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Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt vor die Deutſchen;
Darinnen erſtlich die allgemeinen Regeln der Poeſie, hernach alle beſondere Gattungen der Gedichte, abgehandelt und mit Exempeln erlaͤutert werden: Uberall aber gezeiget wird Daß das innere Weſen der Poeſie in einer Nachahmung der Natur beſtehe. Anſtatt einer Einleitung iſt Horatii Dichtkunſt in deutſche Verße uͤberſetzt, und mit Anmerckungen erlaͤutert
Leipzig1730VerlegtsBernhard Chriſtoph Breitkopf.

Gr. Excellentz Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, HERRN Johann Adolph von Looß, Gr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachſen, Hochbetrauten wircklich geheimten Rathe und Oberſten Stallmeiſtern ꝛc. Meinem gnaͤdigen Herrn.

Wie auch Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, HERRN Chriſtian von Looß Gr. Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachſen Hochanſehnlichen Cammerherrn, Hofrathe und geheimtem Referendario &c. Meinem gnaͤdigen Herrn.

Hochwohlgebohrne Herren, Gnaͤdige Herren,

MJtten unter den wichtigſten Geſchaͤften, womit Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden in den Dienſten unſers aller gnaͤdigſten Landes-Vaters, das Beſte dieſer Lande befoͤr - dern helfen; erkuͤhne ich mich, Denenſelben ein Buch, ſo von der Poeſie handelt, vor die Augen zu bringen, ja gar Dero Hohe Nahmen auf die erſten Blaͤtter deſſelben zu ſetzen.

Es iſt den groͤſſeſten Leuten niemahls gleich - guͤltig geweſen, ob ihre Leibes-Geſtalt wohl oder uͤbel abgeſchildert worden; und wir fin - den Prinzen in den Geſchichten, die ſich nur von* 3denden beſten Kuͤnſtlern ihrer Zeiten haben ge - mahlt wiſſen wollen. Was die Mahler-Kunſt im Abſehen auf den Coͤrper bewerckſtelliget, das verrichtet die Dichtkunſt, als eine weit vollkommnere Mahlerey, auch im Abſehen auf die Eigenſchafften des Geiſtes und Gemuͤthes: Daher es denn ein Wunder iſt, daß groſſe Her - ren es nicht laͤngſt allen ungeſchickten, ja mittel - maͤßigen Poeten unterſaget haben; ſich mit ihren groben Zuͤgen, an die Abbildungen ihrer Tugenden und Thaten zu wagen, die von rechtswegen nur von lauter ungemeinen Fe - dern entworfen werden ſollten.

Dieſes Buch, ſo Ew. Excell. und Hochwohl - geb. Gnaden zuzueignen ich die Ehre habe, ent - haͤlt unter andern auch diejenigen Regeln, dar - nach ſich alle Verfaſſer der Lobgedichte, und folg - lich auch diejenigen werden zu achten haben, die ſich kuͤnftig an Dero hohes Lob machen duͤrften. Je trefflicher die Eigenſchafften ſind, dadurch Dieſelben ſich die Gnade eines groſſen Monar - chen, und die Hochachtung eines ſo zahlreichen Hofes erworben haben; und je groͤſſer alſo das Feld iſt, ſo ſich hier einem Poeten oͤffnen wird: deſto verwerfflicher wuͤrde ſeine Arbeit ſeyn, wenn er ſich in einer ſo wuͤrdigen Materie ver - gienge, und ein ſo praͤchtiges Lob aus Unwiſ -ſenheitſenheit oder Mangel der Faͤhigkeit gleichſam entweyhete.

Jn Wahrheit, der durchdringende Verſtand Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden; De - ro Erfahrung in den oͤffentlichen Staats-An - gelegenheiten; die mit den vollkommenſten Hofmanieren ſo genau verſchwiſterſte Auf - richtigkeit des Hertzens; die aus der maͤnnlich ſchoͤnen Bildung, Dero vollkommenſten Lei - bes-Geſtalt hervorleuchtende leutſeelige Groß - muth, dadurch ſich dieſelbe Hohe und Niedrige verbinden, ja gantz zu eigen machen; und was ich zu allererſt haͤtte erwehnen ſollen, der un - verbruͤchliche Eifer in den Dienſten unſers al - lergnaͤdigſten Koͤniges, der niemahls beſſer, als durch das vollkommene Vertrauen Seiner Majeſtaͤt, gegen Dieſelben vergolten werden koͤnnen: Dieſes alles, ſage ich, verdiente ja wohl von einem ſolchen Dichter beſchrieben und geprieſen zu werden, deſſen Gabe zu ſchildern ſo vollkommen waͤre, als die Vorzuͤge, dadurch ſich Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden eine all - gemeine Bewunderung zuwege gebracht haben.

Da nun die Abſicht dieſes Buches auch dieſe hauptſaͤchlich iſt, den Groſſen dieſer Welt ge - ſchickte Herolde ihrer Thaten zu verſchaffen; ſo wird es verhoffentlich ſo unbillig nicht ſeyn,* 4wennwenn ſich auch dieſe Grundregeln der Dicht - Kunſt, der Pruͤfung ſolcher erlauchten Ken - ner unterwerfen, denen es ſelbſt nicht einerley ſeyn kan, ob Jhre Abbildungen durch dieſe oder jene Hand der Nachwelt uͤberbracht werden. Finde ich mich alſo gleich zu ſchwach, die Nahmen Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden durch meine Gedichte unvergeßlich zu machen: ſo werden Dieſelben mich doch vielleicht darum Jhrer Gnade nicht gantz unwuͤrdig ſchaͤtzen, weil ich zum wenigſten mittelbar etwas zur Verewigung derſelben beyzutragen geſucht.

Erlange ich nun das ſonderbare Gluͤck, die Protection ſo groſſer Staats-Leute zu ge - nieſſen; ſo werde mit der eifrigſten Devotion lebenslang verharren,

Hochwohlgebohrne Herren, Gnaͤdige Herren, Ew. Excell. u. Hochwohlgeb. Gnaden Leipzig 1729 den 6 Octobr. unterthaͤnigſt-gehorſamſter Diener M. Joh. Chriſtoph Gottſched.

An den Leſer.

DJeſes Buch wuͤrde keiner Vorrede bedoͤrfen, wenn ich es nicht vor noͤthig hielte, den Titel deſſelben, wieder die Einwuͤrfe derjenigen zu vertheidigen, denen derſelbe gleich bey dem er - ſten Anblicke anſtoͤßig ſcheinen doͤrfte. Jch beſorge, daß ſolches auf zweyerley Art geſchehen werde; darum will ich mich uͤber beydes ausfuͤhrlich erklaͤren.

Zuerſt wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine Dicht-Kunſt eine Critiſche Dicht-Kunſt nenne: theils weil ſie an allem was critiſch iſt, einen Mißfallen haben; theils, weil ſie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich mit ſattſamer Faͤhigkeit dergleichen Werck auszufuͤhren unterſtanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns giebt, ſo haben ſie entweder keinen rechten Begriff von der - ſelben; oder ſie verſtehen gar wohl was critiſiren heißt, haſſen es aber deswegen, weil ſie ein boͤſes Gewiſſen ha - ben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr ſetzen wol - len, als ſchlecht erfunden zu werden. Denen erſten kan man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die wahre Critick keine ſchulfuͤchſiſche Buchſtaͤblerey, kein unendlicher Kram von zuſammengeſchriebenen Druck - und Schreibefehlern, die in den alten Scribenten began -* 5genVorrede. gen worden; kein uͤbelverdauetes Buͤcherleſen; kein wuͤ - ſter Haufe unendlicher Allegationen und fremder Mey - nungen von einer verderbten Stelle in Hebraͤiſchen, Grie - chiſchen und Roͤmiſchen Buͤchern ſey. Leute, ſo dieſes al - les thun, und ihr Handwerck in der That verſtehen, thun uns gute Dienſte, indem ſie ſich bemuͤhen uns die alten Scribenten ſo richtig, als es moͤglich iſt, zu liefern. Sie koͤnnen auch gewiſſermaßen Critici heiſſen: aber Critici von der unterſten Claſſe, weil ſie nur mit Buchſtaben und Sylben umgehen. Die Critick iſt eine weit edlere Kunſt. Jhr Nahme ſelber zeiget zur Gnuͤge, daß ſie ei - ne Beurtheilungs-Kunſt ſeyn muͤſſe, welche nothwendig eine Pruͤfung oder Unterſuchung eines Dinges nach ſei - nen gehoͤrigen Grundregeln, zum voraus ſetzet. Da die - ſer Begriff aber noch gar zu allgemein iſt, ſo darf man nur mercken, daß die Critick ſich nur auf die freyen Kuͤn - ſte, das iſt auf die Grammatic, Poeſie, Redekunſt, Hiſto - rie, Muſic und Mahlerey erſtrecke. Die Geometrie, ſo bey den Alten auch zu den freyen Kuͤnſten gerechnet wur - de, iſt in neuern Zeiten ſo wohl als die Baukunſt mit gu - tem Grunde unter die Wiſſenſchafften gezehlet worden: weil man es darinn laͤngſt zu einer demonſtrativen Ge - wißheit gebracht hat; die man in jenen noch lange nicht erreichen koͤnnen. Ein Criticus iſt alſo dieſer Erklaͤrung nach, ein Gelehrter, der die Regeln der freyen Kuͤnſte phi - loſophiſch eingeſehen hat, und alſo im Stande iſt, die Schoͤnheiten und Fehler aller vorkommenden Meiſterſtuͤ - cke oder Kunſtwercke, vernuͤnftig darnach zu pruͤfen und richtig zu beurtheilen.

Dieſen meinen Begriff zu rechtfertigen, will ich mich nur auf den, ſeiner groſſen Einſicht und Gelehrſamkeit halber, beruͤhmten Engliſchen Grafen von Schaftesburyberuf -Vorrede. beruffen, der im I. Th. ſeiner Characteriſticks und zwar in dem Tractate Advice to an Author, ausdruͤcklich eben dieſe Beſchreibung gemacht. Die gantze andre Ab - theilung dieſes Werckchens handelt weitlaͤuftig davon, und waͤre wohl werth, daß ſie von allen, die Buͤcher ſchrei - ben wollen, vorher geleſen und wohl erwogen wuͤrde. Jch kan aber keine beſondre Stelle daraus herſetzen, weil ſie gar zu weitlaͤuftig fallen, und mir alſo den Platz zu an - dern Dingen, die dieſe Vorrede in ſich halten ſoll, beneh - men wuͤrde. Vielleicht giebt uns jemand eine Uberſe - tzung dieſes einzelnen Tractats, oder wenigſtens eines Stuͤckes davon; denen dadurch zu dienen, ſo dieſes tref - liche Werck in ſeiner Mutterſprache nicht leſen, oder doch ſeiner nicht habhafft werden koͤnnen.

Was hat man nun Urſache, vor einer ſolchen ver - nuͤnftigen Critick einen Abſcheu zu bezeugen, wenn man nur vor ſich ſicher iſt, und nicht fuͤrchten darf, ſelbſt in ihre Unterſuchung zu gerathen? Aber das iſt es eben, was viele, die ſich ins Buͤcherſchreiben miſchen, mit der groͤſten Unruhe beſorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die Critici ſind die Geſpenſter, die Rieſen, die Zauberer, wie Schafftsbury redet, vor welchen ſie zittern und beben. Und das iſt kein Wunder. Ergreifen nicht die meiſten die Feder, ehe ſie noch wiſſen wie man recht ſchreiben muͤſ - ſe? Giebt man nicht allerley Buͤcher heraus, ehe man ge - wuſt hat, wie ſie gemacht werden muͤſſen, und nach was vor Regeln ſie ſich richten ſollten? Daher entſteht nun die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden ſattſam zeigen. Man weiß, daß dieſelben unerbittliche Richter ſind. Sie laſſen ſich nicht durch den aͤußerlichen Schein eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale kleben; Sie dringen bis aufs innerſte Marck derſelben;SieVorrede. Sie durchforſchen die verborgenſten Schlupfwinckel ei - ner Schrifft, ſie ſey von welcher Art ſie wolle. Und da bleibt vor ihren ſcharfſichtigen Augen nichts verſtecket. Werden ſie offt Schoͤnheiten gewahr, die andre nicht ſe - hen: So entdecken ſie auch offt Fehler wieder die Re - geln der freyen Kuͤnſte, die nicht ein jeder ſo gleich wahr - nimmt, der ſolch ein Werck ohne eine tiefere philoſophiſche Einſicht in die Natur deſſelben, nur obenhin angeſehen. Da nun in dem letzten Falle die Leſer den Criticis viel Danck ſchuldig ſind, welche ſie vor ſolchen glaͤntzenden Narben, und ſcheinbaren Unvollkommenheiten der Schrifften gewarnet: So haben im erſten Falle die Scri - benten ſelbſt Urſache, ſie hochzuſchaͤtzen und zu verehren; weil die unſichtbaren Schoͤnheiten ihrer Wercke, durch ihren Dienſt mehr und mehr ans Licht gebracht werden. Wenn alſo dieſe Letztere ein gut Gewiſſen haben, daß nehmlich ihre Sachen nach den wahren Kunſtregeln aus - gearbeitet worden; ſo werden ſie keine Feindſchafft gegen die Criticos blicken laſſen: Wiedrigen falls aber muͤſſen ſie es nicht uͤbel nehmen, wenn dieſe gerechte Kunſtrichter mehr auf die gantze gelehrte Welt, als auf einzelne, und zwar ſchlechte Schrifftſteller ſehen; und zum wenigſten angehende Scribenten vor den Abwegen warnen, darauf ſich ihre Vorgaͤnger entweder aus Unachtſamkeit, oder aus andern Urſachen verirret haben.

Nunmehro waͤre wohl nichts beſſer vor mich; als wenn ich mich ruͤhmen koͤnnte, ein ſolcher Criticus zu ſeyn, oder wenn ich allbereit bey unſern Deutſchen in dem An - ſehen ſtuͤnde. Allein da dieſes nicht iſt: ſo hat man frey - lich Urſache zu fragen: Ob ich denn eben derjenige ſey, der ſich zum Verfaſſer einer Critiſchen Dicht-Kunſt haͤtte aufwerfen muͤſſen? Dieſer Frage, ſo gut als ich kan, zube -Vorrede. begegnen, will ich nach dem vernuͤnftigen Anſchlage eines geſchickten und ſcharfſinnigen Critici(*)Siehe des beruͤhmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu ſeiner Hiſtorie der Gelahrheit, in der neuern Auflage. unſerer Zeit, kuͤrtzlich diejenigen Umſtaͤnde erzehlen, ſo mich nach und nach zu dieſem Entſchluſſe, der meinem eigenen Geſtaͤnd - niſſe nach faſt gar zu kuͤhn und verwegen iſt, gebracht ha - ben; und alſo eine kurtze Hiſtorie meiner Dicht-Kunſt machen, die zu deſto beſſerm Verſtande derſelben viel bey - tragen wird.

Wie ich von Jugend auf allezeit ein groſſes Vergnuͤ - gen an Verſen gehabt, und ſelbſt durch das Exempel mei - nes eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: alſo fand ſich 1714, gleich im Anfange meiner Academiſchen Jahre, eine Gelegenheit, ein ſogenanntes Collegium Poeticum zu hoͤren. Mein Lehrer war der nunmehro ſeel. Prof. Rohde zu Koͤnigsberg, ein ſehr geſchickter Mann, der ſelbſt einen artigen Vers ſchrieb; und das Buch, ſo er zum Grunde legte, war Menantes allerneuſte Art zur galanten Poeſie zu gelangen. Als nachmahls der itzige Koͤn. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr. D. Pietſch die Poetiſche Profeßion daſelbſt erhielte, und ſonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus gab, bekam ich noch einen groͤſſern Trieb zur Poeſie: weil ſein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck machte. Jch hatte nach der Zeit die Ehre mit demſelben bekannt zu werden, und ſeine Cenſuren uͤber meine Klei - nigkeiten, ſo offt als ich es wuͤnſchete, zu hoͤren. Dieſer wackere Mann verſtattete mir allezeit einen freyen Zu - tritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und Horatzen mit Verſtande zu leſen angefangen: weil er mir des erſtern Satire von der Poeſie offt auswendigher -Vorrede. herſagte, und aus dem andern zuweilen ſeine Uberſetzun - gen vorlaß. Unter ſo vielen Unterredungen, ſo ich ſeit 1717 bis 1724 mit demſelben gehabt, dachte derſelbe denn auch einmahl, daß er nicht ungeneigt waͤre, eine An - weiſung zur Poeſie zu ſchreiben: Nicht zwar auf den Schlag, als die gewoͤhnlichen Anleitungen waͤren, dar - an wir ja keinen Mangel haͤtten; ſondern ſo, daß darinn der innere Character und das wahre Weſen eines jeden Gedichtes gewieſen wuͤrde. Damahls geſchah es alſo, daß ich mir den erſten Begriff von einer Critiſchen Dicht-Kunſt machte: deren Nutzbarkeit ich gar wohl ein - ſahe; aber mirs noch nicht traͤumen ließ, daß ich mich der - einſt an dergleichen Arbeit wagen ſollte.

Jm Jahr 1724 kam ich nach Leipzig und ward in der unter Hn. Hofraths Menckens Aufſicht ſtehenden Poetiſchen, itzo Deutſchen Geſellſchafft, gewahr; daß man bey Verleſung eines Gedichtes unzehliche Anmerckungen machte, und ſolche Sachen, Gedancken und Ausdruͤckun - gen in Zweifel zog, die ich allezeit vor gut gehalten hatte. Jch fand ſelber wohl, daß die meiſten ſo ungegruͤndet nicht waren: und ob ich wohl in einigen Stuͤcken auf mei - ner Meynung blieb, und die Einwuͤrfe ſo man mir mach - te, vor ungegruͤndet hielte; ſo war ich doch nicht im Stan - de dieſelben zu heben, und meine Gewohnheit auf eine uͤberzeugende Art zu vertheidigen. Eben damahls ka - men mir die Diſcurſe der Mahler in die Haͤnde, die mich durch ſo viele Beurtheilungen unſrer Poeten, noch begie - riger machten, alles aus dem Grunde zu unterſuchen, und wo moͤglich, zu einer voͤlligen Gewißheit zu kommen, was richtig oder unrichtig gedacht; ſchoͤn, oder heßlich geſchrie - ben; recht, oder unrecht, ausgefuͤhret worden.

Dazu fand ſich nun die ſchoͤnſte Gelegenheit, da ichdasVorrede. das Gluͤck hatte, drey Jahre in des obgedachten Hn. Hof - raths Hauſe zu wohnen, und zugleich Erlaubniß bekam, mir deſſen treffliche Bibliotheck zu Nutze zu machen. Hier lernte ich alle alte Scribenten, alle auslaͤndiſche Poe - ten, alle Criticos, und ihre Gegner kennen. Jch muͤſte ein groſſes Regiſter machen, wenn ich alle die groͤſſern und kleinern Wercke anzeigen wollte, die ich in der Zeit durchgeleſen, bloß in der Abſicht mir ſelbſt einen regelmaͤſ - ſigen Begriff von der Poeſie zu machen; und endlich ei - ne Gewißheit in meinen Urtheilen zu erlangen. Was mir nun Ariſtoteles, Longin, Horatz, Scaliger, Boileau, Dacier, Boſſu, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evre - mont, Fontenelle, Callieres, Furetiere, Schafftsbury, Steele, imgleichen Corneille und Racine in den Vorre - den zu ihren Tragoͤdien, und a. m. die mir itzo nicht ein - fallen, vor ein Licht gegeben; das werden diejenigen ſich leicht vorſtellen, ſo nur etliche davon geleſen haben. Hier - zu ſind nachmahls noch des Caſtelvetro, Muralts und Voltaire Beurtheilungen alter und neuer Poeten, im - gleichen des Hn. Bodmers hieher gehoͤrige Schrifften, ge - kommen, welche mich immer mehr in den alten Jdeen be - feſtiget, und meinem Gemuͤthe eine neue Befriedigung ge - geben haben.

Ob mir nun wohl ſchon im Jahr 1727 von einem groſſen Kenner der Poeſie, unſerm grundgelehrten Herrn D. Maſcou zugemuthet wurde, eine Poetiſche Anweiſung nach meinen Begriffen heraus zu geben; ſo trauete ich mir doch ſolches nicht zu, nach Wuͤrdigkeit ins Werck zu richten. Jndeſſen fand ſich das nechſte Jahr eine An - zahl guter Freunde, die mich erſuchten, ihnen ein Poeti - ſches Collegium zu leſen. Hier ergriff ich nun die Gele - genheit, mir den erſten Entwurf zu einer Critiſchen Dicht -KunſtVorrede. Kunſt zu machen, und die bisherigen unordentlichen Ge - dancken und Anmerckungen von der Poeſie, in einen ſy - ſtemaſtiſchen Zuſammenhang zu bringen. Es iſt nun - mehro ein Jahr, daß ich denſelben zum Ende brachte, und ſeit der Zeit entſchloß ich mich dieſen meinen Entwurf et - was beſſer auszufuͤhren, und ein ziemlich vollſtaͤndiges Werckchen daraus zu machen. Da ſich nun bald ein guter Verleger dazu fand, ſo legte ich wircklich Hand an, und liefere itzo meinem Vaterlande dieſen Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt: den ich gewiß nicht aus meinem Gehirne angeſponnen; ſondern aus allen oberwehnten beruͤhmten Scribenten, und uͤberdas, aus den vortheil - hafften muͤndlichen Unterredungen Hn. Coſten, unſres Franzoͤſiſchen Reformirten Predigers, eines tiefſinnigen Critici; des Hn. Geh. Secretar Koͤnigs, und Hrn. Prof. Krauſens in Wittenberg, geſammlet und in einige Ord - nung gebracht. Dieſe Arbeit, und die Fehler, ſo ich etwa in derſelben begangen haben moͤchte, kan ich mir allein zu - ſchreiben; alles uͤbrige gebe ich nicht vor mein eigen aus. Es wird mir alſo zu keinem Vorwurfe dienen koͤnnen, wenn man irgend ſagen wuͤrde: Jch haͤtte dieſes oder je - nes nicht von mir ſelbſt; es waͤre nichts neues, ſondern hier oder daher genommen ꝛc. Jch hatte mir nur vorgeſetzt das - jenige, was in ſo unzehlich vielen Buͤchern zerſtreut iſt, in einem einzigen Wercke zuſammen zu faſſen, und es de - nen in die Haͤnde zu geben, die entweder ſelbſt Poeten wer - den, oder doch von Poeſien vernuͤnftig wollen urtheilen lernen. Und aus dieſer Nachricht wird ein jeder leicht abnehmen; ob ich mir ſelbſt zu viel zugetrauet, da ich es unternommen eine Critiſche Dicht-Kunſt ans Licht zu ſtellen?

Der andre Einwurf, den ich bey meinem Titelblattevor -Vorrede. vorher ſehe; wird die Worte betreffen, darinn ich ſage, daß das Weſen der Poeſie uͤberhaupt, und ihrer fuͤrnehmſten Gattungen, in der vernuͤnftigen Nachahmung der Natur beſtehe. Jch weiß, wie ſchwer dieſes allen denjenigen ein - gehet, welche die Versmacher-Kunſt und Poeſie vor ei - nerley anſehen; die von keinem Proſaiſchen Gedichte, und von keiner gereimten Proſa was hoͤren wollen: ungeach - tet beydes ſo gemein iſt, als was ſeyn kan. Was mich aber bisher gegen alle Wiederſpruͤche von dieſer Seite in Si - cherheit geſetzet hat, iſt dieſes, daß alle meine Gegner von der Gattung niemahls eine einzige Critiſche Schrifft der alten oder neuern geleſen. Jch bitte alſo meine Leſer ſich nicht zu uͤbereilen, ſondern erſt das Buch ſelbſt, oder zum wenigſten die erſten ſechs Capitel zu leſen, und alles wohl zu uͤberlegen. Jch wuͤrde mich bey Verſtaͤndigen aus - lachenswuͤrdig gemacht haben, wenn ich die Poeſie in der Kunſt zu ſcandiren oder zu reimen geſucht haͤtte. Fran - zoſen und Jtaliener thun das erſte nicht, und haben doch Poeſien die Menge. Die Engellaͤnder ſchreiben ſo wohl als die alten Griechen und Roͤmer, gantze Helden-Gedich - te ohne Reime: wer will ihnen aber die Poeſie abſpre - chen? Alle Romane ſind weder um das Sylbenmaßes noch des Reimes wegen, ſondern bloß um der Fabel hal - ber zur Poeſie zu rechnen. Ariſtoteles hat auch ausdruͤck - lich geſagt: Die Epopee koͤnne in beyderley Schreibart abgefaſſet werden und doch ein Gedichte bleiben; herge - gen Empedocles ſey ein Naturlehrer, aber kein Poet zu nennen, ob er gleich ein groß Buch in Alexandriniſchen Verſen geſchrieben. Eben dieſer groſſe Criticus hat aus - fuͤhrlich dargethan, daß ein Poet ſo wohl als ein Mahler und Bildſchnitzer ein Nachahmer der Natur ſey; und eine Sache entweder ſo wie ſie iſt, oder geweſen; oder wie ſie zu** 2ſeynVorrede. ſeyn ſcheint, und wie man ſagt, daß ſie ſey: oder endlich wie ſie von rechtswegen ſeyn ſollte, abbilde und vorſtelle. S. das XXVIſte Cap. ſeiner Poetick. Wer nun die Sache beſſer zu verſtehen denckt, der ſey ſo gut und wiederlege die - ſen tiefſinnigen Kenner freyer Kuͤnſte, der gewiß ſo viel Einſicht in die wahre Dicht - und Rede-Kunſt gehabt, als ob er ſich ſein lebenlang auf nichts anders gelegt haͤtte. So lange man aber dieß nicht gethan, ſo erlaube man es mir eben den Weg zu gehen, darauf die geſunde Vernunft alle gute Poeten und Criticos, die vor mir gelebt, zu allen Zeiten und in allen Laͤndern geleitet hat. Man mercke aber endlich auch, daß es ein anders ſey, etwas in metriſcher und etwas in poetiſcher Schreibart abfaſſen. Vieles iſt metriſch genug geſchrieben; das iſt, es ſcandirt und reimet gut genug: Aber es iſt kein Fuͤnckchen von Poetiſchem Geiſte darinn; und verdient alſo eine gereimte Proſe zu heißen. Vieles hergegen iſt ſehr poetiſch geſchrieben, ob es gleich weder Sylbenmaaß noch Reime hat. Von bey - dem aber iſt noch ein poetiſcher Jnhalt, wie eine Perſon von dem Kleide, ſo ſie traͤgt, unterſchieden. Ein Gedichte kan metriſch und proſaiſch, ſchlecht weg, auch poetiſch be - ſchrieben werden: bleibt aber allemahl ein Gedichte: wie dieſes alles in dem Wercke ſelbſt ausfuͤhrlicher vorkom - men wird.

Wegen des Dritten Capitels, vom guten Geſchma - cke eines Poeten, habe ich noch zu erinnern, daß ich nach der Zeit, als es ſchon gedruckt war, gefunden, daß auch der Hr. von Leibnitz meiner Meynung geweſen. Jch finde nehm - lich in den Anmerckungen uͤber des Grafen von Schaffts - bury oberwehntes Buch, im Recueil de diverſes pieces, p. 285 folgende Worte: Le Diſcours ſur le Gout, Miſc. 3 c. 2 me paroit conſiderable. Le Gout diſtingué del’En -Vorrede. l’Entendement, conſiſte dans les perceptions confuſes, dont on ne ſauroit aſſez rendre raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant de l’Inſtinct. Le Gout eſt formé par le Naturel & par l’Uſage. Et pour l’avoir bon; il faut s’exercer à gouter les bonnes choſes, que la Rai - ſon & l’Experience ont deja autoriſées: En quoi les jeunes gens ont beſoin de guides. Wer dieſe merck - wuͤrdige Worte, des groͤſten Philoſophen unſres Vater - landes und unſrer Zeiten, mit meinem Capitel vom guten Geſchmacke zuſammen haͤlt; der wird finden, daß ſelbiges gleichſam nur eine Erklaͤrung und weitlaͤuftige Ausfuͤh - rung davon zu nennen: weil er mit kurtzem eben das ſagt, was ich vollſtaͤndiger erwieſen und gehoͤriger Weiſe mit Exempeln erlaͤutert habe. Es iſt aber werth daß wir die Stelle des gelehrten Engellaͤnders auch anſehen, ob er vielleicht einer andern Meynung, den Geſchmack betref - fend, zugethan iſt, als der Hr. von Leibnitz. Our joint Endeavour, heiſt es p. 164, therefore, muſt appear this: To ſhew, that nothing, which is found charming or delightful in the polite World, nothing, which is adopted as Pleaſure, or Entertainment, of whatever Kind, can any way be accounted for, ſupported, or eſtablish’d without the Pre-eſtablishment or Suppoſi - tion of a certain Taſte. Now a Taſte or Jugdment, t’is ſupposd, can hardly come ready form’d with us in - to the World. Whatever Principles or Materials of this Kind we may poſſibly bring with us; whatever good Facultys, Senſes, or anticipating Senſations and Imaginations, may be of Nature’s Growth, and ariſe properly, of themſelves, without our Art, Promotion, or Aſſiſtence, the general Idea which is form’d of all this Management, and the clear Notion we attain of** 3whatVorrede. what is preferable ad principal in all theſe Subjects of Choice and Eſtimation, will not, as I imagine, by any Perſon be taken for innate. Uſe, Practice and Cul - ture muſt precede the Underſtanding and Wit of ſuch an advanced Size and Growth as this. A legitimate and juſt Taſte can neither be begotten made, conceiv’d, or produc’d, without the antecedent Labour and Pains of Criticism.

Dieſe Stellen, wie mich duͤnckt, geben deutlich genug zu verſtehen, daß der Geſchmack nach dieſer beyden groſſen Maͤnner Meynung, uns nicht angebohren, ſondern erlan - get werde; daß junge Leute einer Anfuͤhrung darinn be - noͤthiget ſind; daß er ein Urtheil von dem was ſchoͤn, an - genehm, oder heßlich und verdruͤßlich iſt, ſey, inſoweit man von dieſen Beſchaffenheiten eines Dinges nur nach un - deutlichen Empfindungen urtheilt; und daß endlich der gute Geſchmack ſich auf critiſche Regeln gruͤnde und dar - nach gepruͤfet werden muͤſſe: daher es denn unwieder - ſprechlich folget, daß zwey wiederwaͤrtige Urtheile des Ge - ſchmackes, von der Schoͤnheit gewiſſer Dinge, unmoͤglich zugleich wahr und richtig ſeyn koͤnnen. Wie ich nun dieſe wenige Zeugniſſe hoͤher als hundert andre halte; ſo will ich auch weder den Spectateur, noch den Herrn Rollin anfuͤhren, ob ſie gleich auch meiner Meynung ſind. Es iſt ohnedem unnuͤtze, mit Zeugen etwas aus - zumachen, was durch Gruͤnde erwieſen werden muß; und man bedient ſich derſelben in ſolchem Falle nur ge - gen die, ſo noch in dem Vorurtheile des Anſehens ſtecken, und nicht im Stande ſind, die Krafft gruͤndlicher Beweiſe recht bey ſich wircken zu laſſen.

Schluͤßlich bitte ich alle itzt lebende Deutſche Poeten um Vergebung; daß ich ihre Gedichte in meinem Wer -ckeVorrede. cke nicht habe brauchen koͤnnen. Jch hatte mir die Re - gel gemacht, gar keinen lebenden Dichter zu tadeln oder zu critiſiren: daraus floß nun nothwendig die andre, daß ich auch keinen loben muͤſte; weil ſonſt diejenigen, ſo ich uͤbergangen haͤtte, ſolches Stillſchweigen vor einen Tadel wuͤrden gehalten haben. Es war alſo dieſes der ſicherſte Weg, mich weder einer Schmeicheley, noch des Haſſes oder Neides halber, verdaͤchtig zu machen. Die Nachkommen werden ſchon einem jeden ſein Recht wie - derfahren laſſen; und ich werde deswegen doch einen je - den nach ſeinen Verdienſten zu verehren wiſſen, auch bey andrer Gelegenheit mich nicht entziehen, dieſelben oͤffent - lich zu ruͤhmen.

Da ich uͤbrigens die Poeſie allezeit vor eine Brodt - loſe Kunſt gehalten, ſo habe ich ſie auch nur als ein Ne - ben-Werck getrieben, und nicht mehr Zeit darauf ge - wandt, als ich von andern ernſthafftern Verrichtungen eruͤbern koͤnnen. Sollte ich kuͤnftig noch eben ſo viel Muße behalten: ſo dencke ich noch eine neue Ausgabe der Wercke Virgilii zu Stande zu bringen, und zwar auf eine bisher ungewoͤhnliche Art. Man hat, wie be - kannt, drey hundert Jahre her ſich bemuͤhet, uns den Text dieſes Poeten durch Gegeneinanderhaltung der alten Manuſcripte ſo richtig zu liefern, als es moͤglich geweſen: und daher ſind alle die Auflagen mit Obſer - vationibus criticis, Lectionibus variantibus, No - tis variorum, in vſum Delphini, u. ſ. w. entſtanden; davon alle Buchlaͤden voll ſind. Andre die wohl ſa - hen, daß dieſe Ausgaben mehr vor critiſche Gruͤbler, als vor gemeine Leſer waren, ſo ſich aus der unendli - chen Menge ihrer Anmerckungen offt keine einzige zu Nutze machen konnten; gaben die alten ScribentenmitVorrede. mit ſolchen Noten heraus, die den Verſtand des Textes erleichterten, und theils die Alterthuͤmer, theils die ſchwerſten Stellen erklaͤrten: dergleichen die Ausgaben Bonds, Minellii, Cellarii, ad modum Minellii, u. dergl. geweſen. Noch andre gaben den bloßen Text, ohn alle Anmerckungen in kleinerm Formate heraus, um dadurch denen zu dienen, die ſchon mit dem Texte bekannt wa - ren, oder nicht viel auf groſſe und theure Buͤcher wen - den wollten, wie die Elzeviriſchen, und zum theil die Waesbergiſchen Editionen ausweiſen. Mein Vorha - ben aber iſt endlich einmahl die Schaale der Worte Virgilii, damit man ſich ſo lange aufgehalten, fahren zu laſſen, und auf den Kern ſeiner Gedichte zu gehen. Man hat uns bisher den Virgil in die Haͤnde gegeben, um Woͤrter und poetiſche Redensarten daraus zu lernen: um den Jnhalt aber, der doch das fuͤrnehmſte war, oder um die innere Einrichtung ſeiner Gedichte nach den Re - geln der Dicht-Kunſt, hat man ſich wenig bekuͤmmert. Dieſes ſoll alſo meine Arbeit ſeyn, daß ich I) vor die Eclogen ſowohl, als vor die Georgica und die Eneis, Poetiſch-critiſche Einleitungen ſetzen, und die Natur die - ſer Gedichte darinn erklaͤren werde, II) will ich auch un - ter den Text uͤberall diejenigen Anmerckungen ſetzen, ſo zu deſto beſſerer Einſicht der Poetiſchen Kunſtgriffe Vir - gilii dienen, und die Urſachen anzeigen werden, warum er es ſo, und nicht anders gemacht. III) Werde ich auch nicht unterlaſſen, die kleinen Fehler anzumercken, ſo die - ſem groſſen Poeten zuweilen entwiſchet ſind. Die Edi - tion ſoll ſo ſauber werden als eine Hollaͤndiſche, und in ſolchem Formate erſcheinen, daß man ſie um einen billigen Preis wird geben koͤnnen.

Hora -
1

Horatius von der Dicht-Kunſt uͤberſetzt und mit Anmerckungen erlaͤutert.

23

Vorbericht.

JCh habe es vor dienlich erachtet, an ſtatt einer Einleitung zu meiner deutſchen Poeſie, das treffliche Gedicht Horatii zu uͤberſetzen, welches dieſer groſſe Kenner und Meiſter der Poeſie mit dem Nahmen einer Dichtkunſt belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form eines Schreibens an ein vornehmes Geſchlecht der Piſo - nen abgefaſſet iſt.

Die Menge ſchlimmer Poeten mochte zu Zeiten dieſes Dichters in Rom ſo groß ſeyn, als heute zu Tage in Deutſchland. Siehe L. II. Ep. I. v. 108. Ein jeder, der nicht faul war, ſtuͤmpelte was zuſammen, ſo zwar ein ziem - lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch ſeinen ſinnreichen und feurigen Jnhalt von dem Geiſte, noch durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch endlich durch die regelmaͤßige Schreibart von der Kunſt ſeines Meiſters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten alle dieſe Verßmacher Poeten heiſſen; ja einige davon unterſtunden ſich gar, durch ihre Geſchwindigkeit im Dichten, und den Beyfall des Poͤbels verleitet, den groſ - ſen Geiſtern, ſo ſich dazumahl am Roͤmiſchen Hofe aufhiel -a 2ten,4Vorbericht. ten, den Preis ſtreitig zu machen. Die Schrifften unſe - res Horatii zeigen an hundert Stellen unzehliche Spuren davon; und ſogar Virgil, ſo wenig er ſonſt zur Satire geneigt war, hat ſich nicht enthalten koͤnnen, auf einen Bavium und Maͤvium als ein paar eingebildete Poeten zu ſticheln.

Horatz, einer der aufgeklaͤrteſten Koͤpfe ſeiner Zeit, konnte aus einem gerechten Eifer vor den guten Ge - ſchmack, den Stoltz ſolcher Stuͤmper nicht leiden: zumahl er ſehen muſte, daß der groſſe Haufe ſeiner Mitbuͤrger von dieſen unzeitigen Sylbenhenckern gantz eingenommen war. Denn die Roͤmer waren auch zu Auguſts Zeiten lange ſo geſcheidt noch nicht, als vormahls die Athenien - ſer in Griechenland geweſen. Die freyen Kuͤnſte hatten in Jtalien ſpaͤt zu bluͤhen angefangen, und der gute Ge - ſchmack war damahls noch lange nicht allgemein worden. Nach Regeln von Dingen zu urtheilen, das iſt ohne dem kein Werck vor unſtudirte Leute, ja nicht einmahl vor Halbgelehrte: Und daher kam es, daß Horatz theils ſei - nen Roͤmern eine Anleitung geben wollte, wie ſie die Schrifften ihrer Poeten recht pruͤfen koͤnnten; theils auch der groſſen Anzahl der damahligen Versmacher die Au - gen zu oͤffnen ſuchte, damit ſie nicht ferner aus blinder Eigenliebe ihre Mißgeburten vor Meiſterſtuͤcke ausgeben moͤchten.

Jn dieſer Abſicht nun trug er aus den griechiſchen Scri - benten, ſo vor ihm davon geſchrieben hatten, die vornehm - ſten Hauptregeln zuſammen, und verfertigte ein herrli - ches Gedichte daraus. Er richtete ſolches an die Piſones, das iſt an den Vater Piſo, der mit dem Druſus Libo im Jahr der Stadt Rom 738, als Horatius ein und funfzigJahr5Vorbericht. Jahr alt war, Buͤrgermeiſter geworden; und an deſſen Soͤhne. Dieſer Piſo war ein Liebhaber und groſſer Kenner der Poeſie, und ſein aͤlteſter Sohn mochte ſelbſt viel Luſt und Naturell dazu haben, wie aus dem Gedichte ſattſam erhellen wird. Dieſen anſehnlichen Leuten, die am Kaͤyſerlichen Hofe in groſſen Gnaden ſtunden, wollte Horatz eine Richtſchnur in die Hand geben, darnach ſie ſich in Beurtheilung aller Gedichte achten koͤnnten; zu gleicher Zeit aber den guten Geſchmack des Hofes in gantz Rom und Jtalien ausbreiten: nachdem er ſich ſelbſt, durch unablaͤßigen Fleiß in Griechiſchen Buͤchern, ſonderlich durch Leſung der critiſchen Schrifften Ariſtotelis, Crito - nis, Zenonis, Democriti und Neoptolemi von Paros, in den Regeln deſſelben recht feſt geſetzet hatte.

Jndeſſen muß niemand dencken, daß hier der Poet ein vollſtaͤndiges ſyſtematiſches Werck habe machen wollen. Die groͤſten Bewunderer deſſelben geſtehen, daß es ohne alle Ordnung geſchrieben ſey, und bey weitem nicht alle Regeln in ſich faſſe, die zur Poeſie gehoͤren. Der Ver - faſſer hat ſich an keinen Zwang einer philoſophiſchen Ein - richtung binden wollen; ſondern als ein Poet nach Ver - anlaſſung ſeiner Einfaͤlle, bald dieſe bald jene Poetiſche Regel in einer edlen Schreibart Vers-weiſe ausgedruͤckt. Aber alles was er ſagt iſt hoͤchſtvernuͤnftig, und man kan ſich von ſeinen Fuͤrſchrifften kein Haar-breit entfernen, ohne zugleich von der Wahrheit, Natur und geſunden Vernunft abzuweichen. Die unordentliche Vermiſchung ſeiner Regeln dienet nur dazu, daß durch dieſe Mannig - faltigkeit, und unvermuthete Abwechſelung der Sachen, der Leſer deſtomehr beluſtiget und eingenommen werde.

Es iſt dieſe Dichtkunſt Horatii bereits von dem be -a 4ruͤhm -6Vorbericht. ruͤhmten Herrn Eckardt ins Deutſche uͤberſetzt worden, und in den poetiſchen Nebenſtunden, ſo er unter den Buch - ſtaben H. A. E. G. v. D. herausgegeben, anzutreffen. Ob ich es nun beſſer oder ſchlechter getroffen als derſelbe, mag der geneigte Leſer ſelbſt urtheilen. Jch hatte ſeine Uberſetzung mehr als einmahl durchgeleſen, als ich ſchluͤßig ward, mich noch einmahl an eben dieſelbe Arbeit zu wa - gen: bildete mir aber nicht ein, daß es mir ſo viel Muͤhe dabey koſten wuͤrde, als ich hernach in der That gewahr wurde. Die nachdruͤckliche Wortfuͤgung der lateiniſchen Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck Horatii, nebſt vielerley Kunſtwoͤrtern und Alterthuͤmern, die ſich ſo ſchwer Deutſch geben laſſen, machten mir die Arbeit ſo auer, daß ich ſie bald wieder haͤtte liegen laſſen, als ich ſchon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach Jahres friſt griff ich es von neuem an, und brachte endlich das gantze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans Licht ſtelle.

Jch ruͤhme mich nicht daß ich es von Zeile zu Zeile, viel - weniger von Wort zu Wort gegeben haͤtte: Denn dieſes iſt zum theil unnoͤthig, theils auch aus oberwehnten Ur - ſachen unmoͤglich geweſen. Aus fuͤnfhundert lateiniſchen Verßen habe ich mich genoͤthiget geſehen faſt 700 deutſche zu machen; wiewohl ich die Regel ſtets vor Augen hatte: Ein Uberſetzer muͤſſe kein Paraphraſt oder Ausleger wer - den. Habe ich nur in hauptſaͤchlichen Dingen nichts ver - ſehen oder geaͤndert; ſo wird mans verhoffentlich ſo genau nicht nehmen, wenn gleich nicht der voͤllige Nachdruck aller Horatianiſchen Sylben und Buchſtaben erreichet worden. Ein proſaiſcher Uberſetzer muß es hierinn ge - nauer nehmen; einem poetiſchen aber muß man in Anſe -hung7Vorbericht. hung des Zwanges dem er unterworfen iſt, ſchon eine klei - ne Abweichung zu gute halten, wenn er nur dieſen Man - gel durch eine angenehme und leichtflieſſende Schreibart erſetzet.

Dieſes iſt mit eine von den vornehmſten Abſichten ge - weſen, die ich mir in dieſem Gedichte vorgeſetzet habe. Jch wollte den Horatz gern ſo uͤberſetzen, daß man ihn ohne Anſtoß, und wo moͤglich mit Vergnuͤgen in unſrer Spra - che leſen koͤnnte. Dieſen Zweck aber wuͤrde ich nicht er - halten haben, wenn ich kein Bedencken getragen haͤtte, die Richtigkeit unſrer deutſchen Wortfuͤgung, nebſt der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen aus den Augen zu ſetzen. Das Gehoͤr unſrer Landesleute iſt im Abſehen auf dieſe aͤuſſerliche Stuͤcke ſchon uͤberaus zaͤrt - lich geworden. Kein Menſch lieſt itzo mehr Lohenſteins Gedichte: das macht ſie ſind bey ſo viel herrlichen Ge - dancken zu hart und zu rauhe. Selbſt Hoffmannswaldau iſt nicht mehr ſo beliebt, als er ſonſt geweſen; das macht daß er von ſeinen Nachfolgern auch in der Reinigkeit der Verße weit uͤbertroffen worden. Ja dieſe Zaͤrtlichkeit geht zuweilen ſo weit, daß man deßwegen die allerelen - deſten Reime, ſo nur etwas ungezwungen flieſſen, bey aller ihrer Unvernunft und Niedertraͤchtigkeit der Ge - dancken vor ſchoͤn: und hingegen bey einer kleinen Haͤrte des Ausdruckes, die ſchoͤnſten Gedichte groſſer Meiſter vor elend und mager ausruffet. Habe ich alſo nicht Ur - ſache gehabt, mich auch vor dem Eckel der zaͤrtlichſten Oh - ren zu huͤten; ſonderlich in einem Gedichte, daraus ſie die innern Schoͤnheiten der wahren Poeſie ſollen beurtheilen lernen?

Jſt es mir nun darinn nach Wunſche gelungen, ſo tra -a 4ge8Vorbericht. ge ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen haben werde. Es iſt nicht eines jeden Werck, ſich mit dem Lateine der alten Poeten ſo bekannt zu machen, daß er ſeinen Horatium ohne Muͤhe verſtehen, geſchweige denn mit Luſt leſen koͤnnte. Jn deutſcher Sprache wird er alſo viel verſtaͤndlicher ſeyn, und auch Anfaͤnger auf einen gu - ten Weg weiſen, die ſich vielleicht ſonſt durch uͤble Anfuͤh - rer haͤtten verderben laſſen. Daß es bereits vielen ſo ge - gangen, iſt wohl kein Zweifel, daß aber auch viele durch Horatium von ihren Jrrwegen wieder zurecht gebracht worden, koͤnnte ich durch mein eigen Exempel erweiſen, wenn es wichtig genug waͤre. Doch Herr Hoffrath Neu - kirch wird vermuthlich Anſehen genug haben, uns zu zei - gen, daß auch Leute, die bereits in gantz Deutſchland vor Poeten gehalten werden, in unſrer Horatianiſchen Dicht - kunſt noch genug zu lernen finden. Er hat ſolches in einem Hochzeit-Gedichte von ſich ſelbſt oͤffentlich geſtanden, ſo er, allem Anſehen nach, aus Berlin nach Breßlau abge - ſchicket. Es ſteht Hofm. W. Ged. VI. Th. 101. Bl.

Er ruffet gleich anfangs die Muſen um Huͤlfe an, weil er abermahl ein Gedichte nach Schleſien zu verfertigen vorhabe; dabey er denn beſorgen muͤſte, daß es nicht mehr ſo wohl, als die vorigen wuͤrde aufgenommen werden. Die Urſache, ſagt er, ſey die Aenderung, ſo mit ſeiner Poe - ſie vorgegangen. Er habe aufgehoͤrt ſeinen Vers mit Muſcateller-Safft und Amberkuchen zu naͤhren. Es ſey kein Zibeth noch Biſam, kein Plautus, Tacitus, Seneca oder Plato mehr darinn zu ſpuͤren; Ja er habe auch ſo - gar die Sinnbilder gaͤntzlich ausgemuſtert. Darauf ſagt er, daß ihm alle dieſe Lapalien itzo gantz laͤcherlich vorkaͤ - men, ungeachtet ſie ſonſt viel hundert Leſer verblendet,und9Vorbericht. und ihm ſelbſt viel Ruhm gebracht haͤtten. Man habe ihn gar dem groſſen Opitz vorgezogen, den er doch nie errei - chen koͤnnen. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus; der uns die Quelle anzeiget, daraus dieſe ſo merck - liche Veraͤnderung ſeines Geſchmacks in der Poeſie her - gefloſſen. Es heißt:

O grauſamer Horatz! was hat dich doch bewegt,
Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten auferlegt?
So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernſt geleſen,
So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen.
Vor kamen Wort und Reim; jetzt lauf ich ihnen nach:
Vor flog ich Himmel an; jetzt thu ich gantz gemach.
Jch ſchleiche wie ein Dachs aus dem Poeten-Orden,
Und bin mit groſſer Muͤh noch kaum dein Schuͤler worden.

Wieviel Schuͤler wuͤrde nicht Horatz noch bekommen, wenn alle Deutſche Poeten, die deſſen beduͤrftig waͤren, dem Exempel dieſes wackern Mannes folgen wollten!

Die kleinen Anmerckungen, ſo ich unter den Text geſe - tzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen ſeyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. Jn Verßen laſſen ſich nicht alle Alterthuͤmer ſo erklaͤren, daß man ſie ſattſam verſtehen koͤnnte, wenn man von der Zeit des Scribenten faſt ein paar tauſend Jahre entfernet iſt. Gelehrtere Leſer, die derſelben nicht noͤthig haben, koͤnnen ſie nach Belieben ungeleſen laſſen; wie mans mit den Lateiniſchen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn ſchon geuͤbt iſt. Jch habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfaͤnger daraus meinen Poe - ten verſtehen lernen.

a 5Hora -10Horatius von der Dicht-Kunſt.
Horatius Von der Dicht-Kunſt.
Fuͤrwar, ein artig Bild! Es ſteht ein Menſchen-Kopf
Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogel-Kropf
Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder,
Hernach erblicket man verſchiedner Thiere Glieder.
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Von oben zeigt ein Weib ihr ſchoͤnes Angeſicht,
Von unten wirds ein Fiſch. Jhr Freunde, lacht doch nicht,
Wir wollen mit Gedult des Mahlers Thorheit ſchonen.
Jndeſſen glaubet mir, ihr trefflichen Piſonen,
Dafern mein Wort was gilt, daß eine tolle Schrifft,
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Wo weder Haupt noch Schwantz geſchickt zuſammen trifft,
Und nicht mehr Ordnung zeigt, als was ein Krancker traͤumet,
Sich unvergleichlich wohl zu ſolchem Bilde reimet.
Jch weiß wohl was man glaubt. Man ſpricht u. bleibt dabey:Ein
1Fürwar ein artig Bild! Dieſe Worte hat der Grund-Text nicht. Horatz faͤngt gleich an, ſein Gleichniß von einem ſeltſamen Gemaͤhlde vorzutragen. Allein da ſichs im Deutſchen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und alſo zertrennet werden muſte; ſo macht dieſer Anfang den Leſer aufmerckſam, und ſagt ihm kurtz was er zu gewarten habe.
1
7Des Mahlers. Die alten Mahler pflegten ihre neuverfertigten Stuͤcke zur oͤffentlichen Schau auszuſtellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden daruͤber zu vernehmen. Die Hiſtorie vom Apelles und dem Schuſter iſt bekannt. Wer nun ſo was ungereimtes gemahlt haͤtte, der wuͤrde gewiß aller Welt zum Gelaͤchter geworden ſeyn.
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9Schrifft. Eigentlich ein Buch, aber nach alter Art, da auch ein klein Ge - dichte auf eine eigene Rolle geſchrieben, ein Buch heiſſen konnte. Dieſes Gleichniß kan zwar auch von ungebundenen Schrifften gelten; darinn offtmahls eben ſo we - nig Zuſammenhang, Ordnung und Geſchicke, als in einem ſolchen Bilde zu finden iſt. Allein Horatz redet hier hauptſaͤchlich von Poeſien, ſonderlich vom Helden-Ge - dichte und der Tragoͤdie, die mit einer beſondern Kunſt muͤſſen angeordnet werden.
9
13Manglaubt. Dieß iſt die Meynung derer, die ihren Einfaͤllen gern alles erlauben, und ſich einbilden, die Poetiſchen Sachen waͤren gantz willkuͤhrlich. Daher pflegen ſich dieſelben vergebens auf dieſe Stelle zu beruffen, wenn ſie was ungereimtes entſchuldigen wollen, Pictoribus atque &c. Dieß ſind nicht Horatii, ſondern eines Stuͤmpers Worte.
1311Horatius von der Dicht-Kunſt.
Ein Mahler und Poet folgt ſeiner Phantaſey;
15
4 Er kan ſich ſeiner Kunſt nach eigner Luſt bedienen,
Und ſich durch Geiſt und Witz was ihm beliebt, erkuͤhnen.
Gantz recht, ich geb es zu, und mach es ſelber ſo.
Allein wer miſchet wohl das Feuer in das Stroh?
Kein Tyger zeugt ein Lamm, kein Adler heckt ja Schlangen.
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4Wie manches Dichters Schrifft wird praͤchtig angefangen,
Man ſchmuͤckt ſie hin und her mit Edelſteinen aus,
Beſchreibt Dianens Haͤyn, Altar und Goͤtter-Haus,
Entwirft mit groſſer Kunſt des Rheinſtroms Waſſerwogen,
Und mahlt der Farben Glantz im bunten Regenbogen.
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4Das alles iſt ſehr gut; nur hier gehoͤrts nicht her.
Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer;
Geſetzt du koͤnnteſt nun Cypreſſen-Waͤlder ſchildern,
Was hilft dir dieſe Kunſt, wenn ſich in deinen Bildern
Der Schiffbruch zeigen ſoll, den jener vor ſein Geld,
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4 Nach uͤberſtandner Noth, mit Fleiß bey dir beſtellt?
Dein ſtoltzer Anfang prahlt von ſeltnen Wunder-Sachen,
Wie reitzt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen? Kurtz,
17Jch geb es zu ꝛc. Dacier will in ſeinen Anmerckungen uͤber dieſe Stelle, dieſes waͤren nicht Horatii Worte, ſondern er habe ſie im Nahmen ſeines Gegners vorgebracht. Allein ich ſehe nicht warum. Horatz konnte wohl ſagen: Ein Poet habe Macht nach Belieben zu dichten; da er ſogleich die Bedingung hinzuſetzt, daß es nur nicht wieder die Wahrſcheinlichkeit laufen muͤſſe.
17
21Mit Edelſteinen. Jch haͤtte auch Purpurſtreifen ſetzen koͤnnen, welches dem Grund-Texte naͤher koͤmmt; aber wegen der alten Art der Roͤmiſchen Klei - bung, die bey uns nicht mehr bekannt iſt, habe ichs lieber ſo gemacht. Denn es iſt nur auf einen uͤbelangebrachten Zierrath angeſehen. Dazu muͤſſen nun unſern Poeten ſonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire Carniolen und Amethiſten dienen.
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25Das alles iſt ſehr gut. Dieſes gehoͤrt vor die unendlichen Poetiſchen Mahler, die ihren Leſer mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode mahlen, wo er nicht aus Eckel und Uberdruß das Buch weglegt. Eine lebhaffte Beſchreibung iſt gut; aber lauter Bilder ſind verdruͤßlich zu leſen.
25
31Dein ſtolzer Anfang ꝛc. Es heißt eigentlich Gleichniß-weiſe nach Hrn Eckardts Uberſetzung: Du willſt ein groß Gefaͤß ausdeinem Thone treiben, Und dennoch koͤmmt zuletzt ein Toͤpflein von der Scheiben. Allein ich dachte daß es nuͤtzlicher waͤre die darunter verſteckte Wahrheit ungekuͤn - ſtelt herauszuſagen.
3112Horatius von der Dicht-Kunſt.
Kurtz, alles was du ſchreibſt muß ſchlecht und einfach ſeyn.
Doch Piſo, truͤgt uns offt des Guten falſcher Schein.
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8Die Kuͤrtze macht mich ſchwer. Jch will natuͤrlich ſingen,
Und leyre lahm und matt. Der ſtrebt nach groſſen Dingen,
Und bleht ſich ſchwuͤlſtig auf. Wenn jener furchtſam ſchreibt,
Geſchieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt.
Wer ſich bemuͤht, ein Ding ſehr vielfach vorzuſtellen,
40
8 Mahlt leicht den Stoͤhr ins Holtz, den Eber in die Wellen.
So bald iſt es geſchehn, auch wenn man ſich bemuͤht
Von Fehlern frey zu ſeyn, daß ſich der Kiel verſieht.
Man laͤßt ein Fechter-Spiel aus dichtem Ertzte gieſſen,
Da hat der Stuͤmper nun die Naͤgel an den Fuͤſſen
45
8 Und jedes Haar des Haupts ſehr kuͤnſtlich ausgedruͤckt;
Die Bildung uͤberhaupt iſt plump und ungeſchickt,Weil
33Schlecht und einfach. Simplex et vnum. Das heißt, nicht gar zu bunt und kauderwelſch durch einander gemiſcht, als wenn man alle Theile ſeiner Klei - dung aus einer andern Farbe machen wollte. Dieſe natuͤrliche Einfalt duͤnckt man - chem ein Fehler zu ſeyn; ſie iſt aber die groͤſte Kunſt. Ein Helden-Gedichte beſchreibt eine einzige Fabel: das iſt ſchlecht und einfach, aber kuͤnſtlicher als Ovidii Ver - wandlungen; worinn wohl etliche hundert Fabeln ſtehen. Eine Comoͤdie vom Moliere hat nur eine einzige Fabel zum Jnhalte. Ein Stuͤck aus Corneille und Racine iſt gleichfals einfach. Jm Theatre Italien aber iſt alles vielfach und kun - terbunt. Jenes iſt regelmaͤßig, dieſes unfoͤrmlich und heßlich. NB. Ein gutes Gedicht muß aus dem vollen geſchnitten werden, wie ein gut Kleid; nicht aus mancherley bunten Lappen zuſammen geflickt ſeyn, wie ein Harlekins-Rock.
33
39Sehr vielfach vorzuſtellen. Das iſt der Fehler unſrer poetiſchen Mahler. Sie miſchen Himmel und Erden durch einander und kein Ding behaͤlt ſeine Stelle. Die Sterne ſind Blumen des Himmels, und die Blumen Sterne der Erden. Die Sonne das Auge der Welt, und das Auge die Sonne des Angeſichts u. ſ. w. Das heiſt Fiſche in den Wald, und das Wild in die See mahlen.
39
45Und jedes Haar ꝛc. Das heißt die Stuͤmper verfallen auf Kleinigkeiten in ihren Beſchreibungen. Sie mahlen uns alle Sonnenſtaͤubchen, die ſie in der Lufft haben fliegen ſehen: Aber im Gantzen iſt weder Art noch Geſchicke. Einen Helden in der Tragoͤdie laͤßt man ſeine Schoͤne in den kuͤnſtlichſten Ausdruͤckungen, bis auf die Faͤſerchen ſo an ihren Spitzen ſind, beſchreiben; aber die gantze Fabel taugt nichts.
45
51Jhr Dichter wagt ꝛc. Mancher will ein Helden-Gedichte ſchreiben ehe er noch weiß daß es Regeln in der Welt gibt, darnach es eingerichtet werden muß. Ariſtoteles und andre die davon geſchrieben, ſind ihm unbekannt; doch wagt er ſich. Mancher will Comoͤdien machen oder Tragoͤdien ſchreiben, und weiß nichts von der innerlichen Einrichtung, den Schoͤnheiten und Fehlern dieſer Poeſien. Daherlaͤßt
5113Horatius von der Dicht-Kunſt.
Weil Ordnung und Geſtalt und Stellung gar nichts taugen.
Viel lieber wuͤnſch ich mir, bey ſchwartzem Haar und Augen,
Ein ſcheußlich Angeſicht und krummes Naſenbein,
50
12 Als daß ein Verß von mir, ſo wie dieß Bild ſoll ſeyn.
Jhr Dichter, wagt doch nichts, als was ihr wohl verſteht,
Verſuchts, wie weit die Krafſt von euren Schultern geht,
Und uͤberlegt es wohl: ſo wird nach klugem wehlen,
Den Schrifften weder Kunſt, noch Licht, noch Ordnung fehlen.
55
12Mich duͤnckt, daß ſich allda der Ordnung Schoͤnheit zeigt,
Wenn man das Wichtigſte von forne zwar verſchweigt,
Doch Raͤtzelhafft entdeckt; und kluͤglich im Entſcheiden
Die ſchoͤnſten Sachen wehlt, die ſchlechten weiß zu meiden.
Jn neuer Woͤrter Bau, ſey kein Poet zu kuͤhn;
60
12 Das aͤltſte laͤßt ſich offt auf neue Sachen ziehn,Doch
51laͤßt er einen Herrn, der ſeine Knechte aushuntzet, die Muſquete auf ſie loͤſen, und dieſelben zum Fenſter hinaus ſteigen, ja einen Pariſer Edelmann mit einem Woll - Wagen auf die Leipziger Meſſe kommen. Heißt das der Natur nachgeahmet?
51
57Rätzelhafft entdeckt. Dieß geht wieder auf die groſſen Arten der Gedichte. Ein Helden-Gedicht, und ein Theatraliſch Stuͤck meldet gleich von forne wovon es handeln wird, aber nur dunckel; damit nicht der Zuhoͤrer Aufmerckſamkeit ein Ende nehme, ehe alles aus iſt. Die voͤllige Aufloͤſung der gantzen Verwirrung muß gantz aufs letzte bleiben. Unſre Romanſchreiber pflegen dieſe Regel ziemlich gut in Acht zu nehmen; wenn ſie ihre Fabeln in der Mitten anfangen, und allmaͤh - lich das vorhergegangene nachholen.
57
57Klüglich im Entſcheiden. Eine kluge Wahl macht einen guten Poeten. Die erſten Einfaͤlle find nicht immer die beſten. Jn einer Haupt-Fabel koͤnnen viel Neben-Fabeln vorkommen, aber ſie ſind nicht alle gleich gut. Der Poet muß einen Unterſcheid zu machen wiſſen.
57
59Zu kühn. Wieder dieſe Regel haben nicht nur die Zeſianer und andre Geſellſchaffter aus mancherley Orden in Deutſchland auf eine laͤcherliche Art ge - ſuͤndiget: ſondern es treten auch heutiges Tages noch viele in ihre Fußtapfen. Sie machen taͤglich ein paar Dutzend neue Woͤrter, und es koͤmmt kein Gedichte von ihnen zum Vorſchein, darinn ſie nicht, ihrer Meynung nach, die Sprache berei - chert haͤtten.
59
60Das ältſte ꝛc. Die Fuͤgung der Woͤrter giebt offt alten Woͤrtern einen neuen Verſtand: Wenn nun der Scribent ſie ſo verbindet, daß man ohne Muͤhe ſieht was er haben will, ſo iſts gut. Der Grund-Text kan auch von der Zuſammen - ziehung zweyer einfachen Woͤrter verſtanden werden. Z. E. Banck und Saͤnger iſt beydes bekannt: wenn ich aber einen ſchlechten Poeten einen Baͤnckel-Saͤnger nenne, ſo iſt es neu. Die Lateiner pflegten dergleichen zu thun, aber die Griechen weit haͤufiger. Wir Deutſchen haben die Freyheit auch, aber man muß das Ohr zu Rathe ziehen.
6014Horatius von der Dicht-Kunſt.
Doch muß die Redens-Art des Schreibers Sinn erklaͤren.
Doch ſollten Kunſt und Fleiß ein neues Ding gewaͤhren,
So ſtellt mans ungeſcheut durch einen Ausdruck dar,
Der unſern Vaͤtern noch was unerhoͤrtes war.
65
17Wer dieß beſcheiden thut, dem kan mans nicht verwehren.
Zuweilen kan man auch der Woͤrter nicht entbehren,
Die Griechenland uns leyht. Was Plautus und Lucil
Vorzeiten Macht gehabt, das kan ja auch Virgil.
Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?
70
17Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,
Und manche Redens-Art zu Rom in Schwang gebracht?
Wie kommts denn, daß man itzt ein ſolches Weſen macht,
Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu ſchelten?
Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.
75
17So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht;
Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet,
Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode ſind nicht nur die Menſchen unterthan,
80
17 Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an.
Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen,Dem
65Beſcheiden thut. Z. E. wenn man une Courtiſane eine Buhldirne ein Original ein Urbild, eine Jdee ein Denckbild nennet; ſo wird wohl die Beſchei - denheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Naſe einen Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, wuͤrde gewißlich verſtoſſen.
65
67Griechenland. Was Horatz von Griechenlandſagt, das gilt bey uns von Franckreich. Es giebt einige Worte die wir von ihnen nehmen muͤſſen; weil wir ſie nicht ohne groſſe Umſchweife deutſch geben koͤnnen. Z. E. Peruͤcke. Compliment, Palatin u. d. gl. allein viele thuns ohne Noth.
67
81Julius Caͤſar hatte angefangen die Lucriniſche See mit dem Meere zu ver - einigen: Auguſt brachte es vollends zu Stande, nennete aber dieſe Anfurt Portum Julium.
81
83Auguſtus. Der Roͤmiſche Buͤrger meiſter Cethegus hatte den Pomptini - ſchen Moraſt ſchon einmahl ausgetrucknet; er war aber wieder ſumpfigt geworden. Auguſt ließ ihn zum andern mahl in brauchbar Land verwandeln. Es hat aber auch nicht lange gedauret.
83
94Gewohnheit. Freylich muß man nichts ſchreiben als was uͤblich iſt; aber nicht alles was uͤblich iſt darf man ſchreiben. Die Gewohnheit iſt zweyerley; Die eine geht bey den geſchickteſten Hofleuten, den guten Scribenten und dem ver -nuͤnf -
9415Horatius von der Dicht-Kunſt.
Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen.
Ein Koͤnigliches Werck! Was kan Auguſtus thun?
Er trocknet Seen aus, und kan nicht eher ruhn,
85
22 Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,
Ein fruchtbar Ackerland und fette Wieſen ſehen.
Noch mehr, er aͤndert gar der Tyber alten Lauf,
Und ſchrenckt die Fluthen ein. Das allzumahl hoͤrt auf:
Der groͤſten Wercke Pracht, muß endlich untergehen,
90
22 Wie koͤnnten denn der Zeit die Sprachen wiederſtehen?
So manch verlegnes Wort, das laͤngſt vergeſſen war;
Kommt wieder an das Licht, und ſtellt ſich ſchoͤner dar.
Und was man itzo braucht, das wird man einſt vergeſſen;
Die Sprachen muͤſſen ſich nach der Gewohnheit meſſen.
95
Jn was vor Verßen man der Fuͤrſten Heldenmuth,
Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth
Geſchickt beſingen kan, das hat Homer gewieſen,
Als er durch ſein Gedicht Achillens Zorn geprieſen.
Die Elegie war ſonſt ein Werck der Traurigkeit,
100
22 Allein ſie ward hernach zugleich der Luſt geweyht.
Wer ſie zuerſt erdacht, iſt nicht ſo leicht zu ſagen,
Da die Gelehrten ſelbſt, ſich noch darum befragen. Archi -
94nuͤnftigſten Theile vom Adel - und Buͤrger-Stande im Schwange. Die andre herrſcht bey dem Poͤbel, den einfaͤltigen Scribenten, dem ungelehrten Adel und den affectirten Hofleuten. Jene iſt die Richtſchnur der Poeten, nicht dieſe. Nach dieſer Regel ſollten ſich die poͤbelhafften Versmacher richten, denen die niedertraͤchtigſten Redensarten edel genug ſind.
94
98Gedicht. Horatz meynt das Helden-Gedicht Jlias, welches in langen ſechsfuͤßigten Verßen geſchrieben iſt. Nun koͤnnte zwar auch in kurtzen oder ver - miſchten Verßen ein Helden-Gedicht gemacht werden: weil das Weſen deſſelben in der innern Einrichtung, nicht aber in der Laͤnge der Zeilen beſteht. Allein Ari - ſtoteles hat ſchon erinnert, daß eine ſolche Art von Verßen lange nicht ſo majeſtaͤ - tiſch klingen wuͤrde, als ein Helden-Gedicht klingen ſoll. Jm Deutſchen muͤſſen wir lange jambiſche, mit ungetrennten Reimen dazu nehmen.
98
99Elegie. Diejenige Art von Verßen, da man die Alexandriniſchen mit kuͤr - zern fuͤnffuͤßigen immer abwechſelt. Zuerſt hat man nichts als Klagen uͤber die Verſtorbenen darinn abgefaſſet: hernach hat man auch verliebte Briefe, Hochzeit - Verße und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theocles oder Ter - pander ſoll ſie erfunden haben. Jm Deutſchen brauchen wir ahermahl die langen jambiſchen, mit wechſelnden Reimen dazu.
9916Horatius von der Dicht-Kunſt.
Archilochus erfand das Jambiſche Gedicht,
Darinnen trat das Luſt - und Trauer-Spiel ans Licht;
105
25 Es iſt auch ſehr geſchickt Geſpraͤche drinn zu ſetzen,
Bezwingt des Volcks Geraͤuſch und kan das Ohr ergetzen.
Der Goͤtter hohes Lob, der Voͤlcker Alterthum,
Beruͤhmter Helden Preis, der Kaͤmpfer Krantz und Ruhm,
Und was ein Juͤngling thut, den Wein und Liebe zwingen,
110
25 Befahl der Muſen Mund in Oden abzuſingen.
Dafern ich nun davon nichts gruͤndliches verſteh,
Und mich in jeder Art der Poeſie vergeh,
Bin ich denn ein Poet? Jch bins nicht; das ſey ferne! Was
103Archilochus erfand. Nicht als wenn vor ihm keine Jamben waͤren gemacht worden: denn nach Ariſtotelis Bericht hat ſchon Homerus auf einen ge - wiſſen Margites eine Satire gemacht, die faſt in lauter jambiſchen Verßen be - ſtanden. Sondern weil er ſich ſonderbar damit hervor gethan.
103
105Sehr geſchickt. Weil es nehmlich im Griechiſchen und Lateiniſchen, ſo - wohl als im Deutſchen, uͤberaus leicht fiel, jambiſche Verße zu machen, und weil dieſes Sylbenmaaß von der natuͤrlichen proſaiſchen Art nicht ſehr unterſchieden iſt.
105
106Geräuſch. Ohne Zweifel dasjenige, welches in den Schauplaͤtzen ent - ſtund, wenn viel Zuſchauer verhanden waren. Weil nun die ungereimten jam - biſchen Verße faſt wie die ungebundne Rede klungen, und doch eine gewiſſe Anmuth hatten: ſo hoͤrte das Volck deſto aufmerckſamer zu. Bey uns machens die Reime, daß unſre poetiſchen Schauſpiele von der Proſa unterſchieden ſind: aber vielleicht nur deſto angenehmer klingen, weil man die Reime gern hoͤret.
106
110Der Muſen. Jm Grund-Texte ſteht nur eine Muſe, und ſoll vielleicht Calliope ſeyn: die ihrem Sohne Orpheus nach der XII. Ode des I. B. Horaͤtii, zu - erſt ſingen gelehret. Wiewohl es gewiß iſt, daß lange vor dem Orpheus Lieder ge - ſungen worden.
110
110Oden. Dieß iſt der allgemeine Nahme aller Lieder, und begreift vielerley Gattungen unter ſich. Hymnos, Encomia, Threnos und Bacchica. Die erſten waren geiſtlich, und den Goͤttern zu Ehren gemacht; Die andern weltlich, und hielten das Lob der Koͤnige, Helden und Sieger bey den Griechiſchen Spielen, in ſich; Die dritten verliebt, und beklagten die ungluͤcklichen Schickſale der Poeten in der Liebe; Die vierdten luſtig, und wurden beym Truncke gebraucht. Die Hymni hieſſen auch Paeanes, die Encomia wurden auch Scolia genennet; die Threnos nennte man auch Melos, und die Bacchica hieſſen auch wohl Dithy - rambi, darinnen offt was ſatiriſches vorkam. Wiewohl man dieſe Nahmen nicht immer ſo genau unterſchieden hat. Man ſehe Scaligers Poeſie nach.
110
112Jn jeder Art. Wer die verſchiedenen Charactere, der Helden-Gedichte, Elegien, Satiren, Trauerſpiele, Luſtſpiele und Oden nicht zu beobachten weiß, der darf ſich nicht ruͤhmen daß er ein Poet iſt. Horatz iſt ſelbſt ſo beſcheiden, daß er ſich ſolches nicht zuſchreibet. Man kan leicht ſehen wie wenige deutſche Poetendieſe
11217Horatius von der Dicht-Kunſt.
Was ſtoͤrt mich denn die Scham, daß ich die Kunſt nicht lerne?
Wo Luſt und Anmuth herrſcht, da ſchreibt man nicht betruͤbt,
115
31 Hingegen wo Thyeſt ein blutig Gaſtmahl giebt,
Da wird dein Trauerſpiel ſehr wiederſinniſch klingen,
Dafern dein matter Reim es niedrig wird beſingen.
Nicht jede Schreibart kan auf jeder Stelle ſtehn,
Zuweilen darf ſich auch des Luſtſpiels Thon erhoͤhn,
120
31 Wenn Chremes zuͤrnt und dreut, im Herzen Galle kochet,
Und bey geſchwollner Bruſt mit frechen Worten pochet.
Jm Klagen ſenckt ſich auch das Trauerſpiel mit Recht,
Darum ſpricht Telephus und Peleus platt und ſchlechtBOhn
112dieſe Charactere beobachtet. Opitz hat nicht viel Nachfolger gefunden, die ſo wie er in die Fußtapfen der Alten getreten. Man macht Helden-Gedichte in elegiſchen, und verliebte Klagen in heroiſchen Verßen. Man macht Lob-Gedichte in der ge - meinen Satiriſchen Schreibart, und die Satire wird gar in der Sprache des Poͤbels abgefaſſet.
112
114Betrübt. Jn tragiſchen Verßen ſoll man nicht von comiſchen Sachen reden, heißt es eigentlich. Die Comoͤdie aber hat die laͤcherlichen Thorheiten der Buͤrger vor ſich, und fordert alſo eine ungekuͤnſtelte natuͤrliche Art des Ausdruckes. Die Tragoͤdie hergegen beſchreibt die ungluͤcklichen Schickſale hoher Perſonen, und muß alſo in erhabener und praͤchtiger Schreibart gemacht werden. Wer dieſes vermiſcht, verraͤth ſeine Unwiſſenheit.
114
115Thyeſt. Ennius hatte davon ein Trauerſpiel gemacht. Es hatte ihm Atreus ſeine eigene Kinder gekocht und zu Eſſen vorgeſetzt, die er auch unwiſſend verzehrete. Dieſe grauſame Begebenheit vertritt die Stelle aller andern Tragiſchen Fabeln, und zeigt, wie ungereimt es ſeyn wuͤrde, von dergleichen ſchrecklichen Dingen eine niedertraͤchtige Schreibart zu gebrauchen.
115
118Nicht jede Schreibart. Dieſe Regel Horatii iſt von groſſer Wichtigkeit, und erfordert viel Verſtand und Beurtheilungs-Krafft bey einem Scribenten: daher denn vielfaͤltig dawieder verſtoſſen wird.
118
119Des Luſtſpiels Thon erhoͤhn. Die Natur gewiſſer Affecten bringt hoch - trabende Redensarten, und einen verwegenen Ausdruck nach dem andern hervor. Z. E. der Zorn, davon Chremes in Terentii Comoͤdien ein Beyſpiel giebt. Soll nun ein Zorniger auch in der Comoͤdie natuͤrlich ſprechen, ſo muß man ihn tragiſch, das iſt ſtoltz und trotzig reden laſſen. Dieß iſt eine Ausnahme von der obigen Regel.
119
122Jm Klagen ſenckt ſich. Die Natur der Traurigkeit erfordert eine niedrige und gemeine Art der Ausdruͤckungen. Telephus und Peleus, ſind ein paar Tragoͤ - dien geweſen die Euripides gemacht, und worinn er dieſe beyde vertriebene Prinzen in Bettler-Habite gantz klaͤglich redend eingefuͤhret. Sie ſind beyde nicht mehr verhanden. B
12218Horatius von der Dicht-Kunſt.
125
37Ohn allen Woͤrter-Pracht; denn ſoll man mit ihm weinen,
So muß uns erſt ſein Schmertz gantz ungekuͤnſtelt ſcheinen.
Laß dein Gedichte nicht nur ſchoͤn und zierlich ſeyn,
Ein wohlgemachter Verß nimmt Hertz und Geiſter ein,
Und kan des Leſers Bruſt bezaubern und gewinnen.
130
37Man lacht mit Lachenden, und laͤſſet Thraͤnen rinnen
Wenn andre traurig ſind. Drum wenn ich weinen ſoll,
So zeige du mir erſt dein Auge Thraͤnen-voll:
Alsdann o Telephus! wird mich dein Ungluͤck ruͤhren.
Allein iſt an dir ſelbſt kein wahrer Schmertz zu ſpuͤren,
135
37 So ſchlaͤft man druͤber ein, und du wirſt ausgelacht.
Ein weinend Angeſicht das klaͤglich Worte macht,
Jſt der Natur gemaͤß. Ein Eifriger muß zuͤrnen,Der
125Wörterpracht. Ampullas & ſesquipedalia verba. Das erſte geht auf die hohen Gedancken, das andre auf die langen zuſammengeſetzten Woͤrter, dadurch im Griechiſchen die Schreibart erhoben wurde. Beydes wuͤrde in dem Munde eines Traurigen ſehr ſeltſam klingen.
125
129Bezaubern. Schoͤne Worte machens noch nicht aus, daß ein Gedichte ſchoͤn iſt: es muß auch durch den Jnhalt einnehmen, bewegen, entzuͤcken, ja faſt gar bezaubern. Alle poetiſche Bluͤmchen, aller Zibeth, Moſch und Ambra, Nectar und Ambroſia iſt vergeblich: Alle Roſen und Nelcken, Liljen und Jeſminen ſind umſonſt; Aller Purpur und Marmor, alles Gold und Helfenbein, macht nichts: wenn die innerliche Beſchaffenheit der Gedancken nicht das Hertz ruͤhret, die Af - fecten rege macht, und das Gemuͤthe des Leſers oder Zuſchauers in Schauſpielen nach Gefallen hin und her treibet.
129
132So zeige du mir erſt. Dieſe Regel geht auch die proſaiſchen Redner an. Cicero hat in ſeinem andern Buche vom Redner weitlaͤuftig genug davon gehan - delt. Es iſt unmoͤglich die Affecten andrer Leute zu ruͤhren, wenn man nicht ſelbſt dergleichen an ſich zeiget. Polus, ein roͤmiſcher Comoͤdiant, ſollte eine Perſon vorſtellen, die ihren Sohn beweinet. Weil ihm nun eben ſein einziger Sohn geſtor - ben war, ſo holte er deſſen wahrhafften Aſchen-Krug auf die Schaubuͤhne, und ſprach die dazu gehoͤrigen Verße mit einer ſo kraͤfftigen Zueignung auf ſich ſelbſt aus, daß ihm ſein eigner Berluſt wahrhaffte Thraͤnen auspreſte. Und da war kein Menſch aufm Schauplatze, der ſich der Thraͤnen haͤtte enthalten koͤnnen. Man ſehe das 18. Cap. der Poetic Ariſtotelis nach.
132
135Ausgelacht. So geht es gemeiniglich denen, die kein Geſchicke haben, eine Sache dem gehoͤrigen Affecte nach auszuſprechen, und alles in einem Thone herbeten. Man kan es nicht glauben daß es ihnen ein Ernſt ſey; und alſo ruͤhret es auch nicht. Zum Demoſthenes kam einer, und verlangte von ihm, jemanden anzuklagen, der ihn geſchlagen haͤtte. Er erzehlte aber ſolches ſehr kaltſinnig: ſo daß Demoſthenes es nicht glauben konnte. Er machte ihm daher viel Einwuͤrfe: Es koͤnne unmoͤglich ſeyn, daß er geſchlagen worden; denn beleidigte Leute pfleg - ten mit groͤſſerer Bewegung zu reden als er: Bis jener ſich endlich erzuͤrnete, undmit
13519Horatius von der Dicht-Kunſt.
Der Schertz ſpricht frech u. geil, der Ernſt mit krauſer Stirnen.
Der Seelen Jnnerſtes wird erſt in uns bewegt,
140
41 Von Zorn und Eiferſucht und Rachgier angeregt,
Von Schrecken uͤberhaͤuft, von Gram und Furcht zerſchlagen;
Alsdann kan erſt der Mund recht Centner-Worte ſagen.
Spricht irgend die Perſon, wie ſichs vor ſie nicht ſchickt,
So lacht das gantze Rom, ſo bald es ſie erblickt.
145
41Drum unterſcheide wohl Stand, Alter und Geſchlechte,
Gantz anders ſpricht ein Herr, gantz anders reden Knechte.
Es iſt nicht einerley, was ein verlebter Mann
Und muntrer Juͤngling ſpricht. Dieß Wort ſteht Ammen an,
Matronen aber nicht. Kein Kaufmann ſpricht wie Bauren,
150
41 Kein Kolcher redet ſo, als ob er Babels MaurenB 2Von
135mit groſſer Hefftigkeit und klaͤglichen Worten ſeine Klage zu wiederholen anfieng. Nunmehro glaube ich dir, gab der Redner zur Antwort: denn ſo pflegt ein Belei - digter zu ſprechen.
135
139Der Seelen Jnnerſtes. Hier giebt Horatz den vhiloſophiſchen Grund ſeiner Regeln an: und daher ſieht man, wie noͤthig es auch Dichtern ſey, die Welt - Weisheit inne zu haben, ſonderlich den Menſchen wohl zu kennen, welches ohne die Geiſt - und Sittenlehre nicht geſchehen kan.
139
143Spricht irgend. Die Rede iſt noch immer von den Schauſpielen, wo der Poet jede Perſon ſo muß reden laſſen, wie es ihr Character erfordert. Die Comoͤdianten finden hier gleich falls ihre Regel, was die Ausſprache betrifft.
143
144Das ganze Kom. Eigentlich die Edlen und das gemeine Volck. Die Roͤmer hatten ſchon einen ziemlichen Geſchmack, und konnten es leicht mercken, wenn jemand auf der Schaubuͤhne dergleichen Fehler machte. Unſre Zuſchauer ſind ſo geuͤbt noch nicht, daß ſie dergleichen Urtheil faͤllen koͤnnten; weil ſie wenig Schauſpiele geſehen haben: Es waͤre denn wenn die Fehler gantz handgreiflich ſind. Z. E. wenn man einen dummen Herrn ſo wie einen dummen Jungen reden laͤſt.
144
146Herrꝛe. Knechte. Davusne loquatur an herus. Andere ſetzen vor He - rus, Heros, und vor Davus, Divus, wie z. E. Dacier will, weil er meynt, die Goͤtter ſo in alten Tragoͤdien vorkommen, ſollten anders reden als die Helden. Dieß iſt zwar nicht zu leugnen; doch da beyde in erhabner Schreibart ſprechen muͤſſen, ſo giebt es keinen groſſen Unterſcheid. Mir koͤmmt es alſo wahrſcheinlicher vor, Davus nnd Herus, ein Knecht und Herr, ſey von dem Poeten einander ent - gegen geſetzt worden; da iſt die Verſchiedenheit der Charaetere groß genug. Kommt Davus mehr in Comoͤdien als Tragoͤdien vor, ſo iſt nichts daran gelegen. Die Regel iſt allgemein vor alle Schauſpiele.
146
149Bauren. Hier iſt es augenſcheinlich, daß Horatz auch auf die Comoͤdie ſeine Abſichten gerichtet denn Kaufieute und Bauren kommen in Tragoͤdien faſt gar nicht vor. Dacier ſucht ſich hier vergeblich auszuwickeln. Ariſtophanes hat dieſe Regel nach Plutarchi Urtheile ſchlecht beobachtet. Moliere iſt ein Meiſter darinn. Denn ſoviel verſchiedne Perſonen er auffuͤhret, ſopiel Gattungen des Aus - druckes giebt er ihnen.
14920Horatius von der Dicht-Kunſt.
Von Jugend auf gekannt. Wen Argos Buͤrger heiſt,
Spricht nie Thebanern gleich. Drum lencke deinen Geiſt
Entweder auf ein Werck aus wircklichen Geſchichten:
Wo nicht, ſo muſt du doch nichts ungereimtes dichten.
155
47Fuͤhrſt du, wie dort Homer, den Held Achilles ein;
So muß er zornig, hart, und unerbittlich ſeyn:
Er trete Billigkeit, Geſetz und Recht mit Fuͤſſen,
Und wolle ſonſt von nichts, als Macht und Waffen wiſſen.
Medeen ſchildre frech, Jxion komme mir
160
47 Gantz treulos und verſtockt, und Jno klaͤglich fuͤr.
Wenn Jo fluͤchtig irrt; ſo muß Oreſtes klagen.
Hingegen willſt du dich an neue Fabeln wagen,
So richte die Perſon nicht wiederſinniſch einUnd
154Nichts ungereimtes. Nun koͤmmt der Poet von der Sprache auf die Charactere der Perſonen, die in dramatiſchen und epiſchen Gedichten vorkommen. Dieſe muͤſſen nun dergeſtalt gemacht werden, daß die Handlungen derſelben wahr - ſcheinlich herauskommen, und es niemanden Wunder nehme, daß dieſer oder jener ſo oder anders verfahren habe. Denn ſo wie man geartet iſt, ſo handelt man auch. Das Exempel Achillis macht die Sache klar.
154
159Medea. Euripides hat ſie in einer Tragoͤdie ſo abgeſchildert. Sie ermor - det mit eigner Hand ihre zwey Kinder, ſchicket ihrer Nebenbuhlerin ein Kleid, wel - ches ſich entzuͤndet und ſie verzehret. u. ſ. w.
159
159Jxion. Er ſoll der erſte Moͤrder in Griechenland geweſen ſeyn. Er bat ſeinen Schwieger-Vater Dejonejus zu Gaſte, und brachte ihn ums Leben. Als ihn Jupiter aus den Haͤnden der Richter befreyete und zu ſich in den Himmel nahm, wollte er die Juno nothzuͤchtigen. Darum ſtuͤrzte ihn der Gott in die Hoͤlle, wo er auf einem Rade liegend immer in die Runde laͤuft. Eſchylus hatte davon eine Tragoͤdie gemacht.
159
160Jno. Eine Tochter des Cadmus, ſtuͤrzte ſich mit einem ihrer Kinder ins Meer, als ihr Mann Athamas raſend geworden war, ihren aͤlteſten Sohn um - gebracht hatte, und den andren auch toͤdten wollte. Euripides hatte ſie deswegen ſehr klaͤglich redend in einem Trauerſpiele aufgefuͤhret.
160
161Jo, des Jnachus Tochter, ward vom Jupiter geliebt, in eine Kuh verwan - delt, und von der eiferſuͤchtigen Juno raſend gemacht; da ſie denn viele Laͤuder durchſtrichen, und endlich in Egypten wieder ihre vorige Geſtalt bekommen, und unter dem Nahmen Jſis verehret worden. Eſchylus hat ſie in ſeinem Prometheus bis ins innerſte Scythien kommen laſſen.
161
161Oreſtes. Euripides hat ein eigen Trauerſpiel von ihm gemacht, und ſei - nen Zuſtand ſo jaͤmmerlich abgebildet, daß er mehr einem Geſpenſte und Schatten eines Menſchen, als einem lebendigen aͤhnlich ſahe. So groß war ſein Ungluͤck, ſeine Wuth und Raſerey geworden.
161
162An neue Fabeln. Vorher wieß Horatz wie man Perſonen, die in den Fa -belu
16221Horatius von der Dicht-Kunſt.
Und laß ſie mit ſich ſelbſt in allem einig ſeyn.
165
54Es iſt in Wahrheit ſchwer, was eignes anzufangen,
Du wirſt noch eins ſo leicht im Schreiben Ruhm erlangen,
Wenn du Atridens Zorn in neue Verße ſchreckſt,
Als wenn du ſelbſt zuerſt ein Trauerſpiel erdenckſt.
Es ſteht ja Dichtern frey, ſich aus bekannten Sachen,
170
54 Durch Witz und Kunſt und Fleiß ein Eigenthum zu machen.
Dafern die Feder nur nicht allzu ſclaviſch ſchreibt,
Und Uberſetzern gleich an Worten kleben bleibt.
Ein Thor vertieft ſich da, mit aͤngſtlichem Bemuͤhen,
Wo er ſich endlich ſchaͤmt den Fuß zuruͤck zu ziehen.
175
Man fange kein Gedicht ſo ſtolz und ſchwuͤlſtig an,
Als jenes Stuͤmpers Kiel aus Unverſtand gethan:B 3Jch
162beln ſchon bekannt ſind, Characteriſiren ſolle; nehmlich ſo wie ſie von den Alten beſchrieben worden: Jtzo zeigt er, wie man die Charactere der Perſonen in neuen Fabeln bilden ſolle; nehmlich nicht wiederſinniſch, ſondern gleichfoͤrmig mit ſich ſelbſt. Ein Stolzer muß ſich ſtolz, ein Furchtſamer furchtſam, ein Geiziger geizig bezeigen; und bis ans Ende der Fabel ſo bleiben. Dieſes iſt nichts leichtes.
162
167Jn neue Verße. Die Jlias Homeri hat zu vielen Tragoͤdien Anlaß ge - geben, obwohl Ariſtoteles ſagt, daß nicht mehr als eine oder hoͤchſtens zwey daraus gemacht werden koͤnnen. Man hatte aber nur Gelegenheit davon genommen, und viel dazu gedichtet, welches denn dem Poeten allezeit erlaubt geweſen. Dieſes raͤth uns der Poet, als was leichtes. Des Taſſo befreytes Jeruſalem hat gleich - falls viel Tragoͤdien veranlaſſet.
167
169Bekannten Sachen. Die alten Gedichte der Griechen, die in jedermanns Haͤnden waren. Von einem Helden koͤnnen viel Tragoͤdien gemacht werden, ja von derſelben Handlung eines Helden. Z. E. Oedipus iſt vom Sophocles, Cor - neille und Voltaire, Sophonisbe von Corneille Mairet und Lohenſtein beſchrieben, aber alle haben die Fabel anders gemacht.
169
173Vertieft ſich. Die Nachahmung alter Fabeln muß mit Verſtande ge - ſchehen. Nicht alles was man von gewiſſen Perſonen findet, laͤßt ſich auf der Schaubuͤhne vorſtellen: denn die Regeln der Schauſpiele, ſind gantz anders, als die Regeln des Helden-Gedichtes. Wer nun uͤber der Nachahmung ſeine Abſicht vergaͤße, der wuͤrde mitten im Gedichte ſtecken bleiben, weil er bald ſehen wuͤrde, daß es ſich nicht ausfuͤhren lieſſe.
173
175Kein Gedicht. Nun ſcheint Horatz aufs Helden-Gedicht zu kommen. Er tadelt die prahleriſchen Anfaͤnge derſelben; und fuͤhrt das Exempel des Maͤvius an, der den gantzen Lebens-Lauf Priams in ein Gedichte gebracht hatte; weswegen er ihn Scriptorem cyclicum nennet. Statius iſt auch ein ſolcher cyclicus Scriptor, weil er den gantzen Lebenslauf Achillis beſchrieben; und hat es ungeachtet dieſer Regel Horatii, die ihm nicht unbekannt ſeyn konte, doch noch viel aͤrger gemacht. Er hebt an:Magna -
17522Horatius von der Dicht-KunſtJch will von Priams Gluͤck u. Helden Thaten ſingen!
Was wird der Prahler doch vor Wunderwercke bringen!
Er kreißt wie jener Berg, der eine Maus gebahr.
180
59Wer ſieht nicht daß Homer hier viel beſcheidner war? Jhr Muſen zeigt mir den, der Trojens Burg beſtritten,
Und nach der Teucrer Fall ſo vieler Voͤlcker Sitten;
So manche Stadt geſehn. Hier folgt das finſtre nicht
Auf heller Blitze Glantz; der Schatten zeugt das Licht.
185
59Er faͤngt gantz niedrig an, um deſtomehr zu ſteigen,
Und wird allmaͤhlich ſchon die groͤſten Wunder zeigen,
Den Rieſen Polyphem, Charybdens Strudel-Mund,
Der Menſchen-Freſſer Grimm und Scyllens wuͤſten Schlund.
Den Vortrab wird er nie von weit geſuchten Sachen,
190
59 Zur Ruͤckkunft Diomeds vom Trojer-Kriege machen,
Wo Meleager fiel. Wo faͤngt der groſſe MannDer
175
Magnanimum Æacidam formidatamque tonanti Progeniem, & vetitam patrio ſuccedere cœlo, Diua refer! .
175
180Beſcheidner. Die Klugheit lehrte dieſen Poeten gantz gelaſſen anfangen, und kein groß Geſchrey machen, als er ſeine Odyſſee ſchrieb. Virgil hat es eben ſo gemacht. Lucan, Statius und Claudian ſind von der rechten Bahn wieder ab - gewichen. Z. E. Dieſer letzte faͤngt ſeinen raptum Proſerpinae ſo an:
Inferni raptoris equos, afflataque curru Sidera Tenario, caligantesque profundae Junonis thalamos, audaci promere cantu Mens congeſta jubet.
180
184Der Schatten zeugt das Licht. Eigentlich der Dampf geht vor dem Glanze her. Wie der Rauch vor der vollen Flamme entſteht; ſo muß der Anfang eines Gedichtes ſeyn. Nicht aber wie Stoppeln, die gleich lichterlohe brennen, aber auch gleich wieder verloͤſchen.
184
190Diomeds. Antimachus, ein griechiſcher Poet, hatte von der Ruͤckreiſe Diomedis ein Gedichte geſchrieben, und den Anfang dazu vom Tode Meleagers vor Troja, gemacht, der doch gar nicht dazu gehoͤrte.
190
192Von Ledens Eyern an. Der Urheber der kleinen Jlias hatte ſich vorge - nommen, den gantzen Trojaniſchen Krieg zu beſingen; davon Homer nur einen kleinen Theil in ſeinem Gedichte beſchrieben hat. Er fieng aber die gantze Fabel von forne an, wie nehmlich Helena nebſt dem Caſtor und Pollux gebohren waͤre: weil der Raub dieſer Prinzeßin die Urſache des gantzen Krieges geweſen. Das war nun viel zu weit hergeholt.
192
193Dem Zwecke zu. Ein jedes Helden-Gedicht hat ſeinen Hauptzweck oderAbſicht.
19323Horatius von der Dicht-Kunſt.
Der Teucr er Untergang von Ledens Eyern an?
Er eilt dem Zwecke zu und wird von vielen Dingen,
Die er beruͤhren muß, als laͤngſt-bekannten, ſingen.
195
65Was gar nicht faͤhig iſt, wohl ausgeputzt zu ſeyn,
Das uͤbergeht er gar. Und miſcht er Fabeln ein,
Die er erſonnen hat, ſo wird in allen Stuͤcken,
Der Anfang ſich genau zu ſeinem Ende ſchicken.
Vernimm dann, was nebſt mir das Roͤmer-Volck begehrt.
200
65Denn willſt du, daß man nicht, indem dein Schauſpiel waͤhrt,
Nach Hauſe laufen ſoll; und daß man bis zum Ende,
Dabey der Saͤnger rufft: Nun klopfet in die Haͤnde!
Gedultig, ja noch mehr, durch Klatſchen und Geſchrey,
Ein Zeuge deiner Kunſt und dein Verehrer ſey:
205
65 So zeige, daß du dich mit gantzem Ernſt befliſſen,
Der Menſchen Unterſcheid, Natur und Art zu wiſſen. B 4Ein
193Abſicht. Jn der Jlias iſt es die Rache Achillis an dem Hector: Jn der Odyſſee die Wiedererlangung des Regiments auf der Jnſel Jthaca. Dahin eilt Homerus gleich - ſam, und miſcht keine fremde Zwiſchen-Fabeln ein, die nicht gantz unentbehrlich waͤren. Das iſt ſein groſſes Kunſtſtuͤck. Er ſetzte zum voraus, daß ſeine Leſer den Urſprung des Trojaniſchen Krieges, und andre damit verknuͤpfte Sachen ſchon wiſſen wuͤrden.
193
197Die er erſonnen hat. Der Poet ſagt, Homer habe ſo gelogen und das Wahre dergeſtalt mit dem Falſchen vermiſcht, daß ꝛc. Die Seele des Helden-Ge - dichts und einer Tragoͤdie iſt die Fabel, die der Poet erdichtet: nicht aber eine wahr - haffte Hiſtorie, wie ſich viele faͤlſchlich einbilden. Wenn die Fabel erdacht iſt, als - dann ſucht der Poet in der Hiſtorie erſt eine aͤhnliche Begebenheit, und giebt ſeinen Perſonen die bekannten Nahmen aus derſelben, damit ſie deſto wahrſcheinlicher werde. Das heiſt das Wahre mit dem Falſchen vermiſchen; wie Ariſtoteles ſolches in ſeiner Poetic weitlaͤuftig zeiget.
197
199Vernimm. Hier koͤmmt Horatz wieder auf die Schauſpiele, und will zeigen, worinn ihre Schoͤnheit beſtehe.
199
202Der Sänger. Vermuthlich meynt der Poet das ganze Chor, welches zwiſchen den verſchiednen Handlungen der Schauſpiele gantze Oden abzuſingen pflegte, und am Ende mit dem Worte Plaudite den Schluß machte.
202
206Der Menſchen ꝛc. Dieß iſt die nothwendigſte Eigenſchafft eines Poeten, der theatraliſche Stuͤcke verfertigen will. Er muß die Moral verſtehen, oder den Menſchen mit allen ſeinen verſchiedenen Neigungen und Begierden kennen. Ohne dieſe Wiſſenſchafft wird er lauter Fehler machen. Die groͤſten Meiſter habens zu - weilen hierinn verſehen: was wird denn von Stuͤmpern zu hoffen ſeyn, die von der Philoſophie ſo zu reden nicht einmahl gehoͤret haben? Gleichwohl haben wir inDeutſch -
20624Horatius von der Dicht-Kunſt.
Ein Kind, ſo reden lernt, und deſſen feſter Schritt,
Den Boden allbereit ohn alle Furcht betritt,
Vertreibt die Zeit im Spiel und ſcherzt mit ſeines gleichen,
210
70 Jſt bald zum Zorn gereizt, auch leichtlich zu erweichen,
Und ſtets voll Unbeſtand. Wird nun der Knabe groß,
Der Eltern ſtrenger Zucht, der Lehrer Aufſicht loß;
So lacht ihm ſtets das Hertz bey Hunden, Wild und Pferden,
Kan leicht aus Unverſtand der Laſter Sclave werden,
215
70 Haßt jeden der ihn ſtraft, bedenckt nicht was ihm nuͤtzt,
Verzehrt mehr als er hat, iſt ſtolz, vor Luſt erhitzt,
Und kan doch was er liebt, in kurtzem wieder haſſen.
Gantz anders iſt ein Mann, der alles das verlaſſen.
Geſetzt und ſtandhafft ſeyn, das iſt ſein Eigenthum,
220
70 Er ſtrebt nach Geld u. Gut, nach Freundſchafft, Gunſt u. Ruhm,
Und nimmt ſich wohl in acht, damit er nichts begehe,
Daraus ihm Schimpf und Spott und ſpaͤte Reu entſtehe.
Ein abgelebter Greis wird mit den Jahren matt,
Verlangt was ihm gebricht, genieſt nicht was er hat,
225
70 Jſt furchtſam was zu thun, und gar zu karg im geben,
Schiebt alles laͤnger auf, und hofft ein langes Leben,
Jſt traͤge, wuͤnſcht zuviel, hat ſtets ein ſchlechtes Jahr,
Und lobt die alte Zeit, da er ein Juͤngling war,Jſt
206Deutſchland eine Menge verwegener Comoͤdienmacher gehabt, an welchen nichts mehr zu loben iſt, als daß ſie das wenigſte haben drucken laſſen: ſo, daß es uns gleich - wohl von Auslaͤndern nicht zur Schande kan vorgeruͤcket werden.
206
233Des Greiſen Rolle. Das heiſt nicht: Keinem jungen Comoͤdianten die Partie eines alten Mannes zu ſpielen geben; ſondern einem Juͤnglinge, der im Schauſpiele ſelbſt einen jungen Menſchen vorſtellen ſoll, nicht die Gemuͤths-Art eines Alten andichten. Denn da jenes ſehr wohl angeht, ſo laͤuft dieſes wieder alle Wahrſcheinlichkeit. Das waͤre ein anders, wenn man gerade das Wiederſpiel von unſren Sitten vorzuſtellen willens waͤre, wie der Hr. Geh. Secr. Koͤnig in ſeiner verkehrten Welt den jungen Stutzer ſo bildet, daß er ſehr ſparſam, redlich, hoͤflich und demuͤthig iſt. Er wollte den Character junger Leute ſo machen, wie ſie ſeyn ſollten, nicht wie ſie wircklich ſind.
233
237Erzehlt man bloß. Man kan nicht alles ſichtbarlich auf der Schaubuͤhne vorſtellen, was in einer Tragoͤdie oder Comoͤdie vorkommt. Bisweilen iſt die Zeit, bisweilen auch der Ort Schuld daran: bisweilen aber auch die Natur der Sache ſelbſt. Die Franzoſen laſſen auf ihren Buͤhnen kein Blut vergieſſen, weilſie
23725Horatius von der Dicht Kunſt.
Jſt immer voll Verdruß, bedroht und ſtraft die Jugend,
230
73 Und ſetzt ſein eigen Werck zur Regel aller Tugend.
Der Jahre Wachsthum bringt uns Staͤrcke Muth u. Krafft,
Und wenn das Alter kommt, wird alles hingerafft.
Drum laß den Juͤngling nie des Greiſen Rolle machen,
Kein Greis ſey Knaben gleich. Man muß in allen Sachen,
235
73 Auf das, was ſich geziemt, und auf den Wohlſtand ſehn.
Was ſich nicht ſpielen laͤſt, ſo wie es iſt geſchehn,
Davon erzehlt man bloß die Nachricht auf den Buͤhnen.
Doch, was das Ohr nur hoͤrt, ſo kraͤfftig es geſchienen,
Dringt lange nicht ſo tief in die Gemuͤther ein,
240
73 Als was man ſelber ſieht. Wiewohl was Dinge ſeyn,
Die man nicht zeigen mag, die darf das Volck nicht ſehen:
Man traͤgt ſie muͤndlich vor, als waͤren ſie geſchehen.
Medea darf den Mord an ihrer Leibes-Frucht
Nicht oͤffentlich begehn. Des Atreus Eiferſucht,
245
73 Giebt dem Thyeſtes zwar, das Fleiſch gekochter Knaben,
Doch darf man Topf und Heerd nicht ſelbſt geſehen haben,
Wo ſie geſotten ſind. Verwandelt Progne ſich,
Wird Cadmus eine Schlang; alsdann bediene dich
Der Freyheit nimmermehr, dergleichen ſehn zu laſſen:
250
73 Jch glaub es warlich nicht, und werd es ewig haſſen.
B 5Ein237ſie weichlich und wolluͤſtig von Natur ſind. Wenn alſo ein Todſchlag vorgeht, ſo wird er nur erzehlt, als wenn er hinter den Scenen vorgegangen waͤre. Die En - gellaͤnder und wir Deutſchen haben dergleichen blutige Dinge gern: wenige Perſo - nen ausgenommen, die kein Blut ſehen koͤnnen.243Medea. Wir haben oben gehoͤrt, daß ſie ihre beyde Kinder ermordet habe. Wenn nun ein Poet ein Trauerſpiel davon machte, darf er ſie dieſe ſchaͤndliche Mordthat nicht vor den Augen der Zuſchauer begehen laſſen. Seneca hat es in - deſſen in ſeiner Tragoͤdie doch gethan, und alſo Horatii Regel uͤberſchritten: der aber, wie leicht erhellet, nicht alle, ſondern nur die grauſamſten Mordthaten auf der Schaubuͤhne vor unanſtaͤndig erklaͤret; wie denn alle drey griechiſche Tragoͤ - dienſchreiber ſich nicht gaͤntzlich der blutigen Handlungen enthalten haben.247Progne ſoll ſich in eine Schwalbe, wie Philomele in eine Nachtigall, Cadmus aber in eine Schlange verwandelt haben. Jn der Fabel iſt dieß angenehm zu leſen, aber es wird laͤcherlich, ja unglaublich, wenn man es ſichtbar vorſtellen wollte. Daher kan man urtheilen, was von der Verwandlung eines Mannes in einen Hund zu halten ſey, die uns gleichwohl in einer gewiſſen neuen Comoͤdie auf der Schaubuͤhne haͤtte gezeiget werden ſollen, wenn ſie jemahls geſpielet waͤre.26Horatius von der Dicht-Kunſt.
Ein Schauſpiel das beliebt und angenehm ſoll ſeyn
Das theile man genau nur in fuͤnf Actus ein.
Man miſche keinen GOtt in ſeiner Helden Thaten,
Biß es nicht moͤglich iſt der Wunder zu entrathen.
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76Es ſprechen auf einmahl nicht mehr als ihrer Drey.
Man ſorge, daß der Chor zwar mit im Spiele ſey,
Doch daß ſein Singen nicht die Handlung unterbreche,
Und er nichts thoͤrichtes, nichts ungeſchicktes ſpreche.
Er ſey der Tugend hold, er gebe guten Rath
260
76 Und baͤndige den Zorn. Wer eine Frevelthat
Sich ſcheuet zu begehn, den muß er willig preiſen;
Er lobt die Maͤſſigkeit, der aufgetragnen Speiſen,Liebt
252Fünf Actus Die Neuern haben zwar zuweilen nur drey gemacht, aber alsdann bekommt jede Handlung gar zu viel Scenen oder Auftritte, ſo, daß dem Zuſchauer Zeit und Weile daruͤber lang wird. Es iſt alſo beſſer man bleibe bey dieſer Regel Horatii, und folge lieber dem Exempel der alten Griechen nach, als den heutigen Jtalienern: die ohne Zweifel die Urheber der Stuͤcke mit drey Hand - lungen ſind.
252
253Keinen GOtt. Die alten Tragoͤdienſchreiber pflegten zuweilen ohne Noth, die Goͤtter in ihre Fabeln zu miſchen: ſonderlich wenn ſie ihren Helden in ſolche Umſtaͤnde hatten gerathen laſſen, daß er ohne ein ſolches Wunder nicht aus oder ein gewuſt haͤtte. Dieſes verbietet Horatz ohne die hoͤchſte Noth nicht zu thun. Es iſt auch in der That eine ſchlechte Kunſt, die Verwirrung, darinn man ſeinen Held geſtecket, durch eine goͤttliche Huͤlfe zurecht zu bringen. Das heiſt den Knoten zerſchneiden, nicht aufloͤſen. Daher erhellet denn, daß die groͤſte Schoͤnheit der Opern, die den Poͤbel ſo blendet, ich meyne die Maſchinen, nichts als theatraliſche Fehler ſind, zumahl die meiſten recht bey den Haaren herzu gezogen werden.
253
255Jhrer drey. Dieſes iſt eine Regel, dawieder faſt in allen neuern Theatra - liſchen Poeſien gehandelt wird. Die Alten hatten gemeiniglich nur zwey, ſelten drey, und faſt niemahls viere auf einmahl mit einander ſprechen laſſen. Der La - teiniſche Ausdruck laͤßt ſich auch ſo erklaͤren, daß die vierdte Perſon, ſich nicht ohne Noth zum Reden dringen ſolle. Die Franzoſen indeſſen haben zuweilen wohl fuͤnf Perſonen auf der Schaubuͤhne in einem Auftritte reden laſſen. Es iſt auch zuwei - len faſt unentbehrlich, nur es muß keine Verwirrung dadurch verurſachet werden.
255
256Der Chor. Das war bey den Alten eine Menge von Leuten die auf der Schaubuͤhne als Zuſchauer der Handlung, die daſelbſt geſpielet ward, vorgeſtellet wurden. Die Wahrſcheinlichkeit erforderte es damahls ſo. Die Thaten der Koͤ - nige und Helden giengen faſt immer auf oͤffentlichem Marckte, oder doch auf ſol - chen Plaͤtzen vor, wo eine Menge Volcks ihnen zuſahe. So muſten denn dieſe auch auf der Schaubuͤhne vorkommen. Die Buͤrger der Stadt hatten auch mehrentheils an den Handlungen ihrer Koͤnige Theil: daher ſagt hier Horatz, der gantze Chor ſolle auf der Buͤhne die Stelle einer mitſpielenden Perſon vertreten; das heißt, zu -weilen
25627Horatius von der Dicht-Kunſt.
Liebt Recht und Billigkeit, und der Geſetze Flor,
Erhebt ein ruhig Volck bey unbewachtem Thor,
265
80 Verhehlt des andern Fehl und wuͤnſcht mit heiſſem Flehen
Von GOtt, den Armen reich, den Stolzen arm zu ſehen.
Vorzeiten dorfte nur die Pfeife ſchlecht und klein,
Nicht mit Metall umfaſſt, Trompeten-aͤhnlich ſeyn.
Und dennoch ließ ſie ſich, bey den beliebten Choͤren,
270
80 Auch mit vier Loͤchern ſchon gantz hell und lieblich hoͤren:
Jndem der Schauplatz noch durch jene kleine Schaar
Des tugendhafften Volcks, ſo ſehr beſetzt nicht war.
Allein nachdem das Schwerdt der Roͤmer durchgedrungen,
Bald dieß bald jenes Land beſtritten und bezwungen;Seit
256weilen etwas darzwiſchen reden. Es ſprachen aber nicht alle Perſonen des Chors auf einmahl, ſondern der Fuͤhrer (Corypheus) redete im Nahmen der uͤbrigen.
256
258Nichts ungeſchicktes. Einige Poeten hatten den Chor nur dazu gebrau - chet, daß er zwiſchen den Handlungen was ſingen muſte, und die Lieder ſchickten ſich gar nicht zu der Tragoͤdie. Das kam nun eben ſo heraus, als wenn itzo die Muſicanten allerley luſtige Stuͤcke dar zwiſchen ſpielen. Aber Horatz will, daß alles, was der Chor redet und ſinget, ſich zur Sache ſchicken, und mit dem gantzen Spiele zuſammen hangen ſoll.
258
259Er ſey ꝛc. Hier erklaͤrt der Poet die gantze Pflicht des Chores. Er ſoll den Tugendhafften geneigt ſeyn, den Huͤlfbeduͤrftigen mit Rath an die Hand gehen, die Zornigen beſaͤnftigen, die Unſchuldigen vertheidigen, die Sparſamkeit loben, Recht und Billigkeit lieben u. ſ. w. Dadurch ward nun eben die Tragoͤdie der Alten eine Schule des Volckes, und die Poeten, die dem Chore ſolche nuͤtzliche Sachen in den Mund legten, oͤffentliche Lehrer der Tugend. Man lernte im Schauplatze mehr Moral und rechtſchaffenes Weſen, als in den Tempeln von ſo viel muͤßigen Goͤtzen-Pfaffen, die nichts als ihre Ceremonien zu beobachten wuſten.
259
267Die Pfeife. Womit man bey dem Geſange des Chores in Tragoͤdien zu ſpielen pflegte. Wie nun dieſe ſowohl in Griechenland, als nachmahls in Rom anfaͤnglich ſchlecht waren, nachmahls aber allmaͤhlich immer kuͤnſtlicher und koſt - barer gemacht wurden; nachdem die Republic ſelbſt in Flor kam, und die Muſic vollkommener wurde: So gieng es auch mit der Poeſie, oder den Liedern des Cho - res, davon der Poet hier noch fortfaͤhrt zu reden. Erſt waren ſie einfaͤltig, hernach wurden ſie immer beſſer, und endlich gar ſo kuͤnſtlich und tiefſinnig, daß ſie den Orackeln nicht viel nachgaben.
267
268Metall. Orichalcum war eine Art koͤſtliches Metalls, ſo wir itzo nicht mehr kennen. Plinius ſchreibt man habe es gar dem Golde eine Zeit lang vorge - zogen. Einige meynen es muͤſſe Aurichalcum d. i. Gold-Ertzt heiſſen; aber es iſt griechiſcher Abkunfft οριχαλκον und heiſſet Berg-Ertzt.
268
270Vier Löchern. Nach dem Berichte Varronis ſind die aͤlteſten Pfeifen nicht mit mehr als vier Loͤchern verſehen geweſen; ich habe alſo dieſes mit eingeruͤckt, ungeachtet Horatz nur von wenigen Loͤchern gedencket.
27028Horatius von der Dicht-Kunſt.
275
86Seit dem der Mauren Kreis, ſich weiter aus gedehnt,
Die reichen Buͤrger ſich das Schmauſen angewehnt,
Weil ſie kein Richter ſchilt, wenn ſie bey Tage praſſen:
So hat auch Reim und Thon den alten Klang verlaſſen.
Denn was verſtund davon ein Bauer, deſſen Fleiß
280
86 Von ſchwerer Arbeit kam, der meiſtens voller Schweiß
Jn unſern Schauplatz trat, wohin ſich alles drengte,
Wenn Poͤbel, Herr und Knecht ſich durcheinander mengte.
Drum hat Muſic und Tantz die alte Kunſt erhoͤht,
Der Pfeifer, der ſo ſtoltz ſtets hin und wieder geht,
285
86 Schleppt itzt den langen Rock gantz praͤchtig auf den Buͤhnen;
So muſt in Griechenland die Cyther gleichfalls dienen. Die
277Bey Tage praſſen. Die alten Roͤmer ſchmauſeten nicht ſehr; und wenn ſie es ja thaten, geſchah es des Abends. Aber als der Uberfluß die Buͤrger wolluͤſtig gemacht hatte, pflegten ſie es auch bey hellem Tage zu thun; und das ward ihnen von keinem Sittenrichter oder ſonſt von jemanden verboten.
277
279Ein Bauer. Die alten Roͤmer trieben faſt alle den Ackerbau und man hat wohl eher einen Buͤrgermeiſter oder Dictator hinter dem Pfluge ſuchen muͤſſen. Solche Landleute nun waren keine ſonderliche Kenner von Poeſie und Muſic: Es war ſchon gut genug vor ſie, ſo ſchlecht es immer ſeyn mochte.
279
284Der Pfeifer. Die Muſicanten gehoͤrten mit zum Chore der Alten, und ſtunden alſo mit auf der Buͤhne, daß man ſie ſahe. Da nun ihre Muſic ſehr kuͤnſtlich, zaͤrtlich und wolluͤſtig geworden war, ſo trugen ſie auch praͤchtige lange Kleider mit groſſen Schweifen, dergleichen die andern tragiſchen Perſonen hatten.
284
286Die Cyther. Die Leyer, Harfe oder wie man das Wort Fides geben will. Sie ward vorzeiten in Griechenland, eben ſowohl als die Pfeifen in Rom, beym Cho - re der Tragoͤdien gebraucht. Horatz will hier ſagen, daß ſie auch anfaͤnglich nur ſchlecht weg und ohne alle Kunſt geſpielet worden; allmaͤhlich aber gantz zaͤrtlich, wolluͤſtig und frech geworden, das heiſt: Fidibus ſeueris voces creuere. Was von der Muſic geſagt worden gilt auch von der Poeſie der Griechen; wie die folgen - den Verße zeugen.
286
288Geſchwulſt. Horatz ſagt eloquium inſolitum, und facundia prae - ceps, beydes zeigt die hochtrabende Art des Ausdruckes, und die ſchwuͤlſtige Dun - ckelheit der griechiſchen Oden an, die der Chor ſingen muſte. Die Ode muß freylich wohl eine edle Schreibart haben; aber die Poeten triebens zu hoch, und machtens endlich ſo arg, daß man ſie nicht beſſer verſtehen konnte, als die Antworten der Orackel, die doch gantz zweydeutig zu ſeyn pflegten.
288
290Düfften. Es iſt bekannt, daß zu Delphis aus einer unterirrdiſchen Hoͤle ein gewiſſer Dampf aufgeſtiegen, der nach dem gemeinen Aberglauben, der auf einem Dreyfuſſe daruͤber ſitzenden Prieſterin, die prophetiſche Wiſſenſchaft kuͤnff - tiger Dinge von unten zu eingehauchet. Dieſe prophezeyhende Schreibart nahmendie
29029Horatius von der Dicht-Kunſt.
Die Ubung ſamt der Kunſt hat ſehr beredt gemacht,
Und oͤffters iſt der Reim ſo voll Geſchwulſt und Pracht,
Als wenn Apollo ſpricht, der dort aus finſtern Kluͤfften
290
92 Jn ſeine Prieſterin Orackel pflegt zu duͤfften.
Der Dichter, ſo zu erſt ſich durch ein tragiſch Lied,
Um einen ſchlechten Bock als den Gewinnſt bemuͤht,
Entbloͤſte bald darauf die baͤuriſchen Satiren,
Und ließ bey ſeinem Ernſt auch Schertz und Stacheln ſpuͤren.
295
92Kein Wunder, denn das Volck verlangte zu der Zeit,
Durch neue Reizungen und lauter Luſtigkeit,
Hinein gelockt zu ſeyn; wenn es an Feyer-Tagen
Den Gottesdienſt vollbracht, und denn bey Sauf-Gelagen,Sich
290die Poeten in den Oden ihrer Choͤre an; und uͤberſchritten die Schrancken der Wahrſcheinlichkeit dadurch ſehr.
290
291Der Dichter. Er redet hier von dem Pratinas, dem Erſinder der Comoͤ - dien. Es hatte derſelbe vorher auch Tragoͤdien gemacht, die dazumahl noch nichts als bloſſe Lieder waren, ſo von einer groſſen Anzahl Saͤnger auf Doͤrfern, und Marckt - Flecken den Leuten vorgeſungen wurden. Es hat zu ſeiner Zeit ſchon mehrere gege - ben, die mit einander um den Vorzug geſtritten, und der Preis der zum Gewinn auf - geſetzt war, iſt ein Bock geweſen. Dieſer Pratinas lebte nach Plutarchi Bericht gleich nach dem Thespis, der die Tragoͤdie erfunden.
291
293Entblößte. Dieſer Poet Pratinas hat den gantzen Chor aus nackten Satyren unter der Anfuͤhrung Sileni ihres Oberſten beſtehen laſſen; und alſo eine Art von ſatiriſchen Tragoͤdien aufgebracht. Es waren aber die Stachelreden dieſer ſo genannten Satyren nicht ſo luſtig und ſchertzhafft als die Comoͤdien. Dieſes haͤtte ſich mit der tragiſchen Ernſthafftigkeit nicht zuſammen gereimet; darum ſagt Ho - ratz, incolumi grauitate, jocum tentauit aſper. Sie ſind mehr beißigt und ſcharf als laͤcherlich geweſen. Wir haben nur eine Probe von dieſer Art, nehmlich des Euripides Cyclops uͤbrig behalten.
293
297An Feyertagen. Die heydniſche Religion war ſehr luſtig. Der vornehmſte Gottesdienſt beſtund im Opfern, dabey man wacker ſchmauſete, und dem Gott Bachus zu Ehren ſich einen Rauſch truncke. Die erſten Tragoͤdien waren nichts anders als Lieder, die demſelben zu Ehren geſungen wurden, und die Stelle der Nach - mittags-Andachten vertraten. Da man nun zwiſchen die Lieder des Chores die redenden Perſonen eingeſchaltet hatte, die eine beſondre Fabel ſpieleten, dazu ſich denn auch der Chor hernach ſchicken muſte: ſo hatte der Gott Bachus gleichſam ſeine gantze Verehrung eingebuͤſſet. Das trunckne Volck hergegen war dieſer beliebten Gottheit noch ſehr gewogen; daher bequemte ſich dieſer Poet eines Theils dieſer Neigung und miſchte unter die ernſthafften tragiſchen Vorſtellungen Choͤre von Satiren, die auch was luſtiges mit darunter machten.
29730Horatius von der Dicht-Kunſt.
Sich toll und voll gezecht. So fieng das Luſt-Spiel an.
300
96Doch wagt ſich unter uns ein neuer Dichter dran;
So muß er ſeinen Schertz und ſein ſatyriſch Lachen
Nicht frech und regelloß; vielmehr ſo kluͤglich machen,
Daß wenn ein Gott, ein Held, ſich auf der Buͤhne zeigt,
Der Gold und Purpur traͤgt, und kaum vom Throne ſteigt,
305
96 Sein Mund ſich weder gantz zum tiefſten Poͤbel neige
Noch gar zu voller Schwulſt die Wolcken uͤberſteige.
So erbar eine Frau, wenn ſie ein hohes Feſt,
Nach unſrer Stadt Gebrauch zum Tanze ruffen laͤſſt,
Jn ihrem Reyhen geht: So pflegt ſich bey Satyren
310
96 Das hohe Trauer-Spiel gantz ſchamhafft auf zufuͤhren.
Wenn ich denn ſelbſt einmahl ein Spott-Gedichte ſchreib,
So denckt nicht daß ich nur bey ſchlechten Worten bleib,
Die wir von Kindheit an, ohn alle Kunſt gewohnen,
Und die kein Putz erhoͤht; ihr trefflichen Piſonen! Auch
300Wagt ſich unter uns. Jn Rom ſind dieſer Art Schauſpiele niemahls eingefuͤhret worden: obgleich einige die Fabulas Atellanas dahin haben rechnen wollen. Gleichwohl giebt Horatz auf allen Fall Regeln, die allen Satyrenſchrei - bern dienen koͤnnen.
300
303Ein Gott, ein Held. Dieſe Perſonen gehoͤren eigentlich nicht in die Co - moͤdien, ſondern in die Tragoͤdien: doch in den atellaniſchen Fabeln, pflegten die Roͤmer auch dieſe aufzufuͤhren, und was luſtiges mit unterzumiſchen. Eine ſolche Atellana war gleichſam das Nachſpiel einer Tragoͤdie in Rom, wie Dacier will, und ward von eben denſelben Perſonen geſpielt, die im Vorſpiele in Kron und Pur - pur erſchienen waren.
303
305 306Sich weder ꝛc. noch ꝛc. Die Schreibart in dieſer Art von Schau - ſpielen ſoll das Mittel halten, weder poͤbelhafft und niedertraͤchtig, noch gar zu hochtrabend und aufgeblaſen ſeyn. Die Roͤmer hatten noch Fabulas Taberna - rias, da auf der Buͤhne die Huͤtten ſchlechter Leute vorgeſtellt wurden, und worinn lauter ſchlechte Leute auftraten, die gantz gemein redeten. Zwiſchen dieſen und den tragiſchen Ausdruͤckungen ſollen die atellaniſchen Fabeln das Mittel halten.
305 306
307So erbar eine Frau. Dieß Gleichniß iſt uͤberaus geſchickt das obige zu erlaͤutern. Eine Matrone muſte zwar an Feſttagen tantzen; aber gantz erbar: nicht ſo luſtig als junge Maͤdchen, die ſich recht ergetzen wollten. So auch dieſe Art von Tragoͤdien ꝛc. Es waren aber nur gewiſſe Feſte, da die Frauen in Rom den Goͤttern zu Ehren tantzen durften, und ſie wurden von den Prieſtern dazu gewehlet. Das heiſt moveri juſſa.
307
311Ein Spottgedichte, Satirorum Scriptor: oder ſolcher atellaniſchen Tra - gicomoͤdien. Dieß giebt allen Satiren-Schreibern eine treffliche Regel. Sieſoll
31131Horatius von der Dicht-Kunſt.
315
101Auch unterſcheidet ſich mein Reim vom Trauer-Spiel,
Jm Ausdruck nicht ſo ſehr, als waͤr es mir gleichviel,
Ob Davus etwas ſagt, ob Pythias gelogen,
Die Simons ſchnoͤden Geitz um ein Talent betrogen,
Ob gar der baͤuriſche und alte Greis Silen,
320
101 Der ſich geſchickt erwieß dem Bachus vorzuſtehen,
Sich redend hoͤren laͤſſt. Jch werde zwar was dichten;
Doch meine Fabel ſtets auf etwas wahres richten,
Das jeder kennt und weiß. Ein jeder der es ſieht
Wird glauben: Es ſey leicht. Doch wenn er ſich bemuͤht,
325
101 Mir wircklich nachzugehn, wird er vergeblich ſchwitzen,
Und bey dem groͤſten Fleiß umſonſt daruͤber ſitzen.
So viel koͤmmt auf die Art und die Verbindung an;
Jndem die Ordnung auch was ſchlechtes adeln kan.
Nehmt euch doch wohl inacht, ihr Kuͤnſtler in Satyren!
330
101Sie nicht nach Roͤmer Art