Jch uͤberliefere hiermit den vierten und letzten Theil meiner Betrachtungen uͤber die weiſen Abſichten Gottes, bey den Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchaft und der Offenbarung antreffen. Jch habe es gewaget, einige der ſchwereſten Fragen darinne zu er - oͤrtern, und ſie nach meinen Einſich - ten zu beantworten geſuchet. Jch rechne dahin die Frage, warum) (2GottVorrede. Gott erſt faſt den ganzen Erdbo - den in die groͤßte Unwiſſenheit und thoͤrichteſte Abgoͤtterey ver - fallen laſſen, ehe er den Heiland geſandt, der denſelben wieder er - leuchtet. Die Beantwortung dieſer Frage macht den Haupt - inhalt der vierzehnten Betrach - tung aus. Jch habe in der dar - auf folgenden Betrachtung die wichtige und manches Gemuͤth beunruhigende Frage auf eine leichte Art zu beantworten mich bemuͤhet; warum Chriſtus weder auf geſchehenes Verlangen vom Kreuze geſtiegen, noch nach ſeiner Auferſtehung ſich allem Volke ge - zeiget. Den Grundriß zu dieſerAb -Vorrede. Abhandlung hatte ſchon bey der erſten Ausgabe des erſten Theils mit drucken laſſen. Der ehema - lige Conrector zu Hannover und jetzige erſte Prediger zu Ueslar im Fuͤrſtenthum Goͤttingen, Herr Muͤnter, der ſich durch mehrere Schriften bekannt gemacht, arbei - tete denſelben weiter aus, und ließ ſeinen Aufſatz unter dem Titel: Betrachtung uͤber die Abſicht Gottes, warum Chriſtus ſo wenig vom Kreuze geſtiegen, als nach ſeiner Auferſtehung allem Volke erſchienen iſt, im Jahr 1749. drucken. Die erſte Haͤlfte dieſer Abhandlung habe in meiner Betrachtung groͤßtentheils) (3behal -Vorrede. behalten, die andere Haͤlfte aber habe ſelber von neuem ausgear - beitet, weil ich Einwuͤrfen be - gegnen wollen, die erſt nachher ge - macht, oder auf eine neue Art ein - gekleidet worden; wohin der Ein - wurf des beruͤhmten Rouſſeau gehoͤret, den er von den Wampy - ren nimmt, und vorgiebt, ſelbige waͤren eben ſo gut bewieſen, als die Auferſtehung Chriſti, und ver - ſtaͤndige Leute glaubten dennoch keine Wampyren. Ferner habe mich in die Eroͤrterung der ſchwe - ren Frage eingelaſſen, warum Gott den Pharao auf den Aegyptiſchen Thron erhoben und verſtocket, und habe gezeiget, daß es ſehr vieleFaͤlleVorrede. Faͤlle giebt, da es der Weisheit und Gerechtigkeit gemaͤß iſt, je - manden in ſeiner Bosheit zu ver - haͤrten. Jch kenne die ſehr groſ - ſen Schwierigkeiten, welche mit der Beantwortung ſolcher Fragen verbunden ſind, ich wuͤrde mich an ſelbige gar nicht gewaget ha - ben, wenn nicht ungemein viele gottſelige Seelen die Aufloͤſung derſelben zu ihrer Beruhigung wuͤnſchten, die ſich nicht alle durch einerley Antwort befriedigen laſ - ſen. Jch weiß, wie leicht man wichtigen Wahrheiten zu nahe tritt, wenn man erhebliche Zwei - fel loͤſen will. Sollte dieſes auch mir begegnet ſeyn, ſo bin ich bereit,) (4ſolchesVorrede. ſolches zu erkennen, ſo bald mir dergleichen auf eine liebreiche Art gezeiget wird.
Denenjenigen Gelehrten, wel - che ſich mit weit wichtigern Stuͤ - cken der Gelehrſamkeit abgeben, als daß ihnen eine ſolche Schrift, wie dieſe iſt, dabey nuͤtzlich und ihres Anblicks wuͤrdig werden koͤnnte, zeige hiermit an, wenn ſie es etwan einer naͤhern Unter - ſuchung werth hielten, daß ich in der achtzehnten Betrachtung §. 2. S. 338. u. f. dasjenige Geſetz, welches 3 B. Moſ. C. 18. v. 6. ſte - het, alſo uͤberſetzet: Gar Nie - mand ſoll ſeinen Kindern ehe - lich beywohnen. Durch dieſedenVorrede. den Worten des Textes ſehr ge - maͤße Ueberſetzung erhalten die Ehegeſetze, ſo Gott durch den Mo - ſes 3 B. C. 18. gegeben, eine Er - gaͤnzung, welche man bisher noch vermiſſet hat.
Vielleicht iſt auch die Nach - richt, welche ich in der ſiebenzehn - ten Betrachtung §. 22. S. 320. von den Findelhaͤuſern in Engel - land und zu Copenhagen gegeben habe, den mehreſten neu und un - erwartet.
Bey dem neuen Abdrucke des dritten Theils dieſer Betrachtun - gen erinnerte ich mich einer gege - benen unrichtigen Abſchilderung zu ſpaͤt, und ich will ſelbige daher) (5hierVorrede. hier noch anzeigen. Jn der drey - zehnten Betrachtung §. 16. habe den Schimmel, der auf der Milch, Kaͤſen und andern Koͤrpern zu wachſen pfleget, einem Raſen ver - glichen, der ſeine Blumen truͤge. Er iſt allerdings ein Gewaͤchſe, worinne ſich eine ſchoͤpferiſche Kunſt zeiget, welches aber keine Blumen, ſondern nur kleine Koͤpfe auf zarten Stielen hat, welche mit den Schwaͤmmen eine Aehn - lichkeit zu haben ſcheinen.
Dieſer vierte Theil meiner Be - trachtungen war ſchon bis auf we - nige Zuſaͤtze, die nachher demſel - ben beygefuͤget worden, ganz fer - tig, als der erſte Theil derſelbenmerk -Vorrede. merklich vermehrt, und der dritte Theil zum erſten male gedruckt wurde, und ich hoffte damals, daß der vierte Theil dem dritten ſo - gleich folgen wuͤrde. Jch ver - ſprach daher in der Vorrede des vermehrten erſten Theils, daß die neuen Zuſaͤtze deſſelben bey dem vierten Theile beſonders erſcheinen ſollten, damit diejenigen nicht verkuͤrzet wuͤrden, welche die erſte Ausgabe deſſelben beſaͤſſen. Es iſt dieſes Verſprechen auch bey der dritten Auflage der vorherge - henden Theile wiederholet worden. Da aber die Ausgabe des vierten Theils durch Urſachen, die nicht von mir abgehangen, uͤber zwoͤlfJahreVorrede. Jahre aufgehalten worden, und die vermehrte Auflage des erſten Theils unterdeſſen ſehr haͤufig ge - kaufet worden; ſo befuͤrchtet die Verlagshandlung, daß ſie anjetzt einen beſondern Abdruck der ehe - mals dem erſten Theile beygefuͤg - ten Zuſaͤtze nicht mehr verkaufen wuͤrde, und traͤget Bedenken, den - ſelben zu veranſtalten. Jch bin daher außer Stande, obiges Ver - ſprechen zu erfuͤllen, und hoffe, man wird mich dieſerwegen ent - ſchuldigen.
Da der Druck an einem ent - fernte Orte beſorget worden; ſo habe zwar ein recht reines und le - ſerliches Exemplar hergegeben:esVorrede. es ſind aber dennoch verſchiedene Druckfehler, ſowol in dem neuen Abdrucke der vorhergehenden Theile, als auch in dieſem vierten Theile, eingeſchlichen, wovon ei - nige den Verſtand ganz aͤndern. Es ſind ſelbige am Ende eines je - den Theils angezeiget und beyge - bunden, damit ſie vor dem Leſen verbeſſert werden koͤnnen.
Jch beſchließe hiermit dieſe Ar - beit, da meine dem Alter ſich naͤ - hernden Jahre und weitlaͤuftige Amtsgeſchaͤfte ihre Fortſetzung nicht verſtatten. Gott hat ſie nicht ohne allen Nutzen ſeyn laſ - ſen. Er begleite ſie ferner mit ſei - nem Segen, und laſſe bey vielenden -Vorrede. denjenigen Zweck erreichet werden, welchen ich dabey vor Augen ge - habt, naͤmlich die Verherrlichung ſeiner unendlichen Vollkommenhei - ten und die Beruhigung ſolcher Seelen, welche ihr Gemuͤth von Zweifeln gegen die chriſtliche Re - ligion zu befreyen wuͤnſchen, und die groͤßte Zufriedenheit in einer geſicherten Hoffnung zu Gott und einer ſeligen Ewigkeit finden. Zelle, den 16. Jenner, 1766.
Es giebet Gelehrte, welche glau -Ob die Welt alle - zeit auf ei - nerley Arth regieret werden muͤſſe? ben, Gott muͤſſe allezeit auf einerley Arth die Welt regie - ren. Sie ſagen: Gott waͤh - let das Beſte, er beherrſchet die Welt allezeit mit der beſten Regierungsarth. Es kann folglich darinne keine Veraͤnderung vorgehen. Ja man findet Perſonen, welche mit eben dieſem Grunde alle Wun - derwerke und auch jene kuͤnftige groſſe Veraͤnderung der Welt, welche dieJac. Betr. 4. Band. ASchrift2Schrift lehret, beſtreiten. Sie ſchlieſſen: Gott bringet das Beſte hervor. Selbi - ges darf nicht geaͤndert werden, wenn nicht etwas ſchlechteres erfolgen ſoll. Die beſte Welt leidet derowegen keine Wun - derwerke und keine ſo groſſe Verwande - lungen, als die Offenbahrung der Chri - ſten lehret. Wir koͤnnen dieſem Schluſſe nicht allen Schein abſprechen. Derſelbe verſchwindet aber, ſo bald man bedenket, daß bey einer Sache, die ihre Vollkom - menheit nicht auf einmahl, ſondern nach und nach erreichet, nicht immer eben daſ - ſelbe das Beſte ſey. Wer wollte wol be - haupten, daß einerley Erziehung eines jungen Menſchen immer die beſte ſey? Muß man ſelbige nicht anders einrichten in der Kindheit, und anders bey zuneh - menden Jahren und Verſtande? Wer wird bejahen, daß bey einem Volke einer - ley Geſetze jederzeit die allerbeſten bleiben? Ein Volk, welches noch ganz roh iſt, erfordert andere Verordnungen, und wenn es gebauet iſt, ſo muͤſſen wieder andere Einrichtungen gemacht werden. Was zuerſt die beſte Einrichtung war, blei - bet bey einer geſchehenen Veraͤnderung nicht mehr die beſte. Die Welt aber und die Voͤlker, ſo dieſe Erde bewohnen, ſind groſſen Veraͤnderungen unterworfen, wie die Erfahrung und Geſchichte lehret. Wiſſenſchaften, Kuͤnſte und gute Sittenent -3entſtehen unter den Voͤlkern nicht auf einmahl, ſondern nach und nach, und haben ihre Abwechſelungen. Wie kann man daher annehmen, es koͤnne bey ihnen nur immer einerley Verfaſſung die allerbeſte ſeyn? Und womit kann man doch beweiſen daß der Welt und ihren Bewohnern alle Voll - kommenheit auf einmahl habe koͤnnen gege - ben werden? Was lieget denn unvernuͤnf - tiges darinne, wenn man annimmt, daß die Welt ihre Vollkommenheit nach und nach und zum Theil durch Wunder und groſſe Veraͤnderungen, ſo die Allmacht be - wirket, erhalte, und daß ihr ſelbige nicht auf einmal habe koͤnnen gegeben werden? Wir ſehen ja, daß der Menſch erſt ein ſchwaches Kind ſey, ehe er ein ſtarker und verſtaͤndiger Mann wird. Warum ſoll es denn unvernuͤnftig ſeyn zu glauben, daß die Welt auch erſt eine Kindheit zu uͤber - ſtehen habe, ehe ſie die groͤſſere Vollkom - menheit erreichet, und daß der weiſeſte Beherrſcher verſchiedene Einrichtungen der Welt aͤndere, nachdem es die verſchie - dene Vollkommenheit derſelben erfordert? Jch finde alſo keine Urſache, der Schrift meinen Beyfall zu verſagen, wenn ſie ver - ſchiedener groſſer Haushaltungen Erwaͤh - nung thut, welche Gott auf dieſem Erdbo - den nach und nach eingerichtet. Jch will ſelbige in dieſer Betrachtung kuͤrzlich durch - gehen und von den beſondern Abſichten der -A 2ſelben4ſelben einige Muthmaſſungen vortragen, welche bey mir die Wirkung gehabt, daß ſie zu der Beruhigung meines Gemuͤthes wider allerhand Zweifel etwas beygetra - gen. Jch gebe das mehreſte fuͤr nichts an - ders als fuͤr wahrſcheinliche Muthmaſſun - gen aus. Niemand richte ſie derowegen nach den Regeln eines vollkommenen Be - weiſes, ſondern nach den Geſetzen der Wahrſcheinlichkeit.
Aber wie? koͤnnen denn auch wol Muthmaſſungen ein Gemuͤth beruhigen, beſonders in Religions-Sachen? Ja ſie ſind in gar vielen Faͤllen dazu hinlaͤnglich, auch ſo gar bey der Religion. Man kann mit bloſſen Muthmaſſungen alle die - jenigen Schluͤſſe zernichten, worinne be - hauptet wird, daß dieſes oder jenes, wovon uns die Schrift unterrichtet, mit den Vollkommenheiten Gottes ſtreite. Ein ſolcher Schluß verlieret ſogleich ſeine Kraft, als man nur zeigen kann, es ſey moͤglich, daß Gott durch dieſe oder jene hoͤchſt wichtige Urſache zu einer ſolchen Einrichtung, als man beſtreitet, ſey be - wogen worden. Wenn im gemeinen Le - ben jemand beſchuldiget wird, er habe in einer Sache nicht recht vernuͤnftig gehan - delt, und man kann nur zeigen, es ſey moͤglich, daß er durch einen gewiſſen Um - ſtand ſey gehindert worden anders zu ver - fahren, ſo faͤllt jener Vorwurf ſo langehin -5hinweg, bis dargethan wird, daß ein ſol - cher Umſtand nicht ſey vorhanden geweſen. Es ſind der Faͤlle gar viele, da man blos durch eine angegebene Moͤglichkeit eines Umſtandes und allerhand Muthmaſſungen Schluͤſſe entkraͤften kann, wodurch man etwas ſucht zweifelhaft zu machen, das doch auf der andern Seite wichtige Gruͤnde fuͤr ſich hat. Nur muß man dieſe Beſcheidenheit dabey beobachten, daß man Muthmaſſungen und blos wahr - ſcheinliche Saͤtze nicht fuͤr entſchiedene Wahrheiten ausgiebet. Jch werde zwar in der jetzigen Betrachtung nicht allezeit ſagen, dieſes und jenes iſt eine Muthmaſ - ſung, ſondern ich werde die verſchiedenen Haushaltungen Gottes, welche uns die Schrift erzaͤhlet, in eine zuſammenhan - gende Geſchichte einkleiden und dabey an - zeigen, wie nach meinen Muthmaſſungen eines aus dem andern erfolget ſey. Jch erklaͤre aber hiermit alle diejenigen Urſa - chen, welche ich von den goͤttlichen Einrich - tungen beybringen werde und nicht mit ausdruͤcklichen Ausſpruͤchen der Schrift beweiſen kann, fuͤr Muthmaſſungen, wo - von einige einen groͤſſern, andere einen ge - ringern Grad der Wahrſcheinlichkeit haben.
Diejenigen, welche die groſſe ThorheitOb die Welt von Ewigkeit her ſey? einſehen, in welche man ſich verwickelnA 3muß6muß, wenn man ſich eine Welt ohne ei - nen Gott vorſtellen will, und ſich daher gedrungen finden, die Welt als ein Werk Gottes anzunehmen, werden auch bey ei - nem weitern Nachdenken genoͤthiget wer - den einzugeſtehen, daß die Reihe der Men - ſchen und der Dinge uͤberhaupt einen An - fang muͤſſe gehabt haben. Wir wollen blos bey den Menſchen ſtehen bleiben. Was aber von der Reihe derſelben bewie - ſen wird, gilt von allen denen Folgen der Dinge, wo eines aus dem andern entſte - het, und folglich von der ganzen Welt. Da die Menſchen ihren Urſprung von ei - nem Schoͤpfer haben, ſo muͤſſen einmal Menſchen geweſen ſeyn, welche nicht von andern erzeuget worden, ſondern unmittel - bahr von Gott entſtanden ſind und folglich in ihrer Reihe die erſten geweſen, wovon die uͤbrigen durch eine natuͤrliche Zeugung ihr Leben erhalten haben. Dieſe erſten oder unmittelbahr von Gott entſtandenen Menſchen haben daher einen Anfang ge - nommen, und man muß folglich der gan - zen Reihe derſelben einen Anfang beylegen. Da ich aus dem Umgange mit andern wahrgenommen, daß dieſer Schluß nicht einem jeden ſogleich einleuchtet, ſondern erſt deutlich und uͤberzeugend wird, wenn man ihn verſchiedentlich einkleidet, ſo will ihn noch auf eine andere Arth vortragen. Wenn eine Reihe Menſchen, die ſich nachund7und nach fortzeugen, urſpruͤnglich von Gott herkommt, ſo giebet es in derſelben Menſchen, die unmittelbahr von Gott ab - ſtammen, und ſolche, welche von dieſen durch eine natuͤrliche Zeugung fortgepflan - zet worden. Unter dieſen natuͤrlich fortge - zeugeten iſt nothwendig einer der erſte Sohn, und jemand der erſte Enkel gewe - ſen. Da nun niemand zwiſchen die Schoͤpfung des unmittelbahr von Gott abſtammenden Menſchen und der Geburth ſeines erſten Enkels eine Ewigkeit ſetzen wird, ſo iſt man genoͤthiget einen Augen - blick zu gedenken, da der erſte Sohn und der erſte Vater nicht geweſen, ſondern ih - ren Anfang genommen haben. Denn der erſte Enkel iſt nicht von Ewigkeit her. Da man nun nicht anders annehmen kann, als daß der erſte Sohn und deſſen von Gott unmittelbahr erſchaffener Vater nur eine beſtimmte und zwar nicht gar zu lange Zeit gelebt gehabt, da der Enkel gezeuget wor - den, ſo muß man der ganzen Reihe der Zeu - gungs-Folge einen Anfang beylegen. Eben dieſe Arth zu ſchlieſſen kann man auf alle Reihen von Veraͤnderungen anwen - den, worinne eines auf das andere folget. Eine ewige Welt iſt derowegen ein ſich ſelber widerſprechendes und thoͤrigtes Un - ding, welches keine weiſe Allmacht hervor - bringen kann. Die Schoͤpfung erfordert derowegen nothwendig einen Anfang. UndA 4hiermit8hiermit laͤſſet ſich die Frage beantworten, warum Gott nicht von Ewigkeit her er - ſchaffen? Erſchaffen und einem Dinge keinen Anfang geben, gehoͤret unter die ſich widerſprechenden, unter die unſinni - gen Dinge, die ſo unmoͤglich, daß auch keine Allmacht hinreicht, ſie zur Wirklich - keit zu bringen.
Die Schrift bezeuget*)1 B. Moſ. Cap. 1. v. 27. Cap. 2. v. 20-25. Apoſtel Geſch. Cap. 17. v. 26., daß Gott anfaͤnglich die Erde nur mit zwey Men - ſchen beſetzet, von derem Gebluͤt alle uͤbri - ge abgeſtammet. Jch habe hiervon we - der ſelber eine Urſach entdecken, noch bey andern finden koͤnnen, welche hinlaͤnglich erklaͤrete, warum Gott nur zwey und nicht mehrere Menſchen zugleich erſchaffen und ſie an verſchiedene Orte der Erde ge - ſetzet, um ſelbige deſto geſchwinder zu be - voͤlkern. Weil indeſſen manches Men - ſchen Neubegierde ſo heftig, daß ſie ſich nicht leicht beruhiget, bis ſie wenigſtens etwas entdecket oder auch erdichtet, ſo ſie als eine Urſach einer ihr vorkommenden Sache annehmen kann, ſo mache ich mir hieruͤber folgende Vorſtellung. Der wei - ſeſte Gott macht ſeine Grundlagen allezeit nach dem allerbeſten Plan und da dieWelt9Welt ein Spiegel ſeiner unendlichen Voll - kommenheiten ſeyn ſoll, ſo beweiſet er, daß er auf ſeiner Seite alles nach Weisheit und Liebe einrichte und nichts unterlaſſe das vollkommenſte, ſchoͤnſte und ange - nehmſte zu bewirken, und machen die freyen Geſchoͤpfe gleich durch ihre abwei - chenden Entſchlieſſungen, daß die aller - groͤßte Vollkommenheit, welche ſonſt an und vor ſich moͤglich geweſen, nicht errei - chet wird, ſo will doch Gott zeigen, daß er bey ſeinen Anlagen auf die allergroͤßte Vollkommenheit gezielet habe. *)1 B. Moſ. Cap. 1. v. 31.So laͤſ - ſet er zum Exempel nicht nur denen das Evangelium predigen, welche es annehmen, ſondern auch ſolchen, die ſeine Gnade von ſich ſtoſſen, um zu zeigen, daß es an ihm nicht liege, wenn viele zum Genuß ſeiner beſondern und ſeeligmachenden Gnade nicht gelangen. Jch nehme ferner an, daß alle endliche Geiſter gewiſſe Oberhaͤu - pter haben muͤſſen, welche ſie in einer ge - wiſſen angenehmen Ordnung und Ueber - einſtimmung erhalten, und daß ſelbige deſto eher erreichet und deſto groͤſſer und voll - kommener werde, je weniger der allergroͤß - ten Oberhaͤupter ſind. Denn je mehr derſelben, deſto ſchwehrer wird es, ſelbige immer zu einem Zweck zu vereinigen, weilA 5ſie10ſie allezeit endliche Creaturen bleiben. Meine Einbildungskraft, welche aber viel - leicht nur einen Traum bildet, ſetzet hinzu, daß die Vollkommenheit und Uebereinſtim - mung am groͤßten ſey, wenn jede Arth ver - nuͤnftiger und freyer Geſchoͤpfe auſſer Gott nur ein einziges hoͤchſtes Oberhaupt von ſeinem Geſchlecht haͤtte. Die Schrift ſa - get mir, und meine Vernunft findet es den Vollkommenheiten des unendlichen Schoͤ - pfers ſehr gemaͤß, daß die Menſchen von Gott dazu beſtimmet ſeyn, ein ewig ſeeliges Volk auszumachen, und ich glaube, daß die Grundanlage unſerer Erde aus obiger Urſache zu dieſem Zweck eingerichtet wor - den, ob der Allwiſſende gleich geſehen, daß ſeine Abſicht nicht voͤllig wuͤrde erhal - ten werden. Der Plan, ſo fahre ich fort zu muthmaſſen, der Plan war, ein geſeeg - netes Volk zu haben, welches unter Gott in Ewigkeit von einem hoͤchſten Oberhaupte aus deſſen eigenen Geſchlechte die Befehle des Allerhoͤchſten empfangen und regieret werden ſollte. Bey freyen Geſchoͤpfen er - haͤlt man ſeinen Zweck ſelten blos durch einen gewaltſamen Zwang. Eine freye Creatur muß durch Bewegungs-Gruͤnde auf eine ſanfte Weiſe gezogen werden, wenn ſie wenigſtens auf eine freywillige und tugendhafte Arth ihre Pflichten aus - uͤben ſoll. Es mußte folglich nach dem goͤttlichen Plan eine bewegende Urſach vor -handen11handen ſeyn, welche die uͤbrigen Menſchen verpflichtete, die Oberherrſchaft eines ei - nigen unter ihnen zu erkennen und anzu - nehmen. Hierzu war nun wol kein beſſerer und der Natur gemaͤſſerer Grund, als wenn ſie alle von einem abſtammeten, den folglich die Natur ſelber zum allge - meinen Oberhaupte machte. Und wer weiß, wie vielen Nutzen ſelbiges in dem erſten Welt-Alter gehabt, da die Men - ſchen viel laͤnger, als jetzo lebeten? Wer weiß, wie viele blutige Kriege damals da - durch verhuͤtet worden, welche nachher aus der Herrſchſucht entſtanden? Denn ob Adam ſich gleich der Herrſchaft uͤber die Menſchen in jener Welt durch ſeinen Un - gehorſam verluſtig gemacht, ſo iſt er doch vermuthlich das Oberhaupt ſeiner Nach - kommen geweſen, ſo lange er auf dieſer Erden gelebet hat.
Diejenigen, welche gerne wider dasAufloͤſung eines Zwei - ſels. Goͤttliche Anſehen der Schrift Zweifel er - regen, ſetzen der Abſtammung aller Voͤlker von einem Blut die ſehr verſchiedene Far - ben, Haare, Geſichtszuͤge und dergleichen, ſo man unter den Menſchen antrifft, ent - gegen, beſonders, da man wahrnimmt, daß die Mohren unter keinem Himmels - ſtriche ſich in weiſſe Voͤlker, und die weiſſen ſich nirgend in Mohren verwandeln. Viele12Viele halten dieſes fuͤr einen unaufloͤsli - chen Zweifel wider die Nachricht der Schrift, daß alle Menſchen von Adam und nach der Suͤndfluth von dem Noah und deſſen Kindern abſtammen ſollen. Es laͤſſet ſich aber auf dieſen Einwurf ver - ſchiedenes antworten. Die Erfahrung lehret, daß, wenn man Thiere von ver - ſchiedener Farbe zuſammen gattet, davon Junge fallen, deren einige die Farbe des maͤnnlichen und andere des weiblichen Ge - ſchlechts haben. Ja was noch mehr? Man hat Huͤner mit aufgerichteten und gekruͤmmeten Federn. Setzet man einen ſolchen Hahn mit glatten Huͤhnern zuſam - men, ſo kommen davon einige glatte und einige rauhe Huͤhner. Sondert man ſel - bige von einander, und laͤſſet die ausge - bruͤteten glatten Hahnen und Huͤhner und die rauhen allein, ſo erhaͤlt man nach und nach zwey reine Arthen, nemlich eine glatte und eine rauhe Arth, die ſich darinne er - halten. Man bedienet ſich einer aͤhnlichen Erfahrung bey Stutereyen und wendet ſel - bige zur Verbeſſerung der Arthen von Pferden an. Wenn unter den Menſchen ein Ehegatte rothe und der andere ſchwarze Haare hat, ſo arthen einige Kinder nach dem Vater und die andern nach der Mut - ter. Wuͤrden ſich nun die rothen an ein - ander verheirathen und die ſchwarzen wie - der beſonders, und dieſes durch einige Ge -ſchlech -13ſchlechter hindurch, ſo wuͤrden dadurch zwey ganz verſchiedene Arthen entſtehen. Wie? Wenn nun Adam und Eva von etwas verſchiedener Farbe geweſen und Kinder von verſchiedener Farbe gezeuget, aus deren Vermiſchung nach und nach die verſchiedenen Farben entſtanden? Bey den Nachkommen des Noah iſt dieſes noch leichter geweſen, indem vielleicht ſeine Schwieger-Toͤchter aus verſchiedenen Geſchlechtern geweſen. Es kommt hinzu, daß die Landes-Gegenden zu der Farbe unſtreitig etwas beytragen. Die ſuͤdlichen Laͤnder zeugen eine braune Farbe, da die noͤrdlichen Gegenden eine weiſſere Haut hervorbringen. Man hat ferner Erfah - rungen, die uns noch zweifeln laſſen, ob von den Mohren nicht endlich ein weiſſes Geſchlecht entſtehen koͤnnte. Man hat zwar noch keine ſichere Nachricht, daß von weiſſen Eltern ein Mohr gebohren worden. Man behauptet aber, daß von zwey ſchwarzen Eltern weiſſe Kinder ge - zeuget worden, ſo ihre weiſſe Farbe, mit welcher ſonſt alle Mohren-Kinder geboh - ren werden, nicht veraͤndert, ſondern be - halten haben. Herr Brue hat zu Biſſos eine ſolche weiſſe von ſchwarzen Eltern er - zeugte Frauensperſon geſehen.*)Allgemeine Hiſtorie der Reiſen B. III. Bl. 189. Nunkoͤnnte14koͤnnte man zwar gedenken, vielleicht iſt ſelbige durch eine geheime Liebe von einem weiſſen Vater gezeuget worden. Allein eine ſolche Vermiſchung pfleget auch keine Weiſſe, ſondern Mulatten d. i. ſolche, die weder recht ſchwarz noch weiß ſind, zu ge - ben. Ferner hat obige weiſſe Frau in der Ehe mit einem Schwarzen lauter ſchwarze Kinder gezeuget. welche aus einer Ehe ei - nes Schwarzen mit einer Mulatte auch nicht zu erfolgen pflegen. Sie ſcheinet alſo noch reines Mohrenblut gehabt zu ha - ben. *)Von mehrern weiſſen Menſchen, die von Mohren gezeuget worden, leſe man die all - gemeine Hiſtorie der Reiſen B. III. S. 552. B. IV. 599. 666.Wer kann aber ſagen, was er - folgen wuͤrde, wenn man mehrere ſolche Weiſſe haͤtte, die man in ein ander Land braͤchte und daſelbſt mit einander verhei - rathete? Man kennet ferner die ſaͤmmtli - chen Voͤlker des Erdbodens ſo genau noch nicht, daß man mit Gewißheit ſagen koͤnnte, es waͤre nirgend eine Arth Menſchen, welche weder recht ſchwarz noch recht weiß und von welchen man nicht endlich Mohren erhielte, wenn man immer die ſchwaͤrzeſten mit einander verheirathete, und Weiſſe, wenn die Weiſſeſten immer mit einander verehliget wuͤrden. Wer weiß, ob ſolches nicht bey den Habeſſiniern moͤglich, welcheeine15eine braune Farbe haben? Was die Haare und andere Unterſcheidungszeichen verſchie - dener Voͤlker betrifft, ſo bemerket man un - ter uns, daß die wohlgewachſenſten Eltern zu Zeiten Kinder mit einem Fehler zeugen, welcher ſich auf einige Geſchlechter fort - pflanzet, ungeachtet ſie ſich mit ſolchen ver - ehlichen, die mit ihnen nicht einerley Na - turfehler haben. Wer weiß, wie weit dergleichen koͤnnte getrieben werden, wenn man allezeit aͤhnliche Perſonen mit einan - der verheirathete. Groſſe Eltern zeugen zu Zeiten kleine Kinder, und wenn ſich ſel - bige wieder mit kleinen Perſonen verehli - chen, ſo bekommt man insgemein ein klei - nes Geſchlechte. Die Natur iſt auch in dieſem Stuͤck ſo weit noch nicht unterſu - chet, daß man mit Gewißheit behaupten koͤnnte, es ſey unmoͤglich, daß Weiſſe und Schwarze Einen Stammvater haͤtten.
Gott hatte die erſten Menſchen nachHaushal - tung Got - tes mit den erſten Men - ſchen. ſeinem Bilde erſchaffen und ihnen alle die - jenigen Vollkommenheiten gegeben, deren ſie nach ihrem Weſen und in dem erſten Anfang ihres Lebens faͤhig waren, und ihnen zugleich den angenehmſten Aufent - halt in einem Garten angewieſen. Wie ſie aber als endliche Geſchoͤpfe nicht alle Vollkommenheiten auf einmal haben konn - ten, ſondern von einer Vollkommenheit zuder16der andern und von einem Grad derſelben zu dem andern fortgehen mußten, ſo hatte Gott den Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes gepflanzet und ihnen von deſſen reize[nd]en Frucht zu eſſen verbothen, damit er auf ſeiner Seite alles thun moͤchte, um den Menſchen zu gewoͤhnen, die Ober - herrſchaft Gottes zu erkennen, auf deſſen Wink allezeit zu ſehen und beſonders die Dinge nicht nach dem aͤuſſerlichen Schein zu beurtheilen und den ſinnlichen Begier - den nie die Herrſchaft zu uͤbergeben. Dieſe Uebung wuͤrde die Menſchen nach und nach zu einer Gewohnheit und Beſtaͤtigung im Guten gebracht haben,*)Es iſt dieſes in der ſechſten Betrachtung weitlaͤuftiger ausgefuͤhret. wenn ſie ſelbige eine Zeitlang fortgeſetzet haͤtten. Allein ſie hielten ſelbige nicht aus. Ein Theil an - derer vernuͤnftiger Geſchoͤpfe, von deren Daſeyn uns die Schrift Nachricht giebet, naͤmlich gewiſſe Schaaren der Engel wa - ren ſchon vorher aus der Ordnung getre - ten, in welche ſie Gott geſetzet, und hatten ſich unſeeligen Leidenſchaften uͤberlaſſen, und ſuchten andere zu einer aͤhnlichen Un - ordnung zu verfuͤhren. Es iſt dieſes die Arth laſterhafter Geiſter. Sie geben ſich die groͤſſeſte Muͤhe, andere ſich aͤhnlich zu machen, theils um ihre Geſellſchaft zu ver - mehren, theils den ihnen unleidlichen Vor -wurf17wurf von ſich abzulehnen, daß andere beſ - ſer waͤren, denn ſie. Einer von dieſen ge - fallenen Geiſtern wandte ſich daher an die Mutter aller Menſchen, brachte ihre ſinnlichen Begierden und die Einbildungs - kraft auf und in Unordnung, und ſie ver - ließ das Geſetz Gottes und uͤbereilete den Adam in gleiche Uebertretung zu willigen. Dieſe erſte Suͤnde zeugete gleich mehrere. Die Pflicht der erſten Eltern waͤre gewe - ſen, ihr Vergehen ſogleich in Demuth zu erkennen und Gott und deſſen Gnade zu ſu - chen. Allein Gott muß die abtruͤnnigen Kinder ſuchen. Sie weichen, ſie wollen dem Allgegenwaͤrtigen entgehen. Sie wollen ſich vor dem Allwiſſenden verbergen. Und da eine majeſtaͤtiſche Stimme des Allmaͤchtigen ſie von ihrer Thorheit uͤber - zeugete, vergieng ſich Adam ſo weit, daß er Gott zur Urſache ſeines Ungehorſams machen wollte. Er ſprach: das Weib, das du mir zugeſellet haſt, gab mir von dem Baum, und ich aß. Und die Eva ſchob die Schuld ihres Ungehorſams auf den Verfuͤhrer. Das Gleichgewicht in der Seele der erſten Menſchen war auf - gehoben. Die ſinnlichen Begierden hat - ten die Herrſchaft gewonnen und der Menſch bewieß, daß die erſten und gelinde - ſten Mittel, ihn im Guten zu uͤben und zu beſtaͤtigen, bey ihm ihren Endzweck nicht erreichten, und rechtfertigte dadurchJac. Betr. 4. Band. Bdas18das guͤtigſte Weſen, welches nunmehr den Menſchen ſo, wie die gefallenen Engel un - ter ein haͤrter Regiment ſetzen mußte. *)Warum hat Gott Engel geſchaffen, von welchen er vorher geſehen, daß ſie ſich und andere ungluͤcklich machen wuͤrden? Auſſer der Urſache, welche in der VII. Betracht. §. 20. beygebracht worden, findet vielleicht auch dieſe ſtatt. Vielleicht iſt der Fall und die daher entſtandene Unſeeligkeit einiger vernuͤnftiger Geſchoͤpfe ein vor andern dien - liches Mittel geweſen, unzaͤhlige Schaaren anderer vernuͤnftiger Geiſter dadurch vom Boͤſen abzuſchrecken und ſie im Guten zu ſtaͤrken und zu erhalten. Vielleicht iſt der ewige Anblick einiger Geiſter, welche die Suͤnde lieben und ihre traurigen Folgen empfinden, mit ein nothwendiges Mittel, welches andere auf ewig fuͤr einer aͤhnlichen Unordnung verwahret. Man wolle aber hierbey diejenige Vorſtellung der Hoͤlle nicht aus der Acht laſſen, welche in der fuͤnften Betrachtung aus der Vergleichung mehrerer Schriftſtellen gemacht worden.Ein Paradies, eine Erde, welche ohne ſaure Muͤhe den reichſten Seegen gab, ein Baum, der den Menſchen fuͤr Krank - heiten und dem Tode verwahrete, ſchickten ſich nicht mehr fuͤr Einwohner, welche mehr den ſinnlichen Begierden, als den heilſam - ſten Geſetzen folgeten. Alle dieſe aͤuſſeren Umſtaͤnde, welche die Gluͤckſeeligkeit tugend - hafter Geſchoͤpfe erhoͤhen, vermehren die Unordnung und Unſeeligkeit laſterhafterSeelen,19Seelen, indem ſie ſich dabey den Wolluͤ - ſten uͤberlaſſen, den Bau der Vernunft verabſaͤumen und ganz und gar verwil - dern. *)Es iſt dieſes in der V. Betracht. §. 40. auf das deutlichſte bewieſen. Jn der erſten Aus - gabe iſt es §. 38.Gott trieb daher den gefallenen Menſchen aus dem Paradieſe, er legte einen Fluch auf den Erdboden, er ver - dammete den Menſchen zu ſchwehrer Ar - beit und uͤberließ ſeinen Leib allerhand ſchmerzlichen Krankheiten und der Verwe - ſung. Und wie die Suͤnde ſich aller Nach - kommen Adams bemaͤchtigte, ſo traf auch ſie das Schickſahl ihrer erſten Eltern.
Jndeſſen wollte der guͤtigſte SchoͤpferErſte An - ſtalten dem gefallenen Menſchen zu helfen. das menſchliche Geſchlecht nicht ewig in dieſem hoͤchſt unſeeligen Verfall laſſen. Er begnadigte daſſelbe und verſprach ihm einen Heiland, einen Saamen zu geben, der den Kopf ihres Feindes des Verfuͤhrers zertreten, das iſt, voͤllig uͤberwinden ſollte. Vermoͤge dieſer Gnade machte Gott An - ſtalten, welche das Gemuͤth der Menſchen wieder in eine ſolche Ordnung bringen ſoll - ten, daß er den Fluch und die harten Ein - ſchraͤnkungen, ſo die Suͤnde erfordert, auf - heben und ſie in eine vollkommen ſeelige Welt ſetzen koͤnnte. Hierzu war nun vorB 2allen20allen Dingen noͤthig, daß ſie Gott und ihre Abhaͤngigkeit von demſelben erkenne - ten und ein ehrerbietiges und liebreiches Andenken an denſelben ihre Handlungen regierete. Ferner war hoͤchſt noͤthig, den Menſchen in einer demuͤthigen Erkaͤnntniß ſeiner Suͤnde und in einer heiligen Furcht Gottes, zugleich aber auch in einem geneig - ten und freudigen Zutrauen zu ihm zu er - halten, und ſie auf ſolche Arth von der Suͤnde zu einer tugendhaften Geſinnung zu fuͤhren. Zu dieſem Ende ordnete Gott unter andern die Dank - und Suͤnd-Opfer. Die erſten ſollten die Menſchen erinnern, daß alles Gute, ſo ſie genoͤſſen, Gnaden - Geſchenke Gottes waͤren, und ſie in eine liebreiche Erkaͤnntlichkeit gegen den hoͤchſten Wohlthaͤter ſetzen. Die Suͤnd-Opfer aber ſollten ſie auf die Betrachtung ihrer Suͤnde fuͤhren, und der Tod des Opfer - Viehes ſollte ihnen andeuten, daß ſie we - gen der Suͤnde des Todes ſchuldig, und ſollte zugleich ein Bild des kuͤnftigen voll - kommenern Opfers des Heilandes aller Welt abgeben. *)Hebr. Cap. 10. v. 3. Cap. 9. v. 9. Cap. 10. v. 1.Die wichtige Urſache, warum Gott anfaͤnglich einen ſo gar ſinn - lichen Gottesdienſt geordnet, wird derje - nige leicht errathen, der ſich die erſten Men - ſchen nach ihren wahren Umſtaͤnden vor -ſtellet.21ſtellet. Diejenigen irren wol unſtreitig, welche den Adam zu einem groſſen Gelehr - ten machen. Die Geſchichte beweiſet, daß Kuͤnſte und Wiſſenſchaften nach und nach in die Welt gekommen. Der menſch - liche Verſtand ſammlet ſeine Begriffe nach und nach, und die erſten Menſchen ha - ben derſelben gewiß nicht ſo viele gehabt, als nachher in einer langen Zeit ſind er - funden worden. Jch ſtelle mir die Welt von Adam bis auf Chriſtum in ihrer Kindheit vor, und Paulus rechtfertiget dieſe Vorſtellung. *)Gal. C. 4. v. 1-3.Jſt es nun jetzo bey den gebaueteſten Voͤlkern noch noͤthig, daß man ſinnliche Dinge bey dem Gottesdienſte gebrauchet, um die Gemuͤther der Men - ſchen zu ruͤhren und auf das Unſichtbahre zu richten und zu Gott zu erheben, wie noͤthig wird ſelbiges nicht bey der erſten Welt geweſen ſeyn? Und wie geſchickt waren nicht die Opfer dasjenige vorzu - ſtellen, woran ſie den Menſchen erinnern ſollten?
Die Fortpflanzung des menſchlichenWie noͤ - thig das laͤngere Le - ben der Menſchen im Anfan - ge der Welt geweſen. Geſchlechtes und Kuͤnſte und Wiſſenſchaf - ten wuͤrden viele Hinderniſſe gefunden haben, wenn der Fluch des Hoͤchſten den Erdboden gleich ſo verderbet haͤtte, wieB 3wir22wir ihn jetzo finden, und wenn das Leben der Menſchen die jetzigen kurzen Schran - ken gehabt haͤtte. Es ſcheinet aber, daß die Erde vor der Suͤndfluth noch Vorzuͤge gehabt habe, deren ſie durch jene groſſe Ueberſchwemmung beraubet worden. Das hohe Alter, ſo die Menſchen vorher erreich - ten, und die kurzen Schranken, in wel - ches das Leben derſelben gleich nachher geſetzet wurde, ſcheinet dieſes gewiß zu ma - chen. Es war ſolches auch bey dem An - fange dieſer Erde ſehr nothwendig. Dieje - nigen Landfruͤchte, welche am noͤthigſten ſind eine groſſe Anzahl Menſchen zu erhal - ten, wachſen, ſo weit wir jetzo den Erdbo - den kennen, nirgend einige Jahre nach ein - ander ungebauet. *)Jch habe ehemals in einem nachgeſchriebenen Unterricht des ſeel. Herrn Gundlings uͤber die Staaten von Europa geleſen, daß Un - garn an verſchiedenen Orten Rocken und an - dere Fruͤchte ohne Bau hervor braͤchte, und es waren des Busbecks Briefe zum Zeug - niß uͤber dieſes Vorgeben angefuͤhret. Jch habe ſelbige derowegen beynahe von Wort zu Wort durchgeleſen, ohne dieſe Nachricht darinne zu finden. Jch habe vielmehr von ſehr verſtaͤndigen Perſonen, welche ſich in Ungarn und Siebenbuͤrgen aufgehalten, vernommen, daß in dieſen Laͤndern die Land - fruͤchte eben ſo wenig ohne Bau wachſen, als an andern Orten. Ja es entſtuͤnde indemEs iſt der Weisheitund23und gnaͤdigen Vorſehung Gottes gemaͤß geweſen, dem Graſe und denjenigen Ge - waͤchſen, ſo wir Unkraut nennen, eine vorzuͤgliche Fruchtbarkeit beyzulegen, da - mit unzaͤhlige lebendige Geſchoͤpfe, ohne Zuthun des Menſchen, ihre Nahrung haͤt - ten, und unſere Arbeit dadurch nicht uͤber - haͤufet und unertraͤglich wuͤrde, wenn wir auch das Futter fuͤr das Vieh durch einen ſchwehren Bau herbey ſchaffen muͤßten. Das Gras und andere wilde Gewaͤchſe be - maͤchtigen ſich daher ſo gleich eines Bo - dens, welchen Menſchen-Haͤnde nicht be - arbeiten, und uͤberwaͤltigen gar bald den guten Saamen. Selbiger wird ſich ſchwehrlich uͤber drey Jahre ohne Pflege und Wartung erhalten. Wie viele von ſolchen Saamen wuͤrden ausgegangen ſeyn, wenn der Erdboden gleich vom Anfange in der jetzigen Verfaſſung geweſen waͤre. Wie ſchwehr wuͤrde dem Menſchen die Arbeit worden ſeyn, da er noch nicht das geringſte Jnſtrument hatte, wenn der Acker damals mit eben ſo vieler Muͤhe haͤtte muͤſ -B 4ſen*)dem ſehr fruchtbaren Ungarn leicht ein Mangel an denſelben, indem ſie nicht mehr zu bauen pflegten, als ſie auf ein Jahr noͤ - thig haͤtten, weil ſie das Uebrige nicht wol abſetzen koͤnnten. Ein einiges unfruchtbah - res Jahr verurſache daher leicht einen Mangel.24ſen bearbeitet werden, wie jetzo? Man ſtelle ſich in Gedanken vor, es wuͤrden ei - nige Menſchen, die noch nie ein Jnſtru - ment, noch einen Bau des Erdreichs geſe - hen, und in keinem Stuͤck die geringſte Er - fahrung haͤtten, ganz nackend auf eine unbewohnte Jnſul unſerer jetzigen Erde ge - ſetzet. Wie lange wuͤrde es dauren, ehe ſelbigen einmal einfiele, etwas zu pflanzen und zu ſaͤen? Wie langſam wuͤrde es ge - hen, ehe ſie zu den allererſten Jnſtrumen - ten gelangten? Regen und Sturm und kalte Naͤchte wuͤrden ſie zwingen, hinter den Zweigen der Buͤſche und in Hoͤlen Schutz zu ſuchen. Sie wuͤrden etwa das warme Fell eines Thieres fuͤhlen und deſ - ſen wider Naͤſſe und Kaͤlte habhaft zu werden wuͤnſchen. Sie wuͤrden mit vieler Muͤhe Pruͤgel von den Baͤumen brechen und die Thiere erlegen. Nun aber fehlet ihnen ein ſchneidendes Jnſtrument die Haut abzuſchaͤlen. Sie wuͤrden ſelbige mit den Zaͤhnen wollen aufreiſſen und ab - ziehen. Dazu iſt aber unſer plattes Ge - ſicht und der unter der hervorragenden Naſe liegende Mund nicht gemacht und die vordern Zaͤhne haben dazu keinen Halt. Sie wuͤrden etwa darauf verfallen, Steine auf einander ſcharf zu wetzen und ſich damit zu helfen. Und wie viele Ge - ſchlechter wuͤrden ſterben, ehe ein eiſernesMeſſer,25Meſſer, eine ſo ſehr noͤthige Sache, erfun - den wuͤrde? Und wenn wuͤrde man anfan - gen, Hacken und Spaden zu machen, den Erdboden zu bauen? Ehe ſolches ge - ſchaͤhe, wuͤrde aller fruchtbarer Boden mit Baͤumen, Hecken und Diſteln uͤber - zogen ſeyn, und wenn Landfruͤchte daſelbſt geweſen, wuͤrden ſie laͤngſt unter dem Ge - buͤſch und Unkraut erſticket ſeyn. *)Damit mir der Wildhafer nicht entgegen geſetzet werde, welcher in einigen Gegenden von America waͤchſet, ſo bemerke ich, daß derſelbe von ganz anderer Arth, als der Ha - fer, welchen man durch einen Bau haben muß. Der Wildhafer waͤchſet in Moraͤ - ſten und Fluͤſſer. Er iſt ein Sumpfgewaͤchſe und dem gebaueten Hafer nur etwas aͤhn - lich, und wird daher auf trockenem Lande nicht fortkommen. Er gehoͤret alſo unter die wilden Gewaͤchſe, und kann folglich mei - ner Meinung nicht entgegen geſetzet werden. Man muß gewiſſe Nachrichten aufbringen, daß diejenigen Fruͤchte, ſo wir durch einen muͤhſamen Bau haben, an andern Orten ohne Bau wachſen, und ſich auf beſtaͤndig erhalten. Von dem Wildhafer leſe man die Allgemeine Geſchichte der Laͤnder und Voͤl - ker von America Th. I. S. 323. Th. II. S. 524.Hier - aus erhellet aber, wie heilſam, ja wie noͤ - thig es bey dem Anfange der Erde gewe - ſen, daß ſie der Schoͤpfer mit einem groͤſ - ſern Seegen begnadiget, als ihr nach der Suͤndfluth gelaſſen worden, und die Men -B 5ſchen26ſchen ein hoͤheres Alter erreichen laſſen, als ihnen anjetzt beſtimmet iſt. Die Erhal - tung derjenigen Saamen, die jetzo, ſo viel wir wiſſen, nirgend ohne Wartung fort - kommen, und die Erfindung der noͤthigſten Jnſtrumente erforderte dergleichen. Das lange Leben der erſten Eltern verhuͤtete auch groſſe Kriege und Verheerungen, als von welchen wir vor der Suͤndfluth keine ſiche - re Spuhren finden, und war folglich auf alle Weiſe den Wiſſenſchaften und Kuͤn - ſten zutraͤglich. Es leuchtet alſo aus der erſten Einrichtung der Erde die groͤßte Weisheit Gottes und eine gnaͤdige Vor - ſehung deſſelben hervor.
Es fuͤhret mich dieſes auf gewiſſe Vor - ſtellungen, welche ich hier kuͤrzlich einſchal - ten und andern zur Beurtheilung uͤberlaſſen will. Jch finde in den Geſchichten vor - nehmlich zweyerley Nachrichten von den erſten Umſtaͤnden der Menſchen auf dem Erdboden. Die Sineſiſchen Nachrichten ſagen, daß die erſten Menſchen ſo tumm, wie das Vieh geweſen, und bis auf den Sohi durch viele Zeiten hindurch in einer ſolchen viehiſchen Verfaſſung geblieben. Es giebet unter uns Leute, welche hierinne etwas wahrſcheinliches zu finden meynen. Die bibliſche Geſchichte aber erzaͤhlet, daß Gott den erſten Menſchen nach ſeinem Bil -de27de erſchaffen und ihm nicht nur das Leben verliehen, ſondern auch ſeine Wohlfarth zu befoͤrdern geſucht, ſich ihm zu erkennen gegeben, und auf alle Weiſe, auch ſo gar nach dem Falle, fuͤr die Kleidung deſſelben geſorget. Es kommt dieſes einigen an - ſtoͤſſig vor. Allein man erwaͤge folgende Umſtaͤnde: Was iſt Gott anſtaͤndiger, und was kann man wol mehr von ſeiner Weis - heit und unendlichen Guͤte erwarten, daß er den Menſchen ſchaffet, und ihn vie - leicht einige hundert Jahre, wie ein Vieh gehen laͤſſet, bis er nach und nach zu eini - ger Vernunft gelanget, oder daß er ſich ſeiner nach der Schoͤpfung, da er noch ohne alle Erfahrung und in dieſem Stuͤcke ein voͤlliges Kind iſt, annimmt, und ihm die allererſten Beduͤrfniſſe in die Hand reichet und den noͤthigſten Unterricht ertheilet? Wenn ich folgende Umſtaͤnde uͤberdenke, ſo ſcheinet es mir unumgaͤnglich nothwendig zu ſeyn, daß Gott ſich auf eine naͤhere Arth der erſten Menſchen angenommen, wie jetzo geſchiehet. Wie noͤthig iſt den Menſchen, auch in den heiſſeſten Gegenden, in kalten und feuchten Naͤchten, eine Decke? Und wie lange wuͤrden die erſten Menſchen derſelben haben entbehren muͤſ - ſen, wenn ſie ſelbige ſelbſt haͤtten ſuchen und erfinden ſollen? Wie wuͤrde es den neugebohrnen Kindern ergangen ſeyn? Man erwaͤge nur alle Umſtaͤnde derſelben. Wie28Wie vielen wuͤrde es den Tod gekoſtet ha - ben, ehe die Menſchen gelernet haͤtten, wie ſie zu handhaben, wenn ihr Schoͤpfer ſie ohne allen Unterricht gelaſſen? Jſt es wahrſcheinlich, daß der Gott, welcher ſo groſſe Anſtalten gemacht, um unter andern vernuͤnftige Geſchoͤpfe zu haben, die Men - ſchen nach der Schoͤpfung in den verlaſſen - ſten Umſtaͤnden ſollte gelaſſen haben? Man bemerke, daß der Menſch nackend, und wider die Veraͤnderungen der Luft nicht ſo geſchuͤtzet ſey, wie das Vieh. Man er - waͤge, wie ſchwach die Kinder gebohren werden, und was fuͤr eine Wartung ſie erfordern, und bedenke, daß der Menſch viel elender als das Vieh wuͤrde geweſen ſeyn, wenn ihn Gott nach der Schoͤpfung ſich ſelber uͤberlaſſen haͤtte. Ja wie lange wuͤr - de es gedauert haben, ehe die Menſchen zu einer Sprache, und dadurch zu einem naͤhern Gebrauch der Vernunft wuͤrden gekommen ſeyn, wenn ſie durch ſich ſelbſt dazu haͤtten gelangen ſollen? Die Natur des Menſchen und der Dinge, die er em - pfindet, bewegen die Jnſtrumente der Spra - che nicht zu gewiſſen Sylben, womit man die Dinge bezeichnet. Waͤre dieſes, ſo wuͤrden alle Menſchen die mehreſten Din - ge mit einerley Woͤrtern benennen. Un - ſere Natur und Empfindungen beſtimmen derowegen die Benennung der Dinge nicht, ſondern es iſt darinne etwas ganz willkuͤhr -liches29liches. Noch mehr, ein tauber Menſch, ob er gleich einen Laut von ſich giebet, ma - chet, ohne daß man an ihm kuͤnſtelt, nie - mahls ordentliche Sylben. Jene zwoͤlf Kinder, welche der groſſe Mogul in Jn - dien, Nahmens Ackebor einſperren und von ſtummen Perſonen zwoͤlf Jahre war - ten laſſen, haben binnen dieſer ganzen Zeit keine Sylben und Worte machen gelernet, ſondern alles mit Winken bezeichnet. *Man ſchlage hieruͤber nach Vetr. 11. §. 7.Soll ein Menſch dieſe Geſchicklichkeit bekommen, ſo muͤſſen ihm die erſten Worte ſehr ofte vorgeſaget werden, ehe die Sprachinſtru - mente diejenige Stellung und Biegung an - nehmen, welche zu Sylben und Woͤrtern noͤthig ſind. Es iſt folglich gar nicht aus - gemacht, ob Menſchen jemahls Sylben und Woͤrter machen wuͤrden, wenn ſie niemahls von einem, der ſchon einer Spra - che maͤchtig iſt, dazu geuͤbet wuͤrden. Wenigſtens wuͤrde eine ſehr lange Zeit hingehen, ehe die erſten tauſend Woͤrter gemacht wuͤrden. Es aͤuſſert ſich dabey noch eine Schwierigkeit. Der Menſch muͤßte bey den Dingen, die er erblickte, nicht nur heute ein gewiſſes Wort hervor - bringen, ſondern auch Morgen noch wiſſen, daß er den vorigen Tag eben dieſen und keinen andern Laut bey dieſer und jener Sache gemacht haͤttte, und daher bey ei -nerley30nerley Sache allezeit einerley Laut ausſpre - chen. Da er nun durch die Natur zu keinen gewiſſen Benennungen der Dinge beſtimmet wird, ſo wuͤrde er bey eben der - ſelben Sache heute dieſen und Morgen ei - nen andern Laut machen, und nicht wiſſen, wie er die Sache das erſte mahl bezeich - net. Denn die erſten Worte in einer un - bekannten Sprache muß auch der geuͤbteſte, und der ſchon eine andere Sprache weiß, einige mahl uͤberdenken, ehe er ſie behaͤlt. Jch kann mir daher nicht wol vorſtellen, daß ein Menſch durch ſich ſelbſt zu einer Sprache kommen wuͤrde. Alle dieſe Um - ſtaͤnde bewegen mich zu glauben, daß Gott bey den erſten Menſchen noch mehr gethan, als daß er ſie erſchaffen. Es haben daher die Nachrichten des Moſes, daß Gott den erſten Menſchen ſelber unterrichtet, ihn, unter ſeiner Regierung, die Thiere und andere Dinge benennen laſſen*)Man ſetzet der Meinung, daß die erſte Sprache durch eine beſondere Vorkehrung Gottes entſtanden, die gar groſſe Mannig - faltigkeit der Sprachen entgegen. Es laſ - ſen ſich ſelbige aber begreifen, wenn man gleich die erſte Sprache von Gott oder einem Engel ableitet. Die allererſte Sprache muß nothwendig ſehr arm geweſen ſeyn und nur die Sachen benennet haben, welche der Menſch um ſich hatte. Da aber die Men - ſchen nach und nach aus einander gezogen,und undfuͤr31fuͤr ſeine erſte Bedeckung geſorget, eine innere Wahrſcheinlichkeit, und ich wuͤrde ihnen Beyfall geben, wenn ich auch gleich nicht wuͤſte, daß Moſes ſeine Nachrichten durch den Trieb des Geiſtes Gottes auf - geſchrieben. Jch kann mir nicht vorſtel - len, daß Gott fuͤr die erſten Menſchen ſoll - te weniger geſorget haben, als fuͤr das Vieh, welches er bedecket und wider al - lerhand Witterung in Sicherheit geſetzet. Das, was unſern Beyfall bey ſolchen Nachrichten der Schrift ſchwer machet, iſt, daß wir heutiges Tages ſolche Dinge nicht mehr ſehen, als in den Zeiten geſchehen ſind. Allein wir ſehen auch jetzo keine Schoͤpfung, wir ſehen keine ſolche Veraͤn - derung der Erde, als damals muß geſche - hen ſeyn, da eine unzaͤhlbahre Menge von Meer-Thieren und Gewaͤchſen und gan - ze Waͤlder ſind verſchlemmet und an denOrten*)und neue Dinge geſehen und allerhand Be - duͤrfniſſe, ſo durch Menſchen-Haͤnde ge - macht worden, erfunden, hat der eine die - ſelben ſo, der andere anders benennet. Woraus denn nach und nach verſchiedene Sprachen entſtanden, welche durch die nach - folgenden groſſen Vermiſchungen der Voͤl - ker noch mehr vermehret worden. Man kann alſo den Urſprung vieler Sprachen erklaͤ - ren, wenn man ſie gleich nicht alle von der geſcheheneu Verwirrung zu Babel ablei - ten will.32Orten begraben worden, wo wir ſie uͤber den ganzen Erdboden noch anjetzo finden.
Die erſten gluͤckſeeligern Umſtaͤnde, in welchen Gott die Menſchen auch noch nach dem Falle aus den eben angezeigeten hoͤchſt wichtigen Urſachen gelaſſen, zogen fol - gendes Uebel nach ſich. Die Menſchen uͤberlieſſen ſich nach und nach den Wolluͤ - ſten und verwilderten dabey dergeſtalt, daß alle Ermahnungen und Drohungen, ſo Gott durch heilige Leute an ſie ergehen ließ, vergeblich waren. Sie wollten ſich den Geiſt Gottes nicht mehr belehren und ſtra - fen laſſen. Nachdem alſo die noͤthigſten Kuͤnſte erfunden, und die Menſchen in den Stand geſetzet worden, auf einem weniger fruchtbaren Erdboden fortzukommen und ſich zu erhalten, beſchloß der weiſeſte Re - gierer der Welt, die Erde durch eine groſſe Suͤndfluth zu verderben und das erſte Ge - ſchlecht der Menſchen bis auf die Familie eines frommen Noah auszurotten. Es entſtand eine Ueberſchwemmung, die alles umſtuͤrzete, und die bisherige Verfaſſung der Erde merklich aͤnderte. *)Es ſind auf unſerm Erdboden mancherley Spuhren, welche auch ohne Offenbahrung hoͤchſt wahrſcheinlich machen, daß einmahl eine groſſe und heftige Ueberſtroͤhmung uͤberdenDie Erde er -forderte33forderte meiner Muthmaſſung nach nun - mehro einen ſchweren Bau, damit der Menſch durch mehrere Arbeit von den Wol - luͤſten und der dadurch entſtehenden Ver - wilderung des Gemuͤthes zuruͤckgezogen werden moͤchte. Das Ziel des menſchlichen Lebens wurde ſehr verkuͤrzet, welches ſei - nen Ausſchweifungen ebenfalls Grenzen ſetzte, indem er gar zeitig auf die Verſor - gung ſeiner Nachkommen denken und fuͤr ſelbige arbeiten mußte. Der fruͤhzeitigeTod*)den Erdboden ergangen. Man findet in Laͤndern, welche anjetzt gegen die Pole und in den kalten Erdſtrichen liegen, unter der Erde und in Felſen eine Menge unwider - ſprechlicher Ueberbleibſel von Gewaͤchſen und Thieren, welche nirgend, als in einem heiſ - ſen Erdſtriche wachſen und leben. Man ſchlieſſet daraus nicht ohne einen ſehr groſſen Anſchein, daß die Erde ſich einmahl derge - ſtallt gedrehet, daß ein Theil des ehemahli - gen heiſſen Erdſtrichs unter und gegen die Pole geruͤcket worden. Da nun die Erde wegen ihrer taͤglichen Bewegung um ihre Achſe die Rundung von einer Pomeranze er - fordert und vermoͤge der neueſten Ausmeſ - ſungen und Berechnungen wirklich hat, ſo hat jene Drehung der Erde nicht ohne eine ſehr groſſe Ueberſtroͤmung geſchehen koͤnnen. Da der Beweis davon nur denen verſtaͤnd - lich gemacht werden kann, welche etwas von der Mathematik verſtehen, ſo mag ihn hier nicht anfuͤhren. Man kann ihn aber in der erſten Samlung meiner vermiſchten Abhandlungen S. 226. u. f. leſen.Jac. Betr. 4. Band. C34Tod noͤthigte zugleich nachdenkende Gemuͤ - ther deſto eher an die Ewigkeit zu ge - denken. Der Menſch war indeſſen nun - mehro einer ſchwerern Arbeit gewachſen. Er brachte die Erfindungen von mehr, denn anderthalb tauſend Jahren und einen Vorrath von noͤthigen Jnſtrumenten und gezaͤhmte Thiere aus der alten in die neue veraͤnderte Welt und konnte den Bau der - ſelben ſo gleich anfangen und mit leichterer Muͤhe beſtreiten, als dem erſten Men - ſchen waͤre moͤglich geweſen, wenn er gleich in eine Welt geſetzet worden, in welcher man ſich ſo muͤhſam ernaͤhren muͤſſen, wie bey der jetzigen Geſtalt der Erde.
Bishieher habe ich geſuchet in etwas be - greiflich zu machen, warum es noͤthig ge - weſen, daß bey dem erſten Anfange dieſer Welt dieſes Wohnhaus der Menſchen ſei - ne Einwohner leichter ernaͤhret und den - ſelben ein laͤngeres Leben verſchaffet, und was die Weisheit des Schoͤpfers bewogen die vorige Einrichtung deſſelben zu aͤndern. Nun aber gerathe ich in ein anderes Laby - rinth, worinne mein kurzſichtiger Geiſt herumirret und voller Unruhe einen gluͤckli - chen Ausgang ſuchet. Jch verlaſſe mit meinen Gedanken eine verderbte Welt und ſehe mich in einer andern, worinne ich wiederum Jrrthum, Laſter und Elend finde. Ja,35Ja, was mich am mehreſten befremdet, ich ſehe die neuen Voͤlkerſchaften, bis auf ein einziges Geſchlecht nach und nach in die tiefſten Finſterniſſen und in die thoͤrigſte und ſchaͤndlichſte Abgoͤtterey verfallen, und das Licht der Erkaͤnntniß des wahren Got - tes erſt untergehen, ehe es wieder aus den tiefſten Schatten hervorbricht und ſeine Strahlen, wie eine aufgehende Sonne nach und nach wieder uͤber den Erdboden ver - breitet. Jſt Gott an ſeiner Erkaͤnntniß und Verehrung ſo viel gelegen, daß er nicht nur ſo manchen Propheten, ſondern ſo gar ſeinen Sohn die verfinſterte Welt zu erleuch - ten in ſelbige ſendet und ſie in dieſer Abſicht der Verfolgung der Welt ausſetzet: iſt mit dieſer Erkaͤnntniß ein ewiges Heil ver - bunden; warum hat denn Gott die Welt in die groͤbſte Unwiſſenheit und Aberglau - ben verfallen laſſen, und ſich ihrer erſt nach - her mit ſo groſſen Anſtalten und vielen Wundern angenommen? Eine Frage, die ſo wol mich, als auch viele meiner Freun - de und nachdenkenden Zuhoͤrer je zu Zei - ten in eine aͤngſtliche Unruhe geſetzet. Jch bekenne es hiermit oͤffentlich, daß meine Einſichten viel zu ſchwach, die Tiefen der Rathſchluͤſſe Gottes ſo zu erreichen, daß alle beunruhigende Zweifel gaͤnzlich ver - ſchwaͤnden und der Glaube mit ſelbigen niemahls mehr zu kaͤmpfen haͤtte. Jndeſ - ſen habe ich doch, indem ich Gott auf denC 2Wegen36Wegen ſeiner Regierung mit bloͤden Au - gen nachgeſehen, ſo viel erblicket, daß in dieſem, obwol ſchwachen Lichte, dennoch die Zweifel einen Theil ihrer Kraft verlie - ren und der Glaube deſto leichter ſieget. Jch mache mir bey obiger ſchweren Frage folgende Vorſtellungen.
Eine wahre Tugend, eine Tugend, die den Menſchen gluͤcklich und vergnuͤgt und ſeelig machen ſoll, leidet keinen gewaltſa - men Zwang, ſondern erfordert Freyheit, und muß ohne Zwang vorzuͤglich aus einer leb - haften Vorſtellung der liebenswuͤrdigſten Eigenſchaften, Rathſchluͤſſe, Werke und Wohlthaten Gottes, kurz aus dem Glau - ben entſtehen. *)Man leſe hiervon weitlaͤuftiger in der ſie - benten Betrachtung. §. 10. u. f.Soll dieſe Erkaͤnntniß, dieſer Glaube dem Menſchen eingefloͤſſet werden und ſo viele Kraft erlangen, daß er das Gemuͤth des Menſchen zaͤrtlich, edel, tugendhaft und zu einem ſeeligem Leben ge - ſchickt macht; ſo iſt unumgaͤnglich noth - wendig, erſtlich daß der Menſch durch eine aͤuſſerliche Zucht und Regiment von der aller aͤuſſerſten Verwilderung zuruͤck gehal - ten werde, und zweytens, daß er einen gewiſſen Unterricht erhalte, und oft zum Guten ermahnet und gereizet werde. Feh -37Fehlet eines von beiden, ſo lehret die Er - fahrung, daß einzelne Perſonen und ganze Voͤlker in die aͤuſſerſte Unwiſſenheit und Wildheit gerathen. Was laͤſſet ſich nun vermoͤge der jetzigen verderbten Geſinnun - gen des Menſchen und nach Anleitung der Geſchichte der Welt anderes, als fol - gendes gedenken?
Die Menſchen lebten in der neuen Ein -Viele Menſchen ergaben ſich der Jagd und verwil - derten. richtung des Erdbodens kuͤrzer. Die Vaͤ - ter konnten alſo die Familien nicht lange zuſammen halten und regieren. Nach de - ren Tode wollte ein Bruder und Vetter dem andern nicht unterthaͤnig ſeyn. Ein jeder verdrang oder wich dem andern, und es entſtanden ſo viele kleine Regierungen, als Vaͤter und Familien. Eines wich immer dem andern aus, um nicht von einem andern Befehle anzunehmen. Diejenigen, welche ein milderes und zaͤrtlicheres Temperament hatten, naͤhreten ſich vom Ackerbau und Viehzucht, die aber von einem haͤrtern Gefuͤhl und roherem Temperament waren, ergaben ſich mehr der Jagd, und lebten von dem Wilde. Einige davon verliebten ſich dergeſtalt in das Jagen, daß ſie den beſchwerlichen Ackerbau und Wartung des zahmen Viehes ganz verlieſſen, und blos von der Jagd, Fiſcherey, Eicheln, und was ſonſt die Natur ohne Bau her -C 3vorbrin -38vorbringet, lebten. Nicht nur Moſes, ſondern auch die Ueberlieferungen der aͤlte - ſten Voͤlker zeugen hiervon, und in Suͤd - und Nordamerica giebet es noch Voͤlker, die wenige Gewaͤchſe durch einen Bau des Erdreichs ziehen, und vorzuͤglich von der Jagd, Fiſcherey und demjenigen leben, was die Erde ohne Bau hervorbringet.
Bey dieſen Umſtaͤnden war durch meh - rere Geſchlechter hindurch unter dieſer Arth Perſonen ein jeder Vater ein unumſchraͤnk - ter und freyer Herr. Die Furcht fuͤr den wilden Thieren, und der Wunſch bey dem Jagen Huͤlfe zu haben, wird zwar ver - anlaſſet haben, daß einige ſich zu ein - ander gehalten; allein ein jeder begreifet gar leicht, daß keiner dem andern wird ſo - gleich Geſetze haben vorſchreiben koͤnnen. Ein jeder folgte daher faſt ganz allein den natuͤrlichen Trieben, und alle Unterweiſung der Kinder hieng von den Vaͤtern und Muͤttern ab. Ein jeder kann aus der Er - fahrung leicht lernen, wie weit Zucht und Unterweiſung ſich in ſolchen Familien er - ſtrecket. Es waͤre eine beſtaͤndige Reihe von Wundern noͤthig geweſen, wenn bey einer ſolchen Verfaſſung feinere aͤuſſerliche Sitten und eine hinlaͤngliche Erkaͤnntniß Gottes und eine erhabene Tugend unter dieſer Arth Menſchen haͤtte bleiben ſollen, und wuͤrden doch dieſen Zweck nicht errei - chet haben.
Ein Theil der Menſchen blieb zwar beyAuch Aekerleute und Hirten verwilder - ten nach und nach. dem Ackerbaue und der zahmen Viehzucht. Allein eine Familie nahm doch von der an - dern keine Geſetze an, ſondern wichen ein ander aus und zerſtreueten ſich, und weil ſie nur Huͤtten baueten, zogen ſie leicht von einem Orte zum andern. Es war daher kein ordentliches Regiment, ſondern ein jedes Haupt einer Familie that, was ihm beliebte, und alle Unterweiſung kam auf die Eltern an. Auch hier blieb es ohne Wun - der nicht moͤglich, daß feine Sitten und eine deutliche Erkaͤnntniß und zaͤrtliche Ver - ehrung Gottes von einem Geſchlechte auf das andere haͤtte forterben ſollen.
Doch pflanzeten ſich dieſe beiden SaͤtzeUrſprung der Abgoͤt - terey. fort: es iſt eine Gottheit, und die Seele des Menſchen lebet noch nach dem Tode. Die Gewitter erhielten inſonderheit ein ſtarkes Gefuͤhl, von Gott, und man machte die obern Gegenden zu deſſen Wohnung. Man ver - gaß aber, daß nur ein Gott waͤre, und ver - muthlich glaubte man anfaͤnglich, Sonne, Mond und Sterne waͤren Wohnungen der Gottheit. Nachher unterſchied man die Gottheit und ihren Sitz nicht mehr von einander und hielt Sonne, Mond und Sterne fuͤr verſchiedene Gottheiten. DieC 4Lehre40Lehre von der Unſterblichkeit der Seele wurde eine zweyte Veranlaſſung die Gott - heiten zu vermehren. Man glaubte, daß die Seelen der verſtorbenen Haͤupter von Familien ſich noch um die ihrigen bekuͤm - merten und fuͤr ſie ſorgeten. Die Liebe und Ehrfurcht, die man im Leben fuͤr ſie gehabt, erzeigte man ihnen noch nach dem Tode, und ſie wurden nach und nach zu Hausgoͤttern. Als mit der Zeit Voͤl - kerſchaften, und unter ſelbigen maͤchtige - re Haͤupter und beruͤhmtere Helden ent - ſtanden, wurden auch ſelbige nach dem Tode vergoͤttert. Dieſe Goͤtter mußten auch nach dem Tode noch Gemahlinnen haben. Man vergoͤtterte daher auch eini - ge von dem weiblichen Geſchlechte. Man machte ihnen zu Ehren Bilder und vereh - rete in ſelbigen die darinne vorgeſtellte Gott - heit. Endlich unterſchied man die Bilder und die Gottheit nicht mehr von einan - der, und betete die Bilder ſelbſt als Gott - heiten an. Was ich bis anher geſagt, iſt aus der heiligen und weltlichen Geſchich - te ſo bekannt, daß ich nicht noͤthig habe be - weiſende Stellen davon anzufuͤhren. Nur den letzten Satz muß beweiſen, weil er von einigen widerſprochen wird und mancher das Heidenthum davon gerne frey machen will. Allein nicht nur die Schrift bezeuget ſolches an manchen Stellen, und inſonder - heit Jeſ. C. 44. v. 9-20. ſondern manfindet41findet auch in des Xenophons Merkwuͤr - digkeiten des Socrates im erſten Buche nicht gar weit vom Anfange deſſelben eine ſehr merkwuͤrdige Nachricht davon. So - crates wird daſelbſt wider die Beſchuldi - gung vertheidiget, daß er diejenigen nicht fuͤr Goͤtter gehalten, welche die Athenien - ſer als ſolche ehreten. Es wird von ihm gemeldet, daß er Goͤtter geglaubet und geehret, und nur diejenigen fuͤr gleich ra - ſend erklaͤret, welche entweder gar keinen Tempel, keinen Altar, keine Gottheit in Ehren hielten, oder Steine, ein jegliches Holz und Thiere goͤttlich verehreten.
Die waͤrmern Erdſtriche haben vieleWas ſel - bige befoͤr - dert. Vortheile und Annehmlichkeiten vor den kalten. Sie wurden daher mehr ge - liebet und die Bevoͤlkerung gieng daſelbſt geſchwinder von ſtatten, als in den rauhen Waͤldern des Nordens, oder derer, ſo ge - gen den Suͤdpol liegen. Man fieng da - her an, einander die Grenzen zu beengen, ſich daruͤber zu zanken und Gewalthaͤtig - keiten auszuuͤben. Die Unſicherheit und Furcht noͤthigte derowegen die Menſchen in groͤſſere Geſellſchaften zuſammen zu tre - ten, und es entſtanden Haͤupter kleiner Voͤlkerſchaften, dergleichen ein Abraham und andere geweſen. Einige baueten klei - ne Staͤdte, und machten das zunaͤchſt liegen -C 5de42de Gefilde zu ihrem Eigenthum. Hier - mit entſtanden kleine Staaten und Koͤnige, deren aber ſo viele, als kleine Staͤdte und Voͤlkerſchaften waren. Zwiſtigkeiten uͤber eine Weide, einen Brunnen oder Acker und wechſelsweiſe zugefuͤgete kleine Belei - digungen, wie auch die Begierde ohne viele Arbeit bequehm zu leben, und endlich auch die Herrſchſucht ſetzten die kleineren Staaten in ſehr oͤftere Kriege, welche bey einer mehrern Bevoͤlkerung immer haͤufi - ger und grauſamer wurden.
Bisher hatten wenigſtens unter denen, die ſich dem Ackerbau und der Viehzucht ergeben, noch milde Sitten geherrſchet, und die Erkaͤnntniß und Verehrung des wah - ren Gottes hatte ſich noch in vielen kleinen Voͤlkerſchaften erhalten, wie ſo wol aus der Geſchichte eines Abrahams, als auch andern alten Ueberlieferungen zu ſchlieſſen ſtehet. Nun aber wurde alles rauh, grob und grauſam. Nachdem einige durch die Beute von andern reich worden; ſo wur - de die Raubbegierde und die Herrſchſucht gereizet und bekamen eine uͤberwiegende Gewalt uͤber die Gemuͤther der Menſchen. Gute und milde Geſetze vermochten nichts. Alles beruhete auf einer ſtarken und tapfern Fauſt, und war auſſer den Mauern der Staͤdte Friede, ſo ſtritt oͤfters in denſelbenein43ein Buͤrger wider den andern mit bewaff - neter Hand. Koͤnigliche und Obrigkeitliche Gewalt galt nur ſo weit, als ein bewaff - neter Buͤrger freywillig erlaubte, oder ein tyranniſcher Held ſich fuͤrchtend machte. Man lebte in einer ungezaͤhmten und un - baͤndigen Freyheit. Man bedenke aber - mahls, wie viele Wunder haͤtten geſche - hen muͤſſen, und wie viele Propheten noͤthig geweſen waͤren, wenn bey dieſen Umſtaͤn - den noch eine wahre Weisheit und erhab - nere Erkaͤnntniß goͤttlicher Dinge in den Gemuͤthern haͤtte bleiben ſollen. Und was wuͤrde ihr Unterricht gefruchtet haben? War es auch moͤglich, daß in ſo verwil - derten und verhaͤrteten Gemuͤthern edlere Geſinnungen, ſanfte Triebe und goͤttliche Tugenden haͤtten hervorgebracht und er - halten werden koͤnnen? Was fuͤr groſſe Anſtalten werden anjetzt nicht erfordert, ei - ne gereinigtere Religion nur unter einigen Menſchen zu erhalten? Konnten in jenen rohen Zeiten ſolche Anſtalten ſtatt finden?
Nach und nach aber wurde eine kleineUrſprung der Wiſſen - ſchaften und milde - rer Sitten. Geſellſchaft von der andern verſchlungen, und es entſtanden groͤſſere Staͤdte, Staa - ten und Koͤnigreiche, und in denſelben eini - ge vor andern bemittelte Perſonen, wel - che ſich eine wolluͤſtigere Lebensarth ver - ſchafften und derſelben gewoͤhneten. Die -ſen44ſen wurde daher die bisherige Haͤrte und das unbeſchraͤnkte Fauſtrecht unleidlich. Man fieng an, zaͤrtlichere und feinere Vergnuͤgen zu ſchmecken, welche bey einem beſtaͤndigen Kriege nicht beſtehen konnten. Man fieng an Geſetze und mildere Sitten zu wuͤnſchen. Dieſes erweckte einige groſſe Geiſter dergleichen zu ſuchen und andern einzufloͤſſen. Es thaten ſich Geſetzgeber und weiſe Leute hervor, welche den Verſtand der Menſchen baueten und ſie mit vieler Muͤhe und Zeit an Geſetze und eine obrigkeitliche Gewalt gewoͤhneten. Das wilde Fauſtrecht nahm bey einigen Voͤlkern etwas ab. Die - ſes befoͤrderte die innere Ruhe, und der Wachsthum der Staaten verminderte die aͤuſſerlichen Unruhen. Kriege und Zerſtoͤh - rungen waren nicht mehr ſo allgemein, wie vorher. Mancher Ort genoß zu Zeiten ei - ne ziemlich lange Ruhe, und dieſe erlaubte denen Einwohnern auf etwas anderes, als auf den Gebrauch des Schwerdtes und der Pfeile zu gedenken. Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften, welche ein wildes Gemuͤth und das Geraͤuſch der Waffen fliehen, fanden ſich da ein, wo ſie eine ſanfte Stille und nachdenkende Geiſter fanden. Aegypten, Chaldaͤa und Phoͤnicien wurden durch ſel - bige zuerſt beruͤhmt und ſie verbreiteten ſich nachher in Griechenland und in Jtalien. Die Welt bekam in dieſen und einigen an - dern Gegenden eine ganz neue Geſtalt. Man45Man errichtete groſſe Staͤdte, man bauete praͤchtige Pallaͤſte und fuͤllete ſelbige mit dem ſchoͤnſten Hausgeraͤth. Man konnte nun offene Doͤrfer und luſtige Landhaͤuſer haben. Ganze Reiche wurden ein angeneh - mes Gefilde, und eine erweiterte Handlung machte ein bluͤhendes Gewerbe und ver - band weit entlegene Laͤnder mit einander, und vermehrte und brachte die Kuͤnſte und Wiſſenſchafften von einem Orte zu dem andern. Gehet man die Geſchichte durch, ſo wird man finden, daß Kuͤnſte und Wiſ - ſenſchaften von den Zeiten des Noah bis auf den Kaiſer Auguſt nie hoͤher geſtiegen und zugleich weiter ausgebreitet geweſen, als zu den Zeiten dieſes Roͤmiſchen Kai - ſers. Zu eben dieſer Zeit herrſchete auch ein ſo weitlaͤuftiger und langer Friede, als man in den vorhergehenden Zeitlaͤuften eben - falls nicht aufweiſen kann, indem der groͤßte Theil der damahls bekannten Welt das ſanfte Scepter des Auguſtus verehrete.
Die Religion ſtehet in einer genauenNoah wird in der wahren Re - ligion be - ſtaͤrket. Verbindung mit den aͤuſſerlichen Umſtaͤn - den der Welt, und ſie haben einen gemein - ſchaftlichen Einfluß in einander. Man er - blicket derowegen in der aͤuſſerlichen Verfaſ - ſung der Welt manche Urſache, woraus man einigermaſſen begreifen kann, warum Gott in Abſicht auf die Religion dieſe oderjene46jene Einrichtung gemacht, und ich habe das Vorhergehende aus der Geſchichte an - gefuͤhret, um zeigen zu koͤnnen, daß auch aus dem verſchiedenen Verhalten Gottes bey der Religion goͤttliche Weisheit und Guͤte hervorleuchte. Gott ſelber befeſtigte den Noah und deſſen Kinder in der Erkaͤnntniß der wahren Religion und eines vernuͤnftigen Gottesdienſtes und gab ſeinen Geſetzen durch das Gerichte der Suͤndfluth den ſtaͤrkſten Nachdruck. Einige Stuͤcke davon erhiel - ten ſich auch faſt bey allen Voͤlkern der Erde. Den Begriff von der Gottheit, von der Unſterblichkeit der Seele und von der Nothwendigkeit eines Gottesdienſtes findet man noch jetzo faſt bey allen Heiden. *)Herr Egede meldet von den Groͤnlaͤndern, daß ſie den Begriff einer Gottheit ganz ver - lohren, die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele aber ebenfalls behalten haben. Jch habe dieſes in der Beſchreibung des ſeel. An - derſons von Jsland und Groͤnland geleſen.Die grobe Unwiſſenheit aber, welche we - gen der vorhin erzaͤhlten Umſtaͤnde durch alle goͤttliche Vorkehrungen nicht zu verhin - dern war, wie aus den folgenden noch mit mehrern erhellen wird, verurſachte gar bald, daß man das Wichtigſte der wah - ren Religion aus der Acht ließ und an deſ - ſen Stelle den unvernuͤnftigſten Aberglau - ben einfuͤhrete. Es iſt oben ſchon angefuͤh -ret,47ret, was aller Vermuthung nach in den Zeiten der groben Unwiſſenheit den erſten Anlaß zur Vielgoͤtterey gegeben. Man hielt erſt Sonne, Mond und Sterne fuͤr den Sitz der Gottheit, und endlich ſelbſt fuͤr Goͤtter. Jndem man ferner die Seelen der Haͤupter der Familien und groſſer Helden fuͤr unſterblich hielt und in den Himmel ſetzte, ſo legte man ihnen nach und nach eine Fuͤrſorge fuͤr die Zuruͤckgelaſſenen bey, und glaubte vielleicht, daß ſie als Freunde Gottes noch koͤnnten nuͤtzlich ſeyn. Mit der Zeit machte man ſie zu halben Gott - heiten, und vergaß endlich, bey der zuneh - menden Unwiſſenheit, des einigen unſicht - bahren Gottes, und verwandelte den ver - nuͤnftigen Gottesdienſt in den thoͤrichteſten und zum Theil ſchaͤndlichſten Aberglauben. Eine von der Vernunft verlaſſenene und ſchwaͤrmende Einbildungskraft, wie auch die Liſt ſtolzer Regenten, die durch den Gebrauch des Aberglaubens ſich die Ein - faͤltigen unterwarfen, vermehrte die Gott - heiten in das Unendliche. Man gieng in der Thorheit ſo weit, daß man den Goͤtzen ſo gar Menſchen und ſeine eigene Kinder opferte*)Wie gar gewoͤhnlich dieſer fuͤrchterliche Aber - glaube unter den Voͤlkern geweſen, davon kann man geſammlete Nachrichten leſen in Schedii Tract. de Diis Germanis Cap. XXXI. Die. Und es iſt ein ewiger Schand -fleck,48fleck fuͤr die menſchliche Vernunft und ein unwiderſprechlicher Beweis von ihrer Schwaͤche, daß dieſe Thorheit den ganzen Erdboden uͤberzogen, und nur erſt ein mit - telmaͤßiger Theil derſelben durch goͤttliche Anſtalten, die durch viele Jahrhunderte fortgeſetzet worden, zu anſtaͤndigern Be - griffen von Gott und zu einem vernuͤnftigern Gottesdienſt hat koͤnnen gebracht werden.
Als naͤmlich die Erkaͤnntniß des einigen und wahren Gottes, welche ſich bis in die Zeiten Abrahams noch hier und da erhal - ten hatte*)1 B. Moſ. Cap. 24 v. 18. Cap. 20., anfieng nach und nach ganz verdunkelt zu werden, offenbahrete ſich Gott dem Abraham und befeſtigte ihn in der Erkaͤnntniß des einigen Schoͤpfers Himmels und der Erden, und in der ver - nuͤnftigen an ihm gefaͤlligen Verehrung deſſelben, und machte ſolche Anſtalten, daß unter den Nachkommen deſſelben dieſeErkaͤnnt -*)Die Carthaginenſer haben einſtmahl zwey - hundert Juͤnglinge aus den edelſten Fami - lien zu einem einzigen Opfer geſchlachtet. Auch in America hat man den aberglaͤubi - ſchen Gebrauch gefunden, daß man den Goͤt - tern Menſchen geopfert, wovon man die Allgemeine Hiſtorie der Laͤnder und Voͤlker in America im Regiſter nachſchlagen kann.49Erkaͤnntniß bleiben und ſich von ſelbigen wieder uͤber den Erdboden verbreiten moͤch - te. Damit wir begreifen koͤnnen, warum der Weiſeſte zu dieſem Endzweck eben die - jenigen Mittel gewaͤhlet, wovon uns die Schrift benachrichtiget, ſo muͤſſen wir et - was von denjenigen Religionsſaͤtzen bey - bringen, welche der Aberglaube in der Welt allgemein gemacht hatte. Es herrſchte vor Zeiten der groſſen Erleuchtung der Welt, ſo durch JEſum angerichtet worden, die Meynung unter den Voͤlkern, daß es viele Goͤtter gaͤbe, wovon der eine dieſes, der andere ein anderes Volk in ſeinen beſon - dern Schutz genommen, und daß einer von dieſen Goͤttern maͤchtiger und einem Volke gewogener als ein ander. Ja man glau - bete, daß es Berggoͤtter und Goͤtter der Ebenen gaͤbe, wovon jene auf den Bergen und dieſe in den Ebenen maͤchtiger waͤren*)1 B. Koͤn. Cap. 20. v. 23.. Man machte derowegen zu den Kennzei - chen einer maͤchtigen und fuͤr ein Volk ſich am beſten ſchickenden Gottheit, wenn ſel - bige Gluͤck und fruchtbare Zeiten und Sieg wider die Feinde verſchaffte und kuͤnftige Dinge vorher verkuͤndigte**)Jerem. Cap. 14, 22. Apoſtelgeſch. C. 14, 17. 2 Chron. 36, 23. Eſr. 1, 1. Dan. 3, 29. C. 6, 26. C. 2, 47. Jeſ. 43, 9.. Wenn derowegen ein Volk glaubte, das anderewaͤreJac. Betr. 4. Band. D50waͤre gluͤcklicher, ſo ließ es entweder ſeine bisherigen Gottheiten fahren und nahm die Goͤtter des andern Volkes an, oder es ver - ehrete beide zugleich. Wenn ferner ein Volk vor eine Stadt zog ſelbige zu bela - gern, ſo forderte es vorher die Goͤtter deſ - ſelben auf und that ihnen das Geluͤbde, ſie als Gottheiten zu verehren, wenn ſie ihre bisher in Schutz genommene Stadt verlaſ - ſen und ſie den Belagerern uͤbergeben wuͤr - den*)B. Judith Cap. 11. v. 17. Conf. Antiquitat. Rom. Roſini et Dempſteri L. X. Cap. XVIII. . Das maͤchtige Rom machte ſich da - her ſehr vielen Goͤttern verbindlich, und bauete ihnen Tempel. Ja, da die Men - ge der Goͤtter den Voͤlkern nicht verſtattete einer jeden Gottheit einen Tempel oder Al - taͤre zu errichten, ſo baueten ſie Altaͤre, wel - che allen Gottheiten gewidmet waren, damit ſie die Gunſt und den Beyſtand aller Goͤt - ter hoffen koͤnnten**)Conf. Schedius de Diis Germanis Cap. XII. p. 318. f. . Wenn ferner zwey Perſonen von verſchiedenen Voͤlkern ein - ander heiratheten, ſo ergab ſich entweder der eine Ehegatte an die Gottheit des andern, oder ſie opferten den Goͤttern beider Voͤl - ker zugleich***)1 B. Koͤn. C. 11.. Der Goͤtzendienſt war ferner theils praͤchtig, theils ſehr luſtig, weil man dabey herrliche Opfermahle und aller -hand51hand Ergoͤtzungen hatte*)Schedius de Diis Germ. C. XXII. p. 592. Antiquit. Rom. rosini et dempsteri Lib. V. C. XII. . Wir muͤſſen unſere Leſer bitten dieſe Umſtaͤnde zu be - merken, weil wir aus ſelbigen das Wich - tigſte herleiten werden, was man bey dem goͤttlichen Haushalt unter den Nachkom - men Abrahams wahrnimmt.
Als Gott den Abraham und deſſen Nach -Abraham in der wah - ren Reli - gion befeſti - get. kommen erwaͤhlete, um ſich durch ſelbige der Welt, ſo ihn vergeſſen, wieder be - kannt zu machen, und aus ſelbigen den Menſchen einen Mittler und neues Haupt zu ſchenken, ſo ließ er denſelben aus ſeiner Freundſchaft ausgehen und ein Fremdling werden, damit er ein von andern Voͤlkern abgeſondertes Geſchlecht pflanzen moͤchte. Er verband mit dieſem Befehl die Ver - heiſſung, daß er wolle ſein Gott ſeyn, ſei - nen Saamen ſeegnen, demſelben das Land Canaan geben und aus ſeinen Nachkom - men einen ſolchen aufſtehen laſſen, in wel - chem alle Voͤlker ſollten geſeegnet werden. Er gab ihm anbey ein Zeichen des Bundes, welches unter andern auf die Fortpflanzung ſeine Abſicht hatte, und verband damit die Verheiſſung einer vorzuͤglichen Ver -D 2meh -52mehrung des Juͤdiſchen Volckes*)Es war dieſe auſſerordentliche Vermehrung der Nachkommen Abrahams ehemahls ſehr noͤthig, theils wegen der groſſen Niederlagen, die ſie von den Heiden erlitten, theils weil ſie ſich unter andere Voͤlker verbreiten ſollten, um die Erkaͤnntniß des einigen und wahren Got - tes unter den Heiden zu befoͤrdern. Nach - dem aber dieſer Zweck erhalten war und gan - ze heidniſche Voͤlker die wahre Religion annah - men, war dieſe Vermehrung nicht mehr noͤ - thig, und der Gebrauch, welcher die Verheiſ - ſung derſelben hatte, war weiter von keinem Nutzen und wurde daher im neuen Bunde aufgehoben.. Es war dieſes alles noͤthig und heilſam, um die goͤttliche Abſicht einer kuͤnftigen Erleuch - tung und Verbeſſerung des menſchlichen Geſchlechtes zu erhalten. Der auſſeror - dentliche Wachsthum der Nachkommen Abrahams, die beſondern Umſtaͤnde, wel - che ſich dabey begaben, dieneten alle zum Beweiſe, daß der Gott Abrahams der ei - nige und wahre Gott ſey. Abrahams Nachkommen ſollten ein maͤchtiges Volk ausmachen, und Abraham und Sara wurden alt, ehe ſie denjenigen Sohn er - hielten, welcher dieſes geſeegnete Geſchlecht fortpflanzen ſollte. Gott erfuͤllete indeſſen ſeine Zuſage, und bewieß dadurch, daß er wahrhaftig und ein allwiſſender Regente der Natur. Und wie viel beſonderes hat der Lebenslauf des Jſaacs und des Jacobs,welches53welches dieſe Ertztvaͤter in der Erkaͤnntniß und Verehrung des einigen Gottes be - ſtaͤrkte?
Beſonders aber ſuchte der weiſeſte GottDie Aus - fuͤhrung aus Egy - pten befe - ſtigte die wahre Re - ligion un - ter den Jſraeliten. den Jſraeliten einen unausloͤſchlichen Ein - druck von ſeinem Weſen und erhabenſten Eigenſchaften zu geben, indem er ſie in die traurigſte Sclaverey in Aegypten gerathen ließ, und ſie aus ſelbiger mit der maͤchtig - ſten Hand auf die wunderbahrſte Arth er - rettete und zu einem eigenen und freyen Volke machte, und ihnen das Land der Verheiſſung einraͤumete. Es herrſchte in jenen finſtern Zeiten, wie ſchon bemerket worden, die Meynung, daß viele Goͤtter waͤren, und daß der eine maͤchtiger waͤre, wie der andere. Man beurtheilete aber die Macht eines Gottes vorzuͤglich nach den Siegen, ſo er dem einen Volke wider die Verehrer anderer Gottheiten gab. Sollte derowegen das Jſraelitiſche Volk uͤberzeu - get werden, daß der Gott Abrahams all - maͤchtig, ſo geſchahe dieſes am leichteſten durch Bezwingung maͤchtiger Voͤlker. Gott fuͤgete es derowegen durch die groſſe Verbindung der Welt, daß in Aegypten ein recht maͤchtiger Koͤnig auftrat, und ließ es geſchehen, daß derſelbe die Jſraeliten in die groͤßte Sclaverey ſetzte und durch die haͤrteſten Arbeiten, ſo er ihnen aufer -D 3legte,54legte, aufzureiben ſuchte, nachdem ſchon vorher ein andrer Koͤnig eben dieſen End - zweck dadurch erhalten wollen, daß er ge - bothen, alle iſraelitiſche Knaben ſogleich bey der Geburt zu toͤdten. Hierdurch noͤthigte der Weiſeſte die Jſraeliten, an den Gott ihres Stamm-Vaters des Abra - hams zu gedenken und ihn mit dem groͤßten Verlangen zu ſuchen. Da ſie derowegen zu ihn ſchrien, nahm er ſich ihrer an, und vernichtete die Anſchlaͤge der Aegypter. Beſonders zerbrach Gott die Macht des letztern Tyrannen, unter welchem ſie ſeuf - zeten, ohne menſchlichen Arm, und fuͤhrete die Jſraeliten aus, und machte ſie zu einem freyen Volke, und bewies dadurch, daß ſeiner Macht niemand widerſtehen koͤnne, und daß er alleine Gott ſey.
Es war aber die damahlige Welt noch viel zu roh und ungebauet, als daß ein ſol - cher Beweis einen beſtaͤndigen Eindruck in den Gemuͤthern behalten und die irrige Mei - nung von mehrern Goͤttern auf einmahl ganz erſticket und aufgehoben haͤtte. Mei - nungen, die man in der Kindheit eingeſogen, ſetzen ſich viel zu feſte in der Seele, als daß ſie auf einmahl weggeſchaffet werden koͤnn - ten. Und weil die Meinungen von den Vaͤtern auf die Kinder fortgeerbet werden, ſo gehoͤret unglaublich viel dazu, ehe einVolk55Volk Meinungen verlaͤſſet, die einmahl die Herrſchaft darunter erhalten. Wie lange wird unter uns Chriſten wider allerhand thoͤrichten Aberglauben gearbeitet, und wie ſtark haftet er noch in den mehreſten Ge - muͤthern? Wie lange beſtreitet man die Thorheit der Hexereyen? Und es finden ſich noch immer Leute, die da glauben, daß man hexen koͤnne. Ja ich habe Leute ge - funden, welche dieſe Kunſt ihnen ſelber zugetrauet haben. Es gehoͤrete daher ſehr viele Zeit und unglaublich viele Anſtalten dazu, die Erkaͤnntniß des einigen Gottes bey dieſem Volke feſt und unbeweglich zu machen. Er gab ihnen zu dieſem Ende ein Geſetz, welches ſie von allen Voͤlkern der Erden unterſchied und auch trennete, und verband damit ſolche Belohnungen und Strafen, die endlich durchdrangen und die Meinung, daß mehrere Gotter waͤren, gaͤnz - lich aus ihren Gemuͤthern verbanneten.
Das Geſetz, ſo Gott dem JſraelitiſchenVon dem Moſaiſchen Geſetz uͤber - haupt, und deſſen goͤtt - licheu Ur - ſprunge. Volke durch den Moſes gegeben, verdie - net beſondere Achtung, indem es die deut - lichſten Zeichen eines goͤttlichen Urſprun - ges in ſich ſelber hat, und eine goͤttliche Weisheit auch in denen Anordnungen zei - get, welche heutiges Tages einigen, die ſolche Dinge auf eine leichtſinnige Arth betrach - ten, nicht erhaben genug zu ſeyn ſcheinen. D 4Die56Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz und gar die Einſichten und den Geſchmack der damahligen Zeiten und enthalten An - ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug - heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei - ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge - brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End - zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die Verehrung eines einigen und unſichtbahren Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder - dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf - fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er - geben war? Aaron folgte den Regeln ei - ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei - nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den Aberglauben unterthaͤnig machen wollte, wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber - glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh - le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih - nen auch wol lehren, wie ſie falſche und wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die - ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh - ret*)5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22. und dadurch bewieſen, daß er einehrli -57ehrlicher Mann geweſen. Wie ſollte fer - ner ein Menſch darauf verfallen und die Anordnung machen, daß ein ganzes Volk allezeit das ſiebente Jahr gar nichts ſaͤen, pflanzen und erndten und ſich darauf ver - laſſen ſollte, daß ihm Gott allezeit einen gedoppelten Seegen ſchenken wuͤrde? Ein ſolches Geſetz aber wurde den Jſraeliten durch den Moſes gegeben*)3 B. Moſ. C. 25. Die Gottesgelehrten reden von einem Zeug - niſſe des heiligen Geiſtes, wodurch er diejenigen von der Goͤttlichkeit der Offenbahrung uͤber - zeuge, welche dieſelben mit Aufmerkſamkeit le - ſen. Da nun dieſes Zeugniß vielen ſehr ver - daͤchtig vorkommt, weil ſie nicht wiſſen, wor - inne ſelbiges eigentlich beſtehe: ſo will ich ver - ſuchen, ob ich einen Theil davon in etwas be - greiflich machen kann. Ein jeder Schriftſtel - ler, der ſich anders kund giebet, zeuget ins - gemein durch ſeine Schrift ſelber, ob ſie von ihm herkomme oder nicht, und wenn wir ſie leſen, ſo kann man ſehr oft aus den innern Merkmalen derſelben, beſonders, wenn man ſie mit einigen aͤuſſerlichen Umſtaͤnden zuſam - menhaͤlt, wahrnehmen und zu Zeiten durch ein innerliches Gefuͤhl empfinden, ob eine Schrift von einem gewiſſen Verfaſſer herkom - me oder aber nicht. Weiß man zum Exempel aus andern Nachrichten, daß er ein ehrlicher Mann geweſen, und er erzaͤhlet Umſtaͤnde von ſich ſelber, welche ſich auf Niemand als ihn ſchicken, und die Niemand als er wiſſen koͤn - nen, und doch mit der uͤbrigen bekannten Ge - ſchichte dergeſtalt uͤbereinſtimmen, daß manſie.
D 5Dieſe58Dieſe und viele andere Umſtaͤnde ſind die deutlichſten Merkmahle, daß das Ge - ſetz des Moſes keine menſchliche Erfindungſey,*)ſie nicht wol fuͤr erdichtet halten kann, ſo gie - bet ſolches die groͤßte Wahrſcheinlichkeit, daß die Schrift von ihm ſey. Ja man kann da - durch zu Zeiten einen Schriftſteller errathen, der ſich nicht einmahl genannt hat. Kommt dieſes noch hinzu, daß man einen Schriftſteller perſoͤnlich gekannt, ſeine Arth zu denken und ſich auszudruͤcken oft gehoͤret; ſo kann man, wenn man eine Schrift von ihm lieſet, mit ziemlicher Gewißheit durch das innere Gefuͤhl empfinden, ob ſelbige Schrift von ihm ſey oder nicht. So bezeichnet und bezeuget ſich der Geiſt Gottes ſelber in der Schrift bey auf - merkſamen und unpartheyſchen Leſern, durch die erhabenen Vorſtellungen von Gott, welche die Begriffe der damahligen Zeiten weit uͤber - ſteigen, durch Anordnungen, darauf unmoͤg - lich ein Menſch verfallen koͤnnen, durch die er - habenen Tugenden, die damahls niemand, beſonders dem gemeinen Manne, gelehret, durch die Weiſſagungen und durch allerhand praͤch - tige Ausdruͤcke, deren ſich niemand von den alten Geſetzgebern bedienet. Es heiſſet im - mer: ſo ſpricht der Herr, und hiermit wer - den entweder die groͤßten Wunder in den Au - gen vieler tauſend verrichtet, oder der Geiſt Gottes beziehet ſich auf ſolche, die in den Au - gen vieler tauſend geſchehen, oder auf Weiſ - ſagungen, deren Erfuͤllung die goͤttlichen Aus - ſagen bekraͤftigen. Die Heiden berufen ſich zwar auch auf Wunder, aber ſie ſind ſehr laͤppiſch, und es fehlet ihnen eine goͤttliche Pracht, eine erhabene goͤttliche Abſicht, und eine ge -hoͤrige59ſey, ſondern einen goͤttlichen Urſprung ha - be. Es wird ſelbiger aus folgenden noch mehr beſtaͤrket.
§. 24.*)hoͤrige Menge Zeugen, in deren Gegenwart ſie geſchehen. Sie haben auch ihre Orakel oder Weiſſagungen. Sie ſind aber oft ſehr zweydeutig und fuͤhren niemahls zu der Er - kaͤnntniß des einigen Gottes und zu einer lieb - reichen Gemeinſchaft mit demſelben. Man kann das Goͤttliche der Offenbarung auch ei - nigermaſſen durch das innere Gefuͤhl empfin - den. Man leſe alle alte heidniſche Geſetzge - ber, Weiſen und Dichter. Man leſe darauf zum Exempel aus dem 5 B. Moſ. das 32 Cap. Joſ. C. 24. Pſalm 51. 95. 103. 104. 119. 139. den Jeſaias, den Jeremias. Wird man nicht etwas fuͤhlen, ſo uns Andacht, Erkaͤnntlich - keit gegen den Allmaͤchtigen einfloͤſſet? Wird man dieſe Wirkung jemahls bey Leſung derer - jenigen heidniſchen Weiſen und Dichter, wel - che vor den Zeiten des Evangelii gelebet, bey ſich ſpuͤhren? Auf dieſe merkliche Arth bezeu - get ſich der Geiſt Gottes in dem Jnwendigen ſeines Wortes und in dem Jnnern einer Seele, welche ſelbiges mit Aufmerkſamkeit lieſet. Wir ſagen aber nicht, daß jemand hierbey ſoll ſtehen bleiben, ſondern man muß die aͤuſſer - lichen Kennzeichen mit dazu nehmen, weil ſonſt jemand leicht von einer ſchwaͤrmenden Einbildungskraft kann betrogen werden, und auch eine andere Schrift, welche ihre Be - griffe und Ausdruͤcke aus der Offenbahrung entlehnet, aͤhnliche Empfindungen verurſachen kann. Hiemit aber leugne ich auch keines - weges, daß zugleich eine beſondere Wirkung des heiligen Geiſtes an der Seele arbeite undſie
Das vornehmſte und erſte Grundge - ſetz unter den Anordnungen des Moſes oderviel -*)ſie auf eine uns unbekannte Arth im Glau - ben befeſtige. Jch habe nur dasjenige von dieſem Zeugniß des heiligen Geiſtes er - klaͤren wollen, was uns davon anjetzo be - greiflich iſt. Uebrigens glaube ich von den Wirkungen des Geiſtes Gottes folgendes. Da alle Creaturen einer Erhaltung noͤthig haben, ſo erhellet ſchon daraus, daß Gott in alle Geſchoͤpfe wirke und ihnen gegenwaͤrtig ſey, Apoſtelgeſch. C. 17. v. 27. 28. Epheſ. 4. v. 6. Hebr. C. 1. v. 3. Er wirket aber in alle Geſchoͤpfe zu demjenigen Zweck, wozu ſeine Weisheit ſie beſtimmet hat. Dieſe Wir - kung aber hat bey dem Menſchen in der ge - genwaͤrtigen Welt vorzuͤglich die Vorberei - tung deſſelben zu einer ſeligen Ewigkeit zum Ziel, und dieſe wird beſonders dem heiligen Geiſte zugeeignet, 1 Cor. C. 6. v. 19. C. 12. v. 3. Roͤm. C. 6. v. 9. 14. 26. C. 15. v. 13-16. Epheſ. C. 3. v. 16. 1 Pet. C. 1. v. 2. Wie aber die Kraft Gottes, welche in die Coͤrper wirket, gewiſſe Umſtaͤnde erfordert, unter welchen dieſe oder jene Veraͤnderung dadurch erfolget, ſo iſt dieſes auch bey den Wirkun - gen Gottes an den menſchlichen Seelen noͤ - thig. Gott hat in ein Saamenkorn eine wach - ſende Kraft geleget, und wirket in ſelbige zu ihrer Erhaltung, und folglich auch zu ihrem Wachsthum. Soll aber dieſer Wachsthum in der That erfolgen, ſo muß es in ein Land fallen, wo es von der Sonne beſchienen und von den Wolken befeuchtet wird, und folglich die wachſende Kraft ſich hervor thun kann. So61vielmehr Gottes war, es ſolle nur ein ei - niger Gott als das hoͤchſte Weſen und Schoͤpfer und Regierer aller Dinge er -kannt*)So muß die menſchliche Seele das Wort Got - tes hoͤren und ſich der goͤttlichen Sacramente bedienen, wenn die Kraft des heiligen Geiſtes, die ſich an dieſe Mittel bindet, in ihr das geiſtliche Leben hervorbringen ſoll. Jch habe dieſes kuͤrzlich beruͤhren wollen, damit bey Niemanden in den Verdacht gerathe, als wenn uͤber die Wirkungen des heiligen Geiſtes nicht nach den Grundſaͤtzen unſerer Kirche daͤchte. Jn eben dieſer Abſicht will noch an - fuͤhren, wie ich bey einem gewiſſen Schluſſe denke, wodurch man zu beweiſen ſuchet, daß der heil. Geiſt heutiges Tages nicht mehr an den Seelen der Menſchen wirke, ſondern alles auf die Vorſtellungen desjenigen Wortes an - komme, ſo der Geiſt Gottes ehemahls heiligen Menſchen geoffenbahret und mit Wundern be - kraͤftiget hat. Sie ſagen: da jetzt keine un - mittelbahre Offenbarungen in den Seelen der Menſchen mehr geſchehen, ſondern alle zum Heil wirkende Vorſtellungen durch das Wort gewirket werden, ſo finden auch heutiges Ta - ges uͤberall keine Wirkungen des heil. Geiſtes in den Seelen der Menſchen ſtatt, ſondern die Erleuchtung, Bekehrung und Heiligung wer - den allein durch das Wort Gottes bewirket. Denn der Verſtand wird durch nichts, als Ueberzeugungsgruͤnde zum Beyfall gebracht, und der Wille nur durch Bewegungsgruͤnde geleitet. Beide Arthen von Gruͤnden aber werden heutiges Tages nicht durch eine un - mittelbahre Offenbahrung, ſondern allein durch das Wort in die Seele gebracht. Jchſetze62kannt und verehret werden, und weil nichts koͤnnte gemacht werden, ſo ihm aͤhnlich waͤre, ſo ſollte aller Bilderdienſt gaͤnzlich abgeſtellet ſeyn, und auſſer ihm ſolle nichts als eine Gottheit angebetet werden. Jn der ganzen Geſchichte finden wir kein eini - ges Exempel, daß die bloſſe Vernunft je - manden auf dieſes Geſetz gefuͤhret. Kein einziger Philoſoph unter den Heiden hat den Satz durch philoſophiſche Beweiſe feſtge - ſetzet, daß nur ein einiger Gott ſey. Es ſind zwar einige, beſonders nach den Zeiten des Chriſtenthums, dahin gekommen, daß ſie nur einen einzigen allerhoͤchſten Gott geglaubet; die Gruͤnde aber, womit ſie dieſe Wahr - heit zu beweiſen geſuchet, ſind ſo ſchlecht, daß ſie uns heutiges Tages nicht uͤberzeu -gen*)ſetze dieſem Schluſſe folgendes entgegen. Die Erfahrung lehret, daß zu unſerer Ueberzeu - gung und Neigung des Willens mehr, als Gruͤnde noͤthig ſind, naͤmlich ein Zuſtand der Seele, bey welchem Gruͤnde einen Eindruck in ſelbige machen koͤnnen. Sehen wir nicht bey milzſuͤchtigen Perſonen, wie die Seele ſo gar durch den Leib gehindert werden kann, die Kraft der ſtaͤrkſten Troſtgruͤnde zu empfinden? Muͤſſen dieſen Gruͤnden nicht je zu Zeiten Arzeneyen und mineraliſche Waſſer zu Huͤlfe kommen, ehe ſie uͤberzeugen und beruhigen? Kennen wir alle Hinderniſſe, die bey einer Seele zu haben ſind, wenn ſie uͤberzeuget und geruͤhrt werden ſoll? Koͤnnen nicht einige ſeyn, die ſelbſt der Geiſt Gottes zu heben hat?63gen wuͤrden. Auſſerdem aber nahmen ſie noch Gottheiten an, welche unter dem hoͤch - ſten Gott ſtanden und von demſelben einen gewiſſen Theil der Welt zu beherrſchen uͤber - kommen und daher als Untergottheiten mit Opfern und andern Gottesdienſten verehret werden mußten. Dieſes war die Leh - re derer, die am allerbeſten von Gott ge - ſchrieben*)Man leſe hieruͤber pfanneri Syſtema Theo - logiae gentilis purioris Cap. 11. §. IX-XVII. und bemerke insbeſondere, welche Weiſen vor oder nach den Zeiten Chriſti geſchrieben, und was fuͤr Gruͤnde man gebrauchet dieſes oder jenes von Gott zu beweiſen. Noch mehrere Nachricht hiervon kann man finden in den vortreflichen deutſchen und lateiniſchen Werken des be - ruͤhmten Herrn Brnckers uͤber die philoſo - phiſche Hiſtorie. . Und was iſt dieſes Wunder? da man erſt in unſern jetzigen Zeiten einige ertraͤgliche Gruͤnde gefunden, um die Einig - keit Gottes aus der bloſſen Vernunft dar - zuthun. Sie haben aber die Klarheit noch nicht, daß man ſie dem groſſen Haufen koͤnnte faßlich machen**)Ja ein beruͤhmter Philoſoph unſerer Zeiten ſchreibet ſo gar: Neſcio, quid animum adhue revocet, quo minus admittere Deo coæternum mali principium hactenus queam. Conf. car - povii Elementa Theologiæ Naturalis Part. II. Cap. III. §. 1121 Schol. 6. pag. 780.. Und was hat die Vernunft fuͤr Gruͤnde, womit ſie voͤllig ausmachen koͤnnte, daß der hoͤchſte Gottkeine64keine Untergottheiten geordnet, welche ei - nen Theil der Welt regierten? Moſes hat derowegen auch keine philoſophiſchen Gruͤn - de gebrauchet, um die Einigkeit Gottes feſt zu ſetzen, ſondern es heiſſet bey ihm: Gott ſprach*)2 B. Moſ. Cap. 20, v. 1. 5 B. Moſ. C. 4. v. 32. 33., und berufet ſich dabey auf die Wunder, ſo das Volk geſehen. Mit dieſem Geſetz, nur einen Gott zu erkennen und zu verehren, wird zugleich eingeſchaͤr - fet: Du ſolt den Herrn deinen Gott lieb haben von ganzem Herzen, von gan - zer Seele, von allem Vermoͤgen,**)5 B. Moſ. C. 6. v. 4. 5. und hiermit wird auf das Weſentliche al - les wahren Gottesdienſtes gedrungen. Mit dieſem Geboth hat denn Gott ferner alle diejenigen Geſetze verbunden, welche in der Natur einer gluͤcklichen Geſellſchaft ge - gruͤndet ſind, und ohne deren Beobach - tung ſelbige nicht beſtehen kann. Vor andern iſt die Liebe des Naͤchſten ſehr ein - geſchaͤrfet worden. Du ſollſt nicht rach - gierig ſeyn, noch Zorn halten gegen die Kinder deines Volkes. Du ſollſt dei - nen Naͤchſten lieben wie dich ſelbſt***)3 B. Moſ. C. 19. v. 18.. Jnsbeſondere wurde ihnen mit dem groͤß - ten Nachdrucke anbefohlen, gegen die Armen, Wittwen, Waͤiſen und Fremd -linge65linge barmherzig zu ſeyn*)3 B. Moſ. C. 19. v. 33. 34. 5 B. Moſ. C. 27. v. 19. C. 15. v. 4-15.. Auch die Sclaverey wurde ſehr eingeſchraͤnket**)3 B. Moſ. C. 25. v. 39. u. f.. Ja Gott verband ſie ſo gar gegen das Vieh mitleidig zu ſeyn, und beſtimmte auch die - ſem eine Ruhe***)2 B. Moſ. C. 23. v. 12.. Ueberall ordnete Gott ſolche Geſetze, die das Gemuͤth nach und nach von der groben Wildheit der da - mahligen Zeiten zuruͤckfuͤhren und liebrei - cher und zaͤrtlicher machen ſollten****)Die Einwendungen, ſo hiergegen aus dem Geboth der Verbannung einiger Cana - nitiſcher Voͤlker gezogen werden koͤnnen, ſol - len weiter unten gehoben werden..
Die Seele des Menſchen wohnet inAbſicht des Cere - monialge - ſetzes. einem groben Koͤrper, und alle ihre Ge - danken fangen von gewiſſen Empfindun - gen an, die durch die Sinne in ihr erre - get werden, und die Bewegungen und Begierden, ſo dadurch in ihr entſtehen, wuͤrken wieder auf den Leib und aͤuſſern ſich durch denſelben, wenn man ſolches nicht durch einen Widerſtand hindert. Die Seele bleibet daher in einer traͤgen Unempfindlichkeit, wenn ſie nicht durch die Sinne gereizet wird. Wenn aber leb -hafteJac. Betr. 4. Band. E66hafte Empfindungen in die Seele dringen, ſo ſetzen ſie Seele und Leib in muntere Ar - beit und Bewegung. Der Menſch ge - langet zwar nach und nach zu einiger Ver - nunft, und lernet aus den empfundenen Dingen andere Vorſtellungen zu machen, welche nicht in die aͤuſſern Sinne fallen. Es pflegen aber ſolche Vorſtellungen eine geringe Kraft zu haben, wenn nichts Sinn - liches damit verbunden wird. Es haben daher alle kluge Anfuͤhrer der Voͤlker ſich des Sinnlichen bedienet, wenn ſie ſelbige in eine muntere Bewegung ſetzen und ih - nen ein Leben geben wollen. Und wie kluͤglich beobachtet man ſolches noch heuti - ges Tages bey dem Soldatenſtande? Vor - ſtellungen, die nur die Vernunft faſſet und ſich zu weit von dem Sinnlichen entfernen, haben deſto weniger Nachdruck, je weniger die Vernunft bey einer Perſon gebauet iſt. Wer einen einfaͤltigen Landmann, der in der Kindheit keine guten Eltern, Schul - meiſter und Prediger zu Anfuͤhrern gehabt, fuͤr einen falſchen Eid warnen ſoll, und haͤlt demſelben blos Himmel und Hoͤlle vor, der wird ihn weniger in Bewegung ſetzen, als derjenige, der ihm ſaget, daß ſein Vieh verrecken werde, wenn er falſch ſchwoͤret. Wollte man derowegen auch bey der Verehrung des unſichtbahren Got - tes alles Sinnliche weglaſſen, ſo wuͤrde dieſelbe ſehr todt ſeyn und bey den aller -mehreſten67mehreſten ganz und gar in die Vergeſſen - heit gerathen. Der eigentliche und we - ſentliche Gottesdienſt, naͤmlich die innere Verehrung des Hoͤchſten, und die daher entſtehende wahre Tugend, muß durch et - was Sinnliches unterhalten werden. Es muß deſſelben deſto mehr ſeyn, je ungebaue - ter der Verſtand des Menſchen iſt. Weil dieſes aber leicht einen andern Fehler nach ſich ziehet, daß man naͤmlich bey dem aͤuſ - ſerlichen ſtehen bleibet und auf die innere Verehrung Gottes nicht achtet, ſo iſt gut, daß man von dem Sinnlichen immer mehr und mehr zuruͤck laͤſſet, nachdem die Be - griffe der Vernunft wachſen. Etwas muß aber allezeit bleiben, ſo die Sinne ruͤhret. Gott hat dieſes ſehr weislich be - obachtet. Als er jenes rohe und annoch ungebauete Volk in der Erkaͤnntniß und Verehrung des einigen und wahren Be - herrſchers Himmels und der Erden befeſti - gen, und aus dieſem Volke eine ſo ſelige Erkaͤnntniß uͤber die ganze Erde verbrei - ten wollte, erforderte die Weisheit einen ſehr ſinnlichen und praͤchtigen aͤuſſerlichen Gottesdienſt anzuordnen. Er gab ihnen eine anſehnliche Prieſterſchaft, große Feſte, und viele Opfer. Dieſes alles aber zie - lete auf zweyerley ab. Es ſollte ſie naͤm - lich in einer lebendigen Erkaͤnntniß des ei - nigen Gottes, und daß ihr ganzes Gluͤck von ihm herkaͤme, und in der ErkaͤnntnißE 2ihrer68ihrer Suͤnden, und daß ſelbige den Tod und die Verſtoſſung von Gott nach ſich zoͤgen, erhalten. Auf das erſtere fuͤh - reten die Feſte und Dankopfer, und auf das letztere die Suͤndopfer und die jaͤhr - liche Verweiſung eines Bockes in die Wuͤ - ſte. Zugleich aber waren dieſe heiligen Gebraͤuche ſo eingerichtet, daß ſie das Zukuͤnftige, ſo Gott durch Chriſtum ord - nen wollte, abſchatteten, und die Gemuͤ - ther in der Hoffnung auf denjenigen er - hielten, von welchem dem Abraham die Verheiſſung geſchehen, daß in ihm alle Voͤlker geſegnet werden ſollten, und ſie auf dieſe ſelige Zeit vorbereiteten*)Coloſſ. C. 2. v. 17. Hebr. C. 20. v. 1.. Als aber die Welt nach und nach in eine ſol - che Verfaſſung gekommen, daß ſie durch Chriſtum einer groͤſſern Erleuchtung konnte theilhaftig werden, ſo konnte jenes Schat - tenwerk abgeſtellet und die Gemuͤther naͤ - her und mit wenigerem Umſchweife auf das Weſentliche des Gottesdienſtes gelei - tet werden. Jedoch mußte etwas aͤuſſer - liches bleiben, wodurch die Sinne zu Zei - ten geruͤhret, der Verſtand auf das Un - ſichtbahre gezogen und die Andacht er - wecket wird. Es mußte auch etwas ſeyn, wodurch wir unſere Achtung, Ehrerbie - tung und Dankbarkeit gegen Gott andern zu erkennen geben, und wodurch einer denandern69andern zu einer heiligen Verehrung Got - tes reizet und aufmuntert. Daher iſt ein oͤffentlicher Gottesdienſt auch in der Kirche neues Bundes gelaſſen und die Taufe und das Abendmahl geordnet worden.
So hat Gott auch gewiſſe Verord -Wie Gott geſuchet das Ge - muͤth der Jſraeliten zaͤrtlich zu machen. nungen gemacht, um durch etwas Sinnli - ches ein zaͤrtlicher Gefuͤhl und die Menſch - lichkeit bey jenem rohen Volke zu befoͤr - dern. Sie mußten ſich ſehr viel waſchen und baden, theils um ſich an eine aͤuſſer - liche Reinigkeit zu gewoͤhnen, theils ſich dabey zu erinnern, daß Gott rein und heilig ſey, und reine und heilige Seelen liebe*)3 B. Moſ. C. 15. Jeſ. C. 1. v. 16. Jerem. C. 2. v. 22.. Sie durften kein Blut eſſen, weil das Leben eines Menſchen und eines Thieres in dem Blute ſey, und ohne daſ - ſelbe aufhoͤre, und daher, als etwas ſehr ſchaͤtzbahres zum Altar gegeben ſey, die Seelen damit zu verſoͤhnen**)3 B. Moſ. C. 17. v. 10-14.. Ein je - der merket gar leicht, daß ihnen dieſes Ge - ſetz ſollte das Blut hoch ſchaͤtzen lehren, und ihnen beſonders eine groſſe Achtung gegen das Blut eines Menſchen beybrin - gen, und folglich von dem leichtſinnigen Morden abfuͤhren, und ihrem GemuͤtheE 3nach70nach und nach eine groͤſſere Zaͤrtlichkeit ein - floͤſſen. Sie ſollten ſogar gegen das Vieh mitleidig ſeyn und einem dreſchenden Ochſen das Maul nicht verbinden*)5 B. Moſ. C. 25. v. 4.. Sie ſollten ferner den Thieren, die ihre Arbeit verrich - teten und ihre Laſten trugen, eine Ruhe goͤn - nen**)2 B. Moſ. 23. v. 12.. Alle ſolche Geſetze fuͤhren zum Mitleiden, und helfen zu einem zaͤrtlichen Gefuͤhl, und folglich auch zur Menſchen - liebe.
Alle dieſe hoͤchſt weiſen Ordnungen wuͤr - den aber wenig gefruchtet und ihren Zweck niemahls erreichet haben, wenn der Herr nicht noch andere Veranſtaltungen damit verbunden. So bald die Jſraeliten mit den Heiden in Gemeinſchaft traten, und ſich beſonders mit ſelbigen verehlichten, ſo gien - gen ſie von der Verehrung eines einigen Gottes gar bald ab, und verlieſſen entwe - der den Dienſt des unſichtbaren Gottes ganz, oder baueten den Goͤtzen ſowol Al - taͤre als dem Jehova†)B. d. Richter Cap. 3. v. 5. 6. 7.. So gar der wei - ſe Salomo ließ ſich durch heidniſche Ge - mahlinnen zu dieſer Thorheit verfuͤhren††)1 Koͤnige Cap. 11. v. 4. 5.. Sollte derowegen der Goͤtzendienſt und die heidniſchen Sitten irgend einmahl aus demJſraeli -71Jſraelitiſchen Volke ganz hinweggeſchafft werden, ſo mußte ihnen alle genaue Ge - meinſchaft mit den Heiden unterſaget, und ihnen aus Noth ein groͤſſerer Abſcheu und Haß wider dieſelben eingefloͤſſet werden, als ſonſten der allgemeinen goͤttlichen Men - ſcheniiebe gemaͤß war. Zu dem Ende wur - de durch allerhand Geſetze ein ſtarker Zaun zwiſchen die Jſraeliten und die Heiden ge - flochten*)Epheſ. Cap. 2. v. 14., und damit bey dieſem Volke ein ſinnlicher Ekel wider die Heiden ent - ſtehen moͤchte, wurde ihnen allerhand Fleiſch verbothen, woraus die benachbahrten ab - goͤttiſchen Voͤlker Leckerbißgen machten**)Man findet dieſes mit mehrern in der IV. Betracht..
Dieſes alles aber war doch noch nichtStrafge - ſetze wider die Abgoͤt - terey und wie ſelbige von einem Gewiſſens - zwange un - terſchieden. genung jenes Volk bey der Verehrung des einigen Gottes und den davon abhangen - den Tugenden zu erhalten. Zu dieſen weiſen Geſetzen mußte eine ſehr ſtrenge Zucht kom - men. Die emfindlichſten Strafen mußten denſelben einige Kraft geben. Wenn ein - zelne Perſonen von den Jſraeliten einen Goͤtzendienſt anrichteten, ſo war die Stra - fe der Steinigung darauf geſetzet. Oder wenn eine einzelne Stadt dergleichen that, ſo ſollten die Buͤrger getoͤdtet und die StadtE 4ge -72geſchleifet werden*)5 B. Moſ. Cap. 13.. Es findet dieſes Ge - ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn - den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje - nigen, welche mit ihnen in Religionsſa - chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver - theidigen damit das grauſame und traurige Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer, welches doch keinesweges mit der Lehre und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer - den. Wir finden nirgend einen Befehl, daß das Schwerdt der Obrigkeit wider irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden. Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes angeprieſen. Und die Urſach, warum Je - ſus ſeinen Juͤngern unterſaget**)Matth. Cap. 13. v. 28. 29. das Un - kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet auch das Schwerdt der Obern wider die Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver - draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht - glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr - glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un - ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen, ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf - tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinungder73der Vielgoͤtterey an. Er zweifelte alsdenn nicht, daß Jehova ein Gott ſey, er war aber mit deſſen Regiment nicht mehr zu - frieden, und hoffte bey einem andern Gotte mehr Gluͤck zu haben*)2 Chron. C. 28. v. 23., oder er wollte ſie beide zu Freunden haben und beiden die - nen. Es war ſehr gewoͤhnlich, daß die Voͤlker ordentliche Buͤndniſſe mit ihren Gottheiten machten**)Judith. C. 11 v. 17.. Die Jſraeliten aber hatten das Buͤndniß mit Gott gemacht, daß ſie keine andere Gottheit neben ihm eh - ren wollten, er aber hatte ihnen unter die - ſer Bedingung das gelobte Land eingege - ben. Wenn ſie derowegen dieſen Bund brachen, ſo begiengen ſie das Verbrechen eines Ueberlaͤufers, der ſich an einer gewiſ - ſen Fahne verpflichtet, und ſelbige in der Hoffnung verlaͤſſet, es bey einer andern Fah - ne beſſer zu finden. Ein ſolcher machet ſich eines Verbrechens ſchuldig und iſt aller - dings ſtrafbar. Ein Jſraelite, der den Goͤtzen opferte, wurde derowegen nicht ge - ſtrafet, weil er irrete und nicht wuſte, daß Jehova Gott waͤre, ſondern weil er wußte und bekannte, daß Jehova Gott waͤre, aber mit deſſen Regierung und dem Gluͤck, ſo er ihm gab, nicht zufrieden war, und alſo aus Unwillen und Trotz einem Goͤtzen opferte. Oder geſchahe es aus Gefaͤlligkeit gegenE 5eine74eine heidniſche Frau, ſo hatte er ſich da - durch verſuͤndiget, daß er ſich mit ſelbiger in ein ehliches Buͤndniß eingelaſſen. Nir - gend aber hat Gott der Jſraelitiſchen Obrig - keit aufgegeben, jemanden zu ihrem Glau - ben zu zwingen. Sie durften heidniſche Knechte und Maͤgde haben*)3 B. Moſ. C. 25. v. 44., ſie hat - ten aber kein Geboth von Gott, ſelbige zum Jſraelitiſchen Glauben und Gottes - dienſte mit Gewalt zu noͤthigen. Wie es denn auch unmoͤglich und thoͤricht iſt, den Verſtand zu zwingen. Er hat auch die Gewiſſensfreyheit auf das deutlichſte feſt geſetzet, und die Juden nie durch Zwang, ſondern durch Ueberzeugung zum Glauben gebracht. Ja er ließ ihnen die groͤßte Gewiſſensfreyheit auf dem letzten Land - tage des Joſua antragen**)B. Joſ. Cap. 24.. Nur woll - te Gott nicht, daß ſie auf beiden Sei - ten hinketen, und bald ihn, bald einen Goͤtzen verehreten. Allein Elias toͤdtete ja die Prieſter des Baals***)1 Koͤn. Cap. 18. v, 40.. Es iſt andem, er toͤdtete ſie; allein ſprach er: werdet Jſrae - liten und bekennet den Glauben derſelben, oder ich toͤdte euch. Sie wuͤrden ihr Le - ben gern durch eine ſolche Heucheley erhal - ten haben. Aber Elias verlanget derglei - chen nicht. Sie waren aber nicht bloßUn -75Unglaͤubige, ſondern Betruͤger und Boͤſe - wichter, und waren Urſach, daß Jeſebel die Propheten des Herrn getoͤdtet hatte, und man konnte ihnen mit Recht ein gleiches thun, nicht wegen ihrer Jrrthuͤmer, ſon - dern wegen ihrer Betruͤgereyen und Grau - ſamkeiten*)1 Koͤn. Cap. 18. v. 4.. Ach wie viel wuͤrde die Wahrheit gewinnen, wenn die Welt ein - mahl von dem traurigen Wahn abkaͤme, daß man wider Jrrende, wenn ſie ſich gleich keines Verbrechens ſchuldig machen, mit aͤuſſerlicher Gewalt verfahren und der Wahrheit durch das Schwerdt oder ande - re harte Mittel zu Huͤlfe kommen muͤßte?
Zu Zeiten, ja nur gar zu oft fielen gan -Wie end - lich die Neigung zur Abgoͤt - terey unter den Juden beſieget worden. ze Haufen, und nicht ſelten der groͤßte Theil der Jſraeliten den Goͤtzen zu. Der Menſch iſt naͤmlich ſelten mit ſeinem Gluͤck zufrie - den, und meynet immer, andere haben es beſſer, wie er. Die Jſraeliten ſahen de - rowegen die Umſtaͤnde der benachbahrten Heiden gar leicht mit ſcheelen Augen an, und ein unzufriedener Neid machte, daß ſie es viel groͤſſer erblickten, als es in der That war. Es hieß alsdenn: die Goͤtter der Heiden helfen ihnen. Wir wollen ihnen opfern, daß ſie uns auch helfen**)2 B. Chron. Cap. 28. v, 23.. Die Koͤnige der zehn Staͤmme hatten auchnoch76noch eine Staatsurſache, warum ſie den Goͤtzendienſt errichteten. Sie fuͤrchteten naͤmlich, ihr Volk moͤchte ſich zu den Koͤnigen Juda wieder wenden, wenn ſie des Gottes - dienſtes wegen nach Jeruſalem gehen muͤß - ten*)1 B. Koͤn. Cap. 12. v. 26-29.. Wenn nun ein groſſer Abfall geſchah, ſo fiel alle buͤrgerliche Strafe der Untreue hinweg. Gott begegnete alsdenn dieſem Ue - bel mit dem allerweiſeſten Mittel. Wenn naͤmlich die Jſraeliten bey andern Goͤttern ihr Gluͤck ſuchten, ſo machte er ſie am aller - ungluͤcklichſten. Er ließ Hunger und Peſt unter ſie kommen, er uͤbergab ſie ihren Fein - den, und ließ ſie empfinden, daß ſie ver - geblich auf die Huͤlfe eines Goͤtzen hoffeten. Wenn ſie ſich denn ganz huͤlfloß und ver - laſſen ſahen, ſo ſuchten ſie den Herrn den lebendigen Gott wieder. Nahm er ſich denn ihrer von neuen an, und ließ es ih - nen eine Zeitlang wieder wol gehen, ſo ver - gaſſen ſie nach und nach der vorigen Zei - ten, und wurden der Regierung des ei - nigen Gottes wieder uͤberdruͤßig, druckten und toͤdteten die Propheten des Herrn, und ſuchten abermahls fremde und todte Goͤtter, und noͤthigten den Allmaͤchtigen, ihnen von neuen zu zeigen, daß auſſer ihm kein Gott ſey. Und wer haͤtte denken ſollen, daß mehr den tauſend Jahre dazu gehoͤret, ehe die Erkaͤnntniß und Verehrung des einigenlebendigen77lebendigen Gottes in einem einzigen Volke haͤtte koͤnnen feſt und unbeweglich gemacht werden? Die Babyloniſche Gefangenſchaft mußte nach ſo vielen andern goͤttlichen Be - muͤhungen der Sache endlich den Ausſchlag geben, und der Wahrheit, daß nur ein ei - niger Gott ſey, einen unveraͤnderlichen Beyfall unter jenem ſo lange bearbeiteten Volke verſchaffen, und einen ewigen Ab - ſcheu wider die Abgoͤtterey in ihren Ge - muͤthern erwecken. So viele Jahre, ſo viele und groſſe Anſtalten, ſo viele und oft wiederholete Bemuͤhungen und ſo viele ſtandhafte Exempel ſolcher, die den einigen Gott bis zu einem Maͤrtyrer-Tode bekannt und durch denſelben verherrlichet, ſind bey ſo verhaͤrteten Sinnen der Menſchen noͤthig geweſen, um die Erkaͤnntniß des wahren Gottes und einen vernuͤnftigen Gottesdienſt in eine verfinſterte Welt zu bringen. Ehe wir auf den gluͤcklichen Zeitpunct fortgehen, da dieſe groſſe Wohlthat auch unter die Heiden gebracht worden, wollen wir aus dem vorhergehenden noch einige goͤttliche Einrich - tungen unter den Juden erklaͤren, welche manchen Perſonen anſtoͤßig ſcheinen.
Man findet nicht, daß Gott mit Ge -Warum mit den Geſetzen des Moſes Himmel und Hoͤlle nicht ver - bunden worden. ſetzen, ſo er ſeinem Volke durch den Moſes gegeben, ewige Belohnungen und Strafen verbunden. Es wird zwar uͤberhauptFluch78Fluch und Seegen damit verknuͤpfet; die - jenigen Belohnungen und Strafen aber, ſo nahmentlich angefuͤhret werden, bezie - hen ſich nur auf dieſes Leben und auf irdi - ſche Vortheile und deren Verluſt. Es ſind zwar die deutlichſten Spuhren da, daß denen Jſraeliten ſchon zu den Zeiten des Moſes die Unſterblichkeit der Seele und ein Leben nach dem Tode bekannt geweſen. Denn Moſes mußte ja die aberglaͤubiſche Befragung der Todten durch ein ausdruͤck - liches Geſetz verbieten*)5 Moſ. C. 18. v. 11.. Allein Gott be - dienete ſich dieſer Erkaͤnntniß nicht in dem geſchriebenen Geſetz, und auch in den uͤbri - gen heiligen Buͤchern des alten Bundes findet man ſeltener etwas, ſo ſich auf das Leben nach dem Tode beziehet, als in den Buͤchern des neuen Bundes, wo alles auf eine ſeelige Ewigkeit geleitet wird. Es hat mich dieſes ehemahls ſelber beunruhiget. Folgende Vorſtellungen aber haben mein Gemuͤth befriediget. Der vornehmſte Zweck der goͤttlichen Einrichtungen in jenen finſtern Zeiten war die Erkaͤnntniß des ei - nigen und wahren Gottes bey dem Jſrae - litiſchen Volk recht feſt zu ſetzen. Dieſes aber konnte durch die Verheiſſung eines Himmels und durch die Bedrohung mit der Hoͤlle nicht erhalten werden. Die Heiden droheten und verſprachen ein glei -ches.79ches*)Dieſes thaten beſonders die Aegypter. Man leſe ſolches in Bruckers Fragen aus der philoſophiſchen Hiſtorie Th. I. B. I. C. VIII. §. VII. S. 178.. Gott mußte mit ſeinen Geſetzen, welche die Verehrung eines einigen Gottes zum Hauptzwecke hatten, ſolche Beloh - nungen und Strafen verbinden, die zu - gleich uͤberzeugeten, auſſer dem Johova ſey kein anderer Gott. Eine ſolche uͤberzeu - gende Kraft aber haben die Vorſtellungen einer zukuͤnftigen Welt nicht, ſondern ſetzen vielmehr einen unendlichen und allmaͤchti - gen Gott zum voraus. Diejenige Arth aber, ſo der Weiſeſte erwaͤhlete, die Jſrae - liten an ſeine Geſetze zu binden, war zu - gleich der deutlichſte und eindringendeſte Beweis, daß er Gott und zwar ganz al - leine ſey. Wenn ſie ſich zu ihm hielten und ſeine Geſetze verehreten, ſo gab er ihnen fruchtbare Zeiten und Sieg wider die maͤchtigſten Feinde. Wenn ſie aber ſeiner muͤde wurden und ſeine Geſetze verlieſſen, ſo ſuchte er ſie mit allerhand Landplagen heim und uͤbergab ſie ihren Feinden. Und damit ſie nicht denken moͤchten, es fuͤge ſich ſelbiges ohngefaͤhr alſo, ſo ließ er ihnen die guten und boͤſen Verhaͤngniſſe mit ſol - chen Umſtaͤnden vorherſagen, daß kein Zweifel uͤbrig bleiben konnte, Gott regiere dieſe Schickſahle und verkuͤndige ſie ſeinenProphe -80Propheten. Dieſer Beweis war deut - lich und jedermann begreiflich, und dennoch von unuͤberwindlicher Staͤrke. Daher ſich auch die Propheten beſtaͤndig darauf berufen*)Jeſ. C. 34. v. 16. C. 41. beſonders v. 23. 29.. Zugleich aber enthielt er die triftigſten Bewegungsgruͤnde, dieſen Gott mit einem heiligen Gehorſam zu verehren.
Ferner ſcheinet es mir aus folgender Urſach in jenen aberglaͤubiſchen Zeiten nicht thunlich geweſen zu ſeyn, dem Jſrae - litiſchen Volke von einer kuͤnftigen Welt viel vorzuſagen und ihnen davon recht leb - hafte Vorſtellungen zu machen. Wuͤrde dieſes nicht die Abgoͤtterey ins Unendliche vermehret, wuͤrde nicht eine jede Familie ihre zu Gott erhabenen Vorfahren als Haus - und Familien-Goͤtter angebetet ha - ben? Hat doch das helle Licht des Evan - gelii nicht verhindern koͤnnen, daß nicht mitten in der Chriſtenheit ein groſſer Mis - brauch von dieſer ſo angenehmen Erkaͤnnt - niß gemacht worden. Hat man aus den vollendeten Gerechten nicht unzaͤhlige zu Patronen und Fuͤrſprechern erwaͤhlet, wel - che man weit haͤufiger anrufet und ver - ehret, als Gott ſelber? Was wuͤrde un - ter den Jſraeliten nicht geſchehen ſeyn, wenn ihnen ſolche Vorſtellungen von jenem Lebengemacht81gemacht worden, wie wir ſie in den Buͤ - chern des neuen Bundes finden*)Es ſcheinet aus Jeſ. C. 65. v. 4. zu erhel - len, daß die Jſraeliten ohnedem ſehr geneigt geweſen, bey den Graͤbern allerhand Aber - glauben zu treiben. Conf. Vitringae Com - ment. in Eſ. in h. l. Man leſe auch Buch der Weish. C. 14. v. 15.?
Endlich haben bey einem ungebauetenBeſchluß des vori - gen. Volke irdiſche Bewegungsgruͤnde weit mehr Kraft als die Vorſtellungen einer annoch unſichtbahren Welt. Jch erinnere mich, einſtmahl in der Faſtenzeit, an ei - nem Orte auf dem Lande geweſen zu ſeyn, wo die Faſtenpredigten von den Bauern ſchlecht beſuchet wurden, weil die Oſtern ſpaͤt in das Jahr fielen, und der Land - mann in den Faſten mit dem Pfluͤgen ſehr beſchaͤftiget war. Der Prediger an dem Orte ermahnete die Glieder ſeiner Ge - meinde nicht nur fuͤr den Leib zu ſorgen, ſondern auch zu Zeiten eine Stunde von der Arbeit abzubrechen, und ihrer Seele wahrzunehmen, um ſelbige zu einer ſeli - gen Ewigkeit zu bereiten. Dieſe Vor - ſtellung war bey den mehreſten vergebens. Es wurde aber ſelbiges Land zu eben der Zeit mit einem Kriege bedrohet. Der Prediger nahm daher Gelegenheit, ihnenJac. Betr. 4. Band. Fvorzu -82vorzuhalten, wie ſie ſich nur um den Bau ihres Landes, nicht aber um die Gnade deſſen, der das Gedeyen darzu geben muͤßte, bekuͤmmerten. Sie pfluͤgeten und ſaͤeten: Gott aber koͤnnte es fuͤgen, daß eine feindliche Senſe ihre Felder abmaͤhete: ob es daher nicht heilſam ſey, zuerſt nach dem Reiche Gottes zu trachten, damit man deſſen Gnade, Segen und Schutz hoffen koͤnnte. Dieſe Vorſtellung bewegte die mehreſten ihre Arbeit ſo einzurichten, daß ſie auch die noch uͤbrigen Faſtenpredig - ten beſuchen konnten. Jenes Volk aber hieng noch ganz und gar an dem Sicht - bahren, und ein irdiſches Gluͤck war ih - nen faſt das einzige Zeichen der Macht und Zuneigung einer Gottheit. Gott ver - band alſo diejenigen Bewegungsgruͤnde mit ſeinen Geſetzen, welche ſich fuͤr die da - mahligen Zeiten am beſten ſchickten.
Aus den Umſtaͤnden der damahligen Zeiten laͤſſet ſich auch ein anderer Vorwurf aufheben, welcher wider einen gewiſſen Befehl Gottes pfleget gemacht zu werden. Denen Jſraeliten wurde von Gott aufge - geben, das Land Canaan einzunehmen und die Voͤlker deſſelben zu vertilgen. Man erſchrickt und erſtaunet uͤber dieſen Befehl und ſpricht: Kann der Gerechteſte und Liebreichſte eine ſo harte Sache belie -ben83ben und befehlen? Man bedenke aber, daß eben dieſe Voͤlker, welche die Jſraeliten ausrotten ſollten, ſich der groͤßten Haͤrte und allerhand Grauſamkeiten ſchuldig ge - macht. Es war in jenen rauhen Zeiten nichts gewoͤhnlicher, als daß man Staͤdte, wider welche man kriegete, ganz und gar ausrottete. Man findet davon die Menge Exempel in den Geſchichten*)Wie grauſam iſt nicht noch Alexander der Groſſe mit einigen Staͤdten umgegangen? Als er Tyrus eingenommen, ließ er zwey rauſend der Tyrier creuzigen., und es iſt nichts glaublicher, als daß jene Voͤlker eben dieſer Grauſamkeit ſchuldig geweſen. Welches iſt aber das Mittel, Voͤlker von ſolchen unmenſchlichen Verfahren zuruͤck zu bringen und gelindere Gewohnheiten unter ihnen einzufuͤhren? Die Erfahrung lehret, daß nicht leicht, oder vielleicht nie - mahls eine Thorheit und boͤſe Gewohnheit in der Welt abgeſchaffet wird, als bis ſie die Unbequemlichkeit derſelben recht leb - haft empfinden, und durch ſolche Empfin - dungen gezwungen werden, andere Geſin - nungen anzunehmen. War es daher un - gerecht, wenn Gott dieſe Voͤlker eben das - jenige empfinden ließ, was ſie andern an - gethan? Jch erinnere mich, daß in dem Kriege, welcher uͤber die Pohlniſche Koͤ - nigswahl nach dem Tode Auguſtus desF 2Zwey -84Zweyten entſtand, die Spanier in Jtalien anfiengen, die Oeſterreichiſchen Huſaren niederzumachen, wenn ſelbige gleich das Gewehr ſtreckten und ſich zu Gefangenen ergaben. Man gab daher von dieſer Seite ſo gleich Befehl, den Spaniern es eben ſo zu machen, und es fuͤgte ſich, daß einigen Spaniſchen Officieren ein gleiches geſchahe, welches ſie zwang, von ihrem harten Unternehmen abzuſtehen. Wer zweifelt denn, daß der Befehl der Oeſter - reicher in dieſem Fall gerecht geweſen? Jedoch die Schrift fuͤhret dieſes nicht als die Urſache desjenigen goͤttlichen Befehls an, welcher vielen ſo anſtoͤßig ſcheinet. GOtt giebet dieſen Grund ſeines Befehls zu der Verbannung der Cananitiſchen Voͤlker: Jn den Staͤdten dieſer Voͤl - ker, die dir der Herr, dein Gott, zum Erbe geben wird, ſollt du nichts leben laſſen, was den Odem hat: ſondern ſollt ſie verbannen, auf daß ſie euch nicht lehren thun alle die Greuel, die ſie ihren Goͤttern thun, und ihr euch verſuͤndiget an dem Herrn euren Gott*)5 B. Moſ. C. 20. v. 16.. Sollte anders jemahls die Erkaͤnntniß des wahren Gottes und ein vernuͤnftiger Got - tesdienſt einen feſten Fuß auf dem Erdbo - den faſſen und ſich nach und nach uͤber den - ſelben verbreiten, ſo ſcheinen hierzu keineandere85andere Mittel moͤglich geweſen zu ſeyn, als diejenigen ſo der Herr erwaͤhlet. We - nigſtens lehret der Erfolg, daß ſie kaum hingereichet, dieſen Zweck zu bewirken. Haͤtte Gott die Jſraeliten dergeſtalt unter den Heiden gelaſſen, daß ſie mit ihnen ei - nerley Staͤdte bewohnet, ſo wuͤrde es gar nicht ſeyn zu verhuͤten geweſen, daß ſie ſich nicht durchgaͤngig mit den Heiden verhei - rathet, und alsdenn wuͤrde es nicht moͤg - lich geblieben ſeyn, dieſes Volk jemahls in der Erkaͤnntniß des einigen Gottes und ei - nem vernuͤnftigen Gottesdienſte zu befeſti - gen. Die Noth erforderte derowegen, ihnen eigne Staͤdte einzuraͤumen. Dieſes aber konnte nun nach den damahligen Um - ſtaͤnden nicht anders geſchehen, als daß Gott andere Voͤlker vor ihnen vertrieb. Haͤtte nun Gott dieſelben durch eine anhal - tende Peſt oder Duͤrre und Hungersnoth oder Heuſchrecken theils aufgerieben, theils aber genoͤthiget, ſich in andere Laͤnder zu verbreiten, ſo wuͤrde ſich niemand daran ſtoſſen. Allein, warum hat ſie Gott durch die Jſraeliten ausrotten laſſen?
Es iſt oben ſchon bewieſen worden, daßFortſetzung des vorigen. man die Macht einer Gottheit beſonders aus den Siegen, ſo ſie ihrem Volke gab, beurtheilete. Nun war noͤthig, dem Jſrae - litiſchen Volke die ſtaͤrkeſten Eindruͤcke zuF 3geben,86geben, daß die Goͤtzen der Heiden nichts vermoͤchten und Jehova allein Gott und allmaͤchtig ſey. Es mußte ferner den be - nachbarten Voͤlkern eine recht ſtarke Furcht vor dem Gott der Jſraeliten eingepraͤget werden, damit ihnen die Begierde, mit ſelbigen zu kriegen, benommen wurde und die Jſraeliten Zeit bekamen, ihren Staat einzurichten. Endlich ſollte den Jſraeliten ein Exempel der Rache dargeſtellet und ih - nen gezeiget werden, wie es ihnen ergehen wuͤrde, wenn ſie ſich mit dem Goͤtzendienſt und den ſchaͤndlichen Laſtern der Heiden beflecken wuͤrden. Der Herr ſpricht dero - wegen zu ihnen: Huͤte dich, daß du nicht in den Strick falleſt ihnen nach, nach - dem ſie vertilget ſind vor dir, und nicht frageſt nach ihren Goͤttern, und ſpre - cheſt: wie dieſe Voͤlker haben ihren Goͤttern gedienet, ſo will ich es auch thun*)5 B. Moſ. C. 12. v. 30.. Und wider die ſchaͤndlichen Laſter der dortigen Heiden warnet er ſie alſo: Jhr ſollt euch in dieſer keinem verunreinigen: denn in dieſem allen haben ſich verunreiniget die Heiden, die ich vor euch herausſtoſſen will**)3 B. Moſ. C. 18. v. 24.. Wenn man alle dieſe Urſachen zuſammen nimmt, ſo ſcheinet die weiſeſte und guͤtig - ſte Abſicht Gottes ein ſo hartes Mittelnoth -87nothwendig erfordert zu haben und die Haͤrte des goͤttlichen Befehls wird durch das harte und unbewegliche Herz der Menſchen gerechtfertiget.
Man dringet weiter in die Verehrer derWeitere Fortſetzung deſſelben. goͤttlichen Buͤcher und ſpricht: Gott kann unmoͤglich etwas befehlen, ſo gerade mit den erſten Gruͤnden des natuͤrlichen Rech - tes ſtreitet. Nun aber iſt der Befehl, an - dere Voͤlker zu vertreiben und ſie gar aus - zurotten, wider die erſten natuͤrlichen Ge - ſetze. Folglich kann derſelbe unmoͤglich von Gott herkommen. Er wuͤrde dadurch das allerſchlechteſte Exempel bey ſolchen Geſetzen gegeben haben, welche doch ewig und un - veraͤnderlich ſind. Es iſt von andern ſchon darauf geantwortet worden, daß es mit keinem Geſetze der Natur ſtreite, daß Gott als der oberſte Beherrſcher der Welt ein laſterhaftes Volk ſtrafe, und daß er eben das Recht habe, welches Jedermann un - ſern Obern zugeſtehet, daß er naͤmlich die - ſem oder jenem die Vollziehung einer ge - rechten Strafe auftraͤget. Unſere Obern ſuͤndigen nicht, wenn ſie ihre Soldaten wider eine Bande Raͤuber mit dem Be - fehl ausſchicken, ſelbige zu toͤdten, und die Soldaten handeln gleichfals nicht wider das Naturgeſetz, wenn ſie dieſen Befehl vollziehen. Jch ſetze noch einen andernF 4Grund88Grund hinzu, der dieſen goͤttlichen Be - fehl rechtfertiget. Ein jeder weiß, daß ſich die allermehreſten Geſetze auf diejenigen Umſtaͤnde beziehen, welche die gewoͤhn - lichſten ſind, und daher in ganz auſſeror - dentlichen Faͤllen eine Ausnahme verſtat - ten, oder eigentlicher zu reden, ſich auf ganz auſſerordentliche Faͤlle nicht erſtre - cken. Niemand haͤlt es fuͤr ungerecht, wenn in einer Schlacht der eine uͤber ſei - nen treueſten Freund, der mit ſeinem Pfer - de geſtuͤrzet, hinweg reitet und ihn auf das elendeſte zerquetſchet. Die Noth er - fordert dieſe Haͤrte. So kann auch der Allerheiligſte in einem auſſerordentlichen Falle etwas anordnen, welches in ordent - lichen Umſtaͤnden wider das Recht der Natur waͤre. Es hoͤret auf mit demſel - ben zu ſtreiten, ſo bald die Noth eine Aus - nahme erfordert. Die ehmaligen Um - ſtaͤnde der Welt aber erforderten zu Zeiten dergleichen, wenn nicht die ſaͤmtlichen Ein - wohner der Erden in einem beſtaͤndigen Aberglauben und in den ſchaͤndlichſten La - ſtern verharren ſollten*)Noch mehrere Antworten auf die Vor - wuͤrfe, ſo wider dieſe goͤttliche Anordnung gemacht worden, findet man in einer Note des Herrn D. Baumgartens zu der Allge - meinen Welthiſtorie. Th. II. S. 97 in Sau - rins Betrachtungen uͤber die wichtigſten Be - gebenheiten des A. und N. Teſtaments Th. I. Betr. 72. §. 35. u. f.. Diejenigen, wel -che89che hierbey fragen, ob denn der Allmacht nicht gelindere Mittel uͤbrig geblieben, ih - ren Zweck eben ſo gut zu erreichen, ſelbige leſen, was ich hierauf ſchon mehr, denn einmahl geantwortet habe*)Betracht. I. §. II. Not. Betr. VII. §. 13. 14, und beweiſen, daß gelindere und weiſere Mittel in den angefuͤhrten Umſtaͤnden der Welt moͤglich geweſen.
Nachdem denn der Weiſeſte ſeinenNach der noͤthigen Vorberei - tung der Welt er - ſcheinet Je - ſus. Endzweck durch die bisher beſchriebenen Mittel endlich in ſo weit erhalten, daß ein einiges Volk auf dem ganzen Erdboden in der Erkaͤnntniß des einigen wahren Gottes befeſtiget worden; ſo wurde nunmehr die Anſtalt gemacht, dieſe Erkaͤnntniß und die daraus flieſſenden Tugenden weiter uͤber den Erdboden zu verbreiten. Die Juden, ſo aus der Babyloniſchen Gefangenſchaft errettet worden, vermehrten ſich ganz auſ - ſerordentlich. Dieſe Vermehrung und allerhand Drangſahlen, ſo ſie von ihren Feinden ausſtanden, wurden bey ihnen eine Urſache, daß ſie ſich in ſehr viele Laͤn - der zerſtreueten, und wo ſie wohneten, Schulen errichteten, und diejenigen heili - gen Buͤcher des Moſes und der uͤbrigen Propheten mit ſich fuͤhreten, auf welche ſich nachher die Bothen des Evangelii deſtoF 5dreiſter90dreiſter berufen konnten. Da nun unter - deſſen ein groſſer Theil der Welt diejenige Geſtalt gewonnen, welche wir oben §. 17. beſchrieben haben, ſo war der Zeitpunkt vorhanden, da die weiſeſte Vorſehung ihre Abſichten weiter ausdehnen und diejenige Erkaͤnntniß unter mehrern Voͤlkern aus - breiten koͤnnte, die nicht nur dieſem Leben viele Vortheile verſchaffet, ſondern auch zu einer ſeligen Ewigkeit bereitet. Es erſchien derowegen derjenige, welcher ſo lange verheiſſen war, und durch den alle Voͤlker ſollten geſegnet werden. Es kam Jeſus und machte die Einrichtung zu der groſſen Erleuchtung der Welt, die ſo lange und ſo vielfaͤltig in den Propheten und Pſalmen verheiſſen war*)Pſalm 87. v. 6. Jeſ. C. 2. v. 2. 3. C. 11. v. 10. C. 19. v. 22-25. C. 49. v. 6. Jerem. C. 3. v. 16. 17.. Er predigte im Juͤdiſchen Lande und bekraͤftigte ſeine Lehre mit den groͤßten Wundern und be - wies, daß er nicht nur ein Prophet, ſon - dern der Herr der Natur ſelber. Er un - terrichtete Juͤnger und trug ſelbigen auf, der ganzen Welt den einigen wahren Gott und deſſen Gnade und eine ſelige Unſterb - lichkeit zu verkuͤndigen, wenn ſie in die Ordnung einer gruͤndlichen Buſſe, eines lebendigen Glaubens und eines gottſeligen Lebens treten wuͤrden. Und damit ſeineLehre91Lehre den kraͤftigſten Eindruck in die Ge - muͤther der Menſchen haben und ihnen bey der unendlichen Erbarmung Gottes auch das Unendliche ſeiner Heiligkeit und ein recht empfindlicher Abſcheu wider die Suͤnde eingepraͤget werden moͤchte, ſo gab er nach dem Rathſchluſſe Gottes ſein Leben zu ei - nem Verſoͤhnopfer fuͤr die Suͤnden der Welt dahin. Er ſtand aber von den Todten auf, zeigete ſich einer groſſen Men - ge Zeugen und arbeitete noch vierzig Tage an denen, die er zu Lehrern der Welt be - ſtimmet hatte, und fuhr in deren Gegen - wart ſichtbahrlich gen Himmel, und be - wies, daß er ſich zur Rechten Gottes ge - ſetzet, dadurch, daß er den verheiſſenen Geiſt den Apoſteln mittheilete, und ſie mit der Macht, ihre Lehre durch Wunder zu bekraͤftigen, ausruͤſtete. Dieſes alles ſollte die Welt uͤberzeugen, was fuͤr einen gnaͤdigen Rathſchluß Gott uͤber ſie gefaſ - ſet, wie er ſie zu einer ſeligen Ewigkeit und zu Kindern ſeiner Herrlichkeit auserſehen, wie nothwendig es aber auch ſey, der Suͤn - de abzuſterben und ſich im Glauben und Liebe an Gott zu ergeben, und das verwil - derte Gemuͤth zu einer heiligen und ſeligen Geſellſchaft zu bereiten. Es wurde dieſe Abſicht bey unzaͤhligen Juden und Heiden erhalten und die Lehre Jeſu breitet ſich noch beſtaͤndig aus, da alle uͤbrige Reli - gionen der Welt ſchon laͤngſtens einenStill -92Stillſtand erhalten und ihre Grenzen nicht mehr erweitern.
Bey dieſer groͤſſern Erleuchtung der Welt aber hoͤrete der Nutzen aller derje - nigen goͤttlichen Anſtalten auf; welche noͤ - thig geweſen erſt ein einiges Volk von dem Goͤtzendienſte abzuziehen und ſie in der Er - kaͤnntniß des einigen Gottes und einer wahren Gottſeligkeit zu befeſtigen. Da ſelbſt ganze Schaaren von Heiden ihren Goͤtzen entſagten, und ihre Knie vor dem einigen Gott Himmels und der Erden beu - geten und Jeſum als ihren Heiland anbe - theten, ſo war der Zaun nicht mehr noͤthig, der die ehmaligen Verehrer des einigen Gottes bey ihrem ſehr wankenden Glau - ben faſt von allem Umgange mit den Goͤtzen - dienern ſcheiden mußte. Es war kein ſo ſcharfer Zuchtmeiſter mehr noͤthig, der je - nes unwiſſende Volk auf den Glauben weiſen mußte, da die Jahre der Kindheit und des Unverſtandes vergangen. Es war nicht mehr noͤthig die Menſchen durch Suͤndopfer von Thieren auf die Erkaͤnnt - niß und Verabſcheuung ihrer Suͤnden und zur wahren Buſſe zu fuͤhren, da das rechte und groſſe Verſoͤhnopfer des Hei - landes eine weit kraͤftigere Anleitung gab, die Abſcheulichkeit und die ſchrecklichen Fol - gen der Suͤnde zu erkennen. Es warjenes93jenes Schattenwerk unnoͤthig, da das Abgebildete ſelber da war. Es war auch nicht mehr noͤthig durch ſo ſehr viel Sinn - liches die Verehrung Gottes zu befoͤrdern, als in dem erſten kindiſchen Alter der Welt geſchehen mußte. Er war die Vernunft durch allerhand Mittel und Fuͤgungen Gottes zu einer groͤſſern Erleuchtung ge - langet, und man konnte nunmehr ohne ſolchen Umſchweif mehr auf das Jnnere und Weſentliche des Gottesdienſtes drin - gen. Wir begreifen alſo die wichtigſten Urſachen, warum der weiſeſte Gott nicht immer einerley Religions-Anſtalten auf dem Erdboden gemacht, ſondern darinne nach den veraͤnderlichen Umſtaͤnden der Welt Aenderungen beliebet. Er machte andere Einrichtungen, da der Verſtand der Menſchen in Abſicht auf goͤttliche Din - ge noch in der Kindheit, und das innere Gefuͤhl noch rauh und ungebauet war, und wiederum andere, da die Vernunft mehrere Kraft bekommen, und das Ge - fuͤhl der Menſchen zaͤrtlicher und der Ge - ſchmack feiner geworden.
Es iſt unter den Gelehrten ein Zwie -Warum Chriſtus zu den Zeiten des Augu - ſtus in die Welt kom - men. ſpalt, ob Chriſtus aus der Urſache eben zu der Zeit, da er erſchienen, die Welt be - treten und zu erleuchten angefangen, weil ſie damahls in den aͤuſſerſten und groͤßtenVerfall94Verfall gerathen, oder weil in verſchiede - nen Gegenden der Welt der Verſtand mehr aufgeklaͤret und das Gefuͤhl der Men - ſchen zaͤrtlicher worden*)Man leſe hieruͤber des ſeel. Reinbecks Be - trachtungen uͤber die Augſpurgiſche Confeſ - ſion Betr. XL. §. LVIII. Foſters Predigten Pred. XXIII. und des beruͤhmten Herrn Abt Jeruſalems Predigten Th. I. Pr. I. . So ſehr dieſe beiden Meinungen mit einander zu ſtreiten ſcheinen, ſo glaube doch, daß ſie mit einan - der vereiniget werden koͤnnen, und beides in einer gewiſſen Einſchraͤnkung wahr ſey und einen Grund abgebe, woraus einiger maſſen zu begreifen, warum Chriſtus eben unter dem Auguſtus und zu keiner andern Zeit die Welt mit ſeiner Ankunft begnadi - get. Es iſt unſtreitig, daß zu den Zeiten des Heilandes in denen Gegenden, wo ſich das Chriſtenthum zuerſt ausgebreitet, weniger Krieg, und die Voͤlker mehr an Obrigkeiten und Geſetze gewoͤhnt geweſen, als in den vorhergehenden Zeiten. Es iſt ferner unſtreitig, daß in ſelbigen Gegenden, wo der Glanz des Evangelii zuerſt aufge - gangen, die Wiſſenſchaften und ein feine - rer Geſchmack gebluͤhet, wie man ſolches aus den Schriften und Werken der Kunſt der damahligen Zeit abnehmen kann. Es iſt ferner unſtreitig, daß dieſes unter dem Auguſtus auf das hoͤchſte geſtiegen. Es iſtaber95aber auch ferner aus der Erfahrung klar, daß ein gebaueter Verſtand, ein erhoͤheter Geſchmack und ein langer Friede gewiſſe Laſter zeuge, welche ein finſterer Verſtand, und ein grobes Gefuͤhl, das nur zu ſchwe - rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie - ges gehaͤrtet worden, nicht kennet. Als unſere Vorfahren noch in jenen dunkeln und rauhen Zeiten lebeten, ſo waren ihnen Falſchheit, feiner Betrug und kuͤnſtliche Liebeshaͤndel unbekannte Laſter, denn da - zu hatten ſie nicht Verſtand genug. Da aber die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter uns gemeiner worden, ſo haben wir mit denſelben auch Laſter bekommen, welche ohne jene Quellen nicht moͤglich ſind. Der aufgeklaͤrte Verſtand erfindet unzaͤhlige Schikanen und feine Betruͤgereyen. Ein zaͤrtliches Gefuͤhl, Kuͤnſte und Friede zeu - gen Ueppigkeit und allerhand Wolluͤſte, und dieſe Verſchwendung, und dieſer Dieb - ſtahl, Vervortheilungen, allerhand Be - druͤckungen und gekuͤnſtelte Grauſamkei - ten. Jn einer ſolchen Verfaſſung war ein groſſer Theil der Welt, da Gott in einer Menſchheit erſchien, die Sterblichen in groͤſſerer Anzahl und naͤher mit ſich zu ver - binden und ihnen eine ſelige Unſterblichkeit anzubieten. Der Verſtand war mehr ge - bauet und das innere Gefuͤhl war empfind - licher und zaͤrtlicher und der Kriege waren viel weniger, wie in den vorhergehendenZeiten,96Zeiten. Eben dieſes aber hatte auch die Wolluͤſte auf das hoͤchſte getrieben und die allerabſcheuligſten Laſter eingefuͤhret, wel - che jemahls erhoͤret worden. Aber eben da - durch wurden ſie empfindlich, laͤſtig und unertraͤglich. Beſonders wurde das Roͤ - miſche Gebiet inne, was Laſter fuͤr Un - heil anrichten, da ſich verſchiedene Kaiſer denſelben ganz uͤberlieſſen und dadurch die abſcheulichſten Tyrannen wurden. Ein Tiberius, ein Caligula, ein Nero ein Domitianus waren ſolche Ungeheuer, daß ſie auch die Heiden nicht ertragen konnten. Da derowegen um dieſe Zeit die erſten Lehrer des Evangelii auftraten und die ſo ſanfte, angenehme und troͤſtliche Lehre des Chriſtenthums vortrugen, ſo waren die Gemuͤther ſo wol durch die Wiſſenſchaften und den verbeſſerten Geſchmack, als auch durch die unertraͤglichen Laſten der aufs hoͤchſte geſtiegenen Laſter vorbereitet: eine ſo liebreiche, vergnuͤgende und hoffnungsvolle Lehre anzunehmen. Jch meyne alſo, daß, wenn man die Natur des menſchlichen Gemuͤths und die Beſchaffenheit der da - mahligen Zeiten genau uͤberleget, man Ur - ſache findet, ſo wol den gebaueten Verſtand und den verbeſſerten Geſchmack und den mehrern Frieden zu den Zeiten des Augu - ſtus, als auch die Laſter und Tyranneyen der folgenden Kaiſer als Umſtaͤnde anzuſehen, welche dem Chriſtenthume Vortheile ver -ſchaffet97ſchaffet und daß alſo damals die bequem - ſte Zeit geweſen, ſelbiges anzurichten. Auf eine aͤhnliche Art iſt, wie bekannt, die Reformation befoͤrdert worden. Die wie - der aufgelebeten Wiſſenſchaften und die unertraͤglichen Laſter der Geiſtlichen bra - chen derſelben die Bahn.
Wenn aber ein gebaueter Verſtand undWarum in den er - ſten Zeiten die Philoſo - phen und Hoͤfe das Chriſten - thum nicht angenom - men. ein feiner Geſchmack und zaͤrtliche Empfind - lichkeit der Seele dem Chriſtenthume vor - theilhaft geweſen, woher iſt es denn kom - men, daß ſo wenige Philoſophen jener Zeiten Chriſten worden und die ruͤhmlichen Kaiſer, der Flavius Veſpaſianus, der Titus, der Trajanus, die beiden Antonius und deren Hoͤfe das Chriſtenthum nicht nur nicht angenommen, ſondern zum Theil gar verfolget? Was erſtlich die Gelehrten betrift, ſo iſt nichts ſchwerer in der Welt, als ſelbige durch andere von ihnen einmal angenommenen Meinungen abzufuͤhren und zu dem demuͤthigen Bekaͤnntniß zu bringen, daß ſie geirret. Faſt ein Jeder unter den - ſelben glaubet, ſeine Einſichten machen die einzige wahre und geſunde Vernunft aus und Gott ſelber koͤnne und muͤſſe nicht an - ders denken, als er. Denn es ſey nur ei - ne Wahrheit und er habe ſelbige. Man muß ſich uͤber dieſen Gedanken zwar deſto mehr wundern, da ein groſſer GelehrterJac. Betr. 4. Band. Gdem98dem andern in unzaͤhligen Saͤtzen wider - ſpricht und die groͤßte Dummheit vorwirft: allein ſo gar unbeſonnen und abgeſchmackt und laͤcherlich er iſt, ſo herrſchet er doch bey ſehr vielen Gelehrten. Man kann ſie durch nichts mehr beleidigen und aufbringen, als wenn man ihnen widerſpricht und eines Jrrthums beſchuldiget. Daher geſchiehet es, daß auch diejenigen Gelehrten, die in der Chriſtenheit erzogen worden, dennoch die Offenbarung ihren vorgefaßten Mei - nungen insgemein aufopfern. Einige zwin - gen und drehen aus dieſer Urſache die Wor - te der Schrift ſo lange, bis ſie mit ihrer Art zu denken uͤbereinſtimmet, und ande - re verwerfen ſie ganz und gar, weil ſie ihre fuͤr untruͤglich gehaltene Saͤtze nicht darinne finden. Wie haͤtten nun jene heidniſchen Philoſophen ſich ſo weit herun - ter laſſen ſollen, daß ſie ſich von den nie - drigen Bothen des Evangelii uͤberwinden laſſen und vor aller Welt bekannt haͤtten, daß ſie Jrrende und armſeelige Suͤnder waͤren? Dergleichen kann man von weni - nigen Gelehrten erwarten. Jndeſſen be - foͤrdert doch ihre Gelehrſamkeit das Chri - ſtenthum, indem dadurch der Verſtand und das Gefuͤhl anderer verbeſſert wird, wel - che mit einem Theil ihrer Einſichten nicht allezeit ihrem Hochmuth erben. Wenn naͤmlich Wiſſenſchaft und Kuͤnſte in einem Lande bluͤhen und in einigen Seelen einzaͤrt -99zaͤrtliches Gefuͤhl bewirket worden, ſo ver - breitet ſich ſelbiges nach und nach unter die Buͤrger und ſo gar unter die Bauern, und dieſe werden dadurch vorbereitet, daß die Chriſtliche Lehre deſto eher einen Ein - gang bey ihnen gewinnen kann, weil der Druck, unter welchem ſie zu ſtehen pfle - gen, den Stolz der Gelehrten bey ihnen insgemein in keinem ſo hohen Grade auf - kommen laͤſſet. Es iſt daher ſehr begreif - lich, wie die Wiſſenſchaften bey den heid - niſchen Weiſen die Annehmung des Chri - ſtenthums verhindert, und im Gegentheil bey den Buͤrgern und andern geringern Leuten befoͤrdert. Bey den Hoͤfen auch der beſten heidniſchen Kaiſer konnte das Chriſtenthum die Oberhand nicht wol be - kommen, ſo lange keine Staatsklugheit dazu kam und ſich zu demſelben zu beken - nen anrieth. Bey den Hoͤfen wird alles nach der Macht, Ehre und Hoheit abge - meſſen und beurtheilet, und man bekennet ſich daſelbſt insgemein zu derjenigen Reli - gion, bey welcher man die groͤßten irdi - ſchen Vortheile zu erhalten hoffet. Wir erfahren noch heutiges Tages, was eine Krone, eine hohe Ehrenſtelle und Reich - thuͤmer fuͤr einen wichtigen Grund in Be - urtheilung der Religion abgeben. So lange derowegen der groͤßte und maͤchtigſte Theil des Volkes, und der Armeen ſich noch zu der heidniſchen Religion bekannten,G 2war100war es von jenen Hoͤfen nicht zu erwarten, daß ſie das Chriſtenthum angenommen haͤtten. Die Hoͤfe, welche die rechten Eigenthuͤmer aller Klugheit zu ſeyn glau - ben, wollen auch eben ſo ungern eines Jrr - thums ſchuldig ſeyn als die Gelehrten. Es ſind auch noch andere Urſachen vor - handen, welche machen, daß uͤberhaupt die Hoͤfe und ein wahres und aufrichtiges Chriſtenthum ſich nicht wol mit einander vertragen. An den Hoͤfen iſt man zu ſehr an Majeſtaͤt, Hoheit, Macht und Herr - ſchaft gewoͤhnet. Das Chriſtenthum aber fordert den demuͤthigſten und folgſamſten Sinn. Man ſoll ſich als einen ohnmaͤch - tigen Wurm, noch mehr, als einen ver - finſterten Menſchen, welcher mit allerhand Thorheiten angefuͤllet iſt, als einen Skla - ven der niedertraͤchtigſten Begierden und ſchaͤndlichſten Laſter erkennen. Man ſoll ſich fuͤr ein ſo verfallenes und unwuͤrdiges Geſchoͤpf halten, bey deſſen Begnadigung der Heiligſte ſich durch den Tod eines Mittlers von dem Anſehen einer ſchlaͤfrigen Gleichguͤltigkeit gegen Tugend und Laſter, und von dem Vorwurf einer mit goͤttli - chen Vollkommenheiten ſtreitenden Unhei - ligkeit befreyen muͤſſen. Man ſoll als ein Suͤnder Gnade ſuchen. Man ſoll ſich noch immer fuͤr hoͤchſt unvollkommen hal - ten, und nach einer groͤſſern Vollkommen - heit ringen. Wie ſchwer muß es einerSeele,101Seele, welche erſt die Bruſt von der ma - jeſtaͤtiſchen, von der gebieteriſchen, von der ſchmeichelnden Hof luft vollgeſogen, wie ſchwer muß es ihr nicht werden, eine ſo demuͤthige Geſinnung anzunehmen, welche den maͤchtigſten Monarchen, dem niedrig - ſten Bettler, vor Gott gleich machet? An den Hoͤfen verzehret man insgemein we - nige Kraͤfte in der Arbeit. Jm Gegen - theil iſſet man die nahrhafteſten Speiſen im Ueberfluß, man trinket ſtarke Getraͤnke, man ſiehet uͤppige Schauſpiele, man rei - zet einander durch Kleidungen und Taͤnze, man thut alles einem gewiſſen Triebe, wel - in ſeinen Schranken zu Erhaltung der Welt hoͤchſt noͤthig iſt, eine ſolche uͤber - wiegende und unbaͤndige Staͤrke zu geben, daß er von ſeiner weiſen Richtung ganz abweichet, und in raſende Ausſchweifungen ausbricht, und zu ſolchen Vergehungen verleitet, deren eine geſetzte Vernunft ſich ſchaͤmet und dem Menſchen als die nieder - traͤchtigſte Creatur, den alle Vernunft verlaſſen, darſtellet. Das Chriſtenthum aber dringet mit dem groͤßten Nachdruck auf Maͤſſigkeit und Keuſchheit, damit man zur Arbeit geſchickt ſey und die Welt mit geſunden, ſtarken, wolgezogenen und or - dentlichen Buͤrgern verſehen werde. Muß man aber eine ſolche Lehre nicht an den mehreſten Hoͤfen als eine unmoͤgliche Re - ligion anſehen? Endlich hatten die vorneh -G 3men102men Familien, woraus die Prieſter ge - nommen wurden, von den Tempeln und Opfern der Goͤtzen zu reiche Einkuͤnfte, welche fahren zu laſſen ihnen zu ſchwer wurde. Man erinnere ſich hierbey zweyer ſehr merkwuͤrdigen Spruͤche, welche man Marc. C. 10. v. 24. 25. und 1 Cor. C. 1. v. 26. 27. findet.
Es kann hieraus auf eine Frage in et - was geantwortet werden, welche manchem Chriſten einfaͤllt und deſſen Gemuͤth beun - ruhiget. Sie iſt dieſe: da Gott ſo man - cherley und ſo groſſe Anſtalten gemacht, um einige Voͤlker zu ſeiner Erkaͤnntniß und einem vernuͤnftigen Gottesdienſt zu bringen; warum laͤſſet er denn ſo viele an - dere Voͤlker in der groͤßten Blindheit, Aber - glauben und Laſtern? Niemand erwarte von mir eine vollkommen hinlaͤngliche Antwort. Die Rathſchluͤſſe Gottes ſind mir uͤberall zu hoch. Jch finde unzaͤhlige Dinge und Begebenheiten in der Welt, die mich in Er - ſtaunen und Verwirrung ſetzen, und deren weiſe und guͤtige Abſichten ich nicht voͤllig oder auch gar nicht erreichen kann. Jch befriedige aber meine unruhige Neubegier - de und Zweifelſucht bey obiger Frage mit folgenden Gedanken. Jch meſſe das Alter der Welt und der goͤttlichen Regierung nicht nach den wenigen Jahren ab, welche ichlebe.103lebe. Jch rechne bey der goͤttlichen Re - gierung nach goͤttlichen Zahlen und Zeiten wo tauſend Jahre, wie ein Tag ſind*)2 Petr. C. 3. v. 8.. Jch gedenke nach dieſer Rechnung: viel - leicht iſt die Welt noch in ihrem erſten An - fange und erſten Entwickelungen. Viel - leicht fangen die Voͤlker erſt an, nach und nach aus ihren Kinder-Jahren in ein Juͤnglings-Alter zu treten**)Gal. C. 4. v. 1-3.. Es haben die groͤßten Anſtalten viele hundert Jahre fortgeſetzet werden muͤſſen, ehe ein einziges Volk in der Erkaͤnntniß des wahren Got - tes befeſtiget und einige andere Voͤlker zu einem vernuͤnftigen Gottesdienſte vorberei - tet worden. Vielleicht gehoͤren zu dieſer Vorbereitung der uͤbrigen Voͤlker noch ei - nige Jahrhunderte mehr, ehe ihre rohen Sit - ten gebrochen und ein feinerer Geſchmack un - ter ſie gebracht wird, der ihre Seelen zu Annehmung des Chriſtenthums bequem macht. Vielleicht koͤnnte zwar durch neue Wunder bewirket werden, daß einige Reiche den Namen des Chriſtenthums annaͤhmen; vielleicht aber koͤnnte jetzo auch weiter nichts, als dieſer Name, erhal - ten werden. Die Kirchengeſchichte von Deutſchland lehret, daß ein groſſer Theil der Voͤlker, ſo dieſes Land bewohnet, lan - ge den Namen eines Chriſten gefuͤhret,G 4ehe104ehe man viele wahre Verehrer Jeſu und ſeiner Religion unter ihnen gefunden hat. Das wahre Chriſtenthum hat, wenn man Deutſchland im Groſſen und uͤberhaupt be - trachtet, erſt ſeinen rechten Anfang mit den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten genommen und hat erſt eine rechte Kraft gewonnen, nachdem das Fauſtrecht aufgehoben und ein groͤſſerer Friede eingefuͤhret worden. Vielleicht ſind noch einige Entwickelungen und Staatsveraͤnderungen noͤthig, ehe eine ordentliche Regierungsform, ein groͤſſerer Friede, Kuͤnſte und Wiſſenſchaften und ein feinerer Geſchmack unter jene annoch ungebaueten Voͤlker eingefuͤhret werden kann. Wenn denn erſt eine noch groͤſſere und ausgedehntere Vorbereitung zu dem wahren Chriſtenthume unter den Voͤlkern der Erde gemacht worden, vielleicht geſche - hen alsdenn noch einmal Wunder. Viel - leicht erfolget alsdenn diejenige erſte Auf - erſtehung, die Johannes verkuͤndiget hat*)Johannes ſcheinet dergleichen ganz deutlich vorherzuſagen Offenb. Joh. C. 19. v. 4. 5. und diejenigen, welche dieſe Worte nicht auf eine ſolche Art erklaͤren wollen, muͤſſen dieſer Stelle ſolche Gewalt anthun, daß ich lieber gar keine Offenbarung annehmen, als ihre Worte ſo gar willkuͤhrlich drehen will. Jch hoffe indeſſen die Denkungsart, welche ich bisher in meiner Amts - fuͤhrung und in meinen Schriften bewieſen, wird mich in Sicherheit ſtellen, daß mich niemandwegen,und105und bekraͤftiget noch einige Voͤlker in der Lehre des Evangelii, da jetzo der Nutzen von Wundern noch zu gering ſeyn wuͤrde.
Vielleicht ſchlieſſen hieraus einige, daßWirkun - gen der chriſtlichen Religion. ich einer geruhigen Staatsform, Wiſſen - ſchaften und Kuͤnſten bey der Verbeſſerung der Menſchen mehr zuſchriebe, als dem Chriſtenthume ſelber. Allein dieſes ſey ferne von mir. Die ordentlichſten Re - gierungsformen, alle Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften und der feineſte Geſchmack, ſo da - durch entſtehet, laſſen der Religion noch ſehr vieles zu verbeſſern uͤbrig, wohin jeneG 5Um -*)wegen dieſer unſchuldigen Muthmaaſſung ſo gleich unter jene ſchwermenden und abgeſchmack - ten Chiliaſten ſetzen werde. Meine Muthmaaſ - ſungen bleiben bloß bey Dingen, die ſchon in der Welt geſchehen ſind. Sie erwarten nichts als eine ſolche Vorbereitung einiger Voͤlker zum Chriſtenthume und eine ſolche Beſtaͤtigung in demſelben, als man ſchon in der Welt gehabt hat. Jch laſſe meine Einbildungskraft von keinem Reiche traͤumen, ſo die Schranken der jetzigen Unvollkommenheit weit uͤberſteiget. Das Unkraut wird allezeit unter dem Weizen bleiben, und ich erwarte keine Platoniſche Welt, kein tauſend jaͤhriges Reich, wo alles ruhig und vollkommen, noch vielweniger ein Reich, wo keine Obrigkeiten, keine Lehrer und keine Geſetze ſtatt finden.106Umſtaͤnde niemand unter den Sterblichen gefuͤhret haben. Diejenige Bildung des Gemuͤthes, welche durch den Frieden, durch Kuͤnſte und Wiſſenſchaften gezeuget wird, hat noch niemanden zu einer ſolchen Liebe Gottes und ſeiner Mitmenſchen ge - bracht, daß er mit einem anhaltenden Nachdruck wider den Aberglauben und einen thoͤrichten Gottesdienſt geeifert. Die Weiſeſten, welche uͤber die Thorheiten des Aberglaubens bey ſich lachten, unterhiel - ten doch mit allem Fleiß den gemeinen Mann dabey. Die groſſen Poeten der Griechen und Roͤmer haben uns keine Lie - der hinterlaſſen, darinne ſie den groſſen Schoͤpfer mit einer ehrerbietigen und dank - baren Seele und mit einem heiligen Feuer beſungen. Die mildern Sitten und der feineſte Geſchmack der Roͤmer hielt ſie nicht ab, Menſchen mit wilden Thieren kaͤmpfen zu laſſen, und uͤberwundene Koͤ - nige im Triumph aufzufuͤhren und zu ſchlachten, und Fechter bey Tauſenden aufzuſtellen, die ein ander verwundeten und umbrachten. Solche Schauſpiele gab ſo gar ein guͤtiger Trajan. Wo iſt je dem geſitteſten Volke eingefallen, ſo zaͤrtlich mit verwundeten, und ſo milde mit gefangenen Feinden umzugehen, als die - jenigen Voͤlker thun, welchen Jeſus ge - lehret, die Feinde zu lieben? Welches Volk hat die traurige Sklaverey ſo ertraͤg -lich107lich gemacht oder aufgehoben, als unter den Chriſten geſchehen iſt? Ja welcher Weiſe, den nicht unſere Offenbarung geleitet, hat je die erhabenen Eigenſchaf - ten Gottes und das kuͤnftige Schickſal der Menſchen und die Art ſich zu einer ſeeligen Ewigkeit zu bereiten, in ein ſol - ches Licht geſetzet, als die Lehrer des Evan - gelii gethan haben? Und wer hat im Ge - gentheil noch eine goͤttliche Eigenſchaft, oder eine Tugend entdecket, welche die goͤttliche Offenbarung nicht lehrete? Ob ich dero - wegen gleich behaupte, daß eine Staats - form, die nicht mit beſtaͤndigen Empoͤrun - gen und Kriegen umgehet, und ein anhal - tender Friede, und Kuͤnſte und Wiſſen - ſchaften, und ein dadurch entſtehendes weicheres und zaͤrtlicheres Gefuͤhl der Seele ein Volk zu Annehmung des wah - ren und thaͤtigen Chriſtenthums vorberei - ten muͤſſe, ſo bleibet doch der Religion noch vieles zur Verbeſſerung der menſch - lichen Seele und Geſellſchaft uͤbrig, wo - hin kein Volk ohne dieſelbe gelanget iſt. Es wird zwar denen, welche der Chriſtli - chen Religion obige groſſe Wirkungen zu - ſchreiben, von andern, die ihr keinen ſo hohen Werth laſſen wollen, entgegen ge - ſetzet, daß, wenn die Chriſtliche Lehre einige Grauſamkeiten unter ihren Bekennern ab - geſchaffet, ſie andere und noch haͤrtere wieder eingefuͤhret. Die vielen und har -ten108ten Religionsverſolgungen waͤren erſt durch das Chriſtenthum in die Welt ge - kommen, und in ſelbigen haͤtten die Chri - ſten alle unmenſchliche Martern wider einander ausgeuͤbet, welches die Heiden nicht gethan, als die niemand zu ihrer Religion gezwungen. Es iſt aber erſt - lich falſch, daß die Bekenner der geoffen - barten Religion, die Religionsverfolgun - gen in die Welt gebracht. Die Juden zwangen ehmals niemanden zu ihrer Re - ligion; ſie aber haben mehr denn einmal, beſonders aber von Antiochus dem Edlen die grauſamſte Religionsverfolgung erdul - det. Die Roͤmer und andere Heiden haben unter ſich zwar keine Religionsver - folgungen angeſtellet. Denn man glau - bete viele Goͤtter, und daß ein jedes Volk beſondere Goͤtter haͤtte, die daſſelbe vor - zuͤglich in ihren Schutz genommen. Nie - mand machte alſo dem andern ſeine Gott - heit ſtreitig. Sobald aber die Chriſten ſagten, der Goͤtzendienſt iſt eitel und Thor - heit, und es iſt nur Ein Gott, ſo fiengen ja die Heiden die grauſamſten Verfolgun - gen an. Dergleichen haben ihren Grund in dem menſchlichen Hochmuth, welcher keinen Widerſpruch vertragen kann, und niemals will geirret haben, wie auch in irdiſchen Vortheilen, die mit einer ein - mal eingefuͤhrten Religion verbunden ſind. Wenn derowegen auch viele Chriſten ſichvon109von dem Verfolgungsgeiſte regieren laſſen, ſo ſind ſie nicht dem Sinne Jeſu Chriſti gefolget, ſondern ihrem Stolze, welcher allezeit zu Grauſamkeiten geſchickt iſt. Die Chriſtliche Religion verabſcheuet allen Gewiſſenszwang und es haben ſich noch alle - zeit verſtaͤndige Chriſten gefunden, welche ei - nem ſo blinden und grauſamen Eifer wi - derſprochen. Es iſt dieſes auch bisher nicht ohne allen Nutzen geweſen und ich hoffe, das wahre Chriſtenthum wird end - lich auch uͤber dieſes Ungeheuer, das die Chriſtliche Religion ſchaͤndet, ſiegen. Da alſo klar, daß die Lehre Jeſu dem Gewiſ - ſenszwange gerade und ausdruͤcklich entge - gen iſt, und derſelbe in der Welt geweſen, ehe die Chriſten ſich damit beflecket, und ſeinen Grund in einem eigenſinnigen Hoch - muthe und irdiſchen Vortheilen hat, ſo kann daraus dem Chriſtenthume kein Vor - wurf erwachſen, ſondern dem boͤſen Herzen der Menſchen. Es erhellet hieraus weiter nichts, als daß das Chriſtenthum nur erſt einige grauſame Grundſaͤtze und Gewohn - heiten beſieget, mit andern aber noch ſtrei - ſten muͤſſe. Jch ziehe hieraus einen Vor - theil fuͤr die vorhin geaͤuſerte Meinung. Es haben einige tauſend Jahre dazu gehoͤ - ret, ehe die Welt zu dem Anfange des Chriſtenthums vorbereitet worden. Viel - leicht werden einige tauſend Jahre erfor - dert, ehe es zu ſeiner voͤlligen Staͤrke ge -langet.110langet. Es gehoͤret gar zu viel dazu, Mei - nungen und Gewohnheiten unter Voͤlkern zu aͤndern.
Hieraus laͤſſet ſich alſo in etwas begrei - fen, daß vielleicht im Groſſen wenig zum Vortheil des wahren und thaͤtigen Chriſten - thums wuͤrde ſeyn ausgerichtet worden, wenn Gott in einigen andern Reichen der Erde eben die Wunder haͤtte wollen thun laſſen, welche in andern Gegenden zu Anrichtung des Chriſtenthums geſchehen ſind. Wie viele Voͤlker erfuhren und ſa - hen zum Theil die groſſen Wunder, welche Gott ehmals unter ſeinem Volke verrich - tete? Und dieſes alles bewegete ſie dennoch nicht, den Gott der Jſraeliten den einigen Gott zu erkennen und zu verehren. Wie viele ſehen das groſſe, das praͤchtige Ge - baͤu der Welt ohne die unendliche Majeſtaͤt des Schoͤpfers daraus zu erkennen, zu be - wundern und zu verehren und ſich als er - kaͤnntliche Geſchoͤpfe des Unendlichen zu beweiſen. Allein ſollten nicht hier und da einzelne Staͤdte und Perſonen ſeyn zu ge - winnen geweſen, wenn Gott ſich ihrer ſo, wie anderer, angenommen? Jeſus bezeu - get ja ſelber, daß wenn zu Tyrus und Sidon und zu Sodom ſolche Zeichen geſchehen, als man zu ſeinen Zeiten ſahe, ſie ſich wuͤr - den bekehret haben*)Matth. Cap. 11. v. 21. 23.. Jch habe vorhinſchon111ſchon angezeiget, daß meine Augen zu kurz - ſichtig ſind, die Tiefen der goͤttlichen Re - gierung abzuſehen. Jch beruhige mich aber auch uͤber dieſen letztern Zweifel ſo lan - mit folgenden unvollkommenen Gedanken, bis meine Erkaͤnntniß bey den kuͤnftigen Veraͤnderungen und Entwickelungen mei - ner Seele ſich erweitern und erhoͤhen wird, und ich theils bey der Ablegung dieſes groben Koͤrpers, theils bey der Erlangung eines verklaͤrten Leibes die hoͤhern Stu - fen der menſchlichen Faͤhigkeiten beſteige und in den Stand komme, die weiſen und gerechten Wege Gottes naͤher zu erforſchen und zu bewundern. Anjetzt denke ich bey dem obigen Ausſpruch des Erloͤſers dieſes:
Es laſſen ſich nicht alle Menſchen durch weiſe Mittel zur Weisheit, Froͤmmigkeit und ihrer wahren Wolfarth bringen*)Es iſt dieſes Betrachtung VII. weitlaͤufti - ger ausgefuͤhret.. Gott wird derowegen vermoͤge ſeiner Voll - kommenheiten denjenigen Zuſmamenhang waͤhlen, in welchem die groͤßte Anzahl, die zu erhalten ſtehet, zur Vollkommenheit kann gefuͤhret werden. Vermoͤge dieſes Satzes kann es ſich zutragen, daß ein Menſch in dem jetzigen Zuſammenhange der Dinge verloren gehet, der in einem andern ſich zur Gottſeeligkeit gelenket haͤt - te. Jndeſſen kann ſich ein ſolcher uͤberGott112Gott nicht beſchweren, noch denſelben ei - ner ungerechten Haͤrte beſchuldigen, wenn er nur hinlaͤngliche Gelegenheit gehabt, ſeine Seeligkeit zu ſchaffen. Denn Nie - mand kann von dem weiſeſten Schoͤpfer verlangen, daß er eines oder etlicher Men - ſchen wegen ſolche Anſtalten verkehren ſoll - te, durch welche ſie zwar erhalten, aber eine noch weit groͤſſere Menge in das Ver - derben geſtuͤrzet wuͤrden. Man nehme an, eine Armee geraͤth in Umſtaͤnde, da ſie einige Tage muß Hunger und Froſt ausſtehen, wodurch viele zum Ausreiſſen gebracht werden. Man ſetze in Gedanken hinzu, der General wuͤßte, daß einige von ſeinem Regiemente durchgehen wuͤrden, wel - che aber dieſen Vorſatz aͤndern wuͤrden, wenn er ihnen von ſeinem Vorrath etwas Brod gaͤbe. Er ſaͤhe aber auch zum vor - aus, daß, wenn er dieſes thaͤte, die ganze Armee unruhig werden und ein Gleiches verlangen und, da man nicht im Stande, ihnen gleiche Gefaͤlligkeit zu erzeigen, eine noch weit groͤſſere Anzahl unwillig werden und weglaufen wuͤrde: wird ſich der Ge - neral nicht entſchlieſſen muͤſſen, die erſtern laufen zu laſſen, wenn er auch gleich wuͤß - te, daß ſie wuͤrden bey dem Ausreiſſen er - tappet und gehenket werden, beſonders wenn er zum voraus mit Gewißheit erken - nete, daß durch dieſes Exempel ſehr viele andere vom weglaufen wuͤrden abgeſchrecketwer -113werden? Wer kann nun mit Gewißheit ſagen, daß der Weiſeſte nicht durch aͤhn - liche Umſtaͤnde bewogen worden, denen zu Sodom und Tyrus und Sidon keine ſol - che Gnade wiederfahren zu laſſen, als ei - nigen Staͤdten in den Zeiten des Meſſias erzeiget worden? Es iſt wenigſtens gewiß, daß, wenn der Heiland in denen Zeiten ge - kommen waͤre und ſeine Herrlichkeit geof - fenbaret haͤtte, da jene Staͤdte dadurch haͤtten koͤnnen gerettet werden, das Ganze der Welt davon nicht ſo viel Seegen wuͤr - de gehabt haben, als da er zu den Zeiten des Auguſtus dieſe Welt betreten. Wir wuͤrden vieler Nachrichten und Umſtaͤnde entbehren, welche dem Chriſtenthume eine groͤſſere Gewißheit geben, wenn Chriſtus in jenen aͤltern Zeiten erſchie - nen waͤre. Die Spoͤtter wuͤrden ſa - gen, das Chriſtenthum hat ſeinen Ur - ſprung finſtern Zeiten der Unwiſſenheit zu danken. Dieſer Vorwurf aber faͤllt jetzo ganz weg, da Jeſus ſeine Lehre in den al - lererleuchteſten Zeiten des Alterthums ge - ſtiftet. Es wuͤrde auch das Chriſtenthum in den vorhergehenden Zeiten, wie oben ſchon bewieſen worden, nicht ſo gut haben koͤnnen ausgebreitet werden, wie nachher. Und ſo haͤtte es geſchehen koͤnnen, daß Sodom und Tyrus und Sidon waͤren gerettet wor - den, wenn ſie mit der Erſcheinung ChriſtiJac. Betr. 4. Band. Hwaͤren114waͤren begnadiget worden, viele andere aber dadurch waͤren verlohren gegangen, die jetzo erhalten werden.
Aber warum iſt kein Prophet mit groſſen Wundern zu ihnen geſandt worden? Vielleicht wurden durch das Ge - richte, ſo uͤber dieſe Staͤdte ergieng, meh - rere erhalten und von aͤhnlichen Suͤnden abgeſchrecket, als wenn ſie durch einen Propheten waͤren bekehret worden. Viel - leicht waͤren viele andere Staͤdte durch die auſſerordentliche Gnade, ſo jenen wieder - fahren, in Sicherheit gerathen, die durch jener Exempel in Furcht geſetzet worden. Gott waͤhlete nach ſeiner Weisheit dasje - nige, wovon die Welt den groͤßten Vor - theil haben konnte. Genug er that jenen kein Unrecht. Sie waren der allerſchaͤnd - lichſten Verbrechen ſchuldig, und konnten auch von einer unendlichen Guͤte keine Gna - de fordern, die vielen andern zum Fall ge - reichet haͤtte. Es muͤſſen auch Wunder - werke nicht zu gemein gemacht werden. Sie verlieren ſonſt ihre Kraft, Gemuͤther zu ruͤhren. Wer erſtaunet uͤber das groſſe Wunder, wodurch die Sonne taͤglich auf - gehet? Wer bewundert genug das Unbe - greifliche einer Empfaͤngniß und Geburt? Haͤufige Wunder erwecken auch viele falſche Propheten und Wunderthaͤter, wieman115man davon die Menge Exempel unter Ju - den und Chriſten gehabt. Sie muͤſſen nur alsdenn gebrauchet werden, wenn ſie mehr Vortheil als Schaden ſtiften. Es ſind uͤberhaupt mancherley Begebenheiten in der Welt, die jemanden zu ſeiner Erleuchtung und Bekehrung Anlaß geben, die ein an - derer, ohne die groͤßte Ungerechtigkeit zu begehen, nicht fordern kann. Der Tod Jeſu und die Umſtaͤnde ſo ihn begleiteten, drangen vielen Umſtehenden durch das Herz, und werden vermuthlich manchen eben, wie den Schaͤcher, zu Gott gefuͤh - ret haben. Wie unbeſonnen wuͤrde es aber nicht ſeyn, wenn jemand verlangete, durch einen aͤhnlichen Anblick geruͤhret zu werden. Man findet in den Geſchichten der Maͤrtyrer, daß ihre freudige Stand - haftigkeit manchem Gelegenheit gegeben, ein Chriſt zu werden. Kann aber jemand ohne die groͤßte Ungerechtigkeit nur wuͤn - ſchen, auf eine aͤhnliche Art zu Chriſto ge - fuͤhret zu werden. Jener wird bekehret, weil ein Wetterſtrahl einen andern an ſei - ner Seite toͤdtet, kann man verlangen, daß Gott viele auf eben eine ſolche Art zu einer ſeligen Umkehr bringe? Noch ein andrer iſt auf dem Meer, es entſtehet ein Sturm und das Schiff, auf welchem er faͤhret, zerſcheitert. Er wird ganz allein auf eine wunderbare und unerwartete Art gerettet. Dieſes bewegt ihn, in ſich zu gehen, undH 2von116von einem ganz wuͤſten Leben ſich zu Gott zu wenden, und einen Chriſtlichen Sinn anzunehmen. Soll Gott viele auf eine ſolche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu meiner Beruhigung, daß Gott jene Voͤl - ker, jene Staͤdte, jene Perſonen nicht nach ſeinem geoffenbarten Worte, ſondern nach dem Geſetze, ſo in ihr Herz geſchrieben iſt, und ihnen die Vernunft lehret, richten*)Roͤm. Cap. 2. v. 12., und niemand Unrecht thun werde**)Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12. v. 48.. Ja wird ein Heide Gott ſo, wie jener heidni - ſche Hauptmann Cornelius***)Apoſt. Geſch. C. 10. v. 1. u. f. ſuchen, ſo wird er denſelben auch nicht ohne Gnade und Erbarmung laſſen.
Geliebteſter Leſer, waͤre es vernuͤnftig, waͤre es billig, waͤren wir edel in den Au - gen des Allwiſſenden und Heiligſten, der das Jnnerſte unſers Herzens ſiehet, wenn wir dieſe Betrachtung von uns legten, ohne das groſſe Gluͤck, ohne die Barmherzigkeit zu erwaͤgen, deren wir als Chriſten theil - haftig worden ſind? So viele Jahre, ſo viele groſſe Anſtalten, eine ſo langmuͤthige Gedult iſt noͤthig geweſen, ehe nur ein Theil der Voͤlker aus ihrer Kindheit, ausdem117dem Schlaf ganz dunkeler Gedanken, aus einem kindiſchen Aberglauben, und aus den rauheſten Sitten hat koͤnnen heraus - gezogen werden. Wie viele Muͤhe hat es gekoſtet, die Erkaͤnntniß des einigen Got - tes, und einen vernuͤnftigen Gottesdienſt und mildere Sitten unter die Menſchen zu bringen. Und wie groß, wie ſchaͤtzbar iſt dieſe Seligkeit? Wie angenehm, wie be - ruhigend, wie vergnuͤgend iſt der Gedanke? Jch bin ein Geſchoͤpf eines allmaͤchtigen Gottes, in ihm lebe, webe und bin ich. Aus Liebe hat er mich hervorgebracht, aus Liebe erhaͤlt er mich, aus Liebe hat er mir ſo mancherley Wohlthaten geſchenket. Er gedenket an mich, und kann meiner nimmer vergeſſen. Jn Chriſto hat er mir den gnaͤ - digen Rathſchluß geoffenbaret, daß er mich Unwuͤrdigen ewig lieben und ewig ſe - lig machen wolle. Jch ſoll noch nach dem Tode leben. Er will mich zu einer ſeligen Ewigkeit erhoͤhen. Jch ſoll als ein gelieb - tes Kind ewig in dem Glanz ſeiner Herr - lichkeit wandeln. Jch ſoll ewig die Liebe Gottes ſchmecken. O! wie ſuͤß iſt dieſe Hoffnung? Jſt auch irgend etwas unter den irdiſchen Vorzuͤgen, daß ein ſo ſanftes, ein ſo dauerhaftes, ein ſo entzuͤckendes Ver - gnuͤgen geben koͤnne? O Seele, wie groß iſt dein Gluͤck, daß der Rathſchluß des Ewigen deine Geburt in dieſe erleuchte - ten Zeiten geſetzet, und dich in demjenigenH 3Lichte118Lichte laſſen gebohren werden, darinne du einen Gott erblickeſt, der lauter Liebe in deine Augen ſtrahlen laͤſſet, und dir ſeinen Sohn und Geiſt zum Pfande derſelben ſchenket? Wie gluͤcklich biſt du, daß du zu einem Volke gehoͤreſt, welches die Lehre Jeſu erleuchtet, und welchem die Liebe Gottes das Herz weicher gemacht. Wie finſter, wie fuͤrchterlich ſind die Zeiten, da man die Kinder ſchlachtete und den Goͤtzen opferte? Da man Menſchen in einem gluͤenden, ehernen Ochſen ſteckte, und durch deren klaͤgliches Geheul das wuͤſte Gehoͤr eines grauſamen Tyrannen ver - gnuͤgte? Da Menſchen mit wilden Thie - ren kaͤmpfen, und dadurch ein luſtiges Schauſpiel geben mußten? Wie traurig iſt es noch jetzo in den Laͤndern, wo die Frauen lebendig in die Flamme ſpringen muͤſſen, die den Leichnam ihres todten Mannes verzehren? Wo man die Krie - gesgefangenen langſam bratet, und ſich mehr denn einen Tag an ihren Martern vergnuͤget*)Von dieſem letztern leſe man recht entſetzli - che Nachrichten in der Allgemeinen Ge - ſchichte der Laͤnder und Voͤlker in America Th. I. S. 404. u. f.? Mein Gott, warum bin ich denn eben gluͤcklicher, als ſo viele tau - ſend andere? Warum haſt du uͤber mich einen ſo vorzuͤglich gnaͤdigen Rathſchlußgefaſ -119gefaſſet? Was habe ich dir zuvor oder vor jenen Ungluͤcklichen gegeben? Dieſer Rath - ſchluß, dieſe Wahl iſt unerforſchlich. Jch falle vor dir nieder, ich bete dich an, mein Gott. Mir iſt Gnade, mir iſt Barmher - zigkeit wiederfahren. Warum aber mehr, denn jenen, da ich nicht mehr Wuͤrdigkeit habe? Jch freue mich, aber ich erſchrecke auch, ich erſtaune, ich verſtumme. Jch koͤnnte eben ſo unſelig ſeyn wie jene. Warum bin ich ihnen vorgezogen? O See - le, bewundere und verehre ewig dieſe Gna - de. Nimm ſie in der tiefſten Demuth an. Vergiß ihrer nie, und ach! ach! werde nie undankbar. Ergieb dich, opfere dich ganz auf der Liebe, die dich umarmet und in den Himmel heben will.
Der Tod und die Auferſtehung des Erloͤſers haben den Feinden der Wahrheit noch immer ein an - ſcheinendes Recht gegeben, un - ſern allerheiligſten Glauben verdaͤchtig zu machen. Chriſtus ſollte vom Kreuze ſtei - gen, um auf dieſe Weiſe die Zuſchauer ſei - ner Marter zu uͤberfuͤhren, daß er der wahre Koͤnig der Jſraeliten ſey. Matth. C. 27. v. 42. Aber ihr Verlangen ward nicht erfuͤllt. Niemand hat den Heiland nach ſeiner Auferweckung geſehen, als die dazu von GOtt beſtimmten Zeugen. Apoſt. Geſch. C. 10. v. 41. Dieſe aber waren Juͤnger und Freunde deſſelben*)Siehe die Wiederlegung des Celſus, bey dem Origenes im 2 B. 11. C. §. 2. und 6. nach der Ueberſetzung des Herrn Canzlers von Mosheim: Jmgleichen Sherlocks ge - richtl. Verhoͤr der Zeugen von der Auferſte -hung. Hatman121man daher nicht Urſache, an der Gottheit Chriſti zu zweifeln, und die Gewißheit ſeiner Auferſtehung zu beſtreiten*)Woolſton, deſſen Leben in der hiſtor. litium Thomae Woolſton erzaͤhlet wird, Seit. 7. (*) ſo wie ſelbiges aus dem Engliſchen uͤber - ſetzet und 1733. in Leipzig gedruckt worden, kann hier zum Beyſpiele dienen, ſ. Sher - locks gerichtl. Verhoͤr der Zeugen u. ſ. w. Bl. 76.?
Dieß iſt die Sprache des Unglaubens, die bereits von manchen beantwortet wor - den. Die Art zu denken iſt aber bey den Menſchen viel zu verſchieden, als daß ei - nerley Freunde bey allen auf gleiche Art wirken ſollten. Wie oft geſchiehet es, daß viele einerley Wahrheit annehmen, der ei - ne aber wird durch dieſen und ein andrer durch einen andern Grundſatz dazu be - wogen. Was der eine wichtig findet, kommet dem andern zu leicht vor. Es iſt derowegen nicht ohne Nutzen, wenn eben dieſelbige Wahrheit auf mehr, denn einer - ley Art bewieſen, und eben derſelbe Zweifel durch verſchiedene Aufloͤſungen gehoben wird. Den einen beruhiget dieſe, den andern eine andere. Jch hoffe derowegen, man werde es mir zu gute halten, wenn zu den verſchiedenen Antworten auf den ange -H 5fuͤhrten*)hung Jeſu, ebenfalls nach der deutſchen Ueberſetzung, die zu Leipzig 1736. in 8. ge - druckt worden, auf der 116. Seite.122fuͤhrten Einwurf, welcher von alten und neuen Lehrern der Kirchen gegeben wor - den*)Man findet ſelbige in der mit vieler Ge - lehrſamkeit geſchriebenen Abhandlung des Herrn Conſiſtorialraths Meenen, deren Titel: Die nichtige Einwendung, daß der auferſtandene Jeſus nur ſeinen Freunden und nicht ſeinen Feinden erſchienen ſey., auch die meinige noch hinzufuͤge.
Warum befremdet es uns, daß Chri - ſtus das verlangte Zeichen nicht gegeben, und ſich ſeinem Kreuze nicht entriſſen hat? Jſt es nicht wahr? Wir bilden uns ein, ſo viele Vorfechter des Unglaubens haͤtten dadurch muͤſſen uͤberzeugt werden, Jeſus von Nazareth ſey der wahre Meſſias. Warum ſtoſſen wir uns ſo ſehr daran, daß der Heiland nur ſeinen Juͤngern erſchienen, und daß ihn die Unglaͤubigen nicht eben ſo wol, wie jene, nach ſeiner Auferſtehung geſehen haben? Jſt es nicht wahr? Wir muthmaaſſen, daß auch dieſe dadurch zu der Annehmung des Evangelii wuͤrden bewegt ſeyn. Wir werden demnach 1) ſehen, ob uns nicht unſere Hoffnung von dieſen an - genommenem Folgen taͤuſche, und ob nicht der verſprochene Glaube unterblieben waͤre, wenn gleich Chriſtus entweder vom Kreuze ſteigen, oder allem Volke wieder erſcheinen wollen.
Ferner,123Ferner, was ſetzet uns in ſolche Ver - wunderung bey dem erlittenen Tode des Erloͤſers? Glaubet man nicht, es waͤre das gewiſſeſte Zeichen des Meſſias geweſen, wenn er ſich durch ſeine Macht von demſel - ben errettet haͤtte? Und was iſt es, daß man ſich uͤberredet, der Heiland habe ſich allem Volke wieder lebendig zeigen muͤſſen? Meynet man nicht im Gegentheile eine Ent - ſchuldigung derer zu finden, die ſeine Auf - erſtehung geleugnet haben? Laſſet uns alſo 2) bemerken, daß beydes die Wahrheit und das Leben Jeſu durch nichts weni - ger, als dadurch waͤre beſtaͤtiget; hin - gegen der Unglaube nur befoͤrdert worden.
Der Beweis dieſer Saͤtze wird uns zu den weiſen Abſichten des Hoͤchſten fuͤhren, die wir ſuchen.
Erſtlich waren die erwuͤnſchten Folgen,Das gefor - derte Zei - chen wuͤrde den wahren Glauben nicht gewir - ket haben. die man annimmt, wol niemals zu hoffen: Und wenn der Heiland entweder ſeinem Tode entgangen, oder hernach auch ſeinen Feinden erſchienen waͤre, ſo wuͤrde doch ihr Glaube an denſelben unterblieben ſeyn.
Setzet, Chriſtus waͤre wirklich vom Kreuze geſtiegen. Nehmet an, daß er ſei - ne goͤttliche Majeſtaͤt durch dieß Zeichen be - wieſen. Wir wollen einmal einraͤumen,daß124daß ſolches die Zuſchauer uͤberzeugen und in ihnen den Glauben bewirken koͤnnen: wie wuͤrde aber derſelbe ſeyn beſchaffen ge - weſen? Beurtheilet ſolches aus ihrem eige - nen Geſtaͤndniſſe. Matthaͤus im 27. Marcus im 15. und Lucas im 23. Cap. haben ſolches aufgezeichnet. Die Vor - uͤbergehenden wollten bey dieſem Zeichen wahrnehmen, ob Chriſtus der Sohn Got - tes ſey. Die Hohenprieſter, Schriftge - lehrten, Aelteſten oder Obriſten und das Volk ſuchten daraus zu erkennen, ob er ein Koͤnig in Jſrael, ein Sohn des Hoͤchſten, der Meſſias und Auserwaͤhl - te Gottes koͤnne genannt werden. Der Moͤrder, der im Unglauben an der Seite Jeſu ſtarb, machte ſich anheiſchig, als - denn zu geſtehen, er ſey Chriſtus, das iſt der Meſſias, oder Geſalbte. Die Kriegs - knechte aber wollten dadurch erfahren, ob Jeſus den Namen eines Koͤniges der Ju - den verdiene oder nicht, oder ſeiner viel - mehr nur ſpotten.
Die unreinen Quellen dieſer Forderung ſind viel zu deutlich, als daß man ſelbige nicht ſogleich, bey dem erſten Anblicke, ent - decken ſollte. Denn waren vielleicht noch keine Zeugniſſe der ewigen Gottheit und des Koͤnigreichs Chriſti, mithin der noͤthig - ſten Eigenſchaften des Meſſias vorhanden? Bewies er nicht ſeine Gottheit durch goͤtt - liche Werke? Suchte man ihn nicht ebendarum125darum zu toͤdten? Joh. C. 5. v. 18. Zeigte nicht Chriſtus aus den Weiſſagungen der Propheten, durch ſeine Macht und durch ſeine Geſetze, daß er der Koͤnig ſey, der Jſrael verheiſſen war? Und mußte nicht eben dieſes nachher ein Vorwand werden, warum man ihn dem Roͤmiſchen Landpfle - ger Pilatus uͤberantworten konnte. Luc. C. 23. v. 2.
Wozu bedurfte es denn dieſer neuen Probe? Man kann, ohne Furcht zu irren, behaupten, daß die Perſon und das Reich des Erloͤſers den vorgefaßten Meynungen der Juden widerſprochen, und daß ſie nichts anders, als eine Bekraͤftigung ihrer Vorurtheile verlanget haben. Der Be - griff, den ſie von ihrem Meſſias hegten, iſt ja ſo unbekannt nicht, daß man daran zweifeln duͤrfte. Jhr erwarteter Koͤnig ſollte ein maͤchtiger, ein unuͤberwindlicher Regente der Erden ſeyn*)Es iſt wahrſcheinlich, daß die Verkuͤndi - gungen des Alten Bundes hiezu unſchuldiger Weiſe Gelegenheit gegeben, weil ſie groͤß - tentheils auf irdiſche Dinge gehen. Man merkte in Jſrael auf nichts eher, als auf die Gluͤckſeligkeiten dieſer Zeit. Was war denn geſchickter, dieß Volk bey den Weiſſa - gungen von Chriſto achtſam zu machen, als eben ſolche ſinnliche Bilder?. Gog undMagog126Magog ſollten von ihm untertreten*)S. Hoornbeck de convincendis Judaeis L. III. c. 2. und das von Joh. Chriſtoph Wagenſeil ſeinen relis igneis Satanae einver - leibte munimen fidei das R. Jſaaks p. 48. Viele Juden hatten dieſe Meynung aus einer irrigen Erklaͤrung des 38. und 39. Cap. der Weiſſagungen Ezechielis geſchoͤpft., ſei - ne Unterthanen allenthalben ſiegreich und darauf, in beſtaͤndiger Ruhe, hoͤchſtgluͤck - ſelig werden. Sie hofften ihre ungeſtoͤrte Freyheit, die alsdenn erfolgen ſollte, wuͤr - de von einer dauerhaften Wolluſt begleitet werden. Darum bildeten ſie ſich ein, ihr Meſſias wuͤrde ſie ſo viele hundert Jahre mit den niedlichſten Speiſen und ſuͤſſeſtem Weine erquicken**)Man ſchloß ſolches, ohne Grund aus dem 8. Cap. des Hohenl. deſſen 2. v. ſ. Hoorn - beck am ang. O. L. V. c. 1.. Doch das war noch zu wenig, ihrem Vergnuͤgen noͤthige Sicherheit zu verſchaffen. Die maͤchtig - ſten Fuͤrſten und Regenten der Erden ſoll - ten ſich vor ihrem Beherrſcher beugen; die Jſraeliten aber aller Welt Schrecken ſeyn***)Wir beziehen uns hier der Kuͤrze halber wiederum auf des R. Jsaaks munimen fidei p. 45. Der erdichtete Grund dieſer einge - bildeten Hoffnung war das 2 Cap. des Pro - pheten Daniels, welches die Juden groͤß - tentheils davon erklaͤret haben..
Suͤſſe127Suͤſſe Gedanken! Wird man auch ſelbige mit dem geiſtlichen Koͤnigreiche des Erloͤſers reimen koͤnnen? Die Jrrthuͤmer waren viel zu reizend, als daß die Juden bey einer wunderbaren Errettung Chriſti vom Kreuze etwas anders, als dieſes haͤt - ten denken ſollen: Seht! nun iſt noch die Zeit unſerer Erloͤſung erſchienen. Gluͤck zu! dem Monarchen des Hauſes Jacobs. Auf! laßt uns das unertraͤgliche Joch der heidniſchen Herrſchaft abwerfen, die laͤngſt gewuͤnſchte Freyheit erobern u. ſ. w. War das vielleicht der Glaube, den Jeſus ver - langte, um ſeine Verehrer gluͤcklich zu machen?
Jſt dieſe Vermuthung noch nicht gewißSondern einen Jrr - thum be - ſtaͤrket ha - ben. genug, traͤgt jemand Bedenken, derſelben beyzupflichten, ſo erwaͤge man nur fol - gendes:
1) Jſt es mehr als zu gewiß, daß die niedrige Geſtalt des Erloͤſers den Juden ein Aergerniß geweſen, 1 Cor. C. 1. v. 23. und daß ſie die Kreuzigung des Meſſias mit ſeiner Majeſtaͤt nicht vergleichen koͤn - nen. Anfaͤnglich hegten die Juͤnger Jeſu ſelbſt ganz andere Gedanken von der kuͤnf - tigen Herrlichkeit, in welcher ſie ihrem Meiſter und Herrn, nach ſeiner Erhoͤhung dienen wollten. Denn als Chriſtus unter ihnen ſein bevorſtehendes Leiden verkuͤndig - te, ſo war ihnen ſolches etwas ſo unerwar -tetes,128tetes, daß ſie der keines vernahmen, auch nicht wußten, was das geſagt war. Luc. C. 18. v. 24. Die Kinder Abrahams ſind noch in dieſem Stuͤcke ſo blind und ſo verſtockt, daß ihr〈…〉〈…〉, das iſt der Ge - henkte, eine der ſchimpflichſten Benennun - gen ſeyn ſoll, mit welcher ſie unſern hoch - gelobten Heiland belegen*)S. Eiſenmengers entdecktes Judenthum, im I. Theile, auf der 88. 89. und 496. Seite.. Ja, ſie ſcheuen ſich nicht, die Worte Davids: Jch habe noch nie geſehn den Gerechten verlaſſen u. ſ. w. Pſ. 37. v. 25. auf eine hoͤchſt unerlaubte Weiſe wider die Unſchud Chriſti zu misbrauchen. Jeſus der Ge - kreuzigte rief ja ſelbſt aus:〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉: Mein Gott! mein Gott! warum haſt du mich verlaſſen? Matth. C. 27. v. 46. Soll nun David nicht geir - ret haben, ſoll ſein Ausſpruch wahr ſeyn, ſo iſt es auch unmoͤglich, (ſo denkt der Be - ſchnittene,) daß Jeſus von Nazareth fromm und gerecht geweſen**)Nicht leicht wird ein Schluß ſo ungereimt erdacht werden, als dieſer iſt. Man ſollte den Begriff der Worte Davids beſtimmt, und alsdenn bewieſen haben, daß Chriſtus in ſeiner Niedrigkeit geblieben, daß er ſo wenig aus dem Grabe auferſtanden, als ſich wieder zu der Rechten ſeines Vaters ge - ſetzet. Wir ſind eines beſſern uͤberzeuget. Der.
2) Woll -1292) Wollten ja die Juden von keinem geiſtlichen Koͤnigreiche Chriſti etwas wiſſen. Er bezeugete, ſein Reich ſey nicht von dieſer Welt. Joh. C. 18. v. 36. Er ſagte ihnen deutlich genug, daß er nicht kommen die Welt als ein irdiſcher Monarchzu**)Der Heiland ſollte die Strafen uͤber ſich nehmen, die alle Menſchen mit ihren Suͤn - den verdienet hatten Er mußte daher noth - wendig eine Zeit lang von Gott verlaſſen ſeyn. Jenes konnte ohne Nachtheil ſeiner Heiligkeit geſchehn; warum nicht auch die - ſes? Der R. Lipmann nimmt unter an - dern ſeine Zuflucht zu dieſem nichtswuͤrdi - gen Einwurfe, in dem Nizzach. vet S. Wagenſeil am angef. O. p. 162. Eben das Gift heget auch der beruͤchtigte Boͤhme, Paul Felgenhauer, deſſen Leben in der Hiſt. biblioth. Fabric. P. V. p. 33. kurz beruͤhrt iſt. Er miſcht es in ſeine ſogenannte Apo - logiam Chriſtianam p. 237. S. die Unſch. Nachr a. J. 1706. S. 618. Man kann ſelbigem den wunderlichen Daͤnen, Oliger Pauli, der ſeine Schwaͤrmereyen in Amſter - dam, jedoch nicht ohngeahndet, getrieben, (Nov. Litt. maris Balth. a. 1705. p. 254.) mit ſeinem verkehrt uͤberſetzten Eli Eli lama Sabach, beyfuͤgen. Die Unſch. Nachr. er - zaͤhlen den gotteslaͤſterlichen Jnhalt dieſer Schrift. a. J. 1704. S. 720. Gilbert Leiding und Ludw. Winslow haben ihn wider - legt. Die Abhandlung des letzteren hat den Titel: Salvator a Deo deſertus u. ſ. w. Haf - niae 1706. 8. S. Nov. Litt. maris Balth. a. 1707. p. 111.Jac. Betr. 4. Band. J130zu richten, und den Juden zu unterwerfen, ſondern ſelbige ſelig zu machen, und ihnen ein ſeliges Leben im Himmel zu ſchenken. Zu dem Ende wuͤrde er ſo erhoͤhet werden, wie Moſes in der Wuͤſte eine Schlange er - hoͤhet. Joh. C. 3. v. 14-18. Dieſes wa - ren ihnen aber unbegreifliche Dinge. Sie verlangten daher ein Zeichen, daß dieſer Abſicht gerade entgegen war. Er ſollte vom Kreuze ſteigen. Sie wollten keinen Heiland, der Juden und Heiden fuͤr gleich ſchuldige Suͤnder erklaͤrete, die ſein Tod mit Gott ausſoͤhnen, und beyde gleich herrlich, gleich ſelig machen ſollte. Sie verlangten einen ſolchen Meſſias, der die Heiden den Juden unterwerfen, und dieſe zu Herrn der Welt machen ſollte. Waͤre nun der Erloͤſer vom Kreuze geſtiegen; ſo wuͤrden ſie ihn zwar fuͤr den gehofften Meſ - ſias; allein nicht fuͤr einen ſolchen Heiland der Welt angenommen haben, als Jeſus nach dem Rathe Gottes ſeyn ſollte. Sie wuͤrden ihn fuͤr einen ſolchen angenommen haben, den Gott geſandt, ſie von dem Joche der Roͤmer zu befreyen, und ſie zu Herren derſelben zu machen. Dieſes wuͤr - de der Glaube geweſen ſeyn, den das ge - forderte Zeichen wuͤrde gewirket haben.
Allein dieſer Glaube waͤre nicht bloß ein irriger Gedanke geweſen, der ohne wei -tere131tere Folgen geblieben. Er haͤtte ganz ge - wiß die ſtaͤrkſten und nachtheiligſten Wir - kungen gehabt. Man ſtelle ſich alle Um - ſtaͤnde vor, in welchen der Heiland war, da man ihn gekreuziget und da es ſchien, als wenn gar keine Huͤlfe fuͤr ihn uͤbrig waͤre. Haͤtte er mit eins ſeine Kraͤfte ge - zeigt und die Macht bewieſen, die er wirk - lich beſaß; haͤtte er ſeine Bande zerriſſen und ſein Kreuz zerſchmettert; waͤren die Kriegesknechte und die Moͤrder zerſtreuet und zu Boden geſchlagen; waͤren die Wun - den an ſeinem Leibe auf einmal heil wor - den. ‒ ‒ ‒ Mein Gott! welche Bewe - gungen wuͤrden nicht alsdenn entſtanden ſeyn? Wenige Augenblicke waren genug, Schrecken und Freude, Furcht und Froh - locken bey den Zuſchauern wechſelsweiſe hervorzubringen. Jhre Beſtuͤrzung wuͤr - de ſich ſo fort in Aufruhr und ihre Beſchaͤ - mung in eine halsſtarrige Empoͤrung ver - wandelt haben. Die erſte Wirkſamkeit und Aeuſſerung ihres Glaubens waͤre ohne Zweifel dieſe geweſen. Man haͤtte den Heiland zum Koͤnige gekroͤnet, die Waffen ergriffen, den Roͤmern Schoß, Steuer und Gehorſam aufgekuͤndigt, die groͤßten Grauſamkeiten veruͤbt und ſich verſichert gehalten, der neue Monarche werde ſeinem Eigenthume allen Schutz und allen moͤgli - chen Beyſtand leiſten. Nun wollte Chri - ſtus ſein Reich nicht durchs Schwerdt aus -J 2gebrei -132gebreitet wiſſen. Wie durften ſich daher die Juden den Sieg verſprechen, da Jeſus nicht nur in ihre Aufwiegelung unmoͤglich willigen, ſondern auch ihrem unbilligen Erwarten kein Genuͤge leiſten konnte. Elende Leute! euer Koͤnig haͤtte euch in dieſen ungerechten Abſichten verlaſſen; ihr aber wuͤrdet die Strafe der Rebellen und die ſchaͤrfſten Folgen der Empoͤrung noth - wendig haben empfinden muͤſſen. Der Roͤmiſche Kaiſer, der die Rechte und Freyheiten der Juden ohnedem zu beſchnei - den ſuchte*)Suetonius in Tiber. c. 36. erzaͤhlet, daß der damals regierende Kaiſer Tiberius kein ſonderlicher Freund der Juden geweſen. Seine Worte ſind dieſe: Judaicos ritus com - peſcuit: coactis, qui ſuperſtitione ea tene - bantur, religioſas veſtes cum inſtrumento omni comburere. Judaeorum juventutem, per ſpeciem ſacramenti, in provincias gra - vioris coeli diſtribuit: reliquos gentis ejus - dem, vel ſimilia ſectantes, urbe ſubmovit, ſub poena perpetuae ſervitutis, niſi obtem - peraſſent. , wuͤrde ſeine Macht wider ſelbige gekehrt und ſo viele Tauſende ihrer Bruͤder zum Opfer ſeiner Grauſamkeit und zu betruͤbten Beyſpielen ſeines gerech - ten Zorns gemacht haben. Jeruſalem war eben in den Tagen des Leidens Jeſu, we - gen des bevorſtehenden Feſtes, volkreicher an Juden, wie ſonſt. Dadurch waͤrezwar133zwar ihre Rebeliton fuͤr die Roͤmer gefaͤhr - licher, aber auch fuͤr die Juden zugleich deſto mißlicher geworden. Die Roͤmer waren ihnen allemal zu maͤchtig. Wuͤrde alſo nicht das Elend im juͤdiſchen Lande be - ſchleunigt ſeyn, welches den Drohungen des Heilandes gemaͤß, erſt ſechs und dreyſ - ſig Jahre nachher erfolgt iſt. Die der Schaͤrfe des Schwerdtes entrunnen, haͤtte der Hunger aufgerieben, und die der Hun - ger verſchonet, waͤren mit ihren Woh - nungen vom Feuer verzehrt. Den Reſt haͤtte man in Ketten und Feſſeln gelegt, und entweder einer willkuͤhrlichen Marter uͤberantwortet, oder als hoͤchſt ungluͤckliche Zeugen der greulichſten Verwuͤſtung ihres Vaterlandes leben laſſen.
An dieſem allen duͤrfen wir um ſo vielWird wei - ter bewie - ſen. weniger zweifeln, da ſich das Juͤdiſche Volk niemals uͤberreden konnte, ihr Meſ - ſias ſey wirklich vorhanden, ohne zugleich die unvernuͤnftigſten Ausſchweifungen zu begehen.
Man vergleiche ihr Betragen, welches ſie zur Zeit der Wallfahrt Chriſti im Flei - ſche geaͤuſſert, mit der gewoͤhnlichen Auf - fuͤhrung der Juden nach ſeiner Erhoͤhung; unſere Muthmaaſſung wird allenthalben beſtaͤtigt werden. Jeſus ſpeiſete ohngefaͤhr fuͤnftauſend Mann, mit fuͤnf Gerſtenbrod -J 3ten134ten und zween Fiſchen. Dieſe alle wur - den nicht allein damit geſaͤttigt, ſondern, woruͤber ein jeder am mehreſten erſtaunen mußte, es blieb auch noch mehr Speiſe uͤbrig, als vorhin war da geweſen. Nie - mals hatte man ein ſolches Wunder ge - ſehn. Jeſus hieß daher auf einmal der groſſe Prophete, der in die Welt kommen ſollte. Blieb es aber bloß bey dieſem Glauben, oder bey einem wiederholten Bekaͤnntniſſe deſſelben? Keinesweges. Sie giengen gleich weiter. Man wollte ihn er - haſchen und zum Koͤnige uͤber Juda auf - werfen. Mußte nicht der Erloͤſer desfalls, einem Uebel vorzubeugen, aus ihren Haͤn - den entfliehen? Joh. C. 6. v. 15.
Man erwaͤge ferner die Unruhe und das Verfahren dieſes rebelliſchen Volks, wenn ſich falſche Propheten unter ihnen, nach den Zeiten Chriſti hervorthaten. Ein paar der merkwuͤrdigſten Beyſpiele davon ſind ſchon zureichend, ſo viele und ſo fuͤrch - terliche Bewegungen an den Tag zu legen, als ihnen in ſolchen Faͤllen eigen waren.
Als Kaiſer Trajan und nach ihm Ha - drian das Roͤmiſche Scepter fuͤhrten, wie - gelte der Rabbi Akiba den beruͤchtigten Barkochab, (das hieß ein Sohn der Sterne,) unter den Juden auf, daß er ſich mit unglaublicher Dreiſtigkeit fuͤr den Meſſias ausgab, deſſen Ankunft ſie laͤngſt entgegen geſehen. Es daurete auch nichtlange,135lange, ſo waren ſchon Leute genug beyſam - men, mit welchen dieſer Betruͤger ſeine Wuth gegen Chriſten und Heiden bewei - ſen konnte. Es gelung ihm auch bey die dreyßig Jahre. Die Stadt Bethoron, oder Bither, ohnweit Jeruſalem, war der Koͤnigliche Sitz, Akiba ſein Prophete und Egypten der ungluͤckliche Kampfplatz, auf welchem die Roͤmer lange Zeit geſchlagen wurden. Endlich ſchickte Kaiſer Hadrian ein maͤchtiges Heer vor die Reſidenz dieſes Juͤdiſchen Fuͤrſten und eroberte dieſelbe. Eine unzaͤhlige Menge Juden ward zu ſel - biger Zeit erſchlagen, der falſche Meſſias getoͤdtet, ſein Prophete jaͤmmerlich hinge - richtet, und in Egypten alles mit dem Schwerdte zum Gehorſam gebracht. Die uͤbrigen erfuhren dieſen Betrug zu ihrem groͤßten Schaden viel zu ſpaͤte. Jnzwi - ſchen veraͤnderten ſie doch den Namen ih - res Barkochabs. Sie nannten ihn Bar - koſab oder Barkoſiba, das hieß ein Kind der Unwahrheit, oder ein Sohn der Luͤgen*)Die Geſchichte dieſes Verfuͤhrers beſchrei - bet zum theil Buxtorf in Synagog. Judaic. c. 50. noch umſtaͤndlicher aber der ehemali - ge Celliſche Gottesgelahrte Sigism. Hof - mann, in ſeinem ſchwer zu bekehrenden Ju - den-Herze. S. deſſen vorlaͤufige Erzaͤhlungvon.
J 4Ohn -136Ohngefaͤhr um die Mitte des ſiebenze - henden Jahrhunderts, erdichteten die Ju - den abereinſt tauſend neue Seltenheiten, als Vorboten ihres nahen Monarchen. Und ehe man ſichs verſahe, ſo ſtund Sa - batai Zevi auf, und gab vor, er ſey nun endlich das Haupt in Juda, unter wel - chem die zwoͤlf Staͤmme Jſrael ſollten ver - ſammlet werden. Seine Glaubensgenoſ - ſen eileten zu ihm aus allen Enden der Er - den. Sie faſteten, ſie kaſteyeten ihren Leib, verkauften ihre Guͤter und verlieſſen Nahrung und Gewerbe. Alles hieng Sa - batai an. Er waͤhlete derowegen fuͤnf und zwanzig kleinere Fuͤrſten, die die Jſrae - liten nach dem heiligen Lande fuͤhren, und die Richter dieſes nunmehro gluͤckſeligen Volks ſeyn ſollten. Doch, er mußte zu - voͤrderſt nach Conſtantinopel. Auf dieſer Reiſe hatte er das Ungluͤck, in die Haͤnde der Tuͤrken zu gerathen. Zwey Monathe waren verfloſſen, als man ihn von Con - ſtantinopel nach dem Kaſtel Abydos brach - te. Hier ward er darum etwas leidlicher gehalten, weil ſich die Tuͤrken die Erlaub - niß, dieſen groſſen Propheten zu ſehen, von dem haͤufig zulaufenden Volke gut be -zahlen*)von den falſchen Meſſiis, Seite 66. Jm - gleichen Bayl. Dict. hiſt. et crit. unter dem Namen Barcochabas. 137zahlen lieſſen. Was geſchah aber? Ne - hemias Kohen, ein ſehr gelehrter Jude, der den Betrug des Sabatai wohl gemer - ket, wuͤnſchte an der Ehre des Meſſias Theil zu haben. Als er ihm ſolches ab - ſchlug, ſo ward dadurch der ganze Handel verrathen. Nehemias gieng nach Adria - nopel und ſtellte dem Großherrn vor, Sa - batai ſey ein Verfuͤhrer und ſuche nur bey Gelegenheit das gelobte Land von der Pfor - te abwendig zu machen. Man ließ ihn derowegen von den Dardanellen dahin bringen, damit man ſeine Verantwortung wegen ſolcher Beſchuldigung vernehmen koͤnnte. Hier ward ihm angekuͤndiget, daß man vor dem Angeſicht des Großherrn ei - ne gewiſſe Anzahl Pfeile auf ſeinen bloſſen Leib abdruͤcken wuͤrde. Wenn er dieſe ſo auffangen koͤnnte, daß ſie ihn entweder gar nicht traͤfen, oder wenigſtens nicht beſchaͤ - digten, ſo ſollte er verſichert ſeyn, daß man ihn fuͤr den Meſſias und fuͤr denjenigen groſſen Propheten halten wollte, dafuͤr er ſich ausgegeben. Waͤre er aber dieſe Probe auszuſtehen nicht vermoͤgend, ſo bliebe nur zweyerley fuͤr ihn uͤbrig. Er haͤtte entweder den verdienten Lohn ſeiner Betruͤgereyen zu gewarten, und man wuͤr - de ihn an einem vor dem Seraglio zu dem Ende errichteten Pfahle ſpieſſen laſſen; oder er ſollte die Religion des Landes ergreifen. Das erſte war eine Probe, die ihm miß -J 5lich138lich ſchiene; das zweyte eine Marter, die er unertraͤglich zu ſeyn glaubte. Sabatai waͤhlete daher das letzte und beſchwur den Koran*)S. Hiſt. de tribus huius ſaeculi famoſis im - poſtoribus, ſo wie ſie aus dem Engliſchen ins Deutſche uͤberſetzt worden, im J. 1669. Seit. 35. u. f. Die Betruͤger aber, die wir nahmhaft gemacht und noch mehrere derſelben findet man in dem〈…〉〈…〉 und in des vor - maligen Herbornſchen Profeſſors A Lent be - ſondern Traktate de Pſeudo Meſſiis. Herb. 1643. 4. Hr. Hofmann hat am angef. O. einen Auszug davon gemacht, der neunzehn ſolcher Jrgeiſter in ſich faſſet..
Man halte alle dieſe Unternehmungen der Juden zuſammen. Jſt es nicht an dem, die offenbahreſten Betruͤgereyen waren zu - reichend, dieß Geſchlechte aufzuwiegeln? Was vor Bewegungen wuͤrden nicht ent - ſtanden ſeyn, wenn ſie Jeſum, bey dem ſich ſonſt alle uͤbrige Eigenſchaften ihres er - warteten Koͤniges ohnedem befanden, als einen Ueberwinder des Todes und aller ſei - ner Feinde, wider Vermuthen erblickt haͤtten? Aber wie betruͤbt ſind nicht die Folgen, welche dergleichen herrſchſuͤchtige Anſchlaͤge nothwendig nach ſich ziehen mußten?
Die wenigen Heiden, welche bey dem Kreuze Jeſu mit jenen ein gleiches begeh -ret,139ret, koͤnnen uns hier gar nicht mehr vor - geworfen werden. Wir wiſſen ja, daß die Kriegsknechte in dem voͤlligen Beſitze des groͤßten Rechtes zu ſeyn vermeynet, wenn ſie nur das harte Urtheil an dem Hei - lande vollzoͤgen, welches ihre Obern gefaͤl - let hatten. Was war es mehr? als ein bloſſes Geſpoͤtte, daß ſie ihm zuriefen: Biſt du der Juͤden Koͤnig, ſo hilf dir ſelber, Luc. C. 23. v. 36. Haben ſie ihm vielleicht jemals zu ihrem Koͤnige verlangt? oder war es ihnen auch erlaubt, auſſer dem Kaiſer keinen andern Landsherrn zu begehren? Blieb nicht vielmehr ihre Zuſa - ge zuruͤck, daß ſie mit den Juden gemein - ſchaftliche Sachen machen und ſeine Par - they ergreifen wollten, wenn ſich Chriſtus ſelbſt helfen und aus ihren Haͤnden erret - ten wuͤrde? Den Roͤmern konnte es frey - lich nicht ganz unbekannt ſeyn, daß das Juͤdiſche Volk mit der Ankunft ihres Meſ - ſias zugleich einer neuen Monarchie entge - gen ſaͤhe*)Tacitus berichtet Liſt. L. V. c. 13. daß dieſe Hoffnung in den Juͤdiſchen Schriften zwar gegruͤndet geweſen; er erklaͤret ſie aber von dem Kaiſer Veſpaſianus und deſ - ſen Sohne Titus. Daher urtheilet er ſo: Pluribus perſuaſio inerat, antiquis ſacerdo - cum litteris contineri, eo ipſo tempore fore, ut valeſceret oriens profectique Judaeo re - rum potirentur. Quae ambages Veſpaſia -num. Haben dieſes aber auch die -jenigen140jenigen gewußt, die bey dem Tode Jeſu waren, ſo war doch das Herabſteigen deſ - ſelben vom Kreuze nicht zureichend, einen Glauben von ſolcher Art bey ihnen hervor - zubringen, als das Evangelium erfordert. Jhre Erkaͤnntniß von der Hoffnung Jſraels war zu ſeichte: und alles, was ſie davon wiſſen konnten, gruͤndete ſich auf vorgefaß - te Meynungen eines eben ſo aberglaͤubigen als herrſchſuͤchtigen Volkes. Wie demnach die Quellen waren, ſo mußten auch die Begriffe ſeyn, welche aus denſelben ge - ſchoͤpft wurden. Ein zum Kreuze ver - dammter Koͤnig der Juden blieb den Hei - den eine Thorheit 1 Cor. C. 1. v. 23.*)S. Tob. Eckhard. am angef. O. p. 107.. Aus dem verlangten Zeichen aber erfolgte, ohne ihrem vorgaͤngigen Unterrichte in den Lehren des Erloͤſers keine ſolche Ueberzeu - gung, als man vermuthet; es ſey denn, daß man kein Bedenken truͤge, noch einzweytes*)num ac Titum praedixerant. Svetonius ſchreibt im Veſp. c. 4. Percrebuerat oriente toto vetus et conſtans opinio: Eſſe in fatis, ut eo tempore Judaea profecti rerum poti - rentur. S. Is. Casauboni comment. hieruͤber p. 546. und Tob. Eckhard. non Chriſtianor. de Chriſto teſtim. p. 57. Soll - te dieſes wol nicht damals bey den Roͤmern Furcht erreget, ſie deſto aufmerkſamer und gegen die Juden um ſo viel haͤrter gemacht haben?141zweytes Wunder hinzuzuſetzen, welches in ihren Seelen unmittelbar Bekehrung und Glauben bewirkt haͤtte.
Dieſe und keine andere BewandnißWarum Chriſtus nach der Auferſte - hung nicht allem Volk erſchienen. hat es auch mit den Erſcheinungen Chriſti, nach ſeiner Auferſtehung. Unſre Leſer moͤ - gen ſelbſt urtheilen, wie viel die Ausbrei - tung der Religion und die Fortpflanzung der Lehren Jeſu dadurch gewinnen koͤnnen, wenn ſelbige allgemein geweſen.
Geſetzt, daß alles Volk ohne Unter - ſchied, Freunde und Feinde, Juden und Heiden, den Heiland wieder lebendig ge - ſehen. Geſetzt, daß ſolches alle moͤgliche Wirkungen gehabt haͤtte, die es haben konnte. Wie weit haͤtten ſich ſelbige er - ſtreckt? Chriſtus, der vor unſern Augen geſtorben und begraben worden, der iſt wieder mitten unter uns, der lebt wieder. Eine gemeinere Beſtaͤtigung dieſer Wahr - heit iſt das Hoͤchſte, was man davon hof - fen durfte. Hingegen kannten ſie deswe - gen noch nicht die eigentliche Beſchaffen - heit des Reichs Chriſti. Sein Hingang zum Vater, ſeine Herrlichkeit zur Rech - ten Gottes, die Schickſale der Prediger des Glaubens und ſeiner Juͤnger uͤberhaupt, die Natur und Vorzuͤge der Gemeinde Je - ſu u. d. m. blieben insgeſammt Geheimniſſe, welche ſelbſt ſeinen Freunden damals nocheben142eben ſo unbegreiflich ſchienen, als ihnen die Verkuͤndigung von dem Leiden Chriſti vormals geweſen war. Die Gedanken und Wuͤnſche derer, welchen der aufer - ſtandene Jeſus ſich lebendig bewieſen, ſtrit - ten noch immer mit den eigentlichen Abſich - ten deſſelben. Sie fragten ſo lange nach der Errichtung ſeines irdiſchen Reiches; ſie forſchten nach der dazu beſtimmten Zeit: Herr! wirſt du auf dieſe Zeit wieder aufrichten das Reich Jſrael? bis endlich ihre Hoffnung verſchwand, als der Hei - land ſie nebſt dieſer Welt verließ und gen Himmel fuhr. Apoſtelg. C. 1. v. 6.
Waͤre nun der anfaͤnglich verworfene Meſſias auch den uͤbrigen, als ein Ueber - winder des Todes, ſichtbar worden, ſo wuͤrden dieſe ebenfalls nichts anders, als eine gleiche Bekraͤftigung ihrer ſinnlichen Begriffe und irdiſchen Gedanken daraus genommen haben. Eben die mißlichen Empoͤrungen, die eine Befreyung Chriſti vom Kreuze erregt haͤtten, waren noch moͤglich, wenn er ſich hernach jedermann lebendig erwieſen. Jhre Jrrthuͤmer von einem weltlichen Koͤnigreiche des Erloͤſers waren dadurch noch nicht widerlegt. Jhre zeitliche Hoffnung war deswegen noch nicht verlohren. Sie blieben alſo noch eben ſo geneigt zu den ſtrafbarſten Ausſchweifun - gen, wie vorhin.
Dazu kommt noch dieſes. DemWeitere Ausfuͤh - rung des vorigen. Hauſe Jacobs wurde das erworbene Heil der Menſchen zuerſt gepredigt, und die Jſraeliten ſollten zuerſt vor andern an der Seligkeit Theil nehmen, die Chriſtus zu - wege gebracht. Allein, ſie verwarfen dieſelbe. Sie wollten nichts von Jeſu und von ſeiner Lehre wiſſen. Was war es denn Wunder, daß ihnen desfalls die haͤr - teſten Strafen gedrohet wurden, die ihre Halsſtarrigkeit verdienete? Nichts deſto - weniger war dieß unempfindliche Volk nicht zu gewinnen. Zeichen und Thaten, Drohungen und Verheiſſungen, kurz alle Bemuͤhungen des Heilandes waren um ſie vergeblich. Er nahm daher endlich Ab - ſchied von ihnen mit dieſen Worten: Jhr werdet mich von jetzt an nicht ſehen, bis ihr ſprechet: Gelobet ſey, der da kommt in dem Namen des Herrn. Matth. C. 23. v. 39. Nun war〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 Gelobet ſey der da kommt, in dem Namen des Herrn, ein Stuͤck des groſſen Hallels, zu welchem auſſer dem 113. der 114. 115. 116. 117. und 118. Pſalm gehoͤret. Pſ. 118. v. 26. Eben darum war es aber auch ein Theil der Weiſſagungen von dem Meſſias. Die Juden erwarteten mit der Erfuͤllung der - ſelben nichts von zeitlichen Gluͤckſeligkeiten, welches ſie nicht, ihrer Meynung nach,daraus144daraus bewieſen. Und ſie waren gewohnt, ſo ofte ſie ihre Erſtlinge vor dem Herrn brachten, oder ſich zu Feyertagen bereite - ten, dieſe Worte, als eine ſchmeichelnde Hoffnung zu wiederholen*)S. Io. Lightfoot. hor Hebr. et Talm. in Luc. XIII. 35. und S. J. Baumgart. Diſſert. de Chriſto a Judaeis conſpiciendo, quando dixerint: celebretur veniens in no - mine Domini Halae 1736. 4. Die Erklaͤ - rungen dieſer Stelle ſind ſehr verſchieden. Jndeß bleibt es doch gewiß, daß die Juden ſelbige auf einen Koͤnig ihres Geſchlechts ge - deutet. Darum ſchrien ſie, bey dem Ein - zuge Chriſti in Jeruſalem. Hoſianna! Ge - lobet ſey der da kommt in dem Namen des Herrn, ein Koͤnig von Jſrael. Joh C 12. v. 13.. Wenn de - rowegen das ganze Volk Chriſtum wieder lebendig geſehen, wenn es ſich ſeines kurz vorher genommenen Abſchiedes dabey erin - nert; wuͤrde man nicht den Tag dieſer Er - ſcheinung fuͤr die frohe Zeit gehalten haben, in welcher ſie ſprechen ſollten: Gelobt ſey der da kommt u. ſ. w. Oder war als - denn etwas natuͤrlicher, als daß ſie auf die Wiederherſtellung des Juͤdiſchen Scepters dringen, den Heiland als einen weltlichen Koͤnig verehren, und den Beſitz der gluͤckſeligen Herrſchaft fordern mußten, auf welche ihr Vertrauen geſetzt war**)Jch erinnere mich hiebey eines Ausdrucks des bekannten Leidenſchen Profeſſors Petr. Cuneus? Was145Was iſt aber zwiſchen dieſem Glauben und zwiſchen jenem, den die Befreyung Chriſti vom Kreuze moͤglich machen konnte, vor ein Unterſchied?
Doch vielleicht haͤtte ein jeder, der den Erloͤſer in ſeinem Leben gekannt, ihn auch nach ſeinem Tode wieder ſehen koͤnnen, oh - ne daß ſolches auf einmal, oder von allen zugleich geſchehen, und dergleichen widri - ge Wirkung zu befuͤrchten geweſen. Er konnte ſich ja nach und nach ganz klei - nen Haufen offenbaren, und ihnen den Unterricht von der eigentlichen Beſchaffen - heit ſeines Reiches geben, und ſie zu dem Glauben bringen, der in der Welt aus - gebreitet werden ſollte. Waͤren die Vor - nehmen der Juden auf dieſe Art erſt gewon - nen geweſen, wuͤrde der groͤſſere Haufe dieſen leicht gefolget ſeyn. Allein man be - denke, was die vornehmen Juden mit die - ſem Glauben haͤtten fahren laſſen muͤſſen, naͤmlich die reichen Einkuͤnfte von dem Tempel und Opfern, die nunmehr aufhoͤ - ren ſollten. Jſt es alaublich, daß irgend eine Erſcheinung des Heilandes ſie zu einer ſolchen Verleugnung ſo groſſer irdiſcher Vortheile wuͤrde gebracht haben? Wuͤrdeihre**)Cuneus L. I. de rep. Hebr. c. 1. Eſt inſita mortalibus imperii cupido quaedam, eaque vetus hercle admodum et cunctis affectibus flagrantior. Jac. Betr. 4. Band. K146ihre Einnahme und Ehre ihnen nicht Aus - fluͤchte eingefloͤſſet haben, die denen aͤhnlich geweſen, welche ſie den Wundern Jeſu entgegen ſetzten? Matth. C. 12. v. 24. Se - hen wir nicht noch heutiges Tages, wie die aufgeklaͤrteſten Koͤpfe die groͤßten Thorhei - ten annehmen, glauben und vertheidigen koͤnnen, wenn groſſe Vortheile damit ver - bunden ſind? Die chriſtliche Religion wuͤr - de alſo auch durch dieſe Art von Erſchei - nungen des Erloͤſers nichts gewonnen ha - ben. Wir kennen den irdiſch geſinnten Menſchen nicht genug, wenn wir dieſes hoffen.
Warum erſchien aber der auferſtande - ne Heiland nicht einem Pilatus und andern angeſehenen Roͤmern zu Jeruſalem? Die - ſe wuͤrden ſofort ſeyn glaͤubig worden, und das ganze Roͤmiſche Gebiethe von dem Chriſtenthume uͤberzeuget haben. Auch hier hoffet man etwas ganz unwahrſchein - liches. Man bedenke auch hier, daß, wenn das Roͤmiſche Gebiethe auf die Auſſage ei - nes Pilatus ſo gleich das Chriſtenthum an - genommen, einige Hundert der vornehm - ſten Roͤmer, und mit ihnen einige Tau - ſend geringere ihr Anſehen und die groſſen Einkuͤnfte, ſo ſie von dem Goͤtzendienſte hatten, auf einmal verlohren haͤtten, und die ganze Verfaſſung ihres Staates da -durch147durch die groͤßte Veraͤnderung gelitten. Kann man glauben, daß ſie auf die Auſ - ſage eines Pilatus und einiger andern, die vorgegeben, daß ihnen ein gekreuzigter Chriſtus erſchienen und gelehret, man ſollte den Goͤtzen nicht mehr opfern, den ganzen Staat ſofort geaͤndert und bekannt haben wuͤrden, daß ſie bisher Thoren geweſen? Kann man glauben, daß die vornehmſten ihrer Prieſter, die aus den angeſehenſten Geſchlechtern waren, auf einmal ihre ein - traͤglichen Wuͤrden niedergelegt, und nun - mehr muͤhſelige Lehrer des Volkes abgege - ben haben wuͤrden? Sehen wir es nicht noch heutiges Tages, daß die deutlichſten Wahrheiten und ſtaͤrkſten Gruͤnde nichts ausrichten, wenn ſie mit dem Staatsin - tereſſe und den Vortheilen der Hohen und Reichen ſtreiten? Es iſt nicht einmal wahr - ſcheinlich, daß ein Pilatus und andere an - geſehene Roͤmer zu Jeruſalem es gewaget, und eine ſolche Erſcheinung als eine wahre Erſcheinung des Heilandes, und als eine Bekraͤftigung ſeiner Lehre angegeben ha - ben wuͤrden, aus Furcht, als Stoͤhrer der Ruhe des Staates angeſehen zu werden.
Das Jntereſſe wuͤrde ihnen eingefloͤſ - ſet haben, was eine andere Furcht den Juͤngern des Herrn anfaͤnglich in die Ge - danken brachte, daß ſie naͤmlich nicht Je - ſum, ſondern ein Geſpenſt geſehen. Oder waͤren Pilatus und andere vornehmeK 2Roͤmer148Roͤmer zu Jeruſalem zum Glauben und zu einem oͤffentlichen Bekaͤnntniſſe deſſelben gebracht worden, wuͤrde demnach das an - gefuͤhrte Jntereſſe nicht verſtattet haben, daß man ihnen zu Rom geglaubet haͤtte. Man vergeſſe bey Beurtheilung ſolcher Umſtaͤnde niemals, daß eine jede Veraͤn - derung der Religion eine merkliche Veraͤn - derung in einem Staate hervorbringe, wo - bey allezeit Perſonen leiden, die daher eine ſolche Veraͤnderung zu verhindern ſuchen. So viel die eine Religionsparthey zunimmt, ſo viel verlieret die andere. Denen Geiſt - lichen der aͤltern Parthey gehet von ihren Einkuͤnften ſo viel ab, daß man ſie nicht ſo fort durch andere Bedienungen und durch andere Zufluͤſſe ſchadlos halten kann. Selbige werden daher allezeit Himmel und Erde bewegen, daß keine Veraͤnderung geſchehe. Koͤnnte man einen jeglichen, der bey einer Veraͤnderung in der Religion lei - det, ſo fort ſchadlos halten, es wuͤrde der Wahrheit viel leichter werden, hier und da einzudringen.
Jedoch, wir muͤſſen auch zweytens beweiſen, daß der Unglaube gewiß be - foͤrdert, die Wahrheit und das Leben Je - ſu hingegen durch nichts weniger beſtaͤtigt waͤre, als wenn Chriſtus vom Kreuze ſteigen, oder allem Volke erſcheinen wol -len149len, nachdem er auferſtanden war von den Todten.
Jch wende mich zu dem Ende wieder zu der Gemuͤthsbeſchaffenheit des Ge - ſchlechts Juda. Jch vergleiche ſelbige mit der Perſon des Erloͤſers. Man klaget Je - ſum an, weil er geſagt, er ſey Chriſtus, der Meſſias, ein Koͤnig. Luc. C. 23. v. 2. Man beſteht darauf, daß er des Todes ſchuldig ſey. Man beſtimmt ihm ſogar ſelbſt diejenige Strafe, die die Roͤmiſchen Geſetze hauptſaͤchlich mit Staatsverbre - chen, mit Aufruhr und Hochverrath zu verbinden pflegten*)I. Lipsius bemerkt ſolches in ſeinem Tra - ctate de cruce L. I. c. 14. Das Roͤmiſche Geſetz, welches er daſelbſt anfuͤhret, enthaͤlt kurz dieſes: „ Wer Aufruhr und Empoͤrun - „ gen erreget, wird, nachdem er es verdie - „ net, entweder gekreuzigt, oder den wil - „ den Thieren vorgeworfen. „ Die Aufgabe in der Hamb. verm. Biblioth. 3. B. War - um Chriſtus eben am Kreuze den Tod er - dulden muͤſſen, laͤßt ſich, wie mich deucht, hieraus fuͤglicher beantworten, als wenn man ſagt; Chriſtus waͤre darum am Kreuze geſtorben, weil dieſe Art des Todes die al - lerhaͤrteſte geweſen.. Will man vielleicht den Heiland uͤberall fuͤr keinen Koͤnig der Juden erkennen? Oder ſoll ſelbiges als - denn erſt geſchehn, wenn er den weit aus - ſehenden Unternehmungen dieſes rebelliſchen Volkes ein Genuͤge geleiſtet? Jm erſtenK 3Falle150Falle waͤre ja die Forderung eines neuen Zeichens eben ſo unbillig, als die Erfuͤllung derſelben vergeblich geweſen. Jm andern Falle aber iſt die vorige Haͤrte und der bisherige Unglaube ſchon ſo gut, als von neuem unterſtuͤtzt. Denn ich will hier noch einmal annehmen, der Erloͤſer habe ſein Kreuz verlaſſen, ſo muß man ſich die Ju - den in derjenigen Bewegung vorſtellen, welche ihnen am mehreſten eigen war (§. 5. u. f.). War denn wol der Abſicht des Erloͤſers etwas mehr zuwider, wie dieſe? Chriſtus kam ja nicht, ihm dienen zu laſſen, ſondern daß er dienete und ſein Leben zu einer Erloͤſung fuͤr viele gaͤbe. Matth. C. 20. v. 28. Sie durften ſich ſo wenig Rath als Huͤlfe, ſo wenig Bey - ſtand als Unterſtuͤtzung von dem Heilande verſprechen. Sie waͤren von ihm verlaſ - ſen worden, da ſie eben ſeiner Anfuͤhrung in den gefaͤhrlichſten Unternehmungen am mehreſten bedurft. Kein Ungluͤck aber konnte ſie eher zur Verzweiflung bringen, als wenn derjenige vor ihren Augen ver - ſchwunden waͤre, durch welchen, wie ſie geglaubt, eine Menge uͤbereilter Thaten geſchehen ſollten. Es iſt leicht zu vermu - then, was hieraus erfolgen mußte. Jſrael haͤtte ſich, von der Zeit an, von neuem wider Jeſum verſchworen. Jhre betroge - gene Hoffnung haͤtte ſie um ſo viel mehr gegen den Erloͤſer aufgebracht. Und ihreletzte151etzte Verſtockung waͤre dadurch aͤrger wor - den, denn die erſte.
Wie wenn man aber alsdenn nach denFortſetzung des vorigen. Merkmahlen des Meſſias bey Chriſto frag - te? Waͤren ſelbige auch, ſo wie ſie jezt ſind, vollkommen geblieben? Es war von ihm verkuͤndigt, daß er in ſeiner Unſchuld ſterben ſollte, wie ein Miſſethaͤter. Jeſ. C. 53. v. 9 und 10. Er ſollte eben ſo lan - ge im Grabe ſeyn, als Jonas im Bauche des Fiſches geweſen war. Matth. C. 12. v. 39. u. f. Der Heiland hatte von ſich ſelbſt geweiſſaget, daß er zwar wuͤrde gegeiſſelt und getoͤdtet, aber am dritten Tage wieder auferwecket werden. Luc. C. 18. v. 33. Wie waͤre nun der Tod Chriſti, oder die beſtimmte Art deſſelben; wie waͤre ſeine Auferſtehung oder die ihr geſetzte Zeit erfuͤllt worden, wenn er das verlangte Zeichen am Kreuze gegeben? Wo bliebe der Be - weis von der Wahrheit des Erloͤſers aus der Zeit ſeines Todes, worauf doch die Juden verwieſen waren? Matth. C. 12. v. 39. Wuͤrden nicht bey Ermangelung deſſen, der Unglaube beſtaͤrket, die Zwei - fel wider Jeſum vermehret, und die An - nehmung der Predigt des Heils gaͤnzlich verhindert ſeyn?
Wir trauen denen, die ihren Verſtand gebrauchen, mehr zu, als daß ſie ſich be -K 4reden152reden koͤnnten, ein Abgeſandter rechtfertige ſich damit, wenn er ſeine eigenen Beglau - bigungsbriefe ſelbſt verdaͤchtig macht. Ein mittelmaͤſſiger Verſtand begreifet, wie kein Zeuge Beyfall verdiene, der keinen Scheu traͤgt, ſeinem eigenen Zeugniſſe zu wider - ſprechen.
Die Heiden haͤtten ohnſtreitig einen Abſcheu und heftigen Widerwillen gegen die chriſtliche Religion bekommen, wenn ſie geſehen, daß ihr Stifter zu Ausſchweifun - gen, Aufſtand und Unruhen, wiewol un - gerne Urſache und Gelegenheit gegeben. Bey den Roͤmern war die aberglaͤubigſte Andacht, nach den Regeln des Staats, auf das genaueſte abgemeſſen. Numa Pompilius, der Rom zuerſt durch Geſetze befeſtigte*)Virgilius nennt ihn daher Aeneid. L. VI. v. 809. u. f. primus qui legibus vrbem fundavit, Curibus parvis et paupere terra miſſus in imperium magnum:, hatte die Sicherheit ſeines Throns und die Ruhe ſeiner Unterthanen zum Ziel ſeiner heiligen Gebraͤuche und zum Zweck ſeines Goͤtzendienſtes geſetzt. Das Volk ward dadurch auf eine gewiſſe Art beſchaͤfftigt, und ihre Gottheiten hiel - ten ſie im Zwange gegen alle Unternehmun -gen,153gen, die die gemeine Ruhe ſtoͤhren konnten. Dazu hatten die Sibyllen ihrer Herrſchaft eine Dauer verkuͤndigt, die ſo lange waͤh - ren ſollte, als ſie ihre alte Ehrfurcht in den Tempeln behalten, und die eingefuͤhrten Gebraͤuche beobachten wuͤrden*)Zosim. hiſt. L. II. . Nichts konnte ihnen daher unangenehmer; nichts konnte ihnen mehr zuwider ſeyn, als eine neue Religion, die der Sicherheit des Lan - des nachtheilig waͤre, und wol gar mit Empoͤrungen und Blutvergieſſen ihren An - fang naͤhme. Gleichwie kein Staat beſte - hen kann, der eine Menge Aufwiegler in ſeinem Buſen naͤhret, ohne desfalls jemals aufmerkſam zu werden; ſo war auch den Lehren des Heilandes in allen Reichen der Zugang gaͤnzlich verſchloſſen, wenn ſich ih - re erſten Bekenner in die politiſche Ver - faſſung derſelben einflechten wollten. Haͤtte nun Chriſtus Gelegenheit gegeben, daß ihn die Juden zum Koͤnige ausgerufen, ſo wuͤrde man ſelbige als Verraͤther des Va - terlandes verfolget, erwuͤrget, und die Ausbreitung des Namens Jeſu in dem Gebiethe der Roͤmer gaͤnzlich unterſagt haben. Das erſte waͤre, aller Wahr - ſcheinlichkeit nach, geſchehen, wenn der Erloͤſer ſein Kreuz verlaſſen und ſich ſelbſt erretten wollen. (§. 5. u. f.) Das letztereK 5kann154kann daher, als eine ſichere Folge, damit verbunden werden.
Jſt es denn nun nicht der Unglaube, welchem die Weisheit Gottes darinn vor - gebeuget, daß Chriſtus in ſeinem Leiden geblieben, und wirklich geſtorben iſt.
Plinius der juͤngere lebte zu einer Zeit, da ſich die Chriſten ſchon ziemlich vermeh - ret, und, weil ſie kein ſichtbares Haupt mehr auf der Welt hatten, deswegen auſ - ſer Verdacht waren, daß durch ſie die oͤf - fentliche Ruhe wuͤrde geſtoͤret, oder die Verfaſſung des gemeinen Weſens geaͤn - dert werden. Jnzwiſchen hielt er ſie doch fuͤr eigenſinnige Leute, die man, wie er glaubte, durch Vermittelung des Kaiſers Trajans, auf andere Gedanken bringen koͤnnte*)S. Plin. L. X. ep. 97.. Gieng man mit dieſen Gedan - ken um, als ſich niemand etwas uͤbels von den Chriſten zu befahren hatte; was vor Anſchlaͤge, was vor Gewalt wuͤrde man ergriffen haben, da ſie noch bey der per - ſoͤnlichen Gegenwart Chriſti vermoͤgend waren, ſich wegen des Abfalls von den Roͤmern verdaͤchtig zu machen?
Aus einer allgemeinen Erſcheinung des Erloͤſers, nach ſeiner Auferweckung, laſſen ſich faſt gleiche Folgen zeigen. Die Ab -ſichten155ſichten und das Verlangen der Juden wa - ren damit noch nicht unterdruͤckt. Und ſie konnten doch ſelbige unmoͤglich unter Vor - ſchub des Heilandes erreichen. Deswe - gen waͤre aber ihre Bosheit erſt rege, ihr Unglaube groͤſſer und der Haß gegen die Religion ſcheinbarer worden.
Allein es ſind aus eben dem Grunde noch mehr Wirkungen moͤglich, die mit der Predigt von Chriſto und von ſeiner Auferſtehung ſtreiten. Wenn auch Juden und Heiden, Freunde und Feinde den wie - derlebenden Jeſum ohne Unterſchied erblickt haͤtten, ſo wird man doch nicht glauben duͤrfen, daß ſolches ihre vorige Erbitterung gegen ihn auf einmal in Liebe, Ehrfurcht und Glauben verwandeln koͤnnen. Die groͤßten Thaten des Erloͤſers, die vor ih - ren Augen geſchahen, waren ja hiezu viel zu wenig. Wozu half die oftmalige Ue - berzeugung der Schriftgelehrten, die ſie durch ein unwilliges Stillſchweigen zu er - kennen gaben? Sie verlangten immer an - dere Wunder, naͤmlich ſolche, die ihnen ein Zeichen waͤren die Roͤmer anzugreifen. Er ſollte ſich dem Moſes gleich machen. Joh. C. 6. v. 30. 31. Da er dieſes nicht thun wollte; blieben ſie noch immer Ver - folger des Heilandes. Eben dieſe und kei - ne andere Beſchaffenheit ihres Herzens laͤßt ſich zum voraus ſetzen, wenn gleich eine allgemeine Erſcheinung Chriſti unterihnen156ihnen wirklich geſchehen waͤre. Vermoͤge des Ehrgeizes, der Vorurtheile und an - derer Eigenſchaften der Juden, war es allemal leichter moͤglich, und daher auch wahrſcheinlicher, daß ſie durch eine allge - meine Erſcheinung Chriſti nicht gebeſſert wurden, als daß ſie dadurch alle ihre irdi - ſche Gedanken verlohren. Und wenn ſich auch einige vermittelſt derſelben bekehrt haͤtten, ſo wuͤrden doch die mehreſten in ihrem Unglauben geblieben ſeyn.
Wenn nun die Apoſtel behaupten wol - len, Chriſtus ſey von den Todten aufer - ſtanden; wenn ſie ſich darauf berufen, daß er ihnen erſchienen und daß ſie ihn geſehen; ſo wuͤrde der Widerſpruch der Juden noch heftiger geworden ſeyn. Das, was ſie ſelbſt erblicket, ihre eigenen Erſcheinungen haͤtten ihnen zu Werkzeugen ihrer Gottlo - ſigkeit dienen muͤſſen. Haben wir nicht dieſe Geſtalt, von der ihr ſo viel erzaͤhlet, ſelbſt geſehen? Jhr betruͤget euch aber. Es war nicht euer Chriſtus, der am Kreuze ſtarb. Nein, ein Geiſt war es: Ein Blendwerk der Augen und wer weiß, was mehr? Leichtglaͤubige! duͤrfet ihr andere ſo frech hintergehen? Fraget nur die uͤbri - gen, denen dieß Geſichte, damit ihr euch rechtfertigen wollet, eben ſowol erſchienen iſt, wie uns. Wem dieſes unglaublich vorkommt, der erinnere ſich doch, wozu die Juden ihre Zuflucht nahmen, wenn ſieWun -157Wunder ſahen, die ſie auf keine Weiſe ableugnen konnten. Matth. C. 12. v. 24. Man erinnere ſich, daß ein groſſes irdi - ſches Jntereſſe die Menſchen dahin bringen koͤnne, den deutlichſten Wahrheiten der Vernunft zu entſagen, und die offenbare - ſten Thorheiten nicht nur zum Scheine zu vertheidigen, ſondern ſo gar zu glauben. Jch mache mit Fleiß keine Exempel nam - haft. Ein Leſer, der die Welt in etwas kennet, wird ſie leicht finden.
Es ſind noch andere ſehr widrige Fol -Auflauf, den eine all - gemeine Er - ſcheinung gewirket ha - ben wuͤrde. gen, die eine ganz oͤffentliche Erſcheinung des auferſtandenen Erloͤſers ganz gewiß ge - habt haben wuͤrde. Was fuͤr einen Auf - lauf wuͤrde nicht die bloſſe Neubegierde er - reget haben? Wie viele Kranke wuͤrde man nicht von allen Orten herbey geſchlep - pet haben? Mit was fuͤr Gewalt wuͤrde einer den andern wegzudraͤngen geſucht ha - ben? Man lerne doch folgendes aus der Geſchichte des Erloͤſers. So bald er an - gefangen Wunder zu verrichten, konnte er ſich niemals lange an eben demſelben Orte aufhalten, oder es gab zu allerhand Un - ordnungen Anlaß. Man draͤngete auf ihn zu, man brachte eine Menge von Kranken zu ihm, man deckte Haͤuſer oben im Dache auf, und ließ die Kranken dadurch zu ſei - nen Fuͤſſen hernieder. Auf dem plattenLande158Lande kamen ſolche Haufen von allen Ge - genden zuſammen, daß es ihnen an Spei - ſe mangelte. Wenn derowegen unſer Er - loͤſer einige Tage an einem Orte ſich auf - halten wollte, ſo befahl er, daß man ſeine Gegenwart nicht kund machen ſollte. Man leſe hieruͤber Marc. C. 7. v. 24. C. 1. v. 33. C. 2. v. 4. Joh. C. 1. v. 6-15. Nun neh - me man an, der Erloͤſer haͤtte ſich nach ſei - ner Auferſtehung allem Volke gezeiget, wuͤrde dieſer Zuſammenlauf der Menſchen nicht weit groͤſſer worden ſeyn? Haͤtte er hier die geringſte Gelegenheit gehabt ſie zu unterweiſen und etwas Gutes zu ſtiften? Haͤt - te er ſich nicht ohne dergleichen ausgerichtet zu haben ihren Augen entziehen muͤſſen, wenn auch gleich der Aufruhr und die Empoͤrung nicht entſtanden waͤre, die wir oben ſo wahrſcheinlich gemacht, da man ihn gewiß zum Koͤnige von Jſrael wuͤrde ausgerufen haben. Geſetzt aber, daß ſolches nicht ge - ſchehen waͤre, ſo wuͤrde doch der bloſſe Auf - lauf des groſſen Haufens die Erſcheinung des Heilandes unfruchtbar gemacht, und er wuͤrde ſich ihren Augen haben entziehen muͤſſen. Und was wuͤrde darauf erfolget ſeyn? Gewiß dieſes. Der eine wuͤrde ge - ſaget haben: er war es, und der andere: er war es nicht. Wollte der Heiland ſei - ne Auferſtehung auf eine heilſame Art kund machen; ſo konnte dieſes nur in der Gegen - wart eines kleinern Haufens geſchehen, derihn159ihn genau gekannt, und der zu der noͤthi - gen Stille und Aufmerkſamkeit zu bringen, und von der eigentlichen Beſchaffenheit ſei - nes Reichs Unterricht anzunehmen geneigt war. Es iſt ſchon ein Haufe von mehr, denn fuͤnfhundert Zeugen, denen der Erloͤ - ſer ſich gezeiget, ſo groß, daß er gewiß nicht groͤſſer ſeyn duͤrfen, wenn ſie anders von der Erſcheinung des auferſtandenen Er - loͤſers, und daß er derjenige ſey, der am Creuze geſtorben, gewiß werden, und in der Lehre deſſelben weiter unterwieſen und beſtaͤrket werden ſollen.
Um dasjenige, was bisher geſaget wor -Fortſetzung des vori - gen. den, fuͤhlbarer zu machen, ſo ſtelle man ſich vor, der Lord Bute in Engelland ſtuͤrbe in einem oͤffentlichen Duell, in Gegen - wart vieler Menſchen, durch eine Kugel. Nach dreyen Tagen ſchenkte ihm die Vor - ſehung das Leben wieder, mit dem Befehl, die Sitten der Engellaͤnder zu verbeſſern, ihnen den Begriff einer vernuͤnftigen Frey - heit zu predigen, und wider eine ungezaͤhm - te Freyheit zu eifern. Er redete wider ei - nen Wilks, und diejenigen, die ſeine hef - tigen Schriften vertheidiget. Um dieſes Exempel deſtomehr in diejenigen Umſtaͤnde zu ſetzen, darinne der Erloͤſer ſich befand, will ich dichten, (denn Wahrheit iſt es nicht,) die Meynung der Presbyterianerwaͤre160waͤre richtig, daß die Kirche Gottes kein biſchoͤfliches Regiment verſtattete, und der auferweckte Bute dringe alſo darauf, die Biſchoͤffe ſollten ihre groſſe Wuͤrde und die damit verbundenen reichen Einkuͤnfte abſte - hen, und nur niedrige und minder belohnte Lehrer der Religion abgeben, und die Schottiſche Kirchenverfaſſung einfuͤhren. Wie und wo ſoll er nun erſcheinen, und ſeinen Auftrag kund machen? Man ſetze hinzu, es herrſchte in Engelland noch die Meynung, die ehmals unter Juden und Heiden angenommen wurde, daß nicht ganz ſelten Geſpenſter erſchienen. Wie ſoll Bute beweiſen, daß er derjenige ſey, der vor drey Tagen erſchoſſen worden. Soll er ſich zuerſt dem Parlamente darſtellen? Kaum wird dieſes geſchehen ſeyn, ſo wird die Nachricht davon durch ganz London laufen, ganze Schaaren werden ſofort in das Parlamentshaus dringen, und eine noch groͤſſere Menge wird daſſelbe umge - ben. Alle Arbeit, alles Gewerbe und auch alle Ordnung wird auf einmal aufhoͤren. Ein jeder wird Buten ſehen und hoͤren wollen. Werden von denen, die auſſer dem Parlamentshauſe ſind, einige ermuͤ - den und ſich wegbegeben, ſo werden ſo vie - le andere herzudringen. Wie wollen die - jenigen, ſo darinne ſind, herauskommen? Wie ſoll der zuſammengelaufene Haufe wieder getrennet, und in ſein Haus getriebenwerden?161werden? Man wird entweder eine unzaͤhl - bare Menge der allergewaltſamſten Wun - der dichten muͤſſen, oder Bute muß wieder verſchwinden, ſonſt wird dieſer Auflauf, dieſe Unordnung Wochen dauern. Waͤre es auch moͤglich bey einem ſolchen Auflau - fe etwas heilſames zu lehren, und andere Geſinnungen in die Gemuͤther zu bringen? Geſetzt Bute haͤtte in den erſten Augenbli - cken ſeinen Auftrag vorgebracht, wuͤrden die Biſchoͤffe nun gleich ihre hohen Wuͤr - den und reichen Einkuͤnfte abgeben, und hingegen alle ihre Kraͤfte auf die Un - terweiſung des Volkes richten, und die ho - he engliſche Kirche der Schottiſchen in ih - rer Verfaſſung aͤhnlich machen? Werden ſie, wenn er ſich ihrem Geſicht wieder ent - zogen, nicht auf die Gedanken kommen, es ſey mit dieſer Erſcheinung entweder ein Be - trug vorgegangen, oder es habe ſich ein Geſpenſte und boshafter Geiſt ſehen laſſen? Man ſtrenge alle ſeine Kraͤfte an, man dichte Umſtaͤnde, wie man will, nur muͤſ - ſen ſie den jetzigen Geſinnungen der Men - ſchen aͤhnlich ſeyn, man haͤufe Wunder mit Wundern, und man wird die Erſchei - nungen eines auferweckten Todten nie mit wenigerer Unordnung, mit mehrern Nutzen und mehrerer Ueberzeugung dichten koͤnnen, als die wirklichen Erſcheinungen des aufer - ſtandenen Heilandes geſchehen ſind, es waͤre denn, daß man die unendliche Maje -Jac. Betr. 4. Band. Lſtaͤt162ſtaͤt Gottes ſo weit erniedrigen wollte, daß ſie einem jeden eigenſinnigen Kopfe das Recht zugeſtehen ſollte, beſondere Wunder zu fordern, wenn er anders die Wahrhei - ten glauben ſollte, die das groͤßte Heil der Menſchen ſind.
Man betrachte alle Umſtaͤnde der Er - ſcheinungen des Erloͤſers nach ſeiner Aufer - ſtehung, ſo ſind ſie Gott und dem ſanften Charakter des Erloͤſers anſtaͤndig, lehr - reich und heilſam, und im hoͤchſten Grade uͤberzeugend. Er zeiget ſich erſt einzelnen Perſonen, hernach mehrern, endlich einer Menge von einigen Hunderten. Er rufet einem Feinde und Verfolger, und macht ihn zu einem Apoſtel. Er erſcheinet ihnen von Zeit zu Zeit durch vierzig Tage hin - durch. Er laͤſſet ſich nicht nur ſehen, ſon - dern auch hoͤren und fuͤhlen, jedoch ſo, daß kein Auflauf entſtehen kann. Er aͤndert dadurch die Geſinnungen ſeiner Juͤnger ganz. Sie laſſen die thoͤrichte Hoffnung, Fuͤrſten der Welt zu werden fahren und werden Lehrer der Voͤlker, predigen den wahren Gott, und zernichten in groſſen Reichen, den unvernuͤnftigen Goͤtzendienſt. Sie beweiſen ihren geſunden Verſtand durch vernuͤnftige Schriften, und ihr red - liches Herz zum Theil durch einen Maͤr - tyrertod, und ihre Lehre bekraͤftigen ſie durchWunder163Wunder, die ſie im Namen des auferſtan - denen und gen Himmel gefahrnen Heilan - des thun. Sie beſtehen und ſiegen damit gegen die maͤchtigen Prieſter der Juden und Heiden gegen alle Weltweiſen, und gegen alle Gewalt und Verfolgungen der maͤchtigſten der Erde. Das Zeug - niß von dem lebenden Jeſu wird noch bis auf den heutigen Tag von Wundern begleitet, die vor jedermanns Augen ſind. Es ſind ſelbige inſonderheit die erfuͤllten Weiſſagungen, daß die Erkaͤnntniß und Verehrung des einigen wahren Gottes, durch einen Einzigen als erſten Urheber aus dem Judenthum unter die Heiden ge - bracht werden ſollte, welcher aus dem Ge - ſchlechte Davids ſeyn, und ſo wol das Ju - denthum reformiren, als die Heiden er - leuchten ſollte. Pſ. 87. Jeſ. C. 2. v. 23. C. 11. v. 1. 2. 10. C. 49. v. 6. Daß fer - ner Jeruſalem zerſtoͤret, die Jſraeliten un - ter alle Voͤlker zerſtreuet werden, und den - noch ein beſonderes kaͤnntliches Volk blei - ben ſollen, bis das Heidenthum werde be - kehret ſeyn, da denn endlich auch das uͤbrig gebliebene Judenthum zum Glauben an Jeſum gelangen werde. Luc. C. 21. v. 24. Roͤm. C. 11. v. 25. Dieſe beyden Weiſ - ſagungen ſind gar zu beſtimmet und zu deutlich, und wir ſehen die Erfuͤllung des groͤßten Theils davon vor unſern Augen. Jſt es moͤglich zu gedenken, daß ein offe -L 2ner164ner Kopf dieſe groſſen Begebenheiten, die wir vor Augen ſehen, errathen koͤnnen, oder daß ſie von ohngefaͤhr eingetroffen? Was konnte irgend jemanden auf den Ein - fall bringen, daß alle Erkaͤnntniß und oͤf - fentliche Verehrung des einigen Gottes unter den heidniſchen Voͤlkern einen einzi - gen Urheber aus dem Geſchlechte Davids haben wuͤrde? und wie genau und wunder - bar iſt ſie erfuͤllet? Kein Plato, kein Ari - ſtoteles, kein Seneca, kein Antonin hat es je unternommen, ein einziges heid - niſches Dorf zu der Erkaͤnntniß und Ver - ehrung des einigen Gottes zu bringen, und noch nie hat ein Tindal, ein Voltaire, ein Huͤme, ein Rouſſeau es ſich in den Sinn kommen laſſen dergleichen zu thun. Dem Jeſu von Nazareth kommt dieſe Eh - re ganz alleine zu, und ſelbſt Moham - med macht ſie ihm nicht ſtreitig, da er Chriſtum fuͤr einen Propheten Gottes er - kennet, der vor ihm geweſen und die Welt erleuchtet. Wie hat es ſich jemand koͤnnen traͤumen laſſen, daß die Juden unter alle Voͤlker zerſtreuet werden, und dennoch mitten unter denſelben ein eigenes Volk bleiben wuͤrden? Hat man davon auch ein aͤhnliches Exempel auf dem ganzen Erdbo - den? Wie will man ſolche erfuͤllte Weiſ - ſagungen erklaͤren, wenn man ſie nicht von dem Allwiſſenden herleiten will?
Die angefuͤhrten Weiſſagungen ſindMehrere Beſtaͤti - gung derſel - ben. nebſt verſchiedenen andern dergeſtalt in die Geſchichte des auferſtandenen Heilandes eingeflochten, daß man bey ihrer ſichtbaren Erfuͤllung nicht anders denken kann, als daß auch die Auferſtehung deſſelben geſche - hen ſey. Einige hundert Jahre vorher wird verkuͤndiget, alle Erleuchtung und Bekehrung der Heiden zu dem wahren Gott, ſoll einen einzigen Haupturheber haben. Wir ſehen dieſe Weiſſagung in ihrer Erfuͤllung. Dieſe beweiſet die Goͤtt - lichkeit der Weiſſagung, und daß die Er - fuͤllung nach dem Rathſchluſſe Gottes er - folget ſey. Und zwar ſaget die Weiſſa - gung, daß auf denjenigen, durch welchen der Herr dieſes ausrichten wuͤrde, der Geiſt des Herrn, der Geiſt der Weisheit und des Verſtandes, der Geiſt des Raths und der Staͤrke, der Geiſt der Erkaͤnntniß und der Furcht des Herrn ruhen wuͤrde. Jeſ. C. 11. v. 2. Es wird hiermit dasje - nige geſaget, was wir in allen auf uns ge - kommenen Reden und Handlungen des Er - loͤſers wahrnehmen, daß er weiſe und fromm ſeyn wuͤrde. Und finden wir auch irgend einen Grund in der Geſchichte des Erloͤſers, der dieſen Charakter deſſelben verdaͤchtig machte? Auch die Feinde ſeiner Lehre haben dieſen Charakter nicht koͤnnen zweifelhaft machen. Dieſer verſtaͤndigeL 3und166und fromme Jeſus aber gruͤndet den Be - weis ſeiner goͤttlichen Sendung vornehmlich auf ſeine Auferſtehung, und auf eben die - ſen Grund haben ſeine Juͤnger vornehmlich die Lehre des Evangelii gebauet. Man le - ſe davon Matth C. 12. v. 39. 40. Joh. C. 14. v. 19. 1 Cor. C. 15. v. 14. Ehe ich hieraus Schluͤſſe ziehe, verbinde ich hier - mit die vorhin angefuͤhrte zweyte Weiſſa - gung von der Zerſtoͤhrung Jeruſalems, und Zerſtreuung und Erhaltung des Juͤdiſchen Volkes, deren Erfuͤllung ſo merkwuͤrdig und von der Beſchaffenheit iſt, daß un - moͤglich ein bloſſer Menſch ſie ſo deutlich, und mit ſo vielen Umſtaͤnden vorher ſagen koͤnnen. Was fuͤr entſetzlich harte, un - glaubliche und recht widerſtehende Saͤtze muß man nun annehmen, wenn man ſich uͤberreden will, daß die Auferſtehung Chri - ſti nicht geſchehen, und die damit verbun - denen Weiſſagungen nicht goͤttlich ſind. Man muß entweder den Verſtand oder den Willen des Erloͤſers, ſeiner Juͤnger, aller erſten Chriſten, wie auch der ehemaligen Propheten alten Bundes der groͤßten Feh - ler beſchuldigen. Und wo findet man den Grund dazu. Man muß ferner anneh - men, daß eine Reihe von Begebenheiten vieler Jahrhunderte und groſſer Reiche durch ein blindes Ohngefaͤhr mit einander gleichſam conſpiriret, dasjenige zu Stande zu bringen, was jene mit ſo vielen Um -ſtaͤnden167ſtaͤnden vorher verkuͤndiget. Hat man von dergleichen irgend ein Exempel in der gan - zen Welt? Wer ſolche unwahrſcheinliche und widerſtehende Saͤtze annehmen kann, dem muͤſſen wir es uͤberlaſſen, ſich ſelber der ſo angenehmen Beruhigung des Gei - ſtes zu berauben, welche das Evangelium giebet.
Jch weiß gar wol, man ſetzet demjeni -Ein Zwei - fel wird ge - hoben. gen, was ich anjetzt vorgebracht, die Weiſ - ſagung eines Proculus entgegen, der da vorgab, Romulus waͤre aus dem Himmel kommen und haͤtte ihm offenbaret, Rom wuͤrde das Haupt der Welt werden. Sie moͤchten nur die Kriegesuͤbungen treiben und auf die Nachkommen fortpflanzen. Keine menſchliche Macht wuͤrde den Roͤ - miſchen Waffen widerſtehen koͤnnen. Man ſaget, dieſe Weiſſagung iſt erfuͤllet, und ſie hat ſich ſelber ihre Erfuͤllung verſchaffet, indem ſie die Roͤmer muthig und tapfer ge - macht. Allein man vergleiche doch dieſe Geſchichte nach allen Umſtaͤnden mit der von Chriſto; bleibet auch irgend einige Aehnlichkeit? Wie iſt jene Roͤmiſche Weiſ - ſagung entſtanden? Sie iſt, wie man in dem erſten Buch des Livius leſen kann, aus Noth erdichtet. Die Roͤmiſchen Rathsherren hatten ihren Koͤnig den Ro - mulus ermordet, und gaben vor, er waͤreL 4gen168gen Himmel gefahren. Das Volk erfuhr aber, daß der Rath ihn getoͤdtet, und wurde auf ſelbigen erbittert. Jn dieſer Verlegenheit mußte Proculus auftreten und betheuren, daß ihm Romulus erſchie - nen und obiges verkuͤndiget, und das Volk ließ ſich dadurch beruhigen. Hier iſt der Betrug und die irdiſchen Abſichten die - ſes Vorgebens offenbar. Wo findet man dergleichen bey obigen Weiſſagungen? Die Roͤmiſche Weiſſagung iſt ferner gar nicht erfuͤllet worden. Wie oft ſind die Roͤmer beſieget worden? Haben ſie auch je den groͤſſern Theil der Nationen von Deutſch - land, die ihnen doch ſo nahe lagen, haben ſie die Parther jemals unter ihr Joch zwin - gen koͤnnen? Jſt Rom nicht ſelber von Barbariſchen Voͤlkern bezwungen worden? Jſt es auch moͤglich eine ſolche Weiſſagung mit den Weiſſagungen, ſo ich oben aus der Offenbarung angefuͤhret, in einige Ver - gleichung zu ſetzen? Freudig und voll Zu - verſicht fordere ich alle auf, welche den Glauben der Chriſten beſtreiten, mir eine einzige Geſchichte aufzubringen, die ſo vie - le Merkmaale der Richtigkeit hat, als die Auferſtehung Jeſu, und dennoch erdichtet und falſch befunden worden? Jch bin ganz und gar nicht unempfindlich gegen die Zwei - fel, welche man wider die chriſtliche Reli - gion macht, und ſie haben lange Zeit mein Gemuͤth beunruhiget. Ja ſie thun nochzu169zu Zeiten einen Anfall auf die Ruhe mei - nes Gemuͤthes, wenn ſie der ſcharfe Witz eines Voltaire vortraͤget. Allein meine Ruhe wird ſofort wieder hergeſtellet, wenn ich bedenke, daß keine einzige Geſchichte der Welt mehr Kennzeichen der Richtig - keit vor ſich hat, als die von der Auferſte - hung des Heilandes, und noch nie eine Geſchichte, die ſolche Merkmaale der Rich - tigkeit vor ſich hat, falſch befunden wor - den. Man muß aber, wenn man dieſe Geſchichte mit andern vergleichen will, nicht hier und da einen einzeln Umſtand in Betrachtung ziehen, und die andern zuruͤck laſſen, ſondern man muß ſie nach allen in der Geſchichte bemerkten Umſtaͤn - den betrachten, und alsdenn mit andern Begebenheiten vergleichen, die ihr aͤhnlich ſind, und alsdenn unterſuchen, ob eine alſo bekraͤftigſte Geſchichte jemals falſch befun - den worden. Man muß bey der Auferſte - hung Chriſti inſonderheit bemerken, was von vorhergegangenen Dingen mit derſel - ben in Verbindung ſtehet, wer ſie zuerſt geglaubet und andern berichtet, und was man fuͤr Abſichten dabey gehabt, wie die - ſe Nachricht andern glaubwuͤrdig gemacht worden, und was ſolches fuͤr Veraͤnde - rungen nach ſich gezogen. Wenn ich alles dieſes uͤberlege, ſo muß ich entweder gar keine Geſchichte, die ich nicht ſelber geſe - hen, glauben, oder ich muß annehmen,L 5daß170daß Jeſus geſtorben und am dritten Tage wieder lebendig worden.
Man ſuchet dieſe groſſe Geſchichte noch dadurch verdaͤchtig zu machen, daß man ſaget: Dinge, wovon man anjetzt keine Exempel mehr hat, und dergleichen in vie - len Jahrhunderten nicht geſchehen, verdie - nen keinen Glauben, wenn ſie auch noch ſo viele Zeugen vor ſich haben. Jſt dieſer Schluß richtig, ſo muͤſſen auch nie Men - ſchen ohne Eltern entſtanden ſeyn, und ih - ren erſten Urſprung von Gott gehabt ha - ben, denn gar Niemand hat dergleichen geſehen. Nie muß ein ſolches Gebirge, wie die Schweizerſchen Alpen ſind, ent - ſtanden ſeyn, denn Niemand hat jemals ein ſolches Gebirge entſtehen ſehen. Jn - deſſen zeugen doch die vielen Ueberbleibſel von Meerthieren in denſelben, daß ein Theil derſelben ehmals im Meere geweſen. Man bemerke hierbey, daß dieſer Schluß inſonderheit bey goͤttlichen Werken hinweg faͤllt. Wer hat eine Schoͤpfung geſehen? Rouſſeau ſagt in ſeinem Lettre a M. de Beau - mont p. 101. ſo muͤſſet ihr auch Wampy - ren, das iſt verſtorbene Leute glauben, die lebenden Menſchen das Blut ausſaugen, denn es ſey durch ſehr viele Zeugen bekraͤf - tiget. Jch antworte: was glaubwuͤrdige Zeugen hiervon geſehen haben, nehme ichan,171an, nicht aber ihre unrichtigen Schluͤſſe, ſo ſie aus demjenigen herleiten. Man hat in der Erde Leichen gefunden, die noch ſehr friſch geweſen, nachdem ſie ſchon einige Tage in der Erde gelegen, und auf der Erde hat man Leute geſehen, welchen im Schlafe, man bemerke es ſehr wohl, im Schlafe vorgekommen, daß ſie der Ver - ſtorbene gedruckt, am Halſe gewuͤrget, und das Blut ausgeſogen, und einige ſind bald darauf geſtorben. An beyden Saͤtzen zweifele ich nicht. Hat aber jemals ein glaubwuͤrdiger und wachender Zeuge geſe - hen, daß ein Todter einem Lebendigen das Blut ausgeſogen? Dieſes iſt ein Satz, den man aus jenen Erfahrungen unrichtig ſchlieſſet. Die Richtigkeit von Schluͤſſen aber haͤnget keinesweges von Zeugen ab. Finde ich, daß verſtaͤndige und redliche Leute bezeugen, ſie haben etwas mehrma - len geſehen, gefuͤhlet und mit dem Gehoͤr empfunden, ſo glaube ich ihnen, in ſo weit ſie empfunden, nicht aber in ſo ferne ſie Schluͤſſe daraus ziehen. Hier unterſuche ich, ob ſie richtig ſchlieſſen.
Muß es Verehrern der chriſtlichen Re - ligion nicht zu einer groſſen Beruhigung gereichen, wenn ſie ſehen, daß ihre hoͤhni - ſchen Gegner zu ſo ſchlechten Einwuͤrfen, zu ſo ſtumpfen Waffen ihre Zuflucht nehmen?
So ſind denn die allerwichtigſten Urſa - chen vorhanden, die wir als goͤttliche Ab - ſichten anſehen koͤnnen, warum Chriſtus nicht vom Kreuze geſtiegen, und nach ſei - ner Auferſtehung ſich nicht allem Volke gezeiget. Es iſt dadurch der Beſtaͤrkung eines irrigen Wahnes von dem Meſſias vorgebeuget, Aufruhr und Empoͤrung ver - hindert, und die Erſcheinung Chriſti nuͤtz - lich und heilſam gemacht worden. Es ge - het uns bey den Einrichtungen Gottes im Reiche der Gnaden eben ſo, wie bey den Einrichtungen deſſelben im Reiche der Na - tur. Wir laſſen uns gar zu leichte ein - fallen dieſes und jenes koͤnnte beſſer ſeyn. Wir Bloͤdſichtige bemerken aber unzaͤhlige Folgen nicht, die eine andere Einrichtung haben wuͤrden. Moͤchten wir doch auch da allezeit Gott zutrauen, daß er das Be - ſte waͤhle, wo unſer ſchwacher Verſtand ſolches nicht begreifet.
Jch endige dieſe Betrachtung mit fol - gender Anmerkung. Es giebet Arten von Unglauben, die ſehr beleidigend, und deren Aeuſſerung eine ſtrafbare Suͤnde iſt, und die viele Baͤnder der menſchlichen Geſell - ſchaft trennen, wenigſtens keine vertraute Freundſchaft zulaſſen. Der Glaube iſt immer der erſte Grund aller derjenigenVer -173Verbindungen und Handlungen unter Menſchen, die ein Zutrauen erfordern. Nimmer werden diejenigen recht zaͤrtliche Freunde werden, die nicht von einander glauben, daß des andern Herz redlich ſey. Nimmer werden diejenigen Unterthanen ihren Herrn lieben, die nicht glauben, daß er es gut mit ihnen meyne. Nimmer wer - den Soldaten einen rechten Muth haben, wenn ſie nicht glauben, daß der Feldherr die Kriegswiſſenſchaft verſtehe, und ſie gut fuͤhre. Haben wir nun jemanden alle moͤgliche Beweiſe einer treuen Freundſchaft gegeben, und wir merken, er folget den - noch einem ungegruͤndeten Argwohne und glaubet, daß wir falſch ſind, ſo werden wir ſolches als eine Beleidigung anſehen, und es fuͤr eine Pflicht des andern achten, daß er die Beweiſe unſerer Freundſchaft uͤberdenke, und ſich dadurch von unſerer Aufrichtigkeit uͤberzeuge. Laͤſſet ſich ein Officier merken, er glaube nicht, daß der Feldherr ſie gut fuͤhre, und benimmt den Soldaten dadurch den Muth, ſo iſt er ſtrafbar. Ja ein bloſſer Glaube und Unglaube iſt in gewiſſen Faͤllen ſtraf - bar. Glaubet jemand nicht, daß er einem Landesherren mit gutem Gewiſſen unter - than ſeyn koͤnne, ſtehet er gar in dem Wahne, er ſey verbunden denſelben um - zubringen, und der Landesherr erfaͤhret es, und es will ſich ein ſolcher durch keinebilligen174billigen Gruͤnde eines andern uͤberzeugen laſſen; ſo iſt es eine gerechte Strafe, wenn er des Landes verwieſen wird. Die Nei - gung unſers Herzens zu Gott die Vereh - rung deſſelben, und die allerſtaͤrkſten Rei - zungen zur Tugend hangen von dem Glau - ben ab, den wir von Gott haben, und wer die bekannten Religionen dieſer Erde genau be - trachtet, wird finden, daß keine einzige an - dere Religion ſo viele und ſo ſtarke Bewe - gungsgruͤnde zur Tugend hat, als die Chriſtliche. Es iſt derowegen keine gleich - guͤltige Sache, ob man ſelbige annimmt oder nicht. Wer ſie leichtſinnig verwirft, und andere zu gleichem Unglauben verfuͤh - ret, beraubet ſich und andere der ſtaͤrkſten Bewegungsgruͤnde Gott zu lieben und zu verehren, ſich in der Tugend zu uͤben, eine Zierde und Wolthat der Welt zu werden, und ſich zu einer ſeligen Ewigkeit recht zu bereiten. Wer gar ſeinen Witz anſtren - get den Menſchen die Hoffnung zur Un - ſterblichkeit der Seele, und einem andern Leben nach dem Tode auszureden, veruͤbet die groͤßte Grauſamkeit an dem menſchli - chen Geſchlechte, und ſuchet daſſelbe des groͤßten Kleinodes zu berauben. Man nehme denen, die ihr Leben in ſchwerer Ar - beit und Muͤhſeligkeiten zubringen, die in der beſten Jugend ihre Glieder zur Ehre ihres Monarchen zerſchmettern laſſen, was bleibet ihnen denn, wenn ſie die Hoffnungzu175zu einem kuͤnftigen Leben verlieren? Jſt derowegen die chriſtliche Religion eine wah - re Religion, wie ſelbiges die allerſtaͤrkſten Gruͤnde bezeugen, ſo vergehen diejenigen ſich ſehr an Gott und ihren Mitmenſchen, die ſel - bige leichtſinnig und frech beſtreiten, und des Heilandes ſpotten. Koͤnnen ſie ihren Zwei - feln nicht wehren, womit wollten ſie ihre Spoͤttereyen entſchuldigen? Bleiben ſie dieſerwegen nicht ſtrafbar vor Gott? Jn - dem ich aber dieſes ſage, ſey es ferne von mir Obern aufzufordern, ſolche Unglaͤubi - ge zu beſtrafen. Jch bin frey von einem ſolchen theologiſchen Haſſe und Rachbegier - de. Vielmehr zaͤhle ich es unter die Gluͤck - ſeligkeiten meiner Geburt, daß ſie in ſolche Zeiten gefallen, da man alle moͤgliche Zwei - fel wider die Religion vorgetragen, und dadurch andere bewogen ſie zu loͤſen, und die gute Sache der Religion in ein helleres Licht zu ſetzen. Jch bin dadurch deſto ge - wiſſer in derſelben geworden. Ja mich wuͤrde keine Religion beruhigen, die keine Zweifel und Angriffe der Unglaͤubigen aus - ſtehen konnte, und ich werde denen nimmer beytreten, welche bey Erregung eines jeden Zweifels gegen die Religion, oder auch nur gegen einige Saͤtze derſelben ſofort ausrufen, die Religion ſey in Gefahr, oder es ſey gar um ſelbige geſchehen. Nein unſere heilig - ſte Religion hat einen Grund, den auch die Pforten der Hoͤllen nicht uͤberwaͤltigenwerden.176werden. Verſtaͤndige und ſittſame Ver - theidigungen ſind allezeit beſſer als heftige, welche nie ohne groſſe Uebereilungen gefuͤh - ret zu werden pflegen.
Einer Entſchuldigung muß ich hierbey begegnen, welche diejenigen anzufuͤhren pflegen, welche die chriſtliche Religion feindſelig angreifen. Sie ſagen, der Glau - be ſtehet nicht in unſerer Gewalt. Nie - mand kann ſich zwingen etwas fuͤr wahr zu halten, wovon er nicht uͤberzeuget iſt. Sollen wir unſere Zweifel nicht vortragen, ſo werden ſie niemals geloͤſet werden. Es iſt an dem, mit Gewalt laͤſſet ſich der Beyfall nicht erzwingen. Allein es ſind Mittel vorhanden, ihn ohne Gewalt her - vorzubringen, und man hat alſo zu unter - ſuchen, ob man ſelbige gewaͤhlet. Kein verſtaͤndiger und billiger Chriſt wird es auch jemanden verargen, wenn er ſeine Zweifel gegen die Religion andern eroͤffnet, oder auch oͤffentlich vortraͤget, wenn es mit Beſcheidenheit geſchiehet, und in der Ab - ſicht, daß ſie moͤgen aufgeloͤſet werden. Haben aber diejenigen dieſe Abſicht, die ſich mehr mit einem ſpottenden Witze als Gruͤn - den beſchaͤftigen? Koͤnnen ſie ſagen, daß ſie auf gehoͤrige Art die Wahrheit ſuchen? Betrachten ſie die engen Schranken des menſchlichen Verſtandes, die ihnen dergroſſe177groſſe Widerſpruch lehren kann, den ſie nicht nur unter den Gelehrten, ſondern in allen Geſchaͤfften und Geſellſchaften antref - fen? Koͤnnen ſie ſich ſo tief erniedrigen Gott zu bitten, ſie den rechten Weg zur Wahrheit zu leiten? Geben ſie ſich eben ſo viele Muͤhe die Gruͤnde fuͤr die Religion zu uͤberdenken, als ſie ſich Muͤhe geben ſie laͤcherlich zu ma - chen? Lieget ihnen die Verherrlichung Got - tes eben ſo am Herzen, als die Ehre auf Unkoſten der Religion witzig zu heiſſen? Gehen ſie mit dem Chriſtenthume eben ſo hoͤflich um, als ſie wollen, daß man mit ihren Schriften umgehen ſoll? Faͤllt ihnen auch wol je dieſer Gedanke ein? Mein Gott, verhoͤne ich auch wol Wahrheiten, die dir heilig ſind? Spotte ich eines Glau - bens der dich verherrlichet? Suche ich dei - ne Ehre und das Gluͤck meiner Mitmen - ſchen? Verunehre ich auch wol den, in deſſen Haͤnden ein ewiges Heil ſtehet? Jhr eigenes Herz mag es ihnen ſagen.
Die Schrift ſaget mehr, denn ein - mal, daß Gott den Pharao er - wecket und verſtocket, damit ſei - ne Kraft an ihm erſchiene, und ſein Name in allen Landen verkuͤndiget wuͤrde, und beſonders das Jſraelitiſche Volk dadurch uͤberzeuget werden moͤchte, daß er der Herr ſey*)2 B. Moſ. C. 9. v. 16. Roͤm. C. 9. v. 17. 2 B. Moſ. C. 10. v. 1. 2.. Es iſt bekannt, was fuͤr eine harte und fuͤrchterliche Lehre von vielen Chriſten daraus gezogen worden, und wie viel tauſend Seelen durch dieſe Stellen der Schrift in die betruͤbteſte Be - kuͤmmerniß von je her gerathen, und noch bis anjetzt geſetzet werden. Man hat ſich daher die groͤßte Muͤhe gegeben, dieſe Re - den der Schrift, welche hart in das Ohr fallen, zu mildern, und ihnen einen ſolchenSinn179Sinn zu geben, welcher mit andern Stel - len der Schrift, und beſonders mit der Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe Gottes uͤbereinſtimmeten. Die mehreſten aber ſo ich hieruͤber geleſen, haben den Worten eine Bedeutung und Abſicht beygeleget, welche gar zu ſehr mit dem Zuſammenhan - ge ſtreiten, und ein Gemuͤth, welches zu Zweifeln geneigt iſt, nicht leicht beruhigen. Jch habe dieſes an mir ſelber und an andern erfahren. Ja ich kann hieruͤber nicht nur meine, ſondern auch anderer Erfahrung beybringen. Jch kenne einen ſehr gelehrten und gottesfuͤrchtigen Doctor der Gottes - gelahrtheit, deſſen Ruhm weiter, als die Grenzen von Deutſchland gehen, und da - her auch in ein fremdes Reich gerufen wor - den, welcher eben dieſes wahrgenommen, und derowegen auf die Gedanken kommen war, man muͤſſe dieſe Worte in ihrer na - tuͤrlichen Bedeutung laſſen, und ſich be - muͤhen die eigentliche Beſchaffenheit der Sache recht aufzuklaͤren, ſo wuͤrde ſich fin - den, daß ſelbige mit den Eigenſchaften Gottes nicht ſtritte. Er hatte daruͤber ei - nen Aufſatz gemacht, und auch ſchon wirk - lich drucken laſſen. Als dieſes aber geſche - hen, befuͤrchtete er, daß aus ſeinen un - ſchuldigen Erklaͤrungen ſolche Folgen gezo - gen werden moͤchten, die er zwar nicht drinne faͤnde, ſondern ſelber aͤuſſerſt verab - ſcheuete, die ihm aber doch von andern zurM 2Laſt180Laſt geleget werden moͤchten, und verbrann - te daher ſeinen Aufſatz, ſo daß ich nicht glaube, daß uͤber vier Exemplarien den Flammen entzogen worden. Eben dieſe Furcht begleitet auch mich, da ich dieſes aufſetze. Da mich aber die Geſchichte der Gelehrſamkeit unterrichtet, daß, wenn man niemals etwas haͤtte wagen wollen, wogegen andere etwas zu erinnern finden, wir noch in der aͤuſſerſten Finſterniß ſitzen wuͤrden; ſo habe mich unternommen, eine Erklaͤrung von obigen Stellen gemein zu machen, welche den Worten keine Gewalt anthut, und wobey doch alle Haͤrte der Sache ſelber wegfaͤllt. Jch bin in dieſem Vorſatze durch folgende Urſachen beſtaͤrket worden. Jch habe gefunden, daß ſie auch ungelehrten und ganz gemeinen Perſonen begreiflich gemacht, und ihr Gemuͤth da - durch beruhiget werden kann. Zweytens haſſe ich alle gekuͤnſtelte Erklaͤrungen der Schrift, und halte dafuͤr, daß uns die Offenbarung dadurch ganz unnuͤtze werde. Denn ſo bald man gekuͤnſtelte Erklaͤrungen fuͤr erlaubet haͤlt, ſo macht man aus den Worten der Schrift, was man will. Ein gewiſſer Gottesgelehrter vom erſten Range antwortet einem von dem ſtrengen Refor - mirten, der ihm die deutlichen Worte des Paulus vorhaͤlt, daß Gott Menſchen ver - ſtocke, und die Lehre von der unbedingten Gnadenwahl daraus ziehet, es koͤnne dieſeLehre181Lehre unmoͤglich in der Schrift ſtehen, weil das Gegentheil davon in einer andern Of - fenbarung, welche aͤlter als die Schrift, ſtuͤnde, und dieſe waͤre eben ſo gewiß und untruͤglich, als die geſchriebene Offenba - rung. Es waͤre ſolche die natuͤrliche Re - ligion und Erkaͤnntniß Gottes, welche auch den blindeſten Heiden durch rechten Ge - brauch des Lichtes der Vernunft geoffen - baret waͤre. Weiter aber giebet er ſich mit der Erklaͤrung der Worte eines Pau - lus nicht ab. Setzet man aber dieſe Art zu ſchlieſſen zum Grunde, ſo hilfet uns die geſchriebene Offenbarung nichts mehr, ſon - dern alles beziehet ſich auf die Frage: ſtim - met eine Lehre mit der natuͤrlichen Erkaͤnnt - niß des Menſchen, die ein jeder fuͤr die ge - ſunde Vernunft haͤlt, uͤberein oder nicht. Nach dieſem Grundſatze wirft ein Soci - nianer und Dippelianer das Werk der Er - loͤſung aus der Schrift. Ein anderer be - hauptet, die Schrift koͤnne unmoͤglich die Allgegenwart und Allwiſſenheit Gottes leh - ren, weil er glaubet, ſie ſtreite mit der natuͤrlichen Religion und der geſunden Vernunft, wofuͤr er und faſt ein jeglicher ſeine eigene Einſichten erklaͤret. Jch habe zu viel Ehrerbietung gegen die geſchriebe - ne Offenbarung, als daß ich ſie auf eine ſo willkuͤhrliche Art erklaͤren ſollte. Kann ich eine Stelle nicht verſtehen, ohne die Worte auf eine gezwungene Art auszule -M 3gen,182gen, ſo laſſe ich ſie lieber unerklaͤret, und bekenne meine Unwiſſenheit. Jch meyne aber, daß man obigen Worten ihre na - tuͤrliche Bedeutung laſſen koͤnne, ohne daß dadurch andern Stellen der Schrift, oder den Eigenſchaften Gottes zu nahe getreten werde.
Die natuͤrlichſte Erklaͤrung von den Worten, ich habe dich, (naͤmlich den Pharao) erwecket, daß meine Kraft an dir erſcheine, iſt: ich habe dich erhoͤhet, ich habe dich auf den Thron geſetzet, daß mei - ne Kraft an dir erſcheine, und ich an dir meine Macht erzeige, und alle Welt daher erkenne, daß ich ein allmaͤchtiger und ge - rechter Gott ſey*)Es hat dieſes der ſehr gelehrte, fromme und nunmehr ſelige Herr Abt Bengel eben - falls dafuͤr gehalten, und in ſeiner neuen Ueberſetzung des N. T. bey das Wort erwe - cken Roͤm. C. 9. v. 17. die Erklaͤrung geſe - tzet: Zum Koͤnige gemacht. Es haben ei - nige groſſe Maͤnner, deren Verdienſte ich ehre, gemeynet, man koͤnne das Wort〈…〉〈…〉, welches 2 B. Moſ. C. 9. v. 16. ſte - het, und das Wort ἐξεγείρειν, womit Pau - lus das Wort〈…〉〈…〉 Roͤm. Cap. 9. v. 17. ausdrucket, durch ſtehen laſſen, erklaͤren, daß der Sinn waͤre: ich habe dich bisher erhalten, und nicht ſchon untergehen laſſen. Allein was gewinnet man mit dieſer Erklaͤ -rung?. Jch halte derowegendieſe183dieſe Erklaͤrung auch fuͤr die wahre, und es faͤllet die anſcheinende Haͤrte dieſes Aus -M 4ſpruches*)rung? Ein aͤngſtliches Gemuͤth fraget hier - bey alſobald, ob es nicht eben ſowol mit der Liebe Gottes ſtreite, wenn Gott den Pharao in dieſer Abſicht bey dem Leben und auf dem Throne erhalten, daß er ſeine Macht und Gerichte an ihm beweiſen koͤn - nen, als wenn man ſaget, daß er ihn zu eben dieſem Zwecke auf den Thron geſetzet? Denn aber iſt es falſch, daß das Wort ἐξεγείρειν irgendwo die Bedeutung habe ſte - hen laſſen, erhalten. Ἐξεγείρειν, wie auch ἐγείρειν bedeuten allezeit aufwecken, erwe - cken, erhoͤhen. Man berufet ſich auf den Brief Jacobi C. 5. v. 15. wo das Wort ἐγείρειν ſtehet. Allein hier bedeutet es auch nicht ſtehen laſſen und in ſeinem vorigen Zuſtande erhalten, ſondern von dem Kranken - bette aufrichten oder von der Krankheit auf - helfen. Wo leſen wir aber, daß Pharao damals von einer Krankheit aufgerichtet worden, als Gott ihm ſagen laſſen: dazu habe ich dich erwecket, daß meine Macht an dir erſcheine? Das Wort〈…〉〈…〉 bedeu - tet zwar ſtehen laſſen, allein es iſt auch oͤf - ters ſo viel, als errichten, darſtellen, ein - ſetzen. Jn einer von dieſen letztern Bedeu - tungen findet man es Hiob C. 34. v. 24. wo es uͤberſetzet iſt durch darſtellen. Es heiſſet daſelbſt: er bringet der Stolzen, der Maͤchtigen viele um und ſtellet andere an ihre Statt. Ein jeder ſiehet, daß es hier nicht heiſſen kann: ſtehen laſſen, ſondern darſtellen, oder vielmehr errichten, erhoͤhen. Jndem nun Paulus an ſtatt des Wortes〈…〉〈…〉 das Wort εξεγείρειν ſetzet, zeiget erdadurch184ſpruches hinweg, wenn man erwaͤget, was die Weisheit Gottes bey Regierung einer Welt erfordert, die einmal der Suͤnde er - geben iſt. Ehe ich aber meine Gedanken hieruͤber vortrage, muß ich erſt etwas von den verſchiedenen Rathſchluͤſſen Gottes und von den verſchiedenen Planen, wonach die Welt eingerichtet worden, beybringen. Niemand von meinen Leſern befuͤrchte aber, daß ich ihn hier in tief verwickelte Schluͤſſe oder auf Hoͤhen, wo man ſchwin - delnd wird, fuͤhren werde. Jch bleibe, wenn ich die Rathſchluͤſſe und Regierung Gottes ehrerbietigſt betrachte, bloß bey ganz deutlichen Ausſpruͤchen der Schrift, und bey Erfahrungen ſtehen, und halte meine Vernunft nicht ſtark genug, daß ſie durch ihre eigenen Einſichten beſtimmen koͤn - ne, wie Gott vermoͤge ſeiner Weisheit ei - ne Welt anlegen und regieren muͤſſe. Jch ſehe ihm nur auf ſeinen Wegen in einerauf -*)dadurch an, daß er das erſte Wort in der Bedeutung genommen, da es errichten, er - hoͤhen heiſſet. Auf dieſe Art wird das Wort ἐγειρειν, welches mit ἐξεγέιρειν einerley be - zeichnet, in der gewoͤhnlichen Griechiſchen Ueberſetzung gebrauchet, wie einem jeden die Concordanzen lehren koͤnnen. Zum Exempel kann die Stelle 1 B. Sam. Cap. 2. v. 8. dienen, wo man mit dieſem Worte lieſet: er erhoͤhet die Armen aus dem Koth.185aufmerkſamen Stille nach, und achte auf das Gute, ſo aus ſeinen Einrichtungen er - folget, und bewundere die Weisheit, Macht und Liebe, ſo ſich mir alsdenn zeiget.
Gott iſt das allervollkommenſte WeſenVerſchiede - ne groſſe Anordnun - gen Gottes nach dem verſchiede - nen Ver - halten der Menſchen. und ſeine Neigungen gehen dahero auch auf das Vollkommene und Beſte*)Matth. C. 5. v. 48.. Als er derowegen eine Welt ſchafte, machte er alles ſehr gut und auf das Beſte**)1 B. Moſ. C. 1. v. 31.. Die Schrift und die Erfahrung lehren uns, daß er auch Geſchoͤpfe hervorgebracht, welche er mit Vernunft und einem freyen Willen begabet. Jch ſchlieſſe daher, daß ſelbige zu dem vollkommenen und ſehr guten oder beſten Plan der Welt gehoͤren. Endliche Geſchoͤpfe erhalten aber ihre Vollkommen - heiten nicht auf einmal, ſondern nach und nach. Gott hatte derowegen den erſten Plan der Welt alſo eingerichtet, daß auch beſonders die vernuͤnftigen und freyen Creaturen immer vollkommener werden moͤchten***)Man leſe hiervon Betracht. VI. . Weil aber hierbey den ver - nuͤnftigen Geſchoͤpfen nach dem goͤttlichen und vollkommenen Plan die Freyheit blei -M 5ben186ben mußte*)Es erhellet dieſes daraus, weil ihnen Gott die Freyheit gelaſſen. Man kann aber ſicher alſo ſchlieſſen: Was Gott thut, das iſt ſehr gut. , ſo kam es auf ihre Wahl an, ob ſie der goͤttlichen Abſicht und Ein - richtung folgen wollten. Einige von den - ſelben aber und beſonders die Menſchen verlieſſen den Weg zur Vollkommenheit, welchen ſie ihr Schoͤpfer fuͤhren wollte. Sie verfielen in Suͤnde, und uͤberlieſſen ſich ſolchen Begierden, welche mit der Vollkommenheit ſtreiten, und eine Geſell - ſchaft in die traurigſte Zerruͤttung ſetzen. Die goͤttliche Weisheit erforderte daher den erſten Plan der Welt zu aͤndern, und eine andere Einrichtung zu machen**)Wein hierbey einfaͤllt, daß alſo die erſte Einrichtung der Welt vergeblich geweſen, der leſe was Betracht. VI. §. 9. darauf ge - ſaget worden.. Die Menſchen machten ſich durch ihre ei - genen unordentlichen Begierden hoͤchſt ungluͤcklich, und, damit dieſe Unordnung nicht den allerhoͤchſten Grad erreichen koͤnn - te, ſetzte Gott derſelben durch allerhand Strafen Schranken***)Man leſe hieruͤber Betracht. V. §. 40.. Wie aber Gott die Liebe ſelber iſt, ſo machte er auch einen neuen Plan und Einrichtung, die ge - fallenen Menſchen, nach dem ſie die trau - rigen Folgen der Suͤnden an ſich ſelber er -fahren,187fahren, aus ihrem Verderben zuruͤck zu fuͤhren und zu erretten, und zu der ver - lohrnen Gluͤckſeligkeit wieder zu verhelfen. Er ſtiftete daher das groſſe Werk der Er - loͤſung und der Heiligung. Und wie ſeine unendliche Liebe ihn zu einem Mitleiden ge - gen alle gefallene Menſchen reizet, ſo ſuch - te er ſelbiges auch gegen alle zu Tage zu le - gen, damit Niemand ſagen koͤnnte, er wolle ihn nicht retten und ſelig machen. Er verſoͤhnte derowegen die Welt, das iſt, alle Menſchen, mit ſich ſelber, und machte die Anſtalten ſo, daß allen koͤnnte und moͤchte geholfen werden*)2 Cor. C. 5. v. 19. 1 Tim. C. 2. v. 4. Roͤm. C. 14. v. 15.. Aber auch dieſer Plan wurde durch die Wiederſpaͤn - ſtigkeit der Menſchen in ſo fern vereitelt, daß das von Gott abgezielte Heil der Men - ſchen nicht erhalten wurde. Jndeſſen war er nicht ganz vergeblich. Denn es wurde dadurch vor Engeln und Menſchen offen - bar, daß die Liebe Gottes unendlich, und ſich auf alle erſtrecke, und daß niemand ihm mit Recht verwerfen koͤnne; Gott, du haſt meine Errettung nicht mit Ernſt gewollt. Aus der Wiederſpaͤn - ſtigkeit der Menſchen, welche bey vielen auch durch die kraͤftigſten Mittel der Weis - heit und Liebe nicht zu uͤberwinden war,erfol -188erfolgete noch ein neuer Plan und eine neue Anordnung. Nach derſelben wurden die - jenigen, welche durch die ihnen geſchenkte Gnade nicht zu gewinnen waren, zeitli - chen und ewigen Strafen ausgeſetzet*)Roͤm. C. 2. v. 9. Hebr. C. 10. v. 26. 27.. Hierbey entſtehet denn die Frage: warum laͤſſet Gott diejenigen gebohren werden, von welchen er ſiehet, daß ſie nie durch weiſe Mittel zur Vollkommenheit werden vollendet werden, oder warum vernichtet er ſie nicht wieder? Diejenigen, welchen nie dergleichen Fragen in den Sinn gekom - men, und ſie fuͤr verwegen und unerlau - bet halten, verſchonen mich mit dem Vor - wurf, daß ich ſie ſelber machte, um Ge - legenheit zu haben, meinen Witz dabey zu zeigen. Jch rufe meine Amtsbruͤder in Staͤdten und auf dem Lande zu Zeugen an, ob ihnen dergleichen Fragen nicht zu Zeiten von den gemeineſten Leuten und zwar mit groſſer Aengſtlichkeit vorgetragen worden. Lieſſe ſich nun ein jeder damit beruhigen, daß man ihm ſagte: O welch eine Tiefe des Reichthums, beyde der Weisheit und der Erkaͤnntniß Gottes! Wir muͤſſen unſere Schwachheit erkennen, und uns nicht unterſtehen, die Rath - ſchluͤſſe Gottes zu erforſchen; ſo waͤre es unnoͤthig, auf ſolche Fragen Antworten zuſuchen.189ſuchen. Allein die Erfahrung lehret, daß dieſes bey aͤngſtlichen Gemuͤthern nicht alle - zeit hinreichet, um ihnen die Folter zu lin - dern, welche ſie ſich durch allerhand Zwei - fel machen*)Die Gelehrten wiſſen, wie auch die Ein - wendungen und Schluͤſſe der Socinianer, in - gleichen derer, welche die Wiederbringung aller Dinge behaupten, die Beantwortung ſolcher Fragen nothwendig mache.. Es iſt alſo bey mir kein Vorwitz, wenn ich auf dieſe Fragen etwas zu antworten ſuche. Jch nehme ſelbige aus deutlichen Stellen der Schrift, und aus der Erfahrung. Die Schrift ſaget ausdruͤcklich und ganz deutlich, daß Gott bey den Strafen unter andern den Zweck habe, daß andere dadurch ſollen gewarnet und in Furcht geſetzet, und fuͤr aͤhnlichen Vergehungen bewahret werden**)1 Cor. C. 10. v. 6. 11. 2 Petr. C. 2. v. 6. Brief Judaͤ v. 7. 5 B. Moſ. C. 13. v. 6-11. Luc. C. 13. v. 4. C. 17. v. 32.. Die Erfahrung lehret auch, daß dieſe Abſicht bey manchen erreichet werde. Ja es iſt gewiß, daß bey dem geſchehenen Verfall des menſchlichen Geſchlechtes mancher in ſeinem unſeligen Zuſtande, und unter der Herrſchaft von allerhand Suͤnden bleiben, und in manche Vergehungen, wofuͤr er ſich jetzo huͤtet, gerathen wuͤrde, wenn ihn das Exempel anderer, die dadurch un -gluͤcklich190gluͤcklich werden, nicht in Furcht ſetzte. Hieraus aber laͤſſet ſich obige Frage in et - was beantworten, warun, Gott die Ge - burt ſolcher nicht verhindert, oder ſie nach - her vernichtet, von welchen er zum voraus weiß, daß ſie ſich nie bekehren und zur Seligkeit der Gerechten gelangen werden. Sie dienen dazu, daß andere an ihrer Un - ſeligkeit ein Exempel nehmen, und ſich da - durch von Suͤnden abſchrecken laſſen*)Der ſelige Probſt Reinbeck, dieſer ſcharf - ſichtige und fromme Gottesgelehrte, hat eben dieſes in ſeinen ſo beliebten und erbau - lichen Betrachtungen uͤber die Augſpurgi - ſche Confeſſion Theil II. Betracht. XXXIV. §. XII. S. 376. behauptet. Er ſchreibet: Die ewigen Strafen der Gottloſen werden eine ewige Wahrſchauung fuͤr die Seligen ſeyn, daß dieſelben ſich des Abfalls von Gott in Ewigkeit nicht werden geluͤſten laſſen..
Man bemerke aber folgende Stuͤcke ſehr wol. Dieſer letzte Plan und Einrich - tung der Welt hat ſeinen Grund in dem allgemeinen und freywilligen Verfall der Menſchen, und Gott haͤtte denſelben nicht gewaͤhlet, wenn der Menſch dem goͤttli - chen Winke gefolget, und ſeine Freyheit zu ſeiner Vollkommenheit angewendet haͤt - te. Ferner noͤthiget Gott niemanden zurSuͤnde,191Suͤnde, verſaget auch niemanden die noͤ - thige Gnade aus ſeiner Unordnung und Unſeligkeit heraus zu kommen*)1 Tim. C. 2. v. 4. Apoſtelgeſch. C. 10. v. 34. 35.. Noch vielweniger laͤſſet er jemanden gebohren werden und erhaͤlt ihn zu dem Ende, daß er abſolut ſuͤndigen ſoll, damit er ihn an - dern zum Exempel ſtrafen koͤnne, ſondern er macht vielmehr die Anlage der Welt alſo, und richtet ſie ſowol nach dem erſten als zweyten Plan dergeſtalt ein, daß er ihnen hinlaͤngliche Mittel zu ihrer Vollkommen - heit und Seligkeit darbietet, und wirklich darreichet. Ob er nun gleich ſiehet, daß verſchiedene dieſe Gnade verachten, und die Mittel zu ihrer Seligkeit von ſich ſtoſ - ſen, und ſich muthwillig eine ewige Ver - werfung zuziehen werden, ſo laͤſſet er ſie doch gebohren werden, und erhaͤlt ſie, weil dadurch andere zu einer ſeligen Umkehr be - woͤgen und im Guten beſtaͤrket werden**)Das Harte, ſo hierinne noch zu liegen ſcheinet, wird ſich vielleicht in deſſen Augen verlieren, der dasjenige nachlieſet, was wir hieruͤber in der fuͤnften Betrachtung in dem letztern Theile von den Hoͤllenſtrafen beyge - bracht haben.. Es wird dieſes einigen als ein Widerſpruch vorkommen. Wir wollen ſelbigen durch ein Gleichniß zu heben ſuchen. Man neh -me192me in ſeinen Gedanken einen General an, der ein Kriegsheer anwerben laͤſſet. Man ſetzet, er ſaͤhe mit Gewißheit, er wuͤrde keine Armee bekommen, die ganz rein von ſolchen Leuten waͤre, welche den Entſchluß faſſeten, wegzulaufen. Es meldeten ſich unter andern zwey recht leichtſinnige und laſterhafte Perſonen zu Kriegesdienſten, von welchen er mit Gewißheit wuͤßte, ſie wuͤrden nach einiger Zeit durchgehen, wie - der ertappet und nach den Kriegesgeſetzen aufgehenket werden. Man dichte noch fer - ner, der General ſaͤhe mit einer voͤlligen Zuverlaͤſſigkeit zum voraus, daß wenn dieſe beyden Leute nicht angenommen, und auf dieſe Art andern zum Exempel und Schrecken getoͤdtet wuͤrden, ſo wuͤrden ſie nicht nur ſelber noch mehrere und aͤrgere Bosheiten ausuͤben, Mordthaten begehen, und auf dem Rade endlich verweſen, ſon - dern es wuͤrden auch hundert andere weg - laufen, eine groſſe Unordnung in die Ar - mee bringen, und man wuͤrde ſich genoͤthi - get ſehen, zwanzig andere henken zu laſſen, die ſich von dem Ueberlaufen zuruͤcke halten lieſſen, wenn ſie jene ſterben ſaͤhen. Was wuͤrde und muͤßte ein ſolcher General thun, wenn er weiſe, gerecht und liebreich waͤre? Jch glaube, er wuͤrde obige zwey unnuͤtze Leute annehmen, und wenn ſie weggelau - fen und eingeholet worden, andern zum Exempel toͤdten laſſen. Wir wollen anjetztnicht193nicht unterſuchen, ob er hieran recht thaͤte, ſondern vor das erſte nur zeigen, daß es nichts widerſprechendes ſey, wenn man be - hauptet, es koͤnne jemand ernſtlich wollen, daß ein ſtrafbares Verbrechen nicht geſche - he, und daß man nicht noͤthig haͤtte den andern zu ſtrafen und ungluͤcklich zu ma - chen, und doch einen ſolchen in dergleichen Umſtaͤnde ſetzen, worinne er anlaͤufet und geſtrafet wird. Einem ſolchen Generale, als wir beſchrieben, wuͤrde es am ange - nehmſten ſeyn, wenn niemand wegliefe, und ſich des Galgens wuͤrdig machte. Er wird auch alles, was nur die Klugheit und Billigkeit anraͤth, thun, daß das Weg - laufen verwehret werde. Er wird dafuͤr ſorgen, daß die Soldaten ihren gehoͤrigen Unterhalt haben, ihnen nicht zu hart be - gegnet werde, und wird ſie durch die Feld - prediger auf das nachdruͤcklichſte von einem Verbrechen abmahnen laſſen, welches ſie vor Gott und Menſchen ſtrafbar machet. Da er aber ſiehet, daß dieſe Mittel nicht hinreichen, das Weglaufen gaͤnzlich zu hindern, ſo wird er ſich, wiewol ſehr un - gern, entſchlieſſen, einige Ueberlaͤufer an - dern zu einer nachdruͤcklichen Warnung toͤdten zu laſſen. Und ob er diejenigen, nach der Einſicht, welche wir ihm haben andichten muͤſſen, gleich zum voraus ken - net, welche andern zum Schrecken dienen werden, ſo wird er ſie doch in dem FallJac. Betr. 4. Band. Nan -194annehmen, wenn ohne dergleichen Exempel obiges Uebel durch keine gelinderen Mittel zu verhuͤten waͤre.
Sollte aber ein ſolches Verfahren nicht mit der Gerechtigkeit und Liebe ſtreiten? Gaͤbe ein ſolcher Heerfuͤhrer nicht Anlaß, daß die angefuͤhrten zwey Leute Ueber - laͤufer und gehenket wuͤrden? Waͤre er nicht Urſach an ihrem Ungluͤck? Muß man Boͤſes thun, damit Gutes daraus kom - me? Jch will auf eine jede Frage beſon - ders antworten. Obiger General macht die zweybezeichneten Leute nicht boshaft, er verfuͤhret ſie nicht zum Ueberlaufen, ſon - dern er laͤſſet ſie dagegen warnen, und es wuͤrde ihm lieb ſeyn, wenn gar niemand unter ſeinem Heere ſo Gewiſſenlos waͤre, und die Fahne verlieſſe, an welche er ſich verpflichtet. Da dieſes aber durch keine gelinderen Mittel zu erhalten, ſo nimmt er zwar Leute an, von welchen er weiß, daß ſie leichtſinnig und boshaft ſind, und an - dern zum Exempel werden geſtrafet wer - den, aber er machet ſie nicht boͤſe, ſondern veranlaſſet nur, daß ſie ihre innere laſter - hafte Geſinnung auf andere Ausbruͤche richten, als ſonſt erfolget und die noch viel ſchaͤdlicher geweſen ſeyn wuͤrden. Jſt es aber wider die Gerechtigkeit und Liebe zu veranlaſſen, daß die laſterhafte und un -verbeſ -195verbeſſerliche Geſinnung eines boͤſen Men - ſchen ſich auf ſolche Ausbruͤche richte, welche am wenigſten ſchaden? Weisheit und Gerechtigkeit und Liebe zum gemeinen Beſten erfordern ſolches vielmehr. Jch habe mich ehemals auf einer Akademie auf - gehalten, wo man eine Anzahl Waͤchter unterhielt, um dadurch den Ausſchweifun - gen junger Leute einige Schranken zu ſe - tzen, und beſonders des Nachts die Ruhe und Stille auf den Straſſen zu unterhal - ten. Dieſes aber gab Gelegenheit, daß, wenn junge Leute in Geſellſchaft zu mun - ter wurden, ſie das Wachthaus obiger Leute beunruhigten, und mancher kam da - durch in Strafe. Es lag an eben den Orte eine ſtarke Einquartierung von or - dentlichen Soldaten. Allerhand Urſachen brachten den Vorſchlag auf die Bahn, ob man die Waͤchter nicht abſchaffen; und lieber die ordentlichen Soldaten wider die Schwaͤrmereyen junger Leute gebrauchen moͤchte. Jch weiß aber, daß ſelbſt ein ſehr kluger Profeſſor der Gottesgelahrtheit den Rath gab, daß man ſolches nicht thun moͤchte, weil alsdenn die jungen Leute, wenn ſie ausſchweifeten, die Wachten der ordentlichen Soldaten beunruhigen, und daraus viel nachtheiligere Folgen entſtehen wuͤrden, als wenn man jene Waͤchter bey - behielte. Es wurde auch dieſer Rath ge - nehmiget, und wer muß ihn nicht billigen? N 2Hier196Hier koͤnnte aber eingewendet werden, man veranlaſſet dadurch, daß ſich junge Leute an dieſen Waͤchtern verſuͤndigen. Es iſt ſolches in ſo weit wahr, daß man die Ausſchweifungen junger Leute, welche ohnedem erfolgen wuͤrden, auf dieſe Waͤch - ter richtet, allein man verhuͤtet dadurch, daß der Muthwille junger Leute nicht in ſolche Vergehungen ausſchlaͤget, welche ihnen und dem gemeinen Weſen noch ſchaͤd - licher werden, und ich meyne, daß dieſes ſo wenig mit Liebe und Gerechtigkeit ſtrei - te, daß ſelbige vielmehr dergleichen erfor - dern. Man bemerke hier abermals, jene weiſen Maͤnner und Vorſteher der Akade - mie wollten nicht, daß junge Leute ſchwaͤr - men und ſich vergehen ſollten, ſondern ihr Wille ar, daß dadurch keine weiſen Mit - tel alle Ausſchweifungen junger Leute zu verhuͤten, ſie dahin gerichtet werden moͤch - ten, wo ſie am wenigſten ſchadeten.
Hieraus laͤſſet ſich auch der zweyte Vorwurf heben, welcher darinne beſtehet, daß man durch dergleichen Verfahren ge - wiſſermaaſſen Urſache werde, daß andere in Strafe und Ungluͤck gerathen. Hierzu noͤthigen naͤmlich laſterhafte und muthwil - lige Gemuͤther weiſe Regenten und Be - fehlshaber. Selbige ergreifen ſolche Mit - tel wider ihren Wunſch und Wolgefallen. Es197Es iſt dieſes aber gar nicht wider die Ge - rechtigkeit und Liebe, weil dadurch groͤſſere Uebel und Unbequemlichkeiten verhuͤtet werden. Waͤre es denn Liebe, wenn je - ner General die bezeichneten zwey Boͤſe - wichter abwieſe und ihnen Raum gaͤbe, Moͤrder zu werden, und hernach durch das Rad zu ſterben, und zugleich andere, die nicht ſo boͤſe ſind, der Reizung zum Weglaufen und der Gefahr gehenket zu werden bloß ſetzte? Waͤre es Liebe, wenn jene Vorſteher der Akademie die gemelde - ten Waͤchter wegnaͤhmen, damit der Student ſich daran nicht verſuͤndigen und in Strafe kommen moͤchte, aber eben da - durch der Gefahr noch groͤſſerer Verge - hungen und haͤrterer Beſtrafungen uͤber - laſſen wuͤrde? Hieraus laͤſſet ſich denn auch die letzte Frage beantworten, ob man duͤrfe Boͤſes thun, damit Gutes daraus entſtehe? Jch halte dieſes keinesweges fuͤr erlaubet. Jch glaube aber nicht, daß der - jenige etwas Boͤſes thue, der in einer Ge - ſellſchaft, worinne nicht alles Boͤſe geho - ben werden kann, ſolche Einrichtungen macht, bey welchen das wenigſte Boͤſe ge - ſchiehet, und die wenigſte Beſtrafung noͤ - thig iſt. Es ſtreitet nicht mit Gerechtigkeit und Liebe, muthwillige und laſterhafte Triebe, die ſich durch keine weiſen Mittel wollen beſſern laſſen, von groͤbern und ſchaͤdlichern Ausbruͤchen zuruͤck zu ziehen,N 3und198und ſie auf ſolche zu richten, die weniger hart, ſchaͤdlich und ſtrafbar ſind. Man laſſe aber nicht aus der Acht, daß ich einen ſolchen Fall zum voraus ſetze, wo man das Boͤſe durch geſchickte Mittel nicht gaͤnz - lich verhindern kann. Jn ſolchen Umſtaͤn - den, meyne ich, ſey es der Weisheit, der Gerechtigkeit und Liebe gemaͤß, die boͤſen Begierden eines Laſterhaften, welche auf keine anſtaͤndige Art ganz ausgeraͤutet und von allen Ausbruͤchen ganz abgehalten wer - den koͤnnen, auf ſolche Ausbruͤche zu len - ken, welche die gelindeſten ſind.
Nun meyne ich im Stande zu ſeyn, deutlich zeigen zu koͤnnen, daß in dem Satze, Gott habe Pharao erwecket, auf den Thron geſetzet, und zu einem groſſen Koͤnige gemacht, daß er ſeine Macht durch ein gerechtes Gerichte an ihm beweiſen koͤnnen, nichts liege, ſo mit den Vollkom - menheiten Gottes ſtreite. Wer eine weiſe Vorſehung glaubet, welche ſich auf alles erſtrecket, wird zugeben, daß Gott dieje - nige groſſe Verbindung der Welt gemacht, wodurch dem Pharao eine ſolche Geburt und Umſtaͤnde beſtimmet worden, daß er hat koͤnnen Koͤnig werden. Gott hat die - ſes nicht bloß zugelaſſen, ſondern ſelbſt den Zuſammenhang der Welt alſo gemacht, daß Pharao einen Koͤniglichen Thron be -ſtiegen.199ſtiegen. Wer ferner die unendliche Guͤte Gottes kennet, wird leicht begreifen, wie er ernſtlich wolle, daß alle Koͤnige Vaͤter ihrer Unterthanen abgeben und ihre eigene und ihrer Buͤrger zeitliche und ewige Wolfahrt eifrigſt beſorgen. Er hat auch auf ſeiner Seite alles gethan, die - ſen Zweck zu bewirken, und hat ſowol den erſten als zweyten Plan der Welt alſo eingerichtet, daß lauter gute Regenten ſeyn ſollten. Da uns aber die Schrift lehret, daß die Freyheit der Menſchen ſchon in der erſten und beſten Einrichtung der Welt geweſen, ſo ſchlieſſen wir daraus, daß ſelbige zu dem beſten Entwurfe der Welt gehoͤre, und iſt dahero auch in der zweyten Einrichtung der Erde geblieben, die wir oben beruͤhret haben. Bey dieſer Freyheit aber bleibet es moͤglich, daß der Menſch ſich den Abſichten und dem wol - gefaͤlligen Willen Gottes widerſetze. Ja der Menſch thut es wirklich, und beweget und noͤthiget dadurch Gott zu einem drit - ten Plane, worinne er ſich mit freyen Creaturen abgiebet, die ſich zum theil durch gar keine der Weisheit anſtaͤndigen Mittel beſſern laſſen. Pharao iſt unter denſelben. Der Allwiſſende weiß dieſes auch, ehe er ihn auf den Thron hebet. Und nun uͤberlege man, hat Gott hierbey alſo gedenken koͤnnen? Pharao wird ſich nach meinem Willen und Abſichten richten,N 4er200er wird dem Gewiſſen, den Trieben der Menſchlichkeit, ſo ich ihn geleget, folgen, er wird ein gnaͤdiger Koͤnig, ein Vater ſeiner Unterthanen ſeyn, er wird auch wil - lig gehorſamen, wenn ich ihm meine be - ſonderen Abſichten und Befehle offenbaren werde, und darum will ich ihn auf den Thron von Aegypten ſetzen. Hat ſich der Allwiſſende dergeſtalt irren koͤnnen? Es iſt dieſes nicht moͤglich. Die Schrift of - fenbaret uns die Gedanken, welche wir bey dieſem Rathſchluſſe Gott beylegen muͤſſen. Sie ſind dieſe: ich habe Men - ſchen nach meinem Bilde erſchaffen*)1 B. Moſ. C. 1. v. 27.. Jch habe Kinder erzogen und erhoͤhet, und ſie ſind von mir abgefallen**)Jeſ. C. 1. v. 2.. Jch ha - be ſie wieder mit mir verſoͤhnet, und woll - te ſie gerne in Zeit und Ewigkeit ſelig ma - chen***)Ezech. C. 33. v. 11.. Jch rufe ihnen und ſuche ihr widerſpaͤnſtiges Herz: aber den ganzen Tag recke ich meine Haͤnde aus zu einem ungehorſamen Volke†)Jeſ. C. 65. v. 2.. Die ganze Welt lieget im Argen, und will ſich mei - nen Geiſt nicht ſtrafen laſſen††)1 B. Moſ. C. 6. v. 3.. Nur ein Theil laͤſſet ſich mit vieler Muͤhe ziehen, und erſt durch mancherley Anfechtungendahin201dahin bringen, daß ſie auf mein Wort merken*)Jeſ. C. 28. v. 19.. Ja es iſt jetzt an dem, daß die ganze Welt die Erkaͤnntniß ihres Schoͤpfers verliere, und ſich an ſtumme Goͤtzen aberglaͤubiſch hange, und die Laſter auf das hoͤchſte treibe. Jch will mich die - ſem einreiſſenden Strohme widerſetzen. Jch will mir ein Volk erhalten, das mich kennet und meinen Namen ehret. Jch will das Volk meines Knechtes des Abra - hams von den uͤbrigen Voͤlkern abſondern, und zu einem eigenen Volke machen. Sie wuͤrden aber meiner Stimme nicht folgen, und die Zwiebeln und Fleiſchtoͤpfe Aegyptens nicht verlaſſen**)2 B. Moſ. C. 16. v. 3. 4 B. Moſ. C. 11. v. 5., wenn ich ihnen dieſes Land nicht zuwider machte, denn es iſt ein halsſtarriges Volk***)2 B. Moſ. C. 32. v 9.. Jch will ſie de - rowegen die Laſter und Grauſamkeit der Aegypter und ihrer Koͤnige empfinden laſ - ſen, ſo werden ſie mich ſuchen und anru - fen, und ſo will ich ſie erretten†)B. der Richt. C. 3. v. 9.. Jch will ihnen einen Koͤnig geben, der fuͤr ſie eine ſcharfe Ruthe ſeyn wird. Wenn er ſie aber wird genug geplaget haben, ſo will ich dieſe Ruthe mit groſſer Macht zerbre - chen, und dadurch den Jſraeliten einen tie -N 5fen202fen Eindruck geben, daß ich der Herr ſey*)Jeſ. C. 10. v. 5.. Es ſind auſſerdem die Laſter der Abgoͤtter anjetzt auf das hoͤchſte geſtiegen, und alle, welche ich an das Ruder ſetze, ergeben ſich denſelben und misbrauchen meiner Guͤte und Langmuth, und lieben ſolche Suͤnden, wofuͤr die Natur erroͤthet**)3 B. Moſ. C. 18. v. 24.. Jch habe daher beſchloſſen, ihrer viele heimzuſuchen und auszurotten, und da ich geſehen, daß ein Pharao in den Laſtern am weiteſten gehen und ſich weder durch die groͤßte Guͤ - te, noch durch Strenge erweichen und aͤn - dern laſſen werde, ſo will ich ihn auf den maͤchtigſten Thron erhoͤhen, damit die ge - rechte Strafe, die ich an ihm ausuͤben werde, deſtomehr in die Augen falle und offenbar mache, daß auch die Maͤchtigſten unter meiner Gewalt ſtehen, und ich allei - ne Gott ſey, und Pharao den Jſraeliten und vielen andern zum Exempel meiner heiligſten Rache diene.
Jn dieſem Rathſchluſſe lieget nichts, ſo mit den Eigenſchaften Gottes ſtritte. Es iſt denſelben nicht zuwider, ein Volk, welches nicht anders als durch harte Mittel zu erweichen, und zu ſeinen heiligen Abſichten zu bringen iſt, auf eine empfind -liche203liche Art zu zuͤchtigen. Es ſtreitet nicht mit den Eigenſchaften Gottes, hierzu einen harten und grauſamen Koͤnig zu gebrau - chen. Es iſt denſelben daher auch nicht entgegen, jemanden auf einen Thron zu heben, von welchem er weiß, daß er ſeine Macht misbrauchen werde. Koͤnnte die - ſes mit den Eigenſchaften Gottes nicht be - ſtehen, ſo wuͤrde niemals ein Tyranne herrſchen. Es iſt aber auch den Eigen - ſchaften Gottes gemaͤß, einen ſolchen, der vor andern boshaftig iſt, recht nachdruͤck - lich zu ſtrafen, und andere durch ſein Exempel zu ſchrecken. Es ſtreitet auch nicht mit den goͤttlichen Eigenſchaften, ei - nen Laſterhaften, der ſich auf keine Weiſe beſ - ſern laͤſſet, an einen ſolchen Ort zu ſtellen, wo ſeine Bosheit, aber auch ſeine Strafe recht offenbar wird, damit andere ſich daran ſpie - geln. Es ſtimmet derowegen auch mit der weiſen, heiligen und liebreichen Regierung Gottes gar wol uͤberein, daß er einen Pha - rao, von welchem er wußte, daß er gegen die Jſraeliten ein Tyrann werden, und durch nichts zu bewegen ſeyn wuͤrde, ſich den goͤttlichen Befehlen zu unterwerfen, an einen ſo erhabenen Ort ſetzte, wo ſeine unuͤberwindliche Haͤrte aber auch die ge - rechte Rache, ſo Gott an ihm ausuͤbete, recht ſichtbar wurde. Man wird einwen - den, ſo hat Gott aber doch gewollt, daß er die Jſraeliten drucken, und hernach einOpfer204Opfer ſeiner Rache werden ſollte. Dieſes aber widerſpricht der Liebe und Gerechtig - keit. Jch antworte, man muß hier eine zwiefache Art des goͤttlichen Wollens un - terſcheiden, naͤmlich ein Wollen, wobey ein gnaͤdiges Wolgefallen iſt, und ein ſol - ches, wobey kein Wolgefallen, und das ihm gleichſam wider ſeine Neigung abge - noͤthiget wird. Damit ein jeder die Moͤg - lichkeit dieſes Unterſchiedes erkenne, wollen wir ein paar Exempel anfuͤhren, wo er ſich wirklich zeiget. Jener rechtſchaffene Va - ter hat einen Sohn, welcher ausſchweifet, und in der Hoffnung groͤſſerer Freyheiten den Soldatenſtand waͤhlet. Der Vater iſt damit nicht zufrieden, weil indeſſen der Sohn allen guten Rath verwirft, ſo thut er ihn unter ein Regiment, wo die ſtrenge - ſte Kriegeszucht iſt. Hier giebet der Va - ter ſeinen Willen drein, daß der Sohn Soldat wird. Er will auch, daß er we - gen ſeiner Neigung zu Ausſchweifungen hart gehalten werden ſoll. Keines aber von dieſen allen iſt ſein wolgefaͤlliger ſon - dern ein abgenoͤthigter Wille. Jener Herr hat verſchiedene Doͤrfer und Guͤter und viele Verwalter auf denſelben. Unter die - ſen iſt einer, welcher ſtrenger iſt, als das leutſelige Gemuͤth des Herrn gerne ſiehet, und dieſer Mann hat wegen ſeiner Polte - reyen von ſeinem Herrn ſchon viele Ver - weiſe bekommen. Jn dem einen Dorfeaber205aber iſt ein gelinder Verwalter, welchen der Herr vorzuͤglich liebet. Die Bauern aber fangen an, die Guͤte deſſelben ſehr zu misbrauchen. Der Herr entſchlieſſet ſich daher, und giebet ihnen den ſtrengen und groben Verwalter, und laͤſſet ſie deſſen Haͤrte empfinden. Hier will der Herr, daß widerſpaͤnſtige Bauern die Grobheiten eines harten Verwalters fuͤhlen ſollen. Er hat aber keinen Wolgefallen, weder an den Vergehungen der Bauern noch an der Haͤrte des Verwalters, und beydes blei - bet ein Verbrechen und ſtrafbar. Die angezeigten Umſtaͤnde noͤthigen aber den guͤtigſten Herrn, etwas wider ſeine Nei - gung zu thun, und die Strenge des Ver - walters dahin zu richten, wo fie den we - nigſten Schaden thut, ſondern noch eini - gen Vortheil ſchaffet. So hat Gott auch gewollt, daß, wenn die Jſraeliten von ihm abfielen, und allerhand Ungerechtigkeiten ausuͤbeten, ſie die Wuth eines andern grauſamen Volkes empfinden ſollten*)5 B. Moſ. C. 28. v. 49. u. f.: allein weder die Widerſpaͤnſtigkeit der Ju - den noch die Grauſamkeit der Heiden, war ſein Wolgefallen. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit der goͤttlichen Regierung bey dem Pha - rao. Er hatte keinen Gefallen weder an der Haͤrte der Jſraeliten noch des Pha - rao. Beydes war wider ſeinen wolgefaͤl - ligen Willen und beydes blieb ſtrafbar. Da206Da aber beydes vorhanden, ſo richtete er die Haͤrte und Grauſamkeit des Pharao und ſeiner Knechte dahin, wo ein Uebel dem andern Einhalt that. Gott richtet in der Welt, welche einmal im Argen lieget, ſehr oft die eine Suͤnde dahin, daß ſie ei - ner andern Suͤnde zur Strafe dienet. Es iſt aber deswegen ſein Wolgefallen nicht, daß die Suͤnde geſchehe, ſondern da ſie wi - der ſeinen wolgefaͤlligen Willen geſchiehet, ſo iſt nur ſein Rathſchluß, daß eine wider die andere gerichtet, und eine durch die an - dere beſtrafet werde, und endlich beſtrafet er die letzte in einer ſolchen Reihe von Suͤn - den durch andere Schickſale ſeiner gerech - ten Rache*)Jeſ. C. 14. v. 5.. Es hat dieſes oft einen ſehr groſſen Nutzen. Wird eine Suͤnde, eine Ungerechtigkeit, eine Grauſamkeit wider die andere gerichtet, ſo empfindet man die Laſt der Suͤnden, und man lernet ſelbige eher haſſen, als wenn ſie mit andern Stra - fen beleget wird. Durch dieſes Mittel lernet man die Suͤnde verabſcheuen wegen ihrer innern boͤſen Natur und Schaͤdlich - keit, und erkennet, wie es eine vaͤterliche Guͤte ſey, wenn ſich Gott der Suͤnde wi - derſetzet. Gott hat alſo die Haͤrte des Pharao erſt wider das harte Herz der Jſraeliten gebrauchet, und ſelbiges erwei - chet, ihren Schoͤpfer und Helfer zu ſuchenund207und ihm zu folgen, und darauf hat er ihn ſelbſt zum Exempel ſeiner Rache geſetzet. Aber auch dieſes iſt nicht der Wolgefalle Gottes geweſen, ſondern Pharao hat den Willen Gottes hierzu genoͤthiget*)Jn der theologiſchen Sprache drucket man dieſes alſo aus: Deus voluit interitum Pha - raonis Voluntate conſequente, non ante - cedente. .
Damit deutlicher erhelle, wie PharaoFortſetzung des vorigen. dennoch ſtrafbar geblieben, ſo ſtelle man ſich folgenden Fall vor. Ein Koͤnig in En - gelland bekommt Krieg mit den Wilden in America. Er hat eine groſſe Anzahl Boͤ - ſewichter in den Gefaͤngniſſen. Er ſchen - ket ſelbigen die Freyheit, aber mit dem Be - ding, nach America zu gehen, und wider die Wilden zu ſtreiten. Er gebietet ihnen aber ernſtlich, alle unnoͤthige Grauſamkei - ten und Raubereyen zu unterlaſſen, widri - genfalls ſollten ſie ihr Leben verlieren. Er ſiehet zwar, daß nicht alle dieſem Be - fehle folgen, und daß einige davon in harte Strafe verfallen werden. Jndeſſen iſt es doch beſſer, daß dieſe Leute der Wuth der Wilden entgegen geſetzet werden, als treue, gehorſame und nuͤtzliche Unterthanen des Koͤnigreichs. Hier wird die Wildheit ei - niger Boͤſewichter weislich wider den un -gerech -208gerechten Angriff eines grauſamen Volkes gebrauchet. Bleiben aber die erſten nicht ſtrafbar, wenn ſie auch hier gegen den Befehl des Koͤniges die Verbrechen wieder ausuͤben, die ſie ſchon ehemals in Strafe gebracht haben? Oder man ſetze, ein gnaͤ - diger und gerechter Koͤnig habe eine Stadt, worinne ſehr harte und zum Aufſtande ge - neigte Buͤrger, er habe aber auch ein Re - giment Soldaten, welche in einem aus - waͤrtigen Kriege in einem weit entlegenen Lande, zum Exempel in Jndien, ſehr ver - wildert, weil viele Umſtaͤnde verhindert, eine genaue Kriegeszucht zu halten. Man nehme an, der Koͤnig legte dieſe Leute in jene widerſpaͤnſtige Stadt, damit die Wild - heit dieſer Soldaten nicht auf ſeine beſten, ſondern auf ungehorſame Unterthanen fiele, und ſelbigen zur Demuͤthigung dienete. Er wollte indeſſen nicht, daß obige Unord - nung in dem Regimente bliebe, ſondern fuͤhrete wieder eine gute Zucht bey ihnen ein, und ſtrafete die, ſo gar nicht zu ver - beſſern, und ganz grobe Vergehungen aus - uͤbeten, den Buͤrgern und uͤbrigen Solda - ten zur Warnung, am Leben. Wenn man dieſen Fall ſetzet, ſo haͤtte der Koͤnig kein Belieben weder an der Widerſpaͤn - ſtigkeit jener Buͤrger noch an der Wildheit und rauhem Weſen dieſer Soldaten, und ſein Wille gienge nur dahin, die ange - nommenen rauhen Sitten dieſer letzterndieje -209diejenigen empfinden zu laſſen, die ſolches wegen ihrer Bosheit verdienen, und er ſetzte ſehr weislich Ein Boͤſes dem andern entgegen, um das Uebel zu mindern, und beyde Arten von Leuten ſo viel nur immer durch weiſe Mittel moͤglich, zu beſſern. Sind aber deswegen jene unordentlichen Soldaten nicht ſtrafbar, weil man wolge - ſittete Buͤrger mit ihnen verſchonet, und dieſe ihrer Unordnung nicht ausſetzet, ſon - dern ſie bey ſolche Buͤrger einquartiret, welche ſich einer ſolchen Ruthe wuͤrdig ge - macht? Wer wider den wolgefaͤlligen Willen und wider die ausdruͤcklichen Ge - ſetze ſeines Herrn ſuͤndiget, iſt ſtrafbar, wenn gleich der Herr weislich abwendet, daß die Vergehungen frecher Uebertreter der Geſetze guten Unterthanen nicht zur Laſt werden, ſondern ſie auf ſolche fallen laͤſſet, welche gleichfalls allerhand Wider - ſpaͤnſtigkeiten ergeben ſind, und Ein Boͤſes durch das andere einſchraͤnket.
Weil es gar zu gewoͤhnlich, daß manOb hier ein unbeding - ter Rath - ſchluß Got - tes gelehret werde. aus dergleichen Erklaͤrungen Saͤtze folgert, die irrig und hart ſind, ſo muß ich mich wider dergleichen, ſo viel nur immer moͤg - lich iſt, verwahren. Jch will in dieſer Abſicht noch zeigen, wie ſich meine Mey - nung von der Meynung derer unterſcheidet, welche behaupten, Gott habe abſolut ge -Jac. Betr. 4. Band. Owollt,210wollt, die Menſchen ſollten in Suͤnde fal - len, und ein Theil derſelben zu Bewei - ſung ſeiner Gerechtigkeit und Macht ver - lohren gehen, und er habe ſie derowegen in ſolche Umſtaͤnde geſetzet, daß ſie fallen muͤſſen, und ihnen die Gnade verſaget, ohne welche ſie von ihrem Fall nicht aufſte - hen koͤnnten. Nach meiner Erklaͤrung, welche ich von den Worten gegeben, da Gott zu Pharao geſaget: eben darum habe ich dich erwecket, daß ich an dir meine Macht erzeige, iſt der Rathſchluß Gottes keinesweges geweſen, daß der Menſch uͤberhaupt und insbeſondere auch Pharao abſolut ſuͤndigen ſollte. Es waͤre vielmehr ſein Wolgeſallen geweſen, wenn der Menſch ſeiner Freyheit nicht gemis - brauchet haͤtte. Da der Menſch ferner gefallen, ſo hat Gott ſich aller erbarmet, und ihnen ſo viel Gnade geſchenket, daß ſie ſich aus der Suͤnde wieder herauszie - hen koͤnnten. Da aber ſehr viele dieſe all - gemeine Gnade verachten und von ſich ſtoſ - ſen, ſo wird der liebreichſte Gott gleichſam genoͤthiget, wider ſeine erſte Neigung und wolgefaͤlligen Willen einige Menſchen, die ſich ganz und gar nicht wollen beſſern laſ - ſen, in ihr Verderben dahin zu geben*)Roͤm. C. 1. v. 28.. Er beweiſet aber hierbey eine weiſe Regie - rung. Er richtet das Boͤſe dergeſtalt wi -der211der einander, daß eines das andere ein - ſchraͤnket, und zu Zeiten die Suͤnde des einen eine Gelegenheit zu der Bekehrung eines andern wird. Kurz da diejenigen Mittel, welche die Weisheit Gottes fuͤr bequem gefunden, den erſten Vergehungen der freyen Geſchoͤpfe entgegen zu ſetzen, ih - ren Zweck nicht erreichet, ſo ſchaffet er aus dem Boͤſen noch ſo viel Gutes als moͤglich. Jn dieſer Abſicht hat Gott die Tyranney eines Pharao auf die Jſraeliten fallen laſ - ſen, um ihr Herz zu einer gehorſamen Verehrung des einigen Gottes zu bereiten. Er hat ihn ferner zu einem merklichen Exempel ſeiner Rache, das andere war - nen ſollte, geſetzet. Er hat ihn aber kei - nesweges zu der Tyranney genoͤthiget, noch ihm die Gnade und Mittel verſaget, wodurch er haͤtte ein wahrer Verehrer Got - tes, und ein Vater des Vaterlandes wer - den koͤnnen, ſondern Gott hat nur dieſes harte Gemuͤth, von welchem er zum vor - aus ſahe, daß es aus einer freyen Ent - ſchlieſſung alle goͤttliche Gnade und alle Mittel zu ſeiner Aenderung trotzig von ſich ſtoſſen wuͤrde, an denjenigen Ort der Welt geſetzet, wo ſeine Haͤrte und die ge - rechte Beſtrafung derſelben noch den meh - reſten Nutzen ſchaffen koͤnnen. An einem andern Orte wuͤrde ſeine Haͤrte der Welt noch nachtheiliger geweſen ſeyn, und die Weisheit wuͤrde weniger Nutzen fuͤr dasO 2gemei -212gemeine Beſte daraus haben ziehen koͤnnen.
Jch komme auf die Verſtockung des Pharao. Die Schrift ſaget, daß er ſich ſelber verſtocket*)2 B. Moſ. C. 8. v. 32. C. 9. v. 34., ſie bemerket aber auch an vielen Orten, daß ihn Gott verſto - cket**)2 B. Moſ. C. 4. v. 21. C. 7. v. 3. C. 9. v. 12. C. 10. v. 1-20.. Man hat dieſem letztern Aus - ſpruche der Schrift auf mehr denn einerley Art die anſcheinende Haͤrte benehmen wol - len. Viele aber ſind auf ſehr unnatuͤrliche Auslegungen verfallen, welche ein aͤngſtli - ches Gemuͤth nicht beruhigen, und eine ſolche Art der Erklaͤrung der Schrift ein - fuͤhren, daß man nach ſelbiger aus den Worten derſelben machen kann, was man will. Meine Ehrerbietung gegen ein Wort, welches ich fuͤr goͤttlich erkenne, haͤlt mich ab, an demſelben zu kuͤnſteln, und ihm Gewalt anzuthun. Jch laſſe derowegen auch dieſem Ausſpruche denjeni - gen Sinn, welcher ihm nach allen Umſtaͤn - den zukommt. Paulus ſaget, da er die Verſtockung eines Pharao bereitet: er (naͤmlich Gott) verſtocket, welchen er will***)Roͤm. C. 9. v. 18.. Dieſe Worte legen deutlichgenug213genug zu Tage, daß Gott Menſchen ver - ſtocke, und zwar nach einer gewiſſen Wahl und Rathſchluſſe. Das groſſe Licht unſe - rer Kirche, der hochberuͤhmte Herr D. Baumgarten, deſſen Rechtglaͤubigkeit bisher niemand mit irgend einer Wahr - ſcheinlichkeit in Verdacht gezogen, iſt eben dieſer Meynung, und nachdem er eine an - dere Auslegung auf das gruͤndlichſte ab - gelehnet, ſo ſchreibet er in ſeiner Ausle - gung des Briefes an die Roͤmer uͤber die - ſe Stelle alſo:
„ Fuͤglicher wird die gewoͤhnlichere Be - „ deutung allhier beybehalten, nach welcher „ das Wort verhaͤrten, oder hart und haͤr - „ ter machen, bedeutet, das iſt, einen hoͤ - „ hern Grad des Widerſtandes verurſa - „ chen, oder entſtehen laſſen, auch deſſel - „ ben Gegenwart offenbaren. Wenn „ demnach dergleichen von dem Verhalten „ Gottes gebraucht, oder ihn die Verhaͤr - „ tung der Menſchen beygeleget wird: ſo „ muß ſolches verſtanden werden, 1) nicht „ von einer vorlaͤufigen Beſtimmung, wo - „ durch die Menſchen auf eine unwieder - „ treibliche und gewaltſame Art der Bos - „ heit, und zum Widerſtreben gegen goͤtt - „ liche Gnade gebracht werden, als welches „ in dieſem gegenwaͤrtigen Beyſpiel dem „ Pharao ſelbſt mehrmals ausdruͤcklich zu - „ geſchrieben wird, 2 B. Moſ. C. 8. v. 19. „ 32. C. 9. v. 7. ſondern 2) theils von derO 3„ Zu -214„ Zulaſſung und Nichthinderung ſolcher „ ſteigenden Haͤrte und Verhaͤrtung der „ Menſchen durch zunehmenden Wider - „ ſtand derſelben, ingleichen von der Ent - „ ziehung auſſerordentlicher Gnadenbear - „ beitung, nach vorhergegangener Verach - „ tung der hinlaͤnglich geweſenen und ver - „ geblich oder fruchtlos gebliebenen ordent - „ lichen Bearbeitung; theils von der Er - „ zeugung ſolcher Langmuth in Ertragung „ ſolches Widerſtandes, ohne Gebrauch „ der moͤglichen Schaͤrfe und gewaltſamen „ Hinderung, ingleichen von der Erweiſung „ ſolcher Wolthaten, die zufaͤlliger Weiſe „ dieſe Fertigkeit den goͤttlichen Bewe - „ gungsgruͤnden zu widerſtehen vermehren; „ ſo wie ein Menſch durch ſein Bitten und „ wehmuͤthiges Flehen, oder Gelindigkeit „ und Sanftmuth einen andern zufaͤlliger „ Weiſe verhaͤrten kann, oder eine Urſache „ und Veranlaſſung werden, daß derſelbe „ nicht nur ſeine Haͤrte an den Tag lege, „ ſondern auch darinne zunehme, und wei - „ ter gehe, als ſonſt bey anderweitigen „ Verfahren geſchehen wuͤrde. Dahin die „ oͤftere und wiederholete Abwendung ge - „ droheter, auch dem Anfange nach und „ zum Theil vollzogener Strafen gehoͤret, „ ſo zufaͤlliger Weiſe den Pharao hart „ gemacht. „
Die Schrift giebet keine ErklaͤrungWas ver - ſtocken heiſ - ſe. von dem Worte verſtocken, und verbindet folglich denjenigen Begriff damit, welcher ihm durch den Gebrauch gegeben worden. Wenn aber geſaget wird, daß ein Gemuͤth hart und haͤrter werde, ſo verſtehet man darunter, daß es auf eine gewiſſe Sache unempfindlich werde, und in dieſer Unem - pfindlichkeit zunehme, und daher durch ſelbige ſich nicht leicht bewegen laſſe. Es iſt ein Gemuͤth hart gegen Arme, wenn es wenige oder gar keine Empfindung von der Duͤrftigkeit des andern hat, und ſich daher nicht leicht zum Mittleiden und thaͤ - tiger Huͤlfe bewegen laͤſſet. Ein wider - ſpaͤnſtiger Knecht iſt hart gegen ſeinen Herrn, wenn er unempfindlich iſt auf die Befehle ſeines Herrn, und auf die Bewegungs - gruͤnde dieſelben zu befolgen, und weder Guͤte noch Strenge achtet. Man verhaͤr - tet derowegen einen andern, wenn man ihm das ſittliche Gefuͤhl auf eine gewiſſe Sache ſchwaͤchet, und ihn auf die Bewe - gungsgruͤnde, die ihn zu etwas reizen ſoll - ten, unempfindlich machet, und hieraus folget denn, daß der Widerſtand eines ſol - chen Gemuͤths ſich vermehret. Es kann dieſe Verhaͤrtung ſehr viele Grade haben. Die Schrift beſtimmet keinen gewiſſen Grad derſelben. Wenn man aber die Perſonen betrachtet, von welchen ſie an -O 4zeiget,216zeiget, daß ſie verhaͤrtet oder verſtockt ge - weſen, ſo erhellet, daß ſie darunter einen hohen Grad der Unempfindlichkeit gegen Gott und deſſen Befehle, gegen ſeine Ver - heiſſungen und Drohungen verſtehe, und daß der Menſch ſich durch gegenſeitige Triebe und Bewegungsgruͤnde beherrſchen laſſen, und daher den Abſichten Gottes auf das ſtaͤrkeſte widerſtanden, und die innere Widerſpaͤnſtigkeit ohne alle Furcht und Vorſichtigkeit ausbrechen laſſen, und blindlings in ſein eigenes Verderben ge - rennet. Die Schrift ſaget von eben den - ſelben Menſchen, daß ſie ſich ſelber, und daß ſie Gott verſtocket*)Man leſe hiervon die Schriftſtellen §. 11.. Wir wollen uns in der Welt umſehen, und die man - cherley Arten der Verſtockung kennen ler - nen. Wir wollen ferner unterſuchen, in wiefern Pharao ſich ſelber verhaͤrtet, und in wiefern von Gott koͤnne geſaget werden, daß er ihn verſtocket.
Jch mag mich auf ſo viele harte Ge - muͤther beſinnen, als ich will, ſo finde ich, daß ſie ſelber eine Haupturſache ihrer Verhaͤrtung ſind, indem ſie ſich von hef - tigen Leidenſchaften beherrſchen laſſen, und diejenigen, welche ſie beſſern wollen, ent - weder fuͤr Thoren oder fuͤr Feinde anſehen,ſich217ſich daher auf ihre eigenen Kraͤfte und Ein - ſichten verlaſſen, und ihrem eigenen Kopfe und denen, die ſie fuͤr Weiſe und ihre Freunde halten, folgen. Jndeſſen koͤn - nen doch auch andere zu einer ſolchen Ver - haͤrtung vieles beytragen. Es kann ſol - ches auf mancherley Art geſchehen, und wir bitten unſere Leſer, ſelbige wol zu be - merken. Man kann jemanden eine ſchlech - te Erziehung geben, und den verderbten Trieben des Menſchen den Zuͤgel immer ſchieſſen laſſen, und ihm allezeit ſeinen Willen thun, ſo wird er nicht leicht ler - nen, ſich ſelber zu beſiegen und andern zu folgen. Man kann ihm das Gute als Boͤſe, und das Boͤſe als gut vorſtellen, man kann ihm beybringen, daß in den ſchaͤndlichſten Dingen eine groſſe Ehre lie - ge. Man kann ihn als einen klugen Kopf oder als einen groſſen Held loben, wenn er ſich in gewiſſen Laſtern hervorthut. Ein Befehlshaber kann ſeine Untergebene auf allerhand Ausſchweifungen unempfindlich und hart machen, wenn er zu lange nach - ſiehet, und viele Vergehungen geſchehen laͤſſet, ohne dagegen zu eifern und nach - druͤckliche Mittel zu gebrauchen. Ein je - der ſiehet gar leicht, daß dieſe Arten der Verhaͤrtung von keinem weiſen, liebreichen und gerechten Gemuͤthe veranlaſſet werden koͤnnen. Aber man merke auch auf folgen - de Arten. Jene jungen Leute verfallen aufO 5aller -218allerhand Unordnungen und Schwaͤrme - reyen. Man macht weiſe Verordnungen dagegen, und eben dieſe weiſen Geſetze rei - zen bey einigen den Trieb zu Ausſchwei - fungen, und vermehren die Haͤrte und den Widerſtand ihres Gemuͤthes*)Roͤm. C. 7. v. 8.. Jener Soldat wird wegen einiger wiederholeten Bosheiten geſtrafet, und dieſes verhaͤrtet ſein Gemuͤth dergeſtalt, daß er Pflicht und Eid bricht und davon laͤuft. Jene Vormuͤnder haben einen Pflegeſohn, wel - cher anfaͤnget aus der Art zu ſchlagen. Sie ſuchen ihn anfaͤnglich durch Guͤte, Verſprechungen und Geſchenke zu gewin - nen, und dieſes wird bey ihm eine Urſache, noch mehr zu verwildern. Sie fangen an und gebrauchen Strenge, und dieſe ver - anlaſſet, daß er in Wuth geraͤth und ganz verſtockt wird. Jene Frau hat eine leicht - ſinnige Magd. Sie thut derſelben alle moͤgliche Vorſtellung, und warnet ſie fuͤr einen Fall, der ſie hoͤchſt ungluͤcklich ma - chen wuͤrde, und haͤlt ſie in einer ſehr ge - nauen Aufſicht. Dieſes aber gefaͤllet der uͤppigen Perſon nicht, und faſſet einen Haß wider ihre Frau, und je mehr dieſelbe auf ſie achtet, deſto unbaͤndiger und boshafti - ger wird ſie. Sie treibet ihre Wider - ſpaͤnſtigkeit ſo weit, daß man ſie nicht be - halten kann. Man laͤſſet ſie gehen, unddieſes219dieſes veranlaſſet, daß ſie in kurzer Zeit ei - nen Schritt thut, der ſie in Schande und Armuth ſetzet. Jn allen dieſen letztern Faͤl - len wird die Haͤrte und Widerſpaͤnſtigkeit eines Menſchen durch andere vermehret; kann man aber ſagen, daß man dadurch wider die Liebe und Gerechtigkeit anſtoſſe?
Wir merken hierbey noch ferner an,Fortſetzung des vori - gen. daß, wenn die Verhaͤrtung eines Menſchen aus unſern Betragen erfolget, man entweder die Abſicht habe den andern zu verhaͤrten, oder man ſuchet ſogar das Ge - gentheil. Hat ſich jemand wirklich vorge - nommen, den andern zu verhaͤrten, ſo kann der Endzweck gar verſchieden ſeyn. Man kann dabey die Abſicht haben, den andern laſterhaft zu machen, und ihn zu Vergehungen zu bewegen, in welche er ohne groſſe Verfuͤhrung nicht fallen wuͤrde. Jn dieſer Abſicht verfuͤhret und verhaͤrtet ein Laſterhafter den andern, damit der an - dere nicht beſſer ſey, wie er und ihm zu keinem Vorwurfe gereiche. Es koͤnnen aber auch ganz andere Urſachen zum Grun - de liegen. Es kann ſich jemand durch ſich und andere laſterhafte Menſchen ſchon ſo verſtocket haben, daß er auf keine Weiſe zu beſſern. Man hoͤret derowegen auf, an ihm zu arbeiten und auf ihn zu achten, und beſchleuniget dadurch denjenigen Schritt,dadurch220dadurch ein ſolcher ins Verderben laͤuft. Man thut dieſes zu einer gerechten Beſtra - fung eines Gemuͤthes, welches alle Liebe, alles Bitten, alle gelinde Beſtrafungen verachtete. Es giebet Faͤlle, da man noch mehr thun kann, da man jemanden mit Fleiß verblenden, und wider alle Furcht verhaͤrten kann, um ihn in eine gerechte Strafe zu ziehen. Als Gott jene Cana - nitiſchen Voͤlker wegen ihrer auf das hoͤch - ſte geſtiegenen Laſter ausrotten wollte, und dieſes durch die Jſraeliten verrichtete, ſo bewerkſtelligte er dieſes bey der Stadt Ai auf folgende Art. Er befahl dem Joſua, die Buͤrger zu Ai durch Liſt aus der Stadt zu ziehen. Er ſollte einen Hinterhalt ma - chen hinter der Stadt, und die Stadt von vorne angreifen, und wenn die Buͤr - ger herausfielen, ſo ſollten dieſe, ſo den An - griff gethan, fliehen, und dadurch die Buͤrger von Ai reizen, ihnen nachzujagen, und wenn dieſes geſchaͤhe, ſo ſollte der Hin - terhalt losbrechen und die Stadt einneh - men und anzuͤnden, und die aus Ai von beyden Seiten uͤberfallen und toͤdten*)B. Joſ. C. 8. v. 2.. Hier laͤſſet Gott Menſchen, die er aus gerechten Urſachen zu ſtrafen beſchloſſen, durch eine Kriegesliſt zu einer unuͤberlegten That reizen, und ſie in diejenige Strafe ziehen, die er ihnen zuerkannt. JenerEngliſche221Engliſche Held hat mit Rebellen zu ſtrei - ten. Dieſe ziehen ſich in Gebuͤrge und enge Paͤſſe, wo man ſie nicht ohne groſſe Gefahr, und ohne Verluſt vieler treuen Unterthanen aufſuchen und bezwingen kann. Man bemuͤhet ſich daher, ſie auf die Ebene zu ziehen. Zu dem Ende ſchi - cket man kleine Haufen aus, die ſie muͤſ - ſen angreifen, und alsdenn fliehen und ih - nen Gelegenheit geben, Beute zu machen. Man thut dieſes einige Tage, und macht die Rebellen dadurch ſo dreiſte, daß ſie endlich mit vollem Haufen hervorbrechen, und die - jenigen, ſo wider ſie ausgeſchicket worden, ſo weit verfolgen, daß man jene mit Vor - theil angreifen und uͤberwinden kann. Hier werden Rebellen verhaͤrtet und dreiſte ge - macht ihre Bosheit auszuuͤben, aber zu dem Ende um ſie in eine gerechte Strafe zu ziehen. Und ſollte dieſes mit einer tugend - haften Gerechtigkeit ſtreiten? Man wird ſagen, man verfuͤhre dieſe Rebellen, daß ſie ihre Vergehungen haͤufen, und das unſchuldige Blut derer vergieſſen, welche von Zeit zu Zeit wider ſie ausgeſchicket werden: man muͤſſe aber nicht Boͤſes thun, daß Gutes daraus entſtehe? Jch antworte: ſoll man denn dieſe Rebellen lie - ber in ihren Loͤchern, in ihrem Vortheil angreifen, und dadurch verurſachen, daß zweymal ſo viele getreue Unterthanen von ihnen getoͤdtet, und ihre Vergehungenzwie -222zwiefach gehaͤufet werden? Thut derjeni - ge etwas Boͤſes, welcher das geringere Uebel waͤhlet, um ein Groͤſſeres zu verhuͤ - ten, und die Bosheit eines Feindes auf ſolche Ausbruͤche richtet, die weniger ſchaͤd - lich ſind, und eine kleinere Suͤnde geſche - hen laͤſſet, weil man ſonſt zu einer groͤſſern Anlaß geben wuͤrde? Jſt es etwas Boͤſes, wenn man einen Menſchen, der ſeine Bos - heiten mit der groͤßten Verſchlagenheit ausuͤbet, und durch keine gelinden Mittel davon abzuziehen iſt, dahin verblendet und dreiſte machet, daß er ſeine boͤſen Anſchlaͤ - ge mit wenigerer Vorſichtigkeit auszufuͤh - ren ſuchet, und ſelbige eben dadurch ver - nichtet werden? Man bemerke doch ſehr wol, daß man in einem ſolchen Falle einen Menſchen nicht boshaftiger, ſondern nur unvorſichtig machet, damit man ſeiner Bosheit deſto leichter ein Ziel ſetzen koͤnne. Jch fuͤge noch ein Exempel hinzu. Jener Pohlniſche Magnate hat ſein Gebiethe an einem groſſen Walde, worinne ſich Hei - damacken oder Raͤuber aufhalten. Sie rauben mit groſſer Klugheit, und bleiben dem Walde immer ſo nahe, daß, wenn man ihnen nachjaget, ſie allezeit gluͤcklich entkommen. Man beſchlieſſet derowegen ſie einige Zeit in ihren Raubereyen nicht zu ſtoͤhren, damit ſie dreiſter und unvor - ſichtiger werden, und ſich ſo weit vom Walde entfernen, daß man ſie vom ſelbi -gen223gen abſchneiden und erhaſchen kann. Hier verblendet man dieſe Leute, und macht ſie dreiſte und hart wider die Furcht. Allein ſollte dieſes ungerecht ſeyn? Waͤre es beſ - ſer, daß man dieſe Raͤuber in einer beſtaͤndi - gen Furcht erhielte, und ſie deſto wachſamer und verſchlagener machte? Jch hoffe nicht, daß jemand ſolches behaupten werde.
Der hochberuͤhmte Herr D. Baum -Weitere Fortſetzung. garten merket in der oben beygebrachten Stelle an, daß man jemanden auch zu dem Ende verhaͤrten koͤnnte, daß ſeine Bosheiten offenbar wuͤrden. Einem wei - ſen Regenten iſt daran gelegen, daß ſeine Unterthanen einſehen, daß er niemanden zu viel thue. Ja ein jeder kluger Hausvater hat dahin zu ſehen, daß ſeine Hausge - noſſen ein ſolches von ihm glauben. Wenn derowegen ein Regent gewiſſe boͤſe Unter - thanen, oder ein Hausvater einige unarti - ge Hausgenoſſen beſtrafen will, ſo iſt nicht genug, daß der Regent und der Hausva - ter das boͤſe Herz dieſer Leute kennen, ſondern andere muͤſſen davon ebenfalls uͤber - zeuget werden. Und da kann man ſich ge - noͤthiget ſehen, daß man ihnen zu gewiſſen offenbaren Ausbruͤchen die Gelegenheit gie - bet, da ſie bisher ihre Laſter mit vieler Liſt und heimlich ausgeuͤbet. Jener Kauf - mann hat Handelsbediente, welche der Ueppigkeit nachhangen, und eine wolluͤſti -ge224ge Lebensart fuͤhren. Der Herr merket dieſes, und thut ihnen die nachdruͤcklichſten Vorſtellungen. Dieſe aber fruchten wei - ter nichts, als daß ſie ihre Ausſchweifun - gen mit der groͤßten Vorſichtigkeit begehen. Der Herr will derowegen, daß ſie offen - bar werden, damit er den aͤrgeſten unter ihnen, der die uͤbrigen verfuͤhret, den an - dern zum Exempel und ohne Vorwurf ei - ner liebloſen und argwoͤhniſchen Haͤrte wegjagen koͤnne. Er trit zu dem Ende ei - ne gewoͤhnliche Handelsreiſe an, auf wel - cher er ſonſten vier Wochen zuzubringen pfleget. Er nimmt ſeine Frau mit, und giebet dadurch den Bedienten Gelegenheit, ihre unordentliche Lebensart mit deſto groͤſ - ſerer Dreiſtigkeit und ohne die bisherige Behutſamkeit fortzuſetzen. Er kommt aber in vierzehn Tagen unvermuthet wie - der, und uͤberraſcht mit einigen guten Freunden ſeine Bedienten, welche Zeugen ihrer Unordnung abgeben muͤſſen, und ſtoſ - ſet darauf den Anfuͤhrer aus dem Hauſe. Auch dieſes ſcheinet mir nicht ungerecht zu ſeyn. Ein ander Exempel von dieſer Art iſt folgendes. Ein Kaufmann hat einen Fabricanten, der ihn ſchlechte Arbeit lie - fert. Der Kaufmann bittet und ermah - net ihn lange Zeit, ſeine Arbeit mit beſſe - rem Fleiſſe zu verfertigen. Der Fabri - cant aber giebet vor, er mache gute Waa - re, und beſchweret ſich hier und da, daßer225er es mit einem gar zu eigenſinnigen und harten Manne zu thun habe. Der Kauf - mann laͤſſet ihn darauf einige Zeit ohne Erinnerungen gehen. Dieſes ſchlaͤfert aber den Fabricanten immer mehr und mehr ein, daß er zuletzt ſo ſchlechte Arbeit liefert, deren Fehler in aller Augen fallen, und hiermit ſchaffet er ihn ab. Ein ander Exempel giebet uns die Schrift. Der Allwiſ - ſende ſahe, daß das Geſetz die Reizungen zur Suͤnde ſogar vermehren wuͤrde. Er gab es aber doch, damit die Suͤnde als Suͤnde erſcheinen, offenbar und uͤberaus ſuͤndig werden moͤchte, damit hierdurch den Wirkungen der Gnade in Chriſto zur wahren Sinnesaͤnderung der Menſchen der Weg gebahnet wuͤrde*)Roͤm. C. 7. v. 13..
Dieſes Exempel fuͤhret mein GemuͤthManche Verſto - ckung wird das Mittel ein hartes Herz zu er - weichen. auf Faͤlle, wo eine gewiſſe Verhaͤrtung die Handleitung zu der Bekehrung eines Menſchen wird. Jener rechtſchaffene und kluge Vater hat einen Sohn, welcher, da er bey andern in Handlungsdienſten ſtehet, in weitlaͤuftige Geſellſchaften geraͤth, und auf allerhand Ausſchweifungen verfaͤllt. Der Vater nimmt ihn zu Hauſe, und will ihn zur Arbeit und Ordnung halten. DerJac. Betr. 4. Band. P226Der Sohn wird verdroſſen, trotzig und widerſpaͤnſtig. Er hat einen Anverwand - ten gehabt, der ihm im Teſtamente einige hundert Thaler vermacht. Er fordert ſel - bige und will ſeinen eigenen Haushalt an - fangen. Man will ſie ihm nicht geben, weil man ſiehet, er werde ſie gar bald durchbringen. Hiermit aber treibet er ſei - nen Trotz auf den hoͤchſten Grad. Man giebet ihm endlich ſein Geld, und ſogleich faͤnget er an zu ſchwaͤrmen, und verthut ſelbiges in wenigen Monathen. Man laͤſ - ſet ihn gehen, er geraͤth in Schulden und in die aͤuſſerſte Noth. Dieſe aber demuͤ - thiget und beweget ihn in ſich zu gehen, ſei - nen Ungehorſam und Ausſchweifungen weh - muͤthigſt zu erkennen. Er wirfet ſich ſei - nem Vater zu den Fuͤſſen, und ſuchet die Vergebung ſeiner Widerſpaͤnſtigkeit, und faͤnget an, ein ganz anderer und wuͤrdiger Menſch zu werden. Ein aͤhnliches Exem - pel finden wir an dem verlohrnen Sohne in der Schrift*)Luc. C. 15..
Aus denen Exempeln der Verhaͤrtung, welche ich bisher beygebracht habe, erhel - let, daß nicht eine jede Verſtockung von gleicher Beſchaffenheit ſey. Man kann jemanden auf eine ſolche Art verhaͤrten, daßman227man ſich der groͤßten Suͤnde theilhaftig machet. Es geſchiehet dieſes, wenn man jemanden, der ſich von den Laſtern noch nicht beherrſchen laͤſſet, zu ſelbigen verfuͤh - ret, und ihm widrige Geſinnungen gegen das Gute beybringet, und ihn zu boͤſen Gewohnheiten verleitet, die nach und nach die andere Natur werden. Man kann aber auch an der Verhaͤrtung eines an - dern einigen Antheil haben, ohne die Liebe und Gerechtigkeit zu verletzen. Es findet dieſes ſtatt bey Perſonen, welcher ſich ſel - ber ſchon verſtocket, und von andern laſter - haften Perſonen verhaͤrten laſſen. Man kann ſelbſt durch die Weisheit und Ge - rechtigkeit zu gewiſſen Pflichten verbunden ſeyn, deren Ausuͤbung boshaftigen Gemuͤ - thern Anlaß giebet, haͤrter zu werden. Wie denn die gerechteſten Strafen nicht ſelten dieſe Wirkung haben. Man kann ferner bey einer unuͤberwindlichen Wider - ſpaͤnſtigkeit laſterhafter Perſonen aufhoͤren an ihrer Verbeſſerung zu arbeiten, und ſie dem Verderben uͤberlaſſen, von welchen ſie ſich nicht wollen laſſen zuruͤckhalten. Man kann diejenigen, welche ihre Laſter mit Liſt und Verſchlagenheit ausuͤben, in ſo weit verblenden und verhaͤrten, daß ſie ſel - bige offenbar machen, und man denſelben Grenzen ſetzen kann, ohne in das Anſehen einer Ungerechtigkeit zu verfallen. Man kann die Ausbruͤche der Bosheit an ſolcheP 2Orte228Orte ziehen, wo ſie am wenigſten ſchaden, und am erſten geſtrafet werden koͤnnen. Zu Zeiten kann eine gewiſſe Verhaͤrtung das bequemſte Mittel ſeyn, jemanden zu erweichen und zu beſſern. Jn allen dieſen Faͤllen hat man aber nicht die Abſicht, den andern boshafter zu machen, ſondern man machet einen Laſterhaften nur in ſo fern ſicher, daß er die Bosheit, die ohnedem in ihm iſt, alſo ausuͤbet, daß noch groͤſſere und ſchaͤdlichere Ausbruͤche verhuͤtet, und noch ſo vieler Vortheil fuͤr das gemeine Beſte daraus gezogen werde, als moͤglich iſt. Jn allen dieſen Faͤllen wird auch nie - mand zur Suͤnde und Vergehungen genoͤ - thiget, ſondern man wollte vielmehr, daß ſelbige gar nicht geſchaͤhen. Alle dieſe Verhaͤrtungen haben auch keinen andern Endzweck als die Vergehungen ſo viel zu mindern, als nur moͤglich iſt. Ein jeder behaͤlt auch ſeine Freyheit in ſich zu gehen, und die Laſter zu verlaſſen, und wie der verlohrne Sohn zuruͤck zu kehren. Wie hart war das Gemuͤth eines Paulus, da er einen Stephanus ſteinigen ſahe, und mehrere Bekenner Jeſu zu einem ſolchen Tode aufſuchte? Dennoch ließ er ſich end - lich erweichen, und wurde aus einem Ver - folger der Chriſten ein eifriger Lehrer des Evangeliums*)Daß die Hebraͤer unter der Verſtockungkeine.
Jch will dieſes auf die VerſtockungGott hat Pharao ver - ſtocket. des Pharao, in ſo ferne ſelbige Gott zuge - ſchrieben wird, anwenden. Dieſe Sache wird alle anſcheinende Haͤrte verlieren, wenn wir bemerken, wenn Gott den Pha - rao verſtocket, wie er ſolches gethan, und warum er ihn eigentlich verſtocket, und was fuͤr einen Zweck der Weiſeſte hierbey zu erreichen geſuchet hat. Wir leſen, daß Gott erſt angefangen, den Pharao zu ver - ſtocken, da derſelbe ſchon das haͤrteſte Ge - muͤth hatte, und die grauſamſten Rath - ſchluͤſſe wider die unſchuldigen Jſraeliten gefaſſet hatte. Wie hart muß das Ge - muͤth nicht ſeyn, welches armen Untertha - nen ſolche Laſten aufleget, als Pherao den Jſraeliten aufgebuͤrdet, um ſie zu mindern und zu unterdruͤcken*)2 B. Moſ. C. 5. v. 5.. Man bemerke hierbey ſogleich, daß Gott durch ſeine Verſtockung nicht verurſachet, daß Pha -P 3rao*)keine ganz unwidertreibliche Verhaͤrtung des Gemuͤthes verſtehen, erhellet deutlich aus 1 B. Sam C. 6. v. 6. u. f. Hier wird denen Philiſtern mit eben demjenigen Wor - te, welches in der Hiſtorie des Pharao 2 B. Moſ. C. 9. v. 34. gebrauchet worden, von ihren eigenen Prieſtern eine Verſtockung vor - geworfen, von welcher ſie ſich aber durch die Vermahnung ihrer Prieſter zuruͤckziehen lieſſen.230rao aus einem frommen, gelinden und leutſeligen Koͤnige ein gottloſer und grau - ſamer Tyranne worden. Dieſes war Pharao ſchon, als Gott ihn zu verhaͤrten anfieng. Er war durch ſich ſelber und ſei - nen Hochmuth ſchon ſo verſtocket, daß ihn die groͤßten Wunder nicht bewegen konn - ten, die Macht Gottes mit rechter Ehrer - bietung zu erkennen, und ſich denen Be - fehlen des Hoͤchſten zu unterwerfen. Gott hat derowegen nur etwas gethan, wobey Pharao Anlaß genommen, die Haͤrte, die ſich ohnedem ſchon nicht erweichen ließ, in etwas zu vermehren, und hat ſie dahin ge - lenket, wo ſie ſein weiſeſter Rathſchluß zum Beſten kehren konnte. Und wie iſt dieſes geſchehen?
Gott vermehrete*)Damit dem Leſer dieſer Ausdruck nicht zu hart vorkomme, ſo wolle derſelbe ſich deſ - ſen erinnern, was oben §. 11. aus des Herrn D. Baumgartens Auslegung des Briefes an die Roͤmer beygebracht worden, und vergleiche damit §. 13. u. f. die ohnedem ſchon unbewegliche Haͤrte des Pharao nicht durch einen innern Zwang. Die Schrift thut nicht die geringſte Anzeige davon, ſon - dern ſie meldet ganz deutlich folgende Ur - ſachen derjenigen Verſtockung, welcheGott231Gott zugeeignet wird. Das erſte, ſo ihn mehr verhaͤrtete, war der Befehl Gottes die Jſraeliten ziehen zu laſſen, welchen er ihm durch ein Paar niedrige Maͤnner, den Moſes und Aaron hinterbringen ließ. Wer die Menſchen, und beſonders die Natur eines von einer groſſen Macht unterſtuͤtzten Hochmuths kennet, wird gar leicht begrei - fen, daß dieſes eine Gelegenheit geweſen, wobey der Hochmuth den Pharao ſogleich in Wuth und in die haͤrteſte Verſtockung geſetzet. Er antwortete daher auch: wer iſt der Herr, des Stimme ich hoͤren muͤſſe? und ließ ſogleich die Jſraeliten noch mehr aͤngſtigen*)1 B. Moſ. C. 5. v. 2. u. f.. Moſes mußte hierauf allerhand Wunder vor Pharao verrichten. Hier trat aber eine neue Urſa - che der Verſtockung ein. Es gaben ſich Leute an, welche die Wunder Moſes auf eine uns unbekannte Art in etwas nach - ahmeten, und dadurch den Pharao verhaͤr - teten**)2 B. Moſ. C. 7. v. 22., und Gott ließ dieſes zu. Fer - ner ſuchte Gott den Pharao und ſein Land mit allerhand fuͤrchterlichen Plagen heim, um ihn zu beweiſen, daß er der Allmaͤch - tige, und ein Koͤnig aller Koͤnige ſey. Da - mit es aber deſto deutlicher in die Augen fallen moͤchte, daß dieſe Verhaͤngniſſe nicht von ohngefaͤhr gekommen, ſo beliebete es demP 4Wei -232Weiſeſten, daß ſelbige zu einer von dem Pharao beſtimmten Zeit wieder aufhoͤre - ten. Die Nachrichten des Moſes melden ausdruͤcklich, daß auch dieſes den Pharao verſtocket*)2 B. Moſ. C. 8. v. 15. 19. 32. C. 9. v. 34. 35.. Und wenn es an einigen Stellen**)2 B. Moſ. C. 10. v. 20. 27., gleich nach der Aufhebung ei - ner Plage heiſſet: aber der Herr verſtock - te das Herz Pharao, daß er ſie nicht laſſen wollte, ſo iſt meiner Einſicht nach klar, daß der Sinn dieſer ſey: Der Herr verſtockte eben dadurch, daß er dem Koͤnige allezeit wieder Luft verſchafte, ſein Herz, daß er ſie nicht laſſen wollte. Jch halte auch die vielen und ſchweren Plagen, ſo uͤber Pharao und ſein Land verhaͤnget worden, fuͤr eine ſtarke Urſache ſeiner weitern Verhaͤrtung. Verſchiedene Erfahrungen haben mich belehret, daß ſich Menſchen durch widrige Verhaͤngniſſe Got - tes zu dem groͤßten Widerwillen gegen ih - ren Schoͤpfer haben brauchen laſſen, und geglaubet, dergleichen muͤſſe ihnen nicht wiederfahren, und einige ſtoſſen in ſolchen Umſtaͤnden recht harte Reden wider den Heiligſten aus. Beſonders ſind dieſen Vergehungen ſolche Perſonen ausgeſetzet, welche eine groſſe Gewalt gehabt, und mit einem gebieteriſchen Eigenſinne andere be -herr -233herrſchet haben. Selbige koͤnnen ſich nicht wol einer Gewalt unterwerfen, welche ſie in einer wichtigen Ohnmacht darſtellet. Da Pharao ſich einmal dem Hochmuthe und dem Eigenſinne uͤberlaſſen, ſo ſetzte es ihn natuͤrlicher Weiſe in eine recht wuͤten - de Raſerey, wenn er ſich und die Aegypter in den haͤrteſten Bedraͤngniſſen, und die verachteten Jſraeliten in weit gluͤcklichern Umſtaͤnden ſahe, und er ſich genoͤthiget fand, den Moſes und Aaron um ihre Fuͤr - bitte bey Gott anzugehen*)2 B. Moſ. C. 9. v. 28.. Dieſes ſcheinet beſonders die Urſache ſeiner fernern Verſtockung geweſen zu ſeyn, wenn wir von ihm leſen, daß ſein Herz mitten unter den Plagen haͤrter worden**)2 B. Moſ. C. 9. v. 7. 12. C. 10. v. 28. Man vergleiche damit Offenb. Joh. C. 16. v. 9., und die Worte, der Herr verſtockte ihn, oder ſein Herz, ſcheinen mir alsdenn dieſen Sinn zu haben: Der Herr verſtockte das Herz Pharao durch die Gewalt, ſo er an ihm ausuͤbete. Je mehr der Herr dieſen Koͤnig plagete, deſto mehr wurde er zur Wuth gereizet, und wurde immer haͤrter. Endlich ſind die ſchlechten und dem Hochmuthe dieſes Koͤnigs ſchmei - chelnden Bedienten eine Urſache ſeinerP 5voͤlli -234voͤlligen Verſtockung geweſen*)2 B. Moſ. C. 14. v. 5.. Und auch hierunter war die Hand des Herrn. Denn es ſtehet nicht bloß bey den Groſſen der Erden, ſich mit klugen Bedienten zu verſorgen. Es ſtehet nicht allezeit in ihrer Gewalt, weiſe Maͤnner herbey zu ſchaffen, und an ihre Hoͤfe zu ziehen. Bald man - gelt es an dergleichen: bald werden ſie von denen, die den Herrn umgeben, derge - ſtalt verdrungen, daß er ſie nicht kann kennen lernen. Es hanget von der groſſen Verbindung der Welt, und folglich von Gott hauptſaͤchlich ab, daß ein Herr ſich von weiſen Raͤthen begleitet ſiehet, welche ſeine Regierung mit heilſamen Anſchlaͤgen unterſtuͤtzen. Man kann alſo mit Wahr - heit ſagen, Gott regiere die Regenten durch die Raͤthe, ſo er ihnen giebet, und er habe den Pharao durch unweiſe Rath - geber verhaͤrten laſſen.
Aus allen dieſen Urſachen, welche die Verhaͤrtung des Pharao vermehret, er - hellet denn aber, wie wir abermals ein - ſchaͤrfen muͤſſen, daß Gott bey dieſer Sa - che nicht aus einem weiſen, guͤtigen und gottesfuͤrchtigen Koͤnige einen unweiſen, grauſamen und laſterhaften Tyrannen ge - macht. Denn ſelbiges war, wie wir be -merket235merket haben, Pharao bereits, da es heiſſet, daß ihn der Herr verſtocket. Gott hat ihn auch nicht durch einen gewaltſamen Zug, welchem er nicht haͤtte widerſtehen koͤnnen, verhaͤrtet, ſondern er behielt alle - zeit ſeine Freyheit, der Stimme Gottes Gehoͤr zu geben. Noch mehr, die groſ - ſen Wunder Gottes, und die weiſe Ver - bindung des goͤttlichen Ernſtes und ſeiner Guͤte und Langmuth, welche bey dem Pha - rao Urſachen der Verſtockung wurden, waͤren bey einem Gemuͤthe, ſo ſich vorher nicht ſelber verhaͤrtet gehabt, die kraͤftig - ſten Mittel und Bewegungsgruͤnde gewe - ſen, ſich dem Allmaͤchtigen in der tiefſten Ehrerbietung zu unterwerfen. Diejeni - gen, welche ſich uͤberreden, Gott habe durch einen unmittelbaren innern Zug den Pharao verhaͤrtet, bedenken nicht, daß alsdenn in dem Verhalten des Hoͤchſten gegen dieſen Koͤnig gar keine unendlichen Vollkommen - heiten anſtaͤndige Uebereinſtimmung, ſon - dern lauter Widerſpruch, und ein wider einander laufendes Spiel zu finden waͤre. Gott ſagte nach der Meynung dieſer Leute zu dem Pharao: laß mein Volk ziehen, und hielte ihn doch durch eine unuͤberwind - liche Macht zuruͤcke, dieſem Befehle zu gehorchen. Er thaͤte die groͤßten Wunder, den Pharao zu bewegen, und lieſſe deſſen Gemuͤthe doch keine Freyheit, ſich bewegen zu laſſen. Wer darf dergleichen von Gottgeden -236gedenken? Was wuͤrden wir von einem Generale urtheilen, der zu einem Soldaten ſagte: lauf nicht weg, oder ich laſſe dich henken, und gebe ihm darauf eine Arzeney ein, die ihn verwirrt und unruhig machte, daß er aus dem Lager gienge, und alsdenn aufgehenket wuͤrde? Dieſer Wi - derſpruch faͤllt aber bey unſerer Vorſtellung der Verhaͤrtung des Pharao ganz hinweg. Man wird einwenden, er bleibe bey mei - ner Erklaͤrung ebenfalls. Denn es waͤre bey denen, welche die Allwiſſenheit Gottes in ihrem voͤlligen Umfange zugaͤben, un - leugbar, daß Gott zum voraus geſehen, was ſein Befehl und ſeine Wunder bey den Pharao wirken, und daß ſie ihn nur noch mehr verhaͤrten wuͤrden. Da er alſo mit Gewißheit gewußt, daß die Geſand - ſchaft des Moſes den Koͤnig von Aegypten in die groͤßte Wuth ſetzen, und ſo wol die vielen Plagen, als ihre baldige Aufhebung noch mehr verhaͤrten wuͤrden, ſo haͤtte er ja dennoch dadurch wider ſich ſelber und ſeinen Endzweck gehandelt.
Dieſer Einwurf iſt ſcheinbar, er wird aber auf einmal verſchwinden, wenn wir nachforſchen, warum Gott den Pharao verſtocket, und warum er ſolches durch obi - ge Mittel gethan. Da Gott einmal be - ſchloſſen, die Nachkommen Abrahams inein237ein beſonderes Land zu fuͤhren, um ſie in ſeiner Erkaͤnntniß, und in einem vernuͤnf - tigen Gottesdienſte nach und nach zu befe - ſtigen, ſo waren zwey Mittel, ſie aus Ae - gypten zu fuͤhren. Man mußte entweder den Pharao dahin bewegen, ſie freywillig und in der Guͤte fahren zu laſſen, oder ſie mußten ſeiner Herrſchaft mit Gewalt entriſ - ſen werden. Nun wußte zwar der Allwiſſen - de, daß Pharao ſich durch nichts wuͤrde bewegen laſſen, denen Jſraeliten in Guͤte einen freyen Abzug zu verſtatten, und daß die groͤßte Gewalt wuͤrde gebrauchet wer - den muͤſſen, um ſie von dem Aegyptiſchen Joche frey zu machen. Gott iſt aber das guͤtigſte Weſen, und will, daß ihn die Menſchen als den liebreichſten Vater er - kennen ſollen, und richtet daher ſeine Re - gierung alſo ein, daß ſeine Liebe ſich da - durch offenbare. Gott haͤtte nun zwar gleich mit der Haͤrte zufahren, und die Aegypter an einer heftigen Krankheit nie - derwerfen, und ſein Volk ungehindert ausfuͤhren koͤnnen. Er haͤtte auch der Ae - gypter durch eine wuͤtende Peſt dergeſtalt ſchwaͤchen koͤnnen, daß ſie den Jſraeliten nachzuſetzen, ſich nicht in den Sinn kom - men laſſen. Er will aber erſt beweiſen, daß er der Menſchen gerne verſchonete, und ſeine Abſichten lieber ohne Zwang erreichete. Und daher ſchickete er den Moſes und Aa - ron zu dem Pharao, um ihn in der Guͤtezu238zu bewegen, ſein Volk fahren zu laſſen. Er wußte nun zwar, daß dieſer Zweck nicht erhalten, und dieſe Guͤte vielmehr eine Ur - ſache einer groͤſſern Verhaͤrtung bey dem Pharao werden wuͤrde. Es iſt indeſſen dadurch dieſes offenbar worden, daß Gott gerne auf die liebreichſte Art mit dem Men - ſchen verfahre, und es iſt dadurch die Eh - re Gottes von dem Anſehen aller Haͤrte ge - rettet worden. So bald wir dieſes an - nehmen, faͤllt alles widerſprechende in dem Betragen Gottes gegen den Pharao hin - weg. Ferner hatte Pharao und ſein Volk durch ihre Tyranney ſich vor Gott ſtrafbar gemacht, und der Heiligſte hatte beſchloſ - ſen, ſie zu einem beſondern Exempel ſeiner Rache darzuſtellen. Hier rieth aber die Weisheit, was ſie jenem verſtaͤndigen Hausvater an die Hand giebet. Selbiger hat einen Bedienten, der viele Jahre bey ihm geweſen, und daher viele Liebe von ſeinem Herrn genoſſen. Dieſe aber macht ihn nach und nach hochmuͤthig und eigen - ſinnig, und er faͤnget an, nicht nur uͤber die andern Bedienten mit Ungeſtuͤm zu herrſchen, ſondern ſelbſt der Frau des Hauſes zu trotzen. Alle Vorſtellungen, alles Bitten und Vermahnungen ſind ver - geblich, ſie machen ihn vielmehr aͤrger. Der Herr findet ſich gezwungen, ihn ab - zuſchaffen. Er will aber nicht gerne das Anſehen haben, daß er einen alten Bedien -ten239ten ohne dringende Urſache verſtoſſe. Der Herr bittet derowegen einige gute Freunde zu ſich, die dieſen Bedienten lange kennen und lieben. Er haͤlt ihm in dieſer Gegen - wart ſeine Vergehungen vor, und erſuchet ſeine Freunde ihm mit zuzureden. Der Herr ſiehet zum voraus, daß dieſes dem Bedienten noch mehr verdruͤſſen, und ſei - nen Eigenſinn auf das Hoͤchſte treiben werde: er thut ſolches aber dennoch um die unbewegliche Widerſpaͤnſtigkeit dieſes Menſchen zu offenbaren, und ſich bey ſei - nen Freunden auſſer den Verdacht einer Haͤrte gegen einen alten Bedienten zu ſetzen. Man redet ihm daher in Liebe zu, es iſt aber vergeblich. Man drohet ihm, und er trotzet. Er beſtehet darauf, von der Frau keine Befehle anzunehmen, und die uͤbri - gen Bedienten ſollen in gewiſſen Faͤllen ſei - ne Befehle ausrichten. Hiermit wird alſo der Schluß gefaſſet, ihm auſſer Dienſt zu ſetzen. Man haͤtte ſelbiges ohne dieſe Weit - laͤuftigkeit thun koͤnnen. Der Herr wollte aber das Anſehen einer liebloſen Haͤrte vermeiden. Daß der Hoͤchſte eben der - gleichen zu verhuͤten ſuche, erhellet aus ſei - ner ganzen Regierung. Er wußte ſehr wol, daß die erſte Welt ſich nicht bekeh - ren, ſondern das Maaß ihrer Suͤn - den nur erſt recht voll machen wuͤrde, wenn er ihr laͤnger in Guͤte nachſaͤhe, und den - noch gab er ihr zu Beweiſung ſeiner Lang -muth240muth hundert und zwanzig Jahre zur Buſſe. Gott gab ein geſchriebenes Geſetz, ob er gleich wußte, daß ſich viele durch ſelbiges noch mehr zur Suͤnde wuͤrden rei - zen laſſen. Aber eben dadurch ſollte die Suͤnde recht ſuͤndig werden*)Roͤm. C. 7. v. 〈…〉〈…〉.. Es ſollte dadurch offenbar werden, wie gar verderbt die Menſchen waͤren, und wie ſo gar das Gute bey ihnen eine Reizung zur Suͤnde wuͤrde. Die Umſtaͤnde in der Geſchichte des Pharao leiten mich auf den Schluß, daß Gott, da er beſchloſſen, den Pharao und ſein Volk, wegen ihrer Tyranney recht nachdruͤcklich zu ſtrafen, und ſeine Ge - rechtigkeit an ihnen zu offenbaren, vorher vor aller Welt erſt kund machen wollen, wie weit ihre Haͤrte und Widerſpaͤnſtig - keit gienge, indem ſie die allerkraͤftigſten Mittel, wodurch man jemanden zu bewe - gen vermag, zu ihrer deſto mehrern Ver - haͤrtung anwendeten. Es ſollte jedermann erkennen, daß er gerecht, und ſeine Ge - richte auch gerecht waͤren. Und hierinne lieget abermals nichts widerſinniges oder Gott unanſtaͤndiges.
Hiermit verband denn Gott noch an - dere Abſichten. Er verſtockte den Pharao auf die beſchriebene Art, um den Jſraeli -ten241ten einen recht tiefen Eindruck davon zu ge - ben, daß er alleine Gott ſey, und auch ſelbſt viele Aegypter davon zu uͤberzeugen, wie denn viele derſelben ſich zu Gott bekeh - ret, mit den Jſraeliten ausgezogen ſind*)2 B. Moſ. C. 9. v. 20. C. 12. v. 38.. Von dieſer goͤttlichen Abſicht leſen wir fol - gende zwo deutliche Stellen. Es heiſſet 2 B. Moſ. C. 7. v. 3 4 5. Jch will Pha - rao Herz verhaͤrten, daß ich meiner Zeichen und Wunder viel thue in Ae - gyptenland, und Pharao wird euch nicht hoͤren, auf daß ich meine Hand in Aegypten beweiſe, und fuͤhre mein Heer, mein Volk, die Kinder Jſrael, aus Aegyptenland durch groſſe Gerich - te, und die Aegypter ſollens inne wer - den, daß ich der Herr bin, wenn ich nun meine Hand uͤber Aegypten aus - ſtrecken, und die Kinder Jſrael von ih - nen wegfuͤhren werde. Die zwote Stelle ſtehet 2 B. Moſ. C. 10. v. 1. 2. Jch habe ſein Herz und ſeiner Knechte Herz verhaͤrtet, auf daß ich dieſe meine Zei - chen unter ihnen thue, und daß du ver - kuͤndigeſt vor den Ohren deiner Kin - der und deiner Kindeskinder, was ich in Aegypten ausgerichtet habe, und wie ich meine Zeichen unter ihnen bewieſen habe, daß ihr wiſſet, ich bin der Herr. Gott haͤtte, wie ſchon angezeiget worden,dieJac. Betr. 4. Band. Q242die Jſraeliten ſogleich mit einem ſtarken Arm ausfuͤhren, und die Aegypter an ei - ner Peſt darnieder legen koͤnnen. Auf die - ſe Art aber waͤre die Guͤte und die Gerech - tigkeit Gottes nicht ſo offenbar worden. Man haͤtte denn aber auch ſo deutlich nicht ſehen koͤnnen, daß dieſe Sache durch die Hand Gottes, und nicht von ohngefaͤhr alſo erfolget waͤre. Durch die Menge der bewirketen Wunder aber, und durch die genaue Beſtimmung der Zeit und Umſtaͤn - de, welche Gott ſogar von einem Pharao waͤhlen ließ*)2 B. Moſ. C. 8. v. 9. 10., wurde es auſſer allen Zwei - fel geſetzet, daß Gott dieſes alles thaͤte. Auch hierinne lieget nichts Ungerechtes.
Die Schrift meldet noch eine Abſicht, warum Gott den Pharao verſtocket. Sie ſaget, es ſey auch darum geſchehen, damit Pharao den Jſraeliten in das Meer folgen und darinne umkommen moͤchte**)2 B. Moſ. C. 14. v. 4. 8. 17.. Gott hatte die gerechteſte Urſache, den Pharao und ſeine Knechte auf das nachdruͤcklichſte zu ſtrafen. Er wollte dieſes aber alſo be - werkſtelligen, daß er auch dadurch noch Ehre einlegte, an dem Pharao und an aller ſeiner Macht, an ſeinen Wagen und Reu - tern, und die Aegypter ſolltens inne wer - den, daß er der Herr waͤre, wenn er Eh - re eingeleget haͤtte an Pharao und an ſeinenWagen243Wagen und Reutern*)2 B. Moſ. C. 14. v. 12.. Pharao ſollte recht in ſeiner Thorheit umkommen, und im rothen Meere ſein Leben laſſen, durch welches die Jſraeliten trocken gegangen waren, damit auch hier die Hand des Herrn recht ſichtbar wuͤrde. Wie nun Gott dorten die Buͤrger zu Ai verblendete und reizte aus ihrer Stadt zu fallen, und ihrem Tode entgegen zu laufen**)B. Joſua C. 8., ſo blen - dete und verhaͤrtete der Herr auch hier auf die oben beſchriebene Art den Pharao und ſein Volk, den Jſraeliten ins Meer nach - zujagen. Aber auch hierinne lieget nichts Ungerechtes. Darf man einen Feind, der ein Land beraubet, nicht dahin ziehen, wo man ihn am beſten demuͤthigen kann? Es lieget alſo weder in der Art noch in der Ab - ſicht der Gott zugeeigneten Verſtockung des Pharao etwas, ſo mit der Freyheit der Menſchen, oder mit den unendlichen Vollkommenheiten ſtritte. Herr, du biſt gerecht, und gerecht ſind deine Gerich - te***)Jch erinnere hierbey nochmals, daß wenn ich behaupte, daß Gott durch thaͤtige Wirkungen den Pharao verſtocket, meine Meynung, wie der ganze Zuſammenhang zeiget, nicht dieſe ſey, Gott habe aus ei - nem weichen und folgſamen Herzen des Pha - rao ein hartes und widerſpaͤnſtiges Herz ge - macht; ſondern Gott habe etwas gethan,welches.
Q 2244Als Gott die beyden erſten Ehe -Erklaͤrung der Worte 1 B. Moſ. Cap. 2. v. 24. leute zuſammen gebracht, ſo war ſeine Abſicht, daß ſie Ein Fleiſch und ihre Liebe feſter ſeyn ſollte, als die Liebe zwiſchen Eltern und Kindern. Die Worte, ſo dieſes in ſich halten, ſind diejenigen, welche wir 1 B. Moſ. C. 2. v. 24. leſen und alſo lau - ten. Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlaſſen und an ſeinem Weibe hangen, und ſie werden ſeyn Ein Fleiſch.
Damit wir recht gewiß werden, was dieſe Worte ſagen wollen; ſo muͤſſen wir ſelbige nach allen ihren Umſtaͤnden genau betrach - ten. Es werden dieſe Worte insgemein als Worte Adams angeſehen, die er im Namen Gottes als der erſte Stammvater und Beherrſcher des menſchlichen Ge - ſchlechts ausgeſprochen, denn ſie ſcheinen mit dem naͤchſt vorhergehenden ganz genauQ 3ver -246verknuͤpft zu ſeyn. Selbige aber hat niemand anders als Adam geredet. Mir aber ſcheinet es wahrſcheinlicher zu ſeyn, daß dieſe letztern Worte dem Moſes, als dem Schreiber dieſer Geſchichte, zuzueignen, welcher, nachdem er die Rede des Adams in dem vorhergehen - den Verſe angefuͤhret, mit ſeinen eige - nen Worten die Geſchichte fortſetzet, und hier, wie an vielen andern Orten eine Anmerkung ausſtreuet. Eine ſolche einge - ſtreuete Anmerkung iſt auch die, ſo wir Cap. 1. v. 31. leſen: Und Gott ſahe an alles, was er gemacht hatte, und ſiehe da, es war ſehr gut. Wenn ich aber zum voraus ſetze, daß obige Worte nicht von Adam geſprochen, ſondern von dem Moſes als eine Anmerkung eingeruͤckt wor - den, ſo ſind ſie nach den Regeln der He - braͤiſchen Sprache, und nach der Verbin - dung, darinne ſie hier ſtehen, alſo zu uͤber - ſetzen. Darum ſoll auch, (naͤmlich nach der Abſicht des Schoͤpfers,) ein Mann Vater und Mutter verlaſſen und an ſei - nem Weibe hangen, und ſie ſollen ſeyn Ein Fleiſch. Die Gruͤnde, die mich be - wegen, dieſe Worte als Moſes Worte an - zuſehen, ſind folgende. Will man dieſe Stelle als eine Fortſetzung der Rede Adams annehmen, ſo muß man demſelben eine groͤſſere Wiſſenſchaft zuſchreiben, als er nach ſeinen damaligen Umſtaͤnden kanngehabt247gehabt haben. Es muß ihm ſeyn bekannt geweſen, daß die Menſchen hinfuͤhro durch Vater und Mutter fortgepflanzet werden ſollten, und daß die Kinder eine ſehr groſſe Neigung gegen die Eltern haben und ſich ungern von ſelbigen trennen wuͤrden. Er muß ſogar den Grad dieſer Liebe mit dem Grade der ehelichen Liebe ſchon haben ver - gleichen koͤnnen. Ob Adam alles dieſes ſo genau in dem erſten Augenblicke, da ihm Gott die Eva zufuͤhrete, gewußt habe, kommt mir zweifelhaft vor. Wenigſtens wiſſen ſich diejenigen, welche dieſe Worte dem Adam in den Mund legen, nicht an - ders zu helfen, als daß ſie ſagen, Gott habe ihm ſolches durch eine unmittelbare Offenbarung eingegeben, wovon wir hier aber keine Spur finden. Eignen wir aber dieſe Worte dem Moſes zu, der ſie als ein goͤttlich Geſetz anfuͤhret, ſo den erſten Vaͤtern gegeben, und von den Frommen und Wolgeſitteten noch zu Moſes Zeiten beobachtet worden, ſo ſtimmet meiner Ein - ſicht nach alles mit den damaligen Umſtaͤn - den auf eine natuͤrliche Art zuſammen. Der ganze Zuſammenhang iſt denn dieſer: Gott bringet die Eva zu dem Adam, wel - cher bisher geſehen, daß die Thiere ſich gatteten, er aber war allein geweſen. Er freuet ſich dero wegen ungemein und ſpricht: Das iſt doch Bein von meinen Beinen, und Fleiſch von meinem Fleiſche. ManQ 4wird248wird ſie Maͤnnin heiſſen, darum, daß ſie vom Manne genommen iſt. Hier - bey macht nun Moſes eine Anmerkung, und erklaͤret aus dem Vorhergehenden, warum es billig, daß ein Mann Vater und Mutter verlaſſen, und an ſeinem Wei - be hangen, und mit derſelben Ein Fleiſch ſeyn ſollte. Darum ſchreibt er, weil naͤm - lich die Frau vom Manne genommen, und von dem Schoͤpfer ein ſogar genaues Band zwiſchen Mann und Frau geknuͤpfet wor - den, ſoll denn auch nach dem goͤttlichen Willen, ein Mann ſeinen Vater und ſeine Mutter verlaſſen, und an ſeinem Weibe hangen, und ſie ſollen ſeyn Ein Fleiſch. Erforderten die Umſtaͤnde, daß man ſich entweder von ſeiner Frau oder von den Eltern trennen muͤßte, ſoll man lieber die Eltern laſſen, und bey der Frau bleiben. Nach dieſer Erklaͤrung iſt die Verbindung ſehr natuͤrlich und ungezwun - gen, und man kann daraus auch am be - ſten begreifen, wie Chriſtus dieſe Worte dem Schoͤpfer ſelber zuſchreibet, indem er Matth. Cap. 19. v. 4. 5. ſpricht: Habt ihr nicht geleſen, daß der im Anfang den Menſchen gemacht hat, der mach - te, daß ein Mann und Weib ſeyn ſoll - te, und ſprach: darum wird ein Menſch Vater und Mutter verlaſſen, und an ſeinem Weibe hangen, und werden die zwey Ein Fleiſch ſeyn. Denn249Denn wie wir aus dem vorhin angezeigten Umſtaͤnden wahrſcheinlich gemacht, ſo zei - get hier Moſes den Grund eines gewiſſen goͤttlichen Geſetzes an, ſo er den Nachkom - men Adams gegeben, und folglich ſind die Worte, ſo hier Moſes anfuͤhret, urſpruͤng - lich von Gott kommen.
Doch wir wollen uns hieruͤber mit nie -Die Ehen ſollen un - trennbar ſeyn. manden in einen Streit einlaſſen, zu unſern Endzweck kann es uns gleich viel ſeyn, ob dieſe Worte als Worte Adams, oder als Worte Moſes anzunehmen ſeyn. Es kann uns auch gleich viel ſeyn, ob ſie jemand uͤberſetzet: darum wird ein Mann Vater und Mutter verlaſſen: oder darum ſoll ein Mann Vater und Mutter verlaſ - ſen. Beyde Ueberfetzungen ſind an und vor ſich der Natur der Hebraͤi - ſchen Sprache gemaͤß. Dieſes fra - ge ich nur; iſt dasjenige, was dieſe Wor - te, ſo Gott hat aufzeichnen laſſen, ſagen, der Abſicht des Schoͤpfers gemaͤß, und ihm wolgefaͤllig oder nicht? Man bemerke aber, daß ich hier dieſe Worte nicht aus dem neuen Teſtamente, ſondern aus ihrer eignen innern Verbindung und ihren Um - ſtaͤnden erklaͤren wolle: denn ſonſt waͤre dieſe Frage unnoͤthig. Dieſemnach uͤber - lege man, ob der Jnnhalt obiger Worte der goͤttlichen Abſicht bey Errichtung desQ 5Ehe -250Eheſtandes gemaͤß ſey oder nicht, und ob dasjenige, was ſie ausdruͤcken, ihm vor andern wolgefaͤllig ſey oder nicht? Sind es Worte des Moſes, ſo fuͤhret er ſie als ein goͤttliches Geſetz an, ſo den Nachkommen Adams gegeben worden. Sind es Worte Adams, ſo hat er ſie im Stande der Un - ſchuld geſprochen, und ſind alſo der Abſicht des weiſen Gottes gemaͤß, und druͤcken aus, was ihm wolgefaͤllig ſey. Wir un - terſuchen daher den Jnhalt derſelben ge - nauer. Doch wir duͤrfen nicht lange ſu - chen, er liegt vor Augen. Er iſt dieſer, es ſey dem Schoͤpfer wolgefaͤllig, und ſtim - me mit ſeiner weiſen Einrichtung uͤberein, daß die eheliche Liebe der Liebe der Kinder gegen ihre Eltern noch vorgehn. Wie lan - ge ſoll denn aber das Band der Liebe zwi - ſchen Eltern und Kinder dauren? Ein jeder wird zugeben, daß ſelbiges ſo lange dauren ſoll, als Eltern und Kinder mit einander le - ben. So lange muß naͤmlich die aͤuſſerli - che Ausuͤbung der kindlichen Liebe waͤhren: die innere Hochachtung aber gegen diejeni - gen, ſo uns erzeuget, muß auch der Tod nicht ausloͤſchen. Die eheliche Liebe ſoll nach den weiſen Abſichten Gottes der kind - lichen Liebe noch vorgehen. Sie ſoll folg - lich noch ſtaͤrker und feſter ſeyn als dieſe. Was liegt alſo deutlicher in den angezoge - nen Worten, als dieſes? Die eheliche Lie - be ſoll, was ihre Ausuͤbung betrift, nachder251der goͤttlichen Abſicht durch nichts als den Tod aufgehoben werden. Eheleute ſollen, ſo lange ſie leben, Ein Fleiſch ſeyn.
Es iſt derowegen der Schluß buͤndig,Dieſes wird weiter be - wieſen. welchen Chriſtus Matth. Cap. 19. v. 6. daraus gezogen: Was nun Gott zuſam - men gefuͤget hat, das ſoll der Menſch nicht ſcheiden. Was naͤmlich Gott der - geſtalt zuſammen gefuͤgt, daß das Band ſo zaͤrtlich ſeyn ſoll, als das Band, wo - mit in einem Leibe zweene zu eben demſel - ben Coͤrper gehoͤrige Theile verbunden ſind, und wo das Band in einer Liebe beſtehen ſoll, welche auch kindliche Liebe uͤberſteiget, das ſoll nach der Abſicht Gottes niemand trennen. Die Ehe aber iſt nach der goͤtt - lichen Einrichtung eine ſolche Verbindung, folglich iſt es wider die Abſicht und den Willen des Schoͤpfers, daß ſich Eheleute wieder von einander ſcheiden. Chriſtus nennet derowegen eine muthwillige Ehe - ſcheidung v. 9. Ehebruch, ja was noch mehr? Er erkennet auch denjenigen eines Ehebruchs ſchuldig, wer eine abgeſchiedene heyrathet. Es muß aber dieſes letztere wol von einer ſolchen Abgeſchiedenen verſtanden werden, welche durch ihr uͤbles Betragen gegen ihren Mann die Eheſcheidung veran - laſſet, oder ſelbige wol gar geſucht, um ſich mit einem andern zu verehligen, derihr252ihr beſſer gefallen. Chriſtus nimmt hier die Abgeſchiedenen, wie ſie insgemein wa - ren. Sie waren entweder eigenſinnige, tolle Koͤpfe, oder luͤderliche Perſonen. Und ſolche ſind es ohne Zweifel, durch deren Ehelichung nach dem Sinn des Heilandes jemand des Ehebruchs ſchuldig wird, denn daß einer ſolchen, welche ohne Verſchulden von ihrem Manne verſtoſſen wird, nach den goͤttlichen Geſetzen ſich anderweitig zu verehelichen erlaubt ſey, und ſich folglich derjenige nicht verſuͤndige, der ſie heirathet, lehret Paulus ganz deutlich 1 Cor. Cap. 7. v. 15.
Chriſtus erklaͤret alſo die Eheſcheidung fuͤr eine Sache, die der Abſicht des groſ - ſen Stifters der Ehen ganz entgegen, und folglich ungerecht iſt. Wie aber wenige Geſetze ſind, welche gar keine Ausnahme in beſondern Faͤllen leiden, ſo hat auch die - ſes Geſetz ſeine Ausnahme. Chriſtus ſetzet ſelber eine hinzu, indem er ſpricht: Wer ſich von ſeinem Weibe ſcheidet, (es ſey denn um der Hurerey willen,) und freyet eine andere, der bricht die Ehe. Es wollen einige, daß das Wort, ſo hier durch Hurerey uͤberſetzet iſt, in ſeiner ſonſt auch nicht ungewoͤhnlichen weitlaͤuftigern Bedeutung genommen werden muͤſſe, da durch daſſelbe alles was recht ſchaͤndlich iſt,ange -253angezeiget wird. Jch aber glaube, daß dieſes Wort hier in ſeinem engern und ge - woͤhnlichern Verſtande am fuͤglichſten ge - nommen, und durch Hurerey oder Ehe - bruch uͤberſetzet werde. Denn Jeſus hat nicht griechiſch geredet, ſondern diejenige Sprache, welche damals im Juͤdiſchen Lande die gewoͤhnlichſte war. Wir muͤſ - ſen dahero auf dasjenige Juͤdiſche Wort zuruͤck ſehen, welches der Heiland bey die - ſer Materie muthmaßlich gebraucht hat, und auf diejenige Bedeutung, ſo man in dieſer Materie damit verknuͤpfet. Er faͤllt aber in dieſer Sache der damals bluͤhen - den Juͤdiſchen Secte der Schammaͤaner bey, welche wider die Hillelianer, eine andere, damals beruͤhmte Secte, behau - ptete, es ſey wider die Abſicht Gottes, wenn man nach damaliger boͤſen Gewohn - heit wegen einer jeden geringen Urſache der Frau den Scheidebrief gaͤbe. Es koͤnne ſolches nicht mit Recht geſchehen, als wenn man ſie im Ehebruch betroffen. Da nun Chriſtus den Schammaͤanern darinne bey - ſtimmet, daß man nicht um einer jeden Urſache eine Scheidung vornehmen koͤnne, ſo iſt muthmaßlich, daß er ſich auch bey der Ausnahme derjenigen Worte bedienet, ſo den Schammaͤanern gewoͤhnlich, und zwar in derjenigen Bedeutung, die ſie in dieſer Frage damit verbunden, und folglich denjenigen Fall ausgenommen, wenn einEhe -254Ehegatte den andern des Ehebruchs uͤber - fuͤhren koͤnnte. Der beruͤhmte Selden be - weiſet zwar weitlaͤuftig*)Tractat. de Uxore Hebraic, Lib. III. Cap. XXIII. , daß die Woͤr - ter, deren ſich etwa der Heiland bey dieſer Gelegenheit in der Juͤdiſchen Sprache be - dienen koͤnnen, ebenfalls zweydeutig und bald Hurerey und Ehebruch, bald aber alles, was recht ſchaͤndlich, alle Abgoͤtterey, Voͤllerey, und dergleichen bezeichneten, und meynet daher, daß die Schammaͤa - ner gelehret, es faͤnde die Eheſcheidung bey einer jeden ſchaͤndlichen That ſtatt. Allein er hat dieſes letztere ohne hinlaͤnglichen Grund vorgegeben. Und wir koͤnnen nicht umhin, uns hierbey uͤber eine Gewohnheit gewiſſer Gelehrten zu beſchweren. Wenn ſelbige eine Meynung haben, welche ſie, weil ſie ihnen vortheilhaft, vor andern lie - ben, ſo berufen ſie ſich auf Maͤnner von groſſen Namen, und ſetzen, dieſer hat das und das bewieſen, wenn gleich kein Beweis da iſt, ſondern dieſer und jener groſſer Mann etwas nur als eine Muthmaſſung vorgegeben. Es werden damit die groͤßten Betruͤgereyen gemacht. Die ſehr gelehr - ten Schriften des in der That groſſen Seldens, ſind dieſem Misbrauche auch ungemein unterworfen. Wie oft lieſetman?255man? daß Selden bewieſen, die Scham - maͤaner haͤtten gelehret, die Eheſcheidung koͤnnte wegen einer jeden ſchaͤndlichen That vorgenommen werden, und ſelbigen ſtim - mete Chriſtus bey. Selden aber hat die - ſes nicht bewieſen, ſondern nur vorgegeben, und das Gegentheil hat vielmehr der Herr Schoͤttgen*)Hor. Hebraic. et Talmud. ad Matth. Cap. XIX. v. 3. dargethan. Dieſer bewei - ſet mit einem beglaubten Zeugniß, daß die Schammaͤaner behauptet. Niemand ſolle ſeine Frau von ſich ſtoſſen, es ſey denn, daß ſie des Ehebruchs ſchuldig. Wenn er aber andere ſchaͤndliche Dinge an ihr wahr - naͤhme, koͤnnte er ſie nicht verſtoſſen, weil ſie in keinem Ehebruch betroffen worden. Wir glauben daher, daß auch der Hei - land nur die Unzucht mit einem Fremden hier als eine rechtmaͤſſige Urſache einer Ehe - ſcheidung angeben wollen. Wir werden hierinn unter andern dadurch beſtaͤrket. Selden muß ſelber eingeſtehen, daß, wenn die Juden das hier befindliche griechiſche Wort, oder deſſen gleichgeltende Hebraͤi - ſche und Syriſche Worte in weitlaͤuftigem Verſtande nehmen, und dadurch alles, was recht ſchaͤndlich, anzeigen, die Abgoͤt - terey vor allen andern damit bezeichnet werde. Nun aber will ja Paulus nichthaben,256haben, daß ſich ein Ehegatte von dem an - dern wegen des Unglaubens ſcheiden ſoll, 1 Cor. Cap. 7. v. 12. 13. Da nun aber Paulus nichts lehret, was die Lehre Chri - ſti aufheben koͤnnte, ſo erhellet daraus, daß Chriſtus dasjenige Wort, ſo im obi - gen Spruche durch Hurerey uͤberſetzt iſt, in engern Verſtande genommen, und dar - unter bloß Unzucht verſtanden haben.
Obige Ausnahmen von dem goͤttlichen Geſetz, daß ſich ein Ehegatte von dem an - dern nicht ſcheiden ſoll, iſt zu unterſcheiden von denen Faͤllen, welche an und vor ſich die Ehe aufheben, und den einen Ehegat - ten von dem andern voͤllig frey machen. Vorhin war die Frage: kann ein Ehegat - te dem andern die Ehe aufkuͤndigen? Und da war die Antwort, nein, auſſer in dem Falle, ſo ein Ehegatte dem andern durch Ehebruch untreu worden. Jetzo aber wol - len wir dieſe Frage unterſuchen, ob keine Faͤlle moͤglich, welche die Ehe an und vor ſich aufheben, und den andern Ehegatten von der ehelichen Verbindung losmachen, weil alle Abſichten der Ehe unmoͤglich wor - den. Bey dem Ehebruche des einen Ehe - gatten, wird die Ehe-nicht ſolchergeſtalt aufgehoben, daß ihre fernere Fortdaurung unmoͤglich waͤre, und daher beruhet es in des andern Ehegatten Willen, ob er einemuntreuen257untreuen Gemahl dieſes vergeben, und mit demſelben dennoch die Ehe fortſetzen will, oder nicht. Wenn es aber auch ſolche Faͤlle giebt, dergleichen wir vorhin beſchrie - ben, ſo ſtehet es bey denſelben nicht in des andern Ehegatten Willen, ob er die Ehe fortſetzen will oder nicht, ſondern ſie wird ohne ſeinen Willen aufgehaben. Derglei - chen Faͤlle giebt es aber verſchiedene. Der gewoͤhnlichſte iſt der Tod des einen Ehe - gatten. Dieſer hebet die eheliche Verbin - dung voͤllig auf, und macht alle Abſichten der Ehe unmoͤglich 1 Cor. Cap. 7. v. 39. Es wird der Eheſtand weiter unmoͤglich, wenn der eine Ehegatte ein Verbrechen be - gehet, woruͤber er zu einer beſtaͤndigen Gefangenſchaft verdammet wird, und es wird folglich wol in Anſehung des andern Ehegatten gleich viel ſeyn, ob jener im Grabe liegt oder auf beſtaͤndig in ein Spinn - und Werkhauß eingeſchloſſen iſt. Eine gleiche Bewandniß wird es auch ha - ben, wenn der eine Ehegatte durch ein har - tes Schickſal ſeines Verſtandes beraubt wird, und ohne Hoffnung wieder zu gene - ſen in ein Tollhaus gebracht werden muß. Auch hier werden die Abſichten der Ehe unmoͤglich. Ferner gehoͤret hieher, wenn der eine Ehegatte den andern mit einer Ge - walt von ſich ſtoſſet, welcher zu widerſte - hen, der andere keine Mittel hat. Jn dieſem Falle wird die Ehe in AnſehungJac. Betr. 4. Band. Rdieſes258dieſes letztern Ehegatten unmoͤglich, und ſelbiger wird folglich frey von ſeiner Ver - bindung. 1 Cor. Cap. 7. v. 15. So iſt auch klar, daß die Ehe unmoͤglich gemacht und aufgehoben wird, wenn ein Ehegatte an - faͤnget, dem andern nach dem Leben zu ſte - hen. Keine Obrigkeit kann jemanden wi - der einen ſolchen Ehegatten in voͤllige Si - cherheit ſetzen. Die Verbindung ſein Le - ben zu erhalten, gehet aber der Verbin - dung in der ehelichen Treue vor. Folglich kann der unſchuldige Ehegatte durch eine Trennung ſein Leben retten, ja er iſt ſchul - dig daſſelbe zu thun, und es wird dieſer Fall demjenigen gleich zu ſchaͤtzen ſeyn, da ein Ehegatte den andern mit einer unwider - treiblichen Gewalt von ſich ſtoſſet. End - lich wird die Ehe voͤllig aufgehoben, und alle Abſichten derſelben gaͤnzlich vernichtet, wenn ein Ehegatte den andern boshafter Weiſe verlaͤſſet. 1 Cor. C. 7. v. 15.
Wir forſchen nach den weiſen Urſa - chen, warum der groſſe Stifter der Ehen gewollt, daß ſelbige ſo gar dauerhaft ſeyn ſollten? Eine Abſicht finden wir in den Worten des Herrn, da er 1 B. Moſ. C. 2. v. 18. ſpricht: Es iſt nicht gut, daß der Menſch allein ſey, ich will ihm eine Gehuͤlfin machen, die um ihn ſey. Ein jeder merket leicht, daß der Herr hiernicht259nicht ſehe auf eine ungewiſſe Huͤlfe, die ein Ehegatte dem andern leiſten ſolle, ſondern auf eine ſolche Huͤlfe, die einer von dem andern ſich gewiß verſprechen koͤnne, wenn er auch von andern Menſchen ganz verlaſ - ſen wuͤrde. Wir halten derowegen die gewiſſe Huͤlfe, die ein Ehegatte von dem andern hoffen ſoll, fuͤr eine weiſe Abſicht Gottes, warum er gewollt, daß das eheli - che Band untrennbar ſeyn ſolle. Haͤtte der guͤtige Schoͤpfer erlaubet, daß ſich Ehegatten nach ihrem Gefallen trennen koͤnnten, ſo haͤtte der Menſch gar nieman - den, auf welchen er ſich in zweifelhaften Faͤllen, da er von aller andern Huͤlfe ent - bloͤſſet iſt, einigermaſſen verlaſſen koͤnnte. Und weil dieſe Huͤlfe durch eine recht zaͤrt - liche Liebe am gewiſſeſten wird, ſo hat der Herr gewollt, daß die eheliche Liebe die Lie - be der Kinder gegen die Eltern noch uͤber - treffen ſoll. 1 B. Moſ. Cap. 2. v. 24. Eine ſolche Liebe aber kann wol nicht recht Wur - zel faſſen, wo man fuͤrchten muß, daß ei - ner dem andern die Liebe aufſage. Wo die Trennung der Ehe erlaubet iſt, da fin - den ſich ungemein viele Dinge, welche ei - ne ſo zaͤrtliche Liebe hemmen. Es herrſchet daſelbſt eine ſolche Furcht, welche ein recht feſtes Vertrauen zu einander aufhebet. Trauet aber eines dem andern nicht, ſo macht man ſchon ſolche Vorkehrungen, welche, wenn ſie ſich entdecken, die LiebeR 2in260in die heftigſte Feindſchaft verwandeln. Ein jeder Ehegatte wird fuͤr ſich ſorgen, und ſich auf den Fall einer Scheidung ſchi - cken. Jhr Gluͤck iſt nicht feſt genug ver - einiget. Der Vortheil des einen iſt von dem Vortheile des andern getrennet. Jhr Fleiß kann daher auch nicht recht verbun - den ſeyn, und ein Ziel haben, ſondern ein jedes ſiehet vornehmlich auf ſeinen beſon - dern Nutzen. Wie kann aber hierbey ei - ne recht zaͤrtliche Liebe ſeyn? Man darf nicht denken, daß die Furcht fuͤr einer Scheidung die Ehen eben am feſteſten und gluͤcklichſten machen wuͤrde. Es iſt dieſes wider die Erfahrung bey ſolchen Voͤlkern, wo die Eheſcheidungen fuͤr nichts unanſtaͤn - diges gehalten werden. Furcht verbindet auch keine Herzen, ob ſie gleich einen knechtiſchen Gehorſam wirket. Der Ei - gennutz behaͤlt dabey doch ſeine Kraft, weil man weiß, daß bey dem groͤßten Gehor - ſam eine einzige Krankheit, welche die Schoͤnheit raubet, eine Verſtoſſung ver - urſachen kann. Sollte derowegen Ver - trauen und Liebe, und eine ſichere Huͤlfe in den Ehen einen gewiſſen Grund haben, ſo mußte die Unzertrennlichkeit derſelben feſtgeſetzt werden.
Eine andere weiſe Urſach, warum der guͤtige Schoͤpfer die Unzertrennlichkeit derEhen261Ehen gewollt, entdecket ſich, wenn man die andere Abſicht der Ehen betrachtet. Durch die Ehen ſollen die Menſchen fort - gepflanzet, und folglich Kinder erzeuget und erzogen werden. 1 B. Moſ. C. 1. v. 28. Und zwar iſt es dem Heiligſten nicht um ungezogene und rohe, ſondern um wolge - zogene Menſchen zu thun. Die Erziehung aber lieget beyden Eltern ob. Epheſ. Cap. 6. v. 4. 1 Tim. Cap. 5. v. 9. 10. Wie koͤnnen ſie aber beyde fuͤr die Erziehung der Kin - der recht ſorgen, wenn ſie ſich ſcheiden? Es koͤmmt dieſes hinzu. Die Scheidung geſchiehet nicht aus Liebe ſondern aus Haß, und ein Ehegatte wird hierbey des andern Feind. Kann in dieſem Falle wol bey den Kindern gegen beyde Eltern eine recht zaͤrt - liche Liebe bleiben? Nicht leicht. Die Liebe und das Mittleiden gegen den einen von ihren Eltern wird die Liebe gegen den andern nothwendig mindern. Die Kinder werden dem einen mehr anhangen wie dem andern. Hiedurch wird natuͤrlicher Weiſe auch die Liebe bey dem einen Theile der El - tern gegen die Kinder erkalten. Woher ſoll man alsdenn eine recht eifrige Sorgfalt fuͤr die Erziehung der Kinder bey ſolchen lauen oder kalten Eltern erwarten? Es iſt alſo leicht begreiflich, daß die Erziehung der Kinder ordentlicher Weiſe beſſer von ſtatten gehet, und die Pflichten, ſo Eltern und Kinder einander ſchuldig ſind, beſſerR 3koͤnnen262koͤnnen geleiſtet werden, wenn die Ehen unzertrennlich ſind, als wenn eine willkuͤhr - liche Scheidung ſtatt findet. Da nun das Gute, ſo aus einer Sache folget, die Ab - ſicht Gottes iſt, die er dadurch erhalten will, ſo werden wir auch eine gute Erzie - hung der Kinder, als eine Urſache anſehen koͤnnen, warum Gott das Geſetz gegeben, daß die Ehen unzertrennlich ſeyn ſollten.
Noch eine Abſicht der Ehen iſt, daß durch ſelbige allerhand Ausſchweifungen von boͤſen Folgen vorgebeuget werde, zu welchen ein gewiſſer natuͤrlicher Trieb Ge - legenheit zu geben pfleget. Der weiſe Schoͤpfer hat einen gewiſſen Trieb recht ſtark machen muͤſſen, damit die Menſchen die ſchwere Laſt, ſo mit Erziehung der Kin - der verknuͤpft iſt, freywillig und gerne uͤber ſich nehmen. Es iſt in der zwoten Be - trachtung gewieſen, daß es hoͤchſt noͤthig geweſen, die Erziehung der Menſchen viel weitlaͤuftiger und beſchwerlicher zu machen, als die Erziehung eines Viehes. Dieſe Beſchwerden aber wuͤrden die Menſchen abgeſchreckt haben, Kinder zu zeugen und zu ernaͤhren. Denn ſollten nicht mehr Menſchen in der Welt ſeyn, als man aus Liebe gegen den Beherrſcher der Welt zeugen und erziehen wuͤrde, die Welt wuͤr - de weniger Einwohner haben. Es mußtedero -263derowegen ein ſolcher Trieb zur Erzeugung der Kinder in den Menſchen gelegt werden, welcher hinlaͤnglich die Furcht fuͤr den Be - ſchwerden des Eheſtandes zu beſiegen, und die Philoſophie der delicaten Weiſen zu nichte zu machen, welche, um ohne Vor - wurf ein ruhiges und bequemes Leben fuͤh - ren zu koͤnnen, einer Unterſuchung der Bibliotheken vor der Suͤndfluth, der Groͤſſe der Einwohner des Saturns, und wie dieſes und jenes zweifelhafte Wort recht zu ſchreiben, ein groͤſſeres Verdienſt beylegen, als einer ſorgfaͤltigen Erziehung einiger Kinder, durch welche wahre Weis - heit und Tugend fortgepflanzet, und das Wol der Welt in der That befoͤrdert wird. Wurde aber dieſem Triebe ſeine gehoͤrige Staͤrke gegeben, ſo nahm mancher daher zu allerhand boͤſen Ausſchweifungen Anlaß. Selbige auf eine bequeme Art zu verhuͤten, iſt von Gott der Eheſtand verordnet. 1 Cor. Cap. 7. v. 2. Soll aber auch dieſe Abſicht fuͤglich erhalten werden, ſo iſt die Unzer - trennlichkeit des Eheſtandes noͤthig, beſon - ders wegen des weiblichen Geſchlechts. Dieſes verlieret ſeine Schoͤnheit gar oft bey dem Kinderzeugen und das Reizende ihrer zaͤrtlichen Coͤrper nimmt insgemein gar bald ab. Sollte nun die Scheidung einem jeden frey ſtehen, wenn ſie ihm be - liebte, ſo wuͤrden viele ihre Ehegatten von ſich ſtoſſen, ſo bald ſie reizendere Schoͤn -R 4heiten264heiten faͤnden. Und wer will alsdenn die - jenigen zu ſich nehmen, deren Haut ſich bey andern in Falten gelegt und ihren Schimmer verlohren hat? Muͤſſen wir aber annehmen, daß die Vorſehung des guͤtig - ſten Schoͤpfers ſich auch uͤber die erſtreckt, welche in ihrem Beruf ihre Schoͤnheit ver - lohren; ſo koͤnnen wir ſicher ſchlieſſen, daß auch um derentwillen die Unzertrennlichkeit der Ehen feſt geſetzet worden. Es waͤre hart, wenn diejenigen, welche wegen Fort - pflanzung des menſchlichen Geſchlechts die groͤßten und eckelhafteſten Beſchwerden uͤber ſich nehmen muͤſſen, der wenigſten Annehmlichkeiten theilhaftig werden, und nach dem Verfall ihrer reizenden Zuͤge zu einer traurigen Einſamkeit verdammet wer - den ſollten. Man kann allezeit ſicher den - ken, daß dasjenige der ewigen Liebe am gefaͤlligſten ſey, wodurch das mehreſte wahre Vergnuͤgen in der ganzen menſchli - chen Geſellſchaft zuſammen genommen, er - halten, und am beſten vertheilt werden kann. Die unendliche Liebe erſtreckt ſich auf alle.
Wie aber, wenn zweene Eheleute kei - ne Kinder haben, und beyde freywillig ei - nig werden, ſich von einander zu ſcheiden? Aus Liebe wird ſolches nicht geſchehen. Scheiden ſie ſich aber aus Widerwillengegen265gegen einander, ſo iſt der ausdruͤckliche Wille des Herrn, daß ſie ſich nicht ander - waͤrts verheirathen, ſondern wenn ſie nicht allein leben koͤnnen, ſich wieder verſoͤhnen und zuſammen gehen und keines das ande - re verlaſſe. 1 Cor. Cap. 7. v. 10. 11. Auch die Abſicht von dieſem Geſetz iſt leicht zu finden. Wollte der Herr diejenigen Ehe - ſcheidungen erlauben, in welche beyde Ehe - gatten willigten, ſo wuͤrde folche Erlaub - niß ungemein vielem Misbrauch unterwor - fen ſeyn. Wenn ein Ehegatte des andern gerne wollte los ſeyn, ſo wuͤrde er demſel - ben das Leben ſo beſchwerlich machen, daß er ſich genoͤthiget ſaͤhe, aus zweyen Uebeln das geringſte zu erwaͤhlen, und in die Scheidung zu willigen. Nun aber pflegen alle weiſe Regenten bey Verordnungen, an deren Haltung ihnen viel gelegen, allem Misbrauch ſo viel moͤglich vorzubeugen, und alles was dazu Gelegenheit geben kann, zu verbieten. Man betrachte in allen Landen die Zoll-Accis-Zehnt-Ord - nungen u. d. g. ſo wird man ſolches finden. Es iſt demnach leicht zu begreifen, warum der weiſeſte Regent Himmels und der Er - den nicht gewollt, daß durch beyder Ehe - gatten Einwilligung die Ehen ſollen aufge - rufen werden, da ſolches ganz gewiß zu vielem Misbrauch Anlaß geben wuͤrde. Es haben dieſes ehemals die Roͤmer erfah - ren, bey welchen die Eheſcheidungen ſo ge -R 5mein266mein wurden, daß Seneca bezeuget, wie zu ſeiner Zeit die Frauen die Jahre nicht mehr nach den Burgemeiſtern, als ſonſten gewoͤhnlich war, ſondern nach der Anzahl ihrer Maͤnner zaͤhleten, die ſie nach einan - der naͤhmen. Sie heiratheten um ſich ſchei - den zu koͤnnen, und ſcheideten ſich um wie - der heirathen zu koͤnnen*)Seneca Tractat. de Beneficiis. Lib. III. C. XVI. .
Wie aber, wenn Ehegatten ſich zu - ſammen gefuͤgt, deren Gemuͤther ſich nicht zuſammen ſchicken, und welche daher in beſtaͤndiger Uneinigkeit leben? Die Ant - wort iſt leicht. Sie befleiſſigen ſich beyder - ſeits der Tugend, ſo werden ſich ihre Ge - muͤther zuſammen ſchicken, und es wird Einigkeit unter ihnen ſeyn. Gefaͤllet ihnen ſolches nicht, ſo iſt es gar billig, daß ſie die Folgen der Laſter empfinden. Saͤhe man ſowol bey der Wahl eines Ehegatten, als auch in der Ehe ſelber, vor allen Din - gen auf wahre Tugend, ſo wuͤrden nicht ſo viele ungluͤckliche Ehen gefunden werden. Da aber viele die Tugend als das gering - ſte Heirathsgut anſehen, ſo geſchiehet ih - nen gar recht, wenn ſie hier ſchon die Hoͤl - le fuͤhlen. Vielleicht wird mancher noch dadurch bewegt, darnach zu trachten, daßer267er nicht ewig in der Geſellſchaft der Laſter - haften ſeyn moͤge. Man wird ſagen, es koͤnne ſich aber auch begeben, daß ein Tu - gendhafter bey aller angewandten Klugheit einen boͤſen Ehegatten bekommen, und von ſelbigen auf das haͤrteſte gehalten werde. Ein ſolcher wuͤrde denn doch unſchuldiger Weiſe bey der Unzertrennlichkeit der Ehen leiden. Daß ſich dergleichen Faͤlle bege - ben, ſtehet ganz und gar nicht zu leugnen. Sollen aber alle Geſetze aufgehoben wer - den, bey welchen zu Zeiten ein Tugendhaf - ter unſchuldiger Weiſe leiden muß, wird auch ein einiges Geſetz bleiben? Es iſt bey den Geſetzen vor allen Dingen auf die Wolfahrt des Ganzen zu ſehen, und wo - bey die Wenigſten leiden, und da iſt ja, wie bekannt, ein jeder, wenn es ihn eben trifft, verbunden, wegen des gemeinen Beſtens Beſchwerden uͤber ſich zu nehmen, ja Glieder und Leben zu laſſen. Will ſich jemand hieruͤber beklagen, ſo muß er ſich einen Staat wuͤnſchen, wo keine Ordnun - gen und keine Geſetze ſind, und wo ein je - der ſein eigener Herr iſt. Wer ſich aber einen ſolchen verwirrten und unſichern Staat recht vorzuſtellen weiß, wird lieber an einem Orte wohnen, wo Geſetze und Ordnungen ſind, wenn gleich bisweilen ei - nige um des gemeinen Beſtens willen lei - den muͤſſen, und manche Ordnung einem Unſchuldigen zur Laſt gereichet.
Aus der Wichtigkeit der Abſichten, welche der weiſeſte Schoͤpfer und Regierer der Welt durch eine ordentliche und unzer - trennliche Ehe zu erhalten ſuchet, laͤſſet ſich auch begreifen, warum Gott ſo gar ſcharfe Geſetze wider alle diejenigen Ver - gnuͤgungen eines gewiſſen ſtarken natuͤrli - chen Triebes, die keine ordentliche Ehe zum Grunde haben, gegeben, und ſo ſehr oft darwider geeifert. Jch will davon ei - nige recht deutliche Stellen, erſtlich aus dem Alten und dann aus dem Neuen Teſta - mente anfuͤhren. So ſaget der Herr: Du ſollt deine Tochter nicht zur Hure - rey halten*)3 B. Moſ. C. 19. v. 29.. Jngleichen: es ſoll keine Hure ſeyn unter den Toͤchtern Jſrael, und kein Hurer unter den Soͤhnen Jſrael**)5 B. Moſ. C. 23. v. 17. Jch weiß gar wohl, daß einige der groͤß - ten Ausleger der Schrift dieſe Stellen vor - nehmlich auf die hoͤchſt ſchaͤndlichen Goͤtzen - dienſte ziehen, da man zu Ehren gewiſſer Gottheiten eine erſtaunende Menge unzuͤch - tiger Perſonen hatte, von deren unheiligen Gewerbe man Opfer anſchafte, und der Gottheit brachte. Allein ich meyne wichti - ge Urſache zu haben, die mich bewegen, hier die Spur ſo groſſer Maͤnner zu verlaſ - ſen. Jch kann mich nicht uͤberreden, daß dieſe gar ſchaͤndlichen Goͤtzendienſte an die Zeiten des Moſes reichen. Die Welt iſtnicht. Und269Und durch den Propheten Jeremias eifert der Herr wider die Verbrecher der Un -zucht**)nicht auf einmal zu dem hoͤchſten Grade der Unverſchaͤmtheit dahin geriſſen worden. Es kann aus den Nachrichten, welche mir davon zu Geſichte gekommen, nicht bewieſen werden, daß zu den Zeiten des Moſes dergleichen ab - ſcheuliche Goͤtzendienſte ſchon vorhanden gewe - ſen. Die Nachrichten, welche man von den aͤlteſten Voͤlkern hat, beweiſen, daß man die Keuſchheit ſehr hoch geſchaͤtzet, und daß die Huren in der groͤßten Verachtung gelebet. Man leſe hiervon 1 B. Moſ. C. 34. C. 38. v. 24. Die alten Geſetze der Athenienſer ſahen ſehr auf die Keuſchheit. Den Huren war nicht er - laubet, Maͤgde zu haben, Gold zu tragen, in die Tempel zu gehen und dem Gottesdienſte beyzuwohnen. Jhre Kinder konnten keine Buͤrger werden. Die Maͤnner, die ihren Leib gemein machten, konnten kein obrigkeitliches Amt verwalten, und durften ebenfalls nicht in die Tempel kommen, und wer einen Juͤngling oder eine Jungfrau geſchaͤndet, konnte mit Gelde oder auch am Leben geſtrafet werden. Man leſe dieſes in Meurſii Them. Attica Lib. I. Cap. VI., in Gronovii Theſauro Antiquit. Graec. Tom. V. p. 1954 Conf. Tom. IV. p. 612. Wie hoch die alten Roͤmer die Keuſch - heit geſchaͤtzet, berichtet unter andern Valerius Maximus Memorabil. L. VI. C. I. Jch ver - muthe dahero nicht, daß man zu Moſes Zei - ten ſchon zu Ehren einer Gottheit Huren un - terhalten habe. Aus denen Erzaͤhlungen des Moſes 4 B. Moſ. C. 25. erhellet weiter nichts, als daß die damaligen heidniſchen Voͤlker beyihren270zucht mit folgenden nachdruͤcklichen Wor - ten: Wie ſoll ich dir denn gnaͤdigſeyn? **)ihren Opfermahlen unmaͤſſig und unzuͤchtig gelebet. Man findet aber in dem Moſes keine Spur, daß damals diejenigen ſchaͤndlichen Goͤtzendienſte ſchon uͤblich geweſen, wovon man in juͤngern Zeiten Nachricht findet. Es iſt ein ſehr groſſer und gewoͤhnlicher Fehler bey der Anwendung der Alterthuͤmer, daß man nicht genugſam auf die Zeiten gewiſſer Gewohn - heiten und Gebraͤuche achtet, und ſie in ein ſolches Alter der Welt ſetzet, da man von ih - nen noch nichts gewußt. Man fuͤhret zwar hieruͤber eine Stelle aus dem Herodotus an, darinne er bezeuget, daß zu Aſcalon der aͤlte - ſte Tempel der Venus geweſen. Clericus Comment. in Exod. Cap. XXXIV. v. 15. Hier - aus aber folget noch nicht, daß er an die Zei - ten des Moſes reiche, noch vielweniger, daß ſchon damals zum Beſten deſſelben und zum Dienſte der Venus unzuͤchtige Perſonen gehal - ten worden. Diejenigen Goͤtzendienſte, wel - che in den folgenden Zeiten in die ſchaͤndlich - ſten Dinge ausſchlugen, haben ohnedem an - faͤnglich ohne allen Zweifel eine ganz andere Geſtalt und andere Abſichten gehabt. Man leſe daruͤber Explications de divers monumens ſinguliers, qui ont rapport à la Religion des plus aciens peuples de Martin. Es iſt ſo gar noch nicht ausgemacht, daß die Venus und ihr Adonis, welche zu ſchaͤndlichen Gebraͤu - chen Anlaß gegeben, zu Moſes Zeiten ſchon in der Welt geweſen. Es ſind Gruͤnde vorhan - den, welche das Leben dieſer Perſonen, wel - che nachher vergoͤttert worden, erſt in die Zeit der Richter ſetzen. Man ſchlage hieruͤber nachAllge -271ſeyn? Weil mich deine Kinder verlaſ - ſen, und ſchwoͤren bey dem, der nichtGott**)Allgemeine Welthiſtorie Th. II. S. 223. 224. Not. * Man berufet ſich auf 5 B. Moſ. C. 23. v. 18. wo ausdruͤcklich auf ſo ſchaͤndliche Goͤtzendienſte geſehen wuͤrde, indem Gott un - terſagte, Hurenlohn in das Haus Gottes zu bringen. Allein man bedenket nicht, daß jene ſchaͤndlichen Goͤtzendienſte nur an gewiſſe Gott - heiten gebunden waren, und daß es auch den Heiden nicht eingefallen, zum Dienſt anderer Goͤtzen unzuͤchtige Perſonen zu halten. Wie ſollte es den Jſraeliten nur immer eingefallen ſeyn, zu Ehren und Dienſt des Jehova Un - zucht zu treiben? Wenn die Jſraeliten heidni - ſchen Goͤtzendienſt anrichteten, ſo geſchahe ſol - ches zu Ehren heidniſcher Goͤtzen, welche ſie annahmen. Wo findet man doch zuverlaͤſſige Spuren, daß jemals ein Jſraelite den Jehova nach Art einer Venus oder eines Adonis ver - ehren wollen? Wenn dergleichen geſchehen, und Gott haͤtte obiges Geſetz dagegen geben wollen, ſo wuͤrde ſolches deutlicher und mit mehrerem Nachdruck geſchehen ſeyn. Es iſt aber leicht zu begreifen, wohin ſolches Geſetz zielet. Hurerey hat ſich gar bald in die Welt eingeſchlichen. Gott wollte aber von ſolchem unreinen Gewinſte kein Opfer haben. Die Huren bekamen zu Zeiten ſolche Thiere zum Lohne, die geopfert werden konnten, 1 B. Moſ. Cap. 38. v. 17. Dergleichen ſollte nie dem Herrn geopfert werden. Was noͤthiget uns doch, dieſes Geſetz auf Leute zu ziehen, die ihren Leib zum Dienſte eines Goͤtzen oder gar des wahren Gottes feil gebothen? Man meynet davon einen unumſtoͤßlichen Grund indem272Gott iſt. Und nun ich ſie gefuͤllet ha - be, treiben ſie Ehebruch, und laufenins**)dem Worte zu finden, womit in eben dieſer Stelle die Huren und Hurer bezeichnet wer - den. Es heiſſen ſelbige Kedeſcha und Kadeſch. Dieſe Worte haben eine Aehnlichkeit mit dem Worte Kadaſch, welches heiligen bedeutet. Daher macht man den Schluß, daß jene Wor - te Huren und Hurer bezeichnen, die einer Gottheit zu Ehren ihren Leib gemein gemacht. Allein wie viele Woͤrter hat man in allen Sprachen, welche eine Aehnlichkeit der Buch - ſtaben und des Schalles haben, und doch ganz unaͤhnliche Sachen bedeuten. Ja eben dieſel - ben Worte haben zu Zeiten Bedeutungen, die einander ganz entgegen ſtehen. Mit dem Wort Barach bezeichnen die Hebraͤer Seegnen und Fluchen. Zu Moſes Zeiten muß wenigſtens das Wort Kedeſcha uͤberhaupt eine Hure und nicht eben eine ſolche, die zum Dienſte einer Gottheit Unzucht getrieben, bedeutet haben. Denn Moſes leget dieſes Wort dem Bothen des Juda und den Leuten, mit welchen er von der Thamar redet, in den Mund. 1 B. Moſ. Cap. 38. v. 21. 22. Sie nennen ſelbige eine Kedeſcha, da im Vorhergehenden v. 15. das Wort Sonah, welches eine jede Hure bedeutet, von ihr gebrauchet worden. Hat man auch den geringſten Grund der Wahrſcheinlichkeit vor ſich, daß Moſes geglaubet, daß die Tha - mar fuͤr eine Hure gehalten worden, die ihren Leib zum Dienſte einer Gottheit gemein ge - macht? Geſetzt aber, es waͤre eine ſo ſcheusli - che Gewohnheit ſchon zu den Zeiten Moſes und vorher bekannt geweſen, ſo iſt doch noch zu unterſuchen, ob Gott bey obigem Geſetzwider273ins Hurenhaus. Ein jeglicher wiehert nach ſeines Naͤchſten Weibe, wie die vollen muͤſſigen Hengſte, und ich ſollte ſie um ſolches nicht heimſuchen, ſpricht der Herr, und meine Seele ſollte ſich nicht raͤchen an ſolchem Volk, wie das iſt*)Jerem. C. 5. v. 7. 8. 9.? Wenn eines Prieſters Tochter, die andern zum Muſter dienen ſollte, anfieng zu huren, mußte ſie mit Feuer verbrannt werden**)3 B. Moſ. C. 21. v. 9.. Ehebrecher und Ehebreche - rinnen mußten nach dem goͤttlichen Geſetz am Leben geſtraft werden***)3 B. Moſ. C. 20. v. 10.. Wie ab - ſcheulich Hurerey und Ehebruch in den Au - gen Gottes ſey, erhellet auch daraus, daß diejenige Suͤnde, wider welche Gott ſo ſehr geeifert und ſo viele Anſtalten gemacht, naͤmlich die Abgoͤtterey in dem alten Teſta - mente, mit dem Namen der Hurerey unddes**)wider die Hurerey allein darauf geſehen. Waͤre dieſes, wuͤrde davon nicht einige Anzei - ge in dieſem Geſetz geſchehen ſeyn? Wuͤrden ſolche Greuel ſo ſchlechtweg und blos unter dem Namen der Hurerey ſeyn verboten worden? Handelt man vernuͤnftig, wenn man ohne alle dringende Urſache ein goͤttliches Geſetz ein - ſchraͤnket, und wenn ſelbiges ein Laſter uͤber - haupt, und ohne alle Einſchraͤnkung verbietet, man es nur auf einen der abſcheulichſten Gra - de deſſelben ziehet?Jac. Betr. 4. Band. S274des Ehebruchs beleget worden*)3 B. Moſ. C. 17. v. 7. Hoſ. C. 4. v. 12.. Es wird den abgoͤttiſchen Jſraeliten als eine Strafe gedraͤuet, daß ihre Toͤchter und Braͤute zu Huren und Ehebrecherinnen werden, und auf ſolche Art geſchaͤndet wer - den ſollen**)Hoſ. C. 4. v. 13. 14.. Salomo hat eben dieſes als eine Folge des goͤttlichen Zorns angeſehen, wenn jemand ſo weit verfallen, daß er den Huren nachgegangen. Er ſchreibet: der Huren Mund iſt eine tiefe Grube. Wem der Herr ungnaͤdig iſt, der faͤllt drein***)Spruͤchw. Sal. C. 22. v. 14. C. 23. v. 27.. Das neue Teſtament zaͤhlet die Unzucht den allergroͤbſten Laſtern bey, und wenn derſelben einige zugleich genen - net werden, ſo pflegen die Suͤnden der Un - zucht mit dabey zu ſtehen†)Roͤm. C. 1. v. 29. Col. C. 3. v. 5. 1 Theſſal. C. 4. v. 3-7. Gal. C. 5. v. 19-21.. Sie wird vielmals denen Suͤnden beygezaͤhlet, auf welche Gott die ewige Verdammniß ge - ſetzet. Damit niemand etwa eine oder die andere Art, dieſer ſchaͤndlichen Luͤſte fuͤr erlaubet halte, ſo nennet Paulus verſchie - dene Gattungen derſelben, und ſaget, daß die dergleichen thun, das Reich Gottes nicht ererben werden††)Gal. C. 5. v. 19-21. 1 Cor. C. 6. v. 9. 10.. Jn der Offen - barung des Johannes, wird ihnen der Pfuhlzu275zu erkannt, der mit Feuer und Schwefel brennet*)Offenb. Joh. C. 21. v. 8..
Es ſind viele wichtige Urſachen vorhan -Warum Unzucht ei - ne ſo ſchwe - re Suͤnde? den, warum die Suͤnden wider die Keuſch - heit ſo abſcheulich in den Augen Gottes ſeyn. Sie ſtreiten gar zu ſehr wider die Abſichten deſſelben. Wer nur die Ein - richtung der Welt betrachtet, wird finden, daß Gott die groͤßte Begierde habe, eine Welt voll lebendiger und beſonders ver - nuͤnftiger Geſchoͤpfe zu haben. Wie ſtark ſind die Triebe, ſo Gott zu dieſem Ende in die Natur geleget? Nun aber uͤberdenke man, ob es dem Weiſeſten gleichguͤltig ſeyn koͤnne, wie die vernuͤnftigen Creatu - ren beſchaffen ſeyn, ob ſie ſchoͤn oder haͤß - lich, edel oder unedel, erhaben oder nie - dertraͤchtig ſeyn, und ob es ihm daher gleichguͤltig, wie der Menſch erzogen wer - de. Man betrachte den ſtarken und zaͤrt - lichen Trieb, welchen der Schoͤpfer in die Thiere und Menſchen geleget, fuͤr ihre Jungen zu ſorgen und ſie aufzuziehen. Das kleineſte und furchtſamſte Thier wird muthig und ſtreitbar, wenn ſeine Jungen in Gefahr kommen, und laͤſſet bey ihnen das Leben. Bey dem Menſchen iſt dieſer Trieb nicht minder ſtark. Es fuͤhlen ihnS 2ordent -276ordentlicher Weiſe alle Eltern, wenn er nicht durch eine groͤſſere Gewalt unterdru - cket wird. Die Unzucht aber vereitelt alle dieſe weiſen Triebe, und hebt ihren End - zweck auf. Die Vermehrung des menſch - lichen Geſchlechtes wird dadurch ungemein ſtark gehemmet. Jch muͤßte die abſcheu - lichſten Dinge nennen, wenn ich dieſes be - weiſen ſollte. Sie ſind aber ſo bekannt, daß dieſes unnoͤthig iſt. Wird ja ein Kind auſſer der Ehe erzeuget, ſo muß es insgemein gar bald wieder umkommen, weil das Leben des Kindes die Mutter in ein langes und unertraͤgliches Elend ſetzet. Wie gluͤcklich ſchaͤtzet eine Hure die ande - re, wenn ihr Kind ſtirbet. Ja, wie ich gewiß weiß, ſo rechnen ſie ſolches unter die groſſen Wolthaten Gottes. Es kom - men daher die allerwenigſten unehelichen Kinder auf. Der Vater verlaͤſſet die al - lermehreſte Zeit Mutter und Kind. Die Mutter allein kann daher ihr Kind nicht ernaͤhren. Selbiges muß derowegen eines langſamen Todes ſterben. Es ſind mir davon ſolche Exempel bekannt, die mir ei - nen Schauder erwecken. Diejenigen un - ehelichen Kinder, welche noch aufkommen, erhalten die ſchlechteſte Erziehung. Der Vater giebet ſich mit derſelben gar nicht ab, wozu ihn doch Gott durch die Triebe der Natur, und durch ſein Geſetz ſo nach - druͤcklich verbindet. Die Mutter muß derArbeit277Arbeit nachgehen, und das Kind muß auf der Straſſe umher laufen und betteln, und lernet allerhand Laſter. Sind wir nun anders vernuͤnftige Menſchen, ſind wir Chriſten, ſo uͤberdenke man, was Gott im Reiche der Natur und der Gnaden ge - than, um wolgezogene und tugendhafte Menſchen zu haben, und uͤberlege, wie ſehr die Unzuͤchtigen ſich dieſem ſo erhabe - nen Zwecke widerſetzen. Die Unzucht fuͤhret zur aͤuſſerſten Grauſamkeit, ſo nur gedacht werden kann. Jſt etwas haͤrte - res, als wenn ein Vater ein unſchuldiges Kind leichtſinniger Weiſe dem Hunger und dem Tode uͤberlaͤſſet und ſich freuet, wenn es umgekommen iſt, da die Natur bey rechtſchaffenen Eltern Guͤſſe von Thraͤnen zeuget, wenn ſie ein Kind der Verweſung uͤbergeben muͤſſen? Jenes thun aber die allermehreſten Vaͤter unehelicher Kinder. Koͤnnen ſelbige etwas anders als rechte Ungeheuer in den Augen des weiſeſten und liebreichſten Gottes ſeyn? Waͤre Gott nicht ungerecht, wenn er die Quaal und den Tod ſolcher armen unſchuldigen Kinder nicht raͤchen wollte. Ein Reicher, der ſich der Unzucht ergiebet, denket: dieſer Grau - ſamkeit mache ich mich nicht ſchuldig. Jch ernaͤhre meine Hurkinder. Allein giebet man ihnen diejenige zaͤrtliche und ſorgfaͤltige Erziehung, wozu uns die Natur verbindet? Thut man das an ihnen, was man an ehe -S 3lichen278lichen Kindern zu thun pfleget? Unterhaͤl man mit ihnen das zaͤrtliche Band, ſo Gott durch die Natur zwiſchen Eltern und Kindern geknuͤpfet? Giebet man ihnen und andern ein gutes Exempel einer ordent - lichen Ehe? Befoͤrdert man die liebreiche Verbindung, ſo Gott zwiſchen Schwe - ſtern und Bruͤdern geordnet? Die Erfah - rung mag an meiner ſtatt antworten?
Eine andere Urſache, warum die Un - zucht dem weiſeſten und heiligſten Gott entgegen ſeyn muß, iſt dieſe. Sie verur - ſachet ein wildes und niedertraͤchtiges Ge - muͤth. Es iſt ſchon oͤfter von mir bemer - ket worden, daß Gott denjenigen Trieb, welcher auf die Fortpflanzung des menſch - lichen Geſchlechtes zielet, beſonders ſtark gemacht habe, damit ſich die Menſchen der ſonſt kaum ertraͤglichen Laſt der Erzie - hung einiger Kinder unterwerfen moͤchten. Wenn derowegen dieſer Trieb nicht in ei - ner gewiſſen Maͤſſigung und Gleichgewicht mit andern Trieben erhalten wird, ſo brin - get er den Menſchen zu einer gewiſſen Un - ſinnigkeit, da er ſeiner Vernunft nicht maͤchtig, und zu andern hoͤchſt noͤthigen Pflichten ganz ungeſchickt wird. Ein Menſch, der recht verliebt iſt, wird we - nig in ſeinen Berufsgeſchaͤften ausrichten. Jch frage einem jeglichen, ob er gerne ver -liebte279liebte Hausgenoſſen in ſeinen Dienſten und Arbeiten hat. Man wird derſelben gar bald muͤde. Denn die Gedanken ſolcher Leute ſind immer da, wo ihr Herz hinhan - get. Jn einer ordentlichen Ehe aber wird die Heftigkeit einer raſenden Liebe gar bald gebrochen. Erlaubte Waſſer ſind nicht ſo ſuͤß, als die Verſtohlnen*)Spruͤchw. C. 9. v. 17.. Die betaͤu - benden Reizungen, die bey Unzuͤchtigen beſtaͤndig mit allem Fleiß unterhalten wer - den, fallen in der Ehe bald weg. Es treten die Sorgen fuͤr die Erziehung und das kuͤnftige Gluͤck der Kinder ein. Bald iſt der Ehegatte, bald ein Kind krank und ſchlaͤget den unbaͤndigen Muth nieder. Die Frau verlieret nach einigen Wochen - betten ihre Schoͤnheit. Die Reizungen, welche ſo leicht unſinnig machen, hoͤren auf, und aus einer unbaͤndigen wolluͤſti - gen Liebe wird eine Freundſchaft, und je - ner wilde Trieb wird gedaͤmpfet, indem die Sorge und die Arbeit unſere Kinder zu ernaͤhren und gluͤcklich zu machen uns be - ſchaͤftiget. Diejenigen aber, welche auſ - ſer einer ordentlichen Ehe den Wolluͤſten nachhangen, unterhalten einander beſtaͤn - dig in den heftigſten Leidenſchaften. Die unzuͤchtigen Frauensperſonen ſind genoͤthi - get, die Mannsperſonen durch beſtaͤndig aufgebrachte Leidenſchaften auf eine Zeit -S 4lang280lang zu feſſeln. So lange nun dieſe Ra - ſerey bey ihnen dauert, thun ſie alles, um auf der andern Seite das Gemuͤth in einer beſtaͤndigen Schwaͤrmerey zu erhalten. Wird die Mannsperſon endlich der einen muͤde, ſo ſuchet er eine andere, und bey einer ſolchen Abwechſelung bleibet er im - mer in einer gewiſſen unſinnigen Wildheit. Aus dieſen Umſtaͤnden erfolget eine beſtaͤn - dige Unruhe und Zerſtreuung des Gemuͤ - thes, die zu einer ernſtlichen Arbeit ganz ungeſchickt machet. Anſtatt daß Eheleute insgemein und ordentlicher Weiſe arbeiten und ſparen*)Wenn man unterſuchet, was einzelnen Perſonen und ganzen Staaten vortheilhaft und heilſam iſt, darf man nicht auf einige wenige Faͤlle achten, ſondern man muß ſein Augenmerk auf dasjenige richten, was ins - gemein und am oͤfterſten aus einer Sache erfolget, und darauf ſeine Regeln gruͤnden. Wenn man nun tauſend Paar Ehegatten nimmt, und tauſend Paar unzuͤchtige Per - ſonen, ſo wird man unter jenen allezeit weit mehr ordentliche, arbeitſame, ſparſa - me und treue Leute finden als unter dieſen., ſo gehen die Unzuͤchtigen dem Muͤſſiggange nach und verzehren. Dieſes verfuͤhret zum Betruge und zum Stehlen, und beſchweret das gemeine Weſen mit vie - len unnuͤtzen Leuten. Dieſe traurigen Folgen der Unzucht hat Salomo ſehr nachdruͤcklichbeſchrie -281beſchrieben, und den groſſen Vorzug einer ordentlichen Ehe beſtaͤtiget*)Spruͤchw. C. 6. 22. 23. 29.. Wer Ge - legenheit hat die Acten von Diebesbanden zu leſen, wird finden, daß die Unzucht insge - mein eine Haupturſache ihrer uͤbrigen Ver - brechen geweſen. Diejenigen, welche die Urſachen unterſuchet haben, warum eini - ges Geſinde ſo gar ſchlecht und untreu ſey, haben befunden, daß die Unzucht den groͤßten Antheil an dem Verderben derſel - ben habe, und die beſten Verordnungen, die uns ein beſſer Geſinde verſchaffen wol - len, beſchaͤftigen ſich unter andern damit, wie ſie moͤgen der Luͤderlichkeit Schran - ken ſetzen.
Auch die Heiden haben zu Zeiten er -Verſchiede - ne Heiden haben die Schaͤdlich - keit der Un - zucht einges ſehen. fahren und eingeſehen, wie ſchaͤdlich die Unzucht der menſchlichen Geſellſchaft ſey. So bald ein Hannibal und ſein Krieges - heer ſich den Wolluͤſten ergaben, hoͤreten ſie auf wider die Roͤmer zu ſiegen, welche ſie vorher in die aͤuſſerſte Enge getrieben**)Allgemeine Welthiſtorie Th. X. §. 523. S. 611.. Als daher Scipio Aemilianus diejenigen Roͤmiſchen Kriegesvoͤlker, welche er fuͤhrete, wieder zu tapfern Soldaten machen wollte, ſo ſuchte er vor allen Dingen der Ueppig -S 5keit282keit zu ſteuren, und ſchafte beſonders auch die unzuͤchtigen Frauensperſonen von der Armee hinweg, wie er denn derſelben, da er wider die Numantiner zu Felde gieng, zwey tauſend fortgejaget, und ſein Heer davon zu reinigen geſuchet hat. Und da - mit die Niedrigern ſich dieſer ſcharfen Zucht deſto williger unterwerfen moͤchten, gieng er ihnen ſelber mit dem beſten Exem - pel vor*)Man leſe hiervon Hiſtorie Romaine par Mr. Rollin Tom. VIII. p. 276. 380.. Man kann mir zwar entge - gen ſetzen, daß Joritomo, Kaiſer zu Ja - pan gerade das Gegentheil gebraucht, um ſeine Armee in Ordnung zu erhalten. Denn es wird erzaͤhlet, daß er bey ſeinen langwierigen Feldzuͤgen befuͤrchtet, ſeine Soldaten moͤchten aus Liebe zu ihren Frauen das Heimweh bekommen, und haͤtte ihnen daher unzuͤchtige Perſonen ver - ſchaffet, und dadurch das Ausreiſſen nach Hauſe verhindert**)Man findet dieſes in Kaͤmpfers Beſchrei - bung des Japoniſchen Reichs Th. V. C. 5. S. 372.. Es kann dieſes gar wol ſeyn: allein ſollte eine ſo weibiſche Armee wol wider die Kriegesvoͤlker eines Scipio viel ausgerichtet haben? Wie vortheilhaft einem Staate ordentliche Ehen ſeyn, und was fuͤr Nachtheil derſelbe von der Unzucht habe, kann folgende Rede be -weiſen,283weiſen, welche der Roͤmiſche Kaiſer Octa - vianus Auguſtus an die vornehmen Roͤ - mer gehalten, die ſich zu ſeiner Zeit ſehr ungerne zu einer ordentlichen Ehe verban - den, und lieber einer freyen und ungezaͤhm - ten Wolluſt genoſſen. Sie iſt dieſe*)Man leſe hiervon die wichtigſten Umſtaͤn - de in der Allgemeinen Welthiſtorie Th. XII. S. 172. 173. 174. Die Ueberſetzung der Rede des Auguſtus habe aus dem Tractat des beruͤhmten Salmons von der Wichtig - keit des Eheſtandes genommen, welcher aus dem Engliſchen ins Deutſche gebracht, und zu Leipzig 1738. herausgegeben worden. Sie ſtehet daſelbſt S. 69. u. f. Das Origi - nal findet man in dem Dio Caſſius und obi - ge Ueberſetzung ſtimmet mit dem Weſentlich - ſten deſſelben uͤberein.:
„ Edle und Geliebte! Jch kann mich „ uͤber eure Auffuͤhrung nicht genug ver - „ wundern, und weiß nicht, was fuͤr einen „ Namen ich euch geben ſoll. Maͤnner „ kann ich euch nicht nennen. Denn ihr „ verrichtet keine maͤnnlichen Thaten. „ Buͤrger geheiſſen zu werden verdienet ihr „ auch nicht. Denn eurenthalben moͤchte „ Stadt und Buͤrgerſchaft zu Grunde ge - „ hen. Vielweniger kann ich euch den „ herrlichen Titel der Roͤmer beylegen. Ge - „ ſtalt ihr geſonnen ſeyd, den Roͤmiſchen „ Namen zu vertilgen. Mit Leidweſen, „ mit aͤuſſerſtem Leidweſen muß ich euere„ gerin -284„ geringe Anzahl bemerken. Jch habe es „ an keinen Bemuͤhungen ermangeln laſſen, „ euch zu einem groſſen und maͤchtigen Vol - „ ke zu machen. Allein ihr ſuchet alle mei - „ ne Anſchlaͤge zu vernichten. Habt ihr „ denn gar keine Hochachtung gegen die „ allweiſe Vorſehung der Goͤtter, oder die „ loͤblichen Anſtalten eurer klugen Vorfah - „ ren? Was fuͤr Saamen, was fuͤr Nach - „ kommen wuͤrden zuruͤckgelaſſen werden, „ wenn jedermann eurem Exempel folgen „ wollte? Und da der Urſprung dieſes Un - „ heils von euch herruͤhret, ſo iſt euch die „ Schuld mit Recht beyzumeſſen, wenn „ ein allgemeiner Untergang erfolgen ſollte. „ Und wenn auch niemand eurem Beyſpiel „ nachfolget, wie vermuthlich nicht leicht „ geſchehen wird, ſo werden doch ſicherlich „ alle Rechtſchaffene euch haſſen. Jhr „ muͤſſet von jedermann verabſcheuet wer - „ den, daß ihr ſolche verkehrte Gewohnheit „ und Lebensart einfuͤhret, wodurch, wenn „ euch jedermann nachahmen wollte, das „ menſchliche Geſchlechte untergehen und er - „ loͤſchen wuͤrde. Alle Laſter zuſammenge - „ nommen, koͤnnen den eurigen nicht glei - „ chen. Jhr ſeyd des Mords ſchuldig, daß „ ihr diejenigen nicht gebohren werden laſ - „ ſet, die von euch entſprieſſen ſollten. Jhr „ ſeyd der Ruchloſigkeit ſchuldig, weil ihr „ die Namen und Ehrentitel eurer Vorfah - „ ren ausloͤſchet. Jhr begehet einen Kir -„ chen -285„ chenraub, daß ihr euer Geſchlecht, das „ ſeinen Urſprung den unſterblichen Goͤttern „ zu danken hat, ausrotten und die menſch - „ liche Natur, als das Vornehmſte ihnen „ gewidmete Heiligthum vertilgen wollet. „ Jhr ſuchet in der That durch dieſe Unart „ ihre Tempel und Altaͤre uͤber den Hau - „ fen zu werfen, und euere Stadt nieder - „ zureiſſen, weil ihr ſie ihrer Einwohner be - „ raubet. Denn eine Stadt beſtehet nicht „ in Haͤuſern, Marktplaͤtzen und Buͤhnen, „ die von Einwohnern entbloͤſſet ſind, ſon - „ dern in Menſchen.
„ Gedenket an euren Stifter, den Ro - „ mulus. Was wuͤrde er dazu ſagen, „ wenn er ſehen ſollte, daß ihr euch wei - „ gert, euer Geſchlecht durch rechtmaͤſſigen „ Eheſtand fortzupflanzen? Was wuͤrden „ diejenigen Roͤmer, die mit ihm waren, „ von euch gedenken, welche lieber alles wa - „ gen, als ohne Frauen ſeyn wollten, da „ ſie ſich der Sabiniſchen Jungfrauen, die „ Fremdlinge waren, bemaͤchtigten? Jhr „ hingegen, die ihr derſelben Nachkommen „ ſeyd, koͤnnet diejenigen nicht einmal lie - „ ben, ſo mit euch von einerley Volke her - „ ſtammen. Sie begaben ſich in Krieg, „ Nachkommen zu verſchaffen, da ihr euch „ nicht bemuͤhen wollet, Kinder von euern „ Mitbuͤrgern zu erlangen. Zu was En - „ de, und mit was fuͤr Abſehen lebet ihr im „ ledigen Stande? Geſchiehet es aus dem„ End -286„ Endzweck, den die Veſtaliſchen Jung - „ frauen hatten? Wenn es dieſes iſt, ſo „ ſolltet ihr eben ſowol geſtrafet werden, als „ dieſelben, wenn ihr eure Keuſchheit nicht „ bewahret. Laſſet euch meine Worte „ nicht misfallen. Jch ſelbſt und eure „ Mitbuͤrger haben weit mehr Urſache uͤber „ euer Betragen ein Misfallen zu bezeugen. „ Wenn ihr euch demnach getroffen findet; ſo „ laſſet euch rathen, und aͤndert euer Weſen, „ damit ich an ſtatt euch zu beſtrafen, „ Urſache haben moͤge, euch inskuͤnftige „ zu loben und euch fuͤr eure Beſſerung zu „ danken. Vor meiner Zeit war es nicht „ erlaubt, daß jemand den Eheſtand ver - „ achtete, und die Nachkommenſchaft ver - „ abſaͤumete. Es ſind bey der erſten Stif - „ tung des gemeinen Weſens Geſetze dage - „ gen abgefaſſet worden, und ſo wol der „ Rath, als das Volk haben ſeit der Zeit „ manche Verordnung wider diejenigen ge - „ macht, die unverheyrathet bleiben. Jch „ habe die Strafen der eheloſen Perſonen „ vermehret, ſie dadurch zum Gehorſam zu „ bewegen, und hingegen Belohnungen „ verheiſſen, ſie aufzumuntern und anzurei - „ zen, ſich gefaͤllig gegen mich zu erweiſen, „ damit dieſe Vortheile ſie zur Vereheli - „ chung und Fortpflanzung ihres Geſchlech - „ tes antreiben moͤchten, wenn es ſonſt „ nichts thun will. Allein ihr ſcheinet we - „ der die Belohnungen zu verlangen, noch„ die287„ die Strafen zu achten; ſondern ihr thut, „ als ob ihr in keiner Geſellſchaft oder ge - „ meinem Weſen lebtet, und gebet vor, „ daß ihr ein Leben erwaͤhlet, ſo von der „ Sorge und Beſchwerlichkeit, die den Ehe - „ ſtand und die Kinderzucht begleitet, be - „ freyet ſey, da ihr doch hierinne nicht viel „ beſſer handelt, als Diebe und Raͤuber. „ Jhr laſſet euch in der That das einzelne „ Leben nicht darum ſo wol gefallen, daß „ ihr ohne Frauen, ohne Schlafgeſellinnen „ und Tiſchgenoſſen leben moͤget; ſondern „ ihr ſuchet durch dieſen freyen Lauf eure „ geilen Luͤſte und boͤſen Neigungen auf „ Unkoſten anderer zu befriedigen. Jch „ habe mich bey Einſchaͤrfung dieſer Ver - „ ordnungen gar nicht uͤbereilet. Jch habe „ euch erſtlich eine Zeit von drey Jahren „ und hernach von zwey Jahren Friſt ge - „ laſſen. Aber weder durch Drohungen „ noch Vermahnungen, weder durch Nach - „ ſicht noch Bitten etwas ausrichten koͤn - „ nen. Jhr muͤſſet allerdinges wahrnehmen, „ daß eurer weit mehr ſind, als der verehelich - „ ten Maͤnner, da ihr doch ſo viele, ja noch „ einmal ſo viele als eurer ſind, hervorge - „ bracht haben ſolltet. Durch was fuͤr andere „ Mittel und Wege iſt das menſchliche Ge - „ ſchlecht fortzupflanzen? Wie kann das ge - „ meine Weſen ohne Weiber und Kinder „ erhalten werden, man muͤßte denn erwar - „ ten, die Fabel werde wahr gemacht werden,„ daß288„ daß Menſchen aus der Erde hervorſtei - „ gen? Schaͤmet euch den Roͤmiſchen „ Stamm und Namen verloͤſchen zu laſſen, „ und euere Stadt Fremden zu uͤberliefern. „ Sollen wir unſere Sclaven frey laſſen, „ daß wir die Anzahl unſerer Buͤrger ver - „ mehren moͤgen? Sollen wir die Freyheit „ unſerer Stadt unſern Bundesgenoſſen „ uͤbergeben, daß ſie mit Volk angefuͤllet „ werde; da ihr, die ihr von dem erſten „ Urſprunge an Roͤmer geweſen, nicht „ darum bemuͤhet ſeyd? Die Valerier und „ Julier und andere mehr entſchlieſſen ſich „ mit euch zugleich, alle ſolche Namen und „ Geſchlechter zu vertilgen. Jch ſchaͤme „ mich dieſe ſchaͤdliche Gewohnheit noch ein - „ mal zu erwaͤhnen, und mich laͤnger da - „ bey aufzuhalten. Thut euerer Unſinnig - „ keit Einhalt, und bedenket doch endlich „ einmal, wie viele von uns durch Kriege, „ und wie viele durch Krankheiten aufge - „ rieben worden, und daß die Stadt nicht „ laͤnger beſtehen kann, wenn ſie nicht mit „ Einwohnern angefuͤllet wird. Es iſt mir „ nicht unbekannt, daß der Eheſtand mit „ einiger Beſchwerlichkeit und Muͤhſeligkeit „ verknuͤpft zu ſeyn pfleget. Allein ihr ſoll - „ tet erwaͤgen, daß nichts Gutes zu finden „ iſt, das nicht einige Bitterkeit mit ſich „ fuͤhret. Die groͤßten und vortrefflichſten „ Ergoͤtzlichkeiten ſind bey ihrem Genuß mit „ allerhand Unluſt vermiſcht. Wenn ihr„ dieſe289„ dieſe vermeiden wollet, duͤrfet ihr auch „ das Gute, ſo ſich dabey findet, nicht ver - „ langen. Ohne Muͤhe und Arbeit kann „ man weder zur Tugend noch wahren „ Vergnuͤglichkeit gelangen. Ob ſchon der „ Eheſtand ſeine Ungelegenheiten hat; ſo „ werdet ihr dennoch, wenn ihr die Vor - „ theile deſſelben dagegen haltet, befinden, „ daß dieſe jene nicht nur in Betrachtung „ der Bequemlichkeiten, die ſolcher Stand „ an ſich ſelber verſchaffet, ſondern auch der „ Belohnungen, die ihm von den Geſetzen „ angehaͤnget ſind, weit uͤberwiegen. Jch „ habe, geliebten Buͤrger (denn ich hoffe, „ ihr werdet euch bewegen laſſen, dieſen „ Namen zu behalten, und den Titel ge - „ treuer Ehemaͤnner und Vaͤter anzuneh - „ men,) fuͤr gut angeſehen, euch, ob wol „ ungerne, dieſe ſcharfe Vorſtellung zu „ thun. Die Noth hat mich dazu gedrun - „ gen, nicht als einen Feind, der euch haſ - „ ſet; ſondern aus Liebe und Verlangen „ fein viele eures gleichen zu haben, ſo, „ daß wir, wenn wir rechtmaͤſſige Haͤuſer „ bewohnen, und dieſelben mit ſolchem, die „ aus Roͤmiſchen Gebluͤth entſproſſen ſind, „ angefuͤllet ſehen, mit unſern Weibern „ und Kindern zu den Goͤttern nahen, und „ durch gemeinſchaftlichen Beyſtand in al - „ len oͤffentlichen Angelegenheiten den Ge - „ nuß derſelben mit einander theilen moͤgen. „ Wie kann von mir geſaget werden, daßJac. Betr. 4. Band. T„ ich290„ ich euch regiere, wenn ich euch dergeſtalt „ abnehmen laſſe? Wie kann ich laͤnger „ euer Vater genannt werden, wenn ihr „ keine Kinder habet? Daher, wenn ihr „ mich wirklich liebet, und mir den Na - „ men eines Vaters aus Ehrerbietung, und „ nicht aus Schmeicheley gegeben habet; „ ſo bemuͤhet euch Ehemaͤnner und Vaͤter „ zu werden, auf daß ihr dieſer Ehre theil - „ haftig werdet, und ich ſolchen Namen „ nicht vergeblich fuͤhren moͤge. „
Alſo hat ein Heide geredet, und ob er gleich nachher dieſe Rede nicht mit einer tugendhaften Ehe gezieret, ſo behalten doch die darinne enthaltenen Gruͤnde ihre Rich - tigkeit und Staͤrke. Der Kaiſer Domi - tianus, der ebenfalls ein Heide und grau - ſamer Verfolger der Chriſten war, ſuchte dennoch der Hurerey in etwas zu ſteuren, indem er nicht erlaubte, daß die Huren ſich in Saͤnften tragen lieſſen, und ſie zu - gleich zu Erbſchaften unfahig erklaͤrete*)Muratori Geſchichte von Jtalien Th. I. S. 275.. Der Kaiſer Aurelius Alexander Seve - rus that gleichfalls alles moͤgliche, um der Unzucht ſowol bey den Kriegesvoͤlkern als zu Rom zu wehren, und der Maͤſſigkeit und Keuſchheit aufzuhelfen. Er widerſetzte ſich der Ueppigkeit mit dem groͤßten Nach -drucke291druck, und mit ſeiner eigenen ſehr groſſen Gefahr*)Muratori Geſchichte von Jtalien Th. II. S. 21. 31.. Was bewegte dieſe Kaiſer zu den Anſtalten wider ein ſo beliebtes La - ſter? Dieſes, daß es, da es uͤberhand nahm, dem Staate zu einer unertraͤgli - chen Laſt wurde.
So abſcheulich aber das Laſter derWiderle - gung der Gruͤnde womit viele Chriſten die Unzucht entſchuldi - gen. Unzucht, und ſo traurig ſeine Folgen, ſo gering wird ſelbiges heutiges Tages unter den Chriſten geachtet, und dieſes beweiſet, wie viele derer ſind, welche Gott und den Heiland mit dem Munde bekennen, mit den Werken aber verleugnen. Man lachet und ſcherzet uͤber ein Verbrechen, worauf Gott ſo vielmal nahmentlich die ewige Verdammniß geſetzet, und man bedenket nicht, daß Gott hart und grauſam ſeyn muͤßte, wenn er dieſes Laſter nicht ahnden ſollte. Waͤre Gott liebreich, wenn er das Schreyen jener unſchuldigen Kinder nicht hoͤrete, welche ihre Vaͤter und Muͤtter haſſen und verſaͤumen, und ihnen die Pflich - ten der Natur und die noͤthige Pflege und Erziehung verſagen? Waͤre Gott lieb - reich, wenn ihm das aͤuſſerſte Elend nicht jammerte, in welche manche Frauens - perſon durch mancherley Verſprechun - gen, und auf die boshafteſte Art von leicht -T 2ſinni -292ſinnigen Mannsleuten geſtuͤrzet wird? Jch glaube, daß derjenige ſich nicht ſo ſehr an Gott vergehet, welcher deſſen Daſeyn leugnet, als der ſich Gott als einen ſolchen vorſtellet, der bey harten Verbrechen gleichguͤltig iſt, und ſelbige nicht ahndet. Jch kann mich nicht enthalten zu zeigen, wie ungleich hierinne heutiges Tages die Urtheile vieler Chriſten ſind. Wenn ein Straſſenraͤuber jemanden ermordet, ſo ſchreyet jedermann daruͤber. Wenn aber in einem Lande jaͤhrlich einige uneheliche Kinder von ihren Vaͤtern verlaſſen wer - den, und dieſe daher aus Mangel der noͤ - thigen Pflege eines langſamen und jaͤmmer - lichen Todes ſterben muͤſſen, ſo empfindet der groͤßte Haufe nicht das geringſte Mit - leiden. Die mehreſten Vaͤter der unehe - lichen Kinder ſind durch die Geſetze von der Ernaͤhrung ihrer Kinder frey, und wi - der die uͤbrigen muß ein ſo koſtbarer Rechts - handel gefuͤhret werden, ehe ſie zu ihrer Pflicht gezwungen werden, daß ihn die Geſchwaͤchten ſelten zu Ende bringen koͤn - nen, und hieruͤber muß das Kind fuͤr Hunger und Bloͤſſe verkommen, und als - denn heiſſet es: o! das iſt gut, daß die - ſes Kind todt iſt. Wenn einer dem an - dern einige wenige Thaler ſtiehlet, ſo iſt er des Stricks ſchuldig, wenn aber einer des andern Tochter verfuͤhret, und dadurch auf einmal wol eine ganze Familie aͤuſſerſtungluͤck -293ungluͤcklich machet, ſo iſt dieſes eine Gele - genheit recht herzlich zu lachen. Man ſa - get, der Verfuͤhrer kann dieſerwegen nicht leiden, denn die Verfuͤhrte giebet ihre Ein - willigung dazu. Wenn aber jemand ei - nen Soldaten zum Weglaufen verleitet, ſo gilt dieſe Einwendung nichts. Jch muß meinen Gedanken Einhalt thun und abbre - chen, um mich nicht zu vergehen.
Man ſaget: der Trieb der Natur zuFortſetzung des vori - gen. dieſen Vergehungen iſt zu ſtark, wer kann ihm widerſtehen? Jch antworte: der Trieb zum Leben iſt noch ſtaͤrker, und man weiß ihn dennoch zu uͤberwinden, und man hat Mittel gefunden, Menſchen dahin zu bringen, daß ſie ihr Leben, wie nichts achten. Man hat einen andern Trieb, naͤmlich die Ehrbegierde erhoͤhet, und die Menſchen uͤberredet, die Furcht in gewiſ - ſen Faͤllen ſein Leben zu verlieren, ſey die aͤuſſerſte Schande, deren ſich ein ehrlicher Mann theilhaftig machen koͤnne, und hiermit hat man ſeinen Zweck erreichet. Der weiſeſte Schoͤpfer, welcher die wich - tigſten Urſachen gehabt, einem gewiſſen Triebe eine beſondere Staͤrke zu geben, hat neben demſelben den Menſchen auch ande - re Triebe eingefloͤſſet, welche den Unord - nungen deſſelben gerade entgegen ſtehen, und zu einer ordentlichen Ehe natuͤrlicherT 3Weiſe294Weiſe leiten, und ohne welche alle ordent - liche Ehen laͤngſtens wuͤrden aufgehoͤret haben. Dergleichen ſind die Schamhaf - tigkeit, welche gewiſſe Dinge als ſchaͤnd - lich empfindet, und uͤber eine ſich zugezo - gene Schande und Verachtung den em - pfindlichſten Schmerz zeuget, die Eifer - ſucht, welche hoͤchſt ungern die Liebe einer von uns zaͤrtlich geliebten Perſon mit an - dern theilet, ſondern ſelbige gerne allein be - ſitzen und genieſſen will, das Verlangen Nachkommen zu haben, welche unſer Ge - ſchlecht fortſetzen und unſer Vermoͤgen er - ben, die Liebe gegen Kinder, ein inneres Gefuͤhl der Seelen, welches uns unleidli - che Vorwuͤrfe machet, wenn man einer Perſon, die uns zaͤrtlich geliebet, Falſch - heit bewieſen. Die Schamhaftigkeit iſt ein allgemeiner und ſehr ſtarker Trieb der Natur, und man findet, daß er ſich be - ſonders in Abſicht auf gewiſſe Glieder und deren Geſchaͤfte faſt unter allen Voͤlkern aͤuſſert, und ſelbige zu einer gewiſſen Ver - bergung einiger Theile des Leibes bewo - gen, um dadurch allerhand Unordnungen und einen boͤſen Anſchein vorzubeugen, und zu verhindern, daß ſie nicht gemein ge - macht worden. Diejenigen, welche die - ſen Trieb ganz allein aus der Erziehung herleiten, erklaͤren doch, wodurch er faſt allgemein worden? Man ſaget, man mer - ke ihn bey Kindern nicht. Man ſpuͤretbey295bey Kindern aber auch keinen Trieb zu ei - ner fleiſchlichen Vermiſchung. Ein Un - verheiratheter fuͤhlt die Staͤrke der Kinder - liebe in keinem hohen Grade: folget dar - aus, daß dieſes keine allgemeinen Triebe der Natur ſeyn? Gewiſſe Triebe aͤuſſern ſich erſt in gewiſſen Zeiten und Umſtaͤnden, und ich halte dafuͤr, daß von denen Din - gen, die man insgemein und ordentlicher Weiſe bey den mehreſten Menſchen antrifft, ihren Grund in der Natur eines Menſchen haben. Und unter ſelbige gehoͤret ganz gewiß dieſe Art der Schamhaftigkeit. Geſetzt aber, es waͤre dieſelbe nicht in der Natur gegruͤndet, ſondern hienge von der Erziehung ab, ſo iſt doch die Schamhaf - tigkeit uͤberhaupt, oder das Gefuͤhl von Ehre und Schande natuͤrlich, und zeiget ſich bey kleinen Kindern. Die Natur hat ferner eine ſolche Schande auf die Unzucht geleget, daß auch alle geſitteten Heiden eine Empfindlichkeit davon gehabt, und die Keuſchheit unter die erhabenen Tugenden gezaͤhlet haben. Dieſe Schamhaftigkeit aber giebet einem gewiſſen Triebe das ſtaͤrkeſte Gleichgewicht, und iſt eine Vor - mauer der Keuſchheit, die nicht ohne Ge - walt und inneren Widerſtand uͤberwaͤlti - get und niedergeworfen wird. Das Ge - fuͤhl derſelben hat auch Heiden dahin ge - bracht, daß ſie lieber das Leben gelaſſen,T 4als296als ihre Keuſchheit aufgeopfert*)Von der Schamhaftigkeit und deren Wir - kungen leſe man Ciceronem de officiis. L. I. C. XXX. §. 3. Valerii Maximi Memorabilia Lib. VI. . Was fuͤr eine ſtarke Vormauer der Keuſchheit, der Trieb der Schamhaftigkeit ſey, hat man bisher in der beruͤhmten Stadt Genf wahrnehmen koͤnnen, wo die Verbrechen der Unzucht ſehr ſelten ſind, weil man ſie noch unter die ſchaͤndlichen Verbrechen zaͤh - let, und ſich derſelben ſchaͤmet. Es iſt dieſes um deſtomehr zu verwundern, da man daſelbſt keinen gezwungenen, ſondern ganz freyen, aber doch ehrbaren Umgang liebet**)Keyßlers Reiſebeſchreibung Th. I. S. 208. Menoza S. 182. 183.. Und ſollte die Schamhaftig - keit, und die Furcht fuͤr der Schande nicht das ſtaͤrkeſte Mittel ſeyn, welches unſer vornehmes junges Frauenzimmer in den Schranken der Keuſchheit erhaͤlt? Sollte denn dieſer Trieb nicht gleiche Staͤrke bey den niedrigern Frauensperſonen, und bey dem ganzen maͤnnlichen Geſchlecht haben, wenn er nicht mit Fleiß, und durch boͤſe Gewohnheiten entkraͤftet wuͤrde? Belegte man die Unzucht vornehmer Mannsperſo - nen mit eben der Schande, welche ein junges vornehmes Frauenzimmer, ſo ſichver -297vergehet, tragen muß, ſo wuͤrden jene eben ſo keuſch ſeyn, wie dieſe, und deren gute Zucht wuͤrde die natuͤrliche Schamhaftig - keit der Niedrigern unangegriffen und un - gekraͤnkt laſſen, und dadurch wuͤrde die Keuſchheit auch unter ſelbigen bewahret werden. Allein dieſes muß ja nicht geſche - hen. Man muß ja keine Schande auf die Unzucht legen. Und warum nicht? Es wuͤrde dieſes zum Kindermord gar zu ſehr verfuͤhren. O wie zart iſt das Gewiſſen derer, die dieſes vorgeben? Allein man ſa - ge ihnen, wenn ſie ſo beſorget fuͤr das Le - ben eines armſeligen Kindes waͤren, ſo moͤchten ſie doch fuͤr ihre eigenen unehelichen Kinder und deren Mutter ſorgen, daß ſie nicht im Elende umkommen muͤßten. Man moͤchte ferner Verordnungen machen, daß alle Vaͤter ſogleich mit Nachdruck ange - halten wuͤrden, ihre unehelichen Kinder zu ernaͤhren. Hier iſt ſogleich die Antwort da, das gemeine Beſte und der Dienſt des Vaterlandes wuͤrde darunter leiden. Die mehreſten Vaͤter unehelicher Kinder haben nur ſo viel, als zu ihrer eigenen Unterhaltung noͤthig iſt. Allein die un - gluͤckliche Mutter hat auch nichts. Man ſchweiget hierauf. Der geheime Schluß iſt aber: die Canaille mag zuſehen, daß ſie fertig wird. Laßt das Hurenbalg crepiren! Fuͤr Hunger und Elend moͤgen alſo jaͤhrlich einige tauſend Kinder umkom -T 5men,298men, aber die Schamhaftigkeit ſoll nicht Urſach ſeyn, daß zu Zeiten und zwar nur ſelten ein Kind ermordet wird. Allein, warum wird denn die Schamhaftigkeit unter den Vornehmen keine Urſache eines haͤufigen Kindermordes? Warum iſt ſie bey ſelbigen ein Mittel der Keuſchheit, und folglich auch ein Mittel wider die Ermor - dung unſchuldiger Kinder? Endlich hebet die entkraͤftete Schamhaftigkeit den Kin - dermord nicht auf. Eine geſchwaͤchte Perſon wird insgemein auf Zeitlebens aͤuſſerſt un - gluͤcklich. Sie bekommt die unertraͤgliche Laſt, ein Kind ohne Beyhuͤlfe des Vaters zu ernaͤhren. Eine ſolche Perſon hat fer - ner wenige Hoffnung, an einen guten Mann zu kommen. Gelanget ſie ja noch zu einer Ehe, ſo iſt ſelbige insgemein ſehr ungluͤcklich. Eine ſolche Frau wird die mehreſte Zeit von ihrem Manne gering ge - ſchaͤtzet, und muß bey aller Gelegenheit den empfindlichſten Vorwurf hoͤren. Die - ſe Umſtaͤnde ſind ſtark genug, jemanden zu der Ermordung eines unehelichen Kin - des zu verfuͤhren. Plutarch, ein beruͤhm - ter heidniſcher Schriftſteller, hat noch an - dere Urſachen davon bemerket, die ich aber hier nicht anfuͤhren mag. Er verbindet ſie mit der Erzaͤhlung eines andern Laſters, ſo zu ſeiner Zeit im Schwange gieng. Es gab damals Leute, welche dergeſtalt in das Eſſen und Trinken verliebet waren, daßwenn299wenn ſie ſich vollgeladen, ſie ſich mit Ge - walt entledigten, um ſich von neuen fuͤllen zu koͤnnen*)Plutarchus Tract. de Sanitate tuenda pag. 134. Edit. Xylandri. 1620.. Die Urſachen ſind dero - wegen ſehr unerheblich, um welcher willen man die Unzucht faſt von aller Schande frey zu machen ſuchet.
Wie die Schamhaftigkeit der UnzuchtWeitere Fortſetzung. widerſtehet, ſo ſind aͤndere Triebe in der Natur des Menſchen, welche, wenn ſie nicht entkraͤftet und erſticket werden, or - dentliche Ehen befoͤrdern. Dergleichen ſind, wieſchon angezeiget worden, die Ei - ferſucht, die Begierde Nachkommen zu haben, die unſer Geſchlecht fortſetzen, und uns beerben, und die natuͤrliche Liebe ge - gen ſolche Kinder. Die Eiferſucht iſt bey Manns - und Frauensperſonen gleich ſtark und will diejenige Liebe des andern, von welcher hier die Rede iſt, allein beſitzen. Jhre Gewalt iſt ſo groß, daß diejenigen Maͤnner, welche bey andern Voͤlkern in der Vielweiberey leben, den Wirkungen derſelben bey ihren Frauen nicht anders, als durch die haͤrteſte Gefangenſchaft, und durch eine ſtarke Wache von Verſchnitte - nen Einhalt thun koͤnnen. Und oft helfen auch dieſe Mittel nicht einmal, ſie inSchran -300Schranken zu halten. Sie fuͤhret in der Gemeinſchaft mit einem andern Triebe zu einer Verzweifelung, welche auch die groͤßte Gefahr nicht achtet, und ſich zu den verwegenſten Unternehmungen entſchlieſ - ſet*)Man leſe Les Moeurs et les Uſages das Turcs. . Plutarch ſchreibet daher**)Conf. PIutarchi Praecepta Conjugialia pag. 144. 145. Edit. Xylandri. : Wer eine Frau von den Vergnuͤgungen zuruͤckhaͤlt, deren er ſelber genieſſet, han - delt eben ſo, als wenn jemand einer Frau befehlen wollte, wider einen Feind zu ſtrei - ten, dem man ſich doch ſelber ergeben haͤt - te. Und kurz vorher ſaget er: Es iſt keine Einigkeit zwiſchen einer Frau und einem Manne, der ſeine Magd liebet. Sollte ich derowegen wol irren, wenn ich dieſen Trieb der Natur fuͤr ein Mittel halte, der zu einer ordentlichen Ehe fuͤhret, und einer ungebundenen Wolluſt entgegen geſetzet iſt? Ein jeder wird ferner von Natur dazu ge - trieben, auf eine Nachkommenſchaft zu gedenken. Es iſt dieſer Trieb ungemein ſtark und aͤuſſert ſich, wenn er nicht durch andere wichtige Bewegungsgruͤnde zuruͤck gehalten wird. Und zwar will dieſer Trieb ſolche Nachkommen haben, die un - ſer Geſchlecht und Stand fortſetzen, und unſer Vermoͤgen erben. Ein Abrahamhatte301hatte einen Sohn von einer Magd; aber wie ſehnete er ſich nach einem Sohne von der ordentlichen Frau, der nicht nur vom Vater ſondern auch von der Mutter eine anſehnliche Geburt haͤtte, und ſeinem Stande vollkommen gemaͤß waͤre? Wie ſich die natuͤrlichen Triebe uͤberhaupt nicht erklaͤren laſſen, ſo kann auch nicht ſagen, worauf ſich dieſer eigentlich gruͤndet. Er iſt aber da, und ſo bald die Menſchen ein wenig erwachſen, gedenken ſie ſchon an ihre Nachkommen, und ſorgen und arbei - ten fuͤr ſelbige, ehe ſie vorhanden, und wenn ich dieſen Trieb anders recht kenne, ſo ſuchet man unter andern eine Unſterblich - keit des Namens durch die Nachkommen. Dieſe Neigung fuͤhret unvermerkt zu or - dentlichen Ehen. Mit ſelbigem verbindet ſich die natuͤrliche Liebe zu den Kindern. Dieſe wird ſehr ſtark, wenn ihr nicht Ge - walt angethan wird, und verſtaͤrket das Band der Ehegatten. Man liebet die Kinder, und wegen derſelben den Gatten, womit ſie gezeuget worden. Wegen der Kinder liebet man diejenigen, gegen welche die Kinder eine zaͤrtliche Neigung hegen. Dieſe Liebe gegen die Kinder ſetzet ſich ſo wol der Vielweiberey als auch einer leicht - ſinnigen Scheidung entgegen, und ich ver - muthe, daß beydes dadurch zu Zeiten auch an den Orten verhindert wird, wo ſo wol das eine als das andere erlaubet wird. End -lich302lich hilfet zu ordentlichen Ehen, und befeſti - get ſelbige das innere und widrige Gefuͤhl von der Falſchheit, und ein uns anerſchaf - fenes Mitleiden gegen Elende, beſonders gegen ſolche, die uns lieben. Der Menſch, wenn er nicht ganz verhaͤrtet iſt, empfin - det unleidliche Vorwuͤrfe, wenn er denen, die ihm mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit erge - ben ſind, Falſchheit beweiſet, und es re - get ſich ein wehmuͤthiges und erbarmendes Mitleiden in unſerer Seele, wenn wir die - jenigen verlaſſen und elend ſehen, welche uns ihr ganzes Herz geſchenket haben. Die groſſe Macht dieſer Empfindungen hat man unter andern am Alexander dem Groſſen und am Herodes, der gleichen Beynahmen fuͤhrte, geſehen, da jener ſei - nen treuen General und Freund den Cli - tus, und dieſer ſeine geliebte Gemahlinn die Marianne aus einer uͤbereilten und tollen Wuth hinrichten laſſen. Beyde ge - riethen dadurch in eine ſo groſſe und an - haltende Unruhe des Gemuͤthes, die ihnen ganz unertraͤglich war. Auch dieſe inne - ren Empfindlichkeiten des Gemuͤthes kom - men den ordentlichen Ehen zu ſtatten, und haben ſchon mancher Concubine das Recht und die Ehre einer ordentlichen Frau ver - ſchaffet. Da derowegen Gott aus den wichtigſten Urſachen dem Triebe, welcher das menſchliche Geſchlecht fortpflanzet, eine beſondere Staͤrke gegeben, ſo iſt er zugleichin303in eine ſolche Verbindung mit andern Trieben geſetzet, welche die Heftigkeit deſ - ſelben einſchraͤnken und verhindern, daß er nicht das ganze menſchliche Geſchlecht zu einer vollkommen, zuͤgelloſen und unbaͤndi - gen Wolluſt verleitet. Jn obbenannten Trieben ſcheinet der Grund zu liegen, war - um auch bey den ungebaueteſten Voͤlkern die ordentliche Ehe nicht ganz aufgehoͤret, und ſich nicht alles ohne Unterſchied mit einander vermiſchet. Werden nun die bisher beſchriebenen Triebe, ſo Gott einer unordentlichen Vermiſchung entgegen ge - ſetzet, nicht geſchwaͤchet und unterdrucket, und man verbindet mit ſelbigen die triftigen Bewegungsgruͤnde, und die Macht des Chriſtenthums, ſo wird man einſehen und an ſich ſelber erfahren koͤnnen, daß es moͤg - lich, denjenigen Trieb in Ordnung zu er - halten, deſſen Ausſchweifungen unzaͤhlige Menſchen in ein zeitliches und ewiges Elend ſtuͤrzen.
Hieraus laſſen ſich die Regeln ziehen,Wie der Unzucht Einhalt zu thun. wie der Keuſchheit aufzuhelfen, wenn man anders dieſe Tugend, von welcher ſo viel abhanget, einiger Achtung werth hielte. Viele meynen, man koͤnnte ihr durch Strafen zu ſtatten kommen. Allein die Erfahrung lehret, daß durch ſelbige wol etwas, aber nicht gar viel ausgerichtetwird.304wird. Man hat bey uns die ſtrengeſte Verordnung wegen der Hausdieberey, und ſie wird dem ungeachtet immer haͤufiger, weil man ſich der Luͤderlichkeit nicht gnug - ſam widerſetzet, woraus doch das mehreſte Stehlen erfolget. Man ſiehet, daß un - zaͤhlige Diebſtaͤhle verborgen bleiben. Man hoffet es ebenfalls ſo kuͤnſtlich machen zu koͤnnen, daß man nicht entdecket werde, und in dieſer Hoffnung geſchehen unzaͤhli - ge Entwendungen. Kann man in der Seele keinen andern Trieb rege machen, als die Furcht fuͤr der Strafe, ſo wird man wenig ausrichten, indem es gar zu ungewiß, ob der Richter jemals ein Ver - brechen entdecke. Zweytens machen die Strafen nicht tugendhaft, ſondern hindern nur einige grobe Ausbruͤche der Laſter. Drittens werden die Strafgeſetze wider die Unzucht ſogleich entkraͤftet, weil man ſie aus ſehr wichtigen Urſachen zu keiner all - gemeinen Ausuͤbung bringen kann. Woll - te man der unterdruckten und ganz entehr - ten Keuſchheit zu Huͤlfe kommen, ſo muͤß - ten gewiſſe geſchwaͤchte Triebe, ſo Gott in den Menſchen geleget, wieder rege gemacht und geſtaͤrket, und dasjenige vermieden und weggeſchaffet werden, was ſie ent - kraͤftet. Solche Triebe ſind Ehrbegierde, Schamhaftigkeit und ein Gewiſſen, ſo auf Gott ſiehet. Dieſe Triebe muͤßten von Jugend auf erwecket und gebauetwer -305werden*)Wie dieſes geſchehen muͤſſe, habe in der Abhandlung von dem geiſtlichen Geſchmacke gezeiget, welche ſich in dem dritten Theile dieſer Betrachtungen befindet.. Was dadurch auszurichten, erfaͤhret man bey dem weiblichen Geſchlech - te von vornehmern Stande. Ja, was noch mehr? Solche Triebe ſind ſtaͤrker als alle Geſetze. Man ſiehet dieſes bey der Gewohnheit des Duellirens. Wie viele und wie ſcharfe Geſetze ſind darwider gege - ben? Und dennoch dauern dieſe Raufe - reyen noch immer fort, und zwar nicht nur unter Perſonen vom Stande, ſondern ſo - gar unter unſern Handwerkspurſchen. Die Urſache iſt, man hat den Trieb der Ehr - begierde und Schamhaftigkeit hierauf ſo empfindlich gemacht, daß ſie die Furcht fuͤr Schmerzen und dem Tode beſiegen. Man hat ferner die Furchtſamkeit und die Ertra - gung gewiſſer Scheltworte mit einer ſol - chen Schande beleget, daß man lieber ſter - ben, als unter derſelben leben will. Alle Verordnungen und Strafen, ſo man die - ſem Ungeheuer entgegen ſetzet, ſind zu ſchwach, ſo lange ſie aufgebrachte Triebe der Natur wider ſich haben. Wie gemein wuͤrde derowegen die Keuſchheit werden, wenn die Ehrbegierde, die Schamhaftig - keit und das Gewiſſen auf ſelbige recht em -pfind -Jac. Betr. 4. Band. U306pfindlich gemacht wuͤrden? Sollte dieſes aber geſchehen, ſo muͤßte in unſern Geſell - ſchaften die Keuſchheit eben ſo erhoben wer - den, als die Herzhaftigkeit, und die Un - zucht muͤßte eben die Schande tragen, wo - mit die Zaghaftigkeit beleget wird. Aus unſern Schauſpielen muͤßten alle Liebes - haͤndel und abgeſchmackte Poſſen verbannet werden. Luͤderliche Wirthshaͤuſer, Sauf - gelage, unzuͤchtige Lieder, leichtfertige Taͤnze muͤßten als krebsartige Schaden eines chriſtlichen Staatskoͤrpers angeſehen werden. Ordentlichen Ehen muͤßte ein hoͤ - herer Werth beygeleget und ſelbige erleich - tert werden. Man muͤßte es als das groͤßte Verdienſt eines guten Buͤrgers verehren, wenn er dieſer und der zukuͤnftigen Welt einige wolerzogene, vernuͤnftige, tugend - hafte, nuͤtzliche und fleiſſige Kinder gelie - fert. Allein wer kann dieſes in unſern Zeiten hoffen, wo man alles moͤgliche thut, was die Unzucht befoͤrdern kann, und auch graue Haͤupter ſich nicht entziehen, der - ſelben das Wort zu reden?
So deutlich ſich nun Jeſus wegen der Eheſcheidung und wider eine trennbare Gemeinſchaft der Leiber erklaͤret, ſo haben doch verſchiedene Gelehrte Mittel geſuchet, dieſes Geſetz zum Vortheil wolluͤſtiger Leu -te307te zu entkraͤften*)Dieſe Gelehrten wuͤrden vermuthlich bald anderes Sinnes werden, wenn ſie ein halb Dutzend verheirathete Toͤchter haͤtten, wel - che ihnen von deren Ehemaͤnnern nach und nach wieder zu Hauſe geſchicket wurden.. Sie geben vor, es erſtrecke ſich daſſelbe nur uͤber ordentliche Frauen nicht aber uͤber Concubinen. Jch will dieſes mit ihnen annehmen, was wird aber nach den Abſichten unſers Heilandes und ſeines Geſetzes daraus folgen? Gewiß dieſes, daß alle fleiſchliche Vermiſchungen und alle Verbindungen, welche auf dieſen Zweck gehen, und keine unzertrennliche Ehe zum Grunde haben, in den Augen unſers goͤttlichen Erloͤſers unerlaubt ſeyn, und daß, wenn man zu den nothwendigen und weſentlichen Eigenſchaften des Concu - binats die Trennbarkeit zaͤhlet, ſelbiger mit den goͤttlichen Abſichten ſtreite. Es erhellet dieſes ganz deutlich aus der Unter - redung, welche der Heiland hieruͤber mit ſeinen Juͤngern gehalten**)Matth. C. 10. v. 10-12.. Dieſe ant - worteten auf das Urtheil des Herrn von der Eheſcheidung: ſtehet die Sache eines Mannes alſo, ſo iſt es nicht gut ehe - lich werden. Welches wuͤrde wol die natuͤrlichſte und vernuͤnftigſte Antwort des Herrn geweſen ſeyn, wenn er einen trennbaren Concubinat fuͤr eine erlaubteU 2Sache308Sache gehalten. Wuͤrde er nicht geſaget haben? Nehmet eine Concubine, ſo koͤn - net ihr euch ſcheiden. Allein die Antwort des Herrn lautet ganz anders. Er ſpricht: das Wort faſſet nicht ein jeder, ſon - dern denen es gegeben iſt; oder nach ei - ner eigentlichern Ueberſetzung: dieſe Sa - che, naͤmlich unverehelicht zu bleiben, iſt nicht fuͤr einen jeden, ſondern nur fuͤr die, welchen es gegeben iſt, d. i. welche die Gabe haben, ohne Suͤnde auſſer der Ehe zu leben. Denn es ſind etliche ver - ſchnitten, die ſind aus Mutterleibe alſo gebohren, und ſind etliche verſchnitten, die von Menſchen verſchnitten ſind, und ſind etliche verſchnitten, die ſich ſelbſt verſchnitten haben, um des Himmel - reichs willen, das iſt, die ſich freywillig des Eheſtandes begeben, um zu der Aus - breitung des Evangeliums und der Be - kaͤnntniß deſſelben in gefaͤhrlichen Zeiten deſto geſchickter zu ſeyn. Wer es faſſen mag, der faſſe es. Wer ſo beſchaffen iſt, und wenn es auf eine ſolche Weiſe ge - geben, ohne Frau zu leben, der thue es, den uͤbrigen aber iſt es beſſer, daß ſie freyen, ob ſie gleich eine Verbindung eingehen muͤſſen, von welcher man nicht wieder ab - gehen kann*)Man ſchlage uͤber dieſe Stelle nach Wolfii Cur. Philolog. et Crit. in N. T. in h. l. Bey. Wie will nun jemanddieſe309dieſe Rede des Herrn reimen, und ihr ei - nen vernuͤnftigen Sinn beylegen, wenn man annimmt, der Herr habe zweyerley erlaubte Verbindungen zur Gemeinſchaft des Leibes geglaubet, naͤmlich eine Art, die unzertrennlich, und eine andere gleich -U 3falls*)Bey den Worten, es ſind etliche verſchnitten, die ſich ſelber verſchnitten haben um des Him - melreichs willen, bemerke man, daß die Juden von einem Manne, der die ſechs Tage in der Woche in dem Geſetze ſtudiret, ohne zur Frau zu gehen, und nur am Sabbath mit derſelben einigen Umgang pfleget, ſagen, er habe ſich ſechs Tage in der Woche verſchnitten. Hieraus erhellet, daß dieſe Redensart nicht allezeit eine wirkliche Entmannung, ſondern zu Zeiten eine freywillige Enthaltung an - zeige, und der Heiland hat aller Wahr - ſcheinlichkeit nach auch nur an das letztere gedacht. Conf. Schoetgenii Hor. Hebr. et Talmud. in h. l. Man bemerke ferner, daß der Herr den eheloſen Stand nieman - den anpreiſet, als denen, die von Natur, oder durch ein Schickſal dazu ungeſchickt ſind, oder zum Vortheile des Reiches Got - tes, wenn Noth und Umſtaͤnde es erfordern, im ledigen Stande bleiben. Daß es uͤbri - gens Gott angenehm, wenn jemand der Welt wolgezogene Kinder liefert, erhellet ſowol aus der goͤttlichen Einrichtung der Dinge, und beſonders aus dem ſehr ſtarken Triebe zum ehelichen Leben, welchen der Schoͤpfer dem Menſchen eingedruckt, als auch aus 1 B. Moſ. C. 1. v. 28. und 1 Tim. 2. v. 15.310falls erlaubte Art; die aber zertrennlich waͤre. Haͤtte er alsdenn ehelich und ver - ſchnitten ſeyn einander entgegen ſetzen koͤn - nen? Waͤre die Antwort nicht hoͤchſt un - geſchickt, welche er den Juͤngern gegeben? Haͤtte ein vernuͤnftiger Mann in dieſem Fall nicht ſagen muͤſſen? Wenn euch eine unzertrennliche Ehe zu hart ſcheinet, ſo waͤh - let den Concubinat, oder, wem es gegeben, der enthalte ſich aller Gemeinſchaft mit dem andern Geſchlecht. Es iſt ferner eine be - kannte Regel, daß, wenn man die Aus - dehnung eines Geſetzes wiſſen wolle, man auf die Abſicht deſſelben (auf rationem le - gis) ſehen muͤſſe. Nun aber gebe doch je - mand ſolche Gruͤnde an, welche Gott haͤt - ten bewegen koͤnnen, eine Art Ehen fuͤr unzertrennlich, und andere fuͤr zertrennlich zu erklaͤren? Jch habe noch nicht gefunden, daß jemand dergleichen vorbringen koͤnne. Da man nun auch nicht die geringſte Spur in den Reden unſers Heilandes antrifft, daß er an einen ſolchen Unterſchied gedacht, ſondern vielmehr aus denſelben erhellet, daß ſein Wille ſey, man ſolle entweder in eine unzertrennliche Ehe treten, oder ſich der Frauensperſonen gaͤnzlich enthalten, ſo iſt klar genug, daß alle fleiſchliche Vermi - ſchung, die nicht eine unzertrennliche Ver - bindung zum Grunde habe, nach der Ab - ſicht ſeines Ausſpruches unerlaubt ſey.
So gar hell es nun einem jeden unpar -Fortſetzung des vori - gen. theyiſchen Leſer in die Augen leuchten muß, wie es der Wille des Heilandes, daß alle erlaubte Verbindungen zur Gemeinſchaft des Leibes unzertrennlich ſeyn ſollen, ſo muͤſſen doch alle diejenigen tumm und ei - genſinnig heiſſen, und von thoͤrichten Vor - urtheilen blind ſeyn, welche dieſes zu be - haupten ſich unterſtehen. Man weiß kaum Worte genug zu finden, die Blind - heit und Tummheit der Geiſtlichen recht groß zu machen. Jn allen ihren Schrif - ten von dieſer Sache iſt nichts kluges*)Man leſe des Herrn Hofraths Pertſch Kir - chenhiſtorie I. Band. S. 563. Not. f. , ob man gleich auf die Hauptgruͤnde ver - ſtaͤndiger Geiſtlichen keine buͤndige Antwort giebet**)Man leſe dieſe Gruͤnde in des ſeel. Rein - becks Tractat von der Natur des Eheſtan - des, und urtheile, ob es nicht hart von ei - ner ſolchen Schrift zu ſagen, daß nichts kluges darinne ſey.. Jch muß zwar geſtehen, daß uͤber dieſe Sache von den Theologen viel abgeſchmacktes Zeug geſchrieben worden: dergleichen iſt aber nicht von allen geſche - hen, ſondern einige haben vernuͤnftige und ſtarke Gruͤnde***)So pfleget man die Gruͤnde eines Rein - becks zu uͤbergehen, und haͤlt ſich nur mitdem - vorgetragen, warumU 4blei -312bleibet man nicht bey ſelbigen, und giebet ſich mit deren Unterſuchung ab? Allein man kommt am kuͤrzeſten davon, wenn man die ſchwachen und laͤcherlichen Gruͤn - de einiger ſeichten Schriftſteller anfuͤhret und verlachet und vorgiebet, niemand ha - be hieruͤber etwas vernuͤnftiges vorgetra - gen. Und wie tiefſinnig, wie klug, wie weiſe ſind diejenigen, die ſolche Macht - ſpruͤche thun? Folgendes mag zur Probe dienen. Man eignet einer trennbaren Ver - bindung mit einer Concubine die groͤßten Vortheile zu. Man ſaget, junge voll - bluͤtige Mannsperſonen, die noch nicht von den Umſtaͤnden waͤren, daß ſie ſich in eine ordentliche Ehe einlaſſen koͤnnten, wuͤrden dadurch fuͤr vielen anderen Ausſchweifun - gen verwahret werden, und behielten den - noch die Freyheit, ſich einſtens ordentlich zu verheirathen. Vornehme Familien koͤnnten dabey allezeit in einem bluͤhenden Wolſtande erhalten werden. Der aͤlteſte Herr muͤßte nur heirathen, die juͤngern aber in einem trennbaren Concubinate leben, damit, wenn der aͤltere Herr keine maͤnnli - chen Erben erzielete, einer von den juͤngern ſich vermaͤhlen koͤnnte. Auf dieſe Art wuͤr - den die angeſehenen und vornehmen Haͤu -ſer***)demjenigen auf, was leicht zu widerlegen und laͤcherlich zu machen iſt. Man leſe Glafeys Recht der Vernunft B. V. C. I. 313ſer nie fallen, ſondern jederzeit ihren Glanz und Reichthuͤmer behalten*)Man ſehe Glafeys Recht der Vernunft am angezogenen Orte nach.. Dieſes heiſſet klug gedacht. Wer anders denket, iſt blind und tumm. Allein, da man ſo ſehr klug iſt, ſo habe man doch Mitleiden mit uns einfaͤltigen Geiſtlichen, und un - terrichte uns auf folgende Fragen. Man haͤlt es fuͤr eine unertraͤgliche Laſt, wenn Mannsperſonen einem gewiſſen Triebe der Natur auf einige Zeit abſagen ſollen. Bey der jetzt beſchriebenen Einrichtung aber, die ſo ſehr weiſe ſeyn ſoll, bleibet der allergroͤßte Theil des vornehmen weib - lichen Geſchlechtes unverheirathet, wie ſoll denn ſelbigen auf eine anſtaͤndige Art gera - then werden? Wie ſollen denn ſelbige einen gewiſſen Trieb in einer keuſchen Ordnung erhalten, welchem ſogar die jungen und tapfern Helden nicht einmal ſollen wider - ſtehen und den Sieg abgewinnen koͤnnen? Wie ſoll ferner den Concubinen geholfen werden, wenn ſie den vollbluͤtigen jungen Herren ihre Schoͤnheit aufgeopfert und nun mit einigen Kindern verſtoſſen werden? Sollte Gott fuͤr ſelbige eben ſo wenig ſor - gen, und ſo hart und unbarmherzig gegen ſie ſeyn, als ſolche wolluͤſtige Herren? Wenn eine keuſche Enthaltung ſo unmoͤglich iſt, als die Vertheidiger eines trennbarenU 5Con -314Concubinats vorgeben, wie wollen ſie denn, daß ihre Bedienten ſich verhalten, und ei - nen unuͤberwindlichen Trieb befriedigen ſollen? Haben ſie wol Belieben darzu, daß jaͤhrlich einige Wochenbette in ihren Haͤuſern oder wenigſtens auf ihre Unkoſten gehalten werden? Gewiß eine Klugheit, die ſehr zu bewundern ſtehet? Ein Man - deville erlaubet denen Herren alle Wolluͤ - ſte und Unkeuſchheit, aber er will doch keuſche Bedienten haben, und klaget ganz jaͤmmerlich uͤber die verderbten Zeiten, da die Bedienten ſo gerne in luͤderliche Haͤuſer gehen, und ihren Herren die ſchlechteſten Dienſte leiſten, und ihnen bey einer ſolchen Lebensart doch ſehr koſtbar werden. *)Fable des Abeilles Tom. II. p. 104-109.Je - doch man ſorget nur fuͤr vornehme Herren und fuͤr den Glanz ihrer Familien. Und worein ſetzet man denſelben? Darinne, daß einer oder zwey ihres Namens den Stand und ihre Reichthuͤmer erben, der groͤßte Theil der ſtandesmaͤſſigen Schweſtern aber in einer armen Einſamkeit ſterben, und die uͤbrigen Kinder einer ſolchen Familie, die naͤmlich mit Concubinen erzeuget wer - den, Handwerksleute und Bauern abge - ben. Nun ſage man mir doch, ſollte die - ſer eingebildete Glanz einer Familie in den Augen des Allwiſſenden Gottes, und des - jenigen Schoͤpfers, der keine Perſon an -ſiehet,315ſiehet, ſo groß ſeyn, daß er dieſerwegen eine Einrichtung fuͤr weiſe hielte und bil - ligte, welche fuͤr eine weit groͤſſere An - zahl Menſchen, naͤmlich fuͤr den groͤßten Theil des vornehmen weiblichen Geſchlechts, fuͤr ſo viele Concubinen, und deren Kinder aͤuſſerſt hart waͤre? Soll der groͤßte Theil der Kinder vornehmer Mannsperſonen Handwerksleute und Bauern werden, da - mit einer oder zwey ihres Namens wieder eine groſſe Figur machen koͤnnen, kann denn ſelbiges nicht geſchehen, ohne eine weiſe Ordnung Gottes aufzuheben? O wie leichtſinnig iſt man gegen die allerwichtig - ſten Verordnungen des groſſen Gottes! Kann man ſagen, daß man bey unſerm gewoͤhnlichen Verhalten bey den Suͤnden der Unzucht die geringſte Liebe gegen den unendlichen Schoͤpfer blicken laͤſſet? Be - weiſet man nicht das grauſamſte Herz, in - dem man den groͤßten Theil der Vaͤter un - ehelicher Kinder von der Ernaͤhrung derſel - ben privilegiret, und folglich das un - ſchuldige Kind zu dem jaͤmmerlichſten Tode verdammet, und dennoch nicht die geringſten Anſtalten machet, ſolche Ausſchweifungen zu verhuͤten, welche ſo armſeligen Kindern das Leben und den elendeſten Tod verurſachen. Jſt dieſes nicht eine unmenſchliche Grauſamkeit? Kann man dabey Gnade von dem Aller - barmherzigſten erwarten? Waͤre Gottlieb -316liebreich, wenn er ſolche barbariſche Grau - ſamkeiten ungeahndet laſſen wollte?
Da mir ſo gar oft der traurige Anblick ſo verlaſſener und in ihrem Elende umkom - mender Kinder in die Augen faͤllt, und ich noch vor kurzen ein ſehr ſchoͤnes, wolgeſtal - tetes und geſundes Kind, deſſen Hunger man aus Noth mit kaltem Meelbrey, der zu einem Buchbinderkleiſter geworden war, zu ſtillen ſuchte, in dem heftigſten Leibweh mit dem klaͤglichſten Geſchrey ſterben ſahe, ſo hat mich die Wehmuth auf das Vorha - ben gebracht, dieſen Verlaſſenen zum Be - ſten, und in ihrem Namen folgende Bitt - ſchrift an ihre Vaͤter, an die Obern, und an Gott aufzuſetzen.
O Vaͤter, die ihr uns gezeuget, uns aber haſſet und uns den Tod wuͤnſchet, ihr die ihr wolluͤſtige Blicke nach unſeren be - thoͤrten und ungluͤcklichen Muͤttern gethan, ach! thut doch einen einzigen Blick auf uns Armſelige. Ach laſſet einmal unſer aͤngſtliches Schreyen in eure Ohren drin - gen, vielleicht bricht es euer Herz. Se - het, hier liegen wir, eure Kinder, ohne Decke in unſerm Harn und Koth und erſtarren fuͤr Kaͤlte. Unſere Milch iſt mit herben Gram vergaͤllt, welcher aus dem Herzen einer von euch betrogenen Mutter quillt. Und haͤtten wir derſelben nur genug. Aberdie317die Noth und der Mangel der Mutter trifft auch uns. Unſer Magen empfindet den ſchmerzlichſten Hunger. Wir wimmern Tag und Nacht. Unſere huͤlfloſe Mutter ringet mit Ungedult und Verzweifelung. Sie wirft uns hin, ſie nimmt uns mit Thraͤnen wieder, ſie ſtopft uns mit Koſt, die uns zu ſchwer. Die Gedaͤrme arbei - ten daran mit einem krampfigten Leib - grimmen. Vorher nagte uns der Hunger, nun quaͤlet uns noch ein heftiger Schmerz, der alle Glieder zuſammen ziehet. Ach hoͤret einmal unſer klaͤgliches Weinen. Hoͤret ein Kind, daß euch um Mitleiden anrufet. Womit haben wir euch beleidi - get, daß ihr uns in ein ſo unleidliches Elend geſtuͤrzet? Ach welch ein Schmerz! Sehet unſere vom Jammer verzogenen und bebenden Lippen. Hoͤret unſer Win - ſeln. Hoͤret ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ach euer Ohr iſt verſtopft, und euer Herz iſt voll Haß. Wir arme Wuͤrmchen ſollen ſterben. Und o wie gerne! komm, o Tod! komm bald, und ende unſere Quaal. Aber ſie endet ſich noch nicht. Unſer Koͤrperchen war ge - ſund, und kann nicht anders als durch viele Schmerzen zermalmet werden. Und o Vaͤter, warum laſſet ihr uns Unſchuldi - ge eines ſo harten und langſamen Todes ſterben? Warum laſſet ihr uns eure ſuͤnd - liche Wolluſt auf eine ſo ſchmaͤhliche Art buͤſſen?
O318O ihr Obern, ihr Vaͤter des Vater - landes, laſſet doch euer Herz gegen uns brechen. Laſſet unſer Winſeln zu euren Ohren kommen. Unſere leiblichen Vaͤter verſagen uns eine Pflicht, wozu ſie Gott und die Natur auf das theuerſte verbin - det. Sie laſſen uns eines langſamen und jaͤmmerlichen Todes ſterben. Erbarmet euch doch uͤber uns Verlaſſene. Jhr ſeyd ja mitleidig gegen einen groben Uebelthaͤter, und beſtrafet einen Nachrichter, wenn ſei - ne Unvorſichtigkeit jenes Quaal vermehret. Sind wir denn keines Mitleidens werth, die wir tauſendmal ſo viel ausſtehen, als jener Miſſethaͤter. Ach wie lange martert uns ein ſchneidender Schmerz, der unſer ganzes Koͤrperchen durchdringet, indem uns unſere Vaͤter verhungern laſſen? Warum muͤſſen wir mehr leiden als Diebe und Moͤrder?
O ihr begluͤckten Kinder der Goͤtter dieſer Erden, ihr genieſſet die Milch, wel - che Gott und die Natur uns beſtimmet hatte, und unſer Tod iſt euer Leben. Ha - bet Mitleiden mit uns. Jhr habet noch ein weiches, ein zaͤrtliches, ein Kinder - Herz, erbarmet ihr euch unſer. Bittet fuͤr uns Verlaſſene, welchen jedermann den Tod wuͤnſchet. Wir wollen ja gerne ſterben. Bittet, bittet, daß man nur mit unſerer langen Quaal Mitleiden habe, und ſelbige verkuͤrze.
Ach319Ach Gott! du wirſt uns ja hoͤren. Wir ſind doch deine Geſchoͤpfe. Dein unerforſchlicher Rath hat uns zu Zeugen werden laſſen, welche die Suͤnden ihrer Eltern verrathen muͤſſen, die ſonſt eine ewige Nacht bedeckte. Die Furcht fuͤr unſerm Leben und Zeugniß ſoll einem Laſter einige Graͤnzen ſetzen, welches ſonſt deine Welt verwuͤſten wuͤrde. Ach Gott ver - gieb es uns, wenn wir dieſes Schickſal traurig nennen, und dein Herz breche ge - gen uns, da alle Menſchen hart, unmenſch - lich hart gegen uns ſind. Vater und Mut - ter, und alle, die wir um Mitleiden und Huͤlfe anrufen, verlaſſen uns. Gott, nimm du uns auf. Nimm doch unſer Seelchen wieder zu dir, welches nur zur Schmach und Leiden gebohren iſt. Ach ſollen wir auch Zeugen einer hoͤchſten und unuͤberwindlichen Grauſamkeit der Men - ſchen ſeyn? Sollen wir etwa beweiſen, daß du gerecht, wenn du ein unbarmherziges Gericht uͤber ſolche Grauſame ergehen laͤſ - ſeſt? Sollen wir etwa dereinſten unſere Eltern verdammen, und diejenigen, wel - che uns einen billigen Beyſtand verſaget? Ach nein, wir wollen lieber fuͤr ſie bitten. Ende nur unſere Quaal. Ach Froſt! Ach Hunger! Ach Schmerz! Ach ‒ ‒ ‒ ‒ ‒! O Gott, erbarme dich!
Freunde, welche dieſes geleſen, haben dabey den Wunſch geaͤuſſert, daß die Fuͤn - delhaͤuſer gemeiner ſeyn moͤchten, in wel - che man die auſſer der Ehe gezeugte und andere arme Kinder aufnaͤhme und erzoͤge. Es hat mir dieſes Gelegenheit gegeben auch auf dieſe Anſtalt mein Augenmerk zu rich - ten und habe dabey folgendes bemerket. Es verdienen ſolche milde Anſtalten aller - dings ihr Lob und es wird dadurch das Leben vieler Kinder gerettet. Allein der - jenige Vortheil, welchen man ſich davon verſpricht, wird bey weitem nicht erhalten, und ordentliche Ehen leiſten weit mehr, als ſolche Haͤuſer, und andere Anſtalten zum Beſten der Fuͤndelkinder. Durch or - dentliche Ehen wird in groſſen Staͤdten die Haͤlfte der gebohrnen Kinder das Leben er - halten und werden groß gezogen, und auf dem Lande erwachſen, bey zwey Dritthei - le der gebohrnen Kinder. Die Fuͤndelan - ſtalten aber bringen bey weitem nicht den vierten Theil derjenigen Kinder auf, die dadurch in Pflege genommen werden. Bey den fuͤrtrefflichen Fuͤndlingsanſtalten zu Coppenhagen ſind vom 5 Auguſt 1750 bis den 23 December 1758 aufgenommen worden 2605 Kinder. Davon ſind aber den Muͤttern verabfolget 516, und zum Unterhalte nur angenommen 2089. Hier - von ſind abermals von den Eltern undVer -321Verwandten zuruͤck gefordert 121. Folg - lich ſind in der Verpflegung der Fuͤndlings - caſſe nur geblieben 1968. Von dieſen 1968 ſind den 23 December 1758 geſtor - ben geweſen, 1578 und 390 haben nur noch gelebet, und es iſt nicht muthmaßlich, daß dieſe 390 insgeſammt das Leben behal - ten und erwachſen ſind. Dieſe 390 Kin - der machen erſt den fuͤnften Theil derjeni - gen aus, die in die Verpflegung genom - men worden.
Von der ſehr groſſen Fuͤndlingsanſtalt zu London ſind vom 25 Maͤrz 1741 bis zum 31 December 1764 aufgenommen worden 16484. Die Saͤuglinge werden Pflegemuͤttern auf dem Lande uͤbergeben, und nachher in ſieben Hoſpitaͤler, in ver - ſchiedenen Gegenden des Landes vertheilet. Jn welchem Jahre der Kinder ſolches ge - ſchehe, weiß ich nicht. Es muß aber laͤng - ſtens mit dem fuͤnften Jahre geſchehen, weil ihnen, wenn ſie fuͤnf Jahre alt ſind, in den Hoſpitaͤlern die Pocken eingeaͤugelt werden. Den 31ſten December 1764 ſind auf dem Lande bey Pflegemuͤttern ge - weſen 3255. Wenn man ſelbige von obi - gen 16484 abziehet, bleiben 13229. Von dieſen 13229 ſind 158 von den Eltern zu - ruͤck genommen, 419 haben die Jahre er - reichet, daß ſie haben in die Lehre gethan werden koͤnnen, und 1776 ſind noch in den Hoſpitaͤlern geweſen. Die Summe derer,Jac. Betr. 4. Band. Xwel -322welche etwan das ſechſte Jahr erreichet, belaͤuft ſich derowegen auf 2353. Der Geſtorbenen ſind aber 10876. Unter 13229 haben folglich nur 2353 ihr Leben bis zum ſechſten Jahre gebracht, wenn man diejenigen auch ſo alt annimmt, die von ihren Eltern zuruͤck genommen worden. Es erlebet alſo ohngefaͤhr das ſechſte Kind das ſechſte Jahr. Die Koſten haben ſich in den letztern Jahren jaͤhrlich auf die funfzig tauſend Pfund Sterling belaufen, und wie viel hat zu Anfange der Bau der Hoſpitaͤler gekoſtet? Jch habe dieſes aus den gedruckten Liſten genommen, die zu London jaͤhrlich herauskommen, und eine ſchriftliche Nachricht meldet mir, daß wegen des geringen Nutzens, ſo dieſe uͤber - aus koſtbare Anſtalt hat, das Parlament beſchloſſen, ſeine Hand davon abzuziehen. Es erhellet hieraus, wie vorzuͤglich zur Vermehrung des menſchlichen Geſchlechtes die ordentlichen Ehen, wo Vater und Mutter fuͤr das Kind ſorgen, und eine muͤtterliche Liebe daſſelbe wartet. Eltern haben nicht nur einen ſtarken Trieb gegen ein Kind, daß ſie in einer ordentlichen Ehe gezeuget, ſondern ſehen auch die Befriedi - gung eines andern Triebes in der Ehe als eine Belohnung fuͤr die vielen Beſchwer - den an, die bey Erziehung eines Kindes zu uͤbernehmen. Dieſes aber faͤllet bey Pfle - gemuͤttern hinweg. Nichts als Geld undihre323ihre eigene Unterhaltung treibet ſie an ar - me Fuͤndlinge an die Bruſt zu legen. Wer ſich ſonſten naͤhren kann, thut es nicht. Ein ſolches ausgethanes Kind koſtet dero - wegen ſehr viel, und bekommet dennoch nur ſelten die Pflege, welche ein eheliches Kind von ſeinen Eltern hat, es ſey denn, daß man ſolche auſſerordentliche Koſten an - wenden kann, als reiche Eltern an Am - men wenden, bey welchen dennoch die muͤt - terliche Aufſicht ſehr heilſam bleibet.
Da ich die vorſtehende BetrachtungAnmer - kung uͤber Apoſtelg. C. 15. v. 29. ausarbeitete, bin ich auf eine genauere Unterſuchung zwoer Schriftſtellen gezo - gen worden, wobey mir die Gedanken und Erlaͤuterungen eingefallen, welche zwar vielleicht ſchon in zehn andern Buͤchern ſte - hen, indeſſen aber, wenn ich anders nach meiner ſehr eingeſchraͤnkten Beleſenheit ur - theilen darf, nicht ſo gemein ſind, daß ich ihnen hier nicht einen Platz einraͤumen, und den Gelehrten zu einer neuen Pruͤfung vor - legen duͤrfte.
Als ich den Ausſpruch Chriſti uͤber die Eheſcheidung betrachtete, worinne der Hu - rerey als einer guͤltigen Urfache der Eheſchei - dung Erwaͤhnung gefchiehet, wurden meine Gedanken auf den Schluß der Apoſtel, wel - chen wir Apoſtelg. C. 15. v. 29. leſen, geleitet, wo die Hurerey neben Dinge geſetzet wird,X 2welche324welche nur mit dem Ceremonial - und buͤr - gerlichen Geſetz der Juden ſtreiten*)Es ſtehet daſelbſt eben daſſelbige Wort, deſſen ſich unſer Heiland Matth. C. 19. v. 9. bedienet, naͤmlich πορνεία.. Die Apoſtel hielten eine Verſammlung uͤber ei - ne Frage, welche bey der erſten Ausbrei - tung des Chriſtenthums ſehr vielen Zwie - ſpalt verurſachet hat. Es waren naͤmlich einige Bekehrte von der Secte der Phari - ſaͤer, welche lehreten, die Chriſten aus dem Heidenthume muͤßten ſich beſchneiden laſſen, und das Geſetz des Moſes halten, ſonſt koͤnnten ſie nicht ſelig werden. Pau - lus und Barnabas widerſtanden dieſer Lehre, und behaupteten, daß mit dem Chriſtenthume die Ceremonien und buͤrger - lichen Geſetze, ſo Moſes verordnet, voͤllig aufgehoben waͤren. Hieruͤber entſtand auch zu Antiochia ein nicht geringer Zank, und man wurde eins, nach Jeruſalem zu reiſen, und die daſelbſt ſich aufhaltenden Apoſtel und Aelteſten daruͤber zu befragen. Dieſe verſammleten ſich, und man ſtritt recht heftig uͤber dieſe Frage. Endlich aber wurde der Schluß gemacht, und an die Gemeinen uͤberſchrieben, daß ſie ſich an das Ceremonial - und buͤrgerliche Geſetz des Mo - ſes nicht binden ſollten, auſſer folgende vier Stuͤcke moͤchten ſie noch beobachten. Sie moͤchten ſich enthalten vom Goͤtzenopfer und vom Blute, und vom Erſtickten, undvon325von Hurerey*)Apoſtelgeſch. C. 15. v. 28. 29.. Jch habe mich ſchon ſeit vielen Jahren nicht uͤberreden koͤnnen, daß hier von dem groben und allezeit ſuͤndhaften Laſtern der Hurerey die Rede ſey. Es wurde ja hier nicht uͤber Dinge geſtritten, welche das Sittengeſetz angehen, ſondern man befragte ſich uͤber Stuͤcke, die zum Moſaiſchen Ceremonial - und Buͤrgergeſetz gehoͤreten. Es kann auch nicht ſeyn, daß die, ſo hier einander widerſprachen, uͤber ſittliche Dinge in einen heftigen Streit haͤt - ten gerathen koͤnnen. Wer waren denn ei - gentlich die beyden Partheyen, ſo hier mit ein - ander uneinig waren? Auf der einen Sei - te ſtunden Paulus und Barnabas, und auf der andern Chriſten aus der Secte der Phariſaͤer. War denn zwiſchen dieſen die Frage moͤglich, ob Unzucht erlaubet waͤre? Man zweyete ſich uͤber Lehren, ſo Paulus und Barnabas den Heiden vortrugen, in - dem ſie die Bekehrten aus denſelben von der Beobachtung des Juͤdiſchen Kirchen - und Buͤrgergeſetzes frey ſprachen und be - haupteten, daß ſie ohne ſelbiges zu halten ſelig werden koͤnnten. Da nun uͤber Lehren gefraget wurde, ſo Paulus und Barna - bas vortrugen, ſollten denn dieſe Maͤnner den Heiden, welche ſie bekehrten, die Hu - rerey noch zugeſtanden haben? Wir wuͤr - den die ſtrafbareſten Laͤſterer dieſer heiligen Zeugen Jeſu ſeyn, wenn wir ſie deſſen be -X 3ſchul -326ſchuldigen wollten. Es kann alſo hier un - moͤglich die Frage vorgekommen ſeyn, ob den Chriſten aus dem Heidenthume die Hu - rerey nachzuſehen. Jch finde auch nicht, wie in der Antwort auf die entſtandene Streitfrage der Erhaltung von der Unzucht gedacht werden koͤnne. Wuͤrde man da - durch nicht zu verſtehen gegeben haben, als wenn Paulus und Barnabas nicht genug wider dieſes Laſter geeifert haͤtten? Soll - ten aber die uͤbrigen Apoſtel ſie deſſen zu beſchuldigen Urſache gehabt haben? Es hat ſolches nicht die geringſte Wahrſcheinlich - keit. Wollte jemand ſagen, es iſt die Warnung fuͤr der Hurerey nur mit ange - haͤnget worden, weil die Menſchen zu die - ſem Laſter am leichteſten gebracht werden; ſo antworte ich, daß Zorn, Rachbegierde, Luͤgen, Falſchheit und Betrug eben ſo ge - mein und noch gemeiner ſeyn, zu dem wuͤr - den die Apoſtel ihrer Abſicht ganz entgegen gehandelt haben, wenn ſie die Hurerey ne - ben ſolche Dinge geſetzet, davon ſich die Chriſten nicht auf immer, ſondern nur ſo lange enthalten ſollten, als ſie ſchwache Bruͤder neben ſich haͤtten, die ſich an der - gleichen ſtoßten. Denn daß dieſer Schluß der Apoſtel, was die erſten drey Stuͤcke betrifft, kein beſtaͤndiges Geſetz unter den Chriſten hat ſeyn ſollen, iſt vollkommen klar. Paulus hat gnugſam bezeuget, daß die Enthaltung von dem Goͤtzenopfer, d. i. von327von dem Fleiſche, davon Heiden denen Goͤ - tzen einen Theil geopfert hatten, und die Enthaltung vom Blute und Erſtickten nicht weiter gehen ſollte, als wenn ſolches Eſſen einem ſchwachen Bruder zum Anſtoß ge - reichete*)Roͤm. C. 14. v. 1-4. 14-23. 1 Cor. C. 8. C. 10. v. 25-31. Col. C. 2. v. 16.. Wenn nun die Apoſtel die Hurerey neben ſolche Dinge geſetzet haͤtten, deren man ſich nur bey ſchwachen Bruͤdern enthalten ſollte; wuͤrde ſolches der Abſicht der Apoſtel gemaͤß geweſen ſeyn, und den Chriſten wider dieſes Laſter einen beſondern Eindruck gegeben haben? Wie leicht haͤtte nicht jemand dieſes Laſter zu denen Dingen zaͤhlen koͤnnen, die man nur in Gegenwart ſchwacher Chriſten meiden muͤßte? Dieſes aber haͤlt mich ab, hier unter dem Worte, ſo durch Hurerey uͤberſetzet iſt, eine Unrei - nigkeit zu ſuchen, die wider das allgemei - ne Sittengeſetz iſt, ſondern ich finde mich bey Erwaͤgung dieſer Umſtaͤnde recht ge - zwungen zu glauben, daß hier von einer Unreinigkeit die Rede ſey, welche nur mit dem buͤrgerlichen und Ceremoniengeſetz der Juden ſtreitet**)Der beruͤhmte Herr Hofrath Michaelis zu Goͤttingen, iſt durch eben dieſe Gruͤnde bewogen worden, unter dem Worte πορνεία etwas anderes als Hurerey zu ſuchen, und muthmaſſet, daß darunter ein Hurenlohn verſtanden werde, welches entweder imGelde. Was aber fuͤr eineX 4Unrei -328Unreinigkeit zu verſtehen, weiß ich nicht mit Gewißheit zu beſtimmen. Jch muth - maſſe aber, daß die Apoſtel dadurch viel - leicht auf eine verdeckte Weiſe denjenigen Umgang mit einer Frau, die nach dem Levitiſchen Geſetz unrein geweſen, welcher 3 B. Moſ. C. 15. v. 19-23. verbothen wor - den, widerrathen wollen. Das Wort πορνεία bedeutet alle unerlaubte Vermi - ſchung, und die Umſtaͤnde muͤſſen beſtim - men, welche Art jederzeit gemeynet werde. Der**)Gelde oder auch Eßwaaren beſtanden, und es werde vielleicht vornehmlich auf ein ſol - ches Hurenlohn gezielet, welches bey eini - gen heidniſchen Tempeln zur Ehre gewiſſer Gottheiten und zu Unterhaltung ihrer Prie - ſter verdienet wurde, und zu den Goͤtzen - opfern gerechnet werden koͤnnte. Man fin - det dieſe Muthmaſſung in ſeiner Paraphra - ſis und Anmerkungen die kleinern Briefe des Paulus S. 56. Es iſt dieſe Muth - maſſung ſchon von dem beruͤhmten Heinſio vorgetragen, wie in Spenceri Leg. Hebr. ritual. L. II. C. I. S. II. zu erſehen, und nicht ohne alle Wahrſcheinlichkeit. Da es aber in Dingen, wo wir nicht weiter als zu Wahrſcheinlichkeiten kommen koͤnnen, zu Zeiten ganz nuͤtzlich, mehrere Muthmaſſun - gen bey einander zu haben, davon dem ei - nen dieſe einem anderen aber jene am meh - reſten beruhiget, ſo habe eine andere dem Urtheile der Gelehrten unterwerfen wollen, welche der gewoͤhnlichen Bedeutung des Wortes πορνεία ſcheinet naͤher zu kommen.329Der Talmud lehret aber, was fuͤr eine geringe Anzeige vom Blute eine Frau nach den Aufſaͤtzen der Juden unrein gemacht.
Die zwote Schriftſtelle, zu deren naͤ -Anmer - kung uͤber 1 Tim C. 3. v. 2. 12. hern Betrachtung die vorſtehende Abhand - lung mir Gelegenheit gegeben, ſind die beyden Regeln, nach welchen ein Biſchoff und ein Kirchendiener, Eines Weibes Mann und eine Diaconiſſinn, dergleichen man bey den erſten Gemeinden hatte, Eines Mannes Weib ſeyn ſollte*)1 Tim. C. 3. v. 2. 12. C. 5. v. 9.. Es iſt be - kannt, daß von dieſen Regeln verſchiedene Auslegungen gemacht worden. Einige meynen, es werde durch die erſte den Bi - ſchoͤffen und Kirchendienern die Vielweibe - rey, oder aber auch eine leichtſinnige Schei - dung von der erſten Frau, und die Ver - heirathung mit einer andern verbothen, und andere gehen ſo weit, daß ſie glauben, es ſey einem Biſchoffe oder Geiſtlichen unter - ſaget, auch alsdenn zu einer abermaligen Ehe zu ſchreiten, wenn die erſte Frau ge - ſtorben, oder um einer rechtmaͤſſigen Ur - ſache willen geſchieden worden. Bey der zwoten Regel theilet man ſich ebenfalls in verſchiedene Meynungen. Einige ſagen, es werden diejenigen Wittwen von dem Amte der Diaconiſſinnen ausgeſchloſſen,X 5welche330welche durch eine verurſachte Eheſcheidung und eine anderweitige Heirath zweene Maͤn - ner zugleich am Leben gehabt, und andere meynen, daß auch eine zwote Heirath nach des erſten Mannes Tode zu dieſem Amte untuͤchtig gemacht habe. Will man Ge - ſetze recht verſtehen, und ihre wahre Abſicht erreichen, muß man ſich genau von den Umſtaͤnden der Zeit und des Ortes unter - richten, da ſie ſind gegeben worden. Es war aber damals in denen Gegenden, wo ſich das Chriſtenthum ausbreitete, die Vielweiberey entweder gar nicht, oder doch gar ſelten. Denn erſtlich hatten diejenigen nur Eine Frau, welche nach Roͤmiſchen Geſetzen lebten. Zweytens war die leicht - ſinnige Scheidung ſo gemein worden, daß die Maͤnner nicht nur die Frauen von ſich ſchieden, ſondern auch die Frauen ganz haͤufig ihre Maͤnner verlieſſen. Wo aber dieſes Laſter eingeriſſen iſt, da faͤllt die Vielweiberey von ſelber, wenigſtens groͤß - tentheils hinweg. Denn ſo wol Mann als Frau werden ſich lieber ſcheiden, als die groſſen Unbequemlichkeiten ertragen, wel - che die Vielweiberey mit ſich fuͤhret, und nothwendig aus der dem Menſchen ſo na - tuͤrlichen Eiferſucht vornehmlich entſprin - gen. Drittens hat die Vielweiberey, auch an den Orten, wo ſie gewoͤhnlich iſt, nur bey vornehmen und beguͤterten Perſonen ſtatt, den uͤbrigen unterſaget ſie ſich vonſelbſten,331ſelbſten, weil ſie weder viele Frauen kau - fen noch ernaͤhren koͤnnen. Die Vorneh - men und Reichen aber flohen damals den Eheſtand, und ergaben ſich einer ungebun - denen Wolluſt. Der Kaiſer Auguſtus fand die wenigſten Roͤmiſchen Ritter ver - heirathet, als er ihnen, die oben angefuͤhr - te Rede hielt*)Allgemeine Welthiſtorie Th. XII. S. 172., und wie viele Anſtalten mußte man nicht machen, um uͤberhaupt die Buͤrger des Roͤmiſchen Reichs zu ei - nem ehelichen Leben aufzumuntern? Und darf man wol zweifeln, daß andere Natio - nen, ſo unter den Roͤmern ſtanden, dem - jenigen gefolget, was ſie an den vorneh - men Roͤmern ſahen? Konnten ſelbige ſich aber kaum und nach vieler Ueberredung erſt entſchlieſſen Eine Frau zu nehmen, ſo wird die Vielweiberey in dem Roͤmiſchen Staate hoͤchſt ſelten geweſen ſeyn. Am wenigſten aber wird ſich dergleichen unter denen gefunden haben, welche ſich damals zu einem Biſchoffsamte gebrauchen laſſen. Die Vielweiberey iſt in bevoͤlkerten Rei - chen uͤberhaupt nur bey beguͤterten Perſo - nen, und daher groͤßtentheils nur bey vor - nehmen Bedienten des Staates und bey reichen Kaufleuten moͤglich. Jſt es aber glaublich, daß ſich leicht jemand von die - ſen in den damaligen fuͤr einen Chriſtli - chen Geiſtlichen ſo gefaͤhrlichen Zeiten wer -de332de zu einem Lehramte begeben haben? Wir leben jetzo in geruhigen Zeiten, und wer widmet ſich in denen Laͤndern, wo die Geiſtlichen keine reiche Pfruͤnden mehr ha - ben, zu dem geiſtlichen Stande? Groͤß - tentheils ganz arme Leute, und man findet unter hundert geiſtlichen Candidaten noch nicht allezeit einen, der Mittel haͤtte, und ſolcher, die fuͤr zwo oder drey Frauen hinlaͤngliche Reichthuͤmer beſaͤſſen, trifft man unter tauſend nicht allezeit einen an. Sollte alſo Paulus wol noͤthig gefunden haben, die Regel einzuſchaͤrfen, daß nie - mand, der in der Vielweiberey lebte, zu einem Kirchenamte genommen werden ſoll - te? Es iſt ohnedem nicht wahrſcheinlich, daß, wenn Paulus bey der Regel, welche er wegen der Biſchoͤffe und Kirchendiener gegeben, auf eine ganz andere Unordnung gezielet, als bey der Regel, welche er we - gen der Diaconiſſinnen ertheilet, er ſich in beyden auf eine ganz aͤhnliche Art wuͤrde ausgedrucket haben. Da er aber beyde Regeln auf eine aͤhnliche Art abgefaſſet, und es von den Biſchoͤffen und Kirchendie - nern heiſſet, ſie ſollen Eines Weibes Mann, und die Diaconiſſinnen Eines Mannes Weib ſeyn, ſo iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß dieſes Geſetz einer Unordnung entge - gen geſetzet worden, welche beyden Ge - ſchlechtern gemein geweſen. Nun aber war die Vielmaͤnnerey in denen Laͤndern,wo333wo damals das Chriſtenthum gepflanzet wurde, gar nicht gewoͤhnlich und erlaubt, folglich waͤre es vergeblich geweſen, dieje - nigen von dem Amte der Diaconiſſinnen auszuſchlieſſen, welche mit vielen Maͤn - nern zugleich in einer Ehe gelebet. Es iſt daher auch nicht muthmaßlich, daß die erſte Regel der Vielweiberey entgegen ge - ſetzet ſey. Noch weniger iſt wahrſchein - lich, daß Paulus diejenigen von Kirchen - aͤmtern ausſchlieſſen wollen, welche nach dem Tode des erſten Ehegatten zu einer zwoten Heirath ſchreiten. Paulus hat ja ſelber in einem ſolchen Falle jungen Leu - ten eine zwote Verehelichung ſehr ernſtlich angerathen*)1 Tim. C. 5. v. 14., und ſelbige folglich weder fuͤr unerlaubt noch unanſtaͤndig gehalten. Und warum ſollte hier die Regel nicht ſtatt finden, welche Paulus als eine ganz allge - meine Regel 1 Cor. C. 7. v. 9. ausgedruͤ - cket? Man ſaget: wer zu einer zwoten Ehe ſchreitet, verraͤth ein wolluͤſtiges Ge - muͤth, und dieſes ſchicket ſich nicht fuͤr eine geiſtliche Perſon. Allein man zeige mir doch, warum man dieſes nicht eben ſo gut der erſten Verehelichung entgegen ſetzen koͤnne? Warum ſoll derjenige weniger wolluͤſtig ſcheinen, der dreyſſig Jahre mit Einer Frau in einer Ehe lebet, als derje - nige, der nach dem Tode der erſten Ehe - gatten eine zwote nimmt, und mit beydenviel -334vielleicht kaum zwanzig Jahre zubringet? Und warum ſollen eben Geiſtliche einem Triebe nicht folgen, der in der menſchli - chen Geſellſchaft einer von den noͤthigſten und nuͤtzlichſten iſt, wenn es in ſeiner Ord - nung geſchiehet? Wir muͤſſen dem aller - weiſeſten Beherrſcher kein Geſetz andich - ten, welches gar keinen Grund und weiſe Abſicht hat. Es giebet Faͤlle, da einem Geiſtlichen die erſte Frau wenige Wochen nach der Heirath wieder abſtirbet. Wenn derſelbe ſich nun wieder verehelichet, ſollte es denn auch moͤglich ſeyn, daß der Wei - ſeſte, der alle Dinge nach ihrer wahren Beſchaffenheit betrachtet, die erſte Hei - rath als gut, und die zwote als ſchaͤnd - lich anſehen koͤnnte? Jch trete alſo denen bey, welche glauben, daß obige Regeln wider die damals ſo ſehr eingeriſſene Ge - wohnheit der Ehegatten ſich von einander zu ſcheiden und anderwaͤrts zu verheirathen gerichtet ſeyn, und verordnen, daß nie - mand, der ſich auf ſolche Art geſchieden, und viele Maͤnner oder mehrere Frauen ge - habt, ein geiſtliches Amt bekleiden ſolle. Wie es damals unter den Roͤmern mit den Ehen ausgeſehen, kann folgende Stelle des beruͤhmten Seneca, welcher eben lebete, da das Chriſtenthum ſeinen An - fang nahm, am deutlichſten beweiſen. Er ſchreibet*)Lib. III. de Beneficiis Cap. XVI. : „ Erroͤthet jetzo auch„ irgend335„ irgend eine Frau fuͤr der Scheidung, „ nachdem einige vornehme und edle Frauen „ ihre Jahre nicht nach der Anzahl der Buͤr - „ germeiſter, ſondern ihrer Maͤnner zaͤhlen? „ Sie gehen von ihrem Manne, um wieder „ zu heirathen, und vermaͤhlen ſich um ſich „ wieder zu ſcheiden. Man ſcheuete dieſes „ ſo lange als es rar war — — — —*)Jch habe hier eine Zeile auſſen gelaſſen, weil ſie zu meinem Zwecke nicht noͤthig iſt, und von verſchiedenen meiner Leſer nicht wuͤrde ſeyn verſtanden worden, wenn ich ihr nicht eine weitlaͤuftige Erlaͤuterung aus den Roͤ - miſchen Alterthuͤmern beygefuͤget haͤtte. „ Schaͤmet man ſich auch im geringſten des „ Ehebruchs, nachdem es dahin kommen „ iſt, daß keine einen Mann hat, als nur „ damit ſie einen Ehebrecher reizen moͤge? „ Die Keuſchheit iſt ein Beweis der Haͤß - „ lichkeit. Wo findet man eine ſo ſchlechte „ und ſchmutzige Frau, daß ihr Ein Paar „ Ehebrecher genug waͤren? Die nicht ei - „ nem nach dem andern ihre Stunden zu - „ getheilet? Und ein Tag reichet nicht fuͤr „ alle. Die ſich nicht bey einem andern (in „ ſeinen Spatziergaͤngen) fahren oder tragen „ laſſen, und bey einem andern (zum Eſſen „ oder vielleicht auch noch laͤnger) geblieben? „ Diejenige iſt einfaͤltig, (weiß ſich nicht „ der jetzigen Lebensart zu bedienen,) und iſt „ von der alten Welt, die nicht wiſſe, daß„ die336„ die Ehe ein einziger (beſtaͤndiger) Ehebruch „ genannt werde. Aller Schaam uͤber der - „ gleichen Verbrechen iſt verſchwunden. „ So ſchildert Seneca, ein heidniſcher Welt - weiſe, die Ehen ſeiner Zeit unter den Roͤ - mern ab. Daß es bey den Juden nicht beſſer hergegangen, erhellet ſowol aus der Frage, ſo dem Heilande wegen der Ehe - ſcheidung vorgeleget worden, als auch aus dem Exempel der Herodias*)Matth. C. 19. v. 3-9. Cap. 14. v. 3. 4.. Was wird nun in dieſen Umſtaͤnden Eines Wei - bes Mann und Eines Mannes Weib bedeuten? Gewiß nach den boͤſen Gewohn - heiten der damaligen Zeit nichts anders, als ſolche Perſonen, die ſich von ihrem Ehegatten nicht leichtſinniger Weiſe ge - ſchieden und zu einem andern gelaufen. Es iſt hieran deſtoweniger zu zweifeln, da die Roͤmer denjenigen Eines Weibes Mann nannten, der ſich von ſeiner Frau nicht geſchieden, und eine andere an ihre Stelle genommen**)Clericus in Notis ad Hammondi Paraphra - ſin, ad 1 Tim. III. .
Der groͤßte Theil dieſer Abhand -Vorbericht. lung iſt ſchon vor eilf Jahren aufgeſetzt geweſen. Da aber bald darauf die ſehr gelehrte Ab - handlung des Herrn Hofrath Michaelis von den Ehegeſetzen Moſis, welche die Heirathen in die nahe Freundſchaft un - terſagen, herausgekommen, habe Beden - ken getragen, meinen Aufſatz dem Drucke zu uͤberlaſſen, weil ich befuͤrchtet, es moͤch - ten es einige als einen gelehrten Eigenſinn anſehen, wenn noch einer Meynung nach - hienge, welche der Herr Hofrath Michae - lis mit ſo vielen Gruͤnden und Beredſam - keit beſtritten. Es iſt daher der groͤßte Theil dieſes vierten Theils meiner Betrach - tungen ſchon abgedruckt geweſen, ehe mich habe entſchlieſſen koͤnnen, denen guten Freunden nachzugeben, welche mir folgen - des vorgeſtellet. Der eigentliche JnhaltJac. Betr. 4. Band. Yund338und die Abſicht dieſer Ehegeſetze waͤre noch nicht in ein ſolches Licht geſetzet, daß man nun billig aufhoͤren muͤßte, ſie weiter zu unterſuchen. Sie haͤtten noch einige Dun - kelheiten, und ſchaffte meine Abhandlung ihnen auch nicht unmittelbar eine mehrere Aufklaͤrung, ſo koͤnnte es doch vielleicht mittelbar geſchehen, wenn etwa andere dadurch veranlaſſet wuͤrden, dieſer Sache noch weiter nachzudenken. Jch habe mich durch dieſe Vorſtellung bewegen laſſen, dieſen meinen Aufſatz noch gemein zu ma - chen. Jch hoffe, ich werde bey denen, die anders denken, als ich, deſto ehender Nachſicht finden, da ich den groͤßten Theil derſelben nur noch fuͤr Muthmaſſungen halte, deren Entſcheidung der Folge der Zeit uͤberlaſſe.
Den Anfang dieſer Betrachtung muß mit der Erklaͤrung des erſten Geſetzes wider die Ehen in naher Freundſchaft machen, wel - ches wir im 3 B. Moſ. C. 18. v. 6. finden. Die daſelbſt ſtehenden Worte lauten nach dem Hebraͤiſchen alſo: Gar niemand ſoll ſich zu irgend einem Fleiſche ſeines Flei - ſches nahen, deſſen Bloͤſſe aufzudecken: Jch bin der Herr. Man zweyet ſich bey dieſem Geſetze, welches mir ſo ſehr deutlich vorkommt. Jedoch vielleicht iſt eine Un - wiſſenheit in den Morgenlaͤndiſchen Spra -chen339chen eine Urſache, daß ich die Zweydeutig - keit und Dunkelheit nicht einſehe, die an - dere hier finden. Es iſt eine von allen ein - geſtandene Sache, daß die Hebraͤer zu ih - ren naͤchſten Blutsfreunden ſagen: Du biſt mein Fleiſch, Man leſe hiervon nur fol - gende Exempel 1 B. Moſ. C. 29. v. 14. C. 37. v. 27. Was wird alſo bey den Hebraͤern Fleiſch meines Fleiſches, oder Fleiſch von meinem Fleiſche ſeyn? Was ſagen jene Worte Adams? Das iſt doch Fleiſch von meinem Fleiſche. Zei - gen ſie etwas anders an, als dieſes? Die Gattin, ſo Gott mir gegeben, iſt von mei - nem Fleiſche, ſie ſtammet unmittelbar von meinem Fleiſche ab; ſie iſt von mir genom - men. Jch meyne daher, der Sinn des obigen Geſetzes ſey: Gar niemand ſoll ſich zu demjenigen nahen, der unmit - telbar von ihm abſtammet, um ſich fleiſchlich mit ihm zu vermiſchen, oder: Gar niemand ſoll ſeinen Kindern bey - wohnen*)Das Wort Scheer, welches ich hier Fleiſch uͤberſetze, kommt verſchiedentlich in der Bi - bel vor, und man iſt darinne einſtimmig, daß es an den mehreſten Orten Fleiſch heiſſe. Die aͤlteſten und neuern Ueberſetzer, haben es daher auch in den mehreſten Stel - len alſo uͤberſetzet. Wenn ich hier aber die Stellen zaͤhle, ſo nenne ich das ganze acht - zehnte Capitel des 3 B. Moſ. nur Eine Stelle, ob obiges Wort gleich einigemaldarinne.
Man hat in den Ehegeſetzen des Mo - ſes, oder vielmehr Gottes dieſes Verbothver -*)darinne vorkommt, indem es immer in ei - nerley Abſicht und Umſtaͤnden gebraucht wird. Es haben aber nicht wenige unſerer Theologen das Wort Scheer mit dem Worte Schear vermiſcht, und haben ohne einem entſcheidenden Grund dem erſten Worte auch die Bedeutung des letztern beygelegt, als mit welchem dasjenige bezeichnet wird, was wir Deutſchen ein Ueberbleibſel, ein Stuͤck, einen Theil nennen. Sie uͤberſetzen dero - wegen obiges Geſetz alſo: Niemand ſoll ſich mit einem Theile ſeines Fleiſches fleiſchlich vermiſchen, und erklaͤren dieſes alſo: Niemand ſoll ſeinen naͤchſten Bluts - freunden ehelich beywohnen. Der in den morgenlaͤndiſchen Sprachen alle ſeine Vorgaͤnger weit uͤbertreffende Herr Hofrath Michaelis, haben dieſe Er - klaͤrung in der Abhandlung von den Ehe - geſetzen Moſis S. 128. 129. aus ihrer weitlaͤuftigen Sprachkunde naͤher aufzuklaͤ - ren und zu erweiſen geſuchet. Die Ueber - ſetzung der Worte Scheer Beſaro durch Fleiſch ſeines Fleiſches verwerfen ſie, weil nach der Gewohnheit der Hebraͤer in ſolchem Fal - le ſtehen wuͤrde Beſar Beſaro. Es iſt an dem, daß die Hebraͤer in einem ſolchen Falle einerley Wort zweymal ſetzen, z. E. Gott der Goͤtter, Koͤnig der Koͤnige, Herr der Herren. Jndeſſen iſt es doch auch nicht ohne Exempel, daß ein Hebraͤer in einem ſolchen Falle zwey verſchiedene Woͤrter ge - braucht. So druckt Daniel dasjenige, wasihm341vermiſſet, und nach Urſachen geforſchet, warum ſelbiges ausgelaſſen worden, undY 3vorzuͤg -*)ihm der Koͤnig Nebucadnezar geantwortet, in dem Chaldaiſchen Dialect alſo aus: Es iſt kein Zweifel, euer Gott iſt ein Gott der Goͤtter und ein Herr der Koͤnige, Ma - re Malchin, anſtatt Melech Malchin, Koͤ - nig der Koͤnige. Dan. C. 2. v. 47. Dieſe Urſache ſcheinet mir alſo nicht uͤberwiegend, die hinlaͤnglich bewieſene Bedeutung des Wortes Scheer zu verlaſſen. Der Herr Hofrath ſchlieſſen ferner aus der aͤhnlichen Abſtammung des Hebraͤiſchen Scheer und des Arabiſchen Sur und Sura, daß Scheer eben das bedeute, was Sur und Sura im Arabiſchen ausdruckt, naͤmlich das von der Mahlzeit uͤbrig gebliebene, ein Stuͤck Eſ - ſens und denn uͤberhaupt ein Stuͤck einer Sache. Allein es werden der Herr Hofrath, welchen nicht nur als einen der groͤßten Ge - lehrten, ſondern auch als einen vieljaͤhrigen Goͤnner verehre, es mir zu gute halten, wenn hierbey folgenden Zweifel aͤuſſere. Es ſcheinet mir, als wenn die Hebraͤer hier dasjenige mit zwey Worten ausdrucken, was die Araber unter Einem zuſammen faſſen. Die Deutſchen Woͤrter, das uͤbrig - gebliebene, ein Stuͤck drucket der Hebraͤer mit dem Worte Schear aus, und die Woͤr - ter, Fleiſch, Nahrungsmittel mit dem Worte Scheer. Mich beruhiget wenigſtens der Schluß nicht: weil das Arabiſche Sura beydes bedeutet, was die Hebraͤer durch Schear und Scheer anzuzeigen pflegen, ſo bedeutet Scheer auch zugleich dasjenige, was ſonſt durch Schear ausgedruckt wird.342vorzuͤglich dieſe angegeben: es ſey die Ver - miſchung der Eltern mit den Kindern ſo unnatuͤrlich, daß es nicht noͤthig geweſen, dieſerwegen ein Geſetz zu geben. Allein die Vermiſchung mit Enkeln ſcheinet mir noch unnatuͤrlicher und unanſtaͤndiger zu ſeyn, und dennoch iſt ein ausdruͤckliches Verboth dieſerwegen im zehnten Verſe vorhanden. Es iſt daher gar nicht wahr - ſcheinlich, daß der Vermiſchung der El - tern mit den Kindern gar nicht ſollte ge - dacht ſeyn. Warum iſt aber das Wort Kinder oder Sohn und Tochter nicht ge - braucht worden, ſondern die Woͤrter Fleiſch ſeines Fleiſches, das iſt: Fleiſch von ſeinem Fleiſche? Man bemerke, es ſtehet im Hebraͤiſchen: keiner nahe ſich zu irgend einem Fleiſche ſeines Fleiſches, oder zu irgend jemanden, der unmittelbar von ihm abſtammet. Jch erklaͤre dieſes aus folgendem. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß ein jeglicher Jude, wenn er auſſer der Ehe ein Kind gezeuget, ſelbiges allezeit unter ſeine ehelichen Kinder und Erben werde aufgenommen haben, beſonders in einem ſolchen Falle als 2 B. Moſ. C. 22. v. 16. 17. beſchrieben iſt. Jſt ferner die Juͤdiſche Ueberlieferung richtig, die der Rabbi Maimonides aufgezeichnet*)Jn dem Jad Chaſaka Lib. V. Statut. I. , ſo wurden die Kinder, welche ein Judemit343mit einer Heidin zeugte, nicht fuͤr Kinder geachtet. Gott wollte aber, daß ſich auch mit ſolchen Kindern, die ſie nicht unter ih - re Erben zaͤhleten, niemand fleiſchlich ver - miſchen ſollte. Derowegen faßte er dieſes Geſetz mit ſolchen Worten ab, welche alle diejenigen auf das deutlichſte bezeichneten, die von jemanden unmittelbar ab - ſtammeten.
Nimmt man an, daß in dem ange -Mehrere Beſtaͤti - gung des vorigen. fuͤhrten Geſetze die Ehen und fleiſchlichen Vermiſchungen der Eltern mit den Kindern oder eigentlicher, da alle dieſe Geſetze an das maͤnnliche Geſchlecht gerichtet ſind, die Ehen der Vaͤter mit ihren leiblichen Toͤch - tern verbothen worden; ſo ergiebet es ſich, daß keines von den erſten und wichtigſten Geſetzen dieſer Art ausgelaſſen ſey, und es zeiget ſich alsdenn die genaueſte Ordnung in denſelben. Das erſte Geſetz iſt als - denn: kein Vater nahe ſich zu ſeiner Toch - ter ihr beyzuwohnen. Das zweyte iſt: kein Sohn nahe ſich zu ſeiner Mutter ihr beyzuwohnen. Wer nur das geringſte vom Hebraͤiſchen verſtehet, weiß, daß dieſes Geſetz koͤnne alſo uͤberſetzet werden: du ſollſt deines Vaters, das iſt deiner Mutter Bloͤſſe nicht aufdecken: und werden Zu - ſatz betrachtet: denn es iſt deine Mutter, der wird uͤberzeuget werden, daß es muͤſſeY 4alſo344alſo uͤberſetzet werden, und daß dieſes Ge - ſetz folglich die eheliche Verbindung eines Sohnes mit der leiblichen Mutter unter - ſage. Das dritte Geſetz verbietet die Vermiſchung mit der Stiefmutter, und ſo weiter.
Da ſo viele groſſe Gelehrte annehmen, daß das bisher betrachtete erſte Geſetz, ein allgemeiner Ausſpruch, und der Grund der folgenden Ehegeſetze und des Jnhalts ſey: Niemand ſolle ſeinen naͤchſten Ver - wandten ehelich beywohnen; ſo habe mir alle Muͤhe gegeben, mich von eben dieſer Meynung zu uͤberreden. Allein bis anjetzt finde einen noch zu ſtarken Widerſtand, derſelben beyzutreten. Es muͤßten alsdenn alle diejenigen Ehen verbothen ſeyn, welche denen ausdruͤcklich unterſagten in der Ver - wandſchaft aͤhnlich waͤren. Dieſes iſt aber gerade gegen den Buchſtaben dieſer Ge - ſetze. Die Ehe mit der verſtorbenen Frauen Schweſter iſt im 18 v. ſo deutlich er - laubet, als nur immer etwas erlaubet wer - den kann. Die Ehe mit des Mannes Bruder aber iſt verbothen, da doch in bey - den Ehen zwiſchen den Ehegatten einerley Verwandſchaft*)Man leſe dieſes weitlaͤuftiger ausgefuͤhret in des Herrn Hofrath Michaelis Abhand - lung von den Ehegeſetzen Moſis. §. 79. 80.. Ferner iſt mir mei -nes345nes Vaters oder Mutter Stieftochter eben ſo nahe verwandt, als meines Vaters Brudern Frau. Meine Stiefſchweſter darf ich nach aller Geſtaͤndniß ehelichen, dieſe letztere aber zu heirathen war den Jſrae - liten verbothen. Es iſt noch eine Urſache vorhanden, warum ich das erſte Geſetz im ſechſten Verſe nicht als den Grund der uͤbrigen Geſetze gegen die Ehen in naher Verwandſchaft anſehen kann, man mag die daſelbſt ſtehenden Worte von aller na - hen Verwandſchaft, oder nur von nahen Blutsfreunden erklaͤren. Denn ſonſt muͤßte hier beſtimmet ſeyn, wie weit die Verwandſchaft nahe genannt wuͤrde. Wenn dieſes aber auch waͤre, ſo moͤchte ich doch dem allerweiſeſten Weſen keine ſolche Art des Grundes ſeiner Geſetze bey - legen, die man einem menſchlichen Geſetz - geber nicht zu gute halten wuͤrde. Was wuͤrden wir urtheilen, wenn jemand auf folgende Art die Wilddieberey verboͤthe. Niemand, als die dazu beſtellten Jaͤger, ſoll irgend ein Wild erlegen. Nie - mand ſoll einen Hirſch erlegen, denn es iſt ein Hirſch und folglich ein Wildpret. Niemand ſoll eine Sau erlegen, denn es iſt ein ſchwarzes Wildpret. Niemand ſoll einen Haſen ſchieſſen, denn es iſt ein Haſe. Niemand ſoll Rebhuͤner fangen oder ſchieſſen, denn es ſind wilde Huͤner. Jch haſſe es aͤuſſerſt, wenn man bey Eroͤr -Y 5terung346terung einer Stelle der heiligen Schrift et - was laͤcherliches mit einflieſſen laͤſſet, und ich habe ſchon als ein junger Menſch dieje - nigen Lehrer nicht ausſtehen koͤnnen, wel - che einen theologiſchen Vortrag, oder wol gar die Auslegung eines goͤttlichen Buches mit allerhand Spaß wuͤrzeten. Jch habe mir derowegen Muͤhe gegeben, ein Exem - pel in dieſer Sache zu finden, das nicht laͤcherlich waͤre; aber ich habe keines finden koͤnnen. Aus dieſer Urſache aber kann ich auch unmoͤglich glauben, daß ſich die von Gott angegebene Urſachen ſeiner Geſetze wider die Ehen unter nahen Verwandten auf das erſte dagegen gegebene Geſetz be - ziehen, und ſelbiges als der Grund der uͤbrigen gegeben waͤre.
Ein gelehrter Freund, welchem meine Ueberſetzung von dem 6 v. des 18 C. des 3 B. Moſ. vorlegte, machte mir einen Zweifel aus dem 25 C. aus dem 48. v. wo eben die Worte ſtehen, die ich durch Fleiſch vom Fleiſche uͤberſetzet, und durch Kin - der, und ganz beſonders durch Toͤchter erklaͤret habe. Mein Freund meynete, an dieſem letzten Orte koͤnnten keine Kinder darunter verſtanden werden, ſondern nur Verwandte. Es wird an dieſer Stelle zum Beſten ſolcher Jſraeliten, die ſich aus Armuth an Fremdlinge, ſo unter ihnenwoh -347wohneten, als Knechte verkaufen mußten, eine Verordnung gemacht. Ein Theil der - ſelben iſt dieſer. Es ſollte ein ſolcher geloͤ - ſet werden koͤnnen von ſeinem Bruder oder Vaters Bruder oder deſſen Soͤhnen, oder von dem Fleiſche ſeines Fleiſches aus ſeiner Familie, oder wenn er auch ſelber ſich ſo viel erwerben koͤnnte, ſollte der Fremdling gehalten ſeyn, einen ſolchen gekauften Jſrae - liten fuͤr ein beſtimmtes Loͤſegeld wieder loszugeben. Es iſt hier zu entſcheiden, wer darunter zu verſtehen: ein Fleiſch von ſeinem Fleiſche aus ſeiner Familie. Luther hat dieſes uͤberſetzet: ſein naͤchſter Blutsfreund ſeines Geſchlechtes. Dieſe Ueberſetzung aber findet gar nicht ſtatt, weil die naͤchſten Blutsfreunde auſſer ſei - nen Kindern ſchon genannt ſind. Denn auf den Vater wird hier gar nicht geſehen, weil vermuthlich zum voraus geſetzet wird, daß wenn ſelbiger im Stande, ſeinem Sohne zu helfen, dieſer nicht zugeben wuͤr - de, daß der Sohn ſich als Knecht ver - kaufte, oder es wird auch zum voraus ge - ſetzt, daß der Vater ſchon geſtorben, oder alt und unvermoͤgend. Es muͤſſen dero - wegen unter obigen Worten Kinder und Enkel oder weitlaͤuftige Verwandte ver - ſtanden werden. Denn haͤtte man auf ei - nen Vater Ruͤckſicht genommen; ſo waͤre ſelbiger vor den Bruͤdern und Vettern ge - nannt worden. Was iſt nun wahrſchein -licher,348licher, daß hier Kinder oder weitlaͤuftige Verwandten verſtanden werden? Blei - ben wir erſtlich bey den Worten ſtehen, ſo bedeutet zwar das Wort, ſo ich durch Fa - milie uͤberſetzet, zu Zeiten auch die Seiten - linie eines Geſchlechtes, zum Exempel, Bruder und deren Kinder 1 B. Moſ. C. 24. v. 38. Die mehreſte Zeit aber, und an faſt unzaͤhligen Stellen bedeutet dieſes Wort die Nachkommen eines Vaters, wie ein jeder in den Geſchlechtsregiſtern des Alten Teſtaments ſehen kann, wo dieſes Wort haͤufig gebraucht wird, und von Luthern durch die Woͤrter Geſchlecht oder auch Nachkommen pflegt uͤberſetzt zu werden. Es wird auch kein Exempel koͤnnen beygebracht werden, da Fleiſch von ſeinem Fleiſche entfernte Verwand - ten anzeigte. Da nun hier aber folgende Woͤrter zuſammen geſetzt werden, Einer von dem Fleiſche ſeines Fleiſches aus ſeiner Familie, und die naͤchſten Seiten - verwandte ſchon genannt ſind; ſo kann ich nichts anders als Kinder und Enkel darun - ter verſtehen. Siehet man ferner auf die Sache ſelber, ſo iſt es wol ein ſehr ſeltener Fall, daß ein alſo verarmter und durch Mangel in die Knechtſchaft gerathener, wenn er von den naͤchſten Verwandten nicht geloͤſet wird, von den entferntern Verwandten ſollte losgekaufet werden. Weit ehender war der Fall moͤglich, daßjemand349jemand von ſeinen Kindern und Enkeln geloͤ - ſet werden konnte. Ein ſolcher Verarmter pflegte ſich nicht allezeit mit ſeiner Frau und Kindern zur Knechtſchaft zu verkau - fen, ſondern er unterzog ſich zu Zeiten die - ſem Schickſal ganz allein, wie aus 2 B. Moſ. C. 21. v. 3. abzunehmen iſt. Es konnte auch ein Sohn eines ſolchen Verarmten ſchon ſein eigenes Gewerbe und Familie haben, ehe der Vater in die Knechtſchaft gieng, und da wird der Sohn nicht mit ihm in die Knechtſchaft gegangen ſeyn. Es war alſo der Fall ſehr wol moͤglich, daß ein Vater, der ſich in die Knechtſchaft ver - kauft, von ſeinen Kindern und Enkeln ge - loͤſet werden konnte. Jſt es daher wol wahrſcheinlich, daß der weiſeſte Geſetzge - ber auf einen weit ſeltenern Fall geſehen, und den viel moͤglichern Fall der Loͤſung zuruͤck gelaſſen habe.
Allein, warum hat der Geſetzgeber derFortſetzung des vori - gen. Kinder nicht vor den Bruͤdern gedacht, da ſelbige doch viel naͤher ſind? Meine Ant - wort iſt dieſe. Der Geſetzgeber nennet diejenigen zuerſt, von welchen die Loͤſung eines verarmten und in die Knechtſchaft gegangenen Verwandten am erſten zu er - warten war. Nun war der Fall oͤfter moͤglich, daß jemand von ſeinen Bruͤdern, Oheim und Vettern geloͤſet werden konnte,als350als von ſeinen Kindern und Enkeln. Es traͤget ſich oͤfter zu, daß ein verarmter Vater wohlhabende Bruͤder und Vettern, als wohlhabende Kinder und Enkel hat. Ja zu Zeiten mußte ein ſolcher Vater mit Frau und Kindern ſich verkaufen, wie aus 2 B. Moſ. C. 21. v. 3. und 3 B. Moſ. C. 25. v. 41 und 54. erhellet. Wenn man dieſes bedenket, ſo ſind in dieſem Geſetze die Stuffen einer moͤglichen Loͤſung ganz rich - tig geordnet. Am erſten war zu erwar - ten, daß einen ſolchen Ungluͤcklichen die Bruͤder, hernach ein Oheim oder deſſen Kinder, alsdenn die eigenen Kinder und Enkel, und endlich er ſich ſelber durch ſehr ſtarke Arbeit ſeiner Haͤnde loͤſete, wenn er mehr arbeiten konnte, als man von einem Knechte zu fordern pflegte.
Ehe ich wieder auf die Geſetze gegen die Ehen in naher Verwandſchaft komme, muß folgendes aus der Geſchichte anfuͤh - ren. Faſt alle Voͤlker, die mir wenig - ſtens naͤher bekannt worden, haben, und zwar von undenklichen Zeiten her, einige Verwandtſchaften bey ihren Ehen vermie - den. So haben faſt alle Voͤlker, von welchen ich etwas geleſen, die Ehen zwi - ſchen leiblichen Eltern und Kindern fuͤr un - anſtaͤndig gehalten. Die allermehreſten enthalten ſich auch der Ehen zwiſchen voll -buͤrti -351buͤrtigen Bruͤdern und Schweſtern*)Jch fuͤhre dieſerwegen nur an Fabricii Bi - bliographiam antiquariam und in derſelben Cap. XX. §. VI. und die Allgemeine Hiſto - rie der Reiſen, in welcher man die Regi - ſter unter der Rubrik Ehe aufſchlagen kann.. Und zwar merke ich hierbey an, daß die Voͤlker ſich hierbey auf nichts, als auf das Herkommen und alte Geſetze, und die na - tuͤrliche Anſtaͤndigkeit beziehen. Selbſt groſſe Gelehrte unter den heidniſchen Roͤ - mern glaubten, daß ſo gar unter den Thie - ren eine natuͤrliche Schamhaftigkeit waͤre, welche ſie abhielte, ſich mit ihren Toͤchtern oder Muͤttern zu vermiſchen**)Wo dieſes zu finden, leſe man in Fabricii Bibliographia antiquaria pag. 598.. Solche glaubten daher, daß eine der Natur der Thiere, und noch vielmehr der Menſchen eingepraͤgte Schamhaftigkeit vorhanden, die da machte, daß man die Vermiſchung zwiſchen Eltern und Kindern fuͤr unanſtaͤn - dig ja abſcheulich hielte. Daß in den Thieren eine ſolche Schamhaftigkeit ſeyn ſollte, iſt wol gegen die Erfahrung. Ob die Menſchen durch gewiſſe Empfindungen dahin gebracht werden, Ehen zwiſchen El - tern und Kindern fuͤr abſcheuungswuͤrdig, und zwiſchen Bruͤdern und Schweſtern wider den Wolſtand laufend zu halten, unternehme mit mehrern zu unterſuchen.
Was faſt allgemein und gleichfoͤrmig unter allen Voͤlkern, daſſelbe getraue ich mich nicht aus Ueberlegungen der Vernunft herzuleiten, denn ſelbige bringen nirgends eine ſolche Einfoͤrmigkeit von Gewohnhei - ten zuwege, ſondern meine Vermuthung faͤllt alsdenn allezeit auf ein natuͤrliches Gefuͤhl und Empfindungen, die eine ſolche Allgemeinheit verurſachen, wenn ich dieſe Empfindungen auch gleich nicht deutlich angeben kann. Jch kann das Gefuͤhl und den Trieb nicht angeben, welcher die Bie - nen bewegt, ſechseckigte Zellen und zwar keine zwey Zellen, auf beyden Seiten einer Scheibe, gerade uͤber einander zu bauen, indeſſen muß dergleichen doch wol vorhan - den ſeyn. Es iſt mir daher auch hoͤchſt wahrſcheinlich, daß ein gewiſſes Gefuͤhl, gewiſſe Empfindungen, dieſe faſt allgemei - ne Gewohnheit unter die Voͤlker gebracht, daß leibliche Eltern und Kinder ſich nicht mit einander vermiſchen*)Man bemerke ſehr wol, ich beſtimme gar nicht, wie die Empfindungen, ſo ich hier annehme, entſtehen, und von was fuͤr Art ſie ſeyn. Jch glaube nur, daß dergleichen vorhanden, und bey allen ſich aͤuſſern, die nicht alle zaͤrtlichen Triebe der Menſchheit un - terdruͤckt haben.. Ja ich er - achte es wahrſcheinlich zu ſeyn, daß auchein353ein gewiſſes Gefuͤhl verurſachet, daß die Ehen zwiſchen leiblichen Geſchwiſtern unter den Voͤlkern ſeltener ſind, und daß man auch unter den Chriſten ſo ſelten hoͤret, daß wider diejenigen Geſetze geſuͤndiget werde, die alle fleiſchliche Vermiſchung derſelben unterſagen. Man kann dieſes nicht von der bloſſen Erziehung herleiten, darinne man den widrigſten Eindruck gegen ſolche Vermiſchungen mache. Gegen dieſe Art der Vermiſchungen wird viel weniger ge - redet, indem man ſie weniger befuͤrchtet, als gegen andere noch ſchaͤndlichere Ver - miſchungen, die ich nicht einmal nennen mag, und deren ſich doch je zu Zeiten Men - ſchen verdaͤchtig machen und zu Schulden kommen laſſen. Ferner hat der Eindruck, welchen man Kindern gegen gewiſſe Laſter, durch die bloſſe Erziehung giebet, die Kraft nicht, die Ausbruͤche derſelben ſo ſelten zu machen, als man die Vermiſchungen zwi - ſchen Eltern und Kindern und leiblichen Geſchwiſtern hoͤret. Wie abſcheulich ſtel - len die mehreſten Muͤtter ihren Toͤchtern nicht die Hurerey, und wie traurig ſtellet ſie ihnen die Erfahrung nicht in ſo vielen Exempeln vor? Wie niedertraͤchtig und ſchaͤndlich wird nicht Diebſtahl, Straſſen - raub und Morden vorgeſtellet, und dennoch ſind dieſe Verbrechen ſo ſelten nicht. Ja man hoͤret oͤfter, daß Eltern ihre Kinder, und Kinder ihre Eltern und GeſchwiſterJac. Betr. 4. Band. Zein -354einander ermordet, als man von Blut - ſchande unter ihnen etwas vernimmt. Auch kann man die Seltenheit dieſer Suͤnden dadurch nicht begreiflich machen, daß El - tern und Kinder und Geſchwiſter dadurch einander ekelhaft werden, daß ſie beſtaͤndig bey einander ſind, und eines des andern Unvollkommenheiten naͤher kennen lernet. Denn man findet gar zu oft, daß Perſo - nen, die einander ganz widrig ſind, den - noch an einander hangen bleiben, wenn ſie nur viel mit einander umgehen. Jch habe zweene angeſehene Gelehrte gekannt, welche eine ſehr groſſe Abneigung von dem Eheſtande hatten, und der eine blieb bis in das funfzigſte, und der andere bis in das ſechzigſte Jahr unverheirathet. Ein lan - ger Umgang aber mit Perſonen, die gar nicht reizend waren, und in deren Umgan - ge ſie gegen alle Liebe ſicher genug zu ſeyn glaubten, machte ſie dennoch endlich ver - liebt, und brachte ſie zum heirathen.
Verſchiedene ſehr gelehrte Maͤnner hal - ten die Veranlaſſung einer vielfaͤltigen Hu - rerey unter den naͤchſten Verwandten fuͤr die Urſache, welche Gott und die Voͤlker bewogen, die Ehen zwiſchen ihnen zu ver - bieten. Sie ſagen, waͤre irgend eine Hoff - nung vorhanden, daß ein Vater eine Tochter, und ein Bruder eine Schweſterhei -355heirathen duͤrfte; ſo wuͤrde dieſe Hoffnung gar zu vielen Anlaß geben, einander zur Hurerey zu verleiten. Ein noch lebender Goͤnner, der dieſe Meynung mit der ihm eigenen und vorzuͤglichen Gelehrſamkeit ausgeſchmuͤcket, wird mir zu gute halten, wenn gegen ſelbige zweene Zweifel eroͤffne. Der erſte iſt dieſer. Es ſcheinet, daß die Hurerey zwiſchen Eltern und Kindern, in - gleichen zwiſchen Geſchwiſtern ſo ſehr nicht zu befuͤrchten ſey. Die natuͤrlichen Fol - gen der Hurerey ſind fuͤr das weibliche Geſchlecht gar zu traurig. Die natuͤr - liche Liebe aber eines Vaters zu ſei - ner Tochter, und eines Bruders zu ſeiner Schweſter halte ich bey den mehreſten Perſonen ſo ſtark und zaͤrtlich, daß ſie al - lezeit lieber eine fremde Perſon ihren wil - den Wolluͤſten aufopfern werden, als ih - re Toͤchter oder Schweſtern. Wie ſtark aͤuſſerte ſich die bruͤderliche Liebe, als ein koͤniglicher Prinz die Dina, die Tochter Jacobs, geſchaͤndet? 1 B. Moſ. C. 34. Waͤre auch ein Bruder ſo lieblos gegen ſeine Schweſter, ſo wuͤrde er ſein ganzes Geſchwiſter gegen ſich haben. Wenn zweytens die Gelegenheit zur Unzucht die obbenannten Ehegeſetze veranlaſſet; ſo haͤt - te inſonderheit zu den Zeiten des Moſes die Ehe eines Herren mit ſeiner leibeigenen Magd verbothen werden muͤſſen. Denn zwiſchen dieſen beyden war die Unzucht amZ 2leich -356leichteſten moͤglich. Und iſt es nicht wahr - ſcheinlich, daß die Unzucht zwiſchen den jungen Soͤhnen eines Herren und deſſen leibeigenen Maͤgden die gewoͤhnlichſte ge - weſen? Kennen wir anders den Lauf der Welt, werden wir hieran gar nicht zwei - feln. Nach dem obigen Grundſatze haͤtten derowegen die Ehen zwiſchen ſolchen Per - ſonen am mehreſten verbothen werden muͤſ - ſen. Gott aber verbietet ſie nicht nur nicht, ſondern hat ſie ſogar unter den Jſraeliten beguͤnſtiget. 2 B. Moſ. C. 21. v. 7-11.
Ferner muͤßte vermoͤge dieſes Grund - ſatzes die Ehe zwiſchen denen Kindern ver - bothen ſeyn, welche zwo Ehegatten aus ei - ner vorher ſchon gefuͤhrten Ehe erzielet und zuſammen bringen. Denn ſelbige wohnen auch bey einander, und haben ſo viele Gelegenheit einander zu ſchaͤnden als leibliche Geſchwiſter. Die Ehe zu - ſammengebrachter Kinder iſt aber nicht unterſaget.
Mein Goͤnner macht bey dieſer Gele - genheit eine uͤberaus leſenswuͤrdige Anmer - kung. Er zeiget, daß Gott eben zwiſchen denen Verwandten die Ehen verbothen, von welchen die Mannsperſonen ihre Ver - wandtinnen nach dem Gebrauche der Ara - ber und nachmaligen Muhammedaner oh - ne Schleyer, und mit aufgedecktem Ange -ſichte357ſichte ſehen und ſprechen duͤrfen, und muth - maſſet, daß eben dieſer Gebrauch unter den Jſraeliten als naͤchſten Nachbarn von Arabien geweſen. Jch wuͤnſchte, daß die - ſe Sache mehr von Zweifeln befreyet wer - den moͤchte. Denn es iſt dieſer Gedanke zu ſchoͤn, als daß ich nicht wuͤnſchen ſollte, ihn in einer groͤſſern Klarheit zu ſehen. Allein bey den Jſraeliten ſcheinet mir der Gebrauch des Schleyers von den Zeiten Abrahams an, bis auf die Zeit, da das hohe Lied verfertiget worden, nicht ſo noth - wendig und beſtimmt geweſen zu ſeyn. Rebecca war in Gegenwart des Knechtes Abrahams unverhuͤllet, als Jſaac ihr ent - gegen kam und bedeckte ſich erſt, als Jſaac herzunahete. 1 B. Moſ. C. 24. v. 65. Si - chem ſahe die Dina ohne Zweifel ohne Schleyer. 1 B. Moſ. C. 34. v. 2. Die Ruth ſcheinet ohne Schleyer geweſen zu ſeyn, als ſie zuerſt aus Boas Acker kam, und behieng ſich nur mit einer Decke, als ſie geputzet zu ihm gieng. Sie gieng auch, wiewol am fruͤhen Morgen, unverhuͤllet in die Stadt. B. Ruth C. 3. v. 15. Die Braut im Hohenliede wird als eine ſolche vorgeſtellet, welche die Sonne gebrannt, und folglich den Schleyer nicht viel ge - braucht hat. C. 1. v. 6.
Jch kehre nunmehro zu den goͤttlichenWarum die Mutter nicht zu ehelichen? Geſetzen zuruͤck, welche die Ehen zwiſchenZ 3nahen358nahen Verwandten unterſagen. Jch hal - te mich zuerſt bey demjenigen Geſetz auf, welches wir 3 B. Moſ. C. 18. v. 7. finden. Nach einer genauern Ueberſetzung lautet ſelbiges alſo. Du ſollſt deines Vaters, das iſt deiner Mutter Bloͤſſe nicht auf - decken. Sie iſt deine Mutter: darum ſollſt du ihre Bloͤſſe nicht aufdecken. Jch meyne, daß Gott die Abſicht dieſes Geſetzes ſo deutlich vor Augen lege, daß ſie auch ein Ungelehrter ſehen und empfinden koͤnne. Was fuͤr Gedanken und Empfin - dungen wollen wir in einem Sohne hervor - bringen, wenn wir zu ihm ſagen: Verlaß deine Mutter nicht im Alter, es iſt deine Mutter? Will man durch eine ſolche Vorſtellung nicht alle diejenigen Triebe re - ge machen, die Gott in die Seele der Kin - der gegen Eltern gelegt hat? Will man ihm nicht das Verhaͤltniß und die Pflich - ten zu Gemuͤthe fuͤhren, darinne ein Kind gegen ſeine Eltern ſtehet? Will man ihm nicht merklich machen, es ſtreite mit dem Verhaͤltniß eines Kindes gegen ſeine Mut - ter, und es ſey ſchaͤndlich, wenn es ſelbi - ge verlaſſe? Daß dieſes der Jnhalt einer ſolchen Rede ſey, beweiſen die Worte des Juda, da er fuͤr das Leben Joſephs bey ſeinen Bruͤdern bat, und dieſes hinzuſetz - te: er iſt unſer Bruder, unſer Fleiſch und Blut. 1 B. Moſ. C. 37. v. 27.
Damit man den Jnhalt der Worte:Fortſetzung. Sie iſt deine Mutter, in derjenigen Verbindung, darinne ſie hier ſtehen, de - ſtomehr empfinden moͤge; ſo erinnere mei - ne Leſer an die Umſtaͤnde, in welchen eine Hebraͤiſche Frau ſtand. Sie befand ſich nicht nur in der allgemeinen Unterwuͤrfig - keit unter ihren Mann, ſondern ſie hatte ſo wenige Gerechtſame einer freyen Perſon, daß ſie ohne Einwilligung ihres Mannes nicht einmal ein Geluͤbde an Gott thun konnte 4 B. Moſ. C. 30. v. 9. Sie mußte es ferner leiden, daß ein Mann ihr eine Magd zur Seite ſetzte und ſelbige mehr liebte, denn ſie. Sie war endlich der Ge - fahr ausgeſetzet, aus dem Hauſe geſtoſſen, und von ihrem Manne und Kindern ge - ſchieden zu werden. Und wie groß war dieſe Gefahr fuͤr eine Mutter, da ſie na - tuͤrlicher Weiſe einem Sohne, als Frau nicht lange reizbar bleiben konnte. Man ſetze in Gedanken hinzu, was man unter ſo gar vielen Ehegatten findet, daß ſie ſich ſchelten, ja zu Zeiten gar raufen und ſchla - gen. Bey dieſen Vorſtellungen betrachte man nochmals das goͤttliche Geſetz: Du ſollſt die Bloͤſſe deiner Mutter nicht auf - decken, ſie iſt deine Mutter. Merket, ja empfindet man nicht bey dieſen Worten, daß die Abſicht Gottes dieſe ſey? Du biſt deiner Mutter mehr Ehrerbietung, mehrZ 4Dank,360Dank, mehr Unterthaͤnigkeit ſchuldig, als daß du ſie ſo ſehr erniedrigen ſollteſt, daß du ſie zur Frau naͤhmeſt, und ſie in die Gefahr ſetzteſt, von einem Kinde alſo ge - halten zu werden, als viele ihre Frauen halten. Achte deine Mutter werther und hoͤher, als daß du ſie alſo erniedrigen und einer ſolchen Gefahr ausſetzen ſollteſt. Ueber Empfindungen laͤſſet es ſich nicht ſtreiten, und ich muß es einem jeden Leſer uͤberlaſſen, ob er eben dasjenige bey obigem Geſetze empfindet, was ich dabey fuͤhle. Ja ich und auch andere gelehrte Freunde, ſo ich daruͤber befraget, empfinden noch mehr. Nach unſerm Gefuͤhl kann die Ehr - erbietung, die man einer Mutter ſchuldig iſt, und die Gemeinſchaft, Familiaritaͤt, darinne man mit einer Frau lebet, nicht mit einander beſtehen. Mir faͤllt hierbey ein Gedanke ein, den ich einmal in einem Werke des Witzes geleſen habe, und die - ſer iſt. Majeſtaͤt und Liebe, naͤmlich buhleriſche Liebe, koͤnnen nicht bey ein - ander ſeyn. Man gedenke ſich einen koͤ - niglichen Pallaſt mit einem platten Dache. Man ſetze, ein junger Koͤnig lieſſe ſich da - ſelbſt ohne Gezelt, vor vieler Augen mit einer koͤniglichen Braut ſehen, und thaͤte alles dasjenige frey oͤffentlich, was er in ſeiner verſchloſſenen Kammer thut. Wuͤr - de dieſer Anblick in ſelbiger Stunde bey den Zuſchauern auch noch die geringſte Empfin -dung361dung von der Majeſtaͤt uͤbrig laſſen? Jch bin gezwungen dergleichen anzufuͤhren, um zu zeigen, daß dasjenige, was die Theo - logen von dem Streite der Gemeinſchaft mit einer Frau und der Ehrerbietung, die man einer Mutter ſchuldig iſt, kein ſo ſeichter und ungegruͤndeter Gedanke ſey, als andere vorgeben. Sollte ich aber auch einige Gelehrte dadurch nicht uͤberzeugen; ſo werde ich doch den Beyfall unſers Adels erhalten, welcher auch bloß die Gemein - ſchaft, in welche man bey einem Tanze mit einander tritt, dem Reſpecte ſo nachtheilig fuͤhlet, daß inſonderheit die Damen denen, von welchen ſie Reſpect fordern, nicht ohne Maſke die Hand bieten.
Man ſagt, es koͤnne jemand auf der -Ob eine Mutter auf die kindli - che Ehrer - bietung Verzicht thun koͤn - ne? gleichen Pflichten, die ihm der andere ſchul - dig iſt, Verzicht thun, und der Wider - ſpruch verſchiedener Pflichten koͤnne dadurch gehoben werden, und ſey daher kein beſtaͤn - diger und guͤltiger Grund der verbotenen Ehe mit einer Mutter. Man berufet ſich darauf, daß Jacob auf die kindliche Ehr - erbietung und Unterthaͤnigkeit des Joſephs dadurch Verzicht gethan, daß er ein Un - terthan Aegyptens worden. Manche re - gierende Koͤnigin habe einen Gemahl ge - nommen, dem ſie die Mitregentenſchaft nicht uͤbertragen, und der folglich ihr Un -Z 5ter -362terthan geweſen. Jch antworte, ein Jo - ſeph hat niemals von ſeiner Gewalt Ge - brauch gemacht gegen ſeinen Vater, und ihm nie auf eine widrige Art empfinden laſ - ſen, daß er der Herr von Aegypten war, ſondern allezeit eine recht tiefe kindliche Ehr - erbietung gegen ſeinen Vater beobachtet, und ich kann mich nicht uͤberreden, daß es je der wolgefaͤllige Wille Gottes ſeyn koͤn - ne, daß ein Vater auf die Ehrerbietung ſeines Sohnes Verzicht thue, und ſich ihm eben ſo unterwerfe, wie ein Unterthan un - ter diejenigen, ſo uͤber ihn befehlen. Man ſetze, ein Sohn eines gemeinen Soldaten wuͤrde der Corporal ſeines Vaters. Sollte es dem liebreichſten Gotte wol gefaͤllig ſeyn, daß der Vater darein willigte, daß ihn der Sohn, wie einen andern Soldaten abpruͤgelte, wenn er ſein Gewehr nicht rein genug hielte. Sollte Gott dem Sohne wol erlauben, den Vater in dieſem Falle zu ſchlagen, oder wuͤrde es vielmehr ſein Wolgefallen ſeyn, wenn der Sohn dem Vater das Gewehr reinigte? Der Kaiſer - liche General St. Amour, war eines Bauern Sohn, deſſen Vater noch lebte, als er General war. Man ſetze, es waͤre dieſer Vater in einem Kriege von einen Of - ficier, der ihn nicht gekannt, aufgebothen geweſen, Faſchinen vor eine belagerte Feſtung zu fahren, die man ſtuͤrmen wol - len: er haͤtte ſelbige aber nebſt andernBauern363Bauern aus Furcht fuͤr den Canonen nicht nahe genug an die Feſtung gefahren. Es waͤre dieſes vor den General St. Amour ge - kommen, der eben umher geritten, um zu recognoſciren, und er haͤtte befohlen, jedem Bauer funfzig Pruͤgel zu geben. Er waͤre aber dazu gekommen, als man ſelbige ſei - nem Vater ertheilen wollen. Wuͤrde er auch wol befohlen haben? Schlaget zu auf den feigen Hund! Geſetzt, die aͤuſſerſte Noth haͤtte um des Exempels willen erfor - dert, daß der alte St. Amour funfzig Pruͤ - gel erhalten, wuͤrde man ſagen, er haͤtte wol gethan, wenn er ihm, wie den uͤbrigen, ſeine Feigheit ſcheltend vorgehalten? Oder man ſetze, es waͤre nach unſern Gewohnheiten moͤglich, daß obiger Vater unter ſeinem Sohne als gemeiner Soldate gedienet, da derſelbe ſchon Major geweſen, und dieſer Vater waͤre eingeſchlafen, da er auf einem Walle die Wachte gehabt. Wuͤrde auch der Sohn gegen den Vater die darauf ge - ſetzte Spiesruthe ſelber commandiret, und diejenigen Soldaten gepruͤgelt haben, die nicht derbe genug auf den Vater geſchla - gen? Und ſollte es wol der Allerweiſeſte, als etwas Anſtaͤndiges anſehen, wenn Va - ter und Sohn ſich in ein ſolches Verhaͤlt - niß ſetzten, wenn es auch moͤglich waͤre, daß ein Vater ſeine Einwilligung dazu gaͤ - be? Finden wir nicht vielmehr folgendes Betragen des obigen Generals gegen ſei -nen364nen alten und niedrigen Vater ganz vor - trefflich, wodurch er ſeinen Namen wol ſo verehrungswuͤrdig gemacht, als durch ſei - ne Heldenthaten. Er hatte einmal eine groſſe Geſellſchaft der vornehmſten Genera - le zum Eſſen, als ſein alter Vater ſich melden ließ. Er bat ſich ſo fort die Er - laubniß bey ſeinen hohen Gaͤſten aus, ſie verlaſſen zu duͤrfen, um ſeinem Vater die kindliche Achtung zu beweiſen, ſtand auf, und ſpeiſete mit ſeinem Vater in einem be - ſondern Zimmer. Es iſt dieſes ein neuer - liches Exempel, da der General St. Amour erſt den 15. May 1734. verſtorben. Ein Jacob mußte ſich zwar den Landesgeſetzen unterwerfen. Geſetzt aber, er haͤtte ſich gegen ſelbige auflehnen wollen, ſo wuͤrde ein Joſeph geſuchet haben, ſolches zu ver - hindern, denn dieſes kann ein jeder Sohn thun, indem ſolches dem Vater zum Be - ſten geſchiehet, und man uͤberdem dem Vaterlande mehr verpflichtet iſt, als dem Vater. Wenn aber Jacob ja etwas be - gangen, welches einer Strafe werth ge - weſen, ſo wuͤrde ein Joſeph nimmer ſelber das Urtheil uͤber ihn geſprochen, und noch vielweniger die Vollziehung deſſelben uͤber - nommen haben. Er bewies ſich immer, als den ehrerbietigſten Sohn, auch als - denn, wenn Jacob anders handelte, als er wuͤnſchte. 1 B. Moſ. C. 48. v. 17. 18. 19. Joſeph war Herr uͤber Jacob, aber erzeigte365zeigte ſich ihm allezeit, nicht als einen Ge - bieter, ſondern als einen ehrerbietigen und folgſamen Sohn, und Jacob hat nie Ver - zicht auf ſeine vaͤterlichen Rechte gethan.
Bey den Ehen einer regierenden Fuͤr -Fortſetzung des vori - gen. ſtin mit einem Gemahl, der nicht Mitre - gente iſt, findet ein aͤhnliches ſtatt. Sie iſt Regentin im Lande, und er das Haupt in der Ehe. Jndeſſen iſt dieſes auch gewiß, daß es nicht gut ſeyn wuͤrde, wenn viele Ehegatten in einem ſolchen gar zu leicht wider einander laufenden Verhaͤltniß ſtehen ſollten. Jch koͤnnte Exempel aus der Hi - ſtorie anfuͤhren, daß Landtruppen auf eine Flotte gegeben worden, mit dem Befehl, daß ſie, ſo lange ſie auf den Schiffen waͤ - ren, von dem Admiral die Befehle anneh - men ſollten. So bald ſie aber an das Land geſetzt, ſollte der Admiral und die Flotte ſich nach dem Winke des Generals der Landtruppen richten. Wie ofte findet man nicht, daß dieſe getheilte und wech - ſelnde Macht zu befehlen, der gemeinſchaft - lichen Abſicht hoͤchſt nachtheilig geweſen. So viel es immer moͤglich, iſt zu verhuͤten, daß das verſchiedene Verhaͤltniß, worinne Perſonen gegen einander ſtehen, um einen gemeinſchaftlichen Endzweck zu befoͤrdern, durch die menſchliche Unvollkommenheit nicht gar zu leicht einander entgegen ſey,und366und eine Pflicht die andere hindere. Was hierunter aus Noth das eine oder das ande - re Mal geſchehen muß, und in einigen Faͤl - len mit Vortheil geſchiehet, in den mehre - ſten aber nachtheilig iſt, muß nicht zur Re - gel gemacht werden. Wie ſehr Gott bey den Ehen zu verhuͤten geſuchet, daß nicht dieſe oder jene Pflicht in Gefahr geſetzet werden moͤchte, nehme man aus dieſem Geſetze ab. Da Gott den Jſraeliten we - gen der damaligen Zeiten und Umſtaͤnde die Vielweiberey nachſahe, ſo wollte er doch nicht, daß jemand nach dem Exem - pel des Jacobs zwo Schweſtern zugleich in der Ehe haben ſollte. Da zwiſchen zwo ſolchen Frauen insgemein Eiferſucht herr - ſchet, und die erſte Ehegattin durch An - nehmung der Zwoten beleidigt zu ſeyn glau - bet; ſo wollte Gott nicht, daß dieſe Beleidi - gung der einen Schweſter durch die andere zugefuͤget werden, und die ſchweſterliche Liebe durch die eheliche Liebe leiden ſollte. Wie viel - mehr wird Gott darauf ſehen, daß die kindli - che Ehrerbietung gegen eine Mutter nicht in Gefahr geſetzet werde, welches bey einer Heirath mit einem Sohne augenſcheinlich geſchiehet, und ich kann mir nicht vorſtel - len, daß es mit einem goͤttlichen Wolge - fallen geſchehen koͤnnte, wenn eine Mutter ein ſo ſchaͤdliches Exempel geben, und we - gen eines ehelichen Umganges mit einem Sohne auf ihre muͤtterlichen Rechte, dieder367der ganzen menſchlichen Geſellſchaft billig heilig ſeyn muͤſſen, Verzicht thun wollte. Jch kann auf meine Rechte nur Verzicht thun, wenn kein dritter, und das gemeine Beſte nicht darunter leidet. Wenn ein Sohn ſeinen Vater ſchilt oder fluchet, wird es die Obrigkeit auch annehmen, wenn der Vater ſpricht: ich thue Verzicht auf mei - ne vaͤterlichen Rechte? Eine weiſe Obrig - keit wird dieſes wegen der boͤſen Folgen nicht thun. Es ſcheinet mir alſo der Satz noch feſte zu ſtehen, daß Gott die Ehe ei - ner Mutter mit ihrem Sohne unterſaget, weil dabey die heiligſten Pflichten in Ge - fahr kommen, die Kinder den Eltern ſchuldig ſind, und ich meyne dieſe Urſache in den Worten deutlich zu finden: Decke die Bloͤſſe deiner Mutter nicht auf, es iſt deine Mutter. Jch merke hierbey noch an, daß diejenigen, welche dafuͤr halten, daß dieſe letzten Worte nur die Folge dieſes Geſetzes aus dem vorhergehenden anzeigen, und weiter nichts ausdrucken ſollten, als dieſes: deine Mutter iſt eine deiner naͤch - ſten Verwandten, machen dieſen wahr - haftig ſtarken Ausdruck ungemein matt, und war es denn auch noͤthig zu ſagen, daß die Mutter eine der naͤchſten Bluts - freunde waͤre?
Bey der Ehe eines Vaters mit ſeinerWarum die Ehe eines Vaters mit ſeiner Toch ter verbo - then? Tochter, treten die gar widrigen und har -ten368ten Umſtaͤnde nicht ein, welchen ſich eine Mutter bey einer Heirath mit dem Soh - ne ausſetzet. Derowegen konnte auch die Urſache, welche Gott bey dem Verboth dieſer letztern Ehe hinzufuͤgte, dem Verbo - the der Ehe eines Vaters mit ſeiner Toch - ter, welches ich im ſechſten Verſe zu fin - den meyne, nicht angehaͤnget werden, ſon - dern Gott ſetzte dieſe hinzu: ich bin der Herr. Jch bin der heiligſte Gott, der dieſe Ehe haſſet und dir unterſaget. Da indeſſen diejenige Gemeinſchaft, die in ei - ner Ehe herrſchet, diejenige Ehrerbietung hindert, ja aufhebet, die ein Kind gegen ſeinen Vater haben ſoll; ſo ſchlieſſe aus der deutlich angezeigten Urſache des Verboths der Ehe eines Sohnes mit ſeiner Mutter, daß ſelbige auch hier eintrete. Zu den an - gezeigten Urſachen beyder Geſetze kommen noch andere, die ſelbige ſehr wichtig und nothwendig machen, die aber der Geſetzge - ber nicht beruͤhret. Denn wie weitlaͤuftig wuͤrde das goͤttliche Geſetzbuch werden, wenn alle Urſachen der Geſetze angegeben werden ſollten? Heirathete ein Vater ſeine Tochter, und ein Sohn ſeine Mutter, ſo wuͤrde jener der Schwager ſeiner leiblichen Kinder und die Mutter die Schwaͤgerin derſelben, und eine Schweſter wuͤrde die Stiefmutter, und ein Bruder der Stief - vater des uͤbrigen Geſchwiſters. Ein je - der ſiehet gar leicht, wie viele Verwirrungſolches369ſolches in einer Familie geben, und wie viele der heiligſten Pflichten hierbey in die groͤßte Gefahr kommen wuͤrden. Jch glaube daher, daß die Verhuͤtung auch dieſer Unordnung eine Abſicht obiger Ge - ſetze ſey. Um noch durch ein Exempel zu zeigen, wie ſchlecht und nachtheilig es ſeyn wuͤrde, wenn Eltern, um ſolche Heirathen eingehen zu koͤnnen, auf die Ehrerbietung und Unterthaͤnigkeit, ſo ihnen die Kinder ſchuldig ſind, Verzicht thun wollten, ſo gedenke man ſich einen Gerichtshalter auf einem groſſen Dorfe, der auf die ihm ſchul - dige Ehrerbietung der Unterthanen in gewiſ - ſer Abſicht Verzicht thun, und alle Sonntage mit den Bauern in die Schenke gehen, mit ihnen trinken und in Karten ſpielen wollte. Wuͤrden wir dieſes als eine gleichguͤltige Sache anſehen? Oder wuͤrde man es fuͤr eine gleichguͤltige Sache halten, wenn ein Amtmann ein huͤbſches, derbes Bauer - maͤdgen, aus dem ihm anvertrauten Am - te heirathete? Wuͤrden hoͤhere Obern ihn an einem ſolchen Orte als einen Amtmann laſſen?
Bey dem folgenden Geſetze, in wel -Warum niemand ſeine Stief - mutter hei - rathen ſoll? chem verbothen wird, nach unſerer Art zu reden, einer Stiefmutter beyzuwohnen, wird die Urſache des Geſetzes ganz anders ausgedruckt, und ich glaube daher auchJac. Betr. 4. Band. A anicht,370nicht, daß ſie mit der Urſache, die wir bey dem ſiebenten Verſe finden, einerley ſey. Sie iſt dieſe: die Bloͤſſe deiner Stief - mutter iſt deines Vaters Bloͤſſe, das iſt, ſie gehoͤret deinem Vater zu. Ehe ich mei - ne Gedanken eroͤffne, was fuͤr eine Urſache des Verbothes ich hierinne zu finden ver - meyne, ſo muß noch weitlaͤuftiger anzeigen, wie vielerley man durch eine ſolche Art zu reden anzuzeigen pfleget. Man druͤcket dadurch, wie ſchon angezeiget worden, ganz kurz das Verhaͤltniß aus, in welchem man mit jemanden ſtehet, und die Pflich - ten, ſo daraus flieſſen. Dieſes geſchiehet zum Exempel, wenn ich ſage: Verlaß dei - ne Mutter nicht in ihrem Alter, ſie iſt dei - ne Mutter. Man bezeichnet mit dieſer Art zu reden, auch den innern Character eines andern. Nach dem ſchlechten Zu - trauen, ſo die Roͤmer zu der Treue und Glauben der Griechen hatten, haͤtte ein Roͤmer zu dem andern ſagen koͤnnen: traue keinen Griechen, ſie ſind Griechen, das iſt, ſie ſind ſchlau und betruͤglich. Man hoͤret nicht ſelten unter uns, daß einer den andern auf dieſe Art gegen eine gewiſſe Nation warnet, die unter uns wohnet. Man zeiget ferner mit dieſer Art zu reden an, daß etwas jemanden werde unange - nehm ſeyn. Wenn ich ſage: ſchilt deiner Großmutter Magd nicht, ſie iſt die Magd deiner Großmutter; ſo zeige ich damit an,es371es werde der Großmutter unangenehm ſeyn. Jngleichen zeiget man damit an, daß et - was ſehr widrige Folgen haben werde. Es geſchiehet dieſes in folgenden und aͤhn - lichen Faͤllen. Wenn ich zum Exempel zu jemanden, der Obſt mauſen will, ſpre - che: ſteige nicht in des Fuͤrſten Garten, es iſt der Garte des Fuͤrſten; ſo will ich ihm zu Gemuͤthe fuͤhren, er werde hart geſtra - fet werden. Es wird auch damit ausge - druckt, daß etwas unanſtaͤndig ſey. Wenn ich zu einem erwachſenen Sohne, der ſich zu einem gewiſſen Behuf entbloͤſſen will, ſage: entbloͤſſe dich nicht vor dem Ange - ſichte deiner Mutter, es iſt deine Mutter, ſo gebe ich damit zu verſtehen, es ſey der - gleichen unanſtaͤndig und guten Sitten zu - wider. Jn derjenigen Verbindung, in welcher das Geſetz ſaget: du ſollſt deines Vaters Frauen Bloͤſſe nicht aufdecken, denn es iſt deines Vaters Bloͤſſe, verſtehe ich dieſe letzten Worte alſo. Es iſt unan - ſtaͤndig und gegen gute Sitten, daß ein Sohn eben derjenigen beywohne, welcher der Vater beygewohnet hat, indem die Ehrerbietung, die du deinem Vater und deiner Stiefmutter ſchuldig biſt, eine ehe - liche Gemeinſchaft nicht zulaͤſſet. Es wuͤr - de dieſes auch von ſehr widrigen Folgen ſeyn: darum ſollſt du ſie gar nicht ehelichen koͤnnen. Welches ſind aber dieſe widrigen Folgen? Waͤre dieſe Art von Ehen nichtA a 2unter -372unterſaget; ſo wuͤrde es leicht geſchehen, daß, da alte Maͤnner leicht junge Frauen heirathen, ſchon bey dem Leben eines ſolchen Mannes eine Liebe zwiſchen dem Sohne und der Stiefmutter entſtuͤnde, und ſie den Vorſatz faſſeten, einander nach des Vaters Tode zu heirathen. Eine ſolche Liebe und Abſicht wuͤrde ſich ſehr leicht ver - rathen. Und wie unangenehm wuͤrde ſol - ches nicht dem Vater ſeyn? Ja, wenn ein Vater nur wuͤßte, es waͤre moͤglich, daß ſein Sohn ſeine Frau nach ſeinem Tode heirathen koͤnnte, ſo wuͤrde er bey der ge - ringſten Freundlichkeit des Sohnes gegen die Stiefmutter ſchon argwoͤhnen, daß ſel - bige mit einander in einem Liebeshandel ſtuͤnden, und mit Schmerzen auf ſeinen Tod warteten. Dieſes wuͤrde die groͤßte Eiferſucht, Haß und Widerwaͤrtigkeiten zwiſchen Mann und Frau und Vater und Sohn verurſachen. Dieſe widrigen Fol - gen ſind nicht zu verhuͤten, wenn es nicht ganz und gar unmoͤglich gemacht wird, daß ein Stiefſohn ſeine Stiefmutter heira - the. Bey den Juden waren noch mehr widrige Folgen moͤglich. Wenn der Alte zu lange gelebet, haͤtte ihm ſeine Frau das Leben ſo ſauer machen koͤnnen, daß derſel - be ſich bewogen gefunden, ſeiner Frau ei - nen Scheidebrief zu geben, und der Sohn haͤtte alsdenn noch bey Lebzeiten des Va - ters zu deſſen groͤßtem Verdruß eine ſolcheFrau373Frau heirathen, oder ſich wenigſtens fleiſch - lich mit ihr vermiſchen koͤnnen. Die Weis - heit Gottes litte nicht eine Ehe zu erlauben, die zu ſo vielem Uebel die naͤchſte Veran - laſſung geweſen waͤre.
Auf eine aͤhnliche Art betrachte ich dasWarum des Bru - ders Frau nicht hat geehelichet werden ſol - len? Geſetz, welches im ſechszehnten Verſe ſte - het und dieſes iſt. Du ſollſt deines Bru - ders Frauen Bloͤſſe nicht aufdecken, denn ſie iſt deines Bruders Bloͤſſe. Man erinnere ſich hierbey, daß bey den Jſraeli - ten, beſonders in den erſten Zeiten nach der Eroberung des Landes Canaan, die Bruͤder, ſo lange die Vaͤter lebten, in ei - ner gewiſſen Gemeinſchaft zu bleiben pfleg - ten, und dem ohngeachtet heiratheten. Es wurde dieſes dadurch faſt nothwendig ge - macht, weil ſie groͤßtentheils vom Acker - bau und von der Viehzucht lebten, und die Viehzucht wegen der Raͤuber und Raub - thiere in groſſen, und unter dem Schutze mehrerer Menſchen getrieben werden mußte. 1 B. Sam. C. 17. v. 43. 44. 45. C. 25. v. 14. 15. 16. Bruͤder und deren Frauen hatten derowegen vielen Umgang mit einander, ſo lange der Vater noch lebte, und wenn er geſtorben war, mußten ſie dennoch nahe bey einander wohnen, weil ſie ſich in die Grundſtuͤcke ihres Vaters theilten, welche bey einer einzigen Stadt oder Dorfe zu lie -A a 3gen374gen pflegten. Jch verſtehe derowegen obi - ge Worte: ſie iſt deines Bruders Bloͤſ - ſe, alſo. Dein Bruder wird ſehr eifer - ſuͤchtig ſeyn, wenn du dir das Recht zu - eigneſt, ſeine Frau zu heirathen, wenn er ſie ſcheidet oder ſtirbet. Er wird leicht glauben, du habeſt ſchon ein Verſtaͤndniß mit ihr, wenn er noch lebet, und du und ſie wuͤnſchten ſeinen Tod oder eine Schei - dung. Es wird dieſes der bruͤderlichen Liebe und Vertrauen entgegen ſeyn. Nie - mand ſoll alſo uͤberall die Erlaubniß haben, ſeines Bruders Frau zu heirathen. Man bemerke, dieſes Geſetz hat keinen ſo allge - meinen Grund, als das Verboth, daß El - tern und Kinder einander nicht heirathen ſollen. Daher hat auch Gott ſchon den Jſraeliten erlaubet von dieſem Geſetze eine Ausnahme zu machen, wenn naͤmlich die ſchaͤdlichen Folgen hinwegfallen, die dieſes Geſetz angerathen, und der Bruder es ſel - ber gewuͤnſchet, daß der andere Bruder ſei - ne Wittwe heirathen moͤchte. Ja in einem ſolchen Falle hat Gott nicht nur eine ſolche Ehe erlaubet, ſondern ſo gar auf alle Wei - ſe zu befoͤrdern geſuchet. Es lieget ein Trieb in den Menſchen, ihren Namen in Nachkommen oder in ſo nahen Anverwand - ten, als moͤglich iſt, fortzupflanzen, be - ſonders wenn man Vermoͤgen hat, ſo man ihnen hinterlaſſen kann. Er aͤuſſert ſich derowegen vorzuͤglich bey wolhabenden Per -ſonen;375ſonen; jedoch habe ich ihn auch bey ganz Armen gefunden. Jch habe einmal ein paar Maͤgde gehabt, die Schweſtern wa - ren. Jn einer graſſirenden Krankheit ver - lohren ſie alle ihre maͤnnlichen Anverwand - ten, und der letzte war eines Vatern Bru - ders Sohn. Dieſen beklagten ſie am mehreſten, und vergoſſen viele Thraͤnen, weil nun der Name ihrer ganzen Familie ausgetilget waͤre. Unſer Gott, deſſen Geſetz das vollkommenſte Muſter einer guͤ - tigen Policey enthaͤlt, wollte auch dieſen Trieb eines in jungen Jahren, und ohne Kinder verſterbenden Jſraeliten vergnuͤgen. Er ordnete derowegen 5 B. Moſ. C. 25. v. 5. 6. daß, wenn ein Bruder eine Witt - we ohne Kinder hinterlieſſe, ein andrer Bruder ſelbige heirathen, und der erſte Sohn, den er mit ihr zeugte, als ein Sohn des Verſtorbenen angeſehen werden ſollte, damit deſſen Name nicht vertilget wuͤrde. Gott legte ſo gar eine Beſchim - pfung darauf, wenn ein Bruder eine ſol - che Wittwe verſchmaͤhete.
Die Erlaubniß eines Mannes, ſeinerWarum〈…〉〈…〉 Ehe mit der Schweſter der verſtor - benen Frau erlaubet? verſtorbenen Frauen Schweſter zu eheli - chen, konnte die widrigen Folgen nicht ha - ben, welche die Erlaubniß, des Bruders geweſene Frau zu heirathen, unter den Jſraeliten nur gar zu leicht veranlaſſete. A a 4Wie376Wie ſchon erwaͤhnet, ſo hatten die Bruͤ - der und deren Frauen nach der Einrichtung ihrer Nahrung und Erbrechtes eine gar zu genaue Gemeinſchaft und Umgang mit ein - ander. Mit der Frauen Schweſter hatte es eine ganz andere Bewandniß. Selbi - ge war insgemein in einer ganz andern Fa - milie und Hauſe, und hatte nicht ſo vielen Umgang mit ihrem Schwager, wenigſtens konnte ihn die Frau in den mehreſten Faͤl - len verhindern, wenn ſie wollte, indem ſie ihre Eltern und Verwandte bitten konnte, ihrer Schweſter nicht zu erlauben, einen vertrauten Umgang mit ihrem Manne zu haben. Daher erlaubte Gott zwar dieſe Ehe; aber mit der weiſeſten und guͤtigſten Einſchraͤnkung. Niemanden war erlaubt, der Frauen Schweſter zu heirathen, ſo lange die Frau noch lebte, damit durch eine ſolche Ehe die ſchweſterliche Liebe nicht leiden, und am allerwenigſten die eine Schweſter um der andern willen einen Scheidebrief erhalten moͤchte.
Jn dem neunten Verſe wird verbothen, daß kein Bruder ſeine Schweſter ehelichen ſoll, ſie moͤgen beyde von einerley Eltern, oder nur Halbgeſchwiſter ſeyn. Hier fuͤh - ret der Geſetzgeber keine Urſache an, viel - leicht, weil ſie nicht mit ſo wenigen Wor - ten zu ſagen war, als die Urſachen deruͤbri -377uͤbrigen Ehegeſetze. Jch muthmaſſe, daß Gott dieſe Art Ehen aus folgender Abſicht unterſaget. Der achtzehnte Vers lehret mir, daß Gott gar ſehr darauf geſehen, daß die bruͤderliche und ſchweſterliche Liebe auf alle Art und Weiſe ungekraͤnket blei - ben moͤchte. Selbige aber wuͤrde theils uͤberhaupt, theils aber bey der Beſchaffen - heit der Ehen des Jſraelitiſchen Volkes, ſehr ofte ungemein gelitten haben, wenn die Ehen zwiſchen Geſchwiſtern waͤren erlau - bet worden. Viele Schweſtern wuͤrden ſich ſehr beleidiget halten, wenn ein Bru - der ſie nicht heirathen wollte. Ja Eltern, und inſonderheit zaͤrtliche Muͤtter wuͤrden ſehr auf eine ſolche Verſorgung der Schwe - ſter dringen. Haͤtte nun der Bruder kein Belieben zu derſelben, und naͤhme ſie aus Gehorſam gegen die Eltern, ſo wuͤrde ſolches ſehr leicht die ungluͤcklichſte Ehe ver - urſachen. Naͤhme er ſie nicht, wuͤrden Eltern und Geſchwiſter uͤbel damit zufrie - den ſeyn, und nicht nur die Liebe unter dem Geſchwiſter, ſondern ſogar zwiſchen Eltern und Kindern wuͤrde ſehr darunter leiden. Haͤtte ferner bey den Jſraeliten ein Bruder neben der Schweſter einer Magd beyge - wohnet, und ſelbige vielleicht mehr gelie - bet als die Schweſter, oder er haͤtte der Schweſter gar einen Scheidebrief gegeben; ſo haͤtte er nicht bloß ſeine Schweſter, ſon - dern auch ſein uͤbriges Geſchwiſter, undA a 5ſeine378ſeine leiblichen Eltern gar zu ſehr betruͤbet, und es waͤre eine Zerruͤttung in der ganzen Familie entſtanden. Es zeiget ſich alſo auch bey dieſem Geſetze, daß Gott die Ehen alſo einrichten wollen, daß der Ver - letzung heiliger Pflichten und widrigen Zerruͤttungen in Familien, ſo viel moͤglich, vorgebeuget werden moͤchte.
Der eilfte Vers ſcheinet bloß eine Wie - derholung der einen Haͤlfte des anjetzt be - trachteten Geſetzes zu ſeyn. Da nun der - gleichen Wiederholung hier nicht zu ver - muthen, ſondern es wahrſcheinlich iſt, daß dieſes Geſetz auf einen andern Fall gehe, und dennoch keine verſchiedene Leſeart des Textes bisher aufgefunden worden, ſo ha - ben alte und neue Ausleger ſich Muͤhe ge - geben, einen beſondern Fall aufzuſpuͤren, der ſich von den Faͤllen, die der neunte Vers beſtimmet, unterſchiede. Man hat aber bisher keinen finden koͤnnen, der ei - nige Wahrſcheinlichkeit vor ſich haͤtte. Jch gebe es als eine bloſſe Muthmaſſung anheim, ob vielleicht dieſer Vers auf fol - gende Art zu uͤberſetzen: Du ſollſt der Toch - ter der Frau deines Vaters, die eine Blutsfreundin deines Vaters und deine Schweſter iſt, die Bloͤſſe nicht aufdecken: und auf den Fall gezielet werde, wenn jemand ſeiner Mutter verſtorbenen Bru - ders Frau geheirathet, die von ihrem er - ſten Manne eine Tochter dem zweytenManne379Manne zugebracht, und ob dieſe Stief - tochter wegen der nahen Verwandſchaft, als eine rechte Tochter deſſelben hat ange - ſehen werden ſollen?
Jm zehnten Verſe wird die Ehe einesWarum niemand ſeine Enke - lin heira - then ſoll? Großvaters mit ſeiner Enkelin verbothen und hinzugeſetzet: denn ſie iſt deine Bloͤſ - ſe. Dieſe Worte koͤnnen hier nichts an - ders heiſſen, als dieſes: ſie iſt eine Bloͤſ - ſe, die von dir abſtammet, und es iſt un - anſtaͤndig und unſchicklich, daß du ſie auf - deckeſt. Eben die Urſachen, welche die Ehe eines Vaters mit ſeiner Tochter, und eines Sohnes mit ſeiner Mutter unanſtaͤn - dig und unſchicklich machen, treten hier auch ein und noch einige mehr. Ein alter Großvater, denn ich nehme ihn, wie er insgemein iſt, verraͤth ein hoͤchſt wolluͤſti - ges Herz, wenn er gegen ſeine junge En - kelin entbrannt wird, welches eine ſchlech - te Zierde fuͤr ein ſolches Haupt einer Fami - lie iſt. Die Pflichten kommen auch in ei - nen gewaltigen Widerſpruch, die Kinder den Eltern leiſten ſollen. Der alte Groß - vater muß ſeinen Sohn als einen Schwie - gervater, oder die Tochter als Schwieger - mutter, und Vater und Mutter muͤſſen ihre Tochter als ihre Stiefmutter anſehen. Es kann daraus nichts anders, als eine groſſe Zerruͤttung in einer Familie entſtehen.
Aus dieſem Geſetze folget ein anderes, ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht, warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge - ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ - ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La - chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge - ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin - den wird, ſeine Großmutter zu heirathen. Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob ich gleich nicht von dem einen verbothenen Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem Grade auch verbothen ſind, ich dennoch Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer nicht genannten Ehe eben die Urſachen und Abſichten ſind, welche das Verboth einer genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel - bige gleichfalls als verbothen an. Den Grad der Verwandſchaft halte ich aber nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen, und es wird nach der Urſache gefraget, habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich antworte: weil es deine naͤchſten Ver - wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte man ja das Verboth ſelber zur Urſache des Verbothes.
Jn dem zwoͤlften und dreyzehnten Ver -Warum die Ehe mit den Tanten verbothen? ſe wird die Ehe mit des Vaters und der Mutter Schweſter unterſaget, und die Ur - ſache hinzugefuͤget, denn ſie iſt das Fleiſch deines Vaters, das Fleiſch deiner Mut - ter, das iſt, ſie gehoͤren zu den naͤchſten Verwandtinnen deines Vaters und deiner Mutter. Jch nehme dieſe Worte aber - mals in dem Verſtande, daß die Unan - ſtaͤndigkeit und Unſchicklichkeit dieſer Ehe, beſonders unter den Jſraeliten, angezeiget werden ſoll. Durch eine ſolche Ehe wurde unter den Jſraeliten eine Tante gar zu ſehr unter ihren Neffen herunter geſetzet. Die Tanten ſind insgemein aͤlter, als ihre Nef - fen, und kamen durch eine ſolche Ehe gar bald in die Gefahr, daß ihnen eine Magd als Frau zur Seite geſetzet wurde, ja ſie konnten gar geſchieden werden. Dieſes war zugleich eine Beleidigung fuͤr die leib - lichen Eltern, wenn ſelbige noch lebten. Wer da weiß, wie ſehr Gott auf ein rich - tiges Verhaͤltniß der Dinge ſiehet, wird leicht begreifen, warum ihm eine ſolche Ehe nicht angenehm ſey, wo eine Perſon, die in einer Familie ehrwuͤrdig ſeyn ſoll, der - geſtalt herunter geſetzet wird. Man ſetze mir nicht ſolche gar ſeltene Faͤlle entgegen, da eine Tante viel juͤnger iſt, wie der Neffe und wol gar von den Neffen erzogen wird, wie ſich begeben kann, wenn ein Großva -ter382ter eines Enkels in hohen Alter noch eine junge Frau nimmt, und Kinder damit zeu - get. Geſetze, die einem ganzen Staate zum Beſten gegeben werden, duͤrfen nicht nach einigen ſehr ſeltenen Faͤllen, ſondern nach denen Umſtaͤnden eingerichtet werden, welche die allermehreſte Zeit eintreten.
Bey der Ehe eines Oheims mit ſeiner Nichte, das iſt, mit ſeines Bruders oder Schweſter Tochter tritt kein ſo widriges Verhaͤltniß, und keine ſo groſſe Gefahr ei - nes erheblichen Zwieſpalts in der Familie ein. Der Oheim verlieret als Mann und Haupt in der Ehe ſeine Vorrechte vor der Nichte nicht. Er iſt auch insgemein um ein merkliches aͤlter als die Nichte, und es iſt daher keine ſo groſſe Gefahr vorhanden, daß ſich die Liebe gegen ſelbige verlieren, und auf eine Magd fallen, oder daß er ſie gar von ſich ſcheiden werde. Gott hat de - rowegen dieſe Ehe auch nicht verbothen, und ſie iſt zu den Zeiten des Heilandes und ſeiner Apoſtel gewoͤhnlich geweſen, und wir finden nicht, daß jemals eine Erinnerung dagegen geſchehen. Jch berufe mich hier - bey nicht darauf, daß Herodes der Groſſe, und zweene ſeiner Soͤhne Bruͤdern Toͤchter zur Ehe gehabt, ſondern der Talmud, welcher die Ueberlieferungen der Juden, und die Aufſaͤtze ihrer Lehrer enthaͤlt, wel -che383che vor und zu den Zeiten des Heilandes und der Apoſtel, und kurz nachher gelebet haben, zaͤhlet dieſe Ehe nicht nur nicht un - ter die verbothenen*)Talmud. Part. V. Lib. VIII. Cap. I. , ſondern es findet ſich auch eine merkwuͤrdige Stelle in dem - ſelben, welche auf das deutlichſte anzeiget, daß in jenen Zeiten die Ehe eines Oheims mit ſeiner Nichte unter den Juden nicht ungewoͤhnlich geweſen. Jn dem Talmud wird naͤmlich mit vielem Fleiſſe unterſuchet, wenn von dieſem oder jenem Geſetze eine Ausnahme ſtatt findet. Wenn derowegen die Frage vorkoͤmmt, in welchen Faͤllen ein Bruder nicht verbunden ſey, ſeines ohne Kinder verſtorbenen Bruders Witt - we zu heirathen; ſo wird auch dieſer ange - fuͤhret, wenn der verſtorbene Bruder die Tochter des noch lebenden Bruders zur Frau gehabt, denn ſelbige duͤrfe der Va - ter nicht heirathen**)Talmud. Part. III. Lib. I. Cap. I. .
Das folgende Geſetz unterſaget dieWarum die Ehe mit des Vatern Bruders Wittwe verbothen. Frau des Vatern Bruders zu ehelichen, und wird hinzugeſetzet: denn es iſt deines Vaters Brudern Frau. Man bemerke bey dieſem Geſetze abermals, daß nicht verbothen wird, die Frau des Bruders der Mutter zu heirathen. Wir haben kei -ne384ne Urſache zu vermuthen, daß es den Jſrae - liten uͤberlaſſen worden, dieſes letztere durch einen Schluß als verbothen anzuſehen. Man laſſe doch nicht aus der Acht, wie genau der Geſetzgeber alles beſtimmet, und wie vieles er wuͤrde hinweggelaſſen haben, wenn er hier der Ueberlegung der Jſraeli - ten eine weitere Ausdehnung anvertrauen wollen. Vielmehr iſt zu ſchlieſſen, daß unter den Jſraeliten bey der Frau oder Wittwe des Vatern Bruders Urſachen eingetreten, welche bey der Frau eines Bruders der Mutter nicht geweſen. Und dieſe finden ſich auch wirklich in der politi - ſchen Verfaſſung der Jſraeliten. Das maͤnnliche Geſchlechte erbete alle Grund - ſtuͤcke der Familie, ſo lange Soͤhne vorhanden waren, 4 B. Moſ. C. 27. v. 8. 9. 10. 11. Eine jede Familie aber erhielt ihr Erbtheil bey Austheilung des Landes Canaan in einerley Gegend. Die Mannsperſonen, beſonders die von Einem Vater, wohneten daher nahe bey einander, und hatten vielen Umgang mit einander. Die reichen Jſraeliten lebeten ferner in der Vielweiberey. Dieſe macht im hoͤchſten Grade eiferſuͤchtig. Gott ſuch - te aber auf alle moͤgliche Art Zwieſpalt in den Familien zu verhuͤten. Haͤtte nun aber eines Brudern Sohn die Erlaubniß gehabt, ſeines Vatern Brudern Frau zu heirathen; ſo haͤtte ſolches ſehr leicht zudem385dem Argwohne Gelegenheit geben koͤnnen, daß die Frau und des Bruders Sohn Ab - ſichten auf einander haͤtten, und daher auf den Tod des Mannes hofften und warte - ten. Ja, was noch weit mehr? Unter den Jſraeliten wurde die Scheidung nach - geſehen. Eine Frau, die ſich in einen an - dern verliebte, konnte dem Manne das Le - ben ſo ſauer machen, daß er ihr gerne ei - nen Scheidebrief gab. Wenn nun aber des Bruders Sohn dergleichen veranlaſ - ſet, was fuͤr eine Zerruͤttung haͤtte ſolches in der Familie gegeben, und was fuͤr eine unanſtaͤndige Sache waͤre es nicht geweſen, wenn des Bruders Sohn eine geſchiedene Frau des Oheims vor den Augen deſſelben geehelichet haͤtte? Die nachgeſehene Schei - dung machte bey den Jſraeliten Geſetze nothwendig, die es nicht mehr ſind, nach - dem ſelbige aufgehoben worden.
Bey der Frau des Bruders der Mut - ter, waren obige Umſtaͤnde entweder gar nicht oder nicht ſo unvermeidlich, wie in dem vorigen Falle. Die Muͤtter konnten nicht aus der ganz allernaͤchſten Verwand - ſchaft ſeyn, ſondern waren aus abgeſon - derten Familien, ja nicht ſelten eine ge - kaufte Magd, 2 B. Moſ. C. 21. v. 7-11. Hier war der vertrautere Umgang eines Sohnes mit ſeiner Mutter Bruders Frau, entweder gar nicht moͤglich, oder der Mut -Jac. Betr. 4. Band. B bter386ter Bruder konnte ihn doch leichter ver - hindern, als des Vaters Bruder. De - rowegen verboth Gott auf die weiſeſte Art die Ehe mit des Vatern Bruders Frau ganz und gar, mit der Frau des Bruders der Mutter aber nicht.
Nachdem ich ſchon ſo weitlaͤuftig ge - zeiget, was fuͤr Urſachen die Verbothe der Ehen zwiſchen dieſen oder jenen nahen Ver - wandten entweder nothwendig oder doch heilſam gemacht, wird es unnoͤthig ſeyn, mich bey den Urſachen aufzuhalten, warum Gott die Ehen mit einer Schwiegertochter, Stieftochter und Schwiegermutter verbo - then. Sie ſind aus dem vorhergehenden ſo leicht abzunehmen, daß die Anfuͤhrung derſelben eine bloſſe Wiederholung des ſchon mehrmals geſagten ſeyn wuͤrde. An deſſen ſtatt will dieſes bemerklich ma - chen. Wie gar abgemeſſen ſind die be - trachteten Ehegeſetze, theils nach den all - gemeinen Umſtaͤnden des menſchlichen Ge - ſchlechts, theils nach der beſondern Ver - faſſung des Jſraelitiſchen Volkes? Der Weiſeſte ſchraͤnket Freyheiten ein, die gar zu leicht das Wol und Vergnuͤgen der Fa - milien ſtoͤhren koͤnnten. Wo aber dieſes entweder gar nicht, oder wenigſtens nicht leicht in Gefahr kommet, da laͤſſet er demMen -387Menſchen auch das Vergnuͤgen ſeiner Freyheit. Auch in dieſer ganz beſonders genauen Abmeſſung erblicke ich eine mehr, als menſchliche Weisheit. Die Geſetze bloſſer Menſchen ſind ſelten ſo abgemeſſen. Sie ſind insgemein entweder zu nachge - bend oder zu ſtrenge, und der Zweck der - ſelben wird nicht erhalten.
Vielleicht verlangen einige meiner Le -Einige An - merkungen uͤber die Verbind - lichkeit obi - ger Geſetze. ſer, daß noch meine Gedanken uͤber die Frage eroͤffnen ſoll, in wieferne die abge - handelten Geſetze zu den allgemeinen und nothwendigen Natur-Sitten - und Tugend - geſetzen gehoͤren, und die Chriſten verpflich - ten? Allein ich habe zu wichtige Urſachen, die mich abhalten, meine Meynung hieruͤ - ber zu aͤuſſern. Jch will indeſſen einige Anmerkungen machen, welche in die Be - antwortung dieſer Frage einigen Einfluß haben.
Nicht wenige und vielleicht die mehre - ſten chriſtlichen Sittenlehrer hangen der Meynung nach, daß es allezeit beſſer und ſchwerer ſey, in der Sittenlehre zu ſtrenge, als zu gelinde zu ſeyn, und, wenn bey ei - nem Ausſpruche der Schrift wegen der Sittlichkeit einer Handlung einige Dun - kelheit vorhanden, es allezeit am rathſam -B b 2ſten388ſten ſey, den ſtrengeſten Sinn anzuneh - men. Jch bin ſelber dieſer Meynung eine Zeitlang ergeben geweſen. Folgende Gruͤnde aber haben mich davon abgebracht, und ich bin anjetzt der Gedanken, daß es eben ſo vermeſſen, gefaͤhrlich und nachthei - lig ſey, in der Sittenlehre zu ſtreng, als zu gelinde zu ſeyn. Dehne ich die Geſetze Gottes weiter aus, und ſetze der menſch - lichen Freyheit engere Schranken, als Gott ſelber; ſo mache ich mich zu einem Geſetzgeber und Befehlshaber uͤber meine Bruͤder, und wer hat mich dazu erhoben? Jch mache den Weg zum Leben ſchwerer, und buͤrde dem Gewiſſen ein hartes Joch auf, und kann leicht verurſachen, daß man anfaͤnget, das Chriſtenthum fuͤr unmoͤg - lich zu halten, und durch wahre Geſetze deſſelben hindurchzubrechen, und man kann durch eine gar zu groſſe Einſchraͤn - kung des Gewiſſens ſo gut Seelen zur Hoͤlle fuͤhren, als durch eine gar zu groſſe Gelindigkeit. Gott will derowegen auch ganz und gar nicht, ja er hat es auf das nachdruͤcklichſte unterſaget, daß jemanden uͤber gleichguͤltige Sachen ein Gewiſſen gemacht werden ſolle. Apoſt. Geſch. C. 15. v. 10. Col. C. 2. v. 16. Roͤm. C. 14. v. 3. 4. 5. Unſer goͤttlicher Erloͤſer war dergeſtalt fuͤr die gelindere Erklaͤrung der goͤttlichen Geſetze, daß ſich nicht nur diePha -389Phariſaͤer, ſondern ſogar die Juͤnger des frommen Johannes daran ſtoßten. Marc. C. 2. v. 18-28. Jch mache mir daher eben ein ſo groſſes Gewiſſen, zu ſtrenge als zu gelinde in der Sittenlehre zu ſeyn. Es dienet mir zu einem groſſen Beweiſe der Goͤttlichkeit des Neuen Teſtaments, daß die Sittenlehre deſſelben eine ſo genaue Mittelſtraſſe haͤlt. Jch kann es dreiſte ſa - gen, es iſt keine einzige dergeſtalt abgemeſ - ſene Sittenlehre, woran anders die geof - fenbarte keinen Antheil gehabt, auf dieſem Erdboden von bloſſen Weltweiſen oder Prieſtern hervorgebracht. Die Sitten - lehren der von der Offenbarung nicht er - leuchteten Weltweiſen ſind entweder Epi - curaͤiſch oder Stoiſch, oder aus beyden ge - miſcht, und die Sittenlehre der heidniſchen Prieſter war im hoͤchſten Grade aberglaͤu - biſch. Wie ſchwer, vielleicht kann ich ſa - gen, wie unmoͤglich es ſey, eine recht ab - gemeſſene Sittenlehre, wie wir in der Bi - bel finden, hervorzubringen, erhellet dar - aus, daß es ſelbſt den Chriſten ſo ſchwer wird, dabey zu bleiben. Wie oft haben ſich nicht die gelehrteſten und froͤmmeſten Maͤnner auf die Seite der Stoiker gewen - det, und viele gleichguͤltige Dinge fuͤr un - erlaubt gehalten, und dem Leibe die ihm gegoͤnneten Bequemlichkeiten entzogen? Keine bloß menſchliche Sittenlehre hat jeB b 3die390die Mittelſtraſſe gehalten, welche wir in der Sittenlehre Chriſti finden.
Meine zwote Anmerkung iſt dieſe. Diejenigen Beweiſe, welche man anfuͤh - ret zu erhaͤrten, daß alle von Moſes ange - fuͤhrte Verbothe der Ehen in naher Freund - ſchaft zu dem allgemeinen und nothwendi - gen Sittengeſetze gehoͤren, und die Chri - ſten verpflichten, ſind nicht entſcheidend genug, dasjenige darzuthun, was ſie ſol - len. Man berufet ſich inſonderheit darauf, daß Gott die Uebertretung aller dieſer Ge - bothe Greuel nenne, um welcher willen er die Cananiter ausrotten wolle. 3 B. Moſ. C. 18. v. 24-29. Allein, daß dieſer Aus - ſpruch ſich nicht auf dieſes ganze Capitel, ſondern nur auf einige naͤchſt vorhergehen - de Verſe, und die darinne benannten Greuel beziehe, iſt gar zu deutlich. Erſt - lich, wie koͤnnte Gott ſagen, daß er die Cananiter mit aus dieſer Urſache ausrot - ten, und den Jſraeliten ihr Land geben wollte, weil Bruͤder ihre Halbſchweſtern, und ein Mann zwo Schweſtern zugleich heirathete, da ſelbſt Abraham, dieſer Lieb - ling Gottes, eine Halbſchweſter, und Ja - cob zwo Schweſtern zugleich zu Frauen gehabt? Wie konnte Gott ſagen, er rotte die Cananiter unter andern deswegen aus,weil391weil der eine Bruder des andern Wittwe zu Zeiten heirathete, da Gott dieſe Ehe ſelber durch ein Geſetz zu befoͤrdern ſuchte, wenn bloß dieſer Fall da war, daß ein Bruder verſtorben, der keine Kinder hat - te, durch welche ſein Name konnte fortge - pflanzet werden. 5 B. Moſ. C. 25. Ja es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß ſelbſt Mo - ſes in einer ſolchen Ehe gezeuget worden, die Gott nachher verbothen. 5 B. Moſ. C. 6. v. 20.
Auch kann man aus der Todesſtrafe, ſo Gott auf die Uebertretung eines Geſetzes geleget, nicht ſchlieſſen, daß ein Geſetz ſich auf die Natur der Dinge gruͤnde, und von ei - ner allgemeinen Sittlichkeit ſey, ſonſt waͤ - ren es auch die Gebothe von der Beſchnei - dung und vom Sabbathe, 1 B. Moſ. C. 17. v. 14. 2 B. Moſ. C. 31. v. 15. wel - ches doch mit den ausdruͤcklichen Buchſta - ben des Neuen Teſtamentes ſtreitet. Gal. C. 5. v. 2. Coloſſ. C. 2. v. 16. Die all - gemeine Verbindlichkeit dieſer oder jener Geſetze, die Gott den Jſraeliten gegeben, muß aus ganz andern Gruͤnden, und in - ſonderheit aus der allgemeinen Natur der Menſchen und menſchlichen Geſellſchaft, und aus der Wiederholung derſelben im Neuen Teſtamente geſchloſſen werden. Man muß einen Unterſchied machen unter den allgemeinen Sittengeſetzen und unterB b 4den392den Geſetzen einer guten Policey. Dieſe ſind veraͤnderlich nach der Beſchaffenheit der Zeiten, Voͤlker, Laͤnder und Staats - verfaſſungen. Jndeſſen folget daraus nicht, daß kein bloſſes Policeygeſetz, ſo Gott den Jſraeliten gegeben, nicht noch heutiges Tages ſehr heilſam und mannig - mal nothwendig ſeyn koͤnne. Ja ich glau - be, daß manches Geſetz der Jſraelitiſchen Policey noch mit Nutzen in unſern Staa - ten gebraucht werden koͤnnte. Man kann indeſſen nicht ſagen, daß es eine Suͤnde ſey, wenn es nicht geſchiehet.
Jch habe mich nicht unterſtanden,Einleitung. oben uͤber dieſe Betrachtung den Jnhalt derſelben zu ſetzen, wie ich bey den uͤbrigen gethan habe. Jch unterwinde mich bey dem Schluſſe dieſer Betrachtungen noch eine Materie ab - zuhandeln, bey welcher die allergroͤßten Gelehrten ihren Ruhm verdunkelt. Jch habe daher gefuͤrchtet, daß, wenn man gleich oben an der Stirn dieſer Abhand - lung ihren Jnhalt erblickte, ein groſſer Theil meiner Leſer ſie gar nicht wuͤrdigen moͤchte, ſie einmal anzuſehen. Jch habe derowegen meine Leſer vorher verſichern wollen, daß ich bey der anjetzt abzuhan - delnden Sache mich in diejenigen dunkeln Tiefen, in welchen ſich ſo viele Gelehrte verirret, gar nicht hinein wagen, ſondern nur einige beunruhigende Zweifel auf eine deutliche Art heben, und das Erbauliche eines gewiſſen bibliſchen Buches zeigen werde. Der geneigte Leſer laſſe ſich dero - wegen nicht wider dieſe Betrachtung ein -B b 5neh -394nehmen, wenn ich ſage, daß ſie von der Abſicht der Offenbarung des Johannes handeln ſoll.
Weil man die Abſicht dieſes Buches, und was ſelbige bey Verfaſſung der darin - ne enthaltenen Weiſſagungen nothwendig erfordert, nicht vor Augen gehabt, ſo iſt daſſelbe ſehr gemishandelt worden. Man hat unzaͤhlige Auslegungen davon gemacht, welche dieſer goͤttlichen Offenbarung, und dem menſchlichen Verſtande wenige Ehre machen, und den Feinden der Religion zu mancherley Geſpoͤtt Gelegenheit gegeben, und manchen aufrichtigen Chriſten dahin gebracht, daß er aus demſelben gar keine Erbauung mehr ſuchet, da es doch die al - lererbaulichſten und praͤchtigſten Ausſpruͤ - che in ſich faſſet. Ehemals habe ich aus eben dieſer Urſache wenig Erbauung darin - ne angetroffen, da es mir jetzo eines der erbaulichſten Buͤcher iſt. Jch wuͤnſche darzu etwas beytragen zu koͤnnen, daß es auch andern nuͤtzlich werde, welche jetzo wenig Geſchmack daran finden. Soll aber dieſes Buch jemanden erbaulich wer - den, ſo iſt noͤthig, daß man die Abſicht deſſelben vor Augen habe, und diejenigen Regeln im Leſen beobachte, welche aus derſelben folgen.
Die vornehmſte Abſicht dieſes erhabe -Abſicht der Offenbar. Joh. nen Buches iſt, die Chriſten fuͤr den Ab - fall zu bewahren, und in ihnen eine ſolche Staͤrke und Standhaftigkeit zu erwecken, welche ſich weder durch irrige Secten noch durch die haͤrteſten Verfolgungen der Feinde uͤberwinden lieſſe. Man leſe nur die ſieben Briefe, welche in dem zweyten und dritten Capitel der Offenbarung ſtehen; ſo wird man davon voͤllig uͤberzeuget werden. Man bemerke folgende nachdruͤckliche Ausſpruͤche, welche ein beſonderes Zeichen bey ſich ha - ben, daß dieſe Offenbarung ſie vor andern den Chriſten einſchaͤrfen wolle. Es ſtehet naͤmlich vor oder nach denſelben: wer Oh - ren hat zu hoͤren, der hoͤre, was der Geiſt den Gemeinen ſaget. Dieſes Zei - chen des Nachdrucks ſtehet aber bey fol - genden Ausſpruͤchen: Wer uͤberwindet, dem will ich zu eſſen geben von dem Holze des Lebens, das im Paradies Gottes iſt. Offenb. Cap. 2. v. 7. Wer uͤberwindet, dem ſoll kein Leid geſche - hen von dem andern Tode. v. 11. Wer uͤberwindet, dem will ich zu eſſen ge - ben von dem verborgenen Manna, und will ihm geben ein gut Zeugniß, einen neuen Namen geſchrieben, welchen nie - mand kennet, denn der ihn empfaͤhet. v. 17. Wer da uͤberwindet, und haͤlt meine Werke bis ans Ende, dem willich396ich Macht geben uͤber die Heiden. Und er ſoll ſie weiden mit einer eiſern Ruthe, und wie eines Toͤpfers Gefaͤß ſoll er ſie zerſchmeiſſen, wie ich von meinem Va - ter empfangen habe, und will ihm ge - ben den Morgenſtern. v. 26. 27. 28. Wer uͤberwindet, der ſoll mit weiſſen Kleidern angeleget werden, und ich werde ſeinen Namen nicht austilgen aus dem Buche des Lebens, und ich will ſeinen Namen bekennen vor mei - nem Vater und vor ſeinen Engeln. Cap. 3. v. 5. Wer uͤberwindet, dem will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und ſoll nicht mehr hinaus gehen. Und will auf ihn ſchreiben den Namen meines Gottes, und den Namen des neuen Jeruſa - lems der Stadt meines Gottes, die vom Himmel hernieder kommt von meinem Gott: und meinen Namen den neuen. v. 12. Wer uͤberwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Stuhl zu ſitzen, wie ich uͤberwunden habe, und bin geſeſſen mit meinem Vater auf ſei - nem Stuhl. Jch ſetze noch folgende Stellen hinzu: Sey getreu bis an den Tod, ſo will ich dir die Crone des Le - bens geben. Offenb. C. 2. v. 10. Halt, was du haſt, daß niemand deine Crone neh - me. Cap. 3. v. 11. Jngleichen: Wer uͤberwindet, der wirds alles ererben,und397und ich werde ſein Gott ſeyn, und er wird mein Sohn ſeyn. Cap. 21. v. 7. Wer dieſe Stellen in ihrem Zuſammen - hange lieſet, wird uͤberfuͤhret werden, daß eine Hauptabſicht der Offenbarung Johan - nis ſey die Chriſten wider die Verfolgun - gen, und alles was ſie zum Abfall und unlauterem Weſen im Chriſtenthume be - wegen koͤnnte, ſtandhaft zu machen. Vor allen Dingen aber iſt dieſe Offenbarung den erſten Lehrern des Chriſtenthums ge - widmet, als welche am mehreſten den grauſamen Verfolgungen ausgeſetzet wa - ren, und daher vornehmlich wider alle Verſuchungen zum Abfall unuͤberwindlich gemachet werden mußten. Es erhellet die - ſes daraus ganz offenbar, daß die ſieben Briefe zu Anfang der Offenbarung aus - druͤcklich an die Engel oder Biſchoͤffe ge - wiſſer Gemeinden gerichtet ſind.
Es war beſonders bey dem AnfangeFortſetzung des vori - gen. des Chriſtenthums hoͤchſt noͤthig den Glau - ben und dem Muth der Bekenner Jeſu zu ſtaͤrken, und ſie fuͤr den Abfall zu verwah - ren. Juden und Heiden widerſetzten ſich der Lehre des Heilandes mit aͤuſſerſter Ge - walt. Man bedienete ſich der allergrau - ſamſten Mittel um den Namen Jeſu von dem Erdboden zu vertilgen. Die Roͤmi - ſchen Kaiſer verhiengen eine harte Verfol -gung398gung nach der andern, und trachteten be - ſonders nach dem Leben der Lehrer, um ſelbige, wo moͤglich, aufzureiben. Wie ſchwer war es nicht bey ſolchen Umſtaͤnden zu hoffen, daß die Verheiſſung Chriſti wuͤrde erfuͤllet werden, daß auch die Pfor - ten der Hoͤllen ſeine Gemeine nicht uͤber - waͤltigen ſollten. Man ſtelle ſich mit ſei - nem Gemuͤth in jene Zeiten, wo die Kir - che uͤber zweyhundert Jahre unter einer heidniſchen Bedruckung geſtanden. Man empfinde bey ſich ſelber, wie ſchwer es muͤſſe geweſen ſeyn, die Hoffnung zu be - halten, daß die Kirche dennoch endlich ſie - gen werde. Wie noͤthig war es nicht in ſo zweifelhaften Umſtaͤnden den Glauben der Heiligen zu befeſtigen, und ihrer Hoff - nung und ihrem Muth eine immerwaͤhren - de Staͤrkung zu geben? Wie noͤthig war es nicht beſonders bey den allererſten hefti - gen Verfolgungen, die Gemuͤther des ſchwachen und bedruckten Chriſtenvolkes zu verſichern, daß Jeſus ſein Schickſal wiſſe, ſeine Gemeine nicht verlaſſe, und die Feinde des Evangeliums endlich zu Bo - den werfen werde? Wie noͤthig war es, den tapfern Helden Jeſu Chriſti den bluti - gen Zeugen ſeines Evangeliums, eine leb - hafte Vorſtellung von ihrer Ehre und Se - ligkeit unter dem verherrlichten Volke der vollendeten Gerechten zu geben? Dieſes alles thut aber die Offenbarung, ſo der er -hoͤhete399hoͤhete Heiland durch den Johannes ſeinen Knechten geben laſſen.
Es geſchiehet zu dieſem Zweck vierer -Hauptin - halt der Of - fenb. Joh. ley. Es wird erſtlich angezeiget, wie hef - tig die Feinde des Evangeliums wider die Kirche Chriſti wuͤten wuͤrden. Zweytens wird verſichert, daß Jeſus ſeine Gemeinen nicht ohne Beyſtand laſſen, ſondern ihre Feinde mit den fuͤrchterlichſten Verhaͤng - niſſen heimſuchen wuͤrde. Drittens wird die Hoffnung gegeben, daß die Kirche durch die groͤßten Gefahren hindurch brechen und uͤber alle ihre Feinde ſiegen ſollte. End - lich werden die lebhafteſten Bilder von der Herrlichkeit der zukuͤnftigen Welt und von der Ehre und Seligkeit rechtſchaffener Chriſten in derſelben gegeben, und zugleich das fuͤrchterliche Schickſal derer abgeſchil - dert, welche dem Evangelium nicht gehor - ſam geweſen. Dieſes iſt der Hauptinhalt der Offenbarung, mit welchem allerhand Ermahnungen, und beſonders ſehr vieles zu einem praͤchtigen Lobe Gottes verbun - den wird.
Die Umſtaͤnde der erſten Chriſten aberWarum die Offenb. Joh. noth - wendig dunkel ge - ſchrieben werden muͤſſen. verſtatteten ganz und gar nicht, daß die Feinde der Kirche beſonders der Roͤmiſche Hof waͤren genennet oder gar zu deutlich bezeichnet, und die harten Drohungen derOffen -400Offenbarung wider ſie ausgeſprochen wor - den. Wuͤrde man denen Chriſten nicht vorgeworfen haben, daß ſie Buͤcher haͤt - ten, welche die Majeſtaͤten beleidigten, die Obern fuͤr grauſame Tyrannen ausge - ſchrieen, ihnen nebſt ihrem Staat die fuͤrchterlichſten Verhaͤngniſſe, ja gar den Untergang droheten, die Gemuͤther der Unterthanen von ihnen abzogen, und zum Aufruhr Anlaß gaͤben? War es der Weis - heit Gottes gemaͤß, ſeine Verehrer in ein ſolches Anſehen zu ſetzen? Wir finden zum Exempel Offenb. Cap. 13. v. 10. So jemand in das Gefaͤngniß fuͤhret, der wird in das Gefaͤngniß gehen. So je - mand mit dem Schwerdt toͤdtet, der muß mit dem Schwerdt getoͤdtet wer - den, und es wird denen Feinden des Evan - geliums hiermit gedrohet, daß ſie eben daſſelbige erfahren ſollten, was ſie den treuen Bekennern Jeſu erwieſen. Man nehme jetzo einmal an, es gienge dieſes auf dergleichen grauſame Regierungen, als unter den heidniſchen Kaiſern, dem Do - mitianus, dem Commodus, dem Cara - calla und einigen andern geweſen, welche die vornehmſten Roͤmer in groſſer Anzahl hinrichten lieſſen, und daher auch endlich ſelber ermordet worden, und da folglich die Heiden unter ihnen ſelber die Grauſamkei - ten ausuͤbeten, welche ſie den Chriſten an - thaten: geſetzet, es haͤtten in der Offenba -rung401rung des Johannes dergleichen Regierun - gen ſollen abgebildet werden: haͤtte dieſes auf eine ganz deutliche Art geſchehen duͤr - fen? Waͤre es der Weisheit Gottes ge - maͤß geweſen, kund zu machen, es wuͤrde ein Domitianus, ein Commodus, ein Caracalla aufſtehen, die groͤßten Grau - ſamkeiten unter ihren eigenen Unterthanen ausuͤben, und von ſelbigen wieder ermor - det werden? Wuͤrde dieſes dem Chriſten - thume nicht zum groͤßten Nachtheile gerei - chet haben? Sollte von ſolchen Begeben - heiten, um die Hoffnung und den Muth der verfolgeten Chriſten zu ſtaͤrken, etwas entdecket werden; ſo mußte ſolches auf ei - ne ſo verdeckte Art, und unter ſolchen Ein - kleidungen und entfernten Bildern geſche - hen, daß niemand von den Heiden mit voͤlliger Gewißheit ſagen koͤnnen: hier iſt dieſer und jener Kaiſer abgebildet. Ja die Geſchichte dieſes Buches enthaͤlt Gruͤnde, woraus man muthmaſſen kann, daß daſ - ſelbe in den erſten Zeiten nicht muß ſeyn ſo gemein gemacht worden, als andere Schriften des neuen Bundes. Vermuth - lich iſt dieſes aus eben der Urſach geſche - hen, daß es von der Roͤmiſchen Regie - rung nicht als ein aufruͤhriſch Buch moͤch - te angeſehen werden, und Gelegenheit ge - ben, die Chriſten zu verfolgen. Man er - kenne alſo, wie viele Vorſichtigkeit bey ei -Jac. Betr. 4. Band. C cnem402nem ſolchen Buche zu beobachten gewe - ſen*)Eine andere wichtige Urſache, warum die mehreſten Weiſſagungen unter dunkeln Bil - dern muͤſſen verſtecket werden, leſe man in der dritten Betrachtung..
Man ziehe hieraus aber nicht den Schluß, daß auf eine ſolche Art dieſe Of - fenbarung alles Gebrauches und Nutzens beraubet worden, und es ſey eben ſo gut, als wenn ſie gar nicht gegeben worden. Sie behaͤlt bey ihrer Dunkelheit dennoch den groͤßten Nutzen. Ob man gleich nicht mit einer voͤlligen und unwiderſprechlichen Beſtimmung die Feinde der Chriſten, und ihr Schickſal daraus abnehmen koͤnnen, ſo machet ſie doch folgende Umſtaͤnde vollkom - men klar. Man hat in jenen ſchweren Zeiten aus derſelben ohne Muͤhe lernen koͤnnen, daß die Kirche mancherley Anfaͤlle wuͤrde zu erdulden haben. Die Bekenner der Chriſtlichen Religion wuͤrden oft hart verfolget werden, und viele wuͤrde man hinrichten, weil ihr Gewiſſen zu zart goͤtt - liche Wahrheiten zu verleugnen. Durch dieſe Standhaftigkeit aber wuͤrde die Kir - che ſiegen, und goͤttliche Gerichte wuͤrden endlich die Feinde zu Boden werfen, und eine ewige Ehre und Herrlichkeit wuͤrdedenen403denen folgen, welche in der Liebe Gottes die Liebe zu dem irdiſchen Leben, und die Furcht fuͤr allen Martern uͤberwunden. Sind dieſe Entdeckungen nicht von ſehr groſſem Nutzen? Waͤre denen erſten Chriſten gar nichts von den kuͤnftigen und langen Drangſalen der Kirche bekannt gemacht worden, waͤre die Verſicherung nicht auf das nachdruͤcklichſte und lebhafteſte und oft wiederholet worden, daß die Kirche endlich ſiegen und von den Feinden derſelben Rache genommen wer - den wuͤrde, waͤre die groſſe Herrlichkeit der blutigen Zeugen des Evangelii im Himmel nicht oft auf eine ruͤhrende und einnehmen - de Art abgeſchildert worden; wie wuͤrde es moͤglich geweſen ſeyn, daß der Glaube der erſten Chriſten, bey den ſo oͤftern und grau - ſamen Verfolgungen, und in einem heid - niſchen Bedruck, der bis in den Anfang des vierten Jahrhunderts fortgedauert, ſeine Kraft nicht verlohren, und die Hoff - nung aufgegeben worden, daß die Pforten der Hoͤllen die Gemeine Jeſu nicht uͤber - waͤltigen ſollten? War es in dieſen Um - ſtaͤnden nicht unumgaͤnglich noͤthig, denen bedraͤngten Chriſten und insbeſondere nach - denkenden Gemuͤthern einigen Unterricht von den Schickſalen der Kirche zu geben, und ſie in der Gedult und Standhaftigkeit zu ſtaͤrken? War aber hierzu ein ſo ver - deckter Unterricht, als die Offenbarung Johannis giebet, nicht hinlaͤnglich? EsC c 2war404war zu dieſem Zweck genug, wenn ihnen entdecket wurde, daß die Kirche mit aller - hand Feinden wuͤrde ſtreiten muͤſſen. Es war die Verſicherung genug, daß die Fein - de nach einander ſollten zu Boden gewor - fen, und die Kirche erhoͤhet werden. Es war genug zu wiſſen, daß dieſe und jene Gerichte uͤber die Feinde ergehen ſollten, ob ihnen gleich nicht deutlich geſaget wur - de, von welchem Tyrannen dieſe, und von welchem eine andere Strafe wuͤrde genom - men werden. Es war genug ihren Glau - ben und ihre Hoffnung von Zeit zu Zeit zu ermuntern, wenn ſie in der That ſahen, daß die Verfolger des Chriſtenthums bald auf dieſe bald auf eine andere in der Offen - barung bezeichnete Art heimgeſuchet, und den geaͤngſteten Chriſten Luft gemachet, und eini - ge Ruhe verſchaffet wurde. Und ſo konnte dieſe Offenbarung einen groſſen Nutzen ſchaffen, ob die Umſtaͤnde der damaligen Zeiten gleich erforderten, einige Dinge unter ganz dunkeln Bildern anzuzeigen.
Aus dem angezeigeten Endzweck der Offenbarung Johannis, und aus der Ein - richtung, welche ihr vermoͤge der Umſtaͤn - de nothwendig hat gegeben werden muͤſſen, ziehe ich die Regeln, nach welchen dieſes Buch muß geleſen werden, und nachdem ich ſelbige bey dem Gebrauche deſſelbenbeob405beobachtet, iſt es mir eines der erbaulich - ſten Buͤcher der Schrift geworden.
Die erſte Regel iſt dieſe: Man leſe dieſes Buch nicht um die Schickſale der Kirche auf eine ganz beſtimmte Art daraus zu lernen, ſo, daß man genau und nach al - len Umſtaͤnden wiſſen wollte, auf welche Perſonen, und auf welche Zeit dieſes oder jenes Bild insbeſondere gehe. Dieſes iſt ganz wider den Zweck der Offenbarung, und die Umſtaͤnde haben gar nicht zugelaſ - ſen, daß dergleichen deutlich waͤren ange - zeiget worden.
Die zwote Regel: Man halte ſich beſonders bey denen Stellen auf, welche heilſame Regeln geben, zum Lobe Gottes fuͤhren, den Glauben und Hoffnung der Chriſten beſtaͤrken, und die Herrlichkeit der zukuͤnftigen Welt abſchildern.
Die dritte Regel: Bey den Bildern dieſes Buches gedenke man an die Schick - ſale der Kirche uͤberhaupt. Man erwaͤge, wie dieſelbe bald ſo, bald anders angegrif - fen worden, wie die Lehre Jeſu aber doch immer auf eine unerwartete Art endlich ge - ſieget, und ſich bis auf den heutigen Tag immer weiter ausgebreitet und glaͤnzender worden, und wie die gedroheten Gerichte, bald an dieſem, bald an einem andern Feinde erfuͤllet worden. Wer die Ge - ſchichte der Kirche kennet, wird dabey aufC c 3die406die angenehmſten und erbaulichſten Be - trachtungen kommen.
Die vierte Regel: Weil es aber dem Menſchen kaum moͤglich, dem Triebe der Neubegierde dergeſtalt zu widerſtehen, daß man bey ſolchen Bildern nicht nachfragen ſollte, auf wen ſie wol insbeſondere zielten, ſo mag zwar wol jemand eine naͤhere Aus - legung fuͤr ſich davon machen; er brauche aber dabey die Beſcheidenheit, daß er ſie nie fuͤr etwas gewiſſes halte und ausgebe, noch weniger aber andern aufdringe, und mit andern daruͤber zanke.
Die fuͤnfte Regel: Man huͤte ſich fuͤr weit hergeholete, und vor der Bedeutung der Worte weit abweichende Erklaͤrun - gen, und mache die Offenbarung nicht durch allerhand wunderliche Einfaͤlle einer ſchwaͤrmenden Einbildungskraft laͤcherlich.
Die ſechſte Regel: Man ſuche die Beſtimmung der Begriffe vornehmlich aus der Sprache der heiligen Buͤcher ſelber, und aus den helleſten und ungezweifelſten Stellen derſelben. Und da die Offenba - rung Johannis ſich haͤufig der Bilder der alten Propheten bedienet; ſo mache man ſich dasjenige, was in ſelbigen ganz deut - lich iſt, genau bekannt, und brauche ſel - biges zur Erklaͤrung der Bilder der Of - fen barung.
Die ſiebente Regel: Weil es vermoͤ - ge der Natur der Dinge nicht anders ſeynkann,407kann, als daß in einem jeden Buche nach einigen hundert Jahren einige Stellen dunkel werden, indem ſich die Bedeutung mancher Worte mit der Zeit ganz veraͤn - dert, und einige Gebraͤuche und Geſchich - te, worauf ſich ein Buch beziehet, unbe - kannt werden; ſo denke niemand, daß er ja alle Stellen der Heil. Schrift, und be - ſonders der Offenbarung Johannis voll - kommen verſtehen werde. Man ſuche da - her dunkele Stellen durch keine gezwunge - ne und unerweisliche Erklaͤrungen deutlich zu machen; ſondern man bekenne lieber, daß man dieſe und jene Stelle nicht verſte - he. Genug, daß ſo viele klare Stellen allezeit bleiben werden, als zu unſerm Glauben und einem heiligen Leben noͤthig ſind.
Jch will den Gebrauch dieſer RegelnAnwen - dung der erſten Re - gel. durch Exempel zeigen. Nach der erſten Regel zerbreche ich mir den Kopf nicht daruͤber, wer in dem ſechſten Capitel ei - gentlich die vier Reuter ſind, und wor - auf die verſchiedenen Farben ihrer Pferde zielen. Vielleicht ſind eben dieſe Farben daruͤber gemahlet, damit die eigentlichen Zeiten und Perſonen und Umſtaͤnde, wor - auf dieſe Bilder zielen, haben unbekannt bleiben ſollen. Vielleicht haͤtte es aus den oben angefuͤhrten Urſachen der Kirche den groͤßten Nachtheil verurſachet, wenn dieC c 4wah -408wahren Perſonen und Umſtaͤnde nicht durch fremde Farben waͤren unkaͤnntlich gemacht worden. Denen Glaͤubigen kann genug ſeyn daraus zu erkennen, daß die Kirche hier auf Erden viele Unruhen auszuſtehen habe, und in einem Lande wohnen muͤſſe, wo Krieg, Hungersnoth, wilde Thiere, und auch oͤfters grauſame Verfolger ihren Aufenthalt traurig machen. Es war be - ſonders in den erſten Zeiten des Chriſten - thums noͤthig, dieſes den Glaͤubigen ein - zupraͤgen. Sie vermutheten die Ankunft Chriſti zur Vollendung ſeiner ſtreitenden und gedruckten Kirche gar zu bald. Ver - ſchiedene hoffeten auch, wie ein Origenes, daß Jeſus noch in dieſer Welt ein ſichtba - res und maͤchtiges Reich errichten, und ſeiner Kirche ſchon hiernieden eine vollkom - mene Ruhe verſchaffen wuͤrde. Sie tru - gen daher ein ſehnliches Verlangen nach einer ſo ſeligen Ankunft des Herrn. Was ſie ſehnlichſt wuͤnſchten, daſſelbe ſtelleten ſie ſich ganz nahe vor. Leute von einer aus - ſchweifenden Einbildung glaubten durch Geiſter und Geſichte und Offenbarungen davon Nachricht zu haben, und verurſa - cheten in den Gemeinen allerhand unor - dentliche Bewegungen, wie wir dieſes aus dem 2 Theſſ. C. 2. v. 1. 2. deutlich abneh - men koͤnnen. Die erſten Chriſten mußten derowegen mit aller Gewalt von dieſer Meynung abgezogen, und unterrichtet wer -den,409den, daß die triumphirende Kirche nicht ſo gleich wuͤrde angerichtet werden, ſondern es wuͤrde ſelbige noch eine geraume Zeit theils unter den gemeinen widrigen Schick - ſalen der Welt, theils unter beſondern Verfolgungen ſtreiten, und ſich ausbrei - ten und vermehren muͤſſen. Dieſes be - fremdete ſie aber, daß es ſo lange dauern ſollte, ehe es erſchiene, was die Kinder Gottes ſeyn ſollten, und daß ſie Gott von der Welt erwaͤhlet, und ſie doch unter dem Bedruck derſelben ſo lange ſeufzen lieſſe. Es war ihnen unbegreiflich, daß Gott und der liebreichſte Heiland die aller - treueſten Freunde ſo lange in Angſt und al - lerhand Elende laſſen koͤnnte. Es traten nach und nach Spoͤtter auf, und wie groß wird ihre Anzahl anjetzt, die da ſagten: wo iſt die Verheiſſung ſeiner Zukunft? Denn nachdem die Vaͤter entſchlafen ſind, bleibet es alles, wie es von Anfang der Creatur geweſen iſt. Wie noͤthig war es nicht, und wie noͤthig iſt es nicht noch jetzo, die Glaͤubigen zu ſtaͤrken, wenn ſie mit ſolchen Vorwuͤrfen und unru - higen Zweifeln ſtreiten muͤſſen. Johannes ſiehet und erzaͤhlet uns daher etwas, ſo dieſe Unruhe des Gemuͤthes beſaͤnftigen kann. Er ſiehet in einem Geſichte die Seelen ſolcher, welche wegen des Wortes Gottes umgebracht waren. Er hoͤret ſie mit ſtarker Stimme ſchreien: Herr duC c 5hei -410heiliger und wahrhaftiger, wie lange richteſt du, und raͤcheſt nicht unſer Blut an denen, die auf Erden woh - nen? Aus der Antwort: daß ſie noch eine kleine Zeit ruhen ſollten, bis vol - lend hinzu kaͤmen ihre Mitknechte und Bruͤder, die auch ſollten noch getoͤdtet werden gleich wie ſie, erhellet, daß ſie ſich nach dem groſſen Tage der Auferſte - hung und des Gerichtes geſehnet, und es werden ihnen ſolche Gedanken und Worte beygeleget, als man damals bey den be - kuͤmmerten Glaͤubigen fand. Durch die Antwort und durch das weiſſe Kleid, ſo jenen Seelen gegeben wird, wird den be - bekuͤmmerten Gliedern der ſtreitenden Kir - chen angezeiget, daß ihrer vor Gott nicht vergeſſen werde, daß aber die Kirche noch mehr blutige Zeugen erfordere, um dadurch erſt recht ausgebreitet zu werden, ehe das Geheimniß Gottes koͤnnte vollendet wer - den. Sie haͤtten aber den angenehmen Troſt, daß die Seelen treuer Bekenner, und aller derer, ſo in dem Herrn ſtuͤrben, gleich nach ihrem Abſchiede in einen ſo ſeli - gen Zuſtand kaͤmen, darinne ſie mit Ge - laſſenheit den herrlichen Tag der Auferſte - hung und ihrer voͤlligen Vollendung zur Seligkeit erwarten koͤnnten, wenn derſelbe auch gleich noch nicht ſo nahe waͤre. Sie moͤchten ſich alſo den Stolz der Feinde und das Gelaͤchter der Spoͤtter nicht irre ma -chen411chen laſſen. Der Tag des Gerichtes wuͤr - de nicht auſſen bleiben, ſondern zu ſeiner Zeit kommen, und alsdenn wuͤrden er - ſchrecken alle diejenigen, die ſie verfolget, und den Tag fuͤrchten, welchen ſie verſpot - tet. Wer auf eine ſolche Art dieſes Ca - pitel betrachtet, wird dabey keinen Anſtoß finden, und viele Erbauung daraus ſchoͤ - pfen koͤnnen.
Nach der zwoten Regel habe ich michAnwen - dung der zwoten Re - gel. uͤberhaupt an diejenigen Stellen am meh - reſten, die den deutlichſten Unterricht ge - ben, und den Willen bewegen und heili - gen. Und dergleichen hat die Offenbarung Johannis eine ſehr groſſe Menge. Sie hat eine groſſe Anzahl ſolcher Stellen, die ſo deutlich, daß ſie auch ein Einfaͤltiger verſtehen kann, und haben doch eine ſolche Hoheit, Pracht und Nachdruck, daß wir mit Wahrheit ſagen koͤnnen, daß nicht ei - ne menſchliche, ſondern goͤttliche Beredſam - keit darinne liege. Es empfinden aber nicht alle die groſſe Kraft derſelben, weil ſie ſich bey Bildern aufhalten, deren in - nere Beſchaffenheit ihnen mit Fleiß ver - decket worden. Jhre Neubegierde gruͤbelt in Geheimniſſen, die ſie weder errathen koͤnnen noch ſollen. Hier zerſtreuen ſie ihre Gedanken, und hindern die Abſicht dieſes erhabenen Buches. Mit ſolchen er -habenen412habenen und eindringenden Vorſtellungen ſind die vier erſten Capitel ganz angefuͤllet. Einige davon habe oben ſchon angefuͤhret. Jch ſetze noch einige hinzu. Wie maje - ſtaͤtiſch und reizend iſt die Beſchreibung des Heilandes Cap. 1. v. 5. 6. 7. 8. ? Er iſt der treue Zeuge (der goͤttlichen Wahrhei - ten) und Erſtgebohrne von den Todten, und ein Fuͤrſt der Koͤnige auf Erden: der uns geliebet hat und gewaſchen von den Suͤnden mit ſeinem Blut, und hat uns zu Koͤnigen und Prieſtern gemacht vor Gott und ſeinem Vater. Demſel - bigen ſey Ehre und Gewalt von Ewig - keit zu Ewigkeit Amen! Siehe er kommt mit den Wolken, und es wer - den ihn ſehen alle Augen, und die ihn geſtochen haben, und werden heulen alle Geſchlechte der Erden: ja, Amen! Jch bin das A und das O, der Anfang und das Ende ſpricht der Herr, der da iſt, und der da war, und der da kommt der Allmaͤchtige. Wie zaͤrtlich, wie ruͤhrend iſt die Anrede an den Biſchoff zu Smyrna Cap. 2. v. 8. 9. 10 ? Das ſaget der Erſte und der Letzte, der todt war und iſt lebendig worden, ich weiß deine Werke und deine Truͤbſal und deine Ar - muth, (du biſt aber reich,) und die Laͤ - ſterung von denen, die da ſagen, ſie ſind Juͤden, und ſinds nicht, ſondern ſind des Satans Schule. Fuͤrchte dich fuͤrder413der keinen, das du leiden wirſt. Sie - he der Teufel wird etliche von euch ins Gefaͤngniß werfen, auf das ihr verſu - chet werdet, und werdet Truͤbſal haben zehen Tage. Sey getreu bis an den Tod, ſo will ich dir die Crone des Le - bens geben. Wie nachdruͤcklich iſt die Beſtrafung des lauen und ſtolzen Biſchof - fes zu Laodicea, und wie liebreich die Er - mahnung an denſelben zur Buſſe Cap. 3. v. 14-20. ? Wie ehrerbietig und praͤchtig iſt das Lob Gottes, welches ihn jene vier und zwanzig Aelteſten geben Cap. 4. v. 10. 11. ? Es heiſſet von ihnen: Sie fielen nie - der vor dem, der auf dem Thron ſaß, und beteten an, den, der da lebet von Ewigkeit zu Ewigkeit, und wurfen ih - re Kronen vor den Thron und ſprachen: Herr, du biſt wuͤrdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft. Denn du haſt alle Dinge geſchaffen, und durch dei - nem Willen haben ſie das Weſen und ſind geſchaffen. Auf eine aͤhnliche Art wird Gott und unſer Heiland an vielen Stellen verherrlichet. Wie majeſtaͤtiſch iſt ferner nicht die Beſchreibung jenes groſ - ſen Gerichtes, und der groſſen Veraͤnde - rung der Welt. Cap. 20. 21. 22. So bald man nur aufhoͤret, eine genau be - ſtimmte Kirchengeſchichte in dieſem Buche zu ſuchen; ſo erſcheinet daſſelbe auf einmal deutlich, ſchoͤn und erbaulich.
Um von dem Gebrauch der dritten Re - gel ein Exempel zu geben, ſo erinnere ich mich bey dem Drachen, welcher die Chri - ſten Tag und Nacht bey Gott verklaget, Cap. 12. v. 10. daß es erſtlich uͤberhaupt die Natur laſterhafter und verworfener Geiſter mit ſich bringe, daß ſie die Tu - gendhaften beſchuldigen, ſelbige ſeyn noch ſchlimmer, wie ſie. Sie ſuchen dadurch ihre Laſter und Verbrechen zu beſchoͤnen. Jch erinnere mich daher zweytens, daß dieſes insbeſondere jenen gefallenen Engeln beygeleget werde in dem Buche Hiobs Cap. 1. v. 9. und daß ſeine Mitgenoſſen, die la - ſterhaften Menſchen ein Gleiches thun. Jch erinnere mich, wie ehemals die Juden die Chriſten vor Gott verklaget, und wie ſie ſolches noch in ihren Schriften und gewiſ - ſen Gebetern thun, da ſie ſelbige fuͤr Goͤ - tzendiener ausſchreyen*)Man leſe hiervon Eiſenmengers entdecktes Judenthum.. Es ſtellen ſich meinem Gemuͤthe ferner die groſſen Laͤſte - rungen vor, welche ehemals die Heiden wider die Chriſten ausgeſtoſſen, und wie ſie ſelbige beſonders vor denen Kaiſern zu Rom aller moͤglichen Laſter beſchuldiget, um einen Vorwand zu haben, ſie auf das haͤrteſte zu verfolgen. Bey der Verwer -fung415fung des Drachen aber erinnere ich mich, wie Gott dieſe feindſeligen Verklaͤger nach und nach in den Staub geleget, und ihnen die Macht zu ſchaden benommen. Mein Gemuͤth wird dabey unvermerkt auf ande - re blutbegierige Verklaͤger recht evangeli - ſcher Chriſten gefuͤhret, und wie die gnaͤ - dige Vorſehung Gottes uͤber ſeine Kirche hier und da ihre Wuth gebrochen, und mache mir die freudige Hoffnung, es wer - den nach und nach alle Feinde aͤchter Ver - ehrer des Evangeliums gedemuͤthiget, und denen treuen Freunden Jeſu Ruhe ver - ſchaffet werden.
Ein Exempel zur vierten Regel magAnwen - dung der vierten Re - gel. dieſes ſeyn. Die Bedeutung des Geſich - tes in dem zwoͤlften Capitel ſtelle ich mir auf folgende Art vor. Unter dem Weibe mit der Sonne bekleidet, verſtehe ich die wahre Kirche Gottes. Sonne, Mond und die Crone von zwoͤlf Sternen betrach - te als Zierrathen dieſes Bildes, und ſuche darinne weiter keine Bedeutung, als daß ſie die Ehre und den hohen Werth der Kirche vor Gott anzeigen. Jhr Kind ſo ſie gebahr, iſt der Heiland. Denn er wird deutlich aus dem zweyten Pſalm als derjenige bezeichnet, der mit einem eiſern Scepter alle Heiden oder Voͤlker regieren ſollte. Unter dem groſſen rothen oder feu -rigen416rigen Drachen verſtehe ich nach der eigenen Auslegung des Johannes v. 9. den Satan, und zwar in ſofern er ſein Reich und Werk hat in den Kindern des Unglaubens. Epheſ. Cap. 2. v. 2. Denn daß er hier in ſofern muß betrachtet werden, als er in den Fein - den der Kirche Gottes herrſchet, erhellet deutlich daraus, daß es von ihm heiſſet, daß er ſey uͤberwunden worden durch des Lammes Blut, und durch das Wort ih - rer (der erſten Prediger des Evangelii) Zeugniß, und dadurch, daß ſelbige ihr Leben nicht geliebet bis an den Tod. Es heiſſet von dem Drachen, daß er mit ſei - nem Schwanze den dritten Theil der Ster - ne nach ſich gezogen, und auf die Erde ge - worfen. Ferner, daß er den Heiland ver - ſchlingen wollen, welcher aber in den Him - mel geruͤcket worden, und daß er darauf das Weib oder die Kirche verfolget, und ſelbige in die Wuͤſte fliehen muͤſſen. Hier - aus ſchlieſſe ich, daß hier ein Feind bezeich - net werde, der den Heiland ſelber, und die erſten Gemeinen deſſelben verfolget. Dieſes aber thaten die Juden. Sterne vom Himmel werfen, heiſſet in der Spra - che der Propheten Voͤlker und groſſe Maͤch - te bezwingen. Es erhellet dieſes ohne allen Widerſpruch aus Dan. Cap. 8. v. 10. Von den Juden zu Chriſti Zeiten aber kann nicht geſaget werden, daß ſie groſſe Voͤl - ker bezwungen. Sie ſtunden ſelber unterden417den Roͤmern, und toͤdteten Jeſum durch einen Roͤmiſchen Landpfleger. Die Roͤ - mer aber hatten den dritten Theil der da - mals bekannten Voͤlker unter ſich ge - bracht. Jch verſtehe daher unter den Drachen den Satan, wie er durch die Juden unter und durch die Macht der Roͤ - mer Chriſtum und ſein Reich verfolget. Man ſchlage hierbey nach Cap. 2. v. 9. 10. wo es heiſſet: Jch weiß deine Werke und deine Truͤbſal und deine Armuth, (du biſt aber reich,) und die Laͤſterung von denen, die da ſagen, ſie ſind Juͤ - den und ſinds nicht, ſondern ſind des Satans Schule. Fuͤrchte dich vor der keinem, daß du leiden wirſt. Siehe der Teufel wird etliche von euch ins Gefaͤngniß werfen, auf daß ihr verſu - chet werdet, und werdet Truͤbſal haben zehn Tage. Hier wird geſaget, daß der Satan durch unaͤchte Juͤden Chriſten zu Smyrna verfolgen, und ins Gefaͤngniß bringen wuͤrde. Dieſes aber mußten ſie zu Smyrna durch Roͤmiſche Obrigkeiten thun, weil ſie daſelbſt keine Herrſchaft hat - ten. Meine obige Erklaͤrung wird alſo hierdurch beſtaͤrket. Unter den ſieben Koͤpfen der Drachen verſtehe ich nach Cap. 17. v. 9. Rom, welche die Stadt mit ſieben Bergen genannt wurde. Die zehn Hoͤrner ſehe ich als ein Bild von zehn Koͤnigen an, und zwar muthmaſſe ich,Jac. Betr. 4. Band. D ddaß418daß darunter die zehn Kaiſer vom Julius Caͤſar an bis auf den Flavius Veſpaſia - nus verſtanden werden. Es ſind nur ſie - ben Kronen oder Stirnbaͤnde da. Von die - ſen zehn Kaiſern ſind naͤmlich nur ſieben zur Regierung kommen. Die drey Kaiſer aber, Galba, Otho und Vitellius ſind bald nach ihrer Erwaͤhlung zum Kaiſerthume umge - bracht worden. Der Drache ſchwinget ſich in den Himmel. Dieſes heiſſet in propheti - ſcher Sprache, wie ohne Widerſpruch aus Jeſ. Cap. 14. v. 12. 13. 14. erhellet: ſich uͤber alles erheben, die groͤßte Hoheit und Gewalt ſuchen, und zu dem Ende, wie das Spruͤchwort ſaget: Himmel und Erde bewegen. Er und ſeine Engel ſtrei - ten mit Michael und ſeinen Engeln. Wie den Feinden Jeſu der Satan als ein Haupt zugeeignet wird, ſo wird hier den heiligen Bekennern des Evangeliums ein maͤchtiger Engel mit ſeiner Ordnung beygegeben. Der ſichtbare Streit aber iſt zwiſchen den erſten groſſen Apoſteln und Lehrern, und den Juden unter der Gewalt der Roͤmer. Der Drache wird beſieget, und aus dem Himmel geſtuͤrzet. Der Satan wird in dem Streit, den er durch die Juden wider die Kirche fuͤhret, uͤber - wunden und auf die Erde geworfen, d. i. wie einem jeden aus Jeſ. Cap. 14. v. 12. auf das deutlichſte in die Augen leuchtet, er wird aus ſeiner Hoheit herabgeſtuͤrzet,und419und ihm ſeine Macht genommen. Die Macht des Satans, ſo er durch die Juden wider die Kirche Chriſti ausgeuͤbet, iſt un - ter der Regierung des zehnten Kaiſers in den Staub geleget, indem unter demſelben Jeruſalem zerſtoͤret, und die Juͤdiſche Macht voͤllig uͤber den Haufen geworfen worden. Als der Drache, der Satan ſahe, daß er durch die Juden weder Chri - ſtum verſchlingen, noch die erſten Lehrer des Chriſtenthums beſiegen koͤnnen, ſon - dern daß ſeine Macht, die er unter den Juden hatte in den Staub geleget, ſo machte er ſeinen Anſchlag wider die durch die erſten Lehrer ausgebreitete Kirche, und bediente ſich darzu nach Cap. 13. der heid - niſchen Macht zu Rom. Dieſes ſind mei - ne Muthmaſſungen uͤber die eigentliche Bedeutung des Geſichtes, ſo ſich in dem zwoͤlften Capitel der Offenbarung befindet. Jch ſuche ſelbige aber niemanden, als ei - ne ausgemachte Wahrheit aufzudringen. Jch diſputire nicht einmal mit jemanden daruͤber. Am wenigſten bringe ich davon etwas auf die Canzel. Muß ich ja an ei - nem Michaelistage uͤber dieſen Text, wor - uͤber man ſo viele wunderbare Predigten hoͤret und lieſet, oͤffentlich reden, ſo han - dele dabey folgende wichtige und erbauli - che Materien ab. Jch rede von der Ab - ſicht der Offenbarung Johannis uͤber - haupt, und wie man ſelbige zur ErbauungD d 2zu420zu leſen habe. Oder ich betrachte die gnaͤ - dige Vorſehung Gottes uͤber ſeine Kirche bey den mancherley Anfaͤllen ihrer Feinde. Oder ich handele nach Anleitung des zehn - ten Verſes von dem Verhalten der Buͤr - ger des Himmels bey der gnaͤdigen und maͤchtigen Beſchuͤtzung der Kirche Chriſti, wie ſie naͤmlich daran Antheil nehmen, ſel - bige freudig bewundern, und Gott und den Heiland daruͤber verherrlichen. Oder ich rede bey Gelegenheit des eilften Verſes von der Treue, welche man Jeſu und ſei - nem Reiche ſchuldig iſt. Und ſo koͤnnen mehr erbauliche Sachen bey dieſem Texte vorgetragen werden, ohne daß man ſeinen Zuhoͤrern erzaͤhlet, wie viele Meynungen die Gelehrten erſonnen, wer eigentlich Mi - chael und ſeine Engel, und wer der Dra - che und ſeine Engel, und wie ſelbige einan - der ein Treffen geliefert. Es iſt genug, daß man anzeiget, daß die Kirche ſichtbare und unſichtbare Freunde und Feinde habe, und daß Gott ihr beyſtehe und ſie erhalte.
Auf eine aͤhnliche Art verhalte ich mich bey andern Bildern dieſer Offenbarung. Jch muthmaſſe, aber ich entſcheide nicht. So ſcheinet mir Rom, welches von An - fange des Chriſtenthums, bis hierher den groͤßten Einfluß in die Chriſtliche Religion gehabt, unter allerhand Geſtalten abge -bildet421bildet zu ſeyn. Zuerſt finde ich es in der Verbindung mit den Juden als eine Fein - din des Chriſtenthums Cap. 12. Hernach unter dem Bilde eines Thieres nicht mehr, wie Cap. 12. mit ſieben Haͤuptern und zehn Hoͤrner und ſieben Cronen, ſondern mit ſieben Haͤuptern, zehn Hoͤrnern und zehn Cronen Cap. 13. Man hat ſchon in den aͤlteſten Zeiten zehn Hauptverfolgungen der Chriſten unter den heidniſchen Kaiſern gezaͤhlet. Jch vermuthe derowegen, daß die zehn Kaiſer hier abgeſchildert worden, welche die Chriſten verfolget. Darauf kommt ein Thier mit zwey Hoͤrnern, wie das Lamm, thut Zeichen, und machet, daß das erſte Thier angebetet wird. Die - ſes ziehe ich auf den Kaiſer Julian, wel - cher das Chriſtenthum auf eine feine und ſanfte Art aufzuheben ſuchte, und machte, daß der heidniſche Theil von Rom, der unter dem Conſtantin dem Groſſen ſein Anſehn verlohren, wieder geehret und an - gebetet wurde. Dieſer Julian bewies ſich nicht ſo hart gegen die Chriſten, als die vorigen Verfolger derſelben, ſondern ſuch - te ſie auf eine glimpflichere Art wieder zu Heiden zu machen. Er und ſeine Welt - weiſen bemuͤheten ſich der Lehre und den Sitten des Heidenthums, eine beſſere Ge - ſtalt zu geben, und es den Chriſten an - nehmlicher zu machen. Er verfuhr nicht, wie ein zerreiſſendes Thier, ſondern han -D d 3delte422delte leutſelig als ein Lamm, er laͤſterte aber das Chriſtenthum, wie der Drache. Er erhaͤlt aber ſeinen Zweck nicht. Baby - lon, das heidniſche Rom faͤllt. Unter dem Theodoſius dem Groſſen wird das Hei - denthum in Rom ganz abgeſtellt. Die Stadt bleibet zwar Cap. 14. v. 20. aber auſſer derſelben gehen die Gerichte Gottes uͤber die Heiden. Hierauf wird dreyer Feinde gedacht, welche ſich gemeinſchaftlich dem wahren Chriſtenthum entgegen ſetzen, naͤmlich des Drachens, des Thieres und eines falſchen Propheten Cap. 16. v. 13. Unter dem Drachen verſtehe ich den Sa - tan, unter dem Thier, von welchem es Cap. 17. v. 8. heiſſet, daß es geweſen und nicht ſey und wieder komme, erblicke ich Rom, welches das Heidenthum zwar ganz abgeleget, aber gar bald wieder heid - niſche Greuel anrichtet, und ein Feind des wahren Chriſtenthums wird und ſelbiges verfolget. Ein falſcher Prophet iſt ein ſolcher, der ſich faͤlſchlich fuͤr einen Geſand - ten Gottes ausgiebet, und ſich unmittelbar goͤttlicher Eingebungen ruͤhmet. Andere moͤgen urtheilen, wer ſich als einen ſolchen zu Rom beruͤhmt gemacht. Rom bekommt hiermit noch eine neue Geſtalt. Es er - ſcheinet unter dem Bilde eines roſinfarbe - nen Thieres von ſieben Haͤuptern und zehn Hoͤrnern, auf welchen eine Hure ſitzet, die trunken iſt von dem Blute der Heiligen undZeugen423Zeugen Jeſu Cap. 17. Dieſes Thier und der falſche Prophet ſind bey einander, und ſtreiten mit vereinigter Kraft wider Chri - ſtum und ſein Reich. Cap. 19. v. 19. 20. Dieſes letztere Bild ſcheinet deutlich genug zu ſeyn, und meiner Erklaͤrung nicht zu be - duͤrfen.
Wider die fuͤnfte Regel habe meinemAnwen - dung der fuͤnften Regel. Beduͤnken nach nicht nur ſchwaͤrmende Traͤumer, ſondern auch viele von ſolchen Maͤnnern angeſtoſſen, die ich als Sterne der erſten Groͤſſe verehre*)Die Nachrichten von dergleichen Exempeln ſuche man in Wolfii Curis Philolog. in Apocalyps. . Es iſt be - kannt, was fuͤr ein wunderbares tauſend - jaͤhriges Reich verſchiedene in dieſer Offen - barung entdecket, und wie laͤcherlich ſie ſich und ihre Erklaͤrungen gemacht haben. Aber auch groſſe und recht geſetzte Gelehrte haben ſehr gezwungene Erklaͤrungen, und aus der Sprache der Offenbarung gemacht, was ihnen beliebet hat. Ein gewiſſer Ge - lehrter**)Lakemacherus in Obſervat. Philolog. hat faſt die ganze Offenbarung auf die Schickſale der Stadt Jeruſalem ziehen wollen, und daher vieler Kuͤnſte ge - brauchet dieſen Ort, der ſich uͤber vier Berge verbreitete, zu einer Stadt von ſie -D d 4ben424ben Bergen zu machen, da doch Jeruſa - lem nie ſieben Berge zugeeignet werden, von Rom aber bekannt iſt, daß es die ſie - benbergigte Stadt genennet worden, weil ſie auf ſieben Bergen lag. Man kann auch nicht ſagen, daß die Juden jemand gezwungen ein Bild anzubeten. Die Chriſten aber ſollten die Bildſaͤulen der Kaiſer verehren und ihnen raͤuchern. Was man hier alſo von dem ſiebenkoͤpfigten Thier lieſet, kann ohne den gewaltſamſten Zwang, auf keinen andern Staat, als den Roͤmi - ſchen gezogen werden. Am mehreſten ge - het mir nahe, wenn einige recht groſſe Ge - lehrte die herrlichen und praͤchtigen Vor - ſtellungen von der kuͤnftigen triumphirenden Kirche auf einen begluͤckten Zuſtand der Kirche auf Erden deuten, der entweder zu den Zeiten des Conſtantins angefangen ha - ben oder noch kommen ſoll. Wie verdre - het man da nicht die drey letzten Capitel der Offenbarung, welche doch ſo gar deut - lich von der Auferſtehung der Todten, und dem ſeligen Zuſtande der triumphirenden Kirche im Himmel zeugen?
Nach der ſechſten Regel muß man ſich uͤberhaupt mit der Sprache der Propheten bekannt machen, und aus ſelbigen lernen, wie man die Begriffe ihrer Bilder zu be -ſtim -425ſtimmen habe. Denn an den mehreſten Orten erklaͤren ſie ſich ſelber, und machen ihre Sprache deutlich, daß man die Haupt - ſache hinlaͤnglich verſtehen kann, obgleich zu Zeiten einige Umſtaͤnde verſteckt wer - den. Wir wollen dieſes in einigen Exem - peln zeigen. Wer das vierzehnte Capitel des Jeſaias lieſet, ſiehet ohne Muͤhe, daß unter den Boͤcken der Welt, die Anfuͤhrer und Maͤchtigen der Erden verſtanden wer - den, denn Jeſaias ſetzet gleich hinzu: alle Koͤnige der Heiden. Es erhellet ferner aus dieſem Capitel, daß wenn in den Pro - pheten die Geſchichte eines Koͤniges abge - bildet wird, darunter nicht allezeit ein ein - zelner Koͤnig, ſondern auch wol eine ganze Folge von Koͤnigen verſtanden werde. Wenn hier der Koͤnig von Babel abge - ſchildert wird; ſo ſiehet ein jeder, der die Hiſtorie des Babyloniſchen Reiches kennet, daß hier die Linien von mehr denn einem Koͤnige zu finden, und daß man hier we - nigſtens die Folge der Babyloniſchen Koͤ - nige von dem Nebucadnezar bis auf die Einnahme von Babylon, durch den Cyrus zuſammen nehmen muͤſſe. Denn Nebu - cadnezar war eigentlich der groſſe Ueber - winder der Voͤlker, ſo hier beſchrieben wird. Die Ueberwindung dieſes fuͤrchter - lichen Hauſes geſchahe aber erſt verſchie - dene Jahre nach dem Ableben dieſes Koͤni -D d 5ges426ges durch den Cyrus*)Man leſe hieruͤber Vitringae Commentar. in Jeſaiam ad hoc Cap. . Wenn man das achte Capitel der Weiſſagung des Da - niels mit Ueberlegung lieſet, ſo wird, wie an verſchiedenen andern Orten der Prophe - ten, mit ausdruͤcklichen Worten erklaͤret, daß unter dem Bilde verſchiedener Thiere, in der prophetiſchen Sprache insgemein Koͤnigreiche abgeſchildert werden, und ihre Hoͤrner bedeuten unterweilen einzelne Koͤ - nige, wie zum Exempel das groſſe Horn des Ziegenbocks, ein Bild des Alexanders iſt, zu Zeiten bezeichnen ſie aber ganze Folgen von Koͤnigen So werden in eben dieſem Geſichte die zwey Hoͤrner des Wid - ders mit ausdruͤcklichen Worten von den Koͤnigen der Meder und Perſer erklaͤret, und die vier Hoͤrner des Ziegenbocks, wel - che an ſtatt des erſten einzelnen Horns wachſen, bilden wieder vier Koͤnigreiche, und vier Reichen von Koͤnigen ab, welche aus dem Reiche des Alexanders entſtanden. Hieraus laſſen ſich Regeln ziehen, nach welchen die Begriffe der prophetiſchen Sprache und Bilder zu beſtimmen ſind. Thiere ſind insgemein Bilder von Voͤlkern, Reichen und ihren Regierungen. Hoͤrner ſind alsdenn ein Bild, und zwar zu Zeiten in einem einzigen Geſichte, bald von ein -zelnen427zelnen Koͤnigen, bald von ganzen Reichen und Folgen von Koͤnigen. Unter dem Koͤ - nige eines Reiches wird zu Zeiten eine gan - ze Reihe von Beherrſchern eines Reichs verſtanden. Es muß aus den Umſtaͤnden entſchieden werden, wenn man unter einem ſolchen prophetiſchen Bilde einzelne Perſo - nen oder ganze Regierungen, die von vie - len Perſonen nach einander gefuͤhret wor - den, zu verſtehen habe.
Wir wollen die Anwendung des Vor -Fortſetzung des vori - gen. hergehenden in einem Exempel aus der Offenbarung des Johannes zeigen. Jn dem ſiebenzehnten Capitel derſelben findet man folgendes Bild von einem Feinde Je - ſu und ſeiner Heiligen. Johannes ſiehet ein Thier mit ſieben Haͤuptern und zehn Hoͤrnern, worauf eine unzuͤchtige Perſon ſitzet. Das Thier iſt wieder eine gewiſſe Regierung, welche dem wahren Chriſten - thume entgegen iſt. Die ſieben Haͤupter erklaͤret die Offenbarung ſelber von ſieben Bergen und von ſieben Koͤnigen, und die zehn Hoͤrner von zehn Koͤnigen, und die Hure wird als ein Bild der groſſen Stadt, die auf ſieben Bergen lieget, von welcher ſchon mehr geredet worden, angegeben. Hier fraget es ſich: ſind die ſieben Haͤu - pter und die zehn Hoͤrner, welche nach Auſ - ſage der Offenbarung ſiebenzehn Koͤnigebe -428bedeuten, einzelne Koͤnige oder ganze Rei - hen von Regenten? Folgende Umſtaͤnde muͤſſen dieſes beſtimmen. Das Thier iſt unſtreitig ein groſſes Reich, und keine ein - zelne Perſon, denn es werden ihm viele Koͤnige zugeeignet. Eben dieſes Thier aber wird v. 11. unter die Koͤnige mitge - rechnet. Hieraus erhellet, daß dieſe Koͤ - nige keine einzelne Perſonen, ſondern gan - ze Reihen von Koͤnigen und Regierungen ſeyn, welche unter dem Thiere ſtehen, und eine Zeitlang zwar wider Chriſtum und ſeine Kirche ſtreiten, endlich aber die Hu - re, d. i. die beſchriebene groſſe Stadt gaͤnzlich zerſtoͤren.
Bey der Anwendung der ſechſten Re - gel muß man aber genau zuſehen, ob auch die Bilder, welche in dem neuen Teſta - mente aus den Propheten des alten Bun - des entlehnet werden, eben eine ſolche Sa - che vorſtellen, welche ehemals dadurch ab - geſchildert worden, oder ob nur ein bekann - tes Bild beybehalten, unter ſelbigem aber eine ganz andere Sache abgemahlet wor - den. So behaͤlt Jeſus einen Theil desje - nigen Bildes, unter welchem Jeſaias die Zerſtoͤrung Jeruſalems vorgeſtellet; er ſchildert aber darunter den unſeligen Zu - ſtand der Hoͤlle und der Verdammten nachdieſem429dieſem Leben ab*)Jeſ. Cap. 66. v. 24. Wird denen Juden, welche ihre Bruͤder die wahren Verehrer Gottes und des Meſſias haſſen und abſon - dern wuͤrden, gedrohet, daß ihr Wurm nicht ſterben, und ihr Feuer nicht verloͤſchen, und ſie allem Fleiſch ein Greuel ſeyn wuͤrden. Es zielet dieſes, wie aus dem Zuſammen - hange erhellet, auf den Untergang des Juͤ - diſchen Staats. Jeſus aber ſtellet unter dieſem Bilde die Quaal der Hoͤlle, und den jaͤmmerlichen Zuſtand der Verdammten vor, Marc. C. 9. v. 44. 46. 48. Man ſchlage hierbey nach Betracht. V. §. 34. Not.. Eben ſo machet es unſer Erloͤſer mit einigen Bildern, unter welchen die Juden das Reich des Meſſias vorzuſtellen pflegten. Er behaͤlt die Bil - der, giebet ihnen aber eine andere Deu - tung, und ziehet ſie entweder auf die Ver - faſſung des geiſtlichen Gnadenreiches, oder auf die ſeligen Umſtaͤnde der vollendeten Gerechten in der zukuͤnftigen Welt, oder verbindet beydes in einem Bilde mit einan - der. Die Juden hofften in dem Reiche des Meſſias die praͤchtigſten und herrlich - ſten Tafeln zu haben**)Man leſe davon Eiſenmengers entdecktes Judenthum.. Jeſus macht dieſes zu einem Bilde des Gnadenreichs, und vergleichet daſſelbe mit einer herrli - chen Mahlzeit***)Luc. C. 14. v. 16-24. Joh. C. 6. v. 48-51.. Die Juden hofftenzu430zu den Zeiten des Meſſias lauter Fuͤrſten zu werden, und die Voͤlker der Erden zu beherrſchen. Jeſus behaͤlt die Vorſtellung dieſes Volkes, er bezeichnet aber damit die Erhoͤhung ſeiner Freunde in jenem Le - ben*)Matth. C. 19. v. 28. Luc. C. 22. v. 29. 30. Offenb. Joh. C. 2. v. 20.. Zu Zeiten ſtellet Jeſus unter einem einzigen ſolchen Bilde ſowol das Gnaden - reich, als auch die Herrlichkeit der zukuͤnf - tigen Welt vor. Die Gleichnißrede von der Hochzeit, welche ein Koͤnig ſeinem Sohne machte**)Matth. C. 22. v. 1-14., ſchildert ſowol gewiſſe Begebenheiten des Gnadenreichs, als auch gewiſſe Umſtaͤnde der zukuͤnftigen Welt ab. Die Einladung zur Hochzeit geſchiehet in dieſer Welt, die Abſonderung der unwuͤrdigen Gaͤſte aber in der Zu - kuͤnftigen.
Wir wollen dieſes auf ein ſehr wichti - ges Stuͤck der Offenbarung des Johannes anwenden. Es wird naͤmlich daruͤber ge - ſtritten, ob die Beſchreibung des neuen Jeruſalems, welche in derſelben Cap. 21. und 22. ſtehet, den begluͤckten Zuſtand der Kirche des neuen Bundes bezeichne, oder ob ſie eine Abſchilderung von der Herrlichkeit der triumphirenden Kirche des Himmels ſey. Eine jede von dieſen Mey -nungen431nungen hat den Beyfall der groͤßten Leute vor ſich. Beſonders habe ich bemerket, daß diejenigen, welche die Buͤcher des neuen Bundes, vornehmlich aus dem Talmud und andern alten Schriften der Juden erklaͤren, der erſten Meynung pfle - gen zugethan zu ſeyn. Es ſtehen dieſe Art Ausleger bey mir in einer vorzuͤglichen Achtung, und es wird mir ſchwer ihre Er - klaͤrungen zu verlaſſen, und eine gegenſei - tige anzunehmen. Jndeſſen aber ſcheinet es mir gar zu gezwungen zu ſeyn, die beyden letzten Capitel der Offenbarung Johannes von einem begluͤckten Zuſtande der Chriſtlichen Kirche auf Erden zu er - klaͤren*)Es iſt ein gemeiner Fehler des menſchli - chen Verſtandes, auch bey den groͤßten Ge - lehrten, daß, wenn man wahrgenommen, es laſſe ſich eines und das andere aus einem gewiſſen Grunde erklaͤren, man die Anwen - dung gleich gar zu ſehr ausdehnet, und die noͤthigen Grenzen nicht beobachtet. Ein beruͤhmter Spenzer erklaͤret faſt alle An - ordnungen des Moſaiſchen Geſetzes aus Ge - wohnheiten der benachbarten Heiden. Ein Coccejaner aber meynet, daß in denſelben aller Orten auf Chriſtum und deſſen Gna - denreich geſinnbildet ſey. (Eine Redensart, deren ſich dieſe Leute viel bedienen.) Ein Bochard, ein Schultens findet unzaͤhlige Arabiſche Abſtammungen in den Hebraͤiſchen Worte, und ein Hermann von der Hardtwill. Es iſt nicht genug, daß manbewei -432beweiſet, wie in dieſen Capiteln einige Ausſpruͤche ſtehen, welche alte Juden bey Beſchreibung der Zeiten des Meſſias ge - brauchet, ſondern man muß auch aus dem Zuſammenhange zeigen, ob Jeſus undſeine*)will alles aus dem Griechiſchen hergeleitet wiſſen, und es bleibet kein Hebråiſches Wort, deſſen Griechiſchen Urſprung er nicht angie - bet. Ein Hammond findet aller Orten Gnoſtiker, und ein Lichtfoot, ein Wit - ſius, ein Schoͤttgen hoͤren Jeſum und ſeine Apoſtel faſt beſtaͤndig mit dem Talmud und andern alten Juͤdiſchen Schriften reden, und deren Lehren vortragen. Jn anderen Wiſſen - ſchaften gehet es eben ſo. Als die Luftpum - pe erfunden war, erklårete man faſt alles aus dem Druck der groben Luft, und wo ſelbige nicht hinreichte, nahm man die duͤn - ne Himmelsluft zu Huͤlfe. Ein Neuton hat die anziehende Kraft der Naturlehre geſchenket, und wie oft wird ſelbige ge - braucht, etwas zu erklaͤren? Ein Stahl laͤſſet bloß die Seele im menſchlichen Leibe wirken, und ein Leibniz und viele andere leiten alle Bewegungen deſſelben ganz allein aus der Zuſammenſetzung aus der Mechanik unſers Koͤrpers her. Alle dieſe groſſe Leute haben Wahrheiten vor ſich, aber ihre An - wendung iſt zu weit ausgedehnt. O, wie gerne moͤchte ich dieſen Fehler vermeiden! Aber wie thoͤricht wuͤrde ich von mir ſelber denken, wenn ich glaubte, jene groſſen Gei - ſter hierinne zu uͤbertreffen? Jndeſſen iſt es gut ſolche Fehler zu wiſſen, damit man da - gegen arbeite, ob man ihnen gleich nicht ganz entgehet.433ſeine Apoſtel nicht bloß jener Worte und Bilder behalten, ſie aber auf etwas ganz anders gezogen und gedeutet, als welches ſehr ofte geſchehen. Folgende Gruͤnde be - wegen mich aber die beyden letzten Capitel der Offenbarung des Johannes von der Herrlichkeit der triumphirenden Kirche im Himmel anzunehmen. Petrus erwaͤhnet eines neuen Himmels und einer neuen Erde, darinne Gerechtigkeit wohnet. Dieſe ſollen entſtehen nach der Zukunft des Tages des Herrn, an welchem die Himmel vom Feuer zergehen, und die Elemente vor Hitze zerſchmelzen ſol - len*)2 Petr. C. 3. v. 12. 13.. Wer darf zweifeln, daß Petrus hier von der letzten groſſen Veraͤnderung des Himmels und der Erde rede? Es iſt ferner der Spruch bekannt: Wir haben hier keine bleibende Stadt, ſondern die Zukuͤnftige ſuchen wir**)Ebr. C. 13. v. 14.. Diejeni - ge zukuͤnftige Stadt, welche die Glaͤubigen ſuchen, iſt gewiß nicht hier auf Erden ſon - dern im Himmel. Denn der Verfaſſer dieſes Briefes ſaget ausdruͤcklich: wir haben hier keine bleibende Stadt. Jn eben dieſem Briefe heiſſet es von den Glaͤu - bigen des alten Bundes: Dieſe ſind alle geſtorben im Glauben, und haben die Verheiſſung nicht einpfangen, ſondernſieJac. Betr. 4. Band. E e434ſie von ferne geſehen, und ſich der ver - troͤſtet und wol begnuͤgen laſſen, und bekannt, daß ſie Gaͤſte und Fremdlin - ge auf Erden ſind. Denn die ſolches ſagen, die geben zu verſtehen, daß ſie ein Vaterland ſuchen. Und zwar, wo ſie das gemeynet haͤtten, von welchem ſie waren ausgezogen, hatten ſie ja Zeit wieder umzukehren. Nun aber begeh - ren ſie eines beſſern, naͤmlich eines himmliſchen. Darum ſchaͤmet ſich Gott ihrer nicht zu heiſſen ihr Gott, denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet. Wie gezwungen. iſt es nicht, wenn dieſes einige auf die hernach erbauete Stadt Je - ruſalem, oder auf die Kirche des neuen Teſtaments ziehen? Es ſtehet ja hier aus - druͤcklich, daß jene Glaͤubigen ſich Gaͤſte und Fremdlinge auf der Erde genannt, und ein himmliſches Vaterland geſuchet. Hier ſtehet ja Erde und Himmel einander entgegen. Wie iſt es moͤglich, daß man unter dem himmliſchen Vaterlande Jeruſa - lem, und das Land Canaan, oder auch die Laͤnder der Chriſten verſtehen kann? Wie kann man ſagen, daß denen Vaͤtern, von welchen hier geredet wird, dem Abra - ham, dem Jſaac und Jacob jenes Jeru - ſalem, oder aber die Kirche neues Teſta - ments ſey erbauet worden? Es ſtehet hier: Gott hat ihnen, und nicht, Gott hat ihren Nachkommen, eine Stadt erbauet. Was435Was hat man doch fuͤr dringende Urſa - chen, ſolche kuͤnſtliche und gezwungene Er - klaͤrungen zu machen? Paulus lehret uns ganz deutlich, wo dieſe Stadt iſt, wenn er ſchreibet: Unſer Wandel, oder unſere Stadt - und Buͤrgerrecht, und unſer buͤr - gerliches Gewerbe iſt im Himmel, und zwar in demjenigen Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes Jeſu Chri - ſti des Herrn. Wo iſt alſo die Stadt, die bleibende Stadt, welche Gott den Glaͤubigen erbauet hat, und deren Buͤr - gerrecht er ihnen geſchenket hat? Sie iſt im Himmel, da wo Jeſus in ſeiner Herr - lichkeit iſt. Es kommt hinzu, daß es bey den Juden eine ganz unbekannte Meynung geweſen, daß im Himmel ein Jeruſalem ſey, welches von Gott erbauet, und mit der groͤßten Pracht ausgezieret ſey*)Conf. Schoettgenii Diſſertat. de Hieroſolyma Coeleſti, quae extat in Hor. Hebr. et Tal - mud. P. I. p. 1205.. Die Apoſtel bedienen ſich dieſer Vorſtellung als eines Bildes jener Seligkeit.
Es iſt alſo ganz klar, daß in der Spra -Fortſetzung des vori - gen. che des neuen Teſtaments, wenigſtens in den angezogenen Stellen unter dem neuen Himmel und der neuen Erde diejenige Verfaſſung des Himmels und der ErdeE e 2ver -436verſtanden werde, welche ſie nach jener groſſen Veraͤnderung der Welt bekommen werden, und daß dem Himmel der Seli - gen eine Stadt zugeſchrieben werde. Wir unterſuchen, was hierunter in dem ein und zwanzigſten und letzten Capitel der Offen - barung des Johannes zu verſtehen ſey. Jch will mich nicht bey denen Gruͤnden aufhalten, die nur wahrſcheinlich ſind, ſon - dern bey denen, die in meinen Augen ent - ſcheidend zu ſeyn ſcheinen. Es iſt an dem, daß die mehreſten Ausdruͤcke, welche hier ſtehen, in den letzten Capiteln des Jeſaias zu finden, und daſelbſt zu einer Abſchilde - rung der Kirche des neuen Bundes ge - braucht werden. Es iſt aber auch in dem Vorhergehenden ſchon gezeiget worden, daß Jeſus als der groſſe Prophet des neuen Teſtaments, und eigentlicher Urheber der Offenbarung des Johannes, ſich ſolcher Bilder, womit in den Propheten des alten Teſtaments gewiſſe Begebenheiten des neuen Bundes abgebildet worden, bediene die letzten groſſen Begebenheiten der Welt vor zuſtellen. Es iſt folglich zu unterſuchen, ob ſelbiges hier nicht ebenfalls geſchehen. Ferner findet man hier Vorſtellungen, der - gleichen man in allen Propheten des alten Teſtaments nicht antrifft. Dergleichen ſind in dem zwanzigſten Capitel die Be - ſchreibung der allgemeinen Auferſtehung und des andern Todes. Die allgemeineAuf -437Auferſtehung wird ſo deutlich und beſtimmt bezeichnet, daß man kaum begreifen kann, wie jemand hier etwas anders ſuchen koͤnne. Johannes ſahe erſt eine beſondere Auferſte - hung derer, welche um des Namens Jeſu willen waren enthauptet worden, und es ſtehet ausdruͤcklich dabey, die andern Tod - ten aber wurden damals nicht lebendig. Endlich aber ſahe Johannes auch die uͤbri - gen Todten beyde groſſe und kleine vor Gott ſtehen und gerichtet werden. Alles was das Meer, und uͤberhaupt Tod und Hoͤlle von Verſtorbenen in ihrer Gewalt hatten, wurde herausgegeben und gerich - tet. Wo lieſet man eine ſolche Beſchrei - bung in den Propheten des alten Bundes? Man berufet ſich auf das Geſicht des Eze - chiels, welches man in deſſen Weiſſagung Cap. 37. lieſet. Allein es iſt ja ein gar zu groſſer Unterſchied zwiſchen dem Geſichte des Ezechiels und des Johannes, und man merket gleich, daß jenes nur eine bildliche Vorſtellung einer ganz andern Sache ſey. Denn wo findet man ein Feld mit ſo viel dorren Menſchenknochen, als dem Ezechiel gezeiget wurde? Noch vielweniger ſiehet man hier die geringſte Spur von einer wahren und allgemeinen Auferſtehung der Todten. Ja was noch mehr? Jch be - merke hier und an vielen andern Orten, daß wenn der Allwiſſende ſeine Verhaͤng - niſſe in Bildern offenbaret, die leicht zu ei -E e 3ner438ner unrichtigen Deutung fuͤhren koͤnnte, er ſelbige ſelber erklaͤret und beſtimmet. Gott ſaget dem Ezechiel ausdruͤcklich, daß die verdorreten und wieder belebten Gebeine, ſo er geſehen, das ganze Haus Jſrael in ſeiner Gefangenſchaft vorſtelle. Bey der allgemeinen Auferſtehung, welche Johan - nes ſahe, findet man nicht die geringſte Spur, daß ſie ein Bild einer andern Sa - che ſeyn ſollen. Man antwortet. Die Offenbarung Johannis enthaͤlt lauter Bil - der: daher muß dieſes auch eine bildliche Vorſtellung ſeyn. Allein erſtlich iſt es falſch, daß alle Vorſtellungen der Offen - barung des Johannes dergeſtalt Bilder waͤren, daß kein einziger Ausdruck im ei - gentlichen Verſtande zu nehmen. Wenn es Cap. 16. v. 19. heiſſet: die Staͤdte der Heiden fielen, iſt dieſes ein hohes propheti - ſches Bild? Findet man ferner dergleichen in denjenigen Worten, welche Cap. 9. v. 20. 21. ſtehen? Und wie viel ſind der Ausdruͤcke in den Bildern der Offenbarung, welche in dem eigentlichſten Verſtande zu nehmen. Zweytens wird ja hier die Auf - erſtehung der Todten wirklich unter einem prophetiſchen Bilde vorgeſtellet. Jſt denn der groſſe weiſſe Stuhl oder Thron, iſt die fliehende Erde und Himmel, iſt das Wie - dergeben der Todten, ſo von dem Meer, dem Tode und der Hoͤlle geſchiehet, iſt das Stehen der Todten vor einem Richter -ſtuhl,439ſtuhl, ſind die Buͤcher die aufgethan wer - den, iſt der feurige Pfuhl, ſind alle dieſe Vorſtellungen etwas anders, als ein erha - benes Bild der kuͤnftigen allgemeinen Auf - erſtehung und des Gerichtes? Sind dieſes zum Theil nicht eben die Bilder, worunter uns Jeſus an andern Orten dieſe wichtige Sache vorgeſtellet? Sollten dieſe Bilder hier etwas anders anzeigen, als in den uͤbrigen prophetiſchen Vorſtellungen des neuen Teſtaments, wuͤrde davon nicht we - nigſtens einige Anzeige geſchehen ſeyn? Jſt denn die Offenbarung nur eini - gen wenigen tiefſinnigen Kunſtrichtern, und nicht zugleich andern verſtaͤndigen Leu - ten geſchrieben? Die Vorſtellung des zweyten Todes hat ebenfalls ihres gleichen nicht in den Propheten altes Bundes. Man findet derowegen in den drey letzten Capiteln der Offenbarung Johannis nicht lauter Vorſtellungen, die aus den Weiſ - ſagungen des alten Teſtaments genommen ſind, und wenn aus ſelbigen viele Ausdruͤ - cke hier angebracht werden, ſo iſt doch der Schluß keinesweges zuverlaͤſſig, daß hier damit eben daſſelbige abgebildet werde, was in jenen Weiſſagungen dadurch an - gezeiget worden, weil von dem Gegentheil unwiderſprechliche Exempel angefuͤhret worden. Da nun aber hier mit dem all - gemeinen Gerichte unmittelbar, und zwar ſogar durch das Verbindungswort, UndE e 4das440das Geſicht des neuen Himmels und der neuen Erde verbunden wird, wie ſolches 2 Petr. C. 3. v. 10-13. geſchehen, ſo halte dafuͤr, daß auch hier von keinem andern neuen Himmel und Erde die Rede ſey, als in dem zweyten Briefe des Petrus.
Ferner wird diejenige groſſe Abſonde - rung der Frommen von dem Gottloſen, welche unſer Erloͤſer an andern Orten un - ter prophetiſchen Bildern, naͤmlich Matth. C. 25. v. 32. 33. und Luc. Cap. 16. v. 26. vorgeſtellet, in den beyden letzten Capiteln der Offenbarung angezeiget. Diejenige Seligkeit, die hier beſchrieben iſt, wird nur denen Ueberwindern zugezeignet, und zwar ſo, daß derſelben der feurige Pfuhl und der andere Tod entgegen geſetzet, und den Unglaͤubigen und Laſterhaften zuge - ſchrieben wird. Nun aber verſtehen die alten Juden unter dem zweyten Tode nichts anders als die Hoͤlle, oder wenig - ſtens einen gewiſſen Theil des fuͤrchterlichen Schickſals der Verdammten nach dem Tode*)Conf. Schoettgenii Hor. Hebr. et Talmud. ad Apocal. Cap. XX. . Der feurige Pfuhl und der andere Tod werden aber hier in der Offen - barung fuͤr eines erklaͤret, und man hat folglich darunter eben dasjenige Schickſalzu441zu verſtehen, welches jenen reichen Mann nach der Gleichnißrede unſers Erloͤſers in jener Welt betraf. Jn dieſem feurigen Pfuhle aber ſollen die Verzagten und Un - glaͤubigen und Todtſchlaͤger und Hurer und Abgoͤttiſche, und alle Luͤgner ihr Erb - theil haben, und zwar zu der Zeit, wenn die Ueberwinder das himmliſche Jeruſalem, und deſſen Gluͤckſeligkeit ererben ſollen. Will man nun die beyden letzten Capitel der Offenbarung von der Gluͤckſeligkeit der Kirche neues Teſtaments auf Erden, nach den ausgeſtandenen Verfolgungen erklaͤ - ren, ſo ſehe ich gar nicht, wie man die angezogenen zwey Verſe in eine wahr - ſcheinliche Verbindung ſetzen koͤnne. Der Sinn derſelben waͤre alsdenn dieſer. Wer uͤberwindet, der wird die Zeit errei - chen, da die Kirche Friede von ihren Ver - folgern bekommt, und zu einer groſſen aͤuſ - ſerlichen Herrlichkeit gelanget, und ſelbige wird er ererben: die Verzagten und La - ſterhaften aber werden den feurigen Pfuhl, den andern Tod zum Erbtheil haben. Siehet man nicht ganz deutlich, daß die verzagten und boshaftigen Suͤnder von dem Erbtheil der Ueberwinder ausgeſchloſ - ſen werden? Haben ſelbige aber keinen Antheil an dem Frieden und uͤbrigen aͤuſ - ſerlichen Gluͤckſeligkeit der Kirche? Noch mehr, in der Offenbarung Johannis wer - den uns ſolche Ueberwinder beſchrieben,E e 5welche442welche um des Evangelii willen ihr Leben laſſen*)Offenb. Joh. C. 6. v. 10. 11. C. 12. v. 11., und hier wird den Ueberwindern uͤberhaupt eine Belohnung verſprochen: haben denn jene allergroͤßten und tapferſten Ueberwinder keinen Antheil an derſelben? Nach ſolcher Ausleger Meynung gewiß nicht, ſondern der Sinn dieſer Worte waͤre: wer in den Verfolgungen wird treu bleiben, und ſein Leben davon bringen und ſo alt werden wird, daß er die ruhigern Zeiten der Kirche erreichet, der wird an ſelbigen gluͤcklichern Zeiten Antheil haben. Wuͤrde denn dieſes eine groſſe Verheiſſung eine Quelle des Muthes und der Stand - haftigkeit fuͤr die blutigen Ueberwinder ge - weſen ſeyn? Wie matt macht man dieſe praͤchtige Stelle durch die Groͤſſe einer menſchlichen Gelehrſamkeit? Jch verbinde mit derſelben eine andere, die eben ſo nach - druͤcklich iſt. Es heiſſet Cap. 22. v. 14. 15. Selig ſind, die ſeine Gebote halten, auf daß ihre Macht ſey an dem Holze des Lebens, (daß ſie Macht und Recht haben zu dem Holze des Lebens,) und zu den Thoren eingehen in die Stadt. Denn hauſſen ſind die Hunde, und die Zauberer, und die Hurer, und die Todt - ſchlaͤger, und die Abgoͤttiſchen, und alle die lieb haben und thun die Luͤgen. Hier443Hier wird abermals verſichert, daß die treuen Verehrer Jeſu allein in das himm - liſche Jeruſalem hineingehen, und an dem Holze des Lebens Antheil haben ſollen. Das niedertraͤchtige Geſchlecht der Laſter - haften aber ſolle nicht hinein kommen. Wo hat aber die Kirche Chriſti hier auf Erden jemals eine ſolche Abſonderung der Heili - gen von den Unheiligen zu erwarten? Sa - get nicht Jeſus ſelber, daß das Unkraut unter dem Weizen bleiben werde, bis an jenen Tag*)Matth. C. 13. v. 30.? Es kommt hinzu, daß in eben dieſer Offenbarung das Holz des Le - bens in das Paradies Gottes geſetzet wird**)Offenb. Joh. C. 2. v. 7.. Jſt aber dieſes Paradies in dieſer Welt? Jeſus zeiget uns den Ort deſſelben, wenn er zu dem Schaͤcher ſpricht: Heute wirſt du mit mir im Paradieſe ſeyn.
Noch ein ſtarker Grund, daß hierFortſetzung des vori - gen. von jenem groſſen Tage und der zukuͤnfti - gen Welt die Rede ſey, iſt dieſer. Jeſus ſetzet hinzu***)Offenb. Joh. C. 22. v. 12.: ſiehe, ich komme bald, oder ploͤtzlich, und mein Lohn mit mir zu geben einem jeglichen, wie ſeine Werke ſeyn werden. Nirgend hat Jeſusgeſaget,444geſaget, daß er in dieſer Welt einem jeg - lichen ſeinen Lohn nach ſeinen Werken ge - ben wolle. Er ſpricht zu ſeinen treueſten Freunden: in der Welt habet ihr Angſt*)Joh. C. 16. v. 33.. Und ein Paulus ſchreibet von ſich und den uͤbrigen Apoſteln: Hoffen wir allein in dieſem Leben auf Chri - ſtum, ſo ſind wir die elendeſtenunter allem Menſchen**)1 Cor. C. 15. v. 19.. Die Apoſtel des Herren richten die bedraͤngten und ſtandhaften Chri - ſten niemals damit auf, daß ihre Treue noch in dieſer Welt wuͤrde belohnet wer - den, ſondern Paulus ſchreibet an ſelbige: Euch aber, die ihr Truͤbſal leidet, Ruhe mit uns, wenn nun der Herr Je - ſus wird offenbaret werden vom Him - mel, ſammt den Engeln ſeiner Kraft***)1 Theſſ. C. 1. v. 7. Man leſe uͤber dieſe Stelle des beruͤhmten Herrn Hofrath Mi - chaelis Paraphraſis und Anmerkungen uͤber die kleinen Briefe des Paulus.. Auf eine aͤhnliche Art fuͤhret Petrus die be - druckten Chriſten ſeiner Zeit auf die Be - trachtung der groſſen Freude der zukuͤnfti - gen Welt, wenn er ſie in ihren Leiden zu der Standhaftigkeit ermahnen will. Er ſchreibet an ſelbige: freuet euch, daß ihr mit Chriſto leidet, auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung ſeiner Herrlich -keit,445keit, Freude und Wonne haben moͤ - get*)1 Petr. C. 4. v. 13. Man vergleiche da - mit 1 Petr. C. 1. v. 3-9. C. 4. v. 5.. Es koͤnnen folglich die Worte des Heilandes: ſiehe ich komme bald, und mein Lohn mit mir zu geben einem jeglichen, wie ſeine Werke ſeyn werden, unmoͤglich von einem beſondern Gerichte des Heilandes in dieſer Welt verſtanden werden. Denn bey ſelbigen bekommt nie - mals ein jeglicher den Lohn nach ſeinen Werken. Dieſe Worte reden von nichts anders als von jenem allgemeinen Gerich - te, und das Vorhergehende, worauf ſie ſich beziehen, muß auf das Schickſal der Menſchen nach der großen Veraͤnderung dieſer Welt gedeutet werden.
Warum ſuchen denn aber einige derAufloͤſung eines Zwei - fels. gelehrteſten Ausleger das himmliſche Je - ruſalem und deſſen Gluͤckſeligkeit auf die - ſer Erde? Wir wollen ihre wichtigſten Gruͤnde anfuͤhren. Man ſtoͤſſet ſich daran, daß in der Offenbarung ſo oft ſtehet, daß dasjenige, ſo darinnen enthalten, bald ge - ſchehen wuͤrde, und die Zeit der Erfuͤllung derſelben nahe ſey**)Offenb. Joh. C. 1. v. 1. C. 22. v. 10.. Allein ſiehet man denn nicht deutlich in dieſer Offenbarung ſelber, wie ſolches zu verſtehen? findetman446man in derſelben nicht ſehr große Zeitlaͤuf - ten beſchrieben und beſtimmet? Jch will nur der tauſend Jahre gedenken, welche zwiſchen der erſten und zwoten Auferſte - hung verflieſſen ſollen*)Offenb. Joh. C. 20. v. 4., kann denn etwas deutlicher ſeyn, als daß die Begebenheiten, ſo die Offenbarung abbildet, einen ſehr groſſen Zeitraum einnehmen werden? Jſt es denn nun ſo ſchwer zu errathen, wie es zu erklaͤren, wenn geſaget wird, die Be - gebenheiten der Offenbarung wuͤrden in kurzem geſchehen, die Zeit derſelben ſey nahe? Geſetzt, jemand unter uns haͤtte die Gabe der Weiſſagung, und Gott haͤtte ihm eine Reihe von Geſchichten entdecket, die einen Zeitraum von einigen tauſend Jahren einnehmen wuͤrden, und wir ſetzten nach einer goͤttlichen Offenbarung hinzu, die Zeit, da ſolches geſchehen wuͤrde, ſey nahe, was man im Namen des Herrn verkuͤndiget, werde in kurzem geſchehen: wuͤrde auch wol jemand glauben, daß man damit etwas anders ſagen wolle, als dieſes? Die Geſchichte, ſo Gott geoffen - baret, wuͤrde bald ihren Anfang nehmen. Und eben dieſes iſt der Offenbarung Jo - hannis, wenn ſie ſich dieſer Redensarten bedienet. Wie iſt es aber zu verſtehen, wenn Jeſus bey dem Beſchluſſe dieſer Of - fenbarung ſaget: ich komme bald? DasWort447Wort ſo hier durch bald uͤberſetzet iſt, hat zwo ganz gewoͤhnliche Bedeutungen. Es bezeichnet zuerſt und vornehmlich, was wir Deutſchen geſchwind, ploͤtzlich nennen, und denn heiſſet es auch bald. Mir iſt es am wahrſcheinlichſten, daß es hier die erſte Bedeutung haben ſoll. Denn die Zukunft des Herrn wird als eine geſchwin - de, ploͤtzliche und unvermuthete Erſcheinung beſchrieben. Jch fuͤhre davon eine ſolche Stelle an, welche ohne allen Widerſpruch von keiner andern als der letzten Zukunft des Herrn erklaͤret werden kann. Petrus ſchreibet*)2 Petr. C. 3. v. 10. Man leſe auch 1 Theſſ. C. 5. v. 2., daß des Herrn Tag, der Tag, da die Himmel mit groſſem Krachen zerge - hen, und die Elemente fuͤr Hitze zerſchmel - zen, und die Erde und die Werke, ſo drin - nen ſind, verbrennen ſollen, wie ein Dieb in der Nacht, das iſt, ploͤtzlich, unverſe - hens kommen werde. Wer aber dennoch die letztere Bedeutung lieber behalten will, der vergeſſe nicht, daß in dieſer Offenba - rung weitlaͤuftige Geſchichte von ſehr vie - len Jahrhunderten vorher verkuͤndiget wer - den, und ſchlieſſe daraus, daß, wenn der Herr ſaget: ich komme bald, dieſes bald nach einer goͤttlichen Zeitrechnung zu verſtehen ſey, wo tauſend Jahre wie ein Tag ſind. Was ſind tauſend Jahre gegen die Ewigkeit? Nicht448Nicht ſo viel als ein Tropfen gegen das groſſe Weltmeer. Petrus hat ſich ja deut - lich genug hieruͤber erklaͤret. Er weiſſaget daß in den letzten Zeiten Spoͤtter kommen und ſagen wuͤrden: wo iſt die Verheiſſung ſeiner Zukunft? Dieſen aber giebet er zu[r]Antwort, tauſend Jahre ſeyen vor dem Herrn wie ein Tag*)2 Petr. C. 3. v. 8.. Jeſus hat Urſa〈…〉〈…〉 che gehabt, hier nach einer goͤttlichen, und nicht nach einer menſchlichen Rechnung von der Zeit ſeiner Zukunft zu reden. Haͤtt[e]er geſaget, daß er nach einigen tauſend Jahren erſt den Tod aufheben, und ſeine Auserwaͤhlten zu den voͤlligen Genuß der ihnen verheiſſenen Herrlichkeit bringen wuͤr - de, ſo wuͤrde ſolches nicht nur den Feinden der Religion zu allerhand Spoͤttereyen Anlaß gegeben haben, ſondern ſelbſt den erſten Bekennern der Lehre des Heiland〈…〉〈…〉 wuͤrde es zu lang geſchienen haben, wenn der Tag der voͤlligen Erloͤſung, deſſen ſie ſich freueten, und auf welchen ſie ſo ſehnlich warteten, ſo lange waͤre hinaus geſetze[t]worden. Sie uͤberlieſſen ihren Leib deſto freudiger der Marter, weil ſie hofften, ihn bald wieder zu erhalten. Sie wuͤrden ein Groſſes von ihrem Muthe verlohren ha - ben, wenn ſie gewußt, wie weit der Tag des Herrn, und der voͤlligen Herrlichkeit der Kinder Gottes entfernt geweſen. DerHerr449Herr muß derowegen mit uns ſchwachen Menſchen wie mit Kindern umgehen. Er ſaget ihnen in einer ſolchen Sache zwar die Wahrheit, aber ſo, daß ſie ſelbige nicht nach allen Umſtaͤnden faſſen. Eben ſo hat er es in einer andern Sache mit ſei - nen Juͤngern gemacht, da ihn ein aͤhnli - cher Umſtand dazu noͤthigte. Er ver - ſpricht ſeinen Juͤngern, daß ſie ſollten ſitzen auf zwoͤlf Stuͤhlen und richten die zwoͤlf Geſchlechte Jſrael, wenn er ſich erſt wuͤrde auf den Stuhl ſeiner Herrlichkeit geſetzet haben*)Matth. C. 19. v. 28.. Es war dieſes eine wahre Rede des Erloͤſers. Die Juͤnger aber verſtunden ſie unrichtig, und er wußte gar wol, daß ſie ſelbige unrecht aufnahmen, und ſie von einer weltlichen Herrſchaft erklaͤreten. Er haͤtte ihnen dieſe Meinung auf einmal benehmen koͤn - nen. Dieſes aber war ſeiner Weisheit bey der Schwaͤche der Juͤnger nicht ge - maͤß, ſondern er fuͤhrete ſie erſt nach und nach davon ab. Er fand es nicht einmal fuͤr dienlich, ihnen bey ſeiner Himmelfahrt hieruͤber einen ganz deutlichen Bericht zu geben**)Apoſtelg. C. 1. v. 6. 7. 8., ſondern der heilige Geiſt mußte ihren Verſtand erſt mehr und mehr auf - klaͤren, und ſie allgemaͤhlich in diejenigenWahr -Jac. Betr. 4. Band. F f450Wahrheiten leiten, die ſie der Welt ver - kuͤndigen ſollten*)Apoſtelg. C. 10. C. 15.. Es ſcheinet mir alſo der bisher betrachtete Grund nicht hin - laͤnglich zu ſeyn, die beiden letzten Capitel der Offenbarung des Johannes auf etwas anders, als auf die triumphirende Kirche im Himmel zu deuten.
Ein anderer Grund, den man fuͤr hoͤchſt wichtig haͤlt, dieſe Capitel auf einen ge - wiſſen Zuſtand der Kirche Gottes auf Er - den zu ziehen, iſt dieſer. Man ſaget: in das himmliſche Jeruſalem werden Baͤume des Lebens geſetzet, welche zur Geſund - machung der Heiden, oder uͤberhaupt der Voͤlker dienen ſollen**)Offenb. Joh. C. 22. v. 2.. Nun ſpricht man, iſt ja dergleichen im Himmel nicht mehr noͤthig. Man brauchet daſelbſt kei - ne Mittel weder zu der leiblichen noch geiſtlichen Geſundheit. Man gehet hierbey in die Schriften der alten Juden, und findet, daß ſie zu Zeiten auch das Geſetz einen Baum des Lebens genannt, und ſchließet daher, daß hier das Holz des Lebens die Wahrheiten des Heils bedeutete, welche den Heiden ein geiſtliches Leben und den Vorſchmack des ewigen Lebens gaͤben***)Conf. Schoettgenii Horae Hebraicae & Talmud in Apoc. II. 7.. Wasaber451aber das erſte betrifft, ſo wiſſen wir ja nicht, wodurch die Seligkeit der erhoͤheten Freunde Jeſu in dem Himmel werde un - terhalten werden. Wer kann behaupten, daß wir in jener Welt alle Vollkommen - heit auf einmal erhalten werden, und daß ſelbige nicht nach und nach durch gewiſſe Mittel werde erhoͤhet werden? Ja, welches iſt wol am wahrſcheinlichſten? Dieſes, daß die Seligen alle Vollkommenheit auf einmal und ohne Mittel, blos durch ein Wunder der Allmacht, erlangen; oder daß ſie nach und nach durch uns noch un - bekannte Mittel von einer Vollkommen - heit zu der andern fortgehen. Paulus verſichert, daß das Stuͤckwerk unſers hie - ſigen Wiſſens dort aufhoͤren und wir zu einer vollkommneren Erkaͤnntniß gelangen wuͤrden*)1 Cor. C. 13.: iſt es zu vermuthen, daß die - ſes ohne alle Mittel geſchehen werde? Werden unſere Begierden ohne alle Mit - tel den hoͤchſten Grad der Heiligkeit er - langen? Finden wir Exempel in den Ein - richtungen Gottes, daß ſolche Spruͤnge in denſelben geſchehen? Oder wo leſen wir, daß dorten dergleichen vorgehen ſollen? Was hindert uns denn dieſes Holz des Lebens als ein Mittel anzuſehen, wodurch die Vollkommenheit der Seeligen wird erhoͤhet werden? Und wer kann denn ſa -F f 2gen,452gen, ob der verklaͤrete Leib ohne alle Mit - tel wird unſterblich ſeyn? Was nun zweytens die Erlaͤuterung dieſer Stelle aus den alten Schriften der Juden anlanget, ſo merke ich dabey folgendes an. Es zei - get ſich hier erſtlich ein großer Unterſchied unter dem Baume des Lebens, wovon die alten Juden reden, und unter dieſem Hol - ze des Lebens. Jn allen Stellen, wo die alten Juͤdiſchen Lehrer von dem Baume des Lebens ſchreiben, und die mir zu Ge - ſichte kommen ſind, wird nur eines Bau - mes des Lebens Erwaͤhnung gethan. Wie naͤmlich nach der gewoͤhnlichen Meinung nur ein ſolcher Baum in dem irdiſchen Paradieſe geweſen, ſo ſetzen ſie auch nur einen in das obere Paradies. Johannes aber ſahe derſelben etliche Reihen auf allen Straßen des neuen Jeruſalems. Die al - ten Rabbinen reden von einem Genuß der Fruͤchte dieſes Baumes, und hier wird eigentlich den Blaͤttern die Geſundmachung der Heiden oder Voͤlker zugeeignet. Da derowegen ſogar in dieſem aͤußern Bilde mehr iſt, als in den Erzaͤhlungen der Ju - den von dem Baume des Lebens, ſo iſt es ſehr unſicher, die Bedeutung deſſelben von den Juden zu lernen. Wenn fer - ner die Juden von dem Baume des Le - bens reden, ſo verſtehen ſie darunter nicht ſo oft das Geſetz, als einen Baum, den ſie in das Paradies im Himmel ſetzen. Da453Da nun die Offenbarung Johannis dieſes Holz des Lebens ebenfalls dem Paradieſe Gottes zueignet*)Offenb. Joh. C. 2. v. 7., ſo ſtimmet es ja mit den Meinungen der alten Juden viel beſſer uͤberein, wenn man unter dem Holze des Lebens eine Gluͤckſeligkeit des Himmels verſtehet, als wenn man ſelbiges auf das Evangelium deutet. Endlich iſt oben ſchon mit Exempeln bewieſen worden, daß Jeſus und ſeine Apoſtel zwar Redensarten und Bilder der Juden behalten, nicht ſel - ten aber die Deutung derſelben aͤndern, und ſie auf etwas ganz anders gerichtet, als die Juden gethan haben. Es muß daher aus den Schriften des neuen Teſta - ments ſelber beſtimmet werden, ob der Heiland und ſeine Apoſtel mit Woͤrtern und Bildern, ſo man bey den Juden fin - det, auch ihre Begriffe verbunden. Die - ſer Grund faͤllt alſo auch hinweg und be - weiſet keinesweges, daß hier annoch von der Kirche auf Erden die Rede ſey.
Der dritte Hauptgrund, womit manBeantwor - tung eines dritten. Einwurfes. ſelbiges zu erweiſen glaubet, iſt dieſer: Es wird geſaget**)Offenb. Joh. C. 21., daß die Koͤnige auf Erden ihre Herrlichkeit in das neue Jeru - ſalem bringen wuͤrden, ingleichen, daß die Ehre und Herrlichkeit der Heiden, oder der Voͤlker, in ſelbige Stadt wuͤrde ge -F f 3bracht454bracht werden. Dieſes koͤnnte man von der Chriſtlichen Kirche auf Erden, nicht aber von dem Himmel, ſagen. Auch die - ſer Zweifel verſchwindet von ſelbſten, wenn man aus den mit dieſer Rede un - mittelbar verbundenen Worten lernet, was hier unter der Ehre und Herrlichkeit der Koͤnige und der Voͤlker verſtanden wird. Man lieſet folgendes in der genaue - ſten Verbindung mit einander. Man wird die Herrlichkeit und Ehre der Heiden oder der Voͤlker in ſie bringen, und wird nicht hinein gehen irgend ein Gemeines und das da Greuel thut und Luͤgen, ſon - dern die geſchrieben ſind in dem lebendigen Buche, oder in dem Buche des Lebens, des Lammes*)Offenb. Joh. C. 21. v. 27.. Jch meine, daß es deutlich genug, daß die Ehre und Herrlichkeit der Voͤlker dem unedlen und niedertraͤchtigen Theile derſelben, den Laſterhaften entge - gen geſetzet werde, und alſo die Glaͤubi - gen und heiligen Seelen die Ehre und Herrlichkeit der Voͤlker vor Gott und dem Lamme ausmachen. Und ſollten denn dereinſten keine Koͤnige ſeyn, die mit Jeſu geſammlet, ſein Reich erweitert und ſich und andere ſelig gemacht, und mit ſelbi - gen dereinſten vor jenem majeſtaͤtiſchen Thron erſcheinen und ſagen werden: ſiehe Herr, das Pfund, ſo du mir gegeben haſt, hat andere gewonnen?
Endlich wendet man ein: es wuͤrdenBeantwor - tung der vierten Einwen - dung. hier eben diejenigen Bilder gebrauchet, womit in den Weißagungen des Jeſaias*)Jeſ. C. 60. die Kirche des neuen Teſtamentes beſchrie - ben wuͤrde, und ſchließet daraus, daß hier auch ſonſt nichts, als eine Abſchilde - rung derſelben zu finden. Allein es iſt falſch, daß man hier weiter nichts finde, als die Beſchreibung der Kirche neues Te - ſtamentes, wie ſie in den Weiſſagungen des alten Bundes vorgetragen worden. Wo lieſet man daſelbſt eine ſolche Be - ſchreibung einer allgemeinen Auferſtehung, als hier der Abbildung des neuen Jeruſa - lems vorgeſetzet worden? Wo ſtehet, daß in der Chriſtlichen Kirche gar keine laſter - hafte Glieder mehr ſeyn ſollen, wie hier von dem neuen Jeruſalem ſo deutlich und nachdruͤcklich bezeuget wird**)Will man ſich auf Jeſ. C. 60. v. 21. be - rufen, wo in unſerer deutſchen Ueberſe - tzung ſtehet: Dein Volk ſollen eitel Ge - rechte ſeyn, und werden das Erdreich ewiglich beſitzen, ſo wiſſe man, daß es im Hebraͤiſchen alſo lautet: Mein Volk, alle Gerechte, das iſt, mein Volk, naͤmlich alle Gerechte, werden das Erdreich ewiglich beſitzen. Es ſollte die Zeit kommen, da die wahre Kirche und frommen Glieder der - ſelben nicht mehr in einer traurigen Gefan - genſchaft, und als Sclaven unter dem Jocheder? WoF f 4wird456wird geſaget, daß die Gottloſen aus der Kirche neuen Teſtaments wuͤrden verſtoſ - ſen und in einen feurigen Pfuhl geworfen werden, wie dem Johannes in ſeinem Ge - ſichte angezeiget wird? Wo finden wir bey den alten Propheten eine ſolche Be - ſchreibung des neuen Jeruſalems, als Jo - hannes geſehen. Man findet hier zwar verſchiedene Zuͤge und Vorſtellungen, die man auch bey den ehemaligen Propheten antrifft, allein wie viele neue Umſtaͤnde ſind in den Geſichten des Johannes hin - zugeſetzet, welche man bey jenen nicht lie - ſet und die Sache ganz veraͤndern, und zu dem deutlichſten Beweiſe dienen, daß hier ganz andere Sachen vorgeſtellet wer - den, als bey den Propheten alten Bun - des. Auſſerdem muß ich nochmals erin - nern, daß es im neuen Teſtamente nicht ungewoͤhnlich, daß Vorſtellungen und Redensarten aus dem alten Teſtamente entlehnet und auf etwas ganz anderes ge - zogen werden, als dorten geſchehen iſt**)Ein ganz beſonderes Exempel leſe man Hoſ. C. 11. v. 1. und Matth. C. 2. v. 15. und ſchlage dabey des beruͤhmten Herrn Heu - manns Erklaͤrungen des neuen Teſtaments uͤber Matth. C. 2. v. 15. nach.. Es iſt folglich der Schluß ſehr fehlſam, daß, wenn Vorſtellungen aus dem altenTeſta -**)der Heiden ſeufzen, ſondern in Freyheit, und in einem von den Heiden ungeſtoͤrten Beſitz ihrer Guͤter wohnen ſollten.457Teſtamente im Neuen angebracht werden, ſie daſelbſt auf diejenige Sache zielen, wel - che im alten Teſtamente darunter abgebil - det worden. Unſere Dichter entlehnen ja ſehr viele Bilder und Redensarten aus den alten Poeten, und ſtellen darunter et - was ganz anderes vor, als jene gethan haben.
Jch habe mich bey der ſechſten RegelAnwen - dung der ſiebenten Regel. laͤnger aufgehalten als bey den uͤbrigen, weil zu der richtigen Anwendung derſelben viele Behutſamkeit gehoͤret, und es mir gar zu nahe gehet, daß man durch einen unrichtigen Gebrauch derſelben einige von den praͤchtigſten, nachdruͤcklichſten und er - baulichſten Stellen der Offenbarung ge - waltſamer Weiſe verdrehet und ganz ent - kraͤftet. Die ſiebente Regel, ſo oben gege - ben worden, ſollte deſto genauer von den Auslegern bey der heiligen Schrift uͤber - haupt beobachtet werden, da nichts na - tuͤrlicher, als daß in einem jeden Buche mit der Zeit einige Stellen dunkel und un - verſtaͤndlich werden, weil verſchiedene Woͤrter veralten und unbekannt werden, und allerhand Geſchichte und Gewohnhei - ten, worauf ſich gewiſſe Redensarten be - ziehen, in Vergeſſenheit gerathen. War - um ſind wir aber ſo gar ſchwer dahin zu bringen das Bekaͤnntniß abzulegen, daß wir dieſe und jene Stelle der Heil. SchriftF f 5nicht458nicht verſtehen? Warum machet man viel lieber ganz gezwungene Erklaͤrungen, und dichtet Worten Bedeutungen an, die man mit nichts erweiſen kann, oder ſchrei - tet ganz leichtſinniger Weiſe zu gewiſſen gewaltſamen Mitteln der Kunſtrichter, wel - che ſehr unſicher ſind, und in einen Text ganz fremde Begriffe hineinbringen, wel - che nie darinne enthalten geweſen? Waͤre es nicht vernuͤnftiger und billiger zu beken - nen, daß man von einigen Stellen keine natuͤrliche und ungezwungene Erklaͤrung zu geben wiſſe, und ſelbige ſo lange ruhen ließe, bis jemand auf die Spur einer leichten und wahrſcheinlichen Auslegung derſelben kaͤme? Wie viele Exempel koͤn - nen angefuͤhret werden, daß eine Stelle viele Jahrhunderte auf eine gewaltſame Weiſe gezerret worden, von welcher nachher eine ganz ungezwungene Ausle - gung gefunden worden. Jch mag mich mit keiner leichtſinnigen Verwegenheit an ein Buch wagen, von welchem ich glau - be, daß es von Gott abſtamme. Jch will lieber meine Unwiſſenheit bekennen, als mich in die Gefahr ſetzen, daß ich einem Jrrthume das Anſehen einer goͤttlichen Wahrheit gebe.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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