PRIMS Full-text transcription (HTML)
Phyſiognomiſche Fragmente, zur Befoͤrderung der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe,
Zweyter Verſuch.
Mit vielen Kupfertafeln.
[figure]
Leipzig und Winterthur,1776. BeyWeidmanns Erben und Reich, undHeinrich Steiner und Compagnie.

An Louiſen Prinzeſſinn von Heſſen-Darmſtadt regierende Herzoginn von Weimar.

Vortreffliche Fuͤrſtinn,

Den zweyten Theil dieſer, unter mancherley Drang bearbeiteten Frag - mente, lege ich mit dem Wunſche und mit der beruhigenden Hoffnung Ew. Durchl. zu Fuͤßen: daß Sie Wahrheit, Nutzen und Vergnuͤgen daraus ſchoͤpfen, Sich aufs neue Jhrer Menſchheit, und des Vaters der Menſch - heit, und des Urbildes der Menſchheit freuen werden.

Mehr ſag ich nicht, denn ich weis, daß Jhr Herz, zu der wahreſten Empfindung rein geſtimmt, das beſte Gefuͤhl ſchon entweiht achtet, wenn es in Worte uͤbergeht.

Zuͤrich, den 24. Jaͤnner 1776.Johann Caſpar Lavater, Pfarrer am Waiſenhauſe.

Jnnhalt

Jnnhalt des zweyten Verſuchs.

  • Einleitung. Beſorgniſſe und Hoffnungen des Verfaſſers. Seite 1
  • I. Fragment. Allgemeinheit des phyſiognomi - ſchen Gefuͤhles. 8
  • 1. Tafel. 1 Tafel. 9 Umrißkoͤpfe nach Poußin. 11
  • 2. Tafel. 2 16 Portraͤte im Profil, ſchattirt. 13
  • II. Fragment. Seltenheit des phyſiognomi - ſchen Beobachtungsgeiſtes. 16
  • 3. Tafel. 1 4 Umriſſe von Kleiſt. 18
  • 4. Tafel. 2 4 Umriſſe eines Chriſtuskopfes. 21
  • Zugabe. Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel. 24
  • III. Fragment. Trefflichkeit aller Menſchen - geſtalten. 27
  • Zugabe. Einige Bemerkungen uͤber Neugebohr - ne, Sterbende, Todte. 33
  • IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe. 36
  • V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. 41
  • VI. Fragment. Beantwortung einiger beſon - dern Einwendungen. 48
  • VII. Fragment. Ueber Verſtellung, Falſch - heit, Aufrichtigkeit. 55
  • VIII. Fragment. 5. Tafel. Sokrates nach Rubens, ſchattirt. 64
  • 6. Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke. 71
  • 7. 2 Zugabe. 9 Profilumriſſe von Sokrates. 75
  • IX. Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey. S. 78
  • X. Fragment. Einige Stufen von Urtheilen uͤber Portraͤte. 86
  • XI. Fragment. Ueber Schattenriſſe. 90
  • XII. Fragment. Fortſetzung. Was man aus bloßen Schattenriſſen ſehen koͤnne? 94
  • 8. Tafel. Fortſetzung. I. Tafel. 6 maͤnnliche bloße Umriſſe. 100
  • 9. II. 4 ſchwarze maͤnnliche Schattenriſſe in Ovalen. 103
  • 10. III. 4 ſchwarze maͤnnliche Schattenriſſe mit Linien. 104
  • 11. IV. 4 maͤnnliche etwas kleiner. 105
  • 12. V. 3 maͤnnliche Kahlkoͤpfe. 107
  • 13. VI. 4 maͤnnliche in Ovalen. 108
  • 14. VII. 2 maͤnnliche, 2 weibliche Schattenriſſe von demſelben Kopfe. 111
  • 15. VIII. 4 weibliche Silhouetten in Ovalen. 115
  • 16. IX. 6 weibliche bloße Umriſſe. 117
  • 17. X. 3 weibliche ganz ſchwarze Silhouetten. 119
  • 18. XI. 4 weibliche Schattenkoͤ - pfe in Ovalen, dieſelbe Perſon zweymal. 121
  • 19. XII. 9 weibliche Umriſſe. 123
  • XII. Fragment. 20. Tafel. Fortſetzung. XIII. Tafel. 4 maͤnnliche Umriſſe in Ovalen, mit Linien. T. 125
  • 21. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 21. Tafel. Fortſetzung. XIV. Tafel. 6 Umriſſe von Silhouetten mit Linien. F .. t .. S. 127
  • 22. XV. 4 maͤnnliche Kahlkoͤpfe von hinten. 132
  • II. Abſchnitt. XIII. Fragment. 23. Tafel. Thierſchaͤdel. Umriſſe von verſchiede - nen Thierſchaͤdeln. 139
  • XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. 143
  • I. Von der Bildung der Knochen, be - ſonders der Schaͤdel. 143
  • II. Winke fuͤr den Phyſiognomiſten. 147
  • III. Einwendung und Beantwortung. 148
  • IV. Weitere Beantwortung. 149
  • 24. Tafel. V. Derſelbe Schaͤdel zweymal auf einem Blatte. I. Tafel. 152
  • 25. VI. Vier Schaͤdel. II. Tafel. A. 155
  • VII. Unterſchied der Schaͤdel in Anſe - hung der Geſchlechter. 157
  • 26. VIII. Drey Schaͤd[e]l, eines Hollaͤnders, Calmucken, und Mohren. III. Ta - fel B. 159
  • IX. Noch einige Anmerkungen uͤber den Bau und die Geſtaltung der Schaͤdel. 161
  • X. Von Kinderſchaͤdeln. 163
  • 27. XI. Fortſetzung. 4 Kinderſchaͤdel. C. IV. Tafel. 166
  • 28. XIII. Von einer andern Art, die Schaͤdel zu beobachten. Ein aufm Ruͤcken liegender Schaͤdel. E. V. Tafel. 167
  • 29. XIV. Stirnen. VI. Tafel. 169
  • 30. XV. Ein umgekehrter Schaͤdel. F. VII. Tafel. 169
  • XVI. Poetiſcher Beſchluß. 170
  • XV. Fragment. Affen. 174
  • 31. Tafel. I. Tafel. 32 Affenkoͤpfe. 175
  • 32. Tafel. II. Tafel. 2 Affenſchaͤdel. S. 178
  • XVI. Fragment. Schwache, thoͤrichte Men - ſchen. 181
  • 33. Tafel. I. Tafel. 4 Umriſſe von maͤnnlichen Tho - ren. 181
  • 34. II. 4 weibliche Profilumriſſe von Thoͤrinnen. 182
  • 35. III. 3 maͤnnliche. 1 weiblicher. 183
  • 36. IV. 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe. 184
  • 37. V. 6 weibliche ſchattirte Koͤpfe nach Chodowiecki. 185
  • 38. VI. 16 idealiſche Profilkoͤpfe nach Chodowiecki. Umriſſe. 187
  • Beſchluß. 189
  • XVII. Fragment. Thieriſche Stumpfheit; Hornkraft. 192
  • 39. Tafel. Eine Tafel, Widder, Ziegen, Schaafe. 192
  • XVIII. Fragment. Zerſtoͤrte menſchliche Na - tur. 194
  • 40. Tafel. Ruͤdgerodt. 194
  • XIX. Fragment. 41. Tafel. Philipp der III. 197
  • XX. Fragment. 42. Tafel. Matthias, Kaiſer. 198
  • XXI. Fragment. 43. Tafel. Ochſen, Hirſche, Haaſen. 199
  • XXII. Fragment. Eine Reihe von Fuͤrſten und Helden. 200
  • 44. Tafel. I. Philipp der gute. Umriß. 200
  • 45. II. Wilhelm der III. 200
  • 46. III. Rudolph der I. 201
  • 47. IV. Albert der I. Umriß. 201
  • 48. V. Friedrich der III. 201
  • 49. VI. Friedrich der IV. 202
  • 50. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 50. Tafel. VII. Wilhelm, Graf zu Naſſau. S. 202
  • 51. VIII. Ernſt, Graf zu Mannsfeld. 202
  • 52. IX. Uladislaus der VI. 203
  • 53. X. Maximilian. 203
  • XXIII. Fragment. 54. Tafel. Voͤgel. I. 17 Voͤgelkoͤpfe. 205
  • 55. II. Goldadler. 207
  • XXIV. Fragment. Feldherren. Admiraͤle. 208
  • 56. Tafel. I. Bourbon und Ruyter. Umriß. 208
  • 57. II. Marlbourough. 208
  • XXV. Fragment. 58. Tafel. Kameele. Dro - medare. 210
  • XXVI. Fragment. Treue, feſte Charaktere von Leuten gemeiner Extraction. 211
  • 59. Tafel. I. Ein zuͤrcherſcher Landmann, Z. B. ſchat - tirt. 211
  • 60. II. Zween zuͤrcher Bauren, A. B. ſchattirt. 212
  • 61. III. Ehrlichkeit, Droituͤre, Halbumriß, halbſchattirt. Bonhomie. Hoze. 215
  • 62. IV. Kleinjogg, von Chodowiecki, ſchat - tirt. 216
  • XXVII. Fragment. 63. Tafel. Hunde. 218
  • XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler. 220
  • 64. 65. Tafel. I. II. Coͤlla, ſchattirt im Profile. 220
  • 66. III. Lips, mit beyden Augen, ſchattirt. 222
  • 67. IV. Pfenninger, Profil, ſchattirt. 225
  • XXIX. Fragment. Noch einige andere Kuͤnſt - ler. 227
  • 68. Tafel. I. P. B. d. M. ein ſchattirtes Profil. 227
  • 69. II. Janus Lutma. Umriß. 229
  • 70. III. Paul duͤ Pont, ein ſchattirter Kopf nach Vandyk. 230
  • 71. Tafel. IV. 2 Portraͤte von Vandyk, ſchattirt. S. 232
  • XXX. Fragment. Sanfte, edle, treue, zaͤrtli - che Charaktere vom gemeinſten Menſchenver - ſtande an bis zum Genie. 233
  • 72. Tafel. I. H. St. zwey ſchattirte Profile. 233
  • 73. II. H. ein ſchattirtes Profil. 234
  • 74. III. 4 Umriſſe im Profil. 236
  • 75. IV. St. ein ſchattirtes Profil. 239
  • 76. V. H ... Z. ein ſchattirtes Profil. 241
  • 77. VI. P ... t. ein ſchattirtes Profil. 242
  • 78. VII. I. L. P. daſſelbe Geſicht mit beyden Augen, ſchattirt. 242
  • 79. VIII. C ... s de St ... g. Umriſſe. 244
  • 80. IX. C ... s de St ... g. ſchattirt und Schattenriſſe. 244
  • XXXI. Fragment. 81. Tafel. Baͤren, Faul - thier, Wildſchwein. 252
  • XXXII. Fragment. Helden der Vorzeit. 254
  • 82. Tafel. I. Scipio, Umriß. 254
  • 83. II. Titus, ſchattirt. 255
  • 84. III. Tiberius, ſchattirt. 256
  • 85. IV. Brutus, ſchattirt. 256
  • 86. V. Brutus, Umriß. 256
  • 87. VI. Caͤſar, Umriß. 259
  • 88. VII. Caͤſar, ſchattirt. 259
  • XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. 260
  • 89. Tafel. I. Loͤwen, Tieger, Katzen, Leoparden. 261
  • 90. II. Loͤwen und Loͤwinn mit Jungen. 262
  • 91. III. Loͤwen. 262
  • XXXIV. Fragment. Gelehrte, Denker, vom Sammlergeiſte bis zum wuͤrkſamſten, kraftvollſten Genie. 264
  • b92. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 92. Tafel. I. Meyer, ein ſchattirtes Profil. S. 264
  • 93. II. 3 maͤnnliche Silhouetten. 265
  • 94. III. Nach Holbein, ein Umriß. 265
  • 95. IV. und V. Eraſmus, Umriſſe. 267
  • 96. VI. Breitinger, I. I. B. ein ſchattirtes Profil. 269
  • 97. VII. Zwinglius, Umriß. 271
  • 98. VIII. Carteſius, ſchattirt von vornen. 273
  • 99. IX. 4 Koͤpfe von Neuton, ſchattirt. 276
  • 100. X. 2 Koͤpfe von Neuton, Umriß. 278
  • XXXV. Fragment. 101. Tafel. Elephanten, Rinozeros, Hippopotamus. 280
  • XXXVI. Fragment. Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher. S. 281
  • 102. Tafel. I. Ein ſchattirtes Profil mit weißen Haaren. 181
  • 103. II. M. Theoſophus, zwey Profile, ſchat - tirt und Umriß. 283
  • 104. III. Plato, Umriß. 284
  • 105. IV. H .... nn. ein ſchattirtes Portraͤt von vornen. 285
  • 106. V. Johannes, ein Umriß nach Vandyk. 287
  • Beſchluß. 289
Einleitung.[1]
[figure]

Einleitung.

Mit Zittern und Beben, mit Hoffnung und Wonne fang ich den zweyten Theil dieſer phy - ſiognomiſchen Fragmente an.

Warum mit Zittern und Beben? ... Um der großen Erwartungen, der großen Leſer wil - len, mit denen ich mich umringt ſehe? Jch kann nicht ſagen, daß mich das ganz gleichguͤltig laſſe; daß ich nicht oft in einander fahre, wenn ich mich ſo dem erlauchten und erleuchteten Pu - blikum vorgefuͤhrt erblicke; daß ich nicht oft meine entſetzliche Kleinheit und Duͤrftigkeit, das ungeheure Mißverhaͤltniß meiner Kraͤfte zu der unermeßlichen Arbeit ſo tief fuͤhle, daß mir kalter Schweiß uͤber den Leib zu rinnen ſcheint; allein, das iſt’s doch nicht eigentlich, was mich am mei - ſten zittern macht.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. AAber2Einleitung.

Aber zittern und beben muß ich deßwegen vornehmlich, weil ich die wenigſten meiner Leſer in den wahren Geſichtspunkt ſetzen oder darauf feſt halten kann.

Nicht den Leſern, mir will ich die Schuld davon beymeſſen. Jch kann nicht wuͤrken, was ich wuͤrken will; und das ſollt ich koͤnnen. Wer gut ſchreibt, wird gut geleſen. Der Verfaſ - ſer ſoll die Leſer bilden. Mit welchem Maße jeder mißt, mit demſelben wird ihm zu - ruͤck gemeſſen. Beyfall und Lob iſt leicht zu ermeſſen; aber Wuͤrkung? und gerade die Wuͤr - kung, die man will?

Allein! Wer kann ſchreiben, wie er denkt? wie er fuͤhlt? O wie ſchwer hat’s der Autor, der ſchaut und empfindet, und andre ſchaun und empfinden machen will? und wer ſchwe - rer, als der Autor der Menſchheit?

Und wann ſoll der ſchreiben, um nicht als Schriftſteller, um als Menſch, um nicht fuͤrs Publikum, ſondern fuͤr Menſchen zu ſchreiben? Um die innerſten Sayten der Menſchheit zu treffen? Um durchs Menſchengeſchlecht, durch Jahrhunderte hinab, durch alle Stuͤrme von Mit - ſchriftſtellern, alle Fluthen von Modegeſchmacke ſicher fortzuwuͤrken, auf alles, alles was Menſch heißt? Auf jede noch offne bloße Seite der Menſchheit?

Wie? wann? Jn einem Zeitalter, wo alles Schriftſteller, Leſer, Gelehrſamkeit, Kunſt, und ach ſo wenig Natur, ſo wenig reine Menſchheit, ſo wenig reines Jntereſſe fuͤr Wahr - heit, ſo wenig Durſt nach Freyheit iſt, wo alles ſich im Kunſtkleide, im Putz gefaͤllt, und niemand merkt, daß auch das ſchoͤnſte, geſchmackvollſte Kleid Denkmal des Verfalls und Joch iſt, un - ter dem der Sohn der Natur ſchmachtet, und in den beſten Stunden ſeines Lebens blutige Thraͤnen weinen moͤchte ... Wie alſo ſchreiben und wann?

Jn den ſtillſten, ruhigſten, ſeligſten Augenblicken dieſes nur aufkeimenden Muͤhevollen Lebens in dieſer Daͤmmerung? Jn jenen Augenblicken, die ſich nicht herrufen, nicht erzwingen, mit nichts erkaufen laſſen, die gegeben werden vom Vater des Lichtes, nicht aus der Erde herauf, herab vom Himmel kommen? Jn Augenblicken, deren der Thor lacht, und der weltweiſe Buchſtaͤbler ſpottet deren Werth niemand kennt, als wer ſie genießt; in Augenblicken der ſtill ſich aufhellenden Morgenroͤthe; des daͤmmernden Abends, wenn vollendet iſt das Gute, das zu vollenden man ſich des Morgens vorzeichnete; wir uns ſo ausruhend hinſtrecken, ein geiſtreicher,mitfuͤh -3Einleitung. mitfuͤhlender, mitfortſtrebender Freund, eine zartfuͤhlende, edle ſchweſterliche Freundinn ohne An - maßung, Meſſung oder Hervordringung ihrer ſelbſt an der Seite Jn ſolchen Augenblicken, oder in denen ſeltnern der ſchlafloſen Mitternacht, wo wir erwachend an der ſanften edeln Gattinn Seite, die daͤmmernde Lampe, oder herrlicher, das zaubernde Mondlicht das ſchlafende Antlitz an - leuchten, wir Knaben und Toͤchterchen, Fleiſch von unſerm Fleiſch, und Gebein von unſern Gebeinen, Bett an Bette mit uͤberm Haupt geworfnen entbloͤßtem Arme roſenroͤthlich und ſuͤß - traͤumend, da liegen ſehen, und das ſanfte Concert des hoͤrbaren ſorgloſen Athemholens, unſere Bruſt mit Ahndungen umhauchet; ach in den ſeltnen ſeligen Augenblicken, wo Abſchiedneh - mend nach durchwachter, durchſchwatzter, durchweinter Nacht ein Geliebter, oder Bruder, und Freund im Lichte des Mondes ſtehn ... ihr Schatten auf dem Boden der Gaſſe vorm voruͤber - fliegenden Woͤlkchen verſchwindet, wieder hervor koͤmmt wir Hand in Hand ſtehn, uns an - ſehn, niederſehn, ſchweigen, gen Himmel ſehn Jtzt noch da in meiner Hand noch, und Morgen fern ſchon, und Jahre nicht mehr! vielleicht nicht mehr hienieden Dieſe Ge - danken mit den tiefern zuſammen fließen: Wir ſind ... wie wurden wir? wie kommen wir zuſammen wir ſind ... werden ſeyn, zuſammen ſeyn? Jeder Herzſchlag gleichſam zehen - tauſendfach an den Graͤnzen der herrlich gezeichneten Bildung vielbedeutend wiederholt, der Blick von der Woͤlbung des Hauptes durch alle Gewebe, Labyrinthe, Knochen, Adern, Fibern, Ner - ven bis zu den Ferſen niederwallt, in allen den Einen allbeſeelenden Geiſt ſieht .... der uns kennt, uns liebt, fuͤhlt, umfaßt; den wir kennen, lieben, umfaſſen; der ſich in dem unſrigen, wie wir uns in dem ſeinigen, erſpiegelt ach, Gedank auf Gedanke ſtuͤrzt und ſich immer verzoͤgert der letzte, letzte Haͤndedruck, der letzte Kuß auf die Stirn, die Backen, den Mund ach in dieſen menſchlichſten Augenblicken, deren jeder uns mehr Gedanken, Wuͤnſche, Freuden, Ahndungen, Hoffnungen zufuͤhrt, als oft ganze Tage und Wochen in dieſen Augenblicken, wo der Menſch ſeine Menſchheit fuͤhlt; ſeinen Namen wie ſein Gewand vergißt ſich der Menſchheit ab - ſichtlos freut;

Jn ſolchen Augenblicken ſollte man Menſchen zeichnen und uͤber den Menſchen ſchreiben; allein, wer mag’s dann? und nachher, wer kann’s? Wem ekelt’s nicht, den Nachklang ſei - ner reinſten, edelſten Wahrheitsgefuͤhle, in Linien von Dinte oder Bley zu formen? OderA 2wer’s4Einleitung. wer’s verſucht, und was davon hinſtottert wer kann’s dann ertragen, dieſes mißverſtanden, mißgefuͤhlt, und vielleicht, dieſe Perlen von Schweinen zertreten zu ſehen?

Unertraͤglich wird mir das bißgen Menſchenkenntniß oder Phyſiognomik, das mir zu Theile ward, wenn ich dieſe ſeligen Gefuͤhle der Menſchheit zertreten, und allein die Faͤden oder Seile, woran ſie hangen ſtatt ihrer beurtheilt, getadelt oder bewundert ſehe; wenn ich, was Mittel ſeyn ſollte, Zweck werden ſehe; wenn ich mich als poſitife Veranlaſſung nur zu kleinli - chen, entziefernden Menſchenrichtereyen denken muß; wo ich Gottes Wahrheit im Beſten, Schoͤnſten, was auf Erden iſt, im Menſchen; im Beſten, Schoͤnſten, was des Menſchen iſt, im Menſchengeſichte, wo nicht darſtellen, doch ahnden laſſen wollte; wo ich die Huld und belebende Milde des Vaters aller; wo ich ſeine einfach und tauſendfach wuͤrkende Weisheit andeu - ten; wo ich die Menſchen Weisheit im Schweigen und Wuͤrken lehren; wo ich die reinſte, edelſte Menſchenfreude wecken, ausbreiten wollte.

Das iſt’s, Bruder, was ich nicht tadelsweiſe ſage, was ich bloß als Laſt, die ſchwer druͤckt, dir entdecke! Glaub’s mir, naher oder ferner Leſer, wie nun immer deine Geſtalt ſeyn, deine Seele ſich im Geſichte zeigen, wie nun immer mein Buch vor dir liegen mag aufm glatten Mar - mortiſche unterm verguͤldeten Leuchter, oder auf rohem Pulte, oder aufm Kniee, oder bloß ange - ſtaunt im Zirkel neu - und wundergieriger Geſellſchafter; glaub’s mir, Leſer, wer du ſeyſt: nicht das Gelaͤrm unpruͤfender Verurtheilungen; nicht vor oder nacheilende Verlaͤumdungen Zeit und Thaten, nicht Worte ſollen mich rechtfertigen nicht das edle Freudenthraͤnen werthe Seufzen ſchwacher Frommen; was ſoll uns Phyſiognomik? was hat Er mit Jhr? nicht dieß haͤlt mich auf, meinen Pfad fortzuklimmen Jch weiß, daß ich wichtige Wahrheit ſuche, oft finde, und was ich finde, redlich gebe. Was alſo Spott oder Seufzen mich abhalten laſſen, zu geben, was ich empfangen habe?

Aber das macht mir bange, macht manche einſame Stunde mein Herz gluͤhend, daß das Große, das ich bezwecke, bezwecken ſoll: Gefuͤhl der Menſchenwuͤrde; Freude an der Menſchheit; Anſchaubarkeit Gottes im Menſchen Oeffnung eines neuen uner - ſchoͤpflichen Quells der Menſchenfreude, daß dieß von den wenigſten meiner Leſer erreicht, oder nur geahndet wird; daß ich alſo in den Augen der meiſten nur Zeitkuͤrzer bin Aber5Einleitung. Aber nur das zu ſeyn, Leſer, dazu bin ich zu ſtolz, und allein fuͤr den Zweck iſt mein Werk zu koſtbar.

Nicht bloß amuͤſiren moͤcht ich Euch, Leſer! Jch moͤcht euch die Menſchheit heilig und ehrwuͤrdig machen; moͤcht Euch im Kleinſten, im Groͤßten, im Theil, im Ganzen der Menſch - heit Gottes Weisheit, Gottes Guͤte, Wahrheit Gottes aufſchließen, fuͤhlbar machen, wie alles, das Geringſte am Menſchen, am Liebling Gottes, Ausdruck, Wahrheit, Offenbarung iſt Aufſchluß gegenwaͤrtiger und kuͤnftiger Kraͤfte .... Steine moͤcht ich hinlegen, oder hinwerfen, in den Bach, der oft reiſſender Strom wird, hier einen kleinen, einen großen dort, auf den Euer Fuß allenfalls treten, von da er fortſchreiten kann von Ufer zu Ufer Etwa die Hand reichen kann ich, oder den Stab; nicht mit dem Stabe den Strom ſpalten, daß wir trocken und Heerweiſe durchkommen ins Land, das von Milch und Honig fließt. Menſchen! Jch moͤchte mit Euch den Menſchen kennen, und fuͤhlen lernen; fuͤhlen lernen, welch Gluͤck und Ehre es iſt, Menſch zu ſeyn.

Und dann, welche Hoffnung und Wonne, wenn es mir bisweilen hoͤchſt wahrſcheinlich wird daß ich wenigſtens bey einigen wo nicht ſogleich in der erſten Gaͤhrung, doch nach und nach, vielleicht bey vielen, meinen Zweck zum Theil erreichen werde? Daß mir’s doch gelingen koͤnnte, dieß heilige Gefuͤhl der Menſchenwuͤrde allgemeiner zu machen? Welche Erhebung meines Muths dann, welchen Zuſammenfluß aller meiner Kraͤfte, welche Freudigkeit empfind ich, wenn ich mich in den Augenblicken, da ich mich hinſetze, uͤber meine Arbeit nachzudenken, oder, die Fe - der in der Hand, eine Tafel vor mir habe, deren Bedeutung ich in Worte faſſen moͤchte, wenn ich alsdann mich den Gedanken uͤberlaſſen darf:

Es iſt doch fuͤr manchen Leſer mehr als bloß Zeitkuͤrzung! Zeitkuͤrzung mag’s fuͤr hun - derte ſeyn, (es iſt immer gut, wenn dieſen hunderten die Zeit kurz wird; wer weiß, was die Lan - geweile fuͤr ſchlimme Folgen fuͤr ſie haben wuͤrde? ..) wenn’s fuͤr zehen Stoff zum Nachdenken, zum Empfinden, und Handeln wird? Wenn unter zehen Einer ſich ſeines Daſeyns und ſeiner Menſchheit innig erfreut; Einer von zehen neu empfindet wie wahrhaft in allen ſeinen Werken der iſt, aus dem, und durch den alle Dinge ſind? Neu empfindet, daß auch dasA 3Geringſte6Einleitung. Geringſte im Zuſammenhange des Ganzen wichtig, auch das Geringſte Gottes Wort, d. i. Offenbarung goͤttlicher Weisheit und Kraft iſt

Welche Hoffnung und Wonne, wenn ich mich dem Gedanken uͤberlaſſen darf

Hier ſitzt ein forſchender Juͤngling, (ein edeldenkender Reicher anvertraut ihm mein Buch) in ſeinem einſamen Cabinete und blaͤttert nicht nur fluͤchtig, lieſt mit ſtillem Nachden - ken, findet Wahrheit, freut ſich der gefundnen Wahrheit findet ſchwache, unreife, unentwi - ckelte falſche Gedanken, und uͤbt ſeine denkenden Kraͤfte zu ergaͤnzen, zu entwickeln, zu be - richtigen zu verbeſſern Ein bruͤderlicher Freund koͤmmt, ſetzt ſich neben ihn hin; ſteht mit ihm ſtill; fliegt mit ihm fort haͤlt ihn zuruͤck, ſpornt ihn an; lehrt ihn, lernt von ihm Menſchen anſchauen, Menſchen kennen, Menſchen lieben, Menſchen nuͤtzen ...

Dort eine Gattinn, die ihren Gatten, ein Gatte, der ſeine Gattinn hoͤher ſchaͤtzen, inni - ger lieben lernt, weil eins an dem andern durch beſſere Kenntniß der Geſichtszuͤge gleichſam neue Schaͤtze wuͤrklicher oder noch verborgner Trefflichkeiten entdeckt.

Dort ein Lehrer der Jugend, ein weisdenkender Vater, der auf ſeine Schuͤler, ſeine Kinder, den Bau und die Geſtalt ihrer Koͤrper, die Graͤnzlinien ihres Geſichtes, ihre Mienen und Gebehrden, ihren Gang und ihre Handſchrift aufmerkſamer zu werden beginnt, und jedem mit mehr Weisheit und Wahl das zumißt, weß er faͤhig iſt; das von ihm fordert und erwartet, was er zu geben vermoͤgend iſt.

Dort ein Freundeſuchender Juͤngling Ein Mann, der ſich eine Gattinn nach ſeinem Herzen und nach ſeinen Beduͤrfniſſen wuͤnſcht Ein Vater, der ſeinen Kindern einen Lehrer Ein Mann von Geſchaͤfften, der ſich einen Haushofmeiſter, einen Gehuͤlfen; ein Miniſter, der ſich einen weiſen, klugen, treuen Geheimſchreiber Ein Fuͤrſt vielleicht, der ſich einen unbe - ſtechlichen, redlichen, erfahrnen, uneigennuͤtzigen Miniſter wuͤnſcht oder die guten, welche er hat, richtiger ſchaͤtzen, die ſchlimmen, tiefer kennen lernt

Und allemal ſo oft ſolche Wuͤrkungen entſtehen neue innige Freude an der Menſchheit, und der ſo wahren Form der Menſchheit!

Wenn ſolche Dinge mir vorſchweben und alles iſt gewiß nicht leerer Traum einer ſich ſelbſt ſchmeichelnden Einbildung! So lebt Muth und Freude wieder in mir auf! Die Unruhe legtſich7Einleitung. ſich der Kummer verſchwindet .... Jch hoffe wieder; ich ergreife die Feder, und ſchreibe meine Gedanken, Empfindungen, Erfahrungen, Beobachtungen, Vermuthungen hin, und fuͤhle Drang zu ſchreiben und ſo zu ſchreiben, daß Nutzen und Freude quill in jeden Verſtand, jedes Herz des Wahrheitſuchenden Leſers, des Wahrheitſuchenden! der unbeſtochen vom Lob und Tadel ir - gend einer freundſchaftlichen oder feindlichen Menge mit eignen Augen zu ſehen, und mit eignem Herzen Wahrheit und Guͤte zu fuͤhlen im Stand iſt ... Jhr ſeyd’s, ſeltene, redliche, weiſe Leſer, fuͤr die ich ſchreibe. Euch bitt ich um Geduld und Nachſicht; noch mehr aber um Zu - rechtweiſung, wo ich irre, und am meiſten um Benutzung des Wahren und Guten, was ich ſage.

[figure]
Erſtes8I. Fragment. Von der Allgemeinheit

Erſtes Fragment. Von der Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Wir haben beſonders im VII. Fragmente des erſten Bandes bereits verſchiedenes von der All - gemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles geredet; hin und wieder uns auch mehrmals darauf be - rufen; und noch ſehr oft werden wir Gelegenheit haben, darauf zuruͤckzukehren.

Durch dieß phyſiognomiſche Gefuͤhl verſtehen wir die durch gewiſſe Phyſiognomien veranlaßte Empfindung und Vermuthung von der Gemuͤthsbeſchaffenheit, die damit verbunden iſt; von dem Jnnern des Menſchen, den wir vor uns haben.

Dieß Gefuͤhl iſt ſehr allgemein, das iſt es iſt kein Menſch, (und vielleicht kein Thier) dem nicht ſo gut phyſiognomiſches Gefuͤhl gegeben ſey, als ihm Augen gegeben ſind, zu ſehen. Ein jeder hat ungleiche Empfindungen, bey ungleichen Menſchengeſtalten. Jede Menſchengeſtalt macht einen andern Eindruck auf jeden, erregt andere Empfindungen in ihm, als jede andere.

So verſchieden nun auch immer die Eindruͤcke ſeyn moͤgen, die derſelbe Gegenſtand auf verſchiedene Zuſchauer macht; ſo widerſprechend die Urtheile von einer und ebenderſelben Geſtalt; ſo giebt es dennoch gewiſſe Extreme, gewiſſe Geſtalten, Phyſiognomien, Mienen, Lineamente von denen alle Menſchen, die nicht augenſcheinlich toll ſind, daſſelbe Urtheil faͤllen, welche ſie we - nigſtens uͤberhaupt in Eine Claſſe ſetzen werden. So wie alle Menſchen, ſo verſchieden ſie ſonſt uͤber die Aehnlichkeit deſſelben Portraͤts denken und urtheilen moͤgen, dennoch von gewiſſen Por - traͤten einmuͤthig ſagen werden zum Sprechen aͤhnlich oder durchaus unaͤhnlich!

Man darf von hundert Beweiſen fuͤr die Allgemeinheit dieſes phyſiognomiſchen Gefuͤhles nur einige nennen, um die Sache außer Zweifel zu ſetzen.

Die ſchon angefuͤhrte allgemeine ſchnelle Beurtheilung aller Menſchen nach ihrem Aeußer - lichen will ich nicht wiederholen. Nur ſo viel will ich noch ſagen: Man gebe nur ein Paar Tage Acht auf alles, was man etwa von Menſchen hoͤrt, oder lieſt. Man wird allenthalben, ſelber von Gegnern der Phyſiognomik, phyſiognomiſche Urtheile von Menſchen hoͤren und leſen. Man ſieht’s ihm an den Augen an Man darf den Mann nur anſehen Er hat ein ehrlich Geſicht9des phyſiognomiſchen Gefuͤhles. Geſicht Bey dem iſt einem wohl zu Muthe Der hat ein ſchlimmes Paar Augen Er ſieht kraͤnklich aus Die Ehrlichkeit ſpricht ihm aus den Augen Jch gaͤb ihm was bloß auf ſein Geſicht Wenn der mich betruͤgt, ſo betruͤgt mich alles in der Welt Der Mann hat ein offnes Geſicht Jch traue dieſem Laͤcheln nicht Er darf ja niemanden in die Augen ſehen Selber die antiphyſiognomiſchen Urtheile beſtaͤtigen, als Ausnah - men, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles Seine Phyſiognomie iſt wider ihn Das haͤtt ich dem Manne nicht angeſehn; nicht zugetraut Er iſt beſſer, iſt ſchlimmer, als ſein Geſicht u. ſ. w.

Man beobachte vom hoͤchſten Weltmann an bis auf den gemeinſten Menſchen aus dem niedrigſten Poͤbel und hoͤre ihre Urtheile uͤber die Menſchen, mit denen ſie umgehen, und man wird erſtaunen, wie viel bloß phyſiognomiſches mit unterlaͤuft. Jch habe dieſe Bemerkung ſeit einiger Zeit ſo oft zu machen Gelegenheit gehabt, bey Leuten, die nicht wiſſen, daß ich eine Schrift uͤber dieſe Sache verfertige bey Leuten, die in ihrem Leben das Wort Phy - ſiognomie nie gehoͤrt hatten, daß ich’s auf die Probe will ankommen laſſen, wo man will, ob nicht alle Menſchen, ohn es zu wiſſen, mehr oder weniger dem phyſiognomiſchen Gefuͤhle folgen?

Noch ein anderer eben ſo auffallender, obgleich nicht genug bemerkter, Beweis fuͤr die Allgemeinheit dieſes phyſiognomiſchen Gefuͤhles, das iſt, dieſer dunkeln Empfindung des Unter - ſchiedes des innern Charakters nach dem Unterſchiede des Aeuſſern iſt die Menge phyſiogno - miſcher Woͤrter in allen Sprachen und bey allen Nationen; die Menge moraliſcher Benen - nungen, die im Grunde bloß phyſiognomiſch ſind. Dieſer Beweis verdiente eine ganz beſon - dere Ausfuͤhrung; fuͤr die Sprachkenntniß und Beſtimmung des Sinnes der Woͤrter, wie wich - tig und wie neu und intereſſant! Hieher gehoͤrten auch die phyſiognomiſchen Spruͤchwoͤrter. Jch bin aber dieſes auszufuͤhren nicht gelehrt genug, und nachzuſuchen, hab ich nicht Muße ge - nug, um dieß durch viele Beyſpiele, Beyſpiele aller Sprachen, ins Licht zu ſetzen.

Hieher gehoͤrt vielleicht auch die Menge phyſiognomiſcher Zuͤge, Charaktere, Beſchrei - bungen, die man in den groͤßten Dichtern ſo haͤufig findet und die ſich allen Leſern von Ge - ſchmack, Empfindung, Menſchenkenntniß und Menſchentheilnehmung ſo ſehr empfehlen ManPhyſ. Fragm. II Verſuch. Bbemerke10I. Fragment. Von der Allgemeinheitbemerke z. E. nur die haͤufigen phyſiognomiſchen Stellen in der Meſſiade wie wahre, allgemein verſtaͤndliche, allgemein treffende Poeſie! wie ſicher des Beyfalls aller Menſchen, die Menſchen ſind!

Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Woͤrter Nur einige Beyſpiele anzufuͤhren.

Aufrichtig welch ein wichtig moraliſches Wort zugleich, wie phyſiognomiſch der aufgerichtet, gerade ſteht; der die Augen nicht niederſchlagen, der gerade vor ſich hinſehen darf!

Tuͤckiſch, der ſich mit dem Angeſichte tuckt, oder buͤckt, das iſt, gegen die Erde kehrt.

Aufgeblaſen hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffaͤrtig, hochfahrend, hitzig, kalt, plump, unbeſtaͤndig (vielleicht auch leichtſinnig?) ſchielender Charakter maſ - ſiv, grob, u. ſ. w.

Allein dieß allgemeine phyſiognomiſche Gefuͤhl bezieht ſich nicht nur auf ganze gegenwaͤr - tige Menſchen. Es bezieht ſich auf Gemaͤhlde, Zeichnungen, Schattenriſſe, einzelne Linien Es iſt kaum ein Menſch, dem nicht hundert, fuͤnfhundert, tauſend Linien vorzuzeichnen waͤren, deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von ſelbſt errathen, oder doch gewiß, auf die erſte Er - klaͤrung, die man ihm davon gaͤbe, anerkennen wuͤrde.

Jch koͤnnte, wenn ich die Tafeln nicht kuͤnftig zu andern beſondern Zwecken zu brau - chen geſonnen waͤre, (wiewohl dieſer Zweck, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles zu rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) hier haͤufige Beweiſe anfuͤhren. Jch begnuͤge mich aber bloß mit zwo Tafeln.

[figure]
Erſte
[figure]
11des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Erſte Tafel. Neun Koͤpfe nach Poußin.

Jch nehme nicht eine beſonders ausgeſuchte Tafel von ganz außerordentlichen Charaktern; man haͤtte viel ausgezeichnetere waͤhlen koͤnnen viel beſtimmtere; aber es iſt beſſer, es an einer ſolchen zu zeigen, wo die Bedeutungen nicht einmal einfach, nicht beſtimmt, die Zeichnung ſelbſt mittelmaͤßig, und nichts weniger, als rein charakteriſtiſch iſt.

Jch getraue mir beynahe zu behaupten, daß jeder geſunde Menſch ich ſage nicht: von ſelbſt den Charakter dieſer neun (nach Poußin, ſehr mittelmaͤßig copirten) Koͤpfe werde beſtimmen, oder daß verſchiedene daſſelbe Urtheil daruͤber faͤllen werden; aber das getrau ich mir zu behaupten, daß die meiſten, wo nicht alle unfehlbar darinn einſtimmen werden, wenn man ihnen ein richtiges Urtheil daruͤber vorlegen wird. Wenigſtens hab ich das Vergnuͤ - gen ſehr oft gehabt, zu hoͤren, daß man zwar ohne Anweiſung, ohne vorgeſprochenes Urtheil in manchen Phyſiognomien des erſten Bandes das nicht geſehen haben wuͤrde, was man ſo - gleich darinn ſah, ſobald das Urtheil ausgeſprochen ward.

Alſo laßt uns, lieber Leſer, hier den erſten Verſuch machen, wie weit wir neben einan - der fortlaufen koͤnnen.

Starres, ſtaunendes Mitleid eines nicht kraftloſen, nicht ſchlechten Menſchen hin - geheftetes ſchreckenvolles Theilnehmen ohne Moͤglichkeit zu helfen abzuſehen Wer ſieht’s nicht im 1?

Jm 2. nicht, Ohnmacht einer zarten, offnen, nicht unedlen, anmaßungsloſen fraͤuli - chen Seele? die vom betaͤubenden Schmerz getroffen hinſinkt, der kraft - und fuͤhllos noch in dem Munde nachzuckt?

Jm 3. hinſtaunendes Wohlwollen, Huͤlfsbegier? Mehr Schrecken und weniger That - kraft, als im erſten?

Jm 4. wer nicht unaffectirten, Erbarmen flehenden Schmerz? mit Sehnſucht und Hoffnung?

Jm 5. kalte, rathloſe, ſchreckenvolle, dumme Angſt?

B 2Jm12I. Fragment. Von der Allgemeinheit

Jm 6. Theilnehmung, Unwillen uͤber der Stirne, laͤſſige Hingebenheit im Munde eines nicht ſchwachen, nicht rathloſen Menſchen, der wenig Zuverſicht zu ſich ſelbſt hat, und deſſen Thaͤtigkeit auf einem gewiſſen Punkte von Kraftmangel erſchlafft?

Jm 7. unerhabne Andacht, demuͤthige, leidende, anmaßungsloſe Guͤte?

Jm 8. unentſchloſſene Entſchloſſenheit. Sie will ſich raͤchen allenfalls, aber weiß noch nicht wie? das Auge mehr ſchauend, als treffend. Jm Munde mehr That, als Ueberlegung.

Jm 9. angeſtrengte Aufmerkſamkeit, ohne Verſtand und Geſchmack. Jn der Ober - lippe und uͤberhaupt im Munde iſt ſichtbarer Mangel an beſtimmter Ueberlegung, und wenig Adel. Jm Ganzen wie wenig Reines und Feines?

[figure]
Zweyte
[figure]
13des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Zweyte Tafel. Sechzehn Profilkoͤpfe in Ovalen.

Laßt uns noch mit den 16. Koͤpfen auf dieſer Platte einen Verſuch machen. Karikaturen? Wie ihr wollt ſucht die Originale nirgends in der Welt. Wir haben nur Karikaturen vor uns. Die meiſten Originale dazu ſind ohne Zweifel viel beſſer! Wir beurtheilen, was wir vor uns haben die vierte, fuͤnfte Copie nicht das Original. Unſere Abſicht iſt, dem Leſer und Forſcher ſo mannichfaltige Koͤpfe, wie moͤglich, vorzulegen, und ſein phyſiognomiſches Gefuͤhl zu uͤben. Jeder mag ſich pruͤfen, ob ſein Gefuͤhl mit dem Urtheil, das man ihm vorlegen wird, uͤbereinſtimme?

  • 1. Ein ſehr kraͤnkelnder, ſchwindſuͤchtiger, choleriſchmelancholiſcher, einfaͤltiger Schu - ſter. (Jm Vorbeygehn zu ſagen: Faſt keine Art Leute ſind ſo ſchlecht gebildet, als die Schuſter; und faſt keine Art Leute, im Durchſchnitte genommen, ſo mißgeſtaltet, wie dieſe Auch iſt nicht weniger anmerkungswerth, daß unter 80 Schuſterkindern in Zuͤrich nicht mehr als 6 oder 7 Knaben ſind. Moͤchte eine weiſe menſchenfreundliche Akademie dieß in gemeinnuͤtzige Beher - zigung nehmen! ) Hier ſieht man aufs deutlichſte, die durch mehr als eine Generation zuſam - mengezogene Wuͤrkungskraft, voͤllig ermangelnd an Leben und Quellgeiſt. Zuckende Schwaͤche und hypochondriſcher Starrſinn. Die Anlage dieſes Menſchen iſt gut und man hat eine Ahndung, daß in einem andern Geſchlecht Naſe und Mund lebendiger vorgeruͤckt waͤren, und er zu einem edlen kraͤftigen Menſchen haͤtte gezeugt werden koͤnnen; denn es iſt evident verkruͤppelte, zuſammenge - ſchrumpfte, kraftloſe, und doch duͤrr widerhaltende Menſchenkraft. Man bemerke an dieſem Pro - file das einwaͤrtsgehende > Groͤßtentheils Charakter der Schwaͤche.
  • 2. Jſt aufgegangen wie Semmel in Milch. Er hat die moͤglichen Graͤnzen ſeines Da - ſeyns alle ausgefuͤllt. Jn ſeinem aͤußern Umriß iſt nichts verzogenes, wie in dem ganzen Charak - ter nichts verſchobenes zu ſeyn ſcheint. Nur gemeine phlegmatiſche Beſchraͤnktheit und Schwaͤche.
  • 3. Eitle, kurzſinnige Behaglichkeit ohne Moralitaͤt, Ausbildung, oder Guͤte. Leeres Zutrauen zu ſich ſelbſt, ſtumpfeitle und immer um mangelnde Theilnehmung fragende Gefaͤl - ligkeit.
B 34. Ein14I. Fragment. Von der Allgemeinheit
  • 4. Ein aͤuſſerſt verſchobener Menſch, und wie mich duͤnkt, in der Natur mit dieſen Zuͤgen unmoͤglich. Die kurzſinnige Verſchobenheit in den Augenbraunen, die leere Feinheit des Auges, die ziemliche Gradheit der Naſe, die Untheilnehmung des Mundes, die fatale Selbſtig - keit des ganzen Untertheils, machen ein unerklaͤrliches fatales Ganze.
  • 5. Ausgetrocknete kraͤnkelnde hypochondriſche Verzerrung. Grillenvolle Ruhe, gruͤ - belnder Verſtand. Jm Kleinen arbeitſam.
  • 6. Gut aber ſchwach, nicht unverſtaͤndig, der ſich gern zur Theilnehmung ſtimmen moͤchte.
  • 7. Ein verſtaͤndiges, grades, ehrliches Geſicht; beſonders der aͤuſſere Umriß vom Kopf der Naſe bis unters Kinn zeigt Verſtand. Die zuckende Auf - und Anſpannung thut ihm Schaden.
  • 8. Ein in Schwachheit verſunkener Kopf von guter Anlage. Einer gewiſſen Art von Beobachtung und Theilnehmung noch immer faͤhiges Geſicht.
  • 9. Gefaͤllig, verſtaͤndig, feſt, nachdenkend.
  • 10. Empfindlich, aber redlich, dienſtfertig, reicher Einbildungskraft, gedraͤngtes Sin - nes; in den Augen und der Stirn Mangel an Zurechtlegung der Verhaͤltniſſe.
  • 11. Zarter, hypochondriſcher, furchtſamer, aͤngſtlicher, verſtaͤndiger, denkender Cha - rakter; weniger Einbildungskraft als 10 und mehr Verſtand als die meiſten vorherigen, etwa 5 und 7 ausgenommen.
  • 12. Ein offener, empfaͤnglicher, ergiebiger Charakter, wie viel froͤlicher als der vorher - gehende, obgleich nicht ohne melancholiſche Tinktur. Jn der Stirn Verſtand und Feſtigkeit. Viel ſinnliche Wuͤrkſamkeit. Die Naſe und der Untertheil des Geſichts ſchwaͤcher.
  • 13. Trefflich, vorzuͤglich verſtaͤndig, lebhafte Einbildungskraft mit Melancholie tingirt. Leichtigkeit, Feinheit in der obern Haͤlfte; waͤre nur in der untern nicht anmaßliche Eitelkeit.
  • 14. Ganz trefflich. Reine, wohlgeordnete Erinnerung. Tiefdenkend! Bemerkt den Bogen des Scheitels und das Stirneck die Augenbraune Scharfer, liebevoller, feiner Blick, Richtigkeit, Guͤte, Feſtigkeit. Anlage zur tiefen Hypochondrie.
15. Treff -15des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.
  • 15. Treffliche Anlage zu Verſtand und Feſtigkeit, nur zu gepackt und untenher zu ſehr gerundet, doch noch voll Hoffnung der Ausbildung. Gefaͤllig, gut. Aber
  • 16. Wer erkennt nicht die eherne Stirn, den eiſernen Nacken, feſten Blick, unerbittlichen Sinn. Treffliche Feſtigkeit. Nach dem Farneſiſchen Herkules, nur die Naſe um etwas zu weit hervor; dieß vermindert das Gefuͤhl von Kraft, das im Ganzen ruht.

Nachſtehendes Portrait eines componirenden Tonkuͤnſtlers. Der Umriß von der Stirn an bis unter die Naſe zeigt Verſtand und vielfaſſende, reiche Einbildungskraft ohne feſte, ſtehende, gewurzelte Staͤrke oder Haͤrte.

Jn dem Auge iſt ſehr viel Empfaͤnglichkeit mannichfaltiger Eindruͤcke, und Leichtigkeit alles zu coloriren. Jn dem Mund iſt Guͤte und Gefaͤlligkeit.

[figure]
Zweytes16II. Fragment. Seltenheit

Zweytes Fragment. Seltenheit des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes.

So allgemein das dunkle, unbeſtimmte, phyſiognomiſche Gefuͤhl iſt; ſo ſelten iſt der phy - ſiognomiſche Beobachtungsgeiſt. So viele Menſchen phyſiognomiſch fuͤhlen; ſo wenige denken phyſiognomiſch.

Keine leichtere Sache ſcheint zu ſeyn, als Beobachten und keine iſt ſeltener. Beob - achten, heißt bey den Mannichfaltigkeiten einer Sache verweilen; eine Sache erſt theilweiſe betrachten, und dann ſie ganz mit andern neben ihr exiſtirenden oder moͤglichen Sachen verglei - chen; ſich das, was ſie auszeichnet, beſtimmt, zu derjenigen Sache macht, die ſie iſt klar und deutlich vorzeichnen und einpraͤgen; ſich das individuelle einer Sache im Ganzen und ſtuͤckweiſe vergegenwaͤrtigen, ſo daß man dieſe Merkmale dergeſtalt inne hat, daß man dieſelbe mit nichts in der Welt, und wenn’s ihr auch noch ſo aͤhnlich waͤre, verwechſeln kann.

Nun darf man nur z. E. die Urtheile einer Menge Menſchen uͤber ein und eben daſ - ſelbe Portraͤt anhoͤren, ſo wird man ſich ſogleich von dem allgemeinen Mangel des genauen Beobachtungsgeiſtes uͤberzeugen koͤnnen. Nichts aber hat mich ſo ſehr, und wider alle meine Erwartung, von dieſer aͤuſſerſten Seltenheit des wahren Beobachtungsgeiſtes, ſelbſt an Maͤn - nern von Genie, ſelbſt an wuͤrklich beruͤhmten und ruhmwuͤrdigen Beobachtern, ſelbſt an weit groͤßern Phyſiognomiſten, als ich in meinem Leben je zu werden mir ſchmeicheln kann Nichts, ſag ich, hat mich von der Seltenheit des aͤchten Beobachtungsgeiſtes ſelbſt an großen Maͤnnern ſo ſehr uͤberzeugt wie die Vermiſchung ganz verſchiedener Portraͤte und Schatten - riſſe! Man hat die treffendſten vollkommenſten Aehnlichkeiten zwiſchen namenloſen Portraͤten und Schattenbildern im I. Theil und zwiſchen lebenden Perſonen gefunden; man hat die Ur - theile, die daruͤber gefaͤllt wurden fuͤr hoͤchſt ungegruͤndet, wenigſtens aͤuſſerſt unvollſtaͤndig erklaͤrt und das war ganz natuͤrlich; denn ich recenſirte Schattenriſſe von Zuͤrchern und Schweizern und man ſuchte die Urbilder dazu in Berlin und Hannover. Die Mißbeobach - tung iſt ſehr leicht, und eben daſſelbe iſt mir vermuthlich ſchon mehrmals wiederfahren. Allein alles17des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. alles dieß beweiſt nur, wie ſelten der aͤchte, ſcharfe Beobachtungsgeiſt iſt; wie oft er ſelbſt die verlaͤßt, die ſich gefliſſentlich mit Beobachtungen abgeben.

Mir ſchauert oft die Haut, wenn ich an die ſchiefen Vergleichungen gedenke die man von Portraͤten und Schattenriſſen mit lebenden Perſonen macht; wie man jede Karikatur fuͤr wahres Portraͤt, oder vielleicht bisweilen gar fuͤr ein Jdeal halten kann? Die vollkommenſte Analogie ſeh ich in dieſen Urtheilen mit den Urtheilen gemeiner Menſchen uͤber den Charakter anderer. Jede Verlaͤumdung, die nur noch etwas wahres enthaͤlt wird ach! ſo leicht fuͤr reine ganze Wahrheit hinein verſchlungen, ſo wie viele tauſend elende Portraͤte, die kaum eine entfernte Aehnlichkeit haben, fuͤr kenntlich ausgerufen werden.

Unzaͤhlige elende phyſiognomiſche Urtheile entſtehen daher; und unzaͤhlige ſehr gegruͤndet ſcheinende, und dennoch aͤußerſt ungegruͤndete Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

Man nennt aͤhnlich, was nicht aͤhnlich iſt weil man ſich nicht gewoͤhnt hat, feſt und ſcharf zu beobachten.

Selber Portraͤtmahler (doch ich werd in einem beſondern Fragmente uͤber die Por - traͤtmahlerey mir die Freyheit nehmen, uͤber den Mangel des Beobachtungsgeiſtes unter ihnen nicht mein Herz zu leeren; ſondern nur ein Paar erweckende Worte fallen zu laſſen) Selber Portraͤtmahler ſind von ſolchen Uebereilungen nicht frey.

Was ich ſage, ſag ich nicht, um zu tadeln, oder zu beleidigen, ſondern um zu warnen und zu belehren.

Zu warnen vor ſchnellen ſchiefen Beurtheilungen und Vergleichungen, bis man ſicher iſt, daß man zwey unaͤhnliche Geſichter nicht mehr fuͤr aͤhnlich, und zwey aͤhnliche nicht fuͤr dieſelben halten kann.

Jch werde daher in dieſem Werke alle Gelegenheiten ergreifen, meine Leſer auf die klein - ſten, kaum bemerkbaren Unterſchiede gewiſſer Geſichter und Geſichtszuͤge, die ſich beym erſten fluͤchtigen Anblick aͤhnlich ſcheinen, aufmerkſam zu machen.

Jch hab in dieſer Abſicht von zween Koͤpfen, von jedem viermal einen bloßen Umriß ziehen laſſen, um dem nachdenkenden Leſer etwas vorzulegen, woran er ſeinen phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſt uͤben kann.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. CVier18II. Fragment. Seltenheit

Vier ſich ſehr aͤhnliche Umriſſe von Kleiſt. Dritte Tafel. Kleiſt.

Die erſte Platte enthaͤlt 4. Umriſſe von einem ziemlich aͤhnlichen Portraͤt des beruͤhmten Hel - den von Kleiſt; die zweyte von einem, durch viele Copien ſchlechtgewordenen, Jdeal eines jungen Chriſtus Kopfes.

Da die Verſchiedenheit der Kleiſtiſchen Koͤpfe noch etwas merkbarer und leichter zu finden iſt als die Verſchiedenheit der andern vier, ſo wollen wir bey der Kleiſtiſchen Tafel den Anfang machen, und die Verſchiedenheiten aufſuchen beylaͤufig zugleich was von dem Ausdrucke dieſes Geſichtes uͤberhaupt, und dem Effecte dieſer kleinen Verſchiedenheiten ein Wort ſagen. Der Leſer mag dabey das Maaß ſeines Beobachtungsgeiſtes pruͤfen und o daß ich hoffen duͤrfte, dadurch vermehren Ein wichtiger, weitreichender viel in ſich faſſen - der Gewinn! ....

Jeder ſieht, auf den erſten Blick, daß dieſes vier Umriſſe von demſelben Kopfe ſind; und von einem gewiß nicht gemeinen Kopfe. Die Aehnlichkeit aller viere iſt auffallend. Alle viere zeigen ſogleich einen edeln, beherzten, entſchloßnen maͤnnlichen Mann. Obgleich die Stel - lung des Kopfes, ob aus Schuld des Mahlers oder des Copiſten? etwas gezwungenes hat, und der ſchattenloſe Umriß allemal an ſich von der weichern Natur eine harte Ueberſetzung iſt ſo iſt dennoch im Ganzen des Geſichtes ſo viel Feuer, Freyheit, Kraft, daß der Charakter deſſelben ſchwerlich zu verkennen iſt.

Die Proportion aller Geſichtstheile, die hohe engliſche Stirn, (ich rede von dem Bilde, das wir vor uns haben) die offnen, unaufgeſperrten, beſtimmt gezeichneten, treffenden, ſtark gebog - nen Augen, die maͤnnlich edle Naſe, die gewiß, im Profil anzuſehen, voll Ausdruck von Feinheit und Geſchmack geweſen ſeyn muß Selbſt der in keinem bloßen Umriſſe nachahmbare, gewiß in allen vier Zeichnungen ſehr verhoͤlzerte Mund Kinn und Hals, wo nicht mit gerechnet, doch nicht ausgeſchloſſen, alles dieß gewinnt uns fuͤr den Mann, den tapfern, geraden, ent - ſchloßnen Mann ohne Falſch und Tuͤcke; den Mann, der ſprechen und handeln darf, wo geſpro - chen und gehandelt werden ſoll; den menſchenfreundlich thaͤtigen, uneigennuͤtzigen edeln! Manrechne

[figure]

19des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. rechne nur immer die gezwungene Stellung, die vermuthlich Manier des Mahlers war, ab, und die es vielleicht dadurch noch mehr ſcheint, daß der Kopf ſo abgeſchnitten, ohne Schulter und Bruſt da ſteht.

Aber nun laßt uns das Unaͤhnliche dieſer vier ſo ſehr ſich aͤhnlich ſcheinenden Umriſſe mit einander aufſuchen, und dabey die Regeln, nach welchen der aͤchte Beobachtungsgeiſt verfaͤhrt anwenden.

Das heißt vom Einzelnen anfangen Theil fuͤr Theil, Linie fuͤr Linie ſo beobach - ten, ſo vergleichen, als wenn ſonſt nichts, als das, beobachtet, nichts als das verglichen werden muͤßte ſodann, nach der Zergliederung wieder zuſammenſetzen und Ganzes mit Ganzem vergleichen.

Wir wollen bey der Stirn anfangen; der aͤuſſere Umriß derſelben, wo er ſich von der Muͤtze ſcheidet, auf der linken Seite bis zur aͤuſſerſten Spitze der Augenwimper iſt in 2. gewoͤlb - ter, und um ein Haar edler als in 1.

An dem linken Schlaf iſt der Umriß in 4 etwas hervorſtechender, als in den drey uͤbrigen.

Der Bogen des rechten Auges in 1. iſt der ſtaͤrkſte, keckſte, beſtimmteſte. Um die Wahl kaum, doch wuͤrklich etwas weniger gebogen, etwas weniger entſchloſſen iſt dieſer Bogen in 4. und 3. am ſchwaͤchſten in 2.

2. ſcheint mir den kraͤftigſten Augſtern zu haben. Der linke Augſtern in 4. der aufge - ſperrteſte. Der Bogen des linken Auges in 1. ſcheint mir edler, weniger gebrochen, als in 3. und 4. und beſonders in 2.

Die rechte Augbraune in 4. die kuͤrzeſte; in 2. die laͤngſte, ſchoͤnſte, und gebogenſte.

Die Linie zwiſchen dem rechten Auge und Ohre, welche vom Auge bis in die Mitte des Unterkinns fortgeht, iſt wegen der Vertiefung, unweit von der Tiefe des Ohres, angenehmer, als in den uͤbrigen dreyen, beſonders in 3.

Das Ohr 2. iſt das breiteſte. Die Vertiefung iſt nicht bemerkt, in 1. und 2. beſtimmter, als in 3.

Der Mund in 1. iſt der ſprechendſte, der ſuͤßeſte, 2. der haͤrteſte.

Die Naſe 2. ſcheint mir um etwas ſteifer, als 1.

3. und 4. uͤber dem Naslaͤppchen etwas breiter und geſchwollner, als in 1. und 2.

C 2Die20II. Fragment. Seltenheit

Die Nasloͤcher ſind in allen vieren zu klein; ein gewoͤhnlicher Fehler beynah aller Portraͤt - mahler, die gemeiniglich auf dieſe ſehr bedeutende Figur ſo wenig Aufmerkſamkeit und Fleiß, als auf die Ohren zu verwenden pflegen. An unternehmenden, warmen, kraftvollen Maͤnnern werdet ihr ſehr ſelten, um nicht zu ſagen nie, ſolche kleine, runde Nasloͤcher antreffen, wie beſonders in 2.

2. hat das ſchoͤnſte, rundeſte, beſtimmteſte Kinn.

Der Hals 4. iſt etwas duͤnner, als 3, dieſer um ein Haar duͤnner, als 4. und 1.

Und nun Ganzes mit Ganzem verglichen; ich ſtehe an, einem den Vorzug zu geben.

So viel von dieſen Umriſſen, uͤber die noch verſchiedenes zu ſagen waͤre; aber ich fuͤrchte den Leſer zu ermuͤden.

Wir wollen die noch uͤbrige Aufmerkſamkeit auf die folgende Tafel verſparen, und in - zwiſchen hier 2. Silhouetten herſetzen, die man fuͤr ebendieſelbe angeſehen hat.

[figure]
Die
[figure]
21des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes.

Die erſtere befindet ſich im I. Theil, zwiſchen der 190. und 191. Seite. Es wird dar - uͤber geſagt: Ein ſehr gerechter Mann, wackerer Hausvater, verſtaͤndig ohne Aufklaͤrung, Cul - tur und Geſchmack zur Hypochondrie geneigt. Dieſe Silhouette nun ward fuͤr die zweyte Silhouette, die wir vor uns haben, gehalten; und wie verſchieden iſt das Original der zweyten vom Originale der erſten, obgleich ſie in der Hypochondrie ſich aͤhnlich ſeyn moͤgen. Der zweyte wie viel feſter, und kriegeriſcher, wenn ich ſo ſagen darf! Ein ſehr offner Kopf, ſchreibt mir ein Freund, der ihn genau kennt ein Mann, der unendlich viel weiß, zumal aus der Hiſtorie, und der franzoͤſiſchen Litteratur eben ſo kundig, als der beleſenſte Franzoſe; auch ein Mann von uͤberaus vielem Witze, und aͤuſſerſt unterhaltend, wenn er bey guter Laune iſt Er vergißt von allem, was er lieſt, kein Wort! Wenn ich nichts von dieſem Manne gewußt haͤtte ſo haͤtt ich die vorgelegte Silhouette ſo beurtheilt: Viel Ver - ſtand (die ſonſt mir bekannten Zeichen des guten Gedaͤchtniſſes ſind ich nicht; alſo muͤſ - ſen noch andre ſeyn? welche? Lehret ſie mich, Freunde der Menſchheit! helft ſie mir ſu - chen!) Viel Verſtand (haͤtt ich geſagt) erſtaunliche bis zum Eigenſinn forttreibende Feſtig - keit! hochfliegender Muth! mit viel Graͤmeley vermiſcht .... Den attiſchen Witz haͤtt ich in dem Profile nicht geſehen vermuthlich aber in Aug und Lippe der Natur Doch da - von iſt hier eigentlich die Rede nicht. Lieber wollen wir dieſe beyden Geſichter vergleichen. Die Stirne 1. iſt ſanfter, aber nicht ſo ſcharf wie 2. und nicht ſo ſcharfſinnig! Das Ecki - ge des Untertheils des Geſichts in 2. zeigt mehr Hitze, Thaͤtigkeit, als das Flaͤchere dieſes Theils in 1. auch der 2. Kopf im Ganzen zeigt mehr feſtes, determinirtes, raſches Weſen.

Vier aͤhnliche Umriſſe von demſelben Kopfe eines jungen Chriſtus. Vierte Tafel. J. C. a a.

Freylich ein ſehr un - oder antiidealiſcher Chriſtus, der unten noch zweymal ſchattirt, und zum Theil beſſer vorkommen wird. Das erſte Original iſt ein Kopf in Lebensgroͤße, herrlich ge - mahlt, und ſentirt, (er befindet ſich in den Haͤnden Herrn Burkhards, eines trefflichen Zer - gliederers und Freundes des großen unnachahmlichen Urbildes) was wir vor uns haben,C 3mag22II. Fragment. Seltenheitmag wohl die fuͤnfte Copie der Copie ſeyn alſo, doch das thut itzt eigentlich nichts zur Sache uͤberhaupt iſt’s klar, daß Schwaͤche und Bloͤdigkeit und ein abſichtloſes Staunen den Charakter dieſes Kopfes in allen vier Umriſſen ausmachen.

Man weiß nun ſchon, in welcher Abſicht ich denſelben Kof viermal auf Eine Tafel zeich - nen laſſen. Jch bat den Zeichner, denſelben mit aller moͤglichen Genauigkeit, nach demſelben Durchriß auf Oelpapier, zu radiren. Es ſollte gewiß kein Unterſchied zu bemerken ſeyn Er that ſein moͤglichſtes und in der That, die Unterſchiede ſind ſchwer zu finden und dennoch man uͤbe ſeinen Beobachtungsgeiſt, und man wird ihn dran pruͤfen koͤnnen; und wenn meine Hauptabſicht dabey nicht verfehlt wird Behutſamkeit, Behutſamkeit lernen im Urtheilen uͤber Menſchen und Menſchengeſichter.

Die Stirn im zweyten iſt die ſchlechteſte.

Der Einbug nah am rechten Augenliede der ſchwaͤchſte.

Die Geradheit des Umriſſes von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom Aug entfernt ſind, wodurch dem Blick eine nicht vortheilhafte Spannung gegeben wird) die Ge - radheit des Umriſſes von der Augenbraune an bis unter das rechte Auge, giebt allen dieſen Geſich - tern eine widrige Mattheit.

Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im erſten.

Die Augen im erſten und vierten ſind etwas kecker, als im zweyten und dritten.

Die Naſe des zweyten iſt beſonders untenher die beſte.

Die Oberlippe im dritten und vierten iſt etwas weniger platt, iſt markirter, als im er - ſten und beſonders im zweyten.

Die Unterlippe am dritten iſt die ſchiefſte von allen.

Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, iſt beſſer, als die uͤbrigen, beſonders die im erſten.

Dieſe Verſuche moͤgen zeigen, wie oft da Unaͤhnlichkeiten ſind, wo man ohne ſcharfe Be - obachtung die genaueſte Aehnlichkeit zu ſehen vermeynt.

Bey dieſer Gelegenheit kann ich die zwar ſehr allgemeine, aber nichts deſto weniger aͤuſſerſt wichtige Anmerkung nicht zuruͤckbehalten: Daß junger Kinder Aufmerkſamkeit wohldurch23des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. durch nichts ſo ſehr geuͤbt, ihr Beobachtungsgeiſt wohl durch nichts leichter und ſicherer geſchaͤrft werden kann, als durch Vorlegung erſt merklich unaͤhnlicher, dann immer aͤhnlicherer Zeichnun - gen, deren Unterſchiede ſie ſorgfaͤltig aufzuſuchen und genau anzugeben haͤtten Auge ſowohl als Sprache wuͤrden dadurch viel gewinnen.

Alle Menſchen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfaͤhigkeit; ſo gewiß alle Augen haben. Aber die meiſten beobachten nicht, weil ſie nicht geuͤbt worden ſind; ſie ſehen a b c d auf einmal, b, wenn ſie a, und c, wenn ſie b anſehen ſollen; ſie eilen immer vor; greifen immer vor; die meiſten Menſchen; beſonders die meiſten Mahler. Sie vereinfachen die Beobachtung nicht; ſie heften ihren Blick nicht auf Eins ſie fliehen alles Beſtimmte, weil ihnen von jeher eine unaustilgbare Furcht vor Haͤrte eingepredigt worden iſt; daher das unſichere: Jch weiß nicht was? daher unzaͤhlige blendende Modemanieren in Zeichnung, Grabſtichel, Colorit und worinn nicht? O du weiches, zartes, verblaſenes, ſeidenes Jahrhundert; wer will dei - nem Blicke Feſtigkeit, deinem Tritte Muth, deiner Hand Keckheit, deinen Werken Zuverſicht und Beſtimmtheit geben das heißt wer giebt dir eigne Augen zu ſehen? Beobachtungs - geiſt?

[figure]
Zugabe. 24II. Fragment. Zugabe.

Zugabe. Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel.

Ewald Chriſtian von Kleiſt war einer der groͤßten Kenner und Bewunderer von allem, was ſchoͤn, gut und groß iſt. Ein wuͤrdiger Gegenſtand ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen. Von der Staͤrke ſeiner Empfindungen bey dem Anblicke der ſchoͤnen Natur zeugen die Gemaͤhlde in ſei - nen unſterblichen Gedichten.

Sein Gefuͤhl fuͤr die ſittlichen Schoͤnheiten war nicht weniger lebhaft. Dieſes machte es jedem Manne von Verdienſten leicht, ſeine Freundſchaft zu erhalten. Denn er entdeckte ſehr ſchnell jedes Verdienſt, und die Richtigkeit ſeines Auges verſicherte den Freund der ewi - gen Dauer ſeiner einmal gehegten Freundſchaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei - nen Soldaten, in dem Kuͤnſtler, auch dem, deſſen Kunſt das Vorurtheil erniedrigt, das Ver - dienſt ſo leicht, als in dem Helden, dem Weltweiſen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von aͤuſſerer Niedrigkeit konnt ihm das wahre Verdienſt verbergen, ſo wie kein Glanz ihn verblen - dete, das Unregelmaͤßige und Haͤßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, in den Akademien vom erſten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm zeigt ſich allenthalben ein unpartheyiſcher Menſchenkenner und Freund der Menſchheit.

Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwaͤrmerey frey, und ſeine Einbildungskraft ſtand unter dem reinen Verſtand in der gehoͤrigen Unterordnung. Er war mehr ein gefuͤhlvoller Weltweiſer, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poeſie diente ihm auch von ſeiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten ſeines Berufs, und zur Ermunterung in truͤben Stunden.

Seine Neigung gieng vorzuͤglich auf die Weltweisheit und die Wiſſenſchaften, welche einem Staatsmann die Faͤhigkeiten ertheilen, einen Staat bluͤhend und gluͤcklich zu machen. Dieſen25Kleiſts Charakter von Hirzeln. Dieſen widmete er ſeine Jugendjahre ganz. Allein ſein Schickſal entzog ihm die Gelegenheit, ſeine weit ausgebreiteten Kenntniſſe anzuwenden. Es zwang ihn, gegen ſeine Neigung, ſich dem Kriegsdienſte zu widmen. Nun fiel alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die Pflichten ſeines Berufs. Der kleinſte Theil der Taktik zog die aͤngſtliche Aufmerkſamkeit ſo gut auf ſich, als der große Plan des Feldherrn; denn er ſah deſſen Wichtigkeit in dem Zuſammenhange des Ganzen. Der Vorwurf des geringſten Fehlers in dem Dienſte wuͤrde ihm eine unertraͤgliche Buͤrde ge - weſen ſeyn. Hieraus floß auch eine faſt ins uͤbertriebne fallende Sorgfalt fuͤr die Ehre des Edelmannes und des Soldaten. Kein aͤchter Eidsgenoß iſt auf ſeine Freyheit ſo eiferſuͤch - tig, als er auf Ehre war, denn in dieſer ſah er die Triebfeder aller großen Handlungen in ſei - nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweiſen, kein Gluͤck, keinen Ruhm, kei - ne Befoͤrderung etwas anderm, als reinem Verdienſte zu verdanken. Die Verachtung der Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der beſcheidenſte, hoͤflich - ſte, ſanftmuͤthigſte, menſchenliebendſte Mann in dem Umgange. Gluͤcklich der Menſch, der ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht aͤngſtlicher fuͤr ſein Gluͤck ſorgen, als Kleiſt es that, denn darinnen fand er ſein groͤßtes Vergnuͤgen, Freunde gluͤcklich zu machen, und dieſes war nie ſtaͤrker, als wenn ſeine Bemuͤhungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war ein Grab fuͤr jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn nicht zu fuͤrchten; wenn ihr Verdienſt es forderte, oder ein unverſchuldetes Ungluͤck ſie druͤck - te ſo fanden ſie an Kleiſten eben ſo viel Waͤrme und Dienſtbegierde, als der zaͤrtlichſte Freund. Seine Menſchenliebe ruhete auf feſten Grundſaͤtzen. Sie machte ihn nie unge - recht, ſo empfindſam ſeine Seele war. So war Kleiſt und ich glaube dieſes in den Zuͤ - gen zu ſehen, welche Fuͤeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleiſt bey uns lebte. Tief - ſinn, Feſtigkeit der Seele, hoher Muth und Menſchenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht und Zaͤrtlichkeit in ſeinen Zuͤgen, und empfinde dabey die unausſprechliche Wonne, einen der groͤßten Menſchen zum Freunde gehabt zu haben.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. DSo26II. Fragment. Zugabe. Kleiſts Charakter von Hirzeln.

So weit Herr Hirzel. Jch bitte nicht um Entſchuldigung, dieß vortreffliche Ge - maͤhlde noch beygeruͤckt zu haben. Man vergleich es oft mit der Zeichnung das phyſiogno - miſche Gefuͤhl wird gewiß nichts dabey verlieren.

[figure]
Drittes27

Drittes Fragment. Fuͤr Leſer mit Menſchenherzen das iſt: fuͤr alle? Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten. Oder, Jn wiefern ſich kein Menſch ſeiner Phyſiognomie zu ſchaͤmen habe? Oder, Warnung vor intolerantem Jdealiſiren.

Faſt kein beſonderes Fragment, das ich uͤber Phyſiognomik ſchreibe, duldet Ausfuͤhrlichkeit; weil bey der Menge von Tafeln, bey der Mannichfaltigkeit von Geſichtern, die ich in dieß Werk zuſammen zu draͤngen ſuche, unaufhoͤrlicher Anlaß iſt, alles zu ſagen, was man ſagen will, und was geſagt werden ſoll. Aus Beſorgniß aber, daß ich das eine und andere, das mir ſehr wichtig ſcheint, dennoch vergeſſen, oder daß es ſich zu ſehr verſtecken und verlieren moͤchte moͤcht ich oft gleichſam nur die Aufſchrift eines Fragments, das gemacht werden ſollte her - ſetzen, bloß um die Aufmerkſamkeit des Leſers ein wenig zu reizen und um den Gedanken vorm Untergange zu retten.

Was ich z. E. in der Aufſchrift des gegenwaͤrtigen Fragmentes ſage iſt gewiſſermaſ - ſen wiederum Jnnhalt und Seele des ganzen Buches. Was ich alſo itzt in einem beſondern Abſchnitte daruͤber ſagen kann, iſt ſo viel als nichts; und dennoch, wie viel kann’s, der Wuͤrkung nach, ſeyn fuͤr den nachdenkenden! den Menſchen!

Jedes Geſchoͤpf iſt unentbehrlich in Gottes unermeßlicher Welt; aber nicht jedes weiß, daß es unentbehrlich iſt. Auf dem Erdboden freuet ſich nur der Menſch ſeiner Unentbehrlichkeit.

Kein Glied am menſchlichen Koͤrper kann durch irgend ein ander Glied erſetzt werden.

So viel vortrefflicher das Auge iſt, als der Nagel an der kleinſten Zehe der Nagel an der kleinſten Zehe iſt dennoch an ſich zur Vollkommenheit des ganzen Koͤrpers unentbehrlich, und kann durch das, obgleich viel herrlichere und vollkommenere, Auge, nicht erſetzt werden.

D 2Kein28III. Fragment.

Kein Menſch kann einen andern Menſchen entbehrlich machen; kein Menſch durch einen andern erſetzt werden.

Dieſer Glaube an die Unentbehrlichkeit und Unerſetzbarkeit aller Menſchen außer uns an unſre eigne metaphyſiſche Unentbehrlichkeit und Unerſetzbarkeit iſt wieder eine von den uner - kannten, herrlichen Fruͤchten der Phyſiognomik.

Eine Frucht, voll von Samenkoͤrnern zu herrlichen Cedern der Toleranz und Men - ſchenliebe Moͤchten ſie, Nachkommenſchaft, dir aufwachſen! Folgende Jahrhunderte, moͤchtet Jhr Euch unter ihren Schatten lagern!

Der ſchlechteſte, verzogenſte, verdorbenſte Menſch iſt doch noch Menſch, und unent - behrlich in Gottes Welt und einer dunklern oder deutlichern Erkenntniß ſeiner Jndividualitaͤt und unerſetzbaren Unentbehrlichkeit faͤhig. Die ſchlechteſte, lebende Mißgeburt ſo gar iſt doch noch edler als das beſte, ſchoͤnſte, vollkommenſte Thier O Menſch ſieh auf das, was da iſt nicht auf das, was mangelt.

Menſchheit in allen Verzerrungen iſt immer noch bewundernswuͤrdige Menſchheit.

Siebenmal moͤcht ich dir dieß in Einer Viertelſtunde wiederholen!

Du biſt beſſer, ſchoͤner, edler, als ſo viele deiner Nebenmenſchen? wohlan! freue dich deß, und bete nicht dich, ſondern den an, der aus einem Thone ein Gefaͤß der Eh - re, und ein Gefaͤß der Unehre ſchuf! Jhn, der ohne deinen Rath, ohne deine Bitte und ohne dein Verdienſt dich das werden ließ, was du biſt!

Jhn! .... Denn was haſt du, o Menſch, das du nicht empfangen haſt; ſo du’s aber empfangen haſt, was ruͤhmeſt du dich, als ob du es nicht empfangen haͤt - teſt? darf auch das Auge zu der Hand ſagen: Jch bedarf deiner nicht? wer den Armen verachtet, der ſchmaͤhet den Schoͤpfer deſſelben Gott hat das ganze Ge - ſchlecht der Menſchen aus Einem Blute gemacht.

Wer fuͤhlt alle dieſe Gotteswahrheiten tiefer, inniger, als der aͤchte Phyſiogno - miſt! .... der, ach nicht bloß Litterator, Leſer, Recenſirer, Schriftfabrikant, der ...... Menſch iſt.

Freylich!29Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.

Freylich! auch der menſchlichſte Phyſiognomiſt, der ſo gern das Gute, das Schoͤne, das Edle der Natur aufſucht, ſich ſo gern am Jdeale weidet, ſeinen Geſchmack an der beſſern, heiligern, vollkommenern Menſchheit taͤglich uͤbt, naͤhrt, verfeinert freylich auch der iſt oft in Gefahr, wenigſtens in Verſuchung ſich wegzuwenden von dem gemeinen, alltaͤglichen, ſchlechten Men - ſchen, von den Mißgeſtalten voll Leerheit, den Larven, aus lauter Grimaſſen zu - ſammen geſetzt dem Poͤbel der Menſchen; in Gefahr und Verſuchung zu vergeſſen, daß auch dieſe Mißgeſtalten, dieſe Larven, dieſer Poͤbel Menſchen ſind; daß Er, bey aller ſeiner eingebildeten oder auch wuͤrklichen Vortrefflichkeit, bey allem Adel ſeiner Geſinnungen, aller Reinheit ſeiner Abſichten und wer kann ſich dieſer immer ruͤhmen? aller Feſtigkeit und Geſundheit ſeiner Vernunft aller Zartheit ſeiner Empfindung, aller Kraft ſeiner Natur daß er, und wenn er auch an die hohen Jdeale alter griechiſcher Kunſt zu graͤnzen ſcheint daß er dennoch ſehr vermuthlich durch eigne moraliſche Schuld in den Augen hoͤherer Weſen, in den Augen ſeiner Menſchenbruͤder, der vollendeten Gerechten, ſo gut eine Karikatur iſt als die laͤcherlichſte oder ſchaͤdlichſte moraliſche oder phyſiſche Mißgeburt des Erdbodens es in ſei - nen Augen iſt.

Ja freylich vergeſſen wir das oft! alſo iſt Erinnerung noͤthig, noͤthig dem Schreiber und Leſer dieſes Werks Vergiß nicht, daß auch die ſchlechteſten Menſchen Menſchen ſind; auch in dem verwerflichſten, wie viel poſitif Gutes iſt noch! auch der ſchlechteſte Menſch wie iſt er doch ſo gewiß und ſo gut Einzig in ſeiner Art, als du? unentbehrlich, wie du? uner - ſetzbar, wie du? Er hat von oben bis unten, er hat weder auswendig noch innwendig das Geringſte, genau ſo wie’s du haſt! Er iſt im Ganzen, iſt in allen ſeinen unzaͤhligen Theilen ſo individuell, wie du ..... Er, weniger? und ein Buchſtabe der Schoͤpfung fehlte, ſo gut, wie wenn du nicht waͤreſt! Er, weniger? er nicht ſo, wie er iſt? und mit ihm, oder vielmehr ohn ihn unzaͤhlige Dinge und Menſchen anders, als ſie ſind! Er das Reſultat aus millio - nen Dingen und millionen Dinge das Reſultat von Jhm! von ſeiner ſo beſtimmten Exi - ſtenz! ſeiner ſo beſchaffenen Natur!

D 3 Schau30III. Fragment.

Schau ihn an, unterſuch ihn als wenn er allein waͤr! Auch dann wirſt du Kraͤfte und Trefflichkeiten an ihm bemerken, die ohne Vergleichung mit andern, an ſich ſchon alle Auf - merkſamkeit und Bewunderung verdienen.

Und dann, vergleich ihn wieder mit andern! ſeine Aehnlichkeit, ſeine Unaͤhnlichkeit mit ſo vielen ſeiner vernuͤnftigen Nebengeſchoͤpfe; wie wird dich dieß in Erſtaunen ſetzen? wie wirſt du die Einzelheit, die Unentbehrlichkeit ſeines Daſeyns zu ſchaͤtzen anfangen? wie wirſt du die Harmonie aller ihn zu Einem Ganzen machenden Theile wie ſeine Beziehung, die Bezie - hung ſeiner millionenfachen Jndividualitaͤt auf ſo manche andere bewundern? Bewundern und anbeten, die ſo einfach und ſo millionenfach ſich abwechſelnde Aeuſſerung der unerforſchbaren Allkraft, die ſich in der Menſchheit beſonders ſo herrlich offenbaret.

Kein Menſch hoͤrt auf, Menſch zu ſeyn, und wenn er noch ſo tief unter die Wuͤrde der Menſchheit herabzuſinken ſcheint So lang er kein Thier wird iſt er immer noch der Ver - beſſerung und der Vervollkommnung faͤhig. Auch die ſchlechteſte Phyſiognomie iſt noch eine Men - ſchenphyſiognomie. Menſchheit bleibt immer Ehre und Zierde des Menſchen.

So wenig ein Thier ein Menſch werden kann, obgleich es in manchen Geſchicklichkeiten dem Menſchen gleich kommt, oder ihn allenfalls uͤbertrifft; ſo wenig wird ein Menſch ein Thier; obgleich ſich mancher Menſch Dinge erlaubt, die wir nicht einmal an unvernuͤnftigen Thieren ohne Abſcheu anſehen koͤnnten.

Aber ſelbſt die Faͤhigkeit, ſich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig - ſtens, zu erniedrigen ſelbſt dieſe iſt Ehre und Vorrecht der Menſchheit; denn eben dieſelbe Faͤ - higkeit, die Faͤhigkeit alles mit Verſtand, Willkuͤhr und Wahl nachzuahmen eben dieſe Faͤhig - keit hat doch nur der Menſch und durchaus kein Thier.

Die Thierphyſiognomien ſind keiner merklichen Verſchlimmerung aber auch keiner merklichen Verbeſſerung und Verſchoͤnerung faͤhig.

Die ſchlechteſte Menſchenphyſiognomie kann noch ſchlechter werden, kann aber immer auch wieder, wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, verbeſſert und veredelt werden.

Unbeſchreiblich iſt die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menſchen.

Dadurch31Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.

Dadurch hat auch die ſchlechteſte Phyſiognomie gegruͤndeten Anſpruch auf die Aufmerk - ſamkeit, Achtung und Hoffnung aller guten Menſchen.

Alſo noch einmal: Jn jeder Menſchenphyſiognomie, ſo verdorben ſie ſeyn mag, iſt noch Menſchheit das iſt, Ebenbild der Gottheit!

Jch habe die verruchteſten Menſchen geſehen geſehen in den verruchteſten Augenblicken ihres Lebens und all ihre Bosheit und Gotteslaͤſterung und Draͤngen der Unſchuld konnte nicht vertilgen das Licht Gottes in ihrem Angeſichte, das iſt den Geiſt der Menſchheit, die un - ausloͤſchbaren Zuͤge innerer ewiger Perfektibilitaͤt den Suͤnder haͤtte man zermalmen den Menſchen noch umarmen moͤgen.

O Phyſiognomik! welche Buͤrgſchaft biſt du mir fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Menſchen! Jch armer Unmenſch, wollt ich ſagen denn wie oft bin ich das in ſchauerhaf - ten Augenblicken hoͤlzerner Seelenloſigkeit! Jch armer Unmenſch kann, wenn ein Stral der Phyſiognomik mich anleuchtet, den ich in einen zerſchmetternden Blitz wider alle Unmenſchheit im Menſchen verwandeln moͤchte ich kann in demſelben Augenblicke kaum aufhoͤren, in die Menſch - heit, die noch durchſcheint, verliebt zu ſeyn Ewiger, Einziger Vater aller Liebe und Menſch - lichkeit wie muß dir beym Anblicke der ſchlimmſten Menſchen zu Muthe ſeyn was mußt du noch in ihnen entdecken. Jſt wohl Einer ohn allen Zug deines Ebenbildes Jeſus Chriſtus

Alſo Forſcher der Natur! forſche, was da iſt! alſo Menſch ſey Menſch in allen deinen Unterſuchungen! vergleiche nicht ſogleich vergleiche nicht bloß mit willkuͤhrlichen Jdea - len. Wo Kraft iſt iſt etwas bewundernswuͤrdiges, etwas unerforſchliches; und Kraft, menſchliche, oder, wenn du lieber willſt, goͤttliche Kraft, iſt in allen Menſchen. Wo Menſchheit iſt, da iſt Familienſache. Du biſt Menſch, und was Menſch neben dir iſt, iſt Zweig Eines Stammes, Glied Eines Leibes; iſt, was du biſt noch mehr achtungswerth, als wenn’s gerade das, gerade ſo gut, ſo edel waͤre, wie du weil es dann ja nicht mehr das einzelne, das unentbehrliche, das unerſetzbare Jndividuum waͤre, das es itzt iſt.

O Menſch, freue dich deß, was ſich ſeines Daſeyns freut, und dulde, was Gott duldet

Jtzt32III. Fragment.

Jtzt Bruder, in die Stille, und laß einige Augenblicke der Menſchenfreude Raum, daß du ſo gewiß unentbehrlich biſt, als gewiß dein Geſicht, und alles an dir und in dir, von den Geſichtern aller Menſchen, und allem was an ihnen und in ihnen iſt, verſchieden iſt und freue dich der Unentbehrlichkeit aller deiner Nebenmenſchen, die ſo gewiß iſt, ſo gewiß dieſe im Ganzen und in allen ihren Theilen, von dem Ganzen und von allen Theilen aller andern verſchieden, ob - gleich dem Ganzen und den Theilen aller andern aͤhnlich ſind. Freue dich deß

Und dann, wenn Ein Blick gen Himmel dem Vater ſo vieler Kinder Anbetung zugeblickt oder zugethraͤnt hat dann magſt du auch noch die folgende Zugabe mit einem Herzen leſen, ohne welches ſie dir unverſtaͤndlich oder ſchaͤdlich ſeyn wuͤrde.

[figure]
Zugabe. 33Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte.

Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte.

Jch beobachtete einige Kinder, etwa eine Stunde nach ihrer, nicht harten, Geburt. Jch bemerkte eine frappante, freylich verjuͤngte, Aehnlichkeit ihres Profiles mit dem ihres Vaters Dieſe Aehn - lichkeit verlor ſich in wenigen Tagen beynahe gaͤnzlich. Der Einfluß der offnen Luft und der Nah - rung vermuthlich auch der Lage veraͤnderten die beſtimmte Zeichnung ſo ſehr, daß man einen ganz andern Menſchen vor ſich zu ſehen glaubte Jch ſah dieſe Kinder, das eine etwa 6. Wochen, das andere etwa 4. Jahre nach der Geburt, todt und etwa 12. Stunden nach ihrem Sterben bemerkte ich vollkommen wieder das halbe Profil, das ich etwa eine Stunde nach ihrer Geburt an ihnen bemerkt hatte; nur mit dem Unterſchiede, daß das Profil des todten Kindes, wie natuͤrlich, etwas feſter und geſpannter war, als des lebenden; etwas von dieſer Aehnlichkeit aber verlor ſich am dritten Tage wieder merklich.

Jch ſah Maͤnner von 50. und 70. Jahren, die in ihrem Leben nicht die mindeſte Aehnlich - keit mit ihren Soͤhnen zu haben ſchienen deren Geſichter beynahe aus einer ganz verſchiedenen Claſſe zu ſeyn ſchienen todt, am zweyten Tage nach ihrem Sterben war das Profil des einen, dem Profil ſeines aͤlteſten, und das Profil des andern, dem Profil ſeines dritten Sohnes gerade ſo frappant aͤhnlich, wie das Profil der oben angefuͤhrten todten Kinder ihrem lebenden Profile, eine Stunde nach der Geburt, war. Freylich ſtaͤrker, und nach dem Mahlerausdruck haͤrter aber auch hier verlor ſich am dritten Tage etwas von der Aehnlichkeit.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. ESo34III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen

So viele Todte ich geſehen, hab ich dabey die einfoͤrmige Beobachtung gemacht, daß ſie et - wa 16, 18, 24 Stunden nach ihrem Tode (je nachdem ſie eine Krankheit gehabt hatten) eine ſchoͤnere Zeichnung hatten, als ſie in ihrem Leben niemals gehabt hatten viel beſtimmter, proportionir - ter, harmoniſcher, homogeniſcher, edler, viel edler, erhabner .....

Duͤrfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menſchen eine Grundphyſiognomie ſeyn? durch die Ebbe und Fluth der Zufaͤlle und Leidenſchaften verſchwemmt? vertruͤbt? die ſich nach und nach durch die Ruhe des Todes wieder herrſtellte, wie truͤbgewordenes Waſſer, wenn’s unzerruͤttet ſtehen kann, helle wird?

Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen Charakter in ihrem Leben gehabt hatten, hab ich einige Stunden vor ihrem Tode, bey eini - gen bloß einige Augenblicke vorher (die eine war im Delirio ) eine unausſprechliche Ver - edlung ihrer Phyſiognomie wahrgenommen! Man ſah einen neuen Menſchen vor ſich! Colorit und Zeichnung und Grazie alles neu alles morgenroͤthlicht! himmliſch! .. unbeſchreib - lich edel erhaben! der Unaufmerkſamſte mußte ſehen, der Unempfindlichſte empfinden. Ebenbild Gottes ſah ich unter den Truͤmmern der Verweſung hervorglaͤnzen, mußte mich wenden, ſchweigen, und anbeten Ja! du biſt noch biſt noch Herrlichkeit Got - tes auch in den ſchwaͤchſten, fehlervollſten Menſchen wenn das duͤrre Holz noch ſo bluͤ - hen kann, wie wird’s das gruͤne?

Nachſtehende Vignette iſt von einem Thoren, der in ſeiner Jugend ein ſehr verſtaͤndi - ger, ſehr trefflicher, herzguter Menſch war durch harte Begegnung ſeines wilden Vaters aber wegen ſeiner vermuthlichen Verliebtheit ſo mißhandelt wurde, daß er den Verſtandverlor35uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte. verlor wenn einmal der Mund, wo vornehmlich der Sitz der Tollheit zu ſeyn ſcheint ſich im Tode ſchließen wird, ich wollte wetten, der vorige Ausdruck des Verſtandes wird groͤßtentheils wieder zum Vorſchein kommen. Dieſer vorige Verſtand iſt itzt noch ſichtbar ge - nug, beſonders in der Stirn, und im Umriſſe, nicht im Blicke des Auges.

[figure]
E 2Viertes36IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß

Viertes Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe.

Jch will, lieber Leſer, durch dieß Werk Menſchenkenntniß und Menſchenliebe zugleich befoͤr - dern. Dieſe gedoppelte Abſicht, kann ſie zugleich ſtatt haben? Menſchenkenntniß, hebt ſie die Menſchenliebe nicht auf? ſchwaͤcht ſie wenigſtens dieſelbe nicht? verlieren doch die meiſten Menſchen durch die genauere Kenntniß, die man von ihnen erlangt? und, wenn ſie verlieren, wie kann die Menſchenliebe gewinnen? die Liebenswuͤrdigkeit, muß dieſe nicht abnehmen, wenn das geſchaͤrfte Auge immer mehr Unvollkommenheiten erblickt; deſto ſchneller, deſto mehr, deſto heller erblickt, je mehr es ſich uͤbt, Vollkommenheiten zu entdecken?

Was du hier ſagſt, mein Freund, iſt Wahrheit! aber nur einſeitige Wahr - heit. Einſeitige Wahrheit aber welche ergiebige Quelle von Jrrthum und Mißverſtand!

Es iſt allerdings wahr, daß die meiſten Menſchen durch genaue Kenntniß, die man von ihnen erlangt, verlieren aber nicht weniger wahr iſt’s, daß die meiſten Menſchen dadurch, daß man ſie genauer kennet, oft gerade ſo viel, oft noch mehr von der andern Seite gewinnen, als ſie von der einen verloren hatten.

Jch rede nicht von denen, die beynahe nur gewinnen koͤnnen, je genauer ſie gekannt werden, wofern es ſolche Menſchen geben ſollte, die durchs Gekanntſeyn, ich ſage nicht: viel, ſon - dern bloß gewinnen wuͤrden.

Jch rede von denen, die viel verlieren, wenn Menſchenkenntniß genauer und gemei - ner wird.

Wer iſt ſo weiſe, daß er nicht zuweilen ein Thor ſey? wo iſt der Tugendhafte, der nie la - ſterhaft handle? Nie, wenigſtens unreine, uneinfaͤltige Abſichten habe?

Alſo will ich annehmen, daß, mit aͤuſſerſt ſeltener Ausnahme, alle Menſchen durchs Gekanntſeyn verlieren

Aber beweiſen will ich, durch die maͤchtigſte Jnduktion, wenn man will daß auch alle durchs Gekanntſeyn hinwiederum gewinnen.

Mithin37der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe.

Mithin daß Menſchenkenntniß der Menſchenliebe im Ganzen nichts ſchade, ob aber nuͤtzet? Ja daß ſie ihr nuͤtzet!

Menſchenkenntniß lehrt uns nicht nur, was der Menſch nicht iſt, und nicht ſeyn kann; ſondern auch: warum er’s nicht iſt, und nicht ſeyn kann? ſondern auch: was er iſt und ſeyn kann?

Befremdung dieſe ſo reiche Quelle von Jntoleranz, nimmt in ebendemſelben Grade ab, wie die aͤchte Menſchenkenntniß zunimmt.

Wenn du weißt, warum ein Menſch ſo denkt, ſo handelt das heißt, wenn du dich in ſeine Lage, wie viel mehr? wenn du dich in den Bau ſeines Koͤrpers, ſeine Bildung, ſeine Sin - ne, ſein Temperament, ſeine Empfindſamkeit, hinein denken kannſt; wie wird dir alles begreiflich? erklaͤrbar? natuͤrlich? und hoͤrt denn nicht gerade da die Jntoleranz, die ſich bloß auf die Men - ſchen, als Objekt, bezieht, auf wo lichthelle Erkenntniß ſeiner individuellen Natur anfaͤngt? wird da nicht viel eher Mitleiden an die Stelle der Verdammung, und bruͤderliche Nachſicht an die Stelle des Haſſes treten?

Jch will damit Fehlern nicht das Wort reden, viel weniger Laſter, als ſolche, in den Schutz nehmen; aber es iſt allgemein angenommene richtige Billigkeit daß man z. E. einem hitzigen Menſchen eher vergeben koͤnne, wenn er ſich durch harte Beleidigungen zum Zorne reizen laͤßt, als einem kaͤltern.

Allein nicht nur von dieſer Seite (ich beruͤhre hier die Sache nur) gewinnt der Fehler - hafte durch phyſiognomiſche Menſchenkenntniß anderer. Er gewinnt noch von einer andern.

Die Phyſiognomik entdeckt in ihm wuͤrkliche und moͤgliche Vollkommenheiten, die ohne ſie immer verborgen bleiben koͤnnten. Je mehr der Menſch beobachtet wird, deſto mehr Kraft, poſiti - fes Gutes wird an ihm beobachtet. Wie der Mahler, mit geuͤbtem Auge tauſend kleine Nuͤan - cen und Farbenſpielungen wahrnimmt, die hundert andern Augen unbemerkt bleiben, ſo der Phy - ſiognomiſt eine Menge wuͤrklicher oder moͤglicher Trefflichkeiten, die tauſend Augen gemeiner Men - ſchenverachter, Menſchenverlaͤumder oder liebreicher Menſchenbeurtheiler unbemerkbar ſind.

Jch rede aus Erfahrung. Das Gute, das ich als Phyſiognomiſt an meinem Nebenmen - ſchen bemerke, haͤlt mich mehr als ſchadlos fuͤr die Menge Boͤſes, das ich ebenfalls bemerken undE 3unter -38IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltnißunterdruͤcken muß. Je mehr ich Menſchen beobachte, deſto deutlicher bemerk ich in allen Gleich - gewicht der Kraͤfte; bemerk ich, daß die Quelle alles Schlimmen in ihnen gut iſt, das heißt, daß eben das, was ſie ſchlimm macht, Kraft, Wuͤrkſamkeit, Reizbarkeit, Elaſticitaͤt immer an ſich etwas Gutes, Poſitifes, Reales iſt deſſen Abweſenheit freylich unendlich viel Schlimmes unmoͤglich gemacht haͤtte aber zugleich auch unendlich viel Gutes deſſen Da - ſeyn zwar viel Schlimmes wuͤrklich gemacht hat aber zugleich auch die Moͤglichkeit zu noch un - gleich vielmehr Gutem in ſich ſchließt.

Bey dem geringſten Fehltritt eines Menſchen entſteht ſogleich ein uͤbertaͤubendes, verdam - mendes Geſchrey das den ganzen Charakter des Menſchen verdunkelt, zu Boden ſchreyt, ver - nichtet Der Phyſiognomiſt ſieht den Mann an den alle Welt verdammt und lobt das Laſter? Nein! Entſchuldigt den Laſterhaften? auch nicht; was dann? Sagt Euch ins Ohr, oder laut: Behandelt den Mann ſo, und Jhr werdet erſtaunen, was noch aus ihm, dem Manne, werden kann und wird! Er iſt nicht ſo ſchlimm, als er ſcheint. Sein Geſicht iſt beſſer, als ſeine Thaten! zwar auch ſeine Thaten ſind lesbar in ſeinem Geſichte aber noch mehr als die, deutlicher noch, die große Kraft, die Empfindſamkeit, die Lenkſamkeit des nie recht ge - lenkten Herzens dieſelbe Kraft, die dieß Laſter hervorgebracht Gebt ihr nur eine andere Richtung; gebt ihr andere Gegenſtaͤnde, und ſie wird Wundertugenden verrichten. Kurz, der Phyſiognomiſt wird begnadigen, wo der liebreichſte Menſchennichtkenner verdam - men muß.

Ferner ſeit ich phyſiognomiſire, hab ich viele ſo vortreffliche Menſchen naͤher kennen gelernt ſo viel Anlaß gehabt, mein Herz mit Freud an Menſchen zu naͤhren zu erweitern, daß ich mich dadurch gleichſam mit dem uͤbrigen Menſchengeſchlechte verſoͤhnte. Ja, ich darf ſa - gen, daß ich Einen meiner erklaͤrteſten Gegner, trotz alles deſſen, was er heimlich und oͤffentlich wider mich gethan hat bloß ſeiner Phyſiognomie und Geſtalt wegen, lieben muß, ſo ſicher, daß er mein kuͤnftiger Freund ſeyn wird, als es gewiß iſt, daß ichs itzo ſchon bin. Bloß Mangel an phyſiognomiſchem Auge oder Gefuͤhl iſt’s, daß er mich mißkennt ſo wie’s bloß phyſiognomiſches Gefuͤhl auf meiner Seite iſt, daß ich Jhn, und wenn er noch mehr wider mich wuͤten, und wenn er auch ſagen ſollte Jch ſuchte mich ihm dadurch einzuſchmeicheln liebe, obgleich ich ſeineThaten39der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe. Thaten gegen mich verabſcheue. Was ich hier als wahre Erfahrung getreulich ſage wird jeder Phyſiognomiſt, der Menſch iſt unfehlbar erfahren.

Noch mehr. Wie die Barmherzigkeit durch Anblick phyſiſchen Elendes erweckt, genaͤhrt, und entflammt wird ſo das edelſte und weiſeſte Mitleiden mit der Menſchheit durch feines Wahrnehmen und Empfinden des Verfalls der Menſchheit und wem iſt das eigner, als dem aͤchten Phyſiognomiſten? das edelſte Mitleiden ſag ich, denn es bezieht ſich unmittelbar auf den beſtimmten, gegenwaͤrtigen Menſchen, auf ſein geheimes aber tiefes Elend das nicht auſſer ihm, das in ihm iſt das weiſeſte Mitleiden! Denn, weil es den Schaden als innerlich er - kennt und anſchaut, denkt’s nicht auf Palliatife, ſondern innere tief wuͤrkende Mittel, auf Ver - beſſerung der Wurzel! auf Mittel, die nicht zuruͤckprallen! auf Mittel, wozu man empfaͤngliche Seiten wahrnimmt!

Jch beſchließe dieß Fragment eines Fragments mit einer Stelle aus einem beruͤhmten Schriftſteller, die hieher zu gehoͤren ſcheint, und als Einwendung oder Beſtaͤtigung angefuͤhrt zu werden verdient. Jn der That, heißt’s, Momus war nicht klug mit ſeinem Fenſter vors menſch - liche Herz. Die beſten Menſchen wuͤrden gerade am ſchlimmſten dabey gefahren ſeyn.

Das heißt die ſchlimmen Menſchen denken ohnehin Arges in ihrem Herzen von allen andern, denn keiner von ihnen haͤlt andere Leute fuͤr beſſer, als ſich ſelbſt; und da keine Kraͤhe der andern die Augen aushackt, ſo wagen die Boͤſen nichts dabey, wenn ſie einander uͤber der That ertappen; denn ſie haben ein augenſcheinliches Jntereſſe ſaͤuberlich mit einander zu verfah - ren. Die beſten Menſchen hingegen denken, ſo lang es nur immer moͤglich iſt, von jeder - mann Gutes, und hierinn beſteht ein ſo großer Theil ihrer Gluͤckſeligkeit, daß ſie nothwendig ſehr ungluͤcklich werden muͤßten, wenn ein Fenſter vor der Bruſt der Leute ſie auf einmal aus dem angenehmen Jrrthum in die traurige Gewißheit verſetzte, von ſo vielen falſchen und boͤſen Geſchoͤpfen umgeben zu ſeyn. Es iſt alſo klar, daß die beſten am meiſten dabey verloren haͤt - ten, wenn Momus mit ſeinem vorbeſagten Vorſchlag, den Menſchen ein Fenſter vor die Bruſt zu ſetzen, durchgedrungen waͤre. *)Deutſcher Merkur 1775.

Freylich40IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß ꝛc.

Freylich, Jhr guten Seelen, Jhr werdet oft blutige Thraͤnen weinen, daß die Men - ſchen ſo viel ſchlimmer ſind, als Jhr glaubet aber ſicherlich tauſendmal auch Freudenthraͤnen weinen, daß Jhr die Menſchen beſſer findet, als die allherrſchende, allvergiftende Verlaͤumdungs - und Verurtheilungsſucht ſie verkuͤndigte.

[figure]
Fuͤnftes41

Fuͤnftes Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt.

Jch ſtund an, ob ich ſchon in dem zweyten Bande dieſer Fragmente von den Einwendungen gegen die Phyſiognomik ein Wort ſagen ſollte? Einſichtsvolle Freunde mißriethen mir’s. Al - lein, alles abgewogen, fand ich’s billig, den Wahrheitſuchenden Leſer einigermaßen aus der Ver - legenheit zu ſetzen, in die er durch die taͤgliche Anhoͤrung einiger Einwendungen getrieben wird.

Ohne Zahl ſind die Einwendungen, die man gegen die Wahrheit und Zuverlaͤſſigkeit der menſchlichen Geſichtszuͤge machen kann. Ein großer Theil derſelben ſcheint mir leicht, ein großer Theil ſchwer, und noch zur Zeit unmoͤglich zu beantworten.

Eh ich einige beſondere anfuͤhre will ich zuerſt einige allgemeine Anmerkungen zum Grunde legen, deren genaue Pruͤfung und Erwaͤgung unzaͤhlige Schwierigkeiten aus dem Wege raͤumen wuͤrde.

Gegen die allergewiſſeſten Sachen laſſen ſich unbeantwortliche Einwendungen machen. Unbeantwortliche Einwendungen an ſich heben alſo die Gewißheit und Zuverlaͤſſigkeit einer Sache nicht auf, wofern dieſe ſonſt klar am Tage liegt.

Es iſt keine einzige unmathematiſche Wiſſenſchaft, die nicht ihre bloße ſchutzloſe Seite habe ... warum nicht die erſt noch aus der Wiege ſich empor hebende Phyſiognomik?

Was kann gewiſſer ſeyn, als daß die Lichtſtralen ſich tauſend und millionenfach durch - ſchneiden, um aus unzaͤhligen Beyſpielen Eines anzufuͤhren und wer kann die Einwendungen beantworten, die gegen die Moͤglichkeit der Sache gemacht werden koͤnnten?

Mich duͤnkt, bey allen Unterſuchungen koͤmmt’s erſt darauf an: was fuͤr eine Sache, die behauptet wird, geſagt werden kann? Ein unumſtoͤßlicher Beweis fuͤr das Daſeyn und die Gewißheit einer Sache wiegt zehentauſend Einwendungen auf. Ein poſitifer Zeuge, der von Seite ſeiner Einſicht und Redlichkeit alle moͤgliche Zuverlaͤſſigkeit hat, Ein ſolcher gilt mehr, als unzaͤhlige bloß negative. Alle Einwendungen gegen eine gewiſſe Wahrheit ſind eigentlich bloß negative Zeugen: das haben wir noch nicht wahrgenommen, das noch nichtPhyſ. Fragm. II Verſuch. Ferfahren.42V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen erfahren. Wenn zehentauſende das ſagen, was beweiſt’s gegen einen einzigen Verſtaͤndigen und Redlichen, der ſagen kann: aber ich hab’s wahrgenommen, und ihr koͤnnt’s auch wahrneh - men, wenn ihr wollt.

Gegen das in die Augen leuchtende Daſeyn einer Sache laͤßt ſich keine gegruͤndete Einwen - dung machen. Etwas poſitifes, ein Factum kann durch nichts aufgehoben werden. Es laͤßt ſich kein poſitifes Factum dagegen anfuͤhren ... und alle Einwendungen dagegen ſind nur negativ ...

Wenn ich z. E. einen auferſtandenen Todten geſehen, mit ihm geredet, mit ihm gegeſſen und getrunken, ihn mehrmals betaſtet haͤtte, kurz, von ſeiner Erſcheinung vollkommen ſo ſinnlich uͤberzeugt waͤre, wie von dem Daſeyn meines noch lebenden Freundes, dem ich dieß Blatt vor - leſe wie nichts waͤren mir dann alle Einwendungen von der Unzuverlaͤſſigkeit der Sinne? von der Unmoͤglichkeit, daß ein Todter auferſtehe? von unzaͤhligen falſchen Erzaͤhlungen, die man von aͤhnlichen Erſcheinungen gemacht habe? von der allgemeinen Nichterfahrung ganzer Jahrhunderte, ganzer Menſchengeſchlechter in Abſicht auf eine ſolche Erſcheinung? u. ſ. f. Alles dieß wuͤrde mich zwar billig ſehr behutſam machen in der Unterſuchung der Wuͤrklichkeit der Thatſache aber wenn ich einmal hievon, vollkommen ſo, wie von der Exiſtenz meines lebenden Freundes, uͤberzeugt waͤre wuͤrde ich mich durch alle dieſe Einwendungen, ſo unbeantwortlich ſie auch ſcheinen moͤchten, (im Grunde koͤnnten ſie’s doch nur ſcheinen, und nicht ſeyn ) nicht irre machen laſſen.

Man wende dieſes auf die Phyſiognomik an. Poſitife Beweiſe fuͤr die wahrhafte und erkennbare Bedeutung menſchlicher Geſichter und Geſichtszuͤge, wider deren Klarheit und Zuver - laͤſſigkeit nichts eingewendet werden kann, machen unzaͤhlige Einwendungen, die vielleicht nicht beantwortet werden koͤnnen, voͤllig unbedeutend.

Man ſuche alſo erſt ſich mit dem Poſitifen, das die Phyſiognomik liefert, bekannt zu machen. Man halte ſich erſt allein an dem gewiß Wahren feſt, und man wird ſich bald im Stande befinden, ſehr viele Einwendungen zu beantworten, oder als keiner Beantwortung wuͤr - dig auf die Seite zu ſchaffen.

Nach dem Maaße, wie der Menſch das Poſitife bemerkt und feſt haͤlt, nach demſel - ben laͤßt ſich, wie mich deucht, ſeine Kraft und Staͤndigkeit meſſen. Der mittelmaͤßige, derſeichte43gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. ſeichte Kopf pflegt immer das Poſitife zu uͤberſehen, und mit dem unabtreiblichſten Eigenſinn an dem Negatifen zu kleben.

Siehe zuerſt, was du biſt, und was du haſt, und kannſt, und weißt, ehe du un - terſucheſt, was du nicht biſt, nicht weißt, nicht haſt, und nicht kannſt. Das iſt die Re - gel, die jeder, der weiſe, tugendhaft, gluͤcklich werden will, ſich nicht nur vorſchreiben, die man, wenn ich ſo ſagen darf, in ſeine eigene Seele verwandeln ſollte. Der wahre Weiſe ſieht im - mer zuerſt auf das was da iſt; der Afterweiſe, der Pedant, immer zuerſt auf das was mangelt. Der wahre Philoſoph ſieht auf die poſitifen Beweiſe fuͤr eine Sache, zu - erſt, ſag ich, (ich erſuche ſehr, dieſe meine Behauptung ſich nicht unrichtig vorzuſtellen) zuerſt, ſag ich und der ſchlechte Kopf zuerſt auf negative Gegenbeweiſe. Das war z. E. von jeher die Methode der Unglaͤubigen der Beſtreiter des Chriſtenthums. Wenn das Chriſten - thum falſch waͤre waͤre doch dieſe Methode, ſeine Falſchheit zu zeigen, unbillig und unlogiſch. Als unbillig und unlogiſch ſollte dieſe Methode dargethan und verworfen werden, ehe man ſich mit ihnen in beſondere Felder von Beantwortung einließe.

Es wuͤrde ſich alſo, um wieder auf die Phyſiognomik zuruͤckzukommen, bloß fragen: Giebt es ſo entſcheidend poſitife Gruͤnde fuͤr die Phyſiognomik, daß wir auf die ſcheinbarſten Ein - wendungen nicht achten duͤrfen?

Jch bin davon ſo ſehr, wie von meinem eigenen Daſeyn uͤberzeugt; und am Ende dieſes Werkes ſoll’s jeder unpartheyiſcher Leſer ſeyn, der nur ſo viel Einſicht und Redlichkeit beſitzt, uns nicht abzulaͤugnen: daß uns die Augen zum Sehen gegeben ſind, obgleich es tauſend Augen in der Welt giebt, die nicht ſehen.

Es iſt wahrſcheinlich, daß es Gelehrte giebt, die mich hieruͤber chikaniren koͤnnten. Man koͤnnte mir z. E. aus Reaumuͤr die Papillons femelles und die großen Ameiſenfliegen an - fuͤhren, um mir zu beweiſen, wie ſehr man ſich in der Angabe der Endurſachen phyſiſcher Dinge irren koͤnne Man koͤnnte ſagen: Fluͤgel ſcheinen offenbar zum Fliegen gegeben zu ſeyn, und dennoch fliegen dieſe Jnſekten niemals, alſo ſind die Fluͤgel nicht ſchlechterdings zum Fliegen und ſo, weil einige beaugte Weſen nicht ſehen, die Augen nicht ſchlechter -F 2dings44V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen dings zum Sehen gegeben, u. ſ. f. Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menſchen - verſtand.

Jch ſehe zehen oder zwanzig Menſchen, die alle Augen haben, und ſehen, wenn ſie bey Tage die Augen aufſchließen, und nicht mehr ſehen, wenn ſie die Augen zuſchließen. Wo - fern dieſe zehen oder zwanzig nicht ausgeſucht, ſondern zufaͤlliger Weiſe aus dem unzaͤhligen Haufen der Menſchen herausgegriffen ſind, ſo iſt die hoͤchſtmoͤgliche Wahrſcheinlichkeit da, daß alle aͤhnlich gebildete Menſchen, die jetzo leben, gelebt haben, und leben werden, mit aͤhnlichen Gliedern, als die ſind, die wir Augen nennen, ſehen werden. Wenigſtens iſt dieſe Methode zu ſchließen, die Methode aller Jahrhunderte und aller Menſchengeſchlechter.

Wofern dieſe Art zu ſchließen richtig iſt, ſo muß ſie auch in Anſehung der Phyſiogno - mik richtig ſeyn; wofern es da ſich auch ſo verhaͤlt Jſt ſie’s aber nicht in der Phyſiognomik, ſo iſt ſie’s auch uͤberall nicht.

Mithin ſteh ich in den Gedanken, daß dem Vertheidiger der Phyſiognomik eigent - lich nichts obliege, als darzuthun: daß bey zehen, zwanzig, oder dreyßig aus dem Haufen herausgegriffnen Menſchen, nach aller Menſchen Geſtaͤndniß ſo gewiß phyſiognomiſcher Ausdruck, oder erweisliches Verhaͤltniß innerer Kraft und Sin - nes und aͤuſſerer Geſtalt und Zeichnung ſey, als gewiß es iſt, daß zwanzig aus dem Haufen herausgegriffne Menſchen mit ihren Augen ſehen. Hat er dieß dargethan, ſo hat er die Allgemeinheit der phyſiognomiſchen Wahrheit ſo gut erwieſen, als die Allgemeinheit des Geſichtes vermittelſt der Augen, wenn erwieſen iſt, daß zwanzig oder dreyßig Menſchen vermittelſt ihrer Augen ſehen. Von dieſen wenigen mach ich den Schluß auf zehen tauſend Millionen, die ich geſehen oder nicht geſehen habe.

Allein, wird man ſagen: wenn ſich dieß auch von gewiſſen Zuͤgen erweiſen ließe folgt denn daraus von allen? Jch meyn es, Freund der Wahrheit! weiſe mich zu - recht, wenn ich irre.

Wenn ich bemerke, daß der Menſch mit den Augen ſieht, und mit den Ohren hoͤrt, und gewiß weiß, daß ihm die Augen zum Sehen gegeben ſind, und die Ohren zum Hoͤren; wenn45gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. wenn ich nicht mehr zweifeln kann daß Augen und Ohren ihre genaue angebliche Beſtimmung haben; ſo mach ich, duͤnkt mich, keinen unrichtigen Schluß, wenn ich denke, daß auch die uͤbrigen Sinnen und Glieder an demſelben menſchlichen Koͤrper, der ein ſo zuſammengegoßnes Ganzes und Eins iſt ihre beſondere Beſtimmung und Verrichtung haben, obgleich ich vielleicht noch nicht dazu gekommen ſeyn koͤnnte, dieſe Beſtimmung ſo mancher einzelnen Sinne, Glieder, und Eingeweide zu kennen.

So, Mitforſcher der Wahrheit, meyn ich, verhaͤlt es ſich mit der Bedeutung der Ge - ſichtszuͤge des Menſchen und der Zeichnung ſeines Koͤrpers und aller ſeiner Glieder.

Wenn erwieſen werden kann, daß zwey, drey Zuͤge gewiß von beſtimmter Bedeutung ſind, ſo beſtimmter Bedeutung, als das Auge Ausdruck des Geſichts iſt ſchließ ich nicht genau nach der eben angefuͤhrten, allgemein fuͤr richtig erkannten Schlußart: daß auch diejenigen Zuͤge bedeutend ſeyn, deren Bedeutung ich allenfalls noch nicht weiß?

Nun glaub ich’s jedem Menſchen von dem gemeinſten Menſchenverſtand erweiſen zu koͤn - nen: daß in jedem Menſchen ohne Ausnahme wenigſtens Etwas, wenigſtens in gewiſſen Um - ſtaͤnden, ſey’s nun dieß oder jenes, und zwar mehr als Eins von beſtimmter Bedeutung ſey, ſo gut ich’s dem Einfaͤltigſten begreiflich machen kann, daß wenigſtens einige Glieder am menſchli - chen Koͤrper ihre angebliche gewiſſe Beſtimmung haben.

Zwanzig, dreyßig aus dem Haufen herausgegriffene Menſchen werden, wenn ſie lachen und wenn ſie weinen, mithin in dem Ausdrucke, den Aeuſſerungen, ihrer Freude und ihrer Trau - rigkeit etwas mit einander gemein haben Gewiſſe Zuͤge an ihnen werden ſich aͤhnlicher werden, als dieſe Zuͤge ſich ſonſt ſind, wenn ſie nicht in einer aͤhnlichen Gemuͤthslage ſich befinden.

Nun duͤnkt mich, wenn man zugeſteht, daß große Freude und große Traurigkeit ihren all - gemein erkennbaren Ausdruck haben; daß der Ausdruck von beyden ſo verſchieden ſey, als Freud und Traurigkeit verſchieden ſind; ſollte man denn nicht auch geſtehen muͤſſen, daß der Zuſtand der Ruhe das Mittel zwiſchen Freude und Traurigkeit auch ſeinen beſondern Ausdruck haben muͤſſe oder, mit andern Worten: daß die Muskeln um Augen und Lippen herum ſichtbar in einer andern Lage ſich befinden muͤſſen?

F 3Giebt46V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen

Giebt man dieß zu von dem Zuſtande der Freude, der Traurigkeit, der Ruhe; warum nicht von den uͤbrigen Zuſtaͤnden, des Stolzes, der Demuth, der Geduld, der Großmuth? u. ſ. f.

Nach Geſetzen fliegt der Stein in die Hoͤhe, wenn ich ihn mit Gewalt hinaufwerfe nach denſelben Geſetzen faͤllt er wieder auf die Erde ſollt er nicht nach ebendenſelben Geſetzen liegen bleiben, wenn ihn niemand bewegt?

Nach Geſetzen druͤckt ſich die Freude ſo Traurigkeit ſo die Ruhe ſo aus warum Zorn, Sanftmuth, Stolz, Demuth u. ſ. f. nicht auch nach Geſetzen, nach denſelben Geſetzen?

Entweder alles in der Natur hat ſeinen Urheber oder nichts; alles ſteht unter Geſetzen, oder nichts; alles iſt Urſach oder Wuͤrkung, oder nichts Sollte dieß nicht eins der erſten Axiom der Philoſophie ſeyn? und wenn dieß es nun ſeyn muß; wie iſt die Phyſiognomik ſchon zum voraus gegen alle Einwendungen, ſelbſt gegen die, worauf man noch nichts zu antworten weiß, gerettet ſobald zugegeben wird: daß gewiſſe Zuͤge bey allen Men - ſchen charakteriſtiſch ſind, ſo charakteriſtiſch als die Augen fuͤr das Geſicht?

Aber, wie verſchieden, wird man ſagen, ſind die Ausdruͤcke der Freude, der Traurig - keit? des Denkens? des Nichtdenkens u. ſ. f. wie da auf Regeln kommen koͤnnen? Dieſe Einwendung iſt im erſten Bande zum Theil ſchon beantwortet doch, weil wir hier den Ein - wendungen ein beſonderes Fragment widmen, ſo ſey auch dieß noch als Antwort beygefuͤgt ......

Wie verſchieden unter ſich ſind die Augen aller Menſchen aller ſehenden Geſchoͤpfe das Auge des Adlers und des Maulwurfs, des Elephanten und der Muͤcke? und dennoch vermuthen und glauben wir von allen, die nicht Merkmale der Erſtorbenheit oder der Krankheit an ſich tragen, daß ſie ſehen.

Wie die Verſchiedenheit der Augen, ſo der Ohren, ſo der Fuͤße! von denen allen wir dennoch glauben, daß ſie zum Hoͤren und zum Gehen gegeben ſeyn?

Verhindert uns nun dieſe Verſchiedenheit nicht, Augen, Ohren und Fuͤße fuͤr Aus - druͤcke, fuͤr Organen der Sehenskraft, Gehoͤrkraft, Gehenskraft anzuſehen warum urthei - len wir nicht ſo von allen Zuͤgen und Lineamenten des menſchlichen Koͤrpers? Die Aus - druͤcke aͤhnlicher Gemuͤthsverfaſſungen koͤnnen nicht verſchiedener ſeyn, als die Augen, die Oh -ren,47gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. ren, die Fuͤße aller ſehenden, hoͤrenden und gehenden Weſen dennoch laͤßt ſich das, was ſie gemein haben, ſo gut erkennen und beſtimmen, als ſich das beſtimmen und bemerken laͤßt, was die ſo ſehr verſchiedenen Augen, Ohren und Fuͤße aller ſehenden, hoͤrenden und gehenden Weſen gemeines haben. Dieß wohl erwogen wie viele Einwendungen wuͤrden zu beant - worten ſeyn, oder zuruͤckbleiben?

[figure]
Sechstes48VI. Fragment. Beantwortung

Sechstes Fragment. Beantwortung einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

I. Einwendung.

Man ſiehet, ſagt man, Leute, die beſtaͤndig von fruͤhen Jahren an, ohne Krankheit, ohne Schwelgerey, ein wahres hippokratiſches Todtengeſicht bis ins hoͤchſte Alter, und doch immer die ſtaͤrkſte und unverruͤckteſte Geſundheit hatten.

Beantwortung.

Dieſe Faͤlle ſind ſelten. Es ſind immer tauſend Menſchen, deren Geſichtsfarbe und Um - riß ihrer Geſundheit entſpricht, gegen Einen, bey dem dieſe ſich zu widerſprechen ſcheinen. Jch vermuthe indeß, dieſe ſeltenen Faͤlle ruͤhren gemeiniglich von Eindruͤcken auf die Mutter waͤh - rend der Schwangerſchaft her. Unter andern hier einſchlagenden Raͤthſeln, ſchreibt mir ein Freund, will ich Jhnen nur eine Gattung vorlegen: die Erbkrankheiten. Rachitiſche, veneriſche Affecte, die die Kinder erſt in einem gewiſſen Alter als ihr Erbtheil bemerken, die Arthritis, das Podagra, ſind allzu bekannt. Aber Borelli erzaͤhlt einen Vorfall von zween Juͤnglingen, die, ohne eine aͤuſſerliche Verletzung, in ebendemſelben Jahre, naͤmlich im funfzehn - ten, da ihr Vater durch einen beſondern Zufall lahm geworden, gleichen Fehler bekommen. So kann’s, wie viel leichter? mit dem hippokratiſchen Geſichte ſeyn? wie kann ein Schrecken der ſchwangern Mutter dieſe Blaͤſſe ſo viel erklaͤrbarer verurſachen, als ſo ein Fall Gott weiß, nach welchem uns unerforſchbaren Geſetze der Einbildungskraft? oder Sympathie? oder Jnfluenz? verurſacht worden? Solche Faͤlle koͤnnen als Ausnahmen, deren zufaͤllige Urſachen jedoch ſo ſchwer nicht zu ergruͤnden ſind, angeſehen werden.

Man kann, deucht mir, daher ſo wenig gegen die Phyſiognomik ſchließen, als daraus, daß es Zwerge und Rieſen und disproportionirte Mißgeburten giebt, ſich wider die Regeln von dem Ver - haͤltniſſe und Ebenmaße des menſchlichen Koͤrpers ſchließen laͤßt.

II. Ein -49einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

II. Einwendung.

Derſelbe Freund ſchreibt mir: Jch kenne einen der ſtaͤrkſten Menſchen, der, die Haͤnde ausgenommen, genau ſo ausſieht, wie einer der ſchwaͤchſten, und ſo von jedem, der es nicht weiß, taxirt wird.

Beantwortung.

Jch moͤchte dieſen Mann ſehen. Jch zweifle ſehr, ob ſeine Staͤrke bloß in den Haͤnden ausgedruͤckt ſey? Geſetzt aber auch, es waͤre; ſo waͤr es hiemit doch in den Haͤnden? und wenn auch kein Ausdruck der Staͤrke auffallend waͤre ſo koͤnnte dieß eine Ausnahme, ein Beyſpiel ohne Beyſpiel ſeyn? Wie geſagt aber: ich zweifle an der Behauptung. Jch habe noch keinen Star - ken geſehen, dem’s nicht leicht hier und dort anzuſehen geweſen waͤre.

III. Einwendung.

Man ſieht Helden und Waghalsgeſichter, die immer die Erſten auf der Flucht gewe - ſen ſind.

Beantwortung.

Je weniger man iſt deſto mehr will man ſcheinen.

Wie ſehen dieſe Waghalsgeſichter aus? wie der Farneſiſche Herkules? Jch zweifle. Man zeichne ſie, man fuͤhre ſie vor! der Phyſiognomiſt wird vielleicht auf den zweyten, wo nicht auf den erſten, Blick ſagen Quanta Species! Auch kann Krankheit, Zufall, Hy - pochondrie den Muthigſten muthlos machen. Aber auch dieß Gemiſche wird dem Phyſiogno - miſten fuͤhlbar ſeyn.

IV. Einwendung.

Man ſieht aͤuſſerſt ſtolz ſcheinende Menſchen, die in ihren Handlungen niemals das allergeringſte Merkmal von Stolz verrathen.

Antwort.

Man kann ſtolz ſeyn und Demuth affectiren.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. GErzie -50VI. Fragment. Beantwortung

Erziehung und Umgang kann die Miene des Stolzes geben, wenn das Herz demuͤ - thig iſt. Aber dieß demuͤthige Herz wird durch die Miene des Stolzes durchſcheinen, wie Son - nenſtral durch duͤnne Wolken.

V. Einwendung.

Man ſieht Mechaniker, die bey unglaublicher Geſchicklichkeit, die allerfeinſten Arbei - ten zu verfertigen, und ſie zur groͤßeſten Vollkommenheit zu bringen, wahre Baͤren - und Holz - hackerhaͤnde und Koͤrper hatten; feine Frauenzimmerhaͤnde, die zu allen ſubtilen mechaniſchen Verrichtungen ganz unfaͤhig waren.

Antwort.

Man ſtelle, wenn ich bitten darf, dieſe groben und feinen Koͤrper neben einander, und vergleiche ſie!

Die meiſten Naturgeſchichtsſchreiber geben dem Elephanten ein plumpes und dummes Anſehen und befremden ſich in Ruͤckſicht auf dieſe anſcheinende Dummheit, oder vielmehr dieſen angedichteten Schein von Dummheit uͤber ſeine mannichfaltigen feinen Geſchicklichkeiten. Man ſtell aber den Elephanten neben das zaͤrtere Laͤmmlein welches zeigt, ohne Proben, bloß durch den Bau und die Gelenkſamkeit ſeines Koͤrpers mehr Geſchicklichkeit?

Es koͤmmt nicht ſo faſt auf die Maſſe, als auf die Natur, die Beweglichkeit, innere Empfindſamkeit, die Nerven, den Bau, die Gelenkſamkeit des Koͤrpers an.

Ferner: Zartheit iſt nicht Kraft. Kraft iſt nicht Feinheit. Apelles zeichnet mit einer Kohle beſſer, als mancher Miniaturmahler mit dem feinſten Pinſel. Der Mechaniker kann grobe Werkzeuge und eine feine Seele haben. Die feine Seele arbeitet durch den plumpen Finger beſſer, als die ſtumpfe Seele durch den feinen.

Wenn’s der Kuͤnſtler, von dem Jhr ſprecht, nirgends in ſeinem Geſichte, ſeinem Aeuſſer - lichen zeigt, was er iſt, ſo habt Jhr gewonnen! aber eh Jhr hieruͤber entſcheidet, muͤßt Jhr die mannichfaltigen Kennzeichen des mechaniſchen Genies wiſſen. Habt Jhr die Helle, Schaͤrfe, oder Tiefe ſeiner Augen, habt Jhr die Schnelligkeit und treffende Beſtimmtheit und Feſtigkeit ſeines Blickes, habt Jhr ſeine ſcharfen Augenknochen, habt Jhr den Bogen, den Vorbug ſeiner Stirne, die Gelenkſamkeit ſeiner zarten oder maſſiven Glieder habt Jhr das alles bemerkt, beobach -tet,51einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik. tet, gewuͤrdigt? Es iſt bald geſagt: Man ſieht’s ihm nicht an. Es wird drauf ankommen, wer dieſer Mann ſey.

VI. Einwendung.

Man ſieht aͤuſſerſt ſcharfſinnige Leute mit einem nichtsbedeutenden Geſichte.

Antwort.

Das Factum muß beſtimmter erwieſen werden.

Jch wenigſtens habe, nach vielen hundert Fehlſchluͤſſen, zuletzt allemal gefunden, daß ich nur nicht recht beobachtet habe. Jch ſetzte anfangs z. E. die Charaktere von Einer Eigenſchaft zu ſehr an Eine Stelle, ſuchte ſie anfangs nur da, und fand ſie nicht; wußte ſonſt ganz zuver - laͤſſig, daß z. E. auſſerordentliche Kraft da war, und konnte den Sitz ihres Charakters lange nicht finden. Warum? Jch ſucht ihn nur an Einem Orte. Dieß geſchah mir beſonders bey ſolchen Menſchen, die ſich nur in Einem beſondern Fache auszeichneten; uͤbrigens aber die gemein - ſten Koͤpfe zu ſeyn ſchienen; Menſchen, deren ganze Seelenkraft auf Ein gewiſſes Feld, einen beſondern Gegenſtand zielte; oder bey ſolchen, die eine ſehr unbeſtimmte Kraft hatten. Jch druͤcke mich unrecht aus, eine Kraft, die ſich nie an Etwas recht verſucht und ausgearbeitet hatte.

Jch habe vor vielen Jahren einen großen Mathematiker, das Erſtaunen von Europa, geſehen, der im erſten Anblicke, und lange nachher, die gemeinſte Phyſiognomie von der Welt zu haben ſchien. Jch zeichnete ein gutes getroffenes Bild von ihm nach, und ward alſo beſſer zu beobachten genoͤthigt. Jch fand einen beſondern Zug, der ſeinem Blicke eine eigne Be - ſtimmung gab, eine Beſtimmung, die ich erſt einige Jahre nachher an einem andern Him - mel weit von dieſem verſchiedenen aber ebenfalls trefflichen Kopf entdeckte, der ſonſt auch eine, alle meine Phyſiognomik irre machende, flache Geſichtsbildung hatte. Seither hab ich dieſen Blick bey keinem Menſchen, wenn er ſonſt auch noch ſo einfaͤltig ſchien, angetroffen, der nicht irgend was ganz auſſerordentliches hatte.

Dieß kann zeigen, wie ſehr das Urtheil: der Mann ſieht einfaͤltig aus, und hat doch große Geiſteskraft wahr und nicht wahr ſeyn kann.

Man ſchreibt mir von D’Alembert, zur Beſtreitung der Phyſiognomik, daß er die ge - meinſte Miene von der Welt habe. Jch kann nichts ſagen, bis ich D’Alembert geſehen. SoG 2viel52VI. Fragment. Beantwortungviel aber iſt gewiß, daß das Profil von ihm, von Cochin, welches doch weit unter dem Ori - ginal ſeyn ſoll, anderer ſchwerer anzugebender Merkmale nicht zu gedenken, eine Stirn und zum Theil eine Naſe hat, die ich noch an keinem mittelmaͤßigen, geſchweige ſchlechten, Kopfe geſe - hen habe.

VII. Einwendung.

Aber aͤuſſerſt Dumme mit feuervollem Geſichte giebt’s doch?

Antwort.

Wer ſieht dergleichen nicht taͤglich? Meine ganze Antwort, die ich tauſendmal geben werde, und mit dem probehaͤltigſten Rechte geben kann, iſt dieſe: die Anlagen der Natur koͤnnen trefflich ſeyn: die Gewohnheiten verdorben. Es iſt Kraft da; aber ſchlecht angewandte Kraft. Feuer, der Wolluſt geopfert, kann der Erforſchung und Ausbreitung der Wahrheit nicht mehr geopfert werden oder Feuer, ohne Licht? oder Feuer, das zu kei - ner Abſicht brennt? ꝛc.

So viel kann ich auf meine Ehre verſichern, daß mir unter allen mir bekannten ſehr verſtaͤndigen und Genievollen Menſchen (und ich kann ſagen, daß ich das Gluͤck habe, viele der beſten Koͤpfe, wenigſtens in Deutſchland und in der Schweiz, perſoͤnlich zu kennen) daß mir, ſag ich, unter dieſen allen keiner bekannt iſt, nicht Einer, der nicht gerade nach dem Maße ſeiner Geiſtes - oder Empfindungs - oder Schoͤpfungskraft ſich auch durch ſeine Geſichtszuͤge, und vornehm - lich durch den Bau ſeines Kopfes auszeichnete.

Kein Geſchoͤpf, das beobachten kann, darf ſich ſchaͤmen, beobachtet zu werden. Was Gott geſchaffen hat, darf ſich nicht ſchaͤmen, geſchaffen zu ſeyn und ſo gebildet zu ſeyn, wie es iſt alſo, hoff ich, werdens die Maͤnner, oder die maͤnnlichen Seelen, die dieß Buch leſen (und nur fuͤr ſolche, nicht fuͤr Kinder, ſchreib ich) nicht unbeſcheiden finden, wenn ich, zur Beſtaͤtigung deſſen, was ich ſo eben geſagt habe, aus dem Haufen einige noch lebende nenne, an denen ſich alle Augenblicke der Beweis ſehen laͤßt. Und dieß ſey ein neuer Wink zur Beſtaͤtigung der Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles, weil ich wohl gewiß ſeyn kann, daß niemand, der das Gluͤck hat, dieſe Maͤnner zu kennen mir widerſprechen werde.

Man53einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

Man erlaube mir alſo Namen anzufuͤhren. Vater Bodmer, erlaube mir, bey dir anzufangen.

Wer ſieht in Bodmern nicht den naiven, vernunftvollen, attiſchen Selbſtdenker? Dich - ter? Juͤnglings Freund?

Jn Breitingern (doch von dem ein beſonderes Fragment) nicht den feſten, durch - dringenden, ordnenden, unuͤberwindlichen, klugen Geſchaͤfftsmann?

Jn Geßnern nicht den ſchwebenden Schauer und den geſchmackvollen Verſchoͤnerer der Natur? den Mann, der lauter Aug und Geſchmack iſt?

Jn Sulzern nicht den geſunden, lichtvollen Denker, gewiß ſeiner Sache? feſt, ohne Haͤrte? nachgebend, ohne Schwaͤche?

Jn Mendelsſohn nicht den Mann, in keinem Sinne zum Athleten geboren? den lichthellen Verſtand voll unbeflecklicher Politur?

Jn Zimmermann das ſeltenſte Gemiſch der edelſten Feinheit und der zermalmendſten Staͤrke? die tiefſte Kenntniß der menſchlichen Natur unter das Laubgewand des philoſophi - ſchen Satyrs verborgen? ſo viel warmes Herz mit ſo viel Weisheitsheiterkeit ſo viel Laune als Ernſt, und Ernſt als Laune?

Jn Spalding den beſcheidenen, und dennoch in ſich feſten, ſanften, eleganten, empfind - ſamen Denker?

Jn Hallern den wolfiſchen Geiſt, und den kernhaften Geſchmack?

Jn Roußeau den aͤuſſerſt reizbaren, nervenreichen Redner?

Jn Baſedow den unverdroßnen, redlichen, thaͤtigen, tiefen Durchforſcher? die Leib - wache der Vernunft?

Jn Lambert den allverſchlingenden, allumfaſſenden, in ſich grabenden, lichtſtralſpal - tenden Ordner und Darſteller, aus Licht in Licht oder, aus Nacht in Licht?

Und daß ich nicht nur Gelehrte nenne Jn Herzogen Carl von Wuͤrtemberg den Mann voll unerſchoͤpflicher Schoͤpfungs - und Zerſtoͤrungskraft?

Jn Friedrich, dem Koͤnige von Preußen nicht den Wuͤrker und Vollender deß, was er will?

G 3Jch54VI. Fragment. Beantwortung einiger vermiſchten beſondern Einwend. ꝛc.

Jch behaupte noch mehr: Unter allen mir bekannten guten Portraͤten von großen Maͤn - nern und wie viel ſind mir durch die Haͤnde gegangen? iſt mir keines erinnerlich, das ohne ſichtbare Merkmale dieſer Groͤße geweſen waͤre.

Jch fuͤhre aus dem unzaͤhligen Haufen abermals nur folgende Namen an; Carl der XII, Ludwig XIV, Tuͤrenne, Suͤlly, Polignack, Montesquieu, Voltaͤre, Diderot, Neuton, Clarke, Maupertuis, Pope, Locke, Swift, Leßing, u. ſ. w.

Jch glaube, dieſer Charakter von Groͤße zeichne ſich ſo gar in jedem genau entworfnen Schattenriſſe aus; und ich koͤnnte eine Menge anfuͤhren, von denen jedes geuͤbte Auge kaum ein einziges verkennen wuͤrde.

Jn der nachſtehenden Vignette, welcher halbe Menſchenkenner wird den feinen, deutlichen Denker, den ſanften, ſtillen Forſcher der Wahrheit uͤberſehen?

[figure]
Siebentes55

Siebentes Fragment. Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit.

Eine der gemeinſten und maͤchtigſten Einwendungen gegen die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiogno - mik, iſt die allgemeine aufs hoͤchſte getriebene Verſtellungskunſt der Menſchen. Wir werden ſehr viel gewonnen haben, wenn wir dieſe Einwendung gruͤndlich werden beantworten koͤnnen.

Die Menſchen, ſagt man, geben ſich alle erdenkliche Muͤhe, weiſer, beſſer, redlicher zu ſcheinen, als ſie ſind. Sie ſtudieren die Miene, den Ton, die Gebehrden der heiterſten Redlichkeit. Es gelingt ihnen in ihrer Kunſt. Sie koͤnnen taͤuſchen und betruͤgen; ſie koͤn - nen jeden Zweifel, jeden Verdacht in Abſicht auf ihre Redlichkeit zerſtreuen und entfernen. Die verſtaͤndigſten, die ſcharfſichtigſten Menſchenkenner, und ſolche ſogar, die ſich mit Beob - achtung der Phyſiognomien abgeben, ſind oft durch ihr angenommenes Weſen betrogen wor - den, und werden taͤglich dadurch betrogen; wie kann alſo die Phyſiognomik jemals eine zuverlaͤſſige Wiſſenſchaft werden?

Dieß iſt die Einwendung, die ich in ihrer ganzen Staͤrke vorzutragen glaube. Jch will antworten.

Vor allen Dingen will ich vollkommen zugeben Man kann es in der Verſtellungs - kunſt erſtaunlich weit bringen und erſtaunlich koͤnnen ſich deswegen auch ſcharfſichtige Men - ſchen in der Beurtheilung des Menſchen irren.

Allein, ungeachtet ich dieſes von ganzem Herzen zugebe, halt ich dennoch die Einwen - dung, in Abſicht auf die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiognomik, bey weitem fuͤr ſo wichtig nicht, als man gemeiniglich glaubt und andre glauben machen will, und dieſes vornehmlich um zweyer Gruͤnde willen.

Fuͤrs erſte weil es unzaͤhlige Dinge in dem Aeuſſern des Menſchen giebt, wobey nicht die mindeſte Verſtellung Statt hat, und gerade ſolche Dinge, welche ſehr zuverlaͤſſige Merk - male ſeines innern Charakters ſind.

Zweytens,56VII. Fragment.

Zweytens, weil die Verſtellung ſelbſt ihre ſichere und, wo nicht mit Zeichen und Worten beſtimmbare, doch empfindbare Merkmale hat.

Jch ſage fuͤrs erſte: Es giebt unzaͤhlige Dinge in dem Aeuſſern des Menſchen, wo - bey nicht die mindeſte Verſtellung Statt hat, und gerade ſolche Dinge, welche ſehr zuverlaͤſ - ſige Merkmale ſeines innern Charakters ſind.

Welcher Menſch wird es durch alle Kuͤnſte der feinſten Verſtellung dahin bringen, daß z. E. ſein Knochenſyſtem ſich nach Belieben veraͤndere? welcher machen koͤnnen, daß er ſcheint, eine ſtark gewoͤlbte Stirn zu haben, wenn ſie platt iſt?

Eine eckigte, gebrochne, wenn ſie gewoͤlbt und rund iſt?

Welcher wird die Farbe und Lage ſeiner Augenbraunen veraͤndern koͤnnen? ſcheinen koͤn - nen, ſtarke, dachfoͤrmige Augenbraunen zu haben, wenn er duͤnne, oder uͤberall keine hat?

Wer wird ſich eine feine Naſe anbilden koͤnnen, wenn er eine aufgedruͤckte, ſtumpfe hat?

Wer wird ſich große Lippen machen koͤnnen, wenn er kleine, und kleine, wenn er große hat?

Wer ſich ein ſpitziges Kinn aus einem runden, ein rundes aus einem ſpitzigen drehen koͤnnen?

Wer wird die Farbe ſeiner Augen veraͤndern, oder, wie es ihm vortheilhaft ſcheint, hel - ler oder dunkler machen koͤnnen? welche Verſtellungskunſt kann ein blaues Auge in ein braunes, ein gruͤnliches in ein ſchwarzes, ein plattes in ein gewoͤlbtes verwandeln?

Eben dieſes gilt von den Ohren, von ihrer Geſtalt, ihrer Lage, ihrer Entfernung von der Naſe, ihrer Hoͤhe oder Tiefe; gilt von dem ganzen Schaͤdel, einem großen Theile des Umriſſes von der Farbe, der Haut, den Muskeln, dem Pulsſchlag; alles Dinge, die, wie wir an ſeinem Orte zeigen werden, oder doch leicht zeigen koͤnnten, und wie jeder auch nur mit - telmaͤßige Beobachter taͤglich wahrnimmt, entſcheidende Merkmale von dem Temperamente, und dem Charakter eines Menſchen ſind.

Wo kann hiebey und noch in ſehr vielen andern Aeuſſerlichkeiten des menſchlichen Koͤr - pers die mindeſte Verſtellung ſtatt haben?

Ein choleriſcher Menſch gebe ſich alle erſinnliche Muͤhe, phlegmatiſch, und der melan - choliſche, ſanguiniſch zu ſcheinen Er wird weder ſein Gebluͤt, noch ſeine Farbe, noch ſeine Nerven und Muskeln, noch die Zeichen und Merkmale davon auf der Stelle veraͤndern koͤnnen.

Ein57Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit.

Ein zornmuͤthiger Menſch nehme einen noch ſo ſanften Ton, noch ſo ruhige Gebehrden an; ſeine Augen werden dennoch dieſelbe Farbe und Woͤlbung, ſein Haar dieſelbe Natur und Kraͤuſung, ſeine Zaͤhne dieſelbe Lage behalten.

Gebehrde ſich ein Kopf noch ſo ſehr, um weiſe zu ſcheinen er wird das Profil ſeines Ge - ſichtes (die Lippen ausgenommen, und auch dieſe nur wenig) nicht veraͤndern und dem Profil eines weiſen und großen Mannes aͤhnlich machen koͤnnen. Er kann die Haut ſeiner Stirne falten oder entfalten, aber das Beinere ſeiner Stirne bleibt eben daſſelbe. Eben ſo wenig wird der wahrhaft weiſe Mann, das wahre Genie, jemals alle entſcheidende Merkmale ſeines durchdringen - den Verſtandes verlieren oder verheelen koͤnnen; ſo wenig der Thor alle Merkmale der Thorheit zu verdecken faͤhig ſeyn wird; koͤnnt er’s; ſo waͤre er gerade durch dieſe Geſchicklichkeit nicht mehr der vorige Thor.

Allein, man wird ſagen, deſſen allen ungeachtet ſeyn dennoch an jedem Menſchen Aeuſ - ſerlichkeiten genug, die in einem hohen Grade der Verſtellung faͤhig ſeyn; wir wollen es zugeben; aber zugeben koͤnnen wir nicht, daß dieſe Verſtellung auſſer allen Graͤnzen der Erkennbarkeit ſey Nein, ich glaube zweytens:

Daß keine Art der Verſtellung ſey, die nicht ihre ſicheren, wo nicht mit Zeichen und Worten beſtimmbaren, dennoch empfindbaren Merkmale habe.

Nicht an dem Objekt, ſondern an dem Subjekt fehlt es, daß dieſe Merkmale fuͤr unbe - ſtimmbar gehalten werden.

Jch gebe zu, daß es ein feines und geuͤbtes Aug erfordere, dieſe Merkmale wahrzuneh - men, und ein ſehr feines phyſiognomiſches Genie, dieſelben zu beſtimmen; und gebe auch gern zu, daß ſie ſich nicht allemal mit Worten oder Linien und Zeichen ausdruͤcken laſſen. Aber an ſich ſind ſie beſtimmbar: Bemuͤhung, Anſtrengung, Zerſtreutheit und Zerſtreuungsſucht ſollten die an ſich keine beſtimmbare, wenigſtens empfindbare Merkmale haben?

Un homme diſſimulé veut-il masquer ſes ſentimens? Il ſe paſſe dans ſon Inte - rieur un combat entre le vray, qu’il veut cacher, & le faux, qu’il voudroit préſenter. Ce combat jette la confuſion dans le mouvement des reſſorts. Le cœur, dont la fonction eſt, d’exciter les eſprits, les pouſſe, ils doivent naturellement aller. LaPhyſ. Fragm. II Verſuch. Hvolontè58VII. Fragment. volonté s’y oppoſe, elle les bride, les tient priſonniers, elle s’efforce d’en détourner le cours & les effets, pour donner le change. Mais il s’en échappe beaucoup, & les fuyards vont porter des nouvelles certaines de ce, qui ſe paſſe dans le ſecret du con - ſeil. Ainſi plus on veut cacher le vrai, plus le trouble augmente, & mieux on ſe de - couvre. *)Mémoires de l’Acad. de Berl. Tom. XXV. p. 444. So denke ich mit Dom Pernetty.

Jndem ich dieſes ſchreibe, ereignet ſich eben ein hieher gehoͤriges trauriges Beyſpiel; ich weiß nicht, ob wider, oder fuͤr mich?

Zwo Perſonen, von ungefaͤhr 24. Jahren, ſind mehr als einmal vor mir erſchienen, und be - zeugen zugleich mit der moͤglichſten Dreiſtigkeit zwo ſich vollkommen widerſprechende Sachen **)Arvieux Reiſen, 3. Theil, 14. Kapitel. Die arabiſchen Richter ſind ſo genau in ihrer Sa - che, daß der Leute Anſehen, ihre Gebehrden, der Ton der Stimme, die Bewegung der Augen, die Farbe des Geſichts, mit einem Worte, alles Aeuſſerliche, in Be - trachtung gezogen, und unterſucht wird, und ihnen dienen muß, die Wahrheit, welche die, ſo den Rechts - handel fuͤhren, oft aus Eigennutz verbergen, heraus - zubringen. Eine: Du biſt Vater meines Kindes die andere: Jch habe dich nie beruͤhret. Bey - de muͤſſen wiſſen, daß eine von dieſen Ausſagen wahr, die andere falſch iſt; eine von beyden Per - ſonen muß wiſſentlich Wahrheit, die andere wiſſentlich Luͤgen reden. Alſo ſtehen die boshaf - teſte Verlaͤumdung und die leidendſte Unſchuld vor mir? Alſo muß ſich eine von beyden erſtaunlich verſtellen koͤnnen? Alſo kann die boshafteſte Luͤge die Miene der leidendſten Un - ſchuld annehmen? Ja, ſie kann’s! und es iſt ſchrecklich, daß ſie’s kann; oder vielmehr: Nicht, daß ſie’s kann denn das iſt Vorrecht der freyen Menſchennatur, deren Vollkommen - heit und Ehre nicht allein ihre graͤnzenloſe Perfektibilitaͤt, ſondern auch ihre graͤnzenloſe Cor - ruptibilitaͤt iſt denn erſt dieſe letztere giebt der wuͤrklichen freywilligen moraliſchen Verbeſſe - rung und Vervollkommnung des Menſchen ihren groͤßten Werth Alſo es iſt erſchreck - lich; nicht, daß die boshafte Luͤge die Miene der leidendſten Unſchuld annehmen kann, ſondern daß ſie dieſe Miene annimmt.

Alſo59Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit.

Alſo aber kann ſie’s und was ſagt denn die Phyſiognomik? Das ſagt ſie:

Jch ſehe zween Menſchen vor mir, davon der eine ſich keine Anſtrengung geben darf, anders zu ſcheinen, als er iſt, der andere ſich die groͤßte Anſtrengung geben, und dieſe Anſtrengung aufs ſorgfaͤltigſte verbergen muß; der Schuldige hat vielleicht noch mehr Dreiſtigkeit, als die Unſchuld aber ſicherlich hat die Stimme der Unſchuld mehr Energie, Beredungskraft, Glaub - wuͤrdigkeit! ſicherlich hat der Blick der Unſchuld mehr Licht, als der boshaften Luͤge! Jch ſah ihn, dieſen Blick, mit Wehmuth und Zorn uͤber Schuld und Unſchuld, den unbeſchreiblichen Blick der ſo treffend ſagte: Und du darfſt’s laͤugnen? Jch ſah den gleichſam mit einem Nebel verſchleyerten ſich aufraffenden Blick; hoͤrte die zwar rohdreiſte, anmaßungs - reiche, aber dennoch, wie der Blick, matte, dumpfere weniger nackte Stimme, die antwor - tete: Ja, das darf ich! Jn der Stellung, in der Gebehrdung der Haͤnde beſonders im Schritte, da ſie hin und her gefuͤhret wurden; im Momente, da ich das treffendſte uͤber die Feyerlichkeit des Eides ſagte, welcher von ihnen gefordert werden wuͤrde, in dieſem Momente das Belecken der Lippen, der geſunkne Blick, die Mattheit der Stellung auf der Einen Sei - te der offne, erſtaunte, feſte, eindringende, warme, ruhevolle und ſtillrufende Blick auf der andern Herr Jeſus! und du willſt ſchwoͤren?

O Leſer! glaub es mir; ich ſah, hoͤrte, fuͤhlte die Unſchuld und die Schuld; die Bosheit mit dem unterdruͤckten verfluchten Jch weiß nicht was

Vor ihrem kleinſten Lachen huͤtet euch,
Jhr Freunde, ſchon von weitem!
Und koͤnnt ihr fliehen, fliehet gleich!
Es ſchadet guten Leuten.
Es blendet oft der hellſten Augen Licht;
Macht den geſunden Schmerzen;
Jn alles, alles, was ſie ſpricht,
Fließt Gift aus ihrem Herzen. Michaelis.
H 2Es60VII. Fragment.

Es iſt wahr, was der Verfaſſer der Bittſchrift fuͤr die Wittwe Gamm ſagt:*)Memoire pour la veuve Gamme, à Lyon 1773. p. 40.

Cette Chaleur, ſi l’on pouvoit ainſi parler, eſt le pouls de l’innocence; l’in - nocence a des accents inimitables, & malheur au juge, qui ne ſcait point les enten - dre! Quoy des Sourcis, ſagt ein anderer Franzos, ich glaube Montagne, Quoy des Sour - cis? quoy des Epaules? Il n’eſt mouvement, qui ne parle, & un Langage intelligible, ſans diſcipline, & un Langage public.

Jch kann dieſen wichtigen Punkt noch nicht verlaſſen, ohne noch ein Paar Anmerkun - gen beyzufuͤgen.

Eine allgemeine Anmerkung:

Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit iſt das ſimpelſte und dennoch unerklaͤrbarſte Ding von der Welt! Ein Wort vom allerweiteſten und allereingeſchraͤnkteſten Sinn

Wer ganz ehrlich iſt, moͤcht ich einen Gott, und wer ganz unehrlich iſt, einen Teufel nennen. Aber der Menſch iſt weder ein Gott noch ein Teufel, ſondern ein Menſch. Es iſt kein Menſch ganz ehrlich, und keiner ganz unehrlich.

Sprechen wir alſo von Verſtellung und Aufrichtigkeit, ſo muͤſſen wir die allerfein - ſten Begriffe hievon beynahe ganz auf die Seite ſetzen. Wir muͤſſen den aufrichtig nennen, der ſich keiner falſchen, eigennuͤtzigen Abſicht, die er zu verbergen ſuchen will, bewußt iſt; den falſch, der ſich wiſſentlich beſtrebt, beſſer zu ſcheinen, als er iſt. Dieß voraus geſchickt, hab ich uͤber Verſtellung und Aufrichtigkeit in Abſicht auf die Phyſiognomie noch folgendes zu ſagen:

Jſt ein Menſch durch Verſtellung anderer betrogen worden, ſo bin ichs. Haͤtt ein Menſch Urſache, die Verſtellungskunſt der Menſchen zum Einwurf gegen alle Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiognomik zu machen, ſo haͤtt ichs. Und dennoch behaupte ich dieſe Zuverlaͤſſigkeit um ſo viel dreiſter, jemehr ich mich durch angenommene Mienen der Redlichkeit habe taͤuſchen laſ - ſen. Denn einmal iſt’s doch ganz natuͤrlich, daß auch der ſchwaͤchſte Verſtand zuletzt durch Schaden aufmerkſam, durch Aufmerkſamkeit klug werden muß. Jch ward in eine Art vonNoth -61Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit. Nothwendigkeit geſetzt, alle meine Kraͤfte aufzubieten, beſtimmtere Zeichen der Redlichkeit und Falſchheit aufzuſuchen oder mit andern Worten, das dunkle Gefuͤhl, das beym erſten An - blick einer Perſon in mir rege ward, und dem ich aus gutem Herzen und geſunder Vernunft ſo wenig Glauben beymeſſen wollte, dieß wahre, ungelernte, Grundgefuͤhl feſter zu halten, und, wo moͤglich, einigermaßen zu analiſiren. Jmmer zu meinem Schaden hab ich dieſen er - ſten Eindruck wieder aus meinem Herzen zu verwiſchen geſucht.

Der Betruͤger iſt nie weniger vermoͤgend, ſich zu verſtellen, als im erſten Augenblicke, da wir ihn ſehen, wenn er ſich noch gleichſam ganz allein gelaſſen, eh er in eine gewiſſe Akti - vitaͤt und Waͤrme geſetzt iſt. Nichts iſt ſchwerer, behaupte ich, und nichts dennoch leichter, als Heucheley zu entdecken. Nichts ſchwerer, ſo lange der Heuchler denkt, daß er beobach - tet werde. Nichts leichter, ſobald er vergißt, daß er beobachtet wird. Die Ehrlichkeit hin - gegen iſt viel leichter zu bemerken und zu empfinden, weil ſie immer in einem natuͤrlichen Zu - ſtande, und auſſer allem Beſtreben iſt, ſich anzuſtrengen, ſich aufzuſtutzen.

Doch muß das ja wohl bemerkt werden, daß Furchtſamkeit und Schuͤchternheit dem redlichſten Geſichte oft den Anſtrich der Unaufrichtigkeit geben koͤnnen. Bloße Schuͤchternheit kann’s oft ſeyn, es muß nicht allemal Falſchheit ſeyn, wenn dich der, ſo dir etwas erzaͤhlt, dir etwas vertraut, nicht anſehen darf. Ueberhaupt macht dieß Niederſchauen deſſen, der mit uns redet, zwar immer einen fatalen Eindruck. Wir koͤnnen uns dabey des geheimen Argwohns der Unaufrichtigkeit kaum erwehren. Es iſt immer Schwachheit, Bloͤdigkeit, Unvollkommen - heit; Bloͤdigkeit, die ſehr leicht in Falſchheit uͤbergehen kann. Denn wer iſt mehr der Falſchheit ausgeſetzt, als der Furchtſame? wie leicht bequemt ſich der nach jedem, mit dem er umgeht? wie ſtark, wie nah iſt immer die Verſuchung zum ais, ajo, und negas, nego? Pe - trus Falſchheit und Untreue, was war ſie anders, als Furchtſamkeit? Die wenigſten Menſchen ſind groß genug, das iſt, haben Kraft und Selbſtgefuͤhl genug, Entwuͤrfe zu machen und ins Werk zu ſetzen, um andere zu betruͤgen, und ſie unter dem Schein der Treue und Freundſchaft ins Garn zu locken. Aber unzaͤhlige Menſchen, nicht harte, rohe Seelen; edle, treffliche, ge - fuͤhlvolle, zaͤrtliche, fein organiſirte Menſchen und gerade dieſe am meiſten, ſchweben be - ſtaͤndig in der Gefahr, unredlich zu ſeyn; ſie befinden ſich immer an der Schwelle, oder viel -H 3mehr62VII. Fragment. mehr am Abgrunde der Unredlichkeit und darum koͤnnen ſie leicht in die Gewohnheit hin - einkommen, den Menſchen, mit denen ſie reden, nicht ins Geſichte ſehen zu duͤrfen. Sie treten ſo oft in eine Schmeicheley ein, wobey ſie ihr Herz Luͤgen ſtraft; ſo leicht laſſen ſie ſich in einen Spott uͤber einen Redlichen, vielleicht gar uͤber einen Freund, hinreiſſen Spott uͤber einen Freund? Nein, wer deſſen faͤhig iſt, iſt nicht mehr eine edle, treffliche, gefuͤhlvolle, zaͤrtliche Seele! Spott und Freundſchaft koͤnnen ſich ſo wenig vertragen, als Chriſtus und Belial! aber zum Spott uͤber etwas ſonſt Ehrwuͤrdiges, Heiliges, Goͤttliches dazu kann auch eine redliche, ſchwache, bloͤde Seele ach! wie leicht hingeriſſen werden! wie leicht aus Kraftloſigkeit zum Widerſtand oder Widerſpruch mir und dir verſprechen, was nur Einem von uns gehalten werden kann, beyden bejahen, was bey dem einen bejahet beym andern verneint werden ſollte! O Furchtſamkeit und Bloͤdigkeit! du haſt mehr Falſche und Heuchler gemacht, als Eigennutz und Bosheit!

Doch ich lenke wieder ein Furchtſamkeit und Unaufrichtigkeit, Weichlichkeit und Falſchheit ſind ſich in ihrem Ausdrucke oft ziemlich aͤhnlich. Wer in der Falſchheit ſich bejahret hat; weſſen Furchtſamkeit mit Stolze gepaart, planvolle Kunſt geworden iſt, dem wird’s nimmermehr moͤglich ſeyn, herzoͤffnendes Gefuͤhl der Aufrichtigkeit um ſich her zu ver - breiten. Er wird betruͤgen koͤnnen. Aber wie? Man wird ſagen: Es iſt unmoͤglich ſo zu reden, ſich ſo zu aͤuſſern und es unredlich zu meynen. Aber man wird nicht ſagen: Mein Herz hat das Herz gefuͤhlt! nicht ſagen: ha! wie wohl war mir bey dem Manne, wie leicht ward mir ums Herz! wie viel mehr las ich noch Treue und Gutherzigkeit in ſeinen Mienen, als alle ſeine Worte mir verſicherten! ſo wird man nicht ſprechen, und wenn man ſo ſpricht, man wird’s nicht aus Ueberlegung, nicht mit innigem ſichern Gefuͤhl zwei - felloſer Wahrheit ſprechen. Blick der Augen und Laͤcheln des Mundes du wirſt’s verra - then! wenn man dich auch nicht bemerken, das Aug vor dir verſchließen, das Herz gegen dich verhaͤrten, dich vergeſſen, dich ignoriren will.

Du wirſt zuletzt, wenigſtens wenn du betrogen biſt, durch alle Raͤſonnements durchbre - chen, Erſtes tiefes, obgleich weggeworfenes, obgleich uͤberworfenes Gefuͤhl der Unredlichkeit!

Aber63Ueber Verſtellung, Falſchheit und Aufrichtigkeit.

Aber wo iſt ſie denn, ach wo? wo die lautere, reine, ſich ohne Anſtrengung oͤffnende ohne Ruͤckhalt ſich mittheilende uneigenſuͤchtige, bruͤderliche Redlichkeit? wo der ganz offne, unaufgeſperrte, ſich unaufdringende, ſich nie zuruͤckwendende, nie ſich verengernde Blick kindlicher Einfalt und Treuherzigkeit?

Was hat der gefunden, der einen ſolchen Blick gefunden hat! Verkaufe was du haſt, und kaufe den Acker mit dieſem Schatze!

[figure]
Achtes64VIII. Fragment. Sokrates

Achtes Fragment. Sokrates nach einem alten Marmor von Rubens.

Es iſt faſt Schande, in einem phyſiognomiſchen Werke nicht von Sokrates zu reden, und Schande, von ihm zu reden ſo viel iſt ſchon uͤber ſeine Phyſiognomie geredet worden.

Man hat die bekannte Anekdote von Zopyrus Urtheil uͤber ihn, daß er dumm, viehiſch, wolluͤſtig und der Trunkenheit ergeben ſey, und des Sokrates Antwort an ſeine, den Ge - ſichtsdeuter ausziſchenden, Schuͤler: daß er von Natur zu allen dieſen Laſtern geneigt waͤre, allein durch Uebung und Anſtrengung dieſe Neigungen zu unterdruͤcken geſucht haͤtte; man hat, ſag ich, dieſe Anekdote fuͤr und wider die Wahrheit der Phyſiognomie tauſendmal ange - fuͤhrt. Laßt uns alſo auch Ein Wort daruͤber ſagen.

Sokrates Bildniſſe alle, ſo viel ich deren geſehen, haben ſehr viele Aehnlichkeit unter ſich, und man kann daher in Anſehung ihrer im Ganzen genommenen Aehnlichkeit mit dem Urbilde ziemlich ſicher ſeyn; zumal wenn man das dazu nimmt, was Alcibiades, dem man gewiß richtige Beurtheilung und Gefuͤhl der Menſchengeſtalt zutrauen darf, uͤber ſein Geſicht ſagt: (Jch verſteh es naͤmlich nur von der Form des Geſichtes, uͤberhaupt betrachtet) daß er einem Silenus aͤhnlich ſey und ſchwerlich, ſagt Winkelmann an einem Orte, kann die menſchliche Natur tiefer erniedriget werden, als in der Geſtalt eines Silenus und doch war Sokrates aus allem, was wir von ihm wiſſen, der unvergleichlichſte, der weiſeſte, der edelſte Menſch.

Jſt dieß nicht ein unzerſtoͤrbares Argument gegen die Zuverlaͤſſigkeit der Phyſiognomie? da ſich gegen keines von beyden, weder gegen die Haͤßlichkeit ſeiner Geſtalt, noch gegen die Vor - trefflichkeit ſeines Charakters was Wichtiges einwenden laͤßt?

Es iſt dieß in der That ſo ſcheinbar, als je etwas in der Welt geweſen ſeyn mag; und den - noch getraue ich mir verſchiedenes auf die Einwendung zu antworten, ohne auf den ſonderbaren,um

[figure]

65nach einem alten Marmor von Rubens. um nicht zu ſagen, laͤcherlichen Gedanken zu verfallen welchen Alcibiades,*)Socratem aſſero perſimilem Silenis iſtis, qui ſedentes inter alias imagines, a ſculptoribus figuran - tur, ita ut fiſtulas tibiasve teneant, qui ſi bifariamdividantur, reperiuntur, intus habere imaginem Deorum. Platonis opera Marſil. Ficino interpr. p. 296. um ſeiner Aehn - lichkeit mit einem Silen ein Compliment zu machen, anfuͤhrt

Fuͤrs Erſte koͤnnt ich ſagen:

Die Mißgeſtalt Sokrates, deren beynahe alle gedenken, die etwas von ihm ſagen, iſt ſo was Auffallendes, Frappantes, daß ſie allen gleichſam als ein Widerſpruch, als eine Anoma - lie der Natur vorkam; daß ſie als eine Ausnahme von der allgemeinen Regel angeſehen wer - den koͤnnte, die gegen die Wahrheit der Phyſiognomie ſo wenig beweiſen wuͤrde, als eine Mißge - burt mit zwoͤlf Fingern gegen die Wahrheit: daß die Menſchen fuͤnf Finger an jeglicher Hand haben.

Wir koͤnnten alſo fuͤr einmal ſeltene Ausnahmen zugeben;

Mißgriffe der Natur; Druckfehler, wenn ich ſo ſagen darf, die die allgemeine Les - barkeit und Erklaͤrbarkeit der menſchlichen Geſichtszuͤge ſo wenig aufhuͤben, als zehen, zwanzig, dreyßig Druckfehler ein Buch unlesbar und unerklaͤrbar machen.

Wir haben oben ſchon ein Wort davon geſagt: Sollten nicht geheime Urſachen ſolcher Mißgeſtalten, die jedoch die innere Kraft der Seele nicht zerſtoͤren, nur anders wenden, viel - leicht gar ſchaͤrfen, in den Zufaͤllen waͤhrend der Schwangerſchaft der Mutter zu finden ſeyn?

Ferner bitt ich zu beherzigen, was ich ſchon ſo oft geſagt, umſonſt geſagt habe, und nicht genug ſagen kann: daß Anlage und Anwendung von Entwickelung, Uebung, Bil - dung, oder wie wir’s heißen wollen, wohl unterſchieden werden muß.

Jch habe ſchon bezeugt, daß die meiſten Einwendungen, die ich gegen die Phyſiogno - mik geleſen oder gehoͤrt habe, ſich durch dieſe ſimple Unterſcheidung heben und beantworten laſſen.

Ein Menſch mit den beſten Anlagen kann ſchlimm; der mit den ſchlimmſten Anlagen gut werden. Das was man ſchlimme Anlage nennt, kann dem Weſentlichen nach, zumal es in den feſtern Theilen des Koͤrpers ſeinen vornehmſten Sitz zu haben ſcheint beynahe gleichPhyſ. Fragm. II Verſuch. Jſtark66VIII. Fragment. Sokratesſtark hervorſcheinen, wenn auch Uebung, Weisheit, Tugend und gluͤckliche Umſtaͤnde dieſen ſogenannten ſchlimmen Anlagen die beſtmoͤglichſte Richtung gegeben haͤtten.

Das Groͤbere, das Feſtere der Bildung, welches uͤberhaupt um ſo viel ſchneller in die Sinne faͤllt, ſich der Jmagination um ſo viel tiefer einpraͤgt, ſo viel leichter nachgeahmt wird dieß kann ſo wenig, ſo unmerkbar veraͤndert worden ſeyn; die Veraͤnderungen, welche Uebung und Anſtrengung bewuͤrkt haben moͤgen koͤnnen ſo fein, ſo leicht uͤberſehbar, von dem ſtaͤrkern Ein - druck, den die Grundlage des Geſichts auf uns macht, ſo leicht verdraͤngt werden daß daher manche ſehr ſcheinbare, aber dennoch nur ſcheinbare, Einwendungen gegen die Phyſiognomik entſtehen koͤnnen.

Doch noch ein Wort, ehe wir weiter gehen, von den ſogenannten guten und ſchlim - men Anlagen.

Schlimme Anlagen hat eigentlich kein Menſch; moraliſch gute, genau zu reden, auch keiner. Keiner kommt laſterhaft, und keiner tugendhaft auf die Welt. Alle Menſchen ſind anfangs Kinder, und alle neugeborne Kinder ſind, nicht Boͤſewichter, und nicht Tugend - helden ſind unſchuldig. Wenige Menſchen werden ſehr tugendhaft; wenige werden ſehr la - ſterhaft; alle aber ſuͤndigen, ſo wie alle ſterben. Suͤnde und Tod kann keiner auswei - chen. Jn dieſem Sinne iſt die Erbſuͤnde der philoſophiſch wahreſte und erweislichſte Satz.

Aber, philoſophiſch zu reden, das heißt, deutlich und der Erfahrung gemaͤß, es iſt anfangs im Menſchen nur phyſiſche Reizbarkeit und Kraft; nur Trieb zu wuͤrken, ſich auszubreiten, zu leben, ſeine Exiſtenz zu erweitern, u. ſ. w.

Jſt dieſe Reizbarkeit und Kraft ſo beſchaffen, daß ſie ſehr oft, daß ſie gemeiniglich moraliſch uͤbel, das iſt, zur Zerſtoͤrung mehrerer phyſiſcher Kraͤfte, oder zum Schaden der Geſellſchaft ange - wandt wird; ſo beſchaffen, daß ſie beynahe anders nicht, als ſchlimm angewandt werden kann, ſo heißt ſie moraliſch ſchlimme Anlage. Und umgekehrt, moraliſch gute, wenn ſie zehnmal, hundertmal gegen Eins, gut angewendet zu werden pflegt.

Nun iſt’s, der allgemeinen Erfahrung nach, unwiderſprechlich, daß, wo viele Kraft und Reizbarkeit iſt, zugleich viele Leidenſchaften entſtehen muͤſſen, die groͤßtentheils zu moraliſch ſchlimmen Geſinnungen und Thaten fuͤhren. Der Mißbrauch der Gewalt (und jeder Kraft,deren67nach einem alten Marmor von Rubens. deren man ſich bewußt iſt) klebt an der Gewalt, wie die Wuͤrkung an der Urſache (ſagt der Erzantiphyſiognomiſt Helvetius, uͤber den noch ein eignes Fragment geliefert werden ſollte.) Corneille hat ſchon geſagt:

Qui peut tout ce qu’il veut, veut plus que ce qu’il doit.

Wer thun kann, was er will, will oft mehr, als er ſoll.

Alſo ſieht man, in welchem Sinne man ſagen kann: Ein Menſch hat ſchlimme An - lagen Das kann eben ſo viel geſagt ſeyn, als: Er hat die beſten Anlagen.

Sokrates hatte, nach dem Bilde zu urtheilen, das wir vor uns haben, ſicherlich die groͤßten Anlagen, ein großer Mann zu werden. Zopyrus irrte, und Sokrates irrte, wenn jener dieſen fuͤr dumm anſah; dieſer ſeine Anlage ſchwach glaubte. Seyn kann’s, daß Traͤg - heit und Fette des Fleiſches Nebel um den hellen Verſtand herum duͤnſtete, den die erhabene Stirn dem Zopyrus haͤtte verkuͤndigen ſollen! kann ſeyn, daß Sokrates den Geiſt nicht fuͤhlte, der in ihm war; daß Zufaͤlligkeiten, die er, weil ſie ihn von Jugend auf umgaben, fuͤr Anlage, fuͤr Natur hielt, die Helle und Kraft ſeines Geiſtes daͤmpften, daß er den Ausdruck dieſes Stirn - gewoͤlbes nicht kannte! Doch war’s dieſer Geiſt in ihm; der Einwohner dieſer Stirn war’s, der die Nebel der Lehre von der Erziehung, der phyſiſchen und moraliſchen, zertheilen wollt und konnte.

Das hohe geraͤumige Gewoͤlbe dieſer Stirn; die Schaͤrfe der Augenknochen; die An - ſtrengung der Muskeln zwiſchen den Augenbraunen; der breite Ruͤcken der Naſe; das tiefe Auge; dieß Aufſteigen des Augſterns unter dem Augendeckel wie iſt dieß alles ſprechend, zuſammen - ſtimmend fuͤr große natuͤrliche Anlagen des Verſtandes und fuͤr wuͤrklich entwickelte Kraͤfte Und was iſt das, was wir vielleicht in der zwanzigſten Copie vor uns haben, gegen das Original!

Aber dieß Geſichte hat doch auch gar nichts von jener edeln Einfalt, jener kalten, anmaſ - ſungsloſen, planloſen, ſich jedermann empfehlenden Offenheit? Es iſt doch ſo offenbar, daß aus den Augen etwas falſches, und zugleich viehiſch wolluͤſtiges herausblickt und im Munde? Bedeckt einmal mit der Hand die obere Haͤlfte des Geſichtes ſetzet die Schiefheit, die durch den offenbar zu breiten Schatten auf der rechten Seite des Mundes verurſacht wird, auf Rechnung des Zeichners oder Stechers Jhr werdet ſchon geneigter ſeyn, Euch mit dieſem Munde zu verſoͤhnen. Jhr werdet wenigſtens ſicherlich etwas mehr als Gemeines darinn finden.

J 2Jn68VIII. Fragment. Sokrates

Jn dem Obertheile des Kinns iſt kraftvoller Verſtand.

Jm Untertheile furchtbare Kraft.

Der unterſetzte, dicke, kurze Nacken iſt nach dem allgemeinen bey allen Nationen gleichen Urtheil Ausdruck des unbeweglichen Sinnes Hartnaͤckigkeit

Das ſonderbare Geſicht hat Sokrates wenigſtens in eben dem Grade, in welchem ſein Charakter uͤberhaupt ſonderbar und ausgezeichnet war Dieß allein ſchon ſollte uns vorlaͤu - fig auf die Vermuthung bringen es waͤre noch Moͤglichkeit uͤbrig, uns ſeinethalben mit der Phyſiognomik zu verſoͤhnen? Nun aber wir haben noch mehr geſehen! haben geſe - hen daß dieß Geſicht, ſo ſchlecht, ſo offenbar verzeichnet und vergroͤbert es iſt, dennoch voll der ſprechendſten Zuͤge fuͤr einen großen Mann iſt; daß darinn dasjenige, was den ſchlimmſten Eindruck macht, mehr dem Zeichner und dem Grabſtichel zuzuſchreiben iſt, als dem Original.

Aber ganz laͤßt ſich dadurch doch die Schwierigkeit noch nicht heben? Aber ließe ſie ſich nicht heben, wenn wir die lebende Natur vor uns ſaͤhen?

Wuͤrden dieſe Augen, itzt in dieſem Standpunkte gezeichnet, itzt feſt geſtellt, nicht ganz anders reden, wenn ſie ſich bewegten, wenn ſie uns gerade dann in die Seele blickten, wenn der Edle uns Ehr - furcht gegen die Gottheit Hoffnung der Unſterblichkeit oder Einfalt und Beſcheidenheit lehrte?

Dieſer itzt ſo fatale Mund in einem ſolchen Augenblick? O ihr Menſchenbeobachter und Menſchenfreunde, fuͤhlt Jhr nicht, daß er eine unendlich andere Geſtalt annehmen muͤßte?

O die Mahler, die Bildhauer, die Zeichner die alles karrikaturiren wie viel mehr, was ſchon in der Natur Karrikatur ſcheint die ſo fertig ſind, gerade die fatalſten Momente, die Momente der ſchlaͤfrigen Unthaͤtigkeit, in welche der, der ihnen ſitzen oder ſtehen muß, ſo leicht verſinkt, und beynahe verſinken muß, die dieſe Momente ſo begierig aufhaſchen, und weil ſie am leichteſten nachzuzeichnen ſind, ſo gern verewigen!

Noch einmal! Macht das boshafteſte Pasquill auf einen Menſchen tauſende werden ihn immer kenntlich, und vielleicht kenntlicher finden, als im wohl getroffenen Portraͤte. Man darf nur das feinere Lebende weglaſſen nur das, was wenig ſchief iſt, mehr ſchief, was grob und fleiſchig iſt, noch groͤber und fleiſchiger machen O, an tauſenden wird’s nicht fehlen, die damit zufrieden ſind, die’s bewundern!

Die69nach einem alten Marmor von Rubens.

Die gluͤcklichen Momente wahrer Exiſtenz hingegen wo die Seele in aller ihrer indivi - duellen Kraft ins Geſichte tritt, wie die aufgehende Sonne; die das ganze Geſicht mit Himmel tingiren, wenn ich ſo ſagen darf wer ſucht dieſe auf? wartet dieſe ab? zeichnet dieſe nach?

O, noch einmal! Es ſind keine Verlaͤumder auf der Welt, wie die Portraͤtmahler. Jhr ſchwaͤcht die Natur, wo ſie ſtark, und vergroͤbert ſie, wo ſie zart iſt! Verzeihet mir! noch oft muß ich uͤber Euch klagen noch oft rufen: O wenn ich keinen andern Beruf haͤtte, als Euern, nichts zu ſtudieren, als die aͤuſſerſte Oberflaͤche eines Menſchengeſichts in einem Einzigen Stand - punkte wollt ich mich ſchaͤmen, immer mich ſo von Regeln und Manier, von Mode und Zeit - geſchmack leiten oder an der Naſe herumfuͤhren zu laſſen immer ſo weit hinter der Wahrheit zuruͤckbleiben! ſchaͤmen, die herrliche Natur ſo ..... zu verlaͤumden!

Sokrates auf der einen Seite geſteht: Fleiß, Nachdenken, Uebung, habe ſeinen Cha - rakter verbeſſert verfeinert; und dieß kann ſich, muß ſich in den feinſten beweglichſten Thei - len ſeines Geſichts zehnmal ſtaͤrker, als in den feſten ausgedruͤckt haben.

Und auf der andern Seite geſteht uns eine ſo gar ſchlechte und fehlervolle Copie, daß Sokrates ſich ſelber in Anſehung ſeiner Anlage zum Theil geirret habe.

Und hiezu koͤmmt noch, daß immer ein großer Theil Verdorbenheit noch uͤbrig geblieben ſeyn kann.

Dieß alles nun zuſammen gerechnet, wird die Phyſiognomik durch Sokrates Geſicht ge - winnen oder verlieren?

Doch was ſoll uns der entfernte nicht mehr lebende Sokrates? Ein Augenblick ſei - nes lebendigen Daſeyns vor uns, wie viel koͤnnte der entſcheiden?

Gebt uns dafuͤr irgend einen lebenden Pendant und laßt ſehen, wer gewinne, der Vertheidiger oder der Beſtreiter der Phyſiognomik?

Fuͤhrt uns den weiſeſten und beſten Menſchen vor, den weiſeſten und beſten mit der duͤmm - ſten und boshafteſten Phyſiognomie, wie Jhr meynet; den wollen wir commentiren; und wenn Jhr nur dann nicht geſtehen muͤßt ... entweder: der Mann iſt nicht ſo gut und ſo weiſe, als wir ihn waͤhnten oder: Es ſind die ſichtbarſten Zuͤge vorzuͤglicher Weisheit und Guͤte da die wir anfangs nicht bemerkten ſo will ich verloren haben.

J 3Und70VIII. Fragment. Sokrates nach einem alten Marmor von Rubens.

Und min noch ein Wort uͤber nachſtehende Vignette die, wie mich deucht, fuͤr uns ſehr ſprechend iſt.

Wer ſieht nicht, daß es derſelbe Kopf iſt, den wir ſo eben groͤßer vor uns hatten? dieſelbe hohe, vielfaſſende Stirn; aber das Auge, wie viel weniger wolluͤſtig! der Mund, wie ungleich ſanfter, edler! wie herrlich, einfaͤltig, huldreich! O Sokrates, wenn du nur ſo ausgeſehen haſt, und dieß Geſicht, wie unbeſchreiblich muß auch dieß, als hundertſte Copie hinter dem Origi - nale zuruͤck ſeyn ſo iſt kein ſtaͤrkerer Beweis fuͤr die Wahrheit der Phyſiognomie, als du! Aber dann, heiliger Sokrates, bitte fuͤr deine Nachbilder, deinen Ariſtophanen ſo aͤhn - lich, wie ein Ey dem andern!

[figure]
Zugabe.
[figure]
71

Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke. M M.

Jn der Mittellinie des Mundes ruht und wuͤrkt die ganze Seele des Menſchen.

Es iſt keine Kraft, keine verborgne oder wuͤrkſame Leidenſchaft, keine Anlage, und beſon - ders kein gegenwaͤrtiger Zuſtand des Menſchen, der nicht in der Linie, die aus dem Verhaͤltniſſe und der Lage der Ober - und Unterlippe entſteht, ſichtbar werde, oder ſichtbar werden koͤnne. Der geringſtſcheinende Unterſchied in dieſem Zuge kann oft den groͤßten Unterſchied des Charakters und der Gemuͤthslage anzeigen ..... Doch hievon itzt nicht ausfuͤhrlich; beynah alle Blaͤtter dieſes Werkes geben Gelegenheit davon zu reden.

Nur ſo viel bey Gelegenheit des Sokratiſchen ſo fatalen Mundes im vorigen Stuͤcke. Und bey Gelegenheit deſſen von ein Paar andern Mundſtuͤcken von ſehr ſprechender Bedeutung.

Nichts weniger als fein gezeichnet oder radiert ſind dieſe beyden Mundſtuͤcke ſie haben aber dennoch bey der auffallenden Rauhigkeit der Nadel Charakter genug.

Mit welchem wuͤrdet Jhr lieber ſprechen?

Ganz unfehlbar mit dem obern? der gewiß wird Euch mehr Liebe einfloͤßen, mehr anzie - hen, als der untere ...

Welcher gerader, ruhiger, heiterer Sinn in dem obern! welches weiſen, klugen, ſtillen Beobachters iſt er! welches theilnehmenden, ſtandhaften Freundes!

Jn der Natur ohne dieſe Haͤrte, die ihm die rohere Nadel und die ſchwarze Farbe giebt in der Natur, wo jede Linie feiner, gebrochener, nuͤancirter iſt, als die Kunſt ſie gemei - niglich erreicht in der Natur welch ein Mund wuͤrd es ſeyn voll Weisheit und unge - lernter inniger Guͤte!

Die horizontale Lage des Ganzen; die Groͤße, Hoͤhe, der Schluß, das Verhaͤltniß der Lippen gegen einander, die Zeichnung am meiſten wie zuſammenſtimmend

Denkt72VIII. Fragment. Sokrates. Zugabe.

Denkt nun einmal an die Titelvignette dieſes zweyten Bandes liebe Leſer, ver - ſteht Jhr ſie wohl nun, wenn ich ſage: Jn dieſem Munde nichts ſchieflockers nichts ſteifhar - tes (ich rede nicht vom Styl der Zeichnung) ſondern freye Geradheit

Laßt uns hier einen Augenblick ſtille ſtehen. Wie die ganze Natur, wie Gottes Fuͤr - ſehung ſollte jedes Menſchenwerk, jede Schrift ſeyn ohne hartgerade Linien, voll Ordnung und Kraft!

Ordnung o mißverſtandnes Wort Ordnung Gottes iſt nicht gereihte Zuſammenſtel - lung; nicht kuͤnſtliche Garten-nicht Alleenordnung ſo die Ordnung des Schuͤlers der Na - tur, durch Effekte ſpuͤrbar! wie iſt da alles, obgleich zerſtreut obgleich hingeworfen ſchei - nend Effekt machend! auf den Zweck treffend! uͤberraſchend!

O Urbild aller Ordnung und Vollkommenheit herrliche Natur! koͤnnt ich dich in jedem meiner Werke nachahmen! dich genug uͤberſehen! innig ſentiren! und von dir begeiſtert, dich ewiges Urbild aller ſanften, treffenden Wuͤrkſamkeit nachahmen und wie du mit herrlichen Ausſichten uͤberraſcheſt, du, goͤttliche Fuͤrſehung, das Kleinſte zur Veranlaſſung und Entwickelung des Groͤßten wuͤrkſam ſeyn laͤßt, o moͤchte dieſen Gang mein Werk gehen! den Gang der ganzen Natur und der perſoͤnlichen Offenbarungen Gottes, ſo wie er in unſern heili - gen Schriften aufgedeckt liegt.

Wozu dieſe Ausſchweifung? ...

Um mir Weg zu bahnen zu der nicht ganz unwichtigen Bemerkung: Es giebt drey Hauptklaſſen von Menſchen und Menſchenwerken und Menſchenworten! doch itzt nur von Men - ſchen und Menſchengeſtalten Zwar, wie die Geſtalt, ſo die Worte; wie die Worte, ſo die Tha - ten dem Haupttone, dem Charakter nach!

Die erſte Claſſe Lockerheit, Laͤſſigkeit, abſichtloſes Hin - und Herwanken!

Die zweyte Steifheit, Geſpanntheit, Anſtrengung, Kunſtkraft.

Die dritte, oder wie ich lieber ſagen wollte, die mittelſte, vortrefflichſte, einzig achtungs - und liebenswuͤrdige Freyheit und Richtigkeit.

Die erſte und die zweyte gleich unertraͤgliche Extreme

Die erſte ohne Widerſtehenskraft die andere ohne Nachgeblichkeit.

Wider -73Ueber zwey Mundſtuͤcke.

Widerſtehenskraft fordert Achtung und Ehrfurcht.

Mangel derſelben Verachtung; Ueberfluß derſelben Furcht und Abſchen.

Unſtaͤndige Nachgeblichkeit, Kraftloſigkeit erwirbt weder Liebe noch Achtung.

Aber Liebe und Achtung, dieſe erlangt nur eine gleiche Temperatur von Empfaͤnglichkeit und Wuͤrkſamkeit, von Leidſamkeit und Widerſtand. Jch kann die Verſchiedenheit dieſer drey Hauptklaſſen menſchlicher Charakter fuͤrs erſte durch kein einfaͤltigeres Symbol ausdruͤcken, als durch drey Faͤden, einen lockern, einen geſpannten, und einen durch ein Bleygewicht geraden, aber freyen und ungezwungnen.

[figure]

Wie mit den Linien, ſo mit den Menſchen. Wie mit den Menſchen, ſo mit jedem einzel - nen Theile des Menſchen.

Das Allzulockere und das Geſpannte gefaͤllt weder an der Linie, noch an der ganzen Menſchengeſtalt, noch am einzelnen Gliede Das was allenthalben an allen gefaͤllt, (ich rede nicht von Schoͤnheit ich rede von dem, was gefaͤllt, ohne daß man eben deswegen ſage: Es iſt ſchoͤn) das was allenthalben an allen gefaͤllt, iſt Richtigkeit und Freyheit, nicht das Symbol die gerade Schnur mit dem Bleygewichte gefaͤllt, ob wohl auch dieſe mehr als un - beſtimmte Lockerheit, und das ſcharf Geſpannte.

Miß, o Leſer, die Menſchen nach dieſem Maaße, und ich weiß der Richtige und Freye wird allenthalben, das Richtige und Freye in allen Theilen, Gliedern, Zuͤgen, Nuͤancen, Aeuſſerungen der Menſchheit, wird dir beſſer gefallen, als unbeſtimmte Lockerheit und kuͤnſtliche Anſtrengung.

Und du ſelbſt, o daß du’s verſtuͤndeſt, fuͤhlteſt denn ſo gewiß du’s noch rein verſtehſt, und tief fuͤhleſt, ſo gewiß kannſt du noch von den beyden Enden, dem Lockeren und dem Steifen, ins gluͤckliche Mittel der richtigen Freyheit zuruͤcktreten zuruͤckſtreben, zuruͤck hinab oder hinauf klimmen.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. KNun74VIII. Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke.

Nun wieder eingelenkt. Von dieſer richtigen Freyheit iſt das obere der beyden Mund - ſtuͤcke, die wir vor uns haben, ein Beyſpiel.

Das untere iſt halb geſpannt, halb laͤſſig.

Wenn Geſpanntheit und Laͤſſigkeit in einander fließen, wie in der Bleyſchnur wie im obern Munde, dann vortrefflich; wenn ſie zuſammengeſtuͤckt ſind, unertraͤglich.

Ein Mund, der an einem Ende ſich ſteif zudruͤckt, an dem andern ſich laͤſſig oͤffnen will wird immer unertraͤglicher Ausdruck von irgend einer unertraͤglichen Gemuͤthsart. Jch glaube, das obere Mundſtuͤck iſt nach einer Gipsbuͤſte von Plato das untere von einem ſeelenloſen Kerl, der zuſchaut, wie Paulus gegeiſelt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll ſpottender Verachtung?

Und nun noch Ein Wort vom Barthaare Koͤnnt ihr euch erwehren, in der Verſchieden - heit des Bartes eine ſehr große Verſchiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken? gefaͤllt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrauſe Barthaar nicht mehr, wie das un - tere? zeigt’s nicht mehr Ruhe Leidenſchaftloſigkeit? Geſchmack?

Jch ſchließe dieſe Zugabe mit einem Worte Winkelmanns,*)Herkul. Entdeckungen 35. 36. das ich itzt ohne Pruͤ - fung und Anmerkung hinſetze:

Von dem ſchoͤnen Barte des vermeynten Plato koͤnnte gelten, was der aͤltere Skaliger uͤberhaupt von dem Barte ſagt: daß derſelbe das ſchoͤnſte und goͤttlichſte Theil des Men - ſchen ſey. .....

Zweyte
[figure]
75

Zweyte Zugabe. Sokrates, neun Profilkoͤpfe, Umriſſe.

Alle dieſe neun Koͤpfe nach Copien von alten Gemmen gezeichnet, ſind, wie es ſcheint, ziemlich aͤhnliche Portraͤte von Sokrates, und ſind ein Beweis, wie zuverlaͤſſig und unzuverlaͤſſig alle Copien von ſonderbaren Geſichtern ſind.

Wie zuverlaͤſſig? denn in allen neunen iſt ſo viele Aehnlichkeit, daß es auffallend iſt: Es ſind Portraͤte von Einem und demſelben Menſchen. Bey allen derſelbe Kahlkopf; bey allen derſelbe Haarwuchs; bey allen die runde Naſe, der Einbug bey der Naſewurzel; bey allen das dicke, kurze, eingeſteckte Weſen.

Wie unzuverlaͤſſig? ... Kaum wird man 9. Portraͤte von demſelben Geſichte finden, die ſich ſo aͤhnlich ſind, wie dieſe 9. Profile, und dennoch wird das geuͤbte Auge merkliche Verſchiedenheiten des Ausdrucks in denſelben entdecken.

Es iſt fuͤr den forſchenden Leſer gewiß nicht unangenehm, dieſe kleinen Unterſchiede der Zeichnung und des Ausdrucks mit mir zu bemerken. Die Uebung in dergleichen Bemerkungen iſt das ſicherſte Mittel, ſich ein ſcharfes phyſiognomiſches Auge zu erwerben und fuͤr den Kuͤnſtler? der mag’s erfahren, wie er ſich durch dergleichen Uebungen vervollkommnen kann! und wie ſchon bemerkt worden, lernen wir dadurch, wie die kleinſten Veraͤnderungen der Zeichnung ſogleich den Ausdruck veraͤndern, mithin, wie wahr in ihren kleinſten Wendungen die Natur, und wie thoͤricht und unuͤberlegt das unaufhoͤrlich wiederhallende Geſchrey iſt Jm Ganzen, im Ganzen freylich gelte Phyſiognomie! im Großen zeige ſie was; aber nicht im Kleinen! Beynahe alle Tafeln dieſer Fragmente erweiſen das Gegentheil, und werden’s, je mehr das Auge des Leſers wird ge - ſchaͤrft werden, immer kraͤftiger, unwiderſprechlicher erweiſen.

Eine neue Probe davon ſeyn alſo dieſe neun Umriſſe.

K 21.) Die76VIII. Fragment. Zweyte Zugabe.
  • 1.) Die Stirn des erſten wird wohl die flaͤchſte, die perpendikularſte ſeyn das Aug '(zwar alle ſind ſchlecht gezeichnet) iſt das ſchlechteſte; die Naſe die ſpitzigſte, das Nasloch am un - beſtimmteſten; der Mund am offenſten.
  • Nun mag jeder urtheilen, ob dieß Geſicht nicht unter allen neunen das duͤmmſte ſey? Es iſt indeß noch nicht das entſcheidendſte Geſicht eines Dummkopfes. Stirn und Woͤlbung des Oberhauptes dieß allein ſchon ſpricht genug fuͤrs Gegentheil. Die Naſe iſt freylich, ſo wie ſie da iſt, ſo ſchlecht und gemein, als ſie ſeyn kann. Jn dem Munde ſelbſt aber iſt noch etwas von launichter Schalkheit, die nicht ohne alles attiſche Salz zu ſeyn ſcheint.
  • 2.) Denkendre Stirn; tieferer Einſchnitt bey der Naswurzel; das Hinterhaupt weit her - vordringender uͤber den Nacken beſtimmter gezeichnete Naſe, mehr geſchloßner Mund alles vortheilhafter!
  • 3.) Etwas ſchiefere Stirn; ſchalkhafterer Mund.
  • 4.) Unterſcheidet ſich vornehmlich durch die weniger ſtumpfe, ſchaͤrfer beſchnittene Unter - lippe und das emporſchende Auge. Nicht ſo leer, wie 1, nicht ſo denkend, wie 2, nicht ſo ſchalk - haft, wie 3.
  • 5.) Jſt oben aufm Schaͤdel weniger breit, hoͤher gewoͤlbt, als alle vorige, beſonders der vierte; die Unterlippe iſt etwas ſtumpfer, als 4; das Auge wolluͤſtiger; der Eindruck des Gan - zen Hinheftung der Seele auf Einen daſtehenden reizenden Gegenſtand.
  • 6.) Aufhorchend, und ſich auf Antwort ruͤſtend.
  • 7.) Wir trauen dieſem am wenigſten. Er iſt nicht der verſtaͤndigſte, aber der liſtigſte. Er freut ſich einer vielleicht phyſiognomiſchen? Beobachtung, die er eben macht.
  • 8.) Uneingebognere Stirn. Mehr Verſtand darinn, als in der vorhergehenden. Der Kopf uͤberhaupt etwas laͤnglichter, als die uͤbrigen, und ſcheint ſich dadurch ein wenig zu veredeln.
  • 9.) Die Stirn ſcheint mir noch verſtaͤndiger, als die vorhergehende; nur verliert ſie et - was untenher bey der Naſe. Das Auge ſcheint mir das geſcheuteſte von allen. Der Mund am ruhigſten und ehrlichſten.

Die Ohren ſind nicht ſicher, rein und vollkommen genug, gezeichnet, daß ſich viel Be - ſtimmtes und Zuverlaͤſſiges daruͤber ſagen ließe.

Hier77Sokrates, neun Profilkoͤpfe, Umriſſe.

Hier noch ein Sokrates .... Untertheil der Stirn und die Naſe zeigen gedraͤngten, feſten, unbeſtechbaren Verſtand. Das Aug iſt nicht dumm, aber unbeſtimmt und ſchwach. Die Oberlippe nicht unverſtaͤndig. Der offne Mund will ſagen, und ſagt nichts. Auch das Kinn Ohr und Hinterhaupt nicht unſokratiſch!

[figure]
K 3Neuntes78IX. Fragment.

Neuntes Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey.

Die natuͤrlichſte, menſchlichſte, edelſte, nuͤtzlichſte Kunſt, und die ſchwerſte, ſo leicht ſie ſcheint, ſo leicht ſie ſeyn ſollte, die Portraͤtmahlerey.

Liebe hat ſie erfunden, dieſe himmliſche Kunſt. Ohne Liebe wer kann ſie? und der Liebenden; wer?

Da ein großer Theil dieſes Werkes, und der Wiſſenſchaft, welche den Jnnhalt deſſelben ausmacht, auf dieſer Kunſt beruhet; ſo iſt’s natuͤrlich, daß wir, wie wir ſchon verheißen oder gedrohet? haben, auch ein Woͤrtchen davon ſagen.

Ein Woͤrtchen; denn was ließe ſich nicht bloß uͤber dieſe Kunſt fuͤr ein ganz neues, wichti - ges, großes Werk ſchreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menſchheit und der Kunſt, daß es noch geſchrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, ſo geſchickt er in ſeiner Kunſt ſeyn moͤchte; ich denke, daß es von einem verſtaͤndigen, geſchmackvollen, phyſiognomiſchen Freunde, einem taͤglich beobachtenden Vertrauten eines großen Portraͤtmahlers, geſchrieben werden ſollte ..... Wenigſtens unter allen mir bekannten Portraͤtmahlern ſcheint keiner zu ſeyn, der dieſe weitlaͤuftige Materie zu umfaſſen, zu erſchoͤpfen, und ins helleſte Licht zu ſetzen im Stande waͤre .... Sulzer waͤre vielleicht der einzige Mann, der dieſes zu thun im Stande geweſen waͤre Philoſoph, Kunſt - kenner, und Schwiegervater eines der groͤßten Portraͤtmahlers unſerer Zeit, des Herrn Anton Graf von Winterthur, churfuͤrſtlich ſaͤchſiſchen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieſer licht - und geſchmackvolle Weiſe, der Menſch genug iſt, die Wichtigkeit der Portraͤtmahlerey als Jntereſſe der Menſchheit zu empfinden hat in ſeinem Woͤrterbuche unter dem Titel Portraͤt uͤber dieſen Punkt ſo viel Treffliches geſagt; aber wie wenig laͤßt ſich in einem Woͤrterbuche von dieſer Be - ſchraͤnktheit eine Materie von dieſem Umfange erſchoͤpfen!

Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, uͤber dieſe Kunſt nachzudenken, wird finden, daß ſie alle erkennenden und wuͤrkenden Kraͤfte der menſchlichen Natur zu beſchaͤfftigen groß genug iſt; daß ſie nie ausgelernt werden, nie ſich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann.

Jch79Ueber die Portraͤtmahlerey.

Jch will es verſuchen, einige der vermeidlichen und unvermeidlichen Schwierigkeiten, wo - mit dieſe Kunſt zu kaͤmpfen hat, darzulegen. Beyde zu kennen, ſcheint mir fuͤr den Kuͤnſtler und den Menſchenbeobachter allerdings der Muͤhe werth.

Portraͤtmahlerey was iſt ſie? Darſtellung eines beſondern wuͤrklichen Menſchen, oder eines Theils des menſchlichen Koͤrpers Mittheilung, Aufbewahrung ſeines Bildes; die Kunſt, alles, was man von einer einſeitigen Geſtalt des Menſchen ſagen, und eigentlich nie mit Worten ſagen kann, in einem Momente zu ſagen.

Wenn es wahr iſt, was Goethe irgendwo ſagt und mich duͤnkt, Wahrers laͤßt ſich nichts ſagen daß des Menſchen Gegenwart, daß ſein Geſicht, ſeine Phyſiognomie, der beſte Text zu allem iſt, was immer uͤber ihn geſagt und commentirt werden kann wie wichtig wird die Portraͤtmahlerey!

Jch habe bereits im erſten Bande dieſer Fragmente aus dem eben erwaͤhnten vortreffli - chen Werke des Herrn Sulzers, unter den Zeugniſſen fuͤr die Phyſiognomik, eine Stelle ange - fuͤhrt, die in dem Artikel Portraͤt allen uͤbrigen Anmerkungen beynahe zum Grunde liegt. Jch will ſie hier nicht wiederholen. Aber das wird meinen Leſern nicht unangenehm und unnuͤtzlich ſeyn, wenn ich einige der wichtigſten Stellen aus dieſem ſo ſehr hieher gehoͤrigen Artikel hier ein - ruͤcke, und mit Anmerkungen begleite.

Da kein einziger Gegenſtand unſerer Kenntniß, ſagt Sulzer, wichtiger fuͤr uns ſeyn kann, als denkende und fuͤhlende Seele; ſo kann man auch daran nicht zweifeln, daß der Menſch, nach ſeiner Geſtalt betrachtet,[wenn] wir auch das Wunderbare darinn bey Seite ſetzen, der wich - tigſte aller ſichtbaren Gegenſtaͤnde ſey.

Wenn der Portraͤtmahler dieß erkennte, fuͤhlte, davon durchdrungen waͤre; durchdrungen waͤre von Ehrfurcht gegen das beſte Werk des beſten Meiſters dran daͤchte, nicht mit Gewalt ſich anſtrengen muͤßte, daran zu denken, wenn’s ihm ſo natuͤrlich waͤr, als Gefuͤhl und Liebe ſei - nes Lebens welch eine wichtige, heilige Arbeit waͤr ihm das Portraͤtmahlen! heilig wenig - ſtens, wie der Text heiliger Schriften dem Ueberſetzer ſeyn ſollte, ſollt ihm ein lebendes Menſchen - geſicht ſeyn! wie ſorgſam er, nicht zu verfaͤlſchen das Werk Gottes, wie ihrer ſo viele das Wort Gottes!

Welche80IX. Fragment.

Welche Verachtung trifft billig den ſchlechten Ueberſetzer eines vortrefflichen Werkes! ... welche Verachtung gebuͤhrte dem waͤſſernden, geiſtverſchwemmenden Ueberſetzer der goͤttlichen Schriften, die, wenn ſie auch nicht goͤttlich waͤren, als alte allgemein verehrte Urkunden der Menſchheit und der Religion der Menſchheit nicht verunſtaltet und durch die Ueberſetzung ver - faͤlſcht zu werden verdienen und nun man erlaube mir die, wie man bald ſehen wird, hieher gehoͤrige, Betrachtung Nun iſt’s doch gewiß, die goͤttlichſten Schriften ſind doch in gewiſſem Sinne Werke der Menſchen! ſie, die Menſchen, dachten; ſie ſahen; ſie hoͤrten ſie fuͤhlten; ſie ſchrieben die Kraͤfte dazu waren nun einmal ihre Kraͤfte; wie ſie nun immer dazu gekommen ſeyn moͤgen ... Gottes Werk und Kraft in ihnen wie das Leben, das ihr Leben war, ob wohl Gottes! Und nun wie viel groͤßer iſt jeder Wuͤrker, als ſeine unmittelbare abſichtliche Wuͤr - kung? wie viel ehrwuͤrdiger, heiliger ein lebendiger Menſch, als alles, was der Menſch wuͤrken und hervorbringen kann? wie viel erhabner Sokrates, als alles, was Xenophon von ihm er - zaͤhlt? und als alles, was Sokrates geredet und allenfalls geſchrieben hat? als alles, was er in ſeinem ganzen Leben auf Erden haͤtte reden, ſchreiben und wuͤrken koͤnnen? wie unendlich mehr Chriſtus, als das Neue Teſtament? So auch uͤberhaupt, wie jeder Menſch, auch der ſchlech - teſte mehr, als alles, was der beſte, weiſeſte, goͤttlichſte, inſpirirteſte geſchrieben hat? Wie heilig und ehrwuͤrdig alſo ſollte dem Mahler das gemeinſte Menſchenangeſicht ſeyn!

Woher mag es doch kommen, faͤhrt Sulzer fort, daß man an einigen Orten einen ſchlechten Portraͤtmahler im Spaße einen Seelenmahler nennt; da der wahre Kuͤnſtler dieſer Gattung ein eigentlicher guter Seelenmahler iſt.

Vermuthlich daher, weil man damit ſagen will: er kann das Geſicht ſo wenig mahlen als die Seele! oder, er kann nichts weiter als einen punktirten Schatten, wie man etwa die Seele zu mahlen pflegt, mahlen. Dem ſey wie ihm wolle; wer nicht die Seele im Geſichte ſieht, kann ſie nicht mahlen und wer dieſe nicht mahlen kann, iſt kein Portraͤtmahler.

Jedes vollkommne Portraͤt iſt ein wichtiges Gemaͤhlde, weil es uns eine menſchliche Seele von eignem perſoͤnlichem Charakter zu erkennen giebt; wir ſehen in demſelben ein Weſen, in welchem Verſtand, Neigungen, Geſinnungen, Leidenſchaften, gute und ſchlimme Eigenſchaf - ten des Geiſtes und des Herzens auf eine ihm eigne und beſondre Art gemiſcht ſind. Dieſes ſehenwir81Ueber die Portraͤtmahlerey. wir ſogar im Portraͤt meiſtentheils beſſer, als in der Natur ſelbſt; weil hier nichts beſtaͤndig, ſon - dern ſchnell voruͤbergehend und abwechſelnd iſt. Zu geſchweigen, daß wir ſelten in der Natur die Geſichter in dem vortheilhaften Lichte ſehen, in welches der geſchickte Mahler ſie geſtellt hat.

Wenn wir jedes Moment des Menſchen in der Natur feſthalten koͤnnten, oder wenn’s in der Natur ſtehende Momente gaͤbe, ſo waͤre unſtreitig unſere Beobachtung leichter an der Natur, als im Portraͤt; da aber das unmoͤglich iſt, da noch uͤberdieß kaum eine Perſon ſich ſo beobachten laͤßt, daß man es beobachten heißen koͤnnte, ſo iſt’s mir einleuchtend wahr, daß ſich aus einem recht guten Portraͤt mehr Kenntniß des Menſchen ſchoͤpfen laͤßt, als aus der Natur, in ſo fern ſie ſich nur im Momente ſehen laͤßt.

Hieraus laͤßt ſich alſo leicht die Wuͤrde und der Rang, der dem Portraͤt unter den Wer - ken der Mahler gebuͤhret, beſtimmen. Es ſteht unmittelbar neben der Hiſtorie. Dieſe ſelbſt be - koͤmmt einen Theil ihres Werthes von dem Portraͤt; denn der Ausdruck, der wichtigſte Theil des hiſtoriſchen Gemaͤhldes, wird um ſo viel natuͤrlicher und kraͤftiger, je mehr wuͤrklicher aus der Natur genommener Phyſiognomie in den Geſichtern iſt. Eine Sammlung ſehr guter Portraͤte iſt fuͤr den Hiſtorienmahler eine wichtige Sache zum Studium des Ausdrucks ......

Wo ſind die Hiſtorienmahler, die wuͤrkliche Menſchen, illuſionsweiſe verſteht ſichs, dar - ſtellen koͤnnen! wie ſieht mans allen an, daß ſie Kopien kopieren kopieren freylich oft von ihrer Jmagination, die aber nur von Modebildern ihrer oder der Vorzeit genaͤhrt oder gefuͤttert iſt.

Dieß voraus geſchickt, laßt uns nun beſonders von einigen vermeidlichen Hinderniſſen, mit denen die Portraͤtmahlerey zu kaͤmpfen hat, etwas ſagen. Jch weiß, daß die Freymuͤthigkeit, mit der ich meine Gedanken ſagen werde, beleidigen wird. Zu beleidigen aber iſt nicht meine Ab - ſicht. Jch moͤchte belehren, und der Kunſt, das iſt, der Nachahmung der Werke Gottes, auf - helfen. Jch moͤchte zur Verbeſſerung beytragen; und wie iſt das moͤglich, ohne kecke Aufdeckung des Fehlbaren und Mangelhaften?

So viel ich Portraͤtmahler geſehen, ſo viele Werke von Portraͤtmahlern, ſo oft bemerkt ich Mangel an philoſophiſcher, das iſt, richtiger, deutlicher, und zugleich allgemeiner Kenntniß des Menſchen.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. LDer82IX. Fragment.

Der Jnſektenmahler, der keine genaue Jnſektenkenntniß hat, nicht den Bau, das Allge - meine, das Beſondere, das Eigenthuͤmliche jedes Jnſektes kennt, wird, wenn er ſonſt uͤberhaupt auch noch ſo ein guter Copiſt iſt unfehlbar ſchlecht Jnſekten mahlen. Der Portraͤtmahler koͤnne noch ſo genau copieren (eine Sache, die jedoch weit ſeltener iſt, als ſelber große Kenner der Zeichnung denken moͤgen ) er wird ſchlechte Portraͤte mahlen; wenn er nicht die genaueſte Kennt - niß hat von dem Bau, der Proportion, dem Zuſammenhange, der Gegeneinanderwuͤrkung der groͤbern und feinern Theile des menſchlichen Koͤrpers, in ſo fern ſie auf die Oberflaͤche einen merk - baren Einfluß haben; wenn er nicht den Bau jedes einzelnen Gliedes und Geſichtstheiles aufs ge - naueſte ergruͤndet hat; etwas, das ich noch ſchlechterdings an keinem einzigen mir bekannt geworde - nen Portraͤtmahler gefunden habe. Jch ſelbſt, ſo ſehr ich’s ſeyn ſollte, bin nichts weniger als ein genauer Kenner aller feinern, ſpecifiken Zuͤge jedes Sinnes, jedes Gliedes, jedes Geſichttheiles und dennoch bemerk ich taͤglich, daß dieſe feinere, dieſe ſchlechterdings unentbehrliche Kenntniß uͤberall noch unbearbeitet, unbekannt, und ſelbſt einſichtsvollen Mahlern kaum beyzubringen iſt.

Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, einen Hauſen der verſchiedenſten, unausgeſuchteſten Menſchen ſtuͤckweiſe zu betrachten, der wird finden, daß z. E. jedes Ohr, jeder Mund, bey aller Verſchiedenheit dennoch ſeine kleinen Beugungen, Eckgen, Charaktere hat, die allen gemein ſind die ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, ſchaͤrfer oder ſtumpfer durchaus bey allen Menſchen, die nicht Mißgeburten, wenigſtens an dieſen Theilen ſind, angetroffen werden.

Was hilft nun alle Kenntniß der groͤßern Proportionen des menſchlichen Koͤrpers und menſchlichen Geſichtes (die abermals noch bey weitem nicht tief genug ſtudiert ſind, und gewiß noch ſcharfer Reviſion beduͤrften; ein kuͤnftiger phyſiognomiſcher Mahler wird dieſen Ausſpruch rechtfertigen, und unterdeſſen mag dieß meinethalben bloß abgeſprochen heißen ) Was hilft, ſag ich, alle Kenntniß der groͤßern Proportionen, wenn die Kenntniß der feinern Zuͤge, die eben ſo wahr, ſo allgemein, ſo beſtimmt, und nicht weniger bedeutend ſind, als die groͤßern wenn dieſe fehlt? und dieſe fehlt ſo ſehr, daß ich’s auf die Probe ankommen laſſen wollte, ob mancher der geſchickteſten Mahler, der tauſend Portraͤte gemahlt hat, nur eine ertraͤglich beſtimmte allgemeine Theorie von dem Munde z. E., nicht von dem innern Bau des Mundes, nein, nur von dem mah -leriſchen83Ueber die Portraͤtmahlerey. leriſchen Munde hat, das iſt, von dem Munde, wie der Mahler ohne anatomiſche Kenntniß ihn ſehen koͤnnte, ſehen ſollte?

Es iſt unglaublich, aber es iſt wahr. Es verhaͤlt ſich hiemit, wie mit allen menſchlichen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten von der Theologie bis zur Schuhmacherkunſt Man ſpricht im - mer nach, arbeitet immer nach, und faͤngt nie von vornen an, ohn alle alle Vorausſetzung, friſch auf zu unterſuchen daher die allgemeine unendliche Stuͤmperey und Bodenloſigkeit, auf der wir herum tanzen!

Man durchgehe dreyßig, vierzig Baͤnde der trefflichſten Portraͤte von den groͤßten Mei - ſtern, und unterſuche (ich hab unterſucht, und darf alſo kuͤhn ſprechen) wie geſagt, nur z. E. den Mund. *)Worinn dieſe allgemeinen Zuͤge des Mundes beſtehen, wird an ſeinem Orte gezeigt werden.Studiere vorher an neugebornen Kindern, Knaben, Juͤnglingen, Maͤnnern, Grei - ſen, Jungfrauen, Frauen, Matronen das Allgemeine des Mundes, und wenn man’s ge - funden hat, ſo vergleiche man und man wird ſehen, daß den meiſten, daß beynah allen Mah - lern die Theorie des Allgemeinen des Mundes fehlet, und daß es ſehr ſelten geſchieht, wenn’s geſchieht, bloß zufaͤlligerweiſe zu geſchehen ſcheint, daß ein Meiſter dieß Allgemeine richtig gefaßt hat? Und wie unbeſchreiblich viel beruhet auf dem? Was iſt alles Beſondere, alles Charakteriſti - ſche anders, als Nuͤancen des Allgemeinen? ... Und wie’s in Anſehung des Mundes iſt, ſo in Anſehung der Augen, der Augenbraunen, der Naſe und jedes Gliedes oder Geſichtstheils .... Ge - rade ſo ein Verhaͤltniß, wie die Geſichtsglieder z. E. gegen einander haben, gerade wie dieß Ver - haͤltniß bey allen, noch ſo verſchiedenen, Geſichtern allgemein iſt, gerade ſo ein Verhaͤltniß iſt in den einzelnen kleinern Zuͤgen eines jeglichen Geſichtsgliedes; unendlich verſchieden iſt die Verſchie - bung der ganzen Geſichtsglieder gegen einander bey derſelben allgemeinen Proportion; und ſo unendlich verſchieden auch die Nuͤancirung der kleinern Zuͤge in jedem Geſichtsgliede bey derſel - ben allgemeinen Aehnlichkeit.

Ohne genaue Kenntniß des Verhaͤltniſſes der ganzen Geſichtsglieder, wie z. E. der Augen, des Mundes, gegen einander, wird’s immer bloßer Zufall, und hoͤchſtſeltener Zufall ſeyn, daß dieß Verhaͤltniß in den Werken des Mahlers zum Vorſchein komme.

L 2Ohne84IX. Fragment.

Ohne genaue Kenntniß der beſondern conſtituirenden Theile und Zuͤge eines jeden Geſichts - gliedes, wird’s immer ein bloßer Zufall, und hoͤchſt ſeltener Zufall ſeyn, daß eines davon richtig gezeichnet ſey.

Dieſe einzige Bemerkung kann den nachdenkenden Kuͤnſtler aufmerkſam genug machen, die Natur aus dem Grunde zu ſtudieren, und ihm zeigen, daß er, wenn er was werden ſoll, zwar die Werke großer Meiſter mit Achtung und Ehrfurcht anſehen aber ſich durch keine Be - ſcheidenheit (die einzige Tugend, welche die allherrſchende Mittelmaͤßigkeit uns unaufhoͤrlich predigt, und die freylich an ſich ſehr noͤthig und liebenswuͤrdig, dennoch aber nicht ſo wohl fuͤr ſich beſtehende Tugend, als bloß Kleid und Zierde der Tugend und der wuͤrklich vorhandenen Kraft iſt) ſich durch keine Beſcheidenheit abhalten laſſen ſoll mit ſeinen eignen Augen zu ſehen, und die Natur im Ganzen und im Theile ſo zu beobachten, als wenn vor ihm noch niemand beob - achtet haͤtte; ſo zu beobachten, als wenn nach ihm niemand mehr nachleſen ſollte. Ohne dieß, junger Kuͤnſtler, wirſt du auf - und untergehen, wie ein Meteor! und deiner Werke Ruhm wird ſich nur auf die Unwiſſenheit deiner Zeitgenoſſen gruͤnden.

Die meiſten beſten Portraͤtmahler, wenn’s herrlich geht, begnuͤgen ſich, wie die meiſten Beurtheiler der Phyſiognomien, hoͤchſtens nur damit, den Charakter der Leidenſchaften in den beweglichen und muskuloͤſen Theilen des Geſichtes auszudruͤcken. Sie verſtehen Euch gar nicht, ſie laͤcheln uͤber Euch hin, wenn Jhr ihnen von der von aller Bewegung fleiſchiger Theile unabhaͤngigen Grundlage des menſchlichen Geſichtes, als vom Fundamente jeder Zeichnung und jedes Gemaͤhldes, redet. Jhr moͤcht reden, ſo viel ihr wollt, ſie mahlen fort mit einer Unerbittlich - keit und Beſchraͤnktheit, wodurch die eiſenfeſteſte Geduld zu Boden getreten werden moͤchte.

Und bis beſſere Anſtalten zur Vervollkommnung der Portraͤtmahlerey vorhanden ſind, bis etwa eine phyſiognomiſche Geſellſchaft oder Akademie (wovon wir vielleicht noch in einem beſondern Fragmente reden werden) phyſiognomiſche Portraͤtmahler bildet werden wir im Ge - biete der Phyſiognomik hoͤchſtens nur kriechen, wo wir ſonſt ſo leicht fliegen koͤnnten.

Eins von den groͤßten Hinderniſſen, womit die Phyſiognomik zu kaͤmpfen hat, iſt die wuͤrk - lich unglaubliche Unvollkommenheit dieſer Kunſt.

Es85Ueber die Portraͤtmahlerey.

Es fehlt beynah allemal am Aug, oder an der Hand des Mahlers oder am Objekt, das nachgemahlt, oder nachgezeichnet werden ſoll; oder an allen dreyen zuſammen Man ſieht nicht, was da iſt; man kann nicht zeichnen, was man ſieht; der Gegenſtand ruͤckt ſich unaufhoͤr - lich aus ſeiner Lage, die ſo einfach ſeyn ſollte; und wenn er auch nicht weicht, und wenn’s dem Mahler weder am allbeobachtenden Auge, noch an einer allnachahmenden Hand fehlt, ſo iſt die letzte unuͤberwindliche Schwierigkeit noch dieſe, daß jede Stellung des Menſchen, jede Lage, die Moment iſt, unnatuͤrlich und unwahr wird, wenn ſie in demſelben Momente fortdauren ſoll.

Was ich geſagt habe, iſt nichts gegen das, was hieruͤber geſagt werden koͤnnte dieß Feld iſt, ſo viel ich weiß, noch ſehr unbearbeitet. Selbſt Sulzer, wie wenig hat er druͤber ge - ſagt? wie wenig konnte er in einem Woͤrterbuche davon ſagen? da kaum ein Quartband hin - reichen wuͤrde, dieſe Materie von allen Seiten zu betrachten, alle beruͤhmte Portraͤtmahler zu pruͤfen und zu beurtheilen, und alle Regeln und Cautelen anzugeben, die bey der unendlichen Verſchiedenheit, und der kaum glaublichen Einfoͤrmigkeit der menſchlichen Geſichter dem jungen Kuͤnſtler gegeben werden ſollten.

Jch werd es verſuchen, in der Folge, theils hin und wieder bey verſchiedenen Gelegen - heiten, theils in beſondern Fragmenten, einige Beytraͤge zu dieſem wichtigen Werke zu liefern. Eines davon ſey das naͤchſtfolgende.

[figure]
L 3Zehntes86X. Fragment. Einige Stufen

Zehntes Fragment. Einige Stufen von Urtheilen uͤber Portraͤte.

1.

Was ſagt Jhr zu dieſem Portraͤt? Wer ſoll’s ſeyn? Jhr kennt das Original.

Das Original ich kennen? ... So muß das Portraͤt durchaus nicht gleichen. Jch kann nicht drauf kommen.

Der und der!

Nun ſo haͤtt ich das nimmermehr errathen. Nicht die allermindeſte Aehnlichkeit. So anticharakteriſtiſch, wie moͤglich.

2.

Und was ſagen Sie zu dieſem?

Jch kann’s nicht erkennen.

Es iſt der Herr von A ...

Der? das haͤtt ich nicht vermuthet; doch, nachdem Sie mirs ſagen, find ich etwas aͤhnliches, und kann doch einigermaßen begreifen, daß es dieſen vorſtellen ſoll. Allein, daß ich viele Aehnlichkeit drinn finde, koͤnnt ich nicht ſagen.

3.

Und wie finden Sie dieß?

Jch ſehe wohl, wen’s vorſtellen ſollte; aber es iſt viel Fremdes, mehr Fremdes, als Wahres drinn.

4.

Und, wie dieſes?

Unfehlbar iſt’s der, aber alles Karrikatur! alle Zuͤge verhaͤrtet, vergroͤbert, verzogen.

5.

Hier ....? alles verſchoͤnert! idealiſirt! erhoͤhet! das Gute trefflich, das Schwache un - merkbar gemacht; ſonſt kenntlich. Leſſings Definition vom Portraͤt: das Jdeal eines gewiſſen Menſchen!

6. Alles87von Urtheilen uͤber Portraͤte.

6.

Alles Einzelne gut! ſehr kenntlich aber die Form des Ganzen, die Proportion iſt nicht wahr.

7.

Die Form, die Proportion gut; das Einzelne alles zu unbeſtimmt, bloß im Ganzen ge - nommen.

8.

Und zu dieſem? .... Trefflich kenntlich, redend! Zeichnung gut, Proportion gut aber zu aͤngſtlich, zu hart, zu flach. Schlechte, kraftloſe Mahlerey; nicht rund, nicht lebend!

9.

Das auch ſchlechte Mahlerey? ... Nein, trefflich gemahlt, trefflich kennbar! aber im Blick, im Munde etwas fremdes, ſtarres.

10.

Und was hat dieſes fuͤr Fehler?

So viel Gutes, daß man nicht viel von Fehlern ſagen ſollte; Stirn, Augen, Naſe, Mund, Kinn zum Erſtaunen rund, gut gemahlt, in trefflichem Lichte; doch iſt die Stellung gezwun - gen, die Miene bey aller Kennbarkeit kalt, trocken, ſeelenlos.

11.

Und dieß? ... Erſtaunlich kennbar, aber nicht in der gewoͤhnlichſten, natuͤrlichſten Laune. Die ganze Miene iſt, wie mit einem Nebel uͤberzogen.

12.

Aber an dieſem nun werden Sie doch nichts auszuſetzen finden? Nichts, als dieß: der Mahler zeichnete eine Succeſſion, eine Fluxion der Miene, und hielt nicht Eine einfache feſt. Die Simultaneitaͤt des Geſichtes fehlt, die Harmonie. Widerſprechende Zuſtaͤnde und Bewegungen ſind in großen Partheyen in einzelnen Zuͤgen. Es iſt nicht Ein und daſſelbe Moment.

13.

Aeußerſt kenntlich, aber zu ſtark und zu viel Feuer!

14. Aeußerſt88X. Fragment. Einige Stufen

14.

Aeußerſt kenntlich, nur der Kopf etwas zu groß!

15.

Und dieſer Kopf zu klein.

16.

Und dieſer? auf eine gewiſſe Entfernung unverbeſſerlich, von nahem anzuſehen, rauh.

17.

Jn der Naͤhe alle moͤgliche Genauigkeit und ſtudierte Wahrheit Jn einiger Entfernung thut das Ganze keine Wuͤrkung wenigſtens verliert ſie.

18.

Zu laͤchelnd ſuͤß, zu geſpannt ſonſt zum Reden aͤhnlich.

19.

Zu locker, zu fad, zu geſtuͤmpft.

20.

Zu ernſthaft, zu ſtill.

21.

Bey aller Kenntlichkeit ohn alle beſtimmte Action und Gemuͤthscharakter.

22.

Dieſer unverbeſſerlich aͤhnlich, herrlich gemahlt Nur ſieht man noch Mahlers Manier drinn, ſieht noch, daß es gemahlt iſt.

23.

Und in dieſem? ... Nicht nur Mahlers Manier, ſondern auch noch des Mahlers Geſtalt! Es waͤr aͤhnlich, aber er hat’s mit ſeiner eignen oft gemahlten Geſtalt und Mienen gleichſam tingirt.

24.

Das heiß ich nun gemahlt! das nicht nur kenntlich, aͤhnlich, wahr, lebendig! vollkom - men Natur! nicht Gemaͤhlde mehr .... Grundzeichnung, Form, Proportion, Lage, Stellung, Farbe, Schatten, und Licht, Freyheit, Leichtigkeit, Natur! Natur! Natur in der charakteriſtiſchenLage!89von Urtheilen uͤber Portraͤte. Lage! Natur im Ganzen, Natur in der Farbe, in einzelnen Zuͤgen, im ſchoͤnſten Lichte! in der gewaͤhlteſten individuellſten Gemuͤthslage Natur und Wahrheit in der Naͤhe, in der Ent - fernung von jeder Seite kenntlich fuͤr alle Menſchen; zu allen Zeiten; fuͤr Kenner und Nichtkenner! fuͤr den beſten Kenner am kenntlichſten! keine Spur von Gemahltſeyn! ein Geſicht im Spiegel! ein Menſch, mit dem man ſprechen will, und der mit uns ſpricht; der uns mehr an - ſchaut, als wir ihn anſchauen koͤnnen. Wir eilen auf ihn zu, wir umarmen ihn, wir ſind be - zaubert ....

Einige Stufen der Urtheile; einige, mein Freund pruͤfe deine Arbeiten darnach, jun - ger Menſchenmahler! und ſtrebe nach der letzten Hoͤhe, und das wenigſte, was du erreichen wirſt, wird Reichthum und Ruhm der Welt und Nachwelt ſeyn. Mit Thraͤnen danken wird dir, ſegnen wird dich Vater, Mann und Freund! und Ehre machen wird dein Werk dem großen Mei - ſter, deſſen Geſchoͤpfe auch nur in der Oberflaͤche, auch nur in Einem Punkte ihres Seyns nach - zuahmen, das erhabenſte Meiſterſtuͤck der Menſchheit iſt.

[figure]
Phyſ. Fragm. II Verſuch. MEilftes90XI. Fragment.

Eilftes Fragment. Ueber Schattenriſſe.

Das Schattenbild von einem Menſchen, oder einem menſchlichen Geſichte, iſt das ſchwaͤchſte, das leereſte, aber zugleich, wenn das Licht in gehoͤriger Entfernung geſtanden; wenn das Geſicht auf eine reine Flaͤche gefallen mit dieſer Flaͤche parallel genug geweſen das wahreſte und getreueſte Bild, das man von einem Menſchen geben kann; das ſchwaͤchſte; denn es iſt nichts Poſitifes; es iſt nur was Negatifes, nur die Graͤnzlinie des halben Geſichtes; das getreueſte, weil es ein unmittelbarer Abdruck der Natur iſt, wie keiner, auch der geſchickteſte Zeichner, einen nach der Natur von freyer Hand zu machen im Stande iſt.

Was kann weniger Bild eines ganz lebendigen Menſchen ſeyn, als ein Schattenriß? und wie viel ſagt er! wenig Gold; aber das reinſte!

Jn einem Schattenriſſe iſt nur Eine Linie; keine Bewegung, kein Licht, keine Farbe, keine Hoͤhe und Tiefe; kein Aug, kein Ohr kein Nasloch, keine Wange, nur ein ſehr kleiner Theil von der Lippe und dennoch, wie entſcheidend bedeutſam iſt Er! der Leſer ſoll bald ur - theilen hat ſchon im I. Theile haͤufigen Anlaß gehabt, ſich davon zu uͤberzeugen, und ſein Ur - theil zu uͤben.

Schatten von Koͤrpern waren vermuthlich die erſten Veranlaſſer und Lehrer der Zeich - nungs - und Mahlerkunſt.

Sie druͤcken, wie geſagt, wenig, aber dieß wenige ſehr wahr aus. Keine Kunſt reicht an die Wahrheit eines ſehr gut gemachten Schattenriſſes.

Man verſuch es, und lege den zarteſten Schattenriß mit der aͤuſſerſten Genauigkeit erſt nach der Natur, und mit eben dieſer Genauigkeit hernach auf ein feines durchſichtiges Oelpapier ins Kleine gezeichnet, auf eine gleich große Profilzeichnung von dem beſten, geſchickteſten Zeich - ner, die auch noch ſo aͤhnlich ſcheinen mag. Man wird leicht Unterſchiede und Abweichungen be - merken.

Jch91Ueber Schattenriſſe.

Jch habe die Verſuche unzaͤhligemale gemacht, und allemal gefunden, daß die groͤßte Kunſt die Natur nicht erreicht; nicht erreicht die Freyheit und Beſtimmtheit der Natur daß ſie immer lockerer oder geſpannter iſt, als die Natur.

Die Natur iſt ſcharf und frey. Wer ihre Schaͤrfe mehr beobachtet, als ihre Frey - heit, wird hart wer ihre Freyheit mehr ſtudiert, als ihre Schaͤrfe, wird locker und un - beſtimmt.

Der ſey mein Mann, der beyde, ihre Schaͤrfe und ihre Freyheit, gleich ſtudiert, gleich gewiſſenhaft und unpartheyiſch nachahmt.

Jn dieſer Abſicht, Kuͤnſtler Nachbilder der Menſchheit, uͤbe dich erſt im genauen Schattenrißziehen dann im Nachzeichnen derſelben von freyer Hand dann vergleiche und verbeſſere ſie! Ohne dieß wirſt du das große Arkanum Beſtimmtheit und Freyheit zu vereinigen, ſchwerlich finden koͤnnen.

Aus bloßen Schattenriſſen hab ich mehr phyſiognomiſche Kenntniſſe geſammelt, als aus allen uͤbrigen Portraͤten; durch ſie mein phyſiognomiſches Gefuͤhl mehr geſchaͤrft, als ſelber durch’s Anſchauen der immer ſich wandelnden Natur.

Der Schattenriß faßt die zerſtreute Aufmerkſamkeit zuſammen; concentriert ſie bloß auf Umriß und Graͤnze, und macht daher die Beobachtung einfacher, leichter, beſtimmter; die Beobachtung und hiemit auch die Vergleichung.

Die Phyſiognomik hat keinen zuverlaͤſſigern, unwiderlegbarern Beweis ihrer objektifen Wahrhaftigkeit, als die Schattenriſſe.

Wenn ein Schattenriß, nach dem allgemeinen Gefuͤhl und Urtheil aller Menſchen, fuͤr oder wider einen Charakter entſcheiden kann was wird das volle lebendige Antlitz, was die ganze phyſiognomiſche und pantomimiſche Menſchheit entſcheiden? wenn Ein Schatten Stim - me der Wahrheit, Wort Gottes iſt, wie wird’s das beſeelte, von Gottes Licht erfuͤllte, lebende Urbild ſeyn!

M 2 Was92XI. Fragment.

Was ſollte man aus einem bloßen Schattenriſſe ſehen koͤnnen? hab ich ſchon hun - dert Menſchen fragen gehoͤrt aber keinem Einzigen von dieſen hunderten Schattenbilder vorge - legt, die ſie nicht wenigſtens zum Theil beurtheilten oft ſehr richtig oft richtiger, als ich!

Um die erſtaunenswuͤrdige Bedeutſamkeit eines bloßen Schattenriſſes recht anſchaubar und gewiß zu machen, darf man entweder nur die entgegengeſetzteſten Charaktere von Menſchen im Schattenbild gegen einander halten oder noch beſſer hoͤchſt ungleiche willkuͤhrliche Ge - ſichter aus ſchwarzem Papier ſchneiden, oder ſonſt zeichnen oder, wenn man im Beobachten einige Uebung erlangt hat, nur z. E. ein ſchwarzes Stuͤck Papier doppelt zuſammen legen, und aus dieſem doppelten Papiere ein Geſicht ausſchneiden; denn daſſelbe auflegen und nachher die Eine Seite mit der Scheere nur ſehr wenig, dann immer mehr aͤndern, und bey jeder Aende - rung aufs neue ſein Aug, oder vielmehr ſein Gefuͤhl fragen; oder endlich, nur von demſelben Geſichte mehrere Schattenriſſe nehmen laſſen, und dieſe vergleichen Man wird erſtaunen, wie kleine Abweichungen den Eindruck veraͤndern Man erinnere ſich an den Apoll im I. Theile Beyſpiele ohne Zahl werden uns noch aufſtoßen.

Jm naͤchſten Fragmente wollen wir unſere Leſer durch eine Menge bloßer Silhouetten durchfuͤhren und ſehen was geſehen werden kann? Vorher noch nur Ein Wort von der beſten Art Silhouetten zu ziehen.

Die gewoͤhnliche iſt mit vielen Unbequemlichkeiten begleitet. Die Perſon kann ſchwerlich ſtille genug ſitzen der Zeichner iſt genoͤthigt, ſeinen Platz zu veraͤndern er muß der Perſon ſo nahe aufs Geſicht kommen, daß eine Stoͤrung auf irgend einer Seite beynah unausweichlich iſt und uͤberhaupt iſt der Zeichner in der unbequemſten Stellung und die Zuruͤſtung iſt weder allenthalben moͤglich noch ſimpel genug.

Jch befinde mich daher weit beſſer bey einer gefliſſentlich zu dieſem Zwecke verfertigten Seſ - ſelrahme; wo der Schatten auf ein Poſtpapier, oder beſſer, ein zartgeoͤltes und wohl getrockne - tes Papier faͤllt; wo man den Kopf und den Ruͤcken feſt anlehnen kann; der Schatten faͤllt aufs Oelpapier, dieß liegt hinter dem reinen flachen Glaſe, mit einer gevierten Rahme feſtgedruͤckt, die vermittelſt einiger kleinen Schiebergen los und feſtgemacht werden kann. Der Zeichner ſitzt hinter dem Glaſe auf einem an dem Seſſel, der allenfalls zuſammengelegt werden kann, feſtgemachten,dem93Ueber Schattenriſſe. dem Theile, auf welchem der zu zeichnende ſitzt, das Gegengewicht haltenden Sitze; haͤlt ſich mit der Linken an der Rahme, und zeichnet mit der Rechten mit einem ſcharfen Bleyſtift. Man kann das Glas, das in einer beſondern Rahme feſtgemacht iſt, hoͤher und tiefer ſtellen, nach der Hoͤhe der Perſon. Mitten uͤber das Glas iſt ein ſchmales Stuͤck Holz befeſtigt, in deſſen Mitte ein kleines rundes Kuͤſſen an einem kurzen, etwa Zoll langen, Stiehl ſteckt, woran ſich der anlehnt, der ſich zeichnen laͤßt.

Nachſtehende Vignette kann die Jdee vielleicht deutlicher machen, obgleich manches dran auszuſetzen iſt.

Durchs Sonnen-Vergroͤßerungsglas laͤßt ſich der Umriß noch ungleich ſchaͤrfer, reiner, trefflicher zeichnen der Unterſchied eines an der Sonne gezeichneten Schattenbildes gegen eines am Lichte gezeichneten verhaͤlt ſich beynahe gegen einander, wie das am Lichte gegen das von freyer Hand gezeichnete.

[figure]
M 3Zwoͤlftes94XII. Fragment.

Zwoͤlftes Fragment. Wie viel man aus den Schattenriſſen ſehen kann?

Nicht alles oft ſehr viel, oft aber auch nur ſehr wenig, kann aus einem genauen Schatten - riſſe von dem Charakter eines Menſchen geſehen werden.

Jch bin geſonnen, eine Menge Schattenriſſe hier vorzulegen, um dadurch, unter andern, begreiflich zu machen, was ſich aus verſchiedenen bloßen Umriſſen menſchlicher Geſichter mit Si - cherheit und Wahrſcheinlichkeit ſchließen laſſe?

Wer alles aus dem bloßen Schattenriſſe ſehen will, iſt ſo thoͤricht, wie der, der aus dem Waſſer eines Menſchen alle ſeine Kraͤfte und Schwachheiten, wuͤrkliche und moͤgliche Beſchwerden errathen will; und wer nichts aus einem Schattenriſſe zu ſehen fuͤr moͤglich haͤlt, iſt dem Arzte aͤhnlich, der ſchlechterdings kein Waſſer anſehen will.

Aber! ſo iſt nun einmal der Gang aller menſchlichen Meynungen Alles Ja! oder alles Nein! Von einem Aeuſſerſten zum andern Entweder alles oder nichts

Weder alles, noch nichts laͤßt ſich aus einer bloßen Silhouette ſehen naͤmlich von uns naͤmlich in unſerer Beſchraͤnktheit. Was ein hoͤheres Weſen hiezu denken koͤnnte? Ob’s nicht vom Umriß auf den Jnnhalt, die Figur, Elaſticitaͤt, Feuer, Kraft, Beweglichkeit, Le - ben der Naſe, des Mundes, der Augen von dieſen auf den ganzen Charakter, die wuͤrklichen, die moͤglichen Leidenſchaften ſchließen, ſicher ſchließen, im Schattenbild den ganzen Menſchen ſe - hen koͤnne? das will ich nicht entſcheiden. Aber unmoͤglich ſcheint es mir gar nicht. Nicht nur nicht unmoͤglich! hoͤchſt wahrſcheinlich! etwas davon iſt ſo gar den gemeinſten Menſchen moͤg - lich. Beweiſe werden wir bald anfuͤhren.

Wahr iſt’s, uͤber viele Silhouetten, bisweilen ſelbſt von auſſerordentlichen Menſchen, weiß man, weiß wenigſtens ich, ſo viel als nichts zu ſagen. Aber alle dieſe auſſerordentlichen Men - ſchen, denen man’s nicht wohl in der Silhouette anſieht, daß ſie ſich auszeichnen ſehen dennoch

Bloß95Wie viel man aus den Schattenriſſen ſehen kann.

Bloß in der Silhouette betrachtet, weder dumm aus, wenn ſie vorzuͤglich weiſe noch boshaft aus, wenn ſie vorzuͤglich gut ſind; hoͤchſtens bemerkt man nicht, was ſie ſind.

Das Auſſerordentliche ihres Charakters iſt gewiß eben ſo wenig auffallend, als ihre Silhouette.

Es kann da ſeyn, wenigen vertrauten Freunden bekannt, aber ſich nicht hervordrin - gen. Oder

Der Mann kann durch tauſend gluͤckliche aͤuſſere Umſtaͤnde mit ſehr mittelmaͤßigen Talen - ten ſo zu handeln, zu ſchreiben, zu reden, zu leiden geuͤbt worden ſeyn daß er auſſeror - dentlich ſcheinen muß, und es in ſich, in ſeiner eignen Perſon, nicht iſt. Ein Fall, der ſich oft ereignet, der die Menſchenkenntniß irre macht, und der Phyſiognomik oft ſehr unguͤnſtig iſt, oder vielmehr, es zu ſeyn ſcheint. Beyſpiele koͤnnt ich die Menge anfuͤhren, aber Beyſpiele belei - digen. Und beleidigen will ich nicht in einem Werke zur Befoͤrderung der Menſchenliebe!

Ferner Jſt’s auch leicht moͤglich, daß diejenigen Zuͤge, welche auch in der Silhouette das Auſſerordentliche des Menſchen bezeichnen koͤnnten, ſo fein ſind, ſo angraͤnzend z. E. ans Ue - berſpannte, Thoͤrichte, daß ſie ſehr leicht entweder nicht zart und beſtimmt genug, oder zu hart be - zeichnet werden. Es giebt Geſichter, die, wenn ihr Schattenriß nur um ein Haar breit ſchaͤrfer, oder um ein Haar breit platter, ſtumpfer iſt, alles verlieren, was ſie Auszeichnendes haben, oder denen ſol - ches den fremdeſten, falſcheſten Charakter geben kann. Die zarteſten, feinſten, engelreinſten Seelen verlieren durch die geringſte Nachlaͤſſigkeit in der Zeichnung gemeiniglich in der Silhouette das, was ſie in jedem Urtheile, das uͤber ſie gefaͤllt wird, verlieren. Die anmaßungsloſe Einfalt das Freyrichtige Sie werden locker oder geſpannt.

Endlich iſt’s auch moͤglich, daß Blattern, oder andere Zufaͤlle den feinen Umriß ſol - chergeſtalt vergroͤbern, verziehen, ſchief lenken, aufſchwellen, oder zuſammenſchrumpfen, daß der wahre Charakter des Geſichts aus der bloßen Silhouette, entweder gar nicht, oder nur aͤuſſerſt ſchwer und nicht genau, zu beſtimmen iſt.

Aber dann iſt’s unwiderſprechlich, und Beyſpiele werden’s jedem Freunde der Wahrheit beweiſen, daß unzaͤhlige Geſichter ſich durch den bloßen Schattenriß ſolchergeſtalt charakteriſiren, daß man von ſeiner Exiſtenz kaum gewiſſer werden kann, als von der Bedeutung dieſer Silhouetten.

Jch96XII. Fragment.

Jch getraute mir, und ich werd es vielleicht noch thun, zwey idealiſche Schattenriſſe gegen einander zu ſetzen, wovon der Eine allgemeinen Abſcheu, und der andere allgemeinen Glauben und Liebe ſogleich erwerben wuͤrde. Noch duͤrft es eben kein Chriſtus und Belial ſeyn doch ich verſpare das mehrere auf den letzten Theil.

So viel von dieſem. Nun die Frage:

Welche Charaktere zeichnen ſich in dem Schatten am meiſten aus? Was zeigt die Silhouette am deutlichſten? beſtimmteſten?

Hier Fragment einer Antwort.

Am bezeichneteſten ſind die Silhouetten von zornmuͤthigen und ſehr ſanften; von aͤuſſerſt eigenſinnigen und ſehr weichen; von tiefforſchenden oder nur ſanft auf die Oberflaͤche tretenden Charaktern.

Stolz und Demuth druͤcken ſich in der Silhouette viel eher aus, als Eitelkeit.

Natuͤrliche Guͤte, natuͤrliche innere Kraft, Weichlichkeit, Sinnlichkeit im hohen Gra - de vorzuͤglich aber kindliche Unſchuld, druͤcken ſich in der Silhouette ſehr gut aus.

Großer Verſtand eher als große Dummheit. Tiefer Verſtand viel eher, als heller.

Schoͤpferiſche Kraft eher, als der groͤßte Reichthum der Jdeen. Beſonders im Umriſſe der Stirn und des Augknochens.

Und nun noch ein Paar Anmerkungen uͤber Silhouetten, und die Weiſe, ſie zu beobach - ten. Zuerſt eine kleine Claſſiſikation von Linien, welche die menſchlichen Geſichter zu beſtim - men und zu begraͤnzen pflegen.

Perpendikulare lockere perpendikulare, hart geſpannte! So vorwaͤrts ſin - kende; ſo zuruͤckſtrebende! gerade weiche Linien gebogne, geſpannte, wellenfoͤr - mige Sektionen von Zirkeln von Parabolen, Hyperbolen; konkave, konvexe, ge - brochne, eckigte gepreßte, gedehnte, zuſammengeſetzte, homogene, heteroge - ne kontraſtirende! Dieſe alle, wie rein koͤnnen dieſe durch den Schatten ausgedruͤckt werden, und wie mannichfaltig, beſtimmt und ſicher iſt ihre Bedeutung!

Man kann an jeder Silhouette 9. horizontale Hauptabſchnitte bemerken.

1.) Den97Wie viel man aus bloßen Schattenriſſen ſehen kann.

1.) Den Bogen des Scheitels bis zum Anſatz des Haars. 2.) Den Umriß der Stirne bis zur Augenbraune. 3.) Den Raum von der Augenbraune bis zur Naſenwurzel, dem Anſatz der Naſe. 4.) Die Naſe bis zur Oberlippe. 5.) Die Oberlippe. 6.) Die eigentli - chen Lippen. 7.) Das Oberkinn. 8.) Das Unterkinn. 9.) Den Hals. Sodann noch das Hinterhaupt, und den Nacken.

Jeder einzelne Theil dieſer Abſchnitte iſt an ſich ein Buchſtabe, oft eine Sylbe, oft ein Wort, oft eine ganze Rede der Wahrheit redenden Natur.

Wenn alle dieſe Abſchnitte harmoniren, ſo iſt der Charakter ſo offenbar, daß Bauer und Kind ihn aus der bloßen Silhouette kennen kann. Je mehr ſie kontraſtiren, deſto ſchwerer die Entzieferung des Charakters.

Jedes Profil, das nur aus einer Art von Linien beſteht, z. E. nur aus konkaven, oder konvexen, nur aus geraden oder geſpannten, iſt Karrikatur oder Mißgeburt.

Proportionirte Miſchung und ſanfte Jneinanderfließung verſchiedener Linien bildet die feinſten und beſten Geſichter.

Bey dem Ganzen der Silhouette hat man auf die Laͤnglichkeit oder Breite des Geſichtes zu merken.

Wohl proportionirte reine Profile ſind ſo breit als hoch. Eine Horizontallinie, gezogen von der Spitze der Naſe an bis ans Ende des kahlen Kopfes, wenn der Kopf nicht vorwaͤrts und nicht zuruͤckſinkt, iſt gemeiniglich gerade ſo lang, als die Perpendikularlinie von dem hoͤchſten Punkte des Scheitels an bis wo Kinn und Hals ſich ſcheiden.

Merkliche Abweichungen von dieſer Regel ſcheinen immer ſehr gluͤckliche oder ſehr ungluͤck - liche Anomalien zu ſeyn.

Dieſe Meſſung und Vergleichung der Hoͤhe und Breite eines Kahlkopfes, geſchieht am leich - teſten durch die Silhouette.

Jſt der Kopf laͤnger als breit, ſo iſt’s, wenn die Umriſſe hart und eckigt ſind, Zeichen auſſerordentlichen Hartſinns; Zeichen auſſerordentlichen Schlaffſinns, wenn der Umriß locker und zugleich gedehnt iſt.

Jſt der Kopf, nach der bemeldeten Art zu meſſen, breiter als lang, ſo iſt’s, bey hartem, ſteifem, eckigt geſpanntem Umriſſe die furchtbarſte Unerbittlichkeit, die ſelten ohne verruchte Bos -Phyſ. Fragm. II Verſuch. Nheit98XII. Fragment. heit iſt Sind aber bey groͤßerer Breite, die Umriſſe ſchlaff und weich ſo iſt Sinnlichkeit, Weichlichkeit, Traͤgheit, Wolluſt, in hohem Grade ſichtbar.

Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, die hieruͤber noch geſagt werden koͤnnten, (die aber noch nicht vorbereitet genug ſind, und hin und wieder, beſonders bey vorkommenden Beyſpie - len, ihre Stellen finden werden, und vornehmlich, wenn Gott Leben, Luſt und Kraft erhaͤlt, dem letzten Theile dieſes Werkes vorbehalten ſind) nur noch Eine zu ſagen: Ueberhaupt druͤckt die Silhouette vielmehr die Anlage, als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus. Der zweyte und dritte Abſchnitt zeigt am oͤfterſten und ſicherſten den Verſtand und die Leidens - oder Wuͤr - kungskraft des Menſchen. Die Naſe den Geſchmack, die Empfindſamkeit, das Gefuͤhl die Lippen, am vorzuͤglichſten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß.

Das Kinn den Grad und die Art der Sinnlichkeit; der Hals ſamt dem Nacken und der Stellung entſcheidet die Lockerheit, Geſpanntheit oder freye Geradheit des Charakters; der Scheitel nicht ſo wohl die Kraft, als den Reichthum des Verſtandes

Das Hinterhaupt, die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elaſticitaͤt des Charakters.

Abermal, wie wenig und wie viel geſagt! wie wenig fuͤr den bloß Kurzweil und Unter - haltung ſuchenden Leſer wie viel fuͤr den Forſcher, der ſelbſt pruͤfen will, und kann, berichtigen, naͤher beſtimmen, weiter gehen will und kann.

Nun iſt’s Zeit durch eine Reihe von allerley Beyſpielen das eine und andere vom Ge - ſagten begreiflicher, anſchaubarer, gewiſſer zu machen und noch manches nachzuholen.

Es war unmoͤglich, und bey der unabſehbaren Menge deſſen, was wir ſonſt noch zu ſagen haben, waͤr’s Mißverhaͤltniß zum Ganzen eine vollſtaͤndige Sammlung noch weniger moͤg - lich, eine Claſſifikation und unwillkuͤhrliche Ordnung von Schattenriſſen vorzulegen. Jch liefere, was ich liefern kann.

Ein kuͤnftiger phyſiognomiſcher Schriftſteller liefert vielleicht einmal einige Baͤnde bloßer Silhouetten. Der’s liefern wird, liefert viel, und wenn er ohne Partheylichkeit reihet, hat er mehr geleiſtet, als ich, im Gedraͤnge meiner Umſtaͤnde, und bey der Geringheit meiner Kraͤfte immer werde leiſten koͤnnen.

Die folgenden Tafeln, ſo ſehr ich ausſuchen wollte, und die Wahl zu uͤberlegen glaubte zuſammen genommen in jedem Sinn kleinliches Fragment.

Nachſte -99Wie viel man aus bloßen Schattenriſſen ſehen kann.

Nachſtehende Vignette das nicht ganz genaue Schattenbild eines der groͤßten Maͤnner unſerer Zeit von dem wir noch mehr reden werden. Bemerkt in demſelben die 9. oben bemeldten horizontalen Abſchnitte eines Schattenriſſes im Profil. Die Stirn iſt von vielfaſſender Kraft. Be - merkt die Hoͤhe derſelben von 2. bis 3. die Baſis derſelben von 3. bis zur Spitze des Augknochens; die Figur derſelben eine halbe Parabel.

Genauere, reinere, ſchaͤrfere Schattenriſſe, mit genauen Abtheilungen, werden uns noch Tiefen goͤttlicher Ordnung, Weisheit und Wahrheit in jedem Menſchengeſichte, jedem Umriſſe, je - dem Abſchnitte eines Umriſſes aufdecken. Jch freue mich innigſt der aufheiternden Zukunft, und wuͤnſche der Nachkommenſchaft Gluͤck, wenn ein mathematiſches Genie dieſe Bahn betreten und ſeine Kraft an den Curven der Menſchheit verſuchen wird.

[figure]
N 2Erſte100XII. Fragment. Was man aus dem bloßen

Erſte Tafel. Sechs leere Umriſſe von maͤnnlichen Silhouetten.

Vielleicht iſt dieſe Manier in den Schattenriſſen, obgleich fuͤr den erſten Anblick nicht ſo auf - fallend, fuͤr die Phyſiognomik die reinſte und beſtimmteſte. Der Umriß wird durch zwo Seiten beſtimmt. Auch koͤnnen allenfalls die Abtheilungen des Geſichtes deutlicher darinn angezeigt werden.

Jch mache den Anfang mit ſehr aͤhnlichen und unaͤhnlichen Profilen Geſichtern, Cha - raktern.

1. Zeichnet ſich durch den Vorbug und den tiefen Einſchnitt unten an der Stirne un - ter zehentauſenden aus. Dieſe Stirn? Jhr werdet ſie ſelten an einem natuͤrlichen Dumm - kopfe finden. An vielen wuͤrklich ſeichten Koͤpfen vielleicht? Aber dann gewiß von Jugend auf ſehr vernachlaͤſſigten! Kaum ſie finden an einem erhaben ſentimentalen Charakter? Man vergleiche nun aber den untern Theil des Profils mit dem obern. Jch vermuthe Widerſpruch zwiſchen Anlage und Cultur. Jhr werdet Euch allenfalls nicht verwundern, wenn man Euch ſagt: dieſer Mann ſcheint mehr Verſtand als Geſchmack zu haben. Jch denke, das wuͤrd Euch bald aus dem Anblicke der bloßen Silhouette einleuchten. Viele treffliche Seiten ſeines Charakters zei - gen ſich nicht aus der Silhouette.

2. Koͤnnte allenfalls Bruder von 1. ſeyn, der Aehnlichkeit halber, aber iſt es nicht. Jch kenn ihn nicht, aber ich trau ihm, ob mehr Verſtand? weiß ich nicht; mehr heitere Ein - bildungskraft, mehr Cultur und Geſchmack zu. Nicht viel mehr!

3. Die Stirn, wie kontraſtirend mit 3! den untern Theil der Silhouette zuge - deckt Jhr werdet ſie allenfalls fuͤr die Stirne eines Eigenſinnigen halten. Dieſe Conkavi - taͤt iſt aͤuſſerſt ſelten. Jch kann uͤber ihre Bedeutung noch keinen beſtimmten und zuverlaͤſſigen Ausſpruch thun. Wir wollen noch warten.

Alle
[figure]
101Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.

Alle ſehr ſeltenen Stirnen, nur ſo viel wag ich zu ſagen, verrathen uͤberhaupt einen ſehr ſeltenen Charakter.

Aber noch ein Kontraſt in dieſem Profile iſt merkwuͤrdig. Bis zum Augknochen ſcheint Haͤrte der Hauptausdruck zu ſeyn Dieſe ſcheint in der Naſe in bloße Kraft uͤberzugehen und im untern Theile des Geſichtes ſich in weibliche Schwachheit auszudehnen.

Dieſe Gedehntheit des untern Theils dieſes Profils, die zwar Guͤte und zum Theil edle jungfraͤuliche Schaam zeigt, ſchwaͤcht die Haͤrte der Stirne.

4. Die Stirn in dieſer ungeſpannten Geradheit, dieſer zuruͤckgehenden Schiefheit, die Unbemerkbarkeit des Augkochens, die Groͤße und Unbeſchnittenheit der Naſe zeigt mehr klugen, als philoſophiſchen Verſtand; allenfalls mehr Witz, als Jmagination. Mehr Jmagination, als poe - tiſches Gefuͤhl. Jm Untertheile des Geſichtes meyn ich Klugheit, Bedaͤchtlichkeit, Verſchloſſen - heit zu erblicken.

5. Lichtheller, denkender, entwickelnder, fortdringender, unuͤberwindlicher Verſtand, der die Wahrheit, den Jrrthum und das Gemiſch von beyden ſchnell und tief fuͤhlt und ſondert; was er erkennt, feſt haͤlt. Ein Mann, ſehr gegenwaͤrtig, wo er ſpricht und wuͤrkt. Voll Redlichkeit, Entſchloſſenheit, Staͤndigkeit, Kraft viel Witz, wenig Jmagination, noch weniger poetiſches Gefuͤhl. Enthuſiasmus des Verſtandes und kluger Geſchaͤfftigkeit nicht poetiſch romaniſcher. Das ſind einige Hauptzuͤge des Mannes, deſſen Silhouette wir vor uns haben. Was ſieht man denn in der Silhouette? Der natuͤrliche Phyſiognomiſt entdeckt im Ganzen bloß Verſtand und Entſchloſſenheit und der kuͤnſtliche? der beobachtende Forſcher? Jn der kurzen nicht merkbar zuruͤckliegenden Stirne die Wenigkeit der Jmagination. Jn der Naſe ſchnelle Unterſcheidungskraft des Hellen und Dunkeln in Begriffen Jn dem Munde trockne kunſtloſe Verſtandesfeſtigkeit Jm Kinn? Weisheit und Treue.

6. Jch kenn ihn nicht Mir ſcheint er mit dem voruͤberſtehenden darinn zu kontraſtiren, daß er mehr ruhigen Witz und weniger Entſchloſſenheit zu haben ſcheint. Bis unter die Naſe iſt’s ein auſſerordentlich vortheilhaftes Profil. Der untere Theil ſcheint mir mehr Ausdruck von lang - ſamer Bedaͤchtlichkeit, netter, reinlicher Sonderungsgeduld und richtig reihender Ordnungs - liebe.

N 3Nachſte -102XII. Fragment. Was man aus dem bloßen

Nachſtehende Silhouette iſt eines unerreichbaren, immer fortdringenden, unter ſich grabenden, hochaufliegenden, uͤberſchauenden, umfaſſenden, feſten, allgewaltigen Genies voll Schoͤ - pfungs - und Zerſtoͤrungskraft. Wie ſeine Werke, Eine Pyramide, an welcher Maͤuſe nagen und Jnſekten den Kopf zerſtoßen.

Dieſen Uebergang von Stirn zu Naſe hab ich noch an keinem gemeinen Menſchen geſehen. Es werden noch mehrere aͤhnliche in dieſem Werke vorkommen. Alles auſſerordentliche Genies.

[figure]
Zweyte
[figure]
103Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.

Zweyte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten in Ovalen.

Das erſte Geſicht eines guten, ſanften, gefaͤlligen, denkenden Mannes von Geſchmacke, Kenntniß, Geſchaͤfftigkeit und vieler Cultur.

Das zweyte, eines jungen fruchtbaren Genies, das mit unbegreiflicher Leichtigkeit und unhaſtiger Schnelligkeit arbeitet.

Das dritte, ein guter, litterariſcher, mir von Perſon und Charakter unbekannter, Mann.

Das vierte, ein gelehrter, vernunftreicher, rechtſchaffener, feſter, thaͤtiger Mann.

Alle vier Maͤnner von Geſchmacke all in ungleichem Grade zwar, aber ſicherlich ver - ſtaͤndig, ohne eigentlich tiefe ſpekulatife Genies zu ſeyn.

Jn keinem bemerk ich ſonderliche tief eindringende Schaͤrfe. Alle vier ſcheinen mir erſtaun - lich viel Gutmuͤthigkeit zu haben.

Der erſte hat das Vorzuͤgliche des Ausdrucks ſeiner Geiſtesfaͤhigkeit in dem Umriſſe der Stirn Geſchmack und edle guͤtige Feinheit um den Mund.

Der zweyte die lebhafteſte Einbildungskraft und die witzreichſte Laune. Ob dieß in der ſehr langen auf dem obern Theile des Ruͤckens ſanft gebognen Naſe und dem Hervorſtehen des Auges (das Geſicht iſt gerade vor ſich hin geſtellt, und nicht gewendet) ſich auszeichne, darf ich noch nicht ſchlechterdings entſcheiden, aber mit großer Wahrſcheinlichkeit vermuthen. Das Gedaͤchtniß dieſes in jeder Abſicht ſanft produktifen Charakters iſt auſſerordentlich. Jch finde den Ausdruck davon allenfalls in dem Umriſſe und dem Felde des Oberhaupts. Man bedecke den Untertheil des Geſichtes bis zum Auge mit einem Lineal, und merke ſich den aͤuſſerſt ſeltenen Halbzirkel, wenn das Haar hinten abgerechnet wird.

Der dritte verſpricht im Profile mehr Guͤte und Einbildungskraft, als forſchenden Scharfſinn, mehr heitere Einſicht, als tiefe.

Dem Profile nach ſcheint der vierte am meiſten kalten, unbewoͤlkten, ſichern Verſtand zu haben. Der Mund, ſagt man, ſey verzeichnet.

Dritte104XII. Fragment. Was man aus dem bloßen

Dritte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten mit punktirten Linien.

Alle vier von ſehr verſtaͤndigen Maͤnnern. Der mittelmaͤßige Menſchenkenner wird’s leicht und ſchnell bemerken.

So verſchieden ſie ſind, kommen dennoch alle darinn uͤberein, daß die Stirn gegen das Untertheil des Geſichtes betrachtet, zuruͤckgehend und ſchraͤg iſt. Sie koͤnnten zuruͤckgeſetzt und perpendikular ſeyn; dann wollt ich ſie zuruͤckſtehend heißen.

1. Jch halte den erſten fuͤr vernuͤnftig; aber nicht fuͤr den kluͤgſten und ſpekulatifſten. Er iſt ein trefflicher Geſchaͤfftsmann. Jn dem Zuruͤckgehen der Stirn vermuth ich Ausdruck von Witze.

2. Der zweyte iſt reindenkend, ſpekulatif, empfindſam, mancherley Dinge anzuordnen und einzurichten geſchickt, zum Jrrthum und zum Laſter unverfuͤhrbar. Die Stirn von oben bis wo die Linie die Naſe durchſchneidet iſt Buchſtabe feſten, reinen Verſtandes.

3. Der dritte verbindet mit viel raͤſonnirendem Verſtande, der ſich aber auf wenige Lieb - lingsideen beſchraͤnkt hat viel ... Heftigkeit und Hartnaͤckigkeit, welche ich zum Theil in dem kurzen Zwiſchenraume zwiſchen der Schaͤrfe des Augknochens und der Naswurzel zu finden glaube.

Stirn und Naſe bis auf den Punkt, wo ſie durchſchnitten wird, Ausdruck gedraͤngter, un - entwickelter Verſtandeskraft.

4. Der vierte iſt ein ſehr kluger, verſtaͤndiger, aktiver, wackerer Landmann. Das Aeuſſerſte der Naſe, was uͤber die Linie herausgeht, am erſten und vierten beſonders, ſchwaͤcht viel von Ein - druck der Stirne.

Moͤglichſt kontraſtirend ſind die Uebergaͤnge von der Naſe zur Lippe in allen vieren; beſon - ders in 1. und 3. Vielleicht iſt dieß der Winkel des Leichtſinns und der Klugheit. Doch ich ent - ſcheide noch nicht. Wahrheitliebender Leſer! du wirſt mir mitforſchen helfen. Am vortheilhafteſten ſcheint mir dieſe Stelle in 4. zu ſeyn, wo auch im Kinn viel Ausdruck maͤnnlichen, thatreichen Ver - ſtandes zu ſitzen ſcheint.

Der Nacken in 3. iſt ſicherer Ausdruck von Hartſinn.

Der Mund in 4. iſt innwendig nicht beſtimmt genug gezeichnet. Und hier wird beynah in allen Schattenriſſen am meiſten gefehlt. Gerad in dem Punkte, wo die ganze Seele ſich quinteſſentirt!

Vierte
[figure]
[figure]
105Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.

Vierte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten.

1. Jch weiß nichts von dem Manne, ſein Name ſo gar iſt mir entfallen. Aber ich vermuthe viel Geſchmack, Adel, und geſunden Verſtand. Um den Mund herum viel edle Feinheit. Die Naſe ſelbſt ſcheint gemein; aber nicht gemein iſt der Uebergang von der Naſe zur Lippe. Hat der Mann, wie’s moͤglich iſt, forſchenden Tiefſinn; ſo iſt derſelbe im Uebergange von der Stirne zur Naſe vielleicht durch des Zeichners Schuld nicht merklich genug ausgedruͤckt.

2. Ein Geſicht voll gemeinen, guten, geſunden Menſchenverſtandes. Die untere Haͤlfte dieſes Profils iſt offenbar ſchwaͤcher, und weniger geiſtig, als die untere Haͤlfte in 1.

3. Hat viel Charakter, weniger Adel als 1, und mehr Denkenskraft als 2. Et - was Zaghaftes und Unentſcheidendes wird Jedermann in dieſer Silhouette finden.

Der Uebergang von der Naſe zum Munde iſt nicht gemein.

4. Jhr werdet Euch nicht verwundern, wenn man Euch von dieſem Profile ſagen wird: Ein ſehr kluger, vielwiſſender, erfahrner Geſchaͤfftsmann. Viel Ausdruck von Verſtand und Fertigkeit in Geſchaͤfften, meyn ich in der Unterlippe und im Kinn zu bemerken.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. ONachſte -106XII. Fragment. Was man aus dem bloßen

Nachſtehende Silhouette iſt von einem aͤuſſerſt ſanften, bisweilen ſehr heftigen Men - ſchen. Der ganze Umriß iſt voll Sanftheit. Das Feuer iſt in den Augen. Der Mann hat er - ſtaunliche Lernbegier Lernensfaͤhigkeit und Vernunft. Jch wuͤrde das aus dem ganzen Umriſſe wo nicht vermuthen, doch glaubwuͤrdig finden, wenn man mir’s ſagte. Die Naſe iſt nicht gemein; der Mund verzeichnet. Das Kinn zeigt Lenkſamkeit.

[figure]
Fuͤnfte
[figure]
[figure]
107Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne.

Fuͤnfte Tafel. Drey maͤnnliche Silhouetten. A. B. C.

Hier haben wir drey Kahlkoͤpfe! was etwa das wenige Haar auftragen mag, abgerechnet, und man wird mit dem Zirkel finden, daß die Hoͤhe des Kopfes der Breite gleich iſt. O die Natur, wie analogiſch iſt ſie ſich bey aller ihrer unendlichen Mannichfaltigkeit!

Jch kenne keinen von allen dreyen, deren Schattenriſſe wir vor uns haben. Aber ich glaube A iſt ſehr wahrſcheinlich ein Mann von Geſchmack und klugem Verſtand; aber er hat nicht die Stirn eines metaphyſiſch ſpekulatifen Kopfes.

Vom Augknochen an bis auf die Mitte des Kinns iſt am meiſten Ausdruck.

B .... Jch irre mich ſehr, oder er iſt ein trefflicher, freyer, wackerer Selbſtdenker. Welch ein Unterſchied zwiſchen einem bloß verſtaͤndigen Manne, und einem forſchenden Denker! die rundere Form des Kopfes, die Stirn, beſonders die Naſe, die Lippen bis mitten ans Kinn alles zuſammenſtimmend zu demſelben Ausdrucke. Das Unterkinn mag etwas vom Ganzen ſubtrahiren.

C. Ein braver, ehrlicher, betreibſamer Geſchaͤfftsmann.

Nachſtehende Silhouette eines ſanften, ſtillen, wenig redenden, vielhoͤrenden, aͤuſſerſt guten, empfindſamen, redlichen, furchtſamen und Wahrheit ſuchenden, Wahrheit ahndenden Menſchen. Sanftmuth, Guͤte und furchtſame Beſcheidenheit iſt in der Stirne beſonders. Der feine Verſtand in der Naſe. Empfindſamkeit im Hinterhaupte.

[figure]
O 2Sechste108XII. Fragment. Was man aus dem bloßen

Sechste Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten in Ovalen.

1. Wir haben dieſes Profil ſchon am Ende des zweyten Fragmentes kahl geſehen. Hier iſt’s mehr gewendet. Wir ſehen aber auch hier den ſtillen, bedaͤchtlichen Forſcher; den edeln, feinen Denker! dieß zeigt vornehmlich die Stirn, und der untere Theil des Geſichtes von der Unterlippe an. Die Naſe allein ſcheint Witz, und die Oberlippe koͤrperliche Schuͤchternheit anzuzeigen.

2. Mag um die Lippen herum um ein Haar verzeichnet ſeyn. Die Stirne hat viel Den - kenskraft der Eindruck des Ganzen iſt eines gefuͤhlvollen, feinen, verſchloßnen Forſchers, voll Tiefſinn und Klugheit.

3. Die Stirn des dritten iſt beynahe die Stirn des Genies. Aber hier koͤmmt’s auf ein Haar mehr oder minder an. Das Ganze macht den Eindruck von einem aͤuſſerſt originellen, gera - den, offnen, kraftvollen Menſchen. Von der Unterlippe bis zur Mitte des Kinns hat dieß Profil einige Aehnlichkeit mit dem erſten; nur mehr Schaͤrfe und Beſtimmtes. Dieſen Abſchnitt des Oberkinns, wie er daneben ausgezeichnet iſt, hab ich ſchon ſehr oft an aͤuſſerſt verſtaͤndigen, kraftvollen Menſchen wahrgenommen; und noch nie an einem natuͤrlichen Dumm - kopfe, wohl an einigen Schwachen, zu beobachten Gelegenheit gehabt. Jch halte alſo dieſen Zug fuͤr ein poſitifes Zeichen von Denkenskraft, (deſſen Urſachen zu erforſchen lange noch nicht Zeit iſt.) Nun vermuth ich, dieſer Zug werde ſich auch an ſchwachen, mittelmaͤßigen Menſchen ſehen laſſen. Aber ich ſag es voraus: an ſolchen Geſichtern werdet ihr ſicherlich Zuͤge finden, die dieſem widerſprechen; von denen Euch Euer eigen Gefuͤhl ſagen wird: hieriſt

[figure]

109Schattenriſſe ſehen oder nicht ſehen koͤnne. iſt Schwaͤche! Dadurch aber wuͤrde die poſitife Zuverlaͤſſigkeit der Bedeutung dieſes Zugs an ſich ſo wenig beſtritten werden koͤnnen, als die Guͤltigkeit einer realen, guten Aktiv - ſchuld dadurch aufgehoben wird, daß ich eine eben ſo große, oder groͤßere Paſſivſchuld habe. Die guten und ſchlechten Zuͤge verhalten ſich gegen einander in gewiſſem Sinne, wie Aktiv - und Paſſivſchulden. Beyde koͤnnen an ſich hoͤchſt guͤltig ſeyn, obgleich die erſten durch die letztern verſchlungen und aufgehoben werden.

4. Die Silhouette eines der trefflichſten Maͤnner Deutſchlands, deſſen Gelehrſamkeit unermeßlich, deſſen Verſtand durchaus lichthelle, deſſen Jmagination unerſchoͤpflich reich, deſſen Geſchmack unbeflecklich rein, deſſen Herz unbeſchreiblich edel deſſen Charakter aͤuſſerſt ſanft iſt .... unfehlbar iſt der Mund verſchnitten, und das ſchadet dem entſcheidenden Eindrucke des Ganzen ſehr. Jch vermuthe, daß es von der Stellung des Lichts beym Schattenziehen herruͤhre, daß der untere Theil des Geſichtes etwas zu gedehnt ſcheint, wodurch der Ausdruck einer zu leicht beweglichen Schwaͤche bewuͤrkt wird. Die Naſe, verglichen mit den andern Silhouetten, zeigt meines Beduͤnkens vorzuͤglichen Reichthum der Einbildungskraft. Der Umriß der Stirne zeigt weniger Staͤrke, als Reichthum; zeigt mehr Feinheit und Deut - lichkeit des Denkens, mehr Empfaͤnglichkeit, als vordringende Schoͤpfungskraft. Die Hoͤhe des Schaͤdels ſcheint, wie ich zu vermuthen Urſache habe, reiches Gedaͤchtniß, der Hin - tertheil des Kopfes zarte Empfindſamkeit auszudruͤcken.

Auch hier wieder unſre Proportion der Hoͤhe und Breite des Geſichtes! So verſchie - den dieſe Geſichter ſind, ſcheinen ſie mir dennoch in etwas uͤbereinzukommen. Sie ſind im Ganzen genommen perpendikularer, als die auf der vorhergehenden Tafel; das heißt, die StirnenO 3ſtehen110XII. Fragment. Was ſich aus bloßenſtehen und gehen weniger zuruͤck. Ob dieß ununternehmendere, weniger kuͤhne Maͤnner zeigt, wag ich nur zu vermuthen, noch nicht zu entſcheiden.

Nachſtehende Vignette eines ſehr ehrlichen, rechtſchaffenen Mannes. Warum ſie hier ſteht? bey dieſen Silhouetten? Der Leſer mag die Urſache davon ſuchen.

[figure]
Siebente
[figure]
[figure]
111Schattenriſſen ſehen laſſe.

Siebente Tafel. Zwo maͤnnliche, zwo weibliche Silhouetten.

Zwo maͤnnliche und zwo weibliche Silhouetten, die ich zum Theil des redenden Ausdruckes, zum Theil des Kontraſtes wegen, auf Eine Platte ſetzen ließ und die leuchtender Beweis ſind, wie viel man aus bloßen Schattenriſſen ſehen koͤnne? Zwey auſſerordentliche Charaktere; beyde, ſchon in der bloßen Silhouette, von der auffallendſten, treffendſten Bedeutung.

Die zwey obern ſind von einem großen muſikaliſchen Genie, das maͤchtige Kraft und große Kunſtfertigkeit mit feiner, inniger Zaͤrtlichkeit verbindet ... Ein Juͤngling, der ſich mir unter einem Haufen von tauſenden ſogleich auszeichnete, und gewiß noch in der Muſik werden kann, was Goethe im Drama.

Der Stirn Umriß in 2. Buchſtabe, Charakter, innerer, vordringender, ſanfter Kraft!

Die Oberlippe in 1. Buchſtabe innigen Gefuͤhldurſtes.

Raͤſonnirende, entziefernde, ordnende, ſpaltende Denkkraft iſt nicht im Urbilde, und noch weniger im Schatten. Deſto mehr unbeſtechliches, zartes, ſchnelles Wahrheits - und Menſchengefuͤhl.

Aber was ſoll ich zu den untern Silhouetten ſagen? und all Jhr lieben Antiphy - ſiognomiſten! was wollt Jhr dazu ſagen? Ein verſtandreicheres Geſicht einen un - widerſprechlich ſprechendern Schattenriß hab ich kaum geſehen. Tiefe Ueberlegung, Ernſt, Bedacht, und eine durch Kummer abgehaͤrmte Seele iſt, was jeder Menſch beym erſten An - blick dieſer Dame ſieht. Aeuſſerſt eindringend, und alles Große und Kleine durch und durch blickend iſt ihr Verſtand; ihre Jmagination nimmt, wenn ſie die Feder in der Hand hat, die hoͤchſten Fluͤge des Genies. Sie iſt eine ſehr große franzoͤſiſche Dichterinn. Jm Umgange geht jedoch ihre Jmagination einen ganz verſchiedenen Gang; denn, wenn ſie bey guter Laune iſt, ſo iſt alles, was ſie ſagt Naivete, und der allerfeinſte Witz. Der Styl ihrer Con -verſation112XII. Fragment. Was ſich aus bloßen verſation iſt insgemein der hoͤchſte Styl der Vernunft, und der Simplicitaͤt, wenn ſie ihren Witz gebraucht. Die ſtrengſte Tugend, die aufrichtigſte Liebe Gottes; Demuth und Be - ſcheidenheit im allerhoͤchſten Grade; daher auch im Aeuſſern etwas ſehr Zuruͤckhaltendes gehoͤren zu den weſentlichſten Zuͤgen ihres Charakters. Sie iſt mehrentheils traurig. Jhre Klug - heit iſt unausſprechlich groß und verehrenswuͤrdig. Edelmuth, Großmuth, Dienſtfertigkeit, Dankbarkeit wuͤrken bey ihr mit jedem Athemzug, und ohne daß ſie es einen merken laͤßt. Sie ſpricht lateiniſch, wie ich deutſch, und verſteht griechiſch, wie ich franzoͤſiſch. Aus der alten und neuen Welt weiß ſie das Wiſſenswuͤrdigſte. Die vernuͤnftigſten Leute ſchaͤtzen ſie uͤberaus hoch aber ſehr wenige Menſchen kennen ganz ihre ſtille Groͤße.

Dieß iſt das innere Bild, das einer der beſten Menſchenkenner mir von dieſer Perſon ent - wirft, und wie viel ſieht man davon in der bloßen Silhouette! Jch habe kaum eine bedeuten - dere, entſcheidendere Silhouette geſehen. Alles ſpricht von einem Ende zum andern; und alles ſpricht gerade das, was das ſchriftliche Zeugniß ſpricht.

Freylich nicht dieß alles druͤckt ſich in der bloßen Silhouette von ſelbſt aus aber auch nichts in der Silhouette widerſpricht dieſem Urtheil. Das Urtheil und die Silhouette ſind an ſich, und ſind mit einander verglichen, gleich harmoniſch. Jm Ganzen und theilweiſe betrachtet, zeichnet ſich das Schattenbild, dem jedoch, obwohl ich das Urbild nicht kenne, ſicherlich noch viel von der Reinheit und Schaͤrfe deſſelben fehlt unter tauſenden wieder gerade ſo aus, wie das Urbild.

Der Bogen der Stirn das Eck des Augknochens beſonders die tiefe Hoͤhlung von der Spitze dieſes Knochens den Ruͤcken der Naſe hinab; ſelber die niederſinkende Augen - wimper in beyden, zu ungleicher Zeit gezeichneten, Silhouetten; die Naſe ſelbſt, beſonders in 3 wie zeugt alles mit! welche Zartheit, welche feine, tiefdenkende, fromme Erforſchungsbe - gierd und Kraft! Nichts von der maͤnnlichen Stirne der obern Silhouette; die zwar kaum Eine Frau in der Welt haben wird? Welch ein Kontraſt! Maͤnner von dem fein - ſten Scharfſinn und Forſchenstriebe koͤnnten wohl die untere Stirne haben; (ich ſage nicht, muͤſſen ſie haben) aber eine Stirn, wie die obere, ſcheinen nur Maͤnner haben zu koͤnnen und113Schattenriſſen ſehen laſſe. und Maͤnner von innerer Kraft und Fruchtbarkeit das heißt: Jch habe noch keinen einzigen auch noch ſo produktifen Frauenkopf mit einer ſolchen Stirne geſehen; und wo ich dieſe an Maͤnnern ſah, da war immer innige, tiefe, arbeitende, zeugende Kraft. Die Stirn der Frau hingegen hab ich auch ſchon an auſſerordentlich ſcharfſinnigen Maͤnnern bemerkt ....

Man zeige mir den Dummkopf, den mittelmaͤßigen Kopf, die unempfindliche, unedle, harte, rohe Seele, gerade mit einer ſolchen Stirne. Es ſey denn, daß auffallende widerſprechende Zei - chen unwiderſprechlich zugleich mit daſeyn und ich will alle Phyſiognomik Preis geben. Wenn dieſe Aeuſſerung, die ich mit guter Ueberlegung thue, nicht Aufmerkſamkeit auf die Wahrheitsſprache der Natur weckt ſo liegt’s nicht an mir.

Der Umriß des Mundes? Seht hier einen Beweis von dem, was ich oben ſagte: Man darf die feinſten bedeutungsvollſten Zuͤge von delikaten Charaktern im Graͤnzumriſſe oft nur um ein Haar verfehlen, ſo werden ſie gemein dieß iſt beſonders von dem Umriſſe der Lippen wahr. Nur ein Paar weggeſchliffne, abgeſtumpfte Eckgen, Winkelgen im Munde nur eine vollkommne Rundung wie vergroͤbern dieſe oft das feinſte himmliſche Geſichte! Eine Stirn mit dieſer ſcharfen Ecke kann unmoͤglich im Schattenprofile ſo runde ungebrochne Lippen ha - ben. Die kleinſte Brechung in dieſem Umriſſe iſt von vortheilhafter Bedeutung. Aber auch ſo, wie die Lippe itzt auch ſo iſt ſie Ausdruck von der edelſten innigſten Stille, und Ruhe des Charakters. Eines Charakters, uͤber den man eigentlich nichts ſagen kann, das nicht eine Art von Entheiligung ſey.

Nachſtehende Vignette von einer der reinſten, unſchuldigſten, innigſten, verſchloſſen - ſten, empfaͤnglichſten Seelen! voll Leidenskraft und Schmerzensempfaͤnglichkeit. Der Um - riß der Naſe mit dem Uebergange zur Oberlippe, obwohl ſie hier nicht in dem gluͤcklichſten Au - genblicke gezeichnet iſt, graͤnzt ans erhabne Jdeal. Jch ſetze dieß Bild hier hin, weil die ſelige Mutter dieſer engliſchen Tochter, ſo viel ich mich noch erinnern kann, den ſcharfen Augknochen ausgenommen, im Ganzen betrachtet viel Aehnlichkeit mit dem weiblichen Umriſſe hatte, den wir ſo eben betrachtet haben und ebenfalls eine der demuͤthigſten, edelſten, leidensfaͤhigſten, ge - duldigſten, reinſten, verſchloſſenſten, ſtillerhabenſten Seelen war. Das Antike in dem Umriſſe der Tochter ſcheint von dem Vater herzuruͤhren, der, wenn er nicht pockennarbig waͤre, vonPhyſ. Fragm. II Verſuch. Pvornen114XII. Fragment. Was ſich aus bloßenvornen betrachtet, einen wahrhaft antiken aͤuſſerſt kraftvollen Knochenbau hat. Die Materie der Knochen, wenn ich ſo ſagen darf, ſcheint von der zarten aber innigſt ſtarken Mutter, die Form, freylich unausſprechlich verjungfraͤulicht, von dem Vater zu ſeyn. Doch werden wir von bey - den noch mehr zu ſagen Gelegenheit haben.

[figure]
Achte
[figure]
115Schattenriſſen ſehen laſſe.

Achte Tafel. Vier weibliche Silhouetten.

Wir haben eben einen der hoͤchſten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herabſteigen zu gemeinern.

Dieſe 4. weiblichen Silhouetten ſind 4. Stufen Eines Charakters.

Die erſte Charakter unuͤberlegender gutmuͤthiger Kindheit.

Die zweyte derſelbe Charakter, nur ſtaͤrker fraͤulicher, ohn einen Zuſatz von Maͤnnlichkeit, und ſchwaͤcher, als 1. in demſelben Alter ſeyn wird.

Die dritte herzliche Guͤte mit viel empfaͤnglichem Verſtande, mehr Jmagina - tion, und ergiebiger Beredſamkeit.

Die vierte die denkendſte, geſchickteſte, feſteſte.

Vier Grade von Lenkſamkeit. Wer ſieht nicht, daß 4. mehr Widerſtehenskraft hat, als 3. 3 mehr als 2. 2 mehr als 1. 1 itzo naͤmlich. Nie aber wird 1 die Wi - derſtehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter daſſelbe waͤre.

1. Nimmt ohn Jntereſſe an, giebt ohn Jntereſſe aus. Lebt ohne Praͤtenſion wird viele Geſchicklichkeiten erlangen, lernt leicht, verſteht richtig, aber wird ſehr lange eine Tink - tur von Kindheit behalten.

2. Ein nicht ſo ganz praͤtenſionsloſes, gutes, gemein verſtaͤndiges Geſicht. Ein reiner weiblicher alltaͤglicher Charakter ohn alle Schnellkraft.

P 23. und 4.116XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

3. und 4. ſind darinn charakteriſch verſchieden: daß in 3. die Augen beym reinen Pro - fil hervorſtehen in 4. ſehr tief liegen. Jenes zeigt mehr Ergiebigkeit dieß mehr Feſt - haltung. Jenes Auge ſieht heiterer, dieß tiefer.

Nachſtehende Vignette, nur den Mund etwas verzeichnet, ſonſt voll Weisheit, Adel, Ge - fuͤhl und Kraft ohn alles Gemeinweibliche und Hartmaͤnnliche.

[figure]
Neunte
[figure]
117Schattenriſſen ſehen laſſe.

Neunte Tafel. Sechs weibliche Silhouetten.

Eine merkwuͤrdige Geſellſchaft ... Jch kenne keines von allen Urbildern, aber bloß aus dem Schattenriſſe muß ich ſie alle, obgleich nicht in demſelben Grade, achten und lieben.

Jn 1. ſcheint Klugheit, maͤnnlicher Verſtand, geſetzteres Weſen mir auffallend zu ſeyn.

Die Stirn an einem Frauengeſichte iſt nicht gemein. Sie hat viel Maͤnnliches. Der Uebergang von der Naſe zum Munde iſt vortheilhaft.

2. Kein unverſtaͤndiges, aber ein weiblicheres Geſicht. Man vergleiche Stirn und Stirn. Je reinbogigter die Stirn; deſto weiblicher. Der Uebergang von der Naſe zum Munde ſcheint weniger Klugheit, aber deſto mehr Heiterkeit nnd Leichtigkeit anzuzeigen.

3. Mehr Maͤnnlichkeit, feſte Denkenskraft, als in allen ſechſen. Die Naſe ſicherlich voll feinſten Verſtandesausdruckes. Der untere Theil des Geſichtes verweiblichet und ſchwaͤcht um etwas die an ſich allzumaͤnnliche Stirn.

4. Man vergleiche 4 mit 3. das heißt: man vergleiche vorzuͤgliche Einbildungskraft mit vor - zuͤglichem Verſtande, beſonders in der obern Haͤlfte des Profils. Der Uebergang von der Naſe zum Munde iſt um etwas verſchnitten. Ueberhaupt hat dieſer Umriß im Kupfer viel vom Geiſt und Salz des Originalriſſes, der vor mir liegt, durch kaum merkbare Abweichungen verloren.

5. Sicherlich keine gemeine Frau! Maͤnnlichkeit in der Stirne, doch nicht feſte; Leiden - ſchaft im Auge aͤuſſerſte Feinheit in der Naſe duͤrft ich dem Umriſſe ſicher trauen, ſo wuͤrd ich im untern Theile dieſes Profils etwas Leichtſinn und Stolz vermuthen. Die Unterlippe duͤrfte um ein Haar breit mehr zuruͤckſtehn, dieſer Eindruck wuͤrde vielleicht verſchwinden.

6. Wenn dieß Geſicht, das ebenfalls auf dem Kupfer, aller Sorgfalt ungeachtet, etwas verloren hat, uͤbrigens von ſolchem Charakter iſt, daß es nie alles verlieren, und in der ſchlechteſten Copie, wenigſtens was den Obertheil des Geſichtes betrifft, nie ganz mißkennt werden kann wenn dieß Geſicht nicht Verſtand, Witz und Feinheit der Geiſteskraͤfte und uͤberhaupt einen ganz auſſerordentlichen Charakter ausdruͤckt, ſo haͤtt ich keine phyſiognomiſche Zeile ſchreiben ſollen. Man bemerke beſonders die hohe, zuruͤckgehende, heitere Stirn, den Uebergang vom AugknochenP 3zur118XII. Fragment. Was ſich aus bloßenzur Naſe, den wir oben ſchon einmal charakteriſirt haben und dann die Naſe deren Laͤnge Einbildungskraft, deren Umriß Verſtand in auſſerordentlichem Grade zeigt. Feſtigkeit ohne Steifſinn, Guͤte ohne Schwachheit ſcheint mir auch aus dem Ganzen des Umriſſes entgegen zu leuchten.

Nachſtehendes Profil aus dem Herzen des Nords mehr Weiblichkeit als 6! be - merkt abermals den zwar weniger ſcharfen und tiefen Uebergang von der Stirne zur Naſe. Auf den Lippen unausſprechliche Guͤte.

[figure]
Zehnte
[figure]
119Schattenriſſen ſehen laſſe.

Zehnte Tafel. Drey weibliche Silhouetten Wr.

1. Dieſer Kopf ſcheint beym erſten Anblicke viel zu verſprechen; ſcheint uͤberhaupt betrachtet, wo nicht etwas von Apoll, doch gewiß etwas Antikes zu haben. Jch kenne ſie nicht; aber die Anla - gen dieſer Perſon koͤnnen nicht gemein ſeyn. Die Stirn hat viel Maͤnnlichkeit; die Naſe, wenn ſie untenher (vermuthlich durch des Zeichners Schuld) theils nicht ſo ſchwankend umriſſen, theils nicht zu horizontal waͤre der Uebergang von der Naſe zum Munde die Oberlippe und zum Theil und im Ganzen genommen das Unterkinn alles zeigt wenigſtens Anlage zur Groͤße? ...

Aber nun dieſe Perſon ſoll nicht cultivirt, weiter nichts als eine gemeine brave, wackere, kluge Hausmutter ſeyn? Befehleriſch, im Urtheilen ſchnell, ſchwatzhaft; wie ſich’s gebuͤhrt? Es kann ſeyn; das Profil laͤugnet die Moͤglichkeit deſſen nicht beſtaͤtiget nur, daß Anlage treff - lich, die Wuͤrkſamkeit gemein, daß Anlage im Profil ſichtbarer ſeyn koͤnne, als das Erworbene.

Allein dieß Profil hat dennoch einerſeits poſitife Spuren, daß die Anlage ſelbſt nicht von derjenigen Kraft ſey, die ſich uͤber alle Beſchraͤnkungen gewoͤhnlicher Erziehung wegſchwinge; anderſeits poſitife Spuren von Vernachlaͤſſigung. Die erſten, in der ganzen Form des Profils, welches, die Naſe weggeſchnitten, im Ganzen betrachtet beynahe perpendikular iſt; das heißt, die Stirn iſt nicht zuruͤckgehend, der untere Theil des Geſichtes nicht hervorſtechend; die andern in dem fleiſchigen Unterkinn vornehmlich.

2. Die Silhouette iſt zu ernſthaft, und nicht fein genug zeigt aber doch viel von dem Charakter der Perſon. Kraͤnkelnd, hypochondriſch, um die Lippen herum tiefſinnig! ſcharfſin - nig zeigt’s der Uebergang von der Stirn zur Naſe, der tiefes Aug vermuthen laͤßt; zeigt’s zum Theil die Naſe, vornehmlich der Uebergang von der Naſe zum Munde bis zur Mitte des Kinns witzig, ſpottend wird nicht beſtimmt von der Silhouette ausgeſprochen, aber nicht wider - ſprochen. Hat viel Geſchicke, Geſchmack, Urtheilskraft. Eben ſo! ein ſtarkes Gedaͤchtniß! vermuthlich in der hohen Stirn! langſam zuͤrnend und lange vornehmlich in der Ungebo - genheit der Stirne Freunden treu eben da! ...

3. Verzeichnet; aber in der Zeichnung noch voll wahrer Expreſſion. Jn der Natur eine ſehr empfindſame, zaͤrtlich guͤtige, fein geiſtreiche Perſon Jedes leidende und ſeufzende Geſchoͤpfe,wie120XII. Fragment. Was ſich aus bloßen wie moͤchte ſie’s troͤſten, erquicken, neubeleben! Sie kann uͤber die Fehler und Schwachheiten der Menſchen ſpotten, mit denen ſie ſich dennoch zu Tode weinen moͤchte, wenn ihnen ein Uebel begeg - net. Sie ſcheint das eitelſte Ding zu ſeyn, und iſt doch nichts weniger, Halbkenner wuͤrden nicht wiſſen, ob ſie ihrem Kopfe oder Herzen den Vorzug geben ſollten? Jch gebe ihrem Herzen unendlich den Vorzug. Unter tauſenden findet man nicht Eine ſo; von 2. unter anderthalb Du - tzend; von 1 hundert

Weibliche Guͤte druͤckt der Bogen der Stirne, und das Gemiſch von Spott uͤber Fehler und Mitleiden uͤber den ungluͤcklichen fehlenden druͤcken die Lippen bis zum Unterkinn trefflich aus.

Die Vignette auch im matteſten Umriſſe, welche himmliſche Guͤte! welche Unſchuld, Reinheit! wie tief unterm Original und dennoch wie edel! wie ſprechend beſonders fuͤr Adel und Reinheit des Charakters die Naſe!

[figure]
Eilfte
[figure]
121Schattenriſſen ſehen laſſe.

Eilfte Tafel. Vier weibliche Silhouetten von zwo Perſonen.

Zween ganz auſſerordentliche Charaktere die ganz zu entwickeln, Bogen erfordern wuͤrde. Alſo nur das Auffallendſte der Silhouetten.

Die obere zeichnet ſich durch Verſtand, Muth, Kraft aus und Stolz ohn alle Ei - telkeit empfindſam aber verſchloſſen. Jmmer ſieben ſtille Thaten ſtatt Eines Wortes.

Die Stirn iſt, beſonders in dieſer Verbindung mit der Naſe, ſchlechterdings entſcheidend fuͤr maͤchtigen, ſchnell umfaſſenden Verſtand. Die aͤuſſere Linie von oben an der Stirne bis unter die Naſe iſt Buchſtabe des Verſtandes, wie o Buchſtabe der Verwunderung oder des Erſtaunens iſt.

Der Unterſchied zwiſchen beyden Silhouetten iſt gering; doch iſt im Umriſſe der Lippen vornehmlich ein kleiner merkbarer bedeutender Unterſchied.

b ſcheint etwas ruhiger, natuͤrlicher, gutherziger.

Aus einer ganz andern Claſſe vortrefflicher Seelen iſt die zweyte.

Sie iſt zwar etwas gewendet, und nicht ganz reines Profil.

Ein Geſicht, dem alle Menſchen gut werden muͤſſen. So voll inniger Selbſtſtaͤndig - keit und Kindlichkeit (Jch rede von der Silhouette, denn ich habe die Perſon nie geſehen.)

Die Stirn iſt vielfaſſender, zaͤrter, voller von raͤſonnirender, ſpekulatifer, metaphyſiſcher Denkenskraft als die obere. b iſt um die Wahl beſſer als a.

Das ſo ſcharf hervorſtehende Eckgen uͤber dem Aug iſt Zeichen der reinſten Zartheit, und der feinſten Forſchenskraft. Man erinnere ſich an das, was wir uͤber die ſiebente Tafel geſagt haben.

Die Oberlippe in b iſt beſſer, als die in a, und die Unterlippe in a beſſer, als in b.

Die Naſe iſt viel demuͤthiger als im obern.

Das obere Geſicht iſt durchaus Geſicht einer Maͤnnin.

Das untere eines jungfraͤulichen Engels. Wir behalten uns vor, an einem andern Orte mehr davon zu ſagen.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. QNachſte -122XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

Nachſtehende Vignette, ach, wie ſchwacher Nachriß zweyer herrlicher Seelen! aber auch im ſchwachen Nachriſſe in beyden wie viel ungemeines, feines, edles, großes! H em - pfaͤngt mehr L giebt mehr. Beyde aber (ich rede von Geiſt und Herz) haben Kraft zu geben und zu empfangen.

[figure]
Zwoͤlfte
[figure]
123Schattenriſſen ſehen laſſe.

Zwoͤlfte Tafel. Neun weibliche Silhouetten.

Man bemerke in allen dieſen 9. Umriſſen von ſehr ungleichem Werthe und ungleicher Genauig - keit und hoͤchſt ungleicher Weiblichkeit, wenn ich ſo ſagen darf dennoch das gemein Weib - liche das Weiche, Ruͤndliche, Ungeſpannte, Unharte, Uneckige.

Die weiblichſten ſind 1. und 5. die maͤnnlichſten 7. 8. 9.

  • 1. Die hoͤchſte, empfindlichſte Guͤte, voll der redlichſten, jungfraͤulichſten, demuͤthig - ſten Empfindſamkeit.
  • 2. Vergleicht nur Stirn mit Stirn und Mund mit Mund, (es ſind zwo Schweſtern) wie viel ſtaͤrker durch vieles Leiden ſtark, iſt die zweyte!
  • 3. Maͤnnliche Jungfraͤulichkeit, voll der tiefſten, innigſten, originellſten, ſimpelſten Jnnigkeit.
  • 4. Wir kennen die ſchon. Sie iſt nur um der Sammlung willen wieder da. Die Naſe iſt hier vortrefflich ausgedruͤckt, und voll Ausdruck des reinſten Verſtandes und Geſchmacks.
  • 5. Erſtaunliche Biegſamkeit, unbeſchreibliche Empfaͤnglichkeit ſinnlicher Eindruͤcke; die Lippen zeigen viel Feinheit.
  • 6. Kennen wir auch ſchon. Dieſe Stirn, verglichen mit allen 8 uͤbrigen, wie ausgezeich - net, beſonders an einem weiblichen Kopfe, fuͤr den tiefſten ſchauenden Verſtand!
  • 7. 8. 9. Mutter und Tochter. Die Stirn von 7. ſo kurz ſie iſt, iſt nicht gemein.
  • 8. Schlecht gezeichnet. Wie ſchlecht, wie verdorben, zeigt die folgende Zeichnung von demſelben Profile; der zaghafte, unbeſtimmte Umriß der Stirn verglichen mit 9 wie kraft - und bedeutungslos! Man vergleiche Naſe und Naſe, Kinn und Kinn und urtheile!
  • 9. Voll ernſten, tiefen Sinnes. Vom Augknochen an bis unten an die Nasſpitze maͤnn - licher, reifer Verſtand.

So viel ſieht man; wie viel ſieht man nicht! die ſprechendſten aller dieſer Silhouetten, als Silhouetten betrachtet, ſind 1, 2, 4, 6. beſonders.

Q 2Die124XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

Die nachſtehende Vignette eine der hochſchwebendeſten, idealiſchten Seelen Sich ſelbſt durchſchauend und verdammend. Voll Liebe und Grimm gegen ſich ſelbſt die Sil - houette zeigt in der Gegend ums Auge, und in der Stellung dieß Hochſchweben, dieſen Durſt nach Jdealen. Jm Schnitte des Mundes maͤnnliche Feſtigkeit und Verſtandesſchaͤrfe.

[figure]
Dreyzehnte
[figure]
125Schattenriſſen ſehen laſſe.

Dreyzehnte Tafel. Vier maͤnnliche Silhouetten, bloße Umriſſe in Ovalen. T.

D zwiſchen jedem Paar dieſer Silhouetten auffallender Kontraſt iſt, wird bald bemerkt werden.

1.) Reine Erkenntnißkraft ohne hohen Scharf - und Tiefſinn. Viel feine Beurtheilung, Geſchmack, gefaͤllige Sprache. Demuth mit allen verwandten Eigenſchaften. Leſer! ſuche dir ſie zu entwickeln, ſpuͤre ſie im Einzelnen auf.

2.) Richtiger, ſcharfer Verſtand, Zutrauen zu ſich ſelbſt, ohne genug Kraft, Liebe und Guͤte, daher leicht in leere Eitelkeit ausartend. Man vergleiche den obern und untern Theil des Kopfes, wie viel jener verſpricht, wie wenig dieſer haͤlt; wie alles, was oben vordringt, Theil zu nehmen und zu wuͤrken ſcheint, ſchon in der Naſe zu Gleichguͤltigkeit uͤbergeht, und unten in kalte Selbſtigkeit abſinkt. Uebrigens gluͤckliche Beweglichkeit.

3.) Hat eine allgemeine Gedehntheit der Zuͤge; nichts ſchiefes, aber auch nichts kraͤftiges. Eine reine, gute, in ſich ſelbſt wohnende Seele.

4.) Feſtigkeit und kraͤftige Gewißheit ſein ſelbſt bis zum Trutz ohne Eitelkeit. Die Ver - haͤltniſſe der Dinge zu ſich fuͤhlt er richtig; daher unbeweglich in Meynungen. Antheil, Liebe, Guͤte, nicht im Allgemeinen, aber auch deſto treuer, wohin er ſich beſtimmt hat.

Die Naſe des erſten iſt ſicherlich demuͤthiger, als des vierten; aber nicht ſo verſtaͤndig.

Bemerkenswerth iſt der vierfache Unterſchied des Uebergangs von der Stirn zur Naſe. Der ſchwaͤchſte fuͤr Verſtand iſt offenbar 3. Der ſtaͤrkſte fuͤr Einbildungskraft 1. Der ſtaͤrkſte fuͤr Verſtand 2. Fuͤr Witz 4.

Durch die angezeichneten Linien, die aber nicht genau genug ſind, ſollte die Form des Umriſſes zum Theil beſtimmt werden. Die Zeit wird’s zeigen, daß der Punkt der Beruͤhrung ſolcher Linien viel von dem Grade der Denkkraft, und beſonders der Beſchaffenheit und dem Maaße der innern Triebkraft der Menſchen beſtimmen wird.

Q 3Nachſte -126XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

Nachſtehende Vignette eines ſehr lebhaften, fruͤhzeitigen Kindes; welcher Eindruck aber durch den beym Stilleſitzen zuruͤckſinkenden Mund, der in der Copie noch mehr gewichen iſt, hier faſt gaͤnzlich verloren geht; doch ſind immer im Ganzen noch Spuren genug von Adel und Feinheit uͤberblieben.

[figure]
Vierzehnte
[figure]
127Schattenriſſen ſehen laſſe.

Vierzehnte Tafel. Sechs Umriſſe mit verſchiedenen punktirten Linien.

Wir haben hier abermals ſehr verſchiedene kontraſtirende Charaktere gegen einander uͤber geſetzt.

Um dieſe Verſchiedenheit einleuchtend zu machen, und beſtimmter vor Augen zu legen, haben wir gewiſſe Linien beygefuͤgt, wodurch die Unterſchiede der aͤuſſerſten Graͤnzlinien ſichtba - rer werden.

Dadurch ſollte dem pruͤfenden Leſer die Beobachtung erleichtert, und vorlaͤufig die Moͤg - lichkeit genauerer, vielleicht mathematiſcher, Beſtimmung der Geſichtsform denkbar gemacht werden.

Von wie verſchiedenen Seiten laͤßt ſich ein bloßes einfaches Schattenprofil beurtheilen? Hier ſind nur einige bemerkt, und wie viel ſchon zeigt uns das wenige Bemerkte?

Wir ſehen fuͤrs erſte die ungleiche Hoͤhe unſerer 9. horizontalen Abſchnitte, ſelbſt bey gleich hohen Geſichtern.

Wir ſehen zweytens die ungleiche Breite der Perpendikularflaͤche vom Punkte des Stirnhaars an bis an die Spitze der Naſe. Man vergleiche beſonders a und b und c.

Wir ſehen drittens die ungleiche Beugung der ganzen Form des Geſichtes. Man ver - gleiche beſonders a und e.

Wir ſehen viertens die ungleiche Form einzelner Abſchnitte, und die verſchiedenen Win - kel, die jeder bildet.

Jch habe bemerkt, daß der hoͤchſte Grad von Weiblichkeit aus lauter Bogenlinien beſtehet, und daß das Kinn zuruͤckgeht, (wie in e am meiſten, auch in b.) Wohl bemerkt, nicht in edem zuruͤckgehenden Kinn iſt Weiblichkeit; maͤnnlicher Trutz ſteckt ſehr oft drinnen. Jch rede von ſolchen zuruͤckgehenden Kinnen, wo der obere Theil des Geſichts aus lauter flachrunden, eck - loſen Umriſſen beſteht.

Wo128XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

Wo maͤnnliche feſte Klugheit, ſtehende Denkkraft iſt, iſt das Kinn vordringend, wie zum Theil in d. Jch druͤcke mich mißverſtaͤndlich aus Vordringendes Kinn iſt immer Zeichen von Kraft, Maͤnnlichkeit, Staͤndigkeit.

Wo die eckloſe, ununterbrochene, ungeſchweifte Woͤlbung der Stirn iſt, wie in c, da wer - det ihr kaum eine vorgebogene Habichtsnaſe, ihr werdet den Umriß der Naſe hohl finden, und wo dieſer hohl, und die Stirn beym Augknochen ſo zirkelbogigt ecklos iſt da wird das Kinn zu - ruͤckſtehen.

Jch habe noch kaum angefangen dieſe Verhaͤltniſſe beſtimmen zu lernen; aber ich ahnde mit einer Sicherheit, die an die hoͤchſte moraliſche Gewißheit graͤnzt: daß ein mathematiſcher Phy - ſiognomiſt des folgenden Jahrhunderts aus gegebenen richtigen Sektionen eines Proſils den ganzen Umriß deſſelben ſo wird beſtimmen lernen, wie ſich aus den Ordinaten einer Parabel die Abſciſſen, und durch dieſe die paraboliſchen Sektionen beſtimmen laſſen.

O die Natur iſt ſo homogen, ſo mathematiſch in allen ihren Wuͤrkungen und Bildungen! Sie flickt nie ungleichartige zuſammen, und ſo wie der gleichartige Fortgang einer Sektion, von einem Zirkel, einer Parabel u. ſ. f. nur Einer ſo iſt der Fortgang einer Sektion vom menſch - lichen Geſicht im Stande der Ruhe, ſehr vermuthlich auch nur Einer ...

Jch weiß, indem ich dieß ſage, daß ich eine Menge tiefdenkender Leſer, die ich verehre und hochſchaͤtze, und denen ich uͤbrigens tauſendmal mehr Einſichten, als mir, aufrichtig zutraue, vor den Kopf ſtoße; aber ich bitte nur um Eins: Ehe ſie ſich erzuͤrnen, ein paar Jahre wie ich, Be - obachtungen zu machen.

Wann wir auch darinn nicht uͤbereinkommen ſollten, daß ſich dieſe Verhaͤltniſſe mathe - matiſch beſtimmen ließen, (welches freylich in der Ausfuͤhrung unendlich ſchwerer ſeyn duͤrfte, wenn auch zugegeben wuͤrde, daß es an ſich nicht unmoͤglich waͤre) ſo hoff ich dennoch ganz gewiß, daß wir darinn uͤbereinkommen werden, daß gewiſſe genau angegebene Abſchnitte von Profilen(mithin129Schattenriſſen ſehen laſſe. $ (mithin ſodann auch von allen Lagen und Graͤnzlinien des Geſichtes, aus welchem Ge - ſichtspunkte daſſelbe immer betrachtet werden mag; nur daß das eine Profil die am leich - teſten zu findende, oder am leichteſten beſtimmbare Linie iſt) daß, ſag ich, gewiſſe ge - nau angegebene Abſchnitte von Profilen, gewiſſe andere Graͤnzlinien des uͤbrigen Profils unmoͤglich machen und ſchlechterdings ausſchließen; daß alſo, wenigſtens zu gewiſſen gegebenen wuͤrklichen Abſchnitten, nur gewiſſe, obgleich allenfalls mehrere, dennoch nur analogiſche Fortſetzungen moͤglich ſind.

Freunde der Wahrheit! Mitforſcher der Natur! Mitverehrer γεωμετρουντος Θεου! Helft mir, ſtatt zu voreilig zu entſcheiden mit unterſuchen. Diktirt der Natur nichts; laßt ſie nur ſprechen, und hoͤrt ſie!

Und nun noch ein paar Worte von dem Charakter dieſer 6. Geſichter.

a.) Der Schattenriß eines reinen Juͤnglings von offener, gluͤcklich temperirter Natur, geraden Verſtandes, ohne Scharfſinn; Unverfuͤhrbarkeit. Feſt gegen allen Druck, aber unun - ternehmend. Gelaſſene, kraͤftige Sinnlichkeit.

b.) Ein Bruder des vorigen, mit einiger Familienaͤhnlichkeit in dem Munde, doch mit weit mehr Trutz und Verſchloſſenheit. Die Stirn bis zum Uebergange zur Naſe iſt feſt bis zum Eigen - ſinn, laͤßt Faͤhigkeiten, beſonders ſinnliche Talente hoffen, ob ſie gleich nicht eigentlich beſtimmt iſt. Die Naſe mit dem Munde und Unterkinn bezeichnen auf das treffendſte untheilnehmendes, feſtes Daſeyn, Verſchloſſenheit und inneres Wuͤrken.

c.) Hoͤchſte Weiblichkeit, Eigenſinn und Eitelkeit, ohne Zuͤge von Bosheit und Nie - drigkeit. Man ſieht, ungeachtet der ſtumpfen Stellung beym Schattenziehen, daß es ihr an Reiz und Annehmlichkeit nicht fehlen moͤchte. Jch glaube bemerkt zu haben, daß die Stutz -Phyſ. Fragm. II Verſuch. Rnaſen130XII. Fragment. Was ſich aus bloßennaſen leichten ſinnlichen Eindruck, Sorgloſigkeit, und durch verſchiedene Grade mit andern Ne - benbeſtimmungen auch Stumpfheit und Dummheit bezeichnen.

d.) Eine ganz gluͤckliche, reine Geſtalt, voll Kraft und Guͤte.

e.) Nicht unverſtaͤndig, von einer feſten Nachgebigkeit und reinen Guͤte des Cha - rakters.

f.) Gerader, ſinnlicher, unvordringlicher Verſtand, Bedaͤchtlichkeit, Ordnung und Treue.

Zum Beſchluſſe noch eine in meinen Augen herrliche Silhouette von einer fuͤrſtlichen Seele die freylich ebenfalls an Zartheit und Feinheit verloren; aber wieder eins von denen Geſichtern iſt, das nie alles verlieren kann Jch kenne das Original nicht. Ein Freund, der ſie kennt, macht folgenden Charakter von Jhr der an ſich verdient bekannt zu werden.

Großer umfaſſender weiblicher Verſtand, die richtigſte Beurtheilungskraft; unaus - ſprechlich edel, gutherzig, großmuͤthig, fromm ohn alle Schwaͤrmerey; empfindſam wie ein Engel, aber ohn alle Taͤndeley; uͤberaus cultivirt, erleuchtet, voll aͤchter Wiſſenſchaft. Ue - beraus zaͤrtlich gegen ihren Mann, gegen ihre Kinder, gegen Arme und Nothleidende .... Jm Ganzen das Anſehen von einer Koͤniginn.

Jch traue es jedem wenig geuͤbten Auge zu nicht, alles dieß ſogleich aus dieſem Umriſſe zu finden, aber dennoch nichts darinn wahrzunehmen, das dieſem Bilde zu widerſpre - chen ſcheinen koͤnnte.

Das Maͤnnliche, Feſte, Edle des Charakters iſt auffallend; wackere Guͤte, Gutherzig - keit einer Heldinn iſt auffallend. Die Stirn iſt voll Offenheit und Muth. Auf der Spitze der Naſe ruhet erſtaunender Ausdruck von edler, feiner Geiſteskraft. Der Mund mit dem Handriſſe verglichen, den ich vor mir habe, beſonders die Unterlippe, hat durch eine unbe -ſtimmbar131Schattenriſſen ſehen laſſe. ſtimmbar kleine Abweichung viel von dem Ausdrucke maͤnnlicher Vernunft verloren. Jm Uebergange von der Naſe zum Mund iſt ſehr viel Guͤte aber das Original, das vor mir liegt, hat noch einen Zuſatz von Klugheit, der in der Copie merklich geſchwaͤcht iſt ....

[figure]
R 2Funf -132XII. Fragment. Was ſich aus bloßen

Funfzehnte Tafel. Vier Kahlkoͤpfe von hinten im Schattenriſſe.

Je mehr wir die Beobachtungen des menſchlichen Koͤrpers vermannichfaltigen, von je meh - rern Seiten wir ſeine Umriſſe und Graͤnzlinien betrachten, deſto mehr Charakter des Geiſtes, der in ihm wohnet, deſto mehr angebliche und beſtimmbare Zeichen ſeiner Kraft und ſeiner Wuͤrk - ſamkeit werden wir finden.

Jch bin der Meynung: Ein Menſch von allen Seiten auch nur im Schattenriſſe betrach - tet vom Haupte bis zu den Fuͤßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart - profil wuͤrde zu den neueſten, wichtigſten Entdeckungen uͤber die Allbedeutſamkeit des menſch - lichen Koͤrpers Gelegenheit geben.

Man weiß, wie wenig ich leiſten kann. Jndeß hab ich doch, obgleich ich weiß, daß man druͤber lachen wird; denn woruͤber lacht unſer pruͤfendes Jahrhundert nicht? ... in dieſer Ab - ſicht einen neuen Verſuch gewagt, den Kopf des Menſchen von hinten und von oben herab*)Proben von dieſen wird die Folge vorlegen. zu betrachten, und meine Verſuche waren nicht vergebens. Alſo! lache der Lacher wenn ſein Lachen vertoͤnt hat, ſteht die Wahrheit noch gleich feſt da. So wenig als das Verdienſt dem Neide, oder der Koͤrper dem Schatten entfliehen kann ſo wenig eine ſinnlich gemachte Beobachtung des Menſchen von einer neuen Seite dem Gelaͤchter markloſer ſeidener Struͤmpfe? ...

Der ſimpelſte Weg, den ich gehen konnte, war der: Koͤpfe zu zeichnen, deren Cha - rakter mir ohne Ruͤckſicht auf ihre Bildung und Phyſiognomie bekannt war.

Koͤpfe
[figure]
133Schattenriſſen ſehen laſſe.

Koͤpfe von merklicher Verſchiedenheit des Charakters.

Jch waͤhlte alſo vier Kahlkoͤpfe von ſehr ungleichen Faͤhigkeiten und wie merkwuͤr - dig war ihre Aehnlichkeit und ihre Verſchiedenheit!

Den erſten kenn ich als einen lebhaften, ſchnellen, ſanften, heftigen, aͤuſſerſt reizbaren, elaſtiſchen, empfindſamen, thaͤtigen Charakter. Ein laͤnglichter ſchlanker Juͤngling voll Bon - homie, treffender Wuͤrkſamkeit und der kuͤhnſten Einbildungskraft. Er iſt kein Kahlkopf. Man band ihm die flachgekaͤmmten Haare hinten zuſammen, daher der obere Theil des Umriſſes nicht vollkommen rein iſt.

Der zweyte iſt nicht ſo ſchlank, ſo gedehnt weniger ſchnellthaͤtig, obgleich aͤuſſerſt fleißig! nicht ſo heiter, ſo leichtſinnig; aber ruhiger, wie der erſte, und feſter, einfacher, tie - fer. Voll Verſtand und Empfindſamkeit. Die unverfuͤhrbarſte Vernunft unerſchoͤpflich an Witz aber ſchwachen Gedaͤchtniſſes!

Der dritte ein Mann von pruͤfendem aber nicht tiefforſchendem Verſtande. Sein Geiſt iſt Licht, nicht Blitz Abendlicht, nicht Mittaglicht. Er hat Geſchmack, das beſte Gedaͤchtniß; wenige ſchoͤpferiſche, aber ſehr heitere Einbildungskraft.

Der vierte iſt ein foͤrmlicher Dummkopf, dem alles zu fehlen ſcheint, was die drey vori - gen haben. Jch kenn ihn nicht perſoͤnlich; aber ein in allen Abſichten ſehr zuverlaͤſſiger Mann verſichert mich deſſen; und ich kann’s glauben.

Man vergleiche nun 4. mit allen dreyen, und die drey erſten mit dem vierten.

1. Der ſchnellſte, und hat den laͤngſten und ſchlankſten Hals. Weniger ſchnell iſt 2. und hat einen etwas kuͤrzern dickern Hals. 3. weniger ſchnell als 2, und wiederum einen kuͤr - zern Hals. 4. iſt beynahe Fleiſch ohne Geiſt und ſcheint gar keinen Hals zu haben.

Auch iſt das Zuſammengedruͤckte, Eyfoͤrmige, Zugeſpitzte des Kopfes in 4. auffallend und merkwuͤrdig.

R 3Jch134XII. Fragment. Was ſich aus bloßen Schattenriſſen ſehen laſſe.

Jch habe bemerkt, daß Kahlkoͤpfe, die, von hinten anzuſehen, obenher zirkelbogigt ſind, die beſten; plattenfoͤrmige, ſehr mittelmaͤßig, oft ſchwach; und zugeſpitzte, Thoren ſind.

Nachſtehender Kopf iſt von einem ſehr fein verſtaͤndigen, aͤuſſerſt heitern, aktifen, trefflichen Manne.

[figure]
Zweyter[135]

Zweyter Abſchnitt.

[136]137

Eingang.

Der Geſchlechtsunterſchied des Menſchen von den Thieren bezeichnet ſich ſchon lebhaft im Kno - chenbau. Wie unſer Haupt auf Ruͤckenmark und Lebenskraft aufſitzt! Wie die ganze Geſtalt als Grundpfeiler des Gewoͤlbes daſteht, in dem ſich der Himmel beſpiegeln ſoll! Wie unſer Schaͤdel ſich woͤlbet, gleich dem Himmel uͤber uns, damit das reine Bild der ewigen Sphaͤren drinnen kreiſen koͤnne! Wie dieſer Behaͤlter des Gehirns den groͤßten Theil unſers Kopfes aus - macht! Wie uͤber den Kiefern alle Empfindungen auf - und abſteigen und ſich auf den Lippen ver - ſammeln! Wie das Auge das beredteſte von allen Organen, wo nicht Worte, doch bald der freundli - chen Liebehingebenheit, bald der grimmigen Anſtrengung der Wangen, und aller Abſchattun - gen dazwiſchen bedarf, um auszudruͤcken, ach nur um zu ſtammeln, was die innerſten Tiefen der Menſchheit durchdringt!

Und wie nun der Thierbau gerade das Gegentheil davon iſt. Der Kopf an den Ruͤck - grad nur angehaͤngt! das Gehirn, Ende des Ruͤckenmarks, hat nicht mehr Umfang, als zu Auswuͤrkung der Lebensgeiſter, und zu Leitung eines ganz gegenwaͤrtig ſinnlichen Geſchoͤpfes noͤthig iſt. Denn ob wir ihnen gleich Erinnerung und uͤberlegte Entſcheidung nicht abſprechen koͤnnen, ſo liegt jene doch eher, ich moͤchte ſagen, in primis viis der Sinne, und dieſe ent - ſpringt aus dem Drange des Augenblicks, und dem Uebergewichte eines oder des andern Ge - genſtandes.

Schnautze und Rachen ſind die vorzuͤglichſten Theile eines Kopfs, der meiſt zum Spuͤ - ren, Kauen und Schlingen da iſt. Die Muskeln ſind flach und feſt geſpannt, mit einer gro - ben rauhen Haut uͤberzogen, alles reineren Ausdruckes unfaͤhig.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. SHier138Eingang.

Hier nichts weiter davon, denn ich bedenke, daß ich nur von Schaͤdeln zu reden habe.

An ihrem Unterſchiede, der den beſtimmten Charakter der Thiere bezeichnet, kann man am ſtaͤrkſten ſehen, wie die Knochen die Grundfeſten der Bildung ſind und die Eigenſchaften eines Geſchoͤpfes umfaſſen. Die beweglichen Theile formen ſich nach ihnen, eigentlicher zu ſa - gen mit ihnen, und treiben ihr Spiel nur in ſo weit es die feſten vergoͤnnen.

Dieſe Anmerkung, die hier unlaͤugbar iſt, wird bey der Anwendung auf die Verſchieden - heit der Menſchenſchaͤdel großen Widerſpruch zu leiden haben.

[figure]
Dreyzehn -
[figure]
139

Dreyzehntes Fragment. Thierſchaͤdel.

Ariſtoteles von der Phyſiognomik.

Denn es iſt nie ein Thier geweſen, das die Geſtalt des einen und die Art des andern ge - habt haͤtte; aber immer ſeinen eignen Leib und ſeinen eignen Sinn. So nothwendig beſtimmt jeder Koͤrper ſeine Natur. Wie denn auch ein Kenner die Thiere nach ihrer Geſtalt beur - theilt, der Reuter die Pferde, der Jaͤger die Hunde. Wenn das wahr iſt, wie’s denn ewig wahr bleibt; ſo giebt’s eine Phyſiognomik.

I.

Die Zahmheit der Laſt - und weidenden Thiere bezeichnet ſich durch die langen ebenen, ſeicht gegen einander laufenden, einwaͤrts gebogenen Linien.

Man ſehe 1.) das Pferd, 3.) den Eſel, 5.) den Hirſchen, 6.) das Schwein, 7.) das Cameel.

Geruhige Wuͤrde, harmloſer Genuß iſt der ganze Zweck der Geſtalt dieſer Haͤupter.

Die eingebogne Linie vom Augknochen zur Naſe bey 1. und 3. bezeichnet Duldung.

An 6. die ab - leiſe einwaͤrts gehende, ſchnell wieder gerad werdende Starrſinn.

An allen bemerke man den ſchweren und uͤbermaͤßig breiten Hinterkiefer, und empfinde, wie die Begierde des Kauens und Wiederkauens da ihren Sitz hat.

4. Der Ochs Duldung, Widerſtand, ſchwere Beweglichkeit, ſtumpfer Fraß.

15. Der Widder. Stieres Widerhalten, und ſtumpfer Stoßtrieb.

S 2II. Die140XIII. Fragment. Thierſchaͤdel.

II.

Die Geſtalt der gierigen Thiere ohne Grauſamkeit, das Ratzengeſchlecht, das ich das Diebsgeſchlecht nennen moͤchte, iſt wieder ſehr bedeutend. Hier ſind nur zwey davon.

16. Der Biber. 19. Die groͤßte Feldmaus. Die leicht aufgebogenen, flachgewoͤlb - ten Linien, die wenigen Flaͤchen, das Spitze, Feine bezeichnet Leichtigkeit der Bemerkung des ſinnlichen Gegenſtandes, ſchnelles Ergreifen, Begierde und Furchtſamkeit, daher Liſt. Der oft ſchwache Unterkiefer, die vordern, ſpitzig gebognen Zaͤhne haben ihre Beſtimmung zum Na - gen und Koſten; ſie ſind faͤhig, das angepackte Lebloſe ſich kraͤftig ſchmecken zu laſſen; aber nichts Widerſtehendes, Lebendiges, gewaltig zu faſſen und zu verderben.

III.

An dieſes Geſchlecht graͤnzt unter den Raubthieren einigermaßen 12.) der Fuchs. Er iſt ſchwach gegen ſeine folgende Verwandte. Die ſo flache Abweichung vom Schaͤdel bis zur Naſe, der mit dieſer Linie faſt parallellaufende Unterkiefer gaͤben der Geſtalt was Unkraͤftiges, wenigſtens Gleichguͤltiges, wenn nicht der etwas vor aufwaͤrts geſchweifte Oberkiefer, und die ſpitzen, abgerißnen Zaͤhne eine geringe Grauſamkeit ſehen ließen.

An dieſem und den folgenden Koͤpfen haben die Hirſchſchaͤdel, ob ſie gleich in den Mo - difikationen von einander abgehen, doch das gemein, daß ſie groͤßer, ſtaͤrker, abgeſonderter ſind, als bey den vorigen Geſchlechtern; daß ſie einen vorzuͤglichen Theil des Kopfes ausmachen, Feſtigkeit und Staͤrke bezeichnen.

13.) Der Hund hat ſchon mehr Feſtes; zwar was Gemeines, Unbedeutendes (ich ſpreche unrichtig; alles, auch das Alltaͤglichſte, auch das Mittelmaͤßigſte, iſt ſo bedeutend, als das Ausgezeichneteſte aber die Bedeutung iſt nicht ſo auffallend. Unbedeutendes alſo, das heißt nicht ſehr Frappantes ) Das Abgehen des Schaͤdels vom Augenkno - chen zeigt, moͤcht ich ſagen, Beſtimmtheit der Sinneskraft. Der Rachen iſt mehr zu ei - ner ruhigen, als grauſamen oder gierigen Gefraͤßigkeit gemacht, ob er gleich etwas von beydenhat.141XIII. Fragment. Thierſchaͤdel. hat. Mich duͤnkt, daß ich, beſonders im Augenknochen, und in deſſen Verhaͤltniß zur Naſe eine gewiſſe Treue und Geradheit entdecke. Die geringe Verſchiedenheit des

14.) Wolfes iſt ſchon ſehr merkwuͤrdig. Der Einbug oben im Scheitel; die Rundung uͤber dem Augknochen; die von da aus zur Schnauze wieder gerad abgehenden Linien deuten ſchon auf heftigere Bewegungen. Hiezu koͤmmt bey

10.) Dem Baͤren noch mehr Breite und mehr Feſtigkeit und Widerhalt; bey

8.) Dem Tiger beſondere Schnelligkeit in der Spitze des Hinter - und Breite des Vor - dertheils. Man ſehe den Gegenſatz an den Laſt - und Weydethieren. Hinten zur Kraft des Nackens der aufliegende Hebel; flachrund der Schaͤdel, Wohnſitz leichter Vorſtellung und gie - riger Grauſamkeit. Die Schnauze breit und voll Kraft; der Rachen gewoͤlbter Vorhof der Hoͤllen, erfaſſend, klammernd, zermalmend, verſchlingend.

Waͤre 9.) der Loͤwe beſſer gezeichnet; aber ſchon im Buͤffon, woraus dieſe kopiert ſind, ſteht juſt dieſer herrliche Schaͤdel am unbeſtimmteſten gebildet.

Wie merkwuͤrdig auch ſchon ſo, der laͤnglichſtumpfe Hinterkopf!

Die Woͤlbung, wie edel; der Abgang der anſtoßenden Linien, wie ſanft! des Schnauzbeins Niederſteigen, wie ſchnell, wie kraͤftig! Der Vorderkopf, wie gepackt! ſtark! ruhig und gewaltig! werth der ſpecialſten Vergleichung mit dem Tiger! Wie wenig, wie viel ſind beyde verſchieden!

Nur Ein Wort von 17.) der Katze. Aufmerkſame Genaͤſchigkeit.

Unter allen wie zeichnet ſich 2.) der Elephant aus! am meiſten Schaͤdel, am meiſten Hinterhaupt, und am meiſten Stirn wie wahrer natuͤrlicher Ausdruck von Gedaͤchtniß, Ver - ſtand, Klugheit, Kraft, und Delikateſſe.

11.) Die Fiſchotter ein ungeſtalter Kopf zum Fraße deutlich beſtimmt.

S 316.) Der142XIII. Fragment. Thierſchaͤdel.

16.) Der Biber hat auſſer der Struktur des Schaͤdels im Profile in ſeinem Jn - ſtinkte nichts diebiſches. Der Biber hat mehr uͤberlegenden Verſtand, als Liſt. Von allen Schaͤdeln hat keiner einen ſo ſanften, ungebogenen, ſo uneckigen, ſo horizontalen Umriß bis zur Naſe, wie der Biber.

20.) Das Stachelſchwein hat etwas Biberaͤhnliches im Obertheile des Umriſſes, iſt aber ſehr verſchieden in Anſehung der Zaͤhne, beſonders im obern Kiefer.

18.) Die Hyaͤne .. iſt durch das Hinterhaupt von allen ſehr merklich verſchieden. Dieſer Kopf zeigt bey Menſchen, wenn er hart und maſſiv iſt, und wenn er nicht die ganze Woͤlbung des Kopfes ausmacht Hartſinn und Herzenskraft. Jm Ganzen ſcheint dieß Profil eine eiſenmaͤßige Hartnaͤckigkeit auszudruͤcken.

[figure]
Vierzehn -143

Vierzehntes Fragment. Menſchenſchaͤdel.

I. Von der Bildung der Knochen, beſonders der Schaͤdel.

Ueber den bloßen Schaͤdel des Menſchen wie viel kann der Zergliederer ſagen? wie viel mehr der Phyſiognomiſt? wie viel mehr der Zergliederer, der Phyſiognomiſt iſt?

Jch darf kaum aufſehen, wenn ich denke, was ich nicht weiß, und wiſſen ſollte, um wuͤr - dig uͤber einen Theil des menſchlichen Koͤrpers, des Menſchen, zu ſchreiben der uͤber alle Erkennt - niß, allen Glauben, alle Vermuthung wichtig iſt.

Man kann es ſchon bemerkt haben, daß ich das Knochenſyſtem fuͤr die Grundzeichnung des Menſchen den Schaͤdel fuͤr das Fundament des Knochenſyſtems, und alles Fleiſch beynahe nur fuͤr das Colorit dieſer Zeichnung halte daß ich auf die Beſchaffenheit, die Form und Woͤl - bung des Schaͤdels, ſo viel mir bewußt iſt, mehr achte, als meine Vorgaͤnger alle; daß ich dieſen weit feſtern, weniger veraͤnderlichen leichter beſtimmbaren Theil des menſchlichen Koͤrpers fuͤr die Grundlage der Phyſiognomik angeſehen wiſſen moͤchte.

Man wird mir alſo erlauben, mich weitlaͤuftiger uͤber dieſen Theil des menſchlichen Koͤr - pers zu erklaͤren.

Freylich weiß ich kaum, was ich zuerſt, was zuletzt, was gar nicht ſagen ſoll.

Das Beſte, denk ich, wird wohl ſeyn, wenn wir erſt ein paar Worte von der Erzeugung und Bildung der Knochen voran ſchicken.

Der menſchliche Foetus ſcheint anfangs durch und durch aus einem, dem Anſcheine nach, beynahe gleichartigen, weichen, zuſammengeronnenen Weſen zu beſtehen. Die Knochen ſelbſt er - zeugen ſich bey ihrer erſten Erſcheinung unter der Geſtalt einer Gallerte, die nach und nach dich - ter, hernach knorpelartig, und zuletzt zum feſten Knochen wird.

Wenn144XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Wenn dieſe Gallerte, die anfangs ſo durchſichtig, ſo zart iſt, anwaͤchſt, dichter und un - durchſichtiger wird erſcheint in derſelben ein kleiner Punkt, haͤrter, dunkel, vom Knorpel ver - ſchieden, beinartig, aber noch nicht voͤllig hart. Dieſer Punkt iſt gleichſam der Kern des zukuͤnf - tigen Knochens; der Mittelpunkt, aus dem ſich die Verbeinerung allmaͤhlig umher verbreitet.

Man muß ſich aber die zum Knorpel gewordene Knochengallerte ſchon nicht mehr als eine unfoͤrmliche Maſſe ohne Bildung und Anlage zur kuͤnftigen Geſtalt vorſtellen. Schon in der zarteſten Frucht zeigen ſich uͤberall die Spuren davon ſchon im Knorpel ausgedruͤckt, obgleich noch ſehr unvollkommen.

Auch in Abſicht jener knoͤchernen Kerne kommen Verſchiedenheiten vor, die die Geſtalt des kuͤnftigen ausgewachſenen Knochens zu beſtimmen ſcheinen. Jn dem einfachen und nicht gar großen Knochen entſtund nur Einer, in den großen, dicken und winklichten waren mehrere ſolche Kerne, an verſchiedenen Stellen des urſpruͤnglichen Knorpels. Doch iſt zu bemerken, daß als - dann die Knochen im Anfang aus eben ſo viel zuſammenpaſſenden Stuͤcken beſtehen.

An den Knochen des Schaͤdels zeigt ſich der runde Kern zuerſt in der Mitte eines jeden Stuͤckes, und die Verbeinerung breitet ſich von da ſtralenfoͤrmig nach allen Seiten durch Faſern aus, die immer laͤnger, dicker und feſter, und durch ein netzartiges Gewebe unter einander ver - bunden werden. So entſtehen dann auch, indem endlich dieſe Schaͤdelſtuͤcke da und dort zuſam - menſtoßen, jene artigen gezackten Naͤthe der Hirnſchale. *)Man ſehe nach Albini Icones oſſium foetus humani, und Bidloo Anatomia corporis humani.

Bisher ſprachen wir von der erſten Epoche der Beinzeugung. Die zweyte faͤllt unge - faͤhr in den vierten oder fuͤnften Monat. Jn dieſer werden die Knochen zugleich mit den uͤbri - gen Theilen, indem die Verbeinerung nach und nach den ganzen Knorpel einnimmt, vollkommener gebildet, und deutlicher, je nach der mindern oder mehrern Lebhaftigkeit der Frucht je nach der urſpruͤnglich verſchiedenen innerſten Schnell - oder Triebkraft des werdenden Geſchoͤpfes.

Sie werden aber auch, wie vom erſten Anfang an, ſo hernach faſt durch alle Stufen des Alters hindurch, neben der ihnen eigenen Ausbildung, immer dichter und haͤrter.

Wie?145XIV. Fragment. Bildung der Knochen, beſonders der Schaͤdel.

Wie? daruͤber ſind die Zergliederer ungleicher Meynung und zu unſerm Zwecke moͤ - gen ſie’s. Ein Phyſiognomiſt der Zukunft mag ſich hier Wege bahnen. Jch ziehe mich zuruͤck, und bleibe auf der Heerſtraße des gewiſſen, deſſen, was ſich beobachten laͤßt.

Nur ſo viel iſt gewiß, daß die Wuͤrkſamkeit der Muskeln, der Gefaͤße und anderer wei - chen Theile, welche die Knochen uͤberall umgeben, zur Bildung und zur ſtufenweiſen Verhaͤrtung derſelben ungemein vieles beytragen.

Was noch Knorpelichtes am jungen Knochen uͤbrig war, wird bis zum ſechsten und ſie - benten Monat, ſo wie der knoͤcherne Theil vollkommener wird, kleiner, feſter und weißer Ei - nige Knochen erlangen in unglaublich viel kuͤrzerer Zeit eine gewiſſe Feſtigkeit, als andere gerade zum Beyſpiel die Knochen des Schaͤdels und die Gehoͤrbeinlein. Auch ſind nicht nur ganze Knochen, ſondern Theile eines einzelnen an Haͤrte unter ſich verſchieden. Ueberhaupt ſind und bleiben ſie alle da, wo der Kern der Verbeinerung anfieng, und in der Naͤhe davon am haͤrteſten, und umgekehrt. Auch geht die Verhaͤrtung langſamer und unmerklicher fort, je feſter die Kno - chen werden, oder je aͤlter der Menſch wird. Was noch bey Erwachſenen Knorpel war, wird zuletzt auch Knochen; getrennte Stuͤcke wachſen in Eins zuſammen. Der ganze Knochen wird ſproͤde.

Die Zergliederer unterſcheiden die Geſtalt in die natuͤrliche, weſentliche, die in den - ſelben Knochen ungefaͤhr immer eben dieſelbe, und zufaͤllige, die vielerley Abaͤnderungen in verſchiedenen Subjekten unterworfen iſt.

Die erſte iſt ſo in der Natur des Vaters, der Mutter, des Saamens, und aller zur Zeu - gung zuſammentreffenden Umſtaͤnde gegruͤndet wie’s in dieſem allem gegruͤndet iſt, daß aus Menſchen Menſchen werden, und aus Thieren Thiere.

Die Zergliederer ſehen nur auf das allgemein Beſtimmbare eines einzelnen Knochens; wenigſtens gruͤndet ſich jene Uebereinſtimmung ihrer weſentlichen Geſtalt in verſchiedenen Subjek - ten nur darauf, und will alſo nicht viel mehr ſagen, als die Uebereinſtimmung der Menſchengeſich - ter, in ſo fern ſie alle zwey Augen, eine Naſe, einen Mund u. ſ. f. ſo und ſo unter ſich geord - net, haben.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. TGewiß146XIV. Fragment. Bildung der Knochen, beſonders der Schaͤdel.

Gewiß iſt eben dieſe natuͤrliche Bildung ſo verſchieden, als es nachher die Menſchengeſich - ter ſind. Dieſe Verſchiedenheit iſt Werk der Natur! Urbeſtimmung des Herrſchers und Schoͤ - pfers aller Dinge.

Der Phyſiognomiſt unterſcheidet Urgeſtalt und Ausbildung.

Unerklaͤrbare, einzig wahre reine Praͤdeſtination. Jeder Knochen hat ſeine Urge - ſtalt ſeine individuelle Geſtaltſamkeit er kann ſich veraͤndern; veraͤndert ſich immer, aber ver - aͤndert ſich nicht zur vollkommenen Aehnlichkeit eines Knochens, der eine ganz andere Urgeſtalt hat. Die zufaͤlligen Veraͤnderungen der Knochen, ſo groß dieſelben ſeyn, und ſo ſehr ſie von der Urgeſtalt abweichen richten ſich dennoch immer nach der Beſchaffenheit dieſer individuellen Urgeſtalt. Auch die gewaltſamſte Preſſung wird nie die Urgeſtalt ſo veraͤndern, daß ſie, wenig - ſtens verglichen mit einem ganz andern Knochenſyſtem, welches dieſelbe gewaltſame Preſſung erlitten haͤtte nicht ſehr leicht von andern zu unterſcheiden waͤre. So wenig ein Mohr weiß, und ein Pardel fleckenlos werden kann, ſo groß auch immer die zufaͤlligen Veraͤnderungen, durch welche ſie gehen muͤſſen, ſeyn moͤgen ſo wenig verwandelt ſich die Urgeſtalt eines Knochens in die Urgeſtalt eines andern Knochens von demſelben Namen.

Ueberall dringen Gefaͤße in die Knochen, die ihnen ihre Nahrung und das Knochenmark zufuͤhren. Je juͤnger die Knochen deſto mehr dergleichen Gefaͤße, und deſto ſchwammichter und biegſamer die Knochen und umgekehrt.

Die Zeit, wenn dieſe oder jene Veraͤnderungen mit den Knochen vorgehen, laͤßt ſich nicht leicht genau beſtimmen. Dieſe iſt nach der Natur des Menſchen und den zufaͤlligen Urſachen ver - ſchieden.

Das Alter der Leibesfrucht laͤßt ſich noch ziemlich aus den Knochen angeben allein, je aͤlter der Koͤrper, deſto ſchwerer dieſe Zeitbeſtimmung.

Große, lange und vielfoͤrmige Knochen beſtehen, um ihre Verbeinerung zu beſchleunigen, und das Wachsthum zu erleichtern, anfangs aus mehrern Stuͤcken, wovon man die kleinern Anſaͤtze heißt. Der Knochen iſt unvollkommen, ſo lange dieſe noch nicht mit dem Hauptſtuͤckeverwach -147XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. verwachſen ſind. Von ihrem Daſeyn bey Kindern ruͤhrt die moͤgliche Verunſtaltung derſelben durch die engliſche Krankheit, durch Gicht u. ſ. w. her. *)Diſſertatio oſteologica de modo, quo oſſa ſe vicinis accommodant partibus ſub Praeſidio Hi -ron. Dav. Gaubii, a Ioanne Benjamin de Fiſcher. Lugduni Batavorum, 1743.

II. Winke fuͤr den Phyſiognomiſten.

Der kuͤnſtliche oder wiſſenſchaftliche Phyſiognomiſt ſollte ſeinen ganzen Beobachtungs - geiſt auf dieſe Verunſtaltung beſonders in der Form des Kopfes richten. Er ſollte die erſte Geſtalt der Kinder, und die mannichfaltige, verhaͤltnißmaͤßige Abweichung derſelben genau be - merken, vergleichen, und beſtimmen lernen. Er ſollte es dahin bringen, beym Anblicke des Kopf - baues eines neugebohrnen Kindes, eines halbjaͤhrigen, jaͤhrigen, zweyjaͤhrigen Kindes, ſagen zu koͤnnen ſo wird ſich in dem und dem Falle dieſes Knochenſyſtem formen und zeichnen; ſollte beym Anblicke des Schaͤdels eines lebendigen Menſchen von zehen, zwoͤlf, vier und zwanzig Jahren ſagen koͤnnen vor acht, zehen, zwanzig Jahren hatte dieſer Schaͤdel eine ſolche Form, in acht, ze - hen, zwanzig Jahren wird er, die gewaltſamſten Zufaͤlle ausgenommen, eine ſolche oder ſolche Form haben. Er ſollte ſich in dem Knaben den Juͤngling, im Juͤnglinge den Mann, und umgekehrt, im Manne den Juͤngling, im Juͤnglinge den Knaben, im Knaben den Saͤugling und zuletzt den Embryon in ſeiner individuellen Form denken koͤnnen.

Sollte und wird’s und dann erſt ſteheſt du auf eigenen feſten Fuͤßen, Phyſiogno - mik dann erſt ſteheſt du tief in die Natur hinabgewurzelt, wie ein Baum, auf dem die Voͤ - gel des Himmels niſten, und unter deſſen Schatten weiſe und gute Menſchen ruhen, oder anbeten Jtzt biſt du noch ein kleines Senfkorn auf die Hand gelegt betrachtet oder weggeworfen!

Laßt uns Verehrer der Weisheit, die alle Dinge formet und zuſammenordnet noch etwas bey den Menſchenſchaͤdeln verweilen.

T 2Jn148XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Jn den bloßen Schaͤdeln der Menſchen iſt gerade eine ſolche Verſchiedenheit, wie in der ganzen aͤuſſern Geſtalt des lebendigen Menſchen.

Wenn dieſe unendliche Verſchiedenheit der aͤuſſern ganzen Menſchengeſtalt ein unumſtoͤßli - cher Grundpfeiler der Phyſiognomik iſt, ſo iſt’s, deucht mir, dieſe eben ſo unendliche Verſchie - denheit der Schaͤdel, an ſich betrachtet, nicht minder. Die Folge wird’s zum Theil zeigen; zei - gen, daß man dabey vornehmlich anfangen muß, wenn die Phyſiognomik mehr als Spielwerk, wenn ſie brauchbare, gemeinnuͤtzige Menſchenwiſſenſchaft werden ſoll

Zeigen, daß aus dem bloßen Bau, der Form, dem Umriſſe und der Beſchaffenheit der Knochen freylich von Menſchen nicht gar alles, aber ſehr viel, und vielleicht mehr, als aus allem andern, geſehen werden kann.

III. Einwendung und Beantwortung.

Was ſoll ich alſo zu der Einwendung ſagen, worauf ſich ein witziger Gegner der Phy - ſiognomik ſo viel zu gute thut?

Jn den Catacomben bey Rom ſind, ſagt er, eine Menge Skellete gefunden worden, welche man fuͤr Reliquien von Heiligen gehalten, und alſo auch verehret hat. Hernach haben verſchiedene Gelehrte gezweifelt, daß die Catacomben Grabſtaͤdte der erſten Chriſten und Maͤrty - rer waͤren, und haben gar vermuthet, daß daſelbſt Uebelthaͤter und Spitzbuben koͤnnten begraben geweſen ſeyn. Die Andacht der Glaͤubigen iſt dadurch ſehr irre gemacht worden. Wenn aber die Phyſiognomik eine ſo ſichere Wiſſenſchaft waͤre, ſo haͤtte man nur duͤrfen Lavatern kommen laſſen, der ohne ſonderliche Muͤhe, durch bloßes Anſchauen und Betaſten, die Knochen der Hei - ligen von den Knochen der Spitzbuben geſondert, und die aͤchten Reliquien wieder in ihr voriges Anſehen geſetzt haben wuͤrde. Der Einfall, antwortet Herr Nikolai, der ihn citirt, iſt drollig genug. Nachdem man aber ſich daruͤber ſatt gelacht hat, ſo betrachte man einmal ernſthaft, was der Erfolg geweſen ſeyn wuͤrde, wenn der Fall exiſtirt haͤtte. Unſers Erachtens wuͤrde der Phy - ſiognomiſt an einer Menge Todtenknochen, beſonders an den Koͤpfen, die Unwiſſenden voͤllig gleichfoͤrmig ſcheinen, merkliche Verſchiedenheiten haben bemerken laſſen, die, wenn er die KoͤpfeEiner149XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. Einer Art zuſammen geordnet, und alſo an der Folge die Gradation und an den Extremen den Kontraſt einleuchtend haͤtte zeigen koͤnnen, aufmerkſame Zuſchauer nicht abgeneigt gemacht haben wuͤrden, ſeinen Muthmaßungen uͤber die Beſchaffenheit und Wuͤrkſamkeit des Gehirns, das dieſe Koͤpfe ehemals erfuͤllte, einigen Beyfall zu geben. Uebrigens, wenn man bedenkt, wie ge - wiß es iſt, daß viele Spitzbuben einen auſſerordentlichen Verſtand, und eine auſſerordentliche Wuͤrkſamkeit gehabt haben, und wie ungewiß man hieruͤber bey vielen Heiligen iſt, die ſchon roth im Kalender ſtehen, ſo wird man die Frage ſo verwickelt finden, daß man den armen Phyſiogno - miſten entſchuldigen muß, wenn er die Beantwortung derſelben verbittet, und ſie auf einen unfehlbaren Richter zuruͤckſchiebt. *)Allgem. deutſche Bibl. XXIII. B. II. St. S. 339. 340.

IV. Weitere Beantwortung.

So weit Herr Nikolai. Seine Antwort iſt gut; aber ſie iſt nicht hinlaͤnglich.

Laßt uns verſuchen, die Sache ausfuͤhrlicher zu entwickeln, als es in einer Recenſion moͤglich iſt.

Den Heiligen vom Spitzbuben ſchlechtweg am bloßen Schaͤdel zu unterſcheiden Wer hat jemals dieſe Praͤtenſion gemacht?

Die Ehrlichkeit bey allen Buͤcher-Menſchen-Meynungs-Beurtheilungen, duͤnkt mich, beruhet vor allen Dingen darauf jeden nach ſeiner Praͤtenſion zu beurtheilen, und keinem Praͤtenſionen zuzuſchreiben, die er nicht hat.

Jch weiß von keinem Phyſiognomiſten, der dieſe Anmaßung gehabt hat; aber gewiß weiß ich, daß ich ſie nie gehabt habe.

Deſſen ungeachtet behaupte ich, als die erweisbarſte Wahrheit: daß aus der bloßen Form Proportion und Haͤrte oder Weichheit des Schaͤdels die Staͤrke oder Schwaͤche des Charakters uͤberhaupt mit der groͤßten Zuverlaͤſſigkeit erkennbar iſt.

Nun aber, wie ſchon mehrmals geſagt iſt Staͤrke und Schwaͤche an ſich weder Tugend noch Laſter, weder Heiligkeit noch Spitzbuͤberey

T 3Dieſelbe150XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Dieſelbe Kraft kann wie derſelbe Reichthum zum Nutzen oder Schaden der menſch - lichen Geſellſchaft angewandt werden. Mit demſelben Reichthume kann einer ein Heiliger, oder ein Teufel werden. Wie mit dem Reichthum, oder willkuͤhrlicher und poſitifer Kraft ſo mit natuͤrlicher, angeborner Kraft. Wie von hundert Reichen neun und neunzig keine Heilige wer - den, ſo kaum Einer unter hundert Menſchen von entſchiedener Urkraft.

Wo alſo an einem Schaͤdel große Urkraft und Stoßkraft bemerkt wird, da kann man freylich nicht ſagen: das iſt ein Spitzbube! aber man kann ſagen hier war Ueberfluß von Stoßkraft, ohne einſchraͤnkende coexiſtirende Beſaͤnftigungen; es iſt alſo die hoͤchſte Wahr - ſcheinlichkeit der hatte Eroberungsgeiſt war entweder ein General und Eroberer, ein Caͤ - ſar, oder ein Spitzbube, ein Cartouche unter ſolchen und ſolchen Umſtaͤnden hat er ver - muthlich ſo gehandelt er wuͤrde unter andern Umſtaͤnden ſo, allemal aber heftig, ſtuͤrmiſch, im - mer als Herrſcher, Eroberer gehandelt haben.

So laͤßt ſich von gewiſſen bloßen Schaͤdeln ſagen: der ganze Bau, die Form, das Zarte, das Pergamentaͤhnliche zeigt klar Schwaͤche zeigt bloß Empfaͤnglichkeit ohne Stoßkraft, Schoͤpfungskraft Jn ſolchen Umſtaͤnden alſo haͤtten dieſe Menſchen ſchwach gehandelt. Sie haͤtten natuͤrlicherweiſe dieſer oder jener Verſuchung nicht widerſtanden, ſie haͤt - ten nicht Muth genug gehabt, dieſes oder jenes zu unternehmen. Jn der großen Welt waͤren ſie Dirnen auf einem kleinen Edelhofe verliebt, in einem Kloſter ſchwaͤrmeriſche Heilige ge - worden.

O dieſelbe Kraft, dieſelbe Empfindlichkeit, dieſelbe Empfaͤnglichkeit wie ungleich kann ſie wuͤrken? wie ungleich empfinden? wie ungleich empfangen?

Und eben hieraus laͤßt ſich die Moͤglichkeit von Praͤdeſtination und Freyheit, in Einem und demſelben Subjekte zum Theil begreifen.

Man fuͤhre den gemeinſten Menſchen zu einem Beinhaus, und mache ihn einigermaßen auf die Verſchiedenheit der Schaͤdel aufmerkſam ... Jn kurzer Zeit wird er’s entweder ſelber finden, oder doch begreifen, wenn man es ihm ſagt: hier iſt Schwaͤche dort Staͤrke! hier Eigenſinn dort Wankelmuth!

Caͤſars151XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Caͤſars bloßer Schaͤdel Michelanges bloßer Schaͤdel (wir werden noch von bey - den beſonders ſprechen) welcher Menſch wird bloͤde genug ſeyn, nicht zu ſehen, daß vordrin - gende Staͤrke, Felſenſinn ihr eigenthuͤmlicher Charakter iſt? und daß ſich von beyden mehr Ein - wuͤrkung, daurende Wuͤrkung in der Welt erwarten ließ, als zum Exempel von einem ſo kahlen, flachrunden Kopfe, wie der nachſtehende iſt?

[figure]

Der Schaͤdel von Carln dem zwoͤlften wie charakteriſtiſch an ſich! und wie charakte - riſtiſch verſchieden von dem ſeines Biographen Voltaͤre? Man vergleiche Judas Jſchariots Schaͤdel mit dem Chriſtus von Holbein im erſten Bande und frage alles Fleiſch weggerechnet welches152XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. welches iſt unter dieſen beyden der boshafte Verraͤther oder der unſchuldig Verrathene? wer - det Jhr lang anſtehen? Jch zweifle.

Freylich unter zween beſtimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verſchiedenheit ſo auffal - lend iſt und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei - ligen taxirt wird iſt die Entſcheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, ſoll darum noch nicht ſagen: er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterſcheiden.

Jch verſpar es auf den letzten Theil dieſes Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen und dann urtheilen zu laſſen; itzt nur einige wenige

Und zum Beſchluſſe dieſes Kapitels wer weiß nicht die Anekdote aus der per - ſiſchen Geſchichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ - del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perſer habe unterſcheiden koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben daſſelbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte ſagen hoͤren. Es beweiſt dieſes wenigſtens, man gebe zu: daß man noch an bloßen Schaͤdeln Unterſchied der Lebensart und Staͤrke Unterſchied der Nationen ſehen koͤnne.

V. Erſte Tafel. Derſelbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte.

Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefſinn beſaß Kein Trotzkopf! kein Weichling! aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geſchwaͤtzig! beynah alles dieſes druͤckt ſich mit ungleicher Beſtimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus.

Die Lage des obern iſt die natuͤrliche horizontale, ohn alle Unterſtuͤtzung. Man denke ſich die Geſtalt in beſtimmte Winkel, und uͤbe ſich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird ſicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.

Die
[figure]
153XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma - gination als Forſchſinn der ziemlich tiefe Winkel bey der Naſenwurzel Verſtand die Naſenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Naſe; machen in ihrer Rich - tung mit der Stirn uͤberhaupt einen ſehr ſtumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel. Auch die Erhebung der Naſentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an. Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, iſt ſtark genug; beſonders merklich der hintere Winkel deſſelben und der aufſteigende Theil der zween Fortſaͤtze. Ohne die Anmaßung, den Ausdruck von dieſem allen zu beſtimmen glaub ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Feſtig - keit darinne wahrzunehmen. Dieſer zeigt ſich auch beſonders in dem unten kleiner gezeichneten Profile, welches nach der geraden Lage des menſchlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich - net iſt. Vordringende, harte, eiſerne Feſtigkeit iſt’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al - les iſt mittelmaͤßig. Phyſiologiſche Kraft mehr, als Energie der innern Geiſteskraft. Nicht herkuliſche! geſunde Kraft dieß zeigen beſonders die Vollſtaͤndigkeit, die Feſtigkeit und Lage der Zaͤhne! die Lage die Vorgewoͤlbtheit derſelben gewiß nicht herkuliſche Kraft! aber wi - tzige Geſchwaͤtzigkeit? wenigſtens auf mich macht ſie dieſen Eindruck.

Die Kleinheit des Kinns (das freylich ſich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur am meiſten mit Fleiſch bekleidet iſt, am meiſten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig vordringende, ganz maͤnnliche Kraft.

Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifſinn viel weiter, als von weiblicher Weichlichkeit entfernt.

Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin - gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verſtand des obern.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. UBemerkt154XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Bemerkt den Elephantenſchaͤdel Stirnen von dieſem Umriſſe nicht zwar ſcharfe, tiefe Denker aber heller, vielfaſſender, gedaͤchtnißreicher, offner, witziger Koͤpfe.

[figure]

Nachſtehender Kopf eines vortrefflichen Mannes hat etwas, das ſich dieſer Linie naͤhert; aber wie viel gedraͤngter, feſter, gebogner und um ſo viel mehr Ausdruck tief -ſehender,

[figure]

155XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. ſehender, uͤberlegender Urtheilskraft! Von den uͤbrigen Trefflichkeiten iſt hier nicht der Ort zu reden.

[figure]

VI. Zweyte Tafel A. Vier Schaͤdel.

Nicht genug kann’s geſagt werden, wie ſehr es zur Befoͤrderung der phyſiognomiſchen Kenntniſſe gereichen wuͤrde, Menſchenſchaͤdel mehr zu ſtudieren.

U 2Ein156XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Ein kuͤnftiger beobachtender Zergliederer wird einige Quartanten liefern und die Nachwelt in Erſtaunen ſetzen!

Ohne zu unterſuchen, ob die Bemerkung eines großen und kaltbluͤtigen Zergliederers ihre Richtigkeit habe: daß unter zwanzig, dreyßig Enthaupteten, mithin Uebelthaͤtern, beynahe alle ſo ganz beſondere Charakter gehabt, die er an vielen hundert andern Zergliederten nie wahrgenom - men Jch zeige meinen Mann an, wenn man an der Richtigkeit meiner Ausſage zweifeln will; ohne dieß zu unterſuchen denn wie tief griffe die Unterſuchung! denn die Uebel - thaͤter, von wie ungleicher Art ſind ſie! ohne dieß hier zu unterſuchen, wollen wir hier einige ziemlich genau nach der Natur gezeichnete Schaͤdel beobachten.

1.) Jſt von einem unbekannten Menſchen dieſe Perpendikularitaͤt des Profils im Ganzen genommen (verglichen wenigſtens mit 2.) iſt mir ſicherer Ausdruck von Duͤrftigkeit an Witz und zarter Empfindung und wahrſcheinlicher Ausdruck von Steifſinn.

Der unebne Umriß des Obertheils der Hirnſchale beſtaͤtigt mir’s und zeigt mir ziem - lich zuverlaͤſſig Starrſinn.

Das Naſenbein iſt Ausdruck feſten Verſtandes. So auch das vorſtehende Kinn. Wenn ich der Zeichnung vollkommen trauen duͤrfte, wollt ich faſt fragen, ob nicht an dieſem Kopfe, der hoͤchſt vermuthlich auch von einem Hingerichteten iſt, Beſonderheiten zu merken waͤren, welche die obige kaum glaubliche Anmerkung beſtaͤtigten?

2.) Wie auſſerordentlich verſchieden von 1. Anlage zu einer langen gebogenen Naſe wie ſtarke Schleimhoͤhlen der zuruͤckſtehenden Stirn! welche Laͤnge und Grobheit des Untertheils des Geſichtes! wie viel weniger Feines, Gedraͤngtes, Verſchloſſenes! wie viel mehr rohes, gro - bes, laffiges, kaltes, nnempfindliches Weſen!

3.) Schaͤdel von einem hingerichteten alten Manne, der ſich durch nichts ſo ſehr, als durch die Protuberanzen am Obertheile des Jochbeins, wo es an den untern Theil des Stirnbeins ſtoͤßt, beym Kreiſe des Auges und durch das eckigte Kinn auszeichnet. Die Stirn iſt gemein.

4.) Der Schaͤdel eines hingerichteten alten Mannes hat eine auſſerordentliche dicke Hirn - ſchale. Der Umriß der Stirn iſt vortrefflich. Die Augen muͤſſen ſehr tief gelegen haben. DieStirnen157XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. Stirnen dieſes Umriſſes haben gemeiniglich tiefe Augen. Tiefe Augen bey ſolchen Stirnen ſind immer vorzuͤglich geſcheuter, tiefblickender Leute. Haben was feſtes, treffendes, und daher meiſtens den Namen ſchlaue, arge Augen Nicht, daß ſie’s immer ſeyen, oder ſeyn muͤſſen nein! aber dieſelbe große Scharfſichtigkeit kann, wie große Kraft, oder großer Reichthum, mißbraucht werden wird groͤßtentheils mißbraucht.

Der gerade Fortgang der Naſenbeine zeigt Feſtigkeit, Entſchloſſenheit, ſchnelle That.

Noch zeichnet ſich der Unterkiefer durch Niedrigkeit, wie die beyden obern, beſonders der zweyte, durch Hoͤhe aus.

Dieſer Schaͤdel iſt feiner, als alle drey uͤbrigen. Geſetzt, Rohigkeit waͤr ein Grund des Verbrechens bey den uͤbrigen; ſo duͤrfte es bey dieſem Weichlichkeit, Muͤßiggang mit feiner Erfindſamkeit des Verſtandes verbunden geweſen ſeyn.

Die unreine Quelle, woraus Uebelthaten ſprudeln, iſt ſo verſchieden iſt ſelbſt bey man - chem ehrlichen Manne auch da!

Dank’s der Fuͤrſehung, bete an und ſey nicht ſtolz, wenn du ſteheſt. Keiner muß ein Boͤſewicht durch ſeine Anlage werden; aber alle koͤnnen’s!

Noch Ein Wort zur Abwendung laͤcherlichen Mißverſtandes: die Uebelthat kann nicht ſtehenden Fußes ſich dem Schaͤdel einpraͤgen ſo wenig ſo und ſo ein Schaͤdel gerade dieſe oder jene Uebelthat begehen muß.

VII. Vom Unterſchiede der Schaͤdel in Anſehung des Geſchlechtes, und beſonders der Nationen.

Von dem Unterſchiede der Knochen in Anſehung des Geſchlechts und der Verſchieden - heit der Nationen hat oben angefuͤhrter Herr von Fiſcher mir trefflich vorgearbeitet. Jch liefere hier groͤßtentheils Auszug aus ſeiner Abhandlung.

Die Betrachtung und Vergleichung der aͤuſſern und innern Beſchaffenheit des Koͤrpers bey dem maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechte lehret uns, daß jenes zur Arbeitſamkeit und Staͤrke,U 3dieſes158XIV. Fragment. Unterſchied der Schaͤdeldieſes zur Schoͤnheit und Fortpflanzung beſtimmt ſey. Offenbar zeigen ſich die Merkmale der Mannhaftigkeit und Staͤrke von jenem beſonders auch in den Knochen, und in ſo fern ſich das Staͤrkere, Ausgezeichnetere leichter beſchreiben laͤßt, als das weniger Ausgezeichnete, Schwaͤchere, ſind auch die maͤnnlichen Skelete und Schaͤdel leichter zu bezeichnen.

Das maͤnnliche Knochengebaͤude uͤberhaupt, der Schaͤdel beſonders, iſt offenbar ſtaͤrker gebaut, als das weibliche; der maͤnnliche Leib nimmt aufwaͤrts von der Huͤfte bis zur Schulter an Breite und Dicke zu. Daher die breiten Schultern, und das vierſchroͤtige Anſehen des Star - ken, da hingegen das weibliche Skelet von jener Stelle an allgemach duͤnner und ſchmaͤchtiger und nach oben, wie zugerundet, erſcheint.

Selbſt einzelne Knochen ſind beym weiblichen Geſchlechte viel zarter, glatter, ebener, mehr zugerundet, haben weniger ſcharfe Raͤnder, Graͤthen, und hervorſtehende Ecken.

Zum Unterſchiede der Schaͤdel in Anſehung des Geſchlechtes gehoͤrt noch die Anmerkung des Santorinus: die Hoͤhle des Mundes, des Gaumens, wie uͤberhaupt der Theile, welche den Ton bilden, ſind beym weiblichen Geſchlechte kleinlicher damit ſtimmt das ſchmalere und rundere Kinn, folglich der untere Theil der Mundhoͤhle, uͤberein.

Bloß die einzige Beobachtung von der Runde und Eckigtheit der Schaͤdel kann als ein großes, feſtes Fundament der Phyſiognomik uͤberhaupt, und als eine Quelle unzaͤhliger beſonderer Beurtheilungen benutzt werden. Das ganze Werk iſt voll von Beyſpielen und Beweiſen davon.

Es iſt kein Menſch dem andern, weder im aͤuſſern noch innern Bau ſeiner Theile, ſie moͤ - gen groß oder klein ſeyn vollkommen gleich auch nicht in ſeinem Knochengebaͤude. Dieſer Unterſchied hat nicht nur zwiſchen verſchiedenen Nationen, ſondern ſelbſt unter den naͤchſten Bluts - verwandten Statt. Aber er iſt bey dieſen und unter derſelben Nation nicht ſo groß, als unter Nationen, die ſehr entfernt von einander, und auf eine ganz verſchiedene Weiſe leben. Je mehr, und je vertrauter die Menſchen mit einander umgehen, deſto naͤher kommen ſie ſich, wie in der Sprache, der Lebensart, den Sitten, ſo in der Bildung der Theile ihres Koͤrpers, in ſo fern dieſe aͤuſſern zufaͤlligen Urſachen unterworfen iſt. So gleichen ſich gewiſſermaßen uͤber - haupt Nationen, die durch Kaufmannſchaft und Gewerbe mit einander verbunden ſind, indem ſie durch die Macht des Clima, der Nachahmung und der Gewohnheit, die ſo ſehr auf die Beſchaf -fenheit

[figure]

159in Anſehung des Geſchlechtes, und beſonders der Nationen. fenheit des Koͤrpers und der Seele das iſt, der ſichtbaren und unſichtbaren Kraͤfte des Men - ſchen, wuͤrkt, zu einander gebildet werden, ungeachtet der Nationalcharakter von jeglicher derſelbe bleibt, der freylich groͤßtentheils eher bemerkt, als beſchrieben werden kann.

Feinere Unterſchiede derſelben Knochen beyſeite geſetzt, wird es genug ſeyn, einige Bey - ſpiele ſehr von einander entfernter Nationen anzufuͤhren. Zwar zeigen ſich dergleichen in Abſicht auf die Staͤrke, die Feſtigkeit, die Bauart, das Verhaͤltniß der Theile, in allen Theilen der Skelete verſchiedener Voͤlker, am allermeiſten aber doch in der Geſtaltung des Geſichtes, das uͤberall den Aus - druck der beſondern Art und Natur der Seele an ſich hat.

VIII. Dritte Tafel. B. Drey Schaͤdel, eines Hollaͤnders, Calmucken, Mohren.

Man betrachte die Geſtalt der drey verſchiedenen Todtenſchaͤdel, die hier vorgelegt werden.

Der erſte iſt eines Hollaͤnders, der zweyte eines Calmucken, der dritte eines Ae - thiopiers.

Das Geſicht des erſten iſt uͤberhaupt runder nach allen Richtungen; die Hirnſchalenkno - chen ſind breiter, uͤberall gleichfoͤrmiger umgebogen, gewoͤlbt; auf beyden Seiten weniger platt gedruͤckt, dem Anſehen nach glatter, voller, und zarter, als der andern beyden.

Der Calmuckenſchaͤdel hat ein groͤberes, rauheres Anſehen; iſt oben etwas platter, auf den Seiten weit hervorſtehend, zugleich feſt, und wie zuſammengepreßt; das Geſicht breit und flach. (Man vergleiche es mit den vorherſtehenden Schaͤdeln) Die Hervorragungen uͤber der eingebognen Naſe geben der Stirn ein wildes und unfeines Weſen.

Der Schaͤdel des Aethiopiers geht ſteil und ſtark in die Hoͤhe, wird ploͤtzlich ſchmal; uͤber den Augen zugeſchaͤrft, unter denſelben ſtark hervorragend; von hinten hoch kugelfoͤrmig.

Das Stirnbein des Hollaͤnders neiget ſich ſanft zu ſeinem rundlichen Geſichte herab; iſt uͤber den Augen, in der Gegend der Schleimhoͤhlen, wo die Augenbraunen liegen, ein wenig erhaben, welche Erhoͤhung zum Theil ſich uͤber die Augenhoͤhlen hinzieht und verliert. Ueberder160XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. der Naſe etwas hervorſtehend gewoͤlbt, biegt es ſich ſanft und gerundet zu dem Fortſatze des Oberkiefers und der Naſenbeine, mit denen es feſt zuſammengefuͤgt iſt herab. Die Sei - tenbeine des Schaͤdels ziehen ſich rund und gleich gewoͤlbt hinterwaͤrts auf die Seiten, helfen die Geſtalt einer Kugel bilden, und ſtehen nicht weit vor den Schlaͤfen heraus. Die Jochbeine, die die Seitengegend unter den Augen ausmachen, ſind nicht ſehr flach, und neigen ſich abwaͤrts gegen den Oberkiefer. Dieſer ragt wenig hervor, hat unten einen beynahe halbmondfoͤrmigen Rand, worinnen die Zaͤhne faſt ſenkrecht ſtehen, und biegt ſich ſeitwaͤrts gegen die Fortſaͤtze des Kinnbeines herum.

Das Stirnbein unterſcheidet des Calmucken Schaͤdel beſonders von des Europaͤers ſeinem. Wie platt 2. in der Mitte! gegen die Schlaͤfe ſtark einwaͤrts gebogen; die Stirne flach, aber laͤngſt den Augenhoͤhlen ſehr auswaͤrts erhoben und hoͤckricht. Ein Zeichen der innlie - genden großen Schleimhoͤhlen. Jſt ſonſt uͤber der Augenhoͤhle nicht ſehr hervorſtehend, und zieht ſich mit ſeinem rundlichen, ſehr dicken Rande gegen den aͤuſſern Augenwinkel herab. Zwiſchen den Augenbraunen ſehr aufgeſchwollen, ſteigt es tief zwiſchen die Augen herunter, und macht da einen merklichen breiten Hoͤcker, mit welchem die ſchmalen, ziemlich ſcharfen und gleichſam nieder - gedruͤckten Naſenbeine und die Fortſaͤtze des Oberkiefers unter einem ziemlichen Winkel verbun - den werden. Der Oberkiefer hat einen weitlaͤuftigen Rand, ſteht auf beyden Seiten weit her - aus; unter der Naſenoͤffnung und den Augen ſteil heruntergehend, ohne innliegende weite Schleimhoͤhlen. Die Stelle fuͤr die Zaͤhne geraͤumig, aber vornen in der Gegend der Schneide - und Hundszaͤhne auſſerordentlich platt, ſo daß die Zaͤhne ſchief vorwaͤrts ragen.

Je flacher und niedriger des Calmucken 2.) Stirn war, deſto hoͤher und ſchaͤrfer iſt des Aethiopiers 3.) ſeine, beſonders an dem Orte, wo ſonſt die Nath war, und oben. Gegen ihre Hoͤhe iſt ſie ziemlich ſchmal, ragt zwiſchen den Augenbraunen nicht ſonderlich hervor, ſondern kruͤmmt ſich ſogleich gegen die Naſenbeine herab.

Die Backen ſind nicht breit, ſondern wie zuſammengezogen, und wegen der niedern Lage der Jochbeine wenig auswaͤrts erhoͤhet. Von hinten bemerkt man, daß der Grund der Hirnſchale ſehr tief liegt.

Auch161XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Auch iſt die beſondere Enge der Augenhoͤhlen an dieſem Schaͤdel merkwuͤrdig und zeichnet ihn vor dem Schaͤdel des Calmucken und Europaͤers ungemein aus.

Seltſam, daß unſer Verfaſſer des Unterkiefers nicht gedenket.

Der iſt z. E. beym Calmucken durch die ungeheure Staͤrke, das flache viereckigte Kinn, die ſtarken Winkel u. ſ. f. ausgezeichnet. Haben nicht die Augenhoͤhlen beſonders beym Mohren eine ſchiefere Lage, als beym Europaͤer?

Noch bemerke und vergleiche man beſonders den Umriß des Hinterhauptes bey allen dreyen .. wie viel herausgewoͤlbter, kugelfoͤrmiger der Europaͤer, als der Mohr?

Freylich auf dieſe Copien von Copien laͤßt ſich nicht ganz ſicher fußen Des Cal - mucken Schaͤdel iſt, mit dem Originale verglichen, wornach unſere Tafel copiert iſt, zu ſchmal, nicht platt, nicht ſtark genug. Auch das Eigne uͤber und unter der Naſe iſt nicht beſtimmt genug ausgedruͤckt. Der Europaͤer iſt nicht rund genug. Der Mohrenkopf nicht ſchmal genug. Der eigne Charakter des Unterkiefers bey allen nicht genug in Acht genommen. Jnzwiſchen hoff ich doch bey aller Unvollkommenheit des Abriſſes dadurch wenigſtens einige Veranlaſſung zu ei - gentlichern genauern Beobachtungen der Schaͤdel gegeben zu haben.

IX. Noch einige Anmerkungen uͤber den Bau und die Geſtaltung der Schaͤdel.

Die Hirnſchale, ſo hart ſie iſt, iſt anfangs und lange ſo weich, ſo bildſam, daß Furchen, Rinnen, Unebenheiten innwendig an der Hirnſchale, von dem beſtaͤndigen Drucke des Blutes, der Adern, ſelbſt des Gehirns gegen dieſelbe entſtehen.

Die Aushoͤhlung der Hirnſchale richtet ſich, wie man deutlich bemerken kann, nach der darinn enthaltenen Maſſe des großen und kleinen Gehirns, und deſſen Zunahme durch alle Stufen des Alters hindurch, ſo daß die aͤuſſere Geſtalt dieſes Eingeweides an der innern Flaͤche der Hirnſchale vollkommen ausgedruͤckt erſcheint; und wer zweifelt, daß eben ſo wohl auch der Umriß ihrer aͤuſſern Flaͤche dadurch beſtimmt wird?

Phyſ. Fragm. II Verſuch. XDie162XIV. Fragment. Bau und Geſtaltung der Schaͤdel.

Die zitzenfoͤrmigen Fortſaͤtze der Schlafbeine, die hinter dem Gehoͤrgange liegen, ſind in der zarten Kindheit noch nicht vorhanden, werden bey zunehmendem Alter groͤßer und dicker; ſind bey Weibsperſonen kleiner, zugerundet, und glatt, desgleichen bey Leuten, die eine ſitzende Lebensart fuͤhren; bey Bauern hingegen, bey Laſttraͤgern und andern, die ſich immer mit har - ten und ſchweren Arbeiten abgeben, ſehr groß, rauh und ſchief vor - und unterwaͤrts gerichtet, nach der Richtung der Muskeln, die daran befeſtigt ſind.

Eben ſo werden von der verſchiedenen Wuͤrkſamkeit der Muskeln, und anderer nahe gelegener Theile allerhand Zeichnungen und Eindruͤcke in den Knochen gemacht. Beſonders zei - gen ſich im Geſichte des Schaͤdels deutliche Spuren voriger Lebensart.

Widernatuͤrliche Geſchwulſten in der Naͤhe der Knochen veraͤndern durch ihren anhal - tenden Druck derſelben Geſtalt. Eine Pulsadergeſchwulſt in der Bruſt bey einem erwachſe - nen Menſchen hat ſogar das Bruſtbein durchbohret, und um die große Oeffnung her Gruben und Hoͤhlen gebildet, die der Geſtalt der Geſchwulſt entſprachen. Das Praͤparat davon ſoll im Petersburgiſchen anatomiſchen Kabinete aufbehalten ſeyn. Vom Auſſerordentlichen laͤßt ſich hier auf das, was alle Tage geſchieht, und nothwendig geſchehen muß, ſchließen. Gutta cavat lapidem.

Die Beobachtung iſt fuͤr die Phyſiognomik wichtig. Wir werden ſie mehrmals zu be - nutzen ſuchen.

Der Herr von Fiſcher iſt der Meynung, daß man wenigſtens einfachere, oder den ſehr ſtarken Charakter aus bloßen Schaͤdeln erkennen koͤnne, naͤher beſtimmt er die Anlage, die Maße des Charakters aus der ganzen Form, Haͤrte, Proportion die zufaͤllige naͤhere Ausbil - dung und Beſtimmung deſſelben aus den verſchiedenen Eindruͤcken, die die Geſichtsmuskeln darinn zuruͤck gelaſſen haben. Daher die große Verſchiedenheit dieſer Knochen, wie die Ver - ſchiedenheit der Sprachen, der Mundarten.

Das Reſultat von dieſem allem iſt: das Knochenſyſtem iſt immer Fundament der Phy - ſiognomik, man mag daſſelbe bloß als beſtimmend in Anſehung der weichern Theile, oder bloß als beſtimmt durch die weichern Theile, oder als beſtimmend und beſtimmt zugleich anſe -hen.163XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln. hen. Praͤgend oder gepraͤgt immer feſter, beſtimmter, dauerhafter, merkbarer; praͤgend und gepraͤgt immer Charakter des Feſtern, Dauerhaftern im Menſchen.

X. Von Kinderſchaͤdeln.

Man wird einen auf das Papier ohne alle andere Verbindung hingezeichneten Kinder - kopf oder Kinderſchaͤdel ſogleich erkennen, und ſchwerlich jemals mit dem Kopfe eines Erwach - ſenen verwechſeln. Nur muͤſſen dann die Mahler nicht ſo unbegreiflich fluͤchtig uͤber das Eigen - thuͤmliche deſſelben hinhuͤpfen, und das Beſondere ſo ſehr verallgemeinen der ewige Fehler der Mahler und ſo vieler anmaßlicher Phyſiognomiſten.

Es giebt alſo gewiſſe beſtaͤndige, bey aller individuellen Mannichfaltigkeit beſtaͤndige Kenn - zeichen eines Kinderkopfes dieſe ſcheinen mehr in der Zuſammenſetzung, und in der Form des Ganzen, als der einzelnen Theile zu liegen.

Es iſt bekannt, daß der Kopf im Verhaͤltniſſe mit dem uͤbrigen Koͤrper deſto groͤßer iſt, je naͤher der Menſch ſeinem Urſprunge iſt; ſo, duͤnkt mich, iſt auch derjenige Theil des Schaͤdels, der das Gehirn beherbergt, groͤßer, als der uͤbrige Theil, der das Geſicht und die Kiefer bildet, wenn ich die Schaͤdel eines Embryo, eines Kindes, und eines Erwachſenen mit einander ver - gleiche. Daher, glaub ich, kommt es, daß die Stirn, beſonders der Obertheil derſelben, bey Kin - dern meiſtens ſo ſtark hervorſticht. Die Knochen des Ober - und Unterkiefers, mit den darinn ſteckenden Zaͤhnen, werden ſpaͤter entwickelt, und gelangen langſamer zu ihrer voͤlligen Ausbil - dung. Der untere Theil des Kopfes uͤberhaupt nimmt bis zum Ziel des Wachsthums in ſeinem Umfange verhaͤltnißmaͤßig ſtaͤrker zu, als der obere. Verſchiedene Fortſaͤtze, wie die zitzenfoͤrmi - gen, (proceſſus mamillares) die hinter und unter den Ohren liegen, u. ſ. f. bilden ſich erſt nach der Geburt. Die verſchiedenen in dieſen Knochen verborgenen Schleimhoͤhlen groͤßtentheils auch. Die vielfoͤrmige Geſtalt dieſer Knochen, mit ihren verſchiedenen Ecken, Raͤndern, Anſaͤtzen u. ſ. f. die vielen daran befeſtigten und beſtaͤndig wuͤrkſamen Muskeln machen eine ſtaͤrkere Zunahme und Veraͤnderung derſelben moͤglicher und leichter, als es bey dem zugerundeten beinernen Gehaͤuſe des Gehirns ſeyn kann, wenn es einmal durch die Naͤthe ganz zugeſchloſſen iſt.

X 2Dieſe164XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln.

Dieſe vorausgeſetzte ungleiche Zunahme der beyden Haupttheile des Schaͤdels (denn von einzelnen Theilen und Knochen kann ich itzt nichts beſtimmtes ſagen) muß nothwendig einen großen Unterſchied im Ganzen hervorbringen, ohne der dickern Raͤnder, Graͤthen, ſchaͤrfern Ecken, ein - zelner Hoͤcker und dergleichen, die groͤßtentheils von der Wuͤrkung der Muskeln herkommen koͤn - nen, dabey zu gedenken.

Dem zufolge wuͤrde das Geſicht unter der Stirne zum Theil mehr vorwaͤrts geſchoben, und da zugleich die Seitentheile, naͤmlich die Schlafbeine, die auch ſpaͤter ganz ausgebildet werden, ſich immer mehr von einander entfernen, ſo verliert der Schaͤdel nach und nach von der birnen - foͤrmigen Geſtalt, die er mir bey der zarten Frucht zu haben ſcheint. Die Veraͤnderung des Un - terkiefers iſt hiebey beſonders merkwuͤrdig. Jch will die Worte eines Anatomikers, Kerkrings anfuͤhren: Der Unterkiefer faͤngt ſchon im zweyten Monat an, knoͤchern zu werden. Seine Geſtalt aber iſt noch ſo ſonderbar, daß ich nicht weiß, womit ich dieſelbe vergleichen ſoll. Er beſteht naͤmlich aus zwey beinernen Stuͤcken, die ſich unter der Naſe in eine ſcharfe Spitze verei - nigen, welche ſo weit uͤber den Oberkiefer hervorragt, daß ſie nichts weniger als die kuͤnftige Ge - ſtalt eines menſchlichen Kinns verſpricht. Jndem aber der Kopf zunimmt, und ſich die Schlaf - beine, mit welchen der eine Fortſatz des Unterkiefers eingelenkt iſt, immer mehr und mehr von einander entfernen, ſo verſchwindet nach und nach dieſe ſpitzige Hervorragung, bis ſie endlich dem Oberkiefer faſt gleich eben wird u. ſ. w.

Ferner: Es zeigen ſich ſowohl am Ober-als Unterkiefer im ſiebenten, achten und neun - ten Monat gewiſſe Erhoͤhungen viel deutlicher, als bey Erwachſenen, dieſes ſind die Zellen und Behaͤltniſſe der Zaͤhne, die anfaͤnglich, bey der noch duͤnnern Schale des Knochens, ſtaͤrker her - vorragen, und nachgehends, wenn das Bein im uͤbrigen ſtaͤrker und dicker wird, von auſſen we - niger ſichtbar werden. Es iſt zu bemerken,*)S. Boehmeri Inſtitut. oſteolog. de dent. daß bey Kindern zwo Reihen von Zahnzellen in jedem Kiefer vorhanden ſind, die vordern und hintern. Jn den vordern ſtecken die ſogenann - ten Milchzaͤhne, die bis zum vierzehnten Jahre wieder ausfallen, und von denen in der zweyten Reihe erſetzt werden, da dann die vordern Zellen ganz verſchwinden Dieſer Umſtand machtwieder165XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln. wieder eine große Veraͤnderung der beyden Kiefer in Abſicht ihrer aͤuſſern Flaͤche nothwendig Der untere Kiefer beſteht bey Kindern noch aus zwey Stuͤcken, die in der Mitte des Kinns vereiniget werden, es haben alſo auch deswegen gewiſſe Veraͤnderungen deſſelben noch eher ſtatt. Und weil ich nun einmal vom Kiefer rede, was fuͤr eine Veraͤnderung geht mit demſelben noch im hohen Alter vor? wenn die Zaͤhne nach und nach ausgefallen ſind? Die Zahnhoͤhlen fallen zuſammen, und verſchwinden vollkommen. Der Rand wird breiter, haͤrter, der Knochen ver - liert aber vieles von ſeinem Voluͤme. Der Unterkiefer zahnloſer Leute hat oft eine ganz beſon - dere Form, wird kleiner, ſchmaler und oben einwaͤrts zugerundet. Lemery wirft bey Anlaß deſſen die Frage auf: Ob nicht alle Knochen, nachdem ſie naͤmlich das hoͤchſte Maaß ihrer Groͤße erreicht haben, mit dem Alter wieder von ihrem Voluͤme verlieren? Sie bekommen weniger Nahrung, ſie werden immer compackter, die Faſern und Blaͤttchen werden immer dichter auf ein - ander gepreßt, alle Zwiſchenraͤume werden kleiner ꝛc.

Sehr viel aͤuſſerlich bemerkbaren Unterſchied muͤſſen beſonders die auf beyden Seiten et - was herausſtehenden, mit langen Wurzeln verſehenen Hundszaͤhne, beſonders die obern, die ſonſt auch die Augenzaͤhne heißen, verurſachen, wenn ſie entſtehen, oder wenn ſie ausfallen, oder je nachdem ſie ſonſt ſtaͤrker oder ſchwaͤcher ſind; was dieſe zur Beſchaffenheit der Seitentheile des Mundes, der Lippen ꝛc. beytragen, iſt leicht zu ſehen.

Jch eile zu einem andern Unterſchied. Die Sinus frontales, die Schleimhoͤhlen der Stirne bilden ſich erſt nach der Geburt. Es mangelt alſo der Kinderſtirn natuͤrlicherweiſe die Erhoͤhung uͤber der Naſe, und bey dem Anfange der Augenbraunen; die Stirn verliert ſich ohne merklichen Bug in die Naſenwurzel.

Dieſen Umſtand findet man auch bey Erwachſenen mehr oder weniger, bey welchen entwe - der jene Hoͤhlen mangeln, oder ſehr klein ſind; denn es hat, was dieſe Hoͤhlen anbelangt, ſehr viel Verſchiedenheit bey verſchiedenen Subjekten ſtatt. (Siehe Winslow.)

Die Naſe veraͤndert ſich waͤhrend des Wachsthums ungemein, ich kann aber nicht be - ſtimmen, wie und was die Knochen zu dieſer Veraͤnderung beytragen, der Knorpel macht auſſer dem den groͤßern Theil derſelben aus. Zu allem dieſem gehoͤrt genaue Vergleichung vieler Schaͤdel und Koͤpfe von Kindern und Erwachſenen; noch beſſer, wenn man viele dergleichen mit eben dem -X 3ſelben166XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln. ſelben Kopfe in verſchiedenen Altern anſtellen koͤnnte Dieſes wird vermittelſt der Schattenum - riſſe moͤglich. Dem Menſchenbeobachter muͤſſen ſolche Reihen von Koͤpfen, durch alle Alter durch - gefuͤhrt, gewiß ſehr merkwuͤrdig ſeyn.

XI. Fortſetzung. Vier Kinderſchaͤdel. Vierte Tafel. C.

Was ich von Kinderſchaͤdeln uͤberhaupt habe anmerken koͤnnen, laͤßt ſich zum Theil auch an den vorliegenden 4. Abbildungen wahrnehmen.

1. und 2. ſind von einem Kinde von vierthalb Jahren. Der obere Theil des Schaͤdels iſt ſehr lang, von vornen nach hinten, eine ellyptiſche Figur oben ziemlich flach, die Stirn ſtark vorwaͤrts geneigt; noch mehr bey dem untern, eines Embryons von vier Monaten, wo die Stirn mit der Naſe einen rechten ſcharfen Winkel macht. Die Pfeilnath erſtreckt ſich noch bis zur Na - ſenwurzel herab. Das Stirnbein beſteht alſo noch aus zwey Stuͤcken. Es ſcheint aus der Erhoͤ - hung uͤber der Naſe in 1. und 2, daß ſich die Schleimhoͤhlen bereits zu bilden angefangen ha - ben; an den untern Schaͤdeln iſt noch kein Merkmal davon vorhanden; auch ſind noch keine Naͤthe da; die Zwiſchenraͤume der unvollkommenen Knochen ſind noch hier und dort mit Membranen aus - gefuͤllt. Ja nachdem die beyden Stuͤcke des Stirnbeins mit einander verwachſen, entſteht in der Gegend der Nath eine Art Rinne, oder auch eine Graͤthe. Ein Freund verſichert mir, eine ſolche bey einem jaͤhrigen, ungemein ſtarken und muntern Kinde geſehen zu haben, die ſehr ſcharf war, wo die beyden Stuͤcken wie in Einem Winkel vereint waren. Vieles mag dabey von aͤuſſer - lichen Urſachen abhaͤngen, z. B. von Umſtaͤnden bey der Geburt, von der Behandlung der Kinder nach derſelben. Man weiß, daß es Nationen giebt, die ihren Kindern den Kopf ſpitzig, an - dere, die ihn platt druͤcken, bis auf einen gewiſſen Grad mag es angehen, mit welchem Erfolge, weiß ich nicht zu ſagen. Uebrigens ſollen jenes die Chineſer, und dieſes die Kanadenſer thun.

Unten entſteht die Scheidewand zwiſchen den Schleimhoͤhlen und oft an derſelben Stelle bald eine kleine Vertiefung, bald eine Erhoͤhung. Die Augenhoͤhlen ſind ſehr weit, und ihr Rand,beſon -

[figure]

[figure]

167XIV. Fragment. Von Kinderſchaͤdeln. beſonders gegen und uͤber der Naſe, noch nicht ausgebildet. Die Naſenbeine ſind bey ihrer Vereinigung ungemein ſcharf; der Kiefer unvollkommen. Noch fehlen die Backenzaͤhne. Die Zahnzellen ſind ſtark hervorragend; beſonders merklich ſind die bey der erſten Figur noch im Un - terkiefer verborgenen Zaͤhne der einen Seite. An den Joch - und Schlafbeinen, und ihren Fort - ſaͤtzen, auch am Unterkiefer iſt wenig Feſtigkeit und Staͤrke. Die zitzenfoͤrmigen Fortſaͤtze feh - len. Das Kinn iſt ſehr ſpitzig und ſtark zuruͤckſtehend. Bey der Vereinigung der zwey Haupt - ſtuͤcke des Unterkiefers entſteht ſonſt bey einigen untenher das Gruͤbchen im Kinne, welches, wenn ich nicht irre, oͤfters dem weiblichen Geſchlechte mangelt; weil daſſelbe groͤßtentheils ein runderes Kinn hat.

Sonderbar ſcheint mir in der zweyten obern Figur der bogenfoͤrmige Umriß von der Na - ſenhoͤhle bis zur Kinnſpitze. Jch vermuthe, dieſer Kopf, wenn er ausgewachſen waͤre, haͤtte ein verſtaͤndiges, geſchwaͤtziges Weibchen gegeben.

Von den zwo untern Abbildungen, die von 5. und 4. monatlichen Kindern ſind, weiß ich, auſſer der merklichen Unvollkommenheit aller Knochen, beſonders der Schlafbeine und der beyden Kiefer, weiter nichts mehr zu ſagen. Wie ſchwach iſt da noch der Unterkiefer?

Die Natur eilt in ihrer Ausbildung nach Maaßgabe der Beduͤrfniſſe; das iſt alles, was ich daraus ſehe.

XIII. Von einigen andern Arten, die Schaͤdel zu beobachten. Fuͤnfte Tafel. E. Ein Stuͤck von einem Schaͤdel aufm Ruͤcken liegend.

Zur Erweiterung und naͤherer Beſtimmung phyſiognomiſcher Kenntniſſe bemerke man die menſchlichen Schaͤdel in allerley Lagen, und beſonders auch in derjenigen, die wir auf der Ta - fel E dem Leſer vorlegen. Man bemerke zuvoͤrderſt

Die168XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

Die Form, Groͤße, das Verhaͤltniß des Ganzen die naͤhere oder weitere Approxima - tion zum Oval das Verhaͤltniß der Hoͤhe und Breite uͤberhaupt Der Schaͤdel, den wir vor uns haben, gehoͤrt, in dieſer Lage, zu den laͤnglichten; und von vornher zu betrachten, ver - muthlich zu den kurzen. Der Raum von aa bis ccc, oder der Kronnath iſt groß; deſto ge - ringer der Raum von ccc bis eee.

Man bemerke zweytens den Bogen baab, der von ſo aͤuſſerſter und ſo leicht beſtimm - barer Bedeutung iſt.

Jn unſerm Schaͤdel iſt dieſer Bogen beſonders bey aa ſehr gemein, wenigſtens in der Zeichnung. Reiner gewoͤlbt, oder beſtimmter gebogen wie viel mehr wuͤrd er Charakter ha - ben die folgende Tafel wird’s zeigen.

Man bemerke drittens die 3. Suturen, ihre Beugung uͤberhaupt, nnd die kleinere Figuration beſonders. Jch will noch nichts daruͤber ſagen, weil ich noch nicht genug beob - achtet habe; aber ich weiß, daß Beobachtungen hieruͤber zu phyſiognomiſchen Entdeckungen fuͤh - ren werden.

Der Schaͤdel, den wir vor uns haben, hat in der Gegend des erſten C eine ſeltene Be - ſonderheit. Man ſage nicht, daß ich hieraus das mindeſte wahrſagen wolle durchaus nicht. Jch will nur die Aufmerkſamkeit des Beobachters drauf lenken; nur immer dran erin - nern Schaut die Natur an! vergleicht! ſammelt Beobachtungen! reihet ſie! pruͤft Geiſtes und Koͤrpers Charakter zugleich Jhr werdet immer was finden; vielleicht nicht das, was ihr ſuchtet; vielleicht gerade das Gegentheil aber finden werdet ihr immer Wichtigkei - ten! neue Verhaͤltniſſe; neue Gepraͤge der Weisheit, Ordnung, Guͤte allenthalben in jedem Punkte der Menſchheit Fußſtapfen der Erde tragenden und Himmel woͤlbenden Gottheit.

Man bemerke viertens die Beugung ober Kruͤmmung der Graͤnzlinie b. f. g. f. b.

Beſonders endlich die Hoͤhlung, Plattheit oder Woͤlbung bey g .... oder dem Hin - terhauptbeine. Naͤhere oder beſtimmtere Beobachtungen hieruͤber ſeyn dem letzten Theile vorbe - halten.

XV. Stir -
[figure]
[figure]
169XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

XIV. Stirnen. Sechste Tafel.

Jtzt noch ein Wort von den 3. Umriſſen von Stirnen, von obenherab anzuſehen.

Entſcheidender, deucht mir, kann die Natur nicht ſprechen, durch den bloßen Schaͤdel, durch einen bloßen Theil oder Abſchnitt von Schaͤdel ſprechen, als hier geſchieht.

Wer hier nicht wenigſtens Winke zu neuen Entdeckungen merkt der was? ... kann ein ganz lieber, guter, brauchbarer Menſch und Menſchenfreund ſeyn; aber Phyſiogno - miſt? Muß denn alles Phyſiognomiſt ſeyn?

Der erſte Umriß von einem gemeinen Menſchen der zweyte von einem ſehr verſtaͤndi - gen der dritte nach einem Kopfſtuͤck in Gips von Locke?

XV. Siebente Tafel. F.

Zum Beſchluſſe noch ein umgekehrter aufm Ruͤcken liegender, von unten auf anzuſehen - der Schaͤdel oder die Baſis vom Schaͤdel ohne den Unterkiefer.

Man bemerke

a) Den Bogen, den die Zahnreihe a, a, a, bildet und ſchließe von der Zugeſpitztheit und Plattheit auf Schwaͤche oder Kraft.

b) Man bemerke zweytens die Form, die Schaͤrfe oder Stumpfheit des Oberkiefers bbbb.

c) Drittens die Form und Groͤße des Lochs ccc, und beſonders

d) Viertens die Staͤrke der Knochen d, d. (oſſis occipitis capitula)

e) Fuͤnftens die zitzenfoͤrmigen Fortſaͤtze ee.

f) Sechstens vornehmlich die Rauhigkeiten im ganzen Hinterhauptbein ffffff.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. Yg) End -170XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.

g) Endlich noch den untern Umriß, ſeine Rundung und Reinheit. Jch habe noch nicht genug beobachtet, um viel oder weniger daruͤber zu ſagen. Jch will nur damit Zergliederern Winke geben.

[figure]

XVI. Beſchluß.

Gefuͤhl der Menſchheit, erſter, letzter Zweck
Von jeder Zeil und jedem Bild und Wort,
Die ich dem Aug und Ohre gebe;
Gefuͤhl der Menſchheit! Unding dem Thoren!
Dem Weiſen Daſeyn! Leben! Seligkeit!
Gefuͤhl der Menſchheit! wie regſt du dich!
Willſt ſprechen! und verſtummſt und wirſt
Anbetung!
Sprachloſes tiefes Gottumfaſſen! ...
O du in mir wo nehm ich Namen her fuͤr dich?
Was Namen? brauchſt du zum Daſeyn Namen?
Mein Selbſt wie wird, wie wird’s dir
Unerforſchtes du in dieſem Schaͤdel?
Wenn uͤber Schaͤdelbau und Ur - und Nachgeſtalt
Du ſtaunſt! zum Forſchen Pfade ſuchſt
Nicht findeſt; dennoch .. uͤberfliegeſt
Die Stirne, die dich ſchließt und ſchraͤnkt und feſſelt! ...
Sie miſſeſt wiegſt und ihre Kraͤfte zaͤhlſt ...
O du171XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
O du mein Jch! wie iſt dir dann? wie mir ...
Denn ich, denn ich bin’s ja
Den dieſe Feſtung ſchließt und ſchraͤnkt und feſſelt!
Denn ich, denn ich bins ja der herrſcht in dieſem Luſtreich!
Denn ich, denn ich bin’s ja, der angefeſſelt
Doch uͤberfliegt die Graͤnzen dieſer Feſtung ...
Wie iſt mir beym Gedank an deinen Wunderbau,
O Schaͤdel! Graͤnze der regen Kraft in mir!
O Stirne, die ich fuͤhle warm und ſchlagend! Wie?
Wie wardſt du was du biſt?
Aus welchem Urſtof biſt du geformt?
Wer, da er dich rund umwoͤlbte, ſprach:
Hieher und weiter nicht! hier lege ſich
Der Stolz der Wellen des Bilder-Oceans,
Der in dir braußt .. hier breche der Stral des Lichts
Der langſam oder ſchnell der Daͤmmerung des Geiſtes
Entgleitet hier! Er brech und wende ſich zuruͤck!
Wer maß dir deine Hoͤh und Breit
Und woͤlbte nach Erd und Himmel dich?
Wer ließ die Bleyſchnur an deinen Enden ſchweben?
Wer freute ſich zuerſt wer deines Ebenmaaßes?
Wer deiner unerkannten Harmonie
Mit Himmel, Erd und Meer und Fluß?
Wer der mit Sirius, Orion?
Der mit dem Sandkorn? wer? ...
Sieh ... aufzuſchluͤrfen das Naß vom Buchſtab,
Den ich ſchreib Er eilt der Fels das Sandkorn,
Er eilt und waͤlzt ſich neben tauſenden,
Y 2Dahin172XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
Dahin geſchleudert von der Hand
Die Zeichen nacherſchuf dem Nacht - und Lichtgedanken,
Den an der Vorderwand von dir, o Schaͤdel,
Den uͤbern Augenbogen ausgebahr die Seele!
Sieh dieſes Sandkorns Harmonie
Mit deiner Woͤlbung wer, wer maß ſie?
Zuerſt? Erfand ſie? wer? wer freute ſich
Der Wunder-Harmonie des Stirngewoͤlbes
Mit allen Sichtbarkeiten! allen
Unſichtbarkeiten der Unermeßlichkeit?
Wer? Jch nicht! Jch nicht! O ... verſtummen
O ſtaunen kann ich nur nur ſtammeln, fuͤhlen nur,
Kaum ſtammeln: Jch nicht! wer? O wer dann?
O Namen hat Er nicht ... Anbetung nur!
Anbetung nur der allumfaſſenden
Allmeſſenden Geſtaltkraft des Urgeiſts!
Anbetung Jhr
Durch den zu ſeyn, zu wiſſen, daß man’s iſt!
O Seligkeit, die niemand kennet, deſſen Stirn
Nicht duͤrſtet Morgenſtral, nicht Mondlicht ſaugt
Wie muͤde Hirſchen Erquickung aus dem Quelle ...
O Stirngewoͤlb du Feſte Gottes!
Gebaut zum Preiſe ſeiner Herrlichkeit!
Du Fels, auf dem ſie ewig ruhn
Die großen Ahndungen der Menſchen Wuͤrde!
Du Fels, auf den ſich gruͤnden Himmelhohe
Bewoͤlkte Hoffnungen die Wahrheit einſt
Genuß und Weſen ſind wenn weggetroͤpfelt iſt.
Der173XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
Der letzte Tropfen der zerſchmolznen Sonne!
Du Fels in allen Wogen der Zweifeley ſo feſt,
Wie in den Wogen der Luft, die dich umſchweben
O du du naher, herrlicher, du offner
Verhuͤllter Gottes Tempel! ... Allerheiligſtes!
Der Menſchheit Allerheiligſtes, du Menſchenſchaͤdel ...
Und einſt o einſt .. vielleicht eh ich erreicht das Ziel,
Eh ich vollendet das Buch der Menſchheit ..
(Des Thoren Hohngeziſch, des Kindes Spielzeug,
Des Weiſen vertraute ſchweſterliche Freundinn)
Vielleicht eh ich mit bebender und ſchwacher Hand
Gezeichnet vom Alphabet der Offenbarung
Der Menſchen Herrlichkeit nur wenig Silben
Biſt du entſeelte Schaale .. Schaͤdel! .. Urbild
Dem Zeichner oder Menſchenforſcher, oder
Biſt Lehrtext dem Zergliederer,
Der mit dir ſpielt, um den die Schuͤler horchen,
Ohn Ehrfurcht vor der unnennbaren Gottheit
Und ohne Luſtgefuͤhl an ihrer Menſchheit.
[figure]
Y 3Funfzehn -174XV. Fragment. Affen.

Funfzehntes Fragment. Die Affen.

Man weiß, daß der Affe unter allen Thieren der Menſchengeſtalt am naͤchſten koͤmmt und dennoch wie ungeheuer iſt der Abſtand! ungeheuer! Freue dich deſſen, Menſch, und ſuche keine Groͤße in angenommener thieriſcher Kleinheit; keine Demuth in Erniedrigung deiner Natur!

Der Schaͤdel der Affen, wie wir bald auf einem beſondern Blatte ſehen werden, iſt dem Menſchenſchaͤdel am aͤhnlichſten; ſo wie ihre ſinnliche Vorſtellungsart der menſchlichen.

Der Menſchen aͤhnlichſte des Affengeſchlechtes iſt der Ourang-Outang und der Pitheke, die andern Arten der Affen weichen von der Geſtalt des menſchlichen Koͤrpers ſchon mehr ab.

Der Ourang-Outang ahmt alle Menſchenhandlungen nach und verrichtet keine einzige Menſchenhandlung.

Die, welche den Meuſchen gern zum Thier erniedrigen karrikaturiren den Menſchen zum Ourang-Outang herab, und idealiſiren den Ourang-Outang zum Menſchen hinauf.

Aber genaue Beobachtung und Vergleichung von beyden auch nur der Schaͤdel obgleich dieſe mit dem menſchlichen am meiſten Aehnlichkeit haben wird die große Verſchie - denheit von beyden darthun, und die ewige Unerreichbarkeit der menſchlichen Natur von der Af - fen Natur mehr, als bloß wahrſcheinlich machen.

Man ſagt vom Menſchen im bloßen Stande der Natur doch wo iſt der? da, wo die natuͤrliche Religion ohne Offenbarung und, daß er nirgends iſt, beweiſt das nicht die Allgemeinheit der Menſchenwuͤrde? So gut das Nichtdaſeyn der natuͤrlichen Re - ligion das Beduͤrfniß goͤttlicher Belehrungen fuͤhlbar macht.

Man ſagt vom Menſchen im bloßen Stande der Natur: Jhm iſt der Kopf mit ſtrup - pichten Haaren, oder mit krauſer Wolle; mit langen Haaren das Geſicht ſeine Stirne ebenfalls mit uͤberworfnen Haaren von obenher bedeckt werde kurz, alles majeſtaͤtiſchen Anſehens beraubt die Augen werden bedeckt ſie werden tiefer liegend, und mehr rund, wie bey den Thieren erſcheinen; die Lippen ſeyen dick und weit hervorſtehend; die Naſeplatt;

[figure]

175XV. Fragment. Affenkoͤpfe. platt; ſein Blick dumm, oder auch wild; die Ohren, die Glieder, der Leib, rauh die harte Haut einem ſchwarzen, oder doch braunen Leder gleich die Naͤgel ſeyen lang, dick und krumm; unter den Fuͤßen hornharte Haut u. ſ. w. Alſo, wie ſchwer anzugeben der Un - terſchied zwiſchen beyden!

So ſchwer nicht Jch ſelbſt kann nicht vergleichen. Aber wer vergleichen kann, ver - gleiche zuletzt nur Schaͤdel mit Schaͤdel.

Wo iſt am Affen die Stirn des Menſchen wenn das Haar zuruͤckgekaͤmmt iſt? Am Affen kann’s nicht zuruͤckgekaͤmmt werden.

Wo die Hoͤhe und Breite, wo die Woͤlbung der Menſchenſtirn, als beym Menſchen?

Wo die beſonders gezeichnete Augbraune in deren Bewegung Le Bruͤn den Aus - druck aller Leidenſchaften findet, und in denen allein noch ſo viel mehr zu finden iſt, als Le Bruͤn drinn fand?

Wo die frey in die Luft hervorſtehende Naſe? wo ein aͤhnlicher Uebergang zum Munde?

Wo Menſchenlippe an Zeichnung? Beweglichkeit? Farbe?

Wo Backen? wo hervorgehendes Kinn? wo Menſchenhals? wo Menſchheit?

Das neugebohrne Kind der wildeſten Nation iſt Menſch, hat alle Spuren der Menſch - heit Man vergleich es mit einem friſch geworfenen Ourang-Outang Man wird im Er - ſten gewiß eher Moͤglichkeit zum Engel, als im zweyten Moͤglichkeit zum Menſchen ſinden.

Erſte Tafel. Zwey und dreyßig Affenkoͤpfe.

Der menſchlichſte unter allen Affenkoͤpfen unſrer Tafel iſt 6 Eben ein Ourang-Ou - tang, oder Jocko, der kleine Waldmenſch! und dieſer aͤhnlichſte, wie unaͤhnlich!

Das Thieriſche und Untermenſchliche iſt vornehmlich zu ſuchen

  • a) Jn der Kuͤrze der Stirn, die bey weitem nicht die ſchoͤne Proportion der menſchlichen Stirn zum Geſichte hat.
  • b) Jn dem Mangel oder der Unſichtbarkeit des Weißen am Augapfel.
c) Jn176XV. Fragment. Affenkoͤpfe.
  • c) Jn der Naͤhe der Augen, wenigſtens der Augenhoͤhlen im Schaͤdel.
  • d) Jn der oben ſchmalen, unten breitgedruͤckten, nicht hervorſpringenden Naſe.
  • e) Jn der widrigen Hoͤhe der Ohren, die am Menſchenkopfe beynahe immer mit Aug - braun und Naſe parallel laufen.
  • f) Jn dem Uebergange von der Naſe zum Munde, der beynahe ſo lang iſt, als das Kinn, da er beym Menſchen gemeiniglich nur die Haͤlfte der Kinnlaͤnge hat.
  • g) Jn der einfachen bogenfoͤrmigen Geſtalt der Lippen.
  • h) Jn der dreyeckigten Form des ganzen Kopfs.

Des Haares des Halſes nicht zu gedenken.

Man ſagt von dieſem Thiere: Es ſey in ſeinen Gebaͤrden traurig; ſein Gang ſey gravitaͤ - tiſch, ſeine Bewegungen, wie abgemeſſen; ſein Naturell ziemlich ſanftmuͤthig und von anderer Af - fen ihrem ſehr verſchieden; er ſey nicht ſo ungeduldig, wie der Maggot (25. 27. ) nicht ſo boͤs - artig, wie der Pavian, 21. noch ſo ausſchweifend, wie die langgeſchwaͤnzten Affen.

Eine menſchlichere Lippe hat unter allen, die wir hier ſehen, keiner.

Jm hoͤchſten Grade thieriſch ſind alle, etwa zwey oder drey ausgenommen.

Der menſchlichſte nach dem ſo unmenſchlichen Ourang-Outang iſt 7. und 8,

Der Gibbon wie auch ſein Schaͤdel 9. zeigt. Dieſer Affe ſoll ebenfalls von gelaßner Art, ſanftmuͤthig in ſeinem Betragen ſeine Bewegungen nicht ſo haſtig und ungeſtuͤm ſeyn; ſoll alles, was man ihm zu eſſen giebt, ſachte annehmen, und ſich vor Kaͤlte und Feuchtigkeit ſehr ſcheuen. Allein ſeine ganze Geſtalt iſt ſo unmenſchlich, wie moͤglich; ſeine disproportionirten ent - ſetzlichen Arme reichen an den Boden, wenn er aufrecht ſteht. *)Man ſehe Buffon Hiſt. nat. Tom. XIV. p. 5. und 108.

Wie in 6. die Entfernung der Naſe von dem Munde das Thieriſche bezeichnet; ſo in 7. beſonders in 8. die Naͤhe der Naſe und des Mundes.

Unter die ſanftern gehoͤrt auch 21. der Maimon, deſſen Augenwinkel am meiſten Menſch - liches zu haben ſcheinen. Er ſoll ſehr umgaͤnglich und liebkoſend ſeyn.

Der177XV. Fragment. Affenkoͤpfe.

Der Mackak, 29. ſoll auch ſanfter Art und ziemlich gelehrig ſeyn; uͤbrigens von ſo ab - ſcheulichen Gebaͤrden, daß man ihn nicht ohne Ekel und Entſetzen anſehen kann; auch von zaͤhem Eigenſinne.

Der Mandrill, 14. und 16. ekelhaft haͤßlich wo iſt hier noch Menſchheit? Sein kurzer, voller, graͤßlicher Haarwuchs die Laͤnge ſeiner platten Naſe, oder vielmehr ſeine zwey Naſenloͤcher, woraus beſtaͤndig Rotz fließt, den er mit der Zunge auffaͤngt ſein blaues Geſicht, das von beyden Seiten her der Laͤnge nach voll tiefer Runzeln iſt der Mangel an Kinn wie tief erniedrigt ihn das alles unter den niedrigſten Menſchen! Sonſt ſoll er nicht von der ſchlimmſten Art ſeyn.

Der Mone, 24. ganz ſtirnlos, untenher tiegerhaft, durchaus unmenſchlich in der Form ſoll auf eine ausſchweifende Art lebhaft, munter, nicht grimmig wild, und ſehr ge - lehrig ſeyn.

Der Maggot, 25, 27. 25. Blick des hungrigen Geitzes, kleinſuͤchtiger Naͤſche - rey 27. Anſchlag auf Beute.

Der Patas, 20. und 23. Dieſe Art thut unbeſchreiblichen Schaden in den Feldern von Senegal iſt von unglaublicher Behendigkeit.

Die Chineſermuͤtze, 30. werden auch nur halb zahm; man muß ſie beſtaͤndig in Ket - ten halten. Sie ſtecken beym Krebſen ihre Schwaͤnze zwiſchen die Scheeren der Krebſe und ziehen ſie ſo bequem ans Land, und wenn der Krebs ſie kneipt, ziehen ſie den Schwaz ſchnell zuruͤck.

Die Maͤuler der meiſten Affen haben folgenden Charakter.

[figure]
Phyſ. Fragm. II Verſuch. ZUnter178XV. Fragment. Affenkoͤpfe.

Unter allen dieſen Charaktern hat nur 1. und 2. etwas menſchliches. Alle uͤbrige ſind vollkommen thieriſch, beſonders 2. und 5.

Noch eine Anmerkung von Wichtigkeit

Menſchen, von denen man ſagt, daß ſie ins Affengeſchlecht ſehen obwohl immer weni - ger Aehnlichkeit wuͤrde gefunden werden, (beſonders in der Stirn; indem gerade die Menſchen, denen man dieſe Aehnlichkeit zuſchreibt, groͤßtentheils die offenſten, freyſten Stirnen haben groͤßtentheils in dieſem Haupttheile von den Affen am meiſten verſchieden ſind,) je genauer man ſie beobachtete und verglieche Dieſe Menſchen ſind gemeiniglich ſehr brauchbar, thaͤtig, geſchickt, mancherley Dinge anzuordnen und einzurichten, liſtig und beynahe von der unentbehrlichſten Art.

[figure]

Zweyte Tafel. Affenſchaͤdel.

Die eigentliche Form des gemeinſten Affenſchaͤdels ſiehet man in der voruͤberſtehenden Tafel.

Es iſt wahr, kein Thierſchaͤdel, nicht Einer hat ſo viel Menſchliches, wie dieſer.

Aber die weſentlichen Verſchiedenheiten ſind dennoch auffallend, und ſie ſind, meines Er - achtens, fuͤr die Phyſiognomik wichtig.

Eine der erſten auffallendſten Verſchiedenheiten iſt der wenige Zwiſchenraum zwiſchen beyden Augenhoͤhlen.

Eine
[figure]
179XV. Fragment. Affenkoͤpfe.

Eine zweyte, die Flaͤche der liegenden Stirn, wie ſie beſonders im Profile ſichtbar wird dieß iſt nun eigentliche Thierheit.

Eine dritte die Form des Naſenlochs Am Menſchenſchaͤdel iſt ſie wie ein um - gekehrtes Herz; am Affenſchaͤdel iſt die Spitze des Herzens unten der breitere Theil oben.

Auch iſt viertens der Uebergang von der Stirne zur Naſe dadurch verſchieden, daß die Wurzel der Naſe beym Menſchenſchaͤdel viel hoͤher ſteht, als bey der Naſe des Affen.

Fuͤnftens iſt der Menſchenkiefer nach Proportion viel breiter, zahnreicher, als des Af - fen; der einerſeits ſehr zugeſpitzt, anderſeits, im Profil anzuſehen, ſehr ſpitzig vorgebogen iſt.

Sechstens, des Menſchen Kinn ſteht vielmehr vorwaͤrts Das Kinn des Affen geht ſo tief zuruͤck, daß man kaum was davon ſehen kann, wenn man einen Menſchenſchaͤdel und Affenſchaͤdel, beyde liegend auf der untern Kinnlade, neben einander, an einem Tiſche ſitzend betrachtet, ſo wie ich ſie gerad itzt vor mir habe.

Man koͤnnte, glaub ich, faſt als phyſiognomiſchen Lehrſatz annehmen Je mehr Kinn, deſtomehr Menſch; verſteht ſich nicht Fleiſchkinn, ſondern Knochenkinn. Daher beynahe kein Thier von vornher betrachtet, Kinn hat .. Daher zuruͤckgehendes Kinn und zuruͤckgehende Stirnen groͤßtentheils verhaͤltnißmaͤßig ſind.

Noch ein ſiebenter, beſonders im Profile ſichtbarer Unterſchied iſt in der Form und Groͤße des Hinterhaupts wie viel laͤnglichter und kuͤrzer, als des Menſchen! der Winkel, der aus dem Untertheile des Unterkiefers und der Baſis des Hinterhaupts entſteht, iſt beynahe ein rechter; wie viel anders bey dem Menſchen, wo die untere Kinnlade mit dem Knopfe bey - nahe horizontal liegt der Knopf fehlt ganz am Affenſchaͤdel.

Il eſt donc animal, & malgré ſa reſſemblance à l’homme, bien loin d’étre le ſecond dans nôtre eſpèce, il n’eſt pas le premier dans l’ordre des animaux, puis qu’il n’eſt pas le plus intelligent. *)Buͤffon. Und warum nicht? Weil er ſo wenig Stirn und Hirn hat weil er in Hauptſtuͤcken dem Menſchen weſentlich unaͤhnlich iſt.

Z 2Jch180XV. Fragment. Affenkoͤpfe.

Jch ſchließe. O Menſch, du biſt kein Affe und der Affe iſt kein Menſch. Ernie - drige dich nicht zum Affen, freue dich, Menſch zu ſeyn, und ſey, was du biſt, und nicht, was andere ſind, nicht ſind, ſeyn wollen.

[figure]
Sechzehn -
[figure]
181

Sechzehntes Fragment. Schwache, thoͤrichte Menſchen.

Laͤſſige Verzogenheit, thieriſche Stumpfheit, zuckendes Behagen, ſchiefes Laͤcheln, Unſtaͤndig - keit, Unbeſtimmtheit, Stierigkeit, Lockerheit die gewoͤhnlichſten, allgemeinſten, auffallendſten Zeichen der angebohrnen und natuͤrlichen Dummheit.

Laͤſſige Verzogenheit, Lockerheit, Unſtaͤndigkeit nicht nur Zeichen, Sache ..

Und was iſt am Menſchen bloß Zeichen, und nicht Sache?

O wir ſchlauen Taſchenſpieler mit Worten wie verfuͤhren wir uns! was iſt am Men - ſchen Sache, das nicht Zeichen? Zeichen, das nicht Sache ſey? welches Glied? welches Gliedes Glied? welcher Muskel? welcher Zug? welche Miene?

Doch, ich ſcheine vielleicht auszugleiten? Sey’s! der Gedank iſt weſentlich, und mehr als Grundpfeiler der Phyſiognomik! Neue Beſtaͤtigung davon die vorliegenden ziemlich aͤhnlichen Profilumriſſe von mehr und minder thoͤrichten Menſchen.

Erſte Tafel. Vier Umriſſe von maͤnnlichen Thoren.

Dieſe vier ſind alle Thoren, aber Thoren von dem verſchiedenſten Charakter.

Die Thorheit hat ihre Claſſen, Gattungen, Arten, wie die Weisheit. Jhre Charakter ſind ſo verſchieden, als ſie ſelber.

Die zween obern, von wie ganz anderer Art, als die zween untern! Der Einen Thorheit zeigt ſich in der Vielfaltigkeit; (im eigentlichſten, buchſtaͤblichſten Sinne des Wortes) der andern in faltenloſer Flachheit; der einen in Verzogenheit, die ſich anſpannen will; der andern in ru - higer Triebloſigkeit.

Die obern ſind einem aufgeruͤhrten Moraſte, die untern einem ſtillſtehenden, ſeichten, mit Schleim uͤberzogenen Teiche aͤhnlich.

4. ſcheint (das große Ohr ausgenommen) am wenigſten von Natur Thor zu ſeyn. 1. und 3. am meiſten.

2. ſcheint ein entſetzlich heftiger, hartnaͤckiger Kopf zu ſeyn. Welch ein Hals im Verhaͤlt - niſſe mit dem obern Theile des Schaͤdels! Man erinnere ſich des Kahlkopfs, Silhouette 4. auf der ſechzehnten Tafel des zwoͤlften Fragments.

Z 3Zweyte182XVI. Fragment.

Zweyte Tafel. Vier weibliche Profilumriſſe.

1) Natuͤrliche Plumpheit! Stirn gemein; Naſe an ſich nicht ſo gar gemein, aber gemein in der Verbindung mit der langen, ſteifen, und dennoch kraftloſen Stirn. Umriß des Auges nicht ſo ſchlimm; aber der Blick ſtierig, und wider die Falten um die Augen! unausſprechlich aber herrſcht maſſive Dummheit in der untern Haͤlfte des Geſichtes von dem Ende der Naſe an bis zum verdeck - ten Ohre herauf vorzuͤglich in der Unterlippe Aber man ſieht ſehr geſcheute Menſchen mit dieſer Unterlippe? wohl mit einer ſtark vorſtehenden; aber mit ſo einer? Jch zweifle, und wenn? das Geſicht wird ſonſt poſitife Trefflichkeiten haben, von denen eine ſolche Unter - lippe vierzig Procent abzieht.

2) Wie viel feiner inniger, als 1? wie viel Zartes, Edles noch im Munde der durchſcheinende Eindruck von Schwaͤche ſcheint das Reſultat von den Falten unterm Auge, den un - ten am Backen, der Entfernung des Eckchens des Mundes von dem etwas emporgezognen Naſen - laͤppchen, und dann die Laͤnge des Kinns zu ſeyn.

3) Schreckliche, natuͤrliche Dummheit nicht eben bloß da, wo du ſie vielleicht zuerſt ſu - chen wirſt, in dem hohlen Umriſſe der Naſe. Jch habe die herrlichſten, feinſten, verſtaͤndigſten, edel - ſten Seelen von ſtark hohlen, ich will nicht ſagen ſo ſtark hohlen Umriſſen in dieſer Gegend geſe - hen. Aber dieſe Hoͤhle, nebſt der Kuͤrze und Stumpfheit der Naſe, nebſt der hohen oben vorra - genden, oben herausgehenden Stirn; dann wieder die Entfernung des Mundes von der Naſe, ſammt dem offnen Munde und dem Halſe alles zuſammen macht den fatalſten Effekt unbe - lehrlichſter Schwaͤche.

4) Wieder die vorhaͤngende Stirn in dieſer Flaͤche; das bloͤde Auge, und der kindiſch thieriſche Mund, der ſo ganz auſſerordentlich uͤber das zuruͤckgehende Kinn hervorhaͤngt wer bedarf hier Erinnerung?

Dritte
[figure]
[figure]
183Schwache, thoͤrichte Menſchen.

Dritte Tafel. Vier Thorenkoͤpfe, drey maͤnnliche, ein weiblicher.

1) Nicht der Umriß der Stirn, nicht die Naſe aber wiederum der offne große Mund die eckloſe Unterlippe ſo nah uͤberm laͤnglichtrunden Kinn hervorragend und die gefaltete Lockerheit zeigt entſetzliche Dummheit.

Das iſt mein Urtheil. Ein aͤuſſerſt ſcharfſichtiger Freund urtheilt folgendergeſtalt: Die Geſtalt dieſes wahnwitzigen Menſchen iſt wie ein Baumblatt, das der Mehlthau auch nur auf einem einzigen Punkte traf; von dem Orte aus verzieht ſich die Form; nach dem Orte hin verziehen ſich die Linien, und ſo zucken hier nach dem verſchobnen Gehirne all die uͤbrigen Zuͤge.

Gehinderte Wuͤrkung alſo iſt ſichtlich an dieſem Profile.

Ein beſchaͤfftigter Menſch; zwar kleinlich und aͤngſtlich beſchaͤfftigt, hypochondriſch aus - getrocknet, durch Wolluſt entſchnellkraftet; kurzſichtig von Natur und ſchwach Um die Schlaͤfe iſt der Sitz ſeiner Thorheit, wo die ohne das aͤrmlich wuͤrkenden Geiſter verrauch - ten.

2) Jſt bloß Grimaſſe. Ein Theil der Stirn und die Naſe koͤnnten eines witzreichen, klugen, feſten Mannes ſeyn. Bemerkt wieder die vielfaͤltige Lockerheit und den offnen Mund.

3) Jn der untern Haͤlfte des Geſichtes welche Gedehntheit! Flaͤche, Unangeſpannt - heit! und dann abermals wieder offner Mund; beſonders die Unterlippe mit dem flachen Kinne! Stirn und Auge haben nichts albernes, nichts dummes. Man decke Naſe und Mund ob nicht Aug und Augbraunen, und die Ecke der Stirn was Großes erwarten laſſen?

4) Das gepreßte Auge, der offne Mund und das lockere Kinn im Verhaͤltniſſe zum Hals ſind Zeichen oder Spuren der Lockerheit und wiederum die herabgehende Entfernung des Mundes von dem ſich heraufziehenden Naſenlaͤppchen Das Uebrige find ich gut.

Vierte184XVI. Fragment.

Vierte Tafel. Vier thoͤrichte Frauenkoͤpfe.

Alles ebenfalls gebohrne Thoͤrinnen. Die uͤber die Naſe entweder perpendikular vorſtehende, oder obenher gewoͤlbte vorhaͤngende Stirn, wie in 1. und 4. das Vielfaltige beſonders um die Au - gen in 1. das Gedehnte in 2. und 3. das Verbißne im Munde, wie in 3, 4, beſonders in 1. der lockere offne Mund, wie in 2. das vorſtehende, fleiſchige Untermaul, wie in 4; das lockere, flei - ſchige Kinn in allen vieren. Der kropfige Hals, wie vermuthlich in allen, beſonders 2. und 3.

Ueber die Stirne 3. eine beſondere Anmerkung.

Nur ein wenig perpendikularer und angezogener; und es ſind oft die Verſtaͤndigſten. Dieß hat mich einigemale, wo ich den Unterſchied nicht bemerkte, zu den auffallendſten Fehlurtheilen irre gefuͤhrt.

[figure]
Fuͤnfte
[figure]
[figure]
185Schwache, thoͤrichte Menſchen.

Fuͤnfte Tafel. Sechs weibliche ſchattirte Koͤpfe.

  • 1. Eine an ſich nicht dumme, alte, ſtarke, engbruͤſtige Perſon. Hier iſt ihr Blick ſtierig und verworren.
  • 2. Ein gichtiſches, unverheyrathetes Weibsbild von 67. Jahren meines Ermeſſens, beſonders aus Unterkinn und Naſe zu urtheilen, von nicht gemeinen Verſtandesanlagen Hier Blick und Miene alternder Kindlichkeit.
  • 3. Stille, verſchloßne, unzugaͤngliche, unheilbare Melancholie. Dieſe zeigt ſich beſon - ders in den Falten uͤber den Augknochen, den inegalen Augenbraunen, dem ſtaunenden Blicke, den kleinen Naſenloͤchern, und dem geſchloßnen trocknen Munde.
  • 4. Scheint mir eine gebohrne, gutmuͤthige, geſchwaͤtzige, Naͤrrinn froͤhlicher Art zu ſeyn. Man vergleiche Mund mit Mund in 4. und 3. Die Froͤhlichkeit draͤngt die Mitte der Mit - tellinie des Mundes ab - und die beyden Enden des Mundes aufwaͤrts die Traurigkeit zieht die Mitte des Mundes hinauf und druͤckt die beyden Enden hinab.
  • 5. Eine vom Schlaͤge geruͤhrte alte Frau, die viel gelitten und erduldet zu haben ſcheint. Das rechte Aug 'ausgenommen, ſcheint ſie von dem gemeinſten Verſtande zu ſeyn.
Phyſ. Fragm. II Verſuch. A a6. Eine186XVI. Fragment.
  • 6. Eine Naͤrrinn, eine Jungfer von ungefaͤhr 45. Jahren; vom Schlage geruͤhrt, ganz kindiſch; ſtets in Bewegung; macht die abſcheulichſten Grimaſſen; iſt aber nicht boͤſe. Dieſer Kopf iſt, aus Stirn und Kinn zu urtheilen, von Natur dumm.

Die Vignette iſt ein ziemlich aͤhnliches Bild von einer aͤuſſerſt verſtaͤndigen blindge - bohrnen Perſon.

[figure]
Sechste
[figure]
187Schwache, thoͤrichte Menſchen.

Sechste Tafel. Sechzehn idealiſche Profilkoͤpfe nach Chodowiecki.

Jn allen 16, obgleich in ſehr ungleichem Grade, Tinktur der Schwachheit.

  • 1. Jm allergeringſten Grade; der Sitz vornehmlich in Stirn und Lippe.
  • 2. Schon weniger angezogen und ſchwaͤcher, beſonders Aug 'und Naſe.
  • 3. Zugleich unedler und kleinlicher, vornehmlich im Munde.
  • 4. Edler, unſchuldiger, kindiſcher, beſonders im Auge, Naſe, Stirn.
  • 5. Um die Wahl vernuͤnftiger, aber dennoch ohne Kraft und Selbſtſtaͤndigkeit.
  • 6. Stierig, ſtrebt ſich anzuſtrengen, und iſt keine Kraft da. Großes Auge kleinliche Naſe, fader Mund.
  • 7. Fuͤrchterliche Schwaͤche vermoͤge der Entferntheit des matten, großen, nicht tiefen Auges vom aͤuſſern Umriſſe der Naſe. Kleinlichkeit im untern Theile des Geſichtes. Poͤbelhafte adelſtolze Veraͤchtlichkeit.
  • 8. Mehr ſchwach, bloͤde, furchtſam, als dumm.
  • 9. Dieſe Naͤhe der Augbraune bey bieſem Aug 'iſt unmoͤglich; durch den Umriß des Kinnes weniger ſchwach, als die meiſten vorhergehenden.
  • 10. Das Aug 'poſitif ſchwach poſitif ſchwach der Uebergang der Stirn zur Naſe und nichts Poſitifes, das Erſatz waͤre.
  • 11. Jm untern Theile merklich verſtaͤndig; verſtaͤndiger als 9. und 1. Sonſt kontraſti - rende Gemeinheit.
  • 12. Vom Auge zum Munde herab ſehr ſchwach; ſonſt waͤre der aͤuſſere Umriß der Naſe bis zum Kinn herab, bey geringer Zuruͤckziehung der Oberlippe nicht gemein.
  • 13. Was in Naſe, Mund, Kinn gut iſt, vertilgt das ſchwache Aug ', und der hintere Theil des Mundes.
  • 14. Nicht unverſtaͤndige Naſe. Sonſt durch Perpendikularitaͤt und Kleinlichkeit des Kin - nes und Mattigkeit des Auges ſchwach.
A a 215. Viel -188XVI. Fragment.
  • 15. Vielleicht noch ſchwaͤcher. Aber beſſer um den Mund, und viel Bonhomie und Ehr - lichkeit.
  • 16. Hohe Stirn und kleinliche Naſe und kindiſches Kinn.

Jn allen Umriſſen beynahe kein ſcharfes Eck; in allen Mangel der Feſtigkeit und Betrieb - ſamkeit. Alles Maͤnner ohne Mannheit. Leichtbewegliche, leitſame Schwaͤche; Kraftloſigkeit zu ſchaden

[figure]
Beſchluß. 189Schwache, thoͤrichte Menſchen.
[figure]

Beſchluß.

Allmaͤchtiger Gott! wie ſind doch deiner Menſchen ſo viel, und ihre Geſtalten ſo mannichfal - tig ... Du haſt ſie alle weislich und wunderbar gebildet, und jeglicher iſt ein Schauplatz deiner Huld und Guͤte! Auch der ſchlechteſte, verzogenſte, elendeſte iſt ein Jnbegriff deiner Huld und Guͤte! .. Zwar zaͤhlbar unter unzaͤhligen geſunden, geraden, rechtgeſchaffenen, vernuͤnfti - gen Menſchen ſind die elenden, die Kruͤppel, die thoͤrichten, ſchwachen Menſchen zwar un - ter zehen tauſenden iſt kein Rieſe und kein Zwerg unter tauſenden kaum Ein gebohrner Thor;A a 3unter190XVI. Fragment. unter dreyhunderten kaum Ein Kruͤppel. Aber auch dieſer Kruͤppel, dieſer Thor, dieſer Zwerg, dieſer Rieſe ſie alle noch Zeugen der mannichfaltigen Huld und Weisheit deſſen, der alles ſchafft zu ſeines Namens Preiſe ... Sie alle leben und freuen ſich des Lebens ... und wehren ſich gegen den, der’s ihnen rauben will.

Sie alle ſind wenigſtens noch, auch nur als Ausnahmen von der Regel betrachtet, wuͤrdige, nuͤtzliche Produkte. Opfer fuͤr dich und mich Geſunden, Vernuͤnftigen da, daß Gottes Kraft einſt an ihnen offenbar wuͤrde *)Joh. IX. 3. da, daß wir anbeten den, der uns ohn un - ſer Wollen oder Laufen beſſer bildete, zu erkennen Jhn und die Kraft ſeiner allwuͤrkſamen Gottheit.

Alſo geſunder, gerader, verſtaͤndiger, edler Menſch, ſchaue ſie an deine ſchwaͤchern Mit - geſchoͤpfe, aber verachte ſie nicht! Du biſt Menſch, und ſie ſind’s nicht minder, und in den Augen hoͤherer Weſen biſt du, was dieſe in den deinigen ſind Aller Augen erleuchtet der Herr .. Sie athmen unſere Luft, und waͤrmen ſich am Stral unſerer Sonne.

O ihr Gegenſtaͤnde menſchlicher Verachtung und des ſtolzen unbruͤderlichen Spottes wie kann ich Eure gluͤcklichern Bruͤder mit Euch ungluͤcklichern verſoͤhnen? wer ſie verachtet, laßt michs, Leſer, noch einmal Euch zurufen, der ſchmaͤht ihren Schoͤpfer.

Und du der dem Lahmen, der 40. Jahre nie gewandelt hatte, Leben und Schnellkraft gab dem Tauben Gehoͤr, dem Stummen Sprache, und allen Weiſen Weisheit! O du, der alles neu machen und jedes nach Gerechtigkeit richten wird, wenn die Himmel wie eine Rolle ſich zuſammen rollen, und die Erde mit allen ihren Produkten zerſchmelzen wird! O du mit wel -chen191Schwache, thoͤrichte Menſchen. chen Thraͤnenſtroͤmen unnennbarer Wonne werd ich dich anbeten, wenn du einſt auch dieſe Geſchoͤpfe von den Druͤckungen und Laſten befreyen, und ihre Koͤrper nach deinem Bilde, nach dem Bilde des Erſtgebohrnen, umwandeln wirſt!

[figure]
Siebenzehn -192XVII. Fragment.

Siebenzehntes Fragment. Thieriſche Stumpfheit und Hornkraft. Widder, Ziegen, Schaafe.

Wir entfernen uns bisweilen von Menſchen, und untermiſchen Thiergeſtalten; nicht eben in der Abſicht, um Aehnlichkeit mit Menſchen herauszuzwingen, wie der allbekannte, in alle Sprachen uͤberſetzte Compilator Porta in ſeinen phyſiognomiſchen Schriften; obgleich wir weit davon entfernt ſind, ihm Neuheit, Scharfſinn und Witz abzuſprechen und in Anſe - hung der Gelehrſamkeit ihm nicht an die Ferſen reichen.

Vornehmlich moͤcht ich nur auf die Allgemeinheit der Phyſiognomie, auf die Stu - fenfolgen der Phyſiognomien, auf die Erhabenheit der Menſchennatur uͤber die Thierna - tur und allenfalls erſt zuletzt auf Aehnlichkeit von Thier - und Menſchenzuͤgen auf - merkſam machen.

Thieriſche Stumpfheit und Hornkraft wie ſichtbar in den Thieren, die wir vor uns haben! Rauhigkeit, Behaartheit der Stirn; die Entferntheit der Augen ihre Schiefheit; ihr Zuſinken von der Laſt bloß grobfuͤhlender Sinnlichkeit! Zerdruͤcktheit der Naſe. Lippen -

[figure]

193Thieriſche Stumpfheit und Hornkraft. Lippenloſigkeit, Sinnloſigkeit. Form des Mundes,〈…〉〈…〉 Umriß der Augen Buchſtabe der hoͤchſten einfachſten Sinnlichkeit, Stoß - und Brunſtkraft in den zwey obern Widdern.

[figure]
Phyſ. Fragm. II Verſuch. B bAchtzehn -194XVIII. Fragment.

Achtzehntes Fragment. Zerſtoͤrte menſchliche Natur. Ruͤdgerodt.

Herr Leibarzt Zimmermann ſandte mir die voruͤberſtehende Silhouette von einem Menſchen, deſſen Moͤglichkeit ich mir nie gedacht haͤtte, und erwartete mit Ungeduld mein Urtheil.

Das war: das groͤßte, ſchoͤpferiſchte Urgenie; dabey drollig und boshaft witzreich.

Und ſeine Berichtigung: die Phyſiognomie eines Unmenſchen; eines eingefleiſchten Teufels.

Dieſen aͤuſſerſten Grad der Teufeley hatt ich anfangs, ich geſteh es, an dem bloßen Schat - tenprofile nicht bemerkt, eh ich den Umriß 2. ſah Sobald ich den ſah, bebt ich zuruͤck, und wer bebt nicht mit mir vor einer Geſtalt zuruͤck, die nur fuͤr den entſetzlichſten Unmenſchen ſchlimm genug iſt?

Den entſetzlichſten Unmenſchen! Ja! Sey’s der einzige in ſeiner Art! Ein lebendiger Sa - tan! Ein unaufhoͤrlicher Moͤrder! Stiller in ſich grabender Bosheit voll! Ein Hurer ohne Maaße; ein Dieb ohn alle Nothdurft; ein Maͤdgenmoͤrder; Frauenmoͤrder; Muttermoͤrder; ein Geitz - hals, wie kein Moraliſt ſich einen dachte, kein Schauſpieler vorſtellte, kein Poet dichtete, der in den letzten Lebenstagen nur Waſſer und keinen Wein trank aus Geitz ... Er weidete ſich am Schatten der Nacht; ſchuf ſich durchs Verſchließen ſeiner Fenſterladen den Mittag in Mit - ternacht um; verriegelte ſein Haus; ſein Haus, ein Abgrund von Diebſtal und Mord, Mord - gewehr, Diebswerkzeugen Lichtſcheu, Menſchenſcheu, allein in ſich ſelbſt vermauert, grub er in die Erde, in tiefe Kellermauren, in Dielen und Felder ſeine erſtohlenen und erworbenen Schaͤtze; beſchaute und zaͤhlte ſie in einſamen Mitternaͤchten, wo ihn der Schlaf floh, das Gewiſſen die letz - ten Warnungen vergeblich noch verſuchte. Mit dem Blute der Unſchuld beſpritzt, tanzte er lachend am Hochzeittage der Frau, die er nachher am Grabe, das ſie ſich ſelbſt, auf ſein Geheiß, in ſeiner Gegenwart unwiſſend bereitete, todtſchlug. Er blieb gelaſſen bey den ſchrecklichſten Erwartungen, und laͤchelte uͤber die Bosheiten, um deren willen er ſein verruchtes Leben auf dem Rade endi - gen mußte.

Alles
[figure]
195Zerſtoͤrte menſchliche Natur. Ruͤdgerodt.

Alles dieſes iſt auf dem Bilde zum Theil, war im lebenden Geſichte ganz zu leſen. Sein Auge nichts anſehend, an nichts theilnehmend, zitterte hin und her, ſtarrte ins Schattenreich ſeiner Diebſtaͤhle, ſpuckte unter den Geſtalten der Erſchlagenen. Sein Rachen glich einem offnen Grabe, und ſeine entſetzlichen Zaͤhne waren Pforten der Hoͤlle.

Es iſt keiner meiner Leſer, der in dem ſchwachen Umriſſe nicht mehr oder weniger Greuel entdecke; keiner, der im Blicke, im Munde, im Ganzen einen edeln, offnen, uneigennuͤtzigen Menſchenfreund vermuthe; ſich dem Menſchen naͤhern, ſich ihm mittheilen, ſich an ihn anſchlieſ - ſen moͤchte; keiner, der ſagen wird: Ein liebenswuͤrdiger Mann.

Daß es kein liebenswuͤrdiger Mann ſey, dieß zeigt der untere Theil der Silhouette.

Aber warum ſah ich anfangs nur lachenden, drollichten Witz, nur das in ſeiner Art einzige Urgenie drinn? warum verdraͤngte der Eindruck von Selbſtſtaͤndigkeit und Originalitaͤt des Kopfes beynahe alle andere, mir itzt nicht weniger auffallenden Zuͤge von kalter, trockner, abſcheulicher Bosheit?

Der Umriß der Stirn und beſonders der Naſe verfuͤhrte mich. Guͤte, Bonhomie, daran kam mir kein Gedanke aber dennoch, ich geſteh es, vermuthet ich anfangs in der Naſe etwas Edles und Großes und es iſt nicht Eigenſinn und Rechthaberey, wenn ich itzt noch behaupte: dieſe Stirn und Naſe uͤberzeugen mich aufs Neue von der großen troͤſtenden Wahrheit:

Es iſt kein Menſch ſo verrucht, kein Menſchenangeſicht ſo abſcheulich, in dem nicht noch ſtehende Zuͤge, unaustilgbare Spuren, wenigſtens mitgebohrner Trefflich - keit uͤbrig bleiben.

Hier in dem verruchteſten Menſchen ſind ſie noch auffallend, in dem obern Theile des Pro - fils vom Angeſichte. Dieſer Verſtand, dieſe Staͤrke des Geiſtes, dieſe in ſich ſelber ſtehende, aus ſich ſelbſt ſtill herausarbeitende planvolle Thaͤtigkeit, die ſich darinn ſo ſehr auszeichnet Jſt ſie nicht im Grunde dieſelbe Kraft in der Tiefe einer Moͤrdergrube und im Cabinette des Koͤ - nigs?

Aber noch einige andere Anmerkungen.

  • a) Die Stirn hat mehr Kraft, als Guͤte. Der obere Theil des Stirnbeins vom Haar - wuchs an bis auf die Hoͤhe des Schaͤdels hab 'ich ſelten in dieſer Schiefheit ohne Verſtandes -B b 2kraft196XVIII. Fragment. Zerſtoͤrte menſchliche Natur. Ruͤdgerodt. kraft und etwas rohes, hartes, determinirtes mithin leicht an Bosheit graͤnzendes Weſen geſehen; wohl verſtanden, wenn keine beſaͤnftigenden Zuͤge zugleich mit vorhanden waren.
  • b) Der obere Theil des Profils iſt immer weniger oder doch langſamer Veraͤnderungen bey Verſchlimmerung oder Verbeſſerung des Charakters ausgeſetzt, als der untere.
  • c) Man muß ſich huͤten, zu viel, oder alles aus bloßen Silhouetten errathen zu wollen.
  • d) Der Umriß des Hinterhaupts zeigt Stoßkraft und Gefuͤhlloſigkeit.
  • e) Die Linie 3. waͤre noch boshafter mit weniger Verſtand.
  • f) Die Linie 4. ſtarrſinniger mit weniger Erfindungskraft.
  • g) Die Linie 5. verſchlagner und eigenſinniger mehr Eigenſinn, zu leiden, als zu wuͤrken.
  • h) Die Linie 6. dummer Starrſinn.
  • i) Die Linie 7. dummer, ſchwacher Starrſinn.
  • k) Die Linie 8. ſchwaͤchſter Eigenſinn, oder Eigenſinn, hoͤchſt dummer Schwaͤche ...
  • l) Zuletzt bitt 'ich noch den furchtbaren Umriß von der Unterlippe bis zum Ohre zu bemer - ken.

Und dann o ihr Aeltern, Lehrer, Erzieher, Menſchenfreunde dann Euch nicht zu entſetzen, wenn ihr an Kindern, Knaben, Juͤnglingen Anlagen zu ſolcher Bildung wahr - nehmet Jhr koͤnnet die herrlichſten, thaͤtigſten, edelſten Menſchen aus ihnen bilden. Weisheit von oben wird’s Euch lehren; Euch lehren, daß Gott den Menſchen ſchlecht und recht macht; und daß er’s iſt, der Menſch, der ſich durch Liſt und Kunſt verderbt!

[figure]
Neunzehn -
[figure]
197

Neunzehntes Fragment. Philipp III. Umriß.

Kurzer, untheilnehmender Großſinnn, liebloſe Herrſchersaugen, ſelbſtiſche Tiefe, ungluͤckliches Mittel zwiſchen Staͤrke und Schwaͤche, Unbiegſamkeit, Gewaltthaͤtigkeit, Mißtrauen, und was draus folgt. Entwickle dieß, forſchender Leſer.

Nachſtehender Umriß eines feinen, bedaͤchtlichen, feſten, ohne Schnellkraft. Fuͤr tiefe Bedaͤchtlichkeit und Feſtigkeit ſind die Augen entſcheidend.

[figure]
B b 3Zwanzig -198

Zwanzigſtes Fragment. Kaiſer Matthias.

Ein wunderbar gemiſchter Charakter. Die Perpendikularheit der Stirn mit den aufgezognen Augenbraunen, deutet Eigenſinn, und Mangel an uͤberſchauender Denkkraft, viel Schwaͤche in dem weiten Raume zwiſchen Aug und Augbraune. Dagegen das Auge gerad, treu, die Naſe ſtark und gut, die Oberlippe was menſchlich treuvolles, die Unterlippe unbedeutend, ge - mein und ſchwach.

[figure]
Ein
[figure]
[figure]
199

Ein und zwanzigſtes Fragment. Ochſen, Hirſche, Haaſen ꝛc.

Wieder Thierkoͤpfe zwiſchen hinein, um phyſiognomiſchen Sinn zu ſtaͤrken, zu erweitern. Sie gehoͤren wenigſtens mit zur unendlichen Jnduktion fuͤr die große Wahrheit: die ganze Natur iſt lauter Wahrheit; Offenbarung.

Wenn ich alſo oft uͤber ſolche Tafeln kein Wort zu ſagen wuͤßte, oder ſagte genug: ſie bringen dieſe gewiſſeſte, wichtigſte, geglaubteſte und bezweifelſte? Wahrheit wieder vors Aug und vor die Seele, die ſehen kann und will.

Wie auffallend iſt die Verſchiedenheit dieſer Thierkoͤpfe und ihrer Charakter.

Jm Ochſen Dummheit und defenſifer Trutz.

Jm Hirſchen Leichtigkeit, Horchſamkeit, ſtille, ſanftmuͤthige Unſchuld.

Jm Steinbock nicht innere, nur gleichſam mit den Hoͤrnern angenommene Kraft.

Jm Haaſen haaſige Gefraͤßigkeit, und ununternehmende Schuͤchternheit.

Jm Biber hier nur in ſeinem Auge was von ſeiner Klugheit und Kunſtfertigkeit.

[figure]
Zwey200XXII. Fragment.

Zwey und zwanzigſtes Fragment. Eine Reihe Fuͤrſten und Helden.

Man ſollte, ſagt, glaub ich, irgendwo Spon, (der ſonſt uͤber die roͤmiſchkaiſerlichen Phy - ſiognomien den alten italiaͤniſchen Phyſiognomiſten ziemlich ſeichte nachradottirt ) um in der Phyſiognomik ſicher zu gehen, vor allen Dingen die bekannteſten, oͤffentlichſten, groͤßten Perſonen genau betrachten. Wie ſehr dieſe immer ihre Charakter zu verſtellen und zu verber - gen ſuchen ſo ſind ſie dennoch von ſo mannichfaltigen Seiten, ſo ſcharfen Augen beobachtet, muͤſſen ſo oͤffentlich handeln, ſich oft ſo ſehr vertrauen daß ihr Grundcharakter nie ganz verborgen bleiben, oder mißkannt werden kann.

Laßt uns alſo einen Curs durch einige ſolche Phyſiognomien machen.

Erſte Tafel. Philipp der gute, Herzog von Burgund.

Kraͤftiger Thatverſtand in der Stirne die viel gedacht hat, ohne Anſtrengung.

Augen voll zarter beweglicher Guͤte, mehr ſtaunend, als denkend.

Augenbraunen ſo wie ſie da ſind, gemein und unbedeutend.

Die Naſe ohn alle Groͤße und Kleinheit.

Der Mund, vornehmlich durch die abwaͤrts in die Mitte der Unterlippe eingreifende Mittellinie, und den Umriß der Oberlippe, gut, ohne Delikateſſe und wolluͤſtig, wie das Auge.

Die vielen Falten in dieſem Geſichte ſcheinen Vielfachheit der Ueberlegung und Erfah - rung anzuzeigen.

Zweyte Tafel. Wilhelm III. Koͤnig in England und Schottland.

Eigne Staͤndigkeit zum Rath und zur That in der im hohen Grade aufgehenden Stirne.

Jm
[figure]
[figure]
[figure]
[figure]
[figure]
201Fuͤrſten und Helden.

Jm Blicke und in der Naſe Staatsklugheit.

Feſte Treue, Huld und Guͤte im Munde.

Das Ganze macht den Eindruck von Ruhe voll leiſer innerer Bedaͤchtlichkeit ohne Kleinheit.

Dritte Tafel. Rudolph I. Kaiſer.

Ein Geſicht, das ſogleich Theilnehmung erweckt, das aber im bloßen unſchattirten Umriſſe von ſeinem ſanftern Adel viel verloren hat.

Die Stirn iſt voll Entwuͤrfe. Augenbraunen und Raum zwiſchen den Augen voll kraͤftig wuͤrkender Gedanken. Die Augen ſind mehr des hell - als tiefſehenden, und voll ſinnli - cher Reizbarkeit. Die Naſe iſt nicht ganz gemein; nicht ſonderlich edel; nicht erhaben. Der Mund, im ſchattirten Originale, nach Soutmann und Van Sompel, viel ruhiger, edler und feſter Hier hat er in der Mitte, und in der allzu hart abgeſchnittenen Unterlippe etwas ſchwach wolluͤſtiges. Die Stellung des Kopfes iſt des ſtaunenden Entwurfmachers Ent - wurf, der ſich aus Thaten, nicht Worten, formt.

Vierte Tafel. Albert I.

Stirn und Naſe, beſonders im Originale wahrhaft kaiſerlich, ſtolz und eigenſinnig, abermal das Naſenloch ausgenommen, das beynah in allen Sompeliſchen und Snyderhofiſchen Stichen kleinlich, hart, und abgeſchnitten iſt. Der Mund, beſonders die Unterlippe, und das Kinn haben was aͤuſſerſt rohes, gewaltthaͤtiges, grauſames. Davon iſt auch das ſtark verzeich - nete Aug nicht frey.

Fuͤnfte Tafel. Friedrich III. der Schoͤne.

Von der Schoͤnheit hat dieſer Umriß viel verloren und nach dem Originale von Snyder - hof iſt der Kopf auch nur bis auf den Untertheil des Geſichtes ſchoͤn denn den wird gewiß, etwa die Oberlippe im Originale ausgenommen, niemand ſchoͤn finden. Aber ſchoͤn, edel, feſt iſtPhyſ. Fragm. II Verſuch. C cdie202XXII. Fragment. die Stirn ſchoͤn und maͤnnlich, beſonders im Originale, die Augenbraunen; voll Adel und Sinn und Kraft der Raum zwiſchen den Augen, den Ruͤcken der Naſe hinab. Die Augen im Originale herrlich, aber dort wie in unſerer Copie gedankenlos, thatenlos, hinſtaunend. Das Naſenloch im Originale und der Copie unertraͤglich. Die Unterlippe zu plump und fade. Das kurze Kinn und der untere Umriß des Backens ſehr gemein.

Sechste Tafel. Kaiſer Friedrich der IV.

Klugheit und Mannheit in Stirn und Naſe; Guͤte und Friedensliebe im Munde; Unterlippe und Kinn roh, gemein, und (ohne das Unterkinn betrachtet) ſchwaͤchlich. Jm Auge, beſonders in der ſcharfen Hoͤhle, in die ſich das obere Auglied verſchiebt, oder endigt Groͤße und Ver - ſtandeskraft, die aber durch den vermuthlich viel zu harten Umriß des untern Augenliedes ſehr ge - ſchwaͤcht wird.

Siebente Tafel. Wilhelm, Graf zu Naſſau.

Ein Mannsgeſicht nach meinem Herzen, beſonders im Originale. Die Stirn, Stirn des geſun - den, reifen, wackern Menſchenverſtandes. Das linke Auge etwas verzeichnet; das rechte Buchſtabe feſten, cultivirten, maͤnnlichen Sinnes. So die Naſe, beſonders oben beym Auge. Jn der Mittellinie des Mundes Mannheit, ohn allen Zuſatz von Weiblichkeit, und ſtolzem Manns - trutz, aber nicht ohne Kraft, zu trutzen und zu verachten.

Achte Tafel. Ernſt, Graf zu Mannsfeld.

Wieder ein Mann von Rath und That. Umriß der Stirn bis zum Auge Uebergang von der linken Augbraune zur Naſe, Buchſtabe von unternehmender Klugheit. Verſtand, der an Genie graͤnzt, im Blicke der Augen, beſonders des rechten. Jm Munde Entſchloſſenheit, Muth, Stolz Stolz im Gefuͤhl innerer Kraft iſt der Ausdruck des Ganzen.

Neunte
[figure]
[figure]
[figure]
[figure]
[figure]
203Fuͤrſten und Helden.

Neunte Tafel. Uladislaus VI. Koͤnig in Polen und Schweden.

Der aͤuſſere Graͤnzumriß des Geſichts hat was entſetzlich gemeines, rohes, poͤbelhaftes; nicht denkender, forſchender Sinn, aber auch nicht Stumpfſinn iſt im Auge, ſo wie’s erſcheint. Viel Sinnlichkeit, wenig Cultur, planloſe Feſtigkeit, oder Schwerheit vielmehr iſt der Aus - druck des Ganzen.

Zehnte Tafel. Maximilian I. Kaiſer.

Die Geſtalt dieſes Fuͤrſten iſt ein neuer Pfeiler unſerer Lehre.

So viel man von der Stirne, beſonders im Originale ſehen kann, den aͤuſſern eckigten und wellenfoͤrmigen Graͤnzumriß bis zum Unterkinn mitgerechnet; das hell - und feſtſchauende Auge, mit dem tiefen Einſchnitt am obern Auglied, die etwas zu harte Unterlippe am Auge ausgenom - men, die herrliche, fuͤr Muth, Thaͤtigkeit, Weisheit, Selbſtgefuͤhl, wenn ich ſo ſagen darf, ſpe - cifike Naſe, beſonders der aͤuſſerſt feine Mund, der im Profile ſichtbarere Einſchnitt in die Mitte des Kinns; der vorſtehende, ebenfalls eingeſchnittne Kinnball alles dieß zuſammen, welch ein ſeltener, rufender Ausdruck von natuͤrlicher Heldenhaftigkeit.

Welche wahrhafte kaiſerliche Groͤße! Reinheit des Verſtandes! Adel! Guͤte! Buͤrger - lichkeit! Empfaͤnglichkeit! Beweglichkeit! leicht zu erzuͤrnen! bald zu beſaͤnftigen! Eben dieſer Gemſenjaͤger, dieſer leichte Felsſchwinger war’s, der alle Wiſſenſchaften und Kuͤnſte wuͤrklich liebte, der alle vorzuͤgliche Maͤnner ſeiner Zeit kannte und nutzte; der am liebſten mit Privat - leuten umgieng, und ſich drum ſo gern bey den Augſpurgern aufhielt, die ihm zu Ehren man - che oͤffentliche buͤrgerliche Luſtbarkeiten anſtellten, Jagden, Fechterſpiele, Taͤnze auf freyer Straße, wo er oft mit machte; beſonders die ſogenannten Geſchlechtertaͤnze.

C c 2Als204XXII. Fragment. Fuͤrſten und Helden.

Als er das letztemal von Augſpurg abreiſte, (1518, kurz vor ſeinem Tode) hielt er bey der Rennſaͤule im Lechfelde ſtill, ſah mit Bewegung nach der Stadt zuruͤck, und ſagte, daß es alle, die ihn begleiteten, hoͤren konnten: Nun behuͤt dich Gott, du liebes Augſpurg! und alle fromme Buͤrger drinne! Wohl haben wir manchen guten Muth in dir gehabt; nun wer - den wir dich nimmer ſehn! Auch iſt nie ein Fuͤrſt mehr geliebt worden, als die Augſpur - ger ihn liebten.

Hier die Vignette, um des Kontraſts willen.

[figure]
Drey
[figure]
205

Drey und zwanzigſtes Fragment. Voͤgelkoͤpfe.

Auch an den Voͤgeln laͤßt ſich die wahrheitliebende Natur nicht unbezeugt. Auch dieſe Ge - ſchoͤpfe haben, ſowohl in Vergleichung mit andern Thieren, als in der Vergleichung unter ſich ſelber ihren entſcheidenden Charakter.

Durchaus ſind die gefluͤgelten Thiere leichter gebaut, als die vierfuͤßigen; durchaus ſind die Haͤlſe beweglicher, die Koͤpfe kleiner, der Mund ſpitzer, die Bekleidung des Leibes reicher und luftiger.

Um die bekannteſte Sache wenigſtens anſchaubarer zu machen, um wenigſtens in der Folge unſrer Beobachtungen bisweilen darauf verweiſen zu koͤnnen, ſeyn hier auch ein Paar Tafeln, wie mich deucht, trefflich gezeichneter Voͤgelkoͤpfe eingeruͤckt.

Die Verſchiedenheit ihres Charakters iſt bekannt. Es fragt ſich: ſind ihre Phy - ſiognomien eben ſo verſchieden, als ihre Charaktere?

Der hellen wolkenloſen Sonne kuͤhn entgegen hebt ſich der majeſtaͤtiſche Adler, ſchaut weit umher in unermeßliche Gegenden, und entdeckt in der Tiefe ſeinen lebendigen Raub auf der Erde, oder auf einem Baum, oder in der Luft ſchwebend ſtuͤrzt ſich herab, ergreift ihn mit gewaltiger Klaue, und traͤgt ihn auf einſame Felſen, oder in Thaͤler mit ſtolzer Kraft, ihn noch vollends zu zerreiſſen und zu verſchlingen!

Wer kann ihn anſchauen, ohne dieſe Staͤrke, dieſe ſiegreiche Schnellkraft, dieſen ſtolzen Grimm, dieſen furchtbaren Raͤuber in ſeiner aͤuſſern Geſtalt zu erblicken! wie funkelt ſein Aug! Jſt’s nicht wie der Blick des Blitzes! wer vertraut ſich ſo ſtolz der blendenden Son - nenflamme! Betrachte alle Augen bis zu des Maulwurfs herab wo findeſt du dieſe durch - dringende blitzende Feſtigkeit des ſchnell ſich waͤlzenden Blickes! wo dieß Verhaͤltniß der Augen zum Lichte wo? O wie wahr, wie laut ſpricht die Natur zu dem, der Ohren hat.

Aber nicht nur die Glut des blitzenden Adlerauges ſpricht innere Wahrheit, auch der obere Umriß, auch die uͤbergewaͤlzte Stirnhaut zeigt ſeinen Zorn, und ſeinen Muth.

C c 3Die206XXIII. Fragment. Voͤgel.

Die Vorgebogenheit, die Kuͤrze, die Schiefe, die Gewoͤlbtheit, die Feſtigkeit ſeines obern Schnabels ſind dieß nicht alles redende Zeichen des Muths und der Staͤrke? Man ſehe 1. 2. 4. 6.

Jm Geyer (3) wer ſieht nicht im laͤngern Hals und Schnabel und ſeinem gedehnteren Weſen weniger Urkraft, und Adel?

Jm Kopfe der Nachteule (5) und (6) nicht den unedlern, knikerſchern, ſcheuern Raub - vogel?

Jm engliſchen Hahne (7) nicht Hochtraben des Stolzes? Blick der Eiferſucht?

Jm Straußcaſuar (9 und 10) wie unbeſchreiblich viel Phyſiognomie! welche Rohig - keit! Boͤſeweiberwuth! ohne Geſchmack und Empſindung!

Nachaͤffung von Kraft, ohne Kraft, Geſchwaͤtzigkeit, Empfindlichkeit im Papagay (11. und 19.)

Sanfte demuͤthige Scheue in der Taube. (13)

Jm Schwane (14) mehr Adel als in der Gans, weniger Kraft als im Adler, weniger Zartheit als in der Taube, mehr Biegſamkeit als im Strauß?

Jn dem kleinen nicht tiefliegenden Auge, im flach und einfach gewoͤlbten Schaͤ - del, im Mißverhaͤltniß des Kopfes zum ungeheuren Schnabel des braſiliſchen Poly - phems, oder des großſchnablichten Pfeffervogels (15) wer ſieht darinn nicht Mangel an muthiger Kraft? Es iſt als ob der ſich ſeines langen Schnabels ſchaͤmte, und mit ſeinem Blicke zu verſtehen gebe Jch kann und will nicht ſchaden, ſo ſchadenfroh mein Schnabel ſcheinen mag.

Jn der wilden Ente (16) nicht wilderes Weſen als im Schwan? ohne die Wurzelkraft des Adlers.

Jn dem kleinen Auge, kleinen Kopfe, langen Schnabel des Kropf-Pelikans, oder der Beutelgans (17) wo etwas von Rachblick der wilden Ente? von der Bonhomie der Taube?

Zweyte
[figure]
207XXIII. Fragment. Voͤgel.

Zweyte Tafel. Goldadler.

Nach Natur und durch Alter ſchwaͤchere Urkraft feuriger Blick, aber nicht rachdrohend, nicht tief; alles kraftloſer, ſcheuer, weibiſcher, als 1. 2. 6. der vorhergehenden Tafel beſon - ders die Hoͤhlung uͤber dem verdeckten Naſenloche, wie der innere Umriß des obern und untern Schnabels.

[figure]
Vier208XXIV. Fragment.

Vier und zwanzigſtes Fragment. Feldherren und Admiraͤle.

I. Bourbon und Ruyter.

1.

Bourbon, vollſtaͤndigſter Ausdruck von verſtandreicher, unerbittlicher Entſchloſſenheit. Jn den (im Ganzen betrachtet) horizontolen Augenbraunen, aus denen ſich ſo viele Falten in ver - ſchiedenen Richtungen heraufziehen, iſt die beredteſte, feſteſte Hartnaͤckigkeit. Die Augen koͤnn - ten und ſollten vielleicht, aus den Augenbraunen zu ſchließen, feuriger, kraͤftiger, weniger ge - bogen ſeyn. Die Naſe iſt durch ihre Groͤße, Keckheit, Beſtimmtheit, ſo deutlicher Buchſtabe von Verſtandeskraft, Thatkraft, unternehmender Kuͤhnheit, als die Unterlippe, bey dieſer Offenheit des Mundes, Buchſtabe von roher Unempfindlichkeit iſt.

2.

Ruyter kleiner, poͤbelhafterer, roherer Stolz. Mehr ſchnelle, grobe That, als Plan und Ueberlegung. Drohende Entſchloſſenheit, die ſich nicht bedenkt. Zwiſchen den Augenbrau - nen Hauptſitz des Charakters. Welch ein Unterſchied in beyden zwiſchen Naſe und Naſe! Ze - henmal entſcheidender, adelhafter, planvoller, des Obern. Sonſt hat das untere Geſicht mehr Ehrlichkeit, als das obere; zwar rohe, trotzige, wartloſe im linken Auge, beſonders im Munde und in den Augen, obgleich dadurch, daß der Stern etwas mehr unter das Auglied verſchoben iſt, als beym rechten, der Eindruck von Ehrlichkeit etwas geſchwaͤcht wird.

Zweyte Tafel. Marlbourough.

Eines der ſchoͤnſten, edelſten, treuſten, entſchloſſenſten Geſichter, beſonders im Originale. Wie viel edler und erhabner, als Bourbon und Ruyter! wie nationalidealiſch! beſonders Stirn, Augenbraunen, und Aug ganz engliſch! O die trefflichen Augenbraunen unter der herrlich ge - woͤlbten, faltenloſen Stirne! Jm Blicke Beobachtung, Rathſchlag, Entſchluß, That. Den fla - chen aͤuſſern Umriß bey der linken Augenbraune bis unters Kinn find ich bey vielen trefflichen eng -liſchen

[figure]

[figure]

209Feldherren und Admiraͤle. Bourbon und Ruyter. liſchen Koͤpfen Obs National - oder Mahlermanier, oder beydes zuſammen iſt weiß ich nicht. Der Mund? Das Edle, Charakteriſtiſche ſcheint ganz hinweggezeichnet zu ſeyn.

[figure]
Phyſ. Fragm. II Verſuch. D dFuͤnf210

Fuͤnf und zwanzigſtes Fragment. Das Kameel und der Dromedar.

Gemiſch von Pferd und Schaaf und Eſel, ohne den Adel des erſtern; auch ſcheinen ſie etwas vom Affen zu haben, wenigſtens in der Naſe. Gemacht, nicht, daß man ihnen Zaum und Gebiß ins Maul lege denn die Roßkraft fehlt; und die Beſtimmung zum Zaume liegt zwiſchen den Augen und der Naſe. (1, 2, 3, 6, 7, 8.) Keine Spur von Muth und Kuͤhnheit um dieſe Gegend, als hoͤchſtens in 5. Nichts von der drohenden Schnaubkraft des Ochſen, des Pferdes in den affi - ſchen Naſenloͤchern Keine Raub - und Zehrkraft weder im ſchlaffen Ober - noch Untermaul, man ſehe beſonders 4. und 5. Nichts als laſttragende Geduld in den Augen. Hoͤchſtens in 3. etwas Liſt.

[figure]
Sechs
[figure]
[figure]
211

Sechs und zwanzigſtes Fragment. Treue, feſte Charakter von Leuten gemeiner Extraktion.

Von der niedrigſten Stufe der Geiſteskraft treuer, redlicher Charakter bis zur hoͤchſten fuͤhr ich hier einige vor.

I. Ein Zuͤrcherſcher Landmann. ZB.

Erſt ein Wort von der Zeichnung.

Coͤlla, mit dem Pinſel; Lips mit der Nadel; Pfenninger mit dem Bleyſtifte, dem Pinſel und der Nadel was koͤnnen die, wenn ſie Fleiß aufwenden, im Portraͤte liefern? wenigſtens in der gemeinen Natur.

Und die gemeine Natur O wie moͤcht ich dieſe immer hervorziehen! dieſe beleuch - ten! dich Menſchenfreund, dich, entzuͤckter Schweber in idealiſchen Regionen ſanft an der Hand zuruͤckfuͤhren in das Reich der gemeinſten, alltaͤglichſten Menſchennatur; nicht, dich da allein zu heften; nicht dich dahin zu verbannen, und dir jeden Ausflug in hoͤhere unirdiſchere Gegenden zu verbieten o nein, Bruder! die Thuͤre und Ausſicht dahin ſoll dir immer offen ſtehen; Salz des menſchenfreundlichen Lebens ſollen ſie dir ſeyn, die hoͤhern, reinern Jdeale aber nicht Speiſe! So wie’s des erhabenſten Jdeals Speiſe war, im Namen des Vaters aller auf die gemeinſten Menſchen zu wuͤrken.

Ein gemeiners, ich ſage nicht: ein ſchlechteres ein gemeiners Geſicht kann wohl kaum ſeyn, als das Z. B. Ein Mann wie mich daͤucht, ohn alle Praͤtenſion; der zufrieden, ſorglos dem Mahler ſeinen Kopf hergiebt, ſitzt, wie er ihn ſitzen heißt; und in die weite Welt hin - ausſtaunt; nicht dumm, nicht Belehrung unfaͤhig; nicht leicht verfuͤhrbar; ſo wie er da er - ſcheint, gerade, treu und redlich; ein Geſicht, das, ſo gemein es in gewiſſer Abſicht iſt, wie jedes Menſchengeſicht, auch das gemeinſte, immer mehr gewinnt, je mehr man’s anſchaut. Wenn Augen, Naſen und Mund, wie’s ſeyn ſollte, aber in zehentauſend Portraͤten nicht iſt, im Effekte ſo ſtark aus dem Geſichte ſich auszeichneten, wie in der Natur, man wuͤrde ſehen, wie dieß GeſichtD d 2an212XXVI. Fragment. Treue, feſte Charakteran Faͤhigkeit des Verſtandes, und Treue des Herzens gewinnen wuͤrde. Die Unbeſtimmtheit des linken obern Auglieds z. E. wie viel Kraft benimmt dieſe dem Auge! Die Unbeſtimmt - heiten ſo mancher Schatten, die von der bloß nachahmenden Zaghaftigkeit des Kupferſtechers her - ruͤhren, wie zerſtreuen dieſe! wie ermuͤden ſie bey aller ſonſt noch vorhandenen Natuͤrlichkeit! und dennoch aller dieſer unlaͤugbaren Fehler ungeachtet welche frappante Wahrheit im Gan - zen! wie beſtimmt die Situation! wie einfach! wie harmoniſch!

II. Zweyte Tafel A. B.

Wieder ein Paar Geſichter, die Aufmerkſamkeit verdienen.

A ein Zuͤrcher Bauer nach Coͤlla. Jch bitte, weniger die auffallende Rohigkeit des Grundes oder, wenn man will, des Styles uͤberhaupt, und mehr die ſo ſeltene Beſtimmtheit, Geradheit, Wahrheit des Ganzen zu betrachten.

Jch geſteh aufrichtig, daß ich, als Phyſiognomiſt und hiemit auch als Beurtheiler der Zeichnung denn nach welchen Regeln ſoll dieſe Beurtheilung geſchehen, als nach den Regeln der Phyſiognomik, das iſt, der Wahrheit, der Uebereinſtimmung des Bildes mit der charakteriſtiſchen Wahrheit des Originals? Jch geſteh aufrichtig, daß ich dieſen rohern Styl voll Kraft und ent - gegen ſpringender Wahrheit aller feinen kraftloſen Verblaſenheit des kuͤnſtlichſten Grabſtichels weit weit vorziehe. Man ſoll, denk ich, den Mann, nicht den Styl ſehen; ſo wie in der Predigt die Kraft der Wahrheit empfinden, und nicht Bluͤmchen der Modeberedſamkeit ſammeln. Jch ge - ſteh aufrichtig, daß ich, wenn ich ſo ſagen darf, den Florſtyl*)Florſtyl der Kupferſiecher heiß ich die zarte, feine Gravuͤre, wo jeder einzelne Zug zwar mit bewunderns - wuͤrdiger Kunſt gefuͤhrt und mit allen andern in eine angenehme Harmonie gebracht iſt, wobey aber das Ganze ohne Kraft und weittreffende Wuͤrkung iſt ſo, wie wenn das Bild mit einem duͤnnen, durchſichtigen Flor uͤberzogen waͤre. Metallſtyl heiß ich diejenige Kupferſtechermanier, die das Fleiſch in Metall zu verwandeln ſcheint, die die Figuren haͤrtet und polirt, und ihnen das Anſehen giebt, als wenn ſie von Metall waͤren, oder doch gezeichnet nach metallenen Figuren. und den Metallſtyl einiger der beruͤhmteſten Kupferſtecher zwar ſehr bewundere, und der Kunſt deſſelben alle Gerechtigkeit wie - derfahren laſſe aber nimmermehr als den Styl der Wahrheit auſehen, empfehlen, oder anprei -ſen

[figure]

213von Leuten gemeiner Extraktion. ſen kann. Jm Gegentheil da die Wahrheit in allen Dingen den Vortritt haben muß, ſo wie die Gerechtigkeit im Handeln; da die Wahrheit durch nichts in der Welt erſetzt werden kann; da je - der gerechte Mann dem Parademacher der feinſten Sentimens, jeder Wahrheit gebende Philo - ſoph dem feinſten Geſchmaͤckler weit vorzuziehen iſt; ſo behaupt ich, daß der heutige raffi - nirende Pinſel der Mahler, und wenn ſie auch dießfalls die gerechte Bewunderung einer ganzen Welt waͤren mir viel weniger gefaͤllt, als der rohe Styl der unaufgeſpannten Wahrheit in den Mahlereyen eines Coͤlla, und in den nunmehrigen Arbeiten eines jungen Lips. Jch will damit weder die Kunſt der erſtern erniedrigen; noch das Rohe und Fehlerhafte der letztern vertheidigen. Aber auf alle Weiſe, bey allen Anlaͤſſen, mit aller Staͤrke moͤcht ich’s auf der Kanzel und im phyſiognomiſchen Blatte uͤber Schweizer-Bauern ſagen, hoͤr’s denn, wer’s hoͤren kann und will und lache, wer lachen mag und will Gerechtigkeit geht der Liebe Wahrheit der Kunſt Natur der Zierde vor.

Schmuckloſer, einfacher, leerer an Zierde und Kunſtmanier kann wohl kein Geſicht ſeyn, als das Geſicht A, das wir itzt vor uns haben; aber wie feſt, wie keck, wie wahr, wie beſtimmt! Wer verkennt die Natur, wer ſieht nicht, daß er kein Jdeal, daß er nackte Wahrheit vor ſich hat, ſo gut ſie ſich durch ſchwarze Linien auf Kupfer ausdruͤcken laͤßt nein, nicht ſo gut, als ſie ſich ausdruͤcken laͤßt aber doch gut ausgedruͤckt. Wie iſt beſonders der Charakter des Geſichtes uͤberhaupt mit dem Charakter des Styls uͤbereinſtimmend und parallel! welche Beſtimmtheit des Charakters! welche Beſtimmtheit des Styls! welche Feſtigkeit im Auge und Munde! im Blicke! in der Naſe (nur wieder das Naſenloch zu klein und unbeſtimmt) im ganzen Ton des Geſichtes! Bemerkt den feſten Bogen, den die Graͤnze des obern hineinverſchobnen Auglieds beſtimmt; bemerkt die Beſtimmtheit des Augenwinkelgens bemerkt beſonders die unverbiſſene ruhige Beſchloſſenheit des Mundes das laͤngliche unfleiſchige, gerade Kinn bemerkt das nicht ganz glatte, nicht ſich ſchwerlockende, wild krauſende Haar die Stellung des Kopfes, weder vorwaͤrts ſich ſenkend, noch zuruͤckſtrebend; die Kuͤrze des Halſes alles, wie Eins! wie wahrer Ausdruck feſter, uͤber - legender Arbeitſamkeit, die weiß, was ſie machen will, und das und anders nichts macht

Aber laßt uns nun eine oder zehen Stufen hoͤher ſteigen, und auch noch ein Wort von dem Kopfe B. ſagen.

D d 3Welch214XXVI. Fragment. Treue, feſte Charakter

Welch ein ſichtbarer Unterſchied von den beyden vorhergehenden! Wer ſieht da nicht bald in der feſten vordringenden Stirne, in der kecken, vollen Augbraune, in der Tiefe und Feſtigkeit des Auges, den ſelbſtſtehenden Mann ſo feſt, und feſter als der vorige, obgleich weniger hart und beſchnitten, obgleich mehr beugſam und leicht tretender? Sieht nicht den durchdringenden, ordnen - den und urtheilenden Beobachter; in den kleinen Gebrochenheiten des aͤuſſerſten Umriſſes von der Naſenwurzel an bis zur Unterlippe den feinen, cultivirbaren und cultivirten Denker? Jn der Mit - tellinie des Mundes und in den Muskeln um Auge, Naſe, Mund, welche Empfindſamkeit der Natur, nicht der Kunſt! Jm Ganzen, welche Staͤrke! Jm Haarwuchs, im Lockenfalle, welche Zu - verlaͤſſigkeit und Kraft! Doch von dieſem Manne werden wir vielleicht bey einer beſſern Zeichnung an einem andern Orte mehr reden Er ſey hier nur Beyſpiel feſter, treuer Ergebenheit mit Kraft und That.

Nachſtehende Vignette ſehr geſchwaͤchtes Bild der reinſten, feſteſten Treue und Erge - benheit.

[figure]
Dritte
[figure]
215von Leuten gemeiner Extraktion.

Dritte Tafel. Ehrlichkeit, Droituͤre, Bonhomie.

Die beyden obern, Mann und Frau, Beyſpiele ehrlicher, treuer Arbeitſamkeit, redlicher Dienſtfertigkeit, ohn alle Feinheit, Kunſt und Plan.

Der Sitz davon iſt vornehmlich im Aug und Munde. Jn der Offenheit, Heiterkeit und den Nebenfalten des Auges; in der Mittellinie und in den etwas aufwaͤrts gehenden Eckgen des Mundes. Weder Mann noch Frau die wie Bruder und Schweſter ſich aͤhnlich ſehen, ſind dumm. Wenigſtens iſt im ganzen aͤuſſern Graͤnzumriſſe nichts dummes, nicht einmal fades. Hoͤch - ſtens etwas im Kinn der Frau.

Der Blick des Mannes hat etwas ſchwaches, das aber ganz als Staunen dienſtbegieriger Treuherzigkeit ausgelegt werden kann.

Man muß dieſen Geſichtern gut ſeyn. Je mehr ich ſie anſehe, deſto woͤhler (man erlaube mir dieſes Schweizerwort, das ſo wahr und einfaͤltig iſt) deſto woͤhler wird mir. Ha! wie moͤchte man dieſem wackern, freyen, reinlichen, ungezierten, treuherzigen, gluͤcklichen Ehepaar in die Hand ſchlagen.

Viel feiner, aber nicht weniger heiter, treu, redlich, zuverlaͤſſig, ergeben iſt das untere ſchat - tirte Profil von einem trefflichen Landmann unſers Cantons. Der aͤuſſere Umriß, obgleich er viel verloren haben muß, iſt eines wuͤrklich großen Mannes.

Der innere Theil der Naſe iſt auf eine mit dem aͤuſſern kontraſtirende Weiſe verkleinert.

Jm Aug iſt heiterer, edler, hinzielender, aber freyer Sinn, berathſchlagende Guͤte.

Die Wangen zu ſchlecht gezeichnet, um ein Urtheil daruͤber faͤllen zu duͤrfen.

Jn dem Munde, und um den Mund herum natuͤrliche Heiterkeit und wohlwollende Gut - herzigkeit ohn alle ſchlaffe Weichlichkeit.

Auch gefaͤllt mir der eckigte ſichtbare Kiefer, wie er durch den Schatten in die Augen faͤllt; er hilft den Eindruck des Verſtandes mit beſtaͤtigen, obgleich er der maͤnnlichen Feſtigkeit nicht ganz guͤnſtig iſt.

Heitere, froͤhliche, wohlgebaute, kraͤftige, ſelbſtaͤndige Menſchen ohne Schlaffheit und Haͤrte in ihrer Zeichnung verbreiten immer Zutrauen zu ihrer Ehrlichkeit.

Vierte216XXVI. Fragment. Treue, feſte Charakter

Vierte Tafel. Kleinjogg.

Hier noch einmal Kleinjogg, den wir ſchon aus dem erſten Theile kennen, idealiſirt von Pfenningers Bleyſtift und Chodowiecki’s Nadel. Wieder Er und nichts minder als Er Stirn, Auge, Naſe haben noch die meiſte Aehnlichkeit. Aber der Mund? Zwar eines Weiſen, Edeln, wie uͤberhaupt das ganze Geſicht aber nicht die baͤuriſche Laͤſſigkeit, nicht die einfaͤltige Naivetaͤt, nicht die unbedaͤchtige Treuherzigkeit des Originals. Treue und Feſtigkeit wie ganz Kleinjoggs Charakter und auch aus dieſem Geſichte, wie herrlich hervorleuchtend! Nun von dem, durch Mahlermanier idealiſirten, und dennoch das Original nicht erreichenden Bilde zur maſſifſten hoͤlzernſten Karrikatur die dennoch immer noch einige Aehnlichkeit hat; wenigſtens immer noch in der Stirn, in den Augen, im Raume zwiſchen den Augenbraunen, der auch den gan - zen Ruͤcken der Naſe beſtimmt, in der Naſe, im Munde Feſtigkeit und trockne Ergebenheit zeigt.

[figure]
Und
[figure]
217von Leuten gemeiner Extraktion.

Und endlich hier noch ein ebenfalls unvollkommer, dennoch aͤhnlicher, und auch in dieſer Abſicht charakteriſtiſcher Schattenriß.

[figure]
Phyſ. Fragm. II. Verſuch. E eSieben218XXVII. Fragment. Hunde.

Sieben und zwanzigſtes Fragment. Hunde.

Richt, daß ich mir erlauben wollte, was ſich Porta erlaubte, Menſchen - und Thiergeſichter neben einander zu ſetzen und zu vergleichen Nein; groͤßtentheils ſind dieſe Vergleichungen er - zwungen und das Werk einer uͤberſpannten Einbildungskraft. Ohne dem witzigen, ſcharfſin - nigen, und mehr als beydes gelehrten Vater ſo vieler Phyſiognomiſten zu nahe zu treten kann man dennoch mit Grunde ſagen, daß ſeine Einbildungskraft oft uͤber den Kreis der Wahrheit hinaus fliegt. Wenigſtens ſcheinen mir ſo manche ſeiner aufgeſtellten ſeyn ſollenden Aehnlichkeiten aͤuſſerſt geſucht und erdichtet z. E. die zwiſchen einer Nachteule und dem Kaiſer Vitellius; zwiſchen Domitian und einem Fiſche, Tiberius und einer Jacobsmuſchel, Plato und ei - nem Hundskopfe.

Jn allen dieſen Hundskoͤpfen find ich nichts platoniſches finde uͤberall keine beſon - dere Aehnlichkeit mit dieſem oder jenem Menſchen drinn, lege ſie auch gar nicht in dieſer Ab - ſicht vor, ſondern vielmehr, um auf die Unaͤhnlichkeit der Thiere und Menſchen, und wie ſchon geſagt, die Allgemeinheit der Phyſiognomik aufmerkſam zu machen. Der Hund ſcheint noch am meiſten Stirn, gewoͤlbte Menſchenſtirn zu haben. Wenige Thiere haben ſo viel Stirn uͤbern Augen, wie der Hund aber ſo viel er an der Stirne zu gewinnen ſcheint, ſo viel verliert er wieder durch die aͤuſſerſt thieriſche Naſe, die alle Phyſiognomie der Spuͤrerey hat, (auch der ſpuͤrende Menſch hebt ſeine Naſenloͤcher in die Hoͤhe,) verliert durch die Entfernung des Mauls von der Naſe verliert durch die Niedrigkeit oder Nichtigkeit des Kinns. Ganz Phyſiognomie des Spuͤrens iſt der unterſte; des horchenden, ſchauenden, ſich zum Kampfe ruͤſtenden der vorletzte; des behaglich ruhenden der vor ihm zur Rechten; der dritte weniger drohend, als der fuͤnfte, und furchtbarer, als der vierte. Der zweyte und erſte haben in der großen Entfernung des Mundes von der Naſe am meiſten Hundiſches. Ob die nieder -geſchlagnen

[figure]

219XXVII. Fragment. Hunde. geſchlagnen Ohren an den Hunden Charakter ſclaviſcher Unterthaͤnigkeit ſey, wie der Herr von Buͤffon, der uͤber die Thierphyſiognomien ungleich vernuͤnftiger ſpricht, als uͤber Menſchen - phyſiognomien, darf ich nicht entſcheiden.

[figure]
E e 2Acht220XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Acht und zwanzigſtes Fragment. Drey Kuͤnſtler. Coͤlla, Lips, Pfenninger.

Wir behalten uns zwar vor, den Kuͤnſtlern noch ein beſonderes Fragment zu wiedmen doch, weil wir eben von dieſen dreyen geſprochen haben, ſo werden ſie uns wohl erlauben, unterdeſſen auch ein Wort uͤber ihre Geſichter, oder vielmehr ihre Portraͤte zu ſagen.

Erſte Tafel. Coͤlla.

Johannes Coͤlla ein Landmann von Staͤfa am Zuͤrcherſee, der ſich ſelbſt beynah allein (freylich brachte er dem beruͤhmten Herrn Fuͤeßli ſeine gemachten Arbeiten zur Kritik, und das war gewiß auch nicht umſonſt ) zum originellſten Nachahmer der ruhenden Natur ge - bildet das heißt, zum Mahler der Natur, ohne erlernte Manier eines Meiſters in ſeine Gemaͤhlde zu bringen. Er zeichnete und mahlte anfangs beynah immer Nachtſtuͤcke, weil ſein Haus auch bey Tage zu Tagſtuͤcken zu dunkel iſt. Dieß einzige verbreitet uͤber alle ſeine Gemaͤhlde eine gewiſſe Daͤmmerung, ich moͤchte faſt ſagen Naͤchtlichkeit die zugleich auch ſeinen Hauptcharakter ausmacht. Der freudenloſeſte Menſch, den ich in meinem Leben geſehen. Lauter an den Schlummer graͤnzende Ruhe bloß ſchauendes Auge ohn alles Feuer, alle Schoͤpfungskraft aber dann dafuͤr ganz unverdorbenes Auge ganz reine Empfaͤnglichkeit al - ler aͤuſſern Eindruͤcke; auch der kleinſten Ein Genie des Details! Genie? Nein langſa - mes, ſucceſſives Aufſuchen und Wahrnehmen iſt Fertigkeit, aber nicht Genie.

Die Tafel A hat viel Fremdes und Unwahres beſonders was Luftigleichtſinniges, das gar nicht ſein iſt.

Die Tafel B iſt ungleich wahrer, ruhig melancholiſcher, obgleich auch dieſe noch hinter dem Phlegma der Natur ſteht.

Jn beyden ſeht ihr, doch mehr in B das Schauen der Nachahmung; in keinem den Blick der Schoͤpfung. Jn keinem Vordringen der Ruhmſucht. Viel beſcheidener A als B.

Jn A die Spitze der Naſe etwas feiner, als in B.

Die Stirn oben etwas gewoͤlbter in A, in B platter.

Jn
[figure]
[figure]
221XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Jn A das Aug geſpannter, weniger treffend, als in B. Ferner in A zu entfernt von dem Naſenlaͤppchen, daher in dieſem Geſichte eine Gedehntheit, die mit dem Geiſte ſtiller, in ſich verſchlingender Aufmerkſamkeit, der den Charakter des Originals ausmacht, nicht wohl beſtehen kann.

Jn A iſt auch der religioͤſe Charakter des Mannes nicht ſo gut ausgedruͤckt, als in B, wo, wenn nicht ſichtbar genug, doch auf die leichteſte Anzeige, nicht befremdend iſt die Bruͤ - der maͤhriſche Jmaginations-Empfindſamkeit.

Treu und Fleiß iſt in beyden. Froͤmmigkeit aber mehr in B.

Der Kopf A iſt ſpitzer und ſchmaͤler, als B; und das macht B Zutrauens wuͤrdiger, empfindſamer froͤmmer?

Jch fuͤg ihm bey einen Umriß eines beruͤhmten Miniaturmahlers von Griſone in Sklavo - nien der mehr angeſtrengter, als bloß ſtill empfaͤnglicher Aufmerkſamkeit faͤhig iſt.

[figure]
E e 3Zweyte222XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Zweyte Tafel. Lips.

Heinrich Lips, von Kloten, bey Zuͤrch, eines Landſcherers Sohn hat ſich beynah ohne allen Unterricht zu einer Fertigkeit, beſonders auf dem Kupfer zu arbeiten, empor gehoben, daß er in ſei - nem ſiebenzehnten Jahre jede Zeichnung, und jedes Gemaͤhlde, das man ihm vorlegt, mit Coͤlla’s Genauigkeit und Fleiß, aber mit viel mehr Kraft und Genie, nachzeichnet; ein Kuͤnſtler, der taͤglich und augenſcheinlich waͤchſt und, ich ſtehe dafuͤr, immer wachſen, und, was immer Nei - der und Verlaͤumder ſagen moͤgen einer der groͤßten, wo nicht der groͤßeſte Kupferſtecher der Welt werden wird. Jch weiß, der hohnlachende Neid wird dieſes Wort auffaſſen, und ſich aufs neue bemuͤhen, das aufkeimende Genie wie ein Jnſekt zu zerknicken; mag er! Er wird den Juͤngling nicht zerknicken, aber ihn reizen ſeine Kraͤfte aufzurufen, und zu leiſten was moͤglich iſt. Seine Werke werden reden und wenn er einmal durch Reiſen und Umgang mit Kuͤnſtlern ganz reif geworden iſt, ſo wird er in ſeiner vollen Kraft da ſtehen, und ſeine Arbeiten werden die Cabinetter der Fuͤrſten zieren. Dann wird ſichs zeigen, wer Jnſekt iſt, der Neid oder Lips.

Gerade die anfaͤngliche Haͤrte ſeiner Feder und ſeiner Nadel, gerade die war mir Pfand ſeiner Groͤße. Gerade der freut ich mich um ſeines runden, ſanften Geſichtes willen. Anfaͤng - liche Haͤrte iſt immer die natuͤrlichſte Manier kraftvoller Genies; wohl verſtanden Haͤrte, als Haͤrte, iſt nicht Zeichen des Genies. Aber wo ſie nichts anders iſt, als uͤbertriebene Beſtimmtheit; wo ſie Folge genauer und ſcharfer Bemerkung aller Charakter eines Objektes iſt; wo das Ver - haͤltniß dieſer Charakter auch in dem zu harten Ausdrucke richtig iſt O ihr Lehrer und Bil - der junger Kuͤnſtler, verderbt mir dieſe harten Zeichner nicht durch ewiges Zurufen von weicher Natur Jch weiß, daß die Natur nicht hart iſt. Behuͤte Gott, daß ich Haͤrte predigen wol - le ſo wenig, als Schlaffheit aber das ſag ich tauſend gegen eins iſt zu ſetzen: der Kuͤnſtlerjuͤngling, deſſen ſonſt richtige, genau darſtellende Zeichnung den einzigen Fehler der Haͤrte hat, wird Mann Raphael oder Duͤrer ſeyn. Der hingegen, deſſen Hauptfehler Unbeſtimmt - heit, Verblaſenheit, ſchwammichte, lockere Manier iſt, wird ſchwerlich als Mann mehr ſeyn, als Juͤngling. O die Kraft iſt immer eher zu ſchwaͤchen, als zu ſtaͤrken. Es iſt immer leichter abzuſchleifen, als zuzuflicken. O daß ihr ſie fuͤhltet, die lichte Wahrheit Lehrer, Kuͤnſtler,Kunſt -

[figure]

223XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler. Kunſtrichter, Erzieher! Jhr jammert immer uͤber Kraft, die anfangs Haͤrte gebiehrt; und ſcheinet nicht zu bedenken, daß dieſe ſich von ſelbſt abrunden muß. Jhr preiſet immer nur ſanfte, gelenkſame Weichheit, und ſcheinet nicht zu bedenken, daß dieſe nie feſte Mannskraft wird, daß dieſe endlich in geiſtloſe Manier ausarten muß. Mir war’s (wie geſagt) angenehmes Schauſpiel, aus einem ſo zarten, feinen, jungfraͤulichen Geſichte dieſe feſten Zuͤge quillen zu ſehen. Dieſe Jungfraͤulichkeit des Geſichtes war mir fuͤr die Sanftheit und Leichtigkeit des Styls noch mehr Buͤrge als die harte Keckheit der erſten Verſuche fuͤr die Feſtigkeit und Beſtimmtheit der Zeichnung. Beydes zuſammen geſchmolzen und wir haben den beſten Kuͤnſtler, den wir uns wuͤnſchen koͤnnen.

Das Geſicht, das wir vor uns haben, kann fuͤr ſehr aͤhnlich gelten, und ich meyne: Es iſt ein Geſicht voll Phyſiognomie Jch meyne, der Juͤngling kann beobachten, und beob - achtet. Jch meyne, das Aug iſt Aug. Es ergreift ohne Anſtrengung ſein Objekt, ſieht’s nach allen ſeinen Theilen, und ſieht’s im Ganzen. Jch meyne, dieß Geſicht hat Kraft und Sanft - heit und wahrlich ſo viel Bonhomie und unſchuldige Guͤte, ohne Lockerheit daß man’s nur anſehen darf, um es unmenſchlich zu finden, ein ſo aufkeimendes Genie zu zertreten zu zertreten? was? dieß Geſicht ſollte ſich bey aller ſeiner Sanftheit zertreten laſſen? dieß Auge ſollte ſich ſeinen hellen Blick, ſeine innere Schauenskraft wegneiden laſſen? dieſer ſpitzige Au - genwinkel, dieſe anfangs von mir nicht bemerkte Quelle der Beſtimmtheit ſich abſtuͤmpfen laſſen? O Phyſiognomik! du Mutter der Menſchenfreude und Gerechtigkeit und Liebe, wie wirſt du mir bey dieſem Bilde aufs neue wichtig und heilig!

Aber in dieſem Geſichte iſt nicht nur Nachahmungskunſt, iſt originelle Schoͤpfungs - kraft; und dieß iſt meine zweyte freylich nicht bloß phyſiognomiſche Weißagung Lips wird in wenigen Jahren ein zweyter Chodowiecki.

Nicht forſchender, grabender nicht verliebter, aber ſchauender Charakter! ſchauend mit Verſtand und Liebe.

Jn224XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Jn der Mittellinie des Mundes beſonders liegt der Ausdruck davon, ſo wie im Auge.

Das Ohr iſt fatal hart gezeichnet. So radirt Lips kein Ohr mehr, wenn’s gleich die Zeichnung ſo giebt.

Die Stirn ausgenommen, die bey Lipſen mehr Jmagination, in Humphry mehr Ver - ſtand hat, iſt nachſtehendes Bild Lipſen im Profile wenigſtens ſo aͤhnlich, wie Bruder und Bruder ſich aͤhnlich ſeyn koͤnnen. Nur iſt Humphry feiner.

[figure]
Dritte
[figure]
225XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Dritte Tafel. Pfenninger.

Viel mehr Verſtand, als der vorige, mehr denkend und auſſer ſich tretend.

Das Bild hat weſentliche Veraͤnderungen erlitten. Der ganze Ton des Originals ſcheint vollkommen verfehlt.

Geſchmack, Witz, und unelaſtiſche Freude an allem Sinnlichſchoͤnen ſind Hauptzuͤge des Originals, das immer lachen moͤchte, auf Gelegenheit zum Lachen lauret, und mit ſchaͤrferem Auge, als des eiferſuͤchtigſten Argwohns aufs Sinnlichſchoͤne, und Laͤcherliche ausgeht.

Wie wenig hievon hat unſer Bild! den Mann von Geſchmack zeigt der Umriß klar ge - nug aber das verſpannte Auge? Nachdenken! Staunen! Verfolgen Einer Jdee! Aber nicht Ruhe, die das Gefuͤhl des Schoͤnen begleitet.

Die Augbraune iſt des Denkenden und Forſchenden!

Jm Munde iſt mehr Verſtand als Witz. Umgekehrt im Originale.

Furchtſamkeit und Unzufriedenheit ſcheinen Aug und Mund zu umſchweben, die runzelloſe Stirn iſt dieſer Situation entgegen; aber der Natur gemaͤß.

Die Naſe (obwohl zu weit herausſtehend) und ihr Verhaͤltniß zum Munde hab ich ſelten anderswo als bey Maͤnnern von Geſchmacke geſehen.

Der Mann iſt ein Kuͤnſtler von dem beſten Geſchmacke ohn alle Erfindungskraft ohn alle ſchoͤpferiſche Ader aber dann auch nicht bloß Nachahmer nein! Verfeinerer, Verſchoͤnerer! nicht der freyen und ſichern nicht der harten und ſteifen der lockern, ed - lern Zeichner Einer der uns bald ein beſſeres Bild von ſich liefern ſoll das uns mehr von ſei - ner Kunſt und ſeiner Seele zeigen wird. Jm Portraͤte wird er noch Wunder thun, wenn er ſich erſt wird erbitten laſſen, ein Paar Monate nichts als Umriſſe, als Linien zu zeichnen. Es kommen in den folgenden Theilen noch Stuͤcke von ihm vor, deren ſich ein Schmid und Morin nicht zu ſchaͤmen haͤtte.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. F fEinige226XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler.

Einige der beſten Stuͤcke dieſes Werkes ſind von ihm.

Wie viel edler iſt ſeine Silhouette, als ſein Bild! wie viel heiterer, zufriedener die Lippen! die Naſe, wie viel weniger vorragend!

[figure]
Neun
[figure]
227

Neun und zwanzigſtes Fragment. Noch einige andere Kuͤnſtler.

Erſte Tafel. P. B. d. M.

Eines der ſprechendſten Geſichter, eines der entſchiedenſten Kunſtgenies, und ein Mann von dem reinſten Geſchmacke.

Ein feingebauter Juͤngling, deſſen Wuͤrkſamkeit ſich durch unnachahmliche Feinheit, Reinheit, Zierlichkeit auszeichnet.

Der fleißigſte, niedlichſte Zeichner und Grundrißmacher, Miniaturmahler, den man ſich idealiſiren kann. Aber nur Aug, und, ſo viel mir bewußt, ohne Feuer, ohne ſchoͤpferiſche Kraft.

Jn der Muſik unnachahmlich. Schoͤpfer mit der Violin.

Man kann ſich kaum ein kenntlicheres Portraͤt gedenken, als dieß von Pfenninger ge - zeichnete und radirte. Beſtaͤtigt dieß nicht meine auf dem vorhergehenden Blatte ausge - druͤckte Hoffnung?

Man bemerke an dieſem Bilde zuvoͤrderſt uͤberhaupt die Form des Ganzen dann beſonders die zuruͤckgehende Stirn dann das vorgehende Untertheil des Geſichtes die Voͤlle der Gliedmaßen die Beſtimmtheit, Reinheit, Feingewoͤlbtheit der Stirn; die La - ge und ſanfte Staͤrke der Augenbraunen; das, obgleich kurzſichtige, dennoch tief beobach - tende Auge; die große und dennoch nichts weniger als plumpe Naſe, mit dieſem bemerkba - ren Ruͤcken, den feinen, geſchmackvollen Uebergang von der Naſe zur Lippe, den geiſtvollen Umriß der Oberlippe, und ihr Verhaͤltniß zur Unterlippe den ſcharfen Einſchnitt am pro - portionirten wieder hervorſpringenden feinen Kinne.

F f 2Alles228XXIX. Fragment.

Alles an dieſem Geſichte, vornehmlich aber der untere Theil deſſelben iſt voll der kraͤf - tigſten Expreſſion von Verſtand, Feinheit, Geſchmack, und Reinheit aller Kunſtverrich - tungen.

Hier die alles dieſes beſtaͤtigende Silhouette.

[figure]
Zweyte
[figure]
229Noch einige andere Kuͤnſtler.

Zweyte Tafel. Janus Luteca, Goldſchmid.

Muth, Feuerkraft iſt der Hauptcharakter dieſes Kopfes die Stirn hat in ihrer Geradheit und Hoͤhe viel Eigenſinn und Reichthum. Der runde Umriß des obern Augenlieds zeigt et - was bloͤdes, weichliches die Naſe iſt eines fruchtbaren, beynahe erhabnen Genies der Mund, voll geraden, feſten Sinnes, druͤckt Bewußtſeyn ſeiner Kunſt, und allenfalls Verach - tung des Nebenbuhlers aus. Jm Originale iſt nichts von dieſem Veraͤchtlichen; vielmehr die edelſte, maͤnnlichſte Guͤte.

Jn dem nachſtehenden Umriſſe, wer verkennt einen der groͤßten, geſchmackvollſten Kunſt - kenner! welche Mannsſtirn! welch treffendes Auge! welche knorpliche beſtimmt gezeichnete Naſe welche freye Beſtimmtheit im Munde! welche Proportion und Feſtigkeit im Ganzen!

[figure]
F f 3Dritte230XXIX. Fragment.

Dritte Tafel. Paul Duͤ Pont nach Vandyk.

Vandykiſirt ein Schuͤler von Vandyk, ein vortrefflicher Kupferſtecher. Was man heißt: Ein ſchoͤner, herrlicher Mann! Fuͤr mein Auge hat jedoch der aͤuſſere Graͤnzum - riß des Geſichtes etwas ſehr Fleiſchiges und Fades. Jm ganzen Geſichte nichts von Van - dyks eckigtem Geiſte und Kraftweſen. Die Stirn iſt offen, frey, und heiter; aber ohn alle Denkensanſtrengung und Anſtrengbarkeit Augen mit Vandyks Blicke tingirt; jedoch iſt im Bogen des Auges uͤber dem Augſtern gerade wieder etwas von der Kraftloſigkeit des aͤuſſern Umriſſes. Die Augenbraunen, beſonders die rechte, zeigt was; aber die Entfernung der Augenbraunen und die Form der Naſe harmonirt vollkommen mit mehr beſagtem Umriſſe. Jm Munde, ſey er nun wahr oder verſchoͤnert, iſt am meiſten Adel und Kunſtgeſchmack, ob - gleich auch dieſem, beſonders an den Enden, vermuthlich durch die Schuld des Kupferſtechers, noch viele kleine Beſtimmungen und Nuͤancen fehlen ...

Der Mann ſieht, und hat Geſchmack und Kraft nachzuahmen, aber nicht mit Van - dyks Schoͤpfergeiſte.

Nachſtehende Vignette ..... Ein harter Umriß nach einem Vandykiſchen Kupfer; Fall der Locken vollkommen Vandykiſch, nicht ganz die Stellung des Kopfes, die ſonſtimmer

[figure]

231Noch einige andere Kuͤnſtler. immer etwas ſchief und ſchmachtend oder kuͤhnſtrebend iſt Jn den Augenbraunen dieſes Um - riſſes iſt am meiſten Phyſiognomie.

[figure]
Vierte232XXIX. Fragment. Noch einige andere Kuͤnſtler.

Vierte Tafel. Zwey Portraͤte von Vandyk.

Hier alſo der erhabene Naturverſchoͤnerer ſelbſt in zweyen nicht uͤbelgerathenen Bildern ...

Adel, Wuͤrde, Selbſtſtaͤndigkeit, ... verliebte Beobachtung, ſtille Verſchlingung des feſt - gefaßten Gegenſtandes, Kraftfuͤlle, Fruchtbarkeit, Entſchloſſenheit Selbſtgefuͤhl mit Stolz und Liebe gemiſcht ſcheinen mir in beyden Geſichtern auffallend zu ſeyn.

Nicht des ſcharfen, tiefen, aber des hellen, beſtimmten, reichen Denkers oder Schnellſehers iſt die unſcharfe wohlgewoͤlbte Stirn.

Die Augenbraunen ſind in beyden Koͤpfen borſtig, ſchlecht, und mit dem herrlichen, frey - ſchwebenden halbidealiſchen Haare kontraſtirend.

Die Augen, freylich etwas hart, beſonders im obern. Jm untern wahrer, voll Jnnig - keit, Durchdringung, Wuͤrkung ... Seiner Portraͤte Augen haben beynah alle was von dieſem treffend ſchmachtenden; dieſer fruchtbaren Empfaͤnglichkeit.

Die Naſe mir entſcheidend fuͤr die innere, unerlernte, eigne Groͤße, die Groͤße em - pfindſamer, feiner Schnell - und Schoͤpfungskraft. Die obere iſt noch eckigter, kraͤftiger, kecker.

Muth, Stolz und Adel in dem Munde, ſo viel ſich davon ſehen laͤßt.

Jm Kinne gerade derſelbe Ausdruck.

Der aͤuſſere Umriß von der Stirn an, wo ſie nicht mehr vom Haare bedeckt wird, bis an den Hals iſt ebenfalls voll Feinheit und Geiſt ſo wie die Stellung und alles.

[figure]
Dreyßig -
[figure]
[figure]
233

Dreyßigſtes Fragment. Sanfte, edle, gute, treue, zaͤrtliche Charakter.

Laßt uns nun eine Reihe von edeln, zaͤrtlichen Charaktern vom gemeinſten geſunden Men - ſchenverſtande an, bis zum hoͤchſten Genie hinauf vorlegen hernach wieder große, unterneh - mende Helden, Krieger und Zerſtoͤrer ſodann Gelehrte vom Sammelgeiſte an bis zum hoͤchſten philoſophiſchen und theoſophiſchen Genie. Wer ſehen will, wird wenigſtens bey wiederholten Betrachtungen und Vergleichungen viel ſehen.

Erſte Tafel. Zwey Profile in Ovalen. H. St.

Zwey Portraͤte von demſelben guten, ehrlichen, ſanften, beſcheidnen Manne, die bey - de aͤhnlich, und beyde ſehr unaͤhnlich ſind.

Die Stellung und das Ganze des erſtern iſt viel wahrer, freyer, denkender, als des zweyten.

Das zweyte in einzelnen Zuͤgen getroffner, als das erſte.

Beyde aber zeigen einen leichten, weichen, guten, eindruckfaͤhigen Mann an.

Die Stirn des erſtern ſcheint mehr Nachdenken und Geſchmack anzuzeigen.

Die Naſe des erſtern iſt wahrer, und druͤckt ſicherlich mehr Verſtand aus, als die des zweyten.

Das Auge des zweyten, obwohl etwas geſpannt und hart, iſt wahrer als des erſten.

Die Oberlippe des zweyten iſt guͤtiger, die Unterlippe, auſſenher wenigſtens, verſtaͤndiger, als des erſten.

Gerader, gedehnter, ſteifer, iſt das zweyte, als das erſte.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. G gZweyte234XXX. Fragment.

Zweyte Tafel. Ein Profilportraͤt H.

Unter die ſanften, geſchmeidigen, guten Charakter gehoͤrt auch dieſes abermal weit hinter dem Originale zuruͤckſtehende Profil. Es iſt das nicht ſehr kenntliche Portraͤt eines liebenswuͤrdigen Mannes von Einſicht und Geſchmack.

Die Fehler der Zeichnung ſind allzuweite Entfernung des Auges von dem Naſen - laͤppchen; die weiße Flaͤche vom Auge bis zum Munde; Haͤrte des Mundes, beſonders im Winkel und in der Unterlippe; der zu bogigte Umriß der Kinnlade.

Durch dieß alles iſt dem Geſichte viel Geiſt und Herz geraubt.

Daß es aber auch ſo, wie’s da iſt, eines guten Menſchen Geſicht iſt, ſcheint mir ge - wiß zu ſeyn. Durch die Gedehntheit des Untertheils des Geſichtes hat der Ausdruck weniger an Guͤte, als an Geiſt verloren.

Das Ohr iſt gut gemacht, und hat viel Ausdruck von Sanftheit. Auch iſt Herr H. ein Kenner und Freund der Tonkunſt.

Jn der Stirne, vermeyn ich Witz, ohne Bosheit; in der Naſe was Edles, ſo wie im ganzen Geſichte viel Guͤte und Dienſtgefliſſenheit zu bemerken.

Jm ganzen Umriſſe, im ganzen Geſichte keine gerade, keine harte Linie nicht ſo weich, wie der vorige etwas zaͤher, aber nicht haͤrter.

Nun
[figure]
235Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter.

Nun noch ein Wort von der Manier. Man ſieht freylich in dieſem Stuͤcke noch die Haͤrte anfangender Uebung; aber Backen, Ohr und Hals und ein Theil der Naſe zeigen, was ſich von dieſer Manier verſprechen ließe, wenn ſie mehr ſtudiert, und durch Uebung vervoll - kommnet wuͤrde. Welch ein gluͤckliches Mittel zwiſchen dem Unbeſtimmten und Rußigen der ſchwarzen Kunſt und der Haͤrte auch der ſchoͤnſten Schrafur des Grabſtichels.

[figure]
G g 2Dritte236XXX. Fragment.

Dritte Tafel. Vier maͤnnliche Profilumriſſe.

Wir kennen dieſe 4 Profile ſchon aus dem erſten Theile. Sie gehoͤren aber wiederum hieher in die Reihe der ſanften, treuen, edeln, zaͤrtlichen Charakter. Man wird in keinem von allen ge - waltſam gebrochne, oder hartgeſpannte Umriſſe und Zuͤge, in keinem was Felſernes wahrnehmen. Jn keinem Uebergewicht treibender, vordringender, fruchtbarer, drohender Schnellkraft. Jn al - ler Augen, aller Mund iſt Sanftheit. Am trockenſten iſt das letzte Proſil.

IV.

Aber von nachſtehendem Bilde, was ſollen wir ſagen?

[figure]
Erſt,
[figure]
237Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter.

Erſt, die ganze Geſtalt des Juͤnglings! wie waͤr uͤber die ſo viel zu ſagen! wie viel mehr als uͤbers Geſicht! Es iſt wohl kein Menſchenauge, das ſie nicht proportionirt, edel und rein finden wird. Dieſe unbeſchreibliche Proportion, dieſe gleichmaͤßige Miſchung von Weib - lichkeit und feſter Maͤnnlichkeit! dieß Leichte und Geſetzte! dieſe Unſchuld ohne Schwachheit! dieſe Unverfuͤhrbarkeit ohne Strenge, dieſe mitgebohrne Sicherheit in ſich ſelbſt, dieſe freye, na - tuͤrliche, innere Selbſtſtaͤndigkeit, ſo hab ich ſie noch in keinem Menſchen geſehen! Und der innere Charakter, wie rein entſprechend der aͤuſſern Geſtalt! Welche Harmonie, welche Ruhe, welche Freyheit der Seele! welcher Muth ohne Trutz! welche Demuth ohne Aengſtlichkeit! welche Freyheit ohne blendenden Glanz! welche jedem Geſchlechte, allen Zungen und Menſchen ſich empfehlende, ohne alles Geſuch ſich einſchmeichelnde Liebenswuͤrdigkeit!

Dieſe reine Flachheit, ich ſage nicht Plattheit, der runzelloſen, hohen, offnen, heitern, gedaͤchtnißreichen Stirn, die keines ſchiefen, dunkeln Gedanken, keines verworrenen Blickes faͤ - hig iſt; dieſe jungfraͤuliche Naſe, dieſes Auge ohne alle Praͤtenſion, durch Krankheit bloͤde, (ſey’s Warnung dem Phyſiognomiſten, den Menſchen nicht zu ſchnell, und nicht allein aus dem Au - ge zu beurtheilen!) dieſe ſanftlaͤchelnden, beſtimmt gezeichneten Lippen, dieß wenig zuruͤckgehende, zarte, einfache Kinn, dieſe einfache Woͤlbung der Backen, dieſe Plattheit oben auf dem Schaͤ - del, dieſe vom Haare bedeckte Gewoͤlbtheit des Hinterhaupts, dieſe hervorſtechende ſcharfe Fuͤhl - barkeit des ... Knochen dieſe ſich uͤbers Ganze verbreitende, alles zuſammen faſſende Einfachheit alles dieſes, wie zuſammenſtimmend, die jungfraͤuliche Empfaͤnglichkeit des un - ſchoͤpferiſchen Charakters zu bezeichnen! zu bezeichnen die von Falſchheit, Tuͤcke, Schlauig - keit, Kleinheit, Anmaßung, Ehrgeiz ſo entfernte reine, zartfuͤhlende Engelsſeele; das durch keinen Adel, keinen Reichthum, und keinen Mißbrauch des Reichthums verunedelte, durch das feinſte Liebesgefuͤhl nicht zwar durchgluͤhte, aber immer gleich warme Treue; die durch keine Vorurtheile beſchraͤnkte, keine Leidenſchaften, keine Beyſpiele, keine Welt voll Reizungen verfuͤhrbare, durch keine Reihe von Hofmeiſtern ſteifgemodelte Seele, die immer, wie die Geſtalt des Koͤrpers, in ihrer Aufrechtheit daſteht mit dem leichten, geſchmackvollen Kleide, wie die hoheG g 3Tanne!238XXX. Fragment. Tanne! mit Epheu umwunden, ein lauter Zeuge, daß unter den Menſchen noch Menſchheit wandle.

Wir geben dem ſanften, edlen Juͤnglinge eine ſanfte, edle, unſchuldige, reine Seele zur Nachbarinn.

[figure]
Vierte
[figure]
239Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter.

Vierte Tafel. Ein ſchattirtes Profil St.

Dieß Geſicht, man haͤlts fuͤr ſehr kenntlich, aber der Zeichner und der Kupferſtecher, jeder hat’s mit ſeiner Jndividualitaͤt der eine mit ſeiner Zaghaftigkeit, der andere mit ſeiner Haͤrte ſolcher - geſtalt tingirt, daß ich’s weit unter der edeln, biegſamen Natur und ihrer Feſtigkeit finde.

Dieß Geſicht iſt offenbar das Bild eines aͤuſſerſt ſanften, ſehr beſcheidenen, lernensbegieri - gen, edeln, wohlthaͤtigen Menſchenfreundes, eines ſehr gewiſſenhaften Arztes, eines helldenkenden Gelehrten, und eines Mannes von dem trefflichſten Eharakter, und der beſten Lebensart.

Dieß Sanfte, Edle, Gute des Charakters zeigt ſich aus der (in der Natur noch mehr zuruͤckgebognen) Stirne, die ohn alle Haͤrte und eckigte Geradheit iſt;

Aus der Hoͤhe und dem Bogen der Augenbraune, die zwar (wie beynahe alle von demſel - ben Zeichner) merklich zu weit vom Auge abſteht;

Beſonders aus dem Munde, der wie beynahe jeder gezeichnete Mund, ein Gemeinplatz von Unbeſtimmtheit und ohn alle Theorie von dem Bau, oder, wenn man lieber will, von dem mah - leriſchen Effekte eines jeden gutbeleuchteten Mundes gezeichnet iſt. Und deſſen ungeach - tet wer ſieht nicht die beſcheidenſte Kinderguͤte in der ganzen Parthie von Oberlippe und Mund! das Niederſinken und Ruhen der merklich vorſtehenden Oberlippe auf der untern die aufwaͤrts gegen das Ohr ſtrebende Schlangenlinie des aͤuſſern Umriſſes der Unterlippe das ſichtbare Licht, welches dieſe Unterlippe von dem mittlern Schatten des obern Theils des Kinns ſcheidet alles dieſes iſt Concert der Guͤte aber nicht einer leichtſinnigen, noch weniger, einer dummen Guͤte.

Eben dieſe edle, weiſe Guͤte iſt beſonders auch im Auge beſonders dem obern Augenliede, dem Zuruͤckſtehen des beſtimmt ſichtbaren Augenſterns, und vornehmlich in der reinen, herrlichen Li - nie, welche den untern Umriß des obern Augenlieds beſtimmt, die, wie ich ſchon mehrmals geſagt, gemeiniglich ſo ſehr vernachlaͤſſigt wird, und die ſo ſehr bedeutend iſt, ausgedruͤckt.

Die Stirn iſt zu kahl, zu unbeſtimmt ſchattirt.

Die Schattirung von den Augenbraunen an bis zum Kinne herab iſt ſehr wahr, und har - monirt trefflich mit dem Charakter weiſer Guͤte und Unſchuld.

Mit240XXX. Fragment.

Mit dieſem auch das Haar der Natur, (das auch hier ſo hart und wie Drat iſt ) die hintere Woͤlbung des Hauptes und die Stellung des Kopfes.

Schade, daß der Umriß des Profils durch kleine, kaum bemerkbare Ausgleitungen des Grabſtichels vom Grunde her, von ſeiner Reinheit und edeln Beſtimmtheit viel verloren. Ein Fehler, der ſehr gemein, ſehr leicht begangen, und ſehr wichtig iſt.

Jch uͤbertreibe gewiß nicht, wenn ich ſage, daß Eines Haars Breite in einem Kopfe von Lebensgroͤße wie vielmehr in einer kleinen Copie von Wichtigkeit und Bedeutung iſt.

Sonſt iſt die Schrafur an dieſem Kopfe, an ſich betrachtet, meiſterlich und beynahe Muſter.

Nachſtehende Vignette Ein wuͤrdiger Sohn des wuͤrdigen Vaters; deſſen Stirn Ge - daͤchtnißreichthum, deſſen Auge Verſtand, deſſen Lippen Guͤte verſprechen.

[figure]
Fuͤnfte
[figure]
241Sanfte, edle, treue, zaͤrtliche Charakter.

Fuͤnfte Tafel. H ... Z.

Treue Gewiſſenhaftigkeit; edle Guͤte, Redlichkeit mit Feinheit; Thaͤtigkeit mit Kraft; Staͤrke mit Zaͤrtlichkeit, reiche und helle jedoch unſchoͤpferiſche Einbildungskraft mit ſchauendem und wuͤr - kendem Verſtande, machen den Hauptcharakter des Originals aus.

Das Bild hat zum Theil viel Maͤnnliches verloren und Jungfraͤuliches gewonnen.

Jn der Stirne iſt nichts eckigtes, ſcharfes der Uebergang von der Stirne zur Naſe iſt nicht wahr. Er iſt viel beſtimmter und kraftreicher im Originale.

Jm Auge iſt treffender Verſtand; Entſchluß und That, und Zuverlaͤſſigkeit.

Die zu hohe, zu ſtark gebogne Augenbraune iſt unwahr und wider den Charakter des Auges.

Jn der Naſe iſt Feinheit und produktife Kraft.

Der Mund iſt hier zu fade, zu ſuͤßlaͤchelnd gezeichnet; aber dennoch iſt edle, weiſe Guͤte noch hell durchſcheinend. Auch im Kinn iſt noch viel, ob’s gleich in der Natur reiner gezeichnet, und der untere Theil nach Verhaͤltniß nicht ſo fleiſchig iſt.

Nachſtehendes mir von Perſon und Charakter unbekanntes Geſicht gehoͤrt gewiß auch in die Klaſſe der edelſten, ſanfteſten, zaͤrtlichſten, unvergleichbarſten, und liebenswuͤrdigſten Seelen.

[figure]
Phyſ. Fragm. II Verſuch. H hSechste242XXX. Fragment.

Sechste Tafel. P. ... t. Guͤte mit gehaltner Kraft.

Jedes Geſicht, das dem Mahler herhaͤlt, wird matt und ſteif. Daher faſt kein wahres Por - traͤt in der Welt; wenigſtens kaum Eins auf dem Kupfer. Keine Geſichter aber verlieren da - durch gemeiniglich in der Zeichnung mehr, als die, die aus unſcharfen Umriſſen beſtehen. Nur ein wenig minder Aktivitaͤt, nur ein wenig mehr Schlaffheit, und der Mahler, der die harten Ge - ſichter gemeiniglich haͤrter, die ohne das etwas ſchlaffen oder ſtumpfen noch um etwas ſchlaffer oder ſtumpfer zu machen pflegt wird Euch, auch wenn er ein ſehr kenntliches Portraͤt liefert, ein ſeelenloſes liefern. Ein Beyſpiel das Geſicht, das wir vor uns haben.

Beynah alles etwas mehr abgerundet, als in der Natur, und alles dadurch matter und kraftloſer. Aber auch in dieſer Kraftloſigkeit immer noch ein ausgezeichnetes Geſicht, von einem der treuſten, maͤnnlichſten, feſteſten, und zugleich zaͤrtlichſten, edelſten Charakter.

Die ganz ungewoͤhnlich zuruͤckgehende Stirn mit dieſer Hoͤhlung des Naſenumriſſes wir kennen den Charakter dieſes Zuges ſchon wir finden ihn bey keinem gemeinen Menſchen.

Der Blick iſt ſtaunend; das Auge, beſonders nach dem Umriſſe des obern und untern Au - genlieds betrachtet, iſt nicht des ſpekulatifen Genies, aber des ſinnlich richtigen, geſunden, ſchnellen Beobachters.

Die Naſe iſt am meiſten verfehlt, und der Umriß von der Naſenſpitze bis zur Oberlippe iſt zu ſehr eingekerbt, da ſonſt der uͤbrige Umriß zu rund iſt, welches dem geuͤbtern phyſiognomiſchen Auge unertraͤglich iſt.

Das ganze Geſicht macht den Eindruck eines feſten, entſchloſſenen, klugen Mannes, der auf ſich ſelber ſtehen kann Dieß druͤckt ſich zum Theil auch in dem Einſchnitte uͤber dem Kinn - ball aus, der in der Natur noch tiefer und ſchaͤrfer zu ſeyn ſcheint.

Noch bemerken wir das ſonderbare, herabgehende, anklebende Ohrlaͤppchen woruͤber ich freylich noch nichts zuverlaͤſſiges zu ſagen weiß.

Siebente Tafel. I. L. P.

Daſſelbe Geſicht mit beyden Augen. Viel beſtimmter, genauer und feſter gezeichnet; aber in einer Stunde, wo der Treue, Zaͤrtlichliebende ſich von liebenden Geliebten losreiſſen mußte; wo er mit gehaltner Staͤrke ſeine Gedanken im Zaume, und ſeine Thraͤnen zuruͤckzuhalten, ſich anſtrengen, ſichverſteinern

[figure]

[figure]

243Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. verſteinern mußte. Daher hat unſer Bild, wie ſich jemand vortrefflich ausdruͤckte, eine zu ruhige, zu harte Auſſenſeite. Das Leben, das aus dem tiefen Quelle zwar nicht ſprudelt, aber doch leben - dig aufquillt, iſt nicht ausgedruͤckt; wohl etwas von der eiſernen Macht, die die Lebendigkeit der Empfindung zuruͤckhaͤlt, damit der Ausdruck davon nicht bey jedem Anlaſſe ſich losreiſſe. Er ſieht wohl ſtarr zuweilen; aber ſelten ſo ſtillbetrachtend, ſondern theilnehmend. Er ſieht mit offenem Auge gerade; aber dann iſt das Gefuͤhl von dem, was er ſieht, hoͤret, und denkt, gedrungener in ihm, und ſeine Seele arbeitet leiſe indeß daß alle ſeine Zuͤge ſprechen. Auch fehlt hier ganz die heitere, frohe, jedem mit guter Laune begegnende Freundlichkeit, die beym erſten Anblicke jeder - mann gewinnt, jeden im Erfolge feſthaͤlt.

Ja ein Geſicht ohn alle Schaͤrfe in den Umriſſen, aber innwendig voll eiſerner Knochen und Muskeln. So hab ich noch nie die tiefſte, reinſte, edelſte Zaͤrtlichkeit mit der hoͤchſten Manns - kraft, Geiſtesſtaͤrke, Heldenmuth zuſammengeſchmolzen geſehen.

Dieſelbe Compoſition des Charakters, nur mit einem Zuſatze von Leichtigkeit, Verſtand, ſtil - lem Stolz und Eigenſinne vermuth ich in nachſtehender Silhouette, die freylich, beſonders um den Mund, nicht genau iſt.

[figure]
H h 2Achte244XXX. Fragment.

Achte und neunte Tafel. C ... s. de St. ... g.

Die Juͤnglinge, deren Bilder und Silhouetten wir hier vor uns haben, ſind die erſten Men - ſchen, die mir zur phyſiognomiſchen Beſchreibung ſaßen und ſtanden, wie, wer ſich mahlen laͤßt, dem Mahler ſitzt.

Jch kannte ſie ſonſt, die edeln und ich machte den erſten Verſuch, nach der Natur und mit aller ſonſtigen Kenntniß ihren Charakter zu beobachten und zu beſchreiben.

Hier iſt die Beſchreibung des ganzen Menſchen Erſtlich von 1. und 3.

Siehe den bluͤhenden Juͤngling von 25. Jahren! das leichtſchwebende, ſchwimmende, elaſtiſche Geſchoͤpfe! Es liegt nicht; es ſteht nicht; es ſtemmt ſich nicht; es fliegt nicht; es ſchwebt oder ſchwimmt. Zu lebendig, um zu ruhen; zu locker, um feſt zu ſtehen; zu ſchwer und zu weich, um zu fliegen.

Ein ſchwebendes alſo, das die Erde nicht beruͤhrt! Jn ſeinem ganzen Umriſſe keine voͤl - lig ſchlaffe Linie, aber auch keine gerade, keine geſpannte, keine feſt gewoͤlbte, hart gebogene; kein eckigter Einſchnitt; kein felßigtes Vorgebuͤrge der Stirn; keine Haͤrte; keine Steifigkeit; keine zuͤrnende Rohigkeit; keine drohende Obermacht; kein eiſerner Muth elaſtiſch reizbarer wohl, aber kein eiſerner; kein feſter, forſchender Tiefſinn; keine langſame Ueberlegung, oder kluge Bedaͤchtlichkeit; nirgends der Raiſonneur mit der feſtgehaltnen Wagſchaale in der einen, dem Schwerte in der andern Hand, und doch auch nicht die mindeſte Steifheit im Blicke und Urtheile! und doch die voͤlligſte Geradheit des Verſtandes, oder vielmehr der unbefleckteſte Wahrheitsſinn! Jmmer der innige Empfinder, nie der tiefe Ausdenker; nie der Erfinder, nie der pruͤfende Entwickler der ſo ſchnellerblickten, ſchnellerkannten, ſchnellgeliebten, ſchnellergriff - nen Wahrheit .... Ewiger Schweber! Seher! Jdealiſirer! Verſchoͤnerer! Geſtalter al - ler ſeiner Jdeen! Jmmer halbtrunkener Dichter, der ſieht, was er ſehen will; nicht der truͤbſinnig ſchmachtende nicht der hartzermalmende; aber der hohe, edle, gewaltige! der mit gemaͤßigtem Sonnendurſt in den Regionen der Luft hin und herwallt, uͤber ſich ſtrebt, undwieder

[figure]

[figure]

245Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. wieder nicht zur Erde ſinkt! zur Erde ſich ſtuͤrzt, in des Felſenſtromes Fluthen ſich taucht, und ſich wiegt im Donner der hallenden Felſen umher Sein Blick nicht Flam - menblick des Adlers! ſeine Stirn und Naſe nicht Muth des Loͤwen! ſeine Bruſt nicht Fe - ſtigkeit des Streit wiehernden Pferdes! Jm Ganzen aber viel von der ſchwebenden Gelenkſam - keit des Elephanten .....

Die Aufgezogenheit ſeiner vorragenden Oberlippe gegen die unbeſchnittene, uneckige, vorhaͤngende Naſe zeigt, bey dieſer Beſchloſſenheit des Mundes, viel Geſchmack und feine Empfindſamkeit; der untere Theil des Geſichtes viel Sinnlichkeit, Traͤgheit, Achtloſigkeit. Der ganze Umriß des Halbgeſichtes Offenheit, Redlichkeit, Menſchlichkeit, aber zugleich leichte Verfuͤhrbarkeit und einen hohen Grad von gutherziger Unbedachtſamkeit, die niemanden als ihm ſelber ſchadet. Die Mittellinie des Mundes iſt in ſeiner Ruhe eines geraden, plan - loſen, weichgeſchaffenen, guten; in ſeiner Bewegung eines zaͤrtlichen, feinfuͤhlenden, aͤuſſerſt reizbaren, guͤtigen, edlen Menſchen. Jm Bogen der Augenlieder und im Glanze der Au - gen ſitzt nicht Homer, aber der tiefſte, innigſte, ſchnelleſte Empfinder, Ergreifer Homers; nicht der epiſche, aber der Odendichter; Genie, das quillt, umſchafft, veredelt, bildet, ſchwebt, alles in Heldengeſtalt zaubert, alles vergoͤttlicht Die halbſichtbaren Augenlieder, von einem ſol - chen Bogen, ſind immer mehr feinfuͤhlender Dichter, als nach Plan ſchaffender, als langſam ar - beitender Kuͤnſtler; mehr der verliebten, als der ſtrengen. Das ganze Angeſicht des Juͤnglings iſt viel einnehmender und anziehender, als das um etwas zu lockere, zu gedehnte Halbgeſicht; das Vordergeſicht zeugt bey der geringſten Bewegung von empfindſamer, ſorgfaͤlti - ger, erfindender, ungelernter, innerer Guͤte, und ſanft zitternder, Unrecht verabſcheuender Freyheit duͤrſtender Lebendigkeit. Es kann nicht den geringſten Eindruck von den vielen Verbergen, die es auf einmal, die es unaufhoͤrlich empfaͤngt. Jeder Gegenſtand, der ein nahes Verhaͤltniß zu ihm hat, treibt das Gebluͤt in die Wangen und Naſe; die jungfraͤulich - ſte Schamhaftigkeit in dem Punkte der Ehre, verbreitet ſich mit der Schnelle des Blitzes uͤber die zart bewegliche Haut.

H h 3Die246XXX. Fragment.

Die Geſichtsfarbe, ſie iſt nicht die blaſſe des alles erſchaffenden und alles verzehrenden Genius; nicht die wildgluͤhende des verachtenden Zertreters; nicht die milchweiße des bloͤden, nicht die gelbe des harten und zaͤhen; nicht die braͤunliche des langſam fleißigen Arbeiters; aber die weißroͤthlichte, violette, ſo ſprechend und ſo unter einander wallend, ſo gluͤcklich gemiſcht, wie die Staͤrke und Schwaͤche des ganzen Charakters. Die Seele des Ganzen und eines jeden beſondern Zuges iſt Freyheit, iſt elaſtiſche Betriebſamkeit, die leicht fortſtoͤßt, und leicht zuruͤck - geſtoßen wird. Großmuth und aufrichtige Heiterkeit leuchten aus dem ganzen Vordergeſichte und der Stellung des Kopfes. Unverderblichkeit der Empfindung, Feinheit des Geſchmacks, Reinheit des Geiſtes, Guͤte und Adel der Seele, betriebſame Kraft, Gefuͤhl von Kraft und Schwaͤche, ſcheinen ſo allzudurchdringend im ganzen Geſichte durch, daß das ſonſt muthige Selbſtgefuͤhl ſich dadurch in edle Beſcheidenheit aufloͤßt, und der natuͤrliche Stolz und die Juͤng - lingseitelkeit ſich ohne Zwang und Kunſt in dieſem herrlich ſpielenden All liebenswuͤrdig ver - daͤmmert. Das weißliche Haar, die Laͤnge und Unbehaglichkeit der Geſtalt, die ſanfte Leich - tigkeit des Auftritts, das Hin - und Herſchweben des Ganges, die Flaͤche der Bruſt, die weiße faltenloſe Stirn, und noch verſchiedene andere Ausdruͤcke verbreiten uͤber den ganzen Menſchen eine gewiſſe Weiblichkeit, wodurch die innere Schnellkraft gemaͤßigt, und dem Herzen jede vor - ſaͤtzliche Beleidigung und Niedertraͤchtigkeit ewig unmoͤglich gemacht, zugleich aber auch offenbar wird, daß der muth - und feuervolle Poet, mit allem ſeinem unaffektirten Durſte nach Freyheit und Befreyung, nicht beſtimmt iſt, fuͤr ſich allein ein feſter, Plan durchſetzender, ausharrender Geſchaͤfftsmann, oder in der blutigen Schlacht unſterblich zu werden. Und nun erſt am Ende merk ich, daß ich von dem Auffallendſten noch nichts geſagt; nichts von der edlen, von aller Affektation reinen Simplicitaͤt! Nichts von der Kindheit des Herzens! Nichts von dem gaͤnzli - chen Nichtgefuͤhle ſeines aͤuſſerlichen Adels! Nichts von der unausſprechlichen Bonhomie, mit welcher er Warnung und Tadel, ſogar Vorwuͤrfe und Unrecht, annimmt und duldet.

Doch, wer will ein Ende finden, von einem guten Menſchen, in dem ſo viel reine Menſch - heit iſt, alles zu ſagen, was an ihm wahrgenommen oder empfunden wird!

Wir247Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter.

Wir wollen ihm hier des Vaters Homers Schattenriß zur Schlußvignette geben Die Naſe hat viel Aehnlichkeit Jn der Stirn iſt mehr Plan und der Sitz epiſcher Dich - tungskraft.

[figure]
II. 2. 4.248XXX. Fragment.

II. 2. 4. Der Bruder des vorigen.

Was ich von dem juͤngern Bruder geſagt wie viel davon kann auch von dieſem geſagt werden! Das vornehmſte, das ich anmerken kann, iſt dieß: Dieſe Figur und dieſer Charakter ſind mehr gepackt und weniger gedehnt, als die vorige. Dort alles laͤnger und flaͤcher; hier alles kuͤrzer, breiter, gewoͤlbter, gebogener; dort alles lockerer, hier beſchnittener. So die Stirn; ſo die Naſe; ſo die Bruſt; zuſammengedraͤngter, lebendiger, weniger verbreitete, mehr zielende Kraft und Lebendigkeit! Sonſt dieſelbe Liebenswuͤrdigkeit und Bonhomie! Nicht die auffallende Of - fenheit; mehr Verſchlagenheit, aber im Grunde, oder vielmehr in der That, eben dieſelbe Ehr - lichkeit. Derſelbe unbezwingbare Abſcheu gegen Unrecht und Bosheit; dieſelbe Unverſoͤhnlichkeit mit allem, was Raͤnk und Tuͤcke heiſt; dieſelbe Unerbittlichkeit gegen Tyranney und Deſpotis - me; daſſelbe reine, unbeſtechliche Gefuͤhl fuͤr alles Edle, Gute, Große; daſſelbe Beduͤrfniß der Freundſchaft und Freyheit; dieſelbe Empfindſamkeit und edle Ruhmbegierde; dieſelbe Allgemein - heit des Herzens fuͤr alle gute, weiſe, einfaͤltige, kraftvolle, beruͤhmte oder unberuͤhmte, gekannte oder mißkannte Menſchen; und dieſelbe leichtſinnige Unbedachtſamkeit. Nein! nicht ge - rade dieſelbe. Das Geſicht iſt beſchnittener, angezogener, feſter; hat mehr innere, ſich leicht ent - wickelnde Geſchicklichkeit zu Geſchaͤfften und praktiſchen Berathſchlagungen; mehr durchſetzenden Muth, der ſich beſonders in den ſtark vordringenden, ſtumpf abgerundeten Knochen der Augen zeigt. Nicht das aufquillende, reiche, reine, hohe Dichtergefuͤhl; nicht die ſchnelle Leichtigkeit der produktifen Kraft des andern. Aber dennoch, wiewohl in tiefern Regionen, lebendig, richtig, in - nig. Nicht das luftige, in morgenroͤthlichem Himmel dahin ſchwebende, Geſtalten bildende Licht - genie Mehr innere Kraft, vielleicht, weniger Ausdruck! mehr gewaltig und furchtbar weniger praͤchtig und rund; obgleich ſeinem Pinſel weder Faͤrbung noch Zauber fehlt. Mehr Witz und raſende Laune; drolligter Satyr; Stirn, Naſe, Blick alles ſo herab, ſo vorhaͤn - gend; recht entſcheidend fuͤr originellen, allbelebenden Witz, der nicht von auſſenher einſammelt, ſondern von innen heraus wirft. Ueberhaupt iſt alles an dieſem Charakter vordringender,eckiger,249Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. eckiger, angreifender, ſtuͤrmender! Nirgends Plattheit, nirgends Erſchlaffung, ausgenom - men im zuſinkenden Auge, wo Wolluſt, wie in Stirn und Naſe hervorſpringt. Sonſt ſelbſt in dieſer Stirne, dieſer Gedraͤngtheit von allem dieſem Blicke ſogar untruͤgbarer Aus - druck von ungelernter Groͤße; Staͤrke; Drang der Menſchheit; Staͤndigkeit; Einfachheit; Be - ſtimmtheit!

Noch einige beſondere Anmerkungen uͤber die Portraͤte und Sil - houetten der beyden Tafeln.

Die unſchattirte Tafel iſt weniger wahr als die ſchattirte ...

1 iſt trockener, mißbehaglicher, als das ſchattirte Profil. Doch iſt die Augenbraune wahrer, und der mehr zuruͤckſtehende Augenſtern denkender, vernuͤnftiger im bloßen Umriſſe, als im ſchattir - ten. Der Mund im letztern hat mehr gefuͤhlvolle dichteriſche Bonhomie, als im bloßen Umriſſe. Und wo liegt dieß? Jn dem Ueberhaͤngenden der Oberlippe und dem Zuruͤckſtehen der Unter - lippe; in dem wahreren Verhaͤltniſſe der Hoͤhe beyder Lippen. Jm unſchattirten iſt die Unter - lippe groͤßer; im ſchattirten kleiner als die Oberlippe; und dann fehlt hinten am Munde das Leben und Guͤte verkuͤndende Eckgen oder Kraftpunkt, oder ſcharfe Druck, oder wie mans nennen mag. Beſonders iſt auch noch der Unterſchied des Kinns zu bemerken. Jm unſchattirten iſt der Kinn - ball etwas laͤnglichter, weniger rund, und der Uebergang zum Unterkinne ſchaͤrfer und groͤber.

Und wie verhaͤlt ſich nun der Schattenriß 3. auf der erſten Tafel, von demſelben Geſichte zu 1. und 1. auf beyden, und zum Schattenriß 3. auf der andern Tafel?

Der Umriß 3. auf der erſten unſchattirten Tafel hat viel mehr Sanftheit und Bonhomie, als der Umriß 1. auf derſelben Tafel; und nicht ganz die poetiſche Kraft des Graͤnzumriſſes am ſchattirten Profile auf der zweyten Tafel.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. J iAm250XXX. Fragment.

Am wahreſten und deinſten aber iſt die Silhouette 3. auf der zweyten Tafel. Voll der edelſten genievollſten Bonhomie.

Nun zu 2. und 4. auf beyden Tafeln alle 4. Bilder voll entſcheidender Expreſſio - nen, ſo voll Phyſiognomie, wie’s immer ein Menſchengeſicht ſeyn kann. Aber keines ſo edel, ſo groß, und ſo vollkommen wahr, als der vollſtaͤndige Schattenriß 4. auf der zweyten Tafel. Dieſer haͤlt uns wuͤrklich fuͤr alle das Fatale ſchadlos, das die uͤbrigen drey mehr und minder haben. Wieder ein Beweis von der Heiligkeit, wenn ich ſo ſagen darf, genauer Schattenriſſe!

2. auf der erſten Tafel hat nicht die vordringende Stirn von 2. und 4. der zweyten; und der Untertheil des Geſichtes, beſonders das Kinn, hat viel minder Feinheit, als in allen uͤbrigen. So iſt beſonders auch der Mund und der Uebergang von der Naſe zur Oberlippe in 2. der erſten Tafel nicht ſo fein und edel, als in 2. und 4. der zweyten Tafel.

4. auf der erſten Tafel iſt zu gedehnt; mithin ganz gegen den compakten Charakter des Originals, aber ſelbſt in dieſer unwahren Gedehntheit iſt noch Ausdruck genug von Groͤße und Originalitaͤt.

Wieder aber bitt ich 4. auf der zweyten Tafel zu betrachten. Wer hier nichts ſieht, wird nimmermehr was in einem Menſchengeſichte ſehen. Ein antiker Kopf, beſonders in der un - tern Haͤlfte. Welch ein treffliches Verhaͤltniß beſonders von der Spitze der Naſe zum Kinn? Jn der Stirne wie viel Kraft und denn in der Naſe, im Munde, wie viel Feinheit des Gefuͤhls, das ſich ſo leicht in Thraͤnen aufloͤßt.

Zum251Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter.

Zum Beſchluſſe dieſes Fragments ein ſehr kenntliches, zugleich aber gerade im ſchlechte - ſten Augenblicke ergriffenes Bild eines Mannes der vielleicht unter zehntauſenden Einer iſt, der helle Vernunft, treffenden Witz, unvergleichbare Guͤte, Empfindſamkeit und Treue, feſte Kraft, ſtille Ruhe und die beſtimmteſte fortgeſetzte Thaͤtigkeit vereinigt.

[figure]
J i 2Ein252XXXI. Fragment.

Ein und dreyßigſtes Fragment. Baͤren, Faulthier, Wildſchwein.

Baͤren, Ausdruck von Wildheit und Grimm. Voll Drohung und Zerreißkraft. Menſchen - ſcheu; Freunde alter wilder Natur.

Unau, Ai, Faulthier; das traͤgſte, unbehuͤlflichſte, elendeſte Geſchoͤpfe von der mangelhafteſten Bildung. Welche entſetzliche Kraftloſigkeit, Traͤge im Umriſſe des Kopfes, des Leibes, der Fuͤße? Kein Auftritt unter den Fuͤßen, kein Daumen, keine Zehen, deren jeder fuͤr ſich beweglich waͤre, ſondern nur zwo oder drey uͤbermaͤßig lange niederwaͤrts gebogene Krallen, die ſich nicht anders als zugleich bewegen koͤnnen. Jhre Langſamkeit, Dummheit, Achtloſigkeit fuͤr ſich ſelbſt iſt unbeſchreiblich. Sie haben keine Waffen, weder zum Angreifen, noch zur Vertheidigung; kein Mittel zur Sicherheit, nicht einmal ſich in die Erde einzugraben keinen Ausweg zur Rettung durch die Flucht. Sie kleben auf einem Flecke brauchen viele Zeit, um bis an den Fuß eines Baums zu kriechen, und noch mehr, bis zu ſeinen Zweigen zu kommen. Ha - ben ſie endlich mit unſaͤglicher Muͤhe die Krone des Baums erreicht, ſo bleiben ſie da ſitzen, und be - helfen ſich viele Wochen mit der trockenſten Nahrung der Blaͤtter: und bleiben, wenn ſie auch nichts mehr finden, weil ſie nicht wiſſen, wie ſie wieder herunter kommen wollen. Zuletzt ſtuͤr - zen ſie ſich herab, ſchwer wie ein Klotz, ohn alle Federkraft liegen da, ein Raub aller Thie - re. Kann nun die Phyſiognomie zum Ausdrucke von dieſem allen wahrer, ſtumpfer, traͤger, unbehuͤlflicher ſeyn?

Wer
[figure]
253Baͤren, Faulthier, Wildſchwein.

Wer ſieht nun aber nicht den wildern Charakter im wilden Schweine? den Mangel an allem Adel? das Gefraͤßige? Plumpe? die Stumpfheit des Gefuͤhles? die Grobheit des Ge - ſchmacks? Und im Dachſe, wer ſieht nicht das Unedle, Mißtrauiſche, Boshafte, Wildge - fraͤßige?

[figure]
J i 3Zwey254XXXII. Fragment.

Zwey und dreyßigſtes Fragment. Helden der Vorzeit.

Wir haben eine Reihe von edlen, ſanften Charaktern durchgegangen, und ich hoffe wenigſtens einiges Gefuͤhl des Allgemeinen dieſer Charaktere veranlaßt zu haben die beſondern einfachen Linien und Buchſtaben dieſer edlen, ſanften Treue und Zaͤrtlichkeit ſeyen dem letzten Bande vorbehalten.

Laßt uns nun zu den kraftvollſten, unternehmendſten Helden und Eroberern der Vorzeit fortgehen. Alles in der Welt triegt mich; ich habe keine Augen mehr, lebe nicht, exiſtire nicht, wenn nicht hier wiederum Wahrheit des Ausdrucks, Phyſiognomie auffallend iſt.

Erſte Tafel. Scipio.

Hohe, gewaltige, immer gegenwaͤrtige Heldenkraft, Widerſtand, Adel, und Guͤte. Der Knochenbau des Kopfs und die Bildung des Ganzen hoͤchſt gewaltig und feſt. Daß aber die Mus - keln etwas ſchlaffes und ſchwammichtes haben, iſt wahrſcheinlich Fehler der Zeichnung: dadurch ſchwebt eine Schattirung von moraliſcher Schwaͤche, Beſchraͤnktheit und Langſamkeit uͤber der Ge - ſtalt. Unbeweglich in ſeinen Verhaͤltniſſen iſt der Mann, ſtets den Augenblick ergreifend, immer Thaten und Handlungen und Schickſale vergleichend, und mit ſich verbindend. Kein Zug von untheilnehmendem, allgemeinem Forſchen. Befeſtiger ſeiner Stadt und ſelbſt Bollwerk.

Man vergleiche nachſtehende kraft - und gefuͤhlloſe, aufgedunſene, ſchlaffe Karikatur, mit jener erhabenen Mannheit.

[figure]
Zweyte
[figure]
[figure]
255Helden der Vorzeit.

Zweyte Tafel. Titus.

Wieder ein ganzer trefflicher Mann, was auch durch die ableitenden Nachbildungen verloren worden ſeyn mag. Gewißheit ſeiner ſelbſt, Beſtaͤndigkeit, reine Erkenntniß deſſen, was ihn um - giebt. Die Stirn und Augenknochen auf dem Bilde hier theils unbeſtimmt, theils verzogen, doch noch immer Feſtigkeit, Scharfſinn, Hochſinn. Jn dem faſt ganz vernachlaͤſſigten Auge noch immer Feinheit. Hoͤchſt edel und trefflich die Naſe. Der Mund von beſtimmter Weisheit und Guͤte traͤufelnd, Behaglichkeit der Wangen, und Saͤulenkraft des Nackens. Wie viel weni - ger von allem dieſem in der Vignette, und doch noch Kraft und Adel genug. Und nun nur ei - nen vergleichenden Blick von der Lippe des Titus auf der großen Platte zur Lippe des Nero hier unten.

[figure]
Dritte256XXXII. Fragment.

Dritte Tafel. Tiberius.

Ein edler Mann! Mehr unbehaglich und ungluͤcklich, als grimmig und boͤſe. Und iſt das nicht die Grundlage zu vielen Tyrannen?

Ein boͤſer Geiſt vom Herrn iſt uͤber ihm, ſein Herz iſt gedraͤngt, ſchwarze Bilder ſchwe - ben vor ſeiner Stirne, er zieht ſie widerſtrebend zuſammen, will mit dem unmuthigen Herrſcher - blicke die Geiſterſchaaren vertreiben, es gelingt ihm nicht. Unmuthiges Nachdenken quaͤlt ihn. Vergebens, daß uͤber ſeinen Augen reiner Verſtand wohnen, in lichten Verhaͤltniſſen ſich weiden koͤnnte! Sein Blut, ſchwarz wie ſein Haar, faͤrbt ihm alle Vorſtellungen naͤchtlich. Halb grim - mig hebt ſich die Naſe; leiſer, aͤngſtlicher Trutz iſt im gehobenen Munde; ſcheu und doch feſt iſt das ganze Weſen. Man bringe in Gedanken alle Zuͤge zur Ruhe, gieße in ſeine Adern wenige Zuͤge beſaͤnftigender, belebender, ſchaffender Fruͤhlingsluft, verduͤnne ſein Blut, und ſpuͤle die Zerſtoͤrungsbegier, die von ihm ſelbſt beginnt, ihm aus den Sinnen; ſo habt ihr ihn zum groſ - ſen, edeln, guten Manne wiedergebohren.

Das ſcheint mir dieſes Bild zu ſagen. Wer entſcheidet, wie viel Aehnlichkeit mit Ti - beren es habe? Eine tiefe Verborgenheit, die den Hauptzug ſeines Charakters ausmachte, iſt auch hier ausgedruͤckt. Allein das getreueſte Bild wuͤrde kaum den ſo veraͤnderlichen und ſeltſam gemiſchten Menſchen, wie uns Sveton und Tacitus ihn geben, in ſeiner Fuͤlle darſtellen koͤnnen.

Vierte und fuͤnfte Tafel. Brutus. *)Wer das Original dieſer Platte von Weſtermann nach Rubens haben kann, lege es zu dieſer Betrachtung,und vergleiche es dann phyſiognomiſch mit beyden hier angefuͤgten!

Welche Kraft ergreift dich mit dieſem Anblicke! Schau die unerſchuͤtterliche Geſtalt! Die - ſen ausgebildeten Mann, und dieſen zuſammen geknoteten Drang. Sieh das ewige Bleiben und Ruhen auf ſich ſelbſt. Welche Gewalt und welche Lieblichkeit! Nur der maͤchtigſte und rein - ſte Geiſt hat dieſe Bildung ausgewuͤrkt.

Eherner
[figure]
[figure]
[figure]
257Helden der Vorzeit.

Eherner Sinn iſt hinter der ſteilen Stirne befeſtigt, er packt ſich zuſammen, und arbeitet vorwaͤrts in ihren Hoͤckern, jeder, wie die Buckeln auf Fingals Schild von heiſchendem Schlacht - und Thatengeiſte ſchwanger. Nur Erinnerung von Verhaͤltniſſen großer Thaten ruht in den Au - genknochen, wo ſie durch die Naturgeſtalt der Woͤlbungen zu anhaltendem maͤchtig wuͤrkſamen An - theil zuſammen geſtrengt wird. Doch iſt fuͤr Liebe und Freundſchaft in der Fuͤlle der Schlaͤfe ein gefaͤlliger Sitz uͤberblieben Und die Augen! dahin blickend. Als des Edlen, der vergebens die Welt auſſer ſich ſucht, deren Bild in ihm wohnt, zuͤrnend und theilnehmend. Wie ſcharf und klug das obere Augenlied; wie voll, wie ſanft das untere! Welche gelinde kraftvolle Erhaben - heit der Naſe! Wie beſtimmt die Kuppe, ohne fein zu ſeyn, und die Groͤße des Naſenloches und des Naſenlaͤppchens, wie lindert ſie das Angeſpannte des Uebrigen! Und eben in dieſen untern Theilen des Geſichts wohnt eine Ahndung, daß dieſer Mann auch Sammlung gelaſſener Eindruͤcke faͤhig ſey. Jn der Ableitung des Muskels zum Munde herab ſchwebt Geduld, in dem Munde ruht Schweigen, natuͤrliche liebliche Selbſtgelaſſenheit, die feinſte Art des Trutzes. Wie ruhig das Kinn iſt, und wie kraͤftig ohne Gierigkeit und Gewaltſamkeit ſich ſo das Ganze ſchließt!

Betrachte nun den aͤuſſern Umriß! Wie gedraͤngt marckig! und wiederholt die Ehern - heit der Stirne, die Wuͤrkſamkeit des Augenknochens, den gefaͤllig feſten Raum an der Seite des Auges, die Staͤrke der Wangen, die Fuͤlle des Mundes, und des Kinns anſchließende Kraft.

Jch habe geendigt, und ſchaue wieder, und fange wieder von vornen an!

Mann verſchloſſener That! langſam reifender, aus tauſend Eindruͤcken zuſammen auf Einen Punkt gewuͤrkter, auf Einen Punkt gedraͤngter That! Jn dieſer Stirne iſt nichts Ge - daͤchtniß, nichts Urtheil, es iſt ewig gegenwaͤrtiges, ewig wuͤrkendes, nie ruhendes Leben, Drang und Weben! Welche Fuͤlle in den Woͤlbungen aller Theile! wie angeſpannt das Ganze! Dieſes Auge faßt den Baum bey der Wurzel.

Ueber allen Ausdruck iſt die reine Selbſtigkeit dieſes Mannes. Beym erſten Anblicke ſcheint was verderbendes dir entgegen zu ſtreben. Aber die treuherzige Verſchloſſenheit der Lip - pen, die Wangen, das Auge ſelbſt! Groß iſt der Menſch, in einer Welt von Großen. Er hat nicht die hinlaͤſſige Verachtung des Tyrannen, er hat die Anſtrengung deſſen, der WiderſtandPhyſ. Fragm. II Verſuch. K kfindet,258XXXII. Fragment. ſindet, deſſen, der ſich im Widerſtande bildet; der nicht dem Schickſale, ſondern großen Menſchen widerſtrebt; der unter großen Menſchen geworden iſt. Nur ein Jahrhundert von Trefflichen konnte den trefflichſten durch Stufen hervorbringen.

Er kann keinen Herrn haben, kann nicht Herr ſeyn. Er hat nie ſeine Luſt an Knechten gehabt. Unter Geſellen mußt er leben, unter Gleichen und Freyen. Jn einer Welt voll Freyheit edler Geſchoͤpfe wuͤrd er in ſeiner Fuͤlle ſeyn. Und daß das nun nicht ſo iſt, ſchlaͤgt im Her - zen, draͤngt zur Stirne, ſchließt den Mund, bohrt im Blicke! Schaut hier den gordiſchen Kno - ten, den der Herr der Welt nicht loͤſen konnte.

[figure]
Sechste
[figure]
[figure]
259Helden der Vorzeit.

Sechste und ſiebente Tafel. Caͤſar.

Jch bin nicht in der Stimmung von Caͤſarn zu reden; und wer kennt nicht Caͤſarn ohne mein Stammeln? Nur alſo die beyden Kupfer.

Das ſchattirte! Welche verzerrte Reſte des erſten unter den Menſchen! Schatten von Hoheit, Feſtigkeit, Leichtigkeit, Unvergleichbarkeit ſind uͤbrig geblieben. Aber die gekraͤuſelte, unbeſtimmte, und fatal zuruͤckgehende Stirne! das verzogene, abgeſchlappte untere Augenlied! der ſchwankende abziehende Mund! Vom Halſe ſag ich nichts Jm Ganzen eine eherne, uͤbertyranniſche Selbſtigkeit.

Der Umriß! wie wahrhaft groß, rein und gut! Maͤchtig und gewaltig ohne Trutz. Un - beweglich und unwiderſtehlich. Weiſe, thaͤtig, erhaben uͤber alles, ſich fuͤhlend Sohn des Gluͤcks, bedaͤchtig, ſchnell Jnnbegriff aller menſchlichen Groͤße.

[figure]
K k 2Drey260XXXIII. Fragment. Wilde Thiere.

Drey und dreyßigſtes Fragment. Wilde Thiere.

Erſte Tafel. Loͤwen, Tieger, Katzen, Leoparden.

Drey Hauptcharakter in dieſer Tafel, Verſchlagenheit, Falſchheit und Grimm.

Die Loͤwinn 3. bezeichnet offenbaren Grimm und heiße Raubgier. Von Hunger zur aͤußerſten Wuth gebracht; Glut im Auge, das den gewiſſen Raub zuverſichtlich zum voraus ſchon ergreift. Blutduͤrſtiger Rachen das Ganze voll Selbſtgefuͤhl, und Bewußtheit eigner Kraft.

Vor ſolchem Fuͤrſtenblicke behuͤt uns lieber Herre Gott!

Bey den zween Tiegern 1. und 2. eben ſo wenig Zutrauen; hoͤlliſche Verſchlagenheit, und Falſchheit. Grimm und Blutdurſt tiefer verhuͤllt, als bey der Loͤwinn. Verſtecktere, faͤl - ſchere, funkelnde Augen Blutdurſt auch in der Schnautze. Kann man ſich das ſchadenfrohe Laͤcheln des Satans, wenn ein Heiliger faͤllt teufliſcher denken, als in dem erſten Tiegerkopfe? Jn dem zweyten Tiegerkopfe iſt der Grimm verſchlagner, tiefer im Blicke volle Falſchheit. Ein tiegerſcher Heuchler.

Die zweyte Reihe Katzenkoͤpfe. Katzen, Tieger im kleinen; gemildert durch haͤusli - che Erziehung. Wenig beſſer in ihrem Charakter, nur ſchwaͤcher. Gegen Voͤgel und Maͤuſe eben ſo unbarmherzig, wie Tieger gegen Schaafe. Jhre Wolluſt, langſam zu martern und zu toͤd - ten. Hierinn uͤbertreffen ſie noch den Tieger.

Der zweyte Kopf von einer angorſchen Katze, nach Buͤffon. Boͤſes, muͤrriſches, argwoͤhniſches Staatsgeſicht.

Der
[figure]
261XXXIII. Fragment. Wilde Thiere.

Der dritte nach einem Vogel laurend. Unverwandtes Auge auf den erwuͤnſchten Gegenſtand; Hoffnung, ihn zu erhaſchen; ihr waͤſſert das Maul nach dem nahen Raube.

Unten zween Leoparden ſchleichendſchlauer Grimm in ſchlanken Gliedern. Der ſitzende ein wahres Bild eines Dey aus Algier auf dem Teppiche ſeines Thrones, und ſein Mi - niſter an der Seite.

[figure]
K k 3Zweyte262XXXIII. Fragment. Wilde Thiere.

Zweyte Tafel. Loͤwen.

1) Ruhige Stille eines alten Loͤwen, der lange Zeit ſeiner Freyheit beraubt geweſen.

2) Nicht zu nahe dieſer muͤtterlichen Liebe ſie iſt grauſam. Jhren Tod achtet dieſe Beſtie nicht, aber das Leben ihrer Brut, und wehe ſieben geruͤſteten Reutern, die ſie anfallen wollen! Dieſe hier hat Wind von Nachſtellung. Jhr Auge drohet Tod, und ihre Zaͤhne zerreiſ - ſende Wuth. Jhre Stellung Bereitſchaft aufzufahren und zu zerreiſſen. Wie dieſe klei - nen ſchon den Charakter der Mutter mit der Muttermilch eingeſogen! Grauſamkeit, Wildheit, Frechheit, wie ſie ſich ſtraͤuben in Zuverſicht auf ihre Mutter! Furchtbare Familie!

Bemerket uͤbrigens die Profilumriſſe dieſer Thiere wie leicht ließen ſie ſich vermenſchli - chen, ohne den Hauptcharakter, der ihnen aufgedruͤckt iſt, zu verlieren.

Welche gelenkſame Staͤrke iſt im gaͤhnenden Loͤwen ſichtbar!

Dritte Tafel.

Ein alter abgelebter Loͤwe, gewohnt, ſeine gehemmte Freyheit zu ertragen. Sein Profil iſt phy - ſiognomiſch merkwuͤrdig; beſonders der Graͤnzumriß von Stirn und Naſe, und wie ſich dieſe Graͤnzlinie faſt in einen rechten Winkel zuruͤckbeugt von der Naſe bis zum Unterkiefer. Noch deut - licher ſieht man’s an dem ſchoͤnen Profile des großen halbliegenden Loͤwen auf derſelben Tafel. Ein Menſch mit dieſem Stirn - und Naſenprofile, vom linken Ohre des Loͤwen an gerechnet, wuͤrde ſicherlich kein gemeiner Menſch ſeyn, obgleich ich in dieſer Geradheit noch kein Menſchenprofil geſe - hen; die Naſe des Loͤwen iſt freylich bey weitem nicht ſo hervorſpringend, wie die des Men - ſchen, aber doch hervorſpringender, als bey allen andern vierfuͤßigen Thieren. Sichtbarer Aus - druck thierkoͤniglicher Staͤrke und ſtolzer Anmaßung iſt theils dieſer Bogen der Naſe, theilsihre

[figure]

[figure]

263XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. ihre an dem nebenliegenden Kopfe ſichtbare Breite und Paraleliſme. Auch vornehmlich die bey - nahe rechten Winkel, welche die Umriſſe der Augenlieder mit den Seiten der Naſe formiren.

Noch bemerke man in dieſer und den vorhergehenden Tafeln die Linie des Grimmes und der Wildheit an den Thieren im Munde.

[figure]
Vier264XXXIV. Fragment.

Vier und dreyßigſtes Fragment. Gelehrte, Denker, vom Sammlergeiſte an bis zum hoͤchſten Genie.

Erſte Tafel. Meyer.

Hier das hoͤchſte Jdeal von Ordnungsliebe; von Treue, Fleiß, Bedaͤchtlichkeit; von Beſtimmt - heit, Geſchicklichkeit, Anſtelligkeit. Eine ganz tabellariſche Seele, die alles ordnet, ſondert, unter - ſcheidet, in Faͤcher theilt numerirt. Ein Beyſpiel unermuͤdeter treuer Wachſamkeit und unha - ſtiger Sorgfalt. Nicht das Groͤßte, nicht das Kleinſte, das dem Manne durch die Haͤnde geht bleibt ungereihet, unerleſen, verworren. Welch eine gluͤckliche Zuſammenſetzung von Kaͤlte und Activitaͤt! von Ruhe und Bewegung! Einer der gluͤcklichſten, beſten, brauchbarſten Menſchen auf Gottes Erdboden! Jn ſeiner Gemeine in ſeinem Garten und in jedem Briefe auf der Kanzel, und in dem lichtloſen Kaͤmmerlein ſchmachtender und ſterbender Armuth derſelbe treue, ganz da exiſtirende, ſich ganz auf die vorſchwebende Gegenwart begraͤnzende ſanft und feſtthaͤti - ge Geſetzliche, Vollgerechte.

Das Bild, obgleich nicht vollkommen aͤhnlich, iſt dennoch in den Zuͤgen, die den eben be - meldten Charakter bezeichnen, aͤuſſerſt wahr Die Feuerloſigkeit, wenn ich ſo ſagen darf wie iſt ſie allenthalben in uneckigen Bogenlinien, die Thaͤtigkeit in denſelben Bogenlinien ohne Laͤſſig - keit mit etwas Spannung ausgedruͤckt.

Die Stirn wie rein von allem Leichtſinne, wie voll ſinnlichen rangordnenden Verſtan - des ohne tiefe Abſtraktions - und neubildende Kraft

Das Auge wie ſchauend, ordnend, treu aufnehmend alles deſſen, was da ſteht.

Die Ruhe, Klugheit, Bedaͤchtlichkeit, wie entſcheidend in dem uneckigen, flachbeſchnitte - nen und beſchloſſenen Munde!

Die Naſe wie wahrer Ausdruck ununternehmender, aber treu und feſt ausfuͤhrender Bedaͤchtlichkeit.

Die Linie beſonders, die von der Naſe zur Oberlippe fuͤhrt welche Sprache des gutmuͤ - thigen, kindlichen, geduldigen Weſens der Auseinanderleſungsgabe, der Beſchaͤfftigung mit dem kleinſten Detail.

Das Kinn und die Backen wie voll Phlegma und Flaͤche!

Zweyte
[figure]
[figure]
[figure]
265Gelehrte, Denker.

Zweyte Tafel. Drey maͤnnliche Silhouetten.

Der Charakter dieſer drey Geſichter iſt vermuthlich in mancher Abſicht ſehr verſchieden; aber dar - inn kommen ſie dennoch trefflich mit einander uͤberein, daß es drey verſtaͤndige, ſehr ordentliche, ge - naue, puͤnktliche Maͤnner ſind. Zween davon kenn ich perſoͤnlich. Sie ſind Muſter von Bedaͤcht - lichkeit, Ordnungsliebe, Geſchaͤfftsgeſchicklichkeit.

Der erſte iſt an dem Munde um ein Haar verſchnitten. (Jch traue dem Schattenriſſe uͤberhaupt nicht die ſchaͤrfſte Genauigkeit zu.) Kein ſpekulatifer Geiſt; aber ein Mann von ſehr geſundem, natuͤrlichem Verſtande, voll Demuth und Dienſtgefliſſenheit und in einem Sinne ehrlich, wie’s wenige Menſchen von hochgeprieſener Ehrlichkeit ſind.

Der zweyte mir von Perſon unbekannt, aber nicht unbekannt der Welt. Ein Mann von Cultur und Geſchmack. Die Stirn, die Naſe, das Kinn, zeigt mehr forſchenden Verſtand, als 1, und ich bin uͤberzeugt, wenn die Stirn ohne die Parucke fortgezeichnet worden waͤre; ſie wuͤrde in dieſer Abſicht noch viel ſprechender ſeyn. Aber aufmerkſame Bedaͤchtlichkeit; Treue und Fleiß und Reinlichkeit in allen Geſchaͤfften, das ſcheinen beyde mit einander gemein zu haben und wer ſieht, bey aller Unaͤhnlichkeit, nicht das Aehnliche dieſer beyden Profile uͤberhaupt?

Der dritte iſt der vollkommenſte Pendant zu Herrn Meyer auf der vorhergehenden Platte; derſelbe unermuͤdliche Fleiß, dieſelbe ausgebreitete Genauigkeit im Detail; derſelbe Geiſt des Sammelns, Ordnens, Nennens, Beſchreibens, Auseinanderleſens dieſelbe Gabe alles zu ent - wickeln, zu zerlegen, zu reihen. Eine lebendige Naturgeſchichte.

Alle drey, mit dem vorhergehenden, Genies, oder lieber, Geiſter des Details, wenn ich ſo ſagen darf. Von dem zweyten jedoch getrau ich mich nicht, es ſo zuverſichtlich zu entſcheiden, wie von den uͤbrigen.

Dritte Tafel. nach Holbein.

Jch weiß nicht, wen dieſer Kopf vorſtellt.

Aber ich ergoͤtze mich an der Natuͤrlichkeit dieſer ſo einfachen Zeichnung.

Natuͤrlichkeit, o dieß Geheimniß der Kunſt, das von beruͤhmten Manieriſten ſo ſehr ver - achtet wird; das ſie durch einfache Linien ſo ſelten auszudruͤcken wiſſen.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. LlDer266XXXIV. Fragment.

Der Unbekannte, den wir vor uns haben, ſcheint ein alter ehrlicher Eidsgenoß zu ſeyn, der eben in einem beſtimmten Augenblicke des Denkens gezeichnet war. Wieder etwas, das unter hundert Portraͤten vielleicht nicht Eins hat. Feſthaltung eines Augenblicks einer beſtimmten Si - tuation.

Unſer Kopf ſchaut etwas mit Ueberlegung, Ruh und Theilnehmung Er beobachtet ohn alle Anſtrengung, ohn alle Affektation von Beobachtung Nicht zuſammengezogen, nicht aufge - dehnt iſt die Stirn Sein Blick iſt nicht dummes Hingaffen, nicht Blick der Begeiſterung; fe - ſter, nicht ſtarrer Blick des ehrlichen, vernuͤnftigen Mannes.

Die Naſe kann fuͤr gemein und unbedeutend hingehen.

Jn dem Munde viel Sanftheit und Vernunft. Viel mehr Freyheit und weniger Ord - nungsgeiſt, als der vorhergehende.

Der aͤuſſere Graͤnzumriß iſt Charakter des Denkenden.

Nachſtehende Vignette eines denkenden, feinen, religioͤſen Mannes.

[figure]
Vierte
[figure]
[figure]
267Gelehrte, Denker.

Vierte und Fuͤnfte Tafel. Eraſmus.

Wir haben hier fuͤnf Koͤpfe von Eraſmus,*)Die erſte Tafel iſt die mit den drey Koͤpfen; die mit zween die zweyte. davon vermuthlich alle, gewiß vier, Copien nach Holbein, ſeinem Freunde, ſind.

Das Geſicht des Eraſmus iſt, meines Beduͤnkens, eins der ſprechendſten, der entſchei - dendſten Geſichter, die ich kenne.

So verſchieden dieſe Geſichter ſind, haben ſie dennoch alle mit einander gemein.

  • a) Die furchtſame, zaghafte, bedaͤchtliche Stellung.
  • b) Das Launigte im Munde.
  • c) Das Feine im Blicke.

Aber dann ſonſt wie verſchieden!

  • 1) Auf der erſten Tafel alles, wie viel flacher und alſo fader! wie viel ſtumpfer, unbeſtimmter der Mund inſonderheit, wie viel leerer, als aller uͤbrigen! Das Naſenloch, wie athemlos ...
  • 2) Auf der erſten Tafel, ſchon wie viel feiner, bey aller Grobheit der Umriſſe. Man vergleiche nur Naſe und Naſe.
  • 3) Noch feiner, kleineckigter.

Aber nun die zween uͤbrigen auf der zweyten Tafel, mit der zarteſten Nadel, mit dem aͤuſſer - ſten Fleiße gezeichnet; wie voll des kraͤftigſten Ausdruckes!

So viel Verſchiedenheit in beyden, in beyden dennoch derſelbe Ausdruck von Mannich - faltigkeit der Gedanken, Furchtſamkeit, Naivete, Laune.

Nirgends kein Zug vordringender, zerſtoͤrender Kuͤhnheit.

Jm Auge die ruhige Heiterkeit des feinen in ſich verſchlingenden Beobachters.

Dieß halb geſchloſſene Auge, von dieſer Tiefe, dieſem Schnitte; ſicherlich allemal das Auge feiner und kluger Planmacher.

Die Naſe, ich kann ſie durch keinen Ausdruck beſſer bezeichnen, als durch Beſchnittenheit, iſt, allen meinen, niemals widerſprochenen, Beobachtungen zufolge, ſicherlich des Feindenkenden und Zartfuͤhlenden. Man ſuche den Kopf mit einer ſolchen Naſe, der natuͤrlicherweiſe ſich nichtLl 2unter268XXXIV. Fragment. unter tauſenden und zehntauſenden auszeichnet Es ſey denn, daß Gewaltthaͤtigkeit, und die craſ - ſeſte Erziehung, die mehr als Gewaltthaͤtigkeit iſt, alles unerbittlich zerdruͤckt und erſtickt habe.

Der zartgeſchloſſene Mund; das breite, und dennoch nicht platte, nicht flache, nicht fleiſchi - ge Kinn; das Vielfaͤltige im ganzen Geſichte, ſtimmt trefflich mit dem uͤbrigen uͤberein, und iſt Ausdruck von Nachdenken und fanfter Thaͤtigkeit.

Das erſte auf der zweyten Tafel iſt nicht ſo ruhig, ſo heiter, wie das zweyte; obgleich der Mund im erſten, an ſich und allein betrachtet, mehr Guͤte, als im zweyten zu haben ſcheint.

Der Mund in 1. iſt denkender, uͤberlegender, kluͤger, beſchnittener, als in 2.

Dieſe Falten der Stirn ſind ſonſt gemeiniglich nicht ſehr vortheilhaft. Sie ſind beynah im - mer ein Zeichen irgend einer Schwaͤche, einer Nachlaͤſſigkeit, Lockerheit, Schlappheit. Wir ler - nen aber doch aus unſerm Bilde, daß ſie ſich auch an großen Leuten finden laſſen.

Nachſtehende Vignette, nach einem Holbeiniſchen Holzſchnitte, iſt wie offenbarer Aus - druck calculirenden Nachdenkens! Stellung und Hand wem zeigen ſie nicht das Feine, Be - daͤchtliche, Klugfurchtſame!

[figure]
Sechste
[figure]
269Gelehrte, Denker.

Sechste Tafel. I. I. B.

Wir ſteigen von Kraft zu Kraft

Weder alle Trefflichkeiten, noch alle Pockennarben eines Geſichtes oder eines Charakters, will ich, kann ich kommentiren. Das eine wuͤrde Schmeicheley, das andere Bosheit ſcheinen muͤſ - ſen und zu unſerm Zwecke iſt’s wuͤrklich auch nicht ganz nothwendig; genug, wenn wir gewiſſe entſcheidende Zuͤge des Gemuͤthes in entſcheidenden Geſichtszuͤgen erblicken.

Dieß zum voraus, damit nicht wieder jemand nach dem richte, was nicht da iſt, nicht da ſeyn ſoll. Alſo nur ſehr wenig, was unſers Zweckes iſt.

Die helleſte Denkenskraft, die planmachendſte Klugheit, unbezwingliche Feſtigkeit, uner - muͤdete Betriebſamkeit, puͤnktliche Ordnungsliebe, eine unglaublich treue fortgeſetzte Dienſtfer - tigkeit gegen Liebgewonnene ſind einige entſchiedene Zuͤge aus dem großen Charakter, den wir vor uns haben; Zuͤge, die alle augenſcheinlich auf dieſem Geſichte ausgedruͤckt ſind.

Den feſten, ſelbſtſtaͤndigen Mann, und wie der Verfaſſer des Sendſchreibens von ei - nem zuͤrcherſchen Geiſtlichen richtig ſagt den feinen durchdringenden Geiſt, womit er alle andere uͤberſieht, durch die beſtgewaͤhlten Mittel bedaͤchtig zu ſeinem Zwecke ſchreitet, und bey - nah unuͤberſteiglichen Hinderniſſen auf den Kopf tritt. Wer ſieht ihn nicht im ganzen kraft - vollen Geſichte, das wir vor uns haben, und noch weit mehr im Originale?

Denn dieſes unſer Bild iſt, nach dem wohlhergebrachten Gebrauche unſerer bloͤden ge - ſchmackreichen Kuͤnſtler, denen immer nur fuͤr Haͤrte, wie Sie ſagen; und wie ich ſage, fuͤr Kraft und Beſtimmtheit bange iſt, uͤberhaupt gar ſehr kraftlos gegen das von Kraft und Drang uͤber - fließende Original.

Die Stirn und die Gegend um die Schlaͤfe hat erſtaunlich verloren. Der gewaltige, fel - ſigte Augenknochen, dieſer Sitz von Muth, Kraft und Verſtand iſt von dem hoͤflichen Zeichner verſuͤßt, verſchwemmt, weggewiſcht worden.

Daher in dieſem Geſichte ſo viele phyſiognomiſche Widerſpruͤche die in der Natur nicht ſind; wie z. E. der hohle, uneckigte Umriß des Kinns von der Spitze der Unterlippe an mit der ganzen Oberlippe bis zur Naſe.

Ll 3Dieſer270XXXIV. Fragment.

Dieſer ſpitzige Winkel, dieſer Buchſtabe von herrſchender Klugheit (bey keinen wider - ſprechenden Zuͤgen)

Wie kontraſtirend, wie zuſammen unmoͤglich mit dem untern Theile des Geſichtes! ...

O ihr Zeichner, o ihr Mahler wie lange werd ich Euch noch umſonſt zuſchreyen Glaubet nicht die Natur zu ehren, wenn ihr ſie ſtuͤmpfet, abſchleifet, oder wie ihr ſaget: ihr ihre Haͤrte benehmet. Die Natur iſt nicht hart; ſie iſt frey, aber ſie iſt beſtimmt. Jhre Be - ſtimmtheit abſchleifen, heißt, ihre Kraft abſchleifen.

Jhr meynet dem Geſichte Ehre zu erweiſen, wenn Jhr’s rundet, und ihr raubt ihm da - durch ſeine Urkraft.

So in dem Geſichte, das wir vor uns haben, das jedermann kenntlich nennt, das aͤuſſerſt kenntlich iſt und dennoch von ſeinem Grundcharakter, innere Feſtigkeit, ſo viel verloren hat.

Doch nicht alles verloren und nicht alles verlieren konnte.

Der groͤßte Verlaͤumder kann in gewiſſen Charaktern gewiſſe Kraͤfte nicht weg verlaͤum - den der zaghafteſte Mahler gewiſſen Geſichtern nicht allen Ausdruck rauben. Abermal ſo bey unſerm Bilde.

Muth, und mehr ordnenden, ſetzenden, reihenden, ſcheidenden, als ſchaffenden Sinn

Mehr Verſtand, als Dichtungskraft; mehr Geſchmack und kritiſchen Scharfſinn, als zaͤrt - lich ſchmachtende Empfindſamkeit

Dieß alles glaub ich im treffenden, ſchauenden, klein ſcheinenden, aber nicht kleinlichen Auge, und in der ſchiefen, feſten, uͤber den Augen nicht ſehr vordringenden Stirne zu erblicken.

Kraft, Geſchaͤfftsthaͤtigkeit, Thatweisheit in der feuervollen, praͤgnanten, unſchlaffen und unbeſchnittenen Naſe.

Leutſeligkeit, hoͤfliche Dienſtgefaͤlligkeit im Munde.

Choleriſches Temperament in allem, beſonders im Untertheile des Geſichtes und dem vol - len, gedraͤngten, krauſen Haarwuchſe.

Alles zeigt, daß ſein Symbol nicht Wort und erſchlichenes Ordensband, daß es Wahr - heit, Kraft, That war:

Sapere
[figure]
271Gelehrte, Denker.

Sapere aude! Incipe!

So lange Zuͤrich ſteht, wird Zuͤrich ſagen das war ein Mann von That! und ſo lang ich lebe, werd ich ſagen: Jch hab ihm ſo viel zu danken daß mich keine Mißverſtaͤnd - niſſe kaltſinnig gegen ihn machen ſollen.

Siebente Tafel. Zwinglius.

Die Feſtigkeit ſteigt. Freylich nimmt die Feinheit hier ab.

Ernſt, Nachdenken und maͤnnliche Entſchloſſenheit, Vielwiſſen ohne Ausdehnung, ſich zu - ſammenziehende Thatkraft, Bewußtſeyn ſeiner Erkenntniß ohne Spiegelung und Selbſtgefaͤlligkeit, ſcheinen mir in dieſem Geſichte auffallend zu ſeyn.

Bis zum Steifſinn gehender Muth in der, im Ganzen genommen, perpendikularen Stirne.

Ernſt und Nachdenken in dieſen Falten, beſonders im Uebergange von der Naſe zur Stirne.

Naſenloch und Spitze der Naſe gemein, wenigſtens in der Zeichnung! wie verſchieden von Eraſmus feindeutiger Beſchnittenheit.

Der Umriß der Oberlippe gewiß keiner gemeinen Seele.

Deſto gemeiner die rohe, und nur hinten ſich verfeinernde Unterlippe.

Jm Kinne maͤßige Feſtigkeit. Schauender, durchdringender Verſtand im ſchraͤgen Aug - apfel. Guͤte in den Falten ums Auge, die der laͤchelnde Witz bildet.

Die Geradheit des Ganzen iſt auffallend.

Wir272XXXIV. Fragment.

Wir wollen ihm den Denker Baſedow, den Mann voll Anſtrengung, einſamer Aus - daurung, That Wuͤrkſamkeit Verbeſſerungseifer zum Geſellſchafter geben die Stirn iſt gerade ſo verſchieden, wie Baſedow und Zwinglius.

[figure]
Achte
[figure]
273Gelehrte, Denker.

Achte Tafel. Carteſius.

Es gab eine Zeit, wo Ariſtoteles aller Lehrer Orakel, und eine Zeit, wo er jedes Schul - knaben Geſpoͤtt war; eine Zeit, wo Carteſius uͤber alles Herr war, und eine Zeit, wo jeder ſeichte Witzling ihn wie ein Jnſekt zertrat. Wer zu hoch erhoͤhet wird, wird zu tief erniedriget ....

Gegen dieſes doppelte Uebel eifert die Phyſiognomik. Sie zeigt den Mann, und im Manne ſeine Kraft und ſein Verdienſt oder was er kann, und was er will. Sie allein iſt’s eigent - lich, die den Menſchen gegen alle unwahre und unbillige Urtheile, die man uͤber ihn faͤllen kann, ſchuͤtzt, und nicht nur zeigt, was er iſt, ſondern auch, was er ſeyn kann.

Sehet einmal den Menſchen an, uͤber den ihr Jahr und Tage Gutes und Boͤſes die Men - ge gehoͤrt habt. So viel wahre, verdrehte, verfaͤlſchte Anekdoten die ihn zu einem Halbgott oder Halbteufel logen Seht einmal mit dem Auge des feinfuͤhlenden und geuͤbten Phyſiogno - miſten o wie ganz anders werdet ihr den finden, aber zugleich auch den Grund finden, warum man ihn zum Halbgott erhob, und zum Halbteufel erniedrigte.

Was ich hier ſage, iſt nicht Deklamation eines in die Wiſſenſchaft Verliebten, iſt Wahr - heit, die wenigſtens das folgende Jahrhundert einmuͤthig anerkennen wird eine unendlich weit - greifende Wahrheit.

Wenn Neuton kein Wort geſchrieben haͤtte, Neuton von ſeinem Jahrhunderte ganz miß - kennt worden waͤre ſein bloßes Bild wuͤrd ihn dem Menſchenkenner immer als einen der groͤß - ten Menſchen zeigen.

Ein wahres Bild iſt die einzige Schutzwehr des großen Mannes gegen alle An - fechtungen des Neides und der gerechteſte Verwahrer gegen uͤbertriebenes Lob ...

Mir iſt unſer Carteſius ein neuer Beweis dieſer Behauptung.

Ein Geſicht von dieſer Art kann beynahe nicht anders als kenntlich ſeyn. Unter zehntauſen - den iſt kaum ein ſo ſonderbares, ſo ausgezeichnetes Geſicht ...

Und was ſpricht dieß ſonderbare Geſicht?

Fuͤrs Erſte die hoͤchſte Originalitaͤt. Es zeigt den Mann, der nicht muͤßig Luͤcke fuͤllen ſoll, den Mann, der Epoche macht. Den Mann, bey Anlaß deſſen der vortreffliche Thomas ſo unvergleichlich ſagt: Je ne m’arrête point ſur ſon Education. Des qu’ilPhyſ. Fragm. II Verſuch. M ms’agit274XXXIV. Fragment. s’agit des ames extraordinaires, il n’en faut point parler. Il n’y en a point d’autre pour l’homme de génie, que celle, qu’il ſe donne à lui même, & elle conſiſte pres - que toujours à détruire la prémiere.

Schau dieß lebendige, vielheitreiche, drangvolle Geſicht an Jſt’s Werk, Anlage der Geburt, erzogen zu werden, oder zu erziehen? Geſetze einer Welt voll Vorurtheile anzuneh - men? oder ihr Geſetze vorzuſchreiben? Deſcartes par celle, qu’il reçut, jugea ſon ſiecle. Déja il voit au delà. Déja il imagine & préſſent un nouvel ordre de Choſes. Tel de Madrit ou de Genes Colomb préſſentoit l Amérique.

Treffliches Wort Preſſentiment Vorempfindung, Anhndung das Eigenthuͤm - liche des Genies. Es ruhet nicht, ahndet immer mehr Licht, Freyheit, Schoͤpfung, Gott - heit wird immer weiter, immer hoͤher gezogen draͤngt ſich, fliegt oder klimmt, jauchzet, oder ſchmachtet fort, fort, bis es nicht mehr hoͤrt das nachrufende Geſchrey der Vor - und Mitwelt, bis es erreicht hat unbewohntes Land neue Welt, und dann!

So unſer Carteſius! Sein Geſicht kuͤndigt ihn an, den Schoͤpfer neuer Welten.

La nature (man erlaube mir, was kann ich beſſers? durch dieſes Fragment immer den groͤßten Redner unſerer Zeit als Herold meines Helden voranzuſchicken.) La nature, qui travailloit ſur cette ame & la diſpoſoit inſenſiblement aux grandes choſes, y avoit mis d’abord une forte paſſion pour la verité. Ce fut peut-étre ſon premier reſ - ſort.

Wahrheitsdrang! ... Kennſt du dieſe Wurzel der wuͤrkſamen Menſchheit? Leſer. Empfindſamkeit und Wuͤrkungskraft ſind ihre Beſtandtheile und davon, wie uͤberfließend iſt unſer Bild!

Elle y ajoute ce déſir, d’étre utile aux hommes, qui s’étend à tous les ſié - cles & à toutes les nations; déſir, qu’on ne s’etoit point encore aviſé de ca - lomnier. Elle lui donne enſuite pour tout le temps de ſa jeuneſſe une activité in - quiète, ces tourmens de génie, ce vuide d’une ame immenſe, que rien ne remplit en - core, & qui ſe fatigue à chercher autour d’elle ce qui doit la fixer.

Jm275Gelehrte, Denker.

Jm tiefen durchſchauenden, ergreifenden, verwandelnden Blick in der Kraft der Au - genbraunen im Umriſſe des Augknochens im eckigten Graͤnzumriſſe des Geſichtes in der breiten knorpeligen Naſe, in den unbeſchreiblich ſanften, feuerreichen, geiſtvollen Lippen Wer? wer ſieht nicht dieſe Fuͤlle von Feuer, elaſtiſcher Thaͤtigkeit, gemeinnuͤtziger Guͤte Genie voller Empfindſamkeit Peindrang des Genies?

Inſatiable, de voir & de connoitre par-tout, il paſſe, Deſcartes interroge la verité. Il la demande à tous les lieux, qu’il parcourt. Il la pourſuit de païs en païs. Il avoit l’art de s’approprier tant d’idées acquiſes dans ſes voyages, par des medita - tions, qui dans Deſcartes s’étoient tournés en habitude. Elles le ſuivoient par tout; dans les voyages, dans les camps, dans les occupations les plus tumultueuſes. Il avoit toujours un azile prêt, ou ſon ame ſe retiroit au beſoin. Cétoit , qu’il appelloit ſes idées. Elles accouroient en foule. La meditation les faiſoit naitre. L’eſprit géomé - trique venoit les enchainer ..... Cétoit la, que ſon ame ſe repoſoit de l’inquiétude, qui la tourmentoit partout ailleurs. Mais dégouté bientot de ſpeculations abſtraites, le deſir de ſe rapprocher des hommes, le rentrainoit à l’étude de la nature. Il ſe livroit à toutes les ſciences.

Man verzeihe mir die Weitlaͤuftigkeit dieſer Stelle. Sie verdient hier Raum und ſie iſt zu unſerm Zwecke wichtig. Selten findet ſich dieſes ſo auffallende Gemiſch des geometriſchen und des menſchenfreundlich thaͤtigen Geiſtes. Carteſius iſt einer der abgezogenſten, aber zugleich der thaͤtigſten Denker. So ſehnſuͤchtig nach Stille; ſo unvermoͤgend, die Ruhe der Einſamkeit lange zu genießen ſo hochfliegend in Wirbeln von Welten ſo ſich verlierend, hingebend in die gemeinnuͤtzigſten Geſchaͤffte. Wie ſelten dieſe Seelen und wie offen dieſes Gemiſche von Charakter in dem Geſichte des Carteſius! Es iſt ſchwer, alles Einzelne heraus zu heben; aber nicht ſchwer, es im Ganzen zu bemerken. Jm Auge iſt z. E. erſtaunliche Leidenſchaft und Unruhe; die hoͤchſte Thaͤtigkeit in dieſer Form der Naſe. Die Entfernung der Augenbraunen von den Au - gen zeigt mehr fliegendes, als ruhig fortdringendes Genie. Der Mann kann nicht ruhig, nicht unthaͤtig, nicht einſam ſeyn. So viel Jmagination bey ſo viel Verſtand und ſo viel Kraft ſo ſel -M m 2ten276XXXIV. Fragment. ten wie ein ſolches Geſicht voll Maͤnnlichkeit, und dennoch uͤberfließend von ſchmachtender, treffender Verliebtheit, ohne einen Funken kindlicher Jungfraͤulichkeit.

L’indépendance, après la verité, étoit la plus grande paſſion de Deſcartes ... Mich duͤnkt, dieß ſteh ihm mit den deutlichſten Zuͤgen im Geſichte geſchrieben. Il falloit, qu’un homme comme lui, ne fut qu’à la nature & au genre humain.

Noch hab ich nichts von ſeiner Stirne geſagt. Sie iſt auſſerordentlich, wie der Mann. Sehr zuruͤckgehend, oben ſich gegen den Schaͤdel zuſpitzend, Zeichen von gedraͤngter Kraft bey dieſem Bogen, wie er ſich im Profile zeigen muͤßte und bey dieſer ſcharfen, nicht uͤberhaͤngenden Ecke des Augknochens. Weide dich, Leſer, an dieſem trefflichen Bilde und freue dich, daß Gott dem Menſchen mehr ins Geſichte gegraben hat von ſeiner innern Kraft, als keine Feder beſchrei - ben kann.

Neunte und zehnte Tafel. Jſaac Neuton. Vier ſchattirte Koͤpfe.

Wie ſehr die verſchiedenen Vorſtellungsarten der Mahler, und ihre verſchiedenen Faͤhigkeiten ein und ebendenſelben Mann umbilden und verſchieben davon haben wir ſchon manches Beyſpiel angefuͤhrt. Ein neues ſey Neuton.

Wir haben hier vier Copien von Copien die alle einen großen auſſerordentlichen Mann aber denſelben Mann in ſehr ungleichem Lichte zeigen.

1.

Das erſte wird wohl das beſte ſeyn?

Voll innerer Kraft die Augen, den Gegenſtand zu faſſen; ihn zu ergreifen, nicht bloß zu beleuchten; nicht ihn ins Gedaͤchtniß aufzuhaͤufen; ſondern ihn zu verſchlingen, und in das große All, das im Haupte iſt, immanieren zu laſſen. Augen voll Schoͤpfungskraft und Augenbraunen voll der lichtvollſten, ſolideſten Fruchtbarkeit.

Die
[figure]
277Gelehrte, Denker.

Die Stirn iſt zu unbeſtimmt ſchattirt; doch iſt ſie vielfaſſend und Gedanken ſchaffend. Mehr hohes, gewaltiges Denken, als abſtraktes ſcheint ſie auszudruͤcken. Maͤchtiger Drang, Drang der Zuverſicht und der Gewißheit ſchwebt drauf.

Markige Naſe lieblich zufrieden, nicht ſelbſtgefaͤllige Lippe; feſtes, redliches Kinn.

Die rechte, nicht haͤngende, nicht angeſtrengte Wange wie viel beſſer, weniger gra - vitaͤtiſch, als im zweyten? wie, obgleich verſchliffen und unbeſtimmt wie viel zutraulicher, als der uͤbrigen!

Auffallend iſt die Reinheit, die Ruhe des Ganzen, bey der ſichtbaren innern Anſtrengung Anſtrengung mit Glauben an ſich ſelbſt.

2.

Das Grobe, Buͤrgerliche liegt im Verſchobenen des Kreuzes, der dadurch zu breiten Ba - cke, der Haͤngwange. Nichts als Kraft iſt von Neuton uͤbrig geblieben.

Ein Republikaner iſt’s, der, ohne zu befehlen, herrſcht, immer widerſtehen muß, viele Geſchaͤffte geordnet, eingerichtet, gebaut hat. Wie feſt ergreift er ſinnlichen Eindruck, macht pruͤfenden Entwurf, nicht ohne Zutrauen zu ſich und ſeiner uͤbermannenden Kraft.

An der Naſe das Aufgezogene gehaͤſſige und das Fleiſchige unbedeutende zuſammen, machen einen fatalen Effekt.

3.

Ein Gelehrter mit dem Blicke der Kenntniß ... die ach! wie unbeſtimmte Stirn iſt offener und reicher, als die obigen; behaͤlt mehr, aber nicht ſo feſt, nicht ſo tief zum tiefen Forſchen iſt ſie uͤberm Auge nicht gedraͤngt genug zum Gedaͤchtniß oben nicht gewoͤlbt genug.

Die Augenbraunen ſind naͤher am Auge, und bey weitem nicht ſo kraͤftig, als die obern. Die Naͤhe kontraſtirt mit der Offenheit der Stirn.

Eine reine, aber ſchwache Naſe.

M m 3Liebliche,278XXXIV. Fragment.

Liebliche, mehr auſſer ſich, als in ſich ſelbſt gefaͤllige Lippe.

Stirn und rechte Wange haben was Unertraͤgliches.

Jn der Stellung des Kopfes was Unnatuͤrliches Mahlermanier

Wie uͤberhaupt das ganze Geſicht was Verſchwebtes, Gelecktes, Entkraͤftetes hat.

4.

Antikiſirt! unwahr, aber groß! Ein Mann von Wiſſen und That.

Die Stirn, wie gedraͤngt in Erinnerung von Wuͤrkungen! Ahndung kuͤnftiger Seelen - noth in gegenwaͤrtiger Kraft!

Wie verſchieden von 3! So verſchieden in der Expreſſion, wie Marmor und Fleiſch in der Haͤrte.

Die Augenbraunen des Schoͤpfers neuer Syſteme!

Das Auge, bloß Ausſprache innerer Feſtigkeit, ohne Falſch, ohne Verlangen.

Die Naſe im Ganzen lauter Kraft, Entſchloſſenheit, Klugheit; doch um die Spitze und Fluͤgel etwas wenig Ungehoͤriges.

Die Lippe Widerhalt innerer Kraft.

1. und 2. derſelbe Hauptcharakter oben unten ſehr verſchieden.

3. und 4. ſind zwey Extreme, das eine von Verwaͤſſerung das andere von Verſtaͤr - kung.

Alle 4 ich muß es wiederholen Copien von Copien aber alle vier Maͤnner, die ihre Exiſtenz in die Nachwelt wurzeln laſſen.

Zweyte Tafel.

1. iſt der Umriß vom Originale, wornach 1. auf der vorhergehenden Tafel copirt iſt. Viel mehr Kraft und viel weniger Bonhomie.

Ein
[figure]
279Gelehrte, Denker.

Ein edler, gerader, tiefer, ſtarker Mann, etwas zu trutzig, welches vielleicht von der Schiefheit des Umriſſes, und von der zu ſtarken Bezeichnung der Schatten herruͤhrt.

Die Augen Augen des großen Mannes! Faſt wollt ich dieſe zur Regel ſetzen duͤr - fen.

Das Haar obwohl vielleicht ein wenig idealiſirt, dennoch im Ganzen herrlich! zart, voll, wuchsreich, ohne Verwirrung und ſchwerlaͤſtige Gedraͤngtheit nicht glatt und nicht hartkraus wahrer Ausdruck der hoͤchſten Lichthelle des Verſtandes ohne Poeſie und Schwaͤche.

Das zweyte, Umriß vom zweyten der vorhergehenden Tafel, feſter, zuſammengezogener, gedraͤngter.

Die Augenbraunen beſtimmter, denkender, ſchreckender.

Die Augen weit weit unter 1.

Die Naſe, der Mund, das Ganze ſteifer.

[figure]
Fuͤnf280

Fuͤnf und dreyßigſtes Fragment. Elephanten, Rinozeros, Hippopotamus u. ſ. w.

Elephant 1. und 2. im Auge feine Klugheit mit empfindlichen Muskeln umkraͤnzt.

Jm ganzen Koͤrper, beſonders im Ruͤſſel, am beſonderſten vornen am Finger des Ruͤſſels, aͤuſſerſte Gelenkſamkeit.

Seine erhabene gewoͤlbte Stirn zeuget von dem Vorzuge ſeines Verſtandes vor allen andern vierfuͤßigen Thieren beſonders von ſeinem ſtarken Gedaͤchtniſſe.

Das Gewaltſame ſeines Charakters druͤckt ſich in der Menge und Groͤße, das Feine in der Rundung und Gewoͤlbtheit ſeiner Knochen, das Weichliche in der Maſſe des Fleiſches das Klugliſtige in der weichen Gelenkſamkeit ſeiner Natur aus.

Das Nashorn 3. und 4. grob, plump, unempfindlich, weniger reizbar, unedles Ausſehen, ein ſtumpfes Thier; von der Stirne zum Nashorn unedler, erniedrigender Einbug. Schwache Schweinsaugen. Lappichter Mund. Vermoͤge ſeines Gewichtes im Zorne nicht grau - ſam, mehr dumm hornſtoͤßig unflaͤtig.

Wie geduldig dagegen das Cameel 5. und 6. wie gemacht, Laſten zu tragen!

7. Hippopotamus, Nilpferd, Behemoth Sein Rachen die Hoͤlle Seine Zaͤhne Hacken Ein Geſpennſt!

8. Buͤffelochſe. Eigenſinn und Dummheit mit Staͤrke verbunden und fauler Geil - heit im Blicke und Munde.

Sechs
[figure]
[figure]
281

Sechs und dreyßigſtes Fragment. Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher.

Wir eilen zum Beſchluſſe faſt in die Jdealwelt hinein.

Erſte Tafel. Ein namenloſes Profil mit weißen Haaren.

Ein, wie mich deucht, ſich ſehr auszeichnendes Geſicht Nicht ohne Anmaßung.

Jch glaube nicht, daß es einen Menſchenkenner befremden werde, wenn man ihm ſagt: Jn dem Manne iſt Trieb und Drang zu wuͤrken, ſich mitzutheilen Er iſt ein Religioſe! das heißt in ihm iſt religioͤſe Betriebſamkeit! unternehmend und hartnaͤckig; wuͤrkend aufs Einzelne mehr, als aufs Ganze! Er iſt zart und ſtark gebaut! Jn der hohen Stirne, die nicht ſehr perpen - dikular und geſpannt iſt iſt Raum fuͤr Bilder ohne Zahl und Maaß! Um Aug und Naſe ſchwebt Geiſt des Denkens, und Empfindſamkeit. Jm Munde Liebe, Feſtigkeit .... Jm Hinterhaupte und aufm zarten Haar Empfaͤnglichkeit von jedem zarten Eindrucke.

Der Kopf im Ganzen ... hat viel Aehnliches mit einem der tiefſten, redlichſten, beſchei - denſten Myſtiker, den ich zwar nur im Bilde geſehen und auch dieſer hier, den wir vor uns haben, iſt ein theoſophiſcher Myſtiker. Jch werde mir die laͤnglichte Geſtalt dieſer ſo mannichfal - tig gefalteten Koͤpfe, mit dieſem kleinaͤugigen Blicke, dieſen leichten Haaren, wohl bemerken, um meine Vermuthung zu pruͤfen, ob dieſe nicht vorzuͤgliche Anlage zur Schwaͤrmerey haben moͤchten?

Nachſtehender Umriß iſt eigentlich bloß der Skelet, mithin vollkommen ſeelenloſes Bild eines unbeſchreiblich edeln, einfaͤltig treuen, tiefblickenden, aͤuſſerſt beſcheidenen, und himmliſch re - ligioͤſen Zuͤrcher Landmanns Aber weg iſt alle Liebe, Jnnigkeit, Salbung, die das Original ſo trefflich auszeichnet und die Herrlichkeit der allerfreuenden Liebe verwandelt in verachtenden,Phyſ. Fragm. II Verſuch. N ngehaͤſſigen,282XXXVI. Fragment. gehaͤſſigen, drohenden Grimm, deſſen das Original nie faͤhig zu ſeyn ſcheint. Wehe der graͤm - lichen Religion, die auf dieſem Geſichte ausgedruͤckt iſt! Sieh hier Mahler, welch ein Verlaͤum - der du biſt des Religioſen und der Religion, wenn du wegbannſt die Freude des Ange - ſichts voll einer Gott umfaſſenden Seele.

[figure]
Zweyte
[figure]
283Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher.

Zweyte Tafel. M. Theoſophus.

Jch habe ſchon bemerkt, daß viele myſtiſche, theoſophiſche Koͤpfe laͤnglicht, und daß ſie flach und lang behaart ſind. Hier ein neues Beyſpiel.

Nicht jeder laͤnglichte Kopf mit zarten langen Haaren iſt von dieſem Charakter.

Der Mann, den wir vor uns haben, iſt ein ſehr verſtaͤndiger, ganz von ſich ſelbſt gelehr - ter, forſchender, origineller, erfindſamer Kopf, der beynahe zu allen wichtigen Entdeckungen der groͤßten Scheidekuͤnſtler durch eignes Nachdenken, Nachforſchen, Verſuchen gelangt iſt Ein tie - fer Verehrer von Jakob Boͤhm, und nicht ein dummer Nachſprecher ein Mann, der mit Ver - nunft ſelbſt ſprechen und widerſprechen kann kalt, trocken, einfaͤltig, gerade, jedoch nicht ohne Kunſt und Praͤtenſion. Dieß zeigt ſich beſonders in dem etwas angeſtrengten, treffenden Blicke beſonders wie er in dem obern Umriſſe erſcheint. Dieſer Blick iſt vollkommen harmoniſch mit der Trockenheit und Verſchloſſenheit, die den Charakter des ganzen Geſichts ausmacht.

Man wird vielleicht bemerken wollen, daß dieß Geſicht eins von denen ſey, die einigermaſ - ſen ins Affengeſchlecht ſehen. Es iſt nicht ganz zu laͤugnen zumal das breite anliegende Ohr auch noch die Aehnlichkeit vermehren hilft. Aber die oben gemachten drey Anmerkungen koͤnnen dann wiederholt werden.

Einmal uͤberhaupt, daß bey aller etwaniger Aehnlichkeit die Unaͤhnlichkeit weit groͤßer iſt.

Zweytens, daß gerade die Geſichter, an denen man einige Aehnlichkeit mit den Affen be - merken will, hohe Stirnen haben, ſich mithin darinn in dem weſentlichſten Theile vom Affenge - ſchlechte unterſcheiden.

Drittens, daß dieſe Menſchen von den thaͤtigſten, erfindſamſten, brauchbarſten und ge - ſcheuteſten ſind. Sie haben die Behendigkeit, Liſtigkeit, Anſtelligkeit*)Ein Schweizerwort: die Geſchicklichkeit, mancher - ley Dinge gut einzurichten und anzuordnen, und ſich inalles leicht zu finden. Wer dieſe Geſchicklichkeit hat, heißt ein anſtelliger Menſch. der Affen. Aber die Affen, denen ihre Stirn und ihr Hirn fehlt, haben nicht ihre Vernunft.

Noch ein Wort von der Manier des untern Bildes. Mich duͤnkt, ſo kuͤnſtlich und unna - tuͤrlich ſie an ſich iſt, ſie iſt natuͤrlicher, ſanfter, und in einiger Entfernung wahrer, als die dop - pelte Schrafur.

N n 2Dritte284XXXVI. Fragment.

Dritte Tafel. Plato.

Jn dieſem, obgleich harten, obgleich ſehr vergroͤberten, obgleich wie tief unter allem, was wir von Plato’s Geſicht ahnden dennoch, wie viel unzerſtoͤrbare Rudera eines platoniſchen Geiſtes! dennoch weidet ſich mein Auge an dem Bogen ſeiner Stirn an dem uͤberhaͤngenden, unſcharfen Stirnegg! an dem gedankenvollen Zwiſchenraume zwiſchen den etwas tiefen denkenden Augen und beſonders auch an dem ſichtbaren, obgleich harten Umriſſe ſeines Mundes, und an der Mannheit und trutzloſen Feſtigkeit des Ganzen. Freylich iſt dieß Geſicht mehr des denkenden als fuͤhlenden Sehers freylich hat man Platone, deren Stirn und Naſe zehnmal edler, himm - liſcher, idealiſcher ſind Wir wollen uns Muͤhe geben, auch noch von ſolchen getreue Copien zu liefern Bey allem dem auffallend Rohen, das dieß Geſicht noch haben mag ſcheint es mir dennoch eines Propheten nicht unwuͤrdig Man erlanbe uns, den hoͤchſten Kontraſt, Aus - wuchs der Menſchheit, hier zur Vignette zu ſetzen.

[figure]
Vierte
[figure]
[figure]
285Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher.

Vierte Tafel. H .... nn.

Siehe den hochſtaunenden Satrapen. Die Welt iſt ſeinem Blicke Wunder und Zeichen voll Sinnes, voll Gottheit! .... Ruͤcke den Kopfbund, der itzt das Netz eines friſirten Kopfes zu ſeyn ſcheinet, zum Krankentuche der ſchmerzvollen, gedankenſchwangern Stirn hinunter. Lege ſo - dann auf die mittlere, itzt ſo helle, platte, geſpannte, Flaͤche zwiſchen den Augenbraunen, die dem Urbilde, auch in Zeiten großer Muͤhe, nur ſelten iſt, eine dunkle, elaſtiſche Wolke, einen Knoten voll Kampfes, und du haſt, duͤnkt mich, eine kleine Schattengeſtalt ſeines Weſens.

Jm Auge iſt gediegner Lichtſtral. Was es ſieht, ſieht’s durch, ohne muͤhſame Medita - tion und Jdeenreihung Jſt es dir nicht beym Blicke und Buge des Augenbrauns, als ob es ſeit - waͤrts oder von untenher ſchaue, und ſich ſeinen eigenen Anblick gebe? Jſt’s nicht, als kreuzten ſich ſeine Stralen? oder der Brennpunkt liege tief hin? Kann ein Blick mehr tiefer Seherblick ſeyn? Prophetenblick zur Zermalmung mit dem Blitze des Witzes! Siehe, wie das abſtehende faſt be - wegliche Ohr horchet? Die Wange, wie einfach, ruhig, gedraͤngt, geſchloſſen! Nichts ſpitzes, nichts hervorfuͤhlendes iſt in der Naſe. Nichts von dem feinen, muͤßigen Scharfſinn, der in Subtilitaͤt und fremdem Geſchaͤffte wuͤhlet; was ſie aber anweht, nahe, ſtark weht ſie’s an; ſieheſt du nicht in ihr den gehaltenen, regen Athem, zu dem ſie gebildet iſt? und im Munde? ... wie kann ich ausſprechen die Vielbedeutſamkeit dieſes Mundes, der ſpricht, und innehaͤlt im Sprechen ſpraͤche Areopagiten Urtheil Weisheit, Licht und Dunkel dieſe Mittellinie des Mundes! Noch hab ich keinen Menſchen geſehen mit dieſem ſchweigenden und ſprechenden, weiſen und ſanften, treffenden, ſpottenden und edeln Munde! Mir iſt, ihm ſchweben die Worte auf der Lippe: den einen Theil verbrennet er mit Feuer; mit dem andern bratet er das Fleiſch, daß er gebrate - nes eſſe und ſatt werde. Er waͤrmet ſich, daß er ſpricht: ha! ha! Jch bin wohl erwaͤrmt; ich habe das Feuer geſehen. Den uͤbrigen Theil deſſelben machet er zu einem Gotte und ſpricht: Erloͤſe mich, denn du biſt mein Gott!

Dieſen Prophetenblick! dieſes durchſchauende, Ehrfurcht erregende Staunen! voll wuͤrk - ſamer, treffender, gebaͤhrender Urkraft! dieſes ſtille, kraͤftige Geben weniger, gewogener Gold -N n 3worte286XXXVI. Fragment. worte dieſe Verlegenheit keine Scheidemuͤnze fuͤr den Empfaͤnger und Warter an der Hand zu haben Hieroglyphenſaͤule! Ein lebendiges:

Quos ego ſed motos praeſtat componere fluctus.

Der Umriß hier ein ganz anderer Mund ohn all das feingeiſtige prophetiſche Salz und das Untertheil des Geſichtes zu kurz und nicht ſo harmoniſch mit dem Charakter des uͤbrigen.

[figure]
Fuͤnfte
[figure]
287Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher.

Fuͤnfte Tafel. Johannes nach Vandyk. Ein Umriß.

Auch in der bloß ertraͤglichen Copie wie viel Geiſt, Jnnigkeit, Salbung? Salbung? was iſt das? O wie gut und lieblich iſt’s, wenn Bruͤder eintraͤchtig bey einander wohnen wie der koͤſt - liche Balſam, ausgegoſſen aufs Haupt, herabfließt in den Bart, ja in den Bart Aarons, herab - fließt bis zum Saume ſeiner Kleider Verſtehen wir nun, was Salbung iſt Ein Geſicht voll Salbung? Ein Geſicht gut und lieblich aber noch mehr, als dieß Ein Geſicht, das Geiſt, Kraft, Leben, Erquickung ausduftet, das anzieht, wie der lieblichſten Salbe alldurchdringender Wohlgeruch! Man kann die Lieblichkeit des Geſichtes ſehen, empfinden die ſanfte Macht der An - ziehung aber wer kann ſie beſchreiben? Wer beſchreiben den Wohlgeruch des Salboͤls ausgegoſ - ſen aufs Haupt, ſanft herabtriefend bis zum Saume des Kleides Aarons? Es iſt dem kalten, geiſt - und kraftleeren Geſichte, von dem ſich alles ſagen, der kleinſte Zug beſchreiben und beſtimmen laͤßt, entgegen. So das Geſicht, das wir vor uns haben, wenigſtens zum Theil.

Zuerſt das Ganze welche ruhige, einfache, denkende Stellung! wie wuͤrdig eines Mitgenoſſen an der Truͤbſal und an dem Reiche Chriſtus der eben den Giftbecher trin - ken ſoll wie kunſtlos! wie wahr, und wie erhaben! keine Befremdung! kein Zuruͤckbeben! kein ſeufzendes Fragen und beſſers hab ich nicht verdienet? Das Staunen der tieffuͤhlenden Einfalt voll großer Gedanken wer bemerkt’s nicht? Jch lobe das Auge nicht ganz. Die Falten uͤberm obern Augenliede die Entfernung der ſehr gemein und ohne Gefuͤhl oder Studium gezeichneten Augenbraunen kann ich nicht billigen, geſchweige loben. Dennoch hat der Blick ein unbeſchreiblich ſchickliches Staunen wenn ſie etwas toͤdtliches trinken werden, wird es ſie nicht ſchaͤdigen. Jhr werdet den Kelch trinken, den ich trinke und mit der Taufe, womit ich getauft werden ſoll, getauft werden. So ich will, daß er bleibe, bis daß ich komme? Doch ſagte Jeſus nicht: Er ſtirbt nicht, ſondern, ſo ich will, daß er bleibe, bis daß ich komme; was geht’s dich an? Mir ſcheint’s dieſe Gedanken, dieſe Worte des Meiſters, die ſo viel mehr in ſich faſſen, als ſie beym erſten Anhoͤren in ſich zu faſſen ſcheinen beſchaͤfftigen die ganze edle, ruhige Seele des erhabenen warum bloß Mannes, und nicht Greiſes?

Die288XXXVI. Fragment.

Die Stirn iſt vortrefflich bemerke ſie dir, edler, edle Menſchen ſuchender Juͤngling den Bogen von der aufſtehenden Haarlocke an, bis zur rechten Augenbraune aber bemerke ſie ſcharf, daß du nicht zu raſch aͤhnlich nenneſt, was unaͤhnlich iſt.

Und die Naſe nicht idealiſche Erhabenheit, aber ſicherlich voll Menſchenſinnes und edler Feſtigkeit. Die Entfernung des Naſenlaͤppchens vom Auge; die Naͤhe des Mundes an der Na - ſe idealiſch und Ausdruck der Erhabenheit!

Und im Munde, welche ruhige, reine, abſichtloſe Treuherzigkeit!

Verſtand und Zuverlaͤſſigkeit im Kinne der Hals zu dick.

Das Haar, die trefflichen Locken, die, welche von dem Scheitel ſich an dem linken Schlafe herabwirft, ausgenommen nicht uͤberlegt genug, doch auch nicht ſchlecht.

Aber die Haͤnde o Vandyk deine Haͤnde, wie voll tiefen Menſchengefuͤhles ſind ſie! Zartheit, Beſtimmtheit, Kraft und die laͤnglichte Geſtalt derſelben, wie paſſen ſie zu einem langgebildeten Manne von menſchenfreundlichem Anſehen.

[figure]
Beſchluß. 289

Beſchluß.

Erreicht, erreicht alſo den zweyten Ruhpunkt!
Der Hoͤhen Ein erſtiegen wieder an deiner Hand
Du ſtiller Fuͤhrer Trager Beſter!
Der Welten lenkt und mich!
Zuruͤck ſeh ich von wo ich ausgieng
Jm Thale fern iſt meine Huͤtte .... die Aus - ſicht
Sie oͤffnet, weidet ſich wie ſchoͤn!
Zwar iſt die Hoͤhe, wo mein Fuß itzt ausruht,
Noch tiefe Tiefe! doch weht mich
Hier Gottes Kuͤhlung an aus hoͤhrer Hoͤhe;
Und ſtillanbetend froh fuͤhl ich die Kuͤhlung!
O du der itzt mich ſanft, itzt ſchneller fuͤhrt,
Zuruͤckhaͤlt hier dort ſpornt, dort traͤgt,
Und itzt am ſtillen Abend mir Vorgeſchmack der vollen,
Der vollen noch fernen Vollendungsfreude goͤnnt.
Am Abend, deſſen Morgen ſo heiß mir kam;
Bet ich mit Kinderfreude dich Vater an!
O du du treuer aller Lebenden!
Du Vater aller Liebenden! du jeder Wahrheit!
O du der Menſchheit erſter Vater!
Anbetung dir fuͤr jede Zeile, jedes Wort
Der Wahrheit und der Kraft, das du mir gabſt!
Nimm hin die Wolke noch von meiner Stirn
Von meiner Bruſt das drohende Gewitter,
Und gieb, gieb frohe freye
Anbetung mir o du Gedankenſchoͤpfer!
Oft zitterte mir im Gebeine tief das Mark,
Oft gluͤhte Stirn und Wang und Bruſt,
Nach heißer heißgedraͤngter ohne Kuͤhlung
Bebt oft mein muͤdes Haupt und ſank
Auf meine Hand.
Dann dann ein Blick auf den zuruͤckgeklimm - ten Pfad!
Ein Blick auf deine Menſchenſchaar;
Und all die Freud am Daſeyn, an der Menſch - heit,
Die einſt entquillen wuͤrde meinem Schweiße,
Wenn uͤber mein Gebein der Fuß des Enkels wandelt;
Dann der Gedank: Auch ich ein Menſch!
Auch ich ein Kind des Vaters aller!
Auch ich o daß mit mir die Bruͤder all
Neu durchempfaͤnden das Gluͤck der Menſch - heit!
Dieß all in Einem Blick auf dich gefaßt;
Wie hob mich dieß!
Wie quoll mein Blick zuruͤck belebt aus deinem!
Wie quoll Erfriſchung hin in meine Baͤnge!
Wie Licht in meine Nacht!
O du wie wardſt du Vater mir
Phyſ. Fragm. II Verſuch. O oVon290XXXVI. Fragment.
Von neuem! Vater o wie fuͤhl ich mich
Erhaben uͤber alles, was ſichtbar iſt, was itzt
Die Erde zeigt, und alles was ſie verſchließt!
Nenn ich dich Vater dich unerforſchter!
Dich Erſter! Einzigſter! dich Kraft der Kraͤfte!
Dich unerreichbar Ferner innnigſt Naher!
Und naͤher nie dem Menſchen, ſichtbarer nie,
Als in dem Menſchenangeſicht, das Kraft
Verkuͤndigt und weiſe Guͤte.
O du im Kleinen groß, unendlich
Jn jedem Punkt und Einer doch
Jn allen Himmeln, allen Ergießungen
Der Schoͤpfungskraͤfte Einer, du in allem,
Was Leben nennt der Lebenden zu todte Sprache,
Was Leben nicht mehr nennt der Menſchen Kurzſinn;
O du wie hoch hinauf haſt du ſchon itzt
Wie uͤber alle Sichtbarkeiten hoch erhoͤht
Den Menſchen, deinen Liebling! Gehuͤllt
Jn Staubgeſtalt! wie Herrſchertrieb
Und Kraft, und Herrſcherluſt und Reich, zu walten
Jhm gegeben und Ruhe nicht auf Erde
Und Himmelsdurſt ihm in die Bruſt gehaucht!
Und auf die Stirn ihm dein Bild gepraͤgt!
Und in ſein Aug ihm eingegoſſen einen Tropfen
Gott! deiner Menſchenfreundlichkeit!
Und auf die Lippen Aushauch aller deiner Kraͤfte!
O du der Menſchheit Gott! der alles
Nach ſeinem Willen ſchuf, doch nur den Men - ſchen
Nach ſeinem Bilde dem Erſten, Einzigen,
Den Chriſtus Jeſus nennt der Menſchen Stammeln
O du in allem Gott! Jm Menſchen Vater!
Verhuͤllt in jedem Punkt, enthuͤllt in jedem.
O du deß iſt des Adlers Fluͤgelſchlag!
Deß iſt ſein Aug voll Mittagsſonne!
Der bildete des Straußes Eiſenmund!
Der Muth dem Loͤwen gab!
Und Bleynatur, und Stumpfſinn dem unbeholf - nen Ai,
Des Behemothes Hoͤlle-Rachen hoͤhlteſt du!
Und gabſt der Taube ſanfte keuſche Liebe!
O du, du Stirnenwoͤlber
Des Thoren und des Weiſen, wie Himmel du
Hoch uͤber Erd und Meere woͤlbteſt!
Des zarten Embryons Geſtalter!
Und der auf Caͤſars Felſenſtirn die Stufen eintrat!
Und ſponn aus Neutons hochgewoͤlbter Mark - ſtirn
Sein langes Seidenhaar der faltete
Des291Beſchluß.
Des Grimmes zaͤhe Haut und bog die Augen - braun
Dem weicheren Empfinder; anzog ſie
Dem Helden und dem Denker
Und ſpannte ſie dem Seher!
Der Wolken ſendet auf des Moͤrders;
Und auf Johannes faltenloſe Stirne
Der Morgenroͤthe Goldſtral!
O du der ſich in jeder Menſchenſeele,
Jn jedem Menſchenangeſichte ſpiegelt,
Wie in dem Tropfen des reinen Thaus,
Jm truͤben des Moraſts, die Sonne!
O dir! o koͤnnt ich dir die Menſchen naͤher fuͤhren!
O deine Lieblinge, du Liebender, dir naͤher!
Dir deine Deinigſten auf dieſem Ball;
Gefuͤhl von dir! von dir in jeder Seele wecken!
Unſterbliches Gefuͤhl!
Erkuͤnſteln nicht! erzwingen, erſchleichen nicht;
Heraus aus allen Seelen rufen, was in der Tiefe
Noch ſchlummert durch Deutung ſtiller
Verborgner Herrlichkeit des Menſchenangeſichts!
Anbetung dir! o koͤnnt ich wecken ſie
Aus aller Herzen! aller Herzen ach!
Verwandeln in Gott-Empfindung!
O laß vom hingeſunknen Angeſicht,
Vom Aug des Wurms, dem du Gefuͤhl
Der Gotteswuͤrde gabſt, zu der hinauf
Jhn deine Liebe fuͤhrt laß dich die Thraͤne,
Die Thraͤne nicht, laß dich erflehn
Der Seele frohe Kinderzuverſicht,
Die mehr dir iſt, als alle Wortgebete,
Die mehr als heiße bange Thraͤnen iſt
Um Seegen! Licht dem Leſer! Kraft
Und Weisheit, und Gefuͤhl entquille
Dem matten Stammeln! quill aus jedem Bild!
Entquille Warnung! Staͤrkung! Wahrheit!
Gefuͤhl der Menſchheit Freude, Leben, Liebe!
Nicht Richterey! nicht Stoff zu Schulgezaͤnken!
Dann Vater noch vergieb die Fehler!
Wie viel ſind ihr! vergieb
Des Schwachſinns Streben!
Jch bitte nicht! Jch glaube! Bitte, glaube
Noch inniger! Entdecke die Fehler mir!
Am innigſten: gieb Weisheit mir
Und Kraft und Demuth mir!
Und Kindereinfalt, ſie zu verguͤten alle!
Und du, o Chriſtus, aus deinem Gottesantlitz
Gieb Winke mir und Blicke goͤttlicher Beleh - rung,
Ach, Blicke voll Huld und Kraft und leite
Durch ſie mich durch die ſteilen Felſenpfad
Hinauf zum hochbewoͤlkten Ziele
Der moͤglichſten Vollendung!
O o 2Regiſter. [292]

Regiſter.

A.

  • Adler Seite205. 207
  • Admiraͤle und Feldherren208
  • Aethiopier, ein Schaͤdel von einem159
  • Affe, ſein Abſtand von dem Menſchen174
  • Affenkoͤpfe175
    • das Thieriſche und Untermenſchliche derſelbenibid.
    • Schaͤdel178
  • Ai, oder Faulthier252
  • Albert I. Phyſiognomie201
  • D'Alembert51
  • Alles oder nichts46
  • Allgemeinheit des phyſiogmomiſchen Gefuͤhls8
    • der phyſiognomiſchen Schluͤſſe45
  • Anlagen, gute und ſchlimme66
    • und Entwicklung wohl zu unterſcheiden65
  • Anſtelligkeit, was? 283
  • Arbeitſamkeit, feſte, uͤberlegende, Ausdruck derſelben213
  • Ariſtoteles139
  • Aufmerkſamkeit; Mittel, ſie bey Kindern zu uͤben22
  • Aufrichtig, ein phyſiognomiſches Wort10
  • Aufrichtigkeit und Falſchheit55
  • Augen, Ausdruck derſelben67 .76.117.202.214.215.232.237.239.240.241.242.245.257.264.267.270.271.275.276.278.279.281.284.285.
    • tiefe157
    • ſchlaue, argeibid.
    • hervorſtehende und tiefliegende116
  • Augenbraunen201 .208.214.225.275.276.278. 279
  • Augenknochen255 .257.269. 275
  • Augenlied, der runde Umriß des obern ꝛc .229.239.245. 257
  • Ausſehen, einfaͤltiges, iſt betruͤglich51

B.

  • Backen, Ausdruck derſelben264. 277
  • Baͤr141. 252
  • Barthaar74
  • Baſedow53. 272
  • Bedaͤchtlichkeit, Ausdruck derſelben101 .197.201. 265
  • Behemoth280
  • Beobachten, was es heiße? 16
    • wie ſelten16
    • wie Kinder darinn zu uͤben22
  • Beſcheidenheit, bloß Kleid und Zierde der Tugend84
  • Betriebſamkeit269
  • Beutelgans206
  • Beweis, ein einziger, wie viel wichtiger als noch ſo viele Einwendungen41
  • Biber142. 199
  • BiegſamkeitS. 123
  • Blaſſe Geſichtsfarbe, bey Geſunden, woher? 48
  • Blick, vorzuͤglich bedeutender208 .257.266.267.275.285. 287
  • Bodmer53
  • Bonhomie215
  • Bourbon, Carl von208
  • Breitinger53. 269
  • Brutus256
  • Buͤffelochſe280
  • Buͤffon179. 219

C.

  • Caͤſar151. 259
  • Calmucke, ein Schaͤdel von einem159
  • Carl, Herzog von Wuͤrtemberg53
  • Carteſius, phyſiognomiſcher Charakter273
  • Charakter, auſſerordentliche, ſind nicht immer auffal - lend95
    • welche zeichnen ſich im Schattenriſſe am meiſten aus? 96
    • treue, feſte, von Leuten gemeiner Extraktion211
    • ſanfte, edle, gute, treue, zaͤrtliche233 f.
    • kraftvoller Helden und Eroberer254. f.
    • von Gelehrten und Denkern264. f.
  • Charakteriſirung, phyſiognomiſche, des Herrn von Kleiſt .18 f.24 f.
    • der Herren Bodmer, Breitinger, Geßner, Sulzer, Mendelsſohn, Zimmermann, Spalding, Haller, Rouſſeau, Baſedow, Lambert53
    • Philipp des III. K. von Spanien197
    • Kaiſer Matthias198
    • Philipp des guten, Herzog von Burgund200
    • Wilhelm III. K. von England200
    • Rudolph I. Kaiſer201
    • Albert I. 201
    • Friedrich III. der ſchoͤne201
    • Friedrich IV. Kaiſer202
    • Wilhelm, Graf zu Naſſau202
    • Ernſt, Graf zu Mannsfeld202
    • Uladislaus VI. K. in Polen203
    • Maximilian I. Kaiſer203
    • Carl von Bourbon208
    • Ruyter208
    • Marlbourough208
    • C. S de St. ... g.244 f.
    • Scipio254
    • Titus255
    • Tiberius256
    • Brutus256
    • Caͤſar259
Charakte -[293]Regiſter.
  • Charakteriſirung MeyersS. 264
    • Eraſmus267 f.
    • I. I. B. 269
    • Zwinglius271
    • Carteſius273
    • Neuton276 f.
    • Plato284
    • H .. nn285
    • Johannes287
  • Chineſermuͤtze, eine Art von Affen177
  • Chodowiecki, 16 idealiſche Koͤpfe nach ihm187
  • Chriſtus, Umriſſe eines idealiſchen Chriſtuskopfes21 f.
    • ein Chriſtuskopf63
  • Clovio, Junius, ein Miniaturmahler221
  • Coͤlla211 .212.220 f.

D.

  • Dachs253
  • Demuth, ihr Ausdruck125. 265
  • Denkenskraft, poſitives Zeichen derſelben108
    • Ausdruck derſelben269. 281
  • Deſpot, Bild deſſelben261
  • Detail, Geiſt des Details265
  • Droituͤre215
  • Dromedar210
  • Dumme mit feuervollem Geſichte, wie? 52
  • Dummheit, natuͤrliche, Ausdruck, Zeichen derſelben76 .181.182. 183

E.

  • Ehrlichkeit60 .215. 265
  • Einbildungskraft, Zeichen derſelben103
  • Einfalt, edle, geht im Schattenriſſe meiſtens verloren95
  • Einwendungen gegen die Phyſiognomik41 f.
  • Elephant141. 280
    • ſein Schaͤdel154
  • Empfaͤnglichkeit123 .150. 281
  • Empfindſamkeit, Ausdruck derſelben107 .109.119.123.214. 281
  • Ente, wilde206
  • Entſchloſſenheit, Ausdruck derſelben208
  • Eraſmus, 5 Koͤpfe von ihm267 f.
  • Ergebenheit, Ausdruck der feſten, treuen Ergebenheit214. 216
  • Erhabenheit, Ausdruck derſelben288
  • Ernſt, Graf zu Mansfeld202

F.

  • Falſchheit, ihr Charakter260
  • Falſchheit und Aufrichtigkeit55 f.
  • Falten im Geſichte, was ſie zuweilen anzeigen200 .268. 271
  • Faulthier252
  • Feldherren und Admiraͤle208
  • Feldmaus140
  • Feſtigkeit15 .21.117.124.125.129.153.197.216.229.257.269.270.281.284. 288
  • Feuerkraft, Ausdruck derſelbenS. 229
  • Feuerloſigkeit, Ausdruck derſelben264
  • Fiſchotter141
  • Flachheit, faltenloſe, Ausdruck der Thorheit181
  • Florſtyl der Kuͤnſtler, was? 212
  • Forſchenskraft121
  • Freyheit, Ausdruck derſelben266
  • Friedrich, Koͤnig von Preußen53
    • III. der ſchoͤne201
    • IV. Kaiſer202
  • Froͤhlichkeit, Zeichen derſelben185
  • Fuchs140
  • Furchtſamkeit hat oft die Miene der Falſchheit61
    • verleitet oft dazuibid.
    • Ausdruck derſelben267
  • Fuͤrſten, eine Reihe von Fuͤrſten - und Heldenphyſiogno - mien200 f.
  • Fuͤrſtenblicke260

G.

  • Gans206
  • Gedaͤchtniß, Zeichen deſſelben21 .103.109.119. 280
  • Gedehntheit des Umriſſes eines Geſichts101
  • Gefuͤhldurſt, Buchſtabe deſſelben111
  • Genie, mechaniſches, Kennzeichen deſſelben50
    • was es nicht iſt220
    • Zuͤge deſſelben102. 275
    • das Eigenthuͤmliche deſſelben274
  • Geſchicklichkeit grober, plumper Koͤrper50
  • Geſchlechtsunterſchied in Abſicht auf die Knochen157
  • Geſchmack, Ausdruck deſſelben225
  • Geſchwaͤtzigkeit, witzige,153
  • Geſicht, ein vorzuͤglich verſtandreiches111
    • das Eckige des Geſichts21
  • Geſichter, Beyſpiele von ſolchen, die dem Charakter der Menſchen widerſprechen ſollen49 f.
    • Claſſifikation der Linien, welche ſie beſtimmen und begraͤnzen96
    • welche die feinſten und beſten97
    • ſelbſt das abſcheulichſte Menſchengeſicht hat noch Zuͤge angebohrner Trefflichkeiten193
  • Geſichtsfarbe, Bedeutung derſelben246
  • Geßner53
  • Geyer206
  • Gibbon, eine Art von Affen176
  • Goldadler207
  • Graf, Anton,78
  • Grimm, ſein Charakter260
  • Groͤße, menſchliche, Ausdruck derſelben259
  • Guͤte, mit gehaltener Kraft242
    • Ausdruck derſelben103 .107.115.117.119.123.245. 249

H.

  • Haar, Ausdruck deſſelben279
  • Haarwuchs270
O o 3Haͤrte[294]Regiſter.
  • Haͤrte der Zeichner, Kupferſtecher, Anmerkungen daruͤ - ber222. 270
  • Hagedorn, von229
  • Hahn, engliſcher206
  • Haller, von53
  • Hals, was er anzeiget98 .133. 181
  • Hand, Ausdruck derſelben268. 288
  • Hartnaͤckigkeit, Ausdruck derſelben68 .104. 208
  • Hartſinn, Zeichen deſſelben97. 104
  • Haſen199
  • Heftigkeit, Ausdruck derſelben104
  • Heiterkeit und Leichtigkeit, Ausdruck derſelben117
  • Helden, eine Reihe von Fuͤrſten - und Heldenphyſiogno - mien200 f.
  • Helden der Vorzeit245 f.
  • Heldenhaftigkeit, natuͤrliche, Ausdruck derſelben203
  • Herkules, ein Kopf nach dem Farneſiſchen15
  • Heucheley iſt ſchwer und leicht zu entdecken61
  • Hingerichtete, ob an ihren Schaͤdeln ꝛc. Beſonderheiten zu bemerken156
  • Hinterhaupt, was es anzeiget98 .107.153. 196
  • Hippopotamus280
  • Hirnſchale161
  • Hirſch139 .140. 199
  • Hirzels Charakter des Herrn von Kleiſt24
  • Hochſchweben, Ausdruck deſſelben124
  • Holbein, Koͤpfe nach Holbein265. 267
  • Hollaͤnder, ein Schaͤdel von einem159
  • Homer247
  • Hornkraft, thieriſche192
  • Humphry, O. Miniaturmahler224
  • Hunde140. 218
  • Hyaͤne142

J.

  • Jdealiſiren, Warnung vor dem intoleranten27 f.
  • Jmaginationsempfindſamkeit, die Bruͤder maͤhriſche221
  • Jnnigkeit, Ausdruck derſelben123
  • Jocko, eine Art von Affen. 175

K.

  • Kahlkoͤpfe132. 134
  • Kameel208
  • Karikatur, iſt vielleicht der vollkommenſte Menſch in den Augen hoͤherer Weſen29
    • welche Profile? 97
  • Katze141. 260
  • Kiefer, Veraͤnderungen, die mit demſelben vorgehen164 f.
  • Kinder, neugebohrne, ſind unſchuldig66
  • Kinderſchaͤdel163
  • Kinn, was es anzeiget68 .98.101.104.105.106.108.119.201.232.257.264.271. 288
    • zuruͤckgehendes127
    • vordringendes128
  • Kinn, je mehr Kinn, deſto mehr Menſch179
  • Kleinjogg, nach Chodowiecki216
  • Kleiſt, 4 Umriſſe von ihm18
    • ſein Charakter24 f.
  • Klugheit, unternehmende, Buchſtabe derſelben202. 269
    • herrſchende270
  • Knochen, die Grundfeſten der menſchlichen und thieri - ſchen Bildung138
    • Bildung derſelben, beſonders der Schaͤdel143 f.
    • ihre Urgeſtalt und Ausbildung146
    • der Todten, was ſich daraus ſchließen laſſe148 f.
    • ſind mancherley Eindruͤcken und Veraͤnderungen unterworfen162
  • Knochenſyſtem iſt das Fundament der Phyſiognomik162
  • Kopf, welche Theile deſſelben fruͤher oder ſpaͤter ausge - bildet werden163
  • Koͤpfe, 9 nach Poußin11
    • 16 Proſilkoͤpfe in Ovalen13
    • Umriſſe eines Chriſtuskopfes21
    • 4 Kahlkoͤpfe von hinten132
    • 32 Affenkoͤpfe175
    • 4 Thorenkoͤpfe183
    • 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe184
    • 6 weibliche ſchattirte Koͤpfe185
    • 16 idealiſche nach Chodowiecki187
    • von Ochſen, Hirſchen, Haſen199
    • von Voͤgeln205 f.
    • von treuen, guten Landleuten211. 212
    • von Hunden218
    • von Kameelen und Dromedaren210
    • von Kuͤnſtlern220-232
    • von ſanften, edlen, zaͤrtlichen Charaktern232
    • von wilden Thieren260
    • von Gelehrten und Denkern264 f.
    • myſtiſche, theoſophiſche283
    • laͤnglichte281. 283
  • Kraft, natuͤrliche, iſt weder Tugend noch Laſter149150
    • geſunde, Zeichen derſelben153
    • iſt nicht Haͤrte222
    • ihr Ausdruck18 .68.98.101.108.111.248.256.270.276. 285
  • Kuͤhnheit, Ausdruck derſelben208
  • Kuͤnſtler, ſoll die Natur ſtudieren84
    • drey220 f.
    • noch andere227 f.

L.

  • Lambert53
  • Landmann, ein zuͤrcherſcher, ZB. 211
    • ein anderer212
  • Laune, Ausdruck derſelben267
Leichtſinn,[295]Regiſter.
  • Leichtſinn und Klugheit104
  • Lenkſamkeit106. 115
  • Leoparden260
  • Linien, Claſſifikation der Beſtimmungslinien der menſch - lichen Geſichter96
  • Lippen, was ſie ausdruͤcken98 .105.108.111.113.117.119.208.233.239.240.245.249.271.275.277. 278
  • Lips, J. H.211 .222 f.
  • Locke169
  • Lockerheit, Laͤſſigkeit, bezeichnet eine Hauptklaſſe von Menſchen72
  • Loͤwen141 .260. 262
  • Lutma, Janus, ein Goldſchmied229

M.

  • Mackak177
  • Maggot, eine Art von Affen176. 177
  • Mahler, wie ſehr ihre Manieren und Faͤhigkeiten eben denſelben Menſchen umbilden276
  • Maimon, eine Art von Affen176
  • Malbourough208
  • Mandrill177
  • Mann, Ausdruck des ſelbſtſtehenden Mannes214
  • Mannheit, erhabene, Ausdruck derſelben18 .254. 284
  • Matthias, der Kaiſer198
  • Maximilian I. Kaiſer203
  • Mechaniſches Genie, Kennzeichen deſſelben50
  • Melancholie, Zeichen derſelben185
  • Mendelsſohn53
  • Menſch, jeder iſt unentbehrlich und unerſetzbar27 f.
    • auch in dem ſchlechteſten iſt viel Gutes29. 30
    • ſelbſt ſeine Verderblichkeit iſt Vorrecht30
    • jeder verliert und jeder gewinnt durchs Gekannt - ſeyn36
    • ſelbſt das, was ihn ſchlimm machet, iſt etwas Gutes38
    • ſeine Kraft und Staͤndigkeit, wodurch ſie ſich zeiget42
    • iſt mehr als alle ſeine Werke80
    • wie ihn ſein Knochenbau von den Thieren un - terſcheidet137
    • im bloßen Stande der Natur, wie ſehr von dem Affen unterſchieden174
    • alles an ihm iſt Sache und Zeichen zugleich181
    • ſelbſt in dem verruchteſten ſind noch Zuͤge ange - bohrner Trefflichkeiten195
  • Menſchen, die ins Affengeſchlecht ſehen178. 283
    • von ſchwachen, thoͤrichten Menſchen181 f.
    • ſelbſt die ſchwaͤchſten, gebrechlichſten zeugen von der goͤttlichen Weisheit und Huld190
  • Menſchengeſtalt, Trefflichkeit derſelben27 f.
    • werden nach drey Hauptklaſſen charakteriſirt72 f.
  • Menſchheit, wo die iſt, da iſt Familienſache31
  • Menſchenkenntniß und Menſchenliebe, ihre Vereinigung und Verhaͤltniß gegen einander36 f.
  • Menſchenkenntniß machet tolerant37
  • Menſchenſchaͤdel143 f.
  • Menſchliche Natur, zerſtoͤrte194
  • Metallſtyl der Kuͤnſtler, was? 212
  • Michelange151
  • Mone, eine Art von Affen177
  • Mund, vornehmſter Sitz der Tollheit35
    • Bedeutſamkeit der Mittellinie deſſelben71 .245. 285
    • Ausdruck deſſelben74 .76.101.103.105.113.200.201.215.224.229.230.232.239.241.249.255.256.257.264.266.267.268.270.271.281. 285
  • Mundſtuͤcke, zwey71
  • Muth, Ausdruck deſſelben271

N.

  • Nachteule206
  • Nacken68. 104
  • Naͤrrinn, froͤhlicher Art185
  • Naivete, Ausdruck derſelben267
  • Naſe, Ausdruck derſelben98 .101.104.107.109.117.118.120.121.123.125.130.182.203.208.225.229.232.233.234.241.244.255.256.257.264.267.270.275.277.278. 288
  • Naſe, Uebergang von derſelben zur Lippe104. 227
    • Stutznaſen, was ſie bezeichnen129
    • veraͤndert ſich waͤhrend des Wachsthums165
    • des Loͤwen262
  • Naſenbein, Ausdruck feſten Verſtandes156
    • der gerade Fortgang deſſelben157
  • Nasloͤcher, kleine, runde20
    • große257
  • Nashorn280
  • Natur, iſt homogen, mathematiſch in allen ihren Wuͤr - kungen128
    • iſt lauter Wahrheit, Offenbarung199
    • gemeine, ein wichtiger Gegenſtand des Beobach - ters und des Menſchenfreundes211
  • Natuͤrlichkeit265
  • Nero255
  • Neugebohrne, Beobachtung uͤber ihre abwechſelnde Aehn - lichkeit mit dem Profile ihrer Vaͤter33
  • Neuton, 4 Koͤpfe von ihm276
    • phyſiognomiſcher Charakteribid.
  • Nilpferd280

O.

  • Ochs139. 199
  • Offenbarung, iſt alles am Menſchen5
  • Ohren, niedergeſchlagne, des Hundes, was? 219
    • Ausdruck derſelben181 .234. 285
  • Ordnung, Gottes und der Natur, was? 72
  • Ordnungsliebe, 101. Jdeal und Ausdruck derſelben264 .265.266. 269
Origi -[296]Regiſter.
  • Originalitaͤt, Ausdruck derſelbenS. 273
  • Ourang-Outang174

P.

  • Papagay206
  • Patas, Affen177
  • Pavian176
  • Pelikan206
  • Pernetty, Dom. 58
  • Pfeffervogel206
  • Pfenninger, Kuͤnſtler211 .225 f.
  • Philipp III. Charakter197
    • der gute, Herzog von Burgund200
  • Phyſiognomie, in wie fern ſich kein Menſch der ſeinigen zu ſchaͤmen habe27 f.
    • Veredlung derſelben bey Sterbenden und Tod - ten34
    • Grundphyſiognomie, ob und was? 34
  • Phyſiognomien von Fuͤrſten und Helden200 f.
  • Phyſiognomik, ihr rechter Geſichtspunkt2
    • ihr hoͤchſter Endzweck4. 5
    • ihr Mißbrauch4
    • Vorſtellung ihres moͤglichen Nutzens6
    • iſt Buͤrge fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Menſchen31
    • befoͤrdert die Toleranz 37. naͤhret das Herz mit Freude an Menſchen38
    • wuͤrkt edles, weiſes Mitleiden39
    • uͤber die Einwendungen gegen die Phyſiognomik41
    • ſie hat poſitive Gruͤnde fuͤr ſich43
    • Beantwortung einiger beſondern Einwendungen48 f.
    • ob Sokrates Phyſiognomie ihre Zuverlaͤſſigkeit aufhebe64 f.
    • der Schaͤdel iſt die Grundlage derſelben143
    • das Knochenſyſtem ihr Fundament162
    • ſchuͤtzt den Menſchen gegen alle unwahre, un - billige Urtheile273
  • Phyſiognomiſches Gefuͤhl, Allgemeinheit deſſelben8 f.
  • Phyſiognomiſche Woͤrter, wie viel in den Sprachen9. 10
  • Phyſiognomiſcher Beobachtungsgeiſt, Seltenheit deſſel - ben16 f.
  • Phyſiognomiſt, Winke fuͤr denſelben147 f.
  • Pitheke, eine Affenart174
  • Plato74
  • Polyphem, braſiliſcher206
  • duͤ Pont, Paul, ein Kupferſtecher230
  • Portraͤte, einige Stufen von Urtheilen daͤruͤber86 f.
    • wie wenig wahre242
    • wahre, ihr Werth273
    • den meiſten fehlet Feſthaltung eines Augenblicks266
  • Portraͤtmahler, ſind oft Verlaͤumder69. 282
  • Portraͤtmahler, warum man die ſchlechten Seeleumah - ler nenntS. 80
  • Portraͤtmahlerey78 f.
    • was ſie iſt79
    • ihre Wichtigkeit79
    • ihre Wuͤrde und ihr Rang81
    • vermeidliche Hinderniſſe derſelbenibid.
    • unuͤberwindliche Schwierigkeiten derſelben85
  • Porta192. 218
  • Poußin, 9 Koͤpfe nach ihm11 f.
  • Praͤdeſtination, einzig wahre146
    • und Freyheit, woraus zum Theil begreiflich150
  • Preſſentiment274
  • Profile, welche wohl proportionirt97
  • Prophetenblick285

Q.

  • Quesnoy, Franciſcus231

R.

  • Redlichkeit und Unredlichkeit, Anmerkungen daruͤber61 .62. 63
  • Reizbarkeit und Kraft, der Grund aller guten und ſchlim - men Anlagen im Menſchen66
  • Richtigkeit und Freyheit, gefaͤllt allen und allenthalben73
    • der Charakter der vortrefflichſten Claſſe von Menſchen73
  • Rouſſeau53
  • Rinozeros280
  • Rubens Sokrates64
  • Rudolph I. Kaiſer201
  • Ruͤdgerodt, ein Boͤſewicht194
  • Ruyter208

S.

  • Salbung, was? 287
  • Sammeln, Geiſt des Sammlens, Ordnens ꝛc .264. 265
  • Schaafe192
  • Schaͤdel von Thieren139 f.
    • von Menſchen143 f.
    • was ſich aus der bloßen Form, Haͤrte ꝛc. deſſel - ben ſchließen laͤßt149
    • bezeichnen den Unterſchied der Nationen152
    • von Elephanten154
    • von ihrem Unterſchiede in Anſehung des Ge - ſchlechts und der Nationen157 f.
    • eines Hollaͤnders, Calmucken und Mohren159
    • von Kindern163
    • Arten, ſie zu beobachten167
    • von Affen178
  • Schattenriſſe, Betrachtung daruͤber90 f.
    • große Bedeutſamkeit derſelben92
    • beſte Art ſie zu machenibid.
    • wie viel man daraus ſehen kann94 f.
    • neun Hauptabſchnitte derſelben96 f.
  • Schauen der Nachahmung, Ausdruck deſſelben220
Scheitel[297]Regiſter.
  • Scheitel, was er anzeigetS. 98
  • Schlaͤfe, Ausdruck derſelben257
  • Schlafbeine, wie verſchieden die Fortſaͤtze derſelben162
  • Schlaffſinn, Zeichen deſſelben97
  • Schleimhoͤhlen, ihre Verſchiedenheit165
  • Schoͤpfungskraft, Ausdruck derſelben223 .232. 276
  • Schriften, die goͤttlichſten, ſind in gewiſſem Verſtande Werke der Menſchen80
  • Schriftſteller, phyſiognomiſcher, wann er ſchreiben ſollte2. 3
    • frohe Ausſichten deſſelben5
  • Schuſter, ihre Bildung ꝛc. 13
  • Schwaͤche, Charakter derſelben101 .182.13. 150
    • Ausdruck ihrer verſchiedenen Grade187
  • Schwaͤrmer, religioͤſe,281
  • Schwaͤrmerey, welche Geſtalten des Kopfes vielleicht Anlage dazu verrathen? 281
  • Schwan206
  • Scipio254
  • Seher281
  • Seherblick285
  • Selbſtdenker107
  • Selbſtigkeit257. 259
  • Selbſtſtaͤndigkeit, Ausdruck derſelben237 .256.257. 269
  • Silhouette, druͤckt mehr die Anlage als die Wuͤrklichkeit des Charakters aus98
  • Silhouetten, 2. die man fuͤr dieſelben angeſehen20 f.
  • 6 maͤnnliche100 f.
  • 4 maͤnnliche in Ovalen103
  • 4 maͤnnliche104
  • 4 maͤnnliche105
  • 3 maͤnnliche107 .108.111.125.127. 265
  • weibliche111 .115.117.119.121.123. 127
  • Sinnlichkeit, Zeichen derſelben98 .193. 245
  • Snyderhof201
  • Sokrates, von Rubens64
    • von ſeiner Phyſiognomie64 f.
    • neun Profilkoͤpfe von Sokrates75
  • Sompel, van201
  • Soutmann201
  • Spalding53
  • Spon200
  • Spuͤrerey, Ausdruck derſelben218
  • Staatsgeſicht260
  • Staatsklugheit, Ausdruck derſelben201
  • Stachelſchwein142
  • Staͤndigkeit des Menſchen, Maaßſtab derſelben42
  • Staͤrke oder Schwaͤche des Charakters, Zeichen davon149
  • Starrſinn, Ausdruck deſſelben156. 196
  • Steifheit, Geſpanntheit, bezeichnet eine Hauptklaſſe von Menſchen72
  • Steifſinn, wahrſcheinlicher Ausdruck deſſelben156
  • Steinbock199
  • Stellung, was ſie anzeiget98 .232.267. 287
  • Stirn, Ausdruck derſelben99 .100.102.104.107.108.109.112.113.117.119.123.129.130.153.182.195.202.227.229.232.233.234.237.239.240.247.255.257.264.276.277.278.280.281.284.285. 288
  • Stirnen, ſeltene, was ſie anzeigen100. 101
    • zuruͤckgehende242. 104
    • die weniger zuruͤckſtehen110. 179
    • Umriſſe von Stirnen169
    • Perpendikularheit der Stirne198
    • der Hund hat am meiſten Menſchenſtirn218
    • Uebergang von derſelben zur Naſe125
  • Stolz im Gefuͤhl innerer Kraft, Ausdruck deſſelben202
    • roher208
  • Stoßkraft150
  • Straußcaſuar206
  • Stuͤmperey in allen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, wo - her? 83
  • Stumpfheit, thieriſche192
  • Stutznaſen, was ſie bezeichnen129
  • Sulzer53. 78

T.

  • Taube206
  • Thaͤtigkeit264. 275
  • Theoſophen281
  • Thierbau, wie verſchieden von dem Knochenbaue des Menſchen137
  • Thiere, wilde260
  • Thierſchaͤdel139 f.
    • Charakter deſſelben nach der Verſchiedenheit der Natur und Beſtimmung der Thiere139 f.
  • Thomas, Lobrede auf Carteſius273 f.
  • Thoren, 4 Umriſſe von maͤnnlichen181
    • 4 Umriſſe von weiblichen182
    • 4 Koͤpfe von Thoren183
    • 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe184
  • Thorheit, verſchiedener phyſiognomiſcher Charakter der - ſelben181. 184
  • Tiberius256
  • Tieger141. 260
  • Todte, ihre Phyſiognomien veredlen ſich34
    • Kinder ſehen ihren Vaͤtern wieder aͤhnlicher als vorher34
  • Tollheit, ihr vornehmſter Sitz im Munde35
  • Tonkuͤnſtler, Bild eines Tonkuͤnſtlers15
  • Traurigkeit, Zeichen derſelben185
  • Treuherzigkeit, Ausdruck derſelben288
  • Triebloſigkeit, ruhige, Ausdruck der Thorheit181
  • Trockenheit, Ausdruck derſelben283
  • Tuͤckiſch, ein phyſiognomiſches Wort10
  • Tyrannen, Grundlage von vielen256

U. V.

  • Vandyk230 .287. 288
    • zwey Portraͤte von ihm232
  • Verborgenheit, Ausdruck derſelben256
Phyſ. Fragm. II Verſuch. P pVernach -[298]Regiſter.
  • Vernachlaͤſſigung guter Anlagen, Spuren davonS. 119
  • Verſchlagenheit, ihr Charakter260
  • Verſchloſſenheit, ihr Ausdruck283
  • Verſtand, mannichfaltiger, Ausdruck deſſelben35 .68.98.100.101.103.104.107.121.123.124.153.156.186.208.228.365. 267
  • Verſtellung55 f.
    • hat bey unzaͤhligen Dingen in dem Aeuſſern des Menſchen nicht ſtatt56
    • hat ſtets ihre ſichern Merkmale57
  • Verzogenheit, Ausdruck der Thorheit181
  • Vielfaltigkeit, Ausdruck der Thorheit181
  • Vielfaͤltige im Geſichte268
  • Uladislaus VI. K. in Polen ꝛc. 203
  • Umriß, aͤuſſerer, Ausdruck deſſelben98 .106.156.215.232.245.257.266. 275
  • Unau, oder Faulthier252
  • Unempfindlichkeit, rohe, Ausdruck derſelben208
  • Unentbehrlichkeit, Unerſetzbarkeit jedes Geſchoͤpfes, jedes Menſchen27. 28
  • Unerbittlichkeit, Zeichen derſelben97
  • Unglaͤubige, das Fehlerhafte ihrer Methode in Beſtrei - tung des Chriſtenthums43
  • Unmenſch, Phyſiognomie eines Unmenſchen194
  • Unſchuld und Schuld, ihr Ausdruck59
  • Voͤgelkoͤpfe205 f.
  • Urtheilskraft, uͤberlegende, Ausdruck derſelbenS. 155

W.

  • Wahnwitz183
  • Wahrheit, geht uͤber alles213
  • Wahrheitsdrang274
  • Wange, ſ. Backen285
  • Weiblich, Ausdruck des Gemeinweiblichen123. 127
  • Weiblichkeit, hoͤchſte129
  • Weichlichkeit und Falſchheit, ſcheinbare Aehnlichkeit der - ſelben62. 63
  • Widder139. 192
  • Widerſtehenskraft73
  • Wilhelm III. Koͤnig in England200
    • Graf zu Naſſau202
  • Wildſchwein252
  • Witz, Zeichen deſſelben103 .104. 108
  • Woͤrter, phyſiognomiſche9. 10
  • Wolf141

Z.

  • Zaghaftigkeit, Ausdruck derſelben105
  • Ziegen192
  • Zimmermann53. 194
  • Zopyrus64. 67
  • Zwinglius, ſeine Phyſiognomie270
Fortſetzung[299]

Fortſetzung des Verzeichniſſes dererjenigen, welche auf dieſes Werk unterzeichnet haben.

Fuͤrſtliche Perſonen.

  • Jhro Koͤnigliche Hoheit die Erbprinzeßin von Heſſen-Caſſel, gebohrne Prinzeßin von Daͤn - nemark in Hanau.
  • Jhro Durchlaucht die Fuͤrſtin von Anhalt-Pleß, zu Pleß in Schleſien.
  • Jhro Durchlaucht der Prinz von Bevern, Gouver - neur der Stadt Coppenhagen.
  • Fuͤrſt von Carolat in Schleſien.
  • Seine Durchlaucht der Prinz Georg, Bruder des Landgrafen von Darmſtadt, in Darmſtadt.
  • Jhro Durchlaucht die Herzogin von Mecklenburg - Schwerin.
  • Jhro Durchlaucht die Prinzeßin von Mecklenburg, gebohrne Prinzeßin von Gotha.
  • Jhro Durchlaucht der regierende Fuͤrſt von Naſſau - Saarbruͤcken-Uſingen.

Andere Subſcribenten.

  • Herr Johann Heinrich Aman z. Thiergarten in Schafhauſen.
  • Die akademiſche Bibliothek in Mietau.
  • Die oͤffentliche Bibliothek in Schafhauſen.
  • Herr Bode in Hamburg.
  • Herr Boͤkmann, Profeſſor und Kirchen-Rath in Carlsruhe.
  • Herr Baron von Borch, Oberſter des Regiments von Sachſen-Gotha und General-Adjutant des Prinzen von Oranien, in Zwoll.
  • Herr Aſſeſſor Born in Dresden.
  • Der Freyherr von Brabek, Churfuͤrſtl. Maynzi - ſcher geheimde Rath.
  • Herr Cammerherr von Brandt.
  • Freyherr von Buͤlow, Koͤnigl. und Churfuͤrſtl. Re - gierungsrath bey der Regierung der Herzogthuͤ - mer Bremen und Verden.
  • Herr Landrath von Buͤlow in Gluͤckſtadt.
  • Herr Peter de Joh. Balthaſar Burkard, des großen Raths in Baſel.
  • Herr Baron von dem Buſſche in Halberſtadt.
  • Das Kloſter zur lieben Frauen in Magdeburg.
  • Herr Conr. Colsmann, Negociant in Coppenhagen.
  • Herr Senator Doͤrner in Hamburg.
  • Mr. Pierre Elmsly à Londres. (Auf ſechs franzoͤſiſche Exemplare.)
  • Herr Philipp Jacob Engel, Sonntag-Abend-Pre - diger zu St. Wilhelm in Strasburg.
  • Herr Ober-Prediger Fockke zu Ballenſtaͤdt, im Fuͤrſtenthum Anhalt-Bernburg.
  • Herr Hauptmann Freudenberger in Bern.
  • Herr Canonicus Gleim in Halberſtadt.
  • Herr Obriſt-Lieutenant von Goͤtzen in Potsdam.
  • Herr von Halder in Augsburg.
  • Frau Landvoigtin Haller von Wildenſtein in Bern, im Namen einer Geſellſchaft von Freundinnen.
  • Frau Ober-Commiſſarin von Hattorf in Voͤlkers - hauſen.
  • Herr Baron Heinrich Curtius von Haugwitz.
  • Herr Land Amman Hedlinger in Schweiz.
  • Die Heiziſche Leſebibliothek in Zuͤrich.
  • Herr Prof. Henrici fuͤr das Altonaiſche Gymnaſium.
  • Der Heſſen-Caſſelſche Herr geheimde Rath zu Frankfurt.
P p 2Herr[300]
  • Herr Hofmeiſter in Zuͤrich.
  • Herr to der Horſt, Kaufmann in Braunſchweig.
  • Herr Johann Michael Hudtwalcker in Hamburg.
  • Herr Hof-Cammerrath Jacobi in Duͤſſeldorf.
  • Herr Chriſtoph Karg in Nuͤrnberg.
  • Herr Johann Friedrich Koͤhler, Kaufmann in An - halt-Coͤthen.
  • Der Freyherr von Kruſe, Praͤſident von Jhro Hoch - fuͤrſtl. Durchlaucht zu Naſſau-Saarbruͤcken - Uſingen.
  • Herr Polycarp Auguſt Leiſching, Churfuͤrſtl. Saͤch - ſiſcher Legationsrath.
  • Die Leſegeſellſchaft in Winterthur.
  • Herr von Leſtwitz auf Groß-Tſchira.
  • Monſieur l' Abbé Louis à Strasburg.
  • Frau von Luͤtzeu in Schwerin. (Auf 2. Exemplare.)
  • Herr Johann Conrad von Mandach, Obherr in Schafhauſen.
  • Herr von Mechel in Baſel. (Auf drey deutſche und ein franzoͤſiſch Exemplar.)
  • Jhro Excellenz die Frau geheimde Raͤthin von Muͤnchhauſen in Hannover.
  • Herr Aſſiſtent Jean Henri Perini in Scams.
  • Herr Heinrich Pfenniger in Zuͤrich.
  • Son Excellence Mr. Louis Pfiffer, Seigneur de Vy - her, Chev. de St. Louis & Lieutenant general des armées du Roi de France, à Lucerne. (Auf ein franzoͤſiſch Exemplar.)
  • Mr. le Major Pfiſter à Schaffhouſe. (Auf ein fran - zoͤſiſch Exemplar.)
  • Der Daͤniſche Cammerherr Herr Carl Adolph von Pleßen auf Wittmoldt.
  • Herr Baron von Poͤlnitz von Montricher, Koͤnigl. Preußiſcher Cammerherr in Lauſanne.
  • Herr von Reden, Churhannoͤveriſcher Kammerrath und Berghauptman zu Clausthal.
  • Herr Graf Heinrich von Reuß der 35ſte.
  • Herr von Rochow zu Reckan, Domherr in Halber - ſtadt.
  • Herr Johann Dietrich Rodde.
  • Herr Joh. van der Roeſt, S. S.Theol. Stud. in Utrecht.
  • Herr Ulyßes von Salis von Marſchlins.
  • Herr Baron Guſtav Schlabrendorf, Domherr zu Magdeburg.
  • Herr Gabriel Scheiber v. Kronſtern auf Nehmten.
  • Herr Johann Schuback in Hamburg.
  • Herr Director Schultheß z. Rechberg in Zuͤrich.
  • Herr von Oberg von Schwichelt in Hannover.
  • Herr Sidenburg, Gelehrter zu Luͤbeck.
  • Herr Sinapius, Kaufmann in Breslau.
  • Mr. Henri Soulger à Londres. (Auf ein franzoͤſiſch Exemplar.)
  • Mr. le Marquis de Spontin de Namur. (Auf ein fran - zoͤſiſch Exemplar.)
  • Frau Steiger von Wabern, geb. Stuͤrler in Bern, im Namen einer Geſellſchaft von Freundinnen.
  • Herr D. Stockarn von Neuhorn in Schafhauſen.
  • Herr Chriſtian Graf zu Stollberg.
  • Herr H. Swavink, Predicant te Oudewater in Utrecht.
  • Frau Hauptmaͤnnin Tauenſtein in Zuͤrich.
  • Herr Hofgerichts-Advocat Tetſch in Mietau.
  • Se. Excellenz der Koͤnigl. Daͤniſche geheimde Con - ferenzrath Freyherr von Thienen in Hollſtein.
  • Madame la Barone de Tſchoudi née Wirtz de Ru - denz, à Naples. (Auf zwey franzoͤſiſche Exemplare.)
  • Mr. de Turkheim à Strasbourg.
  • Ein Ungenannter in Nordheim im Hannoͤveriſchen.
  • Herr C. B. Voet Med. Doct. & Inſpecteur overs Lands collective Middelen in Utrecht.
  • Se. Excellenz der Herr Baron von Wallmoden, Churhannoͤveriſcher General und Geſandter in Wien.
  • Herr Cammerherr Baron von Wallmoden in Han - nover.
  • Mr. le Comte de Waſſenoer, Seigneur de Twickel &c.
  • Herr Hofrath Wieland in Weimar.
  • Herr Wippermann, Kaufmann in Quedlinburg.
  • Herr Joh. Ludw. Zinn, Kaufmann zu Coppenhagen.
[301][302][303][304]

About this transcription

TextPhysiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe
Author Johann Caspar Lavater
Extent532 images; 69831 tokens; 12219 types; 519954 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPhysiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe Zweyter Versuch Johann Caspar Lavater. . [5] Bl., 291 S., [5], [107] Bl. : 107 Taf. (Kupferst.), zahlr. Ill. (Kupferst.). ; 4° Weidmann und ReichSteinerLeipzigWinterthur1776.

Identification

HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Vc 4° 3:2Dig: http://diglib.hab.de/drucke/vc-4f-3-2b/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Philosophie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:32Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Vc 4° 3:2
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.