PRIMS Full-text transcription (HTML)
Minna von Barnhelm, oder das Soldatengluͤck.
Ein Luſtſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen,
[figure]
Berlin,beyChriſtian Friederich Voß. 1767.
Minna von Barnhelm, oder das Soldatengluͤck.
Ein Luſtſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen.
Verfertiget im Jahr1763.
A 2

Perſonen.

  • Major von Tellheim, verabſchiedet.
  • Minna von Barnhelm.
  • Graf von Bruchſall, ihr Oheim.
  • Franciska, ihr Maͤdchen.
  • Juſt, Bedienter des Majors.
  • Paul Werner, geweſener Wachmeiſter des Majors.
  • Der Wirth.
  • Eine Dame in Trauer.
  • Ein Feldjaͤger.
  • Riccaut de la Marliniere.
Die Scene iſt abwechſelnd in dem Saale eines Wirthshauſes, und einem daran ſtoßenden Zimmer.
[5]

Erſter Aufzug.

Erſter Auftritt.

Juſt.
(ſitzet in einem Winckel, ſchlummert, und redet im Traume)

Schurcke von einem Wirthe! Du, uns? Friſch, Bruder! Schlag zu, Bruder!

(er hohlt aus, und erwacht durch die Bewegung)

He da! ſchon wie - der? Jch mache kein Auge zu, ſo ſchlage ich mich mit ihm herum. Haͤtte er nur erſt die Haͤlfte von allen den Schlaͤgen! Doch ſieh, es iſt Tag! Jch muß nur bald meinen armen Herrn aufſuchen. Mit meinem Willen, ſoll er keinen Fuß mehr in das vermaledeyte Haus etzen. Wo wird er die Nacht zugebracht haben?

A 3Zwey -6Minna von Barnhelm,

Zweyter Auftritt.

Der Wirth. Juſt.
Der Wirth.

Guten Morgen, Herr Juſt, guten Morgen! Ey, ſchon ſo fruͤh auf? Oder ſoll ich ſagen: noch ſo ſpaͤt auf?

Juſt.

Sage Er, was Er will.

Der Wirth.

Jch ſage nichts als, guten Morgen; und das verdient doch wohl, daß Herr Juſt, großen Dank, darauf ſagt?

Juſt.

Großen Dank!

Der Wirth.

Man iſt verdruͤßlich, wenn man ſeine gehoͤrige Ruhe nicht haben kann. Was gilts, der Herr Major iſt nicht nach Hauſe ge - kommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?

Juſt.

Was der Mann nicht alles errathen kann!

Der Wirth.

Jch vermuthe, ich vermuthe.

Juſt.
(kehrt ſich um, und will gehen)

Sein Diener!

Der Wirth.
(haͤlt ihn)

Nicht doch, Herr Juſt!

Juſt.

Nun gut; nicht Sein Diener!

Der7oder das Soldatengluͤck.
Der Wirth.

Ey, Herr Juſt! ich will doch nicht hoffen, Herr Juſt, daß Er noch von geſtern her boͤſe iſt? Wer wird ſeinen Zorn uͤber Nacht behalten?

Juſt.

Jch; und uͤber alle folgende Naͤchte.

Der Wirth.

Jſt das chriſtlich?

Juſt.

Eben ſo chriſtlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hauſe ſtoßen, auf die Straße werfen.

Der Wirth.

Pfuy, wer koͤnnte ſo gottlos ſeyn?

Juſt.

Ein chriſtlicher Gaſtwirth. Meinen Herrn! ſo einen Mann! ſo einen Officier!

Der Wirth.

Den haͤtte ich aus dem Hauſe geſtoßen? auf die Straße geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung fuͤr einen Officier, und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Jch habe ihm aus Noth ein ander Zimmer ein - raͤumen muͤſſen. Denke Er nicht mehr daran, Herr Juſt.

(er rufft in die Scene:)

Holla! Jch wills auf andere Weiſe wieder gut machen.

(Ein Junge koͤmmt)

Bring ein Glaͤßchen; Herr Juſt will ein Glaͤßchen haben; und was gutes!

A 4Juſt. 8Minna von Barnhelm,
Juſt.

Mache Er Sich keine Muͤhe, Herr

Wirth.

Der Tropfen ſoll zu Gift werden, den Doch ich will nicht ſchwoͤren; ich bin noch nuͤchtern!

Der Wirth.
(zu dem Jungen, der eine Flaſche Liqueur und ein Glaß bringt)

Gib her; geh! Nun, Herr Juſt; was ganz vortreffliches; ſtark, lieblich, geſund.

(er fuͤllt, und reicht ihm zu)

Das kann einen uͤberwachten Magen wieder in Ord - nung bringen!

Juſt.

Bald duͤrfte ich nicht! Doch warum ſoll ich meiner Geſundheit ſeine Grobheit entgelten laſſen?

(er nimmt und trinkt)
Der Wirth.

Wohl bekomms, Herr Juſt!

Juſt.
(indem er das Glaͤßchen wieder zuruͤck giebt)

Nicht uͤbel! Aber Herr Wirth, Er iſt doch ein Grobian!

Der Wirth.

Nicht doch, nicht doch! Geſchwind noch eins; auf einem Beine iſt nicht gut ſtehen.

Juſt.
(nachdem er getrunken)

Das muß ich ſagen: gut, ſehr gut! Selbſt gemacht, Herr Wirth?

Der9oder das Soldatengluͤck.
Der Wirth.

Behuͤte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!

Juſt.

Sieht Er, Herr Wirth; wenn ich heucheln koͤnnte, ſo wuͤrde ich fuͤr ſo was heu - cheln; aber ich kann nicht; es muß raus: Er iſt doch ein Grobian, Herr Wirth!

Der Wirth.

Jn meinem Leben hat mir das noch niemand geſagt. Noch eins, Herr Juſt; aller guten Dinge ſind drey!

Juſt.

Meinetwegen!

(er trinkt)

Gut Ding, wahrlich gut Ding! Aber auch die Wahrheit iſt gut Ding. Herr Wirth, Er iſt doch ein Grobian!

Der Wirth.

Wenn ich es waͤre, wuͤrde ich das wohl ſo mit anhoͤren?

Juſt.

O ja, denn ſelten hat ein Grobian Galle.

Der Wirth.

Nicht noch eins, Herr Juſt? Eine vierfache Schnur haͤlt deſto beſſer.

Juſt.

Nein, zu viel iſt zu viel! Und was hilfts Jhn, Herr Wirth? Bis auf den letzten Tropfen in der Flaſche wuͤrde ich bey meiner Rede bleiben. Pfuy, Herr Wirth; ſo gutenA 5Dan -10Minna von Barnhelm,Danziger zu haben, und ſo ſchlechte Mores! Einem Manne, wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bey Jhm gewohnt, von dem Er ſchon ſo manchen ſchoͤnen Thaler gezogen, der in ſeinem Leben keinen Heller ſchuldig geblieben iſt; weil er ein Paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr ſo viel aufgehen laͤßt, in der Abweſenheit das Zimmer auszuraͤumen!

Der Wirth.

Da ich aber das Zimmer noth - wendig brauchte? da ich voraus ſahe, daß der Herr Major es ſelbſt gutwillig wuͤrde geraͤumt haben, wenn wir nur lange auf ſeine Zuruͤck - kunft haͤtten warten koͤnnen? Sollte ich denn ſo eine fremde Herrſchaft wieder von meiner Thuͤre wegfahren laſſen? Sollte ich einem andern Wirthe ſo einen Verdienſt muthwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß ſie ſonſt wo unterkommen waͤre. Die Wirths - haͤuſer ſind ietzt alle ſtark beſetzt. Sollte eine ſo junge, ſchoͤne, liebenswuͤrdige Dame, auf der Straße bleiben? Dazu iſt ſein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabey? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafuͤr eingeraͤumt?

Juſt. 11oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

Hinten an dem Taubenſchlage; die Ausſicht zwiſchen des Nachbars Feuermauren

Der Wirth.

Die Ausſicht war wohl ſehr ſchoͤn, ehe ſie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer iſt doch ſonſt galant, und tape - zirt

Juſt.

Geweſen!

Der Wirth.

Nicht doch, die eine Wand iſt es noch. Und Sein Stuͤbchen darneben, Herr Juſt; was fehlt dem Stuͤbchen? Es hat ei - nen Kamin; der zwar im Winter ein wenig raucht

Juſt.

Aber doch im Sommer recht huͤbſch laͤßt. Herr, ich glaube gar, Er vexirt uns noch oben drein?

Der Wirth.

Nu, nu, Herr Juſt, Herr Juſt

Juſt.

Mache Er Herr Juſten den Kopf nicht warm, oder

Der Wirth.

Jch macht ihn warm? der Danziger thuts!

Juſt.

Einen, Officier wie meinen Herrn! Oder meynt Er, daß ein abgedankter Officier nichtauch12Minna von Barnhelm,auch ein Officier iſt, der Jhm den Hals brechen kann? Warum waret ihr denn im Kriege ſo ge - ſchmeidig, ihr Herren Wirthe? Warum war denn da jeder Officier ein wuͤrdiger Mann, und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das Bißchen Friede ſchon ſo uͤber - muͤthig?

Der Wirth.

Was ereyfert Er Sich nun, Herr Juſt?

Juſt.

Jch will mich ereyfern.

Dritter Auftritt.

v. Tellheim. Der Wirth. Juſt.
v. Tellheim.
(im Hereintretten)

Juſt!

Juſt.
(in der Meynung, daß ihn der Wirth nenne)

So bekannt ſind wir?

v. Tellheim.

Juſt!

Juſt.

Jch daͤchte, ich waͤre wohl Herr Juſt fuͤr Jhn!

Der Wirth.
(der den Major gewahr wird)

St! ſt! Herr, Herr, Herr Juſt, ſeh Er Sich doch um; Sein Herr

v. Tell -13oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Juſt, ich glaube, du zankſt? Was habe ich dir befohlen?

Der Wirth.

O, Jhro Gnaden! zanken? da ſey Gott vor! Jhr unterthaͤnigſter Knecht ſollte ſich unterſtehen, mit einem, der die Gnade hat, Jhnen anzugehoͤren, zu zanken?

Juſt.

Wenn ich ihm doch eins auf den Katzen - buckel geben duͤrfte!

Der Wirth.

Es iſt wahr, Herr Juſt ſpricht fuͤr ſeinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran thut er recht; ich ſchaͤtze ihn um ſo viel hoͤher; ich liebe ihn darum.

Juſt.

Daß ich ihm nicht die Zaͤhne austre - ten ſoll!

Der Wirth.

Nur Schade, daß er ſich um - ſonſt erhitzet. Denn ich bin gewiß verſichert, daß Jhro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil die Noth mich nothwendig

v. Tellheim.

Schon zu viel, mein Herr! Jch bin Jhnen ſchuldig; Sie raͤumen mir, in meiner Abweſenheit, das Zimmer aus; Sie muͤſſen be -zahlt14Minna von Barnhelm,zahlt werden; ich muß wo anders unterzukom - men ſuchen. Sehr natuͤrlich!

Der Wirth.

Wo anders? Sie wollen aus - ziehen, gnaͤdiger Herr? Jch ungluͤcklicher Mann! ich geſchlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das Quartier wieder raͤumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr ſein Zimmer nicht laſſen; das Zimmer iſt ſein; ſie muß fort; ich kann ihr nicht helfen. Jch gehe, gnaͤdiger Herr

v. Tellheim.

Freund, nicht zwey dumme Streiche fuͤr einen! Die Dame muß in dem Beſitze des Zimmers bleiben.

Der Wirth.

Und Jhro Gnaden ſollten glau - ben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge fuͤr meine Bezahlung? Als wenn ich nicht wuͤßte, daß mich Jhro Gnaden bezahlen koͤnnen, ſo bald Sie nur wollen. Das verſiegelte Beutelchen, fuͤnfhundert Thaler Louisdor, ſtehet drauf, welches Jhro Gnaden in dem Schreibepulte ſtehen gehabt; iſt in guter Verwahrung.

v. Tell -15oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Das will ich hoffen; ſo wie meine uͤbrige Sachen. Juſt ſoll ſie in Em - pfang nehmen, wenn er Jhnen die Rechnung bezahlt hat.

Der Wirth.

Wahrhaftig, ich erſchrack recht, als ich das Beutelchen fand. Jch habe immer Jhro Gnaden fuͤr einen ordentlichen und vor - ſichtigen Mann gehalten, der ſich niemals ganz ausgiebt. Aber dennoch, wenn ich baar Geld in dem Schreibepulte vermuthet haͤtte

v. Tellheim.

Wuͤrden Sie hoͤflicher mit mir verfahren ſeyn. Jch verſtehe Sie. Gehen Sie nur, mein Herr; laſſen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu ſprechen.

Der Wirth.

Aber gnaͤdiger Herr

v. Tellheim.

Komm Juſt, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in ſeinem Hauſe ſage, was du thun ſollſt.

Der Wirth.

Jch gehe ja ſchon, gnaͤdiger Herr! Mein ganzes Haus iſt zu Jhren Dienſten.

Vier -16Minna von Barnhelm.

Vierter Auftritt.

v. Tellheim. Juſt.
Juſt.
(der mit dem Fuſſe ſtampft, und dem Wirthe nachſpuckt)

Pfuy!

v. Tellheim.

Was giebts?

Juſt.

Jch erſticke vor Bosheit.

v. Tellheim.

Das waͤre ſo viel, als an Voll - bluͤtigkeit.

Juſt.

Und Sie, Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Jch ſterbe vor Jhren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieſes haͤmiſchen, unbarmherzigen Rackers ſind! Trotz Galgen und Schwerd und Rad, haͤtte ich ihn haͤtte ich ihn mit dieſen Haͤnden erdroſſeln, mit dieſen Zaͤhnen zerreiſſen wollen.

v. Tellheim.

Beſtie!

Juſt.

Lieber Beſtie, als ſo ein Menſch!

v. Tellheim.

Was willſt du aber?

Juſt.

Jch will, daß Sie es empfinden ſollen, wie ſehr man Sie beleidiget.

v. Tellheim.

Und dann?

Juſt. 17oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

Daß Sie Sich raͤchten Nein, der Kerl iſt Jhnen zu gering.

v. Tellheim.

Sondern, daß ich es dir auf - truͤge, mich zu raͤchen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er haͤtte mich nicht wieder mit Augen ſehen, und ſeine Bezahlung aus deinen Haͤnden empfangen ſollen. Jch weiß, daß du eine Hand voll Geld mit einer ziemlich veraͤchtlichen Miene hinwerfen kannſt.

Juſt.

So? eine vortreffliche Rache!

v. Tellheim.

Aber die wir noch verſchie - ben muͤſſen. Jch habe keinen Heller baares Geld mehr; ich weiß auch, keines aufzutrei - ben.

Juſt.

Kein baares Geld? Und was iſt denn das fuͤr ein Beutel, mit fuͤnfhundert Thaler Louisdor den der Wirth in Jhrem Schreibepulte gefunden?

v. Tellheim.

Das iſt Geld, welches mir auf - zuheben gegeben worden.

Juſt.

Doch nicht die hundert Piſtolen, die Jhnen Jhr alter Wachtmeiſter vor vier oder fuͤnf Wochen brachte?

Bv. Tell -18Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Die nehmlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?

Juſt.

Dieſe haben Sie noch nicht ge - braucht? Mein Herr, mit dieſen koͤnnen Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verant - wortung

v. Tellheim.

Wahrhaftig?

Juſt.

Werner hoͤrte von mir, wie ſehr man Sie mit Jhren Forderungen an die General - kriegskaſſe aufzieht. Er hoͤrte

v. Tellheim.

Daß ich ſicherlich zum Bettler werden wuͤrde, wenn ich es nicht ſchon waͤre. Jch bin dir ſehr verbunden, Juſt. Und dieſe Nachricht vermochte Wernern, ſein Bißchen Armuth mit mir zu theilen. Es iſt mir doch lieb, daß ich es errathen habe. Hoͤre Juſt, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir ſind geſchiedene Leute.

Juſt.

Wie? was?

v. Tellheim.

Kein Wort mehr; es koͤmmt jemand.

Fuͤnf -19oder das Soldatengluͤck.

Fuͤnfter Auftritt.

Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Juſt.
Die Dame.

Jch bitte um Verzeihung, mein Herr!

v. Tellheim.

Wen ſuchen Sie, Ma - dame?

Die Dame.

Eben den wuͤrdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu ſprechen. Sie ken - nen mich nicht mehr? Jch bin die Wittwe Jhres ehemahligen Staabsrittmeiſters

v. Tellheim.

Um des Himmels willen, gnaͤ - dige Frau! welche Veraͤnderung!

Die Dame.

Jch ſtehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz uͤber den Verluſt meines Mannes warf. Jch muß Jhnen fruͤh beſchwerlich fallen, Herr Major. Jch reiſe auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht gluͤckliche Freundinn eine Zuflucht vors erſte angeboten.

v. Tellheim.
(zu Juſt)

Geh, laß uns allein.

B 2Sech -20Minna von Barnhelm,

Sechſter Auftritt.

Die Dame. von Tellheim.
v. Tellheim.

Reden Sie frey, gnaͤdige Frau! Vor mir duͤrfen Sie Sich Jhres Ungluͤcks nicht ſchaͤmen. Kann ich Jhnen worinn dienen?

Die Dame.

Mein Herr Major

v. Tellheim.

Jch beklage Sie, gnaͤdige Frau! Worinn kann ich Jhnen dienen? Sie wiſſen, Jhr Gemahl war mein Freund; mein Freund, ſage ich; ich war immer karg mit dieſem Titel.

Die Dame.

Wer weiß es beſſer, als ich, wie werth Sie ſeiner Freundſchaft waren, wie werth er der Jhrigen war? Sie wuͤrden ſein letzter Gedanke, Jhr Name der letzte Ton ſeiner ſterbenden Lippen geweſen ſeyn, haͤtte nicht die ſtaͤrkere Natur dieſes traurige Vorrecht fuͤr ſei - nen ungluͤcklichen Sohn, fuͤr ſeine ungluͤckliche Gattinn gefordert

v. Tellheim.

Hoͤren Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Jhnen gern; aber ich habe heute keine Thraͤnen. Verſchonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, woich21oder das Soldatengluͤck. ich leicht zu verleiten waͤre, wider die Vorſicht zu murren. O mein rechtſchaffner Mar - loff! Geſchwind, gnaͤdige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Jhnen zu dienen im Stande bin, wenn ich es bin

Die Dame.

Jch darf nicht abreiſen, ohne ſeinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte ſich kurz vor ſeinem Ende, daß er als Jhr Schuld - ner ſterbe, und beſchwor mich, dieſe Schuld mit der erſten Baarſchaft zu tilgen. Jch habe ſeine Equipage verkauft, und komme ſeine Handſchrift einzuloͤſen.

v. Tellheim.

Wie, gnaͤdige Frau? darum kommen Sie?

Die Dame.

Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzaͤhle.

v. Tellheim.

Nicht doch, Madame; Marloff mir ſchuldig? das kann ſchwerlich ſeyn. Laſſen Sie doch ſehen.

(er ziehet ſein Taſchenbuch heraus und ſucht)

Jch finde nichts.

Die Dame.

Sie werden ſeine Handſchrift verlegt haben, und die Handſchrift thut nichts zur Sache. Erlauben Sie

B 3v. Tell -22Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Nein, Madame! ſo etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich ſie nicht habe, ſo iſt es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß ſie getilgt, und von mir ſchon zuruͤck gegeben worden.

Die Dame.

Herr Major!

v. Tellheim.

Ganz gewiß, gnaͤdige Frau. Marloff iſt mir nichts ſchuldig geblieben. Jch wuͤßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas ſchuldig geweſen waͤre. Nicht anders Madame; er hat mich vielmehr als ſei - nen Schuldner hinterlaſſen. Jch habe nie etwas thun koͤnnen, mich mit einem Manne abzufin - den, der ſechs Jahr Gluͤck und Ungluͤck, Ehre und Gefahr mit mir getheilet. Jch werde es nicht vergeſſen, daß ein Sohn von ihm da iſt. Er wird mein Sohn ſeyn, ſo bald ich ſein Vater ſeyn kann. Die Verwirrung, in der ich mich ietzt ſelbſt befinde

Die Dame.

Edelmuͤthiger Mann! Aber den - ken Sie auch von mir nicht zu klein. Nehmen Sie das Geld, Herr Major; ſo bin ich wenig - ſtens beruhiget.

v. Tell -23oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Was brauchen Sie zu Jhrer Beruhigung weiter, als meine Verſicherung, daß mir dieſes Geld nicht gehoͤret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene Wanſe meines Freundes beſtehlen ſoll? Beſtehlen, Madame; das wuͤrde es in dem eigentlichſten Verſtande ſeyn. Jhm gehoͤrt es; fuͤr ihn legen Sie es an.

Die Dame.

Jch verſtehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohlthaten annehmen muß. Woher wiſſen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr fuͤr ihren Sohn thut, als ſie fuͤr ihr eigen Leben thun wuͤrde? Jch gehe

v. Tellheim.

Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reiſen Sie gluͤcklich! Jch bitte Sie nicht, mir Nachricht von Jhnen zu geben. Sie moͤchte mir zu einer Zeit kommen, wo ich ſie nicht nutzen koͤnnte. Aber noch eines, gnaͤdige Frau; bald haͤtte ich das Wichtigſte vergeſſen. Marloff hat noch an der Kaſſe unſers ehemaligen Regi - ments zu fodern. Seine Foderungen ſind ſo rich - tig, wie die meinigen. Werden meine bezahlt,B 4ſo24Minna von Barnhelm,ſo muͤſſen auch die ſeinigen bezahlt werden. Jch hafte dafuͤr.

Die Dame.

O! mein Herr Aber ich ſchweige lieber. Kuͤnftige Wohlthaten ſo vor - bereiten, heißt ſie in den Augen des Himmels ſchon erwieſen haben. Empfangen Sie ſeine Be - lohnung, und meine Thraͤnen!

(geht ab)

Siebender Auftritt.

v. Tellheim.

Armes, braves Weib! Jch muß nicht ver - geſſen, den Bettel zu vernichten.

(er nimmt aus ſeinem Taſchenbuche Briefſchaften, die er zerreißt)

Wer ſteht mir dafuͤr, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten koͤnnte, Gebrauch davon zu machen?

Achter Auftritt.

Juſt. v. Tellheim.
v. Tellheim.

Biſt du da?

Juſt.
(indem er ſich die Augen wiſcht)

Ja!

v. Tellheim.

Du haſt geweint?

Juſt. 25oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

Jch habe in der Kuͤche meine Rechnung geſchrieben, und die Kuͤche iſt voll Rauch. Hier iſt ſie, mein Herr!

v. Tellheim.

Gieb her.

Juſt.

Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Jch weiß wohl, daß die Menſchen mit Jhnen keine haben; aber

v. Tellheim.

Was willſt du?

Juſt.

Jch haͤtte mir eher den Tod, als meinen Abſchied vermuthet.

v. Tellheim.

Jch kann dich nicht laͤnger brau - chen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen.

(ſchlaͤgt die Rechnung auf, und lieſet)

Was der Herr Major mir ſchuldig: Drey und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Thaler, macht 21 Thaler. Seit dem erſten dieſes, an Klei - nigkeiten ausgelegt, 1 Thlr. 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum, 22 Thaler 7 Gr. 9 Pf. Gut, und es iſt billig, daß ich dir dieſen laufenden Mo - nat ganz bezahle.

Juſt.

Die andere Seite, Herr Major

v. Tellheim.

Noch mehr?

(lieſet)

Was dem Herrn Major ich ſchuldig: An den FeldſcheerB 5fuͤr26Minna von Barnhelm, fuͤr mich bezahlt, 25 Thaler. Fuͤr Wartung und Pflege, waͤhrend meiner Kur, fuͤr mich bezahlt, 39 Thlr. Meinem abgebrannten und gepluͤn - derten Vater, auf meine Bitte, vorgeſchoſſen, ohne die zwey Beutepferde zu rechnen, die er ihm geſchenkt, 50 Thaler. Summa Summarum, 114 Thaler. Davon abgezogen vorſtehende 22 Thl. 17 Gr. 9 Pf. bleibe dem Herrn Major ſchuldig, 91 Thlr. 16 gr. 3 Pf. Kerl, du biſt toll!

Juſt.

Jch glaube es gern, daß ich Jhnen weit mehr koſte. Aber es waͤre verlorne Dinte, es dazu zu ſchreiben. Jch kann Jhnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverey nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe, ſo wollte ich lieber, Sie haͤtten mich in dem La - zarethe krepiren laſſen.

v. Tellheim.

Wofuͤr ſiehſt du mich an? Du biſt mir nichts ſchuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bey dem du es beſſer haben ſollſt, als bey mir.

Juſt.

Jch bin Jhnen nichts ſchuldig, und doch wollen Sie mich verſtoßen?

v. Tell -27oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Weil ich dir nichts ſchuldig wer - den will.

Juſt.

Darum? nur darum? So gewiß ich Jhnen ſchuldig bin, ſo gewiß Sie mir nichts ſchuldig werden koͤnnen, ſo gewiß ſollen Sie mich nun nicht verſtoßen. Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bey Jhnen; ich muß bey Jhnen bleiben.

v. Tellheim.

Und deine Hartnaͤckigkeit, dein Trotz, dein wildes ungeſtuͤmes Weſen gegen alle, von denen du meyneſt, daß Sie dir nichts zu ſagen haben, deine tuͤckiſche Schadenfreude, deine Rachſucht

Juſt.

Machen Sie mich ſo ſchlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht ſchlechter von mir denken, als von meinem Hunde. Vorigen Winter gieng ich in der Demmerung an dem Kanale, und hoͤrte etwas winſeln. Jch ſtieg herab, und griff nach der Stimme, und glaubte ein Kind zu retten, und zog einen Budel aus dem Waſſer. Auch gut; dachte ich. Der Budel kam mir nach; aber ich bin kein Liebhaber von Budeln. Jch jagte ihn fort, umſonſt; ich pruͤgelte ihn vonmir,28Minna von Barnhelm,mir, umſonſt. Jch ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Thuͤre auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, ſtieß ich ihn mit dem Fuße; er ſchrie, ſahe mich an, und we - delte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Biſſen Brod aus meiner Hand bekommen; und doch bin ich der einzige, dem er hoͤrt, und der ihn anruͤhren darf. Er ſpringt vor mir her, und macht mir ſeine Kuͤnſte unbefohlen vor. Es iſt ein haͤß - licher Budel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es laͤnger treibt, ſo hoͤre ich endlich auf, den Budeln gram zu ſeyn.

v. Tellheim.
(bey Seite)

So wie ich ihm! Nein, es giebt keine voͤllige Unmenſchen! Juſt, wir bleiben beyſammen.

Juſt.

Ganz gewiß! Sie wollten Sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergeſſen Jhrer Bleſſuren, und daß Sie nur eines Armes maͤch - tig ſind. Sie koͤnnen Sich ja nicht allein anklei - den. Jch bin Jhnen unentbehrlich; und bin, ohne mich ſelbſt zu ruͤhmen, Herr Ma - jor und bin ein Bedienter, der wenndas29oder das Soldatengluͤck. das Schlimmſte zum Schlimmen koͤmmt, fuͤr ſeinen Herrn betteln und ſtehlen kann.

v. Tellheim.

Juſt, wir bleiben nicht bey - ſammen.

Juſt.

Schon gut!

Neunter Auftritt.

Ein Bedienter. v. Tellheim. Juſt.
Der Bediente.

Bſt! Kammerad!

Juſt.

Was giebts?

Der Bediente.

Kann Er mir nicht den Officier nachweiſen, der geſtern noch in dieſem Zimmer

(auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkoͤmmt)

gewohnt hat?

Juſt.

Das duͤrfte ich leicht koͤnnen. Was bringt Er ihm?

Der Bediente.

Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen; ein Kompliment. Meine Herrſchaft hoͤrt, daß er durch ſie verdrengt worden. Meine Herrſchaft weiß zu leben, und ich ſoll ihn desfalls um Verzeihung bitten.

Juſt. 30Minna von Barnhelm,
Juſt.

Nun ſo bitte Er ihn um Verzeihung; da ſteht er.

Der Bediente.

Was iſt er? Wie nennt man ihn?

v. Tellheim.

Mein Freund, ich habe Euern Auftrag ſchon gehoͤrt. Es iſt eine uͤberfluͤſſige Hoͤflichkeit von Eurer Herrſchaft, die ich erkenne, wie ich ſoll. Macht ihr meinen Empfehl. Wie heißt Eure Herrſchaft?

Der Bediente.

Wie ſie heißt? Sie laͤßt ſich gnaͤdiges Fraͤulein heiſſen.

v. Tellheim.

Und ihr Familienname?

Der Bediente.

Den habe ich noch nicht ge - hoͤrt, und darnach zu fragen, iſt meine Sache nicht. Jch richte mich ſo ein, daß ich, mei - ſtentheils aller ſechs Wochen, eine neue Herr - ſchaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!

Juſt.

Bravo, Kammerad!

Der Bediente.

Zu dieſer bin ich erſt vor we - nig Tagen in Dresden gekommen. Sie ſucht, glaube ich, hier ihren Braͤutigam.

v. Tell -31oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrſchaft wollte ich wiſſen; aber nicht ihre Geheimniſſe. Geht nur!

Der Bediente.

Kammerad, das waͤre kein Herr fuͤr mich!

Zehnter Auftritt.

v. Tellheim. Juſt.
v. Tellheim.

Mache, Juſt, mache, daß wir aus dieſem Hauſe kommen! Die Hoͤflichkeit der fremden Dame iſt mir empfindlicher, als die Grobheit des Wirths. Hier nimm dieſen Ring; die einzige Koſtbarkeit, die mir uͤbrig iſt; von der ich nie geglaubt haͤtte, einen ſolchen Gebrauch zu machen! Verſetze ihn! laß dir achtzig Frie - drichsdor darauf geben; die Rechnung des Wirths kann keine dreyßig betragen. Bezahle ihn, und raͤume meine Sachen Ja, wohin? Wohin du willſt. Der wohlfeilſte Gaſthof der beſte. Du ſollſt mich hier neben an, auf dem Kaffeehauſe, treffen. Jch gehe, mache deine Sache gut.

Juſt. 32Minna von Barnhelm,
Juſt.

Sorgen Sie nicht, Herr Major!

v. Tellheim.
(koͤmmt wieder zuruͤck)

Vor allen Dingen, daß meine Piſtolen, die hinter dem Bette gehangen, nicht vergeſſen werden.

Juſt.

Jch will nichts vergeſſen.

v. Tellheim.
(koͤmmt nochmals zuruͤck)

Noch eins; nimm mir auch deinen Budel mit; hoͤrſt du, Juſt!

Eilfter Auftritt.

Juſt.

Der Budel wird nicht zuruͤck bleiben. Dafuͤr laß ich den Budel ſorgen. Hm! auch den koſtbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und trug ihn in der Taſche, anſtatt am Finger? Guter Wirth, wir ſind ſo kahl noch nicht, als wir ſcheinen. Bey ihm, bey ihm ſelbſt will ich dich verſetzen, ſchoͤnes Ringelchen! Jch weiß, er aͤr - gert ſich, daß du in ſeinem Hauſe nicht ganz ſollſt verzehrt werden! Ah

Zwoͤlf -33oder das Soldatengluͤck.

Zwoͤlfter Auftritt.

Paul Werner. Juſt.
Juſt.

Sieh da, Werner! guten Tag, Wer - ner! willkommen in der Stadt!

Werner.

Das verwuͤnſchte Dorf! Jch kanns unmoͤglich wieder gewohne werden. Luſtig, Kin - der, luſtig; ich bringe friſches Geld! Wo iſt der Major?

Juſt.

Er muß dir begegnet ſeyn; er gieng eben die Treppe herab.

Werner.

Jch komme die Hintertreppe herauf. Nun wie gehts ihm? Jch waͤre ſchon vorige Woche bey euch geweſen, aber

Juſt.

Nun? was hat dich abgehalten?

Werner.

Juſt, haſt du von dem Prin - zen Heraklius gehoͤrt?

Juſt.

Heraklius? Jch wuͤßte nicht.

Werner.

Kennſt du den großen Helden im Morgenlande nicht?

Juſt.

Die Weiſen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem Sterne herumlauffen.

CWer -34Minna von Barnhelm.
Werner.

Menſch, ich glaube, du lieſeſt eben ſo wenig die Zeitungen, als die Bibel? Du kennſt den Prinz Heraklius nicht? den braven Mann nicht, der Perſien weggenommen, und naͤchſter Tage die ottomanniſche Pforte einſprengen wird? Gott ſey Dank, daß doch noch irgendwo in der Welt Krieg iſt! Jch habe lange genug ge - hoft, es ſollte hier wieder losgehen. Aber da ſitzen ſie, und heilen ſich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muß ich wieder ſeyn! Kurz,

(indem er ſich ſchuͤchtern umſieht, ob ihn jemand behorcht)

im Vertrauen, Juſt; ich wandere nach Perſien, um unter Sr. Koͤniglichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein Paar Feldzuͤge wider den Tuͤrken zu machen.

Juſt.

Du?

Werner.

Jch, wie du mich hier ſiehſt! Unſere Vorfahren zogen fleißig wider den Tuͤrken; und das ſollten wir noch thun, wenn wir ehrliche Kerls, und gute Chriſten waͤren. Freylich begreiffe ich wohl, daß ein Feldzug wider den Tuͤrken nicht halb ſo luſtig ſeyn kann, als einer wider den Franzoſen; aber dafuͤr muß er auch deſto verdienſt -licher35oder das Soldatengluͤck. licher ſeyn, in dieſem und in jenem Leben. Die Tuͤrken haben dir alle Saͤbels, mit Diamanten beſetzt

Juſt.

Um mir von ſo einem Saͤbel den Kopf ſpalten zu laſſen, reiſe ich nicht eine Meile. Du wirſt doch nicht toll ſeyn, und dein ſchoͤnes Schul - zengerichte verlaſſen?

Werner.

O, das nehme ich mit! Merkſt du was? Das Guͤtchen iſt verkauft

Juſt.

Verkauft?

Werner.

St! hier ſind hundert Dukaten, die ich geſtern auf den Kauf bekommen; die bring ich dem Major

Juſt.

Und was ſoll der damit?

Werner.

Was er damit ſoll? Verzehren ſoll er ſie; verſpielen, vertrinken, ver wie er will. Der Mann muß Geld haben, und es iſt ſchlecht genug, daß man ihm das Seinige ſo ſauer macht! Aber ich wuͤßte ſchon, was ich thaͤte, wenn ich an ſeiner Stelle waͤre! Jch daͤchte: hohl euch hier alle der Henker; und gienge mit Paul Wernern, nach Perſien! Blitz! der Prinz Heraklius muß ja wohl von dem Major Tellheim gehoͤrtC 2haben36Minna von Barnhelm,haben; wenn er auch ſchon ſeinen geweſenen Wachmeiſter, Paul Wernern, nicht kennt. Un - ſere Affaire bey den Katzenhaͤuſern

Juſt.

Soll ich dir die erzaͤhlen?

Werner.

Du mir? Jch merke wohl, daß eine ſchoͤne Diſpoſition uͤber deinen Verſtand geht. Jch will meine Perlen nicht vor die Saͤue werf - fen. Da nimm die hundert Dukaten; gieb ſie dem Major. Sage ihm: er ſoll mir auch die aufheben. Jch muß ietzt auf den Markt; ich habe zwey Winspel Rocken herein geſchickt; was ich daraus loͤſe, kann er gleichfalls haben.

Juſt.

Werner, du meyneſt es herzlich gut; aber wir moͤgen dein Geld nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Piſtolen kannſt du auch unverſoͤrt wieder bekommen, ſobald als du willſt.

Werner.

So? hat denn der Major noch Geld?

Juſt.

Nein.

Werner.

Und wovon lebt ihr denn?

Juſt.

Wir laſſen anſchreiben, und wenn man nicht mehr anſchreiben will, und uns zum Hauſeher -37oder das Soldatengluͤck. herauswirft, ſo verſetzen wir, was wir noch haben, und ziehen weiter. Hoͤre nur, Paul; dem Wirthe hier muͤſſen wir einen Poſſen ſpielen.

Werner.

Hat er dem Major was in den Weg gelegt? Jch bin dabey!

Juſt.

Wie waͤrs, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie koͤmmt, aufpaßten, und ihn brav durchpruͤgelten?

Werner.

Des Abends? aufpaßten? ihre Zwey, einem? Das iſt nichts.

Juſt.

Oder, wenn wir ihm das Haus uͤber dem Kopf anſteckten?

Werner.

Sengen und brennen? Kerl, man hoͤrts, daß du Packknecht geweſen biſt, und nicht Soldat; pfuy!

Juſt.

Oder, wenn wir ihm ſeine Tochter zur Hure machten? Sie iſt zwar verdammt haͤßlich

Werner.

O, da wird ſies lange ſchon ſeyn! Und allenfalls brauchſt du auch hierzu keinen Ge - huͤlfen. Aber was haſt du denn? was giebts denn?

Juſt.

Komm nur, du ſollſt dein Wunder hoͤren!

C 3Wer -38Minna von Barnhelm,
Werner.

So iſt der Teufel wohl hier gar los?

Juſt.

Ja wohl; komm nur!

Werner.

Deſto beſſer! Nach Perſien alſo, nach Perſien!

Ende des erſten Aufzugs.

Zweyter Aufzug.

Erſter Auftritt.

Minna von Barnheim. Franciska.
(die Scene iſt in dem Zimmer des Fraͤuleins.)
Das Fraͤulein.
(im Negligee, nach ihrer Uhr ſehend)

Franciska, wir ſind auch ſehr fruͤh aufgeſtanden. Die Zeit wird uns lang werden.

Franciska.

Wer kann in den verzweifelten großen Staͤdten ſchlafen? Die Karoſſen, die Nachtwaͤchter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals das hoͤrt nicht auf zu raſſeln, zu ſchreyen, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; ge - rade, als ob die Nacht zu nichts weniger waͤre, als zur Ruhe. Eine Taſſe Thee, gnaͤdiges Fraͤulein?

Das39oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Der Thee ſchmeckt mir nicht.

Franciska.

Jch will von unſerer Schokolate machen laſſen.

Das Fraͤulein.

Laß machen, fuͤr dich!

Franciska.

Fuͤr mich? Jch wollte eben ſo gern fuͤr mich allein plaudern, als fuͤr mich allein trinken. Freylich wird uns die Zeit ſo lang werden. Wir werden, vor langer Weile, uns putzen muͤſſen, und das Kleid verſuchen, in wel - chem wir den erſten Sturm geben wollen.

Das Fraͤulein.

Was redeſt du von Stuͤrmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der Kapitu - lation zu fordern?

Franciska.

Und der Herr Officier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment daruͤber machen laſſen; er muß auch nicht die feinſte Lebens - art haben; ſonſt haͤtte er wohl um die Ehre koͤn - nen bitten laſſen, uns ſeine Aufwartung machen zu duͤrfen.

Das Fraͤulein.

Es ſind nicht alle Officiere Tellheims. Die Wahrheit zu ſagen, ich ließ ihm das Kompliment auch blos machen, um Gelegen -C 4heit40Minna von Barnhelm,heit zu haben, mich nach dieſem bey ihm zu erkun - digen. Franciska, mein Herz ſagt es mir, daß meine Reiſe gluͤcklich ſeyn wird, daß ich ihn fin - den werde.

Franciska.

Das Herz, gnaͤdiges Fraͤulein? Man traue doch ja ſeinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul eben ſo geneigt waͤre, nach dem Herzen zu reden, ſo waͤre die Mode laͤngſt auf - gekommen, die Maͤuler unterm Schloße zu tragen.

Das Fraͤulein.

Ha! ha! mit deinen Maͤu - lern unterm Schloſſe! Die Mode waͤre mir eben recht!

Franciska.

Lieber die ſchoͤnſten Zaͤhne nicht ge - zeigt, als alle Augenblicke das Herz daruͤber ſprin - gen laſſen!

Das Fraͤulein.

Was? biſt du ſo zuruͤckhal - tend?

Franciska

Nein, gnaͤdiges Fraͤulein; ſondern ich wollte es gern mehr ſeyn. Man ſpricht ſelten von der Tugend, die man hat; aber deſto oͤftrer von der, die uns fehlt.

Das41oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Siehſt du, Franciska? da haſt du eine ſehr gute Anmerkung gemacht.

Franciska.

Gemacht? macht man das, was einem ſo einfaͤllt?

Das Fraͤulein.

Und weißt du, warum ich eigentlich dieſe Anmerkung ſo gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.

Franciska.

Was haͤtte bey Jhnen nicht auch Beziehung auf ihn?

Das Fraͤulein.

Freund und Feind ſagen, daß er der tapferſte Mann von der Welt iſt. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hoͤren? Er hat das rechtſchaffenſte Herz, aber Rechtſchaffenheit und Edelmuth ſind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.

Franciska.

Von was fuͤr Tugenden ſpricht er denn?

Das Fraͤulein.

Er ſpricht von keiner; denn ihm fehlt keine.

Franciska.

Das wollte ich nur hoͤren.

Das Fraͤulein.

Warte, Franciska; ich beſinne mich. Er ſpricht ſehr oft von Oekonomie. JmC 5Ver -42Minna von Barnhelm,Vertrauen, Franciska; ich glaube, der Mann iſt ein Verſchwender.

Franciska.

Noch eins, gnaͤdiges Fraͤulein. Jch habe ihn auch ſehr oft der Treue und Beſtaͤn - digkeit gegen Sie erwaͤhnen hoͤren. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeiſt waͤre?

Das Fraͤulein.

Du Ungluͤckliche! Aber meyneſt du das im Ernſte, Franciska?

Franciska.

Wie lange hat er Jhnen nun ſchon nicht geſchrieben?

Das Fraͤulein.

Ach! ſeit dem Frieden hat er mir nur ein einzigesmal geſchrieben.

Franciska.

Auch ein Seufzer wider den Frie - den! Wunderbar! der Friede ſollte nur das Boͤſe wieder gut machen, das der Krieg geſtiftet, und er zerruͤttet auch das Gute, was dieſer ſein Ge - genpart etwa noch veranlaſſet hat. Der Friede ſollte ſo eigenſinnig nicht ſeyn! Und wie lange haben wir ſchon Friede? Die Zeit wird einem ge - waltig lang, wenn es ſo wenig Neuigkeiten giebt. Umſonſt gehen die Poſten wieder richtig; niemand ſchreibt; denn niemand hat was zu ſchreiben.

Das43oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Es iſt Friede, ſchrieb er mir, und ich naͤhere mich der Erfuͤllung meiner Wuͤn - ſche. Aber, daß er mir dieſes nur ein einzi - gesmal geſchrieben

Franciska.

Daß er uns zwingt, dieſer Er - fuͤllung der Wuͤnſche ſelbſt entgegen zu eilen: fin - den wir ihn nur; das ſoll er uns entgelten! Wenn indeß der Mann doch Wuͤnſche erfuͤllt haͤtte, und wir erfuͤhren hier

Das Fraͤulein.
(aͤngſtlich und hitzig)

Daß er tod waͤre?

Franciska.

Fuͤr Sie, gnaͤdiges Fraͤulein; in den Armen einer andern.

Das Fraͤulein.

Du Quaͤlgeiſt! Warte, Fran - ciska, er ſoll dir es gedenken! Doch ſchwatze nur; ſonſt ſchlafen wir wieder ein. Sein Regi - ment ward nach dem Frieden zerriſſen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweiſungen er dadurch gerathen? Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er verſetzt worden? Wer weiß, welche Um - ſtaͤnde Es pocht jemand.

Franciska.

Herein!

Zwey -44Minna von Barnhelm,

Zweyter Auftritt.

Der Wirth. Die Vorigen.
Der Wirth.
(den Kopf voranſteckend)

Jſt es erlaubt, meine gnaͤdige Herrſchaft?

Franciska.

Unſer Herr Wirth? Nur vol - lends herein.

Der Wirth.
(mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und Schreibezeug in der Hand.)

Jch kom - me, gnaͤdiges Fraͤulein, Jhnen einen unterthaͤni - gen guten Morgen zu wuͤnſchen,

(zur Franciska)

und auch Jhr, mein ſchoͤnes Kind,

Franciska.

Ein hoͤflicher Mann!

Das Fraͤulein.

Wir bedanken uns.

Franciska.

Und wuͤnſchen Jhm auch einen guten Morgen.

Der Wirth.

Darf ich mich unterſtehen zu fra - gen, wie Jhro Gnaden die erſte Nacht unter meinem ſchlechten Dache geruhet?

Franciska.

Das Dach iſt ſo ſchlecht nicht, Herr Wirth; aber die Betten haͤtten koͤnnen beſ - ſer ſeyn.

Der45oder das Soldatengluͤck.
Der Wirth.

Was hoͤre ich? Nicht wohl ge - ruht? Vielleicht, daß die gar zu große Ermuͤdung von der Reiſe

Das Fraͤulein.

Es kann ſeyn.

Der Wirth.

Gewiß, gewiß! denn ſonſt Jndeß ſollte etwas nicht vollkommen nach Jhro Gnaden Bequemlichkeit geweſen ſeyn, ſo geruhen Jhro Gnaden, nur zu befehlen.

Franciska.

Gut, Herr Wirth, gut! Wir ſind auch nicht bloͤde; und am wenigſten muß man im Gaſthofe bloͤde ſeyn. Wir wollen ſchon ſagen, wie wir es gern haͤtten.

Der Wirth.

Hiernaͤchſt komme ich zugleich

(indem er die Feder hinter dem Ohre hervorzieht)
Franciska.

Nun?

Der Wirth.

Ohne Zweifel kennen Jhro Gna - den ſchon die weiſen Verordnungen unſrer Policey.

Das Fraͤulein.

Nicht im geringſten, Herr Wirth

Der Wirth.

Wir Wirthe ſind angewieſen, keinen Fremden, weß Standes und Geſchlechts er auch ſey, vier und zwanzig Stunden zu behau - ſen, ohne ſeinen Namen, Heymath, Charackter,hieſige46Minna von Barnhelm,hieſige Geſchaͤfte, vermuthliche Dauer des Aufent - halts, und ſo weiter, gehoͤrigen Orts ſchriftlich einzureichen.

Das Fraͤulein.

Sehr wohl.

Der Wirth.

Jhro Gnaden werden alſo Sich gefallen laſſen

(indem er an einen Tiſch tritt, und ſich fertig macht, zu ſchreiben)
Das Fraͤulein.

Sehr gern. Jch heiße

Der Wirth.

Einen kleinen Augenblick Ge - duld!

(er ſchreibt)

Dato, den 22. Auguſt a. c. allhier zum Koͤnige von Spanien angelangt Nun Dero Namen, gnaͤdiges Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Das Fraͤulein von Barnhelm.

Der Wirth.
(ſchreibt)

von Barnhelm Kommend? woher, gnaͤdiges Fraͤulein?

Das Fraͤulein.

Von meinen Guͤtern aus Sachſen.

Der Wirth.
(ſchreibt)

Guͤtern aus Sach - ſen. Aus Sachſen! Ey, ey, aus Sach - ſen, gnaͤdiges Fraͤulein? aus Sachſen?

Franciska.

Nun? warum nicht? Es iſt doch wohl hier zu Lande keine Suͤnde, aus Sachſen zu ſeyn?

Der47oder das Soldatengluͤck.
Der Wirth.

Eine Suͤnde? behuͤte! das waͤre ja eine ganz neue Suͤnde! Aus Sachſen alſo? Ey, ey! aus Sachſen! das liebe Sachſen! Aber wo mir recht iſt, gnaͤdiges Fraͤulein, Sach - ſen iſt nicht klein, und hat mehrere, wie ſoll ich es nennen? Diſtrickte, Provinzen. Unſere Policey iſt ſehr exackt, gnaͤdiges Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Jch verſtehe: von meinen Guͤtern aus Thuͤringen alſo.

Der Wirth.

Aus Thuͤringen! Ja, das iſt beſſer, gnaͤdiges Fraͤulein, das iſt genauer.

(ſchreibt und ließt)

Das Fraͤulein von Barnhelm, kommend von ihren Guͤtern aus Thuͤringen, nebſt einer Kammerfrau und zwey Bedienten

Franciska.

Einer Kammerfrau? das ſoll ich wohl ſeyn?

Der Wirth.

Ja, mein ſchoͤnes Kind.

Franciska.

Nun, Herr Wirth, ſo ſetzen Sie anſtatt Kammerfrau, Kammerjungfer. Jch hoͤre, die Policey iſt ſehr exackt; es moͤchte ein Mißverſtaͤndniß geben, welches mir bey meinem Aufgebothe einmal Haͤndel machen koͤnnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer, und heiße Franciska;mit48Minna von Barnhelm,mit dem Geſchlechtsnamen, Willig; Franciska Willig. Jch bin auch aus Thuͤringen. Mein Vater war Muͤller auf einem von den Guͤtern des gnaͤdigen Fraͤuleins. Es heißt klein Ramms - dorf. Die Muͤhle hat ietzt mein Bruder. Jch kam ſehr jung auf den Hof, und ward mit dem gnaͤdigen Fraͤulein erzogen. Wir ſind von einem Alter; kuͤnftige Lichtmeß ein und zwanzig Jahr. Jch habe alles gelernt, was das gnaͤdige Fraͤulein gelernt hat. Es ſoll mir lieb ſeyn, wenn mich die Policey recht kennt.

Der Wirth.

Gut, mein ſchoͤnes Kind; das will ich mir auf weitere Nachfrage merken. Aber nunmehr, gnaͤdiges Fraͤulein, Dero Ver - richtungen allhier?

Das Fraͤulein.

Meine Verrichtungen?

Der Wirth.

Suchen Jhro Gnaden etwas bey des Koͤnigs Majeſtaͤt?

Das Fraͤulein.

O, nein!

Der Wirth.

Oder bey unſern hohen Juſtitz - kollegiis?

Das Fraͤulein.

Auch nicht.

Der Wirth.

Oder

Das49oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Nein, nein. Jch bin ledig - lich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

Der Wirth.

Ganz wohl, gnaͤdiges Fraͤulein; aber wie nennen ſich dieſe eigne Angelegenheiten?

Das Fraͤulein.

Sie nennen ſich Francis - ka, ich glaube wir werden vernommen.

Franciska.

Herr Wirth, die Policey wird doch nicht die Geheimniſſe eines Frauenzimmers zu wiſſen verlangen?

Der Wirth.

Allerdings, mein ſchoͤnes Kind: die Policey will alles wiſſen; und beſonders Ge - heimniſſe.

Franciska.

Ja nun, gnaͤdiges Fraͤulein; was iſt zu thun? So horen Sie nur, Herr Wirth; aber daß es ja unter uns und der Policey bleibt!

Das Fraͤulein.

Was wird ihm die Naͤrrinn ſagen?

Franciska.

Wir kommen, dem Koͤnige einen Officier wegzukapern

Der Wirth.

Wie? was? Mein Kind! mein Kind!

DFranciska. 50Minna von Barnhelm,
Franciska.

Oder uns von dem Officiere kapern zu laſſen. Beides iſt eins.

Das Fraͤulein.

Franciska, biſt du toll? Herr Wirth, die Naſenweiſe hat Sie zum beſten.

Der Wirth.

Jch will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann ſie ſcherzen ſo viel, wie ſie will; nur mit einer hohen Policey

Das Fraͤulein.

Wiſſen Sie was, Herr Wirth? Jch weiß mich in dieſer Sache nicht zu nehmen. Jch daͤchte, Sie ließen die ganze Schreiberey bis auf die Ankunft meines Oheims. Jch habe Jhnen ſchon geſtern geſagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verun - gluͤckte, zwey Meilen von hier, mit ſeinem Wa - gen; und wollte durchaus nicht, daß mich dieſer Zufall eine Nacht mehr koſten ſollte. Jch mußte alſo voran. Wenn er vier und zwanzig Stunden nach mir eintrifft, ſo iſt es das Laͤngſte.

Der Wirth.

Nun ja, gnaͤdiges Fraͤulein, ſo wollen wir ihn erwarten.

Das Fraͤulein.

Er wird auf Jhre Fragen beſſer antworten koͤnnen. Er wird wiſſen, wem, und wie weit er ſich zu entdecken hat; was er vonſeinen51oder das Soldatengluͤck. ſeinen Geſchaͤften anzeigen muß, und was er da - von verſchweigen darf.

Der Wirth.

Deſto beſſer! Freylich, freylich kann man von einem jungen Maͤdchen

(die Franciska mit einer bedeutenden Miene anſehend)

nicht verlangen, daß es eine ernſthafte Sache, mit ernſthaften Leu - ten, ernſthaft tracktire

Das Fraͤulein.

Und die Zimmer fuͤr ihn, ſind doch in Bereitſchaft, Herr Wirth?

Der Wirth.

Voͤllig, gnaͤdiges Fraͤulein, voͤl - lig; bis auf das eine

Franciska.

Aus dem Sie vielleicht auch noch erſt einen ehrlichen Mann vertreiben muͤſſen?

Der Wirth.

Die Kammerjungfern aus Sachſen, gnaͤdiges Fraͤulein, ſind wohl ſehr mit - leidig.

Das Fraͤulein.

Doch, Herr Wirth; das ha - ben Sie nicht gut gemacht. Lieber haͤtten Sie uns nicht einnehmen ſollen.

Der Wirth.

Wie ſo, gnaͤdiges Fraͤulein, wie ſo?

Das Fraͤulein.

Jch hoͤre, daß der Officier, welcher durch uns verdrengt worden

D 2Der52Minna von Barnhelm,
Der Wirth.

Ja nur ein abgedankter Officier iſt, gnaͤdiges Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Wenn ſchon!

Der Wirth.

Mit dem es zu Ende geht.

Das Fraͤulein.

Deſto ſchlimmer! Es ſoll ein ſehr verdienter Mann ſeyn.

Der Wirth.

Jch ſage Jhnen ja, daß er abgedankt iſt.

Das Fraͤulein.

Der Koͤnig kann nicht alle verdiente Maͤnner kennen.

Der Wirth.

O gewiß, er kennt ſie, er kennt ſie alle.

Das Fraͤulein.

So kann er ſie nicht alle be - lohnen.

Der Wirth.

Sie waͤren alle belohnt, wenn ſie darnach gelebt haͤtten. Aber ſo lebten die Herren, waͤhrendes Krieges, als ob ewig Krieg bleiben wuͤrde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben ſeyn wuͤrde. Jetzt liegen alle Wirths - haͤuſer und Gaſthoͤfe von ihnen voll; und ein Wirth hat ſich wohl mit ihnen in Acht zu neh - men. Jch bin mit dieſem noch ſo ziemlich weg - gekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, ſohatte53oder das Soldatengluͤck. hatte er doch noch Geldes werth; und zwey, drey Monate haͤtte ich ihn freylich noch ruhig koͤnnen ſitzen laſſen. Doch beſſer iſt beſſer. A pro - pos, gnaͤdiges Fraͤulein; Sie verſtehen Sich doch auf Juwelen?

Das Fraͤulein.

Nicht ſonderlich.

Der Wirth.

Was ſollten Jhro Gnaden nicht? Jch muß Jhnen einen Ring zeigen, einen koſtbaren Ring. Zwar gnaͤdiges Fraͤulein, haben da auch einen ſehr ſchoͤnen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen ſo aͤhnlich iſt. O! ſehen Sie doch, ſehen Sie doch!

(indem er ihn aus dem Futteral heraus nimmt, und der Fraͤulein zureicht)

Welch ein Feuer! der mittelſte Brillant allein, wiegt uͤber fuͤnf Karat.

Das Fraͤulein.
(ihn betrachtend)

Wo bin ich? Was ſeh ich? Dieſer Ring

Der Wirth.

Jſt ſeine funfzehnhundert Thaler unter Bruͤdern werth.

Das Fraͤulein.

Franciska! Sieh doch!

Der Wirth.

Jch habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Piſtolen darauf zu leihen.

D 3Das54Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Erkennſt du ihn nicht, Franciska?

Franciska.

Der nehmliche! Herr Wirth, wo haben Sie dieſen Ring her?

Der Wirth.

Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

Franciska.

Wir kein Recht an dieſem Ringe? Jnnwerts auf dem Kaſten muß der Fraͤulein verzogner Name ſtehn. Weiſen Sie doch, Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Er iſts, er iſts! Wie kommen Sie zu dieſem Ringe, Herr Wirth?

Der Wirth.

Jch? auf die ehrlichſte Weiſe von der Welt. Gnaͤdiges Fraͤulein, gnaͤdiges Fraͤulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Ungluͤck bringen wollen? Was weiß ich, wo ſich der Ring eigentlich herſchreibt? Waͤhrendes Krieges hat manches ſeinen Herrn, ſehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, veraͤndert. Und Krieg war Krieg, Es werden mehr Ringe aus Sachſen uͤber die Grenze gegangen ſeyn. Geben Sie mir ihn wieder, gnaͤdiges Fraͤulein, geben Sie mir ihn wieder!

Franciska. 55oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Erſt geantwortet: von wem ha - ben Sie ihn?

Der Wirth.

Von einem Manne, dem ich ſo was nicht zutrauen kann; von einem ſonſt guten Manne

Das Fraͤulein.

Von dem beſten Manne un - ter der Sonne, wenn Sie ihn von ſeinem Eigen - thuͤmer haben. Geſchwind bringen Sie mir den Mann! Er iſt es ſelbſt, oder wenigſtens muß er ihn kennen.

Der Wirth.

Wer denn? wen denn, gnaͤdi - ges Fraͤulein?

Franciska.

Hoͤren Sie denn nicht? unſern Major.

Der Wirth.

Major? Recht, er iſt Major, der dieſes Zimmer vor Jhnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.

Das Fraͤulein.

Major von Tellheim?

Der Wirth.

Von Tellheim; ja! Kennen Sie ihn?

Das Fraͤulein.

Ob ich ihn kenne? Er iſt hier? Tellheim iſt hier? Er? er hat in dieſem Zim - mer gewohnt? Er! er hat Jhnen dieſen RingD 4ver -56Minna von Barnhelm,verſetzt? Wie koͤmmt der Mann in dieſe Verle - genheit? Wo iſt er? Er iſt Jhnen ſchuldig? Franciska, die Schatulle her! Schließ auf!

(indem ſie Francisko auf den Tiſch ſetzet, und oͤfnet)

Was iſt er Jhnen ſchuldig? Wem iſt er mehr ſchuldig? Bringen Sie mir alle ſeine Schuld - ner. Hier iſt Geld. Hier ſind Wechſel. Alles iſt ſein!

Der Wirth.

Was hoͤre ich?

Das Fraͤulein.

Wo iſt er? wo iſt er?

Der Wirth.

Noch vor einer Stunde war er hier.

Das Fraͤulein.

Haͤßlicher Mann, wie konn - ten Sie gegen ihn ſo unfreundlich, ſo hart, ſo grauſam ſeyn?

Der Wirth.

Jhro Gnaden verzeihen

Das Fraͤulein.

Geſchwind, ſchaffen Sie mir ihn zur Stelle.

Der Wirth.

Sein Bedienter iſt vielleicht noch hier. Wollen Jhro Gnaden, daß er ihn aufſuchen ſoll?

Das Fraͤulein.

Ob ich will? Eilen Sie, lau - fen Sie; fuͤr dieſen Dienſt allein, will ich esver -57oder das Soldatengluͤck. vergeſſen, wie ſchlecht Sie mit ihm umgegan - gen ſind.

Franciska.

Fix, Herr Wirth, hurtig, fort, fort!

(ſtoͤßt ihn heraus)

Dritter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska.
Das Fraͤulein.

Nun habe ich ihn wieder, Franciska! Siehſt du, nun habe ich ihn wieder! Jch weiß nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franciska. Aber freylich, warum du? Doch du ſollſt dich, du mußt dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich be - ſchenken, damit du dich mit mir freuen kannſt. Sprich, Franciska, was ſoll ich dir geben? Was ſteht dir von meinen Sachen an? Was haͤtteſt du gern? Nimm, was du willſt; aber freue dich nur. Jch ſehe wohl, du wirſt dir nichts nehmen. Warte!

(ſie faßt in die Schatulle)

da, liebe Fran - ciska;

(und giebt ihr Geld)

kauffe dir, was du gern haͤtteſt. Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. D 5Aber58Minna von Barnhelm,Aber freue dich nur mit mir. Es iſt ſo traurig, ſich allein zu freuen. Nun, ſo nimm doch

Franciska.

Jch ſtehle es Jhnen, Fraͤulein; Sie ſind trunken, von Froͤhlichkeit trun - ken.

Das Fraͤulein.

Maͤdchen, ich habe einen zaͤnkiſchen Rauſch, nimm, oder

(ſie zwingt ihr das Geld in die Hand)

Und wenn du dich bedan - keſt! Warte; gut, daß ich daran denke.

(ſie greift nochmals in die Schatulle nach Geld)

Das, liebe Franciska, ſtecke bey Seite; fuͤr den erſten bleſſirten armen Soldaten, der uns anſpricht.

Vierter Auftritt.

Der Wirth. Das Fraͤulein. Franciska.
Das Fraͤulein.

Nun? wird er kommen?

Der Wirth.

Der widerwaͤrtige, ungeſchlif - fene Kerl!

Das Fraͤulein.

Wer?

Der Wirth.

Sein Bedienter. Er weigert ſich, nach ihm zu gehen.

Das59oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Bringen Sie doch den Schurken her. Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher waͤre denn das?

Das Fraͤulein.

Bringen Sie ihn geſchwind her. Wenn er uns ſieht, wird er ſchon gehen.

(Der Wirth geht ab.)

Fuͤnfter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska.
Das Fraͤulein.

Jch kann den Augenlick nicht erwarten. Aber, Franciska, du biſt noch immer ſo kalt? Du willſt dich noch nicht mit mir freuen?

Franciska.

Jch wollte von Herzen gern; wenn nur

Das Fraͤulein.

Wenn nur?

Franciska.

Wir haben den Mann wieder - gefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefun - den? Nach allem, was wir von ihm hoͤren, muß es ihm uͤbel gehn. Er muß ungluͤcklich ſeyn. Das jammert mich.

Das60Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Jammert dich? Laß dich dafuͤr umarmen, meine liebſte Geſpielinn! Das will ich dir nie vergeſſen! Jch bin nur verliebt, und du biſt gut.

Sechſter Auftritt.

Der Wirth. Juſt. Die Vorigen.
Der Wirth.

Mit genauer Noth bring ich ihn.

Franciska.

Ein fremdes Geſicht! Jch kenne ihn nicht.

Das Fraͤulein.

Mein Freund, iſt Er bey dem Major von Tellheim?

Juſt.

Ja.

Das Fraͤulein.

Wo iſt Sein Herr?

Juſt.

Nicht hier.

Das Fraͤulein.

Aber Er weiß ihn zu finden?

Juſt.

Ja.

Das Fraͤulein.

Will Er ihn nicht geſchwind herhohlen?

Juſt.

Nein.

Das Fraͤulein.

Er erweiſet mir damit einen Gefallen.

Juſt. 61oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

Ey!

Das Fraͤulein.

Und ſeinem Herrn einen Dienſt.

Juſt.

Vielleicht auch nicht.

Das Fraͤulein.

Woher vermuthet Er das?

Juſt.

Sie ſind doch die fremde Herrſchaft, die ihn dieſen Morgen komplimentiren laſ - ſen?

Das Fraͤulein.

Ja.

Juſt.

So bin ich ſchon recht.

Das Fraͤulein.

Weiß Sein Herr meinen Namen?

Juſt.

Nein; aber er kann die allzu hoͤflichen Damen eben ſo wenig leiden, als die allzu groben Wirthe.

Der Wirth.

Das ſoll wohl mit auf mich gehn?

Juſt.

Ja.

Der Wirth.

So laß Er es doch dem gnaͤdigen Fraͤulein nicht entgelten; und hole Er ihn ge - ſchwind her.

Das Fraͤulein.
(zur Franciska)

Franciska, gieb ihm etwas

Fran -62Minna von Barnhelm,
Franciska.
(die dem Juſt Geld in die Hand druͤcken will)

Wir verlangen Seine Dienſte nicht um - ſonſt.

Juſt.

Und ich Jhr Geld nicht ohne Dienſte.

Franciska.

Eines fuͤr das andere.

Juſt.

Jch kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuraͤumen. Das thu ich ietzt, und daran, bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, ſo will ich es ihm ja wohl ſagen, daß er herkommen kann. Er iſt neben an auf dem Kaffeehauſe; und wenn er da nichts beſſers zu thun findet, wird er auch wohl kom - men.

(will fortgehen)
Franciska.

So warte Er doch. Das gnaͤ - dige Fraͤulein iſt des Herrn Majors Schweſter.

Das Fraͤulein.

Ja, ja, ſeine Schweſter.

Juſt.

Das weiß ich beſſer, daß der Major keine Schweſtern hat. Er hat mich in ſechs Mo - naten zweymal an ſeine Familie nach Churland geſchickt. Zwar es giebt mancherley Schwe - ſtern

Fran -63oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Unverſchaͤmter!

Juſt.

Muß man es nicht ſeyn, wenn einen die Leute ſollen gehn laſſen?

(geht ab.)
Franciska.

Das iſt ein Schlingel!

Der Wirth.

Jch ſagt es ja. Aber laſſen Sie ihn nur! Weiß ich doch nunmehr, wo ſein Herr iſt. Jch will ihn gleich ſelbſt hohlen. Nur, gnaͤdiges Fraͤulein, bitte ich unterthaͤnigſt, ſodann ja mich bey dem Herrn Major zu entſchuldigen, daß ich ſo ungluͤcklich geweſen, wider meinen Willen, einen Mann von ſeinen Verdienſten

Das Fraͤulein.

Sehen Sie nur geſchwind, Herr Wirth. Das will ich alles wieder gut machen.

(der Wirth geht ab, und hierauf)

Franciska, lauf ihm nach: er ſoll ihm meinen Namen nicht nennen!

(Franciska, dem Wirthe nach)

Siebender Auftritt.

Das Fraͤulein. und hierauf Franciska.
Das Fraͤulein.

Jch habe ihn wieder! Bin ich allein? Jch will nicht umſonſt allein ſeyn.

(ſie faltet die Haͤnde)

Auch bin ich nicht allein!

(und blickt aufwaͤrts)

Ein einziger dankbarer Ge -dan -64Minna von Barnhelm,danke gen Himmel iſt das willkommenſte Ge - bet! Jch hab ihn, ich hab ihn!

(mit ausgebrei - teten Armen)

Jch bin gluͤcklich! und froͤhlich! Was kann der Schoͤpfer lieber ſehen, als ein froͤhliches Geſchoͤpf!

(Franciska koͤmmt)

Biſt du wieder da, Franciska? Er jammert dich? Mich jammert er nicht. Ungluͤck iſt auch gut. Vielleicht, daß ihm der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wieder zu geben!

Franciska.

Er kann den Augenblick hier ſeyn. Sie ſind noch in ihrem Negligee, gnaͤ - diges Fraͤulein. Wie, wenn Sie Sich geſchwind ankleideten?

Das Fraͤulein.

Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an oͤftrer ſo, als geputzt ſehen.

Franciska.

O, Sie kennen Sich, mein Fraͤulein.

Das Fraͤulein.
(nach einem kurzen Nachdenken)

Wahrhaftig, Maͤdchen, du haſt es wiederum ge - troffen.

Franciska.

Wenn wir ſchoͤn ſind, ſind wir ungeputzt am ſchoͤnſten.

Das Fraͤulein.

Muͤſſen wir denn ſchoͤn ſeyn? Aber, daß wir uns ſchoͤn glauben, war vielleichtnoth -65oder das Soldatengluͤck. nothwendig. Nein, wenn ich ihm, ihm nur ſchoͤn bin! Franciska, wenn alle Maͤdchens ſo ſind, wie ich mich ietzt fuͤhle, ſo ſind wir ſon - derbare Dinger. Zaͤrtlich und ſtolz, tugend - haft und eitel, wolluͤſtig und fromm Du wirſt mich nicht verſtehen. Jch verſtehe mich wohl ſelbſt nicht. Die Freude macht drehend, wirblicht

Franciska.

Faſſen Sie Sich, mein Fraͤulein; ich hoͤre kommen

Das Fraͤulein.

Mich faſſen? Jch ſollte ihn ruhig empfangen?

Achter Auftritt.

v. Tellheim. Der Wirth. Die Vorigen.
v. Tellheim.
(tritt herein, und indem er ſie erblickt, flieht er auf ſie zu)

Ah! meine Minna!

Das Fraͤulein.
(ihm entgegen fliehend)

Ah! mein Tellheim!

v. Tellheim.
(ſtutzt auf einmal, und tritt wieder zuruͤck)

Verzeihen Sie, gnaͤdiges Fraͤulein, das Fraͤulein von Barnhelm hier zu finden

Das Fraͤulein.

Kann Jhnen doch ſo gar un - erwartet nicht ſeyn?

(indem ſie ihm naͤher tritt, undEer66Minna von Barnhelm,er mehr zuruͤck weicht)

Jch ſoll Jhnen verzeihen, daß ich noch Jhre Minna bin? Verzeih Jhnen der Himmel, daß ich noch das Fraͤulein von Barn - helm bin!

v. Tellheim.

Gnaͤdiges Fraͤulein

(ſieht ſtarr auf den Wirth, und zuckt die Schultern)
Das Fraͤulein.
(wird den Wirth gewahr, und winkt der Franciska)

Mein Herr,

v. Tellheim.

Wenn wir uns beiderſeits nicht irren

Franciska.

Je, Herr Wirth, wen bringen Sie uns denn da? Geſchwind kommen Sie, laſſen Sie uns den rechten ſuchen.

Der Wirth.

Jſt es nicht der rechte? Ey ja doch!

Franciska.

Ey nicht doch! Geſchwind kommen Sie; ich habe Jhrer Jungfer Tochter noch keinen guten Morgen geſagt.

Der Wirth.

O! viel Ehre

(doch ohne von der Stelle zu gehn)
Franciska.
(faßt ihn an)

Kommen Sie, wir wollen den Kuͤchenzettel machen. Laſſen Sie ſehen, was wir haben werden

Der67oder das Soldatengluͤck.
Der Wirth.

Sie ſollen haben; vors erſte

Franciska.

Still, ja ſtille! Wenn das Fraͤu - lein ietzt ſchon weiß, was ſie zu Mittag ſpeiſen ſoll, ſo iſt es um ihren Appetit geſchehen. Kommen Sie, das muͤſſen Sie mir allein ſagen.

(fuͤhret ihn mit Gewalt ab)

Neunter Auftritt.

v. Tellheim. Das Fraͤulein.
Das Fraͤulein.

Nun? irren wir uns noch?

v. Tellheim.

Daß es der Himmel wollte! Aber es giebt nur Eine, und Sie ſind es.

Das Fraͤulein.

Welche Umſtaͤnde! Was wir uns zu ſagen haben, kann jedermann hoͤren.

v. Tellheim.

Sie hier? Was ſuchen Sie hier, gnaͤdiges Fraͤulein?

Das Fraͤulein.

Nichts ſuche ich mehr.

(mit offnen Armen auf ihn zugehend)

Alles, was ich ſuchte, habe ich gefunden.

v. Tellheim.
(zuruͤckweichend)

Sie ſuchten einen gluͤcklichen, einen Jhrer Liebe wuͤrdigen Mann; und finden einen Elenden.

E 2Das68Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

So lieben Sie mich nicht mehr? Und lieben eine andere?

v. Tellheim.

Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fraͤulein, der eine andere nach Jhnen lieben kann.

Das Fraͤulein.

Sie reiſſen nur Einen Stachel aus meiner Seele. Wenn ich Jhr Herz ver - loren habe, was liegt daran, ob mich Gleichguͤl - tigkeit oder maͤchtigere Reitze darum gebracht? Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere? Ungluͤcklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben!

v. Tellheim.

Recht, gnaͤdiges Fraͤulein; der Ungluͤckliche muß gar nichts lieben. Er verdient ſein Ungluͤck, wenn er dieſen Sieg nicht uͤber ſich ſelbſt zu erhalten weiß; wenn er es ſich gefallen laſſen kann, daß die, welche er liebt, an ſeinem Ungluͤck Antheil nehmen duͤrffen. Wie ſchwer iſt dieſer Sieg! Seit dem mir Vernunft und Nothwendigkeit befehlen, Minna von Barn - helm zu vergeſſen: was fuͤr Muͤhe habe ich ange - wandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß dieſe Muͤhe nicht ewig vergebens ſeyn wuͤrde: und Sie erſcheinen, mein Fraͤulein!

Das69oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Verſteh ich Sie recht? Halten Sie, mein Herr; laſſen Sie ſehen, wo wir ſind, ehe wir uns weiter verirren! Wollen Sie mir die einzige Frage beantworten?

v. Tellheim.

Jede, mein Fraͤulein

Das Fraͤulein.

Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts, als einem trocknen Ja, oder Nein?

v. Tellheim.

Jch will es, wenn ich kann.

Das Fraͤulein.

Sie koͤnnen es. Gut: ohngeachtet der Muͤhe, die Sie angewendet, mich zu vergeſſen, lieben Sie mich noch, Tellheim?

v. Tellheim.

Mein Fraͤulein, dieſe Frage

Das Fraͤulein.

Sie haben verſprochen, mit nichts, als Ja oder Nein zu antworten.

v. Tellheim

Und hinzugeſetzt: wenn ich kann.

Das Fraͤulein.

Sie koͤnnen; Sie muͤſſen wiſſen, was in Jhrem Herzen vorgeht. Lie - ben Sie mich noch, Tellheim? Ja, oder Nein.

v. Tellheim.

Wenn mein Herz

Das Fraͤulein.

Ja, oder Nein!

v. Tellheim.

Nun, Ja!

E 3Das70Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Ja?

v. Tellheim.

Ja, ja! Allein

Das Fraͤulein.

Geduld! Sie lieben mich noch: genug fuͤr mich. Jn was fuͤr einen Ton bin ich mit Jhnen gefallen! Ein widriger, melancholiſcher, anſteckender Ton. Jch nehme den meinigen wieder an. Nun, mein lieber Ungluͤcklicher, Sie lieben mich noch, und haben Jhre Minna noch, und ſind ungluͤcklich? Hoͤren Sie doch, was Jhre Minna fuͤr ein eingebildetes, albernes Ding war, iſt. Sie ließ, ſie laͤßt ſich traͤumen, Jhr ganzes Gluͤck ſey ſie. Geſchwind kramen Sie Jhr Ungluͤck aus. Sie mag verſuchen, wie viel ſie deſſen aufwiegt. Nun?

v. Tellheim.

Mein Fraͤulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

Das Fraͤulein.

Sehr wohl. Jch wuͤßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele, als das Klagen. Aber es giebt eine gewiſſe kalte, nachlaͤßige Art, von ſeiner Tapferkeit und von ſeinem Ungluͤcke zu ſprechen

v. Tell -71oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Die im Grunde doch auch ge - prahlt und geklagt iſt.

Das Fraͤulein.

O, mein Rechthaber, ſo haͤt - ten Sie Sich auch gar nicht ungluͤcklich nennen ſollen. Ganz geſchwiegen, oder ganz mit der Sprache heraus. Eine Vernunft, eine Noth - wendigkeit, die Jhnen mich zu vergeſſen befiehlt? Jch bin eine große Liebhaberinn von Vernunft, ich habe ſehr viel Ehrerbietung fuͤr die Nothwendig - keit. Aber laſſen Sie doch hoͤren, wie ver - nuͤnftig dieſe Vernunft, wie nothwendig dieſe Nothwendigkeit iſt.

v. Tellheim.

Wohl denn; ſo hoͤren Sie, mein Fraͤulein. Sie nennen mich Tellheim; der Name trift ein. Aber Sie meynen, ich ſey der Tellheim, den Sie in Jhrem Vaterlande ge - kannt haben; der bluͤhende Mann, voller Anſpruͤche, voller Ruhmbegierde; der ſeines ganzen Koͤrpers, ſei - ner ganzen Seele maͤchtig war; vor dem die Schran - ken der Ehre und des Gluͤckes eroͤffnet ſtanden; der Jhres Herzens und Jhrer Hand, wann er ſchon ihrer noch nicht wuͤrdig war, taͤglich wuͤrdi - ger zu werden hoffen durfte. Dieſer TellheimE 4bin72Minna von Barnhelm,bin ich eben ſo wenig, als ich mein Vater bin. Beide ſind geweſen. Jch bin Tellheim, der verabſchiedete, der an ſeiner Ehre gekraͤnkte, der Kriepel, der Bettler. Jenem, mein Fraͤu - lein, verſprachen Sie Sich: wollen Sie dieſem Wort halten?

Das Fraͤulein.

Das klingt ſehr tragiſch! Doch, mein Herr, bis ich jenen wieder finde, in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret, die - ſer wird mir ſchon aus der Noth helfen muͤſſen. Deine Hand, lieber Bettler!

(indem ſie ihn bey der Hand ergreift)
v. Tellheim.
(der die andere Hand mit dem Hute vor das Geſicht ſchlaͤgt, und ſich von ihr abwendet)

Das iſt zu viel! Wo bin ich? Laſſen Sie mich, Fraͤu - lein! Jhre Guͤte foltert mich! Laſſen Sie mich.

Das Fraͤulein.

Was iſt Jhnen? wo wollen Sie hin?

v. Tellheim.

Von Jhnen

Das Fraͤulein.

Von mir?

(indem ſie ſeine Hand an ihre Bruſt zieht)

Traͤumer!

v. Tellheim.

Die Verzweiflung wird mich tod zu Jhren Fuͤßen werfen.

Das73oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Von mir?

v. Tellheim.

Von Jhnen. Sie nie, nie wieder zu ſehen. Oder doch ſo entſchloſſen, ſo feſt entſchloſſen, keine Niedertraͤchtigkeit zu begehen, Sie keine Unbeſonnenheit begehen zu laſſen Laſſen Sie mich, Minna!

(reißt ſich los und ab.)
Das Fraͤulein.
(ihm nach)

Minna Sie laſſen? Tellheim! Tellheim!

Ende des zweyten Aufzuges.

Dritter Aufzug.

Erſter Auftritt.

(die Scene, der Saal)
Juſt.
(einen Brief in der Hand)

Muß ich doch noch einmal in das verdammte Haus kommen! Ein Briefchen von meinem Herrn an das gnaͤdige Fraͤulein, das ſeine Schweſter ſeyn will. Wenn ſich nur da nichts anſpinnt! Sonſt wird des Brieftragens kein Ende werden. Jch waͤr es gern los; aber ich moͤchte auch nichtE 5gern74Minna von Barnhelm,gern ins Zimmer hinein. Das Frauenszeug fragt ſo viel; und ich antworte ſo ungern! Ha, die Thuͤre geht auf. Wie gewuͤnſcht! das Kam - merkaͤtzchen!

Zweyter Auftritt.

Franciska. Juſt.
Franciska.
(zur Thuͤre herein, aus der ſie koͤmmt)

Sorgen Sie nicht; ich will ſchon aufpaſſen. Sieh!

(indem ſie Juſten gewahr wird)

da ſtieße mir ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh iſt nichts anzufangen.

Juſt.

Jhr Diener

Franciska.

Jch wollte ſo einen Diener nicht

Juſt.

Nu, nu; verzeih Sie mir die Redens - art! Da bring ich ein Brieſchen von meinem Herrn an Jhre Herrſchaft, das gnaͤdige Fraͤulein Schweſter. Wars nicht ſo? Schweſter.

Franciska.

Geb Er her!

(reißt ihm den Brief aus der Hand)
Juſt.

Sie ſoll ſo gut ſeyn, laͤßt mein Herr bitten, und es uͤbergeben. Hernach ſoll Sie ſo gutſeyn,75oder das Soldatengluͤck. ſeyn, laͤßt mein Herr bitten daß Sie nicht etwa denkt, ich bitte was!

Franciska.

Nun denn?

Juſt.

Mein Herr verſteht den Rummel. Er weiß, daß der Weg zu den Fraͤuleins durch die Kammermaͤdchens geht: bild ich mir ein! Die Jungfer ſoll alſo ſo gut ſeyn, laͤßt mein Herr bitten, und ihm ſagen laſſen, ob er nicht das Vergnuͤgen haben koͤnnte, die Jungfer auf ein Viertelſtuͤndchen zu ſprechen.

Franciska.

Mich?

Juſt.

Verzeih Sie mir, wenn ich Jhr einen unrechten Titel gebe. Ja, Sie! Nur auf ein Viertelſtuͤndchen; aber allein, ganz allein, insgeheim, unter vier Augen. Er haͤtte Jhr was ſehr nothwendiges zu ſagen.

Franciska.

Gut; ich habe ihm auch viel zu ſagen. Er kann nur kommen, ich werde zu ſeinem Befehle ſeyn.

Juſt.

Aber, wenn kann er kommen? Wenn iſt es Jhr am gelegenſten, Jungfer? So in der Demmerung?

Fran -76Minna von Barnhelm,
Franciska.

Wie meynt Er das? Sein Herr kann kommen, wenn er will; und damit packe Er Sich nur!

Juſt.

Herzlich gern!

(will! fortgehen)
Franciska.

Hoͤr Er doch; noch auf ein Wort. Wo ſind denn die andern Bedienten des Majors?

Juſt.

Die andern? Dahin, dorthin, uͤber - allhin.

Franciska.

Wo iſt Willhelm?

Juſt.

Der Kammerdiener? den laͤßt der Ma - jor reiſen.

Franciska.

So? Und Philipp, wo iſt der?

Juſt.

Der Jaͤger? den hat der Herr aufzu - heben gegeben.

Franciska.

Weil er ietzt keine Jagd hat, ohne Zweifel. Aber Martin?

Juſt.

Der Kutſcher? der iſt weggeritten.

Franciska.

Und Fritz?

Juſt.

Der Laͤuffer? der iſt avancirt.

Franciska.

Wo war Er denn, als der Major bey uns in Thuͤringen im Winterquartiere ſtand? Er war wohl noch nicht bey ihm?

Juſt. 77oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

O ja; ich war Reitknecht bey ihm; aber ich lag im Lazareth.

Franciska.

Reitknecht? Und ietzt iſt Er?

Juſt.

Alles in allem; Kammerdiener und Jaͤger, Laͤuffer und Reitknecht.

Franciska.

Das muß ich geſtehen! So viele gute, tuͤchtige Leute von ſich zu laſſen, und gerade den allerſchlechteſten zu behalten! Jch moͤchte doch wiſſen, was Sein Herr an Jhm faͤnde!

Juſt.

Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher Kerl bin.

Franciska.

O, man iſt auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts iſt, als ehrlich. Willhelm war ein andrer Menſch! Reiſen laͤßt ihn der Herr?

Juſt.

Ja, er laͤßt ihn; da ers nicht hin - dern kann.

Franciska.

Wie?

Juſt.

O, Wilhelm wird ſich alle Ehre auf ſeinen Reiſen machen. Er hat des Herrn ganze Garderobe mit.

Franciska.

Was? er iſt doch nicht damit durch - gegangen?

Juſt. 78Minna von Barnhelm,
Juſt.

Das kann man nun eben nicht ſagen; ſondern, als wir von Nuͤrnberg weggiengen, iſt er uns nur nicht damit nachgekommen.

Franciska.

O der Spitzbube!

Juſt.

Es war ein ganzer Menſch! er konnte friſiren, und raſiren, und parliren, und char - miren Nicht wahr?

Franciska.

So nach haͤtte ich den Jaͤger nicht von mir gethan, wenn ich wie der Major geweſen waͤre. Konnte er ihn ſchon nicht als Jaͤger nuͤtzen, ſo war es doch ſonſt ein tuͤchtiger Burſche. Wem hat er ihn denn aufzuheben gegeben?

Juſt.

Dem Kommendanten von Spandau.

Franciska.

Der Veſtung? Die Jagd auf den Waͤllen kann doch da auch nicht groß ſeyn.

Juſt.

O, Philipp jagt auch da nicht.

Franciska.

Was thut er denn?

Juſt.

Er karrt.

Franciska.

Er karrt?

Juſt.

Aber nur auf drey Jahr. Er machte ein kleines Komplot unter des Herrn Kompagnie, und wollte ſechs Mann durch die Vorpoſten bringen

Franciska.

Jch erſtaune; der Boͤſewicht!

Juſt. 79oder das Soldatengluͤck.
Juſt.

O, es iſt ein tuͤchtiger Kerl! Ein Jaͤ - ger, der funfzig Meilen in der Runde, durch Waͤlder und Moraͤſte, alle Fußſteige, alle Schleif - wege kennt. Und ſchieſſen kann er!

Franciska.

Gut, daß der Major nur noch den braven Kutſcher hat!

Juſt.

Hat er ihn noch?

Franciska.

Jch denke, Er ſagte, Martin waͤre weggeritten? So wird er doch wohl wieder kommen?

Juſt.

Meynt Sie?

Franciska.

Wo iſt er denn hingeritten?

Juſt.

Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und letztem Reit - pferde nach der Schwemme.

Franciska.

Und iſt noch nicht wieder da? O, der Galgenſtrick!

Juſt.

Die Schwemme kann den braven Kut - ſcher auch wohl verſchwemmt haben! Es war gar ein rechter Kutſcher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen Rennen wa - ren, ſo durfte er nur machen: burr! und aufein -80Minna von Barnhelm,einmal ſtanden ſie, wie die Mauern. Dabey war er ein ausgelernter Roßarzt!

Franciska.

Nun iſt mir fuͤr das Avancement des Laͤuffers bange.

Juſt.

Nein, nein; damit hats ſeine Richtig - keit. Er iſt Trommelſchlaͤger bey einem Garniſon - regimente geworden.

Franciska.

Dacht ichs doch!

Juſt.

Fritz hieng ſich an ein luͤderliches Menſch, kam des Nachts niemals nach Hauſe, machte auf des Herrn Namen uͤberall Schulden, und tauſend infame Streiche. Kurz, der Major ſahe, daß er mit aller Gewalt hoͤher wollte:

(das Haͤngen panto - mimiſch anzeigend)

er brachte ihn alſo auf guten Weg.

Franciska.

O der Bube!

Juſt.

Aber ein perfecter Laͤuffer iſt er, das iſt gewiß. Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vor - gab, ſo konnte er ihn mit ſeinem beſten Renner nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tauſend Schritte vorgeben, und ich wette mein Leben, er hohlt ihn ein. Es waren wohl alles Jhre guten Freunde, Jungfer? Der Willhelm undder81oder das Soldatengluͤck. der Philipp, der Martin und der Fritz? Nun, Juſt empfiehlt ſich!

(geht ah.)

Dritter Auftritt.

Franciska. und hernach Der Wirth.
Franciska.
(die ihm ernſthaft nachſieht)

Jch verdiene den Biß! Jch bedanke mich, Juſt. Jch ſetzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Jch will die Lehre nicht vergeſſen. Ah! der ungluͤckliche Mann!

(kehrt ſich um, und will nach dem Zimmer des Fraͤuleins gehen, indem der Wirth koͤmmt)
Der Wirth.

Warte Sie doch, mein ſchoͤnes Kind.

Franciska.

Jch habe ietzt nicht Zeit, Herr Wirth

Der Wirth.

Nur ein kleines Augenblick - chen! Noch keine Nachricht weiter von dem Herrn Major? Das konnte doch unmoͤglich ſein Abſchied ſeyn!

Franciska.

Was denn?

Der Wirth.

Hat es Jhr das gnaͤdige Fraͤu - lein nicht erzaͤhlt? Als ich Sie, mein ſchoͤnesFKind,82Minna von Barnhelm,Kind, unten in der Kuͤche verließ, ſo kam ich von ungefehr wieder hier in den Saal

Franciska.

Von ungefehr, in der Abſicht, ein wenig zu horchen.

Der Wirth.

Ey, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirthe laͤßt nichts uͤbler, als Neugierde. Jch war nicht lange hier, ſo prellte auf einmal die Thuͤre bey dem gnaͤ - digen Fraͤulein auf. Der Major ſtuͤrzte heraus; das Fraͤulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung ſo was laͤßt ſich nur ſehen. Sie ergriff ihn; er riß ſich los; ſie ergriff ihn wieder. Tellheim! Fraͤulein! laſſen Sie mich! Wohin? So zog er ſie bis an die Treppe. Mir war ſchon bange, er wuͤrde ſie mit herab - reißen. Aber er wand ſich noch los. Das Fraͤu - lein blieb an der oberſten Schwelle ſtehn; ſah ihm nach; rief ihm nach; rang die Haͤnde. Auf einmal wandte ſie ſich um, lief nach dem Fenſter, von dem Fenſter wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wieder. Hier ſtand ich; hier gieng ſie dreymal bey mir vor - bey, ohne mich zu ſehen. Endlich war es, als obſie83oder das Soldatengluͤck. ſie mich ſaͤhe; aber, Gott ſey bey uns! ich glaube, das Fraͤulein ſahe mich fuͤr Sie an, mein Kind. Franciska, rief ſie, die Augen auf mich gerichtet, bin ich nun gluͤcklich? Darauf ſahe ſie ſteif an die Decke, und wiederum: bin ich nun gluͤcklich? Darauf wiſchte ſie ſich Thraͤnen aus dem Auge, und laͤchelte, und fragte mich wiederum; Fran - ciska, bin ich nun gluͤcklich? Wahrhaftig, ich wußte nicht, wie mir war. Bis ſie nach ihrer Thuͤre lief; da kehrte ſie ſich nochmals nach mir um: So komm doch, Franciska; wer jammert dich nun? Und damit hinein.

Franciska.

O, Herr Wirth, das hat Jhnen getraͤumt.

Der Wirth.

Getraͤumt? Nein, mein ſchoͤnes Kind; ſo umſtaͤndlich traͤumt man nicht. Ja, ich wollte wie viel drum geben, ich bin nicht neugierig, aber ich wollte wie viel drum geben, wenn ich denn Schluͤſſel dazu haͤtte.

Franciska.

Den Schluͤſſel? zu unſrer Thuͤre? Herr Wirth, der ſteckt innerhalb; wir haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir ſind furchtſam.

F 2Der84Minna von Barnhelm,
Der Wirth.

Nicht ſo einen Schluͤſſel; ich will ſagen, mein ſchoͤnes Kind, den Schluͤſſel; die Auslegung gleichſam; ſo den eigentlichen Zuſam - menhang von dem, was ich geſehen.

Franciska.

Ja ſo! Nun, Adjeu, Herr Wirth. Werden wir bald eſſen, Herr Wirth?

Der Wirth.

Mein ſchoͤnes Kind, nicht zu vergeſſen, was ich eigentlich ſagen wollte.

Franciska.

Nun? aber nur kurz

Der Wirth.

Das gnaͤdige Fraͤulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen

Franciska.

Er ſoll Jhnen unverloren ſeyn.

Der Wirth.

Jch trage darum auch keine Sorge; ich wills nur erinnern. Sieht Sie; ich will ihn gar nicht einmal wieder haben. Jch kann mir doch wohl an den Fingern abzaͤhlen, woher ſie den Ring kannte, und woher er dem ihrigen ſo aͤhnlich ſah. Er iſt in ihren Haͤnden am beſten aufgehoben. Jch mag ihn gar nicht mehr, und will indeß die hundert Piſtolen, die ich darauf ge - geben habe, auf des gnaͤdigen Fraͤuleins Rechnung ſetzen. Nicht ſo recht, mein ſchoͤnes Kind?

Vier -85oder das Soldatengluͤck.

Vierter Auftritt.

Paul Werner. Der Wirth. Franciska.
Werner.

Da iſt er ja!

Franciska.

Hundert Piſtolen? Jch meynte, nur achtzig.

Der Wirth.

Es iſt wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich thun, mein ſchoͤnes Kind, das will ich thun.

Franciska.

Alles das wird ſich finden, Herr Wirth.

Werner.
(der ihnen hinterwaͤrts naͤher koͤmmt, und auf einmal der Franciska auf die Schulter klopft)

Frauen - zimmerchen! Frauenzimmerchen!

Franciska.
(erſchrickt)

He!

Werner.

Erſchrecke Sie nicht! Frauen - zimmerchen, Frauenzimmerchen, ich ſehe, Sie iſt huͤbſch, und iſt wohl gar fremd Und huͤbſche fremde Leute muͤſſen gewarnet werden Frauen - zimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie Sich vor dem Manne in Acht!

(auf den Wirth zeigend)
Der Wirth.

Je, unvermuthete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bey uns, willkom -F 3men!86Minna von Barnhelm,men! Ah, es iſt doch immer noch der luſtige, ſpaßhafte, ehrliche Werner! Sie ſoll Sich vor mir in Acht nehmen, mein ſchoͤnes Kind! Ha, ha, ha!

Werner.

Geh Sie ihm uͤberall aus dem Wege!

Der Wirth.

Mir! mir! Bin ich denn ſo gefaͤhrlich? Ha, ha, ha! Hoͤr Sie doch, mein ſchoͤnes Kind! Wie gefaͤllt Jhr der Spaß?

Werner.

Daß es doch immer Seines gleichen fuͤr Spaß erklaͤren, wenn man ihnen die Wahr - heit ſagt.

Der Wirth.

Die Wahrheit! ha! ha, ha! Nicht wahr, mein ſchoͤnes Kind, immer beſſer! Der Mann kann ſpaßen! Jch gefaͤhrlich? ich? So vor zwanzig Jahren, war was dran. Ja, ja, mein ſchoͤnes Kind, da war ich gefaͤhr - lich; da wußte manche davon zu ſagen; aber ietzt

Werner.

O uͤber den alten Narrn!

Der Wirth.

Da ſteckts eben! Wenn wir alt werden, iſt es mit unſrer Gefaͤhrlichkeit aus. Es wird Jhm auch nicht beſſer gehen, Herr Werner!

Werner. 87oder das Soldatengluͤck.
Werner.

Potz Geck, und kein Ende! Frauenzimmerchen, ſo viel Verſtand wird Sie mir wohl zutrauen, daß ich von der Gefaͤhrlichkeit nicht rede. Der Teufel hat ihn verlaſſen, aber es ſind dafuͤr ſieben andre in ihn gefahren

Der Wirth.

O hoͤr Sie doch, hoͤr Sie doch! Wie er das nun wieder ſo herum zu bringen weiß! Spaß uͤber Spaß, und immer was Neues! O, es iſt ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner!

(zur Franciska, als ins Ohr)

Ein wohlhabender Mann, und noch ledig. Er hat drey Meilen von hier ein ſchoͤnes Freyſchulzengerichte. Der hat Beute gemacht im Kriege! Und iſt Wach - meiſter bey unſerm Herrn Major geweſen. O, das iſt ein Freund von unſerm Herrn Major! das iſt ein Freund! der ſich fuͤr ihn tod ſchlagen ließe!

Werner.

Ja! und das iſt ein Freund von meinem Major! das iſt ein Freund! den der Major ſollte tod ſchlagen laſſen.

Der Wirth.

Wie? was? Nein, Herr Werner, das iſt nicht guter Spaß. Jch kein Freund vom Herrn Major? Nein, den Spaß verſteh ich nicht.

F 4Wer -88Minna von Barnhelm,
Werner.

Juſt hat mir ſchoͤne Dinge erzaͤhlt.

Der Wirth.

Juſt? Jch dachts wohl, daß Juſt durch Sie ſpraͤche. Juſt iſt ein boͤſer, gar - ſtiger Menſch. Aber hier iſt ein ſchoͤnes Kind zur Stelle; das kann reden; das mag ſagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major bin? ob ich ihm keine Dienſte erwieſen habe? Und warum ſollte ich nicht ſein Freund ſeyn? Jſt er nicht ein verdienter Mann? Es iſt wahr; er hat das Un - gluͤck gehabt, abgedankt zu werden: aber was thut das? Der Koͤnig kann nicht alle verdiente Maͤn - ner kennen; und wenn er ſie auch alle kennte, ſo kann er ſie nicht alle belohnen.

Werner.

Das heißt ihn Gott ſprechen! Aber Juſt freylich iſt an Juſten auch nicht viel Beſonders; doch ein Luͤgner iſt Juſt nicht; und wenn das wahr waͤre, was er mir geſagt hat

Der Wirth.

Jch will von Juſten nichts hoͤren! Wie geſagt: das ſchoͤne Kind hier mag ſprechen!

(zu ihr ins Ohr)

Sie weiß, mein Kind; den Ring! Erzaͤhl Sie es doch Herr Wernern. Da wird er mich beſſer kennen lernen. Und da - mit es nicht heraus koͤmmt, als ob Sie mir nur zugefal -89oder das Soldatengluͤck. gefallen rede: ſo will ich nicht einmal dabey ſeyn. Jch will nicht dabey ſeyn; ich will gehn; aber Sie ſollen mir es wiederſagen, Herr Werner, Sie ſollen mir es wiederſagen, ob Juſt nicht ein garſti - ger Verleumder iſt.

Fuͤnfter Auftritt.

Paul Werner. Franciska.
Werner.

Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen Major?

Franciska.

Den Major von Tellheim? Ja wohl kenn ich den braven Mann.

Werner.

Jſt es nicht ein braver Mann? Jſt Sie dem Manne wohl gut?

Franciska.

Vom Grund meines Herzens.

Werner.

Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauen - zimmerchen; nun koͤmmt Sie mir noch einmal ſo ſchoͤn vor. Aber was ſind denn das fuͤr Dien - ſte, die der Wirth unſerm Major will erwieſen haben?

Franciska.

Jch wuͤßte eben nicht; es waͤre denn, daß er ſich das Gute zuſchreiben wollte, wel -F 5ches90Minna von Barnhelm,ches gluͤcklicher Weiſe aus ſeinem ſchurkiſchen Be - tragen entſtanden.

Werner.

So waͤre es ja wahr, was mir Juſt geſagt hat?

(gegen die Seite, wo der Wirth abgegangen)

Dein Gluͤck, daß du gegangen biſt! Er hat ihm wirklich die Zimmer ausgeraͤumt? So einem Manne, ſo einen Streich zu ſpielen, weil ſich das Eſelsgehirn einbildet, daß der Mann kein Geld mehr habe! Der Major kein Geld?

Franciska.

So? hat der Major Geld?

Werner.

Wie Heu! Er weiß nicht, wie viel er hat. Er weiß nicht, wer ihm ſchuldig iſt. Jch bin ihm ſelber ſchuldig, und bringe ihm ein altes Reſtchen. Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in dieſem Beutelchen

(das er aus der einem Taſche zieht)

ſind hundert Louisdor; und in dieſem Roͤllchen

(das er aus der andern zieht)

hundert Dukaten. Alles ſein Geld!

Franciska.

Wahrhaftig? Aber warum verſetzt denn der Major? Er ja hat einen Ring verſetzt

Werner.

Verſetzt! Glaub Sie doch ſo was nicht. Vielleicht, daß er den Bettel hat gern wollen los ſeyn.

Fran -91oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Es iſt kein Bettel! es iſt ein ſehr koſtbarer Ring, den er wohl noch dazu von lieben Haͤnden hat.

Werner.

Das wirds auch ſeyn. Von lieben Haͤnden; ja, ja! So was erinnert einen manch - mal, woran man nicht gern erinnert ſeyn will. Drum ſchafft mans aus den Augen.

Franciska.

Wie?

Werner.

Dem Soldaten gehts in Winter - quartieren wunderlich. Da hat er nichts zu thun, und pflegt ſich, und macht vor langer Weile Bekannt - ſchafften, die er nur auf den Winter meynet, und die das gute Herz, mit dem er ſie macht, fuͤr Zeit - Lebens annimmt. Huſch iſt ihm denn ein Rin - gelchen an den Finger prackticirt; er weiß ſelbſt nicht, wie es dran koͤmmt. Und nicht ſelten gaͤb er gern den Finger mit drum, wenn er es nur wieder los werden koͤnnte.

Franciska.

Ey! und ſollte es wohl dem Ma - jor auch ſo gegangen ſeyn?

Werner.

Ganz gewiß. Beſonders in Sach - ſen; wenn er zehn Finger an jeder Hand gehabthaͤtte,92Minna von Barnhelm. haͤtte, er haͤtte ſie alle zwanzig voller Ringe ge - kriegt.

Franciska.
(bey Seite)

Das klingt ja ganz beſonders, und verdient unterſucht zu werden. Herr Freyſchulze, oder Herr Wachmeiſter

Werner.

Frauenzimmerchen, wenns Jhr nichts verſchlaͤgt: Herr Wachmeiſter, hoͤre ich am liebſten.

Franciska.

Nun, Herr Wachmeiſter, hier habe ich ein Briefchen von dem Herrn Major an meine Herrſchafft. Jch will es nur geſchwind herein tragen, und bin gleich wieder da. Will Er wohl ſo gut ſeyn, und ſo lange hier warten? Jch moͤchte gar zu gern mehr mit Jhm plaudern.

Werner.

Plaudert Sie gern, Frauenzimmer - chen? Nun meinetwegen; geh Sie nur; ich plaudre auch gern; ich will warten.

Franciska.

O, warte Er doch ja!

(geht ab.)

Sechſter Auftritt.

Paul Werner.

Das iſt kein unebenes Frauenzimmerchen! Aber ich haͤtte ihr doch nicht verſprechen ſollen, zuwar -93oder das Soldatengluͤck. warten. Denn das Wichtigſte waͤre wohl, ich ſuchte den Major auf. Er will mein Geld nicht, und verſetzt lieber? Daran kenn ich ihn. Es faͤllt mir ein Schneller ein. Als ich vor vierzehn Tagen in der Stadt war, beſuchte ich die Rittmeiſterinn Marloff. Das arme Weib lag krank, und jammerte, daß ihr Mann dem Major vierhundert Thaler ſchuldig geblieben waͤre, die ſie nicht wuͤßte, wie ſie ſie bezahlen ſollte. Heute wollte ich ſie wieder beſuchen; ich wollte ihr ſagen, wenn ich das Geld fuͤr mein Guͤtchen aus - gezahlt kriegte, daß ich ihr fuͤnfhundert Thaler leihen koͤnnte. Denn ich muß ja wohl was davon in Sicherheit bringen, wenns in Perſien nicht geht. Aber ſie war uͤber alle Berge. Und ganz gewiß wird ſie den Major nicht haben bezahlen koͤnnen. Ja, ſo will ichs machen; und das je eher, je lieber. Das Frauenzim - merchen mag mirs nicht uͤbel nehmen; ich kann nicht warten.

(geht in Gedanken ab, und ſtoͤßt faſt auf den Major, der ihm entgegen koͤmmt)
Sie -94Minna von Barnhelm,

Siebender Auftritt.

von Tellheim. Paul Werner.
v. Tellheim.

So in Gedanken, Werner?

Werner.

Da ſind Sie ja! Jch wollte eben gehn, und Sie in Jhrem neuen Quartiere beſu - chen, Herr Major.

v. Tellheim.

Um mir auf den Wirth des alten die Ohren voll zu fluchen. Gedenke mir nicht daran.

Werner.

Das haͤtte ich beyher gethan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich nur bey Jhnen be - danken, daß Sie ſo gut geweſen, und mir die hundert Louisdor aufgehoben. Juſt hat mir ſie wieder - gegeben. Es waͤre mir wohl freylich lieb, wenn Sie mir ſie noch laͤnger aufheben koͤnnten. Aber Sie ſind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie, noch ich kennen. Wer weiß, wies da iſt. Sie koͤnnten Jhnen da geſtohlen werden; und Sie muͤßten mir ſie erſetzen; da huͤlffe nichts da - vor. Alſo kann ichs Jhnen freylich nicht zu - muthen.

v. Tell -95oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.
(laͤchelnd)

Seit wenn biſt du ſo vorſichtig, Werner?

Werner.

Es lernt ſich wohl. Man kann, heute zu Tage, mit ſeinem Gelde nicht vorſichtig genug ſeyn. Darnach hatte ich noch was an Sie zu beſtellen, Herr Major; von der Rittmei - ſterinn Marloff; ich kam eben von ihr her. Jhr Mann iſt Jhnen ja vierhundert Thaler ſchuldig ge - blieben; hier ſchickt ſie Jhnen auf Abſchlag hun - dert Dukaten. Das Uebrige will ſie kuͤnftige Woche ſchicken. Jch mochte wohl ſelber Urſache ſeyn, daß ſie die Summe nicht ganz ſchickt. Denn ſie war mir auch ein Thaler achtzig ſchuldig; und weil ſie dachte, ich waͤre gekommen, ſie zu mah - nen, wies denn auch wohl wahr war; ſo gab ſie mir ſie, und gab ſie mir aus dem Roͤll - chen, das ſie fuͤr Sie ſchon zu rechte gelegt hatte. Sie koͤnnen auch ſchon eher Jhre hundert Thaler ein Acht Tage noch miſſen, als ich meine Paar Groſchen. Da nehmen Sie doch!

(reicht ihm die Rolle Dukaten)
v. Tellheim.

Werner!

Wer -96Minna von Barnhelm,
Werner.

Nun? warum ſehen Sie mich ſo ſtarr an? So nehmen Sie doch, Herr Major!

v. Tellheim.

Werner!

Werner.

Was fehlt Jhnen? Was aͤrgert Sie?

v. Tellheim.
(bitter, indem er ſich vor die Stirne ſchlaͤgt, und mit dem Fuße auftritt)

Daß es die vier - hundert Thaler nicht ganz ſind!

Werner.

Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verſtanden?

v. Tellheim.

Eben weil ich dich verſtanden habe! Daß mich doch die beſten Menſchen heut am meiſten quaͤlen muͤſſen!

Werner.

Was ſagen Sie?

v. Tellheim.

Es geht dich nur zur Haͤlfte an! Geh, Werner!

(indem er die Hand, mit der ihm Werner die Dukaten reichet, zuruͤck ſtoͤßt)
Werner.

Sobald ich das los bin!

v. Tellheim.

Werner, wenn du nun von mir hoͤrſt: daß die Marloffinn, heute ganz fruͤh, ſelbſt bey mir geweſen iſt?

Werner.

So?

v. Tell -97oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Daß ſie mir nichts mehr ſchul - dig iſt?

Werner.

Wahrhaftig?

v. Tellheim.

Daß ſie mich bey Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirſt du denn ſagen?

Werner.
(der ſich einen Augenblick beſinnt)

Jch werde ſagen, daß ich gelogen habe, und daß es eine hundsfoͤttſche Sache ums Luͤgen iſt, weil man druͤber ertappt werden kann.

v. Tellheim.

Und wirſt dich ſchaͤmen?

Werner.

Aber der, der mich ſo zu luͤgen zwingt, was ſollte der? Sollte der ſich nicht auch ſchaͤmen? Sehen Sie, Herr Major; wenn ich ſagte, daß mich Jhr Verfahren nicht verdroͤße, ſo haͤtte ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr luͤgen

v. Tellheim.

Sey nicht verdruͤßlich, Werner! Jch erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.

Werner.

Sie brauchen es nicht? Und ver - kauffen lieber, und verſetzen lieber, und bringen ſich lieber in der Leute Maͤuler?

Gv. Tell -98Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Die Leute moͤgen es immer wiſſen, daß ich nichts mehr habe. Man muß nicht reicher ſcheinen wollen, als man iſt.

Werner.

Aber warum aͤrmer? Wir ha - ben, ſo lange unſer Freund hat.

v. Tellheim.

Es ziemt ſich nicht, daß ich dein Schuldner bin.

Werner.

Ziemt ſich nicht? Wenn an einem heißen Tage, den uns die Sonne und der Feind heiß machte, ſich Jhr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte; und Sie zu mir kamen und ſagten: Werner haſt du nichts zu trinken? und ich Jhnen meine Feldflaſche reichte, nicht wahr, Sie nahmen und tranken? Ziemte ſich das? Bey meiner armen Seele, wenn ein Trunk faules Waßer damals nicht oft mehr werth war, als alle der Quark!

(indem er auch den Beutel mit den Louisdoren heraus zieht, und ihm beides hinreicht)

Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie Sich ein, es iſt Waßer. Auch das hat Gott fuͤr alle geſchaffen.

v. Tellheim.

Du marterſt mich; du hoͤrſt es ja, ich will dein Schuldner nicht ſeyn.

Wer -99oder das Soldatengluͤck.
Werner.

Erſt ziemte es ſich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja das iſt was anders.

(etwas aͤrgerlich)

Sie wollen mein Schuldner nicht ſeyn? Wenn Sie es denn aber ſchon waͤren, Herr Major? Oder ſind Sie dem Manne nichts ſchuldig, der einmal den Hieb auffieng, der Jhnen den Kopf ſpalten ſollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben losdruͤcken und Jhnen die Kugel durch die Bruſt jagen wollte? Was koͤnnen Sie dieſem Manne mehr ſchuldig werden? Oder hat es mit meinem Halſe weniger zu ſagen, als mit meinem Beutel? Wenn das vornehm gedacht iſt, bey meiner armen Seele, ſo iſt es auch ſehr abgeſchmackt gedacht!

v. Tellheim.

Mit wem ſprichſt du ſo, Wer - ner? Wir ſind allein; ietzt darf ich es ſagen; wenn uns ein Dritter hoͤrte, ſo waͤre es Windbeuteley. Jch bekenne es mit Vergnuͤgen, daß ich dir zwey - mal mein Leben zu danken habe. Aber, Freund, woran fehlt mir es, daß ich bey Gelegenheit nicht eben ſo viel fuͤr dich wuͤrde gethan haben? He!

Werner.

Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe ich SieG 2nicht100Minna von Barnhelm,nicht hundertmal fuͤr den gemeinſten Soldaten, wenn er ins Gedrenge gekommen war, Jhr Leben wagen ſehen?

v. Tellheim.

Alſo!

Werner.

Aber

v. Tellheim.

Warum verſtehſt du mich nicht recht? Jch ſage: es ziemt ſich nicht, daß ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht ſeyn. Nehmlich in den Umſtaͤnden nicht, in wel - chen ich mich ietzt befinde.

Werner.

So, ſo! Sie wollen es verſparen, bis auf beßre Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie ſelbſt welches haben, und ich vielleicht keines.

v. Tellheim.

Man muß nicht borgen, wenn man nicht wieder zu geben weiß.

Werner.

Einem Manne, wie Sie, kann es nicht immer fehlen.

v. Tellheim.

Du kennſt die Welt! Am wenigſten muß man ſodann von Einem borgen, der ſein Geld ſelbſt braucht.

Wer -101oder das Soldatengluͤck.
Werner.

O ia, ſo Einer bin ich! Wozu braucht ichs denn? Wo man einen Wachmei - ſter nothig hat, giebt man ihm auch zu leben.

v. Tellheim.

Du brauchſt es, mehr als Wach - meiſter zu werden; dich auf einer Bahn weiter zu bringen, auf der, ohne Geld, auch der Wuͤr - digſte zuruͤck bleiben kann.

Werner.

Mehr als Wachmeiſter zu werden? Daran denke ich nicht. Jch bin ein guter Wachmei - ſter; und duͤrfte leicht ein ſchlechter Rittmeiſter, und ſicherlich noch ein ſchlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.

v. Tellheim.

Mache nicht, daß ich etwas Unrechtes von dir denken muß, Werner! Jch habe es nicht gern gehort, was mir Juſt geſagt hat. Du haſt dein Gut verkauft, und willſt wie - der herum ſchwaͤrmen. Laß mich nicht von dir glauben, daß du nicht ſo wohl das Metier, als die wilde, luͤderliche Lebensart liebeſt, die un - gluͤcklicher Weiſe damit verbunden iſt. Man muß Soldat ſeyn, fuͤr ſein Land; oder aus Liebe zu der Sache, fuͤr die gefochten wird. Ohne AbſichtG 3heute102Minna von Barnhelm,heute hier, morgen da dienen: heißt wie ein Flei - ſcherknecht reiſen, weiter nichts.

Werner.

Nun ja doch, Herr Major; ich will Jhnen folgen. Sie wiſſen beſſer, was ſich gehoͤrt. Jch will bey Jhnen bleiben. Aber, lieber Major, nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muß Jhre Sache aus ſeyn. Sie muͤſſen Geld die Menge bekom - men. Sie ſollen mir es ſodann mit Jntereſſen wieder geben. Jch thu es ja nur der Jntereſſen wegen.

v. Tellheim.

Schweig davon!

Werner.

Bey meiner armen Seele, ich thu es nur der Jntereſſe wegen! Wenn ich manch - mal dachte: wie wird es mit dir aufs Alter wer - den? wenn du zu Schanden gehauen biſt? wenn du nichts haben wirſt? wenn du wirſt betteln gehen muͤſſen? So dachte ich wieder: Nein, du wirſt nicht betteln gehn; du wirſt zum Major Tellheim gehn; der wird ſeinen letzten Pfennig mit dir thei - len; der wird dich zu Tode fuͤttern; bey dem wirſt du als ein ehrlicher Kerl ſterben koͤnnen.

v. Tell -103oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.
(indem er Werners Hand ergreift)

Und, Kammerad, das denkſt du nicht noch?

Werner.

Nein, das denk ich nicht mehr. Wer von mir nichts nehmen will, wenn ers be - darf, und ichs habe; der will mir auch nichts ge - den, wenn ers hat, und ichs bedarf. Schon gut!

(will gehen)
v. Tellheim.

Menſch, mache mich nicht ra - ſend! Wo willſt du hin?

(haͤlt ihn zuruͤck)

Wenn ich dich nun auf meine Ehre verſichere, daß ich noch Geld habe; wenn ich dir auf meine Ehre ver - ſpreche, daß ich dir es ſagen will, wenn ich keines mehr habe; daß du der erſte und einzige ſeyn ſollſt, bey dem ich mir borgen will: Biſt du dann zufrieden?

Werner.

Muß ich nicht? Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.

v. Tellheim.

Da, Paul! Und nun ge - nug davon. Jch kam hieher, um ein gewiſſes Maͤdchen zu ſprechen

G 4Achter104Minna von Barnhelm,

Achter Auftritt.

Franciska.
(aus dem Zimmer des Fraͤuleins.)
v. Tellheim. Paul Werner.
Franciska.
(im heraustreten)

Sind Sie noch da, Herr Wachmeiſter?

(indem ſie den Tellheim gewahr wird)

Und Sie ſind auch da, Herr Major? Den Augenblick bin ich zu Jhren Dienſten.

(geht geſchwind wieder in das Zimmer)

Neunter Auftritt.

v. Tellheim. Paul Werner.
v. Tellheim.

Das war ſie! Aber ich hoͤre ja, du kennſt ſie, Werner?

Werner.

Ja, ich kenne das Frauenzim - merchen.

v. Tellheim.

Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere, als ich in Thuͤringen Winterquartier hatte, warſt du nicht bey mir.

Werner.

Nein, da beſorgte ich in Leipzig Mundirungsſtuͤcke.

v. Tellheim.

Woher kennſt du ſie denn alſo?

Wer -105oder das Soldatengluͤck.
Werner.

Unſere Bekanntſchaft iſt noch blut jung. Sie iſt von heute. Aber junge Bekannt - ſchaft iſt warm.

v. Tellheim.

Alſo haſt du ihr Fraͤulein wohl auch ſchon geſehen?

Werner.

Jſt ihre Herrſchaft ein Fraͤulein? Sie hat mir geſagt, Sie kennten ihre Herrſchaft.

v. Tellheim.

Hoͤrſt du nicht? aus Thuͤringen her.

Werner.

Jſt das Fraͤulein jung?

v. Tellheim.

Ja.

Werner.

Schoͤn?

v. Tellheim.

Sehr ſchoͤn.

Werner.

Reich?

v. Tellheim.

Sehr reich.

Werner.

Jſt Jhnen das Fraͤulein auch ſo gut, wie das Maͤdchen? Das waͤre ja vortrefflich!

v. Tellheim.

Wie meynſt du?

Zehnter Auftritt.

Franciska.
(wieder heraus, mit einem Brief in der Hand)
v. Tellheim. Paul Werner.
Franciska.

Herr Major

G 5v. Tell -106Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Liebe Franciska, ich habe dich noch nicht willkommen heiſſen koͤnnen.

Franciska.

Jn Gedanken werden Sie es doch ſchon gethan haben. Jch weiß, Sie ſind mir gut. Jch Jhnen auch. Aber das iſt gar nicht artig, daß Sie Leute, die Jhnen gut ſind, ſo aͤngſtigen.

Werner.
(vor ſich)

Ha, nun merk ich. Es iſt richtig!

v. Tellheim.

Mein Schickſal, Franciska! Haſt du ihr den Brief uͤbergeben?

Franciska.

Ja, und hier uͤbergebe ich Jhnen

(reicht ihm den Brief)
v. Tellheim.

Eine Antwort?

Franciska.

Nein, Jhren eignen Brief wieder.

v. Tellheim.

Was? Sie will ihn nicht leſen?

Franciska.

Sie wollte wohl; aber wir koͤnnen Geſchriebenes nicht gut leſen.

v. Tellheim.

Schaͤckerinn!

Franciska.

Und wir denken, daß das Brief - ſchreiben fuͤr die nicht erfunden iſt, die ſich muͤnd - lich mit einander unterhalten koͤnnen, ſobald ſie wollen.

v. Tell -107oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Welcher Vorwand! Sie muß ihn leſen. Er enthaͤlt meine Rechtfertigung, alle die Gruͤnde und Urſachen

Franciska.

Die will das Fraͤulein von Jhnen ſelbſt hoͤren, nicht leſen.

v. Tellheim.

Von mir ſelbſt hoͤren? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Groͤße meines Verluſts empfinde?

Franciska.

Ohne Barmherzigkeit! Neh - men Sie!

(ſie giebt ihm den Brief)

Sie erwartet Sie um drey Uhr. Sie will ausfahren, und die Stadt beſehen. Sie ſollen mit ihr fahren.

v. Tellheim.

Mit ihr fahren?

Franciska.

Und was geben Sie mir, ſo laß ich ſie beide ganz allein fahren? Jch will zu Hauſe bleiben.

v. Tellheim.

Ganz allein?

Franciska.

Jn einem ſchoͤnen verſchloßnen Wagen.

v. Tellheim.

Unmoͤglich!

Franciska.

Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nichtent -108Minna von Barnhelm,entwiſchen. Darum geſchicht es eben. Kurz, Sie kommen, Herr Major; und Punckte drey. Nun? Sie wollten mich ja auch allein ſprechen. Was haben Sie mir denn zu ſagen? Ja ſo, wir ſind nicht allein.

(indem ſie Wernern anſieht)
v. Tellheim.

Doch Franciska; wir waͤren allein. Aber da das Fraͤulein den Brief nicht geleſen hat, ſo habe ich dir noch nichts zu ſagen.

Franciska.

So? waͤren wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachmeiſter keine Ge - heimniſſe?

v. Tellheim.

Nein, keine.

Franciska.

Gleichwohl, duͤnkt mich, ſollten Sie welche vor ihm haben.

v. Tellheim.

Wie das?

Werner.

Warum das, Frauenzimmerchen?

Franciska.

Beſonders Geheimniſſe von einer gewiſſen Art. Alle zwanzig, Herr Wach, meiſter?

(indem ſie beide Haͤnde mit geſpreitzten Fingern in die Hoͤhe haͤlt)
Werner.

St! ſt! Frauenzimmerchen, Frauen - zimmerchen!

v. Tellheim.

Was heißt das?

Fran -109oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Huſch iſts am Finger, Herr Wachmeiſter?

(als ob ſie einen Ring geſchwind anſteckte)
v. Tellheim.

Was habt ihr?

Werner.

Frauenzimmerchen, Frauenzimmer - chen, Sie wird ja wohl Spaß verſtehn?

v. Tellheim.

Werner, du haſt doch nicht ver - geſſen, was ich dir mehrmal geſagt habe; daß man uͤber einen gewiſſen Punckt mit dem Frauen - zimmer nie ſcherzen muß.

Werner.

Bey meiner armen Seele, ich kanns vergeſſen haben! Frauenzimmerchen, ich bitte

Franciska.

Nun wenn es Spaß geweſen iſt; dasmal will ich es Jhm verzeihen.

v. Tellheim.

Wenn ich denn durchaus kom - men muß, Franciska: ſo mache doch nur, daß das Fraͤulein den Brief vorher noch lieſet. Das wird mir die Peinigung erſparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu ſagen, die ich ſo gern vergeſſen moͤchte. Da, gib ihr ihn!

(indem er den Brief umkehrt, und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, daß er erbrochen iſt)

Aber ſehe ich recht? Der Brief Franciska, iſt ja erbrochen.

Fran -110Minna von Barnhelm,
Franciska.

Das kann wohl ſeyn.

(beſieht ihn)

Wahrhaftig er iſt erbrochen. Wer muß ihn denn erbrochen haben? Doch geleſen haben wir ihn wirklich nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht leſen, denn der Schreiber koͤmmt ſelbſt. Kommen Sie ja; und wiſſen Sie was, Herr Major? Kommen Sie nicht ſo, wie Sie da ſind; in Stiefeln, kaum friſirt. Sie ſind zu entſchuldigen; Sie haben uns nicht vermuthet. Kommen Sie in Schuen, und laſſen Sie Sich friſch friſiren. So ſehen Sie mir gar zu brav, gar zu Preußiſch aus!

v. Tellheim.

Jch danke dir, Franciska.

Franciska.

Sie ſehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampirt haͤtten.

v. Tellheim.

Du kannſt es errathen haben.

Franciska.

Wir wollen uns gleich auch putzen, und ſodann eſſen. Wir behielten Sie gern zum Eſſen, aber Jhre Gegenwart moͤchte uns an dem Eſſen hindern; und ſehen Sie, ſo gar verliebt ſind wir nicht, daß uns nicht hungerte.

v. Tellheim.

Jch geh! Franciska, bereite ſie indeß ein wenig vor; damit ich weder in ihren,noch111oder das Soldatengluͤck. noch in meinen Augen veraͤchtlich werden darf. Komm, Werner, du ſollſt mit mir eſſen.

Werner.

An der Wirthstafel, hier im Hau - ſe? Da wird mir kein Biſſen ſchmecken.

v. Tellheim.

Bey mir auf der Stube.

Werner.

So folge ich Jhnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem Frauenzimmerchen.

v. Tellheim.

Das gefaͤllt mir nicht uͤbel!

(geht ah)

Eilfter Auftritt.

Paul Werner. Franciska.
Franciska.

Nun, Herr Wachmeiſter?

Werner.

Frauenzimmerchen, wenn ich wie - derkomme, ſoll ich auch geputzter kommen?

Franciska.

Komm Er, wie Er will, Herr Wachmeiſter; meine Augen werden nichts wider Jhn haben. Aber meine Ohren werden deſto mehr auf ihrer Hut gegen Jhn ſeyn muͤſſen. Zwan - zig Finger, alle voller Ringe! Ey, ey, Herr Wachmeiſter!

Werner.

Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt ich Jhr noch ſagen: die Schnurre fuhr mirnun112Minna von Barnhelm,nun ſo heraus! Es iſt nichts dran. Man hat ja wohl an Einem Ringe genug. Und hundert und aber hundertmal, habe ich den Major ſagen hoͤren: das muß ein Schurke von einem Soldaten ſeyn, der ein Maͤdchen anfuͤhren kann! So denk ich auch, Frauenzimmerchen. Verlaß Sie Sich dar - auf! Jch muß machen, daß ich ihm nach - kommme. Guten Appetit, Frauenzimmer - chen!

(geht ab)
Franciska.

Gleichfalls, Herr Wachmeiſter! Jch glaube, der Mann gefaͤllt mir!

(indem ſie her - ein gehen will, koͤmmt ihr das Fraͤulein entgegen)

Zwoͤlfter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska.
Das Fraͤulein.

Jſt der Major ſchon wieder fort? Franciska, ich glaube, ich waͤre ietzt ſchon wieder ruhig genug, daß ich ihn haͤtte hier be - halten koͤnnen.

Franciska.

Und ich will Sie noch ruhiger machen.

Das Fraͤulein.

Deſto beſſer! Sein Brief, o ſein Brief! Jede Zeile ſprach den ehrlichen, edlen Mann. Jede Weigerung, mich zu beſitzen, betheuer -te113oder das Soldatengluͤck. te mir ſeine Liebe. Er wird es wohl gemerkt haben, daß wir den Brief geleſen. Mag er doch; wenn er nur koͤmmt. Er koͤmmt doch ge - wiß? Bloß ein wenig zu viel Stolz, Franciska, ſcheint mir in ſeiner Auffuͤhrung zu ſeyn. Denn auch ſeiner Geliebten ſein Gluͤck nicht wollen zu danken haben, iſt Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er mir dieſen zu ſtark merken laͤßt, Franciska

Franciska.

So wollen Sie ſeiner entſagen?

Das Fraͤulein.

Ey, ſieh doch! Jammert er dich nicht ſchon wieder? Nein, liebe Naͤrrinn, Eines Fehlers wegen entſagt man keinem Manne. Nein; aber ein Streich iſt mir beygefallen, ihn wegen dieſes Stolzes mit aͤhnlichem Stolze ein wenig zu martern.

Franciska.

Nun da muͤſſen Sie ja recht ſehr ruhig ſeyn, mein Fraͤulein, wenn Jhnen ſchon wieder Streiche beyfallen.

Das Fraͤulein.

Jch bin es auch; komm nur. Du wirſt deine Rolle dabey zu ſpielen haben.

(ſie gehen herein)

Ende des dritten Aufzugs.

HVier -114Minna von Barnhelm,

Vierter Aufzug.

Erſter Auftritt.

(Die Scene, das Zimmer des Fraͤuleins) Das Fraͤulein. (voͤllig, und reich, aber mit Geſchmack gekleidet) Fran - ciska. (ſie ſtehen vom Tiſche auf, den ein Be - dienter abraͤumt.)
Franciska.

Sie koͤnnen unmoͤglich ſatt ſeyn, gnaͤdiges Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Meynſt du, Franciska? Viel - leicht, daß ich mich nicht hungrig niederſetzte.

Franciska.

Wir hatten ausgemacht, ſeiner waͤhrender Mahlzeit nicht zu erwaͤhnen. Aber wir haͤtten uns auch vornehmen ſollen, an ihn nicht zu denken.

Das Fraͤulein.

Wirklich, ich habe an nichts, als an ihn gedacht.

Franciska.

Das merkte ich wohl. Jch fieng von hundert Dingen an zu ſprechen, und Sie ant - wortete mir auf jedes verkehrt.

(ein andrer Bedienter traͤgt Kaffee auf)

Hier koͤmmt eine Nahrung, bey der man eher Grillen machen kann. Der liebe me - lancholiſche Kaffee!

Das115oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Grillen? Jch mache keine. Jch denke blos der Lection nach, die ich ihm geben will. Haſt du mich recht begriffen, Franciska?

Franciska.

O ja; am beſten aber waͤre es, er erſparte ſie uns.

Das Fraͤulein.

Du wirſt ſehen, daß ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich ietzt mit allen Reichthuͤmern verweigert, wird mich der ganzen Welt ſtreitig machen, ſobald er hoͤrt, daß ich ungluͤcklich und verlaſſen bin.

Franciska.
(ſehr ernſthaft)

Und ſo was muß die feinſte Eigenliebe unendlich kuͤtzeln.

Das Fraͤulein.

Sittenrichterinn! Seht doch! vorhin ertappte ſie mich auf Eitelkeit; jetzt auf Eigenliebe. Nun, laß mich nur, liebe Fran - ciska. Du ſollſt mit deinem Wachmeiſter auch machen koͤnnen, was du willſt.

Franciska.

Mit meinem Wachmeiſter?

Das Fraͤulein.

Ja, wenn du es vollends leug - neſt, ſo iſt es richtig. Jch habe ihn noch nicht geſehen; aber aus jedem Worte, daß du mir von ihm geſagt haſt, prophezeye ich dir deinen Mann.

H 2Zwey -116Minna von Barnhelm,

Zweyter Auftritt.

Riccaut de la Marliniere. Das Fraͤu - lein. Franciska.
Riccaut.
(noch innerhalb der Scene)

Eſt-il permis, Monſieur le Major?

Franciska.

Was iſt das? Will das zu uns?

(gegen die Thuͤre gehend)
Riccaut.

Parbleu! Jk bin unriktig. Mais non Jk bin nit unriktig C’eſt ſa chambre

Franciska.

Ganz gewiß, gnaͤdiges Fraͤulein, glaubt dieſer Herr, den Major von Tellheim noch hier zu finden.

Riccaut.

ſo! Le Major de Thellheim; juſte, ma bel enfant, c’eſt lui que je cherche. eſt-il?

Franciska.

Er wohnt nicht mehr hier.

Riccaut.

Comment? nok vor vier un ſwanzik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

Das Fraͤulein.
(die auf ihn zu koͤmmt)

Mein Herr,

Riccaut. 117oder das Soldatengluͤck.
Riccaut.

Ah, Madame, Mademoiſelle Jhro Gnad verzeih

Das Fraͤulein.

Mein Herr, Jhre Jrrung iſt ſehr zu vergeben, und Jhre Verwunderung ſehr natuͤrlich. Der Herr Major hat die Guͤte gehabt, mir, als einer Fremden, die nicht unter zu kom - men wußte, ſein Zimmer zu uͤberlaſſen.

Riccaut.

Ah voila de ſes politeſſes! C’eſt un très galant-homme que ce Major!

Das Fraͤulein.

Wo er indeß hingezogen, wahrhaftig, ich muß mich ſchaͤmen, es nicht zu wiſſen.

Riccaut.

Jhro Gnad nit wiß? C’eſt dom - mage; j’en ſuis faché.

Das Fraͤulein.

Jch haͤtte mich allerdings dar - nach erkundigen ſollen. Freylich werden ihn ſeine Freunde noch hier ſuchen.

Riccaut.

Jk bin ſehr von ſeine Freund, Jhro Gnad

Das Fraͤulein.

Franciska, weißt du es nicht?

Franciska.

Nein, gnaͤdiges Fraͤulein.

H 3Ric -118Minna von Barnhelm,
Riccaut.

Jk haͤtt ihn zu ſprek, ſehr nothwen - dik. Jk komm ihm bringen eine Nouvelle, davon er ſehr froͤhlik ſeyn wird.

Das Fraͤulein.

Jch bedauere um ſo viel mehr. Doch hoffe ich, vielleicht bald, ihn zu ſprechen. Jſt es gleichviel, aus weſſen Munde er dieſe gute Nachricht erfaͤhrt, ſo erbiete ich mich, mein Herr

Riccaut.

Jk verſteh. Mademoiſelle parle françois? Mais ſans doute; telle que je la vois! La demande etoit bien impolie; Vous me par - donnerés, Mademoiſelle.

Das Fraͤulein.

Mein Herr

Riccaut.

Nit? Sie ſprek nit Franzoͤſiſch, Jhro Gnad?

Das Fraͤulein.

Mein Herr, in Frankreich wuͤrde ich es zu ſprechen ſuchen. Aber warum hier? Jch hoͤre ja, daß Sie mich verſtehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verſtehen; ſprechen Sie, wie es Jhnen beliebt.

Riccaut.

Gutt, gutt! Jk kann auk mik auf Deutſch explicier. Sachés donc. Mademoiſelle Jhre119oder das Soldatengluͤck. Jhro Gnad ſoll alſo wiß, daß ik komm von die Tafel bey der Miniſter Miniſter von Mi - niſter von wie heiß der Miniſter da draus? in der lange Straß? auf die breite Platz?

Das Fraͤulein.

Jch bin hier noch voͤllig un - bekannt.

Riccaut.

Nun, die Miniſter von der Kriegs - departement. Da haben ik zu Mittag geſpei - ſen; ik ſpeiſen à l’ordinaire bey ihm, und da man gekommen reden auf der Major Tell - heim; & le Miniſtre m’a dit en confidence, car Son Excellence eſt de mes amis, & il n’y a point de myſtéres entre nous Se. Excellenz, will ik ſag, haben mir vertrau, daß die Sak von unſerm Major ſey auf den Point zu enden, und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Koͤnik, und der Koͤnik habe darauf reſolvir, tout - à-fait en faveur du Major. Monſieur, m’a dit Son Excellence, Vous comprenés bien, que tout depend de la maniere, dont on fait enviſager les choſes au Roi, & Vous me connoiſſés. Cela fait un très-joli garçon que ce Tellheim, & ne ſais-je pas que Vous l’aimés? Les amis de mes amis ſont auffi lesH 4mi -120Minnn von Barnhelm,miens. Il coute un peu cher au Roi ce Tellheim, mais eſt-ce que l’on ſert les Rois pour rien? Il faut s’entr’ai - der en ce monde; & quand il s’agit de pertes, que ce ſoit le Roi, qui en faſſe, & non pas un honnet - homme de nous autres. Voilà le principe, dont je ne me depars jamais. Was ſag Jhro Gnad hierzu? Nit wahr, das ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coeur bien placé! Er hat mir au reſte verſiker, wenn der Major nit ſchon bekommen habe une Lettre de la main eine Koͤnikliken Handbrief, daß er heut infallible - ment muͤſſe bekommen einen.

Das Fraͤulein.

Gewiß, mein Herr, dieſe Nachricht wird dem Major von Tellheim hoͤchſt angenehm ſeyn. Jch wuͤnſchte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu koͤnnen, der ſo viel Antheil an ſeinem Gluͤcke nimmt

Riccaut.

Mein Namen wuͤnſcht Jhro Gnad? Vous voyés en moi Jhro Gnad ſeh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la Branche de Prensd’or. Jhro Gnad ſteh verwundert, mik aus ſo ein groß, groß Familie zu hoͤren, qui eſt veritablement duſang121oder das Soldatengluͤck. ſang Royal. Il faut le dire; je ſuis ſans doute le Cadet le plus avantureux, que la maiſon a jamais eu Jk dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d’honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Paͤbſtlichen Eilikheit, der Republick St. Marino, der Kron Pohlen, und den Staaten-General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiſelle, que je voi - drois n’avoir jamais ce pais-la! Haͤtte man mik gelaß im Dienſt von den Staaten-General, ſo muͤßt ik nun ſeyn, aufs wenikſt Oberſt. Aber ſo hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar ſeyn ein abgedankte Capitaine

Das Fraͤulein.

Das iſt viel Ungluͤck.

Riccaut.

Oui, Mademoiſelle, me voilà re - formé, & par-là mis ſur le pavé!

Das Fraͤulein.

Jch beklage ſehr.

Riccaut.

Vous étes bien bonne, Mademoiſelle. Nein, man kenn ſik hier nit auf den Ver - dienſt. Einen Mann, wie mik, zu reformir! Einen Mann, der ſik nok dazu in dieſem Dienſt hat rouinir! Jk haben dabey ſugeſetzt, mehr als ſwanzik tauſend Livres. Was hab ik nun? Tran -H 5chons122Minna von Barnhelm,chons le mot; je n’ai pas le ſou, & me voilà ex - actement vis-à-vis du rien.

Das Fraͤulein.

Es thut mir ungemein leid.

Riccaut.

Vous étes bien bonne, Mademoiſelle. Aber wie man pfleg zu ſagen: ein jeder Ungluͤck ſchlepp nak ſik ſeine Bruder; qu un malheur ne vient jamais ſeul: ſo mit mir arrivir. Was ein Honnet-homme von mein Extraction kann anders haben fuͤr Reſource, als das Spiel? Nun hab ik immer geſpielen mit Gluͤck, ſo lang ik hatte nit von noͤthen der Gluͤck. Nun ik ihr haͤtte von noͤthen, Mademoiſelle, je joue avec un guignon, qui ſurpaſſe toute croyance. Seit funfſehn Tag vergangen keine, wo ſie mik nit hab geſprenkt. Nok geſtern habe ſie mik geſprenkt dreymal. Je ſais bien, qu’il y avoit quelque choſe de plus que le jeu. Car parmi mes pontes ſe trouvoient cer - taines Dames Jk will niks weiter ſag. Man muß ſeyn galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir zu geben revanche; mais Vous m entendés, Mademoiſelle Man muß erſt wiß, wovon leben; ehe man haben kann, wovon zu ſpielen.

Das123oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Jch will nicht hoffen, mein Herr

Riccaut.

Vous étes bien bonne, Mademoiſelle

Das Fraͤulein.
(nimmt die Franciska bey Seite)

Franciska, der Mann tauert mich im Ernſte. Ob er mir es wohl uͤbel nehmen wuͤrde, wenn ich ihm etwas anboͤthe?

Franciska.

Der ſieht mir nicht darnach aus.

Das Fraͤulein.

Gut! Mein Herr, ich hoͤre, daß Sie ſpielen; daß Sie Bank ma - chen; ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu ge - winnen iſt. Jch muß Jhnen bekennen, daß ich gleichfalls das Spiel ſehr liebe,

Riccaut.

Tant mieux, Mademoiſelle, tant mieux! Tous les gens d’eſprit aiment le jeu à la fureur.

Das Fraͤulein.

Daß ich ſehr gern gewinne; ſehr gern mein Geld mit einem Mann wage, der zu ſpielen weiß. Waͤren Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in Geſellſchaft zu nehmen? mir einen Antheil an Jhrer Bank zu goͤnnen?

Riccaut.

Comment, Mademoiſelle, Vous vou - lés étre de moitié avec moi? De tout mon coeur.

Das124Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Vors erſte, nur mit einer Kleinigkeit

(geht und langt Geld aus ihrer Schatulle)
Riccaut.

Ah, Mademoiſelle, que Vous étes charmante!

Das Fraͤulein.

Hier habe ich, was ich ohn - laͤngſt gewonnen; nur zehn Piſtolen Jch muß mich zwar ſchaͤmen, ſo wenig

Riccaut.

Donnés toujours, Mademoiſelle, donnés

(nimmt es)
Das Fraͤulein.

Ohne Zweifel, daß Jhre Bank, mein Herr, ſehr anſehnlich iſt

Riccaut.

Ja wohl ſehr anſehnlik. Sehn Pi - ſtol? Jhr Gnad ſoll ſeyn dafuͤr intereſſir bey meiner Bank auf ein Dreytheil, pour le tiers. Swar auf ein Dreytheil ſollen ſeyn etwas mehr. Dok mit einer ſchoͤne Damen muß man es nehmen nit ſo genau. Jk gratulir mik, zu kommen dadurk in liaiſon mit Jhro Gnad, & de ce moment je re - commence à bien augurer de ma fortune.

Das Fraͤulein.

Jch kann aber nicht dabey ſeyn, wenn Sie ſpielen, mein Herr.

Riccaut.

Was brauk Jhro Gnad dabey ſu ſeyn? Wir andern Spieler ſind ehrlike Leut unter einander.

Das125oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Wenn wir gluͤcklich ſind, mein Herr, ſo werden Sie mir meinen Antheil ſchon bringen. Sind wir aber ungluͤcklich

Riccant.

So komm ik hohlen Rekruten. Nit wahr, Jhro Gnad?

Das Fraͤulein.

Auf die Laͤnge duͤrften die Rekruten fehlen. Vertheidigen Sie unſer Geld daher ja wohl, mein Herr.

Riccaut.

Wo fuͤr ſeh mik Jhro Gnad an? Fuͤr ein Einfalspinſe? fuͤr ein dumme Teuff?

Das Fraͤulein.

Verzeihen Sie mir

Riccaut.

Je ſuis des Bons, Mademoiſelle. Sa - vés-vous ce que cela veut dire? Jk bin von die Ausgelernt

Das Fraͤulein.

Aber doch wohl, mein Herr

Riccaut.

Je ſais monter un coup

Das Fraͤulein.
(verwundernd)

Sollten Sie?

Riccaut.

Je file la carte avec une adreſſe

Das Fraͤulein.

Nimmermehr!

Riccaut.

Je fais ſauter la coupe avec une dexterité

Ric -126Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Sie werden doch nicht, mein Herr?

Riccaut.

Was nit? Jhro Gnade, was nit? Donnés-moi un pigeonneau à plumer, &

Das Fraͤulein.

Falſch ſpielen? betruͤgen?

Riccaut.

Comment, Mademoiſelle? Vous appellés cela betruͤgen? Corriger la fortune, l’en - chainer ſous ſes doits, ctre ſûr de ſon fait, das nenn die Deutſch betruͤgen? betruͤgen! O, was iſt die deutſch Sprak fuͤr ein arm Sprak! fuͤr ein plump Sprak!

Das Fraͤulein.

Nein, mein Herr, wenn Sie ſo denken

Riccaut.

Laiſſés-moi faire, Mademoiſelle, und ſeyn Sie ruhik? Was gehn Sie an, wie ik ſpiel? Gnug, morgen entweder ſehn mik wieder Jhro Gnad mit hundert Piſtol, oder ſeh mik wieder gar nit. Votre très-humble, Mademoiſelle, votre très-humble

(eilends ab)
Das Fraͤulein.
(die ihm mit Erſtannen und Verdruß nachſieht)

Jch wuͤnſche das letzte, mein Herr, das letzte!

Drit -127oder das Soldatengluͤck.

Dritter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska.
Franciska.
(erbittert)

Kann ich noch reden? O ſchoͤn! o ſchoͤn!

Das Fraͤulein.

Spotte nur; ich verdiene es.

(nach einem kleinen Nachdenken, und gelaſſener)

Spotte nicht, Franciska; ich verdiene es nicht.

Franciska.

Vortrefflich! da haben Sie etwas allerliebſtes gethan; einen Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.

Das Fraͤulein.

Es war einem Ungluͤcklichen zugedacht.

Franciska.

Und was das beſte dabey iſt: der Kerl haͤlt Sie fuͤr ſeines gleichen. O ich muß ihm nach, und ihm das Geld wieder abneh - men.

(will fort.)
Das Fraͤulein.

Franciska, laß den Kaffee nicht vollends kalt werden; ſchenk ein.

Franciska.

Er muß es Jhnen wiedergeben; Sie haben Sich anders beſonnen; Sie wollen mit ihm nicht in Geſellſchaft ſpielen. Zehn Piſtolen! Sie hoͤrten ja, Fraͤulein, daß es ein Bettlerwar!128Minna von Barnhelm,war!

(das Fraͤulein ſchenkt indeß ſelbſt ein)

Wer wird einem Bettler ſo viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu erſpa - ren ſuchen? Den Mildthaͤtigen, der den Bettler aus Großmuth verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun moͤgen Sie es haben, Fraͤulein, wenn er Jhre Gabe, ich weiß nicht wofuͤr, anſieht.

(und reicht der Franciska eine Taſſe)

Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Jch mag nicht trinken.

(das Fraͤulein ſetzt ſie wieder weg)

Parbleu, Jhro Gnad, man kenn ſir hier nit auf den Verdienſt

(in dem Tone des Franzoſen)

Freylich nicht, wenn man die Spitz - buben ſo ungehangen herumlauffen laͤßt.

Das Fraͤulein.
(kalt und nachdenkend, indem ſie trinkt)

Maͤdchen, du verſtehſt dich ſo trefflich auf die guten Menſchen: aber, wenn willſt du die ſchlechten ertragen lernen? Und ſie ſind doch auch Menſchen. Und oͤfters bey weitem ſo ſchlechte Menſchen nicht, als ſie ſcheinen. Man muß ihre gute Seite nur aufſuchen. Jch bilde mir ein, dieſer Franzoſe iſt nichts als eitel. Aus bloſſer Eitelkeit macht er ſich zum falſchenSpie -129oder das Soldatengluͤck. Spieler; er will mir nicht verbunden ſcheinen; er will ſich den Dank erſparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, ſeine kleine Schulden bezahlt, von dem Reſte, ſo weit er reicht, ſtill und ſpar - ſam lebt, und an das Spiel nicht denkt. Wenn das iſt, liebe Franciska, ſo laß ihn Rekruten hohlen, wenn er will.

(giebt ihr die Taſſe)

Da, ſetz weg! Aber, ſage mir, ſollte Tellheim nicht ſchon da ſeyn?

Franciska.

Nein, gnaͤdiges Fraͤulein; ich kann beides nicht; weder an einem ſchlechten Menſchen die gute, noch an einem guten Men - ſchen die boͤſe Seite aufſuchen.

Das Fraͤulein.

Er koͤmmt doch ganz gewiß?

Franciska.

Er ſollte wegbleiben! Sie bemerken an ihm, an ihm, dem beſten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn ſo grauſam necken?

Das Fraͤulein.

Koͤmmſt du da wieder hin? Schweig, das will ich nun einmal ſo. Wo du mir dieſe Luſt verdirbſt; wo du nicht alles ſagſt und thuſt, wie wir es abgeredet haben! JchJwill130Minna von Barnhelm,will dich ſchon allein mit ihm laſſen; und dann Jetzt koͤmmt er wohl.

Vierter Auftritt.

Paul Werner, (der in einer ſteifen Stellung, gleich - ſam im Dienſte, hereintritt) Das Fraͤulein. Franciska.
Franciska.

Nein, es iſt nur ſein lieber Wachmeiſter.

Das Fraͤulein.

Lieber Wachmeiſter? Auf wen bezieht ſich dieſes Lieber?

Franciska.

Gnaͤdiges Fraͤulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt. Jhre Die - nerinn, Herr Wachmeiſter; was bringen Sie uns?

Werner.
(geht, ohne auf die Franciska zu achten, an das Fraͤulein)

Der Major von Tellheim laͤßt an das gnaͤdige Fraͤulein von Barnhelm durch mich, den Wachmeiſter Werner, ſeinen unterthaͤnigen Reſpekt vermelden, und ſagen, daß er ſogleich hier ſeyn werde.

Das Fraͤulein.

Wo bleibt er denn?

Wer -131oder das Soldatengluͤck.
Werner.

Jhro Gnaden werden verzeihen; wir ſind, noch vor dem Schlage drey, aus dem Quartier gegangen; aber da hat ihn der Kriegs - zahlmeiſter unterwegens angeredt; und weil mit dergleichen Herren des Redens immer kein Ende iſt: ſo gab er mir einen Wink, dem gnaͤdigen Fraͤulein den Vorfall zu rapportiren.

Das Fraͤulein.

Recht wohl, Herr Wach - meiſter. Jch wuͤnſche nur, daß der Kriegszahl - meiſter dem Major etwas angenehmes moͤge zu ſagen haben.

Werner.

Das haben dergleichen Herren den Officieren ſelten. Haben Jhro Gnaden etwas zu befehlen?

(im Begriffe wieder zu gehen)
Franciska.

Nun, wo denn ſchon wieder hin, Herr Wachmeiſter? Haͤtten wir denn nichts mit einander zu plaudern?

Werner.
(ſachte zur Franciska, und ernſthaft)

Hier nicht, Frauenzimmerchen. Es iſt wider den Reſpeckt, wider die Subordination. Gnaͤdiges Fraͤulein

Das Fraͤulein.

Jch danke fuͤr ſeine Bemuͤ - hung, Herr Wachmeiſter. Es iſt mir liebJ 2gewe -132Minna von Barnhelm,geweſen, Jhn kennen zu lernen. Franciska hat mir viel gutes von Jhm geſagt.

(Werner macht eine ſteife Verbeugung, und geht ab)

Fuͤnfter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska.
Das Fraͤulein.

Das iſt dein Wachmeiſter, Franciska?

Franciska.

Wegen des ſpoͤttiſchen Tones habe ich nicht Zeit, dieſes Dein nochmals aufzumutzen. Ja, gnaͤdiges Fraͤulein, das iſt mein Wachmeiſter. Sie finden ihn, ohne Zweifel, ein wenig ſteif und hoͤlzern. Jetzt kam er mir faſt auch ſo vor. Aber ich merke wohl; er glaubte, vor Jhro Gnaden, auf die Parade ziehen zu muͤſ - ſen. Und wenn die Soldaten paradiren, ja freylich ſcheinen ſie da mehr Drechslerpuppen, als Maͤnner. Sie ſollten ihn hingegen nur ſehn und hoͤren, wenn er ſich ſelbſt gelaſſen iſt.

Das Fraͤulein.

Das muͤßte ich denn wohl!

Fran -133oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Er wird noch auf dem Saale ſeyn. Darf ich nicht gehn, und ein wenig mit ihm plaudern?

Das Fraͤulein.

Jch verſage dir ungern dieſes Vergnuͤgen. Du mußt hier bleiben, Franciska. Du mußt bey unſerer Unterredung gegenwaͤrtig ſeyn. Es faͤllt mir noch etwas bey.

(Sie zieht ihren Ring vom Finger)

Da, nimm meinen Ring, verwahre ihn, und gieb mir des Majors ſeinen dafuͤr.

Franciska.

Warum das?

Das Fraͤulein.
(indem Franciska den andern Ring hohlt)

Recht weiß ich es ſelbſt nicht; aber mich duͤnkt, ich ſehe ſo etwas voraus, wo ich ihn brauchen koͤnnte. Man pocht Geſchwind gieb her!

(ſie ſteckt ihn an)

Er iſts!

Sechſter Auftritt.

v. Tellheim, (in dem nehmlichen Kleide, aber ſonſt ſo, wie es Franciska verlangt) Das Fraͤu - lein. Franciska.
v. Tellheim.

Gnaͤdiges Fraͤulein, Sie werden mein Verweilen entſchuldigen.

J 3Das134Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

O, Herr Major, ſo gar mi - litairiſch wollen wir es mit einander nicht neh - men. Sie ſind ja da! Und ein Vergnuͤgen er - warten, iſt auch ein Vergnuͤgen. Nun?

(indem ſie ihm laͤcheind ins Geſicht ſieht)

lieber Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?

v. Tellheim.

Ja wohl Kinder, gnaͤdiges Fraͤulein; Kinder, die ſich ſperren, wo ſie gelaſſen folgen ſollten.

Das Fraͤulein.

Wir wollen ausfahren, lieber Major, die Stadt ein wenig zu beſehen, und hernach, meinem Oheim entgegen.

v. Tellheim.

Wie?

Das Fraͤulein.

Sehen Sie; auch das Wich - tigſte haben wir einander noch nicht ſagen koͤn - nen. Ja, er trift noch heut hier ein. Ein Zufall iſt Schuld, daß ich, einen Tag fruͤher, ohne ihn angekommen bin.

v. Tellheim.

Der Graf von Bruchſall? Jſt er zuruͤck?

Das Fraͤulein.

Die Unruhen des Krieges verſcheuchten ihn nach Jtalien; der Friede hat ihn wieder zuruͤckgebracht. Machen Sie Sich keineGedan -135oder das Soldatengluͤck. Gedanken, Tellheim. Beſorgten wir ſchon ehe - mals das ſtaͤrkſte Hinderniß unſrer Verbindung von ſeiner Seite

v. Tellheim.

Unſerer Verbindung?

Das Fraͤulein.

Er iſt Jhr Freund. Er hat von zu vielen, zu viel Gutes von Jhnen gehoͤrt, um es nicht zu ſeyn. Er brennet, den Mann von Antlitz zu kennen, den ſeine einzige Erbinn gewaͤhlt hat. Er koͤmmt als Oheim, als Vormund, als Vater, mich Jhnen zu uͤbergeben.

v. Tellheim.

Ah, Fraͤulein, warum haben Sie meinen Brief nicht geleſen? Warum haben Sie ihn nicht leſen wollen?

Das Fraͤulein.

Jhren Brief? Ja, ich er - innere mich, Sie ſchickten mir einen. Wie war es denn mit dieſem Briefe, Franciska? Haben wir ihn geleſen, oder haben wir ihn nicht gele - ſen? Was ſchrieben Sie mir denn, lieber Tellheim?

v. Tellheim.

Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.

Das Fraͤulein.

Das iſt, ein ehrliches Maͤd - chen, die Sie liebt, nicht ſitzen zu laſſen. Frey -J 4lich136Minna von Barnhelm,lich befiehlt das die Ehre. Gewiß ich haͤtte den Brief leſen ſollen. Aber was ich nicht geleſen habe, das hoͤre ich ja.

v. Tellheim.

Ja, Sie ſollen es hoͤren

Das Fraͤulein.

Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hoͤren. Es verſteht ſich von ſelbſt. Sie koͤnnten eines ſo haͤßichen Streiches faͤhig ſeyn, daß Sie mich nun nicht wollten? Wiſſen Sie, daß ich auf Zeit meines Lebens beſchimpft waͤre? Meine Landsmaͤnninnen wuͤrden mit Fingern auf mich weiſen. Daß iſt ſie, wuͤrde es heißen, das iſt das Fraͤulein von Barnhelm, die ſich ein - bildete, weil ſie reich ſey, den wackern Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Maͤnnern fuͤr Geld zu haben waͤren! So wuͤrde es heißen: denn meine Landsmaͤnninnen ſind alle neidiſch auf mich. Daß ich reich bin, koͤnnen ſie nicht leugnen; aber davon wollen ſie nichts wiſſen; daß ich auch ſonſt noch ein ziemlich gutes Maͤdchen bin, das ſeines Mannes werth iſt. Nicht wahr, Tellheim?

v. Tellheim.

Ja, ja, gnaͤdiges Fraͤulein, daran erkenne ich Jhre Landsmaͤnninen. Sie werden Jhnen einen abgedankten, an ſeinerEhre137oder das Soldatengluͤck. Ehre gekraͤnkten Officier, einen Kriepel, einen Bettler trefflich beneiden.

Das Fraͤulein.

Und das alles waͤren Sie? Jch hoͤrte ſo was, wenn ich mich nicht irre, ſchon heute Vormittage. Da iſt Boͤſes und Gutes unter einander. Laſſen Sie uns doch jedes naͤher be - leuchten. Verabſchiedet ſind Sie? So hoͤre ich. Jch glaubte, Jhr Regiment ſey blos unter - geſteckt worden. Wie iſt es gekommen, daß man einen Mann von Jhren Verdienſten nicht bey - behalten?

v. Tellheim.

Es iſt gekommen, wie es kom - men muͤſſen. Die Großen haben ſich uͤberzeugt, daß ein Soldat aus Neigung fuͤr ſie ganz wenig; aus Pflicht nicht vielmehr: aber alles ſeiner eignen Ehre wegen thut. Was koͤnnen ſie ihm alſo ſchul - dig zu ſeyn glauben? Der Friede hat ihnen meh - rere meines gleichen entbehrlich gemacht; und am Ende iſt ihnen niemand unentbehrlich.

Das Fraͤulein.

Sie ſprechen, wie ein Mann ſprechen muß, dem die Großen hinwiederum ſehr entbehrlich ſind. Und niemals waren ſie es mehr, als ietzt. Jch ſage den Großen meinen großenJ 5Dank,138Minna von Barnhelm,Dank, daß ſie ihre Anſpruͤche auf einen Mann haben fahren laſſen, den ich doch nur ſehr ungern mit ihnen getheilet haͤtte. Jch bin Jhre Ge - bietherinn, Tellheim; Sie brauchen weiter keinen Herrn. Sie verabſchiedet zu finden, das Gluͤck haͤtte ich mir kaum traͤumen laſſen! Doch Sie ſind nicht blos verabſchiedet: Sie ſind noch mehr. Was ſind Sie noch mehr? Ein Krie - pel: ſagten Sie? Nun,

(indem ſie ihn von oben bis unten betrachtet)

der Kriepel iſt doch noch ziemlich ganz und gerade; ſcheinet doch noch ziemlich ge - ſund und ſtark. Lieber Tellheim, wenn Sie auf den Verluſt Jhrer geſunden Gliedmaaßen bet - teln zu gehen denken: ſo prophezeye ich Jhnen voraus, daß Sie vor den wenigſten Thuͤren etwas bekommen werden; ausgenommen vor den Thuͤ - ren der gutherzigen Maͤdchen, wie ich.

v. Tellheim.

Jetzt hoͤre ich nur das muthwil - lige Maͤdchen, liebe Minna.

Das Fraͤulein.

Und ich hoͤre in Jhrem Ver - weiſe nur das Liebe Minna. Jch will nicht mehr muthwillig ſeyn. Denn ich beſinne mich, daß Sie allerdings ein kleiner Kriepel ſind. EinSchuß139oder das Soldatengluͤck. Schuß hat Jhnen den rechten Arm ein wenig ge - laͤhmt. Doch alles wohl uͤberlegt: ſo iſt auch das ſo ſchlimm nicht. Um ſo viel ſichrer bin ich vor Jhren Schlaͤgen.

v. Tellheim.

Fraͤulein!

Das Fraͤulein.

Sie wollen ſagen: Aber Sie um ſo viel weniger vor meinen. Nun, nun, lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen laſſen.

v. Tellheim.

Sie wollen lachen, mein Fraͤu - lein. Jch beklage nur, daß ich nicht mit lachen kann.

Das Fraͤulein.

Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch nicht lachend ſehr ernſthaft ſeyn? Lieber Ma - jor, das Lachen erhaͤlt uns vernuͤnftiger, als der Verdruß. Der Beweis liegt vor uns. Jhre la - chende Freundinn beurtheilet Jhre Umſtaͤnde weit richtiger, als Sie ſelbſt. Weil Sie verabſchiedet ſind, nennen Sie Sich an Jhrer Ehre gekraͤnkt: weil Sie einen Schuß in dem Arme haben, machen Sie Sich zu einem Kriepel. Jſt das ſo recht? Jſt das keine Uebertreibung? Und iſt esmeine140Minna von Barnhelm,meine Einrichtung, daß alle Uebertreibungen des Laͤcherlichen ſo faͤhig ſind? Jch wette, wenn ich Jhren Bettler nun vornehme, daß auch dieſer eben ſo wenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweymal, dreymal Jhre Equipage verloren haben; bey dem oder jenem Banquier werden einige Ka - pitale ietzt mit ſchwinden; Sie werden dieſen und jenen Vorſchuß, den Sie im Dienſte gethan, keine Hoffnung haben, wiederzuerhalten: aber ſind Sie darum ein Bettler? Wenn Jhnen auch nichts uͤbrig geblieben iſt, als was mein Oheim fuͤr Sie mitbringt

v. Tellheim.

Jhr Oheim, gnaͤdiges Fraͤulein, wird fuͤr mich nichts mitbringen.

Das Fraͤulein.

Nichts, als die zweytauſend Piſtolen, die Sie unſern Staͤnden ſo großmuͤthig vorſchoßen.

v. Tellheim.

Haͤtten Sie doch nur meinen Brief geleſen, gnaͤdiges Fraͤulein!

Das Fraͤulein.

Nun ja, ich habe ihn geleſen. Aber was ich uͤber dieſen Punkt darinn geleſen, iſt mir ein wahres Raͤthſel. Unmoͤglich kann man Jhnen aus einer edlen Handlung ein Verbrechenmachen141oder das Soldatengluͤck. machen wollen. Erklaͤren Sie mir doch, lie - ber Major

v. Tellheim.

Sie erinnern Sich, gnaͤdiges Fraͤulein, daß ich Ordre hatte, in den Aemtern Jhrer Gegend die Kontribution mit der aͤußerſten Strenge baar beyzutreiben. Jch wollte mir dieſe Strenge erſparen, und ſchoß die fehlende Summe ſelbſt vor.

Das Fraͤulein.

Ja wohl erinnere ich mich. Jch liebte Sie um dieſer That willen, ohne Sie noch geſehen zu haben.

v. Tellheim.

Die Staͤnde gaben mir ihren Wechſel, und dieſen wollte ich, bey Zeichnung des Friedens, unter die zu ratihabirende Schulden ein - tragen laſſen. Der Wechſel ward fuͤr guͤltig er - kannt, aber mir ward das Eigenthum deſſelben ſtreitig gemacht. Man zog ſpoͤttiſch das Maul, als ich verſicherte, die Valute baar hergegeben zu haben. Man erklaͤrte ihn fuͤr eine Beſtechung, fuͤr das Gratial der Staͤnde, weil ich ſobald mit ihnen auf die niedrigſte Summe einig geworden war, mit der ich mich nur im aͤußerſten Nothfall zu begnuͤgen, Vollmacht hatte. So kam derWech -142Minna von Barnhelm,Wechſel aus meinen Haͤnden, und wenn er be - zahlt wird, wird er ſicherlich nicht an mich be - zahlt. Hierdurch, mein Fraͤulein, halte ich meine Ehre fuͤr gekraͤnkt; nicht durch den Abſchied, den ich gefordert haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht bekommen haͤtte. Sie ſind ernſthaft, mein Fraͤulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Jch lache ja.

Das Fraͤulein.

O, erſticken Sie dieſes Lachen, Tellheim! Jch beſchwoͤre Sie! Es iſt das ſchreck - liche Lachen des Menſchenhaſſes! Nein, Sie ſind der Mann nicht, den eine gute That reuen kann, weil ſie uͤble Folgen fuͤr ihn hat. Nein, unmoͤg - lich koͤnnen dieſe uͤble Folgen dauren! Die Wahr - heit muß an den Tag kommen. Das Zeugniß meines Oheims, aller unſrer Staͤnde

v Tellheim.

Jhres Oheims! Jhrer Staͤnde! Ha, ha, ha!

Das Fraͤulein.

Jhr Lachen toͤdtet mich, Tell - heim! Wenn Sie an Tugend und Vorſicht glau - ben, Tellheim, ſo lachen Sie ſo nicht! Jch habe nie fuͤrchterlicher fluchen hoͤren, als Sie lachen. Und laſſen Sie uns das Schlimmſte ſetzen! Wennman143oder das Soldatengluͤck. man Sie hier durchaus verkennen will: ſo kann man Sie bey uns nicht verkennen. Nein, wir koͤnnen, wir werden Sie nicht verkennen, Tell - heim. Und wenn unſere Staͤnde die geringſte Empfindung von Ehre haben, ſo weiß ich was ſie thun muͤſſen. Doch ich bin nicht klug: was waͤre das noͤthig? Bilden Sie Sich ein, Tellheim, Sie haͤtten die zweytauſend Piſtolen an einem wilden Abende verloren. Der Koͤnig war eine ungluͤck - liche Karte fuͤr Sie: die Dame

(auf ſich weiſend)

wird Jhnen deſto guͤnſtiger ſeyn. Die Vor - ſicht, glauben Sie mir, haͤlt den ehrlichen Mann immer ſchadlos; und oͤfters ſchon im voraus. Die That, die Sie einmal um zweytauſend Piſtolen bringen ſollte, erwarb mich Jhnen. Ohne dieſe That, wuͤrde ich nie begierig geweſen ſeyn, Sie kennen zu lernnen. Sie wiſſen, ich kam unein - geladen in die erſte Geſellſchaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Jch kam blos Jhreutwegen. Jch kam in dem feſten Vorſatze, Sie zu lieben, ich liebte Sie ſchon! in dem feſten Vorſatze, Sie zu beſitzen, wenn ich Sie auch ſo ſchwarz und haͤßlich finden ſollte, als den Mohr von Venedig. Sie144Minna von Barnhelm,Sie ſind ſo ſchwarz und haͤßlich nicht; auch ſo eifer - ſuͤchtig werden Sie nicht ſeyn. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel aͤhnliches mit ihm! O, uͤber die wilden, unbiegſamen Maͤnner, die nur immer ihr ſtieres Auge auf das Geſpenſt der Ehre heften! fuͤr alles andere Gefuͤhl ſich ver - haͤrten! Hierher Jhr Auge! auf mich, Tellheim!

(der indeß vertieft, und unbeweglich, mit ſtarren Augen immer auf eine Stelle geſehen)

Woran denken Sie? Sie hoͤren mich nicht?

v. Tellheim.
(zerſtreut)

O ja! Aber ſagen Sie mir doch, mein Fraͤulein: wie kam der Mohr in Venetianiſche Dienſte? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermiethete er ſeinen Arm und ſein Blut einem fremden Staate?

Das Fraͤulein.
(erſchrocken)

Wo ſind Sie, Tellheim? Nun iſt es Zeit, daß wir abbrechen; Kommen Sie!

(indem Sie ihn bey der Hand ergreift)

Franciska, laß den Wagen vorfahren.

v. Tellheim.
(der ſich von dem Fraͤulein los reißt, und der Franciska nachgeht)

Nein, Franciska; ich kann nicht die Ehre haben, das Fraͤulein zu be - gleiten. Mein Fraͤulein, laſſen Sie mir nochheute145oder das Soldatengluͤck. heute meinen geſunden Verſtand, und beurlauben Sie mich. Sie ſind auf dem beſten Wege, mich darum zu bringen. Jch ſtemme mich, ſo viel ich kann. Aber weil ich noch bey Verſtande bin: ſo hoͤren Sie, mein Fraͤulein, was ich feſt beſchloſ - ſen habe; wovon mich nichts in der Welt abbrin - gen ſoll. Wenn nicht noch ein gluͤcklicher Wurf fuͤr mich im Spiele iſt, wenn ſich das Blatt nicht voͤllig wendet, wenn

Das Fraͤulein.

Jch muß Jhnen ins Wort fallen, Herr Major. Das haͤtten wir Jhm gleich ſagen ſollen, Franciska. Du erinnerſt mich auch an gar nichts. Unſer Geſpraͤch wuͤrde ganz anders gefallen ſeyn, Tellheim, wenn ich mit der gu - ten Nachricht angefangen haͤtte, die Jhnen der Che - valier de la Marliniere nur eben zu bringen kam.

v. Tellheim.

Der Chevalier de la Marliniere? Wer iſt das?

Franciska.

Es mag ein ganz guter Mann ſeyn, Herr Major, bis auf

Das Fraͤulein.

Schweig, Franciska! Gleichfalls ein verabſchiedeter Officier, der aus Hollaͤndiſchen Dienſten

Kv. Tell -146Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Ha! der Lieutenant Riccaut!

Das Fraͤulein.

Er verſicherte, daß er Jhr Freund ſey.

v. Tellheim.

Jch verſichere, daß ich ſeiner nicht bin.

Das Fraͤulein.

Und daß ihm, ich weiß nicht welcher Miniſter vertrauet habe, Jhre Sache ſey dem gluͤcklichſten Ausgange nahe. Es muͤſſe ein Koͤnigliches Handſchreiben an Sie unterwegens ſeyn.

v. Tellheim.

Wie kaͤmen Riccaut und ein Miniſter zuſammen? Etwas zwar muß in meiner Sache geſchehen ſeyn. Denn nur ietzt er - klaͤrte mir der Kriegszahlmeiſter, daß der Koͤnig alles niedergeſchlagen habe, was wider mich urgi - ret worden; und daß ich mein ſchriftlich gegebenes Ehrenwort, nicht eher von hier zu gehen, als bis man mich voͤllig entladen habe, wieder zuruͤck - nehmen koͤnne. Das wird es aber auch alles ſeyn. Man wird mich wollen lauffen laſſen. Allein man irrt ſich; ich werde nicht lauffen. Eher ſoll mich hier das aͤuſſerſte Elend, vor den Augen meiner Verleumder, verzehren

Das147oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Hartnaͤckiger Mann!

v. Tellheim.

Jch brauche keine Gnade; ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre

Das Fraͤulein.

Die Ehre eines Mannes, wie Sie

v. Tellheim.
(hitzig)

Nein, mein Fraͤulein, Sie werden von allen Dingen recht gut urtheilen koͤnnen, nur hieruͤber nicht. Die Ehre iſt nicht die Stimme unſers Gewiſſen, nicht das Zeugniß weniger Rechtſchaffnen

Das Fraͤulein.

Nein, nein, ich weiß wohl. Die Ehre iſt die Ehre.

v. Tellheim.

Kurz, mein Fraͤulein, Sie haben mich nicht ausreden laſſen. Jch wollte ſagen: wenn man mir das Meinige ſo ſchimpflich vorenthaͤlt, wenn meiner Ehre nicht die vollkom - menſte Genugthuung geſchieht; ſo kann ich, mein Fraͤulein, der Jhrige nicht ſeyn. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht werth, zu ſeyn. Das Fraͤulein von Barnhelm verdienet einen un - beſcholtenen Mann. Es iſt eine nichtswuͤrdige Liebe, die kein Bedenken traͤgt, ihren Gegenſtand der Verachtung auszuſetzen. Es iſt ein nichts -K 2wuͤr -148Minna von Barnhelm,wuͤrdiger Mann, der ſich nicht ſchaͤmet, ſein gan - zes Gluͤck einem Frauenzimmer zu verdanken, deſſen blinde Zaͤrtlichkeit

Das Fraͤulein.

Und das iſt Jhr Ernſt, Herr Major?

(indem ſie ihm ploͤtzlich den Ruͤcken wendet)

Franciska!

v. Tellheim.

Werden Sie nicht ungehalten, mein Fraͤulein

Das Fraͤulein.
(bey Seite zur Franciska)

Jetzt waͤre es Zeit! Was raͤthſt du mir, Franciska?

Franciska.

Jch rathe nichts. Aber freylich macht er es Jhnen ein wenig zu bunt.

v. Tellheim.
(der ſie zu unterbrechen koͤmmt)

Sie ſind ungehalten, mein Fraͤulein

Das Fraͤulein.
(hoͤhniſch)

Jch? im geringſten nicht.

v. Tellheim.

Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fraͤulein

Das Fraͤulein.
(noch in dieſem Tone)

O gewiß, es waͤre mein Ungluͤck! Und ſehen Sie, Herr Major, ich will Jhr Ungluͤck auch nicht. Man muß ganz uneigennuͤtzig lieben. Eben ſo gut, daß ich nicht offenherziger geweſen bin! Vielleichtwuͤrde149oder das Soldatengluͤck. wuͤrde mir Jhr Mitleid gewaͤhret haben, was mir Jhre Liebe verſagt.

(indem ſie den Ring langſam vom Finger zieht)
v. Tellheim.

Was meynen Sie damit, Fraͤulein?

Das Fraͤulein.

Nein, keines muß das andere, weder gluͤcklicher noch ungluͤcklicher machen. So will es die wahre Liebe! Jch glaube Jhnen, Herr Major; und Sie haben zu viel Ehre, als daß Sie die Liebe verkennen ſollten.

v. Tellheim.

Spotren Sie, mein Fraͤulein?

Das Fraͤulein.

Hier! nehmen Sie den Ring wieder zuruͤck, mit dem Sie mir Jhre Treue ver - pflichtet.

(uͤberreicht ihm dem Ring)

Es ſey drum! Wir wollen einander nicht gekannt haben!

v. Tellheim.

Was hoͤre ich?

Das Fraͤulein.

Und das befremdet Sie? Nehmen Sie, mein Herr. Sie haben Sich doch wohl nicht blos gezieret?

v. Tellheim.
(indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt)

Gott! So kann Minna ſprechen!

Das Fraͤulein.

Sie koͤnnen der Meinige in Einem Falle nicht ſeyn: ich kann die Jhrige, inK 3keinem150Minna von Barnhelm,keinem ſeyn. Jhr Ungluͤck iſt wahrſcheinlich; meines iſt gewiß. Leben Sie wohl!

(will fort)
v. Tellheim.

Wohin, liebſte Minna?

Das Fraͤulein.

Mein Herr, Sie beſchimpfen mich ietzt mit dieſer vertraulichen Benennung.

v. Tellheim.

Was iſt Jhnen, mein Fraͤulein? Wohin?

Das Fraͤulein.

Laſſen Sie mich. Meine Thraͤnen vor Jhnen zu verbergen, Verraͤther!

(geht ab)

Siebender Auftritt.

v. Tellheim. Franciska.
v. Tellheim.

Jhre Thraͤnen? Und ich ſollte Sie laſſen?

(will ihr nach)
Franciska.
(die ihn zuruͤckhaͤlt)

Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?

v. Tellheim.

Jhr Ungluͤck? Sprach Sie nicht von Ungluͤck?

Franciska.

Nun freylich; das Ungluͤck, Sie zu verlieren, nachdem

v. Tell -151oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Nachdem? was nachdem? Hier hinter ſteckt mehr. Was iſt es, Franciska? Rede, ſprich

Franciska.

Nachdem ſie, wollte ich ſagen, Jhnen ſo vieles aufgeopfert.

v. Tellheim.

Mir aufgeopfert?

Franciska.

Hoͤren Sie nur kurz. Es iſt fuͤr Sie recht gut, Herr Major, daß Sie auf dieſe Art von ihr los gekommen ſind. Warum ſoll ich es Jhnen nicht ſagen? Es kann doch laͤnger kein Geheimniß bleiben. Wir ſind entflohen! Der Graf von Bruchſall hat das Fraͤulein enterbt, weil ſie keinen Mann von ſeiner Hand annehmen wollte. Alles verließ, alles verachtete ſie hierauf. Was ſollten wir thun? Wir entſchloſſen uns den - jenigen aufzuſuchen, dem wir

v. Tellheim.

Jch habe genug! Komm, ich muß mich zu Jhren Fuͤſſen werffen.

Franciska.

Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr, und danken Jhrem guten Geſchicke

v. Tellheim.

Elende! fuͤr wen haͤltſt du mich? Nein, liebe Franciska, der Rath kam nicht aus deinem Herzen. Vergieb meinem Unwillen!

K 4Fran -152Minna von Barnhelm,
Franciska.

Halten Sie mich nicht laͤnger auf. Jch muß ſehen, was ſie macht. Wie leicht koͤnnte ihr etwas zugeſtoſſen ſeyn. Gehen Sie! Kommen Sie lieber wieder, wenn Sie wieder kommen wollen.

(geht dem Fraͤulein nach)

Achter Auftritt.

von Tellheim.

Aber, Franciska! O, ich erwarte euch hier! Nein, das iſt dringender! Wenn ſie Ernſt ſieht, kann mir ihre Vergebung nicht entſtehen. Nun brauch ich dich, ehrlicher Werner! Nein, Minna, ich bin kein Verraͤther!

(eilends ab)
Ende des vierten Aufzuges.

Fuͤnfter Aufzug.

Erſter Auftritt.

(Die Scene, der Saal) v. Tellheim von der einen und Werner von der andern Seite.
v. Tellheim.

Ha, Werner! ich ſuche dich uͤber - all. Wo ſteckſt du?

Wer -153oder das Soldatengluͤck.
Werner.

Und ich habe Sie geſucht, Herr Major; ſo gehts mit dem Suchen. Jch bringe Jhnen gar eine gute Nachricht.

v. Tellheim.

Ah, ich brauche ietzt nicht deine Nachrichten; ich brauche dein Geld. Geſchwind, Werner, gieb mir ſo viel du haſt; und denn ſuche ſo viel aufzubringen, als du kaunſt.

Werner.

Herr Major? Nun, bey mei - ner armen Seele, habe ichs doch geſagt: er wird Geld von mir borgen, wenn er ſelber welches zu verleihen hat.

v. Tellheim.

Du ſuchſt doch nicht Ausfluͤchte?

Werner.

Damit ich ihm nichts vorzuwerffen habe, ſo nimmt er mirs mit der Rechten, und giebt mirs mit der Linken wieder.

v. Tellheim.

Halte mich nicht auf, Werner! Jch habe den guten Willen, dir es wieder zu ge - ben; aber wenn und wie? Das weiß Gott!

Werner.

Sie wiſſen es alſo noch nicht, daß die Hofſtaatskaſſe Ordre hat, Jhnen Jhre Gelder zu bezahlen? Eben erfuhr ich es bey

v. Tellheim.

Was plauderſt du? Was laͤſſeſt du dir weiß machen? Begreifſt du denn nicht, daß,K 5wenn154Minna von Barnhelm,wenn es wahr waͤre, ich es doch wohl am erſten wiſſen muͤßte? Kurz, Werner, Geld! Geld!

Werner.

Je nu, mit Freuden! hier iſt was! Das ſind die hundert Louisdor, und daß die hundert Dukaten.

(giebt ihm beides)
v. Tellheim.

Die hundert Louisdor, Werner, geh und bringe Juſten. Er ſoll ſogleich den Ring wieder einloͤſen, den er heute fruͤh verſetzt hat. Aber wo wirſt du mehr hernehmen, Werner? Jch brauche weit mehr.

Werner.

Dafuͤr laſſen Sie mich ſorgen. Der Mann, der mein Gut gekauft hat, wohnt in der Stadt. Der Zahlungstermin waͤre zwar erſt in vierzehn Tagen; aber das Geld liegt parat, und ein halb Procentchen Abzug

v. Tellheim.

Nun ja, lieber Werner! Siehſt du, daß ich meine einzige Zuflucht zu dir nehme? Jch muß dir auch alles vertrauen. Das Fraͤulein hier, du haſt ſie geſehn, iſt ungluͤcklich

Werner.

O Jammer!

v. Tellheim.

Aber morgen iſt ſie meine Frau

Werner.

O Freude!

v. Tell -155oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.

Und uͤber morgen, geh ich mit ihr fort. Jch darf fort; ich will fort. Lieber hier alles im Stiche gelaſſen! Wer weiß, wo mir ſonſt ein Gluͤck aufgehoben iſt. Wenn du willſt, Werner, ſo komm mit. Wir wollen wieder Dienſte nehmen.

Werner.

Wahrhaftig? Aber doch wos Krieg giebt, Herr Major?

v. Tellheim.

Wo ſonſt? Geh, lieber Werner, wir ſprechen davon weiter.

Werner.

O Herzensmajor! Ueber morgen? Warum nicht lieber morgen? Jch will ſchon alles zuſammenbringen. Jn Perſien, Herr Major, giebts einen trefflichen Krieg; was meynen Sie?

v. Tellheim.

Wir wollen das uͤberlegen! geh nur, Werner!

Werner.

Juchhe! es lebe der Prinz Herak - lius!

(geht ab)

Zweyter Auftritt.

von Tellheim.

Wie iſt mir? Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein eignes Ungluͤckſchlug156Minna von Barnhelm,ſchlug mich nieder; machte mich aͤrgerlich, kurz - ſichtig, ſchuͤchtern, laͤßig: ihr Ungluͤck hebt mich empor, ich ſehe wieder frey um mich, und fuͤhle mich willig und ſtark, alles fuͤr ſie zu unternehmen Was verweile ich?

(will nach dem Zimmer des Fraͤu - leins, aus dem ihm Franciska entgegen koͤmmt)

Dritter Auftritt.

Franciska. v. Tellheim.
Franciska.

Sind Sie es doch? Es war mir, als ob ich Jhre Stimme hoͤrte. Was wol - len Sie, Herr Major?

v. Tellheim.

Was ich will? Was macht dein Fraͤulein? Komm!

Franciska.

Sie will den Augenblick ausfahren.

v. Tellheim.

Und allein? ohne mich? wohin?

Franciska.

Haben Sie vergeßen, Herr Major?

v. Tellheim.

Biſt du nicht klug, Franciska? Jch habe ſie gereitzt, und ſie ward empfindlich: ich werde ſie um Vergebung bitten, und ſie wird mir vergeben.

Fran -157oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Wie? Nachdem Sie den Ring zuruͤckgenommen, Herr Major?

v. Tellheim.

Ha! das that ich in der Betaͤubung. Jetzt denk ich erſt wieder an den Ring. Wo habe ich ihn hingeſteckt?

(er ſucht ihn)

Hier iſt er.

Franciska.

Jſt er das?

(indem er ihn wieder einſteckt, bey Seite)

Wenn er ihn doch genauer be - ſehen wollte!

v. Tellheim.

Sie drang mir ihn auf, mit einer Bitterkeit Jch habe dieſe Bitterkeit ſchon vergeßen. Ein volles Herz kann die Worte nicht waͤgen. Aber ſie wird ſich auch keinen Augen - blick weigern, den Ring wieder anzunehmen. Und habe ich nicht noch ihren?

Franciska.

Den erwartet ſie dafuͤr zuruͤck. Wo haben Sie ihn denn, Herr Major? Zeigen Sie mir ihn doch.

v. Tellheim.
(etwas verlegen)

Jch habe ihn anzuſtecken vergeßen. Juſt Juſt wird mir ihn gleich nachbringen.

Fran -158Minna von Barnhelm,
Franciska.

Es iſt wohl einer ziemlich wie der andere; laſſen Sie mich doch dieſen ſehen; ich ſehe ſo was gar zu gern.

v. Tellheim.

Ein andermal, Franciska. Jetzt komm

Franciska.
(bey Seite)

Er will ſich durchaus nicht aus ſeinem Jrrthume bringen laſſen.

v. Tellheim.

Was ſagſt du? Jrrthume?

Franciska.

Es iſt ein Jrrthum, ſag ich, wenn Sie meynen, daß das Fraͤulein doch noch eine gute Partie ſey. Jhr eigenes Vermoͤgen iſt gar nicht betraͤchtlich; durch ein wenig eigennuͤtzige Rech - nungen, koͤnnen es ihr die Vormuͤnder voͤllig zu Waſſer machen. Sie erwartete alles von dem Oheim; aber dieſer grauſame Oheim

v. Tellheim.

Laß ihn doch! Bin ich nicht Manns genug, ihr einmal alles zu erſetzen?

Franciska.

Hoͤren Sie? Sie klingelt; ich muß herein.

v. Tellheim.

Jch gehe mit dir.

Franciska.

Um des Himmels willen nicht! Sie hat mir ausdruͤcklich verbothen, mit Jhnenzu159oder das Soldatengluͤck. zu ſprechen. Kommen Sie wenigſtens mir erſt nach.

(geht herein)

Vierter Auftritt.

v. Tellheim.
(ihr nachruffend)

Melde mich ihr! Sprich fuͤr mich, Franciska! Jch folge dir ſogleich! Was werde ich ihr ſagen? Wo das Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung. Das einzige moͤchte eine ſtudierte Wendung beduͤrfen: ihre Zuruͤckhaltung, ihre Bedenklichkeit, ſich als ungluͤcklich in meine Arme zu werffen; ihre Be - fliſſenheit, mir ein Gluͤck vorzuſpiegeln, das ſie durch mich verloren hat. Dieſes Mißtrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Werth, vor ihr ſelbſt zu entſchuldigen, vor ihr ſelbſt Vor mir iſt es ſchon entſchuldiget! Ha! hier koͤmmt ſie.

Fuͤnfter Auftritt.

Das Fraͤulein. Franciska. v. Tellheim.
Das Fraͤulein.
(im Heraustreten, als ob ſie den Major nicht gewahr wuͤrde)

Der Wagen iſt dochvor160Minna von Barnhelm,vor der Thuͤre, Franciska? Meinen Faͤ - cher!

v. Tellheim.
(auf ſie zu)

Wohin, mein Fraͤulein?

Das Fraͤulein.
(mit einer affektirten Kaͤlte)

Aus, Herr Major. Jch errathe, warum Sie Sich nochmals her bemuͤhet haben: mir auch meinen Ring wieder zuruͤck zu geben. Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Guͤte, ihn der Fran - ciska einzuhaͤndigen. Franciska, nimm dem Herrn Major den Ring ab! Jch habe keine Zeit zu verlieren.

(will fort)
v. Tellheim.
(der ihr vortritt)

Mein Fraͤu - lein! Ah, was habe ich erfahren, mein Fraͤu - lein! Jch war ſo vieler Liebe nicht werth.

Das Fraͤulein.

So, Franciska? Du haſt dem Herrn Major

Franciska.

Alles entdeckt.

v. Tellheim.

Zuͤrnen Sie nicht auf mich, mein Fraͤulein. Jch bin kein Verraͤther. Sie haben um mich in den Augen der Welt viel ver - loren, aber nicht in meinen. Jn meinen Augen haben Sie unendlich durch dieſen Verluſt gewon -nen.161oder das Soldatengluͤck. nen. Er war Jhnen noch zu neu; Sie fuͤrchte - ten, er moͤchte einen allzunachtheiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors erſte verbergen. Jch beſchwere mich nicht uͤber dieſes Mißtrauen. Es entſprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieſes Verlangen iſt mein Stolz! Sie fanden mich ſelbſt ungluͤcklich; und Sie wollten Ungluͤck nicht mit Ungluͤck haͤuffen. Sie konnten nicht vermuthen, wie ſehr mich Jhr Ungluͤck uͤber das meinige hinaus ſetzen wuͤrde.

Das Fraͤulein.

Alles recht gut, Herr Major! Aber es iſt nun einmal geſchehen. Jch habe Sie Jhrer Verbindlichkeit erlaſſen; Sie haben durch Zuruͤcknehmung des Ringes

v. Tellheim.

Jn nichts gewilliget! Viel - mehr halte ich mich ietzt fuͤr gebundener, als je - mals. Sie ſind die Meinige, Minna, auf ewig die Meinige.

(zieht den Ring heraus)

Hier, empfangen Sie es zum zweytenmale, das Un - terpfand meiner Treue

Das Fraͤulein.

Jch dieſen Ring wiederneh - men? dieſen Ring?

v. Tellheim.

Ja, liebſte Minna, ja!

LDas162Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Was muthen Sie mir zu? dieſen Ring?

v. Tellheim.

Dieſen Ring nahmen Sie das erſtemal aus meiner Hand, als unſer beider Um - ſtaͤnde einander gleich, und gluͤcklich waren. Sie ſind nicht mehr gluͤcklich, aber wiederum einan - der gleich. Gleichheit iſt immer das feſteſte Band der Liebe. Erlauben Sie, liebſte Minna!

(ergreift ihre Hand, um ihr den Ring anzuſtecken)
Das Fraͤulein.

Wie? mit Gewalt, Herr Major? Nein, da iſt keine Gewalt in der Welt, die mich zwingen ſoll, dieſen Ring wieder anzunehmen! Meynen Sie etwa, daß es mir an einem Ringe fehlt? O, Sie ſehen ja wohl,

(auf ihren Ring zeigend)

daß ich hier noch ei - nen habe, der Jhrem nicht das geringſte nach - giebt?

Franciska.

Wenn er es noch nicht merckt!

v. Tellheim.
(indem er die Hand des Fraͤuleins fahren laͤßt)

Was iſt das? Jch ſehe das Fraͤu - lein von Barnhelm, aber ich hoͤre es nicht. Sie zieren Sich, mein Fraͤulein. Vergeben Sie, daß ich Jhnen dieſes Wort nachbrauche.

Das163oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.
(in ihrem wahren Tone)

Hat Sie dieſes Wort beleidiget, Herr Major?

v. Tellheim.

Es hat mir weh gethan.

Das Fraͤulein.
(geruͤhrt)

Das ſollte es nicht, Tellheim. Verzeihen Sie mir, Tellheim.

v. Tellheim.

Ha, dieſer vertrauliche Ton ſagt mir, daß Sie wieder zu Sich kommen, mein Fraͤulein; daß Sie mich noch lieben, Minna.

Franciska.
(herausplatzend)

Bald waͤre der Spaß auch zu weit gegangen.

Das Fraͤulein.
(gebiehteriſch)

Ohne dich in in unſer Spiel zu mengen, Franciska, wenn ich bitten darf!

Franciska.
(bey Seite und betroffen)

Noch nicht genug?

Das Fraͤulein.

Ja, mein Herr; es waͤre weibliche Eitelkeit, mich kalt und hoͤhniſch zu ſtellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich eben ſo wahrhaft zu finden, als Sie ſelbſt ſind. Jch liebe Sie noch, Tell - heim, ich liebe Sie noch; aber dem ohnge - achtet

L 2v. Tell -164Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Nicht weiter, liebſte Minna, nicht weiter!

(ergreift ihre Hand nochmals, ihr den Ring anzuſtecken)
Das Fraͤulein.
(die ihre Hand zuruͤck zieht)

Dem ohngeachtet, um ſo vielmehr werde ich dieſes nimmermehr geſchehen laſſen; nimmermehr! Wo denken Sie hin, Herr Major? Jch meynte, Sie haͤtten an Jhrem eigenen Ungluͤcke genug. Sie muͤſſen hier bleiben; Sie muͤſſen Sich die allervollſtaͤndigſte Genugthuung er - trotzen. Jch weiß in der Geſchwindigkeit kein an - der Wort. Ertrotzen, und ſollte Sie auch das aͤuſſerſte Elend, vor den Augen Jhrer Ver - leumder, daruͤber verzehren!

v. Tellheim.

So dacht ich, ſo ſprach ich, als ich nicht wußte, was ich dachte und ſprach. Aergerniß und verbißene Wuth hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe ſelbſt, in dem volleſten Glanze des Gluͤckes, konnte ſich darinn nicht Tag ſchaffen. Aber ſie ſendet ihre Tochter, das Mit - leid, die, mit dem finſtern Schmerze vertrauter, die Nebel zerſtreuet, und alle Zugaͤnge meiner Seele den Eindruͤcken der Zaͤrtlichkeit wiederumoͤfnet.165oder das Soldatengluͤck. oͤfnet. Der Trieb der Selbſterhaltung erwacht, da ich etwas Koſtbarers zu erhalten habe, als mich, und es durch mich zu erhalten habe. Laſſen Sie Sich, mein Fraͤulein, das Wort Mittleid nicht beleidigen. Von der unſchuldigen Urſache unſers Ungluͤcks, koͤnnen wir es ohne Erniedrigung hoͤren. Jch bin dieſe Urſache; durch mich, Minna, ver - lieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermoͤgen und Vaterland. Durch mich, in mir muͤſſen Sie alles dieſes wiederfinden, oder ich habe das Ver - derben der Liebenswuͤrdigſten Jhres Geſchlechts auf meiner Seele. Laſſen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich ſelbſt haſſen muͤßte. Nein, nichts ſoll mich hier laͤnger halten. Von dieſem Augenblicke an, will ich dem Unrechte, das mir hier wiederfaͤhrt, nichts als Verachtung entgegen ſetzen. Jſt dieſes Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienſte wird man mir verwei - gern? Und muͤßte ich ſie unter dem entfernteſten Himmel ſuchen: folgen Sie mir nur getroſt, liebſte Minna; es ſoll uns an nichts fehlen. Jch habe einen Freund, der mich gern unterſtuͤtzet.

L 3Sech -166Minna von Barnhelm,

Sechſter Auftritt.

Ein Feldjaͤger. v. Tellheim. Das Fraͤulein. Franciska.
Franciska.
(indem ſie den Feldjaͤger gewahr wird)

St! Herr Major

v. Tellheim.
(gegen den Feldjaͤger)

Zu wem wollen Sie?

Der Feldjaͤger.

Jch ſuche den Herrn Major von Tellheim. Ah, Sie ſind es ja ſelbſt. Mein Herr Major, dieſes Koͤnigliche Handſchrei - ben

(das er aus ſeiner Brieftaſche nimmt)

habe ich an Sie zu uͤbergeben.

v. Tellheim.

An mich?

Der Feldjaͤger.

Zufolge der Aufſchrift

Das Fraͤulein.

Franciska, hoͤrſt du? Der Chevalier hat doch wahr geredet!

Der Feldjaͤger.
(indem Tellheim den Brief nimmt)

Jch bitte um Verzeihung, Herr Major; Sie haͤtten es bereits geſtern erhalten ſollen; aber es iſt mir nicht moͤglich geweſen, Sie auszufragen. Erſt heute, auf der Parade, habe ich Jhre Woh - nung von dem Lieutenant Riccaut erfahren.

Fran -167oder das Soldatengluͤck.
Franciska.

Gnaͤdiges Fraͤulein, hoͤren Sie? Das iſt des Chevaliers Miniſter. Wie heiſſen der Miniſter, da draus, auf die breite Platz?

v. Tellheim.

Jch bin Jhnen fuͤr Jhre Muͤhe ſehr verbunden.

Der Feldjaͤger.

Es iſt meine Schuldigkeit Herr Major.

(geht ab)

Siebender Auftritt.

v. Tellheim. Das Fraͤulein. Franciska.
v. Tellheim.

Ah, mein Fraͤulein, was habe ich hier? Was enthaͤlt dieſes Schreiben?

Das Fraͤulein.

Jch bin nicht befugt, meine Neugierde ſo weit zu erſtrecken.

v. Tellheim.

Wie? Sie trennen mein Schick - ſal noch von dem Jhrigen? Aber warum ſteh ich an, es zu erbrechen? Es kann mich nicht ungluͤcklicher machen, als ich bin; nein, liebſte Minna, es kann uns nicht ungluͤcklicher machen; wohl aber gluͤcklicher! Erlauben Sie, mein Fraͤulein!

(erbricht und lieſet den Brief, indeß daß der Wirth an die Scene geſchlichen koͤmmt)
L 4Achter168Minna von Barnhelm,

Achter Auftritt.

Der Wirth. Die Vorigen.
Der Wirth.
(gegen die Franciska)

Bſt! mein ſchoͤnes Kind! auf ein Wort!

Franciska.
(die ſich ihm naͤhert)

Herr Wirth? Gewiß, wir wiſſen ſelbſt noch nicht, was in dem Briefe ſteht.

Der Wirth.

Wer will vom Briefe wiſſen? Jch komme des Ringes wegen. Das gnaͤdige Fraͤulein muß mir ihn gleich wiedergeben. Juſt iſt da, er ſoll ihn wieder einloͤſen.

Das Fraͤulein.
(die ſich indeß gleichfalls dem Wirthe genaͤhert)

Sagen Sie Juſten nur, daß er ſchon einge - loͤſet ſey; und ſagen Sie ihm nur von wem; von mir.

Der Wirth.

Aber

Das Fraͤulein.

Jch nehme alles auf mich; gehen Sie doch!

(der Wirth geht ab)

Neunter Auftritt.

v. Tellheim. Das Fraͤulein. Franciska.
Franciska.

Und nun, gnaͤdiges Fraͤulein, laſſen Sie es mit dem armen Major gut ſeyn.

Das169oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

O, uͤber die Vorbitterinn! Als ob der Knoten ſich nicht von ſelbſt bald loͤſen muͤßte.

v. Tellheim.
(nachdem er geleſen, mit der lebhaf - teſten Ruͤhrung)

Ha! er hat ſich auch hier nicht verleugnet! O, mein Fraͤulein, welche Ge - rechtigkeit! Welche Gnade! Das iſt mehr, als ich erwartet! Mehr, als ich verdiene! Mein Gluͤck, meine Ehre, alles iſt wiederher - geſtellt! Jch traͤume doch nicht?

(indem er wie - der in den Brief ſieht, als um ſich nochmals zu uͤberzeugen)

Nein, kein Blendwerk meiner Wuͤnſche! Leſen Sie ſelbſt, mein Fraͤulein; leſen Sie ſelbſt.

Das Fraͤulein.

Jch bin nicht ſo unbeſcheiden, Herr Major.

v. Tellheim.

Unbeſcheiden? Der Brief iſt an mich; an ihren Tellheim, Minna. Er ent - haͤlt, was Jhnen Jhr Oheim nicht nehmen kann. Sie muͤſſen ihn leſen; leſen Sie doch!

Das Fraͤulein.

Wenn Jhnen ein Gefalle damit geſchieht, Herr Major

(ſie nimmt den Brief und lieſet)

Mein lieber Major von Tellheim!

Jch thue Euch zu wiſſen, daß der Handel, der mich um Eure Ehre beſorgtL 5 machte,170Minna von Barnhelm, machte, ſich zu Eurem Vortheil aufgeklaͤret hat. Mein Bruder war des naͤhern da - von unterrichtet, und ſein Zeugniß hat Euch fuͤr mehr als unſchuldig erklaͤret. Die Hofſtaatskaſſe hat Ordre, Euch den bewuß - ten Wechſel wieder auszuliefern, und die gethanen Vorſchuͤße zu bezahlen; auch habe ich befohlen, daß alles, was die Feldkriegs - kaſſen wider Eure Rechnungen urgiren, niedergeſchlagen werde. Meldet mir, ob Euch Eure Geſundheit erlaubet, wieder Dienſte zu nehmen. Jch moͤchte nicht gern einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Jch bin Euer wohlaffektionirter Koͤnig ꝛc.

v. Tellheim.

Nun, was ſagen Sie hierzu, mein Fraͤulein?

Das Fraͤulein.
(indem ſie den Brief wieder zu - ſammenſchlaͤgt, und zuruͤckgiebt)

Jch? nichts.

v. Tellheim.

Nichts?

Das Fraͤulein.

Doch ja: daß Jhr Koͤnig, der ein großer Mann iſt, auch wohl ein guterMann171oder das Soldatengluͤck. Mann ſeyn mag. Aber was geht mich das an? Er iſt nicht mein Koͤnig.

v. Tellheim.

Und ſonſt ſagen Sie nichts? Nichts von Ruͤckſicht auf uns ſelbſt?

Das Fraͤulein.

Sie treten wieder in ſeine Dienſte; der Herr Major wird Oberſtlieutenant, Oberſter vielleicht. Jch gratuliere von Herzen.

v. Tellheim.

Und Sie kennen mich nicht beſſer? Nein, da mir das Gluͤck ſoviel zuruͤck - giebt, als genug iſt, die Wuͤnſche eines vernuͤnfti - gen Mannes zu befriedigen, ſoll es einzig von meiner Minna ab hangen, ob ich ſonſt noch jeman - den wieder zugehoͤren ſoll, als ihr. Jhrem Dien - ſte allein ſey mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienſte der Großen ſind gefaͤhrlich, und lohnen der Muͤhe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die ſie koſten. Minna iſt keine von den Eiteln, die in ihren Maͤnnern nichts als den Titel und die Ehrenſtelle lieben. Sie wird mich um mich ſelbſt lieben; und ich werde um ſie die ganze Welt vergeſſen. Jch ward Soldat, aus Partheylichkeit ich weiß ſelbſt nicht fuͤr welche politiſche Grundſaͤtze, und aus der Grille, daß es fuͤr jeden ehrlichenMann172Minna von Barnhelm,Mann gut ſey, ſich in dieſem Stande eine Zeit lang zu verſuchen, um ſich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen, und Kaͤlte und Ent - ſchloſſenheit zu lernen. Nur die aͤußerſte Noth haͤtte mich zwingen koͤnnen, aus dieſem Verſuche eine Beſtimmung, aus dieſer gelegentlichen Be - ſchaͤftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun - da mich nichts mehr zwingt, nun iſt mein ganzer Ehrgeitz wiederum einzig und allein, ein ruhiger und zufriedener Menſch zu ſeyn. Der werde ich mit Jhnen, liebſte Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Jhrer Geſellſchaft unveraͤnderlich bleiben. Morgen verbinde uns das heiligſte Band; und ſodann wollen wir um uns ſehen, und wollen in der ganzen weiten bewohnten Welt den ſtillſten, heiterſten, lachendſten Winkel ſuchen, dem zum Paradieſe nichts fehlt, als ein gluͤck - liches Paar. Da wollen wir wohnen; da ſoll jeder unſrer Tage Was iſt Jhnen, mein Fraͤulein?

(die ſich unruhig hin und herwendet, und ihre Ruͤhrung zu verbergen ſucht)
Das Fraͤulein.
(ſich faßend)

Sie ſind ſehr grau - ſam, Tellheim, mir ein Gluͤck ſo reitzend dar -zu -173oder das Soldatengluͤck. zuſtellen, dem ich entſagen muß. Mein Ver - luſt

v. Tellheim.

Jhr Verluſt? Was nennen Sie Jhren Verluſt? Alles, was Minna verlieren konnte, iſt nicht Minna. Sie ſind noch das ſuͤſſeſte, lieblichſte, holdſeligſte, beſte Geſchoͤpf un - ter der Sonne; ganz Guͤte und Großmuth, ganz Unſchuld und Freude! Dann und wann ein kleiner Muthwille; hier und da ein wenig Eigenſinn Deſto beßer! deſto beßer! Minna waͤre ſonſt ein En - gel, den ich mit Schaudern verehren muͤßte, den ich nicht lieben koͤnnte.

(ergreift ihre Hand, ſie zu kuͤßen)
Das Fraͤulein.
(die ihre Hand zuruͤck zieht)

Nicht ſo, mein Herr! Wie auf einmal ſo veraͤndert? Jſt dieſer ſchmeichelnde, ſtuͤrmiſche Liebhaber der kalte Tellheim? Konnte nur ſein wieder - kehrendes Gluͤck ihn in dieſes Feuer ſetzen? Er erlaube mir, daß ich, bey ſeiner fliegenden Hitze, fuͤr uns beide Ueberlegung behalte Als er ſelbſt uͤberlegen konnte, hoͤrte ich ihn ſagen; es ſey eine nichtswuͤrdige Liebe, die kein Bedenken trage, ihren Gegenſtand der Verachtung auszuſetzen. Recht; aber ich beſtrebe mich einer eben ſo reinenund174Minna von Barnhelm,und edeln Liebe, als er. Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da ſich ein großer Monarch um ihn bewirbt, ſollte ich zugeben, daß er ſich verliebten Traͤumereyen mit mir uͤberließe? daß der ruhm - volle Krieger in einen taͤndelnden Schaͤfer ausarte? Nein, Herr Major, folgen Sie dem Wink Jhres beſſern Schickſals

v. Tellheim.

Nun wohl! Wenn Jhnen die große Welt reitzender iſt, Minna, wohl! ſo behalte uns die große Welt! Wie klein, wie armſelig iſt dieſe große Welt! Sie kennen ſie nur erſt von ihrer Flitterſeite. Aber gewiß, Minna, Sie werden Es ſey! Bis dahin, wohl! Es ſoll Jhren Vollkommenheiten nicht an Bewund - rern fehlen, und meinem Gluͤcke wird es nicht an Neidern gebrechen.

Das Fraͤulein.

Nein, Tellheim, ſo iſt es nicht gemeynt! Jch weiſe Sie in die große Welt, auf die Bahn der Ehre zuruͤck, ohne Jhnen dahin folgen zu wollen. Dort braucht Tellheim eine unbeſcholtene Gattinn! Ein Saͤchſiſches ver - lauffenes Fraͤulein, das ſich ihm an den Kopf ge - worffen

v. Tell -175oder das Soldatengluͤck.
v. Tellheim.
(auffahrend und wild um ſich ſehend)

Wer darf ſo ſprechen? Ah, Minna, ich er - ſchrecke vor mir ſelbſt, wenn ich mir vorſtelle, daß jemand anders dieſes geſagt haͤtte, als Sie. Meine Wuth gegen ihn wuͤrde ohne Grenzen ſeyn.

Das Fraͤulein.

Nun da! Das eben beſorge ich. Sie wuͤrden nicht die geringſte Spoͤtterey uͤber mich dulden, und doch wuͤrden Sie taͤglich die bitterſten einzunehmen haben. Kurz; hoͤren Sie alſo, Tellheim, was ich feſt beſchloſſen, wo - von mich nichts in der Welt abbringen ſoll

v. Tellheim.

Ehe Sie ausreden, Fraͤulein, ich beſchwoͤre Sie, Minna! uͤberlegen Sie es noch einen Augenblick, daß Sie mir das Ur - theil uͤber Leben und Tod ſprechen!

Das Fraͤulein.

Ohne weitere Ueberlegung! So gewiß ich Jhnen den Ring zuruͤckgegeben, mit welchem Sie mir ehemals Jhre Treue ver - pflichtet, ſo gewiß Sie dieſen nehmlichen Ring zuruͤckgenommen: ſo gewiß ſoll die ungluͤckliche Barnhelm die Gattinn des gluͤcklichern Tellheims nie werden!

v. Tell -176Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Und hiermit brechen Sie den Stab, Fraͤulein?

Das Fraͤulein.

Gleichheit iſt allein das feſte Band der Liebe. Die gluͤckliche Barnhelm wuͤnſchte, nur fuͤr den gluͤcklichen Tellheim zu le - ben. Auch die ungluͤckliche Minna haͤtte ſich end - lich uͤberreden laſſen, das Ungluͤck ihres Freundes durch ſich, es ſey zu vermehren, oder zu lindern Er bemerkte es ja wohl, ehe dieſer Brief ankam, der alle Gleichheit zwiſchen uns wieder aufhebt, wie ſehr zum Schein ich mich nur noch weigerte.

v. Tellheim.

Jſt das wahr, mein Fraͤulein? Jch danke Jhnen, Minna, daß Sie den Stab noch nicht gebrochen. Sie wollen nur den ungluͤcklichen Tellheim? Er iſt zu haben.

(kalt)

Jch empfinde eben, daß es mir unanſtaͤndig iſt, dieſe ſpaͤte Gerechtigkeit anzunehmen; daß es beſſer ſeyn wird, wenn ich das, was man durch einen ſo ſchimpflichen Verdacht entehret hat, gar nicht wiederverlange. Ja; ich will den Brief nicht bekommen haben. Das ſey alles, was ich darauf antworte und thue!

(im Begriffe, ihn zu zerreißen)
Das177oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.
(das ihm in die Haͤnde greift)

Was wollen Sie, Tellheim?

v. Tellheim.

Sie beſitzen.

Das Fraͤulein.

Halten Sie!

v. Tellheim.

Fraͤulein, er iſt unfehlbar zer - riſſen, wenn Sie nicht bald Sich anders erklaͤ - ren. Alsdann wollen wir doch ſehen, was Sie noch wider mich einzuwenden haben!

Das Fraͤulein.

Wie? in dieſem Tone? So ſoll ich, ſo muß ich in meinen eigenen Augen veraͤchtlich werden? Nimmermehr! Es iſt eine nichtswuͤrdige Kreatur, die ſich nicht ſchaͤmet, ihr ganzes Gluͤck der blinden Zaͤrtlichkeit eines Man - nes zu verdanken!

v. Tellheim.

Falſch, grundfalſch!

Das Fraͤulein.

Wollen Sie es wagen, Jhre eigene Rede in meinem Munde zu ſchelten?

v. Tellheim.

Sophiſtinn! So entehrt ſich das ſchwaͤchere Geſchlecht durch alles, was dem ſtaͤrkern nicht anſteht? So ſoll ſich der Mann alles erlauben, was dem Weibe geziemet? Welches beſtimmte die Natur zur Stuͤtze des andern?

MDas178Minna von Barnhelm,
Das Fraͤulein.

Beruhigen Sie Sich, Tell - heim! Jch werde nicht ganz ohne Schutz ſeyn, wenn ich ſchon die Ehre des Jhrigen aus - ſchlagen muß. So viel muß mir immer noch wer - den, als die Noth erfodert. Jch habe mich bey unſerm Geſandten melden laſſen. Er will mich noch heute ſprechen. Hoffentlich wird er ſich mei - ner annehmen. Die Zeit verfließt. Erlauben Sie, Herr Major

v. Tellheim.

Jch werde Sie begleiten, gnaͤ - diges Fraͤulein.

Das Fraͤulein.

Nicht doch, Herr Major; laſſen Sie mich

v. Tellheim.

Eher ſoll Jhr Schatten Sie verlaſſen! Kommen Sie nur, mein Fraͤulein, wohin Sie wollen; zu wem Sie wollen. Ueberall, an Bekannte und Unbekannte, will ich es erzeh - len, in Jhrer Gegenwart des Tages hundertmal erzehlen, welche Bande Sie an mich verknuͤpfen, aus welchem grauſamen Eigenſinne, Sie dieſe Bande trennen wollen

Zehn -179oder das Soldatengluͤck.

Zehnter Auftritt.

Juſt. Die Vorigen.
Juſt.
(mit Ungeſtuͤm)

Herr Major! Herr Major!

v. Tellheim.

Nun?

Juſt.

Kommen Sie doch geſchwind, ge - ſchwind!

v. Tellheim.

Was ſoll ich? Zu mir her! Sprich, was iſts?

Juſt.

Hoͤren Sie nur

(redet ihm heimlich ins Ohr)
Das Fraͤulein.
(indeß bey Seite zur Franciska)

Merkſt du was, Franciska?

Franciska.

O, Sie Unbarmherzige! Jch habe hier geſtanden, wie auf Kohlen!

v. Tellheim.
(zu Juſten)

Was ſagſt du? Das iſt nicht moͤglich! Sie?

(indem er das Fraͤulein wild anblickt)

Sag es laut; ſag es Jhr ins Geſicht! Hoͤren Sie doch, mein Fraͤu - lein!

Juſt.

Der Wirth ſagt, das Fraͤulein von Barnhelm habe den Ring, welchen ich bey ihmM 2ver -180Minna von Barnhelm,verſetzt, zu ſich genommen; ſie habe ihn fuͤr den ihrigen erkannt, und wolle ihn nicht wieder her - ausgeben.

v. Tellheim.

Jſt das wahr, mein Fraͤulein? Nein, das kann nicht wahr ſeyn!

Das Fraͤulein.
(laͤchelnd)

Und warum nicht, Tellheim? Warum kann es nicht wahr ſeyn?

v. Tellheim.
(heftig)

Nun, ſo ſey es wahr! Welch ſchreckliches Licht, das mir auf einmal auf - gegangen! Nun erkenne ich Sie, die Falſche, die Ungetreue!

Das Fraͤulein.
(erſchrocken)

Wer? wer iſt dieſe Ungetreue?

v. Tellheim.

Sie, die ich nicht mehr nen - nen will!

Das Fraͤulein.

Tellheim!

v. Tellheim.

Vergeſſen Sie meinen Namen! Sie kamen hierher, mit mir zu brechen. Es iſt klar! Daß der Zufall ſo gern dem Treuloſen zu Statten koͤmmt! Er fuͤhrte Jhnen Jhren Ring in die Haͤnde. Jhre Argliſt wußte mir den meinigen zuzuſchanzen.

Das181oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Tellheim, was fuͤr Geſpen - ſter ſehen Sie! Faſſen Sie Sich doch, und hoͤren Sie mich.

Franciska.
(vor ſich)

Nun mag Sie es haben!

Eilfter Auftritt.

Werner (mit einem Beutel Gold) v. Tellheim. Das Fraͤulein. Franciska. Juſt.
Werner.

Hier bin ich ſchon, Herr Major

v. Tellheim.
(ohne ihn anzuſehen)

Wer ver - langt dich?

Werner.

Hier iſt Geld; tauſend Piſtolen!

v. Tellheim.

Jch will ſie nicht!

Werner.

Morgen koͤnnen Sie, Herr Major, uͤber noch einmal ſo viel befehlen.

v. Tellheim.

Behalte dein Geld!

Werner.

Es iſt ja Jhr Geld, Herr Major. Jch glaube, Sie ſehen nicht, mit wem Sie ſprechen?

v. Tellheim.

Weg damit! ſag ich.

Werner.

Was fehlt Jhnen? Jch bin Werner.

M 3v. Tell -182Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.

Alle Guͤte iſt Verſtellung; alle Dienſtfertigkeit Betrug.

Werner.

Gilt das mir?

v. Tellheim.

Wie du willſt!

Werner.

Jch habe ja nur Jhren Befehl vollzogen.

v. Tellheim.

So vollziehe auch den, und packe dich!

Werner.

Herr Major!

(aͤrgerlich)

ich bin ein Menſch

v. Tellheim.

Da biſt du was rechts!

Werner.

Der auch Galle hat

v. Tellheim.

Gut! Galle iſt noch das beſte, was wir haben.

Werner.

Jch bitte Sie, Herr Major,

v. Tellheim.

Wie vielmal ſoll ich dir es ſagen? Jch brauche dein Geld nicht!

Werner.
(zornig)

Nun ſo brauch es, wer da will!

(indem er ihm den Beutel vor die Fuͤſſe wirft, und bey Seite geht)
Das Fraͤulein.
(zur Franciska)

Ah, liebe Franciska, ich haͤtte dir folgen ſollen. Jch habeden183oder das Soldatengluͤck. den Scherz zu weit getrieben. Doch er darf mich ja nur hoͤren

(auf ihn zugehend)
Franciska.
(die, ohne dem Fraͤulein zu antworten, ſich Wernern naͤhert)

Herr Wachmeiſter

Werner.
(muͤrriſch)

Geh Sie!

Franciska.

Hu! was ſind das fuͤr Maͤnner!

Das Fraͤulein.

Tellheim! Tellheim!

(der vor Wuth an den Fingern naget, das Geſicht wegwen - det, und nichts hoͤret)

Nein, das iſt zu arg! Hoͤren Sie mich doch! Sie betriegen Sich! Ein bloſes Mißverſtaͤndniß, Tellheim! Sie wollen Jhre Minna nicht hoͤren? Koͤn - nen Sie einen ſolchen Verdacht faſſen? Jch, mit Jhnen brechen wollen? Jch darum her - gekommen? Tellheim!

Zwoͤlfter Auftritt.

Zwey Bediente, nach einander, von verſchiedenen Seiten uͤber den Saal lauffend. Die Vorigen.
Der eine Bediente.

Gnaͤdiges Fraͤulein, Jhro Excellenz, der Graf!

Der andere Bediente.

Er koͤmmt, gnaͤdiges Fraͤulein!

M 4Fran -184Minna von Barnhelm,
Franciska.
(die ans Fenſter gelauffen)

Er iſt es! er iſt es!

Das Fraͤulein.

Jſt ers? O nun geſchwind, Tellheim

v. Tellheim.
(auf einmal zu ſich ſelbſt kommend)

Wer? wer koͤmmt? Jhr Oheim, Fraͤulein? dieſer grauſame Oheim? Laſſen Sie ihn nur kom - men; laſſen Sie ihn nur kommen! Fuͤrchten Sie nichts! Er ſoll Sie mit keinem Blicke be - leidigen duͤrffen! Er hat es mit mir zu thun. Zwar verdienen Sie es um mich nicht

Das Fraͤulein.

Geſchwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergeſſen Sie alles

v. Tellheim.

Ha, wenn ich wuͤßte, daß Sie es bereuen koͤnnten!

Das Fraͤulein.

Nein, ich kann es nicht be - reuen, mir den Anblick Jhres ganzen Herzens verſchaft zu haben! Ah, was ſind Sie fuͤr ein Mann! Umarmen Sie Jhre Minna, ihre gluͤckliche Minna; aber durch nichts gluͤcklicher, als durch Sie!

(ſie faͤllt ihm in die Arme)

Und nun, ihm entgegen!

v. Tellheim.

Wem entgegen?

Das185oder das Soldatengluͤck.
Das Fraͤulein.

Dem beſten Jhrer unbe - kannten Freunde.

v. Tellheim.

Wie?

Das Fraͤulein.

Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Jhrem Vater. Meine Flucht, ſein Unwille, meine Enterbung; hoͤren Sie denn nicht, daß alles erdichtet iſt? Leichtglaͤubiger Ritter!

v. Tellheim.

Erdichtet? Aber der Ring? der Ring?

Das Fraͤulein.

Wo haben Sie den Ring, den ich Jhnen zuruͤckgegeben?

v. Tellheim.

Sie nehmen ihn wieder? O, ſo bin ich gluͤcklich! Hier Minna!

(ihn herausziehend)
Das Fraͤulein.

So beſehen Sie ihn doch erſt! O uͤber die Blinden, die nicht ſehen wol - len! Welcher Ring iſt es denn? Den ich von Jhnen habe, oder den Sie von mir? Jſt es denn nicht eben der, den ich in den Haͤnden des Wirths nicht laſſen wollen?

v. Tellheim.

Gott! was ſeh ich? was hoͤr ich?

Das Fraͤulein.

Soll ich ihn nun wieder neh - men? ſoll ich? Geben Sie her, geben SieM 5her!186Minna von Barnhelm,her!

(reißt ihm ihn aus der Hand, und ſteckt ihm ihn ſelbſt an den Finger)

Nun? iſt alles richtig?

v. Tellheim.

Wo bin ich?

(ihre Hand kuͤſſend)

O boshafter Engel! mich ſo zu quaͤlen!

Das Fraͤulein.

Dieſes zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich ſpielen ſollen, ohne daß ich Jhnen nicht gleich darauf wieder einen ſpiele. Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequaͤlet hatten?

v. Tellheim.

O Komoͤdiantinnen, ich haͤtte euch doch kennen ſollen!

Franciska.

Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komoͤdiantinn verdorben. Jch habe gezittert und gebebt, und mir mit der Hand das Maul zu - halten muͤſſen.

Das Fraͤulein.

Leicht iſt mir meine Rolle auch nicht geworden. Aber ſo kommen Sie doch!

v. Tellheim.

Noch kann ich mich nicht erholen. Wie wohl, wie aͤngſtlich iſt mir! So erwacht man ploͤtzlich aus einem ſchreckhaften Traume!

Das Fraͤulein.

Wir zaudern. Jch hoͤre ihn ſchon.

Drey -187oder das Soldatengluͤck.

Dreyzehnter Auftritt.

Der Graf v. Bruchſall, von verſchiedenen Be - dienten und dem Wirthe begleitet. Die Vorigen.
Der Graf.
(im hereintreten)

Sie iſt doch gluͤck - lich angelangt?

Das Fraͤulein.
(die ihm entgegen ſpringt)

Ah, mein Vater!

Der Graf.

Da bin ich, liebe Minna!

(ſie um - armend)

Aber was, Maͤdchen?

(indem er den Tell - heim gewahr wird)

Vier und zwanzig Stunden erſt hier, und ſchon Bekanntſchaft, und ſchon Geſell - ſchaft?

Das Fraͤulein.

Rathen Sie, wer es iſt?

Der Graf.

Doch nicht dein Tellheim?

Das Fraͤulein.

Wer ſonſt, als er? Kom - men Sie, Tellheim!

(ihn dem Grafen zufuͤhrend)
Der Graf.

Mein Herr, wir haben uns nie geſehen. Aber bey dem erſten Anblicke glaubte ich, Sie zu erkennen. Jch wuͤnſchte, daß Sie es ſeyn moͤchten! Umarmen Sie mich. Sie haben meine voͤllige Hochachtung. Jch bitte umJhre188Minna von Barnhelm,Jhre Freundſchaft. Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie

Das Fraͤulein.

Das wiſſen Sie, mein Vater! Und iſt ſie blind, meine Liebe?

Der Graf.

Nein, Minna; deine Liebe iſt nicht blind; aber dein Liebhaber iſt ſtumm.

v. Tellheim.
(ſich ihm in die Arme werffend)

Laſſen Sie mich zu mir ſelbſt kommen, mein Vater!

Der Graf.

So recht, mein Sohn! Jch hoͤre es; wenn Dein Mund nicht plaudern kann, ſo kann Dein Herz doch reden. Jch bin ſonſt den Officieren von dieſer Farbe,

(auf Tellheims Uniform weiſend)

eben nicht gut. Doch Sie ſind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag ſtecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben.

Das Fraͤulein.

O, wenn Sie alles wuͤß - ten!

Der Graf.

Was hinderts, daß ich nicht alles erfahre? Wo ſind meine Zimmer, Herr Wirth?

Der Wirth.

Wollen Jhro Excellenz nur die Gnade haben, hier herein zu treten.

Der189oder das Soldatengluͤck.
Der Graf.

Komm Minna! Kommen Sie, Herr Major!

(geht mit dem Wirthe und den Bedien - ten ab)
Das Fraͤulein.

Kommen Sie, Tellheim!

v. Tellheim.

Jch folge Jhnen den Augen - blick, mein Fraͤulein. Nur noch ein Wort mit dieſem Manne!

(gegen Wernern ſich wendend)
Das Fraͤulein.

Und ja ein recht gutes; mich duͤnkt, Sie haben es noͤthig. Franeiska, nicht wahr?

(dem Grafen nach)

Vierzehnter Auftritt.

v. Tellheim. Werner. Juſt. Franciska.
v. Tellheim.
(auf den Beutel weiſend, den Wer - ner weggeworffen)

Hier, Juſt! hebe den Beutel auf, und trage ihn nach Hauſe. Geh!

(Juſt damit ab)
Werner.
(der noch immer muͤrriſch im Winkel ge ſtanden, und an nichts Theil zu nehmen geſchienen; indem er das hoͤrt)

Ja, nun!

v. Tell -190Minna von Barnhelm,
v. Tellheim.
(vertraulich, auf ihn zugehend)

Wer - ner, wenn kann ich die andern tauſend Piſtolen haben?

Werner.
(auf einmal wieder in ſeiner guten Laune)

Morgen, Herr Major, morgen.

v. Tellheim.

Jch brauche dein Schuldner nicht zu werden; aber ich will dein Rentmeiſter ſeyn. Euch gutherzigen Leuten ſollte man allen einen Vormund ſetzen. Jhr ſeyd eine Art Ver - ſchwender. Jch habe dich vorhin erzuͤrnt, Werner!

Werner.

Bey meiner armen Seele, ja! Jch haͤtte aber doch ſo ein Toͤlpel nicht ſeyn ſollen. Nun ſeh ichs wohl. Jch verdiente hun - dert Fuchtel. Laſſen Sie mir ſie auch ſchon ge - ben; nur weiter keinen Groll, lieber Major!

v. Tellheim.

Groll?

(ihm die Hand druͤckend)

Lies es in meinen Augen, was ich dir nicht alles ſagen kann. Ha, wer ein beſſeres Maͤdchen, und einen redlichern Freund hat, als ich, den will ich ſehen! Franciska, nicht wahr?

(geht ab)
Funf -191oder das Soldatengluͤck.

Funfzehnter Auftritt.

Werner. Franciska.
Franciska.
(vor ſich)

Ja gewiß, es iſt ein gar zu guter Mann! So einer koͤmmt mir nicht wieder vor. Es muß heraus!

(ſchuͤchtern und verſchaͤmt ſich Wernern naͤhernd)

Herr Wachmeiſter

Werner.
(der ſich die Augen wiſcht)

Nu?

Franciska.

Herr Wachmeiſter

Werner.

Was will Sie denn, Frauen - zimmerchen?

Franciska.

Seh er mich einmal an, Herr Wachmeiſter.

Werner.

Jch kann noch nicht; ich weiß nicht, was mir in die Augen gekommen.

Franciska.

So ſeh Er mich doch an!

Werner.

Jch fuͤrchte, ich habe Sie ſchon zu viel angeſehen, Frauenzimmerchen! Nun, da ſeh ich Sie ja! Was giebts denn?

Franciska.

Herr Wachmeiſter, braucht Er keine Frau Wachmeiſterinn?

Werner.

Jſt das Jhr Ernſt, Frauenzim - merchen?

Fran -192Minna von Barnhelm, oder ꝛc.
Franciska.

Mein voͤlliger!

Werner.

Zoͤge Sie wohl auch mit nach Perſien?

Franciska.

Wohin Er will!

Werner.

Gewiß? Holla, Herr Major! nicht groß gethan! Nun habe ich wenigſtens ein eben ſo gutes Maͤdchen, und einen eben ſo redlichen Freund, als Sie! Geb Sie mir Jhre Hand, Frauenzimmerchen! Topp! Ueber zehn Jahr iſt Sie Frau Generalinn, oder Wittwe!

Ende der Minna von Barnhelm, oder des Soldatengluͤcks.

[193][194][195][196]

About this transcription

TextMinna von Barnhelm, oder das Soldatenglück
Author Gotthold Ephraim Lessing
Extent200 images; 26410 tokens; 4317 types; 176912 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationMinna von Barnhelm, oder das Soldatenglück Ein Lustspiel in fünf Aufzügen Gotthold Ephraim Lessing. . 192 S. VoßBerlin1767.

Identification

HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 4504

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:40Z
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Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 4504
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