PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Plaſtik.
Einige Wahrnehmungen uͤber Form und Geſtalt aus Pygmalions bildendem Traume.
Τι καλλος; ερωτημα τυφλ〈…〉〈…〉.
Riga, beyJohann Friedrich Hartknoch. 1778.
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Geſchrieben groͤßtentheils in den Jahren 1768-70. Der unvollkommene Anfang zu aͤhnlichen Verſuchen einer Anaglyphik, Optik, Akuſtik u. f.
en! ille in nubibus arcus mille trahit varios aduerſo ſole colores. Virg.
A 2[4]
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Erſter Abſchnitt.

1.

Jener Blindgebohrne, den Diderot bemerk - tea)Lettre ſur les aveugles etc. , ſtellte ſich den Sinn des Geſichts wie ein Organ vor, auf das die Luft etwa den Eindruck mache, wie ihm ein Stab auf die fuͤhlende Hand. Ein Spiegel duͤnkte ihm eine Maſchiene, Koͤrper im Relief außer ſich zu wer - fen, wobei er nicht begriff, wie dies Relief ſich nicht fuͤhlen laſſe, und glaubte, daß ein Mittel, eine zweite Maſchiene moͤglich ſeyn muͤſſe, den Betrug der erſten zu zeigen. Sein ſeines rich - tiges Gefuͤhl erſetzte ihm, in ſeiner Meinung, das Geſicht voͤllig. Er unterſchied bei der Haͤrte und Glaͤtte eines Koͤrpers nicht minder fein, als beim Ton einer Stimme oder wir Sehenden bei Far - ben. Er beneidete uns alſo auch unſer Geſicht, von dem er keine Vorſtellung hatte, nicht; wars ihm ja um eine Vermehrung ſeiner Sinne zu thun, ſo wuͤnſchte er ſich etwa laͤngere Arme, um in den Mond gewiſſer und ſichrer zu fuͤhlen, als wir hinein ſaͤhen.

A 3So6

So romantiſch und zu philoſophiſch dieſer Be - richt ſcheint: ſo wird er doch im Grunde von An - dern beſtaͤrkt, die nicht durch Diderots Auge ſahen. Der blinde Saunderſon wuſte, Trotz ſeiner Ma - thematik, ſich von Bildern auf der Flaͤche keinen Begriff zu machen, ſie wurden ihm nur durch Maſchienen begreiflich. Mit ſolchen rechnete er ſtatt Zahlen: Linie und Figuren der Geometrie erſetzte er ſich durch fuͤhlbare Koͤrper. Selbſt die Sonnenſtralen wurden in ſeiner Optik ihm feine fuͤhlbare Staͤbe; und bei dem Bilde, was ſie machten, was durch ſie auf einer Flaͤche ſichtbar ward, dachte er nichts, er nahms als den Huͤlfs - begriff eines fremden Sinnes, einer andern Welt an. Das Schwerſte der Geometrie, das Ganze der Koͤrper, ward ihm in der Demonſtration leicht; was Sehenden das Leichteſte und Anſchaulichſte iſt, Figuren auf der Flaͤche, ward ihm das Muͤh - ſamſte: er muſte auf fremde ungefuͤhlte Begriffe bauen, muſte zu Sehenden reden als waͤren ſie Blinde. Sich den Wuͤrfel als ſechs zuſammen - ſchlagende Pyramiden zu denken, war ihm leicht; ſich ein Achteck auf der Flaͤche vorzuſtellen, ward ihm nur durch ein koͤrperliches Achteck moͤglich.

Am merkbarſten ward dieſer Unterſchied zwi - ſchen Geſicht und Gefuͤhl, Flaͤchen - und Koͤrper - begriffen an dem Blinden, dem Cheſelden das Geſicht gab. Schon in ſeiner reifen Staarblind -heit7heit hatte er Licht und Dunkel, und bei ſtarkem Licht Schwarz, Weiß, Hellroth unterſcheiden koͤn - nen; aber ſein Geſicht war nur Gefuͤhl. Es waren Koͤrper, die ſich auf ſein geſchloſſenes Auge bewegten, nicht Eigenſchaften der Flaͤche, nicht Farben. Nun ward ihm ſein Auge geoͤfnet, und ſein Geſicht erkannte nichts, was er voraus durchs Gefuͤhl gekannt hatte. Er ſah keinen Raum, unterſchied auch die verſchiedenſten Gegenſtaͤnde nicht von einander; vor ihm ſtand, oder vielmehr auf ihm lag eine große Bildertafel. Man lehrte ihn unterſcheiden, ſein Gefuͤhl ſichtlich erkennen, Figuren in Koͤrper, Koͤrper in Figuren verwan - deln; er lernte und vergaß. Das iſt Katze! das iſt Hund! ſprach er, wohl, nun kenne ich euch, und ihr ſollt mir nicht mehr entwiſchen ! ſie entwiſchten ihm noch oft, bis ſein Auge Fertig - keit erhielt, Figuren des Raums als Buchſtaben voriger Koͤrpergefuͤhle anzuſehen, ſie mit dieſen ſchnell zuſammen zu halten, und die Gegenſtaͤnde um ſich zu leſen. Wir glaubten, er verſtuͤnde ſogleich was die Gemaͤlde vorſtellten, die wir ihm zeigten; aber wir fanden, daß wir uns ge - irret hatten, denn eben zwei Monathe, nachdem der Staar ihm war geſtochen worden, machte er ploͤtzlich die Entdeckung, daß ſie Koͤrper, Er - hoͤhungen und Vertiefungen vorſtellten. Er hatte ſie bisher nur als buntſcheckige FlaͤchenA 4 ange -8 angeſehen, aber auch alsdenn war er nicht wenig erſtaunt, daß ſich die Gemaͤlde nicht anfuͤhlten, wie ſie ausſahen, daß die Theile, welche durch Licht und Schatten rauh und uneben ausſahen, ſich glatt wie die uͤbrigen anfuͤhlen ließen. Er fragte: welcher von beiden Sinnen der Betruͤger ſei, ob das Geſicht oder das Gefuͤhl? Man zeigte ihm ſeines Vaters Bild in einem Uhr - gehaͤnge, und fragte ihn, was es ſei? Er erkannte eine Aehnlichkeit, wunderte ſich aber ungemein, daß ſich ein großes Geſicht in einem kleinen Raum vorſtellen ließe, welches ihm ſo unmoͤglich wuͤrde geſchienen haben, als einen Scheffel in eine Metze zu bringen. Erſt konnte er gar nicht viel Licht vertragen, und hielt Alles, was er ſah, fuͤr ſehr groß; als er aber groͤßere Sachen ſah, hielt er die vorhin geſe - henen fuͤr kleiner, und konnte ſich keine Linien, außer den Grenzen, die er ſah, vorſtellen. Er ſagte: daß das Zimmer, in dem er ſich befinde, ein Theil des Hauſes ſei, wiſſe er wohl; aber er konnte nicht begreifen, daß das Haus groͤßer ausſehe, als das Zimmer. Er kannte von keiner Sache die Geſtalt, er unterſchled auch keine Sache von der andern, ſie mochte noch ſo verſchiedne Geſtalt und Groͤße haben; ſondern, wenn man ihm ſagte, was das fuͤr Sachen ſeyn, die er zuvor durchs Gefuͤhl gekannt hatte: ſo betrach -9 betrachtete er ſie ſehr aufmerkſam, um ſie wie - der zu kennen. Weil er aber auf einmal zu viel neue Sachen lernen muſte, vergaß er immer wieder welche, und lernte, wie er ſagte, in einem Tage tauſend Dinge kennen, die er wieder ver - gaß u. f. b)Smiths Optik..

2.

Was lehren dieſe ſonderbaren Erfahrungen? Etwas, was wir taͤglich erfahren koͤnnten, wenn wir aufmerkten, daß das Geſicht uns nur Geſtalten, das Gefuͤhl allein, Koͤrper zeige: daß Alles, was Form iſt, nur durchs taſtende Gefuͤhl, durchs Geſicht nur Flaͤche, und zwar nicht koͤrperliche, ſondern nur ſichtliche Lichtflaͤche erkannt werde. Der Satz wird einigen pa - radox, andern gemein ſcheinen; wie er aber auch ſcheine, iſt er wahr, und wird große Folgerun - gen geben.

Was kann das Licht in unſer Auge mahlen? Was ſich mahlen laͤßt, Bilder. Wie auf der weißen Wand der dunklen Kammer, ſo faͤllt auf die Netzhaut des Auges ein Stralenpinſel von allem, was vor ihm ſtehet, und kann nichts, alsA 5was10was da ſteht, eine Flaͤche, ein Nebeneinander aller und der verſchiedenſten ſichtbaren Gegenſtaͤnde zeichnen. Dinge hinter einander, oder ſolide, maſſive Dinge als ſolche dem Auge zu geben, iſt ſo unmoͤglich, als den Liebhaber hinter der dicken Tapete, den Bauer innerhalb der Windmuͤhle ſingend zu mahlen.

Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was iſt ſie mit allen ihren Erſcheinungen, als Bild, Flaͤche? Jener ſich herab ſenkende Himmel und jener Wald, der ſich in ihn verliert, und jenes hingebreitete Feld, und dies naͤhere Waſſer, und dieſer Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen Bildes ſind Bild, Tafel, ein Continuum neben einander. Jeder Gegenſtand zeigt mir gerade ſo viel von ſich, als der Spiegel von mir ſelbſt zeigt, das iſt, Figur, Vorderſeite; daß ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken - nen, oder aus Jdeen ſchließen.

Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde, denen ihr Geſicht gegeben wurde, nichts als ein Bilderhaus, eine gefaͤrbte Flaͤche richt vor ſich ſahen? ſehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs nicht auf andern Wegen faͤnden. Ein Kind ſieht Himmel und Wiege, Mond und Amme neben einander, es greift nach dem Monde, wie nach der Amme, denn alles iſt ihm Bild auf EinerTafel.11Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unſer Urtheil ſammeln, iſt uns in der Daͤmmerung der Nacht, Wald und Baum, Nah und Fernes auf Einem Grunde: nahe Rieſen, oder entfernte Zwer - ge, und ſich auf uns bewegende Geſpenſter, bis wir aufwachen und unſer Urtheil ſammeln. So - dann ſehen wir erſt, wie wir durch Gewohnheit, aus andern Sinnen, und inſonderheit durchs taſtende Gefuͤhl ſehen lernten. Ein Koͤrper, den wir nie durchs Gefuͤhl als Koͤrper erkannt haͤtten, oder auf deſſen Leibhaftigkeit wir nicht durch bloße Aehnlichkeit ſchließen, bliebe uns ewig eine Hand - habe Saturns, eine Binde Jupiters, d. i. Phaͤ - nomenon, Erſcheinung. Der Ophthalmit mit tauſend Augen, ohne Gefuͤhl, ohne taſtende Hand, bliebe Zeitlebens in Platons Hoͤle, und haͤtte von keiner einzigen Koͤrpereigenſchaft, als ſolcher, eigentlichen Begriff.

Denn alle Eigenſchaften der Koͤrper, was ſind ſie, als Beziehungen derſelben auf unſern Koͤr - per, auf unſer Gefuͤhl? Was Undurchdringlich - keit, Haͤrte, Weichheit, Glaͤtte, Form, Geſtalt, Rundheit ſei? davon kann mir ſo wenig mein Auge durchs Licht, als meine Seele durch ſelbſt - ſtaͤndig Denken einen leibhaften, lebendigen Be - griff geben. Der Vogel, das Pferd, der Fiſch hat ihn nicht; der Menſch hat ihn, weil er nebſt ſeiner Vernunft auch die umfaſſende, taſtendeHand12Hand hat. Und wo er ſie nicht hat, wo kein Mit - tel war, daß er ſich von einem Koͤrper durch koͤr - perliches Gefuͤhl uͤberzeugte: da muß er ſchließen und rathen und traͤumen und luͤgen, und weiß eigentlich nichts recht. Je mehr er Koͤrper, als Koͤr - per, nicht angaffte und betraͤumte, ſondern erfaßte, hatte, beſaß, deſto lebendiger iſt ſein Gefuͤhl, es iſt, wie auch das Wort ſagt, Begriff der Sache.

Kommt in die Spielkammer des Kindes, und ſehet, wie der kleine Erfahrungsmenſch faſ - et, greift, nimmt, waͤgt, taſtet, mißt mit Haͤn - den und Fuͤßen, um ſich uͤberall die ſchweren, erſten und nothwendigſten Begriffe von Koͤrpern, Ge - ſtalten, Groͤße, Raum, Entfernung u. dgl. treu und ſicher zu verſchaffen. Worte und Lehren koͤn - nen ſie ihm nicht geben; aber Erfahrung, Ver - ſuch, Proben. Jn wenigen Augenblicken lernt er da mehr und alles lebendiger, wahrer, ſtaͤrker, als ihm in zehntauſend Jahren Angaffen und Wort - erklaͤren beibringen wuͤrde. Hier, indem er Ge - ſicht und Gefuͤhl unaufhoͤrlich verbindet, eins durchs andre unterſucht, erweitert, hebt, ſtaͤrket formt er ſein erſtes Urtheil. Durch Fehlgriffe und Fehlſchluͤſſe kommt er zur Wahrheit, und je ſolider er hier dachte und denken lernte, deſto beſ - ſere Grundlage legt er vielleicht auf die complexe - ſten Urtheile ſeines Lebens. Wahrlich das erſte Muſeum der mathematiſch-phyſiſchen Lehrart.

Es13

Es iſt erprobte Wahrheit, daß der taſtende unzerſtreute Blinde ſich von den koͤrperlichen Ei - genſchaften viel vollſtaͤndigere Begriffe ſammelt, als der Sehende, der mit einem Sonnenſtral hin - uͤber gleitet. Mit ſeinem umfangenen, dunkeln, aber auch unendlich geuͤbtern Gefuͤhl, und mit der Methode, ſich ſeine Begriffe langſam, treu und ſicher zu ertaſten, wird er uͤber Form und lebendige Gegenwart der Dinge viel feiner urtheilen koͤnnen, als dem Alles nur, wie ein Schatte, fliehet. Es hat blinde Wachsbildner gegeben, die die Sehen - den uͤbertrafen, und ich habe noch nie vom Bei - ſpiel Eines fehlenden Sinnes gehoͤrt, der ſich nicht durch andre erſetzt haͤtte, Geſicht durchs Gefuͤhl, der Mangel an Lichtfarben durch tiefgepraͤgte dau - rende Geſtalten. Es bleibt alſo wahr: der Koͤrper, den das Auge ſieht, iſt nur Flaͤche, die Flaͤche, die die Hand taſtet, Koͤrper .

Nur da wir von Kindheit auf unſre Sinne in Gemeinſchaft und Verbindung brauchen: ſo ver - ſchlingen und gatten ſich alle, inſonderheit der gruͤndlichſte und der deutlichſte der Sinne, Gefuͤhl und Geſicht. Die ſchweren Begriffe, die wir uns langſam und mit Muͤhe ertappen, werden von Jdeen des Geſichts begleitet: dies klaͤrt uns auf, was wir dort nur dunkel faßten, und ſo wird uns endlich gelaͤufig, das mit einem Blick weg zu haben, was wir uns Anfangs langſam ertaſtenmuſten.14muſten. Als der Koͤrper unſrer Hand vorkam, ward zugleich das Bild deſſelben in unſer Auge geworfen: die Seele verband beide, und die Jdee des ſchnellen Sehens laͤuft nachher dem Begriff des langſamen Taſtens vor. Wir glauben zu ſehen, wo wir nur fuͤhlen und fuͤhlen ſollten; wir ſehen endlich ſo viel und ſo ſchnell, daß wir nichts mehr fuͤhlen, und fuͤhlen koͤnnen, da doch dieſer Sinn unaufhoͤrlich die Grundveſte und der Ge - waͤhrsmann des vorigen ſeyn muß. Jn allen die - ſen Faͤllen iſt das Geſicht nur eine verkuͤrzte Formel des Gefuͤhls. Die volle Form iſt Figur, die Bildſaͤule ein flacher Kupferſtich worden. Jm Geſicht iſt Traum, im Gefuͤhl Wahrheit.

Daß dem ſo ſei, ſehen wir in Faͤllen, wo ſich beide Sinne ſcheiden und ein neu Medium oder eine neue Formel eintritt, nach der ſie ſich gatten ſollten. Wenn der Stab im Waſſer gebro - chen ſcheint und man greift darnach an unrechter Stelle; ſo iſt wohl hier von keinem Truge der Sinnen die Frage: denn nach einem Stralen - bilde, als ſolchem, muß ich nicht greifen. Was ich alſo ſah, war wahr, wuͤrkliches Bild auf wuͤrk - licher Flaͤche; nur, wornach ich griff, war nicht wahr: denn wer wird nach einem Bilde auf einer Flaͤche faſſen? Weil nun aber unſer Geſicht und Gefuͤhl, als Schweſtern, zuſammen erzogenwur -15wurden, und von Jugend auf Eine der andern die Arbeit tragen half oder ſie gar allein uͤbernahm: ſo geſchahe es auch hier, und Schweſter verfehlte die Schweſter. Sie hatten ſich ſonſt auf der Erde verſucht; nun iſt der Fall im Waſſer, einem andern Element der Stralenbrechung, wo ſie ſich nicht gegen einander geuͤbt hatten. Ein Waſſer - mann wuͤrds beſſer getroffen haben.

Abermals ein Beiſpiel der vorigen Geſchichte. Cheſeldens Blinder ſah am Gemaͤhlde nur ein Farbenbrett; da ſich die Figuren lostrennten und er ſie erkannte, griff er darnach als nach Koͤrpern . Es ſcheint ſonderbar, iſt aber ſehr natuͤrlich, und der Fall geſchieht oͤfters. Ein Kind, ein rohes Auge ſieht am Gemaͤhlde das Farben - brett oͤfter, als man denket: es kann ſich, ſo lange die Figur ihm am Brett klebt, jenen Schatten, dieſen Streif nicht erklaͤren; es gaffet. Nun aber fangen die Figuren an, ſich zu beleben; iſts nicht, als ob ſie hervorgingen und wuͤrden Geſtalten? Man ſieht ſie gegenwaͤrtig, man greift um ſie, der Traum wird Wahrheit. Die hoͤchſte Liebe und Entzuͤckung macht alſo gerade das, was dort die Unwiſſenheit that, und eben das iſt der Triumph des Mahlers! Durch ſeinen Zaubertrug ſollte Geſicht Gefuͤhl werden, ſo wie bei ihm das Gefuͤhl Geſicht ward.

3. Jch16

3.

Jch glaube wohl nicht mehr Exempel haͤufen zu doͤrfen, zum Erweiſe eines Satzes, der ſo augenſcheinlich iſt: daß fuͤrs Geſicht eigentlich nur Flaͤchen, Bilder, Figuren eines Plans ge - hoͤren, Koͤrper aber und Formen der Koͤrper vom Gefuͤhl abhangen . Laſſet uns ſehen, warum wir der Spekulation ſo lange nachhiengen? und wozu denn endlich der ganze Unterſchied hilft?

Mich duͤnkt, zu manchem. Denn ein Grund - geſetz und abgeſchiednes Reich der Wuͤrkung zweier verſchiednen und ſich verwirrenden Sinne kann nie leere Spekulation ſeyn. Waͤren alle un - ſre Begriffe in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten auf ihren Urſprung zuruͤckgefuͤhrt, oder koͤnnten ſie dahin zuruͤckgefuͤhrt werden; da wuͤrden ſich Ver - bindungen ſondern und Sonderungen binden, wie man ſie in der großen Verwirrung aller Dinge, die wir Leben nennen, nicht ordnet. Da alle unſre Begriffe vom Menſchen ausgehen oder auf ihn kommen: ſo muß nahe dieſem Mittelpunkt und der Art, wie er ſpinnt und wuͤrkt, die Quelle der groͤſten Jrrthuͤmer und der ſichtlichſten Wahr - heit aufgeſpuͤrt werden, oder ſie iſt nirgend. Jch bleibe hier nur bei zwei Sinnen und bei Ei - nem Begriff derſelben Schoͤnheit.

Schoͤn -17

Schoͤnheit hat von Schauen, von Schein den Namen, und am leichteſten wird ſie auch durchs Schauen, durch ſchoͤnen Schein erkannt und geſchaͤtzet. Nichts iſt ſchneller, klaͤrer, uͤber - leuchtender als Sonnenſtral und unſer Auge auf ſeinen Fluͤgeln: eine Welt außer und neben ein - ander wird ihm auf Einen Blick offenbar. Und da dieſe Welt nicht wie Schall voruͤbergeht, ſon - dern bleibt und gleichſam ſelbſt zur Beſchauung einladet, da der feine Sonnenſtral ſo ſchoͤn faͤrbt und ſo deutlich zeiget; was Wunder, daß unſre Seelenlehre am liebſten von dieſem Sinne Namen borget? Jhr Erkennen iſt Sehen, ihr beſtes Angenehme Schoͤnheit.

Es iſt nicht zu laͤugnen, daß von dieſer Hoͤhe nicht Viel ſollte uͤberſehen und Vieles des Vielen ſehr klar, licht und deutlich gemacht werden koͤn - nen. Das Geſicht iſt der kuͤnſtlichſte, philoſo - phiſchte Sinn. Es wird durch die feinſten Ue - bungen, Schluͤſſe, Vergleichungen gefeilt und be - richtigt, es ſchneidet mit einem Sonnenſtrale. Haͤtten wir alſo auch nur aus dieſem Sinne eine rechte Phaͤnomenologie des Schoͤnen und Wah - ren: ſo haͤtten wir viel.

Jndeſſen haͤtten wir mit ihr nicht alles, am wenigſten das Gruͤndlichſte, Einfachſte, Erſte. Der Sinn des Geſichts wuͤrkt flach, er ſpielt undBglei -18gleitet auf der Oberflaͤche mit Bild und Farbe um - her; uͤberdem hat er ſo Vieles und ſo Zuſammen - geſetztes vor ſich, daß man mit ihm wohl nie auf den Grund kommen wird. Er borgt von andern und baut auf andre Sinne: ihre Huͤlfsbegriffe muͤſſen ihm Grundlage feyn, die er nur mit Licht umglaͤnzet. Dringe ich nun nicht in dieſe Be - griffe andrer Sinne, ſuche ich nicht Geſtalt und Form, ſtatt zu erſehen, urſpruͤnglich zu erfaſſen, ſo ſchwebe ich mit meiner Theorie des Schoͤnen und Wahren aus dem Geſichte ewig in der Luft, und ſchwimme mit Seifenblaſen. Eine Theorie ſchoͤner Formen aus Geſetzen der Optik iſt ſo viel als eine Theorie der Muſik aus dem Geſchmacke. Die rothe Farbe, ſagte jener Blinde, nun be - greife ich ſie, ſie iſt wie der Schall einer Trom - pete ; und gerade das ſind viele Abhandlungen der Aeſthetik aus andern in andre Sinne, daß man zuletzt nicht weiß, wo oder wie man dran iſt?

Man klaſſificirt die ſchoͤnen Kuͤnſte ordent - lich unter zwei Hauptſinne, Geſicht und Gehoͤr; und dem erſten Hauptmanne gibt man alles, was man will, aber er nicht fodert, Flaͤchen, For - men, Farben, Geſtalten, Bildſaͤulen, Bret - ter, Spruͤnge, Kleider. Daß man Bildſaͤu - len ſehen kann, daran hat niemand gezweifelt; ob aber aus dem Geſicht ſich urſpruͤnglich beſtim - men laſſe, was ſchoͤne Form iſt? ob dieſer Be -griff19griff den Sinn des Geſichts fuͤr ſeinen Urſprung und Oberrichter erkenne? das laͤßt ſich nicht blos bezweifeln, ſondern gerade verneinen. Laſſet ein Geſchoͤpf ganz Auge, ja einen Argus mit hun - dert Augen hundert Jahr eine Bildſaͤule beſehen und von allen Seiten betrachten: iſt er nicht ein Geſchoͤpf, das Hand hat, das einſt taſten und wenigſtens ſich ſelbſt betaſten konnte; ein Vogel - auge, ganz Schnabel, ganz Blick, ganz Fit - tig und Klaue, wird nie von dieſem Dinge als Vogelanſicht haben. Raum, Winkel, Form, Rundung lerne ich als ſolche in leibhafter Wahr - heit nicht durchs Geſicht erkennen; geſchweige das Weſen dieſer Kunſt, ſchoͤne Form, ſchoͤne Bil - dung, die nicht Farbe, nicht Spiel der Propor - tion, der Symmetrie, des Lichtes und Schattens, ſondern dargeſtellte, taſtbare Wahrheit iſt. Die ſchoͤne Linie, die hier immer ihre Bahn ver - aͤndert, ſie, die nie gewaltſam unterbrochen, nie widrig vertrieben ſich mit Pracht und Schoͤne um den Koͤrper waͤlzet, und nimmer ruhend und im - mer fortſchwebend in ihm den Guß, die Fuͤlle, das ſanft verblaſene entzuͤckende Leibhafte bildet, das nie von Flaͤche, nie von Ecke oder Winkel weiß; dieſe Linie kann ſo wenig Geſichtsflaͤche, ſo wenig Tafel und Kupferſtich werden, daß gerade mit dieſen Alles an ihr hin iſt. Das Geſicht zer - ſtoͤrt die ſchoͤne Bildſaͤule, ſtatt daß es ſie ſchaffe:B 2es20es verwandelt ſie in Ecken und Flaͤchen, bei denen es viel iſt, wenn ſie nicht das ſchoͤnſte Weſen ihrer Jnnigkeit, Fuͤlle und Runde in lauter Spiegel - ecken verwandle; unmoͤglich kanns alſo Mutter dieſer Kunſt ſeyn.

Seht jenen Liebhaber, der tiefgeſenkt um die Bildſaͤule wanket. Was thut er nicht, um ſein Geſicht zum Gefuͤhl zu machen, zu ſchauen als ob er im Dunkeln taſte? Er gleitet umher, ſucht Ruhe und findet keine, hat keinen Geſichts - punkt, wie beim Gemaͤhlde, weil tauſende ihm nicht gnug ſind, weil, ſo bald es eingewurzelter Geſichtspunkt iſt, das Lebendige Tafel wird, und die ſchoͤne runde Geſtalt ſich in ein erbaͤrm - liches Vieleck zerſtuͤcket. Darum gleitet er: ſein Auge ward Hand, der Lichtſtral Finger, oder vielmehr ſeine Seele hat einen noch viel feinern Finger als Hand und Lichtſtral iſt, das Bild aus des Urhebers Arm und Seele in ſich zu faſſen. Sie hats! die Taͤuſchung iſt geſchehn: es lebt, und ſie fuͤhlt, daß es lebe; und nun ſpricht ſie, nicht, als ob ſie ſehe, ſondern taſte, fuͤhle. Eine Bildſaͤule kalt beſchrieben, gibt ſo wenig Jdeen als eine gemahlte Muſik; lieber laß ſie ſtehen und gehe voruͤber.

Wenn ich Einem Menſchen ſeine Begeiſte - rung vergebe, ſo iſts dem Liebhaber der Kunſt,dem21dem Kuͤnſtler: denn ohne ſie war kein Liebhaber, kein Kuͤnſtler. Der elende Tropf, der vorm Mo - dell ſitzt und alles platt und flach ſiehet, der Arme, der vor der lebenden Perſon ſteht und nur ein Far - benbrett an ihr gewahr wird, ſind Klecker, nicht Kuͤnſtler. Sollen die Figuren von der Leinwand vortreten, wachſen, ſich beſeelen, ſprechen, han - deln; gewiß ſo muſten ſie dem Kuͤnſtler auch ſo erſcheinen und von ihm gefuͤhlt ſeyn. Phidias, der den Donnergott bildete, als er im Homer las und vom Haupte Jupiters, von ſeiner fallenden Locke ihm Kraft herabſank, dem Gotte naͤher zu treten und ihn zu umfangen in Majeſtaͤt und Liebe: Apollonius Neſtorides, der den Herkules mach - te und den Rieſenbezwinger in Bruſt, in Huͤften, in Armen, im ganzen Koͤrper fuͤhlte: Agaſias, als er den Fechter ſchuf und in allen Sehnen ihn taſtete und in allen Kraͤften ihn hingab; wenn dieſe nicht begeiſtert ſprechen dorften, wer darfs denn? Sie ſprachen durch ihr Werk und ſchwiegen: der Liebhaber fuͤhlt, ſchafft ihnen nach und ſtammlet im Umfang, im Meere von Leben, was ihn er - greifet. Ueberhaupt, je naͤher wir einem Ge - genſtande kommen, deſto lebendiger wird unſre Sprache, und je lebendiger wir ihn von fern her fuͤhlen, deſto beſchwerlicher wird uns der trennen - de Raum, deſto mehr wollen wir zu ihm. Wehe dem Liebhaber, der in behaglicher Ruhe ſeine Ge -B 3liebte22liebte von fern als ein flaches Bild anſieht und gnug hat! wehe dem Apollo - dem Herkulesbild - ner, der nie einen Wuchs Apollo’s umſchlang, der eine Bruſt, einen Ruͤcken Herkules auch nie im Traume fuͤhlte. Aus Nichts kann wahr - lich nichts anders als Nichts, und aus dem unfuͤhlenden Sonnenſtral nie warme ſchaffende Hand werden.

4.

Jſts einmal erlaubt, uͤber Werk zu reden und uͤber Kunſt zu philoſophiren: ſo muß die Philoſophie wenigſtens genau ſeyn, und wo moͤg - lich zu den erſten einfachſten Begriffen reichen. Als das Philoſophiren uͤber ſchoͤne Kunſt einmal noch Mode war, ſuchte ich lange uͤber dem eigent - lichen Begriff, der ſchoͤne Formen und Far - ben, Bildnerei und Mahlerei trenne, und fand ihn nichtc)Falkonets Gedanken von der Bildhauerkunſt, (uͤberſ. N. Bibl. d. ſch. W. B. 1. St. 1.) ſind die trefliche Vorlefung eines Kuͤnſtlers, deſſen Zweck es gar nicht iſt, die Grenzen zweener Kuͤnſte phi - loſophiſch zu ſondern.. Jmmer Mahlerei und Bild - hauerei in einander, unter Einem Sinne, alſo unter Einem Organ der Seele, das Schoͤne inbeiden23beiden zu ſchaffen und zu empfinden: alſo auch dies Schoͤne voͤllig auf Eine Art, durch Einerlei natuͤrliche Zeichen, in einem Raume neben ein - ander wuͤrkend, nur Eins in Formen, das andre auf der Flaͤche. Jch muß ſagen, ich begriff da - bei wenig. Zwo Kuͤnſte im Gebiet Eines Sin - nes muͤſſen auch geradezu ſubjektiv Einerlei Ge - ſetze des Wahren und Schoͤnen haben, denn ſie kommen zu Einer Pforte hinein, wie ſie beide zu Einer heraus gingen, und ja nur fuͤr Einen Sinn da ſind. Die Mahlerei muß alſo ſo ſehr ſkulptu - riren, die Skulptur ſo viel mahlen koͤnnen, als ſie will, und es muß ſchoͤn ſeyn: ſie dienen ja Einem Sinne, regen Einen Punkt der Seele; und nichts iſt doch unwahrer, als dies. Jch ver - folgte beide Kuͤnſte und fand, daß kein einziges Geſetz, keine Bemerkung, keine Wuͤrkung der Einen, ohn Unterſchied und Einſchraͤnkung auf die andre paſſe. Jch fand, daß gerade je eigner Etwas Einer Kunſt ſei und gleichſam als einhei - miſch derſelben in ihr große Wuͤrkung thue, deſto weniger laſſe es ſich platt anwenden und uͤbertra - gen, ohne die entſetzlichſte Wuͤrkung. Jch fand arge Beiſpiele davon in der Ausfuͤhrung, aber noch ungleich aͤrgere in der Theorie und Philoſo - phie dieſer Kuͤnſte, die oft von Unwiſſenden der Kunſt und Wiſſenſchaft geſchrieben, alles ſeltſam durch einander gemiſcht, beide nicht als zwo Schwe -B 4ſtern24ſtern oder Halbſchweſtern, ſondern meiſtens als ein doppelt Eins betrachtet und keinen Plunder an der Einen gefunden haben, der nicht auch der andern gebuͤhre. Daher nun jene erbaͤrmliche Kritiken, jene armſelige, verbietende und ver - engernde Kunſtregeln, jenes bitterſuͤße Geſchwaͤtz vom allgemeinen Schoͤnen, woran ſich der Juͤn - ger verdirbt, das dem Meiſter ekelt und das doch der kenneriſche Poͤbel als Weisheitsſpruͤche im Munde fuͤhret. Endlich kam ich auf meinen Begriff, der mir ſo wahr, der Natur unſrer Sinne, beider Kuͤnſte und hundert ſonderbaren Erfahrungen ſo gemaͤß ſchien, daß er, als der eigentliche ſubjektive Grenzſtein, beide Kuͤnſte und ihre Eindruͤcke und Regeln auf die lindeſte Weiſe ſcheidet. Jch gewann einen Punkt, zu ſehen, was jeder Kunſt eigen oder fremde, Macht oder Beduͤrfniß, Traum oder Wahrheit ſei, und es war, als ob mir ein Sinn wuͤrde, die Natur des Schoͤnen da furchtſam von ferne zu ahnden, wo doch ich plaudre zu fruͤhe und zu viel. Hier iſt der nackte Umriß, wie ich glaube, daß die Kuͤnſte des Schoͤnen ſich zu einander ver - halten:

Einen Sinn haben wir, der Theile außer ſich neben einander, einen andern, der ſie nach ein - ander, einen dritten, der ſie in einander erfaſſet. Geſicht, Gehoͤr und Gefuͤhl.

Theile25

Theile neben einander geben eine Flaͤche: Theile nach einander am reinſten und einfachſten ſind Toͤne. Theile auf einmal in - neben - bei einander, Koͤrper oder Formen. Es gibt alſo in uns einen Sinn fuͤr Flaͤchen, Toͤne, Formen, und wenns dabei aufs Schoͤne ankommt, drei Sinne fuͤr drei Gattungen der Schoͤnheit, die unterſchieden ſeyn muͤſſen, wie Flaͤche, Ton, Koͤrper. Und wenns Kuͤnſte gibt, wo jede in Einer dieſer Gattungen arbeitet, ſo kennen wir auch ihr Gebiet von außen und innen, Flaͤche, Ton, Koͤrper, wie Geſicht, Gehoͤr, Gefuͤhl. Dies ſind ſodann Grenzen, die ihnen die Natur anwies und keine Verabredung; die alſo auch keine Verabredung aͤndern kann, oder die Natur raͤchet. Eine Tonkunſt, die mahlen, und eine Mahlerei die toͤnen, und eine Bildnerei die faͤrben, und eine Schilderei die in Stein hauen will, ſind lauter Abarten, ohne oder mit falſcher Wuͤrkung. Und alle Drei verhalten ſich zu einander, als Flaͤche, Ton, Koͤrper, oder wie Raum, Zeit und Kraft, die drei groͤſten Medien der allweiten Schoͤpfung, mit denen ſie alles faſſet, alles umſchraͤnket.

Laſſet uns ſogleich Ein Zwei Folgerungen ſehen, wie ſich Bild - und Mahlerei im Ganzen verhalten.

Jſt dieſe die Kunſt fuͤrs Auge, und iſts wahr, daß das Auge nur Flaͤche, und Alles wie Flaͤche,B 5wie26wie Bild empfindet: ſo iſt das Werk der Mahlerei tabula, tavola, tableau, eine Bildertafel, auf der die Schoͤpfung des Kuͤnſtlers wie Traum da ſteht, in der Alles alſo auf dem Anſchein, auf dem Nebeneinander beruhet. Hievon alſo muß Erfindung und Anordnung, Einheit und Mannich - faltigkeit (und wie die Litanei von Kunſtnamen weiter heiße) ausgehen, darauf zuruͤckkommen, und iſt, wie viele Kapitel und Baͤnde davon gefuͤllt werden, dem Kuͤnſtler ſelbſt aus einem ſehr ein - fachen Grundſatze, der Natur ſeiner Kunſt, mehr als ſichtbar. Dieſe iſt ihm das Eine Koͤ - nigsgeſetz, außer dem er keines kennet, die Goͤt - tin, die er verehret. Jn der treuen Behandlung ſeines Werks muß ihm alle Philoſophie daruͤber in Grund und Wurzel, und als etwas ſo Ein - faches erſcheinen, deſſen alle das vielfache Ge - ſchwaͤtz nicht werth iſt.

Die Bildnerei arbeitet in einander, Ein lebendes, Ein Werk voll Seele, das da ſei und daure. Schatte und Morgenroth, Blitz und Don - ner, Bach und Flamme kann ſie nicht bilden, ſo wenig das die taſtende Hand greifen kann; aber warum ſoll dies deshalb auch der Mahlerei verſagt ſeyn? Was hat dieſe fuͤr ein ander Geſetz, fuͤr andre Macht und Beruf, als die große Tafel der Natur mit allen ihren Erſcheinungen, in ihrer großen ſchoͤnen Sichtbarkeit zu ſchildern? undmit27mit welchem Zauber thut ſies! Die ſind nicht klug, die die Landſchaftsmahlerei, die Naturſtuͤcke des großen Zuſammenhanges der Schoͤpfung verachten, herunter ſetzen, oder gar dem Kuͤnſtler Affenernſtlich unterſagen. Ein Mahler, und ſoll kein Mahler ſeyn? Ein Schilderer, und ſoll nicht ſchildern? Bildſaͤulen drechſeln ſoll er mit ſeinem Pinſel und mit ſeinen Farben geigen, wie’s ihrem aͤchten antiken Geſchmacke behagt. Die Tafel der Schoͤpfung ſchildern, iſt ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde beſſer waͤre und mehr auf ſich haͤtte, als ein Kruͤppel, der zwiſchen ihnen ſchleicht, und deſſen Konterfeyung mit Gewalt einzige wuͤr - dige Mahlerei ſeyn ſoll.

Bildnerei ſchafft ſchoͤne Formen, ſie draͤngt in einander und ſtellt dar; nothwendig muß ſie alſo ſchaffen, was ihre Darſtellung verdient, und was fuͤr ſich da ſteht. Sie kann nicht durch das Nebeneinander gewinnen, daß Eins dem Andern aushelfe und doch alſo Alles ſo ſchlecht nicht ſey: denn in ihr iſt Eins Alles und Alles nur Eins. Jſt dies unwuͤrdig, leblos, ſchlecht, nichts ſagend; Schade um Meißel und Marmor! Kroͤte und Froſch, Fels und Matratze zu bilden, war der Rede nicht werth, wenn ſie nicht etwa einem hoͤhern Werk als Beigehoͤrde dienen, und alſo nicht Hauptwerk ſeyn wollen. Wo Seele lebt und einen edlen Koͤr - per durchhaucht und die Kunſt wetteifern kann. Seele28Seele im Koͤrper darzuſtellen, Goͤtter, Menſchen und edle Thiere, das bilde die Kunſt und das hat ſie gebildet. Wer aber mit hoher idealiſcher Strenge dies Geſetz abermals den Schilderern, den Mahlern der großen Naturtafel aufbuͤrdet, der greife ja nach ſeinem Kopfe, wie Er etwa zu ſchildern waͤre.

Endlich die Bildnerei iſt Wahrheit, die Mah - lerei Traum: jene ganz Darſtellung, dieſe er - zaͤhlender Zauber, welch ein Unterſchied! und wie wenig ſtehen ſie auf Einem Grunde! Eine Bild - ſaͤule kann mich umfaſſen, daß ich vor ihr knie, ihr Freund und Geſpiele werde, ſie iſt gegenwaͤr - tig, ſie iſt da. Die ſchoͤnſte Mahlerei iſt Roman, Traum eines Traumes. Sie kann mich mit ſich verſchweben, Augenblicke gegenwaͤrtig werden und wie ein Engel in Licht gekleidet, mich mit ſich fort - ziehn; aber der Eindruck iſt anders als er dort war. Der Lichtſtral weicht hin, es iſt Glanz, Bild, Gedanke, Farbe. Jch kann mir kei - nen Theoriſten, der Menſch iſt, vorſtellen, und ſich die zwo Sachen auf Einem Grunde denket.

Laſſet uns einige andere Fragen ſehen, die als Alterkationen zwiſchen beiden Kuͤnſten oft aufge - worfen, zum Theil ſchlecht beantwortet ſind und ſich aus unſerm Geſichtspunkt ſonnenklar ergeben.

Zwei -29

Zweiter Abſchnitt.

1.

Bildhauerkunſt und Mahlerei, warum beklei - den ſie nicht mit Einem Gluͤcke, nicht auf Einerlei Art?

  • Antwort. Weil die Bildnerei eigentlich gar nicht bekleiden kann und die Mahlerei im - mer kleidet.

Die Bildnerei kann gar nicht bekleiden; denn offenbar verhuͤllet ſie gleich unter dem Kleide, es iſt nicht mehr ein menſchlicher Koͤrper, ſondern ein langgekleideter Block. Kleid als Kleid kann ſie nicht bilden, denn dies iſt kein Solidum, kein Voͤlliges, Rundes. Es iſt nur Huͤlle unſres Koͤrpers der Nothwendigkeit wegen, eine Wolke gleichſam die uns umgibt, ein Schatte, ein Schleier. Je mehr es in der Natur ſelbſt druͤckend wird und dem Koͤrper Wuchs, Geſtalt, Gang, Kraft nimmt: deſto mehr fuͤhlen wir die fremde, unweſentliche Laſt. Und nun in der Kunſt iſt ein Gewand von Stein, Erz, Holz ja im hoͤch -ſten30ſten Grade druͤckend! Es iſt kein Schatte, kein Schleier, gar kein Gewand mehr: es iſt ein Fels voll Erhoͤhung und Vertiefung, ein herabhangen - der Klumpe. Thue die Augen zu und taſte, ſo wirſt du das Unding fuͤhlen.

Jn keinem Lande konnte daher die Bildnerei gedeihen, wo ſolche Steinklumpen nothwendig waren, wo der Kuͤnſtler, ſtatt ſchoͤner und edler Koͤrper, Matratzen bilden muſte. Jn Morgen - lande, wo man aus ſehr guten Gruͤnden die Ver - huͤllung des Koͤrpers liebte, wo man ihn als Ge - heimniß betrachtete, von dem nur das Antlitz und ſeine Boten, Haͤnde und Fuͤße, ſichtbar waͤren, in ihm war keine Bildnerei moͤglich, ja im juͤdiſchen Lande gar nicht erlaubt. Bei den Aegyptern ging ſie daher, Trotz des hohen Mechaniſchen der Kunſt, einen ganz andern Weg, ſeitwaͤrts ab vom Schoͤ - nen. Bei den Roͤmern konnte ſie auch wegen der Toga und Tunica, Thorax und Paludament ſich der Nation nie einverleiben, um hoͤher zu ſteigen: ſie blieb Griechiſch, oder ging zuruͤck. Jn der Geſchichte der Moͤnche und Heiligen konnte ſie keine Fortſchritte thun, denn Moͤnch und Nonne waren verſchleiert, der Kuͤnſtler hatte ſtatt Koͤr - per faltige Steindecken zu bilden. Sowohl der Spaniſchen als unſrer Tracht mag ſich etwa die Mahlerei, aber wahrlich nicht die Bildſaͤule er - freuen. Wir haben die Spaniſche zur Ritter -Prieſter -31Prieſter - und Narrentracht gemacht; die unſre, mit Lappen und Flicken, Spitzen und Ecken, Schnitten und Taſchen muͤſte in Marmor ein wah - res Goͤttergewand werden. Ein Held in ſeiner Uniform, allenfalls noch die Fahne in der Hand und den Hut auf ein Ohr gedruͤckt, ſo ganz in Stein gebildet, wahrlich das muͤſte ein Held ſeyn! Der Kuͤnſtler, der ihn machte, waͤre wenigſtens ein ſchoͤner Kommißſchneider. Betaſte die Statue in dunkler Nacht, du wirſt an Form und Schoͤn - heit Wunderdinge in ihr fuͤhlen.

Wie anders die Griechen! Sie, die gebohr - nen Kuͤnſtler des Schoͤnen. Erzhuͤllen und Stein - decken warfen ſie ab, und bildeten, was gebildet werden konnte, ſchoͤne Koͤrper. Apollo, vom Siege Pythonsd)Winkelmanns Geſch. der K. S. 392., kam er unbekleidet? zerbrach der Kuͤnſtler ſich den Kopf, um doch hier einer Arm - ſeligkeit des Ueblichen treu zu bleiben? Nichts! er ſtellte den Gott, den Juͤngling, den Ueberwin - der mit ſeinen ſchoͤnen Schenkeln, freier Bruſt und jungen Baumeswuchſe nackt dar; die Laſt des Kleides wurde zuruͤckgeſchoben, wo ſie am wenig - ſten verbarg, wo ſie den Gang des Edlen nicht hindert, wo ſie vielmehr ſeinem hochmuͤthigen Stande wohl thut und auch nur als die leichte Beute des Ueberwinders ſchwebet. Laokoon,der32der Mann, der Prieſter, der Koͤnigsſohn, bei einem Opfer, vor dem verſammleten Volke, war er nackt? ſtand er unbekleidet da, als ihn die Schlangen umfielen? Wer denkt daran, wenn er jetzt den Laokoon der Kunſt ſiehet? wer ſoll dar - an denken? Wer an die vittas denken, ſanie, atroque cruore madentes, da die hier nichts thaͤ - ten, als ſeine leidende Stirn voll Seufzen und Todtenkampfes zum prieſterlichen Steinpflaſter zu machen? wer an ein Opfergewand denken, das dieſe arbeitende Bruſt, dieſe giftgeſchwollenen Adern, dieſe ringenden und ſchon ermattenden Vaterhaͤnde zu todtem Fels ſchuͤffe? O der Pe - danten des Ueblichen, des Wohlanſtaͤndigen, des ſchoͤnbeſchreibenden Virgils, die ja nur Prieſter - figuren im Holzmantel ſehen moͤgen! und im - mer nur ſolche ſehen ſollten!

Es war vom Griechen Spruͤchwort, daß er lieber Fuͤlle als Huͤlle gab, das iſt, ſchoͤne Fuͤlle, denn ſonſt bekleidete er auch. Philoſophen, Cybelen, hundertjaͤhrige Matronen konnten immer bekleidet da ſtehn; auch wo es Gottesdienſt, und Zweck und Eindruck der Bildſaͤule foderte oder ertrug. Ein Philoſoph iſt ja nur immer Kopf - oder Bruſt - bild: wenn er alſo auch nur, wie Zeno, ſein Haupt uͤber der Steinhuͤlle zeiget! er muß nicht, als Juͤngling oder Fechter da ſtehn. Eine Niobe, dieſe ungluͤckliche Mutter in Mitte ihrer ungluͤck -lichen33lichen Kinder, die huͤlflos um ſie jammern und alle in ihren Schoos fliehen moͤchten, wie es die Juͤngſte thut ſie kniet weit - und reichbeklei - det da, denn ſie iſt Mutter, und ihr Todesſtar - res, gen Himmel gewandtes Geſicht, ſammt der Tochter in ihrem Schooße, iſt Ausdruck genug, auf den der Kuͤnſtler hier wuͤrkte und nicht auf kalte nackte Koͤrperſchoͤnheit. Eine Juno Matro - na unbekleidet, waͤre dem entgegen, was ſie iſt, was ſie ſelbſt vor Paris war; Ehrfurcht ſoll ſie einfloͤßen, nicht Liebe. Das Haupt der Nym - phen und Veſtalinnen, die unſterblich ſchoͤne Diana, muß bekleidet ſeyn, wie es ihr Stand und Cha - rakter gebietet, und die Kunſt es zulaͤßt. Aber eine Geſtalt der Schoͤnheit, der Liebe, des Reizes, der Jugend, Bacchus und Apollo, Charis und Aphrodite, unter einem Mantel von Stein waͤre Alles, was ſie ſind, was ſie hier durch den Kuͤnſtler ſeyn ſollten, verſchleiert und verlohren. Und man kann uͤberhaupt den Grund - ſatz aunehmen, daß wo der Griechiſche Kuͤnſtler auf Bildung und Darſtellung eines ſchoͤnen Koͤr - pers ausgieng, wo ihm nichts Religioͤſes oder Charakteriſtiſches im Wege ſtand, wo feine Fi - gur ein freies Geſchoͤpf der Muſe, ein ſub - ſtanzielles Kunſtbild, kein Emblem, keine hiſtoriſche Gruppe, ſondern Bild der Schoͤn - heit ſeyn ſollte, da bekleidete er nie, da ent -C huͤllte34 huͤllte er, was er Trotz dem Ueblichen enthuͤl - len konnte .

Wir betrachten hier nicht, was dies Nackte auf die Sitten der Griechen fuͤr Einfluß hatte, denn mit ſolchen Spruͤngen von einem Felde ins andere kommt man nicht weit. Nichts iſt feinerer Natur, als Zucht und das Wohlanſtaͤn - dige oder Aergerliche des Auges: es kommt da - bey ſo viel auf Himmelsſtrich, Kleidungsart, Spiele, fruͤhe Gewohnheit und Erziehung, auf den Stand, den beyde Geſchlechter gegen ein - ander haben, inſonderheit auf den Abgrund von Sonderbarkeiten an, den man Charakter der Nation nennt, daß die Unterſuchung deſſen ein eigenes Buch werden duͤrfte. Es konnte den Gothen, die aus Norden kamen, die wuͤrklich zuͤchtiger und unter ihrem Himmelsſtrich an dich - tere Kleider gewoͤhnt waren, bey denen das weib - liche Geſchlecht zum maͤnnlichen uͤberhaupt an - ders ſtand als bei den Griechen, und die uͤberdem die Statuen unter einem verderbten Volke fan - den, das vielleicht ſeinen Untergang mit von ihnen herhatte; ich ſage, dieſen Gothen konnte (auch ihre neue Religion unbetrachtet,) der An - blick der Statuen mit Recht ſehr widrig ſeyn, da - her die meiſten auch ſo ein ungluͤckliches Ende nah - men, ohne daß man deshalb von Gothen auf Griechen geradezu ſchließen muͤſte. Wenn un -ter35ter uns dies nackte Reich der Statuen ploͤtzlich auf Weg und Steg gepflanzet wuͤrde, wie einige neuere Schoͤndenker nicht undeutlich angerathen haben: ſo muß man von dem Eindruck, den ſie da und dem Poͤbel (dem Poͤbel von und ohne Stande) inſonderheit zuerſt, machen wuͤrden, nicht ſo fort auf ein fremdes Volk ganz andrer Sitten und Erziehung ſchließen. Ueberhaupt iſt zuͤchtig ſeyn und geaͤrgert werden, Tugend ausbreiten und die Kunſt haſſen, ſchrecklich verſchieden, wie die Folge noch mehr zeigen wird. Hier iſt auch dieſe Ausſchweifung ſchon zu lang; wir reden hier von Kunſt und von Griechen, nicht von Sitten und Deutſchen. Jch fahre fort.

Wo auch der Grieche bekleiden muſte, wo es ihm ein Geſetz auflegte, den ſchoͤnen Koͤrper, den er bilden wollte, und den die Kunſt allein bilden kann und ſoll, hinter Lumpen zu ver - ſtecken; gabs kein Mittel, dem fremden Drucke zu entkommen, oder ſich mit ihm abzufinden? zu bekleiden, daß doch nicht verhuͤllt wuͤrde? Gewand anzubringen, und der Koͤrper doch ſeinen Wuchs, ſeine ſchoͤne runde Fuͤlle behielte? Wie wenn er durchſchiene? Jn der Bildnerei, bey einem Solido kann nichts durchſcheinen: ſie ar - beitet fuͤr die Hand und nicht fuͤrs Auge. Und ſiehe, eben fuͤr die Hand erfanden die feinen Grie -C 2chen36chen Auskunft. Jſt nur der taſtende Finger be - trogen, daß er Gewand und zugleich Koͤrper taſte; der fremde Richter, das Auge, muß folgen. Kurz, es ſind der Griechen naſſe Gewaͤnder.

Es iſt uͤber ſie ſo viel und ſo viel falſches ge - ſagt, daß man ſich faſt mehr zu ſagen ſcheuet. Jedermann wars auffallend, daß ſie in der Bild - hauerei ſo viel, in der Mahlerei keine Wuͤrkung thun. Und zugleich ſchienen ſie ſo unnatuͤrlich ſo unnatuͤrlich und doch ſo wirkſam? ſo wahr und ſchoͤn in der Kunſt, und in der Natur ſo haͤßlich? alſo ſchoͤn und haͤßlich, wahr und falſch wer giebt Auskunft? Winkel - mann ſagt, daß ſie nichts als Nachbildung der alten Griechiſchen Tracht in Leinwand ſeyn; ich weiß nicht, ob die Griechen je naſſe, an der Haut klebende Leinwand getragen? und hier war eigentlich die Frage, warum ſie der Kuͤnſtler ſo kleben ließ und nicht trocknete? fuͤhren wir ſein Werk, ſeine Kunſt, auf ihren rechten Sinn zu - ruͤck, ſo antwortet die Sache. Es war nehm - lich einzige Auskunft, den taſtenden Finger und das Auge, das jetzt nur als Finger taſtet, zu betruͤgen: ihm ein Kleid zu geben, das doch nur gleichſam ein Kleid ſei, Wolke, Schleier, Nebel doch nein, nicht Wolke und Nebel, denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; naſſesGewand37Gewand gab er ihm, das der Finger durch - fuͤhle! Das Weſen ſeiner Kunſt blieb der ſchlan - ke Leib, das runde Knie, die weiche Huͤfte, die Traube der jugendlichen Bruſt, und dem aͤußern Erforderniſſe kam man doch auch nach. Es war gleichſam ein Kleid, wie die Goͤtter Homers gleichſam Blut haben; die Fuͤlle des Koͤrpers, die kein Gleichſam, die Weſen der Kunſt iſt, war und blieb Hauptwerk.

Ganz anders verhaͤlt ſichs mit der Mahle - rei, die, wie geſagt worden, nichts als Kleid iſt, das iſt, ſchoͤne Huͤlle, Zauberei mit Licht und Farben zur ſchoͤnen Anſicht. Sie wuͤrkt auf Flaͤche und kann nichts als Oberflaͤche ge - ben; zu der gehoͤren auch Kleider. Fuͤr unſer Auge ſind dieſe die taͤglichen Erſcheinungen der Wahrheit, des Ueblichen, der Pracht, der Zierde. Eben der Farbe, des Putzes, des ſchoͤ - nen Anſcheins wegen werden ſie oft gewaͤhlt und gemuſtert, ſind der ſchauenden ſchoͤnen Welt ſo viel mehr als Beduͤrfniß warum ſollten ſies nicht auch der ſchauenden ſchoͤnen Kunſt ſeyn? Mahlerei kann Kleid, als das edelſte, was es iſt, bearbeiten, als ein gebrochenes Licht, ein Zauberduft fuͤrs Auge, der alles erhoͤhet, als Nebel und ſchoͤne Farbe; warum ſollte ſies alſoC 3nicht38nicht thun? Warum muͤſte ſie den Vorzug ihres Sinnes dem Mangel eines fremden Sinnes auf - opfern, mit dem ſie nichts gemein hat? Wuͤrde unter den Haͤnden des Bildners ein Kleid das, was es unter ihren Haͤnden, unter dem Zauber - finger des Lichts iſt, ſo waͤre er Thor, wenn ers nicht brauchte.

Es ſind alſo ungemein feine Koͤpfe, die der Mahlerei die nackten Fleiſchmaſſen und wohl gar die naſſen Gewaͤnder anrathen, weil ſie damit ihrer aͤltern lieben Schweſter, Bildhauerkunſt, naͤher komme, und wohl gar antikiſch wuͤrde. Nackt und ſteif und haͤßlich kann ſie freilich damit werden, ohne ein Gutes zu erbeuten, was ihre aͤltere Schweſter mit Naktheit und Naͤſſe erreichet. Das Beduͤrfniß einer fremden Kunſt zum Weſen der Seinigen zu machen und daruͤber die Vor - theile der Seinigen verlieren ſo etwas kommt meiſtens aus dem lieben Modeln und Vergleichen. Juͤngſte Gerichte voll Fleiſch, wie Heu; und Dianenbaͤder wie Fleiſchmaͤrkte! Nichts iſt laͤ - cherlicher, als Statuen aufs Brett zu kleben, und da Kleider gar zu netzen, wo alles bluͤhn und duften ſoll.

Aber die alten großen Mahler ahmten doch Bildſaͤulen nach: von Raphael hat man ja ſo manche Maͤhrchen, daß er das ahmtenſie39ſie aber nicht nach, was nicht aufs Brett gehoͤrt, ohne daß es dadurch dreimal Brett wurde. Eben jene alte große Mahler, welch großes Gefuͤhl hatten ſie vom Wurf der Kleider! wie eben hier die Mahlerei in ihrem Zauberlande des ſchoͤ - nen Truges, in der Werkſtaͤte ihrer Allmacht mit Licht und Farbe ſei. Daß dieſes Kleid rauſche und jenes dufte und ſchwebe; daß man hier in die Falten des Gewandes greift und glaubt, da es doch nur Flaͤche iſt, ſo tief zu greifen: daß dieſe Farbe, dieſer Grund jene Figuren ſo himm - liſch mache, ſo hoͤhe und hebe; jener Wurf, je - ner Wechſel dem Ganzen Lieblichkeit, Anmuth, Mannichfaltigkeit gewaͤhre was ich hier ſo allgemein, ſo unbeſtimmt ſage, welcher Liebha - ber, welcher Meiſter hats nicht in tauſend einzel - nen Faͤllen, mit tauſend Kunſtgriffen und Mei - ſterzuͤgen erprobet? Mahlerei iſt Repraͤſenta - tion, eine Zauberwelt mit Licht und Farben fuͤrs Auge; dem Sinne muß ſie folgen, und was ihr der Sinn fuͤr Zauberſtaͤbe gewaͤhrt, darf ſie nicht wegwerfen.

Selbſt im Reizbaren zur Verfuͤhrung iſt das Nackte in beiden Kuͤnſten gar nicht daſſelbe. Eine Statue ſteht ganz da, unter freiem Himmel, gleichſam im Paradieſe: Nachbild eines ſchoͤnen Geſchoͤpfs Gottes und um ſie iſt Unſchuld. Win - kelmann ſagt recht, daß der Spanier ein ViehC 4gewe -40geweſen ſeyn muß, den die Statue jener Tugend zu Rom luͤſtete, die nun die Decke traͤgt; die reinen und ſchoͤnen Formen dieſer Kunſt koͤnnen wohl Freundſchaft, Liebe, taͤgliche Sprache, nur beym Vieh aber Wolluſt ſtiften. Mit dem Zauber der Mahlerei iſts anders. Da ſie nicht koͤrperliche Darſtellung, ſondern nur Schilde - rung, Phantaſie, Repraͤſentation iſt, ſo oͤfnet ſie auch der Phantaſie ein weites Feld und lockt ſie in ihre gefaͤrbte, duftende Wolluſtgaͤrten. Die kranken Schlemmer aller Zeiten fuͤllten ihre Kabinette der Wolluſt immer lieber mit unzuͤch - tigen Gemaͤhlden als Bildſaͤulen: denn in dieſen, ſelbſt in ſchlummernden Hermaphroditen, iſt ei - gentlich keine Unzucht. Die Chaͤreen alt und neu, erbauen ſich lieber an Gemaͤhlden des Schwans mit der Leda, als an ganzen Vorſtel - lungen deſſelben. Die Phantaſie will nur Duft, Schein, lockende Farbe haben; mit der treuen Natur der ganzen Wahrheit ſind ihr die Fluͤgel gebunden, es ſtehet zu wahr da. Die Bild - ſaͤule bleibt immer nackt ſtehen, aber die ſchoͤne Danae von Titian muß weislich ein Vorhaͤng - chen decken: es iſt die Zaubertafel fuͤr einen ver - dorbenen Sinn, der, verlockt, gar keine Gren - zen kennet.

Auch hieraus ergiebt ſich, warum die Neuen den Alten in ſchoͤner Form weiter nachbleiben,als41als im ſchoͤnen Anſchein. Schoͤner Anſchein kann manches werden, was gerade nicht ſchoͤne Form und die tiefgefuͤhlte, treue, nackte Wahr - heit iſt: zu dieſer zu gelangen ſind unſtreitig jetzo viel weniger Mittel als voraus. Winkelmann hats unverbeſſerlich geſagt, was unter dem ſchoͤnen Griechiſchen Himmel, in ihrer Frei - und Froͤhlichkeit von Jugend auf, bei ihren unver - huͤlleten Taͤnzen, Kampf - und Wettſpielen das Auge des Kuͤnſtlers gewann. Nur die Formen koͤnnen wir treu, ganz, wahr, lebendig geben, die ſich uns alſo mittheilen, die durch den leben - digen Sinn in uns leben. Es iſt bekannt, daß einige der groͤßten neuern Mahler nur immer ihre geliebte Tochter, oder ihr Weib ſchilderten, un - ſtreitig, weil ſie nichts anders in Seele und Sin - nen beſaßen. Raphael war reich an lebendigen Geſtalten, weil ſeine Neigung, ſein warmes Herz ihn hinriß und alle dieſe, erfuͤhlt und genoſ - ſen, ſein eigen waren. Er gerieth dabei auf Abwege endete ſich ſein unerſetzliches Leben und manche Troͤdelkoͤpfe koͤnnen es gar nicht be - greifen, wie der himmliſche Raphael irrdiſche Maͤdchen geliebt habe? bekam er von ihnen nicht ſeine Umriſſe, ſeine warmen lebendigen Formen; vom Himmel und kalten Statuen allein wuͤrde er ſie nicht bekommen haben. Und doch war Ra - phael noch kein Praxiteles, kein Liſyppus, derC 5ohne42ohne Zweifel dieſe Formen ſo urſpruͤnglich erkennen muſte, als Bildhauerei nicht ſchildert, ſondern ſchafft und darſtellt. So lange alſo nicht das Griechiſche Zeitalter der Knaben - und Maͤdchen - liebe in ſeiner offnen Jugendunſchuld, als Spiel und Freude zuruͤckkehrt: ſo lange der Kuͤnſtler ſteife Modelle von Fiſchbeinroͤcken und Schnuͤr - bruͤſten ſieht, und ja nichts weiter; ſo iſts nur Thorheit, Griechiſche Bildkunſt erwarten oder hervorbringen zu wollen. Sein Sinn verſagt ihm; ſoll er Engelsformen, Apollos - und Hou - risgeſtalten aus der Luft greifen? daher gegriffen ſind ſie Schaumblaſen, die zergehen, ehe er ſie der Hand, vielweniger dem Stein einverleibet. Mit einem großen Theil der Mahlerei, freilich nicht mit dem, der auch ſchoͤne Formen enthaͤlt und als lebendiger Traum zunaͤchſt an jene wa - chende Wahrheit graͤnzet, iſts anders*)Ein neuer, ſehr denkender Kuͤnſtler, Falconet, hat manches fuͤr die reiche und (kurz zu ſagen) mahleriſche Bekleidung der Bildſaͤulen geſagt, was in unſern Zeiten, da den meiſten Anſchauen - den die Bildnerkunſt ſelbſt nur Mahlerei iſt, wahr ſeyn kann; mich duͤnkt indeſſen, es gelte nur als Ausnahme und Huͤlfe, weil wir zur nackten Fuͤlle der Alten nicht mehr kommen koͤnnen, und uns alſo dieſen Mangel durch den Wurf der Klei - der erſetzen moͤgen, die in der Bildnerei doch nie mehr Kleider ſind..

2. Warum43

2.

Warum wird die Bildſaͤule durch Faͤrbung nach der Natur und aͤhnliche Anwuͤrfe nicht ſchoͤn, ſondern haͤßlich? da doch in der Mahlerei Farbe ſo große Wuͤrkung thut.

  • Antwort. Weil Farbe nicht Form iſt, weil ſie alſo dem verſchloßnen Auge und taſten - den Sinne nicht merkbar wird, oder merk - bar ſogleich die ſchoͤne Form hindert. Sie iſt Sandkorn, Tuͤnche, fremder Anwuchs, worauf wir ſtoßen, und der uns vom rei - nen Gefuͤhl deſſen, was die Natur ſeyn ſollte, wegzeucht.

Die obengeſetzte und oft aufgeworfene Frage iſt bisher meiſtens anders beantwortet wor - den: durch Farbe werde die Aehnlichkeit zu groß, die Aehnlichkeit zu aͤhnlich, gar identiſch mit der Natur, das ſie nicht ſeyn ſoll. Man koͤnne die bemahlte Statue in der Entfernung gar fuͤr einen lebendigen Menſchen halten, darauf zugehen, u. d. g. . Wer von dieſen Urſachen etwas verſteht, oder ſich mit ihnen befriedigen kann, dem beneide ich ſeine Zufriedenheit nicht.

Man44

Man hat ebenmaͤßig gefraget: ob Myrons Kuh mehr gefallen wuͤrde, wenn man ſie mit Haaren bekleidete ? und es ſcharfſinnig vernei - net, weil ſie ſodann einer Kuh zu aͤhnlich waͤre. Kuh einer Kuh zu aͤhnlich? das iſt Kuh, aber zu ſehr Kuh? ich antworte gerade hin, weil ſie ſodann fuͤr die Kunſt gar nicht mehr Kuh, ſon - dern ein ausgeſtopfter Haarbalg waͤre. Schleuß das Auge und fuͤhle: da iſt weder Form noch Ge - ſtalt mehr, geſchweige ſchoͤne Form, ſchoͤne Ge - ſtalt. Wenn dort der Hirte, Myrons eherne Kuh wegtreiben wollte, ſo wird dieſe weder Hirte noch Kuͤnſtler beruͤhren, denn ſie iſt einer Kuh gar zu aͤhnlich und doch nicht Kuh , das iſt, Popanz.

Viel feinere Sachen, als Tuͤnche und Kuh - haut muͤſſen von der Statue wegbleiben, weil ſie dem Gefuͤhl widerſtehen, weil ſie dem taſten - den Sinn keine ununterbrochene ſchoͤne Form ſind. Dieſe Adern an Haͤnden, dieſe Knorpel an Fingern, dieſe Knoͤchel an Knien muͤſſen ſo geſchont, und in Fuͤlle des Ganzen verkleidet werden; oder die Adern ſind kriechende Wuͤrme, die Knorpel aufliegende Gewaͤchſe dem ſtillen dun - keltaſtenden Gefuͤhl. Nicht ganze Fuͤlle Eines Koͤrpers mehr, ſondern Abtrennungen, losge - loͤſte Stuͤcke des Koͤrpers, die ſeine Zerſtoͤrung weiſſagen, und ſich eben daher ſchon ſelbſt ent -fernten.45fernten. Dem Auge ſind die blauen Adern un - ter der Haut nur ſichtbar: ſie duften Leben, da wallet Blut; als Knorpel und Knochen ſind ſie uns fuͤhlbar und haben kein Blut und duften kein Leben mehr, in ihnen ſchleicht der lebendige Tod. Ganz anders, wie ſich die Adern der Bildſaͤule beleben, wenn ſie unter den Haͤnden des Kuͤnſtlers und Liebhabers weicher, lebendiger Thon wird. Es iſt, als regten ſie ſich und wallen und leben, aber nicht in aufgelaufenen Stricken; ein himm - liſcher Geiſt, ſagt Winkelmann, der ſich wie ein ſanfter Strom ergoſſen, hat den Umfang der Geſtalt erfuͤllet. Alles alſo lebet, und der ruhige Sinn in ſeiner dunkeln Umſchraͤnktheit kann, je weniger er losgebunden und zertheilt fuͤhlet, ſo mehr im großen Ganzen ahnden.

Die alten Kuͤnſtler ſind in Bildung der Haare ſehr beruͤhmt und geprieſen; mehr aber von Kuͤnſtlern und Literatoren geprieſen als von Theoriſten verſtanden. Wo und wie haben ſie Haare gebildet? wo und wie ſie ſich bilden und auch vom Blinden als Zierde der ſchoͤnen Form taſten ließen. Das zierende Haupthaar der Goͤtter und Goͤttinnen (denn ein kahlkoͤpfiger Roͤmer iſt immer ein duͤrftiges uͤberaltes Ge - ſchoͤpf) machten ſie zum Koͤrper, ohne daß es Steinklumpe wuͤrde: es faͤllt in ſchoͤnen ſchweren Locken herab, oder iſt bey Weibern, wo es zar -ter46ter ſeyn muſte, aufs Haupt gebunden und nicht um den Kopf fliegend. Keiner Bacchante flat - terts, denn es kann ja nicht flattern: dem ſchnell - gehenden zornigen Apollo iſts wie die zarten und fluͤßigen Schlingen edler Weinreben, gleichſam von einer ſanften Luft bewegt, das Haupt um - ſpielend . Bey andern liegts wie eine ſchoͤne Decke (εξομσια) hinauf, bei andern in tiefen Fur - chen hinunter. Nie aber faͤhrts, wie einer ge - mahlten Eva, laͤngelang hinunter, der Geſtalt den Ruͤcken zu rauben, und ſelbſt bei einer Aphro - dite aus Muſchel oder Bade, faͤllets, obwohl naß und Klettenweiſe, doch wohlgeordnet und nicht waldicht hinab: denn dem Gefuͤhl muͤſſen die Haare nie Wald, ſondern ſanfte, nachge - bende Maſſe werden, die ſich endlich ſelbſt ver - liert. Der Mahlerei ſind ſie Farbe, Schatte, Schattierung, die kann ſie ſchon freier ordnen.

Es iſt bekannt, mit welcher Feinheit die Griechiſchen Kuͤnſtler die Augenbranen ihrer Statuen angedeutet haben; angedeutet, in einem feinen, ſcharfen Faden, und nicht in abgetrenn - ten Haaren oder Haarkluͤmpgen gebildet. Win - kelmann haͤlt dieſe Andeutung fuͤr Augenbranen der Gratien und ich halte ſie auch dafuͤr in der Kunſt nehmlich. Jn der Natur iſt der nackte, ſcharfe Faden ganz etwas anders, und auch Griechiſche Natur war und iſts nicht, wiekein47kein Reiſebeſchreiber berichtet oder geſagt hat. Gnug, in der Kunſt ſind ſie Augenbranen der Gratien, dem ſanften ſtillen Gefuͤhl. Was ſollten da die Buͤſche (Stupori) oder die ſich ſtraͤu - benden Bogen? Wer hat nicht geſehen, wie bey abgenommenen erſten Gipsabdruͤcken eines Ge - ſichts jedes einzelne Haar ſo widrig und unſanft thut, als jede Pockengrube oder jede fatale Un - ebenheit und Lostrennung vom Antlitz. Die ein - zelnen Haͤrchen ſchauern uns durch, es iſt wie eine Scharte im Meſſer, nur etwas was die Form hindert und nicht zu ihr gehoͤrt. Der Griechiſche Kuͤnſtler deutet alſo nur an: er ſatzte fuͤrs Ge - fuͤhl die Grenze zwiſchen Stirn und Auge, wie eine ſanfte Schneide hin, und ließ dem Sinn, der daruͤber gleitet, das Uebrige ahnden.

Einige Statuen haben Augapfel. Wo es ertraͤglich ſeyn ſoll, muß er nur angedeutet ſeyn, und die meiſten und beſten haben keinen. Es war ſchlimmer Geſchmack der letzten Jahrhun - derte, da man, ſtatt ſchoͤn zu machen, reich machte und Glas oder Silber hineinſetzte. Eben ſo wars Jugend der Kunſt, die noch aus hoͤl - zernen Denkmalen hervorging, da man die Sta - tuen faͤrbte. Jn den ſchoͤnſten Zeiten brauchten ſie weder Roͤcke noch Farben, weder Augapfel noch Silber, die Kunſt ſtand, wie Venus, nackt da und das war ihr Schmuck und Reichthum.

Daß48

Daß fuͤr die Mahlerei dies alles anders ſei, ſieht jeder. Die iſt fuͤrs Auge und ſpricht fuͤrs Auge: denn Farbe iſt nur der getheilte Lichtſtral, die Augenſprache. Jn ihr kann das Haar ſchwe - ben und duften, und wie Seide ſpielen und ſchlin - gen und ſich umwinden. Die Werke der Mah - lerei ſind nicht blind, ſie ſchauen und ſprechen: das allgegenwaͤrtige Licht kann Einen hellen Punkt zum Auge, das in die Seele geht, bele - ben; es iſt ja Farben-Zauber - und Licht - tafel.

3.

Wie weit kann die Bildnerei Haͤßlichkeiten bilden? und die Mahlerei Haͤßlich - keiten mahlen?

  • Antwort. So weit jeder Kunſt es ihr Sinn erlaubet, das Geſicht dem Gemaͤhlde, dem Bilde das Gefuͤhl. Beide aber ſtehn mit nichten auf Einem Grunde.

Jener Mahler, der einen verweſenden Leich - nam ſo hinzauberte, daß, nicht wie in Poußins Gemaͤhlde, der Zuſchauer auf der Tafel, ſondern jeder leibhafte Zuſchauer ſelbſt,ſich49ſich die Naſe zuhalten mußte, (wenn anders das Maͤhrchen wahr iſt) war gewiß ein eckler Mahler. Der Bildner aber, der einen Leichnam, die ab - ſcheuliche Speiſe der Wuͤrmer, unſerm Gefuͤhl alſo grauſend vorbildete, daß dies in uns uͤber - gienge, uns zerriſſe und mit Eiter und Abſcheu ſalbte ich weiß fuͤr den Henker unſres Ver - gnuͤgens keinen Namen. Dort kann ich mein Auge wegwenden und mich an andern Gegenſtaͤn - den erholen; hier ſoll ich mich blind und langſam durchtaſten, daß alle mein Fleiſch und Gebein ſich zernagt fuͤhlet, und der Tod durch meine Nerven ſchauert!

Ariſtoteles entſchuldigt haͤßliche Vorſtellun - gen in der Kunſt durch die Neigung unſrer Seele ſich Jdeen zu erwecken und an der Nach - ahmung zu vergnuͤgen ; wo beydes geſchehen kann, und wo das Vergnuͤgen dieſer Jdeener - werbung das Gefuͤhl der Haͤßlichkeit uͤbergeht, mag die Entſchuldigung gelten. Nun aber wiſ - ſen wir alle, das Gefuͤhl iſt zu dieſer betrachten - den Contemplation und Jdeenweckung der dun - kelſte, langſamſte, traͤgſte Sinn; da er doch im Empfinden der ſchoͤnen Form der Erſte und Rich - ter ſeyn muß. Er, Jdeen und Nachahmung vergeſſend, fuͤhlt nur, was er fuͤhlt; dies regt ſeine innere Sympathie dunkel aber um ſo tiefer. Eine zerſtoͤrte, haͤßliche, mißgebildete Geſtalt,Dder50der zerfleiſchte Jtys, ein Hippolytus auf Eu - ripides Buͤhne, Medea in allen Verzerrungen ihrer Wuth, Philoktet in den aͤrgſten Zuckun - gen ſeiner Krankheit, gar ein Sterbender im Todeskampf, ein Verweſender im Kampf mit den Wuͤrmern grauſende Objecte fuͤr die langſame fuͤhlende Hand, die ſtatt Jdeen Ab - ſcheu und ſtatt Nachahmung deſſen, was iſt, ſchreckliche Zerruͤttung deſſen, was nicht mehr iſt, wahrnimmt. Grauſame Kunſt! gebildete Mißbildung! Wenn der heil. Bartholomaͤus da halbgeſchunden, mit hangender Haut und zer - fleiſchtem Koͤrper vor mich tritt, und mir zuruft: non me Praxiteles, ſed Marcus finxit Agrati! und ich ſoll ſeine ſchrecklich natuͤrliche Unnatur durchtaſten, durchfuͤhlen; grauſamer Ge - genſtand, ſchweig und weiche! Kein Praxiteles bildete dich, denn er wuͤrde dich nie haben bilden wollen. Dich, wie du biſt, aus dem Steine hervorzufuͤhlen, hervorzuſchinden, welcher Grie - che wuͤrde das vermocht haben?

Nur ſieht jedweder, daß, was von der Bildhauerei gilt, nicht ſofort von Mahlerei und von allen ſchoͤnen Kuͤnſten, ſelbſt wenns nur Gem - men und Muͤnzen waͤren, ſtatt habe. Einige neue eckle Herren haben uͤber dieſe ſo unterſchie - dene Dinge aus einem Kopfe das Loos geſchuͤttet, und zu Haͤßlichkeiten gezaͤhlt, was weder Gottnoch51noch Menſchen dafuͤr erkennen, was ihnen in ihrer Vornehmheit nur diesmal ſo duͤnkte. Loͤwe und Tiger, Schlange und Eidere, Nilpferd und Crocodil, ſind ſie deswegen haͤßlich, weil ſie ſchrecklich ſind, weil ſie uns Grauſen oder Furcht erregen? der Loͤwe, welch ein ſchoͤnes Thier iſt er, auch in der Kunſt des Bildners! die Schlan - ge, wie ſanft windet ſie ſich den Stab Aeſculaps hinauf, und die Schildkroͤte, iſt ſie ein unwuͤrdiges Fußgeſtell fuͤr Gott oder Goͤttin, da ja ſelbſt der Panzer der Minerva Furcht und Schrecken, Schlangen und Meduſen darſtellt? Niemand wirds in den Sinn kommen, ſolche Geſchoͤpfe fuͤr das Hauptwerk der Kunſt zu halten: der Menſch thront auf ihrem Altar, ihm iſt die Bild - ſaͤule heilig. Aber nun, als Beigeraͤth, als Ne - benwerk, als Fußſchemel, welcher Thor darf da verbieten und unterſagen, weil das Geſchoͤpf Gottes ihm haͤßlich duͤnkt und er ſich fuͤr der Spin - ne fuͤrchtet? Wie manches edle Pferd hat mehr die Statue verdient, als ſein Reuter! auch hat Pindar ihm oft und ja unſer Herr Gott ſelbſt ihm die praͤchtigſte Ehrenſaͤule geſtellete)Hiob 39, 19-25.. Aller - dings hat jedes Thier, von je ſchoͤnerer, unab - gebrochener Form es iſt, je mehr es ſich ſchlingt und windet, je naͤher es endlich Goͤttern und Menſchen kommt, und zu ihren Fuͤßen dienet,D 2auch52auch ſo mehr Unrecht auf Bildung von menſch - lichen Haͤnden; aber das verſteht ſich von ſelbſt, und ein treuer Hund, ein ſchoͤnes Pferd wird ohne Zweifel lieber und mehr gebildet werden, als ein gepanzertes Nilpferd oder der Knochen - berg vom Elephanten. Jhrer Natur nach und an ihrer Stelle iſt aber die Eidexe ſo unhaͤßlich als Leda’s Schwan oder der Delphin, der ſich um den Fuß der Meeresgoͤttin ſchmieget.

Auch hier unterſchieden die Begriffe der Al - ten feiner und wahrer. Ein Centaur, ein Mi - notaur, warum ſollte er nicht gebildet werden? Siehe, wie ſchoͤne Ueberſchriften die Griechiſche Anthologie auf beide liefert, wie maͤchtig ſchoͤn ihr der Menſch aus dem Pferde hervorgeht und der Menſch ſich mit dem Pferde baͤumetf)Anthol. l. IV. c. 7.! Si - lenen, Faunen, Satyrs, wir ecklen Neuern nennen ſie haͤßliche Mißgeburten, weil ſie keine Apollos ſind; die Alten nicht alſo. Jhnen war hier das Schwaͤnzchen, dort der Bockfuß, hier das Hoͤrnchen nicht eckel, wenn das Bild nur da ſtand, wohin es gehoͤrte; uns Neuern ſoll alles Altarblatt im Tempel der heiligen Theoria werden. Selbſt das Caledoniſche Schwein war gut und verdiente eine Jnſchrift, wenn es war, was es ſeyn ſollte.

Wo53

Wo die Alten Haͤßlichkeit vermieden, war, wo ſie vermieden werden muß, in Menſchlichen zumal Goͤttlichen Koͤrpern. Da haben Leſ - ſingg)Laokoon: S. 9. u. f. und Winkelmannh)Geſch. d. Kunſt S. 142. u. f. es gnug erwieſen wie ſie auch in Affekt, im Leiden, im Mißtoné ſo viel moͤglich, die Mißform vermieden. waͤhlten den beſten Augenblick, ſtimmten das Hoͤchſte zum Sanften hinunter, oder miſchten ein Fremdes als Linderung in die Zuͤge. So Medea, Niobe, Laokoon. Philoktet hinkte, aber noch ein Held, der auch alſo geſehen zu werden verdiente. Alexanders ſchiefen Hals wandte Li - ſyppus, daß er nach dem Himmel ſah und ſich als Herren der Welt fuͤhlte. Die Nachahmung εις το χειρον war bei Strafe verboten. Der Sieger mußte dreymal geſiegt haben, wenn ihm die Jkoniſche Statue erlaubt war; eine veredelte war ihm erlaubt beym erſten Siege. Mich duͤnkt, dies waren die beſten Wege und die beſten Schran - ken, Haͤßlichkeit der Formen zu vermeiden: eine Haͤßlichkeit, die leicht vermieden werden kann, weil ſie hervorzubringen, hervorzufuͤhlen Muͤhe koſtet, die aber auch, wenn ſie da iſt, ewig bleibt, ſich als Natur, als dargeſtellte Wahrheit unvermerkt eindruͤckt, und Geſchlech - terhinab Unheil anrichtet. Was Haͤßlichkeit inD 3For -54Formen fuͤr Wuͤrkung thue und ſelbſt leſend uns Nervenbau und Gehirn zerreiße, verſuche man an der Beſchreibung des angenehmſten Reiſe - beſchreibers von Sicilieni)Brydone. , in der er den Zauberpallaſt des wahnſinnigſten menſchlicher Daͤmone mittheilt.

Es waͤre hart, ein Geſetz, das ſich offenbar nur und zuerſt auf Form, ganze leibhafte Form beziehet, ſo fort auf jeden Anſchein, Schatten und Farbenwinkel einer andern Kunſt auszubrei - ten, die nichts von Form weiß. Mahlerei iſt eine Zaubertafel, ſo groß, als die Welt und die Geſchichte, in der gewiß nicht jede Figur eine Bildſaͤule ſeyn kann oder ſeyn ſoll. Auch ich liebe das Schoͤne mehr als das Haͤßliche, und mag Verzerrungen ſo wenig auf Tafel als in Geſtalt taͤglich vor den Augen haben; indeſſen ſehe ich doch ein, daß eine zu große Zaͤrtlichkeit, ein zu vornehmer Abſcheu uns endlich die Welt ſo enge macht, als unſer Zimmer und die neueſten, tief - ſten Quellen der Wahrheit, der Rege, der Kraft, zuletzt zur elenden Pfuͤtze austrocknet. Jm Ge - maͤhlde iſt keine einzelne Perſon Alles: ſind ſie nun alle gleich ſchoͤn, ſo iſt keine mehr ſchoͤn. Es wird ein mattes Einerley langſchenklichter, ge - radnaͤſiger, ſogenannter Griechiſchen Figuren,die55die alle daſtehn und paradiren, an der Handlung ſo wenig Antheil nehmen als moͤglich, und uns in wenigen Tagen und Stunden ſo leer ſind, daß man in Jahren keine Larven der Art ſehen mag. Jch gebe es gern zu, daß es beſſer ſei, wenn Gott die Hauptperſon oder Hauptperſonen des Gemaͤhldes ſchoͤn, als wenn er ſie haͤßlich gemacht hat; aber nun auch jede Nebenperſon? jeden Engel, der im Winkel oder hinter der Thuͤr ſteckt? Und nun, wenn dieſe Luͤge von Schoͤnheit ſogleich der ganzen Vorſtellung, der Geſchichte, dem Charakter der Handlung Hohn ſpricht, und dieſe jene offenbar als Luͤge zeihet? Da wird ein Miß - ton, ein Unleidliches vom Ganzen im Gemaͤhl - de, das zwar der Antikennarr nicht gewahr wird, aber der Freund der Antike um ſo weher fuͤhlet. Und endlich wird uns ja ganz unſre Zeit, die fruchtbarſten Sujets der Geſchichte, die leben - digſten Charaktere, alles Gefuͤhl von einzelner Wahrheit und Beſtimmtheit hinwegantikiſiret. Die Nachwelt wird an ſolchen Schoͤngeiſtereien von Werk und Theorie ſtehen und ſtaunen und wiſſen nicht, wie uns war? zu welcher Zeit wir lebten? und was uns denn auf den erbaͤrmlichen Wahn brachte, zu einer andern Zeit, unter ei - nem andern Volk und Himmelsſtrich leben zu wol - len, und dabei die ganze Tafel der Natur und Geſchichte aufzugeben oder jaͤmmerlich zu ver -D 4der -56derben. So viel vom großen Geſetz der haͤß - lichen Schoͤnheit in einer Kunſt, die Phan - taſie des Augenſcheins und eine Tafel der Welt iſt.

4.

Wie weit ſind die Formen der Skulptur oder die Geſtalten der Mahlerei einfoͤrmig und ewig, oder den Modebegriffen ver - ſchiedener Zeiten und Voͤlker un - terworfen und mit ihnen wandelnd?

  • Antwort. Die Formen der Skulptur ſind ſo einfoͤrmig und ewig, als die einfache reine Menſchennatur; die Geſtalten der Mahle - rei, die eine Tafel der Zeit ſind, wechſeln ab mit Geſchichte, Menſchenart und Zeiten.

Wenn ein ganzes Land geſpitzte Schnuͤrleiber und kleine Sineſiſche Fuͤße fuͤr ſchoͤn hielt, vor ihnen auf Ruhebetten und Sopha’s, wie vor Altaͤren des Reizes kniete; ſetzet die Fuͤße als Bildſaͤule aufs Poſtement, und wenn ihr wollet, die engen Schuhe und Stelzenabſaͤtzedrun -57drunter, und es darf kein Wort mehr uͤber ſie geſagt werden: ſie ſprechen ſelbſt. Und die ſpitze Schnuͤrbruſt und der heraufgezwaͤngte Buſen und der thurmhohe Kopfputz und der breite Zel - tenrock desgleichen. Jm gemeinen Leben kann Einiges von dieſen und wenn ihr wollt Alles, durch Nebenbegriffe, durch fruͤhe und alte oder neue Gewohnheit gewinnen. Das kleine Geſicht kann unter dem hohen Kopfputz, der Buſen uͤber dem Trichter vom Leibe, der kleine Fuß unter dem breiten Zelt wohl thun, das iſt, wie der große Montesquieu ſagt, die Jmagination aufwecken, daß ſie herab - oder herabſchluͤpfe, was doch von allen ſehr oft Zweck und Abſicht allein iſt. Nun ſtellet aber die ganze Figur mit Thurm, Zelt und umgekehrtem Kegel als Bildſaͤule dahin, und die Jmagination ſchluͤpft wahrlich nicht mehr. Es iſt ein haͤßliches Unthier von Luͤſternheit und Gothiſchem Zwange, das den Leib verunſtaltet und alle gute Formen vernichtet. Hat die Ge - ſtalt noch Reſt von Gefuͤhl, wie wird ſie ſich die grobe Taille oder den plumpen Silberfuß einer Griechiſchen Ceres oder Thetis wuͤnſchen!

Die Bildſaͤule ſteht alſo als Muſter der Wohlform da, und auch in dieſem Betracht iſt Polyklets Regel das bleibendſte Geſetz eines menſchlichen Geſetzgebers. So wie es einen Strich auf der Erde giebt, in dem die ſchoͤneD 5regel -58regelmaͤßige Bildung Natur iſt: ſo gab Gott Einem Volk dieſes Erdſtrichs Raum und Zeit und Muße, in ihrer Jugend und Lebensfreude das Werk, das aus ſeiner Hand kam, ganz und rein und ſchoͤn ſich zu ertaſten und in daurenden Denkmahlen fuͤr alle Zeiten und Voͤlker zu bilden. Dieſe Denkmahle ſind die klaſſiſchen Werke ihrer fuͤhlenden Hand, wie ihre Schriften des fein - fuͤhlenden menſchlichen Geiſtes: im ſtuͤrmigen Meer der Zeiten ſtehn ſie als Leuchtthuͤrme da und der Schiffer, der nach ihnen ſteuret, wird nie verſchlagen. Es iſt traurig und ewig uner - ſetzlich, aber vielleicht gut, daß die Barbaren viel von ihnen zerſtoͤret haben. Die Menge koͤnnte uns irre machen und unterdruͤcken, ſo wie in der Stadt, die noch jetzt die meiſten beſitzt, es vielleicht den wenigſten Geiſt giebt, der, ihrer werth, ſie umfange und verneue. Auch ſollen ſie nur Freunde ſeyn und nicht Gebieter: nicht unterjochen, ſondern, was auch ihr Name ſagt, Vorbild ſeyn, uns die Wahrheit alter Zeiten leibhaft darſtellen und uns in Uebereinſtimmung und Abweichung auf die Lebensgeſtalten der Un - ſern weiſen.

Zu bewundern iſt daher auch die große Ein - fachheit, mit der ſie daſtehn und ſelbſt dem dun - kelſten Sinne zeugen. Nichts iſt ungewiß fuͤr ihn gelaſſen, nichts verworren oder verſtuͤmmelt. Keine59Keine widrigen Attribute, keine Binde z. E. um den Mund, da der taſtende Sinn ſtatt Mundes ein Maultuch findet, keine Hunds - und Hirſch - koͤpfe, als Allegorien und Embleme, ſelbſt die nothwendigſten Attribute ſo abgetrennet und abge - ſetzt, als moͤglich. Herkules Loͤwenhaut iſt nicht um ihn, hoͤchſtens um ſeinen Arm geſchlun - gen, oder Er ſelbſt ſtatt Loͤwenfelles und Loͤwens. Die Goͤttin der Liebe ohne druͤckende Attribute: ſie ſelbſt iſt Goͤttin der Liebe, in nackte Reize ge - kleidet. Den Laokoon haben die Drachen um - ſchlungen, aber nicht wie’s Virgil beſchreibet, daß er um Hals und Bruſt und Bein dreimal umwunden, dem Gefuͤhl des Nichtſehenden mit ihnen zuſammengewachſen, ein grauſer Menſchen - und Schlangenkoͤrper erſcheine. Er ſtrebt nur mit Fuͤßen und Haͤnden und auch von dieſen iſt ſein linker Arm frei und faſſet den Drachen. So Er und ſeine Kinder: Vater und Sie ſind Ein Geſchlecht, die Drachen ſind ihre Feinde, die ſie jetzt nur alle zu Einem bin - den. Auch an kleinen Theilen des Koͤrpers (meiſtens verſtuͤmmelt oder gar nicht zu uns ge - kommen), ſind die Attribute abgeſetzt, beſtimmt und deutlich. Die Geſtalt der Goͤtter und Goͤt - tinnen war den alten Kuͤnſtlern ſo beſtimmt, daß keine Attribute noͤthig waren, und außer ihnen war den Bildſaͤulen meiſtens nur die aͤlteſte Hel -den -60den - und Fabelgeſchichte, inſonderhelt nach Ho - mer, heilig; das Uebrige mußte Sage und Zu - ſchrift ausrichten. Kurz, ſie gaben Umriß, Geſtalt und Charakter ſo beſtimmt und in ſo wenigen Zuͤgen an, daß es nur wie ein Stern - kreis von Goͤttern und Menſchen ſeyn ſollte, den die ſchreitende Sonne Jahrab Jahrein durchwan - dert. Heil euch, ihr Edeln, die dieſe Ruheſtaͤ - ten und Herbergen an die Veſte des Firmaments Menſchlicher Formen ſetzten: eure Aſche ruhe ſanft und eure Werke bleiben!

Es waͤre uͤbel, wenn es ſich mit der Mahlerei ſo einfoͤrmig verhielte, denn hier iſt nichts zu faſ - ſen und zu halten, ſie iſt die ganze Zauberwelt Gottes auf der Lichttafel. Nichts als das Licht macht ihre Einheit, aber große, unaus - ſprechliche Wundereinheit, bei allem Zauber des Neuen und Mannichfalten. Die Bildſaͤule hat kein Licht: ſie ſteht ſich unaufhoͤrlich ſelbſt im Licht, ſie iſt fuͤr einen andern umfaſſenden Sinn gearbeitet. Von Einem Lichtpunkt der flachen Tafel ergießt ſich ein Zaubermeer von allen Sei - ten, das jeden Gegenſtand, wie in neuer, eigner Schoͤpfung bindet. Jch weiß nicht, wie man - che Theoriſten ſo veraͤchtlich und zufaͤllig von dem, was Haltung, Lichtdunkel heißt, haben ſprechen koͤnnen; es iſt die Handhabe vom Genie eines jeden Schuͤlers und Meiſters, dasAuge,61Auge, mit dem er ſah, das Stralen - und See - lenmeer, mit dem er alles begoß, und von dem ja auch jeder Umriß, jedes geprieſene Angeſicht abhaͤngt. Wer fuͤr dies geiſtige Lichtmeer der Gottheit durch eines Menſchen Antlitz in Ge - maͤhlde oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der laſſe ſein Kind ſich Farben klecken und ſchaue. Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die Zauber - welt der Haltung iſt in der Mahlerei, obwohl nach jedes neuen Meiſters Sinne, bleibend; das andre, ſofern es nicht von der fixen Bild - hauerkunſt und alſo von Todten borget, iſt eine Zaubertafel auch in der Verwandlung, ein Meer von Wellen, Geſchichten und Geſtalten, wo Eine die Andre abloͤſt. So muß es auch ſeyn und nur der Geiſt des Kuͤnſtlers und das Organ des ewigen Schoͤpfers bleibe!

Dritter62

Dritter Abſchnitt.

Es iſt ein angenommener Satz unter den Theoriſten der ſchoͤnen Kuͤnſte, daß nur die beiden feinern Sinne uns Jdeen des Schoͤnen gewaͤhren, daß es alſo auch nur fuͤr ſie, fuͤr Auge und Ohr, ſchoͤne Kuͤnſte gebe. Der Satz iſt demonſtrirt, folglich muß er wahr ſeyn, und da aus ihm ſo viel andre Saͤtze demonſtrirt ſind, und das Kartenhaͤuschen der Theorie aller ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaft doch ſo wohlbe - ſtallt daſteht, durch die Staͤbe der Schreiber ge - meſſen und geordnet :k)Richt. 5, 14. 4 Moſ. 21, 18. ſo ſoll mein Stab ihnen mindſtens nicht naͤher kommen, als der Bildſaͤule, die ich betrachte, Raum zu ſtehen Noth iſt.

Mich duͤnkt, P. Kaſtells Farbenklavier hat gnug gezeigt, was eine ſchoͤne Kunſt von Farben fuͤrs Geſicht ſei und was ſie fuͤr Wuͤrkung thue? Es ſind viel falſche oder Halbgruͤnde angefuͤhrt, warum dieſe Kunſt nicht gelang? der wahre, mindſtens der natuͤrlichſte iſt der, daß das Ge - ſicht ohne Beitrag weſentlicherer Sinne nur eine Licht - und Farbentafel, mithin das flachſte Ge -danken -63dankenloſeſte Vergnuͤgen gewaͤhre. Ein Schau - geſchoͤpf ohne Haͤnde, ohne Gefuͤhl von Formen und was ſich durch Formen aͤußert, kurz ein Vo - gelkopf kann ſich daran erbauen; niemand anders. Auch in der Mahlerei muͤſſen Formen der Dinge die Grundzuͤge, die Subſtanz der Kunſt wer - den; nur wie ſie das Licht zeigt, bindet und be - ſtralet. Da nun Formen aus einem andern Sinn ſind, ſo muß ja dieſer Sinn auch empfaͤngig ſeyn der Begriffe des Schoͤnen, weil ja ſelbſt der hellſte Sinn ohn ihn nichts vermag. Das Auge iſt nur Wegweiſer, nur die Vernunft der Hand; die Hand allein gibt Formen, Begriffe deſſen, was ſie bedeuten, was in ihnen wohnet. Der Blinde, ſelbſt der blindgebohrne Bildner waͤre ein ſchlechter Mahler, aber im Bilden gibt er dem Sehenden nicht nach und muͤßte ihn, gleich gegen gleich geſetzt, wahrſcheinlich gar uͤbertreffen

Aber Hogarths Linie der Schoͤnheit ? Dieſe Linie der Schoͤnheit mit Allem, was daraus ge - macht iſt, ſagt nichts, wenn ſie nicht in Formen und alſo dem Gefuͤhl erſcheinet. Kritzelt auf die Flaͤche zehntauſend Reiz - und Schoͤnheitslinien hin, ſind ſie an keiner Form und alſo in keiner Bedeutung, ſo thun ſie dem Auge um ein klein wenig mehr wohl, als jedes Kindergewirre. Und wenn ſie auch nur an Schnuͤrbruſt oder Topf er -ſchienen,64ſchienen, ſo erſcheinen ſie doch an Etwas: alſo einem andern Sinne, alſo urſpruͤnglich nicht dem Auge. Jch begreife es wohl, daß man die auf - ſchwebende Lichtflamme nicht taſten und das wal - lende Meer in jeder Welle nicht als Solidum um - faſſen kann; daraus folgt aber nicht, daß unſre Seele ſie nicht umfaſſe, nicht taſte. Kurz, ſo wie Flaͤche nur ein Abſtraktum vom Koͤrper und Linie das Abſtrakt einer geendeten Flaͤche iſt; ſo ſind beide ohne Koͤrper nicht moͤglich.

Es iſt ſonderbar, daß Hogarth, der die Reiz - und Schoͤnheitslinie, wie man ſagt, erfand, ſo wenig Reiz und Schoͤnheit mahlte. Seine Formen ſind meiſtens haͤßliche Carrikatur, aber voll Charakter, Leidenſchaft, Leben, Wahrheit, weil dieſe auf ihn drang, weil die ſein Genius le - bendig erfaßte. Er zeigte thaͤtlich, was die ge - ſunde Theorie noch mehr beſtaͤrkt, daß alle Um - riſſe und Linien der Mahlerei von Koͤrper und lebendigem Leben abhangen, und daß, wenn dieſe Kunſt nur Anſchein deſſen in einer Flaͤchen - figur giebt, dies nur daher komme, weil ſie nicht mehr geben kann. Jhr Sinn und ihr Medium, Geſicht und Licht verbieten, mehr zu geben; ſie kaͤmpft aber, ſo viel ſie kann, mit beiden, um die Figur vom Grunde zu reißen und der Phan - taſie Flug zu geben, daß ſie nicht mehr ſehe, ſondern genieße, taſte, fuͤhle. Folglich ſindalle65alle Reiz - und Schoͤnheitslinien nicht ſelbſtſtaͤn - dig, ſondern an lebendigen Koͤrpern, da ſind ſie her, da wollen ſie hin.

Jch mache nur Eine Anwendung. Was fuͤr ein Wagſtuͤck alſo, eine flache Linie hin zu mah - len und auf ſie Dinge zu bauen, die eigentlich nur aus dem treuſten Genuß und Gefuͤhl und Jn - newerden des leibhaften Koͤrpers entfpringen koͤnnen? Vorausgeſetzt, daß dieſe Linie treu iſt (und wie ſchwer es ſei, einen Koͤrper zur Flaͤche, ein ganzes Lebende in die Figur einer Linie zu bringen, weiß jeder, ders verſucht hat) gehoͤrt nun nicht noch immer der plaſtiſche Sinn dazu, die Linie wieder in Koͤrper, die platte Figur in eine runde lebende Geſtalt zu verwandeln? und wie wenige das koͤnnen, mag Gott und die Phy - ſiognomik wiſſen! Es koͤnnte uͤber und gegen das, was Silhouette, Sbozzo, bloßer Umriß, gleich - ſam ein gezeichnetes Nichts iſt, nie ſo viel Al - bernes geſagt ſeyn, wenn allen Sehern Sinn bei - wohnte, dies Nichts erſt in ein treues Etwas zu verwandeln, ihm gerade nie mehr zu ge - ben oder minder darinn zu vermuthen, als eben nur dieſer Umriß, das umſchraͤnkte Nichts zeigt. Denn eben dazu ſagts ſo wenig, um, was es ſa - gen ſoll, ſcharf, treu und ganz zu ſagen. Und eben das iſt das ſicherſte Kennzeichen, daß wir, was es ſagt, verſtehen, wenn wirs uns koͤrperlichEmachen66machen koͤnnen, daß die Silhouette als Buſte da ſteht, daß ſie lebe. Da dies aber ſo ſchwer iſt, da die Silhouetten ſo ſchrecklich untreu, nachlaͤßig und unwiſſend gezeichnet werden, da nicht jedes Geſicht im Profil gleich redend iſt, um eine gute Silhouette, d. i. gnug Glieder der Verhaͤltniß zu geben, aus denen die ganze lebende Form er - helle, da eine beſtochene, fliegende oder feindſelige Phantaſie im ſchwarzen oder weißen Fleck eines Schattenbildes eben ſo viel Spielraum findet, al - les hinein zu ſchreiben, was ihr gefaͤllet; ſo iſt wohl naͤchſt Gott und dem Gelde im letzten Lu - ſtrum unſers Jahrhunderts nichts, womit ſo viel Mißbrauch, Abgoͤtterei, Verlaͤumdung, Betrug und Thorheit geſpielt wird, als mit den Schat - tenbildern Menſchlicher Koͤpfe. Der erſte Ver - ſuch der Mahlerei, den ein liebendes Maͤdchen machte und der ewig nur liebhabenden Augen und Haͤnden uͤberlaſſen ſeyn ſollte, die Silhouette iſt jetzt den ſieben Soͤhnen Sceva’s Preis gegeben, die alle den Teufel haben, und (wie ſie ſagen, Lavatern nach, das iſt, ganz ohne ſeinen Blick, Geiſt und Herz) aus Silhouetten weiſſagen und richtenl)Apoſtg. 19, 13-16.. Gebt mir ein, auch nur leidlich treues leibhaftes Kopf - und Bruſtbild, ſo todt es uͤbrigens ſei (denn es iſt nur die Larve vom Todten), auch nur die merkbarſten Scherben davon, und meine lang -ſame67ſame Einfalt mag euch eure glorificirte Jdeale und Anubisgeſtalten, ausgemahlte Silhouetten und ſilhouettiſche Gemaͤhlde noch eine Zeitlang gern ſchenken.

Doch gnug geredet. Wir treten an eine Bild - ſaͤule, wie in ein heiliges Dunkel, als ob wir jetzt erſt den ſimpelſten Begriff und Bedeutung der Form und zwar der edelſten, ſchoͤnſten, reichſten Form, eines Menſchlichen Koͤrpers, uns erta - ſten muͤßten. Je einfacher wir dabei zu Werk gehen, und wie dort Hamlet ſagt, alle Alltags - Kopien und das Gemahl und Gekritzel von Buch - ſtaben und Zuͤgen aus unſerm Gehirn wegwi - ſchenm) all trivial fond records all ſaws of books, : deſto mehr wird das ſtumme Bild zu uns ſprechen und die heilige Kraftvolle Form, die aus den Haͤnden des groͤßten Bildners kam und von ſeinem Hauch durchwehet daſtand, ſich unter der Hand, unter dem Finger unſers innern Geiſtes beleben. Der Hauch deſſen, der ſchuf, wehe mich an, daß ich bei ſeinem Werk bleibe, treu fuͤhle und treu ſchreibe!

Was im Haupt, unter dem Schaͤdel eines Menſchen wohne, welche Hand kann es faſſen! E 2welch68welch ein Finger von Fleiſch und Blut dieſen Ab - grund inwendig gaͤhrender oder ſtiller Kraͤfte er - tappen an der aͤußern Rinde! Die Gottheit ſelbſt hat dieſe heilige Hoͤhe, den Olympus oder Libanon unſers Gewaͤchſes, als den Aufenthalt und die Werkſtaͤte ihrer geheimſten Wuͤrkung mit einem Hainen)Das Haar. bedeckt, mit dem ſie ſonſt auch alle ihre Geheimniſſe deckte. Man ſchauert, wenn man ſich das Rund umfaßt denket, in dem eine Schoͤ - pfung wohnet, in dem Ein Blitz, der da aus dem Chaos leuchtet, eine Welt ſchmuͤcken und erleuch - ten, oder eine Welt zerſchmettern und verwuͤſten kann. Die Nordiſchen Voͤlker nannten den Him - mel Ymers Haupt und traͤumten ihn aus ſeinem Schaͤdel entſtanden; es iſt wohl auch niemand, der, wenn die große und kleine Welt uͤbereinſtim - men und der kleine Menſch Begrif und Auszug der großen Schoͤpfung ſeyn ſoll, die Aehnlichkeit dieſes Gipfels, der Krone unſers Daſeyns, an - derswo ſuchen werde, als dort, wo das unermaͤß - liche Blau uͤber Dunſt und Wolken ein Abgrund wird, den nur Seine Hand umſpannet und Sein Geiſt durchreget. Mich duͤnkt, hier iſt Alles Tiefe und Geheimniß und ob es gleich ſcheint, daß bei anſtrengender Arbeit wir die Kraͤfte der Sinne und Lebensgeiſter naͤher ihren Pforten und ihrer Tafel, dem Auge und derStirn;69Stirn; die ewigern Kraͤfte hingegen naͤher dem Mittelpunkt und endlich den Hintertheil des Haupts als die Wand fuͤhlten, die dem ganzen Spiel der Sinnen und Gedanken Ruͤckhalt ver - lieh und Mauer ſchaffte; obgleich Zufaͤlle und Krankheiten Vieles hievon zu beſtaͤtigen ſcheinen, ſo iſt doch offenbar dies innere Gewebe von zu ver - flochtner feiner Art, als daß man mit Huarteo)Exam. de ingenios. Cap. III. ein Conclave von Cardinalkraͤften zimmern, oder den innern Bau und Saft des Granatapfels nach ſeiner aͤußern Schale entwerfen koͤnnte. Ahnden laͤßt ſich allerdings vieles, und bei einem mit dem Beil zugehauenen, oder zum waͤßrigen Kuͤrbis hinaufgeſchoſſenen, oder zur leeren Dunſtkugel ge - platteten, oder zu einem ſpitzigen Therſiteshoͤcker hinaufgeſchrobnenp)Iliad. B. v. 219., oder endlich gar zur brennen - den Vulkanushoͤle cyklopiſirten Kopfe ahndet man mit Schauer. Mich duͤnkt indeſſen, das um - faſſende Gefuͤhl fliehe die Linien. Die kleinſte Wendung, das mindeſte Weiterhinfuͤhlen kann uns (ſehr entſchiedne Faͤlle ausgenommen,) den blos ſonderbaren Menſchen oft zum Gott, oder den Engel zum Teufel machen. Welcher Menſch weiß, was im Menſchen iſt, ohne der Geiſt des Menſchen, der in ihm iſt? Durch die kleineE 3Hoͤle,70Hoͤle, Ohr, und durch das, was nur Anſchein ei - ner Pforte iſt, Auge, kommen zwo Wunderwel - ten von Licht und Schall, von Wort und Bil - dern in unſern Himmel von Gedanken und Kraͤf - ten, die das wartende Meer deſſelben wunderbar durchweben, es erheben, ſcheiden und theilen, daß die aͤußere Huͤlle dieſes Schatzes, und waͤre ſie auch zart wie eine Seifenblaſe, nimmer ſtatt eines ſichern und ganzen Auslegers ſeyn kann. Wel - cher Pallaſt oder Kaſte voll Geheimniſſes hat auf - geſchrieben, was in ihm wohne? und wo das Jn - nere von der Natur iſt, daß es nicht aufgeſchrie - ben und von außen bemerkt werden konnte? Und was waͤre dies eher, als die Wohnung und Werk - ſtatt der geheimſten Goͤttlichen Kraͤfte? Das Geſicht iſt Tafel und ſpricht, was es ſprechen ſoll: was tiefer liegt, was die Gottheit ſelbſt mit Nacht bedeckte ſcrutari, ſcire nefas.

Wie bedeutend indeß ſelbſt der Hain dieſes Olymps, das Haupthaar, iſt, moͤgen uns die alten Kuͤnſtler in der ſo verſchiedenen Bearbei - tung deſſelben an ihren Goͤttern und Helden zei - gen. Ueber Phidias kam Jupiters himmliſcher Geiſt, als die Ambroſiſche Locke deſſelben im Ho - mer ſank und Erd und Himmel ſich bewegten. Wenn ein zornigſchreitender Apollo, der von den Gipfeln des Olymps kommt,

Χωομενος71
Χωομενος ϰηρ Τοξ̕ ωμοισιν εχων, αμφηρεφεα τε φαρετρην Εϰλαγξαν δ̛ αρ̕ οιςοι επ̕ ωμων χωομενοιο Αυτομ ϰινηϑεντος·

unmoͤglich das Haar Alcides, ſelbſt wenn dieſer eben ſo zornig mit ſeiner Kaͤule ſchritte; und ei - ne Diana niemals das Haar der Venus oder Rhea haben kann; ſo wuͤrde, wenn uns nicht durch elende Kunſt und Mode hier alle Natur und Anſicht derſelben genommen waͤre, der taͤg - liche Augenſchein dieſen reichen Text der alten Kuͤnſtler erklaͤren. So wie ich noch keinen har - ten Mann mit weichem Haar, und kein wolle - nes Schaaf mit Loͤwenmuthe geſehen habe, ſo wie beim jungen Hamlet, nach dem, was ſein Name ſagt, ſeine knotty ſoul bis in die Haare ſteigt und da die combined locks bildet, die nachher

As the ſleeping ſoldiers in th alarm His bedded hairs, like life in excrements Start up and ſtand on end ()

ſo iſt auch ihr natuͤrlicher Wuchs, das Fallen oder Scheiteln oder Wirbeln der Haare von ſonderbarer Bedeutung. Als Mahomed ins Paradies kam, ſahe er den Moſes mit Haaren wie Feuerflamme, den milden Jeſus, als ob Milch und Waſſer des Lebens ihm auf die Schultern floͤſſe. Der Vater aller Goͤtter undE 4Men -72Menſchen, mit krauſem Kopfe, waͤre laͤcherlich, nicht ehrwuͤrdig: da koͤnnte die ſchwere trefliche Locke, die vom erhabnen Scheitel herabfaͤllt, nicht mehr den Olymp erſchuͤttern. Wiederum gebe man einem Simſon, wenn er die Philiſter - naͤgel ausreißt, weiches fließendes Haar und ſie werden wohl ſtecken bleiben. Jch weiß nicht, welcher Philoſoph es bemerkt hat, daß die Men - ſchen mit vielen Wirbeln auch krauſer Gedanken ſind, die ſich nicht eher ordnen und zur Ruhe le - gen, bis das liebe Alter freilich auch ihr Haar, wie ihren Sinn, ſchlichtet. Das alte Spruͤch - wort, kurzer Sinn und langes Haar, iſt be - kannt, und iſt wahr, wie etwa ein Spruͤchwort wahr ſeyn kann. Was wiederum ein ausfal - lendes, ein fruͤhe bleichendes Haar fuͤr Ein - druck bei dem, der es hat und der es ſieht, ma - che, mag die Erfahrung zeigen. Wenn der Mandelbaum fruͤhe bluͤhet und die Hoͤhe ſich ſcheuet und kahl wird, ſo iſts wohl Krone, aber eine nur durch Sorgen errungene Krone. Oft gluͤhet die Hitze das Haar weg und das Haupt ſteht, wie ein Berg in den Wolken, der hoͤchſte und uͤber die andern wegſehend, aber nackt und traurig. Man ſehe Swifts fuͤrchterlich glaͤn - zende Glatze. Wie angenehm und bedeu - tend iſt an Kindern ihr Haupthaar. Wie bei Plato Sokrates mit Phaͤdons, ſo ſpielt, duͤnktmich,73mich, im Meſſias ein Engel mit Benoni’s Lo - cke. Bei Weibern iſt das Haar eine Decke der Zucht, die Schlingen und die Seidenbande der Amors, in deren jedem nach jenem alten orien - taliſchen Wahn, Myriaden der Engel wachen und wohnen.

Das Haupt ſteht auf dem Halſe: das iſt, der Olympus auf einer Hoͤhe, die Veſtigkeit und Freiheit, oder Schwanenſanftheit und Wei - che zeigt, wo ſie iſt, was ſie ſeyn ſoll: ein elfenbeinener Thurm, ſagt das aͤlteſte und wahreſte Lied der Liebe. Der Hals iſts, der ei - gentlich exſeriret, nicht was der Menſch in ſei - nem Haupt iſt, ſondern wie er ſein Haupt und Leben traͤget. Hier der freie, edle Stand, oder das geduldige Vorſtrecken, ein Opferlamm zu werden, oder die ſtarke Herkulesveſte, oder ſeine Misgeſtalten, ſeine Kruͤmmen und Verbergun - gen zwiſchen den Schultern, ſein Baͤrenfett, ſammt dem Calekutiſchen Unterkinne, und wil - den Schweinsroͤcheln ſind auch in Charakter, in That und Wahrheit unſaͤglich. Sowohl, was die Griechen den ſchoͤnen Nacken, als was die Ungriechen Gurgel und Adamsapfel nennen, iſt aͤußerſt bedeutend.

Jch komme zum Antlitz des Menſchen, zur Tafel Gottes und der Seele. Heilige Decke, ver - birg mir den Glanz und zeige mir Menſchheit.

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Das Leuchten des Angeſichts zeigt ſich in - ſonderheit auf der Stirn: da wohnet Licht, da wohnet Freude: da wohnt dunkler Kum - mer und Angſt und Dummheit und Unwiſſen - heit und Bosheit. Kurz, wenn wir Geſin - nung des Menſchen im reinſten Verſtande, (ſo fein ſie weder blos Sinn, noch ſchon Cha - rakter iſt) meinen, ſo iſt, glaube ich, dieſes die leuchtende eherne Tafel.

Jch bin zu einfaͤltig, um Philoſophiſche und Dichteriſche, Politiſch herrſchende oder Politiſch dienende Stirnen zu ſondern oder ins Kabinet zu reihen; aber das weiß ich nicht, wie je ei - nem Anblickenden Eine Stirn gleichguͤltig ſeyn kann. Hinter dieſer Spaniſchen Wand ſingen doch einmal alle Grazien oder hammern alle Cy - klopen, und ſie iſt von der Natur offenbar ſelbſt gebildet, daß ſie das Angeſicht ſolle leuchten laſſen oder verdunkeln. Jm obern Theile der Stirn zeigt ſich unſtreitig entweder jene Stiers - dummheit, die von Natur ein Brett hat und nachher ſo oft eherne Mauer genannt wird: jene Buckeln und Knoten, wie auf Cuchullins oder Achilles Schilde, nur daß er, vielleicht zwar ein geerbter Vaͤterſchild, aber nicht mit der Fi - gurenwelt Vulkanus prangen moͤchte: oft ein biceps Parnaſſus, auf dem leicht zu ſchlummern iſt, wenn man drauf iſt. Oder jene flache Auf -dachung,75dachung, die auf dem Schindeldach gen Him - mel ſteigt und der es nie an Syſtem mangelt. Oder endlich jene hohe Furchen Cronions oder Cronus, die Sorgenvoll uns oft zu Wolken heben, ohne zu wiſſen, was wir da thun und treiben ſollen. Oder endlich jene υλη, jenes re - pertorium univerſale, das ſich meiſtentheils ſelbſt nicht findet. Jch liebe mir die jugendliche Grie - chiſche Stirn, die den Himmel niederdruͤckt und ihn nicht ins Unermaͤßliche woͤlber. So wie der lieben Kindheit der Schleier der Haare uͤber die Stirn faͤllt, daß dahinter der Saame des Le - bens in Zucht und Friede und ſeliger Dumpfheit wachſe: ſo gehoͤrte ein Bernini dazu, die per - frictam frontem wieder hervorzubringen und auch den Statuen den Scheitel wegzureißen, der ja uns freilich minder als die ſeligen Goͤtter klei - det. Seit es den Klugen der Welt oft ſelbſt an Licht fehlt, haben ſie den Brettdurchbohren - den Blick noͤthig, es von der Stirn andrer zu leſen, die vielleicht gerade fuͤr ſie kein Licht ha - ben, und ſo hat ſich rechts und links die aufge - ſtriegelte glatte Mode tief hinunter verbreitet. Wer in einer Jllumination nicht viel Licht hat, thut am beſten, wenn er ſein Stuͤmpchen vors Fenſter ſtellet oder etwa gar ſein Caminfeuer da - hin traͤgt: ſo gehts oft mit dem Licht unſrer Stirnen. Sie glaͤnzen, daß man ſich daranweder76weder freuen noch waͤrmen kann, und das Licht der Johannswuͤrmer lieber haͤtte.

Wo ſich die Stirn herunterſenkt, ſcheint Sinn in den Willen uͤberzugehen. Als Juno den Herkules im Olymp ſahe, mußte ſie, duͤnkt mich, zuerſt von dem Knoten ſeiner Stirn ver - ſoͤhnt werden, den ſie ihm durch alle Sorgen und Gefahren und Kuͤmmerniſſe ihres weiblichen Verhaͤngniſſes da aufgeballt hatte. Hier iſts, wo ſich die Seele zuſammen zieht zum Wider - ſtande: das ſind die cornua addita pauperi, mit denen er entweder in ſeliger Dumpfheit blind ge - het und trift, oder wie jener Jndianiſche Goͤtze, das verſunkne Geſetz aus dem Schlamme des Abgrunds hinaufholet. Wenns auch nur Win - kelmanns Traum waͤre, daß der ſchoͤne Torſo des Herkules ſich da auf ſeine Keule ſenke und in die erheiterte Stirn den Traum des muͤhſeligen Erdenlebens ruffe, gewiß ſo iſts ein ſchoͤner Traum, und ich habe noch keinen Ochſen am Pfluge oder einen Herkules am Ruder des Staats geſehn, dem dieſe Stuͤtzen ſeiner Ruhe und dieſe Waffen ſeines Streits gemangelt haͤt - ten. Oft ſind ſie ſchon an Saͤuglingen da und praͤgen ihr Schickſal, von dem denn freilich das aufgeſchlagne Buch, die flache, lichte, runde, hellumgraͤnzte Stirn kein Wort weiß.

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Unter der Stirn ſteht ihre ſchoͤne Grenze, die Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes, wenn ſie ſanft iſt, und der aufgeſpannte Bogen der Zwietracht, wenn ſie dem Himmel uͤber ſich Zorn und Wolken ſendet. Jn beidem Falle al - ſo Verkuͤndigerin der Geſinnung und Bote des Himmels zur Erde. Was vom Haar all - gemein geſagt wurde, gilt von dieſem Faden der Haare, ſie moͤgen Furie oder Grazie ſeyn, aus - zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem friedlichen ſanften Haͤrchen; oder Flammen ſtei - gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb - kugeln, die Jgelborſten, die Wirbel, die Grecq - Figuren fuͤr Eindruck machen, kann wohl keine Feder ſchreiben. Und wie ſchwimmt Gegen - theils Auge und Hand ſo ſanft die linde friedliche Augenbrane hinunter! ſie gleitet hinab, wie der Kahn des Lebens in ſchoͤner Morgen - oder Abendroͤthe. Jch weiß nicht, was fuͤr ein Wink dem Verſtaͤndigen angenehmer, anziehen - der ſeyn koͤnne, als hier ein ſcharfer, veſter und doch ſanfter Winkel zwiſchen Stirn und Auge. Er gibt dem Profil einen unausſprechlich intereſ - ſanten Zug und iſt der Huͤgel, auf dem ſich Ge - nien und Grazien ſonnen, um ſich in die Quel - le des Schattenumkraͤnzten lieblichen Auges zu tauchen.

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Das Griechiſche Profil iſt ſo beruͤhmt, daß ich mich ſcheue, davon zu reden. Jeder Cou - noiſſeur weiß, daß es der gerade Schnitt von Stirn zu Naſe ſei, der, weil er Griechiſch iſt, wohl ſehr ſchoͤn ſeyn muͤſſe. Wenn er ihn nach - her an lebenden Perſonen ſieht und da nicht ſo ſchoͤn findet, ſo ſchreibt er etwa, wie jener Schneider in den Kalender, es ſich in ſeinen Volkmann oder Richardſon an: ſchoͤn; aber nur an Griechiſchen Statuen, weil ſie Stein ſind ; und damit hat ſeine Kennerſchaft ein Ende. Nothwendig muß in der lebenden Na - tur eine Urſache der Schoͤnheit liegen oder ſie iſt auch nicht in der todten; und wer verkennete ſie dort? Wer fuͤhlt nicht, daß eine Naſe mit ihrer Wurzel tief unter die Stirn gebogen, gleichſam einen duͤrftigen Anfang habe, und daß der Lebens - othem, der zur Seele kommen ſoll, ſich da wie durch Hoͤle und Abtritt winde? Wer fuͤhlt nicht Gegentheils die unzerſtuͤckte Form, und daß ſo fort unter der Stirn das ganze uͤbrige Geſicht Erhabenheit, Runde, großen Blick und veſtere Caͤlatur erhalte, wenn dieſer Bug der Naſe kein Grabenſprung iſt? endlich und ohn alle dieſe Kuͤnſtelei, wer hat noch nie das Thronmaͤßige einer Junoniſchen Naſe, oder das unendlich Freie, Vor ſich ſehende, Hinduftende einer Naſe des Apollo gemerket? Wie vielleicht nurEin79Ein Himmelsſtrich iſt, der dies Profil in Menge bildet, und der Welſchen Vorwurf nicht ſo ganz ohne Grund ſeyn mag, daß jenſeit der Alpen die Schoͤnheit der Form erliege, ob ichs gleich, wenn die Sache ſelbſt wahr waͤre, mehr auf Stammcharakter des Volks als auf Einwuͤr - kung des Landes und Clima gaͤbe: ſo halte ich doch dafuͤr, daß es bei dem Kuͤnſtler nicht ohne Veredlung dieſes Zuges abging, wieviel Anlage derſelbe im Volk um ſich her hatte. Die Naſe gibt dem ganzen Geſicht Haltung, ſie iſt die Linie der Veſtigkeit und gleichſam das Scheide - gebuͤrge an Thaͤlern zu beiden Seiten; die Kunſt muſte alſo bald gewahr werden, daß mit ihr fuͤr das Ganze Alles gewonnen oder verlohren ſei. Und da erhub ſich denn das Profil, das noch jetzt, nach jener Sprache des Hohenliedes, wie ein Luſtbau ſtehet, der von der Hoͤhe Libanus nach den ſchoͤnen Gegenden Damaskus ſchauet. Nicht der mindeſte Theil dieſes unedlen Gliedes, das Wir kaum zu nennen wagen, iſt unbedeu - tend. Die Wurzel der Naſe, ihr Ruͤcken, ihre Spitze, ihr Knorpel, die Oeffnungen, dadurch ſie Leben athmet, wie bedeutend fuͤr Geiſt und Charakter! Nur iſt auch hier das Hinſchreiben einzelner Zuͤge zu ſehr dem Mißbrauch und Miß - verſtande unterworfen; deute ſich ſelbſt, wer will und kann.

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Die Augen betrachte ich hier nur taſtbar als Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent - deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei. Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug - knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich verhaͤlt, die Gegend des Winks der Seele in unſerm Geſicht, d. i. des Willens und prakti - ſchen Lebens.

Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des Gehoͤrs hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig er da ſteht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab - hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden Seiten gethuͤrmt ſind: der muß wohl hoͤren und urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. Ue - brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤbennicht81nicht ſo verlohren habe, wie das Geſicht durchs Stubenblinzeln und Brillenbrauchen. Jſt dies; ſo kann, was ſchaͤdlich iſt, niemals ſchoͤn ſeyn.

Endlich komme ich zum Untertheil des Ge - ſichts, den die Natur beim Maͤnnlichen Ge - ſchlecht abermal mit einer Wolke umgab, und mich duͤnkt nicht ohn Urſach. Hier ſind die Zuͤ - ge zur Nothdurft, oder (welches mit jenem ei - gentlich Eins iſt) die Buchſtaben der Sinnlich - keit im Geſicht, die bei dem Manne bedeckt ſeyn ſollten. Jedermann weiß, wie viel die Ober - lippe uͤber Geſchmack, Neigung, Luſt - und Liebesart eines Menſchen entſcheide: wie dieſe der Stolz und Zorn kruͤmme, die Feinheit ſpitze, die Gutmuͤthigkeit ruͤnde, die ſchlaffe Ueppigkeit welke: wie an ihr mit unbeſchreiblichem Zuge Liebe und Verlangen, Kuß und Sehnen hange und die Unterlippe ſie nur ſchließe und trage: ein Roſenkuͤſſen, auf dem die Krone der Herr