruͤhmten Engliſchen Grafen von Schaftesburyberuf -Vorrede. beruffen, der im I. Th. ſeiner Characteriſticks und zwar in dem Tractate Advice to an Author, ausdruͤcklich eben dieſe Beſchreibung gemacht. Die gantze andre Ab - theilung dieſes Werckchens handelt weitlaͤuftig davon, und waͤre wohl werth, daß ſie von allen, die Buͤcher ſchrei - ben wollen, vorher geleſen und wohl erwogen wuͤrde. Jch kan aber keine beſondre Stelle daraus herſetzen, weil ſie gar zu weitlaͤuftig fallen, und mir alſo den Platz zu an - dern Dingen, die dieſe Vorrede in ſich halten ſoll, beneh - men wuͤrde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uberſe - tzung dieſes einzelnen Tractats, oder wenigſtens eines Stuͤckes davon; denen dadurch zu dienen, ſo dieſes tref - liche Werck in ſeiner Mutterſprache nicht leſen, oder doch ſeiner nicht habhafft werden koͤnnen.
Was hat man nun Urſache, vor einer ſolchen ver - nuͤnftigen Critick einen Abſcheu zu bezeugen, wenn man nur vor ſich ſicher iſt, und nicht fuͤrchten darf, ſelbſt in ihre Unterſuchung zu gerathen? Aber das iſt es eben, was viele, die ſich ins Buͤcherſchreiben miſchen, mit der groͤſten Unruhe beſorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die Critici ſind die Geſpenſter, die Rieſen, die Zauberer, wie Schafftsbury redet, vor welchen ſie zittern und beben. Und das iſt kein Wunder. Ergreifen nicht die meiſten die Feder, ehe ſie noch wiſſen wie man recht ſchreiben muͤſ - ſe? Giebt man nicht allerley Buͤcher heraus, ehe man ge - wuſt hat, wie ſie gemacht werden muͤſſen, und nach was vor Regeln ſie ſich richten ſollten? Daher entſteht nun die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden ſattſam zeigen. Man weiß, daß dieſelben unerbittliche Richter ſind. Sie laſſen ſich nicht durch den aͤußerlichen Schein eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale kleben; Sie dringen bis aufs innerſte Marck derſelben;SieVorrede. Sie durchforſchen die verborgenſten Schlupfwinckel ei - ner Schrifft, ſie ſey von welcher Art ſie wolle. Und da bleibt vor ihren ſcharfſichtigen Augen nichts verſtecket. Werden ſie offt Schoͤnheiten gewahr, die andre nicht ſe - hen: So entdecken ſie auch offt Fehler wieder die Re - geln der freyen Kuͤnſte, die nicht ein jeder ſo gleich wahr - nimmt, der ſolch ein Werck ohne eine tiefere philoſophiſche Einſicht in die Natur deſſelben, nur obenhin angeſehen. Da nun in dem letzten Falle die Leſer den Criticis viel Danck ſchuldig ſind, welche ſie vor ſolchen glaͤntzenden Narben, und ſcheinbaren Unvollkommenheiten der Schrifften gewarnet: So haben im erſten Falle die Scri - benten ſelbſt Urſache, ſie hochzuſchaͤtzen und zu verehren; weil die unſichtbaren Schoͤnheiten ihrer Wercke, durch ihren Dienſt mehr und mehr ans Licht gebracht werden. Wenn alſo dieſe Letztere ein gut Gewiſſen haben, daß nehmlich ihre Sachen nach den wahren Kunſtregeln aus - gearbeitet worden; ſo werden ſie keine Feindſchafft gegen die Criticos blicken laſſen: Wiedrigen falls aber muͤſſen ſie es nicht uͤbel nehmen, wenn dieſe gerechte Kunſtrichter mehr auf die gantze gelehrte Welt, als auf einzelne, und zwar ſchlechte Schrifftſteller ſehen; und zum wenigſten angehende Scribenten vor den Abwegen warnen, darauf ſich ihre Vorgaͤnger entweder aus Unachtſamkeit, oder aus andern Urſachen verirret haben.
Nunmehro waͤre wohl nichts beſſer vor mich; als wenn ich mich ruͤhmen koͤnnte, ein ſolcher Criticus zu ſeyn, oder wenn ich allbereit bey unſern Deutſchen in dem An - ſehen ſtuͤnde. Allein da dieſes nicht iſt: ſo hat man frey - lich Urſache zu fragen: Ob ich denn eben derjenige ſey, der ſich zum Verfaſſer einer Critiſchen Dicht-Kunſt haͤtte aufwerfen muͤſſen? Dieſer Frage, ſo gut als ich kan, zube -Vorrede. begegnen, will ich nach dem vernuͤnftigen Anſchlage eines geſchickten und ſcharfſinnigen Critici(*)Siehe des beruͤhmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu ſeiner Hiſtorie der Gelahrheit, in der neuern Auflage. unſerer Zeit, kuͤrtzlich diejenigen Umſtaͤnde erzehlen, ſo mich nach und nach zu dieſem Entſchluſſe, der meinem eigenen Geſtaͤnd - niſſe nach faſt gar zu kuͤhn und verwegen iſt, gebracht ha - ben; und alſo eine kurtze Hiſtorie meiner Dicht-Kunſt machen, die zu deſto beſſerm Verſtande derſelben viel bey - tragen wird.
Wie ich von Jugend auf allezeit ein groſſes Vergnuͤ - gen an Verſen gehabt, und ſelbſt durch das Exempel mei - nes eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: alſo fand ſich 1714, gleich im Anfange meiner Academiſchen Jahre, eine Gelegenheit, ein ſogenanntes Collegium Poeticum zu hoͤren. Mein Lehrer war der nunmehro ſeel. Prof. Rohde zu Koͤnigsberg, ein ſehr geſchickter Mann, der ſelbſt einen artigen Vers ſchrieb; und das Buch, ſo er zum Grunde legte, war Menantes allerneuſte Art zur galanten Poeſie zu gelangen. Als nachmahls der itzige Koͤn. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr. D. Pietſch die Poetiſche Profeßion daſelbſt erhielte, und ſonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus gab, bekam ich noch einen groͤſſern Trieb zur Poeſie: weil ſein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck machte. Jch hatte nach der Zeit die Ehre mit demſelben bekannt zu werden, und ſeine Cenſuren uͤber meine Klei - nigkeiten, ſo offt als ich es wuͤnſchete, zu hoͤren. Dieſer wackere Mann verſtattete mir allezeit einen freyen Zu - tritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und Horatzen mit Verſtande zu leſen angefangen: weil er mir des erſtern Satire von der Poeſie offt auswendigher -Vorrede. herſagte, und aus dem andern zuweilen ſeine Uberſetzun - gen vorlaß. Unter ſo vielen Unterredungen, ſo ich ſeit 1717 bis 1724 mit demſelben gehabt, dachte derſelbe denn auch einmahl, daß er nicht ungeneigt waͤre, eine An - weiſung zur Poeſie zu ſchreiben: Nicht zwar auf den Schlag, als die gewoͤhnlichen Anleitungen waͤren, dar - an wir ja keinen Mangel haͤtten; ſondern ſo, daß darinn der innere Character und das wahre Weſen eines jeden Gedichtes gewieſen wuͤrde. Damahls geſchah es alſo, daß ich mir den erſten Begriff von einer Critiſchen Dicht-Kunſt machte: deren Nutzbarkeit ich gar wohl ein - ſahe; aber mirs noch nicht traͤumen ließ, daß ich mich der - einſt an dergleichen Arbeit wagen ſollte.
Jm Jahr 1724 kam ich nach Leipzig und ward in der unter Hn. Hofraths Menckens Aufſicht ſtehenden Poetiſchen, itzo Deutſchen Geſellſchafft, gewahr; daß man bey Verleſung eines Gedichtes unzehliche Anmerckungen machte, und ſolche Sachen, Gedancken und Ausdruͤckun - gen in Zweifel zog, die ich allezeit vor gut gehalten hatte. Jch fand ſelber wohl, daß die meiſten ſo ungegruͤndet nicht waren: und ob ich wohl in einigen Stuͤcken auf mei - ner Meynung blieb, und die Einwuͤrfe ſo man mir mach - te, vor ungegruͤndet hielte; ſo war ich doch nicht im Stan - de dieſelben zu heben, und meine Gewohnheit auf eine uͤberzeugende Art zu vertheidigen. Eben damahls ka - men mir die Diſcurſe der Mahler in die Haͤnde, die mich durch ſo viele Beurtheilungen unſrer Poeten, noch begie - riger machten, alles aus dem Grunde zu unterſuchen, und wo moͤglich, zu einer voͤlligen Gewißheit zu kommen, was richtig oder unrichtig gedacht; ſchoͤn, oder heßlich geſchrie - ben; recht, oder unrecht, ausgefuͤhret worden.
Dazu fand ſich nun die ſchoͤnſte Gelegenheit, da ichdasVorrede. das Gluͤck hatte, drey Jahre in des obgedachten Hn. Hof - raths Hauſe zu wohnen, und zugleich Erlaubniß bekam, mir deſſen treffliche Bibliotheck zu Nutze zu machen. Hier lernte ich alle alte Scribenten, alle auslaͤndiſche Poe - ten, alle Criticos, und ihre Gegner kennen. Jch muͤſte ein groſſes Regiſter machen, wenn ich alle die groͤſſern und kleinern Wercke anzeigen wollte, die ich in der Zeit durchgeleſen, bloß in der Abſicht mir ſelbſt einen regelmaͤſ - ſigen Begriff von der Poeſie zu machen; und endlich ei - ne Gewißheit in meinen Urtheilen zu erlangen. Was mir nun Ariſtoteles, Longin, Horatz, Scaliger, Boileau, Dacier, Boſſu, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evre - mont, Fontenelle, Callieres, Furetiere, Schafftsbury, Steele, imgleichen Corneille und Racine in den Vorre - den zu ihren Tragoͤdien, und a. m. die mir itzo nicht ein - fallen, vor ein Licht gegeben; das werden diejenigen ſich leicht vorſtellen, ſo nur etliche davon geleſen haben. Hier - zu ſind nachmahls noch des Caſtelvetro, Muralts und Voltaire Beurtheilungen alter und neuer Poeten, im - gleichen des Hn. Bodmers hieher gehoͤrige Schrifften, ge - kommen, welche mich immer mehr in den alten Jdeen be - feſtiget, und meinem Gemuͤthe eine neue Befriedigung ge - geben haben.
Ob mir nun wohl ſchon im Jahr 1727 von einem groſſen Kenner der Poeſie, unſerm grundgelehrten Herrn D. Maſcou zugemuthet wurde, eine Poetiſche Anweiſung nach meinen Begriffen heraus zu geben; ſo trauete ich mir doch ſolches nicht zu, nach Wuͤrdigkeit ins Werck zu richten. Jndeſſen fand ſich das nechſte Jahr eine An - zahl guter Freunde, die mich erſuchten, ihnen ein Poeti - ſches Collegium zu leſen. Hier ergriff ich nun die Gele - genheit, mir den erſten Entwurf zu einer Critiſchen Dicht -KunſtVorrede. Kunſt zu machen, und die bisherigen unordentlichen Ge - dancken und Anmerckungen von der Poeſie, in einen ſy - ſtemaſtiſchen Zuſammenhang zu bringen. Es iſt nun - mehro ein Jahr, daß ich denſelben zum Ende brachte, und ſeit der Zeit entſchloß ich mich dieſen meinen Entwurf et - was beſſer auszufuͤhren, und ein ziemlich vollſtaͤndiges Werckchen daraus zu machen. Da ſich nun bald ein guter Verleger dazu fand, ſo legte ich wircklich Hand an, und liefere itzo meinem Vaterlande dieſen Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt: den ich gewiß nicht aus meinem Gehirne angeſponnen; ſondern aus allen oberwehnten beruͤhmten Scribenten, und uͤberdas, aus den vortheil - hafften muͤndlichen Unterredungen Hn. Coſten, unſres Franzoͤſiſchen Reformirten Predigers, eines tiefſinnigen Critici; des Hn. Geh. Secretar Koͤnigs, und Hrn. Prof. Krauſens in Wittenberg, geſammlet und in einige Ord - nung gebracht. Dieſe Arbeit, und die Fehler, ſo ich etwa in derſelben begangen haben moͤchte, kan ich mir allein zu - ſchreiben; alles uͤbrige gebe ich nicht vor mein eigen aus. Es wird mir alſo zu keinem Vorwurfe dienen koͤnnen, wenn man irgend ſagen wuͤrde: Jch haͤtte dieſes oder je - nes nicht von mir ſelbſt; es waͤre nichts neues, ſondern hier oder daher genommen ꝛc. Jch hatte mir nur vorgeſetzt das - jenige, was in ſo unzehlich vielen Buͤchern zerſtreut iſt, in einem einzigen Wercke zuſammen zu faſſen, und es de - nen in die Haͤnde zu geben, die entweder ſelbſt Poeten wer - den, oder doch von Poeſien vernuͤnftig wollen urtheilen lernen. Und aus dieſer Nachricht wird ein jeder leicht abnehmen; ob ich mir ſelbſt zu viel zugetrauet, da ich es unternommen eine Critiſche Dicht-Kunſt ans Licht zu ſtellen?
Der andre Einwurf, den ich bey meinem Titelblattevor -Vorrede. vorher ſehe; wird die Worte betreffen, darinn ich ſage, daß das Weſen der Poeſie uͤberhaupt, und ihrer fuͤrnehmſten Gattungen, in der vernuͤnftigen Nachahmung der Natur beſtehe. Jch weiß, wie ſchwer dieſes allen denjenigen ein - gehet, welche die Versmacher-Kunſt und Poeſie vor ei - nerley anſehen; die von keinem Proſaiſchen Gedichte, und von keiner gereimten Proſa was hoͤren wollen: ungeach - tet beydes ſo gemein iſt, als was ſeyn kan. Was mich aber bisher gegen alle Wiederſpruͤche von dieſer Seite in Si - cherheit geſetzet hat, iſt dieſes, daß alle meine Gegner von der Gattung niemahls eine einzige Critiſche Schrifft der alten oder neuern geleſen. Jch bitte alſo meine Leſer ſich nicht zu uͤbereilen, ſondern erſt das Buch ſelbſt, oder zum wenigſten die erſten ſechs Capitel zu leſen, und alles wohl zu uͤberlegen. Jch wuͤrde mich bey Verſtaͤndigen aus - lachenswuͤrdig gemacht haben, wenn ich die Poeſie in der Kunſt zu ſcandiren oder zu reimen geſucht haͤtte. Fran - zoſen und Jtaliener thun das erſte nicht, und haben doch Poeſien die Menge. Die Engellaͤnder ſchreiben ſo wohl als die alten Griechen und Roͤmer, gantze Helden-Gedich - te ohne Reime: wer will ihnen aber die Poeſie abſpre - chen? Alle Romane ſind weder um das Sylbenmaßes noch des Reimes wegen, ſondern bloß um der Fabel hal - ber zur Poeſie zu rechnen. Ariſtoteles hat auch ausdruͤck - lich geſagt: Die Epopee koͤnne in beyderley Schreibart abgefaſſet werden und doch ein Gedichte bleiben; herge - gen Empedocles ſey ein Naturlehrer, aber kein Poet zu nennen, ob er gleich ein groß Buch in Alexandriniſchen Verſen geſchrieben. Eben dieſer groſſe Criticus hat aus - fuͤhrlich dargethan, daß ein Poet ſo wohl als ein Mahler und Bildſchnitzer ein Nachahmer der Natur ſey; und eine Sache entweder ſo wie ſie iſt, oder geweſen; oder wie ſie zu** 2ſeynVorrede. ſeyn ſcheint, und wie man ſagt, daß ſie ſey: oder endlich wie ſie von rechtswegen ſeyn ſollte, abbilde und vorſtelle. S. das XXVIſte Cap. ſeiner Poetick. Wer nun die Sache beſſer zu verſtehen denckt, der ſey ſo gut und wiederlege die - ſen tiefſinnigen Kenner freyer Kuͤnſte, der gewiß ſo viel Einſicht in die wahre Dicht - und Rede-Kunſt gehabt, als ob er ſich ſein lebenlang auf nichts anders gelegt haͤtte. So lange man aber dieß nicht gethan, ſo erlaube man es mir eben den Weg zu gehen, darauf die geſunde Vernunft alle gute Poeten und Criticos, die vor mir gelebt, zu allen Zeiten und in allen Laͤndern geleitet hat. Man mercke aber endlich auch, daß es ein anders ſey, etwas in metriſcher und etwas in poetiſcher Schreibart abfaſſen. Vieles iſt metriſch genug geſchrieben; das iſt, es ſcandirt und reimet gut genug: Aber es iſt kein Fuͤnckchen von Poetiſchem Geiſte darinn; und verdient alſo eine gereimte Proſe zu heißen. Vieles hergegen iſt ſehr poetiſch geſchrieben, ob es gleich weder Sylbenmaaß noch Reime hat. Von bey - dem aber iſt noch ein poetiſcher Jnhalt, wie eine Perſon von dem Kleide, ſo ſie traͤgt, unterſchieden. Ein Gedichte kan metriſch und proſaiſch, ſchlecht weg, auch poetiſch be - ſchrieben werden: bleibt aber allemahl ein Gedichte: wie dieſes alles in dem Wercke ſelbſt ausfuͤhrlicher vorkom - men wird.
Wegen des Dritten Capitels, vom guten Geſchma - cke eines Poeten, habe ich noch zu erinnern, daß ich nach der Zeit, als es ſchon gedruckt war, gefunden, daß auch der Hr. von Leibnitz meiner Meynung geweſen. Jch finde nehm - lich in den Anmerckungen uͤber des Grafen von Schaffts - bury oberwehntes Buch, im Recueil de diverſes pieces, p. 285 folgende Worte: Le Diſcours ſur le Gout, Miſc. 3 c. 2 me paroit conſiderable. Le Gout diſtingué del’En -Vorrede. l’Entendement, conſiſte dans les perceptions confuſes, dont on ne ſauroit aſſez rendre raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant de l’Inſtinct. Le Gout eſt formé par le Naturel & par l’Uſage. Et pour l’avoir bon; il faut s’exercer à gouter les bonnes choſes, que la Rai - ſon & l’Experience ont deja autoriſées: En quoi les jeunes gens ont beſoin de guides. Wer dieſe merck - wuͤrdige Worte, des groͤſten Philoſophen unſres Vater - landes und unſrer Zeiten, mit meinem Capitel vom guten Geſchmacke zuſammen haͤlt; der wird finden, daß ſelbiges gleichſam nur eine Erklaͤrung und weitlaͤuftige Ausfuͤh - rung davon zu nennen: weil er mit kurtzem eben das ſagt, was ich vollſtaͤndiger erwieſen und gehoͤriger Weiſe mit Exempeln erlaͤutert habe. Es iſt aber werth daß wir die Stelle des gelehrten Engellaͤnders auch anſehen, ob er vielleicht einer andern Meynung, den Geſchmack betref - fend, zugethan iſt, als der Hr. von Leibnitz. Our joint Endeavour, heiſt es p. 164, therefore, muſt appear this: To ſhew, that nothing, which is found charming or delightful in the polite World, nothing, which is adopted as Pleaſure, or Entertainment, of whatever Kind, can any way be accounted for, ſupported, or eſtablish’d without the Pre-eſtablishment or Suppoſi - tion of a certain Taſte. Now a Taſte or Jugdment, t’is ſupposd, can hardly come ready form’d with us in - to the World. Whatever Principles or Materials of this Kind we may poſſibly bring with us; whatever good Facultys, Senſes, or anticipating Senſations and Imaginations, may be of Nature’s Growth, and ariſe properly, of themſelves, without our Art, Promotion, or Aſſiſtence, the general Idea which is form’d of all this Management, and the clear Notion we attain of** 3whatVorrede. what is preferable ad principal in all theſe Subjects of Choice and Eſtimation, will not, as I imagine, by any Perſon be taken for innate. Uſe, Practice and Cul - ture muſt precede the Underſtanding and Wit of ſuch an advanced Size and Growth as this. A legitimate and juſt Taſte can neither be begotten made, conceiv’d, or produc’d, without the antecedent Labour and Pains of Criticism.
Dieſe Stellen, wie mich duͤnckt, geben deutlich genug zu verſtehen, daß der Geſchmack nach dieſer beyden groſſen Maͤnner Meynung, uns nicht angebohren, ſondern erlan - get werde; daß junge Leute einer Anfuͤhrung darinn be - noͤthiget ſind; daß er ein Urtheil von dem was ſchoͤn, an - genehm, oder heßlich und verdruͤßlich iſt, ſey, inſoweit man von dieſen Beſchaffenheiten eines Dinges nur nach un - deutlichen Empfindungen urtheilt; und daß endlich der gute Geſchmack ſich auf critiſche Regeln gruͤnde und dar - nach gepruͤfet werden muͤſſe: daher es denn unwieder - ſprechlich folget, daß zwey wiederwaͤrtige Urtheile des Ge - ſchmackes, von der Schoͤnheit gewiſſer Dinge, unmoͤglich zugleich wahr und richtig ſeyn koͤnnen. Wie ich nun dieſe wenige Zeugniſſe hoͤher als hundert andre halte; ſo will ich auch weder den Spectateur, noch den Herrn Rollin anfuͤhren, ob ſie gleich auch meiner Meynung ſind. Es iſt ohnedem unnuͤtze, mit Zeugen etwas aus - zumachen, was durch Gruͤnde erwieſen werden muß; und man bedient ſich derſelben in ſolchem Falle nur ge - gen die, ſo noch in dem Vorurtheile des Anſehens ſtecken, und nicht im Stande ſind, die Krafft gruͤndlicher Beweiſe recht bey ſich wircken zu laſſen.
Schluͤßlich bitte ich alle itzt lebende Deutſche Poeten um Vergebung; daß ich ihre Gedichte in meinem Wer -ckeVorrede. cke nicht habe brauchen koͤnnen. Jch hatte mir die Re - gel gemacht, gar keinen lebenden Dichter zu tadeln oder zu critiſiren: daraus floß nun nothwendig die andre, daß ich auch keinen loben muͤſte; weil ſonſt diejenigen, ſo ich uͤbergangen haͤtte, ſolches Stillſchweigen vor einen Tadel wuͤrden gehalten haben. Es war alſo dieſes der ſicherſte Weg, mich weder einer Schmeicheley, noch des Haſſes oder Neides halber, verdaͤchtig zu machen. Die Nachkommen werden ſchon einem jeden ſein Recht wie - derfahren laſſen; und ich werde deswegen doch einen je - den nach ſeinen Verdienſten zu verehren wiſſen, auch bey andrer Gelegenheit mich nicht entziehen, dieſelben oͤffent - lich zu ruͤhmen.
Da ich uͤbrigens die Poeſie allezeit vor eine Brodt - loſe Kunſt gehalten, ſo habe ich ſie auch nur als ein Ne - ben-Werck getrieben, und nicht mehr Zeit darauf ge - wandt, als ich von andern ernſthafftern Verrichtungen eruͤbern koͤnnen. Sollte ich kuͤnftig noch eben ſo viel Muße behalten: ſo dencke ich noch eine neue Ausgabe der Wercke Virgilii zu Stande zu bringen, und zwar auf eine bisher ungewoͤhnliche Art. Man hat, wie be - kannt, drey hundert Jahre her ſich bemuͤhet, uns den Text dieſes Poeten durch Gegeneinanderhaltung der alten Manuſcripte ſo richtig zu liefern, als es moͤglich geweſen: und daher ſind alle die Auflagen mit Obſer - vationibus criticis, Lectionibus variantibus, No - tis variorum, in vſum Delphini, u. ſ. w. entſtanden; davon alle Buchlaͤden voll ſind. Andre die wohl ſa - hen, daß dieſe Ausgaben mehr vor critiſche Gruͤbler, als vor gemeine Leſer waren, ſo ſich aus der unendli - chen Menge ihrer Anmerckungen offt keine einzige zu Nutze machen konnten; gaben die alten ScribentenmitVorrede. mit ſolchen Noten heraus, die den Verſtand des Textes erleichterten, und theils die Alterthuͤmer, theils die ſchwerſten Stellen erklaͤrten: dergleichen die Ausgaben Bonds, Minellii, Cellarii, ad modum Minellii, u. dergl. geweſen. Noch andre gaben den bloßen Text, ohn alle Anmerckungen in kleinerm Formate heraus, um dadurch denen zu dienen, die ſchon mit dem Texte bekannt wa - ren, oder nicht viel auf groſſe und theure Buͤcher wen - den wollten, wie die Elzeviriſchen, und zum theil die Waesbergiſchen Editionen ausweiſen. Mein Vorha - ben aber iſt endlich einmahl die Schaale der Worte Virgilii, damit man ſich ſo lange aufgehalten, fahren zu laſſen, und auf den Kern ſeiner Gedichte zu gehen. Man hat uns bisher den Virgil in die Haͤnde gegeben, um Woͤrter und poetiſche Redensarten daraus zu lernen: um den Jnhalt aber, der doch das fuͤrnehmſte war, oder um die innere Einrichtung ſeiner Gedichte nach den Re - geln der Dicht-Kunſt, hat man ſich wenig bekuͤmmert. Dieſes ſoll alſo meine Arbeit ſeyn, daß ich I) vor die Eclogen ſowohl, als vor die Georgica und die Eneis, Poetiſch-critiſche Einleitungen ſetzen, und die Natur die - ſer Gedichte darinn erklaͤren werde, II) will ich auch un - ter den Text uͤberall diejenigen Anmerckungen ſetzen, ſo zu deſto beſſerer Einſicht der Poetiſchen Kunſtgriffe Vir - gilii dienen, und die Urſachen anzeigen werden, warum er es ſo, und nicht anders gemacht. III) Werde ich auch nicht unterlaſſen, die kleinen Fehler anzumercken, ſo die - ſem groſſen Poeten zuweilen entwiſchet ſind. Die Edi - tion ſoll ſo ſauber werden als eine Hollaͤndiſche, und in ſolchem Formate erſcheinen, daß man ſie um einen billigen Preis wird geben koͤnnen.
JCh habe es vor dienlich erachtet, an ſtatt einer Einleitung zu meiner deutſchen Poeſie, das treffliche Gedicht Horatii zu uͤberſetzen, welches dieſer groſſe Kenner und Meiſter der Poeſie mit dem Nahmen einer Dichtkunſt belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form eines Schreibens an ein vornehmes Geſchlecht der Piſo - nen abgefaſſet iſt.
Die Menge ſchlimmer Poeten mochte zu Zeiten dieſes Dichters in Rom ſo groß ſeyn, als heute zu Tage in Deutſchland. Siehe L. II. Ep. I. v. 108. Ein jeder, der nicht faul war, ſtuͤmpelte was zuſammen, ſo zwar ein ziem - lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch ſeinen ſinnreichen und feurigen Jnhalt von dem Geiſte, noch durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch endlich durch die regelmaͤßige Schreibart von der Kunſt ſeines Meiſters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten alle dieſe Verßmacher Poeten heiſſen; ja einige davon unterſtunden ſich gar, durch ihre Geſchwindigkeit im Dichten, und den Beyfall des Poͤbels verleitet, den groſ - ſen Geiſtern, ſo ſich dazumahl am Roͤmiſchen Hofe aufhiel -a 2ten,4Vorbericht. ten, den Preis ſtreitig zu machen. Die Schrifften unſe - res Horatii zeigen an hundert Stellen unzehliche Spuren davon; und ſogar Virgil, ſo wenig er ſonſt zur Satire geneigt war, hat ſich nicht enthalten koͤnnen, auf einen Bavium und Maͤvium als ein paar eingebildete Poeten zu ſticheln.
Horatz, einer der aufgeklaͤrteſten Koͤpfe ſeiner Zeit, konnte aus einem gerechten Eifer vor den guten Ge - ſchmack, den Stoltz ſolcher Stuͤmper nicht leiden: zumahl er ſehen muſte, daß der groſſe Haufe ſeiner Mitbuͤrger von dieſen unzeitigen Sylbenhenckern gantz eingenommen war. Denn die Roͤmer waren auch zu Auguſts Zeiten lange ſo geſcheidt noch nicht, als vormahls die Athenien - ſer in Griechenland geweſen. Die freyen Kuͤnſte hatten in Jtalien ſpaͤt zu bluͤhen angefangen, und der gute Ge - ſchmack war damahls noch lange nicht allgemein worden. Nach Regeln von Dingen zu urtheilen, das iſt ohne dem kein Werck vor unſtudirte Leute, ja nicht einmahl vor Halbgelehrte: Und daher kam es, daß Horatz theils ſei - nen Roͤmern eine Anleitung geben wollte, wie ſie die Schrifften ihrer Poeten recht pruͤfen koͤnnten; theils auch der groſſen Anzahl der damahligen Versmacher die Au - gen zu oͤffnen ſuchte, damit ſie nicht ferner aus blinder Eigenliebe ihre Mißgeburten vor Meiſterſtuͤcke ausgeben moͤchten.
Jn dieſer Abſicht nun trug er aus den griechiſchen Scri - benten, ſo vor ihm davon geſchrieben hatten, die vornehm - ſten Hauptregeln zuſammen, und verfertigte ein herrli - ches Gedichte daraus. Er richtete ſolches an die Piſones, das iſt an den Vater Piſo, der mit dem Druſus Libo im Jahr der Stadt Rom 738, als Horatius ein und funfzigJahr5Vorbericht. Jahr alt war, Buͤrgermeiſter geworden; und an deſſen Soͤhne. Dieſer Piſo war ein Liebhaber und groſſer Kenner der Poeſie, und ſein aͤlteſter Sohn mochte ſelbſt viel Luſt und Naturell dazu haben, wie aus dem Gedichte ſattſam erhellen wird. Dieſen anſehnlichen Leuten, die am Kaͤyſerlichen Hofe in groſſen Gnaden ſtunden, wollte Horatz eine Richtſchnur in die Hand geben, darnach ſie ſich in Beurtheilung aller Gedichte achten koͤnnten; zu gleicher Zeit aber den guten Geſchmack des Hofes in gantz Rom und Jtalien ausbreiten: nachdem er ſich ſelbſt, durch unablaͤßigen Fleiß in Griechiſchen Buͤchern, ſonderlich durch Leſung der critiſchen Schrifften Ariſtotelis, Crito - nis, Zenonis, Democriti und Neoptolemi von Paros, in den Regeln deſſelben recht feſt geſetzet hatte.
Jndeſſen muß niemand dencken, daß hier der Poet ein vollſtaͤndiges ſyſtematiſches Werck habe machen wollen. Die groͤſten Bewunderer deſſelben geſtehen, daß es ohne alle Ordnung geſchrieben ſey, und bey weitem nicht alle Regeln in ſich faſſe, die zur Poeſie gehoͤren. Der Ver - faſſer hat ſich an keinen Zwang einer philoſophiſchen Ein - richtung binden wollen; ſondern als ein Poet nach Ver - anlaſſung ſeiner Einfaͤlle, bald dieſe bald jene Poetiſche Regel in einer edlen Schreibart Vers-weiſe ausgedruͤckt. Aber alles was er ſagt iſt hoͤchſtvernuͤnftig, und man kan ſich von ſeinen Fuͤrſchrifften kein Haar-breit entfernen, ohne zugleich von der Wahrheit, Natur und geſunden Vernunft abzuweichen. Die unordentliche Vermiſchung ſeiner Regeln dienet nur dazu, daß durch dieſe Mannig - faltigkeit, und unvermuthete Abwechſelung der Sachen, der Leſer deſtomehr beluſtiget und eingenommen werde.
Es iſt dieſe Dichtkunſt Horatii bereits von dem be -a 4ruͤhm -6Vorbericht. ruͤhmten Herrn Eckardt ins Deutſche uͤberſetzt worden, und in den poetiſchen Nebenſtunden, ſo er unter den Buch - ſtaben H. A. E. G. v. D. herausgegeben, anzutreffen. Ob ich es nun beſſer oder ſchlechter getroffen als derſelbe, mag der geneigte Leſer ſelbſt urtheilen. Jch hatte ſeine Uberſetzung mehr als einmahl durchgeleſen, als ich ſchluͤßig ward, mich noch einmahl an eben dieſelbe Arbeit zu wa - gen: bildete mir aber nicht ein, daß es mir ſo viel Muͤhe dabey koſten wuͤrde, als ich hernach in der That gewahr wurde. Die nachdruͤckliche Wortfuͤgung der lateiniſchen Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck Horatii, nebſt vielerley Kunſtwoͤrtern und Alterthuͤmern, die ſich ſo ſchwer Deutſch geben laſſen, machten mir die Arbeit ſo auer, daß ich ſie bald wieder haͤtte liegen laſſen, als ich ſchon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach Jahres friſt griff ich es von neuem an, und brachte endlich das gantze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans Licht ſtelle.
Jch ruͤhme mich nicht daß ich es von Zeile zu Zeile, viel - weniger von Wort zu Wort gegeben haͤtte: Denn dieſes iſt zum theil unnoͤthig, theils auch aus oberwehnten Ur - ſachen unmoͤglich geweſen. Aus fuͤnfhundert lateiniſchen Verßen habe ich mich genoͤthiget geſehen faſt 700 deutſche zu machen; wiewohl ich die Regel ſtets vor Augen hatte: Ein Uberſetzer muͤſſe kein Paraphraſt oder Ausleger wer - den. Habe ich nur in hauptſaͤchlichen Dingen nichts ver - ſehen oder geaͤndert; ſo wird mans verhoffentlich ſo genau nicht nehmen, wenn gleich nicht der voͤllige Nachdruck aller Horatianiſchen Sylben und Buchſtaben erreichet worden. Ein proſaiſcher Uberſetzer muß es hierinn ge - nauer nehmen; einem poetiſchen aber muß man in Anſe -hung7Vorbericht. hung des Zwanges dem er unterworfen iſt, ſchon eine klei - ne Abweichung zu gute halten, wenn er nur dieſen Man - gel durch eine angenehme und leichtflieſſende Schreibart erſetzet.
Dieſes iſt mit eine von den vornehmſten Abſichten ge - weſen, die ich mir in dieſem Gedichte vorgeſetzet habe. Jch wollte den Horatz gern ſo uͤberſetzen, daß man ihn ohne Anſtoß, und wo moͤglich mit Vergnuͤgen in unſrer Spra - che leſen koͤnnte. Dieſen Zweck aber wuͤrde ich nicht er - halten haben, wenn ich kein Bedencken getragen haͤtte, die Richtigkeit unſrer deutſchen Wortfuͤgung, nebſt der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen aus den Augen zu ſetzen. Das Gehoͤr unſrer Landesleute iſt im Abſehen auf dieſe aͤuſſerliche Stuͤcke ſchon uͤberaus zaͤrt - lich geworden. Kein Menſch lieſt itzo mehr Lohenſteins Gedichte: das macht ſie ſind bey ſo viel herrlichen Ge - dancken zu hart und zu rauhe. Selbſt Hoffmannswaldau iſt nicht mehr ſo beliebt, als er ſonſt geweſen; das macht daß er von ſeinen Nachfolgern auch in der Reinigkeit der Verße weit uͤbertroffen worden. Ja dieſe Zaͤrtlichkeit geht zuweilen ſo weit, daß man deßwegen die allerelen - deſten Reime, ſo nur etwas ungezwungen flieſſen, bey aller ihrer Unvernunft und Niedertraͤchtigkeit der Ge - dancken vor ſchoͤn: und hingegen bey einer kleinen Haͤrte des Ausdruckes, die ſchoͤnſten Gedichte groſſer Meiſter vor elend und mager ausruffet. Habe ich alſo nicht Ur - ſache gehabt, mich auch vor dem Eckel der zaͤrtlichſten Oh - ren zu huͤten; ſonderlich in einem Gedichte, daraus ſie die innern Schoͤnheiten der wahren Poeſie ſollen beurtheilen lernen?
Jſt es mir nun darinn nach Wunſche gelungen, ſo tra -a 4ge8Vorbericht. ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen haben werde. Es iſt nicht eines jeden Werck, ſich mit dem Lateine der alten Poeten ſo bekannt zu machen, daß er ſeinen Horatium ohne Muͤhe verſtehen, geſchweige denn mit Luſt leſen koͤnnte. Jn deutſcher Sprache wird er alſo viel verſtaͤndlicher ſeyn, und auch Anfaͤnger auf einen gu - ten Weg weiſen, die ſich vielleicht ſonſt durch uͤble Anfuͤh - rer haͤtten verderben laſſen. Daß es bereits vielen ſo ge - gangen, iſt wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht worden, koͤnnte ich durch mein eigen Exempel erweiſen, wenn es wichtig genug waͤre. Doch Herr Hoffrath Neu - kirch wird vermuthlich Anſehen genug haben, uns zu zei - gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deutſchland vor Poeten gehalten werden, in unſrer Horatianiſchen Dicht - kunſt noch genug zu lernen finden. Er hat ſolches in einem Hochzeit-Gedichte von ſich ſelbſt oͤffentlich geſtanden, ſo er, allem Anſehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge - ſchicket. Es ſteht Hofm. W. Ged. VI. Th. 101. Bl.
Er ruffet gleich anfangs die Muſen um Huͤlfe an, weil er abermahl ein Gedichte nach Schleſien zu verfertigen vorhabe; dabey er denn beſorgen muͤſte, daß es nicht mehr ſo wohl, als die vorigen wuͤrde aufgenommen werden. Die Urſache, ſagt er, ſey die Aenderung, ſo mit ſeiner Poe - ſie vorgegangen. Er habe aufgehoͤrt ſeinen Vers mit Muſcateller-Safft und Amberkuchen zu naͤhren. Es ſey kein Zibeth noch Biſam, kein Plautus, Tacitus, Seneca oder Plato mehr darinn zu ſpuͤren; Ja er habe auch ſo - gar die Sinnbilder gaͤntzlich ausgemuſtert. Darauf ſagt er, daß ihm alle dieſe Lapalien itzo gantz laͤcherlich vorkaͤ - men, ungeachtet ſie ſonſt viel hundert Leſer verblendet,und9Vorbericht. und ihm ſelbſt viel Ruhm gebracht haͤtten. Man habe ihn gar dem groſſen Opitz vorgezogen, den er doch nie errei - chen koͤnnen. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus; der uns die Quelle anzeiget, daraus dieſe ſo merck - liche Veraͤnderung ſeines Geſchmacks in der Poeſie her - gefloſſen. Es heißt:
Wieviel Schuͤler wuͤrde nicht Horatz noch bekommen, wenn alle Deutſche Poeten, die deſſen beduͤrftig waͤren, dem Exempel dieſes wackern Mannes folgen wollten!
Die kleinen Anmerckungen, ſo ich unter den Text geſe - tzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen ſeyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. Jn Verßen laſſen ſich nicht alle Alterthuͤmer ſo erklaͤren, daß man ſie ſattſam verſtehen koͤnnte, wenn man von der Zeit des Scribenten faſt ein paar tauſend Jahre entfernet iſt. Gelehrtere Leſer, die derſelben nicht noͤthig haben, koͤnnen ſie nach Belieben ungeleſen laſſen; wie mans mit den Lateiniſchen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn ſchon geuͤbt iſt. Jch habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfaͤnger daraus meinen Poe - ten verſtehen lernen.