Schon als Thier, hat der Menſch Sprache. Alle heftigen und die hef - tigſten unter den heftigen, die ſchmerzhaften Em - pfindungen ſeines Koͤrpers, alle ſtarke Leidenſchaf - ten ſeiner Seele aͤußern ſich unmittelbar in Ge - ſchrei, in Toͤne, in wilde, unartikulirte Laute. Ein leidendes Thier ſowohl, als der Held Philok - tet, wenn es der Schmerz anfaͤllet, wird wim - mern! wird aͤchzen! und waͤre es gleich verlaſſen, auf einer wuͤſten Jnſel, ohne Anblick, Spur und Hoffnung eines huͤlfreichen Nebengeſchoͤpfes — Es iſt, als obs freier athmete, indem es dem bren - nenden, geaͤngſtigten Hauche Luſt giebt: es iſt, als obs einen Theil ſeines Schmerzes verſeufzte,A 2und4und aus dem leeren Luftraum wenigſtens neue Kraͤfte zum Verſchmerzen in ſich zoͤge, indem es die tauben Winde mit Aechzen fuͤllet. So wenig hat uns die Natur, als abgeſonderte Steinfelſen, als egoiſtiſche Monaden geſchaffen! Selbſt die feinſten Saiten des thieriſchen Gefuͤhls (ich muß mich dieſes Gleichniſſes bedienen, weil ich fuͤr die Mechanik fuͤhlender Koͤrper kein beſſeres weiß!) — ſelbſt die Saiten, deren Klang und Anſtrengung gar nicht von Willkuͤhr und langſamen Bedacht herruͤhret, ja deren Natur noch von aller forſchen - den Vernunft nicht hat erforſcht werden koͤnnen, ſelbſt die ſind in ihrem ganzen Spiele, auch ohne das Bewuſtſeyn fremder Sympathie zu einer Aeußerung auf andre Geſchoͤpfe gerichtet. Die ge - ſchlagne Saite thut ihre Naturpflicht: — ſie klingt! ſie ruft einer gleichfuͤhlenden Echo; ſelbſt wenn kei - ne da iſt, ſelbſt wenn ſie nicht hoffet und wartet, daß ihr eine antworte.
Sollte die Phyſiologie je ſo weit kommen, daß ſie die Seelenlehre demonſtrirte, woran ich aber ſehr zweifle, ſo wuͤrde ſie dieſer Erſcheinung man - chen Lichtſtrahl aus der Zergliederung des Nerven -baues5baues zufuͤhren; ſie vielleicht aber auch in Einzelne, zu kleine und ſtumpfe Bande vertheilen. Laſſet ſie uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgeſetz annehmen: „ Hier iſt ein empfindſames We - „ ſen, das keine ſeiner lebhaften Empfindun - „ gen in ſich einſchließen kann; das im erſten „ uͤberraſchenden Augenblick, ſelbſt ohne Will - „ kuͤhr und Abſicht jede in Laut aͤußern muß. „ Das war gleichſam der lezte, muͤtterliche Druck, der bildenden Hand der Natur, daß ſie allen das Geſetz auf die Welt mitgab: „ empfinde nicht „ fuͤr dich allein: ſondern dein Gefuͤhl toͤne! „ und da dieſer lezte ſchaffende Druck auf alle von Einer Gattung Einartig war: ſo wurde dies Ge - ſetz Segen: „ deine Empfindung toͤne deinem „ Geſchlecht Einartig, und werde alſo von „ Allen, wie von Einem mitfuͤhlend vernom - „ men! „ Nun ruͤhre man es nicht an, dies ſchwache, empfindſame Weſen! ſo allein und ein - zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls es ausgeſetzt ſcheinet; ſo iſts nicht allein: es ſteht mit der ganzen Natur im Bunde! zartbeſaitet; aber die Natur hat in dieſe Saiten Toͤne verbor -A 3gen,6gen, die, gereizt und ermuntert, wieder andre gleich zart gebaute Geſchoͤpfe wecken, und wie durch eine unſichtbare Kette, einem entfernten Her - zen Funken mittheilen koͤnnen, fuͤr dies ungeſehene Geſchoͤpf zu fuͤhlen — Dieſe Seufzer, dieſe Toͤne ſind Sprache. Es giebt alſo eine Spra - che der Empfindung, die unmittelbares Na - turgeſetz iſt.
Daß der Menſch ſie urſpruͤnglich mit den Thieren gemein habe, bezeugen jezt freilich mehr gewiſſe Reſte, als volle Ausbruͤche; allein auch dieſe Reſte ſind unwiederſprechlich. — Unſre kuͤnſtliche Sprache mag die Sprache der Natur ſo verdraͤnget, unſre buͤrgerliche Lebensart und geſell - ſchaftliche Artigkeit mag die Fluth und das Meer der Leidenſchaften ſo gedaͤmmet, ausgetroknet und abgeleitet haben, als man will; der heftigſte Au - genblick der Empfindung, wo? und wie ſelten er ſich finde? nimmt noch immer ſein Recht wieder, und toͤnt in ſeiner muͤtterlichen Sprache unmittel - bar durch Accente. Der auffahrende Sturm einer Leidenſchaft, der ploͤzliche Ueberfall von Freude oder Frohheit; Schmerz und Jammer, wenn ſie tiefeFur -7Furchen in die Seele graben; ein uͤbermannendes Gefuͤhl von Rache, Verzweiflung, Wuth, Schre - cken, Grauſen u. ſ. w. alle kuͤndigen ſich an, und jede nach ihrer Art verſchieden an. So viel Gat - tungen von Fuͤhlbarkeit in unſrer Natur ſchlum - mern, ſo viel auch Tonarten — — Jch merke alſo an, daß je weniger die menſchliche Natur mit einer Thierart verwandt; je ungleichar - tiger ſie mit ihr am Nervenbaue iſt: deſto - weniger iſt ihre Naturſprache uns verſtaͤnd - lich. Wir verſtehen als Erdenthiere, das Erden - thier beſſer, als das Waſſergeſchoͤpf, und auf der Erde das Heerdethier beſſer, als das Waldgeſchoͤpf; und unter den Heerdethieren die am meiſten, die uns am naͤchſten kommen. Nur daß freilich auch bei dieſen Umgang und Gewohnheit mehr oder weniger thut. Es iſt natuͤrlich, daß der Araber, der mit ſeinem Pferde nur Ein Stuͤck ausmacht, es mehr verſteht, als der, der zum Erſtenmal ein Pferd beſchreitet; faſt ſo gut, als Hektor in der Jliade mit den Seinigen ſprechen konnte. Der Araber in der Wuͤſte, der nichts lebendiges um ſich hat, als ſein Kameel, und etwa den Flug um -A 4irren -8irrender Voͤgel, kann leichter jenes Natur verſtehen und das Geſchrei dieſer zu verſtehen glauben, als wir in unſern Behauſungen. Der Sohn des Wal - des, der Jaͤger, verſteht die Stimme des Hirſches, und der Lapplaͤnder ſeines Rennthiers — Doch alles das folgt oder iſt Ausnahme. Eigentlich iſt dieſe Sprache der Natur eine Voͤlkerſprache fuͤr jede Gattung unter ſich, und ſo hat auch der Menſch die Seinige — —
Nun ſind freilich dieſe Toͤne ſehr einfach; und wenn ſie artikulirt, und als Jnterjektionen aufs Papier hinbuchſtabiert werden; ſo haben die entgegengeſezteſten Empfindungen faſt Einen Aus - druck. Das matte Ach! iſt ſowohl Laut der zer - ſchmelzenden Liebe, als der ſinkenden Verzweif - lung; das feurige O! ſowohl Ausbruch der ploͤz - lichen Freude, als der auffahrenden Wuth; der ſtei - genden Bewunderung, als des zuwallenden Bejam - merns; allein ſind denn dieſe Laute da, um als Jnterjektionen aufs Papier gemahlt zu werden? Die Thraͤne, die in dieſem truͤben, erloſchnen, nach Troſt ſchmachtenden Auge ſchwimmt — wie ruͤhrend iſt ſie im ganzen Gemaͤlde des Antlitzesder9der Wehmuth; nehmet ſie allein und ſie iſt ein kalter Waſſertropfe! bringet ſie unters Mikroſcop und — ich will nicht wiſſen, was ſie da ſeyn mag! Dieſer ermattende Hauch, der halbe Seufzer, der auf der vom Schmerz verzognen Lippe ſo ruͤhrend ſtirbt — ſondert ihn ab von allen ſeinen lebendi - gen Gehuͤlfen und er iſt ein leerer Luftſtoß. Kanns mit den Toͤnen der Empfindung anders ſeyn? Jn ihrem lebendigen Zuſammenhange, im ganzen Bilde der wuͤrkenden Natur, begleitet von ſo vie - len andern Erſcheinungen ſind ſie ruͤhrend und gnugſam; aber von allen getrennet, herausgeriſſen, ihres Lebens beraubet, freilich nichts als Ziffern. Die Stimme der Natur iſt gemahlter, verwill - kuͤhrter Buchſtabe. — — Wenig ſind dieſer Sprachtoͤne freilich; allein die empfindſame Na - tur, ſo fern ſie blos Mechaniſch leidet, hat auch weniger Hauptarten der Empfindung, als unſre Pſychologien der Seele, als Leidenſchaften, anzaͤh - len oder andichten. Nur jedes Gefuͤhl iſt in ſol - chem Zuſtande, je weniger in Faͤden zertheilt, ein um ſo maͤchtiger anziehendes Band: die Toͤne re - den nicht viel, aber ſtark. Ob der Klageton uͤberA 5Wun -10Wunden der Seele oder des Koͤrpers wimmern? Ob dieſes Geſchrei von Furcht oder Schmerz aus - gepreßt werde? ob dies weiche Ach ſich mit einem Kuß oder einer Thraͤne an den Buſen der Gelieb - ten druͤcke? — alle ſolche Unterſchiede zu beſtim - men, war dieſe Sprache nicht da. Sie ſollte zum Gemaͤlde hinruffen; dies Gemaͤlde wird ſchon vor ſich ſelbſt reden! ſie ſollte toͤnen, nicht aber ſchil - dern! — Ueberhaupt graͤnzen nach jener Fabel des Sokrates Schmerz und Wolluſt: die Natur hat in der Empfindung ihre Ende zuſammenge - knuͤpft, und was kann alſo die Sprache der Em - pfindung anders, als ſolche Beruͤhrungspunkte zeigen? — — — Jezt darf ich anwenden.
Jn allen Sprachen des Urſprungs toͤnen noch Reſte dieſer Naturtoͤne; nur freilich ſind ſie nicht die Hauptfaͤden der menſchlichen Spra - che. Sie ſind nicht die eigentlichen Wurzeln, aber die Saͤfte, die die Wurzeln der Sprache beleben.
Jn einer feinen, ſpaͤt erfundnen Metaphyſi - ſchen Sprache, die von der urſpruͤnglichen wilden Mutter des menſchlichen Geſchlechts eine Abart vielleicht im vierten Gliede, und nach langen Jahr -tauſen -11tauſenden der Abartung ſelbſt wieder Jahrhunderte ihres Lebens hindurch, verfeinert, civiliſirt und humaniſirt worden: eine ſolche Sprache, das Kind der Vernunft und Geſellſchaft, kann wenig oder nichts mehr von der Kindheit ihrer erſten Mutter wiſſen; allein die alten, die wilden Sprachen, je naͤher zum Urſprunge, enthalten davon deſto mehr. Jch kann hier noch nicht von der geringſten menſchlichen Bildung der Sprache reden: ſon - dern nur rohe Materialien betrachten — Noch erſiſtirt fuͤr mich kein Wort: ſondern nur Toͤne zum Wort einer Empfindung; aber ſehet! in den genannten Sprachen, in ihren Jnterjektionen, in den Wurzeln ihrer Nominum und Verborum wie viel aufgefangene Reſte dieſer Toͤne! Die aͤlteſten Morgenlaͤndiſchen Sprachen ſind voll von Aus - ruͤfen, fuͤr die wir ſpaͤtergebildeten Voͤlker oft nichts als Luͤcken, oder ſtumpfen, tauben Mißverſtand haben. Jn ihren Elegien toͤnen, wie bei den Wilden auf ihren Graͤbern, jene Heul - und Kla - getoͤne, eine fortgehende Jnterjektion der Natur - ſprache; in ihren Lobpſalmen das Freudengeſchrei und die wiederkommenden Hallelujahs, die Schawaus12aus dem Munde der Klageweiber erklaͤret, und die bei uns ſo oft feierlicher Unſinn ſind. Jm Gang, im Schwunge ihrer Gedichte und der Geſaͤnge andrer alten Voͤlker toͤnet der Ton, der noch die Krieges - und Religionstaͤnze, die Trauer - und Freudengeſaͤnge aller Wilden belebet, ſie moͤ - gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der Jrokoͤſen, in Braſilien oder auf den Karaiben wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachſten, wuͤrk - ſamſten, fruͤheſten Verben endlich ſind jene erſten Ausruͤfe der Natur, die erſt ſpaͤter gemodelt wur - den, und die Sprachen aller alten und wilden Voͤlker ſind daher in dieſem innern, lebendigen Tone fuͤr Fremde ewig unausſprechlich!
Jch kann die meiſten dieſer Phaͤnomene im Zu - ſammenhange erſt ſpaͤter erklaͤren; hier ſtehe nur Eins. Einer der Vertheidiger des goͤttlichen Ur - ſprunges der Sprache*)Suͤßmilchs Beweis, daß der Urſprung der menſchli - chen Sprache göttlich ſei, Berlin 1766. S. 21, findet darinn goͤttliche Ordnung zu bewundern, „ daß ſich die Laute „ aller uns bekannten Sprachen auf etliche „ zwanzig Buchſtaben bringen laſſen. „ Alleindas13das Faktum iſt falſch, und der Schluß noch un - richtiger. Keine einzige lebendigtoͤnende Sprache laͤßt ſich vollſtaͤndig in Buchſtaben bringen, und noch weniger in zwanzig Buchſtaben: dies zeugen alle Sprachen ſaͤmtlich und ſonders. Die Artiku - lationen unſrer Sprachwerkzeuge ſind ſo viel; Ein jeder Laut wird auf ſo mannichfaltige Weiſe ausge - ſprochen, daß z. E. Herr Lambert im zweiten Theil ſeines Organon mit Recht hat zeigen koͤn - nen, „ wie weit weniger wir Buchſtaben, als Laute „ haben, „ und „ wie unbeſtimmt alſo dieſe von je - „ nen ausgedruͤckt werden koͤnnen. „ Und das iſt doch nur aus der deutſchen Sprache gezeiget, die die Vieltoͤnigkeit und den Unterſchied ihrer Dialekte noch nicht einmal in eine Schriftſprache aufgenom - men hat; vielweniger wo die ganze Sprache nichts als ſolch ein lebendiger Dialekt iſt? Woher ruͤhren alle Eigenheiten und Sonderbarkeiten der Ortho - graphie, als wegen der Unbehuͤlflichkeit zu ſchrei - ben, wie man ſpricht? Welche lebendige Sprache laͤßt ſich, ihren Toͤnen nach, aus Buͤcherbuchſtaben lernen? Und welche todte Sprache daher aufwe - cken? — — Je lebendiger nun eine Sprache iſt,je14je weniger man daran gedacht hat, ſie in Buchſta - ben zu faſſen, je urſpruͤnglicher ſie zum vollen, unausgeſonderten Laute der Natur hinaufſteigt, deſto minder iſt ſie auch ſchreibbar, deſto minder mit zwanzig Buchſtaben ſchreibbar; ja oft fuͤr Fremdlinge ganz unausſprechlich. Der P. Rasles, der ſich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord - amerika aufgehalten, klagt hieruͤber ſo ſehr, daß er mit aller Aufmerkſamkeit doch oft nur die Haͤlfte des Worts wiederholet und ſich laͤcherlich gemacht — wie weit laͤcherlicher haͤtte er mit ſeinen franzoͤſi - ſchen Buchſtaben beziffert? Der P. Chaumont, der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und ſich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt, klagt dem ohngeachtet uͤber ihre Kehlbuchſtaben und ihre unausſprechlichen Accente: „ oft haͤtten zwei „ Woͤrter, die ganz aus einerlei Buchſtaben beſtuͤn - „ den, die verſchiedenſten Bedeutungen. „ Gar - cilaſſo di Vega, beklagt ſich uͤber die Spanier, wie ſehr ſie die Peruaniſche Sprache im Laute der Woͤrter verſtellet, verſtuͤmmelt, verfaͤlſcht und aus bloßen Verfaͤlſchungen den Peruanern das ſchlimm - ſte Zeug angedichtet. De la Condamine ſagt voneiner15einer kleinen Nation am Amazonenfluß: „ ein Theil „ von ihren Woͤrtern koͤnnte nicht, auch nicht ein - „ mal ſehr unvollſtaͤndig geſchrieben werden. Man „ muͤſte wenigſtens neun oder zehn Sylben dazu „ gebrauchen, wo ſie in der Ausſprache kaum drei „ auszuſprechen ſcheinen. „ La Loubere von der Siamſchen Sprache: „ unter zehn Woͤrtern, die der „ Europaͤer ausſpricht, verſteht ein gebohrner Sia - „ mer vielleicht kein einziges; man mag ſich Muͤhe „ geben, ſo viel man will, ihre Sprache mit un - „ ſern Buchſtaben auszudruͤkken. „ Und was brau - chen wir Voͤlker aus ſo entlegenen Enden der Erde? Unſer kleine Reſt von Wilden in Europa, Eſthlaͤn - der und Lappen u. ſ. w. haben oft eben ſo halb ar - tikulirte und unſchreibbare Schaͤlle, als Huronen und Peruaner. Ruſſen und Polen, ſo lange ihre Sprachen geſchrieben und ſchriftgebildet ſind, aſpiriren noch immer ſo, daß der wahre Ton ihrer Organiſation nicht durch Buchſtaben gemahlt wer - den kann. Der Englaͤnder, wie quaͤlet er ſich ſeine Toͤne zu ſchreiben, und wie wenig iſt der noch, der geſchriebnes Engliſch verſteht, ein ſprechender Englaͤnder? Der Franzoſe, der weniger aus derKehle16Kehle hinaufholet, und der Halbgrieche, der Jta - liener, der gleichſam in einer hoͤhern Gegend des Mundes, in einem feinern Aether ſpricht, behaͤlt immer noch lebendigen Ton. Seine Laute muͤſſen innerhalb der Organe bleiben, wo ſie gebildet wor - den: als gemahlte Buchſtaben ſind ſie, ſo bequem und einartig ſie der lange Schriftgebrauch gemacht habe, immer nur Schatten!
Das Faktum iſt alſo falſch, und der Schluß noch falſcher: er kommt nicht auf einen goͤttlichen, ſondern gerad umgekehrt, auf einen thieriſchen Ur - ſprung. Nehmet die ſo genannte goͤttliche erſte Sprache, die hebraͤiſche, von der der groͤßte Theil der Welt, die Buchſtaben geerbet: daß ſie in ihrem Anfange ſo lebendigtoͤnend, ſo unſchreibbar geweſen, daß ſie nur ſehr unvollkommen geſchrie - ben werden konnte, — dies zeigt offenbar der ganze Bau ihrer Grammatik, ihre ſo vielfachen Verwech - ſelungen aͤhnlicher Buchſtaben, ja am allermeiſten der voͤllige Mangel ihrer Vokale. Woher kommt die Sonderbarkeit, daß ihre Buchſtaben nur Mit - lauter ſind, und daß eben die Elemente der Worte, auf die alles ankommt, die Selbſtlauter, urſpruͤng -lich17lich gar nicht geſchrieben wuͤrden? Dieſe Schreib - art iſt dem Lauf der geſunden Vernunft ſo entge - gen, das Unweſentliche zu ſchreiben, und das We - ſentliche auszulaſſen, daß ſie den Grammatikern unbegreiflich ſeyn muͤſte, wenn Grammatiker zu begreifen gewohnt waͤren. Bei uns ſind die Vo - kale das Erſte und Lebendigſte und die Thuͤrangeln der Sprache; bei jenen werden ſie nicht geſchrie - ben — Warum? — Weil ſie nicht geſchrieben werden konnten. Jhre Ausſprache war ſo lebendig und feinorganiſirt, ihr Hauch war ſo geiſtig und aetheriſch, daß er verduftete, und ſich nicht in Buchſtaben faſſen ließ. Nur erſt bei den Grie - chen wurden dieſe lebendige Aſpirationen in foͤrm - liche Vokale aufgefaͤdelt, denen doch noch Spiri - tus u. ſ. w. zu Huͤlfe kommen muſten; da bei den Morgenlaͤndern die Rede gleichſam ganz Spiritus, fortgehender Hauch und Geiſt des Mundes war, wie ſie ſie auch ſo oft in ihren malenden Gedichten benennen. Es war Othem Gottes, wehende Luft, die das Ohr aufhaſchete, und die todten Buchſta - ben, die ſie hinmaleten, waren nur der Leichnam, der leſend mit Lebensgeiſt beſeelet werden muſte. BWas18Was das fuͤr einen gewaltigen Einfluß auf das Verſtaͤndniß ihrer Sprache hat, iſt hier nicht der Ort zu ſagen; daß dies Wehende aber den Urſprung ihrer Sprache verrathe, iſt offenbar. Was iſt unſchreibbarer, als die unartikulirten Toͤne der Natur? Und wenn die Sprache, je naͤher ihrem Urſprunge deſto unartikulirter iſt — was folgt, als daß ſie wohl nicht von einem hoͤhern Weſen fuͤr die vier und zwanzig Buchſtaben, und dieſe Buchſtaben gleich mit der Sprache erfun - den, daß dieſe ein weit ſpaͤterer nur unvoll - kommener Verſuch geweſen, ſich einige Merkſtaͤbe der Erinnerung zu ſetzen, und daß jene nicht aus Buchſtaben der Grammatik Gottes, ſondern aus wilden Toͤnen freier Organe entſtanden ſey*)Die beſte Schrift fuͤr dieſe noch zum Theil unausgear - beitete Materie iſt Wachteri naturae & ſcripturae concor - dia, Hafn. 1752. die ſich von den Kircherſchen und ſo viel andern Träumen, wie Alterthumsgeſchichte von Märchen unterſcheidet.. Es waͤre doch ſonſt artig, daß eben die Buchſtaben, aus denen und fuͤr die Gott die Sprache erfunden, mit Huͤlfe derer er den erſten Menſchen die Spra - che beigebracht, eben die allerunvollkommenſtenin19in der Welt waͤren, die gar nichts vom Geiſt der Sprache ſagten und in ihrer ganzen Bauart offenbar bekennen, daß ſie nichts davon ſagen wollen — —
Es verdiente dieſe Buchſtabenhypotheſe freilich ihrer Wuͤrde nach nur Einen Wink: aber ihrer Allgemeinheit und mannichfaltigen Beſchoͤnigung wegen, muſte ich ihren Ungrund entbloͤßen, und in ihm ſie zugleich erklaͤren, wie mir wenigſtens keine Erklaͤrung bekannt iſt. Zuruͤck auf unſre Bahn:
Da unſre Toͤne der Natur zum Ausdrucke der Leidenſchaft beſtimmt ſind, ſo iſts natuͤrlich, daß ſie auch die Elemente aller Ruͤbrung werden! Wer iſts, dem bei einem zuckenden, wimmern - den Gequaͤlten, bei einem aͤchzenden Sterbenden, auch ſelbſt bei einem ſtoͤhnenden Vieh, wenn ſeine ganze Maſchiene leidet, dies Ach, nicht zu Herzen dringe? — Wer iſt der fuͤhlloſe Barbar? Je harmoniſcher das empfindſame Saitenſpiel ſelbſt bei Thieren mit andern Thieren gewebt iſt: deſto mehr fuͤhlen ſelbſt dieſe mit einander; ihre Nerven kommen in eine gleichmaͤßige Spannung, ihreB 2Seele20Seele in einen gleichmaͤßigen Ton, ſie leiden wuͤrk - lich mechaniſch mit. Und welche Staͤhlung ſeiner Fibern! — Welche Macht, alle Oeffnungen ſei - ner Empfindſamkeit zu verſtopfen gehoͤrt dazu, daß ein Menſch hiegegen taub und hart werde! — — Diderot*)Lettre ſur les Aveugles à l’uſage de ceux qui voyent &c. meint, daß ein blindgebohrner ge - gen die Klagen eines leidenden Thiers unempfind - licher ſeyn muͤſte, als ein Sehender; allein ich glau - be, unter gewiſſen Faͤllen, das Gegentheil. Freilich iſt ihm das ganze ruͤhrende Schauſpiel dieſes elenden zuckenden Geſchoͤpfs verhuͤllet; allein alle Beiſpiele ſagen, daß eben durch dieſe Verhuͤllung das Gehoͤr weniger zerſtreut, horchender und maͤchtig eindrin - gender werde. Da lauſchet er alſo im Finſtern, in der Stille ſeiner ewigen Nacht, und jeder Kla - geton geht ihm, um ſo inniger und ſchaͤrfer, wie ein Pfeil, zum Herzen! Nun nehme er noch das taſtende, langſam umſpannende Gefuͤhl zu Huͤlfe, taſte die Zuckungen, erfuͤhle den Bruch der leiden - den Maſchiene ſich ganz, — Grauſen und Schmerz faͤhrt durch ſeine Glieder: ſein innrer Nervenbaufuͤhlt21fuͤhlt Bruch und Zerſtoͤhrung mit: der Todeston toͤ - net. Das iſt das Band dieſer Naturſprache!
Ueberall ſind die Europaͤer, Trotz ihrer Bil - dung und Mißbildung! von den rohen Klagetoͤnen der Wilden heftig geruͤhrt worden. Leri erzaͤhlt aus Braſilien, wie ſehr ſeine Leute von dem herz - lichen, unfoͤrmlichen Geſchrei der Liebe und Leut - ſeligkeit dieſer Amerikaner bis zu Thraͤnen ſeyn er - weicht worden. Charlevoix und andre wiſſen nicht gnug den grauſenden Eindruck auszudruͤcken, den die Krieges - und Zauberlieder der Nordameri - kaner machen. Wenn wir ſpaͤter Gelegenheit ha - ben werden zu bemerken, wie ſehr die alte Poeſie und Muſik von dieſen Naturtoͤnen ſey belebet wor - den: ſo werden wir auch die Wuͤrkung philoſophi - ſcher erklaͤren koͤnnen, die z. E. der aͤlteſte griechi - ſche Geſang, und Tanz, die alte griechiſche Buͤhne, und uͤberhaupt Muſik, Tanz und Poeſie noch auf alle Wilde machen. Und auch ſelbſt bei uns, wo freilich die Vernunft oft die Empfindung und die kuͤnſtliche Sprache der Geſellſchaft die Toͤne der Natur aus ihrem Amt ſetzet, kommen nicht noch oft die hoͤchſten Donner der Beredſamkeit, die maͤch -B 3tigſten22tigſten Schlaͤge der Dichtkunſt, und die Zauber - momente der Aktion, dieſer Sprache der Natur, durch Nachahmung nahe? Was iſts, was dort im verſammleten Volke Wunder thut, Herzen durchbohrt und Seelen umwaͤlzet? — Geiſtige Rede und Metaphyſik? Gleichniſſe und Figuren? Kunſt und kalte Ueberzeugung? So fern der Tau - mel nicht blind ſeyn ſoll, muß vieles durch ſie ge - ſchehen, aber Alles? und eben dies hoͤchſte Mo - ment des blinden Taumels, wodurch wurde das? — durch ganz eine andre Kraft! — Dieſe Toͤne, dieſe Gebehrden, jene einfachen Gaͤnge der Melodie, dieſe ploͤzliche Wendung, dieſe dammernde Stim - me, — was weiß ich mehr? Bei Kindern, und dem Volk der Sinne, bei Weibern, bei Leuten von zartem Gefuͤhl, bei Kranken, Einſamen, Be - truͤbten, wuͤrken ſie tauſendmal mehr, als die Wahrheit ſelbſt wuͤrken wuͤrde, wenn ihre leiſe, feine Stimme vom Himmel toͤnte. Dieſe Worte, dieſer Ton, die Wendung dieſer grauſenden Ro - manze u. ſ. w. drangen in unſrer Kindheit, da wir ſie das erſtemal hoͤrten, ich weiß nicht, mit wel - chem Heere von Nebenbegriffen des Schauders,der23der Feier, des Schreckens, der Furcht, der Freu - de, in unſre Seele — Das Wort toͤnet, und wie eine Schaar von Geiſtern ſtehen ſie alle mit Einmal in ihrer dunkeln Majeſtaͤt aus dem Grabe der Seele auf: ſie verdunkeln den reinen, hellen Begriff des Worts, der nur ohne ſie gefaßt wer - den konnte — Das Wort iſt weg und der Ton der Empfindung toͤnet. Dunkles Gefuͤhl uͤberman - net uns: der Leichtſinnige grauſet und zittert — nicht uͤber Gedanken, ſondern uͤber Sylben, uͤber Toͤne der Kindheit und es war Zauberkraft des Redners, des Dichters, uns wieder zum Kinde zu machen. Kein Bedacht, keine Ueberlegung, das bloße Naturgeſetz lag zum Grunde: „ Ton „ der Empfindung ſoll das ſympathetiſche „ Geſchoͤpf in denſelben Ton verſetzen! „
Wollen wir alſo dieſe unmittelbaren Laute der Empfindung Sprache nennen; ſo ſinde ich ihren Urſprung allerdings ſehr natuͤrlich. Er iſt nicht blos nicht uͤbermenſchlich: ſondern offenbar thie - riſch: das Naturgeſetz einer empfindſamen Maſchiene.
B 4Aber24Aber ich kann nicht meine Verwunderung ber - gen, daß Philoſophen, das iſt, Leute, die deut - liche Begriffe ſuchen, je haben auf den Gedanken kommen koͤnnen, aus dieſem Geſchrei der Empfin - dungen den Urſprung menſchlicher Sprache zu er - klaͤren: denn iſt dieſe nicht offenbar ganz etwas an - ders? Alle Thiere, bis auf den ſtummen Fiſch, toͤnen ihre Empfindung; deswegen aber hat doch kein Thier, ſelbſt nicht das vollkommenſte, den ge - ringſten, eigentlichen Anfang zu einer menſchlichen Sprache. Man bilde und verfeinere und organi - ſire dies Geſchrei, wie man wolle; wenn kein Verſtand dazu kommt, dieſen Ton mit Abſicht zu brauchen: ſo ſehe ich nicht, wie nach dem vorigen Naturgeſetz je menſchliche, willkuͤhrliche Sprache werde? Kinder ſprechen Schaͤlle der Empfindung, wie die Thiere; iſt aber die Sprache, die ſie von Menſchen lernen, nicht ganz eine andre Sprache?
Der Abt Condillac*)Eſſai ſur l’origine des connoiſſances humaines, Vol. 11. iſt in dieſer Anzahl. Entweder er hat das ganze Ding Sprache ſchon vor der erſten Seite ſeines Buchs erfunden vor -aus -25ausgeſezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge, die ſich gar nicht in der Ordnung einer bildenden Sprache zutragen konnten. Er ſezt zum Grunde ſeiner Hypotheſe: „ zwei Kinder, in eine Wuͤſte, „ ehe ſie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken - „ nen. „ Warum er nun dies alles ſetze: „ zwei „ Kinder, „ die alſo umkommen, oder Thier wer - den muͤſſen, „ in eine Wuͤſte, „ wo ſich die Schwuͤhrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin - dung noch vermehret: „ vor dem Gebrauch jedes „ natuͤrlichen Zeichens, und gar vor aller Kaͤnnt - „ niß deſſelben, „ ohne welche doch kein Saͤugling nach wenigen Wochen ſeiner Geburt iſt — warum, ſage ich, in einer Hypotheſe, die dem Naturgange menſchlicher Kaͤnntniß nachſpuͤhren ſoll, ſolche un - natuͤrliche, ſich wiederſprechende Data zum Grunde gelegt werden muͤſſen, mag ihr Verfaſſer wiſſen; daß aber auf ſie keine Erklaͤrung des Urſprungs der Sprache gebauet ſey, getraue ich mich zu erweiſen. Seine beiden Kinder kommen ohne Kaͤnntniß je - des Zeichens zuſammen, und — ſiehe da! im er - ſten Augenblicke (§. 2.) „ ſind ſie ſchon im gegenſei - „ tigen Commerz. „ Und doch blos durch dies ge -B 5genſei -26genſeitige Commerz lernen ſie erſt, „ mit dem Ge - „ ſchrei der Empfindungen die Gedanken zu ver - „ binden, deren natuͤrliche Zeichen jene ſind. „ Natuͤrliche Zeichen der Empfindung durch das Com - merz lernen? Lernen, was fuͤr Gedanken damit zu verbinden ſind? Und doch gleich im erſten Au - genblick der Zuſammenkunft, noch vor der Kaͤnnt - niß deſſen, was das dummſte Thier kennet, Com - merz haben? Lernen koͤnnen, was mit gewiſſen Zeichen fuͤr Gedanken zu verknuͤpfen ſind? — da - von begreiffe ich nichts. „ Durch das Wiederkom - „ men aͤhnlicher Umſtaͤnde (§. 3.) gewoͤhnen ſie ſich, „ mit den Schaͤllen der Empfindungen, und den „ verſchiednen Zeichen des Koͤrpers Gedanken zu „ verbinden. Schon bekommt ihr Gedaͤchtniß „ Uebung. Schon koͤnnen ſie uͤber ihre Einbil - „ dung walten und ſchon — ſind ſie ſo weit, das „ mit Reflexion zu thun, was ſie vorher blos durch „ Jnſtinkt thaten „ (und doch, wie wir eben geſe - hen, vor ihrem Commerz nicht zu thun wuͤ - ſten. ) — Davon begreiffe ich nichts. „ Der Ge - „ brauch dieſer Zeichen erweitert die Wuͤrkungen „ der Seele (§. 4.) und dieſe vervollkommen die„ Zeichen27„ Zeichen: Geſchrei der Empfindungen wars alſo „ (§. 5.) was die Seelenkraͤfte entwickelt ha[t]: Ge - „ ſchrei der Empfindungen, das ihnen die Gewohn - „ heit gegeben, Jdeen mit willkuͤhrlichen Zeichen „ zu verbinden (§. 6.) Geſchrei der Empfindun - „ gen, das Jhnen zum Muſter diente, ſich eine „ neue Sprache zu machen, neue Schaͤlle zu arti - „ kuliren, ſich zu gewoͤhnen, die Sachen mit Na - „ men zu bezeichnen „ — Jch wiederhole alle dieſe Wiederholungen, und begreiffe von ihnen nichts. Endlich, nachdem der Verfaſſer auf dieſen kindi - ſchen Urſprung der Sprache, die Proſodie, Dekla - mation, Muſik, Tanz und Poeſie der alten Spra - chen gebauet, und mit unter gute Anmerkungen vorgetragen, die aber zu unſerm Zwecke nichts thun: ſo faßt er den Faden wieder an: „ um zu begreiffen „ (§. 80.) wie die Menſchen unter ſich uͤber den „ Sinn der erſten Worte Eins geworden, die ſie „ brauchen wollten, iſt genug, wenn man bemerkt, „ daß ſie ſie in Umſtaͤnden ausſprachen, wo jeder „ verbunden war, ſie mit den nemlichen Jdeen zu „ verbinden u. ſ. w. „ Kurz es entſtanden Worte, weil Worte da waren ehe ſie da waren — michduͤnkt,28duͤnkt, es lohnt nicht, den Faden unſres Erklaͤrers weiter zu verfolgen, da er doch — an nichts ge - knuͤpft iſt.
Condillac, weiß man, gab durch ſeine hole Erklaͤrung von Entſtehung der Sprache Gelegen - heit, daß Rouſſeau*)Sur l’inégalité parmi les hommes &c. Part. 1. in unſerm Jahrhundert die Frage nach ſeiner Art in Schwung brachte, das iſt bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklaͤrung Zweifel zu finden, war eben kein Rouſſeau noͤ - thig; nur aber deswegen ſogleich alle menſchliche Moͤglichkeit der Spracherfindung zu leugnen — da - zu gehoͤrte freilich etwas Rouſſeauſcher Schwung oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con - dillac die Sache ſchlecht erklaͤrt hatte; ob ſie alſo auch gar nicht erklaͤrt werden koͤnne? Weil aus Schaͤllen der Empfindung nimmermehr eine menſch - liche Sprache wird, folgt daraus, daß ſie nirgend anderswoher hat werden koͤnnen?
Daß es nur wuͤrklich dieſer verdekte Trugſchluß ſey, der Rouſſeau verfuͤhret, zeigt offenbar ſein eigner Plan:**)Eben daſelbſt. „ wie, wenn doch allenfalls„ Spra -29„ Sprache haͤtte menſchlich entſtehen ſollen, wie ſie „ haͤtte entſtehen muͤſſen? „ Er faͤngt, wie ſein Vorgaͤnger, mit dem Geſchrei der Natur an, aus dem die menſchliche Sprache werde. Jch ſehe nie, wie ſie daraus geworden waͤre, und wundre mich, daß der Scharfſinn eines Rouſſeau ſie einen Au - genblick daraus habe koͤnnen werden laſſen?
Maupertuis kleine Schrift iſt mir nicht bei Haͤnden; wenn ich aber dem Auszuge eines Man - nes*)Süßmilch Beweis für die Göttlichkeit ꝛc. Anhang 3. S. 110. trauen darf, deſſen nicht kleinſtes Ver - dienſt Treue und Genauigkeit war, ſo hat auch er den Urſprung der Sprache nicht gnug von die - ſen thieriſchen Lauten abgeſondert, und gehet alſo mit den vorigen auf einer Straße.
Diodor endlich und Vitruv, die zudem den Menſchenurſprung der Sprache mehr geglaubt als hergeleitet, haben die Sachen am offenbarſten ver - dorben, da ſie die Menſchen, erſt Zeitenlang, als Thiere, mit Geſchrei in Waͤldern ſchweifen, und ſich nachher, weiß Gott, woher? und weiß Gott! wozu? Sprache erfinden laſſen — —.
Da30Da nun die meiſten Verfechter der menſchli - chen Sprachwerdung aus einem ſo unſichern Ort ſtritten, den andre, z. E. Suͤßmilch, mit ſo vie - lem Grunde bekaͤmpften: So hat die Akademie dieſe Frage, die alſo noch ganz unbeantwortet iſt, und uͤber die ſich ſelbſt einige ihrer geweſnen Mit - glieder getheilt, einmal außer Streit wollen ge - ſezt ſehen.
Und da dies große Thema ſo viel Ausſichten in die Pſychologie und Naturordnung des menſch - lichen Geſchlechts, in die Philoſophie der Spra - chen und aller Kaͤnntniſſe, die mit Sprache erfun - den werden, verſpricht — Wer wollte ſich nicht daran verſuchen?
Und da die Menſchen fuͤr uns die einzigen Sprachgeſchoͤpfe ſind, die wir kennen, und ſich eben durch Sprache von allen Thieren unterſcheiden: wo finge der Weg der Unterſuchung ſicherer an, als bei Erfahrungen uͤber den Unterſchied der Thiere und Menſchen? — Condillac und Rouſſeau mußten uͤber den Sprachurſprung irren, weil ſie ſich uͤber dieſen Unterſchied ſo bekannt und verſchie -den31den irrten: da jener*)Traité ſur les animaux. die Thiere zu Menſchen, und dieſer**)Sur l’origine de l’inégalité etc. die Menſchen zu Thieren machte. Jch muß alſo etwas weit ausholen.
Daß der Menſch den Thieren an Staͤrke und Sicherheit des Jnſtinkts weit nachſtehe, ja daß er das, was wir bei ſo vielen Thier - gattungen angebohrne Kunſtfaͤhigkeiten und Kunſttriebe nennen, gar nicht habe, iſt ge - ſichert; nur ſo wie die Erklaͤrung dieſer Kunſt - triebe bisher den meiſten und noch zulezt einem gruͤndlichen Philoſophen***)Reimarus uͤber die Kunſttriebe der Thiere: S. Be - trachtungen drüber in den Briefen, die neueſte Littera - tur betreffend ꝛc. Deutſchlands mißgluͤ - cket iſt, ſo hat auch die wahre Urſach von der Ent - behrung dieſer Kunſttriebe in der menſchlichen Na - tur noch nicht ins Licht geſezt werden koͤnnen. Mich duͤnkt, man hat einen Hauptgeſichtspunkt verfehlt, aus dem man, wo nicht vollſtaͤndige Er - klaͤrungen, ſo wenigſtens Bemerkungen in der Na -tur32tur der Thiere machen kann, die, wie ich fuͤr ei - nen andern Ort hoffe, die menſchliche Seelenlehre ſehr aufklaͤren koͤnnen. Dieſer Geſichtspunkt iſt „ die Sphaͤre der Thiere. „
Jedes Thier hat ſeinen Kreis, in den es von der Geburt an gehoͤrt, gleich eintritt, in dem es lebenslang bleibet, und ſtirbt: nun iſt es aber ſonderbar, „ daß je ſchaͤrfer die Sinne der „ Thiere, und je wunderbarer ihre Kunſt - „ werke ſind, deſto kleiner iſt ihr Kreis: de - „ ſto einartiger iſt ihr Kunſtwerk „ Jch habe dieſem Verhaͤltniſſe nachgeſpuͤhret und ich finde uͤberall eine wunderbare beobachtete „ umgekehrte „ Proportion zwiſchen der mindern Extenſion „ ihrer Bewegungen, Elemente, Nabrung, „ Erhaltung, Paarung, Erziehung, Geſell - „ ſchaft und ihren Trieben und Kuͤnſten. „ Die Biene in ihrem Korbe, bauet mit der Weisheit, die Egeria ihrem Numa nicht lehren konnte; aber außer dieſen Zellen und außer ihrem Beſtim - mungsgeſchaͤft in dieſen Zellen, iſt ſie auch Nichts. Die Spinne webet mit der Kunſt der Minerve; aber alle ihre Kunſt iſt auch in dieſem engen Spinn -raum33raum verwebet; das iſt ihre Welt! Wie wunder - ſam iſt das Jnſekt, und wie enge der Kreis ſei - ner Wuͤrkung!
Gegentheils. „ Je vielfacher die Verrich - „ tungen, und Beſtimmung der Thiere; je „ zerſtreuter ihre Aufmerkſamkeit auf mehrere „ Gegenſtaͤnde, je unſtaͤter ihre Lebensart, „ kurz je groͤßer und vielfaͤltiger ihre Sphaͤre „ iſt; deſto mehr ſehen wir ihre Sinnlichkeit „ ſich vertheilen und ſchwaͤchen. „ Jch kann es mir hier nicht in Sinn nehmen, dies große Verhaͤltniß, was die Kette der lebendigen Weſen durchlaͤuft, mit Beiſpielen zu ſichern; ich uͤberlaſſe jedem die Probe, oder verweiſe auf eine andre Ge - legenheit und ſchließe fort:
Nach aller Wahrſcheinlichkeit und Analogie laſſen ſich alſo „ alle Kunſttriebe und Kunſtfaͤ - „ higkeiten aus den Vorſtellungskraͤften der „ Thiere erklaͤren „, ohne daß man blinde Deter - minationen annehmen darf. (Wie auch noch ſelbſt Reimarus angenommen, und die alle Philoſophie verwuͤſten.) Wenn unendlich feine Sinne in einen kleinen Kreis, auf ein Einerlei eingeſchloſſen wer -Cden,34den, und die ganze andre Welt fuͤr ſie nichts iſt: wie muͤſſen ſie durchdringen! Wenn Vorſtellungs - kraͤfte in einen kleinen Kreis eingeſchloſſen, und mit einer analogen Sinnlichkeit begabt ſind, was muͤſſen ſie wuͤrken! Und wenn endlich Sinne und Vorſtellungen auf Einen Punkt gerichtet ſind, was kann anders, als Jnſtinkt daraus werden? Aus ihnen alſo erklaͤret ſich die Empfindſamkeit, die Faͤhigkeiten und Triebe der Thiere nach ihren Arten und Stuffen.
Und ich darf alſo den Satz annehmen: „ die „ Empfindſamkeit, Faͤhigkeiten und Kunſt - „ triebe der Thiere nehmen an Staͤrke und „ Jntenſitaͤt zu, im umgekehrten Verhaͤltniſſe „ der Groͤße und Mannichfaltigkeit ihres „ Wuͤrkungskreiſes. „ Nun aber —
Der Menſch hat keine ſo einfoͤrmige und enge Sphaͤre, wo nur Eine Arbeit auf ihn warte: — eine Welt von Geſchaͤften und Beſtimmungen liegt um ihn —
Seine Sinne und Organiſation ſind nicht auf Eins geſchaͤrft: er hat Sinne fuͤr alles und natuͤr -lich35lich alſo fuͤr jedes Einzelne ſchwaͤchere und ſtumpfere Sinne —
Seine Seelenkraͤfte ſind uͤber die Welt ver - breitet; keine Richtung ſeiner Vorſtellungen auf ein Eins: mithin kein Kunſttrieb, keine Kunſtfertigkeit — und, das eine gehoͤrt hier naͤher her, keine Thierſprache.
Was iſt doch das, was wir, außer der vorher - angefuͤhrten Lautbarkeit der empfindenden Ma - ſchine, bei einigen Gattungen Thierſprache nen - nen, anders, als ein Reſultat der Anmerkungen, die ich zuſammen gereihet? ein dunkles ſinnli - ches Einverſtaͤndniß einer Thiergattung un - ter einander uͤber ihre Beſtimmung, im Kreiſe ihrer Wuͤrkung.
Je kleiner alſo die Sphaͤre der Thiere iſt: deſto weniger haben ſie Sprache noͤthig. Je ſchaͤrfer ihre Sinne, je mehr ihre Vorſtellungen auf Eins gerichtet, je ziehender ihre Triebe ſind; deſto zu - ſammengezogner iſt das Einverſtaͤndniß ihrer et - wanigen Schaͤlle, Zeichen, Aeußerungen. — Es iſt lebendiger Mechaniſmus, herſchender Jnſtinkt,C 2der36der da ſpricht und vernimmt. Wie wenig darf er ſprechen, daß er vernommen werde!
Thiere von dem engſten Bezirke ſind alſo ſogar gehoͤrlos; ſie ſind fuͤr ihre Welt ganz Gefuͤhl, oder Geruch, und Geſicht: ganz einfoͤrmiges Bild, einfoͤrmiger Zug, einfoͤrmiges Geſchaͤfte; ſie haben alſo wenig oder keine Sprache.
Je groͤßer aber der Kreis der Thiere: je unter - ſchiedner ihre Sinne — doch was ſoll ich wieder - holen? mit dem Menſchen aͤndert ſich die Scene ganz. Was ſoll fuͤr ſeinen Wuͤrkungs - kreis, auch ſelbſt im duͤrftigſten Zuſtande die Spra - che des redendſten, am vielfachſten toͤnenden Thie - res? Was ſoll fuͤr ſeine zerſtreuten Begierden, fuͤr ſeine getheilte Aufmerkſamkeit, fuͤr ſeine ſtumpfer witternden Sinne auch ſelbſt die dunkle Sprache aller Thiere? Sie iſt fuͤr ihn weder reich, noch deut - lich: weder hinreichend an Gegenſtaͤnden, noch fuͤr ſeine Organe — alſo durchaus nicht ſeine Sprache: denn was heißt, wenn wir nicht mit Worten ſpielen wollen, die eigenthuͤmliche Spra - che eines Geſchoͤpfs, als die ſeiner Sphaͤre von Beduͤrfniſſen und Arbeiten, der Organiſation ſei -ner37ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt — Und welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?
Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel - che Sprache, (außer der vorigen mechaniſchen), hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer Sphaͤre? — die Antwort iſt kurz: keine! und eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.
Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor - ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen und Triebe angebohren und dem Thier unmit - telbar natuͤrlich. Die Biene ſumſet, wie ſie ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht! ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt, als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr - nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma - ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch jedes Thier in ſeiner Art; blos unter Thiere ge -C 3ſtellet,38ſtellet, iſts alſo das verwaiſetſte Kind der Natur. Nackt und bloß, ſchwach und duͤrftig, ſchuͤchtern und unbewaſnet: und was die Summe ſeines Elen - des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be - raubt. — Mit einer ſo zerſtreuten geſchwaͤchten Sinnlichkeit, mit ſo unbeſtimmten, ſchlafenden Faͤhigkeiten, mit ſo getheilten und ermatteten Trieben gebohren, offenbar auf tauſend Beduͤrf - niſſe verwieſen, zu einem großen Kreiſe beſtimmt — und doch ſo verwaiſet und verlaſſen, daß es ſelbſt nicht mit einer Sprache begabt iſt, ſeine Maͤngel zu aͤußern — Nein! ein ſolcher Wiederſpruch iſt nicht die Haushaltung der Natur. Es muͤſſen ſtatt der Jnſtinkte andre verborgne Kraͤfte in ihm ſchlafen! ſtummgebohren; aber —
Doch ich thue keinen Sprung. Jch gebe dem Menſchen, nicht gleich ploͤzlich neue Kraͤfte, „ keine Sprachſchaffende Faͤhigkeit, „ wie eine wilkuͤhrliche Qualitas occulta. Jch ſuche nur in den vorherbemerkten Luͤcken und Maͤngeln weiter.
Luͤcken und Maͤngel koͤnnen doch nicht der Charakter ſeiner Gattung ſeyn: oder die Natur war gegen ihn die haͤrteſte Stiefmutter, da ſie gegen jedes Jnſekt die liebreichſte Mutter war. Jedem Jnſekt gab ſie, was und wie viel es brauchte: Sinne zu Vorſtellungen, und Vor - ſtellungen in Triebe gediegen; Organe zur Spra - che, ſo viel es bedorfte, und Organe, dieſe Spra - che zu verſtehen. Bei dem Menſchen iſt alles in dem groͤßten Mißverhaͤltniß — Sinne und Beduͤrf - niſſe, Kraͤfte und Kreis der Wuͤrkſamkeit, der auf ihn wartet, ſeine Organe und ſeine Sprache — Es muß uns alſo „ ein gewiſſes Mittelglied feh -C 4„ len,40„ len, die ſo abſtehende Glieder der Verhaͤlt - „ niß zu berechnen. „
Faͤnden wirs: ſo waͤre nach aller Analogie der Natur „ dieſe Schadloshaltung ſeine Eigen - „ heit, der Charakter ſeines Geſchlechts: „ und alle Vernunft und Billigkeit foderte, dieſen Fund fuͤr das gelten zu laſſen, was er iſt, fuͤr Na - turgabe, ihm ſo weſentlich als den Thieren der Jnſtinkt.
Ja faͤnden wir, „ eben in dieſem Charakter „ die Urſache jener Maͤngel; und eben in der „ Mitte dieſer Maͤngel „ in der Hoͤle jener groſ - ſen Entbehrung von Kunſttrieben den Keim zum Erſatze: ſo waͤre dieſe Einſtimmung ein genetiſcher Beweis, daß hier „ die wahre Richtung der „ Menſchheit „ liege, und daß die Menſchengat - tung uͤber den Thieren nicht an Stuffen des Mehr oder Weniger ſtehe, ſondern an Art.
Und faͤnden wir in dieſem neugefundnen Cha - rakter der Menſchheit ſogar „ den nothwendigen „ genetiſchen Grund zu Entſtehung einer „ Sprache fuͤr dieſe neue Art Geſchoͤpfe, „ wie wir in den Jnſtinkten der Thiere den unmit -telba -41telbaren Grund zur Sprache fuͤr jede Gattung fanden; ſo ſind wir ganz am Ziele. Jn dem Falle wuͤrde die „ Sprache dem Menſchen ſo we - „ ſentlich, als — er ein Menſch iſt. „ Man ſiehet, ich entwikle aus keinen willkuͤhrlichen, oder geſellſchaftlichen Kraͤften, ſondern aus der allge - meinen thieriſchen Oekonomie.
Und nun folgt, daß wenn der Menſch Sinne hat, die fuͤr Einen kleinen Fleck der Erde, fuͤr die Arbeit und den Genuß einer Weltſpanne den Sin - nen des Thiers, das in dieſer Spanne lebet, nach - ſtehen an Schaͤrfe: ſo bekommen ſie eben dadurch „ Vorzug der Freiheit; „ Eben weil ſie nicht „ fuͤr einen Punkt ſind, ſo ſind ſie allgemeinere „ Sinne der Welt. „
Wenn der Menſch Vorſtellungskraͤfte hat, die nicht auf den Bau einer Honigzelle und eines Spinngewebes bezirkt ſind, und alſo auch den Kunſtfaͤhigkeiten der Thiere in dieſem Kreiſe nachſtehen: ſo bekommen ſie eben damit „ wei - tere Ausſicht. „ Er hat kein einziges Werk, beiC 5dem42dem er alſo auch unverbeſſerlich handle; aber er hat freien Raum, ſich an vielem zu uͤben, mithin ſich immer zu verbeſſern. Jeder Gedanke iſt nicht ein unmittelbares Werk der Natur, aber eben da - mit kanns ſein eigen Werk werden.
Wenn alſo hiermit der Jnſtinkt wegfallen muß, der blos aus der Organiſation der Sinne und dem Bezirk der Vorſtellungen folgte, und keine blinde Determination war; ſo bekommt eben hiemit der Menſch, „ mehrere Helle. „ Da er auf keinen Punkt blind faͤllt und blind liegen bleibt: ſo wird er freiſtehend, kann ſich eine Sphaͤre der Beſpiegelung ſuchen, kann ſich in ſich beſpiegeln. Nicht mehr eine unfehlbare Maſchine in den Haͤnden der Natur, wird er ſich ſelbſt Zweck und Ziel der Bearbeitung.
Man nenne dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Kraͤf - te, wie man wolle, Verſtand, Vernunft, Beſin - nung u. ſ. w. Wenn man dieſe Namen nicht fuͤr abgeſonderte Kraͤfte, oder fuͤr bloße Stuffenerhoͤ - hungen der Thierkraͤfte annimmt: ſo gilts mir gleich. Es iſt die „ ganze Einrichtung aller „ menſchlichen Kraͤfte; die ganze Haushal -„ tung43„ tung ſeiner ſinnlichen und erkennenden, ſei - „ ner erkennenden und wollenden Natur; „ oder vielmehr — Es iſt „ die Einzige poſitivs „ Kraft des Denkens, die mit einer gewiſſen „ Organiſation des Koͤrpers verbunden bei den „ Menſchen ſo Vernunft heißt, wie ſie bei den „ Thieren Kunſtfaͤhigkeit wird: die bei ihm Frei - „ heit heißt, und bei den Thieren Jnſtinkt wird. „ Der Unterſchied iſt nicht in Stuffen, oder Zugabe von Kraͤften, ſondern in einer ganz verſchieden - artigen Richtung und Auswickelung aller Kraͤfte. Man ſei Leibnitzianer oder Lockianer, Search oder Leowall,*)Eine in einem neuen Metaphyſiſchen Werke beliebte Eintheilung Search’s Light of nature purſued Lond. 68. Jdealiſt oder Materialiſt, ſo muß man bei einem Einverſtaͤndniß uͤber die Worte, zu Folge des Vorigen, die Sache zugeben, „ einen eignen Charakter der Menſchheit, „ der hierinn und in nichts anders beſtehet.
Alle die dagegen Schwuͤrigkeit gemacht, ſind durch falſche Vorſtellungen und unaufgeraͤumte Begriffe hintergangen. Man hat ſich die Ver - nunft des Menſchen als eine neue, ganz abgetrennteKraft44Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men - ſchen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen geworden, und die alſo auch, wie die vierte Stuffe einer Leiter nach den drei unterſten, allein betrach - tet werden muͤſſe; und das iſt freilich, es moͤgen es ſo große Philoſophen ſagen, als da wollen, Philoſophiſcher Unſinn. Alle Kraͤfte unſrer und der Thierſeelen ſind nichts als Metaphyſiſche Ab - ſtraktionen, Wuͤrkungen! ſie werden abgetheilt, weil ſie von unſerm ſchwachen Geiſte nicht auf ein - mal betrachtet werden konnten: ſie ſtehen in Ka - piteln, nicht, weil ſie ſo Kapitelweiſe in der Na - tur wuͤrkten, ſondern ein Lehrling ſie ſich vieleicht ſo am beſten entwickelt. Daß wir gewiſſe ihrer Verrichtungen unter gewiſſe Hauptnamen ge - bracht haben z. E. Witz, Scharfſinn, Phantaſie, Vernunft, iſt nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geiſtes moͤglich waͤre, wo der Witz oder die Vernunft allein wuͤrkt: ſondern nur, weil wir in dieſer Handlung am meiſten von der Ab - ſtraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Jdeen: uͤberall aber wuͤrkt die ganze unabge -theilte45theilte Seele. Konnte ein Menſch je eine einzige Handlung thun, bei der er voͤllig wie ein Thier dachte: ſo iſt er auch durchaus kein Menſch mehr, gar keiner menſchlichen Handlung mehr faͤhig. War er einen einzigen Augenblick ohne Vernunft: ſo ſaͤhe ich nicht, wie er je in ſeinem Leben mit Vernunft denken koͤnne: oder ſeine ganze Seele, die ganze Haushaltung ſeiner Natur ward geaͤndert.
Nach richtigern Begriffen iſt die Vernunft - maͤßigkeit des Menſchen, der Charakter ſeiner Gattung, etwas anders, nemlich, „ die gaͤnzli - „ che Beſtimmung ſeiner denkenden Kraft im „ Verhaͤltniß ſeiner Sinnlichkeit und Triebe. „ Und da konnte es, alle vorigen Analogien zu Huͤlfe genommen, nichts anders ſeyn, als daß —
Wenn der Menſch Triebe der Thiere haͤtte, er das nicht haben koͤnnte, was wir jezt Vernunft in ihm nennen; denn eben dieſe Triebe riſſen ja ſeine Kraͤfte ſo dunkel auf einen Punkt hin, daß ihm kein freier Beſinnungskreis ward. Es mußte ſeyn, daß —
Wenn46Wenn der Menſch Sinne der Thiere, er keine Vernunft haͤtte; denn eben die ſtarke Reizbarkeit ſeiner Sinne, eben die durch ſie maͤchtig andrin - genden Vorſtellungen muͤſten alle kalte Beſonnen - heit erſticken. Aber umgekehrt mußte es auch nach eben dieſen Verbindungsgeſetzen der haushaltenden Natur ſeyn, daß —
Wenn thieriſche Sinnlichkeit und Eingeſchloſ - ſenheit auf einen Punkt wegfiele: ſo wurde ein ander Geſchoͤpf, deſſen poſitive Kraft ſich in groͤßerm Raume, nach feinerer Organiſation, heller, aͤußerte: das abgetrennt und frei nicht blos erkennet, will und wuͤrkt, ſondern auch weis, daß es erkenne, wolle und wuͤrke. Dies Geſchoͤpf iſt der Menſch und dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Na - tur wollen wir, um den Verwirrungen mit eignen Vernunftkraͤften u. ſ. w. zu entkommen, „ Beſon - nenheit „ nennen. Es folgt alſo nach eben dieſen Verbindungsregeln, da alle die Woͤrter Sinnlichkeit und Jnſtinkt, Phantaſie und Vernunft, doch nur Beſtimmungen einer einzigen Kraft ſind, wo Ent - gegenſetzungen einander aufheben, daß —
Wenn47Wenn der Menſch kein Jnſtinktmaͤßiges Thier ſeyn ſollte, er vermoͤge der freierwuͤrkenden poſitiven Kraft ſeiner Seele ein beſonnenes Ge - ſchoͤpf ſeyn mußte. — — — Wenn ich die Kette dieſer Schluͤße noch einige Schritte weiter ziehe, ſo bekomme ich damit vor kuͤnftigen Einwendungen einen den Weg ſehr kuͤrzenden Vorſprung.
Jſt nemlich die Vernunft keine abgetheilte, einzelnwuͤrkende Kraft, ſondern eine ſeiner Gat - tung eigne Richtung aller Kraͤfte: ſo muß der Menſch ſie im erſten Zuſtande haben, da er Menſch iſt. Jm erſten Gedanken des Kindes muß ſich dieſe Beſonnenheit zeigen, wie bei dem Jnſekt, daß es Jnſekt war. — — Das hat nun mehr als ein Schriftſteller nicht begreifen koͤnnen, und daher iſt die Materie, uͤber die ich ſchreibe, mit den roheſten eckelhafteſten Einwuͤrfen angefuͤllet — aber ſie konnten es nicht begreifen, weil ſie es mißverſtanden. Heißt denn vernuͤnftig denken, mit ausgebildeter Vernunft denken? Heißts, der Saͤugling denke mit Beſonnenheit, er raiſonnire wie ein Sophiſt auf ſeinem Catheder oder der Staatsmann in ſeinem Cabinett? Gluͤck -lich48lich und dreimal gluͤcklich, daß er von dieſem ermat - tenden Wuſt von Vernuͤnfteleien noch nichts wuͤſte! Aber ſiehet man denn nicht, daß dieſer Einwurf blos einen ſo und nicht anders, einen mehr oder minder gebildeten Gebrauch der Seelenkraͤfte, und durchaus kein Poſitives einer Seelenkraft ſelbſt laͤugne? Und welcher Thor wird da behaupten, daß der Menſch im erſten Augenblick des Lebens ſo denke, wie nach einer vieljaͤhrigen Uebung; es ſei denn daß man zugleich das Wachsthum aller Seelenkraͤfte laͤugne, und ſich eben damit ſelbſt fuͤr einen Unmuͤndigen bekenne? — So wie doch aber dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann, als einen leichtern, ſtaͤrkern, vielfachern Gebrauch; muß denn das nicht ſchon da ſeyn, was gebraucht werden? Muß es nicht ſchon Keim ſeyn, was da wachſen ſoll? Und iſt alſo nicht im Keime der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind Klauen, wie ein Greif, und eine Loͤwenmaͤhne hat: ſo wenig kann es wie Greif und Loͤwe den - ken; denkt es aber menſchlich, ſo iſt Beſonnenheit das iſt, die Maͤßigung aller ſeiner Kraͤfte auf dieſe Hauptrichtung ſchon ſo im erſten Augen -blicke49blicke ſein Loos, wie ſie es im lezten ſeyn wird. Die Vernunft aͤußert ſich unter ſeiner Sinnlichkeit ſchon ſo wuͤrklich, daß der Allwiſſende, der dieſe Seele ſchuff, in ihrem erſten Zuſtande ſchon das ganze Gewebe von Handlungen des Lebens ſahe, wie etwa der Meßkuͤnſtler nach gegebner Claſſe aus einem Gliede der Progreßion das ganze Ver - haͤltniß derſelben findet.
„ Aber ſo war doch dieſe Vernunft damals mehr „ Vernunftfaͤhigkeit (Réflexion en puiſſance) als „ wuͤrkliche Kraft? „ Die Ausnahme ſagt kein Wort. Bloße, nackte Faͤhigkeit, die auch ohne vorliegendes Hinderniß keine Kraft, nichts als Faͤhigkeit ſey, iſt ſo ein tauber Schall, als Plas - tiſche Formen, die da formen, aber ſelbſt keine Formen ſind. Jſt mit der Faͤhigkeit nicht das ge - ringſte Poſitive zu einer Tendenz da: ſo iſt nichts da — ſo iſt das Wort blos Abſtraktion der Schule. Der neuere franzoͤſiſche Philoſoph,*)Rouſſeau über die Ungleichheit ꝛc. der dieſe réflexion en puiſſance, dieſen Scheinbegrif ſo blen - dend gemacht, hat, wie wir ſehen werden, immernurD50nur eine Luftblaſe blendend gemacht, die er eine Zeitlang vor ſich hertreibt, die ihm ſelbſt aber unver - muthet auf ſeinem Wege zerſpringt. Und iſt in der Faͤhigkeit nichts da; wodurch ſoll es denn je in die Seele kommen? Jſt im erſten Zuſtande nichts Poſitives von Vernunft in der Seele, wie wirds bei Millionen der folgenden Zuſtaͤnde wuͤrklich wer - den? Es iſt Worttrug, daß der Gebrauch eine Faͤhigkeit, in Kraft, etwas blos Moͤgliches, in ein Wuͤrkliches verwandeln koͤnne — iſt nicht ſchon Kraft da, ſo kann ſie ja nicht gebraucht und ange - wandt werden. Zudem endlich, was iſt beides, eine abgetrennte Vernunftfaͤhigkeit und Vernunft - kraft in der Seele? Eines iſt ſo unverſtaͤndlich, als das Andre. Setzet den Menſchen, als das Weſen was Er iſt, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und der Organiſation ins Univerſum: von allen Sei - ten, durch alle Sinne ſtroͤmt dies in Empfindun - gen auf ihn los; durch menſchliche Sinne? Auf menſchliche Weiſe? So wird alſo, mit den Thie - ren verglichen, dies denkende Weſen weniger uͤber - ſtroͤhmt? Es hat Raum, ſeine Kraft freier zu aͤuſ - ſern, und dieſes Verhaͤltniß heißt Vernunftmaͤßig -keit51keit — Wo iſt da bloße Faͤhigkeit? Wo abgeſonderte Vernunftkraft? Es iſt die poſitive einzige Kraft der Seele, die in ſolcher Anlage wuͤrket — mehr ſinnlich, ſo weniger vernuͤnftig: vernuͤnftiger, ſo minder lebhaft: heller, ſo minder dunkel — das verſteht ſich ja alles! Aber der ſinnlichſte Zuſtand des Menſchen war noch Menſchlich, und alſo wuͤrkte in ihm noch immer Beſonnenheit, nur im minder merklichen Grade: und der am wenigſten ſinnliche Zuſtand der Thiere war noch thieriſch, und alſo wuͤrkte bei aller Klarheit ihrer Gedanken nie Be - ſonnenheit eines menſchlichen Begrifs. Und wei - ter laſſet uns nicht mit Worten ſpielen! —
Es thut mir leid, daß ich ſo viele Zeit verloh - ren habe, erſt bloße Begriffe zu beſtimmen und zu ordnen; allein der Verluſt war noͤthig, da die - ſer ganze Theil der Pſychologie in den neuern Zei - ten ſo jaͤmmerlich verwuͤſtet da liegt: da franzoͤſi - ſche Philoſophen uͤber einige anſcheinende Sonder - barkeiten in der thieriſchen und menſchlichen Na - tur, alles ſo uͤber - und untereinander geworfen, und deutſche Philoſophen die meiſten Begriffe die - ſer Art mehr fuͤr ihr Syſtem, und nach ihrem Se -D 2hepunkt52hepunkt, als darnach ordnen, damit ſie Verwir - rungen im Sehepunkt der gewoͤhnlichen Denkart vermeiden. Jch habe auch mit dieſem Aufraͤumen der Begriffe keinen Umweg genommen: ſondern wir ſind mit einemmal am Ziele! Nemlich:
Drer Menſch in den Zuſtand von Beſonnen - heit geſezt, der ihm eigen iſt, und dieſe Beſon - nenheit (Reflexion) zum erſtenmal frei wuͤrkend, hat Sprache erfunden. Denn was iſt Reflexion? Was iſt Sprache?
Dieſe Beſonnenheit iſt ihm Charakteriſtiſch ei - gen, und ſeiner Gattung weſentlich: ſo auch Spra - che und eigne Erfindung der Sprache.
Erfindung der Sprache iſt ihm alſo ſo natuͤr - lich, als er ein Menſch iſt! Laſſet uns nur beide Begriffe entwickeln! Reflexion und Sprache —
Der Menſch beweiſet Reflexion, wenn die Kraft ſeiner Seele ſo frei wuͤrket, daß ſie in dem ganzen Ocean von Empfindungen, der ſie durch alle Sinnen durchrauſchet, Eine Welle, wenn ich ſo ſagen darf, abſondern, ſie anhalten, die Auf - merkſamkeit auf ſie richten, und ſich bewußt ſeynkann,53kann, daß ſie aufmerke. Er beweiſet Reflexion, wenn er aus dem ganzen ſchwebenden Traum der Bilder, die ſeine Sinne vorbeiſtreichen, ſich in ein Moment des Wachens ſammlen, auf Einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle ruhigere Obacht nehmen, und ſich Merkmale abſondern kann, daß dies der Gegenſtand und kein andrer ſey. Er be - weiſet alſo Reflexion, wenn er nicht blos alle Ei - genſchaften, lebhaft oder klar erkennen; ſondern Eine oder mehrere als unterſcheidende Eigenſchaf - ten bei ſich anerkennen kann: der erſte Aktus die - ſer Anerkenntniß*)Eine der ſchönſten Abhandlungen das Weſen der Apper - ception aus phyſiſchen Verſuchen, die ſo ſelten die Me - taphyſik der Seele erläutern! ins Licht zu ſetzen, iſt die in den Schriften der berlinſchen Akademie von 1764. giebt deutlichen Begriff; es iſt das Erſte Urtheil der Seele — und —
Wodurch geſchahe die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er abſondern muſte, und was, als Merkmal der Beſinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan! laſſet uns ihm das ἕυρηκα zuruſſen! Dies Erſie Merkmal der Beſinnung war Wort der Seele! Mit ihm iſt die menſchliche Sprache erfunden.
D 3Laſſet54Laſſet jenes Lamm, als Bild ſein Auge vorbei - gehn: ihm wie keinem andern Thiere. Nicht wie dem hungrigen, witternden Wolfe! nicht wie dem blutleckenden Loͤwen — die wittern und ſchmecken ſchon im Geiſte! die Sinnlichkeit hat ſie uͤberwaͤl - tigt! der Jnſtinkt wirft ſie daruͤber her! — Nicht wie dem bruͤnſtigen Schaafmanne, der es nur als den Gegenſtand ſeines Genuſſes fuͤhlt, den alſo wieder die Sinnlichkeit uͤberwaͤltigt, und der Jn - ſtinkt daruͤber herwirft; nicht wie jedem andern Thier, dem das Schaaf gleichguͤltig iſt, daß es alſo klar dunkel vorbeiſtreichen laͤßt, weil ihn ſein Jnſtinkt auf etwas anders wendet — Nicht ſo dem Menſchen! ſo bald er in die Beduͤrfniß kommt, das Schaaf kennen zu lernen: ſo ſtoͤret ihn kein Jnſtinkt: ſo reißt ihn kein Sinn auf daſ - ſelbe zu nahe hin, oder davon ab: es ſteht da, ganz wie es ſich ſeinen Sinnen aͤußert. Weiß, ſanft, wollicht — ſeine beſonnen ſich uͤbende Seele ſucht ein Merkmal, — das Schaaf bloͤcket! ſie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn wuͤrket. Dies Bloͤcken, das ihr am ſtaͤrkſten Ein - druck macht, das ſich von allen andern Eigenſchaf -ten55ten des Beſchauens und Betaſtens losriß, hervor - ſprang, am tiefſten eindrang, bleibt ihr. Das Schaaf kommt wieder. Weiß, ſanft, wollicht — ſie ſieht, taſtet, beſinnet ſich, ſucht Merkmal — es bloͤckt, und nun erkennet ſies wieder! „ Ha! „ du biſt das Bloͤckende! „ fuͤhlt ſie innerlich, ſie hat es Menſchlich erkannt, da ſies deutlich, das iſt mit einem Merkmal erkennet, und nennet. Dunkler? So waͤre es ihr gar nicht wahrgenom - men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnſtinkt zum Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein lebhafteres Klare erſezte. Deutlich unmittelbar, ohne Merkmal? So kann kein ſinnliches Geſchoͤpf außer ſich empfinden: da es immer andre Gefuͤhle unterdruͤcken, gleichſam vernichten, und immer den Unterſchied von zween durch ein drittes erken - nen muß. Mit einem Merkmal alſo? und was war das anders, als ein innerliches Merkwort? „ Der Schall des Bloͤckens von einer menſchlichen „ Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge - „ nommen, ward, kraft dieſer Beſtimmung, Na - „ me des Schaafs, und wenn ihn nie ſeine Zunge „ zu ſtammeln verſucht haͤtte. „ Er erkannte dasD 4Schaaf56Schaaf am Bloͤcken: es war gefaßtes Zeichen, bei welchem ſich die Seele an eine Jdee deut - lich beſann — Was iſt das anders als Wort? Und was iſt die ganze menſchliche Sprache, als eine Sammlung ſolcher Worte? Kaͤme er alſo auch nie in den Fall, einem andern Geſchoͤpf dieſe Jdee zu geben, und alſo dies Merkmal der Be - ſinnung ihm mit den Lippen vorbloͤcken zu wollen, oder zu koͤnnen; ſeine Seele hat gleichſam in ihrem Jnwendigen gebloͤckt, da ſie dieſen Schall zum Er - innerungszeichen waͤhlte, und wiedergebloͤckt, da ſie ihn daran erkannte — die Sprache iſt erfunden! eben ſo natuͤrlich und dem Menſchen nothwendig erfunden, als der Menſch ein Menſch war.
Die meiſten, die uͤber den Urſprung der Spra - che geſchrieben, haben ihn nicht da, auf dem einzi - gen Punkt geſucht, wo er gefunden werden konn - te; und vielen haben alſo ſo viel dunkle Zweifel vor - geſchwebt: ob er irgendwo in der menſchlichen Seele zu finden ſey? — — Man hat ihn in der beſſern Artikulation der Sprachwerkzeuge geſucht; als ob je ein Ourang-Outang mit eben den Werkzeugen eine Sprache erfunden haͤtte? Man57Man hat ihn in den Schaͤllen der Leidenſchaft geſucht; als ob nicht alle Thiere dieſe Schaͤlle be - ſaͤßen, und irgend ein Thier aus ihnen Sprache erfunden haͤtte? Man hat ein Principium ange - nommen, die Natur und alſo auch ihre Schaͤlle nachzuahmen; als wenn ſich bei einer ſolchen blinden Neigung, was gedenken ließe? Und als wenn der Affe mit eben dieſer Neigung, die Am - ſel, die die Schaͤlle ſo gut nachaͤffen kann, eine Sprache erfunden haͤtten? Die meiſten endlich haben eine bloße Convention, einen Einvertrag, angenommen, und dagegen hat Rouſſeau am ſtaͤrkſten geredet; denn was iſts auch fuͤr ein dunk - les, verwickeltes Wort ein natuͤrlicher Einvertrag der Sprache? Dieſe ſo vielfache unertraͤgliche Falſchheiten, die uͤber den menſchlichen Urſprung der Sprache geſagt worden: haben endlich die ge - genſeitige Meinung beinahe allgemein gemacht — ich hoffe nicht, daß ſie es bleiben werde. Hier iſt es keine Organiſation des Mundes, die die Spra - che machet: denn auch der Zeitlebens Stumme war er Menſch: beſann er ſich; ſo lag Sprache in ſeiner Seele! Hier iſts kein Geſchrei der Em -D 5pfin -58pfindung: denn nicht eine athmende Maſchine, ſondern ein beſinnendes Geſchoͤpf erfand Sprache! Kein Principium der Nachahmung in der Seele; die etwannige Nachahmung der Natur iſt blos ein Mittel zu Einem und dem Einzigen Zweck, der hier erklaͤrt werden ſoll. Am we - nigſten iſts Einverſtaͤndniß; willkuͤhrliche Con - vention der Geſellſchaft; der Wilde, der Einſame im Walde haͤtte Sprache fuͤr ſich ſelbſt erfinden muͤſſen; haͤtte er ſie auch nie geredet. Sie war Einverſtaͤndniß ſeiner Seele mit ſich, und ein ſo nothwendiges Einverſtaͤndniß, als der Menſch Menſch war. Wenns andern unbegreiflich war, wie eine menſchliche Seele hat Sprache erfinden koͤnnen; ſo iſts mir unbegreiflich, wie eine menſch - liche Seele, was ſie iſt, ſeyn konnte, ohne eben dadurch, ſchon ohne Mund und Geſellſchaft, ſich Sprache erfinden zu muͤſſen.
Nichts wird dieſen Urſprung deutlicher ent - wickeln, als die Einwuͤrfe der Gegner. Der gruͤndlichſte,*)Suͤßmilch angef. Schr. Abſchn. 2. der ausfuͤhrlichſte Vertheidiger des goͤttlichen Urſprunges der Sprache, wird ebenweil59weil er durch die Oberflaͤche drang, die nur die an - dern beruͤhren, faſt ein Vertheidiger des wahren menſchlichen Urſprunges. Er iſt unmittelbar am Rande des Beweiſes ſtehen geblieben; und ſein Haupteinwurf, blos etwas richtiger erklaͤret, wird Einwurf gegen Jhn ſelbſt und Beweis von ſeinem Gegentheile der Menſchenmoͤglichkeit der Sprache. Er will bewieſen haben „ daß der Gebrauch der „ Sprache zum Gebrauch der Vernunft nothwen - „ dig ſei! „ Haͤtte er das: ſo wuͤſte ich nicht, was anders damit bewieſen waͤre, „ als daß, da der „ Gebrauch der Vernunft dem Menſchen natuͤrlich „ ſei, der Gebrauch der Sprache es eben ſo ſein „ muͤſte! „ Zum Ungluͤck aber hat er ſeinen Satz nicht bewieſen. Er hat blos mit vieler Muͤhe dar - gethan, daß ſo viel feine verflochtne Handlungen, als Aufmerkſamkeit, Reflexion, Abſtraktion u. ſ. w. nicht fuͤglich ohne Zeichen geſchehen koͤnnen, auf die ſich die Seele ſtuͤtze; allein dies nicht fuͤglich, nicht leicht, nicht wahrſcheinlich, erſchoͤpfet noch nichts. So wie wir mit wenigen Abſtraktionskraͤf - ten, nur wenige Abſtraktion ohne ſinnliche Zeichen denken koͤnnen: ſo koͤnnen andre Weſen mehr dar -ohne60ohne denken; wenigſtens folgt daraus noch gar nicht, daß an ſich ſelbſt keine Abſtraktion ohne ſinnliches Zeichen moͤglich ſey. Jch habe erwieſen, daß der Gebrauch der Vernunft nicht etwa blos fuͤglich, ſondern daß nicht der mindeſte Gebrauch der Vernunft, nicht die einfachſte, deutliche Aner - kennung, nicht das ſimpelſte Urtheil einer menſch - lichen Beſonnenheit ohne Merkmal moͤglich ſey: denn der Unterſchied von zween laͤßt ſich nur immer durch ein drittes erkennen. Eben dies dritte, dies Merkmal, wird mithin inneres Merkwort; alſo folgt die Sprache aus dem erſten Aktus der Vernunft ganz natuͤrlich. — Hr. Suͤßmilch will darthun,*)Eb. daſ. S. 52. daß die hoͤhern Anwendungen der Vernunft nicht ohne Sprache vor ſich gehen koͤnnten, und fuͤhrt dazu Wolfs Worte an, der aber auch nur von dieſem Falle in Wahrſcheinlichkeiten redet. Der Fall thut eigentlich nichts zur Sache: denn die hoͤ - hern Anwendungen der Vernunft, wie ſie in den ſpekulativen Wiſſenſchaften Platz finden, waren ja nicht zu dem erſten Grundſtein der Sprachenle - gung noͤthig — Und doch iſt auch dieſer leicht zuer -61erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg - lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.
Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi - gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wiekann62kann der Menſch durch goͤttlichen Unterricht Spra - che lernen, wenn er keine Vernunft hat? Und er hat ja nicht den mindeſten Gebrauch der Vernunft ohne Sprache. Er ſoll alſo Sprache haben, ehe er ſie hat und haben kann? Oder vernuͤnftig wer - den koͤnnen ohne den mindeſten eignen Gebrauch der Vernunft? Um der erſten Sylbe in goͤttlichen Unterricht faͤhig zu ſeyn, mußte er ja, wie Hr. Suͤßmilch ſelbſt zugiebt, ein Menſch ſeyn, das iſt, deutlich denken koͤnnen, und bei dem erſten deut - lichen Gedanken war ſchon Sprache in ſeiner Seele da; ſie war alſo aus eignen Mitteln und nicht durch goͤttlichen Unterricht erfunden. — — Jch weis wohl, was man bei dieſem goͤttlichen Unter - richt meiſtens im Sinne hat, nehmlich den Sprach - unterricht der Eltern an die Kinder; allein man beſinne ſich, daß das hier gar nicht der Fall iſt. Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß dieſe nicht immer ſelbſt mit erfaͤnden: jene machen dieſe nur auf Unterſchiede der Sachen, mittelſt ge - wiſſer Wortzeichen, aufmerkſam, und ſo erſetzen ſie ihnen nicht etwa, ſondern erleichtern und be - foͤrdern ihnen nur den Gebrauch der Vernunftdurch63durch die Sprache. Will man ſolche uͤbernatuͤr - liche Erleichterung aus andern Gruͤnden annehmen: ſo geht das meinen Zweck nichts an; nur alsdenn hat Gott durchaus fuͤr die Menſchen keine Spra - che erfunden, ſondern dieſe haben immer noch mit Wuͤrkung eigner Kraͤfte, nur unter hoͤherer Ver - anſtaltung, ſich ihre Sprache finden muͤſſen. Um das erſte Wort, als Wort, d. i. als Merkzeichen der Vernunft auch aus dem Munde Gottes empfan - gen zu koͤnnen, war Vernunft noͤthig; und der Menſch mußte dieſelbe Beſinnung anwenden, dies Wort, als Wort zu verſtehen, als haͤtte ers ur - ſpruͤnglich erſonnen. Alsdenn fechten alle Waffen meines Gegners gegen ihn ſelbſt; er mußte wuͤrk - lichen Gebrauch der Vernunft haben, um goͤttliche Sprache zu lernen: den hat immer ein lernendes Kind auch, wenn es nicht, wie ein Papagay, blos Worte ohne Gedanken ſagen ſoll — Was waͤren aber das fuͤr wuͤrdige Schuͤler Gottes, die ſo lern - ten? Und wenn die ewig ſo gelernt haͤtten, wo haͤt - ten wir denn unſre Vernunftſprache her?
Jch ſchmeichle mir, daß wenn mein wuͤrdiger Gegner noch lebte, er einſaͤhe, daß ſein Einwurfetwas64etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder - legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht „ hinter das Wort „ Vernunftfaͤhigkeit, die aber „ noch nicht im mindſten Vernunft iſt „ verſtecken: denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder - ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind - ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft - gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver - nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge - ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den mindſten Gebrauch der Vernunft; — und doch Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na - tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,da65da er Menſch war, und das Ding nicht hatte, das alſo da war, ehe es da war ſich aͤußern mußte, ehe es ſich aͤußern konnte, u. ſ. w. — — alle dieſe Wiederſpruͤche ſind offenbar, wenn Menſch, Ver - nunft und Sprache fuͤr das wuͤrkliche genom - men werden, was ſie ſind, und das Geſpenſt von Worte Faͤhigkeit (Menſchenfaͤhigkeit, Ver - nunftfaͤhigkeit, Sprachfaͤhigkeit) in ſeinem Un - ſinn entlarvt wird.
„ Aber die wilden Menſchenkinder unter den „ Baͤren, hatten die Sprache? Und waren ſie nicht Menſchen? „ *)Suͤßmilch S. 47.Allerdings! nur zuerſt Menſchen in einem wiedernatuͤrlichen Zuſtande! Menſchen in Verartung! Legt den Stein auf dieſe Pflanze; wird ſie nicht krumm wachſen? und iſt ſie nicht demungeachtet ihrer Natur nach eine aufſchießende Pflanze? und hat ſich dieſe geradſchießende Kraft nicht ſelbſt da geaͤußert, da ſie ſich dem Steine krumm umſchlang? Alſo zweitens ſelbſt die Moͤg - lichkeit dieſer Verartung zeigt menſchliche Natur:EEben66Eben weil der Menſch keine ſo hinreißende Jn - ſtinkte hat, als die Thiere: weil er zu ſo Man - cherlei und zu Allem ſchwaͤcher faͤhig — kurz! weil er Menſch iſt: ſo konnte er verarten. Wuͤrde er wohl ſo baͤraͤhnlich haben brummen, und ſo baͤr - aͤhnlich haben kriechen lernen, wenn er nicht gelenk - ſame Organe, wenn er nicht gelenkſame Glieder gehabt haͤtte? Wuͤrde jedes andre Thier, ein Affe und Eſel es ſo weit gebracht haben? Wuͤrkte alſo nicht wuͤrklich ſeine menſchliche Natur dazu, daß er ſo unnatuͤrlich werden konnte? Aber drit - tens blieb ſie deßwegen noch immer menſchliche Natur: denn brummte, kroch, fraß, witterte er voͤllig wie ein Baͤr? Oder waͤre er nicht ewig ein ſtrauchelnder ſtammlender Menſchenbaͤr, und alſo ein unvollkommenes Doppelgeſchoͤpf geblieben? So wenig ſich nun ſeine Haut und ſein Antlitz, ſeine Fuͤße und ſeine Zunge in voͤllige Baͤrengeſtalt aͤndern und wandeln konnten: ſo wenig, laſſet uns nimmer zweifeln! konnte es die Natur ſeiner Seele. Seine Vernunft lag unter dem Druck der Sinnlichkeit, der baͤrartigen Jnſtinkte begraben: aber ſie war noch immer menſchliche Vernunft,weil67weil jene Jnſtinkte nimmer voͤllig baͤrmaͤßig wa - ren. Und daß das ſo geweſen, zeugt ja endlich die Entwicklung der ganzen Scene. Als die Hinder - niſſe weggewaͤlzet, als dieſe Baͤrmenſchen zu ihrem Geſchlecht zuruͤkgekehrt waren, lernten ſie nicht natuͤrlicher aufrechtgehen und ſprechen, als ſie dort, immer unnatuͤrlich, kriechen und brummen gelernt hatten? Dies konnten ſie immer nur baͤr - aͤhnlich; jenes lernten ſie in weniger Zeit ganz Menſchlich. Welcher ihrer vorigen Mitbruͤder des Waldes lernte das mit ihnen? Und weil es kein Baͤr lernen konnte, weil er nicht Anlage des Koͤrpers und der Seele dazu beſaß, mußte der Menſchenbaͤr dieſe nicht noch immer im Zuſtande ſeiner Verwilderung erhalten haben? Haͤtte ſie ihm blos Unterricht und Gewohnheit gegeben, warum nicht dem Baͤren? Und was hieße es doch, jemand durch Unterricht, Vernunft und Menſch - lichkeit geben, der ſie nicht ſchon hat? Vermuth - lich hat alsdenn dieſe Nadel dem Auge die Seh - kraft gegeben, dem ſie die Staarhaut wegſchaffet — Was wollen wir alſo aus dem unnatuͤrlichſten Falle von der Natur ſchließen? Geſtehen wir aber ein,E 2daß68daß er ein unnatuͤrlicher Fall ſei, — wohl! ſo be - ſtaͤtigt er die Natur!
Die ganze Rouſſeauſche Hypotheſe von Un - gleichheit der Menſchen iſt, bekannter Weiſe, auf ſolche Faͤlle der Abartung gebauet, und ſeine Zwei - fel gegen die Menſchlichkeit der Sprache betreffen entweder falſche Urſprungsarten, oder die beregte Schwuͤrigkeit, daß ſchon Vernunft zur Spracher - findung gehoͤrt haͤtte. Jm erſten Fall haben ſie recht; im zweiten ſind ſie wiederlegt, und laſſen ſich ja aus Rouſſeaus Munde ſelbſt wiederlegen. Sein Phantom, der Naturmenſch; dieſes entartete Ge - ſchoͤpf, das er auf der einen Seite mit der Ver - nunftfaͤhigkeit abſpeiſet, wird auf der andern mit der Perfectibilitaͤt und zwar mit ihr als Charak - tereigenſchaft, und zwar mit ihr in ſo hohem Gra - de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat - tungen lernen koͤnne — und was hat nun Rouſ - ſeau ihm nicht zugeſtanden! Mehr, als wir wollen, und brauchen! Der erſte Gedanke „ ſiehe! „ das iſt dem Thier eigen! der Wolf heult! der „ Baͤr brummt! ſchon der iſt (in einem ſolchenLichte69Lichte gedacht, daß er ſich mit dem zweiten ver - binden koͤnnte „ das habe ich nicht! „) wuͤrkliche Reflexion; und nun der dritte und vierte „ wohl! „ das waͤre auch meiner Natur gemaͤß! das koͤnnte „ ich nachahmen! das will ich nachahmen! da - „ durch wird mein Geſchlecht vollkommner! „ wel - che Menge von feinen, fortſchließenden Reflexio - nen! da das Geſchoͤpf, das nur die Erſte ſich auseinander ſezzen konnte, ſchon Sprache der Seele haben mußte! ſchon die Kunſt zu denken be - ſaß, die die Kunſt zu ſprechen ſchuf. Der Affe aͤffet immer nach, aber nachgeahmt hat er nie: Nie mit Beſonnenheit zu ſich geſprochen „ das will „ ich nachahmen, um mein Geſchlecht vollkomm - „ ner zu machen! „ Denn haͤtte er das je, haͤtte er eine Einzige Nachahmung ſich zu Eigen gemacht, ſie in ſeinem Geſchlecht, mit Wahl und Abſicht verewigt; haͤtte er auch nur ein einzigesmal eine Einzige ſolche Reflexion denken koͤnnen — Den - ſelben Augenblick war er kein Affe mehr! Jn aller ſeiner Affengeſtalt, ohne einen Laut ſeiner Zunge, war er inwendig ſprechender Menſch, der ſich uͤber kurz oder lang ſeine aͤußerliche Sprache erfindenE 3mußte70mußte — welcher Ourang-Outang aber hat je mit allen menſchlichen Sprachwerkzeugen ein Ein - ziges menſchliches Wort geſprochen?
Es giebt freilich noch Negerbruͤder in Europa, die da ſagen „ ja vielleicht — wenn er nur ſprechen wollte! — oder in Umſtaͤnden kaͤme! — — oder „ koͤnnte! „ — ‒ ‒ Koͤnnte! das waͤre wohl das beſte, denn die beiden vorigen Wenn ſind durch die Thiergeſchichte gnugſam wiederlegt - und durch die Werkzeuge wird, wie geſagt, bei ihm das Koͤn - nen nicht aufgehalten! Er hat einen Kopf von auſſen und innen, wie wir; hat er aber je gere - det? Papagei und Staar haben gnug menſchliche Schaͤlle gelernt; aber auch ein menſchliches Wort gedacht? — Ueberhaupt gehen uns hier noch die aͤuſſern Schaͤlle der Worte nicht an; wir reden von der innern, nothwendigen Geneſis eines Worts, als das Merkmal einer deutlichen Beſin - nung — wenn aber hat das je eine Thierart, auf welche Weiſe es ſei, geaͤußert? Abgemerkt mußte dieſer Faden der Gedanken, dieſer Diſcours der Seele, immer werden koͤnnen, er aͤußere ſich, wieer71er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat tauſendmal ſo gehandelt, als ihn Aeſop handeln laͤßt; er hat aber nie in Aeſops Sinne gehandelt, und das Erſtemal daß er das kann, wird Meiſter Fuchs ſich ſeine Sprache erfinden, und uͤber Aeſop ſo fabeln koͤnnen, als Aeſop jezt uͤber ihn. Der Hund hat viele Worte und Befehle verſtehen ge - lernt; aber nicht als Worte, ſondern als Zeichen, mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver - ſtuͤnde er je ein Einziges Wort im menſchlichen Sinne, ſo dienet er nicht mehr, ſo ſchaffet er ſich ſelbſt Kunſt und Republick und Sprache. Man ſieht, wenn man einmal den Punkt der genauen Geneſe verfehlt, ſo iſt das Feld des Jrrthums zu beiden Seiten unermeßlich groß! da iſt die Spra - che bald ſo uͤbermenſchlich, daß ſie Gott erfinden muß, bald ſo unmenſchlich, daß jedes Thier ſie er - finden koͤnnte, wenn es ſich die Muͤhe naͤhme. Das Ziel der Wahrheit iſt nur ein Punkt! auf den hingeſtellet, ſehen wir aber auf alle Seiten - warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein Gott, Sprache erfinden darf? und der Menſch, als Menſch, Sprache erfinden kann und muß?
E 4Weiter72Weiter mag ich aus der Metaphyſik die Hypo - theſe des goͤttlichen Sprachenurſprunges nicht ver - folgen; da pſychologiſch ihr Ungrund darinn ge - zeigt iſt, daß um die Sprache der Goͤtter im Olymp zu verſtehen, der Menſch ſchon Vernunft, folglich ſchon Sprache haben muͤſſe. Noch weni - ger kann ich mich in ein angenehmes Detail der Thierſprachen einlaſſen: da ſie doch alle, wie wir geſehen, total und incommenſurabel von der menſchlichen Sprache abſtehen. Dem ich am un - gernſten entſage, waͤren hier die mancherlei Aus - ſichten, die von dieſem genetiſchen Punkt der Spra - che in der menſchlichen Seele, in die weiten Fel - der der Logik, Aeſthetik und Pſychologie, inſon - derheit uͤber die Frage gehen: wie weit kann man ohne? — — Was muß man mit der Sprache denken? — eine Frage, die ſich nach - her in Anwendungen faſt uͤber alle Wiſſenſchaften ausbreitet. Hier ſei es gnug die Sprache, als den wuͤrklichen Unterſcheidungscharakter unſrer Gattung von außen zu bemerken, wie es die Ver - nunft von innen iſt.
Jn73Jn mehr als einer Sprache hat alſo auch Wort, und Vernunft, Begriff und Wort, Sprache und Urſache einen Namen, und dieſe Synonymie enthaͤlt ihren ganzen genetiſchen Ur - ſprung. Bei den Morgenlaͤndern iſts der gewoͤhn - lichſte Jdiotismus geworden, das Anerkennen einer Sache Namengebung zu nennen: denn im Grunde der Seele ſind beide Handlungen Eins. Sie nennen den Menſchen das redende Thier, und die unvernuͤnftigen Thiere die Stummen: der Ausdruck iſt ſinnlich Charakteriſtiſch: und das griechiſche ἄλογος faſſet beides. Es wird ſo nach die Sprache ein natuͤrliches Organ des Ver - ſtandes, ein ſolcher Sinn der menſchlichen Seele, wie ſich die Sehekraft jener ſenſitiven Seele der Alten das Auge, und der Jnſtinkt der Biene ſeine Zelle bauet.
Vortreflich daß dieſer neue, ſelbſt gemachte Sinn des Geiſtes gleich in ſeinem Urſprunge wie - der ein Mittel der Verbindung iſt — Jch kann nicht den erſten menſchlichen Gedanken denken, nicht das erſte beſonnene Urtheil reihen, ohne daßE 5ich74ich in meiner Seele dialogire, oder zu dialogiren ſtrebe; der erſte menſchliche Gedanke bereitet alſo ſeinem Weſen nach, mit andern dialogiren zu koͤn - nen! Das erſte Merkmal, was ich erfaſſe, iſt Merkwort fuͤr mich, und Mittheilungswort fuͤr andre!
‘— Sic verba, quibus voces ſenſusque notarent Nominaque invenere — — Horat. ’ ()Der Brennpunkt iſt ausgemacht, auf welchem Prometheus himmliſcher Funke in der menſchlichen Seele zuͤndet — Beim erſten Merk - mal ward Sprache; aber welches waren die erſten Merkmale zu Elementen der Sprache?
Cheſelden’s Blinder*)Philoſ. Transact. — Abridgment — auch in Cheſelden’s Anatomy, in Smith-Kaͤſtners Optik, in Buffons Natur - geſchichte, Encyklopädie und zehn kleinen franzöſiſchen Wörterbüchern unter Aveugle. zeigt, wie langſam ſich das Geſicht entwikle? Wie ſchwer die Seele zu den Begriffen, von Raum, Geſtalt, und Farbe komme? Wie viel Verſuche gemacht, wie viel Meßkunſt erworben werden muß, um dieſe Merk - male deutlich zu gebrauchen: das war alſo nicht der fuͤglichſte Sinn zu Sprache. Zudem waren ſeine Phaͤnomene ſo kalt und ſtumm: die Empfin -dungen76dungen der grobern Sinne wiederum ſo undeutlich und in einander, daß nach aller Natur entweder Nichts, oder das Ohr der erſte Lehrmeiſter der Sprache wurde.
Da iſt z. E. das Schaaf. Als Bild ſchwebet es dem Auge mit allen Gegenſtaͤnden, Bildern und Farben auf Einer großen Naturtafel vor — wie viel, wie muͤhſam zu unterſcheiden! Alle Merk - male ſind fein verflochten, neben einander — alle noch unausſprechlich! Wer kann Geſtalten reden? Wer kann Farben toͤnen? Er nimmt das Schaaf unter ſeine taſtende Hand — Das Gefuͤhl iſt ſicherer und voller; aber ſo voll, ſo dunkel in einander — Wer kann, was er fuͤhlt, ſagen? Aber horch! das Schaaf bloͤcket! Da reißt ſich ein Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes, worinn ſo wenig zu unterſcheiden war, von ſelbſt los: iſt tief und deutlich in die Seele gedrungen. „ Ha! ſagt der lernende Unmuͤndige, wie jener „ blind geweſene Cheſelden’s: nun werde ich dich „ wieder kennen — Du bloͤckſt! „ Die Turtel - taube girrt! der Hund bellet! da ſind drei Worte, weil er drei deutliche Jdeen verſuchte, dieſe inſeine77ſeine Logik, jene in ſein Woͤrterbuch! Vernunft und Sprache thaten gemeinſchaftlich einen furcht - ſamen Schritt und die Natur kam ihnen auf hal - bem Wege entgegen durchs Gehoͤr. Sie toͤnte das Merkmal nicht blos vor, ſondern tief in die Seele hinein! es klang! die Seele haſchte — da hat ſie ein toͤnendes Wort!
Der Menſch iſt alſo als ein horchendes, mer - kendes Geſchoͤpf zur Sprache natuͤrlich gebildet, und ſelbſt ein Blinder und Stummer, ſiehet man, mußte Sprache erfinden, wenn er nur nicht fuͤhl - los und taub iſt. Setzet ihn gemaͤchlich und be - haglich auf eine einſame Jnſel: die Natur wird ſich ihm durchs Ohr offenbaren: tauſend Geſchoͤpfe, die er nicht ſehen kann, werden doch mit ihm zu ſprechen ſcheinen, und bliebe auch ewig ſein Mund und ſein Auge verſchloſſen, ſeine Seele bleibt nicht ganz ohne Sprache. Wenn die Blaͤtter des Bau - mes, dem armen Einſamen Kuͤhlung herabrau - ſchen, wenn der vorbeimurmelnde Bach ihn in den Schlaf wieget, und der hinzuſaͤuſelnde Weſt ſeine Wangen faͤchelt — das bloͤckende Schaaf giebt ihm Milch, die rieſelnde Quelle Waſſer, der rau -fchende78ſchende Baum Fruͤchte — Jntereſſe gnug, die wohlthaͤtigen Weſen zu kennen, Dringniß gnug, ohne Augen und Zunge in ſeiner Seele ſie zu nen - nen. Der Baum wird der Rauſcher, der Weſt Saͤuſler, die Quelle Rieſler heißen — Da liegt ein kleines Woͤrterbuch fertig, und wartet auf das Gepraͤge der Sprachorgane. Wie arm, und ſon - derbar aber muͤßten die Vorſtellungen ſeyn, die dieſer Verſtuͤmmelte mit ſolchen Schaͤllen ver - bindet? *)Diderot iſt in ſeinem ganzen Briefe ſur les ſourds & muets kaum auf dieſe Hauptmaterie gekommen, da er ſich nur bei Jnverſionen und hundert andern Kleinig - keiten aufhält.
Nun laſſet dem Menſchen alle Sinne frei; er ſehe und taſte und fuͤhle zugleich alle Weſen, die in ſein Ohr reden — Himmel! Welch ein Lehr - ſaal der Jdeen und der Sprache! Fuͤhret keinen Merkur und Apollo, als Opernmaſchinen von den Wolken herunter — Die ganze, vieltoͤnige goͤtt - liche Natur iſt Sprachlehrerinn und Muſe! Da fuͤhret ſie alle Geſchoͤpfe bei ihm vorbei; jedes traͤgt ſeinen Namen auf der Zunge, und nennet ſich, dieſem verhuͤlleten ſichtbaren Gotte! als Vaſallund79und Diener. Es liefert ihm ſein Merkwort ins Buch ſeiner Herrſchaft, wie einen Tribut, damit er ſich bei dieſem Namen ſeiner erinnere, es kuͤnf - tig rufe und genieße. Jch frage, ob je dieſe Wahrheit: „ eben der Verſtand, durch den der „ Menſch uͤber die Natur herrſchet, war der Va - „ ter einer lebendigen Sprache, die er aus Toͤnen „ ſchallender Weſen zu Merkmalen der Unterſchei - „ dung ſich abzog! „ Jch frage, ob je dieſe trokne Wahrheit auf morgenlaͤndiſche Weiſe edler und ſchoͤner koͤnne geſagt werden, als „ Gott fuͤhrte „ die Thiere zu ihm, daß er ſaͤhe, wie er ſie nen - „ nete! und wie er ſie nennen wuͤrde, ſo ſollten „ ſie heißen! „ Wo kann es auf morgenlaͤndiſche, poetiſche Weiſe beſtimmter geſagt werden: der Menſch erfand ſich ſelbſt Sprache! — aus Toͤnen lebender Natur! — zu Merkmalen ſeines herr - ſchenden Verſtandes! — und das iſt, was ich beweiſe.
Haͤtte Engel oder himmliſcher Geiſt die Spra - che erfunden: wie anders als daß ihr ganzer Bau ein Abdruck von der Denkart dieſes Geiſtes ſeyn muͤßte? Denn woran koͤnnte ich ein Bild voneinem80einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli - ſchen, Ueberirrdiſchen ſeiner Zuͤge? Wo findet das aber bei unſrer Sprache ſtatt? Bau, und Grundriß, ja ſelbſt der erſte Grundſtein dieſes Pal - laſts verraͤth Menſchheit!
Jn welcher Sprache ſind himmliſche, geiſtige Begriffe die Erſten? Jene Begriffe, die auch nach der Ordnung unſres denkenden Geiſtes die Erſten ſeyn mußten — Subjekte, notiones com - munes, die Saamenkoͤrner unſrer Erkenntniß, die Punkte, um die ſich alles wendet und alles zuruͤck - fuͤhrt — ſind dieſe lebende Punkte Elemente der Sprache? Die Subjekte mußten doch natuͤrli - cher Weiſe vor dem Praͤdlkat, und die einfachſten Subjekte vor den zuſammengeſezten, was da thut und handelt, vor dem, was es handelt, das We - ſentliche und Gewiſſe vor dem Ungewiſſen Zufaͤlli - gen, vorhergegangen ſeyn — Ja, was man nicht alles ſchließen koͤnnte, und — in unſern ur - ſpruͤnglichen Sprachen findet durchgaͤngig das offenbare Gegentheil ſtatt. Ein hoͤrendes, aufhor - chendes Geſchoͤpf iſt kennbar, aber kein himmli - ſcher Geiſt: denn — toͤnende Verba ſind die er -ſten81ſten Machtelemente. Toͤnende Verba? Hand - lungen, und noch nichts, was da handelt? Praͤ - dikate und noch kein Subjekt? Der himmliſche Genius mag ſich deſſen zu ſchaͤmen haben, aber nicht das ſinnliche menſchliche Geſchoͤpf: denn was ruͤhrte dies, wie wir geſehen, inniger, als dieſe toͤnenden Handlungen? Und was iſt alſo die ganze Bauart der Sprache anders, als eine Ent - wickelungsweiſe ſeines Geiſtes, eine Geſchichte ſeiner Entdeckungen! der goͤttliche Urſprung erklaͤrt nichts und laͤßt nichts aus ſich erklaͤren; er iſt, wie Bako von einer andern Sache ſagt, heilige Ve - ſtalin — Gott geweihet aber unfruchtbar, fromm, aber zu nichts nuͤtze!
Das erſte Woͤrterbuch war alſo aus den Lauten aller Welt geſammelt. Von jedem toͤnenden We - ſen klang ſein Name; die menſchliche Seele praͤgte ihr Bild drauf, dachte ſie als Merkzeichen, — wie anders, als daß dieſe toͤnenden Jnterjektionen die erſten wuͤrden, und ſo ſind z. E. die morgenlaͤndi - ſchen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die Sache ſelbſt ſchwebte noch zwiſchen dem handelnden und derFHand -82Handlung: der Ton mußte die Sache bezeichnen, ſo wie die Sache den Ton gab; aus den Verbis wurden alſo Nomina und Nomina aus den Verbis. Das Kind nennet das Schaaf, als Schaaf nicht: ſondern als ein bloͤckendes Geſchoͤpf, und macht alſo die Jnterjektion zu einem Verbo. Jm Stuffen - gange der menſchlichen Sinnlichkeit wird dieſe Sa - che erklaͤrbar, aber nicht in der Logik des hoͤhern Geiſtes.
Alle alte, wilde Sprachen ſind voll von dieſem Urſprunge, und in einem „ philoſophiſchen „ Woͤrterbuch der Morgenlaͤnder waͤre jedes Stammwort mit ſeiner Familie, recht geſtellet, und geſund entwickelt, eine Charte vom Gange des menſchlichen Geiſtes, eine Geſchichte ſeiner Entwicklung, und ein ganzes ſolches Woͤrterbuch die vortreflichſte Probe von der Erfindungskunſt der menſchlichen Seele — ob aber auch von der Sprach - und Lehrmethode Gottes? ich zweifle!
Jndem die ganze Natur toͤnt: ſo iſt einem ſinnlichen Menſchen nichts natuͤrlicher, als daß ſie lebt, ſie ſpricht, ſie handelt. Jener Wilde ſahe den hohen Baum mit ſeinem praͤchtigen Gi -pfel83pfel und bewunderte: der Gipfel rauſchte! das iſt webende Gottheit! der Wilde faͤllt nieder und be - tet an! ſehet da die Geſchichte des ſinnlichen Men - ſchen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden — und den leichteſten Schritt zur Abſtraktion! Bei den Wilden von Nord - amerika z. B. iſt noch alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geiſt, und daß es bei Griechen und Morgenlaͤndern eben ſo geweſen, zeugt ihr aͤlteſtes Woͤrterbuch und Grammatik — ſie ſind wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder Weſen!
Jndem der Menſch aber alles auf ſich bezog: indem alles mit ihm zu ſprechen ſchien, und wuͤrk - lich fuͤr oder gegen ihn handelte: indem er alſo mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte, und ſich alles Menſchlich vorſtellte; alle dieſe Spuren der Menſchlichkeit drukten ſich auch in die erſten Namen! Auch ſie ſprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder Wiedrigkeit und inſonderheit wurden aus dieſem Gefuͤhl in ſo vielen Sprachen die Artikel! DaF 2wurde84wurde alles menſchlich, zu Weib und Mann per - ſonificirt: uͤberall Goͤtter, Goͤttinnen, handelnde, boͤsartige oder gute Weſen! der brauſende Sturm, und der ſuͤße Zephyr, die klare Waſſerquelle und der maͤchtige Ocean — ihre ganze Mythologie liegt in den Fundgruben, den Verbis und Nominibus der alten Sprachen und das aͤlteſte Woͤrterbuch war ſo ein toͤnendes Pantheon, ein Verſammlungs - ſaal beider Geſchlechter, als den Sinnen des erſten Erfinders die Natur. Hier iſt die Sprache jener alten Wilden ein Studium in den Jrrgaͤngen menſchlicher Phantaſie und Leidenſchaften, wie ihre Mythologie. Jede Familie von Woͤrtern iſt ein verwachſnes Gebuͤſche um eine ſinnliche Hauptidee, um eine heilige Eiche, auf der noch Spuren ſind, welchen Eindruck der Erfinder von dieſer Dryade hatte. Die Gefuͤhle ſind ihm zu - ſammengewebt: was ſich beweget, lebt: was da toͤnet, ſpricht — und da es fuͤr oder wieder dich toͤnt, ſo iſts Freund, oder Feind: Gott oder Goͤt - tinn: es handelt aus Leidenſchaften, wie du!
Ein menſchliches, ſinnliches Geſchoͤpf liebe ich uͤber dieſe Denkart: ich ſehe uͤberall den ſchwachen,ſchuͤch -85ſchuͤchternen Empfindſamen, der lieben, oder haſ - ſen, trauen oder fuͤrchten muß, und dieſe Empfin - dungen aus ſeiner Bruſt uͤber alle Weſen ausbrei - ten moͤchte. Jch ſehe uͤberall das ſchwache und doch maͤchtige Geſchoͤpf, das das ganze Weltall noͤthig hat, und alles mit ſich in Krieg und Frie - den verwickelt; das von allem abhaͤngt, und doch uͤber alles herrſchet — — Die Dichtung, und die Geſchlechterſchaffung der Sprache, ſind alſo Jntereſſe der Menſchheit, und die Genetalien der Rede gleichſam das Mittel ihrer Fortpflanzung. Aber nun — wenn ſie ein hoͤherer Genius aus den Sternen hinunter gebracht — wie? wuͤrde dieſer Genius aus den Sternen auf unſerer Erde unter dem Monde in ſolche Leidenſchaften von Liebe und Schwachheit, von Haß und Furcht verwickelt? daß er alles in Zuneigung und Haß verflocht, daß er alle Worte mit Furcht und Freude bezeichnete, daß er endlich alles auf Begattungen bauete? Sahe und fuͤhlte er, wie ein Menſch ſiehet, daß ſich ihm die Nomina in Geſchlechter und Artikel paaren mußten, daß er die Verba thaͤtig und lei - dend zuſammen gab, ihnen ſo viel aͤchte und Dop -pelkinder86pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze Sprache auf das Gefuͤhl menſchlicher Schwach - heiten bauete? — ſahe und fuͤhlte er ſo?
Einem Vertheidiger des uͤbernatuͤrlichen Ur - ſprunges iſts goͤttliche Ordnung der Sprache, „ daß „ die meiſten Stammwoͤrter einſylbig, die Verba „ meiſtens zweiſylbig ſind, und alſo die Sprache „ nach dem Maaße des Gedaͤchtniſſes eingetheilt „ ſey. „ Das Faktum iſt nicht genau und der Schluß unſicher. Jn den Reſten der fuͤr die aͤlteſte angenommenen Sprache ſind die Wurzeln alle zweiſylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen ſehr gut erklaͤren kann, da die Hypotheſe des Ge - gentheils keinen Grund findet. Dieſe Verba nem - lich ſind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek - tionen der toͤnenden Natur gebauet, die oft noch in ihnen toͤnen, hie und da auch noch als Jnterjek - tionen aufbehalten ſind; meiſtens aber mußten ſie, als halbinartikulirte Toͤne, verlohren gehen, da ſich die Sprache formte. Jn den morgenlaͤn - diſchen Sprachen fehlen alſo dieſe erſten Verſuche der ſtammelnden Zunge; aber, daß ſie fehlen, und nur ihre regelmaͤßigen Reſte in den Verbis toͤnen,das87das eben zeigt von der Urſpruͤnglichkeit und — Menſchlichkeit der Sprache. Sind dieſe Staͤmme Schaͤtze und Abſtraktionen aus dem Verſtande Gottes, oder die erſten Laute des horchenden Ohrs? Die erſten Schaͤlle der ſtammelnden Zunge? Das Menſchengeſchlecht in ſeiner Kind - heit hat ſich ja eben die Sprache geformet, die ein Unmuͤndiger ſtammlet: es iſt das lallende Woͤrterbuch der Ammenſtube — wo bleibt das im Munde der Erwachſnen?
Was ſo viele Alten ſagen und ſo viel Neuere ohne Sinn nachgeſagt, nimmt hieraus ſein ſinn - liches Leben: „ daß nemlich Poeſie aͤlter gewe - „ ſen, als Proſa! „ Denn was war dieſe erſte Sprache als eine Sammlung von Elementen der Poeſie? Nachahmung der toͤnenden, handelnden, ſich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen aller Weſen genommen, und von Jnterjektion menſchlicher Empfindung belebet! Die Natur - ſprache aller Geſchoͤpfe vom Verſtande in Laute gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenſchaft und lebender Einwuͤrkung! Ein Woͤrterbuch der Seele, was zugleich Mythologie und eine wun -F 4der -88derbare Epopee von den Handlungen und Reden aller Weſen iſt! Alſo eine beſtaͤndige Fabeldichtung mit Leidenſchaft und Jntereſſe! — Was iſt Poeſie anders? —
Ferner. Die Tradition des Alterthums ſagt; die erſte Sprache des menſchlichen Ge - ſchlechts ſei Geſang geweſen, und viele gute muſikaliſche Leute haben geglaubt, die Menſchen koͤnnten dieſen Geſang wohl den Voͤgeln abgelernt haben — das iſt freilich viel geglaubt! Eine große wichtige Uhr mit allen ihren ſcharfen Raͤdern, und neugeſpannten Federn, und Centnergewichten kann wol ein Glockenſpiel von Toͤnen machen; aber den neugeſchafnen Menſchen mit ſeinen wuͤrkſa - men Triebfedern, mit ſeinen Beduͤrfniſſen, mit ſeinen ſtarken Empfindungen, mit ſeiner faſt blind beſchaͤftigten Aufmerkſamkeit, und endlich mit ſeiner rohen Kehle dahinſetzen, um die Nachtigall nachzuaͤffen, und ſich von ihr eine Sprache zu er - ſingen, iſt, in wie vielen Geſchichten der Muſik und Poeſie es auch ſtehe, fuͤr mich unbegreiflich. Freilich waͤre eine Sprache durch muſikaliſche Toͤnemoͤg -89moͤglich, (wie auch Leibnitz*Oeuvres philoſophiques publiées p. Raſpe p. 232. auf den Gedanken gekommen!) Aber fuͤr die erſten Naturmenſchen war dieſe Sprache nicht moͤglich, ſo kuͤnſtlich und fein iſt ſie. Jn der Reihe der Weſen hat jedes Ding ſeine Stimme und eine Sprache nach ſei - ner Stimme. Die Sprache der Liebe iſt im Neſt der Nachtigall ſuͤßer Geſang, wie in der Hoͤle des Loͤwen Gebruͤll: im Forſte des Wildes wiehernde Brunſt, und im Winkel der Katze Zettergeſchrei; jede Gattung redet die ihrige, nicht fuͤr den Men - ſchen, ſondern fuͤr ſich, und fuͤr ſich ſo angenehm als Petrarchs Geſang an ſeine Laura! So wenig alſo die Nachtigall ſingt, um den Menſchen, wie man ſich einbildet, vorzuſingen: ſo wenig wird der Menſch ſich dadurch je Sprache erfinden wol - len, daß er der Nachtigall nachtrillert — Und was iſts doch fuͤr ein Ungeheuer, eine menſchliche Nachtigall in einer Hoͤle, oder im Walde der Jagd? —
War alſo die erſte Menſchenſprache Geſang: ſo wars Geſang, der ihm ſo natuͤrlich, ſeinen Or -F 5ganen,90ganen, und Naturtrieben ſo angemeſſen war, als der Nachtigallen Geſang ihr ſelbſt, die gleichſam eine ſchwebende Lunge iſt, und das war — eben unſre toͤnende Sprache. Condillac, Rouſſeau und andre ſind hier halb auf den Weg gekommen, indem ſie die Proſodie und den Geſang der aͤlte - ſten Sprachen vom Geſchrei der Empfindung her - leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei - lich die erſten Toͤne und erhob ſie; ſo wie aber aus den bloßen Toͤnen der Empfindung nie menſchliche Sprache entſtehen konnte, die dieſer Geſang doch war; ſo fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen: und das war eben die Namennennung eines jeden Geſchoͤpfs nach ſeiner Sprache. Da ſang und toͤnte alſo die ganze Natur vor: und der Geſang des Menſchen war ein Concert aller dieſer Stim - men, ſo fern ſie ſein Verſtand brauchte, ſeine Em - pfindung faßte, ſeine Organe ſie ausdruͤcken konn - ten — Es ward Geſang, aber weder Nachtigal - lenlied, noch Leibnitzens muſikaliſche Sprache, noch ein bloßes Empfindungsgeſchrei der Thiere: Ausdruk der Sprache aller Geſchoͤpfe, innerhalb der natuͤrlichen Tonleiter der menſchlichen Stimme!
Selbſt91Selbſt da die Sprache ſpaͤter mehr regelmaͤßig, eintoͤnig und gereihet wurde, blieb ſie noch immer eine Gattung Geſang, wie es die Accente ſo vieler Wilden bezeugen; und daß aus dieſem Ge - ſange, nachher veredelt und verfeinert, die aͤlteſte Poeſie und Muſik entſtanden, hat jezt ſchon mehr, als Einer bewieſen. Der philoſophiſche Englaͤn - der,*)Erown. der ſich in unſerm Jahrhunderte an dieſen Urſprung der Poeſie und Muſik gemacht, haͤtte am weitſten kommen koͤnnen, wenn er nicht den Geiſt der Sprache von ſeiner Unterſuchung ausge - ſchloſſen und minder auf ſein Syſtem ausgegan - gen waͤre, Poeſie und Muſik auf Einen Vereini - gungspunkt einzuſchließen, auf welchem keine ſich recht zeigen kann, als auf den Urſprung von bei - den aus der ganzen Natur des Menſchen. Ueber - haupt da die beſten Stuͤcke der alten Poeſie Reſte dieſer ſprachſingenden Zeiten ſind; ſo ſind die Miß - kaͤnntniſſe, die Veruntreuungen, und die ſchiefen Geſchmacksfehler ganz unzaͤhlig, die man aus dem Gange der aͤlteſten Gedichte, der griechiſchen Trauerſpiele, und Deklamationen herausbuchſta -birt92birt hat. Wie viel haͤtte hier noch ein Philoſoph zu ſagen, der unter den Wilden, wo noch dies Zeit - alter lebt, den Ton gelernt haͤtte, dieſe Stuͤcke zu leſen! Sonſt und gewoͤhnlich ſieht man immer nur Gewebe des verkehrten Teppichs! disjecti membra poetae! — — Doch ich verloͤhre mich in ein un - ermeßliches Feld, wenn ich mich in Einzelne Sprachanmerkungen einlaſſen wollte — alſo zu - ruͤck auf den erſten Erfindungsweg der Sprache!
Wie aus Toͤnen zu Merkmalen vom Verſtande gepraͤgt, Worte wurden, war ſehr begreiflich; aber nicht alle Gegenſtaͤnde toͤnen; woher nun fuͤr dieſe Merkworte, bei denen die Seele ſie nenne? woher dem Menſchen die Kunſt, was nicht Schall iſt, in Schall zu verwandeln? Was hat die Farbe, die Rundheit mit dem Namen ge - mein, der aus ihr ſo entſtehe, wie der Name Bloͤcken aus dem Schaafe? — Die Vertheidi - ger des uͤbernatuͤrlichen Urſprungs wiſſen hier gleich Rath, „ willkuͤhrlich! Wer kanns begreiffen „ und im Verſtande Gottes nachſuchen, warum„ gruͤn,93„ gruͤn, gruͤn und nicht blau heißt? Ohne Zweifel „ hats ihm ſo beliebt! „ und damit iſt der Faden abgeſchnitten! Alle Philoſophie uͤber die Erfin - dungskunſt der Sprache ſchwebt alſo willkuͤhrlich in den Wolken, und fuͤr uns iſt jedes Wort eine Qualitas occulta, etwas willkuͤhrliches! — Nur mag mans nicht uͤbel nehmen, daß ich in dieſem Falle das Wort willkuͤhrlich nicht begreiffe. Eine Sprache willkuͤhrlich und ohne allen Grund der Wahl aus dem Gehirn zu erfinden, iſt wenigſtens fuͤr eine menſchliche Seele, die zu Allem einen, wenn auch nur einigen Grund haben will, ſolch eine Quaal, als fuͤr den Koͤrper ſich zu Tode ſtrei - cheln zu laſſen. Bei einem rohen ſinnlichen Na - turmenſchen uͤberdem, deſſen Kraͤfte noch nicht fein gnug ſind, um ins Unnuͤtze hinzuſpielen, der, ungeuͤbt und ſtark, nichts ohne dringende Urſache thut, und nichts vergebens thun will, bei dem iſt die Erfindung einer Sprache aus ſchaler leerer Willkuͤhr, der ganzen Analogie ſeiner Natur ent - gegen: und es iſt uͤberhaupt der ganzen Analogie aller menſchlichen Seelenkraͤfte entgegen, eine aus reiner Willkuͤhr ausgedachte Sprache.
Alſo94Allen Sinnen liegt Gefuͤhl zum Grunde, und dies gibt den verſchiedenartigſten Senſationen ſchon ein ſo inniges, ſtarkes, unausſprechliches Band, daß aus dieſer Verbindung die ſonderbarſten Er - ſcheinungen entſtehen. Mir iſt mehr als Ein Beiſpiel bekannt, da Perſonen natuͤrlich, vielleicht aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders konnten, als unmittelbar durch eine ſchnelle An -wande -95wandelung mit dieſem Schall jene Farbe, mit die - ſer Erſcheinung jenes ganz verſchiedne, dunkle Ge - fuͤhl verbinden, was durch die Vergleichung der langſamen Vernunft mit ihr gar keine Verwand - ſchaft hat: denn wer kann Schall und Farbe, Er - ſcheinung und Gefuͤhl vergleichen? Wir ſind voll ſolcher Verknuͤpfungen der verſchiedenſten Sinne; nur wir bemerken ſie nicht anders, als in An - wandlungen, die uns aus der Faſſung ſetzen, in Krankheiten der Phantaſie, oder bei Gelegenhei - ten, wo ſie außerordentlich merkbar werden. Der gewoͤhnliche Lauf unſrer Gedanken geht ſo ſchnell; die Wellen unſrer Empfindungen rauſchen ſo dun - kel in einander: es iſt auf Einmal ſo viel in unſrer Seele, daß wir in Abſicht der meiſten Jdeen wie im Schlummer an einer Waſſerquelle ſind, wo wir freilich noch das Rauſchen jeder Welle hoͤren, aber ſo dunkel, daß uns endlich der Schlaf alles merkbare Gefuͤhl nimmt. Waͤre es moͤglich, daß wir die Kette unſrer Gedanken anhalten, und an jedem Gliede ſeine Verbindung ſuchen koͤnnten — welche Sonderbarkeiten! welche fremde Analogien der verſchiedenſten Sinne, nach denen doch dieSeele96Seele