GUnſtiger / geliebter Leſer / ich halte dafuͤr / daß dieſe meine Sinn-Getichte viel fuͤrre - dens oder fuͤrſprechens nicht beduͤrffen; denn ich werde alle Koͤpffe vn - ter meinen Hut doch nicht bringen / nem - lich niemanden zwingen / daß er meine Gedancken muͤſſe gut heiſſen: Allerding es nicht moͤglich in einem Garten zu verwehren / daß auff die Blumen nicht ſo wol Spinnen / als Bienen fallen. Jch ge - dencke nur etwas weniges vom Reimen - Maſſe; einmal / daß die Endungen der Reime zuſammen ſtimmen nur nach vn - ſerer Mund-Art wo ſie geſchrieben; deñ / wie es vielleicht frembden dannenher nicht fuͤglich lauten moͤchte / wie wir die ſelblautenden Buchſtaben außſprechen / alſo wuͤrde es auch in vnſren Ohren uͤbel klingen / zu reden wie die frembden reden / alſo / daß es nur noͤthig ſcheinet / im Reime ſich deß einheimiſchen Außſpruches zu ge -brau -brauchen: Nachmals / daß die einſylbigen oder einigliedrigen Worte / welche in der Deutſchen Sprache faſt das meiſte auß - machen / ich bald lang / bald kurtz geſetzet / offters in einem Reime / nicht ſo wol auß uͤberſehen / als daß der Beylaut im leſen vnd reden alsdenn ſo faͤllet / welcher ohne dieſes im Reim-ſchreiben faſt die beſte Richtſchnur iſt. Sonſt / daß ich die Poeti - ſchen Lateiniſchen Namen behalten / auch wol ſelbſt eigene nach Lateiniſcher Art zu zeiten erfunden / geſchiehet darumb: Daß jene ſchon Buͤrgerſchafft bey den Deut - ſchen gewonnen vnd gar gelaͤuffig / meine Sachen auch ſchwerlich ſo tieff vnter den gemeinen Poͤfel gerathen werden (ehe vnter die ſo der Poeterey kuͤndig /) die neuen deutſchen Namen aber noch etwas hart / vngewoͤhnlich ja wol mehr vnver - ſtaͤndlich als die Lateiniſchen kommen: Dieſe zur Sache ſich fuͤglicher ſchicken wollen / als im Deutſchen / weil doch jede Sprache jhre eigene Art vnd Geiſt hat /A ijwel -welcher einer andern Sprache nicht gerne dienen vnd ſich vnterwerffen wil. Der Jnnhale dieſer Getichte / handelt mei - ſtens von Sachen die in gemeinem Leben fuͤrkom̃en / daß dannenher offtmals mit dem gemeinen Wahn vnd niedriger Art geredet wird: Und weil die Sinn-Ge - tichte fuͤr kurtze Stichel-Getichte / die Stichel-Getichte fuͤr lange Sinn-Getich - te gehalten ſind / wird mir zugelaſſen ſeyn / ſo ich offters etwas frey gehe / in deme ich doch nur fuͤrhabe die Laſter zuverhoͤhnen / nicht aber zu billichen vnd ſtaͤrcken. Jm uͤbrigen / ob meiner Perſon anſtaͤndig der - gleichen Sachen ans Liecht zu laſſen / muß ich das Urtheil leidẽ; das weiß ich aber / iſt dem Leibe vergoͤnnet zu ruhen / iſt dem Ge - muͤte auch zugelaſſen bißweilen zu ſpie - len. Gehab dich wol lieber Leſer / bleibe wol geſinnet / vnd ſo ich gejrret / ſo den - cke daß du auch jrreſt / ſo du anders ein Menſch biſt.
Salomon von Golaw der Verkleinende.
Scaliger von der Poeterey oder Tiche - Kunſt im 2. Buch in der 125. Abtheilung. EJn (Epigramma) Sinn-Getichte / iſt ein kurtz Getichte / welches ſchlecht hin von einem Dinge / einer Perſon / oder derer Beginnen / etwas anzeiget / oder auch etwas fuͤr - her ſetzet / darauß es etwas gewiſſes ſchlieſſe / vnd folgere.
Hans Ulrich Muͤffling in ſeinen Blu - men auß deß Scaligers Schrifften / im drit - ten Brieffe oder Sendſchreiben. MAn muß die nicht hoͤren / welche ſchreyen / daß durch Ubung in der Tichterey / welche ernſteren vnd wichtigern Wiſſenſchafften zuſte - het / vergebens vnd vnfuͤglich verſchwendet werde. Denn / ſo man hierinnen Maß haͤlt / fehlet es nun ſo viel / daß das Gemuͤte damit ſolle ermuͤdet wer - den / daß ſie vielmehr ſchaͤrfferm vnd genauerm Nachdencken / dich wacker vnd munter mache. Daſelbſt weiter. Die Tichterey iſt anders nichts / als ein Ab - bildung vielerley Dinge / welche die menſchlichen Gemuͤter abzeucht vnd gleichſam ſaubert / durch zierliche vnd ſchickliche Fuͤgnuͤß / vom Roſt vnd Staube deß Uberdruſſes.