PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Kritiſche Waͤlder.
Oder einige Betrachtungen die Wiſſenſchaft und Kunſt des Schoͤnen betreffend, nach Maasgabe neuerer Schriften.
Drittes Waͤldchen
noch uͤber einige Klotziſche Schriften.
There are who will draw a man’s character from no other helps in the world, but merely from his evacua - tions; but this often gives a very incorrect out-line, unleß, indeed, you take a ſketch of his repletions too; and by correcting one drawing from the other, compound one good figure out of them both (Tristram Shandy. Vol. I. Chap. 23. )
Riga,beyHartknoch,1769.
[2][3]

Vorrede.

Ein Kunſtrichter ſoll nicht anders, als ein boͤſes Herz, haben koͤnnen iſt dies, ſo wehe dem Verf. der kritiſchen Waͤlder. Er hat mit Grimm und Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen ſchwarzen Gruͤnden und zu welchen boͤſen Abſichten geſchrieben niger eſt!

Alſo muß ein Kunſtrichter ein boͤſes Herz haben! warum? weil er Fehler aufſuchet, und wer Fehler aufſuchet, der Aber mit einer Erlaubniß! wenn er ſie nicht auf - ſucht, nicht aufſuchen darf, wenn ſie ihm in vollem Maaße ſelbſt zuſtroͤmen? Dann ſollte er ſie bedecken! Fehler bedecken, dasA 2thut[4]Vorrede. thut die Menſchenliebe! Bedecken alſo? aber wenn ſie ſich nicht bedecken ließen, wenn ſie, bedecket, und mit einem ſanften Vehiku - lum verſchlucket, um ſo ſchaͤdlicher waͤren, iſts da nicht doppelte Menſchenliebe, ſie zu entlarven? Doppelte Menſchenliebe; denn ſo wird der junge unerfahrne Leſer gewar - net, ſie nicht fuͤr Tugenden anzuſehen und anzunehmen: der fehlerhafte Schriftſteller ſelbſt, wenn er noch zu beſſern iſt, gebeſſert, oder wenigſtens dahin gebracht, nochmals zu pruͤfen, auszutilgen oder zu verſtaͤrken. Jch ſehe in keinem Falle Nutzloſen Men - ſchenhaß.

Was der webende Wind wachſenden Baͤumen iſt, Staͤrkung ihres Stammes, das iſt der Wiederſpruch fuͤr unſere Meinun - gen und Lehrſaͤtze. Ein freundſchaftliches Geſpraͤch, ein Pro und Kontra im Umgange, oder im lebendigen Vortrage, bringt oft weiter, als hundert einſame Diſcuſſionen auf einem und demſelben Pfade. Dort wird jede Jdee gewandt, ventilirt, gepruͤft, undalſo[5]Vorrede. alſo entweder beſtaͤrkt, oder geſchwaͤcht: der Geiſt waͤchſet in dem Zwiſte der Akademie, wie der Leib in den Uebungen der Palaͤſtra.

Aber dazu ſind Journale, Zeitungen! Auch meine kritiſchen Waͤlder moͤgen ſo etwas ſeyn, und wollen noch mehr ſeyn. Ein Journal gibt Auszuͤge und nur uͤber dies und ein anderes Einzelne ſeine Meinung: der Zergliederer eines ganzen Buchs thut mehr, als vielleicht ſelbſt ſein Verfaſſer gethan. Sich in den Plan des Ganzen ſetzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder Schoͤnheiten zeigen, ergaͤnzen, das thun vielleicht nur einige Journale! das iſt ſo ſchwer, als ſelbſt Schreiben, und eben bei dem elendeſten Buche am ſchwerſten. Klotzens Muͤnzbuͤchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit gekoſtet haben, die ſeine Analyſe mir; viel - leicht aber wird dieſe auch um die Haͤlfte nuͤtzlicher werden koͤnnen, als jenes ſelbſt. Ein zergliedertes Buch iſt doch bildender, als ein zuſammen geſchmiertes.

A 3Sollte[6]Vorrede.

Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten: ſo mag der engliſche Swift*)Vertheid. des Maͤhrchens von der Tonne. zeugen: er giebt ſo umſtaͤndlichen Zergliederungen einen Werth, von dem ich mir gern auch nur die Haͤlfte zueignen wollte. Eben daher wird man auch das oft Kleinfuͤgige in meinen Diſputationen entſchuldigen. Sollte das Ausgefundne oft nicht wichtig ſeyn: ſo ſuche man an der Methode ſelbſt zu lernen.

Jch habe dazu Schriften gewaͤhlt, die bekannt gnug waren, und uͤber die, wenn ich gefehlet habe, ich wenigſtens auf meine Koſten gefehlet. Von Leſſings Laokoon erinnere ich mich keine einzige Erinnerung, die ich gemacht, ſonſt geleſen zu haben, und uͤber Klotzens Schriften war, was ich ur - theilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr Verf. ſich der meiſten Zeitungen und Jour - nale in Deutſchland verſichert hat, und dieſe doch leider! fuͤr das Publikum ſchon gelten: was war nicht der Mann geworden? und was ſind ſeine Schriften! Was iſt nichtHr.[7]Vorrede. Hr. Riedel geworden? und was ſind ſeine Theorie und ſeine Briefe?

Hier den Ton der Gleichheit und des Verdienſtes herzuſtellen: jene lobſchreiende, alles uͤberſchreiende Stimmen etwas zu maͤßi - gen, das war meine Abſicht. Leſſings Lao - koon war, duͤnkte mich, noch nicht wuͤrdig gelobt: denn er war noch nicht bis auf ſein Weſen durchdrungen. Klotzens Schriften uͤberſchwaͤnglich gelobt, und verdienten nicht, angeſehen zu werden. Riedels Theorie uͤber - maͤßig gelobt, und iſt das mittelmaͤßigſte, unordentlichſte Werk, das ich mir bey einer Theorie denken kann. Hier der Kritik die Stimme der Freyheit wieder zu geben: das Unwuͤrdige oͤffentlich zu tadeln, damit dem Verdienſte ſein Lob noch angenehm ſeyn koͤnnte das war meine patriotiſche Abſicht!

Aber ſo ernſthaft, ſo bitter! Noch immer patriotiſcher Ernſt! ich mag die ſuͤß - toͤnende lammartige Stimme nicht: mag nicht den ſchmeichelhaft ſich buͤckenden Ton,A 4in[8]Vorrede. in dem die ſprechen, die wieder gelobt ſeyn wollen. Man tadle mich! man tadle mich heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es Mode des Jahrhunderts waͤre!

Ernſthaft alſo, aber warum bitter? warum mit Galle? Mit Galle gegen die Perſon im geringſten nicht. Da ich nicht das Gluͤck habe, in Halle oder Erfurth zu leben: warum ſollte ich den Lehrern daſelbſt ihren Beifall beneiden? aus Eiferſucht ſchmaͤ - lern? aus Habſucht an mich ziehen wollen? Aber mit Bitterkeit gegen den Schrift - ſteller, und dazu unwuͤrdig, unhoͤflich, ungezogen! Die Vorwuͤrfe ſind hart, und ſie waͤren ſiebenfach hart, wenn man ſie von meinem erſten Waͤldchen ſagen koͤnnte! Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmei - cheln Mode wird, wo der Geſchmeichelte mit dem Publikum, mit Welt und Nach - welt im hochtrabendſten Tone ſpricht, und auf ſeinen eingebildeten Werth ſo ſicher rech - net, als der Kaufmann auf ſeine Papiere wie? iſts da dem Patrioten ſo unverzeih -lich,[9]Vorrede. lich, wenn er auch in der Gegenſtimme aus - ſchweift? wenn er ſeinen rechtmaͤßigen Tadel mit Feuer ſagt? O ſollte mancher ſo viel zuruͤckzahlen muͤſſen, als er unrecht zu em - pfangen gewußt, wie viel iſt er noch ſchul - dig? Und zudem, iſt hier wohl die Haͤlfte der Ungezogenheiten, die die Klotziſche Bi - bliothek gegen die beſten Schriftſteller Deutſch - landes bewieſen? und iſt bey einem Klub, wo ſanfte Kritik den Lauf des Muthwillens nicht ſtoͤren kann, ein andrer Weg moͤg - lich?

Aber warum Namenlos, aus dem Dun - keln hervor? Habe ichs nicht ſchon geſagt: mein Name iſt keine Suͤnde! War mein Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit ſeines Schriftſtellers: war es wider die Re - ligion und den Staat; ſo ging es die Cen - ſur, ſo ſollte es nicht gedruckt werden! Und in dieſem Fall allein iſt der Name des Schrift - ſtellers und ſeine Perſon in ſein Werk ver - flochten! Aber nun! nichts als kritiſche Streitigkeiten, Ventilationen dieſer und jenerA 5Frage,[10]Vorrede. Frage, Zergliederungen von Schriften, um den Werth und Unwerth derſelben zu zei - gen wozu da der Name? Der Verf. darf ihn nicht, und wird ihn auch nie ent - decken: er wird nie das Buch unter die Kinder ſeines Namens aufnehmen: denn es war nicht dazu. Es war blos fuͤr eine Zeitverbindung geſchrieben, die der Littera - tur ſchaͤdlich ward: in einem Tone geſchrie - ben, der fuͤr das Ohr dieſer Zeitverbindung eingerichtet war: uͤber Sachen, wovon da - mals jeder ſprach und ſchwatzte. Er kann alſo wohl einmal einzelne Materien aus - heben, und fuͤr die ſeinigen erkennen, die etwa dauren koͤnnen: der Wald ſelbſt aber hat keinen Namen αγωνισμα μαλλον, ου κτημα ες αει.

Jnhalt.[11]

Jnhalt.

  • I. Ueber Herrn Klotzens Buch vom Muͤnzengeſchmacke.
    • 1. Die Schrift iſt weder ſchoͤn im Vortrage, noch Bei - trag zur Geſchichte, noch im wuͤrdigen Ton geſchrieben. Was der ſuͤße Kammerton unſrer Zeiten ſey?
    • 2. Probe von der Feinheit der Klotziſchen Empfindungen. Rettung der Muͤnzgelehrten, die mehr thun, als ſchme - cken. Einfuͤgung der Geſchmackslehre auf Muͤnzen mit andern eben ſo nutzbaren Zwecken.
    • 3. Ein langes Regiſter von Stellen, wo Addiſon mit unſerm Klotz gewandert. Vorzuͤge des Deutſchen vor dem Britten an redneriſchem Schmuck, an Beſtimmtheit und Ordnung.
    • 4. Vorzeichnung zu einer hiſtoriſchen Theorie des Geſchmacks alter und neuer Muͤnzen. Vorzuͤge der Griechiſchen Nu - mismatik erklaͤrt, aus ihrem Nationalcharakter, aus ihrer Succeſſion auf die Egypter in der Bilderſprache, aus ihrer Religion, ihren Allegorien von Staͤdten und Laͤn - dern, abzubildenden Sachen und Begebenheiten, Perſo -nen[12]nen und Jnſchriften, aus ihrer Bilderdenkart, und poetiſchen Cultur des Publikum alles im Kontraſt unſrer Zeiten.
    • 5. Hiernach eine Pragmatiſche Muͤnzengeſchichte des Ge - ſchmacks. Pruͤfung der Klotziſchen Jdeen daruͤber. Ob ſich auf alten Muͤnzen nur ſchoͤne Geſtalten finden? Ob Winkelmann ſeine Geſetze der Allegorie fuͤr Muͤnzen gegeben? Ob eine Muͤnze freyes Kunſtwertk ſey? Jhre wahre Natur iſt ſymboliſch.
    • 6. Wie weit ſich aus Muͤnzen auf den Geſchmack einer Nation ſchließen laſſe? Nach Einer, nach allen Griechiſchen, nach den Roͤmiſchen, nach den Gothiſchen und Barbariſchen der mittlern Zeiten; nach der Numismatik unſrer Zeit gepruͤft. Wunſch nach einem numismatiſchen Goguet.
    • 7. Wie fern dle bildenden Kuͤnſte die Denkart des Kuͤnſtlers verrathen? Wie fern eine Muͤnze dies kann? Ob ſie die Denkart des Fuͤrſten ſchildere? Proben der Alberheit dieſes Satzes. Ob der moraliſche Charakter ganzer Nationen auf Muͤnzen zu ſuchen ſei? Beiſpiele an den mitlern Zeiten, Hollaͤndern, und Deutſchen? Lobrede auf die Epoche des Geſchmacks, die Hr. Klotz in Deutſchland macht.
    • 8. Wenn Muͤnzen vom Geſchmack der Nation zeugen ſollen: ſo muͤſſen ſie ein Werk des Publikum, und ein freies Kunſt - werk ſeyn. Ob ſich von ihnen die Bildung des Ge - ſchmacks anfange?
      • Statt des Beſchluſſes der Auszug aus einem Briefe.
II. Proben[13]
  • II. Proben von der Gruͤndlichkeit und Un - partheilichkeit des kritiſchen Urtheils der actorum.
    • Ueber Harles Vitas philologorum. Ob ſich ein biogra - phiſcher Charakter aus Oden entwerfen laſſe? Laͤcherliche Kleinigkeiten in Hrn. Klotzens eignem Leben.
    • Ueber den Charakter Pindars. Rettung und Erklaͤrung der ausſchweifendſten Pindariſchen Ode.
    • Ueber Breitenbauchs Schilderungen, der uns einen Horaz liefern wird.
    • Hauſens Geſchichte: dergleichen noch nie erſchienen.
    • Ueber D’Argens Julian. Charakter Julians, wie ihn Hr. Klotz kennet.
    • Ueber Damms Lexicon. Nutzbarer Gebrauch deſſelben.
    • Ueber die Briefe eines Mentors. Beſte Probe von cha - rakteriſirenden Anekdoten.
    • Hauſens Weltgeſchichte. Seine ſchoͤne Gabe zu charakte - riſiren. Charaktere Karls des Großen, Ludwigs des Frommen u. ſ. w. Ueber die Charakterſtellung uͤberhaupt.
    • Urtheil uͤber die acta uͤberhaupt in ihrer Schreibart, und kritiſchem Geiſt.
    • 1. Hr. Klotz ſollte ſich nicht mit der Theologie befaſſen. Seine Claßification mit Teller und Baſedow. Ob unſreOrtho -[14]Orthodoxie in Klotziſch Latein umgegoſſen werden ſolle?
    • 2. Die Reichsgeſchichte iſt nicht à la Greeque oder à la Françoiſe zu ſchreiben. Unterſchied unſrer Geſchichte von andern in der aͤlteſten Zeit, und in den mittlern Jahrhunderten. Ob eine Deutſche und Reichshiſtorie zwey Dinge ſind? Bemerkungen uͤber die Eigenheit unſrer Geſchichte und wie ſie idiotiſtiſch zu ſchreiben ſei.
    • 3. Satyren auf die Metaphyſik und Philoſophie. Sie raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter.
    • 4. Von dem Buche uͤber geſchnittne Steine. Deſſen Be - leſenheit, Ordnung und Eintheilung wird gelobt. Pro - ben von dem guten Tone in ihm. Allgemeines Ur - theil.
    • Leſſings Antiquariſche Briefe. Schluß
Drit -[15]

Drittes Waͤldchen uͤber einige Klotziſche Schriften.

1.

Muͤnzenſchmeckerei das Wort ſcheint veraͤchtlich: wie aber, wenn ein Titel Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt aus Muͤnzena)Beitr. zur Geſch. des Geſchm. und der Kunſt aus Muͤn - zen. vom Hon. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767. ſeiner Ausfuͤhrung nach nicht beſſer, als ſo, koͤnnte zuſammen gezogen werden? Jch will mich, ſo viel ich kann, nach Griechen - land zuruͤck ſetzen, und leſen, als ob ich einen Griechen laͤſe. Das attiſche Publikum in Deutſch - land ſei zwiſchen ihm und mir Zeuge.

Zwar Griechiſchſchoͤn im Vortrage iſt dies Schriftchen wohl eben nicht, daß naͤmlich einfaͤltigeHoheit,16Kritiſche Waͤlder. Hoheit, nachdruͤckliche Kuͤrze, und feine Schoͤnheiten des Styls ſich in ihm vereinigen ſollten. Der klotziſche Styl mag immer die Schoͤnheiten haben, die der Kupferſtecher Allechement nennet; aber Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht ihm voͤllig. Der Freund und Beurtheilerb)Klotz. eigne Bibliothek St. I. Vorr. Hr. Klotzens, bei dem ſeine zaͤrtliche Liebe ge - gen den Verf. diesmal uͤber ſeine großen Einſich - ten, und ſcharfe Beurtheilungskraft die Ober - hand behalten, mag davon ſagen was Hr. Klotz ihm nicht verbothen c)Ebendaſ. Seite 71. ich kann nicht anders, als durchgaͤngig einen langweiligen homi - letiſchen Ton finden, der faſt nie ſo recht Griechiſch oder Deutſch heraus ſagt, was er ſagen wollte. Langweilig jedes Punkt umher geholet, gekettet und umwunden, nach einem zehn Seiten langen Eingange, der eine hoͤfliche Empfehlung ſein ſelbſt und weiter nichts enthaͤlt, alsdenn erſt ein praͤch - tiges ebenfalls zehnſeitiges Exordium vorausge - ſchickt, alsdenn ein halbblindes Thema kanzel - maͤßig in zween Theile zerſtuͤckt, ſo mit beſtaͤndi - gen Ausſchweifungen, in lauter Geſchmacksvollen Anmerkungen, mit oͤftern hoͤflichen Freundſchafts - bezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt, als wenn jede Periode aus dem Lateiniſchen uͤber - ſetzt waͤre, als wenn zu jedem Staͤubchen zweenWind -17Drittes Waͤldchen. Windmuͤhlen und zur Schriftſtellerhoͤflichkeit beſtaͤn - dig fortſcharrende Komplimente noͤthig waͤren zu einem ſolchen Vortrage wuͤrde ein griechiſcher Longin frei heraus ſagen φλοιωδης γαρ ανηρ και φυσων, κατα τον Σοφοκλεα ου σμικροις μεν αυλισκοισι -- φορβειας δ’ατερ -- ουδεν δε φασι ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutſche das Urtheil.

Was ein Grieche mit dem Worte Geſchichte verbaͤnde, iſt hier nicht verbunden: ich mag das Titelwort Beitrag zur Geſchichte ſo diminutiviſch nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge ſorgfaͤltig bemerkt: noch die uͤberhingeworfnen An - merkungen wenigſtens durch einzelne Beiſpiele der fortgehenden Zeitfolge ſcharf bewieſen: noch we - niger von einer Nation nach der andern, inſon - derheit in den neuern Zeiten, Beiſpiele der ſucceſſi - ven und coexſiſtenten Geſchmacksveraͤnderungen geſucht; noch weniger die Urſachen des veraͤnder - ten Geſchmacks aus dem Chaos der Geſchichte her - aufgeholt iſt das Beitrag zur Geſchichte? Zu einigen allgemeinen und zu ſehr bekannten Bemer - kungen, die uͤber Voͤlker und Zeiten durchhingewor - fen, und faſt; immer halbſchielend wiederholt wer - den, zu dieſen einige leidliche Exempel beizutragen, die aus bekannten Buͤchern, und im ganzen ſuͤßen Flußwaſſer des Buchs doch nur rari nantes in gur - gite vaſto ſind aus dieſen von der EhreBund18Kritiſche Waͤlder. und Schande aller neuern Muͤnzen ſo allgemein und entſcheidend zu reden, als haͤtten ſich alle zur Muſterung dargeſtellt, und doch nichts als die all - gemeinen Geſchmacks - und Barbareiperioden, jede mit Einem Beiſpiele vielleicht auszuruͤſten, und dieſe ausgeruͤſtete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzuſtellen iſt das die Ciceronianiſche An - kuͤndigung der Sache, die ich mir vorgeſetzt habe? Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen. Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be - ſonders unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, mit den neuern vergleichen: Jch werde die merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je - der derſelben gehoͤren, betrachten, und nach der groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein Urtheil faͤllen. O Dea Moneta, wo iſt dies alles in meinem lieben Buͤchlein?

Noch minder iſt der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geſchichte gehoͤrte, leſen wollten: der Ton des beſcheidnen Anſtandes, der wei - ſen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit ſeiner Hiſtorie als ein Wunder ſeiner Zeit auftrat, kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geſchichtsartige Schriftſteller kuͤndigte ſeinThe -19Drittes Waͤldchen. Thema ſo koſtbar, ſo ſelbſtwichtig an, als wenn man blos der Stirne nach von aller Welt ſchon mit zuruͤckfahrender Bewunderung empfangen werde,a)Eigne Worte Klotzens. S. 3.4.5.6. Augen voll Entzuͤckungsvoller Aufmerkſamkeit habe, die Niemand hat, die nur ein Nikoma - chus, Pietro di Cortona, Angelo, Addiſon, oder wie die Litanei der Geſchmacksnamen nach der neueſten Mode weiter heiße, ohngefaͤhr habe: als wenn man an Muͤnzen hoͤren, ſehen, ſchmecken, und fuͤhlen koͤnne, was ſonſt niemand ſah, als wenn man von allen Vorgaͤngern in der Muͤnzwiſſen - ſchaft, (einen Addiſon ausgenommen) verſchie - den, als eine Seltenheit ſeiner Tage, als ein Ruͤſt - zeug des guten Geſchmacks auftrete, eine Epoche machen, und der Welt Tag geben ſolle u. ſ. w. ſo wuͤrde ein Grieche nicht ſprechen. Nicht bei Ankuͤndigung ſeiner Schrift, nicht mitten in der Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schluß - ſeegen, nirgends wuͤrde er ſich als eine Mauer fuͤr den Geſchmack eines ganzen Landes gegen die Aus - laͤnder vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter ſich rechnen, uͤberall im Tone des Rednerego ſprechen ein Grieche ſpraͤche ſo nirgends.

Am wenigſten wuͤßte ein Grieche von dem ſeli - gen Privattone, in dem unſre Zeit, die ſo ſehr dasB 2Na -20Kritiſche Waͤlder. Natuͤrliche liebt, in manchen ſchoͤnen und uͤber - ſchoͤnen Schriften liebkoſet. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreiſe wuͤrdiger Kenner und Richter; nicht aber ſo freundſchaftlich ſuͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa - miliares. Jn ihren beſten Zeiten kannten ſie die Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce loquentem; ſie ſprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in ſeiner Schlaf - kammer, oder der ſuͤße Schriftſteller im Cabinette ſeines lieben, ſeines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte ſelbſt doch wozu der fortgeſetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz iſt kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr ſich denken und ſchreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge - dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, ſein. Jm Alterthume iſt ſeine Kunſtmuſe von Winkelmann, Leſſing, Du - bos, Caylus; und in Neuern von Addiſon, Hagedorn, Watelet, Du - bos und einigen andern Franzoſen ſo ganz beſeſſen, daß, wie geſagt, immer Herr Klotz ſpricht, und faſt im - mer ein andrer durch ihn. Er weiſet andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Leſſing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leſſing durch Caylus zurecht; ſo zurecht, als wenn alle dieſe, als Unterbibliothekare ſeiner Bibliothek unter der Auſſicht des Herrn geheimden Raths, ſich wech - ſelsweiſe verbeſſert und das entſcheidende Urtheildar -21Drittes Waͤldchen. daruͤber durch eine buͤndige Citation Jhm uͤberlaſſen haͤtten. Ueberhaupt gehoͤrt hinter jede leidliche Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht ſteht, wollte ich ihn zuſchreiben. Zu dieſem Muͤnz - buͤchlein wenigſtens doͤrfte ich nicht eben lange nach - ſuchen: denn was Plato zum Antimachus ſagte: wuͤrde ich hier zu Addiſon ſagen koͤnnen: hic mihi inſtar omnium! und Addiſon, welch ein guter Troͤſter!

Da nun Hr. Kl. als Critikus uͤber den Ge - ſchmack geſammter Voͤlker und Zeiten urtheilen; als Sammler Beleſenheit zeigen: als ein Schrift - ſteller von ſittlich feinem Geſchmacke ſchoͤn ſchreiben: als ein Ehrenmann hofmaͤßig ſprechen: als ein Gefuͤhlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenſt bezeugen: und bei allen als Magiſter der freien Kuͤnſte zuweilen noch eine kleine luſtige Schnurre anbringen will; ſo denke man ſich in dieſem Gemi - ſche den wuͤrdigen Ton eines Lehrers uͤber die Ge - ſchichte der Kunſt, den wir an Winkelmann ſo tief bewundern. Man vergleiche dieſen artigen Bei - trag mit des andern ſeiner Geſchichte, und ſiehe da! Winkelmann in klein Octav! Verzogne Anprei - ſungen des guten Geſchmacks wechſeln mit ſittlich - feinen Artigkeiten, mit ſpaashaften Anekdoten, mit herzlichſchoͤnen Complimenten an ſeine Freunde und Goͤnner ab: bald ſpricht ein Kunſtrichter von rich - tigem Geſchmacke, Du Bos, bald der unſterb -B 3 liche22Kritiſche Waͤlder. liche Mengs, bald ein Mann, welcher die tiefen Einſichten, und alle Eigenſchaften eines großen Genies durch ſein Menſchenfreundliches und tu - gendhaftes Herz veredelt, und von welchem man ſagen kann, daß ſeine Schriften die Schilderung des liebenswuͤrdigſten Mannes ſind bald Hr. von Voltaire in ſeinem temple du gout: bald thut der Verf. fuͤr Deutſchland das Gebet, das Hr. Watelet an die himmliſche Venus abſchickt: bald befielt er den Fuͤrſten im Namen der Nach - kommenſchaft, wenn ſie Muͤnzen ſchlagen laſſen, Longin zu leſen. Der Abt Boͤhmer und jene geiſtreiche Englaͤnderinn Montague: Spanheim und ein franzoͤſiſcher Landjunker: Young in ſeinen Nachtgedanken und Lucian, und ein witziger Mann, der Abt Trublet auf zwei Blaͤtter - chena)S. 98. 99. kommt dieſe ſeltne Geſellſchaft zuſammen, und druͤckt ſich ſo auf einander, daß der Verf. mit einmal ermuͤdet von Scholiaſten und geſaͤttigt mit der Gelehrſamkeit ſtolzer Kunſtrichter, in Leſſings, Weißens, Duſchens, Uzens und Hagedorns Schriften Erquickung ſucht, von furchtbaren Fo - lianten in die lieblichen Umarmungen des freund - ſchaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in den Schriften des Patrioten Moſers erhabne Zuͤge der deutſchen Redlichkeit. O wenn einſt Grie -chen23Drittes Waͤldchen. chen wieder aufleben unpartheiiſche Nachwelt, die entfernt von unſerm Familienton und ſuͤßen Zeit - geſchmack unſre viros ſuaviſſimos waͤgen wird oder du unſer deutſches Publikum, das von jeher ent - mannete Weichlichkeit, und verwelkte Roſen verachtet hat, deſſen Geſinnung immer ernſte Vernunft, Kraft, und das Nahrhafte des Geſchmacks gewe - ſen, wirſt du dich mit einem ſchoͤnen Blumenge - ſpinſte, das man wie jenen alles uͤbertreffendenb)Die Allegorie der Griechen und Roͤmer (das muß ich doch ſagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht, daß dieſe Stelle vortrefflich iſt!) iſt wie der leichte Schleier des Tryphon. ſ. Klotz. Bibl. S. 64. Tryphoniſchen Schleier, dir uͤberwirſt, dich immer taͤuſchen laſſen? Jch ſchreibe fuͤr Deutſchland, und ich weiß, die ſtillen Kenner (und ſie ſind das wahre Deutſche Publikum) auf meiner Seite: der große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein the charms wound up!

Warum aber ſo lange bei dem Geruͤſte eines Buchs? Denkart eines Schriftſtellers, Denkart, die ſich in allen Schriften deſſelben aͤuſſert, Denk - art, die ſich, wie eine Luſtſeuche des guten Ge - ſchmacks, ſo gern weiter ausbreitet, iſt mehr als Geruͤſt. Und wenn es auch nur dies waͤre: ins Gebaͤude ſelbſt wage ich mich kaum; es drohet uͤber mich einzuſtuͤrzen. Jch fuͤrchte: ich fuͤrchte dieB 4un -24Kritiſche Waͤlder. ungeheure Anheiſchung: aus Muͤnzen eine Ge - ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen - zuſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen ſei, ſo wie ſie Hr. Kl. nimmt, eine farbichte Luftblaſe, ſie iſt das praͤchtige Thema des Buchs.

Geſchmack aus Muͤnzen: wie weit laſſen ſich Muͤnzen ſchmecken? was laſſen ſie fuͤr Geſchmack auf der Zunge?

Geſchichte des Geſchmacks aus Muͤnzen: laͤßt ſie ſich geben? wie weit iſt ſie ſicher? Ge - ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte aus Muͤnzen nach Zeiten und Voͤlkern? Kann die Goͤttinn Moneta eine ſichre Zeuginn uͤber ſo Etwas ſeyn?

Man ſieht, ich muß anfangen, wo der Autor nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig gnug ans Gebaͤude und endlich auch ans Geruͤſte zuruͤckkommen.

2.

Geſchmack aus Muͤnzen. Vielleicht aͤuſ - ſern einige Antiquarien unſers Vaterlandes uͤber meine Abſicht, das Wachsthum und den Verfall des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei einem Volke aus deſſen Muͤnzen zu zeigen, eben die Verwunderung, mit welcher man vor Zeiten die entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit beglei - tete,25Drittes Waͤldchen. tete, die die Augen des Nicoſtratus auf des Zeuxes Helena geheftet hatte. Jch wuͤnſchte, daß ich mich durch das Bewußtſeyn groͤßerer Verdienſte und Einſichten in die Kunſt berech - tigt fuͤhlte, mit dem edlen Stolze des Malers ihnen antworten zu koͤnnen: Jhr wuͤrdet euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen haͤt - tet. Es iſt gewiß, daß viele Perſonen ei - nerlei Gegenſtand betrachten, und gleichwohl viele nicht daſſelbe an ihm bemerken koͤnnen, was ſich dem Auge eines Einzigen in einem reizen - den Glanze darſtellt. Manchen wird der An - blick einer Gothiſchen Cathedralkirche eben ſo ſehr ruͤhren, als des Pantheons zu Rom, und die Ent - zuͤckung, welche Pietro di Cortona bei dem Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: So gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig biſt? kann von den wenigſten auch nur be - griffen werden. Wie viele Kuͤnſtler waren nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildſaͤule weggegangen, ohne die gluͤckliche Entdeckung ge - macht zu haben, die Michel Angelo fand! Er bemerkte blos an ihm einen gewiſſen Grundſatz, welcher nach Hogarths Urtheile, ſeinen Werken einen erhabnen Geſchmack gegeben, der den guten Stuͤcken des Alterthums gleich kommt. Jch glaube, daß Addiſon aus einer Empfin -B 5 dung26Kritiſche Waͤlder. dung, die er ſehr oft in ſeinem Leben erfah - ren haben muß, die Vorzuͤge eines gluͤcklichen Geiſtes geſchildert habe. Ein Menſch, ſagt er, von einer geſchaͤrften Einbildungskraft, wird in mancherlei große Vergnuͤgungen gefuͤhrt, die der gemeine Mann zu bekommen nicht faͤhig iſt. u. ſ. w.a)S. 3. 4. 5. 6. &c. So aufmerkſam man bei Erzaͤhlung ſolcher vornehmen Empfindungen und Erfahrun - gen ſeyn mag, wer kann dem Geſchmackvollen Au - tor bis auf Felder und Wieſen folgen? Glaͤubig hoͤre ich den Parenthyrſus unnennbarer Gefuͤhls - arten: entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit, die die Augen anheftet, die mit Verwunderung beglei - tet wird: das Bewußtſeyn, das ſich wozu berech - tigt fuͤhlt: Die Bemerkungen an dem, was ſich dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze darſtellt: die Entzuͤckung, die Worte ablockt, und die von den wenigſten auch nur begriffen werden kann: die Bemerkung eines Grundſatzes, der den Werken erhabnen Geſchmack gibt: die Empfin - dung, die der und jener ſehr oft in ſeinem Leben erfahren haben muß u. ſ. w. Dieſen aͤſthetiſch - pſychologiſch - myſtiſch erhabnen Jargon von Kunſt - gefuͤhlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theoſo - phiſcher Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt, hoͤre ich andaͤchtig zu, und antworte Hr. Klotzenauf27Drittes Waͤldchen. auf ſein Ei ja! wenn ihr meine Augen haͤttet! durch den herzlichen Seufzer: ach! haͤtte ich Deine Augen!

Er faͤhrt epanorthotiſch forta)S. 6. 7. 8. 9. 10.: wie ver - ſchieden ſind nicht die Abſichten, welche die Ge - lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwiſſen - ſchaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, welche ſich damit beſchaͤftigen, habe ich nur ſehr wenige angetroffen, die einen andern Nutzen da - von zu ziehen gewuͤnſcht haͤtten, als welchen der ge - meine Haufe der Antiquarien bei ſeinen muͤh - ſamen Arbeiten kennet. Zufrieden mit ſich ſelbſt und vergnuͤgt uͤber die Laſten, welche ſie ihrem ge - duldigen Gedaͤchtniſſe auflegen, lachen dieſe be - ſtaubten Maͤnner uͤber unſre gutgemeinte Frage, ob ſie auch in den Tempel des Geſchmacks gehen wollen? und antworten muthig: Nein! dem Himmel ſei Dank! das iſt nicht unſre Sache. Geſchmack iſt nichts: wir beſitzen die Geſchicklich - keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen zu erweitern; aber ſelbſt denken wir nicht. Die nuͤtzlichſten unter ihnen ſind die, welche die alten Muͤnzen um deßwillen lieben, weil ſie ihnen Ge - legenheit geben, chronologiſche Unterſuchungen an - zuſtellen. Jhre Arbeit muͤſſen wir mit Dank er - kennen, und ſie ſelbſt verdienen ein aufrichti - ges28Kritiſche Waͤlder. ges Mitleiden, weil ihnen das Vermoͤgen ver - ſagt iſt, bey ihrer Gelehrſamkeit zugleich das Ver - gnuͤgen zu genießen, welches andern ein guter Geſchmack gewaͤhret. Spon, unterrichtet in den Geheimniſſen der Phyſiognomie, las die Denkungsart und die Eigenſchaften der Menſchen auf dem Geſichte, das ihm die Muͤnze vorſtellte, und Addiſon, hoͤherer Gedanken faͤhig, verglich die Bilder auf Muͤnzen mit den Gedanken der Dichter, und rechtfertigte hiedurch ſeine Hoch - achtung fuͤr das Alterthum. Jch wuͤnſche meinem Vaterlande mehrere Nachfolger des letz - tern, und ich werde mich freuen, wenn unſre Gelehrten kuͤnftig an den Gott der Kuͤnſte und des Geſchmacks eben die Bitte thun, die Ajax beim Homer an den Jupiter that: O! Vater vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und gib, daß unſre Augen ſehen!

Alle Hochachtung fuͤr Spons Sibyllenweiſ - ſagungen, fuͤr Addiſons Vergleichungen, fuͤr unſrer Deutſchen Ajaxe Gebet an den Jupiter, oder fuͤr das Gebet des Aegyptiſchen Cynocepha - lus, daß der helle Mond wiederkehre; indeſſen duͤnkt mich doch das aufrichtige Mitleiden , mit allen Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Ge - ſchichte des Geſchmacks der Voͤlker, Zeiten und Kuͤnſte, aus Muͤnzen, arbeiten, ſehr entbehrlich. Es waͤre umſonſt, die Nutzbarkeit des Muͤnzenſtu -dium29Drittes Waͤldchen. dium zur Geſchichte, Chronologie, Geographie, Naturwiſſenſchaft, Mythologie, Rechtslehre und der ganzen Kaͤnntniß des Alterthums, erweiſen zu wollen, da ſolche in dieſer Wiſſenſchaft große Na - men vor dieſer Materie ſtehen, oder da viele, wel - ches noch beſſer iſt, durch ihr Beiſpiel die Sache ſelbſt erwieſen haben. Nur ſo viel alſo gegen Hr. Kl., daß die Bearbeitung der Muͤnzwiſſenſchaft aus einem andern Geſichtspunkte; er ſei nun Ge - ſchichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie, oder eine Theorie der Medaillen uͤberhaupt, noch gar nicht dem Geſchmack an Muͤnzen widerſpreche, ihn nicht verdraͤnge; ihn vielmehr vorausſetze, und mit ihm als Fuͤhrer einerlei Reiſe thue. Hier den Geſchmack als ein entlegnes eignes Land anſe - hen, iſt eine Ausſicht nach Utopien hin, und eben ſo viel, als Lebenslang die Logik ſtudiren, ohne ſie und alle ihre Zauberkuͤnſte jemals anzuwenden, ſich lebenslang den Geſchmack zu kitzeln, ohne ſich ei - nige Nahrung dadurch erſchmecken zu wollen. Der wahre Tempel des Geſchmacks iſt nicht eine Orien - taliſche Pagode, ein Ruheſitz, wo man als am Ende feiner Wallfahrt ſich niederlaͤßt; er iſt vielmehr wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte des Geſchmacks, auch in Muͤnzen, ein Durch - gang zur Wiſſenſchaft: zur Wiſſenſchaft, welche es wolle.

Der30Kritiſche Waͤlder.

Der Poͤbel der Muͤnzverſtaͤndigen freilich aber wer wollte ſich (es ſei nun zu eignem Lobe, oder zum Tadel anderer,) unter den Poͤbel mi - ſchen? Die Nutzbaren, die Wuͤrdigen Muͤnzge - lehrten gerechnet; und bei denen ſollte ihre Gelehr - ſamkeit dem Geſchmacke widerſprechen muͤſſen? dieſer von jener nicht oft eine Geſellinn, oft gar eine verdeckte Minerva haben ſeyn doͤrfen, ſelbſt wenn es auf wiſſenſchaftliche Unterſuchungen ausging? Nicht zweifeln ſoll einmal dieſe Frage; ſie ſoll blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die groſ - ſen Bearbeitungen in den Feldern der Numisma - tik, ohne Geſchmack der Muͤnzen bewerkſtelligt? unter allen um dieſe Wiſſenſchaft ſo verdienten Na - men, waͤre ein Addiſon, und Klotz das einige Duum - virat des Geſchmacks? Jene Muͤnzenſammler und Muͤnzenerklaͤrer, weil ſie nicht offenbar und allein vom Geſchmacke ſchrieben; weil jener einen Theil der Geſchichte, dieſer einen Theil der Alterthuͤmer, ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein vierter die Chronologie aus Muͤnzen aufgeklaͤret; darum ſollten ſie vom Geſchmacke nichts gewußt? nicht die Schoͤnheit der Bilder, und das Bedeutende der Allegorien, und die Weisheit der Jnſchriften ge - fuͤhlt haben, an denen ſie eine ſo unerſaͤttliche Au - genweide fanden? Nicht im Mechaniſchen der Muͤnzen Geſchmack beſeſſen, dafuͤr ſie eben auch in der Abbildung ſorgten, und das mit Entzuͤckenprie -31Drittes Waͤldchen. prieſen, was ſich nicht abbilden ließ? Wie? daß ſie bei dieſem Selbſtgefuͤhl nicht ſtehen blieben, und eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der Gelehrſamkeit ihres Geſchmacks hoͤhere Zwecke aus - zurichten ſuchten; nicht mit dem Jnſtrument prahlten, ſondern lieber Werke aufwieſen, die ihr Jnſtrument in ſtiller Werkſtaͤte verfertigt: ſoll dies ihnen gegen den zum Nachtheilea)Schon lange haben gruͤndliche Kenner des Alter - thums es beklagt, daß man ſo gern mit einigem ſchoͤ - nen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne die Antiquitaͤt zur Wiſſenſchaft anzuwenden. Roch neulich hat Erneſti in der Vorrede zu ſeiner Archaͤolo - gie daruͤber geklagt, daß dieſe verſaͤumt er haͤtte dazu ſetzen koͤnnen, daß ſie nach der neueſten Mode gar verſpottet werde. gereichen, der nichts als ſein Jnſtrument vorzeiget, der blos von Geſchmacke redet, ohne, was er damit zur ander - weitigen Nahrung ausgekoſtet?

Hr. Kl. hat ungefaͤhr ſagen wollen: daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze vorzuͤglich auf Gelehrſamkeit ſehen, und bei denen dieſer Hang zur Beleſenheit, das, was er Geſchmack nennt, ver - ſchlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze das Mechaniſche der Kunſt richtig im Auge haben, und (man nenne dieſes nun, Kunſtwiſſenſchaft oder Kunſtgeſchmack,) von ihnen, als Gepraͤgen, urtheilen, und wenn ſie muntern Geiſtes ſind, ſichuͤber32Kritiſche Waͤlder. uͤber ein Kunſtbild freuen koͤnnen; daß es endlich auch Leute gebe, die vorzuͤglich auf das Schoͤne, ihr Auge richten, und weder von Gelehrſamkeit noch dem Kunſtmaͤßigen Hauptwerk machen. Wir wollen jene Muͤnzgelehrten: die mittlern Kunſtken - ner: die letzten Liebhaber nennen; ſie ſind alle drei unterſchieden, ihre Unterſchiede aber fließen, ſo wie die Farben eines Regenbogens, oder eines ſpielen - den Seidengewandes, in einander. Der Kuͤnſtler kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte mehr oder weniger Kunſtkenner, der Liebhaber mehr oder minder Gelehrter ſeyn. Nichts ſchadet dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und der wahre Philoſoph der Numismatik iſt alles Drei. Niemand alſo zum Nachtheile, wenn er ſeine Muͤn - zenwiſſenſchaft auf Chronologie, auf Geſchichte, auf Genealogie, auf Alterthuͤmer gewandr: haͤtte er dem Publikum auch nichts als ſolche wiſſenſchaft - liche Unterſuchungen geliefert, und den Geſchmack an Muͤnzen fuͤr ſich behalten unbeſchadet! Koͤhlers hiſtoriſche Muͤnzbeluſtigungen moͤgen nichts als hiſtoriſche, Beluſtigungen, Gatterers Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Me - daillen; Vaillants Muͤnzenreihen der Koͤnige, Staͤdte und Colonien nichts als Numiſmatiſche Geſchichte ſeyn: das Schoͤne, das uͤberdem geſehen, und gefuͤhlt werden kann, finde jedes Auge, jede Seele von ſelbſt; wenn ihm nur das Bild desSchoͤ -33Drittes Waͤldchen. Schoͤnen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite herab Geſchmack geprediget wird denn uͤber - haupt laͤßt dieſer ſich wohl wenig predigen.

Von jeher ſind daruͤber Beeintraͤchtigungen gnug entſtanden, daß Ein Gelehrter, oder uͤber - haupt Ein Werkmeiſter die Arbeit einer andern Gattung uͤber die Achſeln angeſehen: und es waͤre Zeit, ſolche Blicke wenigſtens oͤfſentlich einzuhalten. Der Muͤnzenſchmecker, der auf das Schoͤne aus - geht, wirſt dem Muͤnzenkenner, der auf das Selt - ne, auf das Gelehrte, auf das Erlaͤuternde ſieht, vor, er habe nicht ſeine Augen. Habe er doch nicht! Haſt du denn die ſeinigen? Wollte jeder nur das Schoͤne auf Muͤnzen erjagen, wer wuͤrde ſich um die Zeitpunkte bemuͤhen, da es nichts Schoͤnes auf Muͤnzen gibt? Wer das Rechtsmaͤßige, das Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Selt - ne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht auch noͤthig oder nuͤtzlich. Freilich ſagt Heuſinger zu viel, daß ſich uͤber die Muͤnzen des mitlern Zeit - punktes ein ſo ſchoͤnes Buch, als Spanheim, ſchrei - ben ließe; nicht aber ein ſo nuͤtzliches Buch? Der Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geſchicht - ſchreiber, der Alterthumskenner Deutſchlands und ſo viele fleißige Beiſpiele reden. Sollen wir nun einen Joachim mit Mitleiden anſehen, weil er kein Klotz iſt, und die Verdienſte eines Gatterers uͤberſehen, weil er auf keine Jkonologie des Schoͤ -Cnen34Kritiſche Waͤlder. nen arbeitet? Unbilliges Achſelzucken! ſo bleibt Eine der nuͤtzlichſten Quellen von Urkunden unbe - ruͤhrt! die nach unſerer jetzigen Weltverfaſſung in guten Ausfluͤſſen ausgebreiteter ſeyn doͤrfte, als blos ein Gericht vom Muͤnzengeſchmacke.

Weg alſo aus dem Schriftlein unſers Autors durch und durch weg mit dem gezierten hochtra - benden Tone, der ſich uͤberall bruͤſtet. Herr Klotz laſſe jeden die Muͤnzen anſehen, wie er wolle; wenn er ſie nicht des Geſchmacks wegen anſiehet, gehoͤrt er eigentlich nicht vor dieſen Richterſtuhl. Noch weniger ſchließe man, daß, wenn jemand mit ſeiner Muͤnzwiſſenſchaft zu der und jener andern nuͤtzlichen Abſicht angeſchlagen, er deßwegen nicht das Gefuͤhl des Schoͤnen beſeſſen, nicht der Grazie geopfert habe, und wie die Modeausdruͤcke mehr heißen. Am wenigſten halte ſich Herr Klotz fuͤr den erſten Apoſtel des Geſchmacks in Deutſchland. Viele, viele vor ihm Muͤnzenkenner, Muͤnzenſammler, Muͤnzenbeſchreiber, Muͤnzenzeichner, und ſelbſt Muͤnztheoriſten vor und neben ihm, die das Schoͤne in den Alten geliebet, angeprieſen, und zum Theil ſelbſt nachgeahmet; die lange vor ihm uͤber den boͤſen Geſchmack geklagt; aber Hinderniſſe fanden, die Herr Klotz mit ſeinen ſuͤßen Vorſchlaͤgen uͤber - ſiehet. Ob alſo viel Neues, und Gruͤndliches im Klotziſchen Buche ſey, wollen wir noch nicht wiſſen; daß aber durchaus viel Geziertes, ein falſcher Fe -der -35Drittes Waͤldchen. derſchmuck, ein unausſtehlich ſelbſtwichtiger Ton herrſche o ich will nicht alle Stellen auszeich - nen, wo Herr Klotz von dem gelehrten Auge des Kenners, von der jetzigen und erſt jetzigen Epoche des Geſchmacks in Deutſchland, von den claſſiſchen Autoren deſſelben, von dem Zeitpunkte, der auch den ſpaͤteſten Nachkommen bewundernswuͤrdig ſeyn wird, von einem Manne, der die Vorzuͤge der Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Au - gen, Kunſtwerke zu ſehen u. ſ. w. ſo ſehr in ſei - ner Perſon ſpricht, daß der geneigte Leſer nichts als Komplimente gegen einen Schriftſteller machen kann, der ſich ſelbſt ſo gut kennet, und ſo artig de ſe ipſo ad ſe ipſum und ad familiares zu reden weiß, daß nichts druͤber.

3.

Dies bei Seite, ſo iſt doch das Schriftlein vielleicht eine Aeſthetik, eine Geſchmackslehre der Muͤnzen, die in den Haͤnden aller, deren Sache dieſe ſind, von der Muͤnzobrigkeit bis zum Muͤn - zenſchlager Wunder thun muͤßte. Oder vielleicht eine philoſophiſche Grundlage zur Geſchichte der Numismatik; oder wir wollen nicht zu viel erwarten.

Ein wohlbekannter Autor Joſeph Addiſon hat wohlbekannte Geſpraͤche uͤber den Nutzen und die Vorzuͤge der alten Muͤnzen geſchrieben, dieC 2auch36Kritiſche Waͤlder. auch unter uns durch zwo oder drei Ueberſetzungen bekannt ſind. Nun kommt ein wohlbekannter Au - tor, Chriſt. Ad. Klotz, der die Geſpraͤche des Englaͤnders ſo artig in ſeine Deklamationen ver - pflanzen kann, daß es eine Freude iſt. Er ſagt ſelbſt: Er koͤnne nicht dafuͤr, wenn er ſich mit die - ſem Autor manchmal begegne: ich glaube wohl; aber wer kann denn dafuͤr? Wir wollen uns das Vergnuͤgen machen, die beiden Wandrer neben einander traben zu ſehen: aber keine Natio - nalwette! der Deutſche kommt gewiß vor.

Addiſon, oder vielmehr ſein Philander, giebts als Unterſchied zwiſchen alten und neuen Muͤnzen, daß er ſich auf jenen keiner Bilder von Einnehmung der Staͤdte erinnere, weil damals noch kein Pul - ver und Blei im Gebrauche geweſen; unſre hin - gegen ſtelleten Belagerungen, Riſſe von Veſtun - gen u. ſ. w. mit allen ihren Theilen vor. So Philander, und ſein Mitſprecher Eugen zeigts ironiſch als ſehr recht und billig an, daß ein Fuͤrſt Modelle von dem Platze hinterlaſſe, den er verwuͤ - ſtet. Addiſon der zweite trift hier ſo un - vermuthet auf das Paar, als faͤnde ers vornehm und unverhofft ſelbſt als einen beſondern Einfall, auf neuern Muͤnzen ganze Plane abzuzeichnen u. ſ. w.a)S. 34. 35. 36. Kein Wunder, ſagt Hr. Klotz,b)S. 30. denn wenn zwei37Drittes Waͤldchen. zwei Wanderer auf verſchiedenen Wegen nach ei - ner Stadt gehen, ſo kann man nicht ſagen, daß einer dem andern als ſeinem Wegweiſer folge.

Die alten Muͤnzen, ſagt Addiſon, gehen in ihren Komplimenten gegen den Kaiſer weiter, in - dem ſie Gelegenheit nehmen, ſeine Privattugen - den zu ruͤhmen: nicht nur, wie ſie ſich in Tha - ten geaͤußert: ſondern auch, wie ſie uͤberhaupt aus ſeinem Leben hervorgeleuchtet haben. Dieß geht ſo weit, daß wir Neronen auf der Laute ſpie - len ſehen u. f. Als Unterſchied fuͤhrt Hr. Klotz ſo Etwas nicht an, denn wer wird mit Addiſon Einerlei Weg nehmen wollen? unvermuthet aber und an deſto unrechterm Orte trifta)S. 22. er mit ihm, wer kann dafuͤr? ſo anſehnlich zuſammen, als folget: ob es gleich unter den Roͤmiſchen Kaiſern wunder - liche Leute gegeben, und ein Nero ſelbſt mit einer Citter auf Muͤnzen erſcheint: ſo haben ſie doch niemals etwas auf dieſelben geſetzt, das dieſem gleich kaͤme. Und dies wunderliche Dies iſt? ein Deutſches Weinfaß. O wer nun noch ſa - gen wollte, daß der Deutſche dem Britten folge, ſclbſt wenn er ihm folget! Welche Neuheit im Kon - traſt! welche Richtigkeit in der Vergleichung! wel - che Genauigkeit zu charakteriſiren! Wunderliche Leute von Kaiſern: denn ſelbſt Nero mit einer Citter! Wunderliche Leute von Deutſchen: dennC 3ein38Kritiſche Waͤlder. ein Weinfaß auf der Muͤnze! Schoͤne Verglei - chung, Citter und Weinfaß, Nero und der Deut - ſche! Die wunderliche Citter ins wunderliche deutſche Weinfaß geſpuͤndet welche Neuigkeit!

Muͤnzen wurden, ſagt Addiſon, bei den Roͤ - mern nicht zu Spoͤttereien angewandt: bei den Neuern oft, und die beiden Sprechenden wech - ſeln daruͤber ihr unterhaltendes Pro und Contra. Der deutſche Addiſon wird beſtimmter. Was jener blos als Unterſchied, mit gehoͤriger Einſchraͤnckung und Gegeneinanderabwaͤgung, an - gegeben, wird bei dieſem der Nationalcharakter einer Nation, und das Muͤnzenlob einer ganzen Republika)S. 20.. Man hat den Hollaͤndern oft eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤrſten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die Begierde uͤber andre zu lachen und zu ſpotten ge - laſſen, ſo hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit und den Anſtand von ihren Satyren getrennet. Kurz! nach einer langen Einſchaltung, wo Herr Klotzens Saite wieder auf ſeine liebe Burmanns ſpringt (denn wo kann Freund Sancho ans Wirths - haus denken, ohne daß ihm nicht zugleich das Luft - fliegen und der Balſam Fier a Bras einfalle?) nach einer unpaſſenden Einſchaltung alſo laͤuſts wi - der die Spottmuͤnzen der Hollaͤnder hinaus, dieihr39Drittes Waͤldchen. ihr Nationalcharakter werden. Welch eine neue, und mehrere Beſtimmtheit!

Addiſon beſinnet ſich nicht, auf Roͤmiſchen Muͤnzen das Geſicht einer einzigen Privatperſon geſehen zu haben, und wendet ſich artig daruͤber weg, unſre neuern Privatcomplimente auf Muͤn - zen anders als mit einem ſtillen Winke anzuſpotten. Doch was ſtille Winke! was doch ſich artig vorbeiwenden! Hier ebena)S. 96. 97. 98. ꝛc. fand unſer Landsmann von Geſchmack recht Zeit, auszuſchuͤt - ten, und zu dehnen, und zu verſpotten, und mit einem Ueberguß der beſten laune zu tadeln. Kein Wunder! wenn zwei Wandrer nach einer Stadt gehen: ſo iſts natuͤrlich, daß beide oft einerlei Ge - genſtand wahrnehmen muͤſſen, und es iſt auch eben ſo wahr, daß der eine einen Blumenreichern und angenehmern Weg, als der andre nehmen kann wie Hr. Kl. mit vieler Feinheit bemerket.

Addiſon kommt auf die Jnſchriften; eine Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit ſei bei den heutigen der erſte Fehler. Hr. Klotz kommt auf die Ju - ſchriftenb)S. 85. u. f.: eine Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit iſt bei den heutigen der erſte Fehler. Wie aber, mein deutſcher Hr. Addiſon, und beim Nachſchrei - ben, beim trocknen Ausſchreiben kein Fehler? beiC 4einem40Kritiſche Waͤlder. einem recht Ciceronianiſchweitlaͤuftigen und deſto unbeſtimmtern Wiederkauen kein Fehler?

Addiſon giebt Proben von der Machtvollen Kuͤrze der Alten, ihre Kaiſer zu loben, und folgt eben dadurch ihnen, daß er ſtatt ſchielender allge - meiner Lobſpruͤche Beiſpiele giebt. Was Bei - ſpiele? was Proben? Hr. Klotz, um nicht Ad - diſon zu ſeyn, zieht eine lange Scheltredea)S. 88. 89. dar - aus uͤber die weitlaͤuftigen Titel der neuern Fuͤrſten, uͤber die Schwachheit und Eitelkeit derſelben, uͤber und was weiß ich, woruͤber mehr? Der Deutſche wandelt auf einem blumenreichen Pfade.

Addiſon redet wider Wortſpiele und Spitzfuͤn - digkeiten auf Muͤnzen. Er redet dagegen: Hr. Klotz waͤhlt ſich einen beſſern Weg, daruͤber zu ſcheltenb)S. 90. 91. 92. u. ſ. f., Seitenlang erbaͤrmlich zu ſchelten, und das arme Deutſchland, deſſen Krone ohne Zweifel aus ſolchen Wortſpielen geflochten ſeyn muß, red - lich zu beſeufzen. Gott troͤſte den deutſchen Pa - trioten!

Addiſon ſpricht wider die Muͤnzverſe, Hexa - meterausgaͤnge ꝛc. kurz und buͤndig. Der deut - ſche Wandrer auch, aber mit der Mine, als wenn er ſo etwas nur uͤber die Achſel im Vorbeigehen anſehec)S. 92. Denn ſiehe! da kommt etwas, was den Patrioten billiger beſchaͤftigt.

Ad -41Drittes Waͤldchen.

Addiſon ſchreibt uns Deutſchen die Muͤnzchro - noſtichen als Eigenthum, als Erb - und Lieblings - eigenthum zu. Uns armen Deutſchen! Und ſiehe! da ſteht der ruͤſtige Deutſche auf: laͤßt alles, was er unter Haͤnden hatte, liegen, um, als ein wahrer Gottſched! ſeine Nation daruͤber zu entſchul - digena)S. 93. - 97., das waͤren nur Zeiten der Barbarei ge - weſen, jetzt nehme ſchon die Liebe zu ſolchem Spiel - werk ab, jetzt da der Geſchmack wachſe, jetzt da Alles gut; aber gegen wen redet der Mann? Vor wem entſchuldiget er? Warum wen - det ſich ſeine Scheltmine auf einmal ins Antworten hin? Ach! die beiden Wandrer ſind wie - der zu nahe zuſammen: Die Addiſonſchen Dialo - gen haben dem Pulte des Deutſchen zu nahe gele - gen: der Britte beſchuldigt, muß nicht der brave Deutſche entſchuldigen? ſo wenig ſchlaͤft der Verraͤther.

Doch verrathen, oder errathen? ich ſchreibe ab:

Addiſon

Die Roͤmer erſcheinen allezeit in der gewoͤhnli - chen Tracht ihres Lan - des, ſo gar, daß man die kleinſten Aenderun -

gen

Klotzb)S. 79. redneriſch

Jch kenne die Frey - heit, mit welcher der Kuͤnſtler an Statuen und Muͤnzen das Alter - thum nachahmen darf;C 5 al -

42Kritiſche Waͤlder.

gen der Mode auf der Kleidung der Muͤnzen wahrnimmt. Sie wuͤr - den es fuͤr laͤcherlich ge - halten haben, einen Roͤ - miſchen Kaiſer mit ei - nem Griechiſchen Man - tel, oder einer Phrygi - ſchen Muͤtze zu kleiden. Hingegen unſre heutige Muͤnzen ſind voll To - gen, Tuniken, Trabeen und Paludamente, nebſt einer Menge von andern dergleichen abgekomme - nen Kleidern, welche ſeit tauſend Jahren nicht mehr gewoͤhnlich gewe - ſen. Man ſiehet oft ei - nen Koͤnig von England oder Frankreich als ei - nen Julius Caͤſar geklei - det: man ſollte denken, ſie haͤtten bei den Nach - kommen vor Roͤmiſche Kaiſer angeſehen ſeyn wollen

Wir

allein (man denke ſich den ſchoͤnen Gegenſatz!) allein ich kenne nicht die alten Originale, nach welchen die geharniſch - ten Bruſtbilder auf den meiſten neuen Muͤnzen gezeichnet ſeyn ſollen. Es bleibt dieſe Abbil - dung doch alle Zeit fuͤr unſre Zeiten fremd, und ſie ſtellt eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr ſehen. Ha - ben ſich die Roͤmer je - mals in Egyptiſcher Klei - dung oder mit Parthi - ſchen Tiaren abbilden laſſen? Wuͤrden ſie nicht, wenn ſie das gethan haͤt - ten, was unſre Fuͤrſten thun, der Nachkom - menſchaft ganz falſche Begriffe von den Trach - ten ihrer Zeiten beige - bracht haben? u. ſ. f.

Lon -43Drittes Waͤldchen.

Wir muͤſſen die Muͤn - zen, als ſo manche Denk - male anſehen, welche der Ewigkeit uͤbergeben wer - den, und die vermuth - lich noch fortdauern, wenn alle andre Nach - richten verlohren gegan - gen ſind. Sie ſind eine Art des Geſchenks, wel - ches die jetztlebenden de - nen uͤbermachen, die ꝛc.

Longin ermahnet die Schriftſteller, an das Ur - theil zu denken, welches dermaleinſt die Nach - kommenſchaft von ihren Schriften faͤllen werde. Ein Fuͤrſt, welcher ſei - ne Schaumuͤnzen als Denkmale anſieht, die er der Ewigkeit widmet und die zugleich der ſpaͤtſten Nachkommenſchaft ꝛc.

Da ſtehen die Menechmen zuſammen! zwei Wandrer, auf einem Wege nach einer Stadt, mit einerlei Fußtritten! Nur freilich daß der unſre Blu - men lieſet, oder wie er beliebt, ſich Blumenrei - chere Wege waͤhlt er wird gelehrt; er gibt den Fuͤrſten an, was ſie ihren Kuͤnſtlern aus Lichtwers Fabeln und Lucian antworten ſollen: er geraͤth in Patriotiſche Seufzer, und will zwar den Wunſch des Ajax nicht wiederholen, thut aber fuͤr Deutſch - land ein Reimgebetlein, das Hr. Watelet an die himmliſche Venus abſchickt, macht einen Non - ſens von Gegenſaͤtzen: ich kenne allerdings aber ich kenne nicht ermahnet die Fuͤrſten Longin zu leſen u. ſ. w. lauter Tand von Auszierung, wo Addiſon immer Addiſon bleibt. Und gnug, dasmerk -44Kritiſche Waͤlder. merkwuͤrdigſte bei Hr. Kl. in Vergleichung alter und neuer Muͤnzen iſt Addiſon jaͤmmer - lich geraubt: jaͤmmerlich, denn der Britte redet beſtimmt, buͤndig, angenehm; der kopirende Deut - ſche kopirt und kompilirt unordentlich, unbeſtimmt, mit ſchoͤnem Non-ſenſe durchſtuͤckt! O Ehre unſrer Nation und Zeiten!

Auf Hrn. Kl. moͤchte ich am allerwenigſten ſo ein Wort hingeſagt haben, wovon nicht die Probe den Augen aller Welt vorlaͤge: hier ſind noch ein Paar Streiche mehr, die den Kompilator verrathen, den Kompilator; der nichts, gar nichts in ſeinem Original umſonſt geleſen haben will, und der ſich doch wieder nie will merken laſſen, daß er abſchreibt; der immer den Schweif haͤngen laͤßt, um ſeine Spuren zu vertreiben, und der ſeinen Schleichgang eben damit deſto ſichrer verraͤth laß ſehen!

Bei Addiſon ſprechen drei Freunde: jeder auch in dieſen Muͤnzmaterien von eigner Denkart, ein eigner Charakter. Cynthio, dem die Muͤnzwiſ - ſenſchaſt unnuͤtz duͤnkt, kann alſo Einwuͤrfe ma - chen, die Eugen nicht machen kann, die Philander beantworten muß. Eugen haͤlt zwiſchen beiden das Gleichgewicht, und bleibt Eugen: Philander iſt Philander und eben daher, aus dem Un - terſchiede der Charaktere wird eine freundſchaftliche Gruppe. Jeder ſteht in ſeiner Geſtalt, in ſeinem Lichte da, und Addiſon, der geſellſchaftlichſte Schrift -ſtel -45Drittes Waͤldchen. ſteller Britanniens, der den guten Ton worinn anders ſetzt, als in artige Complimente, iſt auch hier Geſellſchafter. Er hat die Rollen vertheilt, jeder der Dialogiſten nimmt von ſeiner Seite An - theil: aus der Verkettung, dem Contraſte, den Wendungen des Dialogs wird das ſchoͤne Ganze, das Leben des Stuͤcks.

Hr. Klotz aber immer in ſeiner Perſon, und da er dem ohngeachtet auch die Vorwuͤrfe des Cyn - thio gegen die Muͤnzwiſſenſchaft, nicht will um - ſonſt geleſen haben, und ſie alſo auf die Geſchmack - loſen Muͤnzenkenner bannet: ſo wird was bei Addi - ſon durch den dialogiſchen Contraſt beſtimmt und gemildert wurde, bei ihm, der immer in ſeinem Namen ſpricht, und immer in ſeinem Namen ſchilt, eine Misgeburt, dogmatiſche Satyre, und ſatyri - ſche Dogmatik. Philander, Cynthio, Eugen ſprechen alle durch eine Roͤhre auf einmal

an odd promiſ[c]ious Tone
as if h had talk’d three Parts in one
which made ſome think, when he had gabble,
Th had heard three Labourers of Babel.

Nun laß es noch gar ſeyn, daß Cynthio Seitenlang den Oberton behalte, noch gar dazu ſchreien, was Pope dem Addiſon im Namen des Cynthio geſagt, noch gar, was andre ehrliche Leute gegen den ſchlechten Muͤnzengeſchmack geſagt: ei! da iſt der ſchoͤne bunte Rock fertig, Farbe uͤberFar -46Kritiſche Waͤlder. Farbe, Lappe an Lappe, Tuch uͤber Seide und Lein - wand uͤber Tuch ei! da iſt der ſchoͤne beleſene gute Ton des Hrn. Klotz.

Ein andrer Streich, den Addiſon ſeinem deut - ſchen Mitwandrer ſpielt, iſt noch aͤrger. Faſt immer lockt er ihn von ſeinem Wege ab, und da dieſer doch durchaus mit ihm nicht einen Weg neh - men will, und ſich alſo immer wieder beſinnet, um zuruͤck zu reiſen, und immer ſorgfaͤltig die Spu - ren vertritt, auf denen er zu ihm gekommen, und immer doch zu ihm zuruͤckkommt: ſo hat er endlich gar keinen Weg. Er geht ab und zu: iſt, wie jenes Ding

das ging und wiederkam: wie wird der Wandrer nach der Stadt kommen?

Alle Praͤliminarausſchweiſe abgerechnet, fange ich an, von der Sache, die ich mir vorgeſetzt habe. Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen gleich - ſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurthei - len. Jch werde daher die alten Muͤnzen, wel - che beſonders unſre Aufmerkſamkeit an ſich zie - hen, mit den neuern vergleichen; ich werde die merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je - der derſelben gehoͤren, betrachten, und nach der groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein47Drittes Waͤldchen. mein Urtheil faͤllen! a)S. 22. 23.Wie groß iſt das Jch werde! des Verfaſſers; aber der boͤſe Addiſon! Er iſt im Stande, einen vielverſprechenden Wandrer ſo weit von ſeinem Jch werde! abzubringen, ſo weit in Kreuzgaͤnge zu verfuͤhren, daß er endlich mit dem alten Fabelhanſen Aeſop wohl ſagen kann: weiß ich doch ſelbſt nicht, wohin ich gehe!

Kaum iſt das Thema in allen ſeinem Werde geſprochen: ſo wird nichts. So gleich kommt der Autor auf eine Meilenlange Parentheſeb)S. 24. u. f., was er zu einem Zeitalter des Geſchmacks rechne? ſo gleich auf eine Addiſonſche Parallele zwiſchen den A. und N.c)S. 26. 27. und das aus Einer Muͤnze.

Er beſinnt ſich an ſein Thema, und kuͤndigt die Theile ſeiner Abhandlung abd)S. 27.: und unver - muthete)S. 30. iſt er wieder bey Vergleichung der A. und N. bei Addiſon. Es faͤngt eine lange Parallele an, da doch der Autor etwas anders, als Paral - lele, ſchreiben wollte.

Jetzt will er von der Allegorie auf Muͤnzen uͤberhaupt reden: er will; aber daf)S. 32. 33. u. f. ſind ihm wieder die Bilder der Alten und die Veſtungsplane der Neuen vor Augen aus Addiſon.

Jetzt48Kritiſche Waͤlder.

Jetzt kommen ihm Winkelmann und Leſſing in den Wega)S. 38. 39. 51., und werfen ihn wie einen Ball umher: er kommt zu ſich und findet ſich bei Addi - ſonb)S. 52.. Der gute Schriftſteller wollte von Vor - ſtellungen des Geſchmacks uͤberhaupt reden, und redet von Parallelen.

Er erinnert ſich wieder an ſeinen Weg: ei aber! dac)S. 65. 69. ſind die Hrn. Mengs und Hagedorn ganz unvermuthet! Ach! und eben ſo unvermuthet bei dem Cynthio Addiſons, und Pope an Addiſon, und nachdem er uͤber die klaſſiſchen Schriftſteller ſeiner Zeit hinweggeſchweifet iſt, wieder bei dem Coſtume Addiſons auf alten Muͤnzend)S. 70 - 79..

Und nun haben ſich die beiden Wandrer ſchon ſo lieb gewonnene)S. 85 - 99., daß ſie ſich ſeltner trennen. Jnſchriften, Wortſpiele, Verſe, Chronoſtichen ſind Addiſons und Klotzens Weg, und da bei dem letztern ein kleiner freundſchaftlicher Zwiſt vorfiel: ſo beugt der Deutſche in Entſchuldigung ab: eine Addiſonſche Bemerkung kommt als Stempel dar - auf und Soviel vom erſten Theile. Er ſollte freilich eine Theorie des Muͤnzengeſchmacks nach Vorſtellungen, Sinnbildern und Aufſchriften er ſollte gar eine Geſchichte dieſes Geſchmacks nach Voͤlkern und Zeiten enthalten durch einZuſam -49Drittes Waͤldchen. zuſammen treffen der Wege aber ward er ein unor - dentliches Gemiſch fremder Bemerkungen, Regeln und Beiſpiele, aus welchen nur der zaͤrtliche Freund Hrn. Klotzens, und Hr. Klotzens eigne Bibliothek, den ſchoͤnſten Plan und Ordnung aus - ſpinnen kann. Mich duͤnkt, Hr. Gatterer be - halte zu ſeiner Theorie der Medaillen, zu welcher er ſchon einen leſenswerthen Beitrag gegeben, die Materie ziemlich ganz uͤbrig.

4.

Noch hab ich erſt nach Grundſaͤtzen zur Theo - rie des Geſchmacks auf Muͤnzen nachgeſucht: nun aber ein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks? Auch mir iſt die Numiſmatik vorzuͤglich eine Aeſthetik des Schoͤnen, und eine Urkunde zur Ge - ſchichte der Voͤlker, und da ich in dieſer uͤberhaupt am liebſten die Geſchichte des menſchlichen Geiſtes ſtudire: nach allem Betracht eine Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen; welch ein Geſchenk! So nahm ich das klotziſche Schriftchen zur Hand und legte es mit der beſchaͤmten Mine weg, mit der ein Bogenſchuͤtze den lieben Bogen weghaͤngt, den er freudig und hoffnungsvoll nahm, mit dem er aber nichts getroffen.

Nichts thun, als den Geſchmack der Alten auch von Muͤnzen herab loben, und in all - gemeinen Ausdruͤcken preiſen kommt heuteDetwas50Kritiſche Waͤlder. etwas zu ſpaͤt: Hieruͤber liegen ſchon Denkmale und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man ſich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Bei - ſpiele und faſt ohne Grundſaͤtze, erſparen kann. Nichts thun, als den Geſchmack der mittlern und neuen Zeiten fein laͤchelnd ausziſchen, oder an - ſehnlich ausſchelten immer auch zu ſpaͤt, da ſchon ſo viele Klagen vergebens in die Winde ver - flogen ſind, und ſelbſt beſſere Bemuͤhungen nichts ausrichten koͤnnen. Am beſten alſo, weder prei - ſen, noch tadeln; ſondern erklaͤren. Die Alten ſind auch in dieſem Stuͤcke ſo weit vor; was hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen ſo weit nach; was haͤlt uns zuruͤck? was hat uns ſo lang zuruͤck gehalten? Auf die Weiſe ſteigt man in die Tiefen der Geſchichte alter und neuer Zeiten, und kann die ſchwere Frage loͤſen: wie weit koͤn - nen wir ihnen auch in dieſem Felde nachahmen? wo ſie erreichen? wo ſie uͤbertreffen? und ſo wird eine Geſchichte des Geſchmacks auch auf Muͤnzen fuͤr unſre Zeit pragmatiſch.

Da Hr. Kl. ſich auf dieſen ſchluͤpfrigen Weg nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne wel - ches ich keinen Beitrag zur Geſchichte des Ge - ſchmacks mir denken konnte, meine Erwartung betrogen fand, ſo entwarf ich, wie ſie mir einfie - len, einige Linien, die wenigſtens zeigen moͤgen, daß ich uͤber dieſe Materie geſchichtmaͤßig undanti -51Drittes Waͤldchen. antiquariſch nachgedacht hatte: ein Riß, aber nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem kuͤnftigen Verfaſſer einer Theorie und Geſchichte der Medaillen uͤbergebe.

Die Numiſmatik, als Kunſt und als Wiſſen - ſchaft iſt, ſo wie jede Wiſſenſchaft und Kunſt, die Produktion einer Nationalgeſellſchaft. Aus der Verfaſſung der Regierung, der Denkart, der Re - ligion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Be - ſtrebungen eines Volks muß ſich alſo Urſprung, Bluͤthe, und Verfall dieſer, ſo wohl als jeder an - dern Kunſt und Wiſſenſchaft, erklaͤren. Nun will ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit Nationen ſtehe, die keine Muͤnzen haben und brauchen? welches Volk ſie in Gang gebracht? wie die erſten Muͤnzen, die niemand geſehen, aus - geſehen haben? u. f. warum, frage ich allein, warum kamen die Muͤnzen in Griechenland und Rom zu dem Glanze, daß ſie Vorbilder, und meiſt unerreichte Vorbilder der Neuern ſeyn koͤnnen?

Die Liebe der Griechen zum Schoͤnen bleibt wohl die erſte Triebfeder auch hier. Sie, die von Dichterideen die erſte Bildung ihrer Jugend erhielten: ſie, deren Auge uͤberall das Schoͤne zu erblicken gewohnt war, im Schooße der wohlluͤ - ſtigen Natur geboren, und an den Bruͤſten ſchoͤ - ner Kunſt genaͤhret ſie ſollten das Metall, dasD 2ein52Kritiſche Waͤlder. ein Kennzeichen des Werths fuͤr ihre Hand war, ohne Werth fuͤr Aug und Seele laſſen? ſie eine Gold - oder Silberflaͤche, die der Nachkommen - ſchaft beſtimmt war, leer in die Haͤnde derſelben ſenden? ſie Tafeln, die taͤglich ihren Blick auf ſich zogen, ohne Augenweide bei ſich vorbeyſtrei - chen laſſen? Das griechiſche Auge ſuchte Schoͤn - heit; eine griechiſche Seele Weisheit in Schoͤn - heit, und ſo ward auch ihre Muͤnze der Schoͤnheit, und der ſchoͤnen Weisheit, der Allegorie, gewidmet. Gewiß! ſo natuͤrlich, daß, wenn in dem Cirkel - laufe der Weltveraͤnderungen ein nordiſches Volk auf den Platz des Commerzes und der Cultur ge - troffen waͤre, auf dem jetzt die Griechen ſtehen, ſo gewiß ihre Muͤnzen mit nordiſcher Wiſſenſchaft, mit Buchſtaben und Amuleten und Fratzengeſtal - ten uͤberhaͤuft waͤren, ſo natuͤrlich, daß der Grie - che ſeine Muͤnze der Schoͤnheit und offnen Alle - gorie weihete

Der Charakter der griechiſchen Nation, der ſich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will es Hr. Klotzen uͤberlaſſen, ſie herzurechnen,) zeigte, der muß ſich, die Numiſmatik ſei auch eine kleine, eine unbetraͤchtliche Nationalproduktion, nach Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern lagen alſo fuͤr dieſe, wie fuͤr alle Kuͤnſte des Schoͤ - nen, in der Nation!

Die53Drittes Waͤldchen.

Die vortreflichſte Bilderſprache war ihr. Sie, die im Plane des Schickſals der Voͤlker zunaͤchſt hinter die Egypter trafen, und Cultur, Kunſt und Weisheit, ja wenn man will, auch politiſche Gluͤck - ſeligkeit aus den Haͤnden dieſes Reichs, wie einer ablebenden Matrone, empfangen, ſie, die den uͤber Voͤlker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur des menſchlichen Geſchlechts da auffaſſen ſollten, wo er zunaͤchſt aus aͤgyptiſchen Haͤnden kam: ſie erbten von dieſen Allegoriſten auch die reichſte, die bedeutendſte Bilderſprache, die auf der Welt ge - weſen. Aus den Haͤnden einer Nation, die uͤberall Bedeutung ſuchte, und Bedeutung gnug in ihn gelegt hatte, kam alſo ein Bilderſchatz in die Haͤnde einer Erbinn, die fuͤr ihr Theil nichts als Schoͤnheit ſehen und denken wollte. Reich, Be - deutungsvoll, ſchoͤn, was kann man von einer Bilderſprache mehr ſagen?

So manche gelehrte Werke wir uͤber dies alle - goriſche Alterthum haben: ſo fehlt uns eine wahre Geſchichte der Allegorie noch, die das inſonderheit zeige, wie aus der bedeutungsvollen Bilderlehre Aegyptens die ſchoͤne Jkonologie Griechenlandes zum Theil geworden? Und die Unterſuchung hieruͤber iſt ſie nicht oft der Schluͤſſel zur Bilder - gallerie griechiſcher Dichtkunſt, Kunſt und Weis - heit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre hie - rographiſche und kyriologiſche Bilderſprache, behal -D 3ten,54Kritiſche Waͤlder. ten, oder verſchoͤnert, oder verbeſſert, wie manches hat ſie in Griechenland hervor bringen koͤnnen? Und wenn auch nur dies, daß da auf ſolche Art die Griechen einen Schatz von Bildern aus der Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und auf den Maͤrkten gleichſam dem Volke gemein machten, die ſchoͤne Bilderdenkart einer Nation entſtehen koͤnnen, die ſich in allen Werken der Grie - chen und auch auf Muͤnzen aͤuſſert

Jn ſolcher Bilderſprache ſprach ihre Religion. Jhre Gottheiten waren dem Auge ſichtbar, in ſchoͤnen Geſtalten ſichtbar, in ihren Verrichtungen menſchlich, in der Geſchichte ihrer Tugenden und Schwachheiten dichteriſch, in allem ſinnlich. Es iſt bekannt, welche vortrefliche Muͤnzenfolge mit den Bildern der Goͤtter und Goͤttinnen, der Schutz - gottheiten einzelner Laͤnder, Provinzen, Staͤdte, Familien und Perſonen prangen wer kann ihnen dieſe nun nachbilden, ſo daß jede Gottheit, das, wie ſie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltig - keit unter dem Bilde eines dreikoͤpfichten Janus lachena)S. 53., iſt leicht, ſehr leicht; aber ein beſſres Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe griechiſcher Bildſamkeit hielte, waͤre ſchwerer, ja unmoͤglich: dieſes Bild alſo gar zur Vergleichung unſrer mit den Alten nehmen, iſt unzeitig. Die Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir;ſonſt55Drittes Waͤldchen. ſonſt wuͤrden ſie dieſelbe ſo wenig, als wir, haben bilden koͤnnen. Unſer Gott iſt ganz uͤber das Sinnliche der Kunſt erhaben: die gewoͤhnlichen Vorſtellungen der Dreieinigkeit in den Geſtalten einzelner Perſonen von dem goͤttlichen Greiſe an bis an die himmliſche Taube ſind nicht gnugthuend: der Triangel blos eine tropiſche Symbole: die Glorie mit dem heiligen Namen nichts als eine Epiſto - liſche Hieroglyphe: die Wirkſamkeit unſrer Gott - heit iſt nicht bildſam: einzelne Schutzgoͤtter hat unſre Religion nicht: die Vorſteherſchaft beſondrer Weſen uͤber beſondre Dinge kenner ſie nicht wer wird ſich hier mit den Heiden vergleichen wollen?

Wo unſre Religion noch ſinnlichen Vorſtellun - gen Raum gibt, wo ſie ſich einer poetiſchen Bilderſprache bequemt: da iſt ſie orientaliſch. Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle Art von Bildniſſen abwenden wollte, in Gegen - den, die das Uebermenſchliche ſuchten, in Natio - nen, die Verhuͤllungen des Koͤrpers, und Geheim - niſſe des Geiſtes lieber verehren, als das offne Schoͤne lieben wollten im Geiſt und in der Sprache dieſes Volks die ſinnliche Bilderſprache unſrer Religion alſo geoffenbaret; wer wird in ihr Offenbarungen fuͤr die Kunſt ſuchen wollen. Ueber das Bild von der ſeligen Abfarth Guſtav AdolphsD 4iſt56Kritiſche Waͤlder. iſt wieder leicht ſpottena)S. 26., und der Spott faſt ſo veraͤchtlich, als das Bild ſelbſt; gar aber dieſes Bild als einen Revers mit der roͤmiſchen Vergoͤt - terung anfuͤhren, vergleichen wollen? Der Spoͤtter gebe uns nach chriſtlichen Begriffen eine Reihe ſol - cher Verhimmelungen, als ſich auf griechiſchen und roͤmiſchen Muͤnzen Vergoͤtterungen finden, und wir wollen ihm danken.

Jch ward auf eine unangenehme Weiſe hinter - gangen, da ich des Mery Malertheologie in die Hand nahm, um meinen alten Wunſch ausge - fuͤhrt zu leſen: wie weit ſich von den vornehmſten Gegenſtaͤnden unſrer Religion maleriſche Vorſtel - lungen geben laſſen? Und eben ſo unangenehm getaͤuſchet, da ich bei der Recenſion dieſes Buchs in den actis literariisb)Vol. III. ein genaues Urtheil, und die tief eindringenden Ergaͤnzungen erwartete, die ein wuͤrdiger Kunſtrichter jedesmal ſeinem Autor uͤber ſolch eine Sache wiederfahren laͤſſet. Unſer Kuͤnſtler hat noch eine Jkonologie unſrer Religion zu wuͤnſchen, die ihn nicht blos vor unwuͤrdigen Vorſtellungen bewahre, ſondern ihn mit wuͤrdigen Bildern verſehe. Auch auf Muͤnzen ließe ſich in keiner Sorte von Abbildungen eine ſolche Reihe abentheuerlicher, laͤcherlicher, und unwuͤrdiger Vorſtellungen geben, als in dem, was an Reli - gion trift: wer wird aber durch ſolch ein LachenGe -57Drittes Waͤldchen. Geſchmack zeigen wollen? den erſten beſten Griff in eine Muͤnzenſammlung Chriſtlicher, und inſon - derheit der mittlern barbariſchen Moͤnchszeiten, und man wird von Gott und Belial, von Himmel und Hoͤlle, von Engeln und Teufeln, von Maͤrtrern und Heiligen Bilder finden, nicht geſchwind gnug zu uͤberſchlagen. Selbſt die beſte Vorſtellung des Chriſtenthums, die betende Mine, die kniende Figur der Andacht ſcheint nicht fuͤr einen ewigen, offnen Anblick der Kunſt die beſte, ſo haͤufig uns der Gothiſchpapiſtiſche Moͤnchsgeſchmack damit be - ſchenket hat. Das wahre Gebeth flieht in eine ſtille Kammer: es will ſich nicht zur Schau ſtellen laſſen: die vor allem anſchauenden Volke verzuͤckte Mine kommt bey dem langen Anblicke, der aͤrgernden Mine des Heuchlers zu nahe, und das iſt noch eine der wuͤrdigſten Kunſtvorſtellungen aus unſrer Religion!

2. Sinnbilder von Staͤdten, Provinzen, Laͤndern geben auf den alten Muͤnzen eine ein - fachere Bilderſprache, als in Zeiten, da die Heraldik eine zuſammengeſetzte, kuͤnſtliche Wiſſen - ſchaft geworden, die allein beynahe die Lebenszeit eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie, eines Landes; unſre Wappen ſind eine Zuſammen - ſetzung vieler Figuren, um deren Eine oft StroͤmeD 5von58Kritiſche Waͤlder. von Menſchenblut vergoſſen, deren keine alſo, wo es die Ehre und das Erbrecht des Muͤnzherrn erfordert, ausgelaſſen werden darf, an deren Einer in kuͤnftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gele - gen ſeyn kann. Nun iſts leicht, in ſolchem Fall uͤber die mit Bildern beladnen Muͤnzen der Neuern Geſchmackvoll zu ſpottena)S. 33. u. f.: aber wie zu aͤndern? Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der Heraldikus kuͤnftiger Zeiten wird, da die Sache einmal ſo iſt, uns fuͤr die Geſchmackloſe Ueberla - dung der Muͤnzfiguren vielleicht ſo danken, als ein Grieche vergangener Zeiten ſie wegwerfen wuͤrde. Wie alſo, da es hoͤherer Urſachen wegen nicht anders ſeyn kann?

Die Wappen, wie bekannt, ſind eine Erfin - dung und Anordnung der mittlern Gothiſch - bar - bariſchen Turnierzeiten; ihre Schilde und Creuze, und Sparren und Bandſtreifen, und Thierfiguren und Fahnen haben ihren Urſprung dem Zeitge - ſchmacke zu danken, der ſich, als eine Vermiſchung des Nordiſchgothiſchen, des Spaniſch - Arabiſch Ritterlichen, des Barbariſch - Chriſtlichen Moͤnchs - geſchmacks uͤber Europa daherzog, Ritter - und Rieſenkaͤmpfe, Turnier - und Kreuzzuͤge gebar, und er waͤre, was er wolle, nur wenig Jdeen von der Tapferkeit eines griechiſchen oder roͤmiſchen Helden in ſich haͤlt welcher Thor wird alſodieſe59Drittes Waͤldchen. dieſe unter jenen ſuchen? ſo verſchiedne Geſchoͤpfe ein alter griechiſcher und ein gothiſcher Held der mit - lern Zeiten: ein roͤmiſcher Patriot, der fuͤr ſein Vaterland, und ein andaͤchtiger Kreuzkrieger, der auch, aber fuͤr ein anders Rom, roͤmiſch geſin - net, fuͤr Papſt und Kirche fochte ſo verſchieden dieſe: ſo verſchieden auch die Bilder ihrer Tapfer - keit. Jn den Schilden und Helmen, in den He - roldsfiguren und Ehrenſtuͤcken, in den Lilien, die keine Lilien ſind, in Drutenfuͤßen und Alpenkreuzen, in Kronen und Muͤtzen, Helmdecken und Wappen - zelten wird da wohl eine Dea Roma oder das einfache Sinnbild einer griechiſchen Stadt woh - nen? Einmal ſind ſchon die Wappen hoͤchſt - verwilligte oder bruͤderlichbeliebte Charakterzeichen der Perſonen, Familien und Laͤnder, daher die Anord - nung und der Plan der Wappen; das Herkommen hat ſie geſchlagen: jedes Faͤhnlein hat ſeine Rechte und Deutung, woran nach unſrer Verfaſſung mehr liegt, als an einem Gericht Geſchmack: ſie ſind Urkunden und Diplome wer will ſie aͤndern? wer, wo ſie erſcheinen muͤſſen, als uͤberladen ſchelten? wer den Kaiſern, Koͤnigen, Fuͤrſten, Grafen und Herren, Erzbiſchoͤfen, Biſchoͤfen und Aebten, Laͤndern und Staͤdten, Aemtern und Familien in Europa neue Gnadenwappen nach altem griechiſchen Geſchmacke geben, daß ſie doch nicht ſo Gothiſch - Papiſtiſch - Barbariſch uͤberladenaus -60Kritiſche Waͤlder. ausſehen wer iſt der Muͤnzenlehrer vom Ge - ſchmack?

Zu dem waren in den alten Zeiten der Grie - chen weniger Staͤdte, und Laͤnder, die als Un - terſcheidungszeichen auf Muͤnzen kamen, als jetzt. Jch weiß die anſehnliche Zahl griechiſcher Muͤn - zen von Staͤdten und Colonien, und auf roͤmiſchen die oͤftern Bilder von eroberten Laͤndern und Pro - vinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die dreißig tauſend Wappen unſrer Zeit, die Gatte - rer als die mindeſte Zahl der zuverlaͤßigen angibt. Die Muͤnzen griechiſcher Staͤdte waren Patrony - miſch; jede hatte den Genius, oder den hoͤhern Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und damit wohl! Die roͤmiſchen Muͤnzen ſtellen die eroberten Provinzen nicht anders, als erobert vor: ſie waͤhlten ſich alſo ein Merkmal des Landes, wodurch ſich daſſelbe fuͤr ſie, nach dem Geſichts - punkte ihrer Unwiſſenheit oder politiſchen Abſichten unterſchied, perſonificirten es zur Symbole: damit wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die Beſchaffenheit, an die Beſtandheit, an die politi - ſchen Rechte und Abſichten der Wappen, der Unterſcheidungszeichen unſrer Laͤnder, Staͤdte und Provinzen? Man erlaſſe mir uͤber Sachen von ſolchem Augenſcheine alle leidige Gelehrſamkeit, die ich in ſolchem Falle immer lieber bey Hrn. Klotz leſen mag. Die mittelmaͤßigſte Kenntniß der al -ten61Drittes Waͤldchen. ten und neuen Geſchichte, ſo fern ſie alte und neue Muͤnzen erlaͤutert, macht den himmelweiten Unterſchied begreiflich, wie die Alten ihre Staͤdte und Laͤnder ſymboliſiren und perſonificiren und al - legoriſiren konnten, nach dem damaligen Zuſtande der Laͤnderkenntniß, oder der politiſchen Abſicht: und wie wir ſie nach der Verfaſſung unſrer Welt andeuten muͤſſen hier vergleichen, heißt in den Wind vergleichen! a)S. 35. 36.

3. Jn Anſehung der abzubildenden Sachen, und Begebenheiten uͤberhaupt hat die numiſmatiſche Welt der Alten vor der unſern große Vorzuͤge

Selten waren die dort vorzuſtellenden Sachen und Begebenheiten ſo verwickelt, ſo ſehr mit Um - ſtaͤnden begleitet, mit Beſtimmungen umlagert, als in jetzigen Zeitlaͤuften. Ein Sieg zu Lande oder Waſſer hatte einmal ſeine Victorie mit dem Kranze in der Hand, ſeine Minerva, ſeinen Ju - piter mit dem Adler, und andre Symbole, die in ihrer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ſo gern auf alten Muͤn - zen wiederkommen, und ſo oft ſie wiederkommen, noch immer dem Auge gefallen. Die oͤffentlichen Anreden, und Geſchenke, die Vergoͤtterungen, Adoptionen, Vermaͤhlungen, Spiele, uͤberhaupt die oͤffentlichen Gelegenheiten zu Muͤnzen waren unverworrener, als jetzt, da man oft mit allenBil -62Kritiſche Waͤlder. Bildern rings um die zuſammengeſetzte Jdee her - um gehet, ohne ſie zu treffen, ſie entweder halb und ſchielend ausdruͤckt, oder die Muͤnze mit Sym - bolen uͤberladen muß. Die Anlaͤſſe zu Muͤnzen, haben ſich ins Große, und im Detail der anzu - deutenden Umſtaͤnde ſo ſehr ins Kleine vermeh - ret, daß mir grauet, uͤber alle politiſche, kirch - liche, gelehrte, Kunſt - und wiſſenſchaftliche Situationen und Merkwuͤrdigkeiten unſerer Zeit Muͤnzen nach alter Art anzugeben, wo man ſie fo - dert, und fodern kann. Gatterer hat ange - merkt, daß die franzoͤſiſchen Muͤnzen auf die Ge - burt eines Kronprinzen ſaͤmtlich nicht die concrete Jdee ausdruͤcken, die ſie ausdruͤcken ſollen, ſie ſagen entweder zu viel, oder zu wenig und wie, wenn ſich ein philoſophiſcher Theoriſt der Me - daillenwiſſenſchaft nun uͤberhaupt darauf einlaſſen muͤßte, die Vorſtellung aller vornehmſten Merkwuͤr - digkeiten unſrer politiſch ſo verfeinerten Zeiten, nach dem Geſchmacke der Alten zu verbeſſern welch Labyrinth! Jch ſage kein Wort davon; denn wie viel waͤre ſonſt zu ſagen?

Wenigſtens alſo nicht ſo ganz unſinnig, daß die neuern Muͤnzen in ein topographiſches, oder hiſtoriſches, oder Ceremoniendetaila)S. 32. 33. 34. abgewichen ſind, das die Alten nicht haben: Die heutigen Zeit - und Staatslaͤufte ſind damit uͤberhaͤuft, wiekonn -63Drittes Waͤldchen. konnten die Bilder derſelben frey bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeſte, Stiftungen und Friedensſchluͤſſe, Aemter und Staͤnde ſind mit einem Getuͤmmel individualiſiren - der Umſtaͤnde begleitet, die dieſe Begebenheit von allen aͤhnlichen Begebenheiten unterſcheiden ſollen. Nun iſt freilich hier die Regel leicht zu geben: Abſtrahire von allen dieſen concreten Umſtaͤnden einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art der Alten und du haſt eine Muͤnze von Geſchmack: allgemein hingeſagt, iſt dies Recipe, miſce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abſtrakten Begriffe im Bil - de, nicht die concrete Begebenheit verſchwinde? Wahrhaftig ſchwerer! und ein vollſtaͤndiges Re - pertorium beſſerer Vorſtellungen geben im Ge - ſchmacke der Alten, und doch, daß unſre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich. Ueberweg alſo vergleichen, trift nicht. Das Mit - telſtuͤck der Vergleichung ſchwankt; die ſinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten iſt nicht mehr unſre Welt.

Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo - graphiſchen Beſchreibungen unſerer Schlachten, und Siege, die Riſſe unſrer Staͤdte und Veſtun - gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung,oder64Kritiſche Waͤlder. oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth - ſchaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu - denleben bey manchen Jubelfeſten, alles Kinder - zeug bey Geburten, und Himmelsanſtalten bei dem Hintritt eines Wohl - oder Hochſeligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar laͤcherliche Muͤnzhiſtorien lange anſehen? Daß aber uͤberhaupt unſere Muͤnzvorſtellungen mehr ins Hiſtoriſche, ins genau beſtimmende einſchlagen, als die Alten, das, ſage ich, iſt oft unvermeidlich, oft noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich. Muͤnzen ſind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an die Nachwelt was ſind ſie, wenn ſie nicht deutlich, nicht beſtimmt reden? und wenn ſie uͤber unſre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer nach der Weiſe der Alten reden koͤnnen? Jmmer laſſet ſie ſich alsdenn ihre eigne Weiſe nehmen. Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn ſind nicht viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich, weil ſie zu wenig hiſtoriſch, zu wenig individuell, zu abſtrakt, zu allegoriſch ſind?

Nun ſtelle man ſich nach Jahrhunderten eine Nachkommenſchaft auf unſern Graͤbern vor; eine gegen uns ſo fremde Nation, als wir gegen Grie - chen und Roͤmer eine, die mit eben der Begierde in der Geſchichte von uns forſchen wollte, mit der wir unter den Alten forſchen Oder wenn wir ein ſolches Gericht einer Nation nicht erwartendoͤrfen:65Drittes Waͤldchen. doͤrfen: ſo laſſet nur im Verfolg der Zeiten nach - kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge - nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen ſeyn doͤrfen: wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige hiſtoriſche Vor - ſtellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie verſteckte? als eine allegoriſch halb ge - ſagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute - te? Jn dieſem Falle iſt der Unterſchied ſo; wie in den mancherley Erzehlungsarten der Geſchichte. Die aͤlteſte Geſchichte war Gedicht, war epiſcher Geſang ſchoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder gekleidet freylich, ſo gar mit taͤuſchenden Fiktionen untermiſcht; aber Geſchichte? Trockne Zeugniſſe der Wahrheit? Wie verlaſſen iſt der Geſchicht - ſchreiber in dieſen Gegenden ſchoͤner poetiſcher Halb - wahrheit, oder ſchoͤner halbwahrer Dichtung! Und was dieſe Miſchung einen langen mytholo - giſchen Geſang hinunter; das iſt ſie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle - gorie verſteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem Denkmale fuͤr die Nachwelt.

Eben dazu iſts ſchon, daß die Neuern ihren Medaillenvorſtellungen eine groͤſſere Flaͤche, als je die Alten, eingeraͤumt haben. Moͤchten ſie nur auch die hiſtoriſche Begebenheit ſo kurz, ſo an - ſchaulich, ſo entladen von entbehrlichen Nebenum - ſtaͤnden, von Zierrathen aus einer fremden Zeit, und von verwirrender Dichtung vorſtellen: moͤchtenEſie66Kritiſche Waͤlder. ſie nur ſtatt immer neue Vorſtellungen zu erkuͤn - ſteln, bey wiederkommender Veranlaſſung auch gute, obgleich ſchon gebrauchte, Abbildungen wie - derholen, und das Jndividuelle des gegenwaͤrti - gen Falls nur ſo leicht beſtimmen, als moͤglich: freylich, ſo koͤnnten wir, weil ſich auch unſre Welt von Merkwuͤrdigkeiten doch ſo oft wiederho - let, auch einmal zu einer fuͤr uns eignen Jkono - logie kommen, ſo beſtimmt, als die Antike in ih - rer Art; nur freylich ein gut Theil hiſtoriſcher, politiſcher, detaillirter.

4. Die vorzuſtellenden Perſonen nehmen in et - was an dieſer Schwuͤrigkeit Theil. Wenn es in den mittlern Zeiten Reichsgaͤngig war, den Kaiſer ſitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem Thore zwiſchen zween Thuͤrmen abzubilden, als waͤren die Fuͤße dem Bauche entwachſen; wer doͤrfte da bei ſolcher kaiſerlichen majeſtaͤtiſchen Stellung nicht an die Mine Veſpaſians beim Sueton geben - ken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter, Schwert, und Reichsapfel einen Fuͤrſten mit Helm und Panzer, in ſeiner Hermelindecke und Hermelinmuͤtze, mit Fahn und Wappen reitend der Biſchof mit Hut und Stab und Kreuz und Oberrock drei Heilige auf einer Zuͤrchermuͤnze, mit einem Nimbus oben ſtatt des Haupts, das jeder Rumpf zum Zeichen ihres Maͤrtrerthums inder67Drittes Waͤldchen. der Hand haͤlt. Dieſe erzwungene Tracht und Stellung, die faſt jedes Land des guten Herkom - mens wegen ſeinen Fuͤrſten und Herren gibt, durch - laufen; und denn an das freie Kopfbild eines Alexanders, zuruͤck gedacht welch ein Unter - ſchied! wo wohnt das freie Schoͤne?

Mich wundert, wie Hr. Kl. uͤber die gehar - niſchten Bruſtbilder auf unſern Muͤnzen ſo fremde als ein Kind thuta)S. 79. 80, u. f.: Wider das Coſtume ſind ſie doch: den alten Roͤmern ſind ſie nicht nach - geahmt, den byzantiniſchen Kaiſern auch nicht ſo recht: ſie muͤſſen endlich wohl aus Ruͤſtungen verſchiedner Zeiten zuſammen geſetzt ſeyn. So wenig ich in dergleichen Reichs urkundlichen Sachen beleſen ſeyn mag, ſo weiß ich doch außer der Zeit unſres Coſtume, (in die kein Schuͤler der Numiſmatik ihre Erfindung ſetzen wird,) außer der roͤmiſchen und byzantiniſchen Ruͤſtung, noch eine mittlere Zeit deutſchen Ritterthums, da die Her - zoge und Grafen von den Kaiſern in denen ihnen anvertraueten Laͤndern zu Heerfuͤhrern der Ritter - ſchaft verordnet geweſen, da dieſe durch ſolche Turnier - und Heldenruͤſtung ſich unterſchieden, da alſo die Herzoge ihr Heerfuͤhrerthum durch Har - niſche und Ritteraufzuͤge auch auf Muͤnzen ſignali - ſirten, ſie als herzogliche Jnſignien und Gerecht -E 2ſame68Kritiſche Waͤlder. ſame behielten u. ſ. w. dies weiß ich, und wer ſollte das nicht wiſſen?

Und weiß man das; wem wird die weitlaͤuf - tige praͤchtige Anmahnung: die Fuͤrſten ſollten doch bedenken, daß ſie ihre Muͤnzen fuͤr die Nachwelt ſchlagen laſſen, daß dieſe ja der ſpaͤte - ſten Nachkommenſchaft ihren Geſchmack verkuͤn - digen ſollen: die geharniſchten Bruſtbilder waͤren doch wider das Uebliche unſrer Zeiten: an Muͤn - zen und Statuen des Alterthums faͤnde er doch ſolche Ruͤſtung nicht: an byzantiniſchen Kaiſern auch nicht ſo ganz: ſie bleibe doch fuͤr unſre Zei - ten fremde: ſie ſtelle doch eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr ſehen: die Roͤmer haͤtten ſich doch nie in aͤgyptiſcher Kleidung, oder mit parthiſchen Tiaren abbilden laſſen: man braͤchte damit der Nachkommenſchaft nichts, als ganz falſche Begriffe von den Trachten unſrer Zeit bei und was der Verf. daruͤber auf ſieben Seiten Gelehrtes, Wohlſchmeckendes und Zurechtweiſendes von Heliogabalus und Chil - derich, von Alexander und Ariſtobulus ſagen moͤge, das artige Gebeth des Hrn. Watelets, und den artigen Spaas vom Loͤwen und Affen d. i. vom Fuͤrſten und ſeinem Kuͤnſtler, von der friedfertigen und mit frommem Abſcheu gegen alles Morden und Blutvergießen verwahrten Buͤrgerkompagnie, von der lockichten Perucke und ihrer Herrlichkeiten brei -tem69Drittes Waͤldchen. tem Halskragen dieſen artigen Spaas mit eingeſchloſſen, wer wird die ganze Ermahnungs - rede nicht ſo fade, als moͤglich, finden? Wenn die liebe Nachkommenſchaft nur etwas weiß, ſo weiß ſie, daß dies nicht eine Tracht unſeres Ueblichen im gemeinen Leben, ſondern ein fuͤrſtliches Her - kommen, das Jnſigne eines gewiſſen Ranges, geweſen: ſo weiß ſie, daß, wenn den geheimden Raͤthen unſrer Zeit dieſe Kleidungstracht, wie billig, unbraͤuchlich iſt: ſie bei fuͤrſtlichen Jnſtal - lationen in Deutſchland urkundlich ſey: ſo weiß ſie, daß, wenn der Papſt nicht taͤglich ſeine dreifache Krone trage, er ſich dieſelbe doch anmaaße, und daß, wenn Jhre Herrlichkeiten den breiten Hals - kragen nicht uͤber den Harniſch zu binden befugt ſind, ſie es auch nicht thun werden, wie der Hr. Verf. meinet: ſo weiß ſie und das weiß ja jeder Schuͤler der Reichsgeſchichte.

Nun mag es etwa der Affe eines Loͤwen, das iſt nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Kuͤnſtler und Hiſtoriograph eines Fuͤrſten ausmachen, wie weit Seine Durchlauchten dies Erz abſchuͤtteln koͤnne, oder nicht? Aber dazu gehoͤrt wahrhaftig kein geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fuͤrſt unſrer Zeiten dieſe Ruͤſtung erſonnen, um der ſpaͤteſten Nachkommenſchaft ſeinen Geſchmack zu verkuͤndigen, um den Enkeln die vortheilhafte - ſte Schilderung von ſich zu uͤberlaſſen. DazuE 3gehoͤrt70Kritiſche Waͤlder. gehoͤrt auch kein erſter Philologe der Nachwelt, um etwa das Coſtume unſrer Zeit daher zu muth - maßen, ſo wenig die Ammonshoͤrner Alexanders und Lyſimachus uns auf den Verdacht bringen, als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt geweſen. Wenn ſich indeſſen ein Fuͤrſt einem ſolchen Jn - ſigne auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei ſeiner Huldigung und Kroͤ - nung wegen bequemt immer ſei er zu bekla - gen; denn hinter welchen Faͤſſern und Gewaͤndern muß ich nicht einen ſolchen Koͤnig Saul ſuchen? aber auch der Unterſchied werde erwogen zwiſchen einer Zeit, die ihre Fuͤrſten frei hinſtellt, und ei - ner Zeit, die ſie nach Recht und Herkommen zu einem ſpaniſchen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt wer wird das ver - kennen?

5. Jch komme auf die Jnſchriften, zu denen ich hier ſo wohl Titel, als Legenden rechne. Ti - tel! mit welchem Ballaſt ſind unſre Fuͤrſten nicht uͤberladen? mit dieſem des Erbrechts, der Fa - milie, eines hiſtoriſchen Umſtandes, einer Pro - teſtation wegen, mit jenem der wirklichen Be - ſitze halben wo iſt hier die edle Armuth der Griechen und Roͤmer? Der Roͤmer war Herr und Kaiſer der Welt, nichts mehr duͤnkte er ſich aber auch nichts weniger: Ein Titel alſoſeiner71Drittes Waͤldchen. ſeiner roͤmiſchen Groͤße und Hoheit; jeder uͤbrige Zuſatz nach Provinzen und Laͤndern waͤre fuͤr ihn (ich nehme den Fall der Eroberung aus) verklei - nernd. Ein Imperator, Caͤſar, Dictator, Pater Patriaͤ, war gnug, um gleichſam den Einen zu bezeichnen, der nicht ſeines gleichen hat

Vnde nil maius generatur ipſo
Nec viget quidquam ſimile aut ſecundum.

Das Titulaturrecht unſrer heutigen Fuͤrſten muß von dieſer roͤmiſchen Groͤße mehr in die Cur - rentmuͤnze der Titel gehen. Hier dieſe Acquiſi - tion, dort jene Gerechtſame, dort jene Anwart - ſchaft von Gottes Gnaden: ſie muß nicht vergeſ - ſen werden, und ſo kommt eine Titelreihe her - aus, die oft auch die Muͤnze beſaͤet. So mache man, wird man ſagen, dieſe zu keiner Herolds - tafel, und laſſe ſie weg! Gut, aber die laſſe man doch nicht weg, die in dieſer Situation mit zur Beſtimmung, zur hiſtoriſchen Erklaͤrung gehoͤren? Und eben dies, wie ſehr laͤufts oft ins Detail? Um nur der Nachwelt deutlich zu ſeyn, um dieſen von ſo manchen andern Fuͤrſten zu unterſcheiden welche Unterſchiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte! Um eben dieſe und keine an - dre Denkwuͤrdigkeit der Nachwelt aus unſrer Staatsverfaſſung zu erklaͤren welche Unter - ſchiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn. E 4Ge -72Kritiſche Waͤlder. Geheimdenrathsa)S. 88. 89. uͤber die Schwachheiten der Fuͤrſten, uͤber eine Eitelkeit, von der ſie keinen Nu - tzen ziehen, reicht hier kaum zu: in dieſem und jenem einzelnen Falle wuͤrde ihn mancher andre Ge - heimderath eines beſſern belehren.

Griechen und Roͤmer inſcribirten in ihrer Sprache, und man kennet dieſelben nach ihrer Staͤrke und Hoheit, nach ihrer Kuͤrze und Nach - druck; verlaͤumden will ich die unſrige nicht: ſie hat in manchem ſo gar Vorzuͤge; aber zur ſchoͤnen Aufſchrift einer ſchoͤnen Muͤnzallegorie iſt ſie nicht gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der Buchſtaben, in den hart und vielfach zuſammen - geſetzten Beſtandtheilen der Woͤrter, in dem Bau der Rede, der ſich weniger mit einem ausgeriß - nen Caſu, oder einer ellypſirten Conſtruktion ver - traͤgt, in dem Geiſte der Sprache, der ſich hier - inn eben ſo weit von der offnen χαρις der Grie - chen, von der elegantia inſcriptionum der Roͤ - mer, als von der franzoͤſiſchen Pointe, entfernen doͤrfte. Unſre Sprache hat ihre gothiſchen Buch - ſtaben, die gut erſcheinen moͤgen, nur nicht auf Metall: ſie hat ihre vielen Konſonanten, die in einem ſtarken Gedichte ſo praͤchtig klingen, als ſie auf einer Muͤnze ſchwer zu buchſtabiren, noch ſchwerer abzukuͤrzen ſind: ſie liebt den vollen Bau der Rede mit Artikeln, Verſchraͤnkungen und Con -ſtruktio -73Drittes Waͤldchen. ſtruktionen, ohne Ellypſen, ohne einzelne Rede - theile: ſie liebt auch im Sinne mehr das voll - und ausfuͤhrlich geſagte, als das ſchoͤn Andeu - tende der Griechen und Roͤmer: ſie iſt alſo nicht, wie dieſe, zur Muͤnzenaufſchrift. Was ſoll hier ein Geſchmackvoller Tadel uͤber den Mangel an Geſchmack in einer Sache, wo es an etwas mehr fehlt, als dieſem?

So nehme man die roͤmiſche Sprache ſtatt der unſrigen! Gut geſagt! aber iſt denn auch die Muͤn - ze ſo national, als die roͤmiſche war? ſo einem jeden verſtaͤndlich? ſo fuͤrs Publikum, als je - ne? Zudem: man brauche die roͤmiſche: aber, ans Landuͤbliche, ans Coſtume nicht zu denken, wird man ſie auch als ein Roͤmer brau - chen? Jſt die roͤmiſche denn auch fuͤr unſre Welt von Muͤnzdenkwuͤrdigkeiten gebildet? wird man nicht oft, in dem man alte Worte auf neue Ge - braͤuche anwendet, Centauren ſchmieden? Vermi - ſchungen der Zeiten und Laͤnder, die einem Nach - kommen befremdlich ſeyn muͤſſen, ſchielende Ue - bertragungen roͤmiſcher Worte und Begriffe unter deutſche oder neuere Begriffe uͤberhaupt, fuͤr einen Kenner beider Zeiten unausſtehlich. Die griechi - ſche und roͤmiſche Sprache war Rational: die Denkwuͤrdigkeiten, welche auf Muͤnzen kamen, National, eines alſo fuͤr das andre gebildet: Koͤr - per und Seele. Jſt aber die roͤmiſche SpracheE 5fuͤr74Kritiſche Waͤlder. fuͤr unſre Welt von Merkwuͤrdigkeiten, oder dieſe fuͤr jene urſpruͤnglich gebildet worden? und doch ſoll eine die andre ausdruͤcken? So ſtoßen ſich zwo Zeiten und Voͤlker, wie jene Zwillinge im Leibe der Mutter!

Will man alſo zur Nationalſprache zuruͤck kehren, und einigermaaßen doch die ſinnreiche Einfalt, die edle Kuͤrze, gleichſam die Poeſie in Gedanken und Worten erſetzen, die ſich bei den Alten findet ach! unſre Sprache bietet uns auch eine Poeſie dar, aber ſinnreiche Leber - reime, oder gar froſtige Wortſpiele. So wie die Nordlaͤnder in der Dichtkunſt die Harmonie der Alten durch Reime nach ihrer Art zu erſetzen geſucht: ſo auch auf Muͤnzen durch Reime aber welche Erſetzung? National freilich, oft ſinn - reich gnug und oft nicht blos fuͤr den Poͤbel, ſon - dern auch fuͤr den Weiſen, ſinnreich; aber eine Erſetzung der Griechiſchen und Roͤmiſchen Einfalt? Jch ſehe von beiden Seiten Schwuͤrigkeiten: Hr. Kl. ſieht keine, er ſtimmt eine Elegie uͤber den poͤbelhaften Geſchmack der Neuern an wie vornehm!

Weiter mag ich mich nicht einlaſſen, in die unendliche Verſchiedenheit der alten und neuen numiſmatiſchen Muͤnzgeſetze, Kuͤnſtler, einzelnen Veranlaſſungen, des aͤußern Werthsund75Drittes Waͤldchen. und Zubehoͤrs; noch zum Schluß eine allgemeine Anmerkung, die Anfang haͤtte ſeyn ſollen.

6. Die Alten hatten uͤberhaupt mehr Bilderſpra - che, mehr allegoriſche Dichtung, als wir. Von Dich - tern war ihre Sprache gebildet, und da bei den Griechen inſonderheit die aͤlteſten Dichter Liebhaber von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren, welch ein Schatz lag gleichſam ſchon in der Sprache theils im Geſchlechte, theils in Form, theils in Bedeutung der Worte! Jhre dichteriſche Sprache war allegoriſchen Aufſchriften gleichſam in die Hand gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache geſchoͤpft, und mit der Sprache, aus der ſie geſchoͤpft waren, begleitet welche gute Lage!

Zudem: Die erſte Schrift und die erſte Sprache iſt eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit kommen in beide kuͤnſtliche Abkuͤrzungen der Bil - der: mit der Zeit verlieren ſich gar viele Bilder ſelbſt, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo ſind wir nun in der Reihe der Voͤlker und Zeiten? ohne Zweifel dieſem Ende naͤher, als jenem. Die meiſten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Grie - chen, Roͤmern, zumal Aegyptern, ſind uns ſchon fremde: die meiſten, die z. E. auch Winkelmann aus den Alten anfuͤhrt, erkennen wir kaum mehr unter ſolcher Geſtalt: ſie ſind nach unſrer Hori -zonthoͤhe76Kritiſche Waͤlder. zonthoͤhe beinahe ſchon uͤber das ſinnliche Bild erhoben, oder wenigſtens ſo oft von jenen Vor - ſtellungen abgewichen, als waͤren ſie nicht mehr dieſelbe. Jn dieſer, meines Wiſſens noch nicht ſo bemerkten Ausſicht ſollte man das Winckelman - niſche Werka)Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man dieſen Verſuch, der doch nichts als Verſuch ſeyn ſollte; aber recenſirt in der vorgeſteckten Ausſicht durchgegangen? ich weiß nicht. Und ſie iſt die einzige, nach der man die Frage entſcheiden kann, wie weit wir den Alten nachallegoriſiren koͤnnen, oder nicht? durchgehen, ſo wuͤrde man ſehen, wie vorzuͤglich bei den Aegyptern, (denn ſie ſind die aͤlteſten,) ſo dann bei Griechen und Roͤmern Tugenden und Laſter, und abſtrakte Jdeen von allerlei Art faſt immer eine andre Geſtalt gehabt, als bei uns, wenigſtens hie und da von einer Neben - ſeite angeſehen worden, die ſie bei uns verlohren. Oft iſt das allegoriſche Bild einer Tugend, einer abſtrakten Jdee nach griechiſcher Art mit dem Na - men derſelben nach dem Sinne unſrer Zeit, eine Geſellſchaft zwoer Perſonen, die ſich ſehr ſeltſam zuſammen finden.

Noch eine augenſcheinliche Folge. Dichter haben den Alten ihre Allegorie und Sprache ange - bildet: National war alſo ihre Bilderſprache und wenn ſie entlehnt war, ſo wurde ſie nationaliſiret. Der Unterſchied wird wichtig: denn bey uns iſteine77Drittes Waͤldchen. eine Bilderſprache ſo patronymiſch nicht. Dort konnte alles auf einem Wege fortgehen: der Dichter hatte durch ſeine poetiſche Bilderſprache das Volk gebildet: der Weiſe, der nach ihm kam, trat, ſo viel er konnte, in ſeine Fußſtapfen: er bediente ſich des Bilderſchatzes, den jener in die Sprache gelegt, nach ſeinen Zwecken: er bil - dete die Allegorien des erſtern zu Weſen ſeiner Art um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An ſeiner Hand gieng der dritte Mann, der Kuͤnſtler, und erhob jene Bilderſprache der Dichter und Wei - ſen zum ſchoͤnſten Anſchauen. Die Goͤtter, die der Dichter dem Volke ſang, und der Weiſe er - klaͤrte, ſchuf der Kuͤnſtler ihm vor: die Jdeen, die es in alten geerbten und fruͤherlernten Geſaͤngen auf der Zunge, und aus dem Munde des Weiſen gleichſam im Ohre hatte, ſtanden ihm in den Werken des Kuͤnſtlers vor Augen durch alles ward alſo ein poetiſches, ein allegoriſches Pu - blikum gebildet, das die Bilderſprache verſtand, fuͤhlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie hatte tiefe Wurzeln, in allem was National heißt, geſchlagen, in Sprachen, Gedichten, Philoſo - phien, Kunſtwerken: ſie gehoͤrte zur Cultur des Volks, ſie ward Denkart des Publikum.

Unſer Publikum iſt aus dieſem Gleiſe der Cul - tur, aus dieſem Vehikulum der Denkart hinaus. Wenige Bilder ausgenommen, und die Jkono -graphie78Kritiſche Waͤlder. graphie der Alten iſt uns nicht Nationell. Nicht aus unſrer Sprache geſchoͤpft, und oft nicht ein - mal mit dieſer ſtimmend; nicht aus unſern ange - bohrnen Jdolen, in denen wir uns als Kinder allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft denſelben widerſprechend nicht alſo dem Auge des gemeinen guten Verſtandes unter uns kennbar, nicht alſo National. Die Jdole etwa und Maͤr - chen, in die unſre Kindheit allgemeine Begriffe kleidet, ſind Gothiſch, oft ungeheuer, faſt nie - mals fuͤr die Kunſt. Sie ſind nicht von griechi - ſchen Dichtern der Schoͤnheit, ſondern durch nor - diſche Maͤrchen eingepflanzet: einige von ihnen beſtaͤtigt unſre Sprache, die ſich nach ihnen beque - met: alle aber ſind gegen die Menge griechi - ſcher Nationalbilder nur ein verſchwindendes Zwei oder Drei. Jn den Schatten der Jahrhun - derte ſind ſie verſchwunden; und fuͤr die Kunſt haben wir auch an ſolchen gothiſchen Geſtalten der Einbildungskraft nichts verlohren. Die rei - nere Wiſſenſchaft, die in unſern nordiſchen Ge - genden durchaus freier von ſolchen Huͤllen der Mittagslaͤnder gedacht wird, die Cultur des Publikum nach unſrer unſinnlichen Religion, und unſinnlichen Philoſophie hat ſie vertrieben: wir haben alſo kein dichteriſches, allegoriſches Publi - kum mehr.

Und79Drittes Waͤldchen.

Und koͤnnen uns die Allegorien der Alten dazu machen? Selten ſind dieſe ja unſerm Volke, (ich ſage nicht, unſerm Poͤbel,) kennbar: oft ihm ja ſo unverſtaͤndlich, als die lateiniſche Ueberſchrift ringsum. So wie es nach unſrer gelehrten Hand - werksbildung in manchen Laͤndern dem Poͤbel zur Synonyme geworden: er iſt ein Lateiner, das iſt ein Gelehrter: ſo wenigſtens in dieſem Falle iſt die Jkonologie der Alten eine Ueberpflanzung fremder Nationalbilder, ſich in ihnen Goͤtter zu denken, die wir nicht haben, Staͤdte und Laͤn - der in Schutzgoͤttinnen und Genien zu denken, die wir nicht kennen, Tugenden und Laſter zu denken, wie wir ſie nicht denken wollen, allge - meine Begriffe zu denken, ohne daß wir ſie in der Symbole ſehen. Sie iſt alſo ein gelehrtes Ruͤſt - ich will nicht ſagen Spielzeug aus frem - den Laͤndern, das unter uns keinen Markt des Anſchauens, kein Publikum hat.

Eben hiemit iſt Herrn Klotzen ein unerklaͤrlicher leidesvoller Unterſchied erklaͤrta)S. 55. 56.; Mit den Sinn - bildern auf alten Muͤnzen konnte der Lehrer des Geſchmacks, der Dichter, der Kuͤnſtler zufrieden ſeyn. Den neuern Vorſtellungen widerſpricht oft Vernunft, Geſchmack und Kunſt. Wer wollte es wagen, die Vorſtellungen auf neuern Muͤn -80Kritiſche Waͤlder. Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver - gleichen? Gleichwohl hat Addiſon mit den al - ten Muͤnzen und Verſen dieſes gethan: Er hat oft eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden bemerkt, und Urſache gefunden, den feinen Ge - ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei - ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem - pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken ſinnlich zu machen. Wie man ſieht, bleibt Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geſchmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk - art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler, dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne ſeines Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi - kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn - gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder, Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Spracheund81Drittes Waͤldchen. und die Erziehung ſolchen anſchaulichen Vorſtel - lungen entſprach was natuͤrlicher, als eine Vergleichung zwiſchen Bildern und Verſen? was aber auch unnatuͤrlicher, als bei uns ſolche Ver - gleichung zu fodern? Die Muͤnzallegorien ſind uns meiſtens uͤberbrachte Jdeen: unſre Dichter, der Muſe ſei Dank! aber uns National ich ſehe keine Parallele. Die Muͤnzvorſtellungen aus den Alten entſprechen hoͤchſtens auch den Dichtern der Alten; und ſo ſehr dieſe auch unſrer lieben Schul - jugend eingepraͤgt werden: ſo haben wir doch nim - mer ein Attiſches, ein Roͤmiſches Publikum, das, wie jenes, nach dieſen Dichtern gebildet waͤre? Die lange Deklamation des Hrn Kl. uͤber die Pa - rallele, vom Geſchmack auf Muͤnzena)S. 70-76., der ſich zu unſrer Zeit, unter der Regierung Friederichs des Großen (vermuthlich zu Halle) angefangen, und von Claſſiſchen Schriftſtellern, die unſern Zeit - punkt allen Voͤlkern und der ſpaͤteſten Nachkommen - ſchaft bewundernswuͤrdig machen werden, die ganze Parallele iſt in Vergleichung der Alten link.

5.

Doch wie anders, als link iſts, wie unſer Verf. am liebſten redet? Ein Buͤchlein uͤber die Ge - ſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen; und diesBuͤch -F82Kritiſche Waͤlder. Buͤchlein wird ſeinem groͤßeſten Theile nach nichts, als eine Vergleichung der Alten und Neuern: und dieſe Vergleichung wieder nichts, als ein Preis des Geſchmacks der Alten, und eine Satyre auf den Muͤnzengeſchmack der Neuern. Beiderlei Arten des Geſchmacks als die Produktion einer ganzen Zeitverfaſſung und Nationaldenkart anzuſehen, den Unterſchied zu entwickeln, der ſich zwiſchen der Numismatiſchen Welt der Alten und der Neuern in Bilderſprache der Religion, in den Symbolen der Laͤnder, in den Allegorien der Begebenheiten, in dem Cerimoniol der Perſonen, in der Sprache der Aufſchriften, in dem Publikum, das Muͤnzen erfand, ſah und beurtheilte, in allen aͤußern Um - ſtaͤnden der Numismatik ereignet, dieſen Himmel - weiten Unterſchied, von dem ich einige Schattenzuͤge entworfen, vergißt er; ſchreibt dem lieben Addiſon nach, macht deſſen Geſpraͤche zur feinen Satyre, zur lahmſten, Lendenlahmſten Strafpredigt uͤber den uͤbeln Muͤnzengeſchmack unſrer Zeit, von Fuͤr - ſten an, bis zu Muͤnzenſtemplern zu

Und das iſt ſein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen. Wie von allen Natio - nen, wie im Traume, durchhin reden? bei keiner ihre hiſtoriſchen Data, als Erfolge, die aus einer Urſache entſpringen, anſehen? bei keiner auch nur darauf kommen, die Natur des Faktum, aus ei - nem ſeiner Umſtaͤnde, und Veraͤnderungen in Ent -wurf83Drittes Waͤldchen. wurf zu bringen? bei keiner auf den Boden der Sache ſehen, aus dem ſie ſich erhob und aufbluͤ - hete? die verſchiedenſten Zeitpunkte uͤberweg ver - gleichen, die kaum einer Vergleichung faͤhig ſind? O des armſeligen Alterthumskenners! keines Na - mens unwuͤrdiger, als deſſen! Sein klingender Beitrag iſt eine Satyre auf unſre Zeiten und Voͤl - ker, ſo fein, ſo gruͤndlich, ſo treffend, als ſeine mo - res eruditorum, als ſein genius ſeculi. Nichts als ridicula kann er ſchreiben; aber ſeine ridicula literaria und monetaria ſind von einem Gepraͤge.

Eine Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen, was iſt ſie, wenn ſie uns bei den Griechen die Ur - ſachen des Geſchmacks nicht entwickelt: jetzt Grie - chen und Roͤmer vergleicht, und auch bei dieſen nichts erklaͤret? Was iſt ſie, wenn ſie nicht genau auf die Veranlaſſungen merket, durch welche der Geſchmack fiel, den falſchen Geſchmack, der ſich ſtatt des Roͤmiſchen einſchlich, nicht zergliedert, die - ſen neuen Gothiſch Chriſtlichen Geſchmack nicht bis auf ſeine Quellen, und bis in die Abgruͤnde der Diplomatik, Heraldik und Staatsgeſchichte, die ſeine Abfluͤſſe ſind, verfolgt, auf keine ſeiner Haupt - veraͤnderungen merket, die Reformation des Ge - ſchmacks, die eigentlichen Verdienſte der Reforma - toren nicht beſtimmet, dem Lauſe ihrer Verbeſſe - rungen nicht nacheilet: die Reſte des alten Herkom - mens, die ſich ihm widerſetzten, nicht pruͤfet: undF 2an84Kritiſche Waͤlder. an eine Anleitung denkt, uns zu unſrer Numiſma - tiſchen Welt ein Muͤnzenkabinett nach dem Ge - ſchmacke der Alten zu ſammlen was iſt ſie, wenn ſie nichts von dieſem iſt? Und iſts nach Ei - nem der angegebnen Geſichtspunkte der Klotziſche Beitrag auch nur im duͤrreſten Grundriſſe, (vom Mechaniſchen der Kunſt rede ich noch nicht,) ſo will ich umſonſt geleſen haben.

Ein paar mal kommt er auf ſo etwas, aber beidemal iſts Ausſchweifung, und es wird grobe Falſchheit. Bei den Griechen, ſagt era)S. 40., hatten die Kuͤnſte uͤberhaupt engere Schranken, als bei uns. Wir erlauben ihnen groͤßtentheils die Nach - ahmung eines jeden Koͤrpers, ohne daß die Kunſt durch die Wuͤrde des Gegenſtandes veredelt wuͤrde. Der Grieche hatte ihnen blos die Nach - ahmung ſchoͤner Koͤrper verſtattet. Wer Leſ - ſings Laokoon geleſen, weiß, wem die Bemerkung zugehoͤre: dafuͤr aber, daß Leſſing Klotzen eine Be - merkung lieh, ſchenkt dieſer ihm großmuͤthig eine Verbeſſerung: Entgegengeſetzte Zeugniſſe der Schriftſteller und Beiſpiele der Kuͤnſtler beſtim - men mich, dieſer Beobachtung engere Graͤnzen zu ſetzen, und ſie blos auf oͤffentliche Denkmaͤler einzuſchraͤnken. Die Verbeſſerung in ih - rem Werthe und Unwerthe, was thut dies auf dieMuͤn -85Drittes Waͤldchen. Muͤnzen? gehoͤren die auch zu den oͤffentlichen Denkmaͤlern, die nichts, als das Schoͤne, bildeten?

Allerdings, ſagt Hr. Kl.a)S. 43. Auf alten Muͤnzen ſinden wir weder haͤßliche, noch ſchreck - liche Vorſtellungen. Zwei derſelben zeigen uns die Furien: aber in welcher Geſtalt? Nicht mit den furchtbaren Geſichtszuͤgen, welche der Grimm auf neuern Werken vorſtellt. Blos Fackeln und Dolche zeigen dieſe Goͤttinnen an. Uebrigens iſt auch die Muͤnze, welche die Einwohner Antio - chiens zu Ehren des juͤngern Philipps haben ſchla - gen laſſen, aus der Zeit, da die Bluͤthe der Kuͤnſte laͤngſt verſchwunden und mit ihr zugleich der Begriff der Schoͤnheit aus den Seelen der Sterblichen entwichen war. Wie un - gleich ſind hierinnen die neuern Stempelſchneider den Alten. Offenbarer geſagt kann nichts ſeyn. Es werden in der Folgeb)S. 46. an dem himmliſchen Geſichte der Meduſe ſo gar die Schlangen in Er - waͤgung gezogen, und aus vier verſchiednen Urſa - chen gerechtfertigt, daß dieſe ein Sinnbild des Wohlthuns und des Heils geweſen, daher ſie viele Goͤtter zur Symbole gefuͤhret, daß Ho - garth in ihnen das Wellenfoͤrmige Schoͤne ſuche, daß ſie mehr zieren, als verſtellen: daß endlich und inſonderheit Griechen und Roͤmer uͤber dieſenF 3 Punkt86Kritiſche Waͤlder. Punkt ein von dem unſern ganz verſchiednes Ge - fuͤhl, einen ganz beſondern Schlangenappetit ge - habt; und der Recenſent des Herrn Klotz, (bei dem diesmal ſeine zaͤrtliche Liebe gegen den Herrn Verfaſſer uͤber ſeine großen Einſichten und ſcharfe Beurtheilungskraft im Kampfe die Oberhand be - halten) findet eben die letzte Bemerkung von den Schlangen gar nach dem Geſchmack der Alten, vorzuͤglich wichtig. Jch kann alſo nach Hrn. Kl. bis auf die Schlangen, bis auf zwo Muͤnzen mit Furien nichts allgemeiners veſtſetzen, als daß auf alten Muͤnzen ſich gar nicht, weder haͤßliche, noch ſchreckliche Figuren finden.

Jch nehme indeß ein Paar Buͤcher zur Hand, die Hr. Kl. zur Hand gehabt haben muß, weil er ſie anfuͤhrt, und ſo zuerſt den lieben Beger: und in ihm mehr als eine Vorſtellung auf alten Muͤn - zen von Schweinen, fuͤrchterlichen Loͤwenhaͤu - ptern ohne die freundliche Mine der Meduſe, die zum Kuͤſſen einladet, das bekannte unfoͤrmliche Sinnbild Siciliens, drei Fuͤße, rings um ein Haupt voll Schlangen, und andre, nicht eben ſo unhaͤßliche, oder unſchreckliche Figuren, die Eule der Minerva ungerechnet. Jch nehme Haym: da Scorpionen, Elephanten, bruͤllende Loͤwen, Och - ſenhaͤupter, Nachteulen, kaͤmpfende Schlangen: ſo Geßner, ſo andre keine Sammlung alter Muͤnzen geht von ſolchen Vorſtellungen ganz leeraus87Drittes Waͤldchen. aus wenn ich nur dem Fleiße des Herrn ge - heimen Raths nachfolgen und Bilderchen aufſuchen wollte.

Ja, wird Hr. Kl. ſagen, das waren Sinn - bilder von Staͤdten, von Laͤndern. Nicht alle, und doch von griechiſchen Staͤdten? von griechi - ſchen Laͤndern? doch Vorſtellungen auf griechi - ſchen Muͤnzen? Sie ſtehen mit keinem mindern Rechte darauf, als Furien nicht darauf ſtehen koͤn - nen, weil ſie keine Schutzgoͤttinnen, keine Sinn - bilder von Staͤdten waren. Wie? weil Ga - nymed oder Antaͤus auf keiner Muͤnze Bild gibt: wer wollte deßwegen deuten? Erſt beweiſe man, daß Furien auf Muͤnzen gehoͤren, wenn, daß ſie nicht da ſind, etwas beweiſen ſoll.

Ueberhaupt beſtimmet Herr Kl. das Allego - riſche der Muͤnzen ſo, daß man ſieht, er habe vom Muͤnzenartigen ſeltne Begriffe. Winkelmanns Erklaͤrungen der Allegorie zu folgen, iſt gut; nur ihnen mit Einſchraͤnkung auf Muͤnzen zu folgen, noch beſſer. Da er ſeinen Verſuch von der Alle - gorie uͤberhaupt fuͤr die bildenden Kuͤnſte, nicht blos fuͤr die Muͤnzen, geſchrieben: ſo ſind ſeine Re - geln ohne Beſtimmung auf dieſe zu lax, zu weit, und nichts unſichrer, als der Klotziſche Satz: die Pflichten des Malers ſind auch die Pflichten des Stempelſchneiders, nur daß jener ein geraͤumiger Feld hat. Um Gottes Willen nicht! die Alle -F 4gorien88Kritiſche Waͤlder. gorien auf Muͤnzen haben ihre eigne Natur; ſie ſind nicht etwa blos wie Malereien, der Kunſt ſelbſt; ſondern allemal der Deutung wegen da: ſie ſind Mnemoniſch. Das Bild als Bild iſt Nichts; der Sinn des Bildes iſt Alles. Jn al - len Schriften wirft Hr. Klotz Muͤnzen, Gemmen, Malereien, Statuen grauſam durcheinander; und kaum kann Etwas verſchiedners an Natur, Zweck und Geſetzen ſeyn! Ein Kunſtwerk iſt der Kunſt we - gen da: aber bei einer Symbole, ſie ſei der Religion, oder der politiſchen Verfaſſung, oder der Geſchichte gewidmet, iſt die Kunſt dienend, eine Helferinn zu einem andern Zwecke, ſo bei der Muͤnze. Laſ - ſet uns alſo die Griechen nicht auf unrechte Art lo - ben: ſie widerſprechen ſolchem Lobe, und es wird Tadel auf ſie: es wird Unwiſſenheit fuͤr uns.

Auf der andern Seite, laſſet uns auch die Neuern nicht ohne Urſache tadeln. Jch will ihre durch die haͤßlichſten Verzerrungen des Geſichts verunſtalteten Ungeheuer, die Hrn. Kl. vornehmes Auge beleidigen, das ſich an die griechiſche Schoͤn - heit gewoͤhnt hat nicht vertheidigen; aber ſo billig ſollte man doch auch ſeyn, zu fragen: iſt dieſes Ungeheuer die Haupt - oder nur eine Neben - vorſtellung? Wenn z. E. ein Herkules, als Dra - chentoͤdter, zum Sinnbilde der Tapferkeit da ſtuͤn - de, und der Drache ſelbſt ein haͤßliches Ungeheuer waͤre: nicht der Drache, der Drachentoͤdter iſt dasBild,89Drittes Waͤldchen. Bild, und jener nur eine unterliegende Vorſtellung. Daß die Alten eben ſo gedacht haben, bezeugen eine Menge Gemmen, und Gemaͤlde, die ja doch ei - gentlichere Kunſtwerke, als Muͤnzen, ſind

Nebenfiguren alſo aber, wenn ſie auch ſelbſt Haupt - figuren waͤren: noch ſind ſie auf Muͤnzen nichts, als Revers; man kehre um, ſo hat man die Deu - tung. Das ekle Auge meines Verfaſſers, das ſich an Griechiſche Schoͤnheit gewoͤhnt hat, wird am meiſten von hollaͤndiſchen Muͤnzen beleidigt. Die Zwietracht, die Tyrannei, die Grauſamkeit ſind als Ungeheuer mit der groͤßten Haͤßlichkeit vorgeſtellt und ſo gleich hat Hr. Kl. den bekann - teſten Tadel ihrer Maler und ein Spruͤchlein aus Hagedorn fertig, das hier ſo hingehoͤrt, als Fauſt aufs Auge. Auch ich ſehe lieber das Schoͤne, als das Haͤßliche, lieber das Liebliche, als Carrikatu - ren; wie aber? wenn die Enthauptung Karls des erſten durch kein lachendes Geſicht, und durch keine Amors angedeutet werden konnte, und das wuͤten - de vielkoͤpfichte Volk alſo als ein vielkoͤpfichtes Schlangenungeheuer erſcheint und neben an das traurige Haupt des Koͤniges auf dem Boden wird da nicht die Vorſtellung von dem Sinne von der Allegorie gleichſam verſchlungen? Und iſt dies Bild denn anders geſchlagen, als um ſo verſchlun - gen zu werden? und wird je eine Muͤnze als abſo - lutes Kunſtwerk gepraͤget? Jſt ſie je unter denF 5Grie -90Kritiſche Waͤlder. Griechen anders, als zum Denkmale gepraͤget wor - den? Man denke ſich einen Autor, der ſo ganz die erſten Grundſaͤtze der Kuͤnſte vergißt, der ſo ſehr ihre Graͤnzen verwirret, und eben auf dieſe Verwirrung den halben Theil ſeines Buchs bauet, wie ſchief, wie elend wird er bauen? Alle dieſuͤßen Anmerkungen uͤber die Griechiſche Lieblichkeit und Schoͤnheit ſind entweder hier Halbſachen, oder Hr. Kl. kennt die Natur der Muͤnzen halb. Er nimmt ſie als Kunſtwerke und nicht als Denkmale; die Kunſt bei ihnen nicht als Huͤlfsmittel des bedeuten - den, den Kuͤnſtler nicht als Handarbeiter ſo ſchreibt er von ihnen, und verkennet ihre Natur.

Und das iſt Alles, was Hr. Klotz unter den Griechen fand, um ihnen ihren Rang im Muͤn - zengeſchmacke zu geben? ja! und unter den Roͤmern an ihrem Theil nichts beſondres? Wenig, als eine ſichre Parallele mit den Griechen, die hier nicht hingehoͤrt, und uͤber die ich zu anderer Zeit reden werde. Und nichts beſtimmtes an Urſachen, die den guten Geſchmack herunter gebracht? Nein! und nichts vom Diplomatiſchen, Heraldiſchen und Rechtlichen Urſprunge unſers Muͤnzengeſchmacks? Auch nein! O des ſonderbaren Beitrages zu einer Geſchichte!

6.

Jch thue dem Verfaſſer vielleicht Unrecht: Ein Beitrag kann ja ſo viel oder ſo wenig beitra - gen91Drittes Waͤldchen. gen, als er will. Ei! ſo muß Hr. Klotz nicht großſprechen: denn wie er jetzt an - kuͤndiget, hat er uͤber einem weit weitern Thema gearbeitet, als ich geſucht habe nicht blos an einer Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen, ſon - dern gar an einer Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei einem Volk aus Muͤnzen. Die - ſen Faden will er uͤber die merkwuͤrdigſten Perio - den der Geſchichte, uͤber Voͤlker und Zeiten verfol - gen, und aus ihnen liefern eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte uͤberhaupt aus Muͤnzen.

Das iſt freilich noch mehr! auf einer Muͤnze mag ſich immer der Geſchmack einer Nation offen - baren doͤrfen: aber daß ſie eigentlich eine Tafel des Geſchmacks einer ganzen Nation vorſtellen ſollte, vorſtellen muͤßte? dem erſten Anblicke ſcheint das ſchon gewagt. Auf einer Muͤnze mag ſich immer Kunſt, und wenn man will auch Kuͤnſte, offenbaren doͤrfen; daß ſie aber eigentlich eine Zeuginn uͤber die Kunſt, ja uͤber die Kuͤnſte ſeyn ſollte, ſeyn muͤßte noch gewagter: und das iſt doch die Ausfuͤhrung der Sache, die ich mir vorgeſetzt habe. Meine Abſicht iſt aus den Muͤn - zen gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammenzuſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen. Jch werde daher u. ſ. w. Mich duͤnkt,der92Kritiſche Waͤlder. der Verfaſſer uͤbernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann.

Die ſchoͤne Griechiſche Muͤnze, und freilich laͤßt ſich viel daraus erſehen. Das Volk, dem ſie gehoͤrt, muß gebildet ſeyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner und Stempelſchneider haben, oder gehabt haben: das ſehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu - then koͤnnte, daß ſie kein Fremder verlohren: ſo waͤren dieſe Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geſchichte ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte, den Jnbegriff ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte unmoͤglich. Ob ſie Dichter oder Weltweiſe, Bild - hauer, Tonkuͤnſtler und Taͤnzer neben ihren Stem - pelſchneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge - ſchmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama geweſen, ſehe ich das aus einer Muͤnze? Und iſt nicht eben dieſe frap - pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge - ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. ſein er - ſtes Verdienſt bei dieſem ganzen Buche? Jndianer, Perſer, Araber! was kann man aus euren Muͤn - zen nicht weiſſagen?

Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechiſcher Muͤnzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit -folge93Drittes Waͤldchen. folge nach und neben einander allerdings kann man jetzt vieles auf die Nation ſchlieſſen, was Ge - ſchichte, Regierung, Beſchaffenheit ihres Landes, ihre Kleider, Waffen, Gebraͤuche, Gebaͤude, Re - ligion und dergleichen anbetrift. Hieraus laͤßt ſich ohngefaͤhr ein Nationalcharakter bilden, der viel in ſich hielte, aber keine Geſchichte des Ge - ſchmacks und Kuͤnſte? ich wollte, daß ein Nu - miſmatiſcher Goguet ſo ein Werk ſchriebe. Wohl - verſtanden, daß er in ſeinen Schluͤſſen keinen Schritt vergebens thue, bei jedem den Grad der Wahr - ſcheinlichkeit in Maas nehme, und den ſeltnen Phi - loſophiſchen Genius haͤtte, einzelne Data niemals zu allgemein zu generaliſiren, noch auch dieſſeit des Ziels ſtehen bleibe, auf welches man zu ſchließen koͤnnte waͤre dies, was ſich bey Hrn. Kl. faſt alles im Gegentheile zeiget: ſo haͤtte man freilich eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei den Griechen aus Muͤnzen , aber auch zugleich ein in Beiſpiele gebrachtes Lehrbuch der hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit, eine Logik hiſtoriſcher Schluͤſſe, nicht ſolch eine Sammlung kahler Allgemeinſaͤtze, als dies iſt.

Vorausgeſetzt wird hier zum Grunde der gan - zen Schlußfolge: daß die Griechen auf der Bahn ihrer Kultur ſelbſt fortgegangen, nicht etwa von der unſichtbaren Macht fremder Voͤlker darauf fortge - trieben, und umhergeſtoßen ſeyn, daß alſo ausih -94Kritiſche Waͤlder. ihrem Laufe die Kraft der Nation mit Grunde be - rechnet werden koͤnne. Was es fuͤr Fehlſchluͤſſe gebe, dieſen Lauf anzunehmen und zu berechnen, wo er nicht iſt, werde ich an anderm Orte an den Griechen zeigen; hier die Roͤmer.

Aus der Roͤmiſchen Muͤnzenfolge eine Ge - ſchichte ihres Geſchmacks und der Kuͤnſte iſt durch - aus truͤglich: denn nicht ſie, eine fremde Nation iſts, die durch ſie wirket. So viel aus ihren Muͤnzen geſchloſſen werden mag; auf ihren Ge - ſchmack und Liebe zu den Kuͤnſten wenig. Was in dem Roͤmiſchen Geſchmacke und Kuͤnſten denn eigentlich Roͤmiſch, was hingegen nur von Grie - chen geformt nach der Roͤmer Weiſe geweſen? wo die Roͤmer ſelbſt gedacht, und gearbeitet, oder nur denken und arbeiten laſſen? verliert ſich in den Schatten, und iſt dies nicht eben das Hauptlicht einer Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte Roms aus Muͤnzen? Wie? wenn die Grie - chen bis auf jedes Einzelne verlohren gingen, wie wuͤrden die Roͤmer nicht Siegprangen? Da ſie aber nicht verlohren ſind, da wir aus andern Quel - len, als aus Muͤnzen, es wiſſen, wie ſehr ſie in den Geſchmacks - und Kunſtlauf der Roͤmer un - ſichtbar eingewirkt: welchen Behaupter wird das nicht zweifelhaft machen, aus Muͤnzen ihre Ge - ſchmacks - und Kunſtgeſchichte zimmern zu wollen?

Die95Drittes Waͤldchen.

Die Zeit der ſo genannten Gothiſchen Muͤn - zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Roͤ - mer weder an Geſchmack, noch an Kunſt, noch an irgend Etwas geweſen: das ſieht der Blinde; ja es laſſen ſich die Urſachen ſo gar einſehen, war - um ſie nicht das Eine, nicht das Andre, haben ſeyn koͤnnen? Es laͤßt ſich ſo gar der falſche Geſchmack, der dieſe Voͤlker angefuͤllt, nach ſeinem Urſprunge und Geſchichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp Lyſer bin: ſo wuͤnſchte ich dieſen Zeiten einen ſolchen Berechner, aber einen, der ſich vor dem Namen der Barbarei nicht ſcheue, noch dies Wort ſo uͤberhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geſchichte, wenn wir aus Griechen und Roͤmern, voll von ihrem Geſchmacke, kom - men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklaͤrer iſt mehr als Tadler; und der muß er ſeyn, weil unſer Erbge - ſchmack alle ſein gutes Herkommen von daraus ableitet.

Wieder alſo ein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt? Jmmer ja! da die - ſem Zeitpunkte aber ſein Geſchmack und ſeine Kunſt nicht ſo ganz eigenthuͤmlich, da die Litteratur die - ſer Voͤlker ſo verdorben, als ſie ſey, urſpruͤng - lich eine fremde Colonie iſt, die ſich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: ſo wird, nach Maaß dieſer Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſtaus96Kritiſche Waͤlder. aus Muͤnzen unſichrer. Es iſt keine Hypotheſe, es iſt eine von den Kennern der mittlern Zeit laͤngſt angenommene Sache, daß die Reformation der Wiſſenſchaften wahrhaftig nicht mit einmal los - gebrochen: ſondern lange im Stillen genaͤhert, ge - wachſen, gereift ſey. Und eben dieſer Fortgang des ſtillen Wachsthums iſt der auf Muͤnzen be - merkbar? Galt hier nicht einmal fuͤr alle Herkom - men, Nationalgeſchmack, der bleierne Druck des Zeitgeiſtes? unter dieſem konnte nicht immer viel reifender guter Geſchmack liegen, der ſich nur nicht aͤußern dorfte, und am wenigſten ja auf Muͤn - zen zuerſt aͤußern konnte? galt wohl auf dieſen et - was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr - hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge - ſchichte des Geſchmacks, wo ich dieſe reifenden, ausbrechenden Saamenkoͤrner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver - laͤßig ſchlieſſen?

Endlich die neuere Muͤnzgeſchichte, und eben ſie iſt die unzuverlaͤßigſte auf einer Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei ganzen Voͤlkern und Zeiten. Jn dieſen iſt die ganze ſchoͤnere Nu - miſinatik ein Zweig Griechiſcher und Roͤmiſcher Zeiten, in die Geſchichte des damaligen Zeitge - ſchmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als ein im Boden des Jahrhunderts ſelbſtgewachſener Stamm. Bilderſchrift, Sprache und Kunſt iſtNach -97Drittes Waͤldchen. Nachahmung der Alten: immerhin alſo eine Zeu - ginn, daß der Urheber dieſer Muͤnze die Alten ge - kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch nichts weiter. Ob der gnaͤdigſte Fuͤrſt, der auf der Muͤnze ſteht, und dem Urheber und Kuͤnſtler ſeinen guten Geſchmack allergnaͤdigſt vergoͤnnet; ob jedermann, der dieſe Muͤnze in ſeiner Taſche getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk und Zeit, eben den Geſchmack gehabt, iſt dem erſten Anblicke nach die abentheuerlichſte Folge. Wie kunterbunt wuͤrde doch in den neuern Zeiten die Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte lau - fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail - leur, ein Antiquitaͤtenprofeſſor, dem eine Muͤnzen - allegorie und Jnſchrift geraͤth, ſo gleich ein Zeuge ſeyn ſollte: wie ſehr ſein durchlauchtiger Herr den Geſchmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet ſein Jahrhundert im Geſchmack und in Kuͤnſten gewe - ſen? faſt nichts kann mehr Mitleiden verdienen, als dieſe Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun - gener gegluͤckter oder verungluͤckter Muͤnzenſchmidt, ein Schulfuchs, der ſeinen lieben Alten eine Alle - gorie und Aufſchrift entwenden kann der ein Ruͤſtzeug fuͤr den Geſchmack und die Kuͤnſte ſeiner Zeit, der ein Apollo und Praxiteles ſeines Jahr - hunderts an die Nachwelt? Schoͤner Apollo! Ohne daß ſein Jahrhundert vielleicht ihn verſteht, beurtheilt, ſchaͤtzet, ſoll er ihren Geſchmack undGKunſt -98Kritiſche Waͤlder. Kunſt predigen Was fuͤr ein leichter Wegweiſer zum Tempel des Geſchmacks, und zur Unſterblich - keit iſt doch der Geſchmackvolle unſterbliche Klotz!

Eben ſo unbegreiflich iſt die Gegenſeite der Schlußfolge auf den boͤſen Geſchmack neuerer Zei - ten und Voͤlker aus Muͤnzen. Ein Land, das einem Staatsſyſteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von boͤſem Ge - ſchmack unterworfen iſt: eine Zeit, deren Religion hoͤhere und geiſtigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, deſſen Spra - che faſt vortreflich, wiſſenſchaftlich und genau ſeyn kann, nur daß ſie, gerade aus geſagt, keine Muͤnzen - ſprache iſt: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten eben ſo verwickelt von der politiſchen Wiſſenſchaft ſind, daß eine einzelne Muͤnzenſymbole ſie nicht vorſtellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm - ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit ſuchet, und Wahr - heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen und der Geſchmack auf demſelben durchaus fuͤr kei - ne Produktion des Publikum gelten kann ein ſolches Volk ſoll ſich ſeine Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt aus Muͤnzen weiſſagen, ſich ein Buch durch mit einem andern, deſſen Numiſma - tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmiſch vergleichen laſſen? wer iſt Buͤrger dieſes Volks, und ſagt nicht: vnde mihi lapides?

Nun99Drittes Waͤldchen.

7.

Nun ſo arg kann es doch Hr. Klotz nicht ge - macht haben, da ihm ja oͤffentlich ſo viele Ehren - ſaͤulen ſchwarz auf weiß geſetzt ſind, ihm, dem Patrioten, der fuͤr den Geſchmack ſeiner Nation, ſeines Vaterlands eifere o ja! Eifern iſt gut, aber wohin kann Eifer nicht fuͤhren? ich habe im vorigen Abſchnitte mich nicht durch ſeine Bey - ſpiele unterbrechen wollen: laſſet uns ſeiner Gedan - kenreihe folgen.

Ueberhaupt koͤnnen wir die bildenden Kuͤnſte als verborgne Verraͤtherinnen der Denkungsart desjenigen anſehen, welcher ſich mit ihnen beſchaͤf - tiget. Die Wahl des Gegenſtandes und die Be - arbeitung deſſelben mahlen uns den Kuͤnſtler auf eine ihm ſelbſt unbemerkte Art. Ein Werk eines Kuͤnſtlers iſt oft eine noch getreuere Schil - derung ſeines ſittlichen Charakters, als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers. Wir le - ſen in jenem noch deutlicher, als in dieſer, die Trieb - federn, die den Geiſt des Kuͤnſtlers in Bewegung geſetzt und die Neigungen, welche gleichſam ſeine Hand geleiteta)S. 10. 11..

So unbeſtimmt und Moderecht, als dieſer All - gemeinſatz hier ſtehet, iſt er wieder blos das Meteor von einer Bemerkung. Welche bildende KuͤnſteG 2ſind100Kritiſche Waͤlder. ſind Verraͤtherinnen der Denkungsart desjenigen, der ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Ohne Zweifel, die ihm Wahl, Eigenheit, und Eigenſinn erlauben: Dieſes ſind nicht alle in einem Grade, ja die voll - kommenſten der bildenden Kuͤnſte erlauben am we - nigſten. Die Bildhauerkunſt, die Baukunſt hat bei ihren Jdealen ſo hohe und ſtrenge Regeln, daß es wohl kaum dem Kuͤnſtler frei ſtehet, mit der Kunſt gleichſam zu buhlen, die eine goͤttliche koͤnigli - che Juno iſt. Die Malerei, die in Allem ungemein viele Eigenheiten, Veraͤnderungen, und willkuͤhrliche Pinſelſtriche erlaubt, mag an ihrem Theile eine verborgne Verraͤtherinn der Denkart ſeyn, als alle Sibyllenbruͤder wollen: die Mode - beiſpiele, die Hr. Kl. anfuͤhrta)S. 12., vom ſanften Raphael und vom ernſthaften Angelo, vom hitzi - gen Hannibal Caraccio und vom ſchreckhaften Ribe - ra, und vom niedrigen Brouwer, vom verſaͤum - ten Kupetzki, und vom fuͤhlbaren Vandyk alle dieſe Taſchenraritaͤten, mit denen er ſich ſo gern umher traͤgt, ſind aus ihr, der Malerei, und in ſo gutem Tone ſie auch moͤgen geſagt ſeyn, was gehen ſie an die Muͤnzkunſt? Unter allen kann dieſe am wenigſten vom Kuͤnſtler verrathen: ſelten iſt der Erfinder der Medaille auch der Zeichner, der Stempelſchneider, der Arbeiter: meiſtens iſt dieſer nur der Handarbeiter von dem Kopfe des erſten und101Drittes Waͤldchen. und wie nun? daß die Muͤnze eine noch getreuere Schilderung ſeines ſittlichen Charakters ſeyn ſoll, als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers welch ein Dunft! Unter allen bildenden Kuͤn - ſten iſt das Muͤnzengepraͤge am wenigſten freies Kunſtwerk. Landesherrſchaftliches Hoheitszei - chen, Denkmal einer Begebenheit, veranlaßte Symbole alſo der Hofherrlichkeit, der Ge - ſchichte, des Bedeutenden wegen, dazu iſts. Das Schoͤne tritt zuruͤck, und wie weit hinten nach die freie Wahl des Kuͤnſtlers? die Willkuͤhr ſeiner Bearbeitung? ſeine Denkungsart? zudem die Triebfedern, die ihn in Bewegung geſetzt? zudem gar ſein ſittlicher Charakter? und gar deutlicher, als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers mah - let? Das alles, liebe Goͤttinn Moneta! auf einer Muͤnze! O der erleuchtete Muͤnzenſchauer!

Es iſt nicht gut, daß es dem Verf. beinahe zur Gewohnheit geworden, die Gedanken andrer ſo anzu - fuͤhren, daß ſie ſich ſelbſt kaum mehr aͤhnlich ſehen, und ſo ſelbſt mit ſeinen Leibautoren. Hiera)S. 14. citirt er, z. E. ſo ſeltſam und weitſchweifig, als der verſpotteteb)S. Klotzens bibl. St. 3. Grillo ſeinen Pindar nicht beirufen kann, um eini - ge Seiten des unbeſtimmteſten Gemiſches zu beſtaͤti - gen: So wahr iſt der Ausſpruch eines Mannes, welcher die tiefen Einſichten und alle EigenſchaftenG 3 eines102Kritiſche Waͤlder. eines großen Genies u. ſ. w. wie? und die - ſer wirklich große Mann ſollte mit ſeinem Ausſpru - che das vorhergehende Getuͤmmel von Halbwahr - heiten beſtaͤtigen? Er es beſtaͤtigen, daß alle bil - dende Kuͤnſte uͤberhaupt als verborgne Verraͤthe - rinnen der Denkungsart desjenigen ſind, der ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Er es beſtaͤtigen, daß Ein Werk eines Kuͤnſtlers eine noch getreuere Schilderung ſeines ſittlichen Charakters (ſeines ſittlichen Charakters!) ſey, als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers? Er die erniedrigende Be - ſichtigung anrathen, in einem Kunſtwerke die Trieb - federn leſen zu wollen, die den Geiſt des Kuͤnſtlers (wie eines Tagloͤhners) in Bewegung geſetzt, und die Neigungen, welche ſeine Hand geleitet? Er mit dem Geiſt erſehen zufrieden ſeyn, in Kunſt - werken nichts ſo eigentlich, als das vornehme oft ſo unverſtandne Wort: ſittlicher Charakter! ſehen zu wollen? So ſchielende Anfuͤhrungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren ſie doppelt. Wir wollen es unterwegens laſ - ſen, aus der Lippe Leopolds des großen auf ſeinen Muͤnzen den ſittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geiſt, die Denkungsart ſeines Stempelſchneiders zu weißagen.

Jch wuͤnſche unſrer Zeit, die ſich beinahe dar - ein verliebt hat, aus Dichtungs - und Kunſtwerkenden103Drittes Waͤldchen. den ſittlichen Charakter des Dichters und Malers zu ſtudiren, einen zweiten Leſſing, der die Graͤnze zwiſchen Dichtkunſt und perſoͤnlicher Sittlichkeit, zwiſchen Kunſtwerk und Charakter ſcheide. Auf den Muͤnzmeiſter aber, der ſeine Denkungsart auf Muͤnzen offenbaret, wird der ſich wohl nicht einmal herablaſſen wollen und doͤrfen: denn dieſer wiſcht durch die Haͤnde. Das war der Kuͤnſtler und

2. Der Fuͤrſt. a)S. 15. Auf eine zwar ver - ſchiedne, aber eben ſo deutliche Art ſcheint der Fuͤrſt, welcher die Bilder zu Muͤnzen entwirft und die Aufſchrift dazu ſetzt, ſeine Denkungsart an den Tag zu legen. Und wie viel Fuͤrſten ſinds denn, die Bilder zu Muͤnzen entwerfen, und die Aufſchrift dazu ſetzen? Und wenn ſie es thun, wie werden ſie ſich auf Denkmaͤlern anders ſchil - dern, als ſie ſich der Welt und der Ewigkeit zeigen wollen? Worauf kann ich alſo mit Zuverlaͤßigkeit ſchließen? Da auſ alten Muͤnzen ſelbſt die ent - ſchloſſenſten Geſchichtforſcher aus der Numismatik nicht Herz gnug gehabt, jede Vorſtellung eines Kaiſers oder Koͤniges fuͤr ein Sinnbild ſeines Cha - rakters anzunehmen: wie? ſo haͤtten wirs bei den Neuern? Was fuͤr eine einfoͤrmige und falſche Charakteriſtik, der Fuͤrſten ihre Denkungsart (man uͤberdenke den wichtigen Namen) aus ihrenG 4Muͤn -104Kritiſche Waͤlder. Muͤnzen zu ſtudiren? Welcher roͤmiſche Tyrann waͤre alsdenn nicht Vater des Vaterlandes? Wel - cher ſchlaͤfrige Monarch neuerer Zeiten nicht auf ſeinen Muͤnzen thaͤtig, tapfer, groß und edel?

Statt daß man die Wahrſagungskunſt des Hrn. Kl. aus Muͤnzen durch einen Kontraſt neuer und alter Beiſpiele laͤcherlich machen koͤnnte: will ich im ganzen Buche ſeine Beiſpiele aufſuchen, da er mit der geheimnißvollen Mine eines Weißagers herantritt: ei doch! habe ich nicht getroffen? Nur ei doch! daß ich nicht lauter Meteoren von praͤchtigen Perioden abſchreiben muͤßte: der go - thaiſche Ernſta)S. 17., welcher ſeinen Unterthanen da ein Muſter gab, wo er ihnen keine Geſetze geben konnte, ſchaͤmte ſich nicht, auch auf ſeinen Muͤn - zen zu bekennen, daß er ſich uͤberzeugt habe, es ſei das Gluͤck und die Pflicht eines Fuͤrſten, ein Freund und Verehrer der Religion zu ſeyn. Wir leſen auf ſeinen Muͤnzen den Charakter eines Prin - zen, der ſeinen ehrwuͤrdigen Beinamen, welchen der Kaiſer Ludwig durch Einfalt und thoͤrichte Freigebigkeit von den Moͤnchen erkaufen mußte, durch die Rechtſchaffenheit ſeines Herzens erlangt hat, und deſſen vortrefliche Geſinnungen deſto groͤſ - ſere Hochachtung verdienen, da er ſie nicht aus einer Schwachheit und einem Unvermoͤgen im Nach -105Drittes Waͤldchen. Nachdenken angenommen hatte, ſondern weil er nach Pruͤfungen, deren ſein großer Geiſt faͤhig war, ſie fuͤr wahr gefunden. Welcher Parenthyrſus von Denkungsart, den kaum ein Geſchichtſchrei - ber, der ſein ganzes Leben vor ſich haͤtte, anſtim - men ſollte, von Denkungsart, die kaum ſein Bu - ſenfreund ſo unwiderſprechlich predigen wollte! o was kann Hr. Kl. aus Muͤnzen nicht alles leſen?

Nun aber die Medaillen andrer Fuͤrſten, die nach der Geſchichte auch rechtſchaffen und fromm geweſen; ihre Muͤnzen indeſſen haben nichts aus - zeichnendes und Schautragendes von Froͤmmig - keit was goͤlt’es, wenn man im Gegenſatze unſres Autors ſie als Negativen charakteriſirte? Nun alte Muͤnzen, die auch mit der Pietas pran - gen: was goͤlt’es, wenn man im Tone unſres Klotz ihre Froͤmmigkeit charakteriſirte? Was? wenn man allen Fuͤrſten, die nicht wie Ernſt die Muͤn - zen zu Heroldstafeln ihrer Froͤmmigkeit gemacht, dieſe und die ewige Seligkeit ab -; allein denen, die davon auf ihren Muͤnzen gepredigt, ſie zuſpraͤche Weißager! Weißager! wo kommen wir hin?

Offenbahret ſich der Geiſt Ludewigs des XIV, welcher ſeiner Ehrbegierde keine Graͤnzen wußte, und ihr mit Freuden Treue, Menſchen - liebe und das Wohl ſeiner Laͤnder aufopferte, nicht eben ſo deutlich auf den Muͤnzen dieſes Koͤnigs,G 5 als106Kritiſche Waͤlder. als in allen ſeinen Handlungen? a)S. 19.Nichts weniger! und mich wundert, daß ein Geſunder ſo etwas behaupten koͤnne. Vielmehr iſt auf Muͤn - zen nichts, als die Groͤße, die Tapferkeit, der Hel - denmuth Ludwigs, recht das Jdeal eines Ludwigs des Großen ſichtbar. Eine graͤnzenloſe Ehrbe - gierde, eine freudige Aufopferung der Treue, der Menſchenliebe, des Wohls ſeiner Laͤnder offenbart ſich da nicht, und Ludwig wuͤrde es der Akademie ſchlecht verdankt haben, wenn ſie ſo etwas auf Muͤnzen haͤtte offenbaren wollen. Umgekehrt kann beinahe kein Fuͤrſt ſeyn, deſſen wirkliche Handlun - gen und Muͤnzvorſtellungen, was Geiſt, was Cha - rakter anbetrift, uneiniger ſeyn koͤnnen, und Gnade allen Koͤnigen und Fuͤrſten des Jahrhunderts Lude - wigs und unſrer Zeit, wenn die Nachwelt ſo, wie der Richter unſrer und der Vorwelt, Hr. Kl. aus Muͤnzen ihr Urtheil faͤllen, auf Muͤnzen Gei - ſter ſehen, Charaktere kennen, Denkungsarten er - forſchen, und ſo den Rang beſtimmen wollte. Wie ſehr riefe alsdenn Ludwig vor allen Neuern her - vor? und wie klein iſt oft die Veranlaſſung zu ſei - ner praͤchtigſten Muͤnze.

Mir wenigſtens, faͤhrt Klotz fortb)S. 19., gibt die Akademie, welche dafuͤr bezahlt wurde, daß ſie ihren Stifter durch pralende Muͤnzen ver - gnuͤg -107Drittes Waͤldchen. gnuͤgte, keinen geringern Beweis von der damals in Frankreich herrſchenden Schmeichelei und all - gemeinen Bemuͤhung, den Koͤnig leichtſinnig zu vergoͤttern, als jener Biſchof, welcher von dem Strome der Niedertraͤchtigkeit, als ihm Lud - wig ich kann den Redneriſchen Ton bei dem Geſchichtchen eines Biſchofs, der Ludwigen zu gefal - len keine Zaͤhne haben will, nicht aushalten fuͤhlt denn Hr. Kl. nicht, daß dies eine Geſchicht - chen ſein ganzes Syſtem der Hieroſcopie aus Muͤn - zen umwerfe? Konnte eine ganze Akademie, die dafuͤr bezahlt wurde, auf ihren Muͤnzen nichts als ſchmeicheln? Kann eine Legion von Muͤnzen noch ſo wenig Zeuginn uͤber den Charakter eines Prin - zen werden: ein ganzes Jahrhundert beinahe konnte im Strome praͤchtiger Luͤgen fortgehen ach Sire! wo findet man alsdenn jemand, der Zaͤhne hat? wer wird alsdenn den Charakter, die Denkungsart, die Wahrheit eines Fuͤrſten aus deſſen Muͤnzen leſen wollen?

Des Fuͤrſten Hauptbeſchaͤftigung etwa koͤnnte man noch endlich aus vielen Muͤnzen, am liebſten aus allen ſeinen zuſammen genommen, erſehen: ohngefaͤhr die Richtung ſeiner Naſe und das Pro - fil ſeines Geſichts. Aber Geiſt, Denkungsart, hiſtoriſcher Charakter, Wahrheit? Alle Muͤn - zen haben gleichſam den Ton, den ſie als Muͤnzen anſtimmen muͤſſen; ſo wie eine Epopee, eine Er -he -108Kritiſche Waͤlder. hebung uͤber die Geſchichte, und das Drama eine Erhoͤhung uͤber das gemeine Leben zum Weſen hat. Wer nun eine Epopee zur Urkunde, und ein Dra - ma zur Moral des Lebens machen kann, der ſtudire auch die Geſchichte vom Geiſte und Charakter eines Prinzen aus ſeinen Muͤnzen, und aus ſei - nem Grabmonumente, wo, ohne noch an unter - thaͤnige Schmeicheleien und Luͤgen zu gedenken, beide ſchon ihren Ton, ihr Epos haben, der im - mer, ja auch bey der wahrſten Aufſchrift, poe - tiſche Natur hat, und keine hiſtoriſche Natur haben will. Wie ſehr koͤnnte ein Fuͤrſt den Hrn. Geheimdenrath in Verlegenheit ſetzen, aus den Muͤnzen ſeiner Vorfahren die Geſchichte ihrer Denkungsart zu entwerfen? Und zu folge dieſes Grundſatzes wuͤrde ich ihm wahrhaftig nicht ſeine Paraͤneſis uͤber die Muͤnzen neuerer Zeiten nach - ſchreiben, um dieſe nach ſeinem Calcul zu charakte - riſiren, und Augen zu zeigen, die nur ein Angelo, Pietro di Cortona, Nikoſtratus, Addiſon und Klotz haben!

Drittens aber gar, und endlicha)S. 15.: Jch glaube nicht zu irren, wenn ich den moraliſchen Charakter gewiſſer Nationen und gewiſſer Zeiten auf den Muͤnzen ſuche, und entdecke. O ganz goͤttlich! Weiß Hr. Kl. was eine Nation, eineZeit,109Drittes Waͤldchen. Zeit, ein moraliſcher Character einer Nation und Zeit ſei: die Feder wuͤrde ihm entfallen ſeyn, da er ſo etwas ſchreiben wollte. Nicht auf den mo - raliſchen Charakter der Griechen und Roͤmer ein - mal, als Zeiten, als Nationen betrachtet, laͤßt ſich aus ihren Muͤnzen, aus allen ihren Muͤnzen zuſammengenommen, ſchließen: und in neuern Zei - ten, auf neuere Voͤlker, wo die Numiſmatik beinahe ganz Privatſache, beinahe ganz hiſtoriſche Urkunde iſt, im Tone des Herkommens, das auf Muͤnzen einmal gaͤng und gaͤbe geworden da aus ihnen auf den moraliſchen Charakter ganzer Nationen und Zeiten ſchließen? O Logik! Lo - gik! Logik!

Hr. Kl. fuͤhrt Beiſpielea)S. 15.. Die Gewalt des Aberglaubens und einer ſklaviſchen Unterwerfung gegen die Prieſter herrſcht in den Buͤchern und Briefen jener finſtern Zeiten eben ſo ſehr, als auf den Muͤnzen, welche die Fuͤrſten, vornehmlich in Deutſchland, damals ſchlagen ließen, als man theils zu ohnmaͤchtig und ſchwach war, ſich der geiſtlichen Herrſchaft zu widerſetzen, theils nach der wohlthaͤtigen Huͤlfe der Weltweisheit, dieſer Freundinn und Schweſter der Religion, entbehrte, um die Feſſeln des Vorurtheils zu zerbrechen. Jſt es zu verwundern, daß ein Zeitalter nun kom - men110Kritiſche Waͤlder. men ein Paar ſchoͤne Poſſen, die ich uͤbergehe daß ein ſolches Zeitalter nichts lieber auch auf Muͤnzen ſah, als Kreuze, Schluͤſſel, Buͤcher, Biſchofsſtaͤbe und Kirchen. Der Viel - wiſſer Klotz muß nichts wiſſen, was er wiſſen ſoll. Wie? die mittelmaͤßigſte Kenntniß der mittlern Geſchichte und Rechtsgelehrſamkeit, die diplomati - ſche Stavrologie und Sphragiſtik, zeigt ſie nicht, daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen geweſen, das freilich im Anfange aus Aberglauben aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur - kundliche Gewohnheit, beſtimmtes Rechts - und Hoheitszeichen u. ſ. w. blieb wie alſo in jedem Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf Moraliſchen Charakter? Wie manche von dieſen werden noch heut zu Tage ſigniret, wo ſie ihres Orts ſind? und in den damaligen Zeiten ſollte man ſie aus gutem Wohlgeſchmack unterlaſſen, ſich den Haß der Geiſtlichen, und vielleicht die Unguͤltig - keit der Gepraͤge zuziehen, die ſich dem Herkommen nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz ſigniren, wo es Zeit - und Landuͤblich war, als ein Thor und ein Ketzer des guten Geſchmacks wegen ſeyn wollen? Unzeitiges Anbringen des guten Geſchmacks zuerſt auf einer Muͤnze, noch unzeitiger aber da, wo alles Herkommen iſt, guten Geſchmack ſuchen und verurtheilen wollen was in der Welt geht uͤber die Halbkenntniß!

Man111Drittes Waͤldchen.

Man hat den Hollaͤndern oft eine beleidi - gungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤr - ſten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die Begierde, uͤber andre zu lachen und zu ſpotten ge - laſſen, ſo hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit, und den Anſtand von ihren Satyren getrennet. Die bei vielen Gelegenheiten in Holland erfunde - nen und geſchlagenen Muͤnzen beſtaͤtigen jenes Urtheil vollkommen. a)S. 20.Aber wer hat ſie er - funden? wer hat ſie praͤgen laſſen? gewiß nicht die ganze Nation, uͤber deren ſittlichen Charakter der Hr. Geheimderath nach dem Voͤlkerrechte ſo billig urtheilt: oft Privatperſonen, und oft Frem - de. Wer die Freiheit der hollaͤndiſchen Muͤnze kennet, den Zuſammenfluß ſo vieler Nationen da - ſelbſt, das Jntereſſe, das dies Volk des Commer - zes wegen an den Begebenheiten der meiſten Laͤnder hat, und denn die ehrliche Dreuſtigkeit, die ſich der Hollaͤnder nimmt, ſeine Meynung heraus zu ſa - gen, und denn die ehrliche Dreuſtigkeit andrer, die ſich hinter dieſen Schirm verſtecken der wird ſich, ohne in den Loostopf der Sibylle greifen zu doͤr - fen, die Menge ſatyriſcher Muͤnzen, die in Hol - land herauskommen, erklaͤren koͤnnen. Wird er aber auch den weiſen Schluß auf den Charakter und zwar den moraliſchen Charakter der. Nation beleidigunsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤr -112Kritiſche Waͤlder. Fuͤrſten: Begierde uͤber andre zu lachen und ſpot - ten: Mangel der Artigkeit, der Hoͤflichkeit und des Anſtandes ich weiß nicht; wenigſtens kenne ich den Hollaͤnder zwar als einen Menſchen, der ſeinen trocknen Spotteinfall reinweg ſagt; aber als ein Thier, das ſo begierig waͤre, uͤber andere zu lachen und zu ſpotten, das eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤrſten eben zu ſei - nem moraliſchen Charakter haͤtte? das mag ein Hollaͤnder wiſſen.

Ueber Holland kommt Hr. Kl. an ſein liebes Vaterland, um den ſittlichen Charakter deſſelben aus Muͤnzen zu erklaͤrena)S. 21.. Es war eine Zeit, da Deutſchlands Fuͤrſten es fuͤr eine Ehre hielten, groſſe Weinfaͤßer zu bauen, ſo wie etwan andre Fuͤrſten ſich beeiferten, ihren Geſchmack an der Bildhauerei und Baukunſt zu zeigen. Damit auch die Nachkommenſchaft die wichtige Geſchichte des Heidelbergiſchen Faſſes erfuͤhre, wurde dieſelbe im Jahre 1664. durch zwei Muͤnzen verewiget, wovon die eine mit den elendeſten Reimen ange - fuͤllet iſt. Jch als ein Deutſcher ſchaͤme mich, den Schluß hieraus zu ziehen, welchen ein Auslaͤnder leicht machen wird. Nur herausgeſagt! der Schluß ſoll vom Weinfaſſe einer Muͤnze auf nichts minder, als den ſittlichen Cha - rakter, den ganzen ſittlichen Charakter, die Denk -kungs -113Drittes Waͤldchen. kungsart, den Geiſt der Deutſchen gehen: denn Deutſchland verraͤth ſich ja gegen die Auslaͤnder hier - mit ſo ſtark, daß Er, Hr. Kl., als ein Deutſcher, ſich deßwegen gegen die Auslaͤnder faſt ſchaͤmet, ein Deutſcher zu ſeyn.

O welchem Leſer wird es nicht in die Laͤnge unausſtehlich, mit mir durch alle die Schluͤſſe hinzuſchleppen, die Hr. Kl. Laͤngelang ſeines Buchs aus einigen Muͤnzen auf den Geſchmack ſeiner Nation, ſeiner ganzen Nation ſo ſicher macht, als waͤre er zum Dictator formandi guſtatus einhellig von ſeinem Vaterlande gewaͤhlt. Mehr als ein - mal iſt ſeine patriotiſche Schlußfolge: was muͤſſen ſich nicht die Auslaͤnder von dem Ge - ſchmacke unſrer Großen fuͤr Begriffe machen, wenn ſie dergleichen Muͤnzen zu ſehen bekommen? doch ſie haben es uns leider! deutlich gnug geſagt, was ſie denken. a)S. 55. Er wirft die Frage aufb)S. 70.: wie es vor ſeiner Zeit um den Geſchmack in Deutſch - land ausgeſehen? und beantwortet ſie durch eine andre feine Frage: wenn hat Deutſchland in ſeiner Sprache Schriftſteller bekommen, denen man von den Enkeln den Titel claſſiſcher Autoren unſers Vaterlandes verſprechen kann? Er iſt zwar zu furchtſam, dieſe Epoche zu beſtimmen; aber doch auch, wie er ſich hoͤflich ausdruͤckt, ſoHkuͤhn114Kritiſche Waͤlder. kuͤhn, zu ſagen, daß man nicht allzuweit zuruͤckgehen muͤſſe. Er beſtimmt endlich, nach artigen Ver - weiſen, dieſe Epoche mit dem Anfange ſeiner und ſeiner Freunde Zeitalter, und ſchließt urploͤtzlich: Brauche ich mehr zu ſagen, um die Urſachen zu erklaͤren, warum die Erfindung und Vorſtel - lung auf ſo vielen deutſchen Muͤnzen ſchlecht, kindiſch, undeutlich, laͤcherlich ſey. Durch - gaͤngig alſo ſieht er aus einer Muͤnze ſehr mitleidig auf den Geſchmack ſeiner Nation herab, und wie ſein Freund, und Beurtheilerc)Klotz. Bibl. St. I. S. 61. uns verſichert, iſt dies ein Eifer im patriotiſchen Tone, ein edler Enthuſiasmus fuͤr ſein Vaterland. Eine andere Bibliothek,d)N. Bibl. der ſch. W. die ſich ſonſt durch ein gruͤndliches und kaltes Urtheil vor andern ſo ſehr auszeichnet, haͤlt dem Verfaſſer eben in ſeinem artigen Tone eine foͤrmliche lange Lobrede daruͤber, daß er mit ſeinen geſchmackvollen Vergleichungen ſeine Lan - desleute eine ſehr laͤcherliche Rolle ſpielen laſſe.

Jch kann alſo nichts, als dem Hr. V. zu ſeiner Logik, und Deutſchland zum Hrn. Verfaſſer Gluͤck wuͤnſchen.

8.

1. Muͤnzen koͤnnen nicht eigentlich auf den Geſchmack eines Volks, einer Zeit zeugen, wenndas115Drittes Waͤldchen. das Muͤnzweſen nicht ein Werk des Volks und der Zeit iſt. Nichts iſt deutlicher, als dieſe Ein - ſchraͤnkung: nichts raͤumt auch mehr auf. Jn Griechenland, zu den Zeiten der Republiken war das Muͤnzweſen eine Sache des Publikum: die Vorſtellungen waren entweder oͤffentlich beſtimmt, oder wenn ſie neu beſtimmt wurden, ſo von der Obrigkeit, die den Staat vorſtellte. Man konnte alſo in gelindem Verſtande ſagen, dieſe waͤhlten im Namen des Volks, das wenigſtens ihr Bild und Aufſchrift kannte, beurtheilen konnte, und vielleicht gebilligt hatte. Jn den Republi - kaniſchen Zeiten Roms weiß man die ſtrengen Muͤnzgeſetze, die kein Privatbild auf die Muͤnzen zuließen. Jn dieſen Zeiten kann man noch ſagen, daß die Muͤnzen ein Werk des Publikum; allein man weiß auch, wie ſimpel und einfoͤrmig beinahe ſie damals gerathen, da man in freien Republiken nie gern ohne Noth Abaͤnderungen machet.

Zu den Zeiten einer Monarchie kann ſich aus vielen Urſachen die Muͤnzenkunſt mehr aufnehmen: allein um ſo uneigentlicher ſchon ein Werk des Publikum. Unter einem Philippus, und Alexan - der dem Großen, und den Ptolomaͤern, und den Seleuciden, und den Caͤſaren ſind die Muͤnzen vortreflich: ſie koͤnnen uͤber nichts als die Unver - werflichkeit derer zeugen, denen der Hof die Muͤnz - ſorge aufgetragen, und wenn man will, uͤber dieH 2Guͤte116Kritiſche Waͤlder. Guͤte des Hofgeſchmacks. Unter Ludwig XIV war die Akademie der Jnſchriften das Publikum, das Muͤnzen ſchuff ſie dem ganzen Frankreich, das ſie groͤßtentheils nicht verſtand, zur Laſt zu legen, waͤre ungerecht. Zu Chriſtinens Zeiten waren ihre Antiquitaͤtenlieblinge das gebildete ſchwediſche Publikum, das ſich nach ihrer antiqua - riſchen Koͤniginn bequemte. Und die Cultur Ruß - lands aus den guten Muͤnzen zu berechnen,a)S. 170. die unter der Kaiſerinn Anna und andern geſchlagen, iſt fuͤr Rußland eine ſehr leidige Ehre, die ihm ein Mitglied der Akademie und ein Stempelſchneider verſchaffen und verderben kann. Jch weiß, daß Hr. Kl. alle dieſe Beiſpiele fuͤr ſich anziehet, und in ſeinem ſuͤßen Molltone ſinget wie genau mit der Verbeſſerung der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte in einem Lande auch eine beſſere Geſtalt der Muͤnzen verbunden ſey, koͤnnen wir unter andern auch aus Rußlands Beiſpiel ſehen u. ſ. w. Man mag mir immer einwenden, daß die Kuͤnſtler Auslaͤnder ſind: es zeigen doch allezeit jene Schauſtuͤcke den Geſchmack der Großen des Lan - des und die Liebe des Hofes zu den Kuͤnſten und da er ſich alſo nichts einwenden laͤßt: ſo zucke ich die Achſeln.

Hume ſoll fuͤr mich reden. Er macht bei ſeiner vortreflichen Abhandlung von dem Urſprungeund117Drittes Waͤldchen. und Fortgange der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften gleich anfangs den Grundſatz: was auf wenige Perſonen ankommt, muß großentheils dem Zufalle oder verborgnen und unbekannten Urſachen zuge - ſchrieben werden: nur was aus einer großen An - zahl herkommt, kann oftmals aus beſtimmten und bekannten Urſachen erklaͤret werden. Er giebt von dieſem Grundſatze die ſcharfſinnigſten Gruͤnde, und mit ihnen faͤllt das Gebaͤude des ganzen klotziſchen Werks. Bei neuern Muͤnzen kommt es nur auf zwo Perſonen an, einen Er - finder und einen Kuͤnſtler: ſo iſt das Ding gut oder boͤſe. Und wie kann hier der Zufall tyranni - ſiren! Der Erfinder, vielleicht ein Mann von Geſchmack und Wiſſenſchaft, iſt eben kein Muͤnzen - kopf, er iſt ein Gruͤbler die Muͤnze iſt ver - dorben! Er hat eben jetzt ſein boͤſes Stuͤndlein: ihm will kein Muͤnzeneinfall gluͤcken verdorben! Er hat in dieſem und dem Punkte ſeinen Eigen - ſinn verdorben! Er iſt ein Auslaͤnder, viel - leicht durch einen Zufall dahingeſpielt, vielleicht unge - ſchaͤtzt, vielleicht verachtet: vielleicht durch einen Zufall zur Ehre, Erfinder zu ſeyn, gekommen: vielleicht zu einem gluͤcklichen Einfalle, durch das Aufſchla - gen eines Buchs, vielleicht in einem gluͤcklichen Traume zu dieſem gluͤcklichen Einfalle gelanget, ich weiß nicht, wie? So auch ſein Kuͤnſtler: ſie moͤgen ſich ſecundiren oder entgegenarbeiten H 3es118Kritiſche Waͤlder. es ſind zwo Privatperſonen: und ſie ſollen mit ihrer Armſeligkeit fuͤr oder gegen den Geſchmack eines ganzen Landes ſtreiten? O Logik ohne ihres gleichen!

Wenn aber viele Muͤnzen von einerlei Art -- o ſo ſind auch viele Reihen von Zufaͤllen von einer - lei Art: gnug! bei uns iſt keine Muͤnze national, keine Sache des Publikum, ſo kann auch ihr Zeugniß nicht oͤffentlich ſeyn. Der groͤßeſte Theil des klotziſchen Buchs iſt auf dieſen Schluß gebauet, und Gnade Gott dem Schluſſe. Er hat vermuth - lich ſeinen Grund in den Augen, die Nikoſtratus und Klotz, Michael Angelo und Klotz, Pietro di Cortona und Klotz, Addiſon und Klotz hat, und ſonſt niemand!

2. Nie kann etwas ein Zeugniß vom Ge - ſchmacke ſeyn, wenn es nicht ein freies Kunſtwerk iſt, und das iſt die Muͤnze bey uns ſelten. Leſſing hat die alten Religionskuͤnſtler von der Regel ſeiner ſtrengen Kunſt beurlaubet, und Klotz redet ihm zu Gefallen die Beurlaubung nach, die er doch in allen ſeinen Schriften ſo ſchlecht anwendet. Schon bei den Alten war die Muͤnze Symbole bei uns gar hiſtoriſch - politiſch - kirchlich - landes - herrliche Urkunde wer will ſie nach Geſetzen der Kunſt richten? Geldeswerth tritt voran: Herrſchaftszeichen hinten drauf: Denkmal der Geſchichte alsdenn: nun erſt Symbole undnach119Drittes Waͤldchen. nach allem erſt Geſchmack: will dieſer ſich vor - draͤngen, wie uͤbel kann er oft zuruͤckkommen. Jch habe den Unterſchied gezeigt, ich mag ihn nicht wiederholen.

Eben daher nimmt ſich in ſehr unabhaͤngigen Monarchien, wo alles auf die Willkuͤhr und den Geſchmack des Landesherrn ankommt, die Muͤn - zenkunſt eben ſo leicht auf, als ſie in einem Lande voll Fuͤrſten und Staͤnde, voll Staatsrecht und Herkommen, wie z. E. Deutſchland iſt, dem anderweitigen guten Geſchmacke unbeſchadet, leider! zuruͤckbleiben muß. Jch wuͤnſchte, daß ein Mann von Staatskunde zugleich der Lehrer des Geſchmacks, der Koͤnige und Fuͤrſten geworden waͤre; die Satyre meines Verf. uͤber Deutſchland ohne Ein - ſicht in die deutſche Verfaſſung iſt mit nichts; als der Satyre uͤber das deutſche Publikum, zu ver - gleichen, die er ſelbſt an ſeinem liebſten Grillo ſo ſuͤß verſpottet hata)S. Klotz. Bibl. St. 3..

3. So ſehr ich auch den Muͤnzen Geſchmack wuͤnſche: ſo ſehe ich doch eine Reformation ihrer am wenigſten als die Reformation eines Landes an. Nach unſrer Verfaſſung kann von ihnen am mindeſten der beſſere Geſchmack ausgehen, da ſie nur durch das ſchwaͤchſte Band mit der Cultur einer Nation in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten zuſam -H 4menhaͤn -120Kritiſche Waͤlder. menhaͤngen. Und nimmer -- doch gnug! die klotziſche Schrift, ihrem Tone und Jnhalte, ihrer Schlußart und Ordnung nach, zuſammt den Lob - ſpruͤchen, die ſie ertheilt und erhalten, wird unſrer Nachkommenſchaft eine ſo ſchoͤne Probe vom buͤn - digen Geſchmacke unſrer Zeit geben, daß ich ihr alſo mit gutem Herzen die Ewigkeit wuͤnſche, und unwillig die Feder wegwerfe

ſtatt des Beſchluſſes ein Auszug aus einem Briefe.

Nun das heißt Geduld! Sagen Sie mir doch, welcher guͤtige oder unguͤtige Daͤmon ſie bei einem Buche hat veſthalten koͤnnen, das fuͤr mich eins der langweiligſten unſres Jahrhunderts gewe - ſen? welcher Daͤmon ſie veſtgehalten, die Schluͤſſe, die Schlußreihen zu entbloͤßen, die keine Schluͤſſe, die die groͤßten Armſeligkeiten des feinen Geſchmacks ſind, der von unerklaͤrlichen Empfindungen kommt, und wieder zu unerklaͤrlichen Empfindungen hin - eilet.

Und Jhre Analyſe dieſes Muͤnzenwerks ſoll gedruckt werden? Sie wollen es wagen, den Ar - tigſten unſrer Schriftſteller in dem Jaͤmmerlichen zu zeigen, was er wiederkauet, in dem voͤllig Unbeſtimmten, wie ers herlallet, in dem Unzu - ſammenhangenden, wie er fremde halbverſtandneGedan -121Drittes Waͤldchen. Gedanken neben einander ſtoppelt? Und wiſſen Sie denn nicht, wie ſich dieſer urbane Mann betragen wird? Mit einer vornehmen Mine auf ſie herab hohnlaͤcheln oder gar ſpotten: ſagen, daß Sie aus unedlen Geſinnungen gegen ihn geſchrieben haͤtten: daß Sie ihn nicht verſtanden: daß er ſo etwas nicht habe ſagen wollen: kurz! ohne auf einen Jhrer Gruͤnde und Vorwuͤrfe beſtimmt und gruͤnd - lich zu antworten, wird alles dahin auslaufen, daß es Jhm, und nur Jhm allein frei ſtehe, ſo unbeſtimmt, ſo ſchielend, ſo ſehr mit frem - den Federn zu ſchreiben, als er wolle.

Glauben Sie mir, Freund! ich weiß keinen Deutſchen, der ohne alles A. B. C. der Wiſſen - ſchaft, uͤber die er ſchreibt, ſo wie Klotz ſchreiben kann. Jſt Jhnen im Muͤnzenbuͤchlein die Stelle entgangen: mittelmaͤßige Kuͤnſtler muͤßten mit guten zuſammen leben: ſo fodre es die Natur der Dinge: ſo wie in einem Gemaͤlde neben große Schatten große Lichter geſetzt werden ein Mann, der ſo etwas ſchreiben kann, und doch immer von Kunſt und Kolorit predigt, iſt der nicht unter der Critik? u. ſ. w.

H 5II. 122Kritiſche Waͤlder.

II.

Ob das kritiſche Urtheil des Hrn. Klotz in alle dem Vielfachen, woruͤber er urtheilt, uͤber - all gleich gruͤndlich, und unpartheiiſch ſey? gruͤndlich und unpartheiiſch zugleich? Jch glaube, der Leſer wird die Wahl ha - ben

Act. litter. Vol. I. Pars. I. Die einzige Re - cenſion dieſes Stuͤcks, die Geſchmack betrift, waͤre diea)p. 58. uͤber Hrn. Harles Vitas Philolo - gorum, noſtra ætate clariſſimorum: wie aber hat Hr. Klotz dieſe Lebensbeſchreibungen mit ſo vielem Lobe, ohne die geringſte Eroͤrterung ihres hiſtoriſchen Baues, oder wie man jetzt ſpricht, ihrer hiſtoriſchen Kunſt, als einen zweiten Ne - pos in die Welt ſenden koͤnnen?

Jch nehme z. E. das Richtmaaß, nach wel - chem die Bibliothek,b)Klotz. Bibl. St. 4. p. 44. die unter des naͤmlichen Hrn. Klotz Aufſicht geſchrieben wird, die nicolai - ſche Biographie Abts beurtheilt: und halte es an die Biographie, die Harles vonc)p. 64. (nun wer kann ſich mit allem kalten Blute denn rechtlicher undbilliger123Drittes Waͤldchen. billiger unter den Philologis noſtra ætate clariſſi - mis erwarten)? von Hrn. Klotz liefert:

Chriſtianus Adolphus Klotzius

Philoſophiaͤ et L. L. A. A. Magiſter, Profeſſor Philo - ſophiaͤ in ----- Ordinarius Reu. Capitul. Wurc. Capitul. Extraord. Poet. Caͤſ. Laur. Acad. Caͤſ. Scient. Roboret, Soc. Altdorf. Teuton. Acad. Elect. Mogunt. Scientiar. Vtil. Soc. Litterariaͤ Zittavienſ. et latinaͤ Jenenſis collega.

Si wuͤrde ich hinzuſetzen, wenn ich den feinen Spaß wiederholen muͤßte, den Hr. Klotz den Titeln ſeines lieben Burmanns zwiſchen ſchiebt

Si ante lucem ire occipias ab huius primo nomine, Concubium ſit noctis, priusquam ad poſtremum Perveneris ()

Doch zur Sache!

Zuerſt nimmt ſich Hr. Harles den neuen und ſeltnen Griff, das Bildniß ſeines Freundes ganz aus ſeinen poetiſchen Jugenduͤbungen zu ent - werfen. Aus Gedichten? aus Jugenduͤbungen? aus Nachahmungen eines fremden Originals einen biographiſchen Charakter entwerfen? Freilich ſelten! unerhoͤrt! denn mit eben dem Rechte, da Hr. Klotz jetzt aus ſeinen Gedichten der Laͤnge nach, ein Stoiker, ein Weiſer, ein Held, ein Patriot,ein124Kritiſche Waͤlder. ein Veraͤchter des Lebens u. ſ. w. wird: mit eben dem Rechte wuͤrde ich ja einen Gleim, Wieland, und Leſſing aus ihren Gedichten zu ganz etwas an - ders machen; und wollten das die Herren Klotz und Harles verantworten? Ja aus Hrn. Klotzens Gedichten ſelbſt, wenn aus ihnen ſein perſoͤnlicher Charakter gebildet werden ſollte, was wuͤrde Hr. Kl. nicht alles ſeyn? Schon vor mir hats Abbta)Jn den Litt. Br. bemerkt, daß ſich derſelbe in allen Gedichten durchweg nicht einmal ſo treu bleibe, als ſich je - der Dichter, dem einmal angenommenen Charak - ter gemaͤß treu bleiben ſollte, und alſo? Wer auf der einen Seite den Amor und die Venus ſingt, und den Mond anſieht, der ſtuͤrzt auf der fol - genden Seite in den Feind und auf der dritten hat er wider die friedlichſte, und ruhigſte Denkart, die je der, bequeme, Kriegſcheueſte Wolluͤſtling haben kann laͤßt ſich daraus nicht recht tapfer charakteriſiren:

Humana fortis ſubiiciam mihi
Magnoque ſpernam pectore! &c.

Und laͤßt ſich fuͤr einen ſolchen Charakter nicht nachher in der Recenſion der Biograph aufs waͤrm - ſte umarmen: In ſumma voluptate, quam ex amore erga me Tuo, mi Harleſi, percipio, do -leo125Drittes Waͤldchen. leo &c. Da iſt ja wohl eine Liebe der an - dern werth.

Hr. Harles erzaͤhlt von ſeinem Helden, daß er an Genie und Gelehrſamkeit wenige ſeines gleichen habe, daß er im Griechiſch und Latein den meiſten uͤberlegen, daß er ehrgeizig und jachzornig ſey, daß er Geld und Titel verachte, ſelten traurig, unbe - ſtaͤndig in Anſchlaͤgen und Meinungen, nicht lan - ge fortarbeiten koͤnne, mehr ſeinem Kopfe, als ſeinem Fleiße, ſchuldig ſey, ſich allein hoͤre, an - dre gern verſpotte; gern etwas von der Malerei, auch gerne deutſche Buͤcher leſe u. ſ. w. (warum nicht gar, daß er auch Deutſch koͤnne?) das al - les Hr. Harles; Hr. Klotz haͤtte uns ſagen ſollen, ob das ſein Bild ſey?

Nun gehen die Lebensumſtaͤnde an, wie in - den Perſonalien eines Verſtorbnen: den Hrn. Hofmeiſter, der jetzt Prediger ſeyn ſoll, unver - geſſen. Unvergeſſen, daß der Hr. Geh. Rath als Gymnaſiaſt auch oͤfters in den Vorſtaͤdten von Goͤrlitz gepredigt: unvergeſſen, daß er auch habe Herrnhuter werden wollen: unvergeſſen, daß er auch ſo gar einigemal in ſeiner Vaterſtadt gepre - digt: Und ach! warum denn vergeſſen, wie ſehr ſich daruͤber vielleicht die lieben Seinigenerfreuet!126Kritiſche Waͤlder. erfreuet! wie herzlich ſie geweint! wie herzlich ſie ſich erbaut! u. ſ. w.

Sein Hochzeitstag war der vierzehnte Ju - nius. Wobei er das inſonderheit wunderbar fand (mirabile illud ſibi videri, aliquoties dixit) daß ihm eine Braut eben des Namens, als ſein Freund, der beruͤhmte Saxe, fuͤhret, be - ſcheret geweſen, ob dieſe gleich mit jenem in kei - ner Verwandſchaft ſtuͤnde. Spotten moͤchte ich nicht gern, und inſonderheit nicht uͤber eine Freude der heiligen Ehe. Allein das Bewunde - rungswuͤrdige darinn, daß ein Profeſſor Saxe in Utrecht lebt, und daß Hr. Klotz eine Jungfer Sachſen in Goͤttingen heirathet, dies Wunder - bare ſei nun ein oft wiederholtes Wortſpiel, (ali - quoties dictum) oder ein galantes Kompliment in der Brautkammer, oder ein artiger Einfall im Hochzeitsſchreiben an Hrn. Prof. Saxe in Utrecht, oder endlich eine tiefe Betrachtung uͤber die wun - derbaren Fuͤhrungen Gottes mit ſeinen Kindern in keinem Betrachte ſcheint es mir des Herrn, der den Einfall hatte, und des Hrn. der den Ein - fall, als einen Brocken von Hochzeitreden, auf - ſchrieb, wuͤrdig.

Und ſo gehts in ein chronologiſches Buͤcher - verzeichniß mit beygeſetzten Zeitungsurtheilen ge -ſtempelt:127Drittes Waͤldchen. ſtempelt: bis der Biograph auf die burmanniſche Streitigkeit kommt, wo er ſo ſehr die Wuͤrde ſeines Autors und die Unpartheilichkeit eines Biogra - phen vergißt, daß die richteriſche Nachwelt viel - leicht kurzweg ſagen wird: Paſtillos Rufillus olet, Gorgonius hircum!

So viel Lob Hr. Harles uͤber ſeinen Fleiß in Sammlung der Materialien verdienen mag: ſo bleibt er in allen ſeinen Lebenslaͤufen einem Tone von Gemeinheiten und bald geſagt, Nichtswuͤr - digkeiten, treu: er vergißt das Eigne ſeiner philo - logiſchen Perſon, und das Erleſene ihrer Verdien - ſte, was allein auf die Nachwelt komme: er vergraͤbt ſie unter triviale Umſtaͤnde, Diſputa - tionstitel und Zeitungsgebuͤhre, daß er endlich jenes Klotziſchen Lobes wohl werth war: bene, bene reſpondere &c.

Act. litt. Vol. I. Pars II. Ruͤckersfelder uͤber den Charakter der Oden Pindars. a)Klotz. act. p. 117. Den gemeinen Begriff haben wir geſehen,b)Zweites Waͤldchen p. 239. 40. 41. den ſich der Recenſent von den Digreſſionen in Pin - dars Oden macht, und hier die gemeinen Beweiſe. Aber, wie billig und Klotziſch iſt: zuerſt Bei -ſpiele128Drittes Waͤldchen. ſpiele von andern Zeugen. Jch wollte, daß Hr. Kl. niemals Buͤcher anfuͤhrte, als die eigentlich an den Ort gehoͤren, eigentlich beweiſen, und die er, wenn ich hinzuſetzen darf, ſelbſt geleſen. Der Franz Blondel, den er anfuͤhrt,a)p. [12]5. beſchaͤftigt ſich ja in ſeiner Parallele zwiſchen Pindar und Horaz mehr mit der elenden Analogie von den Lebensumſtaͤnden beider Dichter, als mit ihren Gedichten: mehr damit, daß ſie beide honnetes - gens und es fehlet nicht viel auch galant - hom - mes geweſen, als welchen Charakter ſie als Dich - ter beſeſſen in dieſem uͤberhaupt verdient er kaum angezogen zu werden. La-Motten kennet man ſchon als Richter griechiſcher Oden, ſo wenig als den Abt Maſſieu und andre, die der Ver - faſſer noch uͤberdem haͤtte anfuͤhren koͤnnen. Weil aber Hr. Klotz einmal dieſe Schriftſteller unter ſei - nen locus communis: Lyriſche Poeſie, Ode, an - geſchrieben: ſo ſchreibt er ſie auch mehrmals unter ſeinen Text, ſelbſt wo ſie ſo wenig Entſcheidung geben koͤnnen, als Er ſelbſt Beiſpiele der Ausſchweifungen im Pindar: wer hoffet wohl ein eheres, als die vierte pythiſche Ode, und doch auch ſie, die ſo manchem zum Aergerniſſe dient, iſt als National - Local - und Jndividualſtuͤck auf den Arceſilaus aus Cyrene betrachtet, nicht blos zu retten, ſondern inder129Drittes Waͤldchen. der That zu loben. Wenn man einmal den unpin - dariſchen Begriff verbannet, der Pythiſche Dich - ter habe ſolch ein Lobgedicht auf eine Perſon, blos wegen dieſes Sieges und weiter nichts, ma - chen wollen, wie heut zu Tage Todten - und Hoch - zeitgedichte verfertiget werden: wenn man ſich in die griechiſchen Zeiten zuruͤckſetzt, da der Sieger eine oͤffentliche Perſon Griechenlands, und der Saͤnger ein Saͤnger fuͤrs Vaterland, und ein Leh - rer der Koͤnige war: ſo tritt auch die gegenwaͤr - tige Ode mit allen ihren ſogenannten Ausſchwei - fungen in herrliches Licht. Ein Pythiſcher Sieg wars: ein Delphiſcher Geſang ſollt es werden, und was alſo angemeßner, als die Stimme: aus Del - phis, o Arceſilaus, haben deine Vorfahren, und dein Anherr Battus Cyrene empfangen: Der Py - thiſche Apollo hat es euch gegeben. Der ganze erſte Theil der Ode in aller Feier des goͤttlichen, des weiſſagenden Urſprungs iſt praͤchtig, hat Per - ſonalintereſſe: Denn Arceſilaus, der aus ſeinem Koͤnigreiche vertrieben geweſen, tritt eben damit in den Glanz ſeines rechtmaͤßigen Urſprungs: hat Familienintereſſe, denn wie viel galt bei den Griechen das Anſehen großer Vaͤter! und wie viel mußte bei einem herabgekommenen, abgetheilten Battiaden, der Ruhm ſeines Urvaters, des goͤttli - chen Battus, gelten! iſt Ort und Zeitmaͤßig: Denn der Pythiſche apollinariſche Geſang, wovonJkonnte130Kritiſche Waͤlder. konnte er wuͤrdiger, als von ſolchen Wohlthaten des Apollo, reden? Mit Pracht alſo ſchließt Pindar dieſen Theil der Ode, und ſtellt ſeinen Arceſilaus als einen vom Apollo ernannten und zum zweiten - mal jetzt beſtaͤtigten Koͤnig von Cyrene im Schmuck des Pythiſchen Sieges dar. Und nur Hr. Kl. etwa kann, wie wenn Pindar uͤber ein Schul - thema gearbeitet haͤtte, ſagen: Pythicum IV. maxima hiſtoriarum varietate diſtinctum. Nam dum parat ſe ad laudes Arceſilai cantandas, quo - modo, qui e maioribus illius, Battus in Cyre - naicam venerit, enarrat: Medeæ vaticinio copioſe commemorato. Quibus dictis ad Arceſilaum quidem redit, ſed &c. Nur Er: denn hat Pindar nicht ſchon laͤngſt einen Unterſchied gemacht zwi - ſchen dem Gros ſeiner Ausleger, (το παν ερμε - νεων) und zwiſchen denen, die ſich um das Jn - nere ſeiner Geſaͤnge bemuͤhen

Pindar bekommt Luſt, die Geſchichte der Ar - gonauten, und des guͤldnen Vlieſſes einzuweben. Man ſollte dieſe Epiſode nicht als ein Beiſpiel ſeiner gewoͤhnlichen Ausſchweifungen nehmen: denn er ſelbſt kuͤndigt ſie als Epiſode, als etwas auſſerordentliches an. Wer weiß nun die Zeit - urſachen, die Pindar’n damals vorlagen, einmal die ganze Geſchichte ausfuͤhrlich zu erzaͤhlen? So viel ich aus dieſen und andern Stellen Pindars vermuthe, lag bei vielen folgende Urſache vor. Pindar131Drittes Waͤldchen. Pindar lebte in einem Zeitalter, da die Traditio - nen der heroiſchen Mythologie, auf welchen mei - ſtens der heruntergeerbte Vorzug im Urſprunge der Staͤdte, der Geſchlechter, der Koͤnigreiche, die er ſang, beruhete, ſchon halb in das Licht hi - ſtoriſcher Urkunden treten ſollten: und da ihn alſo die Muſe zum National - und Patronymiſchen Saͤnger griechiſcher Geſchlechter und Perſonen ſandte, ſo hatte er auch das Geſchaͤfte, den Reſt ſolcher heroiſchen Urkunden zu retten, und mit der Weisheit zu erklaͤren, die ſein Zeitalter forderte, und deren er ſich in ſo vielen Geſaͤngen ruͤhmt. Wenn mir die Muſe Pindars die Muße geben wird, uͤber den Charakter dieſes Thebaners, des edeln Freundes meiner Jugend, mich ausfuͤhrlich zu erklaͤren: ſo werde ich bei den mythologiſchen Expoſitionen deſſelben dieſe poetiſche Weisheit, die ein aufbrechender Roſenkeim zur kuͤnftigen hiſtori - ſchen Wahrheit war, entwickeln, um auch in ihr Pindarn, als den Saͤnger ſeiner Zeit, ohne tolle Ausſchweifungen zu zeigen. Hier ſtehe ſo viel: daß die Geſchichte der Argonauten der Situation gegenwaͤrtiger Ode nicht ſo fremde iſt, als Hr. Kl. meinet.

Von den Argonauten ſtammte das Geſchlecht des Arceſilaus ab: und nach griechiſcher Denkart, auf welche Ahnen laͤßt ſich herrlicher kommen, als auf die Argonouten? Die Einnahme, das AnrechtJ 2der132Kritiſche Waͤlder. der Battiaden auf Cyrene war aus dem Schooß der Argonautiſchen Geſchichte hergenommen: ſie war ein Zweig mitten aus der Verwicklung dieſer Abentheurer hinausgeriſſen wo iſt er in ſeiner Generation beſſer zu erkennen, als wenn er wieder mitten in die Verwicklung zuruͤck gepflanzt, leben - dig da ſteht. Die Vorfaͤlle ſo wohl des Zweiges, der Theraͤer, als des Stammes, der Argonauten und Jaſons inſonderheit, ruͤhrten vom Pythiſchen Apollo her: wo ſchallten ſie wuͤrdiger, als am Feſte ſeines Tempels? Die Epiſode wird ja auch nicht anders, als pythiſch, als apollinariſch, ein - gelenkt, und erzaͤhlt: und endlich, der ganze Zweck, die verflochtne Veranlaſſung der Ode in dieſem Zuſtande von Cyrene und Arceſilaus macht alles nothwendig. Arceſilaus war ſeines Ungehorſames wegen gegen die Einrichtungen des Orakels, ver - trieben geweſen: er fragte den Apollo, und der gab ihm, dem achten Battiaden, nur einen ſehr einge - ſchraͤnkten Troſt, aber dabei deſto ſchaͤrfere An - mahnungen. Arceſilaus nach ſeiner Wiederer - ſtattung blieb ihnen nicht treu: das Vaterland und alle Unordnungen ſeiner Regierung klagten: wer war der Erfuͤllung des drohenden Orakels, ſeinem Verderben, und dem Untergange ſeines Stammes naͤher, als der dem Apollo ungehorſa - me, unweiſe Arceſilaus? Hier ward der Pythoni - ſche Saͤnger ein Lehrer des Koͤniges im Namenſeines133Drittes Waͤldchen. ſeines Gottes: er legt ſeinen ganzen Geſang ſchon von ferne auf dieſe erhabne Pflicht an: er predigt ihm die Wohlthaten, die Apollo um ſeine Vaͤter, und die Lehnsherrſchaft, die er uͤber Cyrene habe: hiezu und zu nichts weiter laͤßt er die Stimme der alten Weiſſagung, und die Geſchichte der Argo - nauten und Battiaden reden: hiezu lenkt er bei dem Vorbilde der Weisheit des Oedipus zuruͤck, und gibt dem Koͤnige im erhabenſten Tone die be - ſten Weisheitslehren zur Gelindigkeit und Weis - heit, ſein Volk zu regieren. Hiezu nimmt er zu - letzt fuͤr den unſchuldig vertriebenen, klugen, auf - richtigen, vom Vaterlande bedaureten Demophilus das Wort, und kommt, da er fuͤr dieſen im Na - men ſo vieler ſpricht, dem Herzen des Koͤnigs am naͤchſten. Ein weiſer Geſang! nichts iſt in ihm unnuͤtz: nichts da, um vierzige von Stro - phen auszufuͤllen: nichts da, um doch bei einem ſo unfruchtbaren Thema etwas zu ſagen: nichts da, um Pindariſch zu raſen nein! ein ſo individueller, griechiſcher und cyrenaiſcher Ge - ſang, ſo ganz fuͤr Arceſilaus geſungen, ſo weiſe darauf angelegt, was ihm geſagt werden ſollte: ſo pythiſch, ſo pindariſch daß ich zum Kon - traſt nichts als die Klotziſchen Wortea)p. 126. zuſchrei - ben darf: Quid eſt longe a re propoſita digredi, aut omittere potius eam, ſi hoc non eſt? Wie,J 3wenn134Kritiſche Waͤlder. wenn Pindar auflebte, wie wuͤrde er ſich freuen, einen ſolchen geheimen Ausleger des Jnnerſten ſeiner Geſaͤnge zu haben?

Jch habe das ειδος Pindars gerettet, das Hr. Kl. als das Verzweifeltſte hinzugeben ſcheint, und mag die Vorwuͤrfe nach andern Oden nicht verfolgen: ein Mann, der Pindar ſo von der Oberflaͤche kennet, wie wollte der einen Ruͤckers - felder verbeſſern? Wie konnte der ſagen: ita, cre - dimus, complures nobiſcum exſiſtimaturos eſſe.

Vol. I. P. III. Schilderungen beruͤhmter Gegenden des Alterthums vom Hrn. v. Brei - tenbauch. a)p. 245.Nun ja! vom Hrn. v. Breitenbauch, und ſo gleich ſind die Ehrennamen erklaͤrt, die die - ſer dieſer vir generoſus, qui nuper paſtoralia carmina edidit, in quibus illam naturæ incundi - tatem, illam ſimplicitatem morum, illud ama - bile vivendi genus feliciter expreſſit, dieſer vir elegantiſſimi ingenii, qui eleganter & venuſte --- etiam in hoc libro regionum amoenitatem depin - xit, hiſtoriam rerum docte exponit &c. ja, der im ganzen Werke ſich ſo gezeigt hat, daß wir eine neue Ueberſetzung des Horaz, die er Deutſch - land verſprochen, nicht blos ſehnlich erwarten, ſondern auch beinahe mit Ungeduld fodern koͤn - nen. Zwar werden manche von dieſen Lobſpruͤ - chen, als einer Sprache des Publikum nicht wiſ -ſen,135Drittes Waͤldchen. ſen, da die an ſich mittelmaͤßigen und oft ſchlech - ten Gedichte des Verf. nie einen Dichter der er - ſten Groͤße zu errathen gegeben. Noch wenigern wird je das ſehnliche Verlangen, die fodernde Un - geduld angekommen ſeyn, an einem jungen Schrift - ſteller, der noch nicht korrekt ſchreibt, und immer zwiſchen Proſe und Poeſie ſchwankt, einen deutſchen Horaz zu erwarten. Gnug aber! Hr Klotz. ſagts, und wer die Erklaͤrung wuͤnſcht, ſehe die ſuͤße Zuſchrift der homeriſchen Briefe.

Johann Winkelmanns Geſchichte der Kunſta)p. 336.: ohne Anmerkungen und eigne Gedan - ken in klotziſches Latein hingegoſſen und ausgeſpuͤ - let ſeliger Winkelmann! wo ſchwebt dein Geiſt uͤber dieſen Waſſern der Suͤndfluth?

Act. litt. Vol. I. P. IV. Lowth de ſacra poeſi Hebraeorumb)p. 403.: ohne alles critiſche Urtheil, mit dem ſo lange abgelebten Spotte uͤber eine gewiſſe Gattung von Theologen begleitet, die Herrn Klotz wenigſtens nicht graͤnzen

Briefe zur Bildung des Geſchmacks an einen jungen Herrnc)p. 436.. Es iſt ein Vergnuͤgen, wie hier der Gott Stupor die gemeinſten Sachen in dieſen an ſich nuͤtzlichen, oft aber ſo ſeichten und unvollkommenen Briefen anſtaunet, uͤberſetzt, abſchreibt, und ohne allen Beitrag zur Vervoll - kommenheit anpreiſet. Bei ſo gemeinnuͤtzigenJ 4Hand -136Kritiſche Waͤlder. Handbuͤchern eben ſollte ſich ja die Einſicht und der Fleiß des Kritikus zuerſt zeigen

Act. litt. Vol. II. P. I. Hauſens Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts. a)p. 64.Quae a viris doctis dudum deſiderata tuit, copioſa, accu - rata, immo vera rerum hoc ſeculo geſtarum expo - ſitio: eam nunc primus adgreſſus eſt Cl. Hauſe - nius, vir magni ingenii, plurimae induſtriae, praeclarae doctrinae, quodque in primis hiſtori - cum decet, ab omni adulatione abhorrens, & veritatis ſtudioſus. In ipſo opere ſcribendo deſeruit morem plurimorum hiſtoricorum, res minutas & exiguae vtilitatis negotia auxia cura enarrantium. Totus fuit in eo, vt quae ad rem publicam accuratius cognoſcendam, ad arcanas ſingulorum eventuum cauſſas intelligen - das, eorumque inopinatos ſaepe effectus perſpi - ciendos, ad artes, quibus res a legatis tractatae fuerint, aperiendas, ad ſingularum gentium commoda demonſtranda, facerent, non accurata ſolum narratione exponeret, verum etiam obſer - vationibus e civili prudentia, ipſaque rerum, qude tum erat, conditione collectis illuſtraret. Res vero in bello geſtas paucis attigit, atque ex iis attulit, quae pragmaticae hiſtoriae ſtudioſi noſſe intereſt. Quae quidem omnia non e turbidis rivu - lis ſed e limpidis fontibus hauſit O alle,die137Drittes Waͤldchen. die die Staaten von Europa tief und genau ein - ſehen, die geheimſten Urſachen jedes einzelnen Verfalls ausforſchen, und ihre oft unvermuthe - ten Wirkungen ſich erklaͤren wollen alle, die die verborgenſten Kunſtgriffe der Geſandten bei ihren Staatsgeſchaͤften aufgedeckt, das Jntereſſe aller Voͤlker deutlich erklaͤrt, das alles in der genauſten Erzaͤhlung vorgetragen, mit tiefen Be - merkungen der Staatsklugheit begleitet, aus den Kriegslaͤuften das Pragmatiſche herausgele - ſen die alles dies ſehen und lernen wollen, ladet Hr. Klotz ein zu ſeinem Freunde, dem Hr. Magiſter Hauſen. Was alle gelehrte Maͤnner bisher gewuͤnſcht, was die Maſcovs, und Buͤnaus, und Struve und Koͤlers und Haͤberline und Puͤtters nicht haben leiſten koͤn - nen: ſehet! das hat endlich erfuͤllet Cl. Hauſenius vir magni ingenii, plurimae iuduſtriae, praeclarae doctrinae, &c. &c. Wunder unſrer Tage, Hau - ſens Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts!

Vol. II. P. II. Defenſe du paganiſme par l Empereur Julien. a)p. 175.Da dieſe Schrift des Marq. d’Argens wenigſtens das Verdienſt hat, genauere Eroͤrterungen uͤber Julians Charakter und Zeitpunkt veranlaßt zu haben, unter welchen die Gedanken eines Meiers, Crichtons, Abbts und andrer, jede in ihrer Art ſchaͤtzbar ſind: ſoJ 5wird138Krittiſche Waͤlder. wird man begierig ſeyn, auch die Zeichnung Klotzens von Julian zu ſehen: hier iſt die Rari - taͤt: Iulianum exſiſtimo virum fuiſſe elegantiſ - ſimi magnique ingenii (etwas davon hat Klopf - ſtock im nordiſchen Aufſehera)Th. I. St. 17. gezeigt, und wo wird nicht ein Klotz und ein Klopſtock einerlei ſehen?) magnique animi, nec militaris ſolum rei, ſed artium quoque liberalium (wenn dieſe vielleicht die Redekunſt eines ſchwatzenden Sophiſten heißen kann) inſigni ſcientia ornatiſſimum: eundem libe - ralem, caſtum, ſobrium, frugalem et pruden - tem cenſeo. Patres quos appellant eccleſiaſticos, non nego, mihi, ſi paucos exceperim, non ea laude integritatis, pietatis et eruditionis dignos videri, qua a quibusdam celebrati ſunt. In aliis multum ſtuporis, parum ingenii: in aliis partium ſtudium: in aliis arrogantem, ſuperbum et atrocem animum invenio. De Iuliani denique opinionibus mitius cenſendum eſſe exiſtimo, quam vulgo fit, (und warum denn? wichtige Urſache!) aut non conſi - derata ingenii humani imbecillitate, aut non ſatis illorum temporum ratione cognita wer hat nun wohl, der in den Zeiten Julians, und in den neuern Zeugniſſen von ihm geforſchet hat, je etwas ſeichters von ihm und den Kirchenvaͤtern uͤber - haupt, und dem ganzen Zeitraume deſſelben gele - ſen, als was hier Hr. Klotz dafuͤr haͤlt, daßman’s139Drittes Waͤldchen. man’s dafuͤr halten ſolle? Vol. II. P. III. Lexi - con Graecum: collegit & congeſſit Damm. a)p. 272.Gleich bei dem erſten Vorwurfe fuhr ich zuruͤck: pro noſtra aequitate illud nobis ab Auctore dari volumus, vt profiteatur nobiscum, non ad vni - verſam Graecam linguam hoc Lexicon ſpecta - re wie? und hat es darauf abſehen wollen? und hat nicht der muͤhſame und gelehrte Sammler es ausdruͤcklich zur Baſis einer Concordanz und Erlaͤuterung uͤber Homer und Pindar dargeboten? und muß nicht eben das jedem Liebhaber Griechen - lands, der aus der Sprache den Geiſt der Griechen ſtudirt, ſchaͤtzbar ſeyn, in dieſem Werke der Cy - klopen die Bluͤthe der poetiſchen Sprache Griechen - lands zu finden, unvermiſcht mit der ſpaͤtern Proſe: in ihm die Mythologie der ſchoͤnſten Dichterzeiten Griechenlands zu finden, unvermiſcht mit der ſpaͤtern Philoſophie und Sophiſtik uͤber die Goͤtter - lehre: in ihm die Keime der griechiſchen Dichter - weisheit zu finden, unvermiſcht mit der ſpaͤtern politiſchen Denkart und Sittlichkeit: in ihm alſo das Gebiet einer griechiſchen Zeit zu uͤberſehen, die man durchgehends zu vermiſchen gewohnt iſt, und der ſich alles Spaͤtere erzeuget hat? Und iſt fuͤr einen Mann, der dies nicht weiß, der dies nicht einmal vom Titelblatte herab leſen mag, iſt fuͤr ſolchen das Lexicon zu beurtheilen?

Ueber140Kritiſche Waͤlder.

Ueber jede Sache in der Welt laͤßt ſich ſpot - ten, und ein Mann, wie Damm, traͤgt ſeine Fehler am wenigſten unter dem Mantel: allein die nutzbaren Fruͤchte eines ſo langen Fleißes, des Fleißes eines halben Menſchenalters beinahe, einiger Fehler wegen, die jeder --- findet, ver - ſpotten zu ſehen, verdient Mitleiden der Menſch - heit, und ich wenigſtens lege dem Verf. hiemit fuͤr ſeine zwar nicht klotzianiſch ſuͤße, aber gruͤnd - liche Ueberſetzungen, fuͤr ſeine in Allegorien zwar gekuͤnſtelte, aber ſo reiche Goͤtterlehre, als ich keine andre im Kleinen kenne: und denn fuͤr ſein zwar oft gekuͤnſteltes, aber ſehr nutzbares Woͤrter - buch, meine weiße Scherbe unbekannt hin

Orphei opera: recenſuit Geſnerus. a)p. 288.Mit einem kalten matten Lobe geht das vortrefliche und auf manchen Seiten ſo unerkannte Werk voruͤber.

Poetique Francoiſe par M. Marmontel. b)p. 296.Nicht auszuſtehen, mit welchem Jubeltone die Deutſchen noch immer franzoͤſiſche Werke aufneh - men, die, ſo Gott will! ſchoͤn, aber von Herzen mittelmaͤßig ſind. Da in Frankreich jetzt ſelten Hauptwerke des menſchlichen Geiſtes, und Gebur - ten, die Jahrhunderte leben werden, erſcheinen: ſo handeln die Franzoſen Landesmaͤnniſch, auchmittel -141Drittes Waͤldchen. mittelmaͤßige Werke mit Entzuͤcken aufzunehmen, und mit ihrem gewohnten Tone: nichts geht daruͤ - ber! zu verkuͤndigen. Aber daß wir Deutſche ihnen ſo gleich nachrufen, uͤberſetzen, cittiren, poſau - nen: daß iſt wider alle Geſetze der Nation. Hr. Klotz hat fuͤr gut gefunden, Marmontels Poetik in einem langen Auszuge, ohne weitere critiſche Verpflegung in ſein liebes Latein auszu - gießen, und ein paar Notchen mit unter zu miſchen, die den Zeh veſtſtellen, da der Koͤrper wankt.

Act. litter. Vol. III. P. II. Winkelmanns Verſuch einer Allegorie. a)p. 107.Das Ganze im Wer - the dieſes Buchs und das Weſentliche in den Feh - lern deſſelben bleibt verkannt und unberuͤhrt. Ei - nige einzelne Vorſtellungen, wo man Winkelmann durch ein Muͤnzchen, durch eine Scherbe etwas anhaben kann: im uͤbrigen auf den lieben Du - Bos gewieſen; der es ja nie zum Zwecke gehabt, den Begriff der Allegorie uͤberhaupt zu erſchoͤ - pfen; ſondern nur den Kuͤnſtlergebrauch derſelben einigermaſſen zu ſichern.

Lettres de Mentor à un jeune Seigneur. b)p. 143.Auch hier werden Dinge angeſtaunet, von denen ein deutſcher Mentor zu ſeinem Zuͤglinge ſagen wuͤrde: wir gehn voruͤber! So z. E. einige be - kannte Gedanken von der Biographie, die er aus Liebe, ſo gar durch ein Maͤrchen beweiſet durch142Kritiſche Waͤlder. durch ein Maͤrchen aus Voltairs Geſchichte Karls des Zwoͤlften. Dieſer vortreffliche Biograph, deſſen dichteriſcher Kopf gewiß vollzufuͤllen weiß, was die Geſchichte ſelbſt leer laͤſſet, erzaͤhlt uns von Karl dem Schweden ſo manches ſchoͤne Fa - belchen und Maͤrchen. (Ein kritiſches Journal,c)Litt. Br. Th. 4. das viel Verdienſte um Deutſchland hat, hat ei - nige offenbar uns als Maͤrchen gezeigt) und Hr. Klotz zieht daraus ſehr buͤndige Schluͤſſe.

Geſchichte des menſchlichen Geſchlechts. Neue Geſchichte von Hauſen: Kein Werk der neuern Litteratur iſt, ehe es erſchien, mehr aus - poſaunet worden; und kein Werk hat, da es er - ſchien, mehr die Hoffnungen des Publikum verei - telt, als dies. Daß Klotz zum Erſten das Seine redlich beigetragen, iſt auch gegenwaͤrtige Recen - ſion Zeuge. Zuerſt richtet ſie, wie billig, die Weltgeſchichte der Englaͤnder und alle deutſche Ge - ſchichte, die wir haben, Hahn, Buͤnau, Bar - re, Maſcov, und alle die neuern Compendien, die ſich des Vortrages bedienen, der die deutſchen Akademien, und die Regensburgiſchen-Reichs - vortraͤge kleiden ſoll, Buͤcher, die ſelten ihre Verfaſſer uͤberleben, und nicht fuͤr die Nachwelt, ſondern fuͤr einen Knabenunterricht, und fuͤr duͤſtre Schuloͤrter geſchrieben ſind alle dieſe, und wem hat er ſie hiemit nicht kennbar gemacht? richtet143Drittes Waͤldchen. richtet er jede mit einem Streiche hin, damit auf dem Gerippe aller das Haupt Hauſens prange.

Hernach ein Lob, das erſt mit Hr. Klotz, nachher mit Hr. Hauſens Worten geſagt, uͤber zwei voͤllige Seiten, aus ſo vollem Munde ſtroͤ - met, daß eine Periode, mit Lobeserhebungen ver - ſchnuͤrt, ſich uͤber eine Seite hinſtrecket. Ohne Zweifel wird es der Nachwelt eine vergnuͤgte Stun - de geben, den panegyriſchen Ton des Recenſenten, und das Werk des Verf. das ja ſo eigentlich fuͤr die Nachwelt geſchrieben ſeyn ſoll, zuſammen zu halten. O wehe denn! wehe den viris Cl. die ſich wechſelsweiſe loben!

Noch aber hat der Cenſor uͤber alles vorige ſo manches Bewundernswuͤrdige ausgegeichnet: Daß Proben uͤber Proben Beweiſe ſeyn ſollen, von der tiefen Kunſt des Verf. die Fuͤrſten zu charakte - riſiren, und von der Denkart deſſelben, ſein Werk durch eigne Bemerkungen Pragmatiſch zu machen: wohlan alſo an die Ausruffungen!

Wem wird das Bild Karls des Großen nicht gefallen? a)p. 172.Jn ihm findet unſer beruͤhmter Schrift - ſteller, alles, was einen groſſen Mann machet, u. ſ. w. Wem es nicht gefallen koͤnnte? Mir nicht; und wem, der einen ſchoͤnen Charakter ken - net, koͤnnte es gefallen? Statt ſo viel von hiſto - riſcher Kunſt zu ſprechen, ſollte ſich der V. vorherEins144Kritiſche Waͤlder. Eins erbitten, hiſtoriſches Temperament: die gleichmaͤßige Denkart, was er ſieht, gerad an zu ſehen, und was er ſpricht, ganz zu ſprechen; noch hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen recht ſchoͤn geſagten, und beinahe redneriſchen Cha - rakter von Karl dem Großen leſen will: ſo leſe ich ihn, gegen den der Hauſenſche nichts iſt, in unſerm deutſchen Boſſuet: in dieſem claſſiſchen Werke vielleicht das Einzige, womit unſer Cramer vor der Nachwelt erſcheinen wird

Das war das Gefallende: aber was iſt das Schoͤngeſagte bei einem Charakter der Geſchichte? nichts! Leget mir der Geſchichtſchreiber nicht erſt die Data der Geſchichte ausfuͤhrlich, richtig, ordentlich vor, daß ich nachher ſelbſt mit ihm den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener laͤngſtabgekommenen ſokratiſchen Manier, nur meine Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakteri - ſirt, ſondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten den Charakter ſelbſt finden lehret thut er dies nicht: ſo iſt der Geſchichtſchreiber ein Romanen - ſchreiber. Und das iſt Hauſen bei ſeinen geprie - ſenen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten, wo ſich Denkart aͤuſſert, ſind bei ihm wenig oder nichts mit einmal ſtroͤmt Seiten herab ein Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine Figur, zu der das Vorſtehende auch nicht einmal Fußgeſtelle ſeyn kann iſt das Geſchichte? Roman,145Drittes Waͤldchen. Roman, Dichtung mag es ſeyn: aber in der Ge - ſchichte will ich nichts glauben, was ich nicht ſehe: Thaten hoͤren, ehe ich das Bild erkenne: Geſichtszuͤge ſehen, ehe ich Perſonen charakteri - ſire: das will ich. Was druͤber iſt, iſt vom Uebel.

Hr. Hauſen iſt von dieſem, ſo wie von andern Sachen, ein williger Nachahmer der Franzoſen: aber wie jaͤmmerlich geraͤth doch meiſtens die Creatur, wenn der Deutſche den Franzoſen nach - ahmt? Dieſer mahlet uns ſeine ganze Geſchichte wenigſtens ſo, daß nachher nichts mehr und nichts weniger, als ſein Charakter, herauskommt: er ſtellet alles ſo hin, daß ſeine endliche Reflexion eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geſchichte ſo gegangen waͤre, auch wir freilich nichts mehr und wenigers folgern wuͤrden, als was er folgert. Wir leſen alſo einen ſinnreichen Roman, den wir mit ſeinen Portraͤten und Charakteren ſo lange fuͤr Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern Geſchichte kommen. Nun aber der trockne Deut - ſche? er ziehet ein verſtuͤmmeltes Skelet von Ge - ſchichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha - rakter aus einer andern Quelle heraus: ſtellt ſie ne - ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet und ſiehe da! iſt Hr. Hauſen. Ingenia principum exploravit, moresque deſcripſit, at - que cum his cauſſas elicuit eorum quæ ab iis acta,Kſunt,146Kritiſche Waͤlder. ſunt, tum, quam principum mores vim ad civium vitam fingendam formandamque habuerint, do - cuit: non ſolum docto lectori, ſed cuicunque ciui, qui maiorum vitia cognoſcere, eorum - que exemplis ſapere cupiat, prodeſſe ſtuduit: porro ſummum veritatis ſtudium vbique oſtendit, liberrime vitia principum enarrauit & &c. Vortrefliche Charaktere! eingeklebte, uͤberkleckte Bilderchen, die aus ſeiner Ge - ſchichte nicht folgen

Und oft der Wahrheit ſelbſt im Wege; oft ſind ſie nur eben ſo, wie ſie ſich die Stunde Hr. Hauſen dachte. Ob das Karl der große ſei, was er mahlet? ſo wenig, als was er uns an Luthern vorzuzeichnen beliebt. Wie? Karl, ganz ohne Fehler, ausgenommen etwas viel Liebe? Und was hat denn in ihm den Eroberungsgeiſt angefacht? was ihn von den Pyrenaͤen bis zur Nordſee, und von der Nordſee nach Pannonien, und von Panne - nien nach Rom getrieben? was die Blutſtroͤme der Sachſen vergoſſen, und Voͤlker zu Sklaven ge - macht, denen die Freiheit Alles war? Und was hat durch ihn das Longobardiſche Reich verheeret? Und was ihn zu einem Vater des Pabſts gemacht? Und was zu dem, der um die Kaiſerinn Jrene warb? Und was zu einem Liebhaber der Kuͤnſte und Wiſ - ſenſchaften? Und was zu dem Menſchenfeinde, der ſeine Haͤnde mit Blut der Deutſchen faͤrbte? Ehr -147Drittes Waͤldchen. Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wolluſt laͤßt ſich wahrhaftig weder die gute noch boͤſe Seite Karls erklaͤren, und es iſt Partheilichkeit, vor die - ſer ganz die Augen verſchließen zu wollen. Moͤnche und Capitularen und Kanzler und Schwiegerſoͤhne haben Karls Leben geſchrieben: im Moͤnchsgeiſt, im Geiſts des Pabſtthums und der lateiniſchen Verdien - ſte wo iſt ein wahrer Deutſcher, der ihn ſichte?

Und was Hr. Hauſen dem an ſich großen Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich ſo unaͤhn - lichen Ludwig: eins trift alſo ſo wenig als das An - dre. Ludwig der Fromme war eine der gewoͤhnli - lichen Produktionen ſeines Jahrhunderts, nicht beſſer und nicht ſchlechter, als ein mittelmaͤßiger gutherziger Mann der Zeit ſeyn konnte. Gelehrt, fromm, gutherzig, auf ſeine Art philoſophiſch, das ohngefaͤhr, was Jakob der erſte, nach dem Geiſte ſeiner Zeit und ſeines Landes, und manche ..... unter uns. Schon ſein Vater nahm ihn zum Mitregenten an: unter ihm wurden gluͤckliche Kriege gefuͤhrt: alles ging gut bis auf die Thei - lung ſeiner Laͤnder. Dieſe aber, lag die allein in ſeiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfraͤn - kiſchen lange gebraͤuchlichen Herkommen? Und die uͤbeln Folgen daher allein in ſeiner Schwachheit oder auch in dem Charakter ſeiner Soͤhne? Und das Gluͤck dieſer uͤbeln Folgen allein in ſeiner Schwachheit, oder auch in dem Zuſtande der Kir -K 2che,148Kritiſche Waͤlder. che, an dem ſo wohl ſein Vater, als Er, Schuld war, an dem Geiſte ſeines Jahrhunderts, den auch Karl nicht aͤndern konnte, an einer Verwicklung von Zufaͤllen, die nur der kennet, der die Zeit Lud - wigs ſtudiret. Ludwig wurde ein Opfer dieſer Zeit: daß wir ihm aber neunhundert Jahr nachher Staatsfehler nachrechnen, die uns nur der Erfolg von Jahrhunderten gezeigt hat, iſt freilich eine gute Sache, nur iſts die Sache des Geſchicht - ſchreibers?

Aber nirgends iſt ja Hauſen nach Hr. Klotz mehr in ſeinem Felde, als wenn er uns Aberglau - ben, Dummheit, und Betrug der Pfaffen mahlet . Ganz gut, wie ich glaube: nur ſollte es nicht ſo gemein, ſo ſchwatzhaft wiederholt, ſo ſchielend, und etwas eigenthuͤmlicher der Zeit ſeyn, die es gilt. Aus ſeinem Lehrſtuhle mit einem halb Voltairi - ſchen, halb noch Proteſtantiſchen Auge, nach dem Jahrhundert Ludwigs, der Ottonen, und der Hein - riche hinzielen, kann freilich nichts, als ſolche Cha - raktere, geben, wie Hr. Hauſen zeichnet, und ohne Zweifel iſts blos ſchonende Nachſicht geweſen, daß Haͤberlin, ein ſo ganz andrer Mann, der Ge - ſchichte, und den Charakteren, das iſt, den geſchwaͤ - tzigen Wiederholungen ſeines Vorgaͤngers vor ſei - ner Geſchichte noch Platz gegoͤnnet.

Und das iſt der Geſchichtſchreiber, deſſen Cha - raktere, deſſen Anmerkungen uͤber Ludwig, die Ot -tonen,149Drittes Waͤldchen. tonen, die Heinriche, deſſen tiefe Betrachtungen uͤber die Pfaffen, uͤber die Religion, und Refor - mation eine Erleuchtung unſres Jahrhunderts ſind, die Hr. Klotz ſo getreu uͤberſetzet? Das iſt der Ge - ſchichtſchreiber, der hier ſchon alle jene fruchtbare Saamenkoͤrner fallen laͤßt, die nachher zu dem Philoſophiſchhiſtoriſchen Roman uͤber die Reforma - tion aufgewachſen: buͤndige Wahrheiten, die Hr. Klotz zum Poſſen aller mit Vorurtheil behafteten, zum Voraus als Geheimniſſe der Welt vorlatini - ſirte. Das ſind die Maͤnner, die an der Religion arbeiten, deren voͤlliger Tag ſich erſt jetzt allmaͤ - lich naͤhert .a)Klotz Beitr. zu Muͤnzen S. 17. .

Kaum bin ich in der Mitte des drit - ten Bandes der Actorum, und ach! wer mag den hercyniſchen Wald durchgehen? Hr. Klotzens vollſtaͤndige Anmerkungen uͤber d’Argens Ge - ſchichte des menſchlichen Verſtandes, ſeine vor - treflichen Verbeſſerungen des Leſſingiſchen Laokoons, ſein zuruͤckſetzendes Urtheil uͤber Gebauers altes Deutſchland, die Zuſaͤtze zu Winkelmanns Kunſt - geſchichte, die ſuͤßlaͤchelnde Umarmung an ſeinen Herelius, uͤber deſſen ſo alte, mittelmaͤßige und gegen Nuͤrnberg inurbane Satyren die niedrigen Verſpottungen ſolcher Schuͤtze, die Poͤ - belpasquille auf einen Fiſcher u. a. wo mag ichK 3die -150Kritiſche Waͤlder. dieſen Moraſt durchwaten? und ſelbſt mit dieſen noch kein Ende. Jeder pruͤfende Leſer wird ſich ungemein irren, in den Actis einen Schatz von eigner Critik des Cenſors, ſelbſtgedachte Anmer - kungen, um etwa die Luͤcken, der geruͤgten Autoren vollzufuͤllen, und ihre Werke vollkommner zu ma - chen: ſtille Beleuchtungen der verborgnen Fehler, die eben nicht jedes leſende Auge ſehen doͤrfte und doch ſehen muß: eigen ausgedachte Betrachtun - gen, die da zeigen, daß der Recenſent mit dem Autor gedacht, und uͤber ihn weg, ihm vorden - ken koͤnne: ſolche Critik, und ſie iſt die einzig wahre, in den Actis? ich zucke die Schultern. Auszuͤge, Gemmenregiſter, am unrechten Orte ſchreiende Ver - beſſerungen, die jeder ſieht und wegwirft, mit un - ter niedriger Spott ſiehe da den Geiſt der Actorum. Die lateiniſche Huͤlle hat die Deut - ſchen geblendet, und auch die wird unertraͤglich, wenn wir ein nahrhaftes Buch durch Auszuͤge in ein Phraſeslatein hingeſchwemmet ſehen, wo nichts minder, als der urſpruͤngliche individuelle Charakter von der Denk - und Schreibart des Verfaſſers, uͤbrig geblieben. Auf Hrn. Klotz lateiniſcher Scene lallet Winkelmann ſo wie Hauſen, und Hauſen ſo wie Leſſing, und alle wie der lateiniſche Hr. Klotzius.

Der Verfaſſer hat uͤberhaupt ſeine ſehr enge Sphaͤhre zu urtheilen, und da er innerhalb dieſernicht,151Drittes Waͤldchen. nicht bleibt, ſondern ſeinen einſeitigen Geſichtspunkt, als Polyhiſtor, allgemein machen will: wie anders als Fehltritte uͤber Fehltritte, und ſchaale Urtheile durch einander. Ein Mann, wie Klotz, ſchreibt von Allem, Gottesgelahrtheit, Rechtsgelahrtheit, Geſchichte, Philoſophie, Alterthum, geſchnittnen Steinen, Muͤnzen, Gedichten, und von allen gleich. Beiſpiele wer mag ſie geben? wer wird in ſolchen Buͤchern des Nachſchlagens nicht muͤde? ich gebe ſie alſo aus dem Gedaͤchtniſſe. Trie - gen wirds mich nicht; denn die Spuren darinn ſind zu oft und aͤrgerlich wiederholet.

K 4Ueber152Kritiſche Waͤlder.

Ueber die Gottesgelahrtheit.

Wie kommt Herr Klotz, der Vielſchreiber, da - zu, daß er ſich bei allem Anlaſſe, zur Zeit und Unzeit, hinter die Baſedowe und Heilmanns und Tellers, als ein Maͤrtrer der Wahrheit hindraͤnge, und ſich in Klagen und Konteſtationen zu Maͤn - nern nebenanſetzet, mit denen er nichts gemein hat? Das Publikum ſchlaͤft eine Viertheilſtunde, oder iſt uͤber Feld gegangen; nachher aber machts genau Unterſcheid, wohin jemand gehoͤre, und wohin es ihm beliebt, ſich zu claſſificiren; und ſpricht als - denn gerade hin: Freund! ruͤcke hinweg!

Herr Klotz hat die Namen einiger Theologen auf der Zunge, ſelten mit Ehren, ohne daß Er doch uͤber ſie Richter und der Ueberweiſer ihrer Meinun - gen geweſen waͤre. Einer davon iſt Goͤtze. Se - nior Goͤtze mag ſeine Fehler, und wenn man will, ſeine Jrrthuͤmer haben: gut oder nicht gut, daß er dieſelbe vertheidigt: aber was gewinnt der liebe Leſer fuͤr Wahrheit und Ueberzeugung, wenn er in einer Klotziſchen Satyre das Pasquill lieſet:

Gœtzius Hamburgi clamoribus omnia complet,
Voce tonat rauca, turris templumque tremiſcit.

Was hat man damit anders geleſen, als daß Hr. Goͤtze eine durchdringende Stimme habe und Hr. Klotz153Drittes Waͤldchen. Klotz ein Spoͤtter ſey. Will der Verf. antworten: das Fehlerhafte, das Jrrige haben ihm und ſeines Gleichen ſchon andre Theologen ge - zeigt, worauf ich mich gleichſam mit einer ſtum - men Anzeige berufen darf: o ſchoͤn! die Richter haben ihr Urtheil geſprochen, und wer ſind die nun, die ſich auf der Straße hinzufinden, die dem Ver - urtheilten nachrufen, nachſpotten wer ſind die?

Jn unſerm Kritiſchen Jahrhunderte ſollten wir endlich einmal ſo weit ſeyn, auf eignem Boden und nicht nach ſolchen fremden Poſtulaten zu urtheilen. Alle Annehmenswuͤrdigkeit der Kritik faͤllt weg, wenn man, ohne Gruͤnde und Beweiſe, mit einer Schimpfſentenz losbricht, ohne daß man weiß, wo - her und wo hieher? Solche Fußung auf fremde Machtſpruͤche, mit einem Machtſtreiche begleitet, ſind immer Vorboten vom Verfalle der Litteratur geweſen: und zu unſrer Zeit iſt dies ja der Lieb - lingston dieſer und jener Zeitungen und Journaͤle. So bekommt mancher ehrliche Mann einen Ban - ditenſtich, wo er ſichs am wenigſten verſah.

Ferner: Der ſchoͤne, reinlateiniſche Styl iſt bei Hr. Klotz ſo nahe mit dem Herzen ſeiner Littera - tur verwandt, daß er an mehr als einem Orte die dogmatiſche Barbarei der Theologen, aus ihres Koͤnigs theologia poſitiva, oder Neumanns apho - riſmis ſich ſehr vornehm leid ſeyn laͤßt. Mich dauert der manchmal unnoͤthig verflogne Seufzer. K 5Bar -154Kritiſche Waͤlder. Barbarei iſt nirgends gut, und bei dem Lehrer der Religion, der uns Geſchmack an den Wahrheiten derſelben beibringen ſoll, am wenigſten; nie aber kann die Reinigkeit des Styls, die Suͤßigkeit der lateiniſchen Schreibart, nach Hr. Klotz Halbbegrif - fen in der Theologie Souveraine ſeyn, oder es wird noch aͤrger. Die Wahrheiten der Religion ſind uns nicht in Cicerons Buͤchern von der Natur der Goͤtter, ſondern in andern Sprachen, offenbart, aus denen in ihren Vortrag bei aller einzelnen Wort - reinigkeit ſich ein Orientaliſcher Hellenismus ein - ſchleichen wird, und vielleicht als Geiſt des Ganzen. Der gute Geßner hat mit Recht aus Cellars Lati - nitas eccleſiaſtica viele Barbarismen canoniſirt: und der ſtrenge Schriftausleger wird noch 'weit mehr canoniſiren: wo ihm an dem Ganzen, dem Unverfaͤlſchten, dem Unverworrenen des Begriffs Alles gelegen iſt. Wer will nun lieber eine nach den Buͤchern der Offenbarung ſtreng geſagte, un - halbirte Theologie; oder ſuͤßes lateiniſches Ge - ſchwaͤtz, wo das Runde des bibliſchen Begriffes in dem Spuͤlwaſſer ſchoͤner Umſchreibungen zerfließt? Wem iſt nicht die Sicherheit ſeines theoretiſchen Glaubens mehr, als Alles? Zweytens: Aus den Haͤnden der Exegeten, wird nun erſt die Wahrheit in die Haͤnde der Dogmatiker geliefert, denen es wie - derum Hauptgeſichtspunkt iſt, ihre Saͤtze von den Verwirrungen ſo vieler Jahrhunderte, von demGe -155Drittes Waͤldchen. Gewebe ſo mancher Ketzer und Ketzermacher loszu - wickeln, und ſie ſo rund, ſo gewiß, ſo klar darzu - ſtellen, als es hinter den Denkarten und Vermi - ſchungen ſo vieler Perioden der Religion geſchehen kann. Auch hier alſo iſt die Strenge des Begrif - fes und Beweiſes Alles. Wer will jenen und die - ſen im Gefolge ſuͤßer und reiner Worte erſt aufſu - chen? Ein Erneſti, (und weſſen Zeugniß kann hier - inn mehr ſeyn, als dieſes theologiſchen Cicero?) hat uͤber Materien, die hiezu die Grundlage ſeyn muͤſ - ſen, geredet, und ſelbſt an Heilmann die Schwuͤ - rigkeit gezeigt, lateiniſche Worte und Ausdruͤcke Gedanken des Syſtems zu ſubſtituiren. Einige neuere Dogmatiken, wovon ich ſelbſt die Schriften Mosheims nicht ausnehme, beſtaͤtigen es, wie viel von der genauen Praͤciſion und Dogmatiſchen Ve - ſtigkeit oft durch den ſchoͤnen Styl verloren gehe, und denn ſelbſt in Reden ſind die Bergerſchen Orationes ſelectiores Zeugen von den Schwuͤrig - keiten, beides zu gatten. Geſchmack - voll alſo moͤgen ſolche Klagen uͤber die Dogmatiſche Barbarei der Theologen immer ſeyn; nur gruͤnd - lich? Am beſten, daß ſich Hr. Kl. nicht darein miſche, und die Namen guter und boͤſer Theologen dem Urtheile andrer uͤberlaſſe.

Ueber156Kritiſche Waͤlder.

Ueber die Reichsgeſchichte: ein hiſtoriſcher Spatziergang.

Was muͤßte ein vernuͤnftiger Alter denken, wenn er auflebte, und unſre Geſchichte be - trachtete? Die Lehren unſrer hiſtoriſchen Kunſt, und den Kontraſt in Ausuͤbung derſelben? Doch, ach! wenn dies nur der einzige unverant - wortliche Wiederſpruch in unſrer Litteratur zwi - ſchen Lehren und Thaten waͤre!

Die Alten, Griechen und Roͤmer, haben uns ſo vortrefliche Muſter der Geſchichte hinterlaſſen, daß es ein canoniſirter Spruch geworden: hos ſe - quere! und wer waͤre es, dem man dieſen Spruch, und das nachahmungswuͤrdige Schoͤne ihrer Hiſto - riographie erſt vorbeweiſen muͤßte. Warum zie - het der kleine ſuͤdliche Strich von Europa, Grie - chenland und Rom, Jahrhunderte durch die Au - gen aller Welt ſo auf ſich? Warum gehen wir an die Geſchichte der mittlern Zeiten, im Occidente und ſo gar im Oriente, ſo ungern daran? Warum iſt in dem Koͤrper unſrer Welthiſtorie die Beſchreibung dieſer beiden Voͤlker uns gewiß nicht blos Natio - nalgeſchichte, Thaten, die im Winkel geſchehen, ſondern Merkwuͤrdigkeiten der Welt? Eine kleine Vergleichung mit andern Zeiten undGe -157Drittes Waͤldchen. Gegenden wird zeigen, wie vieles dazu auch der Ton der Stimme beitrage, der Alles dies der Welt verkuͤndigte.

Das iſt nun gut fuͤr Griechen und Roͤmer: aber warum, daß wir unſre Geſchichte nicht eben ſo verkuͤndigen? und den Ton unſrer Stimme nicht auch wuͤrdig unſres Vaterlandes und unſrer Zeit machen? Regeln genug liegen da. Hiſtori - ſche Geſellſchaften ſind errichtet. Jeder arbeitet an der hiſtoriſchen Kunſt: nur, an der Hiſtorie ſelbſt wenige. Und ſelbſt unter den wenigen, wo ſind die Thucydides, Xenophons, Livius, Ta - citus, und Hume’s unſres Deutſchlandes? Jſt es einem Wanderer, der nicht ein dogmatiſcher Kuͤnſtler der Geſchichte ſeyn will, und kein prakti - ſcher Kuͤnſtler ſeyn kann, erlaubt, den mittlern Weg der Unterſuchung zu nehmen: nicht, worinn und warum ſich die Hiſtoriographie der Neuen und Alten unterſcheide? denn dieſes große Thema iſt fuͤr dieſen Ort zu groß ; ſondern nur, warum ſich die deutſche Geſchichte nicht ſo ſchlechtweg à la Grec - que oder à la Françoiſe behandeln laſſe, wie unſre Graͤciſirenden und Franzoͤſirenden Schoͤnſprecher wollen.

Zuerſt, die aͤlteſten Nachrichten von Deutſch - land haben eine andre Bewandniß, als die alte Geſchichte des griechiſchen oder roͤmiſchen Urſprun - ges. Wenn dieſe Altmuͤttermaͤrchen iſt, ſo iſt ſiees158Kritiſche Waͤlder. es wenigſtens im Munde ihrer Landesmuͤtter, im Munde ihrer Liederſaͤnger, ihrer Dichter, ihrer Fabelſchreiber. Aus dieſer Blume von eigner Nationalmythologie wird mit der Zeit die Frucht reifer wahrer Geſchichte, ohne wunderſame Ein - pfropfungen und Bezauberungen, nach dem Laufe der Natur. Und eben das Ordentliche dieſes Na - turlaufes ergaͤnzet ungemein die Luͤcken der aͤl - teſten Geſchichte. Die erſten hiſtoriſch dichteri - ſchen Mythologiſten waren eine Produktion ihres Zeitalters: der Zeitgeiſt nahm ihnen allgemach im - mer mehr von ihrem dichteriſchen Wunderbaren: ſie fanden das Zeitalter der Wahrheit Wie viel laͤßt ſich nun bei dieſem ungeſtoͤrten Naturlaufe ruͤckwaͤrts ſchließen? wie manche Wahrſchein - lichkeit zuruͤck ausfinden, wo ſonſt nur Fabel waͤre? Wie ungemein viel von der Veraͤnderung ſolcher Landesſcenen mit Gruͤnden und Urſachen erklaͤren? Philoſophie tritt hier der Geſchichte zur Seite, wo ſie kaum noch Geſchichte iſt: ſie leuchtet auch ſelbſt, Chronologiſch gerechnet, der Wahrheit gleichſam vor: die aͤlteſte Halbgeſchichte wird pragmatiſch wenigſtens ein lehrender, ein bildender dichteriſcher Roman.

Nicht ſo unſre aͤlteſte Landesgeſchichte. Unſre Barden ſind vertilgt, mit ihnen alſo auch die ſinn - reichen Dichtungen vertilgt, die ſich aus den alt - griechiſchen Dichtern zuſammenleſen und zu demTem -159Drittes Waͤldchen. Tempel voll ehrwuͤrdigen Ruinen aufhaͤufen laſſen, an dem die Antiquarien ſeit Jahrtauſenden gebauet. Aus Dichtern und uͤber Dichter laͤßt ſich auch hi - ſtoriſch am beſten dichten: wie aber, wo keine ſolche Dichter da ſind? Man tritt in den Tempel der griechiſchen Geſchichte: Choͤre von Saͤngern em - pfangen uns, und hinter ihnen dringen Dollme - ſcher ihrer Geſaͤnge doch unmittelbar an. Doll - metſcher der Wahrheit? freilich nicht! aber ſo man - cher Wahrſcheinlichkeit, ſo mancher Erzaͤhlung, die den Boden der Geſchichte nicht ganz leer laͤßt, ſo mancher Sage, die ungemein klug machen kann: durch die Griechen und Roͤmer ihrer Geſchichte ſo viel Farbe des pragmatiſchen Urſprunges gegeben, die manchen Schulgruͤbler geblendet, die unſre Huͤb - ners mit ſo artigen Maͤhrchen ausgefuͤllt, die ſo viel antiquariſche Hypotheſen und Unterſuchungen veranlaſſet alles nicht bei der deutſchen Ge - ſchichte. Jch trete in ihren Tempel und die Stimme der Barden ſchweigt. Kein Laut, kein Echo vergangener Zeiten.

Aber die Taciti unter den Roͤmern? Sie haben mit ihren einzelnen Sylben und Stuͤckwerken von den Deutſchen uns mehr Ton gegeben, als ganze Liederſammlungen der Barden. Sie, Schrift - ſteller eines gebildeten Roms, Geſchichtſchreiber, die an den Merkwuͤrdigkeiten ſo viel anderer Voͤlker ihren hiſtoriſchen Geiſt gebildet hatten: ſie, Geſchicht -ſchrei -160Kritiſche Waͤlder. ſchreiber der Deutſchen nach roͤmiſcher Weiſe und eben des alles wegen ſehr einſeitige Schrift - ſteller Deutſchlands. Da ſie die Deutſchen nur uͤber und von den Graͤnzen aus, nur als Fremde, nur als ungeſittete Barbaren, nur als Feinde kann - ten: ſo kannten ſie ſie nur immer, ſo fern ſie nicht Roͤmer waren, und das iſt wenig. Wer ſich nicht in die eigenthuͤmliche Denkart eines ſo verſchied - nen Volks verſetzen, aus dem eigenthuͤmlichen Geiſte deſſelben, aus den Geheimniſſen ſeiner und ihrer Er - ziehung urtheilen kann, der weiß nur immer wenig: und wer als fremder, unbekannter, politiſcher Feind, und was uͤber alles iſt, als Menſch einer andern Denkart ſchreibet, immer wenig. Er kann blos die von ſeinem Volke und ſeiner Cultur abſte - hende, oder hoͤchſtens die ihnen zugekehrte Seite zeichnen, und freilich die zeichnen Roͤmiſche Taciti vortreflich.

Jndeſſen ſieht man, was hier zu einer prag - matiſchen Geſchichte fehlt? wie ſehr ſie in dieſem verlaſſenen Anfange von der Roͤmiſchen und Grie - chiſchen Hiſtorie, die die Origines ihres Volks, in einlaͤndiſchen alten Schriftſtellern beſitzen, abſteche? in welchem Geſichtspunkte man allein die Roͤmer brauchen? auf welche Luͤcken man lieber zeigen, als ſie hinterliſtig verbergen? kurz! daß von den alten Deutſchen keine innere pragmatiſche Geſchichte zu geben ſey

So161Drittes Waͤldchen.

So bis auf den Karl den groſſen: in ihm aber entwickelt ſich ein Zeitpunkt, der freilich ſo vieler hiſtoriſchen Jntuition faͤhig iſt, als einer ſeyn kann, nur daß er noch keinen ſo intuitiven Philoſophen uͤber ſich gehabt. Karl koͤnnte in der Nacht ſeiner Zeiten, wie ein Stern ſeyn, der uͤber Frankreich, Deutſchland und Jtalien leuchtet.

Jetzt aber ſein Geſchlecht wie viel gehet hier von dem Stempel der pragmatiſchen Geſchichte weg. Ein Zeitpunkt der Barbarei und des Aberglaubens; ſiehe da! dieſe Larve liegt auch auf allen Geſichtern der Zeit, ſie iſt Geſichtspunkt der Begebenheiten, Triebfeder der Thaten, Farbe der Veraͤnderungen, Ton der Hiſtoriographen. Nun wolle ein griechi - ſcher Portraitmahler Charaktere zeichnen: und ſiehe! da ſtehet eine Reihe voll heiliger oder unheiliger Affengeſtalten, Kreuz in der Hand, und Kreuz auf dem Haupte, vor oder gegen die Pfaffen be - ſchaͤftigt, entweder canoniſirt oder im Fegefeuer, weder im Guten noch Boͤſen frei, eigenthuͤmlich, Roͤmiſch, Griechiſch. Einfoͤrmige Moͤnchspa - trone, oder Moͤnchsfeinde, ein in Nichtswuͤrdig - keiten wuͤhlender Unheiliger, oder was noch ſeichter iſt, ein Heiliger ora pro nobis Eine Gal - lerie ſolcher Koͤpfe, was iſt ſie gegen die Reihe Roͤ - miſcher und Griechiſcher Helden und Unmenſchen in Plutarch und Tacitus? Hauſen ſei Gewaͤhrs - mann unter Carolingern, Sachſen und Franken. LEr162Kritiſche Waͤlder. Er betet ſeine einfoͤrmigen Charaktere ſo wiederho - lentlich her, als eine Nonne die Vaterunſer ihres Roſenkranzes: und Haͤberlin, der nicht hinter her beten wollte, muß alſo nur zu Ende der Zeitraͤume charakteriſiren wie viel kluͤger!

Jn dieſer Zeit faͤngt ſich an das heutige Roͤ - miſche Reich zu bilden. Die große Waſſerblaſe iſt zerſprungen: kleinere reißen ſich los: und durch ein wechſelndes Zerſpringen und Werden iſt die Menge kleiner Fuͤrſten, gleichſam am Rande des Gefaͤßes, geſichert. Hauptgeſichtspunkt iſt alſo nicht blos der Reichs -, ſondern der deutſchen Ge - ſchichte uͤberhaupt, daß man dieſe allmaͤliche Schoͤpfung zum heutigen Staatskoͤrper bei je - der Progreſſion der Umbildung merke, genau aus Urkunden anmerke, auszeichne.

Einige ſuͤße Herren unſers Jahrhunderts haben ſich mit guter Manier von dieſem dunkeln und be - ſchwerlichen Wege losgezaͤhlet, und vornehm zwi - ſchen Reichsgeſchichte und Geſchichte Deutſchlands, zwiſchen genauen Nachrichten von der jedesmaligen Staatsverfaſſung, und zwiſchen einer ſchoͤnen Ge - ſchichte voll Charaktere und huͤbſcher moraliſchen Reflexionen unterſchieden. Das Citiren der Ur - kunden, die veſte Beſtimmtheit bei jedem Schritte, das gerade Hinblicken auf Staatskoͤrper u. ſ. w. iſt eine Pedanterie, die man einem Profeſſor des Staats - rechts allenfalls verzeihen koͤnne: die Mascove,Buͤ -163Drittes Waͤldchen. Buͤnaus und Hahne ſind veraltete Bibliothekenwaͤch - ter: die Puͤtters und Gatterers endlich noch zum leidigen Gebrauch ihrer Reichsurkundlichen Zuhoͤrer: die Hauſens und alle neuere ſchoͤne Geiſter ſchrei - ben beſſer: ſchoͤn, mahlend, pragmatiſch. Scha - de der trocknen Reichs - und Staatsgeſchichte.

Und was iſt denn eine Geſchichte Deutſchlands, die dies nicht waͤre? Eine Griechiſche und Roͤmi - ſche war eine Geſchichte von Republiken ganz andrer Art, oder einzelnen großen Welthaͤndeln, eines großen Mannes, oder einer großen Verſammlung, die das Triebrad der groͤßten Begebenheiten waren. Deutſchland im Verfolg ſeiner Jahrhunderte iſt we - der Athen noch Rom, weder eine Monarchie, noch eine Republik, die der ganzen Welt (dieſer orbis terrarum ſei nun ſo groß, als er wolle) Ton gaͤbe: weder ein Schauplatz Griechiſcher Cultur und Freiheit, noch des Roͤmiſchen Eroberungsgei - ſtes. Es iſt in ſich eingezogen ein werdendes heiliges Roͤmiſches Reich, das noch heute in ſeiner Einrichtung das ſonderbarſte von Europa iſt; es iſt Jahrhunderte durch ein Chaos, aus dem ſich Herzoge, Grafen und Herren, Biſchoͤfe und Praͤ - laten heben: ohne die es kein Deutſchland gibt. Wie alſo eine Geſchichte Deutſchlandes, die keine Staats - oder Reichsgeſchichte ſei? Eine Reihe von Roͤmiſchen Kaiſern in ihren Bruſtbildern, in ihren Privatanekdoten, in ihren Leibes - und Seelenbe -L 2ſchaf -164Kritiſche Waͤlder. ſchaffenheiten, zuſammt ein Paar ihrer Thaten, fuͤl - let nichts aus, ſo lange Deutſchland kein Schau - platz des Deſpotiſmus oder der Diktatur geweſen; ja das Meiſte von dieſem allen hat oft nicht einmal aufs Ganze Einfluß. Eine Kaiſerhiſtorie fuͤr eine Geſchichte Deutſchlands genommen: ſo wird alles neben ihnen vergeſſen, was doch das wahre Deutſch - land iſt: das liebe Herz der Kaiſer mahlen, das doch nicht eben, wie der Charakter Alcibiades, Ale - xanders, Auguſtus und Nero, zugleich das Herz Deutſchlands war? Eine Kaiſerkrone ſchildern die auf ihren Kuͤſſen oft ruhig lag, und gewiß den Kopf von Deutſchland nicht ausmachte.

Jeder ſiehet, daß hier kaum eine Pragmati - ſche Geſchichte nach Art der Alten moͤglich iſt. Dort gingen alle Faͤden an gewiſſe Hauptenden zu - ſammen, aus denen ſie ſich geſponnen: hier ſteht man Jahrhunderte durch am brauſenden Meere, damit aus ihm eine Menge von Jnſeln werde. Wo hier Einheit? wo Evidenz? wo Jntereſſe nach Art der Alten, wenn ihre Geſchichte das Muſter ſeyn ſoll? Die Geſchichte von Deutſchland muß ſo ein Original ſeyn, als Deutſchlands Verfaſſung.

Und iſt dieſe werdende Verfaſſung Hauptge - ſichtspunkt, wo kommen wir hin, wenn wir Ur - kunden und Diplome, u. ſ. w. verachten, und ſchoͤn franzoͤſiſch dichten? Dichten laͤßt ſich noch zur Noth der Roman eines Monarchen, einer einfa -chen165Drittes Waͤldchen. chen Republik: aber uͤber die trockne Frage: wie ward jeder in Deutſchland, was er iſt? was iſt er in jedem Zeitalter geweſen? uͤber die laͤßt ſich nicht dichten. Eine Geſchichte voll Geiſt und Thaten, wie die Alte, wird unſre nie werden; ſie iſt eine trockne Geſchichte des Ranges, des Rech - tes, des Zanks; aber eine Franzoͤſiſche ſollte ſie nie werden wollen, weil ſie bei ihren Materien mit Wahrheit und Genauigkeit Alles verliert. Nicht der Geiſt des Vernuͤnftelns kann ihre Seele ſeyn; denn wie wenig iſt in Deutſchland durch Vernuͤnf - telei geworden? fortgehende Aufklaͤrung ihres ganzen Seyns iſt ihr Geiſt und Leben

Die Geſchichte der Carolinger, Sachſen und Franken iſt hiezu eine wichtige, aber wie verdrieß - liche, wie verwirrte, wie unannehmliche Scene, wenn wir franzoͤſiſch denken, wenn wir blos malen, vernuͤnfteln, uͤberraſchen, und darf ich noch dazu ſetzen, blos bilden wollen? Der Charakter der Deutſchen hat von jeher das Trockne gehabt, ſich um einen Ceremonienrang, um dies und jenes ur - kundliche Hoheitszeichen, um ein und das andre Recht, nicht weil es Vortheil, ſondern weil es Rechtsfoderung war, zu intereſſiren, ſich inte - reſſiren zu laſſen, ſich oft die Haͤlſe zu brechen. Dieſen Charakter wird auch die Geſchichte Deutſch - lands nicht verlaͤugnen, und muß ſie es nicht, wenn wir ſie nach einer andern, ſie ſei Griechiſch oderL 3Roͤ -166Kritiſche Waͤlder. Roͤmiſch, Brittiſch oder Franzoͤſiſch, modeln wollen? Der Geiſt, der alle dieſe Voͤlker belebte, und wenn wir ihn auch jedesmal Ehre nennen wollen; Him - mel! wie ſehr iſt nicht die Griechiſche Ehre, und die Roͤmiſche Ehre, und die Brittiſche Ehre, und die Franzoͤſiſche Gloire und der Deutſchen Rang verſchieden? oder wenn wir dieſe Triebfeder hier und da auch Freiheit nennen wollen, nicht noch im - mer verſchieden? Und wenn nun eine idio - tiſtiſche Nationalgeſchichte der Deutſchen, Merkmale dieſer deutſchen Freiherrlichkeit, einige Franzen dieſes Ceremonienhimmels, und wenn ſie auch ſo ſehr auf Koſten ihrer Nation geſponnen waͤren, ha - ben muß; wird da nicht eine gewiſſe trockne Puͤnkt - lichkeit, ein ſteifer gemeſſener Schritt von Urkunde zu Urkunde oft beinahe unvermeidlich ſeyn?

Und fuͤr Deutſche faſt unentbehrlich. Es ſei Ungelenkigkeit, oder was es ſei, daß ich bei Ge - ſchichte auf ſchoͤnen Vortrag und Weltweiſe Anmer - kungen nur immer zuletzt ſehe, bei jedem Factum trockne und genaue Nachricht, bei jedem Datum ſiche - re Gewaͤhrleiſtung verlange, und bei manchen ſchoͤ - nen Geſchichtsromaͤnen mal uͤber mal mit Unwillen frage: redeſt du das von dir oder haben dirs andre geſagt? daß ich mit Unwillen umherirre, wenn ich nicht weiß, ob dies Sache, That, Geſchichte oder Bemerkung, Einfall, Meinung des Ge - ſchichtſchreibers iſt: daß ich mit Peinlichkeit unter -ſchei -167Drittes Waͤldchen. ſcheide: iſt dies Geſchichte Englands, wie ſie ge - ſchehen iſt, oder wie Hume meint, daß ſie ſich haͤtte zutragen koͤnnen? ja, daß ichs fuͤr Fehler und Verderbniß aller Geſchichte halte, auf nichts als Hiſtoriſche Kunſt, Epiſche Anordnung, Pragma - tiſche Bemerkungen, Philoſophiſche Einlenkungen zu dringen, unter denen ich den nackten wahren Koͤrper der Geſchichte ſo wenig erkennen kann, wie er iſt, als wenn der Emil des Bruder Philipps vor ſeinen Gaͤnschen ſtille ſtehen, und aus dem aͤußerlichen Anzuge, und dem Reifrocke, und der Schnuͤrbruſt deſſelben auf die verborgene wahre Geſtalt des geputzten weiblichen Koͤrpers weiſſagen ſollte. Bei aller unſrer Zurichtung der Hi - ſtorie fuͤr den guten Geſchmack ſollte es alſo Haupt - regel ſeyn, genau dem Leſer die Graͤnze zu bezeich - nen, wo Geſchichte aufhoͤrt, und Vermuthung anfaͤngt; ja genau den Grad der Gewißheit bei je - dem Tritte. Gehoͤrt dies nun der ganzen Ge - ſchichtskunde als Eigenthum zu: vielmehr unſrer ſtrengen trocknen Deutſchen. Bei uns kommt das Wort Geſchichte, nicht von Schichten und Epiſch ordnen, und Pragmatiſch durchweben, ſondern von dem vielbedeutenden ſtrengen Worte: geſchehen her, und daruͤber will ich auch nicht bis auf Einen Punkt in Ungewißheit bleiben.

Darf ich mein Gutachten zu einer deutſchen Reichs - geſchichte fortſetzen? Viele Jahrhunderte durch iſtL 4Deutſch -168Kritiſche Waͤlder. Deutſchland in die Geſchichte eines andern Landes rechtlich, und dazu kirchlich verwickelt geweſen, und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung iſt fuͤr Deutſchland nach ſeiner Verfaſſung, und fuͤr einen Geſchichtſchreiber, der dieſer Verfaſſung folgen will, die groͤßre Verwicklung. Dies Land iſt Jtalien. Pfaffen waren die Bekehrer der Deutſchen zum Pabſt, und dieſe Paͤbſtlichen Apoſtel, vom heil. Bonifacius an, wurden die erſten Reichsfuͤrſten: Pfaffen und Biſchoͤfe wurden die erſten Reichsſtaͤnde und Freiherrlichkeiten: die erſten kleinen Souverai - nen und Friedensſtoͤrer. Nicht blos alſo daher, daß Deutſchland gleich von ſeiner erſten Formung vor andern eine ſehr kirchliche Geſtalt bekam, ſon - dern auch, daß lange nachher ſeine Kriege ſo oft nahe an Pfaffenſtreitigkeiten und Biſchofsvorzuͤge graͤnzten. Und da dieſe Rang - und Rechtsgeiſtli - che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer Deutſchland: wie anders, als daß daher der Mit - telpunkt deutſcher Thaten und Geſchichte ſo lange und oft außer Deutſchland faͤllt, nach Jtalien, nach Rom hin eine neue Quelle hiſtoriſcher Ver - wirrungen! Und wie anders, als da dieſe Paͤb - ſtiſch - Jtalieniſch - Deutſchen - Geſchichte ſo lange und oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts - ſtreitigkeiten enthalten, dieſe die trockenſten, ver - wickeltſten, und oft eckelhaft ſeyn muͤſſen? Und doch muͤſſen ſie es ſeyn. Und doch iſt eben dieſeEnt -169Drittes Waͤldchen. Entaͤußerung Deutſchlands deutſche Geſchichte. Und doch eben dieſe Streitigkeiten und Rang - und Roͤmerzuͤge der Urſprung deutſcher Verfaſſung wie wenig Franzoͤſiren kann hier unſre Geſchichte! Der Hiſtoriograph muß hier ſchon Schild - und Wappentraͤger des heil. Roͤmiſchen Reichs werden, er wolle, oder nicht.

So laͤuft die Geſchichte viele Kaiſerreihen her - unter, wo der Hiſtorikus auf einem Gebirge ſitzen muß, um auf Deutſchland und Jtalien ſeine Augen fliegen zu laſſen, um keine bloße Fuͤrſten - noch Kaiſer - noch Pabſtgeſchichte, ſondern eine Hi - ſtorie deutſcher Nation zu ſchreiben, wo dieſe ſich findet, in Kreuz - oder Roͤmerzuͤgen; wo ſie lernet, in Neapel bei den Saracenen, oder in Schwaben bei den Saͤngern der Liebe: womit ſie ſich beſchaͤf - tigt, es ſei mit dem Fauſtrechte oder Guelfenſtreite uͤberall Deutſche Geſchichte: und jedesmal der Geſchichtſchreiber ein Hausgenoſſe, ein Miniſterial des Zeitgeiſtes. Helle Punkte, leuchtende Sterne, Milchſtraßen gibts uͤberall, inſonderheit im Schwaͤ - biſchen Zeitalter: aber der Grund bleibt naͤchtlicher Himmel: Reichsurkundliche Trockenheit!

Bis auf die mittlere Habsburgiſche Geſchichte, wo ſie ſich mehr entwickelt, aber auch mit jedem Zolle der Entwickelung rechtlicher und Reichsurkund - licher wird. Das Gerechtſame, das Reichskraͤf -L 5tige170Kritiſche Waͤlder. tige wird immer augenſcheinlicher Deutſchlands Geiſt, und ſo auch Geiſt Deutſcher Geſchichte. So fort bis auf Maximilian und Karl den fuͤnf - ten, deren Zeitalter ich fuͤr den Mittelpunkt aller Geſchichte hinter den Roͤmern, fuͤr die Baſis aller neuern Europaͤiſchen Verfaſſung, und fuͤr einen Raum halte, der durch alle Laͤnder Europens hin - uͤber der vortreflichſte zu der beſten hiſtoriſchen Be - arbeitung ſeyn muͤßte. Von hieraus faͤngt ſich alles an, Staats - Litteratur - Religionsveraͤnde - rung eine neue Geburt des menſchlichen Gei - ſtes durch ganz Europa.

Weiter gehe ich nicht: wie ſich die neueſte Deutſche Geſchichte pragmatiſch behandeln laſſe, werden Adlung und Hauſen beantworten, jener ein Zeitungsſtoppler, dieſer ein Geſchichtmaler zur Gnuͤge. Jch ziehe aus meinen Miſcellaneen nur dies heraus: daß die Deutſche Geſchichte ſich gar nicht halbgriechiſch oder halbfranzoͤſiſch behandeln laſſe ein Thema, das ich an anderm Orte mit verungluͤckten Beiſpielen beweiſen werde. Hier nur ſo viel: daß Hr. Kl. ohne innere Kenntniß der Sache urtheile, wenn er die Mascove, und Buͤ - naus, und Puͤtters ſo tadelt, wie er tadelt, und ohne Kenntniß der Sache urtheilet, wenn er die Hauſens auf Koſten dieſer Maͤnner lobet. Ei - ne deutſche Geſchichte ſoll freilich noch geſchrieben werden: aber wahrhaftig nicht nach KlotziſchemJdeal,171Drittes Waͤldchen. Jdeal, da dieſer Vielwiſſer aus einigen Probena)Siebe zuruͤck in die Veurtheil. des Beitr. zur Ge - ſchichte der Muͤnzen. nichts weniger zu wiſſen ſcheint, als Deutſche Ge - ſchichte

Und Griechiſche Geſchichte wenn ich man - che ſeiner Urtheile uͤber das Jnnere Griechenlandes, und am meiſten ſeinen ſuͤßen in lauter hogarthſchen Wellen und Schlangenlinien ſchleppenden Stil be - trachte nie hat Hr. Kl. weiſer geurtheilet, und weiſer geſchrieben, als da er dem Auszuge aus der Allgemeinen Weltgeſchichte, wichtigerer Thaten wegen, entſagte.

Ueber die Philoſophie des Hrn. Klotz.

Klotz und die Philoſophie! das Paar ſcheint ſich nicht ſonderlich zu lieben, und wenn beide gar offenbar gegen einander antipathiſiren, was wollte ſie verbinden? Nur ſollte das Maͤnnlein auch alſo das arme Fraͤulein unbeſchimpft laſſen, und nicht an ihrer Ehre kraͤnken.

Gegen die Metaphyſik hat Hr. Klotz feierlich eine ſatyriſche Lobredeb)Ridic. litter. gehalten: er hat ihreallwei -172Kritiſche Waͤlder. allweite Herrſchaft, ihre Abſtammuug von der Zankgoͤttinn, ihr Regiment uͤber die Theologen, Juriſten und Poeten, ihre Nutzbarkeit zu Zaͤn - kereyen und Erfindung neuer Woͤrter, ihre An - nehmlichkeit und Unſterblichkeit ſo fein und langweilig ausgeziſcht, daß ich nicht weiß, was ich erſt fragen ſoll? ob nach der Gruͤndlichkeit der Materie, oder der Neuheit der Jronie, oder der Beſtimmtheit des Spottes, oder der Kuͤrze in Wendungen wornach zuerſt? Hr. Kl. geruhet, die ganze Metaphyſik, ohne Einſchraͤnkung und Beſtimmung, ihrem Weſen und Nutzen, und nicht ihrem Misbrauche nach, ohne Reim und Ur - ſache, ſchaal und matt auszuziſchen O des Phi - loſophiſchen Satyrs im achtzehnten Jahrhundert.

Gegen die ſcientifiſche Methode, und gegen die ſyſtematiſche Philoſophie und gegen die barbari - ſchen Kunſtwoͤrter der Philoſophie hat Hr. Kl. einen magern, wiederholten Spott ſich ſo zur Falte eines verrunzelten Geiſtes werden laſſena)Opuſc. var. argum. und Ueber das Stud. des Alth. u. ſ. w., daß er auf dieſer Saite ſehr gerne leiert. So tief wie Cicero, und ſo ſyſtematiſch wie Montagne, ſollen unſre Phi - loſophen philoſophiren; ſie ſollen die metaphyſiſche Grundlage, die Polybius und Tacitus geliefert, weiter ausbauen: ſie ſollen ſo genau und beſtimmt wie Baco ſprechen, und Montesquieu, wie wirſchon173Drittes Waͤldchen. ſchon eine Probe haben, in ein Compendium bringen: das will Hr. Klotz, oder redet wenigſtens ſo unbe - ſtimmt, und der trocknen philoſophiſchen Genauig - keit und Ordnung ſo gehaͤßig, als ob er dies wollte.

Sie raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter! dies ſagt Luther von der Grammatik der Worte, und noch mehr ließe es ſich von der Grammatik der Gedanken, von der Philoſophie, ſagen. Sie raͤ - chet ſich gegen ihre Veraͤchter, und ſie hat ſich reich - lich an Hrn. Klotz gerochen. Sie, die genaue Philoſophie iſts, die jeden Satz in ſeinem Muͤnzen - gerichtlein beſtimmt und veſt gemacht hat: ſie, die genaue Philoſophie iſts, die ſein Buͤchlein von der verecundia Virgils geſchrieben, die mit ihm uͤber Homer critiſiret, die die Mythologie verworfen und uns eine neue geſchaffen, die gegen Leſſing geſtritten, die aus geſchnittnen Steinen eine Aeneide und Jliade erbauet, die die Halliſche deutſche Biblio - thek, wie ein Weltgeiſt, und ein rector Archaeus fuͤllet; die in alle Schriften meines Hrn. Verfaſ - ſers Ordnung bringet; die ihn nie ein Wort zu viel und unzeitig und unertraͤglich ſchielend ſchrei - ben laͤſſet; die die Baumgartenſche Aeſthetik, und die Wolfiſche Philoſophie in Stuͤcken zerhauena)S. Klotz. Bibl. vom Anfange an bis zum kuͤnftigen ſeligen Ende.; die in einem Athemzuge ohne ein ſtummes Wort des Beweiſes Hollmann zum Schulphiloſophenund174Kritiſche Waͤlder. und Palaͤologus, der nichts, was ſchoͤn iſt, ken - net, Cruſius zum Diebe Hoffmanns, und die Darjeſianer ihrem meiſten Theile nach zu Barba - ren ohne Geſchmack, ohne Wiſſenſchaft und Kenntniſſe macht: ſie iſts, die große Freundinn des Hrn. Klotz, die Philoſophie. Sie raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter!

Nun komme ich endlich in das rechte Feld des Hrn. Kl., wo er unter geſchnittenen Steinen und Muͤnzen und Scherben daſitzt, wie ein Kind unter Schnecken, und bunten Steinchen und Spielzeuge: Jch ſoll von ſeinem Buche reden:

Ueber die geſchnittnen Steine.

Wo doch Hr. Kl. wahrhaftig alle ſeine Bele - ſenheit, recht haͤßlich weite Gelehrſamkeit, und recht honigſuͤßen Geſchmack bewieſen hat? Habe er doch! Mein einziges Urtheil iſt dies, daß, wenn ein Mann wirklich ſo viel große, ſchoͤne, koſt - bare Werke nachgeleſen, nachgeſchlagen hat, und nichts mehr, als die elenden, trivialen Anmerkun - gen, das halbkluge und verzuckertſuͤße Geſchwaͤtz herausleſen und herausauſſchlagen kann, was Hr. Kl. hier vorzeiget: ſo ſchlage man ihm die Buͤcher zu. Mit175Drittes Waͤldchen. Mit allem ſeinen Leſen wird der beleſene Leſer in ſeinem Leben nichts Rechts herausbringen.

Ein denkender Schriftſteller, der da irrt; und ein irrender Schriftſteller, der da denkt; und ein ſtrauchelnder Schriftſteller, der noch nicht gnug ge - leſen, aber leſen kann: der nehme Buͤcher in die Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große Sachen hervordenken: ſein Geiſt wird wachſen. Aber der Anagnoſte, der da lieſet, um geleſen zu haben, und citirt, was er nicht geleſen, und mit allen ſeinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt ſich einen Rock von Citationen zuſammen, um ſeine Bloͤße zu decken.

Fuͤr wen ich zu frei ſchreibe, der ſage mir: was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch - ſtabenbeleſne Klotz denn bisher mit ſeiner Lecture Neues geſagt? Wer mit ſo vieler Beleſenheit uͤber Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geſchmack auf Muͤnzen, und den Nutzen der geſchnittnen Steine nicht mehr ſagt, als Er, der hat mir nichts geſagt: der ſage Nichts.

Herr Klotz hat aus Urſachen, die ich nicht weiß, und nicht wiſſen will, den guten Vorſatz ge - habt, die Lipppertſche Dactyliothek der Welt und inſonderheit den Schulen anzupreiſen. Es ſei gu -ter176Kritiſche Waͤlder. ter Vorſatz. Es ſei, daß dazu die Anpreiſung unſrer halbhundert Deutſchen und Lateiniſchen Journale, Bibliotheken, Akten, Zeitungen nicht gnug war: es ſei, daß das eigne Lippertſche Ver - zeichniß, woraus ich mich nicht ſchaͤme, manches gelernt zu haben, nicht gnug war: es ſei, daß die Anpreiſung der Bibliothek d. ſch. W., der Goͤt - tingſchen Zeitungen, und aller der Journale, in de - nen Hr. Klotz, als ein Proteus, in mehr als einer Zunge und Sprache redet, nicht gnug war: aber warum mußte denn Hr. Klotz ſo gar Lipperten pluͤndern, und was dieſer in Reihen ſagt, Seiten - lang wiederkauen? warum denn Caylus und Win - kelmann pluͤndern, die doch jeder Halbkenner ken - net! warum ſo ein unordentliches Gemiſch von An - merkungen, wo man nicht weiß, ob der Steinle - ſer mit Knaben oder mit Kuͤnſtlern, oder Gelehr - ten, oder Liebhabern ſpreche? warum nach allen ſolchen Anfuͤhrungen ſo arm, wie eine Kirchenmaus, erſcheinen?

Es wird mir ſchwer, mich uͤber Einzelnheiten zu erklaͤren, und das wiederzufinden, was ich im Buche des Hrn. Kl. vorbeiging. Ohne Abſchnitte und Theilungen watet man in ihm eine Strecke von zweihundert ſieben und dreyßig Seiten, ich haͤtte beinahe geſchrieben, Meilen, durch eine große Sandwuͤſte, ohne Ruheplaͤtze, voll lauter Miſch - materien, in denen der Autor bald mit der liebenJu -177Drittes Waͤldchen. Jugend, bald mit dem lieben Kuͤnſtler, und bald mit dem Antiquarienſammler ohne Geſchmack, und bald mit dem Liebhaber voller Geſchmack, und mit Einem, wie mit dem Andern redet ſo wallet man eine Duͤrre von eignen Gedanken durch, um hinten auf ein ſehr unterrichtendes Furienhaupta)Jch habe es beigefuͤgt, um Hr. Leſſing zu uͤberzeugen, daß die alten Kuͤnſtler u. ſ. w. zu kommen, das mich nicht aus dem Gedaͤchtniß herfragen ſollte, was ich geleſen? So watete Ale - xanders Heer die Lybiſche Sandwuͤſte durſtig und in der Sonnenhitze gebraten durch, und fand ein Ziegenbild, einen gehoͤrnten Jupiter Ammon.

Fallen wir Deutſche nicht immer von einem Aeußerſten aufs andre? Vor kurzem der Geſchmack in Paragraphen: aus Paragraphen wurden zer - ſchnittne Brocken von Capiteln à la Montesquieu: nun wieder Akademiſche Diskurſe ein ganzes Buch durchweg, ohne Kopf und Hand, eine langgeſtreckte ſich fortringelnde Schlange, ein liebes Bild der Unendlichkeit. Jn Kritiſchen Waͤldern herumſpa - tzieren, heißt freilich nicht wie ein Seiltaͤnzer ſchrei - ben; aber in einem Werke, wie des Hrn. Klotz, wo er die Kuͤnſtler lehret, und den Liebhaber vor - ſchmecket, und den Antiquaren vorerklaͤrt, und die liebe Jugend umarmet, und uͤberall ſo wichtig und vornehm ſpricht: da keinen Plan und Ordnung haben?

DochM178Kritiſche Waͤlder.

Doch ich weiß, warum ihn Hr. Klotz nicht haben mag; wenigſtens darf ichs rathen. Jſt ein Buch genau eingetheilt: ſteht jedes Chor unter ſeinem Hauptmanne: ſo iſts leicht zu uͤberſehen und, wenn ich dazu ſetzen darf, auch leicht zu pruͤfen. Das Auge laͤuft druͤber weg, und da es jedes ſeine Stelle weiß, ſo weiß es auch: wo dieſes her? war - um jenes nicht da iſt? Es haͤlt ſcharfe Muſterung im Einzelnen und im Ganzen, es pruͤft, wie viel jede Materie neu, wahr, vollſtaͤndig ſey. Wer ſeine Voͤlker aber nach Codomannus Art, auf gut Scythiſch oder Perſiſch ſtellt: freilich, der iſt auf eine ſehr eigne Weiſe unuͤberſehbar.

Jch nehme z. E. das Winkelmanniſche Ge - baͤude der Kunſtgeſchichte welch ein großer er - goͤtzender Blick, der ſich an der Ordnung, Har - monie und Vollkommenheit der Theile und des Ganzen weidet! Einheit und Mannichfaltigkeit! Groͤße und Schoͤnheit! zum Anſtaunen und zur ſuͤßen Anſchauung des Schoͤnen! Ein Griechiſcher Pallaſt, an Materialien ein Werk der Cyklopen, an Bauart und Form ein Maͤchtniß der Goͤtter, in Auszierung eine Arbeit der Grazien und Muſen wer wuͤnſchte ſich nicht, es gebauet zu haben? Jch nehme Klotzens Buch uͤber die geſchnittnen Steine; mit allem ſeinem kleinen Mannichfaltigen iſts ein Haufen kleiner Ruinenſtuͤcke und Scherbchen.

Und ſein Vortrag, ſein Styl? damit es nicht heiße, als ſuche ich mißguͤnſtige Stellen auf:o ſo179Drittes Waͤldchen. o ſo leſe man den honigſuͤßen, bis zum Ekeln ſuͤ - ßen Anfang:

Wenn die gute Abſicht, die ein Schrift - ſteller bei ſeiner Arbeit gehabt hat, zugleich fuͤr dieſelbe eine Empfehlung ſeyn kann: ſo ver - ſpreche ich dieſem Buche einigen Beyfall und ih - rem (des Buchs oder der Abſicht?) Verfaſſer von den Freunden der Kuͤnſte und des Geſchmacks Dank. An guter Abſicht hat es bisher, Gott ſei Dank! noch keinem Schriftſteller gefehlt; und kann ſchon die gute Abſicht nach Hr. Kl. ſuͤßer Manier zu ſchreiben: Empfehlung ſeyn: ſo ver - ſpreche ich allen Betruͤbten und Bloͤden Beifall, und von allen Freunden der Kuͤnſte und des Geſchmacks den ergebenſten Dank.

Dieſes Bekaͤnntniß macht nicht aus der Ur - ſache den Anfang meiner Schrift, aus welcher es von vielen fuͤr ein weſentliches Stuͤck ihrer Vorreden angeſehen wird. Dieſe moͤgen allein und aus eigner Erfahrung die Staͤrke dieſer Worte kennen, und man mißgoͤnne ihnen die Kunſt nicht, hiedurch entweder gutherzige Rich - ter zu ihrem Vortheile einzunehmen, oder wenn ihnen dieſe Hoffnung mißlingt, das Publikum, deſſen groͤßerer Theil ſich aus gewiſſen eignen Empfindungen auf die Seite des getadelten Schriftſtellers ſchlaͤgt, zum Mitleiden zu bewe - gen. Tand! lauter ſuͤßer Tand! Hr. Kl. will nichts mit dem gemeinen Haufen der Schrift -M 2ſtel -180Kritiſche Waͤlder. ſteller gemein haben, als was er mit ihnen gemein hat, und mit ihnen das nicht gemein haben, was er mit ihnen nicht gemein hat, und alles dies laͤuft in die kleinzaͤhligen Bruͤche von Abſichten, von Em - pfindungen ein, deren Aeſthetometrie ich nicht verſtehe.

Jch rechne mir den aufrichtigen Wunſch, daß die gruͤndlige Gelehrſamkeit ꝛc. in meinem Vaterlande ausgebreitet werde, zu einem Ver - dienſte an, deſſen Werth ich nie verkennen werde und deſſen Bewußtſeyn mir den Man - gel andrer Verdienſte erſetzen muß u. ſ. w. Wie? ſo iſt dies der ganze Unterſchied des Ver - faſſers von den vorigen Schriftſtellern? So iſt ein Wunſch, ein kruͤppelhafter Wunſch ſchon ein Verdienſt? ein Verdienſt, das man ſich ſelbſt vor den Augen des Publikum anrechnen, ſo kuͤhn anrechnen kann, daß es der Welt bei dem Anfange der Schrift dreuſt vorſchwoͤre ein Verdienſt, deſ - ſen Werth ich nie verkennen werde, deſſen Be - wußtſeyn mir den Mangel andrer Verdienſte er - ſetzen muß Und das alles ein Wunſch: Und das alles heißt Urbanitaͤt, guter Ton, Patriotismus?

Eben um deßwillen halte ich es auch fuͤr mei - ne Pflicht, die Lehrer der Wiſſenſchaften auf ge - wiſſe Mittel, wodurch ſie ſich dieſem Endzwecke, der auf das Wohl unſrer Mitbuͤrger und das Gluͤck der Nachkommenſchaft abzielt, naͤhern koͤnnen, aufmerkſamer zu machen, als ſie es bisher ge - weſen find, oder vielmehr haben ſeyn koͤnnen. Und181Drittes Waͤldchen. Und was ſind dieſe geheimen gewiſſen Mittel, die ſo ſehr aufs Große der Welt und Nachwelt gehen, die keiner bisher hat wiſſen koͤnnen es kommt im Meteorenzuge: Jſt aber ein Mittel leichter, gewiſſer und edler, als wenn man ihnen behuͤlflich wird, das Herz unſrer Jugend den ſanften Ein - druͤcken des Schoͤnen zu oͤffnen, und welches allezeit eine Folge von der aufrichtigen und weiſen Cultur der Wiſſenſchaften iſt, es ſelbſt gegen die Reize der Tugend fuͤhlbarer zu machen. Und das iſt Alles: und wer hat dies Mittel nicht laͤngſt gewußt? noͤthig erkannt? angeprieſen? Von Quintilian bis auf unſre Quintiliane, wer hoͤrt damit etwas Neues? und wenn es, beſtimmter als Hr. Klotz geſprochen, auf die Bildung der Kunſt abzwecken ſoll: wer kennt nicht auch hieruͤber die vortrefliche Winkel - manniſche Abhandlung? Und was hat Hr. Kl. un - ter dem, was er geſchrieben hat, und ſchreiben wird, was hiebei geſtellt zu werden verdiente? Und was bleibt ihm alſo uͤbrig, als ſein frommer chriſtlicher Wunſch, und ein honigſuͤßes Geſchwaͤtze?

Das letzte zieht ſich fort: Er lobt die heutige Verfaſſung der Schulen, beklagt den Mangel an geſchickten Maͤnnern, bekennet endlich, daß eini - ge vernuͤnftige Maͤnner das Gluͤck gehabt (denn an den Siegen uͤber Vorurtheile und Unwiſſenheit haͤtte das Gluͤck einen viel groͤßern Antheil, als unſre Kraͤfte und Arbeiten) andre zu uͤberzeugen, daß der gute Geſchmack Gottlob! ſoM 3ge -182Kritiſche Waͤlder. gehoͤrt ſchon das außerordentlichſte Wundergluͤck da - zu, um das Publikum von der Nuͤtzlichkeit des guten Geſchmacks zu uͤberzeugen: ſo ſind wir nicht weiter, als daß einige vernuͤnftige Maͤnner, und das blos durch ein Gluͤcksſpiel, andre davon uͤberzeuget: ſo tief haͤtte ich mir doch nicht unſre Zeit gedacht!

Doch Hr. Kl. weiß es gut zu machen. Er frohlockt, wie weit man in Verbeſſerung der Schu - len gekommen, mahlet eine Seitenlang verkleckte Ausſicht uͤber die Gelehrſamkeit, und empfiehlt ſich folgender Geſtalt: Meine Schrift wird einſichts - vollen Richtern vielleicht nicht mißfallen, wenn man es ihr gleich anſieht, daß ihr Verf. ſie nicht mit der ſeufzenden und duͤſtern Mine geſchrieben hat, welche ſo viele unſrer Verbeſſerer der Schulen an - nehmen. Das Bewußtſeyn meiner Abſicht, und die Ueberzeugung von dem Nutzen, welchen mein Vorſchlag nothwendig haben muß, gibt mir den Muth, mich unter dem Haufen derer, die einerlei Endzweck mit mir haben, hervorzu - draͤngen, und zu verlangen, daß man mich an - hoͤre Sachte! ſachte! Ueber nichts, als eine Schulmaterie, wer wird ſich unter dem Haufen aller u. ſ. w. hervordraͤngen: uͤber eine Materie, uͤber die andre ſchon beſſer geſchrieben, deren ſchuͤchterne Mine gewiß mehr gefallen wird, als die fodernde unſres Schreiers, der ſich hervor - draͤngt, und verlangt, daß man ihn hoͤre: uͤber eine Materie Kurz! hier iſt mein Urtheil:

Hat183Drittes Waͤldchen.

Hat Hr. Klotz fuͤr Schulen geſchrieben: ſo finde ich ſein Buch weder zu einem bildenden Buche in die Hand der Jugend, noch in die Hand der Lehrer wuͤrdig. Fuͤr jene ein Ruinenhaufen von alten Schloͤſſern, in dem ſie wahrhaftig nicht wer - den umher klettern wollen: fuͤr dieſe ein Mengſel von unbeſtimmten, zuſammengerafften Materien, wo eben das fehlt, was ſie zu Bildung der Ju - gend deutlich, ausfuͤhrlich, gruͤndlich, beſtimmt ſuchten.

Hat Hr. Kl. zu Lipperts Dactyliothek geſchrie - ben: ſchlecht! Die ſchoͤnſten und einzigen Anmer - kungen ſind aus Lipperts Commentar: und welcher Liebhaber, welche Schule dieſen hat, wirft jenen weg.

Hat ers fuͤr Liebhaber, fuͤr Exoteriſche Leſer ge - ſchrieben, wie etwa ein Algarotti, ein Fontenelle; ich habe Proben ſeines ſchoͤnen Styls, ſeiner Ordnung, ſeines guten Tons gegeben.

Soll es endlich fuͤr Gelehrte, fuͤr Kuͤſtler ſeyn

Und da kommen mir eben Leſſings antiquariſche Briefe, die ich gern eher gehabt haͤtte! Welch ein hinreiſſender Strom! welche Beleſenheit! welche Kaͤnntniß des Alterthums! welcher Scharfſinn! Schade, daß Ein Leſſing ſeine Zeit verſchwenden muß, um einem Klotz das zu ſagen, was ihm jetzt mehrere von Geſicht anſehen werden.

Jn meinen Waͤldern wird bisher wohl nie - mand eine Spur von Verabredung und Einſtim - mung haben ertraͤumen wollen, und daher ſo ent -fernt184Kritiſche Waͤlder. fernt L. von mir lebt; ſo einen Stral von gutem Vorurtheile geben mir ſeine Briefe fuͤr manches, das ich an Klotz ausgeſetzt. Ein Schriftſteller, wie die - ſer, von dem unſer Luſtrum bisher ſo willig ge - lernt, iſt ja auch wohl werth, daß das zweite Lu - ſtrum an ihm lerne.

So wenig die Grazien im Styl des Hrn. Kl. meine Freundinnen ſeyn moͤgen; ſo wuͤnſche ich doch mich in Entſchuldigung meines oft ſcharfen, oft An - tiquariſchen Ausdrucks an ihn anzuſchließen. Mit ihm ſage ich: der ſchleichende fuͤße Komplimenten - ton ſchickte ſich weder zu dem Vorwurfe, noch zu der Einkleidung; auch liebt ihn der Verfaſſer uͤber - haupt nicht. Die Alten kannten das Ding nicht, was wir Hoͤflichkeit nennen. Jhre Urbanitaͤt war von ihr eben ſo weit, als von der Grobheit, entfernet.

Der Neidiſche, der Haͤmiſche, der Rangſuͤch - tige, der Verhetzer, der iſt, er mag ſich noch ſo hoͤflich ausdruͤcken, der wahre Grobe und wer in dieſem ſuͤßen Tone ſeine Seichtigkeit und Halbge - lehrtheit verbirgt, fuͤr alle, die er anlockt, ſich nach ihm zu bilden, der ſchaͤdlichſte Gleißner Die Klotziſche Epiſode in der Deutſchen Litteratur Schande, wahre Schande!

Doch, wie viel Zeit habe ich verloh - ren

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About this transcription

TextKritische Wälder
Author Johann Gottfried von Herder
Extent196 images; 33735 tokens; 7584 types; 243798 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationKritische Wälder Oder einige Betrachtungen die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend nach Maasgabe neuerer Schriften Drittes Wäldchen noch über einige Klotzische Schriften Johann Gottfried von Herder. . 184 S. HartknochRiga1769.

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Staatsbibliothek München München BSB, L.eleg.g. 187-3

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Wissenschaft; Gesellschaftswissenschaften; core; ready; china

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