Es wird ſich leicht errathen laſſen, daß die neue Verwaltung des hieſigen Theaters die Veranlaſſung des gegenwaͤrtigen Blattes iſt.
Der Endzweck deſſelben ſoll den guten Abſich - ten entſprechen, welche man den Maͤnnern, die ſich dieſer Verwaltung unterziehen wollen, nicht anders als beymeſſen kann. Sie haben ſich ſelbſt hinlaͤnglich daruͤber erklaͤrt, und ihre Aeuſſerun - gen ſind, ſowohl hier, als auswaͤrts, von dem feinern Theile des Publikums mit dem Beyfalle aufgenommen worden, den jede freywillige Be - foͤrderung des allgemeinen Beſten verdienet, und zu unſern Zeiten ſich verſprechen darf.
*Frey -Freylich giebt es immer und uͤberall Leute, die, weil ſie ſich ſelbſt am beſten kennen, bey jedem guten Unternehmen nichts als Nebenabſichten erblicken. Man koͤnnte ihnen dieſe Beruhigung ihrer ſelbſt gern goͤnnen; aber, wenn die ver - meinten Nebenabſichten ſie wider die Sache ſelbſt auf bringen; wenn ihr haͤmiſcher Neid, um jene zu vereiteln, auch dieſe ſcheitern zu laſſen, be - muͤht iſt: ſo muͤſſen ſie wiſſen, daß ſie die ver - achtungswuͤrdigſten Glieder der menſchlichen Geſellſchaft ſind.
Gluͤcklich der Ort, wo dieſe Elenden den Ton nicht angeben; wo die groͤßere Anzahl wohlge - ſinnter Buͤrger ſie in den Schranken der Ehr - erbietung haͤlt, und nicht verſtattet, daß das Beſſere des Ganzen ein Raub ihrer Kabalen, und patriotiſche Abſichten ein Vorwurf ihres ſpoͤttiſchen Aberwitzes werden!
So gluͤcklich ſey Hamburg in allem, woran ſeinem Wohlſtande und ſeiner Freyheit gelegen: denn es verdienet, ſo gluͤcklich zu ſeyn!
Als Schlegel, zur Aufnahme des daͤniſchen Theaters, — (ein deutſcher Dichter des daͤniſchenThea -Theaters!) — Vorſchlaͤge that, von welchen es Deutſchland noch lange zum Vorwurfe gereichen wird, daß ihm keine Gelegenheit gemacht wor - den, ſie zur Aufnahme des unſrigen zu thun: war dieſes der erſte und vornehmſte, 〟daß man 〟den Schauſpielern ſelbſt die Sorge nicht uͤber - 〟laſſen muͤſſe, fuͤr ihren Verluſt und Gewinnſt 〟zu arbeiten. 〟 (*)Werke, dritter Theil, S. 252.Die Principalſchaft unter ihnen hat eine freye Kunſt zu einem Handwerke herabgeſetzt, welches der Meiſter mehrentheils deſto nachlaͤßiger und eigennuͤtziger treiben laͤßt, je gewiſſere Kunden, je mehrere Abnaͤhmer, ihm Nothdurft oder Luxus verſprechen.
Wenn hier alſo bis itzt auch weiter noch nichts geſchehen waͤre, als daß eine Geſellſchaft von Freunden der Buͤhne Hand an das Werk ge - legt, und nach einem gemeinnuͤtzigen Plane arbeiten zu laſſen, ſich verbunden haͤtte: ſo waͤre dennoch, blos dadurch, ſchon viel gewonnen. Denn aus dieſer erſten Veraͤnderung koͤnnen, auch bey einer nur maͤßigen Beguͤnſtigung des Publikums, leicht und geſchwind alle andere* 2Ver -Verbeſſerungen erwachſen, deren unſer Theater bedarf.
An Fleiß und Koſten wird ſicherlich nichts geſparet werden: ob es an Geſchmack und Ein - ſicht fehlen duͤrfte, muß die Zeit lehren. Und hat es nicht das Publikum in ſeiner Gewalt, was es hierinn mangelhaft finden ſollte, abſtellen und verbeſſern zu laſſen? Es komme nur, und ſehe und hoͤre, und pruͤfe und richte. Seine Stimme ſoll nie geringſchaͤtzig verhoͤret, ſein Urtheil ſoll nie ohne Unterwerfung vernommen werden!
Nur daß ſich nicht jeder kleine Kritikaſter fuͤr das Publikum halte, und derjenige, deſſen Er - wartungen getaͤuſcht werden, auch ein wenig mit ſich ſelbſt zu Rathe gehe, von welcher Art ſeine Erwartungen geweſen. Nicht jeder Lieb - haber iſt Kenner; nicht jeder, der die Schoͤn - heiten Eines Stuͤcks, das richtige Spiel Eines Acteurs empfindet, kann darum auch den Werth aller andern ſchaͤtzen. Man hat keinen Ge - ſchmack, wenn man nur einen einſeitigen Ge - ſchmack hat; aber oft iſt man deſto partheyiſcher. DerDer wahre Geſchmack iſt der allgemeine, der ſich uͤber Schoͤnheiten von jeder Art verbreitet, aber von keiner mehr Vergnuͤgen und Ent - zuͤcken erwartet, als ſie nach ihrer Art gewaͤhren kann.
Der Stuffen ſind viel, die eine werdende Buͤhne bis zum Gipfel der Vollkommenheit zu durchſteigen hat; aber eine verderbte Buͤhne iſt von dieſer Hoͤhe, natuͤrlicher Weiſe, noch weiter entfernt: und ich fuͤrchte ſehr, daß die deutſche mehr dieſes als jenes iſt.
Alles kann folglich nicht auf einmal geſchehen. Doch was man nicht wachſen ſieht, findet man nach einiger Zeit gewachſen. Der Langſamſte, der ſein Ziel nur nicht aus den Augen verlieret, geht noch immer geſchwinder, als der ohne Ziel herum irret.
Dieſe Dramaturgie ſoll ein kritiſches Regiſter von allen aufzufuͤhrenden Stuͤcken halten, und jeden Schritt begleiten, den die Kunſt, ſowohl des Dichters, als des Schauſpielers, hier thun wird. Die Wahl der Stuͤcke iſt keine Kleinig - keit: aber Wahl ſetzt Menge voraus; und wenn* 3nichtnicht immer Meiſterſtuͤcke aufgefuͤhret werden ſollten, ſo ſieht man wohl, woran die Schuld liegt. Indeß iſt es gut, wenn das Mittelmaͤßige fuͤr nichts mehr ausgegeben wird, als es iſt; und der unbefriedigte Zuſchauer wenigſtens daran urtheilen lernt. Einem Menſchen von geſundem Verſtande, wenn man ihm Geſchmack beybringen will, braucht man es nur aus einan - der zu ſetzen, warum ihm etwas nicht gefallen hat. Gewiſſe mittelmaͤßige Stuͤcke muͤſſen auch ſchon darum beybehalten werden, weil ſie gewiſſe vorzuͤgliche Rollen haben, in welchen der oder jener Acteur ſeine ganze Staͤrke zeigen kann. So verwirft man nicht gleich eine muſikaliſche Kompoſition, weil der Text dazu elend iſt.
Die groͤßte Feinheit eines dramatiſchen Rich - ters zeiget ſich darinn, wenn er in jedem Falle des Vergnuͤgens und Mißvergnuͤgens, unfehlbar zu unterſcheiden weiß, was und wie viel davon auf die Rechnung des Dichters, oder des Schau - ſpielers, zu ſetzen ſey. Den einen um etwas tadeln, was der andere verſehen hat, heißt beyde verderben. Jenem wird der Muth benommen, und dieſer wird ſicher gemacht.
Be -Beſonders darf es der Schauſpieler verlan - gen, daß man hierinn die groͤßte Strenge und Unpartheylichkeit beobachte. Die Rechtferti - gung des Dichters kann jederzeit angetreten werden; ſein Werk bleibt da, und kann uns immer wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunſt des Schauſpielers iſt in ihren Werken tranſitoriſch. Sein Gutes und Schlim - mes rauſchet gleich ſchnell vorbey; und nicht ſelten iſt die heutige Laune des Zuſchauers mehr Urſache, als er ſelbſt, warum das eine oder das andere einen lebhaftern Eindruck auf jenen gemacht hat.
Eine ſchoͤne Figur, eine bezaubernde Mine, ein ſprechendes Auge, ein reitzender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodiſche Stimme: ſind Dinge, die ſich nicht wohl mit Worten aus - druͤcken laſſen. Doch ſind es auch weder die einzigen noch groͤßten Vollkommenheiten des Schauſpielers. Schaͤtzbare Gaben der Natur, zu ſeinem Berufe ſehr noͤthig, aber noch lange nicht ſeinen Beruf erfuͤllend! Er muß uͤberall mit dem Dichter denken; er muß da, wo demDich -Dichter etwas Menſchliches wiederfahren iſt, fuͤr ihn denken.
Man hat allen Grund, haͤufige Beyſpiele hiervon ſich von unſern Schauſpielern zu ver - ſprechen. — Doch ich will die Erwartung des Publikums nicht hoͤher ſtimmen. Beide ſcha - den ſich ſelbſt: der zu viel verſpricht, und der zu viel erwartet.
Heute geſchieht die Eroͤffnung der Buͤhne. Sie wird viel entſcheiden; ſie muß aber nicht alles entſcheiden ſollen. In den erſten Tagen werden ſich die Urtheile ziemlich durchkreuzen. Es wuͤrde Muͤhe koſten, ein ruhiges Gehoͤr zu erlangen. — Das erſte Blatt dieſer Schrift ſoll daher nicht eher, als mit dem Anfange des kuͤnftigen Monats erſcheinen.
Das Theater iſt den 22ſten vorigen Monats mit dem Trauerſpiele, Olint und So - phronia, gluͤcklich eroͤfnet worden.
Ohne Zweifel wollte man gern mit einem deutſchen Originale anfangen, welches hier noch den Reitz der Neuheit habe. Der innere Werth dieſes Stuͤckes konnte auf eine ſolche Ehre keinen Anſpruch machen. Die Wahl waͤre zu tadeln, wenn ſich zeigen lieſſe, daß man eine viel beſſere haͤtte treffen koͤnnen.
Olint und Sophronia iſt das Werk eines jun - gen Dichters, und ſein unvollendet hinterlaſſenes Werk. Cronegk ſtarb allerdings fuͤr unſere Buͤhne zu fruͤh; aber eigentlich gruͤndet ſich ſeinARuhm2Ruhm mehr auf das, was er, nach dem Urtheile ſeiner Freunde, fuͤr dieſelbe noch haͤtte leiſten koͤnnen, als was er wirklich geleiſtet hat. Und welcher dramatiſche Dichter, aus allen Zeiten und Nationen, haͤtte in ſeinem ſechs und zwan - zigſten Jahre ſterben koͤnnen, ohne die Kritik uͤber ſeine wahren Talente nicht eben ſo zweifel - haft zu laſſen?
Der Stoff iſt die bekannte Epiſode beym Taſſo. Eine kleine ruͤhrende Erzehlung in ein ruͤhrendes Drama umzuſchaffen, iſt ſo leicht nicht. Zwar koſtet es wenig Muͤhe, neue Verwickelungen zu erdenken, und einzelne Empfindungen in Scenen auszudehnen. Aber zu verhuͤten wiſſen, daß dieſe neue Verwickelungen weder das Intereſſe ſchwaͤchen, noch der Wahrſcheinlichkeit Eintrag thun; ſich aus dem Geſichtspunkte des Erzehlers in den wahren Standort einer jeden Perſon ver - ſetzen koͤnnen; die Leidenſchaften, nicht beſchrei - ben, ſondern vor den Augen des Zuſchauers ent - ſtehen, und ohne Sprung, in einer ſo illuſori - ſchen Stetigkeit wachſen zu laſſen, daß dieſer ſym - pathiſiren muß, er mag wollen oder nicht: das iſt es, was dazu noͤthig iſt; was das Genie, ohne es zu wiſſen, ohne es ſich langweilig zu erklaͤren, thut, und was der blos witzige Kopf nachzu - machen, vergebens ſich martert.
Taſſo3Taſſo ſcheinet, in ſeinem Olint und Sophronia, den Virgil, in ſeinem Niſus und Euryalus, vor Augen gehabt zu haben. So wie Virgil in dieſen die Staͤrke der Freundſchaft geſchildert hatte, wollte Taſſo in jenen die Staͤrke der Liebe ſchildern. Dort war es heldenmuͤthiger Dienſt - eifer, der die Probe der Freundſchaft veran - laßte: hier iſt es die Religion, welche der Liebe Gelegenheit giebt, ſich in aller ihrer Kraft zu zeigen. Aber die Religion, welche bey dem Taſſo nur das Mittel iſt, wodurch er die Liebe ſo wirkſam zeiget, iſt in Cronegks Bearbeitung das Hauptwerk geworden. Er wollte den Triumph dieſer, in den Triumph jener veredeln. Gewiß, eine fromme Verbeſſerung — weiter aber auch nichts, als fromm! Denn ſie hat ihn ver - leitet, was bey dem Taſſo ſo ſimpel und natuͤr - lich, ſo wahr und menſchlich iſt, ſo verwickelt und romanenhaft, ſo wunderbar und himmliſch zu machen, daß nichts daruͤber!
Beym Taſſo iſt es ein Zauberer, ein Kerl, der weder Chriſt noch Mahomedaner iſt, ſondern ſich aus beiden Religionen einen eigenen Aber - glauben zuſammengeſponnen hat, welcher dem Aladin den Rath giebt, das wunderthaͤtige Marienbild aus dem Tempel in die Moſchee zu bringen. Warum machte Cronegk aus dieſem Zauberer einen mahomedaniſchen Prieſter? A 2Wenn4Wenn dieſer Prieſter in ſeiner Religion nicht eben ſo unwiſſend war, als es der Dichter zu ſeyn ſcheinet, ſo konnte er einen ſolchen Rath unmoͤg - lich geben. Sie duldet durchaus keine Bilder in ihren Moſcheen. Cronegk verraͤth ſich in mehrern Stuͤcken, daß ihm eine ſehr unrichtige Vorſtellung von dem mahomedaniſchen Glauben beygewohnet. Der groͤbſte Fehler aber iſt, daß er eine Religion uͤberall des Polytheismus ſchul - dig macht, die faſt mehr als jede andere auf die Einheit Gottes dringet. Die Moſchee heißt ihm 〟ein Sitz der falſchen Goͤtter, 〟 und den Prieſter ſelbſt laͤßt er ausrufen:
〟So wollt ihr euch noch nicht mit Rach und Strafe ruͤſten, 〟Ihr Goͤtter? Blitzt, vertilgt, das freche Volk der Chriſten!
Der ſorgſame Schauſpieler hat in ſeiner Tracht das Coſtume, vom Scheitel bis zur Zehe, genau zu beobachten geſucht; und er muß ſolche Unge - reimtheiten ſagen!
Beym Taſſo koͤmmt das Marienbild aus der Moſchee weg, ohne daß man eigentlich weiß, ob es von Menſchenhaͤnden entwendet worden, oder ob eine hoͤhere Macht dabey im Spiele ge - weſen. Cronegk macht den Olint zum Thaͤter. Zwar verwandelt er das Marienbild in 〟einBild5Bild des Herrn am Kreuz; 〟 aber Bild iſt Bild, und dieſer armſelige Aberglaube giebt dem Olint eine ſehr veraͤchtliche Seite. Man kann ihm unmoͤglich wieder gut werden, daß er es wagen koͤnnen, durch eine ſo kleine That ſein Volk an den Rand des Verderbens zu ſtellen. Wenn er ſich hernach freywillig dazu bekennet: ſo iſt es nichts mehr als Schuldigkeit, und keine Groß - muth. Beym Taſſo laͤßt ihn blos die Liebe die - ſen Schritt thun; er will Sophronien retten, oder mit ihr ſterben; mit ihr ſterben, blos um mit ihr zu ſterben; kann er mit ihr nicht Ein Bette beſteigen, ſo ſey es Ein Scheiterhaufen; an ihrer Seite, an den nehmlichen Pfahl gebun - den, beſtimmt, von dem nehmlichen Feuer ver - zehret zu werden, empfindet er blos das Gluͤck einer ſo ſuͤßen Nachbarſchaft, denket an nichts, was er jenſeit dem Grabe zu hoffen habe, und wuͤnſchet nichts, als daß dieſe Nachbarſchaft noch enger und vertrauter ſeyn moͤge, daß er Bruſt gegen Bruſt druͤcken, und auf ihren Lip - pen ſeinen Geiſt verhauchen duͤrfe.
Dieſer vortreffliche Kontraſt zwiſchen einer lieben, ruhigen, ganz geiſtigen Schwaͤrmerinn, und einem hitzigen, begierigen Juͤnglinge, iſt beym Cronegk voͤllig verlohren. Sie ſind beide von der kaͤlteſten Einfoͤrmigkeit; beide haben nichts als das Maͤrterthum im Kopfe; und nichtA 3genug,6genug, daß Er, daß Sie, fuͤr die Religion ſterben wollen; auch Evander wollte, auch Se - rena haͤtte nicht uͤbel Luſt dazu.
Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen, welche, wohl behalten, einen angehenden tragiſchen Dichter vor großen Fehltritten bewahren kann. Die eine betrift das Trauerſpiel uͤberhaupt. Wenn heldenmuͤthige Geſinnungen Bewunde - rung erregen ſollen: ſo muß der Dichter nicht zu verſchwenderiſch damit umgehen; denn was man oͤfters, was man an mehrern ſieht, hoͤret man auf zu bewundern. Hierwider hatte ſich Cronegk ſchon in ſeinem Codrus ſehr verſuͤndi - get. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum frey - willigen Tode fuͤr daſſelbe, haͤtte den Codrus allein auszeichnen ſollen: er haͤtte als ein einzel - nes Weſen einer ganz beſondern Art da ſtehen muͤſſen, um den Eindruck zu machen, welchen der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber Eleſinde und Philaide, und Medon, und wer nicht? ſind alle gleich bereit, ihr Leben dem Va - terlande aufzuopfern; unſere Bewunderung wird getheilt, und Codrus verlieret ſich unter der Men - ge. So auch hier. Was in Olint und Sophronia Chriſt iſt, das alles haͤlt gemartert werden und ſterben, fuͤr ein Glas Waſſer trinken. Wir hoͤren dieſe frommen Bravaden ſo oft, aus ſo verſchie - denem Munde, daß ſie alle Wirkung verlieren.
Die7Die zweyte Anmerkung betrift das chriſtliche Trauerſpiel insbeſondere. Die Helden deſſelben ſind mehrentheils Maͤrtyrer. Nun leben wir zu einer Zeit, in welcher die Stimme der geſun - den Vernunft zu laut erſchallet, als daß jeder Raſender, der ſich muthwillig, ohne alle Noth, mit Verachtung aller ſeiner buͤrgerlichen Oblie - genheiten, in den Tod ſtuͤrzet, den Titel eines Maͤrtyrers ſich anmaßen duͤrfte. Wir wiſſen itzt zu wohl, die falſchen Maͤrtyrer von den wah - ren zu unterſcheiden; wir verachten jene eben ſo ſehr, als wir dieſe verehren, und hoͤchſtens koͤn - nen ſie uns eine melancholiſche Thraͤne uͤber die Blindheit und den Unſinn auspreſſen, deren wir die Menſchheit uͤberhaupt in ihnen faͤhig er - blicken. Doch dieſe Thraͤne iſt keine von den angenehmen, die das Trauerſpiel erregen will. Wenn daher der Dichter einen Maͤrtyrer zu ſei - nem Helden waͤhlet: daß er ihm ja die lauterſten und triftigſten Bewegungsgruͤnde gebe! daß er ihn ja in die unumgaͤngliche Nothwendigkeit ſetze, den Schritt zu thun, durch den er ſich der Gefahr blos ſtellet! daß er ihn ja den Tod nicht freventlich ſuchen, nicht hoͤhniſch ertrotzen laſſe! Sonſt wird uns ſein frommer Held zum Abſcheu, und die Religion ſelbſt, die er ehren wollte, kann darunter leiden. Ich habe ſchon beruͤhret, daß es nur ein eben ſo nichtswuͤrdiger Aberglaube ſeyn konnte, als wir in dem Zauberer Ismen verach -ten,8ten, welcher den Olint antrieb, das Bild aus der Moſchee wieder zu entwenden. Es entſchul - diget den Dichter nicht, daß es Zeiten gegeben, wo ein ſolcher Aberglaube allgemein war, und bey vielen guten Eigenſchaften beſtehen konnte; daß es noch Laͤnder giebt, wo er der frommen Einfalt nichts befremdendes haben wuͤrde. Denn er ſchrieb ſein Trauerſpiel eben ſo wenig fuͤr jene Zeiten, als er es beſtimmte, in Boͤh - men oder Spanien geſpielt zu werden. Der gute Schriftſteller, er ſey von welcher Gattung er wolle, wenn er nicht blos ſchreibet, ſeinen Witz, ſeine Gelehrſamkeit zu zeigen, hat immer die Erleuchteſten und Beſten ſeiner Zeit und ſei - nes Landes in Augen, und nur was dieſen ge - fallen, was dieſe ruͤhren kann, wuͤrdiget er zu ſchreiben. Selbſt der dramatiſche, wenn er ſich zu dem Poͤbel herablaͤßt, laͤßt ſich nur darum zu ihm herab, um ihn zu erleuchten und zu beſſern; nicht aber ihn in ſeinen Vorurtheilen, ihn in ſeiner unedeln Denkungsart zu beſtaͤrken.
Noch eine Anmerkung, gleichfalls das chriſt - liche Trauerſpiel betreffend, wuͤrde uͤber die Bekehrung der Clorinde zu machen ſeyn. So uͤberzeugt wir auch immer von den un - mittelbaren Wirkungen der Gnade ſeyn moͤgen, ſo wenig koͤnnen ſie uns doch auf dem Theater gefal - len, wo alles, was zu dem Charakter der Perſonen gehoͤret, aus den natuͤrlichſten Urſachen entſprin - gen muß. Wunder dulden wir da nur in der phyſikaliſchen Welt; in der moraliſchen muß alles ſeinen ordentlichen Lauf behalten, weil das Theater die Schule der moraliſchen Welt ſeyn ſoll. Die Bewegungsgruͤnde zu jedem Ent - ſchluſſe, zu jeder Aenderung der geringſten Ge - danken und Meynungen, muͤſſen, nach Maaß - gebung des einmal angenommenen Charakters, genau gegen einander abgewogen ſeyn, und jene muͤſſen nie mehr hervorbringen, als ſie nach derBſtreng -10ſtrengſten Wahrheit hervor bringen koͤnnen. Der Dichter kann die Kunſt beſitzen, uns, durch Schoͤnheiten des Detail, uͤber Mißverhaͤltniſſe dieſer Art zu taͤuſchen; aber er taͤuſcht uns nur einmal, und ſobald wir wieder kalt werden, nehmen wir den Beyfall, den er uns abgelau - ſchet hat, zuruͤck. Dieſes auf die vierte Scene des dritten Akts angewendet, wird man finden, daß die Reden und das Betragen der Sophronia die Clorinde zwar zum Mitleiden haͤtte bewegen koͤnnen, aber viel zu unvermoͤgend ſind, Bekeh - rung an einer Perſon zu wirken, die gar keine Anlage zum Enthuſiasmus hat. Beym Taſſo nimmt Clorinde auch das Chriſtenthum an; aber in ihrer letzten Stunde; aber erſt, nachdem ſie kurz zuvor erfahren, daß ihre Aeltern dieſem Glauben zugethan geweſen: feine, erhebliche Umſtaͤnde, durch welche die Wirkung einer hoͤ - hern Macht in die Reihe natuͤrlicher Begeben - heiten gleichſam mit eingeflochten wird. Nie - mand hat es beſſer verſtanden, wie weit man in dieſem Stuͤcke auf dem Theater gehen duͤrfe, als Voltaire. Nachdem die empfindliche, edle Seele des Zamor, durch Beyſpiel und Bitten, durch Großmuth und Ermahnungen beſtuͤrmet, und bis in das Innerſte erſchuͤttert worden, laͤßt er ihn doch die Wahrheit der Religion, an deren Bekennern er ſo viel Großes ſieht, mehr vermu - then, als glauben. Und vielleicht wuͤrde Vol -taire11taire auch dieſe Vermuthung unterdruͤckt haben, wenn nicht zur Beruhigung des Zufchauers etwas haͤtte geſchehen muͤſſen.
Selbſt der Polyeukt des Corneille iſt, in Ab - ſicht auf beide Anmerkungen, tadelhaft; und wenn es ſeine Nachahmungen immer mehr ge - worden ſind, ſo duͤrfte die erſte Tragoͤdie, die den Namen einer chriſtlichen verdienet, ohne Zweifel noch zu erwarten ſeyn. Ich meyne ein Stuͤck, in welchem einzig der Chriſt als Chriſt uns intereſſiret. — Iſt ein ſolches Stuͤck aber auch wohl moͤglich? Iſt der Charakter des wah - ren Chriſten nicht etwa ganz untheatraliſch? Streiten nicht etwa die ſtille Gelaſſenheit, die unveraͤnderliche Sanftmuth, die ſeine weſent - lichſten Zuͤge ſind, mit dem ganzen Geſchaͤfte der Tragoͤdie, welches Leidenſchaften durch Leiden - ſchaften zu reinigen ſucht? Widerſpricht nicht etwa ſeine Erwartung einer belohnenden Gluͤck - ſeligkeit nach dieſem Leben, der Uneigennuͤtzigkeit, mit welcher wir alle große und gute Handlungen auf der Buͤhne unternommen und vollzogen zu ſehen wuͤnſchen?
Bis ein Werk des Genies, von dem man nur aus der Erfahrung lernen kann, wie viel Schwie - rigkeiten es zu uͤberſteigen vermag, dieſe Bedenk - lichkeiten unwiderſprechlich widerlegt, waͤre alſo mein Rath: — man lieſſe alle bisherige chriſt - liche Trauerſpiele unaufgefuͤhret. Dieſer Rath,B 2wel -12welcher aus den Beduͤrfniſſen der Kunſt herge - nommen iſt, welcher uns um weiter nichts, als ſehr mittelmaͤßige Stuͤcke bringen kann, iſt dar - um nichts ſchlechter, weil er den ſchwaͤchern Ge - muͤthern zu Statten koͤmmt, die, ich weiß nicht welchen Schauder empfinden, wenn ſie Geſin - nungen, auf die ſie ſich nur an einer heiligern Staͤte gefaßt machen, im Theater zu hoͤren be - kommen. Das Theater ſoll niemanden, wer es auch ſey, Anſtoß geben; und ich wuͤnſchte, daß es auch allem genommenen Anſtoße vorbeugen koͤnnte und wollte.
Cronegk hatte ſein Stuͤck nur bis gegen das Ende des vierten Aufzuges gebracht. Das uͤbrige hat eine Feder in Wien dazu gefuͤget; eine Feder — denn die Arbeit eines Kopfes iſt dabey nicht ſehr ſichtbar. Der Ergaͤnzer hat, allem Anſehen nach, die Geſchichte ganz anders geendet, als ſie Cronegk zu enden Willens gewe - ſen. Der Tod loͤſet alle Verwirrungen am beſten; darum laͤßt er beide ſterben, den Olint und die Sophronia. Beym Taſſo kommen ſie beide davon; denn Clorinde nimmt ſich mit der uneigennuͤtzigſten Großmuth ihrer an. Cronegk aber hatte Clorinden verliebt gemacht, und da war es freylich ſchwer zu errathen, wie er zwey Nebenbuhlerinnen aus einander ſetzen wollen, ohne den Tod zu Huͤlfe zu rufen. In einem an - dern noch ſchlechtern Trauerſpiele, wo eine vonden13den Hauptperſonen ganz aus heiler Haut ſtarb, fragte ein Zuſchauer ſeinen Nachbar: Aber woran ſtirbt ſie denn? — Woran? am fuͤnften Akte; antwortete dieſer. In Wahrheit; der fuͤnfte Akt iſt eine garſtige boͤſe Staupe, die manchen hinreißt, dem die erſten vier Akte ein weit laͤngeres Leben verſprachen. —
Doch ich will mich in die Kritik des Stuͤckes nicht tiefer einlaſſen. So mittelmaͤßig es iſt, ſo ausnehmend iſt es vorgeſtellet worden. Ich ſchweige von der aͤußern Pracht; denn dieſe Ver - beſſerung unſers Theaters erfordert nichts als Geld. Die Kuͤnſte, deren Huͤlfe dazu noͤthig iſt, ſind bey uns in eben der Vollkommenheit, als in jedem andern Lande; nur die Kuͤnſtler wol - len eben ſo bezahlt ſeyn, wie in jedem andern Lande.
Man muß mit der Vorſtellung eines Stuͤckes zufrieden ſeyn, wenn unter vier, fuͤnf Perſonen, einige vortrefflich, und die andern gut geſpielet haben. Wen, in den Nebenrollen, ein Anfaͤnger oder ſonſt ein Nothnagel, ſo ſehr beleidiget, daß er uͤber das Ganze die Naſe ruͤmpft, der reiſe nach Utopien, und beſuche da die vollkommenen Theater, wo auch der Lichtputzer ein Garrick iſt.
Herr Eckhof war Evander; Evander iſt zwar der Vater des Olints, aber im Grunde doch nicht viel mehr als ein Vertrauter. Indeß mag dieſer Mann eine Rolle machen, welche er will;B 3man14man erkennet ihn in der kleinſten noch immer fuͤr den erſten Akteur, und betauert, auch nicht zu - gleich alle uͤbrige Rollen von ihm ſehen zu koͤn - nen. Ein ihm ganz eigenes Talent iſt dieſes, daß er Sittenſpruͤche und allgemeine Betrach - tungen, dieſe langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anſtande, mit einer Innigkeit zu ſagen weiß, daß das Trivialſte von dieſer Art, in ſeinem Munde Neuheit und Wuͤrde, das Froſtigſte Feuer und Leben erhaͤlt.
Die eingeſtreuten Moralen ſind Cronegks beſte Seite. Er hat, in ſeinem Codrus und hier, ſo manche in einer ſo ſchoͤnen nachdruͤcklichen Kuͤrze ausgedruͤckt, daß viele von ſeinen Verſen als Sentenzen behalten, und von dem Volke unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit aufgenommen zu werden verdienen. Leider ſucht er uns nur auch oͤfters gefaͤrbtes Glas fuͤr Edel - ſteine, und witzige Antitheſen fuͤr geſunden Verſtand einzuſchwatzen. Zwey dergleichen Zei - len, in dem erſten Akte, hatten eine beſondere Wir - kung auf mich. Die eine,
〟Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prieſter nicht. 〟
Die andere,
〟Wer ſchlimm von andern denkt, iſt ſelbſt ein Boͤſewicht. 〟
Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge - meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zubemer -15bemerken, durch welches ſich der Beyfall aus - druͤckt, wenn ihn die Aufmerkſamkeit nicht gaͤnz - lich ausbrechen laͤßt. Theils dachte ich: Vor - trefflich! man liebt hier die Moral; dieſes Par - terr findet Geſchmack an Maximen; auf dieſer Buͤhne koͤnnte ſich ein Euripides Ruhm erwer - ben, und ein Sokrates wuͤrde ſie gern beſuchen. Theils fiel es mir zugleich mit auf, wie ſchielend, wie falſch, wie anſtoͤßig dieſe vermeinten Maxi - men waͤren, und ich wuͤnſchte ſehr, daß die Mißbilligung an jenem Gemurmle den meiſten Antheil moͤge gehabt haben. Es iſt nur Ein Athen geweſen, es wird nur Ein Athen bleiben, wo auch bey dem Poͤbel das ſittliche Gefuͤhl ſo fein, ſo zaͤrtlich war, daß einer unlautern Moral wegen, Schauſpieler und Dichter Gefahr liefen, von dem Theater herabgeſtuͤrmet zu werden! Ich weiß wohl, die Geſinnungen muͤſſen in dem Drama dem angenommenen Charakter der Per - ſon, welche ſie aͤußert, entſprechen; ſie koͤnnen alſo das Siegel der abſoluten Wahrheit nicht haben; genug, wenn ſie poetiſch wahr ſind, wenn wir geſtehen muͤſſen, daß dieſer Charakter, in dieſer Situation, bey dieſer Leidenſchaft, nicht anders als ſo habe urtheilen koͤnnen. Aber auch dieſe poetiſche Wahrheit muß ſich, auf einer andern Seite, der abſoluten wiederum naͤhern, und der Dichter muß nie ſo unphiloſophiſch den - ken, daß er annimmt, ein Menſch koͤnne dasBoͤſe16Boͤſe, um des Boͤſen wegen, wollen, er koͤnne nach laſterhaften Grundſaͤtzen handeln, das La - ſterhafte derſelben erkennen, und doch gegen ſich und andere damit prahlen. Ein ſolcher Menſch iſt ein Unding, ſo graͤßlich als ununterrichtend, und nichts als die armſelige Zuflucht eines ſcha - len Kopfes, der ſchimmernde Tiraden fuͤr die hoͤchſte Schoͤnheit des Trauerſpieles haͤlt. Wenn Iſmenor ein grauſamer Prieſter iſt, ſind darum alle Prieſter Iſmenors? Man wende nicht ein, daß von Prieſtern einer falſchen Religion die Rede ſey. So falſch war noch keine in der Welt, daß ihre Lehrer nothwendig Unmenſchen ſeyn muͤſſen. Prieſter haben in den falſchen Religionen, ſo wie in der wahren, Unheil ge - ſtiftet, aber nicht weil ſie Prieſter, ſondern weil ſie Boͤſewichter waren, die, zum Behuf ihrer ſchlimmen Neigungen, die Vorrechte auch eines jeden andern Standes gemißbraucht haͤtten.
Wenn die Buͤhne ſo unbeſonnene Urtheile uͤber die Prieſter uͤberhaupt ertoͤnen laͤßt, was Wunder, wenn ſich auch unter dieſen Unbeſon - nene finden, die ſie als die grade Heerſtraße zur Hoͤlle ausſchreyen?
Aber ich verfalle wiederum in die Kritik des Stuͤckes, und ich wollte von dem Schauſpieler ſprechen.
Und wodurch bewirkt dieſer Schauſpieler, (Hr. Eckhof) daß wir auch die gemeinſte Moral ſo gern von ihm hoͤren? Was iſt es eigentlich, was ein anderer von ihm zu lernen hat, wenn wir ihn in ſolchem Falle eben ſo un - terhaltend finden ſollen?
Alle Moral muß aus der Fuͤlle des Herzens kommen, von der der Mund uͤbergehet; man muß eben ſo wenig lange darauf zu denken, als damit zu prahlen ſcheinen.
Es verſtehet ſich alſo von ſelbſt, daß die mo - raliſchen Stellen vorzuͤglich wohl gelernet ſeyn wollen. Sie muͤſſen ohne Stocken, ohne den geringſten Anſtoß, in einem ununterbrochenen Fluſſe der Worte, mit einer Leichtigkeit geſpro - chen werden, daß ſie keine muͤhſame Auskrah - mungen des Gedaͤchtniſſes, ſondern unmittelbareCEin -18Eingebungen der gegenwaͤrtigen Lage der Sachen ſcheinen.
Eben ſo ausgemacht iſt es, daß kein falſcher Accent uns muß argwoͤhnen laſſen, der Akteur plaudere, was er nicht verſtehe. Er muß uns durch den richtigſten, ſicherſten Ton uͤberzeugen, daß er den ganzen Sinn ſeiner Worte durchdrun - gen habe.
Aber die richtige Accentuation iſt zur Noth auch einem Papagey beyzubringen. Wie weit iſt der Akteur, der eine Stelle nur verſteht, noch von dem entfernt, der ſie auch zugleich empfin - det! Worte, deren Sinn man einmal gefaßt, die man ſich einmal ins Gedaͤchtniß gepraͤget hat, laſſen ſich ſehr richtig herſagen, auch indem ſich die Seele mit ganz andern Dingen beſchaͤftiget; aber alsdann iſt keine Empfindung moͤglich. Die Seele muß ganz gegenwaͤrtig ſeyn; ſie muß ihre Aufmerkſamkeit einzig und allein auf ihre Reden richten, und nur alsdann —
Aber auch alsdann kann der Akteur wirklich viel Empfindung haben, und doch keine zu ha - ben ſcheinen. Die Empfindung iſt uͤberhaupt immer das ſtreitigſte unter den Talenten eines Schauſpielers. Sie kann ſeyn, wo man ſie nicht erkennet; und man kann ſie zu erkennen glauben, wo ſie nicht iſt. Denn die Empfin - dung iſt etwas Inneres, von dem wir nur nach ſeinen aͤußern Merkmalen urtheilen koͤnnen. Nun19Nun iſt es moͤglich, daß gewiſſe Dinge in dem Baue des Koͤrpers dieſe Merkmale entweder gar nicht verſtatten, oder doch ſchwaͤchen und zwey - deutig machen. Der Akteur kann eine gewiſſe Bildung des Geſichts, gewiſſe Minen, einen gewiſſen Ton haben, mit denen wir ganz andere Faͤhigkeiten, ganz andere Leidenſchaften, ganz andere Geſinnungen zu verbinden gewohnt ſind, als er gegenwaͤrtig aͤußern und ausdruͤcken ſoll. Iſt dieſes, ſo mag er noch ſo viel empfinden, wir glauben ihm nicht: denn er iſt mit ſich ſelbſt im Widerſpruche. Gegentheils kann ein anderer ſo gluͤcklich gebauet ſeyn; er kann ſo entſcheidende Zuͤge beſitzen; alle ſeine Muſkeln koͤnnen ihm ſo leicht, ſo geſchwind zu Gebothe ſtehen; er kann ſo feine, ſo vielfaͤltige Abaͤnderungen der Stimme in ſeiner Gewalt haben; kurz, er kann mit allen zur Pantomime erforderlichen Gaben in einem ſo hohen Grade begluͤckt ſeyn, daß er uns in den - jenigen Rollen, die er nicht urſpruͤnglich, ſon - dern nach irgend einem guten Vorbilde ſpielet, von der innigſten Empfindung beſeelet ſcheinen wird, da doch alles, was er ſagt und thut, nichts als mechaniſche Nachaͤffung iſt.
Ohne Zweifel iſt dieſer, ungeachtet ſeiner Gleichguͤltigkeit und Kaͤlte, dennoch auf dem Theater weit brauchbarer, als jener. Wenn er lange genug nichts als nachgeaͤffet hat, haben ſich endlich eine Menge kleiner Regeln bey ihmC 2ge -20geſammelt, nach denen er ſelbſt zu handeln an - faͤngt, und durch deren Beobachtung (zu Folge dem Geſetze, daß eben die Modificationen der Seele, welche gewiſſe Veraͤnderungen des Koͤr - pers hervorbringen, hinwiederum durch dieſe koͤrperliche Veraͤnderungen bewirket werden,) er zu einer Art von Empfindung gelangt, die zwar die Dauer, das Feuer derjenigen, die in der Seele ihren Anfang nimmt, nicht haben kann, aber doch in dem Augenblicke der Vorſtel - lung kraͤftig genug iſt, etwas von den nicht frey - willigen Veraͤnderungen des Koͤrpers hervorzu - bringen, aus deren Daſeyn wir faſt allein auf das innere Gefuͤhl zuverlaͤßig ſchlieſſen zu koͤnnen glauben. Ein ſolcher Akteur ſoll z. E. die aͤußerſte Wuth des Zornes ausdruͤcken; ich nehme an, daß er ſeine Rolle nicht einmal recht verſtehet, daß er die Gruͤnde dieſes Zornes weder hinlaͤnglich zu faſſen, noch lebhaft genug ſich vorzuſtellen vermag, um ſeine Seele ſelbſt in Zorn zu ſetzen. Und ich ſage; wenn er nur die allergroͤbſten Aeußerungen des Zornes, einem Akteur von urſpruͤnglicher Empfindung abgeler - net hat, und getreu nachzumachen weiß — den haſtigen Gang, den ſtampfenden Fuß, den rau - hen bald kreiſchenden bald verbiſſenen Ton, das Spiel der Augenbraunen, die zitternde Lippe, das Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. — wenn er, ſage ich, nur dieſe Dinge, die ſich nachmachenlaſſen,21laſſen, ſobald man will, gut nachmacht: ſo wird dadurch unfehlbar ſeine Seele ein dunkles Gefuͤhl von Zorn befallen, welches wiederum in den Koͤrper zuruͤckwirkt, und da auch diejenigen Veraͤnderungen hervorbringt, die nicht blos von unſerm Willen abhangen; ſein Geſicht wird gluͤhen, ſeine Augen werden blitzen, ſeine Muſkeln werden ſchwellen; kurz, er wird ein wahrer Zorniger zu ſeyn ſcheinen, ohne es zu ſeyn, ohne im geringſten zu begreifen, warum er es ſeyn ſollte.
Nach dieſen Grundſaͤtzen von der Empfindung uͤberhaupt, habe ich mir zu beſtimmen geſucht, welche aͤußerliche Merkmale diejenige Empfin - dung begleiten, mit der moraliſche Betrachtun - gen wollen geſprochen ſeyn, und welche von die - ſen Merkmalen in unſerer Gewalt ſind, ſo daß ſie jeder Akteur, er mag die Empfindung ſelbſt haben, oder nicht, darſtellen kann. Mich duͤnkt Folgendes.
Jede Moral iſt ein allgemeiner Satz, der, als ſolcher, einen Grad von Sammlung der Seele und ruhiger Ueberlegung verlangt. Er will alſo mit Gelaſſenheit und einer gewiſſen Kaͤlte geſagt ſeyn.
Allein dieſer allgemeine Satz iſt zugleich das Reſultat von Eindruͤcken, welche individuelle Umſtaͤnde auf die handelnden Perſonen machen; er iſt kein bloßer ſymboliſcher Schluß; er iſt eineC 3ge -22generaliſirte Empfindung, und als dieſe will er mit Feuer und einer gewiſſen Begeiſterung ge - ſprochen ſeyn.
Folglich mit Begeiſterung und Gelaſſenheit, mit Feuer und Kaͤlte? —
Nicht anders; mit einer Miſchung von bei - den, in der aber, nach Beſchaffenheit der Situa - tion, bald dieſes, bald jenes, hervorſticht.
Iſt die Situation ruhig, ſo muß ſich die Seele durch die Moral gleichſam einen neuen Schwung geben wollen; ſie muß uͤber ihr Gluͤck, oder ihre Pflichten, blos darum allgemeine Be - trachtungen zu machen ſcheinen, um durch dieſe All - gemeinheit ſelbſt, jenes deſto lebhafter zu genieſſen, dieſe deſto williger und muthiger zu beobachten.
Iſt die Situation hingegen heftig, ſo muß ſich die Seele durch die Moral (unter welchem Worte ich jede allgemeine Betrachtung verſtehe) gleichſam von ihrem Fluge zuruͤckholen; ſie muß ihren Leidenſchaften das Anſehen der Vernunft, ſtuͤrmiſchen Ausbruͤchen den Schein vorbedaͤcht - licher Entſchlieſſungen geben zu wollen ſcheinen.
Jenes erfodert einen erhabnen und begeiſter - ten Ton; dieſes einen gemaͤßigten und feyerlichen. Denn dort muß das Raiſonnement in Affekt ent - brennen, und hier der Affekt in Raiſonnement ſich auskuͤhlen.
Die meiſten Schauſpieler kehren es gerade um. Sie poltern in heftigen Situationen dieall -23allgemeinen Betrachtungen eben ſo ſtuͤrmiſch her - aus, als das Uebrige; und in ruhigen, beten ſie dieſelben eben ſo gelaſſen her, als das Uebrige. Daher geſchieht es denn aber auch, daß ſich die Moral weder in den einen, noch in den andern bey ihnen ausnimmt; und daß wir ſie in jenen eben ſo unnatuͤrlich, als in dieſen langweilig und kalt finden. Sie uͤberlegten nie, daß die Stuͤcke - rey von dem Grunde abſtechen muß, und Gold auf Gold brodiren ein elender Geſchmack iſt.
Durch ihre Geſtus verderben ſie vollends alles. Sie wiſſen weder, wenn ſie deren dabey machen ſollen, noch was fuͤr welche. Sie machen gemeiniglich zu viele, und zu unbedeutende.
Wenn in einer heftigen Situation die Seele ſich auf einmal zu ſammeln ſcheinet, um einen uͤberlegenden Blick auf ſich, oder auf das, was ſie umgiebt, zu werfen; ſo iſt es natuͤrlich, daß ſie allen Bewegungen des Koͤrpers, die von ih - rem bloßen Willen abhangen, gebieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelaſſener; die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszudruͤcken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um ſich ſchauen kann. Mit eins tritt der fortſchreitende Fuß feſt auf, die Arme ſinken, der ganze Koͤrper zieht ſich in den wagrechten Stand; eine Pauſe — und dann die Reflexion. Der Mann ſteht da, in einer feyerlichen Stille, als ob er ſich nicht ſtoͤhren wollte, ſich ſelbſt zu hoͤren. Die Reflexion iſt aus, —wie -24wieder eine Pauſe — und ſo wie die Reflexion ab - gezielet, ſeine Leidenſchaft entweder zu maͤßigen, oder zu befeuern, bricht er entweder auf einmal wieder los, oder ſetzet allmaͤlig das Spiel ſeiner Glieder wieder in Gang. Nur auf dem Geſichte bleiben, waͤhrend der Reflexion, die Spuren des Affekts; Mine und Auge ſind noch in Bewegung und Feuer; denn wir haben Mine und Auge nicht ſo urploͤtzlich in unſerer Gewalt, als Fuß und Hand. Und hierin dann, in dieſen ausdruͤckenden Minen, in dieſem entbrannten Auge, und in dem Ruheſtande des ganzen uͤbrigen Koͤrpers, beſtehet die Miſchung von Feuer und Kaͤlte, mit welcher ich glaube, daß die Moral in heftigen Situationen ge - ſprochen ſeyn will.
Mit eben dieſer Miſchung will ſie auch in ruhi - gen Situationen geſagt ſeyn; nur mit dem Unter - ſchiede, daß der Theil der Aktion, welcher dort der feurige war, hier der kaͤltere, und welcher dort der kaͤltere war, hier der feurige ſeyn muß. Nehmlich: da die Seele, wenn ſie nichts als ſanfte Empfindun - gen hat, durch allgemeine Betrachtungen dieſen ſanften Empfindungen einen hoͤhern Grad von Leb - haftigkeit zu geben ſucht, ſo wird ſie auch die Glie - der des Koͤrpers, die ihr unmittelbar zu Gebothe ſtehen, dazu beytragen laſſen; die Haͤnde werden in voller Bewegung ſeyn; nur der Ausdruck des Ge - ſichts kann ſo geſchwind nicht nach, und in Mine und Auge wird noch die Ruhe herrſchen, aus der ſie der uͤbrige Koͤrper gern heraus arbeiten moͤchte.
Aber von was fuͤr Art ſind die Bewegungen der Haͤnde, mit welchen, in ruhigen Si - tuationen, die Moral geſprochen zu ſeyn liebet?
Von der Chironomie der Alten, das iſt, von dem Inbegriffe der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Haͤnde vorgeſchrieben hat - ten, wiſſen wir nur ſehr wenig; aber dieſes wiſſen wir, daß ſie die Haͤndeſprache zu einer Vollkommenheit gebracht, von der ſich aus dem, was unſere Redner darinn zu leiſten im Stande ſind, kaum die Moͤglichkeit ſollte begreifen laſ - ſen. Wir ſcheinen von dieſer ganzen Sprache nichts als ein unartikulirtes Geſchrey behalten zu haben; nichts als das Vermoͤgen, Bewe - gungen zu machen, ohne zu wiſſen, wie dieſen Bewegungen eine fixirte Bedeutung zu geben, und wie ſie unter einander zu verbinden, daß ſieDnicht26nicht blos eines einzeln Sinnes, ſondern eines zuſammenhangenden Verſtandes faͤhig werden.
Ich beſcheide mich gern, daß man, bey den Alten, den Pantomimen nicht mit dem Schau - ſpieler vermengen muß. Die Haͤnde des Schau - ſpielers waren bey weiten ſo geſchwaͤtzig nicht, als die Haͤnde des Pantomimens. Bey dieſem vertraten ſie die Stelle der Sprache; bey jenem ſollten ſie nur den Nachdruck derſelben vermeh - ren, und durch ihre Bewegungen, als natuͤr - liche Zeichen der Dinge, den verabredeten Zeichen der Stimme Wahrheit und Leben verſchaffen helfen. Bey dem Pantomimen waren die Be - wegungen der Haͤnde nicht blos natuͤrliche Zei - chen; viele derſelben hatten eine conventionelle Bedeutung, und dieſer mußte ſich der Schau - ſpieler gaͤnzlich enthalten.
Er gebrauchte ſich alſo ſeiner Haͤnde ſparſa - mer, als der Pantomime, aber eben ſo wenig vergebens, als dieſer. Er ruͤhrte keine Hand, wenn er nichts damit bedeuten oder verſtaͤrken konnte. Er wußte nichts von den gleichguͤl - tigen Bewegungen, durch deren beſtaͤndigen einfoͤrmigen Gebrauch ein ſo großer Theil von Schauſpielern, beſonders das Frauenzimmer, ſich das vollkommene Anſehen von Dratpuppen giebt. Bald mit der rechten, bald mit der lin - ken Hand, die Haͤlfte einer krieplichten Achte, abwaͤrts vom Koͤrper, beſchreiben, oder mitbeiden27beiden Haͤnden zugleich die Luft von ſich weg - rudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer es mit einer gewiſſen Tanzmeiſtergrazie zu thun geuͤbt iſt, o! der glaubt, uns bezaubern zu koͤnnen.
Ich weiß wohl, daß ſelbſt Hogarth den Schau - ſpielern befiehlt, ihre Hand in ſchoͤnen Schlan - genlinien bewegen zu lernen; aber nach allen Seiten, mit allen moͤglichen Abaͤnderungen, deren dieſe Linien, in Anſehung ihres Schwun - ges, ihrer Groͤße und Dauer, faͤhig ſind. Und endlich befiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um ſich zum Agiren dadurch geſchickt zu machen, um den Armen die Biegungen des Reitzes ge - laͤufig zu machen; nicht aber in der Meinung, daß das Agiren ſelbſt in weiter nichts, als in der Beſchreibung ſolcher ſchoͤnen Linien, immer nach der nehmlichen Direktion, beſtehe.
Weg alſo mit dieſem unbedeutenden Porte - bras, vornehmlich bey moraliſchen Stellen weg mit ihm! Reitz am unrechten Orte, iſt Affektation und Grimaſſe; und eben derſelbe Reitz, zu oft hinter einander wiederholt, wird kalt und end - lich eckel. Ich ſehe einen Schulknaben ſein Spruͤchelchen aufſagen, wenn der Schauſpieler allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung, mit welcher man in der Menuet die Hand giebt, mir zureicht, oder ſeine Moral gleichſam vom Rocken ſpinnet.
D 2Jede28Jede Bewegung, welche die Hand bey mora - liſchen Stellen macht, muß bedeutend ſeyn. Oft kann man bis in das Mahleriſche damit ge - hen; wenn man nur das Pantomimiſche vermei - det. Es wird ſich vielleicht ein andermal Gele - genheit finden, dieſe Gradation von bedeutenden zu mahleriſchen, von mahleriſchen zu pantomi - miſchen Geſten, ihren Unterſchied und ihren Gebrauch, in Beyſpielen zu erlaͤutern. Itzt wuͤrde mich dieſes zu weit fuͤhren, und ich merke nur an, daß es unter den bedeutenden Geſten eine Art giebt, die der Schauſpieler vor allen Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen er allein der Moral Licht und Leben ertheilen kann. Es ſind dieſes, mit einem Worte, die individualiſirenden Geſtus. Die Moral iſt ein allgemeiner Satz, aus den beſondern Umſtaͤnden der handelnden Perſonen gezogen; durch ſeine Allgemeinheit wird er gewiſſermaßen der Sache fremd, er wird eine Ausſchweifung, deren Be - ziehung auf das Gegenwaͤrtige von dem weniger aufmerkſamen, oder weniger ſcharfſinnigen Zu - hoͤrer, nicht bemerkt oder nicht begriffen wird. Wann es daher ein Mittel giebt, dieſe Bezie - hung ſinnlich zu machen, das Symboliſche der Moral wiederum auf das Anſchauende zuruͤck - zubringen, und wann dieſes Mittel gewiſſe Geſtus ſeyn koͤnnen, ſo muß ſie der Schauſpieler ja nicht zu machen verſaͤumen.
Man29Man wird mich aus einem Exempel am beſten verſtehen. Ich nehme es, wie mir es itzt bey - faͤllt; der Schauſpieler wird ſich ohne Muͤhe auf noch weit einleuchtendere beſinnen. — Wenn Olint ſich mit der Hofnung ſchmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, daß er ſo grauſam mit den Chriſten nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: ſo kann Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieg - lichkeit unſrer Hofnungen zu Gemuͤthe fuͤhren.
〟Vertraue nicht, mein Sohn, Hofnungen, die betriegen!〟
Sein Sohn iſt ein feuriger Juͤngling, und in der Jugend iſt man vorzuͤglich geneigt, ſich von der Zukunft nur das Beſte zu verſprechen.
〟Da ſie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Ju - gend oft. 〟
Doch indem beſinnt er ſich, daß das Alter zu dem entgegen geſetzten Fehler nicht weniger ge - neigt iſt; er will den unverzagten Juͤngling nicht ganz niederſchlagen, und faͤhret fort:
〟Das Alter quaͤlt ſich ſelbſt, weil es zu wenig hoft. 〟
Dieſe Sentenzen mit einer gleichguͤltigen Aktion, mit einer nichts als ſchoͤnen Bewegung des Ar - mes begleiten, wuͤrde weit ſchlimmer ſeyn, als ſie ganz ohne Aktion herſagen. Die einzige ihnen angemeſſene Aktion iſt die, welche ihreD 3All -30Allgemeinheit wieder auf das Beſondere ein - ſchraͤnkt. Die Zeile,
muß in dem Tone, mit dem Geſtu der vaͤterli - chen Warnung, an und gegen den Olint ge - ſprochen werden, weil Olint es iſt, deſſen uner - fahrne leichtglaͤubige Jugend bey dem ſorgſamen Alten dieſe Betrachtung veranlaßt. Die Zeile hingegen,
erfordert den Ton, das Achſelzucken, mit dem wir unſere eigene Schwachheiten zu geſtehen pflegen, und die Haͤnde muͤſſen ſich nothwendig gegen die Bruſt ziehen, um zu bemerken, daß Evander dieſen Satz aus eigener Erfahrung habe, daß er ſelbſt der Alte ſey, von dem er gelte. —
Es iſt Zeit, daß ich von dieſer Ausſchweifung uͤber den Vortrag der moraliſchen Stellen, wieder zuruͤckkomme. Was man Lehrreiches darinn findet, hat man lediglich den Beyſpielen des Hrn. Eckhof zu danken; ich habe nichts als von ihnen richtig zu abſtrahiren geſucht. Wie leicht, wie angenehm iſt es, einem Kuͤnſtler nachzufor - ſchen, dem das Gute nicht blos gelingt, ſondern der es macht!
Die Rolle der Clorinde ward von Madame Henſeln geſpielt, die ohnſtreitig eine von den beſten Aktricen iſt, welche das deutſche Theaterjemals31jemals gehabt hat. Ihr beſonderer Vorzug iſt eine ſehr richtige Deklamation; ein falſcher Ac - cent wird ihr ſchwerlich entwiſchen; ſie weiß den verworrenſten, holprichſten, dunkelſten Vers, mit einer Leichtigkeit, mit einer Praͤciſion zu ſagen, daß er durch ihre Stimme die deutlichſte Erklaͤrung, den vollſtaͤndigſten Commentar er - haͤlt. Sie verbindet damit nicht ſelten ein Raf - finement, welches entweder von einer ſehr gluͤck - lichen Empfindung, oder von einer ſehr richtigen Beurtheilung zeuget. Ich glaube die Liebeser - klaͤrung, welche ſie dem Olint thut, noch zu hoͤren:
〟 — Erkenne mich! Ich kann nicht laͤnger ſchweigen; 〟Verſtellung oder Stolz ſey niedern Seelen eigen. 〟Olint iſt in Gefahr, und ich bin außer mir — 〟Bewundernd ſah ich oft im Krieg und Schlacht nach dir; 〟Mein Herz, das vor ſich ſelbſt ſich zu entdecken ſcheute, 〟War wider meinen Ruhm und meinen Stolz im Streite. 〟Dein Ungluͤck aber reißt die ganze Seele hin, 〟Und itzt erkenn ich erſt wie klein, wie ſchwach ich bin. 〟Itzt, da dich alle die, die dich verehrten, haſſen, 〟Da du zur Pein beſtim̃t, von jedermann verlaſſen, 〟Verbrechern gleich geſtellt, ungluͤcklich und ein Chriſt, 〟Dem furchtbarn Tode nah, im Tod noch elend biſt: 〟Itzt wag ichs zu geſtehn: itzt kenne meine Triebe!
Wie frey, wie edel war dieſer Ausbruch! Welches Feuer, welche Inbrunſt beſeelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher Ueberſtroͤ -mung32mung des Herzens ſprach ihr Mitleid! Mit welcher Entſchloſſenheit ging ſie auf das Bekenntniß ihrer Liebe los! Aber wie unerwartet, wie uͤberraſchend brach ſie auf einmal ab, und veraͤnderte auf einmal Stimme und Blick, und die ganze Haltung des Koͤrpers, da es nun darauf ankam, die duͤrren Worte ihres Bekenntniſſes zu ſprechen. Die Au - gen zur Erde geſchlagen, nach einem langſamen Seufzer, in dem furchtſamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich,
heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiß, ob die Liebe ſich ſo erklaͤrt, empfand, daß ſie ſich ſo erklaͤren ſollte. Sie entſchloß ſich als Heldinn, ihre Liebe zu geſtehen, und geſtand ſie, als ein zaͤrtliches, ſchamhaftes Weib. So Kriegerinn als ſie war, ſo gewoͤhnt ſonſt in allem zu maͤnnlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier die Ober - hand. Kaum aber waren ſie hervor, dieſe der Sitt - ſamkeit ſo ſchwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freymuͤthigkeit wieder da. Sie fuhr mit der ſorgloſeſten Lebhaftigkeit, in aller der unbe - kuͤmmerten Hitze des Affekts fort:
— — — Und ſtolz auf meine Liebe, 〟Stolz, daß dir meine Macht dein Leben retten kann, 〟Bieth ich dir Hand und Herz, und Kron und Pur - pur an.
Denn die Liebe aͤußert ſich nun als großmuͤthige Freundſchaft: und die Freundſchaft ſpricht eben ſo dreiſt, als ſchuͤchtern die Liebe.
Es iſt unſtreitig, daß die Schauſpielerinn durch dieſe meiſterhafte Abſetzung der Worte,
der Stelle eine Schoͤnheit gab, von der ſich der Dichter, bey dem alles in dem nehmlichen Fluſſe von Worten daher rauſcht, nicht das geringſte Verdienſt beymeſſen kann. Aber wenn es ihr doch gefallen haͤtte, in dieſen Verfeinerungen ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht beſorgte ſie, den Geiſt des Dichters ganz zu verfehlen; oder vielleicht ſcheute ſie den Vorwurf, nicht das, was der Dichter ſagt, ſondern was er haͤtte ſagen ſollen, geſpielt zu haben. Aber welches Lob koͤnnte groͤßer ſeyn, als ſo ein Vorwurf? Freylich muß ſich nicht jeder Schauſpieler einbil - den, dieſes Lob verdienen zu koͤnnen. Denn ſonſt moͤchte es mit den armen Dichtern uͤbel ausſehen.
ECro -34Cronegk hat wahrlich aus ſeiner Clorinde ein ſehr abgeſchmacktes, widerwaͤrtiges, haͤßliches Ding gemacht. Und dem ohngeachtet iſt ſie noch der einzige Charakter, der uns bey ihm in - tereßiret. So ſehr er die ſchoͤne Natur in ihr verfehlt, ſo thut doch noch die plumpe, unge - ſchlachte Natur einige Wirkung. Das macht, weil die uͤbrigen Charaktere ganz außer aller Natur ſind, und wir doch noch leichter mit einem Dragoner von Weibe, als mit himmelbruͤtenden Schwaͤrmern ſympathiſiren. Nur gegen das Ende, wo ſie mit in den begeiſterten Ton faͤllt, wird ſie uns eben ſo gleichguͤltig und eckel. Alles iſt Widerſpruch in ihr, und immer ſpringt ſie von einem Aeußerſten auf das andere. Kaum hat ſie ihre Liebe erklaͤrt, ſo fuͤgt ſie hinzu:
〟Wirſt du mein Herz verſchmaͤhn? Du ſchweigſt? — Entſchlieſſe dich; 〟Und wenn du zweifeln kannſt — ſo zittre!
So zittre? Olint ſoll zittern? er, den ſie ſo oft, in dem Tumulte der Schlacht, unerſchrocken unter den Streichen des Todes geſehen? Und ſoll vor ihr zittern? Was will ſie denn? Will ſie ihm die Augen auskratzen? — O wenn es der Schauſpielerinn eingefallen waͤre, fuͤr dieſe un - gezogene weibliche Gaſconade 〟ſo zittre!〟 zu ſagen: ich zittere! Sie konnte zittern, ſo viel ſie wollte, ihre Liebe verſchmaͤht, ihren Stolz beleidiget zu finden. Das waͤre ſehr natuͤrlichgewe -35geweſen. Aber es von dem Olint verlangen, Gegenliebe von ihm, mit dem Meſſer an der Gurgel, fodern, das iſt ſo unartig als laͤcherlich.
Doch was haͤtte es geholfen, den Dichter einen Augenblick laͤnger in den Schranken des Wohlſtandes und der Maͤßigung zu erhalten? Er faͤhrt fort, Clorinden in dem wahren Tone einer beſoffenen Marquetenderinn raſen zu laſſen; und da findet keine Linderung, keine Bemaͤnte - lung mehr Statt.
Das einzige, was die Schauſpielerinn zu ſei - nem Beſten noch thun koͤnnte, waͤre vielleicht dieſes, wenn ſie ſich von ſeinem wilden Feuer nicht ſo ganz hinreiſſen lieſſe, wenn ſie ein wenig an ſich hielte, wenn ſie die aͤußerſte Wuth nicht mit der aͤußerſten Anſtrengung der Stimme, nicht mit den gewaltſamſten Gebehrden aus - druͤckte.
Wenn Shakeſpear nicht ein eben ſo großer Schauſpieler in der Ausuͤbung geweſen iſt, als er ein dramatiſcher Dichter war, ſo hat er doch wenigſtens eben ſo gut gewußt, was zu der Kunſt des einen, als was zu der Kunſt des an - dern gehoͤret. Ja vielleicht hatte er uͤber die Kunſt des erſtern um ſo viel tiefer nachgedacht, weil er ſo viel weniger Genie dazu hatte. We - nigſtens iſt jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komoͤdianten abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel fuͤr alle Schau -E 2ſpieler,36ſpieler, denen an einem vernuͤnftigen Beyfalle gelegen iſt.
laͤßt er ihn unter andern zu dem Komoͤdianten ſagen,
〟ſprecht die 〟Rede ſo, wie ich ſie Euch vorſagte; die Zunge 〟muß nur eben daruͤber hinlaufen. Aber wenn 〟ihr mir ſie ſo heraushalſet, wie es manche von 〟unſern Schauſpielern thun: ſeht, ſo waͤre mir 〟es eben ſo lieb geweſen, wenn der Stadtſchreyer 〟meine Verſe geſagt haͤtte. Auch durchſaͤgt 〟mir mit eurer Hand nicht ſo ſehr die Luft, ſon - 〟dern macht alles huͤbſch artig; denn mitten in 〟dem Strome, mitten in dem Sturme, mitten, 〟ſo zu reden, in dem Wirbelwinde der Leiden - 〟ſchaften, muͤßt ihr noch einen Grad von Maͤßi - 〟gung beobachten, der ihnen das Glatte und Ge - 〟ſchmeidige giebt.
Man ſpricht ſo viel von dem Feuer des Schau - ſpielers; man zerſtreitet ſich ſo ſehr, ob ein Schau - ſpieler zu viel Feuer haben koͤnne. Wenn die, welche es behaupten, zum Beweiſe anfuͤhren, daß ein Schauſpieler ja wohl am unrechten Orte heftig, oder wenigſtens heftiger ſeyn koͤnne, als es die Umſtaͤnde erfodern: ſo haben die, welche es leugnen, Recht zu ſagen, daß in ſolchem Falle der Schauſpieler nicht zu viel Feuer, ſon - dern zu wenig Verſtand zeige. Ueberhaupt koͤmmt es aber wohl darauf an, was wir unter dem Worte Feuer verſtehen. Wenn Geſchrey und Kontorſionen Feuer ſind, ſo iſt es wohl un -ſtreitig,37ſtreitig, daß der Akteur darinn zu weit gehen kann. Beſteht aber das Feuer in der Geſchwin - digkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stuͤcke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu bey - tragen, um ſeinem Spiele den Schein der Wahr - heit zu geben: ſo muͤßten wir dieſen Schein der Wahrheit nicht bis zur aͤußerſten Illuſion getrie - ben zu ſehen wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, daß der Schauſpieler allzuviel Feuer in dieſem Verſtande anwenden koͤnnte. Es kann alſo auch nicht dieſes Feuer ſeyn, deſſen Maͤßigung Shake - ſpear, ſelbſt in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenſchaft verlangt: er muß blos jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegungen meynen; und der Grund iſt leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringſte Maͤßigung beobachtet hat, dennoch der Schauſpieler ſich in beiden Stuͤcken maͤßigen muͤſſe. Es giebt wenig Stimmen, die in ihrer aͤußerſten Anſtrengung nicht widerwaͤrtig wuͤr - den; und allzu ſchnelle, allzu ſtuͤrmiſche Bewe - gungen werden ſelten edel ſeyn. Gleichwohl ſollen weder unſere Augen und unſere Ohren beleidiget werden; und nur alsdenn, wenn man bey Aeuſ - ſerung der heftigen Leidenſchaften alles vermei - det, was dieſen oder jenen unangenehm ſeyn koͤnnte, haben ſie das Glatte und Geſchmeidige, welches ein Hamlet auch noch da von ihnen ver - langt, wenn ſie den hoͤchſten Eindruck machen,E 3und38und ihm das Gewiſſen verſtockter Frevler aus dem Schlafe ſchrecken ſollen.
Die Kunſt des Schauſpielers ſtehet hier, zwiſchen den bildenden Kuͤnſten und der Poeſie, mitten inne. Als ſichtbare Mahlerey muß zwar die Schoͤnheit ihr hoͤchſtes Geſetz ſeyn; doch als tranſitoriſche Mahlerey braucht ſie ihren Stel - lungen jene Ruhe nicht immer zu geben, welche die alten Kunſtwerke ſo imponirend macht. Sie darf ſich, ſie muß ſich das Wilde eines Tempeſta, das Freche eines Bernini oͤfters erlauben; es hat bey ihr alle das Ausdruͤckende, welches ihm eigenthuͤmlich iſt, ohne das Beleidigende zu haben, das es in den bildenden Kuͤnſten durch den permanenten Stand erhaͤlt. Nur muß ſie nicht allzulang darinn verweilen; nur muß ſie es durch die vorhergehenden Bewegungen all - maͤlig vorbereiten, und durch die darauf folgen - den wiederum in den allgemeinen Ton des Wohl - anſtaͤndigen aufloͤſen; nur muß ſie ihm nie alle die Staͤrke geben, zu der ſie der Dichter in ſei - ner Bearbeitung treiben kann. Denn ſie iſt zwar eine ſtumme Poeſie, aber die ſich unmittel - bar unſern Augen verſtaͤndlich machen will; und jeder Sinn will geſchmeichelt ſeyn, wenn er die Begriffe, die man ihm in die Seele zu bringen giebet, unverfaͤlſcht uͤberliefern ſoll.
Es koͤnnte leicht ſeyn, daß ſich unſere Schau - ſpieler bey der Maͤßigung, zu der ſie die Kunſtauch39auch in den heftigſten Leidenſchaften verbindet, in Anſehung des Beyfalles, nicht allzuwohl be - finden duͤrften. — Aber welches Beyfalles? — Die Gallerie iſt freylich ein großer Liebhaber des Lermenden und Tobenden, und ſelten wird ſie ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Haͤnden zu erwiedern. Auch das deutſche Parterr iſt noch ziemlich von dieſem Geſchmacke, und es giebt Akteurs, die ſchlau genug von dieſem Ge - ſchmacke Vortheil zu ziehen wiſſen. Der Schlaͤf - rigſte raft ſich, gegen das Ende der Scene, wenn er abgehen ſoll, zuſammen, erhebet auf einmal die Stimme, und uͤberladet die Aktion, ohne zu uͤberlegen, ob der Sinn ſeiner Rede dieſe hoͤhere Anſtrengung auch erfodere. Nicht ſelten widerſpricht ſie ſogar der Verfaſſung, mit der er abgehen ſoll; aber was thut das ihm? Genug, daß er das Parterr dadurch erinnert hat, aufmerkſam auf ihn zu ſeyn, und wenn es die Guͤte haben will, ihm nachzuklatſchen. Nach - ziſchen ſollte es ihm! Doch leider iſt es theils nicht Kenner genug, theils zu gutherzig, und nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen, fuͤr die That.
Ich getraue mich nicht, von der Aktion der uͤbrigen Schauſpieler in dieſem Stuͤcke etwas zu ſagen. Wenn ſie nur immer bemuͤht ſeyn muͤſ - ſen, Fehler zu bemaͤnteln, und das Mittel - maͤßige geltend zu machen: ſo kann auch derBeſte40Beſte nicht anders, als in einem ſehr zweydeuti - gen Lichte erſcheinen. Wenn wir ihn auch den Verdruß, den uns der Dichter verurſacht, nicht mit entgelten laſſen, ſo ſind wir doch nicht auf - geraͤumt genug, ihm alle die Gerechtigkeit zu erweiſen, die er verdienet.
Den Beſchluß des erſten Abends machte der Triumph der vergangenen Zeit, ein Luſtſpiel in einem Aufzuge, nach dem Franzoͤſiſchen des le Grand. Es iſt eines von den drey kleinen Stuͤcken, welche le Grand unter dem allgemei - nen Tittel, der Triumph der Zeit, im Jahr 1724 auf die franzoͤſiſche Buͤhne brachte, nach - dem er den Stoff deſſelben, bereits einige Jahre vorher, unter der Aufſchrift, die laͤcherlichen Verliebten, behandelt, aber wenig Beyfall da - mit erhalten hatte. Der Einfall, der dabey zum Grunde liegt, iſt drollig genug, und einige Situationen ſind ſehr laͤcherlich. Nur iſt das Laͤcherliche von der Art, wie es ſich mehr fuͤr eine ſatyriſche Erzaͤhlung, als auf die Buͤhne ſchickt. Der Sieg der Zeit uͤber Schoͤnheit und Jugend macht eine traurige Idee; die Einbildung eines ſechszigjaͤhrigen Gecks und einer eben ſo alten Naͤrrinn, daß die Zeit nur uͤber ihre Reitze keine Gewalt ſollte gehabt haben, iſt zwar laͤcherlich; aber dieſen Geck und dieſe Naͤrrinn ſelbſt zu ſehen, iſt eckelhafter, als laͤcherlich.
Noch habe ich der Anreden an die Zuſchauer, vor und nach dem großen Stuͤcke des erſten Abends, nicht gedacht. Sie ſchrei - ben ſich von einem Dichter her, der es mehr als irgend ein anderer verſteht, tiefſinnigen Ver - ſtand mit Witz aufzuheitern, und nachdenklichem Ernſte die gefaͤllige Mine des Scherzes zu geben. Womit koͤnnte ich dieſe Blaͤtter beſſer auszieren, als wenn ich ſie meinen Leſern ganz mittheile? Hier ſind ſie. Sie beduͤrfen keines Commentars. Ich wuͤnſche nur, daß manches darinn nicht in den Wind geſagt ſey!
Sie wurden beide ungemein wohl, die erſtere mit alle dem Anſtande und der Wuͤrde, und die andere mit alle der Waͤrme und Feinheit und einſchmeichelnden Verbindlichkeit geſprochen, die der beſondere Inhalt einer jeden erfoderte.
FPro -42Ihr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel Des Menſchen, in der Kunſt der Nachahmung gefiel: Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, beſſern Seelen, Wie ſchoͤn, wie edel iſt die Luſt, ſich ſo zu quaͤlen; Wenn bald die ſuͤße Thraͤn’, indem das Herz er - weicht, In Zaͤrtlichkeit zerſchmilzt, ſtill von den Wangen ſchleicht, Bald die beſtuͤrmte Seel’, in jeder Nerv’ erſchuͤttert, Im Leiden Wolluſt fuͤhlt, und mit Vergnuͤgen zittert! O ſagt, iſt dieſe Kunſt, die ſo Eur Herz zerſchmelzt, Der Leidenſchaften Strom ſo durch Eur Inners waͤlzt, Vergnuͤgend, wenn ſie ruͤhrt, entzuͤckend, wenn ſie ſchrecket, Zu Mitleid, Menſchenlieb’, und Edelmuth erwecket, Die Sittenbilderinn, die jede Tugend lehrt, Iſt die nicht Eurer Gunſt, und Eurer Pflege werth?
Die Fuͤrſicht ſendet ſie mitleidig auf die Erde, Zum Beſten des Barbars, damit er menſchlich werde; Weiht ſie, die Lehrerin der Koͤnige zu ſeyn, Mit Wuͤrde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;Heißt43Heißt ſie, mit ihrer Macht, durch Thraͤnen zu er - goͤtzen, Das ſtumpfeſte Gefuͤhl der Menſchenliebe wetzen; Durch ſuͤße Herzensangſt, und angenehmes Graun Die Bosheit baͤndigen, und an den Seelen baun; Wohlthaͤtig fuͤr den Staat, den Wuͤthenden, den Wilden, Zum Menſchen, Buͤrger, Freund, und Patrioten bilden.
Geſetze ſtaͤrken zwar der Staaten Sicherheit, Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit: Doch deckt noch immer Liſt den Boͤſen vor dem Richter, Und Macht wird oft der Schutz erhabner Boͤſe - wichter. Wer raͤcht die Unſchuld dann? Weh dem gedruͤckten Staat, Der, ſtatt der Tugend, nichts, als ein Geſetzbuch hat! Geſetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen, Geſetze, die man lehrt des Haſſes Urtheil ſprechen, Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Partheylichkeit Fuͤr eines Solons Geiſt, den Geiſt der Druͤckung leiht! Da lernt Beſtechung bald, um Strafen zu entgehen, Das Schwerdt der Majeſtaͤt aus ihren Haͤnden drehen: Da pflanzet Herrſchbegier, ſich freuend des Verfalls Der Redlichkeit, den Fuß der Freyheit auf den Hals. F 2Laͤßt44Laͤßt den, der ſie vertritt, in Schimpf und Banden ſchmachten, Und das blutſchuld’ge Beil der Themis Unſchuld ſchlachten!
Wenn der, den kein Geſetz ſtraft, oder ſtrafen kann, Der ſchlaue Boͤſewicht, der blutige Tyrann, Wenn der die Unſchuld druͤckt, wer wagt es, ſie zu decken? Den ſichert tiefe Liſt, und dieſen wafnet Schrecken. Wer iſt ihr Genius, der ſich entgegen legt? — Wer? Sie, die itzt den Dolch, und itzt die Geiſſel traͤgt, Die unerſchrokne Kunſt, die allen Mißgeſtalten Strafloſer Thorheit wagt den Spiegel vorzuhalten; Die das Geweb’ enthuͤllt, worin ſich Liſt verſpinnt, Und den Tyrannen ſagt, daß ſie Tyrannen ſind; Die, ohne Menſchenfurcht, vor Thronen nicht er - bloͤdet, Und mit des Donners Stimm’ ans Herz der Fuͤrſten redet; Gekroͤnte Moͤrder ſchreckt, den Ehrgeitz nuͤchtern macht, Den Heuchler zuͤchtiget, und Thoren kluͤger lacht; Sie, die zum Unterricht die Todten laͤßt erſcheinen, Die große Kunſt, mit der wir lachen, oder weinen.
Sie fand in Griechenland Schutz, Lieb’, und Lehrbegier; In Rom, in Gallien, in Albion, und — hier. Ihr,45Ihr, Freunde, habt hier oft, wenn ihre Thraͤnen floſſen, Mit edler Weichlichkeit, die Euren mit vergoſſen; Habt redlich Euren Schmerz mit ihrem Schmerz vereint, Und ihr aus voller Bruſt den Beyfall zugeweint: Wie ſie gehaßt, geliebt, gehoffet, und geſcheuet, Und Eurer Menſchlichkeit im Leiden Euch erfreuet. Lang hat ſie ſich umſonſt nach Buͤhnen umgeſehn: In Hamburg fand ſie Schutz: hier ſey denn ihr Athen! Hier, in dem Schooß der Ruh, im Schutze weiſer Goͤnner, Gemuthiget durch Lob, vollendet durch den Kenner; Hier reifet — ja ich wuͤnſch’, ich hoff, ich weiſſag es! — Ein zweyter Roſcius, ein zweyter Sophokles, Der Graͤciens Kothurn Germaniern erneure: Und ein Theil dieſes Nuhms, ihr Goͤnner, wird der Eure. O ſeyd deſſelben werth! Bleibt Eurer Guͤte gleich, Und denkt, o denkt daran, ganz Deutſchland ſieht auf Euch!
Seht hier! ſo ſtandhaft ſtirbt der uͤberzeugte Chriſt! So lieblos haſſet der, dem Irrthum nuͤtzlich iſt, Der Barbarey bedarf, damit er ſeine Sache, Sein Anſehn, ſeinen Traum, zu Lehren Gottes mache. Der Geiſt des Irrthums war Verfolgung und Ge - walt, Wo Blindheit fuͤr Verdienſt, und Furcht fuͤr An - dacht galt. So konnt er ſein Geſpinſt von Luͤgen, mit den Blitzen Der Majeſtaͤt, mit Gifft, mit Meuchelmord beſchuͤtzen. Wo Ueberzeugung fehlt, macht Furcht den Mangel gut: Die Wahrheit uͤberfuͤhrt, der Irrthum fodert Blut. Verfolgen muß man die, und mit dem Schwerdt bekehren, Die anders Glaubens ſind, als die Ismenors lehren. Und mancher Aladin ſieht Staatsklug oder ſchwach, Dem ſchwarzen Blutgericht der heilgen Moͤrder nach, Und muß mit ſeinem Schwerdt den, welchen Traͤu - mer haſſen, Den Freund, den Maͤrtyrer der Wahrheit wuͤrgen laſſen,Ab -47Abſcheultchs Meiſterſtuͤck der Herrſchſucht und der Liſt, Wofuͤr kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos iſt! O Lehre, die erlaubt, die Gottheit ſelbſt miß - brauchen, In ein unſchuldig Herz des Haſſes Dolch zu tauchen, Dich, die ihr Blutpanier oft uͤber Leichen trug, Dich, Greuel, zu verſchmaͤhn, wer leiht mir einen Fluch! Ihr Freund’, in deren Bruſt der Menſchheit edle Stimme Laut fuͤr die Heldinn ſprach, als Sie dem Prieſter Grimme Ein ſchuldlos Opfer ward, und fuͤr die Wahrheit ſank: Habt Dank fuͤr dies Gefuͤhl, fuͤr jede Thraͤne Dank! Wer irrt, verdient nicht Zucht des Haſſes oder Spottes: Was Menſchen haſſen lehrt, iſt keine Lehre Gottes! Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind, Zwar Schwaͤchere vielleicht, doch immer Menſchen ſind. Belehret, duldet ſie; und zwingt nicht die zu Thraͤnen, Die ſonſt kein Vorwurf trift, als daß ſie anders waͤhnen! Rechtſchaffen iſt der Mann, den, ſeinem Glauben treu, Nichts zur Verſtellung zwingt, zu boͤſer Heucheley; Der fuͤr die Wahrheit gluͤht, und, nie durch Furcht gezuͤgelt, Sie freudig, wie Olint, mit ſeinem Blut verſiegelt. Solch48Solch Beyſpiel, edle Freund’, iſt Eures Beyfalls werth: O wohl uns! haͤtten wir, was Cronegk ſchoͤn gelehrt, Gedanken, die ihn ſelbſt ſo ſehr veredelt haben, Durch unſre Vorſtellung tief in Eur Herz gegraben! Des Dichters Leben war ſchoͤn, wie ſein Nachruhm iſt; Er war, und — o verzeiht die Thraͤn! — und ſtarb ein Chriſt. Ließ ſein vortrefflich Herz der Nachwelt in Gedichten, Um ſie — was kann man mehr? noch todt zu un - terrichten. Verſaget, hat Euch itzt Sophronia geruͤhrt, Denn ſeiner Aſche nicht, was ihr mit Recht gebuͤhrt, Den Seufzer, daß er ſtarb, den Dank fuͤr ſeine Lehre, Und — ach! den traurigen Tribut von einer Zaͤhre. Uns aber, edle Freund’, ermuntre Guͤtigkeit; Und haͤtten wir gefehlt, ſo tadelt; doch verzeiht. Verzeihung muthiget zu edelerm Erkuͤhnen, Und feiner Tadel lehrt, das hoͤchſte Lob verdienen. Bedenkt, daß unter uns die Kunſt nur kaum beginnt, In welcher tauſend Quins, fuͤr einen Garrick ſind; Erwartet nicht zu viel, damit wir immer ſteigen, Und — doch nur Euch gebuͤhrt zu richten, uns zu ſchweigen.
Der Prolog zeiget das Schauſpiel in ſeiner hoͤchſten Wuͤrde, indem er es als das Supplement der Geſetze betrachten laͤßt. Es giebt Dinge in dem ſittlichen Betragen des Menſchen, welche, in Anſehung ihres unmit - telbaren Einflußes auf das Wohl der Geſell - ſchaft, zu unbetraͤchtlich, und in ſich ſelbſt zu veraͤnderlich ſind, als daß ſie werth oder faͤhig waͤren, unter der eigentlichen Aufſicht des Ge - ſetzes zu ſtehen. Es giebt wiederum andere, gegen die alle Kraft der Legislation zu kurz faͤllt; die in ihren Triebfedern ſo unbegreiflich, in ſich ſelbſt ſo ungeheuer, in ihren Folgen ſo unermeß - lich ſind, daß ſie entweder der Ahndung der Ge - ſetze ganz entgehen, oder doch unmoͤglich nach Verdienſt geahndet werden koͤnnen. Ich will es nicht unternehmen, auf die erſtern, als auf Gattungen des Laͤcherlichen, die Komoͤdie; undGauf50auf die andern, als auf auſſerordentliche Erſchei - nungen in dem Reiche der Sitten, welche die Vernunft in Erſtaunen, und das Herz in Tu - mult ſetzen, die Tragoͤdie einzuſchraͤnken. Das Genie lacht uͤber alle die Grenzſcheidungen der Kritik. Aber ſo viel iſt doch unſtreitig, daß das Schauſpiel uͤberhaupt ſeinen Vorwurf entweder diſſeits oder jenſeits der Grenzen des Geſetzes waͤhlet, und die eigentlichen Gegenſtaͤnde deſſel - ben nur in ſo fern behandelt, als ſie ſich entweder in das Laͤcherliche verlieren, oder bis in das Ab - ſcheuliche verbreiten.
Der Epilog verweilet bey einer von den Haupt - lehren, auf welche ein Theil der Fabel und Cha - raktere des Trauerſpiels mit abzwecken. Es war zwar von dem Hrn. von Cronegk ein wenig unuͤberlegt, in einem Stuͤcke, deſſen Stoff aus den ungluͤcklichen Zeiten der Kreutzzuͤge genom - men iſt, die Toleranz predigen, und die Abſcheu - lichkeiten des Geiſtes der Verfolgung an den Bekennern der mahomedaniſchen Religion zeigen zu wollen. Denn dieſe Kreutzzuͤge ſelbſt, die in ihrer Anlage ein politiſcher Kunſtgriff der Paͤbſte waren, wurden in ihrer Ausfuͤhrung die unmenſchlichſten Verfolgungen, deren ſich der chriſtliche Aberglaube jemals ſchuldig gemacht hat; die meiſten und blutgierigſten Iſmenors hatte damals die wahre Religion; und einzelnePer -51Perſonen, die eine Moſchee beraubet haben, zur Strafe ziehen, koͤmmt das wohl gegen die unſelige Raſerey, welche das rechtglaͤubige Eu - ropa entvoͤlkerte, um das unglaͤubige Aſien zu verwuͤſten? Doch was der Tragicus in ſeinem Werke ſehr unſchicklich angebracht hat, das konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auf - faſſen. Menſchlichkeit und Sanftmuth verdie - nen bey jeder Gelegenheit empfohlen zu werden, und kein Anlaß dazu kann ſo entfernt ſeyn, den wenigſtens unſer Herz nicht ſehr natuͤrlich und dringend finden ſollte.
Uebrigens ſtimme ich mit Vergnuͤgen dem ruͤh - renden Lobe bey, welches der Dichter dem ſeligen Cronegk ertheilet. Aber ich werde mich ſchwer - lich bereden laſſen, daß er mit mir, uͤber den poe - tiſchen Werth des kritiſirten Stuͤckes, nicht eben - falls einig ſeyn ſollte. Ich bin ſehr betroffen geweſen, als man mich verſichert, daß ich ver - ſchiedene von meinen Leſern durch mein unver - hohlnes Urtheil unwillig gemacht haͤtte. Wenn ihnen beſcheidene Freyheit, bey der ſich durchaus keine Nebenabſichten denken laſſen, mißfaͤllt, ſo laufe ich Gefahr, ſie noch oft unwillig zu machen. Ich habe gar nicht die Abſicht gehabt, ihnen die Leſung eines Dichters zu verleiden, den unge - kuͤnſtelter Witz, viel feine Empfindung und die lauterſte Moral empfehlen. Dieſe Eigenſchaf -G 2ten52ten werden ihn jederzeit ſchaͤtzbar machen, ob man ihm ſchon andere abſprechen muß, zu denen er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu ihrer Reife gewiſſe Jahre erfordern, weit unter welchen er ſtarb. Sein Codrus ward von den Verfaſſern der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften gekroͤnet, aber wahrlich nicht als ein gutes Stuͤck, ſondern als das beſte von denen, die damals um den Preis ſtritten. Mein Urtheil nimmt ihm alſo keine Ehre, die ihm die Kritik damals ertheilet. Wenn Hinkende um die Wette laufen, ſo bleibt der, welcher von ihnen zuerſt an das Ziel koͤmmt, doch noch ein Hin - kender.
Eine Stelle in dem Epilog iſt einer Mißdeu - tung ausgeſetzt geweſen, von der ſie gerettet zu werden verdienet. Der Dichter ſagt:
〟Bedenkt, daß unter uns die Kunſt nur kaum beginnt, 〟In welcher tauſend Quins, fuͤr einen Garrick ſind.
Quin, habe ich darwider erinnern hoͤren, iſt kein ſchlechter Schauſpieler geweſen. — Nein, gewiß nicht; er war Thomſons beſonderer Freund, und die Freundſchaft, in der ein Schauſpieler mit einem Dichter, wie Thomſon, geſtanden, wird bey der Nachwelt immer eingu -53gutes Vorurtheil fuͤr ſeine Kunſt erwecken. Auch hat Quin noch mehr, als dieſes Vorur - theil fuͤr ſich: man weiß, daß er in der Tragoͤdie mit vieler Wuͤrde geſpielet; daß er beſonders der erhabenen Sprache des Milton Genuͤge zu leiſten gewußt; daß er, im Komiſchen, die Rolle des Falſtaff zu ihrer groͤßten Vollkommenheit ge - bracht. Doch alles dieſes macht ihn zu keinem Garrick; und das Mißverſtaͤndniß liegt blos darinn, daß man annimmt, der Dichter habe dieſem allgemeinen und auſſerordentlichen Schau - ſpieler einen ſchlechten, und fuͤr ſchlecht durch - gaͤngig erkannten, entgegen ſetzen wollen. Quin ſoll hier einen von der gewoͤhnlichen Sorte be - deuten, wie man ſie alle Tage ſieht; einen Mann, der uͤberhaupt ſeine Sache ſo gut weg - macht, daß man mit ihm zufrieden iſt; der auch dieſen und jenen Charakter ganz vortrefflich ſpie - let, ſo wie ihm ſeine Figur, ſeine Stimme, ſein Temperament dabey zu Huͤlfe kommen. So ein Mann iſt ſehr brauchbar, und kann mit allem Rechte ein guter Schauſpieler heiſſen; aber wie viel fehlt ihm noch, um der Proteus in ſeiner Kunſt zu ſeyn, fuͤr den das einſtimmige Geruͤcht ſchon laͤngſt den Garrick erklaͤret hat. Ein ſol - cher Quin machte, ohne Zweifel, den Koͤnig im Hamlet, als Thomas Jones und Rebhuhn in der Komoͤdie waren;(*)Theil VI. S. 15. und der Rebhuhne giebtG 3es54es mehrere, die nicht einen Augenblick anſtehen, ihn einem Garrick weit vorzuziehen. 〟Was? ſagen ſie, Garrick der groͤßte Akteur? Er ſchien ja nicht uͤber das Geſpenſt erſchrocken, ſondern er war es. Was iſt das fuͤr eine Kunſt, uͤber ein Geſpenſt zu erſchrecken? Gewiß und wahr - haftig, wenn wir den Geiſt geſehen haͤtten, ſo wuͤrden wir eben ſo ausgeſehen, und eben das gethan haben, was er that. Der andere hin - gegen, der Koͤnig, ſchien wohl auch, etwas ge - ruͤhrt zu ſeyn, aber als ein guter Akteur gab er ſich doch alle moͤgliche Muͤhe, es zu verbergen. Zu dem ſprach er alle Worte ſo deutlich aus, und redete noch einmal ſo laut, als jener kleine unan - ſehnliche Mann, aus dem ihr ſo ein Aufhebens macht!〟
Bey den Englaͤndern hat jedes neue Stuͤck ſeinen Prolog und Epilog, den entweder der Verfaſſer ſelbſt, oder ein Freund deſſelben, ab - faſſet. Wozu die Alten den Prolog brauchten, den Zuhoͤrer von verſchiedenen Dingen zu un - terrichten, die zu einem geſchwindern Verſtaͤnd - niſſe der zum Grunde liegenden Geſchichte des Stuͤckes dienen, dazu brauchen ſie ihn zwar nicht. Aber er iſt darum doch nicht ohne Nutzen. Sie wiſſen hunderterley darinn zu ſagen, was das Anditorium fuͤr den Dichter, oder fuͤr den von ihm bearbeiteten Stoff einnehmen, und un -billigen55billigen Kritiken, ſowohl uͤber ihn als uͤber die Schauſpieler, vorbauen kann. Noch weniger bedienen ſie ſich des Epilogs, ſo wie ſich wohl Plautus deſſen manchmal bedienet; um die voͤl - lige Aufloͤſung des Stuͤcks, die in dem fuͤnften Akte nicht Raum hatte, darinn erzehlen zu laſ - ſen. Sondern ſie machen ihn zu einer Art von Nutzanwendung, voll guter Lehren, voll feiner Bemerkungen uͤber die geſchilderten Sitten, und uͤber die Kunſt, mit der ſie geſchildert worden; und das alles in dem ſchnurrigſten, launigſten Tone. Dieſen Ton aͤndern ſie auch nicht ein - mal gern bey dem Trauerſpiele; und es iſt gar nichts ungewoͤhnliches, daß nach dem blutigſten und ruͤhrendſten, die Satyre ein ſo lautes Gelaͤch - ter aufſchlaͤgt, und der Witz ſo muthwillig wird, daß es ſcheinet, es ſey die ausdruͤckliche Abſicht, mit allen Eindruͤcken des Guten ein Geſpoͤtte zu treiben. Es iſt bekannt, wie ſehr Thomſon wider dieſe Narrenſchellen, mit der man der Melpomene nachklingelt, geeifert hat. Wenn ich daher wuͤnſchte, daß auch bey uns neue Ori - ginalſtuͤcke, nicht ganz ohne Einfuͤhrung und Empfehlung, vor das Publikum gebracht wuͤrden, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß bey dem Trauer - ſpiele der Ton des Epilogs unſerm deutſchen Ernſte angemeſſener ſeyn muͤßte. Nach dem Luſtſpiele koͤnnte er immer ſo burleſk ſeyn, als er wollte. Dryden iſt es, der bey den Englaͤn -dern56dern Meiſterſtuͤcke von dieſer Art gemacht hat, die noch itzt mit dem groͤßten Vergnuͤgen geleſen werden, nachdem die Spiele ſelbſt, zu welchen er ſie verfertiget, zum Theil laͤngſt vergeſſen ſind. Hamburg haͤtte einen deutſchen Dryden in der Naͤhe; und ich brauche ihn nicht noch ein - mal zu bezeichnen, wer von unſern Dichtern Moral und Kritik mit attiſchem Salze zu wuͤr - zen, ſo gut als der Englaͤnder verſtehen wuͤrde.
Die Vorſtellungen des erſten Abends, wur - den den zweyten wiederhohlt.
Den dritten Abend (Freytags, den 24ſten v. M.) ward Melanide aufgefuͤhret. Dieſes Stuͤck des Nivelle de la Chauſſee iſt bekannt. Es iſt von der ruͤhrenden Gattung, der man den ſpoͤttiſchen Beynamen, der Weinerlichen, gegeben. Wenn weinerlich heißt, was uns die Thraͤnen nahe bringt, wobey wir nicht uͤbel Luſt haͤtten zu weinen, ſo ſind verſchiedene Stuͤcke von dieſer Gattung etwas mehr, als weinerlich; ſie koſten einer empfindlichen Seele Stroͤme von Thraͤnen; und der gemeine Praß franzoͤſiſcher Trauerſpiele verdienet, in Vergleichung ihrer, allein weinerlich genannt zu werden. Denn eben bringen ſie es ungefaͤhr ſo weit, daß unsHwird,58wird, als ob wir haͤtten weinen koͤnnen, wenn der Dichter ſeine Kunſt beſſer verſtanden haͤtte.
Melanide iſt kein Meiſterſtuͤck von dieſer Gat - tung; aber man ſieht es doch immer mit Ver - gnuͤgen. Es hat ſich, ſelbſt auf dem franzoͤſiſchen Theater, erhalten, auf welchem es im Jahre 1741 zuerſt geſpielt ward. Der Stoff, ſagt man, ſey aus einem Roman, Mademoiſelle de Bon - tems betittelt, entlehnet. Ich kenne dieſen Ro - man nicht; aber wenn auch die Situation der zweyten Scene des dritten Akts aus ihm genom - men iſt, ſo muß ich einen Unbekannten, anſtatt des de la Chauſſee, um das beneiden, weßwegen ich wohl, eine Melanide gemacht zu haben, wuͤnſchte.
Die Ueberſetzung war nicht ſchlecht; ſie iſt unendlich beſſer, als eine italieniſche, die in dem zweyten Bande der theatraliſchen Bibliothek des Diodati ſtehet. Ich muß es zum Troſte des groͤßten Haufens unſerer Ueberſetzer anfuͤhren, daß ihre italieniſchen Mitbruͤder meiſtentheils noch weit elender ſind, als ſie. Gute Verſe indeß in gute Proſa uͤberſetzen, erfodert etwas mehr, als Genauigkeit; oder ich moͤchte wohl ſagen, etwas anders. Allzu puͤnktliche Treue macht jede Ueberſetzung ſteif, weil unmoͤglich alles, was in der einen Sprache natuͤrlich iſt, es auch in der andern ſeyn kann. Aber eine Ueberſetzung aus Verſen macht ſie zugleich waͤß -rig59rig und ſchielend. Denn wo iſt der gluͤckliche Verſificateur, den nie das Sylbenmaaß, nie der Reim, hier etwas mehr oder weniger, dort etwas ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, fruͤher oder ſpaͤter, ſagen lieſſe, als er es, frey von dieſem Zwange, wuͤrde geſagt haben? Wenn nun der Ueberſetzer dieſes nicht zu unterſcheiden weiß; wenn er nicht Geſchmack, nicht Muth genug hat, hier einen Nebenbegriff wegzulaſſen, da ſtatt der Metapher den eigentlichen Ausdruck zu ſetzen, dort eine Ellipſis zu ergaͤnzen oder anzubringen: ſo wird er uns alle Nachlaͤßigkeiten ſeines Originals uͤberliefert, und ihnen nichts als die Entſchul - digung benommen haben, welche die Schwierig - keiten der Symmetrie und des Wohlklanges in der Grundſprache fuͤr ſie machen.
Die Rolle der Melanide ward von einer Aktrice geſpielet, die nach einer neunjaͤhrigen Entfernung vom Theater, aufs neue in allen den Vollkommenheiten wieder erſchien, die Ken - ner und Nichtkenner, mit und ohne Einſicht, ehedem an ihr empfunden und bewundert hatten. Madame Loͤwen verbindet mit dem ſilbernen Tone der ſonoreſten lieblichſten Stimme, mit dem offenſten, ruhigſten und gleichwohl aus - druckfaͤhigſten Geſichte von der Welt, das feinſte ſchnellſte Gefuͤhl, die ſicherſte waͤrmſte Empfindung, die ſich, zwar nicht immer ſo leb - haft, als es viele wuͤnſchen, doch allezeit mitH 2An -60Anſtand und Wuͤrde aͤußert. In ihrer Dekla - mation accentuirt ſie richtig, aber nicht merklich. Der gaͤnzliche Mangel intenſiver Accente verur - ſacht Monotonie; aber ohne ihr dieſe vorwerfen zu koͤnnen, weiß ſie dem ſparſamern Gebrauche derſelben durch eine andere Feinheit zu Huͤlfe zu kommen, von der, leider! ſehr viele Akteurs ganz und gar nichts wiſſen. Ich will mich er - klaͤren. Man weiß, was in der Muſik das Mouvement heißt; nicht der Takt, ſondern der Grad der Langſamkeit oder Schnelligkeit, mit welchen der Takt geſpielt wird. Dieſes Mou - vement iſt durch das ganze Stuͤck einfoͤrmig; in dem nehmlichen Maaße der Geſchwindigkeit, in welchem die erſten Takte geſpielet worden, muͤſſen ſie alle, bis zu den letzten, geſpielet werden. Dieſe Einfoͤrmigkeit iſt in der Muſik nothwen - dig, weil Ein Stuͤck nur einerley ausdruͤcken kann, und ohne dieſelbe gar keine Verbindung verſchiedener Inſtrumente und Stimmen moͤglich ſeyn wuͤrde. Mit der Deklamation hingegen iſt es ganz anders. Wenn wir einen Periodeu von mehrern Gliedern, als ein beſonderes mu - ſikaliſches Stuͤck annehmen, und die Glieder als die Takte deſſelben betrachten, ſo muͤſſen dieſe Glieder, auch alsdenn, wenn ſie vollkommen gleicher Laͤnge waͤren, und aus der nehmlichen Anzahl von Sylben des nehmlichen Zeitmaaßes beſtuͤnden, dennoch nie mit einerley Geſchwin -digkeit61digkeit geſprochen werden. Denn da ſie, weder in Abſicht auf die Deutlichkeit und den Nach - druck, noch in Ruͤckſicht auf den in dem ganzen Perioden herrſchenden Affekt, von einerley Werth und Belang ſeyn koͤnnen: ſo iſt es der Natur gemaͤß, daß die Stimme die geringfuͤgi - gern ſchnell herausſtoͤßt, fluͤchtig und nachlaͤßig daruͤber hinſchlupft; auf den betraͤchtlichern aber verweilet, ſie dehnet und ſchleift, und jedes Wort, und in jedem Worte jeden Buchſtaben, uns zuzaͤhlet. Die Grade dieſer Verſchieden - heit ſind unendlich; und ob ſie ſich ſchon durch keine kuͤnſtliche Zeittheilchen beſtimmen und gegen einander abmeſſen laſſen, ſo werden ſie doch auch von dem ungelehrteſten Ohre unter - ſchieden, ſo wie von der ungelehrteſten Zunge beobachtet, wenn die Rede aus einem durch - drungenen Herzen, und nicht blos aus einem fer - tigen Gedaͤchtniſſe fließet. Die Wirkung iſt unglaublich, die dieſes beſtaͤndig abwechſelnde Mouvement der Stimme hat; und werden vol - lends alle Abaͤnderungen des Tones, nicht blos in Anſehung der Hoͤhe und Tiefe, der Staͤrke und Schwaͤche, ſondern auch des Rauhen und Sanften, des Schneidenden und Runden, ſo - gar des Holprichten und Geſchmeidigen, an den rechten Stellen, damit verbunden: ſo entſtehet jene natuͤrliche Muſik, gegen die ſich unfehlbar unſer Herz eroͤfnet, weil es empfindet, daß ſieH 3aus62aus den Herzen entſpringt, und die Kunſt nur in ſo fern daran Antheil hat, als auch die Kunſt zur Natur werden kann. Und in dieſer Muſik, ſage ich, iſt die Aktrice, von welcher ich ſpreche, ganz vortrefflich, und ihr niemand zu verglei - chen, als Herr Eckhof, der aber, indem er die intenſiven Accente auf einzelne Worte, worauf ſie ſich weniger befleißiget, noch hinzufuͤget, blos dadurch ſeiner Deklamation eine hoͤhere Vollkommenheit zu geben im Stande iſt. Doch vielleicht hat ſie auch dieſe in ihrer Gewalt; und ich urtheile blos ſo von ihr, weil ich ſie noch in keinen Rollen geſehen, in welchen ſich das Ruͤh - rende zum Pathetiſchen erhebet. Ich erwarte ſie in dem Trauerſpiele, und fahre indeß in der Geſchichte unſers Theaters fort.
Den vierten Abend (Montags, den 27ſten v. M.) ward ein neues deutſches Original, betittelt Julie, oder Wettſtreit der Pflicht und Liebe, auf - gefuͤhret. Es hat den Hrn. Heufeld in Wien zum Verfaſſer, der uns ſagt, daß bereits zwey andere Stuͤcke von ihm, den Beyfall des dortigen Publi - kums erhalten haͤtten. Ich kenne ſie nicht; aber nach dem gegenwaͤrtigen zu urtheilen, muͤſſen ſie nicht ganz ſchlecht ſeyn.
Die Hauptzuͤge der Fabel und der groͤßte Theil der Situationen, ſind aus der Neuen Heloiſe des Rouſſeau entlehnet. Ich wuͤnſchte, daß Hr. Heu - feld, ehe er zu Werke geſchritten, die Beurthei -lung63lung dieſes Romans in den Briefen, die neueſte Lit - teratur betreffend,(*)Theil X. S. 255 u. f. geleſen und ſtudiert haͤtte. Er wuͤrde mit einer ſicherern Einſicht in die Schoͤn - heiten ſeines Originals gearbeitet haben, und viel - leicht in vielen Stuͤcken gluͤcklicher geweſen ſeyn.
Der Werth der Neuen Heloiſe iſt, von der Seite der Erfindung, ſehr gering, und das Beſte darinn ganz und gar keiner dramatiſchen Bearbeitung faͤhig. Die Situationen ſind alltaͤglich oder unna - tuͤrlich, und die wenig guten ſo weit von einander entfernt, daß ſie ſich, ohne Gewaltſamkeit, in den en - gen Raum eines Schauſpiels von drey Aufzuͤgen nicht zwingen laſſen. Die Geſchichte konnte ſich auf der Buͤhne unmoͤglich ſo ſchlieſſen, wie ſie ſich in dem Romane nicht ſowohl ſchließt, als verlieret. Der Liebhaber der Julie mußte hier gluͤcklich wer - den, und Hr. Heufeld laͤßt ihn gluͤcklich werden. Er bekoͤmmt ſeine Schuͤlerinn. Aber hat Hr. Heufeld auch uͤberlegt, daß ſeine Julie nun gar nicht mehr die Julie des Rouſſeau iſt? Doch Julie des Rouſ - ſeau, oder nicht: wem liegt daran? Wenn ſie nur ſonſt eine Perſon iſt, die intereßiret. Aber eben das iſt ſie nicht; ſie iſt nichts, als eine kleine verliebte Naͤrrinn, die manchmal artig genug ſchwatzet, wenn ſich Herr Heufeld auf eine ſchoͤne Stelle im Rouſſeau beſinnet. 〟Julie, ſagt der Kunſtrichter, deſſen Urtheils ich erwaͤhnet habe, ſpielt in der Ge - ſchichte eine zweyfache Rolle. Sie iſt Anfangs ein ſchwaches und ſogar etwas verfuͤhreriſches Maͤd -chen,64chen, und wird zuletzt ein Frauenzimmer, das, als ein Muſter der Tugend, alle, die man jemals erdich - tet hat, weit uͤbertrift. 〟 Dieſes letztere wird ſie durch ihren Gehorſam, durch die Aufopferung ih - rer Liebe, durch die Gewalt, die ſie uͤber ihr Herz gewinnet. Wenn nun aber von allen dieſen in dem Stuͤcke nichts zu hoͤren und zu ſehen iſt: was bleibt von ihr uͤbrig, als, wie geſagt, das ſchwache ver - fuͤhreriſche Maͤdchen, das Tugend und Weisheit auf der Zunge, und Thorheit im Herzen hat?
Den St. Preux des Rouſſeau hat Herr Heufeld in einen Siegmund umgetauft. Der Name Siegmund ſchmecket bey uns ziemlich nach dem Domeſtiquen. Ich wuͤnſchte, daß unſere dramatiſchen Dichter auch in ſol - chen Kleinigkeiten ein wenig geſuchterer, und auf den Ton der großen Welt aufmerkſamer ſeyn wollten. — St. Preux ſpielt ſchon bey dem Rouſſeau eine ſehr ab - geſchmackte Figur. 〟Sie nennen ihn alle, ſagt der an - gefuͤhrte Kunſtrichter, den Philoſophen. Den Philo - ſophen! Ich moͤchte wiſſen, was der junge Menſch in der ganzen Geſchichte ſpricht oder thut, dadurch er die - ſen Namen verdienet? In meinen Augen iſt er der al - bernſte Menſch von der Welt, der in allgemeinen Aus - rufungen Vernunft und Weisheit bis in den Himmel erhebt, und nicht den geringſten Funken davon beſitzet. In ſeiner Liebe iſt er abentheuerlich, ſchwuͤlſtig, aus - gelaſſen, und in ſeinem uͤbrigen Thun und Laſſen findet ſich nicht die geringſte Spur von Ueberlegung. Er ſetzet das ſtolzeſte Zutrauen in ſeine Vernunft, und iſt den - noch nicht entſchloſſen genug, den kleinſten Schritt zu thun, ohne von ſeiner Schuͤlerinn, oder von ſeinem Freunde an der Hand gefuͤhret zu werden. 〟 — Aber wie tief iſt der deutſche Siegmund noch unter dieſen St. Preux!
In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, ſeinen auf - geklaͤrten Verſtand zu zeigen, und die thaͤ - tige Rolle des rechtſchaffenen Mannes zu ſpielen. Aber Siegmund in der Komoͤdie iſt weiter nichts, als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus ſei - ner Schwachheit eine Tugend macht, und ſich ſehr bele diget findet, daß man ſeinem zaͤrtlichen Herzchen nicht durchgaͤngig will Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Seine ganze Wirkſamkeit laͤuft auf ein Paar maͤchtige Thorheiten heraus. Das Buͤrſchchen will ſich ſchlagen und erſtechen.
Der Verfaſſer hat es ſelbſt empfunden, daß ſein Siegmund nicht in genugſamer Handlung erſcheinet; aber er glaubt, dieſem Einwurfe da - durch vorzubeugen, wenn er zu erwaͤgen giebt:
〟daß ein Menſch ſeines gleichen, in einer Zeit von vier und zwanzig Stunden, nicht wie einJKoͤnig,66Koͤnig, dem alle Augenblicke Gelegenheiten dazu darbieten, große Handlungen verrichten koͤnne. Man muͤſſe zum voraus annehmen, daß er ein rechtſchaffener Mann ſey, wie er beſchrieben werde; und genug, daß Julie, ihre Mutter, Clariſſe, Eduard, lauter rechtſchaffene Leute, ihn dafuͤr erkannt haͤtten. 〟
Es iſt recht wohl gehandelt, wenn man, im gemeinen Leben, in den Charakter anderer kein beleidigendes Mißtrauen ſetzt; wenn man dem Zeugniſſe, das ſich ehrliche Leute unter einander ertheilen, allen Glauben beymißt. Aber darf uns der dramatiſche Dichter mit dieſer Regel der Billigkeit abſpeiſen? Gewiß nicht; ob er ſich ſchon ſein Geſchaͤft dadurch ſehr leicht machen koͤnnte. Wir wollen es auf der Buͤhne ſehen, wer die Menſchen ſind, und koͤnnen es nur aus ihren Thaten ſehen. Das Gute, das wir ihnen, blos auf anderer Wort, zutrauen ſollen, kann uns unmoͤglich fuͤr ſie intereſſiren; es laͤßt uns voͤllig gleichguͤltig, und wenn wir nie die geringſte eigene Erfahrung davon erhalten, ſo hat es ſo - gar eine uͤble Ruͤckwirkung auf diejenigen, auf deren Treu und Glauben wir es einzig und allein annehmen ſollen. Weit gefehlt alſo, daß wir deßwegen, weil Julie, ihre Mutter, Clariſſe, Eduard, den Siegmund fuͤr den vortrefflichſten, vollkommenſten jungen Menſchen erklaͤren, ihn auch dafuͤr zu erkennen bereit ſeyn ſollten: ſofan -67fangen wir vielmehr an, in die Einſicht aller dieſer Perſonen ein Mißtrauen zu ſetzen, wenn wir nie mit unſern eigenen Augen etwas ſehen, was ihre guͤnſtige Meinung rechtfertiget. Es iſt wahr, in vier und zwanzig Stunden kann eine Privatperſon nicht viel große Handlungen verrichten. Aber wer verlangt denn große? Auch in den kleinſten kann ſich der Charakter ſchildern; und nur die, welche das meiſte Licht auf ihn werfen, ſind, nach der poetiſchen Schaͤtzung, die groͤßten. Wie traf es ſich denn indeß, daß vier und zwanzig Stunden Zeit genug waren, dem Siegmund zu den zwey aͤußerſten Narrheiten Gelegenheit zu ſchaffen, die einem Menſchen in ſeinen Umſtaͤnden nur immer einfallen koͤnnen? Die Gelegenheiten ſind auch darnach; koͤnnte der Verfaſſer antworten: doch das wird er wohl nicht. Sie moͤchten aber noch ſo natuͤrlich herbeygefuͤhret, noch ſo fein behandelt ſeyn: ſo wuͤrden darum die Narrhei - ten ſelbſt, die wir ihn zu begehen im Begriffe ſehen, ihre uͤble Wirkung auf unſere Idee von dem jungen ſtuͤrmiſchen Scheinweiſen, nicht ver - lieren. Daß er ſchlecht handele, ſehen wir: daß er gut handeln koͤnne, hoͤren wir nur, und nicht einmal in Beyſpielen, ſondern in den all - gemeinſten ſchwankendſten Ausdruͤcken.
Die Haͤrte, mit der Julien von ihrem Vater begegnet wird, da ſie einen andern von ihm zumJ 2Ge -68Gemahle nehmen ſoll, als den ihr Herz gewaͤh - let hatte, wird beym Rouſſeau nur kaum be - ruͤhrt. Herr Heufeld hatte den Muth, uns eine ganze Scene davon zu zeigen. Ich liebe es, wenn ein junger Dichter etwas wagt. Er laͤßt den Vater, die Tochter zu Boden ſtoßen. Ich war um die Ausfuͤhrung dieſer Aktion be - ſorgt. Aber vergebens; unſere Schauſpieler hatten ſie ſo wohl concertiret; es ward, von Sei - ten des Vaters und der Tochter, ſo viel Anſtand dabey beobachtet, und dieſer Anſtand that der Wahrheit ſo wenig Abbruch, daß ich mir geſte - hen mußte, dieſen Akteurs koͤnne man ſo etwas anvertrauen, oder keinen. Herr Heufeld ver - langt, daß, wenn Julie von ihrer Mutter auf - gehoben wird, ſich in ihrem Geſichte Blut zeigen ſoll. Es kann ihm lieb ſeyn, daß dieſes unter - laſſen worden. Die Pantomime muß nie bis zu dem Eckelhaften getrieben werden. Gut, wenn in ſolchen Faͤllen die erhitzte Einbildungskraft Blut zu ſehen glaubt; aber das Auge muß es nicht wirklich ſehen.
Die darauf folgende Scene iſt die hervor - ragendſte des ganzen Stuͤckes. Sie gehoͤrt dem Rouſſeau. Ich weiß ſelbſt nicht, welcher Un - wille ſich in die Empfindung des Pathetiſchen miſchet, wenn wir einen Vater ſeine Tochter fußfaͤllig um etwas bitten ſehen. Es beleidiget, es kraͤnket uns, denjenigen ſo erniedriget zu er -blicken,69blicken, dem die Natur ſo heilige Rechte uͤber - tragen hat. Dem Rouſſeau muß man dieſen auſſerordentlichen Hebel verzeihen; die Maſſe iſt zu groß, die er in Bewegung ſetzen ſoll. Da keine Gruͤnde bey Julien anſchlagen wollen; da ihr Herz in der Verfaſſung iſt, daß es ſich durch die aͤußerſte Strenge in ſeinem Entſchluſſe nur noch mehr befeſtigen wuͤrde: ſo konnte ſie nur durch die ploͤtzliche Ueberraſchung der unerwar - teſten Begegnung erſchuͤttert, und in einer Art von Betaͤubung umgelenket werden. Die Ge - liebte ſollte ſich in die Tochter, verfuͤhreriſche Zaͤrtlichkeit in blinden Gehorſam verwandeln; da Rouſſeau kein Mittel ſahe, der Natur dieſe Veraͤnderung abzugewinnen, ſo mußte er ſich entſchlieſſen, ihr ſie abzunoͤthigen, oder, wenn man will, abzuſtehlen. Auf keine andere Weiſe konnten wir es Julien in der Folge vergeben, daß ſie den inbruͤnſtigſten Liebhaber dem kaͤlteſten Ehemanne aufgeopfert habe. Aber da dieſe Aufopferung in der Komoͤdie nicht erfolget; da es nicht die Tochter, ſondern der Vater iſt, der endlich nachgiebt: haͤtte Herr Heufeld die Wen - dung nicht ein wenig lindern ſollen, durch die Rouſſeau blos das Befremdliche jener Aufopfe - rung rechtfertigen, und das Ungewoͤhnliche der - ſelben vor dem Vorwurfe des Unnatuͤrlichen in Sicherheit ſetzen wollte? — Doch Kritik, und kein Ende! Wenn Herr Heufeld das gethanJ 3haͤtte,70haͤtte, ſo wuͤrden wir um eine Scene gekommen ſeyn, die, wenn ſie ſchon nicht ſo recht in das Ganze paſſen will, doch ſehr kraͤftig iſt; er wuͤrde uns ein hohes Licht in ſeiner Copie ver - mahlt haben, von dem man zwar nicht eigentlich weiß, wo es herkoͤmmt, das aber eine treffliche Wirkung thut. Die Art, mit der Herr Eckhof dieſe Scene ausfuͤhrte, die Aktion, mit der er einen Theil der grauen Haare vors Auge brach - te, bey welchen er die Tochter beſchwor; waͤren es allein werth geweſen, eine kleine Unſchicklich - keit zu begehen, die vielleicht niemanden, als dem kalten Kunſtrichter, bey Zergliederung des Planes, merklich wird.
Das Nachſpiel dieſes Abends war, der Schatz; die Nachahmung des Plautinſchen Trinummus, in welcher der Verfaſſer alle die komiſchen Sce - nen ſeines Originals in einen Aufzug zu concen - triren geſucht hat. Er ward ſehr wohl geſpielt. Die Akteurs alle wußten ihre Rollen mit der Fertigkeit, die zu dem Niedrigkomiſchen ſo noth - wendig erfodert wird. Wenn ein halbſchieriger Einfall, eine Unbeſonnenheit, ein Wortſpiel, langſam und ſtotternd vorgebracht wird; wenn ſich die Perſonen auf Armſeligkeiten, die weiter nichts als den Mund in Falten ſetzen ſollen, noch erſt viel beſinnen: ſo iſt die Langeweile unver - meidlich. Poſſen muͤſſen Schlag auf Schlaggeſagt71geſagt werden, und der Zuhoͤrer muß keinen Augenblick Zeit haben, zu unterſuchen, wie witzig oder unwitzig ſie ſind. Es ſind keine Frauenzimmer in dieſem Stuͤcke; das einzige, welches noch anzubringen geweſen waͤre, wuͤrde eine froſtige Liebhaberinn ſeyn; und freylich lie - ber keines, als ſo eines. Sonſt moͤchte ich es niemanden rathen, ſich dieſer Beſondernheit zu befleißigen. Wir ſind zu ſehr an die Unter - mengung beider Geſchlechter gewoͤhnet, als daß wir bey gaͤnzlicher Vermiſſung des reitzendern, nicht etwas Leeres empfinden ſollten.
Unter den Italienern hat ehedem Cecchi, und neuerlich unter den Franzoſen Destouches, das nehmliche Luſtſpiel des Plautus wieder auf die Buͤhne gebracht. Sie haben beide große Stuͤcke von fuͤnf Aufzuͤgen daraus gemacht, und ſind daher genoͤthiget geweſen, den Plan des Roͤ - mers mit eignen Erfindungen zu erweitern. Das vom Cecchi heißt, die Mitgift, und wird vom Riccoboni, in ſeiner Geſchichte des italieni - ſchen Theaters, als eines von den beſten alten Luſtſpielen deſſelben empfohlen. Das vom Des - touches fuͤhrt den Titel, der verborgne Schatz, und ward ein einzigesmal, im Jahre 1745, auf der italieniſchen Buͤhne zu Paris, und auch dieſes einzigemal nicht ganz bis zu Ende, aufge - fuͤhret. Es fand keinen Beyfall, und iſt erſtnach72nach dem Tode des Verfaſſers, und alſo ver - ſchiedene Jahre ſpaͤter, als der deutſche Schatz, im Drucke erſchienen. Plautus ſelbſt iſt nicht der erſte Erfinder dieſes ſo gluͤcklichen, und von mehrern mit ſo vieler Nacheifrung bearbeiteten Stoffes geweſen; ſondern Philemon, bey dem es eben die ſimple Aufſchrift hatte, zu der es im Deutſchen wieder zuruͤckgefuͤhret worden. Plau - tus hatte ſeine ganz eigne Manier, in Benen - nung ſeiner Stuͤcke; und meiſtentheils nahm er ſie von dem allerunerheblichſten Umſtande her. Dieſes z. E. nennte er Trinummus, den Drey - ling; weil der Sykophant einen Dreyling fuͤr ſeine Muͤhe bekam.
Das Stuͤck des fuͤnften Abends (Dienſtags, den 28ſten April,) war, das unvermu - thete Hinderniß, oder das Hinderniß ohne Hinderniß, vom Destouches.
Wenn wir die Annales des franzoͤſiſchen Thea - ters nachſchlagen, ſo finden wir, daß die luſtig - ſten Stuͤcke dieſes Verfaſſers, gerade den aller - wenigſten Beyfall gehabt haben. Weder das gegenwaͤrtige, noch der verborgene Schatz, noch das Geſpenſt mit der Trommel, noch der poeti - ſche Dorfjunker, haben ſich darauf erhalten; und ſind ſelbſt in ihrer Neuheit, nur wenige - mal aufgefuͤhret worden. Es beruhet ſehr viel auf dem Tone, in welchem ſich ein Dichter an - kuͤndiget, oder in welchem er ſeine beſten Werke verfertiget. Man nimmt ſtillſchweigend an, als ob er eine Verbindung dadurch eingehe, ſich von dieſem Tone niemals zu entfernen; undKwenn74wenn er es thut, duͤnket man ſich berechtiget, daruͤber zu ſtutzen. Man ſucht den Verfaſſer in dem Verfaſſer, und glaubt, etwas ſchlechters zu finden, ſobald man nicht das nehmliche findet. Destouches hatte in ſeinem verheyratheten Phi - loſophen, in ſeinem Ruhmredigen, in ſeinem Verſchwender, Muſter eines feinern, hoͤhern Komiſchen gegeben, als man vom Moliere, ſelbſt in ſeinen ernſthafteſten Stuͤcken, gewohnt war. Sogleich machten die Kunſtrichter, die ſo gern klaßificiren, dieſes zu ſeiner eigenthuͤmlichen Sphaͤre; was bey dem Poeten vielleicht nichts als zufaͤllige Wahl war, erklaͤrten ſie fuͤr vor - zuͤglichen Hang und herrſchende Faͤhigkeit; was er einmal, zweymal, nicht gewollt hatte, ſchien er ihnen nicht zu koͤnnen: und als er es nunmehr wollte, was ſieht Kunſtrichtern aͤhnlicher, als daß ſie ihm lieber nicht Gerechtigkeit wiederfahren lieſſen, ehe ſie ihr voreiliges Urtheil aͤnderten? Ich will damit nicht ſagen, daß das Niedrig - komiſche des Destouches mit dem Molieriſchen von einerley Guͤte ſey. Es iſt wirklich um vie - les ſteifer; der witzige Kopf iſt mehr darinn zu ſpuͤren, als der getreue Mahler; ſeine Narren ſind ſelten von den behaͤglichen Narrren, wie ſie aus den Haͤnden der Natur kommen, ſondern mehrentheils von der hoͤlzernen Gattung, wie ſie die Kunſt ſchnitzelt, und mit Affektation, mit verfehlter Lebensart, mit Pedanterie uͤber -ladet;75ladet; ſein Schulwitz, ſein Maſuren, ſind da - her froſtiger als laͤcherlich. Aber dem ohnge - achtet, — und nur dieſes wollte ich ſagen, — ſind ſeine luſtigen Stuͤcke am wahren Komiſchen ſo geringhaltig noch nicht, als ſie ein verzaͤrtelter Geſchmack findet; ſie haben Scenen mit unter, die uns aus Herzensgrunde zu lachen machen, und die ihm allein einen anſehnlichen Rang unter den komiſchen Dichtern verſichern koͤnnten.
Hierauf folget ein neues Luſtſpiel in einem Aufzuge, betittelt, die neue Agneſe.
Madame Gertrude