PRIMS Full-text transcription (HTML)
Abhandlung uͤber den Urſprung der Sprache,
welche den von der Koͤnigl. Academie der Wiſſenſchaften fuͤr das Jahr 1770 geſezten Preis erhalten hat.
Auf Befehl der Academie herausgegeben.
Vocabula ſunt notae rerum. (Cic. )
Berlin,bey Chriſtian Friedrich Voß,1772.
[1]

Erſter Theil. Haben die Menſchen, ihren Naturfaͤhigkeiten uͤberlaſſen, ſich ſelbſt Sprache erfinden koͤnnen?

A[2][3]
[figure]

Erſter Abſchnitt.

Schon als Thier, hat der Menſch Sprache. Alle heftigen und die hef - tigſten unter den heftigen, die ſchmerzhaften Em - pfindungen ſeines Koͤrpers, alle ſtarke Leidenſchaf - ten ſeiner Seele aͤußern ſich unmittelbar in Ge - ſchrei, in Toͤne, in wilde, unartikulirte Laute. Ein leidendes Thier ſowohl, als der Held Philok - tet, wenn es der Schmerz anfaͤllet, wird wim - mern! wird aͤchzen! und waͤre es gleich verlaſſen, auf einer wuͤſten Jnſel, ohne Anblick, Spur und Hoffnung eines huͤlfreichen Nebengeſchoͤpfes Es iſt, als obs freier athmete, indem es dem bren - nenden, geaͤngſtigten Hauche Luſt giebt: es iſt, als obs einen Theil ſeines Schmerzes verſeufzte,A 2und4und aus dem leeren Luftraum wenigſtens neue Kraͤfte zum Verſchmerzen in ſich zoͤge, indem es die tauben Winde mit Aechzen fuͤllet. So wenig hat uns die Natur, als abgeſonderte Steinfelſen, als egoiſtiſche Monaden geſchaffen! Selbſt die feinſten Saiten des thieriſchen Gefuͤhls (ich muß mich dieſes Gleichniſſes bedienen, weil ich fuͤr die Mechanik fuͤhlender Koͤrper kein beſſeres weiß!) ſelbſt die Saiten, deren Klang und Anſtrengung gar nicht von Willkuͤhr und langſamen Bedacht herruͤhret, ja deren Natur noch von aller forſchen - den Vernunft nicht hat erforſcht werden koͤnnen, ſelbſt die ſind in ihrem ganzen Spiele, auch ohne das Bewuſtſeyn fremder Sympathie zu einer Aeußerung auf andre Geſchoͤpfe gerichtet. Die ge - ſchlagne Saite thut ihre Naturpflicht: ſie klingt! ſie ruft einer gleichfuͤhlenden Echo; ſelbſt wenn kei - ne da iſt, ſelbſt wenn ſie nicht hoffet und wartet, daß ihr eine antworte.

Sollte die Phyſiologie je ſo weit kommen, daß ſie die Seelenlehre demonſtrirte, woran ich aber ſehr zweifle, ſo wuͤrde ſie dieſer Erſcheinung man - chen Lichtſtrahl aus der Zergliederung des Nerven -baues5baues zufuͤhren; ſie vielleicht aber auch in Einzelne, zu kleine und ſtumpfe Bande vertheilen. Laſſet ſie uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgeſetz annehmen: Hier iſt ein empfindſames We - ſen, das keine ſeiner lebhaften Empfindun - gen in ſich einſchließen kann; das im erſten uͤberraſchenden Augenblick, ſelbſt ohne Will - kuͤhr und Abſicht jede in Laut aͤußern muß. Das war gleichſam der lezte, muͤtterliche Druck, der bildenden Hand der Natur, daß ſie allen das Geſetz auf die Welt mitgab: empfinde nicht fuͤr dich allein: ſondern dein Gefuͤhl toͤne! und da dieſer lezte ſchaffende Druck auf alle von Einer Gattung Einartig war: ſo wurde dies Ge - ſetz Segen: deine Empfindung toͤne deinem Geſchlecht Einartig, und werde alſo von Allen, wie von Einem mitfuͤhlend vernom - men! Nun ruͤhre man es nicht an, dies ſchwache, empfindſame Weſen! ſo allein und ein - zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls es ausgeſetzt ſcheinet; ſo iſts nicht allein: es ſteht mit der ganzen Natur im Bunde! zartbeſaitet; aber die Natur hat in dieſe Saiten Toͤne verbor -A 3gen,6gen, die, gereizt und ermuntert, wieder andre gleich zart gebaute Geſchoͤpfe wecken, und wie durch eine unſichtbare Kette, einem entfernten Her - zen Funken mittheilen koͤnnen, fuͤr dies ungeſehene Geſchoͤpf zu fuͤhlen Dieſe Seufzer, dieſe Toͤne ſind Sprache. Es giebt alſo eine Spra - che der Empfindung, die unmittelbares Na - turgeſetz iſt.

Daß der Menſch ſie urſpruͤnglich mit den Thieren gemein habe, bezeugen jezt freilich mehr gewiſſe Reſte, als volle Ausbruͤche; allein auch dieſe Reſte ſind unwiederſprechlich. Unſre kuͤnſtliche Sprache mag die Sprache der Natur ſo verdraͤnget, unſre buͤrgerliche Lebensart und geſell - ſchaftliche Artigkeit mag die Fluth und das Meer der Leidenſchaften ſo gedaͤmmet, ausgetroknet und abgeleitet haben, als man will; der heftigſte Au - genblick der Empfindung, wo? und wie ſelten er ſich finde? nimmt noch immer ſein Recht wieder, und toͤnt in ſeiner muͤtterlichen Sprache unmittel - bar durch Accente. Der auffahrende Sturm einer Leidenſchaft, der ploͤzliche Ueberfall von Freude oder Frohheit; Schmerz und Jammer, wenn ſie tiefeFur -7Furchen in die Seele graben; ein uͤbermannendes Gefuͤhl von Rache, Verzweiflung, Wuth, Schre - cken, Grauſen u. ſ. w. alle kuͤndigen ſich an, und jede nach ihrer Art verſchieden an. So viel Gat - tungen von Fuͤhlbarkeit in unſrer Natur ſchlum - mern, ſo viel auch Tonarten Jch merke alſo an, daß je weniger die menſchliche Natur mit einer Thierart verwandt; je ungleichar - tiger ſie mit ihr am Nervenbaue iſt: deſto - weniger iſt ihre Naturſprache uns verſtaͤnd - lich. Wir verſtehen als Erdenthiere, das Erden - thier beſſer, als das Waſſergeſchoͤpf, und auf der Erde das Heerdethier beſſer, als das Waldgeſchoͤpf; und unter den Heerdethieren die am meiſten, die uns am naͤchſten kommen. Nur daß freilich auch bei dieſen Umgang und Gewohnheit mehr oder weniger thut. Es iſt natuͤrlich, daß der Araber, der mit ſeinem Pferde nur Ein Stuͤck ausmacht, es mehr verſteht, als der, der zum Erſtenmal ein Pferd beſchreitet; faſt ſo gut, als Hektor in der Jliade mit den Seinigen ſprechen konnte. Der Araber in der Wuͤſte, der nichts lebendiges um ſich hat, als ſein Kameel, und etwa den Flug um -A 4irren -8irrender Voͤgel, kann leichter jenes Natur verſtehen und das Geſchrei dieſer zu verſtehen glauben, als wir in unſern Behauſungen. Der Sohn des Wal - des, der Jaͤger, verſteht die Stimme des Hirſches, und der Lapplaͤnder ſeines Rennthiers Doch alles das folgt oder iſt Ausnahme. Eigentlich iſt dieſe Sprache der Natur eine Voͤlkerſprache fuͤr jede Gattung unter ſich, und ſo hat auch der Menſch die Seinige

Nun ſind freilich dieſe Toͤne ſehr einfach; und wenn ſie artikulirt, und als Jnterjektionen aufs Papier hinbuchſtabiert werden; ſo haben die entgegengeſezteſten Empfindungen faſt Einen Aus - druck. Das matte Ach! iſt ſowohl Laut der zer - ſchmelzenden Liebe, als der ſinkenden Verzweif - lung; das feurige O! ſowohl Ausbruch der ploͤz - lichen Freude, als der auffahrenden Wuth; der ſtei - genden Bewunderung, als des zuwallenden Bejam - merns; allein ſind denn dieſe Laute da, um als Jnterjektionen aufs Papier gemahlt zu werden? Die Thraͤne, die in dieſem truͤben, erloſchnen, nach Troſt ſchmachtenden Auge ſchwimmt wie ruͤhrend iſt ſie im ganzen Gemaͤlde des Antlitzesder9der Wehmuth; nehmet ſie allein und ſie iſt ein kalter Waſſertropfe! bringet ſie unters Mikroſcop und ich will nicht wiſſen, was ſie da ſeyn mag! Dieſer ermattende Hauch, der halbe Seufzer, der auf der vom Schmerz verzognen Lippe ſo ruͤhrend ſtirbt ſondert ihn ab von allen ſeinen lebendi - gen Gehuͤlfen und er iſt ein leerer Luftſtoß. Kanns mit den Toͤnen der Empfindung anders ſeyn? Jn ihrem lebendigen Zuſammenhange, im ganzen Bilde der wuͤrkenden Natur, begleitet von ſo vie - len andern Erſcheinungen ſind ſie ruͤhrend und gnugſam; aber von allen getrennet, herausgeriſſen, ihres Lebens beraubet, freilich nichts als Ziffern. Die Stimme der Natur iſt gemahlter, verwill - kuͤhrter Buchſtabe. Wenig ſind dieſer Sprachtoͤne freilich; allein die empfindſame Na - tur, ſo fern ſie blos Mechaniſch leidet, hat auch weniger Hauptarten der Empfindung, als unſre Pſychologien der Seele, als Leidenſchaften, anzaͤh - len oder andichten. Nur jedes Gefuͤhl iſt in ſol - chem Zuſtande, je weniger in Faͤden zertheilt, ein um ſo maͤchtiger anziehendes Band: die Toͤne re - den nicht viel, aber ſtark. Ob der Klageton uͤberA 5Wun -10Wunden der Seele oder des Koͤrpers wimmern? Ob dieſes Geſchrei von Furcht oder Schmerz aus - gepreßt werde? ob dies weiche Ach ſich mit einem Kuß oder einer Thraͤne an den Buſen der Gelieb - ten druͤcke? alle ſolche Unterſchiede zu beſtim - men, war dieſe Sprache nicht da. Sie ſollte zum Gemaͤlde hinruffen; dies Gemaͤlde wird ſchon vor ſich ſelbſt reden! ſie ſollte toͤnen, nicht aber ſchil - dern! Ueberhaupt graͤnzen nach jener Fabel des Sokrates Schmerz und Wolluſt: die Natur hat in der Empfindung ihre Ende zuſammenge - knuͤpft, und was kann alſo die Sprache der Em - pfindung anders, als ſolche Beruͤhrungspunkte zeigen? Jezt darf ich anwenden.

Jn allen Sprachen des Urſprungs toͤnen noch Reſte dieſer Naturtoͤne; nur freilich ſind ſie nicht die Hauptfaͤden der menſchlichen Spra - che. Sie ſind nicht die eigentlichen Wurzeln, aber die Saͤfte, die die Wurzeln der Sprache beleben.

Jn einer feinen, ſpaͤt erfundnen Metaphyſi - ſchen Sprache, die von der urſpruͤnglichen wilden Mutter des menſchlichen Geſchlechts eine Abart vielleicht im vierten Gliede, und nach langen Jahr -tauſen -11tauſenden der Abartung ſelbſt wieder Jahrhunderte ihres Lebens hindurch, verfeinert, civiliſirt und humaniſirt worden: eine ſolche Sprache, das Kind der Vernunft und Geſellſchaft, kann wenig oder nichts mehr von der Kindheit ihrer erſten Mutter wiſſen; allein die alten, die wilden Sprachen, je naͤher zum Urſprunge, enthalten davon deſto mehr. Jch kann hier noch nicht von der geringſten menſchlichen Bildung der Sprache reden: ſon - dern nur rohe Materialien betrachten Noch erſiſtirt fuͤr mich kein Wort: ſondern nur Toͤne zum Wort einer Empfindung; aber ſehet! in den genannten Sprachen, in ihren Jnterjektionen, in den Wurzeln ihrer Nominum und Verborum wie viel aufgefangene Reſte dieſer Toͤne! Die aͤlteſten Morgenlaͤndiſchen Sprachen ſind voll von Aus - ruͤfen, fuͤr die wir ſpaͤtergebildeten Voͤlker oft nichts als Luͤcken, oder ſtumpfen, tauben Mißverſtand haben. Jn ihren Elegien toͤnen, wie bei den Wilden auf ihren Graͤbern, jene Heul - und Kla - getoͤne, eine fortgehende Jnterjektion der Natur - ſprache; in ihren Lobpſalmen das Freudengeſchrei und die wiederkommenden Hallelujahs, die Schawaus12aus dem Munde der Klageweiber erklaͤret, und die bei uns ſo oft feierlicher Unſinn ſind. Jm Gang, im Schwunge ihrer Gedichte und der Geſaͤnge andrer alten Voͤlker toͤnet der Ton, der noch die Krieges - und Religionstaͤnze, die Trauer - und Freudengeſaͤnge aller Wilden belebet, ſie moͤ - gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der Jrokoͤſen, in Braſilien oder auf den Karaiben wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachſten, wuͤrk - ſamſten, fruͤheſten Verben endlich ſind jene erſten Ausruͤfe der Natur, die erſt ſpaͤter gemodelt wur - den, und die Sprachen aller alten und wilden Voͤlker ſind daher in dieſem innern, lebendigen Tone fuͤr Fremde ewig unausſprechlich!

Jch kann die meiſten dieſer Phaͤnomene im Zu - ſammenhange erſt ſpaͤter erklaͤren; hier ſtehe nur Eins. Einer der Vertheidiger des goͤttlichen Ur - ſprunges der Sprache*)Suͤßmilchs Beweis, daß der Urſprung der menſchli - chen Sprache göttlich ſei, Berlin 1766. S. 21, findet darinn goͤttliche Ordnung zu bewundern, daß ſich die Laute aller uns bekannten Sprachen auf etliche zwanzig Buchſtaben bringen laſſen. Alleindas13das Faktum iſt falſch, und der Schluß noch un - richtiger. Keine einzige lebendigtoͤnende Sprache laͤßt ſich vollſtaͤndig in Buchſtaben bringen, und noch weniger in zwanzig Buchſtaben: dies zeugen alle Sprachen ſaͤmtlich und ſonders. Die Artiku - lationen unſrer Sprachwerkzeuge ſind ſo viel; Ein jeder Laut wird auf ſo mannichfaltige Weiſe ausge - ſprochen, daß z. E. Herr Lambert im zweiten Theil ſeines Organon mit Recht hat zeigen koͤn - nen, wie weit weniger wir Buchſtaben, als Laute haben, und wie unbeſtimmt alſo dieſe von je - nen ausgedruͤckt werden koͤnnen. Und das iſt doch nur aus der deutſchen Sprache gezeiget, die die Vieltoͤnigkeit und den Unterſchied ihrer Dialekte noch nicht einmal in eine Schriftſprache aufgenom - men hat; vielweniger wo die ganze Sprache nichts als ſolch ein lebendiger Dialekt iſt? Woher ruͤhren alle Eigenheiten und Sonderbarkeiten der Ortho - graphie, als wegen der Unbehuͤlflichkeit zu ſchrei - ben, wie man ſpricht? Welche lebendige Sprache laͤßt ſich, ihren Toͤnen nach, aus Buͤcherbuchſtaben lernen? Und welche todte Sprache daher aufwe - cken? Je lebendiger nun eine Sprache iſt,je14je weniger man daran gedacht hat, ſie in Buchſta - ben zu faſſen, je urſpruͤnglicher ſie zum vollen, unausgeſonderten Laute der Natur hinaufſteigt, deſto minder iſt ſie auch ſchreibbar, deſto minder mit zwanzig Buchſtaben ſchreibbar; ja oft fuͤr Fremdlinge ganz unausſprechlich. Der P. Rasles, der ſich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord - amerika aufgehalten, klagt hieruͤber ſo ſehr, daß er mit aller Aufmerkſamkeit doch oft nur die Haͤlfte des Worts wiederholet und ſich laͤcherlich gemacht wie weit laͤcherlicher haͤtte er mit ſeinen franzoͤſi - ſchen Buchſtaben beziffert? Der P. Chaumont, der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und ſich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt, klagt dem ohngeachtet uͤber ihre Kehlbuchſtaben und ihre unausſprechlichen Accente: oft haͤtten zwei Woͤrter, die ganz aus einerlei Buchſtaben beſtuͤn - den, die verſchiedenſten Bedeutungen. Gar - cilaſſo di Vega, beklagt ſich uͤber die Spanier, wie ſehr ſie die Peruaniſche Sprache im Laute der Woͤrter verſtellet, verſtuͤmmelt, verfaͤlſcht und aus bloßen Verfaͤlſchungen den Peruanern das ſchlimm - ſte Zeug angedichtet. De la Condamine ſagt voneiner15einer kleinen Nation am Amazonenfluß: ein Theil von ihren Woͤrtern koͤnnte nicht, auch nicht ein - mal ſehr unvollſtaͤndig geſchrieben werden. Man muͤſte wenigſtens neun oder zehn Sylben dazu gebrauchen, wo ſie in der Ausſprache kaum drei auszuſprechen ſcheinen. La Loubere von der Siamſchen Sprache: unter zehn Woͤrtern, die der Europaͤer ausſpricht, verſteht ein gebohrner Sia - mer vielleicht kein einziges; man mag ſich Muͤhe geben, ſo viel man will, ihre Sprache mit un - ſern Buchſtaben auszudruͤkken. Und was brau - chen wir Voͤlker aus ſo entlegenen Enden der Erde? Unſer kleine Reſt von Wilden in Europa, Eſthlaͤn - der und Lappen u. ſ. w. haben oft eben ſo halb ar - tikulirte und unſchreibbare Schaͤlle, als Huronen und Peruaner. Ruſſen und Polen, ſo lange ihre Sprachen geſchrieben und ſchriftgebildet ſind, aſpiriren noch immer ſo, daß der wahre Ton ihrer Organiſation nicht durch Buchſtaben gemahlt wer - den kann. Der Englaͤnder, wie quaͤlet er ſich ſeine Toͤne zu ſchreiben, und wie wenig iſt der noch, der geſchriebnes Engliſch verſteht, ein ſprechender Englaͤnder? Der Franzoſe, der weniger aus derKehle16Kehle hinaufholet, und der Halbgrieche, der Jta - liener, der gleichſam in einer hoͤhern Gegend des Mundes, in einem feinern Aether ſpricht, behaͤlt immer noch lebendigen Ton. Seine Laute muͤſſen innerhalb der Organe bleiben, wo ſie gebildet wor - den: als gemahlte Buchſtaben ſind ſie, ſo bequem und einartig ſie der lange Schriftgebrauch gemacht habe, immer nur Schatten!

Das Faktum iſt alſo falſch, und der Schluß noch falſcher: er kommt nicht auf einen goͤttlichen, ſondern gerad umgekehrt, auf einen thieriſchen Ur - ſprung. Nehmet die ſo genannte goͤttliche erſte Sprache, die hebraͤiſche, von der der groͤßte Theil der Welt, die Buchſtaben geerbet: daß ſie in ihrem Anfange ſo lebendigtoͤnend, ſo unſchreibbar geweſen, daß ſie nur ſehr unvollkommen geſchrie - ben werden konnte, dies zeigt offenbar der ganze Bau ihrer Grammatik, ihre ſo vielfachen Verwech - ſelungen aͤhnlicher Buchſtaben, ja am allermeiſten der voͤllige Mangel ihrer Vokale. Woher kommt die Sonderbarkeit, daß ihre Buchſtaben nur Mit - lauter ſind, und daß eben die Elemente der Worte, auf die alles ankommt, die Selbſtlauter, urſpruͤng -lich17lich gar nicht geſchrieben wuͤrden? Dieſe Schreib - art iſt dem Lauf der geſunden Vernunft ſo entge - gen, das Unweſentliche zu ſchreiben, und das We - ſentliche auszulaſſen, daß ſie den Grammatikern unbegreiflich ſeyn muͤſte, wenn Grammatiker zu begreifen gewohnt waͤren. Bei uns ſind die Vo - kale das Erſte und Lebendigſte und die Thuͤrangeln der Sprache; bei jenen werden ſie nicht geſchrie - ben Warum? Weil ſie nicht geſchrieben werden konnten. Jhre Ausſprache war ſo lebendig und feinorganiſirt, ihr Hauch war ſo geiſtig und aetheriſch, daß er verduftete, und ſich nicht in Buchſtaben faſſen ließ. Nur erſt bei den Grie - chen wurden dieſe lebendige Aſpirationen in foͤrm - liche Vokale aufgefaͤdelt, denen doch noch Spiri - tus u. ſ. w. zu Huͤlfe kommen muſten; da bei den Morgenlaͤndern die Rede gleichſam ganz Spiritus, fortgehender Hauch und Geiſt des Mundes war, wie ſie ſie auch ſo oft in ihren malenden Gedichten benennen. Es war Othem Gottes, wehende Luft, die das Ohr aufhaſchete, und die todten Buchſta - ben, die ſie hinmaleten, waren nur der Leichnam, der leſend mit Lebensgeiſt beſeelet werden muſte. BWas18Was das fuͤr einen gewaltigen Einfluß auf das Verſtaͤndniß ihrer Sprache hat, iſt hier nicht der Ort zu ſagen; daß dies Wehende aber den Urſprung ihrer Sprache verrathe, iſt offenbar. Was iſt unſchreibbarer, als die unartikulirten Toͤne der Natur? Und wenn die Sprache, je naͤher ihrem Urſprunge deſto unartikulirter iſt was folgt, als daß ſie wohl nicht von einem hoͤhern Weſen fuͤr die vier und zwanzig Buchſtaben, und dieſe Buchſtaben gleich mit der Sprache erfun - den, daß dieſe ein weit ſpaͤterer nur unvoll - kommener Verſuch geweſen, ſich einige Merkſtaͤbe der Erinnerung zu ſetzen, und daß jene nicht aus Buchſtaben der Grammatik Gottes, ſondern aus wilden Toͤnen freier Organe entſtanden ſey*)Die beſte Schrift fuͤr dieſe noch zum Theil unausgear - beitete Materie iſt Wachteri naturae & ſcripturae concor - dia, Hafn. 1752. die ſich von den Kircherſchen und ſo viel andern Träumen, wie Alterthumsgeſchichte von Märchen unterſcheidet.. Es waͤre doch ſonſt artig, daß eben die Buchſtaben, aus denen und fuͤr die Gott die Sprache erfunden, mit Huͤlfe derer er den erſten Menſchen die Spra - che beigebracht, eben die allerunvollkommenſtenin19in der Welt waͤren, die gar nichts vom Geiſt der Sprache ſagten und in ihrer ganzen Bauart offenbar bekennen, daß ſie nichts davon ſagen wollen

Es verdiente dieſe Buchſtabenhypotheſe freilich ihrer Wuͤrde nach nur Einen Wink: aber ihrer Allgemeinheit und mannichfaltigen Beſchoͤnigung wegen, muſte ich ihren Ungrund entbloͤßen, und in ihm ſie zugleich erklaͤren, wie mir wenigſtens keine Erklaͤrung bekannt iſt. Zuruͤck auf unſre Bahn:

Da unſre Toͤne der Natur zum Ausdrucke der Leidenſchaft beſtimmt ſind, ſo iſts natuͤrlich, daß ſie auch die Elemente aller Ruͤbrung werden! Wer iſts, dem bei einem zuckenden, wimmern - den Gequaͤlten, bei einem aͤchzenden Sterbenden, auch ſelbſt bei einem ſtoͤhnenden Vieh, wenn ſeine ganze Maſchiene leidet, dies Ach, nicht zu Herzen dringe? Wer iſt der fuͤhlloſe Barbar? Je harmoniſcher das empfindſame Saitenſpiel ſelbſt bei Thieren mit andern Thieren gewebt iſt: deſto mehr fuͤhlen ſelbſt dieſe mit einander; ihre Nerven kommen in eine gleichmaͤßige Spannung, ihreB 2Seele20Seele in einen gleichmaͤßigen Ton, ſie leiden wuͤrk - lich mechaniſch mit. Und welche Staͤhlung ſeiner Fibern! Welche Macht, alle Oeffnungen ſei - ner Empfindſamkeit zu verſtopfen gehoͤrt dazu, daß ein Menſch hiegegen taub und hart werde! Diderot*)Lettre ſur les Aveugles à l’uſage de ceux qui voyent &c. meint, daß ein blindgebohrner ge - gen die Klagen eines leidenden Thiers unempfind - licher ſeyn muͤſte, als ein Sehender; allein ich glau - be, unter gewiſſen Faͤllen, das Gegentheil. Freilich iſt ihm das ganze ruͤhrende Schauſpiel dieſes elenden zuckenden Geſchoͤpfs verhuͤllet; allein alle Beiſpiele ſagen, daß eben durch dieſe Verhuͤllung das Gehoͤr weniger zerſtreut, horchender und maͤchtig eindrin - gender werde. Da lauſchet er alſo im Finſtern, in der Stille ſeiner ewigen Nacht, und jeder Kla - geton geht ihm, um ſo inniger und ſchaͤrfer, wie ein Pfeil, zum Herzen! Nun nehme er noch das taſtende, langſam umſpannende Gefuͤhl zu Huͤlfe, taſte die Zuckungen, erfuͤhle den Bruch der leiden - den Maſchiene ſich ganz, Grauſen und Schmerz faͤhrt durch ſeine Glieder: ſein innrer Nervenbaufuͤhlt21fuͤhlt Bruch und Zerſtoͤhrung mit: der Todeston toͤ - net. Das iſt das Band dieſer Naturſprache!

Ueberall ſind die Europaͤer, Trotz ihrer Bil - dung und Mißbildung! von den rohen Klagetoͤnen der Wilden heftig geruͤhrt worden. Leri erzaͤhlt aus Braſilien, wie ſehr ſeine Leute von dem herz - lichen, unfoͤrmlichen Geſchrei der Liebe und Leut - ſeligkeit dieſer Amerikaner bis zu Thraͤnen ſeyn er - weicht worden. Charlevoix und andre wiſſen nicht gnug den grauſenden Eindruck auszudruͤcken, den die Krieges - und Zauberlieder der Nordameri - kaner machen. Wenn wir ſpaͤter Gelegenheit ha - ben werden zu bemerken, wie ſehr die alte Poeſie und Muſik von dieſen Naturtoͤnen ſey belebet wor - den: ſo werden wir auch die Wuͤrkung philoſophi - ſcher erklaͤren koͤnnen, die z. E. der aͤlteſte griechi - ſche Geſang, und Tanz, die alte griechiſche Buͤhne, und uͤberhaupt Muſik, Tanz und Poeſie noch auf alle Wilde machen. Und auch ſelbſt bei uns, wo freilich die Vernunft oft die Empfindung und die kuͤnſtliche Sprache der Geſellſchaft die Toͤne der Natur aus ihrem Amt ſetzet, kommen nicht noch oft die hoͤchſten Donner der Beredſamkeit, die maͤch -B 3tigſten22tigſten Schlaͤge der Dichtkunſt, und die Zauber - momente der Aktion, dieſer Sprache der Natur, durch Nachahmung nahe? Was iſts, was dort im verſammleten Volke Wunder thut, Herzen durchbohrt und Seelen umwaͤlzet? Geiſtige Rede und Metaphyſik? Gleichniſſe und Figuren? Kunſt und kalte Ueberzeugung? So fern der Tau - mel nicht blind ſeyn ſoll, muß vieles durch ſie ge - ſchehen, aber Alles? und eben dies hoͤchſte Mo - ment des blinden Taumels, wodurch wurde das? durch ganz eine andre Kraft! Dieſe Toͤne, dieſe Gebehrden, jene einfachen Gaͤnge der Melodie, dieſe ploͤzliche Wendung, dieſe dammernde Stim - me, was weiß ich mehr? Bei Kindern, und dem Volk der Sinne, bei Weibern, bei Leuten von zartem Gefuͤhl, bei Kranken, Einſamen, Be - truͤbten, wuͤrken ſie tauſendmal mehr, als die Wahrheit ſelbſt wuͤrken wuͤrde, wenn ihre leiſe, feine Stimme vom Himmel toͤnte. Dieſe Worte, dieſer Ton, die Wendung dieſer grauſenden Ro - manze u. ſ. w. drangen in unſrer Kindheit, da wir ſie das erſtemal hoͤrten, ich weiß nicht, mit wel - chem Heere von Nebenbegriffen des Schauders,der23der Feier, des Schreckens, der Furcht, der Freu - de, in unſre Seele Das Wort toͤnet, und wie eine Schaar von Geiſtern ſtehen ſie alle mit Einmal in ihrer dunkeln Majeſtaͤt aus dem Grabe der Seele auf: ſie verdunkeln den reinen, hellen Begriff des Worts, der nur ohne ſie gefaßt wer - den konnte Das Wort iſt weg und der Ton der Empfindung toͤnet. Dunkles Gefuͤhl uͤberman - net uns: der Leichtſinnige grauſet und zittert nicht uͤber Gedanken, ſondern uͤber Sylben, uͤber Toͤne der Kindheit und es war Zauberkraft des Redners, des Dichters, uns wieder zum Kinde zu machen. Kein Bedacht, keine Ueberlegung, das bloße Naturgeſetz lag zum Grunde: Ton der Empfindung ſoll das ſympathetiſche Geſchoͤpf in denſelben Ton verſetzen!

Wollen wir alſo dieſe unmittelbaren Laute der Empfindung Sprache nennen; ſo ſinde ich ihren Urſprung allerdings ſehr natuͤrlich. Er iſt nicht blos nicht uͤbermenſchlich: ſondern offenbar thie - riſch: das Naturgeſetz einer empfindſamen Maſchiene.

B 4Aber24

Aber ich kann nicht meine Verwunderung ber - gen, daß Philoſophen, das iſt, Leute, die deut - liche Begriffe ſuchen, je haben auf den Gedanken kommen koͤnnen, aus dieſem Geſchrei der Empfin - dungen den Urſprung menſchlicher Sprache zu er - klaͤren: denn iſt dieſe nicht offenbar ganz etwas an - ders? Alle Thiere, bis auf den ſtummen Fiſch, toͤnen ihre Empfindung; deswegen aber hat doch kein Thier, ſelbſt nicht das vollkommenſte, den ge - ringſten, eigentlichen Anfang zu einer menſchlichen Sprache. Man bilde und verfeinere und organi - ſire dies Geſchrei, wie man wolle; wenn kein Verſtand dazu kommt, dieſen Ton mit Abſicht zu brauchen: ſo ſehe ich nicht, wie nach dem vorigen Naturgeſetz je menſchliche, willkuͤhrliche Sprache werde? Kinder ſprechen Schaͤlle der Empfindung, wie die Thiere; iſt aber die Sprache, die ſie von Menſchen lernen, nicht ganz eine andre Sprache?

Der Abt Condillac*)Eſſai ſur l’origine des connoiſſances humaines, Vol. 11. iſt in dieſer Anzahl. Entweder er hat das ganze Ding Sprache ſchon vor der erſten Seite ſeines Buchs erfunden vor -aus -25ausgeſezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge, die ſich gar nicht in der Ordnung einer bildenden Sprache zutragen konnten. Er ſezt zum Grunde ſeiner Hypotheſe: zwei Kinder, in eine Wuͤſte, ehe ſie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken - nen. Warum er nun dies alles ſetze: zwei Kinder, die alſo umkommen, oder Thier wer - den muͤſſen, in eine Wuͤſte, wo ſich die Schwuͤhrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin - dung noch vermehret: vor dem Gebrauch jedes natuͤrlichen Zeichens, und gar vor aller Kaͤnnt - niß deſſelben, ohne welche doch kein Saͤugling nach wenigen Wochen ſeiner Geburt iſt warum, ſage ich, in einer Hypotheſe, die dem Naturgange menſchlicher Kaͤnntniß nachſpuͤhren ſoll, ſolche un - natuͤrliche, ſich wiederſprechende Data zum Grunde gelegt werden muͤſſen, mag ihr Verfaſſer wiſſen; daß aber auf ſie keine Erklaͤrung des Urſprungs der Sprache gebauet ſey, getraue ich mich zu erweiſen. Seine beiden Kinder kommen ohne Kaͤnntniß je - des Zeichens zuſammen, und ſiehe da! im er - ſten Augenblicke (§. 2.) ſind ſie ſchon im gegenſei - tigen Commerz. Und doch blos durch dies ge -B 5genſei -26genſeitige Commerz lernen ſie erſt, mit dem Ge - ſchrei der Empfindungen die Gedanken zu ver - binden, deren natuͤrliche Zeichen jene ſind. Natuͤrliche Zeichen der Empfindung durch das Com - merz lernen? Lernen, was fuͤr Gedanken damit zu verbinden ſind? Und doch gleich im erſten Au - genblick der Zuſammenkunft, noch vor der Kaͤnnt - niß deſſen, was das dummſte Thier kennet, Com - merz haben? Lernen koͤnnen, was mit gewiſſen Zeichen fuͤr Gedanken zu verknuͤpfen ſind? da - von begreiffe ich nichts. Durch das Wiederkom - men aͤhnlicher Umſtaͤnde (§. 3.) gewoͤhnen ſie ſich, mit den Schaͤllen der Empfindungen, und den verſchiednen Zeichen des Koͤrpers Gedanken zu verbinden. Schon bekommt ihr Gedaͤchtniß Uebung. Schon koͤnnen ſie uͤber ihre Einbil - dung walten und ſchon ſind ſie ſo weit, das mit Reflexion zu thun, was ſie vorher blos durch Jnſtinkt thaten (und doch, wie wir eben geſe - hen, vor ihrem Commerz nicht zu thun wuͤ - ſten. ) Davon begreiffe ich nichts. Der Ge - brauch dieſer Zeichen erweitert die Wuͤrkungen der Seele (§. 4.) und dieſe vervollkommen die Zeichen27 Zeichen: Geſchrei der Empfindungen wars alſo (§. 5.) was die Seelenkraͤfte entwickelt ha[t]: Ge - ſchrei der Empfindungen, das ihnen die Gewohn - heit gegeben, Jdeen mit willkuͤhrlichen Zeichen zu verbinden (§. 6.) Geſchrei der Empfindun - gen, das Jhnen zum Muſter diente, ſich eine neue Sprache zu machen, neue Schaͤlle zu arti - kuliren, ſich zu gewoͤhnen, die Sachen mit Na - men zu bezeichnen Jch wiederhole alle dieſe Wiederholungen, und begreiffe von ihnen nichts. Endlich, nachdem der Verfaſſer auf dieſen kindi - ſchen Urſprung der Sprache, die Proſodie, Dekla - mation, Muſik, Tanz und Poeſie der alten Spra - chen gebauet, und mit unter gute Anmerkungen vorgetragen, die aber zu unſerm Zwecke nichts thun: ſo faßt er den Faden wieder an: um zu begreiffen (§. 80.) wie die Menſchen unter ſich uͤber den Sinn der erſten Worte Eins geworden, die ſie brauchen wollten, iſt genug, wenn man bemerkt, daß ſie ſie in Umſtaͤnden ausſprachen, wo jeder verbunden war, ſie mit den nemlichen Jdeen zu verbinden u. ſ. w. Kurz es entſtanden Worte, weil Worte da waren ehe ſie da waren michduͤnkt,28duͤnkt, es lohnt nicht, den Faden unſres Erklaͤrers weiter zu verfolgen, da er doch an nichts ge - knuͤpft iſt.

Condillac, weiß man, gab durch ſeine hole Erklaͤrung von Entſtehung der Sprache Gelegen - heit, daß Rouſſeau*)Sur l’inégalité parmi les hommes &c. Part. 1. in unſerm Jahrhundert die Frage nach ſeiner Art in Schwung brachte, das iſt bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklaͤrung Zweifel zu finden, war eben kein Rouſſeau noͤ - thig; nur aber deswegen ſogleich alle menſchliche Moͤglichkeit der Spracherfindung zu leugnen da - zu gehoͤrte freilich etwas Rouſſeauſcher Schwung oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con - dillac die Sache ſchlecht erklaͤrt hatte; ob ſie alſo auch gar nicht erklaͤrt werden koͤnne? Weil aus Schaͤllen der Empfindung nimmermehr eine menſch - liche Sprache wird, folgt daraus, daß ſie nirgend anderswoher hat werden koͤnnen?

Daß es nur wuͤrklich dieſer verdekte Trugſchluß ſey, der Rouſſeau verfuͤhret, zeigt offenbar ſein eigner Plan:**)Eben daſelbſt. wie, wenn doch allenfalls Spra -29 Sprache haͤtte menſchlich entſtehen ſollen, wie ſie haͤtte entſtehen muͤſſen? Er faͤngt, wie ſein Vorgaͤnger, mit dem Geſchrei der Natur an, aus dem die menſchliche Sprache werde. Jch ſehe nie, wie ſie daraus geworden waͤre, und wundre mich, daß der Scharfſinn eines Rouſſeau ſie einen Au - genblick daraus habe koͤnnen werden laſſen?

Maupertuis kleine Schrift iſt mir nicht bei Haͤnden; wenn ich aber dem Auszuge eines Man - nes*)Süßmilch Beweis für die Göttlichkeit ꝛc. Anhang 3. S. 110. trauen darf, deſſen nicht kleinſtes Ver - dienſt Treue und Genauigkeit war, ſo hat auch er den Urſprung der Sprache nicht gnug von die - ſen thieriſchen Lauten abgeſondert, und gehet alſo mit den vorigen auf einer Straße.

Diodor endlich und Vitruv, die zudem den Menſchenurſprung der Sprache mehr geglaubt als hergeleitet, haben die Sachen am offenbarſten ver - dorben, da ſie die Menſchen, erſt Zeitenlang, als Thiere, mit Geſchrei in Waͤldern ſchweifen, und ſich nachher, weiß Gott, woher? und weiß Gott! wozu? Sprache erfinden laſſen .

Da30

Da nun die meiſten Verfechter der menſchli - chen Sprachwerdung aus einem ſo unſichern Ort ſtritten, den andre, z. E. Suͤßmilch, mit ſo vie - lem Grunde bekaͤmpften: So hat die Akademie dieſe Frage, die alſo noch ganz unbeantwortet iſt, und uͤber die ſich ſelbſt einige ihrer geweſnen Mit - glieder getheilt, einmal außer Streit wollen ge - ſezt ſehen.

Und da dies große Thema ſo viel Ausſichten in die Pſychologie und Naturordnung des menſch - lichen Geſchlechts, in die Philoſophie der Spra - chen und aller Kaͤnntniſſe, die mit Sprache erfun - den werden, verſpricht Wer wollte ſich nicht daran verſuchen?

Und da die Menſchen fuͤr uns die einzigen Sprachgeſchoͤpfe ſind, die wir kennen, und ſich eben durch Sprache von allen Thieren unterſcheiden: wo finge der Weg der Unterſuchung ſicherer an, als bei Erfahrungen uͤber den Unterſchied der Thiere und Menſchen? Condillac und Rouſſeau mußten uͤber den Sprachurſprung irren, weil ſie ſich uͤber dieſen Unterſchied ſo bekannt und verſchie -den31den irrten: da jener*)Traité ſur les animaux. die Thiere zu Menſchen, und dieſer**)Sur l’origine de l’inégalité etc. die Menſchen zu Thieren machte. Jch muß alſo etwas weit ausholen.

Daß der Menſch den Thieren an Staͤrke und Sicherheit des Jnſtinkts weit nachſtehe, ja daß er das, was wir bei ſo vielen Thier - gattungen angebohrne Kunſtfaͤhigkeiten und Kunſttriebe nennen, gar nicht habe, iſt ge - ſichert; nur ſo wie die Erklaͤrung dieſer Kunſt - triebe bisher den meiſten und noch zulezt einem gruͤndlichen Philoſophen***)Reimarus uͤber die Kunſttriebe der Thiere: S. Be - trachtungen drüber in den Briefen, die neueſte Littera - tur betreffend ꝛc. Deutſchlands mißgluͤ - cket iſt, ſo hat auch die wahre Urſach von der Ent - behrung dieſer Kunſttriebe in der menſchlichen Na - tur noch nicht ins Licht geſezt werden koͤnnen. Mich duͤnkt, man hat einen Hauptgeſichtspunkt verfehlt, aus dem man, wo nicht vollſtaͤndige Er - klaͤrungen, ſo wenigſtens Bemerkungen in der Na -tur32tur der Thiere machen kann, die, wie ich fuͤr ei - nen andern Ort hoffe, die menſchliche Seelenlehre ſehr aufklaͤren koͤnnen. Dieſer Geſichtspunkt iſt die Sphaͤre der Thiere.

Jedes Thier hat ſeinen Kreis, in den es von der Geburt an gehoͤrt, gleich eintritt, in dem es lebenslang bleibet, und ſtirbt: nun iſt es aber ſonderbar, daß je ſchaͤrfer die Sinne der Thiere, und je wunderbarer ihre Kunſt - werke ſind, deſto kleiner iſt ihr Kreis: de - ſto einartiger iſt ihr Kunſtwerk Jch habe dieſem Verhaͤltniſſe nachgeſpuͤhret und ich finde uͤberall eine wunderbare beobachtete umgekehrte Proportion zwiſchen der mindern Extenſion ihrer Bewegungen, Elemente, Nabrung, Erhaltung, Paarung, Erziehung, Geſell - ſchaft und ihren Trieben und Kuͤnſten. Die Biene in ihrem Korbe, bauet mit der Weisheit, die Egeria ihrem Numa nicht lehren konnte; aber außer dieſen Zellen und außer ihrem Beſtim - mungsgeſchaͤft in dieſen Zellen, iſt ſie auch Nichts. Die Spinne webet mit der Kunſt der Minerve; aber alle ihre Kunſt iſt auch in dieſem engen Spinn -raum33raum verwebet; das iſt ihre Welt! Wie wunder - ſam iſt das Jnſekt, und wie enge der Kreis ſei - ner Wuͤrkung!

Gegentheils. Je vielfacher die Verrich - tungen, und Beſtimmung der Thiere; je zerſtreuter ihre Aufmerkſamkeit auf mehrere Gegenſtaͤnde, je unſtaͤter ihre Lebensart, kurz je groͤßer und vielfaͤltiger ihre Sphaͤre iſt; deſto mehr ſehen wir ihre Sinnlichkeit ſich vertheilen und ſchwaͤchen. Jch kann es mir hier nicht in Sinn nehmen, dies große Verhaͤltniß, was die Kette der lebendigen Weſen durchlaͤuft, mit Beiſpielen zu ſichern; ich uͤberlaſſe jedem die Probe, oder verweiſe auf eine andre Ge - legenheit und ſchließe fort:

Nach aller Wahrſcheinlichkeit und Analogie laſſen ſich alſo alle Kunſttriebe und Kunſtfaͤ - higkeiten aus den Vorſtellungskraͤften der Thiere erklaͤren , ohne daß man blinde Deter - minationen annehmen darf. (Wie auch noch ſelbſt Reimarus angenommen, und die alle Philoſophie verwuͤſten.) Wenn unendlich feine Sinne in einen kleinen Kreis, auf ein Einerlei eingeſchloſſen wer -Cden,34den, und die ganze andre Welt fuͤr ſie nichts iſt: wie muͤſſen ſie durchdringen! Wenn Vorſtellungs - kraͤfte in einen kleinen Kreis eingeſchloſſen, und mit einer analogen Sinnlichkeit begabt ſind, was muͤſſen ſie wuͤrken! Und wenn endlich Sinne und Vorſtellungen auf Einen Punkt gerichtet ſind, was kann anders, als Jnſtinkt daraus werden? Aus ihnen alſo erklaͤret ſich die Empfindſamkeit, die Faͤhigkeiten und Triebe der Thiere nach ihren Arten und Stuffen.

Und ich darf alſo den Satz annehmen: die Empfindſamkeit, Faͤhigkeiten und Kunſt - triebe der Thiere nehmen an Staͤrke und Jntenſitaͤt zu, im umgekehrten Verhaͤltniſſe der Groͤße und Mannichfaltigkeit ihres Wuͤrkungskreiſes. Nun aber

Der Menſch hat keine ſo einfoͤrmige und enge Sphaͤre, wo nur Eine Arbeit auf ihn warte: eine Welt von Geſchaͤften und Beſtimmungen liegt um ihn

Seine Sinne und Organiſation ſind nicht auf Eins geſchaͤrft: er hat Sinne fuͤr alles und natuͤr -lich35lich alſo fuͤr jedes Einzelne ſchwaͤchere und ſtumpfere Sinne

Seine Seelenkraͤfte ſind uͤber die Welt ver - breitet; keine Richtung ſeiner Vorſtellungen auf ein Eins: mithin kein Kunſttrieb, keine Kunſtfertigkeit und, das eine gehoͤrt hier naͤher her, keine Thierſprache.

Was iſt doch das, was wir, außer der vorher - angefuͤhrten Lautbarkeit der empfindenden Ma - ſchine, bei einigen Gattungen Thierſprache nen - nen, anders, als ein Reſultat der Anmerkungen, die ich zuſammen gereihet? ein dunkles ſinnli - ches Einverſtaͤndniß einer Thiergattung un - ter einander uͤber ihre Beſtimmung, im Kreiſe ihrer Wuͤrkung.

Je kleiner alſo die Sphaͤre der Thiere iſt: deſto weniger haben ſie Sprache noͤthig. Je ſchaͤrfer ihre Sinne, je mehr ihre Vorſtellungen auf Eins gerichtet, je ziehender ihre Triebe ſind; deſto zu - ſammengezogner iſt das Einverſtaͤndniß ihrer et - wanigen Schaͤlle, Zeichen, Aeußerungen. Es iſt lebendiger Mechaniſmus, herſchender Jnſtinkt,C 2der36der da ſpricht und vernimmt. Wie wenig darf er ſprechen, daß er vernommen werde!

Thiere von dem engſten Bezirke ſind alſo ſogar gehoͤrlos; ſie ſind fuͤr ihre Welt ganz Gefuͤhl, oder Geruch, und Geſicht: ganz einfoͤrmiges Bild, einfoͤrmiger Zug, einfoͤrmiges Geſchaͤfte; ſie haben alſo wenig oder keine Sprache.

Je groͤßer aber der Kreis der Thiere: je unter - ſchiedner ihre Sinne doch was ſoll ich wieder - holen? mit dem Menſchen aͤndert ſich die Scene ganz. Was ſoll fuͤr ſeinen Wuͤrkungs - kreis, auch ſelbſt im duͤrftigſten Zuſtande die Spra - che des redendſten, am vielfachſten toͤnenden Thie - res? Was ſoll fuͤr ſeine zerſtreuten Begierden, fuͤr ſeine getheilte Aufmerkſamkeit, fuͤr ſeine ſtumpfer witternden Sinne auch ſelbſt die dunkle Sprache aller Thiere? Sie iſt fuͤr ihn weder reich, noch deut - lich: weder hinreichend an Gegenſtaͤnden, noch fuͤr ſeine Organe alſo durchaus nicht ſeine Sprache: denn was heißt, wenn wir nicht mit Worten ſpielen wollen, die eigenthuͤmliche Spra - che eines Geſchoͤpfs, als die ſeiner Sphaͤre von Beduͤrfniſſen und Arbeiten, der Organiſation ſei -ner37ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt Und welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?

Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel - che Sprache, (außer der vorigen mechaniſchen), hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer Sphaͤre? die Antwort iſt kurz: keine! und eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.

Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor - ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen und Triebe angebohren und dem Thier unmit - telbar natuͤrlich. Die Biene ſumſet, wie ſie ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet aber wie ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht! ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt, als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr - nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma - ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch jedes Thier in ſeiner Art; blos unter Thiere ge -C 3ſtellet,38ſtellet, iſts alſo das verwaiſetſte Kind der Natur. Nackt und bloß, ſchwach und duͤrftig, ſchuͤchtern und unbewaſnet: und was die Summe ſeines Elen - des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be - raubt. Mit einer ſo zerſtreuten geſchwaͤchten Sinnlichkeit, mit ſo unbeſtimmten, ſchlafenden Faͤhigkeiten, mit ſo getheilten und ermatteten Trieben gebohren, offenbar auf tauſend Beduͤrf - niſſe verwieſen, zu einem großen Kreiſe beſtimmt und doch ſo verwaiſet und verlaſſen, daß es ſelbſt nicht mit einer Sprache begabt iſt, ſeine Maͤngel zu aͤußern Nein! ein ſolcher Wiederſpruch iſt nicht die Haushaltung der Natur. Es muͤſſen ſtatt der Jnſtinkte andre verborgne Kraͤfte in ihm ſchlafen! ſtummgebohren; aber

Zwei -39

Zweiter Abſchnitt.

Doch ich thue keinen Sprung. Jch gebe dem Menſchen, nicht gleich ploͤzlich neue Kraͤfte, keine Sprachſchaffende Faͤhigkeit, wie eine wilkuͤhrliche Qualitas occulta. Jch ſuche nur in den vorherbemerkten Luͤcken und Maͤngeln weiter.

Luͤcken und Maͤngel koͤnnen doch nicht der Charakter ſeiner Gattung ſeyn: oder die Natur war gegen ihn die haͤrteſte Stiefmutter, da ſie gegen jedes Jnſekt die liebreichſte Mutter war. Jedem Jnſekt gab ſie, was und wie viel es brauchte: Sinne zu Vorſtellungen, und Vor - ſtellungen in Triebe gediegen; Organe zur Spra - che, ſo viel es bedorfte, und Organe, dieſe Spra - che zu verſtehen. Bei dem Menſchen iſt alles in dem groͤßten Mißverhaͤltniß Sinne und Beduͤrf - niſſe, Kraͤfte und Kreis der Wuͤrkſamkeit, der auf ihn wartet, ſeine Organe und ſeine Sprache Es muß uns alſo ein gewiſſes Mittelglied feh -C 4 len,40 len, die ſo abſtehende Glieder der Verhaͤlt - niß zu berechnen.

Faͤnden wirs: ſo waͤre nach aller Analogie der Natur dieſe Schadloshaltung ſeine Eigen - heit, der Charakter ſeines Geſchlechts: und alle Vernunft und Billigkeit foderte, dieſen Fund fuͤr das gelten zu laſſen, was er iſt, fuͤr Na - turgabe, ihm ſo weſentlich als den Thieren der Jnſtinkt.

Ja faͤnden wir, eben in dieſem Charakter die Urſache jener Maͤngel; und eben in der Mitte dieſer Maͤngel in der Hoͤle jener groſ - ſen Entbehrung von Kunſttrieben den Keim zum Erſatze: ſo waͤre dieſe Einſtimmung ein genetiſcher Beweis, daß hier die wahre Richtung der Menſchheit liege, und daß die Menſchengat - tung uͤber den Thieren nicht an Stuffen des Mehr oder Weniger ſtehe, ſondern an Art.

Und faͤnden wir in dieſem neugefundnen Cha - rakter der Menſchheit ſogar den nothwendigen genetiſchen Grund zu Entſtehung einer Sprache fuͤr dieſe neue Art Geſchoͤpfe, wie wir in den Jnſtinkten der Thiere den unmit -telba -41telbaren Grund zur Sprache fuͤr jede Gattung fanden; ſo ſind wir ganz am Ziele. Jn dem Falle wuͤrde die Sprache dem Menſchen ſo we - ſentlich, als er ein Menſch iſt. Man ſiehet, ich entwikle aus keinen willkuͤhrlichen, oder geſellſchaftlichen Kraͤften, ſondern aus der allge - meinen thieriſchen Oekonomie.

Und nun folgt, daß wenn der Menſch Sinne hat, die fuͤr Einen kleinen Fleck der Erde, fuͤr die Arbeit und den Genuß einer Weltſpanne den Sin - nen des Thiers, das in dieſer Spanne lebet, nach - ſtehen an Schaͤrfe: ſo bekommen ſie eben dadurch Vorzug der Freiheit; Eben weil ſie nicht fuͤr einen Punkt ſind, ſo ſind ſie allgemeinere Sinne der Welt.

Wenn der Menſch Vorſtellungskraͤfte hat, die nicht auf den Bau einer Honigzelle und eines Spinngewebes bezirkt ſind, und alſo auch den Kunſtfaͤhigkeiten der Thiere in dieſem Kreiſe nachſtehen: ſo bekommen ſie eben damit wei - tere Ausſicht. Er hat kein einziges Werk, beiC 5dem42dem er alſo auch unverbeſſerlich handle; aber er hat freien Raum, ſich an vielem zu uͤben, mithin ſich immer zu verbeſſern. Jeder Gedanke iſt nicht ein unmittelbares Werk der Natur, aber eben da - mit kanns ſein eigen Werk werden.

Wenn alſo hiermit der Jnſtinkt wegfallen muß, der blos aus der Organiſation der Sinne und dem Bezirk der Vorſtellungen folgte, und keine blinde Determination war; ſo bekommt eben hiemit der Menſch, mehrere Helle. Da er auf keinen Punkt blind faͤllt und blind liegen bleibt: ſo wird er freiſtehend, kann ſich eine Sphaͤre der Beſpiegelung ſuchen, kann ſich in ſich beſpiegeln. Nicht mehr eine unfehlbare Maſchine in den Haͤnden der Natur, wird er ſich ſelbſt Zweck und Ziel der Bearbeitung.

Man nenne dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Kraͤf - te, wie man wolle, Verſtand, Vernunft, Beſin - nung u. ſ. w. Wenn man dieſe Namen nicht fuͤr abgeſonderte Kraͤfte, oder fuͤr bloße Stuffenerhoͤ - hungen der Thierkraͤfte annimmt: ſo gilts mir gleich. Es iſt die ganze Einrichtung aller menſchlichen Kraͤfte; die ganze Haushal - tung43 tung ſeiner ſinnlichen und erkennenden, ſei - ner erkennenden und wollenden Natur; oder vielmehr Es iſt die Einzige poſitivs Kraft des Denkens, die mit einer gewiſſen Organiſation des Koͤrpers verbunden bei den Menſchen ſo Vernunft heißt, wie ſie bei den Thieren Kunſtfaͤhigkeit wird: die bei ihm Frei - heit heißt, und bei den Thieren Jnſtinkt wird. Der Unterſchied iſt nicht in Stuffen, oder Zugabe von Kraͤften, ſondern in einer ganz verſchieden - artigen Richtung und Auswickelung aller Kraͤfte. Man ſei Leibnitzianer oder Lockianer, Search oder Leowall,*)Eine in einem neuen Metaphyſiſchen Werke beliebte Eintheilung Search’s Light of nature purſued Lond. 68. Jdealiſt oder Materialiſt, ſo muß man bei einem Einverſtaͤndniß uͤber die Worte, zu Folge des Vorigen, die Sache zugeben, einen eignen Charakter der Menſchheit, der hierinn und in nichts anders beſtehet.

Alle die dagegen Schwuͤrigkeit gemacht, ſind durch falſche Vorſtellungen und unaufgeraͤumte Begriffe hintergangen. Man hat ſich die Ver - nunft des Menſchen als eine neue, ganz abgetrennteKraft44Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men - ſchen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen geworden, und die alſo auch, wie die vierte Stuffe einer Leiter nach den drei unterſten, allein betrach - tet werden muͤſſe; und das iſt freilich, es moͤgen es ſo große Philoſophen ſagen, als da wollen, Philoſophiſcher Unſinn. Alle Kraͤfte unſrer und der Thierſeelen ſind nichts als Metaphyſiſche Ab - ſtraktionen, Wuͤrkungen! ſie werden abgetheilt, weil ſie von unſerm ſchwachen Geiſte nicht auf ein - mal betrachtet werden konnten: ſie ſtehen in Ka - piteln, nicht, weil ſie ſo Kapitelweiſe in der Na - tur wuͤrkten, ſondern ein Lehrling ſie ſich vieleicht ſo am beſten entwickelt. Daß wir gewiſſe ihrer Verrichtungen unter gewiſſe Hauptnamen ge - bracht haben z. E. Witz, Scharfſinn, Phantaſie, Vernunft, iſt nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geiſtes moͤglich waͤre, wo der Witz oder die Vernunft allein wuͤrkt: ſondern nur, weil wir in dieſer Handlung am meiſten von der Ab - ſtraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Jdeen: uͤberall aber wuͤrkt die ganze unabge -theilte45theilte Seele. Konnte ein Menſch je eine einzige Handlung thun, bei der er voͤllig wie ein Thier dachte: ſo iſt er auch durchaus kein Menſch mehr, gar keiner menſchlichen Handlung mehr faͤhig. War er einen einzigen Augenblick ohne Vernunft: ſo ſaͤhe ich nicht, wie er je in ſeinem Leben mit Vernunft denken koͤnne: oder ſeine ganze Seele, die ganze Haushaltung ſeiner Natur ward geaͤndert.

Nach richtigern Begriffen iſt die Vernunft - maͤßigkeit des Menſchen, der Charakter ſeiner Gattung, etwas anders, nemlich, die gaͤnzli - che Beſtimmung ſeiner denkenden Kraft im Verhaͤltniß ſeiner Sinnlichkeit und Triebe. Und da konnte es, alle vorigen Analogien zu Huͤlfe genommen, nichts anders ſeyn, als daß

Wenn der Menſch Triebe der Thiere haͤtte, er das nicht haben koͤnnte, was wir jezt Vernunft in ihm nennen; denn eben dieſe Triebe riſſen ja ſeine Kraͤfte ſo dunkel auf einen Punkt hin, daß ihm kein freier Beſinnungskreis ward. Es mußte ſeyn, daß

Wenn46

Wenn der Menſch Sinne der Thiere, er keine Vernunft haͤtte; denn eben die ſtarke Reizbarkeit ſeiner Sinne, eben die durch ſie maͤchtig andrin - genden Vorſtellungen muͤſten alle kalte Beſonnen - heit erſticken. Aber umgekehrt mußte es auch nach eben dieſen Verbindungsgeſetzen der haushaltenden Natur ſeyn, daß

Wenn thieriſche Sinnlichkeit und Eingeſchloſ - ſenheit auf einen Punkt wegfiele: ſo wurde ein ander Geſchoͤpf, deſſen poſitive Kraft ſich in groͤßerm Raume, nach feinerer Organiſation, heller, aͤußerte: das abgetrennt und frei nicht blos erkennet, will und wuͤrkt, ſondern auch weis, daß es erkenne, wolle und wuͤrke. Dies Geſchoͤpf iſt der Menſch und dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Na - tur wollen wir, um den Verwirrungen mit eignen Vernunftkraͤften u. ſ. w. zu entkommen, Beſon - nenheit nennen. Es folgt alſo nach eben dieſen Verbindungsregeln, da alle die Woͤrter Sinnlichkeit und Jnſtinkt, Phantaſie und Vernunft, doch nur Beſtimmungen einer einzigen Kraft ſind, wo Ent - gegenſetzungen einander aufheben, daß

Wenn47

Wenn der Menſch kein Jnſtinktmaͤßiges Thier ſeyn ſollte, er vermoͤge der freierwuͤrkenden poſitiven Kraft ſeiner Seele ein beſonnenes Ge - ſchoͤpf ſeyn mußte. Wenn ich die Kette dieſer Schluͤße noch einige Schritte weiter ziehe, ſo bekomme ich damit vor kuͤnftigen Einwendungen einen den Weg ſehr kuͤrzenden Vorſprung.

Jſt nemlich die Vernunft keine abgetheilte, einzelnwuͤrkende Kraft, ſondern eine ſeiner Gat - tung eigne Richtung aller Kraͤfte: ſo muß der Menſch ſie im erſten Zuſtande haben, da er Menſch iſt. Jm erſten Gedanken des Kindes muß ſich dieſe Beſonnenheit zeigen, wie bei dem Jnſekt, daß es Jnſekt war. Das hat nun mehr als ein Schriftſteller nicht begreifen koͤnnen, und daher iſt die Materie, uͤber die ich ſchreibe, mit den roheſten eckelhafteſten Einwuͤrfen angefuͤllet aber ſie konnten es nicht begreifen, weil ſie es mißverſtanden. Heißt denn vernuͤnftig denken, mit ausgebildeter Vernunft denken? Heißts, der Saͤugling denke mit Beſonnenheit, er raiſonnire wie ein Sophiſt auf ſeinem Catheder oder der Staatsmann in ſeinem Cabinett? Gluͤck -lich48lich und dreimal gluͤcklich, daß er von dieſem ermat - tenden Wuſt von Vernuͤnfteleien noch nichts wuͤſte! Aber ſiehet man denn nicht, daß dieſer Einwurf blos einen ſo und nicht anders, einen mehr oder minder gebildeten Gebrauch der Seelenkraͤfte, und durchaus kein Poſitives einer Seelenkraft ſelbſt laͤugne? Und welcher Thor wird da behaupten, daß der Menſch im erſten Augenblick des Lebens ſo denke, wie nach einer vieljaͤhrigen Uebung; es ſei denn daß man zugleich das Wachsthum aller Seelenkraͤfte laͤugne, und ſich eben damit ſelbſt fuͤr einen Unmuͤndigen bekenne? So wie doch aber dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann, als einen leichtern, ſtaͤrkern, vielfachern Gebrauch; muß denn das nicht ſchon da ſeyn, was gebraucht werden? Muß es nicht ſchon Keim ſeyn, was da wachſen ſoll? Und iſt alſo nicht im Keime der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind Klauen, wie ein Greif, und eine Loͤwenmaͤhne hat: ſo wenig kann es wie Greif und Loͤwe den - ken; denkt es aber menſchlich, ſo iſt Beſonnenheit das iſt, die Maͤßigung aller ſeiner Kraͤfte auf dieſe Hauptrichtung ſchon ſo im erſten Augen -blicke49blicke ſein Loos, wie ſie es im lezten ſeyn wird. Die Vernunft aͤußert ſich unter ſeiner Sinnlichkeit ſchon ſo wuͤrklich, daß der Allwiſſende, der dieſe Seele ſchuff, in ihrem erſten Zuſtande ſchon das ganze Gewebe von Handlungen des Lebens ſahe, wie etwa der Meßkuͤnſtler nach gegebner Claſſe aus einem Gliede der Progreßion das ganze Ver - haͤltniß derſelben findet.

Aber ſo war doch dieſe Vernunft damals mehr Vernunftfaͤhigkeit (Réflexion en puiſſance) als wuͤrkliche Kraft? Die Ausnahme ſagt kein Wort. Bloße, nackte Faͤhigkeit, die auch ohne vorliegendes Hinderniß keine Kraft, nichts als Faͤhigkeit ſey, iſt ſo ein tauber Schall, als Plas - tiſche Formen, die da formen, aber ſelbſt keine Formen ſind. Jſt mit der Faͤhigkeit nicht das ge - ringſte Poſitive zu einer Tendenz da: ſo iſt nichts da ſo iſt das Wort blos Abſtraktion der Schule. Der neuere franzoͤſiſche Philoſoph,*)Rouſſeau über die Ungleichheit ꝛc. der dieſe réflexion en puiſſance, dieſen Scheinbegrif ſo blen - dend gemacht, hat, wie wir ſehen werden, immernurD50nur eine Luftblaſe blendend gemacht, die er eine Zeitlang vor ſich hertreibt, die ihm ſelbſt aber unver - muthet auf ſeinem Wege zerſpringt. Und iſt in der Faͤhigkeit nichts da; wodurch ſoll es denn je in die Seele kommen? Jſt im erſten Zuſtande nichts Poſitives von Vernunft in der Seele, wie wirds bei Millionen der folgenden Zuſtaͤnde wuͤrklich wer - den? Es iſt Worttrug, daß der Gebrauch eine Faͤhigkeit, in Kraft, etwas blos Moͤgliches, in ein Wuͤrkliches verwandeln koͤnne iſt nicht ſchon Kraft da, ſo kann ſie ja nicht gebraucht und ange - wandt werden. Zudem endlich, was iſt beides, eine abgetrennte Vernunftfaͤhigkeit und Vernunft - kraft in der Seele? Eines iſt ſo unverſtaͤndlich, als das Andre. Setzet den Menſchen, als das Weſen was Er iſt, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und der Organiſation ins Univerſum: von allen Sei - ten, durch alle Sinne ſtroͤmt dies in Empfindun - gen auf ihn los; durch menſchliche Sinne? Auf menſchliche Weiſe? So wird alſo, mit den Thie - ren verglichen, dies denkende Weſen weniger uͤber - ſtroͤhmt? Es hat Raum, ſeine Kraft freier zu aͤuſ - ſern, und dieſes Verhaͤltniß heißt Vernunftmaͤßig -keit51keit Wo iſt da bloße Faͤhigkeit? Wo abgeſonderte Vernunftkraft? Es iſt die poſitive einzige Kraft der Seele, die in ſolcher Anlage wuͤrket mehr ſinnlich, ſo weniger vernuͤnftig: vernuͤnftiger, ſo minder lebhaft: heller, ſo minder dunkel das verſteht ſich ja alles! Aber der ſinnlichſte Zuſtand des Menſchen war noch Menſchlich, und alſo wuͤrkte in ihm noch immer Beſonnenheit, nur im minder merklichen Grade: und der am wenigſten ſinnliche Zuſtand der Thiere war noch thieriſch, und alſo wuͤrkte bei aller Klarheit ihrer Gedanken nie Be - ſonnenheit eines menſchlichen Begrifs. Und wei - ter laſſet uns nicht mit Worten ſpielen!

Es thut mir leid, daß ich ſo viele Zeit verloh - ren habe, erſt bloße Begriffe zu beſtimmen und zu ordnen; allein der Verluſt war noͤthig, da die - ſer ganze Theil der Pſychologie in den neuern Zei - ten ſo jaͤmmerlich verwuͤſtet da liegt: da franzoͤſi - ſche Philoſophen uͤber einige anſcheinende Sonder - barkeiten in der thieriſchen und menſchlichen Na - tur, alles ſo uͤber - und untereinander geworfen, und deutſche Philoſophen die meiſten Begriffe die - ſer Art mehr fuͤr ihr Syſtem, und nach ihrem Se -D 2hepunkt52hepunkt, als darnach ordnen, damit ſie Verwir - rungen im Sehepunkt der gewoͤhnlichen Denkart vermeiden. Jch habe auch mit dieſem Aufraͤumen der Begriffe keinen Umweg genommen: ſondern wir ſind mit einemmal am Ziele! Nemlich:

Drer Menſch in den Zuſtand von Beſonnen - heit geſezt, der ihm eigen iſt, und dieſe Beſon - nenheit (Reflexion) zum erſtenmal frei wuͤrkend, hat Sprache erfunden. Denn was iſt Reflexion? Was iſt Sprache?

Dieſe Beſonnenheit iſt ihm Charakteriſtiſch ei - gen, und ſeiner Gattung weſentlich: ſo auch Spra - che und eigne Erfindung der Sprache.

Erfindung der Sprache iſt ihm alſo ſo natuͤr - lich, als er ein Menſch iſt! Laſſet uns nur beide Begriffe entwickeln! Reflexion und Sprache

Der Menſch beweiſet Reflexion, wenn die Kraft ſeiner Seele ſo frei wuͤrket, daß ſie in dem ganzen Ocean von Empfindungen, der ſie durch alle Sinnen durchrauſchet, Eine Welle, wenn ich ſo ſagen darf, abſondern, ſie anhalten, die Auf - merkſamkeit auf ſie richten, und ſich bewußt ſeynkann,53kann, daß ſie aufmerke. Er beweiſet Reflexion, wenn er aus dem ganzen ſchwebenden Traum der Bilder, die ſeine Sinne vorbeiſtreichen, ſich in ein Moment des Wachens ſammlen, auf Einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle ruhigere Obacht nehmen, und ſich Merkmale abſondern kann, daß dies der Gegenſtand und kein andrer ſey. Er be - weiſet alſo Reflexion, wenn er nicht blos alle Ei - genſchaften, lebhaft oder klar erkennen; ſondern Eine oder mehrere als unterſcheidende Eigenſchaf - ten bei ſich anerkennen kann: der erſte Aktus die - ſer Anerkenntniß*)Eine der ſchönſten Abhandlungen das Weſen der Apper - ception aus phyſiſchen Verſuchen, die ſo ſelten die Me - taphyſik der Seele erläutern! ins Licht zu ſetzen, iſt die in den Schriften der berlinſchen Akademie von 1764. giebt deutlichen Begriff; es iſt das Erſte Urtheil der Seele und

Wodurch geſchahe die Anerkennung? Durch ein Merkmal, was er abſondern muſte, und was, als Merkmal der Beſinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan! laſſet uns ihm das ἕυρηκα zuruſſen! Dies Erſie Merkmal der Beſinnung war Wort der Seele! Mit ihm iſt die menſchliche Sprache erfunden.

D 3Laſſet54

Laſſet jenes Lamm, als Bild ſein Auge vorbei - gehn: ihm wie keinem andern Thiere. Nicht wie dem hungrigen, witternden Wolfe! nicht wie dem blutleckenden Loͤwen die wittern und ſchmecken ſchon im Geiſte! die Sinnlichkeit hat ſie uͤberwaͤl - tigt! der Jnſtinkt wirft ſie daruͤber her! Nicht wie dem bruͤnſtigen Schaafmanne, der es nur als den Gegenſtand ſeines Genuſſes fuͤhlt, den alſo wieder die Sinnlichkeit uͤberwaͤltigt, und der Jn - ſtinkt daruͤber herwirft; nicht wie jedem andern Thier, dem das Schaaf gleichguͤltig iſt, daß es alſo klar dunkel vorbeiſtreichen laͤßt, weil ihn ſein Jnſtinkt auf etwas anders wendet Nicht ſo dem Menſchen! ſo bald er in die Beduͤrfniß kommt, das Schaaf kennen zu lernen: ſo ſtoͤret ihn kein Jnſtinkt: ſo reißt ihn kein Sinn auf daſ - ſelbe zu nahe hin, oder davon ab: es ſteht da, ganz wie es ſich ſeinen Sinnen aͤußert. Weiß, ſanft, wollicht ſeine beſonnen ſich uͤbende Seele ſucht ein Merkmal, das Schaaf bloͤcket! ſie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn wuͤrket. Dies Bloͤcken, das ihr am ſtaͤrkſten Ein - druck macht, das ſich von allen andern Eigenſchaf -ten55ten des Beſchauens und Betaſtens losriß, hervor - ſprang, am tiefſten eindrang, bleibt ihr. Das Schaaf kommt wieder. Weiß, ſanft, wollicht ſie ſieht, taſtet, beſinnet ſich, ſucht Merkmal es bloͤckt, und nun erkennet ſies wieder! Ha! du biſt das Bloͤckende! fuͤhlt ſie innerlich, ſie hat es Menſchlich erkannt, da ſies deutlich, das iſt mit einem Merkmal erkennet, und nennet. Dunkler? So waͤre es ihr gar nicht wahrgenom - men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnſtinkt zum Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein lebhafteres Klare erſezte. Deutlich unmittelbar, ohne Merkmal? So kann kein ſinnliches Geſchoͤpf außer ſich empfinden: da es immer andre Gefuͤhle unterdruͤcken, gleichſam vernichten, und immer den Unterſchied von zween durch ein drittes erken - nen muß. Mit einem Merkmal alſo? und was war das anders, als ein innerliches Merkwort? Der Schall des Bloͤckens von einer menſchlichen Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge - nommen, ward, kraft dieſer Beſtimmung, Na - me des Schaafs, und wenn ihn nie ſeine Zunge zu ſtammeln verſucht haͤtte. Er erkannte dasD 4Schaaf56Schaaf am Bloͤcken: es war gefaßtes Zeichen, bei welchem ſich die Seele an eine Jdee deut - lich beſann Was iſt das anders als Wort? Und was iſt die ganze menſchliche Sprache, als eine Sammlung ſolcher Worte? Kaͤme er alſo auch nie in den Fall, einem andern Geſchoͤpf dieſe Jdee zu geben, und alſo dies Merkmal der Be - ſinnung ihm mit den Lippen vorbloͤcken zu wollen, oder zu koͤnnen; ſeine Seele hat gleichſam in ihrem Jnwendigen gebloͤckt, da ſie dieſen Schall zum Er - innerungszeichen waͤhlte, und wiedergebloͤckt, da ſie ihn daran erkannte die Sprache iſt erfunden! eben ſo natuͤrlich und dem Menſchen nothwendig erfunden, als der Menſch ein Menſch war.

Die meiſten, die uͤber den Urſprung der Spra - che geſchrieben, haben ihn nicht da, auf dem einzi - gen Punkt geſucht, wo er gefunden werden konn - te; und vielen haben alſo ſo viel dunkle Zweifel vor - geſchwebt: ob er irgendwo in der menſchlichen Seele zu finden ſey? Man hat ihn in der beſſern Artikulation der Sprachwerkzeuge geſucht; als ob je ein Ourang-Outang mit eben den Werkzeugen eine Sprache erfunden haͤtte? Man57Man hat ihn in den Schaͤllen der Leidenſchaft geſucht; als ob nicht alle Thiere dieſe Schaͤlle be - ſaͤßen, und irgend ein Thier aus ihnen Sprache erfunden haͤtte? Man hat ein Principium ange - nommen, die Natur und alſo auch ihre Schaͤlle nachzuahmen; als wenn ſich bei einer ſolchen blinden Neigung, was gedenken ließe? Und als wenn der Affe mit eben dieſer Neigung, die Am - ſel, die die Schaͤlle ſo gut nachaͤffen kann, eine Sprache erfunden haͤtten? Die meiſten endlich haben eine bloße Convention, einen Einvertrag, angenommen, und dagegen hat Rouſſeau am ſtaͤrkſten geredet; denn was iſts auch fuͤr ein dunk - les, verwickeltes Wort ein natuͤrlicher Einvertrag der Sprache? Dieſe ſo vielfache unertraͤgliche Falſchheiten, die uͤber den menſchlichen Urſprung der Sprache geſagt worden: haben endlich die ge - genſeitige Meinung beinahe allgemein gemacht ich hoffe nicht, daß ſie es bleiben werde. Hier iſt es keine Organiſation des Mundes, die die Spra - che machet: denn auch der Zeitlebens Stumme war er Menſch: beſann er ſich; ſo lag Sprache in ſeiner Seele! Hier iſts kein Geſchrei der Em -D 5pfin -58pfindung: denn nicht eine athmende Maſchine, ſondern ein beſinnendes Geſchoͤpf erfand Sprache! Kein Principium der Nachahmung in der Seele; die etwannige Nachahmung der Natur iſt blos ein Mittel zu Einem und dem Einzigen Zweck, der hier erklaͤrt werden ſoll. Am we - nigſten iſts Einverſtaͤndniß; willkuͤhrliche Con - vention der Geſellſchaft; der Wilde, der Einſame im Walde haͤtte Sprache fuͤr ſich ſelbſt erfinden muͤſſen; haͤtte er ſie auch nie geredet. Sie war Einverſtaͤndniß ſeiner Seele mit ſich, und ein ſo nothwendiges Einverſtaͤndniß, als der Menſch Menſch war. Wenns andern unbegreiflich war, wie eine menſchliche Seele hat Sprache erfinden koͤnnen; ſo iſts mir unbegreiflich, wie eine menſch - liche Seele, was ſie iſt, ſeyn konnte, ohne eben dadurch, ſchon ohne Mund und Geſellſchaft, ſich Sprache erfinden zu muͤſſen.

Nichts wird dieſen Urſprung deutlicher ent - wickeln, als die Einwuͤrfe der Gegner. Der gruͤndlichſte,*)Suͤßmilch angef. Schr. Abſchn. 2. der ausfuͤhrlichſte Vertheidiger des goͤttlichen Urſprunges der Sprache, wird ebenweil59weil er durch die Oberflaͤche drang, die nur die an - dern beruͤhren, faſt ein Vertheidiger des wahren menſchlichen Urſprunges. Er iſt unmittelbar am Rande des Beweiſes ſtehen geblieben; und ſein Haupteinwurf, blos etwas richtiger erklaͤret, wird Einwurf gegen Jhn ſelbſt und Beweis von ſeinem Gegentheile der Menſchenmoͤglichkeit der Sprache. Er will bewieſen haben daß der Gebrauch der Sprache zum Gebrauch der Vernunft nothwen - dig ſei! Haͤtte er das: ſo wuͤſte ich nicht, was anders damit bewieſen waͤre, als daß, da der Gebrauch der Vernunft dem Menſchen natuͤrlich ſei, der Gebrauch der Sprache es eben ſo ſein muͤſte! Zum Ungluͤck aber hat er ſeinen Satz nicht bewieſen. Er hat blos mit vieler Muͤhe dar - gethan, daß ſo viel feine verflochtne Handlungen, als Aufmerkſamkeit, Reflexion, Abſtraktion u. ſ. w. nicht fuͤglich ohne Zeichen geſchehen koͤnnen, auf die ſich die Seele ſtuͤtze; allein dies nicht fuͤglich, nicht leicht, nicht wahrſcheinlich, erſchoͤpfet noch nichts. So wie wir mit wenigen Abſtraktionskraͤf - ten, nur wenige Abſtraktion ohne ſinnliche Zeichen denken koͤnnen: ſo koͤnnen andre Weſen mehr dar -ohne60ohne denken; wenigſtens folgt daraus noch gar nicht, daß an ſich ſelbſt keine Abſtraktion ohne ſinnliches Zeichen moͤglich ſey. Jch habe erwieſen, daß der Gebrauch der Vernunft nicht etwa blos fuͤglich, ſondern daß nicht der mindeſte Gebrauch der Vernunft, nicht die einfachſte, deutliche Aner - kennung, nicht das ſimpelſte Urtheil einer menſch - lichen Beſonnenheit ohne Merkmal moͤglich ſey: denn der Unterſchied von zween laͤßt ſich nur immer durch ein drittes erkennen. Eben dies dritte, dies Merkmal, wird mithin inneres Merkwort; alſo folgt die Sprache aus dem erſten Aktus der Vernunft ganz natuͤrlich. Hr. Suͤßmilch will darthun,*)Eb. daſ. S. 52. daß die hoͤhern Anwendungen der Vernunft nicht ohne Sprache vor ſich gehen koͤnnten, und fuͤhrt dazu Wolfs Worte an, der aber auch nur von dieſem Falle in Wahrſcheinlichkeiten redet. Der Fall thut eigentlich nichts zur Sache: denn die hoͤ - hern Anwendungen der Vernunft, wie ſie in den ſpekulativen Wiſſenſchaften Platz finden, waren ja nicht zu dem erſten Grundſtein der Sprachenle - gung noͤthig Und doch iſt auch dieſer leicht zuer -61erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg - lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.

Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi - gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft und Sprache wo kommen wir da je hin? Wiekann62kann der Menſch durch goͤttlichen Unterricht Spra - che lernen, wenn er keine Vernunft hat? Und er hat ja nicht den mindeſten Gebrauch der Vernunft ohne Sprache. Er ſoll alſo Sprache haben, ehe er ſie hat und haben kann? Oder vernuͤnftig wer - den koͤnnen ohne den mindeſten eignen Gebrauch der Vernunft? Um der erſten Sylbe in goͤttlichen Unterricht faͤhig zu ſeyn, mußte er ja, wie Hr. Suͤßmilch ſelbſt zugiebt, ein Menſch ſeyn, das iſt, deutlich denken koͤnnen, und bei dem erſten deut - lichen Gedanken war ſchon Sprache in ſeiner Seele da; ſie war alſo aus eignen Mitteln und nicht durch goͤttlichen Unterricht erfunden. Jch weis wohl, was man bei dieſem goͤttlichen Unter - richt meiſtens im Sinne hat, nehmlich den Sprach - unterricht der Eltern an die Kinder; allein man beſinne ſich, daß das hier gar nicht der Fall iſt. Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß dieſe nicht immer ſelbſt mit erfaͤnden: jene machen dieſe nur auf Unterſchiede der Sachen, mittelſt ge - wiſſer Wortzeichen, aufmerkſam, und ſo erſetzen ſie ihnen nicht etwa, ſondern erleichtern und be - foͤrdern ihnen nur den Gebrauch der Vernunftdurch63durch die Sprache. Will man ſolche uͤbernatuͤr - liche Erleichterung aus andern Gruͤnden annehmen: ſo geht das meinen Zweck nichts an; nur alsdenn hat Gott durchaus fuͤr die Menſchen keine Spra - che erfunden, ſondern dieſe haben immer noch mit Wuͤrkung eigner Kraͤfte, nur unter hoͤherer Ver - anſtaltung, ſich ihre Sprache finden muͤſſen. Um das erſte Wort, als Wort, d. i. als Merkzeichen der Vernunft auch aus dem Munde Gottes empfan - gen zu koͤnnen, war Vernunft noͤthig; und der Menſch mußte dieſelbe Beſinnung anwenden, dies Wort, als Wort zu verſtehen, als haͤtte ers ur - ſpruͤnglich erſonnen. Alsdenn fechten alle Waffen meines Gegners gegen ihn ſelbſt; er mußte wuͤrk - lichen Gebrauch der Vernunft haben, um goͤttliche Sprache zu lernen: den hat immer ein lernendes Kind auch, wenn es nicht, wie ein Papagay, blos Worte ohne Gedanken ſagen ſoll Was waͤren aber das fuͤr wuͤrdige Schuͤler Gottes, die ſo lern - ten? Und wenn die ewig ſo gelernt haͤtten, wo haͤt - ten wir denn unſre Vernunftſprache her?

Jch ſchmeichle mir, daß wenn mein wuͤrdiger Gegner noch lebte, er einſaͤhe, daß ſein Einwurfetwas64etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder - legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht hinter das Wort Vernunftfaͤhigkeit, die aber noch nicht im mindſten Vernunft iſt verſtecken: denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder - ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind - ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft - gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver - nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge - ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den mindſten Gebrauch der Vernunft; und doch Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na - tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,da65da er Menſch war, und das Ding nicht hatte, das alſo da war, ehe es da war ſich aͤußern mußte, ehe es ſich aͤußern konnte, u. ſ. w. alle dieſe Wiederſpruͤche ſind offenbar, wenn Menſch, Ver - nunft und Sprache fuͤr das wuͤrkliche genom - men werden, was ſie ſind, und das Geſpenſt von Worte Faͤhigkeit (Menſchenfaͤhigkeit, Ver - nunftfaͤhigkeit, Sprachfaͤhigkeit) in ſeinem Un - ſinn entlarvt wird.

Aber die wilden Menſchenkinder unter den Baͤren, hatten die Sprache? Und waren ſie nicht Menſchen? *)Suͤßmilch S. 47.Allerdings! nur zuerſt Menſchen in einem wiedernatuͤrlichen Zuſtande! Menſchen in Verartung! Legt den Stein auf dieſe Pflanze; wird ſie nicht krumm wachſen? und iſt ſie nicht demungeachtet ihrer Natur nach eine aufſchießende Pflanze? und hat ſich dieſe geradſchießende Kraft nicht ſelbſt da geaͤußert, da ſie ſich dem Steine krumm umſchlang? Alſo zweitens ſelbſt die Moͤg - lichkeit dieſer Verartung zeigt menſchliche Natur:EEben66Eben weil der Menſch keine ſo hinreißende Jn - ſtinkte hat, als die Thiere: weil er zu ſo Man - cherlei und zu Allem ſchwaͤcher faͤhig kurz! weil er Menſch iſt: ſo konnte er verarten. Wuͤrde er wohl ſo baͤraͤhnlich haben brummen, und ſo baͤr - aͤhnlich haben kriechen lernen, wenn er nicht gelenk - ſame Organe, wenn er nicht gelenkſame Glieder gehabt haͤtte? Wuͤrde jedes andre Thier, ein Affe und Eſel es ſo weit gebracht haben? Wuͤrkte alſo nicht wuͤrklich ſeine menſchliche Natur dazu, daß er ſo unnatuͤrlich werden konnte? Aber drit - tens blieb ſie deßwegen noch immer menſchliche Natur: denn brummte, kroch, fraß, witterte er voͤllig wie ein Baͤr? Oder waͤre er nicht ewig ein ſtrauchelnder ſtammlender Menſchenbaͤr, und alſo ein unvollkommenes Doppelgeſchoͤpf geblieben? So wenig ſich nun ſeine Haut und ſein Antlitz, ſeine Fuͤße und ſeine Zunge in voͤllige Baͤrengeſtalt aͤndern und wandeln konnten: ſo wenig, laſſet uns nimmer zweifeln! konnte es die Natur ſeiner Seele. Seine Vernunft lag unter dem Druck der Sinnlichkeit, der baͤrartigen Jnſtinkte begraben: aber ſie war noch immer menſchliche Vernunft,weil67weil jene Jnſtinkte nimmer voͤllig baͤrmaͤßig wa - ren. Und daß das ſo geweſen, zeugt ja endlich die Entwicklung der ganzen Scene. Als die Hinder - niſſe weggewaͤlzet, als dieſe Baͤrmenſchen zu ihrem Geſchlecht zuruͤkgekehrt waren, lernten ſie nicht natuͤrlicher aufrechtgehen und ſprechen, als ſie dort, immer unnatuͤrlich, kriechen und brummen gelernt hatten? Dies konnten ſie immer nur baͤr - aͤhnlich; jenes lernten ſie in weniger Zeit ganz Menſchlich. Welcher ihrer vorigen Mitbruͤder des Waldes lernte das mit ihnen? Und weil es kein Baͤr lernen konnte, weil er nicht Anlage des Koͤrpers und der Seele dazu beſaß, mußte der Menſchenbaͤr dieſe nicht noch immer im Zuſtande ſeiner Verwilderung erhalten haben? Haͤtte ſie ihm blos Unterricht und Gewohnheit gegeben, warum nicht dem Baͤren? Und was hieße es doch, jemand durch Unterricht, Vernunft und Menſch - lichkeit geben, der ſie nicht ſchon hat? Vermuth - lich hat alsdenn dieſe Nadel dem Auge die Seh - kraft gegeben, dem ſie die Staarhaut wegſchaffet Was wollen wir alſo aus dem unnatuͤrlichſten Falle von der Natur ſchließen? Geſtehen wir aber ein,E 2daß68daß er ein unnatuͤrlicher Fall ſei, wohl! ſo be - ſtaͤtigt er die Natur!

Die ganze Rouſſeauſche Hypotheſe von Un - gleichheit der Menſchen iſt, bekannter Weiſe, auf ſolche Faͤlle der Abartung gebauet, und ſeine Zwei - fel gegen die Menſchlichkeit der Sprache betreffen entweder falſche Urſprungsarten, oder die beregte Schwuͤrigkeit, daß ſchon Vernunft zur Spracher - findung gehoͤrt haͤtte. Jm erſten Fall haben ſie recht; im zweiten ſind ſie wiederlegt, und laſſen ſich ja aus Rouſſeaus Munde ſelbſt wiederlegen. Sein Phantom, der Naturmenſch; dieſes entartete Ge - ſchoͤpf, das er auf der einen Seite mit der Ver - nunftfaͤhigkeit abſpeiſet, wird auf der andern mit der Perfectibilitaͤt und zwar mit ihr als Charak - tereigenſchaft, und zwar mit ihr in ſo hohem Gra - de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat - tungen lernen koͤnne und was hat nun Rouſ - ſeau ihm nicht zugeſtanden! Mehr, als wir wollen, und brauchen! Der erſte Gedanke ſiehe! das iſt dem Thier eigen! der Wolf heult! der Baͤr brummt! ſchon der iſt (in einem ſolchenLichte69Lichte gedacht, daß er ſich mit dem zweiten ver - binden koͤnnte das habe ich nicht! ) wuͤrkliche Reflexion; und nun der dritte und vierte wohl! das waͤre auch meiner Natur gemaͤß! das koͤnnte ich nachahmen! das will ich nachahmen! da - durch wird mein Geſchlecht vollkommner! wel - che Menge von feinen, fortſchließenden Reflexio - nen! da das Geſchoͤpf, das nur die Erſte ſich auseinander ſezzen konnte, ſchon Sprache der Seele haben mußte! ſchon die Kunſt zu denken be - ſaß, die die Kunſt zu ſprechen ſchuf. Der Affe aͤffet immer nach, aber nachgeahmt hat er nie: Nie mit Beſonnenheit zu ſich geſprochen das will ich nachahmen, um mein Geſchlecht vollkomm - ner zu machen! Denn haͤtte er das je, haͤtte er eine Einzige Nachahmung ſich zu Eigen gemacht, ſie in ſeinem Geſchlecht, mit Wahl und Abſicht verewigt; haͤtte er auch nur ein einzigesmal eine Einzige ſolche Reflexion denken koͤnnen Den - ſelben Augenblick war er kein Affe mehr! Jn aller ſeiner Affengeſtalt, ohne einen Laut ſeiner Zunge, war er inwendig ſprechender Menſch, der ſich uͤber kurz oder lang ſeine aͤußerliche Sprache erfindenE 3mußte70mußte welcher Ourang-Outang aber hat je mit allen menſchlichen Sprachwerkzeugen ein Ein - ziges menſchliches Wort geſprochen?

Es giebt freilich noch Negerbruͤder in Europa, die da ſagen ja vielleicht wenn er nur ſprechen wollte! oder in Umſtaͤnden kaͤme! oder koͤnnte! Koͤnnte! das waͤre wohl das beſte, denn die beiden vorigen Wenn ſind durch die Thiergeſchichte gnugſam wiederlegt - und durch die Werkzeuge wird, wie geſagt, bei ihm das Koͤn - nen nicht aufgehalten! Er hat einen Kopf von auſſen und innen, wie wir; hat er aber je gere - det? Papagei und Staar haben gnug menſchliche Schaͤlle gelernt; aber auch ein menſchliches Wort gedacht? Ueberhaupt gehen uns hier noch die aͤuſſern Schaͤlle der Worte nicht an; wir reden von der innern, nothwendigen Geneſis eines Worts, als das Merkmal einer deutlichen Beſin - nung wenn aber hat das je eine Thierart, auf welche Weiſe es ſei, geaͤußert? Abgemerkt mußte dieſer Faden der Gedanken, dieſer Diſcours der Seele, immer werden koͤnnen, er aͤußere ſich, wieer71er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat tauſendmal ſo gehandelt, als ihn Aeſop handeln laͤßt; er hat aber nie in Aeſops Sinne gehandelt, und das Erſtemal daß er das kann, wird Meiſter Fuchs ſich ſeine Sprache erfinden, und uͤber Aeſop ſo fabeln koͤnnen, als Aeſop jezt uͤber ihn. Der Hund hat viele Worte und Befehle verſtehen ge - lernt; aber nicht als Worte, ſondern als Zeichen, mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver - ſtuͤnde er je ein Einziges Wort im menſchlichen Sinne, ſo dienet er nicht mehr, ſo ſchaffet er ſich ſelbſt Kunſt und Republick und Sprache. Man ſieht, wenn man einmal den Punkt der genauen Geneſe verfehlt, ſo iſt das Feld des Jrrthums zu beiden Seiten unermeßlich groß! da iſt die Spra - che bald ſo uͤbermenſchlich, daß ſie Gott erfinden muß, bald ſo unmenſchlich, daß jedes Thier ſie er - finden koͤnnte, wenn es ſich die Muͤhe naͤhme. Das Ziel der Wahrheit iſt nur ein Punkt! auf den hingeſtellet, ſehen wir aber auf alle Seiten - warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein Gott, Sprache erfinden darf? und der Menſch, als Menſch, Sprache erfinden kann und muß?

E 4Weiter72

Weiter mag ich aus der Metaphyſik die Hypo - theſe des goͤttlichen Sprachenurſprunges nicht ver - folgen; da pſychologiſch ihr Ungrund darinn ge - zeigt iſt, daß um die Sprache der Goͤtter im Olymp zu verſtehen, der Menſch ſchon Vernunft, folglich ſchon Sprache haben muͤſſe. Noch weni - ger kann ich mich in ein angenehmes Detail der Thierſprachen einlaſſen: da ſie doch alle, wie wir geſehen, total und incommenſurabel von der menſchlichen Sprache abſtehen. Dem ich am un - gernſten entſage, waͤren hier die mancherlei Aus - ſichten, die von dieſem genetiſchen Punkt der Spra - che in der menſchlichen Seele, in die weiten Fel - der der Logik, Aeſthetik und Pſychologie, inſon - derheit uͤber die Frage gehen: wie weit kann man ohne? Was muß man mit der Sprache denken? eine Frage, die ſich nach - her in Anwendungen faſt uͤber alle Wiſſenſchaften ausbreitet. Hier ſei es gnug die Sprache, als den wuͤrklichen Unterſcheidungscharakter unſrer Gattung von außen zu bemerken, wie es die Ver - nunft von innen iſt.

Jn73

Jn mehr als einer Sprache hat alſo auch Wort, und Vernunft, Begriff und Wort, Sprache und Urſache einen Namen, und dieſe Synonymie enthaͤlt ihren ganzen genetiſchen Ur - ſprung. Bei den Morgenlaͤndern iſts der gewoͤhn - lichſte Jdiotismus geworden, das Anerkennen einer Sache Namengebung zu nennen: denn im Grunde der Seele ſind beide Handlungen Eins. Sie nennen den Menſchen das redende Thier, und die unvernuͤnftigen Thiere die Stummen: der Ausdruck iſt ſinnlich Charakteriſtiſch: und das griechiſche ἄλογος faſſet beides. Es wird ſo nach die Sprache ein natuͤrliches Organ des Ver - ſtandes, ein ſolcher Sinn der menſchlichen Seele, wie ſich die Sehekraft jener ſenſitiven Seele der Alten das Auge, und der Jnſtinkt der Biene ſeine Zelle bauet.

Vortreflich daß dieſer neue, ſelbſt gemachte Sinn des Geiſtes gleich in ſeinem Urſprunge wie - der ein Mittel der Verbindung iſt Jch kann nicht den erſten menſchlichen Gedanken denken, nicht das erſte beſonnene Urtheil reihen, ohne daßE 5ich74ich in meiner Seele dialogire, oder zu dialogiren ſtrebe; der erſte menſchliche Gedanke bereitet alſo ſeinem Weſen nach, mit andern dialogiren zu koͤn - nen! Das erſte Merkmal, was ich erfaſſe, iſt Merkwort fuͤr mich, und Mittheilungswort fuͤr andre!

Sic verba, quibus voces ſenſusque notarent Nominaque invenere Horat. ()
Drit -75

Dritter Abſchnitt.

Der Brennpunkt iſt ausgemacht, auf welchem Prometheus himmliſcher Funke in der menſchlichen Seele zuͤndet Beim erſten Merk - mal ward Sprache; aber welches waren die erſten Merkmale zu Elementen der Sprache?

I. Toͤne.

Cheſelden’s Blinder*)Philoſ. Transact. Abridgment auch in Cheſelden’s Anatomy, in Smith-Kaͤſtners Optik, in Buffons Natur - geſchichte, Encyklopädie und zehn kleinen franzöſiſchen Wörterbüchern unter Aveugle. zeigt, wie langſam ſich das Geſicht entwikle? Wie ſchwer die Seele zu den Begriffen, von Raum, Geſtalt, und Farbe komme? Wie viel Verſuche gemacht, wie viel Meßkunſt erworben werden muß, um dieſe Merk - male deutlich zu gebrauchen: das war alſo nicht der fuͤglichſte Sinn zu Sprache. Zudem waren ſeine Phaͤnomene ſo kalt und ſtumm: die Empfin -dungen76dungen der grobern Sinne wiederum ſo undeutlich und in einander, daß nach aller Natur entweder Nichts, oder das Ohr der erſte Lehrmeiſter der Sprache wurde.

Da iſt z. E. das Schaaf. Als Bild ſchwebet es dem Auge mit allen Gegenſtaͤnden, Bildern und Farben auf Einer großen Naturtafel vor wie viel, wie muͤhſam zu unterſcheiden! Alle Merk - male ſind fein verflochten, neben einander alle noch unausſprechlich! Wer kann Geſtalten reden? Wer kann Farben toͤnen? Er nimmt das Schaaf unter ſeine taſtende Hand Das Gefuͤhl iſt ſicherer und voller; aber ſo voll, ſo dunkel in einander Wer kann, was er fuͤhlt, ſagen? Aber horch! das Schaaf bloͤcket! Da reißt ſich ein Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes, worinn ſo wenig zu unterſcheiden war, von ſelbſt los: iſt tief und deutlich in die Seele gedrungen. Ha! ſagt der lernende Unmuͤndige, wie jener blind geweſene Cheſelden’s: nun werde ich dich wieder kennen Du bloͤckſt! Die Turtel - taube girrt! der Hund bellet! da ſind drei Worte, weil er drei deutliche Jdeen verſuchte, dieſe inſeine77ſeine Logik, jene in ſein Woͤrterbuch! Vernunft und Sprache thaten gemeinſchaftlich einen furcht - ſamen Schritt und die Natur kam ihnen auf hal - bem Wege entgegen durchs Gehoͤr. Sie toͤnte das Merkmal nicht blos vor, ſondern tief in die Seele hinein! es klang! die Seele haſchte da hat ſie ein toͤnendes Wort!

Der Menſch iſt alſo als ein horchendes, mer - kendes Geſchoͤpf zur Sprache natuͤrlich gebildet, und ſelbſt ein Blinder und Stummer, ſiehet man, mußte Sprache erfinden, wenn er nur nicht fuͤhl - los und taub iſt. Setzet ihn gemaͤchlich und be - haglich auf eine einſame Jnſel: die Natur wird ſich ihm durchs Ohr offenbaren: tauſend Geſchoͤpfe, die er nicht ſehen kann, werden doch mit ihm zu ſprechen ſcheinen, und bliebe auch ewig ſein Mund und ſein Auge verſchloſſen, ſeine Seele bleibt nicht ganz ohne Sprache. Wenn die Blaͤtter des Bau - mes, dem armen Einſamen Kuͤhlung herabrau - ſchen, wenn der vorbeimurmelnde Bach ihn in den Schlaf wieget, und der hinzuſaͤuſelnde Weſt ſeine Wangen faͤchelt das bloͤckende Schaaf giebt ihm Milch, die rieſelnde Quelle Waſſer, der rau -fchende78ſchende Baum Fruͤchte Jntereſſe gnug, die wohlthaͤtigen Weſen zu kennen, Dringniß gnug, ohne Augen und Zunge in ſeiner Seele ſie zu nen - nen. Der Baum wird der Rauſcher, der Weſt Saͤuſler, die Quelle Rieſler heißen Da liegt ein kleines Woͤrterbuch fertig, und wartet auf das Gepraͤge der Sprachorgane. Wie arm, und ſon - derbar aber muͤßten die Vorſtellungen ſeyn, die dieſer Verſtuͤmmelte mit ſolchen Schaͤllen ver - bindet? *)Diderot iſt in ſeinem ganzen Briefe ſur les ſourds & muets kaum auf dieſe Hauptmaterie gekommen, da er ſich nur bei Jnverſionen und hundert andern Kleinig - keiten aufhält.

Nun laſſet dem Menſchen alle Sinne frei; er ſehe und taſte und fuͤhle zugleich alle Weſen, die in ſein Ohr reden Himmel! Welch ein Lehr - ſaal der Jdeen und der Sprache! Fuͤhret keinen Merkur und Apollo, als Opernmaſchinen von den Wolken herunter Die ganze, vieltoͤnige goͤtt - liche Natur iſt Sprachlehrerinn und Muſe! Da fuͤhret ſie alle Geſchoͤpfe bei ihm vorbei; jedes traͤgt ſeinen Namen auf der Zunge, und nennet ſich, dieſem verhuͤlleten ſichtbaren Gotte! als Vaſallund79und Diener. Es liefert ihm ſein Merkwort ins Buch ſeiner Herrſchaft, wie einen Tribut, damit er ſich bei dieſem Namen ſeiner erinnere, es kuͤnf - tig rufe und genieße. Jch frage, ob je dieſe Wahrheit: eben der Verſtand, durch den der Menſch uͤber die Natur herrſchet, war der Va - ter einer lebendigen Sprache, die er aus Toͤnen ſchallender Weſen zu Merkmalen der Unterſchei - dung ſich abzog! Jch frage, ob je dieſe trokne Wahrheit auf morgenlaͤndiſche Weiſe edler und ſchoͤner koͤnne geſagt werden, als Gott fuͤhrte die Thiere zu ihm, daß er ſaͤhe, wie er ſie nen - nete! und wie er ſie nennen wuͤrde, ſo ſollten ſie heißen! Wo kann es auf morgenlaͤndiſche, poetiſche Weiſe beſtimmter geſagt werden: der Menſch erfand ſich ſelbſt Sprache! aus Toͤnen lebender Natur! zu Merkmalen ſeines herr - ſchenden Verſtandes! und das iſt, was ich beweiſe.

Haͤtte Engel oder himmliſcher Geiſt die Spra - che erfunden: wie anders als daß ihr ganzer Bau ein Abdruck von der Denkart dieſes Geiſtes ſeyn muͤßte? Denn woran koͤnnte ich ein Bild voneinem80einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli - ſchen, Ueberirrdiſchen ſeiner Zuͤge? Wo findet das aber bei unſrer Sprache ſtatt? Bau, und Grundriß, ja ſelbſt der erſte Grundſtein dieſes Pal - laſts verraͤth Menſchheit!

Jn welcher Sprache ſind himmliſche, geiſtige Begriffe die Erſten? Jene Begriffe, die auch nach der Ordnung unſres denkenden Geiſtes die Erſten ſeyn mußten Subjekte, notiones com - munes, die Saamenkoͤrner unſrer Erkenntniß, die Punkte, um die ſich alles wendet und alles zuruͤck - fuͤhrt ſind dieſe lebende Punkte Elemente der Sprache? Die Subjekte mußten doch natuͤrli - cher Weiſe vor dem Praͤdlkat, und die einfachſten Subjekte vor den zuſammengeſezten, was da thut und handelt, vor dem, was es handelt, das We - ſentliche und Gewiſſe vor dem Ungewiſſen Zufaͤlli - gen, vorhergegangen ſeyn Ja, was man nicht alles ſchließen koͤnnte, und in unſern ur - ſpruͤnglichen Sprachen findet durchgaͤngig das offenbare Gegentheil ſtatt. Ein hoͤrendes, aufhor - chendes Geſchoͤpf iſt kennbar, aber kein himmli - ſcher Geiſt: denn toͤnende Verba ſind die er -ſten81ſten Machtelemente. Toͤnende Verba? Hand - lungen, und noch nichts, was da handelt? Praͤ - dikate und noch kein Subjekt? Der himmliſche Genius mag ſich deſſen zu ſchaͤmen haben, aber nicht das ſinnliche menſchliche Geſchoͤpf: denn was ruͤhrte dies, wie wir geſehen, inniger, als dieſe toͤnenden Handlungen? Und was iſt alſo die ganze Bauart der Sprache anders, als eine Ent - wickelungsweiſe ſeines Geiſtes, eine Geſchichte ſeiner Entdeckungen! der goͤttliche Urſprung erklaͤrt nichts und laͤßt nichts aus ſich erklaͤren; er iſt, wie Bako von einer andern Sache ſagt, heilige Ve - ſtalin Gott geweihet aber unfruchtbar, fromm, aber zu nichts nuͤtze!

Das erſte Woͤrterbuch war alſo aus den Lauten aller Welt geſammelt. Von jedem toͤnenden We - ſen klang ſein Name; die menſchliche Seele praͤgte ihr Bild drauf, dachte ſie als Merkzeichen, wie anders, als daß dieſe toͤnenden Jnterjektionen die erſten wuͤrden, und ſo ſind z. E. die morgenlaͤndi - ſchen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der Sprache. Der Gedanke an die Sache ſelbſt ſchwebte noch zwiſchen dem handelnden und derFHand -82Handlung: der Ton mußte die Sache bezeichnen, ſo wie die Sache den Ton gab; aus den Verbis wurden alſo Nomina und Nomina aus den Verbis. Das Kind nennet das Schaaf, als Schaaf nicht: ſondern als ein bloͤckendes Geſchoͤpf, und macht alſo die Jnterjektion zu einem Verbo. Jm Stuffen - gange der menſchlichen Sinnlichkeit wird dieſe Sa - che erklaͤrbar, aber nicht in der Logik des hoͤhern Geiſtes.

Alle alte, wilde Sprachen ſind voll von dieſem Urſprunge, und in einem philoſophiſchen Woͤrterbuch der Morgenlaͤnder waͤre jedes Stammwort mit ſeiner Familie, recht geſtellet, und geſund entwickelt, eine Charte vom Gange des menſchlichen Geiſtes, eine Geſchichte ſeiner Entwicklung, und ein ganzes ſolches Woͤrterbuch die vortreflichſte Probe von der Erfindungskunſt der menſchlichen Seele ob aber auch von der Sprach - und Lehrmethode Gottes? ich zweifle!

Jndem die ganze Natur toͤnt: ſo iſt einem ſinnlichen Menſchen nichts natuͤrlicher, als daß ſie lebt, ſie ſpricht, ſie handelt. Jener Wilde ſahe den hohen Baum mit ſeinem praͤchtigen Gi -pfel83pfel und bewunderte: der Gipfel rauſchte! das iſt webende Gottheit! der Wilde faͤllt nieder und be - tet an! ſehet da die Geſchichte des ſinnlichen Men - ſchen, das dunkle Band, wie aus den Verbis Nomina werden und den leichteſten Schritt zur Abſtraktion! Bei den Wilden von Nord - amerika z. B. iſt noch alles belebt: jede Sache hat ihren Genius, ihren Geiſt, und daß es bei Griechen und Morgenlaͤndern eben ſo geweſen, zeugt ihr aͤlteſtes Woͤrterbuch und Grammatik ſie ſind wie die ganze Natur dem Erfinder war, ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder Weſen!

Jndem der Menſch aber alles auf ſich bezog: indem alles mit ihm zu ſprechen ſchien, und wuͤrk - lich fuͤr oder gegen ihn handelte: indem er alſo mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte, und ſich alles Menſchlich vorſtellte; alle dieſe Spuren der Menſchlichkeit drukten ſich auch in die erſten Namen! Auch ſie ſprachen Liebe oder Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder Wiedrigkeit und inſonderheit wurden aus dieſem Gefuͤhl in ſo vielen Sprachen die Artikel! DaF 2wurde84wurde alles menſchlich, zu Weib und Mann per - ſonificirt: uͤberall Goͤtter, Goͤttinnen, handelnde, boͤsartige oder gute Weſen! der brauſende Sturm, und der ſuͤße Zephyr, die klare Waſſerquelle und der maͤchtige Ocean ihre ganze Mythologie liegt in den Fundgruben, den Verbis und Nominibus der alten Sprachen und das aͤlteſte Woͤrterbuch war ſo ein toͤnendes Pantheon, ein Verſammlungs - ſaal beider Geſchlechter, als den Sinnen des erſten Erfinders die Natur. Hier iſt die Sprache jener alten Wilden ein Studium in den Jrrgaͤngen menſchlicher Phantaſie und Leidenſchaften, wie ihre Mythologie. Jede Familie von Woͤrtern iſt ein verwachſnes Gebuͤſche um eine ſinnliche Hauptidee, um eine heilige Eiche, auf der noch Spuren ſind, welchen Eindruck der Erfinder von dieſer Dryade hatte. Die Gefuͤhle ſind ihm zu - ſammengewebt: was ſich beweget, lebt: was da toͤnet, ſpricht und da es fuͤr oder wieder dich toͤnt, ſo iſts Freund, oder Feind: Gott oder Goͤt - tinn: es handelt aus Leidenſchaften, wie du!

Ein menſchliches, ſinnliches Geſchoͤpf liebe ich uͤber dieſe Denkart: ich ſehe uͤberall den ſchwachen,ſchuͤch -85ſchuͤchternen Empfindſamen, der lieben, oder haſ - ſen, trauen oder fuͤrchten muß, und dieſe Empfin - dungen aus ſeiner Bruſt uͤber alle Weſen ausbrei - ten moͤchte. Jch ſehe uͤberall das ſchwache und doch maͤchtige Geſchoͤpf, das das ganze Weltall noͤthig hat, und alles mit ſich in Krieg und Frie - den verwickelt; das von allem abhaͤngt, und doch uͤber alles herrſchet Die Dichtung, und die Geſchlechterſchaffung der Sprache, ſind alſo Jntereſſe der Menſchheit, und die Genetalien der Rede gleichſam das Mittel ihrer Fortpflanzung. Aber nun wenn ſie ein hoͤherer Genius aus den Sternen hinunter gebracht wie? wuͤrde dieſer Genius aus den Sternen auf unſerer Erde unter dem Monde in ſolche Leidenſchaften von Liebe und Schwachheit, von Haß und Furcht verwickelt? daß er alles in Zuneigung und Haß verflocht, daß er alle Worte mit Furcht und Freude bezeichnete, daß er endlich alles auf Begattungen bauete? Sahe und fuͤhlte er, wie ein Menſch ſiehet, daß ſich ihm die Nomina in Geſchlechter und Artikel paaren mußten, daß er die Verba thaͤtig und lei - dend zuſammen gab, ihnen ſo viel aͤchte und Dop -pelkinder86pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze Sprache auf das Gefuͤhl menſchlicher Schwach - heiten bauete? ſahe und fuͤhlte er ſo?

Einem Vertheidiger des uͤbernatuͤrlichen Ur - ſprunges iſts goͤttliche Ordnung der Sprache, daß die meiſten Stammwoͤrter einſylbig, die Verba meiſtens zweiſylbig ſind, und alſo die Sprache nach dem Maaße des Gedaͤchtniſſes eingetheilt ſey. Das Faktum iſt nicht genau und der Schluß unſicher. Jn den Reſten der fuͤr die aͤlteſte angenommenen Sprache ſind die Wurzeln alle zweiſylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen ſehr gut erklaͤren kann, da die Hypotheſe des Ge - gentheils keinen Grund findet. Dieſe Verba nem - lich ſind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek - tionen der toͤnenden Natur gebauet, die oft noch in ihnen toͤnen, hie und da auch noch als Jnterjek - tionen aufbehalten ſind; meiſtens aber mußten ſie, als halbinartikulirte Toͤne, verlohren gehen, da ſich die Sprache formte. Jn den morgenlaͤn - diſchen Sprachen fehlen alſo dieſe erſten Verſuche der ſtammelnden Zunge; aber, daß ſie fehlen, und nur ihre regelmaͤßigen Reſte in den Verbis toͤnen,das87das eben zeigt von der Urſpruͤnglichkeit und Menſchlichkeit der Sprache. Sind dieſe Staͤmme Schaͤtze und Abſtraktionen aus dem Verſtande Gottes, oder die erſten Laute des horchenden Ohrs? Die erſten Schaͤlle der ſtammelnden Zunge? Das Menſchengeſchlecht in ſeiner Kind - heit hat ſich ja eben die Sprache geformet, die ein Unmuͤndiger ſtammlet: es iſt das lallende Woͤrterbuch der Ammenſtube wo bleibt das im Munde der Erwachſnen?

Was ſo viele Alten ſagen und ſo viel Neuere ohne Sinn nachgeſagt, nimmt hieraus ſein ſinn - liches Leben: daß nemlich Poeſie aͤlter gewe - ſen, als Proſa! Denn was war dieſe erſte Sprache als eine Sammlung von Elementen der Poeſie? Nachahmung der toͤnenden, handelnden, ſich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen aller Weſen genommen, und von Jnterjektion menſchlicher Empfindung belebet! Die Natur - ſprache aller Geſchoͤpfe vom Verſtande in Laute gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenſchaft und lebender Einwuͤrkung! Ein Woͤrterbuch der Seele, was zugleich Mythologie und eine wun -F 4der -88derbare Epopee von den Handlungen und Reden aller Weſen iſt! Alſo eine beſtaͤndige Fabeldichtung mit Leidenſchaft und Jntereſſe! Was iſt Poeſie anders?

Ferner. Die Tradition des Alterthums ſagt; die erſte Sprache des menſchlichen Ge - ſchlechts ſei Geſang geweſen, und viele gute muſikaliſche Leute haben geglaubt, die Menſchen koͤnnten dieſen Geſang wohl den Voͤgeln abgelernt haben das iſt freilich viel geglaubt! Eine große wichtige Uhr mit allen ihren ſcharfen Raͤdern, und neugeſpannten Federn, und Centnergewichten kann wol ein Glockenſpiel von Toͤnen machen; aber den neugeſchafnen Menſchen mit ſeinen wuͤrkſa - men Triebfedern, mit ſeinen Beduͤrfniſſen, mit ſeinen ſtarken Empfindungen, mit ſeiner faſt blind beſchaͤftigten Aufmerkſamkeit, und endlich mit ſeiner rohen Kehle dahinſetzen, um die Nachtigall nachzuaͤffen, und ſich von ihr eine Sprache zu er - ſingen, iſt, in wie vielen Geſchichten der Muſik und Poeſie es auch ſtehe, fuͤr mich unbegreiflich. Freilich waͤre eine Sprache durch muſikaliſche Toͤnemoͤg -89moͤglich, (wie auch Leibnitz*Oeuvres philoſophiques publiées p. Raſpe p. 232. auf den Gedanken gekommen!) Aber fuͤr die erſten Naturmenſchen war dieſe Sprache nicht moͤglich, ſo kuͤnſtlich und fein iſt ſie. Jn der Reihe der Weſen hat jedes Ding ſeine Stimme und eine Sprache nach ſei - ner Stimme. Die Sprache der Liebe iſt im Neſt der Nachtigall ſuͤßer Geſang, wie in der Hoͤle des Loͤwen Gebruͤll: im Forſte des Wildes wiehernde Brunſt, und im Winkel der Katze Zettergeſchrei; jede Gattung redet die ihrige, nicht fuͤr den Men - ſchen, ſondern fuͤr ſich, und fuͤr ſich ſo angenehm als Petrarchs Geſang an ſeine Laura! So wenig alſo die Nachtigall ſingt, um den Menſchen, wie man ſich einbildet, vorzuſingen: ſo wenig wird der Menſch ſich dadurch je Sprache erfinden wol - len, daß er der Nachtigall nachtrillert Und was iſts doch fuͤr ein Ungeheuer, eine menſchliche Nachtigall in einer Hoͤle, oder im Walde der Jagd?

War alſo die erſte Menſchenſprache Geſang: ſo wars Geſang, der ihm ſo natuͤrlich, ſeinen Or -F 5ganen,90ganen, und Naturtrieben ſo angemeſſen war, als der Nachtigallen Geſang ihr ſelbſt, die gleichſam eine ſchwebende Lunge iſt, und das war eben unſre toͤnende Sprache. Condillac, Rouſſeau und andre ſind hier halb auf den Weg gekommen, indem ſie die Proſodie und den Geſang der aͤlte - ſten Sprachen vom Geſchrei der Empfindung her - leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei - lich die erſten Toͤne und erhob ſie; ſo wie aber aus den bloßen Toͤnen der Empfindung nie menſchliche Sprache entſtehen konnte, die dieſer Geſang doch war; ſo fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen: und das war eben die Namennennung eines jeden Geſchoͤpfs nach ſeiner Sprache. Da ſang und toͤnte alſo die ganze Natur vor: und der Geſang des Menſchen war ein Concert aller dieſer Stim - men, ſo fern ſie ſein Verſtand brauchte, ſeine Em - pfindung faßte, ſeine Organe ſie ausdruͤcken konn - ten Es ward Geſang, aber weder Nachtigal - lenlied, noch Leibnitzens muſikaliſche Sprache, noch ein bloßes Empfindungsgeſchrei der Thiere: Ausdruk der Sprache aller Geſchoͤpfe, innerhalb der natuͤrlichen Tonleiter der menſchlichen Stimme!

Selbſt91

Selbſt da die Sprache ſpaͤter mehr regelmaͤßig, eintoͤnig und gereihet wurde, blieb ſie noch immer eine Gattung Geſang, wie es die Accente ſo vieler Wilden bezeugen; und daß aus dieſem Ge - ſange, nachher veredelt und verfeinert, die aͤlteſte Poeſie und Muſik entſtanden, hat jezt ſchon mehr, als Einer bewieſen. Der philoſophiſche Englaͤn - der,*)Erown. der ſich in unſerm Jahrhunderte an dieſen Urſprung der Poeſie und Muſik gemacht, haͤtte am weitſten kommen koͤnnen, wenn er nicht den Geiſt der Sprache von ſeiner Unterſuchung ausge - ſchloſſen und minder auf ſein Syſtem ausgegan - gen waͤre, Poeſie und Muſik auf Einen Vereini - gungspunkt einzuſchließen, auf welchem keine ſich recht zeigen kann, als auf den Urſprung von bei - den aus der ganzen Natur des Menſchen. Ueber - haupt da die beſten Stuͤcke der alten Poeſie Reſte dieſer ſprachſingenden Zeiten ſind; ſo ſind die Miß - kaͤnntniſſe, die Veruntreuungen, und die ſchiefen Geſchmacksfehler ganz unzaͤhlig, die man aus dem Gange der aͤlteſten Gedichte, der griechiſchen Trauerſpiele, und Deklamationen herausbuchſta -birt92birt hat. Wie viel haͤtte hier noch ein Philoſoph zu ſagen, der unter den Wilden, wo noch dies Zeit - alter lebt, den Ton gelernt haͤtte, dieſe Stuͤcke zu leſen! Sonſt und gewoͤhnlich ſieht man immer nur Gewebe des verkehrten Teppichs! disjecti membra poetae! Doch ich verloͤhre mich in ein un - ermeßliches Feld, wenn ich mich in Einzelne Sprachanmerkungen einlaſſen wollte alſo zu - ruͤck auf den erſten Erfindungsweg der Sprache!

Wie aus Toͤnen zu Merkmalen vom Verſtande gepraͤgt, Worte wurden, war ſehr begreiflich; aber nicht alle Gegenſtaͤnde toͤnen; woher nun fuͤr dieſe Merkworte, bei denen die Seele ſie nenne? woher dem Menſchen die Kunſt, was nicht Schall iſt, in Schall zu verwandeln? Was hat die Farbe, die Rundheit mit dem Namen ge - mein, der aus ihr ſo entſtehe, wie der Name Bloͤcken aus dem Schaafe? Die Vertheidi - ger des uͤbernatuͤrlichen Urſprungs wiſſen hier gleich Rath, willkuͤhrlich! Wer kanns begreiffen und im Verſtande Gottes nachſuchen, warum gruͤn,93 gruͤn, gruͤn und nicht blau heißt? Ohne Zweifel hats ihm ſo beliebt! und damit iſt der Faden abgeſchnitten! Alle Philoſophie uͤber die Erfin - dungskunſt der Sprache ſchwebt alſo willkuͤhrlich in den Wolken, und fuͤr uns iſt jedes Wort eine Qualitas occulta, etwas willkuͤhrliches! Nur mag mans nicht uͤbel nehmen, daß ich in dieſem Falle das Wort willkuͤhrlich nicht begreiffe. Eine Sprache willkuͤhrlich und ohne allen Grund der Wahl aus dem Gehirn zu erfinden, iſt wenigſtens fuͤr eine menſchliche Seele, die zu Allem einen, wenn auch nur einigen Grund haben will, ſolch eine Quaal, als fuͤr den Koͤrper ſich zu Tode ſtrei - cheln zu laſſen. Bei einem rohen ſinnlichen Na - turmenſchen uͤberdem, deſſen Kraͤfte noch nicht fein gnug ſind, um ins Unnuͤtze hinzuſpielen, der, ungeuͤbt und ſtark, nichts ohne dringende Urſache thut, und nichts vergebens thun will, bei dem iſt die Erfindung einer Sprache aus ſchaler leerer Willkuͤhr, der ganzen Analogie ſeiner Natur ent - gegen: und es iſt uͤberhaupt der ganzen Analogie aller menſchlichen Seelenkraͤfte entgegen, eine aus reiner Willkuͤhr ausgedachte Sprache.

Alſo94
  • Alſo zur Sache. Wie hat der Menſch, ſeinen Kraͤften uͤberlaſſen, ſich auch

II. eine Sprache, wo ihm kein Ton vortoͤnte,

  • erfinden koͤnnen? Wie haͤngt Geſicht und Gehoͤr, Farbe und Wort, Duft und Ton zuſammen?
  • Nicht unter ſich in den Gegenſtaͤnden; aber was ſind denn dieſe Eigenſchaften in den Ge - genſtaͤnden? Sie ſind blos ſinnliche Em - pfindungen in uns, und als ſolche fließen ſie nicht Alle in Eins? Wir ſind Ein denkendes ſenſorium commune, nur von verſchiednen Seiten beruͤhrt Da liegt die Erklaͤrung.

Allen Sinnen liegt Gefuͤhl zum Grunde, und dies gibt den verſchiedenartigſten Senſationen ſchon ein ſo inniges, ſtarkes, unausſprechliches Band, daß aus dieſer Verbindung die ſonderbarſten Er - ſcheinungen entſtehen. Mir iſt mehr als Ein Beiſpiel bekannt, da Perſonen natuͤrlich, vielleicht aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders konnten, als unmittelbar durch eine ſchnelle An -wande -95wandelung mit dieſem Schall jene Farbe, mit die - ſer Erſcheinung jenes ganz verſchiedne, dunkle Ge - fuͤhl verbinden, was durch die Vergleichung der langſamen Vernunft mit ihr gar keine Verwand - ſchaft hat: denn wer kann Schall und Farbe, Er - ſcheinung und Gefuͤhl vergleichen? Wir ſind voll ſolcher Verknuͤpfungen der verſchiedenſten Sinne; nur wir bemerken ſie nicht anders, als in An - wandlungen, die uns aus der Faſſung ſetzen, in Krankheiten der Phantaſie, oder bei Gelegenhei - ten, wo ſie außerordentlich merkbar werden. Der gewoͤhnliche Lauf unſrer Gedanken geht ſo ſchnell; die Wellen unſrer Empfindungen rauſchen ſo dun - kel in einander: es iſt auf Einmal ſo viel in unſrer Seele, daß wir in Abſicht der meiſten Jdeen wie im Schlummer an einer Waſſerquelle ſind, wo wir freilich noch das Rauſchen jeder Welle hoͤren, aber ſo dunkel, daß uns endlich der Schlaf alles merkbare Gefuͤhl nimmt. Waͤre es moͤglich, daß wir die Kette unſrer Gedanken anhalten, und an jedem Gliede ſeine Verbindung ſuchen koͤnnten welche Sonderbarkeiten! welche fremde Analogien der verſchiedenſten Sinne, nach denen doch dieSeele96Seele gelaͤufig handelt! Wir waͤren alle, fuͤr ein blos vernuͤnftiges Weſen, jener Gattung von Ver - ruͤkten aͤhnlich, die klug denken, aber ſehr unbe - greiflich und albern verbinden!

Bei ſinnlichen Geſchoͤpfen, die durch viele ver - ſchiedne Sinne auf Einmal empfinden, iſt dieſe Verſammlung von Jdeen unvermeidlich; denn was ſind alle Sinne anders, als bloße Vorſtel - lungsarten Einer poſitiven Kraft der Seele? Wir unterſcheiden ſie; aber wieder nur durch Sinne; alſo Vorſtellungsarten durch Vorſtellungsarten. Wir lernen mit vieler Muͤhe ſie im Gebrauche trennen in einem gewiſſen Grunde aber wuͤr - ken ſie noch immer zuſammen. Alle Zergliederun - gen der Senſation bei Buffons, Condillacs und Bonnets empfindendem Menſchen ſind Abſtrak - tionen: der Philoſoph muß Einen Faden der Em - pfindung liegen laſſen, indem er den andern ver - folgt in der Natur aber ſind alle die Faͤden Ein Gewebe! je dunkler nun die Sinne ſind, deſto mehr fließen ſie in einander; und je ungeuͤbter, je weniger man noch gelernet hat, einen ohne den andern zu brauchen, mit Adreſſe und Deutlichkeitzu97zu brauchen; deſto dunkler! Laßt uns dies auf den Anfang der Sprache anwenden! Die Kindheit und Unerfahrenheit des menſchlichen Ge - ſchlechts hat ſie erleichtert!

Der Menſch trat in die Welt hin; von wel - chem Ocean wurde er auf Einmal beſtuͤrmt! mit welcher Muͤhe lernte er unterſcheiden! Sinne er - kennen! erkannte Sinne allein gebrauchen! Das Sehen iſt der kaͤlteſte Sinn, und waͤre er immer ſo kalt, ſo entfernt, ſo deutlich geweſen, als ers uns durch eine Muͤhe und Uebung vieler Jahre ge - worden iſt: ſo ſehe ich freilich nicht, wie man, was man ſieht, hoͤrbar machen koͤnne? Allein die Natur hat dafuͤr geſorgt, und den Weg naͤher an - gezogen: Denn ſelbſt dies Geſicht war, wie Kin - der und Blindgeweſene zeugen, Anfangs nur Ge - fuͤhl. Die meiſten ſichtbaren Dinge bewegen ſich; viele toͤnen in der Bewegung: wo nicht, ſo liegen ſie dem Auge in ſeinem erſten Zuſtande gleichſam naͤher, unmittelbar auf ihm und laſſen ſich alſo fuͤhlen. Das Gefuͤhl liegt dem Gehoͤr ſo nahe: ſeine Bezeichnungen z. E. hart, rauh, weich, wol - ligt, ſammet, haarigt, ſtarr, glatt, ſchlicht, bor -Gſtig98ſtig u. ſ. w. die doch alle nur Oberflaͤchen betreffen, und nicht einmal tief einwuͤrken, toͤnen alle, als ob mans fuͤhlte: Die Seele, die im Gedraͤnge ſol - cher zuſammenſtroͤmenden Empfindungen und in der Beduͤrfniß war, ein Wort zu ſchaffen, griff und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen Sinnes, deſſen Gefuͤhl mit dieſem zuſammenfloß, ſo wurden fuͤr alle und ſelbſt fuͤr den kaͤlteſten Sinn Worte. Der Blitz ſchallet nicht: wenn er nun aber ausgedruͤkt werden ſoll, dieſer Bote der Mitternacht!

Der jezt im Nu enthuͤllet, Himm’l und Erd Und eh ein Menſch noch ſagen kann: ſieh da! Schon in den Schlund der Finſterniß hin - ab iſt

natuͤrlich wirds ein Wort machen, das durch Huͤlfe eines Mittelgefuͤhls dem Ohr die Empfindung des Urploͤzlichſchnellen gibt, die das Auge hatte Blitz! Das Wort: Duft, Ton, ſuͤß, bitter, ſauer u. ſ. w. toͤnen alle, als ob man fuͤhlte: denn was ſind urſpruͤnglich alle Sinne, anders, als Gefuͤhl? Wie aber Gefuͤhl ſich in Laut aͤuſ - ſern koͤnne, das haben wir ſchon im erſten Ab -ſchnitte99ſchnitte als ein unmittelbares Naturgeſetz der em - pfindenden Maſchine angenommen, das wir wei - ter nicht erklaͤren woͤgen!

Und ſo fuͤhren ſich alle Schwierigkeiten auf fol - gende zwo erwieſene deutliche Saͤtze zuruͤck. 1) Da alle Sinne nichts als Vorſtellungsarten der Seele ſind: ſo habe ſie nur deutliche Vorſtel - lung: mithin Merkmal, mit dem Merkmal hat ſie innere Sprache.

2) Da alle Sinne, inſonderheit im Zuſtande der menſchlichen Kindheit nichts als Gefuͤlhsarten einer Seele ſind: alles Gefuͤhl aber nach einem Empfindungsgeſetz der thieriſchen Natur unmittel bar ſeinen Laut hat; ſo werde dies Gefuͤhl nur zum Deutlichen eines Merkmals erhoͤht: ſo iſt das Wort zur aͤußern Sprache da. Hier kom - men wir auf eine Menge ſonderbarer Betrachtun - gen, wie die Weißheit der Natur den Menſchen durchaus dazu organiſirt hat, um ſich ſelbſt Sprache zu erfinden. Hier iſt die Hauptbemerkung.

  • Da der Menſch blos durch das Gehoͤr die Sprache der lehrenden Natur empfaͤngt, und ohne das die Sprache nicht erfinden kann:G 2ſo100 ſo iſt Gehoͤr auf gewiſſe Weiſe der Mittlere ſeiner Sinne, die eigentliche Thuͤr zur Seele, und das Verbindungsband der uͤbrigen Sin - ne geworden Jch will mich erklaͤren!

1) Das Gehoͤr iſt der Mittlere der menſchli - chen Sinne, an Sphaͤre der Empfindbarkeit von Außen. Gefuͤhl empfindet alles nur in ſich, und in ſeinem Organ; das Geſicht wirft uns große Strecken weit aus uns hinaus: Das Gehoͤr ſteht an Grad der Mittheilbarkeit in der Mitte. Was das fuͤr die Sprache thut? Setzet ein Geſchoͤpf, ſelbſt ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf, dem das Gefuͤhl Hauptſinn waͤre (im Fall dies moͤglich iſt!) wie klein iſt ſeine Welt! und da es dieſes nicht durchs Gehoͤr empfindet, ſo wird es ſich wohl vielleicht wie das Jnſekt ein Gewebe, aber nicht durch Toͤne eine Sprache bauen! Wiederum ein Geſchoͤpf, ganz Auge wie unerſchoͤpflich iſt die Welt ſei - ner Beſchauungen! wie unermeßlich weit wird es aus ſich geworfen! in welche unendliche Mannich - faltigkeit zerſtreuet! Seine Sprache, (wir haben davon keinen Begriff!) wuͤrde eine Art unendlich feiner Pantomime; ſeine Schrift eine Algebradurch101durch Farben und Striche werden aber toͤnende Sprache nie! Wir hoͤrende Geſchoͤpfe ſtehn in der Mitte: wir ſehen, wir fuͤhlen; aber die geſehene, gefuͤhlte Natur toͤnet! Sie wird Lehrmeiſterinn zur Sprache durch Toͤne! wir werden gleichſam Gehoͤr durch alle Sinne!

Laſſet uns die Bequemlichkeit unſrer Stelle fuͤh - len dadurch wird jeder Sinn ſprachfaͤhig. Freilich gibt Gehoͤr nur eigentlich Toͤne, und der Menſch kann nicht erfinden, ſondern nur fin - den, nur nachahmen; allein auf der einen Seite liegt das Gefuͤhl neben an: auf der andern iſt das Geſicht der nachbarliche Sinn: Die Empfin - dungen vereinigen ſich und kommen alſo alle der Gegend nahe, wo Merkmale zu Schaͤllen werden. So wird, was man ſieht, ſo wird, was man fuͤhlt, auch toͤnbar. Der Sinn zur Sprache iſt unſer Mittel - und Vereinigungsſinn geworden; wir ſind Sprachgeſchoͤpfe.

2) Das Gehoͤr iſt der Mittlere unter den Sin - nen an Deutlichkeit und Klarheit; und alſo wie - derum Sinn zur Sprache. Wie dunkel iſt das Ge - fuͤhl! es wird uͤbertaͤubt! es empfindet alles in ein -G 3an -102ander. Da iſt mit Muͤhe ein Merkmal der An - erkennung abzuſondern: es wird unausſprechlich!

Wiederum das Geſicht iſt ſo helle und uͤber - glaͤnzend, es liefert eine ſolche Menge von Merk - malen, daß die Seele unter der Mannichfaltigkeit erliegt, und etwa Eins nur ſo ſchwach abſondern kann, daß die Wiedererkennung daran ſchwach wird. Das Gehoͤr iſt in der Mitte. Alle in einander fallende dunkle Merkmale des Gefuͤhls laͤßts liegen. Alle zu feine Merkmale des Geſichts auch! aber da reißt ſich vom betaſreten, betrach - teten Objekt ein Ton los? Jn den ſammeln ſich die Merkmale jener beiden Sinne der wird Merkwort! das Gehoͤr greift alſo von beiden Sei - ten um ſich: macht klar, was zu dunkel; macht angenehmer, was zu helle war: bringt in das Dunkelmannichfaltige des Gefuͤhls mehr Ein - heit, und in das Zuhellmannichfaltige des Ge - ſichts auch: und da dieſe Anerkennung des Man - nichfaltigen durch Eins, durch ein Merkmal, Sprache wird, iſts Sprache.

3) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Anſe - bung der Lebhaftigkeit und alſo Sinn derSpra -103Sprache. Das Gefuͤhl uͤberwaͤltigt: das Geſicht iſt zu kalt und gleichguͤltig: jenes dringt zu tief in uns, als daß es Sprache werden koͤnnte; dies bleibt zu ruhig vor uns. Der Ton des Gehoͤrs dringt ſo innig in unſre Seele, daß er Merkmal werden muß; aber noch nicht ſo uͤbertaͤubend, daß er nicht klares Merkmal werden koͤnnte Das iſt Sinn der Sprache.

Wie kurz, ermuͤdend und unausſtehlich waͤre die Sprache jedes groͤbern Sinnes fuͤr uns? Wie verwirrend und kopfleerend fuͤr uns die Sprache des zu feinen Geſichts? Wer kann immer ſchme - cken, fuͤhlen und riechen, ohne nicht bald, wie Pope ſagt, einen aromatiſchen Tod zu ſterben? Und wer immer mit Aufmerkſamkeit ein Farben - clavier begaffen, ohne nicht bald zu erblinden? Aber hoͤren, gleichſam hoͤrend Worte denken, koͤn - nen wir laͤnger und faſt immer das Gehoͤr iſt fuͤr die Seele, was die Gruͤne, die Mittelfarbe, fuͤrs Geſicht iſt. Der Menſch iſt zum Sprachge - ſchoͤpfe gebildet.

4) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in be - tracht der Zeit in der es wuͤrkt, und alſo SinnG 4der104der Sprache. Das Gefuͤhl wirft alles auf Ein - mal in uns hin: es regt unſre Saiten ſtark, aber kurz, und ſpringend; das Geſicht ſtellt uns alles auf Einmal vor, und ſchrekt alſo den Lehrling durch die unermeßliche Tafel des neben einander ab. Durchs Gehoͤr ſehet! wie uns die Lehrmeiſte - rinn der Sprache ſchonet! ſie zaͤhlt uns nur einen Ton nach dem andern in die Seele, gibt und er - muͤdet nie, gibt und hat immer mehr zu geben ſie uͤbet alſo das ganze Kunſtſtuͤck der Methode; ſie lehret progreßiv! Wer koͤnnte da nicht Spra - che faſſen, ſich Sprache erfinden?

5) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Ab - ſicht des Beduͤrfniſſes ſich auszudruͤcken, und alſo Sinn der Sprache. Das Gefuͤhl wuͤrkt un - ausſprechlich dunkel; allein um ſo weniger darfs, ausgeſprochen werden es geht ſo ſehr unſer Selbſt an! es iſt ſo eigennuͤtzig und in ſich ge - ſenkt! das Geſicht iſt fuͤr den Spracherfinder unausſprechlich; allein was brauchts ſogleich, ausgeſprochen zu werden? Die Gegenſtaͤnde blei - ben! ſie laſſen ſich durch Winke zeigen! die Gegen - ſtaͤnde des Gehoͤrs aber ſind mit Bewegung ver -bunden:105bunden: ſie ſtreichen vorbei; Eben dadurch aber toͤnen ſie auch. Sie werden ausſprechlich, weil ſie ausgeſprochen werden muͤſſen und dadurch, daß ſie ausgeſprochen werden muͤſſen, durch ihre Be - wegung, werden ſie ausſprechlich Welche Faͤ - higkeit zur Sprache!

6) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Abſicht ſeiner Entwiklung und alſo Sinn der Sprache.

Gefuͤhl iſt der Menſch ganz: der Embryon in ſeinem erſten Augenblick des Lebens fuͤhlet wie der junggebohrne: das iſt Stamm der Natur, aus dem die zaͤrtern Aeſte der Sinnlichkeit wachſen und der verflochtne Kneuel, aus dem ſich alle feinere Seelenkraͤfte entwickeln. Wie entwickeln ſich dieſe? Wie wir geſehen, durchs Gehoͤr, da die Natur die Seele zur erſten deutlichen Empfindung durch Schaͤlle wecket Alſo gleichſam aus dem dunkeln Schlaf des Gefuͤhls wecket: und zu noch feinerer Sinnlichkeit reifet. Waͤre z. B. das Geſicht ſchon vor ihm entwickelt da, oder waͤre es moͤglich, daß es anders als durch den Mittelſinn des Gehoͤrs aus dem Gefuͤhl erwecket waͤre welche weiſe Armuth! welche hellſehende Dummheit! WieG 5ſchwuͤ -106ſchwuͤrig wuͤrde es einem ſolchen Geſchoͤpf, ganz Auge! Wenn es doch Menſch ſeyn ſollte, das was es ſaͤhe zu benennen! Das kalte Geſicht mit dem waͤrmern Gefuͤhl, mit dem ganzen Stamme der Menſchheit zu einverbinden! Doch die Jnſtanz ſelbſt wird wiederſprechend: der Weg zu Entwiklung der menſchlichen Natur iſt beſſer und Einzig! Da alle Sinne zuſammen wuͤrken, ſind wir, durchs Gehoͤr, gleichſam immer in der Schule der Natur, lernen abſtrahiren, und zugleich ſprechen; das Geſicht verfeinert ſich mit der Vernunft: Ver - nunft und die Gabe der Bezeichnung, und ſo wenn der Menſch zu der feinſten Charakteriſtik ſichtli - cher Phaͤnomene kommt Welch ein Vorrath von Sprache und Sprachaͤhnlichkeiten liegt ſchon fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefuͤhl in den Sinn feiner Phantaſmen nicht anders als uͤber den Sinn der Sprache, und hat alſo gelernt toͤnen, ſowohl was er ſiehet, als was er fuͤhlte.

Koͤnnte ich nun hier alle Enden zuſammen neh - men, und mit Einmal das Gewebe ſichtbar ma - chen, was menſchliche Natur heißt: durchaus ein Gewebe zur Sprache. Dazu, ſahen wir, wardieſer107dieſer poſitiven Denkkraft Raum und Sphaͤre er - theilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen: dazu Geſtalt und Form geſchaffen: dazu endlich Sinne organiſirt und gereihet zu Sprache! Darum denkt der Menſch nicht heller, nicht dunk - ler; darum ſieht und fuͤhlt er nicht ſchaͤrfer, nicht laͤnger, nicht lebhafter: darum hat er dieſe, nicht mehr und nicht andre Sinne alles wiegt gegen - einander! iſt ausgeſpart und erſezt! Mit Abſicht angelegt und vertheilt! Einheit und Zuſammen - hang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes! Ein Syſtem! ein Geſchoͤpf von Beſonnenheit und Sprache, von Beſinnung und Sprach - ſchaffung! Wollte jemand nach allen Beobach - tungen, noch dieſe Beſtimmung zum Sprachge - ſchoͤpfe laͤugnen, der muͤßte aus dem Beobachter der Natur erſt ihr Zerſtoͤrer werden! Alle ange - zeigte Harmonien in Mißtoͤne zerreißen: das ganze Prachtgebaͤude der menſchlichen Kraͤfte in Truͤm - mern ſchlagen, ſeine Sinnlichkeit verwuͤſten und ſtatt des Meiſterſtuͤks der Natur ein Geſchoͤpf fuͤh - len, voll Maͤngel und Luͤcken, voll Schwaͤchen und Convulſionen! Und wenn denn nun auf deran -108andern Seite die Sprache auch genau ſo iſt, wie ſie nach dem Grundtiß, und der Wucht des vorigen Geſchoͤpfes hat entſte - hen muͤſſen?

Jch gehe das lezte zu beweiſen, ob gleich hier mir noch ein ſehr angenehmer Spatzier - gang vorlaͤge, es nach den Regeln der Sulzer - ſchen Theorie des Vergnuͤgens zu berechnen, was eine Sprache durchs Gehoͤr fuͤr uns fuͤr Vorzuͤge und Annehmlichkeiten fuͤr der Sprache andrer Sinne haͤtte? Der Spatzier - gang fuͤhrte aber zu weit: und man muß ihm ent - ſagen, wenn noch die Hauptſtraſſe zu ſichern und zu berichtigen weit vorliegt. Alſo Erſtlich

  • I. Je aͤlter, und urſpruͤnglicher die Sprachen ſind: deſto mehr wird dieſe Analogie der Sinne in ihren Wurzeln merklich!

Wenn wir in ſpaͤtern Sprachen den Zorn ſchon als Phaͤnomenon des Geſichts, oder als Ab - ſtraktum in den Wurzeln charakteriſiren: z. E. durch das Funkeln der Augen, das Gluͤhen der Wangen u. ſ. w. und ihn alſo nur ſehen oder den -ken:109ken: ſo hoͤret ihn der Morgenlaͤnder! Hoͤret ihn ſchnauben! Hoͤret ihn brennenden Rauch, und ſtuͤrmende Funken ſpruͤhen! Das ward Namen des Worts: die Naſe Sitz des Zorns: das ganze Geſchlecht der Zornwoͤrter und Zornmetaphern ſchnauben ihren Urſprung.

Wenn uns das Leben ſich durch Pulsſchlag, durch Wallen und feine Merkmale auch in der Sprache aͤuſſert: ſo offenbahrte es ſich jenem Laut othmend, der Menſch lebte, da er hauchte; ſtarb, da er aushauchte: und man hoͤrt die Wurzel des Worts, wie den erſten belebten Adam hauchen.

Wenn wir das Gebaͤren nach unſrer Art cha - rakteriſiren: ſo hoͤrt jener auch in den Benennun - gen Geſchrei der Mutterangſt, oder bei Thieren das Ausſchuͤtteln eines Fruchtſchlauches: um dieſe Mittelidee wenden ſich ſeine Bilder!

Wenn wir im Wort Morgenroͤthe etwa das Schoͤne, Glaͤnzende, Friſche, dunkel hoͤren: ſo fuͤhlt der harrende Wandrer in Orient auch in der Wurzel des Worts den erſten, ſchnellen, erfreu - lichen Lichtſtral, den unſer Einer vielleicht nie ge - ſehen, wenigſtens nie mit dem Gefuͤhl gefuͤhlet. Die110Die Beiſpiele aus den alten und wilden Sprachen werden unzaͤlig, wie herzlich und ſtarkempfindend ſie aus Gehoͤr und Gefuͤhl charakteriſiren, und ein Werk von der Art, was ſo recht das Grund - gefuͤhl ſolcher Jdeen bei verſchiednen Voͤlkern auf - ſuchte, waͤre eine voͤllige Demonſtration fuͤr meinen Satz, und fuͤr die menſchliche Erfindung der Sprache.

  • II. Je aͤlter und urſpruͤnglicher die Sprachen ſind, deſto mehr durchkreutzen ſich auch die Gefuͤhle in den Wurzeln der Woͤrter!

Man ſchlage das erſte, beſte morgenlaͤndiſche Woͤrterbuch auf, und man wird den Drang ſehen, ſich ausdruͤcken zu wollen! Wie der Erfinder Jdeen aus Einem Gefuͤhl hinaus riß und fuͤr ein anderes borgte! wie er bei den ſchwerſten, kaͤlteſten, deut - lichſten Sinnen am meiſten borgte! wie Alles, Gefuͤhl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu werden! Daher die ſtarken kuͤhnen Metaphern in den Wurzeln der Worte! daher die Uebertra - gungen aus Gefuͤhl in Gefuͤhl, ſo daß die Bedeu - tungen eines Stammworts, und noch mehr ſeinerAb -111Abſtammungen gegen einander geſezt, das bunt - ſchaͤckigſte Gemaͤlde werden. Die genetiſche Urſa - che liegt in der Armuth der menſchlichen Seele, und im Zuſammenfluß der Empfindungen eines rohen Menſchen: Man ſieht ſein Beduͤrfniß ſich auszudruͤcken ſo deutlich: Man ſiehts in immer groͤßerm Maaß, je weiter die Jdee vom Gefuͤhl und Ton in der Empfindung weglag, daß man nicht mehr an der Menſchlichkeit des Urſprungs der Sprache zweifeln darf. Denn wie wollen die Verfechter einer andern Entſtehung dieſe Durch - webung der Jdeen in den Wurzeln der Woͤrter erklaͤren? War Gott ſo Jdeen - und Wortarm, daß er zu dergleichen verwirrendem Wortgebrauch ſeine Zuflucht nehmen mußte? Oder war er ſo ſehr Liebhaber von Hyperbolen, ungereimten Me - taphern, daß er dieſen Geiſt bis in die Grundwur - zeln ſeiner Sprache praͤgte?

Die ſo genannte goͤttliche Sprache, die Ebraͤi - ſche, iſt von dieſen Kuͤhnheiten ganz gepraͤgt, ſo daß der Orient auch die Ehre hat, ſie mit ſeinem Namen zu bezeichnen; Allein, daß man doch ja nicht dieſen Metapherngeiſt Aſiatiſch nenne, alswenn112wenn er ſonſt nirgend anzutreffen waͤre! Jn allen wilden Sprachen lebt er; nur freilich in jeder nach Maaß der Bildung der Nation und nach Eigenheit ihrer Denkart. Ein Volk, das ſeine Gefuͤhle nicht viel und nicht ſcharf unterſchied: Ein Volk, das nicht Herz gnug hatte, ſich auszudruͤcken, und Ausdruͤcke maͤchtig zu rauben wird auch wegen Nuancen des Gefuͤhls weniger verlegen ſeyn, oder ſich mit ſchleichenden Halbausdruͤcken behelfen. Eine feurige Nation offenbart ihren Muth in ſol - chen Metaphern, ſie mag in Orient, oder Nord - amerika wohnen: die aber in ihrem tiefſten Grun - de die meiſten ſolcher Verpflanzungen zeigt; deren Sprache iſt voraus die aͤrmſte, die aͤlteſte, die ur - ſpruͤnglichſte geweſen, und die war ohne Zweifel in Orient.

Man ſiehet wie ſchwer bei einer ſolchen Spra - che ein wahres Etymologikon ſeyn muͤſſe? Die ſo verſchiedne Bedeutungen eines Radicis, die in einer Stammtafel abgeleitet und auf ihren Urſprung zuruͤkgefuͤhrt werden ſollen, ſind nur durch ſo dunkle Gefuͤhle, durch fluͤchtige Neben - ideen, durch Mitempfindungen verwandt, dieaus113aus dem Grunde der Seele ſteigen, und wenig in Regeln gefaſſet werden koͤnnen! Jhre Verwand - ſchaften ſind ferner ſo National, ſo ſehr nach der eignen Denk - und Sehart des Volks, des Erfin - ders, in dem Lande, in der Zeit, in den Umſtaͤn - den, daß ſie von einem Nord - und Abendlaͤnder unendlich ſchwer zu treffen ſind, und in lan - gen, kalten Umſchreibungen unendlich leiden muͤſ - ſen. Da ſie ferner von der Noth erzwungen, und im Affekt, im Gefuͤhl, in der Verlegenheit des Ausdruks erfunden wurden welch ein Gluͤck gehoͤrt dazu, daſſelbe Gefuͤhl zu treffen? Und endlich da im Woͤrterbuche von der Art die Woͤrter, und die Bedeutungen eines Worts aus ſo verſchiednen Zeiten, Anlaͤſſen und Denkarten geſammlet werden ſollen, und ſich alſo dieſe augen - blikliche Beſtimmungen ins Unendliche vermeh - ren wie vervielfaͤltigt ſich da die Muͤhe! welch ein Scharfſinn in dieſe Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe einzudringen, und welche Maͤßigung, bei den Aus - legungen verſchiedner Zeiten darinn Maaß zu hal - ten! welche Kaͤnntniß und Biegſamkeit der Seele gehoͤrt dazu, ſich ſo ganz dieſen rohen Witz, dieſeHkuͤhne114kuͤhne Phantaſie, dies Nationalgefuͤhl fremder Zeiten zu geben, und es nach den unſrigen zu mo - derniſiren! Aber eben damit wurde auch nicht blos in die Geſchichte, Denkart und Litte - ratur des Landes, ſondern uͤberhaupt in die dunkle Gegend der menſchlichen Seele eine Fackel getragen, wo ſich die Begriffe durch - kreutzen und verwickeln! Wo die verſchie - denſte Gefuͤhle einander erzeugen; wo eine dringende Gelegenheit alle Kraͤfte der Seele aufbietet und die ganze Erfindungskunſt, der ſie faͤhig iſt, zeiget. Jeder Schritt waͤre in einem ſolchen Werk Entdeckung! und jene neue Bemerkung der vollſtaͤndigſte Beweis von der Menſchlichkeit des Urſprungs der Sprache.

Schultens hat ſich an der Entwiklung eini - ger ſolchen Originum der hebraͤiſchen Sprache Ruhm erworben: jede Entwiklung iſt eine Probe meiner Regel: ich glaube aber vieler Urſachen we - gen, nicht, daß die Origines der erſten menſchlichen Sprache, wenn es auch die hebraͤiſche waͤre, je vollſtaͤndig entwickelt werden koͤnnen

Jch115

Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge - mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden. Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher, wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter - thum dergleichen Wort - und Bildergattungen blei - ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer - den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn, das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner, maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie, die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete; aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit Ach! Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ - tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen ſo kuͤhn waren. Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten Erfinder ihrer Sprache ſich nicht verſtiegen haben:H 2ihre116ihre ganze Sprache iſt Proſe der geſunden Ver - nunft, und hat urſpruͤnglich faſt kein poetiſches Wort, das dem Dichter eigen waͤre; aber die Morgenlaͤnder? die Griechen? die Englaͤnder? und wir Deutſchen?

Daraus folgt: daß je aͤlter eine Sprache iſt, je mehr ſolcher Kuͤhnheiten in ihren Wurzeln iſt, hat ſie lange gelebt, ſich lange fortgebildet; um ſo weniger muß man auf jede Kuͤhnheit des Ur - ſprungs losdringen, als wenn jeder dieſer ſich durchkreuzenden Begriffe auch jedesmal in jedem ſpaͤten Gebrauch mit gedacht worden waͤre. Die Metapher des Anfangs war Drang zu ſprechen; nimmt mans nachher in jedem Fall, wo das Wort ſchon gelaͤufig geworden war, und ſeine Schaͤrfe abgenuzt hatte, fuͤr Fruchtbarkeit und Energie, alle ſolche Sonderbarkeiten zu verbinden was fuͤr klaͤgliche Beiſpiele wimmeln da in ganzen Schulen der morgenlaͤndiſchen Sprachen!

Noch Eins. Wenn gar an ſolchen kuͤhnen Wortkaͤmpfen, an ſolchen Verſetzungen der Gefuͤhle in Einen Ausdruck, an ſolchen Durchkreuzungen der Jdeen ohne Regel und Richtſchnur gewiſſefeine117feine Begriffe Eines Dogma, Eines Sy - ſtems kleben oder daran geheftet werden oder daraus unterſucht werden ſollen; Him - mel! wie wenig waren dieſe Wortverſuche einer werdenden oder fruͤh gewordnen Sprache Defini - tionen eines Syſtems, und wie oft kommt man in den Fall Wortidole zu ſchaffen, an die der Erfin - der, oder der ſpaͤtere Gebrauch nicht dachte! Doch ſolche Anmerkungen waͤren unendlich: ich gehe zu einem neuen Canon:

  • III. Je urſpruͤnglicher eine Sprache iſt, je haͤu - figer ſolche Gefuͤhle ſich in ihr durchkreu - zen; deſto weniger koͤnnen dieſe ſich genau und logiſch untergeordnet ſeyn. Die Sprache iſt reich an Synonymen: bei al - ler weſentlichen Duͤrftigkeit hat ſie den groͤßten unnoͤthigen Ueberfluß.

Die Vertheidiger des goͤttlichen Urſprunges, die in allem goͤttliche Ordnung zu finden wiſſen, koͤnnen ihn hier ſchwerlich finden, und laͤugnen*)Süßmilch §. 9. die Synonyme. Sie laͤugnen? wohlan nun,H 3laß118laß es ſeyn, daß unter den 50 Woͤrtern, die der Araber fuͤr den Loͤwen, unter den 200, die er fuͤr die Schlange, unter den 80, die er fuͤr den Honig, und mehr als 1000, die er fuͤrs Schwerdt hat, ſich feine Unterſchiede finden, oder gefunden haͤtten, die aber verloren gegangen waͤren warum wa - ren ſie da, wenn ſie verloren gehen mußten? Warum erfand Gott einen unnoͤthigen Wortſchatz, den nur, wie die Araber ſagen, ein goͤttlicher Pro - phet in ſeinem ganzen Umfange faſſen konnte? Erfand er ins Leere der Vergeſſenheit? Vergleichungsweiſe aber ſind dieſe Worte doch immer Synonymen, in Betracht der vielen andern Jdeen, fuͤr die Woͤrter gar mangeln Nun entwikle man doch darinn goͤttliche Ordnung, daß Er, der den Plan der Sprache uͤberſahe, fuͤr den Stein 70 Woͤrter erfand, und fuͤr alle ſo noͤ - thige Jdeen, innerliche Gefuͤhle, und Abſtraktio - nen keine? daß Er dort mit unnoͤthigem Ueberfluß uͤberhaͤufte, hier in der groͤßten Duͤrftigkeit ließ, zu ſtehlen, Mataphern zu uſurpiren, halben Un - ſinn zu reden u. ſ. w.

Menſch -119

Menſchlich erklaͤrt ſich die Sache von ſelbſt. So uneigentlich ſchwere, ſeltne Jdeen ausgedruͤkt werden mußten: ſo haͤufig konntens die vorlie - genden und leichten. Je unbekannter man mit der Natur war; von je mehrern Seiten man ſie aus Unerfahrenheit anſehen und kaum wieder erkennen konnte; je weniger man a priori ſon - dern nach ſinnlichen Umſtaͤnden erfand: deſto mehr Synonyme! Je Mehrere erfanden, je umherirrender und abgetrennter ſie erfanden, und doch nur meiſtens in Einem Kreiſe fuͤr Ei - nerlei Sachen erfanden; wenn ſie nachher zuſam - men kamen, wenn ihre Sprachen in einen Ocean von Woͤrterbuch floſſen: deſto mehr Synonyme! Verworfen konnten alle nicht werden; denn welche ſolltens? ſie waren bei dieſem Stamm, bei dieſer Familie, bei dieſem Dichter braͤuchlich; es ward alſo, wie jener Arabiſche Woͤrterbuchſchreiber ſagt, da er 400 Woͤrter von Elend aufgezaͤhlt hatte, das vierhundertſte Elend, die Woͤrter des Elends auf - zaͤhlen zu muͤſſen. Eine ſolche Sprache iſt reich, weil ſie arm iſt, weil ihre Erfinder noch nicht Plan gnug hatten, arm zu werden und der muͤſ -H 4ſige120ſige Erfinder eben der unvollkommenſten Sprache waͤre Gott?

Die Analogien aller wilden Sprachen beſtaͤti - gen meinen Satz: jede iſt auf ihre Weiſe ver - ſchwenderiſch und duͤrftig: nur jede auf eigne Art. Wenn der Araber fuͤr Stein, Cameel, Schwerdt, Schlange, (Dinge, unter denen er lebt!) ſo viel Woͤrter hat; ſo iſt die Ceylamiſche Sprache, den Neigungen ihres Volks gemaͤß, reich an Schmei - cheleien, Titeln und Wortgepraͤnge. Fuͤr das Wort Frauenzimmer hat ſie nach Stand und Range zwoͤlferlei Namen, da ſelbſt wir unhoͤfliche Deutſche z. E. hierinn von unſern Nachbarn bor - gen muͤſſen. Nach Stand und Range wird das Du und Jhr auf achterlei Weiſe gegeben, und das ſo wohl vom Tageloͤhner, als vom Hofmanne: der Wuſt iſt Form der Sprache. Jn Siam gibt es achterlei Manieren Jch und Wir zu ſagen, nachdem der Herr mit dem Knechte, oder der Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der wilden Kariben iſt beinahe in zwo Sprachen der Weiber und Maͤnner vertheilt, und die gemein - ſten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen, be -nennen121nennen beide anders welch ein Ueberfluß von Sy - nonymen! Und doch haben eben dieſe Kariben nur vier Woͤrter fuͤr die Farben, auf die ſie alle andre beziehen muͤſſen welche Armuth! Die Huro - nen haben jedesmal ein doppeltes Verbum fuͤr eine beſeelte und unbeſeelte Sache: ſo daß Sehen bei einen Stein ſehen und Sehen bei einen Men - ſchen ſehen! immer zween verſchiedne Ausdruͤcke ſind man verfolge das durch die ganze Natur welch ein Reichthum! Sich ſeines Eigenthums bedienen, oder des Eigenthums deſſen, mit dem man redet hat immer zwei verſchiedne Woͤr - ter welch ein Reichthum! Jn der Peruani - ſchen Hauptſprache nennen ſich die Geſchlechter ſo ſonderbar abgetrennt, daß die Schweſter des Bru - ders und die Schweſter der Schweſter, das Kind des Vaters und der Mutter ganz verſchieden heißt, und doch hat eben dieſe Sprache keinen wahren Pluralis! Jede dieſer Synonymien haͤngt ſo ſehr mit Sitte, Charakter und Urſprung des Volks zuſammen; uͤberall aber charakteriſirt ſich der erfindende menſchliche Geiſt. Ein neuer Canon:

H 5IV. So122
  • IV. So wie die menſchliche Seele ſich keiner Abſtraktion aus dem Reiche der Geiſter erinnern kann, zu der ſie nicht durch Ge - legenheiten und Erweckungen der Sinne gelangte: ſo hat auch keine Sprache ein Abſtraktum, zu dem ſie nicht durch Ton und Gefuͤhl gelangt waͤre. Und je ur - ſpruͤnglicher die Sprache, deſto weniger Ab - ſtraktionen, deſto mehr Gefuͤhle. Jch kann in dieſem unermeßlichen Felde wieder nur Blumen brechen:

Der ganze Bau der morgenlaͤndiſchen Spra - chen zeuget, daß alle ihre Abſtrakta voraus Sinn - lichkeiten geweſen: Der Geiſt war Wind, Hauch, Nachtſturm! Heilig hieß abgeſondert, ein - ſam: die Seele hieß der Othem: der Zorn das Schnauben der Naſe u. ſ. w. Die allgemeinern Begriffe wurden ihr alſo erſt ſpaͤter durch Abſtrak - tion, Witz, Phantaſie, Gleichniß, Analogie u. ſ. w. angebildet im tiefſten Abgrunde der Sprache liegt keine Einzige!

Bei allen Wilden findet daſſelbe nach Maaß der Cultur ſtatt. Jn der Sprache von Baran -tola123tola wuͤßte man nicht heilig und bei den Hotten - totten nicht das Wort Geiſt zu finden. Alle Mißionarien in allen Welttheilen klagen uͤber die Schwuͤrigkeit, chriſtliche Begriffe den Wilden in ihren Sprachen mitzutheilen, und doch doͤrften dieſe Mittheilungen ja nimmer eine ſcholaſtiſche Dogmatik, ſondern nur die gemeinen Begriffe des gemeinen Verſtandes ſeyn. Wenn man hie und da Proben dieſes Vortrages unter den Wilden, auch nur unter den ungebildeten Sprachen Euro - pens z. E. der Lapplaͤndiſchen, Finniſchen, Eſthniſchen uͤberſezt lieſet, und die Sprachlehren und Woͤrterbuͤcher dieſer Voͤlker ſiehet: ſo werden die Schwuͤrigkeiten offenbar.

Will man den Mißionarien nicht glauben: ſo leſe man die Philoſophen, de la Condamine in Peru und am Amazonenſtrome, Maupertuis in Lappland u. ſ. w. Zeit, Dauer, Raum, Weſen, Stoff, Koͤrper, Tugend, Gerechtig - keit, Freiheit, Erkaͤnntlichkeit ſind im Munde der Peruaner nicht, wenn ſie gleich mit ihrer Vernunft oft zeigen, daß ſie nach dieſen Begriffen ſchließen, und mit ihren Thaten zeigen,daß124daß ſie die Tugenden haben. So lange ſie die Jdee nicht als Merkmal ſich deutlich gemacht: ſo haben ſie dazu kein Wort.

Wo alſo ſolche Worte in die Sprache hinein - gekommen; ſiehet man ihnen offenbar ihren Urſprung an. Die Kirchenſprache der Rußi - ſchen Nation iſt meiſtens Griechiſch: die chriſtli - chen Begriffe der Letten ſind deutſche Worte, oder deutſche Begriffe lettiſirt. Der Mexicaner, der ſeinen armen Suͤnder ausdruͤcken will, mahlt ihn, wie einen Knienden, der Ohrenbeicht able - get, und ſeine Dreieinigkeit, wie drei Geſichte mit Scheinen. Man weiß, auf welchen Wegen die meiſten Abſtraktionen in unſre wiſſenſchaft - liche Sprache gekommen ſind, in Theologie und Rechtsgelehrſamkeit, in Philoſophie und andre. Man weiß, wie oft Scholaſtiker und Po - lemiker nicht einmal mit Worten ihrer Sprache ſtreiten konnten und alſo Streitgewehr (Hypoſtaſis und Subſtanz, ὀμοόȣσιος und ὀμοίȣιος) aus denen Sprachen heruͤberholen mußten, in denen die Be - griffe abſtrahirt, in denen das Streitgewehr ge -ſchaͤrft125ſchaͤrft war! Unſre ganze Pſychologie ſo verfeinert und beſtimmt ſie iſt, hat kein eigentliches Wort.

Dies iſt ſo wahr, daß es ſo gar Schwaͤrmern und Entzuͤkten nicht moͤglich iſt, ihre neue Ge - heimniſſe aus der Natur, aus Himmel und Hoͤlle anders, als durch Bilder und ſinnliche Vor - ſtellungen zu charakteriſiren. Schwedenborg konnte ſeine Engel und Geiſter nicht anders als aus allen Sinnen zuſammen wittern und der er - habne Klopſtok, Jenem die groͤßeſte Antitheſe! ſeinen Himmel und Hoͤlle nicht anders als aus ſinnlichen Materialien bauen. Der Neger wit - tert ſich ſeine Goͤtter vom Gipfel der Baͤume her - unter, und der Chinguleſe erhoͤrt ſich ſeinen Teu - fel aus dem Geklatſche der Waͤlder Jch bin eini - gen dieſer Abſtraktionen unter verſchiednen Voͤl - kern, in verſchiednen Sprachen nachgeſchlichen, und habe die ſonderbarſten Erfindungskunſt - griffe des menſchlichen Geiſtes wahrgenom - men; der Gegenſtand iſt viel zu groß; der Grund iſt immer derſelbe. Wenn der Wilde denkt, daß dies Ding einen Geiſt hat: ſo muß ein ſinnliches Ding da ſeyn, aus dem er ſich den126 den Geiſt abſtrahirt. Nur hat die Abſtrak - tion ihre ſehr verſchiedne Arten, Stuffen, und Methoden Das leichteſte Beiſpiel, daß keine Nation in ihrer Sprache mehr, und andre Woͤrter habe, als ſie abſtrahiren gelernt, ſind die ohne Zweifel ſehr leichte Abſtraktionen, die Zah - len. Wie wenige haben die meiſten Wilden, ſo reich, vortreflich und ausgebildet ihre Sprachen ſeyn moͤgen! Nie mehr, als ſie brauchten. Der handelnde Phoͤnicier war der erſte, der die Re - chenkunſt erfand; der ſeine Heerde uͤberzaͤhlende Hirte lernt auch zehlen: die Jagdnationen, die nie vielzaͤhlige Geſchaͤfte haben, wiſſen eine Armee nicht anderſt zu bezeichnen, als wie Haare auf dem Haupt! Wer mag ſie zaͤhlen? Wer, der nie ſo weit hinauf gezaͤhlet hat, hat dazu Worte?

Jſts moͤglich, von allen dieſen Spuhren des wandelnden, ſprachſchaffenden Geiſtes wegzuſe - hen, und Urſprung in den Wolken zu ſuchen? Was hat man fuͤr einen Beweis von einem Ein - zigen Worte, was nur Gott erfinden konnte? Exſiſtirt in irgend einer Sprache nur ein Einziger reiner allgemeiner Begriff, der dem Menſchen vomHim -127Himmel gekommen? Wo iſt er auch nur moͤg - lich?*)Die beſte Abhandlung, die ich über dieſe Materie kenne, iſt eines Engländers: things divine & ſupernatural con - ceived by analogy with things natural and human Lond. 1755. by the author of the procedure, extent and limits of human underſtanding. Und was fuͤr 100000 Gruͤnde, und Analogien, und Beweiſe von der Geneſis der Sprache in der menſchlichen Seele, nach den menſchlichen Sinnen, und Seharten! Was fuͤr Beweiſe von der Fortwandrung der Sprache mit der Vernunft, und ihrer Ent - wiklung aus derſelben unter allen Voͤlkern, Weltguͤrteln und Umſtaͤnden! Welches Ohr iſt, das dieſe allgemeine Stimme der Natio - nen nicht hoͤre?

Und doch ſeh ich mit Verwundrung, daß Hr. Suͤßmilch ſich wieder mit mir begegne und auf dem Wege Goͤttliche Ordnung finde, wo ich die allermenſchlichſte entdecke. **)Süßmilch §. 11. daß man noch zur Zeit keine Sprache entdekt hat, die ganz zu Kuͤn - ſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt geweſen was zeugt denn das anders, als daß keine Spracheviehiſch,128viehiſch, daß ſie alle Menſchlich ſind? Wo hat man denn einen Menſchen entdekt, der ganz zu Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt waͤre, und war das ein Wunder? Oder nicht eben die ge - meinſte Sache, weil er Menſch war? Alle Mißionarien haben mit den wildeſten Voͤlkern reden und ſie uͤberzeugen koͤnnen: das konnte ohne Schluͤſſe und Gruͤnde nicht geſchehen: ihre Sprachen mußten alſo Terminos abſtractos ent - halten u. ſ. w. und wenn das, ſo wars goͤtt - liche Ordnung? Oder war es nicht eben die menſch - lichſte Sache, ſich Worte zu abſtrahiren, wo man ſie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige Abſtraktion in ſeiner Sprache gehabt, die es ſich nicht ſelbſt erworben? Und waren denn bei allen Voͤlkern gleichviel? Konnten die Mißionarien ſich uͤberall gleich leicht ausdruͤcken, oder hat man nicht das Gegentheil aus allen Welttheilen geleſen? Und wie drukten ſie ſich denn aus, als daß ſie ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie derſelben anbogen? Und geſchahe dies uͤberall auf gleiche Art? Ueber das Faktum waͤre ſo viel, ſo viel zu ſagen! der Schluß ſagt gar das Gegen -theil.129theil. Eben weil die menſchliche Vernunft nicht ohne Abſtraktion ſeyn kann, und jede Ab - ſtraktion nicht ohne Sprache wird: So muß die Sprache auch in jedem Volk Abſtraktionen enthalten, das iſt, ein Abdruck der Vernunft ſeyn, von der ſie ein Werkzeug geweſen. Wie aber jede nur ſo viel enthaͤlt, als das Volk hat machen koͤnnen, und keine einzige, die ohne Sinne gemacht waͤre, als welches ihr urſpruͤnglich ſinnlicher Ausdruck zeigt: ſo iſt nir - gends goͤttliche Ordnung zu ſehen, als ſo fern die Sprache durchaus Menſchlich iſt.

  • V. Endlich da jede Grammatik nur eine Phi - loſophie uͤber die Sprache, und eine Me - thode ihres Gebrauchs iſt: ſo muß je ur - ſpruͤnglicher die Sprache, deſto weniger Grammatik in ihr ſeyn, und die aͤlteſte iſt blos das vorangezeigte Woͤrterbuch der Na - tur! Jch reiße einige Steigerungen ab.

1) Deklinationen und Conjugationen ſind nichts anders, als Verkuͤrzungen und Beſtimmun - gen des Gebrauchs der Nominum und Verborum nach Zahl, Zeit und Art, und Perſon? Je roher alſoJeine130eine Sprache, deſto unregelmaͤßiger iſt ſie in die - ſen Beſtimmungen, und zeigt bei jedem Schritte den Gang der menſchlichen Vernunft. Hintenan ohne Kunſt des Gebrauchs, iſt ſie ſimples Woͤrterbuch.

2) Wie Verba einer Sprache eher ſind, als die von ihnen rund abſtrahirten Nomina: ſo auch Anfangs um ſo mehr Conjugationen, je we - niger man Begriffe unter einander zu ordnen gelernt hat. Wie viel haben die Morgenlaͤnder! und doch ſinds eigentlich keine, denn was giebts noch immer fuͤr Verpflanzungen und Umwerfungen der Verborum aus Conjugation in Conjugation! Die Sache iſt ganz natuͤrlich. Da nichts den Menſchen ſo angeht, und wenigſtens ſo ſprachar - tig ihn trift, als was er erzaͤhlen ſoll, Thaten, Handlungen, Begebenheiten: ſo muͤſſen ſich ur - ſpruͤnglich eine ſolche Menge Thaten und Bege - benheiten ſammeln, daß faſt fuͤr jeden Zuſtand ein neues Verbum wird. Jn der huroniſchen Sprache wird alles conjugirt. Eine Kunſt, die nicht kann erklaͤret werden, laͤßt darinn von den Zeitwoͤrtern, die Nenn - die Fuͤr - die Zu - woͤrter unterſcheiden. Die einfachen Zeitwoͤrter haben131 haben eine doppelte Conjugation, Eine fuͤr ſich und Eine, die ſich auf andre Dinge beziehet. Die dritten Perſonen haben die beiden Geſchlech - ter. Was die Tempora anbetrift, findet man die feinen Unterſchiede, die man z. E. im Grie - chiſchen bemerket; ja wenn man die Erzaͤhlung einer Reiſe thun will, ſo druͤkt man ſich verſchie - den aus, wenn man ſie zu Lande und zu Waſſer gethan hat. Die Activa vervielfaͤltigen ſich ſo oft als es Sachen giebt, die unter das Thun kommen: das Wort Eſſen veraͤndert ſich mit je - der eßbaren Sache. Das Thun einer beſeelten Sache wird anders ausgedruͤkt: als einer un - beſeelten. Sich ſeines und des Eigenthums deſ - ſen bedienen, mit dem man redet, hat zweierlei Ausdruck u. ſ. w. Man denke ſich alle dieſe Vielheit von Verbis, Modis, Temporibus, Per - ſonen, Zuſtaͤnden, Geſchlechtern u. ſ. w. welche Muͤhe und Kunſt, das einigermaßen unter ein - ander zu bringen? Aus dem was ganz Woͤrterbuch war, einigermaßen Grammatik zu machen? Des P. Leri Grammatik der Topinambuer in Braſilien zeigt eben daſſelbe! denn wieJ 2das132 das erſte Woͤrterbuch der menſchlichen Seele eine lebendige Epopee der toͤnenden, handeln - den Natur war: ſo war die erſte Grammatik faſt nichts, als ein philoſophiſcher Verſuch, dieſe Epopee zur regelmaͤßigern Geſchichte zu machen; Sie zerarbeitet ſich alſo mit lauter Verbis, und arbeiter in einem Chaos, was fuͤr die Dichtkunſt unerſchoͤpflich, mehr geordnet, ſehr reich fuͤr die Beſtimmung der Geſchichte; am ſpaͤtſten aber fuͤr Axiome und Demonſtrationen brauchbar iſt.

3) Das Wort, was unmittelbar auf den Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte ſchon einem Vergangnen: Praeterita ſind alſo die Wurzeln der Verborum, aber Praeteri - ta, die noch faſt fuͤr die Gegenwart gelten. A priori iſt das Faktum ſonderbar und unerklaͤrlich, da die gegenwaͤrtige Zeit die erſte ſeyn muͤßte, wie ſie es auch in allen ſpaͤtergebildeten Sprachen geworden; nach der Geſchichte der Sprachenerfin - dung konnte es nicht anders ſeyn. Die Gegen - wart zeigt man; aber das Vergangne muß man erzaͤhlen. Und da man dies auf ſo viel Art erzaͤhlen konnte, und Anfangs im BeduͤrfnißWorte133Worte zu finden es ſo vielfaͤltig thun mußte: ſo wurden in allen alten Sprachen viel Praeterita, aber nur ein oder kein Praeſens. Deſſen hatte ſich nun in den gebildetern Zeiten Dichtkunſt und Geſchichte ſehr; die Philoſophie aber ſehr wenig zu erfreuen, weil die keinen verwirrenden Vorrath liebt Hier ſind wieder Huronen, Braſilianer, Morgenlaͤnder, und Griechen gleich: uͤberall Spuren vom Gange des menſchlichen Geiſtes!

4) Alle neuere philoſophiſche Sprachen haben das Nomen feiner, das Verbum weniger, aber re - gelmaͤßiger modificirt; denn die Sprache erwuchs mehr zur kalten Beſchauung deſſen, was da iſt, und was geweſen iſt, als daß ſie noch ein unre - gelmaͤßig ſtammelndes Gemiſch von dem, was etwa geweſen iſt, geblieben waͤre. Jenes ge - woͤhnte man ſich nach einander zu ſagen, und alſo durch Numeros und Artikel und Caſus u. ſ. w. zu beſtimmen; die alten Erfinder wollten Al - les auf Einmal ſagen*)Rouſſeau hat dieſen Satz in ſeiner Hypotheſe divinirt, den ich hier beſtimme und beweiſe. nicht blos, was ge - than waͤre, ſondern wer es gethan? Wenn? J 3Wie?134 Wie? und wo es geſchehen? Sie brachten alſo in die Nomina gleich den Zuſtand: in jede Per - ſon des Verbi gleich das Genus: ſie unterſchieden gleich durch prae - und afformativa, durch af - und ſuffixa: Verbum und Adverbium, Verbum und Nomen und alles floß zuſammen. Je ſpaͤter, deſto mehr wurde unterſchieden und hergezaͤhlt: aus den Hauchen wurden Artikel, aus den An - ſaͤtzen Perſonen, aus den Vorſaͤtzen Modi oder Adverbia: die Theile der Rede floſſen aus einan - der: nun ward allmaͤhlig Grammatik. So iſt dieſe Kunſt zu reden, dieſe Philoſophie uͤber die Sprache erſt langſam und Schritt vor Schritt, Jahr - hunderte und Zeiten hinab gebildet, und der erſte Kopf, der an eine wahre Philoſophie der Grammatik, an die Kunſt zu reden! denkt, muß gewiß erſt die Geſchichte derſelben durch Voͤlker und Stuffen hinab uͤberdacht haben. Haͤtten wir doch eine ſolche Geſchichte! ſie waͤre mit allen Fortgaͤngen und Abweichungen eine Charte von der Menſchlichkeit der Sprache.

5) Aber wie hat eine Sprache ganz ohne Grammatik beſtehen koͤnnen? Ein bloßer Zuſam -men -135menfluß von Bildern und Empfindungen ohne Zu - ſammenhang und Beſtimmung? Fuͤr beide war geſorgt: es war lebende Sprache. Da gab die große Einſtimmung der Geberden gleichſam den Takt, und die Sphaͤre, wohin es gehoͤrte; und der große Reichthum der Beſtimmungen, der im Woͤr - terbuch ſelbſt lag, erſezte die Kunſt der Grammatik. Sehet die alte Schrift der Mexicaner! ſie mahlen lauter Einzelne Bilder; Wo kein Bild in die Sinne faͤllt, haben ſie ſich uͤber Striche vereinigt, und den Zuſammenhang zu allem muß die Welt geben, in die es gehoͤrt, aus der es geweiſſagt wird. Dieſe Weiſſagungskunſt, aus einzelnen Zeichen Zu - ſammenhang zu errathen wie weit koͤn - nen ihn noch nur Einzelne Stumme und Taube treiben! und wenn dieſe Kunſt ſelbſt mit zur Spra - che gehoͤrt, von Jugend auf, als Sprache, mit gelernt wird; wenn ſie ſich mit der Tradition von Geſchlechtern immer mehr erleichtert und vervoll - kommnet: ſo ſehe ich nichts unbegreifliches Je mehr ſie aber erleichtert wird, deſto mehr nimmt ſie ab; deſto mehr wird Grammatik und das iſt Stuffengang des menſchlichen Geiſtes!

J 4Pro -136

Proben davon ſind z. E. des la Loubere Nach - richten von der Siamiſchen Sprache: wie aͤhnlich iſt ſie noch dem Zuſammenhange der Morgenlaͤn - der, inſonderheit ehe durch ſpaͤtere Bildung noch mehr von ihm hineinkam. Der Siamer will ſagen: waͤre ich zu Siam, ſo waͤre ich vergnuͤgt! und ſagt: Wenn ich ſeyn Stadt Siam; ich wohl Herz viel! Er will das Vater Unſer beten: und muß ſagen; Vater, uns ſeyn Himmel! Na - men Gottes wollen heiligen aller Ort u. ſ. w. wie morgenlaͤndiſch und urſpruͤnglich iſt das? ge - rade ſo zuſammenhangend, als eine mexikaniſche Bilderſchaft! oder das Stammeln der Ungelehri - gen aus fremden Sprachen!

6) Jch muß hier noch eine Sonderbarkeit er - klaͤren, die ich auch in Herrn Suͤßmilchs goͤttlicher Ordnung mißverſtanden ſehe: nemlich die Man - nichfaltigkeit der Bedeutungen eines Worts nach dem Unterſchiede kleiner Artikulationen! Jch finde dieſen Kunſtgriff faſt unter allen Wilden, wie ihn z. E. Garcilaſſo di Vega von den Perua - nern, Condamine von den Braſilianern, la Loubere von den Siameſen, Reſoel vonden137den Nordamerikanern anfuͤhrt. Jch finde ihn eben ſo bei den alten Sprachen, z. E. der Chine - ſiſchen und den Morgenlaͤndiſchen, vorzuͤglich der Hebraͤiſchen, wo ein kleiner Schall, Accent, Hauch die ganze Bedeutung aͤndert, und ich finde doch nichts als etwas ſehr Menſchliches in ihm, Duͤrftigkeit und Bequemlichkeit der Erfinder! Sie hatten ein neues Wort noͤthig; und da das muͤſſige Erfinden aus leerem Kopf ſo ſchwer iſt: ſo nahmen ſie ein Aehnliches mit der Veraͤnde - rung vielleicht nur Eines Hauchs. Das war Geſetz der Sparſamkeit ihnen Anfangs bei ihren ſich durchwebenden Gefuͤhlen ſehr natuͤrlich und bei ihrer maͤchtigern Ausſprache der Woͤr - ter noch ziemlich bequem; aber fuͤr einen Frem - den, der ſein Ohr nicht von Jugend auf daran gewoͤhnt hat, und dem die Sprache jezt mit Phleg - ma, wo der Schall halb im Munde bleibt, vorge - ziſcht wird, macht dies Geſetz der Sparſamkeit und Nothdurft die Rede unvernehmlich und unaus - ſprechlich. Je mehr eine geſunde Grammatik in die Sprachen Haushaltung eingefuͤhrt; deſto min - der wird dieſe Kargheit noͤthig alſo gerade dasJ 5Ge -138Gegentheil, als Kennzeichen goͤttlicher Erfindung, wo der Erfinder ſich gewiß ſehr ſchlecht zu helfen gewußt, wenn er ſo etwas noͤthig hatte.

7) Am offenbarſten wird endlich der Fortgang der Sprvche durch die Vernunft und der Ver - nunft durch die Sprache, wenn dieſe ſchon einige Schritte gethan, wenn in ihr ſchon Stuͤcke der Kunſt z. B. Gedichte, exſiſtiren, wenn Schrift erfunden iſt, wenn ſich eine Gattung der Schreibart nach der andern aus - bildet. Da kann kein Schritt gethan, kein neues Wort erfunden, keine neue gluͤkliche Form in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der menſchlichen Seele liege. Da kommen durch Gedichte, Sylbenmaaße, Wahl der ſtaͤrkſten Worte und Farben, Ordnung und Schwung der Bilder: da kommt durch Geſchichte, Unterſchied der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks: da kommt endlich durch die Redner die voͤllige Rundung des Perioden in die Sprache. So wie nun vor je - dem ſolchen Zuſatz, Nichts dergleichen vorher in der Sprache da lag, aber alles durch die menſch - liche Seele hineingebracht wurde und hineinge -bracht139bracht werden konnte: wo will man dieſer Her - vorbringung, dieſer Fruchtbarkeit Graͤnzen ſetzen? wo will man ſagen: hier fing die menſchliche Seele zu wuͤrken an, aber eher nicht? Hat ſie das Fein - ſte, das Schwerſte erfinden koͤnnen, warum nicht das Leichteſte? Konnte ſie zu Stande bringen, warum nicht Verſuche machen, warum nicht an - fangen? Denn was war doch der Anfang, als die Produktion eines Einzigen Worts, als Zeichen der Vernunft, und das mußte ſie, blind und ſtumm in ihrem Jnnern, ſo wahr ſie Vernunft beſaß.

Jch bilde mir ein, das Koͤnnen der Erfindung menſchlicher Sprache ſei mit dem, was ich geſagt, von Jnnen aus der menſchlichen Seele; von Außen aus der Organiſation des Menſchen, und aus der Analogie aller Sprachen und Voͤl - ker, theils in den Beſtandtheilen aller Rede, theils im ganzen großen Fortgange der Spra - che mit der Vernunft ſo bewieſen, daß wer dem Menſchen nicht Vernunft abſpricht, oder was eben ſo viel iſt, wer nur weiß, was Vernunft iſt: werſich140ſich ferner je um die Elemente der Sprache Philo - ſophiſch bekuͤmmert; wer dazu die Beſchaffenheit und Geſchichte der Sprachen auf dem Erdboden mit dem Auge des Beobachters in Ruͤckſicht ge - nommen; der kann nicht Einen Augenblick zwei - feln, wenn ich auch weiter kein Wort mehr hinzu - ſezte. Die Geneſis in der menſchlichen Seele iſt ſo demonſtrativ, als irgend ein philoſophiſcher Beweis, und die aͤußere Analogie aller Zeiten, Sprachen und Voͤlker, ſolch ein Grad der Wahr - ſcheinlichkeit, als bei der gewiſſeſten Sache der Geſchichte moͤglich iſt. Jndeſſen um auf immer allen Einwendungen vorzubeugen, und den Satz gleichſam auch aͤußerlich ſo gewiß zu machen, als eine philoſophiſche Wahrheit ſeyn kann: ſo laſſet uns noch aus allen aͤußern Umſtaͤnden und aus der ganzen Analogie der menſchlichen Natur beweiſen: daß der Menſch ſich ſeine Sprache hat erfinden muͤſſen? und unter welchen Umſtaͤnden er ſie ſich am fuͤglichſten habe erfinden koͤnnen?

Zwei -[141]

Zweiter Theil. Auf welchem Wege der Menſch ſich am fuͤglichſten hat Sprache erfinden koͤnnen und muͤſſen?

[142][143]

Die Natur gibt keine Kraͤfte umſonſt. Wenn ſie alſo dem Menſchen nicht bloß Faͤhig - keiten gab, Sprache zu erfinden, ſondern auch dieſe Faͤhigkeit zum Unterſcheidungscharakter ſeines Weſens, und zur Triebfeder ſeiner vorzuͤg - lichen Richtung machte: ſo kam dieſe Kraft nicht anders als lebend, aus ihrer Hand, und ſo konnte ſie nicht anders, als in eine Sphaͤre geſezt ſeyn, wo ſie wuͤrken mußte. Laſſet uns einige dieſer Umſtaͤnde und Anliegenheiten genauer betrachten, die ſogleich den Menſchen, da er mit der naͤchſten Anlage ſich Sprache zu bilden, in die Welt trat, ſogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieſer Anliegenheiten viel ſind, ſo bringe ich ſie unter gewiſſe Hauptgeſetze ſeiner Natur und ſeines Geſchlechts:

Erſtes144

Erſtes Naturgeſetz.

  • Der Menſch iſt ein freidenkendes, thaͤtiges We - ſen, deſſen Kraͤfte in Progreſſion fortwuͤrken; darum ſei er ein Geſchoͤpf der Sprache!

Als naktes, inſtinktloſes Thier betrachtet, iſt der Menſch das elendeſte der Weſen. Da iſt kein dunkler, angebohrner Trieb, der ihn in ſein Element, und in ſeinen Wuͤrkungskreis, zu ſeinem Unterhalt und an ſein Geſchaͤfte zeucht. Kein Geruch und keine Witterung, die ihn auf die Kraͤuter hinreiße, damit er ſeinen Hun - ger ſtille! Kein blinder, mechaniſcher Lehrmei - ſter, der fuͤr ihn ſein Neſt baue! Schwach und unterliegend, dem Zwiſt der Elemente, dem Hunger, allen Gefahren, den Klauen aller ſtaͤr - kern Thiere, einem tauſendfachen Tode uͤberlaſſen, ſtehet er da! einſam und Einzeln! ohne den unmit - telbaren Unterricht ſeiner Schoͤpferinn, und ohne die ſichere Leitung ihrer Hand, von allen Seiten alſo verloren

Doch145

Doch ſo lebhaft dies Bild ausgemahlt werde: ſo iſts nicht das Bild des Menſchen es iſt nur Eine Seite ſeiner Oberflaͤche und auch die ſtehet im falſchen Licht. Wenn Verſtand und Beſon - nenheit die Naturgabe ſeiner Gattung iſt: ſo muͤßte dieſe ſich ſogleich aͤußern, da ſich die ſchwaͤ - chere Sinnlichkeit und alle das klaͤgliche ſeiner Ent - behrungen aͤußerte. Das Jnſtinktloſe, elende Geſchoͤpf, was ſo verlaſſen aus den Haͤnden der Natur kam, war auch vom erſten Augenblicke an, das freitbaͤtige vernuͤnftige Geſchoͤpf, das ſich ſelbſt helfen ſollte, und nicht anders, als konnte. Alle Maͤngel und Beduͤrfniſſe, als Thier, waren dringende Anlaͤße, ſich mit allen Kraͤften, als Menſch zu zeigen: ſo wie dieſe Kraͤfte der Menſch - heit nicht etwa blos ſchwache Schadloshaltungen gegen die ihm verſagten groͤßern Thiervollkommen - heiten waren, wie unſre neue Philoſophie, die große Goͤnnerinn der Thiere! will: ſondern ſie wa - ren, ohne Vergleichung und eigentliche Gegenein - andermeſſung ſeine Art. Der Mittelpunkt ſeiner Schwere, die Hauptrichtung ſeiner Seelenwuͤrkun - gen fiel ſo auf dieſen Verſtand, auf menſchlicheKBe -146Beſonnenheit hin, wie bei der Biene ſogleich aufs Saugen und Bauen.

Wenn es nun bewieſen iſt, daß nicht die min - deſte Handlung ſeines Verſtandes, ohne Merk - wort, geſchehen konnte: ſo war auch das erſte Moment der Beſinnung, Moment zu innerer Entſtehung der Sprache.

Man laſſe ihm zu dieſer erſten deutlichen Be - ſinnung ſo viel Zeit, als man will: Man laſſe, nach Buffons Manier (nur philoſophiſcher, als er) dies gewordne Geſchoͤpf ſich allmaͤhlig ſammlen: Man vergeſſe aber nicht, daß gleich vom erſten Momente an kein Thier, ſondern ein Menſch, zwar noch kein Geſchoͤpf von Beſinnung aber ſchon von Beſonnenheit ins Univerſum er - wache. Nicht wie eine große, ſchwerfaͤllige, un - behuͤlfliche Maſchine, die gehen ſollte, und mit ſtarren Gliedern nicht gehen kann: die ſehen, hoͤ - ren, koſten ſollte, und mit ſtarren Saͤften im Auge, mit verhaͤrtetem Ohr und mit verſteinter Zunge nichts von alle dieſem kann Leute, die Zwei - fel der Art machen, ſollten doch bedenken, daß dieſer Menſch nicht aus Platons Hoͤle, aus Ei -nem147nem finſtern Kerker, wo er von ſeinem erſten Au - genblick des Lebens eine Reihe von Jahren hin, ohne Licht und Bewegung ſich mit ofnen Augen blind, und mit gefunden Gliedern ungelenk geſeſſen, ſondern daß er aus den Haͤnden der Natur, im friſcheſten Zuſtande, ſeiner Kraͤfte und Saͤfte, und mit der beſten, naͤchſten Anlage kam vom erſten Augenblicke ſich zu entwickeln. Ueber die er - ſten Momente der Sammlung, muß freilich die ſchaffende Vorſicht, gewaltet haben doch das iſt nicht Werk der Philoſophie das Wunderbare in dieſen Momenten zu erklaͤren; ſo wenig ſie ſeine Schoͤpfung erklaͤren kann. Sie nimmt ihn im erſten Zuſtande der freien Thaͤtigkeit, im erſten vollen Gefuͤhl ſeines geſunden Daſeyns, und erklaͤrt alſo dieſe Momente nur Menſchlich.

Nun kann ich mich auf das vorige beziehen. Da hier keine metaphyſiſche Trennung der Sinne ſtatt findet, da die ganze Maſchine empfindet, und gleich vom dunklen Gefuͤhl heraufarbeitet zur Beſinnung, da dieſer Punkt, die Empfindung des erſten deutlichen Merkmals, eben auf das Gehoͤr, den mittlern Sinn zwiſchen Auge undK 2Ge -148Gefuͤhl trift: ſo iſt die Geneſis der Sprache ein ſo inneres Dringniß, wie der Drang des Em - bryons zur Geburt bei dem Moment ſeiner Reife. Die ganze Natur ſtuͤrmt auf den Menſchen, um ſeine Sinne zu entwiklen, bis er Menſch ſei. Und wie von dieſem Zuſtande die Sprache anfaͤngt, ſo iſt die ganze Kette von Zuſtaͤnden in der menſchlichen Seele von der Art, daß jeder die Sprache fortbildet, Dies große Geſetz der Naturordnung will ich ins Licht ſtellen.

Thiere verbinden ihre Gedanken, dunkel, oder klar, aber nicht deutlich. So wie freilich die Gattungen, die nach Lebensart und Nervenbau dem Menſchen am naͤchſten ſtehen, die Thiere des Feldes, oft viel Erinnerung, viel Gedaͤcht - niß, und in manchen Faͤllen ein ſtaͤrkeres als der Menſch zeigen: ſo iſts nur immer ſinnliches Gedaͤchtniß; und keines hat die Erinnerung je durch eine Handlung bewieſen, daß es fuͤr ſein ganzes Geſchlecht ſeinen Zuſtand verbeſſert, und Erfahrungen generaliſiret haͤtte, um ſie in der Folge zu nutzen. Der Hund kann frei -lich149lich die Geberde erkennen, die ihn geſchlagen, und der Fuchs den unſichern Ort, wo ihm nachgeſtellt wurde, fliehen; aber keins von beiden ſich eine allgemeine Reflexion aufklaͤren, wie es dieſer ſchlagdrohenden Geberde und dieſer Hinterliſt der Jaͤger je auf immer entgehen koͤnnte. Es blieb alſo nur immer bei dem Einzelnen ſinnlichen Falle hangen, und ſein Gedaͤchtniß wurde eine Reihe dieſer ſinnlichen Faͤlle, die ſich produ - ciren und reproduciren aber nie durch Ue - berlegung verbunden: ein Mannichfaltiges ohne deutliche Einheit: ein Traum ſehr ſinnlicher, klarer, lebhafter Vorſtellungen, ohne ein Hauptge - ſetz des hellen Wachens, das dieſen Traum ordne.

Freilich iſt unter dieſen Geſchlechtern und Gat - tungen noch ein großer Unterſchied. Je enger der Kreis, je ſtaͤrker die Sinnlichkeit und der Trieb, je einfoͤrmiger die Kunſtfaͤhigkeit, und das Werk des Lebens iſt; deſto weniger iſt, wenigſtens fuͤr uns, die geringſte Progreßion durch Erfahrung merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit ſo, wie im hohen Alter, und wird zu Ende der Welt ſo bauen, als im Beginn der Schoͤpfung. SieK 3ſind150ſind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen, unterſcheidet ſich ſchon ſehr von dem erſten Lehrlinge der Jagd: er kennet ſchon viele Kunſtgriffe voraus, und ſucht ihnen zu entweichen aber woher kennt er ſie? und wie ſucht er ihnen zu entweichen? Weil unmittelbar aus ſolcher Erfahrung das Geſetz dieſer Handlung folget. Jn keinem Falle wuͤrkt deutliche Reflexion, denn werden nicht immer die kluͤgſten Fuͤchſe noch jezt ſo beruͤkt, wie vom erſten Jaͤger in der Welt? Bei dem Menſchen waltet offenbar ein andres Naturgeſetz uͤber die Succeßion ſeiner Jdeen, Beſonnenheit: ſie wal - tet noch ſelbſt im ſinnlichſten Zuſtande, nur min - der merklich, das unwiſſendſte Geſchoͤpf, wann er auf die Welt kommt: aber ſogleich wird er Lehr - ling der Natur auf eine Weiſe wie kein Thier: Ein Tag nicht blos lehrt den andern: ſondern jede Minute des Tages die andre: jeder Gedanke den andern. Der Kunſtgriff iſt ſeiner Seele weſent - lich, nichts fuͤr dieſen Augenblick zu lernen, ſon - dern alles, entweder an das zu reihen, was ſieſchon151ſchon wußte, oder fuͤr das, was ſie kuͤnftig daran zu knuͤpfen gedenkt: ſie berechnet alſo ihren Vor - rath, den ſie geſammlet, oder noch zu ſammlen gedenkt: und ſo wird ſie eine Kraft unverruckt zu ſammlen. Solch eine Kette gehet bis an den Tod fort. Gleichſam nie der ganze Menſch: immer in Entwiklung, im Fortgange, in Ver - vollkommung. Eine Wuͤrkſamkeit hebt ſich durch die andre: eine baut auf die andre: eine entwi - ckelt ſich aus der andren. Es werden Lebensalter, Epochen, die wir nur nach den Stuffen der Merk - lichkeit benennen, die aber, weil der Menſch nie fuͤhlt, wie er waͤchſet: ſondern nur immer wie er gewachſen iſt, ſich in ein unendlich kleines theilen laſſen. Wir wachſen immer aus einer Kindheit, ſo alt wir ſeyn moͤgen, ſind immer im Gange, un - ruhig, ungeſaͤttigt: Das Weſentliche unſers Le - bens iſt nie Genuß ſondern immer Progreßion, und wir ſind nie Menſchen geweſen, bis wir zu Ende gelebt haben; dahingegen die Biene, Biene war, als ſie ihre erſte Zelle bauete. Zu allen Zeiten wuͤrkt freilich dies Geſetz der Vervoll - kommung, der Progreßion durch Beſonnenheit,K 4nicht152nicht gleich merklich: iſt aber, das minder merk - liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge - dankentraume, denkt der Menſch nicht ſo ordentlich und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt er noch immer als ein Menſch als Menſch in einem Mittelzuſtande; nie als ein voͤlliges Thier. Bei einem Geſunden muͤſſen ſeine Traͤume ſo gut eine Regel der Verbindung haben, als ſeine wa - chenden Gedanken; nur daß es nicht: dieſelbe Re - gel ſeyn, oder dieſe ſo einfoͤrmig wuͤrken kann; ſelbſt dieſe Ausnahmen zeugten alſo von der Guͤltigkeit des Hauptgeſetzes, und die offenbaren Krankheiten und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnde, Ohnmachten, Ver - ruͤckungen, u. ſ. w. zeugen es noch mehr. Nicht jede Handlung der Seele iſt unmittelbar eine Fol - ge der Beſinnung; jede aber eine Folge der Beſonnenheit: Keine, ſo wie ſie beim Menſchen geſchiehet, koͤnnte ſich aͤußern, wann der Menſch nicht Menſch waͤre, und nach ſolchem Naturge - ſetz daͤchte.

Konnte nun der erſte Zuſtand der Beſin - nung des Menſchen nicht ohne Wort der Seele wuͤrklich werden: ſo werden alle Zuſtaͤnde der Be -153 Beſonnenheit in ihm Sprachmaͤßig: ſeine Kette von Gedanken wird eine Kette von Worten.

Will ich damit ſagen, daß der Menſch jede Empfindung ſeines dunkelſten Gefuͤhls zu einem Worte machen? oder ſie nicht anders, als mit - telſt eines Worts empfinden koͤnne? Unſinn waͤre es, dies zu ſagen, da gerade umgekehrt bewieſen iſt: was ſich blos durchs dunkle Gefuͤhl empfin - den laͤßt, iſt keines Worts fuͤr uns faͤhig, weil es keines deutlichen Merkmals faͤhig iſt. Die Baſis der Menſchheit iſt alſo, wenn wir von will - kuͤhrlicher Sprache reden, unausſprechlich. Aber iſt denn Baſis die ganze Figur? Fußgeſtelle die ganze Bildſaͤule? Jſt der Menſch ſeiner gan - zen Natur nach, denn eine blos dunkel fuͤhlen - de Auſter? Laſſet uns alſo den ganzen Faden ſeiner Gedanken nehmen da er von Beſonnen - heit gewebt iſt: da ſich in ihm kein Zuſtand fin - det, der im Ganzen genommen, nicht ſelbſt Be - ſinnung ſei, oder doch in Beſinnung aufgeklaͤrt werden koͤnne: da bei ihm das Gefuͤhl nicht herr - ſchet, ſondern die ganze Mitte ſeiner Natur aufK 5feinere154feinere Sinne, Geſicht und Gehoͤr, faͤllt, und dieſe ihm immer fort Sprache geben: ſo folgt, daß im Ganzen genommen. Auch kein Zuſtand in der menſchlichen Seele ſey, der nicht wortfaͤhig oder wuͤrklich durch Worte der Seele beſtimmt werde. Es muͤßte der dun - kelſte Schwaͤrmer oder ein Vieh der abſtrakteſte Goͤtterſeher, oder eine traͤumende Monade ſeyn, der ganz ohne Worte daͤchte. Und in der menſchlichen Seele iſt, wie wir ſelbſt in Traͤumen und bei Ver - ruͤkten ſehen, kein ſolcher Zuſtand moͤglich. So kuͤhn es klinge ſo iſts wahr der Menſch em - pfindet mit dem Verſtande und ſpricht, in - dem er denket, und indem er nun im - mer ſo fortdenket, und, wie wir geſehen, jeden Gedanken in der Stille mit dem vorigen und der Zukunft zuſammen haͤlt: ſo muß

Jeder Zuſtand, der durch Reflexion ſo verkettet iſt, beſſer denken, mithin auch beſſer ſprechen. Laſſet ihm den freien Ge - brauch ſeiner Sinne: da der Mittelpunkt dieſes Gebrauchs in Geſicht und Gehoͤr faͤllt, wo jenes ihm Merkmal und dieſes Ton zum Merkmale gibt:ſo155ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch dieſer Sinne, ihm Sprache fortgebildet. Laſſet ihm den freien Gebrauch ſeiner Seelenkraͤfte. Da der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Beſonnen - heit faͤllt, mithin nicht ohne Sprache iſt, ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Be - ſonnenheit, ihm Sprache mehr gebildet. Folg - lich wird die Fortbildung der Sprache dem Menſchen ſo natuͤrlich, als ſeine Natur ſelbſt.

Wer iſt nun, der den Umfang der Kraͤſte einer Menſchenſeele kenne, wenn ſie ſich zumal in aller Anſtrengung gegen Schwuͤrigkeiten und Gefahren aͤußern? Wer iſt, der den Grad der Vollkom - menheit abwiege, zu dem ſie durch eine beſtandige, innig verwickelte, ſo vielfache Fortbildung gelan - gen kann? Und da alles auf Sprache hinaus laͤuft, wie anſehnlich, was ein Einzelner Menſch zur Sprache ſammlen muß! Mußte ſich ſchon der Blinde und Stumme, auf ſeinem einſamen Ei - lande eine duͤrftige Sprache ſchaffen; der Menſch, der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen Welt! wie weit reicher muß er werden! Was ſoller156er genießen? Sinne, Geruch, Witterung fuͤr die Kraͤuter, die ihm geſund; Abneigung fuͤr die, ſo ihm ſchaͤdlich ſind, hat die Natur ihm nicht ge - geben; er muß alſo verſuchen, ſchmecken, wie die Europaͤer in Amerika den Thieren abſehen, was eßbar ſey? Sich alſo Merkmale der Kraͤuter, mithin Sprache ſammlen! Er hat nicht Staͤrke genug, um dem Loͤwen zu begegnen; er entweiche alſo ferne von ihm, kenne ihn von fern an ſeinem Schalle, und um ihm menſchlich und mit Bedacht entweichen zu koͤnnen, lerne ihn und hundert an - dre ſchaͤdliche Thiere deutlich erkennen, mithin ſie nennen! Je mehr er nun Erfahrungen ſammlet, verſchiedne Dinge und von verſchiednen Sei - ten kennen lernt, deſto reicher wird ſeine Spra - che! Je oͤfter er dieſe Erfahrungen ſiehet und die Merkmale bei ſich wiederholet, deſto feſter und gelaͤufiger wird ſeine Sprache. Je mehr er un - terſcheidet und unter einander ordnet, deſto ordentlicher wird ſeine Sprache! Dies Jahre durch, in einem muntern Leben, in ſteten Abwech - ſelungen, in beſtaͤndigem Kampf, mit Schwuͤrig - keiten und Nothdurft, mit beſtaͤndiger Neuheit derGegen -157Gegenſtaͤnde fortgeſezt: iſt der Anfang zur Spra - che: unbetraͤchtlich? Und ſiehe! es iſt nur das Leben eines Einzigen Menſchen!

Ein ſtummer Menſch, in dem Verſtande, wie es die Thiere ſind, der auch nicht in ſeiner Seele Worte denken koͤnnte, waͤre das traurigſte, ſinn - loſeſte, verlaſſenſte Geſchoͤpf der Schoͤpfung: und der groͤßſte Wiederſpruch mit ſich ſelbſt! Jm ganzen Univerſum gleichſam allein; an nichts ge - heftet und fuͤr alles da, durch nichts geſichert, und durch ſich ſelbſt noch minder, muß der Menſch ent - weder unterliegen, oder uͤber alles herrſchen, mit Plan einer Weißheit, deren kein Thier faͤhig iſt, von allem deutlichen Beſitz nehmen, oder umkom - men! Sey nichts, oder Monarch der Schoͤpfung durch Verſtand! Zertruͤmmere, oder ſchaffe dir Sprache. Und wann ſich nun in dieſem andrin - genden Kreiſe von Beduͤrfniſſen alle Seelenkraͤſte ſammlen: wenn die ganze Menſchheit, Menſch zu ſeyn, kaͤmpfet wie viel kann erfunden, gethan, geordnet werden!

Wir geſellſchaftlichen Menſchen denken uns in einem ſolchen Zuſtand nur immer mit Zittern hin -ein:158ein: ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt retten ſoll Durch Vernunft, durch Ueberle - gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe? ſeine Gefahren! Es kann dieſer Einwurf freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden; er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre Spitze. Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen - heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil - det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver - nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge - nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb - rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt machen ſie kein Ganzes einer Maſchine Aber daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an -dre159dre zu uͤbertreffen, nicht in den Zuſtand eines natuͤrlichen Menſchen uͤbertrage. Setzet einen Philoſophen, in der Geſellſchaft geboren und er - zogen, der nichts als ſeinen Kopf zu denken und ſeine Hand zum Schreiben geuͤbet, ſetzet ihn mit Einmal aus allem Schutz und gegenſeitigen Be - quemlichkeiten, die ihm die Geſellſchaft fuͤr ſeine einſeitigen Dienſte leiſtet, hinaus: er ſoll ſich ſelbſt in einem unbekannten Lande Unterhalt ſuchen, und gegen die Thiere kaͤmpfen, und in allem eigner Schutzgott ſeyn wie verlegen! Er hat dazu we - der Sinne noch Kraͤfte, noch Uebunng in beiden! Vielleicht hat er in den Jrrgaͤngen ſeiner Abſtrak - tion, Geruch und Geſicht und Gehoͤr, und raſche Erfindungsgabe und gewiß jenen Muth, jene ſchnelle Entſchließung verlohren, die ſich nur unter Gefahren bildet und aͤußert, die in ſteter, neuer Wuͤrkſamkeit ſeyn will, oder ſie entſchlaͤft. Jſt er nun in Jahren, wo der Lebensquell ſeiner Geiſter ſchon ſtille ſteht, oder zu vertroknen anfaͤngt: ſo wird es freilich ewig zu ſpaͤt ſeyn, ihn in dieſen Kreis hineinbilden zu wollen aber iſt denn das der gegebne Fall? Alle die Verſuche zur Sprache,die160die ich anfuͤhre, werden durchaus nicht gemacht, um philoſophiſche Verſuche zu ſeyn: die Merkmale der Kraͤuter nicht ausgefunden, wie ſie Linne claſ - ſificiret: die erſten Erfahrungen, ſind nicht kalte, vernunftlangſame, ſorgſam abſtrahirende Experi - mente, wie ſie der muͤßige, einſame Philoſoph macht, wenn er der Natur in ihrem verborgnen Gange nachſchleicht, und nicht mehr wiſſen will, daß, ſondern wie ſie wuͤrke? Daran war eben dem erſten Naturbewohner am wenigſten gelegen. Mußte es ihm demonſtrirt werden, daß das oder jenes Kraut giftig ſey? War er denn ſo mehr als viehiſch, daß er hierinn nicht einmal dem Vieh nachahmte? und wars noͤthig, daß er vom Loͤwen angefallen wuͤrde, um ſich vor ihm zu fuͤrchten? Jſt ſeine Schuͤchternheit mit ſeiner Schwachheit, und ſeine Beſonnenheit mit aller Feinheit ſeiner Seelenkraͤfte verbunden, nicht gnug, ihm einen behaglichen Zuſtand von ſelbſt zu verſchaffen, da die Natur ſelbſt ſie dazu fuͤr gnugſam erkannt? Da wir alſo durchaus keinen ſchuͤchternen, abſtrak - ten Stubenphiloſophen zum Erfinder der Sprache brauchen; da der rohe Naturmenſch, der noch ſeineSeele161Seele ſo ganz, wie ſeinen Koͤrper, aus Einem Stuͤck fuͤhlet, uns mehr, als alle ſprachſchaffende Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge - lehrter iſt Was wollen wir dieſen denn zum Muſter nehmen? Wollen wir einander Staub in die Augen ſtreuen, um bewieſen zu haben, der Menſch koͤnne nicht ſehen?

Suͤßmilch iſt hier wieder der Gegner, mit dem ich kaͤmpfe. Er hat einen ganzen Abſchnitt*)Abſchnitt 2. darauf verwandt um zu zeigen, wie unmoͤglich ſich der Menſch eine Sprache habe fortbilden koͤnnen, wenn er ſie auch durch Nachahmung er - funden haͤtte! Daß das Erfinden durch bloße Nachahmung ohne menſchliche Seele Unſinn ſey, iſt bewieſen, und waͤre der Vertheiger des goͤttli - chen Urſprungs dieſer Sache demonſtrativ gewiß geweſen, daß es Unſinn ſey; ſo traue ich ihm zu, daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah - ren Gruͤnden zuſammen getragen haͤtte, die jezt gegen eine menſchliche Erfindung der Sprache durch Verſtand ſaͤmmtlich nichts beweiſen. Jch kann unmoͤglich den ganzen Abſchnitt, ſo verflochten mitLwill -162willkuͤhrlich angenommenen Heiſcheſaͤtzen und fal - ſchen Axiomen uͤber die Natur der Sprache er iſt, hier ganz auseinander ſetzen, weil der Verfaſſer immer in einem gewiſſen Licht erſchiene, in dem er hier nicht erſcheinen ſoll ich nehme alſo nur ſo viel heraus, als noͤthig iſt: nemlich, daß in ſeinen Einwuͤrfen die Natur einer ſich fort - bildenden menſchlichen Sprache und einer ſich fortbildenden menſchlichen Seele durch - aus verkannt ſey.

Wenn man annimmt, daß die Einwohner der erſten Welt nur aus etlichen tauſend Familien beſtanden haͤtten, da das Licht des Verſtandes durch den Gebrauch der Sprache ſchon ſo helle ge - ſchienen, daß ſie eingeſehen, was die Sprache ſey und daß ſie alſo an die Verbeſſerung dieſes herr - lichen Mittels haben koͤnnen anfangen zu denken: ſo *)S. 80. 81. aber von allen dieſen Vorderſaͤtzen nimmt niemand nichts an. Mußte mans erſt in tauſend Generationen einſehen, was Sprache ſey? Der erſte Menſch ſahe es ein, da er den erſten Gedan -ken163ken dachte. Mußte man erſt in tauſend Genera - tionen ſo weit kommen es einzuſehen, daß die Sprache zu verbeſſern gut ſey? Der erſte Menſch ſahe es ein, da er ſeine erſten Merkmale beſſer ord - nen, berichtigen, unterſcheiden und zuſammenſetzen lernte, und verbeſſerte jedesmal unmittelbar die Sprache, da er ſo etwas von neuem lernte. Und denn wie haͤtte ſich doch durch tauſend Genera - tionen hin das Licht des Verſtandes durch die Sprache ſo helle aufklaͤren koͤnnen, wenn im Ab - lauf dieſer Generationen ſich nicht ſchon Sprache aufgeklaͤhrt haͤtte. Alſo Aufklaͤrung ohne Ver - beſſerung! und hinter einer Verbeſſerung tauſend Familien hinunter noch der Anfang zu einer Ver - beſſerung unmoͤglich? das iſt gerade zu wieder - ſprechend.

Wuͤrde aber nicht alſo ein ganz unentbehrlich Huͤlfsmittel dieſes Philoſophiſchen und Philologi - ſchen Collegii Schrift muͤſſen angenommen wer - den? Nein! denn es war durchaus kein Philoſo - phiſch und Philologiſch Collegium, dieſe erſte natuͤr - liche, lebendige, menſchliche Fortbildung der Spra - che: und was kann denn der Philoſoph und Philo -L 2log164log in ſeinem todten Muſeum an einer Sprache verbeſſern, die in aller ihrer Wuͤrkſamkeit lebt?

Sollen denn nun alle Voͤlker auf gleiche Weiſe mit der Verbeſſerung zu Werke gegangen ſeyn? Ganz auf gleiche Weiſe, denn ſie gien - gen alle menſchlich: ſo daß wir uns hier in den weſentlichen Rudimenten der Sprache einen fuͤr alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das groͤßte Wunder ſeyn ſoll,*)§. 31. 34. daß alle Sprachen acht partes Orationis, haben: ſo iſt wieder das Fak - tum falſch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge - habt: ſondern der erſte philoſophiſche Blick in die Bauart einer Sprache zeigt, daß dieſe achte ſich aus - einander entwickelt. Jn den aͤlteſten ſind Verba eher geweſen, als Nomina, und vielleicht Jnter - jektionen eher, als ſelbſt regelmaͤßige Verba. Jn den ſpaͤtern ſind Nomina mit Verbis gleich zuſam - men abgeleitet; allein ſelbſt von der griechiſchen ſagts Ariſtoteles, daß auch in ihr dies Anfangs alle Redetheile geweſen, und die andere ſich nurſpaͤ -165ſpaͤter durch die Grammatiker aus jenen entwi - ckelt. Von der Huroniſchen habe ich eben daſ - ſelbe geleſen, und von den Morgenlaͤndiſchen iſts offenbar ja was iſts denn endlich fuͤr ein Kunſtſtuͤck, die willkuͤhrliche und zum Theil un - philoſophiſche Abſtraktion der Grammatiker in acht partes Orationis? Jſt die ſo regelmaͤßig und goͤtt - lich, als die Form einer Bienenzelle? Und wenn ſies waͤre, iſt ſie nicht durchaus aus der menſchli - chen Seele erklaͤrbar und als nothwendig gezeigt?

Und was ſollte die Menſchen zu dieſer hoͤchſt - ſauren Arbeit der Verbeſſerung gereitzet haben? O durchaus keine ſaure, ſpekulative Stubenarbeit! durchaus keine abſtrakte Verbeſſerung a priori! und alſo auch gewiß keine Anreizungen dazu, die nur in unſerm Zuſtande der verfeinerten Geſellſchaft ſtatt finden. Jch muß hier meinen Gegner ganz verlaſſen. Er nimmt an, daß die erſten Ver - beſſerer recht gute philoſophiſche Koͤpfe geweſen ſeyn muͤßten, die gewiß weiter und tiefer geſehen, als die meiſten Gelehrte jezt in Anſehung der Sprache und ihrer innern Beſchaffenheit zu thun pflegen. Er nimmt an, daß dieſe Ge -L 3 lehrte166 lehrte uͤberall erkannt haben muͤßten, daß ihre Sprache unvollkommen, und daß ſie einer Ver - beſſerung nicht nur faͤhig, ſondern auch beduͤrftig ſey. Er nimmt an, daß ſie den Zweck der Sprache haben gehoͤrig beurtheilen muͤſſen u. ſ. w. daß die Vorſtellung dieſes zu erlangenden Gutes hinlaͤnglich, ſtark und lebhaft gnug geweſen ſeyn muͤſſe, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh - mung dieſer ſchweren Arbeit zu werden Kurz der Philoſoph unſres Zeitalters wollte ſich nicht einen Schritt auch aus allem Zufaͤlligen deſſelben hinauswagen, und wie konnte er denn nach ſolchem Geſichtspunkt von der Entſtehung einer Sprache ſchreiben? Freilich in unſerm Jahrhundert haͤtte ſie ſo wenig entſtehen koͤnnen, als ſie entſtehen darf?

Aber kennen wir denn nicht jezt ſchon die Menſchen in ſo verſchiednen Zeitaltern, Gegen - den und Stuffen der Bildung, daß uns dies ſo ver - aͤnderte große Schauſpiel nicht ſicherer auf die erſte Scene ſchließen lehrte? Wiſſen wir denn nicht, daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die Vernunft am wenigſten in die feine, geſellſchaft -liche,167liche, vielſeitige, gelehrte Form gegoſſen iſt, noch Sinnlichkeit, und roher Scharfſinn, und Schlau - heit, und muthige Wuͤrkſamkeit, und Leidenſchaft und Erfindungsgeiſt die ganze ungetheilte menſchliche Seele am lebhafteſten wuͤrke? Am lebhafteſten wuͤrke, weil ſie noch auf keine lang - weilige Regeln gebracht, immer in einem Kreiſe von Beduͤrfniſſen, von Gefahren, von andringen - den Erforderniſſen ganz lebt, und ſich alſo immer neu und ganz fuͤhlt. Da, nur da zeigt ſie Kraͤfte, ſich Sprache zu bilden und fortzubilden! da hat ſie Sinnlichkeit und gleichſam Jnſtinkt gnug, um den ganzen Laut und alle ſich aͤußernde Merkmale der lebenden Natur ſo ganz zu empfinden, wie wir nicht mehr koͤnnen: und wenn die Beſinnung alsdenn Eins derſelben lostrennet, es ſo ſtark und innig zu nennen, als wirs nicht nennen wuͤrden. Je minder die Seelenkraͤfte noch entwickelt und jede zu einer eignen Sphaͤre abgerichtet iſt: deſto ſtaͤrker wuͤrken alle zuſammen: deſto inniger iſt der Mittelpunkt ihrer Jntenſitaͤt; nehmet aber dieſen großen unzerbrechlichen Pfeilbund auseinan - der und ihr koͤnnt ſie alle zerbrechen, und dennL 4laͤßt168laͤßt ſich gewiß nicht mit einem Stabe das Wun - der thun, gewiß nicht mit der Einzigen kalten Abſtraktionsgabe der Philoſophen je Sprache erfinden war das aber unſre Frage? Drang jener Weltſinn nicht tiefer? Und waren bei dem beſtaͤndigen Zuſammenſtrom aller Sinne, in deſſen Mittelpunkt immer der innere Sinn wachte, nicht immer neue Merkmale, Ordnungen, Geſichts - punkte, ſchnelle Schlußarten gegenwaͤrtig, und alſo immer neue Bereicherungen der Sprache? Und empfing alſo zu dieſer, (wenn man nicht auf acht partes Orationis rechnen will,) die menſchliche Seele nicht ihre beſten Eingebungen, ſo lange ſie noch ohne alle Anreitzungen der Geſellſchaft ſich nur ſelbſt deſto maͤchtiger anreizte, ſich alle die Thaͤtigkeit der Empfindung und des Gedankens gab, die ſie ſich nach innerm Drang und aͤußern Erforderniſſen geben mußte da gebar ſich Sprache mit der ganzen Entwiklung der menſchlichen Kraͤfte.

Es iſt fuͤr mich unbegreiflich, wie unſer Jahr - hundert ſo tief in die Schatten, in die dunkeln Werkſtaͤten des Kunſtmaͤßigen ſich verlieren kann,ohne169ohne auch nicht einmal das weite, helle Licht der uneingekerkerten Natur erkennen zu wollen. Aus den groͤſſeſten Heldenthaten des menſchlichen Gei - ſtes, die er nur im Zuſammenſtoß der lebendigen Welt thun und aͤußern konnte, ſind Schuluͤbungen im Staube unſrer Lehrkerker; aus den Meiſter - ſtuͤcken menſchlicher Dichtkunſt und Beredſamkeit Kindereien geworden, an welchen greiſe Kinder und junge Kinder Phraſes lernen und Regeln klauben. Wir haſchen ihre Formalitaͤten und haben ihren Geiſt verloren; wir lernen ihre Sprache und fuͤh - len nicht die lebendige Welt ihrer Gedanken. Der - ſelbe Fall iſts mit unſern Urtheilen uͤber das Mei - ſterſtuͤck des menſchlichen Geiſtes, die Bildung der Sprache uͤberhaupt. Da ſoll uns das todte Nach - denken Dinge lehren, die blos aus dem lebendigen Hauche der Welt, aus dem Geiſte der großen wuͤrkſamen Natur den Menſchen beſeelen, ihn auf - rufen und fortbilden konnten. Da ſollen die ſtumpfen, ſpaͤten Geſetze der Grammatiker das Goͤttlichſte ſeyn, was wir verehren, und vergeſſen die wahre goͤttliche Sprachnatur, die ſich in ihrem Herzen mit dem menſchlichen Geiſte bildete: ſoL 5unregel -170unregelmaͤßig ſie auch ſcheine. Die Sprachbil - dung iſt in die Schatten der Schule gewichen, aus denen ſie nichts mehr fuͤr die lebendige Welt wuͤrket: drum ſoll auch nie eine helle Welt gewe - ſen ſeyn, in der die erſten Sprachenbilder leben, fuͤhlen, ſchaffen, und dichten mußten. Jch be - rufe mich auf das Gefuͤhl derer, die den Menſchen im Grunde ſeiner Kraͤfte, und das Kraͤftige, Maͤch - tige, Große in den Sprachen der Wilden, und Weſen der Sprache uͤberhaupt nicht verkennen Daher fahre ich fort:

Zweites Naturgeſetz.

  • Der Menſch iſt in ſeiner Beſtimmung ein Ge - ſchoͤpf der Heerde, der Geſellſchaft: die Fort - bildung einer Sprache wird ihm alſo natuͤr - lich, weſentlich, nothwendig.

Das menſchliche Weib hat keine Jahrszeit der Brunſt, wie die Thierweiber: Und die Zeugungs - kraft des Mannes iſt nicht ſo ungebaͤndigt, aberfort -171fortwaͤhrend. Wenn nun Stoͤrche und Tauben Ehen haben; ſo wuͤßte ich nicht, warum ſie der Menſch aus mehrern Urſachen nicht haͤtte?

Der Menſch gegen den ſtruppichten Baͤr und den borſtigen Ygel geſezt, iſt ein ſchwaͤcheres, duͤrftigeres, nakteres Thier: es hat Hoͤlen noͤthig, und dieſe werden, mit den vorigen Veranlaſſungen ſehr natuͤrlich gemeinſchaftliche Hoͤlen.

Der Menſch iſt ein ſchwaͤcheres Thier, was in mehrern Himmelsgegenden ſehr uͤbel den Jahrs - zeiten ausgeſezt waͤre: das menſchliche Weib hat alſo als Schwangere, als Gebaͤrerinn, einer ge - ſellſchaftlichen Huͤlfe mehr noͤthig, als der Straus, der ſeine Eier in die Wuͤſte leget.

Endlich inſonderheit das menſchliche Junge, der auf die Welt geſezte Saͤugling, wie ſehr iſt er ein Vaſall menſchlicher Huͤlfe und geſelliger Er - barmung. Aus einem Zuſtande, wo er als Pflanze am Herzen ſeiner Mutter hing, wird er auf die Erde geworfen das ſchwaͤchſte huͤlfloſeſte Ge - ſchoͤpf unter allen Thieren, wenn nicht muͤtterli - che Bruͤſte da waͤren, ihn zu naͤhren, und vaͤter - liche Knie entgegen kaͤmen, ihn als Sohn aufzu -neh -172nehmen. Wem wird hiemit nicht Haushaltung der Natur zur Geſellung der Menſchheit vorleuchtend? und zwar die ſo unmittelbar, ſo nahe am Jnſtinkt, als es bei einem beſonne - nen Geſchoͤpf ſeyn konnte!

Jch muß den lezten Punkt mehr entwickeln, denn in ihm zeigt ſich das Werk der Natur am au - genſcheinlichſten, und mein Schluß wird hieraus um deſto ſchneller. Wenn man alles, wie unſre groben Epikuraͤer, aus blinder Wolluſt oder unmit - telbarem Eigennutz erklaͤren will wer kann das Gefuͤhl der Eltern gegen Kinder erklaͤren? Und die ſtarken Bande, die dadurch bewuͤrkt werden? Siehe! dieſer arme Erdbewohner kommt elend auf die Welt, ohne zu wiſſen, daß er elend ſey: er iſt der Erbarmung beduͤrftig, ohne daß er ſich ihrer im mindſten werth machen koͤnnte: er wei - net aber ſelbſt dies Weinen mußte ſo beſchwehr - lich werden, als das Geheul des Philoktet, der doch ſo viel Verdienſte hatte, den Griechen, die ihn der wuͤſten Jnſel uͤbergaben. Hier muß - ten alſo eben, nach unſrer kalten Philoſophie die Bande der Natur am eheſten reißen, wo ſie amſtaͤrk -173ſtaͤrkſten wuͤrken! Die Mutter hat ſich der Frucht, die ihr ſo viel Ungemach machte, endlich mit Schmerzen entledigt: kommts blos auf Vergnuͤ - gen und neue Wolluſt an: ſo wirft ſie ſie weg. Der Vater hat in wenigen Minuten ſeine Brunſt gekuͤhlet was ſoll er ſich weiter um Mutter und Kind, als Gegenſtaͤnde ſeiner Muͤhe, bekuͤm - mern: er laͤuft wie Rouſſeaus Mannthier, in den Wald und ſucht ſich einen andern Gegenſtand ſeines thieriſchen Vergnuͤgens. Wie ganz um - gekehrt iſt hier die Ordnung der Natur, bei Thie - ren und Menſchen und wie weiſer. Eben die Schmerzen und Ungemaͤchlichkeiten vermehren die muͤtterliche Liebe! eben das Bejammerns - und nicht Liebenswuͤrdige des Saͤuglings, das Schwache, Hinfaͤllige ſeines Temperaments, die beſchwerliche, verdrießliche Muͤhe der Erziehung verdoppelt die Regungen ſeiner Eltern! die Mutter ſieht den Sohn mit waͤrmerer Wallung an, der ihr die meiſten Schmerzen gekoſtet, der ihr am oͤfter - ſten mit ſeinem Abſchiede gedrohet, auf den ihre meiſten Zaͤhren des Kummers floſſen. Der Va - ter ſieht den Sohn mit waͤrmerer Wallung an,den174den er fruͤhe aus einer Gefahr riß, den er mit der groͤßten Muͤhwaltung erzog, der ihm in Unter - richt und Bildung das meiſte koſtete. Und ſo weiß auch im Ganzen des Geſchlechts die Natur aus der Schwachheit Staͤrke zu machen. Eben deswegen kommt der Menſch ſo ſchwach, ſo duͤrftig, ſo verlaſſen, von dem Unterricht der Na - tur, ſo ganz ohne Fertigkeiten und Talente auf die Welt, wie kein Thier, damit er, wie kein Thier, eine Erziehung genieße, und das menſchliche Geſchlecht, wie kein Thiergeſchlecht, ein innigverbundenes Ganze werde!

Die jungen Enten entſchlupfen der Henne, die ſie ausgebruͤtet, und hoͤren, vergnuͤgt in dem Elemente plaͤtſchernd, in das ſie der Ruf der muͤt - terlichen Natur hinzog, die warnende rufende Stimme ihrer Stiefmutter nicht, die am Ufer jammert. So wuͤrde es das Menſchenkind auch machen, wenn es mit dem Jnſtinkt der Ente auf die Welt kaͤme. Jeder Vogel bringt die Ge - ſchiklichkeit Neſter zu bauen, aus ſeinem Ei, und nimmt ſie auch, ohne fortzupflanzen, in ſeinGrab175Grab: die Natur unterrichtet fuͤr ihn. Alles bleibt alſo Einzeln, das unmittelbare Werk der Natur und ſo wird keine Progreßion der Seele des Geſchlechts, kein Ganzes, wie es die Natur am Menſchen wollte. Den band ſie alſo durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern - trieb, fuͤr den die Griechen das Wort ςοργὴ hat - ten, zuſammen, und ſo wurde ein Band des Unterrichts und der Erziehung ihm weſentlich. Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht fuͤr ſich geſammlet; er war zugleich da, um mit - getheilt zu werden, und der Sohn hat den Vor - theil, den Reichthum ihres Geiſtes ſchon fruͤhe, wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die Schuld der Natur ab, indem ſie lehren; dieſe fuͤllen das ideenloſe Beduͤrfniß ihrer Natur aus, indem ſie lernen: ſo wie ſie nachher wieder ihre Schuld der Natur abtragen werden, dieſen Reich - thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Menſch iſt fuͤr ſich da: er iſt, in das Ganze des Ge - ſchlechts eingeſchoben, er iſt nur Eins fuͤr die fortgehende Folge.

Was176

Was dies auf die ganze Kette fuͤr Wuͤrkung thue, ſehen wir ſpaͤter; hier ſchraͤnken wir uns nur auf den Zuſammenhang der erſten zween Ringe ein! auf die Bildung einer Familien - denkart durch den Unterricht der Erzie - hung und

Da der Unterricht der eignen Seele, der Jdeenkreis der Elternſprache iſt: ſo wird die Fortbildung des menſchlichen Unterrichts durch den Geiſt der Familie, durch den die Natur das ganze Geſchlecht verknuͤpft hat, auch Fortbildung der Sprache.

Warum haͤngt dieſer Unmuͤndige ſo ſchwach und unwiſſend an den Bruͤſten ſeiner Mutter, an den Knien ſeines Vaters? Damit er lehrbegierig ſey und Sprache lerne. Er iſt ſchwach, damit ſein Geſchlecht ſtark werde. Nun theilt ſich ihm mit der Sprache, die ganze Seele, die ganze Denkart ſeiner Erzeuger mit; aber eben deswegen theilen ſie es ihm gerne mit, weil es ihr Selbſtge - dachtes, Selbſtgefuͤhltes, Selbſterfundenes iſt, was ſie mittheilen. Der Saͤugling, der die erſten Worte ſammlet, ſtammlet die Gefuͤhle ſeiner El -tern177tern wieder, und ſchwoͤrt mit jedem fruͤhen Stammlen, nachdem ſich ſeine Zunge und Seele bildet, dieſe Gefuͤhle zu verewigen, ſo wahr er ſie Vater - oder Mutterſprache nennet. Lebenslang werden dieſe erſten Eindruͤcke ſeiner Kindheit, dieſe Bilder aus der Seele und dem Herzen ſeiner Eltern in ihm leben und wuͤrken: mit dem Wort wird das ganze Gefuͤhl wiederkommen, was da - mahls fruͤhe ſeine Seele uͤberſtroͤmte: mit der Jdee des Worts alle Nebenideen, die ihm damals bei dieſem, neuen fruͤhen Morgenausblick in das Reich der Schoͤpfung vorlagen ſie werden wie - derkommen und maͤchtiger wuͤrken, als die reine, klare Hauptidee ſelbſt. Das wird alſo Familien - denkart, und mithin Familienſprache. Da ſteht nun der kalte Philoſoph*)Rouſſeau. und fraͤgt durch welches Geſetz denn wohl die Menſchen ihre willkuͤhrlich erfundne Sprache einander haͤtten aufdringen, und den andern Theil haͤtten veranlaſſen koͤnnen, das Geſetz anzunehmen? Dieſe Frage, uͤber die Rouſſeau ſo pathetiſch, und ein andrer Schriftſteller ſo lange predigt, be -Mant -178antwortet ſich, wenn wir einen Blick in die Oekonomie der Natur des menſchlichen Geſchlechts thun, von ſelbſt, und wer kann nun die vorigen Predigten aushalten?

Jſts denn nicht Geſetz, und Verewigung gnug, dieſe Familienfortbildung der Sprache? Das Weib, in der Natur ſo ſehr der ſchwaͤchere Theil, muß es nicht von dem erfahrnen, verſorgenden, ſprachbildenden Manne Geſetz annehmen? Ja heißt Geſetz, was blos milde Wohlthat des Unter - richts iſt? Das ſchwache Kind, das ſo eigentlich ein Unmuͤndiger heißt, muß es nicht Sprache an - nehmen, da es mit ihr die Milch ſeiner Mutter und den Geiſt ſeines Vaters genießet? Und muß dieſe Sprache nicht verewigt werden, wenn etwas verewigt wird? O die Geſetze der Natur ſind maͤch - tiger, als alle Conventionen, die die ſchlaue Po - litik ſchließet, und der weiſe Philoſoph aufzaͤhlen will! Die Worte der Kindheit dieſe unſre fruͤ - hen Geſpielen in der Morgenroͤthe des Lebens! mit denen ſich unſre ganze Seele zuſammen bil - dete wenn werden wir ſie verkennen? Wenn werden wir ſie vergeſſen? Unſre Mutterſprachewar179war ja zugleich die erſte Welt, die wir ſahen, die erſten Empfindungen, die wir fuͤhlten, die erſte Wuͤrkſamkeit und Freude, die wir genoſſen! Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und Haß, von Freude und Thaͤtigkeit, und was die feurige, heraufwallende Jugendſeele ſich dabei dachte, wird alles mit verewigt nun wird die Sprache ſchon Stamm!

Und je Kleiner dieſer Stamm iſt, deſto mehr gewinnt er an innerer Staͤrke. Unſre Vaͤter, die nichts ſelbſt gedacht, nichts ſelbſt erfunden; die alles mechaniſch gelernt haben was be - kuͤmmern ſich die um Unterricht ihrer Soͤhne? um Verewigung deſſen, was ſie ja ſelbſt nicht beſitzen? Aber der erſte Vater, die erſten duͤrfti - gen Spracherfinder, die faſt an jedem Worte die Arbeit ihrer Seele hingaben, die uͤberall in der Sprache noch den warmen Schweiß fuͤhlten, den er ihrer Wuͤrkſamkeit gekoſtet welchen Jnfor - mator konnten die beſtellen? Die ganze Sprache ihrer Kinder war ein Dialekt ihrer Gedanken, ein Loblied ihrer Thaten, wie die Lieder Oßi - ans auf ſeinen Vater Fingal.

M 2Rouſ -180

Rouſſeau und andre haben ſo viel Paradoxien uͤber den Urſprung und das Anrecht des erſten Eigenthums gemacht; und haͤtte der erſte nur die Natur ſeines geliebten Thiermenſchen befragt: ſo haͤtte der ihm geantwortet. Warum gehoͤrt dieſe Blume der Biene, die auf ihr ſauget? Die Biene wird antworten: weil mich die Natur zu dieſem Saugen gemacht hat! mein Jnſtinkt, der auf dieſe und keine andre Blume hinfaͤllt, iſt mir Diktator gnug, der mir ſie und ihren Garten zum Eigenthum anweiſe! Und wenn wir nun den erſten Menſchen fragen: Wer hat dir das Recht, auf dieſe Kraͤuter gegeben? Was kann er antworten, als: die Natur, die mir Beſin - nung gab! dieſe Kraͤuter habe ich mit Muͤhe ken - nen gelernt! mit Muͤhe habe ich ſie mein Weib und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben von ihnen! ich habe mehr Recht daran, als die Biene, die darauf ſummet, und das Vieh, das darauf weidet; denn die haben alle die Muͤhe des Kennenlernens und Kennenlehrens nicht gehabt! Jeder Gedanke alſo, den ich darauf gezeichnet, iſt ein Siegel meines Eigenthums, und wer michdavon181davon vertreibet, der nimmt mir nicht blos mein Leben, wenn ich dieſen Unterhalt nicht wieder finde; ſondern wuͤrklich auch den Werth meiner verlebten Jahre, meinen Schweiß, meine Muͤhe, meine Gedanken, meine Spra - che ich habe ſie mir erworben! und ſollte fuͤr den Erſtling der Menſchheit eine ſolche Signatur der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen, durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht des Eigenthums ſeyn, als ein Stempel in der Muͤnze?

Wie viel Ordnung und Ausbildung be - kommt die Sprache alſo ſchon eben damit, daß ſie vaͤterliche Lehre wird! wer lernt nicht, indem er lehret? Wer verſichert ſich nicht ſeiner Jdeen, wer muſtert nicht ſeine Worte, indem er ſie andern mittheilt, und ſie ſo oft von den Lip - pen des Unmuͤndigen ſtammlen hoͤret? Hier ge - winnt alſo ſchon die Sprache eine Form der Kunſt, der Methode! hier wuͤrde die erſte Grammatik, die ein Abdruck der menſchlichen Seele, und ihrer natuͤrlichen Logik war, ſchon durch eine ſcharfpruͤfende Cenſur berichtigt.

M 3Ronſ -182

Rouſſeau, der hier, wie gewoͤhnlich nach ſeiner Art, aufruft: was hatte denn die Mutter ih - rem Kinde, viel zu ſagen? hatte das Kind nicht ſeiner Mutter mehr zu ſagen? woher lernte denn dies ſchon Sprache, ſie ſeine Mutter zu lehren? macht aber auch hier, wie nach ſeiner Art gewoͤhnlich, ein paniſches Feldgeſchrei. Aller - dings hatte die Mutter mehr das Kind zu lehren als das Kind die Mutter weil jene es mehr lehren konnte, und der muͤtterliche Jnſtinkt, Liebe und Mitleiden, den Rouſſeau aus Barm - herzigkeit den Thieren zugibt und aus Großmuth ſeinem Geſchlecht verſagt, ſie zu dieſem Unterricht, wie der Ueberfluß der Milch zum Saugen zwang. Sehen wir denn nicht ſelbſt an manchen Thieren, daß die Aeltere ihre Jungen zu ihrer Lebensart gewoͤhnen? und wenn denn nun ein Vater ſeinen Sohn von fruͤher Jugend an zur Jagd gewoͤhnte, ging dies ohne Unterricht und Sprache ab? Ja! ein ſolches Woͤrterdiktiren zeigt ſchon eine gebil - dete Sprache an, die man lehrt; nicht eine, die ſich erſt bildet! Und iſt das wieder ein Unterſchied, der Ausnahme mache? Freilich wardie183die Sprache ſchon im Vater und in der Mutter gebildet, die ſie die Kinder lehrten, aber dorfte deswegen ſchon die Sprache ganz gebildet ſeyn, auch ſelbſt die, die ſie ſie nicht lehrten? Und konn - ten denn die Kinder in einer neuern, weitern, feinern Welt nichts mehr dazu erfinden? und iſt denn eine zum Theil gebildete, ſich weiter fort - bildende Sprache ein Wiederſpruch? Wenn iſt die Franzoͤſiſche, durch Akademien und Autoren und Woͤrterbuͤcher ſo gebildete Sprache, denn ſo zu Ende gebildet, daß ſie ſich nicht mit jedem neuen originalen Autor, ja mit jedem Kopfe, der neuen Ton in die Geſellſchaft bringt, neu bilden, oder mißbilden muͤßte? Mit ſolchen Para - logiſmen ſind die Verfechter der gegenſeitigen Meinung behangen man urtheile, ob es lohne, ſich auf jede Kleinigkeit ihrer Einwuͤrfe einzulaſſen.

Ein andrer z. B. ſagt: wie doch die Men - ſchen wohl je aus Nothdurft ihre Sprache haͤtten fortbilden wollen, wenn ſie Lukrezens Mutum et turpe pecus geweſen waͤren? und laͤßt ſich auf eine Menge halbwahrer Jnſtanzen der WildenM 4ein.184ein. Jch antworte blos: Niemals! Niemals haͤtten ſie es wollen und koͤnnen, wenn ſie ein Mutum pecus geweſen: denn da hatten ſie ja keine Sprache? Sind aber die Wilden von der Art? iſt denn die barbariſchſte menſchliche Nation ohne Sprache? Und iſts denn je der Menſch, als in der Abſtraktion der Philoſophen und alſo in ihrem Gehirn geweſen?

Er fragt: ob denn wohl, da alle Thiere Zwang ſcheuen, und alle Menſchen Faulheit lie - ben, es je von den Orenocks des Condamine erwartet werden koͤnne, daß ſie ihre langgedehnte, achtſylbige, ſchwere und hoͤchſtbeſchwerliche Sprache aͤndern und verbeſſern ſollten? Und ich antworte: zuerſt iſt wieder das Faktum un - richtig, wie faſt alle, die er anfuͤhrt. *)Suͤßmilch. Jhre langgedehnte, achtſylbige Sprache? das iſt ſie nicht. Condamine ſagt blos: ſie ſei ſo unausſprech - lich und eigen organiſirt, daß wo ſie drei oder vier Sylben ausſprechen, wir 7 biß 8 ſchreiben muͤßten, und doch haͤtten wir ſie noch nicht ganzge -185geſchrieben heißt das: ſie iſt lang gedehnt, achtſylbigt? Und ſchwer, hoͤchſtbeſchwerlich? Fuͤr wen iſt ſie dies anders als fuͤr Fremde? Und fuͤr die ſollen ſie ſie ausbeſſern? Fuͤr einen kom - menden Franzoſen, der je kaum eine Sprache als die ſeinige, ohne ſie zu verſtuͤmmeln, lernt, ſie ver - beſſern, ſie alſo franziſiren? Haben aber deßwe - gen die Orenoker noch nichts in ihrer Sprache gebildet? ja ſich noch gar keine Sprache gebil - det: weil ſie nicht den Genius, der ihnen ſo eigen iſt, fuͤr einen herabſchiffenden Fremdling vertau - ſchen moͤgen? Ja geſezt, ſie bildeten auch nichts mehr in ihrer Sprache, auch nicht fuͤr ſich iſt man denn nie gewachſen wenn man nicht mehr waͤchſt? und haben denn die Wilden nichts ge - than, weil ſie nichts gern ohne Noth thun?

Und welcher Schatz iſt Familienſprache fuͤr ein werdendes Geſchlecht! Faſt in allen kleinen Nationen aller Welttheile, ſo wenig gebildet ſie auch ſeyn moͤgen, ſind Lieder von ihren Vaͤtern, Geſaͤnge von den Thaten ihrer Vorfahren der Schatz ihrer Sprache, und Geſchichte, und Dichtkunſt; ihre Weißheit und ihre Aufmunte -M 5rung;186rung; ihr Unterricht und ihre Spiele und Taͤnze. Die Griechen ſangen von ihren Argonauten, von Herkules und Bacchus, von Helden und Troja - bezwingern: und die Celten von den Vaͤtern ihrer Staͤmme, von Fingal und Oßian! unter Perua - nern und Nordamerikanern, auf den Caraibiſchen und Marianiſchen Jnſeln herrſcht noch dieſer Ur - ſprung der Stammesſprache in den Liedern ihrer Staͤmme und Vaͤter, ſo wie faſt in allen Theilen der Welt Vater und Mutter aͤhnliche Namen haben. Nur laͤßt ſich auch eben hier anmerken, warum unter ſo manchen Voͤlkern, von denen wir Beiſpiele angefuͤhrt, das maͤnnliche und weibli - che Geſchlecht faſt zwo verſchiedene Sprachen ha - ben, nemlich weil beide nach den Sitten der Na - tion, als das edle und unedle Geſchlecht, faſt zwei ganz abgetrennte Voͤlker ausmachen, die nicht einmal zuſammenſpeiſen. Nachdem nun die Er - ziehung Vaͤterlich oder Muͤtterlich war: ſo mußte auch die Sprache Vater - oder Mutterſprache werden, ſo wie nach der Sitte der Roͤmer es gar lingua vernacula wurde.

Drit -187

Drittes Naturgeſetz.

  • So wie das ganze menſchliche Geſchlecht un - moͤglich Eine Heerde bleiben konnte: ſo konn - te es auch nicht Eine Sprache behalten. Es wird alſo eine Bildung verſchiedner National - ſprachen.

Jm eigentlichen metaphyſiſchen Verſtande iſt ſchon nie eine Sprache bei Mann und Weib, Vater und Sohn, Kind und Greis moͤglich. Man gehe z. E. unter den Morgenlaͤndern die langen und kurzen Vocale, die mancherlei Hauche und Kehlbuchſtaben, die leichte und ſo mannichfaltige Verwechſelung der Buchſtaben von einerley Organ, die Ruhe, und Sprachzeichen, mit allen Verſchiedenheiten, die ſich ſchriftlich ſo ſchwer ausdruͤcken laßen, durch: Ton und Accem: Vermehrung und Verringerung deßelben und hundert andere zufaͤllige Kleinigkeiten in den Elementen der Sprache: und bemerke auf der andern Seite die Verſchiedenheit der Sprach -werk -188werkzeuge bei beiderlei Geſchlecht, in der Jugend und im Alter, auch nur bei zween gleichen Men - ſchen nach ſo manchen Zufaͤllen und Einzelnheiten, die den Bau dieſer Organe veraͤndern, bei ſo man - chen Gewohnheiten, die zur zweiten Natur wer - den u. ſ. w. So wenig als es zween Menſchen ganz von einerlei Geſtalt und Geſichtszuͤgen: ſo wenig kann es zwo Sprachen, auch nur der Ausſprache nach, im Munde zweener Men - ſchen geben, die doch nur eine Sprache waͤren.

Jedes Geſchlecht wird in ſeine Sprache Haus und Familienton bringen: das wird, der Aus - ſprache nach, verſchiedene Mundart.

Clima, Luft und Waſſer, Speiſe und Trank, werden auf die Sprachwerkzeuge und natuͤrlich auch auf die Sprache einfließen.

Die Sitte der Geſellſchaft und die maͤchtige Goͤttinn der Gewohnheit werden bald nach Geber - den und Anſtand dieſe Eigenheiten und jede Ver - ſchiedenheit einfuͤhren ein Dialekt. Ein philoſophiſcher Verſuch uͤber die ver - wandten Spracharten der Morgenlaͤnder waͤre der angenehmſte Beweis dieſer Saͤtze.

Das189

Das war nur Ausſprache. Aber Worte ſelbſt, Sinn, Seele der Sprache welch ein unendliches Feld von Verſchiedenheiten. Wir ha - ben geſehen, wie die aͤlteſten Sprachen voller Sy - nonyme haben werden muͤſſen, und wenn nun von dieſen Synonymen dem Einen dies, dem andern jenes gelaͤufiger, ſeinem Sehepunkt angemeſſner, ſeinem Empfindungskreiſe urſpruͤnglicher, in ſeiner Lebensbahn oͤfter vorkommend, kurz von mehrerm Eindruck auf ihn wurde; ſo gabs Lieblings - worte, eigne Worte, Jdiotiſmen, ein Jdiom der Sprache.

Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb. Jenes ward durch einen Nebengeſichtspunkt von der Hauptſache weggebogen; hier veraͤnderte ſich mit der Zeitfolge der Geiſt des Hauptbegrifs ſelbſt da wurden alſo eigne Biegungen, Ab - leitungen, Veraͤnderungen, Vor - und Zu - ſaͤtze und Verſetzungen und Wegnahmen von ganzen und halben Bedeutungen ein neues Jdiom! und das alles ſo natuͤrlich, als Sprache dem Menſchen Sinn ſeiner Seele iſt.

Je190

Je lebendiger eine Sprache; je naͤher ſie ihrem Urſprunge, und alſo noch in den Zeiten der Jugend und des Wachsthums iſt: deſto ver - aͤnderlicher. Jſt ſie nur in Buͤchern da, wo ſie nach Regeln gelernt, nur in Wiſſenſchaften und nicht im lebendigen Umgange gebraucht wird, wo ſie ihre beſtimmte Zahl von Gegenſtaͤnden und von Anwendungen hat, wo alſo ihr Woͤrterbuch ge - ſchloſſen, ihre Grammatik geregelt, ihre Sphaͤre fixirt iſt eine ſolche Sprache kann noch eher im Merklichen unveraͤndert bleiben, und doch auch da nur im Merklichen . Allein eine im wil - den freien Leben, im Reich der großen, weiten Schoͤpfung, noch ohne foͤrmlich gepraͤgte Regeln, noch ohne Buͤcher und Buchſtaben und angenom - mene Meiſterſtuͤcke; ſo duͤrftig und unvollendet, um noch taͤglich bereichert werden zu muͤſſen, und ſo jugendlich gelenkig um es noch taͤglich auf den erſten Wink der Aufmerkſamkeit, auf den erſten Befehl der Leidenſchaft und Empfindung werden zu koͤnnen ſie muß ſich veraͤndern in jeder neuen Welt, die man ſieht, in jeder Methode, nach der man denkt und fortdenkt. AegyptiſcheGe -191Geſetze der Einfoͤrmigkeit koͤnnen hier nicht das Gegentheil bewuͤrken.

Nun iſt offenbar der ganze Erdboden fuͤr das Menſchengeſchlecht und dies fuͤr den ganzen Erd - boden gemacht (ich ſage nicht jeder Bewoh - ner der Erde, jedes Volk iſt ploͤzlich durch den raſcheſten Ueberſprung fuͤr das entgegengeſeztteſte Clima und ſo fuͤr alle Weltzonen: ſondern das ganze Geſchlecht fuͤr den ganzen Erdkreis.) Wo wir uns umher ſehen, da iſt der Menſch ſo zu Hauſe, wie die Landthiere, die urſpruͤnglich fuͤr dieſe Gegend beſtimmet ſind. Er dauret in Groͤn - land unter dem Eiſe und bratet ſich in Guinea un - ter der ſenkrechten Sonne; iſt auf ſeinem Felde, wenn er in Lappland mit dem Rennthier uͤber den Schnee ſchluͤpft, und wenn er die arabiſche Wuͤſte mit dem duͤrſtigen Kameel durchtrabet. Die Hoͤle der Troglodyten und die Bergſpitzen der Kabylen, der Rauchcamin der Oſtiaken und der goldne Pal - laſt des Moguls enthaͤlt Menſchen. Fuͤr die iſt die Erde am Pol geplaͤttet und am Aequa - tor erhoͤhet: fuͤr die waͤlzt ſie ſich ſo und nicht an - ders um die Sonne: fuͤr die ſind ihre Zonen undJah -192Jahreszeiten und Veraͤnderungen und dieſe ſind wieder fuͤr die Zonen, fuͤr die Jahreszeiten und Veraͤnderungen der Erde. Das Naturgeſetz iſt alſo auch hier ſichtbar: Menſchen ſollen uͤberall auf der Erde wohnen, da jede Thier - gattung blos ihr Land und engere Sphaͤre ha - ben: der Erdbewohner wird ſichtbar. Und iſt das, ſo wird auch ſeine Sprache Sprache der Erde. Eine neue in jeder neuen Welt; Nationalſprache in jeder Nation ich kann alle vorige Beſtimmungsurſachen der Veraͤnde - rung nicht wiederholen die Sprache wird ein Proteus auf der runden Oberflaͤche der Erde.

Manche neue Modephiloſophen haben dieſen Proteus ſo wenig feſſeln und in ſeiner wahren Geſtalt erblicken koͤnnen, daß es ihnen wahrſchein - licher vorgekommen, daß die Natur in jeden groſ - ſen Erdſtrich ſo gut ein Paar Menſchen, zu Stammaͤltern habe hinſchaffen koͤnnen, wie in je - des Clima eigne Thiere. Dieſe haͤtten ſich ſo dann ſolch eine eigne Land - und Nationalſprache erfun - den, wie ihr ganzer Bau nur fuͤr dies Land ſeige -193gemacht worden. Der kleine Lapplaͤnder mit ſei - ner Sprache und mit ſeinem duͤnnen Bart, mit ſeinen Geſchiklichkeiten und ſeinem Temperament ſei ein ſo urſpruͤnglich lapplaͤndiſches Menſchenthier als ſein Rennthier; und der Neger mit ſeiner Haut, mit ſeiner Tintblaſſenſchwaͤrze, mit ſei - nen Lippen, und Haar und Truthuͤnerſprache, und Dummheit und Faulheit ſei ein natuͤrlicher Bruder der Affen deſſelben Climas. Es ſei ſo wenig Aehnlichkeit zwiſchen den Sprachen der Erde auszutraͤumen, als zwiſchen den Bildungen der Menſchengattungen; und es hieße ſehr un - weiſe von Gott gedacht, nur ein Paar Menſchen als Stammeltern fuͤr die ganze Erde ſo ſchwach und ſchuͤchtern, zum Raube der Elemente und Thiere in einen Erdewinkel dahingeſezt und ei - nem tauſendfachen Ungefaͤhr von Gefahren uͤber - laſſen zu haben

Wenigſtens, faͤhrt eine weniger behauptende Meinung fort, waͤre die Sprache eine natuͤrliche Produktion des menſchlichen Geiſtes, die ſich nur allmaͤhlig mit dem Menſchengeſchlecht nach fremden Climaten hingezogen haͤtte: ſo muͤßte ſie ſich auchNnur194nur allmaͤhlig veraͤndert haben. Man muͤßte die Abaͤndrung, den Fortzug, und die Verwand - ſchaft der Voͤlker im Verhaͤltniſſe fortgehen ſehen, und ſich uͤberall nach kleinen Nuancen von Denk - und Mund - und Lebensart genaue Rechenſchaft geben koͤnnen. Wer aber kann das? Findet man nicht in demſelben Clima, ja dicht an einander in allen Welttheilen kleine Voͤlker, die in einerlei Kreiſe ſo verſchiedne und entgegengeſezte Sprachen haben, daß alles ein Boͤhmiſcher Wald wird? Wer Reiſebeſchreibungen von Nord - und Suͤdame - rica, von Africa und Aſien geleſen, dem doͤrfen nicht die Staͤmme dieſes Waldes vorgerechnet wer - den hier, ſchließen dieſe Zweifller, hoͤrt alſo alle menſchliche Unterſuchung auf.

Und weil dieſe lezten blos zweifeln, ſo will ich verſuchen, zu zeigen, daß hier die Unterſuchung nicht aufhoͤre, ſondern daß ſich dieſe Verſchie - denheit dicht an einander eben ſo natuͤrlich er - klaͤren laſſe, als die Einheit der Familien - ſprache in Einer Nation.

Die Trennung der Familien in abgeſonderte Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligenVer -195Verhaͤltniſſen von Entfernung, Wanderung, neuer Beziehung und dergl., wie der muͤßige kalte Philoſoph, den Cirkel in der Hand, auf der Landkarte abmißt, und wie nach dieſem Maaße große Buͤcher von Verwandſchaften der Voͤl - ker geſchrieben worden, an denen alles, nur die Regel nicht, wahr iſt, nach der alles berechnet wurde. Thun wir einen Blick in die lebendige, wuͤrkſame Welt, ſo ſind Triebfedern da, die die Verſchiedenheit der Sprache unter den nahen Voͤl - kern ſehr natuͤrlich veranlaſſen muͤſſen, nur man wolle den Menſchen nach keinem Lieblingsſyſtem umzwingen. Er iſt kein Rouſſeauſcher Wald - mann: er hat Sprache. Er iſt kein Hobbeſi - ſcher Wolf: er hat eine Familienſprache. Er iſt aber auch in andern Verhaͤltniſſen kein unzei - tiges Lamm: Er kann ſich alſo entgegengeſezte Natur, Gewohnheit und Sprache bilden Kurz! der Grund von dieſer Verſchiedenheit ſo naher kleiner Voͤlker in Sprache, Denk - und Lebensart iſt gegenſeitiger Familien - und Nationalhaß.

N 2Ohne196

Ohne alle Verſchwaͤrzung und Verketzerung der menſchlichen Natur koͤnnen zween oder meh - rere nahe Staͤmme, wenn wir uns in ihre Fami - liendenkart ſetzen, nicht anders, als bald Gegen - ſtaͤnde des Zwiſtes finden. Nicht blos, daß aͤhn - liche Beduͤrfniſſe ſie bald in einen Streit, wenn ich ſo ſagen darf, des Hungers und Durſtes ver - wickeln, wie ſich z. E. zwo Rotten von Hirten uͤber Brunnen und Weide zanken, und nach Be - ſchaffenheit der Weltgegenden oft ſehr natuͤrlich zanken doͤrfen; ein viel heißerer Funke glimmt ihr Feuer an Eiferſucht, Gefuͤhl der Ehre, Stolz auf ihr Geſchlecht und ihren Vorzug. Dieſelbe Familienneigung, die in ſich ſelbſt ge - kehret, Staͤrke der Eintracht Eines Stammes gab, macht außer ſich gekehrt, gegen ein an - dres Geſchlecht, Staͤrke der Zwietracht, Fami - lienhaß! dort zogs viele zu Einem deſto veſter zuſammen; hier machts aus zwei Partheien gleich Feinde. Der Grund dieſer Feindſchaft und ewi - gen Kriege iſt in ſolchem Falle mehr edle menſch - liche Schwachheit, als niedertraͤchtiges Laſter.

Da197

Da die Menſchheit auf dieſer Stuffe der Bil - dung mehr Kraͤfte der Wuͤrkſamkeit als Guͤter des Beſitzes hat: ſo iſt auch der Stolz auf jene mehr Ehrenpunkt, als das leidige Beſitzthum der lezten wie in ſpaͤtern nervenloſen Zeiten. Ein braver Mann zu ſeyn, und einer braven Familie zu gehoͤren war aber im damaligen Zeitalter faſt Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch ei - gentlicher als bei uns ſeine Tugend und Tapferkeit vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm uͤberhaupt bei allen Gelegenheiten fuͤr einen bra - ven Mann ſtand. Es ward alſo bald das Wort natuͤrlich: wer nicht mit und aus uns iſt, der iſt unter uns! der Fremdling iſt ſchlechter, als wir, iſt barbar. Jn dieſem Verſtande war Barbar das Loſungswort der Verachtung: ein fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehren - punkt des Zeitalters ſei, nicht gleich kommt.

Nun iſt dies freilich, wie ein Englaͤnder rich - tig anmerkt, wenn es blos auf Eigennutz und Si - cherheit des Beſitzes ankommt, kein Grund zum Haße, daß der Nachbar nicht ſo tapfer als wirN 3iſt:198iſt: ſondern wir ſollten uns in der Stille dar - uͤber freuen. Allein, eben weil dieſe Meinung nur Meinung und von beiden Theilen, die glei - ches Gefuͤhl des Stammes haben, gleiche Mei - nung iſt: ſo iſt eben damit die Trompete des Krie - ges geblaſen! Das gilt die Ehre; das wekt den Stolz und Muth des ganzen Stammes! Von beiden Seiten Helden und Patrioten! Und weil jeden die Urſache des Kriegs traf; und jeder ſie ein - ſehen, und fuͤhlen konnte; ſo wurde der Na - tionalhaß in ewigen, bittern Kriegen verewigt; und da war die zweite Synonyme fertig: wer nicht mit mir iſt, iſt, gegen mich. Barbar und Gehaͤßiger! Fremdling, Feind! wie bei den Roͤmern urſpruͤnglich das Wort hoſtis! *)Voſs. Etymol.

Das dritte folgte unmittelbar, voͤllige Tren - nung und Abſonderung. Wer wollte mit einem ſolchen Feinde, dem veraͤchtlichen Barbar was ge - mein haben? Keine Familiengebraͤuche, kein An - denken an Einen Urſprung, und am wenigſten Sprache: Da Sprache eigentlich Merkwort des Geſchlechts, Band der Familie, Werk - zeug199 zeug des Unterrichts, Heldengeſang von den Thaten der Vaͤter, und die Stimme der - ſelben aus ihren Graͤbern war. Die konnte alſo unmoͤglich Einerlei bleiben, und ſo ſchuf daſ - ſelbe Familiengefuͤhl, das Eine Sprache gebildet hatte, da es Nationalhaß wurde, oft Verſchie - denheit, voͤllige Verſchiedenheit der Sprache. Er iſt Barbar, er redet eine fremde Sprache die dritte, ſo gewoͤhnliche Synonyme.

So umgekehrt die Etymologie dieſer Worte ſcheine, ſo beweiſet doch die Geſchichte aller kleinen Voͤlker und Sprachen, uͤber die die Frage gilt, voͤllig ihre Wahrheit; die Abſaͤtze der Etymologie ſind auch nur Abſtraktionen, nicht Trennungen in der Geſchichte. Alle ſolche nahen Polyglotten ſind zugleich die grimmigſten, unverſoͤhnlichſten Feinde: und zwar alle nicht aus Raub und Habſucht, da ſie meiſtens nicht pluͤndern, ſondern nur toͤdten und verwuͤſten, und dem Schatten ihrer Vaͤ - ter opfern. Schatten der Vaͤter ſind die Gott - heiten, und die einzigen unſichtbaren Maſchinen der ganzen blutigen Epopee, wie in den Geſaͤn - gen Oſſians. Sie ſinds, die den Anfuͤhrer inN 4Traͤu200Traͤumen wecken und beleben, und denen er ſeine Naͤchte wacht: ſie ſinds, deren Namen ſeine Be - gleiter in Schwuͤren und Geſaͤngen nennen: ſie ſinds, denen man die Gefangnen in allen Mar - tern weihet, und ſie ſinds auch gegentheils, die den gemarterten in ſeinen Geſaͤngen und Todeslie - dern ſtaͤrken. Verewigter Familienhaß iſt alſo die Urſache ihrer Kriege, ihrer ſo eiferſuͤchtigen Abtrennungen in Voͤlker, die oft kaum nur Fami - lien gleichen, und nach aller Wahrſcheinlichkeit auch der voͤlligen Unterſchiede ihrer Gebraͤu - che und Sprachen.

Eine morgenlaͤndiſche Urkunde uͤber die Tren - nung der Sprachen*)1. Moſ. 11. (die ich hier nur als ein poetiſches Fragment zur Archaͤologie der Voͤlkerge - ſchichte betrachte) beſtaͤtigt durch eine ſehr dichte - riſche Erzaͤhlung, was ſo viel Nationen aller Welttheile durch ihr Beiſpiel beſtaͤtigen. Nicht allmaͤhlig verwandelten ſich die Sprachen, wie ſie der Philoſoph durch Wanderungen vervielfaͤl - tigt; die Voͤlker vereinigten ſich, ſagt das Poem, zu201 zu einem großen Werke; da floß uͤber ſie der Tau - mel der Verwirrung, und der Vielheit der Spra - chen daß ſie abließen und ſich trennten was war dies, als eine ſchnelle Verbittrung und Zwietracht, zu der eben ein ſolches großes Werk den reichſten Anlaß gab? Da wachte der vielleicht bei einer kleinen Gelegenheit beleidigte Familien - geiſt auf: Bund und Abſicht zerſchlug ſich: der Funke der Uneinigkeit ſchoß in Flammen: ſie flogen aus einander: und thaten das jezt um ſo heftiger, dem ſie durch ihr Werk hatten zuvor kommen wollen: ſie verwirr - ten das Eine ihres Urſprungs, ihre Spra - che. So wurden verſchiedne Voͤlker und da, ſagt der ſpaͤtere Bericht, heißen noch die Truͤm - mer: Verwirrung der Voͤlker! Wer den Geiſt der Morgenlaͤnder in ihren oft ſo umherge - holten Einkleidungen und epiſchwunderbaren Ge - ſchichten kennet, (ich will hier fuͤr die Theologie keine hoͤhere Veranſtaltung ausſchließen) der wird vielleicht den ſinnlich gemachten Hauptgedanken nicht verkennen, daß Veruneinigung uͤber einer großen gemeinſchaftlichen Abſicht, und nichtN 5blos202blos die Voͤlkerwandrung mit eine Urſache zu ſo vielen Sprachen geworden.

Dies morgenlaͤndiſche Zeugniß, (was ich doch uͤberdem hier nur als Poem anfuͤhren wollte,) dahingeſtellet: ſiehet man, daß die Vielheit der Sprachen keinen Einwurf gegen das natuͤrli - che und menſchliche der Fortbildung einer Sprache abgeben koͤnne. Hier und da koͤnnen freilich Berge durch Erdbeben hervorgehoben eyn; allein folgt denn daraus, daß die Erde im Ganzen mit ihren Gebuͤrgen und Stroͤmen und Meeren nicht ihre Geſtalt aus Waſſer koͤnne ge - wonnen haben? Nur freilich wird auch eben damit den Etymologiſten und Voͤlkerforſchern ein nuͤzlicher Stein der Behutſamkeit auf die Zun - ge gelegt, aus den Sprachunaͤhnlichkeiten nicht zu deſpotiſch auf ihre Abſtammung zu ſchließen. Es koͤnnen Familien ſehr nahe ver - wandt ſeyn, und doch Urſache gehabt haben, die Verwandſchaft der Wapen zu unterdruͤcken. Der Geiſt ſolcher kleinen Voͤlker gibt dazu Ur - ſache gnug.

Vier -203

Viertes Naturgeſetz.

  • So wie nach aller Wahrſcheinlichkeit das menſchliche Geſchlecht Ein progreſſives Ganze von Einem Urſprunge in Einer großen Haushaltung ausmacht: ſo auch alle Spra - chen, und mit ihnen die ganze Kette der Bildung.

Der ſonderbare charakteriſtiſche Plan iſt bemerkt, der uͤber Einen Menſchen waltet: ſeine Seele iſt gewohnt, immer das, was ſie ſieht, zu reihen, mit dem, was ſie ſahe, und durch Beſonnenheit wird alſo ein progreſſives Eins aller Zuſtaͤn - de des Lebens Mithin Fortbildung der Sprache.

Der ſonderbare charakteriſtiſche Plan iſt be - merkt, der uͤber ein Menſchengeſchlecht waltet, daß durch die Kette des Unterrichts Eltern und Kinder Eins werden, und jedes Glied alſo nur von der Natur zwiſchen zwei andre hingeſchoben wird, umzu204zu empfangen und mitzutheilen dadurch wird, Fortbildung der Sprache.

Endlich geht dieſer ſonderbare Plan auch aufs ganze Menſchengeſchlech fort; und dadurch wird eine Fortbildung im hoͤchſten Verſtande, die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.

Jedes Jndividuum iſt Menſch, folglich denkt er die Kette ſeines Lebens fort. Jedes Jndivi - duum iſt Sohn oder Tochter: ward durch Unter - richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil der Gedankenſchaͤtze ſeiner Vorfahren fruͤhe mit, und wird ſie nach ſeiner Art weiter reichen alſo iſt auf gewiſſe Weiſe kein Gedanke, keine Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht weiter, faſt ins Unendliche reiche. So wie ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den - ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit meines Daſeyns natuͤrlich hinwuͤrke; ſo nicht ich und kein Geſchoͤpf meiner Gattung, was nicht mit jedem auch fuͤr die ganze Gattung und fuͤr das fortgehende Ganze der ganzen Gattung wuͤrke. Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle: jedes veraͤndert den Zuſtand der Einzelnen Seele,mit -205mithin das Ganze dieſer Zuſtaͤnde; wuͤrkt immer auf andre; veraͤndert auch in dieſen etwas der erſte Gedanke in der erſten menſchlichen Seele haͤngt mit dem lezten in der lezten menſchlichen Seele zuſammen.

Waͤre Sprache dem Menſchen ſo angebohren, als den Bienen der Honigban; ſo zerfiele mit Ein - mal dies groͤßeſte praͤchtigſte Gebaͤude in Truͤm - mern! Jeder brachte ſich ſein wenig Sprache auf die Welt, oder da doch das auf die Welt bringen, fuͤr eine Vernunft nichts heißt, als ſie ſich gleich erfinden welch ein trauriges Einzelne wird je - der Menſch! Jeder erfindet ſeine Rudimente, ſtirbt uͤber ihnen, und nimmt ſie ins Grab, wie die Biene ihren Kunſtbau: der Nachfolger kommt, quaͤlt ſich uͤber derſelben Anfaͤngen, kommt eben ſo weit, oder eben ſo wenig weit, ſtirbt und ſo gehts ins Unendliche. Man ſiehet, der Plan, der uͤber die Thiere geht, die nichts erfinden, kann nicht uͤber Geſchoͤpfe gehen, die erfinden muͤſſen, oder es wird ein planloſer Plan! Er - findet jedes fuͤr ſich allein, ſo wird unnuͤtze Muͤhe ins Unendliche verdoppelt, und der erfindende Ver -ſtand206ſtand ſeines beſten Preiſes beraubt, zu wachſen. Was fuͤr Grund haͤtte ich um irgendwo in der Kette ſtille zu ſtehen, und nicht, ſo lange ich den - ſelben Plan wahrnehme, auch auf die Sprache hinaufzuſchließen? Kam ich auf die Welt, um ſogleich in den Unterricht der Meinigen eintreten zu muͤſſen; ſo mein Vater, ſo der erſte Sohn des erſten Stammvaters auch, und wie ich meine Gedanken um mich und in meine Abfolge breite: ſo mein Vater, ſo ſein Stammvater; ſo der Erſte aller Vaͤter. Die Kette reicht fort und ſteht nur bei Einem, dem Erſten ſtille: ſo ſind wir alle ſeine Soͤhne: von ihm faͤngt ſich Geſchlecht, Unterricht, Sprache an: Er hat zu erfinden an - gefangen; wir alle haben ihm nacherfunden, bil - den und mißbilden. Kein Gedanke in einer menſchlichen Seele war verloren; nie aber war auch Eine Fertigkeit dieſes Geſchlechts auf Einmal ganz da, wie bei den Thieren: Zufolge der ganzen Oekonomie war ſie immer im Fort - ſchritte, im Gange: nichts Erfundnes, wie der Bau einer Zelle, ſondern alles im Erfinden, im Fortwuͤrken, ſtrebend. Jn dieſem Geſichtspunktwie207wie groß wird die Sprache! Eine Schatzkam - mer menſchlicher Gedanken, wo jeder auf ſeine Art etwas beitrug! Eine Summe der Wuͤrkſamkeit aller menſchlichen Seelen.

Hoͤchſtens tritt hier die vorige Philoſophie, die den Menſchen gern als ein Land - und Domai - nengut betrachten moͤchte, dazwiſchen Hoͤch - ſtens duͤrfte dieſe Kette doch wohl nur bis an jeden Einzelnen erſten Stammvater Eines Lan - des reichen, von dem ſich ſein Geſchlecht, wie ſeine Landſprache erzeugte? *)Philoſophie de l’hiſtoire &c. &c. Jch wuͤſte nicht, warum ſie nur bis dahin und nicht weiter rei - chen ſollte? Warum dieſe Landesvaͤter nicht wieder unter ſich einen Erdenvater koͤnnten gehabt haben, da die ganze fortgehende Aehnlichkeit der Haushaltung dieſes Geſchlechts es ſo fordert. Ja, hoͤrten wir den Einwurf als wenns weiſe geweſen waͤre, ein ſchwaches elendes Menſchen - paar in einen Winkel der Erde zum Raube der Gefahr auszuſtellen? Und als wenns weiſer geweſen waͤre viele ſolche ſchwache Menſchenpaare einzeln in verſchiedene Winkel der Erde zum Raubezehn -208zehnfach aͤrgerer Gefahren zu machen? Der Fall wagender Unvorſichtigkeit, iſt nicht blos uͤberall derſelbe; ſondern er wird auch mit jeder Verviel - faͤltigung unendlich vermehrt. Ein Menſchen - paar, irgendwo, im beſten, bequemſten Clima der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am wenigſten ſtrenge iſt, wo der fruchtbare Boden den Beduͤrfniſſen ihrer Unerfahrenheit von ſelbſt zu ſtatten kommt, wo gleichſam alles umhergela - gert iſt wie eine Werkſtaͤtte, um der Kindheit ihrer Kuͤnſte zu Huͤlfe zu kommen iſt dies Paar nicht weiſer verſorgt, als jedes andre menſch - liche Landthier, was unter dem unfreundlichſten Himmel in Lappland oder Groͤnland, mit der ganzen Duͤrftigkeit der nakten erfrornen Natur umgeben, den Klauen eben ſo duͤrftiger, hungriger, und um ſo grauſamerer Thiere, mithin unendlich mehrern Ungemaͤchlichkeiten ausgeſezt iſt? Die Si - cherheit der Erhaltung nimmt alſo ab, je mehr die urſpruͤnglichen Erdemenſchen verdoppelt werden. Und denn wie lange bleibt das Paar im ſeligern Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald kleines Volk, nnd wenn es ſich nun, als Volkaus -209ausbreitet: es kommt in ein ander Land es kommt ſchon als Volk hinein wie weiſer! wie ſichrer! Viel an Anzahl, mit gehaͤrteten Koͤrpern, mit verſuchten Seelen, ja mit dem ganzen Scha - tze von Erfahrungen ihrer Vorfahren beerbt wie vielfach alſo verſtaͤrkte und verdoppelte Seelen! Nun ſind ſie faͤhig, ſich bald zu Landgeſchoͤpfen dieſer Gegend zu vervollkommen! ſie werden in kurzem ſo eingebohren, als die Thiere des Clima mit Lebensart, Denkart und Sprache beweiſet nicht aber eben dies den natuͤrlichen Fortgang des menſchlichen Geiſtes, der ſich aus einem gewiſſen Mittelpunkt zu allem bilden kann. Es kommt nie auf eine Menge bloßer Zahlen, ſon - dern auf die Guͤltigkeit und Progreßion ihrer Be - deutung: nie auf eine Menge ſchwacher Subjekte, ſondern auf Kraͤfte an, mit denen ſie wuͤrken. Dieſe wuͤrken eben im ſimpelſten Verhaͤltniß am ſtaͤrkſten; und nur die Bande umfangen alſo das ganze Geſchlecht, die von Einem Punkte der Ver - knuͤpfung ausgehen.

Jch laſſe mich in keine weitere Gruͤnde dieſes einſtaͤmmigen Urſprungs ein: daß z. E. noch keineOwahren210wahren Data von neuen Menſchengattungen, die dieſen Namen, wie die Thiergattungen, verdien - ten, aufgefunden ſind; daß die offenbar allmaͤlige und fortgehende Bevoͤlkerung der Erde gerade das Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige; daß die Kette der Cultur und aͤhnlicher Gewohn - heiten es auch, nur dunkler, zeige u. ſ. w. ich bleibe bei der Sprache. Waͤren die Menſchen Nationalthiere, wo jedes die ſeinige ſich ganz un - abhaͤngig und abgetrennt von andern ſelbſt erfun - den haͤtte: ſo muͤßte dieſe gewiß eine Verſchie - denartigkeit zeigen, als vielleicht die Einwoh - ner des Saturns und der Erde gegen einander ha - ben moͤgen und doch geht bei uns offenbar Alles auf Einem Grunde fort. Auf einem Grunde, nicht blos was die Form, ſondern was wuͤrklich den Gang des menſchlichen Geiſtes betrift: denn unter allen Voͤlkern der Erde iſt die Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut. Die einzige Chineſiſche macht, meines Wiſſens, eine weſentliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus - nahme ſehr zu erklaͤren getraue wie viel Chine - ſer-Grammatiken, und wie viele Arten derſel - ben muͤßten ſeyn, wenn die Erde voll Sprach - erfindender Landthiere geweſen waͤre!

Woher kommts, daß ſo viel Voͤlker ein Alpha - bet haben, und doch faſt nur ein Alphabet auf demErd -211Erdboden ſey? Der ſonderbare und ſchwere Ge - danke, ſich aus den Beſtandtheilen der willkuͤhr - lichen Worte, aus Lauten, willkuͤhrliche Zeichen zu bilden, iſt ſo ſpringend, ſo verwickelt, ſo ſon - derbar, daß es gewiß unerklaͤrlich waͤre, wie viele und ſo viele auf den einen ſo entfernten Gedan - ken, und alle ganz auf eine Art, auf ihn gefallen waͤren. Daß ſie alle die weit natuͤrlichern Zei - chen, die Bilder von Sachen vorbei ließen, und Hauche mahlten, unter allen moͤglichen die - ſelben zwanzig mahlten, und ſich gegen die uͤbri - gen fehlenden duͤrftig behalfen, daß zu dieſen zwanzig ſo viele dieſelben willkuͤhrlichen Zei - chen nahmen Wird hier nicht Ueberliefe - rung ſichtbar? Die morgenlaͤndiſchen Alphabete ſind im Grunde eins: Das Griechiſche, Lateini - ſche, Runiſche, Deutſche u. ſ. w. Ableitungen: das Deutſche hat alſo noch mit dem Koptiſchen Buchſtaben gemein und Jrrlaͤnder ſind kuͤhn gnug geweſen, den Homer fuͤr eine Ueberſetzung aus ihrer Sprache zu erklaͤren. Wer kann, ſo wenig oder viel er drauf rechne, im Grunde der Spra - chen Verwandſchaft ganz verkennen? Wie Ein Menſchenvolk nur auf der Erde wohnet, ſo auch nur Eine Menſchenſprache: wie aber dieſe große Gattung ſich in ſo viele kleine Landarten na - tionaliſirt hat: ſo ihre Sprachen nicht anders.

O 2Viele212

Viele haben ſich mit den Stammliſten die - ſer Sprachengeſchlechter verſucht; ich verſu - che es nicht denn wie viele, viele Nebenurſa - chen konnten in dieſer Abſtammung, und in der Kaͤnntlichkeit dieſer Abſtammung Veraͤnderungen machen, auf die der etymologiſirende Philoſoph nicht rechnen kann und die ſeinen Stammbaum truͤgen. Zudem ſind unter den Reiſebeſchreibern und ſelbſt Mißionarien ſo wenig wahre Sprach - philoſophen geweſen, die uns von dem Genius und dem charakteriſtiſchen Grunde ihrer Voͤlkerſprachen haͤtten Nachricht geben koͤnnen oder wollen, daß man im Allgemeinen hier noch in der Jrre gehet. Sie geben Verzeichniſſe von Woͤrtern und aus dem Schaͤllenkrame ſoll man ſchließen! Die Regeln der wahren Sprachdeduktion, ſind auch ſo fein, daß wenige doch das iſt alles nicht mein Werk! im Ganzen bleibt das Naturgeſetz ſichtbar: Sprache pflanze und bilde ſich mit dem menſchlichen Geſchlechte fort; in dieſem Ge - ſetze zaͤhle ich nur Hauptarten auf, die ver - ſchiedne Dimenſion geben.

I. Jeder Menſch hat freilich alle Faͤhigkeiten, die ſein ganzes Geſchlecht; und jede Nation die Faͤhigkeiten, die alle Nationen haben, es iſt in - deſſen doch wahr, daß eine Geſellſchaft mehrals213als ein Menſch, und das ganze menſchliche Geſchlecht mehr als ein einzelnes Volk er - finde; und das zwar nicht blos nach Menge der Koͤpfe, ſondern nach vielfach - und innig vermehrtern Verhaͤltniſſen. Man ſollte den - ken, daß ein einſamer Menſch, ohne draͤngende Beduͤrfniſſe, mit aller Gemaͤchlichkeit der Lebens - art z. E. vielmehr Sprache erfinden; daß ſeine Muße ihn dazu antreiben werde, ſeine Seelen - kraͤfte zu uͤben, mithin immer etwas neues zu er - denken u. ſ. w. Allein das Gegentheil iſt klar. Er wird ohne Geſellſchaft immer auf gewiſſe Weiſe verwildern, und bald in Unthaͤtigkeit ermatten, wenn er ſich nur erſt in den Mittelpunkt geſezt hat, ſeine noͤthigſten Beduͤrfniſſe zu befriedigen. Er iſt immer eine Blume, die aus ihren Wurzeln geriſſen, von ihrem Stamm gebrochen, da liegt und welkt ſezt ihn in Geſellſchaft und meh - rere Beduͤrfniſſe: er habe fuͤr ſich und andre zu ſorgen; man ſollte denken, dieſe neue Laſten neh - men ihm die Freiheit ſich empor zu heben; dieſer Zuwachs von Peinlichkeiten, die Muße zu erfin - den; aber gerade umgekehrt. Das Beduͤrfniß ſtrengt ihn an: die Peinlichkeit wekt ihn: die Raſtloſigkeit haͤlt ſeine Seele in Bewegung: er wird deſto mehr thun, je wunderſamer es wird, daß ers thue. So waͤchſt alſo die FortbildungO 3einer214einer Sprache von einem Einzelnen bis zu einem Familienmenſchen ſchon in ſehr zuſam - mengeſeztem Verhaͤltniß: Alles andre abgerech - net, wie wenig wuͤrde doch der Einſame, ſelbſt der einſame Sprachenphiloſoph auf ſeiner wuͤſten Jnſel erfinden! Wie viel mehr und ſtaͤrker der Stammvater, der Familienmann. Die Natur hat alſo dieſe Fortbildung gewaͤhlet.

II. Eine einzelne, abgetrennte Familie, denkt man, wird ihre Sprache, bei Bequemlichkeit und Muße mehr ausbilden koͤnnen, als bei Zer - ſtreuungen, Krieg gegen einen andern Stamm u. ſ. w. allein nichts weniger. Je mehr ſie gegen andre gekehrt iſt, deſto ſtaͤrker wird ſie in ſich zu - ſammengedraͤngt: deſto mehr ſezt ſie ſich auf ihre Wurzel, macht die Thaten ihrer Vorfahren zu Liedern, zu Aufrufungen, zu ewigen Denkmalen: erhaͤlt dieſes Sprachandenken um deſto reiner und patriotiſcher die Fortbildung der Sprache, als Mundart der Vaͤter, geht deſto ſtaͤrker fort: darum hat die Natur dieſe Fortbildung gewaͤhlet.

III. Mit der Zeit aber ſezt ſich dieſer Stamm, wenn er in eine kleine Nation angewachſen iſt auch in ſeinem Cirkel feſt. Er hat ſeinen ge -meßnen215meßnen Kreis von Beduͤrfniſſen und fuͤr dieſe auch Sprache: weiter gehet er nicht, wie wir an allen kleinen ſo genannten barbariſchen Nationen ſehen. Mit ihren Nothwendigkeiten abgetheilt, koͤnnen ſie, Jahrhunderte lang, in der ſonderbarſten Un - wiſſenheit bleiben, wie jene Jnſeln ohne Feuer, und ſo viel andre Voͤlker ohne die leichteſten mecha - niſchen Kuͤnſte: Es iſt als ob ſie nicht Augen haͤt - ten, zu ſehen was ihnen vorliegt. Daher als - denn das Geſchrei andrer Voͤlker auf ſolche, als auf dumme, unmenſchliche Barbaren; da wir alle doch vor weniger Zeit eben dieſelben Barbaren waren, und dieſe Kaͤnntniſſe nur von andern Voͤlkern bekamen! Daher auch das Geſchrei ſo mancher Philoſophen uͤber dieſe Dummheit, als die unbegreiflichſte Sache, da doch nach der Ana - logie der ganzen Haushaltung mit unſrem Ge - ſchlecht nichts begreiflicher iſt, als ſie! Hier hat die Natur eine neue Kette geknuͤpft, die Ue - berlieferung von Volk zu Volk! ſo haben ſich Kuͤnſte, Wiſſenſchaften, Cultur und Spra - che in einer großen Progreßion Nationen hin verfeinert das feinſte Band der Fortbildung, was die Natur gewaͤhlet.

Wir Deutſche wuͤrden noch ruhig, wie die Amerikaner, in unſern Waͤldern leben, oder viel - mehr noch in ihnen rauh kriegen und Helden ſeyn,O 4wenn216wenn die Kette fremder Cultur nicht ſo nah an uns gedraͤngt, und mit der Gewalt ganzer Jahr - hunderte uns genoͤthigt haͤtte, mit einzugreifen. Der Roͤmer holte ſo ſeine Bildung aus Grie - chenland, der Grieche bekam ſie aus Aſien und Aegypten: Aegypten aus Aſien, China viel - leicht aus Aegypten ſo geht die Kette von einem erſten Ringe fort und wird vielleicht einmal uͤber die Erde reichen. Die Kunſt, die einen grie - chiſchen Pallaſt bauete, zeigt ſich bei dem Wilden ſchon im Bau einer Waldhuͤtte; wie die Malerei Mengs und Dietrichs ſchon im roheſten Grunde auf dem rothbemalten Schilde Hermanns glaͤnzte. Der Eskimaux vor ſeinem Kriegsheere hat ſchon alle Keime zu einem kuͤnftigen Demoſihen, und jene Nation von Bildhauern am Amazonen - ſtrome*)de la Condamine. vielleicht tauſend kuͤnftige Phidias. Laſſet nur andre Nationen vor - und jene umruͤ - cken: ſo iſt alles, wenigſtens in den gemaͤßigten Zonen, wie in der alten Welt. Aegypter und Griechen, und Roͤmer, und neuere thaten nichts als fortbauen; Perſer, Tartaren, Gothen, und Pfaffen kommen dazwiſchen und machen Truͤm - mern; deſto friſcher bauet ſichs aus und nach und auf ſolchen alten Truͤmmern weiter. Die Ketteeiner217einer gewiſſen Vervollkommnung der Kunſt geht uͤber alles fort, (obgleich andre Eigenſchaften der Natur wiederum dagegen leiden) und ſo auch uͤber die Sprache. Die arabiſche iſt ohne Zweifel hun - dertmal feiner, als ihre Mutter im erſten rohen Anfange: unſer Deutſch ohne Zweifel feiner, als das alte Celtiſche: die Grammatik der Griechen konnte beſſer ſeyn und werden, als die morgenlaͤn - diſche, denn ſie war Tochter: die Roͤmiſche phi - loſophiſcher als die Griechiſche, die Franzoͤſiſche als die Roͤmiſche: iſt der Zwerg auf den Schultern des Rieſen nicht immer groͤßer, als der Rieſe ſelbſt?

Nun ſieht man auf einmal, wie truͤglich der Beweis fuͤr die Goͤttlichkeit der Sprache aus ihrer Ordnung und Schoͤnheit werde Ordnung und Schoͤnheit ſind da, aber wenn? wie und woher gekommen? Jſt denn dieſe ſo bewunderte Spra - che, die Sprache des Urſprungs? Oder nicht ſchon das Kind ganzer Jahrhunderte, und vieler Nationen? Siche! an dieſem großen Gebaͤude haben Nationen, und Welttheile und Zeitalter ge - bauet; und darum konnte jene arme Huͤtte nicht der Urſprung der Baukunſt ſeyn? Darum mußte gleich ein Gott die Menſchen ſolchen Pallaſt bauen lehren? Weil Menſchen gleich ſolchen Pallaſt nicht haͤtten bauen koͤnnen welch ein Schluß! und218und welch ein Schluß uͤberhaupt iſts: Dieſe große Bruͤcke zwiſchen zwo Bergen begreife ich nicht ganz, wie ſie gebauet ſey folglich hat ſie der Teufel gebauet! Es gehoͤrt ein großer Grad Kuͤhn - heit oder Unwiſſenheit dazu, zu laͤugnen, daß ſich nicht die Sprache mit dem menſchlichen Geſchlecht nach allen Stuffen und Veraͤnderungen fortgebil - det: das zeigt Geſchichte und Dichtkunſt, Bered - ſamkeit und Grammatik, ja, wenn alles nicht, ſo Vernunft. Hat ſie ſich nun ewig ſo fortgebil - det und nie zu bilden angefangen? oder immer menſchlich gebildet, ſo daß Vernunft nicht ohne ſie, und ſie ohne Vernunft nicht gehen konnte und mit Einmal iſt ihr Anfang anders? und das ſo ohne Sinn und Grund anders, wie wir an - fangs gezeigt? Jn allen Faͤllen wird die Hypo - theſe eines goͤttlichen Urſprungs in der Sprache verſtekter feiner Unſinn!

Jch wiederhole das mit Bedacht geſagte, harte Wort: Unſinn! und will mich zum Schluß erklaͤren. Was heißt ein goͤttlicher Urſprung der Sprache als entweder: Jch kann die Sprache aus der menſchlichen Natur nicht erklaͤren: folg - lich iſt ſie goͤttlich Jſt Sinn in dem Schluſſe? Der Gegner ſagt: ich kann ſie aus der menſch - lichen Natur und aus ihr vollſtaͤndig erklaͤren wer hat mehr geſagt? Jener verſtekt ſich hintereine219eine Decke und ruft hervor: Hier iſt Gott! dieſer ſtellt ſich ſichtbar auf den Schauplatz, han - delt ſehet! ich bin ein Menſch!

Oder ein hoͤherer Urſprung ſagt: Weil ich die menſchliche Sprache nicht aus der menſchli - chen Natur erklaͤren kann: ſo kann durchaus keiner ſie erklaͤren ſie iſt durchaus unerklaͤr - bar: iſt in dem Schluſſe Folge? Der Gegner ſagt: mir iſt kein Element der Sprache in ihrem Beginn, und in jeder ihrer Progreſſion aus der menſchlichen Seele unbegreiflich: ja die ganze menſchliche Seele wird mir unerklaͤrbar, wenn ich in ihr nicht Sprache ſetze; das ganze menſch - liche Geſchlecht bleibt nicht das Naturgeſchlecht mehr, wenns nicht die Sprache fortbildet Wer hat mehr geſagt? Wer ſagt Sinn?

Oder endlich die hoͤhere Hypotheſe ſagt gar: nicht blos keiner kann die Sprache aus der menſchlichen Seele begreifen: ſondern ich ſehe auch deutlich die Urſache, warum ſie ihrer Natur und der Analogie ihres Geſchlechts nach durch - aus fuͤr Menſchen unerfindbar war. Ja ich ſehe in der Sprache und im Weſen der Gottheit die Urſache deutlich, warum keiner als Gott ſie er - finden konnte. Nun bekaͤme zwar der Schluß Folge; aber nun wird er auch der graͤßlichſte Un -ſinn.220ſinn. Er wird ſo beweisbar, als jener Beweis der Tuͤrken von der Goͤttlichkeit des Korans: wer anders als der Prophet Gottes konnte ſo ſchreiben? Und wer anders als ein Prophet Gottes kann auch wiſſen, daß nur der Prophet Gottes ſo ſchreiben konnte? Niemand, als Gott, konnte die Sprache erfinden! Niemand als Gott kann aber auch einſehen, daß niemand, als Gott, ſie erfinden konnte! und welche Hand kann es wa - gen, nicht blos etwa Sprache und die menſch - liche Seele, ſondern Sprache und Gottheit aus - zumeſſen?

Ein hoͤherer Urſprung hat nichts fuͤr ſich, ſelbſt nicht das Zeugniß der morgenlaͤndiſchen Schrift, auf die er ſich beruft: denn dieſe gibt offenbar der Sprache einen menſchlichen Anfang durch Namen - nennung der Thiere. Die menſchliche Erfindung hat alles fuͤr - und durchaus nichts gegen ſich: Weſen der menſchlichen Seele und Element der Sprache; Analogie des menſchlichen Ge - ſchlechts und Analogie der Fortgaͤnge der Sprache das große Beiſpiel aller Voͤlker, Zeiten und Theile der Welt!

Der hoͤhere Urſprung iſt, ſo fromm er ſcheine, durchaus ungoͤttlich: Bei jedem Schritte verklei - nert er Gott durch die niedrigſten, unvollkommen -ſten221ſten Anthropomorphien. Der menſchliche zeigt Gott im groͤßeſten Lichte: ſein Werk, eine menſchliche Seele, durch ſich ſelbſt, eine Sprache ſchaffend und fortſchaffend, weil ſie ſein Werk, eine menſchliche Seele iſt. Sie bauet ſich dieſen Sinn der Vernunft, als eine Schoͤpferinn, als ein Bild ſeines Weſens. Der Urſprung der Sprache wird alſo nur auf eine wuͤrdige Art goͤttlich, ſo fern er menſchlich iſt.

Der hoͤhere Urſprung iſt zu nichts nuͤtze, und aͤuſſerſt ſchaͤdlich. Er zerſtoͤrt alle Wuͤrkſamkeit der menſchlichen Seele, erklaͤrt nichts, und macht alles, alle Pſychologie, und alle Wiſſenſchaften unerklaͤr - lich denn mit der Sprache haben ja die Men - ſchen alle Samen von Kaͤnntniſſen von Gott em - pfangen? Nichts iſt alſo aus der menſchlichen Seele? Der Anfang jeder Kunſt, Wiſſen - ſchaft, und Kaͤnntniß alſo iſt immer unbegreif - lich? Der menſchliche laͤßt keinen Schritt thun ohne Ausſichten, und die fruchtbarſten Erklaͤrun - gen in allen Theilen der Philoſophie, und in allen Gattungen und Vortraͤgen der Sprache. Der Verfaſſer hat einige hier geliefert und kann da - von eine Menge liefern

Wie222

Wie wuͤrde er ſich freuen, wenn er mit dieſer Abhandlung eine Hypotheſe verdraͤnge, die von allen Seiten betrachtet, dem menſchlichen Geiſt nur zum Nebel und zur Unehre iſt, und es zu lange dazu geweſen! Er hat eben deßwegen das Gebot der Akademie uͤbertreten und keine Hypo - theſe geliefert: denn was waͤr’s, wenn eine Hypotheſe die andre auf - oder gleich waͤge? und wie pflegt man, was die Form einer Hypotheſe hat, zu betrachten, als wie philoſophiſchen Ro - man, Rouſſeaus, Condillacs und andrer? Er befließ ſich lieber, veſte Data aus der menſch - lichen Seele, der menſchlichen Organiſation, dem Bau aller alten und wilden Sprachen und der ganzen Haushaltung des menſchli - chen Geſchlechts zu ſammlen, und ſeinen Satz ſo zu beweiſen, wie die veſteſte philoſophi - ſche Wahrheit bewieſen werden kann. Er glaubt alſo mit ſeinem Ungehorſam den Willen der Aka - demie eher erreicht zu haben, als er ſich ſonſt er - reichen ließ

[223][224][225][226]

About this transcription

TextAbhandlung über den Ursprung der Sprache
Author Johann Gottfried von Herder
Extent232 images; 34450 tokens; 6514 types; 244777 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAbhandlung über den Ursprung der Sprache welche den von der Königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesezten Preis erhalten hat Johann Gottfried von Herder. . [1] Bl., 222 S. VoßBerlin1772.

Identification

HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Ka 76Dig: http://diglib.hab.de/drucke/ka-76/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Sprachwissenschaft; Wissenschaft; Sprachwissenschaft; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:28Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Ka 76
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.