PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Fabeln.
Drey Bücher. Nebſt Abhandlungen mit dieſer Dichtungsart verwandten Inhalts.
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Berlin,bey Chriſtian Friedrich Voß1759.
[I]

Vorrede.

Ich warf, vor Jahr und Tag, einen kritiſchen Blick auf meine Schriften. Ich hatte ihrer lange genug vergeſſen, um ſie völlig als fremde Geburten betrachten zu können. Ich fand, daß man noch lange nicht ſo viel Böſes davon geſagt habe, als man wohl ſagen könnte, und beſchloß, in dem erſten Unwillen, ſie ganz zu verwerfen.

*VielII

Viel Ueberwindung hätte mich die Aus - führung dieſes Entſchluſſes gewiß nicht ge - koſtet. Ich hatte meine Schriften nie der Mühe werth geachtet, ſie gegen irgend je - manden zu vertheidigen; ſo ein leichtes und gutes Spiel mir auch oft der allzuelende An - griff dieſer und jener, würde gemacht haben. Dazu kam noch das Gefühl, daß ich itzt meine jugendlichen Vergehungen durch beſ - ſere Dinge gut machen, und endlich wohl gar in Vergeſſenheit bringen könnte.

Doch indem fielen mir ſo viel freund - ſchaftliche Leſer ein. Soll ich ſelbſt Ge - legenheit geben, daß man ihnen vorwerffenkann,IIIkann, ihren Beyfall an etwas ganz Unwür - diges verſchwendet zu haben? Ihre nach - ſichtsvolle Aufmunterung erwartet von mir ein anderes Betragen. Sie erwartet, und ſie verdienet, daß ich mich beſtrebe, ſie, wenigſtens nach der Hand, Recht haben zu laſſen; daß ich ſo viel Gutes nunmehr wirklich in meine Schriften ſo glücklich hin - einlege, daß ſie es in voraus darinn be - merkt zu haben ſcheinen können. Und ſo nahm ich mir vor, was ich erſt ver - werffen wollte, lieber ſo viel als möglich zu verbeſſern. Welche Arbeit!

* 2IchIV

Ich hatte mich bey keiner Gattung von Gedichten länger verweilet, als bey der Fabel. Es gefiel mir auf dieſem gemein - ſchaftlichen Raine der Poeſie und Moral. Ich hatte die alten und neuen Fabuliſten ſo ziemlich alle, und die beſten von ihnen mehr als einmal geleſen. Ich hatte über die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich hatte mich oft gewundert, daß die grade auf die Wahrheit führende Bahn des Aeſo - pus, von den Neuern, für die blumenrei - chern Abwege der ſchwatzhaften Gabe zu erzehlen, ſo ſehr verlaſſen werde. Ich hatte eine Menge Verſuche in der einfälti -genVgen Art des alten Phrygiers gemacht. Kurz ich glaubte mich in dieſem Fache ſo reich, daß ich, vors erſte meinen Fabeln, mit leichter Mühe, eine neue Geſtalt geben könnte.

Ich griff zum Werke. Wie ſehr ich mich aber wegen der leichten Mühe geirret hatte, das weis ich ſelbſt am beſten. An - merkungen, die man während dem Stu - dieren macht, und nur aus Mißtrauen in ſein Gedächtniß auf das Papier wirft; Ge - danken, die man ſich nur zu haben be - gnügt, ohne ihnen durch den Ausdruck die nöthige Präciſion zu geben; Verſuchen,* 3dieVIdie man nur zu ſeiner Uebung waget, fehlet noch ſehr viel zu einem Buche. Was nun endlich für eines daraus gewor - den; hier iſt es!

Man wird nicht mehr als ſechſe von meinen alten Fabeln darinn finden; die ſechs proſaiſchen nehmlich, die mir der Erhaltung am wenigſten unwerth ſchienen. Die übrigen gereimten mögen auf eine an - dere Stelle warten. Wenn es nicht gar zu ſonderbar gelaſſen hätte, ſo würde ich ſie in Proſa aufgelöſet haben.

Ohne übrigens eigentlich den Geſichts - punct, aus welchem ich am liebſten be -trach -VIItrachtet zu ſeyn wünſchte, vorzuſchreiben, erſuche ich bloß meinen Leſer, die Fabeln nicht ohne die Abhandlungen zu beur - theilen. Denn ob ich gleich weder dieſe jenen, noch jene dieſen zum Beſten ge - ſchrieben habe; ſo entlehnen doch beyde, als Dinge, die zu Einer Zeit in Einem Kopfe entſprungen, allzuviel von einander, als daß ſie einzeln und abgeſondert noch eben dieſelben bleiben könnten. Sollte er auch ſchon dabey entdecken, daß meine Regeln mit meiner Ausübung nicht allezeit über - einſtimmen: was iſt es mehr? Er weiß von ſelbſt, daß das Genie ſeinen Eigen -* 4ſinnVIIIſinn hat; daß es den Regeln ſelten mit Vorſatz folget; und daß dieſe ſeine wollü - ſtigen Auswüchſe zwar beſchneiden, aber nicht hemmen ſollen. Er prüfe alſo in den Fabeln ſeinen Geſchmack, und in den Abhandlungen meine Gründe.

Ich wäre Willens mit allen übrigen Ab - theilungen meiner Schriften, nach und nach, auf gleiche Weiſe zu verfahren. An Vorrath würde es mir auch nicht fehlen, den unnützen Abgang dabey zu erſetzen. Aber an Zeit, an Ruhe Nichts weiter! Dieſes Aber gehöret in keine Vor - rede; und das Publicum danket es ſelteneinemIXeinem Schriftſteller, wenn er es auch in ſolchen Dingen zu ſeinem Vertrauten zu machen gedenkt. So lange der Virtuo - ſe Anſchläge faſſet, Ideen ſammlet, wäh - let, ordnet, in Plane vertheilet: ſo lange genießt er die ſich ſelbſt belohnenden Wol - lüſte der Empfängniß. Aber ſo bald er einen Schritt weiter gehet, und Hand an - leget, ſeine Schöpfung auch auſſer ſich dar - zuſtellen: ſogleich fangen die Schmerzen der Geburt an, welchen er ſich ſelten ohne alle Aufmunterung unterziehet.

Eine Vorrede ſollte nichts enthalten, als die Geſchichte des Buchs. Die Ge -ſchichteXſchichte des meinigen war bald erzehlt, und ich müßte hier ſchlieſſen. Allein, da ich die Gelegenheit mit meinen Leſern zu ſpre - chen, ſo ſelten ergreiffe, ſo erlaube man mir, ſie einmal zu mißbrauchen. Ich bin gezwungen mich über einen bekannten Scribenten zu beklagen. Herr Duſch hat mich durch ſeine bevollmächtigte Freunde, ſeit geraumer Zeit, auf eine ſehr nichts - würdige Art mißhandeln laſſen. Ich mei - ne mich, den Menſchen; denn daß es ſei - ner ſiegreichen Critik gefallen hat, mich, den Schriftſteller, in die Pfanne zu hauen, das würde ich mit keinem Worte rügen. DieXIDie Urſache ſeiner Erbitterung ſind ver - ſchiedene Critiken, die man in der Biblio - thek der ſchönen Wiſſenſchaften, und in den Briefen die neueſte Litteratur betreffend, über ſeine Werke gemacht hat, und Er auf meine Rechnung ſchreibet. Ich habe ihn ſchon öffentlich von dem Ge - gentheile verſichern laſſen; die Verfaſſer der Bibliothek ſind auch nunmehr genug - ſam bekannt; und wenn dieſe, wie er ſelbſt behauptet, zugleich die Verfaſſer der Brie - fe ſind: ſo kann ich gar nicht begreiffen, warum er ſeinen Zorn an mir ausläßt. Vielleicht aber muß ein ehrlicher Mann,wieXIIwie Er, wenn es ihn nicht tödten ſoll, ſich ſeiner Galle gegen einen Unſchuldigen ent - laden; und in dieſem Falle ſtehe ich ſeiner Kunſtrichterey, und dem Aberwitze ſeiner Freunde und ſeiner Freundinnen, gar gern noch ferner zu Dienſten, und wiederrufe meine Klage.

Fabeln.
[1]

Fabeln. Erſtes Buch.

[2][3]

I. Die Erſcheinung.

In der einſamſten Tiefe jenes Waldes, wo ich ſchon manches redende Thier be - lauſcht, lag ich an einem ſanften Waſ - ſerfalle und war bemüht, einem meiner Mährchen den leichten poetiſchen Schmuck zu geben, in wel - chem am liebſten zu erſcheinen, la Fontaine die Fabel faſt verwöhnt hat. Ich ſann, ich wehlte, ich verwarf, die Stirne glühte Umſonſt, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill ſprang ich auf; aber ſieh! auf einmal ſtand ſie ſelbſt, die fabelnde Muſe vor mir.

Und ſie ſprach lächelnd: Schüler, wozu dieſe undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die An - muth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel dieA 2Anmuth4Anmuth der Harmonie? Du willſt das Gewürze würzen. Gnug, wenn die Erfindung des Dich - ters iſt; der Vortrag ſey des ungekünſtelten Ge - ſchichtſchreibers, ſo wie der Sinn des Weltweiſen.

Ich wollte antworten, aber die Muſe verſchwand. Sie verſchwand? höre ich einen Leſer fragen. Wenn du uns doch nur wahrſcheinlicher täuſchen wollteſt! Die ſeichten Schlüſſe, auf die dein Un - vermögen dich führte, der Muſe in den Mund zu legen! Zwar ein gewöhnlicher Betrug

Vortreflich, mein Leſer! Mir iſt keine Muſe er - ſchienen. Ich erzehlte eine bloſſe Fabel, aus der du ſelbſt die Lehre gezogen. Ich bin nicht der erſte und werde nicht der letzte ſeyn, der ſeine Grillen zu Orakelſprüchen einer göttlichen Erſcheinung macht.

II. Der5

II. Der Hamſter und die Ameiſe.

Ihr armſeligen Ameiſen, ſagte ein Hamſter. Verlohnt es ſich der Mühe, daß ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein ſo weniges einzuſam - meln? Wenn ihr meinen Vorrath ſehen ſoll - tet!

Höre, antwortete eine Ameiſe, wenn er gröſſer iſt, als du ihn brauchſt, ſo iſt es ſchon recht, daß die Menſchen dir nachgraben, deine Scheuren ausleeren, und dich deinen räubriſchen Geitz mit dem Leben buſſen laſſen!

A 3III. Der6

III. Der Löwe und der Haſe.

Ein Löwe würdigte einen drolligten Haſen ſeiner nähern Bekanntſchaft. Aber iſt es denn wahr, fragte ihn einſt der Haſe, daß euch Löwen ein elen - der krähender Hahn ſo leicht verjagen kann?

Allerdings iſt es wahr, antwortete der Löwe; und es iſt eine allgemeine Anmerkung, daß wir groſſe Thiere durchgängig eine gewiſſe kleine Schwachheit an uns haben. So wirſt du, zum Exempel, von dem Elephanten gehört haben, daß ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und Entſetzen erwecket.

Wahrhaftig? unterbrach ihn der Haſe. Ja, nun begreif ich auch, warum wir Haſen uns ſo entſetzlich vor den Hunden furchten.

IV. Der7

IV. Der Eſel und das Jagdpferd.

Ein Eſel vermaß ſich, mit einem Jagdpferde um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich aus, und der Eſel ward ausgelacht. Ich merke nun wohl, ſagte der Eſel, woran es gelegen hat; ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in den Fuß, und der ſchmerzt mich noch.

Entſchuldigen Sie mich, ſagte der Kanzelredner Liederhold, wenn meine heutige Predigt ſo gründlich und erbaulich nicht geweſen, als man ſie von dem glücklichen Nachahmer eines Mosheims erwartet hätte; ich habe, wie Sie hören, einen heiſchern Hals, und den ſchon ſeit acht Tagen.

A 4V. Zevs8

V. Zevs und das Pferd.

Vater der Thiere und Menſchen, ſo ſprach das Pferd und nahte ſich dem Throne des Zevs, man will, ich ſey eines der ſchönſten Geſchöpfe, womit du die Welt gezieret, und meine Eigenliebe heißt mich es glauben. Aber ſollte gleichwohl nicht noch verſchiednes an mir zu beſſern ſeyn?

Und was meinſt du denn, daß an dir zu beſſern ſey? Rede; ich nehme Lehre an: ſprach der gute Gott, und lächelte.

Vielleicht, ſprach das Pferd weiter, würde ich flüchtiger ſeyn, wenn meine Beine höher und ſchmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verſtellen; eine breitre Bruſt wür - de meine Stärke vermehren; und da du mich doch einmal beſtimmt haſt, deinen Liebling, den Men - ſchen zu tragen, ſo könnte mir ja wohl der Sattel anerſchaffen ſeyn, den mir der wohlthätige Reiter auflegt.

Gut9

Gut, verſetzte Zevs; gedulde dich einen Augen - blick! Zevs, mit ernſtem Geſichte, ſprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband ſich organiſirter Stoff; und plötzlich ſtand vor dem Throne das häßliche Kameel.

Das Pferd ſah, ſchauderte und zitterte vor ent - ſetzendem Abſcheu.

Hier ſind höhere und ſchmächtigere Beine, ſprach Zevs; hier iſt ein langer Schwanenhals; hier iſt eine breitere Bruſt; hier iſt der anerſchaffene Sat - tel! Willſt du, Pferd, daß ich dich ſo umbil - den ſoll?

Das Pferd zitterte noch.

Geh, fuhr Zevs fort; dieſesmal ſey belehrt, ohne beſtraft zu werden. Dich deiner Vermeſſenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, ſo daure du fort, neues Geſchöpf Zevs warf einen er - haltenden Blick auf das Kameel und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu ſchaudern.

A 5VI. Der10

VI. Der Affe und der Fuchs.

Nenne mir ein ſo geſchicktes Thier, dem ich nicht nachahmen könnte! ſo prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber erwiederte: Und du, nenne mir ein ſo geringſchätziges Thier, dem es einfallen könnte, dir nachzuahmen.

Schriftſteller meiner Nation! Muß ich mich noch deutlicher erklären?

VII. Die11

VII. Die Nachtigall und der Pfau.

Eine geſellige Nachtigall fand, unter den Säu - gern des Waldes, Neider die Menge, aber keinen Freund. Vielleicht finde ich ihn unter einer andern Gattung, dachte ſie, und floh vertraulich zu dem Pfaue herab.

Schöner Pfau! ich bewundere dich. Ich dich auch, liebliche Nachtigall! So laß uns Freunde ſeyn, ſprach die Nachtigall weiter; wir werden uns nicht beneiden dürfen; du biſt dem Auge ſo angenehm, als ich dem Ohre.

Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde.

Kneller und Pope waren beſſere Freunde, als Pope und Addiſon.

VIII. Der12

VIII. Der Wolf und der Schäfer.

Ein Schäfer hatte durch eine grauſame Seuche ſeine ganze Heerde verloren. Das erfuhr der Wolf, und kam ſeine Condolenz abzuſtatten.

Schäfer, ſprach er, iſt es wahr, daß dich ein ſo grauſames Unglück betroffen? Du biſt um deine ganze Heerde gekommen? Die liebe, fromme, fette Heerde! Du tauerſt mich, und ich möchte blutige Thränen weinen.

Habe Dank, Meiſter Iſegrim; verſetzte der Schäfer. Ich ſehe, du haſt ein ſehr mitleidiges Herz.

Das hat er auch wirklich, fügte des Schäfers Hylax hinzu, ſo oft er unter dem Unglücke ſeines Nächſten ſelbſt leidet.

IX. Das13

IX. Das Roß und der Stier.

Auf einem feurigen Roſſe floh ſtolz ein treuſter Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Roſſe zu: Schande! von einem Knaben ließ ich mich nicht regieren!

Aber ich; verſetzte das Roß. Denn was für Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzu - werfen?

X. Der14

X. Die Grille und die Nachtigall.

Ich verſichre dich, ſagte die Grille zu der Nachti - gall, daß es meinem Geſange gar nicht an Be - wundrern fehlt. Nenne mir ſie doch, ſprach die Nachtigall. Die arbeitſamen Schnitter, ver - ſetzte die Grille, hören mich mit vielem Vergnü - gen, und daß dieſes die nützlichſten Leute in der menſchlichen Republik ſind, das wirſt du doch nicht leugnen wollen?

Das will ich nicht leugnen, ſagte die Nachtigall; aber deswegen darfſt du auf ihren Beyfall nicht ſtolz ſeyn. Ehrlichen Leuten, die alle ihre Gedanken bey der Arbeit haben, müſſen ja wohl die feinern Empfindungen fehlen. Bilde dir alſo ja nichts eher auf dein Lied ein, als bis ihm der ſorgloſe Schäfer, der ſelbſt auf ſeiner Flöte ſehr lieblich ſpielt, mit ſtillem Entzücken lauſchet.

XI. Die15

XI. Die Nachtigall und der Habicht.

Ein Habicht ſchoß auf eine ſingende Nachtigall. Da du ſo lieblich ſingſt, ſprach er, wie vortreflich wirſt du ſchmecken!

War es höhniſche Bosheit, oder war es Einfalt, was der Habicht ſagte? Ich weis nicht. Aber geſtern hört ich ſagen: dieſes Frauenzimmer, das ſo unvergleichlich dichtet, muß es nicht ein aller - liebſtes Frauenzimmer ſeyn! Und das war gewiß Einfalt!

XII. Der16

XII. Der kriegriſche Wolf.

Mein Vater, glorreichen Andenkens, ſagte ein junger Wolf zu einem Fuchſe, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat er ſich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zweyhundert Feinde, nach und nach, triumphirt, und ihre ſchwarze Seelen in das Reich des Verder - bens geſandt. Was Wunder alſo, daß er endlich doch einem unterliegen mußte!

So würde ſich ein Leichenredner ausdrücken, ſagte der Fuchs; der trockene Geſchichtſchreiber aber würde hinzuſetzen: die zweyhundert Feinde über die er, nach und nach, triumphiret, waren Schafe und Eſel; und der eine Feind, dem er unterlag, war der erſte Stier, den er ſich anzufallen er - kühnte.

XIII. Der17

XIII. Der Phönix.

Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phö - nix, ſich wieder einmal ſehen zu laſſen. Er er - ſchien, und alle Thiere und Vögel verſammelten ſich um ihn. Sie gaften, ſie ſtaunten, ſie be - wunderten und brachen in entzückendes Lob aus.

Bald aber verwandten die beſten und geſellig - ſten mitleidsvoll ihre Blicke, und ſeufzten: Der unglückliche Phönix! Ihm ward das harte Loos, weder Geliebte noch Freund zu haben; denn er iſt der einzige ſeiner Art!

BXIV. Die18

XIV. Die Gans.

Die Federn einer Gans beſchämten den neuge - bohrnen Schnee. Stolz auf dieſes blendende Ge - ſchenk der Natur, glaubte ſie eher zu einem Schwa - ne, als zu dem was ſie war, gebohren zu ſeyn. Sie ſonderte ſich von ihres gleichen ab, und ſchwamm einſam und majeſtätiſch auf dem Teiche herum. Bald dehnte ſie ihren Hals, deſſen ver - rätheriſcher Kürze ſie mit aller Macht abhelfen woll - te. Bald ſuchte ſie ihm die prächtige Bügung zu geben, in welcher der Schwan das würdigſte An - ſehen eines Vogels des Apollo hat. Doch verge - bens; er war zu ſteif, und mit aller ihrer Bemü - hung brachte ſie es nicht weiter, als daß ſie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.

XV. Die19

XV. Die Eiche und das Schwein.

Ein gefräſſiges Schwein mäſtete ſich, unter einer hohen Eiche, mit der herabgefallenen Frucht. In - dem es die eine Eichel zerbiß, verſchlucke es bereits eine andere mit dem Auge.

Undankbares Vieh! rief endlich der Eichbaum herab. Du nähreſt dich von meinen Früchten, ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe zu richten.

Das Schwein hielt einen Augenblick inne, und grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke ſollten nicht auſſenbleiben, wenn ich nur wüßte, daß du deine Eicheln meinetwegen hätteſt fallen laſſen.

B 2XVI. Die20

XVI. Die Wespen.

Fäulniß und Verweſung zerſtörten das ſtolze Ge - bäu eines kriegeriſchen Roſſes, das unter ſeinem kühnen Reiter erſchoſſen worden. Die Ruinen des einen braucht die allzeit wirkſame Natur, zu dem Leben des andern. Und ſo floh auch ein Schwarm junger Wespen aus dem beſchmeißten Aaſe hervor. O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur - ſprungs ſind wir! Das prächtigſte Roß, der Lieb - ling Neptuns, iſt unſer Erzeuger!

Dieſe ſeltſame Prahlerey hörte der aufmerkſame Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner, die ſich nichts geringers als Abkömmlinge der alten unſterblichen Römer zu ſeyn einbilden, weil ſie auf ihren Gräbern gebohren worden.

XVII. Die21

XVII. Die Sperlinge.

Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzähli - che Näſter gab, ward ausgebeſſert. Als ſie nun in ihrem neuen Glanze da ſtand, kamen die Sper - linge wieder, ihre alten Wohnungen zu ſuchen. Allein ſie fanden ſie alle vermauert. Zu was, ſchrieen ſie, taugt denn nun das groſſe Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!

B 3XVIII. Der22

XVIII. Der Strauß.

Itzt will ich fliegen; rief der gigantiſche Strauß, und das ganze Volk der Vögel ſtand in ernſter Er - wartung um ihn verſammelt. Itzt will ich fliegen, rief er nochmals; breitete die gewaltigen Fittige weit aus, und ſchoß, gleich einem Schiffe mit aufgeſpann - ten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit einem Tritte zu verlieren.

Sehet da, ein poetiſches Bild jener unpoetiſchen Köpfe, die in den erſten Zeilen ihrer ungeheuren Oden, mit ſtolzen Schwingen prahlen, ſich über Wolken und Sterne zu erheben drohen, und dem Staube doch immer getreu bleiben!

XIX. Der23

XIX. Der Sperling und der Strauß.

Sey auf deine Gröſſe, auf deine Stärke ſo ſtolz als du willſt: ſprach der Sperling zu dem Strauſſe. Ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du kannſt nicht fliegen; ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur Ruckweiſe.

Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten Geſanges, iſt mehr ein Ge - nie, als der ſchwungloſe Schreiber einer langen Hermaniade.

B 4XX. Die24

XX. Die Hunde.

Wie ausgeartet iſt hier zu Lande unſer Geſchlecht! ſagte ein gereiſter Budel. In dem fernen Welt - theile, welches die Menſchen Indien nennen, da, da giebt es noch rechte Hunde; Hunde, meine Brüder ihr werdet mir es nicht glauben, und doch habe ich es mit meinen Augen geſehen die auch einen Löwen nicht fürchten, und kühn mit ihm anbinden.

Aber, fragte den Budel ein geſetzter Jagdhund, überwinden ſie ihn denn auch, den Löwen?

Ueberwinden? war die Antwort. Das kann ich nun eben nicht ſagen. Gleichwohl, bedenke nur, einen Löwen anzufallen!

O, fuhr der Jagdhund fort, wenn ſie ihn nicht überwinden, ſo ſind deine geprieſene Hunde in In - dien beſſer als wir, ſo viel wie nichts aber ein gut Theil dümmer.

XXI. Der26

XXI. Der Fuchs und der Storch.

Erzehle mir doch etwas von den fremden Laͤndern, die du alle geſehen haſt, ſagte der Fuchs zu dem weitgereiſten Storche. Hierauf fing der Storch an, ihm jede Lache, und jede feuchte Wieſe zu nennen, wo er die ſchmack - hafteſten Wuͤrmer, und die fetteſten Froͤſche ge - ſchmauſet.

Sie ſind lange in Paris geweſen, mein Herr. Wo ſpeiſet man da am beſten? Was fuͤr Weine ha - ben Sie da am meiſten nach ihrem Geſchmacke ge -[funden]?

B 5XXII. Die26

XXII. Die Eule und der Schatzgraͤber.

Jener Schatzgraͤber war ein ſehr unbilliger Mann. Er wagte ſich in die Ruinen eines alten Raub - ſchloſses, und ward da gewahr, daß die Eule eine magere Maus ergrif und verzehrt. Schickt ſich das ſprach er, fuͤr den philoſophiſchen Liebling Minervens?

Warum nicht? verſetzte die Eule. Weil ich ſtille betrachtungen liebe, kann ich deswegen von der Luft leben? Jch weis zwar wohl, daß ihr Men - ſchen es von euren Gelehrten verlanget _ _

XXIII. Die27

XXIII. Die junge Schwalbe.

Was macht ihr da? fragte eine Schwalbe die ge - ſchaͤftigen Ameiſen. Wir ſammeln Vorrath auf den Winter; war die geſchwinde Antwort.

Das iſt klug, ſagte die Schwalbe; das will ich auch thun. Und ſogleich fing ſie an, eine Menge todter Spinnen und Fliegen in ihr Neſt zu tragen. Aber wozu ſoll das? fragte endlich ihre Mutter. Wozu? Vorrath auf den boͤſen Winter, liebe Mutter; ſammle doch auch! Die Ameiſen haben mich dieſe Vorſicht gelehrt.

O laß den irrdiſchen Ameiſen dieſe kleine Klug - heit, verſetzte die Alte; was ſich fuͤr ſie ſchickt, ſchickt ſich nicht fuͤr beſsere Schwalben. Uns hat die guͤ - tige Natur ein holdres Schickſal beſtimmt. Wenn der reiche Sommer ſich endet, ziehen wir von hin - nen; auf dieſer Reiſe entſchlafen wir allgemach, und da empfangen uns warme Suͤmpfe, wo wir ohne Beduͤrfniſſe raſten, bis uns ein neuer Fruͤhling zu einem neuen Leben erwecket.

XXIV. Me -28

XXIV. Merops.

Jch muß dich doch etwas fragen; ſprach ein jun - ger Adler zu einem tiefſinnigen grundgelehrten Uhu. Man ſagt, es gaͤbe einen Vogel, mit Namen Me - rops,, der, wenn er in die Luft ſteige, mit dem Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde ge - kehret, fliege. Jſt das wahr?

Ey nicht doch! antwortete der Uhu; das iſt eine alberne Erdichtung des Menſchen. Er mag ſelbſt ein ſolcher Merops ſeyn; weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen moͤchte, ohne die Erde, auch nur einen Augenblick, aus dem Geſichte zu ver - lieren.

XXV. Der29

XXV. Der Pelekan.

Für wohlgerathene Kinder können Aeltern nicht zu viel thun. Aber wenn ſich ein blöder Vater für einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen zapft; dann wird Liebe zur Thorheit.

Ein frommer Pelekan, da er ſeine Jungen ſchmachten ſahe, ritzte ſich mit ſcharfem Schnabel die Bruſt auf, und erquickte ſie mit ſeinem Blute. Ich bewundere deine Zärtlichkeit, rief ihm ein Adler zu, und bejammere deine Blindheit. Sieh doch, wie manchen nichtswürdigen Guckuck du unter dei - nen Jungen mit ausgebrütet haſt!

So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte der kalte Guckuck ſeine Eyer untergeſchoben. Waren es undankbare Guckucke werth, daß ihr Leben ſo theuer erkauft wurde?

XXVI. Die30

XXVI. Der Löwe und der Tieger.

Der Löwe und der Haſe, beyde ſchlafen mit offe - nen Augen. Und ſo ſchlief jener, ermüdet von der gewaltigen Jagd, einſt vor dem Eingange ſeiner fürchterlichen Höhle.

Da ſprang ein Tieger vorbey, und lachte des leichten Schlummers. Der nichtsfürchtende Löwe! rief er. Schläft er nicht mit offenen Augen, na - türlich wie der Haſe!

Wie der Haſe? brüllte der aufſpringende Löwe, und war dem Spötter an der Gurgel. Der Tieger wälzte ſich in ſeinem Blute, und der beruhigte Sieger legte ſich wieder, zu ſchlafen.

XXVII. Der31

XXVII. Der Stier und der Hirſch.

Ein ſchwerfälliger Stier und ein flüchtiger Hirſch weideten auf einer Wieſe zuſammen.

Hirſch, ſagte der Stier, wenn uns der Löwe an - fallen ſollte, ſo laß uns für einen Mann ſtehen; wir wollen ihn tapfer abweiſen. Das muthe mir nicht zu, erwiederte der Hirſch; denn warum ſollte ich mich mit dem Löwen in ein ungleiches Gefecht einlaſſen, da ich ihm ſichrer entlaufen kann?

XXVIII. Die32

XXVIII. Der Eſel und der Wolf.

Ein Eſel begegnete einem hungrigen Wolfe. Habe Mitleiden mit mir, ſagte der zitternde Eſel; ich bin ein armes krankes Thier; ſieh nur, was für einen Dorn ich mir in den Fuß getreten habe!

Wahrhaftig, du tauerſt mich; verſetzte der Wolf. Und ich finde mich in meinem Gewiſſen verbunden, dich von dieſen Schmerzen zu befreyen.

Kaum war das Wort geſagt, ſo ward der Eſel zerriſſen.

XXIX. Der33

XXIX. Der Springer im Schache.

Zwey Knaben wollten Schach ziehen. Weil ihnen ein Springer fehlte, ſo machten ſie einen überflüſ - ſigen Bauer, durch ein Merkzeichen, dazu.

Ey, riefen die andern Springer, woher, Herr Schritt vor Schritt?

Die Knaben horten die Spötterey und ſprachen: Schweigt! Thut er uns nicht eben die Dienſte, die ihr thut?

CXXX. Aeſo -34

XXX. Aeſopus und der Eſel.

Der Eſel ſprach zu dem Aeſopus: Wenn du wie - der ein Geſchichtchen von mir ausbringſt, ſo laß mich etwas recht vernünftiges und ſinureiches ſagen.

Dich etwas ſinnreiches! ſagte Aeſop; wie würde ſich das ſchicken? Würde man nicht ſprechen, du ſeyſt der Sittenlehrer, und ich der Eſel?

Fabeln.[35]

Fabeln. Zweytes Buch.

[36]37

I. Die eherne Bildſäule.

Die eherne Bildſäule eines vortreflichen Künſt - lers, ſchmolz durch die Hitze einer wüthenden Feuers - brunſt in einen Klumpen. Dieſer Klumpen kam einem andern Künſtler in die Hände, und durch ſeine Geſchicklichkeit verfertigte er eine neue Bild - ſäule daraus; von der erſtern in dem, was ſie vor - ſtellete, unterſchieden, an Geſchmack und Schönheit aber ihr gleich.

Der Neid ſah es und knirſchte. Endlich beſann er ſich auf einen armſeligen Troſt: Der gute Mann würde dieſes, noch ganz erträgliche Stück, auch nicht hervorgebracht haben, wenn ihm nicht die Materie der alten Bildſäule dabey zu Statten ge - kommen wäre.

C 3II. Her -38

II. Herkules.

Als Herkules in den Himmel aufgenommen ward, machte er ſeinen Gruß unter allen Göttern der Juno zuerſt. Der ganze Himmel und Juno erſtaunte darüber. Deiner Feindin, rief man ihm zu, begegneſt du ſo vorzüglich? Ja, ihr ſelbſt; er - wiederte Herkules. Nur ihre Verfolgungen ſind es, die mir zu den Thaten Gelegenheit gegeben, womit ich den Himmel verdienet habe.

Der Olymp billigte die Antwort des neuen Got - tes, und Juno ward verſöhnt.

III. Der39

III. Der Knabe und die Schlange.

Ein Knabe ſpielte mit einer zahmen Schlange. Mein liebes Thierchen, ſagte der Knabe, ich würde mich mit dir ſo gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen ſeyd die boshafteſten, undankbarſten Geſchöpfe! Ich habe es wohl geleſen, wie es einem armen Land - mann ging, der eine, vielleicht von deinen Uhräl - tern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob, und ſie in ſeinen erwärmenden Buſen ſteckte. Kaum fühlte ſich die Böſe wieder, als ſie ihren Wohlthäter biß; und der gute freund - liche Mann mußte ſterben.

Ich erſtaune, ſagte die Schlange. Wie par - theyiſch eure Geſchichtſchreiber ſeyn müſſen! Die unſrigen erzehlen dieſe Hiſtorie ganz anders. Dein freundlicher Mann glaubte, die Schlange ſey wirk - lich erfroren, und weil es eine von den bunten Schlangen war, ſo ſteckte er ſie zu ſich, ihr zu Hauſe die ſchöne Haut abzuſtreifen. War das recht?

C 4Ach,40

Ach, ſchweig nur; erwiederte der Knabe. Wel - cher Undankbare hätte ſich nicht zu entſchuldigen gewußt.

Recht, mein Sohn; fiel der Vater, der dieſer Unterredung zugehört hatte, dem Knaben ins Wort. Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem auſſer - ordentlichen Undanke hören ſollteſt, ſo unterſuche ja alle Umſtände genau, bevor du einen Menſchen mit ſo einem abſcheulichen Schandflecke brandmar - ken läſſeſt. Wahre Wohlthäter, haben ſelten Un - dankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Menſchheit hoffen, niemals. Aber die Wohlthäter mit kleinen eigennützigen Abſichten, die ſind es werth, mein Sohn, daß ſie Undank anſtatt Erkenntlichkeit einwuchern.

IV. Der41

IV. Der Wolf auf dem Todtbette.

Der Wolf lag in den letzten Zügen und ſchickte einen prüfenden Blick auf ſein vergangenes Leben zu - rück. Ich bin freylich ein Sünder, ſagte er; aber doch, hoffe ich, keiner von den größten. Ich habe Böſes gethan; aber auch viel Gutes. Einsmals, erinnere ich mich, kam mir ein blöckendes Lamm, welches ſich von der Heerde verirret hatte, ſo nahe, daß ich es gar leicht hätte würgen können; und ich that ihm nichts. Zu eben dieſer Zeit hörte ich die Spöttereyen und Schmähungen eines Schafes mit der bewundernswürdigſten Gleichgültigkeit an, ob ich ſchon keine ſchützende Hunde zu fürchten hatte.

Und das alles kann ich dir bezeugen; fiel ihm Freund Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort. Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller Umſtän - de dabey. Es war zu eben der Zeit, als du dich an dem Beine ſo jämmerlich würgteſt, das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog.

C 5V. Der42

V. Der Stier und das Kalb.

Ein ſtarker Stier zerſplitterte mit ſeinen Hörnern, indem er ſich durch die niedrige Stallthüre drengte, die obere Pfoſte. Sieh einmal, Hürte! ſchrie ein junges Kalb; ſolchen Schaden thu ich dir nicht. Wie lieb wäre mir es, verſetzte dieſer, wenn du ihn thun könnteſt!

Die Sprache des Kalbes iſt die Sprache der klei - nen Philoſophen. Der böſe Bayle! Wie manche rechtſchaffene Seele hat er mit ſeinen verwegnen Zweifeln geärgert! O ihr Herren, wie gern wollen wir uns ärgern laſſen, wenn jeder von euch ein Bayle werden kann!

VI. Der43

VI. Die Pfauen und die Krähe.

Eine ſtolze Krähe ſchmückte ſich mit den ausgefal - lenen Federn der farbigten Pfaue, und miſchte ſich kühn, als ſie gnug geſchmückt zu ſeyn glaubte, un - ter dieſe glänzende Vögel der Juno. Sie ward erkannt; und ſchnell fielen die Pfaue mit ſcharfen Schnäbeln auf ſie, ihr den betriegriſchen Putz aus - zureiſſen.

Laſſet nach! ſchrie ſie endlich; ihr habt nun alle das eurige wieder. Doch die Pfaue, welche einige von den eignen glänzenden Schwingfedern der Krä - he bemerkt hatten, verſetzten: Schweig, armſelige Närrin; auch dieſe können nicht dein ſeyn! und hackten weiter.

VII. Der44

VII. Der Löwe mit dem Eſel.

Als des Aeſopus Löwe mit dem Eſel, der ihm durch ſeine fürchterliche Stimme die Thiere ſollte jagen helfen, nach dem Walde ging, rief ihm eine naſenweiſe Krähe von dem Baume zu: Ein ſchöner Geſellſchafter! Schämſt du dich nicht, mit einem Eſel zu gehen? Wen ich brauchen kann, ver - ſetzte der Löwe, dem kann ich ja wohl meine Seite gönnen.

So denken die Groſſen alle, wenn ſie einen Niedrigen ihrer Gemeinſchaft würdigen.

VIII. Der45

VIII. Der Eſel mit dem Löwen.

Als der Eſel mit dem Löwen des Aeſopus, der ihn ſtatt ſeines Jägerhorns brauchte, nach dem Wal - de ging, begegnete ihm ein andrer Eſel von ſeiner Bekanntſchaft, und rief ihm zu: Guten Tag, mein Bruder! Unverſchämter! war die Antwort.

Und warum das? fuhr jener Eſel fort. Biſt du deßwegen, weil du mit einem Löwen gehſt, beſſer als ich? mehr als ein Eſel?

IX. Die46

IX. Die blinde Henne.

Eine blind gewordene Henne, die des Schar - rens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht auf, fleiſſig zu ſcharren. Was half es der arbeitſa - men Närrin? Eine andre ſehende Henne, welche ihre zarten Füſſe ſchonte, wich nie von ihrer Seite, und genoß, ohne zu ſcharren, die Frucht des Schar - rens. Denn ſo oft die blinde Henne ein Korn auf - geſcharret hatte, fraß es die ſehende weg.

Der fleiſſige Deutſche macht die Collectanea, die der witzige Franzoſe nutzt.

X. Die47

X. Die Eſel.

Die Eſel beklagten ſich bey dem Zevs, daß die Menſchen mit ihnen zu grauſam umgingen. Unſer ſtarker Rücken, ſagten ſie, trägt ihre Laſten, un - ter welchen ſie und jedes ſchwächere Thier erliegen müßten. Und doch wollen ſie uns, durch unbarm - herzige Schläge, zu einer Geſchwindigkeit nöthigen, die uns durch die Laſt unmöglich gemacht würde, wenn ſie uns auch die Natur nicht verſagt hätte. Verbiete ihnen, Zevs, ſo unbillig zu ſeyn, wenn ſich die Menſchen anders etwas böſes verbieten laſ - ſen. Wir wollen ihnen dienen, weil es ſcheinet, daß du uns darzu erſchaffen haſt; allein geſchlagen wollen wir ohne Urſach nicht ſeyn.

Mein Geſchöpf, antwortete Zevs ihrem Spre - cher, die Bitte iſt nicht ungerecht; aber ich ſehe keine Möglichkeit, die Menſchen zu überzeugen, daß eure natürliche Langſamkeit keine Faulheit ſey. Und ſo lange ſie dieſes glauben, werdet ihr geſchla -gen48gen werden. Doch ich ſinne euer Schickſal zu erleichtern. Die Unempfindlichkeit ſoll von nun an euer Theil ſeyn; eure Haut ſoll ſich gegen die Schläge verhärten, und den Arm des Treibers ermüden.

Zevs, ſchrien die Eſel, du biſt allezeit weiſe und gnädig! Sie gingen erfreut von ſeinem Throne, als dem Throne der allgemeinen Liebe.

XI. Die49

XI. Das beſchützte Lamm.

Hylax, aus dem Geſchlechte der Wolfshunde, bewachte ein frommes Lamm. Ihn erblickte Lyko - des, der gleichfalls an Haar, Schnautze und Ohren einem Wolfe ähnlicher war, als einem Hunde, und fuhr auf ihn los. Wolf, ſchrie er, was machſt du mit dieſem Lamme?

Wolf ſelbſt! verſetzte Hylax. (Die Hunde ver - kannten ſich beyde.) Geh! oder du ſollſt es erfah - ren, daß ich ſein Beſchützer bin!

Doch Lykodes will das Lamm dem Hylax mit Ge - walt nehmen; Hylax will es mit Gewalt behaupten, und das arme Lamm Treffliche Beſchützer! wird darüber zerriſſen.

DXII. Ju -50

XII. Jupiter und Apollo.

Jupiter und Apollo ſtritten, welcher von ihnen der beſte Bogenſchütze ſey. Laß uns die Probe machen! ſagte Apollo. Er ſpannte ſeinen Bogen, und ſchoß ſo mitten in das bemerkte Ziel, daß Ju - piter keine Möglichkeit ſahe, ihn zu übertreffen. Ich ſehe, ſprach er, daß du wirklich ſehr wohl ſchieſſeſt. Ich werde Mühe haben, es beſſer zu machen. Doch will ich es ein andermal verſuchen. Er ſoll es noch verſuchen, der kluge Jupiter!

XIII. Die51

XIII. Die Waſſerſchlange.

Zevs hatte nunmehr den Fröſchen einen andern König gegeben; anſtatt eines friedlichen Klotzes, eine gefräſſige Waßerſchlange.

Willſt du unſer König ſeyn, ſchrieen die Fröſche, warum verſchlingſt du uns? Darum, antwor - tete die Schlange, weil ihr um mich gebeten habt

Ich habe nicht um dich gebeten! rief einer von den Fröſchen, den ſie ſchon mit den Augen ver - ſchlang. Nicht? ſagte die Waſſerſchlange. De - ſto ſchlimmer! So muß ich dich verſchlingen, weil du nicht um mich gebeten haſt.

D 2XVI. Der52

XIV. Der Fuchs und die Larve.

Vor alten Zeiten fand ein Fuchs die hohle, einen weiten Mund aufreiſſende Larve eines Schauſpie - lers. Welch ein Kopf! ſagte der betrachtende Fuchs. Ohne Gehirn, und mit einem offenem Munde! Sollte das nicht der Kopf eines Schwätzers ge - weſen ſeyn?

Dieſer Fuchs kannte euch, ihr ewigen Redner, ihr Strafgerichte des unſchuldigſten unſerer Sinne!

XV. Die53

XV. Der Rabe und der Fuchs.

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleiſch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen ſeines Nach - bars hingeworfen hatte, in ſeinen Klauen fort.

Und eben wollte er es auf einer alten Eiche ver - zehren, als ſich ein Fuchs herbey ſchlich, und ihm zurief: Sey mir geſeget, Vogel des Jupiters! Für wen ſiehſt du mich an? fragte der Rabe. Für wen ich dich anſehe? erwiederte der Fuchs. Biſt du nicht der rüſtige Adler, der täglich von der Rechte des Zevs auf dieſe Eiche herab kömmt, mich Armen zu ſpeiſen? Warum verſtellſt du dich? Sehe ich denn nicht in der ſiegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu ſchicken noch fortfährt?

Der Rabe erſtaunte, und freute ſich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus dieſem Irrthume nicht brin -D 3gen.54gen. Großmüthig dumm ließ er ihm alſo ſeinen Raub herabfallen, und flog ſtolz davon.

Der Fuchs fing das Fleiſch lachend auf, und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte ſich die Freude in ein ſchinerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte.

Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erlo - ben, verdammte Schmeichler!

XVI. Der55

XVI. Der Geitzige.

Ich Unglücklicher! klagte ein Geitzhals ſeinem Nachbar. Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, dieſe Nacht ent - wendet, und einen verdammten Stein an deſſen Stelle gelegt.

Du würdeſt, antwortete ihm der Nachbar, deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir alſo ein, der Stein ſey dein Schatz; und du biſt nichts ärmer.

Wäre ich auch ſchon nichts ärmer, erwiederte der Geitzhals; iſt ein andrer nicht um ſo viel rei - cher? Ein andrer um ſo viel reicher! Ich möchte raſend werden.

D 4XVII. Der56

XVII. Der Rabe.

Der Fuchs ſahe, daß der Rabe die Altäre der Götter beraubte, und von ihren Opfern mit lebte. Da dachte er bey ſich ſelbſt: Ich möchte wohl wiſſen, ob der Rabe Antheil an den Opfern hat, weil er ein prophetiſcher Vogel iſt; oder ob man ihn für einen prophetiſchen Vogel hält, weil er frech genug iſt, die Opfer mit den Göttern zu theilen.

XVIII. Zevs57

XVIII. Zevs und das Schaf.

Das Schaf mußte von allen Thieren vieles lei - den. Da trat es vor den Zevs, und bat, ſein Elend zu mindern.

Zevs ſchien willig, und ſprach zu dem Schafe: Ich ſehe wohl, mein frommes Geſchöpf, ich habe dich allzu wehrlos erſchaffen. Nun wähle, wie ich dieſem Fehler am beſten abhelfen ſoll. Soll ich deinen Mund mit ſchrecklichen Zähnen, und deine Füſſe mit Krallen rüſten?

O nein, ſagte das Schaf; ich will nichts mit den reiſſenden Thieren gemein haben.

Oder, fuhr Zevs fort, ſoll ich Gift in deinen Speichel legen?

Ach! verſetzte das Schaf; die giftigen Schlan - gen werden ja ſo ſehr gehaſſet.

Nun was ſoll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.

D 5Auch58

Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht ſo ſtöſſig werden, als der Bock.

Und gleichwohl, ſprach Zevs, mußt du ſelbſt ſchaden können, wenn ſich andere, dir zu ſchaden hüten ſollen!

Müßt ich das! ſeufzte das Schaf. O ſo laß mich, gütiger Vater, wie ich bin. Denn das Vermögen, ſchaden zu können, erweckt, fürchte ich, die Luſt, ſchaden zu wollen; und es iſt beſſer, Unrecht leiden, als Unrecht thun.

Zevs ſegnete das fromme Schaf, und es vergaß von Stund an, zu klagen.

XIX. Der59

XIX. Der Fuchs und der Tieger.

Deine Geſchwindigkeit und Stärke, ſagte ein Fuchs zu dem Tieger, möchte ich mir wohl wünſchen.

Und ſonſt hätte ich nichts, was dir anſtünde? fragte der Tieger.

Ich wüßte nichts! Auch mein ſchönes Fell nicht? fuhr der Tieger fort. Es iſt ſo vielfärbig als dein Gemüth, und das Aeuſſere würde ſich vor - trefflich zu dem Innern ſchicken.

Eben darum, verſetzte der Fuchs, danke ich recht ſehr dafür. Ich muß das nicht ſcheinen, was ich bin. Aber wollten die Götter, daß ich meine Haa - re mit Federn vertauſchen könnte!

XX. Der60

XX. Der Mann und der Hund.

Ein Mann ward von einem Hunde gebiſſen, ge - rieth darüber in Zorn, und erſchlug den Hund. Die Wunde ſchien gefährlich, und der Arzt mußte zu Rathe gezogen werden.

Hier weis ich kein beſſeres Mittel, ſagte der Empiricus, als daß man ein Stücke Brodt in die Wunde tauche, und es dem Hunde zu freſſen gebe. Hilft dieſe ſympathetiſche Cur nicht, ſo Hier zuckte der Arzt die Achſel.

Unglücklicher Jachzorn! rief der Mann; ſie kann nicht helfen, denn ich habe den Hund er - ſchlagen.

XXI. Die61

XXI. Die Traube.

Ich kenne einen Dichter, dem die ſchreien - de Bewunderung ſeiner kleinen Nachahmer weit mehr geſchadet hat, als die neidiſche Verachtung ſeiner Kunſtrichter.

Sie iſt ja doch ſauer! ſagte der Fuchs von der Traube, nach der er lange genug vergebens geſprun - gen war. Das hörte ein Sperling und ſprach: Sauer ſollte dieſe Traube ſeyn? Darnach ſieht ſie mir doch nicht aus! Er flog hin, und koſtete, und fand ſie ungemein ſüſſe, und rief hundert näſchiche Brüder herbey. Koſtet doch! ſchrie er; koſtet doch! Dieſe treffliche Traube ſchalt der Fuchs ſauer. Sie koſteten alle, und in wenig Augenblicken ward die Traube ſo zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder darnach ſprang.

XXII. Der62

XXII. Der Fuchs.

Ein verfolgter Fuchs rettete ſich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herab zu kommen, ergriff er einen nahen Dornenſtrauch. Er ließ ſich auch glücklich daran nieder, nur daß ihn die Dornen ſchmerzlich verwundeten. Elende Helfer, rief der Fuchs, die nicht helfen können, ohne zugleich zu ſchaden!

XXIII. Das63

XXIII. Das Schaf.

Als Jupiter das Feſt ſeiner Vermählung feyerte, und alle Thiere ihm Geſchenke brachten, vermißte Juno das Schaf.

Wo bleibt das Schaf? fragte die Göttin. Wa - rum verſäumt das fromme Schaf, uns ſein wohl - meinendes Geſchenk zu bringen?

Und der Hund nahm das Wort und ſprach: Zürne nicht, Göttin! Ich habe das Schaf noch heute geſehen; es war ſehr betrübt, und jammerte laut.

Und warum jammerte das Schaf? fragte die ſchon gerührte Göttin.

Ich ärmſte! ſo ſprach es. Ich habe itzt weder Wolle, noch Milch; was werde ich dem Jupiter ſchenken? Soll ich, ich allein, leer vor ihm er - ſcheinen? Lieber will ich hingehen, und den Hir - ten bitten, daß er mich ihm opfere!

Indem64

Indem drang, mit des Hirten Gebete, der Rauch des geopferten Schafes, dem Jupiter ein ſüſſer Geruch, durch die Wolken. Und itzt hätte Juno die erſte Thräne geweinet, wenn Thränen ein unſterbliches Auge benetzten.

XXIV. 65

XXIV. Die Ziegen.

Die Ziegen baten den Zevs, auch ihnen Hörner zu geben; denn Anfangs hatten die Ziegen keine Hörner.

Ueberlegt es wohl, was ihr bittet: ſagte Zevs. Es iſt mit dem Geſchenke der Hörner ein anderes unzertrennlich verbunden, das euch ſo angenehm nicht ſeyn möchte.

Doch die Ziegen beharrten auf ihrer Bitte, und Zevs ſprach: So habet denn Hörner!

Und die Ziegen bekamen Hörner und Bart! Denn Anfangs hatten die Ziegen auch keinen Bart. O wie ſchmerzte ſie der häßliche Bart! Weit mehr, als ſie die ſtolzen Hörner erfreuten!

EXXV. Der66

XXV. Der wilde Apfelbaum.

In den hohlen Stamm eines wilden Apfelbau - mes ließ ſich ein Schwarm Bienen nieder. Sie füllten ihn mit den Schätzen ihres Honigs, und der Baum ward ſo ſtolz darauf, daß er alle andere Bäume gegen ſich verachtete.

Da rief ihm ein Roſenſtock zu: Elender Stolz auf geliehene Süſſigkeiten! Iſt deine Frucht darum weniger herbe? In dieſe treibe den Honig herauf, wenn du es vermagſt; und dann erſt wird der Menſch dich ſegnen!

XXVI. Der67

XXVI. Der Hirſch und der Fuchs.

Der Hirſch ſprach zu dem Fuchſe: Nun wehe uns armen ſchwächern Thieren! Der Löwe hat ſich mit dem Wolfe verbunden.

Mit dem Wolfe? ſagte der Fuchs. Das mag noch hingehen! Der Lowe brüllet, der Wolf heu - let; und ſo werdet ihr euch noch oft bey Zeiten mit der Flucht retten können. Aber alsdenn, alsdenn möchte es um uns alle geſchehen ſeyn, wenn es dem gewaltigen Löwen einfallen ſollte, ſich mit dem ſchleichenden Luchſe zu verbinden.

E 2XXVII. Der68

XXVII. Der Dornſtrauch.

Aber ſage mir doch, fragte die Weide den Dorn - ſtrauch, warum du nach den Kleidern des vorbey - gehenden Menſchen ſo begierig biſt? Was willſt du damit? Was können ſie dir helfen?

Nichts! ſagte der Dornſtrauch. Ich will ſie ihm auch nicht nehmen; ich will ſie ihm nur zer - reiſſen.

XXVIII. Die69

XXVIII. Die Furien.

Meine Furien, ſagte Pluto zu dem Bothen der Götter, werden alt und ſtumpf. Ich brauche friſche. Geh alſo, Merkur, und ſuche mir auf der Oberwelt drey tüchtige Weibesperſonen dazu aus. Merkur ging.

Kurz hierauf ſagte Juno zu ihrer Dienerin: Glaubteſt du wohl, Iris, unter den Sterblichen zwey oder drey vollkommen ſtrenge, züchtige Mäd - chen zu finden? Aber vollkommen ſtrenge! Ver - ſtehſt du mich? Um Cytheren Hohn zu ſprechen, die ſich das ganze weibliche Geſchlecht unterworfen zu haben, rühmet. Geh immer, und ſieh, wo du ſie auftreibeſt. Iris ging.

In welchem Winkel der Erde ſuchte nicht die gute Iris! Und dennoch umſonſt! Sie kam ganz allein wieder, und Juno rief ihr entgegen: Iſt es möglich? O Keuſchheit! O Tugend!

E 3Göttin,70

Göttin, ſagte Iris; ich hätte dir wohl drey Mädchen bringen können, die alle drey vollkom - men ſtreng und züchtig geweſen; die alle drey nie einer Mannsperſon gelächelt; die alle drey den ge - ringſten Funken der Liebe in ihren Herzen erſtickt: aber ich kam, leider, zu ſpät.

Zu ſpät? ſagte Juno. Wie ſo?

Eben hatte ſie Merkur für den Pluto ab - geholt.

Für den Pluto? Und wozu will Pluto dieſe Tugendhaften?

Zu Furien.

XXIX. Ti -71

XXIX. Tireſias.

Tireſias nahm ſeinen Stab, und ging über Feld. Sein Weg trug ihn durch einen heiligen Hain, und mitten in dem Haine, wo drey Wege einander durchkreutzten, ward er ein Paar Schlangen ge - wahr, die ſich begatteten. Da hub Tireſias ſeinen Stab auf, und ſchlug unter die verliebten Schlan - gen. Aber, o Wunder! Indem der Stab auf die Schlangen herabſank, ward Tireſias zum Weibe.

Nach neun Monden ging das Weib Tireſias wie - der durch den heiligen Hain; und an eben dem Orte, wo die drey Wege einander durchkreutzten, ward ſie ein Paar Schlangen gewahr, die mit einander kämpften. Da hub Tireſias abermals ihren Stab auf, und ſchlug unter die ergrimmten Schlangen, und O Wunder! Indem der Stab die kämpfen - den Schlangen ſchied, ward das Weib Tireſias wieder zum Manne.

E 4XXX. Mi -72

XXX. Minerva.

L ſie doch, Freund, laß ſie, die kleinen hämi - ſchen Neider deines wachſenden Ruhmes! Warum will dein Witz ihre der Vergeſſenheit beſtimmte Na - men verewigen?

In dem unſinnigen Kriege, welchen die Rieſen wider die Götter führten, ſtellten die Rieſen der Minerva einen ſchrecklichen Drachen entgegen. Minerva aber ergriff den Drachen, und ſchleuderte ihn mit gewaltiger Hand an das Firmament. Da glänzt er noch; und was ſo oft groſſer Thaten Be - lohnung war, ward des Drachen beneidenswürdige Strafe.

Fabeln.[73]

Fabeln. Drittes Buch.

[74]75

I. Der Beſitzer des Bogens.

Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Eben - holz, mit dem er ſehr weit und ſehr ſicher ſchoß, und den er ungemein werth hielt. Einſt aber, als er ihn aufmerkſam betrachtete, ſprach er: Ein wenig zu plump biſt du doch! Alle deine Zierde iſt die Glätte. Schade! Doch dem iſt abzuhelfen; fiel ihm ein. Ich will hingehen und den beſten Künſtler Bilder in den Bogen ſchnitzen laſſen. Er ging hin; und der Künſtler ſchnitzte eine ganze Jagd auf den Bogen; und was hätte ſich beſſer auf einen Bogen geſchickt, als eine Jagd?

Der Mann war voller Freuden. Du verdie - neſt dieſe Zierrathen, mein lieber Bogen! Indem will er ihn verſuchen; er ſpannt, und der Bogen zerbricht.

II. Die76

II. Die Nachtigall und die Lerche.

Was ſoll man zu den Dichtern ſagen, die ſo gern ihren Flug weit über alle Faſſung des größ - ten Theiles ihrer Leſer nehmen? Was ſonſt, als was die Nachtigall einſt zu der Lerche ſagte: Schwingſt du dich, Freundin, nur darum ſo hoch, um nicht gehört zu werden?

III Der77

III. Der Geiſt des Salomo.

Ein ehrlicher Greis trug des Tages Laſt und Hitze, ſein Feld mit eigner Hand zu pflügen, und mit eigner Hand den reinen Saamen in den lockern Schooß der willigen Erde zu ſtreuen.

Auf einmal ſtand unter dem breiten Schatten einer Linde, eine göttliche Erſcheinung vor ihm da! Der Greis ſtutzte.

Ich bin Salomo: ſagte mit vertraulicher Stimme das Phantom. Was machſt du hier, Alter?

Wenn du Salomo biſt, verſetzte der Alte, wie kaunſt du fragen? Du ſchickteſt mich in mei - ner Jugend zu der Ameiſe; ich ſahe ihren Wan - del, und lernte von ihr fleiſſig ſeyn, und ſam - meln. Was ich da lernte, das thue ich noch.

Du78

Du haſt deine Lection nur halb gelernet: ver - ſetzte der Geiſt. Geh noch einmal hin zur Ameiſe, und lerne nun auch von ihr in dem Winter deiner Jahre ruhen, und des Geſam - melten genieſſen!

IV. Das79

IV. Das Geſchenk der Feyen.

Zu der Wiege eines jungen Prinzen, der in der Folge einer der größten Regenten ſeines Landes ward, traten zwey wohlthätige Feyen.

Ich ſchenke dieſem meinem Lieblinge, ſagte die eine, den ſcharfſichtigen Blick des Adlers, dem in ſeinem weiten Neiche auch die kleinſte Mücke nicht entgeht.

Das Geſchenk iſt ſchön: unterbrach ſie die zweyte Feye. Der Prinz wird ein einſichtsvoller Monarch werden. Aber der Adler beſitzt nicht allein Scharfſichtigkeit, die kleinſten Mücken zu bemerken; er beſitzt auch edle Verachtung, ihnen nicht nachzujagen. Und dieſe nehme der Prinz von mir zum Geſchenk!

Ich80

Ich danke dir, Schweſter, für dieſe weiſe Ein - ſchränkung: verſetzte die erſte Feye. Es iſt wahr; viele würden weit gröſſere Könige geweſen ſeyn, wenn ſie ſich weniger mit ihrem durchdringenden Verſtande bis zu den kleinſten Angelegenheiten hätten erniedrigen wollen.

V. Das81

V. Das Schaf und die Schwalbe.

Eine Schwalbe flog auf ein Schaf, ihm ein we - nig Wolle, für ihr Neſt, auszurupfen. Das Schaf ſprang unwillig hin und wieder. Wie biſt du denn nur gegen mich ſo karg? ſagte die Schwalbe. Dem Hirten erlaubeſt du, daß er dich deiner Wolle über und über entblöſſen darf; und mir verweigerſt du eine kleine Flocke. Woher kömmt das?

Das kömmt daher, antwortete das Schaf, weil du mir meine Wolle nicht mit eben ſo guter Art zu nehmen weißt, als der Hirte.

FVI. Der82

VI. Der Rabe.

Der Rabe bemerkte, daß der Adler ganze dreyßig Tage über ſeinen Eyern brütete. Und daher kömmt es, ohne Zweifel, ſprach er, daß die Jun - gen des Adlers ſo aliſehend und ſtark werden. Gut! das will ich auch thun.

Und ſeitdem brütet der Rabe wirklich ganze dreyßig Tage über ſeinen Eyern; aber noch hat er nichts, als elende Raben ausgebrütet.

VII. Der83

VII. Der Rangſtreit der Thiere, in vier Fabeln. (1)

Es entſtand ein hitziger Rangſtreit unter den Thie - ren. Ihn zu ſchlichten, ſprach das Pferd, laßet uns den Menſchen zu Rathe ziehen; er iſt keiner von den ſtreitenden Theilen, und kann deſto unpar - theyiſcher ſeyn.

Aber hat er auch den Verſtand dazu? ließ ſich ein Maulwurf hören. Er braucht wirklich den allerfeinſten, unſere oft tief verſteckte Vollkommen - heiten zu erkennen.

Das war ſehr weislich erinnert! ſprach der Hamſter.

Ja wohl! rief auch der Igel. Ich glaube es nimmermehr, daß der Menſch Scharfſichtigkeit ge - nug beſitzet.

F 2Schweigt84

Schweigt ihr! befahl das Pferd. Wir wiſſen es ſchon: Wer ſich auf die Güte ſeiner Sache am wenigſten zu verlaſſen hat, iſt immer am fer - tigſten, die Einſicht ſeines Richters in Zweifel zu ziehen.

VIII. (2)85

VIII. (2)

Der Menſch ward Richter. Noch ein Wort, rief ihm der majeſtätiſche Löwe zu, bevor du den Ausſpruch thuſt! Nach welcher Regel, Menſch, willſt du unſern Werth beſtimmen?

Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel, antwortete der Menſch, in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich ſeyd.

Vortrefflich! verſetzte der beleidigte Löwe. Wie weit würde ich alsdenn unter dem Eſel zu ſtehen kommen! Du kannſt unſer Richter nicht ſeyn, Menſch! Verlaß die Verſammlung!

F 3IX. (3)86

IX. (3)

Der Menſch entfernte ſich. Nun, ſprach der höhniſche Maulwurf, (und ihm ſtimmte der Hamſter und der Igel wieder bey) ſiehſt du, Pferd? der Löwe meint es auch, daß der Menſch unſer Richter nicht ſeyn kann. Der Löwe denkt, wie wir.

Aber aus beſſern Gründen, als ihr! ſagte der Löwe, und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.

X. (4)87

X. (4)

Der Löwe fuhr weiter fort: Der Rangſtreit, wenn ich es recht überlege, iſt ein nichtswürdiger Streit! Haltet mich für den Vornehmſten, oder für den Geringſten; es gilt mir gleich viel. Genug ich kenne mich! Und ſo ging er aus der Ver - ſammlung.

Ihm folgte der weiſe Elephant, der kühne Tie - ger, der ernſthafte Bär, der kluge Fuchs, das edle Pferd; kurz, alle, die ihren Werth fühlten, oder zu fühlen glaubten.

Die ſich am letzten wegbegaben, und über die zerriſſene Verſammlung am meiſten murreten, wa - ren der Affe und der Eſel.

F 4XI. Der88

XI. Der Bär und der Elephant.

Die unverſtändigen Menſchen! ſagte der Bär zu dem Elephanten. Was fordern ſie nicht alles von uns beſſern Thieren! Ich muß nach der Muſik tan - zen; ich, der ernſthafte Bär! Und ſie wiſſen es doch nur allzuwohl, daß ſich ſolche Poſſen zu mei - nem ehrwürdigen Weſen nicht ſchicken; denn warum lachten ſie ſonſt, wenn ich tanze?

Ich tanze auch nach der Muſik: verſetzte der ge - lehrige Elephant; und glaube eben ſo ernſthaft und ehrwürdig zu ſeyn, als du. Gleichwohl haben die Zuſchauer nie über mich gelacht; freudige Bewun - derung bloß war auf ihren Geſichtern zu leſen. Glaube mir alſo, Bär; die Menſchen lachen nicht darüber, daß du tanzeſt, ſondern darüber, daß du dich ſo albern dazu anſchickſt.

XII. Der89

XII. Der Strauß.

Das pfeilſchnelle Rennthier ſahe den Strauß, und ſprach: Das Laufen des Strauſſes iſt ſo auſſerordentlich eben nicht; aber ohne Zweifel fliegt er deſto beſſer.

Ein andermal ſahe der Adler den Strauß und ſprach: Fliegen kann der Strauß nun wohl nicht; aber ich glaube, er muß gut laufen können.

F 5XIII. Die90

XIII. XIV. Die Wohlthaten, in zwey Fabeln.

(1)

Haſt du wohl einen gröſſern Wohlthäter unter den Thieren, als uns? fragte die Biene den Menſchen.

Ja wohl! erwiederte dieſer.

Und wen?.,

Das Schaf! Denn ſeine Wolle iſt mir nothwen - dig, und dein Honig iſt mir nur angenehm.

(2)

Und willſt du noch einen Grund wiſſen, warum ich das Schaf für meinen gröſſern Wohlthäter halte, als dich Biene? Das Schaf ſchenket mir ſeine Wolle ohne die geringſte Schwierigkeit; aber wenn du mir deinen Honig ſchenkeſt, muß ich mich noch immer vor deinem Stachel fürchten.

XIV. Die91

XV. Die Eiche.

Der raſende Nordwind hatte ſeine Stärke in einer ſtürmiſchen Nacht an einer erhabenen Eiche bewieſen. Nun lag ſie geſtreckt, und eine Men - ge niedriger Sträuche lagen unter ihr zerſchmet - tert. Ein Fuchs, der ſeine Grube nicht weit davon hatte, ſahe ſie des Morgens darauf. Was für ein Baum! rief er. Hätte ich doch nim - mermehr gedacht, daß er ſo groß geweſen wäre!

XV. Die92

XVI. Die Geſchichte des alten Wolfs, in ſieben Fabeln. (1)

Der böſe Wolf war zu Jahren gekommen, und faßte den gleiſſenden Entſchluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte ſich alſo auf, und kam zu dem Schäfer, deſſen Horden ſeiner Höhle die nächſten waren.

Schäfer, ſprach er, du nenneſt mich den blut - gierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger thut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur ſatt, und du ſollſt mit mir recht wohl zufrieden ſeyn. Denn ich bin wirklich das zahmſte, ſanftmüthigſte Thier, wenn ich ſatt bin.

Wenn du ſatt biſt? Das kann wohl ſeyn: ver - ſetzte der Schäfer. Aber wenn biſt du denn ſatt? Du und der Geitz werden es nie. Geh deinen Weg!

XVI. (2)93

XVII. (2)

Der abgewieſene Wolf kam zu einem zweyten Schäfer.

Du weißt Schäfer, war ſeine Anrede, daß ich dir, das Jahr durch, manches Schaf wür - gen könnte. Willſt du mir überhaupt jedes Jahr ſechs Schafe geben; ſo bin ich zufrieden. Du kannſt alsdenn ſicher ſchlafen, und die Hunde ohne Bedenken abſchaffen.

Sechs Schafe? ſprach der Schäfer. Das iſt ja eine ganze Heerde!

Nun, weil du es biſt, ſo will ich mich mit fünfen begnügen: ſagte der Wolf.

Du ſcherzeſt; fünf Schafe! Mehr als fünf Schafe opfre ich kaum im ganzen Jahre dem Pan.

Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und der Schäfer ſchüttelte ſpöttiſch den Kopf.

Drey?94

Drey? Zwey?

Nicht ein einziges; fiel endlich der Beſcheid. Denn es wäre ja wohl thöricht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachſamkeit ſichern kann.

XVII. (3)95

XVIII. (3)

Aller guten Dinge ſind drey; dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer.

Es geht mir recht nahe, ſprach er, daß ich unter euch Schäfern als das grauſamſte, gewiſ - ſenloſeſte Thier verſchrieen bin. Dir, Montan, will ich itzt beweiſen, wie unrecht man mir thut. Gib mir jährlich ein Schaf, ſo ſoll deine Heerde in jenem Walde, den niemand unſicher macht, als ich, frey und unbeſchädigt weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß - müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? Du lachſt, Schäfer? Worüber lachſt du denn?

O über nichts! Aber wie alt biſt du, guter Freund? ſprach der Schäfer.

Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine liebſten Lämmer zu wurgen.

Erzürne96

Erzürne dich nicht, alter Iſegrim! Es thut mir Leid, daß du mit deinem Vorſchlage einige Jahre zu ſpät kömmſt. Deine ausgebiſſenen Zähne verrathen dich. Du ſpielſt den Uneigen - nützigen, bloß um dich deſto gemächlicher, mit deſto weniger Gefahr nähren zu können.

XIX. (4)97

XIX. (4)

Der Wolf ward ärgerlich, faßte ſich aber doch, und ging auch zu dem vierten Schäfer. Dieſem war eben ſein treuer Hund geſtorben, und der Wolf machte ſich den Umſtand zu Nutze.

Schäfer, ſprach er, ich habe mich mit meinen Brüdern in dem Walde veruneiniget, und ſo, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen ausſöh - nen werde. Du weißt, wie viel du von ihnen zu fürchten haſt! Wenn du mich aber, anſtatt deines verſtorbenen Hundes in Dienſte nehmen willſt, ſo ſtehe ich dir dafür, daß ſie keines deiner Schafe auch nur ſcheel anſehen ſollen.

Du willſt ſie alſo, verſetzte der Schäfer, gegen deine Brüder im Walde beſchützen?

Was meine ich denn ſonſt? Freylich.

Das wäre nicht übel! Aber, wenn ich dich nun in meine Horden einnähme, ſage mir doch, werGſollte98alsdenn meine armen Schafe gegen dich beſchützen? Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Die - ben auſſer dem Hauſe ſicher zu ſeyn, das halten wir Menſchen

Ich höre ſchon: ſagte der Wolf; du fängſt an zu moraliſiren. Lebe wohl!

XX. (5)99

XX. (5)

Wäre ich nicht ſo alt! knirſchte der Wolf. Aber ich muß mich, leider, in die Zeit ſchicken. Und ſo kam er zu dem fünften Schäfer.

Kennſt du mich, Schäfer? fragte der Wolf.

Deines gleichen wenigſtens kenne ich: verſetzte der Schäfer.

Meines gleichen? Daran zweifle ich ſehr. Ich bin ein ſo ſonderbarer Wolf, daß ich deiner, und aller Schäfer Freundſchaft wohl werth bin.

Und wie ſonderbar biſt du denn?

Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und freſſen, und wenn es mir das Leben koſten ſollte. Ich nähre mich blos mit todten Schafen. Iſt das nicht löblich? Erlaube mir alſo immer, daß ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin - den, und nachfragen darf, ob dir nicht

G 2Spare100

Spare der Worte! ſagte der Schäfer. Du müßteſt gar keine Schafe freſſen, auch nicht einmal todte, wenn ich dein Feind nicht ſeyn ſollte. Ein Thier, das mir ſchon todte Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe für todt, und geſunde für krank anſehen. Mache auf meine Freundſchaft alſo keine Rechnung, und geh!

XXI. (6)101

XXI. (6)

Ich muß nun ſchon mein Liebſtes daran wenden, um zu meinem Zwecke zu gelangen! dachte der Wolf, und kam zu dem ſechſten Schäfer.

Schäfer, wie gefällt dir mein Belz? fragte der Wolf.

Dein Belz? ſagte der Schäfer. Laß ſehen! Er iſt ſchön; die Hunde müſſen dich nicht oft unter ge - habt haben.

Nun ſo höre, Schäfer; ich bin alt, und werde es ſo lange nicht mehr treiben. Füttere mich zu Tode; und ich vermache dir meinen Belz.

Ey ſieh doch! ſagte der Schäfer. Kömmſt du auch hinter die Schliche der alten Geitzhälſe? Nein, nein; dein Belz würde mich am Ende ſiebenmal mehr koſten, als er werth wäre. Iſt es dir aber ein Ernſt, mir ein Geſchenk zu machen, ſo gieb mir ihn gleich itzt Hiermit grif der Schäfer nach der Keule, und der Wolf flohe.

G 3XXII. (7)102

XXII. (7)

O die Unbarmherzigen! ſchrie der Wolf, und ge - rieth in die äuſſerſte Wuth. So will ich auch als ihr Feind ſterben, ehe mich der Hunger tödtet; denn ſie wollen es nicht beſſer!

Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer ein, riß ihre Kinder nieder, und ward nicht ohne groſſe Mühe von den Schäfern erſchlagen.

Da ſprach der Weiſeſte von ihnen: Wir thaten doch wohl Unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Aeuſſerſte brachten, und ihm alle Mittel zur Beſſerung, ſo ſpät und erzwungen ſie auch war, benahmen!

XXIII. Die103

XXIII. Die Maus.

Eine philoſophiſche Maus pries die gütige Natur, daß ſie die Mäuſe zu einem ſo vorzüglichen Gegen - ſtande ihrer Erhaltung gemacht habe. Denn eine Helfte von uns, ſprach ſie, erhielt von ihr Flügel, daß, wenn wir hier unten auch alle von den Katzen ausgerottet würden, ſie doch mit leichter Mühe aus den Fledermäuſen unſer ausgerottetes Geſchlecht wieder herſtellen könnte.

Die gute Maus wußte nicht, daß es auch geflü - gelte Katzen giebt. Und ſo beruhet unſer Stolz meiſtens auf unſrer Unwiſſenheit!

G 4XXIV. Die104

XXIV. Die Schwalbe.

Glaubet mir, Freunde; die groſſe Welt iſt nicht für den Weiſen, iſt nicht für den Dichter! Man kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! ſie ſind oft ſchwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauſchen.

In den erſten Zeiten war die Schwalbe ein eben ſo tonreicher, melodiſcher Vogel, als die Nachtigall. Sie ward es aber bald müde, in den einſamen - ſchen zu wohnen, und da von niemand, als dem fleiſſigen Landmanne und der unſchuldigen Schäfe - rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver - ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die Stadt. Was geſchah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, ſo verlernte ſie es nach und nach, und lernte dafür bauen.

XXV. Der105

XXV. Der Adler.

Man fragte den Adler: warum erzieheſt du deine Jungen ſo hoch in der Luft?

Der Adler antwortete: Würden ſie ſich, er - wachſen, ſo nahe zur Sonne wagen, wenn ich ſie tief an der Erde erzöge?

G 5XXVI. Der106

XXVI. Der junge und der alte Hirſch.

Ein Hirſch, den die gütige Natur Jahrhunderte leben laſſen, ſagte einſt zu einem ſeiner Enkel: Ich kann mich der Zeit noch ſehr wohl erinnern, da der Menſch das donnernde Feuerrohr noch nicht erfun - den hatte.

Welche glückliche Zeit muß das für unſer Ge - ſchlecht geweſen ſeyn! ſeufzete der Enkel.

Du ſchlieſſeſt zu geſchwind! ſagte der alte Hirſch. Die Zeit war anders, aber nicht beſſer. Der Menſch hatte da, anſtatt des Feuerrohres, Pfeile und Bogen; und wir waren eben ſo ſchlimm daran, als itzt.

XXVII. Der107

XXVII. Der Pfau und der Hahn.

Einſt ſprach der Pfau zu der Henne: Sieh einmal, wie hochmüthig und trotzig dein Hahn einher tritt! Und doch ſagen die Menſchen nicht: der ſtolze Hahn; ſondern nur immer: der ſtolze Pfau.

Das macht, ſagte die Henne, weil der Menſch einen gegründeten Stolz überſiehet. Der Hahn iſt auf ſeine Wachſamkeit, auf ſeine Mannheit ſtolz; aber worauf du? Auf Farben und Federn.

XXVIII. Der108

XXVIII. Der Hirſch.

Die Natur hatte einen Hirſch von mehr als gewöhnlicher Groſſe gebildet, und an dem Halſe hingen ihm lange Haare herab. Da dachte der Hirſch bey ſich ſelbſt: Du könnteſt dich ja wohl für ein Elend anſehen laſſen. Und was that der Eitele, ein Elend zu ſcheinen? Er hing den Kopf traurig zur Erde, und ſtellte ſich, ſehr oft das böſe Weſen zu haben.

So glaubt nicht ſelten ein witziger Geck, daß man ihn für keinen ſchönen Geiſt halten werde, wenn er nicht über Kopfweh und Hypochonder klage.

XXIX. Der109

XXIX. Der Adler und der Fuchs.

Sey auf deinen Flug nicht ſo ſtolz! ſagte der Fuchs zu dem Adler. Du ſteigſt doch nur des - wegen ſo hoch in die Luft, um dich deſto weiter nach einem Aſe umſehen zu können.

So kenne ich Männer, die tiefſinnige Welt - weiſe geworden ſind, nicht aus Liebe zur Wahr - heit, ſondern aus Begierde zu einem einträglichen Lehramte.

XXX. Der110

XXX. Der Schäfer und die Nachtigall.

Du zürneſt, Liebling der Muſen, über die lau - te Menge des parnaſſiſchen Geſchmeiſſes? O höre von mir, was einſt die Nachtigall hören mußte.

Singe doch, liebe Nachtigall! rief ein Schäfer der ſchweigenden Sängerin, an einem lieblichen Frühlingsabende, zu.

Ach! ſagte die Nachtigall; die Fröſche machen ſich ſo laut, daß ich alle Luſt zum Singen ver - liere. Höreſt du ſie nicht?

Ich höre ſie freylich: verſetzte der Schäfer. Aber nur dein Schweigen iſt Schuld, daß ich ſie höre.

Abhand -[111]

Abhandlungen.

[112][113]

I. Von dem Weſen der Fabel.

Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewiſſe Abſicht verbindet, heißt ſeine Fabel. So heißt die Erdichtung, welche er durch die Epopee, durch das Drama herrſchen läßt, die Fa - bel ſeiner Epopee, die Fabel ſeines Drama.

Von dieſen Fabeln iſt hier die Rede nicht. Mein Gegenſtand iſt die ſogenannte Aeſopiſche Fabel. Auch dieſe iſt eine Erdichtung; eine Erdichtung, die auf einen gewiſſen Zweck abzielet.

Man erlaube mir, gleich Anfangs ein Sprung in die Mitte meiner Materie zu thun, um eine An - merkung daraus herzuhohlen, auf die ſich eine ge - wiſſe Eintheilung der Aeſopiſchen Fabel gründet, de - ren ich in der Folge zu oft gedenken werde, und die mir ſo bekannt nicht ſcheinet, daß ich ſie, auf gut Glück, bey meinen Leſern vorausſetzen dürfte.

HAeſo -114

Aeſopus machte die meiſten ſeiner Fabeln bey wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben ſich dergleichen Vorfälle meiſtens erdichtet, oder auch wohl an ganz und gar keinen Vorſall, ſondern bloß an dieſe oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfer - tigung der ihrigen, gedacht. Dieſe begnügten ſich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdich - tete Geſchichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn jener noch über dieſes, die Aehnlichkeit ſeiner erdich - teten Geſchichte mit dem gegenwärtigen wirklichen Vorfalle faßlich machen, und zeugen mußte, daß aus beyden, ſo wohl aus der erdichteten Geſchichte als dem wirklichen Vorfalle, ſich eben dieſelbe Wahr - heit bereits ergebe, oder gewiß ergeben werde.

Und hieraus entſpringt die Eintheilung in ein - fache und zuſammengeſetzte Fabeln.

Einfach iſt die Fabel, wenn ich aus der erdich - teten Begebenheit derſelben, bloß irgend eine allge - meine Wahrheit folgern laſſe.

Man machte der Löwin den Vorwurf, daß ſie nur ein Jun - ges zur Welt brächte. Ja, ſprach ſie, nur eines; aber einen Löwen*Fabul. Aeſop. 216. Edit. Hauptmannianæ. .

Die Wahrheit,welche115welche in dieſer Fabel liegt,

ὁτι το καλον ȣ̍κ ἐν πληϑει, ἀλλ ἀρετῃ,

leuchtet ſogleich in die Augen; und die Fabel iſt einfach, wenn ich es bey dem Ausdrucke dieſes allgemeinen Satzes bewenden laſſe.

Zuſammengeſetzt hingegen iſt die Fabel, wenn die Wahrheit, die ſie uns auſchauend zu erkennen giebt, auf einen wirklich geſchehenen, oder doch, als wirklich geſchehen, angenommenen Fall, weiter angewendet wird. Ich mache, ſprach ein höhniſcher Reimer zu dem Dichter, in einem Jahre ſieben Trauerſpiele; aber du? In ſieben Jahren eines! Recht; nur eines! verſetzte der Dichter; aber eine Athalie! Man mache die - ſes zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fa - bel wird zuſammengeſetzt. Denn ſie beſtehet nun - mehr gleichſam aus zwey Fabeln, aus zwey ein - zeln Fällen, in welchen beyden ich die Wahrheit eben deſſelben Lehrſatzes beſtätiget finde.

Dieſe Eintheilung aber kaum brauche ich es zu erinnern beruhet nicht auf einer weſentlichen Verſchiedenheit der Fabeln ſelbſt; ſondern bloß aufH 2der116drr verſchiednen Bearbeitung derſelben. Und aus dem Exempel ſchon hat man es erſehen, daß eben dieſelbe Fabel bald einfach, bald zuſammenge - ſetzt ſeyn kann. Bey dem Phädrus iſt die Fabel von dem kreiſſenden Berge, eine einfache Fabel.

Hoc ſcriptum eſt tibi, Qui magna cum minaris, extricas nihil. ()

Ein jeder, ohne Unterſchied, der große und fürch - terliche Anſtalten einer Nichtswürdigkeit wegen macht; der ſehr weit aushohlt, um einen ſehr klei - nen Sprung zu thun; jeder Prahler, jeder viel - verſprechende Thor, von allen möglichen Arten, ſiehet hier ſein Bild! Bey unſerm Hagedorn aber, wird eben dieſelbe Fabel zu einer zuſammen - geſetzten Fabel, indem er einen gebährenden ſchlech - ten Poeten zu dem beſondern Gegenbilde des kreiſ - ſenden Berges macht.

Ihr Götter rettet! Menſchen flieht!
Ein ſchwangrer Berg beginnt zu kreiſſen,
Und wird itzt, eh man ſichs verſieht,
Mit Sand und Schollen um ſich ſchmeiſſen ꝛc.
Suffenus117
Suffenus ſchwitzt und lermt und ſchäumt:
Nichts kann den hohen Eifer zähmen;
Er ſtampft, er knirſcht; warum? er reimt,
Und will itzt den Homer beſchämen ꝛc.
Allein gebt Acht, was kömmt heraus?
Hier ein Sonnet, dort eine Maus.

Dieſe Eintheilung alſo, von welcher die Lehr - bucher der Dichtkunſt ein tieſes Stillſchweigen beob - achten, ohngeachtet ihres mannichfaltigen Nutzens in der richtigern Beſtimmung verſchiedener Regeln: dieſe Eintheilung, ſage ich, vorausgeſetzt; will ich mich auf den Weg machen. Es iſt kein unbetrete - ner Weg. Ich ſehe eine Menge Fußtapfen vor mir, die ich zum Theil unterſuchen muß, wenn ich überall ſichere Tritte zu thun gedenke. Und in die - ſer Abſicht will ich ſogleich die vornehmſten Erklärun - gen prüfen, welche meine Vorgänger von der Fabel gegeben haben.

De la Motte.

Dieſer Mann, welcher nicht ſo wohl ein großes poetiſches Genie, als ein guter, aufgeklärter Kopf war, der ſich an mancherley wagen, und überallH 3erträg -118erträglich zu bleiben hoffen durſte, erklärt die Fabel durch eine unter die Allegorie einer Handlung verſteckte Lehre*La Fable eſt une inſtruction deguiſee ſous l’allegorie d’une action. Diſcours ſur la fable. .

Als ſich der Sohn des ſtolzen Tarquinius bey den Gabiern nunmehr feſt geſetzt hatte, ſchickte er heimlich einen Bothen an ſeinen Vater, und ließ ihn fragen, was er weiter thun ſolle? Der König, als der Bothe zu ihm kam, befand ſich eben auf dem Felde, hub ſeinen Stab auf, ſchlug den höchſten Mahnſtängeln die Häupter ab, und ſprach zu dem Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich itzt gethan habe! Der Sohn verſtand den ſtummen Befehl des Vaters, und ließ die Vornehmſten der Gabier hinrichten**Florus. lib. 1. cap. 7.. Hier iſt eine allegoriſche Handlung; hier iſt eine unter die Allegorie dieſer Handlung verſteckte Lehre: aber iſt hier eine Fabel? Kann man ſagen, daß Tarquinius ſeine Meinung dem Sohne durch eine Fabel habe wiſſen laſſen? Ge - wiß nicht!

Jener119

Jener Vater, der ſeinen uneinigen Söhnen die Vortheile der Eintracht an einem Bündel Ruthen zeigte, das ſich nicht anders als ſtückweiſe zerbrechen laſſe, machte der eine Fabel*Fabul. Aeſop. 171.?

Aber wenn eben derſelbe Vater ſeinen uneinigen Söhnen erzählt hätte, wie glücklich drey Stiere, ſo lange ſie einig waren, den Löwen von ſich abhiel - ten, und wie bald ſie des Löwen Raub wurden, als Zwietracht unter ſie kam, und jeder ſich ſeine eigene Weide ſuchte**Fab. Aeſop. 297.: alsdenn hätte doch der Vater ſei - nen Söhnen ihr Beſtes in einer Fabel gezeigt? Die Sache iſt klar.

Folglich iſt es eben ſo klar, daß die Fabel nicht bloß eine allegoriſche Handlung, ſondern die Er - zehlung einer ſolchen Handlung ſeyn kann. Und dieſes iſt das erſte, was ich wider die Erklärung des de la Motte zu erinnern habe.

Aber was will er mit ſeiner Allegorie? Ein ſo fremdes Wort, womit nur wenige einen beſtimm - ten Begriff verbinden, ſollte überhaupt aus einerH 4guten120guten Erklärung verbannt ſeyn. Und wie, wenn es hier gar nicht einmal an ſeiner Stelle ſtünde? Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der Fabel an ſich ſelbſt allegoriſch ſey? Und wenn ſie es höchſtens unter gewiſſen Umſtänden nur werden könnte?

Quintilian lehret:

Αλληγορια, quam Inverſio - nem interpretamur, aliud verbis, aliud ſenſu oſten - dit, ac etiam interim contrarium*Quinctilianus lib. VIII. cap. 6.. ()

Die Allegorie ſagt das nicht, was ſie nach den Worten zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas anders. Die neuern Lehrer der Rhetorik erinnern, daß dieſes etwas andere auf etwas anderes ähnliches einzuſchränken ſey, weil ſonſt auch jede Ironie eine Allegorie ſeyn würde**Allegoria dicitur, quia ἀλλο μεν ἀγορευει, άλλο δε νοει. Et iſtud ἀλλο reſtringi debet ad aliud ſimile, alias etiam omnis Ironia Allegoria eſſet. Voſſius Inſt. Orat. libr. III. . Die letztern Worte des Quintilians,

ac etiam interim contrarium, ()

ſind ihnen hierinn zwar offenbar zuwider: aber es mag ſeyn.

Die121

Die Allegorie ſagt alſo nicht, was ſie den Wor - ten nach zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas ähnli - ches. Und die Handlung der Fabel, wenn ſie alle - goriſch ſeyn ſoll, muß das auch nicht ſagen, was ſie zu ſagen ſcheinet, ſondern nur etwas ähnliches?

Wir wollen ſehen! Der Schwächere wird gemeiniglich ein Raub des Mächtigern. Das iſt ein allgemeiner Satz, bey welchem ich mir eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer ſtärker iſt als das andere; die ſich alſo, nach der Fol - ge ihrer verſchiednen Stärke, unter einander auf - reiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer wird lange und gern den öden Begriff eines Din - ges denken, ohne auf dieſes oder jenes beſondere Ding zu fallen, deſſen Eigenſchaften ihm ein deut - liches Bild gewähren? Ich will alſo auch hier, an - ſtatt dieſer Reihe von unbeſtimmten Dingen, eine Reihe beſtimmter, wirklicher Dinge annehmen. Ich könnte mir in der Geſchichte eine Reihe von Staaten oder Königen ſuchen; aber wie viele ſind in der Geſchichte ſo bewandert, daß ſie, ſo bald ich meine Staaten oder Könige nur nennte, ſich derH 5Verhält -122Verhältniſſe, in welchen ſie gegen einander an Größe und Macht geſtanden, erinnern können? Ich wür - de meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht ha - ben; und ich möchte ihn gern allen ſo faßlich, als möglich, machen. Ich falle auf die Thiere; und warum ſollte ich nicht eine Reihe von Thieren wäh - len dürfen; beſonders wenn es allgemein bekannte Thiere wären? Ein Auerhahn ein Marder ein Fuchs ein Wolf Wir kennen dieſe Thiere; wir dürfen ſie nur nennen hören, um ſogleich zu wiſſen, welches das ſtärkere oder das ſchwächere iſt. Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht. Das iſt mir noch nicht gewiß genug. Ich ſage alſo: er fraß. Und ſiehe, mein Satz iſt zur Fabel ge - worden!

Ein Marder fraß den Auerhahn;
Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn
*von Hagedorn; Fabeln und Erzehlungen, erſtes Buch. S. 77.
*.

Was kann ich nun ſagen, daß in dieſer Fabel für eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwäch -ſte;123ſte; der Marder, der Schwache; der Fuchs, der Starke; der Wolf der Stärkſte. Was hat der Auer - hahn mit dem Schwächſten, der Marder mit dem Schwachen, u. ſ. w. hier ähnliches? Aehnli - ches! Gleichet hier bloß der Fuchs dem Starken, und der Wolf dem Stärkſten; oder iſt jener hier der Starke, ſo wie dieſer der Stärkſte? Er iſt es. Kurz; es heißt die Worte auf eine kindiſche Art mißbrauchen, wenn man ſagt, daß das Beſondere mit ſeinem Allgemeinen, das Einzelne mit ſeiner Art, die Art mit ihrem Geſchlechte eine Aehn - lichkeit habe. Iſt dieſer Windhund, einem Wind - hunde überhaupt, und ein Windhund über - haupt, einem Hunde ähnlich? Eine lächerliche Frage! Findet ſich nun aber unter den beſtimm - ten Subjecten der Fabel, und den allgemeinen Subjecten ihres Satzes keine Aehnlichkeit, ſo kann auch keine Allegorie unter ihnen Statt haben. Und das Nehmliche läßt ſich auf die nehmliche Art von den beyderſeitigen Prädicaten erweiſen.

Vielleicht aber meinet jemand, daß die Allegorie hier nicht auf der Aehnlichkeit zwiſchen den beſtimm -ten124ten Subjecten oder Prädicaten der Fabel und den allgemeinen Subjecten oder Prädicaten des Satzes, ſondern auf der Aehnlichkeit der Arten, wie ich ebendieſelbe Wahrheit, itzt durch die Bilder der Fa - bel, und itzt vermittelſt der Worte des Satzes er - kenne, beruhe. Doch das iſt ſo viel, als nichts. Denn käme hier die Art der Erkenntniß in Betrach - tung, und wollte man bloß wegen der anſchauen - den Erkenntniß, die ich vermittelſt der Handlung der Fabel von dieſer oder jener Wahrheit erhalte, die Handlung allegoriſch nennen: ſo würde in allen Fabeln ebendieſelbe Allegorie ſeyn, welches doch nie - mand ſagen will, der mit dieſem Worte nur einigen Begriff verbindet.

Ich befürchte, daß ich von einer ſo klaren Sache viel zu viel Worte mache. Ich faſſe daher alles zu - ſammen und ſage: die Fabel, als eine einfache Fabel, kann unmöglich allegoriſch ſeyn.

Man erinnere ſich aber meiner obigen Anmerkung, nach welcher eine jede einfache Fabel auch eine zu - ſammengeſetzte werden kann. Wie wann ſie als - denn allegoriſch würde? Und ſo iſt es. Denn inder125der zuſammengeſetzten Fabel wird ein Beſonderes gegen das andre gehalten; zwiſchen zwey oder mehr Beſondern, die unter eben demſelben Allgemeinen be - griffen ſind, iſt die Aehnlichkeit unwiderſprechlich, und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur muß man nicht ſagen, daß die Allegorie zwiſchen der Fabel und dem moraliſchen Satze ſich befinde. Sie befindet ſich zwiſchen der Fabel und dem wirk - lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat, in ſo fern ſich aus beyden ebendieſelbe Wahrheit er - giebt. Die bekannte Fabel vom Pferde, daß ſich von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn auf ſeinen Rücken nahm, damit er ihm nur in ſeiner Nache, die es an dem Hirſche nehmen wollte, be - hülflich wäre: dieſe Fabel ſage ich, iſt ſo fern nicht allegoriſch, als ich mit dem Phädrus*Liber IV. fab. 3. bloß die all - gemeine Wahrheit daraus ziehe:

Impune potius lædi, quam dedi alteri. ()

Bey der Gelegenheit nur, bey welcher ſie ihr Er - finder Steſichorus erzehlte, ward ſie es. Er er - zehlte ſie nehmlich, als die Himerenſer den Pha -laris126laris zum oberſten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker gemacht hatten, und ihm noch dazu eine Leibwache geben wollten.

O ihr Himerenſer, rief er, die ihr ſo feſt entſchloſſen ſeyd, euch an euren Feinden zu rächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird euch wie dieſem Pferde ergehen! Den Zaum habt ihr euch bereits anlegen laſſen, indem ihr den Pha - laris zu eurem Heerführer mit unumſchränkter Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine Leibwache geben, wollt ihr ihn auſſitzen laſſen, ſo iſt es vollends um eure Freyheit gethan. *Ariſtoteles Rhetor lib. II. cap. 20.

Alles wird hier allegoriſch! Aber einzig und allein dadurch, daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten, ſondern auf die beleidigten Himerenſer; der Hirſch nicht auf jeden Beleidiger, ſondern auf die Feinde der Himerenſer; der Mann nicht auf jeden liſtigen Unterdrücker, ſondern auf den Phalaris; die An - legung des Zaums nicht auf jeden erſten Eingriff in die Rechte der Freyheit, ſondern auf die Ernennung des Phalaris zum unumſchränkten Heerführer; und das Aufſitzen endlich, nicht auf jeden letzten tödtlichen Stoß, welcher der Freyheit beygebrachtwird,127wird, ſondern auf die dem Phalaris zu bewilligen - de Leibwache, gezogen und angewandt wird.

Was folgt nun aus alle dem? Dieſes: da die Fa - bel nur alsdenn allegoriſch wird, wenn ich dem er - dichteten einzeln Falle, den ſie enthält, einen an - dern ähnlichen Fall, der ſich wirklich zugetragen hat, entgegen ſtelle; da ſie es nicht an und für ſich ſelbſt iſt, in ſo fern ſie eine allgemeine moraliſche Lehre enthält: ſo gehöret das Wort Allegorie gar nicht in die Er - klärung derſelben. Dieſes iſt das zweyte, was ich gegen die Erklärung des de la Motte zu erin - nern habe.

Und man glaube ja nicht, daß ich es bloß als ein müſſiges, überflüſſiges Wort daraus verdrengen will. Es iſt hier, wo es ſteht, ein höchſt ſchädliches Wort, dem wir vielleicht eine Menge ſchlechter Fabeln zu danken haben. Man begnüge ſich nur, die Fabel, in Anſehung des allgemeinen Lehrſatzes, bloß al - legoriſch zu machen; und man kann ſicher glauben, eine ſchlechte Fabel gemacht zu haben. Iſt aber eine ſchlechte Fabel eine Fabel? Ein Exempel wird die Sache in ihr völliges Licht ſetzen. Ichwehle128wehle ein altes, um ohne Mißgunſt Recht haben zu können. Die Fabel nehmlich von dem Mann und dem Satyr.

Der Mann bläſet in ſeine kal - te Hand, um ſeine Hand zu wärmen; und bläſet in ſeinen heiſſen Brey, um ſeinen Brey zu kühlen. Was? ſagt der Satyr; du bläſeſt aus einem Mun - de Warm und Kalt? Geh, mit dir mag ich nichts zu thun haben!*Fab. Aeſop. 126.

Dieſe Fabel ſoll lehren,

ὁτι δει φευγειν ἡμας τας φιλιας, ὡναμφιβολος ἐςι[ι]〈…〉〈…〉 διαϑεσις;

die Freundſchaft aller Zweyzüngler, aller Doppelleute, aller Falſchen zu fliehen. Lehrt ſie das? Ich bin nicht der erſte der es leugnet, und die Fabel für ſchlecht ausgiebt. Richer** contre la juſteſſe de l’allegorie. Sa morale n’eſt qu’u - ne alluſion, & n’eſt fondée que ſur un jeu de mots équi - voque. Fables nouvelle, Preface, p. 10. ſagt, ſie ſündige wider die Richtigkeit der Allegorie; ihre Moral ſey weiter nichts als eine Anſpielung, und gründe ſich auf eine bloſſe Zweydeutigkeit. Richer hat richtig empfunden, aber ſeine Empfindung falſch ausgedrückt. Der Fehler liegt nicht ſowohl darinn, daß die Allegorie nicht richtig genug iſt, ſonderndarinn,129darinn, daß es weiter nichts als eine Allegorie iſt. Anſtatt daß die Handlung des Mannes, die dem Satyr ſo anſtöſſig ſcheinet, unter dem allgemeinen Subjecte des Lehrſatzes wirklich begriffen ſeyn ſoll - te, iſt ſie ihm bloß ähnlich. Der Mann ſollte ſich eines wirklichen Widerſpruchs ſchuldig machen; und der Widerſpruch iſt nur anſcheinend. Die Lehre warnet uns vor Leuten, die von ebenderſel - ben Sache ja und nein ſagen, die ebendaſſelbe Ding loben und tadeln: und die Fabel zeiget uns einen Mann, der ſeinen Athem gegen verſchiede - ne Dinge verſchieden braucht; der auf ganz etwas anders itzt ſeinen Athem warm haucht, und auf ganz etwas anders ihn itzt kalt bläſet.

Endlich, was läßt ſich nicht alles allegoriſiren! Man nenne mir das abgeſchmackte Mährchen, in welches ich durch die Allegorie nicht einen moraliſchen Sinn ſollte legen können!

Die Mitknechte des Aeſopus gelüſtet nach den trefflichen Feigen ihres Herrn. Sie eſſen ſie auf, und als es zur Nach - frage kömmt, ſoll es der gute Aeſop gethan ha - ben. Sich zu rechtfertigen, trinket Aeſop inJ groſſer130 groſſer Menge laues Waſſer; und ſeine Mitknechte müſſen ein gleiches thun. Das laue Waſſer hat ſeine Wirkung, und die Näſcher ſind entdeckt.

Was lehrt uns dieſes Hiſtörchen? Eigentlich wohl weiter nichts, als daß laues Waſſer, in groſſer Menge getrunken, zu einem Brechmittel werde? Und doch machte jener perſiſche Dichter*Herbelot Bibl. Orient. p. 516. Lorsque l’on vous donnera a - boire de cette eau chaude & brulante, dans la queſtion du Jugement dernier, tout ce que vous avez caché avec tant de ſoin, paroitra aux yeux de tout le monde, & celui qui aura acquis de l’eſtime par ſon hypocriſie & par ſon deguiſement, ſera pour lors couvert de honte & de confuſion. einen weit edlern Gebrauch davon.

Wenn man euch, ()

ſpricht er,

an jenem groſſen Tage des Gerichts, von die - ſem warmen und ſiedenden Waſſer wird zu trin - ken geben: alsdann wird alles an den Tag kommen, was ihr mit ſo vieler Sorgfalt vor den Augen der Welt verborgen gehalten; und der Heuchler, den hier ſeine Verſtellung zu einem ehrwürdigen Man - ne gemacht hatte, wird mit Schande und Ver - wirrung überhäuft daſtehen!

Vortrefflich!

Ich131

Ich habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklä - rung des de la Motte auszuſetzen. Das Wort Lehre (inſtruction) iſt zu unbeſtimmt und allgemein. Iſt jeder Zug aus der Mythologie, der auf eine phyſiſche Wahrheit anſpielet, oder in den ein tief - ſinniger Baco wohl gar eine tranſcendentaliſche Lehre zu legen weis, eine Fabel? Oder wenn der ſeltſame Holberg erzehlet:

Die Mutter des Teuſels übergab ihm einsmals vier Ziegen, um ſie in ihrer Abweſenheit zu bewachen. Aber dieſe machten ihm ſo viel zu thun, daß er ſie mit aller ſeiner Kunſt und Geſchicklichkeit nicht in der Zucht halten konnte. Diesfalls ſagte er zu ſeiner Mutter nach ihrer Zu - rückkunft: Liebe Mutter, hier ſind eure Ziegen! Ich will lieber eine ganze Compagnie Reuter be - wachen, als eine einzige Ziege. Hat Holberg eine Fabel erzehlet? Wenigſtens iſt eine Lehre in dieſem Dinge. Denn er ſetzet ſelbſt mit ausdrück - lichen Worten dazu: Dieſe Fabel zeiget, daß keine Kreatur weniger in der Zucht zu halten iſt, als eine Ziege. *Moraliſche Fabeln des Baron von Holberes S. 103.

Eine wichtige Wahrheit! Nie -J 2mand132mand hat die Fabel ſchändlicher gemißhandelt, als dieſer Holberg! Und es mißhandelt ſie jeder, der eine andere als moraliſche Lehre darinn vor - zutragen, ſich einfallen läßt.

Richer.

Richer iſt ein andrer franzöſiſcher Fabuliſt, der ein wenig beſſer erzehlet als de la Motte, in An - ſehung der Erfindung aber, weit unter ihm ſtehet. Auch dieſer hat uns ſeine Gedanken über dieſe Dich - tungsart nicht vorenthalten wollen, und erklärt die Fabel durch ein kleines Gedicht, das irgend eine unter einem allegoriſchen Bilde verſteckte Re - gel enthalte*La Fable eſt un petit Poeme qui contient un precepte caché ſous une image allegorique. Fables nouvelles Preſace p. 9. .

Richer hat die Erklärung des de la Motte of - fenbar vor Augen gehabt. Und vielleicht hat er ſie gar verbeſſern wollen. Aber das iſt ihm ſehr ſchlecht gelungen.

Ein kleines Gedicht? (Poeme) Wenn Ri - cher das Weſen eines Gedichts in die bloſſe Fiction ſetzet: ſo bin ich es zufrieden, daß er die Fabel ein Gedicht nennet. Wenn er aber auch die poetiſcheSprache133Sprache und ein gewiſſes Sylbenmaaß, als noth - wendige Eigenſchaften eines Gedichtes betrachtet: ſo kann ich ſeiner Meinung nicht ſeyn. Ich wer - de mich weiter unten hierüber ausführlicher er - klären.

Eine Regel? (Precepte) Dieſes Wort iſt nichts beſtimmter, als das Wort Lehre des de la Motte. Alle Künſte, alle Wiſſenſchaften haben Regeln, haben Vorſchriften. Die Fabel aber ſtehet einzig und allein der Moral zu. Von einer andern Seite hingegen betrachtet, iſt Regel oder Vor - ſchrift hier ſo gar noch ſchlechter als Lehre; weil man unter Regel und Vorſchrift eigentlich nur ſolche Sätze verſtehet, die unmittelbar auf die Beſtim - mung unſers Thuns und Laſſens gehen. Von die - ſer Art aber ſind nicht alle moraliſche Lehrſätze der Fabel. Ein groſſer Theil derſelben ſind Erfahrungs - ſätze, die uns nicht ſowohl von dem, was geſchehen ſollte, als vielmehr von dem, was wirklich geſchie - het, unterrichten. Iſt die Sentenz:

In principatu commutando civium Nil præter domini nomen mutant pauperes; ()J 3eine134

eine Regel, eine Vorſchrift? Und gleichwohl iſt ſie das Reſultat einer von den ſchönſten Fabeln des Phädrus*Libri I. Fab. 15.. Es iſt zwar wahr, aus jedem ſolchen Erfahrungsſatze können leicht eigentliche Vorſchrif - ten und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für eine Fabel ſeyn, in welcher ich den Satz mit allen ſeinen Folgerungen auf einmal, anſchauend erkennen ſollte?

Unter einem allegoriſchen Bilde? Ueber das Allegoriſche habe ich mich bereits erkläret. Aber Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieſes Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es viel - leicht nur ergriffen, um vom de la Motte lieber auf Gerathewohl abzugehen, als nach ihm Recht zu haben? Ein Bild heißt überhaupt jede ſinn - liche Vorſtellung eines Dinges nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderun - gen, deren das Ding fähig iſt, ſondern allein die,in135in der es ſich in einem und eben demſelben Augen - blicke befindet. In einem Bilde kann ich zwar alſo wohl eine moraliſche Wahrheit erkennen, aber es iſt darum noch keine Fabel. Der mitten im Waſſer dürſtende Tantalus iſt ein Bild, und ein Bild, das mir die Möglichkeit zeiget, man könne auch bey dem größten Ueberfluſſe darben. Aber iſt dieſes Bild deswegen eine Fabel? So auch folgendes kleine Gedicht:

Curſu veloci pendens in novacula, Calvus, comoſa fronte, nudo corpore, Quem ſi occuparis, teneas; elapſum ſemel Non ipſe poſſit Jupiter reprehendere; Occaſionem rerum ſignificat brevem. Effectus impediret ne ſegnis mora Finxere antiqui talem effigiem temporis. ()

Wer wird dieſe Zeilen für eine Fabel erkennen, ob ſie ſchon Phädrus als eine ſolche unter ſeinen Fa - beln mit unterlaufen läßt? *Libri V. Fab. 8.Ein jedes Gleichniß, ein jedes Emblema würde eine Fabel ſeyn, wenn ſie nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu Einem Zwecke übereinſtimmenden Bildern; wenn ſie, mit einem Worte, nicht das nothwen -J 4dig136dig erforderte, was wir durch das Wort Hand - lung ausdrücken.

Eine Handlung nenne ich, eine Folge von Veränderungen, die zuſammen Ein Ganzes ausmachen.

Dieſe Einheit des Ganzen beruhet auf der Uebereinſtimmung aller Theile zu einem Endzwecke.

Der Endzweck der Fabel, das, wofür die Fabel erfunden wird, iſt der moraliſche Lehrſatz.

Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn das, was ſie erzehlt, eine Folge von Veränderun - gen iſt, und jede dieſer Veränderungen etwas dazu bey - trägt, die einzeln Begriffe, aus welchen der moraliſche Lehrſatz beſtehet, anſchauend erkennen zu laſſen.

Was die Fabel erzehlt, muß eine Folge von Veränderungen ſeyn. Eine Veränderung, oder auch mehrere Veränderungen, die nur neben ein - ander beſtehen, und nicht auf einander folgen, wollen zur Fabel nicht zureichen. Und ich kann es für eine untriegliche Probe ausgeben, daß eine Fa - bel ſchlecht iſt, daß ſie den Namen der Fabel garnicht137nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung, ſich ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein bloſſes Bild, und der Mahler hat keine Fabel, ſon - dern ein Emblema gemahlt.

Ein Fiſcher, in - dem er ſein Netz aus dem Meere zog, blieb der gröſſern Fifche, die ſich darinn gefangen hatten, zwar habhaft, die kleinſten aber ſchlupften durch das Netz durch, und gelangten glücklich wieder ins Waſſer.

Dieſe Erzehlung befindet ſich unter den Aeſopiſchen Fabeln*Fab. Aefop. 126., aber ſie iſt keine Fabel; wenigſtens eine ſehr mittelmäſſige. Sie hat keine Handlung, ſie enthält ein bloſſes einzelnes Factum, das ſich ganz mahlen läßt; und wenn ich dieſes ein - zelne Factum, dieſes Zurückbleiben der gröſſern und dieſes Durchſchlupfen der kleinen Fiſche, auch mit noch ſo viel andern Umſtänden erweiterte, ſo würde doch in ihm allein, und nicht in den andern Um - ſtänden zugleich mit, der moraliſche Lehrſatz liegen.

Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt, eine Folge von Veränderungen iſt; alle dieſe Verände - rungen müſſen zuſammen nur einen einzigen an -J 5ſchauen -138ſchauenden Begriff in mir erwecken. Erwecken ſie deren mehrere, liegt mehr als ein moraliſcher Lehrſatz in der vermeinten Fabel, ſo fehlt der Handlung ihre Einheit, ſo fehlt ihr das, was ſie eigentlich zur Handlung macht, und kann, richtig zu ſprechen, keine Handlung, ſon - dern muß eine Begebenheit heiſſen. Ein Exempel:

Lucernam fur accendit ex ara Iovis, Ipſumque compilavit ad lumen ſuum; Onuſtus qui ſacrilegio cum diſcederet, Repente vocem ſancta miſit Religio: Malorum quamvis iſta fuerint munera, Mihique inviſa ut non offendar ſubripi; Tamen, ſceleſte, ſpiritu culpam lues, Olim cum adſcriptus venerit pœnæ dies. Sed ne ignis noſter facinori præluceat, Per quem verendos excolit pietas Deos, Veto eſſe tale luminis commercium. Ita hodie, nec lucernam de flamma Deùm Nec de lucerna fas eſt accendi ſacrum. ()

Was hat man hier geleſen? Ein Hiſtörchen; aber keine Fabel. Ein Hiſtörchen trägt ſich zu; eine Fabel wird erdichtet. Von der Fabel alſo muß ſich ein Grund angeben laſſen, warum ſie erdichtet wor - den; da ich den Grund, warum ſich jenes zugetra - gen, weder zu wiſſen noch anzugeben gehalten bin. Was139Was wäre nun der Grund, warum dieſe Fabel er - dichtet worden, wenn es anders eine Fabel wäre? Recht billig zu urtheilen, könnte es kein andrer als dieſer ſeyn: der Dichter habe einen wahrſcheinlichen Anlaß zu dem doppelten Verbote, weder von dem heiligen Feuer ein gemeines Licht, noch von einem gemeinen Lichte das heilige Feuer an - zuzünden, erzehlen wollen. Aber wäre das eine moraliſche Abſicht, dergleichen der Fabuliſt doch nothwendig haben ſoll? Zur Noth könnte zwar die - ſes einzelne Verbot zu einem Bilde des allgemeinen Verbots dienen, daß das Heilige mit dem Un - heiligen, das Gute mit dem Böſen in keiner Gemeinſchaft ſtehen ſoll. Aber was tragen als - denn die übrigen Theile der Erzehlung zu dieſem Bilde bey? Zu dieſem gar nichts; ſondern ein jeder iſt vielmehr das Bild, der einzelne Fall einer ganz andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat es ſelbſt empfunden, und hat ſich aus der Verlegenheit, welche Lehre er allein daraus ziehen ſolle, nicht beſſer zu reiſſen gewußt, als wenn er deren ſo viele daraus zöge, als ſich nur immer ziehen lieſſen. Denn er ſchließt:

Quot140Quot res contineat hoc argumentum utiles Non explicabit alius, quam qui repperit. Significat primo, ſæpe, quos ipſe alueris, Tibi inveniri maxime contrarios. Secundo oſtendit, ſcelera non ira Deum, Tatorum dicto ſed puniri tempore. Noviſſime interdicit, ne cum malefico Uſum bonus conſociet ullius rei. ()

Eine elende Fabel, wenn niemand anders als ihr Erfinder es erklären kann, wie viel nützliche Din - ge ſie enthalte! Wir hätten an einem genug! Kaum ſollte man es glauben, daß einer von den Al - ten, einer von dieſen groſſen Meiſtern in der Ein - falt ihrer Plane, uns dieſes Hiſtörchen für eine Fa - bel*Phædrus libr. IV. Fab. 11. verkaufen können.

Breitinger.

Ich würde von dieſem groſſen Kunſtrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken noch überall Recht hätte. Er giebt uns aber eine doppelte Erklärung von der Fabel**Der Critiſchen Dichtkunſt / erſten Bandes ſiebender Ab - ſchnitt, S. 194. Die eine hat er von dem de la Motte entlehnet; und die andere iſt ihm ganz eigen.

Nach141

Nach jener verſteht er unter der Fabel, eine un - ter der wohlgerathenen Allegorie einer ähn - lichen Handlung verkleidete Lehre und Unter - weiſung. Der klare, überſetzte de la Motte! Und der ein wenig gewäſſerte: könnte man noch dazuſetzen. Denn was ſollen die Beywörter: wohlgerathene Allegorie; ähnliche Handlung? Sie ſind höchſt überflüſſig.

Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn verſparet. Richer ſagt: die Lehre ſolle unter dem allegoriſchen Bilde verſteckt (caché) ſeyn. Verſteckt! welch ein unſchickliches Wort! In man - chem Räthſel ſind Wahrheiten, in den Pythagori - ſchen Denkſprüchen ſind moraliſche Lehren verſteckt; aber in keiner Fabel. Die Klahrheit, die Lebhaf - tigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Theilen einer guten Fabel auf einmal hervor ſtrahlet, hätte durch ein ander Wort, als durch das ganz widerſprechen - de verſteckt, ausgedrückt zu werden verdienet. Sein Vorgänger de la Motte hatte ſich um ein gut Theil feiner erklärt; er ſagt doch nur, verkleidet (deguiſé). Aber auch verkleidet iſt noch viel zuunrichtig,142unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer mühſamen Erkennung mit ſich führet. Und es muß gar keine Mühe koſten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich ſo reden darf, Mühe und Zwang koſten, ſie darinn nicht zu erkennen. Aufs höchſte würde ſich dieſes verkleidet nur in Anſehung der zuſammengeſetz - ten Fabel entſchuldigen laſſen. In Anſehung der einfachen iſt es durchaus nicht zu dulden. Von zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch den andern ausgedrückt, einer in den andern ver - kleidet werden: aber wie man das Allgemeine in das Beſondere verkleiden könne, das begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt ein ähnliches Wort hier brauchen, ſo müßte es an - ſtatt verkleiden wenigſtens einkleiden heiſſen.

Von einem deutſchen Kunſtrichter hätte ich über - haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä - rung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den ſchön vernünſtelnden Franzoſen überlaſſen ſollen, ſich damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde es ſehr wohl angeſtanden haben, wenn er uns mitden143den trocknen Worten der Schule belehrt hätte, daß die moraliſche Lehre in die Handlung weder ver - ſteckt noch verkleidet, ſondern durch ſie der an - ſchauenden Erkenntniß fähig gemacht werde. Ihm würde es erlaubt geweſen ſeyn, uns von der Natur dieſer auch der roheſten Seele zukommenden Erkenntniß, von der mit ihr verknüpften ſchnellen Ueberzeugung, von ihrem daraus entſpringenden mächtigen Einfluſſe auf den Willen, das Nöthige zu lehren. Eine Materie, die durch den ganzen ſpe - culativiſchen Theil der Dichtkunſt von dem größten Nutzen iſt, und von unſerm Weltweiſen ſchon gnugſam erläutert war*Ich kann meine Verwunderung nicht bergen, daß Herr Breitinger das, was Wolf ſchon damals von der Fabel gelehret hatte, auch nicht im geringſten gekannt zu haben ſcheinet. Wolfii Philoſophiæ practicæ univerſalis Pars po - ſterior §. 302-323. Dieſer Theil erſchien 1734, und die Breitingerſche Dichtkunſt erſt das Jahr darauf.! Was Breitinger aber damals unterlaſſen, das iſt mir, itzt nachzuhohlen, nicht mehr erlaubt. Die philoſophiſche Sprache iſt ſeit dem unter uns ſo bekannt geworden, daß ich mich der Wörter anſchauen, anſchauender Er - kenntniß, gleich von Anfange als ſolcher Wörterohne144ohne Bedenken habe bedienen dürfen, mit welchen nur wenige nicht einerley Begriff verbinden.

Ich käme zu der zweyten Erklärung, die uns Breitinger von der Fabel giebt. Doch ich bedenke daß ich dieſe bequemer an einem andern Orte werde unterſuchen können. Ich verlaſſe ihn alſo

Batteux.

Batteux erkläret die Fabel kurz weg durch die Erzehlung einer allegoriſchen Handlung*Principes de Litterature, Tome II. I. Partie p. V. L’Apo - logue eſt le recit d’une action allegorique &c. . Weil er es zum Weſen der Allegorie macht, daß ſie eine Lehre oder Wahrheit verberge, ſo hat er ohne Zweifel geglaubt, des moraliſchen Satzes, der in der Fabel zum Grunde liegt, in ihrer Erklärung gar nicht erwähnen zu dürfen. Man ſiehet ſogleich, was von meinen bisherigen Anmerkungen, auch wider dieſe Erklärung anzuwenden iſt. Ich will mich daher nicht wiederhohlen, ſondern bloß die fernere Erklärung, welche Batteux von der Hand - lung giebt, unterſuchen.

Eine145 Eine Handlung, ()

ſagt Batteux,

iſt eine Un - ternehmung, die mit Wahl und Abſicht geſchie - het. Die Handlung ſetzet, auſſer dem Leben und der Wirkſamkeit, auch Wahl und Endzweck voraus, und kömmt nur vernünftigen Weſen zu.

Wenn dieſe Erklärung ihre Richtigkeit hat, ſo mögen wir nur neun Zehntheile von allen exiſtiren - den Fabeln ausſtreichen. Aeſopus ſelbſt wird als - dann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben, welche die Probe halten.

Zwey Hähne kämpfen mit einander. Der Beſiegte verkriecht ſich. Der Sieger fliegt auf das Dach, ſchlägt ſtolz mit den Flügeln und krähet. Plötzlich ſchießt ein Adler auf den Sieger herab, und zerfleiſcht ihn*Aeſop. Fab. 145..

Ich habe das allezeit für eine ſehr glückliche Fabel gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, die Handlung. Denn wo iſt hier eine Unterneh - mung, die mit Wahl und Abſicht geſchähe?

Der Hirſch betrachtet ſich in einer ſpiegelnden Quelle; er ſchämt ſich ſeiner dürren Läufte; und freuet ſich ſeines ſtolzen Geweihes. Aber nichtK lange!146 lange! Hinter ihm ertönte die Jagd; ſeine dürren Läufte bringen ihn glücklich ins Gehölze; da ver - ſtrickt ihn ſein ſtolzes Geweih; er wird erreicht*Fab. Aeſop. 181..

Auch hier ſehe ich keine Unternehmung, keine Ab - ſicht. Die Jagd iſt zwar eine Unternehmung, und der fliehende Hirſch hat die Abſicht ſich zu retten; aber beyde Umſtände gehören eigentlich nicht zur Fabel, weil man ſie, ohne Nachtheil derſelben, weglaſſen und verändern kann. Und dennoch fehlt es ihr nicht an Handlung. Denn die Handlung liegt in dem falſch befundenen Urtheile des Hir - ſches. Der Hirſch urtheilet falſch; und lernet gleich darauf aus der Erfahrung, daß er falſch geurtheilet habe. Hier iſt alſo eine Folge von Veränderungen, die einen einzigen anſchauenden Begriff in mir er - wecken. Und das iſt meine obige Erklärung der Handlung, von der ich glaube, daß ſie auf alle gute Fabeln paſſen wird.

Giebt es aber doch wohl Kunſtrichter, welche einen noch engern, und zwar ſo materiellen Begriff mit dem Worte Handlung verbinden, daß ſie nir -gends147gends Handlung ſehen, als wo die Körper ſo thätig ſind, daß ſie eine gewiſſe Veränderung des Rau - mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerſpiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Füſſen fällt, die Prinzeſſin ohnmächtig wird, die Helden ſich palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs ſpringt, der Wolf zerreiſſet, und der Froſch die Maus ſich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenſchaften, jede Folge von verſchiedenen Ge - danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung ſey; vielleicht weil ſie viel zu mechaniſch denken und ſühlen, als daß ſie ſich irgend einer Thätigkeit dabey bewußt wären. Ernſthafter ſie zu widerlegen, würde eine unnütze Mühe ſeyn. Es iſt aber nur Schade, daß ſie ſich einigermaſſen mit dem Bat - teux ſchützen, wenigſtens behaupten können, ihre Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abſtrahiret zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er - klärung des Batteux paſſet, paſſet auch ihre, ſo abgeſchmackt ſie immer iſt.

K 2Batteux,148

Batteux, wie ich wohl darauf wetten wollte, hat bey ſeiner Erklärung nur die erſte Fabel des Phädrus vor Augen gehabt; die er, mehr als ein - mal, une des plus belles & des plus celebres de l’an - tiquité nennet. Es iſt wahr, in dieſer iſt die Hand - lung ein Unternehmen, das mit Wahl und Abſicht geſchiehet. Der Wolf nimmt ſich vor, das Schaf zu zerreiſſen,

fauce improba incitatus; ()

er will es aber nicht ſo plump zu, er will es mit einem Schei - ne des Rechts thun, und alſo

jurgii cauſam intulit. ()

Ich ſpreche dieſer Fabel ihr Lob nicht ab; ſie iſt ſo vollkommen, als ſie nur ſeyn kann. Allein ſie iſt nicht deswegen vollkommen, weil ihre Handlung ein Unternehmen iſt, das mit Wahl und Abſicht geſchiehet; ſondern weil ſie ihrer Moral, die von einem ſolchen Unternehmen ſpricht, ein völliges Genüge thut. Die Moral iſt*Fab. Aeſop. 230.:

ὁις προϑεσις ἀδι - κειν, παρ᾿ ἀυτοις ȣ̍ δικαιολογια ἰσχυει.

Wer den Vorſatz hat, einen Unſchuldigen zu unterdrücken, der wird es zwar

μεϑ᾽ ἐυλογου ἀιτιας ()

zu thun ſuchen; er wird einen ſcheinbaren Vorwand wählen; aberſich149ſich im geringſten nicht von ſeinem einmal gefaßten Entſchluſſe abbringen laſſen, wenn ſein Vorwand gleich völlig zu Schanden gemacht wird. Dieſe Mo - ral redet von einem Vorſatze (deſſein); ſie redet von gewiſſen, vor andern vorzüglich gewählten Mitteln, dieſen Vorſatz zu vollführen (choix): und folglich muß auch in der Fabel etwas ſeyn, was dieſem Vorſatze, dieſen gewählten Mitteln ent - ſpricht; es muß in der Fabel ſich ein Unternehmen ſinden, das mit Wahl und Abſicht geſchiehet. Bloß dadurch wird ſie zu einer vollkommenen Fabel; welches ſie nicht ſeyn würde, wenn ſie den geringſten Zug mehr oder weniger enthielte, als den Lehrſatz an - ſchauend zu machen nöthig iſt. Batteux bemerkt alle ihre kleinen Schönheiten des Ausdrucks und ſtellet ſie von dieſer Seite in ein ſehr vortheilhaftes Licht; nur ihre weſentliche Vortrefflichkeit läßt er unerör - tert, und verleitet ſeine Leſer ſogar, ſie zu verken - nen. Er ſagt nehmlich, die Moral die aus dieſer Fabel flieſſe, ſey:

que le plus foible eſt ſouvent oppri - par le plus fort. ()

Wie ſeicht! Wie falſch! Wenn ſie weiter nichts als dieſes lehren ſollte, ſo hätteK 3wahrlich150wahrlich der Dichter die fictæ cauſæ des Wolfs ſehr vergebens, ſehr für die lange Weile erfunden; ſeine Fabel ſagte mehr, als er damit hätte ſagen wollen, und wäre, mit einem Worte, ſchlecht.

Ich will mich nicht in mehrere Exempel zerſtreuen. Man unterſuche es nur ſelbſt, und man wird durch - gängig finden, daß es bloß von der Beſchaffenheit des Lehrſatzes abhängt, ob die Fabel eine ſolche Handlung, wie ſie Batteux ohne Ausnahme fodert, haben muß oder entbehren kann. Der Lehrſatz der itzt erwehnten Fabel des Phädrus, machte ſie wie wir geſehen, nothwendig; aber thun es deswe - gen alle Lehrſätze? Sind alle Lehrſätze von dieſer Art? Oder haben allein die, welche es ſind, das Recht, in eine Fabel eingekleidet zu werden? Iſt z. E. der Erfahrungsſatz:

Laudatis utiliora quæ contemſeris Sæpe inveniri ()

nicht werth, in einem einzeln Falle, welcher die Stelle einer Demonſtration vertreten kann, er - kannt zu werden? Und wenn er es iſt, was für ein Unternehmen, was für eine Abſicht, was für eineWahl151Wohl liegt darinn, welche der Dichter auch in der Fabel auszudrücken gehalten wäre?

So viel iſt wahr: wenn aus einem Erfahrungs - ſatze unmittelbar eine Pflicht, etwas zu thun oder zu laſſen, folget; ſo thut der Dichter beſſer, wenn er die Pflicht, als wenn er den bloſſen Erfahrungs - ſatz in ſeiner Fabel ausdrückt. Groß ſeyn, iſt nicht immer ein Glück Dieſen Erfahrungsſatz in eine ſchöne Fabel zu bringen, möchte kaum mög - lich ſeyn. Die obige Fabel von dem Fiſcher, wel - cher nur der größten Fiſche habhaft bleibet, indem die kleinern glücklich durch das Netz durchſchlupfen, iſt, in mehr als einer Betrachtung, ein ſehr mißlun - gener Verſuch. Aber wer heißt auch dem Dichter, die Wahrheit von dieſer ſchielenden und unfrucht - baren Seite nehmen? Wenn groß ſeyn nicht immer ein Glück iſt, ſo iſt es oft in Unglück; und wehe dem, der wider ſeinen Willen groß ward, den das Glück ohne ſeine Zuthun erhob, um ihn ohne ſein Verſchulden deſto elender zu machen! Die großen Fiſche mußten groß werden; es ſtand nicht bey ihnen, klein zu bleiben. Ich danke dem Dichter für keinK 4Bild,152Bild, in welchem eben ſo viele ihr Unglück, als ihr Glück erkennen. Er ſoll niemanden mit ſeinen Um - ſtänden unzufrieden machen; und hier macht er doch, daß es die Groſſen mit den ihrigen ſeyn müſ - ſen. Nicht das Groß Seyn, ſondern die eitele Be - gierde groß zu werden (κενοδοξιαν), ſollte er uns als eine Quelle des Unglücks zeigen. Und das that jener Alte*Fab. Aeſop. 143. Phaedrus libr. IV. Fab. 5., der die Fabel von den Mäuſen und Wieſeln erzehlte.

Die Mäuſe glaubten, daß ſie nur deswegen in ihrem Kriege mit den Wieſeln ſo unglücklich wären, weil ſie keine Heerführer hät - ten, und beſchloßen dergleichen zu wählen. Wie rang nicht dieſe und jene ehrgeitzige Maus, es zu werden! Und wie theuer kam ihr am Ende dieſer Vorzug zu ſtehen! Die Eiteln banden ſich Hörner auf, ut conſpicuum in prælio Haberent ſignum, quod ſequerentur milites. und dieſe Hörner, als ihr Heer dennoch wieder ge - ſchlagen ward, hinderten ſie, ſich in ihre engen Löcher zu retten, Hæſere in portis, ſuntque capti ab hoſtibusQuos153Quos immolatos victor avidis dentibus Capacis alvi merſit tartareo ſpecu.

Dieſe Fabel iſt ungleich ſchöner. Wodurch iſt ſie es aber anders geworden, als dadurch, daß der Dich - ter die Moral beſtimmter und fruchtbarer angenom - men hat? Er hat das Beſtreben nach einer eiteln Größe, und nicht die Größe überhaupt, zu ſeinem Gegenſtande gewählet; und nur durch dieſes Be - ſtreben, durch dieſe eitle Größe, iſt natürlicher Weiſe auch in ſeine Fabel das Leben gekommen, das uns ſo ſehr in ihr gefällt.

Ueberhaupt hat Batteux die Handlung der Ae - ſopiſchen Fabel, mit der Handlung der Epopee und des Drama viel zu ſehr verwirrt. Die Handlung der beyden letztern muß außer der Abſicht, welche der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr ſelbſt zukommende Abſicht haben. Die Handlung der erſtern braucht dieſe innere Abſicht nicht, und ſie iſt vollkommen genug, wenn nur der Dichter ſeine Abſicht damit erreichet. Der heroiſche und drama - tiſche Dichter machen die Erregung der Leidenſchaf -K 5ten154ten zu ihrem vornehmſten Endzwecke. Er kann ſie aber nicht anders erregen, als durch nachgeahmte Leidenſchaften; und nachahmen kann er die Leiden - ſchaften nicht anders, als wenn er ihnen gewiſſe Ziele ſetzet, welchen ſie ſich zu nähern, oder von welchen ſie ſich zu entfernen ſtreben. Er muß alſo in die Handlung ſelbſt Abſichten legen, und dieſe Abſichten unter eine Hauptabſicht ſo zu bringen wiſ - ſen, daß verſchiedene Leidenſchaften neben einander beſtehen können. Der Fabuliſte hingegen hat mit unſern Leidenſchaften nichts zu thun, ſondern allein mit unſerer Erkenntniß. Er will uns von irgend einer einzeln moraliſchen Wahrheit lebendig überzeugen. Das iſt ſeine Abſicht, und dieſe ſucht er, nach Maaß - gebung der Wahrheit, durch die ſinnliche Vorſtel - lung einer Handlung bald mit, bald ohne Abſichten, zu erhalten. So bald er ſie erhalten hat, iſt es ihm gleich viel, ob die von ihm erdichtete Handlung ihre innere Endſchaft erreicht hat, oder nicht. Er läßt ſeine Perſonen oft mitten auf dem Wege ſtehen, und denket in geringſten nicht daran, unſerer Neugierde ihretwegen ein Genüge zu thun.

Der Wolf be - ſchuldi -155 ſchuldiget den Fuchs eines Diebſtahls. Der Fuchs leugnet die That. Der Affe ſoll Richter ſeyn. Klä - ger und Beklagter bringen ihre Gründe und Gegen - gründe vor. Endlich ſchreitet der Affe zum Urtheil*Phædrus libr. 1. Fab. 10.: Tu non videris perdidiſſe, quod petis; Te credo ſurripuiſſe, quod pulchre negas.

Die Fabel iſt aus; denn in dem Urtheil des Affen lieget die Moral, die der Fabuliſt zum Augenmerke gehabt hat. Iſt aber das Unternehmen aus, das uns der Anfang derſelben verſpricht? Man bringe dieſe Geſchichte in Gedanken auf die komiſche Büh - ne, und man wird ſogleich ſehen, daß ſie durch einen ſinnreichen Einfall abgeſchnitten, aber nicht geendigt iſt. Der Zuſchauer iſt nicht zufrieden, wenn er voraus ſiehet, daß die Streitigkeit hinter der Seene wieder von vorne angehen muß.

Ein armer geplagter Greis ward unwillig, warf ſeine Laſt von dem Rücken, und rief den Tod. Der Tod erſcheinet. Der Greis erſchrickt und fühlt be - troffen, daß elend leben doch beſſer als gar nicht leben iſt. Nun, was ſoll ich? fragt der Tod. Ach, lieber156 lieber Tod, mir meine Laſt wieder aufhelfen*Fab. Aeſop. 20..

Der Fabuliſt iſt glücklich, und zu unſerm Vergnügen an ſeinem Ziele. Aber auch die Geſchichte? Wie ging es dem Greiſe? Ließ ihn der Tod leben, oder nahm er ihn mit? Um alle ſolche Fragen beküm - mert ſich der Fabuliſt nicht; der dramatiſche Dich - ter aber muß ihnen vorbauen.

Und ſo wird man hundert Beyſpiele finden, daß wir uns zu einer Handlung für die Fabel mit weit wenigerm begnügen, als zu einer Handlung für das Heldengedichte oder das Drama. Will man daher eine allgemeine Erklärung von der Handlung ge - ben, ſo kann man unmöglich die Erklärung des Batteux dafür brauchen, ſondern muß ſie nothwen - dig ſo weitläuftig machen, als ich es oben gethan habe. Aber der Sprachgebrauch? wird man ein - werffen. Ich geſtehe es; dem Sprachgebrauche nach, heißt gemeiniglich das eine Handlung, was einem gewiſſen Vorſatze zu Folge unternommen wird; dem Sprachgebrauche nach, muß dieſer Vorſatz ganz erreicht ſeyn, wenn man ſoll ſagen können,daß157daß die Handlung zu Ende ſey. Allein was folgt hieraus? Dieſes: wem der Sprachgebrauch ſo gar heilig iſt, daß er ihn auf keine Weiſe zu verletzen wagt, der enthalte ſich des Wortes Handlung, in - ſofern es eine weſentliche Eigenſchaft der Fabel ausdrücken ſoll, ganz und gar.

Und, alles wohl überlegt, dem Rathe werde ich ſelbſt folgen. Ich will nicht ſagen, die moraliſche Lehre werde in der Fabel durch eine Handlung aus - gedrückt; ſondern ich will lieber ein Wort von einem weitern Umfange ſuchen und ſagen, der allgemeine Satz werde durch die Fabel auf einen einzeln Fall zurückgeführet. Dieſer einzelne Fall wird allezeit das ſeyn, was ich oben unter dem Worte Handlung verſtanden habe; das aber, was Batteux darunter verſtehet, wird er nur dann und wann ſeyn. Er wird allezeit eine Folge von Veränderun - gen ſeyn, die durch die Abſicht, die der Fabuliſt da - mit verbindet, zu einem Ganzen werden. Sind ſie es auch auſſer dieſer Abſicht; deſto beſſer! Eine Folge von Veränderungen daß es aber Verän - derungen freyer, moraliſcher Weſen ſeyn müſſen,verſtehet158verſtehet ſich von ſelbſt. Denn ſie ſollen einen Fall ausmachen, der unter einem Allgemeinen, das ſich nur von moraliſchen Weſen ſagen läßt, mit be - griffen iſt. Und darinn hat Batteux freylich Recht, daß das, was er die Handlung der Fabel nennet, bloß vernünftigen Weſen zukomme. Nur kömmt es ihnen nicht deswegen zu, weil es ein Unternehmen mit Abſicht iſt, ſondern weil es Freyheit voraus - ſetzt. Denn die Freyheit handelt zwar allezeit aus Grunde, aber nicht allezeit aus Abſichten.

Sind es meine Leſer nun bald müde, mich nichts als widerlegen zu hören? Ich wenigſtens bin es. De la Motte, Richer, Breitin - ger, Batteux, ſind Kunſtrichter von allerley Art; mittelmäßige, gute, vortreffliche. Man iſt in Gefahr ſich auf dem Wege zur Wahrheit zu verirren, wenn man ſich um gar keine Vorgän - ger bekümmert; und man verſäumet ſich ohne Noth, wenn man ſich um alle bekümmern will.

Wie weit bin ich? Huy, daß mir meine Le - ſer alles, was ich mir ſo muhſam erſtritten habe,von159von ſelbſt geſchenkt hätten! In der Fabel wird nicht eine jede Wahrheit, ſondern ein allgemei - ner moraliſcher Satz, nicht unter die Allegorie einer Handlung, ſondern auf einen einzeln Fall, nicht verſteckt oder verkleidet, ſondern ſo zurück - geführet, daß ich, nicht bloß einige Aehnlich - keiten mit dem moraliſchen Satze in ihm ent - decke, ſondern dieſen ganz auſchauend darinn erkenne.

Und das iſt das Weſen der Fabel? Das iſt es, ganz erſchöpft? Ich wollte es gern meine Leſer bereden, wenn ich es nur erſt ſelbſt glaubte. Ich leſe bey dem Ariſtoteles*Ariſtoteles Rhetor. libr. II. cap. 20.:

Eine obrigkeitli - che Perſon durch das Looß ernennen, iſt eben als wenn ein Schiffsherr, der einen Steuermann braucht, es auf das Looß aukommen lieſſe, wel - cher von ſeinen Matroſen es ſeyn ſollte, anſtatt daß er den allergeſchickteſten dazu unter ihnen mit Fleiß ausſuchte.

Hier ſind zwey beſondere Fälle, die unter eine allgemeine moraliſche Wahr - heit gehören. Der eine iſt der ſich eben itzt äuſſern - de; der andere iſt der erdichtete. Iſt dieſer erdich -tete,160tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten laſſen. Aber wenn es bey dem Ariſtoteles ſo hieſſe:

Ihr wollt euren Magiſtrat durch das Looß ernennen? Ich ſorge, es wird euch gehen wie jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem Steuermanne fehlte ꝛc.

Das verſpricht doch eine Fabel? Und warum? Welche Veränderung iſt da - mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und man wird keine finden als dieſe: Dort ward der Schiffsherr durch ein als wenn eingeführt, er ward bloß als möglich betrachtet; und hier hat er die Wirklichkeit erhalten; es iſt hier ein gewiſſer, es iſt jener Schiffsherr.

Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vor - geſtellet werden. Begnüge ich mich an der Mög - lichkeit deſſelben ſo iſt es ein Beyſpiel, eine Para - bel. Es verlohnt ſich der Mühe dieſen wichtigen Unterſchied, aus welchem man allein ſo viel zwey - deutigen Fabeln das Urtheil ſprechen muß, an eini - gen Exempeln zu zeigen. Unter den Aeſopiſchen Fabeln des Planudes lieſet man auch folgendes:

Der161
Der Biber iſt ein vierfüſſiges Thier, das meiſtens im Waſſer wohnet, und deſſen Geilen in der Me - dicin von groſſem Nutzen ſind. Wenn nun dieſes Thier von den Menſchen verfolgt wird, und ihnen nicht mehr entkommen kann; was thut es? Es beißt ſich ſelbſt die Geilen ab, und wirft ſie ſeinen Verfolgern zu. Denn es weis gar wohl, daß man ihm nur dieſerwegen nachſtellet, und es ſein Leben und ſeine Freyheit wohlfeiler nicht erkaufen kann*Fab. Aeſop. 33..

Iſt das eine Fabel? Es liegt wenig - ſtens eine vortreffliche Moral darinn. Und dennoch wird ſich niemand bedenken, ihr den Namen einer Fabel abzuſprechen. Nur über die Urſache, warum er ihr abzuſprechen ſey, werden ſich vielleicht die meiſten bedenken, und uns doch endlich eine falſche angeben. Es iſt nichts als eine Naturgeſchichte: würde man vielleicht mit dem Verfaſſer der Criti - ſchen Briefe**Critiſche Briefe. Zürich 1746. S. 168. ſagen. Aber gleichwohl, würde ich mit eben dieſem Verfaſſer antworten, handelt hier der Biber nicht aus bloſſem Inſtinkt, er han -Ldelt162delt aus freyer Wahl und nach reifer Ueberlegung; denn er weis es, warum er verfolgt wird (

γινωσ - κων ȣ̍ χαριν διωκεται

). Dieſe Erhebung des In - ſtinkts zur Vernunft, wenn ich ihm glauben ſoll, macht es ja eben, daß eine Begegniß aus dem Rei - che der Thiere zu einer Fabel wird. Warum wird ſie es denn hier nicht? Ich ſage: ſie wird es deswe - gen nicht, weil ihr die Wirklichkeit fehlet. Die Wirklichkeit kömmt nur dem Einzeln, dem Indivi - duo zu; und es läßt ſich keine Wirklichkeit ohne die Individualität gedenken. Was alſo hier von dem ganzen Geſchlechte der Biber geſagt wird, hätte müſſen nur von einem einzigen Biber geſagt werden; und alsdenn wäre es eine Fabel geworden. Ein ander Exempel:

Die Affen, ſagt man, bringen zwey Junge zur Welt, wovon ſie das eine ſehr heftig lieben und mit aller möglichen Sorgfalt pfle - gen, das andere hingegen haſſen und verſäumen. Durch ein ſonderbares Geſchick aber geſchieht es, daß die Mutter das Geliebte unter häuffigen Lieb - koſungen erdrückt, indem das Verachtete glücklich aufwächſet*Fab. Aeſop. 268..

Auch dieſes iſt aus eben der Ur -ſache,163ſache, weil das, was nur von einem Jndividuo ge - ſagt werden ſollte, von einer ganzen Art geſagt wird, keine Fabel. Als daher Leſtrange eine Fabel daraus machen wollte, mußte er ihm dieſe Allgemein - heit nehmen, und die Individualität dafür erthei - len*In ſeinen Fabeln, ſo wie ſie Richardſon adoptirt hat, die 187te..

Eine Aeffin, erzehlt er, hatte zwey Junge; in das eine war ſie närriſch verliebt, an dem andern aber war ihr ſehr wenig gelegen. Einsmals überfiel ſie ein plötzlicher Schrecken. Geſchwind raft ſie ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt davon, ſtürzt aber, und ſchlägt mit ihm gegen einen Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerſchmetter - ten Schedel ſpringt. Das andere Junge, um das ſie ſich im geringſten nicht bekümmert hatte, war ihr von ſelbſt auf den Rücken geſprungen, hatte ſich an ihre Schultern angeklammert, und kam glück - lich davon.

Hier iſt alles beſtimmt; und was dort nur eine Parabel war, iſt hier zur Fabel ge - worden. Das ſchon mehr als einmal angeführte Beyſpiel von dem Fiſcher, hat den nehmlichen Feh - ler; denn ſelten hat eine ſchlechte Fabel einen FehlerL 2allein.164allein. Der Fall ereignet ſich allezeit, ſo oft das Netz gezogen wird, daß die Fiſche welche kleiner ſind, als die Gitter des Netzes, durchſchlupfen und die gröſſern hangen bleiben. Vor ſich ſelbſt iſt dieſer Fall alſo kein indwidueller Fall, ſondern hätte es durch andere mit ihm verbundene Nebenumſtände erſt werden müſſen.

Die Sache hat alſo ihre Richtigkeit: der beſon - dere Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vorgeſtellt werden; er muß das ſeyn, was wir in dem ſtrengſten Verſtande einen einzeln Fall nennen. Aber warum? Wie ſteht es um die phi - loſophiſche Urſache? Warum begnügt ſich das Exem - pel der practiſchen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der bloſſen Möglichkeit, mit der ſich die Exempel andrer Wiſſenſchaften begnü - gen? Wie viel lieſſe ſich hiervon plaudern, wenn ich bey meinen Leſern gar keine richtige pſychologi - ſche Begriffe vorausſetzen wollte. Ich habe mich oben ſchon geweigert, die Lehre von der anſchauen - den Erkenntniß aus unſerm Weltweiſen abzuſchrei - ben. Und ich will auch hier nicht mehr davon bey -bringen,165bringen, als unumgänglich nöthig iſt, die Folge meiner Gedanken zu zeigen.

Die anſchauende Erkenntniß iſt vor ſich ſelbſt klar. Die ſymboliſche entlehnet ihre Klarheit von der an - ſchauenden.

Das Allgemeine exiſtiret nur in dem Beſondern, und kann nur in dem Beſondern anſchauend erkannt werden.

Einem allgemeinen ſymboliſchen Schluſſe folglich alle die Klarheit zu geben, deren er fähig iſt, das iſt, ihn ſo viel als möglich zu erläutern; müſſen wir ihn auf das Beſondere reduciren, um ihn in dieſem anſchauend zu erkennen.

Ein Beſonderes, in ſo fern wir das Allgemeine in ihm anſchauend erkennen, heißt ein Exempel.

Die allgemeinen ſymboliſchen Schlüſſe werden alſo durch Exempel erläutert. Alle Wiſſenſchaften beſtehen aus dergleichen ſymboliſchen Schlüſſen; alle Wiſſenſchaften bedürfen daher der Exempel.

Doch die Sittenlehre muß mehr thun, als ihre allgemeinen Schlüſſe bloß erläutern; und die Klar -L 3heit166heit iſt nicht der einzige Vorzug der anſchauenden Erkenntniß.

Weil wir durch dieſe einen Satz geſchwinder über - ſehen, und ſo in einer kürzern Zeit mehr Bewegungs - gründe in ihm entdecken können, als wenn er ſym - boliſch ausgedrückt iſt: ſo hat die anſchauende Er - kenntniß auch einen weit gröſſern Einfluß in den Willen, als die ſymboliſche.

Die Grade dieſes Einfluſſes richten ſich nach den Graden ihrer Lebhaftigkeit; und die Grade ihrer Lebhaftigkeit, nach den Graden der nähern und mehrern Beſtimmungen, in die das Beſondere ge - ſetzt wird. Je näher das Beſondere beſtimmt wird, je mehr ſich darinn unterſcheiden läßt, deſto gröſſer iſt die Lebhaftigkeit der anſchauenden Erkenntniß.

Die Möglichkeit iſt eine Art des Allgemeinen; denn alles was möglich iſt, iſt auf verſchiedene Art möglich.

Ein Beſonderes alſo, bloß als möglich betrach - tet, iſt gewiſſermaaſſen noch etwas Allgemeines und hindert, als dieſes, die Lebhaftigkeit der an - ſchauenden Erkenntniß.

Folglich167

Folglich muß es als wirklich betrachtet werden und die Individualität erhalten, unter der es allein wirklich ſeyn kann, wenn die anſchauenden Erkennt - niß den höchſten Grad ihrer Lebhaftigkeit erreichen, und ſo mächtig, als möglich, auf den Willen wir - ken ſoll.

Das Mehrere aber, das die Sittenlehre, auſſer der Erläuterung, ihren allgemeinen Schlüſſen ſchul - dig iſt, beſtehet eben in dieſer ihnen zu ertheilenden Fähigkeit auf den Willen zu wirken, die ſie durch die anſchauende Erkenntniß in dem Wirklichen er - halten, da andere Wiſſenſchaften, denen es um die bloſſe Erläuterung zu thun iſt, ſich mit einer gerin - gern Lebhaftigkeit der anſchauenden Erkenntniß, deren das Beſondere, als bloß möglich betrachtet, fähig iſt, begnügen.

Hier bin ich alſo! Die Fabel erfordert deswegen einen wirklichen Fall, weil man in einem wirklichen Falle mehr Bewegungsgründe und deutlicher unter - ſcheiden kann, als in einem möglichen; weil das Wirkliche eine lebhaftere Ueberzeugung mit ſich füh - ret, als das bloß Mögliche.

L 4Ariſto -168

Ariſtoteles ſcheinet dieſe Kraft des Wirklichen zwar gekannt zu haben; weil er ſie aber aus einer unrechten Quelle herleitet, ſo konnte es nicht feh - len, er mußte eine falſche Anwendung davon ma - chen. Es wird nicht undienlich ſeyn, ſeine ganze Lehre von dem Exempel(περι παραδειγματος) ()hier zu überſehen*Ariſtoteles Rhetor. lib. II. cap. 20. . Erſt von ſeiner Eintheilung des Exempels:Παραδειγματων δ̛ ἐιδη δυο ἐϛιν, ()ſagt er,ἑν μεν γαρ ἐϛι παραδειγματος ἐιδος, το λεγειν πραγ - ματα προγεγε νημενα, ἑν δε, το ἁυτα ποιειν. Τουτου δ̛ ἑν μεν παραβολη: ἑν δε λογοι: οἱον ὁι αισωπειοι και λιβυκοι.Die Eintheilung überhaupt iſt richtig; von einem Commentator aber würde ich verlangen, daß er uns den Grund von der Unterabtheilung der erdichteten Exempel beybrächte, und uns lehrte, warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, und mehrere nicht geben könne. Er würde dieſen Grund, wie ich es oben gethan habe, leicht aus den Bey - ſpielen ſelbſt abſtrahiren können, die Ariſtoteles da - von giebt. Die Parabel nehmlich führt er durch einὡσπερ ἐι τις ()ein; und die Fabeln erzehlt er alsetwas169etwas wirklich Geſchehenes. Der Commentator müßte alſo dieſe Stelle ſo umſchreiben: Die Exem - pel werden entweder aus der Geſchichte genommen, oder in Ermanglung derſelben erdichtet. Bey jedem geſchehenen Dinge läßt ſich die innere Möglichkeit von ſeiner Wirklichkeit unterſcheiden, obgleich nicht trennen, wenn es ein geſchehenes Ding bleiben ſoll. Die Kraft, die es als ein Exempel haben ſoll, liegt alſo entweder in ſeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in ſeiner Wirklichkeit. Soll ſie bloß in jener liegen, ſo brauchen wir, in ſeiner Ermanglung, auch nur ein bloß mögliches Ding zu erdichten; ſoll ſie aber in dieſer liegen, ſo müſſen wir auch unſere Erdichtung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er - ſten Falle erdichten wir eine Parabel, und in dem andern eine Fabel. (Was für eine weitere Ein - theilung der Fabel hieraus folge, wird ſich in der dritten Abhandlung zeigen).

Und ſo weit iſt wider die Lehre des Griechen eigent - lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er auf den Werth dieſer verſchiedenen Arten von Exem - peln, und ſagt:Εισι δ̛ οἱ λογοι δημηγορικοι: ϰαιL 5ἐχουσον170ἐχουσιν ἀγαϑον τουτο, ὁτι πραγματα μεν ἑυρειν ὁμοια γεγενημενα, χαλεπον, λογους δε ῥαον. Ποιησαι γαρ δει ὡσπερ και παραβολας, ἀν τις δυνηται το ὁμοιον ὁρᾳν, ὁπερ ῥαον ἐϛιν ἐκ φιλοσοφιας. Ρᾳω μεν ου᾽ν πο - ρισασϑαι τα δια των λογων: χρησιμοτερα δε προς το βουλευσασϑαι, τα δια των πραγματων: ὁμοια γαρ, ὡς ἐπι το πολυ, πα μελλοντα τοις γεγονοσι.Ich will mich itzt nur an den letzten Ausſpruch dieſer Stelle halten. Ariſtoteles ſagt, die hiſtoriſchen Exem - peln hätten deswegen eine gröſſere Kraft zu überzeu - gen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemei - niglich dem Zukünftigen ähnlich ſey. Und hierinn, glaube ich, hat ſich Ariſtoteles geirret. Von der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht ſelbt erfah - ren habe, kann ich nicht anders als aus Gründen der Wahrſcheinlichkeit überzeugt werden. Ich glaube bloß deswegen, daß ein Ding geſchehen, und daß es ſo und ſo geſchehen iſt, weil es höchſt wahrſchein - lich iſt, und höchſt unwahrſcheinlich ſeyn würde, wenn es nicht, oder wenn es anders geſchehen wäre. Da alſo einzig und allein die innere Wahrſchein - lichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Fallesglauben171glauben macht, und dieſe innere Wahrſcheinlichkeit ſich eben ſo wohl in einem erdichteten Falle finden kann: was kann die Wirklichkeit des erſtern für eine gröſſere Kraft auf meine Ueberzeugung haben, als die Wirklichteit des andern? Ja noch mehr. Da das hiſtoriſche Wahre nicht immer auch wahrſchem - lich iſt; da Ariſtoteles ſelbſt die Sentenz des Aga - tho billiget:

Ταχ̛ ἀν τις ἐικος αυτο τουτ̛ ἐιναι λεγοι: Βροτοισι πολλα τυγχανειν ου᾽κ ἐικοτα:

da er hier ſelbſt ſagt, daß das Vergangene nur gemeiniglich(ἑπι το πολυ) ()dem Zukünftigen ähn - lich ſey; der Dichter aber die freye Gewalt hat, hier - inn von der Natur abzugehen, und alles, was er für wahr ausgiebt, auch wahrſcheinlich zu machen: ſo ſollte ich meinen, wäre es wohl klar, daß den Fabeln, überhaupt zu reden, in Anſehung der Ueber - zeugungskraft, der Vorzug vor den hiſtoriſchen Exempel gebühre ꝛc.

Und nunmehr glaube ich meine Meinung von dem Weſen der Fabel genugſam verbreitet zu haben. Ich faſſe daher alles zuſammen und ſage: Wennwir172wir einen allgemeinen moraliſchen Satz auf einen beſondern Fall zurückführen, dieſem be - ſondern Falle die Wirklichkeit ertheilen, und eine Geſchichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anſchauend er - kennt: ſo heißt dieſe Erdichtung eine Fabel.

Das iſt meine Erklärung, und ich hoffe, daß man ſie bey der Anwendung, eben ſo richtig als fruchtbar finden wird.

II. Von[173]

II. Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabel.

Der größte Theil der Fabeln hat Thiere, und wohl noch geringere Geſchöpfe, zu handelnden Perſo - nen. Was iſt hiervon zu halten? Iſt es eine weſentliche Eigenſchaft der Fabel, daß die Thiere darinn zu moraliſchen Weſen erhoben werden? Iſt es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung ſeiner Abſicht verkürzt und erleichtert? Iſt es ein Ge - brauch, der eigentlich keinen ernſtlichen Nutzen hat, den man aber, zu Ehren des erſten Erfinders, bey - behält, weil er wenigſtens ſchnackiſch iſt quod riſum movet? Oder was iſt es?

Batteux hat dieſe Fragen entweder gar nicht vor - ausgeſehen, oder er war liſtig genug, daß er ihnen damit zu entkommen glaubte, wenn er den Gebrauch der Thiere ſeiner Erklärung ſogleich mit anflickte. Die Fabel, ſagt er, iſt die Erzehlung einer allegori -ſchen174ſchen Handlung, die gemeiniglich den Thieren beygelegt wird. Vollkommen à la Françoiſe! Oder, wie der Hahn über die Kohlen! Warum, möchten wir gerne wiſſen, warum wird ſie gemei - niglich den Thieren beygelegt? O, was ein lang - ſamer Deutſcher nicht alles fragt!

Ueberhaupt iſt unter allen Kunſtrichtern Breitin - ger der einzige, der dieſen Punkt berührt hat. Er verdient es alſo um ſo viel mehr, daß wir ihn hören.

Weil Aeſopus, ſagt er, die Fabel zum Unter - richte des gemeinen bürgerlichen Lebens angewen - det, ſo waren ſeine Lehren meiſtens ganz bekannte Sätze und Lebensregeln, und alſo mußte er auch zu den allegoriſchen Vorſtellungen derſelben ganz gewohnte Handlungen und Beyſpiele aus dem ge - meinen Leben der Menſchen entlehnen: Da nun aber die täglichen Geſchäfte und Handlungen der Menſchen nichts ungemeines oder merkwürdig reitzendes an ſich haben, ſo mußte man nothwendig auf ein neues Mittel bedacht ſeyn, auch der alle - goriſchen Erzehlung eine anzügliche Kraft und ein reitzendes Anſehen mitzutheilen, um ihr alſo da - durch175 durch einen ſichern Eingang in das menſchliche Herz aufzuſchlieſſen. Nachdem man nun wahrge - nommen, daß allein das Seltene, Neue und Wun - derbare, eine ſolche erweckende und angenehm ent - zückende Kraft auf das menſchliche Gemüth mit ſich führet, ſo war man bedacht, die Erzehlung durch die Neuheit und Seltſamkeit der Vorſtellun - gen wunderbar zu machen, und alſo dem Körper der Fabel eine ungemeine und reizende Schönheit beyzulegen. Die Erzehlung beſtehet aus zween weſentlichen Hauptumſtänden, dem Umſtande der Perſon, und der Sache oder Handlung; ohne dieſe kann keine Erzehlung Platz haben. Alſo muß das Wunderbare, welches in der Erzehlung herr - ſchen ſoll, ſich entweder auf die Handlung ſelbſt, oder auf die Perſonen, denen ſelbige zugeſchrieben wird, beziehen. Das Wunderbare, das in den täglichen Geſchäften und Handlungen der Men - ſchen vorkömmt, beſtehet vornehmlich in dem Un - vermutheten, ſowohl in Abſicht auf die Vermeſſen - heit im Unterfangen, als die Boßheit oder Thor - heit im Ausführen, zuweilen auch in einem ganz uner -176 unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge - meinen Leben der Menſchen etwas ungewohntes und ſeltenes ſind; da hingegen die meiſten gewöhn - lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder merkwürdiges an ſich haben; ſo ſah man ſich ge - müſſiget, damit die Erzehlung als der Körper der Fabel, nicht verächtlich würde, derſelben durch die Veränderung und Verwandlung der Perſonen, einen angenehmen Schein des Wun - derbaren mitzutheilen. Da nun die Menſchen, bey aller ihrer Verſchiedenheit, dennoch überhaupt berrachtet in einer weſentlichen Gleichheit und Ver - wandtſchaft ſtehen, ſo beſann man ſich, Weſen von einer höhern Natur, die man wirklich zu ſeyn glaubte, als Götter und Genios, oder ſolche die man durch die Freyheit der Dichter zu Weſen er - ſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, das Glück, die Gelegenheit ꝛc. in die Erzehlung einzuführen; vornehmlich aber nahm man ſich die Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und noch geringere Weſen, nehmlich die lebloſen Ge - ſchöpfe,177 ſchöpfe, zu der höhern Natur der vernünftigen Weſen zu erheben, indem man ihnen menſchliche Vernunft und Rede mittheilte, damit ſie alſo fähig würden, uns ihren Zuſtand und ihre Begegniſſe in einer uns vernehmlichen Sprache zu erklären, und durch ihr Exempel von ähnlichen moraliſchen Handlungen unſre Lehrer abzugeben ꝛc.

Breitinger alſo behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren die Urſache ſey, warum man in der Fabel die Thiere, und andere niedrigere Geſchö - pfe, reden und vernunftmäſſig handeln laſſe. Und eben weil er dieſes für die Urſache hält, glaubt er, daß die Fabel überhaupt, in ihrem Weſen und Ur - ſprunge betrachtet, nichts anders, als ein lehrrei - ches Wunderbare ſey. Dieſe ſeine zweyte Erklä - rung iſt es, welche ich hier, verſprochnermaaſſen, unterſuchen muß.

Es wird aber bey dieſer Unterſuchung vornehm - lich darauf ankommen, ob die Einführung der Thie - re in der Fabel wirklich wunderbar iſt. Iſt ſie es, ſo hat Breitinger viel gewonnen; iſt ſie es aberMnicht,178nicht, ſo liegt auch ſein ganzes Fabelſyſtem, mit einmal, über dem Hauffen.

Wunderbar ſoll dieſe Einführung ſeyn? Das Wunderbare, ſagt eben dieſer Kunſtrichter, legt den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Die - ſe anſcheinende Unmöglichkeit alſo gehöret zu dem Weſen des Wunderbaren; und wie ſoll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, den ſie ſelbſt ſchon zu einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebſten mit dem Φασι, und dem darauf folgenden Klagefalle an. Die griechiſchen Rhetores nennen dieſes kurz, die Fabel in dem Klagefalle(ταις ἀιτιατικαις) ()vor - tragen; und Theon, wenn er in ſeinen Vorübun - gen*Nach der Ausgabe des Camerartus S. 28. hierauf kömmt, führet eine Stelle des Ari - ſtoteles an, wo der Philoſoph dieſen Gebrauch billiget, und es zwar deswegen für rathſamer er - kläret, ſich bey Einführung einer Fabel lieber auf das Alterthum zu beruffen, als in der eigenen Per - ſon zu ſprechen, damit man den Anſchein, als erzehle man etwas unmögliches, vermindere.

(ἱνα179(ἱνα παραμυδησονται το δοκειν ἀδυνατα λεγειν). ()

War alſo das der Alten ihre Denkungsart, wollten ſie den Schein der Unmöglichkeit in der Fabel ſo viel als möglich vemindert wiſſen: ſo mußten ſie noth - wendig weit davon entfernt ſeyn, in der Fabel etwas Wunderbares zu ſuchen, oder zur Abſicht zu haben; denn das Wunderbare muß ſich auf dieſen Schein der Unmöglichkeit gründen.

Weiter! Das Wunderbare, ſagt Breitinger an mehr als einem Orte, ſey der höchſte Grad des Neuen. Dieſe Neuheit aber muß das Wunderbare, wenn es ſeine gehörige Wirkung auf uns thun ſoll, nicht allein bloß in Anſehung ſeiner ſelbſt, ſondern auch in Anſehung unſrer Vorſtellungen haben. Nur das iſt wunderbar, was ſich ſehr ſelten in der Rei - he der natürlichen Dinge eräugnet. Und nur das Wunderbare behält ſeinen Eindruck auf uns, deſſen Vorſtellung in der Reihe unſrer Vorſtellungen eben ſo ſelten vorkömmt. Auf einen fleiſſigen Bibelleſer wird das größte Wunder, das in der Schrift auf - gezeichnet iſt, den Eindruck bey weiten nicht mehr machen, den es das erſtemal auf ihn gemachtM 2hat.180hat. Er lieſet es endlich mit eben ſo wenigem Er - ſtaunen, daß die Sonne einmal ſtille geſtanden, als er ſie täglich auf und niedergehen ſieht. Das Wun - der bleibt immer daſſelbe; aber nicht unſere Ge - müthsverfaſſung, wenn wir es zu oft denken. Folglich würde auch die Einführung der Thiere uns höchſtens nur in den erſten Fabeln wunderbar vor - kommen; fänden wir aber, daß die Thiere faſt in allen Fabeln ſprächen und urtheilten, ſo würde dieſe Sonderbarkeit, ſo groß ſie auch an und vor ſich ſelbſt wäre, doch gar bald nichts Sonderbares mehr für uns haben.

Aber wozu alle dieſe Umſchweiffe? Was ſich auf einmal umreiſſen läßt, braucht man das erſt zu er - ſchüttern? Darum kurz: daß die Thiere, und andere niedrigern Geſchöpfe, Sprache und Vernunft haben, wird in der Fabel vorausgeſetzt; es wird angenommen; und ſoll nichts weniger als wunder - bar ſeyn. Wenn ich in der Schrift leſe:*1 B. Moſ. XXII. 28. Da thät der Herr der Eſelin den Mund auf und ſie ſprach zu Bileam ꝛc. ſo leſe ich etwas wunderba -res.181res. Aber wenn ich bey dem Aeſopus leſe*Fab. Aeſop. 316.:Φασιν, ὁτε φωνεεντα ἠν τα ζωα, την ὀϊν προς τον δεσποτην εἰπειν: Damals, als die Thiere noch redeten, ſoll das Schaf zu ſeinem Hirten geſagt haben: ſo iſt es ja wohl offenbar, daß mir der Fabuliſt nichts wunderbares erzehlen will; ſondern vielmehr etwas, das zu der Zeit, die er mit Erlaubniß ſeines Leſers annimmt, dem gemeinen Lauffe der Natur vollkom - men gemäß war.

Und das iſt ſo begreifflich, ſollte ich meinen, daß ich mich ſchämen muß, noch ein Wort hinzuzuthun. Ich komme vielmehr ſogleich auf die wahre Urſa - che, die ich wenigſtens für die wahre halte, warum der Fabuliſt die Thiere oft zu ſeiner Abſicht bequemer findet, als die Menſchen. Ich ſetze ſie in die allgemein bekannte Beſtandtheit der Charaktere. Geſetzt auch, es wäre noch ſo leicht, in der Geſchichte ein Exempel zu finden, in welchem ſich dieſe oder jene moraliſche Wahrheit anſchauend erkennen lieſſe. Wird ſie ſich deswegen von jedem, ohne Ausnahme, darinn erkennen laſſen? Auch vonM 3dem,182dem, der mit den Charakteren der dabey intereſſir - ten Perſonen nicht vertraut iſt? Unmöglich! Und wie viel Perſonen ſind wohl in der Geſchichte ſo all - gemein bekannt, daß man ſie nur nennen dürfte, um ſogleich bey einem jeden den Begriff von der ihnen zukommenden Denkungsart und andern Eigen - ſchaften zu erwecken? Die umſtändliche Charakteri - ſirung daher zu vermeiden, bey welcher es doch noch immer zweifelhaft iſt, ob ſie bey allen die nehmlichen Ideen hervorbringt, war man gezwun - gen, ſich lieber in die kleine Sphäre derjenigen We - ſen einzuſchränken, von denen man es zuverläſſig weis, daß auch bey den Unwiſſendſten ihren Be - nennungen dieſe und keine andere Idee entſpricht. Und weil von dieſen Weſen die wenigſten, ihrer Natur nach geſchickt waren, die Rollen freyer We - ſen über ſich zu nehmen, ſo erweiterte man lieber die Schranken ihrer Natur, und machte ſie, unter gewiſſen wahrſcheinlichen Vorausſetzungen dazu geſchickt.

Man hört: Britannicus und Nero. Wie viele wiſſen, was ſie hören? Wer war dieſer. Wer jener? In183In welchem Verhältniſſe ſtehen ſie gegen einan - der? Aber man hört: der Wolf und das Lamm; ſogleich weis jeder, was er höret, und weis, wie ſich das eine zu dem andern verhält. Dieſe Wörter, welche ſtracks ihre gewiſſen Bilder in uns erwecken, befördern die anſchauende Erkenntniß, die durch jene Namen, bey welchen auch die, denen ſie nicht unbekannt ſind, gewiß nicht alle vollkommen eben daſſelbe denken, verhindert wird. Wenn daher der Fabuliſt keine vernünftigen Individua auftreiben kann, die ſich durch ihre bloſſe Benennungen in un - ſere Einbildungskraft ſchildern, ſo iſt es ihm erlaubt, und er hat Fug und Recht, dergleichen unter den Thieren oder unter noch geringern Geſchöpfen zu ſuchen. Man ſetze, in der Fabel von dem Wolfe und dem Lamme, anſtatt des Wolfes den Nero, anſtatt des Lammes den Britannicus und die Fabel hat auf einmal alles verloren, was ſie zu einer Fabel für das ganze menſchliche Geſchlecht macht. Aber man ſetze anſtatt des Lammes und des Wolfes, den Rieſen und den Zwerg, und ſie verlieret ſchon we - niger; denn auch der Rieſe und der Zwerg ſindM 4In -184Individua, deren Charakter, ohne weitere Hinzu - thuung, ziemlich aus der Benennung erhellet. Oder man verwandle ſie lieber gar in folgende menſchliche Fabel: Ein Prieſter kam zu dem armen Manne des Propheten*2 B. Samuelis XII. und ſagte: Bringe dein weiſſes Lamm vor den Altar, denn die Götter fordern ein Opfer. Der Arme erwiederte: mein Nachbar hat eine zahlreiche Heerde, und ich habe nur das ein - zige Lamm. Du haſt aber den Göttern ein Ge - lübde gethan, verſetzte dieſer, weil ſie deine Fel - der geſegnet. Ich habe kein Feld; war die Ant - wort. Nun ſo war es damals, als ſie deinen Sohn von ſeiner Krankheit geneſen lieſſe O, ſagte der Arme, die Götter haben ihn ſelbſt zum Opfer hingenommen. Gottloſer! zürnte der Prie - ſter; du läſterſt! und riß das Lamm aus ſeinem Schooſſe ꝛc. Und wenn in dieſer Verwand - lung die Fabel noch weniger verloren hat, ſo kömmt es bloß daher, weil man mit dem Worte Prieſter den Charakter der Habſüchtigkeit, leider, noch weit geſchwinder verbindet, als den Charakter der Blut -dür -185dürſtigkeit mit dem Worte Rieſe; und durch den armen Mann des Propheten die Idee der unter - drückten Unſchuld noch leichter erregt wird, als durch den Zwerg. Der beſte Abdruck dieſer Fa - bel, in welchem ſie ohne Zweifel am aller wenigſten verloren hat, iſt die Fabel von der Ratze und dem Sahne*Fab. Aeſop. 6.. Doch weil man auch hier ſich das Ver - hältniß der Katze gegen den Sahn nicht ſo geſchwind denkt, als dort das Verhältniß des Wolfes zum Lamme, ſo ſind dieſe noch immer die allerbequem - ſten Weſen, die der Fabuliſt zu ſeiner Abſicht hat wehlen können.

Der Verfaſſer der oben angeführten Critiſchen Briefe iſt mit Breitingern einerley Meinung, und ſagt unter andern, in der erdichteten Perſon des Hermann Axels:**Seite 166. Die Fabel bekömmt durch dieſe ſonderbare Perſonen ein wunderliches An - ſehen. Es wäre keine ungeſchickte Fabel, wenn man dichtete: Ein Menſch ſah auf einem hohen Baume die ſchönſten Birnen hangen, die ſeine Luſt davon zu eſſen, mächtig reitzeten. Er bemühteM 5 ſich186 ſich lange, auf denſelben hinauf zu klimmen, aber es war umſonſt, er mußte es endlich aufgeben. In - dem er weggieng, ſagte er: Es iſt mir geſunder, daß ich ſie noch länger ſtehen laſſe, ſie ſind doch noch nicht zeitig genug. Aber dieſes Geſchichtchen reitzet nicht ſtark genug; es iſt zu platt ꝛc. Ich geſtehe es Hermann Axeln zu; das Geſchichtchen iſt ſehr platt, und verdienet nichts weniger, als den Namen einer guten Fabel. Aber iſt es bloß des - wegen ſo platt geworden, weil kein Thier darinn redet und handelt? Gewiß nicht; ſondern es iſt es da - durch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs, mit deſſen bloſſem Namen wir einen gewiſſen Cha - rakter verbinden, aus welchem ſich der Grund von der ihm zugeſchriebenen Handlung angeben läßt, in ein anders Individuum verwandelt hat, deſſen Name keine Idee eines beſtimmten Charakters in uns er - wecket. Ein Menſch ! Das iſt ein viel zu allge - meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art von Menſchen ſoll ich dabey denken? Es giebt deren ſo viele! Aber ein Fuchs! Der Fabuliſt weis nur von Einem Fuchſe, und ſobald er mir das Wortnennt,187nennt, fallen auch meine Gedanken ſogleich nur auf Einen Charakter. Anſtatt des Menſchen überhaupt hätte Hermann Axel alſo wenigſtens einen Gas - conier ſetzen müſſen. Und alsdenn würde er wohl gefunden haben, daß die Fabel, durch die bloſſe Weglaſſung des Thieres, ſo viel eben nicht verlöre, beſonders wenn er in dem nehmlichen Verhältniſſe anch die übrigen Umſtände geändert, und den Gas - conier nach etwas mehr, als nach Birnen, lüſtern gemacht hätte.

Da alſo die allgemein bekannten und unverän - derlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Urſache ſind, warum ſie der Fabuliſt zu moraliſchen Weſen erhebt, ſo kömmt mir es ſehr ſonderbar vor, wenn man es Einem zum beſondern Ruhme machen will, daß der Schwan in ſeinen Fabeln nicht ſinge, noch der Pelican ſein Blut für ſeine Jungen vergieſſe*Man ſehe die critiſche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.. Als ob man in den Fabelbüchern die Naturgeſchichte ſtudieren ſollte! Wenn dergleichen Eigenſchaften all - gemein bekannt ſind, ſo ſind ſie werth gebraucht zu werden, der Naturaliſt mag ſie bekräftigen oder nicht. Und derjenige der ſie uns, es ſey durch ſeineExempel188Exempel oder durch ſeine Lehre, aus den Händen ſpielen will, der nenne uns erſt andere Individua, von denen es bekannt iſt, daß ihnen die nehmlichen Eigenſchaften in der That zukommen.

Je tiefer wir auf der Leiter der Weſen herabſtei - gen, deſto ſeltner kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieſes iſt denn auch die Urſache, warum ſich der Fabuliſt ſo ſelten in dem Pflanzenreiche, noch ſeltener in dem Steinreiche und am aller ſeltenſten vielleicht unter den Werken der Kunſt finden läßt. Denn daß es deswegen ge - ſchehen ſollte, weil es ſtuffenweiſe immer unwahr - ſcheinlicher werde, daß dieſe geringern Werke der Natur und Kunſt empfinden, denken und ſprechen könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und dem irdenen Topfe iſt nicht um ein Haar ſchlechter oder unwahrſcheinlicher als die beſte Fabel, z. E. von einem Affe, ſo nahe auch dieſer dem Men - ſchen verwandt iſt, und ſo unendlich weit jene von ihm abſtehen.

Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur eigentlichen Urſache ihres vorzüglichen Gebrauchsin189in der Fabel mache, will ich nicht ſagen, daß die Thiere dem Fabuliſten ſonſt zu weiter gar nichts nütz - ten. Ich weis es ſehr wohl, daß ſie unter andern in der zuſammen geſetzten Fabel das Vergnügen der Vergleichung um ein groſſes vermehren, welches alsdenn kaum merklich iſt, wenn ſowohl der wahre als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden Perſonen von einerley Art, aus Menſchen, beſtehen. Da aber dieſer Nutzen, wie geſagt, nur in der zu - ſammen geſetzten Fabel Statt findet, ſo kann er die Urſache nicht ſeyn, warum die Thiere auch in der einfachen Fabel, und alſo in der Fabel über - haupt, dem Dichter ſich gemeiniglich mehr empfeh - len, als die Menſchen.

Ja, ich will es wagen den Thieren, und andern geringern Geſchöpfen in der Fabel noch einen Nu - tzen zuzuſchreiben, auf welchen ich vielleicht durch Schlüſſe nie gekommen wäre, wenn mich nicht mein Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unſere klare und lebendige Erkenntniß eines moraliſchen Satzes zur Abſicht. Nichts verdunkelt unſere Er - kenntniß mehr als die Leidenſchaften. Folglich mußder190der Fabuliſt die Erregung der Leidenſchaften ſo viel als möglich vermeiden. Wie kann er aber anders, z. E. die Erregung des Mitleids vermeiden, als wenn er die Gegenſtände deſſelben unvollkommener macht, und anſtatt der Menſchen Thiere, oder noch geringere Geſchöpfe annimmt? Man erinnere ſich noch einmal der Fabel von dem Wolfe und Lam - me, wie ſie oben in die Fabel von dem Prieſter und dem armen Manne des Propheten verwandelt worden. Wir haben Mitleiden mit dem Lamme; aber dieſes Mitleiden iſt ſo ſchwach, daß es unſerer anſchauenden Erkenntniß des moraliſchen Satzes keinen merklichen Eintrag thut. Hingegen wie iſt es mit dem armen Manne? Kömmt es mir nur ſo vor, oder iſt es wirklich wahr, daß wir mit dieſem viel zu viel Mitleiden haben, und gegen den Prie - ſter viel zu viel Unwillen empfinden, als daß die an - ſchauende Erkenntniß des moraliſchen Satzes hier eben ſo klar ſeyn könnte, als ſie dort iſt?

III. Von[191]

III. Von der Eintheilung der Fabeln.

Die Fabeln ſind verſchiedener Eintheilungen fähig. Von einer, die ſich aus der verſchiednen Anwen - dung derſelben ergiebt, habe ich gleich Anfangs ge - redet. Die Fabeln nehmlich werden entweder bloß auf einen allgemeinen moraliſchen Satz angewen - det, und heiſſen einfache Fabeln; oder ſie werden auf einen wirklichen Fall angewendet, der mit der Fabel unter einem und eben demſelben moraliſchen Satze enthalten iſt, und heiſſen zuſammengeſetzte Fabeln. Der Nutzen dieſer Eintheilung hat ſich be - reits an mehr als einer Stelle gezeiget.

Eine andere Eintheilung würde ſich aus der ver - ſchiednen Beſchaffenheit des moraliſchen Satzes her - holen laſſen. Es giebt nehmlich moraliſche Sätze, die ſich beſſer in einem einzeln Falle ihres Gegen - theils, als in einem einzeln Falle der unmittelbarunter192unter ihnen begriffen iſt, anſchauend erkennen laſſen. Fabeln alſo, welche den moraliſchen Satz in einem einzeln Falle des Gegentheils zur Intuition bringen, würde man vielleicht indirecte Fabeln, ſo wie die andern directe Fabeln nennen können.

Doch von dieſen Eintheilungen iſt hier nicht die Frage; nach vielweniger von jener unphiloſophiſchen Eintheilung noch den verſchiedenen Erfindern oder Dichtern, die ſich einen vorzüglichen Namen damit gemacht haben. Es hat den Kunſtrichtern gefallen, ihre gewöhnliche Eintheilung der Fabel von einer Verſchiedenheit herzunehmen, die mehr in die Augen fällt; von der Verſchiedenheit nehmlich der darinn handelnden Perſonen. Und dieſe Eintheilung iſt es, die ich hier näher betrachten will.

Aphthonius iſt ohne Zweifel der älteſte Seribent, der ihrer erwähnet. Του δε μυϑου, ()ſagt er in ſeinen Vorübungen,το μεν ἐϛἰ?? λοιϰον, το δε?? ἠϑιϰον το δε?? μιϰτον. Και?? λογιϰον μεν ἐν ᾡτι ποιων ἀν - ϑρωπος πεπλαϛαι:?? ἠϑιϰον δε το τωο ἀλογων ἠϑος ἀπομιμουμενον: μικτον δε το ἐξ ἀμφοτερων ἀλογουκαι193και λογικου.Es giebt drey Gattungen von Fabeln; die vernünftige, in welcher der Menſch die han - delnde Perſon iſt; die ſittliche, in welcher unver - nünftige Weſen aufgeführet werden; die ver - miſchte, in welcher ſo wohl unvernünftige als vernünftige Weſen vorkommen. Der Hauptfeh - ler dieſer Eintheilung, welcher ſogleich einem jeden in die Augen leuchtet, iſt der, daß ſie das nicht er - ſchöpft, was ſie erſchöpfen ſollte. Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, die aus Gottheiten und allego - riſchen Perſonen beſtehen? Aphthonius hat die vernünftige Gattung ausdrücklich auf den einzigen Menſchen eingeſchränkt. Doch wenn dieſem Fehler auch abzuhelfen wäre; was kann dem ohngeachtet roher und mehr von der oberſten Fläche abgeſchöpft ſeyn, als dieſe Eintheilung? Oefnet ſie uns nur auch die geringſte freyere Einſicht in das Weſen der Fabel?

Batteux würde daher ohne Zweifel eben ſo wohl gethan haben, wenn er von der Eintheilung der Fabel gar geſchwiegen hätte, als daß er uns mit jener kahlen aphthonianiſchen abſpeiſen will. AberNwas194was wird man vollends von ihm ſagen, wenn ich zeige, daß er ſich hier auf einer kleinen Tücke tref - fen läßt? Kurz zuvor ſagt er unter andern von den Perſonen der Fabel: Man hat hier nicht allein den Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf, ſondern auch den eiſernen und den irdenen Topf ihre Rollen ſpielen ſehen. Nur der Herr Ver - ſtand und das Fräulein Einbildungskraft, und alles, was ihnen ähnlich ſiehet, ſind von dieſem Theater ausgeſchloſſen worden; weil es ohne Zwei - fel ſchwerer iſt, dieſen bloß geiſtigen Weſen einen charaktermäſſigen Körper zu geben; als Körpern, die einige Analogie mit unſern Organen haben, Geiſt und Seele zu geben*Nach der Ramlerſchen Ueberſetzung, S. 244.. Merkt man wi - der wen dieſes geht? Wider den de la Motte, der ſich in ſeinen Fabeln der allegoriſchen Weſen ſehr häuffig bedienet. Da dieſes nun nicht nach dem Geſchmacke unſers oft mehr eckeln als feinen Kunſt - richters war, ſo konnte ihm die aphthonianiſche mangelhafte Eintheilung der Fabel nicht anders als willkommen ſeyn, indem es durch ſie ſtillſchweigendgleich -195gleichſam zur Regel gemacht wird, daß die Gotthei - ten und allegoriſchen Weſen gar nicht in die Aeſo - piſche Fabel gehören. Und dieſe Regel eben möchte Batteux gar zu gern feſtſetzen, ob er ſich gleich nicht getrauet mit ausdrücklichen Worten darauf zu drin - gen. Sein Syſtem von der Fabel kann auch nicht wohl ohne ſie beſtehen. Die äſopiſche Fabel, ſagt er, iſt eigentlich zu reden, das Schauſpiel der Kin - der; ſie unterſcheidet ſich von den übrigen nur durch die Geringfügigkeit und Naivität ihrer ſpielenden Perſonen. Man ſieht auf dieſem Theater keinen Cäſar, keinen Alexander: aber wohl die Fliege und die Ameiſe ꝛc. Freylich; dieſe Geringfü - gigkeit der ſpielenden Perſonen vorausgeſetzt, konnte Batteux mit den höhern poetiſchen Weſen des de la Motte unmöglich zufrieden ſeyn. Er verwarf ſie alſo, ob er ſchon einen guten Theil der beſten Fabeln des Alterthums zugleich mit verwerfen muß - te; und zog ſich, um den kritiſchen Anfällen des - wegen weniger ausgeſetzt zu ſeyn, unter den Schutz der mangelhaften Eintheilung des Aphthonius. Gleich als ob Aphthonius der Mann wäre, derN 2alle196alle Gattungen von Fabeln, die in ſeiner Einthei - lung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen könnte! Und dieſen Mißbrauch einer erſchlichenen Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren ſich Batteux in Anſehung des de la Motte hier ſchuldig gemacht hat.

Wolf*Philoſoph. practicæ univerſalis Pars poſt. §. 303. hat die Eintheilung des Aphthonius gleichfalls beybehalten, aber einen weit edlern Ge - brauch davon gemacht. Dieſe Eintheilung in ver - nünftige und ſittliche Fabeln, meinet er, klinge zwar ein wenig ſonderbar; denn man könnte ſagen, daß eine jede Fabel ſowohl eine vernünftige als eine ſittliche Fabel wäre. Sittlich nehmlich ſey eine jede Fabel in ſo fern, als ſie einer ſittliche Wahrheit zum Beſten erfunden worden; und vernünftig in ſo fern, als dieſe ſittliche Wahrheit der Vernunft gemäß iſt. Doch da es einmal gewöhnlich ſey, dieſen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, ſo wolle er keine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bey ſeiner Eintheilung die Abſicht gehabt, die Verſchiedenheit der Fabeln ganz zu erſchöpfen, und mehr nach dieſer Abſicht, als nach den Worten,deren197deren er ſich dabey bedient habe, müſſe ſie beurthei - let werden. Abſit enim, ()ſagt er und o, wenn alle Liebhaber der Wahrheit ſo billig dächten! abſit, ut negemus accurate cogitaſſe, qui non ſatis accurate loquuntur. Puerile eſt, erroris redarguere eum, qui ab errore immunem poſſedit animum, propte - rea quod parum apta ſuccurrerint verba, quibus men - tem ſuam exprimere poterat. ()Er behält daher die Benennungen der aphthonianiſchen Eintheilung bey, und weis die Wahrheit, die er nicht darinn gefunden, ſo ſcharfſinnig hinein zu legen, daß ſie das vollkom - mene Anſehen einer richtigen philoſophiſchen Ein - theilung bekömmt. Wenn wir Begebenheiten er - dichten,ſagt er,ſo legen wir entweder den Sub - jecten ſolche Handlungen und Leidenſchaften, über - haupt ſolche Prädicate bey, als ihnen zukommen; oder wir legen thnen ſolche bey, die ihnen nicht zu - kommen. In dem erſten Fallen heiſſen es vernünf - tige Fabeln; in dem andern ſittliche Fabeln; und vermiſchte Fabeln heiſſen es, wenn ſie etwas ſo wohl von der Eigenſchaft der ſittlichen als vernünf - tigen Fabel haben.

N 3Nach198

Nach dieſer Wolfiſchen Verbeſſerung alſo, beruhet die Verſchiedenheit der Fabel nicht mehr, auf der bloſſen Verſchiedenheit der Subjecte, ſondern auf der Verſchiedenheit der Prädicate, die von dieſen Subjecten geſagt werden. Ihr zu Folge kann eine Fabel Menſchen zu handelnden Perſonen haben, und dennoch keine vernünftige Fabel ſeyn; ſo wie ſie eben nicht nothwendig eine ſittliche Fabel ſeyn muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die oben angeführte Fabel von den zwey kämpfenden Hähnen, würde nach den Worten des Aphtho - nius eine ſittliche Fabel ſeyn, weil ſie die Eigen - ſchaften und das Betragen gewiſſer Thiere nachah - met; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphtho - nius genauer beſtimmt hat, iſt ſie eine vernünf - tige Fabel, weil nicht das geringſte von den Häh - nen darinn geſagt wird, was ihnen nicht eigentlich zukäme. So iſt es mit mehrern: Z. E. der Vo - gelſteller und die Schlange*Fab. Aeſop. 32.; der Hund und der Koch**Fab. Aeſop. 34.; der Hund und der Gärtner***Fab. Aeſop. 67.; der Schä -fer199fer und der Wolf*Fab. Aeſop. 71.: lauter Fabeln, die nach der gemeinen Eintheilung unter die ſittlichen und ver - miſchten, nach der verbeſſerten aber unter die ver - nünftigen gehören.

Und nun? Werde ich es bey dieſer Eintheilung unſers Weltweiſen können bewenden laſſen? Ich weis nicht. Wider ihre logicaliſche Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; ſie erſchöpft alles, was ſie erſchöpfen ſoll. Aber man kann ein guter Dia - lektiker ſeyn, ohne ein Mann von Geſchmack zu ſeyn; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier ſo gegangen wäre, als er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar richtig gedacht, aber ſich nicht ſo vollkommen gut aus - gedruckt hätte, als es beſonders die Kunſtrichter wohl verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in wel - chen den Subjecten Leidenſchaften und Handlungen, überhaupt Prädicate, beygelegt werden, deren ſie nicht fähig ſind, die ihnen nicht zukommen. Die - ſes nicht zu kommen, kann einen übeln Verſtand machen. Der Dichter, kann man daraus ſchlieſ -N 4ſen,200ſen, iſt alſo nicht gehalten, auf die Naturn der Ge - ſchöpfe zu ſehen, die er in ſeinen Fabeln auffuhret? Er kann das Schaf verwegen, den Wolf ſanftmü - thig, den Eſel feurig vorſtellen; er kann die Tau - ben als Falken brauchen und die Hunde von der Haſen jagen laſſen. Alles dieſes kömmt ihnen nicht zu; aber der Dichter macht eine ſittliche Fabel, und er darf es ihnen beylegen. Wie nöthig iſt es dieſer gefährlichen Auslegung, dieſen mit einer Ueber - ſchwemmung der abgeſchmackteſten Mährchen dro - henden Folgerungen, vorzubauen!

Man erlaube mir alſo, mich auf meinen eigenen Weg wieder zurückzuwenden. Ich will den Welt - weiſen ſo wenig als möglich aus dem Geſichte ver - lieren; und vielleicht kommen wir, am Ende der Bahn, zuſammen. Ich habe geſagt, und glaube es erwieſen zu haben, daß auf der Erhebung des einzeln Falles zur Wirklichkeit, der weſentliche Un - terſchied der Parabel, oder des Exempels über - haupt, und der Fabel beruhet. Dieſe Wirklich - keit iſt der Fabel ſo unentbehrlich, daß ſie ſich eher von ihrer Möglichkeit, als von jener etwas abbre -chen201chen läßt. Es ſtreitet minder mit ihrem Weſen, daß ihr einzelner Fall nicht ſchlechterdings möglich iſt, daß er nur nach gewiſſen Vorausſetzungen, unter ge - wiſſen Bedingungen möglich iſt, als daß er nicht als wirklich vorgeſtellt werde. In Anſehung dieſer Wirklichkeit folglich, iſt die Fabel keiner Verſchieden - heit fähig; wohl aber in Anſehung ihrer Möglich - keit, welche ſie veränderlich zu ſeyn erlaubt. Nun iſt, wie geſagt, dieſe Möglichkeit entweder eine un - bedingte oder bedingte Möglichkeit; der einzelne Fall der Fabel iſt entweder ſchlechterdings möglich, oder er iſt es nur nach gewiſſen Vorausſetzungen, unter gewiſſen Bedingungen. Die Fabeln alſo, deren einzelner Fall ſchlechterdings möglich iſt, will ich (um gleichfalls bey den alten Benennungen zu blei - ben) vernünftige Fabeln nennen; Fabeln hingegen, wo er es nur nach gewiſſen Vorausſetzungen iſt, mögen ſittliche heiſſen. Die vernünftigen Fa - beln leiden keine fernere Unterabtheilung; die ſittli - chen aber leiden ſie. Denn die Vorausſetzungen betreffen entweder die Subjecte der Fabel, oder die Prädicate dieſer Subjecte: der Fall der Fabel iſtN 5ent -202entweder möglich, vorausgeſetzt, daß dieſe und jene Weſen exiſtiren; oder er iſt es, vorausgeſetzt, daß dieſe und jene wirklich exiſtirende Weſen (nicht an - dere Eigenſchaften, als ihnen zukommen; denn ſonſt würden ſie zu andere Weſen werden, ſondern) die ihnen wirklich zukommenden Eigenſchaften in einem höhern Grade, in einem weitern Umfange be - ſitzen. Jene Fabeln, worinn die Subjecte voraus - geſetzt werden, wollte ich mythiſche Fabeln nen - nen; und dieſe, worinn nur erhöhtere Eigenſchaf - ten wirklicher Subjecte angenommen werden, wür - de ich, wenn ich das Wort anders wagen darf, hyperphyſiſche Fabeln nennen.

Ich will dieſe meine Eintheilung noch durch einige Beyſpiele erläutern. Die Fabel, der Blinde und der Lahme; die zwey kämpfenden Hähne; der Vo - gelſteller und die Schlange; der Hund und der Gärtner, ſind lauter vernünftige Fabeln, ob ſchon bald lauter Thiere, bald Menſchen und Thiere darinn vorkommen; denn der darinn enthaltene Fall iſt ſchlechterdings möglich, oder mit Wolfen zu reden, es wird den Subjecten nichts darinn bey -gelegt,203gelegt, was ihnen nicht zukomme. Die Fabeln, Apollo und Jupiter*Fab. Aeſop. 287.; Herkules und Plutus**Phædrus libr. IV. Fab. 11.; die verſchiedene Bäume in ihren beſondern Schutz nehmende Götter***Phædrus libr. III. Fab. 15.; kurz alle Fabeln, die aus Gott - heiten, aus allegoriſchen Perſonen, aus Geiſtern und Geſpenſtern, aus andern erdichteten Weſen, dem Phoenix z. E. beſtehen, ſind ſittliche Fabeln, und zwar mythiſch ſittliche; denn es wird darinn vorausgeſetzt, daß alle dieſe Weſen exiſtiren oder exiſti - ret haben, und der Fall, den ſie enthalten iſt nur unter dieſer Vorausſetzung möglich. Der Wolf und das LammPhædruſ libr. I. Fab. 1.; der Fuchs und der Storch††Phædruſ lib. I. Fab. 25.; die Natter und die Feile†††Phædruſ libr. IV. Fab. 7.; die Bäume und der Dornſtrauch*†Fabul. Aeſop. 313.; der Oelbaum und das Rohr ꝛc.**†Fabul. Aeſop. 143. ſind gleichfalls ſittliche, aber hyperphyſiſch ſitt - liche Fabeln; denn die Natur dieſer wirklichen We -ſen204ſen wird erhöhet, die Schranken ihrer Fähigkeiten werden erweitert. Eines muß ich hierbey erinnern! Man bilde ſich nicht ein, daß dieſe Gattung von Fabeln ſich bloß auf die Thiere, und anderer geringere Geſchöpfe einſchränke: der Dichter kann auch die Natur des Menſchen erhöhen, und die Schran - ken ſeiner Fähigkeiten erweitern. Eine Fabel z. E. von einem Propheten würde eine hyperphyſiſch ſittliche Fabel ſeyn; denn die Gabe zu prophezeyen, kann dem Menſchen bloß nach einer erhöhtern Na - tur zukommen. Oder wenn man die Erzehlung von den himmelſtürmenden Rieſen, als eine aeſopiſche Fabel behandeln und ſie dahin verändern wollte, daß ihr unſinniger Bau von Bergen auf Bergen, endlich von ſelbſt zuſammen ſtürzte und ſie unter den Rui - nen begrübe: ſo würde keine andere als eine hyper - phyſiſch ſittliche Fabel daraus werden können.

Aus den zwey Hauptgattungen, der vernünfti - gen und ſittlichen Fabel, entſtehet auch bey mir eine vermiſchte Gattung, wo nehmlich der Fall zum Theil ſchlechterdings, zum Theil nur unter ge - wiſſen Vorausſetzungen möglich iſt. Und zwar kön -nen205nen dieſer vermiſchten Fabeln dreyerley ſeyn; die vernünftig mythiſche Fabel, als Herkuies und der Kärner*Fabul. Aeſop. 336., der arme Mann und der Tod**Fabul. Aeſop. 20.; die vernünftig hyperphyſiſche Fabel, als der Holz - ſchläger und der Fuchs***Fabul. Aeſop. 127., der Jäger und der - weFabul. Aeſop. 280.; und endlich die hyperphyſiſch mythiſche Fabel, als Jupiter und das Kameel††Fabul. Aeſop. 197., Jupiter und die Schlange ꝛc .†††Fabul. Aeſop. 189..

Und dieſe Eintheilung erſchöpft die Mannigfal - tigkeit der Fabeln ganz gewiß, ja man wird, hoffe ich, keine anführen können, deren Stelle, ihr zu Folge, zweifelhaft bleibe, welches bey allen andern Eintheilungen geſchehen muß, die ſich bloß auf die Verſchiedenheit der handelnden Perſonen beziehen. Die Breitingerſche Eintheilung iſt davon nicht aus - geſchloſſen, ob Er ſchon dabey die Grade des Wun - derbaren zum Grunde gelegt hat. Denn da bey ihm die Grade des Wunderbaren, wie wir geſehenhaben,206haben, größten Theils, auf die Beſchaffenheit der handelnden Perſonen ankommen, ſo klingen ſeine Worte nur gründlicher, und er iſt in der That in die Sache nichts tiefer eingedrungen. Das Wun - derbare der Fabel,ſagt er,hat ſeine verſchiedene Grade Der niedrigſte Grad des Wunderbaren findet ſich in derjenigen Gattung der Fabeln, in welchen ordentliche Menſchen aufgeführet werden Weil in denſelben das Wahrſcheinliche über das Wunderbare weit die Oberhand hat, ſo können ſie mit Fug wahrſcheinliche, oder in Abſicht auf die Perſonen menſchliche Fabeln benennet werden. Ein mehrerer Grad des Wunderbaren äuſſert ſich in derjenigen Claſſe der Fabeln, in welchen ganz andere als menſchliche Perſonen aufgeführet wer - den. Dieſe ſind entweder von einer vortreflichern und höhern Natur, als die menſchliche iſt, z. E. die heidniſchen Gottheiten; oder ſie ſind in Auſehung ihres Urſprungs und ihrer natürlichen Geſchicklichkeit von einem geringern Rang als die Menſchen, als z. E. die Thiere, Pflanzen ꝛc. Weil in dieſen Fabeln das Wunderbare über das Wahr -207 Wahrſcheinliche nach verſchiedenen Graden herr - ſchet, werden ſie deswegen nicht unſüglich wun - derbare, und in Abſicht auf die Perſonen entwe - der göttliche oder thieriſche Fabeln genennt Und die Fabel von den zwey Töpfen; die Fabel von den Bäumen und dem Dornſtrauche? Sollen die auch thieriſche Fabeln heiſſen? Oder ſollen ſie, und ihres gleichen, eigne Benennungen erhalten? Wie ſehr wird dieſe Namenrolle anwachſen, beſonders wenn man auch alle Arten der vermiſchten Gattung benennen ſollte! Aber ein Exempel zu geben, daß man, nach dieſer Breitingerſchen Eintheilung, oft zweifelhaft ſeyn kann, zu welcher Claſſe man dieſe oder jene Fabel rechnen ſoll, ſo betrachte man die ſchon angeführte Fabel, von dem Gärtner und ſeinem Hunde, oder die noch bekanntere, von dem Ackers - manne und der Schlange; aber nicht ſo wie ſie Phädrus erzehlet, ſondern wie ſie unter den grie - chiſchen Fabeln vorkömmt. Beyde haben einen ſo geringen Grad des Wunderbaren, daß man ſie noth - wendig zu den wahrſcheinlichen, das iſt menſch - lichen Fabeln, rechnen müßte. In beyden aberkommen208kommen auch Thiere vor; und in Betrachtung dieſer würden ſie zu den vermiſchten Fabeln gehören, in welchen das Wunderbare weit mehr über das Wahrſcheinliche herrſcht, als in jenen. Folglich würde man erſt ausmachen müſſen, ob die Schlan - ge und der Hund hier als handelnde Perſonen der Fabel anzuſehen wären oder nicht, ehe man der Fabel ſelbſt ihre Claſſe anweiſen könnte.

Ich will mich bey dieſen Kleinigkeiten nicht län - ger aufhalten, ſondern mit einer Anmerkung ſchlieſ - ſen, die ſich überhaupt auf die hyperphyſiſchen Fabeln beziehet, und ich, zur richtigern Beurthei - lung einiger von meinen eigenen Verſuchen, nicht gern anzubringen vergeſſen möchte. Es iſt bey dieſer Gattung von Fabeln die Frage, wie weit der Fabuliſt die Natur der Thiere und andrer nie - drigern Geſchöpfe erhöhen, und wie nahe er ſie der menſchlichen Natur bringen dürffe? Ich ant - worte kurz: ſo weit, und ſo nahe er immer will. Nur mit der einzigen Bedingung, daß aus allen, was er ſie denken, reden, und handeln läßt, der Charakter hervorſcheine, um deſſen willen er ſie ſei -ner209ner Abſicht bequemer fand, als alle andere Indi - vidua. Iſt dieſes; denken, reden und thun ſie durchaus nichts, was ein ander Individuum von einem andern, oder gar ohne Charakter, eben ſo gut denken, reden und thun könnte: ſo wird uns ihr Betragen im geringſten nicht befreinden, wenn es auch noch ſo viel Witz, Scharfſinnigkeit und Ver - nunft vorausſetzt. Und wie könnte es auch? Ha - ben wir ihnen einmal Freyheit und Sprache zuge - ſtanden, ſo müſſen wir ihnen zugleich alle Modifi - cationen des Willens und alle Erkenntniſſe zugeſte - hen, die aus jenen Eigenſchaften folgen können, auf welchen unſer Vorzug vor ihnen einzig und allein beruhet. Nur ihren Charakter, wie geſagt, müſ - ſen wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir dieſen, ſo erfolgt die Illuſion, daß es wirkliche Thiere ſind, ob wir ſie gleich reden hören, und ob ſie gleich noch ſo feine Anmerkungen, noch ſo ſcharf - ſinnige Schlüſſe machen. Es iſt unbeſchreiblich, wie viel Sophismata non cauſæ ut cauſæ die Kunſtrichter in dieſer Materie gemacht haben. Unter andern der Verfaſſer der Critiſchen Briefe, wenn erOvon210von ſeinem Hermann Axel ſagt: Daher ſchreibt er auch den unvernünftigen Thieren, die er auf - führt, niemals eine Reihe von Anſchlägen zu, die in einem Syſtem, in einer Verknüpfung ſtehen, und zu einem Endzwecke von weiten her angeord - net ſind. Denn dazu gehöret eine Stärke der Ver - nunft, welche über den Inſtinkt iſt. Ihr Inſtinkt giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Ver - nunft von ſich, die ſich nicht lange empor halten kann. Aus dieſer Urſache werden dieſe Fabeln mit Thierperſonen ganz kurz, und beſtehen nur aus einem ſehr einfachen Anſchlage, oder Anliegen. Sie reichen nicht zu, einen menſchlichen Charakter in mehr als einem Lichte vorzuſtellen; ja der Fabu - liſt muß zufrieden ſeyn, wenn er nur einen Zug eines Charakters vorſtellen kann. Es iſt eine aus - ſchweiffende Idee des Pater Boſſne, daß die aeſopiſche Fabel ſich in dieſelbe Länge, wie die epi - ſche Fabel ausdehnen laſſe. Denn das kann nicht geſchehen, es ſey denn daß man die Thiere nichts von den Thieren behalten laſſe, ſondern ſie in Men - ſchen verwandle, welches nur in poſſirlichen Ge - dichten211 dichten angehet, wo man die Thiere mit gewiſſem Vorſatz in Masken aufführet, und die Verrich - tungen der Menſchen nachäffen läßt. ꝛc. Wie ſonderbar iſt hier das aus dem Weſen der Thiere hergeleitet, was der Kunſtrichter aus dem Weſen der anſchauenden Erkenntniß, und aus der Einheit des moraliſchen Lehrſatzes in der Fabel, hätte her - leiten ſollen! Ich gebe es zu, daß der Einfall des Pater Boſſue nichts taugt. Die aeſopiſche Fabel, in die Länge einer epiſchen Fabel ausgedehnet, - ret auf eine aeſopiſche Fabel zu ſeyn; aber nicht des - wegen, weil man den Thieren, nachdem man ihnen Freyheit und Sprache ertheilt hat, nicht auch eine Folge von Gedanken, dergleichen die Folge von Handlungen in der Epopee erfordern würde, erthei - len dürfte; nicht deswegen, weil die Thiere alsdenn zu viel menſchliches haben würden: ſondern deswe - gen, weil die Einheit des moraliſchen Lehrſatzes ver - lohren gehen würde; weil man dieſen Lehrſatz in der Fabel, deren Theile ſo gewaltſam auseinander gedehnet und mit fremden Theilen vermiſcht wor - den, nicht länger auſchauend erkennen würde. DennO 2die212die anſchauende Erkenntniß erfordert unumgänglich, daß wir den einzeln Fall auf einmal überſehen kön - nen; können wir es nicht, weil er entweder allzu - viel Theile hat, oder ſeine Theile allzuweit ausein - ander liegen, ſo kann auch die Intuition des All - gemeinen nicht erfolgen. Und nur dieſes, wenn ich nicht ſehr irre, iſt der wahre Grund, warum man es dem dramatiſchen Dichter, noch williger aber dem Epopeendichter, erlaſſen hat, in ihre Wer - ke eine einzige Hauptlehre zu legen. Denn was hilft es, wenn ſie auch eine hineinlegen? Wir kön - nen ſie doch nicht darinn erkennen, weil ihre Werke viel zu weitläuftig ſind, als daß wir ſie auf einmal zu überſehen vermöchten. In dem Squelette der - ſelben müßte ſie ſich wohl endlich zeigen; aber das Squelett gehöret für den kalten Kunſtrichter, und wenn dieſer einmal glaubt, daß eine ſolche Haupt - lehre darinn liegen müſſe, ſo wird er ſie gewiß her - ausgrübeln, wenn ſie der Dichter auch gleich nicht hinein gelegt hat. Daß übrigens das eingeſchränkte Weſen der Thiere von dieſer nicht zu erlaubenden Ausdehnung der aeſopiſchen Fabel, die wahre Ur -ſach213ſach nicht ſey, hätte der kritiſche Briefſteller gleich daher abnehmen können, weil nicht bloß die thieri - ſche Fabel, ſondern auch jede andere aeſopiſche Fabel, wenn ſie ſchon aus vernünftigen Weſen beſtehet, der - ſelben unfähig iſt. Die Fabel von dem Lahmen und Blinden, oder von dem armen Manne und dem Tode, läßt ſich eben ſo wenig zur Länge des epiſchen Ge - dichts erſtrecken, als die Fabel von dem Lamme und dem Wolfe, oder von dem Fuchſe und dem Raben. Kann es alſo an der Natur der Thiere liegen? Und wenn man mit Beyſpielen ſtreiten wollte, wie viel ſehr gute Fabeln lieſſen ſich ihm nicht entgegen ſetzen, in welchen den Thieren weit mehr, als flüch - tige und dunkle Strahlen einer Vernunft bey - gelegt wird, und man ſie ihre Anſchläge ziemlich von weiten her zu einem Endzwecke anwenden ſiehet. Z. E. der Adler und der Käfer*Fab. Aeſop. 2.; der Adler, die Katze und das Schwein ꝛc .**Phædrus libr. II. Fab. 4..

Unterdeſſen, dachte ich einsmals bey mir ſelbſt, wenn man dem ohngeachtet eine aeſopiſche Fabel von einer ungewöhnlichen Länge machen wollte, wieO 3müßte214müßte man es anfangen, daß die itztberührten Un - bequemlichkeiten dieſer Länge wegfielen? Wie müßte unſer Reinicke Fuchs ausſehen, wenn ihm der Name eines aeſopiſchen Heldengedichts zukommen ſollte? Mein Einfall war dieſer: Vors erſte müßte nur ein einziger moraliſcher Satz in dem Ganzen zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie - len und mannigfaltigen Theile dieſes Ganzen, unter gewiſſe Haupttheile gebracht werden, damit man ſie wenigſtens in dieſen Haupttheilen auf einmal über - ſehen könnte; vors dritte müßte jeder dieſer Haupt - theile ein beſonders Ganze, eine für ſich beſtehende Fabel ſeyn können, damit das groſſe Ganze aus gleichartigen Theilen beſtünde. Es müßte, um alles zuſammenzunehmen, der allgemeine moraliſche Satz in ſeine einzelne Begriffe aufgelöſet werden; jeder von dieſen einzelnen Begriffen müßte in einer beſon - dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle dieſe beſondern Fabeln müßten zuſammen nur eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Rei - nicke Fuchs von dieſen Requiſitis! Am beſten alſo, ich mache ſelbſt die Probe, ob ſich mein Einfall auchwirklich215wirklich ausführen läßt. Und nun urtheile man, wie dieſe Probe ausgefallen iſt! Es iſt die ſechzehnte Fabel meines dritten Buchs, und heißt die Ge - ſchichte des alten Wolfs, in ſieben Fabeln. Die Lehre welche in allen ſieben Fabeln zuſammen - genommen liegt, iſt dieſe: Man muß einen alten Böſewicht nicht auf das äuſſerſte bringen, und ihm alle Mittel zur Beſſerung, ſo ſpät und erzwungen ſie auch ſeyn mag, benehmen. Dieſes Aeuſſerſte, dieſe Benehmung aller Mittel zerſtückte ich; machte verſchiedene mißlungene Verſuche des Wolfs daraus, des gefährlichen Raubens künftig müſſig gehen zu können; und bearbeitete jeden dieſer Verſuche als eine beſondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in keiner Verbindung ſtehende Lehre hat. Was ich hier bis auf ſieben, und mit dem Rangſtreite der Thiere auf vier Fabeln, gebracht habe, wird ein andrer mit einer andern noch frucht - barern Moral leicht auf mehrere bringen können. Ich begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt zu haben.

O 4IV. Von[216]

IV. Von dem Vortrage der Fabeln.

Wie ſoll die Fabel vorgetragen werden? Iſt hier - inn Aeſopus, oder iſt Phädrus, oder iſt la Fon - taine das wahre Muſter?

Es iſt nicht ausgemacht, ob Aeſopus ſeine Fa - beln ſelbſt aufgeſchrieben, und in ein Buch zuſam - men getragen hat. Aber das iſt ſo gut als aus - gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch keine einzige davon durchaus mit ſeinen eigenen Wor - ten auf uns gekommen iſt. Ich verſtehe alſo hier die allerſchönſten Fabeln in den verſchiedenen grie - chiſchen Sammlungen, welchen man ſeinen Namen vorgeſetzt hat. Nach dieſen zu urtheilen, war ſein Vortrag von der äuſſerſten Präciſion; er hielt ſich nirgends bey Beſchreibungen auf; er kam ſogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwiſchen dem Noth -wendigen217wendigen und Unnüzen. So charakteriſirt ihn de la Motte; und richtig. Dieſe Präciſion und Kürze, worinn er ein ſo groſſes Muſter war, fan - den die Alten der Natur der Fabel auch ſo angemeſ - ſen, daß ſie eine allgemeine Regel daraus machten. Theon unter andern dringet mit den ausdrück - lichſten Worten darauf.

Auch Phädrus, der ſich vornahm die Erfindun - gen des Aeſopus in Verſen auszubilden, hat offen - bar den feſten Vorſatz gehabt, ſich an dieſe Regel zu halten; und wo er davon abgekommen iſt, ſchei - net ihn das Sylbenmaaß und der poetiſchere Styl, in welchen uns auch das allerſimpelſte Sylbenmaaß wie unvermeidlich verſtrickt, gleichſam wider ſeinen Willen davon abgebracht zu haben.

Aber la Fontaine? Dieſes ſonderbare Genie! La Fontaine! Nein wider ihn ſelbſt habe ich nichts; aber wider ſeine Nachahmer; wider ſeine blinden Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut, als daß er nicht hätte wiſſen ſollen, was ihre Muſter und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erfor - derten. Er wußte es, daß die Kürze die Seele derO 5Fabel218Fabel ſey; er geſtand es zu, daß es ihr vornehmſter Schmuck ſey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha - ben. Er bekannte*In der Vorrede zu ſeinen Fabeln. mit der liebenswürdigſten Auf - richtigkeit, daß man die zierliche Präciſion und die auſſerordentliche Kürze, durch die ſich Phä - drus ſo ſehr empfehle, in ſeinen Fabeln nicht finden werde. Es wären dieſes Eigenſchaften, die zu erreichen, ihn ſeine Sprache zum Theil verhindert hätte; und bloß deswegen, weil er den Phädrus darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt, qu’il falloit en recompenſe egayer l’ouvrage plus qu’il n’a fait. Alle die Luſtigkeit,ſagt er,durch die ich meine Fabeln aufgeſtützt habe, ſoll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für weſentlichere Schönheiten ſeyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un - vermögend geweſen bin. Welch Bekenntniß! In meinen Augen macht ihm dieſes Bekenntniß mehr Ehre, als ihm alle ſeine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem franzöſiſchen Publico aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein bloſſes Compliment machen, und hielt die Schad -löshal -219loshaltung unendlich höher, als das, wofür ſie ge - leiſtet war. Kaum konnte es auch anders ſeyn; denn die Schadloshaltung hatte allzuviel reitzendes für Franzoſen, bey welchen nichts über die Luſtig - keit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der her - nach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu blei - ben*Fontenelle., meinte ſo gar, la Fontaine habe ſich aus bloſſer Albernheit (par betiſe) den Phädrus nach - geſetzt; und de la Motte ſchrie über dieſen Einfall:mot plaiſant, mais ſolide! ()

Unter deſſen, da la Fontaine ſeine luſtige Schwaz - haftigkeit, durch ein ſo groſſes Muſter, als ihm Phädrus ſchien, verdammt glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bedeckung von Seiten des Alter - thums bleiben. Er ſetzte alſo hinzu: Und meinen Fabeln dieſe Luſtigkeit zu ertheilen, habe ich um ſo viel eher wagen dürffen, da Quintilian lehret, man könne die Erzehlungen nicht luſtig genug ma - chen (egayer). Ich brauche keine Urſache hiervon anzugeben;genug, daß es Quintilian ſagt. Ich habe wider dieſe Autorität zweyerley zu erinnern. Es220Es iſt wahr Quintilian ſagt:Ego vero narrationem, ut ſi ullam partem orationis, omni, qua poteſt, gra - tia & venere exornandam puto**Quinctilianus Inſt. Orat. lib. IV. cap. 2.; ()und dieſes muß die Stelle ſeyn, worauf ſich la Fontaine ſtützet. Aber iſt dieſe Grazie, dieſe Venus, die er der Erzehlung ſo viel als möglich, obgleich nach Maaß - gebung der Sache***Sed plurimum refert, quæ ſit natura ejus rei, quam exponi - mus. Idem, ibidem. , zu ertheilen befiehlet, iſt die - ſes Luſtigkeit? Ich ſollte meinen, daß grade die Luſtigkeit dadurch ausgeſchloſſen werde. Doch der Hauptpunkt iſt hier dieſer: Quintilian redet von der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieſer ſagt, ziehet la Fontaine, wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa - bel. Er hätte dieſe Regel unter andern bey dem Theon finden können. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzehlung in der Chrie, wie plan, wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie ſeyn! und ſetzt hinzu:ἐν δε τοις μυϑοις ἀπλουϛεραν την ἐρ - μηνειαν ἐινα[μ]δει ϰαι προσφυη· ϰαι ὡς δυνατον, ἀϰα - τασϰευον τε ϰα[μ]σαφη:Die Erzehlung der Fabel ſollnoch221noch planer ſeyn, ſie ſoll zuſammen gepreßt, ſo viel als möglich ohne alle Zierrathen und Figuren, mit der einzigen Deutlichkeit zufrieden ſeyn.

Dem la Fontaine vergebe ich den Mißbrauch dieſer Autorität des Quintilians gar gern. Man weis ja, wie die Franzoſen überhaupt die Alten leſen! Leſen ſie doch ihre eigene Autores mit der un - verzeihlichſten Flatterhaftigkeit. Hier iſt gleich ein Exempel! De la Motte ſagt von dem la Fon - taine:Tout Original qu’il eſt dans les manieres, il etoit Admirateur des Anciens jusqu’a la prevention, comme ſ’ils euſſent été ſes modeles. La brieveté dit-il, eſt l’ame de la Fable, & il eſt inutile d’en apporter des raiſons, c’eſt aſſez que Quintilien l’ait dit*Diſcours ſur la Fable p. 17.. ()Man kann nicht verſtümmelter anführen, als de la Motte hier den la Fontaine anführet! la Fontaine legt es einem ganz andern Kunſtrichter in den Mund, daß die Kürze die Seele der Fabel ſey, oder ſpricht es vielmehr in ſeiner eigenen Perſon; er beruft ſich nicht wegen der Kürze, ſondern wegen der Munter - keit, die in den Erzehlungen herrſchen ſolle, auf dasZeug -222Zeugniß des Quintilians, und würde ſich wegen jener ſehr ſchlecht auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausſpruch nirgend bey ihm findet.

Ich komme auf die Sache ſelbſt zurück. Der allgemeine Beyfall, den la Fontaine mit ſeiner muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, daß man nach und nach die aeſopiſche Fabel von einer ganz andern Seite betrachtete, als ſie die Alten betrach - tet hatten. Bey den Alten gehörte die Fabel zu dem Gebiethe der Philoſophie, und aus dieſem hohlten ſie die Lehrer der Redekunſt in das ihrige herüber. Ariſtoteles hat nicht in ſeiner Dichtkunſt, ſondern in ſeiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aph - thonius und Theon davon ſagen, das ſagen ſie gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch bey den Neuern muß man das, was man von der aeſopiſchen Fabel wiſſen will, durchaus in Rheto - riken ſuchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine. Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poe - tiſchen Spielwerke zu machen; er bezauberte; er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu könnenglaubten,223glaubten, als durch ſolche in luſtigen Verſen ausge - dehnte und gewäſſerte Fabeln; die Lehrer der Dicht - kunſt griffen zu; die Lehrer der Redekunſt lieſſen den Eingriff geſchehen; dieſe hörten auf, die Fabel als ein ſicheres Mittel zur lebendigen Ueberzeugung an - zupreiſen; und jene fingen dafür an, ſie als ein Kinderſpiel zu betrachten, das ſie ſo viel als möglich auszuputzen, uns lehren müßten. So ſtehen wir noch!

Ein Mann, der aus der Schule der Alten kömmt, wo ihm jene ἐρμηνεια ἀκατασκευος der Fa - bel ſo oſt empfohlen worden, kann der wiſſen, woran er iſt, wenn er z. E. bey dem Batteux ein langes Verzeichniß von Zierathen lieſet, deren die Erzehlung der Fabel fähig ſeyn ſoll? Er muß voller Verwunderung fragen: ſo hat ſich denn bey den Neuern ganz das Weſen der Dinge verändert? Denn alle dieſe Zierrathen ſtreiten mit dem wirkli - chen Weſen der Fabel. Ich will es beweiſen.

Wenn ich mir einer moraliſchen Wahrheit durch die Fabel bewußt werden ſoll, ſo muß ich die Fabel auf einmal überſehen können; und um ſie auf einmalüber -224überſehen zu können, muß ſie ſo kurz ſeyn, als möglich. Alle Zierathen aber ſind dieſer Kürze ent - gegen; denn ohne ſie würde ſie noch kürzer ſeyn kön - nen: folglich ſtreiten alle Zierathen, in ſo fern ſie leere Verlängerungen ſind, mit der Abſicht der Fabel.

Z. E. Eben mit zur Erreichung dieſer Kürze, braucht die Fabel gern die allerbekannteſten Thiere; damit ſie weiter nichts als ihren einzigen Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu ſchil - dern, um Eigenſchaften zu bemerken, die ihr ohne dieſe Namen allzuviel Worte koſten würden. Nun höre man den Batteux: Dieſe Zierathen beſte - hen Erſtlich in Gemählden, Beſchreibungen, Zeichnungen der Oerter, der Perſonen, der Stel - lungen. Das heißt: Man muß nicht ſchlecht - weg z. E. ein Fuchs ſagen, ſondern man muß fein ſagen:Un vieux Renard, mais de plus fins, Grand croqueur de poulets, grand preneut de lapins, Sentant ſon Renard d’une lieuë &c. ()Der Fabuliſt brauchte Fuchs, um mit einer einzi - gen Sylbe ein individuelles Bild eines witzigen Schalks zu entwerfen; und der Poet will liebervon225von dieſer Bequemlichkeit nichts wiſſen, will ihr ent - ſagen, ehe man ihm die Gelegenheit nehmen ſoll, eine laſtige Beſchreibung von einem Dinge zu machen, deſſen ganzer Vorzug hier eben dieſer iſt, daß es keine Beſchreibung bedarf.

Der Fabuliſt will in Einer Fabel nur Eine Mo - ral zur Intuition bringen. Er wird es alſo ſorg - fältig vermeiden, die Theile derſelben ſo einzurichten, daß ſie uns Anlaß geben, irgend eine andere Wahr - heit in ihnen zu erkennen, als wir in allen Theilen zuſammen genommen erkennen ſollen. Vielweniger wird er eine ſolche fremde Wahrheit mit ausdrückli - chen Worten einflieſſen laſſen, damit er unſere Auf - merkſamkeit nicht von ſeinem Zwecke abbringe, oder wenigſtens ſchwäche, indem er ſie unter mehrere all - gemeine moraliſche Sätze theilet. Aber Batteux, was ſagt der? Die zweyte Zierath, ſagt er, be - ſtehet in den Gedanken; nehmlich in ſolchen Gedan - ken, die hervorſtechen, und ſich von den übrigen auf eine beſondere Art unterſcheiden.

Nicht minder widerſinnig iſt ſeine dritte Zierath, die Alluſion Doch wer ſtreitet denn mit mir? Batteux ſelbſt geſteht es ja mit ausdrücklichen Wor -Pten,226ten, daß dieſes nur Zierathen ſolcher Erzehlungen ſind, die vornehmlich zur Beluſtigung gemacht werden.Und für eine ſolche Erzehlung hält er die Fabel? Warum bin ich ſo eigenſinnig, ſie auch nicht dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen im Sinne? Warum glaube ich, daß dieſer Nutzen ſeinem Weſen nach ſchon anmuthig genug iſt, um aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön - nen? Freylich geht es dem la Fontaine, und allen ſeinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem Bogen*S. die erſte Fabel des dritten Buchs.; der Mann wollte, daß ſein Bogen mehr als glatt ſey; er ließ Zierathen darauf ſchnitzen; und der Künſtler verſtand ſehr wohl, was für Zierathen auf einen Bogen gehörten; er ſchnitzte eine Jagd darauf: nun will der Mann den Bogen verſuchen, und er zerbricht. Aber war das die Schuld des Künſtlers? Wer hieß den Mann, ſo wie zuvor da - mit zu ſchieſſen? Er hätte den geſchnitzten Bogen nunmehr fein in ſeiner Rüſtkammer aufhängen, und ſeine Augen daran weiden ſollen! Mit einem ſolchen Bogen ſchieſſen zu wollen! Freylich würde nun auch Plato, der die Dichter alle mit ſamt ihrem Ho - mer, aus ſeiner Republick verbannte, dem Aeſopusaber227aber einen rühmlichen Platz darinn vergönnte, frey - lich würde auch Er nunmehr zu dem Aeſopus, ſo wie ihn la Fontaine verkleidet hat, ſagen: Freund, wir kennen einander nicht mehr! Geh auch du dei - nen Gang! Aber, was geht es uns an, was ſo ein alter Grillenfänger, wie Plato, ſagen würde?

Vollkommen richtig! Unterdeſſen, da ich ſo ſehr billig bin, hoffe ich, daß man es auch einigermaaſ - ſen gegen mich ſeyn wird. Ich habe die erhabene Abſicht, der Welt mit meinen Fabeln zu beluſtigen, leider nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur immer auf dieſe oder jene Sittenlehre, die ich, meiſtens zu meiner eigenen Erbauung, gern in beſondern Fällen überſehen wollte; und zu dieſem Gebrauche glaubte ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken ge - nug aufſchreiben zu können. Wenn ich aber itzt die Welt gleich nicht beluſtige; ſo könnte ſie doch mit der Zeit vielleicht durch mich beluſtiget werden. Man erzehlt ja die neuen Fabeln des Abſtemius, eben ſowohl als die alten Fabeln des Aeſopus in Verſen; wer weis was meinen Fabeln aufbehalten iſt, und ob man auch ſie nicht einmal mit aller möglichen Luſtigkeit erzehlet, wenn ſie ſich anders durch ihrenP 2innern228innern Werth eine Zeitlang in dem Andenken der Welt erhalten? In dieſer Betrachtung alſo, bitte ich voritzo mit meiner Proſa

Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte nicht einmal ausſagen läßt. Wenn ich mit der all - zumuntern, und leicht auf Umwege führenden Erzeh - lungsart des la Fontaine nicht zufrieden war, mußte ich darum auf das andere Extremum verfallen? Warum wandte ich mich nicht auf die Mittelſtraſſe des Phädrus, und erzehlte in der zierlichen Kürze des Römers, aber doch in Verſen? Denn proſai - ſche Fabeln; wer wird die leſen wollen! Dieſen Vorwurf werde ich unfehlbar zu hören bekommen. Was will ich im voraus darauf antworten? Zweyer - ley. Erſtlich; was man mir am leichteſten glauben wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene zierliche Kürze in Verſen zu erreichen. La Fontaine der eben das bey ſich fühlte, ſchob die Schuld auf ſeine Sprache. Ich habe von der meinigen eine zu gute Meinung, und glaube überhaupt, daß ein Genie ſeiner angebohrnen Sprache, ſie mag ſeyn welche es will, eine Form ertheilen kann, welche er will. Für ein Genie ſind die Sprachen alle von einer Na -tur;229tur; und die Schuld iſt alſo einzig und allein meine. Ich habe die Verſification nie ſo in meiner Gewalt gehabt, daß ich auf keine Weiſe beſorgen dürffen, das Sylbenmaaß und der Reim werde hier und da den Meiſter über mich ſpielen. Geſchähe das, ſo wäre es ja um die Kürze gethan, und vielleicht noch um mehr weſentliche Eigenſchaften der guten Fabel. Denn zweytens Ich muß es nur geſtehen; ich bin mit dem Phädrus nicht ſo recht zu frieden. De la Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen, als daß er ſeine Moral oft zu Anfange der Fabeln ſetze, und daß er uns manchmal eine allzu unbe - ſtimmte Moral gebe, die nicht deutlich genug aus der Allegorie entſpringe.Der erſte Vorwurf be - trift eine wahre Kleinigkeit; der zweyte iſt unendlich wichtiger, und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beſchuldigungen rechtfertigen; ſondern meine eigne vorbringen. Sie läuft dahin aus, daß Phä - drus ſo oft er ſich von der Einfalt der griechiſchen Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plum - pen Fehler begehet. Wie viel Beweiſe will man? z. E. Fab. 4. Libri I. Canis per flumen, carnem dum ferret natans, Lympharum in ſpeculo vidit ſimulacrum ſuum &c. ()P 3Es230Es iſt unmöglich; wenn der Hund durch den Fluß geſchwommen iſt, ſo hat er das Waſſer um ſich her nothwendig ſo gedrübt, daß er ſein Bildniß unmöglich darinn ſehen können. Die griechiſchen Fabeln ſagen:Κυων κρεας ἐχουσα ποταμον διεβαινε (); das braucht weiter nichts zu heiſſen, als: er ging über den Fluß; auf einem niedrigen Steige, muß man ſich vorſtellen. Aphthonius beſtimmt dieſen Um - ſtand noch behutſamer:Κρεας ἁρπασα τις κυω〈…〉〈…〉 π〈…〉〈…〉 ἀυτην διηει την οχϑην;der Hund ging an dem Ufer des Fluſſes.

Fab. 5. Lib. I. Vacca & capella, & patiens ovis injuriæ, Socii fuere cum leone in ſaltibus. ()

Welch eine Gefellſchaft! Wie war es möglich, daß ſich dieſe viere zu einem Zwecke vereinigen konnten? Und zwar zur Jagd! Dieſe Ungereimtheit, haben die Kunſtrichters ſchon öfters angemerkt; aber noch keiner hat zugleich anmerken wollen, daß ſie von des Phädrus eigener Erfindung iſt. Im Griechiſchen iſt dieſe Fabel zwiſchen dem Löwen und dem wilden Eſel (Οναγρος). Von dem wilden Eſel iſt es be - kannt, daß er ludert; und folglich konnte er an der Beute Theil nehmen. Wie elend iſt ferner die Thei - lung bey dem Phädrus:Ego231Ego primam tollo, nominor quia leo, Secundam, quia ſum fortis, tribuetis mihi; Tum quia plus valeo, me ſequetur tertia; Male afficietur, ſi quis quartam tetigerit. ()Wie vortreflich hingegen iſt ſie im Griechiſchen! Der Löwe macht ſo gleich drey Theile; denn von jeder Beute ward bey den Alten ein Theil für den König oder für die Schatzkammer des Staats, bey Seite ge - legt. Und dieſes Theil, ſagt der Löwe, gehöret mir,βασιλευς γαρ ἐιμι; ()das zweyte Theil gehört mir auch,ὡς ἐξ ἰσου κοινωνων, ()nach dem Rechte der gleichen Theilung; und das dritte Theilκακον μεγα σοι ποιησει, εἰ μη ἑϑελης φυγειν.Fab. 11. Lib. I. Venari aſello comite cum vellet leo, Contexit illum frutice, & admonuit ſimul, Ut inſueta voce terreret feras &c. Quæ dum paventes exitus notos petunt, Leonis affliguntur horrendo impetu. ()Der Löwe verbirgt den Eſel in das Geſträuche; der Eſel ſchreyet; die Thiere erſchrecken in ihren Lagern, und da ſie durch die bekannten Ausgänge davon fliehen wollen, fallen ſie dem Löwen in die Klauen. Wie ging das zu? Konnte jedes nur durch Einen Ausgang davon kommen? Warum mußte es gleich den wählen, an welchem der Löwe lauerte? Oder konnte der Löwe überall ſeyn? Wie vortreflichP 4fallen232fallen in der griechiſchen Fabel alle dieſe Schwierig - keiten weg! Der Löwe und der Eſel kommen da vor eine Höhle, in der ſich wilde Ziegen aufhalten. Der Löwe ſchickt den Eſel hinein; der Eſel ſcheucht mit ſeiner fürchterlichen Stimmen die wilden Ziegen heraus, und ſo können ſie dem Löwen, der ihrer an dem Eingange wartet, nicht entgehen. Fab. 9. Libr IV. Peras impoſuit Jupiter nobis duas, Propriis repletam vitiis poſt tergum dedit, Alienis ante pectus ſuſpendit gravem. ()Jupiter hat uns dieſe zwey Säcke aufgelegt? Er iſt alſo ſelbſt Schuld, daß wir unſere eigene Fehler nicht ſehen, und nur ſcharſſichtige Tadler der Fehler unſers Nächſten ſind? Wie viel fehlt dieſer Unge - reimtheit zu einer förmlichen Gottesläſterung? Die beſſern Griechen laſſen durchgängig den Jupiter hier aus dem Spiele; ſie ſagen ſchlecht weg:Ανϑρωπος δυο πηρας ἐκαϛος φουρει;oder:δυο πηρας ἐξημμεϑα του τραχηλουu. ſ. w.

Genug für eine Probe! Ich behalte mir vor, meine Beſchuldigung an einem andern Orte um - ſtändlicher zu erweiſen; und vielleicht durch eine eigene Ausgabe des Phädrus.

V. Von[233]

V. Von einem beſondern Nutzen der Fabeln in den Schulen.

Ich will hier nicht von dem moraliſchen Nutzen der Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti - ſche Philoſophie: und würde ich mehr davon ſagen können, als Wolf geſagt hat? Noch weniger will ich von dem geringern Nutzen itzt ſprechen, den die alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln zogen; indem ſie ihren Schülern aufgaben, bald eine Fabel durch alle caſus obliquos zu verändern, bald ſie zu erweitern, bald ſie kürzer zuſammenzuziehen ꝛc. Dieſe Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil der Fabel ſelbſt vorgenommen werden; und da jede kleine Geſchichte eben ſo geſchickt dazu iſt, ſo weis ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau - chen muß, die ſich, als Fabel, ganz gewiß nur auf eine einzige Art gut erzehlen läßt.

Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um - ſtändlich erörten will, würde man den hevriſti - ſchen Nutzen der Fabeln nennen können. War - um fehlt es in allen Wiſſenſchaften und Künſten ſoP 5ſehr234ſehr an Erfindern und ſelbſtdenkenden Köpfen? Dieſe Frage wird am beſten durch eine andre Frage be - antwortet: Warum werden wir nicht beſſer erzo - gen? Gott giebt uns die Seele; aber das Genie müſſen wir durch die Erziehung bekommen. Ein Knabe, deſſen geſammte Seelenkräfte man, ſo viel als möglich, beſtändig in einerley Verhältniſſen aus - bildet und erweitert; den man angewöhnet, alles, was er täglich zu ſeinem kleinen Wiſſen hinzulernt, mit dem, was er geſtern bereits wußte, in der Ge - ſchwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob er durch dieſe Vergleichung nicht von ſelbſt auf Dinge kömmt, die ihm noch nicht geſagt worden; den man beſtändig aus einer Scienz in die andere hinüber ſehen läßt; den man lehret ſich eben ſo leicht von dem Beſondern zu dem Allgemeinen zu erheben, als von dem Allgemeinen zu dem Beſondern ſich wieder herab zu laſſen: Der Knabe wird ein Genie werden, oder man kann nichts in der Welt werden.

Unter den Uebungen nun, die dieſem allgemeinen Plane zu Folge angeſtellet werden müßten, glaube ich, würde die Erfindung aeſopiſcher Fabeln eine von denen ſeyn, die dem Alter eines Schülers amaller235aller angemeſſenſten wären: nicht, daß ich damit ſuchte, alle Schüler zu Dichtern zu machen; ſondern weil es unleugbar iſt, daß das Mittel, wodurch die Fabeln erfunden worden, gleich dasjenige iſt, das allen Erfindern überhaupt das allergeläufigſte ſeyn muß. Dieſes Mittel iſt das Principium der Re - duction, und es iſt am beſten, den Philoſophen ſelbſt davon zu hören:

Videmus adeo, quo artificio utantur fabularum inventores, principio nimirum re - ductionis: quod quemadmodum ad inveniendum in ge - nere utiliſſimum, ita ad fabulus inveniendas abſolute neceſſarium eſt. Quoniam in arte inveniendi princi - pium reductionis ampliſſimum ſibi locum vindicat, absque hoc principio autem nulla effingitur fabula; ne - mo in dubium revocare poterit, fabularum inventores inter inventores locum habere. Neque eſt quod inven - tores abjecte de fabularum inventoribus ſentiant: quod ſi enim fabula nomen ſuum tueri, nec quicquam in eadem deſiderari debet, haud exiguæ ſaepe artis eſt eam invenire, ita ut in aliis veritatibus inveniendis ex - cellentes hic vires ſuas deficere agnoſcant, ubi in rem praeſentem veniunt. Fabulae aniles nugae ſunt, quae nihil veritatis continent, & earum autores in nugata -rum236rum non inventorum veritatis numero ſunt. Abſit au - tem ut hiſce aequipares inventores fabularum vel fa - bellarum, cum quibus in praeſente nobis negotium eſt, & quas vel inviti in Philoſophiam practicam ad - mittere tenemur, niſi praxi officere velimus*Philoſophiæ practicæ univerſalis pars poſterior §. 310..

Doch dieſes Principium der Reduction hat ſeine groſſen Schwierigkeiten. Es erfordert eine weit - läuftige Kenntniß des Beſondern und aller individuel - len Dingen, auf welche die Reduction geſchehen kann. Wie iſt dieſe von jungen Leuten zu verlan - gen? Man müßte dem Rathe eines neuern Schrift - ſtellers folgen, den erſten Anfang ihres Unterrichts mit der Geſchichte der Natur zu machen, und dieſe in der niedrigſten Claſſe allen Vorleſungen zum Grunde zu legen**Brief die neueſte Litteratur betreffend 1 Theil S. 58.. Sie enthält, ſagt er, den Saamen aller übrigen Wiſſenſchaften, ſogar die moraliſchen nicht ausgenommen. Und es iſt kein Zweifel, er wird mit dieſem Saamen der Moral, den er in der Geſchichte der Natur gefunden zu ha - ben glaubet, nicht auf die bloſſen Eigenſchaften der Thiere, und andern geringern Geſchöpfe, ſondernauf237auf die Aeſopiſchen Fabeln, welche auf dieſe Eigen - ſchaften gebauet werden, geſehen haben.

Aber auch alsdenn noch, wenn es dem Schüler an dieſer weitläuftigen Kenntniß nicht mehr fehlte, würde man ihn die Fabeln Anfangs müſſen mehr finden, als erfinden laſſen; und die allmäligen Stuffen von dieſem Finden zum Erfinden, die ſind es eigentlich, was ich durch verſchiedene Ver - ſuche meines zweyten Buchs habe zeigen wollen. Ein gewiſſer Kunſtrichter ſagt: Man darf nur im Holz und im Feld, inſonderheit aber auf der Jagd, auf alles Betragen der zahmen und der wilden Thiere aufmerkſam ſeyn, und ſo oft etwas ſonder - bares und merkwürdiges zum Vorſchein kömmt, ſich ſelber in den Gedanken fragen, ob es nicht eine Aehnlichkeit mit einem gewiſſen Charakter der menſchlichen Sitten habe, und in dieſem Falle in eine ſymboliſche Fabel ausgebildet werden kön - ne*Critiſche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln..Die Mühe mit ſeinem Schüler auf die Jagd zu gehen, kann ſich der Lehrer erſparen, wenn er in die alten Fabeln ſelbſt eine Art von Jagd zu legen weiß; indem er die Geſchichte derſelbenbald238bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald die - ſen oder jenen Umſtand derſelben ſo verändert, daß ſich eine andere Moral darinn erkennen läßt.

Z. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und Eſel fängt ſich an:Λεων και ὀνος, κοινανιαν ϑεμενοι, ἐξηλϑον ἑπι ϑηραν Hier bleibt der Lehrer ſtehen. Der Eſel in Geſellſchaft des Löwen? Wie ſtolz wird der Eſel auf dieſe Geſellſchaft geweſen ſeyn! (Man ſehe die achte Fabel meines zweyten Buchs) Der Löwe in Geſellſchaft des Eſels? Und hatte ſich denn der Löwe dieſer Geſellſchaft nicht zu ſchämen? (Man ſehe die ſiebende) Und ſo ſind zwey Fabeln entſtanden, indem man mit der Geſchichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet, als Aeſopus ſich dabey geſteckt hatte.

Oder man verfolgt die Geſchichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Krähe, die ſich mit den ausgefallenen Federn andrer Vögel geſchmückt hatte, ſchließt ſich;και κολοιος ἠν παλιν κολοιος. ()Viel - leicht war ſie nun auch etwas ſchlechters, als ſie vor - her geweſen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glänzenden Schwingfedern mit ausge -riſſen,239riſſen, weil man ſie gleichfalls für fremde Federn gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man er - tappt ihn hier, man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich ſein ei - gen iſt, geſtohlen habe. (S. die ſechſte Fabel mei - nes zweyten Buchs.)

Oder man verändert einzelne Umſtände in der Fabel. Wie wenn das Stücke Fleiſch, welches der Fuchs dem Raben aus dem Schnabel ſchmeichelte, vergiftet geweſen wär? (S. die funfzehnte) Wie wenn der Mann die erfrorne Schlange nicht aus Barmherzigkeit, ſondern aus Begierde ihre ſchöne Haut zu haben, aufgehoben und in den Buſen geſteckt hätte? Hätte ſich der Mann auch alsdenn noch über den Undank der Schlange beklagen können? (S. die dritte Fabel.)

Oder man nimmt auch den merkwürdigſten Um - ſtand aus der Fabel heraus, und bauet auf denſelben eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe iſt ein Bein in dem Schlunde ſtecken geblieben. In der kurzen Zeit, da er ſich daran würgte, hatten die Schafe alſo vor ihm Friede. Aber durfte ſich der Wolf die gezwun - gene Enthaltung als eine gute That anrechnen? (S. die240(S. die vierte Fabel). Herkules wird in den Him - mel aufgenommen, und unterläßt dem Plutus ſeine Verehrung zu bezeigen. Sollte er ſie wohl auch ſeiner Todfeindin, der Juno, zu bezeigen un - terlaſſen haben? Oder würde es dem Herkules an - ſtändiger geweſen ſeyn, ihr für ihre Verfolgungen zu danken? (S. die zweyte Fabel).

Oder man ſucht eine edlere Moral in die Fabel zu legen; denn es giebt unter den griechiſcheu Fabeln verſchiedene, die eine ſehr nichtswürdige haben. Die Eſel bitten den Jupiter, ihr Leben minder elend ſeyn zu laſſen. Jupiter antwortet:

τοτε ἀυτους - παλλαγησεσϑαη της κακοπαϑειας, ὀταν ου᾽ρουντες ποιη - σωσι ποταμον.

Welche eine unanſtändige Antwort für eine Gottheit! Ich ſchmeichle mir, daß ich den Jupiter würdiger antworten laſſen, und überhaupt eine ſchönere Fabel daraus gemacht habe. (S. die zehnte Fabel.)

Ich breche ab! Denn ich kann mich unmög - lich zwingen, einen Commentar über meine eigene Verſuche zu ſchreiben.

Inhalt.[241]

Inhalt.

Fabeln, erſtes Buch.
  • 1. Die ErſcheinungS. 3
  • 2. Der Hamſter und die Ameiſe5
  • 3. Der Löwe und der Haſe6Aelianus de natura animalium libr. I. cap. 38. Ορ᾽ρ᾽ωδει ἐλεφας κεραϛην κριον και χοιρου βοην. Idem lib. III. cap. 31. Αλεκτρυονα φοβειται λεων.
  • 4. Der Eſel und das Jagdpferd7
  • 5. Zevs und das Pferd8Καμηλον ὡς δεδοικεν ἱππος, ἐγνω Κυρος τε και Κροισος. Aelianus de nat. an. lib. III. cap. 7.
  • 6. Der Affe und der Fuchs10
  • 7. Die Nachtigall und der Pfau11
  • 8. Der Wolf und der Schäfer12
  • 9. Das Roß und der Stier13
  • 10. Die Grille und die Nachtigall14
  • 11. Die Nachtigall und der Habicht15
  • 242
  • 12. Der kriegeriſche Wolf16
  • 13. Der Phoenix17
  • 14. Die Gans18
  • 15. Die Eiche und das Schwein19
  • 16. Die Wespen20Ιππος ἐρ᾽ρ῾ιμμενος σφηκων γενεσις ἐϛιν. Aelianus de nat. animal. lib. I. cap. 28.
  • 17. Die Sperlinge21
  • 18. Der Strauß22Η ϛρουϑος μεγαλη λασιοις μεν τοις πτεροις ἐπτερωται, ἀρϑηναι δε και ἐις βαϑυν ἀερα μετεω - ρισϑηναι φυσιν οὐκ ἐχει · ϑει δε ὠκιϛα, και τας παρα την πλευραν ἑκατεραν πτερυγας ἁπλοι, και ἐμπιπτον το πνευμα κολποι δικην ἱϛιων αυτας· πτησιν δε ου᾽κ ὀιδεν. Aelianus lib. II. c. 26.
  • 19. Der Sperling und der Straus23
  • 20. Die Hunde24Κεοντι ομοσε χορει κυιν Ινδικος και πολλα ἀυ - τον λυπησας και κατατρωσας, τελευτων ἡτταται κυων. Aelianus lib. IV. cap. 19. 21. Der Fuchs und der Storch25
  • 22. Die Eule und der Schatzgräber26
  • 23. Die junge Schwalbe27
  • 24. Merops28Ο Μεροψ το ὀρνεοε εμπαλιν, φασι, τοις ἀλλοις ἁπασι πετεται· τα μεν γαρ ἐις τουμπροσϑεν ἰεται και κατ᾽ οφϑαλμους, το δε ἐις τουπεσω. 25. Der243
  • 25. Der Pelekan29Aelianus; de nat. animal. libr. III. cap. 30.
  • 26. Der Löwe und der Tieger30Aelianuſ de natura animal. libr. II. cap. 12.
  • 27. Der Stier und der Hirſch31
  • 28. Der Eſel und der Wolf32
  • 29. Der Springer im Schache33
  • 30. Aeſopus und der Eſel34
Zweytes Buch.
  • 1. Die eherne BildſäuleS. 37
  • 2. Herkules38Fab. Aeſop. 192. edit. Hauptmannianæ. Phæ - drus lib. IV. Fab. 11.
  • 3. Der Knabe und die Schlange39Fab. Aeſop. 170. Phædrus lib. IV. Fab. 18.
  • 4. Der Wolf auf dem Todbette41Eab. Aeſop. 144. Phædrus lib. I. Fab. 8.
  • 5. Der Stier und das Kald42Phædrus lib. V. Fab. 9.
  • 6. Der Pfauen und die Krähe43Fab. Aeſop. 188. Phædrus lib. I. Fab. 3.
  • 7. Der Löwe mit dem Eſel44Phædrus lib. I. Fab. 11.
  • 244
  • 8. Der Eſel mit dem Löwen45Phædrus lib. I. Fab. 11.
  • 9. Die blinde Henne46Phædrus libr. III. Fab. 12.
  • 10. Die Eſel47Fabul. Aeſop. 112.
  • 11. Das beſchützte Lamm49Fab. Aeſop. 157.
  • 12. Jupiter und Apollo50Fab. Aeſop. 187.
  • 13. Die Waſſerſchlange51Fab. Aeſop. 167. Phædrus lib. I. Eab. 2.
  • 14. Der Fuchs und die Larve52Fab. Aeſop. 11. Phædrus lib. I. Fab. 7.
  • 15. Der Rabe und der Fuchs53Fab. Aeſop. 205. Phædrus lib. I. Fab. 13.
  • 16. Der Geitzige55Fab. Aeſop. 59.
  • 17. Der Rabe56Fab. Aeſop. 132.
  • 18. Zevs und das Schaf57Fab. Aeſop. 119.
  • 19. Der Fuchs und der Tieger59Fab. Aeſop. 159.
  • 20. Der Mann und der Hund60Fab. Aeſop. 25. Phædrus lib. II. Fab. 3.
  • 245
  • 21. Die Traube61Fab. Aeſop. 156. Phædrus lib. IV. Fab. 2.
  • 22. Der Fuchs62Fab. Aeſop. 8.
  • 23. Das Schaf63Fab. Aeſop. 189.
  • 24. Die Ziegen65Phædrus lib. IV. Fab. 15.
  • 25. Der wilde Apſelbaum66Fab. Aeſop. 173.
  • 26 Der Hirſch und der Fuchs _ 67 Fab. Aeſop. 226. Phædrus lib. I. Fab. 11. & lib. I. Fab. 5.
  • 27. Der Dornſtrauch68Fab. Aeſop. 42.
  • 28. Die Furien69Suidaſ in Αειπαρϑενος.
  • 29. Tireſias71Antonius Liberaliſ c. 16.
  • 30. Minerva72
Drittes Buch.
  • 1. Der Beſitzer des BogensS. 75
  • 2. Die Nachtigall und die Lerche76
  • 3. Der Geiſt des Salomo77
  • 246
  • 4. Das Geſchenk der Feyen79
  • 5. Das Schaf und die Schwalbe81Η Χελιδων ἐπι τα νωτα των προβατων ἱζανει, και ἀποσπα του μαλλου, και ἐντευϑεν τοις ἑαυτης βρεφεσι το λεχος μαλακον ἐϛρωσεν. Aelianus lib. III. c. 24.
  • 6. Der Rabe82
  • 7 10. Der Rangſtreit der Thiere _ _ 83 87
  • 11 Der Bär und der Elephant88Aelianus de nat. animal. libr. II. cap. 11.
  • 12. Der Strauß89
  • 13. 14. Die Wohlthaten90
  • 15. Die Eiche91
  • 16 22. Die Geſchichte des alten Wolfs92 102Aelianus libr. IV. cap. 15.
  • 23. Die Maus103
  • 24. Die Schwalbe104
  • 25. Der Adler105
  • 26. Der junge und der alte Hirſch106
  • 27. Der Pfau und der Hahn107
  • 28. Der Hirſch108
  • 29. Der Adler und der Fuchs109
  • 30. Der Schäfer und die Nachtigall110
Abhand -247

Abhandlungen.

  • I. Von dem Weſen der Fabel. S. 113. Fa - bel, was es überhaupt heiſſe. Eintheilung der Fabel in einfache und zuſammengeſetzte S. 114. u. f. Die Erklärung des de la Motte wird un - terſucht S. 117. Die Fabel iſt nicht bloß eine allegoriſche Handlung, ſondern die Erzehlung einer ſolchen Handlung, 118. 119. Allegorie, was ſie iſt, 120. Die einfache Fabel iſt nicht allegoriſch, 124. Blos die zuſammengeſetzte Fa - bel iſt es, 125 u. f. Warum das Wort Allego - rie gänzlich aus der Erklärung der Fabel zu laſſen, 127. u. ſ. Die Lehre der Fabel muß eine mora - liſche Lehre ſeyn, 131. Unterſuchung der Erklä - rung des Richer, 132 u. f. Wie fern die Fabel ein Gedicht zu nennen, 132. Die moraliſche Lehre der Fabel iſt nicht immer eine eigentliche Vorſchrift, 133. Ein bloſſes Bild macht keine Fabel aus, 134 u. f. Was eine Handlung ſey? 136 u. f. Worinn die Einheit einer aeſopiſchen Handlung beſtehe, 138 u. f. Breitingers Er - klärung wird geprüft, 140 u. f. Er hat die Er - klärung des de la Motte überſetzt und gewäſ - ſert, 141. Die Lehre muß in die Fabel weder verſteckt noch verkleidet ſeyn, 142 u. f. Von der Erklärung des Batteux, 144 u. f. Seine Erklärung der Handlung iſt für die aeſopiſche Fa - bel zu eingeſchränkt, 145 u. f. Er hat ſie mit derQ 4Hand -248Handlung der Epopee verwirrt, 153 u. f. Wor - inn die Fabel von der Parabel unterſchieden, 159. Der einzelne Fall der Fabel muß nothwendig als wirklich vorgeſtellt werden, 160. Exempel von Fabeln, die wider dieſe Regel verſtoſſen, 161 u. f. Philoſophiſche Gründe dieſer Regeln, 163 u. f. Die Lehre des Ariſtoteles von dem Exempel, 168. Worauf ſich ſeine Eintheilung des erdichteten Expempels gründet, 169. Er ſchreibt der hiſto - riſchen Wahrheit zuviel zu, 170 u. f. Geneti - ſche Erklärung der Fabel, 171.
  • II. Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabel, S. 173 u. f. Liſt des Batteux, keine Urſache davon angeben zu dürfen, 173. 174. Breitinger nimmt die Erreichung des Wunder - baren dafür an, 174 u. f. Die Einführung der Thiere in der Fabel iſt nicht wunderbar, 177 u. f. Die wahre Urſache derſelben iſt die allgemein be - kannte Beſtandtheit der thieriſchen Charaktere, 181 u. f. Wider den Verfaſſer der critiſchen Briefe, 185 u. f. Warum der Fabuliſt ſeine Perſonen weit ſeltner aus dem Pflanzenreiche und Steinreiche, und aus den Werken der Kunſt nimmt, 188. Nutzen des Gebrauchs der Thiere in der zuſammengeſetzten Fabel, 189. Nutzen deſſelben in Anſehung der nicht zu erregenden Lei - denſchaften, 189. 190.
  • 250[249]
  • III. Von der Eintheilung der Fabel, S. 191. In einfache und zuſammengeſetzte, 191. In directe und indirecte, 191. 192. Von der Ein - theilung des Aphthonius, 192 u. f. Warum Batteux dieſe Eintheilung angenommen, 193. u. f. Wolfs Verbeſſerung der Aphthonianiſchen Ein - theilung, 196 u. f. Was wider dieſe Verbeſſe - rung zu erinnern, 199. Die Eintheilung der Fabel wird aus der verſchiednen Möglichkeit des einzeln Falles in der Fabel hergeholt, 200 u. f. Fernere Eintheilung der ſittlichen Fabeln in my - thiſche und hyperphyſiſche, 201. 202. Be - ſondere Arten der vermiſchten Fabel, 204. Beurtheilung der Breitingerſchen Eintheilung, 205 u. f. Wie weit in den hyperphyſiſchen Fabeln die Natur der Thiere zu erhöhen, 208. 209. Von der Ausdehnung der aeſopiſchen Fabel zu der Länge des epiſchen Gedichts, wider den Verfaſ - ſer der critiſchen Briefe, 209 u. f. Idee von einem aeſopiſchen Heldengedichte, 213 u. f.
  • IV. Von dem Vortrage der Fabeln, S. 216. Von dem Vortrage des Aeſopus, 216. Des Phädrus, 217. Des la Fontaine, 217. 218. LA Fontaine mißbraucht eine Autorität des Quintilians, 219. De la Motte führet den la Fontaine verſtümmelt an, 221. Die Alten handeln von den Fabeln in ihren Rhetoriken, wir in der Dichtkunſt, 222. Wodurch dieſe Ver - änderung veranlaßt worden, 223. Die Zierra -then,249[250]then, welche Batteux den Fabeln ertheilt wiſ - ſen will, ſtreiten mit dem Weſen der Fabel, 223 u. f. Warum der Verfaſſer den proſalſchen Vortrag gewehlet, 226 u. f. Fehler des Phä - drus, ſo oft er von den griechiſchen Fabeln ab - weicht, 229 u. f.
  • V. Von einem beſondern Nutzen der Fabel in den Schulen 233 u. f. Die rhetoriſchen Uebun - gen mit der Fabel werden gemißbilliget, 233. Von dem hevriſtiſchen Nutzen der Fabel, in Abſicht auf die Bildung des Genies, 234. 235. Wie die Fabel erfunden werde, 236. Wie der Jugend die Erfindung zu erleichtern, 237 u. f. Exempel an verſchiednen eignen Fabeln des Ver - faſſers, 238 u. f.

About this transcription

TextFabeln
Author Gotthold Ephraim Lessing
Extent270 images; 32039 tokens; 6774 types; 217598 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationFabeln Drey Bücher Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Jnhalts Gotthold Ephraim Lessing. . [2] Bl., XII, 249 [i.e.250] S. VoßBerlin1759.

Identification

HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 4487.1Dig: http://diglib.hab.de/drucke/lo-4487-1/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:40Z
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Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 4487.1
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