PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Kritiſche Waͤlder.
Oder einige Betrachtungen die Wiſſenſchaft und Kunſt des Schoͤnen betreffend, nach Maasgabe neuerer Schriften.
Drittes Waͤldchen
noch uͤber einige Klotziſche Schriften.
There are who will draw a man’s character from no other helps in the world, but merely from his evacua - tions; but this often gives a very incorrect out-line, unleß, indeed, you take a ſketch of his repletions too; and by correcting one drawing from the other, compound one good figure out of them both (Tristram Shandy. Vol. I. Chap. 23. )
Riga,beyHartknoch,1769.
[2][3]

Vorrede.

Ein Kunſtrichter ſoll nicht anders, als ein boͤſes Herz, haben koͤnnen iſt dies, ſo wehe dem Verf. der kritiſchen Waͤlder. Er hat mit Grimm und Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen ſchwarzen Gruͤnden und zu welchen boͤſen Abſichten geſchrieben niger eſt!

Alſo muß ein Kunſtrichter ein boͤſes Herz haben! warum? weil er Fehler aufſuchet, und wer Fehler aufſuchet, der Aber mit einer Erlaubniß! wenn er ſie nicht auf - ſucht, nicht aufſuchen darf, wenn ſie ihm in vollem Maaße ſelbſt zuſtroͤmen? Dann ſollte er ſie bedecken! Fehler bedecken, dasA 2thut[4]Vorrede. thut die Menſchenliebe! Bedecken alſo? aber wenn ſie ſich nicht bedecken ließen, wenn ſie, bedecket, und mit einem ſanften Vehiku - lum verſchlucket, um ſo ſchaͤdlicher waͤren, iſts da nicht doppelte Menſchenliebe, ſie zu entlarven? Doppelte Menſchenliebe; denn ſo wird der junge unerfahrne Leſer gewar - net, ſie nicht fuͤr Tugenden anzuſehen und anzunehmen: der fehlerhafte Schriftſteller ſelbſt, wenn er noch zu beſſern iſt, gebeſſert, oder wenigſtens dahin gebracht, nochmals zu pruͤfen, auszutilgen oder zu verſtaͤrken. Jch ſehe in keinem Falle Nutzloſen Men - ſchenhaß.

Was der webende Wind wachſenden Baͤumen iſt, Staͤrkung ihres Stammes, das iſt der Wiederſpruch fuͤr unſere Meinun - gen und Lehrſaͤtze. Ein freundſchaftliches Geſpraͤch, ein Pro und Kontra im Umgange, oder im lebendigen Vortrage, bringt oft weiter, als hundert einſame Diſcuſſionen auf einem und demſelben Pfade. Dort wird jede Jdee gewandt, ventilirt, gepruͤft, undalſo[5]Vorrede. alſo entweder beſtaͤrkt, oder geſchwaͤcht: der Geiſt waͤchſet in dem Zwiſte der Akademie, wie der Leib in den Uebungen der Palaͤſtra.

Aber dazu ſind Journale, Zeitungen! Auch meine kritiſchen Waͤlder moͤgen ſo etwas ſeyn, und wollen noch mehr ſeyn. Ein Journal gibt Auszuͤge und nur uͤber dies und ein anderes Einzelne ſeine Meinung: der Zergliederer eines ganzen Buchs thut mehr, als vielleicht ſelbſt ſein Verfaſſer gethan. Sich in den Plan des Ganzen ſetzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder Schoͤnheiten zeigen, ergaͤnzen, das thun vielleicht nur einige Journale! das iſt ſo ſchwer, als ſelbſt Schreiben, und eben bei dem elendeſten Buche am ſchwerſten. Klotzens Muͤnzbuͤchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit gekoſtet haben, die ſeine Analyſe mir; viel - leicht aber wird dieſe auch um die Haͤlfte nuͤtzlicher werden koͤnnen, als jenes ſelbſt. Ein zergliedertes Buch iſt doch bildender, als ein zuſammen geſchmiertes.

A 3Sollte[6]Vorrede.

Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten: ſo mag der engliſche Swift*)Vertheid. des Maͤhrchens von der Tonne. zeugen: er giebt ſo umſtaͤndlichen Zergliederungen einen Werth, von dem ich mir gern auch nur die Haͤlfte zueignen wollte. Eben daher wird man auch das oft Kleinfuͤgige in meinen Diſputationen entſchuldigen. Sollte das Ausgefundne oft nicht wichtig ſeyn: ſo ſuche man an der Methode ſelbſt zu lernen.

Jch habe dazu Schriften gewaͤhlt, die bekannt gnug waren, und uͤber die, wenn ich gefehlet habe, ich wenigſtens auf meine Koſten gefehlet. Von Leſſings Laokoon erinnere ich mich keine einzige Erinnerung, die ich gemacht, ſonſt geleſen zu haben, und uͤber Klotzens Schriften war, was ich ur - theilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr Verf. ſich der meiſten Zeitungen und Jour - nale in Deutſchland verſichert hat, und dieſe doch leider! fuͤr das Publikum ſchon gelten: was war nicht der Mann geworden? und was ſind ſeine Schriften! Was iſt nichtHr.[7]Vorrede. Hr. Riedel geworden? und was ſind ſeine Theorie und ſeine Briefe?

Hier den Ton der Gleichheit und des Verdienſtes herzuſtellen: jene lobſchreiende, alles uͤberſchreiende Stimmen etwas zu maͤßi - gen, das war meine Abſicht. Leſſings Lao - koon war, duͤnkte mich, noch nicht wuͤrdig gelobt: denn er war noch nicht bis auf ſein Weſen durchdrungen. Klotzens Schriften uͤberſchwaͤnglich gelobt, und verdienten nicht, angeſehen zu werden. Riedels Theorie uͤber - maͤßig gelobt, und iſt das mittelmaͤßigſte, unordentlichſte Werk, das ich mir bey einer Theorie denken kann. Hier der Kritik die Stimme der Freyheit wieder zu geben: das Unwuͤrdige oͤffentlich zu tadeln, damit dem Verdienſte ſein Lob noch angenehm ſeyn koͤnnte das war meine patriotiſche Abſicht!

Aber ſo ernſthaft, ſo bitter! Noch immer patriotiſcher Ernſt! ich mag die ſuͤß - toͤnende lammartige Stimme nicht: mag nicht den ſchmeichelhaft ſich buͤckenden Ton,A 4in[8]Vorrede. in dem die ſprechen, die wieder gelobt ſeyn wollen. Man tadle mich! man tadle mich heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es Mode des Jahrhunderts waͤre!

Ernſthaft alſo, aber warum bitter? warum mit Galle? Mit Galle gegen die Perſon im geringſten nicht. Da ich nicht das Gluͤck habe, in Halle oder Erfurth zu leben: warum ſollte ich den Lehrern daſelbſt ihren Beifall beneiden? aus Eiferſucht ſchmaͤ - lern? aus Habſucht an mich ziehen wollen? Aber mit Bitterkeit gegen den Schrift - ſteller, und dazu unwuͤrdig, unhoͤflich, ungezogen! Die Vorwuͤrfe ſind hart, und ſie waͤren ſiebenfach hart, wenn man ſie von meinem erſten Waͤldchen ſagen koͤnnte! Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmei - cheln Mode wird, wo der Geſchmeichelte mit dem Publikum, mit Welt und Nach - welt im hochtrabendſten Tone ſpricht, und auf ſeinen eingebildeten Werth ſo ſicher rech - net, als der Kaufmann auf ſeine Papiere wie? iſts da dem Patrioten ſo unverzeih -lich,[9]Vorrede. lich, wenn er auch in der Gegenſtimme aus - ſchweift? wenn er ſeinen rechtmaͤßigen Tadel mit Feuer ſagt? O ſollte mancher ſo viel zuruͤckzahlen muͤſſen, als er unrecht zu em - pfangen gewußt, wie viel iſt er noch ſchul - dig? Und zudem, iſt hier wohl die Haͤlfte der Ungezogenheiten, die die Klotziſche Bi - bliothek gegen die beſten Schriftſteller Deutſch - landes bewieſen? und iſt bey einem Klub, wo ſanfte Kritik den Lauf des Muthwillens nicht ſtoͤren kann, ein andrer Weg moͤg - lich?

Aber warum Namenlos, aus dem Dun - keln hervor? Habe ichs nicht ſchon geſagt: mein Name iſt keine Suͤnde! War mein Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit ſeines Schriftſtellers: war es wider die Re - ligion und den Staat; ſo ging es die Cen - ſur, ſo ſollte es nicht gedruckt werden! Und in dieſem Fall allein iſt der Name des Schrift - ſtellers und ſeine Perſon in ſein Werk ver - flochten! Aber nun! nichts als kritiſche Streitigkeiten, Ventilationen dieſer und jenerA 5Frage,[10]Vorrede. Frage, Zergliederungen von Schriften, um den Werth und Unwerth derſelben zu zei - gen wozu da der Name? Der Verf. darf ihn nicht, und wird ihn auch nie ent - decken: er wird nie das Buch unter die Kinder ſeines Namens aufnehmen: denn es war nicht dazu. Es war blos fuͤr eine Zeitverbindung geſchrieben, die der Littera - tur ſchaͤdlich ward: in einem Tone geſchrie - ben, der fuͤr das Ohr dieſer Zeitverbindung eingerichtet war: uͤber Sachen, wovon da - mals jeder ſprach und ſchwatzte. Er kann alſo wohl einmal einzelne Materien aus - heben, und fuͤr die ſeinigen erkennen, die etwa dauren koͤnnen: der Wald ſelbſt aber hat keinen Namen αγωνισμα μαλλον, ου κτημα ες αει.

Jnhalt.[11]

Jnhalt.

  • I. Ueber Herrn Klotzens Buch vom Muͤnzengeſchmacke.
    • 1. Die Schrift iſt weder ſchoͤn im Vortrage, noch Bei - trag zur Geſchichte, noch im wuͤrdigen Ton geſchrieben. Was der ſuͤße Kammerton unſrer Zeiten ſey?
    • 2. Probe von der Feinheit der Klotziſchen Empfindungen. Rettung der Muͤnzgelehrten, die mehr thun, als ſchme - cken. Einfuͤgung der Geſchmackslehre auf Muͤnzen mit andern eben ſo nutzbaren Zwecken.
    • 3. Ein langes Regiſter von Stellen, wo Addiſon mit unſerm Klotz gewandert. Vorzuͤge des Deutſchen vor dem Britten an redneriſchem Schmuck, an Beſtimmtheit und Ordnung.
    • 4. Vorzeichnung zu einer hiſtoriſchen Theorie des Geſchmacks alter und neuer Muͤnzen. Vorzuͤge der Griechiſchen Nu - mismatik erklaͤrt, aus ihrem Nationalcharakter, aus ihrer Succeſſion auf die Egypter in der Bilderſprache, aus ihrer Religion, ihren Allegorien von Staͤdten und Laͤn - dern, abzubildenden Sachen und Begebenheiten, Perſo -nen[12]nen und Jnſchriften, aus ihrer Bilderdenkart, und poetiſchen Cultur des Publikum alles im Kontraſt unſrer Zeiten.
    • 5. Hiernach eine Pragmatiſche Muͤnzengeſchichte des Ge - ſchmacks. Pruͤfung der Klotziſchen Jdeen daruͤber. Ob ſich auf alten Muͤnzen nur ſchoͤne Geſtalten finden? Ob Winkelmann ſeine Geſetze der Allegorie fuͤr Muͤnzen gegeben? Ob eine Muͤnze freyes Kunſtwertk ſey? Jhre wahre Natur iſt ſymboliſch.
    • 6. Wie weit ſich aus Muͤnzen auf den Geſchmack einer Nation ſchließen laſſe? Nach Einer, nach allen Griechiſchen, nach den Roͤmiſchen, nach den Gothiſchen und Barbariſchen der mittlern Zeiten; nach der Numismatik unſrer Zeit gepruͤft. Wunſch nach einem numismatiſchen Goguet.
    • 7. Wie fern dle bildenden Kuͤnſte die Denkart des Kuͤnſtlers verrathen? Wie fern eine Muͤnze dies kann? Ob ſie die Denkart des Fuͤrſten ſchildere? Proben der Alberheit dieſes Satzes. Ob der moraliſche Charakter ganzer Nationen auf Muͤnzen zu ſuchen ſei? Beiſpiele an den mitlern Zeiten, Hollaͤndern, und Deutſchen? Lobrede auf die Epoche des Geſchmacks, die Hr. Klotz in Deutſchland macht.
    • 8. Wenn Muͤnzen vom Geſchmack der Nation zeugen ſollen: ſo muͤſſen ſie ein Werk des Publikum, und ein freies Kunſt - werk ſeyn. Ob ſich von ihnen die Bildung des Ge - ſchmacks anfange?
      • Statt des Beſchluſſes der Auszug aus einem Briefe.
II. Proben[13]
  • II. Proben von der Gruͤndlichkeit und Un - partheilichkeit des kritiſchen Urtheils der actorum.
    • Ueber Harles Vitas philologorum. Ob ſich ein biogra - phiſcher Charakter aus Oden entwerfen laſſe? Laͤcherliche Kleinigkeiten in Hrn. Klotzens eignem Leben.
    • Ueber den Charakter Pindars. Rettung und Erklaͤrung der ausſchweifendſten Pindariſchen Ode.
    • Ueber Breitenbauchs Schilderungen, der uns einen Horaz liefern wird.
    • Hauſens Geſchichte: dergleichen noch nie erſchienen.
    • Ueber D’Argens Julian. Charakter Julians, wie ihn Hr. Klotz kennet.
    • Ueber Damms Lexicon. Nutzbarer Gebrauch deſſelben.
    • Ueber die Briefe eines Mentors. Beſte Probe von cha - rakteriſirenden Anekdoten.
    • Hauſens Weltgeſchichte. Seine ſchoͤne Gabe zu charakte - riſiren. Charaktere Karls des Großen, Ludwigs des Frommen u. ſ. w. Ueber die Charakterſtellung uͤberhaupt.
    • Urtheil uͤber die acta uͤberhaupt in ihrer Schreibart, und kritiſchem Geiſt.
    • 1. Hr. Klotz ſollte ſich nicht mit der Theologie befaſſen. Seine Claßification mit Teller und Baſedow. Ob unſreOrtho -[14]Orthodoxie in Klotziſch Latein umgegoſſen werden ſolle?
    • 2. Die Reichsgeſchichte iſt nicht à la Greeque oder à la Françoiſe zu ſchreiben. Unterſchied unſrer Geſchichte von andern in der aͤlteſten Zeit, und in den mittlern Jahrhunderten. Ob eine Deutſche und Reichshiſtorie zwey Dinge ſind? Bemerkungen uͤber die Eigenheit unſrer Geſchichte und wie ſie idiotiſtiſch zu ſchreiben ſei.
    • 3. Satyren auf die Metaphyſik und Philoſophie. Sie raͤchet ſich gegen ihre Veraͤchter.
    • 4. Von dem Buche uͤber geſchnittne Steine. Deſſen Be - leſenheit, Ordnung und Eintheilung wird gelobt. Pro - ben von dem guten Tone in ihm. Allgemeines Ur - theil.
    • Leſſings Antiquariſche Briefe. Schluß
Drit -[15]

Drittes Waͤldchen uͤber einige Klotziſche Schriften.

1.

Muͤnzenſchmeckerei das Wort ſcheint veraͤchtlich: wie aber, wenn ein Titel Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt aus Muͤnzena)Beitr. zur Geſch. des Geſchm. und der Kunſt aus Muͤn - zen. vom Hon. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767. ſeiner Ausfuͤhrung nach nicht beſſer, als ſo, koͤnnte zuſammen gezogen werden? Jch will mich, ſo viel ich kann, nach Griechen - land zuruͤck ſetzen, und leſen, als ob ich einen Griechen laͤſe. Das attiſche Publikum in Deutſch - land ſei zwiſchen ihm und mir Zeuge.

Zwar Griechiſchſchoͤn im Vortrage iſt dies Schriftchen wohl eben nicht, daß naͤmlich einfaͤltigeHoheit,16Kritiſche Waͤlder. Hoheit, nachdruͤckliche Kuͤrze, und feine Schoͤnheiten des Styls ſich in ihm vereinigen ſollten. Der klotziſche Styl mag immer die Schoͤnheiten haben, die der Kupferſtecher Allechement nennet; aber Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht ihm voͤllig. Der Freund und Beurtheilerb)Klotz. eigne Bibliothek St. I. Vorr. Hr. Klotzens, bei dem ſeine zaͤrtliche Liebe ge - gen den Verf. diesmal uͤber ſeine großen Einſich - ten, und ſcharfe Beurtheilungskraft die Ober - hand behalten, mag davon ſagen was Hr. Klotz ihm nicht verbothen c)Ebendaſ. Seite 71. ich kann nicht anders, als durchgaͤngig einen langweiligen homi - letiſchen Ton finden, der faſt nie ſo recht Griechiſch oder Deutſch heraus ſagt, was er ſagen wollte. Langweilig jedes Punkt umher geholet, gekettet und umwunden, nach einem zehn Seiten langen Eingange, der eine hoͤfliche Empfehlung ſein ſelbſt und weiter nichts enthaͤlt, alsdenn erſt ein praͤch - tiges ebenfalls zehnſeitiges Exordium vorausge - ſchickt, alsdenn ein halbblindes Thema kanzel - maͤßig in zween Theile zerſtuͤckt, ſo mit beſtaͤndi - gen Ausſchweifungen, in lauter Geſchmacksvollen Anmerkungen, mit oͤftern hoͤflichen Freundſchafts - bezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt, als wenn jede Periode aus dem Lateiniſchen uͤber - ſetzt waͤre, als wenn zu jedem Staͤubchen zweenWind -17Drittes Waͤldchen. Windmuͤhlen und zur Schriftſtellerhoͤflichkeit beſtaͤn - dig fortſcharrende Komplimente noͤthig waͤren zu einem ſolchen Vortrage wuͤrde ein griechiſcher Longin frei heraus ſagen φλοιωδης γαρ ανηρ και φυσων, κατα τον Σοφοκλεα ου σμικροις μεν αυλισκοισι -- φορβειας δ’ατερ -- ουδεν δε φασι ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutſche das Urtheil.

Was ein Grieche mit dem Worte Geſchichte verbaͤnde, iſt hier nicht verbunden: ich mag das Titelwort Beitrag zur Geſchichte ſo diminutiviſch nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge ſorgfaͤltig bemerkt: noch die uͤberhingeworfnen An - merkungen wenigſtens durch einzelne Beiſpiele der fortgehenden Zeitfolge ſcharf bewieſen: noch we - niger von einer Nation nach der andern, inſon - derheit in den neuern Zeiten, Beiſpiele der ſucceſſi - ven und coexſiſtenten Geſchmacksveraͤnderungen geſucht; noch weniger die Urſachen des veraͤnder - ten Geſchmacks aus dem Chaos der Geſchichte her - aufgeholt iſt das Beitrag zur Geſchichte? Zu einigen allgemeinen und zu ſehr bekannten Bemer - kungen, die uͤber Voͤlker und Zeiten durchhingewor - fen, und faſt; immer halbſchielend wiederholt wer - den, zu dieſen einige leidliche Exempel beizutragen, die aus bekannten Buͤchern, und im ganzen ſuͤßen Flußwaſſer des Buchs doch nur rari nantes in gur - gite vaſto ſind aus dieſen von der EhreBund18Kritiſche Waͤlder. und Schande aller neuern Muͤnzen ſo allgemein und entſcheidend zu reden, als haͤtten ſich alle zur Muſterung dargeſtellt, und doch nichts als die all - gemeinen Geſchmacks - und Barbareiperioden, jede mit Einem Beiſpiele vielleicht auszuruͤſten, und dieſe ausgeruͤſtete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzuſtellen iſt das die Ciceronianiſche An - kuͤndigung der Sache, die ich mir vorgeſetzt habe? Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen. Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be - ſonders unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, mit den neuern vergleichen: Jch werde die merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je - der derſelben gehoͤren, betrachten, und nach der groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein Urtheil faͤllen. O Dea Moneta, wo iſt dies alles in meinem lieben Buͤchlein?

Noch minder iſt der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geſchichte gehoͤrte, leſen wollten: der Ton des beſcheidnen Anſtandes, der wei - ſen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit ſeiner Hiſtorie als ein Wunder ſeiner Zeit auftrat, kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geſchichtsartige Schriftſteller kuͤndigte ſeinThe -19Drittes Waͤldchen. Thema ſo koſtbar, ſo ſelbſtwichtig an, als wenn man blos der Stirne nach von aller Welt ſchon mit zuruͤckfahrender Bewunderung empfangen werde,a)Eigne Worte Klotzens. S. 3.4.5.6. Augen voll Entzuͤckungsvoller Aufmerkſamkeit habe, die Niemand hat, die nur ein Nikoma - chus, Pietro di Cortona, Angelo, Addiſon, oder wie die Litanei der Geſchmacksnamen nach der neueſten Mode weiter heiße, ohngefaͤhr habe: als wenn man an Muͤnzen hoͤren, ſehen, ſchmecken, und fuͤhlen koͤnne, was ſonſt niemand ſah, als wenn man von allen Vorgaͤngern in der Muͤnzwiſſen - ſchaft, (einen Addiſon ausgenommen) verſchie - den, als eine Seltenheit ſeiner Tage, als ein Ruͤſt - zeug des guten Geſchmacks auftrete, eine Epoche machen, und der Welt Tag geben ſolle u. ſ. w. ſo wuͤrde ein Grieche nicht ſprechen. Nicht bei Ankuͤndigung ſeiner Schrift, nicht mitten in der Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schluß - ſeegen, nirgends wuͤrde er ſich als eine Mauer fuͤr den Geſchmack eines ganzen Landes gegen die Aus - laͤnder vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter ſich rechnen, uͤberall im Tone des Rednerego ſprechen ein Grieche ſpraͤche ſo nirgends.

Am wenigſten wuͤßte ein Grieche von dem ſeli - gen Privattone, in dem unſre Zeit, die ſo ſehr dasB 2Na -20Kritiſche Waͤlder. Natuͤrliche liebt, in manchen ſchoͤnen und uͤber - ſchoͤnen Schriften liebkoſet. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreiſe wuͤrdiger Kenner und Richter; nicht aber ſo freundſchaftlich ſuͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa - miliares. Jn ihren beſten Zeiten kannten ſie die Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce loquentem; ſie ſprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in ſeiner Schlaf - kammer, oder der ſuͤße Schriftſteller im Cabinette ſeines lieben, ſeines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte ſelbſt doch wozu der fortgeſetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz iſt kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr ſich denken und ſchreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge - dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, ſein. Jm Alterthume iſt ſeine Kunſtmuſe von Winkelmann, Leſſing, Du - bos, Caylus; und in Neuern von Addiſon, Hagedorn, Watelet, Du - bos und einigen andern Franzoſen ſo ganz beſeſſen, daß, wie geſagt, immer Herr Klotz ſpricht, und faſt im - mer ein andrer durch ihn. Er weiſet andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Leſſing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leſſing durch Caylus zurecht; ſo zurecht, als wenn alle dieſe, als Unterbibliothekare ſeiner Bibliothek unter der Auſſicht des Herrn geheimden Raths, ſich wech - ſelsweiſe verbeſſert und das entſcheidende Urtheildar -21Drittes Waͤldchen. daruͤber durch eine buͤndige Citation Jhm uͤberlaſſen haͤtten. Ueberhaupt gehoͤrt hinter jede leidliche Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht ſteht, wollte ich ihn zuſchreiben. Zu dieſem Muͤnz - buͤchlein wenigſtens doͤrfte ich nicht eben lange nach - ſuchen: denn was Plato zum Antimachus ſagte: wuͤrde ich hier zu Addiſon ſagen koͤnnen: hic mihi inſtar omnium! und Addiſon, welch ein guter Troͤſter!

Da nun Hr. Kl. als Critikus uͤber den Ge - ſchmack geſammter Voͤlker und Zeiten urtheilen; als Sammler Beleſenheit zeigen: als ein Schrift - ſteller von ſittlich feinem Geſchmacke ſchoͤn ſchreiben: als ein Ehrenmann hofmaͤßig ſprechen: als ein Gefuͤhlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenſt bezeugen: und bei allen als Magiſter der freien Kuͤnſte zuweilen noch eine kleine luſtige Schnurre anbringen will; ſo denke man ſich in dieſem Gemi - ſche den wuͤrdigen Ton eines Lehrers uͤber die Ge - ſchichte der Kunſt, den wir an Winkelmann ſo tief bewundern. Man vergleiche dieſen artigen Bei - trag mit des andern ſeiner Geſchichte, und ſiehe da! Winkelmann in klein Octav! Verzogne Anprei - ſungen des guten Geſchmacks wechſeln mit ſittlich - feinen Artigkeiten, mit ſpaashaften Anekdoten, mit herzlichſchoͤnen Complimenten an ſeine Freunde und Goͤnner ab: bald ſpricht ein Kunſtrichter von rich - tigem Geſchmacke, Du Bos, bald der unſterb -B 3 liche22Kritiſche Waͤlder. liche Mengs, bald ein Mann, welcher die tiefen Einſichten, und alle Eigenſchaften eines großen Genies durch ſein Menſchenfreundliches und tu - gendhaftes Herz veredelt, und von welchem man ſagen kann, daß ſeine Schriften die Schilderung des liebenswuͤrdigſten Mannes ſind bald Hr. von Voltaire in ſeinem temple du gout: bald thut der Verf. fuͤr Deutſchland das Gebet, das Hr. Watelet an die himmliſche Venus abſchickt: bald befielt er den Fuͤrſten im Namen der Nach - kommenſchaft, wenn ſie Muͤnzen ſchlagen laſſen, Longin zu leſen. Der Abt Boͤhmer und jene geiſtreiche Englaͤnderinn Montague: Spanheim und ein franzoͤſiſcher Landjunker: Young in ſeinen Nachtgedanken und Lucian, und ein witziger Mann, der Abt Trublet auf zwei Blaͤtter - chena)S. 98. 99. kommt dieſe ſeltne Geſellſchaft zuſammen, und druͤckt ſich ſo auf einander, daß der Verf. mit einmal ermuͤdet von Scholiaſten und geſaͤttigt mit der Gelehrſamkeit ſtolzer Kunſtrichter, in Leſſings, Weißens, Duſchens, Uzens und Hagedorns Schriften Erquickung ſucht, von furchtbaren Fo - lianten in die lieblichen Umarmungen des freund - ſchaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in den Schriften des Patrioten Moſers erhabne Zuͤge der deutſchen Redlichkeit. O wenn einſt Grie -chen23Drittes Waͤldchen. chen wieder aufleben unpartheiiſche Nachwelt, die entfernt von unſerm Familienton und ſuͤßen Zeit - geſchmack unſre viros ſuaviſſimos waͤgen wird oder du unſer deutſches Publikum, das von jeher ent - mannete Weichlichkeit, und verwelkte Roſen verachtet hat, deſſen Geſinnung immer ernſte Vernunft, Kraft, und das Nahrhafte des Geſchmacks gewe - ſen, wirſt du dich mit einem ſchoͤnen Blumenge - ſpinſte, das man wie jenen alles uͤbertreffendenb)Die Allegorie der Griechen und Roͤmer (das muß ich doch ſagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht, daß dieſe Stelle vortrefflich iſt!) iſt wie der leichte Schleier des Tryphon. ſ. Klotz. Bibl. S. 64. Tryphoniſchen Schleier, dir uͤberwirſt, dich immer taͤuſchen laſſen? Jch ſchreibe fuͤr Deutſchland, und ich weiß, die ſtillen Kenner (und ſie ſind das wahre Deutſche Publikum) auf meiner Seite: der große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein the charms wound up!

Warum aber ſo lange bei dem Geruͤſte eines Buchs? Denkart eines Schriftſtellers, Denkart, die ſich in allen Schriften deſſelben aͤuſſert, Denk - art, die ſich, wie eine Luſtſeuche des guten Ge - ſchmacks, ſo gern weiter ausbreitet, iſt mehr als Geruͤſt. Und wenn es auch nur dies waͤre: ins Gebaͤude ſelbſt wage ich mich kaum; es drohet uͤber mich einzuſtuͤrzen. Jch fuͤrchte: ich fuͤrchte dieB 4un -24Kritiſche Waͤlder. ungeheure Anheiſchung: aus Muͤnzen eine Ge - ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen - zuſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen ſei, ſo wie ſie Hr. Kl. nimmt, eine farbichte Luftblaſe, ſie iſt das praͤchtige Thema des Buchs.

Geſchmack aus Muͤnzen: wie weit laſſen ſich Muͤnzen ſchmecken? was laſſen ſie fuͤr Geſchmack auf der Zunge?

Geſchichte des Geſchmacks aus Muͤnzen: laͤßt ſie ſich geben? wie weit iſt ſie ſicher? Ge - ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte aus Muͤnzen nach Zeiten und Voͤlkern? Kann die Goͤttinn Moneta eine ſichre Zeuginn uͤber ſo Etwas ſeyn?

Man ſieht, ich muß anfangen, wo der Autor nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig gnug ans Gebaͤude und endlich auch ans Geruͤſte zuruͤckkommen.

2.

Geſchmack aus Muͤnzen. Vielleicht aͤuſ - ſern einige Antiquarien unſers Vaterlandes uͤber meine Abſicht, das Wachsthum und den Verfall des Geſchmacks und der Kuͤnſte bei einem Volke aus deſſen Muͤnzen zu zeigen, eben die Verwunderung, mit welcher man vor Zeiten die entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit beglei - tete,25Drittes Waͤldchen. tete, die die Augen des Nicoſtratus auf des Zeuxes Helena geheftet hatte. Jch wuͤnſchte, daß ich mich durch das Bewußtſeyn groͤßerer Verdienſte und Einſichten in die Kunſt berech - tigt fuͤhlte, mit dem edlen Stolze des Malers ihnen antworten zu koͤnnen: Jhr wuͤrdet euch nicht wundern, wenn ihr meine Augen haͤt - tet. Es iſt gewiß, daß viele Perſonen ei - nerlei Gegenſtand betrachten, und gleichwohl viele nicht daſſelbe an ihm bemerken koͤnnen, was ſich dem Auge eines Einzigen in einem reizen - den Glanze darſtellt. Manchen wird der An - blick einer Gothiſchen Cathedralkirche eben ſo ſehr ruͤhren, als des Pantheons zu Rom, und die Ent - zuͤckung, welche Pietro di Cortona bei dem Anblicke des Pferdes des Marcus Aurels in dem Hofe des Capitols die Worte oft ablockte: So gehe doch fort, weißt du nicht, daß du lebendig biſt? kann von den wenigſten auch nur be - griffen werden. Wie viele Kuͤnſtler waren nicht von jenem Rumpfe einer alten Bildſaͤule weggegangen, ohne die gluͤckliche Entdeckung ge - macht zu haben, die Michel Angelo fand! Er bemerkte blos an ihm einen gewiſſen Grundſatz, welcher nach Hogarths Urtheile, ſeinen Werken einen erhabnen Geſchmack gegeben, der den guten Stuͤcken des Alterthums gleich kommt. Jch glaube, daß Addiſon aus einer Empfin -B 5 dung26Kritiſche Waͤlder. dung, die er ſehr oft in ſeinem Leben erfah - ren haben muß, die Vorzuͤge eines gluͤcklichen Geiſtes geſchildert habe. Ein Menſch, ſagt er, von einer geſchaͤrften Einbildungskraft, wird in mancherlei große Vergnuͤgungen gefuͤhrt, die der gemeine Mann zu bekommen nicht faͤhig iſt. u. ſ. w.a)S. 3. 4. 5. 6. &c. So aufmerkſam man bei Erzaͤhlung ſolcher vornehmen Empfindungen und Erfahrun - gen ſeyn mag, wer kann dem Geſchmackvollen Au - tor bis auf Felder und Wieſen folgen? Glaͤubig hoͤre ich den Parenthyrſus unnennbarer Gefuͤhls - arten: entzuͤckungsvolle Aufmerkſamkeit, die die Augen anheftet, die mit Verwunderung beglei - tet wird: das Bewußtſeyn, das ſich wozu berech - tigt fuͤhlt: Die Bemerkungen an dem, was ſich dem Auge eines einzigen in einem reizenden Glanze darſtellt: die Entzuͤckung, die Worte ablockt, und die von den wenigſten auch nur begriffen werden kann: die Bemerkung eines Grundſatzes, der den Werken erhabnen Geſchmack gibt: die Empfin - dung, die der und jener ſehr oft in ſeinem Leben erfahren haben muß u. ſ. w. Dieſen aͤſthetiſch - pſychologiſch - myſtiſch erhabnen Jargon von Kunſt - gefuͤhlen, der jetzt in die Stelle abgelebter Theoſo - phiſcher Empfindungen und Seelenerfahrungen tritt, hoͤre ich andaͤchtig zu, und antworte Hr. Klotzenauf27Drittes Waͤldchen. auf ſein Ei ja! wenn ihr meine Augen haͤttet! durch den herzlichen Seufzer: ach! haͤtte ich Deine Augen!

Er faͤhrt epanorthotiſch forta)S. 6. 7. 8. 9. 10.: wie ver - ſchieden ſind nicht die Abſichten, welche die Ge - lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwiſſen - ſchaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, welche ſich damit beſchaͤftigen, habe ich nur ſehr wenige angetroffen, die einen andern Nutzen da - von zu ziehen gewuͤnſcht haͤtten, als welchen der ge - meine Haufe der Antiquarien bei ſeinen muͤh - ſamen Arbeiten kennet. Zufrieden mit ſich ſelbſt und vergnuͤgt uͤber die Laſten, welche ſie ihrem ge - duldigen Gedaͤchtniſſe auflegen, lachen dieſe be - ſtaubten Maͤnner uͤber unſre gutgemeinte Frage, ob ſie auch in den Tempel des Geſchmacks gehen wollen? und antworten muthig: Nein! dem Himmel ſei Dank! das iſt nicht unſre Sache. Geſchmack iſt nichts: wir beſitzen die Geſchicklich - keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen zu erweitern; aber ſelbſt denken wir nicht. Die nuͤtzlichſten unter ihnen ſind die, welche die alten Muͤnzen um deßwillen lieben, weil ſie ihnen Ge - legenheit geben, chronologiſche Unterſuchungen an - zuſtellen. Jhre Arbeit muͤſſen wir mit Dank er - kennen, und ſie ſelbſt verdienen ein aufrichti - ges28Kritiſche Waͤlder. ges Mitleiden, weil ihnen das Vermoͤgen ver - ſagt iſt, bey ihrer Gelehrſamkeit zugleich das Ver - gnuͤgen zu genießen, welches andern ein guter Geſchmack gewaͤhret. Spon, unterrichtet in den Geheimniſſen der Phyſiognomie, las die Denkungsart und die Eigenſchaften der Menſchen auf dem Geſichte, das ihm die Muͤnze vorſtellte, und Addiſon, hoͤherer Gedanken faͤhig, verglich die Bilder auf Muͤnzen mit den Gedanken der Dichter, und rechtfertigte hiedurch ſeine Hoch - achtung fuͤr das Alterthum. Jch wuͤnſche meinem Vaterlande mehrere Nachfolger des letz - tern, und ich werde mich freuen, wenn unſre Gelehrten kuͤnftig an den Gott der Kuͤnſte und des Geſchmacks eben die Bitte thun, die Ajax beim Homer an den Jupiter that: O! Vater vertreibe die Nacht, laß es helle werden, und gib, daß unſre Augen ſehen!

Alle Hochachtung fuͤr Spons Sibyllenweiſ - ſagungen, fuͤr Addiſons Vergleichungen, fuͤr unſrer Deutſchen Ajaxe Gebet an den Jupiter, oder fuͤr das Gebet des Aegyptiſchen Cynocepha - lus, daß der helle Mond wiederkehre; indeſſen duͤnkt mich doch das aufrichtige Mitleiden , mit allen Gelehrten, die nicht, wie Hr. Klotz, an einer Ge - ſchichte des Geſchmacks der Voͤlker, Zeiten und Kuͤnſte, aus Muͤnzen, arbeiten, ſehr entbehrlich. Es waͤre umſonſt, die Nutzbarkeit des Muͤnzenſtu -dium29Drittes Waͤldchen. dium zur Geſchichte, Chronologie, Geographie, Naturwiſſenſchaft, Mythologie, Rechtslehre und der ganzen Kaͤnntniß des Alterthums, erweiſen zu wollen, da ſolche in dieſer Wiſſenſchaft große Na - men vor dieſer Materie ſtehen, oder da viele, wel - ches noch beſſer iſt, durch ihr Beiſpiel die Sache ſelbſt erwieſen haben. Nur ſo viel alſo gegen Hr. Kl., daß die Bearbeitung der Muͤnzwiſſenſchaft aus einem andern Geſichtspunkte; er ſei nun Ge - ſchichte, oder Rechtsgelahrheit, oder Mythologie, oder eine Theorie der Medaillen uͤberhaupt, noch gar nicht dem Geſchmack an Muͤnzen widerſpreche, ihn nicht verdraͤnge; ihn vielmehr vorausſetze, und mit ihm als Fuͤhrer einerlei Reiſe thue. Hier den Geſchmack als ein entlegnes eignes Land anſe - hen, iſt eine Ausſicht nach Utopien hin, und eben ſo viel, als Lebenslang die Logik ſtudiren, ohne ſie und alle ihre Zauberkuͤnſte jemals anzuwenden, ſich lebenslang den Geſchmack zu kitzeln, ohne ſich ei - nige Nahrung dadurch erſchmecken zu wollen. Der wahre Tempel des Geſchmacks iſt nicht eine Orien - taliſche Pagode, ein Ruheſitz, wo man als am Ende feiner Wallfahrt ſich niederlaͤßt; er iſt vielmehr wie der Tempel des Marcellus gebauet; die Pforte des Geſchmacks, auch in Muͤnzen, ein Durch - gang zur Wiſſenſchaft: zur Wiſſenſchaft, welche es wolle.

Der30Kritiſche Waͤlder.

Der Poͤbel der Muͤnzverſtaͤndigen freilich aber wer wollte ſich (es ſei nun zu eignem Lobe, oder zum Tadel anderer,) unter den Poͤbel mi - ſchen? Die Nutzbaren, die Wuͤrdigen Muͤnzge - lehrten gerechnet; und bei denen ſollte ihre Gelehr - ſamkeit dem Geſchmacke widerſprechen muͤſſen? dieſer von jener nicht oft eine Geſellinn, oft gar eine verdeckte Minerva haben ſeyn doͤrfen, ſelbſt wenn es auf wiſſenſchaftliche Unterſuchungen ausging? Nicht zweifeln ſoll einmal dieſe Frage; ſie ſoll blos die Erinnerung wecken! Wie? alle die groſ - ſen Bearbeitungen in den Feldern der Numisma - tik, ohne Geſchmack der Muͤnzen bewerkſtelligt? unter allen um dieſe Wiſſenſchaft ſo verdienten Na - men, waͤre ein Addiſon, und Klotz das einige Duum - virat des Geſchmacks? Jene Muͤnzenſammler und Muͤnzenerklaͤrer, weil ſie nicht offenbar und allein vom Geſchmacke ſchrieben; weil jener einen Theil der Geſchichte, dieſer einen Theil der Alterthuͤmer, ein andrer einzelne Stellen der Alten und ein vierter die Chronologie aus Muͤnzen aufgeklaͤret; darum ſollten ſie vom Geſchmacke nichts gewußt? nicht die Schoͤnheit der Bilder, und das Bedeutende der Allegorien, und die Weisheit der Jnſchriften ge - fuͤhlt haben, an denen ſie eine ſo unerſaͤttliche Au - genweide fanden? Nicht im Mechaniſchen der Muͤnzen Geſchmack beſeſſen, dafuͤr ſie eben auch in der Abbildung ſorgten, und das mit Entzuͤckenprie -31Drittes Waͤldchen. prieſen, was ſich nicht abbilden ließ? Wie? daß ſie bei dieſem Selbſtgefuͤhl nicht ſtehen blieben, und eben mit der Erfahrenheit ihres Auges, und mit der Gelehrſamkeit ihres Geſchmacks hoͤhere Zwecke aus - zurichten ſuchten; nicht mit dem Jnſtrument prahlten, ſondern lieber Werke aufwieſen, die ihr Jnſtrument in ſtiller Werkſtaͤte verfertigt: ſoll dies ihnen gegen den zum Nachtheilea)Schon lange haben gruͤndliche Kenner des Alter - thums es beklagt, daß man ſo gern mit einigem ſchoͤ - nen Blendewerk aus den Alten davon prale; ohne die Antiquitaͤt zur Wiſſenſchaft anzuwenden. Roch neulich hat Erneſti in der Vorrede zu ſeiner Archaͤolo - gie daruͤber geklagt, daß dieſe verſaͤumt er haͤtte dazu ſetzen koͤnnen, daß ſie nach der neueſten Mode gar verſpottet werde. gereichen, der nichts als ſein Jnſtrument vorzeiget, der blos von Geſchmacke redet, ohne, was er damit zur ander - weitigen Nahrung ausgekoſtet?

Hr. Kl. hat ungefaͤhr ſagen wollen: daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze vorzuͤglich auf Gelehrſamkeit ſehen, und bei denen dieſer Hang zur Beleſenheit, das, was er Geſchmack nennt, ver - ſchlinget; daß es Leute gebe, die bei einer Muͤnze das Mechaniſche der Kunſt richtig im Auge haben, und (man nenne dieſes nun, Kunſtwiſſenſchaft oder Kunſtgeſchmack,) von ihnen, als Gepraͤgen, urtheilen, und wenn ſie muntern Geiſtes ſind, ſichuͤber32Kritiſche Waͤlder. uͤber ein Kunſtbild freuen koͤnnen; daß es endlich auch Leute gebe, die vorzuͤglich auf das Schoͤne, ihr Auge richten, und weder von Gelehrſamkeit noch dem Kunſtmaͤßigen Hauptwerk machen. Wir wollen jene Muͤnzgelehrten: die mittlern Kunſtken - ner: die letzten Liebhaber nennen; ſie ſind alle drei unterſchieden, ihre Unterſchiede aber fließen, ſo wie die Farben eines Regenbogens, oder eines ſpielen - den Seidengewandes, in einander. Der Kuͤnſtler kann mehr oder weniger Liebhaber, der Gelehrte mehr oder weniger Kunſtkenner, der Liebhaber mehr oder minder Gelehrter ſeyn. Nichts ſchadet dem andern: eins muß dem andern aufhelfen: und der wahre Philoſoph der Numismatik iſt alles Drei. Niemand alſo zum Nachtheile, wenn er ſeine Muͤn - zenwiſſenſchaft auf Chronologie, auf Geſchichte, auf Genealogie, auf Alterthuͤmer gewandr: haͤtte er dem Publikum auch nichts als ſolche wiſſenſchaft - liche Unterſuchungen geliefert, und den Geſchmack an Muͤnzen fuͤr ſich behalten unbeſchadet! Koͤhlers hiſtoriſche Muͤnzbeluſtigungen moͤgen nichts als hiſtoriſche, Beluſtigungen, Gatterers Theorie der Medaillen nichts als Theorie der Me - daillen; Vaillants Muͤnzenreihen der Koͤnige, Staͤdte und Colonien nichts als Numiſmatiſche Geſchichte ſeyn: das Schoͤne, das uͤberdem geſehen, und gefuͤhlt werden kann, finde jedes Auge, jede Seele von ſelbſt; wenn ihm nur das Bild desSchoͤ -33Drittes Waͤldchen. Schoͤnen vorgehalten, wenn auch nicht jede Seite herab Geſchmack geprediget wird denn uͤber - haupt laͤßt dieſer ſich wohl wenig predigen.

Von jeher ſind daruͤber Beeintraͤchtigungen gnug entſtanden, daß Ein Gelehrter, oder uͤber - haupt Ein Werkmeiſter die Arbeit einer andern Gattung uͤber die Achſeln angeſehen: und es waͤre Zeit, ſolche Blicke wenigſtens oͤfſentlich einzuhalten. Der Muͤnzenſchmecker, der auf das Schoͤne aus - geht, wirſt dem Muͤnzenkenner, der auf das Selt - ne, auf das Gelehrte, auf das Erlaͤuternde ſieht, vor, er habe nicht ſeine Augen. Habe er doch nicht! Haſt du denn die ſeinigen? Wollte jeder nur das Schoͤne auf Muͤnzen erjagen, wer wuͤrde ſich um die Zeitpunkte bemuͤhen, da es nichts Schoͤnes auf Muͤnzen gibt? Wer das Rechtsmaͤßige, das Urkundliche, das Zeitberechnende, das blos Selt - ne, auf ihnen bemerken? Und ob dies etwa nicht auch noͤthig oder nuͤtzlich. Freilich ſagt Heuſinger zu viel, daß ſich uͤber die Muͤnzen des mitlern Zeit - punktes ein ſo ſchoͤnes Buch, als Spanheim, ſchrei - ben ließe; nicht aber ein ſo nuͤtzliches Buch? Der Rechtsgelehrte, der Diplomatikus, der Geſchicht - ſchreiber, der Alterthumskenner Deutſchlands und ſo viele fleißige Beiſpiele reden. Sollen wir nun einen Joachim mit Mitleiden anſehen, weil er kein Klotz iſt, und die Verdienſte eines Gatterers uͤberſehen, weil er auf keine Jkonologie des Schoͤ -Cnen34Kritiſche Waͤlder. nen arbeitet? Unbilliges Achſelzucken! ſo bleibt Eine der nuͤtzlichſten Quellen von Urkunden unbe - ruͤhrt! die nach unſerer jetzigen Weltverfaſſung in guten Ausfluͤſſen ausgebreiteter ſeyn doͤrfte, als blos ein Gericht vom Muͤnzengeſchmacke.

Weg alſo aus dem Schriftlein unſers Autors durch und durch weg mit dem gezierten hochtra - benden Tone, der ſich uͤberall bruͤſtet. Herr Klotz laſſe jeden die Muͤnzen anſehen, wie er wolle; wenn er ſie nicht des Geſchmacks wegen anſiehet, gehoͤrt er eigentlich nicht vor dieſen Richterſtuhl. Noch weniger ſchließe man, daß, wenn jemand mit ſeiner Muͤnzwiſſenſchaft zu der und jener andern nuͤtzlichen Abſicht angeſchlagen, er deßwegen nicht das Gefuͤhl des Schoͤnen beſeſſen, nicht der Grazie geopfert habe, und wie die Modeausdruͤcke mehr heißen. Am wenigſten halte ſich Herr Klotz fuͤr den erſten Apoſtel des Geſchmacks in Deutſchland. Viele, viele vor ihm Muͤnzenkenner, Muͤnzenſammler, Muͤnzenbeſchreiber, Muͤnzenzeichner, und ſelbſt Muͤnztheoriſten vor und neben ihm, die das Schoͤne in den Alten geliebet, angeprieſen, und zum Theil ſelbſt nachgeahmet; die lange vor ihm uͤber den boͤſen Geſchmack geklagt; aber Hinderniſſe fanden, die Herr Klotz mit ſeinen ſuͤßen Vorſchlaͤgen uͤber - ſiehet. Ob alſo viel Neues, und Gruͤndliches im Klotziſchen Buche ſey, wollen wir noch nicht wiſſen; daß aber durchaus viel Geziertes, ein falſcher Fe -der -35Drittes Waͤldchen. derſchmuck, ein unausſtehlich ſelbſtwichtiger Ton herrſche o ich will nicht alle Stellen auszeich - nen, wo Herr Klotz von dem gelehrten Auge des Kenners, von der jetzigen und erſt jetzigen Epoche des Geſchmacks in Deutſchland, von den claſſiſchen Autoren deſſelben, von dem Zeitpunkte, der auch den ſpaͤteſten Nachkommen bewundernswuͤrdig ſeyn wird, von einem Manne, der die Vorzuͤge der Alten kennet, von einer ganz eignen Art von Au - gen, Kunſtwerke zu ſehen u. ſ. w. ſo ſehr in ſei - ner Perſon ſpricht, daß der geneigte Leſer nichts als Komplimente gegen einen Schriftſteller machen kann, der ſich ſelbſt ſo gut kennet, und ſo artig de ſe ipſo ad ſe ipſum und ad familiares zu reden weiß, daß nichts druͤber.

3.

Dies bei Seite, ſo iſt doch das Schriftlein vielleicht eine Aeſthetik, eine Geſchmackslehre der Muͤnzen, die in den Haͤnden aller, deren Sache dieſe ſind, von der Muͤnzobrigkeit bis zum Muͤn - zenſchlager Wunder thun muͤßte. Oder vielleicht eine philoſophiſche Grundlage zur Geſchichte der Numismatik; oder wir wollen nicht zu viel erwarten.

Ein wohlbekannter Autor Joſeph Addiſon hat wohlbekannte Geſpraͤche uͤber den Nutzen und die Vorzuͤge der alten Muͤnzen geſchrieben, dieC 2auch36Kritiſche Waͤlder. auch unter uns durch zwo oder drei Ueberſetzungen bekannt ſind. Nun kommt ein wohlbekannter Au - tor, Chriſt. Ad. Klotz, der die Geſpraͤche des Englaͤnders ſo artig in ſeine Deklamationen ver - pflanzen kann, daß es eine Freude iſt. Er ſagt ſelbſt: Er koͤnne nicht dafuͤr, wenn er ſich mit die - ſem Autor manchmal begegne: ich glaube wohl; aber wer kann denn dafuͤr? Wir wollen uns das Vergnuͤgen machen, die beiden Wandrer neben einander traben zu ſehen: aber keine Natio - nalwette! der Deutſche kommt gewiß vor.

Addiſon, oder vielmehr ſein Philander, giebts als Unterſchied zwiſchen alten und neuen Muͤnzen, daß er ſich auf jenen keiner Bilder von Einnehmung der Staͤdte erinnere, weil damals noch kein Pul - ver und Blei im Gebrauche geweſen; unſre hin - gegen ſtelleten Belagerungen, Riſſe von Veſtun - gen u. ſ. w. mit allen ihren Theilen vor. So Philander, und ſein Mitſprecher Eugen zeigts ironiſch als ſehr recht und billig an, daß ein Fuͤrſt Modelle von dem Platze hinterlaſſe, den er verwuͤ - ſtet. Addiſon der zweite trift hier ſo un - vermuthet auf das Paar, als faͤnde ers vornehm und unverhofft ſelbſt als einen beſondern Einfall, auf neuern Muͤnzen ganze Plane abzuzeichnen u. ſ. w.a)S. 34. 35. 36. Kein Wunder, ſagt Hr. Klotz,b)S. 30. denn wenn zwei37Drittes Waͤldchen. zwei Wanderer auf verſchiedenen Wegen nach ei - ner Stadt gehen, ſo kann man nicht ſagen, daß einer dem andern als ſeinem Wegweiſer folge.

Die alten Muͤnzen, ſagt Addiſon, gehen in ihren Komplimenten gegen den Kaiſer weiter, in - dem ſie Gelegenheit nehmen, ſeine Privattugen - den zu ruͤhmen: nicht nur, wie ſie ſich in Tha - ten geaͤußert: ſondern auch, wie ſie uͤberhaupt aus ſeinem Leben hervorgeleuchtet haben. Dieß geht ſo weit, daß wir Neronen auf der Laute ſpie - len ſehen u. f. Als Unterſchied fuͤhrt Hr. Klotz ſo Etwas nicht an, denn wer wird mit Addiſon Einerlei Weg nehmen wollen? unvermuthet aber und an deſto unrechterm Orte trifta)S. 22. er mit ihm, wer kann dafuͤr? ſo anſehnlich zuſammen, als folget: ob es gleich unter den Roͤmiſchen Kaiſern wunder - liche Leute gegeben, und ein Nero ſelbſt mit einer Citter auf Muͤnzen erſcheint: ſo haben ſie doch niemals etwas auf dieſelben geſetzt, das dieſem gleich kaͤme. Und dies wunderliche Dies iſt? ein Deutſches Weinfaß. O wer nun noch ſa - gen wollte, daß der Deutſche dem Britten folge, ſclbſt wenn er ihm folget! Welche Neuheit im Kon - traſt! welche Richtigkeit in der Vergleichung! wel - che Genauigkeit zu charakteriſiren! Wunderliche Leute von Kaiſern: denn ſelbſt Nero mit einer Citter! Wunderliche Leute von Deutſchen: dennC 3ein38Kritiſche Waͤlder. ein Weinfaß auf der Muͤnze! Schoͤne Verglei - chung, Citter und Weinfaß, Nero und der Deut - ſche! Die wunderliche Citter ins wunderliche deutſche Weinfaß geſpuͤndet welche Neuigkeit!

Muͤnzen wurden, ſagt Addiſon, bei den Roͤ - mern nicht zu Spoͤttereien angewandt: bei den Neuern oft, und die beiden Sprechenden wech - ſeln daruͤber ihr unterhaltendes Pro und Contra. Der deutſche Addiſon wird beſtimmter. Was jener blos als Unterſchied, mit gehoͤriger Einſchraͤnckung und Gegeneinanderabwaͤgung, an - gegeben, wird bei dieſem der Nationalcharakter einer Nation, und das Muͤnzenlob einer ganzen Republika)S. 20.. Man hat den Hollaͤndern oft eine beleidigungsvolle Verachtung gegen Koͤnige und Fuͤrſten vorgeworfen. Ob man ihnen gleich die Begierde uͤber andre zu lachen und zu ſpotten ge - laſſen, ſo hat man doch die Artigkeit, Hoͤflichkeit und den Anſtand von ihren Satyren getrennet. Kurz! nach einer langen Einſchaltung, wo Herr Klotzens Saite wieder auf ſeine liebe Burmanns ſpringt (denn wo kann Freund Sancho ans Wirths - haus denken, ohne daß ihm nicht zugleich das Luft - fliegen und der Balſam Fier a Bras einfalle?) nach einer unpaſſenden Einſchaltung alſo laͤuſts wi - der die Spottmuͤnzen der Hollaͤnder hinaus, dieihr39Drittes Waͤldchen. ihr Nationalcharakter werden. Welch eine neue, und mehrere Beſtimmtheit!

Addiſon beſinnet ſich nicht, auf Roͤmiſchen Muͤnzen das Geſicht einer einzigen Privatperſon geſehen zu haben, und wendet ſich artig daruͤber weg, unſre neuern Privatcomplimente auf Muͤn - zen anders als mit einem ſtillen Winke anzuſpotten. Doch was ſtille Winke! was doch ſich artig vorbeiwenden! Hier ebena)S. 96. 97. 98. ꝛc. fand unſer Landsmann von Geſchmack recht Zeit, auszuſchuͤt - ten, und zu dehnen, und zu verſpotten, und mit einem Ueberguß der beſten laune zu tadeln. Kein Wunder! wenn zwei Wandrer nach einer Stadt gehen: ſo iſts natuͤrlich, daß beide oft einerlei Ge - genſtand wahrnehmen muͤſſen, und es iſt auch eben ſo wahr, daß der eine einen Blumenreichern und angenehmern Weg, als der andre nehmen kann wie Hr. Kl. mit vieler Feinheit bemerket.

Addiſon kommt auf die Jnſchriften; eine Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit ſei bei den heutigen der erſte Fehler. Hr. Klotz kommt auf die Ju - ſchriftenb)S. 85. u. f.: eine Ciceronianiſche Weitlaͤuftigkeit iſt bei den heutigen der erſte Fehler. Wie aber, mein deutſcher Hr. Addiſon, und beim Nachſchrei - ben, beim trocknen Ausſchreiben kein Fehler? beiC 4einem40Kritiſche Waͤlder. einem recht Ciceronianiſchweitlaͤuftigen und deſto unbeſtimmtern Wiederkauen kein Fehler?

Addiſon giebt Proben von der Machtvollen Kuͤrze der Alten, ihre Kaiſer zu loben, und folgt eben dadurch ihnen, daß er ſtatt ſchielender allge - meiner Lobſpruͤche Beiſpiele giebt. Was Bei - ſpiele? was Proben? Hr. Klotz, um nicht Ad - diſon zu ſeyn, zieht eine lange Scheltredea)S. 88. 89. dar - aus uͤber die weitlaͤuftigen Titel der neuern Fuͤrſten, uͤber die Schwachheit und Eitelkeit derſelben, uͤber und was weiß ich, woruͤber mehr? Der Deutſche wandelt auf einem blumenreichen Pfade.

Addiſon redet wider Wortſpiele und Spitzfuͤn - digkeiten auf Muͤnzen. Er redet dagegen: Hr. Klotz waͤhlt ſich einen beſſern Weg, daruͤber zu ſcheltenb)S. 90. 91. 92. u. ſ. f., Seitenlang erbaͤrmlich zu ſchelten, und das arme Deutſchland, deſſen Krone ohne Zweifel aus ſolchen Wortſpielen geflochten ſeyn muß, red - lich zu beſeufzen. Gott troͤſte den deutſchen Pa - trioten!

Addiſon ſpricht wider die Muͤnzverſe, Hexa - meterausgaͤnge ꝛc. kurz und buͤndig. Der deut - ſche Wandrer auch, aber mit der Mine, als wenn er ſo etwas nur uͤber die Achſel im Vorbeigehen anſehec)S. 92. Denn ſiehe! da kommt etwas, was den Patrioten billiger beſchaͤftigt.

Ad -41Drittes Waͤldchen.

Addiſon ſchreibt uns Deutſchen die Muͤnzchro - noſtichen als Eigenthum, als Erb - und Lieblings - eigenthum zu. Uns armen Deutſchen! Und ſiehe! da ſteht der ruͤſtige Deutſche auf: laͤßt alles, was er unter Haͤnden hatte, liegen, um, als ein wahrer Gottſched! ſeine Nation daruͤber zu entſchul - digena)S. 93. - 97., das waͤren nur Zeiten der Barbarei ge - weſen, jetzt nehme ſchon die Liebe zu ſolchem Spiel - werk ab, jetzt da der Geſchmack wachſe, jetzt da Alles gut; aber gegen wen redet der Mann? Vor wem entſchuldiget er? Warum wen - det ſich ſeine Scheltmine auf einmal ins Antworten hin? Ach! die beiden Wandrer ſind wie - der zu nahe zuſammen: Die Addiſonſchen Dialo - gen haben dem Pulte des Deutſchen zu nahe gele - gen: der Britte beſchuldigt, muß nicht der brave Deutſche entſchuldigen? ſo wenig ſchlaͤft der Verraͤther.

Doch verrathen, oder errathen? ich ſchreibe ab:

Addiſon

Die Roͤmer erſcheinen allezeit in der gewoͤhnli - chen Tracht ihres Lan - des, ſo gar, daß man die kleinſten Aenderun -

gen

Klotzb)S. 79. redneriſch

Jch kenne die Frey - heit, mit welcher der Kuͤnſtler an Statuen und Muͤnzen das Alter - thum nachahmen darf;C 5 al -

42Kritiſche Waͤlder.

gen der Mode auf der Kleidung der Muͤnzen wahrnimmt. Sie wuͤr - den es fuͤr laͤcherlich ge - halten haben, einen Roͤ - miſchen Kaiſer mit ei - nem Griechiſchen Man - tel, oder einer Phrygi - ſchen Muͤtze zu kleiden. Hingegen unſre heutige Muͤnzen ſind voll To - gen, Tuniken, Trabeen und Paludamente, nebſt einer Menge von andern dergleichen abgekomme - nen Kleidern, welche ſeit tauſend Jahren nicht mehr gewoͤhnlich gewe - ſen. Man ſiehet oft ei - nen Koͤnig von England oder Frankreich als ei - nen Julius Caͤſar geklei - det: man ſollte denken, ſie haͤtten bei den Nach - kommen vor Roͤmiſche Kaiſer angeſehen ſeyn wollen

Wir

allein (man denke ſich den ſchoͤnen Gegenſatz!) allein ich kenne nicht die alten Originale, nach welchen die geharniſch - ten Bruſtbilder auf den meiſten neuen Muͤnzen gezeichnet ſeyn ſollen. Es bleibt dieſe Abbil - dung doch alle Zeit fuͤr unſre Zeiten fremd, und ſie ſtellt eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr ſehen. Ha - ben ſich die Roͤmer je - mals in Egyptiſcher Klei - dung oder mit Parthi - ſchen Tiaren abbilden laſſen? Wuͤrden ſie nicht, wenn ſie das gethan haͤt - ten, was unſre Fuͤrſten thun, der Nachkom - menſchaft ganz falſche Begriffe von den Trach - ten ihrer Zeiten beige - bracht haben? u. ſ. f.

Lon -43Drittes Waͤldchen.

Wir muͤſſen die Muͤn - zen, als ſo manche Denk - male anſehen, welche der Ewigkeit uͤbergeben wer - den, und die vermuth - lich noch fortdauern, wenn alle andre Nach - richten verlohren gegan - gen ſind. Sie ſind eine Art des Geſchenks, wel - ches die jetztlebenden de - nen uͤbermachen, die ꝛc.

Longin ermahnet die Schriftſteller, an das Ur - theil zu denken, welches dermaleinſt die Nach - kommenſchaft von ihren Schriften faͤllen werde. Ein Fuͤrſt, welcher ſei - ne Schaumuͤnzen als Denkmale anſieht, die er der Ewigkeit widmet und die zugleich der ſpaͤtſten Nachkommenſchaft ꝛc.

Da ſtehen die Menechmen zuſammen! zwei Wandrer, auf einem Wege nach einer Stadt, mit einerlei Fußtritten! Nur freilich daß der unſre Blu - men lieſet, oder wie er beliebt, ſich Blumenrei - chere Wege waͤhlt er wird gelehrt; er gibt den Fuͤrſten an, was ſie ihren Kuͤnſtlern aus Lichtwers Fabeln und Lucian antworten ſollen: er geraͤth in Patriotiſche Seufzer, und will zwar den Wunſch des Ajax nicht wiederholen, thut aber fuͤr Deutſch - land ein Reimgebetlein, das Hr. Watelet an die himmliſche Venus abſchickt, macht einen Non - ſens von Gegenſaͤtzen: ich kenne allerdings aber ich kenne nicht ermahnet die Fuͤrſten Longin zu leſen u. ſ. w. lauter Tand von Auszierung, wo Addiſon immer Addiſon bleibt. Und gnug, dasmerk -44Kritiſche Waͤlder. merkwuͤrdigſte bei Hr. Kl. in Vergleichung alter und neuer Muͤnzen iſt Addiſon jaͤmmer - lich geraubt: jaͤmmerlich, denn der Britte redet beſtimmt, buͤndig, angenehm; der kopirende Deut - ſche kopirt und kompilirt unordentlich, unbeſtimmt, mit ſchoͤnem Non-ſenſe durchſtuͤckt! O Ehre unſrer Nation und Zeiten!

Auf Hrn. Kl. moͤchte ich am allerwenigſten ſo ein Wort hingeſagt haben, wovon nicht die Probe den Augen aller Welt vorlaͤge: hier ſind noch ein Paar Streiche mehr, die den Kompilator verrathen, den Kompilator; der nichts, gar nichts in ſeinem Original umſonſt geleſen haben will, und der ſich doch wieder nie will merken laſſen, daß er abſchreibt; der immer den Schweif haͤngen laͤßt, um ſeine Spuren zu vertreiben, und der ſeinen Schleichgang eben damit deſto ſichrer verraͤth laß ſehen!

Bei Addiſon ſprechen drei Freunde: jeder auch in dieſen Muͤnzmaterien von eigner Denkart, ein eigner Charakter. Cynthio, dem die Muͤnzwiſ - ſenſchaſt unnuͤtz duͤnkt, kann alſo Einwuͤrfe ma - chen, die Eugen nicht machen kann, die Philander beantworten muß. Eugen haͤlt zwiſchen beiden das Gleichgewicht, und bleibt Eugen: Philander iſt Philander und eben daher, aus dem Un - terſchiede der Charaktere wird eine freundſchaftliche Gruppe. Jeder ſteht in ſeiner Geſtalt, in ſeinem Lichte da, und Addiſon, der geſellſchaftlichſte Schrift -ſtel -45Drittes Waͤldchen. ſteller Britanniens, der den guten Ton worinn anders ſetzt, als in artige Complimente, iſt auch hier Geſellſchafter. Er hat die Rollen vertheilt, jeder der Dialogiſten nimmt von ſeiner Seite An - theil: aus der Verkettung, dem Contraſte, den Wendungen des Dialogs wird das ſchoͤne Ganze, das Leben des Stuͤcks.

Hr. Klotz aber immer in ſeiner Perſon, und da er dem ohngeachtet auch die Vorwuͤrfe des Cyn - thio gegen die Muͤnzwiſſenſchaft, nicht will um - ſonſt geleſen haben, und ſie alſo auf die Geſchmack - loſen Muͤnzenkenner bannet: ſo wird was bei Addi - ſon durch den dialogiſchen Contraſt beſtimmt und gemildert wurde, bei ihm, der immer in ſeinem Namen ſpricht, und immer in ſeinem Namen ſchilt, eine Misgeburt, dogmatiſche Satyre, und ſatyri - ſche Dogmatik. Philander, Cynthio, Eugen ſprechen alle durch eine Roͤhre auf einmal

an odd promiſ[c]ious Tone
as if h had talk’d three Parts in one
which made ſome think, when he had gabble,
Th had heard three Labourers of Babel.

Nun laß es noch gar ſeyn, daß Cynthio Seitenlang den Oberton behalte, noch gar dazu ſchreien, was Pope dem Addiſon im Namen des Cynthio geſagt, noch gar, was andre ehrliche Leute gegen den ſchlechten Muͤnzengeſchmack geſagt: ei! da iſt der ſchoͤne bunte Rock fertig, Farbe uͤberFar -46Kritiſche Waͤlder. Farbe, Lappe an Lappe, Tuch uͤber Seide und Lein - wand uͤber Tuch ei! da iſt der ſchoͤne beleſene gute Ton des Hrn. Klotz.

Ein andrer Streich, den Addiſon ſeinem deut - ſchen Mitwandrer ſpielt, iſt noch aͤrger. Faſt immer lockt er ihn von ſeinem Wege ab, und da dieſer doch durchaus mit ihm nicht einen Weg neh - men will, und ſich alſo immer wieder beſinnet, um zuruͤck zu reiſen, und immer ſorgfaͤltig die Spu - ren vertritt, auf denen er zu ihm gekommen, und immer doch zu ihm zuruͤckkommt: ſo hat er endlich gar keinen Weg. Er geht ab und zu: iſt, wie jenes Ding

das ging und wiederkam: wie wird der Wandrer nach der Stadt kommen?

Alle Praͤliminarausſchweiſe abgerechnet, fange ich an, von der Sache, die ich mir vorgeſetzt habe. Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen gleich - ſam eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe, oder ihren Verfall aus denſelben zu beurthei - len. Jch werde daher die alten Muͤnzen, wel - che beſonders unſre Aufmerkſamkeit an ſich zie - hen, mit den neuern vergleichen; ich werde die merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je - der derſelben gehoͤren, betrachten, und nach der groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein47Drittes Waͤldchen. mein Urtheil faͤllen! a)S. 22. 23.Wie groß iſt das Jch werde! des Verfaſſers; aber der boͤſe Addiſon! Er iſt im Stande, einen vielverſprechenden Wandrer ſo weit von ſeinem Jch werde! abzubringen, ſo weit in Kreuzgaͤnge zu verfuͤhren, daß er endlich mit dem alten Fabelhanſen Aeſop wohl ſagen kann: weiß ich doch ſelbſt nicht, wohin ich gehe!

Kaum iſt das Thema in allen ſeinem Werde geſprochen: ſo wird nichts. So gleich kommt der Autor auf eine Meilenlange Parentheſeb)S. 24. u. f., was er zu einem Zeitalter des Geſchmacks rechne? ſo gleich auf eine Addiſonſche Parallele zwiſchen den A. und N.c)S. 26. 27. und das aus Einer Muͤnze.

Er beſinnt ſich an ſein Thema, und kuͤndigt die Theile ſeiner Abhandlung abd)S. 27.: und unver - muthete)S. 30. iſt er wieder bey Vergleichung der A. und N. bei Addiſon. Es faͤngt eine lange Parallele an, da doch der Autor etwas anders, als Paral - lele, ſchreiben wollte.

Jetzt will er von der Allegorie auf Muͤnzen uͤberhaupt reden: er will; aber daf)S. 32. 33. u. f. ſind ihm wieder die Bilder der Alten und die Veſtungsplane der Neuen vor Augen aus Addiſon.

Jetzt48Kritiſche Waͤlder.

Jetzt kommen ihm Winkelmann und Leſſing in den Wega)S. 38. 39. 51., und werfen ihn wie einen Ball umher: er kommt zu ſich und findet ſich bei Addi - ſonb)S. 52.. Der gute Schriftſteller wollte von Vor - ſtellungen des Geſchmacks uͤberhaupt reden, und redet von Parallelen.

Er erinnert ſich wieder an ſeinen Weg: ei aber! dac)S. 65. 69. ſind die Hrn. Mengs und Hagedorn ganz unvermuthet! Ach! und eben ſo unvermuthet bei dem Cynthio Addiſons, und Pope an Addiſon, und nachdem er uͤber die klaſſiſchen Schriftſteller ſeiner Zeit hinweggeſchweifet iſt, wieder bei dem Coſtume Addiſons auf alten Muͤnzend)S. 70 - 79..

Und nun haben ſich die beiden Wandrer ſchon ſo lieb gewonnene)S. 85 - 99., daß ſie ſich ſeltner trennen. Jnſchriften, Wortſpiele, Verſe, Chronoſtichen ſind Addiſons und Klotzens Weg, und da bei dem letztern ein kleiner freundſchaftlicher Zwiſt vorfiel: ſo beugt der Deutſche in Entſchuldigung ab: eine Addiſonſche Bemerkung kommt als Stempel dar - auf und Soviel vom erſten Theile. Er ſollte freilich eine Theorie des Muͤnzengeſchmacks nach Vorſtellungen, Sinnbildern und Aufſchriften er ſollte gar eine Geſchichte dieſes Geſchmacks nach Voͤlkern und Zeiten enthalten durch einZuſam -49Drittes Waͤldchen. zuſammen treffen der Wege aber ward er ein unor - dentliches Gemiſch fremder Bemerkungen, Regeln und Beiſpiele, aus welchen nur der zaͤrtliche Freund Hrn. Klotzens, und Hr. Klotzens eigne Bibliothek, den ſchoͤnſten Plan und Ordnung aus - ſpinnen kann. Mich duͤnkt, Hr. Gatterer be - halte zu ſeiner Theorie der Medaillen, zu welcher er ſchon einen leſenswerthen Beitrag gegeben, die Materie ziemlich ganz uͤbrig.

4.

Noch hab ich erſt nach Grundſaͤtzen zur Theo - rie des Geſchmacks auf Muͤnzen nachgeſucht: nun aber ein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks? Auch mir iſt die Numiſmatik vorzuͤglich eine Aeſthetik des Schoͤnen, und eine Urkunde zur Ge - ſchichte der Voͤlker, und da ich in dieſer uͤberhaupt am liebſten die Geſchichte des menſchlichen Geiſtes ſtudire: nach allem Betracht eine Geſchichte des Geſchmacks auf Muͤnzen; welch ein Geſchenk! So nahm ich das klotziſche Schriftchen zur Hand und legte es mit der beſchaͤmten Mine weg, mit der ein Bogenſchuͤtze den lieben Bogen weghaͤngt, den er freudig und hoffnungsvoll nahm, mit dem er aber nichts getroffen.

Nichts thun, als den Geſchmack der Alten auch von Muͤnzen herab loben, und in all - gemeinen Ausdruͤcken preiſen kommt heuteDetwas50Kritiſche Waͤlder. etwas zu ſpaͤt: Hieruͤber liegen ſchon Denkmale und Sammlungen der Welt vor Augen, daß man ſich eine Lobrede ins Allgemeine hin, ohne Bei - ſpiele und faſt ohne Grundſaͤtze, erſparen kann. Nichts thun, als den Geſchmack der mittlern und neuen Zeiten fein laͤchelnd ausziſchen, oder an - ſehnlich ausſchelten immer auch zu ſpaͤt, da ſchon ſo viele Klagen vergebens in die Winde ver - flogen ſind, und ſelbſt beſſere Bemuͤhungen nichts ausrichten koͤnnen. Am beſten alſo, weder prei - ſen, noch tadeln; ſondern erklaͤren. Die Alten ſind auch in dieſem Stuͤcke ſo weit vor; was hat ihnen dahin geholfen? wir ihnen ſo weit nach; was haͤlt uns zuruͤck? was hat uns ſo lang zuruͤck gehalten? Auf die Weiſe ſteigt man in die Tiefen der Geſchichte alter und neuer Zeiten, und kann die ſchwere Frage loͤſen: wie weit koͤn - nen wir ihnen auch in dieſem Felde nachahmen? wo ſie erreichen? wo ſie uͤbertreffen? und ſo wird eine Geſchichte des Geſchmacks auch auf Muͤnzen fuͤr unſre Zeit pragmatiſch.

Da Hr. Kl. ſich auf dieſen ſchluͤpfrigen Weg nicht hat begeben wollen, und ich in allem, ohne wel - ches ich keinen Beitrag zur Geſchichte des Ge - ſchmacks mir denken konnte, meine Erwartung betrogen fand, ſo entwarf ich, wie ſie mir einfie - len, einige Linien, die wenigſtens zeigen moͤgen, daß ich uͤber dieſe Materie geſchichtmaͤßig undanti -51Drittes Waͤldchen. antiquariſch nachgedacht hatte: ein Riß, aber nur ein unvollendeter Schattenriß, den ich dem kuͤnftigen Verfaſſer einer Theorie und Geſchichte der Medaillen uͤbergebe.

Die Numiſmatik, als Kunſt und als Wiſſen - ſchaft iſt, ſo wie jede Wiſſenſchaft und Kunſt, die Produktion einer Nationalgeſellſchaft. Aus der Verfaſſung der Regierung, der Denkart, der Re - ligion, den Unternehmungen, den Zwecken, den Be - ſtrebungen eines Volks muß ſich alſo Urſprung, Bluͤthe, und Verfall dieſer, ſo wohl als jeder an - dern Kunſt und Wiſſenſchaft, erklaͤren. Nun will ich nicht vom Ei der Leda anfangen, wie es mit Nationen ſtehe, die keine Muͤnzen haben und brauchen? welches Volk ſie in Gang gebracht? wie die erſten Muͤnzen, die niemand geſehen, aus - geſehen haben? u. f. warum, frage ich allein, warum kamen die Muͤnzen in Griechenland und Rom zu dem Glanze, daß ſie Vorbilder, und meiſt unerreichte Vorbilder der Neuern ſeyn koͤnnen?

Die Liebe der Griechen zum Schoͤnen bleibt wohl die erſte Triebfeder auch hier. Sie, die von Dichterideen die erſte Bildung ihrer Jugend erhielten: ſie, deren Auge uͤberall das Schoͤne zu erblicken gewohnt war, im Schooße der wohlluͤ - ſtigen Natur geboren, und an den Bruͤſten ſchoͤ - ner Kunſt genaͤhret ſie ſollten das Metall, dasD 2ein52Kritiſche Waͤlder. ein Kennzeichen des Werths fuͤr ihre Hand war, ohne Werth fuͤr Aug und Seele laſſen? ſie eine Gold - oder Silberflaͤche, die der Nachkommen - ſchaft beſtimmt war, leer in die Haͤnde derſelben ſenden? ſie Tafeln, die taͤglich ihren Blick auf ſich zogen, ohne Augenweide bei ſich vorbeyſtrei - chen laſſen? Das griechiſche Auge ſuchte Schoͤn - heit; eine griechiſche Seele Weisheit in Schoͤn - heit, und ſo ward auch ihre Muͤnze der Schoͤnheit, und der ſchoͤnen Weisheit, der Allegorie, gewidmet. Gewiß! ſo natuͤrlich, daß, wenn in dem Cirkel - laufe der Weltveraͤnderungen ein nordiſches Volk auf den Platz des Commerzes und der Cultur ge - troffen waͤre, auf dem jetzt die Griechen ſtehen, ſo gewiß ihre Muͤnzen mit nordiſcher Wiſſenſchaft, mit Buchſtaben und Amuleten und Fratzengeſtal - ten uͤberhaͤuft waͤren, ſo natuͤrlich, daß der Grie - che ſeine Muͤnze der Schoͤnheit und offnen Alle - gorie weihete

Der Charakter der griechiſchen Nation, der ſich in allen ihren Nationalproduktionen, (ich will es Hr. Klotzen uͤberlaſſen, ſie herzurechnen,) zeigte, der muß ſich, die Numiſmatik ſei auch eine kleine, eine unbetraͤchtliche Nationalproduktion, nach Maaß auch in ihr zeigen, und welche Triebfedern lagen alſo fuͤr dieſe, wie fuͤr alle Kuͤnſte des Schoͤ - nen, in der Nation!

Die53Drittes Waͤldchen.

Die vortreflichſte Bilderſprache war ihr. Sie, die im Plane des Schickſals der Voͤlker zunaͤchſt hinter die Egypter trafen, und Cultur, Kunſt und Weisheit, ja wenn man will, auch politiſche Gluͤck - ſeligkeit aus den Haͤnden dieſes Reichs, wie einer ablebenden Matrone, empfangen, ſie, die den uͤber Voͤlker und Zeiten fortgehenden Faden der Cultur des menſchlichen Geſchlechts da auffaſſen ſollten, wo er zunaͤchſt aus aͤgyptiſchen Haͤnden kam: ſie erbten von dieſen Allegoriſten auch die reichſte, die bedeutendſte Bilderſprache, die auf der Welt ge - weſen. Aus den Haͤnden einer Nation, die uͤberall Bedeutung ſuchte, und Bedeutung gnug in ihn gelegt hatte, kam alſo ein Bilderſchatz in die Haͤnde einer Erbinn, die fuͤr ihr Theil nichts als Schoͤnheit ſehen und denken wollte. Reich, Be - deutungsvoll, ſchoͤn, was kann man von einer Bilderſprache mehr ſagen?

So manche gelehrte Werke wir uͤber dies alle - goriſche Alterthum haben: ſo fehlt uns eine wahre Geſchichte der Allegorie noch, die das inſonderheit zeige, wie aus der bedeutungsvollen Bilderlehre Aegyptens die ſchoͤne Jkonologie Griechenlandes zum Theil geworden? Und die Unterſuchung hieruͤber iſt ſie nicht oft der Schluͤſſel zur Bilder - gallerie griechiſcher Dichtkunſt, Kunſt und Weis - heit? Die Hieroglyphen der Aegypter, ihre hie - rographiſche und kyriologiſche Bilderſprache, behal -D 3ten,54Kritiſche Waͤlder. ten, oder verſchoͤnert, oder verbeſſert, wie manches hat ſie in Griechenland hervor bringen koͤnnen? Und wenn auch nur dies, daß da auf ſolche Art die Griechen einen Schatz von Bildern aus der Geheimnißdunkelheit der Aegypter gezogen, und auf den Maͤrkten gleichſam dem Volke gemein machten, die ſchoͤne Bilderdenkart einer Nation entſtehen koͤnnen, die ſich in allen Werken der Grie - chen und auch auf Muͤnzen aͤuſſert

Jn ſolcher Bilderſprache ſprach ihre Religion. Jhre Gottheiten waren dem Auge ſichtbar, in ſchoͤnen Geſtalten ſichtbar, in ihren Verrichtungen menſchlich, in der Geſchichte ihrer Tugenden und Schwachheiten dichteriſch, in allem ſinnlich. Es iſt bekannt, welche vortrefliche Muͤnzenfolge mit den Bildern der Goͤtter und Goͤttinnen, der Schutz - gottheiten einzelner Laͤnder, Provinzen, Staͤdte, Familien und Perſonen prangen wer kann ihnen dieſe nun nachbilden, ſo daß jede Gottheit, das, wie ſie ihnen war, bliebe? Ueber eine Dreifaltig - keit unter dem Bilde eines dreikoͤpfichten Janus lachena)S. 53., iſt leicht, ſehr leicht; aber ein beſſres Bild der Dreifaltigkeit angeben, das die Probe griechiſcher Bildſamkeit hielte, waͤre ſchwerer, ja unmoͤglich: dieſes Bild alſo gar zur Vergleichung unſrer mit den Alten nehmen, iſt unzeitig. Die Griechen hatten keine Dreifaltigkeit, wie wir;ſonſt55Drittes Waͤldchen. ſonſt wuͤrden ſie dieſelbe ſo wenig, als wir, haben bilden koͤnnen. Unſer Gott iſt ganz uͤber das Sinnliche der Kunſt erhaben: die gewoͤhnlichen Vorſtellungen der Dreieinigkeit in den Geſtalten einzelner Perſonen von dem goͤttlichen Greiſe an bis an die himmliſche Taube ſind nicht gnugthuend: der Triangel blos eine tropiſche Symbole: die Glorie mit dem heiligen Namen nichts als eine Epiſto - liſche Hieroglyphe: die Wirkſamkeit unſrer Gott - heit iſt nicht bildſam: einzelne Schutzgoͤtter hat unſre Religion nicht: die Vorſteherſchaft beſondrer Weſen uͤber beſondre Dinge kenner ſie nicht wer wird ſich hier mit den Heiden vergleichen wollen?

Wo unſre Religion noch ſinnlichen Vorſtellun - gen Raum gibt, wo ſie ſich einer poetiſchen Bilderſprache bequemt: da iſt ſie orientaliſch. Unter einem Volke gebildet, das ihr Gott auf alle Art von Bildniſſen abwenden wollte, in Gegen - den, die das Uebermenſchliche ſuchten, in Natio - nen, die Verhuͤllungen des Koͤrpers, und Geheim - niſſe des Geiſtes lieber verehren, als das offne Schoͤne lieben wollten im Geiſt und in der Sprache dieſes Volks die ſinnliche Bilderſprache unſrer Religion alſo geoffenbaret; wer wird in ihr Offenbarungen fuͤr die Kunſt ſuchen wollen. Ueber das Bild von der ſeligen Abfarth Guſtav AdolphsD 4iſt56Kritiſche Waͤlder. iſt wieder leicht ſpottena)S. 26., und der Spott faſt ſo veraͤchtlich, als das Bild ſelbſt; gar aber dieſes Bild als einen Revers mit der roͤmiſchen Vergoͤt - terung anfuͤhren, vergleichen wollen? Der Spoͤtter gebe uns nach chriſtlichen Begriffen eine Reihe ſol - cher Verhimmelungen, als ſich auf griechiſchen und roͤmiſchen Muͤnzen Vergoͤtterungen finden, und wir wollen ihm danken.

Jch ward auf eine unangenehme Weiſe hinter - gangen, da ich des Mery Malertheologie in die Hand nahm, um meinen alten Wunſch ausge - fuͤhrt zu leſen: wie weit ſich von den vornehmſten Gegenſtaͤnden unſrer Religion maleriſche Vorſtel - lungen geben laſſen? Und eben ſo unangenehm getaͤuſchet, da ich bei der Recenſion dieſes Buchs in den actis literariisb)Vol. III. ein genaues Urtheil, und die tief eindringenden Ergaͤnzungen erwartete, die ein wuͤrdiger Kunſtrichter jedesmal ſeinem Autor uͤber ſolch eine Sache wiederfahren laͤſſet. Unſer Kuͤnſtler hat noch eine Jkonologie unſrer Religion zu wuͤnſchen, die ihn nicht blos vor unwuͤrdigen Vorſtellungen bewahre, ſondern ihn mit wuͤrdigen Bildern verſehe. Auch auf Muͤnzen ließe ſich in keiner Sorte von Abbildungen eine ſolche Reihe abentheuerlicher, laͤcherlicher, und unwuͤrdiger Vorſtellungen geben, als in dem, was an Reli - gion trift: wer wird aber durch ſolch ein LachenGe -57Drittes Waͤldchen. Geſchmack zeigen wollen? den erſten beſten Griff in eine Muͤnzenſammlung Chriſtlicher, und inſon - derheit der mittlern barbariſchen Moͤnchszeiten, und man wird von Gott und Belial, von Himmel und Hoͤlle, von Engeln und Teufeln, von Maͤrtrern und Heiligen Bilder finden, nicht geſchwind gnug zu uͤberſchlagen. Selbſt die beſte Vorſtellung des Chriſtenthums, die betende Mine, die kniende Figur der Andacht ſcheint nicht fuͤr einen ewigen, offnen Anblick der Kunſt die beſte, ſo haͤufig uns der Gothiſchpapiſtiſche Moͤnchsgeſchmack damit be - ſchenket hat. Das wahre Gebeth flieht in eine ſtille Kammer: es will ſich nicht zur Schau ſtellen laſſen: die vor allem anſchauenden Volke verzuͤckte Mine kommt bey dem langen Anblicke, der aͤrgernden Mine des Heuchlers zu nahe, und das iſt noch eine der wuͤrdigſten Kunſtvorſtellungen aus unſrer Religion!

2. Sinnbilder von Staͤdten, Provinzen, Laͤndern geben auf den alten Muͤnzen eine ein - fachere Bilderſprache, als in Zeiten, da die Heraldik eine zuſammengeſetzte, kuͤnſtliche Wiſſen - ſchaft geworden, die allein beynahe die Lebenszeit eines Mannes fodert. Eine einfache Figur war dort die Symbole einer Stadt, einer Kolonie, eines Landes; unſre Wappen ſind eine Zuſammen - ſetzung vieler Figuren, um deren Eine oft StroͤmeD 5von58Kritiſche Waͤlder. von Menſchenblut vergoſſen, deren keine alſo, wo es die Ehre und das Erbrecht des Muͤnzherrn erfordert, ausgelaſſen werden darf, an deren Einer in kuͤnftigen Zeiten vielleicht ein ganzes Land gele - gen ſeyn kann. Nun iſts leicht, in ſolchem Fall uͤber die mit Bildern beladnen Muͤnzen der Neuern Geſchmackvoll zu ſpottena)S. 33. u. f.: aber wie zu aͤndern? Der Rechtsgelehrte, der Staatskundige, der Heraldikus kuͤnftiger Zeiten wird, da die Sache einmal ſo iſt, uns fuͤr die Geſchmackloſe Ueberla - dung der Muͤnzfiguren vielleicht ſo danken, als ein Grieche vergangener Zeiten ſie wegwerfen wuͤrde. Wie alſo, da es hoͤherer Urſachen wegen nicht anders ſeyn kann?

Die Wappen, wie bekannt, ſind eine Erfin - dung und Anordnung der mittlern Gothiſch - bar - bariſchen Turnierzeiten; ihre Schilde und Creuze, und Sparren und Bandſtreifen, und Thierfiguren und Fahnen haben ihren Urſprung dem Zeitge - ſchmacke zu danken, der ſich, als eine Vermiſchung des Nordiſchgothiſchen, des Spaniſch - Arabiſch Ritterlichen, des Barbariſch - Chriſtlichen Moͤnchs - geſchmacks uͤber Europa daherzog, Ritter - und Rieſenkaͤmpfe, Turnier - und Kreuzzuͤge gebar, und er waͤre, was er wolle, nur wenig Jdeen von der Tapferkeit eines griechiſchen oder roͤmiſchen Helden in ſich haͤlt welcher Thor wird alſodieſe59Drittes Waͤldchen. dieſe unter jenen ſuchen? ſo verſchiedne Geſchoͤpfe ein alter griechiſcher und ein gothiſcher Held der mit - lern Zeiten: ein roͤmiſcher Patriot, der fuͤr ſein Vaterland, und ein andaͤchtiger Kreuzkrieger, der auch, aber fuͤr ein anders Rom, roͤmiſch geſin - net, fuͤr Papſt und Kirche fochte ſo verſchieden dieſe: ſo verſchieden auch die Bilder ihrer Tapfer - keit. Jn den Schilden und Helmen, in den He - roldsfiguren und Ehrenſtuͤcken, in den Lilien, die keine Lilien ſind, in Drutenfuͤßen und Alpenkreuzen, in Kronen und Muͤtzen, Helmdecken und Wappen - zelten wird da wohl eine Dea Roma oder das einfache Sinnbild einer griechiſchen Stadt woh - nen? Einmal ſind ſchon die Wappen hoͤchſt - verwilligte oder bruͤderlichbeliebte Charakterzeichen der Perſonen, Familien und Laͤnder, daher die Anord - nung und der Plan der Wappen; das Herkommen hat ſie geſchlagen: jedes Faͤhnlein hat ſeine Rechte und Deutung, woran nach unſrer Verfaſſung mehr liegt, als an einem Gericht Geſchmack: ſie ſind Urkunden und Diplome wer will ſie aͤndern? wer, wo ſie erſcheinen muͤſſen, als uͤberladen ſchelten? wer den Kaiſern, Koͤnigen, Fuͤrſten, Grafen und Herren, Erzbiſchoͤfen, Biſchoͤfen und Aebten, Laͤndern und Staͤdten, Aemtern und Familien in Europa neue Gnadenwappen nach altem griechiſchen Geſchmacke geben, daß ſie doch nicht ſo Gothiſch - Papiſtiſch - Barbariſch uͤberladenaus -60Kritiſche Waͤlder. ausſehen wer iſt der Muͤnzenlehrer vom Ge - ſchmack?

Zu dem waren in den alten Zeiten der Grie - chen weniger Staͤdte, und Laͤnder, die als Un - terſcheidungszeichen auf Muͤnzen kamen, als jetzt. Jch weiß die anſehnliche Zahl griechiſcher Muͤn - zen von Staͤdten und Colonien, und auf roͤmiſchen die oͤftern Bilder von eroberten Laͤndern und Pro - vinzen; alles aber reicht auf keine Art, an die dreißig tauſend Wappen unſrer Zeit, die Gatte - rer als die mindeſte Zahl der zuverlaͤßigen angibt. Die Muͤnzen griechiſcher Staͤdte waren Patrony - miſch; jede hatte den Genius, oder den hoͤhern Schutzgott, oder die Symbole ihres Orts, und damit wohl! Die roͤmiſchen Muͤnzen ſtellen die eroberten Provinzen nicht anders, als erobert vor: ſie waͤhlten ſich alſo ein Merkmal des Landes, wodurch ſich daſſelbe fuͤr ſie, nach dem Geſichts - punkte ihrer Unwiſſenheit oder politiſchen Abſichten unterſchied, perſonificirten es zur Symbole: damit wohl! Wo reicht dies aber an die Menge, an die Beſchaffenheit, an die Beſtandheit, an die politi - ſchen Rechte und Abſichten der Wappen, der Unterſcheidungszeichen unſrer Laͤnder, Staͤdte und Provinzen? Man erlaſſe mir uͤber Sachen von ſolchem Augenſcheine alle leidige Gelehrſamkeit, die ich in ſolchem Falle immer lieber bey Hrn. Klotz leſen mag. Die mittelmaͤßigſte Kenntniß der al -ten61Drittes Waͤldchen. ten und neuen Geſchichte, ſo fern ſie alte und neue Muͤnzen erlaͤutert, macht den himmelweiten Unterſchied begreiflich, wie die Alten ihre Staͤdte und Laͤnder ſymboliſiren und perſonificiren und al - legoriſiren konnten, nach dem damaligen Zuſtande der Laͤnderkenntniß, oder der politiſchen Abſicht: und wie wir ſie nach der Verfaſſung unſrer Welt andeuten muͤſſen hier vergleichen, heißt in den Wind vergleichen! a)S. 35. 36.

3. Jn Anſehung der abzubildenden Sachen, und Begebenheiten uͤberhaupt hat die numiſmatiſche Welt der Alten vor der unſern große Vorzuͤge

Selten waren die dort vorzuſtellenden Sachen und Begebenheiten ſo verwickelt, ſo ſehr mit Um - ſtaͤnden begleitet, mit Beſtimmungen umlagert, als in jetzigen Zeitlaͤuften. Ein Sieg zu Lande oder Waſſer hatte einmal ſeine Victorie mit dem Kranze in der Hand, ſeine Minerva, ſeinen Ju - piter mit dem Adler, und andre Symbole, die in ihrer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ſo gern auf alten Muͤn - zen wiederkommen, und ſo oft ſie wiederkommen, noch immer dem Auge gefallen. Die oͤffentlichen Anreden, und Geſchenke, die Vergoͤtterungen, Adoptionen, Vermaͤhlungen, Spiele, uͤberhaupt die oͤffentlichen Gelegenheiten zu Muͤnzen waren unverworrener, als jetzt, da man oft mit allenBil -62Kritiſche Waͤlder. Bildern rings um die zuſammengeſetzte Jdee her - um gehet, ohne ſie zu treffen, ſie entweder halb und ſchielend ausdruͤckt, oder die Muͤnze mit Sym - bolen uͤberladen muß. Die Anlaͤſſe zu Muͤnzen, haben ſich ins Große, und im Detail der anzu - deutenden Umſtaͤnde ſo ſehr ins Kleine vermeh - ret, daß mir grauet, uͤber alle politiſche, kirch - liche, gelehrte, Kunſt - und wiſſenſchaftliche Situationen und Merkwuͤrdigkeiten unſerer Zeit Muͤnzen nach alter Art anzugeben, wo man ſie fo - dert, und fodern kann. Gatterer hat ange - merkt, daß die franzoͤſiſchen Muͤnzen auf die Ge - burt eines Kronprinzen ſaͤmtlich nicht die concrete Jdee ausdruͤcken, die ſie ausdruͤcken ſollen, ſie ſagen entweder zu viel, oder zu wenig und wie, wenn ſich ein philoſophiſcher Theoriſt der Me - daillenwiſſenſchaft nun uͤberhaupt darauf einlaſſen muͤßte, die Vorſtellung aller vornehmſten Merkwuͤr - digkeiten unſrer politiſch ſo verfeinerten Zeiten, nach dem Geſchmacke der Alten zu verbeſſern welch Labyrinth! Jch ſage kein Wort davon; denn wie viel waͤre ſonſt zu ſagen?

Wenigſtens alſo nicht ſo ganz unſinnig, daß die neuern Muͤnzen in ein topographiſches, oder hiſtoriſches, oder Ceremoniendetaila)S. 32. 33. 34. abgewichen ſind, das die Alten nicht haben: Die heutigen Zeit - und Staatslaͤufte ſind damit uͤberhaͤuft, wiekonn -63Drittes Waͤldchen. konnten die Bilder derſelben frey bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeſte, Stiftungen und Friedensſchluͤſſe, Aemter und Staͤnde ſind mit einem Getuͤmmel individualiſiren - der Umſtaͤnde begleitet, die dieſe Begebenheit von allen aͤhnlichen Begebenheiten unterſcheiden ſollen. Nun iſt freilich hier die Regel leicht zu geben: Abſtrahire von allen dieſen concreten Umſtaͤnden einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art der Alten und du haſt eine Muͤnze von Geſchmack: allgemein hingeſagt, iſt dies Recipe, miſce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abſtrakten Begriffe im Bil - de, nicht die concrete Begebenheit verſchwinde? Wahrhaftig ſchwerer! und ein vollſtaͤndiges Re - pertorium beſſerer Vorſtellungen geben im Ge - ſchmacke der Alten, und doch, daß unſre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich. Ueberweg alſo vergleichen, trift nicht. Das Mit - telſtuͤck der Vergleichung ſchwankt; die ſinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten iſt nicht mehr unſre Welt.

Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo - graphiſchen Beſchreibungen unſerer Schlachten, und Siege, die Riſſe unſrer Staͤdte und Veſtun - gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung,oder64Kritiſche Waͤlder. oder Ankunft, das Gewuͤhl von Kriegsgeraͤth - ſchaft bey einer Belagerung, das laͤcherliche Freu - denleben bey manchen Jubelfeſten, alles Kinder - zeug bey Geburten, und Himmelsanſtalten bei dem Hintritt eines Wohl - oder Hochſeligen retten oder loben wolle. Wer mag alle unzeitige oder gar laͤcherliche Muͤnzhiſtorien lange anſehen? Daß aber uͤberhaupt unſere Muͤnzvorſtellungen mehr ins Hiſtoriſche, ins genau beſtimmende einſchlagen, als die Alten, das, ſage ich, iſt oft unvermeidlich, oft noͤthig, und wenn man erlauben will, auch nuͤtzlich. Muͤnzen ſind Denkmale einer Merkwuͤrdigkeit an die Nachwelt was ſind ſie, wenn ſie nicht deutlich, nicht beſtimmt reden? und wenn ſie uͤber unſre Welt von Denkwuͤrdigkeiten nicht immer nach der Weiſe der Alten reden koͤnnen? Jmmer laſſet ſie ſich alsdenn ihre eigne Weiſe nehmen. Mit allen Vorzuͤgen der Alten hierinn ſind nicht viele ihrer Muͤnzen deswegen fuͤr uns undeutlich, weil ſie zu wenig hiſtoriſch, zu wenig individuell, zu abſtrakt, zu allegoriſch ſind?

Nun ſtelle man ſich nach Jahrhunderten eine Nachkommenſchaft auf unſern Graͤbern vor; eine gegen uns ſo fremde Nation, als wir gegen Grie - chen und Roͤmer eine, die mit eben der Begierde in der Geſchichte von uns forſchen wollte, mit der wir unter den Alten forſchen Oder wenn wir ein ſolches Gericht einer Nation nicht erwartendoͤrfen:65Drittes Waͤldchen. doͤrfen: ſo laſſet nur im Verfolg der Zeiten nach - kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge - nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen ſeyn doͤrfen: wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige hiſtoriſche Vor - ſtellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie verſteckte? als eine allegoriſch halb ge - ſagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute - te? Jn dieſem Falle iſt der Unterſchied ſo; wie in den mancherley Erzehlungsarten der Geſchichte. Die aͤlteſte Geſchichte war Gedicht, war epiſcher Geſang ſchoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder gekleidet freylich, ſo gar mit taͤuſchenden Fiktionen untermiſcht; aber Geſchichte? Trockne Zeugniſſe der Wahrheit? Wie verlaſſen iſt der Geſchicht - ſchreiber in dieſen Gegenden ſchoͤner poetiſcher Halb - wahrheit, oder ſchoͤner halbwahrer Dichtung! Und was dieſe Miſchung einen langen mytholo - giſchen Geſang hinunter; das iſt ſie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle - gorie verſteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem Denkmale fuͤr die Nachwelt.

Eben dazu iſts ſchon, daß die Neuern ihren Medaillenvorſtellungen eine groͤſſere Flaͤche, als je die Alten, eingeraͤumt haben. Moͤchten ſie nur auch die hiſtoriſche Begebenheit ſo kurz, ſo an - ſchaulich, ſo entladen von entbehrlichen Nebenum - ſtaͤnden, von Zierrathen aus einer fremden Zeit, und von verwirrender Dichtung vorſtellen: moͤchtenEſie66Kritiſche Waͤlder. ſie nur ſtatt immer neue Vorſtellungen zu erkuͤn - ſteln, bey wiederkommender Veranlaſſung auch gute, obgleich ſchon gebrauchte, Abbildungen wie - derholen, und das Jndividuelle des gegenwaͤrti - gen Falls nur ſo leicht beſtimmen, als moͤglich: freylich, ſo koͤnnten wir, weil ſich auch unſre Welt von Merkwuͤrdigkeiten doch ſo oft wiederho - let, auch einmal zu einer fuͤr uns eignen Jkono - logie kommen, ſo beſtimmt, als die Antike in ih - rer Art; nur freylich ein gut Theil hiſtoriſcher, politiſcher, detaillirter.

4. Die vorzuſtellenden Perſonen nehmen in et - was an dieſer Schwuͤrigkeit Theil. Wenn es in den mittlern Zeiten Reichsgaͤngig war, den Kaiſer ſitzend auf einem halben Cirkel, oder auf einem Thore zwiſchen zween Thuͤrmen abzubilden, als waͤren die Fuͤße dem Bauche entwachſen; wer doͤrfte da bei ſolcher kaiſerlichen majeſtaͤtiſchen Stellung nicht an die Mine Veſpaſians beim Sueton geben - ken: velut nitentis! Er mit Kron und Scepter, Schwert, und Reichsapfel einen Fuͤrſten mit Helm und Panzer, in ſeiner Hermelindecke und Hermelinmuͤtze, mit Fahn und Wappen reitend der Biſchof mit Hut und Stab und Kreuz und Oberrock drei Heilige auf einer Zuͤrchermuͤnze, mit einem Nimbus oben ſtatt des Haupts, das jeder Rumpf zum Zeichen ihres Maͤrtrerthums inder67Drittes Waͤldchen. der Hand haͤlt. Dieſe erzwungene Tracht und Stellung, die faſt jedes Land des guten Herkom - mens wegen ſeinen Fuͤrſten und Herren gibt, durch - laufen; und denn an das freie Kopfbild eines Alexanders, zuruͤck gedacht welch ein Unter - ſchied! wo wohnt das freie Schoͤne?

Mich wundert, wie Hr. Kl. uͤber die gehar - niſchten Bruſtbilder auf unſern Muͤnzen ſo fremde als ein Kind thuta)S. 79. 80, u. f.: Wider das Coſtume ſind ſie doch: den alten Roͤmern ſind ſie nicht nach - geahmt, den byzantiniſchen Kaiſern auch nicht ſo recht: ſie muͤſſen endlich wohl aus Ruͤſtungen verſchiedner Zeiten zuſammen geſetzt ſeyn. So wenig ich in dergleichen Reichs urkundlichen Sachen beleſen ſeyn mag, ſo weiß ich doch außer der Zeit unſres Coſtume, (in die kein Schuͤler der Numiſmatik ihre Erfindung ſetzen wird,) außer der roͤmiſchen und byzantiniſchen Ruͤſtung, noch eine mittlere Zeit deutſchen Ritterthums, da die Her - zoge und Grafen von den Kaiſern in denen ihnen anvertraueten Laͤndern zu Heerfuͤhrern der Ritter - ſchaft verordnet geweſen, da dieſe durch ſolche Turnier - und Heldenruͤſtung ſich unterſchieden, da alſo die Herzoge ihr Heerfuͤhrerthum durch Har - niſche und Ritteraufzuͤge auch auf Muͤnzen ſignali - ſirten, ſie als herzogliche Jnſignien und Gerecht -E 2ſame68Kritiſche Waͤlder. ſame behielten u. ſ. w. dies weiß ich, und wer ſollte das nicht wiſſen?

Und weiß man das; wem wird die weitlaͤuf - tige praͤchtige Anmahnung: die Fuͤrſten ſollten doch bedenken, daß ſie ihre Muͤnzen fuͤr die Nachwelt ſchlagen laſſen, daß dieſe ja der ſpaͤte - ſten Nachkommenſchaft ihren Geſchmack verkuͤn - digen ſollen: die geharniſchten Bruſtbilder waͤren doch wider das Uebliche unſrer Zeiten: an Muͤn - zen und Statuen des Alterthums faͤnde er doch ſolche Ruͤſtung nicht: an byzantiniſchen Kaiſern auch nicht ſo ganz: ſie bleibe doch fuͤr unſre Zei - ten fremde: ſie ſtelle doch eine Sache vor, die wir in der Natur nicht mehr ſehen: die Roͤmer haͤtten ſich doch nie in aͤgyptiſcher Kleidung, oder mit parthiſchen Tiaren abbilden laſſen: man braͤchte damit der Nachkommenſchaft nichts, als ganz falſche Begriffe von den Trachten unſrer Zeit bei und was der Verf. daruͤber auf ſieben Seiten Gelehrtes, Wohlſchmeckendes und Zurechtweiſendes von Heliogabalus und Chil - derich, von Alexander und Ariſtobulus ſagen moͤge, das artige Gebeth des Hrn. Watelets, und den artigen Spaas vom Loͤwen und Affen d. i. vom Fuͤrſten und ſeinem Kuͤnſtler, von der friedfertigen und mit frommem Abſcheu gegen alles Morden und Blutvergießen verwahrten Buͤrgerkompagnie, von der lockichten Perucke und ihrer Herrlichkeiten brei -tem69Drittes Waͤldchen. tem Halskragen dieſen artigen Spaas mit eingeſchloſſen, wer wird die ganze Ermahnungs - rede nicht ſo fade, als moͤglich, finden? Wenn die liebe Nachkommenſchaft nur etwas weiß, ſo weiß ſie, daß dies nicht eine Tracht unſeres Ueblichen im gemeinen Leben, ſondern ein fuͤrſtliches Her - kommen, das Jnſigne eines gewiſſen Ranges, geweſen: ſo weiß ſie, daß, wenn den geheimden Raͤthen unſrer Zeit dieſe Kleidungstracht, wie billig, unbraͤuchlich iſt: ſie bei fuͤrſtlichen Jnſtal - lationen in Deutſchland urkundlich ſey: ſo weiß ſie, daß, wenn der Papſt nicht taͤglich ſeine dreifache Krone trage, er ſich dieſelbe doch anmaaße, und daß, wenn Jhre Herrlichkeiten den breiten Hals - kragen nicht uͤber den Harniſch zu binden befugt ſind, ſie es auch nicht thun werden, wie der Hr. Verf. meinet: ſo weiß ſie und das weiß ja jeder Schuͤler der Reichsgeſchichte.

Nun mag es etwa der Affe eines Loͤwen, das iſt nach Hr. Kl. Fabeldeutung der Kuͤnſtler und Hiſtoriograph eines Fuͤrſten ausmachen, wie weit Seine Durchlauchten dies Erz abſchuͤtteln koͤnne, oder nicht? Aber dazu gehoͤrt wahrhaftig kein geheimder Rath, es auszumachen, daß kein Fuͤrſt unſrer Zeiten dieſe Ruͤſtung erſonnen, um der ſpaͤteſten Nachkommenſchaft ſeinen Geſchmack zu verkuͤndigen, um den Enkeln die vortheilhafte - ſte Schilderung von ſich zu uͤberlaſſen. DazuE 3gehoͤrt70Kritiſche Waͤlder. gehoͤrt auch kein erſter Philologe der Nachwelt, um etwa das Coſtume unſrer Zeit daher zu muth - maßen, ſo wenig die Ammonshoͤrner Alexanders und Lyſimachus uns auf den Verdacht bringen, als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt geweſen. Wenn ſich indeſſen ein Fuͤrſt einem ſolchen Jn - ſigne auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei ſeiner Huldigung und Kroͤ - nung wegen bequemt immer ſei er zu bekla - gen; denn hinter welchen Faͤſſern und Gewaͤndern muß ich nicht einen ſolchen Koͤnig Saul ſuchen? aber auch der Unterſchied werde erwogen zwiſchen einer Zeit, die ihre Fuͤrſten frei hinſtellt, und ei - ner Zeit, die ſie nach Recht und Herkommen zu einem ſpaniſchen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt wer wird das ver - kennen?

5. Jch komme auf die Jnſchriften, zu denen ich hier ſo wohl Titel, als Legenden rechne. Ti - tel! mit welchem Ballaſt ſind unſre Fuͤrſten nicht uͤberladen? mit dieſem des Erbrechts, der Fa - milie, eines hiſtoriſchen Umſtandes, einer Pro - teſtation wegen, mit jenem der wirklichen Be - ſitze halben wo iſt hier die edle Armuth der Griechen und Roͤmer? Der Roͤmer war Herr und Kaiſer der Welt, nichts mehr duͤnkte er ſich aber auch nichts weniger: Ein Titel alſoſeiner71Drittes Waͤldchen. ſeiner roͤmiſchen Groͤße und Hoheit; jeder uͤbrige Zuſatz nach Provinzen und Laͤndern waͤre fuͤr ihn (ich nehme den Fall der Eroberung aus) verklei - nernd. Ein Imperator, Caͤſar, Dictator, Pater Patriaͤ, war gnug, um gleichſam den Einen zu bezeichnen, der nicht ſeines gleichen hat

Vnde nil maius generatur ipſo
Nec viget quidquam ſimile aut ſecundum.

Das Titulaturrecht unſrer heutigen Fuͤrſten muß von dieſer roͤmiſchen Groͤße mehr in die Cur - rentmuͤnze der Titel gehen. Hier dieſe Acquiſi - tion, dort jene Gerechtſame, dort jene Anwart - ſchaft von Gottes Gnaden: ſie muß nicht vergeſ - ſen werden, und ſo kommt eine Titelreihe her - aus, die oft auch die Muͤnze beſaͤet. So mache man, wird man ſagen, dieſe zu keiner Herolds - tafel, und laſſe ſie weg! Gut, aber die laſſe man doch nicht weg, die in dieſer Situation mit zur Beſtimmung, zur hiſtoriſchen Erklaͤrung gehoͤren? Und eben dies, wie ſehr laͤufts oft ins Detail? Um nur der Nachwelt deutlich zu ſeyn, um dieſen von ſo manchen andern Fuͤrſten zu unterſcheiden welche Unterſchiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte! Um eben dieſe und keine an - dre Denkwuͤrdigkeit der Nachwelt aus unſrer Staatsverfaſſung zu erklaͤren welche Unter - ſchiedenheit, von der ein Grieche und Roͤmer nichts wußte. Die bloße Schuldeklamation des Hrn. E 4Ge -72Kritiſche Waͤlder. Geheimdenrathsa)S. 88. 89. uͤber die Schwachheiten der Fuͤrſten, uͤber eine Eitelkeit, von der ſie keinen Nu - tzen ziehen, reicht hier kaum zu: in dieſem und jenem einzelnen Falle wuͤrde ihn mancher andre Ge - heimderath eines beſſern belehren.

Griechen und Roͤmer inſcribirten in ihrer Sprache, und man kennet dieſelben nach ihrer Staͤrke und Hoheit, nach ihrer Kuͤrze und Nach - druck; verlaͤumden will ich die unſrige nicht: ſie hat in manchem ſo gar Vorzuͤge; aber zur ſchoͤnen Aufſchrift einer ſchoͤnen Muͤnzallegorie iſt ſie nicht gebildet. Nicht gebildet dazu in der Form der Buchſtaben, in den hart und vielfach zuſammen - geſetzten Beſtandtheilen der Woͤrter, in dem Bau der Rede, der ſich weniger mit einem ausgeriß - nen Caſu, oder einer ellypſirten Conſtruktion ver - traͤgt, in dem Geiſte der Sprache, der ſich hier - inn eben ſo weit von der offnen χαρις der Grie - chen, von der elegantia inſcriptionum der Roͤ - mer, als von der franzoͤſiſchen Pointe, entfernen doͤrfte. Unſre Sprache hat ihre gothiſchen Buch - ſtaben, die gut erſcheinen moͤgen, nur nicht auf Metall: ſie hat ihre vielen Konſonanten, die in einem ſtarken Gedichte ſo praͤchtig klingen, als ſie auf einer Muͤnze ſchwer zu buchſtabiren, noch ſchwerer abzukuͤrzen ſind: ſie liebt den vollen Bau der Rede mit Artikeln, Verſchraͤnkungen und Con -ſtruktio -73Drittes Waͤldchen. ſtruktionen, ohne Ellypſen, ohne einzelne Rede - theile: ſie liebt auch im Sinne mehr das voll - und ausfuͤhrlich geſagte, als das ſchoͤn Andeu - tende der Griechen und Roͤmer: ſie iſt alſo nicht, wie dieſe, zur Muͤnzenaufſchrift. Was ſoll hier ein Geſchmackvoller Tadel uͤber den Mangel an Geſchmack in einer Sache, wo es an etwas mehr fehlt, als dieſem?

So nehme man die roͤmiſche Sprache ſtatt der unſrigen! Gut geſagt! aber iſt denn auch die Muͤn - ze ſo national, als die roͤmiſche war? ſo einem jeden verſtaͤndlich? ſo fuͤrs Publikum, als je - ne? Zudem: man brauche die roͤmiſche: aber, ans Landuͤbliche, ans Coſtume nicht zu denken, wird man ſie auch als ein Roͤmer brau - chen? Jſt die roͤmiſche denn auch fuͤr unſre Welt von Muͤnzdenkwuͤrdigkeiten gebildet? wird man nicht oft, in dem man alte Worte auf neue Ge - braͤuche anwendet, Centauren ſchmieden? Vermi - ſchungen der Zeiten und Laͤnder, die einem Nach - kommen befremdlich ſeyn muͤſſen, ſchielende Ue - bertragungen roͤmiſcher Worte und Begriffe unter deutſche oder neuere Begriffe uͤberhaupt, fuͤr einen Kenner beider Zeiten unausſtehlich. Die griechi - ſche und roͤmiſche Sprache war Rational: die Denkwuͤrdigkeiten, welche auf Muͤnzen kamen, National, eines alſo fuͤr das andre gebildet: Koͤr - per und Seele. Jſt aber die roͤmiſche SpracheE 5fuͤr74Kritiſche Waͤlder. fuͤr unſre Welt von Merkwuͤrdigkeiten, oder dieſe fuͤr jene urſpruͤnglich gebildet worden? und doch ſoll eine die andre ausdruͤcken? So ſtoßen ſich zwo Zeiten und Voͤlker, wie jene Zwillinge im Leibe der Mutter!

Will man alſo zur Nationalſprache zuruͤck kehren, und einigermaaßen doch die ſinnreiche Einfalt, die edle Kuͤrze, gleichſam die Poeſie in Gedanken und Worten erſetzen, die ſich bei den Alten findet ach! unſre Sprache bietet uns auch eine Poeſie dar, aber ſinnreiche Leber - reime, oder gar froſtige Wortſpiele. So wie die Nordlaͤnder in der Dichtkunſt die Harmonie der Alten durch Reime nach ihrer Art zu erſetzen geſucht: ſo auch auf Muͤnzen durch Reime aber welche Erſetzung? National freilich, oft ſinn - reich gnug und oft nicht blos fuͤr den Poͤbel, ſon - dern auch fuͤr den Weiſen, ſinnreich; aber eine Erſetzung der Griechiſchen und Roͤmiſchen Einfalt? Jch ſehe von beiden Seiten Schwuͤrigkeiten: Hr. Kl. ſieht keine, er ſtimmt eine Elegie uͤber den poͤbelhaften Geſchmack der Neuern an wie vornehm!

Weiter mag ich mich nicht einlaſſen, in die unendliche Verſchiedenheit der alten und neuen numiſmatiſchen Muͤnzgeſetze, Kuͤnſtler, einzelnen Veranlaſſungen, des aͤußern Werthsund75Drittes Waͤldchen. und Zubehoͤrs; noch zum Schluß eine allgemeine Anmerkung, die Anfang haͤtte ſeyn ſollen.

6. Die Alten hatten uͤberhaupt mehr Bilderſpra - che, mehr allegoriſche Dichtung, als wir. Von Dich - tern war ihre Sprache gebildet, und da bei den Griechen inſonderheit die aͤlteſten Dichter Liebhaber von Bildern, Metaphern, und Allegorien waren, welch ein Schatz lag gleichſam ſchon in der Sprache theils im Geſchlechte, theils in Form, theils in Bedeutung der Worte! Jhre dichteriſche Sprache war allegoriſchen Aufſchriften gleichſam in die Hand gebildet! Allegorien wurden aus der Sprache geſchoͤpft, und mit der Sprache, aus der ſie geſchoͤpft waren, begleitet welche gute Lage!

Zudem: Die erſte Schrift und die erſte Sprache iſt eine Malerei von Begriffen: mit der Zeit kommen in beide kuͤnſtliche Abkuͤrzungen der Bil - der: mit der Zeit verlieren ſich gar viele Bilder ſelbſt, und es bleiben allgemeine Begriffe. Wo ſind wir nun in der Reihe der Voͤlker und Zeiten? ohne Zweifel dieſem Ende naͤher, als jenem. Die meiſten Allegorien allgemeiner Begriffe nach Grie - chen, Roͤmern, zumal Aegyptern, ſind uns ſchon fremde: die meiſten, die z. E. auch Winkelmann aus den Alten anfuͤhrt, erkennen wir kaum mehr unter ſolcher Geſtalt: ſie ſind nach unſrer Hori -zonthoͤhe76Kritiſche Waͤlder. zonthoͤhe beinahe ſchon uͤber das ſinnliche Bild erhoben, oder wenigſtens ſo oft von jenen Vor - ſtellungen abgewichen, als waͤren ſie nicht mehr dieſelbe. Jn dieſer, meines Wiſſens noch nicht ſo bemerkten Ausſicht ſollte man das Winckelman - niſche Werka)Ueber die Allegorie. Getadelt gnug hat man dieſen Verſuch, der doch nichts als Verſuch ſeyn ſollte; aber recenſirt in der vorgeſteckten Ausſicht durchgegangen? ich weiß nicht. Und ſie iſt die einzige, nach der man die Frage entſcheiden kann, wie weit wir den Alten nachallegoriſiren koͤnnen, oder nicht? durchgehen, ſo wuͤrde man ſehen, wie vorzuͤglich bei den Aegyptern, (denn ſie ſind die aͤlteſten,) ſo dann bei Griechen und Roͤmern Tugenden und Laſter, und abſtrakte Jdeen von allerlei Art faſt immer eine andre Geſtalt gehabt, als bei uns, wenigſtens hie und da von einer Neben - ſeite angeſehen worden, die ſie bei uns verlohren. Oft iſt das allegoriſche Bild einer Tugend, einer abſtrakten Jdee nach griechiſcher Art mit dem Na - men derſelben nach dem Sinne unſrer Zeit, eine Geſellſchaft zwoer Perſonen, die ſich ſehr ſeltſam zuſammen finden.

Noch eine augenſcheinliche Folge. Dichter haben den Alten ihre Allegorie und Sprache ange - bildet: National war alſo ihre Bilderſprache und wenn ſie entlehnt war, ſo wurde ſie nationaliſiret. Der Unterſchied wird wichtig: denn bey uns iſteine77Drittes Waͤldchen. eine Bilderſprache ſo patronymiſch nicht. Dort konnte alles auf einem Wege fortgehen: der Dichter hatte durch ſeine poetiſche Bilderſprache das Volk gebildet: der Weiſe, der nach ihm kam, trat, ſo viel er konnte, in ſeine Fußſtapfen: er bediente ſich des Bilderſchatzes, den jener in die Sprache gelegt, nach ſeinen Zwecken: er bil - dete die Allegorien des erſtern zu Weſen ſeiner Art um: er wurde ein Plato gegen einen Homer. An ſeiner Hand gieng der dritte Mann, der Kuͤnſtler, und erhob jene Bilderſprache der Dichter und Wei - ſen zum ſchoͤnſten Anſchauen. Die Goͤtter, die der Dichter dem Volke ſang, und der Weiſe er - klaͤrte, ſchuf der Kuͤnſtler ihm vor: die Jdeen, die es in alten geerbten und fruͤherlernten Geſaͤngen auf der Zunge, und aus dem Munde des Weiſen gleichſam im Ohre hatte, ſtanden ihm in den Werken des Kuͤnſtlers vor Augen durch alles ward alſo ein poetiſches, ein allegoriſches Pu - blikum gebildet, das die Bilderſprache verſtand, fuͤhlte, beurtheilte, fortpflanzte. Die Allegorie hatte tiefe Wurzeln, in allem was National heißt, geſchlagen, in Sprachen, Gedichten, Philoſo - phien, Kunſtwerken: ſie gehoͤrte zur Cultur des Volks, ſie ward Denkart des Publikum.

Unſer Publikum iſt aus dieſem Gleiſe der Cul - tur, aus dieſem Vehikulum der Denkart hinaus. Wenige Bilder ausgenommen, und die Jkono -graphie78Kritiſche Waͤlder. graphie der Alten iſt uns nicht Nationell. Nicht aus unſrer Sprache geſchoͤpft, und oft nicht ein - mal mit dieſer ſtimmend; nicht aus unſern ange - bohrnen Jdolen, in denen wir uns als Kinder allgemeine Begriffe denken, gebildet, und oft denſelben widerſprechend nicht alſo dem Auge des gemeinen guten Verſtandes unter uns kennbar, nicht alſo National. Die Jdole etwa und Maͤr - chen, in die unſre Kindheit allgemeine Begriffe kleidet, ſind Gothiſch, oft ungeheuer, faſt nie - mals fuͤr die Kunſt. Sie ſind nicht von griechi - ſchen Dichtern der Schoͤnheit, ſondern durch nor - diſche Maͤrchen eingepflanzet: einige von ihnen beſtaͤtigt unſre Sprache, die ſich nach ihnen beque - met: alle aber ſind gegen die Menge griechi - ſcher Nationalbilder nur ein verſchwindendes Zwei oder Drei. Jn den Schatten der Jahrhun - derte ſind ſie verſchwunden; und fuͤr die Kunſt haben wir auch an ſolchen gothiſchen Geſtalten der Einbildungskraft nichts verlohren. Die rei - nere Wiſſenſchaft, die in unſern nordiſchen Ge - genden durchaus freier von ſolchen Huͤllen der Mittagslaͤnder gedacht wird, die Cultur des Publikum nach unſrer unſinnlichen Religion, und unſinnlichen Philoſophie hat ſie vertrieben: wir haben alſo kein dichteriſches, allegoriſches Publi - kum mehr.

Und79Drittes Waͤldchen.

Und koͤnnen uns die Allegorien der Alten dazu machen? Selten ſind dieſe ja unſerm Volke, (ich ſage nicht, unſerm Poͤbel,) kennbar: oft ihm ja ſo unverſtaͤndlich, als die lateiniſche Ueberſchrift ringsum. So wie es nach unſrer gelehrten Hand - werksbildung in manchen Laͤndern dem Poͤbel zur Synonyme geworden: er iſt ein Lateiner, das iſt ein Gelehrter: ſo wenigſtens in dieſem Falle iſt die Jkonologie der Alten eine Ueberpflanzung fremder Nationalbilder, ſich in ihnen Goͤtter zu denken, die wir nicht haben, Staͤdte und Laͤn - der in Schutzgoͤttinnen und Genien zu denken, die wir nicht kennen, Tugenden und Laſter zu denken, wie wir ſie nicht denken wollen, allge - meine Begriffe zu denken, ohne daß wir ſie in der Symbole ſehen. Sie iſt alſo ein gelehrtes Ruͤſt - ich will nicht ſagen Spielzeug aus frem - den Laͤndern, das unter uns keinen Markt des Anſchauens, kein Publikum hat.

Eben hiemit iſt Herrn Klotzen ein unerklaͤrlicher leidesvoller Unterſchied erklaͤrta)S. 55. 56.; Mit den Sinn - bildern auf alten Muͤnzen konnte der Lehrer des Geſchmacks, der Dichter, der Kuͤnſtler zufrieden ſeyn. Den neuern Vorſtellungen widerſpricht oft Vernunft, Geſchmack und Kunſt. Wer wollte es wagen, die Vorſtellungen auf neuern Muͤn -80Kritiſche Waͤlder. Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver - gleichen? Gleichwohl hat Addiſon mit den al - ten Muͤnzen und Verſen dieſes gethan: Er hat oft eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden bemerkt, und Urſache gefunden, den feinen Ge - ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei - ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem - pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken ſinnlich zu machen. Wie man ſieht, bleibt Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geſchmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk - art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler, dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne ſeines Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi - kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn - gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder, Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Spracheund81Drittes Waͤldchen. und die Erziehung ſolchen anſchaulichen Vorſtel - lungen ent