PRIMS Full-text transcription (HTML)
Nathan der Weiſe. Ein Dramatiſches Gedicht, in fuͤnf Aufzuͤgen.
Introite, nam et heic Dii sunt! (APVD Gellivm. )
Mit Churfuͤrſtl. Saͤchſiſchem Privilegio.
Berlin,bey Chriſtian Friedrich Voß und Sohn,1779.

Nathan der Weiſe.

Perſonen.

  • Sultan Saladin.
  • Sittah,

    deſſen Schweſter.

  • Nathan,

    ein reicher Jude in Jeruſalem.

  • Recha,

    deſſen angenommene Tochter.

  • Daja,

    eine Chriſtinn, aber in dem Hauſe des Juden, als Ge - ſellſchafterinn der Recha.

  • Ein junger Tempelherr.
  • Ein Derwiſch.
  • Der Patriarch von Jeruſalem.
  • Ein Kloſterbruder.
  • Ein Emir nebſt verſchiednen Mamelucken des Saladin.
  • Die Scene iſt in Jeruſalem.

[1]

Erſter Aufzug.

Erſter Auftritt.

(Scene: Flur in Nathans Hauſe.)
Nathan von der Reiſe kommend. Daja ihm entgegen.
Daja.

Er iſt es! Nathan! Gott ſey ewig Dank, Daß Jhr doch endlich einmahl wiederkommt.

Nathan.

Ja, Daja; Gott ſey Dank! Doch warum endlich? Hab ich denn eher wiederkommen wollen? Und wiederkommen koͤnnen? Babylon Jſt von Jeruſalem, wie ich den Weg, Seit ab bald rechts, bald links, zu nehmen bin Genoͤthigt worden, gut zwey hundert Meilen; Und Schulden einkaſſiren, iſt gewiß Auch kein Geſchaͤft, das merklich foͤdert, das So von der Hand ſich ſchlagen laͤßt.

ADaja.
2
Daja.

O Nathan, Wie elend, elend haͤttet Jhr indeß Hier werden koͤnnen! Euer Haus ...

Nathan.

Das branne. So hab ich ſchon vernommen. Gebe Gott, Daß ich nur alles ſchon vernommen habe!

Daja.

Und waͤre leicht von Grund aus abgebrannt.

Nathan.

Dann, Daja, haͤtten wir ein neues uns Gebaut; und ein bequemeres.

Daja.

Schon wahr! Doch Recha waͤr bey einem Haare mit Verbrannt.

Nathan.

Verbrannt? Wer? meine Recha? ſie? Das hab ich nicht gehoͤrt. Nun dann! So haͤtte J[c][h]keines Hauſes mehr bedurft. Verbrannt. [B][e][y]einem Haare! Ha! ſie iſt es wohl! Jſt wirklich wohl verbrannt! Sag nur heraus! Heraus nur! Toͤdte mich: und martre mich Nicht laͤnger. Ja, ſie iſt verbrannt.

Daja.
3
Daja.

Wenn ſie Es waͤre, wuͤrdet Jhr von mir es hoͤren?

Nathan.

Warum erſchreckeſt du mich denn? O Recha! O meine Recha!

Daja.

Eure? Eure Recha?

Nathan.

Wenn ich mich wieder je entwoͤhnen muͤßte, Dieß Kind mein Kind zu nennen!

Daja.

Nennt Jhr alles, Was Jhr beſitzt, mit eben ſo viel Rechte Das Eure?

Nathan.

Nichts mit groͤſſerm! Alles, was Jch ſonſt beſitze, hat Natur und Gluͤck Mir zugetheilt. Dieß Eigenthum allein Dank ich der Tugend.

Daja.

O wie theuer laßt Jhr Eure Gùte, Nathan, mich bezahlen! Wenn Guͤt, in ſolcher Abſicht ausgeuͤbt, Noch Guͤte heißen kann!

A 2Nathan.
4
Nathan.

Jn ſolcher Abſicht? Jn welcher?

Daja.

Mein Gewiſſen ...

Nathan.

Daja, laß Vor allen Dingen dir erzaͤhlen ...

Daja.

Mein Gewiſſen, ſag ich ...

Nathan.

Was in Babylon Fuͤr einen ſchoͤnen Stoff ich dir gekauft. So reich, und mit Geſchmack ſo reich! Jch bringe Fuͤr Recha ſelbſt kaum einen ſchoͤnern mit.

Daja.

Was hilfts? Denn mein Gewiſſen, muß ich Euch Nur ſagen, laͤßt ſich laͤnger nicht betaͤuben.

Nathan.

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke, Wie Ring und Kette dir gefallen werden, Die in Damaseus ich dir ausgeſucht: Verlanget mich zu ſehn.

Daja.

So ſeyd ihr nun! Wenn ihr nur ſchenken koͤnnt! nur ſchenken koͤnnt!

Nathan.
5
Nathan.

Nimm du ſo gern, als ich dir geb: und ſchweig!

Daja.

Und ſchweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Jhr nicht Die Ehrlichkeit, die Großmuth ſelber ſeyd? Und doch ...

Nathan.

Doch bin ich nur ein Jude. Gelt, Das willſt du ſagen?

Daja.

Was ich ſagen will, Das wit Jhr beſſer.

Nathan.

Nun ſo ſchweig!

Daja.

Jch ſchweige. Was Straͤfliches vor Gott hierbey geſchieht, Und ich nicht hindern kann, nicht aͤndern kann, Nicht kann, komm uͤber Euch!

Nathan.

Komm uͤber mich! Wo aber iſt ſie denn? wo bleibt ſie? Daja, Wenn du mich hintergehſt! Weiß ſie es denn, Daß ich gekommen bin?

Daja.

Das frag ich Euch! A 3Noch6Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve. Noch mahlet Feuer ihre Phantaſie Zu allem, was ſie mahlt. Jm Schlafe wacht, Jm Wachen ſchlaͤft ihr Geiſt: bald weniger Als Thier, bald mehr als Engel.

Nathan.

Armes Kind! Was ſind wir Menſchen!

Daja.

Dieſen Morgen lag Sie lange mit verſchloßnem Aug, und war Wie todt. Schnell fuhr ſie auf, und rief: Horch! horch! Da kommen die Kameele meines Vaters! Horch! ſeine ſanfte Stimme ſelbſt! Jndem Brach ſich ihr Auge wieder: und ihr Haupt, Dem ſeines Armes Stuͤtze ſich entzog, Stuͤrzt auf das Kuͤſſen. Jch, zur Pfort hinaus! Und ſieh: da kommt Jhr wahrlich! kom̃t Jhr wahrlich! Was Wunder! ihre ganze Seele war Die Zeit her nur bey Euch und ihm.

Nathan.

Bey ihm? Bey welchem Jhm?

Daja.

Bey ihm, der aus dem Feuer Sie rettete.

Nathan.
7
Nathan.

Wer war das? wer? Wo iſt er? Wer rettete mir meine Recha? wer?

Daja.

Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage Zuvor, man hier gefangen eingebracht, Und Saladin begnadigt hatte.

Nathan.

Wie? Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder War Recha nicht zu retten? Gott!

Daja.

Ohn ihn, Der ſeinen unvermutheten Gewinſt Friſch wieder wagte, war es aus mit ihr.

Nathan.

Wo iſt er, Daja, dieſer edle Mann? Wo iſt er? Fuͤhre mich zu ſeinen Fuͤßen. Jhr gabt ihm doch vors erſte, was an Schaͤtzen Jch euch gelaſſen hatte? gabt ihm alles? Verſpracht ihm mehr? weit mehr?

Daja.

Wie konnten wir?

Nathan.

Nicht? nicht?

Daja.

Er kam, und niemand weiß woher. A 4Er8Er ging, und niemand weiß wohin. Ohn alle Des Hauſes Kundſchaft, nur von ſeinem Ohr Geleitet, drang, mit vorgeſpreiztem Mantel, Er kuͤhn durch Flamm und Rauch der Stimme nach, Die uns um Huͤlfe rief. Schon hielten wir Jhn fuͤr verloren, als aus Rauch und Flamme Mit eins er vor uns ſtand, im ſtarken Arm Empor ſie tragend. Kalt und ungeruͤhrt Vom Jauchzen unſers Danks, ſetzt ſeine Beute Er nieder, draͤngt ſich unters Volk und iſt Verſchwunden!

Nathan.

Nicht auf immer, will ich hoffen.

Daja.

Nachher die erſten Tage ſahen wir Jhn untern Palmen auf und nieder wandeln, Die dort des Auferſtandnen Grab umſchatten. Jch nahte mich ihm mit Entzuͤcken, dankte, Erhob, entbot, beſchwor, nur einmal noch Die fromme Kreatur zu ſehen, die Nicht ruhen koͤnne, bis ſie ihren Dank Zu ſeinen Fuͤßen ausgeweinet.

Nathan.

Nun?

Daja.

Umſonſt! Er war zu unſrer Bitte taub; Und goß ſo bittern Spott auf mich beſonders ...

Nathan.
9
Nathan.

Bis dadurch abgeſchrekt ...

Daja.

Nichts weniger! Jch trat ihn jeden Tag von neuem an; Ließ jeden Tag von neuem mich verhoͤhnen. Was litt ich nicht von ihm! Was haͤtt ich nicht Noch gern ertragen! aber lange ſchon Kommt er nicht mehr, die Palmen zu beſuchen, Die unſers Auferſtandnen Grab umſchatten; Und niemand weiß, wo er geblieben iſt. Jhr ſtaunt? Jhr ſinnt?

Nathan.

Jch uͤberdenke mir, Was das auf einen Geiſt, wie Rechas, wohl Fuͤr Eindruck machen muß. Sich ſo verſchmaͤht Von dem zu finden, den man hochzuſchaͤtzen Sich ſo gezwungen fuͤhlt; ſo weggeſtoßen, Und doch ſo angezogen werden; Traun, Da muͤſſen Herz und Kopf ſich lange zanken, Ob Menſchenhaß, ob Schwermuth ſiegen ſoll. Oft ſiegt auch keines; und die Phantaſie, Die in den Streit ſich mengt, macht Schwaͤrmer, Bey welchen bald der Kopf das Herz, und bald Das Herz den Kopf muß ſpielen. Schlimmer Tauſch! Das letztere, verkenn ich Recha nicht, Jſt Rechas Fall: ſie ſchwaͤrmt.

A 5Daja.
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Daja.

Allein ſo fromm, So liebenswuͤrdig!

Nathan.

Jſt doch auch geſchwaͤrmt!

Daja.

Vornehmlich Eine Grille, wenn Jhr wollt, Jſt ihr ſehr werth. Es ſey ihr Tempelherr Kein irdiſcher und keines irdiſchen; Der Engel einer, deren Schutze ſich Jhr kleines Herz, von Kindheit auf, ſo gern Vertrauet glaubte, ſey aus ſeiner Wolke Jn die er ſonſt verhuͤllt, auch noch im Feuer, Um ſie geſchwebt, mit eins als Tempelherr Hervorgetreten. Laͤchelt nicht! Wer weiß? Laßt laͤchelnd wenigſtens ihr einen Wahn, Jn dem ſich Jud und Chriſt und Muſelmann Vereinigen; ſo einen ſuͤßen Wahn!

Nathan.

Auch mir ſo ſuͤß! Geh, wackre Daja, geh; Sieh, was ſie macht; ob ich ſie ſprechen kann. Sodann ſuch ich den wilden, launigen Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt, Hiernieden unter uns zu wallen; noch Beliebt, ſo ungeſittet Ritterſchaft Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Jhn her.

Daja.
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Daja.

Jhr unternehmet viel.

Nathan.

Macht dann Der ſuͤße Wahn der ſuͤßern Wahrheit Platz: Denn, Daja, glaube mir; dem Menſchen iſt Ein Menſch noch immer lieber, als ein Engel So wirſt du doch auf mich, auf mich nicht zuͤrnen, Die Engelſchwaͤrmerinn geheilt zu ſehn?

Daja.

Jhr ſeyd ſo gut, und ſeyd zugleich ſo ſchlimm! Jch geh! Doch hoͤrt! doch ſeht! Da kommt ſie ſelbſt.

Zweyter Auftritt.

Recha, und die Vorigen.
Recha.

So ſeyd Jhr es doch ganz und gar, mein Vater? Jch glaubt, Jhr haͤttet Eure Stimme nur Vorausgeſchickt. Wo bleibt Jhr? Was fuͤr Berge, Fuͤr Wuͤſten, was fuͤr Stroͤme trennen uns Denn noch? Jhr athmet Wand an Wand mit ihr, Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? Die arme Recha, die indeß verbrannte! Faſt, faſt verbrannte! Faſt nur. Schaudert nicht! Es iſt ein garſt’ger Tod, verbrennen. O!

Nathan.
12
Nathan.

Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha.

Jhr mußtet uͤber Den Euphrat, Tygris, Jordan; uͤber wer Weiß was fuͤr Waſſer all? Wie oft hab ich Um Euch gezittert, eh das Feuer mir So nahe kam! Denn ſeit das Feuer mir So nahe kam: duͤnkt mich im Waſſer ſterben Erquickung, Labſal, Rettung. Doch Jhr ſeyd Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht Verbrannt. Wie wollen wir uns freuen, und Gott Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen Auf Fluͤgeln ſeiner unſichtbaren Engel Die ungetreuen Stroͤm hinuͤber. Er, Er winkte meinem Engel, daß er ſichtbar Auf ſeinem weißen Fittiche, mich durch Das Feuer truͤge

Nathan.

(Weißem Fittiche! Ja, ja! der weiße vorgeſpreitzte Mantel Des Tempelherrn.)

Recha.

Er ſichtbar, ſichtbar mich Durchs Feuer truͤg, von ſeinem Fittiche Verweht. Jch alſo, ich hab einen EngelVon13Von Angeſicht zu Angeſicht geſehn; Und meinen Engel.

Nathan.

Recha waͤr es werth; Und wuͤrd an ihm nichts ſchoͤnres ſehn, als er An ihr.

Recha.
(laͤchelnd)

Wem ſchmeichelt Jhr, mein Vater? wem? Dem Engel, oder Euch?

Nathan.

Doch haͤtt auch nur Ein Menſch ein Menſch, wie die Natur ſie taͤglich Gewaͤhrt, dir dieſen Dienſt erzeigt: er muͤßte Fuͤr dich ein Engel ſeyn. Er muͤßt und wuͤrde.

Recha.

Nicht ſo ein Engel; nein! ein wirklicher; Es war gewiß ein wirklicher! Habt Jhr, Jhr ſelbſt die Moͤglichkeit, daß Engel ſind, Daß Gott zum Beſten derer, die ihn lieben, Auch Wunder koͤnne thun, mich nicht gelehrt? Jch lieb ihn ja.

Nathan.

Und er liebt dich; und thut Fuͤr dich, und deines gleichen, ſtuͤndlich Wunder; Ja, hat ſie ſchon von aller Ewigkeit Fuͤr euch gethan.

Recha.
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Recha.

Das hoͤr ich gern.

Nathan.

Wie? weil Es ganz natuͤrlich, ganz alltaͤglich klaͤnge Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr Gerettet haͤtte: ſollt es darum weniger Ein Wunder ſeyn? Der Wunder hoͤchſtes iſt, Daß uns die wahren, echten Wunder ſo Alltaͤglich werden koͤnnen, werden ſollen. Ohn dieſes allgemeine Wunder, haͤtte Ein Denkender wohl ſchwerlich Wunder je Genannt, was Kindern bloß ſo heißen muͤßte. Die gaffend nur das Ungewoͤhnlichſte, Das Neuſte nur verfolgen.

Daja.
(zu Nathan.)

Wollt Jhr denn Jhr ohnedem ſchon uͤberſpanntes Hirn Durch ſolcherley Sudtilitaͤten gan; Zerſprengen?

Nathan.

Laß mich! Meiner Recha waͤr Es Wunders nicht genug, daß ſie ein Menſch Gerettet, welchen ſelbſt kein kleines Wunder! Erſt retten muͤſſen? Ja, kein kleines Wunder Denn wer hat ſchon gehoͤrt, daß Saladin Je eines Tempelherrn verſchont? daß jeEin15Ein Tempelherr von ihm verſchont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je fuͤr ſeine Freyheit Mehr als den ledern Gurt gebothen, der Sein Eiſen ſchleppt: und hoͤchſtens ſeinen Dolch?

Recha.

Das ſchließt fuͤr mich, mein Vater. Darum eben War das kein Tempelherr; er ſchien es nur. Koͤmmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewiſſen Tode nach Jeruſalem: Geht keiner in Jeruſalem ſo frey Umher: wie haͤtte mich des Nachts freywillig Denn einer retten koͤnnen?

Nathan.

Sieh! wie ſinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Jch hab es ja Von dir, daß er gefangen hergeſchickt Jſt worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja.

Nun ja. So ſagt man freylich; doch man ſagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er ſeiner Bruͤder einem, Den er beſonders lieb gehabt, ſo aͤhnlich ſehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Daß dieſer Bruder nicht mehr lebt, er hieß, Jch weiß nicht wie; er blieb, ich weiß nicht wo: So klingt das ja ſo gar ſo gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nichts iſt.

Nathan.
16
Nathan.

Ey, Daja! Warum waͤre denn das ſo Unglaublich? Doch wohl nicht wie’s wohl geſchieht Um lieber etwas noch unglaublichers Zu glauben? Warum haͤtte Saladin, Der ſein Geſchwiſter insgeſammt ſo liebt, Jn juͤngern Jahren einen Bruder nicht Noch ganz beſonders lieben koͤnnen? Pflegen Sich zwey Geſichter nicht zu aͤhueln? Jſt Ein alter Eindruck ein verlorner? Wirkt Das Nehmliche nicht mehr das Nehmliche? Seit wenn? Wo ſtekt hier das Unglaubliche? Ey freylich, weiſe Daja, waͤr’s fuͤr dich Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur Beduͤrf ... verdienen, will ich ſagen, Glauben.

Daja.

Jhr ſpottet.

Nathan.

Weil du meiner ſpotteſt. Doch Auch ſo noch, Recha, bleibet deine Rettung Ein Wunder, dem nur moͤglich, der die ſtrengſten Entſchluͤſſe, die unbaͤndigſten Entwuͤrfe Der Koͤnige, ſein Spiel wenn nicht ſein Spott Gern an den ſchwaͤchſten Faͤden lenkt.

Recha.

Mein Vater! Mein Vater, wenn ich irr, Jhr wißt, ich irre Nicht gern.

Nathan.
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Nathan.

Vielmehr du laͤßſt dich gern belehren. Sieh! eine Stirn, ſo oder ſo gewoͤlbt; Der Ruͤcken einer Naſe, ſo vielmehr Als ſo gefuͤhret; Augenbraunen, die Auf einem ſcharfen oder ſtumpfen Knochen So oder ſo ſich ſchlaͤngeln; eine Linie, Ein Bug, ein Winkel, eine Falt, ein Mahl, Ein Nichts, auf eines wilden Europaͤers Geſicht: und du entkoͤmmſt dem Feur, in Aſien! Das waͤr kein Wunder, wunderſuͤcht’ges Volk? Warum bemuͤht ihr denn noch einen Engel?

Daja.

Was ſchadets Nathan, wenn ich ſprechen darf Bey alle dem, von einem Engel lieber Als einem Menſchen ſich gerettet denken? Fuͤhlt man der erſten unbegreiflichen Urſache ſeiner Rettung nicht ſich ſo Viel naͤher?

Nathan.

Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf Von Eiſen will mit einer ſilbern Zange Gern aus der Gluth gehoben ſeyn, um ſelbſt Ein Topf von Silber ſich zu duͤnken. Pah! Und was es ſchadet, fragſt du? was es ſchadet? Was hilft es? duͤrft ich nur hinwieder fragen. Denn dein Sich Gott um ſo viel naͤher fuͤhlen, BJſt18Jſt Unſinn oder Gotteslaͤſterung. Allein es ſchadet; ja, es ſchadet allerdings. Kommt! hoͤrt mir zu. Nicht wahr? dem Weſen, das Dich rettete, es ſey ein Engel oder Ein Menſch, dem moͤchtet ihr, und du beſonders, Gern wieder viele große Dienſte thun? Nicht wahr? Nun, einem Engel, was fuͤr Dienſte, Fuͤr große Dienſte koͤnnt ihr dem wohl thun? Jhr koͤnnt ihm danken; zu ihm ſeufzen, beten; Koͤnnt in Entzuͤckung uͤber ihm zerſchmelzen; Koͤnnt an dem Tage ſeiner Feyer faſten, Almoſen ſpenden. Alles nichts. Denn mich Deucht immer, daß ihr ſelbſt und euer Naͤchſter Hierbey weit mehr gewinnt, als er. Er wird Nicht fett durch euer Faſten; wird nicht reich Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher Durch eur Entzuͤcken; wird nicht maͤchtiger Durch eur Vertrauen. Nicht wahr? Allein ein Menſch!

Daja.

Ey freylich haͤtt ein Menſch, etwas fuͤr ihn Zu thun uns mehr Gelegenheit verſchafft. Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren! Allein er wollte ja, bedurfte ja So voͤllig nichts; war in ſich, mit ſich ſo Vergnuͤgſam, als nur Engel ſind, nur Engel Seyn koͤnnen.

Recha.

Endlich, als er gar verſchwand ...

Nathan.
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Nathan.

Verſchwand? Wie denn verſchwand? Sich untern Palmen Nicht ferner ſehen ließ? Wie? oder habt Jhr wirklich ſchon ihn weiter aufgeſucht?

Daja.

Das nun wohl nicht.

Nathan.

Nicht, Daja? nicht? Da ſieh Nun was es ſchadt! Grauſame Schwaͤrmerinnen! Wenn dieſer Engel nun nun krank geworden! ...

Recha.

Krank!

Daja.

Krank! Er wird doch nicht!

Recha.

Welch kalter Schauer Befaͤllt mich! Daja! Meine Stirne, ſonſt So warm, fuͤhl! iſt auf einmal Eis.

Nathan.

Er iſt Ein Franke, dieſes Klima’s ungewohnt; Jſt jung; der harten Arbeit ſeines Standes, Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha.

Krank! krank!

B 2Daja.
20
Daja.

Das waͤre moͤglich, meint ja Nathan nur.

Nathan.

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld Sich Freunde zu beſolden.

Recha.

Ah, mein Vater!

Nathan.

Liegt ohne Wartung, ohne Rath und Zuſprach, Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha.

Wo? wo?

Nathan.

Er, der fuͤr eine, die er nie Gekannt, geſehn genug, es war ein Menſch Jns Feur ſich ſtuͤrzte ...

Daja.

Nathan, ſchonet ihrer!

Nathan.

Der, was er rettete nicht naͤher kennen, Nicht weiter ſehen mocht, um ihm den Dank Zu ſparen ...

Daja.

Schonet ihrer, Nathan!

Nathan.

WeiterAuch21Auch nicht zu ſehn verlangt, es waͤre denn, Daß er zum zweyten Mahl es retten ſollte Denn gnug, es iſt ein Menſch ...

Daja.

Hoͤrt auf, und ſeht!

Nathan.

Der, der hat ſterbend ſich zu laben, nichts Als das Bewußtſeyn dieſer That!

Daja.

Hoͤrt auf! Jhr toͤdtet ſie!

Nathan.

Und du haſt ihn getoͤdtet! Haͤttſt ſo ihn toͤdten koͤnnen. Recha! Recha! Es iſt Arzney, nicht Gift, was ich dir reiche. Er lebt! komm zu dir! iſt auch wohl nicht krank; Nicht einmahl krank!

Recha.

Gewiß? nicht todt? nicht krank?

Nathan.

Gewiß, nicht todt! Denn Gott lohnt Gutes, hier Gethan, auch hier noch. Geh! Begreifſt du aber, Wie viel andaͤchtig ſchwaͤrmen leichter, als Gut handeln iſt? wie gern der ſchlaffſte Menſch Andaͤchtig ſchwaͤrmt, um nur, iſt er zu Zeiten Sich ſchon der Abſicht deutlich nicht bewußt Um nur gut handeln nicht zu duͤrfen?

B 3Recha.
22
Recha.

Ah, Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch Nie wiederum allein! Nicht wahr, er kann Auch wohl verreiſt nur ſeyn?

Nathan.

Geht! Allerdings. Jch ſeh, dort muſtert mit nengier’gem Blick Ein Muſelmann mir die beladenen Kameele. Kennt ihr ihn?

Daja.

Ha! Euer Derwiſch.

Nathan.

Wer?

Daja.

Euer Derwiſch; Euer Schachgeſell!

Nathan.

Al - Hafi? das Al - Hafi?

Daja.

Jtzt des Sultans Schatzmeiſter.

Nathan.

Wie? Al - Hafi? Traͤumſt du wieder? Er iſts! wahrhaftig, iſts! koͤmmt auf uns zu. Hinein mit Euch, geſchwind! Was werd ich hoͤren!

Dritter23

Dritter Auftritt.

Nathan und der Derwiſch.
Derwiſch.

Reißt nur die Augen auf, ſo weit Jhr koͤnnt!

Nathan.

Biſt du’s? biſt du es nicht? Jn dieſer Pracht, Ein Derwiſch! ...

Derwiſch.

Nun? warum denn nicht? Laͤßt ſich Aus einem Derwiſch denn nichts, gar nichts machen?

Nathan.

Ey wohl, genug! Jch dachte mir nur immer, Der Derwiſch ſo der rechte Derwiſch woll Aus ſich nichts machen laſſen.

Derwiſch.

Beym Propheten! Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr ſeyn. Zwar wenn man muß

Nathan.

Muß! Derwiſch! Derwiſch muß? Kein Menſch muß muͤſſen, und ein Derwiſch muͤßte? Was muͤßt er denn?

B 4Der -
24
Derwiſch.

Warum man ihn recht bittet, Und er fuͤr gut erkennt: das muß ein Derwiſch.

Nathan.

Bey unſerm Gott! da ſagſt du wahr. Laß dich Umarmen, Menſch. Du biſt doch noch mein Freund?

Derwiſch.

Und fragt nicht erſt, was ich geworden bin?

Nathan.

Trotz dem, was du geworden!

Derwiſch.

Koͤnnt ich nicht Ein Kerl im Staat geworden ſeyn, des Freundſchaft Euch ungelegen waͤre?

Nathan.

Wenn dein Herz Noch Derwiſch iſt, ſo wag ichs drauf. Der Kerl Jm Staat, iſt nur dein Kleid.

Derwiſch.

Das auch geehrt Will ſeyn. Was meint Jhr? rathet! Was waͤr ich An Eurem Hofe?

Nathan.

Derwiſch; weiter nichts. Doch neben her, wahrſcheinlich Koch.

Der -
25
Derwiſch.

Nun ja Mein Handwerk bey Euch zu verlernen. Koch! Nicht Kellner auch? Geſteht, daß Saladin Mich beſſer kennt. Schatzmeiſter bin ich bey Jhm worden.

Nathan.

Du? bey ihm?

Derwiſch.

Verſteht: Des kleinern Schauͤes, denn des groͤſſern waltet Sein Vater noch des Schatzes fuͤr ſein Haus.

Nathan.

Sein Haus iſt groß.

Derwiſch.

Und groͤſſer, als Jhr glaubt; Denn jeder Bettler iſt von ſeinem Hauſe.

Nathan.

Doch iſt den Bettlern Saladin ſo feind

Derwiſch.

Daß er mit Strumpf und Stiel ſie zu vertilgen Sich vorgeſetzt, und ſollt er ſelbſt daruͤber Zum Bettler werden.

Nathan.

Brav! So meyn ichs eben.

B 5Der -
26
Derwiſch.

Er iſts auch ſchon, trotzt einem! Denn ſein Schatz Jſt jeden Tag mit Sonnenuntergang V[i]el leerer noch, als leer. Die Fluth, ſo hoch Sie morgens eintritt, iſt des Mittags laͤngſt Verlaufen

Nathan.

Weil Kanaͤle ſie zum Theil Verſchlingen, die zu fuͤllen oder zu Verſtopfen, gleich unmoͤglich iſt.

Derwiſch.

Getroffen!

Nathan.

Jch kenne das!

Derwiſch.

Es taugt nun freylich nichts, Wenn Fuͤrſten Geyer unter Aeſern ſind. Doch ſind ſie Aeſer unter Geyern, taugts Noch zehnmal weniger.

Nathan.

O nicht doch, Derwiſch! Nicht doch!

Derwiſch.

Jhr habt gut reden, Jhr! Kommt an: Was gebt Jhr mir? ſo tret ich meine Stell Euch ab.

Nathan.
27
Nathan.

Was bringt dir deine Stelle?

Derwiſch.

Mir? Nicht viel. Doch Euch, Euch kann ſie treflich wuchern Denn iſt es Ebb im Schatz, wie oͤfters iſt, So zieht Jhr Eure Schleuſen auf: ſchießt vor, Und nehmt an Zinſen, was Euch nur gefaͤllt.

Nathan.

Auch Zins vom Zins der Zinſen?

Derwiſch.

Freylich!

Nathan.

Bis Mein Kapital zu lauter Zinſen wird.

Derwiſch.

Das lockt Euch nicht? So ſchreibet unſrer Freundſchaft Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab Jch ſehr auf Euch gerechnet.

Nathan.

Wahrlich? Wie Denn ſo? wie ſo denn?

Derwiſch.

Daß Jhr mir mein Amt Mit Ehren wuͤrdet fuͤhren helfen; daß Jch allzeit offne Kaſſe bey Euch haͤtte. Jhr ſchuͤttelt?

Nathan.
28
Nathan.

Nun, verſtehn wir uns nur recht! Hier giebts zu unterſcheiden. Du? warum Nicht du? Al-Haſi Derwiſch iſt zu allem, Was ich vermag, mir ſtets willkommen. Aber Al-Haſi Defterdar des Saladin, Der dem

Derwiſch.

Errieth ichs nicht? Daß Jhr doch immer So gut als klug, ſo klug als weiſe ſeyd! Geduld! Was Jhr am Hafi unterſcheidet, Soll bald geſchieden wieder ſeyn. Seht da Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab. Eh es verſchoſſen iſt, eh es zu Lumpen Geworden, wie ſie einen Derwiſch kleiden, Haͤngts in Jeruſalem am Nagel, und Jch bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

Nathan.

Dir aͤhnlich gnug!

Derwiſch.

Und Schach mit ihnen ſpiele.

Nathan.

Dein hoͤchſtes Gut!

Derwiſch.

Denkt nur, was mich verfuͤhrte! Damit ich ſelbſt nicht laͤnger betteln duͤrfte? Den29Den reichen Mann mit Bettlern ſpielen koͤnnte? Vermoͤgend waͤr im Huy den reichſten Bettler Jn einen armen Reichen zu verwandeln?

Nathan,

Das nun wohl nicht.

Derwiſch.

Weit etwas abgeſchmackters! Jch fuͤhlte mich zum erſtenmahl geſchmeichelt; Durch Saladins gutherz’gen Wahn geſchmeichelt

Nathan.

Der war?

Derwiſch.

Ein Bettler wiſſe nur, wie Bettlern Zu Muthe ſey; ein Bettler habe nur Gelernt, mit guter Weiſe Bettlern geben. Dein Vorfahr, ſprach er, war mir viel zu kalt, Zu rauh. Er gab ſo unhold, wenn er gab; Erkundigte ſo ungeſtuͤm ſich erſt Nach dem Empfaͤnger; nie zufrieden, daß Er nur den Mangel kenne, wollt er auch Des Mangels Urſach wiſſen, um die Gabe Nach dieſer Urſach ſilzig abzuwaͤgen. Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild Wird Saladin im Hafi nicht erſcheinen! Al-Haſi gleicht verſtopften Roͤhren nicht, Die ihre klar und ſtill empfangnen Waſſer So unrein und ſo ſprudelnd wieder geben. Al -30 Al-Hafi denkt; Al-Hafi fuͤhlt wie ich! So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis Der Gimpel in dem Netze war. Jch Geck! Jch eines Gecken Geck!

Nathan.

Gemach, mein Derwiſch, Gemach!

Derwiſch.

Ey was! Es waͤr nicht Geckerey, Bey Hunderttauſenden die Menſchen druͤcken, Ausmaͤrgeln, pluͤndern, martern, wuͤrgen; und Ein Menſchenfreund an Einzeln ſcheinen wollen? Es waͤr nicht Geckerey, des Hoͤchſten Milde, Die ſonder Auswahl uͤber Boͤſ und Gute Und Flur und Wuͤſteney, in Sonnenſchein Und Regen ſich verbreitet, nachzuaͤffen, Und nicht des Hoͤchſten immer volle Hand Zu haben? Was? es waͤr nicht Geckerey ...

Nathan.

Genug! hoͤr auf!

Derwiſch.

Laßt meiner Geckerey Mich doch nur auch erwaͤhnen! Was? es waͤre Nicht Geckerey, an ſolchen Geckereyen Die gute Seite dennoch auszuſpuͤren, Um Antheil, dieſer guten Seite wegen, An dieſer Geckerey zu nehmen? Heh? Das nicht?

Nathan.
31
Nathan.

Al - Hafi, mache, daß du bald Jn deine Wuͤſte wieder koͤmmſt. Jch fuͤrchte Grad unter Menſchen moͤchteſt du ein Menſch Zu ſeyn verlernen.

Derwiſch.

Recht, das fuͤrcht ich auch. Lebt wohl!

Nathan.

So haſtig? Warte doch, Al-Hafi. Entlaͤuft dir denn die Wuͤſte? Warte doch! Daß er mich hoͤrte! He, Al-Hafi! hier! Weg iſt er; und ich haͤtt ihn noch ſo gern Nach unſerm Tempelherrn gefragt. Vermuthlich, Daß er ihn kennt.

Vierter Auftritt.

Daja eilig herbey. Nathan.
Daja.

O Nathan, Nathan!

Nathan.

Nun? Was giebts?

Daja.

Er laͤßt ſich wieder ſehn! Er laͤßt Sich wieder ſehn!

Nathan.

Wer, Daja? wer?

Daja.
32
Daja.

Er! er!

Nathan.

Er? Er? Wann laͤßt ſich der nicht ſehn! Ja ſo, Nur euer Er heißt er. Das ſollt er nicht! Und wenn er auch ein Engel waͤre, nicht!

Daja.

Er wandelt untern Palmen wieder auf Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit ſich Datteln.

Nathan.

Sie eſſend? und als Tempelherr?

Daja.

Was quaͤlt Jhr mich? Jhr gierig Ang errieth ihn hinter Den dicht verſchraͤnkten Palmen ſchon; und folgt Jhm unverruͤckt. Sie laͤßt Euch bitten, Euch Beſchwoͤren, ungeſaͤumt ihn anzugehn. O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenſter winken, Ob er hinauf geht oder weiter ab Sich ſchlaͤgt. O eilt!

Nathan.

So wie ich vom Kameele Geſtiegen? Schickt ſich das? Geh, eile du Jhm zu; und meld ihm meine Wiederkunft. Gieb Acht, der Biedermann hat nur mein Haus Jn meinem Abſeyn nicht betreten wollen; Und koͤmmt nicht ungern, wenn der Vater ſelbſtJhn33Jhn laden laͤßt. Geh, ſag, ich laß ihn bitten, Jhn herzlich bitten ...

Daja.

All umſonſt! Er koͤmmt Euch nicht. Denn kurz; er koͤmmt zu keinem Juden.

Nathan.

So geh, geh wenigſtens ihn anzuhalten; Jhn wenigſtens mit deinen Augen zu Begleiten. Geh, ich komme gleich dir nach. (Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

Fuͤnfter Auftritt.

Scene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Kloſterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.
Tempelherr.

Der folgt mir nicht vor langer Weile! Sieh, Wie ſchielt er nach den Haͤnden! Guter Bruder, ... Jch kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

Kloſterbruder.

Nur Bruder. Layenbruder nur; zu dienen.

Tempelherr.

Ja, guter Bruder, wer nur felbſt was haͤtte! Bey Gott! bey Gott! ich habe nichts

CKloſter -
34
Kloſterbruder.

Und doch Recht warmen Dank! Gott geb Euch tauſendfach Was Jhr gern geben wolltet. Denn der Wille Und nicht die Gabe macht den Geber. Auch Ward ich dem Herrn Almoſens wegen gar Nicht nachgeſchickt.

Tempelherr.

Doch aber nachgeſchickt?

Kloſterbruder.

Ja; aus dem Kloſter.

Tempelherr.

Wo ich eben jetzt Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

Kloſterbruder.

Die Tiſche waren ſchon beſetzt: komm aber Der Herr nur wieder mit zuruͤck.

Tempelherr.

Wozu? Jch habe Fleiſch wohl lange nicht gegeſſen: Allein was thuts? Die Datteln ſind ja reif.

Kloſterbruder,

Nehm ſich der Herr in Acht mit dieſer Frucht. Zu viel genoſſen taugt ſie nicht; verſtopft Die Milz; macht melancholiſches Gebluͤt.

Tempel -
35
Tempelherr.

Wenn ich nun melancholiſch gern mich fuͤhlte? Doch dieſer Warnung wegen wurdet Jhr Mir doch nicht nachgeſchickt?

Kloſterbruder.

O nein! Jch ſoll Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn Euch fuͤhlen.

Tempelherr.

Und das ſagt Jhr mir ſo ſelbſt?

Kloſterbruder.

Warum nicht?

Tempelherr.

(Ein verſchmitzter Bruder!) Hat Das Kloſter Eures gleichen mehr?

Kloſterbruder.

Weiß nicht. Jch muß gehorchen, lieber Herr.

Tempelherr.

Und da Gehorcht Jhr denn auch ohne viel zu kluͤgeln?

Kloſterbruder.

Waͤr’s ſonſt gehorchen, lieber Herr?

Tempelherr.

(Daß doch Die Einfalt immer Recht behaͤlt!) Jhr duͤrftC 2Mir36Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern Genauer kennen moͤchte? Daß Jhrs ſelbſt Nicht ſeyd, will ich wohl ſchwoͤren.

Kloſterbruder.

Ziemte mirs? Und frommte mirs?

Tempelherr.

Wem ziemt und frommt es denn, Daß er ſo neubegierig iſt? Wem denn?

Kloſterbruder.

Dem Patriarchen; muß ich glauben. Denn Der ſandte mich Euch nach.

Tempelherr.

Der Patriarch? Kennt der das rothe Kreuz auf weißem Mantel Nicht beſſer?

Kloſterbruder.

Kenn ja ichs!

Tempelherr.

Nun, Bruder? nun: Jch bin ein Tempelherr; und ein gefang’ner. Setz ich hinzu; gefangen bey Tebnin, Der Burg, die mit des Stillſtands letzter Stunde Wir gern erſtiegen haͤtten, um ſodann Auf Sidon los zu gehn Setz ich hinzu; Selbzwanzigſter gefangen und alleinVom37Vom Saladin begnadiget: ſo weiß Der Patriarch, was er zu wiſſen braucht. Mehr, als er braucht.

Kloſterbruder.

Wohl aber ſchwerlich mehr, Als er ſchon weiß. Er wuͤßt auch gern, warum Der Herr vom Saladin begnadigt worden; Er ganz allein.

Tempelherr.

Weiß ich das ſelber? Schon Den Hals entbloͤßt, kniet ich auf meinem Mantel Den Streich erwartend: als mich ſchaͤrfer Saladin Jns Auge faßt, mir naͤher ſpringt, und winkt. Man hebt mich auf; ich bin entfeſſelt; will Jhm danken; ſeh ſein Aug in Thraͤnen: ſtumm Jſt er, bin ich; er geht, ich bleibe. Wie Nun das zuſammenhaͤngt, entraͤthſle ſich Der Patriarche ſelbſt.

Kloſterbruder.

Er ſchließt daraus, Daß Gott zu großen, großen Dingen Euch Muͤß aufbehalten haben.

Tempelherr.

Ja, zu großen! Ein Judenmaͤdchen aus dem Feur zu retten; Auf Sinai neugier’ge Pilger zu Geleiten; und dergleichen mehr.

C 3Kloſter -
38
Kloſterbruder.

Wird ſchon Noch kommen! Jſt inzwiſchen auch nicht uͤbel. Vielleicht hat ſelbſt der Patriarch bereits Weit wicht’gere Geſchaͤfte fuͤr den Herrn.

Tempelherr.

So? meynt Jhr, Bruder? Hat er gar Euch ſchon Was merken laſſen?

Kloſterbruder.

Ey, ja wohl! Jch ſoll Den Herrn nur erſt ergruͤnden, ob er ſo Der Mann wohl iſt.

Tempelherr.

Nun ja; ergruͤndet nur! (Jch will doch ſehn, wie der ergruͤndet!) Nun?

Kloſterbruder.

Das kuͤrzſte wird wohl ſeyn, daß ich dem Herrn Ganz grade zu des Patriarchen Wunſch Eroͤffne.

Tempelherr.

Wohl!

Kloſterbruder.

Er haͤtte durch den Herrn Ein Briefchen gern beſtellt.

Tempelherr.

Durch mich? Jch binKein39Kein Bothe, Das, das waͤre das Geſchaͤft, Das weit glorreicher ſey, als Judenmaͤdchen Dem Feur entreißen?

Kloſterbruder.

Muß doch wohl! Denn ſagt Der Patriarch an dieſem Briefchen ſey Der ganzen Chriſtenheit ſehr viel gelegen. Dieß Briefchen wohl beſtellt zu haben, ſagt Der Patriarch, werd einſt im Himmel Gott Mit einer ganz beſondern Krone lohnen. Und dieſer Krone, ſagt der Patriarch, Sey niemand wuͤrd’ger, als mein Herr.

Tempelherr.

Als ich?

Kloſterbruder.

Denn dieſe Krone zu verdienen, ſagt Der Patriarch, ſey ſchwerlich jemand auch Geſchickter, als mein Herr.

Tempelherr.

Als ich?

Kloſterbruder.

Er ſey Hier frey; koͤnn uͤberall ſich hier beſehn; Verſteh, wie eine Stadt zu ſtuͤrmen und Zu ſchirmen; koͤnne, ſagt der Patriarch, Die Staͤrk und Schwaͤche der von Saladin Neu aufgefuͤhrten, innern, zweyten MauerC 4Am40Am beſten ſchaͤtzen, ſie am deutlichſten Den Streitern Gottes, ſagt der Patriarch, Beſchreiben.

Tempelherr.

Guter Bruder, wenn ich doch Nun auch des Briefchens naͤhern Jnhalt wuͤßte.

Kloſterbruder.

Ja den, den weiß ich nun wohl nicht ſo recht. Das Briefchen aber iſt an Koͤnig Philipp. Der Patriarch ... Jch hab mich oft gewundert Wie doch ein Heiliger, der ſonſt ſo ganz Jm Himmel lebt, zugleich ſo unterrichtet Von Dingen dieſer Welt zu ſeyn herab Sich laſſen kann. Es muß ihm ſauer werden.

Tempelherr.

Nun dann? der Patriarch?

Kloſterbruder.

Weiß ganz genau, Ganz zuverlaͤſſig, wie und wo, wie ſtark, Von welcher Seite Saladin, im Fall Es voͤllig wieder losgeht, ſeinen Feldzug Eroͤffnen wird.

Tempelherr.

Daß weiß er?

Kloſterbruder.

Ja, und moͤcht Es gern dem Philipp wiſſen laſſen:Damit41Damit der ungefaͤhr ermeſſen koͤnne, Ob die Gefahr denn gar ſo ſchercklich, um Mit Saladin den Waffenſtilleſtand, Den Euer Orden ſchon ſo brav gebrochen, Es koſte was es wolle, wieder her Zu ſtellen.

Tempelherr.

Welch ein Patriarch! Ja ſo! Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem Gemeinen Bothen; er will mich zum Spion. Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder, So viel Jhr mich ergruͤnden koͤnnen, waͤr Das meine Sache nicht. Jch muͤſſe mich Noch als Gefangenen betrachten; und Der Tempelherren einziger Beruf Sey mit dem Schwerte drein zu ſchlagen, nicht Kundſchafterey zu treiben.

Kloſterbruder.

Dacht ichs doch! Wills auch dem Herrn nicht eben ſehr veruͤbeln. Zwar koͤmmt das Beſte noch. Der Patriarch Hiernaͤchſt hat ausgegattert, wie die Veſte Sich nennt, und wo auf Libanon ſie liegt, Jn der die ungeheuern Summen ſtecken, Mit welchen Saladins vorſichtger Vater Das Heer beſoldet, und die Zuruͤſtungen Des Kriegs beſtreitet. Saladin verfuͤgt Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen WegenC 5Nach42Nach dieſer Veſte ſich, nur kaum begleitet. Jhr merkt doch?

Tempelherr.

Nimmermehr!

Kloſterbruder.

Was waͤre da Wohl leichter, als des Saladins ſich zu Bemaͤchtigen? den Garaus ihm zu machen? Jhr ſchaudert? O es haben ſchon ein Paar Gottsfuͤrchtge Maroniten ſich erbothen, Wenn nur ein wackrer Mann ſie fuͤhren wolle, Das Stuͤck zu wagen.

Tempelherr.

Und der Patriarch Haͤtt auch zu dieſem wackern Manne mich Erſehn?

Kloſterbruder.

Er glaubt, daß Koͤnig Philipp wohl Von Ptolemais aus die Hand hierzu Am beſten bieten koͤnne.

Tempelherr.

Mir? mir, Bruder? Mir? Habt Jhr nicht gehoͤrt? nur erſt gehoͤrt, Was fuͤr Verbindlichkeit dem Saladin Jch habe?

Kloſterbruder.

Wohl hab ichs gehoͤrt.

Tempel -
43
Tempelherr.

Und doch?

Kloſterbruder.

Ja, meynt der Patriarch, das waͤr ſchon gut: Gott aber und der Orden ...

Tempelherr.

Aendern nichts! Gebieten mir kein Bubenſtuͤck!

Kloſterbruder.

Gewiß nicht! Nur, meynt der Patriarch, ſey Bubenſtuͤck Vor Menſchen, nicht auch Bubenſtuͤck vor Gott.

Tempelherr.

Jch waͤr dem Saladin mein Leben ſchuldig: Und raubt ihm ſeines?

Kloſterbruder.

Pfuy! Doch bliebe, meynt Der Patriarch, noch immer Saladin Ein Feind der Chriſtenheit, der Euer Freund Zu ſeyn, kein Recht erwerben koͤnne.

Tempelherr.

Freund? An dem ich blos nicht will zum Schurken werden; Zum undankbaren Schurken?

Kloſterbruder.

Allerdings! Zwar,44Zwar, meynt der Patriarch, des Dankes ſey Man quitt, vor Gott und Menſchen quitt, wenn uns Der Dienſt um unſertwillen nicht geſchehen. Und da verlauten wolle, meynt der Patriarch, Daß euch nur darum Saladin begnadet, Weil ihm in Eurer Mien, in Euerm Weſen, So was von ſeinem Bruder eingeleuchtet ...

Tempelherr.

Auch dieſes weiß der Patriarch; und doch? Ah! waͤre das gewiß! Ah, Saladin! Wie? die Natur haͤtt auch nur Einen Zug Von mir in deines Bruders Form gebildet: Und dem entſpraͤche nichts in meiner Seele? Was dem entſpraͤche, koͤnnt ich unterdruͤcken, Um einem Patriarchen zu gefallen? Natur, ſo leugſt du nicht! So widerſpricht Sich Gott in ſeinen Werken nicht? Geht Bruder! Erregt mir meine Galle nicht! Geht! geht!

Kloſterbruder.

Jch geh; und geh vergnuͤgter, als ich kam. Verzeihe mir der Herr. Wir Kloſterleute Sind ſchuldig, unſern Obern zu gehorchen.

Sechſter45

Sechster Auftritt.

Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn ſchon eine Zeit lang von weiten beobachtet hatte, und ſich nun ihm naͤhert.
Daja.

Der Kloſterbruder, wie mich duͤnkt, ließ in Der beſten Laun ihn nicht. Doch muß ich mein Paket nur wagen.

Tempelherr.

Nun, vortrefflich! Luͤgt Das Sprichwort wohl: daß Moͤnch und Weib, und Weib Und Moͤnch des Teufels beyde Krallen ſind? Er wirft mich heut aus einer in die andre.

Daja.

Was ſeh ich? Edler Ritter, Euch? Gott Dank! Gott tauſend Dank! Wo habt Jhr denn Die ganze Zeit geſteckt! Jhr ſeyd doch wohl Nicht krank geweſen?

Tempelherr.

Nein.

Daja.

Geſund doch?

Tempelherr.

Ja.

Daja.
46
Daja.

Wir waren Euertwegen wahrlich ganz Bekuͤmmert.

Tempelherr.

So?

Daja.

Jhr wart gewiß verreiſt?

Tempelherr.

Errathen!

Daja.

Und kamet heut erſt wieder?

Tempelherr.

Geſtern.

Daja.

Auch Recha’s Vater iſt heut angekommen. Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

Tempelherr.

Was?

Daja.

Warum ſie Euch ſo oͤfters bitten laſſen. Jhr Vater ladet Euch nun ſelber bald Aufs dringlichſte. Er koͤmmt von Babylon; Mit zwanzig hochbeladenen Kameelen, Und allem, was an edeln Specereyen, An Steinen und an Stoffen, Jndien Und Perſien und Syrien, gar Sina, Koſtbares nur gewaͤhren.

Tempel -
47
Tempelherr.

Kaufe nichts.

Daja.

Sein Volk verehret ihn als einen Fuͤrſten. Doch daß es ihn den Weiſen Nathan nennt, Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft Gewundert.

Tempelherr.

Seinem Volk iſt reich und weiſe Vielleicht das nehmliche.

Daja.

Vor allen aber Haͤtt’s ihn den Guten nennen muͤſſen. Denn Jhr ſtellt Euch gar nicht vor, wie gut er iſt. Als er erfuhr, wie viel Euch Recha ſchuldig: Was haͤtt, in dieſem Augenblicke, nicht Er alles Euch gethan, gegeben!

Tempelherr.

Ey!

Daja.

Verſuchts und kommt und ſeht!

Tempelherr.

Was denn? wie ſchnell Ein Augenblick voruͤber iſt?

Daja.

Haͤtt ich,Wenn48Wenn er ſo gut nicht waͤr, es mir ſo lange Bey ihm gefallen laſſen? Meynt Jhr etwa, Jch fuͤhle meinen Werth als Chriſtinn nicht? Auch mir wards vor der Wiege nicht geſungen, Daß ich nur darum meinem Ehgemahl Nach Palaͤſtina folgen wuͤrd, um da Ein Jugenmaͤdchen zu erziehn. Es war Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht Jn Kaiſer Friedrichs Heere

Tempelherr.

Von Geburth Ein Schweitzer, dem die Ehr und Gnade ward Mit Seiner Kaiſerlichen Majeſtaͤt Jn einem Fluſſe zu erſaͤufen. Weib! Wie vielmal habt Jhr mir das ſchon erzehlt? Hoͤrt ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?

Daja.

Verfolgen! lieber Gott!

Tempelherr.

Ja, ja, verfolgen. Jch will nun einmal Euch nicht weiter ſehn! Nicht hoͤren! Will von Euch an eine That Nicht fort und fort erinnert ſeyn, bey der Jch nichts gedacht; die, wenn ich druͤber denke, Zum Raͤthſel von mir ſelbſt mir wird. Zwar moͤcht Jch ſie nicht gern bereuen. Aber ſeht; Eraͤugnet ſo ein Fall ſich wieder: JhrSeyd49Seyd Schuld, wenn ich ſo raſch nicht handle; wenn Jch mich vorher erkund, und brennen laſſe, Was brennt.

Daja.

Bewahre Gott!

Tempelherr.

Von heut an thut Mir den Gefallen wenigſtens, und kennt Mich weiter nicht. Jch bitt Euch drum. Auch laßt Den Vater mir vom Halſe. Jud iſt Jude. Jch bin ein plumper Schwab. Des Maͤdchens Bild Jſt laͤngſt aus meiner Seele; wenn es je Da war.

Daja.

Doch Eures iſt aus Jhrer nicht.

Tempelherr.

Was ſoll’s nun aber da? was ſolls?

Daja.

Wer weiß! Die Menſchen ſind nicht immer, was ſie ſcheinen.

Tempelherr.

Doch ſelten etwas beſſers.

(Er geht.)
Daja.

Wartet doch! Was eilt Jhr?

DTem -50
Tempelherr.

Weib, macht mir die Palmen nicht Verhaßt, worunter ich ſo gern ſonſt wandle.

Daja.

So geh, du deutſcher Baͤr! ſo geh! Und doch Muß ich die Spur des Thieres nicht verlieren.

(Sie geht ihm von weiten nach.)

Zweyter Aufzug.

Erſter Auftritt.

Die Scene: Des Sultans Pallaſt.
Saladin und Sittah ſpielen Schach.
Sittah.

Wo biſt du, Saladin? Wie ſpielſt du heut?

Saladin.

Nicht gut? Jch daͤchte doch.

Sittah.

Fuͤr mich; und kaum Nimm dieſen Zug zuruͤck.

Saladin.

Warum?

Sittah.

Der Springer Wird unbedeckt.

Saladin.
51
Saladin.

Jſt wahr. Nun ſo!

Sittah.

So zieh Jch in die Gabel.

Saladin.

Wieder wahr. Schach dann!

Sittah.

Was hilft dir das? Jch ſetze vor: und du Biſt, wie du warſt.

Saladin.

Aus dieſer Klemme, ſeh Jch wohl, iſt ohne Buße nicht zu kommen. Mags! nimm den Springer nur.

Sittah.

Jch will ihn nicht. Jch geh vorbey.

Saladin.

Du ſchenkſt mir nichts. Dir liegt An dieſem Platze mehr, als an dem Springer.

Sittah.

Kann ſeyn.

Saladin.

Mach deine Rechnung nur nicht ohne Den Wirth. Denn ſieh! Was gilts, das warſt du nicht Vermuthen?

Sittah.

Freylich nicht. Wie konnt ich auchD 2Ver -52Vermuthen, daß du deiner Koͤniginn So muͤde waͤrſt?

Saladin.

Jch meiner Koͤniginn?

Sittah.

Jch ſeh nun ſchon: ich ſoll heut meine tauſend Dinar, kein Naſerinchen mehr gewinnen.

Saladin.

Wie ſo?

Sittah.

Frag noch! Weil du mit Fleiß, mit aller Gewalt verlieren willſt. Doch dabey find Jch meine Rechnung nicht. Denn auſſer, daß Ein ſolches Spiel das unterhaltendſte Nicht iſt: gewann ich immer nicht am meiſten Mit dir, wenn ich verlor? Wenn haſt du mir Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen Zu troͤſten, doppelt nicht hernach geſchenkt?

Saladin.

Ey ſieh! ſo haͤtteſt du ja wohl, wenn du Verlorſt, mit Fleiß verloren, Schweſterchen?

Sittah.

Zum wenigſten kann gar wohl ſeyn, daß deine Freygebigkeit, mein liebes Bruͤderchen, Schuld iſt, daß ich nicht beſſer ſpielen lernen.

Saladin.

Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!

Sittah.
53
Sittah.

So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!

Saladin.

Nun freylich; dieſes Abſchach hab ich nicht Geſehn, das meine Koͤniginn zugleich Mit niederwirft.

Sittah.

War dem noch abzuhelfen? Laß ſehn.

Saladin.

Nein, nein; nimm nur die Koͤniginn. Jch war mit dieſem Steine nie recht gluͤcklich.

Sittah.

Blos mit dem Steine?

Saladin.

Fort damit! Das thut Mir nichts. Denn ſo iſt alles wiederum Geſchuͤtzt.

Sittah.

Wie hoͤflich man mit Koͤniginnen Verfahren muͤſſe: hat mein Bruder mich Zu wohl gelehrt.

(Sie laͤßt ſie ſtehen.)
Saladin.

Nimm, oder nimm ſie nicht! Jch habe keine mehr.

D 3Sittah.
54
Sittah.

Wozu ſie nehmen? Schach! Schach!

Saladin.

Nur weiter.

Sittah.

Schach und Schach! und Schach!

Saladin.

Und matt!

Sittah.

Nicht ganz; du ziehſt den Springer noch Dazwiſchen; oder was du machen willſt. Gleichviel!

Saladin.

Ganz recht! Du haſt gewonnen: und Al-Hafi zahlt, Man laß ihn rufen! gleich! Du hatteſt, Sittah, nicht ſo unrecht; ich War nicht ſo ganz beym Spiele; war zerſtreut. Und dann: wer giebt uns denn die glatten Steine Beſtaͤndig? die an nichts erinnern, nichts Bezeichnen. Hab ich mit dem Jman denn Geſpielt? Doch was? Verluſt will Vorwand. Nicht Die ungeformten Steine, Sittah, ſinds Die mich verlieren machten: deine Kunſt, Dein ruhiger und ſchneller Blick ...

Sittah.

Auch ſoWillſt55Willſt du den Stachel des Verluſts nur ſtumpfen. Genug, du warſt zerſtreut; und mehr als ich.

Saladin.

Als du? Was haͤtte dich zerſtreuet?

Sittah.

Deine Zerſtreuung freylich nicht! O Saladin, Wenn werden wir ſo fleißig wieder ſpielen!

Saladin.

So ſpielen wir um ſo viel gieriger! Ah! weil es wieder los geht, meynſt du? Mags! Nur zu! Jch habe nicht zuerſt gezogen; Jch haͤtte gern den Stilleſtand aufs neue Verlaͤngert; haͤtte meiner Sittah gern, Gern einen guten Mann zugleich verſchaft. Und das muß Richards Bruder ſeyn: er iſt Ja Richards Brnder.

Sittah.

Wenn du deinen Richard Nur loben kannſt!

Saladin.

Wenn unſerm Bruder Melek Dann Richards Schweſter waͤr zu Theile worden: Ha! welch ein Haus zuſammen! Ha, der erſten, Der beſten Haͤuſer in der Welt das beſte! Du hoͤrſt, ich bin mich ſelbſt zu loben, auch Nicht faul. Jch duͤnk mich meiner Freunde werth. Das haͤtte Menſchen geben ſollen! das!

D 4Sittah.
56
Sittah.

Hab ich des ſchoͤnen Traums nicht gleich gelacht? Du kennſt die Chriſten nicht, willſt ſie nicht kennen. Jhr Stolz iſt: Chriſten ſeyn; nicht Menſchen. Denn Selbſt das, was, noch von ihrem Stifter her, Mit Menſchlichkeit den Aberglauben wirzt, Das lieben ſie, nicht weil es menſchlich iſt: Weils Chriſtus lehrt; weils Chriſtus hat gethan. Wohl ihnen, daß er ein ſo guter Menſch Noch war! Wohl ihnen, daß ſie ſeine Tugend Auf Treu und Glaube nehmen koͤnnen! Doch Was Tugend? Seine Tugend nicht; ſein Name Soll uͤberall verbreitet werden; ſoll Die Namen aller guten Menſchen ſchaͤnden, Verſchlingen. Um den Namen, um den Namen Jſt ihnen nur zu thun.

Saladin.

Du meynſt: warum Sie ſonſt verlangen wuͤrden, daß auch ihr, Auch du und Melek, Chriſten hießet, eh Als Ehgemahl ihr Chriſten lieben wolltet?

Sittah.

Ja wohl! Als waͤr von Chriſten nur, als Chriſten, Die Liebe zu gewaͤrtigen, womit Der Schoͤpfer Mann und Maͤnninn ausgeſtattet!

Saladin.

Die Chriſten glauben mehr Armſeligkeiten,Als57Als daß ſie die nicht auch noch glauben koͤnnten! Und gleichwohl irrſt du dich. Die Tempelherren, Die Chriſten nicht, ſind Schuld: ſind nicht, als Chriſten, Als Tempelherren Schuld. Durch die allein Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca, Das Richards Schweſter unſerm Bruder Melek Zum Brautſchatz bringen mußte, ſchlechterdings Nicht fahren laſſen. Daß des Ritters Vortheil Gefahr nicht laufe, ſpielen ſie den Moͤnch, Den albern Moͤnch. Und ob vielleicht im Fluge Ein guter Streich gelaͤnge: haben ſie Des Waffenſtilleſtandes Ablauf kaum Erwarten koͤnnen. Luſtig! Nur ſo weiter! Jhr Herren, nur ſo weiter! Mir ſchon recht! Waͤr alles ſonſt nur, wie es muͤßte.

Sittah.

Nun? Was irrte dich denn ſonſt? Was koͤnnte ſonſt Dich aus der Faſſung bringen?

Saladin.

Was von je Mich immer aus der Faſſung hat gebracht. Jch war auf Libanon, bey unſerm Vater. Er unterliegt den Sorgen noch ...

Sittah.

O weh!

D 5Saladin.
58
Saladin.

Er kann nicht durch; es klemmt ſich aller Orten; Es fehlt bald da, bald dort

Sittah.

Was klemmt? was fehlt?

Saladin.

Was ſonſt, als was ich kaum zu nennen wuͤrd’ge? Was, wenn ichs habe, mir ſo uͤberfluͤßig, Und hab ichs nicht, ſo unentbehrlich ſcheint. Wo bleibt Al-Hafi denn? Jſt niemand nach Jhm aus? Das leidige, verwuͤnſchte Geld! Gut, Hafi, daß du koͤmmſt.

Zweyter Auftritt.

Der Derwiſch Al-Hafi. Saladin. Sittah.
Al-Hafi.

Die Gelder aus Aegypten ſind vermuthlich angelangt. Wenns nur fein viel iſt.

Saladin.

Haſt du Nachricht?

Al-Hafi.

Jch? Jch nicht. Jch denke, daß ich hier ſie in Empfang ſoll nehmen.

Saladin.
59
Saladin.

Zahl an Sittah tauſend Dinare!

(Jn Gedanken hin und hergehend.)
Al-Hafi.

Zahl! anſtatt, empfang! O ſchoͤn! Das iſt fuͤr Was noch weniger als Nichts. An Sittah? wiederum an Sittah? Und Verloren? wiederum im Schach verloren? Da ſteht es noch das Spiel!

Sittah.

Du goͤnnſt mir doch Mein Gluͤck?

Al-Hafi.
(Das Spiel betrachtend.)

Was goͤnnen? Wenn Jhr wißt ja wohl.

Sittah.
(ihm winkend)

Bſt! Hafi! bſt!

Al-Hafi.
(noch auf das Spiel gerichtet.)

Goͤnnts Euch nur ſelber erſt!

Sittah.

Al-Hafi; bſt!

Al-Hafi.
(zu Sittah.)

Die Weißen waren Euer? Jhr bietet Schach?

Sittah
60
Sittah.

Gut, daß er nichts gehoͤrt!

Al-Hafi.

Nun iſt der Zug an ibm?

Sittah.
(ihm naͤher tretend.)

So ſage doch, Daß ich mein Geld bekommen kann.

Al-Hafi.
(noch auf das Spiel geheftet.)

Nun ja; Jhr ſollts bekommen, wie Jhrs ſtets bekommen.

Sittah.

Wie? biſt du toll?

Al-Hafi.

Das Spiel iſt ja nicht aus. Jhr habt ja nicht verloren, Saladin.

Saladin.
(kaum hinhoͤrend.)

Doch! doch! Bezahl! bezahl!

Al-Hafi.

Bezahl! bezahl! Da ſteht ja Eure Koͤniginn.

Saladin.
(noch ſo.)

Gilt nicht; Gehoͤrt nicht mehr ins Spiel.

Sittah.
61
Sittah.

So mach und ſag, Daß ich das Geld mir nur kann hohlen laſſen.

Al-Hafi.
(noch immer in das Spiel vertieft.)

Verſteht ſich, ſo wie immer. Wenn auch ſchon; Wenn auch die Koͤniginn nichts gilt: Jhr ſeyd Doch darum noch nicht matt.

Saladin.
(tritt hinzu und wirft das Spiel um.)

Jch bin es; will Es ſeyn.

Al-Hafi.

Ja ſo! Spiel wie Gewinnſt! So wie Gewonnen, ſo bezahlt.

Saladin.
(zu Sittah.)

Was ſagt er? was?

Sittah.
(von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend.)

Du kennſt ihn ja. Er ſtraͤubt ſich gern; laͤßt gern Sich bitten; iſt wohl gar ein wenig neidiſch.

Saladin.

Auf dich doch nicht? Auf meine Schweſter nicht? Was hoͤr ich, Hafi? Neidiſch? du?

Al-Hafi.

Kann ſeyn! Kann62Kann ſeyn! Jch haͤtt ihr Hirn wohl lieber ſelbſt; Waͤr lieber ſelbſt ſo gut, als ſie.

Sittah.

Jndeß Hat er doch immer richtig noch bezahlt. Und wird auch heut bezahlen. Laß ihn nur! Geh nur, Al-Hafi, geh! Jch will das Geld Schon hohlen laſſen.

Al-Hafi.

Nein; ich ſpiele laͤnger Die Mummerey nicht mit. Er muß es doch Einmal erfahren.

Saladin.

Wer? und was?

Sittah.

Al-Hafi! Jſt dieſes dein Verſprechen? Haͤltſt du ſo Mir Wort!

Al-Hafi.

Wie konnt ich glauben, daß es ſo Weit gehen wuͤrde.

Saladin.

Nun? erfahr ich nichts?

Sittah.

Jch bitte dich, Al-Hafi; ſey beſcheiden.

Saladin.

Das iſt doch ſonderbar! Was koͤnnte SittahSo63So feyerlich, ſo warm bey einem Fremden, Bey einem Derwiſch lieber, als bey mir, Bey ihrem Bruder ſich verbitten wollen. Al-Hafi, nun befehl ich. Rede, Derwiſch!

Sittah.

Laß eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir Nicht naͤher treten, als ſie wuͤrdig iſt. Du weißt, ich habe zu verſchiednen Mahlen Dieſelbe Summ im Schach von dir gewonnen. Und weil ich itzt das Geld nicht noͤthig habe; Weil itzt in Hafis Kaſſe doch das Geld Nicht eben allzuhaͤuſig iſt: ſo ſind Die Poſten ſtehn geblieben. Aber ſorgt Nur nicht! Jch will ſie weder dir, mein Bruder, Noch Hafi, noch der Kaſſe ſchenken.

Al-Hafi.

Ja, Wenns das nur waͤre! das!

Sittah.

Und mehr dergleichen. Auch das iſt in der Kaſſe ſtehn geblieben, Was du mir einmal ausgeworfen; iſt Seit wenig Monden ſtehn geblieben.

Al-Hafi.

Noch Nicht alles.

Saladin.

Noch nicht? Wirſt du reden?

Al -
64
Al-Hafi.

Seit aus Aegypten wir das Geld erwarten, Hat ſie ...

Sittah.
(zu Saladin.)

Wozu ihn hoͤren?

Al-Hafi.

Nicht nur Nichts Bekommen ...

Saladin.

Gutes Maͤdchen! Auch beyher Mit vorgeſchoſſen. Nicht?

Al-Hafi.

Den ganzen Hof Erhalten; Euern Aufwand ganz allein Beſtritten.

Saladin.

Ha! das, das iſt meine Schweſter!

(ſie umarmend.)
Sittah.

Wer hatte, dieß zu koͤnnen, mich ſo reich Gemacht, als du, mein Bruder?

Atl-Hafi.

Wird ſchon auch So bettelarm ſie wieder machen, als Er ſelber iſt.

Saladin.
65
Saladin.

Jch arm? der Bruder arm? Wenn hab ich mehr? wenn weniger gehabt? Ein Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd, und Einen Gott! Was brauch ich mehr? Wenn kanns an dem mir fehlen? Und doch, Al-Hafi, koͤnnt ich mit dir ſchelten.

Sittah.

Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unſerm Vater Auch ſeine Sorgen ſo erleichtern koͤnnte!

Saladin.

Ah! Ah! Nun ſchlaͤgſt du meine Freudigkeit Auf einmal wieder nieder! Mir, fuͤr mich Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm, Jhm fehlet; und in ihm uns allen. Sagt, Was ſoll ich machen? Aus Aegypten kommt Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt, Weiß Gott. Es iſt doch da noch alles ruhig. Abbrechen, einziehn, ſparen, will ich gern, Mir gern gefallen laſſen; wenn es mich, Blos mich betrift; blos mich, und niemand ſonſt Darunter leidet. Doch was kann das machen? Ein Pferd, Ein Kleid, Ein Schwerd, muß ich doch haben. Und meinem Gott iſt auch nichts abzudingen. Jhm gnuͤgt ſchon ſo mit wenigem genug; Mit meinem Herzen. Auf den Ueberſchuß Von deiner Kaſſe, Hafi, hatt ich ſehr Gerechnet.

EAl-Hafi.
66
Al-Hafi.

Ueberſchuß? Sagt ſelber, ob Jhr mich nicht haͤttet ſpießen, wenigſtens Mich droſſeln laſſen, wenn auf Ueberſchuß Jch von Euch waͤr ergriffen worden. Ja, Auf Unterſchleif! das war zu wagen.

Saladin.

Nun, Was machen wir denn aber? Konnteſt du Vor erſt bey niemand andern borgen, als Bey Sittah?

Sittah.

Wuͤrd ich dieſes Vorrecht, Bruder, Mir haben nehmen laſſen? Mir von ibm? Auch noch beſteh ich drauf. Noch bin ich auf Dem Trocknen voͤllig nicht.

Saladin.

Nur voͤllig nicht! Das fehlte noch! Geh gleich, mach Anſtalt, Hafi! Nimm auf bey wem du kannſt! und wie du kannſt! Geh, borg, verſprich. Nur, Hafi, borge nicht Bey denen, die ich reich gemacht. Denn borgen Von dieſen, moͤchte wiederfodern heißen. Geh zu den Geizigſten; die werden mir Am liebſten leihen. Denn ſie wiſſen wohl, Wie gut ihr Geld in meinen Haͤnden wuchert.

Al-Hafi.
67
Al-Hafi.

Jch kenne deren keine.

Sittah.

Eben faͤllt Mir ein, gehoͤrt zu haben, Hafi, daß Dein Freund zuruͤckgekommen.

Al-Hafi.
(betroffen.)

Freund? mein Freund? Wer waͤr denn das?

Sittah.

Dein hochgeprieſner Jude.

Al-Hafi.

Geprieſner Jude? hoch von mir?

Sittah.

Dem Gott, Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, deß einſt Du ſelber dich von ihm bedienteſt, dem Sein Gott von allen Guͤtern dieſer Welt Das Kleinſt und Groͤßte ſo in vollem Maas Ertheilet habe.

Al-Hafi.

Sagt ich ſo? Was meynt Jch denn damit?

Sittah.

Das Kleinſte: Reichthum. Und Das Groͤßte: Weisheit.

E 2Al -
68
Al-Hafi.

Wie? von einem Juden? Von einem Juden haͤtt ich das geſagt?

Sittah.

Das haͤtteſt du von deinem Nathan nicht Geſagt?

Al-Hafi.

Ja ſo! von dem! vom Nathan! Fiel Mir der doch gar nicht bey. Wahrhaftig? Der Jſt endlich wieder heim gekommen? Ey! So mags doch gar ſo ſchlecht mit ihm nicht ſtehn. Ganz recht: den nannt einmal das Volk den Weiſen! Den Reichen auch.

Sittah.

Den Reichen nennt es ihn Jtzt mehr als je. Die ganze Stadt erſchallt, Was er fuͤr Koſtbarkeiten, was fuͤr Schaͤtze, Er mitgebracht.

Al-Hafi.

Nun, iſts der Reiche wieder: So wirds auch wohl der Weiſe wieder ſeyn.

Sittah.

Was meynſt du, Hafi, wenn du dieſen angingſt?

Al-Hafi.

Und was bey ihm? Doch wohl nicht borgen? Ja, Da kennt Jhr ihn. Er borgen! Seine Weisheit Jſt eben, daß er niemand borgt.

Sittah.
69
Sittah.

Du haſt Mir ſonſt doch ganz ein ander Bild von ihm Gemacht.

Al-Hafi.

Zur Noth wird er euch Waaren borgen. Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. Es iſt Ein Jude freylich uͤbrigens, wie’s nicht Viel Juden giebt. Er hat Verſtand; er weiß Zu leben; ſpielt gut Schach. Doch zeichnet er Jm Schlechten ſich nicht minder, als im Guten Von allen andern Juden aus. Auf den, Auf den nur rechnet nicht. Den Armen giebt Er zwar; und giebt vielleicht Trotz Saladin. Wenn ſchon nicht ganz ſo viel: doch ganz ſo gern; Doch ganz ſo ſonder Anſehn. Jud und Chriſt Und Muſelmann und Parſi, alles iſt Jhm eins.

Sittah.

Und ſo ein Mann ...

Saladin.

Wie kommt es denn, Daß ich von dieſem Manne nie gehoͤrt? ...

Sittah.

Der ſollte Saladin nicht borgen? nicht Dem Saladin, der nur fuͤr andre braucht, Nicht ſich?

E 3Al-Hafi.
70
Al-Hafi.

Da ſeht nun gleich den Juden wieder; Den ganz gemeinen Juden! Glaubt mirs doch! Er iſt aufs Geben Euch ſo eiferſuͤchtig, So neidiſch! Jedes Lohn von Gott, das in Der Welt geſagt wird, zoͤg er lieber ganz Allein. Nur darum eben leiht er keinem, Damit er ſtets zu geben habe. Weil Die Mild ihm im Geſetz geboten; die Gefaͤlligkeit ihm aber nicht geboten: macht Die Mild ihn zu dem ungefaͤlligſten Geſellen auf der Welt. Zwar bin ich ſeit Geraumer Zeit ein wenig uͤbern Fuß Mit ihm geſpannt; doch denkt nur nicht, daß ich Jhm darum nicht Gerechtigkeit erzeige. Er iſt zu allem gut: blos dazu nicht; Blos dazu wahrlich nicht Jch will auch gleich Nur gehn, an andre Thuͤren klopfen ... Da Beſinn ich mich ſo eben eines Mohren, Der reich und geizig iſt. Jch geh; ich geh.

Sittah.

Was eilſt du, Hafi.

Saladin.

Laß ihn! laß ihn!

Dritter71

Dritter Auftritt.

Sittah. Saladin.
Sittah.

Eilt Er doch, als ob er mir nur gern entkaͤme! Was heißt das? Hat er wirklich ſich in ihm Betrogen, oder moͤcht er uns nur gern Betriegen?

Saladin.

Wie? das fragſt du mich? Jch weiß Ja kaum, von wem die Rede war; und hoͤre Von euerm Juden, euerm Nathan, heut Zum erſtenmal.

Sittah.

Jſts moͤglich? daß ein Mann Dir ſo verborgen blieb, von dem es heißt, Er habe Salomons und Davids Graͤber Erforſcht, und wiſſe deren Siegel durch Ein maͤchtiges geheimes Wort zu loͤſen? Aus ihnen bring er dann von Zeit zu Zeit Die unermeßlichen Reichthuͤmer an Den Tag, die keinen mindern Quell verriethen.

Saladin.

Hat ſeinen Reichthum dieſer Mann aus Graͤbern, So warens ſicherlich nicht SalomonsE 4Nicht72Nicht Davids Graͤber. Narren lagen da Begraben!

Sittah.

Oder Boͤſewichter! Auch Jſt ſeines Reichthums Quelle weit ergiebiger, Weit unerſchoͤpflicher, als ſo ein Grab Voll Mammon.

Saladin.

Denn er handelt; wie ich hoͤrte.

Sittah.

Sein Saumthier treibt auf allen Straßen, zieht Durch alle Wuͤſten; ſeine Schiffe liegen Jn allen Haͤfen. Das hat mir wohl eh Al-Hafi ſelbſt geſagt; und voll Entzuͤcken Hinzugefuͤgt, wie groß, wie edel dieſer Sein Freund anwende, was ſo klug und emſig Er zu erwerben fuͤr zu klein nicht achte: Hinzugefuͤgt, wie frey von Vorurtheilen Sein Geiſt; ſein Herz wie offen jeder Tugend, Wie eingeſtimmt mit jeder Schoͤnheit ſey.

Saladin.

Und itzt ſprach Hafi doch ſo ungewiß, So kalt von ihm.

Sittah.

Kalt nun wohl nicht; verlegen. Als halt ers fuͤr gefaͤhrlich, ihn zu loben, Und woll ihn unverdient doch auch nicht tadeln. Wie?73Wie? oder waͤr es wirklich ſo, daß ſelbſt Der Beſte ſeines Volkes ſeinem Volke Nicht ganz entfliehen kann? daß wirklich ſich Al-Hafi ſeines Freund’s von dieſer Seite Zu ſchaͤmen haͤtte? Sey dem, wie ihm wolle! Der Jude ſey mehr oder weniger Als Jud, iſt er nur reich; genug fuͤr uns!

Saladin.

Du willſt ihm aber doch das Seine mit Gewalt nicht nehmen, Schweſter?

Sittah.

Ja, was heißt Bey dir Gewalt! Bey Feu’r und Schwert? Nein, nein, Was braucht es mit den Schwachen fuͤr Gewalt, Als ihre Schwaͤche? Komm vor itzt nur mit Jn meinen Haram, eine Saͤngerinn Zu hoͤren, die ich geſtern erſt gekauft. Es reift indeß bey mir vielleicht ein Anſchlag, Den ich auf dieſen Nathan habe. Komm!

Vierter Auftritt.

Scene: vor dem Hauſe des Nathan, wo es an die Pal - men ſtoßt.
Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.
Recha.

Jhr habt Euch ſehr verweilt, mein Vater. Er Wird kaum noch mehr zu treffen ſeyn.

E 5Nathan.
74
Nathan.

Nun, nun; Wenn hier, hier untern Palmen ſchon nicht mehr: Doch anderwaͤrts. Sey itzt nur ruhig. Sieh! Koͤmmt dort nicht Daja auf uns zu?

Recha.

Sie wird Jhn ganz gewiß verloren haben.

Nathan.

Auch Wohl nicht.

Recha.

Sie wuͤrde ſonſt geſchwinder kommen.

Nathan.

Sie hat uns wohl noch nicht geſehn ...

Recha.

Nun ſieht Sie uns.

Nathan.

Und doppelt ihre Schritte. Sieh! Sey doch nur ruhig! ruhig!

Recha.

Wolltet Jhr Wohl eine Tochter, die hier ruhig waͤre? Sich unbekuͤmmert lieſſe, weſſen Wohlthat Jhr Leben ſey? Jhr Leben, das ihr nur So lieb, weil ſie es Euch zuerſt verdanket.

Nathan
75
Nathan.

Jch moͤchte dich nicht anders, als du biſt: Auch wenn ich wuͤßte, daß in deiner Seele Ganz etwas anders noch ſich rege.

Recha.

Was, Mein Vater?

Nathan.

Fragſt du mich? ſo ſchuͤchtern mich? Was auch in deinem Jnnern vorgeht, iſt Natur und Unſchuld. Laß es keine Sorge Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur Verſprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher Sich einſt erklaͤrt, mir ſeiner Wuͤnſche keinen Zu bergen.

Recha.

Schon die Moͤglichkeit, mein Herz Euch lieber zu verhuͤllen, macht mich zittern.

Nathan.

Nichts mehr hiervon! Das ein fuͤr allemahl Jſt abgethan. Da iſt ja Daja. Nun?

Daja.

Noch wandelt er hier untern Palmen; und Wird gleich um jene Mauer kommen. Seht, Da koͤmmt er!

Recha.

Ach! und ſcheinet unentſchloſſen,Wohin?76Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts? Ob links?

Daja.

Nein, nein; er macht den Weg ums Kloſter Gewiß noch oͤfter; und dann muß er hier Vorbey. Was gilts?

Recha.

Recht! recht! Haſt du ihn ſchon Geſprochen? Und wie iſt er heut?

Daja.

Wie immer.

Nathan.

So macht nur, daß er euch hier nicht gewahr Wird. Tretet mehr zuruͤck. Geht lieber ganz Hinein.

Recha.

Nur einen Blick noch! Ah! die Hecke, Die mir ihn ſtiehlt.

Daja.

Kommt! kommt! Der Vater hat Ganz recht. Jhr lauft Gefahr, wenn er Euch ſieht, Daß auf der Stell er umkehrt.

Recha.

Ah! die Hecke!

Nathan.

Und koͤmmt er ploͤtzlich dort aus ihr hervor:So77So kann er anders nicht, er muß euch ſehn. Drum geht doch nur!

Daja.

Kommt! kommt! Jch weiß ein Feuſter Aus dem wir ſie bemerken koͤnnen.

Recha.

Ja?

(beide hinein.)

Fuͤnfter Auftritt.

Nathan und bald darauf der Tempelherr.
Nathan.

Faſt ſcheu ich mich des Sonderlings. Faſt macht Mich ſeine rauhe Tugend ſtutzen. Daß Ein Menſch doch einen Menſchen ſo verlegen Soll machen koͤnnen! Ha! er koͤmmt. Bey Gott! Ein Juͤngling wie ein Mann. Jch mag ihn wohl Den guten, trotzgen Blick! den prallen Gang! Die Schaale kann nur bitter ſeyn: der Kern Jſts ſicher nicht. Wo ſah ich doch dergleichen? Verzeihet, edler Franke ...

Tempelherr.

Was?

Nathan.

Erlaubt ...

Tempelherr.

Was, Jude? was?

Nathan.
78
Nathan.

Daß ich mich unterſteh, Euch anzureden.

Tempelherr.

Kann ichs wehren? Doch Nur kurz.

Nathan.

Verzieht, und eilet nicht ſo ſtolz, Nicht ſo veraͤchtlich einem Mann voruͤber, Den Jhr auf ewig Euch verbunden habt.

Tempelherr.

Wie das? Ah, faſt errath ichs. Nicht? Jhr ſeyd ...

Nathan.

Jch heiſſe Nathan; bin des Maͤdchens Vater, Das Eure Großmuth aus dem Feu’r gerettet; Und komme ...

Tempelherr.

Wenn zu danken: ſparts! Jch hab Um dieſe Kleinigkeit des Dankes ſchon Zu viel erdulden muͤſſen. Vollends Jhr, Jhr ſeyd mir gar nichts ſchuldig. Wußt ich denn, Daß dieſes Maͤdchen Eure Tochter war? Es iſt der Tempelherren Pflicht, dem Erſten Dem Beſten beyzuſpringen, deſſen Noth Sie ſehn. Mein Leben war mir ohnedem Jn dieſem Augenblicke laͤſtig. Gern, Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, Es fuͤr ein andres Leben in die SchanzeZu79Zu ſchlagen: fuͤr ein andres wenns auch nur Das Leben einer Juͤdinn waͤre.

Nathan.

Groß! Groß und abſcheulich! Doch die Wendung laͤßt Sich denken. Die beſcheidne Groͤße fluͤchtet Sich hinter das Abſcheuliche, um der Bewundrung auszuweichen. Aber wenn Sie ſo das Opfer der Bewunderung Verſchmaͤht: was fuͤr ein Opfer denn verſchmaͤht Sie minder? Ritter, wenn Jhr hier nicht fremd, Und nicht gefangen waͤret, wuͤrd ich Euch So dreiſt nicht fragen. Sagt, befehlt: womit Kann man Euch dienen?

Tempelherr.

Jhr? Mit nichts.

Nathan.

Jch bin Ein reicher Mann.

Tempelherr.

Der reichre Jude war Mir nie der beſſre Jude.

Nathan.

Duͤrft Jhr denn Darum nicht nuͤtzen, was dem ungeachtet Er beſſres hat? nicht ſeinen Reichthum nuͤtzen?

Tempelherr.

Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;Um80Um meines Mantels willen nicht, Sobald Der ganz und gar verſchliſſen; weder Stich Noch Fetze laͤnger halten will: komm ich Und borge mir bey Euch zu einem neuen, Tuch oder Geld. Seht nicht mit eins ſo finſter! Noch ſeyd Jhr ſicher; noch iſts nicht ſo weit Mit ihm. Jhr ſeht; er iſt ſo ziemlich noch Jm Stande. Nur der eine Zipfel da Hat einen garſtgen Fleck; er iſt verſengt. Und das bekam er, als ich eure Tochter Durchs Feuer trug.

Nathan.
(der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet.)

Es iſt doch ſonderbar, Daß ſo ein boͤſer Fleck, daß ſo ein Brandmahl Dem Mann ein beſſres Zeugniß redet, als Sein eigner Mund. Jch moͤcht ihn kuͤſſen gleich Den Flecken! Ah, verzeiht! Jch that es ungern.

Tempelherr.

Was?

Nathan.

Eine Thraͤne fiel darauf.

Tempelherr.

Thut nichts! Er hat der Tropfen mehr. (Bald aber faͤngt Mich dieſer Jnd an zu verwirren.)

Nathan.
81
Nathan.

Waͤr’t Jhr wohl ſo gut, und ſchicktet Euren Mantel Auch einmal meinem Maͤdchen?

Tempelherr.

Was damit?

Nathan.

Auch ihren Mund auf dieſen Fleck zu druͤcken. Denn Eure Kniee ſelber zu umfaſſen, Wuͤnſcht ſie nun wohl vergebens.

Tempelherr.

Aber, Jude Jhr heiſſet Nathan? Aber, Nathan Jhr Setzt Eure Worte ſehr ſehr gut ſehr ſpitz Jch bin betreten Allerdings ich haͤtte ...

Nathan.

Stellt und verſtellt Euch, wie Jhr wollt. Jch find Auch hier Euch aus. Jhr wart zu gut, zu bieder, Um hoͤflicher zu ſeyn. Das Maͤdchen, ganz Gefuͤhl; der weibliche Geſandte, ganz Dienſtfertigkeit; der Vater weit entfernt Jhr trugt fuͤr ihren guten Namen Sorge; Floht ihre Pruͤfung; floht, um nicht zu ſiegen. Auch dafuͤr dank ich Euch

Tempelherr.

Jch muß geſtehn, Jhr wißt, wie Tempelherren denken ſollten.

FNathan.
82
Nathan.

Nur Tempelherren? ſollten blos? und blos Weil es die Ordensregeln ſo gebieten? Jch weiß, wie gute Menſchen denken; weiß, Daß alle Laͤnder gute Menſchen tragen.

Tempelherr.

Mit Unterſchied, doch hoffentlich?

Nathan.

Ja wohl; An Farb, an Kleidung, an Geſtalt verſchieden.

Tempelherr.

Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

Nathan.

Mit dieſem Unterſchied iſts nicht weit her. Der große Mann braucht uͤberall viel Boden; Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerſchlagen Sich nur die Aeſte. Mittelgut, wie wir, Findt ſich hingegen uͤberall in Menge. Nur muß der eine nicht den andern maͤckeln. Nur muß der Knorr den Knuppen huͤbſch vertragen. Nur muß ein Gipfelchen ſich nicht vermeſſen, Daß es allein der Erde nicht entſchoſſen.

Tempelherr.

Sehr wohl geſagt! Doch kennt Jhr auch das Volk, Daß dieſe Menſchenmaͤckeley zu erſt Getrieben? Wißt Jhr, Nathan, welches VolkZu83Zuerſt das auserwaͤhlte Volk ſich nannte? Wie? wenn ich dieſes Volk nun, zwar nicht haßte, Doch wegen ſeines Stolzes zu verachten, Mich nicht entbrechen koͤnnte? Seines Stolzes; Den es auf Chriſt und Muſelmann vererbte, Nur ſein Gott ſey der rechte Gott! Jhr ſtutzt, Daß ich, ein Chriſt, ein Tempelherr, ſo rede? Wenn hat, und wo die fromme Raſerey, Den beſſern Gott zu haben, dieſen beſſern, Der ganzen Welt als beſten aufzudringen, Jn ihrer ſchwaͤrzeſten Geſtalt ſich mehr Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt Die Schuppen nicht vom Auge fallen Doch Sey blind, wer will! Vergeßt, was ich geſagt; Und laßt mich!

(will gehen.)
Nathan.

Ha! Jhr wißt nicht, wie viel feſter Jch nun mich an Euch drengen werde. Kommt, Wir muͤſſen, muͤſſen Freunde ſeyn! Verachtet Mein Volk ſo ſehr Jhr wollt. Wir haben beyde Uns unſer Volk nicht auserleſen. Sind Wir unſer Volk? Was heißt denn Volk? Sind Chriſt und Jude eher Chriſt und Jude, Als Menſch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden haͤtte, dem es gnuͤgt, ein Menſch Zu heiſſen!

Tempelherr.

Ja, bey Gott, das habt Jhr, Nathan! F 2Das84Das habt Jhr! Eure Hand! Jch ſchaͤme mich Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

Nathan.

Und ich bin ſtolz darauf. Nur das Gemeine Verkennt man ſelten.

Tempelherr.

Und das Seltene Vergißt man ſchwerlich. Nathan, ja; Wir muͤſſen, muͤſſen Freunde werden.

Nathan.

Sind Es ſchon. Wie wird ſich meine Recha freuen! Und ah! welch eine heitre Ferne ſchließt Sich meinen Blicken auf! Kennt ſie nur erſt!

Tempelherr.

Jch brenne vor Verlangen Wer ſtuͤrzt dort Aus Euerm Hauſe? Jſts nicht ihre Daja?

Nathan.

Ja wohl. So aͤngſtlich?

Tempelherr.

Unſrer Recha iſt Doch nichts begegnet?

Sechster Auftritt.

Die Vorigen und Daja eilig.
Daja.

Nathan! Nathan!

Nathan.
85
Nathan.

Nun?

Daja.

Verzeihet, edler Ritter, daß ich Euch Muß unterbrechen.

Nathan.

Nun, was iſts?

Tempelherr.

Was iſts?

Daja.

Der Sultan hat geſchickt. Ser Sultan will Euch ſprechen. Gott, der Sultan!

Nathan.

Mich? der Sultan? Er wird begierig ſeyn, zu ſehen, was Jch Neues mitgebracht. Sag nur, es ſey Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.

Daja.

Nein, nein; er will nichts ſehen; will Euch ſprechen, Euch in Perſon, und bald; ſobald Jhr koͤnnt.

Nathan.

Jch werde kommen. Geh nur wieder, geh!

Daja.

Nehmt ja nicht uͤbel auf, geſtrenger Ritter. Gott, wir ſind ſo bekuͤmmert, was der Sultan Doch will.

Nathan.
86
Nathan.

Das wird ſich zeigen. Geh nur, geh!

Siebender Auftritt.

Nathan und der Tempelherr.
Tempelherr.

So kennt Jhr ihn noch nicht? ich meyne, von Perſon.

Nathan.

Den Saladin? Noch nicht. Jch habe Jhn nicht vermieden, nicht geſucht zu kennen. Der allgemeine Ruf ſprach viel zu gut Von ihm, daß ich nicht lieber glauben wollte, Als ſehn. Doch nun, wenn anders dem ſo iſt, Hat er durch Sparung Eures Lebens

Tempelherr.

Ja; Dem allerdings iſt ſo. Das Leben, das Jch leb, iſt ſein Geſchenk.

Nathan.

Durch das er mir Ein doppelt, dreyfach Leben ſchenkte. Dieß Hat alles zwiſchen uns veraͤndert; hat Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das Mich ſeinem Dienſt auf ewig feſſelt. Kaum, Und kaum, kann ich es nun erwarten, was Er mir zuerſt befehlen wird. Jch binBereit87Bereit zu allem; bin bereit ihm zu Geſtehn, daß ich es Euertwegen bin.

Tempelherr.

Noch hab ich ſelber ihm nicht danken koͤnnen: So oft ich auch ihm in den Weg getreten. Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam So ſchnell, als ſchnell er wiederum verſchwunden. Wer weiß, ob er ſich meiner gar erinnert. Und dennoch muß er, einmal wenigſtens, Sich meiner noch erinnern, um mein Schickſal Ganz zu entſcheiden. Nicht genug, daß ich Auf ſein Geheiß noch bin, mit ſeinem Willen Noch leb: ich muß nun auch von ihm erwarten, Nach weſſen Willen ich zu leben habe.

Nathan.

Nicht anders; um ſo mehr will ich nicht ſaͤumen. Es faͤllt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch Zu kommen, Anlaß giebt. Erlaubt, verzeiht Jch eile Wenn, wenn aber ſehn wir Euch Bey uns?

Tempelherr.

Sobald ich darf.

Nathan.

So bald Jhr wollt.

Tempelherr.

Noch heut.

F 4Nathan.
88
Nathan.

Und Euer Name? muß ich bitten.

Tempelherr.

Mein Name war iſt Curd von Stauffen. Curd!

Nathan.

Von Stauffen? Stauffen? Stauffen?

Tempelherr.

Warum faͤllt Euch das ſo auf?

Nathan.

Von Stauſfen? Des Geſchlechts Sind wohl ſchon mehrere

Tempelherr.

O ja! hier waren, Hier faulen des Geſchlechts ſchon mehrere. Mein Oheim ſelbſt, mein Vater will ich ſagen, Doch warum ſchaͤrft ſich Euer Blick auf mich Je mehr und mehr?

Nathan.

O nichts! o nichts! Wie kann Jch Euch zu ſehn ermuͤden?

Tempelherr.

Drum verlaß Jch Euch zuerſt. Der Blick des Forſchers fand Nicht ſelten mehr, als er zu finden wuͤnſchte. Jch fuͤrcht ihn, Nathan. Laßt die Zeit allmaͤlig,Und89Und nicht die Neugier, unſre Kundſchaft machen.

(Er geht,)
Nathan.
(der ihm mit Erſtaunen nachſieht.)

Der Forſcher fand nicht ſelten mehr, als er Zu finden wuͤnſchte. Jſt es doch, als ob Jn meiner Seel er leſe! Wahrlich ja; Das koͤnnt auch mir begegnen. Nicht allein Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch ſeine Stimme, So, Vollkommen ſo, warf Wolf ſogar den Kopf: Trug Wolf ſogar das Schwerd im Arm; ſtrich Wolf Sogar die Augenbraunen mit der Hand, Gleichſam das Feuer ſeines Blicks zu bergen. Wie ſolche tiefgepraͤgte Bilder doch Zu Zeiten in uns ſchlafen koͤnnen, bis Ein Wort, ein Laut ſie weckt. Von Stauffen! Ganz recht, ganz recht; Filnek und Stauffen. Jch will das bald genauer wiſſen; bald. Nur erſt zum Saladin. Doch wie? lauſcht dort Nicht Daja? Nun ſo komm nur naͤher, Daja.

Achter Auftritt.

Daja. Nathan.
Nathan.

Was gilts? nun druͤckts euch beyden ſchon das Herz, Noch ganz was anders zu erfahren, als Was Saladin mir will.

F 5Daja.
90
Daja.

Verdenkt Jhrs ihr? Jhr fingt ſo eben an, vertraulicher Mit ihm zu ſprechen: als des Sultans Bothſchaft Uns von dem Fenſter ſcheuchte,

Nathan.

Nun ſo ſag Jhr nur, daß ſie ihn jeden Augenblick Erwarten darf.

Daja.

Gewiß? gewiß?

Nathan.

Jch kann Mich doch auf dich verlaſſen, Daja? Sey Auf deiner Hut; ich bitte dich. Es ſoll Dich nicht gereuen. Dein Gewiſſen ſelbſt Soll ſeine Rechnung dabey finden. Nur Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur Erzaͤhl und frage mit Beſcheidenheit, Mit Ruͤckhalt

Daja.

Daß Jhr doch noch erſt, ſo was Erinnern koͤnnt! Jch geh; geht Jhr nur auch. Denn ſeht! ich glaube gar, da koͤmmt vom Sultan Ein zweyter Both, Al-Hafi, Euer Derwiſch.

(geht ab.)
Neunter91

Neunter Auftritt.

Nathan. Al-Hafi.
Al-Hafi.

Ha! ha! zu Euch wollt ich nun eben wieder.

Nathan.

Jſts denn ſo eilig? Was verlangt er denn Von mir?

Al-Hafi.

Wer?

Nathan.

Saladin. Jch komm, ich komme.

Al-Hafi.

Zu wem? Zum Saladin?

Nathan.

Schickt Saladin Dich nicht?

Al-Hafi.

Mich? nein. Hat er denn ſchon geſchickt?

Nathan.

Ja freylich hat er.

Al-Hafi.

Nun, ſo iſt es richtig.

Nathan.

Was? was iſt richtig?

Al-Hafi.
92
Al-Hafi.

Daß ich bin nicht Schuld; Gott weiß, ich bin nicht Schuld. Was hab ich nicht Von Euch geſagt, gelogen, um es abzuwenden!

Nathan.

Was abzuwenden? Was iſt richtig?

Al-Hafi.

Daß Nun Jhr ſein Defterdar geworden. Jch Betaur Euch Doch mit anſehn will ichs nicht. Jch geh von Stund an; geh. Jhr habt es ſchon Gehoͤrt, wohin; und wißt den Weg. Habt Jhr Des Wegs was zu beſtellen, ſagt: ich bin Zu Dienſten. Freylich muß es mehr nicht ſeyn, Als was ein Nakter mit ſich ſchleppen kann. Jch geh, ſagt bald.

Nathan.

Beſinn dich doch, Al-Hafi. Beſinn dich, daß ich noch von gar nichts weiß. Was plauderſt du denn da?

Al-Hafi.

Jhr bringt ſie doch Gleich mit, die Beutel?

Nathan.

Beutel?

Al-Hafi.

Nun, das Geld, Das ihr dem Saladin vorſchießen ſollt.

Nathan.
93
Nathan.

Und weiter iſt es nichts?

Al-Hafi.

Jch ſollt es wohl Mit anſehn, wie er Euch von Tag zu Tag Aushoͤhlen wird bis auf die Zehen? Sollt Es wohl mit anſehn, daß Verſchwendung aus Der weiſen Milde ſonſt nie leeren Scheuern So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch Die armen eingebornen Maͤuschens drinn Verhungern? Bildet Jhr vielleicht Euch ein, Wer Euers Gelds beduͤrftig ſey, der werde Doch Euerm Rathe wohl auch folgen? Ja; Er Rathe folgen! Wenn hat Saladin Sich rathen laſſen? Denkt nur, Nathan, was Mir eben itzt mit ihm begegnet.

Nathan.

Nun?

Al-Hafi.

Da komm ich zu ihm, eben daß er Schach Geſpielt mit ſeiner Schweſter. Sittah ſpielt Nicht uͤbel; und das Spiel, daß Saladin Verloren glaubte, ſchon gegeben hatte, Das ſtand noch ganz ſo da. Jch ſeh Euch hin, Und ſehe, daß das Spiel noch lange nicht Verloren.

Nathan.
94
Nathan.

Ey! das war fuͤr dich ein Fund!

Al-Hafi.

Er durfte mit dem Koͤnig an den Bauer Nur ruͤcken, auf ihr Schach Wenn ichs Euch gleich Nur zeigen koͤnnte!

Nathan.

O ich traue dir!

Al-Hafi.

Denn ſo bekam der Roche Feld: und ſie War hin. Das alles will ich ihm nun weiſen Und ruf ihn. Denkt!

Nathan.

Er iſt nicht deiner Meinung?

Al-Hafi.

Er hoͤrt mich gar nicht an, und wirft veraͤchtlich Das ganze Spiel in Klumpen.

Nathan.

Jſt das moͤglich?

Al-Hafi.

Und ſagt: er wolle matt nun einmal ſeyn; Er wolle! Heißt das ſpielen?

Nathan.

Schwerlich wohl; Heißt mit dem Spiele ſpielen.

Al-Hafi.
95
Al-Hafi.

Gleichwohl galt Es keine taube Nuß.

Nathan.

Geld hin, Geld her! Das iſt das wenigſte. Allein dich gar Nicht anzuhoͤren! uͤber einen Punkt Von ſolcher Wichtigkeit dich nicht einmal Zu hoͤren! deinen Adlerblick nicht zu Bewundern! das, das ſchreyt um Rache; nicht?

Al-Hafi.

Ach was? Jch ſag euch das nur ſo, damit Jhr ſehen koͤnnt, was fuͤr ein Kopf er iſt. Kurz, ich, ich halts mit ihm nicht laͤnger aus. Da lauf ich nun bey allen ſchmutzgen Mohren Herum, und frage, wer ihm borgen will. Jch, der ich nie fuͤr mich gebettelt habe, Soll nun fuͤr andre borgen. Borgen iſt Viel beſſer nicht als betteln: ſo wie leihen, Auf Wucher leihen, nicht viel beſſer iſt, Als ſtehlen. Unter meinen Ghebern, an Dem Ganges, brauch ich beydes nicht, und brauche Das Werkzeug beyder nicht zu ſeyn. Am Ganges, Am Ganges nur giebts Menſchen. Hier ſeyd Jhr Der Einzige, der noch ſo wuͤrdig waͤre, Daß er am Ganges lebte. Wollt Jhr mit? Laßt ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche,Um96Um den es ihm zu thun. Er bringt Euch nach Und nach noch drum. So waͤr die Plackerey Auf einmal aus. Jch ſchaff Euch einen Delk. Kommt! kommt!

Nathan.

Jch daͤchte zwar, das blieb uns ja Noch immer uͤbrig. Doch, Al-Hafi, will Jchs uͤberlegen. Warte

Al-Hafi.

Ueberlegen? Nein, ſo was uͤberlegt ſich nicht.

Nathan.

Nur bis Jch von dem Sultan wiederkomme; bis Jch Abſchied erſt

Al-Hafi.

Wer uͤberlegt, der ſucht Bewegungsgruͤnde, nicht zu duͤrfen. Wer Sich Knall und Fall, ihm ſelbſt zu leben, nicht Entſchlieſſen kann, der lebet andrer Sklav Auf immer. Wie Jhr wollt! Lebt wohl! wies Euch Wohl duͤnkt. Mein Weg liegt dort; und Eurer da.

Nathan.

Al-Hafi! Du wirſt ſelbſt doch erſt das Deine Berichtigen?

Al-Hafi.

Ach Poſſen! Der BeſtandVon97Von meiner Kaß iſt nicht des Zaͤhle us werth; Und meine Rechnung buͤrgt Jhr oder Sittah. Lebt wohl!

(ab.)
Nathan.
(ihm nachſehend.)

Die buͤrg ich! Wilder, guter, edler Wie nenn ich ihn? Der wahre Bettler iſt Doch einzig und allein der wahre Koͤnig!

(von einer andern Seite ab.)

Dritter Aufzug.

Erſter Auftritt.

(Scene: in Nathans Hauſe)
Recha und Daja.
Recha.

Wie, Daja, druͤckte ſich mein Vater aus? Jch duͤrf ihn jeden Augenblick erwarten? Das klingt nicht wahr? als ob er noch ſo bald Erſcheinen werde. Wie viel Augenblicke Sind aber ſchon vorbey! Ah nun; wer denkt An die verfloſſenen? Jch will allein Jn jedem naͤchſten Augenblicke leben. Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.

Daja.

O der verwuͤnſchten Bothſchaft von dem Sultan! GDenn98Denn Nathan haͤtte ſicher ohne ſie Jhn gleich mit hergebracht.

Recha.

Und wenn er nun Gekommen dieſer Augenblick; wenn denn Nun meiner Wuͤnſche waͤrmſter, innigſter Erfuͤllet iſt: was dann? was dann?

Daja.

Was dann? Dann hoff ich, daß auch meiner Wuͤnſche waͤrmſter Soll in Erfuͤllung gehen.

Recha.

Was wird dann Jn meiner Bruſt an deſſen Stelle treten, Die ſchon verlernt, ohn einen herrſchenden Wunſch aller Wuͤnſche ſich zu dehnen? Nichts? Ah, ich erſchrecke!

Daja.

Mein, mein Wunſch wird dann An des erfuͤllten Stelle treten; meiner. Mein Wunſch, dich in Europa, dich in Haͤnden Zu wiſſen, welche deiner wuͤrdig ſind.

Recha.

Du irrſt. Was dieſen Wunſch zu deinem macht, Das nehmliche verhindert, daß er meiner Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland: Und meines, meines ſollte mich nicht halten? Ein99Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele Noch nicht verloſchen, ſollte mehr vermoͤgen, Als die ich ſehn, und greifen kann, und hoͤren, Die Meinen?

Daja.

Sperre dich, ſo viel du willſt! Des Himmels Wege ſind des Himmels Wege. Und wenn es nun dein Retter ſelber waͤre, Durch den ſein Gott, fuͤr den er kaͤmpft, dich in Das Land, dich zu dem Volke fuͤhren wollte, Fuͤr welche du geboren wurdeſt?

Recha.

Daja! Was ſprichſt du da nun wieder, liebe Daja! Du haſt doch wahrlich deine ſonderbaren Begriffe! Sein, ſein Gott! fuͤr den er kaͤmpft! Wem eignet Gott? was iſt das fuͤr ein Gott, Der einem Menſchen eignet? der fuͤr ſich Muß kaͤmpfen laſſen? und wie weiß Man denn, fuͤr welchen Erdklos man geboren, Wenn mans fuͤr den nicht iſt, auf welchem man Geboren? Wenn mein Vater dich ſo hoͤrte! Was that er dir, mir immer nur mein Gluͤck So weit von ihm als moͤglich vorzuſpiegeln? Was that er dir, den Saamen der Vernunft, Den er ſo rein in meine Seele ſtreute, Mit deines Landes Unkraut oder Blumen So gern zu miſchen? Liebe, liebe Daja,G 2Er100Er will nun deine bunten Blumen nicht Auf meinem Boden! Und ich muß dir ſagen, Jch ſelber fuͤhle meinen Boden, wenn Sie noch ſo ſchoͤn ihn kleiden, ſo entkraͤftet, So ausgezehrt durch deine Blumen; fuͤhle Jn ihrem Dufte, ſauerſuͤſſem Dufte, Mich ſo betaͤubt, ſo ſchwindelnd! Dein Gehirn Jſt deſſen mehr gewohnt. Jch tadle drum Die ſtaͤrkern Nerven nicht, die ihn vertragen. Nur ſchlaͤgt er mir nicht zu; und ſchon dein Engel, Wie wenig fehlte, daß er mich zur Naͤrrinn Gemacht? Noch ſchaͤm ich mich vor meinem Vater Der Poſſe!

Daja.

Poſſe! Als ob der Verſtand Nur hier zu Hauſe waͤre! Poſſe! Poſſe! Wenn ich nur reden duͤrfte!

Recha.

Darfſt du nicht? Wenn war ich nicht ganz Ohr, ſo oft es dir Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich Zu unterhalten? Hab ich ihren Thaten Nicht ſtets Bewunderung; und ihren Leiden Nicht immer Thraͤnen gern gezollt? Jhr Glaube Schien freylich mir das Heldenmaͤßigſte An ihnen nie. Doch ſo viel troͤſtender War mir die Lehre, daß Ergebenheit Jn Gott von unſerm Waͤhnen uͤber GottSo101So ganz und gar nicht abhaͤngt. Liebe Daja, Das hat mein Vater uns ſo oft geſagt; Daruͤber haſt du ſelbſt mit ihm ſo oft Dich einverſtanden: warum untergraͤbſt Du denn allein, was du mit ihm zugleich Gebauet? Liebe Daja, das iſt kein Geſpraͤch, womit wir unſerm Freund am beſten Entgegen ſehn. Fuͤr mich zwar, ja! Denn mir Mir liegt daran unendlich, ob auch er Horch, Daja! Kommt es nicht an unſre Thuͤre? Wenn Er es waͤre! horch!

Zweyter Auftritt.

Recha. Daja und der Tempelherr, dem Je - mand von auſſen die Thuͤre oͤfnet, mit den Worten:

Nur hier herein!

Recha.
(faͤhrt zuſammen, faßt ſich, und will ihm zu Fuͤſſen fallen.)

Er iſts! Mein Retter, ah!

Tempelherr.

Dieß zu vermeiden Erſchien ich blos ſo ſpaͤt: und doch

Recha.

Jch will Ja zu den Fuͤſſen dieſes ſtolzen Mannes Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne. G 3Der102Der Mann will keinen Dank; will ihn ſo wenig Als ihn der Waſſereymer will, der bey Dem Loͤſchen ſo geſchaͤftig ſich erwieſen. Der ließ ſich fuͤllen, ließ ſich leeren, mir Nichts, dir nichts: alſo auch der Mann. Auch der Ward nun ſo in die Glut hineingeſtoßen; Da fiel ich ungefaͤhr ihm in den Arm; Da blieb ich ungefaͤhr, ſo wie ein Funken Auf ſeinem Mantel, ihm in ſeinen Armen; Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beyde Herausſchmiß aus der Glut. Was giebt es da Zu danken? Jn Europa treibt der Wein Zu noch weit andern Thaten. Tempelherren, Die muͤſſen einmal nun ſo handeln; muͤſſen Wie etwas beſſer zugelernte Hunde, Sowohl aus Feuer, als aus Waſſer hohlen.

Tempelherr.
(der ſie mit Erſtaunen und Unruhe die Zeit uͤber betrachtet.)

O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken Des Kummers und der Galle, meine Laune Dich uͤbel anließ, warum jede Thorheit, Die meiner Zung entfuhr, ihr hinterbringen? Das hieß ſich zu empfindlich raͤchen, Daja! Doch wenn du nur von nun an, beſſer mich Bey ihr vertreten willſt.

Daja.

Jch denke, Ritter, Jch denke nicht, daß dieſe kleinen Stacheln,Jhr103Jhr an das Herz geworfen, Euch da ſehr Geſchadet haben.

Recha.

Wie? Jhr hattet Kummer? Und wart mit Euerm Kummer geiziger Als Euerm Leben?

Tempelherr.

Gutes, holdes Kind Wie iſt doch meine Seele zwiſchen Auge Und Ohr getheilt! Das war das Maͤdchen nicht, Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer Jch hohlte. Denn wer haͤtte die gekannt, Und aus dem Feuer nicht gehohlt? Wer haͤtte Auf mich gewartet? Zwar verſtellt der Schreck

(Pauſe, unter der er, in Anſchauung ihrer, ſich wie verliert.)
Recha.

Jch aber find Euch noch den nemlichen.

(dergleichen; bis ſie fortfaͤhrt, um ihn in ſeinem Anſtau - nen zu unterbrechen.)

Nun, Ritter, ſagt uns doch, wo Jhr ſo lange Geweſen? Faſt duͤrft ich auch fragen: wo Jhr itzo ſeyd?

Tempelherr.

Jch bin, wo ich vielleicht Nicht ſollte ſeyn.

Recha.

Wo Jhr geweſen? AuchG 4Wo104Wo ihr vielleicht nicht ſolltet ſeyn geweſen? Das iſt nicht gut.

Tempelherr.

Auf auf wie heißt der Berg? Auf Sinai.

Recha.

Auf Sinai? Ah ſchoͤn! Nun kann ich zuverlaͤſſig doch einmal Erfahren, ob es wahr

Tempelherr.

Was? was? Obs wahr, Daß noch daſelbſt der Ort zu ſehn, wo Moſes Vor Gott geſtanden, als ..

Recha.

Nun das wohl nicht. Denn wo er ſtand, ſtand er vor Gott. Und davon Jſt mir zur Gnuͤge ſchon bekannt. Obs wahr, Moͤcht ich nur gern von Euch erfahren, daß Daß es bey weitem nicht ſo muͤhſam ſey, Auf dieſen Berg hinauf zu ſteigen, als Herab? Denn ſeht; ſo viel ich Berge noch Geſtiegen bin, wars juſt das Gegentheil. Nun, Ritter? Was? Jhr kehrt Euch von mir ab? Wollt mich nicht ſehn?

Tempelherr.

Weil ich Euch hoͤren will.

Recha.
105
Recha.

Weil Jhr mich nicht wollt merken laſſen, daß Jhr meiner Einfalt laͤchelt; daß Jhr laͤchelt, Wie ich Euch doch ſo gar nichts Wichtigers Von dieſem heiligen Berg aller Berge Zu fragen weiß? Nicht wahr?

Tempelherr.

So muß Jch doch Euch wieder in die Augen ſehn. Was? Nun ſchlagt Jhr ſie nieder? nun verbeißt Das Laͤcheln Jhr? wie ich noch erſt in Mienen, Jn zweifelhaften Mienen leſen will, Was ich ſo deutlich hoͤr, Jhr ſo vernehmlich Mir ſagt verſchweigt? Ah Recha! Recha! Wie Hat er ſo wahr geſagt: Kennt ſie nur erſt!

Recha.

Wer hat? von wem Euch das geſagt?

Tempelherr.

Kennt ſie Nur erſt! hat Euer Vater mir geſagt; Von Euch geſagt.

Daja.

Und ich nicht etwa auch? Jch denn nicht auch?

Tempelherr.

Allein wo iſt er denn? G 5Wo106Wo iſt denn Euer Vater? Jſt er noch Beym Sultan?

Recha.

Ohne Zweifel.

Tempelherr.

Noch, noch da? O mich vergeßlichen! Nein, nein; da iſt Er ſchwerlich mehr. Er wird dort unten bey Dem Kloſier meiner warten; ganz gewiß. So redten, meyn ich, wir es ab. Erlaubt! Jch geh, ich hohl ihn

Daja.

Das iſt meine Sache. Bleibt, Ritter, bleibt. Jch bring ihn unverzuͤglich.

Tempelherr.

Nicht ſo, nicht ſo! Er ſieht mir ſelbſt entgegen; Nicht Euch. Dazu, er koͤnnte leicht wer weiß? Er koͤnnte bey dem Sultan leicht, Jhr kennt Den Sultan nicht! leicht in Verlegenheit Gekommen ſeyn. Glaubt mir; es hat Gefahr, Wenn ich nicht geh.

Recha.

Gefahr? was fuͤr Gefahr?

Tempelherr.

Gefahr fuͤr mich, fuͤr Euch, fuͤr ihn: wenn ich Nicht ſchleunig, ſchleunig geh.

(ab.)
Dritter107

Dritter Auftritt.

Recha und Daja.
Recha.

Was iſt das, Daja? So ſchnell? Was koͤmmt ihm an? Was fiel ihm auf? Was jagt ihn?

Daja.

Laßt nur, laßt. Jch denk, es iſt Kein ſchlimmes Zeichen.

Recha.

Zeichen? und wovon?

Daja.

Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht, Und ſoll nicht uͤberkochen. Laßt ihn nur. Nun iſts an Euch.

Recha.

Was iſt an mir? Du wirſt, Wie er, mir unbegreiflich.

Daja.

Bald nun koͤnnt Jhr ihm die Unruh all vergelten, die Er Euch gemacht hat. Seyd nur aber auch Nicht allzuſtreng, nicht allzu rachbegierig.

Recha.

Wovon du ſprichſt, das magſt du ſelber wiſſen.

Daja.
108
Daja.

Und ſeyd denn Jhr bereits ſo ruhig wieder?

Recha.

Das bin ich; ja das bin ich

Daja.

Wenigſtens Geſteht, daß Jhr Euch ſeiner Unruh freut; Und ſeiner Unruh danket, was Jhr itzt Von Ruh genießt.

Recha.

Mir voͤllig unbewußt! Denn was ich hoͤchſtens dir geſtehen koͤnnte, Waͤr, daß es mich mich ſelbſt befremdet, wie Auf einen ſolchen Sturm in meinem Herzen So eine Stille ploͤtzlich folgen koͤnnen. Sein voller Anblick, ſein Geſpraͤch, ſein Thun Hat mich

Daja.

Geſaͤttigt ſchon?

Recha.

Geſaͤttigt, will Jch nun nicht ſagen; nein bey weitem nicht

Daja.

Den heiſſen Hunger nur geſtillt.

Recha.

Nun ja; Wenn du ſo willſt.

Daja.
109
Daja.

Jch eben nicht.

Recha.

Er wird Mir ewig werth; mir ewig werther, als Mein Leben bleiben: wenn auch ſchon mein Puls Nicht mehr bey ſeinem bloſſen Namen wechſelt; Nicht mehr mein Herz, ſo oft ich an ihn denke, Geſchwinder, ſtaͤrker ſchlaͤgt. Was ſchwatz ich? Komm, Komm, liebe Daja, wieder an das Fenſter, Das auf die Palmen ſieht.

Daja.

So iſt er doch Wohl noch nicht ganz geſtillt, der heiſſe Hunger.

Recha.

Nun werd ich auch die Palmen wieder ſehn: Nicht ihn blos untern Palmen.

Daja.

Dieſe Kaͤlte Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.

Recha.

Was Kaͤlt? Jch bin nicht kalt. Jch ſehe wahrlich Nicht minder gern; was ich mit Ruhe ſehe.

Vierter110

Vierter Auftritt.

(Scene: ein Audienzſaal in dem Pallaſte des Saladin.)
Saladin und Sittah.
Saladin.
(im hereintreten, gegen die Thuͤre.)

Hier bringt den Juden her, ſo bald er koͤmmt. Er ſcheint ſich eben nicht zu uͤbereilen.

Sittah.

Er war auch wohl nicht bey der Hand; nicht gleich Zu finden.

Saladin.

Schweſter! Schweſter!

Sittah.

Thuſt du doch Als ſtuͤnde dir ein Treffen vor.

Saladin.

Und das Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu fuͤhren. Jch ſoll mich ſtellen; ſoll beſorgen laſſen; Soll Fallen legen; ſoll auf Glatteiß fuͤhren. Wenn haͤtt ich das gekonnt? Wo haͤtt ich das Gelernt? Und ſoll das alles, ah, wozu? Wozu? Um Geld zu fiſchen! Geld! Um Geld, Geld einem Juden abzubangen? Geld! Zu111Zu ſolchen kleinen Liſten waͤr ich endlich Gebracht, der Kleinigkeiten kleinſte mir Zu ſchaffen?

Sittah.

Jede Kleinigkeit, zu ſehr Verſchmaͤht, die raͤcht ſich, Bruder.

Saladin.

Leider wahr. Und wenn nun dieſer Jude gar der gute, Vernuͤnftge Mann iſt, wie der Derwiſch dir Jhn ehedem beſchrieben?

Sittah.

O nun dann! Was hat es denn fuͤr Noth! Die Schlinge liegt Ja nur dem geizigen, beſorglichen, Furchtſamen Juden: nicht dem guten, nicht Dem weiſen Manne. Dieſer iſt ja ſo Schon unſer, ohne Schlinge. Das Vergnuͤgen Zu hoͤren, wie ein ſolcher Mann ſich ausredt; Mit welcher dreiſten Staͤrk entweder, er Die Stricke kurz zerreißet; oder auch Mit welcher ſchlauen Vorſicht er die Netze Vorbey ſich windet: dieß Vergnuͤgen haſt Du obendrein.

Saladin.

Nun, das iſt wahr. Gewiß; Jch freue mich darauf.

Sittah.
112
Sittah.

So kann dich ja Auch weiter nichts verlegen machen. Denn Jſts einer aus der Menge blos; iſts blos Ein Jude, wie ein Jude: gegen den Wirſt du dich doch nicht ſchaͤmen, ſo zu ſcheinen Wie er die Menſchen all ſich denkt? Vielmehr; Wer ſich ihm beſſer zeigt, der zeigt ſich ihm Als Geck, als Narr.

Saladin.

So muß ich ja wohl gar Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht Schlecht denke?

Sittah.

Traun: wenn du ſchlecht handeln nennſt, Ein jedes Ding nach ſeiner Art zu brauchen.

Saladin.

Was haͤtt ein Weiberkopf erdacht, das er Nicht zu beſchoͤnen wuͤßte!

Sittah.

Zu beſchoͤnen!

Saladin.

Das feine, ſpitze Ding, beſorg ich nur, Jn meiner plumpen Hand zerbricht! So was Will ausgefuͤhrt ſeyn, wies erfunden iſt: Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. Doch,Mags113Mags doch nur mags! Jch tanze, wie ich kann; Und koͤnnt es freylich, lieber ſchlechter noch Als beſſer.

Sittah.

Trau dir auch nur nicht zu wenig! Jch ſtehe dir fuͤr dich? Wenn du nur willſt. Daß uns die Maͤnner deines gleichen doch So gern bereden moͤchten, nur ihr Schwert, Jhr Schwert nur habe ſie ſo weit gebracht. Der Loͤwe ſchaͤmt ſich freylich, wenn er mit Dem Fuchſe jagt: des Fuchſes, nicht der Liſt.

Saladin.

Und daß die Weiber doch ſo gern den Mann Zu ſich herunter haͤtten! Geh nur, geh! Jch glaube meine Lection zu koͤnnen.

Sittah.

Was? ich ſoll gehn?

Saladin.

Du wollteſt doch nicht bleiben?

Sittah.

Wenn auch nicht bleiben im Geſicht euch bleiben Doch hier im Nebenzimmer

Saladin.

Da zu horchen? Auch das nicht, Schweſter; wenn ich ſoll beſtehn. HFort,114Fort, fort! der Vorhang rauſcht; er koͤmmt! doch daß Du ja nicht da verweilſt! Jch ſehe nach.

(Jndem ſie ſich durch die eine Thuͤre entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat ſich geſetzt.)

Fuͤnfter Auftritt.

Saladin und Nathan.
Saladin.

Tritt naͤher, Jude! Naͤher! Nur ganz her! Nur ohne Furcht!

Nathan.

Die bleibe deinem Feinde!

Saladin.

Du nennſt dich Nathan?

Nathan.

Ja.

Saladin.

Den weiſen Nathan?

Nathan.

Nein.

Saladin.

Wohl! nennſt du dich nicht; nennt dich das Volk.

Nathan.

Kann ſeyn: das Volk!

Saladin.

Du glaubſt doch nicht, daß ichVeraͤcht -115Veraͤchtlich von des Volkes Stimme denke? Jch habe laͤngſt gewuͤnſcht, den Mann zu kennen, Den es den Weiſen nennt.

Nathan.

Und wenn es ihn Zum Spott ſo nennte? Wenn dem Volke weiſe Nichts weiter waͤr als klug? und klug nur der, Der ſich auf ſeinen Vortheil gut verſteht?

Saladin.

Auf ſeinen wahren Vortheil, meynſt du doch?

Nathan.

Dann freylich waͤr der Eigennuͤtzigſte Der Kluͤgſte. Dann waͤr freylich klug und weiſe Nur eins.

Saladin.

Jch hoͤre dich erweiſen, was Du widerſprechen willſt. Des Menſchen wahre Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennſt du. Haſt du zu kennen wenigſtens geſucht; Haſt druͤber nachgedacht: das auch allein Macht ſchon den Weiſen.

Nathan.

Der ſich jeder duͤnkt Zu ſeyn.

Saladin.

Nun der Beſcheidenheit genug! Denn ſie nur immerdar zu hoͤren, woH 2Man116Man trockene Vernunft erwartet, eckelt.

(Er ſpringt auf.)

Laß uns zur Sache kommen! Aber, aber Aufrichtig, Jud, aufrichtig!

Nathan.

Sultan, ich Will ſicherlich dich ſo bedienen, daß Jch deiner fernern Kundſchaft wuͤrdig bleibe.

Saladin.

Bedienen? wie?

Nathan.

Du ſollſt das Beſte haben Von allem; ſollſt es um den billigſten Preis haben.

Saladin.

Wovon ſprichſt du? doch wohl nicht Von deinen Waaren? Schachern wird mit dir Schon meine Schweſter. (Das der Horcherinn!) Jch habe mit dem Kaufmann nichts zu thun.

Nathan.

So wirſt du ohne Zweifel wiſſen wollen, Was ich auf meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings ſich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen? Wenn ich unverhohlen

Saladin.

Auch darauf bin ich eben nicht mit dirGeſten -117Geſteuert. Davon weiß ich ſchon, ſo viel Jch noͤthig habe. Kurz;

Nathan.

Gebiethe, Sultan.

Saladin.

Jch heiſche deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm. Da du nun So weiſe biſt: ſo ſage mir doch einmal Was fuͤr ein Glaube, was fuͤr ein Geſetz Hat dir am meiſten eingeleuchtet?

Nathan.

Sultan, Jch bin ein Jud.

Saladin.

Und ich ein Muſelmann. Der Chriſt iſt zwiſchen uns. Von dieſen drey Religionen kann doch eine nur Die wahre ſeyn. Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht ſtehen, wo der Zufall der Geburth Jhn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einſicht, Gruͤnden, Wahl des Beſſern. Wohlan! ſo theile deine Einſicht mir Dann mit. Laß mich die Gruͤnde hoͤren, denen Jch ſelber nachzugruͤbeln, nicht die Zeit Gehabt. Laß mich die Wahl, die dieſe Gruͤnde Beſtimmt, verſteht ſich, im Vertrauen wiſſen, Damit ich ſie zu meiner mache. Wie? H 3Du118Du ſtutzeſt? waͤgſt mich mit dem Auge? Kann Wohl ſeyn, daß ich der erſte Sultan bin, Der eine ſolche Grille hat; die mich Doch eines Sultans eben nicht ſo ganz Unwuͤrdig duͤnkt. Nicht wahr? So rede doch! Sprich! Oder willſt du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut; ich geb ihn dir. (Ob ſie wohl horcht? Jch will ſie doch belauſchen; Will hoͤren, ob ichs recht gemacht. ) Denk nach! Geſchwind denk nach! Jch ſaͤume nicht, zuruͤck Zu kommen.

(Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem ſich Sittah begeben.)

Sechster Auftritt.

Nathan allein.

Hm! hm! wunderlich! Wie iſt Mir denn? Was will der Sultan? was? Jch bin Auf Geld gefaßt; und er will Wahrheit. Wahrheit! Und will ſie ſo, ſo baar, ſo blank, als ob Die Wahrheit Muͤnze waͤre! Ja, wenn noch Uralte Muͤnze, die gewogen ward! Das ginge noch! Allein ſo neue Muͤnze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Bret Nur zaͤhlen darf, das iſt ſie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, ſo ſtriche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer iſt denn hier der Jude? Jch oder er? Doch wie? Sollt er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? Zwar,Zwar119Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur Als Falle brauche, waͤr auch gar zu klein! Zu klein? Was iſt fuͤr einen Groſſen denn Zu klein? Gewiß, gewiß: er ſtuͤrzte mit Der Thuͤre ſo ins Haus! Man pocht doch, hoͤrt Doch erſt, wenn man als Freund ſich naht. Jch muß Behutſam gehn! und wie? wie das? So ganz Stockjude ſeyn zu wollen, geht ſchon nicht. Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, duͤrft er mich nur fragen, Warum kein Muſelmann? Das wars! Das kann Mich retten! Nicht die Kinder blos, ſpeiſt man Mit Maͤhrchen ab. Er koͤmmt. Er komme nur!

Siebender Auftritt.

Saladin und Nathan.
Saladin.

(So iſt das Feld hier rein!) Jch komm dir doch Nicht zu geſchwind zuruͤck? Du biſt zu Rande Mit deiner Ueberlegung. Nun ſo rede! Es hoͤrt uns keine Seele.

Nathan.

Moͤcht auch doch Die ganze Welt uns hoͤren.

Saladin.

So gewiß Jſt Nathan ſeiner Sache? Ha! das nenn H 4Jch120Jch einen Weiſen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! fuͤr ſie alles auf das Spiel Zu ſetzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

Nathan.

Ja! ja! wanns noͤthig iſt und nutzt.

Saladin.

Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel. Verbeſſerer der Welt und des Geſetzes, Mit Recht zu fuͤhren.

Nathan.

Traun, ein ſchoͤner Titel! Doch, Sultan, eh ich mich dir ganz vertraue, Erlaubſt du wohl, dir ein Geſchichtchen zu Erzaͤhlen?

Saladin.

Warum das nicht? Jch bin ſtets Ein Freund geweſen von Geſchichtchen, gut Erzaͤhlt.

Nathan.

Ja, gut erzaͤhlen, das iſt nun Wohl eben meine Sache nicht.

Saladin.

Schon wieder So ſtolz beſcheiden? Mach! erzaͤhl, erzaͤhle!

Nathan.

Vor grauen Jahren lebt ein Mann in Oſten,Der121Der einen Ring von unſchaͤtzbarem Werth Aus lieber Hand beſaß. Der Stein war ein Opal, der hundert ſchoͤne Farben ſpielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menſchen angenehm zu machen, wer Jn dieſer Zuverſicht ihn trug. Was Wunder, Daß ihn der Mann in Oſten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfuͤgung traf, Auf ewig ihn bey ſeinem Hauſe zu Erhalten? Nehmlich ſo. Er ließ den Ring Von ſeinen Soͤhnen dem Geliebteſten; Und ſetzte feſt, daß dieſer wiederum Den Ring von ſeinen Soͤhnen dem vermache, Der ihm der liebſte ſey; und ſtets der Liebſte, Ohn Anſehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fuͤrſt des Hauſes werde. Verſteh mich, Sultan.

Saladin.

Jch verſteh dich. Weiter!

Nathan.

So kam nun dieſer Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drey Soͤhnen; Die alle drey ihm gleich gehorſam waren, Die alle drey er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit ſchien ihm bald der, bald dieſer, bald Der dritte, ſo wie jeder ſich mit ihmH 5Allein122Allein befand, und ſein ergieſſend Herz Die andern zwey nicht theilten, wuͤrdiger Des Ringes; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu verſprechen. Das ging nun ſo, ſo lang es ging. Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Koͤmmt in Verlegenheit. Es ſchmerzt ihn, zwey Von ſeinen Soͤhnen, die ſich auf ſein Wort Verlaſſen, ſo zu kraͤuken. Was zu thun? Er ſendet in geheim zu einem Kuͤnſtler, Bey dem er, nach dem Muſter ſeines Ringes, Zwey andere beſtellt, und weder Koſten Noch Muͤhe ſparen heißt, ſie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Kuͤnſtler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann ſelbſt der Vater ſeinen Muſterring Nicht unterſcheiden. Froh und freudig ruft Er ſeine Soͤhne, jeden ins beſondre; Giebt jedem ins beſondre ſeinen Seegen, Und ſeinen Ring, und ſtirbt. Du hoͤrſt doch, Sultan?

Saladin.
(der ſich betroffen von ihm gewandt.)

Jch hoͤr, ich hoͤre! Komm mit deinem Maͤhrchen Nur bald zu Ende. Wirds?

Nathan.

Jch bin zu Ende. Denn was noch folgt, verſteht ſich ja von ſelbſt. Kaum war der Vater todt, ſo koͤmmt ein jederMit123Mit ſeinem Ring, und jeder will der Fuͤrſt Des Hauſes ſeyn. Man unterſucht, man zankt, Man klagt. Umſonſt; der rechte Ring war nicht Erweislich;

(nach einer Pauſe, in welcher er des Sultans Antwort erwartet.) Faſt ſo unerweislich, als

Uns itzt der rechte Glaube.

Saladin.

Wie? das ſoll Die Antwort ſeyn auf meine Frage?

Nathan.

Soll Mich blos entſchuldigen, wenn ich die Ringe, Mir nicht getrau zu unterſcheiden, die Der Vater in der Abſicht machen ließ, Damit ſie nicht zu unterſcheiden waͤren.

Saladin.

Die Ringe! Spiele nicht mit mir! Jch daͤchte, Daß die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterſcheiden waͤren. Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank!

Nathan.

Und nur von Seiten ihrer Gruͤnde nicht. Denn gruͤnden alle ſich nicht auf Geſchichte? Geſchrieben oder uͤberliefert! Und Geſchichte muß doch wohl allein auf Tren Und Glauben angenommen werden? Nicht? Nun124Nun weſſen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigſten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir ſind? doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben? die uns nie getaͤuſcht, als wo Getaͤuſcht zu werden uns heilſamer war? Wie kann ich meinen Vaͤtern weniger, Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. Kann ich von dir verlangen, daß du deine Vorfahren Luͤgen ſtrafſt, um meinen nicht Zu widerſprechen? Oder umgekehrt. Das nehmliche gilt von den Chriſten. Nicht?

Saladin.

(Bey dem Lebendigen! Der Mann hat Recht. Jch muß verſtummen.)

Nathan.

Laß auf unſre Ring Uns wieder kommen. Wie geſagt: die Soͤhne Verklagten ſich; und jeder ſchwur dem Richter, Unmittelbar aus ſeines Vaters Hand Den Ring zu haben. Wie auch wahr! Nachdem Er von ihm lange das Verſprechen ſchon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Genieſſen. Wie nicht minder wahr! Der Vater, Betheu’rte jeder, koͤnne gegen ihn Nicht falſch geweſen ſeyn; und eh er dieſes Von ihm, von einem ſolchen lieben Vater,Argwoh -125Argwohnen laß: eh muͤß er ſeine Bruͤder, So gern er ſonſt von ihnen nur das Beſte Bereit zu glauben ſey, des falſchen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verraͤther Schon auszuſinden wiſſen; ſich ſchon raͤchen.

Saladin.

Und nun, der Richter? Mich verlangt zu hoͤren, Was du den Richter ſagen laͤſſeſt. Sprich!

Nathan.

Der Richter ſprach: wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle ſchafft, ſo weiſ ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Raͤthſel Zu loͤſen da bin? Oder harret ihr, Bis daß der rechte Ring den Mund eroͤffne? Doch halt! Jch hoͤre ja, der rechte Ring Beſitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menſchen angenehm. Das muß Entſcheiden! Denn die falſchen Ringe werden Doch das nicht koͤnnen! Nun; wen lieben zwey Von euch am meiſten? Macht, ſagt an! Jhr ſchweigt? Die Ringe wirken nur zuruͤck? und nicht Nach auſſen? Jeder liebt ſich ſelber nur Am meiſten? O ſo ſeyd ihr alle drey Betrogene Betrieger! Eure Ringe Sind alle drey nicht echt. Der echte Ring Vermuthlich ging verloren. Den Verluſt Zu bergen, zu erſetzen, ließ der Vater Die drey fuͤr einen machen.

Saladin.
126
Saladin.

Herrlich! herrlich!

Nathan.

Und alſo; fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rath, ſtatt meines Spruches, wollt: Geht nur! Mein Rath iſt aber der: ihr nehmt Sie Sache voͤllig wie ſie liegt. Hat von Euch jeder ſeinen Ring von ſeinem Vater: So glaube jeder ſicher ſeinen Ring Den echten. Moͤglich; daß der Vater nun Die Tyranney des Einen Rings nicht laͤnger Jn ſeinem Hauſe dulden wollen! Und gewiß; Daß er euch alle drey geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwey nicht druͤcken moͤgen, Um einen zu beguͤnſtigen. Wohlan! Es eifre jeder ſeiner unbeſtochnen Von Vorurtheilen freyen Liebe nach! Es ſtrebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in ſeinem Ring an Tag Zu legen! komme dieſer Kraft mit Sauſtmuth, Mit herzlicher Vertraͤglichkeit, mit Wohlthun, Mit innigſter Ergebenheit in Gott, Zu Huͤlf! Und wenn ſich dann der Steine Kraͤfte Bey euern Kindes-Kindeskindern aͤuſſern: So lad ich uͤber tauſend tauſend Jahre, Sie wiederum vor dieſen Stuhl. Da wird Ein weiſrer Mann auf dieſem Stuhle ſitzen,Als127Als ich; und ſprechen: Geht! So ſagte der Beſcheidne Richter.

Saladin.

Gott! Gott!

Nathan.

Saladin, Wenn du dich fuͤhleſt, dieſer weiſere Verſprochne Mann zu ſeyn: ..

Saladin.
(der auf ihn zuſtuͤrzt, und ſeine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren laͤßt.)

Jch Staub? Jch Nichts? O Gott!

Nathan.

Was iſt dir, Sultan?

Saladin.

Nathan, lieber Nathan! Die tauſend tauſend Jahre deines Richters Sind noch nicht um. Sein Richterſtuhl iſt nicht Der meine. Geh! Geh! Aber ſey mein Freund.

Nathan.

Und weiter haͤtte Saladin mir nichts Zu ſagen?

Saladin.

Nichts.

Nathan.

Nichts?

Saladin.
128
Saladin.

Gar nichts. Und warum?

Nathan.

Jch haͤtte noch Gelegenheit gewuͤnſcht, Dir eine Bitte vorzutragen.

Saladin.

Brauchts Gelegenheit zu einer Bitte? Rede!

Nathan.

Jch komm von einer weiten Reiſ, auf welcher Jch Schulden eingetrieben. Faſt hab ich Des baaren Gelds zu viel. Die Zeit beginnt Bedenklich wiederum zu werden; und Jch weiß nicht recht, wo ſicher damit hin. Da dacht ich, ob nicht du vielleicht, weil doch Ein naher Krieg des Geldes immer mehr Erfodert, etwas brauchen koͤnnteſt.

Saladin.
(ihm ſteif in die Augen ſehend.)

Nathan! Jch will nicht fragen, ob Al-Hafi ſchon Bey dir geweſen; will nicht unterſuchen, Ob dich nicht ſonſt ein Argwohn treibt, mir dieſes Erbieten freyer Dings zu thun:

Nathan.

Ein Argwohn?

Saladin.
129
Saladin.

Jch bin ihn werth. Verzeih mir! denn was hilfts? Jch muß dir nur geſtehen, daß ich im Begriffe war

Nathan.

Doch nicht, das Nehmliche An mich zu ſuchen?

Saladin.

Allerdings.

Nathan.

So waͤr Uns beyden ja geholffen! Daß ich aber Dir alle meine Baarſchaft nicht kann ſchicken, Das macht der junge Tempelherr. Du kennſt Jhn ja. Jhm hab ich eine große Poſt Vorher noch zu bezahlen.

Saladin.

Tempelherr? Du wirſt doch meine ſchlimmſten Feinde nicht Mit deinem Geld auch unterſtuͤtzen wollen?

Nathan.

Jch ſpreche von dem einen nur, dem du Das Leben ſparteſt

Saladin.

Ah! woran erinnerſtJDu130Du mich! Hab ich doch dieſen Juͤngling ganz Vergeſſen! Kennſt du ihn? Wo iſt er?

Nathan.

Wie? So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade Fuͤr ihn, durch ihn auf mich gefloſſen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, Hat meine Tochter aus dem Feu’r gerettet.

Saladin.

Er? Hat er das? Ha! darnach ſah er aus. Das haͤtte traun mein Bruder auch gethan, Dem er ſo aͤhnelt! Jſt er denn noch hier? So bring ihn her! Jch habe meiner Schweſter Von dieſem ihren Bruder, den ſie nicht Gekannt, ſo viel erzaͤhlet, daß ich ſie Sein Ebenbild doch auch muß ſehen laſſen! Geh, hohl ihn! Wie aus Einer guten That, Gebahr ſie auch ſchon bloſſe Leidenſchaft, Doch ſo viel andre gute Thaten flieſſen! Geh, hohl ihn!

Nathan.
(indem er Saladins Hand fahren laͤßt.)

Augenblicks! Und bey dem andern Bleibt es doch auch?

(ab.)
Saladin.

Ah! daß ich meine SchweſterNicht131Nicht horchen laſſen! Zu ihr! zu ihr! Denn Wie ſoll ich alles das ihr nun erzaͤhlen?

(ab von der andern Seite.)

Siebender Auftritt.

(Die Scene: unter den Palmen, in der Naͤhe des Kloſters, wo der Tempelherr Nathans wartet.)
Der Tempelherr.
(Geht, mit ſich ſelbſt kaͤmpfend, auf und ab; bis er losbricht.)

Hier haͤlt das Opferthier ermuͤdet ſtill. Nun gut! Jch mag nicht, mag nicht naͤher wiſſen, Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern, Was vorgehn wird. Genug, ich bin umſonſt Geflohn! umſonſt. Und weiter konnt ich doch Auch nichts, als fliehn? Nun komm, was kommen ſoll! Jhm auszubeugen, war der Streich zu ſchnell Gefallen; unter den zu kommen, ich So lang und viel mich weigerte. Sie ſehn, Die ich zu ſehn ſo wenig luͤſtern war, Sie ſehn, und der Entſchluß, ſie wieder aus Den Augen nie zu laſſen. Was Entſchluß? Entſchluß iſt Vorſatz, That: und ich, ich litt Jch litte blos. Sie ſehn, und das Gefuͤhl An ſie verſtrickt, in ſie verwebt zu ſeyn, War eins. Bleibt eins. Von ihr getrenntJ 2Zu132Zu leben, iſt mir ganz undenkbar; waͤr Mein Tod, und wo wir immer nach dem Tode Noch ſind, auch da mein Tod. Jſt das nun Liebe: So liebt der Tempelritter freylich, liebt Der Chriſt das Judenmaͤdchen freylich. Hm! Was thuts? Jch hab in dem gelobten Lande, Und drum auch mir gelobt auf immerdar! Der Vorurtheile mehr ſchon abgelegt. Was will mein Orden auch? Jch Tempelherr Bin todt; war von dem Augenblick ihm todt, Der mich zu Saladins Gefangnen machte. Der Kopf, den Saladin mir ſchenkte, waͤr Mein alter? Jſt ein neuer; der von allem Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward, Was jenen band. Und iſt ein beſſrer; fuͤr Den vaͤterlichen Himmel mehr gemacht. Das ſpuͤr ich ja. Denn erſt mit ihm beginn Jch ſo zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muß haben; wenn man Maͤhrchen nicht Von ihm mir vorgelogen. Maͤhrchen? doch Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, Als itzt geſchienen, da ich nur Gefahr Zu ſtraucheln lauffe, wo er ſiel. Er fiel? Jch will mit Maͤnnern lieber fallen, als Mit Kindern ſtehn. Sein Beyſpiel buͤrget mir Fuͤr ſeinen Beyfall. Und an weſſen Beyfall Liegt mir denn ſonſt An Nathans? O an deſſen Ermuntrung mehr, als Beyfall, kann es mir Noch weniger gebrechen. Welch ein Jude! Und der ſo ganz nur Jude ſcheinen will! Da133Da koͤmmt er; koͤmmt mit Haſt; gluͤht heitre Freude. Wer kam vom Saladin je anders? He! He, Nathan!

Achter Auftritt.

Nathan und der Tempelherr.
Nathan.

Wie? ſeyd Jhrs?

Tempelherr.

Jhr habt Sehr lang Euch bey dem Sultan aufgehalten.

Nathan.

So lange nun wohl nicht. Jch ward im hingehn Zu viel verweilt. Ah, wahrlich Curd; der Mann Steht ſeinen Ruhm Sein Ruhm iſt blos ſein Schatten. Doch laßt vor allen Dingen Euch geſchwind Nur ſagen

Tempelherr.

Was?

Nathan.

Er will Euch ſprechen; will, Daß ungeſaͤumt Jhr zu ihm kommt. Begleitet Mich nur nach Hauſe, wo ich noch fuͤr ihn Erſt etwas anders zu verfuͤgen habe: Und dann, ſo gehn wir.

J 3Tempel -
134
Tempelherr.

Nathan, Euer Haus Betret ich wieder eher nicht

Nathan.

So ſeyd Jhr doch indeß ſchon da geweſen? habt Jndeß ſie doch geſprochen? Nun? Sagt: wie Gefaͤllt Euch Recha?

Tempelherr.

Ueber allen Ausdruck! Allein, ſie wiederſehn das werd ich nie! Nie! nie! Jhr muͤßtet mir zur Stelle denn Verſprechen: daß ich ſie auf immer, immer Soll koͤnnen ſehn.

Nathan.

Wie wollt Jhr, daß ich das Verſteh?

Tempelherr.
(nach einer kurzen Pauſe ihm plotzlich um den Hals fallend.)

Mein Vater!

Nathan.

Junger Mann!

Tempelherr.
(ihn eben ſo ploͤtzlich wieder laſſend)

Nicht Sohn? Jch bitt Euch, Nathan!

Nathan.
135
Nathan.

Lieber junger Mann!

Tempelherr.

Nicht Sohn? Jch bitt Euch, Nathan! Jch beſchwoͤr Euch bey den erſten Banden der Natur! Zieht ihnen ſpaͤtre Feſſeln doch nicht vor! Begnuͤgt Euch doch ein Menſch zu ſeyn! Stoßt mich Nicht von Euch!

Nathan.

Lieber, lieber Freund!

Tempelherr.

Und Sohn? Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmahl, wenn Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter Der Liebe ſchon den Weg gebahnet haͤtte? Auch dann nicht einmahl, wenn in eins zu ſchmelzen Auf Euern Wink nur beyde warteten? Jhr ſchweigt?

Nathan.

Jhr uͤberraſcht mich, junger Ritter.

Tempelherr.

Jch uͤberraſch Euch? uͤberraſch Euch, Nathan, Mit Euern eigenen Gedanken? Jhr Verkennt ſie doch in meinem Munde nicht? Jch uͤberraſch Euch?

Nathan.

Eh ich einmal weiß,J 4Was136Was fuͤr ein Staufen Euer Vater denn Geweſen iſt!

Tempelherr.

Was ſagt Jhr, Nathan? was? Jn dieſem Augenblicke fuͤhlt Jhr nichts, Als Neubegier?

Nathan.

Denn ſeht! Jch habe ſelbſt Wohl einen Staufen ehedem gekannt, Der Conrad hieß.

Tempelherr.

Nun wenn mein Vater denn Nun eben ſo geheiſſen haͤtte?

Nathan.

Wahrlich?

Tempelherr.

Jch heiſſe ſelber ja nach meinem Vater: Curd Jſt Conrad.

Nathan.

Nun ſo war mein Conrad doch Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war, Was ihr; war Tempelherr; war nie vermaͤhlt.

Tempelherr.

O darum!

Nathan.

Wie?

Tempel -
137
Tempelherr.

O darum koͤnnt er doch Mein Vater wohl geweſen ſeyn.

Nathan.

Jhr ſcherzt.

Tempelherr.

Und Jhr nehmts wahrlich zu genau! Was waͤrs Denn nun? So was von Baſtard oder Bankert! Der Schlag iſt auch nicht zu verachten. Doch Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe. Jch will Euch Eurer wiederum entlaſſen. Nicht zwar, als ob ich den geringſten Zweifel Jn Euern Stammbaum ſetzte. Gott behuͤte! Jhr koͤnnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham Hinauf belegen. Uud von da ſo weiter, Weis ich ihn ſelbſt; will ich ihn ſelbſt beſchwoͤren.

Nathan.

Jhr werdet bitter. Doch verdien ichs? Schlug Jch denn Euch ſchon was ab? Jch will Euch ja Nur bey dem Worte nicht den Augenblick So faſſen. Weiter nichts.

Tempelherr.

Gewiß! Nichts weiter? O ſo vergebt!

Nathan.

Nun kommt nur, kommt!

J 5Tem -
138
Tempelherr.

Wohin? Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht! Da brennts! Jch will Euch hier erwarten. Geht! Soll ich ſie wiederſehn: ſo ſeh ich ſie Noch oft genug. Wo nicht: ſo ſah ich ſie Schon viel zu viel

Nathan.

Jch will mich moͤglichſt eilen.

Neunter Auftritt.

Der Tempelherr und bald darauf Daja.
Tempelherr.

Schon mehr als gnug! Des Menſchen Hirn faßt ſo Unendlich viel; und iſt doch manchmal auch So ploͤtzlich voll! von einer Kleinigkeit So ploͤtzlich voll! Taugt nichts, taugt nichts; es ſey Auch voll wovon es will. Doch nur Geduld! Die Seele wirkt den aufgedunſnen Stoͤff Bald in einander, ſchafft ſich Raum, und Licht Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn Zum erſtenmale? Oder war, was ich Als Liebe kenne, Liebe nicht? Jſt Liebe Nur was ich itzt empfinde?

Daja.
(die ſich von der Seite herbeigeſchlichen.)

Ritter! Ritter!

Tempel -
139
Tempelherr.

Wer ruft? Ha, Daja, Jhr?

Daja.

Jch habe mich Bey ihm vorbey geſchlichen. Aber noch Koͤnnt er uns ſehn, wo Jhr da ſteht. Drum kommt Doch naͤher zu mir, hinter dieſen Baum.

Tempelherr.

Was giebts denn? So geheimnißvoll? Was iſts?

Daja.

Ja wohl betrift es ein Geheimniß, was Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes. Das eine weiß nur ich; das andre wißt Nur Jhr. Wie waͤr es, wenn wir tauſchten? Vertraut mir Euers: ſo vertrau ich Euch Das Meine.

Tempelherr.

Mit Vergnuͤgen. Wenn ich nur Erſt weiß, was Jhr fuͤr Meines achtet. Doch Das wird aus Euerm wohl erhellen. Fangt Nur immer an.

Daja.

Ey denkt doch! Nein, Herr Ritter: Erſt Jhr; ich folge. Denn verſichert, mein Geheimniß kann Euch gar nichts nutzen, wenn Jch nicht zuvor das Eure habe. Nur Geſchwind! Denn frag ichs Euch erſt ab: ſo habtJhr140Jhr nichts vertrauet. Mein Geheimniß dann Bleibt mein Geheimniß; und das Eure ſeyd Jhr los. Doch armer Ritter! Daß ihr Maͤnner Ein ſolch Geheimniß vor uns Weibern haben Zu koͤnnen, auch nur glaubt!

Tempelherr.

Das wir zu haben Oft ſelbſt nicht wiſſen.

Daja.

Kann wohl ſeyn. Drum muß Jch freylich erſt, Euch ſelbſt damit bekannt Zu machen, ſchon die Freundſchaft haben. Sagt: Was hieß denn das, daß Jhr ſo Knall und Fall Euch aus dem Staube machtet? daß Jhr uns So ſitzen ließet? daß Jhr nun mit Nathan Nicht wiederkommt? Hat Recha denn ſo wenig Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, ſo viel? So viel! ſo viel! Lehrt Jhr des armen Vogels, Der an der Ruthe klebt, Geflattre mich Doch kennen! Kurz: geſteht es mir nur gleich, Daß ihr ſie liebt, liebt bis zum Unſinn; und Jch ſag Euch was

Tempelherr.

Zum Unſinn? Wahrlich; Jhr Verſteht Euch trefflich drauf.

Daja.

Nun gebt mir nurDie141Die Liebe zu; den Unſinn will ich Euch Erlaſſen.

Tempelherr.

Weil er ſich von ſelbſt verſteht? Ein Tempelherr ein Judenmaͤdchen lieben!

Daja.

Scheint freylich wenig Sinn zu haben. Doch Zuweilen iſt des Sinns in einer Sache Auch mehr, als wir vermuthen; und es waͤre So unerhoͤrt doch nicht, daß uns der Heyland Auf Wegen zu ſich zoͤge, die der Kluge Von ſelbſt nicht leicht betreten wuͤrde.

Tempelherr.

Das So feyerlich? (Und ſetz ich ſtatt des Heilands Die Vorſicht: hat ſie denn nicht Recht?) Jhr macht Mich neubegieriger, als ich wohl ſonſt Zu ſeyn gewohnt bin.

Daja.

O! das iſt das Land Der Wunder!

Tempelherr.

(Nun! des Wunderbaren. Kann Es auch wohl anders ſeyn? Die ganze Welt Draͤngt ſich ja hier zuſammen. ) Liebe Daja, Nehmt fuͤr geſtanden an, was ihr verlangt: Daß ich ſie liebe; daß ich nicht begreife, Wie ohne ſie ich leben werde; daß

Daja.
142
Daja.

Gewiß? gewiß? So ſchwoͤrt mir, Ritter, ſie Zur Eurigen zu machen; ſie zu retten; Sie zeitlich hier, ſie ewig dort zu retten.

Tempelherr.

Und wie? Wie kann ich? Kann ich ſchwoͤren, was Jn meiner Macht nicht ſteht?

Daja.

Jn Eurer Macht Steht es. Jch bring es durch ein einzig Wort Jn Eure Macht.

Tempelherr.

Daß ſelbſt der Vater nichts Dawieder haͤtte?

Daja.

Ey, was Vater! Vater! Der Vater ſoll ſchon muͤſſen.

Tempelherr.

Muͤſſen, Daja? Noch iſt er unter Raͤuber nicht gefallen. Er muß nicht muͤſſen.

Daja.

Nun, ſo muß er wollen; Muß gern am Ende wollen.

Tempelherr.

Muß und gern! Doch,143Doch, Daja, wenn ich Euch nun ſage, daß Jch ſelber dieſe Sait ihm anzuſchlagen Bereits verſucht?

Daja.

Was? und er fiel nicht ein?

Tempelherr.

Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich Beleidigte.

Daja.

Was ſagt Jhr? Wie? Jhr haͤttet Den Schatten eines Wunſches nur nach Recha Jhm blicken laſſen: und er waͤr vor Freuden Nicht aufgeſprungen? haͤtte froſtig ſich Zuruͤckgezogen? haͤtte Schwierigkeiten Gemacht?

Tempelherr.

So ungefaͤhr.

Daja.

So will ich denn Mich laͤnger keinen Augenblick bedenken

(Pauſe.)
Tempelherr.

Und ihr bedenkt Euch doch?

Daja.

Der Mann iſt ſonſt So gut! Jch ſelber bin ſo viel ihm ſchuldig! Daß144Daß er doch gar nicht hoͤren will! Gott weiß, Das Herze blutet mir, ihn ſo zu zwingen.

Tempelherr.

Jch bitt Euch, Daja, ſetzt mich kurz und gut Aus dieſer Ungewißheit. Seyd Jhr aber Noch ſelber ungewiß; ob, was Jhr vorhabt, Gut oder Boͤſe, Schaͤndlich oder Loͤblich Zu nennen: ſchweigt! Jch will vergeſſen, daß Jhr etwas zu verſchweigen habt.

Daja.

Das ſpornt Anſtatt zu halten. Nun; ſo wißt denn: Recha Jſt keine Juͤdinn; iſt iſt eine Chriſtinn.

Tempelherr.
(kalt.)

So? Wuͤnſch Euch Gluͤck! Hats ſchwer gehalten? Laßt Euch nicht die Wehen ſchrecken! Fahret ja Mit Eifer fort, den Himmel zu bevoͤlkern; Wenn ihr die Erde nicht mehr koͤnnt!

Daja.

Wie, Ritter? Verdienet meine Nachricht dieſen Spott? Daß Recha eine Chriſtinn iſt: das freuet Euch, einen Chriſten, einen Tempelherrn, Der Jhr ſie liebt, nicht mehr?

Tempelherr.

Beſonders, da Sie eine Chriſtinn iſt von Eurer Mache.

Daja.
145
Daja.

Ah! ſo verſteht Jhrs? So mags gelten! Nein! Den will ich ſehn, der die bekehren ſoll! Jhr Gluͤck iſt, laͤngſt zu ſeyn, was ſie zu werden Verdorben iſt.

Tempelherr.

Erklaͤrt Euch, oder geht!

Daja.

Sie iſt ein Chriſtenkind; von Chriſtenaͤltern Gebohren; iſt getauft

Tempelherr.
(haſtig -)

Und Nathan?

Daja.

Nicht Jhr Vater!

Tempelherr.

Nathan nicht ihr Vater? Wißt Jhr, was Jhr ſagt?

Daja.

Die Wahrheit, die ſo oft Mich blutge Thraͤnen weinen machen. Nein, Er iſt ihr Vater nicht

Tempelherr.

Und haͤtte ſie, Als ſeine Tochter nur erzogen? haͤtteKDas146Das Chriſtenkind als eine Juͤdinn ſich Erzogen?

Daja.

Ganz gewiß.

Tempelherr.

Sie wuͤßte nicht, Was ſie gebohren ſey? Sie haͤtt es nie Von ihm erfahren, daß ſie eine Chriſtinn Gebohren ſey, und keine Juͤdinn?

Daja.

Nie!

Tempelherr.

Er hatt in dieſem Wahne nicht das Kind Blos auferzogen? ließ das Maͤdchen noch Jn dieſem Wahne?

Daja.

Leider;

Tempelherr.

Nathan Wie? Der weiſe gute Nathan haͤtte ſich Erlaubt, die Stimme der Natur ſo zu Verfaͤlſchen? Die Ergieſſung eines Herzenſ So zu verlenken, die, ſich ſelbſt gelaſſen, Ganz andre Wege nehmen wuͤrde? Daja, Jhr habt mir allerdings etwas vertraut Von Wichtigkeit, was Folgen haben kann, Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß,Was147Was mir zu thun. Drum laßt mir Zeit. Drum geht! Er koͤmmt hier wiederum vorbey. Er moͤcht Uns uͤberfallen. Geht!

Daja.

Jch waͤr des Todes!

Tempelherr.

Jch bin ihn jetzt zu ſprechen ganz und gar Nicht faͤhig. Wenn Jhr ihm begegnet, ſagt Jhm nur, daß wir einander bey dem Sultan Schon finden wuͤrden.

Daja.

Aber laßt Euch ja Nichts merken gegen ihn. Das ſoll nur ſo Den letzten Druck dem Dinge geben; ſoll Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur Benehmen! Wenn Jhr aber dann, ſie nach Europa fuͤhrt: ſo laßt Jhr doch mich nicht Zuruͤck?

Tempelherr.

Das wird ſich finden. Geht nur, geht!

K 2Vier -148

Vierter Aufzug.

Erſter Auftritt.

Scene: in den Kreuzgaͤngen des Kloſters.
Der Kloſterbruder und bald darauf der Tempelherr.
Kloſterbruder.

Ja, ja! er hat ſchon Recht, der Patriarch! Es hat mir freylich noch von alle dem Nicht viel gelingen wollen, was er mir So aufgetragen. Warum traͤgt er mir Auch lauter ſolche Sachen auf? Jch mag Nicht fein ſeyn; mag nicht uͤberreden; mag Mein Naͤschen nicht in alles ſtecken; mag Mein Haͤndchen nicht in allem haben. Bin Jch darum aus der Welt geſchieden, ich Fuͤr mich; um mich fuͤr andre mit der Welt Noch erſt recht zu verwickeln?

Tempelherr.
(mit Haſt auf ihn zukommend.)

Guter Bruder! Da ſeyd Jhr ja. Jch hab Euch lange ſchon Geſucht.

Kloſterbruder.

Mich, Herr?

Tempel -
149
Tempelherr.

Jhr kennt mich ſchon nicht mehr?

Kloſterbruder.

Doch, doch! Jch glaubte nur, daß ich den Herrn Jn meinem Leben wieder nie zu ſehn Bekommen wuͤrde. Denn ich hof es zu Den lieben Gott. Der liebe Gott, der weiß Wie ſauer mir der Antrag ward, den ich Dem Herrn zu thun verbunden war. Er weiß, Ob ich gewuͤnſcht, ein offnes Ohr bey Euch Zu finden; weiß, wie ſehr ich mich gefreut, Jm Jnnerſten gefreut, daß Jhr ſo rund Das alles, ohne viel Bedenken, von Euch wieſ’t, was einem Ritter nicht geziemt. Nun kommt Jhr doch; nun hats doch nachgewirkt!

Tempelherr.

Jhr wißt es ſchon, warum ich komme? Kaum Weiß ich es ſelbſt.

Kloſterbruder.

Jhr habts nun uͤberlegt; Habt nun gefunden, daß der Patriarch So Unrecht doch nicht hat; daß Ehr und Geld Durch ſeinen Anſchlag zu gewinnen; daß Ein Feind ein Feind iſt, wenn er unſer Engel Auch ſiebenmal geweſen waͤre. Das, Das habt Jhr nun mit Fleiſch und Blut erwogen, Und kommt, und tragt Euch wieder an. Ach Gott!

K 3Tempel -
150
Tempelherr.

Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden. Deswegen komm ich nicht; deswegen will Jch nicht den Patriarchen ſprechen. Noch, Noch denk ich uͤber jenen Punkt, wie ich Gedacht, und wollt um alles in der Welt Die gute Meynung nicht verlieren, deren Mich ein ſo grader, frommer, lieber Mann Einmal gewuͤrdiget. Jch komme blos, Den Patriarchen uͤber eine Sache Um Rath zu fragen

Kloſterbruder.

Jhr den Patriarchen? Ein Ritter, einen Pfaffen?

(ſich ſchilchtern umſehend.)
Tempelherr.

Ja; die Sach Jſt ziemlich pfaͤffiſch.

Kloſterbruder.

Gleichwohl fragt der Pfaſſe Den Ritter nie, die Sache ſey auch noch So ritterlich.

Tempelherr.

Weil er das Vorrecht hat, Sich zu vergehn; daß unſer einer ihm Nicht ſehr beneidet. Freylich, wenn ich nur Fuͤr mich zu handeln haͤtte; freylich, wennJch151Jch Rechenſchaft nur mir zu geben haͤtte: Was braucht ich Eures Patriarchen? Aber Gewiſſe Dinge will ich lieber ſchlecht, Nach andrer Willen, machen; als allein Nach meinem, gut. Zudem, ich ſeh nun wohl, Religion iſt auch Parthey; und wer Sich drob auch noch ſo unparteyiſch glaubt, Haͤlt, ohn es ſelbſt zu wiſſen, doch nur ſeiner Die Stange. Weil das einmal nun ſo iſt: Wirds ſo wohl recht ſeyn.

Kloſterbruder.

Dazu ſchweig ich lieber. Denn ich verſteh den Herrn nicht recht.

Tempelherr.

Und doch! (Laß ſehn, warum mir eigentlich zu thun! Um Machtſpruch oder Rath? Um lautern, oder Gelehrten Rath?) Jch dank Euch, Bruder; dank Euch fuͤr den guten Wink. Was Patriarch? Seyd Jhr mein Patriarch! Jch will ja doch Den Chriſten mehr im Patriarchen, als Den Patriarchen in dem Chriſten fragen. Die Sach iſt die

Kloſterbruder,

Nicht weiter, Herr, nicht weiter! Wozu? Der Herr verkennt mich. Wer viel weiß, Hat viel zu ſorgen; und ich habe jaK 4Mich152Mich einer Sorge nur gelobt. O gut! Hoͤrt! ſeht! Dort koͤmmt, zu meinem Gluͤck, er ſelbſt. Bleibt hier nur ſtehn. Er hat Euch ſchon erblickt.

Zweyter Auftritt.

Der Patriarch, welcher mit allem geiſtlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkoͤmmt, und die Vorigen.
Tempelherr.

Jch wich ihm lieber aus. Waͤr nicht mein Mann! Ein dicker, rother, freundlicher Praͤlat! Und welcher Prunk!

Kloſterbruder.

Jhr ſolltet ihn erſt ſehn, Nach Hofe ſich erheben. Jtzo koͤmmt Er nur von einem Kranken.

Tempelherr.

Wie ſich da Nicht Saladin wird ſchaͤmen muͤſſen!

Patriarch.
(indem er naͤher kommt, winkt dem Bruder.)

Hier! Das iſt ja wohl der Tempelherr. Was will Er?

Kloſterbruder.

Weiß nicht.

Patriarch.
153
Patriarch.
(auf ihn zugebend, indem der Bruder und das Ge - folge zuriicktreten.)

Nun, Herr Ritter! Sehr erfreut Den braven jungen Mann zu ſehn! Ey, noch So gar jung! Nun, mit Gottes Huͤlfe, daraus Kann etwas werden.

Tempelherr.

Mehr, ehrwuͤrd’ger Herr, Wohl ſchwerlich, als ſchon iſt. Und eher noch, Was weniger.

Patriarch.

Jch wuͤnſche wenigſtens, Daß ſo ein frommer Ritter lange noch Der lieben Chriſtenheit, der Sache Gottes Zu Ehr und Frommen bluͤhn und gruͤnen moͤge! Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein Die junge Tapferkeit dem reifen Rathe Des Alters folgen will! Womit waͤr ſonſt Dem Herrn zu dienen?

Tempelherr.

Mit dem nehmlichen. Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rath.

Patriarch.

Recht gern! Nur iſt der Rath auch anzunehmen.

Tempelherr.

Doch blindlings nicht?

K 5Patriarch.
154
Patriarch.

Wer ſagt denn das? Ey freylich Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, Zu brauchen unterlaſſen, wo ſie hin Gehoͤrt. Gehoͤrt ſie aber uͤberall Denn hin? O nein! Zum Beyſpiel: wenn uns Gott: Durch einen ſeiner Engel, iſt zu ſagen, Durch einen Diener ſeines Worts, ein Mittel Bekannt zu machen wuͤrdiget, das Wohl Der ganzen Chriſtenheit, das Heil der Kirche, Auf irgend eine ganz beſondre Weiſe Zu foͤrdern, zu befeſtigen: wer darf Sich da noch unterſtehn, die Willkuͤhr deß, Der die Vernunft erſchaffen, nach Vernunft Zu unterſuchen? und das ewige Geſetz der Herrlichkeit des Himmels, nach Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre Zu pruͤfen? Doch hiervon genug. Was iſt Es denn, woruͤber unſern Rath fuͤr itzt Der Herr verlangt?

Tempelherr.

Geſetzt, ehrwuͤrd’ger Vater, Ein Jude haͤtt ein einzig Kind, es fey Ein Maͤdchen, das er mit der groͤßten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als ſeine Seele, das Jhn wieder mit der froͤmmſten Liebe liebe. Und155Und nun wuͤrd unſer Einem hinterbracht, Dieß Maͤdchen ſey des Juden Tochter nicht; Er hab es in der Kindheit aufgeleſen, Gekauft, geſtohlen, was Jhr wollt; man wiſſe, Das Maͤdchen ſey ein Chriſtenkind, und ſey Getauft; der Jude hab es nur als Juͤdinn Erzogen; laß es nur als Juͤdinn und Als ſeine Tochter ſo verharren: ſagt, Ehrwuͤrd’ger Vater, was waͤr hierbey wohl Zu thun?

Patriatch.

Mich ſchaudert! Doch zu allererſt Erklaͤre ſich der Herr, ob ſo ein Fall Ein Faktum oder eine Hypotheſ. Das iſt zu ſagen: ob der Herr ſich das Nur blos ſo dichtet, oder obs geſchehn, Und fortfaͤhrt zu geſchehn.

Tempelherr.

Jch glaubte, das Sey eins, um Euer Hochehrwuͤrden Meynung Blos zu vernehmen.

Patriarch.

Eins? Da ſeh der Herr Wie ſich die ſtolze menſchliche Vernunft Jm Geiſtlichen doch irren kann. Mit nichten! Denn iſt der vorgetragne Fall nur ſo Ein Spiel des Witzes: ſo verlohnt es ſichDer156Der Muͤhe nicht, im Ernſt ihn durchzudenken. Jch will den Herrn damit auf das Theater Verwieſen haben, wo dergleichen pro Et contra ſich mit vielem Beyſall koͤnnte Behandeln laſſen. Hat der Herr mich aber Nicht blos mit einer theathral’ſchen Schnurre Zum beſten; iſt der Fall ein Faktum; haͤtt Er ſich wohl gar in unſrer Dioͤces, Jn unſrer lieben Stadt Jeruſalem, Eraͤugnet: ja alsdann

Tempelherr.

Und was alsdann?

Patriarch.

Dann waͤre mit dem Juden foͤrderſamſt Die Strafe zu vollziehn, die Paͤbſtliches Und Kaiſerliches Recht ſo einem Frevel, So einer Laſterthat beſtimmen.

Tempelherr.

So?

Patriarch.

Und zwar beſtimmen obbeſagte Rechte Dem Juden, welcher einen Chriſten zur Apoſtaſie verfuͤhrt, den Scheiterhauffen, Den Holzſtoß

Tempelherr.

So?

Patriarch.
157
Patriarch.

Und wie vielmehr dem Juden, Der mit Gewalt ein armes Chriſtenkind Dem Bunde ſeiner Tauf entreißt! Denn iſt Nicht alles, was man Kindern thut, Gewalt? Zu ſagen: ausgenommen, was die Kirch An Kindern thut.

Tempelherr.

Wenn aber nun das Kind, Erbarmte ſeiner ſich der Jude nicht, Vielleicht im Elend umgekommen waͤre?

Patriarch.

Thut nichts! der Jude wird verbrannt. Denn beſſer, Es waͤre hier im Elend umgekommen, Als daß zu ſeinem ewigen Verderben Es ſo gerettet ward. Zu dem, was hat Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott Kann, wen er retten will, ſchon ohn ihn retten.

Tempelherr.

Auch Trotz ihm, ſollt ich meynen, ſelig machen.

Patriarch.

Thut nichts! der Jude wird verbrannt.

Tempelherr.

Das geht Mir nah! Beſonders, da man ſagt, er habe Das Maͤdchen nicht ſowohl in ſeinem, alsViel -158Vielmehr in keinem Glauben auferzogen, Und ſie von Gott nicht mehr nicht weniger Gelehrt, als der Vernunft genuͤgt.

Patriarch.

Thut nichts! Der Jude wird verbrannt Ja, waͤr allein Schon dieſerwegen werth, dreymal verbrannt Zu werden! Was? ein Kind ohn allen Glauben Erwachſen laſſen? Wie? die große Pflicht Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren? Das iſt zu arg! Mich wundert ſehr, Herr Ritter, Euch ſelbſt

Tempelherr.

Ehrwuͤrd’ger Herr, das Uebrige, Wenn Gott will, in der Beichte.

(will gehn.)
Patriarch.

Was? mir nun Nicht einmal Rede ſtehn? Den Boͤſewicht, Den Juden mir nicht nennen? mir ihn nicht Zur Stelle ſchaffen? O da weiß ich Rath! Jch geh ſogleich zum Sultan. Saladin, Vermoͤge der Capitulation, Die er beſchworen, muß uns, muß uns ſchuͤtzen; Bey allen Rechten, allen Lehren ſchuͤtzen, Die wir zu unſrer allerheiligſten Religion nur immer rechnen duͤrfen! Gott -159Gottlob! wir haben das Original. Wir haben ſeine Hand, ſein Siegel. Wir! Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie Gefaͤhrlich ſelber fuͤr den Staat es iſt, Nichts glauben! Alle buͤrgerliche Bande Sind aufgeloͤſet, ſind zerriſſen, wenn Der Menſch nichts glauben darf. Hinweg! hinweg Mit ſolchem Frevel! ..

Tempelherr.

Schade, daß ich nicht Den trefflichen Sermon mit beßrer Muſſe Genießen kann! Jch bin zum Saladin Gerufen.

Patriarch.

Ja? Nun ſo Nun freylich Dann

Tempelherr.

Jch will den Sultan vorbereiten, wenn Es Eurer Hochehrwuͤrden ſo gefaͤllt.

Patriarch.

O, oh! Jch weiß, der Herr hat Gnade funden Vor Saladin! Jch bitte meiner nur Jm Beſten bey ihm eingedenk zu ſeyn. Mich treibt der Eifer Gottes lediglich. Was ich zu viel thu, thu ich ihm. Das wolle Doch ja der Herr erwaͤgen! Und nicht wahr, Herr Ritter? das vorhin erwaͤhnte vonDem160Dem Juden, war nur ein Problema? iſt Zu ſagen

Tempelherr.

Ein Problema.

(geht ab.)
Patriarch.

(Dem ich tiefer Doch auf den Grund zu kommen ſuchen muß. Das waͤr ſo wiederum ein Auftrag fuͤr Den Bruder Bonafides. ) Hier, mein Sohn!

(er ſpricht im abgehn mit dem Kloſterbruder.)

Dritter Auftritt.

Scene: Ein Zimmer im Pallaſte des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden neben einander geſtellt werden.
Saladin und bald darauf Sittah.
Saladin.
(der dazu koͤmmt.)

Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. Jſt Des Dings noch viel zuruͤck?

Ein Sklave.

Wohl noch die Haͤlfte.

Saladin.

So tragt das Uebrige zu Sittah. Und Wo bleibt Al-Hafi? Das hier ſoll ſogleich Al-Hafi zu ſich nehmen. Oder obJchs161Jchs nicht vielmehr dem Vater ſchicke? Hier Faͤllt mir es doch nur durch die Finger. Zwar Man wird wohl endlich hart; und nun gewiß Solls Kuͤnſte koſten, mir viel abzuzwacken. Bis wenigſtens die Gelder aus Aegypten Zur Stelle kommen, mag das Armuth ſehn Wies fertig wird! Die Spenden bey dem Grabe, Wenn die nur fortgehn! Wenn die Chriſtenpilger Mit leeren Haͤnden nur nicht abziehn duͤrfen Wenn nur

Sittah.

Was ſoll nun das? Was ſoll das Geld Bey mir?

Saladin.

Mach dich davon bezahlt; und leg Auf Vorrath, wenn was uͤbrig bleibt.

Sittah.

Jſt Nathan Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

Saladin.

Er ſucht Jhn aller Orten.

Sittah.

Sieh doch, was ich hier, Jndem mir ſo mein alt Geſchmeide durch die Haͤnde geht, gefunden.

(ihm ein klein Gemaͤhlde zeigend.)
L.Saladin.
162
Saladin.

Ha! mein Bruder! Das iſt er, iſt er! War er! war er! ah! Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich So fruͤh verlor! Was haͤtt ich erſt mit dir, An deiner Seit erſt unternommen! Sittah, Laß mir das Bild. Auch kenn ichs ſchon: er gab Es deiner aͤltern Schweſter, ſeiner Lilla, Die eines Morgens ihn ſo ganz und gar Nicht aus den Armen laſſen wollt. Es war Der letzte, den er ausritt. Ah, ich ließ Jhn reiten, und allein! Ah, Lilla ſtarb Vor Gram, und hat mirs nie vergeben, daß Jch ſo allein ihn reiten laſſen. Er Blieb weg!

Sittah.

Der arme Bruder!

Saladin.

Laß nur gut Seyn! Einmal bleiben wir doch alle weg! Zudem, wer weiß? Der Tod iſts nicht allein, Der einem Juͤngling ſeiner Art das Ziel Verruͤckt. Er hat der Feinde mehr; und oft Erliegt der Staͤrkſte gleich dem Schwaͤchſten. Nun, Sey wie ihm ſey! Jch muß das Bild doch mit Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß Doch ſehn, wie viel mich meine Phantaſie Getaͤuſcht.

Sittah.
163
Sittah.

Nur darum bring ichs. Aber gib Doch, gib! Jch will dir das wohl ſagen; das Verſteht ein weiblich Aug am beſten.

Saladin.
(zu einem Thuͤrſteher, der hereintritt.)

Wer Jſt da? der Tempelherr? Er komm!

Sittah.

Euch nicht Zu ſtoͤren: ihn mit meiner Neugier nicht Zu irren

(ſie ſetzt ſich ſeitwaͤrts auf einen Sofa und laͤßt den Schleyer fallen)
Saladin.

Gut ſo! gut! (Und nun ſein Ton! Wie der wohl ſeyn wird! Aſſads Ton Schlaͤft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

Vierter Auftritt.

Der Tempelherr und Sittah.
Tempelherr.

Jch, dein Gefangner, Sultan

Saladin.

Mein Gefangner? Wem ich das Leben ſcheuke, werd ich dem Nicht auch die Freyheit ſchenken?

L 2Tempel -
164
Tempelherr.

Was dir ziemt Zu thun, ziemt mir, erſt zu veruehmen, nicht Vorauszuſetzen. Aber, Sultan, Dank, Beſondern Dank dir fuͤr mein Leben zu Betheuern, ſtimmt mit meinem Stand und meinem Charakter nicht. Es ſteht in allen Faͤllen Zu deinen Dienſten wieder.

Saladin.

Vrauch es nur Nicht wider mich! Zwar ein Paar Haͤnde mehr, Die goͤnnt ich meinem Feinde gern. Allein Jhm ſo ein Herz auch mehr zu goͤnnen, faͤllt Mir ſchwer. Jch habe mich mit dir in nichts Betrogen, braver junger Mann! Du biſt Mit Seel und Leib mein Aſſad. Sieh! ich koͤnnte Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit Geſteckt? in welcher Hoͤhle du geſchlafen? Jn welchem Ginniſtan, von welcher guten Div dieſe Blume fort und fort ſo friſch Erhalten worden? Sieh! ich koͤnnte dich Erinnern wollen, was wir dort und dort Zuſammen ausgefuͤhrt. Jch koͤnnte mit Dir zauken, daß du ein Geheimniß doch Vor mir gehabt! Ein Abentheuer mir Doch unterſchlagen: Ja das koͤnnt ich; wenn Jch dich nur ſaͤh, und nicht auch mich. Nun, mags! Von165Von dieſer ſuͤſſen Traͤumerey iſt immer Doch ſo viel wahr, daß mir in meinem Herbſt Ein Aſſad wieder bluͤhen ſoll. Du biſt Es doch zufrieden, Ritter?

Tempelherr.

Alles, was Von dir mir koͤmmt, ſey was es will das lag Als Wunſch in meiner Seele.

Saladin.

Laß uns das Sogleich verſuchen. Bliebſt du wohl bey mir? Um mir? Als Chriſt, als Muſelmann: gleich viel! Jm weißen Mantel, oder Jamerlonk; Jm Tulban, oder deinem Filze: wie Du willſt! Gleich viel! Jch habe nie verlangt, Daß allen Baͤumen eine Rinde wachſe.

Tempelherr.

Sonſt waͤrſt du wohl auch ſchwerlich, der du biſt: Der Held, der lieber Gottes Gaͤrtner waͤre.

Saladin.

Nun dann; wenn du nicht ſchlechter von mir denkſt: So waͤren wir ja halb ſchon richtig?

Tempelherr.

Ganz!

Saladin.
(ihm die Hand biethend)

Ein Wort?

L 3Tempel -
166
Tempelherr.
(einſchlagend.)

Ein Mann! Hiermit empfange mehr Als du mir nehmen konnteſt. Ganz der Deine!

Saladin.

Zu viel Gewinn fuͤr einen Tag! zu viel! Kam er nicht mit?

Tempelherr.

Wer?

Saladin.

Nathan.

Tempelherr.
(ſroſtig.)

Nein. Jch kam Allein.

Saladin.

Welch eine That von dir! Und welch Ein weiſes Gluͤck, das eine ſolche That Zum Beſten eines ſolchen Manues ausſchlug.

Tempelherr.

Ja, ja!

Saladin.

So kalt? Nein, junger Mann! wenn Gott Was gutes durch uns thut, muß man ſo kalt Nicht ſeyn! ſelbſt aus Beſcheidenheit ſo kalt Nicht ſcheinen wollen!

Tempel -
167
Tempelherr.

Daß doch in der Welt Ein jedes Ding ſo manche Seiten hat! Von denen oft ſich gar nicht denken laͤßt, Wie ſie zuſammenpaſſen!

Saladin.

Halte dich Nur immer an die beſt, und preiſe Gott! Der weiß, wie ſie zuſammenpaſſen. Aber, Wenn du ſo ſchwierig ſeyn willſt, junger Mann: So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut Mich mit dir halten muͤſſen? Leider bin Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die Oft nicht ſo recht zu paſſen ſcheinen moͤgen.

Tempelherr.

Das ſchmerzt! Denn Argwohn iſt ſo wenig ſonſt Mein Fehler

Saladin.

Nun, ſo ſage doch, mit wem Dus haſt? Es ſchien ja gar, mit Nathan. Wie? Auf Nathan Argwohn? du? Erklaͤr dich! ſprich! Komm, gib mir deines Zutrauns erſte Probe.

Tempelherr.

Jch habe wider Nathan nichts. Jch zuͤrn Allein mit mir

Saladin.

Und uͤber was?

L 4Tempel -
168
Tempelherr.

Daß mir Getraͤumt, ein Jude koͤnn auch wohl ein Jude Zu ſeyn verlernen; daß wir wachend ſo Getraͤumt.

Saladin.

Heraus mit dieſem wachen Traume!

Tempelherr.

Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was Jch fuͤr ſie that, das that ich, weil ichs that. Zu ſtolz, Dank einzuerndten, wo ich ihn Nicht ſaͤete, verſchmaͤht ich Tag fuͤr Tag Das Maͤdchen noch einmal zu ſehn. Der Vater War fern; er koͤmmt; er hoͤrt; er ſucht mich auf; Er dankt; er wuͤnſcht, daß ſeine Tochter mir Gefallen moͤge; ſpricht von Ausſicht, ſpricht Von heitern Fernen. Nun, ich laſſe mich Beſchwatzen, komme, ſehe, finde wirklich Ein Maͤdchen Ah, ich muß mich ſchaͤmen, Sultan!

Saladin.

Dich ſchaͤmen? daß ein Judenmaͤdchen auf Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

Tempelherr.

Daß dieſem Eindruck, auf das liebliche Geſchwaͤtz des Vaters hin, mein raſches Herz So wenig Widerſtand entgegen ſetzte! Jch169Jch Tropf! ich ſprang zum zweytenmal ins Feuer. Denn nun warb ich, und nun ward ich verſchmaͤht.

Saladin.

Verſchmaͤht?

Tempelherr.

Der weiſe Vater ſchlaͤgt nun wohl Mich platterdings nicht aus. Der weiſe Vater Muß aber doch ſich erſt erkunden, erſt Beſinnen. Allerdings! That ich denn das Nicht auch? Erkundete, beſann ich denn Mich erſt nicht auch, als ſie im Feuer ſchrie? Fuͤrwahr! bey Gott! Es iſt doch gar was ſchoͤnes, So weiſe, ſo bedaͤchtig ſeyn!

Saladin.

Nun, nun! So ſich doch einem Alten etwas nach! Wie lange koͤnnen ſeine Weigerungen Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen, Daß du erſt Jude werden ſollſt?

Tempelherr.

Wer weiß!

Saladin.

Wer weiß? der dieſen Nathan beſſer kennt.

Tempelherr.

Der Aberglaub, in dem wir aufgewachſen, Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darumL 5Doch170Doch ſeine Macht nicht uͤber uns. Es ſind Nicht alle frey, die ihrer Ketten ſpotten.

Saladin.

Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ..

Tempelherr.

Der Aberglauben ſchlimmſter iſt, den ſeinen Fuͤr den ertraͤglichern zu halten

Saladin.

Mag Wohl ſeyn! Doch Nathan

Tempelherr.

Dem allein Die bloͤde Menſchheit zu vertrauen, bis Sie hellern Wahrheitstag gewoͤhne; dem Allein

Saladin.

Gut! Aber Nathan! Nathans Loos Jſt dieſe Schwachheit nicht.

Tempelherr.

So dacht ich auch! Wenn gleichwohl dieſer Ausbund aller Menſchen So ein gemeiner Jude waͤre, daß Er Chriſtenkinder zu bekommen ſuche, Um ſie als Juden aufzuziehn: wie dann?

Saladin.

Wer ſagt ihm ſo was nach?

Tempel -
171
Tempelherr.

Das Maͤdchen ſelbſt, Mit welcher er mich koͤrnt, mit deren Hoffnung Er gern mir zu bezahlen ſchiene, was Jch nicht umſonſt fuͤr ſie gethan ſoll haben: Dieß Maͤdchen ſelbſt, iſt ſeine Tochter nicht; Jſt ein verzettelt Chriſtenkind.

Saladin.

Das er Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

Tempelherr.
(heftig)

Woll oder wolle nicht! Er iſt entdeckt. Der tolerante Schwaͤzer iſt entdeckt! Jch werde hinter dieſen juͤd’ſchen Wolf Jm philoſoph’ſchen Schafpelz, Hunde ſchon Zu bringen wiſſen, die ihn zauſen ſollen!

Saladin.
(ernſt)

Sey ruhig, Chriſt!

Tempelherr.

Was? ruhig Chriſt? Wenn Jud Und Muſelmann, auf Jud, auf Muſelmann Beſtehen: ſoll allein der Chriſt den Chriſten Nicht machen duͤrfen?

Saladin.
(noch ernſter)

Ruhig, Chriſt!

Tempel -
172
Tempelherr.
(gelaſſen)

Jch fuͤhle Des Vorwurfs ganze Laſt, die Saladin Jn dieſe Sylbe preßt! Ah, wenn ich wuͤßte, Wie Aſſad, Aſſad ſich an meiner Stelle Hierbey genommen haͤtte!

Saladin.

Nicht viel beſſer! Vermuthlich, ganz ſo brauſend! Doch, wer hat Denn dich auch ſchon gelehrt, mich ſo wie er Mit Einem Worte zu beſtechen? Freylich Wenn alles ſich verhaͤlt, wie du mir ſageſt: Kann ich mich ſelber kaum in Nathan finden. Jndeß, er iſt mein Freund, und meiner Freunde Muß keiner mit dem andern hadern. Laß Dich weiſen! Geh behutſam! Gieb ihn nicht Sofort den Schwaͤrmern deines Poͤbels Preis! Verſchweig, was deine Geiſtlichkeit, an ihm Zu raͤchen, mir ſo nahe legen wuͤrde! Sey keinem Juden, keinem Muſelmanne Zum Trotz ein Chriſt!

Tempelherr.

Bald waͤrs damit zu ſpaͤt! Doch Dank der Blutbegier des Patriarchen, Deß Werkzeug mir zu werden graute!

Saladin.

Wie? Du173Du kamſt zum Patriarchen eher, als Zu mir?

Tempelherr.

Jm Sturm der Leidenſchaft, im Wirbel Der Unentſchloſſenheit! Verzeih! Du wirſt Von deinem Aſſad, fuͤrcht ich, ferner nun Nichts mehr in mir erkennen wollen.

Saladin.

Waͤr Es dieſe Furcht nicht ſelbſt! Mich duͤnkt, ich weiß, Aus welchen Fehlern unſre Tugend keimt. Pfleg dieſe ferner nur, und jene ſollen Bey mir dir wenig ſchaden. Aber geh! Such du nun Nathan, wie er dich geſucht; Und bring ihn her. Jch muß euch doch zuſammen Verſtaͤndigen. Waͤr um das Maͤdchen dir Jm Ernſt zu thun: ſey ruhig. Sie iſt dein! Auch ſoll es Nathan ſchon empfinden, daß Er ohne Schweinefieiſch ein Chriſtenkind Erziehen duͤrfen! Geh!

(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlaͤßt den Sofa)

Fuͤnfter Auftritt.

Saladin und Sittah.

Ganz ſonderbar!

Saladin.

Gelt, Sittah? Muß mein Aſſad nicht ein braver, Ein ſchoͤner junger Mann geweſen ſeyn?

Wenn
174
Sittah.

Wenn er ſo war, und nicht zu dieſem Bilde Der Tempelherr vielmehr geſeſſen! Aber Wie haſt du doch vergeſſen koͤnnen dich Nach ſeinen Aeltern zu erkundigen?

Saladin.

Und ins beſondre wohl nach ſeiner Mutter? Ob ſeine Mutter hier zu Lande nie Geweſen ſey? Nicht wahr?

Sittah.

Das machſt du gut!

Saladin.

O, moͤglicher waͤr nichts! Denn Aſſad war Bey huͤbſchen Chriſtendamen ſo willkommen, Auf huͤbſche Chriſtendamen ſo erpicht, Daß einmal gar die Rede ging Nun, nun; Man ſpricht nicht gern davon. Genug; ich hab Jhn wieder! will mit allen ſeinen Fehlern, Mit allen Launen ſeines weichen Herzens Jhn wieder haben! Oh! das Maͤdchen muß Jhm Nathan geben. Meynſt du nicht?

Sittah.

Jhm geben? Jhm laſſen!

Saladin.

Allerdings! Was haͤtte Nathan, So bald er nicht ihr Vater iſt, fuͤr RechtAuf175Auf ſie? Wer ihr das Leben ſo erhielt, Tritt einzig in die Rechte deß, der ihr Es gab.

Sittah.

Wie alſo, Saladin? wenn du Nur gleich das Maͤdchen zu dir naͤhmſt? Sie nur Dem unrechtmaͤßigen Beſitzer gleich Entzoͤgeſt?

Saladin.

Thaͤte das wohl Noth?

Sittah.

Noth nun Wohl eben nicht! Die liebe Neubegier Trcibt mich allein, dir dieſen Rath zu geben. Denn von gewiſſen Maͤnnern mag ich gar Zu gern, ſo bald wie moͤglich, wiſſen, was Sie fuͤr ein Maͤdchen lieben koͤnnen.

Saladin.

Nun, So ſchick und laß ſie hohlen.

Sittah.

Darf ich, Bruder

Saladin.

Nur ſchone Nathaus! Nathan muß durchaus Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von Jhr trennen wolle.

Sittah.

Sorge nicht.

Saladin.
176
Saladin.

Und ich, Jch muß ſchon ſelbſt ſehn, wo Al-Hafi bleibt.

Sechſter Auftritt.

Scene: die offne Flur in Nathans Hauſe, gegen die Palmen zu; wie im erſten Auftritte des erſten Aufzuges. Ein Theil der Waaren und Koſtbarkeiten liegt ausgekramt, deren eben daſelbſt gedacht wird.
Nathan und Daja.
Daja.

O, alles herrlich! alles auserleſen! O, alles wie nur Jhr es geben koͤnnt. Wo wird der Silberſtoff mit goldnen Ranken Gemacht? Was koſtet er? Das nenn ich noch Ein Brautkleid! Keine Koͤniginn verlangt Es beſſer.

Nathan.

Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

Daja.

Je nun! Jhr dachtet daran freylich nicht, Als Jhr ihn kauftet. Aber wahrlich, Nathan, Der und kein andrer muß es ſeyn! Er iſt Zum Brautkleid wie beſtellt. Der weiſſe Grund; Ein Bild der Unſchuld: und die goldnen Stroͤme,Die177Die aller Orten dieſen Grund durchſchlaͤngeln; Ein Bild des Reichthums. Seht Jhr? Allerliebſt!

Nathan.

Was witzelſt du mir da? Von weſſen Brautkleid Sinnbilderſt du mir ſo gelehrt? Biſt du Denn Braut?

Daja.

Jch?

Nathan.

Nun wer denn?

Daja.

Jch? lieber Gott!

Nathan.

Wer denn? Von weſſen Brautkleid ſprichſt du denn? Das alles iſt ja dein, und keiner andern.

Daja.

Jſt mein? Soll mein ſeyn? Jſt fuͤr Recha nicht?

Nathan.

Was ich fuͤr Recha mitgebracht, das liegt Jn einem andern Ballen. Mach! nimm weg! Trag deine Siebenſachen fort!

Daja.

Verſucher! Nein, waͤren es die Koſtbarkeiten auch Der ganzen Welt! Nicht ruͤhr an! wenn Jhr mir Vorher nicht ſchwoͤrt, von dieſer einzigenMGelegen -178Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel Nicht zweymahl ſchicken wird, Gebrauch zu machen.

Nathan.

Gebrauch? von was? Gelegenheit? wozu?

Daja.

O ſtellt euch nicht ſo fremd! Mit kurzen Worten! Der Tempelherr liebt Recha: gebt ſie ihm, So hat doch einmahl Eure Suͤnde, die Jch laͤnger nicht verſchweigen kann, ein Ende. So koͤmmt das Maͤdchen wieder unter Chriſten; Wird wieder was ſie iſt; iſt wieder, was Sie ward: und Jhr, Jhr habt mit all dem Guten, Das wir Euch nicht genug verdanken koͤnnen, Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt Geſammelt.

Nathan.

Doch die alte Leyer wieder? Mit einer neuen Saite nur bezogen, Die, fuͤrcht ich, weder ſtimmt noch haͤlt.

Daja.

Wie ſo?

Nathan.

Mir waͤr der Tempelherr ſchon recht. Jhm goͤnnt Jch Recha mehr als einem in der Welt. Allein Nun, habe nur Geduld.

Daja.

Geduld? Geduld,179Geduld, iſt Eure alte Leyer nun Wohl nicht?

Nathan.

Nur wenig Tage noch Geduld! Sieh doch! Wer koͤmmt denn dort? Ein Kloſterbruder? Geh, frag ihn was er will.

Daja.

Was wird er wollen?

(ſie geht auf ihn zu und fragt)
Nathan.

So gieb! und eh er bittet. (Wuͤßt ich nur Dem Tempelherrn erſt beyzukommen, ohne Die Urſach meiner Neugier ihm zu ſagen! Denn wenn ich ſie ihm ſag, und der Verdacht Jſt ohne Grund: ſo hab ich ganz umſonſt Den Vater auf das Spiel geſetzt. ) Was iſts?

Daja.

Er will euch ſprechen.

Nathan.

Nun, ſo laß ihn kommen; Und geh indeß.

Siebenter Auftritt.

Nathan und der Kloſterbruder.
Nathan.

(Jch bliebe Rechas Vater Doch gar zu gern! Zwar kann ichs denn nicht bleiben,M 2Auch180Auch wenn ich aufhoͤr, es zu heißen? Jhr, Jhr ſelbſt werd ichs doch immer auch noch heißen, Wenn ſie erkennt, wie gern ichs waͤre. ) Geh! Was iſt zu Euern Dienſten, frommer Bruder?

Kloſterbruder.

Nicht eben viel. Jch freue mich, Herr Nathan, Euch annoch wohl zu ſehn.

Nathan.

So kennt Jhr mich?

Kloſterbruder.

Je nu; wer kennt Euch nicht? Jhr habt ſo manchem Ja Euern Nahmen in die Hand gedruͤckt. Er ſteht in meiner auch, ſeit vielen Jahren.

Nathan.
(nach ſeinem Beutel langend)

Kommt, Bruder, kommt; ich friſch ihn auf.

Kloſterbruder.

Habt Dank: Jch wuͤrd es aͤrmern ſtehlen; nehme nichts. Wenn Jhr mir nur erlauben wollt, ein wenig Euch meinen Nahmen aufzufriſchen. Denn Jch kann mich ruͤhmen, auch in Eure Hand Etwas gelegt zu haben, was nicht zu Verachten war.

Nathan.

Verzeiht! Jch ſchaͤme mich Sagt,181Sagt, was? und nehmt zur Buße ſiebenfach Den Werth deſſelben von mir an.

Kloſterbruder.

Hoͤrt doch Vor allen Dingen, wie ich ſelber nur Erſt heut an dieß mein Euch vertrautes Pfand Erinnert worden.

Nathan.

Mir vertrautes Pfand?

Kloſterbruder.

Vor kurzem ſaß ich noch als Eremit Auf Quarantana, unweit Jericho. Da kam arabiſch Raubgeſindel, brach Mein Gotteshaͤuschen ab und meine Zelle, Und ſchleppte mich mit fort. Zum Gluͤck entkam Jch noch, und floh hierher zum Patriarchen, Um mir ein ander Plaͤtzchen auszubitten, Allwo ich meinem Gott in Einſamkeit Bis an mein ſelig Ende dienen koͤnne.

Nathan.

Jch ſteh auf Kohlen, guter Bruder. Macht Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

Kloſterbruder.

Sogleich, Herr Nathan. Nun, der Patriarch Verſprach mir eine Siedeley auf Thabor, Sobald als eine leer; und hieß inzwiſchen Jm Kloſter mich als Layenbruder bleiben. M 3Da182Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange Des Tags wohl hundertmal auf Thabor. Denn Der Patriarch braucht mich zu allerley, Wovor ich großen Eckel habe. Zum Exempel:

Nathan.

Macht, ich bitt Euch!

Kloſterbruder.

Nun, es koͤmmt! Da hat ihm jemand heut ins Ohr geſetzt: Es lebe hier herum ein Jude, der Ein Chriſtenkind als ſeine Tochter ſich Erzoͤge.

Nathan.

Wie?

(betroffen)
Kloſterbruder.

Hoͤrt mich nur aus! Jndem Er mir nun auftraͤgt, dieſem Juden ſtraks, Wo moͤglich, auf die Spur zu kommen, und Gewaltig ſich ob eines ſolchen Frevels Erzuͤrnt, der ihm die wahre Suͤnde wider Den heil’gen Geiſt beduͤnkt; das iſt, die Suͤnde, Die aller Suͤnden groͤßte Suͤnd uns gilt, Nur daß wir, Gott ſey Dank, ſo recht nicht wiſſen, Worinn ſie eigentlich beſteht: da wacht Mit einmal mein Gewiſſen auf; und mir Faͤllt bey, ich koͤnnte ſelber wohl vor Zeiten Zu dieſer unverzeihlig großen SuͤndeGele -183Gelegenheit gegeben haben. Sagt: Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren Ein Toͤchterlein gebracht von wenig Wochen?

Nathan.

Wie das? Nun freylich allerdings

Kloſterbruder.

Ey, ſeht Mich doch recht an! Der Reitknecht, der bin ich.

Nathan.

Seyd Jhr?

Kloſterbruder.

Der Herr, von welchem ichs Euch brachte, War iſt mir recht ein Herr von Filnek. Wolf Von Filnek!

Nathan.

Richtig!

Kloſterbruder.

Weil die Mutter kurz Vorher geſtorben war; und ſich der Vater Nach meyn ich Gazza ploͤtzlich werfen mußte, Wohin das Wuͤrmchen ihm nicht folgen konnte: So ſandt ers Euch. Und traf ich Euch damit Nicht in Darun?

Nathan.

Ganz recht!

Kloſterbruder.

Es waͤr kein Wunder,M 4Wenn184Wenn mein Gedaͤchtniß mich betroͤg. Jch habe Der braven Herrn ſo viel gehabt; und dieſem Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient. Er blieb bald drauf bey Askalon; und war Wohl ſonſt ein lieber Herr.

Nathan.

Ja wohl! ja wohl! Dem ich ſo viel, ſo viel zu danken habe! Der mehr als einmal mich dem Schwert entriſſen!

Kloſterbruder.

O ſchoͤn! So werd’t Jhr ſeines Toͤchterchens Euch um ſo lieber angenommen haben.

Nathan.

Das koͤnnt Jhr denken.

Kloſterbruder.

Nun, wo iſt es denn? Es iſt doch wohl nicht etwa gar geſtorben? Laßts lieber nicht geſtorben ſeyn! Wenn ſonſt Nur niemand um die Sache weiß: ſo hat Es gute Wege.

Nathan.

Hat es?

Kloſterbruder.

Traut mir, Nathan! Denn ſeht, ich denke ſo! Wenn an das Gute, Das ich zu thun vermeyne, gar zu nahWas185Was gar zu Schlimmes graͤnzt: ſo thu ich lieber Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar So ziemlich zuverlaͤſſig kennen, aber Bey weiten nicht das Gute. War ja wohl Natuͤrlich; wenn das Chriſtentoͤchterchen Recht gut von Euch erzogen werden ſollte: Daß Jhrs als Euer eigen Toͤchterchen Erzoͤgt. Das haͤttet ihr mit aller Lieb Und Treue nun gethan, und muͤßtet ſo Belohnet werden? Das will mir nicht ein. Ey freylich, kluͤger haͤttet ihr gethan; Wenn Jhr die Chriſtinn durch die zweyte Hand Als Chriſtinn auferziehen laſſen: aber So haͤttet Jhr das Kindchen Eures Freunds Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe, Waͤrs eines wilden Thieres Lieb auch nur, Jn ſolchen Jahren mehr, als Chriſtenthum. Zum Chriſtenthume hats noch immer Zeit. Wenn nur das Maͤdchen ſonſt geſund und fromm Vor Euern Augen aufgewachſen iſt, So bliebs vor Gottes Augen, was es war. Und iſt denn nicht das ganze Chriſtenthum Aufs Jndenthum gebaut? Es hat mich oft Geaͤrgert, hat mir Thraͤnen gnug gekoſtet, Wenn Chriſten gar ſo ſehr vergeſſen konnten, Daß unſer Herr ja ſelbſt ein Jude war.

Nathan.

Jhr, guter Bruder, muͤßt mein Fuͤrſprach ſeyn,M 5Wenn186Wenn Haß und Gleißnerey ſich gegen mich Erheben ſollten, wegen einer That Ah, wegen einer That! Nur Jhr, Jhr ſollt Sie wiſſen! Nehmt ſie aber mit ins Grab! Noch hat mich nie die Eitelkeit verſucht, Sie jemand andern zu erzaͤhlen. Euch Allein erzaͤhl ich ſie. Der frommen Einfalt Allein erzaͤhl ich ſie. Weil die allein Verſteht, was ſich der gottergebne Menſch Fuͤr Thaten abgewinnen kann.

Kloſterbruder.

Jhr ſeyd Geruͤhrt, und Euer Auge ſteht voll Waſſer?

Nathan.

Jhr traft mich mit dem Kinde zu Darun. Jhr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage Zuvor, in Gath die Chriſten alle Juden Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt wohl nicht, daß unter dieſen meine Frau Mit ſieben hoffnungsvollen Soͤhnen ſich Befunden, die in meines Bruders Hauſe, Zu dem ich ſie gefluͤchtet, insgeſamt Verbrennen muͤſſen.

Kloſterbruder.

Allgerechter!

Nathan.

AlsJhr187Jhr kamt, hatt ich drey Tag und Naͤcht in Aſch Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. Geweint? Beyher mit Gott auch wohl gerechtet, Gezuͤrnt, getobt, mich und die Welt verwuͤnſcht; Der Chriſtenheit den unverſoͤhnlichſten Haß zugeſchworen

Kloſterbruder.

Ach! Jch glaubs Euch wohl!

Nathan.

Doch nun kam die Vernunft allmaͤhlig wieder. Sie ſprach mit ſanfter Stimm: und doch iſt Gott! Doch war auch Gottes Rathſchluß das! Wohlan! Komm! uͤbe, was du laͤngſt begriffen haſt; Was ſicherlich zu uͤben ſchwerer nicht, Als zu begreifen iſt, wenn du nur willſt. Steh auf! Jch ſtand! und rief zu Gott: ich will! Willſt du nur, daß ich will! Jndem ſtiegt Jhr Vom Pferd, und uͤberreichtet mir das Kind, Jn Euern Mantel eingehuͤllt. Was Jhr Mir damals ſagtet; was ich Euch: hab ich Vergeſſen. So viel weiß ich nur; ich nahm Das Kind, trugs auf mein Lager, kuͤßt es, warf Mich auf die Knie und ſchluchzte: Gott! auf Sieben Doch nun ſchon Eines wieder!

Kloſterbruder.

Nathan! Nathan! Jhr ſeyd ein Chriſt! Bey Gott, Jhr ſeyd ein Chriſt! Ein beßrer Chriſt war nie!

Nathan.
188
Nathan.

Wohl uns! Denn was Mich Euch zum Chriſten macht, das macht Euch mir Zum Juden! Aber laßt uns laͤnger nicht Einander nur erweichen. Hier brauchts That! Und ob mich ſiebenfache Liebe ſchon Bald an diß einz’ge fremde Maͤdchen band; Ob der Gedanke mich ſchon toͤdtet, daß Jch meine ſieben Soͤhn in ihr aufs neue Verlieren ſoll: wenn ſie von meinen Haͤnden Die Vorſicht wieder fodert, ich gehorche!

Kloſterbruder.

Nun vollends! Eben das bedacht ich mich So viel, Euch anzurathen! Und ſo hats Euch Euer guter Geiſt ſchon angerathen!

Nathan.

Nur muß der erſte beſte mir ſie nicht Entreiſſen wollen!

Kloſterbruder.

Nein, gewiß nicht!

Nathan.

Wer Auf ſie nicht groͤßre Rechte hat, als ich; Muß fruͤhere zum mindſten haben

Kloſterbruder.

Freylich!

Nathan.
189
Nathan.

Die ihm Natur und Blut ertheilen.

Kloſterbruder.

So Meyn ich es auch!

Nathan.

Drum nennt mir nur geſchwind Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm, Als Vetter oder ſonſt als Sipp verwandt: Jhm will ich ſie nicht vorenthalten Sie, Die jedes Hauſes, jedes Glaubens Zierde Zu ſeyn erſchaffen und erzogen ward. Jch hoff, Jhr wißt von dieſem Euern Herrn Und dem Geſchlechte deſſen, mehr als ich.

Kloſterbruder.

Das, guter Nathan, wohl nun ſchwerlich! Denn Jhr habt ja ſchon gehoͤrt, daß ich nun gar Zu kurze Zeit bey ihm geweſen.

Nathan.

Wißt Jhr denn nicht wenigſtens, was fuͤr Geſchlechts Die Mutter war? War ſie nicht eine Stauffinn?

Kloſterbruder.

Wohl moͤglich! Ja, mich duͤnkt.

Nathan.
190
Nathan.

Hieß nicht ihr Bruder Conrad von Stauffen? und war Tempelherr?

Kloſterbruder.

Wenn michs nicht triegt. Doch halt! Da faͤllt mir ein, Daß ich vom ſelgen Herrn ein Buͤchelchen Noch hab. Jch zogs ihm aus dem Buſen, als Wir ihn bey Askalon verſcharrten.

Nathan.

Nun?

Kloſterbruder.

Es ſind Gebete drinn. Wir nennens ein Brevier. Das, dacht ich, kann ein Chriſtenmenſch Ja wohl noch brauchen. Jch nun freylich nicht Jch kann nicht leſen

Nathan.

Thut nichts! Nur zur Sache.

Kloſterbruder.

Jn dieſem Buͤchelchen ſtehn vorn und hinten, Wie ich mir ſagen laſſen, mit des Herrn Selbſteigner Hand, die Angehoͤrigen Von ihm und ihr geſchrieben.

Nathan.

O erwuͤnſcht! Geht! lauft! hohlt mir das Buͤchelchen. Geſchwind! Jch191Jch bin bereit mit Gold es aufzuwiegen; Und tauſend Dank dazu! Eilt! lauft!

Kloſterbruder.

Recht gern! Es iſt Arabiſch aber, was der Herr Hineingeſchrieben.

(ab)
Nathan.

Einerley! Nur her! Gott! wenn ich doch das Maͤdchen noch behalten, Und einen ſolchen Eidam mir damit Erkauffen koͤnnte! Schwerlich wohl! Nun fall Es aus, wie’s will! Wer mag es aber denn Geweſen ſeyn, der bey dem Patriarchen So etwas angebracht? Das muß ich doch Zu fragen nicht vergeſſen. Wenn es gar Von Daja kaͤme?

Achter Auftritt.

Daja und Nathan.
Daja.
(eilig und verlegen.)

Denkt doch, Nathan!

Nathan.

Nun?

Daja.

Das arme Kind erſchtack wohl recht daruͤber! Da ſchickt

Nathan.
192
Nathan.

Der Patriarch?

Daja.

Des Sultans Schweſter, Prinzeſſin Sittah

Nathan.

Nicht der Patriarch?

Daja.

Nein Sittah! Hoͤrt Jhr nicht? Prinzeſſin Sittah Schickt her, und laͤßt ſie zu ſich hohlen.

Nathan.

Wen? Laͤßt Recha hohlen? Sittah laͤßt ſie hohlen? Nun; wenn ſie Sittah hohlen laͤßt, und nicht Der Patriarch

Daja.

Wie kommt Jhr denn auf den?

Nathan.

So haſt du kuͤrzlich nichts von ihm gehoͤrt? Gewiß nicht? Anch ihm nichts geſteckt?

Daja.

Jch? ihm?

Nathan.

Wo ſind die Bothen?

Daja.

Vorn.

Nathan.
193
Nathan.

Jch will ſie doch Aus Vorſicht ſelber ſprechen. Komm! Wenn nur Vom Patriarchen nichts dahinter ſteckt.

(ab)
Daja.

Und ich ich fuͤrchte ganz was anders noch. Was gilts? die einzige vermeinte Tochter So eines reichen Juden waͤr auch wohl Fuͤr einen Muſelmann nicht uͤbel? Huy, Der Tempelherr iſt drum. Jſt drum: wenn ich Den zweyten Schritt nicht auch noch wage; nicht Auch ihr noch ſelbſt entdecke, wer ſie iſt! Getroſt! Laß mich den erſten Augenblick, Den ich allein ſie habe, dazu brauchen! Und der wird ſeyn vielleicht nun eben, wenn Jch ſie begleite. So ein erſter Wink Kann unterwegens wenigſtens nicht ſchaden. Ja, ja! Nur zu! Jtzt oder nie! Nur zu!

(ihm nach)

Fuͤnfter Aufzug.

Erſter Auftritt.

Scene: das Zimmer in Saladins Pallaſte, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu ſehen
Saladin und bald darauf verſchiedne Mameluken.
Saladin.
(im Hereintreten)

Da ſteht das Geld nun noch! Und niemand weißNDen194Den Derwiſch aufzufinden, der vermuthlich Ans Schachbret irgendwo gerathen iſt, Das ihn wohl ſeiner ſelbſt vergeſſen macht; Warum nicht meiner? Nun, Geduld! Was giebts?

Ein Mameluk.

Erwuͤnſchte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan! .. Die Karavane von Kahira koͤmmt; Jſt gluͤcklich da! mit ſiebenjaͤhrigem Tribut des reichen Nils.

Saladin.

Brav, Jbrahim! Du biſt mir wahrlich ein willkommner Bothe! Ha! endlich einmal! endlich! Habe Dank Der guten Zeitung.

Der Mameluk.
(wartend)

(Nun? nur her damit!)

Saladin.

Was wart’ſt du? Geh nur wieder.

Der Mameluk.

Dem Willkommnen Sonſt nichts?

Saladin.

Was denn noch ſonſt?

Der Mameluk.

Dem guten BothenKein195Kein Bothenbrod? So waͤr ich ja der Erſte, Den Saladin mit Worten abzulohnen, Doch endlich lernte? Auch ein Ruhm! Der Erſte, Mit dem er knickerte.

Saladin.

So nimm dir nur Dort einen Beutel.

Der Mameluk.

Nein, nun nicht! Du kannſt Mir ſie nun alle ſchenken wollen.

Saladin.

Trotz! Komm her! Da haſt du zwey. Jm Ernſt? er geht? Thut mirs an Edelmuth zuvor? Denn ſicher Muß ihm es ſaurer werden, auszuſchlagen, Als mir zu geben. Jbrahim! Was koͤmmt Mir denn auch ein, ſo kurz vor meinem Abtritt Auf einmal ganz ein andrer ſeyn zu wollen? Will Saladin als Saladin nicht ſterben? So mußt er auch als Saladin nicht leben.

Ein zweyter Mameluk.

Nun, Sultan!

Saladin.

Wenn du mir zu melden koͤmmſt

Zweyter Mameluk.

Daß aus Aegypten der Transport nun da!

N 2Saladin.
196
Saladin.

Jch weiß ſchon.

Zweyter Mameluk.

Kam ich doch zu ſpaͤt!

Saladin.

Warum Zu ſpaͤt? Da nimm fuͤr deinen guten Willen Der Beutel einen oder zwey.

Zweyter Mameluk.

Macht drey!

Saladin.

Ja, wenn du rechnen kannſt! So nimm ſie nur.

Zweyter Mameluk.

Es wird wohl noch ein Dritter kommen, wenn Er anders kommen kann.

Saladin.

Wie das?

Zweyter Mameluk.

Je nu; Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn Sobald wir drey der Ankunft des Transports Verſichert waren, ſprengte jeder friſch Davon. Der Vorderſte, der ſtuͤrzt; und ſo Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in Die Stadt; wo aber Jbrahim, der Lecker, die Gaſſen beſſer kennt.

Saladin.
197
Saladin.

O der geſtuͤrzte! Freund, der geſtuͤrzte! Reit ihm doch entgegen.

Zweyter Mameluk.

Das werd ich ja wohl thun! Und wenn er lebt: So iſt die Haͤlfte dieſer Beutel ſein.

(geht ab)
Saladin.

Sieh, welch ein guter edler Kerl auch das! Wer kann ſich ſolcher Mameluken ruͤhmen? Und waͤr mir denn zu denken nicht erlaubt, Daß ſie mein Beyſpiel bilden helfen? Fort Mit dem Gedanken, ſie zu guter letzt Noch an ein anders zu gewoͤhnen!

Ein dritter Mameluk.

Sultan,

Saladin.

Biſt dus, der ſtuͤrzte?

Dritter Mameluk.

Nein. Jch melde[nur], Daß Emir Manſor, der die Karavane Gefuͤhrt, vom Pferde ſteigt

Saladin.

Bring ihn! geſchwind! Da iſt er ja!

N 3Zweyter198

Zweyter Auftritt.

Emir Manſor und Saladin.
Saladin.

Willkommen, Emir! Nun, Wie iſts gegangen? Manſor, Manſor, haſt Uns lange warten laſſen!

Manſor.

Dieſer Brief Berichtet, was dein Abulkaſſem erſt Fuͤr Unruh in Thebais daͤmpfen muͤſſen: Eh wir es wagen durften abzugehen. Den Zug darauf hab ich beſchleuniget So viel, wie moͤglich war.

Saladin.

Jch glaube dir! Und nimm nur, guter Manſor, nimm ſogleich Du thuſt es aber doch auch gern? nimm friſche Bedeckung nur ſo gleich. Du mußt ſogleich Noch weiter; mußt der Gelder groͤßern Theil Auf Libanon zum Vater bringen.

Manſor.

Gern! Sehr gern!

Saladin.

Und nimm dir die Bedeckung jaNur199Nur nicht zu ſchwach. Es iſt um Libanon Nicht alles mehr ſo ſicher. Haſt du nicht Gehoͤrt? Die Tempelherrn ſind wieder rege. Sey wohl auf deiner Hut! Komm nur! Wo haͤlt Der Zug? Jch will ihn ſehn; und alles ſelbſt Betreiben. Jhr! ich bin ſodann bey Sittah.

Dritter Auftritt.

Scene: Die Palmen vor Nathans Hauſe, wo der Tempelherr auf und nieder geht.

Jns Haus nun will ich einmal nicht. Er wird Sich endlich doch wohl ſehen laſſen! Man Bemerkte mich ja ſonſt ſo bald, ſo gern! Wills noch erleben, daß er ſichs verbittet, Vor ſeinem Hauſe mich ſo fleißig finden Zu laſſen. Hm! ich bin doch aber auch Sehr aͤrgerlich. Was hat mich denn nun ſo Erbittert gegen ihn? Er ſagte ja: Noch ſchluͤg er mir nichts ab. Und Saladin Hats uͤber ſich genommen, ihn zu ſtimmen. Wie? ſollte wirklich wohl in mir der Chriſt Noch tiefer niſten, als in ihm der Jude? Wer kennt ſich recht? Wie koͤnnt ich ihm denn ſonſt Den kleinen Raub nicht goͤnnen wollen, den Er ſichs zu ſolcher Angelegenheit Gemacht, den Chriſten abzujagen? Freylich; Kein kleiner Raub, ein ſolch Geſchoͤpf! Geſchoͤpf? N 4Und200Und weſſen? Doch des Sklaven nicht, der auf Des Lebens oͤden Strand den Block gefloͤßt, Und ſich davon gemacht? Des Kuͤnſtlers doch Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke Die goͤttliche Geſtalt ſich dachte, die Er dargeſtellt? Ach! Rechas wahrer Vater Bleibt, trotz dem Chriſten, der ſie zengte bleibt Jn Ewigkeit der Jude. Wenn ich mir Sie lediglich als Chriſtendirne denke, Sie ſonder alles das mir denke, was Allein ihr ſo ein Jude geben konnte: Sprich, Herz, was waͤr an ihr, das dir gefiel? Nichts! Wenig! Selbſt ihr Laͤcheln, waͤr es nichts Als ſanfte ſchoͤne Zuckung ihrer Muskeln; Waͤr, was ſie laͤcheln macht, des Reitzes unwerth, Jn den es ſich auf ihrem Munde kleidet: Nein; ſelbſt ihr Laͤcheln nicht! Jch hab es ja Wohl ſchoͤner noch an Aberwitz, an Tand, An Hoͤhnerey, an Schmeichler und an Buhler, Verſchwenden ſehn! Hats da mich auch bezaubert? Hats da mir auch den Wunſch entlockt, mein Leben Jn ſeinem Sonnenſcheine zu verflattern? Jch wuͤßte nicht. Und bin auf den doch launiſch Der dieſen hoͤhern Werth allein ihr gab? Wie das? warum? Wenn ich den Spott verdiente, Mit dem mich Saladin entließ! Schon ſchlimm Genug, daß Saladin es glauben konnte! Wie klein ich ihm da ſcheinen mußte! wie Veraͤchtlich! Und das alles um ein Maͤdchen? Curd! Curd! das geht ſo nicht. Lenk ein! Wenn vollends Mir Daja nur was vorgeplaudert haͤtte,Was201Was ſchwerlich zu erweiſen ſtuͤnde? Sieh, Da tritt er endlich, im Geſpraͤch vertieft, Aus ſeinem Hauſe! Ha! mit wem! Mit ihm? Mit meinem Kloſterbruder? Ha! ſo weiß Er ficherlich ſchon alles! iſt wohl gar Dem Patriarchen ſchon verrathen! Ha! Was hab ich Queerkopf nun geſtiftet! Daß Ein einz’ger Funken dieſer Leidenſchaft Doch unſers Hirns ſo viel verbrennen kann! Geſchwind entſchließ dich, was nunmehr zu thun! Jch will hier ſeitwaͤrts ihrer warten; ob Vielleicht der Kloſterbruder ihn verlaͤßt.

Vierter Auftritt.

Nathan und der Kloſterbruder.
Nathan.
(im naͤher kommen)

Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!

Kloſterbruder.

Und Jhr desgleichen!

Nathan.

Jch? von Euch? wofuͤr? Fuͤr meinen Eigeuſinn, Euch aufzudringen, Was Jhr nicht braucht? Ja, wenn ihm Eurer nurN 5Auch202Auch nachgegeben haͤtt; Jhr mit Gewalt Nicht wolltet reicher ſeyn, als ich.

Kloſterbruder.

Das Buch Gehoͤrt ja ohnedem nicht mir; gehoͤrt Ja ohnedem der Tochter; iſt ja ſo Der Tochter gauzes vaͤterliches Erbe. Je nu, ſie hat ja Euch. Gott gebe nur, Daß Jhr es nie bereuen duͤrft, ſo viel Fuͤr ſie gethan zu haben!

Nathan.

Kann ich das? Das kann ich nie. Seyd unbeſorgt!

Kloſterbruder.

Nu, nu! Die Patriarchen und die Tempelherren

Nathan.

Vermoͤgen mir des Boͤſen nie ſo viel Zu thun, daß irgend was mich reuen koͤnnte: Geſchweige, das! Und ſeyd Jhr denn ſo ganz Verſichert, daß ein Tempelherr es iſt, Der Euern Patriarchen hetzt?

Kloſterbruder.

Es kann Beynah kein andrer ſeyn. Ein Tempelherr Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hoͤrte, Das klang darnach.

Nathan.
203
Nathan.

Es iſt doch aber nur Ein einziger itzt in Jeruſalem. Und dieſen kenn ich. Dieſer iſt mein Freund. Ein junger, edler, offner Mann!

Kloſterbruder.

Ganz recht; Der nemliche! Doch was man iſt, und was Man ſeyn muß in der Welt, das paßt ja wohl Nicht immer.

Nathan.

Leider nicht. So thue, wers Auch immer iſt, ſein Schlimſtes oder Beſtes! Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen; Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.

Kloſterbruder.

Viel Gluͤcks! Jch will Euch denn nur hier verlaſſen.

Nathan.

Und habt ſie nicht einmal geſehn! Kommt ja Doch bald, doch fleißig wieder. Wenn nur heut Der Patriarch noch nichts erfaͤhrt! Doch was? Sagt ihm auch heute, was Jhr wollt.

Kloſterbruder.

Jch nicht. Lebt wohl!

(geht ab.)
Nathan.
204
Nathan.

Vergeßt uns ja nicht, Bruder! Gott! Daß ich nicht gleich hier unter freyem Himmel Auf meine Kniee ſinken kann! Wie ſich Der Knoten, der ſo oft mir bange machte, Nun von ſich ſelber loͤſet! Gott! wie leicht Mir wird, daß ich nun weiter auf der Welt Nichts zu verbergen habe! daß ich vor Den Menſchen nun ſo frey kann wandeln, als Vor dir, der du allein den Menſchen nicht Nach ſeinen Thaten brauchſt zu richten, die So ſelten ſeine Thaten ſind, o Gott!

Fuͤnfter Auftritt.

Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zu koͤmmt.
Tempelherr.

He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

Nathan.

Wer ruft? Seyd Jhr es, Ritter? Wo geweſen, daß Jhr bey dem Sultan Euch nicht treffen laſſen?

Tempelherr.

Wir ſind einander fehl gegangen. Nehmts Nicht uͤbel!

Nathan.

Jch nicht; aber Saladin

Tempel -
205
Tempelherr.

Jhr wart nur eben fort ..

Nathan.

Und ſpracht ihn doch? Nun, ſo iſts gut.

Tempelherr.

Er will uns aber beyde Zuſammen ſprechen.

Nathan.

Deſto beſſer. Kommt Nur mit. Mein Gang ſtand ohnehin zu ihm.

Tempelherr.

Jch darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer Euch da verließ?

Nathan.

Jhr kennt ihn doch wohl nicht?

Tempelherr.

Wars nicht die gute Haut, der Layenbruder, Deß ſich der Patriarch ſo gern zum Stoͤber Bedient?

Nathan.

Kann ſeyn! Beym Patriarchen iſt Er allerdings.

Tempelherr.

Der Pfiff iſt gar nicht uͤbel: Die Einfalt vor der Schurkerey voraus Zu ſchicken.

Nathan.
206
Nathan.

Ja, die dumme; nicht die fromme

Tempelherr.

An fromme glaubt kein Patriarch.

Nathan.

Fuͤr den Nun ſteh ich. Der wird ſeinem Patriarchen Nichts ungebuͤhrliches vollziehen helffen.

Tempelherr.

So ſtellt er wenigſtens ſich an. Doch hat Er Euch von mir denn nichts geſagt?

Nathan.

Von Euch? Von Euch nun namentlich wohl nichts. Er weiß Ja wohl auch ſchwerlich Euern Namen?

Tempelherr.

Schwerlich.

Nathan.

Von einem Tempelherren freylich hat Er mir geſagt

Tempelherr.

Und was?

Nathan.

Womit er Euch Doch ein fuͤr allemal nicht meynen kann!

Tempel -
207
Tempelherr.

Wer weiß? Laßt doch nur hoͤren.

Nathan.

Daß mich Einer Bey ſeinem Patriarchen angeklagt

Tempelherr.

Euch angeklagt? Das iſt, mit ſeiner Gunſt Erlogen. Hoͤrt mich, Nathan! Jch bin nicht Der Menſch, der irgend etwas abzuleugnen Jm Stande waͤre. Was ich that, das that ich! Doch bin ich auch nicht der, der alles, was Er that, als wohl gethan vertheid’gen moͤchte. Was ſollt ich eines Fehls mich ſchaͤmen? Hab Jch nicht den feſten Vorſatz ihn zu beſſern? Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem Es Menſchen bringen koͤnnen? Hoͤrt mich, Nathan! Jch bin des Layenbruders Tempelherr, Der euch verklagt ſoll haben, allerdings. Jhr wißt ja, was mich wurmiſch machte! was Mein Blut in allen Adern ſieden machte! Jch Gauch! ich kam, ſo ganz mit Leib und Seel Euch in die Arme mich zu werffen. Wie Jhr mich empfingt wie kalt wie lau denn lan Jſt ſchlimmer noch als kalt; wie abgemeſſen Mir auszubeugen Jhr befliſſen wart; Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen Jhr Antwort mir zu geben ſcheinen wolltet:Das208Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn Jch ſoll gelaſſen bleiben. Hoͤrt mich, Nathan! Jn dieſer Gaͤrung ſchlich mir Daja nach, Und warf mir ihr Geheimniß an den Kopf, Das mir den Aufſchluß Euers raͤthſelhaften Betragens zu enthalten ſchien.

Nathan.

Wie das?

Tempelherr.

Hoͤrt mich nur aus! Jch bildete mir ein, Jhr wolltet, was Jhr einmal nun den Chriſten So abgejagt, an einen Chriſten wieder Nicht gern verlieren. Und ſo fiel mir ein, Euch kurz und gut das Meſſer an die Kehle Zu ſetzen.

Nathan.

Kurz und gut? und gut? Wo ſteckt Das Gute?

Tempelherr.

Hoͤrt mich, Nathan! Allerdings: Jch that nicht recht! Jhr ſeyd wohl gar nicht ſchuldig. Die Naͤrrinn Daja weiß nicht was ſie ſpricht Jſt Euch gehaͤſſig Sucht Euch nur damit Jn einen boͤſen Handel zu verwickeln Kann ſeyn! kann ſeyn! Jch bin ein junger Laffe, Der immer nur an beyden Enden ſchwaͤrmt; Bald viel zu viel, bald viel zu wenig thut Auch das kann ſeyn! Verzeiht mir, Nathan.

Nathan.
209
Nathan.

Wenn Jhr ſo mich freylich faſſet

Tempelherr.

Kurz, ich ging Zum Patriarchen! hab Euch aber nicht Genannt. Das iſt erlogen, wie geſagt! Jch hab ihm blos den Fall ganz allgemein Erzaͤhlt, um ſeine Meynung zu vernehmen. Auch das haͤtt unterbleiben koͤnnen: ja doch! Denn kannt ich nicht den Patriarchen ſchon Als einen Schurken? Konnt ich Euch nicht ſelber Nur gleich zur Rede ſtellen? Mußt ich der Gefahr, ſo einen Vater zu verlieren, Das arme Maͤdchen opfern? Nun, was thuts? Die Schurkerey des Patriarchen, die So aͤhnlich immer ſich erhaͤlt, hat mich Des naͤchſten Weges wieder zu mir ſelbſt Gebracht. Denn hoͤrt mich, Nathan; hoͤrt mich aus! Geſetzt; er wuͤßt auch Euern Namen: was Nun mehr, was mehr? Er kann Euch ja das Maͤdchen Nur nehmen, wenn ſie niemands iſt, als Euer. Er kann ſie doch aus Euerm Hauſe nur Jns Kloſter ſchleppen. Alſo gebt ſie mir! Gebt ſie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha! Er ſolls wohl bleiben laſſen, mir mein Weib Zu nehmen. Gebt ſie mir; geſchwind! Sie ſey Nun Eure Tochter, oder ſey es nicht! OSey210Sey Chriſtinn, oder Juͤdinn, oder keines! Gleich viel! gleich viel! Jch werd Euch weder itzt Noch jemals ſonſt in meinem ganzen Leben Darum befragen. Sey, wie’s ſey!

Nathan.

Jhr waͤhnt Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen Sehr noͤthig?

Tempelherr.

Sey, wie’s ſey!

Nathan.

Jch hab es ja Euch oder wem es ſonſt zu wiſſen ziemt Noch nicht geleugnet, daß ſie eine Chriſtinn, Und nichts als meine Pflegetochter iſt. Warum ichs aber ihr noch nicht entdeckt? Daruͤber brauch ich nur bey ihr mich zu Entſchuldigen.

Tempelherr.

Das ſollt Jhr auch bey ihr Nicht brauchen. Goͤnnts ihr doch, daß ſie Euch nie Mit andern Augen darf betrachten! Spart Jhr die Entdeckung doch! Noch habt Jhr ja, Jhr ganz allein, mit ihr zu ſchalten. Gebt Sie mir! Jch bitt euch, Nathan; gebt ſie mir! Jch bins allein, der ſie zum zweytenmale Euch retten kann und will.

Nathan.
211
Nathan.

Ja konnte! konnte! Nun auch nicht mehr. Es iſt damit zu ſpaͤt.

Tempelherr.

Wie ſo? zu ſpaͤt?

Nathan.

Dank ſey dem Patriarchen

Tempelherr.

Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofuͤr? Dank haͤtte der bey uns verdienen wollen? Wofuͤr? wofuͤr?

Nathan.

Daß wir nun wiſſen, wem Sie anverwandt; nun wiſſen, weſſen Haͤnden Sie ſicher ausgeliefert werden kann.

Tempelherr.

Das dank ihm wer fuͤr mehr ihm danken wird!

Nathan.

Aus dieſen muͤßt Jhr ſie nun auch erhalten; Und nicht aus meinen.

Tempelherr.

Arme Recha! Was Dir alles zuſtoͤßt, arme Recha! Was Ein Gluͤck fuͤr andre Waiſen waͤre, wird Dein Ungluͤck! Nathau! Und wo ſind ſie, dieſe Verwandte?

O 2Nathan.
212
Nathan.

Wo ſie ſind?

Tempelherr.

Und wer ſie ſind?

Nathan.

Beſonders hat ein Bruder ſich gefunden, Bey dem Jhr um ſie werben muͤßt.

Tempelherr.

Ein Bruder? Was iſt er, dieſer Bruder? Ein Soldat? Ein Geiſtlicher? Laßt hoͤren, was ich mir Verſprechen darf.

Nathan.

Jch glaube, daß er keines Von beyden oder beydes iſt. Jch kenn Jhn noch nicht recht.

Tempelherr.

Und ſonſt?

Nathan.

Ein braver Mann! Bey dem ſich Recha gar nicht uͤbel wird Befinden.

Tempelherr.

Doch ein Chriſt! Jch weiß zu Zeiten Auch gar nicht, was ich von Euch denken ſoll: Nehmt mirs nicht ungut, Nathan. Wird ſie nichtDie213Die Chriſtinn ſpielen muͤſſen, unter Chriſten? Und wird ſie, was ſie lange gnug geſpielt, Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen, Den Jhr geſaͤ’t, das Unkraut endlich nicht Erſticken? Und das kuͤmmert Euch ſo wenig? Dem ungeachtet koͤnnt Jhr ſagen Jhr? Daß ſie bey ihrem Bruder ſich nicht uͤbel Befinden werde?

Nathan.

Denk ich! hoff ich! Wenn Jhr ja bey ihm was mangeln ſollte, hat Sie Euch und mich denn nicht noch immer?

Tempelherr.

Oh! Was wird bey ihm ihr mangeln koͤnnen! Wird Das Bruͤderchen mit Eſſen und mit Kleidung, Mit Naſchwerk und mit Putz, das Schweſterchen Nicht reichlich gnug verſorgen? Und was braucht Ein Schweſterchen denn mehr? Ey freylich: auch Noch einen Mann! Nun, nun; auch den, auch den Wird ihr das Bruͤderchen zu ſeiner Zeit Schon ſchaffen; wie er immer nur zu finden! Der Chriſtlichſte der Beſte! Nathan, Nathan! Welch einen Engel hattet Jhr gebildet, Den Euch nun andre ſo verhunzen werden!

Nathan.

Hat keine Noth! Er wird ſich unſrer Liebe Noch immer werth genug behaupten.

O 3Tempel -
214
Tempelherr.

Sagt Das nicht! Von meiner Liebe ſagt das nicht! Denn die laͤßt nichts ſich unterſchlagen; nichts. Es ſey auch noch ſo klein! Auch keinen Namen! Doch halt! Argwohnt ſie wohl bereits, was mit Jhr vorgeht?

Nathan.

Moͤglich; ob ich ſchon nicht wuͤßte, Woher?

Tempelherr.

Auch eben viel; Sie ſoll ſie muß Jn beyden Faͤllen, was ihr Schickſal droht, Von mir zuerſt erfahren. Mein Gedanke, Sie eher wieder nicht zu ſehn, zu ſprechen, Als bis ich ſie die Meine nennen duͤrfe, Faͤllt weg. Jch eile

Nathan.

Bleibt! wohin?

Tempelherr.

Zu ihr! Zu ſehn, ob dieſe Maͤdchenſeele Manns genug Wohl iſt, den einzigen Entſchluß zu faſſen Der ihrer wuͤrdig waͤre!

Nathan.

Welchen?

Tempel -
215
Tempelherr.

Den: Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht Zu fragen

Nathan.

Und?

Tempelherr.

Und mir zu folgen; wenn Sie druͤber eines Muſelmannes Frau Auch werden muͤßte.

Nathan.

Bleibt! Jhr trefft ſie nicht. Sie iſt bey Sittah, bey des Sultans Schweſter.

Tempelherr.

Seit wenn? warum?

Nathan.

Und wollt Jhr da bey Jhnen Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.

Tempelherr.

Den Bruder? welchen? Sittah’s oder Recha’s?

Nathan.

Leicht beyde. Kommt nur mit! Jch bitt Euch, kommt!

(Er fuͤhrt ihn fort.)
O 4Sechſter216

Sechſter Auftritt.

Scene: in Sittah’s Harem.
Sittah und Recha in Unterhaltung begriſſen.
Sittah.

Was freu ich mich nicht deiner, ſuͤſſes Maͤdchen! Sey ſo beklemmt nur nicht! ſo angſt! ſo ſchuͤchtern! Sey munter! ſey geſpraͤchicher! vertrauter!

Recha.

Prinzeſſinn,

Sittah.

Nicht doch! nicht Prinzeſſinn! Nenn Mich Sittah, deine Freundinn, deine Schweſter. Nenn mich dein Muͤtterchen! Jch koͤnnte das Ja ſchier auch ſeyn. So jung! ſo klug! ſo fromm! Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt Geleſen haben!

Recha.

Jch geleſen? Sittah, Du ſpotteſt deiner kleinen albern Schweſter. Jch kann kaum leſen.

Sittah.

Kannſt kaum, Luͤgnerinn!

Recha.

Ein wenig meines Vaters Hand! Jch meynte, Du ſpraͤchſt von Buͤchern.

Sittah.
217
Sittah.

Allerdings! von Buͤchern.

Recha.

Nun, Buͤcher wird mir wahrlich ſchwer zu leſen!

Sittah.

Jm Ernſt?

Recha.

Jn ganzem Ernſt. Mein Vater liebt Die kalte Buchgelehrſamkeit, die ſich Mit todten Zeichen ins Gehirn nur druͤckt, Zu wenig.

Sittah.

Ey, was ſagſt du! Hat indeß Wohl nicht ſehr Unrecht! Und ſo manches, was Du weißt ..?

Recha.

Weiß ich allein aus ſeinem Munde. Und koͤnnte bey dem Meiſten dir noch ſagen, Wie? wo? warum? er michs gelehrt.

Sittah.

So haͤngt Sich freylich alles beſſer an. So lernt Mit eins die ganze Seele.

Recha.

Sicher hat Auch Sittah wenig oder nichts geleſen!

O 5Sittah.
218
Sittah.

Wie ſo? Jch bin nicht ſtolz aufs Gegentheil. Allein wie ſo? Dein Grund! Sprich dreiſt. Dein Grund?

Recha.

Sie iſt ſo ſchlecht und recht; ſo unverkuͤnſtelt; So ganz ſich ſelbſt nur aͤhnlich

Sittah.

Nun?

Recha.

Das ſollen Die Buͤcher uns nur ſelten laſſen: ſagt Mein Vater.

Sittah.

O was iſt dein Vater fuͤr Ein Mann!

Recha.

Nicht wahr?

Sittah.

Wie nah er immer doch Zum Ziele trift!

Recha.

Nicht wahr? Und dieſen Vater

Sittah.

Was iſt dir, Liebe?

Recha.

Dieſen Vater

Sittah.

Gott! Du weinſt?

Recha.
219
Recha.

Und dieſen Vater Ah! es muß Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft

(wirft ſich, von Thraͤnen uͤberwaͤltiget, zu ihren Fuͤſſen.)
Sittah.

Kind, was Geſchieht dir? Recha?

Recha.

Dieſen Vater ſoll Soll ich verlieren!

Sittah.

Du? verlieren? ihn? Wie das? Sey ruhig! Nimmermehr! Steh auf

Recha.

Du ſollſt vergebens dich zu meiner Freundinn, Zu meiner Schweſter nicht erbothen haben!

Sittah.

Jch bins ja! bins! Steh doch nur auf! Jch muß Sonſt Huͤlfe rufen.

Recha.
(die ſich ermannt und aufſteht)

Ah! verzeih! vergieb! Mein Schmerz hat mich vergeſſen machen, wer Du biſt. Vor Sittah gilt kein Winſeln, kein Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft Will alles uͤber ſie allein vermoͤgen. Weß Sache dieſe bey ihr fuͤhrt, der ſiegt!

Sittah.
220
Sittah.

Nun dann?

Recha.

Nein; meine Freundinn, meine Schweſter Giebt das nicht zu! Giebt nimmer zu, daß mir Ein andrer Vater aufgedrungen werde!

Sittah.

Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir? Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?

Recha.

Wer? Meine gute boͤſe Daja kann Das wollen, will das koͤnnen. Ja; du kennſt Wohl dieſe gute boͤſe Daja nicht? Nun, Gott vergeb es ihr! belohn es ihr! Sie hat mir ſo viel Gutes, ſo viel Boͤſes Erwieſen!

Sittah.

Boͤſes dir? So muß ſie Gutes Doch wahrlich wenig haben.

Recha.

Doch! recht viel, Recht viel!

Sittah.

Wer iſt ſie?

Recha.

Eine Chriſtinn, die Jn meiner Kindheit mich gepflegt; mich ſoGe -221Gepflegt! Du glaubſt nicht! Die mir eine Mutter So wenig miſſen laſſen! Gott vergelt Es ihr! Die aber mich auch ſo geaͤngſtet! Mich ſo gequaͤlt!

Sittah.

Und uͤber was? warum? Wie?

Recha.

Ach! die arme Frau, ich ſag dirs ja Jſt eine Chriſtinn; muß aus Liebe quaͤlen; Jſt eine von den Schwaͤrmerinnen, die Den allgemeinen, einzig wahren Weg Nach Gott, zu wiſſen waͤhnen!

Sittah.

Nun verſteh ich!

Recha.

Und ſich gedrungen fuͤhlen, einen jeden, Der dieſes Wegs verfehlt, darauf zu lenken. Kaum koͤnnen ſie auch anders. Denn iſts wahr, Daß dieſer Weg allein nur richtig fuͤhrt: Wie ſollen ſie gelaſſen ihre Freunde Auf einem andern wandeln ſehn, der ins Verderben ſtuͤrzt, ins ewige Verderben? Es muͤßte moͤglich ſeyn, denſelben Menſchen Zur ſelben Zeit zu lieben und zu haſſen. Auch iſts das nicht, was endlich laute Klagen Mich uͤber ſie zu fuͤhren zwingt. Jhr Seufzen, Jhr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen haͤtt Jch222Jch gern noch laͤnger ausgehalten; gern! Es brachte mich doch immer auf Gedanken, Die gut und nuͤtzlich. Und wem ſchmeichelts doch Jm Grunde nicht, ſich gar ſo werth und theuer, Von wems auch ſey, gehalten fuͤhlen, daß Er den Gedanken nicht ertragen kann, Er muͤß einmal auf ewig uns entbehren!

Sittah.

Sehr wahr!

Recha.

Allein allein das geht zu weit! Dem kann ich nichts entgegenſetzen; nicht Geduld, nicht Ueberlegung; nichts!

Sittah.

Was? wem?

Recha.

Was ſie mir eben itzt entdeckt will haben.

Sittah.

Entdeckt? und eben itzt?

Recha.

Nur eben itzt! Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem Verfallnen Chriſtentempel. Ploͤtzlich ſtand Sie ſtill; ſchien mit ſich ſelbſt zu kaͤmpfen; blickte Mit naſſen Augen bald gen Himmel, bald Auf mich. Komm, ſprach ſie endlich, laß uns hier Durch dieſen Tempel in die Richte gehn! Sie223Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge ſchweift Mit Graus die wankenden Ruinen durch. Nun ſteht ſie wieder; und ich ſehe mich An den verſunknen Stuffen eines morſchen Altars mit ihr. Wie ward mir? als ſie da Mit heiſſen Thraͤnen, mit gerungnen Haͤnden, Zu meinen Fuͤſſen ſtuͤrzte

Sittah.

Gutes Kind!

Recha.

Und bey der Goͤttlichen, die da wohl ſonſt So manch Gebet erhoͤrt, ſo manches Wunder Verrichtet habe, mich beſchwor; mit Blicken Des wahren Mitleids mich beſchwor, mich meiner Doch zu erbarmen! Wenigſtens, ihr zu Vergeben, wenn ſie mir entdecken muͤſſe, Was ihre Kirch auf mich fuͤr Anſpruch habe.

Sittah.

(Ungluͤckliche! Es ahndte mir!)

Recha.

Jch ſey Aus chriſtlichem Gebluͤte; ſey getauft; Sey Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! Gott! Gott! Er nicht mein Vater! Sittah! Sittah! Sieh mich aufs neu zu deinen Fuͤſſen

Sittah.

Recha! Nicht doch! ſteh auf! Mein Bruder koͤmmt! ſteh auf!

Sieben -224

Siebender Auftritt.

Saladin nnd die Vorigen.
Saladin.

Was giebts hier, Sittah?

Sittah.

Sie iſt von ſich! Gott!

Saladin.

Wer iſts?

Sittah.

Du weißt ja

Saladin.

Unſers Nathans Tochter? Was fehlt ihr?

Sittah.

Komm doch zu dir, Kind! Der Sultan

Recha.
(die ſich auf den Knieen zu Saladins Fuͤſſen ſchleppt, den Kopf zur Erde geſenkt.)

Jch ſteh nicht auf! nicht eher auf! mag eher Des Sultans Antlitz nicht erblicken! eher Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit Und Guͤte nicht in ſeinen Augen, nicht Auf ſeiner Stirn bewundern

Saladin.

Steh ſteh auf!

Recha.

Eh er mir nicht verſpricht

Saladin.
225
Saladin.

Komm! ich verſpreche Sey was es will!

Recha.

Nicht mehr, nicht weniger, Als meinen Vater mir zu laſſen; und Mich ihm! Noch weiß ich nicht, wer ſonſt mein Vater Zu ſeyn verlangt; verlangen kann. Wills auch Nicht wiſſen. Aber macht denn nur das Blut Den Vater? nur das Blut?

Saladin.
(der ſie aufhebt.)

Jch merke wohl! Wer war ſo grauſam denn, dir ſelbſt dir ſelbſt Dergleichen in den Kopf zu ſetzen? Jſt Es denn ſchon voͤllig ausgemacht? erwieſen?

Recha.

Muß wohl! Denn Daja will von meiner Amm Es haben.

Saladin.

Deiner Amme!

Recha.

Die es ſterbend Jhr zu vertrauen ſich verbunden fuͤhlte.

Saladin.

Gar ſterbend! Nicht auch faſelnd ſchon? Und waͤrs Auch wahr! Ja wohl: das Blut, das Blut alleinPMacht226Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum Den Vater eines Thieres! giebt zum hoͤchſten Das erſte Recht ſich dieſen Namen zu Erwerben! Las dir doch nicht bange ſeyn! Und weißt du was? Sobald der Vaͤter zwey Sich um dich ſtreiten: laß ſie beyde; nimm Den dritten! Nimm dann mich zu deinem Vater!

Sittah.

O thu’s! o thu’s!

Saladin.

Jch will ein guter Vater, Recht guter Vater ſeyn! Doch halt! mir faͤllt Noch viel was Beſſers bey. Was brauchſt du denn Der Vaͤter uͤberhaupt? Wenn ſie nun ſterben? Bey Zeiten ſich nach einem umgeſehn, Der mit uns um die Wette leben will! Kennſt du noch keinen?

Sittah.

Mach ſie nicht erroͤthen!

Saladin.

Das habe ich allerdings mir vorgeſetzt. Erroͤthen macht die Haͤßlichen ſo ſchoͤn: Und ſollte Schoͤne nicht noch ſchoͤner machen? Jch habe deinen Vater Nathan; und Noch einen einen noch hierher beſtellt. Erraͤthſt du ihn? Hierher! Du wirſt mir doch Erlauben, Sittah?

Sittah.
227
Sittah.

Bruder!

Saladin.

Daß du ja Vor ihm recht ſehr erroͤtheſt, liebes Maͤdchen!

Recha.

Vor wem? erroͤthen? ....

Saladin.

Kleine Heuchlerinn! Nun ſo erblaſſe lieber! Wie du willſt Und kannſt!

(eine Sklavinn tritt herein, und nahet ſich Sittah.) Sie ſind doch etwa nicht ſchon da?
Sittah.

Gut! laß ſie nur herein. Sie ſind es Bruder!

Letzter Auftritt.

Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.
Saladin.

Ah, meine guten lieben Freunde! Dich, Dich, Nathan, muß ich nur vor allen Dingen Bedeuten, daß du nun, ſobald du willſt, Dein Geld kannſt wiederhohlen laſſen!

Nathan.

Sultan! ..

P 2Saladin.
228
Saladin.

Nun ſteh ich auch zu deinen Dienſten

Nathan.

Sultan! ..

Saladin.

Die Karavan iſt da! Jch bin ſo reich Nun wieder, als ich lange nicht geweſen. Komm, ſag mir, was du brauchſt, ſo recht was Groſſes Zu unternehmen! Denn auch ihr, auch ihr, Jhr Handelsleute, koͤnnt des baaren Geldes Zu viel nie haben!

Nathan.

Und warum zuerſt Von dieſer Kleinigkeit? Jch ſehe dort Ein Aug in Thraͤnen, das zu trocknen, mir Weit angelegner iſt.

(geht auf Recha zu.)

Du haſt geweint? Was fehlt dir? biſt doch meine Tochter noch?

Recha.

Mein Vater! ..

Nathan.

Wir verſtehen uns. Genug! Sey heiter! Sey gefaßt! Wenn ſonſt dein Herz Nur dein noch iſt! Wenn deinem Herzen ſonſt Nur kein Verluſt nicht droht! Dein Vater iſt Dir unverloren!

Recha.
229
Recha.

Keiner, keiner ſonſt!

Tempelherr.

Sonſt keiner? Nun! ſo hab ich mich betrogen. Was man nicht zu verlieren fuͤrchtet, hat Man zu beſitzen nie geglaubt, und nie Gewuͤnſcht. Recht wohl! recht wohl! Das aͤndert Nathan, Das aͤndert alles! Saladin, wir kamen Auf dein Geheiß. Allein, ich hatte dich Verleitet: itzt bemuͤh dich nur nicht weiter!

Saladin.

Wie gach nun wieder, junger Mann! Soll alles Dir denn entgegen kommen? alles dich Errathen?

Tempelherr.

Nun du hoͤrſt ja! ſiehſt ja, Sultan!

Saladin.

Ey wahrlich! Schlimm genug, daß deiner Sache Du nicht gewiſſer warſt!

Tempelherr.

So bin ichs nun.

Saladin.

Wer ſo auf irgend eine Wohlthat trotzt, Nimmt ſie zuruͤck. Was du gerettet, iſt Deswegen nicht dein Eigenthum. Sonſt waͤr P 3Der230Der Raͤuber, den ſein Geiz ins Feuer jagt, So gut ein Held, wie du!

(auf Recha zugehend, um ſie den Tempelherrn zuzufuͤhren)

Komm, liebes Maͤdchen, Komm! Nimms mit ihm nicht ſo genau. Denn waͤr Er anders; waͤr er minder warm und ſtolz: Er haͤtt es bleiben laſſen, dich zu retten. Du mußt ihm eins fuͤrs andre rechnen. Komm! Beſchaͤm ihn! thu, was ihm zu thun geziemte! Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an! Und wenn er dich verſchmaͤht; dirs je vergißt, Wie ungleich mehr in dieſem Schritte du Fuͤr ihn gethan, als er fuͤr dich Was hat Er denn fuͤr dich gethan? Ein wenig ſich Beraͤuchern laſſen! iſt was rechts! ſo hat Er meines Bruders, meines Aſſad, nichts! So traͤgt er ſeine Larve, nicht ſein Herz. Komm, Liebe

Sittah.

Geh! geh, Liebe, geh! Es iſt Fuͤr deine Dankbarkeit noch immer wenig; Noch immer nichts.

Nathan.

Halt Saladin! halt Sittah!

Saladin.

Auch du?

Nathan.

Hier hat noch einer mit zu ſprechen

Sala -
231
Saladin.

Wer leugnet das? Unſtreitig, Nathan, koͤmmt So einem Pflegevater eine Stimme Mit zu! Die erſte, wenn du willſt. Du hoͤrſt, Jch weiß der Sache ganze Lage.

Nathan.

Nicht ſo ganz! Jch rede nicht von mir. Es iſt ein andrer; Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin, Doch auch vorher zu hoͤren bitte.

Saladin.

Wer?

Nathan.

Jhr Bruder!

Saladin.

Recha’s Bruder?

Nathan.

Ja!

Recha.

Mein Bruder? So hab ich einen Bruder?

Tempelherr.
(aus ſeiner wilden, ſtummen Zerſtreuung auffahreud.)

Wo? wo iſt Er, dieſer Bruder? Noch nicht hier? Jch ſollt Jhn hier ja treffen.

P 4Nathan.
232
Nathan.

Nur Gedult!

Tempelherr.
(aͤuſſerſt bitter.)

Er hat Jhr einen Vater aufgebunden: wird Er keinen Bruder fuͤr ſie finden?

Saladin.

Das Hat noch gefehlt! Chriſt! ein ſo niedriger Verdacht waͤr uͤber Aſſads Lippen nicht Gekommen. Gut! fahr nur ſo fort!

Nathan.

Verzeih Jhm! Jch verzeih ihm gern. Wer weiß, was wir An ſeiner Stell, in ſeinem Alter daͤchten!

(freundſchaftlich auf ihn zugehend.)

Natuͤrlich, Ritter! Argwohn folgt auf Mißtraun! Wenn Jhr mich Euers wahren Namens gleich Gewuͤrdigt haͤttet

Tempelherr.

Wie?

Nathan.

Jhr ſeyd kein Stauffen!

Tempelherr.

Wer bin ich denn?

Nathan.
233
Nathan.

Heißt Curd von Stauffen nicht!

Tempelherr.

Wie heiß ich denn?

Nathan.

Heißt Leu von Filneck.

Tempelherr.

Wie?

Nathan.

Jhr ſtutzt?

Tempelherr.

Mit Recht! Wer ſagt das?

Nathan.

Jch; der mehr, Noch mehr Euch ſagen kann. Jch ſtraf indeß Euch keiner Luͤge.

Tempelherr.

Nicht?

Nathan.

Kann doch wohl ſeyn, Daß jener Nam Euch ebenfalls gebuͤhrt.

Tempelherr.

Das ſollt ich meynen! (Das hieß Gott ihn ſprechen!)

Nathan.

Denn Eure Mutter die war eine Stauffinn. Jhr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,P 5Dem234Dem Eure Aeltern Euch in Deutſchland lieſſen, Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben, Sie wieder hier zu Lande kamen: Der Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindesſtatt Vielleicht Euch angenommen haben! Seyd Jhr lange ſchon mit ihm nun auch heruͤber Gekommen? Und er lebt doch noch?

Tempelherr.

Was ſoll Jch ſagen? Nathan! Allerdings! So iſts! Er ſelbſt iſt todt. Jch kam erſt mit der letzten Verſtaͤrkung unſers Ordens. Aber, aber Was hat mit dieſem allen Recha’s Bruder Zu ſchaffen?

Nathan.

Euer Vater

Tempelherr.

Wie? auch den Habt Jhr gekannt? Auch den?

Nathan.

Er war mein Freund.

Tempelherr.

War Euer Freund? Jſts moͤglich, Nathan!

Nathan.

Nannte Sich Wolf von Filneck; aber war kein Deutſcher

Tempel -
235
Tempelherr.

Jhr wißt auch das?

Nathan.

War einer Deutſchen nur Vermaͤhlt; war Eurer Mutter nur nach Deutſchland Auf kurze Zeit gefolgt

Tempelherr.

Nicht mehr! Jch bitt Euch! Aber Recha’s Bruder? Recha’s Bruder

Nathan.

Seyd Jhr!

Tempelherr.

Jch? ich ihr Bruder?

Recha.

Er mein Bruder?

Sittah.

Geſchwiſter!

Saladin.

Sie Geſchwiſter!

Recha.
(will auf ihn zu.)

Ah! mein Bruder!

Tempelherr.
(tritt zuruͤck.)

Jhr Bruder!

Recha.
236
Recha.
(haͤlt an, und wendet ſich zu Nathan)

Kann nicht ſeyn! nicht ſeyn! Sein Herz Weiß nichts davon! Wir ſind Betrieger! Gott!

Saladin.
(zum Tempelherrn)

Betrieger? wie? Das denkſt du? kannſt du denken? Betrieger ſelbſt! Denn alles iſt erlogen An dir: Geſicht und Stimm und Gang! Nichts dein! So eine Schweſter nicht erkennen wollen! Geh!

Tempelherr.
(ſich demuͤthig ihm nahend.)

Mißdeut auch du nicht mein Erſtaunen, Sultan! Verkenn in einem Augenblick, in dem Du ſchwerlich deinen Aſſad je geſehen, Nicht ihn und mich!

(auf Nathan zueilend.)

Jhr nehmt und gebt mir, Nathan! Mit vollen Haͤnden beydes! Nein! Jhr gebt Mir mehr, als Jhr mir nehmt! unendlich mehr!

(Recha um den Hals fallend)

Ah meine Schweſter! meine Schweſter!

Nathan.

Blanda Von Filneck!

Tempelherr

Blanda? Blanda? Recha nicht? Nicht Eure Recha mehr? Gott! Jhr verſtoßtSie!237Sie! gebt ihr ihren Chriſtennamen wieder! Verſtoßt ſie meinetwegen! Nathan! Nathan! Warum es ſie entgelten laſſen? ſie!

Nathan.

Und was? O meine Kinder! meine Kinder! Denn meiner Tochter Bruder waͤr mein Kind Nicht auch, ſobald er will?

(Jndem er ſich ihren Umarmungen uͤberlaͤßt, tritt Sala - din mit unruhigem Erſtaunen zu ſeiner Schweſter.)
Saladin.

Was ſagſt du, Schweſter?

Sittah.

Jch bin geruͤhrt

Saladin.

Und ich, ich ſchandere Vor einer groͤßern Ruͤhrung faſt zuruͤck! Bereite dich nur drauf, ſo gut du kannſt.

Sittah.

Wie?

Saladin.

Nathan, auf ein Wort! ein Wort!

(Jndem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Ge - ſchwiſter, ihm ihre Theilnehmung zu bezeigen; und Nathan und Saladin ſprechen leiſer.)

Hoͤr! hoͤr doch, Nathan! Sagteſt du vorhin Nicht ?

QNathan.
238
Nathan.

Was?

Saladin.

Aus Deutſchland ſey ihr Vater nicht Geweſen; ein gebohrner Deutſcher nicht. Was war er denn? wo war er ſonſt denn her?

Nathan.

Das hat er ſelbſt mir nie vertrauen wollen. Aus ſeinem Munde weiß ich nichts davon.

Saladin.

Und war auch ſonſt kein Frank? kein Abendlaͤnder?

Nathan.

O! daß er der nicht ſey, geſtand er wohl. Er ſprach am liebſten Perſiſch

Saladin.

Perſiſch? Perſiſch? Was will ich mehr? Er iſts! Er war es!

Nathan.

Wer?

Saladin.

Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Aſſad! ganz Gewiß!

Nathan.

Nun, wenn du ſelbſt darauf verfaͤllſt: Nimm die Verſichrung hier in dieſem Buche!

(ihm das Brevier uͤberreichend.)
Saladin.
239
Saladin.
(es begierig auffchlagend)

Ah! ſeine Hand! Auch die erkenn ich wieder!

Nathan.

Noch wiſſen ſie von nichts! Noch ſtehts bey dir Allein, was ſie davon erfahren ſollen!

Saladin.
(indeß er darinn geblaͤttert.)

Jch meines Bruders Kinder nicht erkennen? Jch meine Neffen meine Kinder nicht? Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl laſſen?

(wieder laut)

Sie ſinds! ſie ſind es, Sitttah, ſind! Sie ſinds! Sind beyde meines deines Bruders Kinder!

(er rennt in ihre Umarmungen)
Sittah.
(ihm folgend)

Was hoͤr ich! Konnts auch anders, anders ſeyn!

Saladin.
(zum Tempelherrn)

Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt mich lieben!

(zu Recha)

Nun bin ich doch, wozu ich mich erboth? Magſt wollen, oder nicht!

Sittah.

Jch auch! ich auch!

Q 2Saladin.
240
Saladin.
(zum Tempelherrn zuruͤck)

Mein Sohn! mein Aſſad! meines Aſſads Sohn!

Tempelherr.

Jch deines Bluts! So waren jene Traͤume, Womit man meine Kindheit wiegte, doch Doch mehr als Traͤume!

(ihm zu Fuͤſen fallend.)
Saladin.
(ihn aufhebend)

Seht den Boͤsewicht! Er wußte was davon, und konnte mich Zu seinem Moͤrder machen wollen! Wart!

Unter stummer Wiederholung allerseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.

About this transcription

TextNathan der Weise
Author Gotthold Ephraim Lessing
Extent248 images; 30364 tokens; 5253 types; 200476 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationNathan der Weise Ein Dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen Gotthold Ephraim Lessing. . [2] Bl., 240 S. VoßBerlin1779.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 4559 (2. Druck)

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:40Z
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Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 4559 (2. Druck)
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