PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Geſchichte des Fraͤuleins von Sternheim.
Von einer Freundin derſelben aus Original - Papieren und andern zuverlaͤßigen Quellen gezogen.
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Erſter Theil.
Leipzig,bey Weidmanns Erben und Reich. 1771.
[II][III]
An D. F. G. R. V. *******

Er ſchrecken Sie nicht, meine Freundin, anſtatt der Hand - ſchrift von Jhrer Sternheim eine ge - druckte Copey zu erhalten, welche Jh - nen auf einmal die ganze Verraͤtherey entdeckt, die ich an Jhnen begangen habe. Die That ſcheint beym erſten Anblick unverantwortlich. Sie ver - trauen mir unter den Roſen der Freund - ſchaft ein Werk Jhrer Einbildungs - kraft und Jhres Herzens an, welches bloß zu Jhrer eigenen Unterhaltung aufgeſetzt worden war. Jch ſende esa 2 JhnenIV Jhnen, (ſchreiben Sie mir) damit Sie mir von meiner Art zu empfinden, von dem Geſichtspunct, woraus ich mir angewoͤhnt habe, die Gegenſtaͤn - de des menſchlichen Lebens zu beur - theilen, von den Betrachtungen, wel - che ſich in meiner Seele, wenn ſie leb - haft geruͤhrt iſt, zu entwickeln pfle - gen, Jhre Meynung ſagen, und mich tadeln, wo Sie finden, daß ich un - recht habe. Sie wiſſen, was mich veranlaßt hat, einige Nebenſtunden, die mir von der Erfuͤllung weſentli - cher Pflichten uͤbrig blieben, dieſer Gemuͤths-Erhohlung zu wiedmen. Sie wiſſen, daß die Jdeen, die ich in dem Charakter und in den Hand - lungen des Fraͤuleins von Sternheim und ihrer Aeltern auszufuͤhren geſucht habe, immer meine Lieblings-Jdeen geweſen ſind; und womit beſchaͤfftigt man ſeinen Geiſt lieber als mit dem, was man liebt? Jch hatte Stunden, woV wo dieſe Beſchaͤfftigung eine Art von Beduͤrfniß fuͤr meine Seele war. So entſtund unvermerkt dieſes kleine Werk, welches ich anfieng und fortſetz - te, ohne zu wiſſen, ob ich es wuͤrde zum Ende bringen koͤnnen; und deſſen Un - vollkommenheiten ſie ſelbſt nicht beſ - ſer einſehen koͤnnen als ich ſie fuͤhle. Aber es iſt nur fuͤr ſie und mich und, wenn Sie, wie ich hoffe, die Art zu denken und zu handeln dieſer Toch - ter meines Geiſtes gutheiſſen, fuͤr unſre Kinder beſtimmt. Wenn dieſe durch ihre Bekanntſchaft mit jener in tugendhaften Geſinnungen, in ei - ner wahren, allgemeinen, thaͤtigen Guͤte und Rechtſchaffenheit geſtaͤrket wuͤrden, welche Wolluſt fuͤr das Herz Jhrer Freundin; So ſchrieben Sie mir, als Sie mir Jh - re Sternheim anvertrauten; und nun, meine Freundinn, laſſen Sie uns ſehen, ob ich Jhr Vertrauen beleidiget,a 3obVIob ich wirklich ein Verbrechen began - gen habe, da ich dem Verlangen nicht widerſtehen konnte, allen tugendhaf - ten Muͤttern, allen liebenswuͤrdigen jungen Toͤchtern unſrer Nation ein Ge - ſchenke mit einem Werke zu machen, welches mir geſchickt ſchien, Weisheit und Tugend, die einzigen großen Vorzuͤge der Menſchheit, die einzigen Quellen einer wahren Gluͤckſeligkeit unter Jhrem Geſchlechte, und ſelbſt unter dem meinigen, zu befoͤrdern.

Jch habe nichts vonnoͤthen, Jhnen von dem ausgebreiteten Nutzen zu ſpre - chen, welchen Schriften von derjeni - gen Gattung, worunter Jhre Stern - heim gehoͤrt, ſtiften koͤnnen, wofern ſie gut ſind. Alle Vernuͤnftigen ſind uͤber dieſen Punct Einer Meynung, und es wuͤrde ſehr uͤberfluͤßig ſeyn, nach allem, was Richardſon, Fielding und ſo viele Andere hieruͤber geſagt ha - ben, nur ein Wort zur BeſtaͤtigungeinerVIIeiner Wahrheit, an welcher niemand zweiſelt, hinzu zu ſetzen. Eben ſo ge - wiß iſt es, daß unſre Nation noch weit entfernt iſt, an Original-Werken die - ſer Art, welche zugleich unterhaltend und geſchickt ſind, die Liebe der Tu - gend zu befoͤrdern, Ueberfluß zu ha - ben. Sollte dieſe gedoppelte Be - trachtung nicht hinlaͤnglich ſeyn, mich zu rechtfertigen? Sie werden, hoffe ich, verſucht werden, dieſer Meynung zu ſeyn, oder wenigſtens mir deſto leichter verzeihen, wenn ich Jhnen ausfuͤhrlicher erzaͤhle, wie der Gedan - ke, Sie in eine Schriftſtellerin zu verwandeln, in mir entſtanden iſt.

Jch ſetzte mich mit allem Phlegma, welches Sie ſeit mehrern Jahren an mir kennen, hin, Jhre Handſchrift zu durchleſen. Das Sonderbare, ſo Sie gleich in den erſten Blaͤttern der Mutter Jhrer Heldin geben, war, meinem beſondern Geſchmack nach,a 4geſchick -VIIIgeſchickter mich wider ſie als zu ihrem Vortheil einzunehmen. Aber ich las fort, und alle meine kaltbluͤtige Phi - loſophie, die ſpaͤte Frucht einer viel - jaͤhrigen Beobachtung der Menſchen und ihrer grenzenloſen Thorheit, konn - te nicht gegen die Wahrheit und Schoͤnheit Jhrer moraliſchen Schilde - rungen aushalten; mein Herz er - waͤrmte ſich; ich liebte Jhren Stern - heim, ſeine Gemahlin, ſeine Tochter, und ſogar ſeinen Pfarrer, einen der wuͤrdigſten unter allen Pfarrern, die ich jemals kennen gelernt habe. Zwanzig kleine Mißtoͤne, welche der ſonderbare und an das Enthuſiaſtiſche angrenzende Schwung in der Den - kungsart Jhrer Sternheim mit der meinigen macht, verlohren ſich in der angenehmſten Uebereinſtimmung ihrer Grundſaͤtze, ihrer Geſinnungen und ihrer Handlungen mit den beſten Em - pfindungen und mit den lebhafteſtenUeber -IXUeberzeugungen meiner Seele. Moͤch - ten doch, ſo dacht ich bey hundert Stellen, moͤchten meine Toͤchter ſo denken, ſo handeln lernen, wie So - phie Sternheim! Moͤchte mich der Himmel die Gluͤckſeligkeit erfahren laſſen, dieſe ungeſchminkte Aufrichtig - keit der Seele, dieſe ſich immer glei - che Guͤte, dieſes zarte Gefuͤhl des Wahren und Schoͤnen, dieſe aus ei - ner innern Quelle ſtammende Ausuͤ - bung jeder Tugend, dieſe ungeheuchel - te Froͤmmigkeit, welche anſtatt der Schoͤnheit und dem Adel der Seele hinderlich zu ſeyn, die der ihrigen ſelbſt die ſchoͤnſte und beſte aller Tugen - den iſt, dieſes zaͤrtliche, mitleidsvolle, wohlthaͤtige Herz, dieſe geſunde, un - verfaͤlſchte Art von den Gegenſtaͤnden des menſchlichen Lebens und ihrem Werthe, von Gluͤck, Anſehen und Vergnuͤgen zu urtheilen, Kurz, alle Eigenſchaften des Geiſtes unda 5Her -XHerzens, welche ich in dieſem ſchoͤnen moraliſchen Bilde liebe, dereinſt in dieſen liebenswuͤrdigen Geſchoͤpfen aus - gedruͤckt zu ſehen, welche ſchon in ih - rem kindiſchen Alter die ſuͤßeſte Wolluſt meiner itzigen, und die beſte Hoffnung meiner kuͤnftigen Tage ſind; Jndem ich ſo dachte, war mein erſter Einfall, eine ſchoͤne Abſchrift von Jhrem Ma - nuſcripte machen zu laſſen, um in ei - nigen Jahren unſrer kleinen Sophie (denn Sie ſind ſo guͤtig, ſie auch die Jhrige zu nennen) ein Geſchenke da - mit zu machen; und wie erfreute mich der Gedanke, die Empfindungen unſrer vieljaͤhrigen, wohlgepruͤften und immer lauter befundenen Freundſchaft auch durch dieſes Mittel auf unſre Kin - der fortgepflanzt zu ſehen! An dieſen Vorſtellungen ergoͤtzte ich mich eine Zeitlang, als mir, eben ſo na - tuͤrlicher weiſe, der Gedanke aufſtei - gen mußte: Wie manche Mutter, wiemancherXImancher Vater lebt itzt in dem weiten Umfange der Provinzen Germaniens, welche in dieſem Augenblicke aͤhn - liche Wuͤnſche zum Beſten eben ſo zaͤrtlich geliebter, eben ſo hoff - nungsvoller Kinder thun! Wuͤr - de ich dieſen nicht Vergnuͤgen ma - chen, wenn ich ſie an einem Gute, welches durch die Mittheilung nichts verliehrt, Antheil nehmen ließe? Wuͤrde das Gute, welches durch das tugendhafte Beyſpiel der Familie Sternheim gewuͤrkt werden kann, nicht dadurch uͤber Viele ausgebreitet werden? Jſt es nicht unſre Pflicht, in einem ſo weiten Umfang als moͤg - lich Gutes zu thun? Und wie viele edelgeſinnte Perſonen wuͤrden nicht durch dieſes Mittel den wuͤrdigen Cha - racter des Geiſtes und des Herzens meiner Freundin kennen lernen, und, wenn Sie und ich nicht mehr ſind, ihr Andenken ſegnen! Sagen Siemir,XIImir, meine Freundin, wie haͤtte ich, mit dem Herzen, welches Sie nun ſo viele Jahre kennen, und unter allen meinen aͤußerlichen und innerlichen Veraͤnderungen immer ſich ſelbſt gleich befunden haben, ſolchen Vorſtellungen widerſtehen koͤnnen? Es war al - ſo ſogleich bey mir beſchloſſen, Co - peyen fuͤr alle unſre Freunde und Freundinnen, und fuͤr alle, die es ſeyn wuͤrden, wenn ſie uns kennten, ma - chen zu laſſen; ich dachte ſo gut von unſern Zeitgenoſſen, daß ich eine große Menge ſolcher Copeyen noͤthig zu ha - ben glaubte; und ſo ſchickte ich die meinige an meinen Freund Reich, ihm uͤberlaſſend, deren ſo viele zu ma - chen, als ihm ſelbſt belieben wuͤrde. Doch nein! So ſchnell gieng es nicht zu. Bey aller Waͤrme meines Her - zens blieb doch mein Kopf kalt genug, um alles in Betrachtung zu ziehen, was vermoͤgend ſchien, mich von mei -nemXIIInem Vorhaben abzuſchrecken. Nie - mals, daß ich wuͤßte, hat mich das Vorurtheil fuͤr diejenige, die ich liebe, gegen ihre Maͤngel blind gemacht. Sie kennen dieſe Eigenſchaft an mir, und ſie ſind eben ſo wenig faͤhig zu er - warten, oder nur zu wuͤnſchen, daß man ihnen ſchmeicheln ſoll, als ich ge - neigt bin, gegen meine Empfindung zu reden. Jhre Sternheim, ſo lie - benswuͤrdig ſie iſt, hat als ein Werk des Geiſtes, als eine dichteriſche Com - poſition, ja nur uͤberhaupt als eine deutſche Schrift betrachtet, Maͤngel, welche den Auspfeiffern nicht verbor - gen bleiben werden. Doch dieſe ſind es nicht, vor denen ich mich in Jhrem Namen fuͤrchte. Aber die Kunſtrich - ter auf der einen Stite, und auf der andern die ekeln Kenner aus der Claſſe der Weltleute, ſoll ich Jhnen ge - ſtehen, meine Freundin, daß ich nicht gaͤnzlich ohne Sorgen bin, wenn ichdaranXIVdaran denke, daß Jhre Sternheim durch meine Schuld dem Urtheil ſo vieler Perſonen von ſo unterſchiedli - cher Denkensart ausgeſtellt wird? Aber hoͤren Sie, was ich mir ſelbſt ſagte, um mich wieder zu beruhigen. Die Kunſtrichter haben es, in Abſicht alles deſſen, was an der Form des Werkes und an der Schreibart zu ta - deln ſeyn kann, lediglich mit mir zu thun. Sie, meine Freundin, dachten nie daran, fuͤr die Welt zu ſchreiben, oder ein Werk der Kunſt hervorzubrin - gen. Bey aller Jhrer Beleſenheit in den beſten Schriftſtellern verſchiedener Sprachen, welche man leſen kann oh - ne gelehrt zu ſeyn, war es immer Jhre Gewohnheit, weniger auf die Schoͤn - heit der Form als auf den Werth des Jnhalts aufmerkſam zu ſeyn; und ſchon dieſes einzige Bewußtſeyn wuͤrde Sie den Gedanken fuͤr die Welt zu ſchreiben allezeit haben verbannen heiſ -ſen.XVſen. Mir, dem eigenmaͤchtigen Her - ausgeber Jhres Manuſcripts, waͤre es alſo zugekommen, den Maͤngeln abzu - helfen, von denen ich ſelbſt erwarte, daß ſie den Kunſtrichtern, wo nicht an - ſtoͤßig ſeyn, doch den Wunſch, ſie nicht zu ſehen, abdringen koͤnnten. Doch, indem ich von Kunſtrichtern rede, den - ke ich an Maͤnnern von feinem Ge - ſchmack und reifem Urtheil; an Rich - ter, welche von kleinen Flecken an ei - nem ſchoͤnen Werke nicht beleidiget werden, und zu billig ſind, von einer freywillig hervorgekommenen Frucht der bloßen Natur und von einer durch die Kunſt erzogenen, muͤhſam gepfle - geten Frucht (wiewohl, was den Ge - ſchmack anbetrifft, dieſe nicht ſelten jener den Vorzug laſſen muß) einerley Voll - kommenheit zu fodern. Solche Ken - ner werden vermuthlich, eben ſo wohl wie ich, der Meynung ſeyn, daß eine moraliſche Dichtung, bey welcher esmehrXVImehr um die Ausfuͤhrung eines gewiſ - ſen lehrreichen und intereſſanten Haupt - charakters, als um Verwicklungen und Entwicklungen zu thun iſt, und wobey uͤberhaupt die moraliſche Nuͤtzlichkeit der erſte Zweck, die Ergoͤtzung des Le - ſers hingegen nur eine Nebenabſicht iſt, einer kuͤnſtlichen Form um ſo eher entbehren koͤnne, wenn ſie innerliche und eigenthuͤmliche Schoͤnheiten fuͤr den Geiſt und das Herz hat, welche uns wegen des Mangels eines nach den Regeln der Kunſt ausgelegten Plans und uͤberhaupt alles deſſen, was unter der Benennung Autors-Kuͤn - ſte begriffen werden kann, ſchadlos halten. Eben dieſe Kenner werden, (oder ich muͤßte mich ſehr betruͤgen) in der Schreibart des Fraͤuleins von Sternheim eine gewiſſe Originalitaͤt der Bilder und des Ausdrucks und eine ſo gluͤckliche Richtigkeit und Ener - gie des letztern, oft gerade in Stellen,mitXVIImit denen der Sprachlehrer vielleicht am wenigſten zufrieden iſt, bemerken, welche die Nachlaͤßigkeit des Stils, das Ungewoͤhnliche einiger Redensar - ten und Wendungen, und uͤberhaupt den Mangel einer vollkommnern Ab - glaͤttung und Rundung, einen Mangel, dem ich nicht anders als auf Unkoſten deſſen, was mir eine weſent - liche Schoͤnheit der Schreibart meiner Freundin ſchien, abzuhelfen gewußt haͤtte, reichlich zu verguͤten ſchei - nen. Sie werden die Beobachtung machen, daß unſre Sternheim, un - geachtet die Vortheile ihrer Erziehung bey aller Gelegenheit hervorſchim - mern, dennoch ihren Geſchmack und ihre Art zu denken, zu reden und zu handeln, mehr der Natur und ihren eigenen Erfahrungen und Bemerkun - gen, als dem Unterricht und der Nach - ahmung zu danken habe; daß es eben daher komme, daß ſie ſo oft anders denkt und handelt als die meiſten Per -bſonenXVIIIſonen ihres Standes; daß dieſes Ei - gene und Sonderbare ihres Chara - cters, und vornehmlich der individuelle Schwung ihrer Einbildungskraft na - tuͤrlicher weiſe auch in die Art ihrer Ge - danken einzukleiden oder ihre Empfin - dungen auszudruͤcken einen ſtarken Einfluß haben muͤſſe; und daß es eben daher komme, daß ſie fuͤr einen Ge - danken, den ſie ſelbſt gefunden hat, auch ſelbſt auf der Stelle einen eigenen Ausdruck erfindet, deſſen Staͤrke der Lebhaftigkeit und Wahrheit der an - ſchauenden Begriffe angemeſſen iſt, aus welchen ſie ihre Gedanken entwi - ckelt: und ſollten die Kenner nicht geneigt ſeyn mit mir zu finden, daß eben dieſe voͤllige Jndividualiſirung des Charakters unſrer Heldin einen der ſeltenſten Vorzuͤge dieſes Werkes aus - macht, gerade denjenigen, welchen die Kunſt am wenigſten, und gewiß nie ſo gluͤcklich erreichen wuͤrde, als es hier, wo die Natur gearbeitet hat,geſchehenXIXgeſchehen iſt? Kurz, ich habe eine ſo gute Meynung von der ſeinen Empfin - dung der Kunſtrichter, daß ich ihnen zutraue, ſie werden die Maͤngel, wo - von die Rede iſt, mit ſo vielen, und ſo vorzuͤglichen Schoͤnheiten verwebt finden, daß ſie es mir verdenken wuͤr - den, wenn ich das Privilegium der Damen, welche keine Schriftſtellerin - nen von Profeſſion ſind, zum Vor - theil meiner Freundin geltend machen wollte. Und ſollten wir uns etwan vor dem feinen und verwoͤhnten Ge - ſchmacke der Weltleute mehr zu fuͤrch - ten haben als vor den Kunſtrichtern? Jn der That, die Singularitaͤt unſrer Heldin, ihr Enthuſiasmus fuͤr das ſittliche Schoͤne, ihre beſondern Jdeen und Launen, ihre eine wenig eigenſinni - ge Praͤdilection fuͤr die Milords und alles was ihnen gleich ſieht und aus ihrem Lande kommt, und, was noch aͤrger iſt als dies alles, der beſtaͤn - dige Contraſt, den ihre Art zu em -b 2pfinden,XXpfinden, zu urtheilen und zu handeln mit dem Geſchmack, den Sitten und Gewohnheiten der großen Welt macht, ſcheint ihr nicht die guͤnſtig - ſte Aufnahme in der letztern vorherzu - ſagen. Gleichwohl gebe ich noch nicht alle Hoffnung auf, daß ſie nicht, eben darum, weil ſie eine Erſcheinung iſt, unter dem Namen der liebenswuͤrdi - gen Grillenfaͤngerin, anſehnliche Er - oberungen ſollte machen koͤnnen. Jn der That, bey aller ihrer moraliſchen Sonderlichkeit, welche zuweilen nahe an das Uebertriebene, oder was einige Pedanterey nennen werden, zu gren - zen ſcheint, iſt ſie ein liebenswuͤrdiges Geſchoͤpfe; und wenn auf der einen Seite ihr ganzer Charakter mit allen ih - ren Begriffen und Grundſaͤtzen als eine in Handlung geſetzte Satyre uͤber das Hofleben und die große Welt angeſehen werden kann: ſo iſt auf der andern eben ſo gewiß, daß man nicht billiger und nachſichtlicher von den Vorzuͤgen undvonXXIvon den Fehlern der Perſonen, welche ſich in dieſem ſchimmernden Kreiſe be - wegen, urtheilen kann als unſre Heldin. Man ſieht, daß ſie von Sachen ſpricht, welche ſie in der Naͤhe geſehen hat, und daß die Schuld weder an ihrem Verſtand noch an ihrem Herzen liegt, wenn ſie in dieſem Lande, wo die Kunſt die Natur gaͤnzlich verdrungen hat, alles unbegreiflich findet, und ſelbſt allen unbegreiflich iſt.

Vergeben Sie mir, meine Freundin, daß ich Jhnen ſo viel uͤber einen Punct, woruͤber Sie Urſache haben ſehr ruhig zu ſeyn, vorſchwatze. Es giebt Per - ſonen, bey denen gar niemals eine Frage ſeyn ſoll, ob ſie auch gefallen werden; und ich muͤßte mich außeror - dentlich irren, wenn unſre Heldin nicht in dieſe Claſſe gehoͤrte. Die naive Schoͤnheit ihres Geiſtes, die Reinigkeit, die unbegrenzte Guͤte ihres Herzens, die Richtigkeit ihres Ge - ſchmacks, die Wahrheit ihrer Urtheile,b 3dieXXIIdie Scharfſinnigkeit ihrer Bemerkun - gen, die Lebhaftigkeit ihrer Einbildungs - kraft und die Harmonie ihres Ausdrucks mit ihrer eigenen Art zu empfinden und zu denken, kurz, alle ihre Talente und Tugenden ſind mir Buͤrge dafuͤr, daß ſie mit allen ihren kleinen Fehlern ge - fallen wird; daß ſie Allen gefallen wird, welche dem Himmel einen ge - ſunden Kopf und ein gefuͤhlvolles Herz zu danken haben; und wem woll - ten wir ſonſt zu gefallen wuͤnſchen? Doch der liebſte Wunſch unſrer Hel - din iſt nicht der Wunſch der Eitelkeit; nuͤtzlich zu ſeyn, wuͤnſchte ſie; Gutes will ſie thun; und Gutes wird ſie thun, und dadurch den Schritt recht - fertigen, den ich gewaget habe, ſie ohne Vorwiſſen und Erlaubniß ihrer liebenswuͤrdigen Urheber in in die Welt einzufuͤhren. Jch bin, u. ſ. w.

Der Herausgeber.

Geſchichte
[1]

Geſchichte des Fraͤuleins von Sternheim.

Sie ſollen mir nicht danken, meine Freundinn, daß ich ſo viel fuͤr Sie abſchreibe. Sie wiſſen, daß ich das Gluͤck hatte, mit der vortrefflichen Dame erzogen zu werden, aus deren Le - bensbeſchreibung ich Jhnen Auszuͤge und Abſchriften von den Briefen mittheile, welche Mylord Seymour von ſeinen en - gliſchen Freunden und meiner Emilia ſam - melte. Glauben Sie, es iſt ein Vergnuͤ - gen fuͤr mein Herz, wenn ich mich mit etwas beſchaͤfftigen kann, wodurch dasAgehei -2geheiligte Andenken der Tugend und Guͤte einer Perſon, welche unſerm Geſchlechte und der Menſchheit Ehre gemacht, in mir erneuert wird.

Der Vater meiner geliebten Lady Sidney war der Oberſte von Stern - heim, einziger Sohn eines Profeſſors in W., von welchem er die ſorgfaͤltigſte Er - ziehung genoß. Edelmuth, Groͤße des Geiſtes, Guͤte des Herzens, waren die Grundzuͤge ſeines Charakters. Auf der Univerſitaͤt L. verband ihm die Freund - ſchaft mit dem juͤngern Baron von P. ſo ſehr, daß er nicht nur alle Reiſen mit ihm machte, ſondern auch aus Liebe zu ihm mit in Kriegsdienſte trat. Durch ſeinen Umgang und durch ſein Beyſpiel wurde der vorher unbaͤndige Geiſt des Barons ſo biegſam und wohldenkend, daß die ganze Familie dem jungen Mann dank - te, der ihren geliebten Sohn auf die Wege des Guten gebracht hatte. Ein Zufall trennte ſie. Der Baron mußte nach dem Tode ſeines aͤltern Bruders die Kriegs - dienſte verlaſſen, und ſich zu Ueberneh -mung3mung der Guͤther und Verwaltung derſel - ben geſchickt machen. Sternheim, der von Officiren und Gemeinen auf das voll - kommenſte geehrt und geliebt wurde, blieb im Dienſte, und erhielt darinn von dem Fuͤrſten die Stelle eines Oberſten, und den Adelſtand. Jhr Verdienſt, nicht das Gluͤck hat Sie erhoben, ſagte der General, als er ihm im Namen des Fuͤrſten in Gegenwart vieler Perſonen, das Oberſten-Patent und den Adelsbrief uͤberreichte; und nach dem allgemeinen Zeugniſſe waren alle Feldzuͤge Gelegen - heiten, wo er Großmuth, Menſchenliebe und Tapferkeit in vollem Maaß ausuͤbte.

Bey Herſtellung des Friedens war ſein erſter Wunſch, ſeinen Freund zu ſe - hen, mit welchem er immer Briefe gewech - ſelt hatte. Sein Herz kannte keine an - dere Verbindung. Schon lange hatte er ſeinen Vater verlohren; und da dieſer ſelbſt ein Fremdling in W. geweſen war, ſo blieben ſeinem Sohne keine nahe Ver - wandte von ihm uͤbrig. Der Oberſte von Sternheim gieng alſo nach P., umA 2daſelbſt4daſelbſt das ruhige Vergnuͤgen der Freund - ſchaft zu genießen. Der Baron P., ſein Freund, war mit einer liebenswuͤrdigen Dame vermaͤhlt, und lebte mit ſeiner Mutter und zwoen Schweſtern auf den ſchoͤnen Guͤthern, die ihm ſein Vater zu - ruͤck gelaſſen, ſehr gluͤcklich. Die Fami - lie von P., als eine der angeſehenſten in der Gegend, wurde von dem zahlreichen benachbarten Adel oͤfters beſucht. Der Baron P. gab wechſelsweiſe Geſellſchaft und kleine Feſte; die einſamen Tage wur - den mit Leſung guter Buͤcher, mit Be - muͤhungen fuͤr die gute Verwaltung der Herrſchaft, und mit edler anſtaͤndiger Fuͤhrung des Hauſes zugebracht.

Zuweilen wurden auch kleine Concerte gehalten, weil die juͤngere Fraͤulein das Clavier, die aͤltere aber die Laute ſpielte, und ſchoͤn ſang, wobey ſie von ihrem Bruder mit etlichen von ſeinen Leuten accompagnirt wurde. Der Gemuͤthszu - ſtand des aͤltern Fraͤuleins ſtoͤrte dieſes ruhige Gluͤck. Sie war das einzige Kind, welches der Baron P. mit ſeiner erſtenGemahlin5Gemahlin, einer Layd Watſon, die er auf einer Geſandtſchaft in England geheu - rathet, erzeugt hatte. Dieſes Fraͤulein ſchien zu aller ſanften Liebenswuͤrdigkeit einer Englaͤnderin, auch den melancholi - ſchen Charakter, der dieſe Nation bezeich - net, von ihrer Mutter geerbt zu haben. Ein ſtiller Gram war auf ihrem Geſichte verbreitet. Sie liebte die Einſamkeit, verwendete ſie aber allein auf fleißiges Le - ſen der beſten Buͤcher; ohne gleichwohl die Gelegenheiten zu verſaͤumen, wo ſie, ohne fremde Geſellſchaft, mit den Perſo - nen ihrer Familie allein ſeyn konnte.

Der Baron, ihr Bruder, der ſie zaͤrt - lich liebte, machte ſich Kummer fuͤr ihre Geſundheit, er gab ſich alle Muͤhe, ſie zu zerſtreuen, und die Urſache ihrer ruͤh - renden Traurigkeit zu erfahren.

Etlichemal bat er ſie, ihr Herz einem treuen zaͤrtlichen Bruder zu entdecken. Sie ſah ihn bedenklich an, dankte ihm fuͤr ſeine Sorge, und bat ihn mit thraͤ - nenden Augen, ihr ihr Geheimniß zu laſſen, und ſie zu lieben. Dieſes machteA 3ihn6ihn unruhig. Er beſorgte, irgend ein be - gangener Fehler moͤchte die Grundlage dieſer Betruͤbniß ſeyn; beobachtete ſie in allem auf das genauſte, konnte aber kei - ne Spur entdecken, die ihn zu der ge - ringſten Beſtaͤrkung einer ſolchen Beſorg - niß haͤtte leiten koͤnnen.

Jmmer war ſie unter ſeinen oder ih - rer Mutter Augen, redete mit niemand im Hauſe, und vermied alle Arten von Umgang. Einige Zeit uͤberwand ſie ſich, und blieb in Geſellſchaft; und eine ruhige Munterkeit machte Hoffnung, daß der melancholiſche Anfall voruͤber waͤre.

Zu dieſem Vergnuͤgen der Familie kam die unvermuthete Ankunft des Ober - ſten von Sternheim, von welchem dieſe ganze Familie ſo viel reden gehoͤrt, und in ſeinen Briefen die Vortrefflichkeit ſei - nes Geiſtes und Herzens bewundert hatte. Er uͤberraſchte ſie Abends in ihrem Gar - ten; die Entzuͤckung des Barons, und die neugierige Aufmerkſamkeit der uͤbrigen, iſt nicht zu beſchreiben. Es waͤhrte auch nicht lange, ſo floͤßte ſein edles liebrei -ches7ches Betragen dem ganzen Hauſe eine gleiche Freude ein.

Der Oberſte wurde als ein beſonderer Freund des Hauſes bey allen Bekannten vom Adel aufgefuͤhrt, und kam in alle ihre Geſellſchaften.

Jn dem Hauſe des Barons machte er die Erzaͤhlung ſeines Lebens, worinn er ohne Weitlaͤuftigkeit das Merkwuͤrdige und Nuͤtzliche was er geſehen, mit vieler Anmuth und mit dem maͤnnlichen Tone, der den weiſen Mann und den Menſchen - freund bezeichnet, vortrug. Jhm wurde hingegen das Gemaͤhlde vom Landleben gemacht, wobey bald der Baron von den Vortheilen, welche die Gegenwart des Herrn den Unterthanen verſchafft, bald die alte Dame von demjenigen Theil der laͤndlichen Wirthſchaft, der die Familien - mutter angeht, bald die beyden Fraͤulein von den angenehmen Ergoͤtzlichkeiten ſpra - chen, die das Landleben in jeder Jahrs - zeit anbietet. Auf dieſe Abſchilderung folgte dieſe Frage:

A 4Mein8

Mein Freund, wollten Sie nicht die uͤbrigen Tage ihres Lebens auf dem Lan - de zubringen?

Ja, lieber Baron! aber es muͤßte auf meinen eignen Guͤthern und in der Nach - barſchaft der Jhrigen ſeyn.

Das kann leicht geſchehen, denn es iſt eine kleine Meile von hier ein artiges Guth zu kaufen; ich habe die Erlaubniß hinzugehen, wenn ich will; wir wollen es Morgen befehen.

Den Tag darauf ritten die beyden Herren dahin, in Begleitung des Pfar - rers von P., eines ſehr wuͤrdigen Man - nes, von welchem die Damen die Be - ſchreibung des ruͤhrenden Auftritts erhiel - ten, der zwiſchen den beyden Freunden vorgefallen war.

Der Baron hatte dem Oberſten das ganze Guth gewieſen, und fuͤhrte ihn auch in das Haus, welches gleich an dem Garten und ſehr artig gelegen war. Hier nahmen ſie das Fruͤhſtuͤck ein.

Der Oberſte bezeugte ſeine Zufrieden - heit uͤber alles was er geſehen, und fragteden9den Baron: ob es wahr ſey, daß man dieſes Guth kaufen koͤnne?

Ja, mein Freund; gefaͤllt es Jhnen?

Vollkommen; es wuͤrde mich von nichts entfernen, was ich liebe.

O wie gluͤcklich bin ich, theurer Freund, ſagte der Baron, da er ihn um - armte; ich habe das Guth ſchon vor drey Jahren gekauft, um es Jhnen anzubie - ten; ich habe das Haus ausgebeſſert, und oft in dieſem Cabinette fuͤr Jhre Erhal - tung gebetet. Nun werde ich den Fuͤh - rer meiner Jugend zum Zeugen meines Lebens haben!

Der Oberſte wurde außerordentlich geruͤhrt; er konnte ſeinen Dank und ſeine Freude uͤber das edle Herz ſeines Freun - des nicht genug ausdruͤcken; er verſicher - te ihn, daß er ſein Leben in dieſem Hauſe zubringen wuͤrde; aber zugleich verlangte er zu wiſſen, was das Guth gekoſtet habe. Der Baron mußte es ſagen, und es auch durch die Kaufbriefe beweiſen. Der Er - trag belief ſich hoͤher, als es nach dem An - kaufsſchilling ſeyn ſollte. Der BaronA 5ver -10verſicherte aber, daß er nichts als ſeine eigne Auslage annehmen wuͤrde.

Mein Freund, (ſagte er) ich habe nichts gethan, als ſeit drey Jahren alle Einkuͤnfte des Guths auf die Verbeſſe - rung und Verſchoͤnerung deſſelben verwen - det. Das Vergnuͤgen des Gedankens: du arbeiteſt fuͤr die Ruhetage des Beſten der Menſchen; hier wirſt du ihn ſehen, und in ſeiner Geſellſchaft die gluͤcklichen Zeiten deiner Jugend erneuern; ſein Rath, ſein Beyſpiel, wird zu der Zufrie - denheit deiner Seele und dem Beſten dei - ner Angehoͤrigen beytragen Dieſe Gedanken haben mich belohnt.

Wie ſie nach Hauſe kamen, ſtellte der Baron den Oberſten als einen neuen Nachbar ſeiner Frau Mutter und ſeinen Schweſtern vor. Alle wurden ſehr froh uͤber die Verſicherung, ſeinen angenehmen Umgang auf immer zu genießen.

Er bezog ſein Haus ſogleich, als er Beſitz von der kleinen Herrſchaft genom - men hatte, die nur aus zweyen Doͤrfern beſtund. Er gab auch ein Feſtin fuͤr diekleine11kleine Nachbarſchaft, fieng gleich darauf an zu bauen, ſetzte noch zween ſchoͤne Fluͤ - gel an beyden Seiten des Hauſes, pflanzte Alleen und einen artigen Luſtwald, alles in engliſchem Geſchmack. Er betrieb die - ſen Bau mit dem groͤßten Eifer. Gleich - wohl hatte er von Zeit zu Zeit eine duͤſtre Miene, die der Baron wahrnahm, ohne anfangs davon etwas merken zu laſſen, bis er in dem folgenden Herbſt einer Ge - muͤthsveraͤnderung des Oberſten uͤberzeugt zu ſeyn glaubte, bey welcher er nicht laͤn - ger ruhig ſeyn konnte. Sternheim kam nicht mehr ſo oft, redete weniger, und gieng bald wieder weg. Seine Leute be - dauerten die ungewoͤhnliche Melancholie, die ihren Herrn befallen hatte.

Der Baron wurde um ſo viel mehr bekuͤmmert, als ſein Herz von der zuruͤck - gefallnen Traurigkeit ſeiner aͤltern Schwe - ſter beklemmt war. Er gieng zum Ober - ſten, fand ihn allein und nachdenkend, umarmte ihn mit zaͤrtlicher Wehmuth, und rief aus: O mein Freund! wie nichtig ſind auch die edelſten, die lauter -ſten12ſten Freuden unſers Herzens! Lange fehlte mir nichts als Jhre Gegenwart; nun ſeh ich Sie; ich habe Sie in meinen Armen, und ſehe Sie traurig! Jhr Herz, Jhr Vertrauen iſt nicht mehr fuͤr mich; haben Sie vielleicht der Freundſchaft zu viel nachgegeben, indem Sie hier einen Wohnſitz nehmen? Liebſter beſter Freund! quaͤlen Sie ſich nicht; Jhr Ver - gnuͤgen iſt mir theurer als mein eignes, ich nehme das Guth wieder an; es wird mir werth ſeyn, weil es mir Jhr ſchaͤtz - bares Andenken, und ihr Bild an allen Orten erneuern wird.

Hier hielt er inne; Thraͤnen fuͤllten ſein Auge, welches auf dem Geſicht ſeines Freundes geheftet war Er ſah die groͤßte Bewegung der Seele in demſelben ausgedruͤckt.

Der Oberſte ſtund auf, und umfaßte den Baron. Edler P. glauben Sie ja nicht, daß meine Freundſchaft, mein Vertrauen gegen Sie vermindert ſey; noch weniger denken Sie, daß mich die Entſchließung gereue, meine Tage in Jh -rer13rer Nachbarſchaft hinzubringen. O Jhre Nachbarſchaft iſt mir lieber, als Sie ſich vorſtellen koͤnnen! Jch habe eine Leidenſchaft zu bekaͤmpfen, die mein Herz zum erſtenmal angefallen hat. Jch hoffte, vernuͤnftig und edelmuͤthig zu ſeyn; aber ich bin es noch nicht in aller der Staͤrke, welche der Zuſtand meiner Seele erfodert. Doch iſt es nicht moͤglich, daß ich mit Jh - nen davon ſpreche; mein Herz und die Ein - ſamkeit ſind die einzigen Vertrauten, die ich haben kann.

Der Baron druͤckte ihn an ſeine Bruſt; ich weiß, ſagte er, daß Sie in allem wahrhaft ſind, ich zweifle alſo nicht an den Verſicherungen Jhrer alten Freund - ſchaft. Aber warum kommen Sie ſo ſel - ten zu mir? warum eilen Sie ſo kalt wieder aus meinem Hauſe?

Kalt, mein Freund! Kalt eile ich aus Jhrem Hauſe? O P.; Wenn Sie das brennende Verlangen kennten, das mich zu Jhnen fuͤhrt; das mich Stunden lang an meinem Fenſter haͤlt, wo ich das geliebte Haus ſehe, in welchem alle meinWuͤnſchen14Wuͤnſchen, all mein Vergnuͤgen wohnt; Ach P.!

Der Baron P. wurde unruhig, weil ihm auf einige Augenblicke der Gedanke kam, ſein Freund moͤchte vielleicht ſeine Gemahlin lieben, und meide deswegen ſein Haus, weil er ſich zu beſtreiten ſuche. Er beſchloß, achtſam und zuruͤckhaltend zu ſeyn. Der Oberſte hatte ſtill geſeſſen, und der Baron war auch aus ſeiner Faſ - ſung. Endlich fieng der letztere an: Mein Freund, Jhr Geheimniß iſt mir hei - lig; ich will es nicht aus Jhrer Bruſt er - preſſen. Aber Sie haben mir Urſache gegeben zu denken, daß ein Theil dieſes Geheimniſſes mein Haus angehe: Darf ich nicht nach dieſem Theile fragen?

Nein! Nein, fragen Sie nichts, und uͤberlaſſen Sie mich mir ſelbſt Der Baron ſchwieg, und reiſte traurig und tiefſinnig fort.

Den andern Tag kam der Oberſte, bat den Baron um Vergebung, daß er ihn geſtern ſo trocken heimreiſen laſſen, und ſagte, daß es ihn den ganzen Abend ge -quaͤlt15quaͤlt haͤtte. Lieber Baron, ſetzte er hin - zu, Ehre und Edelmuth binden meine Zunge! Zweifeln Sie nicht an meinem Herzen, und lieben Sie mich!

Er blieb den ganzen Tag in P., Fraͤulein Sophie und Fraͤulein Charlotte wurden von ihrem Bruder gebeten, alles zu Ermunterung ſeines Freundes beyzu - tragen. Der Oberſte hielt ſich aber mei - ſtens um die alte Dame und die Gemah - lin des Barons auf. Abends ſpielte Fraͤulein Charlotte die Laute, der Baron und zween Bediente accompagnirten ſie, und Fraͤulein Sophie wurde ſo inſtaͤndig gebeten, zu ſingen, daß ſie endlich nach - gab.

Der Oberſte ſtellte ſich in ein Fenſter, wo er bey halb zugezogenem Vorhang das kleine Familien-Concert anhoͤrte, und ſo eingenommen wurde, nicht wahrzuneh - men, daß die Gemahlin ſeines Freundes nahe genug bey ihm ſtund, um ihn ſagen zu hoͤren: O Sophie, warum biſt du die Schweſter meines Freundes? warum beſtreiten die Vorzuͤge deiner Geburt dieedle16edle, die zaͤrtliche Neigung meines Her - zens!

Die Dame wurde beſtuͤrzt; und um die Verwirrung zu vermeiden, in die er gerathen ſeyn wuͤrde, wenn er haͤtte den - ken koͤnnen, ſie habe ihn gehoͤrt, entfernte ſie ſich; froh, ihrem Gemahl die Sorge benehmen zu koͤnnen, die ihn wegen der Schwermuth des Oberſten plagte. So bald alles ſchlafen gegangen war, re - dete ſie mit ihm von dieſer Entdeckung. Der Baron verſtund nun, was ihm der Oberſte ſagen wollte, da er ſich wegen des vermeynten Kaltſinns vertheidigte, deſſen er beſchuldigt wurde. Waͤre Jh - nen der Oberſte als Schwager eben ſo lieb, wie er es Jhnen als mein Freund iſt? fragte er ſeine Gemahlin.

Gewiß, mein Liebſter! Sollte denn das Verdienſt des rechtſchaffnen Mannes nicht ſo viel Werth haben, als die Vor - zuͤge des Namens und der Geburt!

Werthe edle Helfte meines Lebens, rief der Baron, ſo helfen Sie mir dieVor -17Vorurtheile bey meiner Mama, und bey Sophien uͤberwinden!

Jch fuͤrchte die Vorurtheile nicht ſo ſehr, als eine vorgefaßte Neigung, die unſre liebe Sophie in ihrem Herzen naͤhrt. Jch kenne den Gegenſtand nicht, aber ſie liebt, und liebt ſchon lange. Kleine Aufſaͤtze von Betrachtungen, von Kla - gen gegen das Schickſal, gegen Tren - nung, die ich in ihrem Schreibetiſche gefunden habe, uͤberzeugten mich davon. Jch habe ſie beobachtet, aber weiter nichts entdecken koͤnnen. Jch will mit ihr re - den, ſagte der Baron, und ſehen, ob ihr Herz nicht durch irgend eine Luͤcke auszu - ſpaͤhen iſt.

Den Morgen darauf gieng der Ba - ron zu Fraͤulein Sophie, und nach vielen freundlichen Fragen um ihre Geſund - heit, nahm er ihre Haͤnde in die ſeinigen. Liebe theure Sophie, ſprach er, du giebſt mir Verſicherung deines Wohlſeyns; aber warum bleibt dir die leidende Miene? warum der Ton des Schmerzens; warumBder18der Hang zur Einſamkeit! warum ent - fliehen dieſem edeln guͤtigen Herzen ſo viele Seufzer? O wenn du wuͤßteſt; wie ſehr du mich dieſe lange Zeit deiner Me - lancholie durch bekuͤmmert haſt; du wuͤr - deſt mir dein Herz nicht verſchloſſen haben!

Hier wurde ihre Zaͤrtlichkeit uͤberwaͤl - tiget. Sie zog ihre Haͤnde nicht weg, ſie druͤckte ihres Bruders ſeine an ihre Bruſt, und ihr Kopf ſank auf ſeine Schul - ter. Bruder, du brichſt mein Herz! ich kann den Gedanken nicht ertragen, dir Kummer gemacht zu haben! Jch liebe dich wie mein Leben; ich bin gluͤcklich, ertrage mich, und rede mir niemals vom Hey - rathen.

Warum das, mein Kind? Du wuͤrdeſt einen rechtſchaffenen Mann ſo gluͤcklich machen!

Ja, ein rechtſchaffener Mann wuͤr - de auch mich gluͤcklich machen; aber ich kenne Thraͤnen hinderten ſie, mehr zu ſagen.

O Sophie hemme die aufrichtige Bewegung deiner Seele nicht; ſchuͤtteihre19ihre Empfindungen in den treuen Buſen deines Bruders aus Kind! ich glau - be, es giebt einen Mann, den du liebſt, mit dem dein Herz ein Buͤndniß hat.

Nein, Bruder! mein Herz hat kein Buͤndniß

Jſt dieſes wahr, meine Sophie?

Ja, mein Bruder, ja

Hier ſchloß ſie der Baron in ſeine Arme. Ach wenn du die entſchloßne, die wohlthaͤtige Seele deiner Mutter haͤt - teſt!

Sie erſtaunte. Warum, mein Bru - der? was willſt du damit? bin ich uͤbel - thaͤtig geweſen?

Niemals, meine Liebe, niemals aber du koͤnnteſt es werden, wenn Vor - urtheile mehr als Tugend und Vernunft bey dir gaͤlten.

Bruder, du verwirreſt mich! in was fuͤr einem Falle ſollte ich der Tugend und Vernunft entſagen?

Du mußt es nicht ſo nehmen! Der Fall, den ich denke, iſt nicht wider Tu - gend und Vernunft; und doch koͤnntenB 2beyde20beyde ihre Anſpruͤche bey dir verlieh - ren?

Bruder, rede deutlich; ich bin ent - ſchloſſen nach meinen geheimſten Empfin - dungen zu antworten.

Sophie, die Verſicherung, daß dein Herz ohne Buͤndniß ſey, erlaubt mir, dich zu fragen: was du thun wuͤrdeſt, wenn ein Mann, voll Weisheit und Tu - gend, dich liebte, um deine Hand baͤte, aber nicht von altem Adel waͤre?

Sie gerieth bey dieſem letzten Wort in Schrecken, ſie zitterte, und wußte ſich nicht zu faſſen. Der Baron wollte ihr Herz nicht lange quaͤlen, ſondern fuhr fort: wenn dieſer Mann der Freund waͤre, dem dein Bruder die Guͤte und Gluͤckſe - ligkeit ſeines Herzens zu danken haͤtte, Sophie; was wuͤrdeſt du thun?

Sie redete nicht, ſondern ward nach - denkend und wechſelsweiſe roth und blaß.

Jch beunruhige dich, meine Schwe - ſter; der Oberſte liebt dich. Dieſe Lei - denſchaft macht ſeine Schwermuth; denn er zweifelt, ob er werde angenommen wer -den.21den. Jch bekenne dir freymuͤthig, daß ich wuͤnſchte, alle ſeine mir erwieſne Wohlthaten durch dich zu vergelten. Aber wenn dein Herz darwider iſt, ſo ver - giß alles was ich dir ſagte.

Das Fraͤulein bemuͤhete ſich einen Muth zu faſſen; ſchwieg aber eine gute Weile; endlich fragte ſie den Baron: Bruder, iſt es gewiß, daß der Oberſte mich liebt? Der Baron erklaͤrte ihr hierauf alles was er durch ſeine Unterre - dungen mit dem Oberſten, und endlich durch die Wuͤnſche, welche ſeine Gemah - lin gehoͤrt hatte, von ſeiner Liebe wußte.

Mein Bruder, ſprach Sophie, ich bin freymuͤthig, und du verdienſt alle mein Vertrauen ſo ſehr, daß ich nicht lange warten werde, dir zu ſagen, daß der Oberſte der einzige Mann auf Erden iſt, deſſen Gemahlin ich zu werden wuͤnſche.

Der Unterſchied der Geburt iſt dir al - ſo nicht anſtoͤßig?

Gar nicht; ſein edles Herz, ſeine Wiſſenſchaft, und ſeine Freundſchaft fuͤrB 3dich,22dich, erſetzen bey mir den Mangel der Ahnen.

Edelmuͤthiges Maͤdchen! du machſt mich gluͤcklich durch deine Entſchließung, liebſte Sophie! Aber warum bateſt du mich, dir nichts vom Heyrathen zu ſagen?

Weil ich fuͤrchtete, du redeteſt von einem andern ſagte ſie, mit leiſem Ton, indem ihr gluͤhendes Geſicht auf der Schulter ihres Bruders lag

Er umarmte ſie, kuͤßte ihre Hand; dieſe Hand, ſagte er, wird ein Segen fuͤr meinen Freund ſeyn! von mir wird er ſie erhalten! Aber, mein Kind, die Ma - ma und Charlotte werden dich beſtreiten; wirſt du ſtandhaft bleiben?

Bruder, du ſollſt ſehen, daß ich ein Englaͤndiſches Herz habe. Aber da ich alle deine Fragen beantwortete, ſo muß ich auch eine machen: Was dachteſt du von meiner Traurigkeit, weil du mich ſo oft fragteſt?

Jch23

Jch dachte, eine heimliche Liebe, und ich fuͤrchtete mich vor dem Gegenſtand, weil du ſo verborgen wareſt.

Mein Bruder glaubte alſo nicht, daß die Briefe ſeines Freundes, die er uns vorlas, und alles uͤbrige, was er von dem theuren Mann erzaͤhlte, einen Eindruck auf mein Herz machen koͤnnte?

Liebe Sophie, es war alſo das Ver - dienſt meines Freundes, was dich ſo be - unruhigte? Gluͤcklicher Mann, den ein edles Maͤdchen wegen ſeiner Tugend liebt! Gott ſegue meine Schweſter fuͤr ihre Aufrichtigkeit! nun kann ich das Herz meines Freundes von ſeinem nagen - den Kummer heilen.

Thu alles mein Bruder, was ihn be - friedigen kann; nur ſchone meiner dabey! du weiſt, daß ein Maͤdchen nicht unge - beten lieben darf.

Sey ruhig, mein Kind; deine Ehre iſt die meinige.

Hier verließ er ſie, gieng zu ſeiner Gemahlin und theilte ihr das Vergnuͤgen dieſer Entdeckung mit. Sodann eilte erB 4zum24zum Oberſten, welchen er traurig und ernſthaft fand. Mancherley Unterre - dungen, die er anfieng, wurden kurz beant - wortet. Eine toͤdtliche Unruhe war in allen ſeinen Gebehrden. Habe ich Sie geſtoͤrt, Herr Oberſter? ſagte der Baron mit der Stimme der zaͤrtlichſten Freund - ſchaft eines jungen Mannes gegen ſeinen Fuͤhrer, indem er den Oberſten zugleich bey der Hand faßte.

Ja, lieber Baron, Sie haben mich in der Entſchließung geſtoͤrt, auf einige Zeit weg zu reiſen.

Weg zu reiſen? und allein?

Lieber P., ich bin in einer Gemuͤths - verfaſſung, die meinen Umgang unange - nehm macht; ich will ſehen, was die Zer - ſtreuung thun kann.

Mein beſter Freund! darf ich nicht mehr in ihr Herz ſehen? kann ich nichts zu ihrer Ruhe beytragen?

Sie haben genug fuͤr mich gethan! Sie ſind die Freude meines Lebens. Was mir itzt mangelt, muß die Klugheit und die Zeit beſſern.

Stern -25

Sternheim, Sie ſagten letzt von ei - ner zu bekaͤmpfenden Leidenſchaft. Jch kenne Sie; Jhr Herz kann keine unan - ſtaͤndige, keine boͤſe Leidenſchaft naͤhren; es muß Liebe ſeyn, was die Quaal Jhrer Tage macht!

Niemals P., niemals ſollen Sie wiſ - ſen, was meinen itzigen Kummer ver - urſacht.

Rechtſchaffner Freund, ich will Sie nicht laͤnger taͤuſchen; ich kenne den Ge - genſtand Jhrer Liebe; Jhre Zaͤrtlichkeit hat einen Zeugen gefunden; ich bin gluͤck - lich: Sie lieben meine Sophie! Der Baron hielt den Oberſten, der ganz außer ſich war, umarmt; er wollte ſich loswin - den; es war ihm bange.

P., was ſagen Sie? was wollen Sie von mir wiſſen?

Jch will wiſſen; ob die Hand meiner Schweſter ein gewuͤnſchtes Gluͤck fuͤr Sie waͤre?

Unmoͤglich, denn es waͤre fuͤr Sie alle ein Ungluͤck.

B 5Jch26

Jch habe alſo Jhr Geſtaͤndniß; aber wo ſoll das Ungluͤck ſeyn?

Ja, Sie haben mein Geſtaͤndniß; Jhre Fraͤulein Schweſter iſt das erſte Frauenzimmer, welches die beſte Neigung meiner Seele hat; aber ich will ſie uͤber - winden; man ſoll Jhnen nicht vorwerfen, daß ſie Jhrer Freundſchaft die ſchuldi - ge Achtung fuͤr Jhre Voreltern aufge - opfert haben. Fraͤulein Sophie ſoll durch mich keinen Anſpruch an Gluͤck und Vorzug verliehren. Schwoͤren Sie mir, kein Wort mit ihr davon zu reden; oder Sie ſehen mich heute zum letztenmal!

Sie denken edel, mein Freund; aber Sie ſollen nicht ungerecht werden. Jhre Abreiſe wuͤrde nicht allein mich, ſondern Sophien und meine Gemahlin betruͤben. Sie ſollen mein Bruder ſeyn!

P., Sie martern mich mit dieſem Zuſpruch mehr, als mich die Unmoͤglich - keit marterte, die meinen Wuͤnſchen ent - gegen iſt.

Freund! Sie haben die freywillige, die zaͤrtliche Zuſage meiner Schweſter Sie27Sie haben die Wuͤnſche meiner Gemahlin und die meinige. Wir haben alles be - dacht, was Sie bedenken koͤnnen, ſoll ich Sie bitten der Gemahl von Sophien von P. zu werden?

O Gott! wie hart beurtheilen Sie mein Herz! Sie glauben alſo, daß es ei - genſinniger Stolz ſey, der mich unſchluͤſ - ſig macht?

Jch antworte nichts, umarmen Sie mich und nennen Sie mich ihren Bru - der! morgen ſollen Sie es ſeyn! Sophie iſt die Jhrige. Sehen Sie ſie nicht als das Fraͤulein von P., ſondern als ein lie - benswuͤrdiges und tugendhaftes Frauen - zimmer an, deſſen Beſitz alle Jhre kuͤnfti - gen Tage begluͤcken wird; und nehmen Sie dieſen Segen von der Hand Jhres treuen Freundes mit Vergnuͤgen an!

Sophie mein? mit einer freywilligen Zaͤrtlichkeit mein? Es iſt genug; Sie ge - ben alles; ich kann nichts thun, als auf alles freywillig entſagen?

Entſagen? nach der Verſiche - rung, daß Sie geliebt ſind? O mei -ne28ne Schweſter, wie uͤbel bin ich mit deinem vortrefflichen Herzen umgegangen!

P., was ſagen Sie! und wie koͤn - nen Sie mein Herz durch einen ſolchen Vorwurf zerreiſſen? Wenn Sie edelmuͤ - thig ſind: ſoll ich es nicht auch ſeyn? ſoll ich die Augen uͤber die Mienen des be - nachbarten Adels zuſchlieſſen?

Sie ſollen es, wenn die Frage von Jhrer Freude und Jhrem Gluͤck iſt.

Was wollen Sie dann, daß ich thun ſoll?

Daß Sie mich mit dem Auftrage zu - ruͤck reiſen laſſen, mit meiner Mutter von meinem Wunſche zu ſprechen, und daß Sie zu uns kommen wollen, wenn ich Jhnen ein Billet ſchicke.

Der Oberſte konnte nicht mehr reden; er umarmte den Baron. Dieſer gieng zuruͤck, gerade zu ſeiner Frau Mutter, bey welcher die beyden Fraͤulein und ſeine Gemahlin waren. Er fuͤhrte die aͤltere Fraͤulein in ihr Zimmer, weil er ihr den Bericht von ſeinem Beſuch allein machen wollte, und bat ſie, ihn eine Zeitlangbey29bey der Frau Mutter und Charlotten zu laſſen. Hier that er einen foͤrmlichen An - trag fuͤr ſeinen Freund. Die alte Dame wurde betroffen; er ſah es, und ſagte: Theure Frau Mutter! alle Jhre Bedenk - lichkeiten ſind gegruͤndet. Der Adel ſoll durch adeliche Verbindungen fortgefuͤhrt werden. Aber die Tugenden des Stern - heim ſind die Grundlagen aller großen Familien geweſen. Man hatte nicht un - recht zu denken, daß große Eigenſchaften der Seele bey Toͤchtern und Soͤhnen erb - lich ſeyn koͤnnten, und daß alſo jeder Vater fuͤr einen edlen Sohn eine edle Toch - ter ſuchen ſollte. Auch wollt ich, der Einfuͤhrung der Heyrathen außer Stand nicht gerne das Wort reden. Aber hier iſt ein beſonderer Fall; ein Fall, der ſehr ſelten erſcheinen wird: Stern - heims Verdienſte, mit dem Charakter ei - nes wirklichen Oberſten, der ſchon als adelich anzuſehen iſt, rechtfertigen die Hoffnung, die ich ihm gemacht habe.

Jn Wahrheit, mein Sohn, ich habe Bedenklichkeiten. Aber der Mann hatmeine30meine ganze Hochachtung erworben. Jch wuͤrde ihn gern gluͤcklich ſehen.

Meine Gemahlin: was ſagen Sie?

Daß bey einem Mann, wie dieſer iſt, eine gerechte Ausnahme zu machen ſey. Jch werde ihn gerne Bruder nennen.

Jch nicht, ſagte Fraͤulein Char - lotte.

Warum, meine Liebe?

Weil dieſe ſchoͤne Verbindung auf Un - koſten meines Gluͤcks gemacht wird.

Wie das, Charlotte?

Wer wird denn unſer Haus zu einer Vermaͤhlung ſuchen, wenn die aͤltere Toch - ter ſo verſchleudert iſt?

Verſchleudert? bey einem Mann von Tugend und Ehre, bey dem Freunde dei - nes Bruders?

Vielleicht haſt du noch einen Univer - ſitaͤtsfreund von dieſer Tugend, der ſich um mich melden wird, um ſeiner aufkei - menden Ehre eine Stuͤtze zu geben, und da wirſt du auch Urſachen zu deiner Ein - willigung bereit haben?

Char -31

Charlotte, meine Tochter! was fuͤr eine Sprache?

Jch muß ſie fuͤhren, weil in der gan - zen Familie niemand auf mich und ſeine Voreltern denkt.

So, Charlotte; und wenn man an die Voreltern denkt, muß man den Bru - der und einen edelmuͤthigen Mann belei - digen? ſagte die junge Frau von P.

Jch habe Jhre Ausnahme ſchon ge - hoͤrt, die Sie fuͤr den edelmuͤthigen Mann machen. Andre Familien werden auch Ausnahmen haben, wenn ihr Sohn Charlotten zur Gemahlin haben wollte.

Charlotte, wer dich um Sternheims willen verlaͤßt, iſt deiner Hand und einer Verbindung mit mir nicht werth. Du ſiehſt, daß ich auf die boͤſe juͤngere Schwe - ſter noch ſtolz bin, wenn ich ſchon die gu - te aͤltere an einen Univerſitaͤtsfreund ver - ſchleudere.

Freylich muß die juͤngere Schweſter boͤſe ſeyn, wenn ſie ſich nicht zum Schul - denabtrag will gebrauchen laſſen!

Wie32

Wie unvernuͤnftig boshaft meine Schweſter ſeyn kann! Du haſt nichts von meinen Antraͤgen zu beſorgen. Jch wer - de fuͤr niemand als einen Sternheim re - den, und fuͤr dieſen iſt ein Gemuͤthscha - rakter, wie der deinige, nicht edel genug, wenn du auch eine Fuͤrſtin waͤreſt.

Gnaͤdige Mama; Sie hoͤren zu, wie ich wegen des elenden Kerls gemißhandelt werde?

Du haſt die Geduld deines Bruders gemißbraucht. Kannſt du deine Einwen - dungen nicht ruhiger vorbringen?

Sie wollte eben reden; aber der Bru - der fiel ihr ins Wort: Charlotte, rede nicht mehr; der Ausdruck elender Kerl hat dir deinen Bruder genommen! Die Sachen meines Hauſes gehen dich nichts mehr an. Dein Herz entehrt die Ahnen, auf deren Namen du ſtolz biſt! O wie klein wuͤrde die Anzahl des Adels werden, wenn ſich nur die dazu rechnen duͤrften, die ihre Anſpruͤche durch die Tugenden der edlen Seele des Stifters ihres Hauſes beweiſen koͤnnten!

Lieber33

Lieber Sohn, werde nicht zu eifrig, es waͤre wuͤrklich nicht gut, wenn unſre Toͤchter ſo leicht geneigt waͤren, außer Stand zu heyrathen.

Das iſt nicht zu befuͤrchten. Es giebt ſelten eine Sophie, die einen Mann nur wegen ſeiner Klugheit und Großmuth liebt.

Fraͤulein Charlotte entfernte ſich.

Haſt du aber nicht ſelbſt einmal deine dir ſo lieben Englaͤnder angefuͤhrt, welche die Heyrath außer Stand den Toͤchtern viel weniger vergeben als den Soͤhnen, weil die Tochter ihren Namen aufgeben, und den von ihrem Manne tragen muß, folglich ſich erniedriget?

Diß bleibt alles wahr, aber in Eng - laud wuͤrde mein Freund tauſendmal von dieſem Grundſatz ausgenommen werden, und das Maͤdchen, das ihn liebte, wuͤrde den Ruhm eines edeldenkenden Frauen - zimmers erhalten.

Jch ſehe wohl, mein Sohn, daß dieſe Verbindung eine ſchon beſchloſſene Sache iſt. Aber haſt du auch uͤberlegt, daßCman34man ſagen wird, du opferſt deine Schwe - ſter einer uͤbertriebenen Freundſchaft auf, und ich handle als Stiefmutter, da ich mei - ne Einwilligung gebe?

Liebe Mama! laſſen Sie es immer geſchehen, unſer Beweggrund wird uns beruhigen, und das Gluͤck meiner Schwe - ſter wird, neben den Verdienſten meines Freundes, allein ſo deutlich in die Augen glaͤnzen, daß man aufhoͤren wird, uͤbel zu denken.

Hierauf wurde Fraͤulein Sophie von ihrem Bruder geholt. Sie warf ſich ih - rer Frau Mutter zu Fuͤßen; die gute Da - me umarmte ſie: Liebe Fraͤulein Tochter, ſprach ſie, Jhr Bruder hat mich verſichert, daß dieſes Band nach Jhren Wuͤnſchen waͤre, ſonſt haͤtte ich nicht eingewilliget. Es iſt wahr, es fehlt dem Manne nichts als eine edle Geburt. Aber, Gott ſegne Sie beyde!

Jndeſſen war der Baron fort, er holte den Oberſten, welcher halb außer ſich in das Zimmer trat, aber gleich zu der alten Dame gieng, ihr mit gebognem Knie dieHaͤnde35Haͤnde kuͤßte, und mit maͤnnlichem An - ſtand ſagte:

Gnaͤdige Frau! glauben Sie immer, daß ich Jhre Einwilligung als eine herab - laſſende Guͤte anſehe; bleiben Sie aber auch verſichert, daß ich dieſer Guͤte nie - mals unwuͤrdig ſeyn werde.

Sie war ſo liebreich zu ſagen: Es er - freuet mich, Herr Oberſter, daß Jhre Verdienſte in meinem Hauſe eine Beloh - nung gefunden haben. Er kuͤßte hierauf die Haͤnde der Gemahlin ſeines Freundes; wie viel Dank und Verehrung, rief er aus, bin ich der großmuͤthigen Vorſpre - cherin der Angelegenheiten meines Her - zens ſchuldig?

Nichts, Herr Oberſter! ich bin ſtolz, zu dem Gluͤck Jhres Herzens etwas bey - zutragen; Jhre bruͤderliche Freundſchaft ſoll meine Belohnung ſeyn.

Er wollte mit ſeinem Freunde reden; aber dieſer wieß ihn an Fraͤulein Sophie. Bey dieſer kniete er ſtillſchweigend, und endlich ſprach der edle Mann: GnaͤdigesC 2Fraͤulein!36Fraͤulein! mein Herz iſt zu Verehrung der Tugend gebohren; wie war es moͤglich, eine vortreffliche Seele wie die Jhrige mit allen aͤuſſerlichen Annehmlichkeiten beglei - tet zu ſehen, ohne daß meine Empfindun - gen lebhaft genug wurden, Wuͤnſche zu machen? Jch haͤtte dieſe Wuͤnſche erſtickt; aber die treue Freundſchaft Jhres Bru - ders hat mir Muth gegeben, um Jhre Zuneigung zu bitten. Sie haben mich nicht verworfen. Gott belohne Jhr lieb - reiches Herz, und laſſe mich die Tugend niemals verliehren, die mir Jhre Achtung erworben hat!

Fraͤulein Sophie antwortete nur mit einer Verbeugung, und reichte ihm die Hand mit dem Zeichen aufzuſtehen; dar - auf naͤherte ſich der Baron, und fuͤhrte beyde an ſeinen Haͤnden zu ſeiner Frau Mutter.

Gnaͤdige Mama, ſagte er, die Natur hat Jhnen an mir einen Sohn gegeben, von welchem Sie auf das Vollkommenſte geehrt und geliebt werden; das Schickſalgiebt37giebt Jhnen an meinem Freunde einen zweyten Sohn, der aller Jhrer Achtung und Guͤte wuͤrdig iſt. Sie haben oft gewuͤnſcht, daß unſre Sophie gluͤcklich ſeyn moͤge. Jhre Verbindung mit dem geiſt - vollen rechtſchaffenen Mann wird dieſen muͤtterlichen Wunſch erfuͤllen. Legen Sie Jhre Hand auf die Haͤnde Jhrer Kinder; ich weiß, daß der muͤtterliche Segen ih - ren Herzen heilig und ſchaͤtzbar iſt.

Die Dame legte ihre Hand auf, und ſagte: Meine Kinder! wenn Euch Gott ſo viel Gutes und Vergnuͤgen ſchenkt, als ich von ihm fuͤr Euch erbitten wer - de, ſo wird Euch nichts mangeln. Und nun umarmte der Baron den Ober - ſten als ſeinen Bruder, und auch die gluͤckliche Braut, welcher er fuͤr die Ge - ſinnungen, die ſie gegen ſeinen Freund bezeugt hatte, zaͤrtlich dankte. Der Oberſte ſpeiſte mit ihnen. Fraͤulein Charlotte kam nicht zur Tafel. Die Trauung geſchah ohne vieles Gepraͤnge.

C 3Etliche38

Etliche Tage nach der Hochzeit ſchrieb Frau von Sternheim an Jhre Frau Mutter.

Da mich das ſchlimme Wetter und eine kleine Unpaͤßlichkeit abhalten, meiner gnaͤ - digen Mama ſelbſt aufzuwarten, ſo will ich doch meinem Herzen das edle Vergnuͤ - gen nicht verſagen, mich ſchriftlich mit Jhnen zu unterhalten.

Die Geſellſchaft meines theuren Ge - mahls und die Ueberdenkung der Pflich - ten, welche mir in dem neuen Kreiſe mei - nes Lebens angewieſen ſind, halten mich in Wahrheit fuͤr alle andre Zeitvertreibe und Vergnuͤgungen ſchadlos; aber ſie er - neuern auch mit Lebhaftigkeit alle uͤbri - gen edlen Empfindungen, die mein Herz jemals genaͤhrt hat. Unter dieſe gehoͤrt auch die dankvolle Liebe, welche Jhre Guͤte ſeit ſo vielen Jahren von mir ver - dient hat, da ich in Jhrer vortrefflichen Seele alle treue und zaͤrtliche Sorgfaltgefunden39gefunden habe, die ich nur immer von meiner wahren Mutter haͤtte genießen koͤn - nen. Und doch muß ich bekennen, daß Jhre gnaͤdige Einwilligung in mein Buͤnd - niß mit Sternheim die groͤßte Wohlthat iſt, die Sie mir erzeigt haben. Da - durch iſt das ganze Gluͤck meines Lebens befeſtiget worden; welches ich in nichts anderm ſuche noch erkenne, als in Um - ſtaͤnden zu ſeyn, worinn man nach ſeinem eignen Charakter und nach ſeinen Neigun - gen leben kann. Dieſes war mein Wunſch, und dieſen hab ich von der Vorſehung erhalten. Einen nach ſei - nem Geiſt und Herzen aller meiner Vereh - rung wuͤrdigen Mann; und mittelmaͤßi - ges, aber unabhaͤngiges Vermoͤgen, deſ - ſen Groͤße und Ertrag hinreichend iſt, un - ſer Haus in einer edlen Genuͤgſamkeit und ſtandesgemaͤß zu erhalten, dabey aber auch unſern Herzen die Freude giebt, viele Familien des arbeitſamen Landmanns durch Huͤlfe zu erquicken, oder durch kleine Gaben aufzumuntern.

C 4Erlau -40

Erlauben Sie, daß ich eine Unterre - dung wiederhole, welche der theure Mann mit mir gehalten, deſſen Namen ich trage.

Nachdem meine gnaͤdige Mama, mein Bruder, meine Schweſter und meine Schwaͤgerin abgereiſet waren, empfand ich ſo zu ſagen das erſte mal die ganze Wichtigkeit meiner Verbindung.

Die Veraͤnderung meines Nahmens zeigte mir zugleich die Veraͤnderung mei - ner Pflichten, die ich alle in einer Reyhe vor mir ſah. Dieſe Betrachtungen, wel - che meine ganze Seele beſchaͤfftigten, wur - den, denke ich, durch die aͤußerlichen Ge - genſtaͤnde lebhafter. Ein anderer Wohn - platz; alle, mit denen ich von jugendauf gelebt, von mir entfernt; die erſte Be - wegung uͤber ihre Abreiſe u. ſ. w.

Alles dieſes gab mir, ich weiß nicht welch ein ernſthaftes Anſehen, das dem Auge meines Gemahls merklich wurde.

Er kam mit dem Ausdruck einer ſanf - ten Freudigkeit in ſeinem Geſichte zu mir in mein Cabinett, wo ich gedankenvoll ſaß; blieb in der Mitte des Zimmers ſte -hen,41hen, betrachtete mich mit zaͤrtlicher Un - ruhe, und ſagte:

Sie ſind nachdenklich, liebſte Gemah - lin! darf ich Sie ſtoͤren?

Jch konnte nicht antworten, reichte ihm aber meine Hand. Er kuͤßte ſie, und nachdem er ſich einen Stuhl zu mir geruͤckt hatte, fieng er an:

Jch verehre Jhre ganze Familie; doch muß ich ſagen, daß mir der Tag lieb iſt, wo alle Geſinnungen meines Herzens al - lein meiner Gemahlin gewidmet ſeyn koͤn - nen. Goͤnnen Sie mir Jhr Vertrauen, ſo wie Sie mir Jhre Hochachtung ge - ſchenkt haben; und glauben Sie, daß Sie mit dem Mann, den Sie andern ſo edelmuͤthig vorgezogen haben, nicht un - gluͤcklich ſeyn werden. Jhr vaͤterlich Haus iſt nicht weit von uns entfernt, und in dieſem hier wird Jhr wohlgeſinntes Herz ſein Vergnuͤgen finden, mich, meine und Jhre Bediente, meine und Jhre Un - terthanen gluͤcklich zu machen. Jch weiß, daß Sie ſeit vielen Jahren bey Jhrer Frau Mutter die Stelle einer Hauswirthin ver -C 5ſehen42ſehen haben. Jch werde Sie bitten, die - ſes Amt, mit allem was dazu gehoͤrt, auch in dieſem Hauſe zu fuͤhren. Sie werden mich dadurch ſehr verbinden; indem ich geſinnet bin, alle meine Muße fuͤr das Beſte unſrer kleinen Herrſchaft zu verwen - den. Jch ſetze dieſes nicht allein darinn, Guͤte und Gerechtigkeit auszuuͤben, ſon - dern auch in der Unterſuchung: ob nicht die Umſtaͤnde meiner Unterthanen in an - drer Austheilung der Guͤther, in Beſor - gung der Schulen, des Feldbaues und der Viehzucht zu verbeſſern ſeyen? Jch habe mir von allen dieſen Theilen einige Kenntniß erworben; denn in dem gluͤckli - chen Mittelſtande der menſchlichen Geſell - ſchaft, worinn ich gebohren wurde, ſieht man die Anbauung des Geiſtes, und die Ausuͤbung der meiſten Tugenden nicht nur als Pflichten, ſondern auch als den Grund unſers Wohlergehens an; und ich werde mich dieſer Vortheile allezeit dankbarlich erinnern, weil ich Jhnen das unſchaͤtz - bare Gluͤck Jhrer Liebe ſchuldig bin. Waͤ - re ich mit dem Rang und Vermoͤgen ge -bohren43bohren worden, die ich itzt beſitze, ſo waͤ - re vielleicht mein Eifer, mir einen Nah - men zu machen, nicht ſo groß geweſen. Was ich aber in dem Schickſal meiner verfloßnen Jahre am meiſten liebe, iſt der Vater, den es mir gab; weil es gewiß in andern Umſtaͤnden keinen ſo treuen und weiſen Fuͤhrer meiner Jugend gehabt haͤt - te, als er fuͤr mich war. Er verbarg mir aus weiſer Ueberlegung und Kenntniß meines Gemuͤths, (vielleicht des ganzen menſchlichen Herzens uͤberhaupt) den groͤß - ten Theil ſeines Reichthums; einmal um der Nachlaͤſſigkeit vorzubeugen, mit wel - cher einzige und reiche Soͤhne den Wiſſen - ſchaften obliegen; und dann die Verfuͤh - rung zu vermeiden, denen dieſe Art jun - ger Leute ausgeſetzt iſt; und weil er dach - te, wann ich einmal die Kraͤfte meiner Seele, fuͤr mich und Andere, wohl zu ge - brauchen gelernt haͤtte, ſo wuͤrde ich einſt auch von den Gluͤcksguͤthern einen klu - gen und edeln Gebrauch zu machen wiſſen. Daher ſuchte mich mein Vater zuerſt, durch Tugend und Kenntniſſe, moraliſch gutund44und gluͤcklich zu machen, ehe er mir die Mittel in die Haͤnde gab, durch welche man alle Gattungen von ſinnlichem Wohl - ſtand und Vergnuͤgen fuͤr ſich und Andre erlangen und austheilen kann. Die Lie - be und Uebung der Tugend und der Wiſ - ſenſchaften, ſagte er, geben ihrem Be - ſitzer eine von Schickſal und Menſchen unabhaͤngige Gluͤckſeligkeit, und machen ihn zugleich durch das Beyſpiel, das ſei - ne edle und gute Handlungen geben, durch den Nutzen und das Vergnuͤgen, das ſein Rath und Umgang ſchaffen, zu einem moraliſchen Wohlthaͤter an ſeinen Neben - menſchen. Durch ſolche Grundſaͤtze und eine darauf gegruͤndete Erziehung machte er mich zu einem wuͤrdigen Freund Jhres Bruders; und wie ich mir ſchmeichle, zu dem nicht unwuͤrdigen Beſitzer Jhres Her - zens. Die Haͤlfte meines Lebens iſt vor - bey. Gott ſey Dank, daß ſie weder mit ſonderbaren Ungluͤcksfaͤllen noch Verge - hungen wider meine Pflichten bezeichnet iſt! Der geſegnete Augenblick, wo das edle guͤtige Herz der Sophie P., zumeinem45meinem Beſten geruͤhrt war, iſt der Zeit - punkt, in welchem der Plan fuͤr das wah - re Gluͤck meiner uͤbrigen Tage vollfuͤhrt wurde. Zaͤrtliche Dankbarkeit und Ver - ehrung wird die ſtete Geſinnung meiner Seele fuͤr Sie ſeyn.

Hier hielt er inne, kuͤßte meine beyden Haͤnde, und bat mich um Vergebung, daß er ſo viel geredet haͤtte.

Jch konnte nichts anders als ihn ver - ſichern, daß ich mit Vergnuͤgen zugehoͤrt, und ihn baͤte fortzufahren, weil ich glaub - te, er haͤtte mir noch mehr zu ſagen.

Jch moͤchte Sie nicht gerne ermuͤden, liebſte Gemahlin; aber ich wuͤnſche, daß Sie mein ganzes Herz ſehen koͤnnten. Jch will alſo, weil Sie es zu wuͤnſchen ſcheinen, nur noch einige Punkte beruͤhren.

Jch habe mir angewoͤhnt, in allen Stuͤcken, die ich in Erlernung der Wiſſen - ſchaften oder in meinen Militaͤr-Dienſten zu erſteigen hatte, mich ſorgfaͤltig nach allen Pflichten umzuſehen, die ich darinn in Abſicht auf mich ſelbſt, meine Obern und die uͤbrigen zu erfuͤllen verbundenwar.46war. Nach dieſer Kenntniß theilte ich meine Aufmerkſamkeit und meine Zeit ab. Mein Ehrgeiz trieb mich, alles was ich zu thun ſchuldig war, ohne Aufſchub und auf das Vollkommenſte zu verrichten. War es geſchehen, ſo dachte ich auch an die Vergnuͤgungen, die meiner Gemuͤths - art die gemaͤßeſten waren. Gleiche Ueber - legungen habe ich uͤber meine itzigen Um - ſtaͤnde gemacht; und da finde ich mich mit vierfachen Pflichten beladen. Die er - ſte, gegen meine liebenswuͤrdige Gemah - lin, welche mir leicht iſt, weil immer mein ganzes Herz zu ihrer Ausuͤbung be - reit ſeyn wird. Die zwote gegen Jhre Familie und den uͤbrigen Adel, denen ich, ohne jemals ſchmeichleriſch und unterwuͤr - fig zu ſeyn, durch alle meine Handlungen den Beweis zu geben ſuchen werde, daß ich der Hand von Sophien P., und der Aufnahme in die freyherrliche Claſſe nicht unwuͤrdig war. Die dritte Pflicht geht die Perſonen von demjenigen Stande an, aus welchem ich herausgezogen bin. Dieſe will ich niemals zu denken veran -laſſen,47laſſen, daß ich meinen Urſprung vergeſſen habe. Sie ſollen weder Stolz noch nie - dertraͤchtige Demuth bey mir ſehen. Viertens treten die Pflichten gegen meine Untergebene ein, fuͤr deren Beſtes ich auf alle Weiſe ſorgen werde, um ihrem Herzen die Unterwuͤrfigkeit, in welche ſie das Schickſal geſetzt hat, nicht nur ertraͤglich, ſondern angenehm zu machen, und mich ſo zu bezeugen, daß ſie mir den Unterſchied, welchen zeitliches Gluͤck zwiſchen mir und ihnen gemacht hat, gerne goͤnnen ſollen.

Der rechtſchaffene Pfarrer in P. will mir einen wackern jungen Mann zum Seelſorger in meinem Kirchſpiele ſchaffen, mit welchem ich gar gerne einen ſchon lang gemachten Wunſch fuͤr einige Abaͤnderun - gen in der gewoͤhnlichen Art, das Volk zu unterrichten, veranſtalten moͤchte. Jch habe mich gruͤndlich von der Guͤte und dem Nutzen der großen Wahrheiten un - ſrer Religion uͤberzeugt; aber die wenige Wirkung, die ihr Vortrag auf die Herzen der groͤßten Anzahl der Zuhoͤrer macht, gab mir eher einen Zweifel in die Lehrart,als48als den Gedanken ein, daß das menſchliche Herz durchaus ſo ſehr zum Boͤſen geneigt ſey, als manche glauben. Wie oft kam ich von Anhoͤrung der Canzelrede eines beruͤhmten Mannes zuruͤck, und wenn ich dem moraliſchen Nutzen nachdachte, den ich daraus gezogen, und dem, welchen der gemeine Mann darinn gefunden haben koͤnnte, ſo fand ich in Wahrheit viel Lee - res fuͤr den letztern dabey; und derjenige Theil, welchen der Prediger dem Ruhme der Gelehrſamkeit oder dem ausfuͤhrlichen aber nicht allzuverſtaͤndlichen Vortrag mancher ſpeculativer Saͤtze gewldmet hatte, war fuͤr die Beſſerung der mei - ſten verlohren, und das gewiß nicht aus boͤſem Willen der letztern.

Denn wenn ich, der von Jugend auf meine Verſtandskraͤfte geuͤbt hatte, und mit abſtracten Jdeen bekannt war, Muͤhe hatte, nuͤtzliche Anwendungen davon zu machen; wie ſollte der Handwerksmann und ſeine Kinder damit zu rechte kommen? Da ich nun weit von dem unfreundlichen Stolz entfernt bin, der unter Perſonenvon49von Gluͤck und Rang den Satz erdacht hat, man muͤſſe dem gemeinen Mann weder aufgeklaͤrte Religionsbegriffe geben, noch ſeinen Verſtand erweitern; ſo wuͤnſche ich, daß mein Pfarrer, aus wahrer Guͤte gegen ſeinen Naͤchſten, und aus Empfin - dung des ganzen Umfangs ſeiner Oblie - genheiten, zuerſt bedacht waͤre, ſeiner an - vertrauten Gemeine das Maaß von Er - kenntniß beyzubringen, welches ihnen zu freudiger und eifriger Erfuͤllung ihrer Pflichten gegen Gott, ihre Obrigkeit, ihren Naͤchſten und ſich ſelbſt noͤthig iſt. Der geringe Mann iſt mit der nehm - lichen Begierde zu Gluͤck und Vergnuͤgen gebohren, wie der groͤßere, und wird, wie dieſer, von den Begierden oft auf Ab - wege gefuͤhrt. Daher moͤchte ich ihnen auch richtige Begriffe von Gluͤck und Vergnuͤgen geben laſſen. Den Weg zu ihren Herzen, glaube ich, koͤnne man am eheſten durch Betrachtungen uͤber die phyſicaliſche Welt finden, von der ſie am erſten geruͤhrt werden, weil jeder Blick ihrer Augen, jeder Schritt ihrer Fuͤße ſie dahinDleitet.50leitet. Waͤren erſt ihre Herzen durch Erkaͤnntniß der wohlthaͤtigen Hand ihres Schoͤpfers geoͤffnet, und durch hiſtoriſche Vergleichungen von ihrem Wohnplatz und ihren Umſtaͤnden mit dem Aufenthalt und den Umſtaͤnden andrer Menſchen, die eben ſo, wie ſie, Geſchoͤpfe Gottes ſind, zufrieden geſtellt; ſo zeigte man ihnen auch die moraliſche Seite der Welt, und die Verbindlichkeiten, welche ſie darinn zu einem ruhigen Leben fuͤr ſich ſelbſt, zum Beſten der ihrigen, und zur Verſicherung eines ewigen Wohlſtandes zu erfuͤllen ha - ben. Wenn mein Pfarrer nur mit dem guten Bezeugen der letzten Lebenstage ſei - ner Pfarrkinder zufrieden iſt, ſo werde ich ſehr unzufrieden mit ihm ſeyn. Und wenn er die Beſſerung der Gemuͤther nur durch ſo genannte Geſetz - und Strafpredig - ten erhalten will, ohne den Verſtand zu oͤffnen und zu uͤberzeugen, ſo wird er auch nicht mein Pfarrer ſeyn. Wenn er aufmerkſamer auf den Fleiß im Kirchen - gehen iſt, als auf die Handlungen des taͤglichen Lebens; ſo werde ich ihn fuͤr kei -nen51nen wahren Menſchenfreund und fuͤr kei - nen guten Seelſorger halten.

Auf die Schule, die gute Einrichtung derſelben, und die angemeſſene Belohnung des Schulmeiſters, werde ich alle Sorge tragen; mit der noͤthigen Nachſicht ver - bunden, welche die Schwachheit des kind - lichen Alters erfodert. Es ſoll darinn ein doppelter Catechismus gelehrt werden; nehmlich der von den Chriſtenpflichten, wie er eingefuͤhrt iſt, und bey jedem Hauptſtuͤck eine deutliche, einfache An - wendung dieſer Grundſaͤtze auf ihr taͤgli - ches Leben; und dann ein Catechismus von gruͤndlicher Kenntniß des Feld - und Gartenbaues, der Viehzucht, der Beſor - gung der Gehoͤlze und Waldungen, und dergleichen, als Pflichten des Berufs und der Wohlthaͤtigkeit gegen die Nachkom - menſchaft. Ueberhaupt wuͤnſche ich, mei - ne Unterthanen erſt gut gegen ihren Naͤchſten zu ſehen, ehe ſie einen An - ſpruch an das Lob der Froͤmmigkeit machen.

D 2Dem52

Dem Beamten, den ich hier angetrof - fen, werde ich ſeinen Gehalt und die Be - ſorgung der Rechnung laſſen; aber zur Juſtitzverwaltung und Aufſicht auf die Befolgung der Geſetze und auf Policey und Arbeitſamkeit, werde ich den wackern jungen Mann gebrauchen, deſſen Bekannt - ſchaft ich in P. gemacht habe. Dieſem, und mir ſelbſt will ich ſuchen, das Ver - trauen meiner Unterthanen zu erwerben, um alle ihre Umſtaͤnde zu erfahren, und als wahrer Vater und Vormuͤnder ih - re Angelegenheiten beſorgen zu koͤnnen. Guter Rath, freundliche Ermah - nung, auf Beſſerung, nicht auf Un - terdruͤckung abzielende Strafen, ſollen die Huͤlfsmittel dazu ſeyn; und mein Herz muͤßte ſich in ſeiner liebreichen Hoffnung ſehr traurig betrogen finden, wenn die ſorg - faͤltige Ausuͤbung der Pflichten des Herrn auf meiner, und eine gleiche Bemuͤhung des Pfarrers und der Beamten auf ihrer Seite, nebſt dem Beyſpiel der Guͤte und Wohl - thaͤtigkeit, nicht einen heilſamen Einfluß auf die Gemuͤther meiner Untergebenen haͤtte.

Hier53

Hier hoͤrte er auf, und bat mich um Vergebung, ſo viel und ſo lange geredt zu haben.

Sie muͤſſen muͤde worden ſeyn, theure Sophie, ſagte er, indem er einen ſeiner Arme um mich ſchlang.

Was blieb mir in der vollen Regung meines Herzeus uͤbrig zu thun, als ihn mit Freudenthraͤnen zu umarmen?

Muͤde, mein liebſter Gemahl? Wie koͤnnte ich muͤde werden, uͤber die gluͤck - liche Ausſicht in meine kuͤnftigen Tage, die von Jhrer Tugend und Menſchenliebe bezeichnet ſeyn werden?

Geliebte Frau Mutter, wie geſegnet iſt mein Looß? Gott erhalte Sie noch lan - ge, um ein Zeuge davon zu ſeyn.

Niemand war gluͤcklicher als Sternheim und ſeine Gemahlin, deren Fußtapfen von ihren Unterthanen verehrt wurden. Gerechtigkeit und Wohlthaͤtigkeit wurde in dem kleinen Umkreis ihrer Herrſchaft in gleichem Maaße ausgeuͤbt. Alle ProbenD 3von54von Landbau-Verbeſſerung wurden auf herrſchaftlichen Guͤthern zuerſt gemacht; alsdann den Unterthanen gelehrt, und dem Armen, der ſich am erſten willig zur Veraͤnderung zeigte, der noͤthige Aufwand umſonſt dazu gereicht; weil Herr von Sternheim wohl einſah, daß der Land - mann auch das Nuͤtzlichſte, wenn es Geld - auslagen, und die Miſſung eines Stuͤcks Erdreichs erforderte, ohne ſolche Auf - munterungen niemals eingehen werde. Aber was ich ihnen Anfangs gebe, ſagte er, traͤgt mir mit der Zeit der vermehrte Zehnte ein, und die guten Leute werden durch die Erfahrung am beſten uͤberzeugt, daß es wohl mit ihnen gemeynt war.

Jch kann nicht umhin (ungeachtet es mich von dem Hauptgegenſtand meiner Erzaͤhlung noch weiter entfernt) Jhnen zu einer Probe der gemeinnuͤtzlichen und wohlthaͤtigen Veranſtaltungen, in deren Erfindung und Ausfuͤhrung dieſes vor - treffliche Paar einen Theil ſeiner Gluͤck - ſeligkeit ſetzte, einige Nachricht von dem Armenhauſe zu S** zu geben, welchesnach55nach meinem Begriff ein Muſter guter Einrichtung iſt; und ich kann es nicht beſſer thun, als indem ich Jhnen einen Auszug eines Schreibens des Baron von P., an ſeine Frau Mutter uͤber dieſen Gegenſtand mittheile.

Wie getreu erfuͤllt mein Freund das Ver - ſprechen, welches ich Jhnen fuͤr das Gluͤck unſrer Sophie gemacht haͤbe! Wie angenehm iſt der Eintritt in dieſes Haus, worinn die edelſte Einfalt und ungezwun - genſte Ordnung der ganzen Einrichtung ein Anſehn von Groͤße geben! Die Bedienten mit freudiger Ehrerbietung und Emſigkeit auf Ausuͤbung ihrer Pflichten bedacht! Der Herr und die Frau mit dem Ausdruck der Gluͤckſeligkeit, die aus Guͤte und Klug - heit entſpringt; beyde, mich fuͤr meine entſchloſſene Verwendung fuͤr ihr Buͤnd - niß ſegnend! Und wie ſehr unterſcheiden ſich die zwey kleinen Doͤrfer meines Bru - ders von allen groͤßern und volkreichern, die ich bey meiner Zuruͤckreiſe von HofeD 4geſehen56geſehen habe! Beyde gleichen durch die muntre und emſige Arbeitſamkeit ihrer Einwohner, zween wohlangelegten Bie - nenſtoͤcken; und Sternheim iſt reichlich fuͤr die Muͤhe belohnt, die er ſich gegeben, eine ſchicklichere Eintheilung der Guͤther zu machen, durch welche jeder von den Un - terthanen juſt ſo viel bekommen hat, als er Kraͤfte und Vermoͤgen hatte anzubauen. Aber die Verwendung des neu erkauften Hofguths von dem Grafen A., welches ge - rade zwiſchen den zweyen Doͤrfern liegt, diß wird ein ſegensvoller Gedanke in der Ausfuͤhrung ſeyn!

Er iſt zu einem Armenhauſe fuͤr ſeine Unterthanen zugerichtet worden. Auf ei - ner Seite; unten, die Wohnung fuͤr ei - nen wackern Schulmeiſter, der zu alt ge - worden, dem Unterricht der Kinder noch nuͤtzlich vorzuſtehen, und nun zum Ober - aufſeher uͤber Ordnung und Arbeit beſtellt wird; oben, die Wohnung des Arztes, welcher fuͤr die Kranken des Armenhauſes und der beyden Doͤrfer ſorgen muß. Arbeiten ſollen alle nach Kraͤften, zurSommers -57Sommerszeit in einer nahe daran ange - legten Saͤmerey und einem dazu gehoͤri - gen Gemuͤsgarten. Beyder Ertrag iſt fuͤr die Armen beſtimmt. An Regen - und Wintertagen ſollen die Weibsleute Flachs, und die dazu taugliche Maͤnner, Wolle ſpinnen, welche auch fuͤr ihr und anderer Nothleidenden Leinen und Kleidung ver - wandt wird. Sie bekommen gut gekoch - tes geſundes Eſſen. Der Hausmeiſter be - tet Morgens und Abends mit ihnen. Die Weibesperſonen arbeiten in einer, und die Mannsperſonen in der andern Stube, welche beyde durch Einen Ofen erwaͤrmt werden. Jn der von den Weibsleuten ißt man; denn weil dieſe den Tiſch decken, und fuͤr die Naͤharbeit und die Waͤſche ſorgen muͤſſen, ſo iſt ihre Stube groͤßer. Diejenige arme Wittwe, oder alte ledige Weibsperſon, welche das beſte Zeugniß von Fleiß und gutem Wandel in den Doͤr - fern hatte, wird Oberaufſeherin und An - ordnerin, ſo wie es der arme Mann, der ein ſolches Zeugniß hat, unter den Maͤn - nern iſt. Zu ihrem Schlafplatz iſt derD 5obere58obere Theil des Hauſes in zween verſchied - ne Gaͤnge durch eine volle Mauer getheilt, auf deren jedem fuͤnf Zimmer ſind, jedes mit zween Betten, und allen Nothduͤrf - tigkeiten fuͤr jedes insbeſondere; auf einer Seite gegen den Garten, die Maͤnner; und auf der gegen das Dorf, die Weiber; je zwey in einem Gemach, damit, wenn einem was zuſtoͤßt, das andere Huͤlfe lei - ſten oder ſuchen kann. Von der Mitte des Fenſters an, geht eine hoͤlzerne Schied - wand von der Decke bis auf den Boden, etliche Schuh lang uͤber die Laͤnge der Bettſtellen, ſo daß beyde auf eine gewiſſe Art allein ſeyn koͤnnen, und auch, wenn eines krank wird, das Andre ſeinen Theil geſunde Luft beſſer erhalten kann. Auf dieſe zween Gaͤnge fuͤhren zwo verſchiedne Stiegen, damit keine Unordnung entſte - hen moͤge.

Unter dem guten Hausmeiſter ſtehen auch die Knechte, die den Bau des Feld - guths beſorgen muͤſſen; und da ihnen ein beſſerer Lohn, als ſonſt wo beſtimmt iſt, ſo nimmt man auch die beſten und desFeld -59Feldbaues verſtaͤndigſten Arbeiter, wobey zugleich auf ſolche, die einen guten Ruf haben, vorzuͤglich geſehen wird.

Fremden Armen ſoll ein maͤßiges All - moſen abgereicht, und dabey Arbeit ange - boten werden, wofuͤr ſie Taglohn bekom - men, und eine Stunde fruͤher aufhoͤren duͤrfen, um das naͤchſte fremde Dorf, ſo fuͤnf viertel Stunden davon liegt, noch bey Tag erreichen zu koͤnnen. Sternheim hat auf ſeine Koſten einen ſchnurgeraden Weg mit Baͤumen umpflanzt dahin machen laſ - ſen: ſo wie er auch von dem einen ſeiner Doͤrfer zum andern gethan hat. Nachts muͤſſen die beſtellten Waͤchter der beyden Ortſchaften wechſelsweiſe bis ans Ar - menhaus gehen, und die Stunden aus - rufen. Meine Schweſter will ein klein Findelhaus fuͤr arme Waiſen dabey ſtif - ten, um Segen fuͤr das Kind zu ſam - meln, welches ſie unter ihrem liebreichen wohlthaͤtigen Herzen traͤgt. Mein Ge - danke, gnaͤdige Mama, iſt, in meiner groͤßern und weitlaͤuftigern Herrſchaft auch eine ſolche Armenanſtalt zu machen,und60und wo moͤglich, mehrere Edelleute, ein gleiches zu thun, zu uͤberreden.

Fremde und einheimiſche Bettler be - kommen bey keinem Bauren nichts. Dieſe geben bloß nach Vermoͤgen und freyem Willen, nach jeder Erndte ein All - moſen in das Haus, und ſo werden alle Armen menſchlich und ohne Mißbrauch der Wohlthaͤter verſorgt. Auf Saͤufer. Spieler, Ruchloſe und Muͤßiggaͤnger, iſt eine Strafe, theils an Frohnarbeit, theils an Geld gelegt, welches zum Nu - tzen des Armenhauſes beſtimmt iſt. Kuͤnftigen Monat werden vier Manns - und fuͤnf Weibsperſonen das Haus bezie - hen, meine Schweſter faͤhrt alle Tage hin, um die voͤllige Einrichtung zu machen. Jn der Sonntagspredigt wird der Pfar - rer uͤber die Materie von wahrem Allmo - ſen und von wuͤrdigen Armen eine Rede halten, und der ganzen Gemeinde die Stiftung und die Pflichten derer, welche darinn aufgenommen werden, vorleſen. Sodann ruft er die Angenommene mit ih - ren Namen vor dem Altar, und redt ihnenins61ins beſondere zu, uͤber die rechte Anwen - dung dieſer Wohlthat, und ihr Verhalten in den letzten und ruhigen Tagen ihres Le - bens gegen Gott und ihren Naͤchſten; dem Hausmeiſter, dem Arzt und der Hausmei - ſterin desgleichen, uͤber ihre obliegenden Pflichten. Zu dieſem Vorgang werden wir alle von P. aus kommen, ich bins gewiß.

Der benachbarte Adel ehrte und liebte den Oberſten Sternheim ſo ſehr, daß man ihn bat auf einige Zeit junge Edelleute in ſein Haus zu nehmen, welche von ihren Reiſen zuruͤck gekommen waren, und nun vermaͤhlt werden ſollten, um den Stamm fortzufuͤhren. Da wollte man ſie die wahre Landwirthſchaft eines Edelmanns einſehen und lernen laſſen. Unter dieſen war der junge Graf Loͤbau, welcher in dieſem Hauſe die Gelegenheit hatte, das endlich ruhig gewordene Fraͤulein Char - lotte P. kennen zu lernen und ſich mit ihr zu verbinden.

Herr62

Herr von Sternheim nahm die edle Beſchaͤfftigung, dieſen jungen Herren rich - tige Begriffe von der Regierung der Unter - thanen zu geben, recht gerne auf ſich. Seine Menſchenliebe erleichterte ihm dieſe Muͤhe durch den Gedanken: vielleicht gebe ich ihnen den ſo noͤthigen Theil von Mit - leiden gegen Geringe und Ungluͤckliche, deren hartes muͤhſeliges Leben durch die Unbarmherzigkeit und den Stolz der Groſ - ſen ſo oft erſchwert und verbittert wird. Ueberzeugt, daß das Beyſpiel mehr wuͤrkt, als weitlaͤuftige Geſpraͤche, nahm er ſeine junge Leute uͤberall mit ſich, und, wie es der Anlaß erfoderte, handelte er vor ihnen. Er machte ihnen die Urſachen begreiflich, warum er dieſes verordnet, jenes verboten, oder dieſe, oder jene an - dere Entſcheidung gegeben; und je nach der Kenntniß, die er von den Guͤthern eines jeden hatte, fuͤgte er kleine Anwen - dungen fuͤr ſie ſelbſt hinzu. Sie waren Zeugen von allen ſeinen Beſchaͤfftigungen, und nahmen Antheil an ſeinen Ergoͤtzlich - keiten; bey Gelegenheit der letztern, bater63er ſie oft inſtaͤndig, die Jhrigen ja nie - mals auf Unkoſten ihrer armen Untertha - nen zu ſuchen; wozu vornehmlich die Jagd einen großen Anlaß gebe. Er nannte ſie ein anſtaͤndiges Vergnuͤgen, welches aber ein liebreicher, menſchlicher Herr allezeit mit dem Beſten ſeiner Unterthanen zu verbinden ſuche. Auch die Liebe zum Leſen war eine von den Neigungen, die er ihnen zu geben ſuchte, und beſonders gab ihm die Geſchichte Gelegenheit von der mora - liſchen Welt, ihren Uebeln und Veraͤnde - rungen zu reden, die Pflichten der Hof - und Kriegsdienſte auszulegen, und ihren Geiſt in der Ueberlegung und Beurtheilung zu uͤben. Die Geſchichte der moraliſchen Welt, ſagte er, macht uns geſchickt mit den Menſchen umzugehen, ſie zu beſſern, zu tragen und mit unſerm Schickſal zufrie - den zu ſeyn; aber die Beobachtung der phyſicaliſchen Welt macht uns zu guten Geſchoͤpfen, in Abſicht auf unſern Urhe - ber. Jndem ſie uns unſre Unmacht zeigt, hingegen ſeine Groͤße, Guͤte und Weis - heit bewundern lehrt, lernen wir ihn aufeine64eine edle Art lieben und verehren; außer dem, daß uns dieſe Betrachtungen ſehr gluͤcklich uͤber mancherley Kummer und Verdruͤßlichkeiten troͤſten und zerſtreuen, die in der moraliſchen Welt uͤber dem Haupte des Großen und Reichen oft in groͤßerer Menge gehaͤuft ſind, als in der Huͤtte des Bauren, den nicht viel mehr Sorgen, als die fuͤr ſeine Nahrung druͤcken.

So wechſelte er mit Unterredungen und Beyſpiel ab. Jn ſeinem Hauſe ſahen ſie, wie gluͤcklich die Vereinigung eines recht - ſchaffenen Mannes mit einer tugendhaften Frau ſeye. Zaͤrtliche, edle Achtung war in ihrem Bezeugen; und die Dienerſchaft ehrfurchtsvoll, und bereit, ihr Leben fuͤr die eben ſo gnaͤdige als ernſtliche Herr - ſchaft zu laſſen.

Sternheim hatte auch die Freude, daß alle dieſe junge Herren erkenntliche und er - gebene Freunde von ihm wurden, welche in ihrem Briefwechſel ſich immer bey ihm Raths erholten. Der Umgang mit dem verehrungswuͤrdigen Baron P., der Jh -nen65nen oͤfters kleine Feſte gab, hatte viel zu ihrer Vollkommenheit beygetragen.

Seine Gemahlin hatte ihm eine Toch - ter gegeben, welche ſehr artig heran wuchs und von ihrem neunten Jahr an (da Sternheim das Ungluͤck hatte, ihre Mut - ter in einem Wochenbette zugleich mit dem neugebohrnen Sohne zu verliehren) der Troſt ihres Vaters und ſeine einzige Freu - de auf Erden war, nachdem auch der Baron P. durch einen Sturz vom Pferde in ſo ſchlechte Geſundheitsumſtaͤnde gera - then, daß er wenige Monate darauf ohne Erben verſtorben war. Dieſer hatte in ſeinem Teſtamente nicht nur ſeine vortreff - liche Frau wohl bedacht, ſondern nach den Landesrechten, die Graͤfin von Loͤbau ſeine juͤngere Schweſter, und die junge So - phie von Sternhein, als die Tochter der aͤltern Schweſter, zu Haupterben eingeſetzt; welches zwar dem Grafen und der Graͤ - fin als unrecht vorkam, aber dennoch Be - ſtand hatte.

Die alte Frau von P., von Kummer uͤber den fruͤhen Tod ihres Sohnes bey -Enahe66nahe ganz niedergedruͤckt, nahm ihren Wohnplatz bey dem Herrn von Sternheim, und diente dem jungen Fraͤulein zur Auf - ſicht. Der Oberſte machte ihr durch ſeine ehrerbietige Liebe und ſein Beyſpiel der ge - duldigſten Unterwerfung viele Erleichte - rung in ihrem Gemuͤthe. Der edel - denkende Pfarrer und ſeine Toͤchter waren beynahe die einzige Geſellſchaft, in welcher ſie Vergnuͤgen fanden. Gleich - wohl genoß das Fraͤulein von Stern - heim die vortrefflichſte Erziehung fuͤr ih - ren Geiſt und fuͤr ihr Herz. Eine Toch - ter des Pfarrers, die mit ihr gleiches Alter hatte, wurde ihr zugegeben, theils einen Wetteifer im Lernen zu erregen, theils zu verhindern, daß die junge Dame nicht in ihrer erſten Jugend lauter duͤſtre Eindruͤcke ſammeln moͤchte; welches bey ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht haͤtte geſchehen koͤnnen. Denn beyde weinten oft uͤber ihren Verluſt, und dann fuͤhrte Herr von Sternheim das zwoͤlf jaͤh - rige Fraͤulein bey der Hand zu dem Bild - niß ihrer Mutter, und ſprach von ihrer Tu -gend67gend und Guͤte des Herzens mit ſolcher Ruͤh - rung, daß das junge Fraͤulein knieend bey ihm ſchluchzte, und oft zu ſterben muͤnſchte, um bey ihrer Frau Mutter zu ſeyn. Dieſes machte den Oberſten fuͤrchten, daß ihre em - pfindungsvolle Seele einen zu ſtarken Hang zu melancholiſcher Zaͤrtlichkeit bekommen, und durch eine allzuſehr vermehrte Reiz - barkeit der Nerven unfaͤhig werden moͤch - te, Schmerzen und Kummer zu ertragen. Daher ſuchte er ſich ſelbſt zu bemeiſtern und ſeiner Tochter zu zeigen, wie man das Ungluͤck tragen muͤſſe, welches die Beſten am empfindlichſten ruͤhrt; und weil das Fraͤulein eine große Anlage von Verſtand zeigte, beſchaͤftigte er dieſen mit der Philoſophie, nach allen ihren Theilen, mit der Geſchichte und den Sprachen, von denen ſie die engliſche zur Vollkommenheit lernte. Jn der Muſik brachte ſie es, auf der Laute und im Singen, zur Vollkom - menheit. Das Tanzen, ſo viel eine Da - me davon wiſſen ſoll, war eine Kunſt, welche eher von ihr eine Vollkommenheit erhielt, als daß ſie dem Fraͤulein welcheE 2haͤtte68haͤtte geben ſollen; denn, nach dem Aus - ſpruch aller Leute, gab die unbeſchreib - liche Anmuth, welche die junge Dame in allen ihren Bewegungen hatte, ihrem Tan - zen einen Vorzug, den der hoͤchſte Grad der Kunſt nicht erreichen konnte.

Neben dieſen taͤglichen Uebungen, er - lernte ſie mit ungemeiner Leichtigkeit, alle Frauenzimmerarbeiten, und von ihrem ſechszehnten Jahre an, bekam ſie auch die Fuͤhrung des ganzen Hauſes, wobey ihr die Tag - und Rechnungsbuͤcher ihrer Frau Mutter zum Muſter gegeben wur - den. Angebohrne Liebe zur Ordnung und zum thaͤtigen Leben, erhoͤht durch ei - ne enthuſiaſtiſche Anhaͤnglichkeit fuͤr das Andenken ihrer Mutter, deren Bild ſie in ſich erneuern wollte, brachten ſie auch in dieſem Stuͤcke zu der aͤußerſten Voll - kommenheit. Wenn man ihr von ihrem Fleiß und von ihren Kenntniſſen ſprach, war ihre beſcheidene Antwort: willige Faͤhigkeiten, gute Beyſpiele und liebreiche Anfuͤhrung haben mich ſo gut gemacht, als tauſend andre auch ſeyn koͤnnten,wenn69wenn ſich alle Umſtaͤnde ſo zu ihrem Be - ſten vereinigt haͤtten, wie bey mir.

Uebrigens war zu allem, was Englaͤn - diſch hieß, ein vorzuͤglicher Hang in ihrer Seele, und ihr einziger Wunſch war, daß ihr Herr Vater einmal eine Reiſe dahin machen, und ſie den Verwandten ihrer Großmutter zeigen moͤchte.

So bluͤhte das Fraͤulein von Stern - heim bis nach ihrem neunzehnten Jahre fort, da ſie das Ungluͤck hatte, ihren wuͤrdigen Vater an einer auszehrenden Krankheit zu verliehren, der mit kum - mervollem Herzen ſeine Tochter dem Gra - fen Loͤbau und dem vortrefflichen Pfarrer in S., als Vormuͤndern empfahl. An den letztern hat er einige Wochen vor ſeinem Tode folgenden Brief geſchrieben.

Herr von St. an den Pfarrer zu S**.

Bald werde ich mit der beſten Haͤlfte meines Lebens wieder vereinigt werden. E 3Mein70Mein Haus und die Gluͤcksumſtaͤnde mei - ner Sophie ſind beſtellt; diß war das letzte und geringſte, was mir fuͤr ſie zu thun uͤbrig geblieben iſt. Jhre gute und geſegnete Erziehung, als die erſte und wichtigſte Pflicht eines treuen Vaters, habe ich nach dem Zeugniß meines Her - zens niemals verabſaͤumt. Jhre mit der Liebe zur Tugend gebohrne Seele laͤßt mich auch nicht befuͤrchten, daß Sie, in mei - ne Stelle eintretender vaͤterlicher Freund, den Sorgen und Verdruͤßlichkeiten ausge - ſetzt ſeyn werden, welche gemeindenkende Maͤdchen in ihren Familien machen. Be - ſonders wird die Liebe, bey aller der Zaͤrt - lichkeit, die ſie von ihrer wuͤrdigen Mut - ter geerbt hat, wenig Gewalt uͤber ſie er - halten; es muͤßte denn ſeyn, daß das Schickſal einen nach ihrer Phantaſie tu - gendhaften Mann*)Der Verfolg und der ganze Zuſammenhang dieſer Geſchichte giebt die Auslegung uͤber dieſen Ausdruck. Er ſoll ohne Zweiſel nichts anders ſagen, als einen Mann, der dem be - ſondern Jdeal von Tugend und moraliſcherVoll - in die Gegend ihresAufent -71Aufenthalts fuͤhrte. Was ich Sie, mein theurer Freund, zu beſorgen bitte, iſt, daß das edeldenkende Herz des beſten Maͤd - chens durch keine Scheintugend hinge - riſſen werde. Sie faßt das Gute an ih - rem Nebenmenſchen mit ſo vielem Eifer auf, und ſchluͤpft dann uͤber die Maͤngel mit ſo vieler Nachſicht hinweg, daß ich nur daruͤber mit Schmerzen auf ſie ſehe. Ungluͤcklich wird keine menſchliche Seele durch ſie gemacht werden; denn ich weiß, daß ſie dem Wohl ihres Naͤchſten tau - ſendmal das Jhrige aufopfern wuͤrde, ehe ſie nur ein minutenlanges Uebel auf andre legte, wenn ſie auch das Gluͤck ih - res ganzen eignen Lebens damit erkau - fen koͤnnte. Aber da ſie lauter Empfin - dung iſt, ſo haben viele, viele, die elen - de Macht, ſie zu kraͤnken. Jch habe bis itzt meine Furcht vor dem Gemuͤths - charakter der Graͤfin Loͤbau geheim gehal - ten; aber der Gedanke, meine SophieE 4bey*)Vollkommenheit, welches ſich in ihrer Seele ausgebildet hatte, bis auf die kleinſten Zuͤge aͤhnlich waͤre. A. d. H.72bey ihr zu wiſſen, macht mich ſchaudern; Die aͤußerliche Sanftmuth und Guͤte die - ſer Frau, ſind nicht in ihrem Herzen; der bezaubernd angenehme Witz, der fei - ne gefaͤllige Ton, den ihr der Hof gegeben, verbergen viele moraliſche Fehler Jch wollte meiner Tochter niemals Mißtrauen in dieſe Dame beybringen, weil ich es fuͤr unedel, und auch, ſo lang ich meiner Geſundheit genoß, fuͤr unnoͤthig hielt. Aber wenn meine theure Frau Schwieger - mutter auch unter der Laſt von Alter und Kummer erliegen ſollte, ſo nehmen Sie meine Sophie in ihren Schutz! Gott wird Jhnen dieſe Sorge erleichtern helfen, indem ich hoffe, daß er das letzte Gebet eines Vaters erhoͤren wird, der fuͤr ſein Kind nicht Reichthum, nicht Groͤße, ſon - dern Tugend und Weisheit erbittet. Vorſehen und verhindern kann ich nichts mehr. Alſo uͤbergebe ich ſie der goͤttli - chen Guͤte, und der treuen Hand eines verſuchten Freundes. Doch trenne ich mich leichter von der ganzen Erde als von dem Gedanken an meine Tochter. Jch er -innere73innere mich hier an eine Unterredung zwi - ſchen uns, von der Staͤrke der Eindruͤcke, die wir in unſrer Jugend bekommen. Jch empfinde wuͤrklich ein Stuͤck davon mit aller der Macht, die die Umſtaͤnde dazu beytragen. Mein Vater hatte mir zwo Sachen ſehr eingepraͤgt, nehmlich die Ge - wißheit des Wiedervergeltungsrechts und den Lehrſatz der Wohlthaͤtigkeit unſers Beyſpiels. Die Gruͤnde, welche er dazu anfuͤhrte, waren ſo edel, ſein Unterricht ſo liebreich, daß es nothwen - diger Weiſe in meiner empfindlichen Seele haften mußte. Von dem erſten bin ich ſeit langer Zeit wieder eingenommen, weil er mir oft ſagte, daß der Kummer oder das Vergnuͤgen, die ich ihm geben wuͤrde, durch meine Kinder an mir wuͤrde geraͤcht oder belohnt werden; Gott ſey Dank, daß ich durch meine Auffuͤhrung gegen meinen ehrwuͤrdigen Vater den Segen verdient habe, ein gehorſames tugend - volles Kind zu beſitzen, welches mich an dem Ende meines Lebens das Gluͤck der Erinnerung genießen laͤßt, daß ich dieE 5letzten74letzten Tage meines Vaters mit dem voll - kommenſten Vergnuͤgen gekroͤnt habe, das ein treues vaͤterliches Herz empfinden kann, nehmlich zu ſagen Du haſt mich durch keine boͤſe Neigung, durch keinen Ungehorſam jemals gekraͤnkt, deine Liebe zur Tugend, dein Fleiß, dei - nen Verſtand zu uͤben und nuͤtzlich zu machen, haben mein Herz, ſo oft ich dich anſah, mit Freude erfuͤllt. Gott ſegne dich dafuͤr; und belohne dein Herz fuͤr die Erquickung, die dein Anblick deinem ſterbenden Vater durch die Verſicherung giebt, daß ich meinen Nebenmenſchen an meinem Sohn einen rechtſchaffnen Mit - buͤrger zuruͤcklaſſe. Dieſes Vergnuͤgen, mein Freund, fuͤhle ich itzt auch, indem ich meiner Tochter das nehmliche Zeu - gniß geben kann, in der ich noch eine traurige Gluͤckſeligkeit mehr genoſſen ha - be. Jch ſage, traurige Gluͤckſeligkeit, weil ſie als das wahre Bild meiner ſeligen Gemahlin, das Andenken mei - ner hoͤchſtgluͤcklichen Tage und den Schmerz ihres Verluſts bey jedem Anblickin75in mir erneuerte. Wie oft riß mich der Jammer von dem Tiſch oder aus der Ge - ſellſchaft fort, wenn ich in den zwey letz - tern Jahren (da ſie den ganzen Wuchs ihrer Mutter hatte, und Kleider nach mei - nem Willen trug) den eignen Ton der Stimme, die Gebehrden, die ganze Guͤte und liebenswuͤrdige Froͤhlichkeit ihrer Mutter an ihr ſah!

Gott gebe, daß dieſes Beyſpiel des Wiedervergeltungsrechts von meiner Toch - ter bis auf ihre ſpaͤteſte Enkel fortgepflanzt werde; denn ich habe ihr eben ſo viel da - von geſprochen, als mein Vater mir!

Mit lebhafter Wehmuth erinnere ich mich der letzten Stunden dieſes edeln Mannes, und ſeiner Unterredungen waͤh - rend den Tagen ſeiner zunehmenden Krank - heit. Das theure Fraͤulein konnte wenig weinen, ſie lag auf ihren Knieen neben dem Bette ihres Vaters; aber der Aus - druck des tiefſten Schmerzens, war in ih -rem76rem Geſicht und in ihrer Stellung. Die Augen ihres Vaters auf ſie geheftet eine Hand in den Jhrigen; ein Seufzer des Vaters Meine Sophie! und dann die Arme des Fraͤuleins gegen den Himmel ausgebreitet, ohne einen Laut aber eine troſtloſe bittende Seele in allen ihren Zuͤgen! O dieſer Anblick des feyer - lichen Schmerzens, der kindlichen Liebe, der Tugend, der Unterwerfung, zerriß uns allen das Herz.

Sophie, die Natur thut uns kein Un - recht, ſechzig Jahre ſind nicht zu fruͤh. Der Tod iſt kein Uebel fuͤr mich; er ver - einigt meinen Geiſt mit ſeinem liebreichen Schoͤpfer, und mein Herz mit deiner wuͤrdigen Mutter ihrem! Goͤnne mir dieſes Gluͤck auf Unkoſten des Vergnuͤ - gens, das dir das laͤngere Leben deines Vaters gegeben haͤtte.

Sie uͤberwand ihren Kummer; ſie ſelbſt war es, welche ihren Herrn Vater aufs ſorgfaͤltigſte und ruhigſte pflegte. Er ſah dieſe Ueberwindung, und bat ſie, ihm in den letzten Tagen den Troſt zu geben,77ben, die Frucht ſeiner Bemuͤhungen fuͤr Sie in der Faſſung ihrer Seele zu zeigen. Sie that alles. Beſter Vater! Sie ha - ben mich leben gelernt, Sie lernen mich auch ſterben; Gott mache Sie zu mei - nem Schutzgeiſt, und zum Zeugen aller meiner Handlungen und Gedanken! Jch will Jhrer wuͤrdig ſeyn!

Wie er dahin war, und ſein ganzes Haus voll weinender Unterthanen, ſein Sterbezimmer voll knieender ſchluchzender Hausbedienten waren, das Fraͤulein vor ſeinem Bette die kalten Haͤnde kuͤſſend nichts ſagen konnte, bald knieend, bald ſich erhebend die Haͤnde rang O meine Freundin! wie leicht grub ſich das Andenken dieſes Tages in mein Herz! Wie viel Gutes kann eine empfindende Seele an dem Sterbebette des Gerechten ſam - meln!

Mein Vater ſah ſtillſchweigend zu; er war ſelbſt ſo ſtark geruͤhrt, daß er nicht gleich reden konnte. Endlich nahm er das Fraͤulein bey der Hand: Gott laſſe Sie die Erbin der Tugend Jhres HerrnVaters78Vaters ſeyn, zu deren Belohnung er nun gegangen iſt! Erhalten Sie in dieſen ge - ruͤhrten Herzen (wobey er auf uns wies) das geſegnete Andenken Jhrer verehrungs - wuͤrdigen Aeltern, durch die Bemuͤhung in ihren Fußſtapfen zu wandeln!

Die alte Dame war auch da, und die - ſer bediente ſich mein Vater zum Vor - wand, das Fraͤulein aus dem Zimmer zu bringen, indem er ſie bat, ihre Frau Großmutter zur Ruhe zu fuͤhren. Wie das Fraͤulein anfieng zu gehen, machten wir alle Platz. Sie ſah uns an, und Thraͤneu rollten uͤber ihre Backen; da draͤngten ſich alle, und kuͤßten ihre Haͤnde, ihre Kleider; und gewiß, es war nicht die Bewegung ſich der Erbin zu empfehlen, ſondern eine Bezeugung der Ehrfurcht fuͤr den Ueberreſt des beſten Herrn, den wir in ihr ſahen.

Mein Vater und der Beamte ſorgten fuͤr die Beerdigung.

Niemals iſt ein ſolches Leichbegaͤngniß ge - weſen. Es war vom Herrn von Sternheim befohlen, daß es Nachts und ruhig ſeynſollte:79ſollte: weil er ſeine Sophie mit der Mar - ter verſchonen wollte, ihn beyſetzen zu ſe - hen. Aber die Kirche war voller Leute; alle feyerlich angezogen, der Chor be - leuchtet, wie es die traurige Urſache er - foderte; alle wollten ihren Herrn, ihren Wohlthaͤter noch ſehen. Greiſe, Juͤng - linge, weinten, ſegneten ihn, und kuͤßten ſeine Haͤnde und Fuͤße, das Leichentuch, den Deckel des Sarges, und erbaten von Gott, er moͤchte an der Tochter alles das Gute, ſo ihnen der Vater bewieſen, belohnen!

Noch lange Zeit hernach war alles traurig zu S., und das Fraͤulein ſo ſtill, ſo ernſthaft, daß mein Vater ihrenthal - ben in Sorgen gerieth; beſonders da auch die alte Dame, welche gleich geſagt hatte, daß ihr dieſer Fall das Herz gebrochen haͤtte, von Tag zu Tag ſchwaͤchlicher wurde. Das Fraͤulein wartete ſie mit einer Zaͤrtlichkeit ab, welche die Dame ſagen machte: Sophie, die Sanftmuth, die Guͤte deiner Mutter, iſt ganz in dei - ner Seele! Du haſt den Geiſt deines Va - ters,80 ters, du biſt das gluͤckſeligſte Geſchoͤpf auf der Erde, weil die Vorſicht die Tu - genden deiner Aeltern in dir vereiniget hat! Du biſt nun dir ſelbſt uͤberlaſſen, und faͤngſt den Gebrauch deiner Unab - haͤngigkeit mit Ausuͤbung der Wohlthaͤ - tigkeit an deiner Großmutter an. Denn es iſt eine edlere Wohlthat, das Alter zu beleben, und liebreich zu beſorgen, als den Armen Gold zu ſchenken.

Sie empfahl ſie auch dem Grafen und der Graͤfin von Loͤbau auf das eifrigſte, als ſie von ihnen noch vor ihrem Ende ei - nen Beſuch erhielt. Dieſe beyden Perſo - nen waren dem Anſehen nach, gegen das Fraͤulein ſehr verbindlich, und wollten ſie ſogleich mit ſich nehmen; aber ſie bat ſich aus, ihr Trauerjahr in unſerm Hauſe zu halten.

Jn dieſer Zeit bildete ſich die vertraute Freundſchaft, welche ſie in der Folge alle - zeit mit meiner Schweſter Emilia unter - hielt. Mit dieſer gieng ſie oft in die Kir - che zum Grabſtein ihrer Aeltern, knieete da, betete, redete von ihnen. Jch habe81 habe keine Verwandten mehr, als dieſe Gebeine, ſagte ſie. Die Graͤfin Loͤbau iſt nicht meine Verwandtin; ihre Seele iſt mir fremde, ganz fremde, ich liebe ſie nur, weil ſie die Schweſter meines Oheims war. Mein Vater ſuchte ihr dieſe Abneigung, als eine Ungerechtigkeit, zu benehmen, und war uͤberhaupt bemuͤht, alle Theile ihrer Erziehung mit ihr zu er - neuern, und beſonders auch ihr Talent fuͤr die Muſik zu unterhalten. Er ſagte uns oft: Daß es gut und wahr waͤre, daß die Tugenden alle an einer Kette gien - gen, und alſo die Beſchaffenheit auch mit dabey ſey. Und was wuͤrde auch aus der Fraͤulein von Sternheim geworden ſeyn, wenn ſie ſich aller ihrer Vorzuͤge in der Vollkommenheit bewußt geweſen waͤre, worinn ſie ſie beſaß?

Der Sternheimiſche Beamte, ein recht - ſchaffener Mann, heyrathete um dieſe Zeit meine aͤlteſte Schweſter; und ſein Bruder, ein Pfarrer, der ihn beſuchte, nahm meine Emilia mit ſich; mit dieſer fuͤhrte unſer Fraͤulein einen Briefwechſel,Fwelcher82welcher mir Gelegenheit geben wird, ſie kuͤnftig oͤfter ſelbſt reden zu laſſen.

Aber vorher muß ich Jhnen noch das Bild meiner jungen Dame mahlen. Sie muͤſſen aber keine vollkommene Schoͤnheit erwarten. Sie war etwas uͤber die mitt - lere Groͤße; vortrefflich gewachſen; ein laͤnglich Geſicht voll Seele; ſchoͤne brauue Augen, voll Geiſt und Guͤte, einen ſchoͤ - nen Mund, ſchoͤne Zaͤhne. Die Stirne hoch, und, um ſchoͤn zu ſeyn, etwas zu groß, und doch konnte man ſie in ihrem Geſichte nicht anders wuͤnſchen. Es war ſo viel Anmuth in allen ihren Zuͤgen, ſo viel edles in ihren Gebehrden, daß ſie, wo ſie nur erſchien, alle Blicke auf ſich zog. Jede Kleidung ließ ihr ſchoͤn, und ich hoͤrte Milord Seymour ſagen, daß in jeder Falte eine eigne Grazie ihren Wohn - platz haͤtte. Die Schoͤnheit ihrer licht - braunen Haare, welche bis auf die Erde reichten, konnte nicht uͤbertroffen werden. Jhre Stimme war einnehmend, ihre Aus -druͤcke83druͤcke fein, ohne geſucht zu ſcheinen. Kurz, ihr Geiſt und Charakter waren, was ihr ein unnachahmlich edles und ſanftreizendes Weſen gab. Denn ob ſie gleich bey ihrer Kleidung die Beſcheiden - heit in der Wahl der Stoffe auf das aͤußer - ſte trieb, ſo wurde ſie doch hervorgeſucht, wenn die Menge von Damen noch ſo groß geweſen waͤre.

So war ſie, als ſie von ihrer Tante an den Hof nach D. gefuͤhret wurde.

Unter den Zubereitungen zu dieſer Rei - ſe, wozu ſie mein Vater mit bereden half, muß ich nur eine anmerken. Sie hatte die Bildniſſe ihres Herrn Vaters und ih - rer Frau Mutter in Feuer gemahlt, und zu Armbaͤndern gefaßt, welche ſie nie - mals von den Haͤnden ließ. Dieſe wollte ſie umgefaßt haben, und es mußte ein Goldarbeiter kommen, mit welchem ſie ſich allein deredete.

Die Bildniſſe kamen wieder mit Bril - lianten beſetzt, und zween Tage vor der Abreiſe nahm ſie meine Emilia, und gieng zum Grab ihrer Altern, wo ſie einen fey -F 2erlichen84erlichen Abſchied von den geliebten Gebei - nen nahm, Geluͤbde der Tugend erneuer - te, und endlich ihre Armbaͤnder loß mach - te, an welchen ſie die Bildniſſe hatte hohl faſſen laſſen, ſo daß ſie mitten ein verbor - genes Schloß hatten. Dieſes machte ſie auf, und fuͤllte den kleinen Gaum mit Erde, die ſie in der Gruft zuſammen faß - te. Thraͤnen rollten uͤber ihre Wangen, indem ſie es that, und meine Emllia ſag - te: Liebes Fraͤulein, was thun Sie? Warum dieſe Erde? Meine Emilie, antwortete ſie, ich thue nichts, als was bey dem weiſeſten und edelſten Volke fuͤr eine Tugend geachtet wurde; den Staub der Rechtſchaffenen zu ehren; und ich glaube, es war ein empfindendes Herz, wie das meinige, welches in ſpaͤtern Zeiten die Achtung der Reliquien anfieng. Die - ſer Staub, meine Liebe, der die geheiligte Ueberbleibſel meiner Aeltern bedeckte, iſt mir ſchaͤtzbarer, als die ganze Welt, und wird in meiner Entfernung von hier, das Liebſte ſeyn, was ich beſitzen kann.

Meine85

Meine Schweſter kam in Sorgen dar - uͤber und ſagte uns, es haͤtte ſie eine Ahn - dung von Ungluͤck befallen; ſie fuͤrchte das Fraͤulein nicht mehr zu ſehen. Mein Vater beruhigte uns, und dennoch wurde auch er beſtuͤrzt, da er erfuhr, das Fraͤu - lein ſey in den Doͤrfern, die ihr gehoͤrten, von Haus zu Haus gegangen, haͤtte al - len Leuten liebreich zugeſprochen, ſie be - ſchenkt, zu Fleiß und Rechtſchaffenheit er - mahnt, die Allmoſen fuͤr Wittwen, Wai - ſen, Alte und Kranke vermehrt, dem Schulmeiſter eifrig zugeredet, ſeine Be - ſoldung verbeſſert, und Preiße fuͤr die Kinder ausgeſetzt, meinen Schwager, den Amtmann, mit einer Tabatiere, und mei - ne Schweſter mit einem Ring zum Anden - ken beſchenkt, und den erſten um wahre Guͤte und Gerechtigkeit fuͤr ihre Untertha - nen gebeten. Wir weinten alle uͤber die - ſe Beſchreibung. Mein Vater ſprach uns Muth ein, indem er ſagte: Alle melancho - liſchzaͤrtliche Charakter haͤtten die Art, ih - ren Handlungen eine gewiſſe Feyerlichkeit zu geben, es waͤre ihm lieb, daß ſie mitF 3ſo86ſo ſtarken Eindruͤcken des wahren Edeln und Guten in die große Welt traͤte, wor - inn doch manche vor dieſen Empfindun - gen geſchwaͤcht werden duͤrften, alſo, daß durch eine unmerkliche Miſchung von Leichtſinn und glaͤnzender Munterkeit und die Vermehrung ihrer Kenntniß vom menſchlichen Herzen der Enthuſiasmus ihrer Seele gemildert und in den gehoͤri - gen Schranken wuͤrde gehalten werden.

Meine Emilia bekam ihr Bildniß und ein artiges Kaͤſtgen, worinn Geld zu ei - ner Hausſteuer war. Jhren Bedienten ließ ſie zuruͤck, weil er verheyrathet war, und der Graf von Loͤbau geſchrieben hat - te, daß ſeine Leute zu ihren Dienſten ſeyn ſollten.

Etliche Tage hernach kam der Graf, ihr Oncle, ſie abzuhohlen, und ich be - gleitete ſie, wie ſie ſich ausgebeten hatte. Der Abſchied von meinem Vater war ruͤh - rend. Sie haben ihn gekannt, den ehr - wuͤrdigen Mann, Sie wiſſen, daß er alleHochach -87Hochachtung, alle Liebe verdient. Wir reiſeten erſt auf das Loͤbauiſche Guth, und von da mit der Graͤfin nach D.; wo ſich nun der fatale Zeitpunkt anfaͤngt, wor - inn Sie dieſe liebenswuͤrdigſte junge Da - me in Schwierigkeiten und Umſtaͤnde ver - wickelt ſehen werden, die den ſchoͤnen Plan eines gluͤcklichen Lebens, den Sie Sich gemacht hatte, auf einmal zerſtoͤr - ten, aber durch die Probe, auf welche ſie ihren innerlichen Werth ſetzten, ihre Ge - ſchichte fuͤr die Beſten unſers Geſchlechts lehrreich machen. Jch glaube, daß ich am beſten thun werde, wenn ich hier, an - ſtatt die Erzaͤhlung fortzuſetzen, Jhnen eine Reihe von Originalbriefen, oder Ab - ſchriften, welche in der Folge in die Haͤnde meines geliebten Fraͤuleins gekommen ſind, vorlege, aus denen Sie, theils den Cha - rakter ihres Geiſtes und Herzens, theils die Geſchichte ihres Aufenthalts in D. weit beſſer als durch einen bloßen Auszug werden kennen lernen.

F 4Fraͤu -88

Fraͤulein von Sternheim an Emilien.

Jch bin nun vier Tage hier, meine Freundin, und in Wahrheit nach allen meinen Empfindungen, in einer ganz neuen Welt. Das Geraͤuſch von Wagen und Leuten, habe ich erwartet; doch plagte es mein an die laͤndliche Ruhe ge - woͤhntes Ohr, die erſten Tage uͤber gar ſehr. Was mir noch beſchwerlicher fiel, war, daß meine Tante den Hoffriſeur rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode zuzurichten. Sie hatte die Guͤtigkeit, ſelbſt mit in mein Zimmer zu kommen, wo ſie meine Haare loßband, und ihm ſagte: Monſieur le Beau, dieſer Kopf kann ihrer Kunſt Ehre machen; wenden ſie alles an; aber haben ſie ja Sorge, daß dieſe ſchoͤnen Haare durch kein heiſſes Eiſen verletzet werden?

Dieſe Schmeicheley meiner Tante nahm ich noch mit Vergnuͤgen an; aber der Friſeur aͤrgerte mich mit ſeinen Lob -ſpruͤchen.89ſpruͤchen. Es duͤnkte meinem Stolze, der Menſch haͤtte mich ſorgfaͤltig bedienen, und ſtillſchweigend bewundern ſollen. Aber der Schneider und die Putzmacherin waren noch unertraͤglicher. Fragen Sie meine Roſine uͤber ihr albernes Geſchwaͤtz, und uͤber die etwas boshafte Anmerkung, die mir einfiel: Die Eitelkeit der Damen in D. muͤßte ſehr heißhungrig ſeyn, weil ſie dieſe Leute gewoͤhnt haͤtten, ihr ei - ne ſo grobe und mir ſehr unſchmackhafte Nahrung zu bringen. Das Lob des Schloͤſſers, welches der ſchoͤnen Mont - baſon ſo viel beſſer gefiel, als der Hof - leute ihres, war von einer ganz andern Art, weil es das Gepraͤge einer wahren Empfindung hatte, die durch den Anblick dieſer ſchoͤnen Frau in ihm entſtund, da er ganz mit ſeiner Arbeit beſchaͤfftigt, un - gefehr aufſah, als eben die Dame bey ſei - ner Werkſtatt vorbey fuhr. Aber was heißt der Beyfall derer, welche ihren Nu - tzen von mir ſuchen? Und wie froh bin ich, mit keiner beſondern Schoͤnheit be - zeichnet zu ſeyn; weil ich dieſe ArtF 5von90von Ekel fuͤr allgemeinem Lob in mir fuͤhle.

Dieſen Nachmittag habe ich etliche Da - men und Cavaliere geſehen, denen meine Tante ihre Ankunft hatte wiſſen laſſen, indem ſie die Unterlaſſung ihres eignen Beſuchs mit dem Vorwand einer großen Muͤdigkeit von der Reiſe entſchuldigte. Wiewohl die wahre Urſache nichts anders war, als daß die Hof - und Stadtkleider noch nicht fertig ſind, in welchen ich mei - ne Erſcheinung machen ſoll. Vielleicht ſtutzen Sie uͤber das Wort Erſcheinung, aber es wurde heute von einem witzigen Kopf in der That ſehr richtig gebraucht, wiewohl er es nur auf mein Kleid und meine erſte Reiſe in die Stadt anwandte. Sie wiſſen, Emilia, daß mein theurer Papa mich immer in den Kleidern meiner Mama ſehen wollte, und daß ich ſie auch am liebſten trug. Dieſe ſind hier alle aus der Mode, und ich konnte nach dem Ausſpruch meiner Tante (der ich dieſes Stuͤck von Herrſchaft uͤber meinen Ge - ſchmack gerne einraͤume) kein anderes alsdas91das von weiſſem Tafft tragen, welches ſie mir zu Ende der Trauer hatte machen laſ - ſen. Ende der Trauer, meine Emilia! O glauben Sie es nicht ſo woͤrtlich; die aͤußerlichen Kennzeichen davon habe ich abgelegt; aber ſie hat ihren alten Sitz in dem Grunde meines Herzens behalten, und ich glaube, ſie hat einen Bund mit der geheimen Beobachterin unſrer Hand - lungen (ich meine das Gewiſſen) gemacht: denn bey der Menge Stoffe und Putzſachen, die mir letzhin vorgeleget wurden, und wovon dieſes zur naͤchſten Galla, jenes auf den bevorſtehenden Ball, ein anderes zur Aſſemblee beſtimmt war, wendete ſich, indem ich das eine und andere betrachtete unter der Bewegung meiner Haͤnde, das Bild meiner Mama an dem Armband, und indem ich, im Zurechtemachen, meine Au - gen darauf heftete, und ihre feine Bil - dung mit dem ſimpelſten Aufſatz und An - zug gezieret ſah, uͤberfiel mich der Ge - danke, wie unaͤhnlich ich ihr in kurzer Zeit in dieſem Stuͤck ſeyn werde! Gott verhuͤte, daß dieſe Unaͤhnlichkeit ja nie -mals92mals weiter als auf die Kleidung gehe! die ich als ein Opfer anſehe, welches auch die Beſten und Vernuͤnftigſten der Gewohnheit, den Umſtaͤnden und ihrer Verhaͤltniß mit andern, bald in dieſem, bald in jenem Stuͤcke bringen muͤſſen. Dieſer Gedanke duͤnke mich ein gemein - ſchaftlicher Wink der Trauer und des Ge - wiſſens zu ſeyn. Aber ich komme von meiner Erſcheinung ab. Doch Sie, mein vaͤterlicher Freund, haben verlangt, ich ſoll, wie es der Anlaß gebe, das was mir begegnet und meine Gedanken dabey auf - ſchreiben, und das will ich auch thun. Jch werde von andern wenig reden, wenn es ſich nicht beſonders auf mich bezieht. Alles was ich an ihnen ſelbſt ſehe, befrem - det mich nicht, weil ich die große Welt aus dem Gemaͤhlde kenne, welches mir mein Papa und meine Großmama davon gemacht haben.

Jch kam alſo in das Zimmer zu meiner Tante, da ſchon etliche Damen und Ca - valiere da waren. Jch hatte mein weiſ - ſes Kleid an, welches mit blauen Jtalieni -ſchen93ſchen Blumen garnirt worden war; mein Kopf nach der Mode in D. gar ſchoͤn geputzt. Meinen Anſtand und meine Geſichtsfarbe weis ich nicht; doch mag ich blaß ausgeſe - hen haben; weil kurz nach dem mich die Graͤ - fin als ihre geliebte Nichte vorgeſtellt hat - te, ein von Natur artig gebildeter junger Mann mit einem verkehrt lebhaften Weſen ſich naͤherte, und, Bruſt und Achſeln mit ei - ner ſeltſamen Beugung gegen meine Tante, den Kopf aber ſeitwaͤrts gegen mich mit ei - ner Art Erſchrockenheit gewendet, ausrief: Meine gnaͤdige Graͤfin, iſt es wirklich ihre Niece? Und warum wollen Sie mei - nem Zeugniß nicht glauben? Der erſte Anblick ihrer Geſtalt, die Kleidung und der leichte Sylphidengang, haben mich auf den Gedanken gebracht, es waͤre die Erſcheinung eines liebenswuͤrdigen Hausgeſpenſtes. Armer F**, ſagte eine Dame; und Sie fuͤrchten ſich viel - leicht vor Geſpenſtern?

Vor den haͤßlichen, verſetzte der witzige Herr, habe ich natuͤrlichen Abſcheu, aber mit denen, welche dem Fraͤulein von Stern -heim94heim gleichen, getraue ich mir ganze Stunden allein hinzubringen.

So, und Sie braͤchten mit dieſem ſchoͤnen Einfall mein Haus in den Ruf, daß es darinn ſpuͤke!

Das moͤchte ich wohl; um alle uͤbrige Cavaliere abzuhalten, hieher zu kommen; aber dann wuͤrde ich auch den reizenden Geiſt zu beſchwoͤreen ſuchen, daß er ſich wegtragen ließe.

Gut, Graf F**, gut, das iſt artig geſagt! Wurde in dem Zimmer von allen wiederhohlt.

Nun meine Nichte, wuͤrden Sie ſich beſchwoͤren laſſen?

Jch weis ſehr wenig von der Geiſter - welt, antwortete ich; doch glaube ich, daß fuͤr jedes Geſpenſt, eine eigne Art von Beſchwoͤrung gewaͤhlt werden muͤſſe, und die Entſetzung, die ich dem Grafen bey meiner Erſcheinung verurſachte, laͤßt mich denken, daß ich unter dem Schutz eines maͤchtigern Geiſtes bin, als der iſt, der beſchwoͤren lernt.

Vortreff -95

Vortrefflich, vortrefflich; Graf F**. Wie weiter? rief der Oberſte von Sch***.

Jch habe doch mehr errathen, als Sie alle, antwortete der Graf; denn wenn gleich das Fraͤulein kein Geiſt iſt, ſo ſehe ich doch, daß ſie unendlich viel Geiſt ha - ben muͤſſe.

Das moͤgen Sie errathen haben, und das war vermuthlich auch der Grund, warum Sie in dieſes Schrecken geriethen, ſagte das Fraͤulein von C**, Hofdame bey der Prinzeſſin von W***, die bisher ſehr ſtille geweſen war.

Sie mißhandeln mich immer, meine ungnaͤdige C**. Denn Sie wollen doch damit ſagen, der kleine Geiſt haͤtte ſich vor dem groͤßern zu fuͤrchten angefangen.

Ja, dachte ich, in dieſem Scherz iſt in Wahrheit viel Ernſt. Jch bin wuͤrk - lich eine Gattung von Geſpenſtern, nicht nur in dieſem Hauſe, ſondern auch fuͤr die Stadt und den Hof. Jene kommen, wie ich, mit der Kenntniß der Menſchen unter ſie, und verwundern ſich uͤber nichts was ſie ſehen und hoͤren, machenaber,96aber, wie ich, Vergleichungen zwiſchen die - ſer Welt, und der, woher ſie kommen, und jammern uͤber die Sorgloſigkeit, womit die Zukunft behandelt wird; die Men - ſchen aber bemerken an ihnen, daß dieſe Geſchoͤpfe, ob ſie wohl ihre Form haben, dennoch ihrem innerlichen Weſen nach, nicht unter ſie gehoͤren.

Das Fraͤulein von C** ließ ſich hier - auf in eine Unterredung mit ihr ein, an deren Ende ſie mir viele Achtung bewies, und den hoͤflichen Wunſch aͤußerte, oͤfters in meiner Geſellſchaft zu ſeyn. Sie iſt ſehr liebenswuͤrdig, etwas groͤßer als ich, wohl gewachſen, ein großes Anſehen in ih - rem Gang und der Bewegung ihres Kopfs; ein laͤnglicht Geſicht, nach allen Theilen ſchoͤn gebildet, blonde Haare und die vor - trefflichſte Geſichtsform; einnehmende Zuͤ - ge von Sanftmuth: nur manchmal duͤnk - te mich, waͤren ihre freymuͤthige ganz liebreiche Augen, zu lang und zu bedeu - tend auf die Augen der Mannsleute ge - heftet geweſen. Jhr Verſtand iſt liebens - wuͤrdig, und alle ihre Ausdruͤcke ſind mitdem97dem Merkmal des gutgeſinnten Herzens bezeichnet. Sie war in der ganzen Ge - ſellſchaft die Perſon, die mir am beſten gefiel, und ich werde mir das Anerbieten ihrer Freundſchaft zu nutze machen.

Endlich kam die Graͤfin F*** fuͤr wel - che mir meine Tante viele Achtung zu ha - ben empfohlen hatte, weil ihr Gemahl meinem Oncle in ſeinem Proceſſe viele Dienſte leiſten koͤnne. Jch that alles, aber doch fuͤhlte ich einen Unmuth uͤber die Vorſtellung, daß die Gefaͤlligkeit der Nichte gegen die Frau des Miniſters die Gerechtſamen des Oheims ſollte ſtuͤtzen helfen. An ſeinem Platze wuͤrde ich we - der meine noch des Miniſters Frau in die - ſe Sache mengen, ſondern eine maͤnnliche Sache mit Maͤnnern behandeln. Der Mi - niſter, den ſeine Frau fuͤhrt, ſteht mir auch nicht an; doch iſt alles dieſes eine eingefuͤhrte Gewohnheitsſache, woruͤber der eine nichts klagt, und der andre nicht ſtutzig wird.

Das Fraͤulein C*** und die Graͤfin F*** blieben beym Abendeſſen. Die Un -Gterredun -98terredungen waren belebt, aber ſo ver - flochten, daß ich keinen Auszug machen kann. Die Frau von F*** ſchmeichelte mir bey allen Gelegenheiten, ich mochte reden oder vorlegen. Wenn ſie im Sinn hat, ſich dadurch bey mir beliebt zu ma - chen, ſo verfehlt ſie ihren Zweck. Denn dieſe Frau werde ich nimmer lieben, wenn ich der Stimme meines Herzens folge; und dann glaube ich nicht, daß mich eine Pflicht verbinde, meine Abneigung gegen ſie zu uͤberwinden, wie ich bey meiner Tante gethan habe; wiewohl auch dieſe manchmal aufwachte. Aber das Fraͤulein C** werde ich lieben. Sie war mit mir auf meinem Zimmer, wo wir ſo freundlich redeten, als kennnten wir uns viele Jahre her. Sie ſprach viel von ihrer Prinzeſ - ſin, und wie dieſe mich lieben wuͤrde, in - dem ich ganz nach ihrem Geſchmack waͤre. Wie ich meine Laute und meine Stimme hoͤren laſſen mußte, gab ſie mir noch mehr Verſicherungen daruͤber, und ich erhielt uͤberhaupt viel Lobſpruͤche. Der Ton und die Bezeugung der Hofleute ſind inder99der That dadurch angenehm, weil die Ei - genliebe eines jeden ſo wohl in Acht genom - men wird.

Meine Tante war mit mir zufrieden, wie ſie ſagte; denn ſie hatte befuͤrchtet, ich wuͤrde ein gar zu fremdes, gar zu laͤndliches Anſehen haben. Die Graͤfin F. hatte mich gelobt, aber etwas ſtolz und trocken gefunden. Jch war es auch. Jch kann die Verſicherungen meiner Freundſchaft und Hochachtung nicht ent - heiligen. Jch kann niemand betruͤgen, und ſie geben, wenn ich ſie nicht fuͤhle. Meine Emilia! mein Herz ſchlaͤgt nicht fuͤr alle, ich werde in dieſem Stuͤcke vor der Welt immer ein Geſpenſt bleiben. Diß iſt meine Empfindung. Kein fliegen - der unwilliger Gedanke. Jch war billig; ich legte keinem nichts zum Argen aus. Jch ſagte zu mir: Eine Erziehung, wel - che falſche Jdeen giebt, das Beyſpiel, ſo ſie ernaͤhrt, die Verbundenheit wie Andere zu leben, haben dieſe Perſonen von ihrem eignen Charakter und von der natuͤrli - chen ſittlichen Beſtimmung, wozu wir daG 2ſind,100ſind, abgefuͤhrt: Jch betrachte ſie als Leu - te, auf die eine Familienkraͤnklichkeit fort - gepflanzt iſt; ich will liebreich mit ihnen umgehen, aber nicht vertraut, weil ich mich der Sorge mit ihrer Seuche ange - ſteckt zu werden nicht enthalten kann.

So wuͤnſchen Sie mir dann eine dau - erhafte Seelengeſundheit, meine liebe Freundin, und lieben Sie mich. Un - ſerm ehrwuͤrdigen Papa alles Gute! wie wird er ſich von ſeiner ihn ſo zaͤrtlich be - ſorgenden Emilie trennen koͤnnen? Aber wie gluͤcklich treten Sie den Kreis des ehelichen Lebens an, da Sie den treuen Segen eines wuͤrdigen Vaters mit ſich bringen! Gruͤſſen Sie mir den auserwaͤhl - ten Mann, deſſen Eigenthum Sie mit al - len dieſen Schaͤtzen werden.

Zweyter Brief.

Es iſt mir lieb, meine Emilia, daß Sie dieſen Brief noch in dem vaͤterlichen Hauſe erhalten, weil er Jhnen eine ſchein - bare Verwirrung meiner Jdeen zeigen wird,wo101wo unſer Papa das beſte Mittel, ſie in Ordnung zu bringen, anzeigen kann. Jch bin bey der Prinzeſſin von W*. und dem ganzen Adel zur Erſcheinung gebracht worden, und kenne nun den Hof und die große Welt durch mich ſelbſt.

Jch habe Jhnen ſchon geſagt, daß ich beyde aus der Abſchilderung kenne, ſo mir davon gemacht worden. Laſſen Sie mich dieſes Gleichniß noch weiter brauchen; es war meinem Auge nichts fremde. Aber denken Sie ſich eine Perſon voll Aufmerk - ſamkeit und Empfindung, die ſchon lange mit einem großen Gemaͤhlde von reicher und weitlaͤuftiger Compoſition bekannt iſt. Oft hat ſie es betrachtet, und uͤber den Plan, die Verhaͤltniſſe der Gegenſtaͤnde, und die Miſchung der Farben, nachge - dacht, alles iſt ihr bekannt; aber auf ein - mal kommt durch eine fremde Kraft das ſtillruhende Gemaͤhlde, mit allem was es enthaͤlt, in Bewegung; natuͤrlicher Weiſe erſtaunt dieſe Perſon, und ihre Empfin - dungen werden auf mancherley Art ge - ruͤhrt. Dieſe erſtaunte Perſon bin ich;G 3die102die Gegenſtaͤnde und Farben machen es nicht; die Bewegung, die fremde Bewe - gung iſts, die ich ſonderbar finde.

Soll ich Jhnen ſagen, wie ich hier und da aufgenommen wurde? Gut, al - lenthalben gut! denn fuͤr ſolche Begeben - heiten hat der Hof eine allgemeine Spra - che, die der Geiſtloſe eben ſo fertig zu re - den weiß, als der Allervernuͤnftigſte. Die Prinzeſſin, eine Dame von beynahe funf - zig Jahren, hat einen ſehr ſeinen Geiſt; in ihrem Bezeugen, und in ihren Aus - druͤcken herrſcht ein Ton von Guͤte, deſſen allgemeine Gefaͤlligkeit mir die Ueber - bleibſel von einer Zeit zu ſeyn ſchienen, wo ſie die Freundſchaft aller Arten von Leuten fuͤr noͤthig halten mochte. Denn ich ſehe ſchlechterdings dieſen Beweggrund allein fuͤr faͤhig an, jene Wuͤrkung in ei - nem edeln Herzen zu machen. Die nie - dertraͤchtige Begierde, ſich allen ohne Un - terſchied beliebt zu machen, kann ich ihr unmoͤglich zuſchreiben. Sie unterredete ſich lange mit mir, und ſagte viel Gutes von meinem geliebten Papa, den ſie alsHaupt -103Hauptmann und Oberſten gekannt hatte. Sie nennete mich die wuͤrdige Tochter des rechtſchaffenen Mannes, und ſagte, ſie wolle mich oͤfters holen laſſen. Sie glauben nun gewiß, meine Emilia, daß ich dieſe Fuͤrſtin um ſo mehr liebe, weil das Andenken meines Vaters von ihr ge - ehrt wird.

Mehrere Charakter kann ich Jhnen nicht bezeichnen. Die meiſten ſehen ein - ander aͤhnlich, in ſo fern man ſie in dem Vorzimmer der Fuͤrſtin, oder bey gewoͤhn - lichen Beſuchen ſieht.

Geſtern wurde ich im Schreiben unter - brochen, weil Aſſemblee (wie ſie es nen - nen) bey der Prinzeſſin angeſagt wurde. Da mußte ich die Zeit, welche mein Herz der Freundſchaft gewidmet hatte, vor dem Putztiſch verſchwenden.

Glauben Sie wohl, daß meine liebe Roſine eben ſo ungeſchickt iſt, eine metho - diſche Cammerjungfer zu ſeyn, als ich es bin, meinen Damenſtand durch die lange Verweilung am Putztiſch und durch un - ſchluͤßige ekle Wahl meiner Kleidung undG 4Schmucks104Schmucks zu beweiſen? Meine Tante ſucht dieſen Fehlern abzuhelfen, und ich muß alle Tage neben dem Friſeur eine ihrer Jungfern um mich haben, welche beyde durch ihr geziertes Weſen und die vielen Umſtaͤnde, die ſie machen, meine Geduld in einer mir ſehr unangenehmen Uebung erhalten. Doch dißmal war ich am Ende wohl zufrieden, weil ich wuͤrklich artig gekleidet war.

Diß iſt eine Freude, die Sie noch nicht an mir kannten; Sie ſollen auch die Urſa - che dazu nicht lange ſuchen; ich will ſie aufrichtig ſagen, da ſie mir bedeutend ſcheint. Jch war nur deswegen uͤber meinen wohlgerathnen Putz froh, weil ich von zween Englaͤndern geſehen wurde, de - ren Beyfall ich mir in allem zu erlangen wuͤnſchte. Der eine war Milord G. Engliſcher Geſandter, und der andere Lord Seymour ſein Neffe, Geſandſchafts - Cavalier, der ſich unter der Anfuͤhrung ſeines Oheims zu dieſer Art von Geſchaͤff - ten geſchickt machen, und die deutſchen Hoͤfe kennen lernen will.

Der105

Der Geſandte macht mit ſeiner Figur, einer edeln und geiſtvollen Phyſionomie, und einer gewiſſen Wuͤrde, die ſeine Hoͤf - lichkeit begleitet, ſeinem Charakter Ehre. Jch hoͤrte ihn auch allgemein loben.

Den jungen Lord Seymour ſah ich eine halbe Stunde in Geſellſchaft des Fraͤuleins C**, mit der ich in Unterredung war, und mit welcher er als ein zaͤrtlicher und hoch - achtungsvoller Freund umgeht. Sie ſtell - te mich ihm als ihre neue, aber liebſte Freundin dar, von der ſie unzertrennlich ſeyn wuͤrde, wenn ſie uͤber ihr eigenes und mein Schickſal zu gebiethen haͤtte. Milord machte nichts als eine Verbeugung; aber ſeine Seele redete ſo deutlich in allen ſei - nen Mienen, daß man zugleich ſeine Ach - tung fuͤr alles was das Fraͤulein C* ſag - te, und auch den Beyfall leſen konnte, den er ihrer Freundin gab.

Wenn ich den Auftrag bekaͤme, den Edelmuth und die Menſchenliebe mit ei - nem aufgeklaͤrten Geiſt vereinigt, in ei - nem Bilde vorzuſtellen, ſo naͤhme ich ganz allein die Perſon und Zuͤge des Mi -G 5lord106lord Seymour; und alle, welche nur je - mals eine Jdee von dieſen drey Eigen - ſchaften haͤtten, wuͤrden jede ganz deut - lich in ſeiner Bildung und in ſeinen Au - gen gezeichnet ſehen. Jch uͤbergehe den ſanften maͤnnlichen Ton ſeiner Stimme, die gaͤnzlich fuͤr den Ausdruck der Empfin - dungen ſeiner edeln Seele gemacht zu ſeyn ſcheint; das durch etwas melancholiſches gedaͤmpfte Feuer ſeiner ſchoͤnen Augen, den unnachahmlich angenehmen und mit Groͤße vermengten Anſtand aller ſeiner Bewegungen, und was ihn von allen Maͤnnern, deren ich, in den wenigen Wochen die ich hier bin, eine Menge ge - ſehen habe, unterſcheidet, iſt (wenn ich mich ſchicklich ausdruͤcken kann) der tu - gendliche Blick ſeiner Augen, welche die einzigen ſind, die mich nicht beleidigten, und keine widrige antipathetiſche Bewe - gung in meiner Seele verurſachten.

Der Wunſch des Fraͤuleins C* mich immer um ſich zu ſehen, verurſachte bey ihm die Frage: Ob ich denn nicht in D. bleiben wuͤrde? Meine Antwort war, ichglaubte107glaubte nicht, weil ich nur auf die Zu - ruͤckkunft meiner Tante der Graͤfin R. wartete, die mit ihrem Gemahl eine Reiſe nach Jtalien gemacht, und mit welcher ich alsdann auf ihre Guͤther gienge.

Es ſcheint mir unmoͤglich, ſagte er, daß ein lebhafter Geiſt, wie der ihrige, bey den immer gleichen Scenen des Landle - bens ſollte vergnuͤgt ſeyn koͤnnen.

Und mich duͤnkt unglaublich, daß Mi - lord Seymour im Ernſte denken ſollte, daß ein lebhafter und ſich als gern be - ſchaͤfftigender Geiſt auf dem Lande einem Mangel von Unterhaltung ausgeſetzt ſey.

Jch denke keinen gaͤnzlichen Mangel, gnaͤdiges Fraͤulein, aber den Ekel und die Ermuͤdung, welche nothwendiger Weiſe erfolgen muͤſſen, wenn wir unſere Betrach - tungen beſtaͤndig auf einerley Vorwurf eingeſchraͤnkt ſehen.

Jch bekenne, Milord, daß ich ſeit mei - nem Aufenthalt in der Stadt, bey den Vergleichungen beyder Lebensarten, ge - funden habe, daß man auf dem Lande die nehmliche Sorge traͤgt, ſeine Beſchaͤff -tigungen108tigungen und Ergoͤtzlichkeiten abzuaͤndern, wie ich hier ſehe; nur mit dem Unterſchied, daß bey den Arbeiten und Beluſtigungen der Landleute eine Ruhe in dem Grunde der Seele bleibt, die ich hier nicht bemerkt habe; und dieſe Ruhe duͤnkt mich etwas ſehr vorzuͤgliches zu ſeyn.

Jch halte es auch dafuͤr, und ich glau - be dabey, (ſagte er gegen dem Fraͤulein von C*) nach dem entſchloßnen Ton Jh - rer verehrungswuͤrdigen Freundin, daß ſie dieſe Ruhe behalten wird, wenn auch hier Tauſende durch ſie in Unruh geſetzt wuͤrden.

Da er mich nicht anſah, als er dieß ſagte, und das Fraͤulein nur laͤchelte, ſo blieb ich auch ſtille; denn einmal fuͤhlte ich bey dieſer ſeiner Hoͤflichkeit eine Ver - wirrung, die ich ungern moͤchte gezeigt haben; und dann wollte ich ihn nicht laͤnger mit mir in ein Geſpraͤche halten, ſon - dern ſeiner aͤltern Freundin den billigen Vorzug laſſen; zumal, da er ſich ganz befliſſen gegen ſie gewendet hatte.

Sie109

Sie ſagen, ich hoͤre es: warum aͤltere Freundin? Waren Sie denn auch ſchon ſeine Freundin, Sie, die ihn erſt eine halbe Stunde geſehen hatten?

Ja, meine liebe Emilia, ich war ſeine Freundin, eh ich ihn ſah; das Fraͤulein C* hatte mit mir von ſeinem vortrefflichen Charakter geſprochen, ehe er von einer kleinen Reiſe, die er mit ſeinem Oncle waͤhrend der Abweſenheit des Fuͤrſten machte, zuruͤckkam, und was ich Jhnen von ihm geſchrieben, war nichts anders, als daß ich alles Edle, alles Gute, ſo mir das Fraͤulein von ihm erzaͤhlt, in ſeiner Phyſionomie ausgedruͤckt ſah.

Noch mehr, Emilia, ruͤhrte mich die tiefſinnige Traurigkeit, mit welcher er ſich an den Pfeiler des Fenſters ſetzte, wo wir beyde auf der kleinen Bank waren, und unſre Unterredung fortfuͤhrten. Jch deu - tete dem Fraͤulein C* auf ihren Freund und ſagte leiſe: Geſchieht diß oft?

Ja, dieß iſt Spleen.

Sie machte mir hierauf allerley Fra - gen, uͤber die Art von Zeitvertreiben, wel -che110che ich mir, im Ernſt, auf dem Lande machen koͤnnte. Jch erzaͤhlte ihr kurz, aber mit vollem Herzen, von den ſeligen Tagen meiner Erziehung, und von denen, welche ich in dem geliebten Hauſe meines Pflegvaters zugebracht, und verſicherte ſie: daß ihre Perſon und Freundſchaft das einzige Vergnuͤgen ſey, welches ich in D. genoſſen haͤtte. Sie druͤckte mir zaͤrt - lich die Hand, und bezeugte mir ihre Zu - friedenheit. Jch fuhr fort, und ſagte, ich koͤnnte das Wort Zeitvertreib nicht leiden; einmal, weil mir in meinem Le - ben die Zeit nicht einen Augenblick zu lang worden waͤre (auf dem Lande, raunte ich ihr ins Ohr) und dann weil es mir ein Zeichen einer unwuͤrdigen Bewegung der Seele zu ſeyn ſcheine. Unſer Leben iſt ſo kurz, wir haben ſo viel zu betrachten, wenn wir unſre Wohnung, die Erde ken - nen, und ſo viel zu lernen, wenn wir al - le Kraͤfte unſers Geiſtes (die uns nicht umſonſt gegeben ſind) gebrauchen wollen; wir koͤnnen ſo viel Gutes thun, daß es mir einen Abſcheu giebt, wenn ich voneiner111einer Sache reden hoͤre, um welche man ſich ſelbſt zu betruͤgen ſucht.

Meine Liebe, Jhre Ernſthaftigkeit ſetzt mich in Erſtaunen, und dennoch hoͤre ich Sie mit Vergnuͤgen. Sie ſind in Wahr - heit, wie die Prinzeſſin ſagte, eine auſ - ſerordentliche Perſon.

Jch weis nicht, Emilia, wie mir war. Jch merkte wohl, daß dieſer Ton meiner Gedanken gar nicht der waͤre, der ſich in dieſe Geſellſchaft ſchickte; aber ich konnte mir nicht helfen. Es hatte mich eine Bangigkeit befallen, eine Be - gierde weit weg zu ſeyn, eine innerliche Unruh; ich haͤtte ſogar weinen moͤgen, ohne eine beſtimmte Urſache angeben zu koͤnnen.

Milord G. naͤherte ſich ſchleichend ſei - nem Neffen, faßte ihn beym Arm, und ſagte: Seymour, Sie ſind wie das Kind, das am Rande des Brunnens ſicher ſchlaͤft. Sehen Sie um ſich. (Jndem er auf uns beyde wies) Bin ich nicht das Gluͤck, das ſie erweckt?

Sie112

Sie haben recht, mein Oncle; eine entzuͤckende Harmonie, die ich hoͤrte, nahm mich ein, und ich dachte an keine Gefahr dabey. Waͤhrend er diß ſagte, waren ſeine Augen mit dem lebhafteſten Ausdruck von Zaͤrtlichkeit auf mich gewendet, ſo daß ich die meine niederſchlug, und den Kopf weg kehrte. Darauf ſagte Milord auf Engliſch: Seymour, nimm dich in Acht, dieſe Netze ſind nicht vergeblich ſo ſchoͤn und ſo ausgebreitet. Jch ſah ſeine Hand, die auf meinem Kopf und meine Locken wies; da wurde ich uͤber und uͤber roth. Die Coketterie, die er mir zu - ſchrieb, aͤrgerte mich, und ich empfand auch den Unmuth, den er haben mußte, wenn er hoͤrte, daß ich Engliſch verſtuͤn - de. Jch war verlegen; doch um ihm und mir mehrere Verwirrung zu erſparen, ſagte ich ganz kurz: Milord, ich verſtehe die engliſche Sprache. Er ſtutzte ein we - nig, lobte meine Freymuͤthigkeit, und Sey - mour entfaͤrbte ſich; doch laͤchelte er dabey, und wandte ſich gleich zum Fraͤulein C*. Wollen Sie nicht auch Engliſch lernen?

Von113

Von wem?

Von mir, gnaͤdiges Fraͤulein, und von dem Fraͤulein von Sternheim; mein Oncle haͤlfe auch Lectionen geben, und Sie ſollten bald reden koͤnnen.

Niemals ſo gut als meine Freundin, der es angebohren iſt, denn ſie iſt eine halbe Englaͤnderin.

Wie das, ſagte Milord G., indem er ſich zu mir wandte?

Meine Großmutter war eine Watſon und Gemahlin des Baron P. welcher mit der Geſandſchaft in England war.

Das Fraͤulein C* bat, er moͤchte Eng - liſch mit mir reden. Er that es, und ich antwortete ſo, daß er meine Ausſprache lobte, und dem Fraͤulein C* ſagte, ſie ſollte von mir lernen, ich ſpraͤche ſehr gut. Wie er ſich entfernte, ſo lag Milord Sey - mour dem Fraͤulein an, ſie moͤchte ſich doch die Muͤhe nehmen, nur leſen zu ler - nen; ſie verſprachs, und ſagte dabey, al - le Tage, wo ſie den Hofdienſt nicht ganz haͤtte, wollte ſie zu mir kommen.

HDann114

Dann habe aber ich kein Verdienſt da - bey, ſagte er traurig.

Sie ſollen alle Wochen einmal zuhoͤ - ren, wie viel ich gelernt habe.

Er antwortete mit einer bloßen Ver - beugung.

Die Fuͤrſtin ließ mich rufen. Jch mußte ihr in ihr Cabinet folgen. Da haben Sie meine Laute, liebe Sternheim, ſagte ſie, alles ſpielt; laſſen Sie mich allein Jhre Stimme und Geſchicklichkeit hoͤren. Was konnte ich thun? Jch ſpiel - te und ſang das erſte Stuͤck, das mir in die Finger kam. Sie umarmte mich; liebenswuͤrdiges Maͤdchen, ſagte ſie, wie beſchaͤmen Sie alle bey Hof erzogene Da - men, durch die vielen Talente, die Sie auf dem Lande geſammelt haben! Sie fuͤhrte mich an der Hand zuruͤck in den Saal; ich mußte bis zu Ende der Aſſem - blee bey ihr bleiben, und ſie ſprach von hundert Sachen mit mir. Milord Sey - mour ſah mich oft an, und meine Emilia, (leſen Sie dieß meinem lieben Pflegva - ter vor!) ſeine Achtſamkeit freute mich. Manche115Manche Augen gafften nach mir, aber ſie waren mir zur Laſt, weil mich immer duͤnkte, es waͤre ein Ausdruck darinn, welcher meine Grundſaͤtze beleidigte.

Heute machten wir einen Beſuch bey der Graͤfin F. gegen die ich mich bemuͤhte gefaͤllig zu ſeyn. Man ſieht wohl, daß ihr Gemahl ein Liebling des Fuͤrſteu iſt; denn ſie ſprach beynahe von nichts als von Gnadenbezeugungen, welche ſie genoͤſſen; machte auch viel Aufhebens von der Er - gebenheit ihres Gemahls gegen einen Herrn, der alles wuͤrdig waͤre. Dieſem folgten große Lobeserhebungen des Prin - zen; ſie ruͤhmte die Schoͤnheit ſeiner Per - ſon, allerhand Geſchicklichkeiten, ſeinen guten Geſchmack in allem, beſonders in Feſtins, ſeine praͤchtige Freygebigkeit, worinn er eine fuͤrſtliche Seele zeigte. (Jch dachte, die Dame moͤge freylich Ur - ſache haben, dieſe letzte Eigenſchaft ſo ſehr anzupreiſen.) Von ſeiner Neigung ge - gen das ſchoͤne Geſchlecht ſagte ſie: wir ſind Menſchen; es ſind freylich darinn Ausſchweifungen geſchehen; aber das Un -H 2gluͤck116gluͤck war nur, daß der Herr noch keinen Gegenſtand gefunden hat, der ſeinen Geiſt eben ſo ſehr als ſeine Augen gefeſſelt haͤtte; denn gewiß, eine ſolche Perſon wuͤrde Wunder fuͤr das Land und fuͤr den Ruhm des Herrn gewuͤrkt haben.

Meine Tante ſtimmte mit ein. Jch ſaß ſtille, und fand in dieſem Bild eines Landesherrn keinen einzigen Zug von dem - jenigen, welches die Anmerkungen meines Vaters uͤber den wahren Fuͤrſten, bey Durchleſung der Hiſtorie, in meinem Ge - daͤchtniß gelaſſen hatten. Zumal, wenn ich es noch dabey nach den Grundzuͤgen des deutſchen National-Charakters beur - theilte. Jch war froh, daß man mei - ne Gedanken nicht zu wiſſen verlangte; denn da mich die Graͤfin in ihr Zimmer fuͤhrte, um mir ſein Bildniß in Lebens - groͤße zu weiſen, konnte ich wohl ſagen, daß die Figur ſchoͤn ſey, wie ſie es denn wuͤrklich iſt. Jch ſoll auch gemahlt werden, will meine Tante. Jch kann es leiden; und ſchicke dann meiner Emilia eine Copie; ich weiß, daß ſie mir dafuͤrdankt.117dankt. Jch bitte mir die Gedanken mei - nes Pflegevaters, uͤber dieſen Brief aus.

Dritter Brief.

Alles was Sie in meinem letztern Briefe geſehen haben, iſt, daß Milord Seymour ſeine beſte Freundin in mir gefunden hat; und mein lieber Pflegvater betet fuͤr mich, weil es fuͤr menſchliche Kraͤfte das Einzige iſt, das man nun fuͤr mich thun kann.

Emilia, Sie lieben mich; Sie kennen mich, und Sie dachten nicht an den Kum - mer, den mir dieſer ſo viel bedeutende Ge - danke ihres Vaters geben konnte?

Jch erkenne alles; die lebhafte Hoch - achtung, welche ich fuͤr die Verdienſte, fuͤr die Vorzuͤge des Charakters vom Mi - lord Seymour gezeigt habe, machen Sie beſorgt fuͤr mich. Seyn Sie ruhig, wer - the Freunde! Aller Antheil, den ich je an Milord Seymour nehmen kann, iſt der, den mir meine Liebe fuͤr das Fraͤulein C* giebt; Denn dieſe iſts, die er liebt; Die - ſe iſts, die er gluͤcklich machen wird. H 3Der118Der Theil, den ich davon genieße, iſt allein die Freude, die ein edles Herz in der Zu - friedenheit ſeiner Freunde und in der Be - trachtung der guten Eigenſchaften ſeiner Nebenmenſchen findt.

Noch eins, meine Emilia, iſt fuͤr mich dabey: Weil ich von der Wuͤrklichkeit ei - nes vollkommenen edeln, guͤtigen und wei - ſen liebenswuͤrdigen Mannes uͤberzeugt bin, ſo wird der Niedertraͤchtige, oder der bloße Witzling und der nur allein ar - tige Mann niemals, niemals keine Ge - walt uͤber mein Herz erhalten; und dieß iſt viel Vortheil, den ich von der Bekannt - ſchaft des Milords habe.

Jch bedaure, daß die Krankheit des rechten Arms Jhres Papa ihm nicht zu - laͤßt ſelbſt an mich zu ſchreiben; nicht weil ich mit ihren Briefen unzufrieden bin, ſondern weil er mir mehr von ſeinen eignen Gedanken uͤber mich ſagen wuͤrde, als Sie. Jch hoffe, der Zufall verliehrt ſich, und dann bitte ich ihn, es zu thun.

Geſtern waren wir bey einer großen Mittagstafel bey Milord G. Der Graf F. kam119kam Nachmittags dazu, und noch Abends ſpaͤt reiſeten alle zum Fuͤrſten. Der Graf iſt ein angenehmer Mann von vie - lem Verſtand. Seine Gemahlin fuͤhrte ihn zu mir; da reden Sie ſelbſt mit mei - nem Liebling, ſprach ſie, und ſagen: ob ich Unrecht habe, mir eine ſolche Tochter zu wuͤnſchen? Er ſagte mir ſehr viel hoͤfliches; beobachtete mich aber dabey mit einer Aufmerkſamkeit, die mich ſon - derbar duͤnkte, und mich beynahe aus al - ler Faſſung brachte.

Milord Seymour hatte an der Tafel ſeinen Platz zwiſchen dem Fraͤulein C* und mir bekommen, ſich meiſtens nur mit uns unterhalten, auch beym Caffee uns beyde mit der liebenswuͤrdigſten Galanterie be - dient, engliſche Verſe auf Carten geſchrie - ben, und mich gebeten, ſie dem Fraͤulein zu uͤberſetzen. Wie die Graͤfin F. ihren Gemahl zu ihr fuͤhrte, entfernten ſich beyde in etwas und redeten lang an ei - nem andern Fenſter. Der Graf begab ſich von mir zu Milord G., und nahm im Weg - gehen Milord Seymour am Arm mit ſichH 4zu120zu dem erſten hin. Das Fraͤulein C* und ich, giengen, die mit Gemaͤhlden und Kupferſtichen ausgezierten Zimmer zu be - ſehen, bis man uns zum Spielen holte. Jn der Zwiſchenzeit redeten Graf F. und Milord G. mit mir von meinem Vater, welchen F. ſehr wohl gekannt hatte, und von meiner Großmutter Watſon, die er gleich bey ihrer Ankunft geſehen hatte, und von welcher er behauptete, daß ich viele Aehnlichkeit mit ihr haͤtte. Milord S. war neben dem Fraͤulein C*, ſah ernſthaft und nachdenklich aus, und es ſchien mir, als ob ſeine Augen einigemal mit einer Art von Schmerzen auf mich und die beyden Herren geheftet waͤren. Das Getrippel vieler Leute, das man auf einmal in der Straße hoͤrete, machte alles an die Fenſter laufen. Jch gieng an das, wo Milord Seymour und das Fraͤulein C* ſtunden. Es waren Leute, die von einer kleinen, aber ſehr artig angeſtellten Spazierfahrt des Fuͤrſten auf dem Waſſer, zuruͤcke kamen, welche zu ſehen, ſie hau - fenweiſe gegangen waren. Da ich ſehrviele121viele in armſeliger Geſtalt und Kleidung, und uns hingegen in moͤglichſter Pracht, und die Menge Goldes auf den Spiel - tiſchen zerſtreut ſah; das Fraͤulein C* aber von einem dergleichen Feſtin erzaͤhl - te, deſſen Aufwand berechnete, und auch die unzaͤhlige Menge Volks anfuͤhrte, die von allen Orten herzugelaufen, es zu ſe - hen; kam ich in Bewegung, und ſagte: O wie wenig bin ich fuͤr dieſe Ergoͤtzlich - keiten geſchaffen?

Warum das? wenn Sie es einmal ſehen, werden Sie ganz anders denken. (Milord Seymour war die ganze Zeit ſtill und kalt) Nein, meine liebe C*, ich wer - de nicht anders denken, ſo bald ich die Pracht des Feſtins, des Hofes, das auf den Spieltiſchen verſchleuderte Gold, ne - ben einer Menge Elender, welche Hunger und Beduͤrfniß im abgezehrten Geſichte und in den zerriſſnen Kleidern zeigen, ſe - hen werde! Dieſer Contraſt wird meine Seele mit Jammer erfuͤllen; ich werde mein eignes gluͤckliches Ausſehen, und das von andern haſſen; der Fuͤrſt undH 5ſein122ſein Hof werden mir eine Geſellſchaft un - menſchlicher Perſonen ſcheinen, die ein Vergnuͤgen in dem unermeßlichen Unter - ſchied finden, der zwiſchen ihnen und denenjenigen iſt, die ihrem Uebermuth zu - ſehen.

Liebes, liebes Kind; was fuͤr eine ei - frige Strafpredigt halten Sie da! ſagte das Fraͤulein; reden Sie nicht ſo ſtark!

Liebe C*, mein Herz iſt aufgewallt. Die Graͤfin F. machte geſtern ſo viel Ruͤhmens von der großen Freygebigkeit des Fuͤrſten; und heute ſehe ich ſo viele Ungluͤckliche!

Das Fraͤulein hielt meine Haͤnde; ſt. ſt. Milord Seymour hatte mich mit ernſtem unverwandtem Blick betrachtet, und erhob ſeine Hand gegen mich; Edles rechtſchaffenes Herz! ſagte er. Fraͤulein C* lieben Sie ihre Freundin, Sie ver - dients! Aber, ſetzte er hinzu, Sie muͤſ - ſen den Fuͤrſten nicht verurtheilen; man unterrichtet die großen Herren ſehr ſelten von dem wahren Zuſtande ihrer Unter - thanen.

Jch123

Jch will es glauben, verſetzte ich; aber Milord, ſtand nicht das Volk am Ufer wo die Schiffahrt war? hat der Fuͤrſt nicht Augen, die ihm ohne fremden Un - terricht tauſend Gegenſtaͤnde ſeines Mit - leidens zeigen konnten? Warum fuͤhlte er nichts dabey?

Theures Fraͤulein; wie ſchoͤn iſt Jhr Eifer! zeigen Sie ihn aber nur bey dem Fraͤulein C*.

Hier rief Milord G. ſeinen Vetter ab, und kurz darauf giengen wir nach Hauſe.

Heute ſpielte meine Tante eine ſeltſame Scene mit mir. Sie kam, ſo bald ich an - gezogen war, in mein Zimmer, wo ich ſchon bey meinen Buͤchern ſaß. Jch bin eiferſuͤchtig auf deine Buͤcher, ſagte ſie, du ſtehſt fruͤh auf, und biſt gleich angezogen; da koͤnnteſt du zu mir kommen; du weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede. Dein Oncle iſt immer mit ſeinen duͤſtern Proceßſachen geplagt: ich arme Frau muß ſchon wieder an ein Wochenbette denken, und du unfreundliches Maͤdchen bringſt den ganzen Morgen mit deinen trocknenMora -124Moraliſten hin. Schenke mir die Stun - de, und gieb mir deine ernſthafte Herren zum Unterpfand.

Meine Tante, ich will gerne zu ihnen kommen; aber meine beſten Freunde kann ich nicht von mir entfernt wiſſen.

Komme immer mit, wir wollen in mei - nem Zimmer zanken.

Sie ſetzte ſich an ihren Putztiſch; da hatte ich auf eine Viertelſtunde Unterhalt mit ihren beyden artigen Knaben, die um dieſe Tagszeit die Erlaubniß haben, ihre Mama zu ſehen. Aber ſo bald ſie fort waren, ſo blieb ich recht einfaͤltig da ſitzen, ſah der außerordentlichen Muͤhe zu, die ſie ſich um ihren Putz gab, und hoͤrte Hoferzaͤhlungen an, die mir mißfielen; Ehrgeiz, und Liebes-Jntriguen, Tadel, Satyren, aufgethuͤrmte Jdeen zu dem Gluͤcksbau meines Oncles. Sey doch recht gefaͤllig gegen die Graͤfin F. ſetzte ſie hinzu; du kannſt deinem Oncle große Dienſte thun, und ſelbſt ein anſehnliches Gluͤck machen.

Dieß125

Dieß ſehe und wuͤnſche ich nicht, mei - ne Tante; aber was ich fuͤr Sie thun kann, ſoll geſchehen.

Liebſte Sophie, du biſt eines der rei - zendeſten Maͤdchen; aber der alte Pfarrer hat dir eine Menge pedantiſche Jdeen ge - geben, die mich plagen. Laß dich ein wenig davon zuruͤckbringen.

Jch bin uͤberzeugt, meine Frau Tante, daß das Hofleben fuͤr meinen Charakter nicht taugt; mein Geſchmack, meine Nei - gungen, gehen in allem davon ab! und ich bekenne Jhnen, gnaͤdige Tante, daß ich froher abreiſen werde, als ich herge - kommen bin.

Du kenneſt ja den Hof noch nicht; wenn der Fuͤrſt kommt, dann lebt alles auf. Dann will ich dein Urtheil hoͤren! und mache dich nur gefaßt; du kommſt vor kuͤnftigem Fruͤhjahr nicht aufs Land.

O ja, meine gnaͤdige Tante, auf den Herbſt gehe ich zur Graͤfin R. ſo bald ſie zuruͤckgekommen ſeyn wird.

Und126

Und mein Wochenbette ſoll ich allein ohne dich halten muͤſſen?

Sie ſah mich zaͤrtlich an, indem ſie dieß ſagte, und reichte mir die Hand. Jch kuͤßte ihre Hand, verſicherte ſie, bey ihr zu bleiben, wenn dieſe Zeit kaͤme.

Vor der Tafel gieng ich in mein Zim - mer. Da fand ich mein Buͤchergeſtelle leer: Was iſt dieß, Roſine? Der Graf, ſagte ſie, waͤre gekommen, und haͤtte al - les wegnehmen laſſen. Es waͤre ein Spaß von der Graͤfin, haͤtte er geſagt.

Ein unartiger Spaß, der ſie nichts nuͤtzen wird! denn ich will deſto mehr ſchreiben; neue Buͤcher will ich nicht kau - fen, um ſie nicht uͤber meinen Eigenſinn boͤſe zu machen. O wenn nur meine Tante R. bald kaͤme! Zu dieſer, Emilia, zu dieſer geh ich mit Vergnuͤgen. Sie iſt zaͤrtlich, ruhig, ſucht und findet in den Schoͤnheiten der Natur, in den Wiſſen - ſchaften und in guten Handlungen, das Maaß von Zufriedenheit, das man hierſucht,127ſucht, wo man es nicht findet, und dar - uͤber das Leben vertaͤndelt.

Mein Fraͤulein C* hat Lection im Eng - liſchen angenommen; ich denke, ſie wird es bald lernen. Sie weiß ſchon viele, lau - ter zaͤrtliche Redensarten, an denen ich den Lehrmeiſter erkenne. Sie hat mit uns geſpeiſt. Jch klagte meine Tante, uͤber ihren Buͤcherraub, im Scherz an. Das Fraͤulein ſtund ihr bey: Das iſt gut ausgedacht, ſagte ſie, wir wollen ſehen, was der Geiſt unſrer Sternheim macht, wenn ſie ohne Fuͤhrer, ohne Ausleger, mit uns lebt. Jch lachte mit, und ſagte: Jch verlaſſe mich auf den rechtſchaffenen Gelehrten, der einmal ſagte: die Em - pfindungen der Frauenzimmer waͤren oft richtiger als die Gedanken der Maͤn - ner. *)Eine Bemerkung, welche der Herausgeber aus vieler Erfahrung an ſich und andern von Herzen unterſchreibt. Darauf erhielt ich die Er - laubniß zu arbeiten. Jch ſagte, es waͤre mir unmoͤglich am Putztiſch immer zuzuſe - hen, Nachmittags allezeit zu ſpielen, odermuͤßig128muͤßig zu ſeyn; und es wurde eine ſchoͤne Tapetenarbeit angefangen, woran ich ſehr fleißig zu ſeyn gedenke.

Morgen kommt der Fuͤrſt und der gan - ze Hof mit ihm: dieſen Abend ſind die fremden Miniſters angekommen. Mi - lord G. beſuchte uns noch ſpaͤt, und brachte Milord Seymour nebſt einem an - dern Englaͤnder, Lord Derby genannt, mit, den er als einen Vetter vorſtellte, der durch ihn und Lord Seymour ein groſ - ſes Verlangen bekommen, mich zu ſehen, beſonders weil ich eine halbe Landsmaͤn - nin von ihm waͤre. Lord Derby redete mich ſogleich auf Engliſch an. Er iſt ein feiner Mann von ungemein vielem Geiſt und angenehmen Weſen. Man bat dieſe Herren zum Abendeſſen; es wurde freudig angenommen, und meine Tante ſchlug vor, im Garten zu ſpeiſen, weil Mond - ſchein ſeyn wuͤrde, und der Abend ſchoͤn ſey.

Gleich war der kleine Saal erleuchtet, und meine Tante fieng bey der Thuͤre, da ſie mit Milord G. hinaus gieng, ganzzaͤrtlich129zaͤrtlich an: Sophie, meine Liebe, deine Laute bey Mondſchein waͤre recht vielen Dank werth.

Jch befahl, ſie zu holen! Lord Derby gab mir die Hand, Seymour war ſchon mit dem Fraͤulein C* voraus. Der kleine Saal war am Ende des Gartens, unmit - telbar am Fluſſe, ſo, daß man lange zu gehen hatte. Lord Derby unterhielt mich mit einem ehrerbietigen Ton von lauter ſchmeichelhaften Sachen, die er von mir gehoͤrt haͤtte. Mein Oncle kam zu uns, und wie wir kaum etliche Schrit - te uͤber den halben Weg waren, ſtieß er mich mit dem Arme, und ſagte: ſeht, ſeht, wie der trockne Seymour bey Mondſchein ſo zaͤrtlich die Haͤnde kuͤſſen kann! Jch ſah auf; und, liebe Emilia, es duͤnkt mich, ich fuͤhlte einen Schauer. Es mag von der kuͤhlen Abendluft gekom - men ſeyn; weil wir dem Waſſer ganz nahe waren. Aber da mich ein Zweifel daruͤ - ber ankam, als ob dieſer Schauer zwey - deutig waͤre, weil ich ihn nur in dieſemJAugen -130Augenblick empfand, ſo mußten Sie es wiſſen.

Der junge Graf F., Neveu des Mini - ſters, kam auch noch, und da er den Be - dienten, der die Laute trug, angetroffen und gefragt hatte, fuͤr wen? nahm er ſie, und klimperte vor dem Saal, bis mein Oncle hinaus ſah und ihn einfuͤhrte. Jch mußte gleich noch vor dem Eſſen ſpielen und ſingen. Jch war nicht munter, und ſang mehr aus Jnſtinct als Wahl, ein Lied, in welchem Sehnſucht nach laͤndlicher Freyheit und Ruhe ausgedruͤckt war. Jch empfand ſelbſt, daß mein Ton zu ge - ruͤhrt war; meine Tante rief auch: Kind, du machſt uns alle traurig; warum willſt du uns zeigen, daß du uns ſo gerne ver - laſſen moͤchteſt? Singe was anders. Jch gehorchte ſtill, und nahm eine Gaͤrt - nerarie aus einer Opera, welche mit vie - lem Beyfall aufgenommen wurde. Mi - lord G. fragte: ob ich nicht engliſch ſin - gen koͤnnte? ich ſagte, nein; aber wenn ich was hoͤrte, ſo fiele mirs nicht ſchwer. Derby ſang gleich, ſeine Stimme iſt ſchoͤn,aber131aber zu raſch. Jch accompagnirte ihm, ſang auch mit. Daraus machte man viel Lobens von meinem muſicaliſchen Ohr.

Die Graͤfin F. ſagte mir Zaͤrtlichkeiten; Lord Seymour nichts; er gieng oft in den Garten allein, und kam mit Zuͤgen einer gewaltſamen Bewegung in der Seele zu - ruͤck, redete aber nur mit Fraͤulein C*, die auch gedankenvoll ausſah. G. ſah mich bedeutend an, doch war Vergnuͤgen in ſeinem Geſichte; Lord Derby hatte ein feuriges Falkenauge, in welchem Unruhe war, auf mich gerichtet. Mein Oncle und meine Tante liebkoſten mir. Um eilf Uhr giengen wir ſchlafen, und ich ſchrieb noch dieſen Brief. Gute Nacht, theure Emilia! Bitten Sie unſern ehrwuͤrdigen Vater, daß er fuͤr mich bete! Jch finde Troſt und Freude in dieſem Gedanken.

Jch wuͤnſche, daß meine Tante immer kleine Reiſen machte, ich wuͤrde ſie mit viel mehr Vergnuͤgen begleiten, als ich es unter dem immerwaͤhrenden KreislaufJ 2unſerer132unſerer Hof - und Stadtviſiten thun kann. Mein Oncle hat eine Halbſchweſter in dem Damenſtift zu G., die er wegen einem reichen Erbe, ſo ihr zugefallen iſt, zum Beſten ſeiner Kinder zu gewinnen ſucht. Und aus dieſer Urſache mußte mine Tan - te mit ihren beyden Soͤhnen die Reiſe zu ihr machen. Sie nahm mich mit, und verſchaffte mir dadurch einen Theil des Vergnuͤgens, fuͤr welches ich am em - pfindlichſten bin, abwechſelnde Scenen der Natur und Kunſt, in ihren mannichfalti - gen Abaͤnderungen, zu betrachten. Waͤ - re es auch nichts als der Anblick der auf - und niedergehenden Sonne geweſen, ſo wuͤrde ich dieſe Ausflucht von D. geliebt haben; aber ich ſah mehr. Der Weg, den wir zuruͤck zu legen hatten, zeigte mir ein großes Stuͤck unſers deutſchen Bo - dens, und darinn manchmal ein rauhes ſtiefmuͤtterliches Land; welches von ſei - nen leidenden geduldigen Einwohnern mit abgezehrten Haͤnden angebaut wurde.

Zaͤrtliches Mitleiden, Wuͤnſche und Se - gen, erfuͤllten mein Herz, als ich ihrenſauren133ſauren Fleiß und die traurigen, doch ge - laſſnen Blicke ſah, mit welchen ſie den Zug unſrer zwoen Chaiſen betrachteten. Die Ehrerbietung, mit der ſie uns als Guͤnſtlinge der Vorſicht gruͤßten, hatten etwas ſehr ruͤhrendes vor mich; und ich ſuchte durch Gegenzeichen meiner menſch - lichen Verbruͤdernng mit ihnen, und auch durch einige Stuͤcke Gelds, die ich den Naͤchſten an unſerm Wege ungebeten, zu - warf, ihnen einen guten Augenblick zu ſchaffen. Beſonders gab ich armen Wei - bern, die bey ihrer Arbeit hie und da ein Kind auf dem Felde ſitzen hatten. Jch dachte, meine Tante macht eine Reiſe zum verhofften Vortheil ihrer Soͤhne, und dieſe Frau verrichtet zum Beſten der ihri - gen, eine kuͤmmerliche Arbeit; ich will dieſe Mutter auch eine unerwartete Guͤte genießen laſſen.

Der reitende Bediente erzaͤhlte uns dann die Freude der armen Leute, und den Dank den ſie uns nachriefen.

Reiche Felder, fette Triften und groſ - ſe Scheuren der Bauren in andern Ge -J 3genden134genden, bewieſen mir das Gluͤck ihrer guͤnſtigen Lage, und ich wuͤnſche ihnen einen guten Gebrauch ihres Segens. Meine Empfindungen waren angenehm, wie ſie es allezeit beym erſten Anblick der Kennzeichen des Gluͤcks zu ſeyn pflegen; bis nach und nach aus ihrer Betrachtung der Gedanke der Vergleichung unſerer minder guten Umſtaͤnde entſpringt, und der bittern Unzufriedenheit einen Zugang in die Seele giebt.

Wir kehrten unterwegs, auf dem Schloſſe des Grafen von W. ein, deſſen Beſchreibung ich unmoͤglich vorbeygehen kann. Es iſt an der Spitze eines Berges erbaut, und hat auf vierzehen Stunden weit, die ſchoͤnſte Gegend eines mit Fel - dern, Wieſen und zerſtreuten Bauerhoͤfen, gezierten Thales vor ſich liegen, welches ein fiſchreicher Bach durchfließt, und waldichte Anhoͤhen umfaſſen. Auf dem Berge ſind weitlaͤuftige Gaͤrten und Spa - ziergaͤnge, nach dem edlen Geſchmack des vorigen Beſitzers angelegt, in welchem ich ſeinen Lieblingsgrundſatz, das Ange -nehme135nehme immer mit dem Nuͤtzlichen zu ver - binden, ſehr ſchoͤn ausgefuͤhrt ſah.

Dieſes und die vollkommene Edelmanns - Landwirthſchaft, die auserleſene Biblio - thek, die Sammlung phyſicaliſcher Jn - ſtrumenten, die edle, von Ueppigkeit und Kargheit gleichweit entfernte Einrich - tung des Hauſes, die Stiftung eines Arztes fuͤr die ganze Herrſchaft, der le - benslaͤngige Unterhalt, deſſen ſich alle Hausbedienten zu erfreuen haben, die Wahl geſchickter und rechtſchaffener Maͤnner auf den Beamtungen, und eine Menge kluger Verordnungen zum Beſten der Unterthanen, ꝛc. alles ſind lebende Denkmale des Geſchmacks, der Einſichten, und der edlen Denkungsart des vormali - gen Beſitzers, der, nachdem er mit groͤß - tem Ruhm viele Jahre die erſte Stelle an einem großen Hofe bekleidet hatte, ſeine letzten Tage auf dieſem angenehmen Land - ſitz verlebte. Seine Guͤte und Leutſelig - keit ſcheint ſeinen Erben, mit den Guͤtern, eigen geworden zu ſeyn, daher ſich immer die beſte Geſellſchaft der umliegenden Ein -J 4wohner136wohner bey ihnen verſammelt. Die ſechs Tage uͤber, welche wir da zubrach - ten, kam ich durch das Spielen auf eine Jdee, die ich gern von Herrn Br. unter - ſucht haben moͤchte. Es waren viele Fremde gekommen, zu deren Unterhaltung man nothwendiger Weiſe Spieltiſche ma - chen mußte. Denn unter zwanzig Perſo - nen waren gewiß die meiſten von ſehr ver - ſchiedenem Geiſt und Sinnesart, welches ſich bey der Mittagstafel und dem Spa - ziergang am ſtaͤrkſten aͤußerte, wo jeder nach ſeinen herrſchenden Begriffen und Neigungen von allen vorkommenden Ge - genſtaͤnden redete, und wo oͤfters theils die feinern Empfindungen der Tugend, theils die Pflichten der Menſchenfreund - lichkeit beleidigt worden waren. Bey dem Spielen aber hatten alle nur Einen Geiſt, indem ſie ſich denen dabey ein - gefuͤhrten Geſetzen ohne den geringſten Widerſpruch unterwarfen; keines wur - de unmuthig, wenn man ihm ſagte, daß hier und da wider die Regeln gefehlt worden ſey; man geſtund es,und137und beſſerte ſich ſogleich nach dem Rath eines Kunſterfahrnen.

Jch bewunderte und liebte die Erfin - dung des Spielens, da ich ſie als ein Zauberband anſah, durch welches in ei - ner Zeit von wenigen Minuten, Leute von allerley Nationen, ohne daß ſie ſich ſpre - chen koͤnnen, und von Perſonen von ganz entgegengeſetzten Charaktern viele Stun - den lang ſehr geſellig verknuͤpft werden; da es ohne dieſes Huͤlfsmittel beynahe unmoͤglich waͤre, eine allgemeine gefaͤllige Unterhaltung vorzuſchlagen. Aber ich konnte mich nicht enthalten, der Betrach - tung nachzuhaͤngen: Woher es komme, daß eine Perſon vielerley Gattungen von Spielen lernt, und ſehr ſorgfaͤltig al - len Fehlern wider die Geſetze davon aus - zuweichen ſucht, ſo daß alles was in dem Zimmer vorgeht, dieſe Perſon zu keiner Vergeſſenheit oder Uebertretung der Spiel - geſetze bringen kann: und eine Viertel - ſtunde vorher war nichts vermoͤgend, ſie bey verſchiednen Anlaͤſſen von Scherzen und Reden abzuhalten, die alle Vorſchrif -J 5ten138ten der Tugend und des Wohlſtandes be - leidigten. Ein andrer, der als ein edler Spieler geruͤhmt wurde, und in der That oh - ne Gewinnſucht mit einer gleichgelaſſenen und freundlichen Miene ſpielte, hatte eini - ge Zeit vorher, bey der Frage von Herr - ſchaft und Unterthan, von den letztern als Hunden geſprochen, und einem jungen die Regierung ſeiner Guͤter antretenden Cavalier die heftigſte und liebloſeſte Maaß - regeln angerathen, um die Bauren in Furcht und Unterwuͤrfigkeit zu erhalten, und die Abgaben alle Jahre richtig einzu - treiben, damit man in ſeinem ſtandesge - maͤßen Aufwand nicht geſtoͤret wuͤrde.

Warum? ſagte mein Herz, warum ko - ſtet es die Leute weniger, ſich den oft bloß willkuͤhrlichen Geſetzen eines Menſchen zu unterwerfen, als den einfachen, wohlthaͤ - tigen Vorſchriften, die der ewige Geſetzge - ber zum Beſten unſrer Nebenmenſchen an - geordnet hat? Warum darf man Niemand erinnern, daß er wider dieſe Geſetze feh - le? Meiner Tante haͤtte ich dieſen zufaͤlli - gen Gedanken nicht ſagen wollen; dennſie139ſie macht mir ohnehin immer Vorwuͤrfe uͤber meine ſtrenge und zu ſcharf geſpannte moraliſche Jdeen, die mich, wie ſie ſagt, alle Freuden des Lebens mißtoͤnend finden ließen. Jch weiß nicht, warum man mich immer hieruͤber anklagt. Jch kann munter ſeyn; ich liebe Geſellſchaft, Mu - ſik, Tanz und Scherz. Aber die Men - ſchenliebe und den Wohlſtand kann ich nicht beleidigen ſehen, ohne mein Mißvergnuͤ - gen daruͤber zu zeigen; und dann iſt es mir auch unmoͤglich, an geiſt - und em - pfindungsloſen Geſpraͤchen einen angeneh - men Unterhalt zu finden, oder von nichts - wuͤrdigen Kleinigkeiten Tage lang reden zu hoͤren.

O faͤnde ich nur in jeder großen Ge - ſellſchaft oder unter den Freunden unſers Hauſes in D. Perſon Eine wie die Stifts - dame zu **, man wuͤrde den Ton meines Kopfs und Herzens nicht mehr muͤrriſch geſtimmt finden! Dieſe edelmuͤthige Da - me lernte mich zu G. kennen, ihre erſte Bewegung fuͤr mich war Achtung, mich als eine Fremde etwas mehr als gezwun -gene140gene Hoͤflichkeit genießen zu laſſen. Jch hatte das Gluͤck ihr zu gefallen, und er - hielt dadurch den Vortheil den liebens - wuͤrdigen Charakter ihres Geiſtes und Herzens ganz kennen zu lernen. Nie - mals habe ich die Faͤhigkeiten des einen und die Empfindungen des andern in ei - nem ſo gleichen Maaß Fein, Edel und Stark gefunden, als in dieſer Dame. Jhr Geiſt und die angenehme Laune, die ihren Witz charakteriſirt, machen ſie zu der angenehmſten Geſellſchafterin, die ich iemals geſehen habe; [und beynahe moͤch - te ich glauben, daß einer unſrer Dichter an ſie gedacht habe, da er von einer lie - benswuͤrdigen Griechin ſagte:

Es haͤtt ihr Witz auch Wangen ohne
Roſen
Beliebt gemacht, ein Witz, dem’s nie an
Reiz gebrach,
Zu ſtechen oder liebzukoſen
Gleich aufgelegt, doch laͤchelnd wenn er ſtach,
Und ohne Gift ]
*)Um die vortreffliche Schreiberin fuͤr nichts reſponſabel zu machen, was nicht wuͤrklich vonihr
*)
Sie141

Sie beſitzt die ſeltene Gabe, fuͤr alles was ſie ſagt und ſchreibt, Ausdruͤcke zu finden, ohne daß ſie das geringſte Geſuchte an ſich haben; alle ihre Gedanken, ſind wie ein ſchoͤnes Bild, welches die Grazien, in ein leichtes natuͤrlich fließendes Gewand eingehuͤllt haben. Ernſthaft, munter oder freundſchaftlich, in jedem Licht nimmt die Richtigkeit ihrer Denkensart und die natuͤrliche ungeſchmuͤckte Schoͤn - heit ihrer Seele ein; und ein Herz voll Gefuͤhl und Empfindung fuͤr alles was gut und ſchoͤn iſt, ein Herz, das gemacht iſt durch die Freundſchaft gluͤcklich zu ſeyn, und gluͤcklich zn machen, vollendet die Lie - benswuͤrdigkeit ihres Charakters.

Nur um dieſer Dame willen, habe ich mir zum erſten male alte Ahnen gewuͤnſcht, damit ich Anſpruͤche auf einen Platz in ihrem Stifte machen, und alle Tage mei -nes*)ihr koͤmmt, geſteht der Herausgeber, daß die in [] eingeſchloſſenen Zeilen von ihm ſelbſt ein - geſchoben worden, da er das Gluͤck hat, die Dame, deren getreues Bildniß hier entworfen wird, perſoͤnlich zu kennen.142nes Lebens mit ihr hinbringen koͤnnte. Die Beſchwerlichkeiten der Praͤbende wuͤrden mir an ihrer Seite ſehr leichte werden.

Urtheilen Sie ſelbſt, ob es mir em - pfindlich war, dieſe liebenswuͤrdige Graͤ - fin wieder verlaſſen zu muͤſſen; wiewohl ſie die Guͤtigkeit hat, mich durch ihren Briefwechſel fuͤr den Verluſt ihres reizen - den Umgangs zu entſchaͤdigen. Sie ſol - len Briefe von ihr ſehen, und dann ſagen, ob ich zuviel von den Reizungen ihres Geiſtes geſagt habe.

Die Beſcheidenheit, welche einen be - ſondern Zug des Charakters ihrer Freun - din, der Graͤfin von G. ausmacht, ſoll mich, da ſie dieſen Brief nicht zu ſehen bekommen kann, nicht verhindern, Jhnen zu ſagen, daß dieſe vortreffliche Dame naͤchſt jener den meiſten Antheil an dem Wunſch hatte, mein Leben, wenn es moͤglich geweſen waͤre, in dieſer gluͤckli - chen Entfernung von der Welt hinzubrin - gen. Stilles Verdienſt, das nur deſto mehr einnimmt: weil es nicht glaͤnzenwill,143will, ein feiner, durch Beleſenheit und Kenntniſſe ausgeſchmuͤckter Geiſt, verbun - den mit ungefaͤrbter Aufrichtigkeit und Guͤte des Herzens, macht dieſer Dame der Hochachtung und der Freundſchaft jeder edlen Seele werth. Selbſt der dichte Schleyer, den ihre, beynahe allzugroße, wiewohl unaffectirte Beſcheidenheit uͤber ihre Vorzuͤge wirft, erhoͤht in meinen Augen den Werth derſelben. Selten legt ſie dieſen anderswo als in dem Zimmer der Graͤfin S. von ſich; deren Beyfall ihr eine Art von Gleichguͤltigkeit gegen alles andere Lob zu geben ſcheint; ſo wie ſie auch der ſeltenen Geſchicklichkeit, wo - mit ſie das Clavier ſpielt, und welche ge - nug waͤre, hundert andere ſtolz zu ma - chen, nur darum, weil ſie ihrer Freun - din dadurch Vergnuͤgen machen kann, ei - nigen Werth beyzulegen ſcheint. Jch kann nicht vergeſſen, unter den uͤbrigen wuͤrdigen Damen dieſes Stifts, der Graͤ - fin T. W. welche alle ihre Tage mit uͤben - den Tugenden bezeichnet, und einen Theil ihrer beſondern Geſchicklichkeit, zum Un -terricht144terricht armer Maͤdchen in allerley kuͤnſt - lichen Arbeiten verwendet, und be - ſonders der Fuͤrſtin, welche die Vorſte - herin des Stifts iſt, mit der zaͤrtlichen Ehrerbietung zu erwaͤhnen, welche Sie durch die vollkommenſte Leutſeligkeit, eine ſich ſelbſt immer gleiche Heiterkeit der See - le, und die Wuͤrde voll Anmuth, womit ſich dieſe Eigenſchaften in Jhrer ganzen Perſon ausdruͤcken, allen die ſich Jhr naͤhern, einfloͤßt. Wenn ich etwas benei - den koͤnnte, ſo wuͤrde es das Gluͤck ſeyn, unter der Leitung der erfahrnen Tugend und Klugheit einer ſo wuͤrdigen muͤtter - lichen Vorſteherin meine Tage hinzu - bringen.

Jch begnuͤge mich, Jhnen, was den Hauptpunct meiner Tante bey dieſer Rei - ſe betrifft, zu melden, daß er vollkom - men erreicht wurde; wir ſind nun wieder in D. und der Menge von Beſuchen, wel - che wir zu geben und anzunehmen hatten, meſſen Sie die Schuld bey, daß Sie ſo lange ohne Nachricht von mir geblieben ſind.

Milord145

Milord Seymour. an den Doctor T**.

Lieber Freund, ich hoͤrte Sie oft ſagen, die Beobachtungen, die Sie auf Jhren Reiſen, durch Deutſchland, uͤber den Grundcharakter dieſer Nation gemacht, haͤtte in Jhnen den Wunſch hervorge - bracht, auf einer Seite den Tiefſinn unſrer Philoſophen mit dem methodiſchen Vortrag der Deutſchen, und auf der andern das kalte und langſam gehende Blut ihrer uͤbrigen Koͤpfe, mit der feurigen Einbil - dungskraft der unſern, vereinigt zu ſehen. Sie ſuchten auch lang eine Miſchung in mir hervorzubringen, wodurch meine hef - tigen Empfindungen moͤchten gemildert werden, indem Sie ſagten, daß dieſes die einzige Hinderniß ſey, warum ich in den Wiſſenſchaften, die ich doch liebte, nie - mals zu einer gewiſſen Vollkommenheit gelangen wuͤrde. Sie giengen ſanft und guͤtig mit mir um, weil Sie durch die Zaͤrtlichkeit meines Herzens den Weg zuKder146der Biegſamkeit meines Kopfs finden wollten; ich weis nicht, mein theurer Freund, wie weit Sie damit gekommen ſind; Sie haben mich das wahre Gute und Schoͤne erkennen und lieben gelehrt, ich wollte auch immer lieber ſterben, als etwas Unedles oder Boͤsartiges thun, und doch zweifle ich, ob Sie mit der Ungeduld zufrieden ſeyn wuͤrden, mit welcher ich das Anſehen meines Oheims uͤber mich ertrage. Es daͤucht mir eine dreyfache Laſt zu ſeyn, die meine Seele in allen ihren Handlungen hindert; Milord G. als Oheim, als reicher Mann, den ich er - ben ſoll, und als Miniſter dem mich meine Stelle als Geſandſchaftsrath unterwirft. Fuͤrchten Sie dennoch nicht, daß ich mich vergeſſe, oder Milor - den beleidige; nein, ſo viel Gewalt habe ich uͤber meine Bewegungen; ſie werden durch nichts anders ſichtbar, als eine toͤd - tende Melancholie, die ich vergebens zu unterdruͤcken ſuche; aber warum mache ich ſo viele Umſchweife, um Jhnen am Ende meines Briefes etwas zu ſagen, dasich147ich gleich Anfangs ſagen wollte, daß ich in einer jungen Dame die ſchoͤne und gluͤckliche Miſchung der beyden National - charaktere geſehen habe. Jhre Großmut - ter muͤtterlicher Seite war eine Tochter des alten Sir Watſon, und ihr Vater, der verdienſtvolle Mann, deſſen Andenken in dem edelſten Ruhme bluͤhte. Dieſe junge Dame iſt eine Freundin des Fraͤu - lein C*, von welchem ich Jhnen ſchon ge - ſchrieben habe, das Fraͤulein Sternheim iſt aber erſt ſeit einigen Wochen hier und zwar zum erſtenmal: vorher war ſie im - mer auf dem Lande geweſen. Erwarten Sie keine Ausrufungen uͤber ihre Schoͤn - heit; aber glauben Sie mir, wenn ich ſage, daß alle moͤgliche Grazien, deren die Bildung und Bewegung eines Frauen - zimmers faͤhig iſt, in ihr vereinigt ſind; eine holde Ernſthaftigkeit in ihrem Geſicht, eine edle anſtaͤndige Hoͤflichkeit in ihrem Bezeugen, die aͤußerſte Zaͤrtlich - keit gegen ihre Freundin, eine anbetungs - wuͤrdige Guͤte und die feinſte Empfind - ſamkeit der Seele; iſt dieß nicht die StaͤrkeK 2des148des engliſchen Erbes von ihrer Großmut - ter? *)Jch habe der kleinen Partheylichkeit des Fraͤulein von Sternheim fuͤr die engliſche Na - tion bereits in der Vorrede als eines Fleckens erwaͤhnt, den ich von dieſem vortrefflichen Wer - ke haͤtte wegwiſchen moͤgen, wenn es ohne zu große Veraͤnderungen thunlich geweſen waͤre. Wenn wir den weiſeſten Englaͤndern ſelbſt glau - ben duͤrfen, ſo iſt eine Dame von ſo ſchoͤner Sinnesart, als Fraͤulein St., in England nicht weniger ſelten als in Deutſchland. Doch, hier ſpricht ein junger Englaͤnder, welcher billig fuͤr ſeine Nation eingenommen ſeyn darf, und ein Enthuſiaſt, der das Recht hat, zuweilen un - richtig zu raiſonnieren. A. d. H.Einen mit Wiſſenſchaft und richti - gen Begriffen gezierten Geiſt, ohne das geringſte Vorurtheil, maͤnnlichen Muth Grundſaͤtze zu zeigen und zu behaupten, viele Talente mit der liebenswuͤrdigſten Sittſamkeit verbunden; dieſes gab ihr der rechtſchaffene Mann, der das Gluͤck hatte ihr Vater zu ſeyn. Nach dieſer Beſchreibung, mein Freund, koͤnnen Sie den Eindruck beurtheilen, welchen ſie auf mich machte. Niemals, niemals iſt mein Herz ſo eingenommen, ſo zufriedenmit149mit der Liebe geweſen! Aber was werden Sie dazu ſagen, daß man dieſes edle rei - zende Maͤdchen zu einer Maitreſſe des Fuͤrſten beſtimmt? daß mir Milord ver - boten ihr meine Zaͤrtlichkeit zu zeigen, weil der Graf F. ohnehin befuͤrchtet, man wer - de Muͤhe mit mir haben? Doch behauptet er, daß ſie deswegen an den Hof gefuͤhrt worden ſey. Jch zeigte meinem Oncle alle Verachtung, die ich wegen dieſer Jdee auf den Grafen Loͤbau, ihren On - cle geworfen; ich wollte das Fraͤulein von dem abſcheulichen Vorhaben benachrichti - gen, und bat Milorden fußfaͤllig, mir zu erlauben, durch meine Vermaͤhlung mit ihr, ihre Tugend, ihre Ehre und ihre Annehmlichkeiten zu retten. Er bat mich, ihn ruhig anzuhoͤren, und ſagte mir; er ſelbſt verehrte das Fraͤulein, und ſey uͤber - zeugt, daß ſie das ganze ſchaͤndliche Vor - haben zernichten werde; und er gab mir die Verſicherung, daß, wenn ſie ihrem wuͤr - digen Charakter gemaͤß handle, er ſich ein Vergnuͤgen davon machen wolle, ihre Tu - gend zu kroͤnen. Aber ſo lange der ganzeK 3Hof150Hof ſie als beſtimmte Maitreſſe anſieht, werde ich nichts thun. Sie ſollen keine Frau von zweydeutigem Ruhme nehmen; halten Sie ſich an das Fraͤulein C*, durch dieſe koͤnnen Sie alles von den Ge - ſinnungen der Sternheim erfahren; ich will Jhnen von den Unterhandlungen Nachricht geben, die der Graf F. auf ſich genommen hat. Alle Zuͤge des Cha - rakters des Fraͤuleins geben mir Hoffnung zu einem Triumphe der Tugend. Aber er muß vor den Augen der Welt erlanget werden.

Mein Oheim erregte in mir die Begier - de, den Fuͤrſten gedemuͤthigt zu ſehen, und ich ſtellte mir den Widerſtand der Tu - gend als ein entzuͤckendes Schauſpiel vor. Dieſe Gedanken brachten mich dahin, mei - ne ganze Auffuͤhrung nach der Vorſchrift meines Oheims einzurichten. Milord Derby hat mir einen neuen Bewegungs - grund dazu gegeben. Er ſah ſie, und faßte gleich eine Begierde nach den ſeltnen Reizungen die ſie hat; denn Liebe kann man ſeine Neigung nicht nennen. Er iſtmir151mir mit ſeiner Erklaͤrung ſchon zuvorge - kommen; wenn er ſie ruͤhrt, ſo iſt mein Gluͤck hin; eben ſo hin, als wenn ſie der Fuͤrſt erhielte; dann wenn ſie einen Ruch - loſen lieben kann, ſo haͤtte ſie mich nie - mals geliebt. Aber ich bin elend, hoͤchſt elend durch die zaͤrtlichſte Liebe fuͤr einen wuͤrdigen Gegenſtand, den ich ungluͤckli - cher weiſe mit den Fallſtricken des Laſters umgeben ſehe. Die Hoffnung in ihre Grundſaͤtze, und die Furcht der menſchli - chen Schwachheit martern mich wechſels - weiſe. Heute, mein Freund, heute wird ſie in der Hofcomoͤdie dem Blick des Fuͤr - ſten zum erſtenmal ausgeſetzt; ich bin nicht wohl; aber ich muß hingehen, wenn es mir das Leben koſten ſollte.

Jch lebe auf, mein Freund, der Graf von F. zweifelt, daß man etwas uͤber den Geiſt des Fraͤuleins gewinnen werde.

Milord befahl mir, mich in der Comoͤ - die nahe an ihn zu halten. Das Fraͤu - lein kam mit ihrer unwuͤrdigen Tante in die Loge der Graͤfin F.; ſie ſah ſo liebens - wuͤrdig aus, daß es mich ſchmerzte. K 4Eine152Eine Verbeugung, die ich zugleich mit Milord an die drey Damen machte, war der einzige Augenblick, wo ich mir ge - trauete ſie anzuſehen. Bald darauf war der ganze Adel und der Fuͤrſt ſelbſt da, deſ - ſen luͤſternes Auge ſogleich auf die Loge der Graͤfin F. gewendet war; das Fraͤulein verbeugte ſich mit ſo vieler Anmuth, daß ihn auch dieſes haͤtte aufmerkſam machen muͤſſen, wenn es ihre uͤbrige Reize nicht gethan haͤtten. Er redete ſogleich mit dem Grafen F. und ſah wieder auf das Fraͤulein, die er jetzt beſonders gruͤßte. Alle Augen waren auf ſie geheftet, aber eine kleine Weile darauf verbarg ſich das Fraͤulein halb hinter der Graͤſinn F. Die Opera gieng an; der Fuͤrſt redete viel mit F. der endlich in die Loge ſeiner Ge - mahlinn gieng, um Milorden und den Graͤ - finnen zu verweiſen, daß ſie dem Fraͤulein den Platz wegnaͤhmen, da ſie beyde das Spiel ſchon oft, das Fraͤulein aber es noch niemals geſehen haͤtte.

Die Damen ſeyn nicht Urſache, Herr Graf, ſagte das Fraͤulein, etwas ernſthaft;ich153ich habe dieſen Platz gewaͤhlt, ich ſehe ge - nug und gewinne dabey das Vergnuͤgen, weniger geſehen zu werden.

Aber Sie berauben ſo viele des Ver - gnuͤgens Sie zu ſehen? Daruͤber haͤtte ſie nur eine Verbeugung gemacht, die an ſich nichts als Geringſchaͤtzigkeit ſeines Compliments angezeigt habe. Er haͤtte ihre Meynung von der Comoͤdie be - gehrt; darauf haͤtte ſie wieder mit einem ganz eignen Ton geſagt: Sie wundere ſich nicht, daß dieſe Ergoͤtzlichkeit von ſo vielen Perſonen geliebt wuͤrde.

Jch wuͤnſche aber zu wiſſen, wie es Jhnen gefaͤllt, was Sie davon denken? Sie ſehen ſo ernſthaft.

Jch bewundere die vereinigte Muͤhe ſo vieler Arten von Talente.

Jſt das Alles was Sie dabey thun, empfinden Sie nichts fuͤr die Heldin oder den Helden?

Nein, Herr Graf, nicht das geringſte; haͤtte Sie mit Laͤcheln geantwortet.

K 5Man154

Man ſpeiſte bey der Fuͤrſtin von W*; der Fuͤrſt, die Geſandſchaften und uͤbri - gen Fremde, worunter der Graf Loͤbau, Oncle des Fraͤulein Sternheims, auch ge - rechnet wurde. Die Graͤfin F* ſtellte das Fraͤulein mit vielem Gepraͤnge dem Fuͤrſten vor. Dieſer affectirte viel von ihrem Va - ter zu ſprechen. Das Fraͤulein ſoll kurz und in einem geruͤhrten Tone geantwortet haben. Die Tafel war vermengt, im - mer ein Cavalier bey einer Dame. Graf F. ein Neffe des Miniſters war an der Seite des Fraͤuleins, welche gerade ſo ge - ſetzt wurde, daß ſie der Fuͤrſt in Geſicht hatte; er ſah ſie unaufhoͤrlich an. Jch nahm mich in Acht, nicht oft nach dem Fraͤulein zu ſehen; doch bemerkte ich Un - zufriedenheit an ihr. Man hob die Ta - fel bald auf, um zu ſpielen; die Prinzeſ - ſin nahm das Fraͤulein zu ſich, gieng bey den Spieltiſchen mit ihr herum, ſetzte ſich auf den Sopha, und redete ſehr freund - lich mit ihr. Der Fuͤrſt kam, nachdem er eine Tour mit Milorden geſpielt hatte, auch dazu.

Den155

Den zweeten Tag ſagte Graf F. zu Mi - lord; er wuͤnſchte dem Loͤbau alles Boͤſe[auf] den Hals, das Fraͤulein hieher ge - bracht zu haben. Sie iſt ganz dazu ge - macht, um eine heftige Leidenſchaft zu er - wecken; aber ein Maͤdchen, das keine Eitelkeit auf ihre Reize hat, bey einem Schauſpiel nichts als die vereinigte Muͤ - he von vielerley Talenten betrachtet, an einer ausgeſuchten Tafel nichts als eine Aepfel-Compotte ißt, Waſſer dazu trinkt, an einem Hofe nach dem Hauſe eines Landpfarrers ſeufzet, und bey allem dem voll Geiſt und voll Empfindung iſt, ein ſolches Maͤdchen iſt ſchwer zu ge - winnen!

Gott wolle es, dacht ich; lange kann ich den gewaltſamen Stand, in dem ich bin, nicht aushalten!

Schreiben Sie mir bald; ſagen Sie mir, was Sie von mir denken, und was ich haͤtte thun ſollen.

Das156

Das Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

O meine Emilia! wie noͤthig iſt mir ei - ne erquickende Unterhaltung mit einer zaͤrt - lichen und tugendhaften Freundin!

Wiſſen Sie, daß ich den Tag, an dem ich mich zu der Reiſe nach D. bereden ließ, fuͤr einen ungluͤcklichen Tag anſehe. Jch bin ganz aus dem Kreiſe gezogen worden, den ich mit einer ſo ſeligen Ruhe und Zu - friedenheit durchgieng. Jch bin hier Niemanden, am wenigſten mir ſelbſt, nuͤtze; das Beſte, was ich denke und em - pfinde, darf ich nicht ſagen, weil man mich laͤcherlich-ernſthaft findet; und ſo viel Muͤhe ich mir gebe, aus Gefaͤllig - keit gegen die Perſonen, bey denen ich bin, ihre Sprache zu reden, ſo iſt doch meine Tante ſelten mit mir zufrieden, und ich, Emilia, noch ſeltner mit ihr. Jch bin nicht eigenſinnig, mein Kind, in Wahr - heit ich bin es nicht; ich fodere nicht, daß jemand hier denken ſolle, wie ich; ich ſehezu157zu ſehr ein, daß es eine moraliſche Unmoͤg - lichkeit iſt. Jch nehme keinem uͤbel, daß der Morgen am Putztiſche, der Nachmittag in Beſuchen, der Abend und die Nacht mit Spielen hingebracht wird. Es iſt hier die große Welt, und dieſe hat die Einrichtung ihres Lebens mit dieſer Haupt - eintheilung angefangen. Jch bin auch ſehr von der Verwunderung zuruͤckgekom - men, in die ich ſonſt gerieth, wenn ich an Perſonen, die meine ſelige Großmama be - ſuchten, einen ſo großen Mangel an gu - ten Kenntniſſen ſah, da ſie doch von Na - tur mit vielen Faͤhigkeiten begabt waren. Es iſt nicht moͤglich, meine Liebe, daß eine junge Perſon in dieſem betaͤubenden Geraͤuſche von lermenden Zeitvertreiben einen Augenblick finde, mich zu ſammeln. Kurz, alle hier, ſind an dieſe Lebensart und an die herrſchenden Begriffe von Gluͤck und Vergnuͤgen gewoͤhnt, und lieben ſie eben ſo, wie ich die Grundſaͤtze und Be - griffe liebe, welche Unterricht und Bey - ſpiel in meine Seele gelegt haben. Aber man iſt mit meiner Nachſicht, mit meinerBilligkeit158Billigkeit nicht zufrieden; ich ſoll denken und empfinden wie ſie, ich ſoll freudig uͤber meinen wohlgerathnen Putz, gluͤck - lich durch den Beyfall der andern, und entzuͤckt uͤber den Entwurf eines Soupe, eines Bal’s werden. Die Opera, weil es die erſte war, die ich ſah, haͤtte mich außer mir ſelbſt ſetzen ſollen, und der Him - mel weis, was fuͤr elendes Vergnuͤgen ich in dem Lob des Fuͤrſten habe finden ſollen. Alle Augenblicke wurde ich in der Comoͤ - die gefragt: Nun wie gefaͤllts ihnen, Fraͤulein?

Gut, ſagte ich ganz gelaſſen; es iſt vollkommen nach der Jdee, die ich mir von dieſen Schauſpielen machte. Da war man mißvergnuͤgt, und ſah mich als eine Perſon an, die nicht wiſſe was ſie rede. Es mag ſeyn, Emilia, daß es ein Fehler meiner Empfindungen iſt, daß ich die Schauſpiele nicht liebe, und ich halte es fuͤr eine Wirkung des Eindrucks, den die Beſchreibung des Laͤcherlichen und Unna - tuͤrlichen eines auf dem Schlachtfeld ſin - genden Generals und einer ſterbendenLiebha -159Liebhaberin, die ihr Leben mit einem Tril - ler ſchließt, ſo ich im engliſchen geleſen habe, auf mich machte. Jch kann auch niemand tadeln, der dieſe Ergoͤtzlichkeiten liebt. Wenn man die Verbindung ſo vie - ler Kuͤnſte anſieht, die fuͤr unſer Aug und Ohr dabey arbeiten, ſo iſt ſchon dieſes angenehm zu betrachten; und ich finde nichts natuͤrlicher, als die Leidenſchaften, die eine Actrice oder Taͤnzerinn einfloͤßt. Die Jntelligenz, (laſſen Sie mir dieſes Wort) mit welcher die erſte ihre Rolle ſpielt, da ſie ganz in dem Charakter, den ſie vorſtellt, eintritt, von edlen zaͤrtlichen Geſinnungen mit voller Seele redt, ſelbſt ſchoͤn dabey iſt, und die ausgeſuchte Klei - dung, die affectvolleſte Muſik; mit allen Verzierungen des Theaters dabey zu Ge - huͤlfen hat, wo will ſich der junge Mann retten, der mit einem empfindlichen Herzen in den Saal tritt, und da von Natur und Kunſt zugleich beſtuͤrmt wird?

Die Taͤnzerinn, von muntern Grazien umgeben, jede Bewegung voll Reiz, in Wahrheit, Emilia, man ſoll ſich nichtwundern,160wundern, nicht zanken, wenn ſie geliebt wird! Doch duͤnkt mich der Liebhaber der Actrice edler als der von der Taͤnzerin. Jch habe irgendwo geleſen, daß die Linie der Schoͤnheit fuͤr den Mahler und Bild - hauer ſehr fein gezogen ſey; geht er daruͤ - ber, ſo iſt ſie verlohren; bleibt er unter ihr, ſo fehlt ſeinem Werk die Vollkom - menheit.

Die Linie der ſittlichen Reize der Taͤn - zerin duͤnkt mich eben ſo fein gezogen; dann ſie ſchien mir ſehr oft uͤbertreten zu werden.

Ueberhaupt bin ich es ſehr zufrieden, ein Schauſpiel geſehen zu haben, weil die Vorſtellung, die ich davon hatte, da - durch ganz beſtimmt worden iſt; aber ich bin es auch zufrieden, wenn ich keines mehr ſehe.

Nach der Comoͤdie ſpeiſte ich mit der Prinzeſſin von W*, da wurde ich dem Fuͤrſten vorgeſtellt. Was ſoll ich Jhnen davon ſagen? Daß er ein ſchoͤner Mann und ſehr hoͤflich iſt, daß er meinen wer - then Papa ſehr gelobt hat, und daß ichmißver -161mißvergnuͤgt damit war. Ja, meine Emilia, ich kann nicht mehr ſo froh uͤber die Lobſpruͤche ſeyn, die man ihm giebt; der Ton, worinn es geſchieht, klingt mir gerade, als wenn man ſagte: Jch weiß, daß ſie von ihrem Vater ſehr eingenom - men ſind, ich ſage ihnen alſo Gutes von ihm. Und dann, mein Kind, muß ich Jhnen ſagen, daß die Blicke, die der Fuͤrſt auf mich warf, auch das Beſte verdor - ben haͤtten, das er haͤtte ſagen koͤnnen.

Was fuͤr Blicke, meine Liebe! Gott bewahre mich, ſie wieder zu ſehen! Wie haßte ich die Spaniſche Kleidung, die mir nichts als eine Palatine erlaubte. Waͤre ich jemals auf meine Leibesgeſtalt ſtolz geweſen, ſo haͤtte ich geſtern dafuͤr gebuͤßt. Der bitterſte Schmerz durch - drang mich bey dem Gedanken, der Ge - genſtand ſo haͤßlicher Blicke zu ſeyn. Meine Emilia, ich mag nicht mehr hier ſeyn; ich will zu Jhnen, zu den Gebeinen meiner Aeltern. Die Graͤfin R. bleibt zu lange weg.

LHeute162

Heute erzaͤhlte mir die Graͤfin F. mit vielem Wortgepraͤnge das Lob des Fuͤr - ſten uͤber meine Perſon und meinen Geiſt.

Morgen giebt der Graf ein großes Mittageſſen, und ich ſoll dabey ſeyn. Niemals, ſeitdem ich hier bin, hatte ich die Empfindungen eines Vergnuͤgens nach meinem Geſchmack. Die Freundſchaft des Fraͤulein C* war das Einzige, was mich erfreute; aber auch dieſe iſt nicht mehr was ſie war. Sie ſpricht ſo kalt; ſie beſucht mich nicht mehr; wir kommen beym Spiel nicht mehr zuſammen; und wenn ich mich ihr, oder dem Milord Seymour naͤhere, welche immer zuſam - men reden, ſo ſchweigen ſie, und Milord entfernt ſich traurig, bewegt; und das Fraͤulein ſieht ihm nach, und iſt zerſtreut. Was ſoll ich benken? Will das Fraͤulein nicht, daß ich Milorden ſpreche? Geht er weg, um ihr ſeine vollkommene Ergeben - heit zu zeigen? Denn er redt mit keiner andern Seele als mit ihr. O mein Kind, wie fremd iſt mein Herz in dieſem Lande! Jch, die mein Gluͤck fuͤr anderer ihres hin -gaͤbe,163gaͤbe, ich muß die Sorge ſehen, daß ich es zu ſtoͤren denke. Liebes Fraͤulein C*, ich will Jhnen dieſe Unruhe nehmen; denn ich wer - de meinen Augen das Vergnuͤgen verſagen, Milord Seymour anzuſchauen. Meine Blicke waren ohnehin fluͤchtig genug. Jch will Sie ſelbſt nicht mehr aufſuchen, wenn Sie in einem gluͤcklichen Geſpraͤche mit dem liebenswerthen Manne begriffen ſind. Sie ſollen ſehen, daß Sophie Sternheim das Gluͤck ihres Herzens durch keinen Raub zu erhalten ſucht! Emi - lia, eine Thraͤne fuͤllte mein Auge bey dieſem Gedanken. Aber der Verluſt ei - ner geliebten Freundin, der einzigen, die ich hier hatte, der Verluſt des Umgangs eines wuͤrdigen Mannes, den ich hochſchaͤ - tze, dieſer Verluſt verdient eine Thraͤne. D. wird mich keine andre koſten; Mor - gen, mein Kind, Morgen wuͤnſche ich ab - zureiſen.

Warum ſagt mir Jhr Brief nichts von meinem Pflegvater; warum nichts von Jhrer Reiſe und von Jhrem Geſell - ſchafter?

L 2Emilia,164

Emilia, Jhre Briefe, Jhre Liebe und Vertrauen ſind alles Gute, ſo ich noch er - warte.

D. hat nichts nichts fuͤr mich.

Milord Derby an ſeinen Freund in Paris.

Bald werde ich deinen albernen Erzaͤh - lungen ein Ende machen, die ich bisher nur deswegen geduldet, weil ich ſehen wollte, wie weit du deine Pralerey in dem Angeſichte deines Meiſters treiben wuͤrdeſt. Auch ſollteſt du heute die Gei - ſel meiner Satyre fuͤhlen, wenn ich nicht im Sinne haͤtte, dir den Entwurf einer deutſch-galanten Hiſtorie zu zeigen, zu deren Ausfuͤhrung ich mich fertig mache. Was wollen die Pariſer Eroberungen ſa - gen, die du nur durch Gold erhaͤltſt? Dann was wuͤrde ſonſt eine Franzoͤſin mit deinem breiten Geſicht und hagern Figuͤrchen machen, die Eroberungen derHerren165Herren Milords in Paris, was ſind die? Eine Coquette, eine Actrice, beyde artig einnehmend; aber ſie waren es ſchon fuͤr ſo viel Leute, daß man ein Thor ſeyn muß, ſich daruͤber zu beloben. War ich nicht auch da, meine ſchoͤnen Herren? und weiß ich nicht ganz ſicher, daß die wohlerzogene Tochter eines angeſehenen Hauſes und die geiſtvolle achtungswerthe Frau gar nicht die Bekanntſchaften ſind, die man uns machen laͤßt? Alſo prahle mir nicht mehr, mein guter B*, denn von Siegen wie die eurige, iſt kein Triumph - lied zu ſingen. Aber ein den Goͤttern ge - widmetes Meiſterſtuͤck der Natur und der Kunſt zu erbeuten, den Argus der Klug - heit und Tugend einzuſchlaͤfern, Staats - miniſter zu betruͤgen, alle weitherge - ſuchte Vorbereitungen eines gefaͤhrlichen und geliebten Nebenbuhlers zu zernichten, ohne daß man die Hand gewahr wird, welche an der Zerſtoͤrung arbeitet; dieß verdient angemerkt zu werden!

Du weißt, daß ich der Liebe niemals keine andere Gewalt als uͤber meine Sin -L 3nen166nen gelaſſen habe, deren feinſtes und leb - hafteſtes Vergnuͤgen ſie iſt. Daher war die Wahl meiner Augen immer fein, da - her meine Gegenſtaͤnde immer abgewech - ſelt. Alle Claſſen von Schoͤnheiten haben mir gefroͤhnet; ich wurde ihrer ſatt, und ſuchte nun auch die Haͤßlichkeit zu meiner Sclavin zu machen; nach dieſer mußten mir Talente und Charakter unterwuͤrfig werden. Wie viel Anmerkungen koͤnnten nicht die Philoſophen und Moraliſten uͤber die feinen Netze und Schlingen machen, in denen ich die Tugend, oder den Stolz, die Weisheit, oder den Kaltſinn, die Co - quetterie, und ſelbſt die Froͤmmigkeit der ganzen weiblichen Welt gefangen habe. Jch dachte ſchon mit Salomo, daß fuͤr mich nichts neues mehr unter der Sonne waͤre. Aber Amor lachte meiner Eitelkeit. Er fuͤhrte aus einem elenden Landwinkel die Tochter eines Oberſten herbey, deren Figur, Geiſt und Charakter ſo neu und reizend iſt, daß meinen vorigen Unterneh - mungen die Crone fehlte, wenn ſie mir entwiſchen ſollte. Wachſam muß ichſeyn;167ſeyn; Seymour liebt ſie; laͤßt ſich aber durch Milord G. leiten, weil dieſe Roſe fuͤr den Fuͤrſten beſtimmt iſt, bey dem ſie einen Proceß fuͤr ihren Oheim gewinnen ſoll. Der Sohn des Grafen F. bietet ſich zur Vermaͤhlung mit ihr an, um den Mantel zu machen; wenn ſie ihn aber liebt, ſo will er die Anſchlaͤge des Grafen Loͤbau und ſeines Vaters zu nichte ma - chen; der ſchlechte Pinſel! er ſoll ſie nicht haben. Seymour mit ſeiner ſchwermuͤ - thigen Zaͤrtlichkeit, die auf den Triumph ihrer Tugend wartet, auch nicht; und der Fuͤrſt der iſt ſie nicht werth! Fuͤr mich ſoll ſie gebluͤht haben, das iſt feſt - geſetzt; allem meinem Verſtand iſt aufge - boten, ihre ſchwache Seite zu finden. Empfindlich iſt ſie; ich hab es ihren Blicken angeſehen, die ſie manchmal auf Seymouren wirft, wenn es gleich ich bin, der mit ihr redet. Freymuͤthig iſt ſie auch; dann ſie ſagte mir, es duͤnkte ſie, daß es meinem Herzen an Guͤte fehle. Halten ſie Milord Seymour fuͤr beſſer als mich? fragte ich ſie. Sie erroͤthete, undL 4ſagte,168ſagte, er waͤre es. Damit hat ſie mir eine wuͤthende Eiferſucht gegeben, aber zugleich den Weg zu ihrem Herzen gezeigt. Jch bin zu einer beſchwerlichen Verſtellung gezwungen, da ich meinen Charakter zu einer Harmonie mit dem ihrigen ſtimmen muß. Aber es wird eine Zeit kommen, wo ich ſie nach dem meinigen bilden wer - de. Dann mit ihr werd ich dieſe Muͤhe nehmen, und gewiß, ſie ſoll neue Ent - deckungen in dem Lande des Vergnuͤgens machen, wenn ihr aufgeklaͤrter und feiner Geiſt alle ſeine Faͤhigkeiten dazu anwen - den wird. Aber das Lob ihrer Annehm - lichkeiten und Talenten ruͤhrt ſie nicht; die allgemeinen Kennzeichen einer einge - floͤßten Leidenſchaft ſind ihr auch gleich - guͤltig. Hoheit des Geiſtes und Guͤte der Seele ſcheinen in einem ſeltenen Grad in ihr verbunden zu ſeyn; ſo wie in ihrer Perſon alle Reize der vortrefflich - ſten Bildung mit dem ernſthaften Weſen, welches große Grundſaͤtze geben, verei - nigt ſind. Jede Bewegung, die ſie macht, der bloße Ton ihrer Stimme, lockt die Lie -be169be zu ihr; und ein Blick, ein einziger un - gekuͤnſtelter Blick ihrer Augen, ſcheint ſie zu verſcheuchen; ſo eine reine unbefleckte Seele wird man in ihr gewahr. Halt einmal: wie komme ich zu dieſem Ge - ſchwaͤtz? So lauteten die Briefe des armen Seymour, da er in die ſchoͤne Y** verliebt war: ſollte mich dieſe Land - jungfer auch zum Schwaͤrmer machen? So weit es zu meinen Abſichten dient, mag es ſeyn; aber, beym Jupiter, ſie ſoll mich ſchadlos halten! Jch habe Mi - lords G**s zweyten Secretair gewonnen? der Kerl iſt ein halber Teufel. Er hatte die Theologie ſtudirt, aber ſie wegen der ſtrengen Strafe, die er uͤber eine Buͤbe - rey leiden muͤſſen, verlaſſen; und ſeitdem ſucht er ſich an allen frommen Leuten zu raͤchen. Es iſt gut, wenn man ihren Stolz demuͤthigen kann, ſagte er; durch ihn will ich Milord Seymouren ausfor - ſchen. Er kann den letzten, wegen der Moral, die er immer predigt, nicht aus - ſtehen. Du ſiehſt, daß der Theologe ei - ne ſtarke Verwandlung erlitten hat? aberL 5ſo170ſo einen Kerl brauche ich jetzt, weil ich ſelbſt nicht frey agieren kann; heute nichts mehr, man unterbricht mich.

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Emilia! ich erliege faſt unter meinem Kummer; mein Pflegvater todt! warum ſchrieben Sie mir, oder doch Roſinen nichts, als da alles vorbey war? Die gu - te Roſine vergeht vor Jammer. Jch ſu - che ſie zu troͤſten, und meine eigne See - le iſt niedergeſchlagen. Meine werthe Freundin, die Erde deckt nun das Beſte, das ſie uns gegeben hatte, guͤtige vereh - rungswuͤrdige Aeltern! Kein Herz kennt Jhren Verluſt ſo wohl als das mei - nige; ich empfinde Jhren Schmerz dop - pelt. Warum konnte ich ſeinen See - gen nicht ſelbſt hoͤren? Warum benetzen meine Thraͤnen ſeine heilige Grabſtaͤtte nicht? da ich mit gleichen kindlichen Ge -ſinnungen171ſinnungen wie ſeine Tochter um ihn wei - ne. Die arme Roſine! Sie knieet bey mir, ihr Kopf liegt auf meinem Schooße, und ihre Thraͤnen traͤufeln auf die Erde. Jch umarme ſie und weine mit. Gott laſſe durch unſern Kummer Weisheit in unſrer Seele aufbluͤhen; und erfuͤlle dadurch den letzten Wunſch unſerer Vaͤter; beſonders den, welchen mein Pflegevater fuͤr ſeine Emilia machte, da ſeine zitternde Hand noch ihre Ehre einſegnete, und ſie ſo dem Schutz eines treuen Freundes uͤbergab. Tugend und Freundſchaft ſey mein und Roſinens Theil, bis die Reyhe des Loo - ſes der Sterblichkeit auch uns in einer gluͤckſeligen Stunde trifft! moͤchte als - dann ein edles Herze mir Dank fuͤr das gegebene Beyſpiel im Guten nachrufen, und ein durch mich erquickter Armer mein Andenken ſegnen! Dann wuͤrde der Weiſe, der Menſchenfreund ſagen koͤnnen, daß ich den Werth des Lebens gekannt habe!

Jch kann nicht mehr ſchreiben, unſre Roſine gar nicht; ſie bittet um ihres Bruders und ihrer Schweſter Liebe, undwill172will immer bey mir leben. Jch hoffe, Sie ſind es zufrieden, und befeſtigen dadurch das Band unſrer Freundſchaft. Edel - muth und Guͤte ſoll es unzertrennlich ma - chen. Jch umarme meine Emilia mit Thraͤnen; Sie glauben nicht, wie traurig mir iſt, daß ich dieſen Brief ſchließen muß, ohne etwas an meinem vaͤterlichen Freund beyzuſetzen. Ewige Gluͤckſeligkeit lohne ihn und meinen Vater! Laſſen Sie uns, meine Emilia, meine Roſina, ſo leben, daß wir ihnen einmal als wuͤrdi - ge Erbinnen ihrer Tugend und Freund - ſchaft dargeſtellt werden koͤnnen!

Milord Seymour an den Doctor B.

Jmmer wird mir das Fraͤulein liebens - wuͤrdiger und ich ich werde immer ungluͤcklicher. Der Fuͤrſt und Derby ſu - chen ihre Hochachtung zu erwerben; bey - de ſehen, daß dieß der einzige Weg zu ih -rem173rem Herzen iſt. Der doppelte Eigenſinn, den meine Leidenſchaft angenommen, hin - dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin nur bemuͤht ſie zu beobachten, und eine untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fraͤulein C*. Jch hoͤre ſie nicht mehr reden; aber die Erzaͤhlungen des Derby, dem ſie Ach - tung erweiſet, ſind mir beſtaͤndige Bewei - ſe des Adels ihrer Seele. Jch glaube, daß ſie die erſte tugendhafte Bewegung in ſein Herz gebracht hat. Denn vor eini - gen Tagen ſagt er mir; er haͤtte das Fraͤulein in eine Geſellſchaft fuͤhren ſol - len, und wie er in ihr Zimmer gegangen ſie abzuholen, habe er ihre Cammerjung - fer vor ihr knieen geſehen; das Fraͤulein ſelbſt halb angezogen, ihre ſchoͤnen Haare auf Bruſt und Nacken zerſtreut, ihre Ar - me um das knieende Maͤdchen geſchlungen, deren Kopf ſie an ſich gedruͤckt, waͤhrend ſie ihr mit beweglicher Stimme von dem Werth des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend geſprochen. Thraͤ - nen waͤren aus ihren Augen gerollt, dieſie174ſie endlich gen Himmel gehoben, und das Andenken ihres Vaters und noch eines Mannes fuͤr ihren Unterricht geſegnet haͤt - te. Dieſer Anblick haͤtte ihn ſtaunen ge - macht; und wie das Fraͤulein ihn gewahr worden, habe ſie gerufen: O Milord, ſie ſind gar nicht geſchickt mich in dieſem Augenblicke zu unterhalten; haben ſie die Guͤte zu gehen, und mich bey meiner Tante zu entſchuldigen; ich werde heute niemand ſehen. Das feyerliche und ruͤhrende Anſehen, ſo ſie gehabt, haͤtte ihm ihren Vorwurf zweyfach verbittert, da er die Geringſchaͤtzung gefuͤhlt, die ſie fuͤr ſeine Denkungsart habe. Er haͤtte auch geantwortet; wenn ſie die Ehrfurcht ſe - hen koͤnnte, die er in dieſem Augenblicke fuͤr ſie fuͤhlte, ſo wuͤrde ſie ihn ihres Ver - trauens wuͤrdiger achten. Da ſie aber, ohne ihm zu antworten, ihren Kopf auf den von ihrem Maͤdchen gelegt, waͤre er fortgegangen, und haͤtte von der Graͤfin L* gehoͤrt, daß ihre Scene den Tod des Pfarrers von P. angienge, der das Fraͤu - lein zum Theil erzogen und der Vater ih -rer175rer Cammerjungfer geweſen; der Graf Loͤ - bau und ſeine Gemahlin waͤren froh, daß der ſchwaͤrmeriſche Briefwechſel, den das Fraͤulein mit dieſem Manne unterhalten, nun ein Ende haͤtte, und man ſie auf eine ihrem Stande gemaͤßere Denkungs - art leiten koͤnne. Sie waͤren auch beyde mit ihm zu dem Fraͤulein gegangen, und haͤtten ihr ihre Traurigkeit und den Ent - ſchluß verwieſen, daß ſie nicht in die Ge - ſellſchaft gehen wolle. Meine Tante, ha - be ſie geantwortet, ſo viele Wochen habe ich der ſchuldigen Gefaͤlligkeit gegen ſie, und den Gewohnheiten des Hofes aufge - opfert; die Pflichten der Freundſchaft und der Tugend moͤgen wohl auch einen Tag haben! Ja, habe die Graͤfinn verſetzt, aber deine Liebe iſt immer nur auf eine Familie eingeſchraͤnkt geweſen; du biſt gegen die Achtung und Zaͤrtlichkeit, ſo man dir hier beweiſt, zu wenig empfind - lich. Das Fraͤulein: Meine gnaͤdi - ge Tante, es iſt mir leid, wenn ich Jh - nen undankbar ſcheine; aber verdiente der Mann, der meine Seele mit guten Grund -ſaͤtzen,176ſaͤtzen, und meinen Geiſt mit nuͤtzlichen Kenntniſſen erfuͤllte, nicht ein groͤßeres Maaß von Erkenntlichkeit, als der hoͤfli - che Fremdling, der mich noͤthigt, an ſei - nen voruͤbergehenden Ergoͤtzlichkeiten Antheil zu nehmen? Die Graͤfin: Du haͤtteſt ſchicklicher das Wort abwech - ſelnde Ergoͤtzlichkeiten gebrauchen koͤnnen. Das Fraͤulein: Alle dieſe Fehler bewei - ſen Jhnen, daß ich fuͤr den Hof ſehr un - tauglich bin. Die Graͤfin: Ja, heu - te beſonders, du ſollſt auch zu Hauſe blei - ben.

Derby erzaͤhlte mir dieſes mit einem leichtſinnigen Ton, aber gab genau auf meine Bewegungen acht. Sie wiſſen, daß ich ſie ſelten verbergen kann, und in dieſem Falle war mirs ganz unmoͤglich. Der Charakter des Fraͤuleins ruͤhrte mich. Jch mißgoͤnnte Derbyn, ſie geſehen und gehoͤrt zu haben. Unzufrieden auf mich, meinen Oncle und den Fuͤrſten, brach ich in den Eifer aus, zu ſagen: Das Fraͤu - lein hat den edelſten und ſeltenſtenCharak -177Charakter; wehe den Elenden, die ſie zu verderben ſuchen! Sie ſind ein eben ſo ſeltener Mann, erwiederte er, als das Fraͤulein ein ſeltenes Frauenzimmer iſt. Sie waͤren der ſchicklichſte Liebhaber fuͤr ſie geweſen, und ich haͤtte ihr Ver - trauter und Geſchichtſchreiber ſeyn moͤgen.

Jch glaube nicht, Milord Derby, daß Jhnen das Fraͤulein oder ich dieſen Auf - trag gemacht haͤtte, ſagte ich. Ueber die - ſe Antwort ſah ich eine Miene an ihm, die mir gaͤnzlich mißfiel; ſie war laͤchelnd und nachdenkend; aber, mein Freund, ich konnte mich nicht enthalten in meinem Herzen zu ſagen, ſo laͤchelt Satan, wenn er ſich eines giftigen Anſchlags bewußt iſt.

Fraͤulein von Sternheim an Emilien.

Jhr Stilleſchweigen, meine Freundin, duͤnket mich und Roſinen ſehr lange undMunbillig;178unbillig; aber ich werde mich wegen der Unruhe, die Sie mir dadurch gemacht, nicht anders raͤchen, als Jhnen, wenn ich einmal eine lange Reiſe mache, auf halbem Wege zu ſchreiben; denn da ich weiß, wie Sie mich lieben, ſo koͤnnte ich den Gedanken nicht ertragen, Jhrem zaͤrtlichen Herzen den Kummer fuͤr mich zu geben, den das meinige in dieſer Ge - legenheit fuͤr Sie gelitten. Aber Jhre gluͤckliche Ankunft in W. und Jhr Ver - gnuͤgen uͤber Jhre Ausſicht in die Zu - kunft hat mich dafuͤr belohnt. Auch oh - ne dieß, wie ſehr, meine Emilia, bin ich erfreut, daß mir mein Schickſal zu glei - cher Zeit einen vergnuͤgten Gegenſtand zu etlichen Briefen, an Sie gegeben hat! Denn haͤtte ich fortfahren muͤſſen, uͤber verdrießliche Begegniſſe zu klagen, ſo waͤre Jhre Zufriedenheit durch mich geſtoͤrt wor - den, da Jhr liebreiches Herz einen ſo leb - haften Antheil an allem nimmt, was mich und die ſeltene Empfindſamkeit meiner Seele betrifft. Jch habe in dieſer fuͤr mich ſo duͤrren moraliſchen Gegend, dieich179ich ſeit drey Monaten durchwandre, zwey angenehme Quellen und ein Stuͤck urba - res Erdreich angetroffen, wobey ich mich eine Zeitlang aufhalten werde, um bey dem erſten meinen Geiſt und mein Herz zu erfriſchen, und fuͤr die Anpflanzung und Cultur guter Fruͤchte bey dem letztern zu ſorgen. Doch ich will ohne Gleichniß reden. Sie wiſſen, daß die Erziehung, die ich genoſſen, meine Empfindungen und Vorſtellungen von Vergnuͤgen, mehr auf das Einfache und Nuͤtzliche lenkte, als auf das Kuͤnſtliche und nur allein Be - luſtigende. Jch ſah die Zaͤrtlichkeit mei - ner Mama niemals in Bewegung, als bey Erzaͤhlung einer edeln großmuͤthigen Handlung, oder einer, ſo von der Ausuͤ - bung der Pflichten und der Menſchenliebe und andern Tugenden gemacht wurde. Niemals druͤckte ſie mich mit mehr Liebe an ihr Herz, als wenn ich etwas ſagte, oder etwas fuͤr einen Freund des Hauſes, fuͤr einen Bedienten oder Unterthanen un - ternahm, ſo die Kennzeichen der Wohl - thaͤtigkeit und Freude uͤber anderer Ver -M 2gnuͤgen180gnuͤgen an ſich hatte; und ich habe ſehr wohl bemerkt, daß wenn mir, wie tauſend andern Kindern, ungefehr eine feine und ſchickliche Anmerkung oder ein Gedanke beygefallen, woruͤber oft die ganze Geſell - ſchaft in Bewunderung und Lob ausge - brochen, ſie nur einen Augenblick gelaͤ - chelt, und ſo fort die Achtung, welche mir ihre Freude zeigen wollten, auf die Sei - te des thaͤtigen Lebens zu lenken geſucht, indem ſie entweder etwas von meinem Fleiß in Erlernung einer Sprache, des Zeichnens, der Muſik oder anderer Kennt - niſſe lobte, oder von einer erbetenen Be - lohnung oder Wohlthat fuͤr jemand redte, und mir alſo dadurch zu erken - nen gab, daß gute Handlungen viel ruhmwuͤrdiger ſeyn, als die feinſten Gedanken. Wie einnehmend bewies mein Papa mir dieſen Grundſatz, da er mich in dem Naturreiche auf die Betrach - tung fuͤhrte, daß die Gattungen der Blumen, welche nur zu Ergoͤtzung des Auges dienten, viel weniger zahlreich und ihre Fruchtbarkeit weit ſchwaͤcherwaͤre,181waͤre,*)Man kann ſchwerlich ſagen, daß es Gat - tungen von Blumen oder Pflanzen gebe, welche nur zu Ergoͤtzung des Auges dienten; und, ſo viel mir bekannt iſt, kennt man keine einzige Gat - tung, welche nicht entweder einen oͤkonomiſchen oder officinaliſchen Nutzen fuͤr den Menſchen haͤt - te, oder zum Unterhalt einiger Thiere, Voͤgel, Jnſekten und Gewuͤrm diente, folglich in Ab - ſicht des ganzen Syſtems unſers Planeten wuͤrk - lich einen Nutzen haͤtte. A. d. H. als der nuͤtzlichen Pflanzen, die zur Nahrung der Menſchen und Thiere dienen; und waren nicht alle Tages ſeines Lebens, mit der Ausuͤbung dieſes Satzes bezeichnet? Wie nuͤtzlich ſuchte er ſeinen Geiſt und ſeine Erfahrungen ſeinen Freun - den zu machen? Was that er fuͤr ſeine Untergebenen und fuͤr ſeine Unterthanen? Nun, meine Emilie! mit dieſen Grund - ſaͤtzen, mit dieſen Neigungen kam ich in die große Welt, worinn der meiſte Theil nur fuͤr Aug und Ohr lebt, wo dem vor - trefflichen Geiſt nicht erlaubt iſt, ſich an - ders als in einem voruͤbergehenden witzi - gen Einfalle zu zeigen; und Sie ſehen,M 3mit182mit wie vielem Fleiße meine Aeltern die Anlage zu dieſem Talent in mir zu zerſtoͤ - ren ſuchten.

Ganz iſt es nicht von mir gewichen; doch bemerkte ich ſeine Gegenwart nie - mals mehr als in einem Anfalle von Miß - vergnuͤgen oder Verachtung uͤber jemands Jdeen oder Handlungen. Urtheilen Sie ſelbſt daruͤber! Letzhin wurde ich durch meine Liebe fuͤr Deutſchland in ein Ge - ſpraͤch verflochten, worinn ich die Ver - dienſte meines Vaterlandes zu vertheidi - gen ſuchte; ich that es mit Eifer; meine Tante ſagte mir nachher, ich haͤtte einen ſchoͤnen Beweis gegeben, daß ich die En - kelin eines Profeſſors ſey. Dieſer Vorwurf aͤrgerte mich. Die Aſche mei - nes Vaters und Großvaters war belei - digt, und meine Eigenliebe auch. Dieſe antwortete fuͤr alle dreye. Es waͤre mir lieber durch meine Geſinnungen den Be - weis zu geben, daß ich von edeldenken - den Seelen abſtamme, als wenn ein ſchoͤner Name allein die Erinnerung gaͤ - be, daß ich aus einem ehemals edeln Blute183 Blute entſproſſen ſey. Dieſes verur - ſachte eine Kaͤlte von einigen Tagen unter uns beyden; doch unvermerkt erwaͤrmten wir uns wieder. Meine Taute, denke ich, weil ſie nach dem alt adelichen Stolz fuͤhlte, wie empfindlich es ſeyn muͤſſe, wenn einem der Mangel von Ahnen vorge - worfen wuͤrde; und ich, weil ich meine raͤchende Antwort mißbilligte, die mich juſt auf eben die niedere Stufe ſetzte, auf welcher mir meine Tante den unedeln Vor - wurf gemacht hatte. Doch es iſt Zeit, Sie zu einer von den zwoen Quellen zu fuͤhren, wovon ich Jhnen nach meiner Liebe zur Bilderſprache geredet habe.

Die erſte hat ſich in Privatbeſuchen gezeigt, welche meine Tante empfaͤngt, und ablegt, worinn ich eine Menge ab - wechſelnder Betrachtungen uͤber die un - endliche Verſchiedenheit der Charakter und Geiſter machen kann, die ſich in Beurthei - lungen, Erzaͤhlungen, Wuͤnſchen und Kla - gen abdruͤcken. Aber was fuͤr einen Zirkel von Kleinigkeiten damit durchloffen wird; mit was fuͤr Haſtigkeit die Leute bemuͤhtM 4ſind,184ſind, einen Tag ihres Lebens auf die Seite zu raͤumen; wie oft der Hofton, der Modegeiſt, die edelſten Bewegungen eines von Natur vortrefflichen Herzen unter - druͤckt, und um das Ausziſchen der Mode - herren und Modedamen zu vermeiden, mit ihnen lachen und beyſtimmen heißt: dieß erfuͤllt mich mit Verachtung und Mitleiden. Der Durſt nach Ergoͤtzlichkeiten, nach neu - en Putz, nach Bewunderung eines Klei - des, eines Meubles, einer neuen ſchaͤdli - chen Speiſe, o meine Emilia! wie bange, wie uͤbel wird meiner Seele dabey zu Muthe, weil ich gewoͤhnt bin, allen Sachen ihren eigentlichen Werth zu ge - ben! Jch will von dem falſchen Ehrgeiz nicht reden, der ſo viele niedrige Jntri - guen anſpinnt, vor dem im Gluͤcke ſitzen - den Laſter kriecht, Tugend und Verdienſte mit Verachtung anſieht, ohne Empfin - dung Elende macht. Wie gluͤcklich ſind Sie, meine Freundin! Jhre Geburt, Jhre Umſtaͤnde haben Sie nicht von dem Ziel unſerer moraliſchen Beſtimmung ent - ſernt; Sie koͤnnen ohne Scheu, ohneHinderniß185Hinderniß alle Tugenden, alle edeln und nuͤtzlichen Talente uͤben; in den Tagen Jhrer Geſundheit, in den Jahren Jhrer Kraͤfte alles Gute thun, was die meiſten in der großen Welt in ihren letzten Stun - den wuͤnſchen gethan zu haben!

Jndeſſen genießen dennoch Religion und Tugend ganz ſchaͤtzbare Ehrenbezeu - gungen. Die Hofkirchen ſind praͤchtig geziert, die beſten Redner ſind zu Predi - gern darinnen angeſtellt, die Gottesdienſte werden ordentlich und ehrerbietig beſucht; der Wohlſtand im Reden, im Bezeugen wird genau und aͤngſtlich beobachtet; kein Laſter darf ohne Maske erſcheinen; ja ſelbſt die Tugend der Naͤchſtenliebe erhaͤlt eine Art von Verehrung, in den ausge - ſuchten und feinen Schmeicheleyen, die immer eines der Eigenliebe des andern macht. Alles dieſes iſt eine Quelle zu moraliſchen Betrachtungen fuͤr mich wor - den, aus welcher ich den Nutzen ſchoͤpfe, in den Grundſaͤtzen meiner Erziehung im - mer mehr und mehr beſtaͤrkt zu werden. Oft beſchaͤfftigt ſich meine Phantaſie mitM 5dem186dem Entwurf einer Vereinigung der Pflich - ten einer Hofdame, zu denen ſie von ih - rem Schickſal angewieſen worden, mit den Pflichten der vollkommenen Tugend, welche zu dem Grundbau unſerer ewigen Gluͤckſeligkeit erfodert wird. Es laͤßt ſich eine Verbindung denken; allein es iſt ſo ſchwer ſie immer in einer gleichen Staͤr - ke zu erhalten, daß mich nicht wundert, ſo wenig Perſonen zu ſehen, die darum bekuͤmmert ſind. Wie oft denke ich; wenn ein Mann, wie mein Vater war, den Platz des erſten Miniſters haͤtte, die - ſer Mann waͤre der verehrungswuͤrdigſte und gluͤcklichſte der Menſchen.

Es iſt wahr, viele Muͤhſeligkeit wuͤrde ſeine Tage begleiten; doch die Betrach - tung des großen Kreiſes, in welchem er ſeine Talente und ſein Herz zum Beſten vieler tauſend Lebenden und Nachkommen - den verwenden koͤnnte; dieſe Ausſicht, die ſchoͤnſte fuͤr eine wahrhafterhabne und guͤtige Seele, muͤßte ihm alles leicht und angenehm machen. Die Kenntniß des menſchlichen Herzens wuͤrde ſeinem feinemGeiſte187Geiſte den Weg weiſen, das Vertrauen des Fuͤrſten zu gewinnen; ſeine Rechtſchaf - fenheit, tiefe Einſicht und Staͤrke der Seele, faͤnden dadurch ihre natuͤrliche Obermacht unterſtuͤtzt, ſo daß die uͤbrigen Hof - und Dienſtleute ſich fuͤr den Zuͤgel und das Leitband des weiſen und tugend - haften Miniſters eben ſo lenkſam zeigen wuͤrden, als man ſie taͤglich bey den Un - vollkommenheiten des Kopfs und den Feh - lern des Herzens derjenigen ſieht, von welchen ſie Gluͤck und Befoͤrderung er - warten. So, meine Emilia, beſchaͤfftigt ſich meine Seele oft, ſeitdem ich von den Umſtaͤnden, dem Charakter und den Pflich - ten dieſer oder jener Perſon unterrichtet bin. Meine Phantaſie ſtellt mich nach der Rei - he an den Platz derer, die ich beurtheile; dann meſſe ich die allgemeinen moraliſchen Pflichten, die unſer Schoͤpfer jedem Men - ſchen, wer er anch ſey, durch ewige un - veraͤnderliche Geſetze auferlegt hat, nach dem Vermoͤgen und der Einſicht ab, ſo dieſe Perſon hat, ſie in Ausuͤbung zu bringen. Auf dieſe Weiſe, war ich ſchonFuͤrſt,188Fuͤrſt, Fuͤrſtin, Miniſter, Hofdame, Fa - vorit, Mutter von dieſen Kindern, Ge - mahlin jenes Mannes, ja ſogar auch einmal in dem Platz einer regierenden und alles fuͤhrenden Maitreſſe; und uͤberall fand ich Gelegenheit auf mannichfaltige Weiſe Guͤte und Klugheit auszuuͤben, oh - ne daß die Charakter oder die politiſche Umſtaͤnde in eine unangenehme Einfoͤr - migkeit gefallen waͤren. Bey vielen ha - be ich Jdeen und Handlungen angetroffen, deren Richtigkeit, Guͤte und Schoͤnheit ich ſo leicht nicht haͤtte erreichen, noch weni - ger verbeſſern koͤnnen; aber auch bey vie - len war ich mit meinem Kopf und Herzen beſſer zufrieden als mit dem Jhrigen. Natuͤrlicher Weiſe fuͤhrte mich die Billig - keit nach dieſen phantaſtiſchen Reiſen mei - ner Eigenliebe auf mich ſelbſt, und die Pflichten zuruͤck, die mir auszurichten angewieſen ſind. Sie verband mich ſo genau und ſtreng in Berechnung meiner Talente und Kraͤfte fuͤr meinen Wuͤrkungs - Kreis zu ſeyn, als ich es gegen andre war; und dadurch, meine Emilia, habeich189ich eine Quelle entdeckt, meine Aufmerk - ſamkeit auf mich ſelbſt zu verſtaͤrken, Kenntniſſe, Empfindung und Ueberzeugung des Guten tiefer in mein Herz zu graben, und mich von Tag zu Tag mehr zu verſt - chern, wie ſehr ein großer Beobachter der menſchlichen Handlungen, recht hatte, zu behaupten: daß ſehr wenige Perſonen ſeyn, welche das ganze Maaß ihrer mora - liſchen und phyſikaliſchen Kraͤfte nuͤtzten. Denn in Wahrheit, ich habe viele leere Stellen in dem Cirkel meines Lebens ge - funden, zum Theil auch ſolche, die mit verwerflichen Sachen und nichts werthen Kleinigkeiten ausgefuͤllt waren. Das ſoll nun weggeraͤumet werden, und weil ich nicht unter der gluͤcklichen Claſſe von Leu - ten bin, die gleich von Haus aus ganz klug, ganz gut ſind; ſo will ich doch un - ter die gehoͤren, die durch Wahrnehmun - gen des Schadens der andern, weiſe und rechtſchaffen werden; um ja nicht unter die zu gerathen, welche nur durch Erfahrung und eignes Elend, beſſer wer - den koͤnnen.

Fraͤulein190

Fraͤulein von Sternheim an Emilien.

Jch danke Jhnen, meine wahre Freun - din, daß Sie mich an den Theil meiner Erziehung zuruͤckgewieſen, der mich an - fuͤhrte, mich an den Platz der Perſonen zu ſtellen, wovon ich urtheilen wollte; aber nicht allein, um zu ſehen, was ich in ihren Umſtaͤnden wuͤrde gethan haben, ſondern auch mir die ſo noͤthige menſchen - freundliche Behutſamkeit zu geben, nicht alles was meinen Grundſaͤtzen, meinen Neigungen zuwider iſt, als boͤſe oder niedrig anzuſehen. Sie haben mich daran erinnert, weil Jhnen meine Unzu - friedenheit mit den Hofleuten zu unbillig und zu lebhaft und beynahe ungerecht ſchien. Jch habe Jhnen gefolgt, und da - durch die zwote Quelle meiner Verbeſſe - rung gefunden, indem ich meine Abnei - gung vor dem Hofe durch die Vorſtellung gemaͤßigt, daß gleichwie in der materiel - len Welt alle moͤgliche Arten von Dingenihren191ihren angewieſenen Kreis haben, darinn ſie alles antreffen, was zu ihrer Vollkom - menheit beytragen kann: ſo moͤge auch in der moraliſchen Welt das Hofleben der Kreis ſeyn, in welchem allein gewiſſe Faͤ - higkeiten unſers Geiſtes und Koͤrpers ihre vollkommene Ausbildung erlangen koͤn - nen; als z. E. die hoͤchſte Stufe des fei - nen Geſchmacks in allem was die Sinnen ruͤhrt, und von der Einbildungskraft ab - haͤngt; dahin nicht allein die unendliche Menge Sachen aller Kuͤnſte und beynahe aller Nothduͤrftigkeiten von Nahrung, Kleidung, Geraͤthſchaft, nebſt allen Ar - ten von Verzierungen gehoͤren, deren alle Gattungen von aͤußerlichen Gegenſtaͤnden faͤhig ſind, ſich beziehen. Der Hof iſt auch der ſchicklichſte Schauplatz die außer - ordentliche Biegſamkeit unſers Geiſtes und Koͤrpers zu beweiſen; eine Faͤhigkeit die ſich daſelbſt in einer unendlichen Menge feiner Wendungen in Gedanken, Aus - druck und Gebehrden, ja ſelbſt in mora - liſchen Handlungen aͤußert, je nach dem Politik, Gluͤck oder Ehrgeiz von einer oderandern192andern Seite eine Bewegung in der Hof - luft verurſachen. Viele Theile der ſchoͤ - nen Wiſſenſchaften haben ihre voͤllige Aus - polirung in der großen Welt zu erhalten; gleichwie Sprachen und Sitten allein von den da wohnenden Grazien eine ausgeſuch - te angenehme Einkleidung bekommen. Alles dieſes ſind ſchaͤtzbare Vorzuͤge, die auf einen großen Theil der menſchlichen Gluͤckſeligkeit ihren Einfluß haben, und wohl ganz ſicher Beſtandtheile davon ausmachen. Das Pflanzen - und Thier - reich hat ſeine Zuͤge von Schoͤnheit und Zierlichkeit in Form, Ebenmaß und Far - benmiſchung; auch die rauheſten Natio - nen haben Jdeen von Verſchoͤnerung. Unſer Geſicht, Geſchmack und Gefuͤhl ſind, auch nicht umſonſt mit ſo großer Em - pfindlichkeit im Vergleichen, Waͤhlen, Verwerfen und Zuſammenſetzen begabt, ſo daß es ganz billig iſt, dieſe Faͤhigkeiten zu benutzen, wenn nur die Menſchen nicht ſo leicht und ſo gerne uͤber die Grenzen traͤten, die fuͤr alles gezogen ſind. Doch wer weiß, ob nicht ſelbſt dieſes Ueber -ſchreiten193ſchreiten der Grenzen ſeine Triebfeder in der Begierde nach Vermehrung der Voll - kommenheit unſers Zuſtandes hat? Einer Begierde, die der groͤßte Beweis der Guͤ - te unſers Schoͤpfers iſt, weil ſie, ſo ſehr ſie in geſunden und gluͤcklichen Tagen ir - rig und uͤbel verwendet wird, dennoch im Ungluͤck, in dem Zeitpunkt, der Aufloͤſung unſers Weſens, ihre Ausſicht und Hoff - nung auf eine andere Welt, und dort im - mer daurende unabaͤnderliche Gluͤckſelig - keiten und Tugenden wendet, und da - durch allein einen Troſt ertheilt, welchen alle andre Huͤlfsmittel nicht geben koͤn - nen. Sie denken leicht, meine Emilia, in wie viel Stunden des Nachdenkens und Ueberlegens ſich alle dieſe, hier nur fluͤchtig beruͤhrte Gegenſtaͤnde abtheilen laſſen, und Sie ſehen auch, daß mir da - bey, neben den uͤbrigen Zerſtreuungen, die mir das Haus meiner Tante giebt, kein Augenblick zu Langerweile bleibt.

Nun will ich Sie zu dem Stuͤck urba - ren Erdreichs fuͤhren, das ich angetrof - fen habe. Dieſes geſchah auf dem Land -Nguthe194guthe des Grafen von F*. Eine Brun - nencur, deren ſich die Graͤfin bedient, gab Gelegenheit, daß wir auf ein paar Tage zu einem Beſuch dahin reiſten. Meine Tante hatte die Graͤfin B* und das Fraͤulein R. auch hin beſtellt, und der Zufall brachte den Lord Derby dazu. Guth, Haus und Garten iſt ſehr ſchoͤn. Die Damen hatten viele kleine weibliche Angelegenheiten unter ſich auszumachen; man ſchickte alſo das Fraͤulein R. und mich mit Herrn Derby auf einen Spa - ziergang. Erſt durchliefen wir das gan - ze Haus und den Garten, wo Milord in Wahrheit ein angenehmer Geſellſchaf - ter war, indem er uns von der Verſchie - denheit unterhielt, die der Nationalgeiſt eines jeden Volks in die Bauart und die Verzierungen legte. Er machte uns Be - ſchreibungen und Vergleichungen von Engliſchen, Jtalieniſchen und Franzoͤſi - ſchen Gaͤrten und Haͤuſern, zeichnete auch wohl Eines und das Andere mit einer un - gemeinen Fertigkeit und ganz artig ab. Kurz, wir w[a]ren mit unſerm Spazier -gang195gang ſo wohl zufrieden, daß wir Abrede nahmen, den andern Tag nach dem Fruͤh - ſtuͤck auf das freye Feld und in dem Dor - fe herumzugehen.

Es waren zween gluͤckliche Tage fuͤr mich. Landluft, freye Ausſicht, Ruhe, ſchoͤne Natur, der Segen des Schoͤpfers auf Wieſen und Kornfeldern, die Aemſig - keit des Landmanns. Mit wie viel Zaͤrtlichkeit und Bewegung heftete ich mei - ne Blicke auf dieß alles! Wie viel Erin - nerungen brachte es in mein Herz von verfloſſenen Zeiten, von genoſſener Zufrie - denheit! Wie eifrig machte ich Wuͤnſche fuͤr meine Unterthanen; fuͤr Segen zu ihrer Arbeit, und fuͤr die Zuruͤckkunft meiner Tante R.! Sie wiſſen, meine Emilia, daß mein Geſicht allezeit die Em - pfindungen meiner Seele ausdruͤckt. Jch mag zaͤrtlich und geruͤhrt ausgeſehen ha - ben; der Ton meiner Stimme ſtimmte zu dieſen Zuͤgen. Aber Lord Derby erſchreck - te mich beynahe durch das Feuer, mit dem er mich betrachtete, durch den Eifer und die Haſtigkeit, womit er mich bey derN 2Hand196Hand faßte, und auf engliſch ſagte. Gott! wenn die Liebe einmal dieſe Bruſt bewegt, und dieſen Ausdruck von zaͤrtli - cher Empfindung in dieſe Geſichtszuͤge legt, wie groß wird das Gluͤck des Man - nes ſeyn, der

Meine Verwirrung, die Art von Furcht, die er mir gab, war eben ſo ſichtbar, als meine vorige Bewegungen; ſogleich hielt er in ſeiner Rede inne, zog ſeine Hand ehrerbietig zuruͤck, und ſuchte in allem ſei - nem Bezeugen den Eindruck, von Heftig - keit ſeines Charakters, zu mildern, den er mir gegeben hatte.

Wir giengen in die Hauptgaſſe des ſchoͤnen Dorfs; da wir in der Haͤlfte wa - ren, mußten wir einem Karrn auswei - chen, der hinter uns gefahren kam. Er war mit einer dichten Korbflechte bedeckt, doch ſah man eine Frau mit drey ganz jungen Kindern darinn. Die ruͤhrende Traurigkeit, die ich auf dem Geſichte der Mutter erblickte, das blaſſe, hagere Aus - ſehen der Kinder, die reinliche, aber ſehr ſchlechte Kleidung von allen, zeugte vonArmuth197Armuth und Kummer dieſer kleinen Fami - lie. Mein Herz wurde bewegt; die Vor - ſtellung ihrer Noth und die Begierde zu helfen, wurden gleich ſtark. Froh ſie an dem Wirthshauſe abſteigen zu ſehen, be - dacht ich mich nicht lange. Jch gab vor, ich kennte dieſe Frau und wollte etwas mit ihr reden; und bat den Lord Derby, das Fraͤulein R. zu unterhalten, bis ich wieder kaͤme. Er ſah mich daruͤber mit ei - nem ernſthaften Laͤcheln an, und kuͤßte den Theil ſeines Ermels, wo ich im Eifer meine Hand auf ſeinen Arm gelegt hatte. Jch erroͤthete und eilte zu der armen Fa - milie.

Bey dem Eintritt in das Haus fand ich alle im Gang an einer Stiege ſitzen; die Frau mit weinenden Augen beſchaͤfftigt aus einem kleinen Sack ein ſeiden Hals - tuch und eine Schuͤrze zu nehmen, die ſie der Wirthin zu kaufen anbot, um Geld genug zu bekommen den Fuhrmann zu be - zahlen. Zwey Kinder riefen um Brod und Milch; ich faßte mich, ſo aͤußerſt geruͤhrt ich war, naͤherte mich, und ſagteN 3der198der armen Frau mit der Miene einer Be - kannten, es waͤre mir lieb ſie wieder zu ſehen. Jch that dieſes, um ihr die Ver - wirrung zu vermeiden, die ein empfindli - ches Herz fuͤhlt, wenn es viele Zeugen ſeines Elends hat, und weil der Uugluͤck - liche eine Art von Achtung, ſo ihm Ange - ſehene und Beguͤterte erweiſen, auch als einen Theil Wohlthat aufnimmt. Jch ſagte der Wirthin, ſie ſollte mir ein Zim - mer anweiſen, in welchem ich mit der Frau allein reden koͤnnte, und beſtellte, den Kindern ein Abendbrod zu rechte zu machen. Waͤhrend ich dieſes ſagte, machte die Wirthin ein Zimmer auf, und die gute arme Frau, ſtund mit ihrem klei - nen Kind im Arm da, und ſah mich mit fremden Erſtaunen an. Jch reichte ihr die Hand und bat ſie in das Zimmer zu gehen, wohin ich die zwey aͤltern Kin - der fuͤhrte. Da ich die Thuͤre zugemacht, leitete ich die zitternde Mutter zu einem Stuhl, mit dem Zeichen ſich zu ſetzen; bat ſie ruhig zu ſeyn, und mir zu verge - ben, daß ich mich ihr ſo zudringe. Jchwollte199wollte auch nicht unbeſcheiden mit ihr han - deln; ſie ſolle mich fuͤr ihre Freundin an - ſehen, die nichts anders wuͤnſche, als ihr an einem fremden Orte nuͤtzlich zu ſeyn. Eine Menge Thraͤnen hinderten ſie zu reden, dabey ſah ſie mich mit einem von Hoffnung und Jammer bezeichneten Geſichte an.

Jch reichte ihr wehmuͤthig die Hand. Sie leiden fuͤr Sie und Jhre Kinder unter einem harten Schickſal, ſagte ich; ich bin reich und unabhaͤngig, mein Herz kennt die Pflichten, welche Menſchlichkeit und Religion den Beguͤterten auflegen; goͤn - nen Sie mir das Vergnuͤgen dieſe Pflich - ten zu erfuͤllen, und Jhren Kummer zu erleichtern. Jndem ich dieſes ſagte, nahm ich von meinem Gelde, bat ſie, es anzu - nehmen, und mir den Ort ihres Aufent - halts zu ſagen. Die gute Frau ruͤtſche von ihrem Stuhle auf die Erde, und rief mit aͤußerſter Bewegung aus:

O Gott, was fuͤr ein edles Herz laͤßt du mich antreffen!

N 4Die200

Die zwey groͤßern Kinder liefen der Mutter zu, fielen um ihren Hals und fiengen an zu weinen. Jch umarmte ſie, hob ſie auf, umfaßte die Kinder, und bat die Frau ſich zu faſſen und ſtille zu re - den. Es ſollte hier niemand als ich, ihr Herz und ihre Umſtaͤnde kennen; ſie ſollte glauben, daß ich mich gluͤcklich achten wuͤrde, ihr Dienſte zu beweiſen; voritzt aber wollte ich nichts als den Ort ihres Aufenthalts wiſſen, und ihr meinen Nah - men aufſchreiben, welches ich auch ſogleich mit Reißbley that, und ihr das Papier uͤberreichte.

Sie ſagte mir, daß ſie wieder nach D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge, nachdem ſie von einem Bruder, zu dem ſie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge - wieſen worden waͤre. Sie wollte mir alle Urſachen ihres Elends aufſchreiben, und ſich dann meiner Guͤte in Beurthei - lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die - ſem las ſie mein Papier. Sind Sie das Fraͤulein von Sternheim? O was iſt der heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Fraudes201des ungluͤcklichen Raths T. Wenn Sie mich ihrer Tante, der Graͤfin L. nennen, ſo verliehre ich vielleicht Jhr Mitleiden; aber verdammen Sie mich nicht unge - hoͤrt! Dieß ſagte ſie mit gefalteten Haͤnden. Jch verſprach es ihr gerne, umarmte ſie und die Kinder, und nahm Abſchied mit dem Verbot, daß ſie nichts von mir reden, und die Wirthin glauben laſſen ſollte, daß wir einander kenneten. Jm Weggehen befahl ich der Wirthin, der Mutter und den Kindern gute Betten, Eſſen, und den folgenden Morgen eine gute Kut - ſche zu geben, ich wollte fuͤr die Bezahlung ſorgen. Milord und das Fraͤulein R. waren in den Garten des Wirthshauſes, wo ich ſie antraf und ihnen fuͤr die Ge - faͤlligkeit dankte, daß ſie auf mich gewar - tet haͤtten. Mein Geſicht hatte den Aus - druck des Vergnuͤgens etwas Gutes gethan zu haben; aber meine Augen waren noch roth von Weinen. Der Lord ſah mich oft und ernſthaft an, und redete den ganzen uͤbrigen Spaziergang ſehr wenig mit mir, ſondern unterhielt das Fraͤulein R.; dießN 5war202war mir deſto angenehmer, weil es mich an einen Entwurf denken ließ, dieſer gan - zen Familie ſo viel mir moͤglich aufzuhelfen, und dieß, meine Emilia, iſt das Stuͤck urbaren Erdreichs ſo ich angetroffen: wo ich Sorgen, Freundſchaft und Dienſte ausſaͤen will. Die Erndte und der Nu - tzen ſoll den drey armen Kindern zu gute kommen. Denn ich hoffe, daß die Ael - tern der Pflichten der Natur getreu genug ſeyn werden, um davon keinen andern Gebrauch, als zum Beſten ihrer unſchul - digen und ungluͤcklichen Kinder zu machen. Gelingt mir alles was ich thun will, und was mir mein Herz angiebt, ſo will ich meinen Aufenthalt ſegnen; dann nun ach - te ich die Zeit, die ich hier bin, nicht mehr fuͤr verlohren. Jch ſoll in wenigen Ta - gen von den Urſachen des Ungluͤcks die - ſer Familie Nachricht erhalten, nach dem werde ich erſt eigentlich wiſſen, was ich zu thun habe. Der Rath T* iſt ſehr krank, deswegen konnte die Frau noch nicht ſchreiben. Vorgeſtern kamen wir zuruͤck.

Milord203

Milord Derby an Milord B* in Paris.

Du biſt begierig den Fortgang meiner angezeigten Jntrigue zu wiſſen. Jch will dir alles ſagen. Weil man doch immer einen Vertrauten haben muß; ſo kannſt du dieſe Ehrenſtelle vertreten, und dabey fuͤr dich ſelbſt lernen.

Laß dir nicht einfallen zur Unzeit ein dummes Gelaͤchter anzufangen, wenn ich dir frey bekenne, daß ich noch nicht viel wuͤrde gewonnen haben, wenn der Zu - fall nicht mehr als mein Nachdenken und die feinſte Wendung meines Kopfs zu Be - foͤrderung meiner Abſichten beygetragen haͤtte. Jch bin damit zufrieden; denn meine Liebesgeſchichte ſtehet dadurch in der nehmlichen Claſſe, wie die Staatsgeſchaͤff - te der Hoͤfe; der Zufall thut bey vielen das Meiſte, und die Weisheit manches Mi - niſters beſteht allein darinn, durch die Kenntniß der Geſchichte der vergangenen und gegenwaͤrtigen Staaten, dieſen Au -genblick204genblick des Zufalls zu benutzen, und die uͤbrige Welt glauben zu machen, daß es die Arbeit ſeiner tiefen Einſichten geweſen ſey. *)Es gehoͤrt immer noch viele Einſicht dazu, den Zufall ſo wohl zu benutzen, und vielleicht mehr, als einen wohlausgedachten Entwurf zu machen. Aber das iſt der große Haufe nicht faͤ - hig zu begreifen: und daher pflegt man ihn im - mer gerne glauben zu laſſen, was, ſeinen Begrif - fen nach, denen die ihn regieren die meiſte Ehre macht. Die Welt wird nur darum ſo viel betro - gen, weil ſie betrogen ſeyn will. A. d. H.Nun ſollſt du ſehen, wie ich dieſe Aehnlichkeit gefunden, und wie ich mir eine unvorgeſehene Gelegenheit durch die Hiſtorie der Leidenſchaften und die Kennt - niß des weiblichen Herzens zu bedienen gewußt habe.

Jch war vor einigen Tagen in einer ungeduldigen Verlegenheit uͤber die Aus - wahl der Mittel, die ich brauchen muͤßte, um das Fraͤulein von Sternheim zu ge - winnen. Haͤtte ſie nur gewoͤhnlichen Witz und gewoͤhnliche Tugend, ſo waͤremein205mein Plan leicht geweſen; aber da ſie ganz eigentlich nach Grundſaͤtzen denkt und handelt, ſo iſt alles, wodurch ich ſonſt gefiel, bey ihr verlohren. Beſitzen muß ich ſie, und das mit ihrer Einwilligung. Dazu gehoͤrt, daß ich mir ihr Vertrauen und ihre Neigung erwerbe. Nun bleibt mir nichts uͤbrig, als mir, wie der Mi - niſter, zufaͤllige Anlaͤſſe nuͤtzlich zu machen. Von beyden erfuhr ich letzthin die Probe auf dem Landguth der Graͤfin F*. Jch wußte, daß das Fraͤulein mit ihrer Tan - te auf etliche Tage hingieng, und fand mich auch ein. Jch kam zweymal mit meiner Goͤttin und dem Fraͤulin R. allein auf den Spaziergang, und hatte Anlaß etwas von meinen Reiſen zu erzaͤhlen. Du weißt, daß meine Augen gute Beob - achter ſind, und daß ich manche halbe Stunde ganz artig ſchwatzen kann. Der Gegenſtand war von Gebaͤuden und Gaͤr - ten. Das Fraͤulein von Sternheim liebt Verſtand und Kenntniſſe. Jch machte mir ihre Aufmerkſamkeit ganz vortheil - haft zu nutze, und habe ihre Achtung fuͤrmeinen206meinen Verſtand ſo weit erhalten, daß ſie eine Zeichnung zu ſich nahm, die ich waͤh - render Erzaͤhlung von einem Garten in England machte. Sie ſagte dabey zu Fraͤulein R. Dieſes Papier will ich zu einem Beweis aufheben, daß es Cava - liere giebt, die zu ihrem Nutzen, und zum Vergnuͤgen ihrer Freunde reiſen. Dieß iſt ein wichtiger Schritt, der mich weit genug fuͤhren wird. Keine laͤcher - liche Grimaſſe, dummer Junge, daß du mich uͤber dieſe Kleinigkeit froh ſiehſt, da ich es ſonſt kaum uͤber den ganzen Sieg war; ich ſage dir, das Maͤdchen iſt auſ - ſerordentlich. Aus ihren Fragen bemerk - te ich eine vorzuͤgliche Neigung fuͤr Eng - land, die mir ohne meine Bemuͤhung von ſelbſt Dienſte thun wird. Jch redete ver - gnuͤgt und ruhig fort; denn da ſie durch die gleichguͤltigen Gegenſtaͤnde unſerer Un - terredung zufrieden und vertraut wurde, ſo huͤtete ich mich ſehr, meine Liebe, und eine beſondere Aufmerkſamkeit zu entdecken. Aber bald waͤre ich aus meiner Faſſung gerathen, weil ich eine Veraͤnderung derStimme207Stimme und Geſichtszuͤge des Fraͤuleins von Sternheim wahrnahm. Sie ſchien bewegt; ihre Antworten waren abgebro - chen; ich redete aber mit Fraͤulein R. ſo viel ich konnte gleichguͤltig fort, beobach - tete aber die Sternheim genau. Jndem brachte uns ein erhoͤheter Gang in dem Garten auf einen Platz, wo man das freye Feld entdeckte. Wir blieben ſtehen. Das bezaubernde Fraͤulein von Sternheim heftete ihre Blicke auf eine gewiſſe Gegend; eine feine Roͤthe uͤberzog ihr Geſicht und ihre Bruſt, die von der Empfindung des Vergnuͤgens eine ſchnellere Bewegung zu erhalten ſchien. Sehnſucht war in ih - rem Geſicht verbreitet, und eine Minute darauf ſtund eine Thraͤne in ihren Augen. B* alles was ich jemals reizendes an an - dern ihres Geſchlechts geſehen, iſt nichts gegen den einnehmenden Ausdruck von Empfindung, der uͤber ihre ganze Perſon ausgegoſſen war. Kaum konnte ich dem gluͤhenden Verlangen widerſtehen, ſie in meine Arme zu ſchließen. Aber ganz zu ſchweigen war mir unmoͤglich. Jch faßteeine208eine ihrer Haͤnde mit einem Arme, der vor Begierde zitterte, und ſagte ihr auf engliſch: ich weis nicht mehr was; aber die Wuth der Liebe muß aus mir geſpro - chen haben; denn ein aͤngſtlicher Schre - cken nahm ſie ein und entfaͤrbte ſie bis zur Todtenblaͤſſe. Da war’s Zeit mich zu erholen, und ich befließ mich den gan - zen uͤbrigen Abend recht ehrerbietig und gelaſſen zu ſeyn. Mein Taͤubchen iſt noch nicht kirre genug, um das Feuer meiner Leidenſchaft in der Naͤhe zu ſehen. Dieſes loderte die ganze Nacht durch in meiner Seele; keinen Augen - blick ſchlief ich; immer ſah ich das Fraͤulein vor mir und meine Hand ſchloß ſie zwanzigmal mit der nehmlichen Heftigkeit zu, mit welcher ich die ihrige gefaßt hatte. Raſend dachte ich, Sehn - ſucht und Liebe in ihr geſehen zu haben, die einen Abweſenden zum Gegenſtand hatten: aber ich ſchwur mir, ſie mit oder ohne ihre Neigung zu beſitzen. Wenn ſie Liebe, feurige Liebe fuͤr mich be - kommt, ſo kann es ſeyn, daß ſie mich feſ -ſelt;209ſelt; aber auch kalt, ſoll ſie mein Eigen - thum werden.

Der Morgen kam und fand mich wie einen tollen brennenden Narren mit offener Bruſt und verſtoͤrten Geſichtszuͤgen am Fenſter. Der Spiegel zeigte mich mir unter einer Satansgeſtalt, die faͤhig ge - weſen waͤre, das gute furchtſame Maͤd - chen auf immer vor mir zu verſcheuchen. Wild uͤber die Gewalt, ſo ſie uͤber mich ge - wonnen, und entſchloſſen, mich dafuͤr ſchadlos zu halten, warf ich mich aufs Bette, und ſuchte einen Ausweg aus die - ſem Gemiſche von neuen Empfindungen und meinen alten Grundſaͤtzen zu finden. Geduld brauchte es auf dem langweiligen Weg, den ich vor mir ſah; weil ich nicht wiſſen konnte, daß der Nachmittag mir zu einem großen Sprung helfen wuͤrde. Als ich wieder in ihre Geſellſchaft kam, war ich lauter Sanftmuth und Ehrfurcht; das Fraͤulein ſtille und zuruͤckhaltend. Nach dem Eſſen ließ man uns junge Leu - te wieder gehen, weil die Tante und die Graͤfin F* die Charte noch vollends zuOmiſchen210miſchen hatten, mit welcher ſie das Fraͤu - lein dem Fuͤrſten zuſpielen wollten. nach unſerer Abrede vom vorigen Tage giengen wir in das Dorf. Als wir gegen das Wirthshaus kamen, wo meine Leute ein - quartiret waren, begegnete uns ein klei - ner Wagen mit einer Frau und Kindern beladen, der langſam vorbey gieng, und uns hinderte vorzukommen. Meine Sternheim ſieht die Fran ſtarr an, wird roth, nachdenklich, betruͤbt, alles ſchier in Einem Anblick, und ſteht dem Wagen melancholiſch nach. Dieſer haͤlt an dem Wirthshauſe, die Leute ſteigen aus; die Blicke des Fraͤuleins ſind unbeweglich auf ſie geheftet; Unruhe nimmt ſie ein; ſie ſieht mich und das Fraͤulein R* an, wen - det die Augen weg, endlich legt ſie ihre Hand auf meinen Arm, und ſagt mir auf engliſch mit einem verſchoͤnerten Geſichte und bittender zaͤrtlicher Stimme: Lieber Lord, unterhalten Sie doch das Fraͤulein R* einige Augenblicke hier, ich kenne die - ſe Frau, und will ein paar Worte mit ihr reden. Jch ſtutzte, machte eine einwilli -gende211gende Verbeugung und kuͤßte den Platz mei - nes Rocks, wo ihre Hand gelegen war und mich ſanft gedruͤckt hatte. Sie ſieht die - ſes. Brennendroth und verwirrt eilt ſie weg. Was T dachte ich, muß das Maͤdchen mit dem Weibe haben; ſie mag wohl irgend einmal Brieftraͤgerinn, oder ſonſt eine dienſtfertige Creatur in einem verborgenen Liebeshandel geweſen ſeyn. Geſtern nach meiner zaͤrtlichen Anrede war das Maͤdchen ſtutzig; heute den gan - zen Tag trocken, hoch, ſah mich kaum an; ein Bettelkarn fuͤhrt eine Art Kup - plerin herbey, und ihre Geſichtszuͤge ver - aͤndern ſich, ſie hat mit ſich zu kaͤmpfen, und endlich werde ich der liebe Lord, auf den man die ſchoͤne Hand legt, ſeinen Arm zaͤrtlich druͤckt, die Stimme, den Blick beweglich macht, um zu einer unge - hinderten Unterredung mit dieſem Weibe zu kommen. Hm! Hm! wie ſiehts mit dieſer ſtrengen Tugend aus? Jch haͤtte das Fraͤulein R* in der Miſtpfuͤtze erſaͤu - ſen moͤgen, um mich in dem Wirthshauſe zu verbergen und zuzuhoͤren. Dieſe ſiehtO 2der212der Sternheim nach; und ſagt: Was macht das Fraͤulein in dem Wirthshauſe? Jch antwortete kurz: ſie haͤtte mir geſagt, daß ſie dieſe Bettelfrau kenne, und mit ihr etwas zu reden haͤtte. Sie lacht, ſchuͤttelt den Kopf mit der Miene des Af - fengeſichts, das lang uͤber die Vorzuͤge der Freundin neidiſch war, nichts tadeln konnte, und nun eine innerliche Freude uͤber den Schein eines Fehlers fuͤhlte. Es wird wohl eine alte gute Bekanntin vom Dorfe P. ſeyn ziſchte die Natter, mit einem Anſehen, als ob ſie ganz unter - richtet waͤre. Jch ſagte ihr: ich wollte einen meiner Leute horchen laſſen, denn ich waͤre ſelbſt uͤber dieſen Vorgang in Erſtaunen; ſchickte auch einen nach ihr, und ſuchte indeſſen die R* folgends auszu - locken: was ſie wohl von Fraͤulein Stern - heim denke?

Daß ſie ein wunderliches Gemiſche von buͤrgerlichem und adelichem Weſen vorſtellt, und ein wunderlich Gezier von Delicateſſe macht, die ſie doch nicht ſou - teniert. Denn was fuͤr ein Bezeugenvon213 von einer Perſon vom Stande iſt das, von einer Dame und einem Cavalier weg - zulaufen, um ich weis nicht wie ich ſagen ſoll eine Frau zu ſprechen, die ſehr ſchlecht ausſieht, und die vielleicht am beſten die Art angeben koͤnnte; wie dieſes Herz zu gewinnen iſt, ohne daß die vielen Anſtalten und Vorkehrungen noͤthig waͤren, die man mit ihr macht

Jch ſagte wenig darauf, doch ſo viel, um ſie in Athem zu halten, weiter zu reden. Die Genealogie des Fraͤu - leins Sternheim wurde alſo vorgenom - men, ihr Vater und ihre Mutter ver - laͤumdet, und die Tochter laͤcherlich ge - macht; mehr habe ich nicht behalten, der Kopf war mir warm. Die Sternheim blieb ziemlich lange weg. Endlich kam ſie mit einem geruͤhrten, doch zufriednen Geſichte, etwas verweinten Augen und ru - higem Laͤcheln gegen uns, und mit einem Ton der Stimme, ſo weich, ſo voll Liebe, daß ich noch toller als vorher wurde, und gar nicht mehr wußte, was ich denken ſollte.

O 3Das214

Das Fraͤulein R* betrachtete ſie auf eine beleidigende Weiſe, und meine Goͤt - tin mochte unſere Verlegenheit gemerkt haben, denn ſie ſchwieg, wie wir, in ei - nem fort, bis wir wieder zu Hauſe ka - men. Jch eilte Abends fort, um meine Nachrichten zu hoͤren. Da erzaͤhlte mir mein Kerl; Er haͤtte die Wirthin und die Frau heulend uͤber die Guͤte des Fraͤu - leins angetroffen; die Frau ſey dem Fraͤu - lein ganz fremd geweſen, haͤtte ſich uͤber das Anreden dieſer Dame verwundert, und waͤre ihr mit ſorgſamem Geſicht in die Stube gefolgt, wohin ſie ſie mit den Kindern gefuͤhrt. Da haͤtte ihr das Fraͤulein zugeſprochen, ſie um Ver - gebung uͤber ihr Zudringen gebeten, und Huͤlfe angeboten, auch wuͤrklich Geld gegeben, und nachdem ſie erfah - ren, daß ſie nach D* gehe, und dort wohne, haͤtte ſie ihren Nahmen und Aufenthalt der Frau aufgeſchrieben, und ihr auf das liebreichſte fernere Dienſte verſichert, auch bey der Wir - thin eine gute Kutſche beſtellt, welchedie215die Frau und Kinder nach Hauſe bringen ſollte.

Jch dachte, mein Kerl oder ich muͤßte ein Narr ſeyn, und widerſprach ihm al - les; aber er fluchte mir die Wahrheit feiner Geſchichte; und ich fand, daß das Maͤdchen den wunderlichſten Charakter hat. Was T* wird ſie roth und ver - wirrt, wenn ſie etwas Gutes thun will; was hatte ſie uns zu beluͤgen, ſie kenne dieſe Frau; beſorgte ſie, wir moͤchten An - theil an ihrer Großmuth nehmen?

Aber dieſe Entdeckung, das Ungefehr, werde ich mir zu Nutze machen; ich will die Familie aufſuchen, und ihr Gutes thun, wie Englaͤnder es gewohnt ſind, und dieſes, ohne mich merken zu laſſen, daß ich etwas von ihr weiß. Aber ge - wiß werde ich keinen Schritt machen, den ſie nicht ſehen ſoll. Durch dieſe Wohl - thaͤtigkeit werde ich mich ihrem Charakter naͤhern, und da man ſich allezeit mit ei - ner gewiſſen zaͤrtlichen Neigung an die Gegenſtaͤnde ſeines Mitleidens und ſeiner Freygebigkeit heftet; ſo muß in ihr noth -O 4wendi -216wendiger Weiſe eine gute Geſinnung fuͤr denjenigen entſtehen, der, ohne ein Ver - dienſt dabey zu ſuchen, das Gluͤck in eine Familie zuruͤckrufen hift. Jch werde ſchon einmal zu ſagen wiſſen, daß ihr ed - les Beyſpiel auf mich gewuͤrkt habe, und wenn ich nur eine Linie breit Vortheil uͤber ihre Eigenliebe gewonnen habe, ſo will ich bald bey Zollen und Spannen weiter gehen.

Sie beobachtet mich ſcharf, wenn ich nahe bey ihr in ein Geſpraͤch verwickelt bin. Dieſer kleinen Liſt, mich ganz zu kennen, ſetzte ich die entgegen, allezeit, wenn ſie mich hoͤren konnte, etwas ver - nuͤnftiges zu ſagen, oder den Diſcurs ab - zubrechen und recht altklug auszuſehen. Aber ob ſchon ihre Zuruͤckhaltung gegen mich ſchwaͤcher geworden, ſo iſt es doch nicht Zeit von Liebe zu reden; die Waag - ſchale zieht noch immer fuͤr Seymour. Jch moͤchte wohl wiſſen, warum das ge - funde junge Maͤdchen den blaſſen trau - rigen Kerl meiner friſchen Farbe und Fi - gur vorzieht, und ſeinen kraͤchzenden Tonder217der Stimme lieber hoͤrt, als den muntern Laut der meinigen, ſeine todten Blicke ſucht, und mein redendes Auge flieht? Sollte ſo viel Waſſer in ihre Empfindun - gen gegoſſen ſeyn? Das wollen wir beym Bal ſehen, der angeſtellt iſt, denn da muß eine Luͤcke ihres Charakters zum Vor - ſchein kommen, wenigſtens ſind alle moͤg - liche Anſtalten gemacht worden, um die tiefſchlafendſten Sinnen in eine muntere Geſchaͤfftigkeit zu bringen. Deinen Freund wird das Erwachen der ihrigen nicht entgehen, und dann will ich ſchon Sorge tragen, ſie nicht einſchlummern zu laſſen.

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Jch komme von der angenehmſten Reiſe zuruͤck, die ich jemals mit meiner Tante gemacht habe. Wir waren zehn Tage bey dem Grafen von T *** auf ſeinemO 5Schloſſe,218Schloſſe, und haben da die verwittibte Graͤſin von Sch*, welche immer da wohnt, zwey andere Damen von der Nachbarſchaft, und zu meiner unbeſchreib - lichen Freude den Herrn ** gefunden, deſſen vortreffliche Schriften ich ſchon ge - leſen, und ſo viel Feines fuͤr mein Herz und meinen Geſchmack daraus erlernt hat - te. Der ungezwungene ruhige Ton ſei - nes Umgangs, unter welchen er ſeinen Scharfſinn und ſeine Wiſſenſchaft ver - birgt; und die Gelaſſenheit, mit welcher er ſich in Zeitvertreibe und Unterredungen einflechten ließ, die der Groͤße feines Ge - nies und ſeiner Kenntniſſe ganz unwuͤr - dig waren, erregten in mir fuͤr ſeinen leutſeligen Charakter die nehmliche Be - wunderung, welche die uͤbrige Welt ſei - nem Geiſte widmet. Jmmer hoffte ich auf einen Anlaß, den man ihm geben wuͤr - de, uns allen etwas nuͤtzliches von den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, von guten Buͤ - chern, beſonders von der deutſchen Litera - tur zu ſagen, wodurch unſere Kenntniſſe und unſer Geſchmack haͤtte verbeſſert wer -den219den koͤnnen; aber wie ſehr, meine Emi - lia, fand ich mich in meiner Hoffnung be - trogen! Niemand dachte daran; die Ge - ſellſchaft dieſes feinen, guͤtigen Weiſen fuͤr den Geiſt zu benuͤtzen; man miß - brauchte ſeine Geduld uud Gefaͤlligkeit auf eine unzaͤhlbare Art mit geringſchaͤtzigen Gegenſtaͤnden, auf welchen der Kleinig - keitsgeiſt haftet, oder mit neu angekom - menen franzoͤſiſchen Broſchuͤren, wobey man ihm uͤbel nahm, wenn er nicht daruͤ - ber in Entzuͤckung gerieth, oder wenn er auch andre Sachen nicht ſo ſehr erhob, als man es haben wollte. O! wie geizte ich nach jeder Minute, die mir dieſer hochachtungswerthe Mann ſchenkte; wenn er mit dem liebreichſten, meiner Wißbe - gierde und Empfindſamkeit angemeßnen Tone meine Fragen beantwortete, oder mir vorzuͤgliche Buͤcher nannte, und mich lehrte, wie ich ſie mit Nutzen leſen koͤnne. Mit edler Freymuͤthigkeit ſagte er mir einſt: Ob ſich ſchon Faͤhigkeiten und Wiſſens - begierde in beynahe gleichem Grade in meiner Seele zeigten, ſo waͤre ich dochzu220 zu keiner Denkerin gebohren; hingegen koͤnnte ich zufrieden ſeyn, daß mich die Natur durch die gluͤcklichſte Anlage den eigentlichen Endzweck unſers Daſeyns zu erfuͤllen, dafuͤr entſchaͤdigt haͤtte; dieſer beſtehe eigentlich im Handel, nicht im Speculieren;*)Wohlverſtanden, daß die Speculationen der Gelehrten, ſo bald ſie einigen Nutzen fuͤr die menſchliche Geſellſchaft haben, eben dadurch den Werth von guten Handlungen bekommen. H. und da ich die Luͤcken, die andre in ihrem moraliſchen Leben und in dem Gebrauch ihrer Tage ma - chen, ſo leicht und fein empfaͤnde, ſo ſollte ich meine Betrachtungen daruͤber durch edle Handlungen, deren ich ſo faͤ - hig ſey, zu zeigen ſuchen. **)Herr** (den wir zu kennen die Ehre ha - ben) hat uns auf Befragen geſagt, ſeine Mey - nung ſey eigentlich dieſe geweſen: Er habe an dem Fraͤulein von St. eine gewiſſe Neigung uͤber moraliſche Dinge aus allgemeinen Grundſaͤtzen zu raiſonniren, Diſtinctionen zu machen, und ihren Gedanken eine Art von ſyſtematiſcher Form zugeben,

Niemals221

Niemals, meine Emilia, war ich gluͤck - licher, als zu der Zeit, da dieſer einſichts - volle Ausſpaͤher der kleinſten Falten des menſchlichen Herzens, dem meinigen das Zeugniß edler und tugendhafter Neigun - gen beylegte. Er verwies mir, mit der achtſamſten Guͤte, meine Zaghaftigkeit und Zuruͤckhaltung in Beurtheilung der Werke des Geiſtes, und ſchrieb mir eine rich - tige Empfindung zu, welche mich berech - tigte meine Gedanken ſo gut als andre zu ſagen. Doch bat er mich weder im Re - den noch im Schreiben einen maͤnnlichen Ton zu ſuchen. Er behauptete, daß es die Wirkung eines falſchen Geſchmacks ſey, maͤnnliche Eigenſchaften des Geiſtesund**)geben, wahrgenommen, und zugleich geſunden, daß ihr gerade dieſes am wenigſten gelingen wolle. Jhn habe beduͤnkt, das, worinn ihre Staͤrke liegt, ſey die Feinheit der Empfindung, der Beobach - tungsgeiſt, und eine wunderbare, und gleichſam zwiſchen allen ihren Seelenkraͤften abgeredete Ge - ſchaͤfftigkeit derſelben, bey jeder Gelegenheit die Guͤte ihres Herzens thaͤtig zu machen; und dieſes habe er eigentlich dem Fraͤulein von St. ſagen wollen. H.222und Charakters in einem Frauenzimmer vorzuͤglich zu loben. Wahr ſey es, daß wir uͤberhaupt gleiche Anſpruͤche, wie die Maͤnner, an alle Tugenden und an alle die Kenntniſſe haͤtten, welche die Ausuͤ - bung derſelben befoͤrdern, den Geiſt auf - klaͤren oder die Empfindungen und Sit - ten verſchoͤnern; aber daß immer in der Ausuͤbung davon die Verſchiedenheit des Geſchlechts bemerkt werden muͤſſe. Die Natur ſelbſt habe die Anweiſung hiezu ge - geben, als ſie, z. E. in der Leidenſchaft der Liebe den Mann heftig, die Frau zaͤrtlich gemacht; in Beleidigungen Jenen mit Zorn, Dieſe mit ruͤhrenden Thraͤnen bewaffnet; zu Geſchaͤfften und Wiſſenſchaf - ten dem maͤnnlichen Geiſte Staͤrke und Tiefſinn, dem weiblichen Geſchmeidigkeit und Anmuth; in Ungluͤcksfaͤllen dem Man - ne Standhaftigkeit und Muth, der Frau Geduld und Ergebung, vorzuͤglich mitge - theilt; im haͤuslichen Leben Jenem die Sorge fuͤr die Mittel der Familie zu er - halten, und Dieſer die ſchickliche Austhei - lung derſelben aufgetragen habe, u. ſ. w. Auf223Auf dieſe Weiſe, und wenn ein jeder Theil in ſeinem angewieſnen Kreiſe bliebe, lie - fen beyde in der nehmlichen Bahn, wie - wohl in zwoen verſchiedenen Linien, dem Endzweck ihrer Beſtimmung zu; oh - ne daß durch eine erzwungene Miſchung der Charakter die moraliſche Ordnung ge - ſtoͤrt wuͤrde. Er ſuchte mich mit mir ſelbſt und meinem Schickſale, uͤber wel - ches ich Klagen fuͤhrte, zufrieden zu ſtel - len; und lehrte mich, immer die ſchoͤne Seite einer Sache zu ſuchen, den Ein - druck der widrigen dadurch zu ſchwaͤ - chen, und auf dieſe nicht mehr Aufmerk - ſamkeit zu wenden, als vonnoͤthen ſey, den Reiz und Werth des Schoͤnen und Guten deſto lebhafter zu empfinden.

O Emilia! in dem Umgang dieſes Mannes ſind die beſten Tage meines Gei - ſtes verfloſſen! Es iſt etwas in mir, das mich empfinden laͤßt, daß ſie nicht mehr zuruͤck kommen werden, daß ich niemals ſo gluͤcklich ſeyn werde, nach meinen Wuͤnſchen und Neigungen, ſo einfach, ſo wenig fodernd ſie ſind, leben zu koͤnnen! Schelten224Schelten Sie mich nicht gleich wieder uͤber meine zaͤrtliche Kleinmuͤthigkeit; viel - leicht iſt die Abreiſe des Herrn** daran Urſache, die fuͤr mich eine abſcheuliche Leere in dieſem Hauſe laͤßt. Er kommt nur manchmal hieher. Wie Pilgrimme einen verfallenen Platz beſuchen, wo ehe - mals ein Heiliger wohnte, beſucht er die - ſes Haus, um noch den Schatten des großen Mannes zu verehren, der hier leb - te, deſſen großen Geiſt und erfahrne Weisheit er bewunderte, der ſein Freund war und ihn zu ſchaͤtzen wußte.

Den Tag nach ſeiner Abreiſe langte ein kleiner franzoͤſiſcher Schriftſteller an, den ein Mangel an Pariſer Gluͤck und die ſeltſame Schwachheit unſers Adels Die franzoͤſiſche Beleſenheit immer der Deutſchen vorzuziehen in dieſes Haus fuͤhrte. Die Damen machten viel Weſens aus der Geſellſchaft eines Mannes, der geraden Weges von Paris kam, viele Marquiſinnen ge - ſprochen hatte, und ganze Reihen von Abhandlungen uͤber Moden, Manierenund225und Zeitvertreiber der ſchoͤnen Pariſer Welt zu machen wußte; der bey allen Frauenzimmerarbeiten helfen konnte, und der galanten Wittib ſein Erſtaunen uͤber die Delicateſſe ihres Geiſtes und uͤber die Grazien ihrer Perſon und ihrer gar nicht deutſchen Seele in allen Toͤnen und Wendungen ſeiner Sprache vorſagte.

So angenehm es mir Anfangs war, ein Urbild der Gemaͤhlde zu ſehen, die mir ſchon oft in Buͤchern von dieſen Miethgei - ſtern der Reichen und Großen in Frank - reich vorgekommen waren; ſo wurde ich doch ſchon am vierten Tag ſeiner leeren, und nur in andern Worten wiederhohlten Erzaͤhlungen von Meubles, Putz, Gaſte - reyen und Geſellſchaften in Paris herzlich muͤde. Aber die Scene wechſelte bey der Ruͤckkunft des Herrn** der ſich die Muͤ - he nahm, dieſen aus Frankreich berufe - nen Hausgeiſt an den Platz ſeiner Beſtim - mung zu ſetzen.

Das Gepraͤnge, womit das ſclaviſche Vorurtheil, ſo unſer Adel fuͤr Frankreich hat, dem Herrn ** den Pariſer vorſtell -Pte;226te; das Gezier, die Selbſtzufriedenheit, womit der Franzoſe ſich als den Autor ſehr artiger und beliebter Buͤchergen an - preiſen hoͤrte, wuͤrde meine Emilia, wie mich, geaͤrgert haben.

Aber wie ſchoͤn leuchtete die Beſcheiden - heit unſers weiſen Landmanns hervor, der mit der Menſchenfreundlichkeit, womit der aͤchte Philoſoph die Thoren zu ertra - gen pflegt, den Eindruck verhehlte, den der fade bel-eſprit auf ihn machen mußte, ja ſogar ſich mit wahrer Herablaſſung erinnerte, eines von ſeinen Schriftchen ge - lefen zu haben.

Mir ſchien der ganze Vorgang, als ob ein armer Prahler mit laͤcherlichem Stolze den edeln Beſitzer einer Goldmine ein Stuͤckgen zackigt ausgeſchnittenes Flit - tergold zeigte, es zwiſchen ſeinen Fingern hin und her wendete, und ſich viel mit dem Geraͤuſche zu gute thaͤte, ſo er da - mit machen koͤnnte, und wozu freylich der Vorrath gediegenen Goldes des edelmuͤthi - gen Reichen nicht tauglich iſt; aber dieſer laͤchelte den Thoren mit ſeinem Spielwerkleutſelig227leutſelig an, und daͤchte, es ſchimmert und toͤnt ganz artig, aber du mußt es vor dem Feuer der Unterſuchung und dem Waſſer der Wiederwaͤrtigkeit*)Jch habe ſo viel Wahres und zugleich bem eigenthuͤmlichen Charakter des Geiſtes des Fraͤu - lein von St. ſo angemeſſenes in dieſem Gleichniſ - ſe gefunden, daß ich mich nicht entſchließen konn - te, etwas davon zu aͤndern, ungeachtet ich ſehr wohl empfinde, daß das Feuer der Unterſuchung und das Waſſer der Widerwaͤrtigkeit keine Gna - de vor der Critik finden koͤnnen, und wuͤrklich in Bunyans Pilgrimsreiſe beſſer an ihrem Platze ſind, als in dieſem Buche. H. bewahren, wenn dein Vergnuͤgen dauerhaft ſeyn ſoll.

Herr ** fragte den Bel-eſprit nach den großen Maͤnnern in Frankreich, de - ren Schriften er geleſen haͤtte und hoch - ſchaͤtzte: aber er kannte ſie, wie wir an - dern, nur dem Nahmen nach, und ſchob immer anſtatt eines Mannes von gelehr - ten Verdienſten, den Nahmen eines rei - chen oder großen Hauſes ein.

Jch, die ſchon lange uͤber den uͤbeln Gebrauch, den man von der GeſellſchaftP 2und228und Gefaͤlligkeit des Herrn ** machte, erboßt war, zumal da ihn dem ungeach - tet alle um ſich haben wollten, und mich wie neidiſchſumſende Weſpen hinderten, etwas Honig fuͤr mich zu ſammeln, auch nur den Pariſer immer reden machten: ich warf endlich die Frage auf: Was fuͤr einen Gebrauch die franzoͤſiſchen Damen von dem Umgang ihrer Gelehrten mach - ten? Jch vernahm aus der Antwort:

Sie lernten von ihnen

Die Schoͤnheiten der Sprache und des Ausdrucks;

Von allen Wiſſenſchaften eine Jdee zu haben, um hie und da etliche Worte in die Unterredung miſchen zu koͤnnen, die ihnen den Ruhm vieler Kenntniſſe er - haſchen haͤlfen:

Wenigſtens die Nahmen aller Schrif - ten zu wiſſen, und etwas das einem Ur - theil gleiche daruͤber zu ſagen;

Sie beſuchten auch mit ihnen die oͤf - fentlichen phyſicaliſchen Lehrſtunden, wo ſie ohne viele Muͤhe, ſehr nuͤtzliche Be - griffe ſammelten;

Jnglei -229

Jngleichem die Werkſtaͤtte der Kuͤnſt - ler, deren Genie fuͤr Pracht und Vergnuͤ - gen arbeitet, und alles dieſes truͤge viel dazu bey, ihre Unterredungen ſo ange - nehm und abwechſelnd zu machen.

Da fuͤhlte ich mit Unmuth die vor - zuͤgliche Klugheit der franzoͤſiſchen Eigen - liebe, die ſich in ſo edle nuͤtzliche Aus - wuͤchſe verbreitet. Jmmer genug, wenn man begierig iſt die Bluͤthe der Baͤume zu kennen; bald wird man auch den Wachs - thum und die Reife der Fruͤchte erforſchen wollen.

Wie viel hat dieſe Nation voraus, denn nichts wird ſchneller allgemein als der Geſchmack des Frauenzimmers.

Warum brachten ſeit ſo vielen Jahren die meiſten unſerer Cavaliere von ihren Pa - riſer Reiſen ihren Schweſtern und Ver - wandtinnen, unter tauſenderley verderb - lichen Modenachrichten, nicht auch dieſe mit, die alles andere verbeſſert haͤtte? Aber da ſie fuͤr ſich nichts als laͤcherliche und ſchaͤdliche Sachen ſammeln, wie ſoll -P 3ten230ten ſie das Anſtaͤndige und Nutzbare fuͤr uns ſuchen?

Jch berechnete noch uͤber dieß den Ge - winn, den ſelbſt das Genie des Gelehrten durch die Fragen der lehrbegierigen Un - wiſſenheit erhaͤlt, die ihn oft auf Betrach - tung und Nachdenken uͤber eine neue Sei - te gewiſſer Gegenſtaͤnde fuͤhrt, die er als gering uͤberſah, oder die, weil ſie allein an das Reich der Empfindungen graͤnzte, von einem Frauenzimmer eher bemerkt wurde, als von Maͤnnern. Gewiß iſt es, daß die Bemuͤhung, andre in einer Kunſt oder Wiſſenſchaft zu unterrichten, unſere Begriffe feiner, deutlicher und vollkomme - ner macht. Ja, ſogar des Schuͤlers verkehrte Art etwas zu faſſen, die einfaͤl - tigſten Fragen deſſelben, koͤnnen der An - laß zu großen und nuͤtzlichen Entdeckun - gen werden; wie dieſe von dem Gaͤrtner zu Florenz, uͤber die bey abwechſelnder Witterung bemerkte Erhoͤhung oder Er - niedrigung des Waſſers in ſeinem Brun - nen, die vortreffliche Erfindung des Ba - ronets veranlaßte. Aber ich komme zuweit231weit von dem liebenswuͤrdigen Deutſchen weg, deſſen feines und mit unendlichen Kenntniſſen bereichertes Genie in unſerer aus ſo verſchiednen Charaktern zuſammen geſetzten Geſellſchaft, moraliſche Schat - tierfarben zu ſeinen reizenden Ge - maͤhlden der Menſchen ſammelte. Er ſagte mir dieſes, als ich ſeine Herab - laſſung zu manchen nichtsbedeutenden Ge - ſpraͤchen lobte.

Mit Entzuͤckung lernte ich in ihm das Bild der aͤchten Freundſchaft kennen, da er mir von einem hochachtungswuͤrdigen Manne erzaͤhlte, der von dem ehemali - gen Beſitzer dieſes Hauſes erzogen wor - den, und als ein lebender Beweis der unzaͤhligen Faͤhigkeiten unſers Geiſtes anzufuͤhren ſey, weil er die Wiſſenſchaft des feinſten Staatsmannes mit aller Ge - lehrſamkeit des Philoſophen, des Phyſi - kers und des ſchoͤnen Geiſtes verbaͤnde, alle Werke der Kunſt gruͤndlich beurthei - len koͤnnte, die Staatsoͤkonomie und Landwirthſchaft in allen ihren Theilen verſtehe, verſchiedene Sprachen gut redeP 4 und232 und ſchreibe, ein Meiſter auf dem Cla - vier und ein Kenner aller ſchoͤnen Kuͤnſte ſey, und mit ſo vielen Vollkommenheiten des Geiſtes das edelſte Herz und den großen Charakter eines Menſchenfreun - des in ſeinem ganzen Umfang verbinde - te

Sie ſehen aus dieſem Gemaͤhlde, ob Herr ** Urſache hat, die Freundſchaft eines ſolchen Mannes, fuͤr das vorzuͤgli - che Gluͤck ſeines Lebens zu halten! Und Sie werden ſich mit mir uͤber die Ent - ſchließung freuen, welche er gefaßt hat, den aͤlteſten Sohn ſeines Freundes an den ſeit kurzem veraͤnderten Ort ſeiner Beſtim - mung mitzunehmen. Durch die halbe Laͤnge Deutſchlands von den Freunden ſeines Herzens entfernt, will er alle die Geſinnungen, die er fuͤr die Aeltern hat, auf das Haupt dieſes Knaben verſam - meln: ihn zu einem tugendhaften Mann erziehn, und dadurch, weit von ſeinen Freunden, die Verbindung ſeines Her - zens mit den ihrigen unterhalten. O Emilia! Was iſt Gold? Was ſind Ehren -ſtellen,233ſtellen, die die Fuͤrſten manchmal dem Verdienſte zutheilen, gegen dieſe Gabe der Freundſchaft des Herrn ** an den Sohn ſeiner gluͤcklichen Freunde? Wie ſehr ver - ehrt ihn mein Herz! Wie viele Wuͤnſche mache ich fuͤr ſeine Erhaltung! Und wie ſelig muͤſſen ſeine Abendſtunden, nach ſo edel ausgefuͤllten Tagen ſeyn!

Mein Brief iſt lang; aber meine Emi - lia hat eine Seele, die ſich mit Ergoͤtzen bey der Beſchreibung einer uͤbenden Tu - gend verweilt, und mir Dank dafuͤr weiß. Herr ** reiſte Abends weg, und wir, zu meinem Vergnuͤgen, den zweeten Morgen darauf. Denn jeder Platz des Hauſes und Gartens, wo ich ihn geſehen hatte, und jetzt mit Schmerzen vermißte, ſtuͤrzte mich in einen Abfall innerlicher Traurig - keit, die mir an unſerm Hof nicht ver - mindert wird. Doch ich will nach ſeinem Rath immer die ſchoͤne Seite meines Schickſals ſuchen, und Jhnen in Zukunft nur dieſe zeigen.

Nun muß ich mich zu einem Feſt an - ſchicken, welches Graf F* auf ſeinemP 5Landguth234Landguth geben wird. Jch liebe die auf - gehaͤuften Luſtbarkeiten nicht; aber man wird tanzen, und Sie wiſſen, daß ich von allen andern Ergoͤtzungen fuͤr dieſe die meiſte Neigung habe.

Milord Derby an ſeinen Freund B*.

Jch ſchreibe dir, um der Freude meines Herzens einen Ausbruch zu ſchaffen; denn hier darf ich ſie niemand zeigen. Aber es iſt luſtig zu ſehen, wie alle Anſtalten, die man dem Fuͤrſten zu Ehren macht, ſich nur alleine dazu ſchicken muͤſſen, das ſchoͤne ſchuͤchterne Voͤgelchen in mein verſtecktes Garn zu jagen. Der Graf F*, der den Oberjaͤgermeiſter in dieſer Gelegenheit macht, gab letzthin dem ganzen Adel auf ſeinem Guthe ein recht artig Feſtin, wo - bey wir alle in Bauerkleidungen erſchei - nen mußten.

Wir235

Wir kamen Nachmittags zuſammen, und unſre Bauerkleider machten eine ſchoͤ - ne Probe, was natuͤrlich edle, oder was nur erzwungene Anſtalten waren. Wie manchem unter uns fehlte nur die Grab - ſchaufel oder die Pflugſchare, um der Bauerknecht zu ſeyn, den er vorſtellte; und gewiß unter den Damen war auch mehr als eine, die mit einem Huͤhnerkorbe auf dem Kopfe, oder bey der Melkerey nicht das geringſte Merkmal einer beſon - dern Herkunft oder Erziehung behalten haͤtte. Jch war ein ſchottiſcher Bauer, und ſtellte den kuͤhnen entſchloßnen Cha - rakter, der den Hochlaͤndern eigen iſt, ganz natuͤrlich vor; und hatte das Ge - heimniß gefunden, ihn mit aller der Ele - ganz, die, wie du weiſt, mir eigen iſt, ohne Nachtheil meines angenommenen Charakters, zu verſchoͤnern. Aber dieſe Zauberin von Sternheim war in ihrer Verkleidung lauter Reiz und ſchoͤne Na - tur; alle ihre Zuͤge waren unſchuldige laͤndliche Freude; ihr Kleid von hell - blauem Tafft, mit ſchwarzen Streifen ein -gefaßt,236gefaßt, gab der ohnehin ſchlanken grie - chiſchen Bildung ihres Koͤrpers, ein noch feineres Anſehen, und den Beweis, daß ſie gar keinen erkuͤnſtelten Putz noͤthig ha - be. Alle ihre Wendungen waren mit Zauberkraͤften vereinigt, die das neidiſche Auge der Damen, und die begierigen Blicke aller Mannsleute an ſich hefteten. Jhre Haare ſchoͤn geflochten und mit Baͤn - dern zuruͤckgebunden, um nicht auf der Erde zu ſchleppen, gaben mir die Jdee, ſie einſt in der Geſtalt der miltoniſchen Eva zu ſehen, wenn ich ihr Adam ſeyn werde. Sie war munter, und ſprach mit allen Damen auf das Gefaͤlligſte. Jhre Tante und die Graͤfin F* uͤberhaͤuften ſie mit Liebkoſungen, ſie dachten dadurch das Maͤdchen in der muntern Laune zu er - halten, in welcher ſie ihre Gefaͤlligkeit auch auf den Fuͤrſten ausbreiten koͤnnte.

Seymour fuͤhlte die ganze Macht ihrer Reizungen, verbarg aber, nach der poli - tiſchen Verabredung mit ſeinem Oncle ſei - ne Liebe unter einem Anfall von Spleen, der den ſauertoͤpfiſchen Kerl, ſtumm undunruhig,237unruhig, bald unter dieſen, bald unter jenen Baum fuͤhrte, wohin ihm Fraͤulein C*, als ſeine Baͤuerin, wie ein Schatten folgte. Meine Leidenſchaft koſtete mich herculiſche Muͤhe, ſie im Zuͤgel zu halten; aber ſchweigen konnte ich nicht, ſondern haſchte jede Gelegenheit, wo ich an dem Fraͤulein von Sternheim vorbeygehen, und ihr auf engliſch etwas bewunderndes ſagen konnte. Aber etliche mal haͤtte ich ſie zerquetſchen moͤgen, da ihre Blicke, wiewohl nur auf das Fluͤchtigſte, mit al - ler Unruh der Liebe nach Seymour gerich - tet waren. Endlich entſchluͤpfte ſie un - ter dem Volke, und wir ſahen ſie auf die Thuͤre des Gartens vom Pfarrhofe zuei - len; man beredete ſich daruͤber, und ich blieb an der Ecke des kleinen Milchhauſes ſtehen, um ſie beym Zuruͤckkommen zu beobachten. Ehe eine Viertelſtunde vor - bey war, kam ſie heraus. Die ſchoͤnſte Carminfarbe, und der feinſte Ausdruck des Entzuͤckens war auf ihrem Geſicht verbreitet. Mit leutſeliger Guͤte dankte ſie fuͤr die Bemuͤhung etlicher Zuſeher, dieihr238ihr Platz geſchafft hatten. Niemals hatte ich ſie ſo ſchoͤn geſehen als in dieſem Augenblick! ſogar ihr Gang ſchien leichter und ange - nehmer als ſonſt. Jedermann hatte die Augen auf ſie gewandt; ſie ſah es; ſchlug die ihre zur Erden, und erroͤthete außer - ordentlich. Jn dem nehmlichen Augen - blick kam der Fuͤrſt auch mitten durch das Gedraͤnge des Volks aus dem Pfarrgar - ten heraus. Nun haͤtteſt du den Aus - druck des Argwohns und des boshaften Urtheils der Gedanken uͤber die Zuſammen - kunft der Sternheim mit dem Fuͤrſten ſe - hen ſollen, der auf einmal in jedem ſproͤ - den, coquetten und devoten Affengeſicht ſichtbar wurde; und die albernen Scherze der Mannsleute uͤber die Roͤthe, da ſie der Fuͤrſt mit Entzuͤcken betrachtete. Beydes wurde als ein Beweis ihrer ver - gnuͤgten Zuſammenkunft im Pfarrhaus aufgenommen, und alle ſagten ſich ins Ohr: wir feyren das Feſt der Uebergabe dieſer fuͤr unuͤberwindlich gehaltenen Schoͤ - nen. Die reizende Art, mit welcher ſie dem Fuͤrſten etwas Erfriſchung brachte;die239die Bewegung mit der er aufſtund, ihr entgegen gieng, und bald ihr Geſichte bald ihre Leibesgeſtalt mit verzehrenden Blicken anſah, und nachdem er den Sor - bet getrunken hatte, ihr den Teller weg - nahm, und den jungen F* gab, ſie aber neben ihn auf die Bank ſitzen machte; die Freude des Alten von F*, der Stolz ihres Onkels und ihrer Tante, der ſich ſchon recht ſichtbar zeigte, alles be - ſtaͤrkte unſre Muthmaßungen. Wuth nahm mich ein, und im erſten Anfall nahm ich Seymourn, der außer ſich war, beym Arm und redete mit ihm von dieſer Scene. Die heftigſte aͤußerſte Ver - achtung belebte ſeine Anmerkungen uͤber ihre vorgeſpiegelte Tugend, und die elen - de Aufopferung derſelben; uͤber die Frech - heit ſich vor dem ganzen Adel zum Schau - ſpiel zu machen, und die vergnuͤgteſte Miene dabey zu haben. Dieſer letzte Zug ſeines Tadels brachte mich zur Vernunft. Jch uͤberlegte, der Schritt waͤre in Wahr - heit zu frech und dabey zu dumm; die Scene des Wirthshauſes in F* fiel mirein;240ein; ein Zweifel, der ſich daruͤber bey mir erhob, machte mich meinen Will rufen. Jch verſprach ihm hundert Gui - neen, um die Wahrheit deſſen zu erfahren, was im Pfarrhauſe zwiſchen dem Fuͤrſten und der Sternheim vorgegangen. Jn einer Stunde, wovon mir jede Minute ein Jahr duͤnkte, kam er mit der Nach - richt, daß die Fraͤulein dem Fuͤrſten nicht geſehen, ſondern allein mit dem Pfarrer ge - ſprochen, und ihm zehn Carolinen fuͤr die Armen des Dorfs gegeben habe, mit der inſtaͤndigſten Bitte, ja niemand nichts davon zu ſagen. Der Fuͤrſt waͤre nach ihr gekommen, und haͤtte dem Adel von weitem zuſehen wollen, wie ſie ſich belu - ſtigten, ehe er komme, um ſie deſto unge - ſtoͤrter fortfahren zu machen.

Da ſtund ich und fluchte uͤber die Schwaͤrmerinn die uns zu Narren machte. Und dennoch war das Maͤdchen wuͤrklich edler als wir alle, die wir nun an unſer Vergnuͤgen dachten; waͤhrend ſie ihr Herz fuͤr die armen Einwohner des Dorfs er - oͤffnete, um einen der Freude gewiedmetenTag241Tag bis auf ſie auszudehnen. Was war aber ihre Belohnung davor? Die niedertraͤchtigſte Beurtheilung ihres Cha - rakters, wozu ſich das elendeſte Geſchoͤpf unter uns berechtigt zu ſeyn glaubte. Jn Wahrheit, eiue ſchoͤne Aufmunterung zur Tugend! Willſt du mir ſagen, daß die innerliche Zufriedenheit unſre wahre Belohnung ſey, ſo darf ich nur denken, daß juſt der Ausdruck dieſer Zufriedenheit auf dem Geſichte des engliſchen Maͤdchens, da es vom Pfarrhof zuruͤck kam, zu ei - nem Beweis ihres Fehlers gemacht wurde. Aber wie dankte ich meiner Begierde, die Sache ganz zu wiſſen, die mich berufenen Boͤſewicht zu der beſten Seele der ganzen Geſellſchaft machte; denn ich allein woll - te die Sache ergruͤnden, ehe ich ein feſtes Urtheil uͤber ſie faßte, und ſiehe, ich wur - de auf der Stelle fuͤr dieſe Tugend mit der Hoffnung belohnt, das liebenswerthe Ge - ſchoͤpfe ganz rein in meine Arme zu be - kommen; dann nun ſoll es nur ihr oder mein Tod verhindern koͤnnen; mein gan - zes Vermoͤgen und alle Kraͤfte meines Gei -Qſtes242ſtes, ſind zu Ausfuͤhrung dieſes Vorha - bens beſtimmt.

Mit triumphirendem Geſichte eilte ich zur Geſellſchaft, nachdem ich Willen verboten, keiner Seele nichts von ſeiner Entdeckung zu ſagen, und ihm noch hun - dert Guineen fuͤr ſein Schweigen verſpro - chen hatte. Du wirſt fodern, daß ich meine Entdeckung zum Beſten des Fraͤu - leins haͤtte mittheilen ſollen. Dann, meynſt du, waͤre mein Triumph edel ge - weſen! Sachte, mein guter Herr! ſachte! Jch konnte auf dem Weg der guten Hand - lungen nicht ſo eilend fortwandern, noch weniger gleich mein ganzes Vergnuͤgen aufopfern. Und wozu haͤtte meine Ent - deckung gedient, als des Fuͤrſten und meine Beſchwerlichkeiten zu vergroͤßern? Wie vielen Spaßes haͤtte ich mich beraubt, wenn ich die Unterredungen des vorigen Stoffs unterbrochen haͤtte? Denn indeß ich weg war, hatte eine mißverſtandne Antwort des Fuͤrſten die ganze Sache ins Reine gebracht. Denn da der Graf F. den Fuͤrſten gefragt: ob er das Fraͤuleinim243im Pfarrgarten geſehen habe? und der Fuͤrſt ihm ganz kurz mit Ja antwortete, und die Augen gleich nach ihr kehrte; da war der Vorgang gewiß; ja ſie war, weil man doch auch dem Pfarrer eine Rol - le dabey zu ſpielen geben wollte, zur lin - ken Hand vermaͤhlt, und viele bezeugten ihr ſchon beſondere Aufwartungen als der kuͤnftigen Gnaden Ausſpenderin. Der Graf F*, ſeine Frau, der Oncle und die Tante des Fraͤuleins fuͤhrten den Reihen dieſer wahnſinnigen Leute. Selbſt Mi - lord G. ſpielte die Rolle mit, ob ſie gleich etwas gezwungen bey ihm war. Aber Seymour, durch die Beleidigung ſeiner Liebe und der Vollkommenheit des Jdeals, das er ſich von ihr in den Kopf phanta - ſiert hatte, in einen unbiegſamen Zorn gebracht, konnte ſich kaum zu der ge - woͤhnlichen Hoͤflichkeit entſchließen, einen Menuet mit ihr zu tanzen; ſein froſtiges ſtoͤrriges Ausſehen, womit er die freund - lichſten Blicke ihrer ſchoͤnen Augen erwie - derte, machte endlich, daß ſie ihn nicht mehr anſah; aber goß zugleich eine Nie -Q 2derge -244dergeſchlagenheit uͤber ihr ganzes Weſen aus, welche die edle Anmuth ihres un - nachahmlichen Tanzes auf eine entzuͤcken - de Art vergroͤßerte. Jeder Vorzug, den ihm ihr Herz gab, machte mich raſend, aber verdoppelte meine Aufmerkſamkeit auf alles, was zu Erhaltung meines End - zwecks dienen konnte. Jch ſah, daß ſie die außerordentlichen Bemuͤhungen und Schmeicheleyen der Hofleute bemerkte, und Mißfallen daran hatte. Jch nahm die Partie, ihr lauter edle feine Ehrerbie - tung zu beweiſen; es gefiel ihr, und ſie redete in ſchoͤnem Engliſchen mit mir recht artig und aufgeweckt vom Tanzen, als der einzigen Ergoͤtzlichkeit, die ſie liebte. Da ich die Vollkommenheit ihrer Menuet lobte, wuͤnſchte ſie, daß ich dieſes von ihr bey den engliſchen Landtaͤnzen ſagen moͤchte, in denen ſie die ſchoͤne Miſchung von Froͤhlichkeit und Wohlſtand ruͤhmte, die der Taͤnzerinn keine Vergeſſenheit ihrer ſelbſt und dem Taͤnzer keine willkuͤhrliche Freyheiten mit ihr erlaubte; wie es bey den deutſchen Taͤnzen gewoͤhnlich ſey. Mein245Mein Vergnuͤgen uͤber dieſe kleine freund - ſchaftliche Unterredung wurde durch die Wahrnehmung des ſichtbaren Verdruſſes, den Seymour daruͤber hatte, unendlich vergroͤßert. Der Fuͤrſt, dem es auch nicht gefiel, naͤherte ſich uns, und ich entfern - te mich, um dem Grafen F* zu ſagen, daß das Fraͤulein gerne engliſch tanze. Gleich wurde die Muſik dazu angefangen, und jeder ſuchte ſeine Baͤuerin auf. Der junge F* als Compagnon des Fraͤuleins von Sternheim, ſtellte ſich in der halben Reyhe an; aber ſein Vater machte alle Paare zuruͤcktreten, um dem Fraͤulein den erſten Platz zu geben; die ihn mit Erſtau - nen annahm, und die Reihe mit der ſel - tenſten Geſchwindigkeit und vollkommen - ſten Anmuth durchtanzte Jch blieb bey der erſten Partie mit Fleiß zuruͤck, und gieng an der Reyhe mit Milord G. und dem Fuͤrſten auf und ab. Dieſer hatte kein Auge, als fuͤr Fraͤulein Sternheim und ſagte immer: tanzt ſie nicht wie ein Engel? Da nun Lord G. verſicherte, daß eine gebohrne Englaͤnderin, Schritt undQ 3Wen -246Wendungen nicht beſſer machen koͤnnte, ſo bekam der Fuͤrſt den Gedanken, das Fraͤulein ſollte mit einem Englaͤnder tan - zen. Jch trat in ein Fenſter, um zu war - ten, auf wem die Wahl kommen wuͤrde; als einige Ruhezeit vorbey war, erſuchte der Fuͤrſt das Fraͤulein um die Gefaͤllig - keit, noch mit der zweyten Reihe, aber mit einem von uns zween Englaͤndern zu tanzen. Eine ſchoͤne Verbeugung, und das Umſehen nach uns zeigte ihre Be - reitwilligkeit an. Wie zaͤrtlich ihr Blick den ſproͤden Seymourn auffoderte, dem es F* zuerſt, als Milord G. Nepoten, an - trug, und der es verbat. Die jaͤhe Er - roͤthung des Verdruſſes faͤrbte ihr Geſicht und ihre Bruſt; aber ſogleich war eine freundliche Miene fuͤr mich da, der ich mit ehrerbietiger Eilfertigkeit meine Hand anbot; aber dieſe Miene hielt mich nicht ſchadlos, und preßte mir den Gedanken ab: O Sternheim! eine ſolche Empfindung fuͤr mich haͤtte dir und der Tugend mein Herz auf ewig erworben! Die Bemuͤhung, dich andern zu entreiſſen, vermindert meineZaͤrtlich -247Zaͤrtlichkeit; Begierde und Rache bleiben mir allein uͤbrig. Mein aͤußerliches Anſehen ſagte nichts davon; ich war lau - ter Ehrfurcht. Sie tanzte vortrefflich, man ſchrieb es der Begierde zu, dem Fuͤr - ſten zu gefallen. Jch allein wußte, daß es eine Bemuͤhung ihrer beleidigten Eigen - liebe war, um den Seymour durch die Schoͤnheit und Munterkeit ihres Tanzes uͤber ſeine abſchlaͤgige Antwort zu ſtrafen. Und geſtraft war er auch! Sein Herz voll Verdruß war froh bey mir Klagen zu fuͤh - ren, und ſich ſelbſt zu verdammen, daß er, ungeachtet ſie alle ſeine Verachtung verdiente, ſich dennoch nicht erwehren koͤnnte, die zaͤrtlichſte Empfindlichkeit fuͤr ihre Reizungen zu fuͤhlen.

Warum haſt du denn nicht mit ihr getanzt?

Gott bewahre mich, ſagte er; ich waͤre gewiß unter dem Kampfe zwiſchen Liebe und Verachtung an ihrer Seite zu Boden geſunken. Jch lachte ihn aus, und ſagte; er ſollte lieben wie ich, ſo wuͤrde er mehr Vergnuͤgen davon haben, als ihm ſeineQ 4uͤber -248uͤbertriebene Jdeen jemals gewaͤhren wuͤrden.

Jch fuͤhle, daß du gluͤcklicher biſt, als ich, ſagte der Pinſel, aber ich kann mich nicht aͤndern. Verdammt ſey die Liebe, dacht ich, die dieſen und mich zu ſo elenden Hunden macht. Seymour, zwiſchen dem Schmerz der Verachtung fuͤr einen ange - beteten Gegenſtand, und allen Reizungen der Sinne herum getrieben, war ungluͤck - lich, weil er nichts von ihrer Unſchuld und Zaͤrtlichkeit wußte. Jch, der mei - ner Hochachtung und Liebe nicht entſagen konnte, war ein Spiel des Neides und der Begierde mich zu raͤchen, und genoß wenig Freude dabey, als dieſe, andern die ihrige ſicher zu zerſtoͤren, es folge dar - aus was da wolle. Arbeit habe ich! Denn ſo kuͤnſtlich und ſicher ich ſonſt meine Schlingen zu flechten wußte, ſo nuͤtzen mich doch meine vorigen Erfah - rungen bey ihr nichts, weil ſie ſo viele Entfernung von allen ſinnlichen Vergnuͤ - gungen hat. Bey einem Ball, wo bey - nahe alle Weibsperſonen Coquetten, undauch249auch die Beſten von der Begierde zu ge - fallen eingenommen ſind, haͤngt ſie der Uebung der Wohlthaͤtigkeit nach. Andre werden durch die Verſammlung vieler Leu - te und den Lermen eines Feſtes, durch die Pracht der Kleider und Verzierungen betaͤubt, durch die Muſik weichlich ge - macht, und durch alles zuſammen den Ver - fuͤhrungen der Sinnlichkeit bloß gegeben, Sie wird auch geruͤhrt, aber zum Mit - leiden fuͤr die Armen; und dieſe Bewe - gung iſt ſo ſtark, daß ſie Geſellſchaft und Freuden verlaͤßt, um ein Werk der Wohl - thaͤtigkeit auszuuͤben. Ha! wenn dieſe ſtarke und geſchaͤfftigte Empfindlichkeit ih - rer Seele zum Genuß des Vergnuͤgens umgeſtimmt ſeyn wird, und die erſten Toͤ - ne fuͤr mich klingen werden! dann, B., dann werde ich dir aus Erfahrung von der feinen Wolluſt erzaͤhlen koͤnnen, die Venus in Geſellſchaft der Muſen und Grazien ausgießt. Aber ich werde mich dazu vorbereiten muͤſſen. Wie Schwaͤrmer, die in den perſoͤnlichen Um - gang mit Geiſtern kommen wollen, eineQ 5Zeit -250Zeitlang mit Faſten und Beten zubringen; muß ich dieſer enthuſiaſtiſchen Seele zu ge - fallen, mich aller meiner bisherigen Ver - gnuͤgungen entwoͤhnen. Schon hat mir meine, von ungefehr entdeckte Wohlthaͤ - tigkeit an der Familie T* große Dienſte bey ihr gethan; nun muß ich ſie einmal in dieſem Hauſe uͤberraſchen. Sie geht manchmal hin, den Kindern Unterricht, und den Aeltern Troſt zu geben. Den - noch hat alle ihre Moral den Einfluß mei - ner Guineen nicht verhindern koͤnnen, durch die ich bey dieſen Leuten Gelegenheit finden werde, ſie zu ſehen, und einen Schritt zu ihrem Herzen zu machen; waͤh - rend, daß ich auf der andern Seite die magiſche Sympathie der Schwaͤrme - rey zu ſchwaͤchen ſuche, die in einem ein - zigen Augenblick zwiſchen ihr und Sey - mourn entſtehen koͤnnte, wenn ſie jemals einander im Umgang nahe genug kaͤmen, den ſogleich geſtimmten Ton ihrer Seelen zu hoͤren. Doch dem bin ich ziemlich zu - vor kommen, indem ſich Seymour juſt des Secretairs ſeines Oncles, der meinSclave251Sclave iſt, bedient, um Nachrichten ein - zuziehen, die dieſer bey mir hohlt, ohne mit mir zu reden. Denn wir ſchreiben uns nur, und ſtecken unſre Billets hinter ein alt Gemaͤhlde im obern Gang des Hauſes. Dieſer Juͤnger des Lucifers leiſtet mir vor - treffliche Dienſte. Doch muß ich Sey - mourn die Gerechtigkeit wiederfahren laſ - ſen, daß er uns die Muͤhe, ſo viel an ihm iſt, erleichtert. Er flieht die Sternheim wie eine Schlange, ungeachtet er ſich um alle ihre Bewegungen erkundigt; und dieſe werden durch die Farbe, welche ihnen meine Nachrichten geben, ſchielend und zweydeutig genug, um auf ſeinen ſchon eingenommenen Kopf alle Wuͤrkung zu machen, die ich wuͤnſche - Den Fuͤrſten fuͤrchte ich nicht; jeder Schritt, den er machen wird, entfernt ihn vom Ziel. Von allem, was Fuͤrſten geben koͤnnen, liebt ſie nichts. Das Maͤdchen macht eine ganz neue Gattung von Charak - ter aus!

Milord252

Milord Seymour an den Doctor B.

Jch bin ſeit vier Stunden von einem praͤchtigen und wohl ausgeſonnenen Feſte zuruͤckgekommen; und da ich ungeachtet der heftigen Bewegungen, die meine Le - bensgeiſter erlitten, keinen Schlaf finden kann, ſo will ich wenigſtens die Ruhe ſu - chen, welche eine Unterredung mit einem wuͤrdigen Freund einem bekuͤmmerten Herzen giebt. Warum, o mein theurer Lehrmeiſter, konnte Jhre erfahrne Weis - heit kein Mittel finden, meine Seele ge - gen die Heftigkeit guter Eindruͤcke zu be - waffnen, ſo wie Sie eins gefunden haben, mich gegen das Beyſpiel und die Aufmun - terung der Bosheit zu bewahren. Jch will Jhnen die Urſache erzaͤhlen; ſo wer - den Sie ſelbſt ſehen, wie gluͤcklich ich durch eine vernuͤnftige Gleichguͤltigkeit ge - worden waͤre.

Der erſte Miniſter des Hofs gab dem Adel, oder vielmehr der Fuͤrſt gab unterdem253dem Nahmen des Grafen F* dem Fraͤu - lein von Sternheim eine Fête auf dem Lande, welche die Nachahmung auf den hoͤchſten Grad der Gleichheit fuͤhrte, denn die Kleidungen, die Muſik, der Platz wo die Luſtbarkeit gegeben wurde, alles be - zeichnete das Landfeſt. Mitten auf einer Matte waren eigne Bauerhaͤnſer und ei - ne Tanzſcheure erbaut. Der Gedanke und die Ausfuͤhrung entzuͤckte mich, in den erſten zwo Stunden, da ich nichts als die Schoͤnheit des Feſtes und die alles uͤbertreffende Liebenswuͤrdigkeit des Fraͤu - leins von Sternheim vor mir ſah. Nie - mals, mein Freund, niemals wird das Bild der lautern Unſchuld, der reinen Freude wieder ſo vollkommen erſcheinen, als es dieſe zwo Stunden durch, in der edeln ſchoͤnen Figur von Sternheim abge - zeichnet war! Verdammt ſeyn die Kuͤnſte, welche es an ihr auszuloͤſchen wußten! Aber in einer Perſon von ſo vielem Geiſte, von einer ſo vortrefflichen Erziehung, muß der Wille dabey geweſen ſeyn; es war unmoͤglich ſie zu beruͤcken; unmoͤglichiſt254iſt es auch, daß es allein die Wuͤrkung ihrer von Muſik, Pracht und Geraͤuſch empoͤrten Sinnen geweſen ſey. Jch weiß wohl, daß man bey dieſen Umſtaͤnden un - vermerkt von der Bahn der moraliſchen Empfindungen abweicht und ſie aus dem Geſichte verliehrt. Aber da ſie die letzte Warnung ihres guten Genius verwarf, und wenige Minuten darauf der angeſtell - ten Unterredung mit dem Fuͤrſten entge - gen eilte, und ſich dadurch die Gering - ſchaͤtzung des Elendeſten unter uns zuzog: da hatte ich Muͤhe, den hohen Grad von Verachtung und Abſcheu, die mich gegen ſie einnahmen, zu verbergen. Jch muß Jhnen erklaͤren, was ich unter den letzten Wink ihres Genius verſtehe. Es war eine Bilderbude da, wo die Damen Lotteriezettel zogen; ſagen Sie, ob es wohl ein bloßes Ungefehr, oder nicht ein letzter Wink der Vorſicht war, daß das Fraͤulein von Sternheim die vom Apollo verfolgte Daphne bekam! Die Partie des Fuͤrſten ſah es nicht gerne; ſie dachte, es wuͤrde ihre Widerſpaͤnſtigkeit beſtaͤrken. Jhrgefiel255gefiel es, ſie wies es jedermann, und re - dete es als eine gute Kennerinn von der Zeichnung und Mahlerey. Meine Freu - de war nicht zu beſchreiben; ich hielt die Beſorgniſſe der Hofleute gegruͤndet, und die Freude des Fraͤuleins bekraͤftigte mich in der Jdee, daß ſie durch ihre Tugend eine neue fliehende Daphne ſeyn wuͤrde. Aber wie ſchmerzhaft, wie niedertraͤchtig hat mich nicht ihre Scheintugend betro - gen, da ſie ſich gleich darauf dem Apollo in die Arme warf! Jch ſah ſie mit ihrer ehrloſen Tante, und der Graͤfin F* eini - ge Zeit auf und abgehen; die zwo elenden Unterhaͤndlerinnen ſchmeichelten ihr in die Wette. Endlich merkte ich, daß ſie mit einer zaͤrtlichen und ſorgſamen Miene, bald die Geſellſchaft, bald die Thuͤre des Pfarrgartens anſah; und auf einmal mit dem leichteſten freudigſten Schritt durch die Zuſeher drang und in den Gar - ten eilte. Lang war ſie nicht darinn, aber ihr Hineingehen hatte ſchon Aufſehen erweckt. Wie vieles verurſachte erſt der Ausdruck von Zufriedenheit und Beſchaͤ -mung256nung, mit welchem ſie zuruͤck kam; da der Fuͤrſt bald nach ihr heraus trat, der ſein Vergnuͤgen uͤber ſie nicht verbergen konn - te, und ſeine Leidenſchaft in vollem Feuer zeigte. Mit wie viel niedertraͤchtiger Ge - faͤlligkeit bot ſie ihm Sorbet an, ſchwatzte mit ihm, tanzte ihm zu Liebe engliſch mit einem Eifer, den ſie ſonſt nur fuͤr die Tu - gend zeigte. Und wie reizend, o Gott, wie reizend war ſie! Wie unnachahmlich ihr Tanz; alle Grazien in ihr vereinigt, ſo wie es die Furien in meinem Herzen waren! denn ich fuͤhlte es von dem Ge - danken zerriſſen, daß ich, der ihre Tu - gend angebetet hatte, der ſie zu meiner Gemahlin gewuͤnſcht, ein Zeuge ſeyn mußte, wie ſie Ehre und Unſchuld aufgab, und im Angeſichte des Himmels und der Menſchen, ein triumphirendes Ausſehen dabey hatte. Unbegreiflich iſt mir eine Beobachtung uͤber mein Herz in dieſer Ge - legenheit. Sie wiſſen, wie heftig ich einſt eine unſerer Schauſpielerinnen liebte; ich wußte, daß ihre Gunſt zu erkaufen war, und daß ſie fuͤr ihr Herz ganz keine Ach -tung257tung verdiente. Jch hatte auch keine, und dennoch dauerte meine Leidenſchaft in ihrer ganzen Staͤrke fort. Jtzt hingegen verachte, verfluche ich dieſe Sternheim und ihr Bild. Jhre Reize und meine Liebe liegen noch in dem Grunde meiner Seele; aber ich haſſe beyde, und mich ſelbſt, daß ich zu ſchwach bin, ſie zu vernichten.

Mein Oncle redete mir im nach Hau - ſe fahren zu, wie ein Mann deſſen Leiden - ſchaften ſchon lange geſaͤttigt ſind, und der, wenn er als Miniſter zu Vergnuͤgung des Ehrgeizes ſeines Fuͤrſten tauſend Schlachtopfer fuͤr nichts achtet, natuͤrli - cher Weiſe die Aufopferung der Tugend eines Maͤdchens zu Befriedigung der Lei - denſchaft eines Großen fuͤr eine ſehr we - nig bedeutende Kleinigkeit anſehen muß. O waͤre ſie ein gemeines Maͤdchen mit Papageyen-Schoͤnheit und Papageyen - Verſtand geweſen, ſo koͤnnte ich es anſehen, wie Er! Aber die edelſte Seele, und Kenntniſſe zu beſitzen; an die Verehrung der ganzen Welt An - ſpruch zu haben, und ſich hinzuwerfen! RSie258Sie ſoll zur linken Hand vermaͤhlt wor - den ſeyn. Elende laͤcherliche Larve, eine verſtellte Tugend vor Schande ſicher zu ſtellen! Alle ſchmeichelten ihr; Sie, mein Freund, kennen mich genug, um zu wiſſen, ob ich es that. Jch werde nicht an den Hof gehen bis ich ruhiger bin; niemals liebte ich das Hofleben ganz, nun verabſcheue ich es! Die Reiſen mei - nes Oncles will ich aushalten; aber mei - ne Frau Mutter ſoll nicht fodern, daß ich Hofdienſte nehme, oder mich verheyrathe; das Fraͤulein von Sternheim hat mich beydem auf ewig entſagen gemacht. Derby, der ruchloſe Derby, verachtet ſie auch, aber er hilft ſie betaͤuben; denn er erzeigt ihr mehr Ehrerbietung als ſonſt; Der Boͤſewicht!

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Kommen Sie, meine Emilia, Sie ſollen auch einmal eine aufgeweckte Erzaͤhlungvon259von mir erhalten. Sie wiſſen, daß ich gerne tanze, und daß F* einen Bal geben wollte. Dieſer iſt nun vorbey, und ich war ſo vergnuͤgt dabey, daß das Anden - ken davon mir noch itzt angenehm iſt. Alle Anſtalten dieſes niedlichen Feſtins waren voͤllig nach meinem Geſchmack, nach meinen eigenſten Jdeen eingerichtet. Laͤndliche Einfalt und feine Hofkuͤnſte fan - den ſich ſo artig mit einander verwebt, daß man ſie nicht trennen konnte, ohne dem einen oder dem andern ſeine beſte Annehm - lichkeit zu rauben. Jch will verſuchen, ob eine Beſchreibung davon dieſe Vorſtel - lung bey Jhnen bekraͤftigen wird.

Der Graf F* wollte auf dem Guth, wo ſeine Gemahlin die Cur gebraucht, und die Beſuche des ganzen Adels empfangen hatte, zum Beweis ſeiner Freude uͤber das Wohlſeyn der Graͤfin und ſeines Danks fuͤr die ihr bewieſene Achtung, an dem nehmlichen Orte, eine Ergoͤtzung fuͤr uns alle anſtellen. Wir wurden acht Ta - ge voraus geladen, und gebeten, Paar weiſe in ſchoͤnen Bauerkleidungen zu er -R 2ſcheinen,260ſcheinen, weil er ein Landfeſt vorſtellen wollte. Der junge Graf F* ſein Nepote wurde in der Liſte ein Bauer und ich be - kam die Kleidung eines Alpen Maͤdchens; lichtblau und ſchwarz; die Form davon brachte meine Leibesgeſtalt in das vor - theilhafteſte Anſehen, ohne im geringſten geſucht oder gezwungen zu ſcheinen. Das feine ganz nachlaͤſſig aufgeſetzte Stroh - huͤtgen und meine ſimpel geflochtnen Haare machten meinem Geſicht Ehre. Sie wiſ - ſen, daß mir viele Liebe fuͤr die Einfalt und die ungekuͤnſtelten Tugenden des Landvolks eingefloͤßt worden iſt. Dieſe Neigung erneuerte ſich durch den An - blick meiner Kleidung. Mein edel ein - faͤltiger Putz ruͤhrte mich; er war meinem die Ruhe und die Natur liebenden Herzen noch angemeßner als meiner Figur, wie - wohl auch dieſe damals, in meinen Au - gen, im ſchoͤnſten Lichte ſtund. Als ich voͤllig angezogen den letzten Blick in den Spiegel warf und vergnuͤgt mit meinent laͤndlichen Anſehen war, machte ich den Wunſch, daß, wenn ich auch dieſe Klei -dung261dung wieder abgelegt haben wuͤrde, doch immer reine Unſchuld und unverfaͤlſchte Guͤte meines Herzens den Grund einer heitern wahren Freude in meiner Seele erhalten moͤchte! Mein Oncle, meine Tante, und der Graf F* hoͤrten nicht auf, mein zaͤrtliches und reizendes Ausſehen zu loben, und ſo kamen wir auf das Guth, wo wir in der halben Allee, die auf ſchoͤnen Wieſengrund gepflanzt iſt, abſtiegen, und gleich den Ton der Schal - may hoͤrten, verſchiedene Paare von arti - gen Bauren und Baͤuerinnen erblickten, und im Fortfahren, bald eine Maultrom - mel, bald eine kleine Landpfeiffe, oder ir - gend ein andres Jnſtrument dieſer Art, das voͤllige Landfeſt ankuͤndigen hoͤrten. Simpel gearbeitete hoͤlzerne Baͤnke waren zwiſchen den Baͤumen geſetzt, und zwey artige Bauerhaͤuſer an beiden Seiten der Allee erbaut, wo in Einem auf alle moͤgli - che Art zubereitete Milch und andre Erfri - ſchungen in kleinen porcelainen Schuͤſſel - chen bereit waren. Jedes hatte ſeinen hoͤlzernen Teller und ſeinen Loͤffel von Por -R 3celain.262celain. Unter der Thuͤre dieſes Hauſes war die Graͤfin F* als Wirthin gekleidet, und bewillkommte die Gaͤſte mit einer rei - zenden Gefaͤlligkeit. Alle Bedienten des Hauſes waren als Kellerjungen oder Schenkknechte, und auch die Muſicanten nach baͤueriſcher Art angezogen; auf ei - nem Platz waren Becker und Bilderkraͤ - mer, wo unſre Bauren uns hinfuͤhrten und eine Baͤuerin eine Prezel oder ſonſt ein Stuͤck aus feiner Paſtille gearbeitetes Brod bekam, welches der Bauer zerbrach und dann entweder ein Stuͤck Spitzen, Baͤnder oder andre artige Sachen darinn fand. Bey dem Bilderkraͤmer bekamen wir niedliche Miniatur-Gemaͤhlde zu ſe - hen, welche, wie aus einer Lotterie gezo - gen wurden. Jch bekam die vom Apollo verfolgte Daphne, ein feines niedliches Stuͤck; es ſchien auch, daß mich andere darum beneideten, weil es fuͤr das ſchoͤn - ſte gehalten wurde. Es duͤnke mich vie - lerley Veraͤnderungen und Ausdruͤcke auf den Geſichtern einiger Damen zu leſen, da ſie es anſahen.

Wie263

Wie der ganze Adel beyſammen war, wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri - ſchungeu bedienen zu helfen; unſre Geſchaͤff - tigkeit war artig zu ſehen; fuͤr eine fremde Perſon aber muͤßten die forſchenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern ſchickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Jch war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter deren Schatten ich eine Schuͤſſel Milch verzehrte, friſche Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein ſchoͤner Bach und wohl angebaute reiche Kornfel - der! Mir ſchien’s, als ob die unbegraͤnzte Ausſicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeiſtern und Empfindungen eine freyere Bewegung verſchaffte, ſie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthalts in den Mauren eines Pallaſtes voller gekuͤn - ſtelten Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange - bohrnes Element ſetzte. Jch redete auchR 4mehr264mehr und freudiger als ſonſt, und war von den erſten, die Reihentaͤnze zwiſchen den Baͤumen anfiengen. Dieſe zogen alle Einwohner des Dorfs aus ihren Huͤtten, um uns zuzuſehen. Nach eini - gem Herumhuͤpfen gieng ich mit meiner Tante und der Graͤfin F*, die mich ſehr lobten und liebkoſten, auf und ab; wo mir denn bald der froͤhliche und glaͤnzen - de Haufen von Landleuten, die wir vor - ſtellten, in die Augen fiel, bald auch der, welchen unſre Zuſeher ausmachten, dar - unter ich viele arme und kummerhafte Ge - ſtalten erblickte. Jch wurde durch dieſen Contraſt und das gutherzige Vergnuͤgen, womit ſie uns betrachteten, ſehr geruͤhrt, und ſo bald ich am wenigſten bemerkt wur - de, ſchluͤpfte ich in den Pfarrgarten, der ganz nahe an die Wieſe ſtoͤßt, wo wir tanzten; gab dem Pfarrer etwas fuͤr die Armen des Dorfs und gieng mit einem gluͤcklichen Herzen zuruͤck in die Geſell - ſchaft. Milord Derby ſchien auf meine Schritte gelauert zu haben; denn wie ich aus dem Pfarrgarten heraus trat, ſahich,265ich, daß er an dem einem Ende des Milchhauſes ſtand, und ſeine Augen un - verwandt auf die Thuͤre des Gartens ge - heftet hatte, mit forſchenden und feurigen Blicken ſah er mich an, gieng mir haſtig entgegen, um mir einige außerordentliche, ja gar verliebte Sachen uͤber meine Ge - ſtalt und Phyſionomie zu ſagen. Dieſes und die neugierige Art, womit mich alle an - ſahen, machte mich erroͤthen und die Au - gen zur Erde wenden; als ich ſie in die Hoͤ - he hob, war ich einem Baume, an welchen ſich Milord Seymour ganz traurig und zaͤrtlich ausſehend lehnte, ſo nahe, daß ich dachte, er muͤßte alles gehoͤret haben, was Milord Derby mir geſagt hatte. Jch weiß nicht ganz, warum mich dieſe Vorſtellung etwas verwirrte; aber be - ſtuͤrzt wurde ich, da ich alles aufſtehen und ſich in Ordnung ſtellen ſah, weil der Fuͤrſt eben aus dem Pfarrgarten kam. Der Gedanke, daß er mich da haͤtte an - treffen koͤnnen, machte mir eine Art Ent - ſetzen, ſo daß ich zu meiner Tante floh, gleich als ob ich fuͤrchtete allein zu ſeyn. R 5Aber266Aber meine innerliche Zufriedenheit half mir wieder zu meiner Faſſung, ſo daß ich dem Fuͤrſten meine Verbeugung ganz ge - laſſen machte. Er betrachtete und lobte meine Kleidung in ſehr lebhaften Aus - druͤcken. Die Graͤfin F*, welche mich noͤthigte ihm eine Schale Sorbet anzu - bieten, brachte mich in eine Verlegenheit, die mir ganz zuwider war; denn ich muß - te mich zu ihm auf die Bank ſetzen, wo er mir uͤber meine Perſon und zum Theil auch uͤber den uͤbrigen Adel, ich weiß nicht mehr was fuͤr wunderliches Zeug vorſag - te. Die meiſten fiengen an einſam ſpa - zieren zu gehen. Da ich ihnen mit Auf - merkſamkeit nachſahe, fragte mich der Fuͤrſt: Ob ich auch lieber herumgehen, als bey ihm ſeyn wollte? Jch ſagte ihm, ich daͤchte, es wuͤrden wieder Reihen getanzt und ich wuͤnſchte dabey zu ſeyn. Soglelch ſtund er auf, und begleitete mich zu den uͤbrigen. Jch dankte mir den Einfall, und mengte mich eilends unter den Hau - fen junger Leute, die alle beyſammen ſtun - den. Sie laͤchelten uͤber mein Eindrin -gen,267gen, waren aber ſehr hoͤflich, bis auf Fraͤu - lein C* die immer ganz muͤrriſch den Kopf nach einer Seite kehrte. Jch wandte mich auch hin, und erblickte Seymourn und Derby, die einander am Arm fuͤhrten und mit haſtigen Schritten, am Bach auf und nieder giengen. Jndeſſen wurde es etwas dunkel, und man lud uns zu dem Abend - eſſen, welches in der andern Bauerhuͤtte be - reit ſtund. Man blieb nicht lange bey Tiſche; denn alles eilte in den Tanzſaal, der in einer dazu aufgebaueten Scheuer verſteckt war. Niemand konnte uͤber das Ende der Tafel froher ſeyn, als ich; denn als die Ranglooſe gezogen wurden, ſetzte mich mein widriges Geſchicke gleich an den Fuͤrſten, der beſtaͤndig mit mir redte, und mich alle Augenblicke etwas koſten machte. Dieſer Vorzug des ungefaͤhr*)Wenige Leſer werden die Erinnerung beduͤr - fen, daß es der Unſchuld und Unerfahrenheit des Fraͤulein von St. in den Wegen der Welt, ganz natuͤrlich war, fuͤr eine Wuͤrkung des Zufalls zu halten, was Abſicht und Kunſt war. An Hoͤ - fen verſteht man keine Kunſt beſſer, als ungefaͤh -re zeigte mirdie268die Hofleute in einem neuen aber ſehr klei - nen Lichte; denn ihr Betragen gegen mich war, als ob ich eine große Wuͤrde erhal - ten haͤtte, und ſie ſich mir gefaͤllig ma - chen muͤßten. Es war niemand, der mir nicht irgend eine ſchickliche oder unſchickli - che Schmeicheley ſagte, den einzigen Sey - mour ansgenommen, welcher nichts redete. Sein Oncle G. und Milord Derby ſag - ten mir dagegen deſto feinere Hoͤflichkei - ten vor; beſonders hatte dieſer die gefaͤl - ligſte Ehrerbietigkeit in ſeinem ganzen Be - zeugen gegen mich. Er ſprach vom Tan - zen mit dem eigentlichen Ton, der fuͤr die - ſen Gegenſtand gehoͤrte, ſo daß er mir aufs neue Achtung fuͤr ſeine Talente und Bedauern uͤber die ſchlimme Verwendung derſelben einfloͤßte. Jch fand bey dem Tanzen, daß es nicht fuͤr alle vortheil - haft iſt, daß der Bal ſich mit Menuetten anfaͤngt, weil dieſer Tanz ſo viel Anmuth in der Wendung und ſo viel Nettigkeit desSchritts*)re Zufaͤlle zu machen, wenn die Abſicht iſt, die Leidenſchaften des Herrn auf eine feine Art zu befoͤrdern. H.269Schritts erfodert, daß es manchen Per - ſonen ſehr ſchwer fiel, dieſen Geſetzen Genuͤge zu leiſten. Der außerordentliche Beyfall, den ich erhielt, fuͤhrte mein Herz auf ein zaͤrtliches Andenken meiner theuren Aeltern zuruͤck, die unter andern liebrei - chen Bemuͤhungen fuͤr meine Erziehung, auch das fruͤhzeitige und oͤftere Tanzen betrieben, weil mein ſchnelles Wachſen eine große Figur verſprach, und mein Va - ter ſagte: daß der fruͤhe Unterricht im Tanzen einer großen Perſon am noͤthig - ſten ſey, um durch die Muſik ihre Bewe - gungen harmoniſch und angenehm zu ma - chen, indem es immer bemerkt worden ſey, daß die Grazien ſich leichter mit ei - ner Perſon von mittlerer Groͤße verbin - den, als mit einer von mehr als gewoͤhn - licher Laͤnge. Dieſes war die Urſache, warum ich alle Tage tanzen, und bey mei - nen Handarbeiten, wenn wir alleine wa - ren, eine Menuet-Arie fingen mußte, denn mein Vater behauptete, daß durch dieſe Uebung unvermerkt alle meine Wen - dungen natuͤrliche Grazien erhalten wuͤr -den.270den. Sollte ich alles Lob glauben, das man meinem Tanzen und Anſtand giebt, ſo ſind ſeine Vermuthungen alle eingetrof - fen; ſo wie ich ſeinen Ausſpruch uͤber den Vorzug der Anmuth vor der Schoͤnheit ganz wahr gefunden habe, weil ich geſe - hen, daß die holdſelige Miene der mit ſehr wenig Schoͤnheit begabten Graͤfin Zin *** ihr beynahe mehr Neiderinnen zuzog, als die Fraͤulein von B* mit ihrer Venus-Figur nicht hatte; und die Neide - rinnen waren ſelbſt unter der Zahl der Frauenzimmer von Verdienſten. Woher dieſes Emilia? Fuͤhlen etwan vernuͤnf - tige Perſonen den Vorzug der Anmuth vor der Schoͤnheit ſtaͤrker als andre, und wuͤnſchen ſie daher begieriger zu ihrem Ei - genthum? Oder kam dieſer Neid von der Beobachtung, daß die ganz anmuthsvolle Graͤfin Z *** die hochachtungswuͤrdigſte Mannsperſonen an ſich zog? Oder wagt die feine Eigenliebe eher einen Anfall auf Reize des Angenehmen, als auf die ganze Schoͤnheit, weil Jene nicht gleich von al - len Augen bemerkt werden, und der Man -gel271gel der aͤußerſten Vollkommenheit ſehr leicht mit dem Gedanken eines fehlerhaf - ten Charakters oder Verſtandes verbun - den wird, und alſo der Tadlerinn wohl noch den Ruhm eines ſcharfen Auges ge - beu kann, da hingegen die kleinſten Schmaͤhungen uͤber ein ſchoͤnes Frauen - zimmer von jedem Zuhoͤrer an die Rech - nung des Neides kommen? Edle und kluge Eigenliebe ſoll ſich immer die Gunſt der Huldgoͤttinnen wuͤnſchen, weil ſie ihre Geſchenke niemals zuruͤcknehmen, und weder Zeit noch Zufaͤlle uns derſelben be - rauben koͤnnen. Jch geſtehe ganz auf - richtig, daß wenn ich in den ſchoͤnen grie - chiſchen Zeiten geboren geweſen waͤre, ſo haͤtte ich meine beſten Opfer dem Tempel der Grazien geweiht. Aber, ich fehe meine Emilia, ich errathe, was ſie denkt; denn indem ſie dieſes Schreiben lieſt, fragt der Ausdruck ihrer Phyſionomie: War meine Freundin Sternheim ſo ganz fehlerfrey, weil ſie die von den andern ſo dreuſte bezeichnete? Neid mag ſie nicht gehabt haben, denn der Plan, dem ſich ihre272 ihre Eitelkeit nachzugehen vorgenommen hatte, meynt durch nichts geſtoͤrt worden zu ſeyn; der Dank fuͤr die Tanzuͤbungen in ihrer Erziehung zeigt es an; oft iſt es bloß ein großer Grad der Zufriedenheit mit ſich ſelbſt, was uns vom Neide frey macht, anſtatt, daß es die wahre Tu - gend thun ſollte.

Seyn Sie ruhig, meine liebe ſtrenge Freundin, ich empfinde, daß Sie recht haben; ich war eitel und ſehr mit mir zu - frieden; aber ich wurde dafuͤr geſtraft. Jch hielt mich fuͤr ganz liebenswuͤrdig, aber ich war es nicht in den Augen desje - nigen, bey dem ich es vorzuͤglich zu ſeyn wuͤnſchte. Jch befliß mich ſo ſehr gut engliſch zu tanzen, daß Miiord G. und Derby zu dem Fuͤrſten ſagten, eine ge - bohrne Englaͤnderin koͤnnte den Schritt, die Wendungen und den Takt nicht beſ - ſer treffen. Man bat mich, mit einem Englaͤnder eine Reihe durchzutanzen. Milord Seymour wurde dazu aufgefordert, und, Emilia! er ſchlug es aus; mit ei - ner ſo unfreundlichen, beynahe veraͤcht -lichen273lichen Miene, daß es mir eine ſchmerzli - che Empfindung gab. Mein Stolz ſuch - te dieſe Wunde zu verbinden; doch beru - higte mich ſein duͤſtres Bezeugen gegen alle Welt am allermeiſten; er redete mit gar niemand mehr, als mit ſeinem Oncle und Herrn Derby, welcher mit entzuͤckter Eilfertigkeit der Auſfoderung entgegen gieng. Jch ſuchte ihn auch dafuͤr durch mein beſtes Tanzen zu belohnen, und zu - gleich Seymourn durch meine Munterkeit zu zeigen, daß mich ſein Wider wille nicht ge - ruͤhrt habe. Sie kennen mich. Sie urthei - len gewiß, daß dieſer Augenblick nicht an - genehm fuͤr mich war; aber meine vorei - lige Neigung verdiente eine Strafe! War - um ließ ich mich durch die Lobreden der Liebhaberinn des Milord Seymour ſo ſehr zu ſeinem Beſten einnehmen, daß ich die Gerechtigkeit fuͤr andre daruͤber vergaß, und auf dem Wege war, die Achtung fuͤr mich ſelbſt zu vergeſſen? Aber ich habe ihm Dank, daß er mich zum Nachdenken und Ueberlegen zuruͤckfuͤhrte; ich bin nun ruhiger in mir ſelbſt, billiger fuͤr andre,Sund274und habe auch deswegen neue Urſache mit dieſem Feſte vergnuͤgt zu ſeyn. Jch habe fuͤr meinen Naͤchſten eine Pflicht der Wohl - thaͤtigkeit ausgeuͤbt, und fuͤr mich eine Lection der Klugheit gelernt, und nun hoffe ich, meine Emilia iſt mit mir zufrie - den, und liebt mich wie ſonſt.

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Nun habe ich den Brief, den mir die arme Madam T* auf dem Guthe des Gra - fen F* verſprochen, und worinn ſie mir die Urſachen ihres Elends erzaͤhlt; er iſt ſo weitlaͤuftig und auf ſo dichtes Papier geſchrieben, daß ich ihn nicht beyſchließen kann. Sie werden aber aus dem Ent - wurf meiner Antwort das meiſte davon ſehen, und einige Hauptzuͤge will ich hier bemerken.

Sie275

Sie iſt aus einer guten aber armen Raths-Familie entſproſſen; ihre Mutter war eine rechtſchaffene Frau und ſorgfaͤl - tige Hauswirthin, die ihre Toͤchter ſehr gering in Speiſe und Kleidung hielt, we - nig aus dem Hauſe gehen ließ, und zu be - ſtaͤndigen Arbeiten anſtrengte, auch ihnen immer von ihrem wenigen Vermoͤgen re - dete, welches die Hinderniß ſey, warum ſie und die ihrigen in Kleidung, Tiſch und uͤbrigem Aufwande andern, die reicher und gluͤcklicher waͤren, nicht gleich kaͤme. Die Kinder ließen ſichs, wiewohl ungern, gefallen. Die Mutter ſtirbt, der Rath T* wirbt um die zwote Tochter, und er - haͤlt ſie ſehr leicht, weil man wußte, daß er ein artiges Vermoͤgen von ſeinen Ael - tern ererbt hatte. Der junge Mann will ſeinen Reichthum zeigen, macht ſeiner Frau ſchoͤne Geſchenke, die Einrichtung ſeines Hauſes wird auch ſo gemacht, ſie geben Beſuche, laden Gaͤſte ein, und die - ſe werden nach der Art beguͤterter Leute bedient; ſie ziehen ſich dadurch eine Men - ge Tiſchfreunde zu, und die gute Frau,S 2welche276welche in ihrem Leben nichts als den Man - gel dieſer Gluͤckſeligkeiten des Reichthums gekannt hatte, uͤbergiebt ſich mit Freuden dem Genuß des Wohllebens, der Zer - ſtreuung in Geſellſchaften und dem Ver - gnuͤgen ſchoͤner und abwechſelnder Klei - dung. Sie bekoͤmmt Kinder; dieſe faͤngt man auch an ſtandesmaͤßig zu erziehen; und das Vermoͤgen wird aufgezehrt; man macht Schulden und fuͤhrt mit entlehn - tem Gelde den gewohntem Aufwand fort, bis die Summe ſo groß wird, daß die Glaͤubiger keine Geduld mehr haben und ſie mit ihren Mobilien und dem Hauſe ſelbſt die Bezahlung machen muͤſſen; und nun verſchwanden auch alle ihre Freunde. Die Gewohnheit eines guten Tiſches und die Liebe zu ſchoͤner Kleidung, nahm ih - nen das Uebrige. Das Einkommen von ſeinem Amte wurde in den erſten Monaten des Jahres verbraucht, in den andern fand ſich Mangel und Kummer ein; der Mann konnte ſeinen Stolz, die Frau ihre Liebe zur Gemaͤchlichkeit nicht vergnuͤgen; bey ihm fehlte der Wille, bey ihr die Klug -heit277heit ſich nach ihren Umſtaͤnden einzurich - ten; es wurden Wohlthaͤter geſucht; es fanden ſich einige; aber ihre Huͤlfe war nicht zureichend. Der Mann wurde un - muthig, machte den Leuten, welche ſeine Freunde geweſen, Vorwuͤrfe, beleidigte ſie, und ſie raͤchten ſich, indem ſie ihn ſeines Amts verluſtig machten. Nun war Verzweiflung und Elend in gleichem Maaß ihr Antheil; beydes wurde noch durch den Anblick von ſechs Kindern ver - groͤßert. Alle Verwandten hatten die Haͤnde abgezogen, und da ihr Elend ſie zu allerhand kleinen, oft niedertraͤchtigen Huͤlfsmitteln zwang, ſo wurden ſie endlich ein Gegenſtand der Verachtung und des Haſſes. Jn dieſem Zuſtande lernte ich ſie kennen, und bot ihnen meine Huͤlfe an. Geld, Kleidung und Leinengeraͤthe und andrer noͤthiger Hausrath, war der An - fang davon. Jch ſehe aber wohl, daß dieſes nicht hinreichend wird, wenn das Uebel nicht in der Wurzel gehoben, und ihre Denkensart von den falſchen Begrif - fen von Ehre und Gluͤck getheilt wird. S 3Jch278Jch habe einen Entwurf dazu gemacht, und ihren rechtſchaffenen Mann, den ein - ſichtvollen Herrn Br* bitte, ihn auszuar - beiten, und zu verbeſſern. Denn ich ſe - he wohl ein, daß die Erfahrung und das Nachdenken eines zwanzigjaͤhrigen Maͤd - chens nicht hinreichend iſt, die dieſer Fa - milie auf allen Seiten noͤthige Anweiſung zu einer richtigen Denkungsart zu ge - ben. Sie, meine Emilia, werden ſehen, daß meine Gedanken meiſtens Auszuͤge aus den Papieren meiner Erziehung ſind, die ich auf dieſen Fall anzupaſſen ſuchte. Es iſt fuͤr den Reichen ſchwer, dem Ar - men einen angenehmen Rath zu geben; denn dieſer wird den Ernſt des erſtern bey ſeinen moraliſchen Jdeen immer in Zwei - fel ziehen, und ſeine Ermahnungen zu Fleiß und Genuͤgſamkeit, als Kennzeichen annehmen, daß er ſeiner Wohlthaͤtigkeit muͤde ſey; und dieſer Gedanke wird alle gute Wuͤrkungen verhindern. Zwey Ta - ge von Zerſtreuung haben mein Schreiben, wo ich bey dem Rath T* ſtehen blieb, un - terbrochen. Wollte Gott, ich haͤtte ihnreich279reich machen koͤnnen, und haͤtte nur die Bitte zu dieſer Gabe ſetzen duͤrfen, ſie mit Klugheit zu brauchen. Das Wohlergehn dieſer Familie hat mich mehr gekoſtet, als wenn ich ihnen die Haͤlfte meines Vermoͤ - gens gegeben haͤtte. Jch habe ihr einen Theil meiner Denkungsart aufgeopfert; der Rath T* lag mir ſehr an, ihm durch meinen Oncle wieder ein Amt zu verſchaf - fen. Jch ſagte es dieſem, und er ant - wortete mir: er koͤnne die Gnade, welche er wieder anfange, bey dem Fuͤrſten zu ge - nießen, fuͤr niemand als ſeine Kinder ver - wenden, indem er ſeinen Familien-Pro - ceß zu gewinnen ſuchte. Jch war daruͤ - ber traurig, aber meine Tante ſagte mir: ich ſollte bey naͤchſter Gelegenheit ſelbſt mit dem Fuͤrſten ſprechen; ich wuͤrde fin - den, daß er gerne Gutes thue, wenn man ihm einen wuͤrdigen Gegenſtand da - zu zeigte, und ich wuͤrde gewiß keine Fehl - bitte thun. Nachmittags kamen der Graf F* und ſeine Gemahlin zu uns; mit dieſen beredete ich mich auch, und erſuchte beyde, ſich bey dem Fuͤrſten dieſerS 4armen280armen Familie wegen zu verwenden; aber auch ſie ſagten mir; weil es die erſte Gnade waͤre die ich mir ausbaͤte, ſo wuͤr - de ich ſie am leichteſten durch mich ſelbſt erhalten. Zudem wuͤrde er es, der Sel - tenheit wegen, zuſagen, weil ſich noch nie - mals eine junge muntere Dame mit ſo vielem Eifer um eine verungluͤckte Fami - lie angenommen habe, und dieſer neue Zug meines Charakters wuͤrde die Hoch - achtung vermehren, die er fuͤr mich zeigte. Jch wurde unmuthig keine Hand zu finden, die ſich mit der meinigen zu dieſem Werk der Wohlthaͤtigkeit vereinigen wollte; mit dem Fuͤrſten redete ich ſehr ungern, ich konnte auf ſeine Bereitwilligkeit zaͤhlen, denn ſeine Neigung fuͤr mich hatte ich ſchon deutlich genug geſehen, aber eben daher entſtund meine Unſchluͤßigkeit, ich wuͤnſchte immer in einer Entfernung von ihm zu bleiben, und meine Fuͤrbitte, ſeine Zuſage und mein Dank naͤhern mich ihm und ſeinen Lobſpruͤchen, nebſt den Erzaͤh - lungen, die er mir ſchon von neuen ihm bisher unbekannten Geſinnungen, die ich,ihm281ihm einfloͤßte, zweymal gemacht hat. Et - liche Tage kaͤmpfte ich mit mir, aber da ich den vierten Abend einen Beſuch in dem troſtloſen Hauſe machte, die Aeltern froh uͤber meine Gaben, das Haus aber noch leer von Nothduͤrftigkeiten und mit ſechs theils großen theils kleinen Kindern beſetzt ſahe, o da hieß ich meine Empfindlichkeit fuͤr meine Ruhe und Jdeen derjenigen wei - chen, welche mich zum Beſten dieſer Kin - der einnahm; ſollte die Delicateſſe meiner Eigenliebe nicht der Pflicht der Huͤlfe mei - nes nothleidenden Naͤchſten Platz machen, und der Widerwille, den mir die aufglim - mende Liebe des Fuͤrſten erreget, ſollte dieſer das Bild der Freude verdraͤngen, welche durch die Erhaltung eines Amts und Einkommens in dieſe Familie kommen wuͤrde. Jch war der Achtung gewiß, die er fuͤr denſelben haͤtte; und was dergleichen mehr war. Man hatte mich der Huͤlfe verſichert; mein Herz wußte, daß mir die Liebe des Fuͤrſten ohne meine Einwilligung nicht ſchaͤdlich ſeyn konnte; ich fuͤhrte alſo gleich den andern Tag meinen EntſchlußS 5aus,282aus, da wir bey der Prinzeſſin von W* im Concert waren, und ich meine Stim - me hoͤren laſſen mußte. Der Fuͤrſt ſchien entzuͤckt, und erſuchte mich einigemal mit ihm im Saal auf und abzugehen. Sie koͤnnen denken, daß er mir viel von der Schoͤnheit meiner Stimme und der Ge - ſchicklichkeit meiner Finger redete, und daß ich dieſem Lob einige beſcheidne Antworten entgegen ſetzte; aber da er den Wunſch machte, mir ſeine Hochachtung durch et - was anders als Worte beweiſen zu koͤn - nen; ſo ſagte ich, daß ich von ſeiner edeln und großmuͤthigen Denkungsart uͤber - zeugt waͤre, und mir daher die Freyheit naͤhme, ſeine Gnade fuͤr eine ungluͤckliche Familie zu erbitten, die der Huͤlfe ihres Landesvaters hoͤchſt beduͤrftig und wuͤrdig ſey.

Er blieb ſtille ſtehen, ſahe mich leb - haft und zaͤrtlich an: Sagen Sie mir, liebenswuͤrdiges Fraͤulein Sternheim: wer iſt dieſe Familie? was kann ich fuͤr ſie thun? Jch erzaͤhlte ihm kurz, deutlich und ſo ruͤhrend als ich konnte,das283das ganze Elend, in welchem ſich der Rath T* ſammt ſeinen Kindern befaͤn - den, und bat ihn um der letztern willen, Gnade und Nachſicht fuͤr den erſten zu ha - ben, der ſeine Unvorſichtigkeit ſchon lange durch ſeinen Kummer gebuͤßet haͤtte. Er verſprach mir alles Gute, lobte mich wegen meinem Eifer, und ſetzte hinzu, wie gerne er Ungluͤcklichen zu Huͤlfe kom - me; aber, da er wohl einſehe, daß die - jenigen, die ihn umgaͤben, immer zuerſt fuͤr ſich und die ihrigen beſorgt waͤren; ich wuͤrde ihm vieles Vergnuͤgen machen, wenn ich ihm noch mehr Gegenſtaͤnde ſei - ner Wohlthaͤtigkeit anzeigen wollte.

Jch verſicherte ihn, daß ich ſeine Gna - de nicht mißbrauchen wuͤrde, wiederhohl - te nochmals ganz kurz meine Bitte fuͤr die Familie T*.

Er nahm meine Hand, druͤckte ſie mit ſeinen beyden Haͤnden, und ſagte mit be - wegtem Ton: ich verſpreche Jhnen meine liebe, eifrige Fuͤrbitterin, daß alle Wuͤn - ſche ihres Herzens erfuͤllt werden ſollen,wenn284wenn ich erhalten kann, daß Sie gut fuͤr mich denken.

Dieſen Augenblick verwuͤnſchte ich bey nahe mein mitleidendes Herz und die Fa - milie T*; denn der Fuͤrſt ſah mich ſo be - deutend an, und da ich meine Hand weg - ziehen wollte, ſo hielt er ſie ſtaͤrker, und erhob ſie gegen ſeine Bruſt; Ja, wieder - hohlte er, alles werde ich anwenden, um Sie gut fuͤr mich denken zu machen.

Er ſagte dieſes laut und mit einem ſo feurigen und unruhvollen Ausdruck in ſei - nem Geſichte, daß ſich viele Augen nach uns wendeten, und mich ein kalter Schauer ankam. Jch riß meine Hand loß, und ſagte mit halb gebrochner Stim - me, daß ich nicht anders als gut von dem Fuͤrſten denken koͤnne, der ſo willig waͤre ſeinen ungluͤcklichen Landeskindern vaͤter - liche Gnade zu beweiſen; machte dabey eine große Verbeugung, und ſtellte mich mit etwas Verwirrung hinter den Stuhl meiner Tante. Der Fuͤrſt ſoll mir nachgeſehen und mit dem Finger gedroht haben. Mag er immer drohen; ich wer -de285de nicht mehr mit ihm ſpazieren gehen, und will meinen Dank fuͤr ſeine Wohlthat an T* nicht anders als mitten im Kreis ablegen, den man allezeit bey ſeinem Ein - tritt im Saal bey Hofe um ihn ſchließt.

Alle Geſichter waren mit Aufmerkſam - keit bezeichnet, und noch niemals hatte ich an den Spieltiſchen eine ſo allgemeine Klage uͤber zerſtreute Spieler und Spie - lerinnen gehoͤrt. Jch fuͤhlte, daß ihre Aufmerkſamkeit auf mich und den Fuͤrſten Urſache daran war, und konnte mich kaum von meiner Verwirrung erhohlen. Milord Derby ſah etwas traurig aus, und ſchien mich mit Verlegenheit zu be - trachten; er war in ein Fenſter gelehnt und ſeine Lippen bewegten ſich wie eines Menſchen, der ſtark mit ſich ſelbſt redet; er naͤherte ſich dem Spieltiſche meiner Tante juſt in dem Augenblick da ſie ſagte:

Sophie, du haſt gewiß mit dem Fuͤrſten fuͤr den armen Rath T* geſpro - chen; denn ich ſehe dir an, daß du be - wegt biſt.

Niemals286

Niemals war mir meine Tante lieber als dieſen Augenblick, da ſie meinen Wunſch erfuͤllte, daß alle wiſſen moͤchten, was der Jnnhalt meines Geſpraͤchs mit dem Fuͤrſten geweſen ſey. Jch ſagte auch ganz munter: er haͤtte meine Bitte in Gnaden angehoͤrt und zugeſagt. Die Duͤſternheit des Milords Derby verlohr ſich und blieb nur nachdenkend, aber ganz heiter, und die uͤbrigen zeigten mir ihren Beyfall uͤber meine Fuͤrbitte mit Worten und Gebehrden. Aber was denken Sie, meine Emilia, wie mir war, als ich nach der Geſellſchaft mich nur auszog und ei - nen Augenblick mit meiner Roſine in ei - nem Tragſeſſel mich zum Rath T* bringen ließ, der gar nicht weit von uns wohnt; ich wollte den guten Leuten eine vergnuͤgte Ruhe verſchaffen, indem ich ihnen die Gnade des Fuͤrſten verſicherte. Jch hatte mich nahe an das Fenſter, welches in ei - ne kleine Gaſſe gegen einen Garten geht, geſetzt. Aeltern und Kinder waren um mich verſammelt; der Rath T* hatte auf mein Zureden neben mir auf der BankPlatz287Platz genommen, und ich zog die Frau mit meiner Hand an mich, indem ich bey - den ſagte: Bald, meine lieben Freunde, werde ich ſie mit einem vergnuͤgten Ge - ſichte ſehen, denn der Fuͤrſt hat dem Herrn Rath ein Amt und andre Huͤlfe ver - ſprochen.

Die Frau und die zwey aͤlteſten Kinder knieten vor mich hin, mit Ausrufung voll Freude[und]Danks. Jm nehmlichen Au - genblick pochte jemand an den Fenſterla - den; Der Rath T * machte das Fenſter und den Laden auf, und es flog ein Pa - quet mit Geld herein, das ziemlich ſchwer auffiel, und uns alle beſtuͤrzt machte. Eilends naͤherte ich meinen Kopf dem Fen - ſter und hoͤrte ganz deutlich die Stimme des Milords Derby, der auf engliſch ſag - te: Gott ſey Dank, ich habe etwas Gu - tes gethan, mag man mich wegen meiner Luſtigkeit immer fuͤr einen Boͤſewicht halten!

Jch bekenne, daß mich ſeine Handlung und ſeine Rede in der Seele bewegte, und mein erſter Gedanke war: Vielleicht iſtMilord288Milord Seymour nicht ſo gut als er ſcheint, und Derby nicht ſo ſchlimm als von ihm gedacht wird. Die Frau T * war an die Hausthuͤre geloffen und rief: Wer ſind Sie? Aber er eilte davon wie ein fliehender Vogel. Das Paquet wur - de aufgemacht und funfzig Carolinen dar - inn gefunden. Urtheilen Sie von der Freude, die daruͤber entſtand. Aeltern und Kinder weinten und druͤckten ſich wech - ſelsweiſe die Haͤnde; wenig fehlte, daß ſie nicht das Geld kuͤßten und an ihr Herz druͤckten. Da ſah ich den Unterſchied zwiſchen der Wirkung, welche die Hoffnung eines Gluͤcks und der, die der wuͤrliche Beſitz deſſelben macht. Die Freude uͤber das verſprochene Amt war groß, doch deut - lich mit Furcht und Mißtrauen vermengt; aber funfzig Carolinen, die man in die Haͤn - de faßte, zaͤhlte, und ihrer ſicher war, brachten alle in Entzuͤckung. Sie fragten mich; was ſie mit dem Gelde anfangen ſollten? Jch ſagte zaͤrtlich: meine lieben Freunde, gebrauchen ſie es ſo ſorgfaͤltig, als wenn ſie es mit vieler Muͤhe erwor -ben289ben haͤtten, und als ob es der ganze Reſt ihres Gluͤcks waͤre; denn wir wiſſen noch nicht, wann oder wie der Fuͤrſt fuͤr ſie ſorgen wird. Jch gieng ſodann nach Hauſe und war mit meinem Tage ver - gnuͤgt.

Jch hatte durch meine Fuͤrbitte die Pflicht der Menſchenliebe ausgeuͤbt und den Fuͤrſten zu einer Ausgabe der Wohlthaͤtig - keit gebracht, wie ihn andre zu Ausgaben von Wolluſt und Ueppigkeit verleiteten. Jch hatte die Herzen troſtloſer Perſonen mit Freude erfuͤllt, und das Vergnuͤgen genoſſen, von einem fuͤr ſehr boshaft ge - haltenen Mann, eine edle und gute Hand - lung zu ſehen. Denn wie ſchnell hat Milord D. die Gelegenheit ergriffen, Gu - tes zu thun? An dem Spieltiſche meiner Tante hoͤrt er ungefaͤhr von einem mitlei - denswuͤrdigen Hauſe reden, und erkundigt ſich gleich mit ſo vielem Eifer darnach, daß er noch den nehmlichen Abend eine ſo freygebige, wahrhaftig englaͤndiſche Huͤl - fe leiſtet.

TEr290

Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre, ſondern zu Hauſe an der Tafel ſitzen wuͤr - de, ſonſt ſollte er nicht engliſch geredet haben. Jn Geſellſchaften hoͤrte ich ihn ofte gute Geſinnungen aͤußern; aber ich hielte ſie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ - ſewichts; allein die freye, allen Men - ſchen unbekannte Handlung kann unmoͤg - lich Heucheley ſeyn. O moͤchte er einen Geſchmack an der Tugend finden, und ihr ſeine Kenntniſſe weyhen! Er wuͤrde ei - ner der hochachtungswuͤrdigſten Maͤnner werden.

Jch kann mich nun nicht verhindern ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil er ſie verdient. Seinen feinen Schmeiche - leyen, ſeinen Witz und der Ehrerbietung, die er mir beweiſt, haͤtte ich ſie niemals gegeben. Es kann oft geſchehen, daß aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar - tung, und vielleicht die ſtaͤrkſte Leidenſchaft des groͤßten Boͤſewichts zuzieht. Aber wie verachtungswerth iſt ein Frauenzim - mer, die einen Gefallen daran bezeugt,und291und ſich wegen dieſem armen Vergnuͤgen ihrer Eigenliebe zu einer Art von Dank verbunden haͤlt. Nein! niemand als der Hochachtungswuͤrdige ſoll hoͤren, daß ich ihn hochſchaͤtze. Zu meiner Hoͤflichkeit iſt die ganze Welt berechtigt; aber beſſere Ge - ſinnungen muͤſſen durch Tugenden erwor - ben werdeu.

Nun glaube ich aber noͤthig zu ſagen, daß mein ganzer Plan fuͤr die Familie T * umgearbeitet werden muͤſſe, wenn ſie ein ſicheres Einkommen erhalten. Jch uͤber - laſſe es Jhrem gutdenkenden und aller Claſſen der Moral und Klugheit kundigen Manne, dieſen Plan brauchbar zu ma - chen. Jch bitte Sie aber bald darum. Und da meine Augen vor Schlaf zufallen, wuͤnſche ich Jhnen, meine theure Emilia, gute Nacht.

T 2Fraͤulein292

Fraͤulein von Sternheim an Frau T *.

Jch danke Jhnen, werthe Madam T * fuͤr das Vergnuͤgen, welches Sie mir durch ihre Offenherzigkeit gemacht haben; ich verſichre Sie dagegen meiner wahren Freundſchaft und eines unermuͤdeten Ei - fers Jhnen zu dienen.

Sie wiſſen von meinem letzten Beſuch, daß das Verlangen des Herrn T* nach einem Amte, durch die gnaͤdigen Geſin - nungen ihres Fuͤrſten zufrieden geſtellt wird. Sie kennen meine Freude uͤber den Gedanken, Sie bald aus dem ſorgen - vollen Stande gezogen zu ſehen, in wel - chem Sie ſchmachten. Darf ich Jhnen aber auch ſagen, daß dieſe Freude mit dem Wunſch begleitet iſt: Daß ſie ſich bemuͤhen moͤchten, Jhren kuͤnftigen Wohl - ſtand fuͤr Sie und Jhre Kinder dauer - haft zu machen. Die Vergleichung ihres vorigen Wohlſtandes und der kum - mervollen Jahre, die darauf erfolgten,koͤnnte293koͤnnte die Grundlage eines Plans werden, den Sie itzt mit Jhren Kindern befolgten. Die Geſchenke des Lord Derby haben Sie in den Stand geſetzt, ſich mit Kleidung und Hausgeraͤthe zu beſorgen, ſo daß das Einkommen ihres Amts, ganz rein zu Unterhaltung und Erziehung ihrer Kin - der gewiedmet werden kann.

Jch trauete meinen jungen Einſichten nicht zu, den Entwurf eines ſolchen Plans zu machen, und habe einen Freund geiſt - lichen Standes darum gebeten, der mir folgendes zuſchrieb.

Bey den drey aͤltern Kindern iſt (wie ich aus der Nachricht erſehe) der Verſtand und die Empfindung reif genug, um jene Vergleichung in ihrer Staͤrke und Nutz - barkeit einzuſehen. Wenn Sie Jhnen ſodann die Berechnung ihres Einkommens und der noͤthigen Ausgaben machen, wer - den Sie ſich gerne nach ihrem Plan fuͤh - ren laſſen. Sagen Sie Jhnen alsdann:

Gott habe zwo Gattungen Gluͤckſelig - keit fuͤr uns beſtimmt, wovon die erſte ewig fuͤr unſre Seele verheißen iſt, undT 3deren294deren wir uns durch die Tugend wuͤrdig machen muͤſſen*)Der Herausgeber uͤberlaßt dem Herrn Pfar - rer, von welchem dieſe Diſtincrion herruͤhren ſoll, die Rechtfertigung derſelben. Seiner Meynung nach, welche nichts Neues iſt, laͤßt ſich auch in dieſem Leben weder oͤffentliche noch Privat - Gluͤckſeligkeit ohne Tugend denken; und nach den Grundſaͤtzen der Offenbarung gehoͤrt noch et - was mehr als nur Tugend zur Erlangung der ewi - gen Gluͤckſeligkeit. H. Die zwote geht unſer Leben auf dieſer Erde an. Dieſe koͤnnen wir durch Klugheit und Kenntniſſe erhal - ten. Reden Sie Jhnen von der Ordnung, die Gott unter den Menſchen durch die Verſchiedenheit der Staͤnde eingeſetzt hat. Zeigen Sie Jhnen die Hoͤhere und Reichere, aber auch die Aermere und Niedrigere als Sie ſind. Reden Sie von den Vortheilen und Laſten, die jede Claſſe hat, und lenken Sie alsdenn ihre Kinder zu einer ehrerbietigen Zufrieden - heit mit ihrem Schoͤpfer, der ſie durch die Aeltern, die er ihnen gab, zu einem ge - wiſſen Stande beſtimmte, und ihnen dar -inn295inn ein eignes Maaß beſondrer Pflichten zu erfuͤllen auflegte; ſagen Sie ihnen, zu den Pflichten der Tugend und der Reli - gion ſey der Fuͤrſt wie der Geringſte unter den Menſchen verbunden.

Der erſte Rang des Privatſtandes ha - be die edle Pflicht, durch nuͤtzliche Kennt - niſſe und Gelehrſamkeit, auf den verſchie - denen Stufen oͤffentlicher Bedienungen, oder in der hoͤhern Claſſe des Kaufmanns - ſtandes dem gemeinen Weſen nuͤtzlich zu ſeyn.

Von dieſem Begriffe machen Sie die Anwendung, daß Jhre Soͤhne durch den Stand des Herrn Rath T * in den erſten Gang der Privatperſonen gehoͤren, dar - inn ſie, nach Erfuͤllung der Pflichten fuͤr ihr ewiges Wohl, auch denen nachkom - men muͤſſen, ihre Faͤhigkeiten des Geiſtes durch Fleiß im Lernen und Studiren ſo anzubauen, daß ſie einſt als geſchickte und rechtſchaffene Maͤnner ihren Platz in der Geſellſchaft einnehmen koͤnnten. Der Urſprung des Adels waͤre kein beſonderes Geſchenk der Vorſicht, ſondern die Beloh -T 4nung296nung der zum Nutzen des Vaterlandes ausgeuͤbten vorzuͤglichen Tugenden und Talente geweſen. Der Reichthum ſey die Frucht des unermuͤdeten Fleißes und der Geſchicklichkeit; es ſtuͤnde bey ihnen, ſich auch auf dieſe Art vor andern ihres glei - chen zu zeigen, weil Tugend und Talente noch immer die Grundſteine der Ehre und des Gluͤcks ſeyn.

Jhren Toͤchtern ſollen Sie ſagen, daß ſie neben den Tugenden der Religion auch die Eigenſchaften edelgeſinnter liebens - wuͤrdiger Frauenzimmer beſitzen muͤſſen, und daß ſie dieſes ohne großen Reichthum werden und bleiben koͤnnten.

Unſer Herz und Verſtand ſind dem Schickſal nicht unterworfen. Wir koͤnnen ohne eine adeliche Geburt edle Seelen, und ohne großen Rang, einen großen Geiſt haben; ohne Reichthum gluͤcklich und ver - gnuͤgt, und ohne koſtbaren Putz durch unſer Herz, unſern Verſtand und unſre perſoͤnliche Annehmlichkeiten ſehr liebens - wuͤrdig ſeyn, und alſo durch gute Eigen - ſchaften die Hochachtung unſrer Zeitgenoſ -ſen297ſen als die erſte und ſicherſte Stufe zu Eh - re und Gluͤck erlangen.

Dann ſagen Sie ihnen ihre Einkuͤnfte und die Anwendung, die ſie davon, nach den Pflichten fuͤr die Beduͤrfniſſe ihres Koͤrpers in Nahrung und Kleider, fuͤr die Beduͤrfniſſe ihres Geiſtes und Ver - gnuͤgens an Lehrmeiſtern, Buͤchern und Geſellſchaften machen wollten. Nen - nen Sie auch den zuruͤcklegenden Pfen - nig als eine Pflicht der Klugheit fuͤr kuͤnf - tige Zufaͤlle.

Wir brauchen Nahrung, um die Kraͤfte unſers Koͤrpers zu unterhalten. Und die - ſen Endzweck der Natur koͤnnen wir durch die ſimpelſten Speiſen am leichteſten er - reichen. Dieſe werden von dem kleinen Einkommen nicht zu viel wegnehmen, und wir folgen dadurch der Stimme der Na - tur fuͤr unſre Geſundheit, und geben zu - gleich unſerm Schickſal nach, welches uns die Ausſchweifungen unſrer Einbildung ohnehin nicht erlaubte. Und da der Rei - che nach dem ſchwelgeriſchen Genuß des Ueberfluſſes ſeine Zuflucht zu einfachenT 5Speiſen298Speiſen und Waſſer nehmen muß, um ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen, war - um ſollten wir uns beklagen, weil wir durch unſer Verhaͤngniß gezwungen ſind in geſunden Tagen den einfachen Foderun - gen der Natur gemaͤß zu leben? Kleider, haben wir zur Bedeckung und zum Schutz gegen die Anfaͤlle der Witterung noͤthig; dieſen Dienſt erhalten wir, von den ge - ringen und wohlfeilen Zeugen, wie von den koſtbaren. Die meinem Geſichte an - ſtaͤndige Farbe und die Schoͤnheit der Form muß bey dem erſten wie bey dem letzten geſucht werden; habe ich dieſe, ſo habe ich die erſte Zierde des Kleides. Ein edler Gang, eine gute Stellung, die Bildung, ſo mir die Natur gab, koͤnnen meinem netten einfachen Putz ein Anſehen geben, das der Reiche bey alle ſeinem Aufwand nicht allezeit erhaͤlt; und bey Vernuͤnftigen wird mir meine Maͤßigung eben ſo viel Ehre machen, als der Reiche in dem Wechſel ſeiner Pracht immer fin - den kann.

Muͤſſen299

Muͤſſen wir in unſerm Hausgeraͤthe den Mangel vieles Schoͤnen und Gemaͤch - lichen ertragen, ſo wollen wir in dem hoͤchſten Grade der Reinlichkeit den Er - ſatz des Koſtbaren ſuchen, und uns ge - woͤhnen, wie der weiſe Araber, froh zu ſeyn, daß wir zu unſerm Gluͤck den Ue - ber[fl] nicht noͤthig haben. Und wie edel koͤnnen einſt die Toͤchter des Herrn Raths die Wuͤrde ihres Hauſes zieren, wenn die Zimmer mit ſchoͤnen Zeichnun - gen, die Stuͤhle und Ruhebaͤnke mit Ta - petenarbeit von ihren geſchickten Haͤnden bekleidet ſeyn werden! Sollten Sie nach dieſer edelmuͤthigen Ergebenheit in ihr Schickſal, durch den Anblick des Rei - chen, in eine traurige Vergleichung zwi - ſchen ihren und ſeinen Umſtaͤnden verfal - len ſo halten Sie ſich nicht bloß an die Jdee des Vergnuͤgens, das der Reiche in ſeiner Pracht und Wolluſt genießt, ſondern wen - den Sie Jhre Gedanken auf den Nutzen, den Kaufleute, Kuͤnſtler und Hand - arbeiter davon haben; denn bey dem erſten Gedanken fuͤhlen Sie nichts als Schmer -zen300zen der Unzufriedenheit mit Jhrem Ge - ſchicke, welches Sie alle dieſer Freuden beraubte; aber bey der zweyten Betrach - tung empfinden Sie das Vergnuͤgen einer edeln Seele, die ſich uͤber das Wohl ihres Naͤchſten erfreut, und je kleiner Jhr Antheil an allgemeinem Gluͤck iſt, deſto edler iſt Jhre Freude.

Pruͤfen Sie das Maaß der Faͤhigkeiten Jhrer Kinder, laſſen Sie keines unbe - bauet, und ſo beſcheiden ſie in Kleidung und anderm Aufwand von Perſonen Jhres Standes ſeyn moͤgen, ſo verwenden Sie alles auf die Erziehung. Zeichnen, Mu - ſik, Sprachen, alle ſchoͤne Arbeiten des Frauenzimmers fuͤr ihre Toͤchter; fuͤr ihre Soͤhne alle Kenntniſſe, die man von wohlerzognen jungen Mannsleuten fodert. Floͤßen Sie beyden Liebe und Gefchmack fuͤr die edle und unſerm Geiſte ſo nuͤtzliche Beſchaͤfftigung des Leſens ein, beſonders alles deſſen, was zu der beſten Kennt - niß unſrer Koͤrperwelt gehoͤrt. Es iſt eine Pflicht des guten Geſchoͤpfs die Wer - ke ſeines Urhebers zu kennen, von denenwir301wir alle Augenblicke unſers Lebens ſo viel Gutes genießen; da die ganze phyſicaliſche Welt lauter Werke und Zeugniſſe der Wohlthaͤtigkeit und Guͤte unſers Schoͤ - pfers in ſich faßt, deren Anblick und Kenntniß das reinſte und vollkommenſte, keinem Zufall, keinem Menſchen unter - worfene Vergnuͤgen in unſre Seele gießt. Je mehr Geſchmack ihre Kinder an der natuͤrlichen Geſchichte unſers Erdbodens, je mehr Kenntniſſe ſie von ſeinen Gewaͤch - ſen, Nutzbarkeit und Schoͤnheit erlangen, je ſanfter werden ihre Geſinnungen, Lei - denſchaften und Begierden ſeyn, und um ſo viel mehr wird ihr Geſchmack am Edeln und Einfachen geſtaͤrkt und befeſtigt wer - den, und um ſo weiter entfernen ſie ſich[v]on der Jdee, daß Pracht und Wolluſt das groͤßte Gluͤck ſey.

Die Geſchichte der moraliſchen Welt ſollen ihre Kinder auch kennen; die Ver - aͤnderungen, welche ganze Koͤnigreiche und erhabne Perſonen betroffen, werden ſie zu Betrachtungen leiten, deren Wuͤr - kung die Zufriedenheit mit ihren einge -ſchraͤnk -302ſchraͤnkten Umſtaͤnden ſeyn, und den Eifer fuͤr die Vermehrung der Tugend ihrer Seele und der Kenntniſſe ihres Geiſtes vergroͤßern wird; weil ſie durch die Ge - ſchichte finden werden, daß Tugend und Talente allein die Guͤther ſind, welche Verhaͤngniß und Menſchen nicht rauben koͤnnen.

Heute Abend ſollen ihre Kinder alle Buͤcher erhalten, welche zu Erlangung dieſes Nutzens erforderlich ſind. Der beſte Segen meines Herzens wird den Korb be - gleiten, damit dieſe Arbeiten wohlthaͤtiger und liebenswuͤrdiger Maͤnner auch fuͤr Sie eine Quelle nutzbarer Kenntniſſe und der beſten Vergnuͤgungen ihres Lebens werden, gleich wie ſie es fuͤr mich ſind.

Noch eins bitte ich Sie, theure Ma - dam T*. Suchen Sie ja keine Tiſch - freunde mehr. Beweiſen Sie denen, ſo Jhnen in ihrem Ungluͤcke dienten, Jhre Dankbarkeit und Achtung, Freundſchaft und alle Geſinnungen der Ehre; thun Sie nach allen Jhren Kraͤften andern Noth - leidenden Gutes, und leben Sie mit JhrenKindern303Kindern ruhig und einſam fort, bis Jhr Umgang von Rechtſchaffnen geſucht wird. Halten Sie Jhre heranwachſende Toͤch - ter, je mehr Schoͤnheit, je mehr Talente ſie haben werden, je mehr zu Hauſe; das Lob ihrer Lehrmeiſter, und die Beſcheiden - heit und Klugheit ihrer Lebensart ſoll ſie bekannt machen, ehe man mit ihren Ge - ſichtern ſehr bekannt ſeyn wird. Jch bin uͤberzeugt, daß Sie einſt ſehr zufrieden ſeyn werden, Dieſer Phantaſie Jhrer Frendin gefolgt zu haben.

Milord Derby an ſeinen Freund in Paris.

Heyda, Bruͤderchen, rufen ſich die Lands - leute meiner Sternheim zu, wenn ſie ſich recht luſtig machen wollen. Und weil ich meine engliſchen Netze auf deutſchem Bo - den ausgeſteckt habe, ſo will ich dir auch zurufen: Heyda, Bruͤderchen! die Schwin - gen meines Voͤgelchens ſind verwickelt! Zwar304Zwar ſind Kopf und Fuͤße noch frey, aber die kleine Jagd, welche auf der andern Seite nach ihr gemacht wird, ſoll ſie bald ganz in meine Schlingen treiben, und ſie ſogar noͤthigen, mich als ihren Erretter anzuſehen. Vortrefflich war mein Ge - danke, mich nach ihrem Geiſte der Wohl - thaͤtigkeit zu ſchmiegen, und dabey das Anſehen der Gleichguͤltigkeit und Verbor - genheit zu behalten. Beynahe haͤtte ich es zu lange anſtehen laſſen, und die beſte Gelegenheit verſaͤumt, mich ihr in einem vortheilhaften Lichte zu zeigen; aber die Geſchwaͤtzigkeit ihrer Tante half mir alles einbringen.

Jn der letzten Geſellſchaft bey Hofe wurden wir alle durch ein langes Ge - ſpraͤch der Sternheim mit dem Fuͤrſten be - ſonders aufmerkſam gemacht; ich hatte ihren Ton behorcht, welcher ſuͤß und ein - nehmend geſtimmt war, und da ich nach - dachte, was das Maͤdchen vorhaben moͤchte? ſah ich den Fuͤrſten ihre Haͤnde ergreifen, und wie mich duͤnkte, eine kuͤſſen. Der Kopf wurde mir ſchwindlicht,ich305ich verlohr meine Karten, und legte mich voll Gift an ein Fenſter; aber wie ich ſie zum Spieltiſche ihrer Tante eilen und ihre Augen voller Bewegung und verwirrt auf das Spiel richten ſah, naͤherte ich mich. Sie warf einen heftigen halbſcheuen Blick nach mir. Jhre Tante fieng an: Sie ſaͤhe ihr an, daß ſie mit dem Fuͤrſten fuͤr den Rath T* geredet habe: das Fraͤulein bejahte es, ſagte freudig, daß er ihr Gnade fuͤr die Familie verſprochen, und ſetzte etwas von dem Nothſtande dieſer Leu - te hinzu. Dieſes faßte ich mir, um gleich den andern Tag etwas fuͤr ſie zu thun, ehe der Fuͤrſt die Bitte der Sternheim er - fuͤllte. Jch gieng nach meiner Gewohn - heit in dem Ueberrock meines Kerls an die Fenſter des Speiſeſaals vom Grafen Loͤ - bau, weil ich alle Tage wiſſen wollte, wer mit meiner Schoͤnen zur Nacht eſſe; kaum war ich in der Gaſſe, ſo ſah ich Tragſeſſel kommen, die an dem Hauſe hielten, zwo ziemlich verkappte Frauenzimmer kamen an die Thuͤr und ich hoͤrte die Stimme der Sternheim deutlich ſagen, zu RathUT*306T * am S *** Garten. Jch wußte das Haus, lief in mein Zimmer, holte mir Geld, und warf es, da ſie noch da war, bey dem Rath T * durchs Fenſter, an welchem das Fraͤulein ſaß, murmelte eini - ge Worte von Freude uͤber die Wohlthaͤ - tigkeit, und als man an die Thuͤre kam, eilte ich davon. Zauberkraft war in mei - nen Worten; denn da ich zween Tage darauf dem Fraͤulein in Graf F* s Haufe entgegen gieng, um ihr meine angenom - mene Ehrerbietung zu bezeugen, bemerkte ich, daß ihr ſchoͤnes Auge ſich mit einem Ausdruck von Achtung und Zufriedenheit auf meinem Geſichte verweilte; ſie fieng an mir etliche Worte auf engliſch zu ſa - gen, aber da ſie ſehr ſpat gekommen war, wurde ihr gleich vom jungen Grafen F* eine Karte zu ziehen angeboten; ſie ſah ſich unſchluͤſſig, wie durch eine Ahndung um, und zog einen Koͤnig, der ſie zur Partie des Fuͤrſten beſtimmte.

Mußte ich juſt dieſe ziehen, ſagte ſie, mit unmuthiger Stimme; aber ſie haͤtte lange waͤhlen koͤnnen, ſie wuͤrde nichtsals307als Koͤnige gezogen haben, dann der Graf F* hatte keine andre Karten in der Hand, und ihre Tante war mit Bedacht ſpat gekommen, da alle Spieltiſche beſetzt, und der Fuͤrſt juſt als von ungefaͤhr in die Geſellſchaft gekommen, und ſo hoͤflich war, keinem ſein Spiel nehmen zu wol - len, ſondern dem Zufall unter der Lei - tung des diſcreten F. die Sorge uͤber - trug, ihm jemand zu ſchaffen. Der Franzoͤſiſche Geſandte und die Graͤfin F* machten die Partie mit; mein Pharaon erlaubte mir manchmal hinter dem Stuhl des Fuͤrſten zu treten, und meine Augen dem Fraͤulein etwas ſagen zu laſſen; be - zaubernde, unnachahmliche Anmuth be - gleitete alles was ſie that, der Fuͤrſt fuͤhl - te es einſt, als ſie mit ihrer ſchoͤnen Hand Karten zuſammenraffte, ſo ſtark, daß er haſtig die ſeinige ausſtreckte, einen ihrer Finger faßte, und mit Feuer ausrief; Jſt es moͤglich, daß in P ** alle dieſe Grazien erzogen wurden? Gewiß, Herr Marquis, Frankreich kann nichts Lie - benswuͤrdigers zeigen.

U 2Der308

Der Geſandte haͤtte kein Franzoſe und kein Geſandter ſeyn muͤſſen, wenn er es nicht bekraͤftiget haͤtte, waͤre er auch nicht davon uͤberzeugt geweſen; und meine Sternheim gluͤhete von Schoͤhnheit und Unzufriedenheit. Denn die Blicke des Fuͤrſten moͤgen noch lebhafter geweſen ſeyn, als der Ton, mit welchem er redete. Mein Maͤdchen miſchte die Karte mit nie - dergeſchlagenem Auge fort. Als ſie ſelbi - ge austheilte, machte ich eine Wendung; ſie blickte mich an; ich zeigte ihr ein nach - denkendes trauriges Geſichte, mit welchem ich ſie anſah, meine Augen auf den Fuͤr - ſten heftete und mit ſchnellem Schritte mich an den Pharao-Tiſch begab, wo ſie mich ſpielen ſehen konnte. Jch ſetzte ſtark, und ſpielte zerſtreut; meine Abſicht war, die Sternheim denken zu machen, daß meine Beobachtung der Liebe des Fuͤr - ſten gegen ſie Urſache an der Nachlaͤſſig - keit fuͤr mein Gluͤck, und der ſcheinbaren Zerſtreuung meiner Gedanken ſey. Die - ſes konnte ſie nicht anders als der Staͤrke meiner Leidenſchaft fuͤr ſie zuſchreiben,und309und es gieng, wie ich es haben wollte. Sie war auf alle meine Bewegungen auf - merkſam. Als die Spiele geendigt wa - ren, gieng ich ſchwermuͤthig zu dem Pi - quet eben da das Fraͤulein ihr gewonne - nes Geld zuſammen faßte; es war viel und alles von dem Fuͤrſten.

Heute noch, ſagte ſie, ſollen es die Kinder des Raths T * bekommen, denen ich ſagen werde, daß Euere Durchlaucht ihnen zu lieb es ſo großmuͤthig verlohren haben.

Der Fuͤrſt ſah ſie laͤchelnd und ver - gnuͤgt an und ich riß mich aus dem Zim - mer weg, mit dem Entſchluß auf ſie zu lauren, wenn ſie zum Rath T * gienge, um mich dort einzudringen und ihr von meiner Liebe zu reden. Den ganzen Nachmittag hatte ſie mich mit Tiefſinn und Heftigkeit wechſelsweiſe behaftet ge - ſehen; mein Eindringen konnte auf die Rechnung meiner ſtarken Leidenſchaft ge - ſchrieben werden. Jch habe ohnehin waͤhrend meinem Aufenthalt in Deutſch - land gefunden, daß ein guͤnſtiges Vorur -U 3theil310theil fuͤr uns darinn herrſchet, kraft deſ - ſen man von unſern verkehrteſten Hand - lungen auf das gelindeſte urtheilt; Ja, ſie noch manchmal als Beweiſe unſrer großen und freyen Seelen anſieht.

Bey dieſer Kunſt den Augenblick des Zufalls zu benutzen, habe ich mehr ge - wonnen als ich durch ein ganzes Jahr Seufzen und Winſeln erhalten haͤtte. Lies dieſe Scene und bewundere die Ge - genwart des Geiſtes und die Gewalt, die ich uͤber meine ſonſt unbaͤndige Sinnen, in der ganzen halben Stunde hatte, die ich allein, ganz allein mit meiner Goͤttin in einem Zimmer war, und ihre ſchoͤne Figur in der allerreizendſten Geſtalt vor mir ſah. Sie war nach Hauſe gegangen, um ihr Oberkleid und ihren Kopfputz abzulegen, und warf nur einen großen Mantel und eine Kappe uͤber ſich, als ſie ſich zu Rath T* tragen ließ. Die Kappe, welche ſie abzog, nahm allen Puder von ihren Caſtanien-Haaren hinweg, und brachte auch die Locken etwas in Unordnung; ein kurzes Unterkleid, und die ſchoͤne erhoͤheteFarbe,311Farbe, die ihr mein Anblick und meine Un - terredung gab, machten ſie unbeſchreib - lich reizend.

Als ſie einige Minuten da war, pochte ich an die Thuͤre, und rief ſachte nach der Madam T *. Sie kam; ich ſagte ihr, daß ich Secretair bey Milord G. waͤre, der mich mit einem Geſchenk fuͤr ihre Fa - milie zu dem Fraͤulein von Sternheim ge - ſchickt haͤtte, der ich es ſelbſt uͤbergeben ſolle, und mit ihr deswegen zu reden ha - be; die Frau hieß mich einen Augenblick warten, und lief hin, ihren Mann und ihre Kinder in ein ander Zimmer zu ſchaf - fen; ſie winkte mir ſodann. Jch Narr zitterte beynahe, als ich den erſten Schritt in die Thuͤre trat; aber die kleine Angſt, die das Maͤdchen befiel, erinnerte mich noch zu rechter Zeit an die Oberherrſchaft des maͤnnlichen Geiſtes, und eine uͤber - bleibende Verwirrung mußte mir dazu die - nen, mein gezwungenes Eindringen zu beſchoͤnen. Ehe ſie ſich von ihrem Er - ſtaunen mich zu ſehen erholen konnte, war ich zu ihren Fuͤßen; machte in un -U 4ſrer312ſrer Sprache einige lebhafte Entſchuldi - gungen wegen des Ueberfalls, und wegen des Schreckens, den ich Jhr verurſacht, aber es ſey mir unmoͤglich geweſen noch laͤnger zu leben, ohne Jhr das Geſtaͤndniß der lebhafteſten Verehrung zu machen, und daß, da mir durch Milord G. die vie - len Beſuche in dem Hauſe Jhres Oncles unterſagt worden, und ich gleichwohl mit Augen geſehen, daß andere die Kuͤhnheit haͤtten, Jhr ihre Geſinnungen zu zeigen: ſo wollte ich nur das Vorrecht haben, Jhr zu ſagen, daß ich Sie wegen Jhrem ſelte - nen Geiſt verehrte, daß ich Zeuge von Jhrer ausuͤbenden Tugend geweſen waͤre, und Sie allein mich an den Ausſpruch des Weiſen erinnert haͤtte, der geſagt, daß wenn die Tugend in ſichtbarer Geſtalt er - ſchiene, niemand der Gewalt ihrer Rei - zungen wuͤrde widerſtehen koͤnnen; daß ich dieſes Haus als einen Tempel betrach - tete, in welchem ich zu Jhren Fuͤßen die Geluͤbde der Tugend ablegte, welche ich durch Sie in Jhrer ganzen Schoͤnheit haͤt - te kennen lernen, daß ich mich nicht wuͤr -dig313dig ſchaͤtzte, Jhr von Liebe zu reden, ehe ich mich ganz umgebildet haͤtte, wobey ich Jhr Beyſpiel zum Muſter nehmen wuͤrde. Meine Erſcheinung und der Jaſt der Lei - denſchaften, in welchem ich zu ihr ſprach, hatte ſie wie betaͤubt, und auch Anfangs etwas erzuͤrnt; aber das Wort Tugend, welches ich etlichemal ausſprach, war die Beſchwoͤrung, durch welche ich ihren Zorn beſaͤuftigte, und ihr alle Aufmerk - ſamkeit gab, die ich noͤthig hatte, um mir ihre Eitelkeit gewogen zu machen. Jch ſah auch, wie mitten unter den Runzeln, die der Unmuth der jungfraͤulichen Sitt - ſamkeit uͤber ihre Stirne gezogen hatte, da ſie mich etliche mal unterbrechen und forteilen wollte, mein Plato mit ſeiner ſichtbar gewordenen Tugend dieſe ernſt - haften Zuͤge merklich aufheiterte und der feinſte moraliſche Stolz auf ihren zur Er - de geſchlagnen Augen ſaß. Dieſe Bemer - kung war mir fuͤr diesmal genug, und ich endigte meine ganz zaͤrtlich gewordene Re - de mit einer wiederholten demuͤthigen Ab - bitte meiner Ueberraſchung.

U 5Sie314

Sie ſagte mit einer etwas zitternden Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr ſehr unerwartet ge - weſen ſey, und daß ſie wuͤnſchte, daß mich meine Geſinnungen, wovon ich ihr rede - te, abgehalten haͤtten, ſie in einem frem - den Hauſe zu uͤberraſchen.

Jch machte einige bewegliche Ausru - fungen, und mein Geſicht war mit der Angſt bezeichnet ihr mißfallen zu haben; ſie betrachtete mich mit Sorgſamkeit und ſagte: Milord; Sie ſind der erſte Mann der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beydes macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlaſſen, und mir dadurch eine Probe der Hochach - tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha - rakter zu haben vorgeben.

Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Geſinnungen waͤren, ſo haͤtte ich mehr Vorſicht gebraucht, um mich gegen Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver - wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; ſa - gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen -heit315heit vergeben und meine Verehrung nicht verwerfen.

Nein, Milord, die wahre Hochachtung des rechtſchaffenen Mannes werde ich nie - mals verwerfen; aber wenn ich die Jhri - ge erhalten habe, ſo verlaſſen Sie mich.

Jch erhaſchte ihre Hand, kuͤßte ſie und ſagte zaͤrtlich und eifrig: Goͤttliches, an - betungswuͤrdiges Maͤdchen; ich bin der erſte Mann der Dir von Liebe redet: O wenn ich der erſte waͤre den du liebteſt!

Seymour fiel mir ein, es war gut, daß ich gieng; an der Thuͤr legte ich mein Paquet Geld hin, und ſagte zuruͤck: Ge - ben Sie es der Familie.

Sie ſah mir mit einer leutſeligen Mie - ne nach; und ſeitdem habe ich ſie zwey - mal in Geſellſchaften geſehen, wo ich mich in einer ehrerbietigen Entfernung halts und nur ſehr gelegen etliche Worte von Anbetung, Kummer oder ſo etwas ſage, und wenn ſie mich ſehen oder hoͤren kann, mich ſehr weislich und zuͤchtig auffuͤhre.

Von Milord G. weiß ich, daß man bey Hof verſchiedene Anſchlaͤge macht, ihrenKopf316Kopf zu gewinnen; das Herz, denken ſie, haben ſie ſchon; weil ſie gerne Gutes thut, und ihr der Fuͤrſt alles bewilligen wird. Man haͤlt in ihrer Gegenwart immer Un - terredungen von der Liebe und galanten Verbindungen, die man leicht, und was man in der Welt Philoſophiſch heißt, be - urtheilt. Alles dieſes dient mir; denn jemehr ſich die andern bemuͤhen, ihre Be - griffe von Ehre und Tugend zu ſchwaͤchen, und ſie zum Vergeſſen derſelben zu verleiten; je mehr wird ſie gereizt mit allem weibli - chen Eigenſinn ihre Grundſaͤtze zu behaup - ten. Die trockne Hoͤflichkeit des Milord G., die argwoͤhniſche und kalte Miene des Seymour beleidigt die Ueberzeugung, die ſie von dem Werthe ihrer Tugend hat. Jch beweiſe ihr Ehrerbietung; ich bewundere ihren ſeltnen Charakter, und achte mich nicht wuͤrdig ihr von Liebe zu reden, bis ich nach ihrem Beyſpiel umgebildet ſeyn werde, und ſo werde ich ſie, in dem Har - niſch ihrer Tugend und den Banden der Eigenliebe verwickelt zum Streit mit mir untuͤchtig ſehen; wie man die Anmerkungvon317von den alten Kriegsruͤſtungen machte, unter deren Laſt endlich der Streiter er - lag und mit ſeinem ſchoͤnen feſten Panzer gefangen wurde. Sage mir nichts mehr von der fruͤhen Saͤttigung, in welche mich der ſo lange geſuchte Genuß der ſchoͤnen frommen *** brachte, und daß mich, nach aller Muͤhe, mit dieſer Tugend das nehmliche Schickſal erwarte. Du biſt weit entfernt eine richtige Jdee von der ſeltenen Creatur zu haben, von der ich dir ſchreibe. Eine zaͤrtliche Andaͤchtige hat freylich eben ſo viel uͤbertriebne Be - griffe von der Tugend als meine Stern - heim, und es iſt angenehm alle dieſe Ge - ſpenſter aus einer liebenswuͤrdigen Per - ſon zu verjagen; aber der Unterſchied iſt dieſer; ſo wie die Devote bloß aus Zaͤrt - lichkeit fuͤr ſich ſelbſt den ſchrecklichen Schmerzen der Hoͤlle durch Froͤmmigkeit zu entfliehen und hingegen den Genuß der ewigen Wonne zu erhalten ſucht, folglich aus lauter Eigennutz tugendhaft iſt, und Furcht der Hoͤlle und Begierde nach dem Himmel, allein aus dem feinen Gefuͤhlihrer318ihrer Sinnen quillt: So kann auch ihre Ergebung an einen Liebhaber, allein aus der Vorſtellung des Vergnuͤgens der Lie - be kommen; denn wenn die Sinnen nicht ſo viel bey frommen Leuten gaͤlten, woher kaͤmen wohl die ſinnlichen Beſchreibun - gen ihrer himmliſchen Freuden, und wo - her die entzuͤckte Miene, mit welcher ſie Leckerbiſſen verkaͤuen?

Aber meine Moraliſtin iſt ganz anders geſtimmt; ſie ſetzt ihre Tugend und ihre Gluͤckſeligkeit in lauter Handlungen zum Beſten des Nebenmenſchen. Pracht, Ge - maͤchlichkeit, delicate Speiſen, Ehrenbe - zeugungen, Luſtbarkeiten, nichts kann bey ihr dem Vergnuͤgen Gutes zu thun, die Waagſchale halten, und aus dieſem Beweggrunde wird ſie einſt die Wuͤnſche ihrers Verehrers kroͤnen, und das nehm - liche Nachdenken, das ſie hat, alles Uebel der Gegenſtaͤnde ihrer Wohlthaͤtigkeit zu erleichtern und neues Gluͤck fuͤr ſie zu ſchaffen, dieſes Nachdenken wird ſie auch zur Vergroͤßerung meines Vergnuͤgens verwenden, und ich halte fuͤr unmoͤglich,daß319daß man ihr ſatt werden ſollte. Doch in kurzer Zeit werde ich dir Nachricht da - von geben koͤnnen, denn die Comoͤdie eilt zum Schluſſe, weil die Leidenſchaft des Fuͤrſten ſo heftig wird, daß man die An - ſtalten zu ihrer Verwicklung eifriger be - treibt, und Feſte uͤber Feſte veranſtaltet.

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Wuͤrden Sie, liebſte Emilia, jemals geglaubt haben, daß es eine Stunde meines Lebens geben koͤnnte, in der mich reuete Gutes gethan zu haben? Und ſie iſt gekommen, dieſe Stunde, in welcher ich mit dem warmen Eifer meines Herzens fuͤr das verbeſſerte Wohlergehen meines Naͤchſten unzufrieden war, und den Streit zwiſchen Mein und Dein empfun - den habe. Sie wiſſen aus meinen vori - gen Briefen, was es mich koſtete den Fuͤr - ſten um eine Gnade fuͤr die Familie T * zubitten,320bitten. Sie kennen die Beweggruͤnde meiner Abneigung und Ueberwindung der - ſelben; aber die verdoppelte Beunruhi - gung, die mir damit durch den Fuͤrſten und Milord Derby zugekommen iſt, gab mir die Staͤrke des Unmuths, der mich zur Unzufriedenheit mit meinem Herzen brachte. Der Fuͤrſt, welcher mich in Ge - ſellſchaften mit ſeinen Blicken und Unter - redungen mehr als zuvor verfolgt, ſcheu - te ſich nicht bey einem Piquet, das ich mit ihm ſpielte, Ausrufungen uͤber meine An - nehmlichkeiten zu machen, und dieſes mit einem Ton, worinn Leidenſchaft war, und der alle Leute aufmerkſam machte. Mi - lord Derby war eben vom Pharao-Tiſch zu uns gekommen, und da ich in der Verwir - rung, in die ich aus Zorn und Verlegen - heit uͤber die Auffuͤhrung des Fuͤrſten ge - rieth, ungefehr meine Augen auf Derby richtete, ſah ich wohl den Ausdruck einer heftigen Bewegung in ſeinem Geſicht, und daß er ſich, nachdem ſeine Augen den Fuͤr - ſten etwas wild angeſehen, wegbegab, und wie ein verwirrter Menſch ſpielte: Aberdas321das konnte ich nicht ſehen, daß ich von ihm noch den nehmlichen Abend auf das aͤußerſte beunruhigt werden ſollte. Der Fuͤrſt verlohr viel Geld an mich; ich hat - te bemerkt, daß er mit Vorſatz ſchlecht ſpielte, wenn er allein gegen mich war; dieſes verdroß mich; ſeine Abſicht mag geweſen ſeyn, was ſie will, ſein Geld freute mich nicht, und ich ſagte: daß ich es den Kindern des Raths T * noch den Abend geben wollte. Derby mußte es gehoͤrt haben, und faßte den Entſchluß mich zu belauſchen und bey dem Rath T * zu ſprechen. Liſtig fieng er es an; denn als ich eine kleine Weile da war, kam er an das Haus, fragte nach der Frau T * und ſagte dieſer; er ſey Secretair bey Mi - lord G. und haͤtte mir etwas fuͤr ihre Fa - milie zu bringen. Die Frau, von der Hoffnung eines großen Geſchenks einge - nommen, holte ihren Mann und Kinder ſammt der Roſine aus dem Zimmer, wo ich war, und ehe ich ſie fragen konnte, was ſie wollte, trat ſie mit Milord Derby herein, meldete mir ihn als Secretair, re -Xdete322dete von ſeinem an ſie habenden Geſchenke und begab ſich weg. Erſtaunen und Un - muth betaͤuben mich lange genug, daß Milord zu meinen Fuͤßen knien und mir ſeine Entſchuldigungen und Abbitten ma - chen konnte, ehe ich faͤhig war uͤber ſein Eindringen meine Klage zu fuͤhren. Jch that es mit wenigen ernſthaften Worten; da fieng er an von einer langen verbor - gnen Leidenſchaft und der Verzweiflung zu reden, in welche ihn Milord G. ſtuͤrzte, da er ihm verboten, nicht mehr in unſer Haus zu gehen, und er doch ſehen muͤßte, daß andre mir von ihrer Liebe redeten. Milords G. Verbot machte mich ſtutzend und nachdenkend; Derby redete immer in der heftigſten Bewegung fort; ich dachte an den Jaſt, worinn ich ihn den ganzen Abend in der Geſellſchaft geſehen hatte, und meine Verlegenheit vergroͤßerte ſich dadurch. Jch foderte, daß er mich ver - laſſen ſollte, und wollte zugleich der Thuͤr zugehen; er widerſetzte ſich mit ſehr ehrerbietigen Gebehrden, aber mit einer Stimme und Blicken ſo voll Leidenſchaft,daß323daß mir bange und uͤbel wurde. Dies war der Augenblick, wo ich boͤſe auf mein Herz war, daß es mich gerade dieſen Abend noch mein Spielgeld den Kindern bringen hieß und mich dadurch dieſer Ver - legenheit ausgeſetzt hatte.

Jch erholte mich endlich, da ich ihn den geheiligten Namen der Tugend aus - ſprechen hoͤrte, in welchem er mich beſchwur, ihn nur noch einen Augenblick reden zu laſſen. Wiederholen kann ich nichts, aber er redete gut; wenig von meinen aͤuſ - ſerlichen Annehmlichkeiten, aber er behaup - tete meinen Charakter zu kennen, den er als ſelten anſieht, und am Ende legte er auf eine ruͤhrende Weiſe eine feyerliche Ge - luͤbde von Tugend und Liebe ab.

Unzufrieden mit ihm und mit mir ſelbſt, beſtuͤrzt und bewegt, machte ich an ihn die Bitte, mir den Beweis von ſeinen Ge - ſinnungen zu geben, daß er mich verließe. Er gieng gleich mit ermunterter Abbitte ſeines Ueberraſchens, und legte an der Thuͤr noch ein ſchweres Paquet Geld fuͤr die arme Familie hin.

X 2Ein324

Ein ungewoͤhnlicher Kummer beklemm - te mein Herz; das beſte Gluͤck, das ich mir in dieſer Minute wuͤnſchte, war einſam zu ſeyn. Aber die Frau T* kam herein, ich uͤbergab ihr das Geſchenk ſammt dem ge - wonnenen Gelde. Jhre Freude erleich - terte mich ein wenig, aber ich eilte mit dem feſten Vorſatz fort, dieſes Haus nicht mehr zu betreten, ſo lange Milord Derby in D* ſeyn wuͤrde. Mein Oncle und mei - ne Tante ſpielten noch, als ich nach Hauſe kam und ich legte mich ins Bette. Trau - rige Naͤchte hatte ich ſchon durch meinen an Eltern und Freunden erlittenen Verluſt gehabt; aber die mit Unruhe und Schmer - zen der Seele erfuͤllte ſchlafloſe Stunden habe ich niemals gekannt, welche auf die Betrachtung folgten, daß mein Schickſal und meine Umſtaͤnde meinen Wuͤnſchen und meinem Charakter voͤllig entgegen ſind. Meine aͤußerſte Bemuͤhung war immer, unſtraͤflich in meiner Auffuͤhrung zu ſeyn, und doch wurde ich durch Milord Derby der Nachrede einer Zuſammenkunft ausge - ſetzt. Milord G., deſſen Achtung ich zuverdienen325verdienen glaubte, verbietet ſeinen Ver - wandten den vorzuͤglichen Umgang mit mir. Jch hatte die Freundſchaft eines tugendhaften Mannes gewuͤnſcht, und dieſer flieht mich, waͤhrend daß mich der Fuͤrſt und der Graf F* zu verfolgen an - fangen. Und was ſoll ich von Milord Derby ſagen: Jch bekenne, die Liebe eines Englaͤnders iſt mir vorzuͤglich angenehm, aber Und doch; warum waͤhlte ich ei - nen und verwarf den andern, ehe ich ſie kannte; ich war gewiß voreilig und un - billig. Derby iſt raſch und unbeſonnen; aber voller Geiſt und Empfindſamkeit. Wie ſchnell wie eifrig thut er Gutes? Sein Herz kann nicht verdorben ſeyn, weil er ſo viele Aufmerkſamkeit fuͤr gute Handlungen hat; ich moͤchte bald hinzu - ſetzen, weil er mich und meine Denkungs - art lieben kann. Aber alle halten ihn fuͤr einen boͤſen Menſchen; er muß Anlaß zu einer ſo allgemeinen Meynung gegeben haben; und gleichwohl hat die Tugend Anſpruͤche[auf] ſein Herz. Emilia! wenn ihn die Liebe ganz von Jrrwegen zuruͤck -X 3fuͤhrte,326fuͤhrte, wenn ſie es um meinetwillen un - ternaͤhme: Waͤre ich ihr da nicht das Opfer des Vorzugs ſchuldig, den ich ei - nem andern ohne ſein Verlangen gab? Aber itzt wuͤnſchte ich aller Wahl uͤberho - ben zu ſeyn, und daß meine Tante R. bald kaͤme. Vergeblicher Wunſch! Sie iſt in Florenz und wird da ihre Wochen halten. Sie ſehen alſo, daß alle Um - ſtaͤnde wider mich ſind. Der laͤndliche Frieden, die Ruhe, die edle Einfalt, wel - che mein einſames S *** bewohnen, waͤ - ren meinem armen Kopfe und Herzen ſo erquickend, als Hofleuten der Anblick ei - ner freyen Gegend iſt, wenn ſie lange in Kunſtgaͤrten herumgeirret, und ihr Auge durch Betrachtungen der geſuchten und ge - zwungenen Schoͤnheiten ermuͤdet haben. Wie gerne ſtellten ſie ihre durch zerſtoßnen Marmor ermattete Fuͤße auf ein mit Mooß bewachſnes Stuͤck Erde, und ſehen ſich in dem unbegraͤnzten ſchoͤnen Gemi - ſche von Feld, Waldungen, Baͤchen und Wieſen um, wo die Natur ihre beſten Ga - ben in reizender Unordnung verbreitet! Bey327Bey vielen beobachtete ich in dieſer Gele - genheit die Staͤrke der reinen erſten Em - pfindungen der Natur. So gar ihr Gang und ihre Gebehrden wurden freyer und ungezwungener, als ſie in den ſoge - nannten Luſtgaͤrten waren; aber einige Augenblicke darauf ſah ich auch die Macht der Gewohnheit, die, durch einen einzigen Gedanken rege gemacht, die ſanfte Zufrie - denheit ſtoͤrte, welche die Herzen einge - nommen hatte. Urtheilen Sie, meine Emilia, wie ermuͤdet mein moraliſches Auge uͤber den taͤglichen Anblick des Er - kuͤnſtelten im Verſtande, in den Empfin - dungen, Vergnuͤgungen und Tugenden iſt! Dazu kommt nun der Antrag einer Ver - bindung mit dem jungen Grafen F *, die ich, wenn mir auch der Mann gefiele, nicht annehmen wuͤrde, weil ſie mich an den Hof feſſeln wuͤrde. So ſehr auch dieſe Feſſeln uͤberguͤldet und mit Blumen be - ſtreuet waͤren, ſo wuͤrden ſie doch mein Herz nur deſto mehr belaͤſtigen. Jch lei - de durch den Gedanken, jemand eine Hoff - nung von Gluͤck zu rauben, deren Erfuͤl -X 4lung328lung in meiner Gewalt ſteht; aber warum machen die Leute keine Vergleichung zwi - ſchen ihrer Denkart und der meinigen? Sie wuͤrden darinn ganz deutlich die Un - moͤglichkeit ſehen, mich jemals auf den Weg ihrer Geſinnungen zu lenken. Mein Oncle und meine Tante machen mich er - ſtaunen. Sie, die meine Aeltern und meine Erziehung kannten, Sie, die von der Feſtigkeit meiner Jdeen und Empfin - dungen uͤberzeugt ſind, ſie dachten mich durch glaͤnzende Spielwerke von Rang, Pracht und Ergoͤtzlichkeiten, zur Ueberga - be meiner Hand und meines Herzens zu bewegen? Jch kann nicht boͤſe uͤber ſie werden; ſie ſuchen mich nach ihren Be - griffen von Gluͤck durch eine vornehme Verbindung gluͤcklich zu machen, und geben ſich alle erſinnliche Muͤhe, mir den Hof von ſeiner verfuͤhreriſchen Seite vorzuſtellen. Sie haben geſucht, meine Liebe zur Wohl - thaͤtigkeit als eine Triebfeder anzuwenden. Weil der Graf F* verſicherte, daß mich der Fuͤrſt ſehr hochſchaͤtze, daß er mit Ver - gnuͤgen alle Gnaden bewilligen wuͤrde, dieich329ich mir immer ausbitten koͤnnte; ſo haben ſie, denke ich, Leute angeſtellt, mich um Fuͤrſprache bey dem Herrn anzuflehen, Jhre Vermuthung, daß dieſes die ſtaͤrk - ſte Verſuchung fuͤr mich ſey, iſt ganz rich - tig; dann die Gewalt Gutes zu thun, iſt das einzige wuͤnſchenswerthe Gluͤck das ich kenne.

Zu meinem Vergnuͤgen war die erſte Bitte ein Wunſch von Eitelkeit, welcher etwas begehrte, deſſen man wohl ent - behren konnte; ſo daß ich ohne Unruhe mein Vorwort verſagen konnte. Jch zeigte dabey meinen Entſchluß an, den Fuͤrſten niemals mehr zu beunruhigen, in - dem mich nur die aͤußerſte Noth und Huͤlf - loſigkeit der Familie T * dazu veranlaßt habe. Waͤre es eine nothleidende Perſon geweſen, die mich um Fuͤrbitte angeſpro - chen haͤtte, ſo waͤre mein Herz wieder in eine traurige Verlegenheit gerathen, zwi - ſchen meiner Pflicht und Neigung ihr zu dienen, und zwiſchen meinem Widerwil - len dem Fuͤrſten fuͤr eine Gefaͤlligkeit zu danken, einen Entſchluß zu machen. FuͤrX 5meines330meines Oncles Proceß muß ich noch re - den, und es ſoll auf einem Masquenball geſchehen, dazu man ſchon viele Anſtal - ten macht. Eine allgemeine Anſtrengung der Erfindungskraft iſt aus dieſem Vorha - ben erfolgt; ein jedes will ſinnreich und gefaͤllig gekleidet ſeyn, Hof - und Stadt - leute werden dazu geladen, es ſoll eine Nachahmung der engliſchen Masquenbaͤlle zu Vauxhall werden. Jch bekenne, daß der ganze Entwurf etwas angenehmes fuͤr mich hat; einmal, weil ich das Bild der roͤmiſchen Saturnalien, die ich Gleich - heitsfeſte nennen moͤchte, ſehen werde, und dann, weil ich mir ein großes Ver - gnuͤgen aus der Betrachtung verſpreche, den Grad der Staͤrke und Schoͤnheit der Einbildungskraft ſo vieler Perſonen in ihren verſchiedenen Erfindungen und Aus - wahlen der Kleidungen zu bemerken. Der Graf F*, ſein Nepote, mein Oncle, meine Tante und ich, werden eine Trup - pe Spaniſcher Muſicanten vorſtellen, die des Nachts auf die Straße ziehn, um vor den Haͤuſern etwas zu erſingen. Der Ge -danke331danke iſt artig, unſre Kleidung in Cra - moiſt mit ſchwarzem Taft, ſehr ſchoͤn; aber meine Stimme vor ſo vielen Leuten erſchallen zu laſſen, dieß vergaͤllet meine Freude; es ſcheint ſo zuverſichtlich auf ihre Schoͤnheit und ſo begierig nach Lob. Doch man will damit dem Fuͤrſten, der mich gerne ſingen hoͤrt, gefaͤllig ſeyn, weil man glaubt, der Proceß meines On - cles gewinne dabey, und ich will ihm lie - ber vor der ganzen Welt ſingen, als noch einmal in unſern Garten, wie geſtern; wo ich darauf mit ihm ſpatzieren gehen, und ihn von Liebe reden hoͤren mußte. Er hatte ſie zwar in Ausdruͤcke der Be - wunderung meines Geiſtes und meiner Geſchicklichkeit eingewickelt; aber meine Augen, meine Geſtalt und meine Haͤnde haͤtten viel Verwirrung an ſeinem Hof angerichtet, ihm waͤre es un - moͤglich Rath darinn zu ſchaffen, weil die Macht meiner Reize den Herrn eben ſo wenig verſchonet haͤtte als ſeine Diener.

Meine332

Meine Entfernung wird alſo das beſte Mittel wider dieſe Unordnung ſeyn, ſag - te ich.

Das ſollen Sie nicht thun, Sie ſol - len meinen Hof der Zierde nicht berauben, die er durch Sie erhalten; einen Gluͤckli - chen ſollen Sie waͤhlen, und ſich niemals, von D* entfernen.

Jch wußte ihm Dank, daß er dieſes hinzuſetzte; er muß es gethan haben, weil er bemerkte, daß ich in Verwirrung gerathen war, und auf einmal traurig und ernſthaft ausſah. Denn wie er von der Wahl eines Gluͤcklichen redete, wand - te er ſich zu mir und blickte mich ſo ſehn - ſuchtsvoll an, daß ich mich vor ſeinen wei - tern Erklaͤrungen fuͤrchtete. Er fragte mich zaͤrtlich nach der Urſache meiner Ernſthaftigkeit; ich faßte mich, und ſagte ihm ziemlich munter: Der Gedanke von einer Auswahl waͤre ſchuld daran; weil ich in D * nach meiner Phantaſie keine zu machen wuͤßte.

Gar keine? Nehmen Sie den, der Sie am meiſten liebt; und ihnen ſeine Liebeam333am beſten beweiſen kann. Mit dieſem Geſpraͤche kamen wir zur Geſellſchaft an. Alle ſuchten etwas in den Geſichtszuͤgen des Fuͤrſten zu leſen; er war ſehr hoͤflich gegen ſie; gieng aber bald darauf weg, und ſagte mir noch mit Laͤcheln: ich moͤch - te ſeinen Rath nicht vergeſſen. Jch re - dete meiner Tante ernſthaft von den Ge - ſinnungen, die ich bemerkt haͤtte, und daß ich in keinem Menſchen Liebe ſehen und ernaͤhren wuͤrde, die ich nicht billigen koͤnnte; daß ich alſo auf dem Bal nicht ſingen wollte, und ſie baͤte mich nach Sternheim zuruͤck zu laſſen.

Da war Jammer uͤber meine zuweitge - triebne grillenhafte Jdeen, die nicht einmal eine zaͤrtliche Hoͤflichkeit ertragen koͤnnten; ich moͤchte doch um des Himmels und ihrer Kinder willen die Bal-Partie nicht verſchlagen; wenn ich nach dieſem unzu - frieden waͤre, ſo verſprach ſie mir, mich nach Sternheim zu begleiten, und den Ue - berreſt des Jahres dort zu bleiben. Bey dieſem Verſprechen hielt ich ſie und erneuer - te ihr das meinige. Dies iſt alſo die letzteTyrannie,334Tyrannie, welche die Gefaͤlligkeit fuͤr andre an mir ausuͤben wird, und dann werde ich meine Sternheim wieder ſehen. O Emilia! mit was fuͤr Entzuͤcken der Freude werde ich dieſes Haus betreten, wo jeder Platz an die ausgeuͤbten Tugenden meiner Ael - tern mich erinnern und aufmuntern wird, ihrem Beyſpiel zu folgen; Tugenden und Fehler der großen Welt ſind nichts fuͤr meinen Charakter; die erſten ſind mir zu glaͤnzend und die andern zu ſchwarz. Ein ruhiger Cirkel von Beſchaͤfftigung fuͤr mei - nen Geiſt und fuͤr mein Herz iſt das mir zugemeſſene Gluͤck, und dieſes finde ich auf meinem Guthe. Ehemals wurde es durch den freundſchaftlichen Umgang mei - ner Emilia vergroͤßert; aber die Vorſicht wollte ihre Tugenden in einer andern Ge - gend leuchten laſſen, ließ mir aber ihren Briefwechſel.

Sehr lieb iſt mir, daß ich die große Welt und ihre Herrlichkeiten kennen ge - lernt habe. Jch werde ſie nun in allen Theilen richtiger zu beurtheilen wiſſen. Jch habe ihr die Verfeinerung meines Ge -ſchmacks335ſchmacks und Witzes, durch die Kenntniß des Vollkommnen in den Kuͤnſten zu dan - ken. Jhr Luxus, ihre lermende ermuͤden - de Ergoͤtzungen haben mir die edle Einfalt und die ruhigen Freuden meines Stamm - hauſes angenehmer gemacht; der Mangel an Freuden, den ſie mich erdulden ließ, hat mich den Werth meiner Emilie hoͤher ſchaͤtzen gelehrt; und ob ich ſchon gefuͤhlt habe, daß die Liebe Anſpruͤche auf mein Herz hat, ſo freut mich doch, daß es al - lein durch den Sohn der himmliſchen Venus verwundet werden kann, und daß die Tugend ihre Rechte umgeſtoͤrt darinn erhalten hat. Denn gewiß wird meine Zaͤrtlichkeit niemals einen Gegenſtand waͤhlen, der ſie verdraͤngen wird.

Schoͤnheit und Witz haben keine Ge - walt uͤber mein Herz, ungeachtet ich den Werth von beyden kenne, eine feurige Lei - denſchaft und zaͤrtliche Reden auch nicht; am wenigſten aber die Lobeserhebungen meiner perſoͤnlichen Annehmlichkeiten; denn da ſehe ich in meinem Liebhabernichts336nichts als die Liebe ſeines Vergnuͤgens. Die Achtung fuͤr die gute Neigungen mei - nes Herzens und fuͤr die Bemuͤhungen meines Geiſtes um Talente zu ſammeln, dieſes allein ruͤhrt mich, weil ich es fuͤr ein Zeichen einer gleichgeſtimmten Seele und der wahren dauerhaften Liebe halte; aber es wurde mir von niemand geſagt, von dem ich es zu hoͤren wuͤnſchte. Der - by hatte dieſen Ton: Aber nicht eine Sai - te meines Herzens hat darauf geantwor - tet. Auch dieſes Mannes Liebe, oder was es iſt, vermehrt meine Sehnſucht und Eile nach Ruhe und Einſamkeit. Jn acht Tagen iſt der Bal: vielleicht, meine Emilia, ſchreibe ich Jhnen meinen naͤch - ſten Brief in dem Cabinette der Sternheim zu den Fuͤßen des Bildniſſes meiner Ma - ma, deſſen Anblick meine Feder zu einem andern Jnnhalt meiner Briefe begeiſtern wird.

Milord337

Milord Derby an ſeinen Freund

Die Comoͤdie des Fuͤrſten mit meiner Sternheim, wovon ich dir letzthin geſchrie - ben, iſt durch die romantiſchen Grillen des Vetters Seymour zu einem ſo tragiſchen Anſehen geſtiegen, daß nichts als der Tod oder die Flucht der Heldin zu einer Ent - wicklung dienen kann; das Erſte, hoffe ich, ſolle die Goͤttin der Jugend verhuͤ - ten, und fuͤr das Zweyte mag Venus durch meine Vermittlung ſorgen.

Man hat, weil das Fraͤulein gerne tanzt, die Hoffnung gefaßt, ſie durch Bal - luſtbarkeiten eher biegſam und nachgebend zu machen; und da ſie noch niemals ei - nen Masquenbal geſehen, ſo wurden auf den Geburtstag des Fuͤrſten, die Anſtal - ten dazu gemacht. Man bewog das Maͤd - chen zu dem Entſchluß bey dieſer Gelegen - heit zu ſingen, und ſie gerieth auf den ar - tigen Einfall, in Geſellſchaft etlicher Per - ſonen einen Trupp Spaniſcher MuſicantenYvorzu -338vorzuſtellen. Der Fuͤrſt erhielt die Nach - richt davon und erſuchte den Grafen Loͤ - bau, ihm das Vergnuͤgen zu laſſen, die Kleidung des Fraͤuleins zu beſorgen, um ihr dadurch unverſehens ein Geſchenk zu machen. Oncle und Tante nahmen es an, weil ihre Masquen zugleich ange - ſchafft wurden; aber zween Tage vor dem Bal war dem Hof und der Stadt be - kannt, daß der Fuͤrſt dem Fraͤulein die Kleidung und den Schmuck gaͤbe, und auch ſelbſt ihre Farben tragen werde. Seymour gerieth in den hoͤchſten Grad von Wuth und Verachtung; ich ſelbſt wurde zweifelhaft, und nahm mir vor, die Stern - heim ſchaͤrfer als jemals zu beobachten.

Nichts kann reizender ſeyn als ihr Eintritt in den Saal geweſen iſt. Die Graͤfin Loͤbau, als eine alte Frau beklei - det, gieng mit einer Laterne und etlichen Rollen Muſicalien voraus. Der alte Graf H * mit einer Baßgeige; Loͤbau mit der Fluͤtetraverſe und das Fraͤulein mit ei - ner Laute, kamen nach. Sie ſtellten ſich vor die Loge des Fuͤrſten, fiengen an zuſtimmen,339ſtimmen, die Tanzmuſik mußte ſchweigen, und das Fraͤulein ſang eine Arie; ſie war in Cramoiſi und ſchwarzen Taft gekleidet, ihre ſchoͤnen Haare in fliegenden nachlaͤſ - ſigen Locken verbreitet; ihre Bruſt ziem - lich, doch weniger als ſonſt verhuͤllt; uͤberhaupt ſchien ſie mit vielem Fleiß, auf eine Art gekleidet zu ſeyn, die alle reizenden Schoͤnheiten ihrer Figur wechſelsweiſe entwickelte; denn der weite Ermel war ge - wiß allein da, um waͤhrend ſie die Laute ſchlug, zuruͤck zu fallen und ihren vollkom - men gebildeten Arm in ſein ganzes Licht zu ſetzen. Die halbe Masque zeigte uns den ſchoͤnſten Mund, und ihre Eigenliebe bemuͤhete ſich die Schoͤnheit ihrer Stimme zu aller Zauberkraft der Kunſt zu erhoͤhen.

Seymour in einem ſchwarzen Domino an ein Fenſter gelehnt, ſah ſie mit convul - ſiviſchen Bewegungen an. Der Fuͤrſt in einem venetianiſchen Mantel in ſeiner Loge, Begierde und Hoffnung in ſeinen Augen gezeichnet, klatſchte froͤhlich die Haͤnde zuſammen und kam, einen Menuet mit ihr zu tanzen, nachdem er vieles Lob von ih -Y 2ren340ren Fingern gemacht hatte. Mein Kopf fieng an warm zu werden, und ich em - pfahl meinem Freunde John, dem Se - cretair von Milord G., ſeine Aufmerkſam - keit zu verdoppeln, weil mein aufkochen - des Blut nicht mehr Ruhe genug dazu hatte. Doch machte ich noch in Zeiten die Anmerkung, daß unſer Geſicht, und das was man Phyſionomie nennt, ganz eigentlich der Ausdruck unſrer Seele iſt. Denn ohne Masque war meine Stern - heim allezeit das Bild der ſitttlichen Schoͤnheit, indem ihre Miene und der Blick ihrer Augen, eine Hoheit und Rei - nigkeit der Seele uͤber ihre ganze Perſon auszugießen ſchien, wodurch alle Begier - den, die ſie einfloͤßte, in den Schranken der Ehrerbietung gehalten wurden. Aber nun waren ihre Augenbraunen, Schlaͤfe und halbe Backen gedeckt, und ihre Seele gleichſam unſichtbar gemacht; ſie verlohr dadurch die ſittliche eharakteriſtiſche Zuͤge ihrer Annehmlichkeiten, und ſank zu der allgemeinen Jdee eines Maͤdchens herab. Der Gedanke, daß ſie ihren ganzen An -zug341zug vom Fuͤrſten erhalten, ihm zu Ehren geſungen hatte, und ſchon lange von ihm geliebt wurde, ſtellte ſie uns allen als wuͤrkliche Maitreſſe vor; beſonders da eine Viertelſtunde darauf der Fuͤrſt in einer Masque von nehmlichen Farben als die ihrige kam, und ſie, da eben Deutſch getanzt wurde, an der Seite ihrer Tante, mit der ſie ſtehend redte, wegnahm, und einen Arm um ihren Leib geſchlungen, die Laͤnge des Saals mit ihr durchtanzte. Dieſer Anblick aͤrgerte mich zum raſend werden, doch bemerkte ich, daß ſie ſich vielfaͤltig ſtraͤubte und loswinden wollte; aber bey jeder Bemuͤhung druͤckte er ſie feſter an ſeine Bruſt, und fuͤhrte ſie end - lich zuruͤck, worauf der Graf F * ihn an ein Fenſter zog, und eifrig redete. Eini - ge Zeit hernach ſtund eine weiſſe Masque en Chauve-Souris neben dem Fraͤulein, die ich auf einmal eine heftigſte Bewegung mit ihrem rechten Arm, gegen ihre Bruſt machen, und einen Augenblick darauf, ihre linke Hand nach der weiſſen Masque aus - ſtrecken ſah. Dieſe entſchluͤpfte durch dasY 3Gedraͤn -342Gedraͤnge, und das Fraͤulein gieng mit aͤußerſter Schnelligkeit den Saal durch. Jch folgte der weiſſen Masque auf die Ecke eines Gangs, wo ſie die Kleider fal - len ließ, und mir den Lord Seymour in ſeinem ſchwarzen Domino zeigte, der in der ſtaͤrkſten Bewegung die Treppe hinun - ter lief, und mich uͤber ſeine Unterredung mit dem Fraͤulein in der groͤßten Verle - genheit ließ. John, der ſie nicht aus dem Geſichte verlohr, war ihr nachgegan - gen, und ſah, daß ſie in das Zimmer, wo ihr Oucle und die Graͤfin F* waren, gieng, gleich beym Eintritt allen Schmuck ihres Aufſatzes vom Kopfe riß, mit verachtungs - und ſchmerzensvollen Ausdruͤcken zu Bo - den warf, ihren Oncle, der ſich ihr naͤ - herte, mit Abſcheu anſah, und mit der kummervolleſten Stimme ihn fragte: Wo - mit habe ich es verdient, daß Sie meine Ehre und meinen guten Nahmen zum Opfer der verhaßten Leidenſchaft des Fuͤr - ſten machten?

Mit zitternden Haͤnden band ſie ihre Masque loß, riß die Spitzen ihres Hals -kragens,343kragens, und ihre Manſchetten in Stuͤ - cken, und ſtreute ſie vor ſich her. John hatte ſich gleich nach ihr an die Thuͤre ge - drungen, und war Zeuge von allen die - ſen Bewegungen. Der Fuͤrſt eilte mit dem Grafen F* und ihrer Tante herbey, die uͤbrigen entfernten ſich, und John wickelte ſich in den Vorhang der Thuͤre, welche ſogleich verſchloſſen wurde. Der Fuͤrſt warf ſich zu ihren Fuͤßen, und bat ſie in den zaͤrtlichſten Ausdruͤcken, ihm die Urſache ihres Kummers zu ſagen; ſie ver - goß einen Strohm von Thraͤnen, und wollte von ihrem Platz gehen; er hielt ſie auf und wiederhohlte ſeine Bitten.

Was ſoll dieſe Erniedrigung von Jh - nen? Sie iſt kein Erſatz fuͤr die Erniedri - gung meines guten Nahmens. O meine Tante, wie elend, wie niedertraͤch - tig ſind Sie mit dem Kind ihrer Schwe - ſter umgegangen! O mein Vater, was fuͤr Haͤnden haben Sie mich anvertraut!

Der feyerliche ſchmerzvolle Ton, mit welchem ſie dieſes ſagte, haͤtte das inner - ſte ſeiner Seele bewegt. Jhre TanteY 4fieng344fieng an: Sie begreift kein Wort von ih - ren Klagen und von ihrem Unmuth; aber ſie wuͤnſchte, ſich niemals mit ihr beladen zu haben.

Erweiſen Sie mir die letzte Guͤte, und fuͤhren Sie mich nach Hauſe. Sie ſollen nicht lange mehr mit mir geplagt ſeyn.

Dieſes ſprach mein Sternheim mit ei - ner ſtotternden Stimme. Ein außeror - dentliches Zittern hatte ſie befallen; ſie hielt ſich mit Muͤhe an einem Stuhl auf - recht, der Fuͤrſt war mit der Zaͤrtlichkeit eines Liebhabers bemuͤht, ſie zu beruhi - gen. Er verſicherte ſie, daß ſeine Liebe alles in der Welt fuͤr ſie thun wuͤrde, was in ſeiner Gewalt ſtuͤnde.

O es iſt nicht in Jhrer Gewalt, rief ſie, mir die Ruhe meines Lebens wieder zu geben, deren Sie mich beraubt haben. Meine Tante, haben Sie Erbarmen mit mir, bringen Sie mich nach Hauſe!

Jhr Zittern nahm zu; der Fuͤrſt ge - rieth in Sorgen und gieng ſelbſt in das Nebenzimmer, um eine Kutſche anſpannen und ſeinen Medicum rufen zu laſſen.

Die345

Die Graͤfin Loͤbau hatte die Grauſam - keit dem Fraͤulein Vorwuͤrfe uͤber ihr Be - tragen zu machen. Das Fraͤulein ant - wortete mit nichts als einen Strohm von Thraͤnen, die aus ihren gen Himmel gerich - teten Augen floſſen, und ihre gerungenen Haͤnde benetzten.

Der Fuͤrſt kam mit dem Medico, der das Fraͤulein mit Staunen anſah, ihr den Puls fuͤhlte, und den Ausſpruch that, daß das heftigſte Fieber mit ſtarken Zuͤckun - gen vorhanden waͤre; der Fuͤrſt empfohl ſie ſeiner Aufſicht und Sorgfalt auf das Jnſtaͤndigſte. Als die angeſpannte Kut - ſche gemeldet wurde, ſah ſich das Fraͤu - lein ſorgſam und erſchrocken um, fiel vor dem Fuͤrſten nieder, und indem ſie ihre Haͤnde gegen ihn erhob, rief ſie:

O wenn es wahr iſt, daß Sie mich lie - ben, laſſen Sie mich nirgend anders wo - hin fuͤhren, als in mein Haus.

Der Fuͤrſt hob ſie auf, und ſagte ihr be - wegt: Er ſchwoͤre ihr die ehrerbietigſten Geſinnungen, und haͤtte keinen Gedanken ſie zu betruͤgen; er baͤte ſie nur, daß ſieY 5ſich346ſich faſſen moͤchte, der Doctor ſollte ſie begleiten.

Sie gab dem Alten ihre Hand, nach - dem ſie ihr Halstuch um ihren Hals ge - legt hatte, und gieng mit wankenden Fuͤſ - ſen aus dem Zimmer. Jhre Tante blieb und fieng an uͤber das Maͤdchen zu re - den. Der Fuͤrſt hieß ſie ſchweigen, und ſagte ihr mit Zorn: ſie haͤtten ihm alle eine falſche Jdee von dem Charakter des Fraͤuleins gegeben, und ihn lauter ver - kehrte Wege gefuͤhrt. Damit gieng er fort, die Graͤfin auch, und John wurde ſeines Gefaͤngniſſes erlediget.

Jm Saal hatte man fortgetanzt, aber daneben viel von der Begebenheit geziſchelt. Faſt bey allen wurde die Auffuͤhrung des Fraͤuleins als ein uͤbertriebenes Geziere getadelt. Man kann tugendhaft ſeyn, ohne ein großes Geraͤuſch zu machen. Sollte man nicht denken, der Fuͤrſt haͤt - te noch keine Dame als ſie geliebt? aber es giebt eine ſanftere und edlere Art von Vertheidigung ſeiner Ehre, zu der man juſt347 juſt nicht die ganze Welt zu Zeugen nimmt; und dergleichen. *)Und diejenigen, welche ſo ſagten, hatten an ſich ſelbſt eben nicht ſo gar Unrecht. H.

Andre hielten es fuͤr eine ſchoͤne Comoͤ - die, und waren begierig, wie weit ſie die Rolle treiben wuͤrde.

Jch war uͤberzeugt, daß Seymour die Urſache dieſes aufwallenden Jaſtes von Tugend geweſen ſeyn muͤſſe, aber was er ibr geſagt, und was fuͤr einen Eindruck er dadurch auf ſie gemacht haͤtte, das wuͤnſchte ich zu wiſſen, um meine Maaß - regeln darnach zu nehmen. Jch verbarg dieſe Unruhe, und ſpottete eins mit; in - dem ich die Zuruͤckkunft des Johns erwar - tete, der nach Hauſe geeilt war, um den Seymour auszuſpaͤhen.

Aber ſtelle dir, wenn du kannſt, das Er - ſtaunen vor, als mein John ſagte, Sey - mour waͤre gleich nach ſeiner Zuruͤckkunft in einer Poſt-Chaiſe mit Sechſen und einem einzigen Kerl davon gefahren. Was T konnte das anders bedeuten als eine ver -abredete348abredete Entfuͤhrung! Jch riß John am Arm zum Saal hinaus, warf auf der Straße meine Masque ab, und zog den Ueberrock meines Kerls an, in welchem ich an das Loͤbauiſche Haus eilte, um Nachricht von der neuen Actrice zu hoͤren. Eiferſucht, Wuth und Liebe jagten ſich in meinem Kopfe herum; und gewiß derjeni - ge, der mir geſagt haͤtte, ſie waͤre fort, haͤtte es mit ſeinem Leben bezahlen muͤſſen; aber ehe eine Viertelſtunde um war, lief jemand aus dem Hauſe nach der Apothek. Die Thuͤr blieb offen; ich ſchlich in den Hof und ſah Licht in den Zimmern der Sternheim. Es wurde mir leichter, aber meine Zweifel blieben; dieſe Lichter konn - ten Blendwerk ſeyn. Jch wagte mich in das Zimmer ihrer Kammerjungfer; die Thuͤr des Cabinetts war offen, und ich hoͤrte mein Maͤdchen reden. Alſo war Seymour allein fort. Jch ſann auf eine taugliche Entſchuldigung meines Daſeyns, und gab dem Cammermaͤdchen ganz herz - haft ein Zeichen zu mir zu kommen. Sie kannte mich nicht, rannte auf die Thuͤrzu,349zu, die ſie den Augenblick hinter ſich zu - ſchloß und fragte haſtig: wer ich ſey, was ich haben wollte?

Jch gab mich zu erkennen, bat ſie in kummervollen ehrerbietigen Ausdruͤcken um Nachricht von des goͤttlichen Fraͤuleins Befinden, und beſchwur ſie auf den Knieen, alle Tage einem meiner Leute et - was davon zu ſagen. Jch ſagte ihr, ich waͤre Zeuge geweſen, wie edel und an - betungswuͤrdig ſich der Charakter des Fraͤuleins gezeigt haͤtte, ich verehrte und liebte ſie uͤber allen Ausdruck; ich ſey be - reit mein Leben und alles zu ihrem Dien - ſte aufzuopfern, aber mir ſey fuͤr ihre Ge - ſundheit bange, indem ich den Medicum von einem Fieber haͤtte reden hoͤren.

Die Katze war froh, die Geſchichte des Abends von mir zu hoͤren, indem, wie ſie ſagte, das Fraͤulein faſt nichts als weinte und zitterte. Jch putzte die Geſchichte ſo ſehr als mir moͤglich war, zur Verherrli - chung des Fraͤuleins aus, und nannte die weiſſe Masque; da fiel mir das Maͤdchen ein; O dieſe Masque iſts, die mein Fraͤu -lein350lein krank gemacht hat! Denn ſir ſagte ihr ganz frey: Ob ſie denn alle Geſetze der Ehre und Tugend ſo ſehr unter die Fuͤße getreten habe, daß ſie ſich in einer Kleidung und einem Schmuck ſehen laſſe, welche der Preiß von ihrer Tugend ſeyn werde; daß es ihr alle Masquen ſa - gen wuͤrden; daß alle ſie verachteten, weil man von ihrem Geiſt und ihrer Erziehung etwas beſſers erwartet haͤtte.

Und wer war dieſe Masque? Dieß wiſ - ſe das Fraͤulein nicht; aber ſie nenne ſie eine edle wohlthaͤtige Seele, ungeachtet ſie ihr das Herz zerriſſen habe.

Jch dachte: Der Himmel ſegne den wohlthaͤtigen Seymour fuͤr ſeine Narr - heit! Sie ſoll meinem Verſtande ſchoͤne Dienſte thun. Jch verſprach dem Maͤb - chen, mich um die Entdeckung zu bemuͤhen, und erzaͤhlte ihr noch die Urtheile der Ge - ſellſchaft, mit dem Zuſatz, daß ich der Vertheidiger des Fraͤuleins werden wollte, und ſollte es auch auf Unkoſten meines Halſes ſeyn; ſie ſollte mir nur ſagen, was ich fuͤr ſie thun koͤnnte. Das Maͤd -chen351chen war geruͤhrt. Maͤdchen ſeben die Gewalt der Liebe gerne; ſie nehmen An - theil an der Macht, die ihr Geſchlecht uͤber uns ausuͤbt, und helfen mit Ver - gnuͤgen an den Kraͤnzen flechten, womit unſre Beſtaͤndigkeit belohnt wird. Sie ſagte mir den folgenden Abend eine zweyte Unterredung zu, und ich gieng recht mun - ter und voller Anſchlaͤge zu Bette.

Meine Hauptſorge war, dem pinſel - haften Seymour den Widerſtand des Fraͤuleins und die heroiſch ausgezeichne - te Wuͤrkung ſeiner unartigen Vorwuͤrfe zu verbergen. Aber da ich nicht erfahren konnte, wo er ſich aufhielt, mußte ich mei - ne Guineen zu Huͤlfe nehmen, und einen Poſt-Officier gewinnen, der mir alle Briefe zu liefern verſprochen hat, die an das Fraͤulein, an Loͤbau und an alle Be - kannten des Seymour einlaufen werden. Daß ſie in ihrem eignen Hauſe keine bekom - men kann, bin ich ſicher. Sie wollte zwar unverzuͤglich auf ihre Guͤter; aber ihr Oncle erklaͤrte, daß er ſie nicht reiſen laſſe. Jhr Fieber dauert; ſie wuͤnſcht zuſterben;352ſterben; ſie laͤßt niemand als den Doctor und ihre Katze vor ſich. Die letzte habe ich ganz gewonnen; ich ſehe ſie alle Nacht, wo ich viel von den Tugenden ihres Fraͤu - leins muß erzaͤhlen hoͤren: Sie iſt ſehr zaͤrtlich, aber ſie wird niemand als einen Gemahl lieben.

Merkſt du den Wink?

Hat ſie niemals geliebt? fragte ich un - ſchuldig.

Nein; ich hoͤrte ſie nicht einmal davon reden, oder einen Cavalier loben, als im Anfang unſers Hierſeyns den Lord Sey - mour; aber ſchon lange nennt ſie ihn nicht mehr. Von Euer Gnaden Wohl - thaͤtigkeit haͤlt ſie viel.

Jch that ſehr beſcheiden und vertraut gegen das Thierchen; und da ſie mir im Nahmen ihres Fraͤuleins, alle Vertheidi - gung ihrer Ehre, die ich ihr angeboten, unterſagte, ſo ſetzte ich klaͤglich hinzu: Wird ſie meine Anwerbung auch verwer - fen? Ungeachtet ich ſie auch wider den Willen des Lord G. machen muͤßte, ſo wuͤrde ich doch alles wagen, um ſie ausden353den Haͤnden ihrer unwuͤrdigen Familie zu ziehen, und ſie in England einer beſſern vorzuſtellen. Jch mußte dieſe Sayte an - ſtimmen, weil ſie mir ſelbſt den Ton ba - zu angegeben, und weil ich ihren Ekel fuͤr D * und ihren Hang fuͤr England benutzen wollte, ehe der Jaſt von Seymour verloͤ - ſchen wuͤrde, und er bey ſeiner Zuruͤckkunft im Enthuſtasmus der Belohnung ihrer Tugend ſo weit gienge, als ihn ſeine Ver - achtung gefuͤhrt hatte. Sie hatte ihn ſonſt vorzuͤglich gelobt, itzt ſprach ſie nicht mehr von ihm, ſie nennte auch den Lord G. nicht. Lauter Kennzeichen einer glim - menden Liebe. Jch fand Wege, ihr klei - ne ſatyriſche Briefchen zuzuſchicken, wor - inn ihrer Krankheit und der Scene, die ſie auf dem Bal geſpielt hatte, geſpottet wur - de. Die Geringſchaͤtzung, welche Lord G. fuͤr ſie bezeugte, wurde auch angemerkt. Neben dieſem wiederholte ich beynahe alle Tage das Anerbieten meiner Hand, da ich zugleich ihrer freyen Wahl uͤberließ: Ob ich es bekannt machen ſollte, oder ob ſie ſich meiner Ehre und Liebe anvertrauenZwollte,354wollte. Dieſe Miene uͤberlaſſe ich nun dem Schickſal. Lange kann ich nicht mehr herum kriechen. Zwo Wochen daurt es ſchon, und ohne die Anſtalten, die der Hof auf die Ankunft zweyer Prinzen von ** macht, haͤtte ich vielleicht meine Arbeit unterbrechen muͤſſen. John iſt ein vor - trefflicher Kerl; er will im Fall der Noth die Trauungs-Formeln auswendig lernen, und die Perſon des engliſchen Geſandt - ſchaftspredigers ſpielen. Meine letzten Vorſchlaͤge muͤſſen etwas fruchten, denn mit allen ihren ſtralenden Vollkommenhei - ten iſt ſie doch nur ein Maͤdchen. Jhr Stolz iſt beleidigt, und es iſt ſchwer der Gelegenheit der Rache zu entſagen. Keine Seele nimmt ſich ihrer an, als ich; auch findet ſie mich großmuͤthig und weiß mir vielen Dank fuͤr meine Geſinnungen. Niemals haͤtte ich dieß vermuthet; aber ſie will mich nicht ungluͤcklich machen, es ſoll niemand in ihr Elend verwickelt werden. Meine Zuruͤckhaltung, daß ich auf keinen Beſuch in ihrem Zimmer dringe, erfreut ſie auch, vielleicht deswe -gen,355gen, weil ſie ſich nicht gerne mit ihrer Fie - berfarbe ſehen laſſen will.

Jn wenig Tagen muß meine Miene ſpringen, und es duͤnkt mich, ſie ſoll gerathen. Giebſt du mir keinen Segen dazu?

Milord Derby an ſeinen Freund

Sie iſt mein, unwiderruflich mein; nicht eine meiner Triebfedern hat ihren Zweck verfehlt. Aber ich hatte eine teufliſche Gefaͤlligkeit noͤthig, um bey ihr gewiſſe Geſinnungen zu unterhalten, und daneben zu hindern, daß andre keinen Gebrauch von ihrer Empfindlichkeit machten. Aber ihr guter Engel muß ſie entweder verlaſ - ſen haben, oder er iſt ein phlegmatiſches traͤges Geſchoͤpfe; denn er that auf allen Seiten nichts, gar nichts fuͤr ſie. Z 2Sagte356Sagte ich dir nicht, daß ich ſie durch ihre Tugend fangen wuͤrde? Jch habe ihre Großmuth erregt, da ich mich fuͤr ſie auf - opfern wollte; dafuͤr war ſie, um nicht meine Schuldnerinn zu bleiben, ſo groß - muͤthig, und opferte ſich auf. Sollteſt du es glauben? Sie willigte in ein ge - heimes Buͤndniß; einige Bedingungen ausgenommen, die nur einer Schwaͤrme - rin, wie ſie iſt, einfallen konnten. Mei - ne ſatyriſchen Briefe hatten ihr geſagt, daß ihr Oucle ſie dem Jntereſſe ſeines Proceſſes habe aufopfern wollen; daß man ſich um ſo weniger daruͤber bedacht haͤtte, weil man geſagt, die Mißheyrath ihrer Mutter verdiene ohnehin nicht, daß man fuͤr ſie die nehmliche Achtung truͤge, als fuͤr eine Dame.

Nun war alles aufgebracht; Tugend, Eigenliebe, Eitelkeit; und ich bekam das ganze Paquet ſatyriſcher Briefe zu leſen. Sie ſchrieb einen Auszug aus den meini - gen, und fragte mich: Ob ich durch mei - ne Beobachtungen uͤber ihren Charakter genugſame Kenntniß ihres Herzens undDenkungs -357Denkungsart haͤtte, um von der Falſchheit dieſer Beſchuldigungen uͤberzeugt zu ſeyn? Sie wiſſe, daß man in England einem Manne von Ehre keinen Vorwurf mache, wenn er nach ſeinem Herzen und nach Ver - dienſten heyrathe. Sie koͤnne an meiner Edelmuͤthigkeit nicht zweifeln, weil ſie ſolche mich ſchon oft gegen andre ausuͤben ſehen; ſie haͤtte mich deswegen hochge - ſchaͤtzt; und nun, da das Schickſal ſie zu einem Gegenſtande meiner Großmuth gemacht habe, ſo truͤge ſie kein Bedenken, die Huͤlfe eines edeln Herzens anzuneh - men; ich koͤnnte auf ewig ihres zaͤrtlichen Danks und ihrer Hochachtung verſichert ſeyn; ſie gienge alle Bedenklichkeiten we - gen der Bekanntmachung unſers Buͤnd - niſſes ein; es waͤre ihr ſelbſt angenehm, wenn alles ſtille bleiben koͤnnte, und wenn ſie mich nichts als die Sorgen der Liebe koſtete. Nur baͤte ſie mich um die Gewaͤhrung von vier Bedingniſſen, da - von die erſte beſchwerlich, aber unum - gaͤnglich noͤthig fuͤr ihre Ruhe ſey, nehm - lich zu ſorgen, daß ich mit ihr vermaͤhltZ 3wuͤrde,358wuͤrde, ehe ſie das Haus ihres Oncles verließe, indem ſie nicht anders als an der Hand eines wuͤrdigen Gemahls dar - aus gehen wolle. Die zweyte: daß ich ihr erlauben moͤchte, von den Einkuͤnften ihrer Guͤther auf drey Jahre eine Verga - bung zu machen. (Die gute Haustau - be!) Drittens, moͤchte ich ſie gleich zu ihrem Oncle, dem Grafen R*, nach Flo - renz fuͤhren, denn dieſem wolle ſie ihre Vermaͤhlung ſagen; ihre Verwandten in D* verdienten ihr Vertrauen nicht. Von Florenz aus waͤre ſie mein, und wuͤrde in ihrem uͤbrigen Leben keinen andern Willen als den meinigen haben; uͤbri - gens und viertens, moͤchte ich ihre Kam - merjungfer bey ihr laſſen.

Jch machte bey dem erſten Artickel die Einwendung der Unmoͤglichkeit, weil Lord G., oder der Fuͤrſt alles erfahren wuͤr - de: wir wollten uns an einem andern ſichern Orte trauen laſſen. Aber da war die entſcheidende Antwort; ſo bleibe ſie da, und wollte ihr Verhaͤngniß abwar - ten. Nun ruͤckte John an, und ichſchrieb359ſchrieb ihr in zween Tagen, daß ich un - ſern Geſandtſchafts-Prediger gewonnen haͤtte, der uns trauen wuͤrde; ſie moͤchte nur ihre Jungfer ſchicken, um Abends ſelbſt ihn zu ſprechen. Dieß geſchah; das Maͤdchen brachte ihm einen in engli - ſcher Sprache geſchriebnen Brief, worinn meine Heldin die Urſachen einer geheimen Heyrath auskramte und ihren Entſchluß entſchuldigte, ſich ſeinem Gebet und ſei - ner Fuͤrſorge empfahl und einen ſchoͤnen Ring beylegte.

John, der Teufel, hatte die Kleider des Doctors an, und ſeine Perucke auf; und redete gebrochen, aber ſehr pathetiſch Deutſch. Das Kaͤtzchen kroch ſehr an - daͤchtig um ihn herum; ich gab ihr eine Verſchreibung mit, die John unterzeich - nete, und ſagte ihr, daß das bevorſte - hende Feſt den beſten Anlaß geben wuͤrde unſer Vorhaben auszufuͤhren, weil man ſie wegen ihrer andaurenden Kraͤnklich - keit nicht einladen und nicht beobachten wuͤrde.

Z 4Alles360

Alles geſchah nach Wunſche; ſie war froh uͤber mein Papier und meine Gefaͤl - ligkeit gegen ihre Vorſchriften. Warum haben doch gute Leute ſo viel Schafmaͤ - ßiges an ſich, und warum werden die Weibsbilder nicht klug, ungeachtet der unzaͤhligen Beyſpiele unſerer Schelme - reyen, welche ſie vor ſich haben? Aber die Eitelkeit beherrſcht ſie unumſchraͤnkt, daß ein jeder glaubt, ſie haͤtte das Recht eine Ausnahme zu fodern, und ſie ſey ſo liebenswuͤrdig, daß man unmoͤglich nur ſeinen Spaß mit ihr treiben koͤnne. Da moͤgen ſie nun die angewieſne natuͤrliche Beſtrafung ihrer Thorheiten annehmen, indeſſen wir die Belohnung unſers Witzes genießen. Gewiß, da meine Sternheim keine Ausnahme macht, ſo giebt es keine in der Welt. Jndeſſen iſt ihr Verderben deswegen nicht beſchloſſen. Wenn ſie mich liebt, wenn mir ihr Beſitz alle die abwechſelnden lebhaften Vergnuͤgungen giebt, die ich mir verſpreche: ſo ſoll ſie Lady Derby ſeyn, und mich zum Stamm - vater eines neuen naͤrriſch genug gemiſch -ten361ten Geſchlechts machen. Fuͤr mein er - ſtes Kind iſt es ein Gluͤcke, daß ſeine Mutter eine ſo ſanfte fromme Seele iſt; denn wenn ſie von dem nehmlichen Geiſt angefeurt wuͤrde wie ich, ſo muͤßte der kleine Balg zum Beſten der menſchlichen Geſellſchaft in den erſten Stunden erſtickt werden; aber ſo giebt es eine ſchoͤne Mi - ſchung von Witz und Empfindungen, welche alle Junge von unſrer Art auszeich - nen wird. Wie zum Henker komme ich zu dieſem Stuͤcke von Hausphyſik! Freund, es ſieht ſchlimm aus, wenn es fortdauert; doch ich will die Probe bis auf den letzten Grad durchgehen.

Mein Maͤdchen ließ ſich noch Medi - ein machen, und packte daneben einen Coffer mit Weiszeug und etwas leich - ten Kleidern voll, den ich und John an einem Abend fortſchleppten. Sie ſchrieb einen großen Brief im giganti - ſchen Ton der hohen Tugend, worinn ſie ſagt, daß ſie mit einem wuͤrdigen Gemahl von der Gefahr und Bosheit fliehe! ſie wieß ihrem Onkle den drey -Z 5jaͤhrigen362jaͤhrigen Genuß aller ihrer Einkuͤnfte an, um ſeinen Proceß damit zu betrei - ben; ſie hoffte, ſagte ſie, er wuͤrde da - durch mehr Segen fuͤr ſeine Kinder er - langen, als er durch die Grauſamkeit erhalten, die er an ihr ausgeuͤbt habe. Von Florenz werde er Nachricht von ihr erhalten. Jhre reichen Kleider ſchenkte ſie in die Pfarre fuͤr Arme. Von dieſer Art von Teſtamente ſchickte ſie auch dem Fuͤrſten und dem Lord G. Copien zu.

Den Tag, wo das große Feſtin auf dem Lande gegeben wurde, waren mei - ne Anſtalten gemacht, ich war den gan - zen Tag bey Hofe uͤberall mit ver - mengt. Als das Getuͤmmel recht arg wurde, ſchlich ich in meinen Wagen, und flog nach D *. John eilte mit mir in den kleinen Gartenſaal des Grafen Loͤ - bau, wo ich in Wahrheit mit einem das Erſtemal pochenden Herzen das artige Maͤdchen erwartete. Sie wank - te endlich am Arm ihres Kaͤtzchens her - ein, niedlich gekleidet, und vom Hauptbis363bis zu den Fuͤſſen mit Adel und ruͤh - render Grazie bewaffnet. Sie zagte einen Augenblick an der Thuͤre, ich lief gegen ihr, ſie machte einen Schritt, und ich kniete bey ihr mit einer wah - ren Bewegung von Zaͤrtlichkeit. Sie gab mir ihre Haͤnde, konnte aber nicht reden; Thraͤnen fielen aus ihren Au - gen, die ſich zu laͤcheln bemuͤhten; ich konnte ihre Beſtuͤrzung genau nachah - men, denn ich fuͤhlte mich ein wenig beklemmt, und John ſagte mir nach - her, daß es Zeit geweſen waͤre, ihm das Zeichen zu geben, ſonſt wuͤrde er nichts mehr geantwortet haben, in - dem ihn ſeine Entſchloſſenheit beynahe verlaſſen habe.

Doch das waren leere Aufſtoßungen unſerer noch nicht genug verdauten ju - gendlichen Vorurtheile.

Jch druͤckte die rechte Hand meines Maͤdchens an meine Bruſt.

Jſt ſie mein, dieſe ſegensvolle Hand? Wollen ſie mich gluͤcklich machen? ſagte ich mit dem zaͤrtlichſten Tone.

Sie364

Sie ſagte ein ſtotterndes Ja! Und zeigte mit ihrer linken Hand auf ihr Herz. John ſah mein Zeichen und trat herbey, that auf Engliſch eine kurze Anrede, plapperte die Traufor - mel her, ſegnete uns ein, und ich hob meine halb ohnmaͤchtige Sternheim triumphirend auf, druͤckte ſie das Erſtemal in meine Arme, und kuͤßte den ſchoͤnſten Mund, den meine Lippen jemals beruͤhrten. Jch fuͤhlte eine mir unbekannte Zaͤrtlichkeit und ſprach ihr Muth zu. Einige Minu - ten blieb ſie in ein ſtillſchweigendes Er - ſtaunen verhuͤllt. Endlich legte ſie mit einer bezaubernden Vertraulichkeit ihren ſchoͤnen Kopf an meine Bruſt, er - hob ihn wieder, druͤckte meine Haͤnde an ihren Buſen; und ſagte:

Milord, ich habe nun niemand auf der Erde als Sie, und das Zeugniß meines Herzens. Der Himmel wird Sie fuͤr den Troſt belohnen, den Sie mir geben, und dieſes Herz wird Jhnen ewig danken.

Jch365

Jch umarmte ſie und ſchwur ihr al - les zu. Nachdem mußte ſie mit ih - rem Maͤdchen beyſeite gehen und Mannskleider anziehen. Jch ließ ſie allein dabey, weil ich meiner Leiden - ſchaft nicht trauete, und die Zeit nicht verlieren durfte. Wir kamen unbemerkt aus dem Hauſe, und da wegen des Feſtes, welches man dem Prinzen von ** gab, viel Kutſchen aus und einfuhren, achtete man die meinige nicht, in welcher ich meine Lady und ihr Maͤdchen fortſchickte. John, der ſeine eigne Geſtalt wieder angenommen, war ihr Begleiter. Jch redete ihren Ruheplatz in dem Dorfe Z * unweit B * mit ihm ab, und eilte zum Bal zuruͤck, wo niemand meine Abweſenheit wahrgenommen hatte. *)Heureſement[!]Jch tanzte meine Reihen mit Froͤhlich - keit durch, und lachte, als der Fuͤrſt dem engliſch tanzen nicht zuſehen woll - te, indem ihm das Andenken der Stern - heim quaͤlte.

Das366

Das Gelerme, Muthmaßen und Nachſchicken des zweyten Tages, will ich dir in einem andern Briefe be - ſchreiben. Jch reiſe itzt auf acht Ta - ge zu meiner Lady, die, wie mir John ſchreibt, ſehr tiefſinnig iſt und viel weint.

Sie ſehen, meine Freundin, aus den Briefen des ruchloſen Lords Derby, was fuͤr abſcheuliche Raͤnke gebraucht wurden, um die beſte junge Dame, an den Rand des groͤßten Elendes zu fuͤh - ren. Sie koͤnnen ſich auch vorſtel - len, wie traurig ich die Zeit zuge - bracht habe, von dem Augenblick an, da ſie vom Bal kam, krank war und dabey immer aus einer bekuͤmmernden Unruhe des Gemuͤths in die andre ge - ſtuͤrzt wurde. Da ſie von keinem Menſchen mehr Briefe bekam, vermu - theten wir, der Fuͤrſt und der Graf Loͤbau ließen ſie auffangen. Die Art, mit welcher ihr abgeſchlagen wurde aufihre367ihre Guͤther zu gehn, und ein Beſuch des Fuͤrſten befoͤrderten die Abſichten des Lord Derby. Ungluͤcklicher weiſe betaͤubte mich der unmenſchliche Mann auch, daß ich zu allem half, um mei - ne Fraͤulein aus den Haͤnden ihres Oncle zu ziehen.

Sie ſehen aus ſeinen Briefen, wie viel Argliſt und Verſtand er hatte. Daneben war er ein ſehr ſchoͤner Mann; und mein Fraͤulein freuete ſich, ihre Begierde nach England zu befrie - digen.

O wie viel werden Sie noch zu le - ſen bekommen, woruͤber ſie erſtaunen werden. Jch will ſo fleißig ſeyn, als mir moͤglich iſt, um Sie nicht lange darauf warten zu laſſen.

[368][369][370][371][372]

About this transcription

TextGeschichte des Fräuleins von Sternheim
Author Sophie von La Roche
Extent398 images; 56491 tokens; 8120 types; 385387 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGeschichte des Fräuleins von Sternheim Erster Theil Sophie von La Roche. Christoph Martin Wieland (ed.) . XXII, 367 S. Weidmann u. ReichLeipzig1771.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, Wa 7074Dig: http://diglib.hab.de/drucke/wa-7074-1b/start.htm

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:28Z
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, Wa 7074
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