SO offt ich iemand in der deutſchen Poeſie habe unterweiſen ſol - len / ſo hat es den Anfaͤngern allemahl an Reimen geman - gelt: Und weil bißhero noch kein Reim-Regiſter nach mei - nem guſto iſt eingerichtet ge - weſen / ſo hab ich ſelber eines zuſammen getragen / welches ſonder Zweiffel der Jugend gu - te Dienſte thun wird.
a 2Weil4Weil aber bey ſolcher Gat - tung von Buͤchern die groͤſte Kunſt darinnen beſtehet / weñ ſie bequem zu gebrauchen ſind: ſo wil ich nur mit drey Wor - ten beruͤhren / in welchen Stuͤ - cken ich vor dieſes mahl den Liebhabern der deutſchen Poe - ſie zu dienen bemuͤhet geweſen bin.
Vors erſte ſind die Maͤnn - lichen und weiblichen Reime unter einander geſetzet wor - den / daß man alſo nicht von noͤthen hat / ein gedoppeltes Alphabeth nachzuſchlagen.
Hiernechſt ſind / ſo viel moͤg - lich / alle Reime hervor geſu -chet5chet worden: Denn das hab ich iederzeit vor eine Verhin - derung vieler guten Einfaͤlle gehalten / wenn man ſich all - zuſehr an etliche gewiſſe Rei - me gebunden hat. Wenn ich auch bedencke / wie vielmahl ich eine gantze Viertelſtunde auf einen Reim gedacht habe / da doch keiner von dergleichen Gattung in rerum naturâ geweſen iſt; und was mir unterdeſſen vor gute inven - tiones entwiſchet ſind: ſo be - taure ich / daß dergleichen voll - ſtaͤndiger index nicht ſchon vor 20. Jahren iſt gedrucket worden.
a 3Fer -6Ferner iſt die Ordnung des Alphabeths ſo genau in acht genommen worden / daß es ein Blinder / wie man im Sprichworte ſaget / greiffen koͤnte: Deñ das kan ich nicht leugnen / daß ich des Hn. Phi - lipp Zeſens Reim-Regiſter zwar nunmehro funffzehn Jahr gebrauchet habe; aber allemahl / wenn ich das Buch in die Hand genommen / die Ordnung der Reime von neuen habe lernen muͤſſen.
Weiter habe ich mich euſerſt bemuͤhet / ſo viel die Groͤſſe des Buchs hat leiden wollen / al - le Compoſita, auch dañ undwann7wann die unvermuthlichen Phraſes mit hineinzubringen. Denn was hilfft michs / wenn ich gleich im Regiſter die Wor - te ab / ein / auf / aus / ꝛc. finde / wenn nicht die Verba darbey ſtehen / welche mit die - ſen particulis componiret / und in gewiſſer conſtru - ction darauff terminiret werden. z. e. er wachet auf / er ſtehet auf / er he - bet auf / ꝛc. Und was bin ich gebeſſert / wenn nur das Wort machen da ſtehet / nicht aber die compoſita,a 4auf -8aufzumachen / anzuma - chen / einzumachen / ver - machen / uͤbermachen / ꝛc. oder auch wohl die Phraſes, Cauſen machen / herun - ter machen / einen Muth machen / ꝛc.
Nechſt dieſem iſt alles ſo abgetheilet / daß allenthalben Platz iſt / wenn man ex le - ctione Poëtarum, oder auch aus eigner Erfindung noch was hinzu zu tragen vor noͤ - thig haͤlt: Geſtalt es dann in ſolchem Falle / was die Reime betrifft / die Stelle eines Poe -tiſchen9tiſchen Collectaneen-Buches wird vertreten koͤnnen.
Die meiſte Noth haben mir die unterſchiedenen Dia - lectus gemacht: Doch wil ich hoffen / es werde alles ſo abgefaſſet ſeyn / daß vielleicht ein jedweder von der deutſchen Nation den Accent ſeines Vaterlandes darinnen wird finden koͤnnen. Unter einem jedweden Reime ſtehen alle Woͤrter / die auf ſolche Buch - ſtaben ausgehen / und da wird ein jedweder leicht judiciren koͤnnen / was ſich zuſammen ſchickt. Geſtalt deñ hierzu dervor -10vorhergeſetzte Unterricht von der Beſchaffenheit der deut - ſchen Reime genugſame An - leitung geben wird. Gott befohlen!
I.
DJe Deutſchen haben zweyer - ley Reime / Maͤnnliche / und Weibliche.
II. Die Maͤnnlichen beſtehen nur in einer Sylbe / und ſind ohne Zweifel ſo genennet worden / weil ſie hertzhafft und maͤnnlich klingen. z. e.
III. Die Weiblichen beſtehen in zwey Sylben / und haben den Nah - men vermuthlich daher / weil ſie einen weichen und gleichſam weiblichen Klang haben. z. e.
IV. Dieſe zwey Gattungen der Reime ſind bißhero vielen Veraͤnde - rungen unterworffen geweſen. Denn einer hat ſie vermehren / der andere verſetzen / der dritte gar abſchaffen wollen.
V. Was die Vermehrung betrifft / ſo haben etliche gekuͤnſtelt / ob man nicht Reime von drey Sylben machen koͤnne.
VI. Nun iſt kein Zweifel / daß man dergleichen zu Marckte bringen kan: Denn wer wolte nachfolgende Zeilen nicht vor Verſe pasſiren laſſen:
VII. Es iſt auch eine bekante Sache / daß in der deutſchen Sprache gar viel Proparoxytona ſeyn / da ſich die letzte Sylbe mit keinem Accente wil bewe - gen laſſen. z. e.
IIX. Noch beſſer kan man es ſehen / wenn ein Reim von anderer Gattung darzu geſetzet wird: Geſtalt denn ein ſcharffer Cenſor nachfolgende Rhyth - mos nicht gerne wird pasſiren laſſen.
IX. Die Urſache iſt gar leichtlich zu errathen: Denn in einer Zeile iſt die letzte Sylbe lang / und in der andern iſt ſie kurtz.
X. Alſo wenn mich jemand fraget / ob man Verſe mit dreyſylbigen Rei - men machen kan / ſo antworte ich nicht allein mit Ja: ſondern ich wolte zur Noth vierſylbige Reime ſtaturen und machen. z. e.
XI. Wann aber die Frage darauf gehet / ob man ſich auf ſolche dreyſyl - bige Reime befleiſſen / und die Jugend darzu gewoͤhnen ſoll? ſo muß ich aus nachfolgenden Urſachen mit Nein antworten.
XII. Denn unter dendre yſylbigen Reimen lauffen viel kindiſche Dimi -nutiva15nutiva mit unter / die ſich nim̃ermehr / ohne Verletzung der gravitaͤt / gebrau - chen laſſen. z. e.
XIII. Hernach iſt es wider die na - tuͤrliche conſtruction der deutſchen Sprache / und es kan ohne Zwang nicht abgehen / wenn dergleichen drey - ſylbigte Woͤrter auf die letzt ſollen zu ſtehen kommen. z. e.
XIV. Endlich wil ich alle Verſe mit dreyſylbigten Reimen noch einmahl ſo gut mit weiblichen oder maͤnnlichen Rhythmis exprimiren: welches ich zum Ubeꝛfluſſe an einem laͤppiſchen Ex - empel beweiſen wil.
XV. Bey ſo beſtalten Sachen / halte ich dieſe Vermehrung der Reime vor uͤberfluͤſ - ſig / und werde mir nicht die Muͤhe neh - men / dieſelben dem nachfolgenden Reim - Regiſter einzuverleiben.
XVI. Was die Verſetzung der Reime be - trifft / ſo haben ſich vor weniger Zeit Leute gefunden / welche den Reim lieber zum An - fange / als zum Ausgange der Zeilen ha - ben gebrauchen wollen. z. e.
XVII. Nun wil ich zwar dem Erfinder die Ehre der curioſitaͤt nicht diſputirlich machen: Doch weil ich zur Zeit nicht ſehe / was bey ſolcher Art dem Schreiber oder dem Leſer vor ein Vortheil zuwaͤchſt / ſo be - gehre ich keine nachzumachen.
XVIII. Wolte man vorwenden / daß der Vers ſolcher geſtalt um ſo viel deſto kuͤnſt -blicher18licher waͤre / ſo wil zu Vermehrung der Kunſt lieber dieſen Vorſchlag thun / daß man hinten und forne zugleich reimen ſoll. z. e.
XIX. Endlich iſt man auch auf die Ge - dancken gerathen / ob man nicht die deut - ſchen Reime / oder wohl gar die geſammten deutſchen Verſe abſchaffen koͤnte.
XX. Denn etliche ſchrieben an ſtatt der bißhero gebraͤuchlichen Trauer - oder Eh - ren-Getichte / eine ſinnreiche Epiſtel: Ge - ſtalt ſich noch vor wenig Jahren der ge - lehrte Pufendorf dergleichen Schreibart an einer vornehmen Hochzeit bedienete.
XXI. Andre hingegen legten ſich auf la - teiniſche und deutſche Inſcriptiones: welches auch den weltberuͤhmten Weiſen bewogen / daß er auch ſein gelehrtes Buch von den In - ſcriptionibus mit dem Titel de Poeſi hodi - ernorum Politicorum bezeichnet hat.
XXII. Endlich hat man auch angefan - gen deutſche Verſe ohne Reime zu ſchrei -ben:19ben: dergleichen der vortreffliche Secken - dorff in der Verſion des Luciani gebrau - cher hat.
XXIII. Von dieſen allen nun etwas ge - nauer zu urtheilen / ſo muß man vor allen Dingen unterſuchen / was einen und den andern darzu moͤchte bewogen haben.
XXIV. Wofern ich nun muthmaſſen darff / ſo iſts bey etlichen aus Großmuͤthig - keit / bey etlichen aus Klugheit / bey etlichen aus Faulheit geſchehen.
XXV. Denn einmahl iſt es bey der po - liten Welt allemahl ſo mode geweſen / daß geſchickte Gemuͤther bey froͤlichen und traurigen Faͤllen / ſich ſelbſt oder andern zu Liebe was artiges und ſinnreiches geſchrie - ben haben.
XXVI. Weil nun die deutſchen Verſe nicht nur in der Schulen gelernet / ſondern auch von Schul-Leuten bey gar niedrigen Faͤllen gemißbrauchet wurden / ſo ſtund es curieuſen Gemuͤthern nicht an / daß ihre Sachen nach der Schule ſchmecken ſolten / und ſuchten ſich alſo durch was neues von den Schul-Leuten zu diſtinguiren.
XXVII. Andre mochten in der Jugend die Zeit und die Gelegenheit / die Schwuͤ - rigkeiten der deutſchen Poeſie zu uͤberſtei - gen verſaͤumet haben: Und weil ſie gleich -b 2wohl20wohl bey der artigen Welt auch gerne mit - ſpielen wolten / ſo muſten ſie wohl das ver - achten / was ſie nicht gelernet hatten / und auf was neues bedacht ſeyn.
XXVIII. Endlich hat vielen Faullentzern die Geduld ausreiſſen wollen / wenn ſie mit ihren ungeſchickten Verſen viel Cen - ſuren haben ausſtehen muͤſſen; und die haben die Schuld nicht auff ihre eigne Nachlaͤßigkeit / ſondern lieber auf die un - ſchuldigen Reime ſchieben wollen.
XXIX. Was nun die erſte Gattung be - trifft / ſo unterſtehe ich mich nicht ihr Thun zu tadeln: ſondern ich betaure ſelber / daß die deutſchen Verſe von ſo vielen Stuͤm - pern / und bey ſo viel lumpichten Gelegen - heiten proſtituiret werden.
XXX. Die andre Gattung kan ich auch nicht verdencken / welche durch Verachtung der Poeſie / oder zum wenigſten der Reime / einen Mangel zu bemaͤnteln ſuchen. Sag - te doch der Fuchs auch / die Aepfel waͤren ſauer / als er mit dem Schwantze keine her - unter ſchuͤtteln konte.
XXXI. Aber wer die Reime aus bloſſer Faulheit verwirfft / und die Welt uͤberreden wil / als wenn ſeine ungereimte Verſe beſſer klingen; den ſetze ich in meinen Gedancken e - ben in die Claſſe, wo die Stuͤmper ſtehẽ / wel -che21che das gute Latein nur darum ſchulfuͤch - ſiſch neñen / weil ſie die Haut nicht dran ſtre - cken wollen / die guten Autores durchzugehẽ.
XXXII. Und weil ich mich einmahl in dieſer materie vertieffet habe / ſo wil ich doch meine Urſachen vorbringen / dardurch ich / und ein jedweder die deutſchen Reime hoch zu halten verbunden iſt.
XXXIII. Erſtlich verurſachen ſie in den Ohren einen angenehmen Klang: denn ich wil zwey Exempel herſetzen / die einerley materie in ſich halten / und den unparthei - ſchen Leſer judiciren laſſen / welches das Ge - hoͤre am meiſten beluſtiget.
XXXIV. Nechſt dieſem machen die Rei -b 3me /22me / daß der Vers deſto kuͤnſtlicher iſt. Daß aber ein rechtſchaffener Vers einen kuͤnſtli - chen Zwang an ſich haben muͤſſe / das wil ich mit der lateiniſchen Poeſie beweiſen.
XXXV. Denn wofern die Lateiner ſolche Verſe æſtimirten / die nur eine gewiſſe An - zahl Sylben haͤtten / welche ſich in der Pro - nunciation gleichſam ſcandiren lieſſen / ſo wuͤrde nachfolgender Hexameter untadel - hafftig ſeyn:
XXXVI. Weil aber ein jedweder Tertia - ner ſolche Verſe wuͤrde machen koͤnnen / ſo hat man ein General-Geſetze gemacht / daß kein Vers ſoll æſtimiret werden / welcher nicht die quantitaͤt der Sylben in acht nim̃t.
XXXVII. Jndem nun von der deutſchen Proſodie kein ſonderliches Weſen zu ma - chen iſt / ſo muß man die Kunſt entweder an den Reimen ſehen laſſen / oder ein jedweder Handwercks-Purſche wird capable ſeyn / ein Carmen zu ſchreiben.
XXXVIII. Jch wil mich wiederum an ei - nem ſchlechten Exempel legitimiren. Jch wuͤſte nicht was mir an dem folgenden Verſe gefallen ſolte / wenn ich das darunter verborgene morale ausnehme:
XXXIX. Hingegen wenn die Reime dar - zu kommen / ſo ſoll mir dergleichen zum we - nigſten nicht ein jeder ex tempore ſchmieren.
XL. Jch laſſe mich auch den Einwurff nicht irre machen / als wenn man des Rei - mes wegen viel gute Realien nicht anbrin - gen koͤnte. Deñ ſolches wiederfaͤhret nur den Stuͤmpern / welche den Vortheil / den Reim / die conſtruction, und das genus zu aͤndern nicht in der Gewalt haben.
XLI. Jch beſinne mich / daß ich in meineꝛ Jugend ein Lied mit dieſem Verſe ſchlieſſen wolte:
XLII. Als ich aber merckte / daß ſich auff das Wort Leibgen nichts bequemes reimen wolte / ſo nahm ich andre Woͤrter / und brachte folgenden Vers heraus:
b 4Laß24XLIII. Ja wie mir dieſer noch nicht ge - ſiel / ſo ſuchte ich nochmahls neue Reime / und endlich gerieth mir die halbe Strophe noch ziemlich:
XLIV. Zur andern Zeit wolte ich von der Opinion was ſchreiben / gerieth aber alſo - bald bey den erſten zwey Zeilen ins ſtecken / daß ich mit den Reimen nicht fortkommen konte:
XLV. Als ich die Unmoͤgligkeit ſahe / er - grieff ich gleich eine andere conſtruction, und brachte gar einen leidlichen Vers her - aus / und zwar ſo / daß meiner invention nichts abging:
XLVI. Endlich wolte ich einſten ein Nie -der -25der-Saͤchſiſches Hiſtoͤrgen in einen Vers bringen / und gedachte das nachfolgende be - kandte Genus zu brauchen.
XLVI. Doch als ich merckte / daß mir der letzte Reim zu Kopffe wachſen wolte / ſo er - griff ich ein ander genus, und ich ſehe nicht / was der materie abgegangen iſt.
XLVII. Jn Betrachtung dieſer leichten und practicablen Vortheile laſſe ich mich nicht bereden / daß die Reime den Erfindun - gen einigen Abbruch thun. Ja ich wil im Gegentheil behaupten / daß die Reime viel - mehr die ſchoͤnſte Gelegenheit zu artigen in - ventionen an die Hand geben.
XLVIII. Ein eintziges Exempel wird meine Meinung Sonnenklar machen. Ein gewiſſer Poete war im Begriff nachfol - genden Vers zu machen:
b 5Nach26XLIX. Der Autor dachte wunder was er vor einen ſchoͤnen Vers gemacht haͤtte: Als ſich aber ein guter Freund uͤber die Un - deutligkeitder letzten Zeile beſchwerte / ſo war er auf eine Verbeſſerung bedacht / und kam erſtlich nur in der fuͤnfften und ſech - ſten Zeile auf zwey andre Reime:
L. Dieſelben beyden Woͤrter gaben fol - gende invention an die Hand / die ich nicht loben wolte / wenn ſie nicht ein Meiſter der heutigen Poeten vor etwas artiges erklaͤ - ret haͤtte:
LI. Eben ſo mag es einem andern gu - ten Freunde gegangen ſeyn / welcher dieſen nicht uͤbel gerathnen Vers gemachet hat:
Das27LII. Denn ich bin nach der Zeit uͤber ſein Diarium kommen / da hab ich geſehen daß der erſte Einfall gantz anders geweſen iſt / und daß der Reim in der ſechſten Zeile An - laß gegeben hat / daß die letzte um ein merck - liches iſt verbeſſert worden:
LIII. Wiewohl es iſt mir nicht unbe - kant / daß die Reime von den wenigſten ſchlechterdinges verworffen werden: ſon - dern ſie prætendiren zugleich / daß man den Abgang derſelben durch eine nachdruͤckliche Elocution erſetzen ſolle.
LIV. Jch muß auch geſtehen / daß mich die nachfolgende Strophe gar wohl conten - tiret / und daß ich wegen der Pathetiſchen formuln die Reime faſt nicht vermiſſe.
LV. Doch dar auf antworte ich zweyer - ley. Vors erſte vermeſſe ich mich / alle der - gleichen Verſe in gehoͤrige Reime zu brin - gen / daß den großthuenden formuln nichts abgehen ſoll. Jch wil es an gegenwaͤrti - gem Verſe verſuchen.
LVI. Zum andern iſt ſolches nur rath - ſam / wenn die Verſe einem gelehrten Man - ne zu gefallen geſchrieben werden / der ſol - che Elegantien verſtehet. Da wir aber mit unſern Verſen gemeiniglich ſolche Leu - te bedienen ſollen / die keinen Geſchmack von hohen Dingen haben / ſo wuͤrden wir mit unſerer Poeſie den Zweck gar ſelten er - reichen.
LVII. Geſetzt ich ſolte einer Braut zu Ehren / eine Strophe zu einem Bogen Ver - ſe beytragen / ſo werde ich bey einem Ge - lehrten gar wol beſtehen / wenn ich in nach - folgenden Zeilen den Abgang der Reime durch etliche Poetiſche argutias erſetze.
Natura29LVIII. Ob aber die Braut / der dieſes zu Ehren geſchrieben wird / verſtehet was Na - tura, Dea, Cypria, und Lucina vor Dinger ſind / das weiß ich nicht: Und alſo wuͤrde ich mehr Danck verdienen / wenn ich eine verſtaͤndliche Materie ſuchte / und derſelben durch die Reime ein Poetiſches Maͤntel - gen umgaͤbe. z. e.
LIX. Aus dieſem allen mache ich den all - gemeinen Schluß: Ein deutſches Carmen muß Reime haben / und dieſelben ſind nicht mehr als zweyerley / Maͤnnlich und Weiblich.
LX. Damit ich aber den rechten Ge. brauch der Reime noch deutlicher beſchrei - be / ſo wil ich nur dieſes als ein Poſtulatum præſupponiren / daß ein iedweder Carmen dreymahl durch die Muſterung pasſiren muß / wofern es bey der artigen Welt be - ſtehen ſoll.
LXI. 30LXI. Vors erſte muͤſſen es reine Verſe ſeyn. Das heiſt / der Reim / die Scanſion und das genus muß ſeine Richtigkeit haben.
LXII. Darnach muͤſſen es angenehme Verſe ſeyn. Das heiſt / die Invention, die Diſpoſition und die Elocution muß was ar - tiges in ſich halten.
LXIII. Endlich muͤſſen es kluge Verſe ſeyn. Das iſt / es muß weder ein Theologus, noch ein Ethicus, noch ein Politicus was daran zu tadeln haben.
LXIV. Jch begehre dieſe materie keines weges ex profeſſo zu tractiren: Dannen - hero wird es genung ſeyn / wenn ich mich durch ein eintziges Exempel erklaͤre.
LXV. Die Propoſition mag ſeyn: Nolo amare. Daraus will ich erſtlich einen al - bern Vers machen / der weder in der erſten / noch in der andern / noch in der dritten Cen - ſur beſtehet.
LXVI. Nun will ich einen andern ma - chen / den ein iedweder vor einen reinen Vers wird paſſiren laſſen: aber vor die poe - tiſche Lieblichkeit kan ich nicht garentiren.
Jch31LXVII. Und wenn in dem folgenden die Reinligkeit und die Annehmlichkeit rich - tig iſt / ſo moͤchte ſich ein ſcharffer Moraliſte an der letzten Zeile aͤrgern:
LXVIII. Endlich ſoll mir dieſer in allen drey Cenſuren die Probe halten:
LXIX. Jndem nun hieraus Sonnen - klar iſt / daß ein ieder Vers drey Cenſuren ausſtehen muß; und daß man bey einer ied - weden Cenſur auf drey Stuͤcke zu ſehen hat: So kan man leicht die Rechnung ma - chen / daß die Reime nicht mehr und nicht weniger / als den neundten Theil der Poe - tiſchen Schoͤnheit in ſich halten.
LXX. Aus dieſem Principio kan ich nun,den32denjenigen nicht Beyfall geben / welche den Reimen gar keine Krafft zuſchreiben: Denn dieſelbigen ſuͤndigen in Defectu.
LXXI. Jch kan es auch mit denen nicht halten / die alle Schoͤnheit der Verſe in den Reimen ſuchen: Denn die ſuͤndigen in ex - ceſſu.
LXXII. Drum ſtehet mir dieſer Vers nicht an / da der Autor gar keinen Fleiß an die Rhythmos gewendet hat:
LXXIII. Und dieſen kan ich auch nicht ad - miriren / ob ich gleich an den Reimen nichts zu tadeln finde:
LXXIV. Endlich kan ich auch den nach - folgenden nicht loben: Denn obgleich die contenta ſo uneben nicht ſind: ſo hat doch der Autor allzu groſſen Fleiß auf die Rhyth - mos gewendet / daß man ſo zu reden vor den Reimen die Verſe nicht ſehen kan.
Die33LXXV. Denn ich will nur die aͤngſtlichen Reime wegthun / ſo wird aus eben dieſer Materie gar ein andrer / und meines Er - achtens viel anmuthiger Vers heraus kommen:
LXXVI. Numehro iſt nichts mehr uͤ - brig / als daß wir die Freyheit zu reimen / mit practicablen Reguln einſchrencken / daß ſo wohl alle unnoͤthige Carnificin, als auchCalle34alle unrechtmaͤßige Licenz vermieden wird.
LXXVII. Zu ſolchem Ende recommen - dire ich vor allen Dingen zwey generale Regeln.
LXXVIII. Die erſte heiſt ſo: Zwey unter - ſchiedene Woͤrter die einerley Klang haben machen einen Reim. z. e.
LXXIX. Dergeſtalt hat man ſich an die Buchſtaben nicht zu kehren / es moͤgen die Vocales und Conſonantes die den Reim machen einerley ſeyn oder nicht / wenn nur der Thon ſeine Gleichheit hat. z. e. dieſe Versgen ſind gar gut:
LXXX. Dieſe Regel ſcheint anfangs ſehr leichte / daß man nimmermehr vermuthenſollen /35ſollen / was vor unzehlich viel Dubia darbey vorkommen.
LXXXI. Denn die Gleichheit des Thones ſoll nicht nur ALIQUALIS, ſondeꝛn TOTA - LIS ſeyn: das iſt / die Reime ſollen im Klange nicht nur einiger maſſen / ſondern gaͤntzlich mit einander uͤber ein kommen / wofern man dem Verſe eine vollkommene Rei - nigkeit zu wege bringen ſoll.
LXXXII. Unrein ſind demnach die Ver - ſe / wenn die Reime gar mit einander aus einerley Buchſtaben beſtehen. z. e.
LXXXIII. Doch werden die nachfolgen - den paſſiret / weil man zur noth den Conſo - nantem zur folgenden Sylbe ziehen kan. z. e.
LXXXIV. Unrein ſind die Verſe / wenn nur die Vocales, nicht aber die Conſonantes gleiche klingen. z. e.
LXXXV. Unrein ſind die Verſe / wenn dieC 2Voca -36Vocales nur halb und halb accordiren. z. e.
LXXXVI. Unrein ſind die Verſe / wenn die Conſonantes einander nur halb und halb aͤhnlich klingen. z. e.
LXXXVII. Unrein ſind die Verſe / wenn ein einfacher und ein gedoppelter Conſo - nans zuſammen gereimet wird / z.e.
LXXXVIII. Unrein ſind die Verſe / wenn accentuirte und circumflectirte Sylben ei - nen Reim machen ſollen. z. e.
LXXXIX. Unrein ſind die Verſe / wenn die hellen und tieffen e untereinander ge - miſchet werden. z. e.
XC. Nun waͤre dieſer erſten Regul leicht nachzuleben / wenn nur die Deutſchen al - lerley Mund-Art haͤtten. Jndem aber faſt in einem iedweden Kreyße ein beſonde - reꝛ Dialectus regieret / ſo muß man dieſelben wiſſen / oder von den Reimen ungeurthei - let laſſen. z. e.
Jn Meiſſen reimt man ſo:
Jn Schleſien aber ſo:
XCI. Was meine wenige Poeſie betrifft / ſo hab ich in meinem Vaterlande geſungen wie mir der Schnabel gewachſen iſt: z. e.
XCII. Jn Meiſſen hab ich mich nach der Mund-Art des Ortes gerichtet. z. e.
C 3Es38XCIII. Wenn ich auff allen Seiten die Cenſur habe vermeiden wollen / ſo hab ich Reime gebraucht / die allenthalben gleich pronunciret werden. z. e.
XCIV. Niemahls aber hab ich zweyeꝛley Dialectus in einem Carmine gebraucht / als wie in dieſer Strophe:
XCV. Jm uͤbrigen aber hab ich keinen Reim iemahls getadelt / wenn der Autor den Dialectum mit ſeiner Mutter-Sprache hat defendiren koͤnnen.
XCVI. Die andre General Regel lautet ſo: Des Reimes wegen muß nichts ge - zwungen werden. z. e.
XCVII. Oder zum wenigſten muß derZwang39Zwang ſo verſtellet werden / daß es der Bauer nicht merckt: z. e. in folgender Strophe, da man wegen der beyden prover - bialiſchen Reden im Reime nicht ſreye Haͤnde hat haben koͤnnen:
XCVIII. Unrein ſind demnach die Verſe / wenn die Rhythmi wieder die gewoͤhnliche Red - und Schreib-Art ausgedehnet wer - den: z. e.
XCIX. Unrein ſind die Verſe / wenn die Reime wider den ordentlichen Gebrauch zuſammen gezogen werden. z. e.
C. Unrein ſind die Verſe / wenn die Rei - me auf eine harte Manier apoſtrophiret werden. z. e.
CI. Hiermit aber will ich die gelinden E - liſiones, und die ungezwungenen Apoſtro - phos nicht getadelt haben / welche man in renommirten Poeten findet / und alſo bil - lich nachmacht. z. e.
CII. Unrein ſind die Verſe / wenn des Reimes wegen / ungeſchickte Woͤrter / oder wohl gantze abgeſchmackte Zeilen hinein geſetzet werden. z. e.
CIII. Unrein ſind die Verſe / wenn der weibliche Reim aus zwey unterſchiedenen Woͤrtern gezwungner Weiſe zuſammen geſetzet wird. z. e.
CIV. Unrein ſind die Verſe / wenn desRei -41Reimes wegen die Conſtruction verworf - fen wird. z. e.
CV. Unrein ſind die Verſe / wenn ohne Noth auslaͤndiſche Woͤrter mit hineinge - zogen werden: z. e.
CVI. Ob dieſer Vers rein oder unrein iſt / da die Sylben des Rhythmi gar mit einander verſetzet ſind / das mag der Leſer ſelber urtheilen. z. e.
CVII. Wil mich iemaand hieriñen eines allzugroſſen rigueurs beſchuldigen / dem ich vielleicht ſelber nicht allemahl nachgelebet haͤtte: ſo wil ich eine Antwort geben / die ich von einem vornehmen Gelehrten / wiewohl in einer andern Materie / gelernet habe.
CVIII. Denn als derſelbe gewohnet war im lateiniſchen Stylo auch die allergering - ſten minutias zu tadeln; und aber gefraget wurde / ob er denn dieſe ſcharffe RegelnC 5ſelbſt42ſelbſt allemahl im Schreiben und Reden practiciren koͤnte? ſo gab er zur Antwort / man muͤſte einen Unterſcheid unter ſeinem Sonntags-Latein / und unter ſeinem Wo - chen-Lateine machen.
CIX. Ebner maſſen wird mir vergoͤnnet ſeyn / meine und andrer Verſe in Sonn - taͤgliche und alltaͤgliche einzutheilen: mit der beygefuͤgten Erklaͤrung / daß man in ei - nem alltaͤglichen oder gemeinen Carmine wieder die angefuͤhrten Regeln gar leicht - lich Diſpenſation erhalten kan: welches hin - gegen in einem Sonntaͤglichen / das iſt in einem mit Fleiß gemachten Verſe ſchwer - lich zu hoffen iſt. Ob ein alltaͤgliches Kleid etliche Flecken hat / deßwegen wird niemand zu hauſe bleiben: aber an einem Sonn - tags-Kleide muß auch nicht ein Knopff de - ſideriret werden.
CX. Und damit ich auch dieſe Regel nicht ohne Exempel laſſe / ſo will ich einen in mei - ner Jugend elaborirten Helden-Brief her - ſetzen / den ich / ſonderlich in regard der Rei - me / vor nichts als vor etwas alltaͤgliches ausgebe.
CXI. Zum Beſchluß will ich das Trau - er-Carmen anhengen / das ich in meinen Studenten-Jahren auf Befehl der Uni - verſitaͤt Leipzig auffgeſetzet habe: Denn ob ich gleich daſſelbe vor kein Sonntags-Car - men ausgeben will / ſo werden doch die Reime darinnen vor rein und ungezwun - gen paſſiren koͤnnen. Und weil hier der Platz zu enge werden will / ſo mag es am Ende das gantze Buch beſchlieſſen.