PRIMS Full-text transcription (HTML)
Phyſiognomiſche Fragmente, zur Befoͤrderung der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe,
Zweyter Verſuch.
Mit vielen Kupfertafeln.
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Leipzig und Winterthur,1776. BeyWeidmanns Erben und Reich, undHeinrich Steiner und Compagnie.

An Louiſen Prinzeſſinn von Heſſen-Darmſtadt regierende Herzoginn von Weimar.

Vortreffliche Fuͤrſtinn,

Den zweyten Theil dieſer, unter mancherley Drang bearbeiteten Frag - mente, lege ich mit dem Wunſche und mit der beruhigenden Hoffnung Ew. Durchl. zu Fuͤßen: daß Sie Wahrheit, Nutzen und Vergnuͤgen daraus ſchoͤpfen, Sich aufs neue Jhrer Menſchheit, und des Vaters der Menſch - heit, und des Urbildes der Menſchheit freuen werden.

Mehr ſag ich nicht, denn ich weis, daß Jhr Herz, zu der wahreſten Empfindung rein geſtimmt, das beſte Gefuͤhl ſchon entweiht achtet, wenn es in Worte uͤbergeht.

Zuͤrich, den 24. Jaͤnner 1776.Johann Caſpar Lavater, Pfarrer am Waiſenhauſe.

Jnnhalt

Jnnhalt des zweyten Verſuchs.

  • Einleitung. Beſorgniſſe und Hoffnungen des Verfaſſers. Seite 1
  • I. Fragment. Allgemeinheit des phyſiognomi - ſchen Gefuͤhles. 8
  • 1. Tafel. 1 Tafel. 9 Umrißkoͤpfe nach Poußin. 11
  • 2. Tafel. 2 16 Portraͤte im Profil, ſchattirt. 13
  • II. Fragment. Seltenheit des phyſiognomi - ſchen Beobachtungsgeiſtes. 16
  • 3. Tafel. 1 4 Umriſſe von Kleiſt. 18
  • 4. Tafel. 2 4 Umriſſe eines Chriſtuskopfes. 21
  • Zugabe. Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel. 24
  • III. Fragment. Trefflichkeit aller Menſchen - geſtalten. 27
  • Zugabe. Einige Bemerkungen uͤber Neugebohr - ne, Sterbende, Todte. 33
  • IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe. 36
  • V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. 41
  • VI. Fragment. Beantwortung einiger beſon - dern Einwendungen. 48
  • VII. Fragment. Ueber Verſtellung, Falſch - heit, Aufrichtigkeit. 55
  • VIII. Fragment. 5. Tafel. Sokrates nach Rubens, ſchattirt. 64
  • 6. Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke. 71
  • 7. 2 Zugabe. 9 Profilumriſſe von Sokrates. 75
  • IX. Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey. S. 78
  • X. Fragment. Einige Stufen von Urtheilen uͤber Portraͤte. 86
  • XI. Fragment. Ueber Schattenriſſe. 90
  • XII. Fragment. Fortſetzung. Was man aus bloßen Schattenriſſen ſehen koͤnne? 94
  • 8. Tafel. Fortſetzung. I. Tafel. 6 maͤnnliche bloße Umriſſe. 100
  • 9. II. 4 ſchwarze maͤnnliche Schattenriſſe in Ovalen. 103
  • 10. III. 4 ſchwarze maͤnnliche Schattenriſſe mit Linien. 104
  • 11. IV. 4 maͤnnliche etwas kleiner. 105
  • 12. V. 3 maͤnnliche Kahlkoͤpfe. 107
  • 13. VI. 4 maͤnnliche in Ovalen. 108
  • 14. VII. 2 maͤnnliche, 2 weibliche Schattenriſſe von demſelben Kopfe. 111
  • 15. VIII. 4 weibliche Silhouetten in Ovalen. 115
  • 16. IX. 6 weibliche bloße Umriſſe. 117
  • 17. X. 3 weibliche ganz ſchwarze Silhouetten. 119
  • 18. XI. 4 weibliche Schattenkoͤ - pfe in Ovalen, dieſelbe Perſon zweymal. 121
  • 19. XII. 9 weibliche Umriſſe. 123
  • XII. Fragment. 20. Tafel. Fortſetzung. XIII. Tafel. 4 maͤnnliche Umriſſe in Ovalen, mit Linien. T. 125
  • 21. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 21. Tafel. Fortſetzung. XIV. Tafel. 6 Umriſſe von Silhouetten mit Linien. F .. t .. S. 127
  • 22. XV. 4 maͤnnliche Kahlkoͤpfe von hinten. 132
  • II. Abſchnitt. XIII. Fragment. 23. Tafel. Thierſchaͤdel. Umriſſe von verſchiede - nen Thierſchaͤdeln. 139
  • XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. 143
  • I. Von der Bildung der Knochen, be - ſonders der Schaͤdel. 143
  • II. Winke fuͤr den Phyſiognomiſten. 147
  • III. Einwendung und Beantwortung. 148
  • IV. Weitere Beantwortung. 149
  • 24. Tafel. V. Derſelbe Schaͤdel zweymal auf einem Blatte. I. Tafel. 152
  • 25. VI. Vier Schaͤdel. II. Tafel. A. 155
  • VII. Unterſchied der Schaͤdel in Anſe - hung der Geſchlechter. 157
  • 26. VIII. Drey Schaͤd[e]l, eines Hollaͤnders, Calmucken, und Mohren. III. Ta - fel B. 159
  • IX. Noch einige Anmerkungen uͤber den Bau und die Geſtaltung der Schaͤdel. 161
  • X. Von Kinderſchaͤdeln. 163
  • 27. XI. Fortſetzung. 4 Kinderſchaͤdel. C. IV. Tafel. 166
  • 28. XIII. Von einer andern Art, die Schaͤdel zu beobachten. Ein aufm Ruͤcken liegender Schaͤdel. E. V. Tafel. 167
  • 29. XIV. Stirnen. VI. Tafel. 169
  • 30. XV. Ein umgekehrter Schaͤdel. F. VII. Tafel. 169
  • XVI. Poetiſcher Beſchluß. 170
  • XV. Fragment. Affen. 174
  • 31. Tafel. I. Tafel. 32 Affenkoͤpfe. 175
  • 32. Tafel. II. Tafel. 2 Affenſchaͤdel. S. 178
  • XVI. Fragment. Schwache, thoͤrichte Men - ſchen. 181
  • 33. Tafel. I. Tafel. 4 Umriſſe von maͤnnlichen Tho - ren. 181
  • 34. II. 4 weibliche Profilumriſſe von Thoͤrinnen. 182
  • 35. III. 3 maͤnnliche. 1 weiblicher. 183
  • 36. IV. 4 thoͤrichte Frauenkoͤpfe. 184
  • 37. V. 6 weibliche ſchattirte Koͤpfe nach Chodowiecki. 185
  • 38. VI. 16 idealiſche Profilkoͤpfe nach Chodowiecki. Umriſſe. 187
  • Beſchluß. 189
  • XVII. Fragment. Thieriſche Stumpfheit; Hornkraft. 192
  • 39. Tafel. Eine Tafel, Widder, Ziegen, Schaafe. 192
  • XVIII. Fragment. Zerſtoͤrte menſchliche Na - tur. 194
  • 40. Tafel. Ruͤdgerodt. 194
  • XIX. Fragment. 41. Tafel. Philipp der III. 197
  • XX. Fragment. 42. Tafel. Matthias, Kaiſer. 198
  • XXI. Fragment. 43. Tafel. Ochſen, Hirſche, Haaſen. 199
  • XXII. Fragment. Eine Reihe von Fuͤrſten und Helden. 200
  • 44. Tafel. I. Philipp der gute. Umriß. 200
  • 45. II. Wilhelm der III. 200
  • 46. III. Rudolph der I. 201
  • 47. IV. Albert der I. Umriß. 201
  • 48. V. Friedrich der III. 201
  • 49. VI. Friedrich der IV. 202
  • 50. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 50. Tafel. VII. Wilhelm, Graf zu Naſſau. S. 202
  • 51. VIII. Ernſt, Graf zu Mannsfeld. 202
  • 52. IX. Uladislaus der VI. 203
  • 53. X. Maximilian. 203
  • XXIII. Fragment. 54. Tafel. Voͤgel. I. 17 Voͤgelkoͤpfe. 205
  • 55. II. Goldadler. 207
  • XXIV. Fragment. Feldherren. Admiraͤle. 208
  • 56. Tafel. I. Bourbon und Ruyter. Umriß. 208
  • 57. II. Marlbourough. 208
  • XXV. Fragment. 58. Tafel. Kameele. Dro - medare. 210
  • XXVI. Fragment. Treue, feſte Charaktere von Leuten gemeiner Extraction. 211
  • 59. Tafel. I. Ein zuͤrcherſcher Landmann, Z. B. ſchat - tirt. 211
  • 60. II. Zween zuͤrcher Bauren, A. B. ſchattirt. 212
  • 61. III. Ehrlichkeit, Droituͤre, Halbumriß, halbſchattirt. Bonhomie. Hoze. 215
  • 62. IV. Kleinjogg, von Chodowiecki, ſchat - tirt. 216
  • XXVII. Fragment. 63. Tafel. Hunde. 218
  • XXVIII. Fragment. Drey Kuͤnſtler. 220
  • 64. 65. Tafel. I. II. Coͤlla, ſchattirt im Profile. 220
  • 66. III. Lips, mit beyden Augen, ſchattirt. 222
  • 67. IV. Pfenninger, Profil, ſchattirt. 225
  • XXIX. Fragment. Noch einige andere Kuͤnſt - ler. 227
  • 68. Tafel. I. P. B. d. M. ein ſchattirtes Profil. 227
  • 69. II. Janus Lutma. Umriß. 229
  • 70. III. Paul duͤ Pont, ein ſchattirter Kopf nach Vandyk. 230
  • 71. Tafel. IV. 2 Portraͤte von Vandyk, ſchattirt. S. 232
  • XXX. Fragment. Sanfte, edle, treue, zaͤrtli - che Charaktere vom gemeinſten Menſchenver - ſtande an bis zum Genie. 233
  • 72. Tafel. I. H. St. zwey ſchattirte Profile. 233
  • 73. II. H. ein ſchattirtes Profil. 234
  • 74. III. 4 Umriſſe im Profil. 236
  • 75. IV. St. ein ſchattirtes Profil. 239
  • 76. V. H ... Z. ein ſchattirtes Profil. 241
  • 77. VI. P ... t. ein ſchattirtes Profil. 242
  • 78. VII. I. L. P. daſſelbe Geſicht mit beyden Augen, ſchattirt. 242
  • 79. VIII. C ... s de St ... g. Umriſſe. 244
  • 80. IX. C ... s de St ... g. ſchattirt und Schattenriſſe. 244
  • XXXI. Fragment. 81. Tafel. Baͤren, Faul - thier, Wildſchwein. 252
  • XXXII. Fragment. Helden der Vorzeit. 254
  • 82. Tafel. I. Scipio, Umriß. 254
  • 83. II. Titus, ſchattirt. 255
  • 84. III. Tiberius, ſchattirt. 256
  • 85. IV. Brutus, ſchattirt. 256
  • 86. V. Brutus, Umriß. 256
  • 87. VI. Caͤſar, Umriß. 259
  • 88. VII. Caͤſar, ſchattirt. 259
  • XXXIII. Fragment. Wilde Thiere. 260
  • 89. Tafel. I. Loͤwen, Tieger, Katzen, Leoparden. 261
  • 90. II. Loͤwen und Loͤwinn mit Jungen. 262
  • 91. III. Loͤwen. 262
  • XXXIV. Fragment. Gelehrte, Denker, vom Sammlergeiſte bis zum wuͤrkſamſten, kraftvollſten Genie. 264
  • b92. Tafel. Jnnhalt des zweyten Verſuchs. 92. Tafel. I. Meyer, ein ſchattirtes Profil. S. 264
  • 93. II. 3 maͤnnliche Silhouetten. 265
  • 94. III. Nach Holbein, ein Umriß. 265
  • 95. IV. und V. Eraſmus, Umriſſe. 267
  • 96. VI. Breitinger, I. I. B. ein ſchattirtes Profil. 269
  • 97. VII. Zwinglius, Umriß. 271
  • 98. VIII. Carteſius, ſchattirt von vornen. 273
  • 99. IX. 4 Koͤpfe von Neuton, ſchattirt. 276
  • 100. X. 2 Koͤpfe von Neuton, Umriß. 278
  • XXXV. Fragment. 101. Tafel. Elephanten, Rinozeros, Hippopotamus. 280
  • XXXVI. Fragment. Religioͤſe, Schwaͤrmer, Theoſophen, Seher. S. 281
  • 102. Tafel. I. Ein ſchattirtes Profil mit weißen Haaren. 181
  • 103. II. M. Theoſophus, zwey Profile, ſchat - tirt und Umriß. 283
  • 104. III. Plato, Umriß. 284
  • 105. IV. H .... nn. ein ſchattirtes Portraͤt von vornen. 285
  • 106. V. Johannes, ein Umriß nach Vandyk. 287
  • Beſchluß. 289
Einleitung.[1]
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Einleitung.

Mit Zittern und Beben, mit Hoffnung und Wonne fang ich den zweyten Theil dieſer phy - ſiognomiſchen Fragmente an.

Warum mit Zittern und Beben? ... Um der großen Erwartungen, der großen Leſer wil - len, mit denen ich mich umringt ſehe? Jch kann nicht ſagen, daß mich das ganz gleichguͤltig laſſe; daß ich nicht oft in einander fahre, wenn ich mich ſo dem erlauchten und erleuchteten Pu - blikum vorgefuͤhrt erblicke; daß ich nicht oft meine entſetzliche Kleinheit und Duͤrftigkeit, das ungeheure Mißverhaͤltniß meiner Kraͤfte zu der unermeßlichen Arbeit ſo tief fuͤhle, daß mir kalter Schweiß uͤber den Leib zu rinnen ſcheint; allein, das iſt’s doch nicht eigentlich, was mich am mei - ſten zittern macht.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. AAber2Einleitung.

Aber zittern und beben muß ich deßwegen vornehmlich, weil ich die wenigſten meiner Leſer in den wahren Geſichtspunkt ſetzen oder darauf feſt halten kann.

Nicht den Leſern, mir will ich die Schuld davon beymeſſen. Jch kann nicht wuͤrken, was ich wuͤrken will; und das ſollt ich koͤnnen. Wer gut ſchreibt, wird gut geleſen. Der Verfaſ - ſer ſoll die Leſer bilden. Mit welchem Maße jeder mißt, mit demſelben wird ihm zu - ruͤck gemeſſen. Beyfall und Lob iſt leicht zu ermeſſen; aber Wuͤrkung? und gerade die Wuͤr - kung, die man will?

Allein! Wer kann ſchreiben, wie er denkt? wie er fuͤhlt? O wie ſchwer hat’s der Autor, der ſchaut und empfindet, und andre ſchaun und empfinden machen will? und wer ſchwe - rer, als der Autor der Menſchheit?

Und wann ſoll der ſchreiben, um nicht als Schriftſteller, um als Menſch, um nicht fuͤrs Publikum, ſondern fuͤr Menſchen zu ſchreiben? Um die innerſten Sayten der Menſchheit zu treffen? Um durchs Menſchengeſchlecht, durch Jahrhunderte hinab, durch alle Stuͤrme von Mit - ſchriftſtellern, alle Fluthen von Modegeſchmacke ſicher fortzuwuͤrken, auf alles, alles was Menſch heißt? Auf jede noch offne bloße Seite der Menſchheit?

Wie? wann? Jn einem Zeitalter, wo alles Schriftſteller, Leſer, Gelehrſamkeit, Kunſt, und ach ſo wenig Natur, ſo wenig reine Menſchheit, ſo wenig reines Jntereſſe fuͤr Wahr - heit, ſo wenig Durſt nach Freyheit iſt, wo alles ſich im Kunſtkleide, im Putz gefaͤllt, und niemand merkt, daß auch das ſchoͤnſte, geſchmackvollſte Kleid Denkmal des Verfalls und Joch iſt, un - ter dem der Sohn der Natur ſchmachtet, und in den beſten Stunden ſeines Lebens blutige Thraͤnen weinen moͤchte ... Wie alſo ſchreiben und wann?

Jn den ſtillſten, ruhigſten, ſeligſten Augenblicken dieſes nur aufkeimenden Muͤhevollen Lebens in dieſer Daͤmmerung? Jn jenen Augenblicken, die ſich nicht herrufen, nicht erzwingen, mit nichts erkaufen laſſen, die gegeben werden vom Vater des Lichtes, nicht aus der Erde herauf, herab vom Himmel kommen? Jn Augenblicken, deren der Thor lacht, und der weltweiſe Buchſtaͤbler ſpottet deren Werth niemand kennt, als wer ſie genießt; in Augenblicken der ſtill ſich aufhellenden Morgenroͤthe; des daͤmmernden Abends, wenn vollendet iſt das Gute, das zu vollenden man ſich des Morgens vorzeichnete; wir uns ſo ausruhend hinſtrecken, ein geiſtreicher,mitfuͤh -3Einleitung. mitfuͤhlender, mitfortſtrebender Freund, eine zartfuͤhlende, edle ſchweſterliche Freundinn ohne An - maßung, Meſſung oder Hervordringung ihrer ſelbſt an der Seite Jn ſolchen Augenblicken, oder in denen ſeltnern der ſchlafloſen Mitternacht, wo wir erwachend an der ſanften edeln Gattinn Seite, die daͤmmernde Lampe, oder herrlicher, das zaubernde Mondlicht das ſchlafende Antlitz an - leuchten, wir Knaben und Toͤchterchen, Fleiſch von unſerm Fleiſch, und Gebein von unſern Gebeinen, Bett an Bette mit uͤberm Haupt geworfnen entbloͤßtem Arme roſenroͤthlich und ſuͤß - traͤumend, da liegen ſehen, und das ſanfte Concert des hoͤrbaren ſorgloſen Athemholens, unſere Bruſt mit Ahndungen umhauchet; ach in den ſeltnen ſeligen Augenblicken, wo Abſchiedneh - mend nach durchwachter, durchſchwatzter, durchweinter Nacht ein Geliebter, oder Bruder, und Freund im Lichte des Mondes ſtehn ... ihr Schatten auf dem Boden der Gaſſe vorm voruͤber - fliegenden Woͤlkchen verſchwindet, wieder hervor koͤmmt wir Hand in Hand ſtehn, uns an - ſehn, niederſehn, ſchweigen, gen Himmel ſehn Jtzt noch da in meiner Hand noch, und Morgen fern ſchon, und Jahre nicht mehr! vielleicht nicht mehr hienieden Dieſe Ge - danken mit den tiefern zuſammen fließen: Wir ſind ... wie wurden wir? wie kommen wir zuſammen wir ſind ... werden ſeyn, zuſammen ſeyn? Jeder Herzſchlag gleichſam zehen - tauſendfach an den Graͤnzen der herrlich gezeichneten Bildung vielbedeutend wiederholt, der Blick von der Woͤlbung des Hauptes durch alle Gewebe, Labyrinthe, Knochen, Adern, Fibern, Ner - ven bis zu den Ferſen niederwallt, in allen den Einen allbeſeelenden Geiſt ſieht .... der uns kennt, uns liebt, fuͤhlt, umfaßt; den wir kennen, lieben, umfaſſen; der ſich in dem unſrigen, wie wir uns in dem ſeinigen, erſpiegelt ach, Gedank auf Gedanke ſtuͤrzt und ſich immer verzoͤgert der letzte, letzte Haͤndedruck, der letzte Kuß auf die Stirn, die Backen, den Mund ach in dieſen menſchlichſten Augenblicken, deren jeder uns mehr Gedanken, Wuͤnſche, Freuden, Ahndungen, Hoffnungen zufuͤhrt, als oft ganze Tage und Wochen in dieſen Augenblicken, wo der Menſch ſeine Menſchheit fuͤhlt; ſeinen Namen wie ſein Gewand vergißt ſich der Menſchheit ab - ſichtlos freut;

Jn ſolchen Augenblicken ſollte man Menſchen zeichnen und uͤber den Menſchen ſchreiben; allein, wer mag’s dann? und nachher, wer kann’s? Wem ekelt’s nicht, den Nachklang ſei - ner reinſten, edelſten Wahrheitsgefuͤhle, in Linien von Dinte oder Bley zu formen? OderA 2wer’s4Einleitung. wer’s verſucht, und was davon hinſtottert wer kann’s dann ertragen, dieſes mißverſtanden, mißgefuͤhlt, und vielleicht, dieſe Perlen von Schweinen zertreten zu ſehen?

Unertraͤglich wird mir das bißgen Menſchenkenntniß oder Phyſiognomik, das mir zu Theile ward, wenn ich dieſe ſeligen Gefuͤhle der Menſchheit zertreten, und allein die Faͤden oder Seile, woran ſie hangen ſtatt ihrer beurtheilt, getadelt oder bewundert ſehe; wenn ich, was Mittel ſeyn ſollte, Zweck werden ſehe; wenn ich mich als poſitife Veranlaſſung nur zu kleinli - chen, entziefernden Menſchenrichtereyen denken muß; wo ich Gottes Wahrheit im Beſten, Schoͤnſten, was auf Erden iſt, im Menſchen; im Beſten, Schoͤnſten, was des Menſchen iſt, im Menſchengeſichte, wo nicht darſtellen, doch ahnden laſſen wollte; wo ich die Huld und belebende Milde des Vaters aller; wo ich ſeine einfach und tauſendfach wuͤrkende Weisheit andeu - ten; wo ich die Menſchen Weisheit im Schweigen und Wuͤrken lehren; wo ich die reinſte, edelſte Menſchenfreude wecken, ausbreiten wollte.

Das iſt’s, Bruder, was ich nicht tadelsweiſe ſage, was ich bloß als Laſt, die ſchwer druͤckt, dir entdecke! Glaub’s mir, naher oder ferner Leſer, wie nun immer deine Geſtalt ſeyn, deine Seele ſich im Geſichte zeigen, wie nun immer mein Buch vor dir liegen mag aufm glatten Mar - mortiſche unterm verguͤldeten Leuchter, oder auf rohem Pulte, oder aufm Kniee, oder bloß ange - ſtaunt im Zirkel neu - und wundergieriger Geſellſchafter; glaub’s mir, Leſer, wer du ſeyſt: nicht das Gelaͤrm unpruͤfender Verurtheilungen; nicht vor oder nacheilende Verlaͤumdungen Zeit und Thaten, nicht Worte ſollen mich rechtfertigen nicht das edle Freudenthraͤnen werthe Seufzen ſchwacher Frommen; was ſoll uns Phyſiognomik? was hat Er mit Jhr? nicht dieß haͤlt mich auf, meinen Pfad fortzuklimmen Jch weiß, daß ich wichtige Wahrheit ſuche, oft finde, und was ich finde, redlich gebe. Was alſo Spott oder Seufzen mich abhalten laſſen, zu geben, was ich empfangen habe?

Aber das macht mir bange, macht manche einſame Stunde mein Herz gluͤhend, daß das Große, das ich bezwecke, bezwecken ſoll: Gefuͤhl der Menſchenwuͤrde; Freude an der Menſchheit; Anſchaubarkeit Gottes im Menſchen Oeffnung eines neuen uner - ſchoͤpflichen Quells der Menſchenfreude, daß dieß von den wenigſten meiner Leſer erreicht, oder nur geahndet wird; daß ich alſo in den Augen der meiſten nur Zeitkuͤrzer bin Aber5Einleitung. Aber nur das zu ſeyn, Leſer, dazu bin ich zu ſtolz, und allein fuͤr den Zweck iſt mein Werk zu koſtbar.

Nicht bloß amuͤſiren moͤcht ich Euch, Leſer! Jch moͤcht euch die Menſchheit heilig und ehrwuͤrdig machen; moͤcht Euch im Kleinſten, im Groͤßten, im Theil, im Ganzen der Menſch - heit Gottes Weisheit, Gottes Guͤte, Wahrheit Gottes aufſchließen, fuͤhlbar machen, wie alles, das Geringſte am Menſchen, am Liebling Gottes, Ausdruck, Wahrheit, Offenbarung iſt Aufſchluß gegenwaͤrtiger und kuͤnftiger Kraͤfte .... Steine moͤcht ich hinlegen, oder hinwerfen, in den Bach, der oft reiſſender Strom wird, hier einen kleinen, einen großen dort, auf den Euer Fuß allenfalls treten, von da er fortſchreiten kann von Ufer zu Ufer Etwa die Hand reichen kann ich, oder den Stab; nicht mit dem Stabe den Strom ſpalten, daß wir trocken und Heerweiſe durchkommen ins Land, das von Milch und Honig fließt. Menſchen! Jch moͤchte mit Euch den Menſchen kennen, und fuͤhlen lernen; fuͤhlen lernen, welch Gluͤck und Ehre es iſt, Menſch zu ſeyn.

Und dann, welche Hoffnung und Wonne, wenn es mir bisweilen hoͤchſt wahrſcheinlich wird daß ich wenigſtens bey einigen wo nicht ſogleich in der erſten Gaͤhrung, doch nach und nach, vielleicht bey vielen, meinen Zweck zum Theil erreichen werde? Daß mir’s doch gelingen koͤnnte, dieß heilige Gefuͤhl der Menſchenwuͤrde allgemeiner zu machen? Welche Erhebung meines Muths dann, welchen Zuſammenfluß aller meiner Kraͤfte, welche Freudigkeit empfind ich, wenn ich mich in den Augenblicken, da ich mich hinſetze, uͤber meine Arbeit nachzudenken, oder, die Fe - der in der Hand, eine Tafel vor mir habe, deren Bedeutung ich in Worte faſſen moͤchte, wenn ich alsdann mich den Gedanken uͤberlaſſen darf:

Es iſt doch fuͤr manchen Leſer mehr als bloß Zeitkuͤrzung! Zeitkuͤrzung mag’s fuͤr hun - derte ſeyn, (es iſt immer gut, wenn dieſen hunderten die Zeit kurz wird; wer weiß, was die Lan - geweile fuͤr ſchlimme Folgen fuͤr ſie haben wuͤrde? ..) wenn’s fuͤr zehen Stoff zum Nachdenken, zum Empfinden, und Handeln wird? Wenn unter zehen Einer ſich ſeines Daſeyns und ſeiner Menſchheit innig erfreut; Einer von zehen neu empfindet wie wahrhaft in allen ſeinen Werken der iſt, aus dem, und durch den alle Dinge ſind? Neu empfindet, daß auch dasA 3Geringſte6Einleitung. Geringſte im Zuſammenhange des Ganzen wichtig, auch das Geringſte Gottes Wort, d. i. Offenbarung goͤttlicher Weisheit und Kraft iſt

Welche Hoffnung und Wonne, wenn ich mich dem Gedanken uͤberlaſſen darf

Hier ſitzt ein forſchender Juͤngling, (ein edeldenkender Reicher anvertraut ihm mein Buch) in ſeinem einſamen Cabinete und blaͤttert nicht nur fluͤchtig, lieſt mit ſtillem Nachden - ken, findet Wahrheit, freut ſich der gefundnen Wahrheit findet ſchwache, unreife, unentwi - ckelte falſche Gedanken, und uͤbt ſeine denkenden Kraͤfte zu ergaͤnzen, zu entwickeln, zu be - richtigen zu verbeſſern Ein bruͤderlicher Freund koͤmmt, ſetzt ſich neben ihn hin; ſteht mit ihm ſtill; fliegt mit ihm fort haͤlt ihn zuruͤck, ſpornt ihn an; lehrt ihn, lernt von ihm Menſchen anſchauen, Menſchen kennen, Menſchen lieben, Menſchen nuͤtzen ...

Dort eine Gattinn, die ihren Gatten, ein Gatte, der ſeine Gattinn hoͤher ſchaͤtzen, inni - ger lieben lernt, weil eins an dem andern durch beſſere Kenntniß der Geſichtszuͤge gleichſam neue Schaͤtze wuͤrklicher oder noch verborgner Trefflichkeiten entdeckt.

Dort ein Lehrer der Jugend, ein weisdenkender Vater, der auf ſeine Schuͤler, ſeine Kinder, den Bau und die Geſtalt ihrer Koͤrper, die Graͤnzlinien ihres Geſichtes, ihre Mienen und Gebehrden, ihren Gang und ihre Handſchrift aufmerkſamer zu werden beginnt, und jedem mit mehr Weisheit und Wahl das zumißt, weß er faͤhig iſt; das von ihm fordert und erwartet, was er zu geben vermoͤgend iſt.

Dort ein Freundeſuchender Juͤngling Ein Mann, der ſich eine Gattinn nach ſeinem Herzen und nach ſeinen Beduͤrfniſſen wuͤnſcht Ein Vater, der ſeinen Kindern einen Lehrer Ein Mann von Geſchaͤfften, der ſich einen Haushofmeiſter, einen Gehuͤlfen; ein Miniſter, der ſich einen weiſen, klugen, treuen Geheimſchreiber Ein Fuͤrſt vielleicht, der ſich einen unbe - ſtechlichen, redlichen, erfahrnen, uneigennuͤtzigen Miniſter wuͤnſcht oder die guten, welche er hat, richtiger ſchaͤtzen, die ſchlimmen, tiefer kennen lernt

Und allemal ſo oft ſolche Wuͤrkungen entſtehen neue innige Freude an der Menſchheit, und der ſo wahren Form der Menſchheit!

Wenn ſolche Dinge mir vorſchweben und alles iſt gewiß nicht leerer Traum einer ſich ſelbſt ſchmeichelnden Einbildung! So lebt Muth und Freude wieder in mir auf! Die Unruhe legtſich7Einleitung. ſich der Kummer verſchwindet .... Jch hoffe wieder; ich ergreife die Feder, und ſchreibe meine Gedanken, Empfindungen, Erfahrungen, Beobachtungen, Vermuthungen hin, und fuͤhle Drang zu ſchreiben und ſo zu ſchreiben, daß Nutzen und Freude quill in jeden Verſtand, jedes Herz des Wahrheitſuchenden Leſers, des Wahrheitſuchenden! der unbeſtochen vom Lob und Tadel ir - gend einer freundſchaftlichen oder feindlichen Menge mit eignen Augen zu ſehen, und mit eignem Herzen Wahrheit und Guͤte zu fuͤhlen im Stand iſt ... Jhr ſeyd’s, ſeltene, redliche, weiſe Leſer, fuͤr die ich ſchreibe. Euch bitt ich um Geduld und Nachſicht; noch mehr aber um Zu - rechtweiſung, wo ich irre, und am meiſten um Benutzung des Wahren und Guten, was ich ſage.

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Erſtes8I. Fragment. Von der Allgemeinheit

Erſtes Fragment. Von der Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Wir haben beſonders im VII. Fragmente des erſten Bandes bereits verſchiedenes von der All - gemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles geredet; hin und wieder uns auch mehrmals darauf be - rufen; und noch ſehr oft werden wir Gelegenheit haben, darauf zuruͤckzukehren.

Durch dieß phyſiognomiſche Gefuͤhl verſtehen wir die durch gewiſſe Phyſiognomien veranlaßte Empfindung und Vermuthung von der Gemuͤthsbeſchaffenheit, die damit verbunden iſt; von dem Jnnern des Menſchen, den wir vor uns haben.

Dieß Gefuͤhl iſt ſehr allgemein, das iſt es iſt kein Menſch, (und vielleicht kein Thier) dem nicht ſo gut phyſiognomiſches Gefuͤhl gegeben ſey, als ihm Augen gegeben ſind, zu ſehen. Ein jeder hat ungleiche Empfindungen, bey ungleichen Menſchengeſtalten. Jede Menſchengeſtalt macht einen andern Eindruck auf jeden, erregt andere Empfindungen in ihm, als jede andere.

So verſchieden nun auch immer die Eindruͤcke ſeyn moͤgen, die derſelbe Gegenſtand auf verſchiedene Zuſchauer macht; ſo widerſprechend die Urtheile von einer und ebenderſelben Geſtalt; ſo giebt es dennoch gewiſſe Extreme, gewiſſe Geſtalten, Phyſiognomien, Mienen, Lineamente von denen alle Menſchen, die nicht augenſcheinlich toll ſind, daſſelbe Urtheil faͤllen, welche ſie we - nigſtens uͤberhaupt in Eine Claſſe ſetzen werden. So wie alle Menſchen, ſo verſchieden ſie ſonſt uͤber die Aehnlichkeit deſſelben Portraͤts denken und urtheilen moͤgen, dennoch von gewiſſen Por - traͤten einmuͤthig ſagen werden zum Sprechen aͤhnlich oder durchaus unaͤhnlich!

Man darf von hundert Beweiſen fuͤr die Allgemeinheit dieſes phyſiognomiſchen Gefuͤhles nur einige nennen, um die Sache außer Zweifel zu ſetzen.

Die ſchon angefuͤhrte allgemeine ſchnelle Beurtheilung aller Menſchen nach ihrem Aeußer - lichen will ich nicht wiederholen. Nur ſo viel will ich noch ſagen: Man gebe nur ein Paar Tage Acht auf alles, was man etwa von Menſchen hoͤrt, oder lieſt. Man wird allenthalben, ſelber von Gegnern der Phyſiognomik, phyſiognomiſche Urtheile von Menſchen hoͤren und leſen. Man ſieht’s ihm an den Augen an Man darf den Mann nur anſehen Er hat ein ehrlich Geſicht9des phyſiognomiſchen Gefuͤhles. Geſicht Bey dem iſt einem wohl zu Muthe Der hat ein ſchlimmes Paar Augen Er ſieht kraͤnklich aus Die Ehrlichkeit ſpricht ihm aus den Augen Jch gaͤb ihm was bloß auf ſein Geſicht Wenn der mich betruͤgt, ſo betruͤgt mich alles in der Welt Der Mann hat ein offnes Geſicht Jch traue dieſem Laͤcheln nicht Er darf ja niemanden in die Augen ſehen Selber die antiphyſiognomiſchen Urtheile beſtaͤtigen, als Ausnah - men, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles Seine Phyſiognomie iſt wider ihn Das haͤtt ich dem Manne nicht angeſehn; nicht zugetraut Er iſt beſſer, iſt ſchlimmer, als ſein Geſicht u. ſ. w.

Man beobachte vom hoͤchſten Weltmann an bis auf den gemeinſten Menſchen aus dem niedrigſten Poͤbel und hoͤre ihre Urtheile uͤber die Menſchen, mit denen ſie umgehen, und man wird erſtaunen, wie viel bloß phyſiognomiſches mit unterlaͤuft. Jch habe dieſe Bemerkung ſeit einiger Zeit ſo oft zu machen Gelegenheit gehabt, bey Leuten, die nicht wiſſen, daß ich eine Schrift uͤber dieſe Sache verfertige bey Leuten, die in ihrem Leben das Wort Phy - ſiognomie nie gehoͤrt hatten, daß ich’s auf die Probe will ankommen laſſen, wo man will, ob nicht alle Menſchen, ohn es zu wiſſen, mehr oder weniger dem phyſiognomiſchen Gefuͤhle folgen?

Noch ein anderer eben ſo auffallender, obgleich nicht genug bemerkter, Beweis fuͤr die Allgemeinheit dieſes phyſiognomiſchen Gefuͤhles, das iſt, dieſer dunkeln Empfindung des Unter - ſchiedes des innern Charakters nach dem Unterſchiede des Aeuſſern iſt die Menge phyſiogno - miſcher Woͤrter in allen Sprachen und bey allen Nationen; die Menge moraliſcher Benen - nungen, die im Grunde bloß phyſiognomiſch ſind. Dieſer Beweis verdiente eine ganz beſon - dere Ausfuͤhrung; fuͤr die Sprachkenntniß und Beſtimmung des Sinnes der Woͤrter, wie wich - tig und wie neu und intereſſant! Hieher gehoͤrten auch die phyſiognomiſchen Spruͤchwoͤrter. Jch bin aber dieſes auszufuͤhren nicht gelehrt genug, und nachzuſuchen, hab ich nicht Muße ge - nug, um dieß durch viele Beyſpiele, Beyſpiele aller Sprachen, ins Licht zu ſetzen.

Hieher gehoͤrt vielleicht auch die Menge phyſiognomiſcher Zuͤge, Charaktere, Beſchrei - bungen, die man in den groͤßten Dichtern ſo haͤufig findet und die ſich allen Leſern von Ge - ſchmack, Empfindung, Menſchenkenntniß und Menſchentheilnehmung ſo ſehr empfehlen ManPhyſ. Fragm. II Verſuch. Bbemerke10I. Fragment. Von der Allgemeinheitbemerke z. E. nur die haͤufigen phyſiognomiſchen Stellen in der Meſſiade wie wahre, allgemein verſtaͤndliche, allgemein treffende Poeſie! wie ſicher des Beyfalls aller Menſchen, die Menſchen ſind!

Doch ich lenke wieder ein auf einzelne Woͤrter Nur einige Beyſpiele anzufuͤhren.

Aufrichtig welch ein wichtig moraliſches Wort zugleich, wie phyſiognomiſch der aufgerichtet, gerade ſteht; der die Augen nicht niederſchlagen, der gerade vor ſich hinſehen darf!

Tuͤckiſch, der ſich mit dem Angeſichte tuckt, oder buͤckt, das iſt, gegen die Erde kehrt.

Aufgeblaſen hochtragend, (ein Schweizerwort) hoffaͤrtig, hochfahrend, hitzig, kalt, plump, unbeſtaͤndig (vielleicht auch leichtſinnig?) ſchielender Charakter maſ - ſiv, grob, u. ſ. w.

Allein dieß allgemeine phyſiognomiſche Gefuͤhl bezieht ſich nicht nur auf ganze gegenwaͤr - tige Menſchen. Es bezieht ſich auf Gemaͤhlde, Zeichnungen, Schattenriſſe, einzelne Linien Es iſt kaum ein Menſch, dem nicht hundert, fuͤnfhundert, tauſend Linien vorzuzeichnen waͤren, deren Ausdruck und Bedeutung er entweder von ſelbſt errathen, oder doch gewiß, auf die erſte Er - klaͤrung, die man ihm davon gaͤbe, anerkennen wuͤrde.

Jch koͤnnte, wenn ich die Tafeln nicht kuͤnftig zu andern beſondern Zwecken zu brau - chen geſonnen waͤre, (wiewohl dieſer Zweck, die Allgemeinheit des phyſiognomiſchen Gefuͤhles zu rechtfertigen, immer und beynahe bey allen Tafeln mitgeht) hier haͤufige Beweiſe anfuͤhren. Jch begnuͤge mich aber bloß mit zwo Tafeln.

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Erſte
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11des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Erſte Tafel. Neun Koͤpfe nach Poußin.

Jch nehme nicht eine beſonders ausgeſuchte Tafel von ganz außerordentlichen Charaktern; man haͤtte viel ausgezeichnetere waͤhlen koͤnnen viel beſtimmtere; aber es iſt beſſer, es an einer ſolchen zu zeigen, wo die Bedeutungen nicht einmal einfach, nicht beſtimmt, die Zeichnung ſelbſt mittelmaͤßig, und nichts weniger, als rein charakteriſtiſch iſt.

Jch getraue mir beynahe zu behaupten, daß jeder geſunde Menſch ich ſage nicht: von ſelbſt den Charakter dieſer neun (nach Poußin, ſehr mittelmaͤßig copirten) Koͤpfe werde beſtimmen, oder daß verſchiedene daſſelbe Urtheil daruͤber faͤllen werden; aber das getrau ich mir zu behaupten, daß die meiſten, wo nicht alle unfehlbar darinn einſtimmen werden, wenn man ihnen ein richtiges Urtheil daruͤber vorlegen wird. Wenigſtens hab ich das Vergnuͤ - gen ſehr oft gehabt, zu hoͤren, daß man zwar ohne Anweiſung, ohne vorgeſprochenes Urtheil in manchen Phyſiognomien des erſten Bandes das nicht geſehen haben wuͤrde, was man ſo - gleich darinn ſah, ſobald das Urtheil ausgeſprochen ward.

Alſo laßt uns, lieber Leſer, hier den erſten Verſuch machen, wie weit wir neben einan - der fortlaufen koͤnnen.

Starres, ſtaunendes Mitleid eines nicht kraftloſen, nicht ſchlechten Menſchen hin - geheftetes ſchreckenvolles Theilnehmen ohne Moͤglichkeit zu helfen abzuſehen Wer ſieht’s nicht im 1?

Jm 2. nicht, Ohnmacht einer zarten, offnen, nicht unedlen, anmaßungsloſen fraͤuli - chen Seele? die vom betaͤubenden Schmerz getroffen hinſinkt, der kraft - und fuͤhllos noch in dem Munde nachzuckt?

Jm 3. hinſtaunendes Wohlwollen, Huͤlfsbegier? Mehr Schrecken und weniger That - kraft, als im erſten?

Jm 4. wer nicht unaffectirten, Erbarmen flehenden Schmerz? mit Sehnſucht und Hoffnung?

Jm 5. kalte, rathloſe, ſchreckenvolle, dumme Angſt?

B 2Jm12I. Fragment. Von der Allgemeinheit

Jm 6. Theilnehmung, Unwillen uͤber der Stirne, laͤſſige Hingebenheit im Munde eines nicht ſchwachen, nicht rathloſen Menſchen, der wenig Zuverſicht zu ſich ſelbſt hat, und deſſen Thaͤtigkeit auf einem gewiſſen Punkte von Kraftmangel erſchlafft?

Jm 7. unerhabne Andacht, demuͤthige, leidende, anmaßungsloſe Guͤte?

Jm 8. unentſchloſſene Entſchloſſenheit. Sie will ſich raͤchen allenfalls, aber weiß noch nicht wie? das Auge mehr ſchauend, als treffend. Jm Munde mehr That, als Ueberlegung.

Jm 9. angeſtrengte Aufmerkſamkeit, ohne Verſtand und Geſchmack. Jn der Ober - lippe und uͤberhaupt im Munde iſt ſichtbarer Mangel an beſtimmter Ueberlegung, und wenig Adel. Jm Ganzen wie wenig Reines und Feines?

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Zweyte
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13des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.

Zweyte Tafel. Sechzehn Profilkoͤpfe in Ovalen.

Laßt uns noch mit den 16. Koͤpfen auf dieſer Platte einen Verſuch machen. Karikaturen? Wie ihr wollt ſucht die Originale nirgends in der Welt. Wir haben nur Karikaturen vor uns. Die meiſten Originale dazu ſind ohne Zweifel viel beſſer! Wir beurtheilen, was wir vor uns haben die vierte, fuͤnfte Copie nicht das Original. Unſere Abſicht iſt, dem Leſer und Forſcher ſo mannichfaltige Koͤpfe, wie moͤglich, vorzulegen, und ſein phyſiognomiſches Gefuͤhl zu uͤben. Jeder mag ſich pruͤfen, ob ſein Gefuͤhl mit dem Urtheil, das man ihm vorlegen wird, uͤbereinſtimme?

  • 1. Ein ſehr kraͤnkelnder, ſchwindſuͤchtiger, choleriſchmelancholiſcher, einfaͤltiger Schu - ſter. (Jm Vorbeygehn zu ſagen: Faſt keine Art Leute ſind ſo ſchlecht gebildet, als die Schuſter; und faſt keine Art Leute, im Durchſchnitte genommen, ſo mißgeſtaltet, wie dieſe Auch iſt nicht weniger anmerkungswerth, daß unter 80 Schuſterkindern in Zuͤrich nicht mehr als 6 oder 7 Knaben ſind. Moͤchte eine weiſe menſchenfreundliche Akademie dieß in gemeinnuͤtzige Beher - zigung nehmen! ) Hier ſieht man aufs deutlichſte, die durch mehr als eine Generation zuſam - mengezogene Wuͤrkungskraft, voͤllig ermangelnd an Leben und Quellgeiſt. Zuckende Schwaͤche und hypochondriſcher Starrſinn. Die Anlage dieſes Menſchen iſt gut und man hat eine Ahndung, daß in einem andern Geſchlecht Naſe und Mund lebendiger vorgeruͤckt waͤren, und er zu einem edlen kraͤftigen Menſchen haͤtte gezeugt werden koͤnnen; denn es iſt evident verkruͤppelte, zuſammenge - ſchrumpfte, kraftloſe, und doch duͤrr widerhaltende Menſchenkraft. Man bemerke an dieſem Pro - file das einwaͤrtsgehende > Groͤßtentheils Charakter der Schwaͤche.
  • 2. Jſt aufgegangen wie Semmel in Milch. Er hat die moͤglichen Graͤnzen ſeines Da - ſeyns alle ausgefuͤllt. Jn ſeinem aͤußern Umriß iſt nichts verzogenes, wie in dem ganzen Charak - ter nichts verſchobenes zu ſeyn ſcheint. Nur gemeine phlegmatiſche Beſchraͤnktheit und Schwaͤche.
  • 3. Eitle, kurzſinnige Behaglichkeit ohne Moralitaͤt, Ausbildung, oder Guͤte. Leeres Zutrauen zu ſich ſelbſt, ſtumpfeitle und immer um mangelnde Theilnehmung fragende Gefaͤl - ligkeit.
B 34. Ein14I. Fragment. Von der Allgemeinheit
  • 4. Ein aͤuſſerſt verſchobener Menſch, und wie mich duͤnkt, in der Natur mit dieſen Zuͤgen unmoͤglich. Die kurzſinnige Verſchobenheit in den Augenbraunen, die leere Feinheit des Auges, die ziemliche Gradheit der Naſe, die Untheilnehmung des Mundes, die fatale Selbſtig - keit des ganzen Untertheils, machen ein unerklaͤrliches fatales Ganze.
  • 5. Ausgetrocknete kraͤnkelnde hypochondriſche Verzerrung. Grillenvolle Ruhe, gruͤ - belnder Verſtand. Jm Kleinen arbeitſam.
  • 6. Gut aber ſchwach, nicht unverſtaͤndig, der ſich gern zur Theilnehmung ſtimmen moͤchte.
  • 7. Ein verſtaͤndiges, grades, ehrliches Geſicht; beſonders der aͤuſſere Umriß vom Kopf der Naſe bis unters Kinn zeigt Verſtand. Die zuckende Auf - und Anſpannung thut ihm Schaden.
  • 8. Ein in Schwachheit verſunkener Kopf von guter Anlage. Einer gewiſſen Art von Beobachtung und Theilnehmung noch immer faͤhiges Geſicht.
  • 9. Gefaͤllig, verſtaͤndig, feſt, nachdenkend.
  • 10. Empfindlich, aber redlich, dienſtfertig, reicher Einbildungskraft, gedraͤngtes Sin - nes; in den Augen und der Stirn Mangel an Zurechtlegung der Verhaͤltniſſe.
  • 11. Zarter, hypochondriſcher, furchtſamer, aͤngſtlicher, verſtaͤndiger, denkender Cha - rakter; weniger Einbildungskraft als 10 und mehr Verſtand als die meiſten vorherigen, etwa 5 und 7 ausgenommen.
  • 12. Ein offener, empfaͤnglicher, ergiebiger Charakter, wie viel froͤlicher als der vorher - gehende, obgleich nicht ohne melancholiſche Tinktur. Jn der Stirn Verſtand und Feſtigkeit. Viel ſinnliche Wuͤrkſamkeit. Die Naſe und der Untertheil des Geſichts ſchwaͤcher.
  • 13. Trefflich, vorzuͤglich verſtaͤndig, lebhafte Einbildungskraft mit Melancholie tingirt. Leichtigkeit, Feinheit in der obern Haͤlfte; waͤre nur in der untern nicht anmaßliche Eitelkeit.
  • 14. Ganz trefflich. Reine, wohlgeordnete Erinnerung. Tiefdenkend! Bemerkt den Bogen des Scheitels und das Stirneck die Augenbraune Scharfer, liebevoller, feiner Blick, Richtigkeit, Guͤte, Feſtigkeit. Anlage zur tiefen Hypochondrie.
15. Treff -15des phyſiognomiſchen Gefuͤhles.
  • 15. Treffliche Anlage zu Verſtand und Feſtigkeit, nur zu gepackt und untenher zu ſehr gerundet, doch noch voll Hoffnung der Ausbildung. Gefaͤllig, gut. Aber
  • 16. Wer erkennt nicht die eherne Stirn, den eiſernen Nacken, feſten Blick, unerbittlichen Sinn. Treffliche Feſtigkeit. Nach dem Farneſiſchen Herkules, nur die Naſe um etwas zu weit hervor; dieß vermindert das Gefuͤhl von Kraft, das im Ganzen ruht.

Nachſtehendes Portrait eines componirenden Tonkuͤnſtlers. Der Umriß von der Stirn an bis unter die Naſe zeigt Verſtand und vielfaſſende, reiche Einbildungskraft ohne feſte, ſtehende, gewurzelte Staͤrke oder Haͤrte.

Jn dem Auge iſt ſehr viel Empfaͤnglichkeit mannichfaltiger Eindruͤcke, und Leichtigkeit alles zu coloriren. Jn dem Mund iſt Guͤte und Gefaͤlligkeit.

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Zweytes16II. Fragment. Seltenheit

Zweytes Fragment. Seltenheit des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes.

So allgemein das dunkle, unbeſtimmte, phyſiognomiſche Gefuͤhl iſt; ſo ſelten iſt der phy - ſiognomiſche Beobachtungsgeiſt. So viele Menſchen phyſiognomiſch fuͤhlen; ſo wenige denken phyſiognomiſch.

Keine leichtere Sache ſcheint zu ſeyn, als Beobachten und keine iſt ſeltener. Beob - achten, heißt bey den Mannichfaltigkeiten einer Sache verweilen; eine Sache erſt theilweiſe betrachten, und dann ſie ganz mit andern neben ihr exiſtirenden oder moͤglichen Sachen verglei - chen; ſich das, was ſie auszeichnet, beſtimmt, zu derjenigen Sache macht, die ſie iſt klar und deutlich vorzeichnen und einpraͤgen; ſich das individuelle einer Sache im Ganzen und ſtuͤckweiſe vergegenwaͤrtigen, ſo daß man dieſe Merkmale dergeſtalt inne hat, daß man dieſelbe mit nichts in der Welt, und wenn’s ihr auch noch ſo aͤhnlich waͤre, verwechſeln kann.

Nun darf man nur z. E. die Urtheile einer Menge Menſchen uͤber ein und eben daſ - ſelbe Portraͤt anhoͤren, ſo wird man ſich ſogleich von dem allgemeinen Mangel des genauen Beobachtungsgeiſtes uͤberzeugen koͤnnen. Nichts aber hat mich ſo ſehr, und wider alle meine Erwartung, von dieſer aͤuſſerſten Seltenheit des wahren Beobachtungsgeiſtes, ſelbſt an Maͤn - nern von Genie, ſelbſt an wuͤrklich beruͤhmten und ruhmwuͤrdigen Beobachtern, ſelbſt an weit groͤßern Phyſiognomiſten, als ich in meinem Leben je zu werden mir ſchmeicheln kann Nichts, ſag ich, hat mich von der Seltenheit des aͤchten Beobachtungsgeiſtes ſelbſt an großen Maͤnnern ſo ſehr uͤberzeugt wie die Vermiſchung ganz verſchiedener Portraͤte und Schatten - riſſe! Man hat die treffendſten vollkommenſten Aehnlichkeiten zwiſchen namenloſen Portraͤten und Schattenbildern im I. Theil und zwiſchen lebenden Perſonen gefunden; man hat die Ur - theile, die daruͤber gefaͤllt wurden fuͤr hoͤchſt ungegruͤndet, wenigſtens aͤuſſerſt unvollſtaͤndig erklaͤrt und das war ganz natuͤrlich; denn ich recenſirte Schattenriſſe von Zuͤrchern und Schweizern und man ſuchte die Urbilder dazu in Berlin und Hannover. Die Mißbeobach - tung iſt ſehr leicht, und eben daſſelbe iſt mir vermuthlich ſchon mehrmals wiederfahren. Allein alles17des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. alles dieß beweiſt nur, wie ſelten der aͤchte, ſcharfe Beobachtungsgeiſt iſt; wie oft er ſelbſt die verlaͤßt, die ſich gefliſſentlich mit Beobachtungen abgeben.

Mir ſchauert oft die Haut, wenn ich an die ſchiefen Vergleichungen gedenke die man von Portraͤten und Schattenriſſen mit lebenden Perſonen macht; wie man jede Karikatur fuͤr wahres Portraͤt, oder vielleicht bisweilen gar fuͤr ein Jdeal halten kann? Die vollkommenſte Analogie ſeh ich in dieſen Urtheilen mit den Urtheilen gemeiner Menſchen uͤber den Charakter anderer. Jede Verlaͤumdung, die nur noch etwas wahres enthaͤlt wird ach! ſo leicht fuͤr reine ganze Wahrheit hinein verſchlungen, ſo wie viele tauſend elende Portraͤte, die kaum eine entfernte Aehnlichkeit haben, fuͤr kenntlich ausgerufen werden.

Unzaͤhlige elende phyſiognomiſche Urtheile entſtehen daher; und unzaͤhlige ſehr gegruͤndet ſcheinende, und dennoch aͤußerſt ungegruͤndete Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

Man nennt aͤhnlich, was nicht aͤhnlich iſt weil man ſich nicht gewoͤhnt hat, feſt und ſcharf zu beobachten.

Selber Portraͤtmahler (doch ich werd in einem beſondern Fragmente uͤber die Por - traͤtmahlerey mir die Freyheit nehmen, uͤber den Mangel des Beobachtungsgeiſtes unter ihnen nicht mein Herz zu leeren; ſondern nur ein Paar erweckende Worte fallen zu laſſen) Selber Portraͤtmahler ſind von ſolchen Uebereilungen nicht frey.

Was ich ſage, ſag ich nicht, um zu tadeln, oder zu beleidigen, ſondern um zu warnen und zu belehren.

Zu warnen vor ſchnellen ſchiefen Beurtheilungen und Vergleichungen, bis man ſicher iſt, daß man zwey unaͤhnliche Geſichter nicht mehr fuͤr aͤhnlich, und zwey aͤhnliche nicht fuͤr dieſelben halten kann.

Jch werde daher in dieſem Werke alle Gelegenheiten ergreifen, meine Leſer auf die klein - ſten, kaum bemerkbaren Unterſchiede gewiſſer Geſichter und Geſichtszuͤge, die ſich beym erſten fluͤchtigen Anblick aͤhnlich ſcheinen, aufmerkſam zu machen.

Jch hab in dieſer Abſicht von zween Koͤpfen, von jedem viermal einen bloßen Umriß ziehen laſſen, um dem nachdenkenden Leſer etwas vorzulegen, woran er ſeinen phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſt uͤben kann.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. CVier18II. Fragment. Seltenheit

Vier ſich ſehr aͤhnliche Umriſſe von Kleiſt. Dritte Tafel. Kleiſt.

Die erſte Platte enthaͤlt 4. Umriſſe von einem ziemlich aͤhnlichen Portraͤt des beruͤhmten Hel - den von Kleiſt; die zweyte von einem, durch viele Copien ſchlechtgewordenen, Jdeal eines jungen Chriſtus Kopfes.

Da die Verſchiedenheit der Kleiſtiſchen Koͤpfe noch etwas merkbarer und leichter zu finden iſt als die Verſchiedenheit der andern vier, ſo wollen wir bey der Kleiſtiſchen Tafel den Anfang machen, und die Verſchiedenheiten aufſuchen beylaͤufig zugleich was von dem Ausdrucke dieſes Geſichtes uͤberhaupt, und dem Effecte dieſer kleinen Verſchiedenheiten ein Wort ſagen. Der Leſer mag dabey das Maaß ſeines Beobachtungsgeiſtes pruͤfen und o daß ich hoffen duͤrfte, dadurch vermehren Ein wichtiger, weitreichender viel in ſich faſſen - der Gewinn! ....

Jeder ſieht, auf den erſten Blick, daß dieſes vier Umriſſe von demſelben Kopfe ſind; und von einem gewiß nicht gemeinen Kopfe. Die Aehnlichkeit aller viere iſt auffallend. Alle viere zeigen ſogleich einen edeln, beherzten, entſchloßnen maͤnnlichen Mann. Obgleich die Stel - lung des Kopfes, ob aus Schuld des Mahlers oder des Copiſten? etwas gezwungenes hat, und der ſchattenloſe Umriß allemal an ſich von der weichern Natur eine harte Ueberſetzung iſt ſo iſt dennoch im Ganzen des Geſichtes ſo viel Feuer, Freyheit, Kraft, daß der Charakter deſſelben ſchwerlich zu verkennen iſt.

Die Proportion aller Geſichtstheile, die hohe engliſche Stirn, (ich rede von dem Bilde, das wir vor uns haben) die offnen, unaufgeſperrten, beſtimmt gezeichneten, treffenden, ſtark gebog - nen Augen, die maͤnnlich edle Naſe, die gewiß, im Profil anzuſehen, voll Ausdruck von Feinheit und Geſchmack geweſen ſeyn muß Selbſt der in keinem bloßen Umriſſe nachahmbare, gewiß in allen vier Zeichnungen ſehr verhoͤlzerte Mund Kinn und Hals, wo nicht mit gerechnet, doch nicht ausgeſchloſſen, alles dieß gewinnt uns fuͤr den Mann, den tapfern, geraden, ent - ſchloßnen Mann ohne Falſch und Tuͤcke; den Mann, der ſprechen und handeln darf, wo geſpro - chen und gehandelt werden ſoll; den menſchenfreundlich thaͤtigen, uneigennuͤtzigen edeln! Manrechne

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19des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. rechne nur immer die gezwungene Stellung, die vermuthlich Manier des Mahlers war, ab, und die es vielleicht dadurch noch mehr ſcheint, daß der Kopf ſo abgeſchnitten, ohne Schulter und Bruſt da ſteht.

Aber nun laßt uns das Unaͤhnliche dieſer vier ſo ſehr ſich aͤhnlich ſcheinenden Umriſſe mit einander aufſuchen, und dabey die Regeln, nach welchen der aͤchte Beobachtungsgeiſt verfaͤhrt anwenden.

Das heißt vom Einzelnen anfangen Theil fuͤr Theil, Linie fuͤr Linie ſo beobach - ten, ſo vergleichen, als wenn ſonſt nichts, als das, beobachtet, nichts als das verglichen werden muͤßte ſodann, nach der Zergliederung wieder zuſammenſetzen und Ganzes mit Ganzem vergleichen.

Wir wollen bey der Stirn anfangen; der aͤuſſere Umriß derſelben, wo er ſich von der Muͤtze ſcheidet, auf der linken Seite bis zur aͤuſſerſten Spitze der Augenwimper iſt in 2. gewoͤlb - ter, und um ein Haar edler als in 1.

An dem linken Schlaf iſt der Umriß in 4 etwas hervorſtechender, als in den drey uͤbrigen.

Der Bogen des rechten Auges in 1. iſt der ſtaͤrkſte, keckſte, beſtimmteſte. Um die Wahl kaum, doch wuͤrklich etwas weniger gebogen, etwas weniger entſchloſſen iſt dieſer Bogen in 4. und 3. am ſchwaͤchſten in 2.

2. ſcheint mir den kraͤftigſten Augſtern zu haben. Der linke Augſtern in 4. der aufge - ſperrteſte. Der Bogen des linken Auges in 1. ſcheint mir edler, weniger gebrochen, als in 3. und 4. und beſonders in 2.

Die rechte Augbraune in 4. die kuͤrzeſte; in 2. die laͤngſte, ſchoͤnſte, und gebogenſte.

Die Linie zwiſchen dem rechten Auge und Ohre, welche vom Auge bis in die Mitte des Unterkinns fortgeht, iſt wegen der Vertiefung, unweit von der Tiefe des Ohres, angenehmer, als in den uͤbrigen dreyen, beſonders in 3.

Das Ohr 2. iſt das breiteſte. Die Vertiefung iſt nicht bemerkt, in 1. und 2. beſtimmter, als in 3.

Der Mund in 1. iſt der ſprechendſte, der ſuͤßeſte, 2. der haͤrteſte.

Die Naſe 2. ſcheint mir um etwas ſteifer, als 1.

3. und 4. uͤber dem Naslaͤppchen etwas breiter und geſchwollner, als in 1. und 2.

C 2Die20II. Fragment. Seltenheit

Die Nasloͤcher ſind in allen vieren zu klein; ein gewoͤhnlicher Fehler beynah aller Portraͤt - mahler, die gemeiniglich auf dieſe ſehr bedeutende Figur ſo wenig Aufmerkſamkeit und Fleiß, als auf die Ohren zu verwenden pflegen. An unternehmenden, warmen, kraftvollen Maͤnnern werdet ihr ſehr ſelten, um nicht zu ſagen nie, ſolche kleine, runde Nasloͤcher antreffen, wie beſonders in 2.

2. hat das ſchoͤnſte, rundeſte, beſtimmteſte Kinn.

Der Hals 4. iſt etwas duͤnner, als 3, dieſer um ein Haar duͤnner, als 4. und 1.

Und nun Ganzes mit Ganzem verglichen; ich ſtehe an, einem den Vorzug zu geben.

So viel von dieſen Umriſſen, uͤber die noch verſchiedenes zu ſagen waͤre; aber ich fuͤrchte den Leſer zu ermuͤden.

Wir wollen die noch uͤbrige Aufmerkſamkeit auf die folgende Tafel verſparen, und in - zwiſchen hier 2. Silhouetten herſetzen, die man fuͤr ebendieſelbe angeſehen hat.

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Die
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21des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes.

Die erſtere befindet ſich im I. Theil, zwiſchen der 190. und 191. Seite. Es wird dar - uͤber geſagt: Ein ſehr gerechter Mann, wackerer Hausvater, verſtaͤndig ohne Aufklaͤrung, Cul - tur und Geſchmack zur Hypochondrie geneigt. Dieſe Silhouette nun ward fuͤr die zweyte Silhouette, die wir vor uns haben, gehalten; und wie verſchieden iſt das Original der zweyten vom Originale der erſten, obgleich ſie in der Hypochondrie ſich aͤhnlich ſeyn moͤgen. Der zweyte wie viel feſter, und kriegeriſcher, wenn ich ſo ſagen darf! Ein ſehr offner Kopf, ſchreibt mir ein Freund, der ihn genau kennt ein Mann, der unendlich viel weiß, zumal aus der Hiſtorie, und der franzoͤſiſchen Litteratur eben ſo kundig, als der beleſenſte Franzoſe; auch ein Mann von uͤberaus vielem Witze, und aͤuſſerſt unterhaltend, wenn er bey guter Laune iſt Er vergißt von allem, was er lieſt, kein Wort! Wenn ich nichts von dieſem Manne gewußt haͤtte ſo haͤtt ich die vorgelegte Silhouette ſo beurtheilt: Viel Ver - ſtand (die ſonſt mir bekannten Zeichen des guten Gedaͤchtniſſes ſind ich nicht; alſo muͤſ - ſen noch andre ſeyn? welche? Lehret ſie mich, Freunde der Menſchheit! helft ſie mir ſu - chen!) Viel Verſtand (haͤtt ich geſagt) erſtaunliche bis zum Eigenſinn forttreibende Feſtig - keit! hochfliegender Muth! mit viel Graͤmeley vermiſcht .... Den attiſchen Witz haͤtt ich in dem Profile nicht geſehen vermuthlich aber in Aug und Lippe der Natur Doch da - von iſt hier eigentlich die Rede nicht. Lieber wollen wir dieſe beyden Geſichter vergleichen. Die Stirne 1. iſt ſanfter, aber nicht ſo ſcharf wie 2. und nicht ſo ſcharfſinnig! Das Ecki - ge des Untertheils des Geſichts in 2. zeigt mehr Hitze, Thaͤtigkeit, als das Flaͤchere dieſes Theils in 1. auch der 2. Kopf im Ganzen zeigt mehr feſtes, determinirtes, raſches Weſen.

Vier aͤhnliche Umriſſe von demſelben Kopfe eines jungen Chriſtus. Vierte Tafel. J. C. a a.

Freylich ein ſehr un - oder antiidealiſcher Chriſtus, der unten noch zweymal ſchattirt, und zum Theil beſſer vorkommen wird. Das erſte Original iſt ein Kopf in Lebensgroͤße, herrlich ge - mahlt, und ſentirt, (er befindet ſich in den Haͤnden Herrn Burkhards, eines trefflichen Zer - gliederers und Freundes des großen unnachahmlichen Urbildes) was wir vor uns haben,C 3mag22II. Fragment. Seltenheitmag wohl die fuͤnfte Copie der Copie ſeyn alſo, doch das thut itzt eigentlich nichts zur Sache uͤberhaupt iſt’s klar, daß Schwaͤche und Bloͤdigkeit und ein abſichtloſes Staunen den Charakter dieſes Kopfes in allen vier Umriſſen ausmachen.

Man weiß nun ſchon, in welcher Abſicht ich denſelben Kof viermal auf Eine Tafel zeich - nen laſſen. Jch bat den Zeichner, denſelben mit aller moͤglichen Genauigkeit, nach demſelben Durchriß auf Oelpapier, zu radiren. Es ſollte gewiß kein Unterſchied zu bemerken ſeyn Er that ſein moͤglichſtes und in der That, die Unterſchiede ſind ſchwer zu finden und dennoch man uͤbe ſeinen Beobachtungsgeiſt, und man wird ihn dran pruͤfen koͤnnen; und wenn meine Hauptabſicht dabey nicht verfehlt wird Behutſamkeit, Behutſamkeit lernen im Urtheilen uͤber Menſchen und Menſchengeſichter.

Die Stirn im zweyten iſt die ſchlechteſte.

Der Einbug nah am rechten Augenliede der ſchwaͤchſte.

Die Geradheit des Umriſſes von den Augenbraunen an, (die in allen vieren zuweit vom Aug entfernt ſind, wodurch dem Blick eine nicht vortheilhafte Spannung gegeben wird) die Ge - radheit des Umriſſes von der Augenbraune an bis unter das rechte Auge, giebt allen dieſen Geſich - tern eine widrige Mattheit.

Die Augenbraun im zweyten etwas gebogner, als im erſten.

Die Augen im erſten und vierten ſind etwas kecker, als im zweyten und dritten.

Die Naſe des zweyten iſt beſonders untenher die beſte.

Die Oberlippe im dritten und vierten iſt etwas weniger platt, iſt markirter, als im er - ſten und beſonders im zweyten.

Die Unterlippe am dritten iſt die ſchiefſte von allen.

Die auf die rechte Schulter fallende Haarlocke, obgleich fehlerhaft, iſt beſſer, als die uͤbrigen, beſonders die im erſten.

Dieſe Verſuche moͤgen zeigen, wie oft da Unaͤhnlichkeiten ſind, wo man ohne ſcharfe Be - obachtung die genaueſte Aehnlichkeit zu ſehen vermeynt.

Bey dieſer Gelegenheit kann ich die zwar ſehr allgemeine, aber nichts deſto weniger aͤuſſerſt wichtige Anmerkung nicht zuruͤckbehalten: Daß junger Kinder Aufmerkſamkeit wohldurch23des phyſiognomiſchen Beobachtungsgeiſtes. durch nichts ſo ſehr geuͤbt, ihr Beobachtungsgeiſt wohl durch nichts leichter und ſicherer geſchaͤrft werden kann, als durch Vorlegung erſt merklich unaͤhnlicher, dann immer aͤhnlicherer Zeichnun - gen, deren Unterſchiede ſie ſorgfaͤltig aufzuſuchen und genau anzugeben haͤtten Auge ſowohl als Sprache wuͤrden dadurch viel gewinnen.

Alle Menſchen haben Beobachtungskraft, Beobachtungsfaͤhigkeit; ſo gewiß alle Augen haben. Aber die meiſten beobachten nicht, weil ſie nicht geuͤbt worden ſind; ſie ſehen a b c d auf einmal, b, wenn ſie a, und c, wenn ſie b anſehen ſollen; ſie eilen immer vor; greifen immer vor; die meiſten Menſchen; beſonders die meiſten Mahler. Sie vereinfachen die Beobachtung nicht; ſie heften ihren Blick nicht auf Eins ſie fliehen alles Beſtimmte, weil ihnen von jeher eine unaustilgbare Furcht vor Haͤrte eingepredigt worden iſt; daher das unſichere: Jch weiß nicht was? daher unzaͤhlige blendende Modemanieren in Zeichnung, Grabſtichel, Colorit und worinn nicht? O du weiches, zartes, verblaſenes, ſeidenes Jahrhundert; wer will dei - nem Blicke Feſtigkeit, deinem Tritte Muth, deiner Hand Keckheit, deinen Werken Zuverſicht und Beſtimmtheit geben das heißt wer giebt dir eigne Augen zu ſehen? Beobachtungs - geiſt?

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Zugabe. 24II. Fragment. Zugabe.

Zugabe. Charakter des Herrn von Kleiſt, von Herrn Hirzel.

Ewald Chriſtian von Kleiſt war einer der groͤßten Kenner und Bewunderer von allem, was ſchoͤn, gut und groß iſt. Ein wuͤrdiger Gegenſtand ruͤhrte ihn bis zu Thraͤnen. Von der Staͤrke ſeiner Empfindungen bey dem Anblicke der ſchoͤnen Natur zeugen die Gemaͤhlde in ſei - nen unſterblichen Gedichten.

Sein Gefuͤhl fuͤr die ſittlichen Schoͤnheiten war nicht weniger lebhaft. Dieſes machte es jedem Manne von Verdienſten leicht, ſeine Freundſchaft zu erhalten. Denn er entdeckte ſehr ſchnell jedes Verdienſt, und die Richtigkeit ſeines Auges verſicherte den Freund der ewi - gen Dauer ſeiner einmal gehegten Freundſchaft. Er entdeckte in dem Bauern, in dem gemei - nen Soldaten, in dem Kuͤnſtler, auch dem, deſſen Kunſt das Vorurtheil erniedrigt, das Ver - dienſt ſo leicht, als in dem Helden, dem Weltweiſen, dem Gelehrten. Kein Schleyer von aͤuſſerer Niedrigkeit konnt ihm das wahre Verdienſt verbergen, ſo wie kein Glanz ihn verblen - dete, das Unregelmaͤßige und Haͤßliche auf den Thronen, an den Spitzen der Armeen, in den Akademien vom erſten Rang an Kopf und Herz zu entdecken und zu verachten. Jn ihm zeigt ſich allenthalben ein unpartheyiſcher Menſchenkenner und Freund der Menſchheit.

Bey aller Lebhaftigkeit der Empfindungen war er von aller Schwaͤrmerey frey, und ſeine Einbildungskraft ſtand unter dem reinen Verſtand in der gehoͤrigen Unterordnung. Er war mehr ein gefuͤhlvoller Weltweiſer, als ein Dichter, der die Weltweisheit liebte. Die Poeſie diente ihm auch von ſeiner Jugend an nur zu einer Erholung von den Arbeiten ſeines Berufs, und zur Ermunterung in truͤben Stunden.

Seine Neigung gieng vorzuͤglich auf die Weltweisheit und die Wiſſenſchaften, welche einem Staatsmann die Faͤhigkeiten ertheilen, einen Staat bluͤhend und gluͤcklich zu machen. Dieſen25Kleiſts Charakter von Hirzeln. Dieſen widmete er ſeine Jugendjahre ganz. Allein ſein Schickſal entzog ihm die Gelegenheit, ſeine weit ausgebreiteten Kenntniſſe anzuwenden. Es zwang ihn, gegen ſeine Neigung, ſich dem Kriegsdienſte zu widmen. Nun fiel alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die Pflichten ſeines Berufs. Der kleinſte Theil der Taktik zog die aͤngſtliche Aufmerkſamkeit ſo gut auf ſich, als der große Plan des Feldherrn; denn er ſah deſſen Wichtigkeit in dem Zuſammenhange des Ganzen. Der Vorwurf des geringſten Fehlers in dem Dienſte wuͤrde ihm eine unertraͤgliche Buͤrde ge - weſen ſeyn. Hieraus floß auch eine faſt ins uͤbertriebne fallende Sorgfalt fuͤr die Ehre des Edelmannes und des Soldaten. Kein aͤchter Eidsgenoß iſt auf ſeine Freyheit ſo eiferſuͤch - tig, als er auf Ehre war, denn in dieſer ſah er die Triebfeder aller großen Handlungen in ſei - nem Berufe. Er kannte aber auch die Ehre der Weltweiſen, kein Gluͤck, keinen Ruhm, kei - ne Befoͤrderung etwas anderm, als reinem Verdienſte zu verdanken. Die Verachtung der Schmeicheley der Großen ward ihm zur Natur, und dennoch war er der beſcheidenſte, hoͤflich - ſte, ſanftmuͤthigſte, menſchenliebendſte Mann in dem Umgange. Gluͤcklich der Menſch, der ihn zum Freunde hatte; er konnte nicht aͤngſtlicher fuͤr ſein Gluͤck ſorgen, als Kleiſt es that, denn darinnen fand er ſein groͤßtes Vergnuͤgen, Freunde gluͤcklich zu machen, und dieſes war nie ſtaͤrker, als wenn ſeine Bemuͤhungen dem Freunde unbekannt blieben. Sein Herz war ein Grab fuͤr jedes Geheimniß, das ihm anvertraut worden. Feinde und Neider hatten ihn nicht zu fuͤrchten; wenn ihr Verdienſt es forderte, oder ein unverſchuldetes Ungluͤck ſie druͤck - te ſo fanden ſie an Kleiſten eben ſo viel Waͤrme und Dienſtbegierde, als der zaͤrtlichſte Freund. Seine Menſchenliebe ruhete auf feſten Grundſaͤtzen. Sie machte ihn nie unge - recht, ſo empfindſam ſeine Seele war. So war Kleiſt und ich glaube dieſes in den Zuͤ - gen zu ſehen, welche Fuͤeßli nach der Natur entworfen hat, als Kleiſt bey uns lebte. Tief - ſinn, Feſtigkeit der Seele, hoher Muth und Menſchenfreundlichkeit entdeckte ich voll Ehrfurcht und Zaͤrtlichkeit in ſeinen Zuͤgen, und empfinde dabey die unausſprechliche Wonne, einen der groͤßten Menſchen zum Freunde gehabt zu haben.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. DSo26II. Fragment. Zugabe. Kleiſts Charakter von Hirzeln.

So weit Herr Hirzel. Jch bitte nicht um Entſchuldigung, dieß vortreffliche Ge - maͤhlde noch beygeruͤckt zu haben. Man vergleich es oft mit der Zeichnung das phyſiogno - miſche Gefuͤhl wird gewiß nichts dabey verlieren.

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Drittes27

Drittes Fragment. Fuͤr Leſer mit Menſchenherzen das iſt: fuͤr alle? Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten. Oder, Jn wiefern ſich kein Menſch ſeiner Phyſiognomie zu ſchaͤmen habe? Oder, Warnung vor intolerantem Jdealiſiren.

Faſt kein beſonderes Fragment, das ich uͤber Phyſiognomik ſchreibe, duldet Ausfuͤhrlichkeit; weil bey der Menge von Tafeln, bey der Mannichfaltigkeit von Geſichtern, die ich in dieß Werk zuſammen zu draͤngen ſuche, unaufhoͤrlicher Anlaß iſt, alles zu ſagen, was man ſagen will, und was geſagt werden ſoll. Aus Beſorgniß aber, daß ich das eine und andere, das mir ſehr wichtig ſcheint, dennoch vergeſſen, oder daß es ſich zu ſehr verſtecken und verlieren moͤchte moͤcht ich oft gleichſam nur die Aufſchrift eines Fragments, das gemacht werden ſollte her - ſetzen, bloß um die Aufmerkſamkeit des Leſers ein wenig zu reizen und um den Gedanken vorm Untergange zu retten.

Was ich z. E. in der Aufſchrift des gegenwaͤrtigen Fragmentes ſage iſt gewiſſermaſ - ſen wiederum Jnnhalt und Seele des ganzen Buches. Was ich alſo itzt in einem beſondern Abſchnitte daruͤber ſagen kann, iſt ſo viel als nichts; und dennoch, wie viel kann’s, der Wuͤrkung nach, ſeyn fuͤr den nachdenkenden! den Menſchen!

Jedes Geſchoͤpf iſt unentbehrlich in Gottes unermeßlicher Welt; aber nicht jedes weiß, daß es unentbehrlich iſt. Auf dem Erdboden freuet ſich nur der Menſch ſeiner Unentbehrlichkeit.

Kein Glied am menſchlichen Koͤrper kann durch irgend ein ander Glied erſetzt werden.

So viel vortrefflicher das Auge iſt, als der Nagel an der kleinſten Zehe der Nagel an der kleinſten Zehe iſt dennoch an ſich zur Vollkommenheit des ganzen Koͤrpers unentbehrlich, und kann durch das, obgleich viel herrlichere und vollkommenere, Auge, nicht erſetzt werden.

D 2Kein28III. Fragment.

Kein Menſch kann einen andern Menſchen entbehrlich machen; kein Menſch durch einen andern erſetzt werden.

Dieſer Glaube an die Unentbehrlichkeit und Unerſetzbarkeit aller Menſchen außer uns an unſre eigne metaphyſiſche Unentbehrlichkeit und Unerſetzbarkeit iſt wieder eine von den uner - kannten, herrlichen Fruͤchten der Phyſiognomik.

Eine Frucht, voll von Samenkoͤrnern zu herrlichen Cedern der Toleranz und Men - ſchenliebe Moͤchten ſie, Nachkommenſchaft, dir aufwachſen! Folgende Jahrhunderte, moͤchtet Jhr Euch unter ihren Schatten lagern!

Der ſchlechteſte, verzogenſte, verdorbenſte Menſch iſt doch noch Menſch, und unent - behrlich in Gottes Welt und einer dunklern oder deutlichern Erkenntniß ſeiner Jndividualitaͤt und unerſetzbaren Unentbehrlichkeit faͤhig. Die ſchlechteſte, lebende Mißgeburt ſo gar iſt doch noch edler als das beſte, ſchoͤnſte, vollkommenſte Thier O Menſch ſieh auf das, was da iſt nicht auf das, was mangelt.

Menſchheit in allen Verzerrungen iſt immer noch bewundernswuͤrdige Menſchheit.

Siebenmal moͤcht ich dir dieß in Einer Viertelſtunde wiederholen!

Du biſt beſſer, ſchoͤner, edler, als ſo viele deiner Nebenmenſchen? wohlan! freue dich deß, und bete nicht dich, ſondern den an, der aus einem Thone ein Gefaͤß der Eh - re, und ein Gefaͤß der Unehre ſchuf! Jhn, der ohne deinen Rath, ohne deine Bitte und ohne dein Verdienſt dich das werden ließ, was du biſt!

Jhn! .... Denn was haſt du, o Menſch, das du nicht empfangen haſt; ſo du’s aber empfangen haſt, was ruͤhmeſt du dich, als ob du es nicht empfangen haͤt - teſt? darf auch das Auge zu der Hand ſagen: Jch bedarf deiner nicht? wer den Armen verachtet, der ſchmaͤhet den Schoͤpfer deſſelben Gott hat das ganze Ge - ſchlecht der Menſchen aus Einem Blute gemacht.

Wer fuͤhlt alle dieſe Gotteswahrheiten tiefer, inniger, als der aͤchte Phyſiogno - miſt! .... der, ach nicht bloß Litterator, Leſer, Recenſirer, Schriftfabrikant, der ...... Menſch iſt.

Freylich!29Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.

Freylich! auch der menſchlichſte Phyſiognomiſt, der ſo gern das Gute, das Schoͤne, das Edle der Natur aufſucht, ſich ſo gern am Jdeale weidet, ſeinen Geſchmack an der beſſern, heiligern, vollkommenern Menſchheit taͤglich uͤbt, naͤhrt, verfeinert freylich auch der iſt oft in Gefahr, wenigſtens in Verſuchung ſich wegzuwenden von dem gemeinen, alltaͤglichen, ſchlechten Men - ſchen, von den Mißgeſtalten voll Leerheit, den Larven, aus lauter Grimaſſen zu - ſammen geſetzt dem Poͤbel der Menſchen; in Gefahr und Verſuchung zu vergeſſen, daß auch dieſe Mißgeſtalten, dieſe Larven, dieſer Poͤbel Menſchen ſind; daß Er, bey aller ſeiner eingebildeten oder auch wuͤrklichen Vortrefflichkeit, bey allem Adel ſeiner Geſinnungen, aller Reinheit ſeiner Abſichten und wer kann ſich dieſer immer ruͤhmen? aller Feſtigkeit und Geſundheit ſeiner Vernunft aller Zartheit ſeiner Empfindung, aller Kraft ſeiner Natur daß er, und wenn er auch an die hohen Jdeale alter griechiſcher Kunſt zu graͤnzen ſcheint daß er dennoch ſehr vermuthlich durch eigne moraliſche Schuld in den Augen hoͤherer Weſen, in den Augen ſeiner Menſchenbruͤder, der vollendeten Gerechten, ſo gut eine Karikatur iſt als die laͤcherlichſte oder ſchaͤdlichſte moraliſche oder phyſiſche Mißgeburt des Erdbodens es in ſei - nen Augen iſt.

Ja freylich vergeſſen wir das oft! alſo iſt Erinnerung noͤthig, noͤthig dem Schreiber und Leſer dieſes Werks Vergiß nicht, daß auch die ſchlechteſten Menſchen Menſchen ſind; auch in dem verwerflichſten, wie viel poſitif Gutes iſt noch! auch der ſchlechteſte Menſch wie iſt er doch ſo gewiß und ſo gut Einzig in ſeiner Art, als du? unentbehrlich, wie du? uner - ſetzbar, wie du? Er hat von oben bis unten, er hat weder auswendig noch innwendig das Geringſte, genau ſo wie’s du haſt! Er iſt im Ganzen, iſt in allen ſeinen unzaͤhligen Theilen ſo individuell, wie du ..... Er, weniger? und ein Buchſtabe der Schoͤpfung fehlte, ſo gut, wie wenn du nicht waͤreſt! Er, weniger? er nicht ſo, wie er iſt? und mit ihm, oder vielmehr ohn ihn unzaͤhlige Dinge und Menſchen anders, als ſie ſind! Er das Reſultat aus millio - nen Dingen und millionen Dinge das Reſultat von Jhm! von ſeiner ſo beſtimmten Exi - ſtenz! ſeiner ſo beſchaffenen Natur!

D 3 Schau30III. Fragment.

Schau ihn an, unterſuch ihn als wenn er allein waͤr! Auch dann wirſt du Kraͤfte und Trefflichkeiten an ihm bemerken, die ohne Vergleichung mit andern, an ſich ſchon alle Auf - merkſamkeit und Bewunderung verdienen.

Und dann, vergleich ihn wieder mit andern! ſeine Aehnlichkeit, ſeine Unaͤhnlichkeit mit ſo vielen ſeiner vernuͤnftigen Nebengeſchoͤpfe; wie wird dich dieß in Erſtaunen ſetzen? wie wirſt du die Einzelheit, die Unentbehrlichkeit ſeines Daſeyns zu ſchaͤtzen anfangen? wie wirſt du die Harmonie aller ihn zu Einem Ganzen machenden Theile wie ſeine Beziehung, die Bezie - hung ſeiner millionenfachen Jndividualitaͤt auf ſo manche andere bewundern? Bewundern und anbeten, die ſo einfach und ſo millionenfach ſich abwechſelnde Aeuſſerung der unerforſchbaren Allkraft, die ſich in der Menſchheit beſonders ſo herrlich offenbaret.

Kein Menſch hoͤrt auf, Menſch zu ſeyn, und wenn er noch ſo tief unter die Wuͤrde der Menſchheit herabzuſinken ſcheint So lang er kein Thier wird iſt er immer noch der Ver - beſſerung und der Vervollkommnung faͤhig. Auch die ſchlechteſte Phyſiognomie iſt noch eine Men - ſchenphyſiognomie. Menſchheit bleibt immer Ehre und Zierde des Menſchen.

So wenig ein Thier ein Menſch werden kann, obgleich es in manchen Geſchicklichkeiten dem Menſchen gleich kommt, oder ihn allenfalls uͤbertrifft; ſo wenig wird ein Menſch ein Thier; obgleich ſich mancher Menſch Dinge erlaubt, die wir nicht einmal an unvernuͤnftigen Thieren ohne Abſcheu anſehen koͤnnten.

Aber ſelbſt die Faͤhigkeit, ſich freywillig unter die Thierheit, dem Scheine nach wenig - ſtens, zu erniedrigen ſelbſt dieſe iſt Ehre und Vorrecht der Menſchheit; denn eben dieſelbe Faͤ - higkeit, die Faͤhigkeit alles mit Verſtand, Willkuͤhr und Wahl nachzuahmen eben dieſe Faͤhig - keit hat doch nur der Menſch und durchaus kein Thier.

Die Thierphyſiognomien ſind keiner merklichen Verſchlimmerung aber auch keiner merklichen Verbeſſerung und Verſchoͤnerung faͤhig.

Die ſchlechteſte Menſchenphyſiognomie kann noch ſchlechter werden, kann aber immer auch wieder, wenigſtens bis auf einen gewiſſen Grad, verbeſſert und veredelt werden.

Unbeſchreiblich iſt die Verderblichkeit und die Vervollkommlichkeit des Menſchen.

Dadurch31Trefflichkeit aller Menſchengeſtalten.

Dadurch hat auch die ſchlechteſte Phyſiognomie gegruͤndeten Anſpruch auf die Aufmerk - ſamkeit, Achtung und Hoffnung aller guten Menſchen.

Alſo noch einmal: Jn jeder Menſchenphyſiognomie, ſo verdorben ſie ſeyn mag, iſt noch Menſchheit das iſt, Ebenbild der Gottheit!

Jch habe die verruchteſten Menſchen geſehen geſehen in den verruchteſten Augenblicken ihres Lebens und all ihre Bosheit und Gotteslaͤſterung und Draͤngen der Unſchuld konnte nicht vertilgen das Licht Gottes in ihrem Angeſichte, das iſt den Geiſt der Menſchheit, die un - ausloͤſchbaren Zuͤge innerer ewiger Perfektibilitaͤt den Suͤnder haͤtte man zermalmen den Menſchen noch umarmen moͤgen.

O Phyſiognomik! welche Buͤrgſchaft biſt du mir fuͤr die ewige Huld Gottes gegen die Menſchen! Jch armer Unmenſch, wollt ich ſagen denn wie oft bin ich das in ſchauerhaf - ten Augenblicken hoͤlzerner Seelenloſigkeit! Jch armer Unmenſch kann, wenn ein Stral der Phyſiognomik mich anleuchtet, den ich in einen zerſchmetternden Blitz wider alle Unmenſchheit im Menſchen verwandeln moͤchte ich kann in demſelben Augenblicke kaum aufhoͤren, in die Menſch - heit, die noch durchſcheint, verliebt zu ſeyn Ewiger, Einziger Vater aller Liebe und Menſch - lichkeit wie muß dir beym Anblicke der ſchlimmſten Menſchen zu Muthe ſeyn was mußt du noch in ihnen entdecken. Jſt wohl Einer ohn allen Zug deines Ebenbildes Jeſus Chriſtus

Alſo Forſcher der Natur! forſche, was da iſt! alſo Menſch ſey Menſch in allen deinen Unterſuchungen! vergleiche nicht ſogleich vergleiche nicht bloß mit willkuͤhrlichen Jdea - len. Wo Kraft iſt iſt etwas bewundernswuͤrdiges, etwas unerforſchliches; und Kraft, menſchliche, oder, wenn du lieber willſt, goͤttliche Kraft, iſt in allen Menſchen. Wo Menſchheit iſt, da iſt Familienſache. Du biſt Menſch, und was Menſch neben dir iſt, iſt Zweig Eines Stammes, Glied Eines Leibes; iſt, was du biſt noch mehr achtungswerth, als wenn’s gerade das, gerade ſo gut, ſo edel waͤre, wie du weil es dann ja nicht mehr das einzelne, das unentbehrliche, das unerſetzbare Jndividuum waͤre, das es itzt iſt.

O Menſch, freue dich deß, was ſich ſeines Daſeyns freut, und dulde, was Gott duldet

Jtzt32III. Fragment.

Jtzt Bruder, in die Stille, und laß einige Augenblicke der Menſchenfreude Raum, daß du ſo gewiß unentbehrlich biſt, als gewiß dein Geſicht, und alles an dir und in dir, von den Geſichtern aller Menſchen, und allem was an ihnen und in ihnen iſt, verſchieden iſt und freue dich der Unentbehrlichkeit aller deiner Nebenmenſchen, die ſo gewiß iſt, ſo gewiß dieſe im Ganzen und in allen ihren Theilen, von dem Ganzen und von allen Theilen aller andern verſchieden, ob - gleich dem Ganzen und den Theilen aller andern aͤhnlich ſind. Freue dich deß

Und dann, wenn Ein Blick gen Himmel dem Vater ſo vieler Kinder Anbetung zugeblickt oder zugethraͤnt hat dann magſt du auch noch die folgende Zugabe mit einem Herzen leſen, ohne welches ſie dir unverſtaͤndlich oder ſchaͤdlich ſeyn wuͤrde.

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Zugabe. 33Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte.

Zugabe. Einige Beobachtungen uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte.

Jch beobachtete einige Kinder, etwa eine Stunde nach ihrer, nicht harten, Geburt. Jch bemerkte eine frappante, freylich verjuͤngte, Aehnlichkeit ihres Profiles mit dem ihres Vaters Dieſe Aehn - lichkeit verlor ſich in wenigen Tagen beynahe gaͤnzlich. Der Einfluß der offnen Luft und der Nah - rung vermuthlich auch der Lage veraͤnderten die beſtimmte Zeichnung ſo ſehr, daß man einen ganz andern Menſchen vor ſich zu ſehen glaubte Jch ſah dieſe Kinder, das eine etwa 6. Wochen, das andere etwa 4. Jahre nach der Geburt, todt und etwa 12. Stunden nach ihrem Sterben bemerkte ich vollkommen wieder das halbe Profil, das ich etwa eine Stunde nach ihrer Geburt an ihnen bemerkt hatte; nur mit dem Unterſchiede, daß das Profil des todten Kindes, wie natuͤrlich, etwas feſter und geſpannter war, als des lebenden; etwas von dieſer Aehnlichkeit aber verlor ſich am dritten Tage wieder merklich.

Jch ſah Maͤnner von 50. und 70. Jahren, die in ihrem Leben nicht die mindeſte Aehnlich - keit mit ihren Soͤhnen zu haben ſchienen deren Geſichter beynahe aus einer ganz verſchiedenen Claſſe zu ſeyn ſchienen todt, am zweyten Tage nach ihrem Sterben war das Profil des einen, dem Profil ſeines aͤlteſten, und das Profil des andern, dem Profil ſeines dritten Sohnes gerade ſo frappant aͤhnlich, wie das Profil der oben angefuͤhrten todten Kinder ihrem lebenden Profile, eine Stunde nach der Geburt, war. Freylich ſtaͤrker, und nach dem Mahlerausdruck haͤrter aber auch hier verlor ſich am dritten Tage etwas von der Aehnlichkeit.

Phyſ. Fragm. II Verſuch. ESo34III. Fragment. Zugabe. Einige Beobachtungen

So viele Todte ich geſehen, hab ich dabey die einfoͤrmige Beobachtung gemacht, daß ſie et - wa 16, 18, 24 Stunden nach ihrem Tode (je nachdem ſie eine Krankheit gehabt hatten) eine ſchoͤnere Zeichnung hatten, als ſie in ihrem Leben niemals gehabt hatten viel beſtimmter, proportionir - ter, harmoniſcher, homogeniſcher, edler, viel edler, erhabner .....

Duͤrfte nicht vielleicht (dacht ich) bey allen Menſchen eine Grundphyſiognomie ſeyn? durch die Ebbe und Fluth der Zufaͤlle und Leidenſchaften verſchwemmt? vertruͤbt? die ſich nach und nach durch die Ruhe des Todes wieder herrſtellte, wie truͤbgewordenes Waſſer, wenn’s unzerruͤttet ſtehen kann, helle wird?

Bey einigen Sterbenden, die nichts weniger als einen edlen, großen, oder erhabenen Charakter in ihrem Leben gehabt hatten, hab ich einige Stunden vor ihrem Tode, bey eini - gen bloß einige Augenblicke vorher (die eine war im Delirio ) eine unausſprechliche Ver - edlung ihrer Phyſiognomie wahrgenommen! Man ſah einen neuen Menſchen vor ſich! Colorit und Zeichnung und Grazie alles neu alles morgenroͤthlicht! himmliſch! .. unbeſchreib - lich edel erhaben! der Unaufmerkſamſte mußte ſehen, der Unempfindlichſte empfinden. Ebenbild Gottes ſah ich unter den Truͤmmern der Verweſung hervorglaͤnzen, mußte mich wenden, ſchweigen, und anbeten Ja! du biſt noch biſt noch Herrlichkeit Got - tes auch in den ſchwaͤchſten, fehlervollſten Menſchen wenn das duͤrre Holz noch ſo bluͤ - hen kann, wie wird’s das gruͤne?

Nachſtehende Vignette iſt von einem Thoren, der in ſeiner Jugend ein ſehr verſtaͤndi - ger, ſehr trefflicher, herzguter Menſch war durch harte Begegnung ſeines wilden Vaters aber wegen ſeiner vermuthlichen Verliebtheit ſo mißhandelt wurde, daß er den Verſtandverlor35uͤber Neugeborne, Sterbende und Todte. verlor wenn einmal der Mund, wo vornehmlich der Sitz der Tollheit zu ſeyn ſcheint ſich im Tode ſchließen wird, ich wollte wetten, der vorige Ausdruck des Verſtandes wird groͤßtentheils wieder zum Vorſchein kommen. Dieſer vorige Verſtand iſt itzt noch ſichtbar ge - nug, beſonders in der Stirn, und im Umriſſe, nicht im Blicke des Auges.

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E 2Viertes36IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß

Viertes Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe.

Jch will, lieber Leſer, durch dieß Werk Menſchenkenntniß und Menſchenliebe zugleich befoͤr - dern. Dieſe gedoppelte Abſicht, kann ſie zugleich ſtatt haben? Menſchenkenntniß, hebt ſie die Menſchenliebe nicht auf? ſchwaͤcht ſie wenigſtens dieſelbe nicht? verlieren doch die meiſten Menſchen durch die genauere Kenntniß, die man von ihnen erlangt? und, wenn ſie verlieren, wie kann die Menſchenliebe gewinnen? die Liebenswuͤrdigkeit, muß dieſe nicht abnehmen, wenn das geſchaͤrfte Auge immer mehr Unvollkommenheiten erblickt; deſto ſchneller, deſto mehr, deſto heller erblickt, je mehr es ſich uͤbt, Vollkommenheiten zu entdecken?

Was du hier ſagſt, mein Freund, iſt Wahrheit! aber nur einſeitige Wahr - heit. Einſeitige Wahrheit aber welche ergiebige Quelle von Jrrthum und Mißverſtand!

Es iſt allerdings wahr, daß die meiſten Menſchen durch genaue Kenntniß, die man von ihnen erlangt, verlieren aber nicht weniger wahr iſt’s, daß die meiſten Menſchen dadurch, daß man ſie genauer kennet, oft gerade ſo viel, oft noch mehr von der andern Seite gewinnen, als ſie von der einen verloren hatten.

Jch rede nicht von denen, die beynahe nur gewinnen koͤnnen, je genauer ſie gekannt werden, wofern es ſolche Menſchen geben ſollte, die durchs Gekanntſeyn, ich ſage nicht: viel, ſon - dern bloß gewinnen wuͤrden.

Jch rede von denen, die viel verlieren, wenn Menſchenkenntniß genauer und gemei - ner wird.

Wer iſt ſo weiſe, daß er nicht zuweilen ein Thor ſey? wo iſt der Tugendhafte, der nie la - ſterhaft handle? Nie, wenigſtens unreine, uneinfaͤltige Abſichten habe?

Alſo will ich annehmen, daß, mit aͤuſſerſt ſeltener Ausnahme, alle Menſchen durchs Gekanntſeyn verlieren

Aber beweiſen will ich, durch die maͤchtigſte Jnduktion, wenn man will daß auch alle durchs Gekanntſeyn hinwiederum gewinnen.

Mithin37der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe.

Mithin daß Menſchenkenntniß der Menſchenliebe im Ganzen nichts ſchade, ob aber nuͤtzet? Ja daß ſie ihr nuͤtzet!

Menſchenkenntniß lehrt uns nicht nur, was der Menſch nicht iſt, und nicht ſeyn kann; ſondern auch: warum er’s nicht iſt, und nicht ſeyn kann? ſondern auch: was er iſt und ſeyn kann?

Befremdung dieſe ſo reiche Quelle von Jntoleranz, nimmt in ebendemſelben Grade ab, wie die aͤchte Menſchenkenntniß zunimmt.

Wenn du weißt, warum ein Menſch ſo denkt, ſo handelt das heißt, wenn du dich in ſeine Lage, wie viel mehr? wenn du dich in den Bau ſeines Koͤrpers, ſeine Bildung, ſeine Sin - ne, ſein Temperament, ſeine Empfindſamkeit, hinein denken kannſt; wie wird dir alles begreiflich? erklaͤrbar? natuͤrlich? und hoͤrt denn nicht gerade da die Jntoleranz, die ſich bloß auf die Men - ſchen, als Objekt, bezieht, auf wo lichthelle Erkenntniß ſeiner individuellen Natur anfaͤngt? wird da nicht viel eher Mitleiden an die Stelle der Verdammung, und bruͤderliche Nachſicht an die Stelle des Haſſes treten?

Jch will damit Fehlern nicht das Wort reden, viel weniger Laſter, als ſolche, in den Schutz nehmen; aber es iſt allgemein angenommene richtige Billigkeit daß man z. E. einem hitzigen Menſchen eher vergeben koͤnne, wenn er ſich durch harte Beleidigungen zum Zorne reizen laͤßt, als einem kaͤltern.

Allein nicht nur von dieſer Seite (ich beruͤhre hier die Sache nur) gewinnt der Fehler - hafte durch phyſiognomiſche Menſchenkenntniß anderer. Er gewinnt noch von einer andern.

Die Phyſiognomik entdeckt in ihm wuͤrkliche und moͤgliche Vollkommenheiten, die ohne ſie immer verborgen bleiben koͤnnten. Je mehr der Menſch beobachtet wird, deſto mehr Kraft, poſiti - fes Gutes wird an ihm beobachtet. Wie der Mahler, mit geuͤbtem Auge tauſend kleine Nuͤan - cen und Farbenſpielungen wahrnimmt, die hundert andern Augen unbemerkt bleiben, ſo der Phy - ſiognomiſt eine Menge wuͤrklicher oder moͤglicher Trefflichkeiten, die tauſend Augen gemeiner Men - ſchenverachter, Menſchenverlaͤumder oder liebreicher Menſchenbeurtheiler unbemerkbar ſind.

Jch rede aus Erfahrung. Das Gute, das ich als Phyſiognomiſt an meinem Nebenmen - ſchen bemerke, haͤlt mich mehr als ſchadlos fuͤr die Menge Boͤſes, das ich ebenfalls bemerken undE 3unter -38IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltnißunterdruͤcken muß. Je mehr ich Menſchen beobachte, deſto deutlicher bemerk ich in allen Gleich - gewicht der Kraͤfte; bemerk ich, daß die Quelle alles Schlimmen in ihnen gut iſt, das heißt, daß eben das, was ſie ſchlimm macht, Kraft, Wuͤrkſamkeit, Reizbarkeit, Elaſticitaͤt immer an ſich etwas Gutes, Poſitifes, Reales iſt deſſen Abweſenheit freylich unendlich viel Schlimmes unmoͤglich gemacht haͤtte aber zugleich auch unendlich viel Gutes deſſen Da - ſeyn zwar viel Schlimmes wuͤrklich gemacht hat aber zugleich auch die Moͤglichkeit zu noch un - gleich vielmehr Gutem in ſich ſchließt.

Bey dem geringſten Fehltritt eines Menſchen entſteht ſogleich ein uͤbertaͤubendes, verdam - mendes Geſchrey das den ganzen Charakter des Menſchen verdunkelt, zu Boden ſchreyt, ver - nichtet Der Phyſiognomiſt ſieht den Mann an den alle Welt verdammt und lobt das Laſter? Nein! Entſchuldigt den Laſterhaften? auch nicht; was dann? Sagt Euch ins Ohr, oder laut: Behandelt den Mann ſo, und Jhr werdet erſtaunen, was noch aus ihm, dem Manne, werden kann und wird! Er iſt nicht ſo ſchlimm, als er ſcheint. Sein Geſicht iſt beſſer, als ſeine Thaten! zwar auch ſeine Thaten ſind lesbar in ſeinem Geſichte aber noch mehr als die, deutlicher noch, die große Kraft, die Empfindſamkeit, die Lenkſamkeit des nie recht ge - lenkten Herzens dieſelbe Kraft, die dieß Laſter hervorgebracht Gebt ihr nur eine andere Richtung; gebt ihr andere Gegenſtaͤnde, und ſie wird Wundertugenden verrichten. Kurz, der Phyſiognomiſt wird begnadigen, wo der liebreichſte Menſchennichtkenner verdam - men muß.

Ferner ſeit ich phyſiognomiſire, hab ich viele ſo vortreffliche Menſchen naͤher kennen gelernt ſo viel Anlaß gehabt, mein Herz mit Freud an Menſchen zu naͤhren zu erweitern, daß ich mich dadurch gleichſam mit dem uͤbrigen Menſchengeſchlechte verſoͤhnte. Ja, ich darf ſa - gen, daß ich Einen meiner erklaͤrteſten Gegner, trotz alles deſſen, was er heimlich und oͤffentlich wider mich gethan hat bloß ſeiner Phyſiognomie und Geſtalt wegen, lieben muß, ſo ſicher, daß er mein kuͤnftiger Freund ſeyn wird, als es gewiß iſt, daß ichs itzo ſchon bin. Bloß Mangel an phyſiognomiſchem Auge oder Gefuͤhl iſt’s, daß er mich mißkennt ſo wie’s bloß phyſiognomiſches Gefuͤhl auf meiner Seite iſt, daß ich Jhn, und wenn er noch mehr wider mich wuͤten, und wenn er auch ſagen ſollte Jch ſuchte mich ihm dadurch einzuſchmeicheln liebe, obgleich ich ſeineThaten39der Menſchenkenntniß und Menſchenliebe. Thaten gegen mich verabſcheue. Was ich hier als wahre Erfahrung getreulich ſage wird jeder Phyſiognomiſt, der Menſch iſt unfehlbar erfahren.

Noch mehr. Wie die Barmherzigkeit durch Anblick phyſiſchen Elendes erweckt, genaͤhrt, und entflammt wird ſo das edelſte und weiſeſte Mitleiden mit der Menſchheit durch feines Wahrnehmen und Empfinden des Verfalls der Menſchheit und wem iſt das eigner, als dem aͤchten Phyſiognomiſten? das edelſte Mitleiden ſag ich, denn es bezieht ſich unmittelbar auf den beſtimmten, gegenwaͤrtigen Menſchen, auf ſein geheimes aber tiefes Elend das nicht auſſer ihm, das in ihm iſt das weiſeſte Mitleiden! Denn, weil es den Schaden als innerlich er - kennt und anſchaut, denkt’s nicht auf Palliatife, ſondern innere tief wuͤrkende Mittel, auf Ver - beſſerung der Wurzel! auf Mittel, die nicht zuruͤckprallen! auf Mittel, wozu man empfaͤngliche Seiten wahrnimmt!

Jch beſchließe dieß Fragment eines Fragments mit einer Stelle aus einem beruͤhmten Schriftſteller, die hieher zu gehoͤren ſcheint, und als Einwendung oder Beſtaͤtigung angefuͤhrt zu werden verdient. Jn der That, heißt’s, Momus war nicht klug mit ſeinem Fenſter vors menſch - liche Herz. Die beſten Menſchen wuͤrden gerade am ſchlimmſten dabey gefahren ſeyn.

Das heißt die ſchlimmen Menſchen denken ohnehin Arges in ihrem Herzen von allen andern, denn keiner von ihnen haͤlt andere Leute fuͤr beſſer, als ſich ſelbſt; und da keine Kraͤhe der andern die Augen aushackt, ſo wagen die Boͤſen nichts dabey, wenn ſie einander uͤber der That ertappen; denn ſie haben ein augenſcheinliches Jntereſſe ſaͤuberlich mit einander zu verfah - ren. Die beſten Menſchen hingegen denken, ſo lang es nur immer moͤglich iſt, von jeder - mann Gutes, und hierinn beſteht ein ſo großer Theil ihrer Gluͤckſeligkeit, daß ſie nothwendig ſehr ungluͤcklich werden muͤßten, wenn ein Fenſter vor der Bruſt der Leute ſie auf einmal aus dem angenehmen Jrrthum in die traurige Gewißheit verſetzte, von ſo vielen falſchen und boͤſen Geſchoͤpfen umgeben zu ſeyn. Es iſt alſo klar, daß die beſten am meiſten dabey verloren haͤt - ten, wenn Momus mit ſeinem vorbeſagten Vorſchlag, den Menſchen ein Fenſter vor die Bruſt zu ſetzen, durchgedrungen waͤre. *)Deutſcher Merkur 1775.

Freylich40IV. Fragment. Vereinigung und Verhaͤltniß der Menſchenkenntniß ꝛc.

Freylich, Jhr guten Seelen, Jhr werdet oft blutige Thraͤnen weinen, daß die Men - ſchen ſo viel ſchlimmer ſind, als Jhr glaubet aber ſicherlich tauſendmal auch Freudenthraͤnen weinen, daß Jhr die Menſchen beſſer findet, als die allherrſchende, allvergiftende Verlaͤumdungs - und Verurtheilungsſucht ſie verkuͤndigte.

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Fuͤnftes41

Fuͤnftes Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt.

Jch ſtund an, ob ich ſchon in dem zweyten Bande dieſer Fragmente von den Einwendungen gegen die Phyſiognomik ein Wort ſagen ſollte? Einſichtsvolle Freunde mißriethen mir’s. Al - lein, alles abgewogen, fand ich’s billig, den Wahrheitſuchenden Leſer einigermaßen aus der Ver - legenheit zu ſetzen, in die er durch die taͤgliche Anhoͤrung einiger Einwendungen getrieben wird.

Ohne Zahl ſind die Einwendungen, die man gegen die Wahrheit und Zuverlaͤſſigkeit der menſchlichen Geſichtszuͤge machen kann. Ein großer Theil derſelben ſcheint mir leicht, ein großer Theil ſchwer, und noch zur Zeit unmoͤglich zu beantworten.

Eh ich einige beſondere anfuͤhre will ich zuerſt einige allgemeine Anmerkungen zum Grunde legen, deren genaue Pruͤfung und Erwaͤgung unzaͤhlige Schwierigkeiten aus dem Wege raͤumen wuͤrde.

Gegen die allergewiſſeſten Sachen laſſen ſich unbeantwortliche Einwendungen machen. Unbeantwortliche Einwendungen an ſich heben alſo die Gewißheit und Zuverlaͤſſigkeit einer Sache nicht auf, wofern dieſe ſonſt klar am Tage liegt.

Es iſt keine einzige unmathematiſche Wiſſenſchaft, die nicht ihre bloße ſchutzloſe Seite habe ... warum nicht die erſt noch aus der Wiege ſich empor hebende Phyſiognomik?

Was kann gewiſſer ſeyn, als daß die Lichtſtralen ſich tauſend und millionenfach durch - ſchneiden, um aus unzaͤhligen Beyſpielen Eines anzufuͤhren und wer kann die Einwendungen beantworten, die gegen die Moͤglichkeit der Sache gemacht werden koͤnnten?

Mich duͤnkt, bey allen Unterſuchungen koͤmmt’s erſt darauf an: was fuͤr eine Sache, die behauptet wird, geſagt werden kann? Ein unumſtoͤßlicher Beweis fuͤr das Daſeyn und die Gewißheit einer Sache wiegt zehentauſend Einwendungen auf. Ein poſitifer Zeuge, der von Seite ſeiner Einſicht und Redlichkeit alle moͤgliche Zuverlaͤſſigkeit hat, Ein ſolcher gilt mehr, als unzaͤhlige bloß negative. Alle Einwendungen gegen eine gewiſſe Wahrheit ſind eigentlich bloß negative Zeugen: das haben wir noch nicht wahrgenommen, das noch nichtPhyſ. Fragm. II Verſuch. Ferfahren.42V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen erfahren. Wenn zehentauſende das ſagen, was beweiſt’s gegen einen einzigen Verſtaͤndigen und Redlichen, der ſagen kann: aber ich hab’s wahrgenommen, und ihr koͤnnt’s auch wahrneh - men, wenn ihr wollt.

Gegen das in die Augen leuchtende Daſeyn einer Sache laͤßt ſich keine gegruͤndete Einwen - dung machen. Etwas poſitifes, ein Factum kann durch nichts aufgehoben werden. Es laͤßt ſich kein poſitifes Factum dagegen anfuͤhren ... und alle Einwendungen dagegen ſind nur negativ ...

Wenn ich z. E. einen auferſtandenen Todten geſehen, mit ihm geredet, mit ihm gegeſſen und getrunken, ihn mehrmals betaſtet haͤtte, kurz, von ſeiner Erſcheinung vollkommen ſo ſinnlich uͤberzeugt waͤre, wie von dem Daſeyn meines noch lebenden Freundes, dem ich dieß Blatt vor - leſe wie nichts waͤren mir dann alle Einwendungen von der Unzuverlaͤſſigkeit der Sinne? von der Unmoͤglichkeit, daß ein Todter auferſtehe? von unzaͤhligen falſchen Erzaͤhlungen, die man von aͤhnlichen Erſcheinungen gemacht habe? von der allgemeinen Nichterfahrung ganzer Jahrhunderte, ganzer Menſchengeſchlechter in Abſicht auf eine ſolche Erſcheinung? u. ſ. f. Alles dieß wuͤrde mich zwar billig ſehr behutſam machen in der Unterſuchung der Wuͤrklichkeit der Thatſache aber wenn ich einmal hievon, vollkommen ſo, wie von der Exiſtenz meines lebenden Freundes, uͤberzeugt waͤre wuͤrde ich mich durch alle dieſe Einwendungen, ſo unbeantwortlich ſie auch ſcheinen moͤchten, (im Grunde koͤnnten ſie’s doch nur ſcheinen, und nicht ſeyn ) nicht irre machen laſſen.

Man wende dieſes auf die Phyſiognomik an. Poſitife Beweiſe fuͤr die wahrhafte und erkennbare Bedeutung menſchlicher Geſichter und Geſichtszuͤge, wider deren Klarheit und Zuver - laͤſſigkeit nichts eingewendet werden kann, machen unzaͤhlige Einwendungen, die vielleicht nicht beantwortet werden koͤnnen, voͤllig unbedeutend.

Man ſuche alſo erſt ſich mit dem Poſitifen, das die Phyſiognomik liefert, bekannt zu machen. Man halte ſich erſt allein an dem gewiß Wahren feſt, und man wird ſich bald im Stande befinden, ſehr viele Einwendungen zu beantworten, oder als keiner Beantwortung wuͤr - dig auf die Seite zu ſchaffen.

Nach dem Maaße, wie der Menſch das Poſitife bemerkt und feſt haͤlt, nach demſel - ben laͤßt ſich, wie mich deucht, ſeine Kraft und Staͤndigkeit meſſen. Der mittelmaͤßige, derſeichte43gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. ſeichte Kopf pflegt immer das Poſitife zu uͤberſehen, und mit dem unabtreiblichſten Eigenſinn an dem Negatifen zu kleben.

Siehe zuerſt, was du biſt, und was du haſt, und kannſt, und weißt, ehe du un - terſucheſt, was du nicht biſt, nicht weißt, nicht haſt, und nicht kannſt. Das iſt die Re - gel, die jeder, der weiſe, tugendhaft, gluͤcklich werden will, ſich nicht nur vorſchreiben, die man, wenn ich ſo ſagen darf, in ſeine eigene Seele verwandeln ſollte. Der wahre Weiſe ſieht im - mer zuerſt auf das was da iſt; der Afterweiſe, der Pedant, immer zuerſt auf das was mangelt. Der wahre Philoſoph ſieht auf die poſitifen Beweiſe fuͤr eine Sache, zu - erſt, ſag ich, (ich erſuche ſehr, dieſe meine Behauptung ſich nicht unrichtig vorzuſtellen) zuerſt, ſag ich und der ſchlechte Kopf zuerſt auf negative Gegenbeweiſe. Das war z. E. von jeher die Methode der Unglaͤubigen der Beſtreiter des Chriſtenthums. Wenn das Chriſten - thum falſch waͤre waͤre doch dieſe Methode, ſeine Falſchheit zu zeigen, unbillig und unlogiſch. Als unbillig und unlogiſch ſollte dieſe Methode dargethan und verworfen werden, ehe man ſich mit ihnen in beſondere Felder von Beantwortung einließe.

Es wuͤrde ſich alſo, um wieder auf die Phyſiognomik zuruͤckzukommen, bloß fragen: Giebt es ſo entſcheidend poſitife Gruͤnde fuͤr die Phyſiognomik, daß wir auf die ſcheinbarſten Ein - wendungen nicht achten duͤrfen?

Jch bin davon ſo ſehr, wie von meinem eigenen Daſeyn uͤberzeugt; und am Ende dieſes Werkes ſoll’s jeder unpartheyiſcher Leſer ſeyn, der nur ſo viel Einſicht und Redlichkeit beſitzt, uns nicht abzulaͤugnen: daß uns die Augen zum Sehen gegeben ſind, obgleich es tauſend Augen in der Welt giebt, die nicht ſehen.

Es iſt wahrſcheinlich, daß es Gelehrte giebt, die mich hieruͤber chikaniren koͤnnten. Man koͤnnte mir z. E. aus Reaumuͤr die Papillons femelles und die großen Ameiſenfliegen an - fuͤhren, um mir zu beweiſen, wie ſehr man ſich in der Angabe der Endurſachen phyſiſcher Dinge irren koͤnne Man koͤnnte ſagen: Fluͤgel ſcheinen offenbar zum Fliegen gegeben zu ſeyn, und dennoch fliegen dieſe Jnſekten niemals, alſo ſind die Fluͤgel nicht ſchlechterdings zum Fliegen und ſo, weil einige beaugte Weſen nicht ſehen, die Augen nicht ſchlechter -F 2dings44V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen dings zum Sehen gegeben, u. ſ. f. Jch antworte nichts; denn in meinem Leben werd ich nie auf eine Chikane antworten .... Jch berufe mich nur auf den allgemeinen Menſchen - verſtand.

Jch ſehe zehen oder zwanzig Menſchen, die alle Augen haben, und ſehen, wenn ſie bey Tage die Augen aufſchließen, und nicht mehr ſehen, wenn ſie die Augen zuſchließen. Wo - fern dieſe zehen oder zwanzig nicht ausgeſucht, ſondern zufaͤlliger Weiſe aus dem unzaͤhligen Haufen der Menſchen herausgegriffen ſind, ſo iſt die hoͤchſtmoͤgliche Wahrſcheinlichkeit da, daß alle aͤhnlich gebildete Menſchen, die jetzo leben, gelebt haben, und leben werden, mit aͤhnlichen Gliedern, als die ſind, die wir Augen nennen, ſehen werden. Wenigſtens iſt dieſe Methode zu ſchließen, die Methode aller Jahrhunderte und aller Menſchengeſchlechter.

Wofern dieſe Art zu ſchließen richtig iſt, ſo muß ſie auch in Anſehung der Phyſiogno - mik richtig ſeyn; wofern es da ſich auch ſo verhaͤlt Jſt ſie’s aber nicht in der Phyſiognomik, ſo iſt ſie’s auch uͤberall nicht.

Mithin ſteh ich in den Gedanken, daß dem Vertheidiger der Phyſiognomik eigent - lich nichts obliege, als darzuthun: daß bey zehen, zwanzig, oder dreyßig aus dem Haufen herausgegriffnen Menſchen, nach aller Menſchen Geſtaͤndniß ſo gewiß phyſiognomiſcher Ausdruck, oder erweisliches Verhaͤltniß innerer Kraft und Sin - nes und aͤuſſerer Geſtalt und Zeichnung ſey, als gewiß es iſt, daß zwanzig aus dem Haufen herausgegriffne Menſchen mit ihren Augen ſehen. Hat er dieß dargethan, ſo hat er die Allgemeinheit der phyſiognomiſchen Wahrheit ſo gut erwieſen, als die Allgemeinheit des Geſichtes vermittelſt der Augen, wenn erwieſen iſt, daß zwanzig oder dreyßig Menſchen vermittelſt ihrer Augen ſehen. Von dieſen wenigen mach ich den Schluß auf zehen tauſend Millionen, die ich geſehen oder nicht geſehen habe.

Allein, wird man ſagen: wenn ſich dieß auch von gewiſſen Zuͤgen erweiſen ließe folgt denn daraus von allen? Jch meyn es, Freund der Wahrheit! weiſe mich zu - recht, wenn ich irre.

Wenn ich bemerke, daß der Menſch mit den Augen ſieht, und mit den Ohren hoͤrt, und gewiß weiß, daß ihm die Augen zum Sehen gegeben ſind, und die Ohren zum Hoͤren; wenn45gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. wenn ich nicht mehr zweifeln kann daß Augen und Ohren ihre genaue angebliche Beſtimmung haben; ſo mach ich, duͤnkt mich, keinen unrichtigen Schluß, wenn ich denke, daß auch die uͤbrigen Sinnen und Glieder an demſelben menſchlichen Koͤrper, der ein ſo zuſammengegoßnes Ganzes und Eins iſt ihre beſondere Beſtimmung und Verrichtung haben, obgleich ich vielleicht noch nicht dazu gekommen ſeyn koͤnnte, dieſe Beſtimmung ſo mancher einzelnen Sinne, Glieder, und Eingeweide zu kennen.

So, Mitforſcher der Wahrheit, meyn ich, verhaͤlt es ſich mit der Bedeutung der Ge - ſichtszuͤge des Menſchen und der Zeichnung ſeines Koͤrpers und aller ſeiner Glieder.

Wenn erwieſen werden kann, daß zwey, drey Zuͤge gewiß von beſtimmter Bedeutung ſind, ſo beſtimmter Bedeutung, als das Auge Ausdruck des Geſichts iſt ſchließ ich nicht genau nach der eben angefuͤhrten, allgemein fuͤr richtig erkannten Schlußart: daß auch diejenigen Zuͤge bedeutend ſeyn, deren Bedeutung ich allenfalls noch nicht weiß?

Nun glaub ich’s jedem Menſchen von dem gemeinſten Menſchenverſtand erweiſen zu koͤn - nen: daß in jedem Menſchen ohne Ausnahme wenigſtens Etwas, wenigſtens in gewiſſen Um - ſtaͤnden, ſey’s nun dieß oder jenes, und zwar mehr als Eins von beſtimmter Bedeutung ſey, ſo gut ich’s dem Einfaͤltigſten begreiflich machen kann, daß wenigſtens einige Glieder am menſchli - chen Koͤrper ihre angebliche gewiſſe Beſtimmung haben.

Zwanzig, dreyßig aus dem Haufen herausgegriffene Menſchen werden, wenn ſie lachen und wenn ſie weinen, mithin in dem Ausdrucke, den Aeuſſerungen, ihrer Freude und ihrer Trau - rigkeit etwas mit einander gemein haben Gewiſſe Zuͤge an ihnen werden ſich aͤhnlicher werden, als dieſe Zuͤge ſich ſonſt ſind, wenn ſie nicht in einer aͤhnlichen Gemuͤthslage ſich befinden.

Nun duͤnkt mich, wenn man zugeſteht, daß große Freude und große Traurigkeit ihren all - gemein erkennbaren Ausdruck haben; daß der Ausdruck von beyden ſo verſchieden ſey, als Freud und Traurigkeit verſchieden ſind; ſollte man denn nicht auch geſtehen muͤſſen, daß der Zuſtand der Ruhe das Mittel zwiſchen Freude und Traurigkeit auch ſeinen beſondern Ausdruck haben muͤſſe oder, mit andern Worten: daß die Muskeln um Augen und Lippen herum ſichtbar in einer andern Lage ſich befinden muͤſſen?

F 3Giebt46V. Fragment. Etwas uͤber die Einwendungen

Giebt man dieß zu von dem Zuſtande der Freude, der Traurigkeit, der Ruhe; warum nicht von den uͤbrigen Zuſtaͤnden, des Stolzes, der Demuth, der Geduld, der Großmuth? u. ſ. f.

Nach Geſetzen fliegt der Stein in die Hoͤhe, wenn ich ihn mit Gewalt hinaufwerfe nach denſelben Geſetzen faͤllt er wieder auf die Erde ſollt er nicht nach ebendenſelben Geſetzen liegen bleiben, wenn ihn niemand bewegt?

Nach Geſetzen druͤckt ſich die Freude ſo Traurigkeit ſo die Ruhe ſo aus warum Zorn, Sanftmuth, Stolz, Demuth u. ſ. f. nicht auch nach Geſetzen, nach denſelben Geſetzen?

Entweder alles in der Natur hat ſeinen Urheber oder nichts; alles ſteht unter Geſetzen, oder nichts; alles iſt Urſach oder Wuͤrkung, oder nichts Sollte dieß nicht eins der erſten Axiom der Philoſophie ſeyn? und wenn dieß es nun ſeyn muß; wie iſt die Phyſiognomik ſchon zum voraus gegen alle Einwendungen, ſelbſt gegen die, worauf man noch nichts zu antworten weiß, gerettet ſobald zugegeben wird: daß gewiſſe Zuͤge bey allen Men - ſchen charakteriſtiſch ſind, ſo charakteriſtiſch als die Augen fuͤr das Geſicht?

Aber, wie verſchieden, wird man ſagen, ſind die Ausdruͤcke der Freude, der Traurig - keit? des Denkens? des Nichtdenkens u. ſ. f. wie da auf Regeln kommen koͤnnen? Dieſe Einwendung iſt im erſten Bande zum Theil ſchon beantwortet doch, weil wir hier den Ein - wendungen ein beſonderes Fragment widmen, ſo ſey auch dieß noch als Antwort beygefuͤgt ......

Wie verſchieden unter ſich ſind die Augen aller Menſchen aller ſehenden Geſchoͤpfe das Auge des Adlers und des Maulwurfs, des Elephanten und der Muͤcke? und dennoch vermuthen und glauben wir von allen, die nicht Merkmale der Erſtorbenheit oder der Krankheit an ſich tragen, daß ſie ſehen.

Wie die Verſchiedenheit der Augen, ſo der Ohren, ſo der Fuͤße! von denen allen wir dennoch glauben, daß ſie zum Hoͤren und zum Gehen gegeben ſeyn?

Verhindert uns nun dieſe Verſchiedenheit nicht, Augen, Ohren und Fuͤße fuͤr Aus - druͤcke, fuͤr Organen der Sehenskraft, Gehoͤrkraft, Gehenskraft anzuſehen warum urthei - len wir nicht ſo von allen Zuͤgen und Lineamenten des menſchlichen Koͤrpers? Die Aus - druͤcke aͤhnlicher Gemuͤthsverfaſſungen koͤnnen nicht verſchiedener ſeyn, als die Augen, die Oh -ren,47gegen die Phyſiognomik uͤberhaupt. ren, die Fuͤße aller ſehenden, hoͤrenden und gehenden Weſen dennoch laͤßt ſich das, was ſie gemein haben, ſo gut erkennen und beſtimmen, als ſich das beſtimmen und bemerken laͤßt, was die ſo ſehr verſchiedenen Augen, Ohren und Fuͤße aller ſehenden, hoͤrenden und gehenden Weſen gemeines haben. Dieß wohl erwogen wie viele Einwendungen wuͤrden zu beant - worten ſeyn, oder zuruͤckbleiben?

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Sechstes48VI. Fragment. Beantwortung

Sechstes Fragment. Beantwortung einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

I. Einwendung.

Man ſiehet, ſagt man, Leute, die beſtaͤndig von fruͤhen Jahren an, ohne Krankheit, ohne Schwelgerey, ein wahres hippokratiſches Todtengeſicht bis ins hoͤchſte Alter, und doch immer die ſtaͤrkſte und unverruͤckteſte Geſundheit hatten.

Beantwortung.

Dieſe Faͤlle ſind ſelten. Es ſind immer tauſend Menſchen, deren Geſichtsfarbe und Um - riß ihrer Geſundheit entſpricht, gegen Einen, bey dem dieſe ſich zu widerſprechen ſcheinen. Jch vermuthe indeß, dieſe ſeltenen Faͤlle ruͤhren gemeiniglich von Eindruͤcken auf die Mutter waͤh - rend der Schwangerſchaft her. Unter andern hier einſchlagenden Raͤthſeln, ſchreibt mir ein Freund, will ich Jhnen nur eine Gattung vorlegen: die Erbkrankheiten. Rachitiſche, veneriſche Affecte, die die Kinder erſt in einem gewiſſen Alter als ihr Erbtheil bemerken, die Arthritis, das Podagra, ſind allzu bekannt. Aber Borelli erzaͤhlt einen Vorfall von zween Juͤnglingen, die, ohne eine aͤuſſerliche Verletzung, in ebendemſelben Jahre, naͤmlich im funfzehn - ten, da ihr Vater durch einen beſondern Zufall lahm geworden, gleichen Fehler bekommen. So kann’s, wie viel leichter? mit dem hippokratiſchen Geſichte ſeyn? wie kann ein Schrecken der ſchwangern Mutter dieſe Blaͤſſe ſo viel erklaͤrbarer verurſachen, als ſo ein Fall Gott weiß, nach welchem uns unerforſchbaren Geſetze der Einbildungskraft? oder Sympathie? oder Jnfluenz? verurſacht worden? Solche Faͤlle koͤnnen als Ausnahmen, deren zufaͤllige Urſachen jedoch ſo ſchwer nicht zu ergruͤnden ſind, angeſehen werden.

Man kann, deucht mir, daher ſo wenig gegen die Phyſiognomik ſchließen, als daraus, daß es Zwerge und Rieſen und disproportionirte Mißgeburten giebt, ſich wider die Regeln von dem Ver - haͤltniſſe und Ebenmaße des menſchlichen Koͤrpers ſchließen laͤßt.

II. Ein -49einiger vermiſchten beſondern Einwendungen gegen die Phyſiognomik.

II. Einwendung.

Derſelbe Freund ſchreibt mir: Jch kenne einen der ſtaͤrkſten Menſchen, der, die Haͤnde ausgenommen, genau ſo ausſieht, wie einer der ſchwaͤchſten, und ſo von jedem, der es nicht weiß, taxirt wird.

Beantwortung.

Jch moͤchte dieſen Mann ſehen. Jch zweifle ſehr, ob ſeine Staͤrke bloß in den Haͤnden ausgedruͤckt ſey? Geſetzt aber auch, es waͤre; ſo waͤr es hiemit doch in den Haͤnden? und wenn auch kein Ausdruck der Staͤrke auffallend waͤre ſo koͤnnte dieß eine Ausnahme, ein Beyſpiel ohne Beyſpiel ſeyn? Wie geſagt aber: ich zweifle an der Behauptung. Jch habe noch keinen Star - ken geſehen, dem’s nicht leicht hier und dort anzuſehen geweſen waͤre.

III. Einwendung.

Man ſieht Helden und Waghalsgeſichter, die immer die Erſten auf der Flucht gewe - ſen ſind.

Beantwortung.

Je weniger man iſt deſto mehr will man ſcheinen.

Wie ſehen dieſe Waghalsgeſichter aus? wie der Farneſiſche Herkules? Jch zweifle. Man zeichne ſie, man fuͤhre ſie vor! der Phyſiognomiſt wird vielleicht auf den zweyten, wo nicht auf den erſten, Blick ſagen Quanta Species!