ALs unlangſten in Teutſchlie - bender Geſellſchaft vernuͤnf - tig erwehnet wordẽ: die Teut - ſche Poeterey were ſehr ſchwer zu erlernen; dieweil man nicht uur den Laut / uñ das Maß der Syllben / wie bey den Griechẽ und Lateinern / beob - achten muͤſſe; ſondern auch benebens ver - bunden ſey / den Abſchnitt und den Reim - ſchluß / mit unverruckter Ordnung der Woͤrter / in allen Zeilen / genauſichtig zu behalten: da hingegen in andeꝛn Sprach - en kein Reimſchluß / und zuweilen kein) (ijAb -Abſchnitt / vonnoͤhten; die Woͤrter aber nach Erheiſchung deß Gebaͤnds zu ver - ſetzen freyſtehe.
Hierauf habe ich / nach meiner gerin - gen Wiſſenſchaft dieſer Sachen / geant - wortet: daß hingegen zu betrachten; wie uns unſre Mutterſprach bekanter ſeyn ſoll / als keine fremde; wie die langen und kurtzen Syllben leichtlich zu erkennen; wie der Reimwoͤrter ſehr viel und der Ab - ſchnitt / wegen derſelben voͤlliger Wahl / ſowol als die natuͤrliche Ordnung der Rede leichtlich koͤnne gefuͤget werden.
Wann wir / ſetzte ich darzu / mit der Zeit / wie mit gegenwaͤꝛtigem Wein / um - giengen / ſo ſolte man die Dicht - und Reimkunſt / in VI. Stunden / wonicht vollkoͤmmlich / iedoch zur Noht / faſſen / und verſtehen koͤnnen. Den Wein / fuh - re ich auf Befragen fort / gieſſet man durch Trichter in Flaſchen und Faͤſſer / daß alle Tropffen daꝛvon zu Nutzen kom - men: die Zeit laſſen wir ohne Nutzen ver -flieſ -flieſſen / und achten fuͤr nichts / viel gute Stunden uͤbel anzulegen / welcher Ver - luſt doch mit aller Welt Reichthum und Arbeit nicht widerum zuwegengebracht werden kan; da hingegen alle Jahre neu - er Wein waͤchſet. Ob ich nun in der Gleichniß vieler Beyfall erlangte / wol - te mir doch / wegen der kurtzen Zeit / ſo ich zu Erlernung beruͤhrter weitlaͤuftiger Kunſte beſtimmet / niemand Glauben zuſtellen. Daher ich bewogen worden / nicht vielmehr Stunden auf dieſen Poë - tiſchen Trichter zu wenden / und im Weꝛ - cke zu erweiſen / daß mein Vorgeben ei - nem jeden / der darzu Luſt hat / unſchwer thunlich ſeyn werde. Nicht der Mei - nung / iemand Geſetz vnd Ordnung vor - zuſchꝛeiben / welche ich von allen Teutſch - gelehrten gerne annemen will: ſondern mich zu verſichern meiner wenigen Er - fahrenheit (maſſen keiner nicht ſagen kan / daß er eine Kunſt wiſſe / welche er zu - vor keinen andern gelehret hat) und zu -) (jiibeglau -beglauben / daß nichts ſo ſchwer ſcheine / welches duꝛch Belieben muͤhſamen Fleiſ - ſes nicht leichtlich koͤnte gefaſſet wer - den.
Demnach aber dem Traumenden ge - fallen / mich juͤngſthin mit Zuſchreibung ſeiner Frantzoͤſiſchen Andachten / uͤber das Leiden Chriſti / zu ehren; hab ich nicht uͤmgehen ſollen / jm dagegen / zu Eꝛ - wiederung ſolcher Gewogenheit / dieſe eilfaͤhrige Arbeit aus dienſtfreundlichem Wolmeinen zuzueignen / und ſeiner guͤn - ſtigen Beurtheilung / als einem Meiſter dieſer Kunſt / zu untergeben: nicht zweif - lend / er werde ſolche Teutſchhertzige Be - zeugung unſrer vertreulichen Freund - ſchaft mit guͤnſtigem Gefallẽ an-uñ auf - nemen. Hiermit verbleibet / nechſt Em - pfehlung Goͤttlicher Beſchirmung /
deß Traumenden getreuer Diener und Geſellſchafter der Spielende.
Das Abſehen / und die Urſachen deß Ver - faſſers gegenwaͤrtigen Werkleins betreffend.
MAn lieſet / daß die Sibylla võ Cuma / dem Roͤmiſchen Koͤ - nig Tarquin neun Buͤcher / uͤm eine hohe Sum̃a Gelts kaͤuflich angeboten: als er a - ber ſolches Anbringen verachtet / habe ſie drey darvon verbrannt / und die uͤbꝛi - gẽſechs Buͤcher in voꝛigem Werth / fuͤr den Koͤnig / feil getragen; welcher jhre Wort / als einer wahnſiñigen / verlachet. Nachdem ſie aber noch drey in das Feu - er geworffen / hat beſagter Koͤnig das wiederholte Anbringen beſſer beobach - tet / und die drey hinterſtellige Buͤcher in dem erſten Werth erkaufft / welche her - nach von allen Reichsfolgeꝛn / wegen deꝛ darinnen befindlichen wichtigen Raht - ſchlaͤge / fuͤr hoch und heilig gehalten worden.
2. Faſt dergleichen begegnet vielen in Erlernung der loͤblichen Poëterey / wel -) (iiijcheche ſie in der Jugend uñ Juͤnglingſchaft benebens dem Latein / wol uñkunſtrich - tig erhalten koͤnten; weil ſie aber ſolche Verfaſſung verachten / und verlachen; muͤſſen ſie mehrmals / in dem Alter / begã - genen Fehler erkeñen / vnd wie jener ſag - te /*Druſius in Apophth. heut in den Sand ſchreibẽ / was ſie geſtern in Marmel haͤtten graben koͤnnen.
3. Etlichen ermangelt es an guter An - weiſung / indem die Schulhalter / welche ihren Knaben hierinnen Vnterricht ge - ben ſolten / darvon wenig oder nicht be - richtet ſind / noch ſeynkoͤñen; maſſen die neuuͤblichen Reimarten unlangſt erfun - den / uñ in grundrichtige Verfaſſung ge - bracht worden / durch HErrn Martin Opitz ſel. Gedaͤchtniß / Herꝛn Schottel / Buchner / Cæſius, Hanman / und viel an - dere.
4. Etlichen ermangelt es an dem Ver - lag / alleſolche Buͤcher zu erkauffen / und andern an der Zeit / ſelbe zu durchleſen. Welche Urſachen ſie dann in ihrer Un - wiſſenheit entſchuldigen / ſo ferne ſie der Beſcheidenheit ſind / daß ſie nicht von dem urtheilen wollen / das ſie nie gel er -net /net / noch bey andern Angelegenheiten zu lernen begehren.
5. Etlichen ermangelt es an natuͤrli - cher Faͤhigkeit zu der Poëterey / daß ſie zwar die Wort kunſtrichtig zu binden wiſſen / aber gezwungen / hart und miß - lautend; ohne poëtiſche Gedanck en / und ſinnreiche Einfaͤlle: daß man leichtlich ſehen kan / es ſey kein poëtiſcher Geiſt in jhnen / und jhre Gedichte mit langer Zeit zuſammengenoͤhtiget.
6. Etliche haben keinen Luſt zu der Poëterey / und hoͤren zwar gerne einem Zahnbrecher / Spruchſprecher / Fatz - narren und Poſſenreiſſer zu / weil ſolche Leuteentweder jhꝛesgleichen odeꝛ ja jh - rem Verſtand gemaͤſſe Haͤndel vorbrin - gen; Einẽ Poëten aber / deſſen Kunſt fer - ne von deß Poͤvels Thorheit iſt / wollen ſie noch wiſſen / noch hoͤren.
7. Wie nun kein Acker ſo ſchlecht / und unartig zu finden / den man nicht durch Fleiß / und beharꝛliche Pflegung / uñ Ar - beit ſolte fruchtbar machen koͤñen: Alſo iſt auch keiner ſo unreines Hirns / der nit durch Nachſinnen / auf vorher erlangte Anweiſung / (welche gleichſam der Wu - cherſame iſt /) eine gebundne Rene / oder) (veinein Reimgedicht zuſammenzubringen ſolte lernen koͤnnen: iedoch einer viel gluͤckſeliger / als der andere.
8. Es iſt zwar nicht eines ieden Gele - genheit / Verſe zu machen / oder zu leſen; noch weniger koſtbare darzu erforder - te Buͤcher zu erkauffen; ſo ſtehet es doch wol / und iſt faſt nohtwendig / daß ein Gelehrter ſeine Mutterſpꝛache gruͤnd - lich verſtehe / und derſelben Poëterey nicht unwiſſend ſey; wie auch keiner ſich einer Sprache / mit Fug / ruͤhmen kan / wann er nicht in derſelbigen die Vers - kunſt ſtudiret / und zum wenigſten die vornemſten Poëten / als die ſiñreichſteu Sprachmeiſter / geleſen hat.
9. Lernen wir Hebreiſche / Gꝛiechiſche und Lateiniſche Verſe machen / warum wollen wir es in dem Teutſchen nit auch ſo weit bringen / daß wir zum wenigſten von einem Gedicht urtheilen koͤñen. Ge - wißlich / einen teutſchen Vers leſen / und nachkuͤnſtlen / iſt der Jugend eine nuͤtz - liche Abmuͤſſigung von wichtigerem Studiren. Man lernet dadurch zierlich reden / eine Sache mit vielẽ Wortẽ nach - druͤcklich vorbringen / wolſetzen / iede Meinung richtig auf die anderebinden /undund durch ſolche Verſtanduͤbung kan man ſich aller Orten (weil es iederman verſtehet / da das Latein wenigen bekant) in Freud und Leid / angenem und belie - bet machen: geſtaloſolche Kunſtheutzu - tagbey vielen Fuͤrſtenhoͤfen / und auf et - lichen hohen Schulen ruͤhmlich getrie - ben wird. Ja / wann uns Teutſche keine andere Urſache zu unſrer Poëterey trei - benſolte / ſo weren doch die geiſtlichen Lieder / zu Erweckung hertzbruͤnſtiger Andacht / darzu gnugſam / welche / ohne kunſtrichtigen Bericht / nicht koͤnnen veꝛ - faſſet werden.
10. Von alters her iſt das Lateiniſche Singen in unſrer Kirche geblieben / da - mit die ſtudirende Jugend zu uͤben: der gemeine Mann aber hat vielerſprießli - cheꝛn Nutzen von dem Teutſchen Singẽ / durch welches wir gleichſam den Englẽ nachahnen / und naͤher zu GOtt tretten. Wie ſol der / ſagt der heilige Apoſtel Pau - lus / 1. Corinth. 14. v. 16. ſo an ſtatt deß Lajẽ ſtehet / Amen ſagen / auf deine Danckſagung? ſintemal er nit weiß / was du ſageſt. Ein andꝛer wird nicht davon gebeſſert / ꝛc. Welche fremde Sprachẽ redẽ / daß ſie nicht jederman veꝛſtehet / pfleget man fuͤr unſiñig zu halten / wie in fol -gengendem 26. Verslein / beſagter Epiſtel / folget.
11. Was mit Raht und Verſtand vorzunemen iſt / muß nohtwendig zu ei - ner Kunſt gezogen werden. Die Natur iſt eine Meiſterin / den hurtigen Feuer - geiſt anzubrennen / die Kunſt aber gleichſam das fette Oel / durch welches ſolcher Geiſt weitſtralend erhellet vnd himmelhoch aufflammet.
12. Zu dieſer Kunſt nun zu gelangen ſolten vielleicht keine dienlichere Mittel zu finden ſeyn / als daß ein Teutſcher / der den Verſtand in ſeiner Mutterſprach ausgeſchaͤrffet / und der ungebundnen Rede maͤchtig iſt I. einen kurtzen Ent - wurf der Poëterey zu Sinn faſſe / wel - cher aus dieſem Wenigen vielleicht abzu - ſehen. II. daß er eines guten Poëten Ge - dichte neme / und erlerne alle und iede ſei - ne Reimarten nach folgenden Lehrſaͤ - tzen erkennen. III. daß er Verſe ohne Rei - rnung / als welche dem Anfaͤnger ſchwer faͤllet / ſchreibe; oder vermiſchte Verſe wider einrichte / oder aus einer Reimart in die andre ſetze / IV. die beſten Teutſchen Poëten leſe / ihnen folge / und den Anfang ſeiner Gedichte andn zu verbeſſern uͤber - reiche. * Cauſab. in notis ad Sat. Perſ. f. 18.
13. Solcher geſtalt erfaͤhrt man auch in der Lateiniſchen vnd Griechiſchen Poëterey / welche aber alſobalden von den Gedichtſchreiben anfangen / gleichẽ den blinden Mahlern / die alle Farben / ohne Verſtand / untereinander miſchen / oder weiß fuͤr ſchwartz / ſchwartz fuͤr weiß / gruͤn fuͤr gelb ꝛc. auftragen.
14. Bey Fortſetzung beſagter Vbung werden ſich mancherley Zweifel befin - den / deren Eroͤrterung aus vorangezo - genẽ Schriften / ſonderlich H. Schottels Einleitũg Sprach - und Verskunſt hergeholet Werden muß. Dañ wir dieſes Orts kein vollkom̃enes Werck / ſondern den erſten Anfang zu Papier zubringen vermeint; uuͤzwar ſo deutlich / daß es ein ied’ Knab und in kurtzer Zeit wird faſſen koͤnnen.
15. Welche die Lateiniſche Poëterey verſtehen / werden ſich hier leichter in dz Reimmas richtẽkoͤñen / denẽ zu lieb etli - ches zu Ende des Blats beygefuͤget wor - den: Welche aber nur Teutſch allein veꝛ - ſtehen / und dieſer Sache keinen Vorge - ſchmack haben / moͤgen gleichſowol mit etwas mehr Muͤhe / jedoch ohne Ver - druß / darzu gelangen: denen zu Gefallen iſt alles reinteutſch verabfaſſet worden.
16. Di -16. Die Exempel ſind auß eigner Er - findung beygefuͤget: weil eines Theils ie - der mehr Machtuͤber ſein eignes Weꝛck / als fremde Arbeit hat; anders Theils auch wenig / oder keine ſolche Beyſpiele zu finden. Wie dann auch die Fehler er - dichtet ſind / keinen derſelben zu beſchul - digen / oder iemand / ſo dergleichẽ began - gen / zu vernachtheilen. Jn zweiffelhaf - tigen Saͤtzen iſt etliches auch aus dem Vhrheber der Teutſchẽ Poëterey H. O - pitzen eingeſchaltet worden: und wird verhoffentlich hier in dieſer Kunſt ein mehrers / als bey allen / die bißher dar - von geſchrieben / zu beobachten ſeyn.
17. Schluͤßlich muͤſſen die ſechs Stun - den nicht eben auf einen Tag nacheinan - der genommen / und das Gedaͤchtniß uͤ - berhaͤuffet werden; ſondern etwan in drey oder vier Tagen mit reiffem Nach - ſinnen der unbekanten Kunſtwoͤrter; nachdem man eines bald / oder langſam faſſet / und erlernet: aller maſſen wie H. Schickards Hebreiſcher Trich - ter zu gebrauchen.
DJe Zeit iſt edel und ſo ſchaͤtzbar / daß auch aller Reichthum dieſeꝛ Welt fuͤr nichts dargegen zu halten: wollen deßwegen bedacht ſeyn / den Leſer nicht ein unnoͤhtiges Wort aufzu - dringen / ſondern alles kurtz und deutlich außfuͤn - dig machen / und zwar in den erſten vier Viertel - ſtunden behandlen:
I. Der Poeterey Urſprung. II. Den Jnhalt / von welchem der Poet zu handlen pfleget. III. Von dem Zweck der Poetiſchen Ge - dichte. IV. Die Dichtkunſt.
Von der Poeterey Urſprung iſt bey dem Kunſtrichter Scaliger / Vosſio und andern viel zu leſen. Kurtz davon zu reden / ſo ſind die Poeten vor alters zugleich Naturkuͤndiger / Sittenlehrer und Saͤitenſpieler / oder Muſici geweſen. Mit Fortſetzung der freyen Kuͤnſte / haben ſich etlich auf dieſes abſonderlich / jene auff ein anders be -Ageben:2Die erſte Stund. geben: doch iſt die Poeterey bey dem waaren vnd falſchen Gottesdienſt iederzeit verblieben / und auch von allen barbariſchen Voͤlkern hochgehal - ten worden. †Specim. Philolog. Germ. Diſquiſit. IX.
2. Aus Betrachtung der Natur / und Erforſch - ung der Weltgeſchoͤpfe / entſtehet des hoͤchſten Lobgeſang: Aus Betrachtung des Menſchen Le - bens und Wandels entſtehet die Sitten - oder Tu - gendlehre; und die Beſchreibung einer Begeben - heit / ſie ſeye gleich ruͤhmlich / daher die Lobgedich - te gewiſſer Perſonen entſpringen / oder ſcheltbar / daher Stichel-uñ Strafverſe in Gebrauch kom̃en. Die Hirten - vnd Schaͤferlieder ſollen die aͤltſten Gedichte ſeyn / weil dieſe bey ihren Herden mehr muͤſſig als andere / und von dem ſtetsvorweſenden Welt - vnd Feldbau unverhindert geſungen wor - den. Etliche vermeinen / die aͤltſten Gedichte ſeyen von den Wintzern zur Weinerndzeit gedichtet worden; und deuten dahin den Spruch deß Pro - pheten Jerem. c. 48 / 33.
3. Weil aber die Heyden vieler Sachen Vrſa - chen nicht erkundigen moͤgen / haben ſie ſolche ih - ren Goͤttern zugeſchrieben / und denſelbigen fuͤr die Fruͤchte der Erden / der Baͤume / des Rebens / und dergleichen Dankopfer gebracht / dabey aber ihr Gebet / und Lobgeſang in gebundner Rede verrich -tet;3Die erſte Stund. tet; allermaſſen ihnen auch gleichergeſtalt von den Oraculis, oder Goͤtzen-Stimmen geweiſſaget worden. *Hierinnen hat der boͤſe Feind / als Gottes Aff / der He - breer Gebrauch bey den Opfern nachahmen wollen.
4. Wir Chriſten / die wir den allmaͤchtigen Gott / nicht nur aus ſeinen Werckẽ / ſondern auch aus ſeinem Wort erkennen / ſollen uns der Hey - den Fabelwerk enthalten: die ſich auch nicht ge - ſcheuet / ihren Goͤttern ſolche Laſter anzudichten / mit welchen die Dichter ſelbſten ſchaͤndlichſt befle - cket geweſen. Doch kan man mit Beſcheidenheit derer Fabel wol gebrauchen / in welchen natuͤrliche Urſachen bedeutet / oder ſondere Lehren verborgen ſind. Daß aber auch in geiſtlichen Sachen / wel - che durch das Liecht der verſtaͤndigen Seele er - leuchtet werden muͤſſen / ein Poetiſcher Geiſt zu er - weiſen / iſt unter andern zu erſehen in den Son - tagsandachten / beſtehend in einem neulich her - aus gegebenem Bild-Lieder-vnd Geſangbuch / in deſſen Vorrede viel hieher gehoͤriges zu leſen.
5. Der Poet handelt von allen und ieden Sa - chen / die ihm vorkommen / wie der Mahler alles / was er ſihet / bildet; ja auch / was er nie geſehen / als in ſeinen ſinnreichen Gedanken: Deswegen wird er auch ein Poet / oder Dichter genennet / daß erA ijnem -4Die erſte Stund. nemlich aus dem / was nichts iſt / etwas machet; o - der das / was bereit iſt / wie es ſeyn koͤnte / kunſtzier - lich geſtaltet / darvon hernach ein mehrers folgen wird. Der Philoſophus*Wie dieſes Wort zu Teutſch iſt gehandelt in Speci - mine Philolog. Germ. traͤgt ſeine tiefſinnige Gedanken mit ſchlechten und einfaͤltigen Worten vor / und iſt zu frieden / daß man ihn verſtehet: der Redner fuͤhret hohe und praͤchtige Wort / und be - gnuͤget ſich / wann er den Zuhoͤrer beredet. Der Poet aber muß nicht nur verſtanden werden / und einem etwas einſchwaͤtzẽ / ſondern auch beluſtigen. Erſtlich war die Rede zu Ausdruͤckung ſeiner Ge - danken gebrauchet / hernach zu einer Zier durch die Redkunſt fuͤr den Richterſtul geſtellet: nach und nach auch zu Beluſtigung deß Verſtands in Gebaͤnde gebracht. Wie nun das Gold / welches kuͤnſtlich gearbeitet iſt / viel hoͤher gehalten wird / als das jenige / ſo von den Schlacken noch nicht gereiniget worden / alſo iſt auch die gebundene Re - de viel wehrter zu achten / als die alle Tagswort aus eines groben Pfluͤgersruͤlpen Mund.
6. Wann ich einen Brief ſchreib en will / muß ich erſtlich wiſſen / was deſſelben Jnhalt ſeyn ſol / und bedenken den Anfang / das Mittel / das End / und / wie ich beſagten Jnhalt aufeinander ordnen moͤge / daß iedes an ſeinem Ort ſich wolgeſetzet fuͤ -ge:5Die erſte Stund. ge: Alſo muß auch der Jnhalt / oder die Erfin - dung deß Gedichts erſtlich unterſucht / und in den Gedanken verfaſſet werden / bevor ſolcher in ge - bundner Rede zu Papier flieſſe Daher jener recht geſagt: Mein Gedicht iſt fertig / biß auf die Wort.
7. Der Jnhalt nun eines Gedichts iſt froͤlich / traurig / oder begreifft Mittelſachen / als da ſind Siñbilder von allerley Haͤndeln / die in deß Men - ſchen Leben vorkommen. Hierbey iſt zu bemer - ken / daß der Poet keine Kunſt oder Wiſſenſchaft / mit allen Vmſtaͤnden / behandelt (er wolle dann ſeine Grentzen uͤberſchreiten) ſondern aus allen nur ſo viel entlehnet / als er zu ſeinem Vorhaben vonnoͤhten hat. Waruͤm? Die Wiſſenſchaften ſind ſehr ſchwer / und werden durch die gebundne Rede noch vielunvernemlicher. Zu dem ſo iſt die Eigenſchaft der Poeterey / daß man liebliche / und leichte Haͤndel wehlen ſol. Hierauß iſt zu ſchlieſ - ſen / daß der den Namen eines Poeten / mit Fug / nicht haben moͤge / welcher nicht in den Wiſſen - ſchaften und freyen Kuͤnſten wol erfahren ſey: daher auch ſolche kunſtſinnige Gedichte dem ge - meinen Mann nicht gefallen koͤnnen / weil ſie ihm zu hoch / und er nicht loben kan / was er nicht ver - ſteht. Die andere Art der Gedichte / welche die Tugenden und Laſter behandelt / ſind leichter / undA iijwer -6Die erſte Stund. werden ſolche in den Trauer - und Freudenſpielen / gleichſam durch ein lebendiges Gemaͤhl / gebildet / indem die erdichten Perſonen nicht nur gehoͤret / ſondern auch geſehen werden. Weil aber ſolche vorzuſtellen den Meiſtern gebuͤhret / wollen wir / davon zu reden / auf folgenden Theil verſparen.
8. Das dritte iſt die Beſchreibung einer Ge - ſchichte / welcher der Poet den gluͤcklichen / oder ungluͤcklichen Ausgang nicht veraͤndern kan / aber wol die Vmſtaͤnde / die Reden / welche dieſer oder jener gefuͤhret / und kan er bey ieder Begebenheit die natuͤrlichen Farben / ich will ſagen die poetiſchẽ Woͤrter / zierlich uñ wolſchicklich anbringen. Die - ſe Beſchreibung iſt / ob beſagten Beyſatz / ein Ge - dicht zu nennen / und geziemet ſolche dem Poeten / und keinem Geſchichtſchreiber / der die Sache bloß / wie ſie ergangen / der Warheit gemeß erzehlet. Solchergeſtalt kan man auch in den Gedichten die Laſter beſchreiben / und zuzeiten ſolche poetiſche Stuͤcklein anbringen / daß / der ſich ſelber ſchuldig weiß / darob erroͤhten / und doch darzu lachen muß: dann der Poet erzehlet alles mit bunten vnd glat - ten Worten / und machet das Schoͤne ſchoͤner / das Abſcheuliche abſcheulicher / als es an ihm ſelb - ſten iſt; Welche aber dieſes nicht leiſten koͤnnen / (darunter ſich auch der Verfaſſer dieſes Werk - leins verſtanden haben wil /) ſind Liebhaber derPoete -7Die erſte Stund. Poeterey / oder Versmacher / aber noch lang nicht Poeten / zu nennen.
9. Deß Poeten Abſehen iſt gerichtet auf den Nutzen / und auf die Beluſtigung zu - gleich. Der Nutz ſol andre und auch ihn ſelbſt be - treffen / und niemals wider Gott / noch durch Aer - gerniß wider den Nechſten gerichtet ſeyn. Was Ehr und Ruhm kan man doch aus unehrlichen und ſchaͤndlichen Gedichten haben? Solche Un - flaͤter / wie ſie Herr Lutherus nennet / wollen ſich mit Koht weiß machen / und verſtellen den Sa - tan in einen Engel deß Liechts. Jhnen ſolte ſtets in den Ohren gellen der Fluch unſers Seligma - chers: Verflucht ſey / der da Aergerniß gie - bet / und daß wir auch von einem ieden un - nuͤtzen Wort muͤſſen Rechenſchaft geben. Solcher Mißbrauch der Poeterey iſt faſt groß / und wird von frommen Hertzen billich daruͤber ge - eifert: Es kan aber der Fehler der Perſon nicht der Kunſt zugemeſſen werden / noch der Miß - brauch den rechten Gebrauch aufheben.
☞ Die Zugabe deß VI. Theils der Geſpraͤchſpiele.
10. Der Poet handelt zuzeiten von der keu - ſchen Lieb / als einer Tugend / von unkeuſcher Lie - be / als einem viehiſchen Laſter / nicht zu dem Ende / daß er dardurch iemand / mit buhleriſchen Gril -A iiijlen /8Die erſte Stund. len / aͤrgern wolle / ſondern daß ſolche von unziemli - chen Begierden / unterſcheidet werden ſolle. Wir Menſchen koͤnnen die Neigung zum Boͤſen nicht von uns werffen; aber ſelbe wol im Zaum halten / und beherrſchen. Man kan wol bey Froͤlichkeiten ein erfreuliches Schertzwort hoͤren laſſen; aber nicht mit groben Schandboſſen / und Narrendeu - tungen / die den Chriſten nicht geziemen / aufgezo - gen kommen: jenes iſt hoͤflich und zulaͤſſig / dieſes unhoͤflich / verwerflich / und bey groben Geſellen / aber nicht bey ehrlichen und tugendliebenden Per - ſonen gebraͤuchlich.
11. Ein loͤblicher Poet ſchreibet allezeit ſol - che Gedichte / die zu GOttes Ehre zielen / groſſe Herren / und gelehrte Leute beluſtigen / die Unver - ſtaͤndigen unterweiſen / der Verſtaͤndigen Nach - ſinnen uͤben / die Einfaͤltigen lehren / die Betruͤb - ten troͤſten / und der froͤlichen Freude vermehren.
12. Ob nun wol der Vers / und das Reim - wort / zuzeiten / von dem erſtlichgefaſten Jnhalt / darvon zuvor Meldung geſchehen / abfuͤhret / daß ſich die gantze Erfindung unter den Haͤnden aͤn - dert; ſo laͤſſet ſich doch der Poet von dem abgeſetz - ten Vorſatz nicht wendig machen / daß er wegen eines artigen Schimpfs / er ſey / ſo ſinnreich er wol - le / Gottes Huld / oder einen guten Freund verlie - ren ſolte: Nichts iſt in der Welt / daß allen ſolte ge -fallen9Die erſte Stund. fallen koͤnnen: die Alten lachen der Jungen Ein - faͤlle / die Jungen der Alten Geſchwaͤtz: Jſt alſo darauf zu ſehen / was recht geredet iſt und / nicht was dieſem oder jenem Kluͤgling oder Faulwitzer / wie ſolche Leute Herr Lutherus nennet / uͤbel oder wolgefaͤllet. Jhr Lob iſt eine Schande / und eines Verſtaͤndigen Urtheil iſt hoͤher zu achten / als hundert Unverſtaͤndiger duͤnkler Verwerffung.
13. Etliche vermeinen / ſie habens wol ge - troffen / wann ſie unziemliche Gedanken verbluͤ - men / und Raͤhtſelweis vortragen: ſich nachmals mit einer dopelten Auslegung derſelben beſchoͤ - nen wollen. Aber weit gefehlet: Man ſol nicht nur das Boͤſe / ſondern auch den Schein deß Boͤ - ſen / und die Gelegenheit Boͤſes zu gedenken / ver - meiden. Zwar iſt nichts ſo gut gemeint / das von Boͤſen nicht boͤß koͤnne gedeutet werden: Man ſihet aber bald / ob die Schuld deß Dichters / oder dem Ausleger deß Gedichts beyzumeſſen. Kurtz davon zu reden: Es ſol der Poet den Jnhalt ſeines Gedichts auf den Nutzen und die Lehre richten: die Ausfuͤhrung aber mit ſchoͤnen Worten / und Gedanken leiſten / daß der Leſer dardurch beluſti - get / und ihme gleichſam das Hertz abgewonnen werde. Zu ſolchem Ende ſol er ſich aller unflaͤtigen Sachen und Woͤrter enthalten / weil wir von Na - tur die Augen / und Ohren von ſolchen vnziem -A vlichen /10Die erſte Stund. lichen / oder ja mißfaͤlligen Haͤndeln abwenden.
14. Nun fragt ſichs / wo der Jnhalt deß Ge - dichts herzunemen? Dann wie der Toͤpfer erſt - lich muß den Don haben / ohne welchen er nichts bilden oder drehen kan / ſo muß der Poet wiſſen / was er ſchreiben wil / bevor er die Feder anſetzet. Hier iſt nun zu unterſcheiden der Vorſatz / ein Trauergedicht / ein Lobgeſang oder dergleichen zu machen / und die Erfindung / welchergeſtalt der Jnhalt deſſelben ſich aufeinander binden ſol. Die - ſes Letzte wird durch die Dichtkunſt angewieſen / von welcher kuͤrtzlich folgendes zu merken.
15. Die Erfindung wird entweder hergefuͤh - ret von dem Wort / oder von dem Dinge ſelbſten / darvon man handelt / oder von den Um - ſtaͤnden deſſelben / oder von gehoͤrigen Gleich - niſſen. Erſtlich das Wort giebet eine Erfin - dung entweder in ſeinem angebornen Laut / und bekanter Deutung / oder mit verſetzten Buchſta - ben / wann ſolche eine gantze Meinung ſchlieſſen / oder eine halbe / welche mit dem Gemaͤhl in einem Sinnbild / oder Lehrgedicht ausfuͤndig gemacher werden kan. Hieher geboͤren die Wortgriflein / wann man einen Buchſtaben darvon / oder dar - zuſetzet: wie auch die Zahlreimen / Jahrverſe / Namverſe / wann die erſten / mittlere / oder letzteBuch -11Die erſte Stund. Buchſtaben / oder auch Woͤrter einen Namen / o - der Meinung ſchlieſſen. Wiewol dieſe letzere Art / ſamt dẽ Bilderreimen / Wiederhall / und Wiederkehren eigentlich zu der Reim - und nicht zu der Dichtkunſt gehoͤren. Hier iſt zu beobachten / daß in dergleichen Erfindungen nichts gezwun - gens ſeyn ſol / ſonſt heiſt es / mit genoͤhtigten Hun - den jagen.
16. Zum zweyten / fluͤſſet die Erfindung des Gedichts aus der Sache Anfang / Mittel und Ende. Dieſes iſt bey allen Gedichten wol zu betrachten / wie der Poet anfange / fortfahre / was fuͤr Ordnung er in der Erzehlung gebrau - che / wie er bisweilen ein wenig ausſchweife / und etwas anders fuͤglich miteinflechte / wie er wieder auf ſein Vorhaben komme / und alles kunſtſchluͤſ - ſig binde und ende. Gleichsfals muß der Poet in Vorſtellung der Perſonen ihre Gemuͤtsmeinung meiſterlich zu beherꝛſchen wiſſen / als Liebe / Haß / Hofnung / Furcht / Zorn / und Mitleiden: ieder Perſon / nach ihrem Alter / Geſchlecht / Stand / ge - woͤhnliche Sitten zuſchreiben / gehoͤrige Reden andichten / und ſich gleichſam ſelbſt verſtellen in den / welchen er vorzuſtellen gewehlet hat. Hier - bey muß er allezeit lehrleiche Spruͤche / ſchickliche Gleichniſſen / gemeine Sprichwoͤrter / und alles an ſein gehoͤriges Ort zu ſtellen wiſſen.
17. Drit -12Die erſte Stund.17. Drittens / werden die Erfindungen her - genommen von den Umſtaͤnden der Zeit / und des Orts / welche ihm der Jnhalt ſeines Gedichts an die Hand giebt: Alſo fuͤhret er ein die Tugen - den und Laſter / die Sprachen und Kuͤnſte / Jahr - Monat - und Tagszeiten / die Froͤlichkeit / die Trau - rigkeit / Fluͤſſe / Laͤnder / Berge / Felſen / und hierun - ter gehoͤrt das Gemaͤhl / welches durch ſolche Be - ſchreibung gleichſam beſeelet wird.
18. Viertens / iſt die Gleichniß die allertiefſte Quelle etwas ſchoͤnes / und zur Sache dienliches zu erfinden / als bey welcher mehrmals das Be - ſagte alles kan angebracht werden / hierunter ge - hoͤren die Sinnbilder / deren Grund ein Gemaͤhl oder eine verbluͤmte Beſchreibung iſt.
19. Wir wollen hier ein kurtzes Exempel ſe - tzen. Du ſolſt ein Gedicht ſchreiben von dem Glau - ben / davon ſehr viel zu melden / dieſes Orts aber ſol er betrachtet werden / als der waare ſeligma - chende Glaube / ohne welche der Menſch keine Gottgefaͤllige Werke thun kan. Kommet nun ein Versſtimpfler daruͤber / ſo moͤchte er vielleicht be - ſagten Jnhalt alſo verfaſſen:
Dieſe und noch viel dergleichen Reimen koͤn - nen / mit Fug / kein Gedicht genennet werden / weil keine ſinnreiche Erfindung angebracht und dieſe Reimwoͤrter kein Gedicht machen: Vielleicht a - ber ſolt obgemeldter Jnhalt fuͤglicher durch eine Gleichniß ausgebildet werden: wann wir unſren Glauben mit einer Laute / die Werke aber mit de - roſelben Saͤiten vereinbahren / folgender Geſtalt.
20. Hier iſt zu beobachten / daß die Laute mit al - len Umſtaͤnden poetiſch beſchrieben / und darbey der Buchſtabwechſel Lied und Leid / die Wort - gleichheit Helffenbein / und zu helffen der Pein / ſamt dem zweydeutigen Wort Stern / Dach / Zweck / ꝛc. miteingebracht. Ohne ſolche poetiſche Ausrede /*Elocutio poëtica. iſt das Gedicht ſaft - und kraftloß. Nunfolget15Die erſte Stund. folget das zweyte Stuck / wie ſich dieſes alles zu dem Glauben ſchicket: und zwar in ſiebenſylbigen kurtzlang / Jambiſchen / oder Anacreontiſchen Reimzeilen.
21. Die erſte Stunde iſt nun vorbey / und ha - ben wir kuͤrtzlich gehoͤret / und vermutlich gelernet I. Von der Poeterey Urſprung. II. Zweck. III. Jn - halt. IV. und wie zu ſolchem zu gelangen.
FErners beſtehet die Poeterey in Sa - chen und Worten. *Scal. l. 3. Poëtic. c. 1.Von den Sachen iſt mit wenigen gehandelt worden / und muͤſſen ſelbe von den guten Poeten in allen fremdẽ Spra - chen erſtlich abgeſehen; nachmals aus eigenem ſinnreichen Vermoͤgen erfunden werden / daher jener recht geſagt / es muͤſſe der Poet erſtlich ſeyn gleich dem Bien / das von allen Blumen Honig machet; nachmals gleich dem Seidenwurm / der von ſich ſelbſt den koͤſtlichen Faden ſpinnet. Be - vor wir aber weiter gehen / muͤſſen wir die Eigen - ſchaft der Teutſchen Haubtſprache betrachten / oh - ne welcher Erkantniß in der Reimkunſt nicht gluͤcklich fortzukommen. Folget alſo:
I. Von der Teutſchen Sprache Fuͤglichkeit zu der gebundnen Rede. II. Von der Teutſchen Woͤrter Lang - oder Kurtzlaut. III. Von den Vor - und Nachſyllben / ihren Deutungen und Eigenſchaften. IV. Von17Die zweyte Stund. IV. Von den verdopelten oder (wie ſie Herr Lutherus nennet) Zwillingswoͤrtern / und derſelben Kunſtart.
2. Daß man in unſrer Sprache alles / was zu richtiger Vernunft nohtwendig iſt / ſagen koͤn - ne / habẽ viel hochgelehꝛte Leute mit ihren Schrif - ten beglaubt / und zeuget auch ſolches die taͤgliche Erfahrung / daß deß Menſchen Verſtand nicht an eine gewiſſe Sprache gebunden iſt / wiewol et - liche Sachen zu teutſchen faſt ſchwer ſcheinen; doch iſt ſolches nicht der Sprache / welche genug - ſame Wort hat / ſondern der Unwiſſenheit deß Lehrers / oder der Ungeſchicklichkeit des Zuhoͤ - rers / oder dem Unfleiß / in dem wir bißhero ver - harret / beyzumeſſen.
3. Es iſt auch ein unbeſcheidner Wahn / wann ich darvorhalte / man koͤnne dieſes oder jenes nicht geben oder nicht recht teutſchen / weil ich es nicht weiß: Meine Unwiſſenheit kan von eines andern wolvermoͤgendem Verſtaͤndniß nicht ur - theilen / und iſt kein Menſch in der Welt / der nicht noch ſolte zu lernen haben / er ſey in ſeiner Mutterſprache ſo gelehrter wolle.
4. Der Poet ſol die Wort meiſtern koͤnnen / und keines der Reimung zu gefallen verſetzen / o - der es anderſt / als in gebundner Redart / gebrau - chen: ſolches zu leiſten / iſt unſre Sprache maͤch -Btig /18Die zweyte Stund. tig / weil ſie wortreicher als keine andere / die ein - ſyllbigen Stammwoͤrter zierlich verdopeln und einigen kan; daß in einer wolgefaſten Rede ein natuͤrlicher der Deutung gemaͤſſer Ton / uñ wol - klingender Laut zu finden / welcher in der Poete - rey kunſtrichtig verfaſſet / und durch die Muſic begeiſtert wird.
5. Die jenigen / ſo vermeinen / man muͤſſe die teutſche Poeterey nach dem Lateiniſchen richten / ſind auf einer gantz irrigen Meinung. Unſre Sprache iſt eine Haubtſprache / und wird nach ihrer Eigenſchaft / und nach keiner andern Lehr - ſaͤtzen gerichtet werden koͤnnen. Wir wollen hier - von etwas Weniges zu anderer mehrverſtaͤndi - gen Nachſpur melden / und uns richten nach den jenigen / welche bißhero nicht ohne unſterblichen Namensruhm liebliche Gedichte verabfaſſet / uñ in Druck gegeben: Wie aber die Griechiſche und Lateiniſche Sprach / nach vieler hundert Jahren Arbeit / zu endlicher Vollkommenheit gelanget / ſo iſt ſolche dieſer Zeit bey dem Anfang nicht zu ver - hoffen / ſondern beruhet alles auf genauſichtiger Verbeſſerung gluͤcklich.
6. Wann wir die Woͤrter unſrer Sprache recht betrachten / findẽ wir derſelbigen dreyerley: I. ein - ſyllbige. II. zweyſyllbige. III. dreyſyllbige.
Die19Die zweyte Stund.Die vier - und fuͤnfſyllbigen werden durch die Vor - oder Nachſyllben erlaͤngert.
7. Alle einſyllbige ſind kurtz und lang () (-) zu ſetzen / doch werden die Nenn -†Nomina. und Zeit - woͤrter*Verba. beſſer lang / (-) die Geſchlecht -†Articuli. Fuͤg -*Conjunctio - nes. und Vorneñwoͤrter†Pronomina. wolklingender kurtz () ge - ſetzet. Als wann Opitz im 22. Pſalm ſingt:
Der natuͤrlichen Ausrede nach lautet es alſo:
8. Wann aber ein Geſchlechtwort / als da ſind der / die / das / ein / gleichſam mit Fingern bedeutend / mehr Nachdruck haben / oder etwas gewiſſes anzeigen ſol / muß daſſelbe Wort lang geſetzet werden / als wann ich ſage
der nie geſuͤndigt hat. ‒ ‒ ‒ ſo hat es mehr nachdringender Staͤrcke / als wañ man ſagt:
9. Das Geſchlechtwort wird lang geſetzet / wann eine kurtze Vorſyllben folget / als da ſind be / ent / er / ge / ver / zer / welche ihren Laut kurtz behalten und die geſetzte und nachfolgende Syll - be lang machen; als:
10. Die zweyſyllbigen Woͤrter ſind entweder Stammwoͤrter / oder werden durch die Nachſyllbẽ zweyſyllbig. Alle zweyſyllbige Stam̃ - woͤrter haben eine von dieſen Endungen. e / el / em / en / er. und ſind langkurtz (‒ ) oder Tro - chaiſch. Von dieſer Regel iſt kein Abſatz / ſon - dern ſie iſt durchgehend richtig / in der gantzen Sprache: doch werden etliche fremde Woͤrter gefunden / die andre Endungen haben.
11. Welche Woͤrter durch die Vorwoͤrtlein ab / an / auf / aus / bey / dar / durch / ein / fehl / fort / fuͤr / gen / her / hin / los / mit / miß / nach / ob / ſamt / uͤm / un / vol / vor / weg / wol / zu zweyſyllbig werden / ſind
Wann ſie dem Stammwort folgen / koͤnnen ſie kurtz ſtehen / alſo:
12. Welche Stam̃woͤrter zweyſyllbig werden durch die Nachſyllben / als da ſind: e / er / es / em / en / et / eſt / end ꝛc. oder durch die XXI. Haubt - endungen / als da ſind bar / el / ey / ern / hafft / heit / icht / ig / lich / in / iſch / keit / lein / lich / ling / niß / ſal / ſam / ſchaft / thum / ung / ſind al - le langkurtz . Jedoch werden etliche in drey -B iijſyllbi -22Die zweyte Stund. ſyllbigen Woͤrtern auch lang gefunden / wann ei - ne kurtze Syllbe vorhergehet / und das Reimge - baͤnd nicht Dactyliſch iſt.
13. Die dreyſyllbigen Woͤrter ſind durch die Nachſyllben vermehret; als:
Dieſe Woͤrter dienen beſſer zu den langge - kuͤrtzten / oder Dactyliſchẽ als andern Reimartẽ. Jch kan nicht ſagen.
Das er uñ e kan nicht lang geſetzet werden / weil es eine weibliche Endung / und von Natur kurtz iſt / als Vor - oder Nachſyllben.
14. Es ſind auch noch zweyerley Arten drey - ſyllbiger Woͤrter / als:
Jn dieſen und dergleichen iſt auf das Stamm - wort zu ſehen / welches / wie geſagt / nechſtden23Die zweyte Stund.den Vor - und Nachſyllben iedesmals lang iſt / da die andern ihrer Eigenſchaft nach kurtz fallen. Die andre Art iſt uͤmgewendet / als
Welches alles nach erſtbeſagtẽ Saͤtzen leichtlich zu erkennen ſeyn wird.
15. Gleichergeſtalt kan man von dem Lang - oder Kurtzlaut der vier - und fuͤnfſyllbigen Woͤrter urtheilen / als
Das Stammwort trag iſt lang / die Vor - und Nachſyllben ver - und lich kurtz; ſo folget / daß die erſte Syllbe un langgeſetzet ſey.
ſagt D. Luther. Hier ſind zwey lange Stamm - woͤrter wank / und Hertz / die Nachſyllben el / ig / e / kurtz. Wiewol alle ſolche lange Woͤrter in den Dactyliſchen Reimarten beſſer / als in an - dern / klingen.
16. Erſtbeſagte kurtze und allein ungebraͤuch - liche Vorſyllben wirken ihre Deutung in allen Woͤrtern / ob wir es gleich in gemeinen Reden ſo gnau nicht beobachten. Das be wird ſolchẽ Sa -B iiijchen24Die zweyte Stund.chen zugeſetzt / welche noch nicht geendiget / un - terhanden / oder gegenwaͤrtig ſind / als:
die Vorſyllben entvermindert / veraͤndert oder verkleinert die Deutung des beygeſetzten Stam̃ - worts / als:
hingegen wircket die Vorſyllben er eine Erlan - gung / Gewinnung / Erwerbung ꝛc. als:
Das Ge deutet eine Vielfaͤltigkeit / Vermen - gung / Verſamlung ꝛc. Gehoͤltze / Geſpraͤch / Gewaͤſſer ꝛc. in etlichen Woͤrtern gehoͤret das ge zu den Stammbuchſtaben / welches daraus zu erkennen / wann das Stammwort ohne das ge keine Deutung hat: Alſo kan ich in dem Gebaͤn - de ſagen: Genade / Genuͤgen / Geluͤcke / weil nade / nuͤge / luͤcke ꝛc. blinde Woͤrter ſind / und deutungslos. Die zwo Vorſyllben ver und zer haben / die deuten etwas zuverderben / vernichtẽ / zerſtuͤcken / zuweilen auch einen Beſitz ꝛc. alſo
17. Gleichergeſtalt haben die Nachſyll - ben ihren maͤchtigen Nachdruck / und dringende Deutung / wiewol ſie fuͤr ſich ſelbſten / und allein nichts bedeuten. Wollen nur von etlichen ſagen / und den mehr begierigen Leſer zu des hochgelehr - ten und uͤm alle Teutſche wolverdienten Herrn Schottels Sprachkunſt weiſen. Die Haubten - dung bar / als: ſichtbar / zinsbar / vogtbar; hafft / als: labhafft / lebhafft / ſuͤndhafft: icht / als: dornicht / ſandicht / ſchuppicht: ig / als / faͤ - hig / buͤrtig / wuͤtig: iſch / als: buͤbiſch / hoͤniſch / naͤrriſch. lich / als lieblich / bittlich / endlich: niß / als: Gleichniß / Bindniß / Zeugniß: ſchaft / als: Freundſchaft / Kundſchaft / wirtſchaft: ung / als: Ladung / Loſung / Nieſ - ſung: Dieſe Endungen bar / haft / icht / ig / iſch / lich / niß / ſchaft / ung bedeuten entweder eine Eigenſchaft / Verwandſchaft / Menge oder Zu - und Angehoͤr eines Dings / iedoch iedes mit ſonderer Unterſcheidung / daß ich keines mit Fug fuͤr das andere gebrauchen kan.
18. Die Haubtendung ey deutet das Weſen eines Dings / als: Abbtey / Buͤrgerey / Buͤbe - rey ꝛc. wie auch das er / der Maͤnner Thun / Amt und Ankunft bemerken / als Schneider / Mah -B vler /26Die zweyte Stund.ler / Diener; und die Endung inn der gleichen von den Weibern verſtehen machet / als: Schnei - derinn / Mahlerinn / Dienerinn. Alſo giebet die Haubtendung en / oder auch ern (welche / aus er und[en]zuſammengeſetzet / verzwickt geſchrieben / und ausgeſprochen wird) die Materien oder den Stoff / wie es die alten Teutſchen genennet / zu er - kennen / als: buͤchen / haͤren / ſchweinen / bleyern / hoͤltzern / ſilbern / ꝛc.
19. Die zwo Endungen el / und lein / verklei - nern / verzoͤgern / und vermindern eine Sache / als: der Scheidel / Wechſel / Schindel / Fraͤu - lein / Uhrlein / Baͤndlein. Die Endung keit und heit wird den Tugenden und Laſtern / wie auch einer Sache Zugehoͤr zu bedeuten angefuͤ - get / alſo: Erbarkeit / Beſcheidenheit / Keuſch - heit / Klugheit / Maͤſſigkeit / Freundlichkeit / Trunkenheit / Boßheit / Narrheit / Freyheit / ꝛc. Die uͤberigen Endungen ſam / ſal / thum / fuͤh - ren in jrer Deutung eine Menge uñ Vielheit / als: ehrſam / friedſã / gewarſam / Jrrſal / Saumſal / Truͤbſal / Jrrthum / Reichthum / Wachsthū. Dieſe Haubtendungen werden ſich in viel tau - ſend Woͤrtern finden / und wann ſie darvon ab - geſondert / ſo verbleibet das Wort mit ſeinen weſentlichen / unzertrennlichen Stammbuch - ſtaben / welche durch die Vor - und Nachſyll -ben27Die zweyte Stund.ben in ihren natuͤrlichem Stand nicht ver - nachtheilet / zergliedert und zertheilet werden ſollen.
20. Dieſe Vor - und Nachſyllben werden eintzelweis / parweis und ſelbdritt beygefuͤget / als: abſtehen / hinabſtehen / dar uͤber hin ab ſtehen; frucht bar / Frucht bar keit / ꝛc. hiervon iſt ein mehrers zu finden in der VI. Stunde.
21. Wer dem beſagten nachſinnet / wird be - finden / daß dieſe Eigenſchaft unſrer Sprache zu der Poeterey eine unzweiffeliche / grundrichtige Fuͤglichkeit giebet. Es iſt aber zu Bildung unſ - rer Gedanken noch nicht genug / ſondern man muß die verdopelten Woͤrter recht zu gebrauchen wiſſen / in welchen unſre Zunge wunderkuͤnſtlich iſt. Zum Exempel: iſt eine Gleichniß anzuſtel - len / ſo gebrauchen wir das Woͤrtlein weis / als: ſpielweis / tauſchweis / kauffweis / ꝛc. wollen wir von etwas ſagen / das voll / und loͤblich iſt / ſo haben wir die Woͤrtlein reich / maͤchtig / voll / als tugendreich / geiſtreich / wunderreich / wortmaͤchtig / allmaͤchtig / troſtmaͤchtig / gnadenvoll / wundervoll / handvoll. Wann unſer Nachfiñen zielet auf eine Befreyung / Ent - nemung oder Beraubung eines Dings / gebrau - chen wir die Woͤrtlein los / frey / weg / als: ſinn -los /28Die zweyte Stunde.los / mittellos / gottlos / ſorgenfrey / dienſt - frey / zollfrey / wegſetzen / wegweꝛffen / weg - ſchlagen ꝛc.
22. Alſo pflegen wir zwey Woͤrter in eines zuſammenzuziehen: daß das Letzte bemerket / was ein Ding ſey? das erſte / wie es ſey: Zum Exempel ſage ich: der Spielplatz / der Spiel - ſtab / das Spielhaus. Hier weiß ich / daß von einem Platz / Stab / und Hauſe geredet wird / und warzu ſie gebrauchet werden / weiſet das Woͤrtlein Spiel. Wann ich ſage ein Karten - ſpiel / ſo weiß ich / daß es ein Spiel ſey / welches man mit der Kartẽ ſpielet: Dieſes Wort Spiel wird folgender Geſtalt unterſcheidlich verknuͤ - pfet: Affenſpiel / Beyſpiel / Bretſpiele / Fe - derſpiel / Freudenſpiel / Gauckelſpiel / Ge - ſpraͤchſpiel / Geſellenſpiel / Gegenſpiel / Haubtſpiel / Kinderſpiel / Kirchſpiel (die Glockẽ in dẽ Kirchthurn) Koͤnigſpiel / Nach - ſpiel / Narrenſpiel / Ritterſpiel / Streit - ſpiel / Saͤitenſpiel / Schachſpiel / Trauer - ſpiel / Wagſpiel / Waſſerſpiel / Wuͤrffel - ſpiel: Solchergeſtalt kan ich nach der durchge - henden Richtigkeit unſrer Sprache recht ſagen: ein Kunſtſpiel / ein Siñſpiel / ein Raͤhtſel - ſpiel. Hieher gehoͤret die Verdoplung / welche ein Gleichniß in ſich hat / als wann ich ſage: fe -der -29Die zweyte Stund.derleicht / felſenſchwer / oder centneꝛſchwer / ſoñenhell / fluͤgelſchnell / pfeilgeſchwind / hoͤnigſuͤß / kreitenweiß / kohlſchwartz / und was dergleichen bekante und unbekante zuſam - mengeſetzte Woͤrter mehr ſind / und von den Po - eten nach eingepflantzter Eigenſchaft vnſrer Sprache kunſtrichtig erdacht werden koͤnnen. Dieſes Sprachſtuͤcks (von welchem mehr zu le - ſen in der VI. Stunde) haben ſich alle Teutſche Scribenten gebraucht / und zu Ausdruckung ihrer Gedanken gebrauchen muͤſſen. Jn der heiligen Schrift findet man der Mahlſtein / Jſa. 19 / 19. der Schalksraht / Nahum. 1. / 11. Zedergeſchrey / Judith. 14 / 17. wunder - froh / Sirach 40 / 7. Dienſthaus / 4. Eſr. 2 / 1. roſenfruͤchtig / 3. Eſr. 7 / 16.
23. Hier fehlen nun die jenigen / welche das Mittelſtrichlein (-) darzwiſchen ſetzen / daß ſeinen Gebrauch hat / in den Woͤrtern / ſo von dreyen / vieren oder mehren / zuſammengeſetzet ſind / als wann ich ſage: die Vor - und Nachſorge / der Schau - und Dantzplatz / die Geld - und Leibsſtraffe / die Lentzen-Sommer - und Herbſtzeit / mein Stadt-Haus - und Tiſch - genoß / das Zimmer-Schnitz - und Mahl - werk ꝛc. Da das Mittelſtrichlein (-) die vor - hergehende Woͤrter mit dem letzten bindet / undſo30Die zweyte Stund.ſo viel iſt als die Vorſorge / und Nachſorge / die Geldſtraffe / und Leibsſtraffe / der Schauplatz und Dantzplatz ꝛc. Die Woͤrter aber / wann ſie zu Ende der Zeil getheilet / ſollen nicht mit einen Mittelſtrichlein (-) ſondern mit einem Zwergſtrichlein (-) bemerket werden; die gedopelten von den zertheilten Woͤrtern zu un - terſcheiden / dieſes hat noch der Zeit nicht in Ge - brauch gebracht werden koͤnnen / ob zwar un - zweiffelich / daß die Theilung der Syllben zu En - de der Zeilen (-) und die Theilung der Woͤrter (-) zu unterſcheiden.
24. Es iſt aber zu beobachten / daß die verdo - pelten Woͤrter durch die Vor - und Nachſyllben langkurtz oder kurtzlang werden / und ſich ſolcher - geſtalt viel beſſer in den Versſchicken / als wann ſie blos ſtehen / wie dann auch die vorſtehenden zweyſyllbigen Woͤrter beſſer dienen / als die ein - ſyllbigen / zum Exempel:
das Kunſtwort / die Reimart / Volkreich lauten beſſer im Gebaͤnde / wann man ſagt:
Hieraus iſt zu ſchlieſſen / daß die Reimzeil / wel - che lauter einſyllbige Woͤrter hat / nicht wol zu erkennen / ob ſie langkurtz -  oder kurtzlang  - ſeye: ſobald aber eine Vor - oder Nachſyllbe dar - zwiſchen kommet / ſo kan man es beſagter maſſen wol wiſſen. Zum Exempel ſey dieſes:
alſo koͤnte es ſtehen / wiewol das der und Woͤrt - lein und beſſer kurtz geſetzet wird / alſo:
aus dem Wort werden kan ich ſicher abnemen / daß das Reimmaß muß langkurtz uñ nicht kurtz - lang ſeyn / weil die Nachſyllben en niemals lang - geſetzet zu finden / es ſey dann wider die Eigen - ſchaft unſrer Sprache / in den Pritſcherreimen o -der32Die dritte Stund.der in etlichen alten Liedern / die zu der Zeit ge - machet worden / als man dieſe edle Kunſt noch nicht unterſuchet hatte.
BEvor wir weiter gehen / ſo muͤſſen wir von der Reimung / als in wel - cher des Verſes Lieblichkeit beſte - het / handlen / und zwar deßwegen / weil es ein-zwey-drey - und vierſyll - bige Reimwort / (die zwar billicher Glieder und Stuͤcke / als Verſe / oder Reimzeilen genennet werden) giebet / von welchen man muß urthei - len koͤnnen / ehe man die gantze Lehre von dem Reimmaß / dardurch die Reimen abgemeſſen werden / angehet. Wollen alſo hoͤren:
I. Von dem Reimſchluß / und der Rei - men Reimung. II. Von unreinen / doch zulaͤſſigen Rei - men. III. Von den falſchen Reimen. IV. Wie die Reimzeilen ordentlich zu ſe - tzen. Und von den Verſen ohne Reimſchluß.
1. Die Reimen ſind gleichſam die Riemen / durch welche das Gedicht verbunden wird; und ſollen erſtlich von den Rednern ſeyn abgeſehen worden / wann ſie die Gleichheit der Woͤrter / ihre Rede zu zieren / ausgeſuchet; als: mit Raht und That beyſtehen / und an die Hand gehen. Die Treue erneuen / mit Macht und Pracht / Kriegen und Siegen ꝛc. in welchem letzten Exempel wol zu beobachten iſt / daß wann zwey Woͤrter / als dieſes Orts Macht und Pracht / zu ſtehen kommen / wieder zwey Woͤrter darauf folgen muͤſſen / deren das erſte auf Macht / als Kriegen / das zweyte auf Pracht / als dieſes Orts Siegen iſt / das Abſehen hat. Der Reim - ſchluß kan ſeyn einſyllbig / zweyſyllbig / und dreyſyllbig / wiewol dieſe letzte Art / als liebli - che / uͤbliche / ſtehenden / gehenden / Phoͤni - cier / Cilicier / Wichtigkeit / Nichtigkeit ꝛc. faſt ungebraͤuchlich iſt. Die einſyllbigen Reim - wort werden genennet maͤnnliche oder ſteigende: die zweyſyllbigen weibliche oder fallende: deutli - cher aber der einſyllbige Reimſchluß / der zweyſyllbige Reimſchluß / beſtehend in Uber - einſtimmung der letzten Syllben / welche man deßwegen nennet die Reimſyllben / als wann ich ſage / ab / auf / uñ ab / daraufreimet / die Gab / der Schab / ein Schwab / Grab / Haab /CKnab /34Die dritte Stund.Knab / Rab / Stab / ꝛc. Die Reimſyllbe iſt ab / die Reimbuchſtaben / welche ſolche Reimung ſchlieſſen / ſind a / g / r / k / h / s / w. Wann ich aber auf ab wolte reimen ſchab ab / herab / hinab / ſo were es kein Reimſchluß / weil der vorherge - hende Reimbuchſtab die letzte Syllben nicht ſchlieſſet / ſondern zu der erſten Syllben gehoͤrig iſt.
2. Die Reimſyllben haben mehrmals ihre Deutungen fuͤr ſich / als wann ich ſetze: Ehr / ſo kan ich wol darzu reimen Gehoͤr / Lehr / mehr / ſehr ꝛc. gleicherweiſe die Spanier / Frantzoſen und Jtaliaͤner in ihrer Sprache auch zu reimen pflegen. Solchergeſtalt verhaͤlt es ſich mit der zweyſyllbigen Reimung. Jn behagen / jagen / ſie lagen / nagen / ſagen / tagen / wagen / za - gen / iſt die Reimung agen / die Reimbuchſta - ben / h / j / l / n / ſ / t / w / z. Wann man alſo die Reim - ſyllben nimmet / und durch das A b c alle einfa - che und gedopelte Buchſtaben darzuſetzet / (das ein jeder Teutſcher leichtlich in dem Sinn thun kan) ſo wird ſich das Reimwort / welches einen Verſtand / oder eine Deutung hat / unfehlbarlich finden. Die dopelten Buchſtaben ſind folgen - de: bl / br / ch / chr / dr / fl / fr / gl / gn / gr / kl / kn / kr / pf / pfl / pl / pr / qw / Schn / Sn / ſch / ſchl / ſl / Schm / ſp / ſpl / ſr / ſt / ſtr / ſw / tr / thr /zw. 35Die dritte Stund.zw. Wann ich nun die Reimendung agen hinter dieſe Buchſtaben halte / finde ich: fra - gen / klagen / kragen / plagen / ſchlagen / ſie ſagen / tragen / zwagen. Die andern ſind blinde Woͤrter. Aus beſagten kan ich die Reim - woͤrter wehlen / die zu meinen Vorhaben am ſchlicklichſten ſind / welches unſchwer kan abge - ſehen und zu Werke gebracht werden.
3. Es iſt aber kein zulaͤſſiger Reimſchluß wann das gantze Wort verbleibet / und die Reim - buchſtaben nicht veraͤndert werden / als wann ich ſetzen wolte auf den Bergen ſich verber - gen / durch das Jagen erjagen ꝛc. So offt al - ſo der vorhergehende Reimbuchſtab das Wort veraͤndert / ſo oft gibt es einen guten / und glei - chen Reimſchluß / welcher das Gedicht lieb - lich / und wolklingend machet. Dieſe Wahl der Reimwoͤrter iſt ſehr dienlich / und muß man bedencken / welche Reimung in einem Gedichte nohtwendig / oder welche mit an - dern gleichdeutenden Reden auszutauſchen. Wie auch / welche Woͤrter zu Ende der Mei - nung zu ſtehen kommen / und iſt in den Sonne ten / oder Klingreimẽ ſehr gebraͤuchlich / daß man alle Reimendungen zuſammenſuchet / und dar - aus vier anſtaͤndige in Verfaſſung deß GedichtesC ijweh -36Die dritte Stund.wehlet. Es giebet auch der Reimſchluß zu feinen Gedanken Urſach / welche in ungebundner Re - de uͤbergangen worden weren.
4. Damit man aber nicht gar zuſehr in den Verſen an dieſe Richtigkeit gebunden ſeye / (weil etliche Woͤrter mit wenigen / etliche mit gar kei - nen reimen /) ſo laͤſſet man zu verwandte Buch - ſtaben / als eh / oͤ / als lehren / hoͤren / e und aͤ / wende / Haͤnde / ei und eu / theilen / heulen / i uñ uͤ / dienen / gruͤnen / ie und uͤ / als ſiegen / pfluͤ - gen / und andere dergleichen / welche einẽ ſchlech - ten Unterſcheid in der Ausrede haben.
5. Jn dieſe Ordnung gehoͤren auch die ein - ſyllbigen Reimwoͤrter / in derẽ einem ein weicher / in dem andern ein harter Mitſtimmer zuletzt ſte - het / als: Neid / Zeit / Tod / Noht / Kind / Hy - acinth ꝛc.
6. Es finden ſich auch viel Woͤrter / die nicht von allen / ſo gut hochteutſch reden / gleicherweiſe ausgeſprochen werdẽ / als zum Exempel (ſchwer (gravis) leer (vacuus) / das Heer / das Meer / ernehren / beſcheren / verzehren / beſcheh - ren / kehren / verwehren: wir weren (eſſemus) zehlen / ſchelen / quaͤlen / ſchmaͤhen / nehen / drehen / in welchen von den Meiſnern das e / als oͤ / von den Schleſiern / und vielen andern Teut -ſchen /37Die dritte Stund.ſchen / wie aͤ ausgeredet wird. Die Meiſner ſa - gen koͤnnen / goͤnnen / die Schleſier kůnnen / guͤnnen / uñ vielleicht nicht unrecht / weil Kunſt und Gunſt da von herkommet. Auch ſagen die Meiſner / vergieſſen / verdrieſſen / flieſſen / ge - nieſſen / entſprieſſen / ſchlieſſen: den Fuͤſſen / buͤſſen / gruͤſſen / verſuͤſſen / ꝛc. da das ie und uͤ lautet wie niemand / bemuͤhen; das ſſ wie in groſſen / geſchoſſen / die Schleſier aber leſen dieſe Wort / wie wiſſen / zerriſſen / den Fluͤſſen / und wird das ie / und uͤ / wie ein einfaches i aus - geſprochen.
7. Sind nun die Buchſtaben der Ausrede eigentliche Kennzeichen / uñ die ſichtbare Schrift gleichſam eine ſtumme Sprach / ſo wird in der Schreibung ſo wenig ein Vergleich zu hoffen ſeyn / als in den unterſchiedlichen Mundarten. Der Vogel ſingt / nachdem jhm der Schnabel ge - wachſen iſt / und vermeint ein ieder / ſeine Mund - und Landsart ſey die beſte. Den Braunſchwei - gern mißfaͤllt die zaͤrtliche und weibiſche Ausre - de unſrer maͤnniſchen und majeſtaͤtiſchen Hel - denſprache: den Meiſnern mißfaͤllt die ſtarcke und groͤbere Mundart.
8. Es iſt hierinnen nicht zu ſehen auf den ge - meinen Poͤvel / der niemals Ziel und Maß zu halten weiß / ſondern auf vorneme / gelehrte undC iijtapfere38Die dritte Stund.tapfere Maͤnner / welche kein Gedicht / wann es ſonſten lobwuͤrdig / wegen etlicher ſtrittigẽ Buch - ſtaben verwerffen werden; in Betrachtung / daß auch bey den Griechen ein ieglicher Poet nach ſeiner Mundart geſchrieben: ob - wol eine beſſer und zierlicher / als die ande - re geweſen. Alſo hat Opitz nach der Schleſi - ſchen Ausrede geſchrieben / Flemming nach der Metſniſchen / Meliſſus nach der Fraͤnkiſchen / Riſt nach der Holſteiniſchen / Schneuber nach der Rheinlaͤndifchen ꝛc.
9. Gleichwie in der Muſic die Mißſtim - mung auch von einem ieden Bauren kan beob - achtet werden / der die Kunſt nicht verſtehet: alſo kan auch ein unpoetiſches Ohr von den Reimen urtheilen / ob er richtig oder růhrend / das iſt: ſolche Reimſyllben hat / welche nicht reinlich und gleichlautend eintreffen / ſondern ſich reimſtim - mig ruͤhren / doch alſo / daß es fuͤr eine zulaͤſſige Reimung gelten kan.
10. Hierauß iſt leichtlich zu erſehen / was falſche Reimen ſind; Wann nemlich die Reim - ſyllben ungleich / und nicht ruͤhret: Als da ſind in den einſyllbigẽ o und u / als Gold / uñ Schuld / g / und k / Klang und Dank / weil zwiſchen ſol - chen Buchſtaben keine ruͤhrende Verwandſchaftiſt /39Die dritte Stund.iſt / wie zwiſchen d und t Feld / Welt / n und nn / kan / Mann / darvon oben geſagt worden. Alſo iſt es auch bewandt in den zweyſyllbigẽ Reimſyll - ben aͤ und a / erwaͤrmen / erbarmen / oͤ und o / vergoͤnnen / die Sonnen / uͤ und u / Suͤnden und verwunden. So reimet ſich auch ferner nicht / wañ ein Buchſtab in einem einfach / in / dem andern aber dopelt ausgeſprochen / und geſchrie - bẽ wird / als: blaſen / faſſen: weiſen / reiſſen: ne - men / hemmen: oder wann ein anderer Buch - ſtab geſetzet wird / als g und ch / brauchen / Au - gen / weiden / leiten / (ungeacht das d und t in den einſyllbigen gelten kan) gleichen / eigẽ ꝛc.
11. Obwol dergleichen Reimen bey guten Poe - ten zu finden / welcher ſie ſich als einer Befrey - ung bey unſrer Poeterey Anfang gebrauchet / ſo iſt es doch keines Wegs nachzuthun; weil das Gedicht dardurch unlieblich / hart und mißlau - tend wird; der Poet aber ſoll die Wort alſo mei - ſtern koͤnnen / daß alles leichtflieſſend mit Anmu - tigkeit zu vernemen komme.
12. Hierbey iſt zu beobachten / daß etliche we - nig Woͤrter / der unſtrittigen Schreibung nach / gleiche Reimſyllben / aber doch ungleiche Ausre - de haben / ſehen / ſtehen / eſſen / Heſſen / faſſen / Straſſen / welches alles die richtige Ausrede leh - ren kan: doch ſolte man auch hierinnen untade -C iiijlich40Die dritte Stund.lich verfahren / wann man betrachtet / daß der Buchſtaben Ambt iſt / den Ton vñ den Klang der Woͤrter zu bilden / und iſt vielleicht der Mangel an einer und der andern Mundart / da es doch eine Sprache iſt / und hochteutſch verbleibet / ob - gleich die Ausrede aͤndert. Herr Opitz reimet bruͤllt und ſchillt:
Wann die ſchwartze Kuhe bruͤllt /daß im Thale wiederſchillt.
Nach der Schleſier Mundart iſt es recht / nach der Meiſniſchen aber mißlautend / und ſol ſchal - let heiſſen.
13. Wie die Lateiner /*In Elegiacis, Alcaicis, Sapphicis & aliis carminibus. die unterſchiedliche Versarten mit dem Ein - und Ausrucken der Zeilen bemerken; alſo iſt ſolches auch bey den Teutſchen Reimgebaͤnden nicht auſſer Obacht zu laſſen / daß nemlich die gleichſchlteſſendẽ Reim - zeile in unterſchiedlichen Reimgebaͤnden gleich - ſtaͤndig geſetzet werden ſollen. Zum Exempel:
Aus Sannazar.Es bleibet ſtets / mit der begrauten Zeit /der Freudenlentz / zu mahlẽ dieſes Feld /mit buntem Schmuck / die Auen zubeſchoͤnen:Das41Die dritte Stund.Das Ufer deckt deß Som̃ers Jaͤgerkleid /den Baum uͤmhuͤllt ein dickbelaubterZelt /der Gegenhall verdoppelt Stim̃ uñSehnen /reimt mit der Schaͤfer Toͤnen.Die Froͤlichkeit bewohnet dieſe Heinen:kein Wintereis hat man hier ſehen weinẽ.
Jſt eine kurtze Beſchreibung der Neapolitani - ſchen Gegend. Weil Zeit und Kleid die erſte uñ vierdte Reimzeile binden / werden ſie gleich geſe - tzet; wie auch Feld / Zelt / beſchoͤnen / Sehnen / eingerucket Heinen und weinen in den letzten Zeilen wieder ausgerucket zu bemerken.
14. Wann aber gar kurtze Reimen mit un - terlauffen / pflegt man ſelbe nicht uͤm eine Syllbe einzurucken / wie hier die dꝛey und drey eꝛſten / ſon - dern ſie dem Ende der erſten Zeile zu ſetzen / als
15. Wann aber die zwey kleine Reimzeile zuſammentreffen / pflegt man ſie in die Mitten zu ſetzen / oder zuzeiten / wann der Raum erman - gelt / nebeneinander.
Zum Exempel:
16. So viel kuͤrtzlich von den Reimen. Die Verſe aber belangend / welche keinen Reimſchluß haben und aufgeloͤſt / oder ungebunden genennet werden koͤnnen / ſind nach dem erwehlten Reim - maß gleichſtaͤndig geordnet / wie in der Hercynia H. Opitzens in dem erſten / und dritten Theil der neuaufgelegten Diana / und ſonderlich in Herrn Schottel Reimkunſt zu erſehen.
17. Solche Art der Verſe fuͤhren auch die Spanier*Verſos fuelros. / wiewol ſie keine Lieblichkeit nicht ha - ben / und doch zu Erzehlung / noch zu Bewegung der Gemuͤter dienlich ſcheinen. Man nennet ſieSech -43Die dritte Stund.Sechſtinnen / weil ſie in ſechsmalſechs wieder - holten ſechs Worten beſtehen / und koͤnnen ſo - wol langkurtz / als kurtzlang gemachet werden. Solchergeſtalt kan man dreyinnen / vierin - nen / und fuͤnfinnen ſtellen. Wir wollen etli - che hieher ſetzen zur Nachfolge den Anfaͤngern in der Poeterey: dann weil das Reimwort / ohne Zwang / in die Rede zu bringen das ſchwerſte iſt / wolte ich rahten / daß man / nach Erlernung des Lang - oder Kurtzlauts / bey dieſen Arten der Ver - ſe erſtlich anfienge.
18. Man kan die gemeinen Sechſtinne fuͤglicher nennen ſechs-Verſe / vier-Verſe / als beſagter maſſen / weil es faſt fremd lautet / und iſt das Spaniſche Wort Sextina behalten wor - den / wiewol etliche auch das gebraͤuchliche oder anheimiſch gemachte Wort Vers nicht dulten und Reimzeile darfuͤr ſetzen / wir behalten es aber / weil es nun jederman verſtehet.
20. Nach dieſem find die fuͤnfverſe auch leicht - lich zu machen. Es iſt aber nicht noht / daß man die Reim - oder Versart daruͤberſetzet / ſondern es ſol der Titel des Gedichts vielmehr auf den Jnhalt gerichtet ſeyn: als uͤber die Dreyverſe koͤnte man ſchreiben:
uͤber die Vierverſe:
21. Weil die Stund noch nicht verfloſſen / wollen wir ein Muſter von den alten Reimen an - fuͤgen / in welchen der Jnhalt ſehr ſinnreich / die Ausrede aber nicht poetiſch / ſondern nach derſel - ben Zeit Gebrauch bald einſyllbig / bald zweyſyll - big (wie noch heutzutag die Pritſcher und Spruchſprecher reimen) zu bemerken iſt.
Froſchmaͤuſler im 2. Buch am 6. Cap.
Dieſe zehenſyllbige Reimzeil iſt trochaiſch o - der langkurtz / die vorhergehende achtſyllbige jam - biſch oder kurtzlang / er haͤtte aber ſetzen koͤnnen: Jch gebrauche dieſe Kunſt /
ſol gantzes und warte heiſſen; Zu dem iſt das Reimwort neben zweyſyllbig / und ohne Deu - tung muͤſſig.
ſichtiglich iſt ein dactyliſches Wort: haͤtte beſſer geſagt: augenſcheinlich ſpuͤhr ꝛc. merk ſol merke heiſſen.
Aus Erſtbeſagtem werden die Fehler auch in dieſen Zeilen leichtlich zu erkennen ſeyn.
Wir wollen eben dieſen Jnhalt nach unſrer Art reimen / und das Gedicht nennen
Der48Die dritte Stund.Hier wird abgeſehen auf den Spruch zun Roͤm. am 8. Es muß doch denen / die Gott lie - ben / alles zum beſten kehren. Das — Strich - lein weiſet / daß das erſte Reimgebaͤnd mit den letzten uͤberein kommet.
Von den vier vornemſten Reimarten.
REine Reimen durch ein gantzes Gedicht zu binden / iſt ſchwer: das Reimmaß zu erkennen / leicht / wie geſagt; dann wann die Reimzeile geſchloſſen ſind / ſo kan ich auch aus der Ausrede wol abmerken / welche die lang - kurtze / oder kurtzlange Reimart iſt / als:
Dieſe Reimart*Nachahmung des verſûs vertumnalis bey Lanſio in præfat. de Princip. Europ. koͤnte man einen Wechſelſatz nennen: dann wann man die erſten Wort / aufD ijfolgende)52Die vierdte Stund.folgt) und die letzten zwey (Fleiß und Preiß) unveraͤndert auf ſolcher Stelle behaͤlt / koͤnnen die andern Woͤrter 39916800 / das iſt / neun und dreiſſig tauſend malt auſend / neunhundert und ſechzehentauſend / und achthundert mal verſetzet werden / zu welcher Veraͤnderung der allerfertig - ſte Schreiber / der taͤglich 1200 Zeile abſchriebe / gantze 91. Jahre / und 49 Tage wuͤrde haben muͤſſen: wolte man aber die Reimwort Fleiß / Preiß / auch verſetzen / und Krieg und Sieg darfuͤr gebrauchen / ſo kan man noch etlich tau - ſend mal oͤfter wechſeln.
2. Wir wollen aber die Handlung von den Reimarten beginnen von den zweyſyllbigẽ Woͤr - tern / welche[υ]ſind / und dieſe Stund handlen
| 1. von den langkurtzen[υ] | Reimartẽ | Trochaicũ | genus. |
| 2. von den kurtzlangen[υ] | Iambicum | ||
| 3. von dẽ lãggekuͤrtztẽ[υυ] | Dactylicũ | ||
| 4. gekuͤrtztlangen[υυ] | Anapęſticũ |
Wir haben zwar auch dopellange -- (Spon - dæos) und dopelkurtze  (Pyrrichios) aber nie - mals in einem Wort allein; ſondern alle zwey - ſyllbige Stammwoͤrter ſind langkurtz / oder wer - den durch die Vorſyllben kurtzlang / wie die Ex - empel / ſo hier und dar angezogen / ſattſam bezeugen.
Ant -53Die vierdte Stund.Jn den folgenden Tafeln iſt I. zu merken die Anzahl der Syllben in ieder Reimzeil / und werden alle ungemiſchte Abmeſſungen hierauß zu erlernen ſeyn: maſſen II. beygefuͤget iſt einer ieden Syllben Lang - oder - Kurtzlaut / nach - dem ſie allhier geſetzet / und alſo zu theilen / daß zu Anfang ieder Zeile die Abmeſſung der - langen und -  kurtzen Syllben wiederholet werden muß. III. Jſt die Hoͤhe und Tieffe / oder ſteigende und fallende Endung durch die Noten bedeutet / welche in den Liedern groſſen Nutzen hat; Geſtalt der Text / wann er kunſtrichtig unter eine Melo - bey geleget werden ſol / ohne dieſe Beobachtung nicht vernemlich und wolklingend kommen kan: ja es ſollen die Lieder in allen Geſetzen / oder Sa - tzen gleiche Bindung haben / daß / wo ich in dem erſten Satz einſyllbige Woͤrter gebraucht / in den folgenden gleichsfals einſyllbige Woͤrter halten ſoll, wo ich zweyſyllbige geordnet / durch alle Saͤ - tze zweyſyllbige bringe. Dieſes wird von denen / ſo der Muſic kundig ſind / leichtlich verſtanden wer - den / dann die Syllben werden anderſt nach der Reimkunſt / und anderſt nach der Muſic uͤmge - wechſelt; jenes haben die Griechen ἔϰςασιν und συςολὴν, dieſes ἄϱσιν und θέσιν genennet.
D iij3. Ta -54Die vierdte Stund.4. Die zwey-drey - und vierſyllbige langkuͤrtz - te Reimarten koͤnnen fuͤglich fuͤr ſich kein gantzes Gedicht machen / werden aber andern unteꝛmen - get / wenn man in groſſen Trauren gleichſam ei - ne gebrochne Stimm bilden wil: als wann dor - ten Sireno in der neuaufgelegten ſchoͤnen Dia - na*1. Theil Blat 65. klaget:
Jſt55Die vierdte Stund.Sie antwortet:
5. Die ſieben - und achtſyllbige Reim - arten ſind gemein / und zu den Liedern zu gebrau - chen. Unter den folgenden iſt die 15 und 16 ſyll - bige Reimung die allerfuͤglichſte zu Erzehlung eines Dings / und pfleget auch alſo mit einem Ab - ſchnitt geordnet zu werden / daß ſie nach der ſie - benden und achten Syllben das Wort endiget / aber mit dem folgenden nicht reimet.
alſo:57Die vierdte Stund.alſo:
6. Wann der Reim in den erſten 8. Syllben miteingebracht werden kan / iſt es eine ſondere Zier in dieſer Art. Der Abſchnitt mit) (bemerkt / iſt den 9 und 10 ſyllbigen Reimzeilen faſt unnoͤhtig / bey den mehrſyllbigen aber nach deß Dichters Willen anzuordnen / wie folgen ſol.
8. Hier iſt wiederuͤm zu wiſſen / daß die zwey - drey - oder vierſyllbigen Reimarten kein gantzes Gedicht machen / wiewol man zu Zeiten in den Bilderr eimen derſelben gebrauchet / uñ zwiſchen andere zu ſetzen pfleget. Zum Exempel:
Alſo gebraucht ſich Herꝛ Opitz ſeeliger der vierſyllbigen; Das Muͤndlein von Corallen
9. Die fuͤnfſyllbigen ſind wenig gebraͤuch - lich. Die ſechs - und ſiebenſyllbigẽ haben der altenPo -60Die vierdte Stund.Poeten Gebaͤnde geſchloſſen oder ſchlieſſen ſol - len / wie in der III. Stund bey dem 20. § oder Ab - ſatz zu erſehen. Wann die ſiebenſyllbigen allein ſtehen / ſo koͤnnen ſie die Woͤrter zierlich wieder - holen / alſo:
I. Die achtſyllbigen gebraucht Herr Opitz in dem 100. Pſalm.
Alſo bedient er ſich auch der neunſyllbigen:
II. Die zehenſyllbige und folgende Reimar - ten haben einen Abſchnitt / welcher ins gemein nach gleichen Syllben gehalten wird / alſo:
Wie61Die vierdte Stund.Opitz Pſal. 93.[figure] [figure] Wie iſt und bleibt dein Zeugniß immerdar[figure] [figure] O HErꝛ / O Gott / ſo gãtz gewiß uñ wahꝛ!
Dieſe Verſe werden gemeine Verſogenennet / und mit folgenden eilfſyllbigen gewechſelt.
12. Jn den zwoͤlff - und dreyzehenſyllbi - gen Reimarten muß der Abſchnitt) (oder Ab - ſchritt nach der ſechſten Syllben auf ein Zeit o - der Nennwort gerichtet werden / ſonſt wird der Vers ohne Lieblichkeit / und Wollaut ſeyn. Zum Exempel:
14. Der Dactylus, oder das langgekuͤrtzte Reimmaß wird auf zweyerley Weiſe zu Werke gebracht. I. durch ein dreyſyllbiges Wort / als:
II. durch ein zweyſyllbiges Wort / welchem eine kurtze Syllbe folget / als:
Welche aber III. einſyllbige Woͤrtlein haben / als:
und dergleichen machen einen falſchen Dactv - lum, oder langgekuͤrtzten Dreyſyllber ſowol auch wann das letzte Wort ein mehrſyllbiges erlan - get / und zwey einſyllbige vorhergehen; als:
Dieſe Reimmart kan man auch alſo abmeſſen:
16. Jn beſagter und vorhergehender Reim - art iſt die groͤſte Zier / wann man mitten in demVers69[65]Die vierdte Stund.
Vers die Reimwort haͤuffen kan / zum Exempel kan ſeyn der Echo in dem V. Theil der Geſpraͤch - ſpiele / am 283. Blat.
17. Es ſind aber dieſe juͤngſt erfundne Reim - gebaͤnde nur zu Beſchreibung luſtiger Haͤndel zu gebrauchen / zur Aufmunterung zu Lobgedichtē / und Reimliedern / keines Wegs aber zu traurigen Erzehlungen / Lehrgedichten und dergleichen.
18. Wann man der Dactyliſchen Reimzei - le ein Syllben vorſetzet / ſo wird ein Antidactyli - ſches / Anapæſtiſches / oder gekuͤrtztlanges Reimmaß darauß / wie aus nechſtvorhergeſetzter Tafel zu erſehen. Viel wollen es fuͤr keine abſon - derliche Reimart gelten laſſen / weil es nur die er - ſte Sylben von den Dactyliſchen unterſcheidet; es iſt aber zu wiſſen / daß auch eine kurtze vorge - ſetzte Sylben aus den -  langkurtzen Reimar - ten  - kurtzlange Reimarten machet / als:
Wie nun die zweyſyllbigen Reimarten zu un - terſcheiden / alſo muͤſſen auch die mehrſyllbigen geſondert werden.
Wolte man den Ton dieſes gekuͤrtztlan - gen Reimmaſſes genauer ausforſchen / ſo muͤſte man ſagen / daß / ſo zu Anfang niemals kein Stammwort / ſondern ie - desmals eine Vorſyllben ſtehen koͤnte. Weil dieſe Reimart fluͤchtig / koͤnte man auch alſo ſetzen:
Die71[67]Die vierdte Stund.Uber dieſe ſechzehende Syllbenzahl iſt nicht zu ſchreiten / weil auch deß Menſchen Stimme / ohne Zwang / uͤber 16. Toͤne / oder zwo Octaven nicht ſïngen kan: und es ſo - wol ungeſtalt iſt / wann einer gar zu klein / als wann er gar zu grob iſt.
Da die Reimwort Gruͤfften / Luͤfften / bewe - gen / hegen / ferne / Sterne / wie auch andere Woͤrter / die nicht reimrichtig ſind / fuͤglich zu - ſammengegattet werden koͤnnen.
Hier iſt zu merken: daß dieſe Verſe nicht wollen die Meinung zertheilen laſſen / und lautet nicht:
beſſer klingt es alſo:
20. Dieſe zwo letzere Reimarten werden fuͤglich zuſammengeſetzet / und miteinander ver - miſchet / doch iſt hierinnen zu ſehen / was in dieſen / wie allen andern / lieblich lautet / alſo:
Dieſes Lied iſt zu leſen in dem Anhang deß IV. Theils der Geſprachſpiele.
21. Man findet auch dieſe ſpringende Reim - art auf mehr Syllben erlaͤngert; weil aber keine Zeil in einem Odem wol ausgeſprochen werden kan / verlieren ſie ihre eigentliche Fluͤchtigkeit / uñſind73[69]Die vierdte Stund.ſind nicht ſo lieblich / wie ſonſten. Wir wollen ein Exempel der ſechzehenſyllbigen / aus dem erſten Theil der Pegnitzſchaͤferey am 43. Blat / hieher - ſetzen.
Der Leſer / welcher ſonſten in der Poeterey keinen Anfang hat / geruhe dieſe Stund noch - mals zu durchleſen / und ſein Urtheil hiervon / bis zu endlichem Schluß deß Anhangs / zu rucke zuE iijhal -74[70]Die vierdte Stund.halten: Maſſen er alsdann ſehen wird / daß die - ſe Sachen alle aneinanderhangen / und zugleich nicht moͤgen begriffen werden / er beliebe auch die Vor - und Nachſyllben zu bemerken / wie ſie jedes - mal kurtz zu ſtehen kommen.
AUs beſagten vier Haubtarten der Teutſchen Reimgebaͤnde koͤnnen noch faſt unzaͤhliche andere geſe - tzet werden: in welchen nicht die ſel - tzame Veraͤnderung zu betrachten / ſondern welches Gebaͤnd in den Ohren wol klin - get*Scal. l. 2. Poët. c. 24. in connexione metri, attende inprimis concinnitatem. / und der Eigenſchaft unſrer Sprache nicht zuwiderlauft. Man kan die Griechiſchen und Lateiniſchen Versarten leichtlich nachkuͤnſte - len aber nicht ohne Mißlaut. Wir wollen hier etlicher weniger gedenken / und zwar
2. Der Abſchnitt iſt erfunden wegen der langen vielſyllbigen Reimzeilen / die zu Erzehlung einer Sache meinſtentheils gebrauchet werden / und in den Tafeln bemerket mit) (. Alſo ſagt Opitz in der 5. Handlung / im 2. Aufzug ſeiner Judith.
Sehet / wie der Holofern) (ſein beſchwer -tes Haubtlaͤſt ſinken!und die Helden ſtehen auf /) (ſatt vom Eſ -ſen / laß vom Trinken ꝛc.Freylich haben wir gefehlet:) (doch dieHand / die ſiegen kan /nimmet auch / die ſich ergeben /) (wieder -uͤm zu Gnaden an.
Wann ſich der Abſchnitt mit einem Reimen ſchleuſt / ſo wird dieſe Art lieblicher / alſo:
Da die ſchlanke Pegnitz reiſet durch denſchoͤnen Wieſenthalund die truͤben Fluten weiſet / ſo die Blu -men ohne Zahlin den flachen Auen friſcht / da der Vogellieblich finget /da die Wollenherde tiſcht / und meinSchaͤferſpiel erklinget /da76[72]Die fuͤnffte Stund.da die hohen Baͤume ſchatten / da das Bien -lein Blumen bricht /da die ſtummen Fiſche gatten / und der Fi -ſcher Reuſen richt /da die kleine Mucke ſum̃t / und die fal -ſchen Angel ſchwimmen /da ſo manche Muͤhle brum̃t / und die Hir -ten Pfeiffen ſtimmen /da ſpatziert’ ich ꝛc.
3. Es ſind aber dieſes eigentlich ſieben - und achtſyllbige langkurtze Verſlein / in eine Zeile ge - ſetzet / und ſind zum Singen / wie die ungereimten zu der Erzehlung / gebraͤuchlich / weil ſolche der Melodey / jene der ungebundenen Rede nachah - men. Alſo ſetzet man auch kurtzlange mit einem Abſchnitt:
4. Nicht minders kan die Dactyliſchen und Anapaeſtiſchen ein Abſchnitt unterbrechen.
Oder ungereimt:
Gekuͤrtztlang:
5. Alſo kan man auch einen Abſchnitt nach der dritten Syllben machen:
Wie nun der erſte Satz Anfangs geordnet wird / muͤſſen alle andere auch gebunden werden.
6. Ferners werden die Gebaͤnde von unter - ſchiedlichen Reimmaſſen zuſammengefuͤget / un - ter welchen die zierlichſten von kurtzlangen und gekuͤrtztlangen / oder Jambiſchen und Anapaͤſti - ſchen geſchloſſen werden / dann dieſe beede  und  eine groſſe Verwandſchaft haben; nemlich nur mit Vorſetzung einer kurtzen Syllben unter - ſchieden werden / wie oben gemeldet.
7. Gleichergeſtalt ſol man zu den langkur - tzen -  die langgekuͤrtzten -  ſetzen / wegen beſag - ter Urſache / weil nur eine kurtze*Scal. l. 2. Poët. c. 34. Syllbe ange - fuͤget wird. Daß aber etliche ohne Unterſcheid „  - zu -  ſetzen / beſchicht ſonder Grund / und iſt „ dergleichen noch in den Haubtſprachen / noch „ in allen andern befindlich. Es ſtehet mir frey in „E veine78[74]Die fuͤnffte Stund.„ eine andere Reimart zu fallen / darinnen weni - „ ger oder mehr Syllben ſind / nach Begebenheit „ und Fuͤglichkeit deß Jnhalts: wann ich aber „ mit langekuͤrtzten angefangen / ſo muß ich dar - „ bey verbleiben / es aͤndere ſich dann die gantze „ Sache / ſo kan ich zugleich auch eine andere „ Reimart beginnen. Dieſe Art wird in den Er - zehlungen / und zu Vorſtellungen einer groſſen Betꝛuͤbniß / odeꝛ beweglichẽ Vermahnung ſchick - lichſt angebracht; wann ſonderlich andere Reim - arten / wie in den Trauer - und Freudenſpielen ge - braͤuchlich / vor - oder nachgeſetzet werden. Weil dieſes noch neu / und von den Jtalianern / Frantz - oſen / uñ Spaniern abgeſehen / muͤſſen wir / zu beſ - ſerer Nachrichtung / ein Exempel ſetzen; uñ zwar die Rede deß Patriarchẽ Noe / welche er vermut - lich an die erſte Welt dieſes Jnhalts gethan:
Hoͤrt / Gottsvergeſſne ſichre Suͤnder!Hoͤrt / ihr Cains Greuelkinder!Hoͤrt meine Stimm;ja nicht bloß meine Stimm:deß hoͤchſten GOttes Grimm!Jhr Jaͤger / die ihr treibt das ungerechteRecht /und fahrt mit Frevelmut /vergeuſt der Armen Blut /gleich einer Waſſerflut /und79[75]Die fuͤnffte Stund.und zwingt den freyen Mann / wie den er -kaufften Knecht /ihr hohen Haͤubter in dem Hauffen /bald / bald werdt ihr geſamt erſauffen.Wolluſter / Poͤvel ohne Zucht /der du dich Tagund Nacht fuͤllſt mit demFreudenwein /die Straffe ſoll auch gleich der tollẽ Suͤn -deſeyn.Du wirſt erſaͤuffet werden in der Flucht.Es wird der Luͤſte Feuergluterleſchen die geſaltzne Flut.Ach! Gott muß uͤber euch ergrimmen.Die eiſenharte Stirnwird er erweichen.Die Arme / ſo uͤmarmen manche Dirn /die werden bald auf Berg’ und Baͤumeklimmen /ja ſchwimmen / aber nichtentſchwimmen /das Wellengrabbedecken alle Leichenim Schwanken auf und ab.Das Holtz / das ſchwache Holtz wird Todund Leben ſchalten /mich und mein Haus erhalten;und80[76]Die fuͤnffte Stund.und ihr / die ihr bisher habt dieſen Bauverſpottet /euch / ohne Reu und Scheu /oft wider mich ger ottet /muͤſt bald mit Jam̃er / Angſt und Kla -genverzagen und verderben in den Plagen.Das eingeſchrenkte Meer wird wallenfremde Bahn /die Quellen werden Wellen werden /deß Himmels Fenſter aufgethan /die Wolken ſich ausſchuͤtten auf dieErden /zu truͤgen euren ſicherkuͤhnen Wahn.Schaut doch das Zeichen / wie das Thier /erſchreckt vor Warten ſolcher Dingen /ſich findet nach und nach zu mir!die Wilden wohnen nechſt den Zahmenbehaltend jener Nachwelt Samen:und ihnen ſol es auch vor euch gelingen:dann ihr / ihr ſuͤndigt fuͤr und fuͤr /ja aͤrger als die thummen Thier’.ihr harꝛt auf langgeſchaͤndten Suͤnden -wegen /die Strafferuten ruhet fuͤr der Thuͤr’.Ach ja! es brauſt das Meer: es platſchertſchon der Regen ꝛc.
Hier auß koͤnte ein verſtaͤndiger Mahler ein ſchoͤnes Gemaͤhl bilden.
8. Aller Veraͤnderungen zu gedenken / welche in den Reimgebaͤnden befindlich ſind / iſt nicht vonnoͤhten / wir wollen von etlichen ſagen / und den Gelehrten das Nachſinnen uͤberlaſſen. Aus dem langkurtzen und langgekuͤrtzten werden die Sapphiſchen Verſe (aber ohne Abſchnitt / weil wir kein dopeltes Wort / oder  Pyrrichium, nicht haben) alſo geſetzet:
Dieſes Gebaͤnd kan fuͤglicher alſo geordnet wer - den:
Oder:
Alſo machen die -  durch und durch das erſte Reimmaß. Es ſtehet aber dem Dichter frey das letzte Verslein mit dem erſten / zweyten oder dritten zu reimen / oder nach der vierdten und fuͤnften Zeil zu ſetzen / iedoch daß die Saͤtze alle gleichreimend zu ſtehen kommen.
9. Alſo kan man auch kurtze / und lange Reim - zeilen mit dergleichen Abwaͤchſlung veraͤndern.
Oder:
Oder:
Hieraus erhellet / was zuvor von Vorſetzung der Sylben geſaget worden.
Solcherley Veraͤnderung koͤnnen unzehlich ausgedacht werden / haben aber / auſſer dem Ge - ſang / wenig Lieblichkeit / es ſey dann / daß ſie ih - rem Jnhalt ſehr gemaͤß kommen / und etwan der ungebundenen Rede beygefuͤget werden.
10. Hinwideruͤm wiꝛd das kurtzlange  Reim - maß mit  - gekuͤrtztlangen zierlich untermi - ſchet / daß alſo dieſer Fluͤchtigkeit mit jener Lang - ſamkeit gleichſam unterbrochen wird / alſo:
Oder:
Zu dem Geſang kom̃en die gemiſchten Arten gar wol / wie aus folgendem
Loblied uon dem ſuͤſſen Namen JESV / zu erſehen ſeyn wird. Jm Ton: Singen wir aus Hertzengrund / ꝛc.
11. So viel von den gemiſchten Reimmaſ - ſen / von welchen noch viel zu ſagen were / wann es die Zeit leiden wolte. Noch eines zu gedenken. Jn Schertzgedichten kan man eine Syllben mit Fleiß auslaſſen / und alſo ein hinkendes Gebaͤnd ſchlieſſen.
Es ſolte alſo ſtehen:
|12. Eine andere Veraͤnderung deß Gebaͤnds giebet der Reimſchluß / wann derſelbe auf man - cherley Weiſe geordnet wird / wie hiervon zu ſe - hen in| H. Schottels Vers-oder Reimkunſt drit - tem Theil. Wir wollen aber etlicher anderer ge - denken / ſo nach dem Spaniſchen geſetzet ſind. I. Jſt eine feine Art / wañ man eine Reimendung wehlet / und dieſelbe durch das gantz Lied haͤlt / als zum Exempel ſey dieſelbe and.
|13. Jn etlichen Gedichten werden in dem Gegenſatz die Reimwort behalten / wie zu ſehen bey der zweyten Stunde / und iſt ſolche Art zu den Pindariſchen Oden gar fuͤglich; doch muͤſſen in dem Nachſatz alle Reimwoͤrter eingebracht wer - den. Ein Exempel iſt zu leſen in dem letzten An - dachtsgemaͤhl deß VI. Theils der Geſpraͤchſpiele. Eine Art von einem Gegenhall iſt folgende:
Beſihe hiervon das CLXI. Geſpraͤchſpiel am 17. §.Was kan unſern Sinn betruͤben? Lieben.Was wird unſre Ruh verſtoͤren? Ehren.Was pflegt die Begierd zu reitzen? Geitzen.Das heiſt mit den Eulen beitzen /lauffen nach der Eitelkeit /und ereilen eitel Leid.Wann wir lieben / ehren / geitzen ꝛc.
14. Die Spanier haben eine Art Sonne - ten / in welchen die Reimart unveraͤndert bleibet / und doch iedesmals eine andere Meinung ſchlieſ - ſet. Derſelben ſind zwey geteutſchet in dem drit - ten Theil der Diana am 137 und 138. Blat / allda ſie aufzuſuchen: Es iſt aber mehr Kunſt als Lieblichkeit darinnen. Hieher gehoͤren auch die zweyreimigen Klingreimen / die zu finden inF iijdem90[86]Die fuͤnffte Stund.dem Anfang der fortgeſetzten Pegnitzſchaͤferey am 2. Blat. Wir befleiſſen uns hier der Kuͤrtze.
15. Weil in den kurtzen Gedichten / und ſon - derlich auch in den Liedern / der Nachdruck in der letzten Reimzeile ſeyn ſol / als welche in deß Leſers Gedaͤchtniß am beſten verharret / und von der gantzen Erfindung Urſachen giebet; ſo wollen wir zwar nicht alle / ſondern nur etliche derglei - chen betrachten.
16. Zierlich iſt es / wann die Endreimen wie - derholet / was zuvor geſagt worden / als zum Ex - empel:
Hier iſt zu merken / daß die Wiederholung in der Ordnung geſchehen muß / in welcher die Woͤr - ter Anfangs geſetzet worden.
17. Wann man etwan ein Verlangen / oder ein Anligen ausdruͤcken wil / muß daſſelbige of - termals wiederholet werden / und ſolches kanauf91[87]Die fuͤnffte Stund.auf unterſchiedliche Weiſe geſchehen / als wann die zwo letzten Reimzeile unveraͤndert alle Saͤtze ſchlieſſen / wie in dem gemeinen Lied: Ein ieder folge ſeinem Sinn / ich halts mit meiner Schaͤferiñ ꝛc. und ſcheinet / als ob ſolches von den Reyenliedern herkommen were / in denen der Vorſinger von dem Endreimen (die Frantzoſen nennen es le refrain, die Meiſterſinger das Ab - geſang /) anfangen / nachmals die andern / als ei - nem gantzen Chor / nachſingen laſſen / und ſich inzwiſchen auf deß Liedes folgendes Geſetz beden - ken. Die Exempel ſind hin und wieder gemein. Seltner aber iſts / wann man die letzte Reimzeil mit wenigen aͤndert / wie in dem I. Theil der Peg - nitzſchaͤferey am 35. Blat.
1.Der Ruͤſtbaum liebt die Reben;der Mann ſein liebes Weib;durch liebes Taubenlebenverbindt ſich Leib mit Leib;durch himmelreichen Segenbefruchtet / ohn Verſchieben /den Ackerbau der Regen.Ach ſegenreicher Gott!gieb / daß ſie froͤlich lieben.
Wie ſich nun hier Verſchieben und lieben vereinbaren / alſo folgen alle Woͤrter in den an -F iiijdern92[88]Die fuͤnffte Stund.dern Geſetzen / die mit Lieben reimen / und iſt in dem letzten Reimen das Beywort / welches Gott zugeſetzet wird in gnadenreich / friedenreich / lebensreich ꝛc. geaͤndert.
18. Lieblicher aber kommet es auf folgende Art in des Sireno Hochzeitlied / welches zu fin - den iſt in der neuaufgelegten Diana am |184 Blat.
1.Der bunte Blumenſchmuck beſchminkt die gruͤnen Auen; der Voͤgel Luftgeſang ſchallt auf dem Baumgezelt; die roͤhtlichbleiche Roſ iſt nicht nur an - zuſchauen; der Wind weht ihren Ruch in unſer Gartenfeld; der bachvermehrte Fluß kan ſeinen Lauff nicht zwingen / er eilt mit ſchnellem Guß; es traͤnkt die Liſpelflut die hitzermatte Welt. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns freu - dig ſingen:2.Dz fruͤe Tagesliecht hat alles aufgehuͤllet / was vor die Trauernacht / mit Schat - ten / uͤberdeckt:der93[89]Die fuͤnffte Stund.der Nachtigallen Schall hat Lufft und Grufft erfuͤllet / und mit verſuͤſtem Ton die Tagesfreud erweckt: Ob ihres Bulen Pein muß ſie die Klage bringen / ſie wartet Sein allein / bald hat ſie alles Leid mit Liebesfreud geſtillet. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns lieb - lich ſingen!3.F v4. E94[90]Die fuͤnffte Stund.Es ſol uns niemand nicht von unſrer Freude wenden; weil wir uns dieſer Zeit Ergetzung vorgeſetzt. Die Feindſchaft / Zwiſt und Zank ſey fer - ne von den Enden verbannet / ſamt dem Neid / der kraͤnket und verletzt. Wem Froͤlichkeit beliebt / der komm mit uns zu ringen / die wir ſind unbetruͤbt: weil uns die Lentzenzeit ſchafft alles / was ergetzt. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns froͤ - lich ſingen!4.Es trieffe deine Trifft von fetten Him̃els - gaben / O wolbegattes Par / des fruͤen Taues - ſaft! ſol eure hehre Heerd’ auf ihrer Waͤide laben / das Herbſt-und Fruͤlingslam̃ fuͤll’ eu - re Hirtenſchaft. Es ſol die Winterkaͤlt auf euren Stall nicht dringen / der Hund / der Wache haͤlt / behalte fort und fort der Jugend Staͤrk und Kraft. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns ſaͤmt - lich ſingen.5.Euch ſol die ſaͤſte Freud’ in Fried uñ Ruh vergnuͤgen: die Lieb - und Leibesfrucht ſol ſich in groſſer Zahl uͤm euren Tiſch heruͤm in feiner Ord - nung fuͤgen / und eure Kraͤfte ſeyn / wie Eiſen / Stein und Stahl. Ein ſolches Hochzeitlied ſol in dem Feld erklingen /das95[91]Die fuͤnffte Stund.das allen bringet Fried der nun gemengten Heerd’ und Woͤlf - fin allzumal. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns herr - lich ſingen.6.Der Vogel ſing’ euch nach / der in den Luͤfften ſchwebet: er flieg’ ob eurem Haubt / ja gar in eure Hand: der Huͤgel und der Berg / ob euch erfreuet / bebet / die Blumen freuen ſich in eurer Kraͤn - tze Band / der Jaſmin und die Roſ’ (als mich bedunket) ſpringen / Narciſſen werden groß / Lavendel / Nard / und Spick bereuchen dieſes Land. Jhr holden Nymphen komt / und laſt uns ruͤhm - lich ſingen.7.Das Band der Einigkeit erhalt’ euch lan - ge Jahre / der Haß - und Eiferſucht entweich’ aus eurem Bett’ /au96[92]Die fuͤnffte Stund.auf daß kein Vngeluͤck euch beeden wie - derfahre / und ihr mit Hertzenstreu euch liebet in die Wette. Hoͤrt! euer Namen Mahl ſol es hinfort gelingen / wann ſie auf Berg und Thal in iedes Baumes Rind’ erhalten ihre Staͤtte. Jhr holden Nymphen ſchweigt / und hoͤret auf zu ſingen.
19. Jn den alten Liedern findet man / daß zu - zeiten die letzte Zeil mit keiner andern reimet / und wird deßwegen Waͤiſenvers genennet; als zu ſehen unter andern in dem Lied: HErr Gott nun ſey gepreiſet ꝛc. Es klingt aber beſſer / wann die letzte Zeil auch reimet: wie in beſagtem Ton ein Lied zu finden in der Chriſtlichen Welt - Feld-und Gartenbetrachtung H. Dilherrns am 153 Blat.
20. Zuzeit haͤlt man nur das letzte Wort / und ordnet das Gedicht alſo / daß andere Reim - wort vorhergehen. Zum Exempel wollen wir ſe - tzen unſer Trauergedicht uͤber einen ermordeten Juͤngling:
Hierbey iſt nicht zu vergeſſen der Geſpraͤchrei - men / (von welchen zu ſehen in der IX. Stund §. 14. nachgeſetzten zweyten Theils /) und Nach - ahmung (Parodia. ) welche die Reimwort duꝛch - gehends behalten / und den Jnhalt aͤndern / deſ - ſen wollen wir ein Exempel anfuͤgen.
Jn den Schaͤfergedichten werden die End - reimen zu Anfang eines ieden Satzes widerholet; alſo / daß entweder die gantze Zeil verbleibet / oder nur das Reimwort behalten wird. Die Exem - pel ſind hin und wieder zu leſen in der Arcadia des Ritters Sidny / in der Kuffſteiniſchen neu - aufgelegten Diana / und den Geſpraͤchreimen der Pegnitzſchaͤferey einverleibt / in welchen zu Zeiten alle Reimwoͤrter in der Antwort be - halten / und der Jnhalt doch ge - aͤndert / zu beobach - ten.
ES iſt noch uͤbrig võ der Zierlichkeit und den Fehlern in den Gedichten mit wenigen zu gedenken / und zwar
I. von der Zierlichkeit der Er - findung / und des Jnhalts. II. von der Zierlichkeit der Woͤrter. III. von den Fehlern und dem Mißklang der uͤbelgeſetzten Woͤrter in den Ge - dichten. IV. von den Fehlern in dem Reimſchluß / und dem Gebaͤnde.
Der Philoſophus bringt ſeine Sachen mit ſchlechten Worten fuͤr / weil ſeine Gedanken hoch und ſiñreich ſind / und ſonſt nicht koͤnten verſtan - den werden. Der Redner bringt ſeinen Handel praͤchtig und beweglich zu Markt / bedienet ſich auch zuzeiten der poetiſchen Wortgleichung und ſolcher Figuren / welche ihm mit dem Poeten ge - mein ſind. Der Dichter aber fuͤhrt eine gantz an - dere Art / indem er gleichſam aus etwas nichtsGbil -102[98]Die ſechſte Stund.bildet / und eine Sache mit ſolchen natuͤrlichen Farben ausmahlet / und alle andere Wiſſenſchaf - ten und Kuͤnſte zu ſeinen Dienſten anzuwenden weiß.
2. Hierinnen muß man aber ein gutes Urtheil gebrauchen / daß er ſich in den Erfindungen nach denen richtet / welchen er zu Gefallen die Feder er - griffen. Jns gemein aber ſind gar zu hohe Ge - danken nicht ſchicklich zu den Gedichten / weil ſie alle Lieblichkeit verhindern und / ohne fernere Er - klaͤrung in ungebundner Rede / nicht vernemlich ſind; ſolche Erklaͤrung iſt zweyerley: 1. der tunk - len Woͤrter / und ſolche gehoͤret an den Rand. 2. der Sachen ſelbſten / und ſolche mag man zu En - de anfuͤgen / iedoch ohne Vberfluß ungehoͤriger Geſchicklichkeit.
3. Etliche bedienen ſich frembder Poeten Er - findungen / und iſt ſolches ein ruͤhmlicher Dieb - ſtal bey den Schuͤlern / wann ſie die Sache recht anzubringen wiſſen / wie Virgilius deß Theocriti, und Homeri, Horatius deß Pindari Gedichte be - nutzet hat: ja deßwegen liſet man anderer Spra - chen Buͤcher / aus ihnen etwas zu lernen / uñ nach Gelegenheit abzuborgen / hiervon ſagte jener / daß die Schuͤler aus ihrer Lehrmeiſter Maͤntel Klei - der machen / und ſo ſtatlich mit Silber und Gold uͤberbꝛemen / daß ſie nicht eꝛkaͤntlich ſind. Es mußaber103[99]Die ſechſte Stund.aber ſolches nicht dergeſtalt mißbrauchet werdẽ / daß man ein gantzes Gedicht / faſt von Wort zu Wort / uͤberſetzet / und fuͤr das Seine dargiebet / welches bey denen / ſo es in einer andern Sprache auch geleſen / nicht verantwortlich iſt: Man kan aber wol darzuſchreibẽ: aus dem Lateiniſchen / faſt aus dem Frantzoͤſiſchen oder Spani - ſchen ꝛc. Dergleichen hat das Lob einer guten Uberſetzung / wañ es ſo wol klingt / daß man nicht einmal abmerken kan / daß es in einer andern Sprache urſpruͤnglich geſchrieben worden.
4. Die beſten Erfindungen ſind dieſe / welche / zu ihrem Abſehen / alſo fuͤglich ſind / daß ſie ſon - ſten zu nichts anders dienen koͤnnen. Wie zu der - gleichen zu gelangen / iſt mit wenigem in der er - ſten Stund angewieſen worden. Unter allen Erfindungen ſind die Lehrgedichte mehrmals die artigſten / wie in den Sontagsandachten erſten und andern Theil derſelben Exempel haͤuffig zu ſehen. Wir wollen aber hier ein Exempel aus dem VIII Theil vnſers Schauplatzes Jaͤmmerlicher Mordgeſchichte anfuͤhren.
5. Ferners haben die poetiſchen lebendigen und natuͤrlichen Beſchreibungen jhr gebuͤhrli - ches Lob: Jch ſage die poetiſche lebendige / und natuͤrliche ꝛc. Beſchreibung / in welcher nicht ei - ne Syllben muͤſſig / und ohne Nachdruck iſt / wie hernach ſol geſagt werdẽ. Wie aber in einem Ge - maͤhl etliche Fehler nur von den Meiſtern der Kunſt erkennet werden / alſo iſt auch in dem Ge - dicht ein Fehler groͤſſer als der andere / und ſihet man bald / ob die Erfindung aus einem reinen Hirn herflieſſet / oder aus andern zuſammenge - lumpet iſt.
6. Die gantze Rede ſol verſtaͤndlich-zier - lich und den Sachen gemaͤß ſeyn. Die Wort klar und deutlich geſetzet werden / welches ihren vielen zu thun unmoͤglich faͤllet / und muß ſolches nicht nach unſrem Sinn / (dann ein jeder ſich ſelbſten am beſten verſtehet) ſondern nach deßG iijvernuͤnf -106[102]Die ſechſte Stund.vernuͤnftigen Leſers Urtheil gerichtet und ge - ſchaͤtzet werden. Jch ſage von dem vernuͤnftigen / und nicht ungelehrten Leſer / dann ſonſten die Sonne nicht achtet / daß ſie die Fledermaͤuſe nicht ſehen koͤnnen.
7. Zierlich iſt / wann man hohe Dinge mit ho - hen praͤchtigen Machtworten / mittelmaͤſſige mit feinen verſtaͤndigen / und nidrige mit ſchlechten Reden vortraͤget. *Scal. l. 4. c. 1. & ſeqq. Hier iſt / benebens fleiſſiger Leſung / ein wolerkennendes Urtheil der beſte Lehrmeiſter.
8. Wie das Edelgeſteine einen Ring zieret / alſo zieren die Bey-oder Anſatzwort die Re - de: und ſind derſelben vielerley Arten. Etliche haben in ſich eine kurtze Beſchreibung; als wann man den Tod nennet den Menſchenwuͤrger / deß Lebens Feind / der Suͤnden Sold / die Schuld der Natur. Den Lentzen den Blumenvatter / deß Winters Sohn / den Freudenbringer. Dẽ Wein den Sorgenvertreiber / Freudenwecker / Trau - renzwinger / Schlafreitzer / Poetenſaft / deß Lebẽs Threnen / das Kaͤlterblut / ꝛc. Den Wind den Wolkentreiber / Felſenſtuͤrmer / Wellenfuͤhrer / Wuͤrbelheger / Bluͤtenfeind / Feldzerſchleiffer ꝛc.
9. Hieraus erkennet man etlicher maſſen den Poeten / wie den Loͤwen aus den Klauen / dann nicht das geringſte Meiſterſtuͤck hierinnen ver -bor -107[103]Die ſechſte Stund.borgen liget. Zum Exempel ſetze ich das Ufer / o - der den Strand / ſtoͤſſet man von dem Lande / ſo kan man beyſetzen den ſeichten / oder ſchroffen Strand / da die Schiffe zu Anker ligen: gehet man mit allen Schiffen zu Segel / ſo ſagt man de roͤde Strand. Komt man in Ungewitter / ſo heiſt er der verlangte offterwuͤnſchte / der freudenvolle Strand. Jſt man ferne dar - von / ſo heiſt er der weitentlegene / der nicht er - blickte ꝛc. Noch deutlicher: dem Woͤrtlein Feld kan / nach allen Monaten / ein beſonders Beywort / ja vielmehr als eines beygefuͤget wer - den.
| Das | neulichgraue | Feld im | Maͤrtzẽ-od’ Lentzenmonat. |
| neugepfluͤgte | April oder Oſtermonat. | ||
| blumenholde | May-oder Wunemonat. | ||
| vielbegraſte | Brachmonat. | ||
| hitzermatte | Heumonat. | ||
| aͤhrenreiche | Aehrenmonat. | ||
| gantz durch feuchte | Herbſtmonat. | ||
| fruchtbereichte | Weinmonat. | ||
| gruͤnlichfalbe | Windmonat. | ||
| ſchneebeſamte | Heilig-oder Chriſtmonat. | ||
| hart durch frorne | Wintermonat. | ||
| windbetruͤbte | Hornung. |
Alſo hat Kaͤiſer Karl / der Groſſe / die Mo - nat benamet / wie Eginhard von ihm ſchreibet in ſeinem Jahrbuch. Uber beſagte BeyſatzwoͤrterG iiijkoͤn -108[104]Die ſechſte Stund.koͤnnen noch viel erdacht werden / nach Beſchaf - fenheit der vorweſenden Sachen / als: das be - kleete / fette / grunende / buntbeblumte / gꝛuͤn - bekleidte / neubeſamte / aͤhrenoͤde / kahle / ſon - nenheiſſe / mondbefeuchte / fruͤbetaute Feld. H. Opitz ſagt: weil das Feld ein Braut - kleid traͤget / der Felder Jaͤgerkleid / der ſuͤſſe Bienenklee. An ſtatt des Woͤrtleins Feld kan man ſetzen Acker / Auen / Matten / Raſen / Waſen / Rangen / Wunneweid / Erden / ꝛc. daß alſo unſre allerwortreichſte Sprache von niemand / als derſelben Unwiſſenden / kan ver - achtet / und fuͤr untuͤchtig zu der Poeterey ge - halten wird.
10. Dergleichen Woͤrter koͤnnen allen Sa - chen beygeſetzet werden / nicht allein in Anſehung deß gegenwaͤrtigen / oder verwichenen / ſondern auch deß kuͤnftigen Zuſtandes / und ſollen die Reimzeilen nicht ausfuͤllen / ſondern die Sache beſſer und gruͤndlicher erklaͤren / und von andern auf das genauſte unterſcheiden. Dieſes wollen wir dabey noch anhengen / daß das Haubtwort iedesmals das letzte ſeyn ſoll. Zum Exempel: wañ im Fruͤling die Baͤume in voller Bluͤte ſind / und noch wenig Blaͤtlein haben / ſage ich recht: der gruͤnlichweiſſe Bluͤtenaſt: wann ſie aber faſt verbluͤhet / ſo muß ich ſagen: das weißlich - gruͤne Baumenhaar ꝛc.
11. Fer -109[105]Die ſechſte Stund.11. Ferners zieren das Gedicht nicht wenig die wolerfundnen neuen Woͤrter / wann ſie nach unſrer Sprache Eigenſchaft / und durchgehen - den Gleichheit geformet werden / welches bey neuen und ungewoͤhnlichen Sachen ſeyn muß. Alſo ſagt H. Opitz: den Verluſt ergaͤntzen.
Da hat er viel zu bauen /macht Blanken uͤm den Zaun /ſchnitzt Flegel / ſtielt die Hauen.
Obwol das Wort ſtielen nicht gebraͤuchlich iſt / verſtehet es doch jederman aus dem vorher - gehenden. Der dich entſceptern wil / dein Eifer ſich erherbet. Seelen / die einander gleichen und verankert ſind / der geworffne Stein / oder der fliegende Vogel pfeilt durch die Lufft / ꝛc. Ron - ſard und Petrarcha haben dergleichen Woͤrter in ihrer Sprache gebraucht / und / wann ſie be - fuͤrchtet / man verſtehe ſie nicht / an dem Rand er - klaͤret / wie beſagt. ☞ Specim. Philolog. Germ. Disquiſ. III. §. 3. f. 37.
12. Viel neuerfundene Woͤrter der alten Poe - ten ſind nachmals / in ungebundnen Redarten / wegen ihres Nachdrucks / uñ Lieblichkeit gebrau - chet worden / wie aus vielen Scribenten zu er - weiſen were / wann es die Kuͤrtze dieſes Werkleins leiden wolte. Quintil. l. 1. Inſtit. & A. Gell. l. 29. N. A. Viel halten auch fuͤr alt und unvernem -G vlich110[106]Die ſechſte Stunde.lich / was ſie nicht wiſſen und verſtehen / das doch bey guten Scribenten gefunden wird / alſo ſagt Herr Lutherus / es widert meine Seele / Job 6 / 26. Wellen / Pſ. 104 / 3. Wehmuͤtig / Spruͤch. 7 / 7. Unwege / Job 12 / 24. ritten / Matth. 8 / 14. dir greuelt / Rom. 2 / 22. ꝛc.
13. Es iſt auch eine ſondere Zierlichkeit deß Gedichts / wann alle Woͤrter leicht / und unge - zwungen flieſſen / und daß der Reime ungenoͤhti - get mehrmals an gehoͤrigen Stellen wiederholet wird. Sonſten hat der Poet viel / ja faſt alle Figu - ren mit den Rednern gemein.
14. Hierbey iſt nicht zu vergeſſen / daß ſich der Poet bemuͤhet / die Stimmen der Thiere / oder den Ton eines Falls / Schlages / Schuſſes / Sprunges / Stoſſes oder anders / was einẽ Laut / oder eine Stimme von ſich giebet / auf das ver - nemlichſte auszudrucken. Bey deꝛ zweytẽ Stund haben wir ein Exempel in der Nachtigallen Ge - ſang beobachtet / da das Woͤrtlein dir zum ſech - ſten mal wiederholet / wie auch in folgenden Zei - len die Thiere / fuͤhren ꝛc. auf das tireliren das Abſehen gerichtet. Alſo bildet folgendes den Gegenhall:
Alſo ſagt der Poet von der Trummel:
Von den Schuͤſſen:
Hiervon iſt ein mehrers zu leſen in der Zugabe deß wieder aufgelegten erſtẽ Theils der Geſpraͤch - ſpiele.
15. Jm Gegentheil ſind die Fehler in den Gedichten aus Beſagten leichtlich zu erkennen / wann ſie nemlich wider gethanen Bericht lauf - fen. Jſt alſo noch ruckſtaͤndig von den Worten zu ſagen / und was fuͤr abſonderliche Fehler in ſel - ben begangen werden koͤnnen. Fremde Woͤrterkoͤnnen112[108]Die ſechſte Stund.koͤñen mit Fug in einem Teutſchen Gedicht nicht ſtehen / uñ welche ſolche gebrauchen / gleichen de - nen / die eine ehrliche Kleidung zu Haus vermot - ten laſſen / und ſich mit einem fremden / zerlump - ten / und verlappten Bettlersmantel bedecken: Wider dergleichen Sprachmiſcher iſt zu leſen / was jener dem V. Theil der Geſpraͤchſpiele vorge - fuͤget an Signor Momum, der ſeinen D ſcurs mit vocabulis peregrinis zu enterlardiren pfleget.
Dieſe Art der Lateiniſirten Verſe werden Maca - roniſch†Macarones ſunt quoddam pulmentum farinâ, caſeo, butiroque commixtum. vide Merlini Cocaii Macaronian a in Apolog. f. 19. genennet / und ſind nur zu Schertzge - dichten zu gebrauchen / wie geſagt / die ſind am al - lerkuͤnſtlichſten / wann das Latein mit dem Teut - ſchen reimt. Zum Exempel:
Wer113[109]Die ſechſte Stund.16. Es werden aber allhier nicht verſtanden die jenigen Woͤrter / welche mit andern Spra - chen eine Verwandſchaft haben / von iederman aber verſtanden / und als Teutſche angeſeſſene Schutzgenoſſen gehalten werden; als Acker / (A - ger) Altar / (Altare) bitten / (petere) Wein / (Vinum) Oehl / (Oleum) Pfeffer / (Piper) ma - ger / (macer) ſubtil (ſubtilis) &c. Und kan einie - der leicht ſehen / was ſich fuͤglich ſagen laͤſt / und was oft ſchertzweiſe in den Gedichten einge - bracht wird.
17. Etliche Woͤrter lauten als zweyſyllbige / und ſind doch nur einſyllbig: ſind deßwegen in den Verſen hartklingend / als: Zorn / Horn / Stern / Stirn / Sporn / Kern ꝛc. und viel andere / welche rn zu Endbuchſtaben haben.
Sein Zorn iſt gantz entbrant.
Gibt in poetiſchen Ohren einen Mißklang / und ſolte vielleicht beſſer lauten:
Sein114[110]Die ſechſte Stund.Sein Grimm iſt gantz entbrant.
Jn der mehrern Zahl aber ſo machẽ ſolche Woͤr - ter ein richtigeres Reimmaß. Alſo klinget in den zwoͤlf vñ dreyzehenſyllbigẽ kurtzlangẽ Gebaͤnden ſehr uͤbel / wann ein Fuͤg-oder Geſchlechtwort die ſechſte Syllbe ſchleuſt. Zum Exempel:
18. Die Woͤrter ſollen ſeyn hoͤflich und er - bar / die unzuͤchtigen aber gaͤntzlich vermieden werden: dann zu geſchweigen / daß wir / als Chri - ſten / wiſſen ſollen / daß wir von einem ieden un - nuͤtzen Worten Rechenſchaft geben muͤſſen / ſo traͤget unſre Sprache gleichſam von Natur ein Abſcheuen von aller Unſauberkeit / daß wir viel unflaͤtige Sachen nicht wol nennen koͤnnen oh - ne ſondere Umſchreibung. Herr Opitz ſagtvon115[111]Die ſechſte Stund.von einer ſolchen Sache / als es die Noht ſeines Jnhalts erfordert / wolbedaͤchtig:
und an einem andern Ort:
19. Die zweydeutigen Woͤrter ſind gleiches - fals zu fliehen / und wie ſelbe nicht allezeit koͤnnen uͤbergangen werden / muß man dahin bemuͤhet ſeyn / daß ſie die Meinung nicht vertunkeln. Sol - che zweydeutige Woͤrter ſind folgende: Arm / Krebs / Kuͤſſen / Raſen / Reiff / Seite / Schloß / Weiſe / Thor. Die Meinung iſt zweiffelhaftig / wann ich ſetze:
Man weiß nicht / hat das Pferd das Thier / oder das Thier das Pferd uͤberloffen.
20. Hier iſt auch| etlicher Latiniſirendes Teutſchreden zu bemerken / welche vermeinen / wann ſie Wort von Wort uͤberſetzen / ſo haben ſie es meiſterlich aus gerichtet / man pflege gleich alſo zu reden / oder nicht. Wann dort bey dem Virgilio ſtehet / veſcitur aurâ, und ich wolte ſagen / er friſt die Lufft / ſo wuͤrde man mich billich auslachen: oder wann Sarbievzki ſagt: intonſum Libanicaput,116[112]Die ſechſte Stund.caput, ſo kan ich deßwegen nicht ſagen / das un - beſchorne Haubt deß Berges Libanus ꝛc.
☞ Scalig. l. 5. Poëtic.
21. Es iſt auch nicht zierlich / wann gar zuviel kurtze oder lange Woͤrter in einer Reimzeile zu - ſammenkommen / als:
Man kan ſich der garzulangen Woͤrter leich - ter enthalten / als der kurtzen; wann man anderſt nicht mehrmals eine gute Meinung will fahren laſſen. Scalig. l. 2. Poët. c. 31. von den viel ein - ſyllbigen Woͤrtern erſtehet die Fuͤglichkeit der Zuſammenſetzung / ohn welche unſre Gedancken nicht koͤnnen außgeredet werden / darvon zu leſen H. Schottels Sprachkunſt in der ſechſten Lob - rede. Specimen Philolog. Germ. XI. 5.
22. Alle Fehler ſind einander ungleich / und iſt zu Zeiten das Gedicht nicht zierlich geſetzet / aber doch darinnen nicht gefehlet; als / wann man die Flickwoͤrter / welche das Reimmaß nur aus - fuͤllen / miteinmiſchet: dergleichen ſind fein / wol / ſchon / eben / machen thun / ſagẽ thun / han fuͤr haben / lan fuͤr laſſen / ꝛc. wiewol lautet es doch / wann jener ſagt:
Da117[113]Die ſechſte Stund.Solchen Reimſchmieden gehoͤrt nit der Lorbeer - krantz / ſondern Midaskron. Wo aber dieſe Woͤr - ter etwas bedeuten / ſo koͤnnen ſie nicht fuͤr muͤſſig geſcholten werden. Als wann der Poet ſagt:
Die Thuͤre fein gemach mit ſtiller Handaufmachen.Jch wolte wol ietzt hier nicht ligen / wannder Winter were weg ꝛc.Deß Abends ſetzt man ſchondie Sichel an / und machet Heu da -von ꝛc. Opitz Pſalm 90.
23. Es iſt aber fuͤr einen Fehler auszuſetzen / wañ auf das e ein Stimmer folget / da dañ auch in ungebundner Rede das e aus gelaſſen wird / als wann ich ſage: es belangt meine Ehre / da hoͤret man / daß die zuſammentreffende e E gleichſam in eine Syllbe gefuͤget werden. Alſo iſt die Reimzeil nicht richtig / wann man ſetzet:
es muß das e durch das Hinterſtrichlein wegge - worffen werden: alſo: Mein’ Angſt ꝛc. Hierin - nen haben die Woͤrter / welche von einem H an - fangen / eine Freyheit / daß ich das Hinterſtrich - lein gebrauchen kan / und auch auslaſſen / Jch kan ſagen: Dein’ Hand / und deine Hand. HWann118[114]Die ſechſte Stund.Wann aber das e keine Syllbe abſonderlich ma - chet / als in wie / die / nie / ꝛc. ſo iſt ohne Noht / daß man das e wegwerffe / weil es mit der Syllben deß folgenden Worts nicht verhaͤngt wird / kan alſo wol ſagen:
und nicht:
Sonder Zweiffel aber mag das e ſtehen bleiben / wo eine Meinung geſchloſſen / und in der Rede ein wenig ſtillgehalten wird. Als:
24. Wann das e zu Ende ſtehet / kan es blei - ben / und zuzeiten auch weggeworffen werden / wann ein Stimmer (vocalis) folget. Hier auß iſt zu ſchlieſſen / daß das Hinterſtrichlein zwiſchen zweyen Mitſtimmern (Conſonantibus) nicht ſtatt findet / und darf ich nicht ſchreiben lieb’t / geh’t / frag’t / fuͤr liebet / gehet / fraget: weil das e in ungebundner Rede ohne Zwang kan alſo auß - gelaſſen werden; welches aber in der Weiſe zu en - digen (in modo infinitivo) nicht verzwicket guͤl - tig iſt / wann ich ſchreiben und ſagen wolte / liebn / behagn / fragn.
25. Gleicherweiſe kan das e nicht ausgelaſ -len119[115]Die ſechſte Stund.ſen werden / wann es das Geſchlechtwort / oder die mehrere Zahl erfordert. Jch kan in gebund - ner Rede (wiewol ſonſt der Poͤbel zu reden pfle - get /) nicht ſetzen: Mein Frau / mein Fauſt / viel Haͤnd / drey Tiſch ꝛc. ſondern Meine Frau / meine Fauſt / viel Haͤnde / drey Ti - ſche ꝛc.
26. Wie nun das e beſagter maſſen nicht kan ausgelaſſen werden / alſo kan es auch nicht ohne Urſache zu Erfuͤllung deß Reimmaſſes angefuͤ - get werden. Jch kan nicht ſagen / das Hertze / das Grabe / der Herre / ꝛc. Weil wir in ungebundner Rede auch nicht ſo ſagen / und iſt dieſes keine Nohtfreyheit / welche wider die Eigenſchaft unſ - rer Sprache ſtreitet.
27. Jn den Liedern muß ein iedes Geſetz / o - der Satz eine gantze Meinung ſchlieſſen / uñ durch die Pauſen / oder Abſatz der Noten nicht unter - brochen werden. Die Fehler in dem Reimge - baͤnde ſind leichtlich zu erkennen / wann fie in die Melodeyen geſetzet werden. Als in dem ſchoͤnen Lied /
hangen die zwey erſten Geſetze wider die Regel aneinander; und iſt in dem Satz die zweyte Reimzeil langkurtz:
H ijallen /120[116]Die ſechſte Stund.da doch das en in allen und bitten nicht lang ſte - hen kan.
28. Alſo iſt auch groͤblich gefehlt / wann die Woͤrter nicht in gebuͤhrlicher Ordnung aufein - ander folgen / und wegen deß Reimens verſetzet werden.
Oder:
Alſo ſind die Woͤrter verkehrt wann man ſagt: Die Blumen ſchoͤn / die Roͤslein roht / die Sinne klug / ꝛc.
Findet man doch mehrmals rechtgemaͤſſne Reimzeilen / in ungebundner Rede / waruͤm ſolte man die Ordnung der Woͤrter nicht in der ge - bundnen Rede beobachten koͤnnen? Als im 23 Pſalm.
Jm 25. Pſalm.
Jm 36. Pſalm.
Jm 119. Pſalm.
Meine Seele ligt im Staube) (Hilff mir Gott durch deinẽ Namen) (
Jm 98. Pſalm.
Lobet den HERREN mit Harffen / mit[figure] Harffen /) (und Pſalmen.
Jm 120. Pſalm.
Dieſes iſt alſo der kurtze Entwurff der Dicht - und Reimkunſt / zu welcher endlicher Ausuͤbung und hoͤchſter Vollkom̃enheit nicht ſechs Stun - den / ſondern ſechsmalſechs Monat / ja wol ſo viel Jahre und Buͤcher erfordert werden. Jnzwi - ſchen laſſen ſich die Anfaͤnger (dañ mehr verſtaͤn - dige / welche dieſes uñ ein mehrers wiſſen / ſolches Triechters nicht vonnoͤhten habẽ) mit ſolcher ge - ringen Arbeit vergnuͤgen / und geruhen / auch wei -H iijters122[118]Die ſechſte Stund.ters in Eingangs ernanten Poeten nachzuſu - chen und abzuſehen. Etliche halten die Kunſt - griffe fuͤr eine Geheimniſſe / die man / durch offent - lichen Druck / nicht ſoll gemein machen: unbe - trachtet / daß der / ſo die Zugehoͤr eines Gedichts verſtehet / daruͤm noch lang kein Poet ſey; und wann auch derſelben ſo viel / als zu den Friedens - zeiten Auguſti gefunden werden ſolten / wuͤrden doch wenig Virgilii darunter ſeyn; die Ovidii / Horatii / Catulli / Perſii / und Juvenales / aber ihres Lobs nicht ermangeln. Solte dieſer Trich - ter von der Jugend beliebet werden / were der Spielende nicht ungeneigt / noch ſechs Stun - den zu mehrerer Ausfuͤhrung dieſer Kunſt bey - zufuͤgen. Verhoffentlich / wird niemand das Gelt fuͤr dieſe wenige Boͤgen / noch die Zeit / ſo er darauf gewendet / bereuen: den Verfaſſer auch entſchuldigen / daß er etliche kindiſche Sachen / wegen beſagter Anfaͤnger / miteingerucket / und viel / das beſſer durch muͤndlichen Bericht ge - lehret wird / aus gelaſſen. Er verbleibet allen / ab - ſonderlich aber den Liebhabern der Teut - ſchen Sprache / euſſerſten Vermoͤ - gens zu dienen ver - bunden.
DEr hoͤchſtweiſe Schoͤpfer dieſes Weltbaues hat die Erden mit ho - hen Bergen unterſchiedẽ / mit weit - ſchweiffenden Meeren geſondert / und mit vielen ſchlanken Fluͤſſen abgetheilet; Die Jnwohner aber derſelben / durch die Sprachen und Sitten / in gantz ungleicher Beſchaffenheit / wiſſen wollen. Wie nun alles / was wir Menſchen beſitzen / in ſtetsſchweben - der Unbeſtaͤndigkeit verharret; als iſt ſich nicht zu verwundern / wann auch mit Zerruͤttung der Voͤlker / durch ihre / theils benohtſachte / theils freywillige Wanderſchaften / Kriegen / Siegen /H iiijund124[120]Anhang.und Unterligen / die Sprachen in mancherley Veraͤnderung / Vermiſchung / und Jrꝛung miß - geraten. Jſt dieſes gantze Weltweſen ſo wandel - bar wie ſolte man dañ in einem fluͤchtigen Wort - laut einige Beſtaͤndigkeit erhaͤrten oder bejahen koͤnnen? ☞ Beſold. discurs. de nat. popul.
Dieſem nach ſcheinet eine mehrgelehrte / als nohtwendige Frage / wie unſre Sprache von A - ſcenas / der Teutſchen Stammvatter / bis auf unſre Zeiten / nach und nach geaͤndert und ver - formet worden? Nutzlicher aber kommet zu be - trachten: Welcher geſtalt die hochteutſche jetzt uͤbliche Haubt-und Heldenſprache in ihre hoͤchſte Vollkommenheit / uͤbertref - lichen Ehrenſtand / kunſtrichtige Verfaſ - ſung / und grundmaͤſſige Wortſchreibung zu bringen / und voͤllig einzurichten ſeye. Der allguͤtige Gott hat hier zu hohe Geiſter erwe - cket / welche in dieſen beharꝛlichen Jammerzeiten einen gluͤcklichen Anfang gemacht / die auch mit geſamter Handbietung vergeſellſchaftet / ein ſo fruchtbringendes Vorhaben fortzuſtellen nicht unterlaſſen werden.
Weil aber ſonderlich an jetztbeſagtem Sprach - ſtucke der Rechtſchreibung dem Poeten / deſ -ſen125[121]Anhang.ſen erſte Lehrzeit in vorgeſetztem Werklein ange - wieſen worden / wegen Bindung der Reimwort / viel gelegen / und einem ieden freyſtehet / ſeine Ge - danken mehrverſtaͤndiger Straffurtheil zu un - tergeben; als iſt fuͤr ſchicklich erachtet worden / etwas weniges auf Verbeſſerung mehrvernuͤnf - tigen Gutachtens hierbey anzufuͤgen: und zwar dergeſtalt / daß man alles und iedes auf einmal / als verwerflich / auszuſetzen nicht gedenket; ſon - dern nur Anfangs die unwiederſprechlichſten Fehler / und die hingegen unhintertreibliche Grundſaͤtze zu beruͤhren gewillet iſt.
Der Grund der Rechtſchreibung beruhet I. auf richtigen Urſachen / oder II. auf der Gewonheit / ſo die Gelehrten an-und ein - gefuͤhret. Wo die Urſachen aufhoͤren / faͤnget die Gewonheit an: Jch will ſagen; wo man kei - ne Urſachen geben kan / folget man billich der ge - braͤuchlichen Mundart / und laͤſſet die blinde Ge - wonheit deß unverſtaͤndigen Poͤvelvolks an ſei - nem Ort verbleiben: Maſſen der Buchſtaben Amt / und Eigenſchaft iſt / den Laut und Ton der wolausgeſprochnen Woͤrter / deutlichſt und vernemlichſt / zu binden / und auszuwirken.
Die Urſachen / vermittelſt welcher wir unge -H vzweif126[122]Anhang.zweiffelt recht ſchreiben / ſind folgende: Die I. wird hergenommen von der Eigenſchaft der Buchſtaben / daß wir die Stimmer / (vocales) und Mitſtimmer (conſonantes) nicht ohne Ur - terſcheid vermiſchen / das lange j / uñ das geſchloſ - ſene v / welches Mitſtimmer ſind / nicht mit dem i und u / den Stimmern wechſeln / und alſo ſchrei - ben jhr / jhm / jch / Awen / ewer / ſchawen / fuͤr ihr / ihm / ich / Auen / euer / ſchauen ꝛc. Wann man unwiederſprechlich recht ſchreibet Jahr / jagen / jenen / und Laut / Hauß / euch; ſo muͤſ - ſen die unter ſchiedlichen Buchſtaben einen un - terſchiedlichen Gebrauch haben und das au / eu / nicht in aw / und ew / noch die Endbuchſta - ben s ß in die Anfangs-und Mittelbuchſtaben ſ ſſ veraͤndert werden. Das groſſe J ſolte mit ei - nem Strichlein unterſchieden ſeyn. Hierbey fragt ſich: ob das c in den Teutſchen Woͤrtern wie ein k koͤnne geleſen werden? Die Griechen haben kein c / die Lateiner haben kein k. Weil man aber das Teutſche vor Alters mit Lateiniſchen Buchſtaben geſchrieben / iſt das c fuͤr das k ge - brauchet worden. Wir haben uns aber nach an - dern nicht zu richten / weil wir das c / und das k haben / uñ gebrauchen / iedoch iedes an ſeinem ge - hoͤrigen Ort / und halten fuͤr beſſer daß man das c niemals ausrede / wie das k: doch haben wir eshier -127[123]Anfang.hierinnen wie vielen andern |bey den Alten ver - bleiben laſſen / allen Argwahn der Neugierigkeit zu vermeiden.
Die II. Urſach wird hergenommen von der Ableitung der Woͤrter / den Vorſyllben und Nachſyllben / deren in der zweytẽ Stund gedacht worden. Dieſe Beyfuͤgung nun kan die weſentli - chen Stammbuchſtaben nicht vermindern / ſon - dern geben durch ihren Zuſatz vielmals zu erken - nen / was recht oder unrecht geſchrieben iſt / als ich ſchreibe Schwert / Lam̃ / from̃ / weil man ſagt Schwerter / Laͤmmer / Frommen ꝛc. Dieſe Urſache iſt gleich der Urſprung deß Worts / wann ich ſchreibe Maß / Laſſt / ſinite (ein an - ders iſt Laſt / (onus) Gelt / weil man ſchreibt meſſen / belaſten / vergelten ꝛc. Hierbey waltet ein Zweiffel: ob man die Woͤrter theilen ſol wie die Lateiner: meſ - ſen / muͤſ - ſen / rer - gel - ten / oder / wie ſie zuſammengeſetzet worden / meſſ - en / muͤſſ en / gelt - en? das erſte iſt gebraͤuchlich / das letzte verantwortlicher: dann unſre Haubt - ſprache ſich nach keiner andern zu richtẽ hat / wie geſagt. Hieraus folget aber nicht / daß die Stirn - mer niemals ſolten veraͤndert werden / daß man ſchreiben ſolte waͤrden / weil man ſagt / ich wa - re / ſpraͤchen / weil man ſagt / die Sprache / o - der fraͤſſen / weil man ſagt der Fraß: Nein / dieStim -128[124]Anhang.Stimmer / a / e / i / o / u / wandlen das Zeitwort / und verbleiben nicht / wie die mitſtimmenden Stam̃buchſtaben / alſo: Jch ware / werde / er wird / iſt worden / wurde; die Sprache / ſprechen / man ſpricht / geſprochen / der Spruch / der Fraß / gefreffen / er friſſt / ꝛc. Wann man die Gebietungsweiſe fuͤr ein Stam̃ - wort ſetzet / kan man aus den Vor - und Nachſyll - ben alles leichtlich beurtheilen / da man ſonſten ſchwerlich eine durchgehende Richtigkeit wird find en koͤnnen. *Specim. Philolog. Germ. Disquiſit. X.
Die III. Grundurſache wird hergenommen von der Eigenſchaft der Bedeutung; wann nemlich das Harte mit Hartem / das Linde und Weiche mit weichen Buchſtaben geſchrieben wird / als: dapfer / drucken / nicht tapfer / trucken (iſt ſo viel als troͤge oder treuge Nahum 1. v. 4.) Vielen mißfaͤllet dieſe Urſach / welchen man keine Ordnung zu geben gedenket.
Die IV. Urſache kan hergefuͤhret werden von der Woͤrter Unterſcheidung / indem ſie nemlich der Ausrede nach gleichſtimmig / der Schreibung nach unterſchieden ſind; das iſt ein Vornennwort (Pronomen Hoc) daß iſt einFuͤg -129[125]Anhang.Fuͤgwort (Conjunctio Ut) Beuten / Beute machen / beiten / warten / ſaͤen / beſamen / ſehen / bis / usque, und Biß / vom beiſſen / gebiſſen / (morſus.) Hiervon iſt zu leſen das nutzliche Buͤchlein deß Ordnenden / welcher die Recht - ſchreibung in eine feine Richtigkeit zu bringen / beginnet.
Die V. Vrſache iſt die durchgehende Gleich - ſtimmung der Sprache /*Analogia. alſo ſchreiben wir Genoßſchaft / und nicht Genoſſenſchaft / weil man ſagt: Bruͤderſchaft / Freundſchaft / Kauff - manſchaft ꝛc. Aus dieſer Vrſache ſchreiben etli - che wier / dier / mier / weil man ſchreibet / Zier / hier / Bier / ꝛc. Zu dieſer durchgehenden Gleich - heit der Sprache gehoͤret auch dieſes / daß die fremden Woͤrter mit ihren eigentlichen fremden Buchſtaben behalten werden / als Prophet / Nymphe / Phoͤbus / uñ nicht Profet / Nym - fe / Febus: dann ich ſonſt auch in andern Woͤr - tern das f fuͤr ein ph ſetzen muͤſſte / als Farao / Filip / Fenix / welches ſehr fremd / und von andern hochanſehnlichen Perſonen zuvor in Gebrauch gebracht werden muß.
Wann aber ein Wort aus erſtbeſagten Vr -ſachen130[126]Anhang.ſachen nicht kan beurtheilet werden / ſo ſihet man auf die gewoͤhnliche Schreibung / deren Grund iſt die wolausgeſprochne Rede / od’ Mund - art / welche von vielen allen Vrſachen vorgezo - gen wird: Daher dann leichtlich zu mutmaſſen / waruͤm man ſich in dieſer Sache ſo gar nicht ver - gleichen kan. Der Schleſier ſchreibt / wie er redet / uñ reimet a uñ o wie H. Opitz ſel. weil er Kunſt uñ ſonſt gleich ausſpricht: der Meiſner ſchreibt / wie er zu reden pfleget / zaͤrtlich und reinlich: der Braunſchweiger ſtark und maͤnnlich: Doch ſind alle in dieſem einig / daß die Schrift die Rede bil - den ſol: gleichwie die Rede die Gedanken: nem - lich noch mit zuviel Worten / noch uͤberfluͤſſigen Buchſtaben; daher findet man faſt in allen neu - en Buͤchern aus / auf / uͤm / damit in den zuſam - mengeſetzten Woͤrtern nicht zuviel mitlautende Buchſtaben gehaͤuffet / und die Sprache rau / ſchwer und grob gemacht werde. als: ausſchro - ten / auffahren / uͤmringen / nicht außſchro - ten / aufffahren / uͤmbringen. Hierinnen aber wollen wir niemand Geſetze geben.
Es iſt auch bißhero in den Druckereyen / aus ei - nem beliebten Mißbrauch / bey allen ſelbſtſtaͤn - digen Nennwoͤrtern (Nominibus ſubſtantivis) ein groſſer Buchſtab Anfangs gebrauchet wor -den /131[127]Anhang.den / welcher doch nur in gewiſſen Faͤllen dienen ſolte / als: I. Zu Anfang einer gantz neuen Mei - nung / mit einem neuen Abſatz. II. zu den eignen Namen / Aemtern / Kuͤnſten / und denen Woͤr - tern / ſo was ſonderliches bedeuten. III. zum Un - terſcheid / als in dem Zehlwort Ein / und dem Geſchlechtwort ein ꝛc. Doch muß man hierin - nen einem jeden ſeine Meinung laſſen; weil ſol - ches alles keine Glaubensſachen belanget / und ein jeder nur eine Stimme in dem Capitel hat / Jch will ſagen: ein ieder kan wol zu vernemen geben / was ihm gefaͤllt oder mißfaͤllt; es iſt aber deßwegen ſein Wahn kein richterlicher Aus - ſpruch / ſondern er muß geſchehen laſſen / daß an - dere von ſeinem ſchnellen Urtheil mehr bedacht - ſam wieder urtheilen. So viel kuͤrtzlich / und un - maßgeblich von der Rechtſchreibung d’ Woͤrter.
Die Schriftſcheidung iſt ein Theil von der Rechtſchreibung / und zwar nicht der letzte; geſtalt die wolgeſchriebne Woͤrter / ohne ſolche / vielmals nicht / oder ja ſchwerlich moͤgen verſtan - den werden; daher auch beſagte Schriftſchei - dung die Gloß und Erklaͤrung / oder vielmehr der Mark - und Grentzſtein kan genennet werden / welche berichtet / was zuſammengehoͤret / uñ was hin und wieder getheilet / und geſondert werdenmuß.132[128]Anhangmuß. Sol unſre Teutſche Sprache zu hoͤchſter Vbertrefflichkeit gelangen / ſo wird auch dieſem und vielen andern Stuͤcken / von den Buͤcher - ſchreibern / und Druckſetzern ein mehrerer Fleiß / als bishero / angewendet werden muͤſſen.
Jn der Schriftſcheidung ſind folgende Zei - chen (=) -) (/) (,) (;) (:) (.) (?) (!) (’) () gebraͤuch - lich / von welchen abſonderlich zu handlen ſeyn wird. Von dem Mittelſtrichlein (-) und Theil - zeichen (-) wie auch von dem Hinter - oder Nachſtrichlein (’) iſt bey der zweyten Stund §. 2. und ſechſten Stunde §. 22. Meldung be - ſchehen / folget alſo von den andern.
Wann man die Sache genau nemen wolte / ſo muͤſte man einen Vnterſcheid machen zwiſchẽ dem Zwergſtrichlein / comma genannt / (/) und das Beyſtrichlein / ſemicomma (;) genannt / welches die Hebreer unterſcheiden / und bereit in den Drucker eyen vorhanden iſt. Weil aber noch keine ſolche Neurung eingefuͤhret / laſſen wir es hierinnen / wie in vielen andern / bey der alten Ge - wonheit verbleiben; mit Erwuͤnſchen / daß wir uns derſelben Tyranney nach und nach mit gu - ten Vrſachen entziehen koͤnten.
Etliche ſagen / daß das Zwergſtrichlein (/) dienet zu Unterſcheidung der Woͤrter / welche mit einem Zeitwort verbunden ſind / als: Kein Prophet / und kein Poet gilt in ſeinem Va - terland. Es hindert auch nichts / wann ein Fuͤg - oder Beywort darzukommet / als: Eitler Wahn / unbeſtaͤndiger Reichthum / und groſſer Herꝛen Gnade pfleget ihrer viel / mitlehrer Hoffnung zu begaben. II. dienet das Zwergſtrichlein / wann die Erklaͤrung eines Dings folget / als: die zukuͤnfftige Zeit iſt eine Raͤhtſel / ich will ſagen / eine Geheimniß / welche wir mit Nachſinnen aufloͤſen wol - len. III. dienet das Zwergſtrichlein / wann wir einem Wort lange Beywoͤrter zuſetzen / als: der allerweiſte Koͤnig Salomo / ein Herr uͤber Jſrael / hat ꝛc. IV. wann etwas darzwiſchen geſetzet wird / daß zwar zu der gantzen Meinung gehoͤrt / aber dieſelbe zweiflig / oder zu verſtehen ſchwer machet / ſo koͤnte man wol das beſagte Beyſtrichlein gebrauchen / alſo: Er hatſolche Thaͤtlichkeit, freventlich, veruͤbet. Hier wird das Wort freventlich darzwiſchen geſetzet / uñ ſcheinet doch / das Zwergſtrichlein ſey zuviel.
Das Strichpuͤnctlein (;) ſemicolon unter -Jſchei -134[130]Anhang.ſcheidet I. die kurtzen Gleichniſſe: Wie die Lockvoͤgel andere / in ihrem Gefaͤngniß / zum Verderben ruffen; alſo verfuͤhren die Boͤſen den einfaͤltigen Juͤngling. II. dienet das; in dem Gegenſtand unterſchiedlicher Sa - chen / als: Du haſt an mich geſchrieben Gu - tes und Boͤſes; Neues und Altes; die Luͤ - gen und die Warheit: wer es glaubt / muß ſich betrogen finden. III. wann die Mei - nung durch etliche Dopelpunct geſondert wird / und ſelbe wideruͤm zertheilet werden / ſo hat das Strichpuͤnctlein ſtatt / alſo: Man ſol in Un - gluͤck nicht zuſehr trauren; wie die Hey - den / ſo keinen Troſt haben: Jn Gluͤck ſich nicht zuſehr freuen; wie die Weltkinder / die ihres Gottes vergeſſen; ja vermeinen / es muͤſſe ihnen alles / nach Wunſch / hin - ausgehen. Der Poet ſol ſich huͤten / daß er kei - ne ſo langſchweiffige Meinung binde; weil ſolche ſonderlich in den kurtzen Liederreimen den Jn - halt ſchwer / und dem Zuhoͤrer unvernemlich machen. Je kuͤrtzer er ſeine Meinung ſchlieſſen kan / ie lieblicher / und leichter iſt das Lied / und das Gedicht. Mit dem Redner hat es eine andere Meinung.
Der Dopelpunct (:) bindet I. eine gantzeMei -135[131]Anhang.Meinung / die noch nicht voͤllig angefuͤhret iſt; wann nemlich eine Meinung unterſchiedliche Theil hat / deren ieder mit ſeinem Zeitwort ge - ſchloſſen wird / oder eine Urſach drauf folget / alſo: Jch ward gefragt / wie viel ich Jahre auf mir haͤtte? Jch antwortet: keine: dann / ſag - te ich / die ich gehabt / habe ich nicht mehr; die ich aber noch bekommen / oder erleben werde / ſind noch kuͤnftig und ungewiß: geſtalt mir und allen Menſchen der Tod / auf dem Fuß / nachfolget. I. dienet das Dopelpuͤnctlein eine hefftige Gemuͤtsbewegung aus zudrucken / oder in einer Erzehlung / die viel Theile hat / als: die Soldaten machen aus Freunden Feinde: ſie fluchen; weil ſie den Fluch mit ſich bringen / und ver - flucht ſind: ſie ſundigen / und ſtraffen der Boͤſen Suͤnde. Das Haus / welches ſie vor Kaͤlte / Regen und Schnee bedecket / legen ſie / zur Danckbarkeit / in die Aſchen: ihr Gluͤck iſt unſer Ungluͤck: ſie ſind die Rute / darmit Gott die boͤſen Kinder ſtaͤu - pet / und die er hernach auch in das Feu - er wirfft. III. dienet das Dopelpuͤnctlein in langen / und weitlaͤufftigen Gleichniſſen / alſo: Wie das faule Holtz / in der Finſterniß / helle Stralen von ſich wirfft / daß man esJ ijfuͤr136[132]Anhang.fuͤr eine Glut anſihet: Alſo iſt der Heuch - ler ein falſches / und gleichſam erdichtes Flammenliecht / das die Einfaͤltigẽ leicht - lich betruͤget ꝛc. IV. dienet auch das Dopel - puͤnctlein ein gewiſſes Beding beyzufuͤgen / alſo: Vns Menſchen ſind in dieſer Welt die zeit - lichen Guͤter gegeben: mit dem Beding / daß wir daruͤber dem gutthaͤtigen Gott Rechnung leiſten ſollen.
Wie zweyerley Strichlein (/) (,) zweyerley Dopelpuͤnctlein (;) und (:) Alſo gebrauchen auch die Lateiner zweyerley Punct / den groſſen. auf welchen ein groſſer Buchſtab / und ein neuer Abſatz § folget; und ein kleinen Punct / auf wel - chen ein kleiner Buchſtab / in gleicher Zeil / fol - get; wann nemlich die gantze Meinung kurtz iſt / und an den folgenden Worten nicht haͤnget / al - ſo: Deß Menſchen Leben iſt kurtz. der Tod iſt allen gewiß.
Das Fragzeichen (?) folget auf die Frage / alſo: Wie kan man mehr einen Soldaten von dem Sold nennen? er dienet uͤm die Beute / daruͤber er mehrmals den Reſt be - kommet.
Das Verwunderungszeichen (!) wird auch zu Erhebung der Stimme /*Exclamatio. in Trauren und Freuden gebraucht. O ſchrecklicher Tod! O Angſt und Noht! O Freud und Wonne!
Der Einſchluß () dienet / wann etwas mit - ten in eine gantze Rede / unverhindert der an - dern Schriftſcheidung / gleichſam in fremden Sinn / eingeſchloſſen / oder eingeſetzet wird / alſo ſingt Opitz Pſal. 89.
Dem hoͤchſten GOTT allein / durch denwir alle leben /(ſo ſagt mein gantzer Sinn) ſey Ehr undPreis gegeben.
WJe hoch der heilige Geiſt die loͤbliche Poeſi geachtet / und geadelt / erſcheinet / neben an - dern / auch daher: daß er ſeine liebe Diener zu ei - nem ſchoͤnen poetiſchen Lied / wann Gott ſeinem Volk eine beſondere Wolthat erzeiget / angetrie - ben / und aufgemuntert: wie wir derer gnugſam in der Grundſprache H. Schrift zu befinden / und aufzuweiſen haben.
Dieſe fuͤrtrefliche Kunſt der Poeſi iſt auch endlich auf unſere alte redliche Teutſchen kom - men; aber (wie es mit dem Anfang aller Kuͤnfte beſchaffen) ſehr unvollkommen; geſtalt man aus denen noch uͤberbliebenen Liedern ſattſam ver - ſpuͤret: biß endlich hochbegabte Gemuͤter / in die - ſen allergreulichſten Laͤuften / da gantz Teutſch - land in der endlichen Kriegsglut glimmet / und den Greuel ſeiner Verwuͤſtung vor der Thuͤr ſi - het / was Ruhe in befoͤrderlicher Aus arbeitung ietztgeſagter teutſchen Poeſi ſuchten / und gutes Theils erlangeten.
Daß nun Woledler / hochgeehrter Herr /und[135]Sendſchreiben.und vielwehrter Gevatter / er nicht allein bißher hierinnen eine merkliche Beyhuͤlfe gethan / ſon - dern auch die gantze Teutſche Poeſi in ſo eine an - nemliche und ſchleunige Richtigkeit gebracht; wird ihme / ſonder allen Zweifel / ſeinen ſchon laͤngſt erlangten Ruhm und hohen Namen / bey allen ehrlichen Patrioten / merklich vermehren / und ie mehr und mehr erweitern. Jch wuͤnſche von Grund meiner Seelen / daß derſelbe / ſamt den lieben Seinigen / eine lange Zeit / bey ſelbſter - wuͤnſchtem Wolſtand verbleiben / und alle Lieb - haber der Teutſchen Poeſi dieſe wolgemeinte Ar - beit nicht zu unziemlichen / und aͤrgerlichen Schandliedern; ſondern zu GOTTES Ehren und Ausuͤbung der Tugenden / allezeit anwen - den moͤgen. Geben aus meiner Studirſtuben den 16. Nov. 1646.
Meines hochgeehrten und vielwehr - ten Herrn Gevattern dienſtergebner Johann Michaël Dilherr.
Die erſte Zahl bedeutet die Stund; die zweyte den Abſatz / oder §. A. den Anhang deß Werckleins. Die Zahl dar - bey den §.
ENDE.
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