PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Das Verlohrne Paradies,
aus dem Engliſchen Johann Miltons in Reimfreye Verſe uͤberſetzt, und mit eignen ſowohl als andrer Anmerkungen begleitet von Friedrich Wilhelm Zachariaͤ. Mit Kupfern.
Zweyter Theil.
Unter Koͤnigl. Pohln. u. Churfl. Saͤchſ. Privilegio.
Altona,beyDavid Jverſen, Koͤnigl. privil. Buchh. in Holſtein,1763.

Vorbericht zum zweyten Bande des verlohrnen Paradieſes.

Jch lege hiermit meinen Leſern die ſechs letzten Ge - ſaͤnge des Miltoniſchen verlohrnen Paradieſes vor, und hoffe, daß ſie dieſelben eben ſo guͤtig aufnehmen werden, als die ſechs erſten.

Der geſchwinde Abgang des erſten Theils meiner Ueber - ſetzung hat mir gezeigt, daß ich eine nicht ganz undankbare oder unnuͤtze Arbeit unternommen habe; und dieſer Beyfall hat mich ermuntert, dieſe muͤhſame Ueberſetzung nicht allein zu vollenden, ſondern ſie auch in Anſehung der Verſe ſo harmoniſch zu machen, als es mir nur immer moͤglich geweſen iſt. Jch muß indeß meine Leſer bitten, bey der Beurtheilung dieſes Werks billig zu ſeyn. Nichts iſt leichter, als daß ein Kunſtrichter, der mit feindlichem Blute ſich hinſetzt, Fehler zu finden, ſehr leicht Fehler entdeckt; denn wo iſt denn auch das vollkommenſte menſchliche Werk, wel - ches hievon frey waͤre? Wenn man aber eine ſolche Unternehm[u]ng,) (2wieVorbericht zum zweyten Bandewie die meinige iſt, nur mit einiger Gemuͤthsbilligkeit anſieht, ſo wird man auch einige Fehler ſehr leicht vergeben, die aus man - cherley Urſachen nicht ganz zu vermeiden waren. Dieſe Ueber - ſetzung des verlohrnen Paradieſes hat ein Verſuch ſeyn ſollen, ob unſre Sprache zu poetiſchen Ueberſetzungen geſchickt ſey, indem ich noch immer der Meynung bin, daß ein Poet, der in Proſa uͤber - ſetzt wird, faſt alles verliert. Wenn alſo andre durch mein Bey - ſpiel ermuntert werden, ihre Kraͤfte gleichfalls in aͤhnlichen Arbei - ten zu verſuchen, ſo werde ich einen großen Theil meiner Wuͤnſche fuͤr erfuͤllt halten. Vielleicht wird bald ein guter Kopf dadurch unter uns angefeuert, uns eine poetiſche Ueberſetzung des Homers zu liefern.

Einigen meiner Leſer iſt es vielleicht nicht unangenehm, wenn ich ihnen bey dieſer Gelegenheit eine Probe einer Ueberſetzung vor - lege, wie ich ſolche anfaͤnglich nach Miltons eigenem Sylbenmaaße zu machen entſchloſſen war. Die erſte Stelle faͤngt ſich im fuͤnften Geſange mit dem 564. Vers an:

Als dieſe Welt noch nicht geſchaffen war,
Und wuͤſt und wild das Chaos da regierte,
Wo itzt voll Pracht ſich dieſe Himmel vollen,
Und wo die Erd auf ihrem Mittelpunkt
Gegruͤndet ruht; da wars an einem Tage, (Denn auch die Zeit mißt in der Ewigkeit
Durch die Bewegung alles, was geſchieht
Mit dem Vergangnen, Gegenwaͤrtigen,
Und dem Zukuͤnftgen) an ſolch einem Tage,
Wie ihn das große Jahr des Himmels zeugt,
Erſchien, gefodert durch Befehl von Gott
Das ganze Heer der Engel vor dem Throne
Des Ewigen; unzaͤhlbar; eingetheilt
Jn ihre Hierarchien und Ordnungen;
Zehntauſend tauſend Fahnen und Standarten,
Und ſtralende Paniere, hoch erhoͤht,
Durchſchimmerten im Vor - und Nachtrapp weit
Die Luft; und dieneten zum UnterſchiedFuͤrdes verlohrnen Paradieſes.
Fuͤr Hierarchien und Ordnungen und Stufen.
Jn ihren hellen Stoff war manche That
Von Lieb und heilgem Eifer eingewebt.
Jndeß, daß Myriad an Myriade,
Und Kreis in Kreis, ſich unabſehlig draͤngt,
Enthuͤllte ſich dem Blick der flammende
Lichtklare Huͤgel, deſſen obrer Gipfel
Unſichtbar war vor Herrlichkeit, die ihn
Bedeckte. Auf ihm ſaß der Ewige,
Und neben ihm in gleicher Herrlichkeit
Der Sohn; indem die Stimme Gottes ſprach:
Hoͤrt, all ihr Engel, ihr, des Lichts Geſchlecht,
Jhr Thronen, Fuͤrſten, Kraͤfte, Tugenden,
Hoͤrt meinen Rathſchluß, der unwiederruflich
Beſtehn ſoll! Heute hab ich meinen Sohn
Gezeugt, und ihn geſalbt auf dieſem Huͤgel,
Wo ihr ihn ſeht zu meiner rechten Hand.
Jch ſetz ihn euch zu eurem Oberhaupt
Und Koͤnig; und ich habe bey mir ſelbſt
Geſchworen, aller Knie ſoll ſich vor ihm
Jm Himmel beugen, und ihn fuͤr den Herrn
Erkennen! Unter ihm und ſeinem Reich
Seyd, als wie Eine Seele ſtets vereint,
Auf ewig gluͤcklich. Wer ihm den Gehorſam
Verſagt, verſagt ihn mir; zerreißt das Band
Der Einigkeit, und ſoll noch dieſen Tag
Von Gott verbannt, von ſeinem Anſchaun fern,
Herunterſtuͤrzen in die aͤußerſte
Furchtbare Finſterniß, den Ort der Quaal,
Fuͤr ihn beſtimmt, ohn End, und ohn Erloͤſung.

Die zweyte Probe dieſer Versart iſt gleichfalls aus dem fuͤnften Geſange genommen; nachdem Satan naͤmlich bey der Nacht den Thron Gottes verlaſſen, haͤlt er an ſeine Maͤchte fol - gende Rede:

Wir haben hier, ihr Thronen, Potentaten,
Herrſchaften, Fuͤrſten, Tugenden, und Kraͤfte,
Wenn anders dieſe praͤchtgen Titel nicht
Bloß Titel ſind, da nun ein anderer) (3SichVorbericht zum zweyten Bande
Sich aller Macht anmaßt, und unter ihm,
Und ſeinem Namen des Geſalbeten
Wir uͤbrigen nun ganz verdunkelt ſind:
Wir haben hier, ſo bey der Mitternacht,
So eilig uns verſammelt zu erwaͤgen,
Mit welchen Ehren wir den neuen Herrn
Allhier begegnen wollen, der von uns
Den Knietribut, den wir noch nicht bezahlt,
Erwartet, und ihn hier empfangen will.
Unbilliger, beſchimpfender Tribut!
Demuͤthgende Verehrung! ſchon zu viel,
Sie Einem zu erzeigen! aber nun
Noch einem Zweyten, ſeinem Ebenbild
Sie zu erzeigen, wer ertraͤget das?
Doch wie? wenn uns ein beſſerer Entſchluß
Zu groͤßerm Edelmuth begeiſter[te],
Und dieſes Joch uns abzuwerfen lehrte?
Wollt ihr die Nacken beugen? wollt ihr knien,
Demuͤthig vor ihm knien im Staube? Nein!
Jhr wollt es nicht, kenn ich euch anders recht,
Und kennt ihr ſelbſt euch recht! Jhr alle ſeyd
Des Himmels Soͤhne, den niemand vor euch
Beſeſſen hat; und ob ihr alle zwar
Nicht gleich erhaben, nicht gleich herrlich ſeyd;
So ſeyd ihr doch deswegen frey gleich frey!
Denn mit der Freyheit koͤnnen Ordnungen
Und Gnade wohl beſtehn. Wer kann denn nun
Sich mit Vernunft, mit irgend einem Rechte
Der Oberherrſchaft uͤber die anmaßen,
Die durch das Recht zuſammen gleich ihm ſind,
Und wenn an Macht und Herrlichkeit geringer
Jn Freyheit gleich ihm ſind? Und wer kann denn
Geſetze geben, die nicht irren koͤnnen?
Und wer kann endlich denn zu unſerm Herrn
Sich aufzuwerfen wagen, und Anbethung
Von uns, von Koͤnigen, von Goͤttern fordern?
Die Titel ſchon bekraͤftigen, daß wir
Geſchaffen ſind, zu herrſchen, nicht zu dienen.
Bishieher fand er ohne Widerſpruch
Mit der verwegenen BeredſamkeitGehoͤr:des verlohrnen Paradieſes.
Gehoͤr: als von der Schaar der Seraphim
Sich Abdiel erhob; denn keiner war,
Der mit mehr Eifer den Allmaͤchtigen
Und ſein Geboth verehrte. Voller Gluth
Und heilgen Eifer, ſetzt er ſich dem Strom
Der raſenden Verfuͤhrung ſo entgegen.
O Gotteslaͤſternde, verwegene
Und ſtolze Reden! Wer im Himmel hat
Sie je erwartet, und beſonders ſie
Von dir erwartet, o du Undankbarer!
Der du ſo ſehr an Macht und Herrlichkeit
Erhaben biſt vor allen deines Gleichen.
Darfſt du dich unterſtehn, des Hoͤchſten Schluß,
Den er vor allen Himmeln kund gethan,
Und ihn beſchworen, daß ſich alle Knie
Vor ſeinem einzgen Sohn im Himmel beugen
Und ihn fuͤr ihren Koͤnig, ihren Herrn
Erkennen ſollen unterſtehſt du dich,
Den zu verdammen? Ungerecht, ſagſt du,
Jſt dieſer Rathſchluß? ungerecht iſt es,
Daß uͤber Gleiche jemand herrſchen will,
Und freye Geiſter durch Geſetze bindet?
Daß einer uͤber alle herrſchen will
Mit unumſchraͤnkter Macht? Willſt du denn Gott
Geſetze geben? Willſt du uͤber Freyheit
Mit dem dich ſtreiten, welcher dich erſchuf,
Dich, was du biſt, erſchuf, und alle Geiſter
Des Himmels, wie es ihm gefiel, gemacht?
Lehrt uns Erfahrung nicht, wie gnaͤdig er,
Und wie beſorgt er iſt fuͤr unſer Wohl,
Fuͤr unſre Wuͤrde? Jſt er nicht geneigt,
Anſtatt ihn zu verringern, unſern Stand
Noch gluͤcklicher, noch herrlicher zu machen,
Da wir durch unſer Haupt noch mehr vereint,
So ſeiner Allmacht Throne naͤher ſind?
Und herrſchet denn ein Gleicher uͤber Gleiche?
Du ſelbſt, ſo groß ſo herrlich du auch biſt,
Darfſt du, und alle himmliſche Naturen,
Wenn ſie vereinigt wuͤrden, mit dem SohnDemVorbericht zum zweyten Bande ꝛc.
Dem einzgen Sohn der Allmacht dich vergleichen,
Durch den, als durch ſein Wort, der Ewige
Dich ſelbſt erſchuf, und alles Himmelsheer;
Durch ihn ſie ſchuf zu Thronen, Potentaten,
Herrſchaften, Fuͤrſten, Tugenden, und Kraͤften
Zu weſentlichen Kraͤften, deren Glanz
Durch ſeine Herrſchaft nicht verdunkelt wird,
Nein herrlicher, glorreicher ſtralt, da er
Als unſer Haupt nunmehr zu uns gehoͤrt,
Und alle Ehre, die man ihm erzeigt,
Auf uns zuruͤcke faͤllt? Halt darum ein
Mit dieſer tollen Wuth! verfuͤhre nicht
Unſchuldige mit dir! und ſuch in Eil
Den Zorn des Vaters, und des Sohnes Zorn
Noch weil es Zeit iſt, zu beſaͤnftigen.

Haͤtten nicht Schwierigkeiten, die wenigſtens mir unuͤberwind - lich ſchienen, mich abgehalten, und waͤre es moͤglich geweſen, auch andere ſchwere Stellen Miltons in dieſes Sylbenmaaß zu bringen, ſo haͤtten die Leſer vielleicht das ganze Gedicht in dieſer Versart erhal - ten. So aber ſahe ich mich auf gewiſſe Weiſe gezwungen, den Hera - meter zu meiner Ueberſetzung zu erwaͤhlen, wenn ich von dem Woͤrt - lichen meines Dichters mich nicht allzuſehr entfernen wollte. Die Begierde, ſo genau als moͤglich bey dem Originale zu bleiben, iſt Ur - ſache geweſen, daß ich beſonders in den erſten Geſaͤngen zuweilen den Wohlklang des Sylbenmaaßes etwas verſaͤumt, wovor ich mich aber in di[e]ſen ſechs letzten Geſaͤngen deſto mehr bemuͤht habe, ihn ſo viel moͤglich mit dem Woͤrtlichen der Ueberſetzung zu verbinden.

Jch werde mich freuen, wenn unſre Deutſchen dieſen großen Engliſchen Dichter, welchen wir als den erſten Schoͤpfer der heiligen Epopee anzuſehn haben, aus meiner Ueberſetzung etwas beſſer kennen lernen. Der dritte Band, welcher das Leben dieſes großen Poeten, nebſt verſchiednen kritiſchen Abhandlungen uͤber ſein Gedicht enthalten ſoll, wird kuͤnftige Leipziger Oſtermeſſe gleichfalls erfolgen. Braun - ſchweig, den 12ten September, 1762.

Das

Das Verlohrne Paradies. Siebenter Geſang. Das Verlohrne Paradies. Siebenter Geſang.

II. Theil. A[1][2]
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[3]
Steige vom Himmel herab, Urania
a)Nach dem Horaz Od. III. IV. 1. De - ſcende coelo etc. Urania heißt nach dem Griechiſchen himmliſch, daß er alſo, wiezu Anfang des Gedichts, die himmli - ſche Muſe anruft. N.
a)! Wenn ich dich anders
Recht bey dieſem Namen genannt. Der goͤttli - chen Stimme
Folg ich, indem ich verwegen weit uͤber den hohen Olympus,
Und weit uͤber den Flug der Schwingen des Pegaſus ſteige.
A 2Nicht4Das verlohrne Paradies. 5
Nicht den Namen, dein Weſen ruf ich zum kuͤhneren Lied an,
Denn du biſt keine der Muſen
b)Taſſo in ſeiner Anrufung druͤckt ſich eben ſo aus. Gier. Lib. Cant. 1. St. 2. O Muſa, tu, che di caduchi allori Non circondi la fronte in Helicona; Ma ſu nel cielo infra i beati chori Hai di ſtelle immortali aurea corona. Du, o Muſe, nicht die, die mit ver - gaͤnglichen Lorbeern Auf des Helikons Hoͤhe ſich ihre Stirne bekraͤnzet,Sondern jene, geſchmuͤckt im Kreis der ſeligen Choͤre Mit dem guͤldenen ſtralenden Kranz von unſterblichen Sternen. Thyer.
b), bewohnſt auch des alten Olympus
Gipfel nicht; ſondern biſt himmliſch gebohren. Bevor noch die Huͤgel
Sich erhoben, und Quellen geſtroͤmt, da haſt du vertraut ſchon
Mit der ewigen Weisheit dich unterhalten; der Weisheit,
10
2 Deiner Schweſter; und ruͤhrteſt mit ihr die himmliſchen Saiten
Vor dem allmaͤchtigen Vater, der an den harmoniſchen Liedern
Selbſt ſich ergoͤtzte. Geleitet durch dich, erkuͤhnte mein Flug ſich
Jn den Himmel der Himmel hinauf zu ſteigen. Dort trank ich
Als ein irdiſcher Gaft die empyreiſchen Luͤfte,
15
2 Die du gemaͤßigt fuͤr mich. Jtzt leite mich eben ſo ſicher
Wieder zur Erde zuruͤck, von der ich entſprungen; damit ich
Nicht, (wie Bellerophon einſt, der aber aus niedrigern Luͤften
Stuͤrzte,) von dieſem fliegenden Roß, das kein Zuͤgel regieret,
Abgeworfen, herunter falle, die Felder des Aleus
c)Bellerophon, ein Sohn des Glaucus, war ein tapferer Juͤngling, der in verſchiedenen Unternehmungen vol - ler Gefahren obſiegte. Als er aber auf dem gefluͤgelten Pferde Pegaſus den Him - mel erreichen wollte, fiel er herunter und kam in den Wuͤſten Aleus um. N.
c)
20
3 Durchzuwandern, verirrt und verlohren in einſamen Wuͤſten.
Noch die Haͤlfte des Lieds iſt ungeſungen, doch enger
Jn die ſichtbare Sphaͤre des irdiſchen Tages beſchraͤnket.
Da ich auf ſterblichem Boden nun ſteh, und die kuͤhnen GedankenNicht5Siebenter Geſang.
Nicht mehr uͤber den Pol hinaus entzuͤckt ſind: ſo ſing ich
25
3 Sichrer nunmehr mit der Stimme des Menſchen; ſie wird auch nicht heiſer;
Oder verſtummt; ob ich gleich in uͤbele Tage
d)Ein ſehr ſchoͤnes lebhaftes Gemaͤlde von dem elenden Zuſtande des Poeten, der ſeiner Augen beraubt, ſehr viel Feinde un - ter der damaligen koͤniglichen Parthey hatte, und deswegen ſehr verborgen leben mußte. Welch ein Geiſt indeß, der in ei -nem ſolchen Zuſtande, doch ein ſolches Gedicht vollenden konnte! N.
d)gefalln bin,
Leider gefalln in uͤbele Tage, voll uͤbeler Zungen,
Sitzend in Finſterniß, rund um mich her mit Gefahren umgeben,
Einſam, verlaſſen; doch nicht allein, ſo lange du naͤchtlich
30
4 Mich im Schlummer beſuchſt, und wenn der Morgen den Oſten
Ueberpurpert. Begeiſtre mein Lied, Urania! laß mich
Wuͤrdige Hoͤrer finden, obgleich nur wenig der Edlen.
Aber verjage von mir den barbariſchen Misklang des Bachus,
Und der Schwaͤrmer des Bachus, die Soͤhne des wilden Geſchlechtes,
35
4 Welches in Rhodopens Waͤldern
e)Orpheus, ein beruͤhmter Thrazi - ſcher Poet, wurde durch die Bachantin - nen auf dem Berge Rhodope in Stuͤcke zerriſſen; die Muſe Calliope, ſeine Mut - ter, konnte ihn nicht beſchuͤtzen. N.
e) den Thraziſchen Barden zerriſſen,
Wo ſelbſt Fels und Hain zu ſeinen entzuͤckenden Liedern
Ohren hatten; bis endlich Geſchrey und wildes Getuͤmmel
Leyer und Stimme betaͤubt; die Muſe konnte den Sohn nicht
Schuͤtzen; doch alſo verlaß du nicht den, der itzo dich anruft,
40
5 Denn du biſt himmliſch gebohren, ſie war ein Traum nur der Fabel.
Sage, was drauf, o Goͤttinn, erfolgt, da ſo huldreich der Engel Raphael Adam, dem erſten der Menſchen, die fremde Geſchichte
Von dem Abfall und Streit der rebelliſchen Thronen erzaͤhlet,A 3Und6Das verlohrne Paradies.
Und ihn durch dieß ſchreckliche Beyſpiel gewarnet, vor gleichem
45
5 Traurigen ſchweren Fall, ſo wohl ſich ſelber in Eden,
Als die Nachwelt auch, die ſeinen Lenden entſprungen,
Zu bewahren; und da der Baum der verbothnen Erkenntniß
Jhnen verſagt war, dieß einzge Geboth, ſo leicht zu erfuͤllen,
Niemals zu brechen, und ſich vielmehr an mancherley Arten
50
5 Andrer vollkommenen Fruͤchte den luͤſtern Geſchmack zu vergnuͤgen.
Voller Verwundrung hatt er mit Eva, ſeiner Vermaͤhlten,
Die Erzaͤhlung gehoͤrt; und ſaß in tiefen Gedanken
Ueber ſo hohe fremde Geſchichte, ſo ſeltene Dinge,
Welche ſie kaum ſich zu denken vermochten; als Haß in dem Himmel,
55
5 Stolz, und Feindſchaft und Krieg, in ſolcher wilden Verwirrung,
Und ſo nah an der Seeligkeit Sitz, und dem Throne des Ewgen.
Aber das ausgeſtoßne, zuruͤckgetriebene Boͤſe,
Stuͤrzte ſtromweiſ auf die, durch die es am erſten entſprungen,
Da es unmoͤglich ſich mit dem Genuß der reineſten Freuden
60
5 Jemals vermiſcht. Drum ließ auch Adam die Zweifel bald fahren,
Die er deshalb ſich gemacht. Ein ſtarkes unſuͤndges Verlangen
Faſſet ihn itzt, vom Engel zu wiſſen, was naͤher ihn angieng,
Wie die Welt, wie Himmel und Erd, im Anfang entſtanden,
Wenn, und woraus ſie geſchaffen, zu welchem Zwecke; was vor ihm
65
5 Jnn - und außerhalb Eden geſchehn. Wie ein durſtender Wandrer,
Der erſt eben die labende Quelle geſchmeckt, noch begierig
Auf dem rinnenden Strom, der mit lebendigem Murmeln
Jmmer noch neuen Durſt ihm erregt, ſein Auge verweilet:
So fuhr Adam auch fort den himmliſchem Gaſt zu befragen.
Große7Siebenter Geſang. 70
Große Dinge, ſprach er, und wundervolle Geſchichte
So verſchieden von allem auf dieſer niederen Erde,
Haſt du uns offenbart, o goͤttlicher Lehrer! Dich ſandte
Von dem Empyreum herab des Ewigen Gnade,
Uns in Zeiten vor Dingen zu warnen, die unſer Verderben,
75
5 Wenn ſie uns unbekannt blieben, vielleicht beſchleuniget haͤtten,
Da wir durch unſern Verſtand ſie nicht zu erreichen vermochten
Mit unſterblichem Dank ſind wir der unendlichen Guͤte
Auch fuͤr dieſe Warnung verpflichtet, und feyerlich faſſen
Wir den feſten Entſchluß, den Willen des oberſten Herrſchers
80
5 Unverbruͤchlich zu halten; der Zweck, warum wir gemacht ſind
f)Der Wille Gottes iſt der Endzweck alles deſſen was wir find. Offenb. Joh. IV, 11. Du haſt alle Dinge geſchaf - fen, und durch deinen Willen ha - ben ſie das Weſen, und ſind ge - ſchaffen. N.
f).
Aber indem du ſo huldreich uns wuͤrdigſt, zu unſerer Lehre,
Dinge, weit uͤber die irdſchen Gedanken, vor uns zu enthuͤllen,
Die nach der oberſten Weisheit Befehl zu unſrer Erkenntniß
Noͤthig ſchienen; ſo laß dir auch itzt herunter zu ſteigen,
85
6 Und zu erzaͤhlen gefallen, was uns zu wiſſen nicht minder
Vortheilhaft ſcheint; wie dieſer Himmel im Anfang entſtanden,
Der ſo entfernt iſt von uns, mit zahlloſen feurigen Kugeln
Ausgeziert, und die umringende Luft, die alles, was Raum heißt,
Macht, oder ausfuͤllt; und rund um verſpreitet, den bluͤhenden Erdball
90
6 Eingewickelt. Entdecke mir doch, was bewog ihn, den Schoͤpfer,
Jn der heiligen Ruhe der langen Ewigkeiten
Noch ſo kuͤrzlich im Chaos zu baun
g)Man hat oft die Frage aufgewor - fen, warum Gott die Welt nicht eher ge - ſchaffen. Nach Miltons Meynung ſchuf ſie Gott erſt nach dem Fall Satans und ſeiner Engel, um ihre ledige Stelle durch andre Creaturen zu erſetzen. N.
g); wenn hat er die SchoͤpfungAnge -8Das verlohrne Paradies.
Angefangen, wie bald ſie vollbracht? iſt dieſes dir anders
Uns zu enthuͤllen erlaubt. Wir ſuchen mit ſtraͤflicher Neugier
95
7 Seines ewigen Reichs Geheimniſſe nicht zu erforſchen,
Sondern ſein Lob zu erhoͤhn, wenn unſer Wiſſen vermehrt wird.
Noch hat das große Licht des Tages die Haͤlfte der Rennbahn
Zu durchlaufen, indem es entzuͤckt am Himmel verweilet,
Da es deine Stimme, die maͤchtige Stimme gehoͤret,
100
7 Und von dir zu vernehmen verlangt, wie es anfangs entſtanden,
Und die Natur aus der finſteren Tiefe der Waſſer heraufſtieg.
Oder wenn nun zu deiner Erzaͤhlung der Abendſtern. eilet,
Und der vertrauliche Mond; ſo wird mit dem Schatten der Nacht auch
Schweigende Stille ſich nahn; der Schlaf, wenn du redeſt, wird wachen
105
7 Oder wenn wir’s verbieten, nicht kommen, als bis dein Geſang ſich
Voͤllig geendet, und dich vor dem Anbruch des Morgens beurlaubt.
So erſuchte der Erſte der Menſchen den himmliſchen Fremdling,
Und der goͤttliche Gaſt gab ihm holdſelig zur Antwort:
Dieß dein Verlangen auch, das du mir itzt ſo beſcheidentlich vortraͤgſt,
110
7 Sey dir gewaͤhrt; obgleich die feurigſte Zunge des Seraphs
Nicht mit Worten vermag die großen Werke der Allmacht
Zu erzaͤhlen; ein menſchliches Herz viel minder ſie faſſet.
Was du indeß zu erreichen vermagſt, und die Ehre des Schoͤpfers
Zu verherrlichen dient, und dich noch gluͤcklicher machet,
115
7 Sey dir von mir nicht verſagt. Jch habe ſolche Befehle
Deinetwegen von oben bekommen, die maͤchtge Begierde
Nach Erkenntniß dir zu vergnuͤgen, wofern ſie die SchrankenNicht9Siebenter Geſang.
Nicht uͤberſteigt; doch frage mich nicht, was uͤber die Schranken
Reicht, und ſchmeichle dir nicht, mit eignen Erfindungen Dinge
120
7 Zu entdecken, die Er, der unſichtbare Beherrſcher,
Welcher allein allwiſſend iſt, in ewiges Dunkel
Eingehuͤllt hat
h)Nach dem Horaz Od. III. XXIX. 29. Prudens futuri temporis exitum. Caliginoſa nocte premit Deus. Weiſe hat Gott in dunkele Nacht, Kuͤnftger Zeiten Ausgang verhuͤllt. Thyer.
h), und keinem, im Himmel ſowohl, als auf Erden
Mittheilt. Genug bleibt dir auf Erden zu forſchen noch uͤbrig;
Aber Erkenntniß gleichet der Nahrung; die Maͤßigkeit muß hier
125
8 Auch die Begierde zum Wiſſen beherrſchen; ſie muß dem Verſtande,
Was er zu faſſen faͤhig iſt, ſagen, ſonſt wird er, beſchweret,
Seinen Ueberfluß nicht verdaun; und ploͤtzlich wird in ihm
So wie Nahrung in Wind, ſo Weisheit in Thorheit verwandelt.
Wiſſe denn, daß, nachdem mit ſeinen flammenden Schaaren
130
8 Lucifer, (denn ſo nenn ihn nunmehr, da unter den Engeln
Ehmals er heller geſtralt, als unter dem Heere der Sterne
Dieſer Stern;) vom Himmel hinab in die Tiefe gefallen,
Seinen Ort der Verdammniß; und nun der erhabne Meßias
Siegreich mit ſeinen Heilgen zuruͤckegekehrt war: der ewge
135
8 Und allmaͤchtige Vater von ſeinem ſtralenden Thron ſie
Myriadenweis ſah, und alſo anhub zum Sohne.
Unſer neidiſcher Feind hat wenigſtens darinn geirrret,
Wenn er geglaubt, daß alle, wie er, Aufruͤhrer geworden,UndII. Theil. B10Das verlohrne Paradies.
Und er dieſen geſicherten Sitz der oberſten Gottheit,
140
8 Wenn er vorher uns enthront, durch ihre rebelliſche Huͤlfe
Zu erlangen gehofft; er hat zwar alle die Mengen,
Deren Staͤtte nicht mehr allhier bekannt iſt, verfuͤhret;
Aber noch eine weit groͤßere Zahl iſt, ſo wie ich ſehe,
Standhaft geblieben; der Himmel iſt noch von Schaaren bevoͤlkert,
145
8 Welche ſein weites Reich, ſo weit ſichs immer erſtrecket,
Aller Orten erfuͤllen, und dieſen erhabenen Tempel
Mit gehoͤriger Pflicht in heilgen Gebraͤuchen bedienen.
Aber damit nicht ſein Herz ſich uͤber das Nachtheil erhebe,
Das er bereits geſtiftet, als ob er den Himmel entvoͤlkert,
150
8 Jn der thoͤrichten Meynung, wie ſehr er dadurch mir geſchadet:
Kann ich dieſen Verluſt gar bald erſetzen, wofern es
Ein Verluſt iſt, die zu verlieren, die ſelbſt durch Verbrechen
Sich verlohren gemacht; in einem Augenblick will ich
Eine zweytere Welt; aus einem einzigen Menſchen
155
8 Unzaͤhlbare Menſchen erſchaffen, die ſollen dort wohnen
Und nicht hier, bis daß ſie zuletzt durch ihre Verdienſte,
Lang im Gehorſam gepruͤft, den Weg hier herauf ſich eroͤffnen,
Dann ſoll die Erde zum Himmel werden, der Himmel zur Erde
i)Die Engel werden oft die Erde be - ſuchen, und die Menſchen werden in den Himmel verſetzt werden. N.
i),
Und ein Koͤnigreich ſeyn, in ſteten vereinigten Freuden.
160
9Wohnt hier indeſſen geraum
k)Milton will hiermit, wie Newton meynt, nicht ſagen, als ob der Raum vorher den himmliſchen Geiſtern zu engegeweſen, ſondern er will dadurch nur die Groͤße des Himmels, und die Menge der Geiſter anzeigen, die mit Satan ab - gefallen, und deren Abgang deswegen merklich geworden war. Z.
k), ihr Geiſter, und Kraͤfte des Himmels! Und11Siebenter Geſang.
Und du, mein Wort, mein einiger Sohn! durch dich will ich alle
Dieſe Werke verrichten; das, was du ſprichſt, das geſchehe!
Er, mein uͤberſchattender Geiſt
l)So heißt es Luc. I. 35. Der hei - lige Geiſt wird über dich kommen,und die Kraft des Höchſten wird dich überſchatten. N.
l), und meine Gewalt ſoll
Dich begleiten; zieh hin; gebiethe der finſteren Tiefe,
165
11 Himmel und Erde zu ſeyn in ihren bezeichneten Grenzen,
Jhr, der finſteren Tiefe, gebiethe, weil ich es allein bin,
Der die Unendlichkeit fuͤllt; kein leerer Raum iſt gelaſſen,
Ob ich gleich unumſchraͤnkt mich in mich ſelber verhuͤlle,
Und nicht meine Guͤte verſchwende, die frey iſt, zu handeln
170
11 Oder zu ruhn; nothwendig nicht, kein Zwang und kein Schickſal,
Darf zu meinem Throne ſich nahn; was ich will, das iſt Schickſal.
Alſo ſprach der Allmaͤchtge; und alles, was er geſprochen,
Brachte ſein Wort, die Gottheit des Sohns, zur Wirklichkeit. Ploͤtzlich
Und im Augenblick ſind die Handlungen Gottes verrichtet,
175
11 Schneller als Zeit und Bewegung; doch koͤnnen ſie menſchlichen Ohren
Nur durch die Folge der Worte beſchrieben werden, und ſo nur
Jhnen beſchrieben werden, wie irdſche Begriffe ſie faſſen.
Großer Triumph, und große Freude war itzund im Himmel,
Als der Allmaͤchtige ſo den hohen Willen erklaͤret.
180
11Ehre ſangen ſie Gott, dem Hoͤchſten; und gnaͤdigen Willen
Fuͤr den kuͤnftigen Menſchen, und ſeinen Wohnungen, Friede.
Ehr, Jhm, deſſen gerechter Zorn die rebelliſche Rotte
Fern von ſeinem Geſicht, und von der heiligen WohnungB 2Ausge -12Das verlohrne Paradies.
Ausgetrieben; Jhm Ehr und Preis, dem Allmaͤchtgen, dem Ewgen,
185
11 Deſſen Weisheit beſchloß, aus Boͤſem Gutes zu ſchaffen,
Und ein beßres Geſchlecht, anſtatt der ruchloſen Geiſter,
Jn die entvoͤlkerte Stelle zu ſetzen, damit er ohn Ende
Ueber alle Zeiten und Welten ſein Wohlthun verbreite.
Alſo ſangen die Hierarchien. Der Sohn war indeſſen
190
11 Zu dem großen Werke bereit; mit Allmacht umguͤrtet
Stand er; das Haupt von Glanz und majeſtaͤtiſchem Schimmer
Ganz umwunden; unendliche Weisheit und Liebe verklaͤrt ihn,
Und in ihm leuchtete ganz ſein Vater. Cherub und Seraph
Waren zahllos herum um ſeinen Wagen gegoſſen
m)So ſagt oftmals Virgil Fuſi per herbam, agris effuſa juventus. Pearce.
m),
195
12Thronen und Potentaten und Kraͤfte, gefluͤgelte Geiſter,
Und gefluͤgelte Wagen, ſo wie ſie im Waffenhaus Gottes
Zahllos zwiſchen zwey ehernen Bergen von Alters her ſtanden,
Himmliſche Ruͤſtungen, welche beſtaͤndig zu feyrlichen Tagen
Fertig hielten; ſie rollten ihm itzt freywillig entgegen,
200
12 Denn ein lebender Geiſt beſeelte jeden, aufmerkſam
Auf die Befehle des Herrn. Die ewigdaurenden Pforten
Schloß der Himmel weit auf; in ihren guͤldenen Angeln
Klang ein harmoniſcher Schall; ſie ließen den Koͤnig der Ehren
Ausziehn, welcher itzt kam, in ſeinem maͤchtigen Worte,
205
12 Und im maͤchtigen Geiſt, um neue Welten zu ſchaffen.
Zahllos ſtanden ſie da auf himmliſchem Boden
n)Jch kenne in dem ganzen Gedichte keine praͤchtgere Beſchreibung, als dieſe,(ſagt
n), und ſchautenVon13Siebenter Geſang.
Von dem Ufer hinab in den unermeßlichen Abgrund,
Finſter und wuͤſt, und wild, gleich einem tobenden Meere
Aufgeruͤhrt von wildbrauſenden Winden, und ſteigenden Wellen
210
13 Gleich Gebirgen, die drohten, den Himmel voll Wuth zu beſtuͤrmen,
Und den Mittelpunkt mit dem Pol in einander zu miſchen.
Schweigt, ihr tobenden Wellen! ſey ruhig, o brauſende Tiefe!
Sprach das allesſchaffende Wort; die tobende Zwietracht
Soll ſich unter euch enden! Er zoͤgert nicht laͤnger, und hebt ſich
215
13 Hoch auf der Cherubim Schwingen, und faͤhrt im Glanze des Vaters
Weit ins Chaos hinein, weit in die noch nicht gebohrne
Welt; denn ſeine Stimme vernahm das Chaos; ihm folgten
Hinten nach die Schaaren der Engel in glaͤnzendem Aufzug,
Seine Wunder der Macht, und die neue Schoͤpfung zu ſchauen.
220
13Drauf geboth er den brennenden Raͤdern zu ſtehn; und nun faßt er
Mit der Hand den guͤldnen Zirkel
o)Nach Sprichwoͤrt. VIII, 27. Da er die Himmel bereitete, war ich da - ſelbſt, da er die Tiefen mit ſeinem Ziel verfaſſete.
o), im goͤttlichen Ruͤſthaus
Zugerichtet, die ganze Welt, und alles Erſchaffne,
Zu umſchreiben. Er ſetzt den einen Fuß in die Mitte
Und den andern dreht er herum um die finſtere Tiefe.
225
14Dieſes ſind deine Grenzen, o Welt! (ſo ſprach er;) bis hieher
Sollſt du gehn; dieß ſey dein Umkreis, den ich dir beſtimme.
B 3Son)(ſagt Addiſon.) Der Meßias naͤmlich an der Spitze ſeiner Engel, der hinunter ſchaut in das Chaos, feine Verwirrung ſtillt, mitten in daſſelbe hineinfaͤhrt, und den erſten Umriß der Welt macht.14Das verlohrne Paradies.
So ſchuf Gott den Himmel
p)Der Leſer wird ohne Muͤhe wahr - nehmen, wie genau Milton in der gan - zen kuͤnftigen Beſchreibung der Schoͤ - pfung bey der Schrift bleibt, ſo daß er, wenn es nur einigermaßen angeht, ihre eignen Worte beybehaͤlt. Z.
p), ſo ſchuf er die Erde; noch war ſie
Leer; ein unfoͤrmlicher Klumpen. Und dunkele finſtere Nacht lag
Auf dem Abgrund; doch ſchwebte der Geiſt mit bruͤtenden Schwingen
230
16 Ueber den ruhigen Waſſern, und goß lebendige Waͤrme
Und lebendige Kraft in den ſchweren fluͤßigen Klumpen,
Stieß hergegen die ſchwarzen und kalten, hoͤlliſchen Hefen,
Welche dem Leben zuwider ſind, nieder; dann bildet, und fuͤgt er
Gleiche Dinge zu gleichen; die uͤbrigen ſchied er von ihnen
235
16 An viel andere Oerter; dazwiſchen ſpannt er die Luft aus,
Und die Erde hieng da, auf ihrem Mittelpunkt ruhend.
Und Gott ſprach: Es werde Licht
q)Jm erſten Buch Moſ. I, 3. Und Gott ſprach, es werde Licht, und esward Licht. Dieß iſt die Stelle, die Longin ſo beſonders bewundert; unſer Poet aber macht ſie etwas weitlaͤuftiger, und ſucht einigermaßen zu zeigen, wie das Licht den erſten Tag, und die Sonne doch nicht eher als den vierten Tag darauf gemacht worden. N.
q)! Das aͤtheriſche Licht ſprang
Ploͤtzlich hervor aus dem Schooße der Nacht; das erſte, das reine
Aller Dinge. Von ſeinem Geburtsort, von Often her, fieng es
240
17 Durch die dunkele Luft den majeſtaͤtiſchen Lauf an.
Noch umgab es der Flohr von einer ſtralenden Wolke,
Und noch war die Sonne nicht da. Das Licht hielt indeſſen
Jn der Wolkenhuͤtte ſich auf. Es ſah der Allmaͤchtge,
Daß es gut war. Da ſcheidete Gott das Licht von dem Dunkeln,
245
17 Nannt es Tag, und die Finſterniß Nacht. Aus Abend und MorgenWard15Siebenter Geſang.
Ward da der erſte Tag
r)1 Buch Moſ. I. 4. Und Gott ſahe, daß das Licht gut war; da ſcheidete Gott das Licht von der Fin - ſterniß. Und nennete das Licht Tag, und die Finſterniß Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erſte Tag.
r). Er blieb von den himmliſchen Choͤren
Ohne Preis und Geſang nicht gefeyert
s)Der Leſer ſcheint bey dem wunder - vollen Werke der Schoͤpfung gegenwaͤr - tig zu ſeyn, und in das jauchzende Chor der Engel mit einzuſtimmen, welche die Zuſchauer der Schoͤpfung ſind! Wie praͤchtig iſt der Beſchluß des erſten Tags. Addiſon.
s), indem ſie das Licht itzt
Am Geburthstag vom Himmel und Erd aus der Finſterniß Schooße
Praͤchtig heraufziehn ſahn, gleich einem Dunſte. Mit Jauchzen
250
19 Ward das hohle Gewoͤlbe des Weltgebaͤudes erfuͤllet;
Und ſie nahmen die guͤldnen Harfen, und prieſen in Hymnen
Jhn, den herrlichen Schoͤpfer, am erſten Abend und Morgen.
Abermals ſprach der Allmaͤchtge: Es werde zwiſchen den Waſſern
Eine geraume Veſte; die ſcheide Waſſer von Waſſern.
255
19Und Gott machte die Veſte, die ausgeſpannete, reine,
Und durchſcheinende Luft; ſie floß in zirkelnden Kreiſen
Rund um dieſes Ganze herum bis zur aͤußerſten Woͤlbung;
Eine ſichere feſte Scheide der oberen Waſſer
Von den unteren. Gott erſchuf die Erde, der Welt gleich,
260
19 Rund um umfloſſen von ruhigen Fluthen; ein weiter, kryſtallner,
Ocean; und das laute Getoͤs des brauſenden Chaos
Ruͤckt er fern in die Tiefe hinweg, daß ſeine Beſtuͤrmung
Nicht das ganze Gebaͤude der Welt beſchaͤdigen moͤchte.
Und Gott nannte die Veſte, Himmel. Die engliſchen Choͤre
265
19 Sangen mit lautem Jauchzen den zweyten Morgen und Abend.
Und16Das verlohrne Paradies.
Und ſo war die Erde gebildet; doch lag ſie bisher noch,
Einem unreifen Embryo gleich, im Schooße der Waſſer
Eingewickelt, und war nicht zu ſehn. Das maͤchtige Weltmeer
Ueberſtroͤmte die Flaͤche der Erde, jedoch nicht vergebens,
270
19 Sondern belebte den ganzen Ball mit befruchtender Waͤrme
Und erhitzte die große Mutter, vom zeugenden Saamen
Voͤllig geſaͤttiget, zur Empfaͤngniß. Da ſprach der Allmaͤchtge
Jhr, ihr Waſſer unter dem Himmel, begebt euch gehorſam
All in einen Raum, und laßt das Trockne ſich zeigen!
275
19Schnell erſchienen ſogleich die ungeheuren Gebirge
t)Milton iſt hier etwas weitlaͤuftiger, als die Schrift, da der Gegenſtand eini - ge weitere Ausbildung zu erlauben ſcheint. Er ſcheint hauptſaͤchlich den 104ten Pf. im 6ten und folgenden Verſen vor Augen gehabt zu haben, der gleichfalls ein Lob - geſang auf die Schoͤpfung iſt: Mit der Tiefe deckeſt du das Erdreich, wiemit einem Kleide, und Waſſer ſte - hen über den Bergen. Aber von deinem Schelten fliehen ſie, von dei - nem Donner fahren ſie dahin. Die Berge gehen hoch hervor, und die Breiten ſetzen ſich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet haſt ꝛc.
t),
Thuͤrmten den breiten nackenden Ruͤcken empor in die Wolken,
Und ihr Gipfel ſtieg auf in die Luft. So hoch die Gebirge
Sich erhoben, ſo tief ſank auch ein hohler, und breiter,
Tiefer Boden, ein großes, geraumes Bette der Waſſer,
280
20 Und die Waſſer floſſen dahin mit froͤhlicher Eile,
Aufgerollt, ſo wie die fliehenden Tropfen, die uͤber dem Staube
Sich zuſammengeballt. Wie hohe kryſtallene Mauren
Standen einige da; die andern eileten ploͤtzlich
Jn geraden Linien fort; ſo hatten des Schoͤpfers
285
20 Maͤchtge Befehle zur Flucht ſie befluͤgelt. Wie kriegende Heere, (Denn du haſt von Kriegen gehoͤrt,) beym Schall der TrompetenUnter17Siebenter Geſang.
Unter ihre Paniere ſich ziehn, ſo eilten die Fluthen,
Well auf Welle, dahin, wohin ſie den Weg ſich gefunden,
Ueber die Hoͤhn, mit wildem Herabſturz; und uͤber die Ebnen,
290
20 Mit ſanftgleitender Fluth. Kein Fels, kein Huͤgel verwehrte
Jhnen den Weg; ſie wanden ſich durch, tief unter dem Boden,
Oder ſie nahmen den Lauf in weiten ſchlaͤngelnden Kruͤmmen
Durch den naſſen Moraſt, in welchem ſie tiefe Kanaͤle
Sich gegraben; mit leichter Muͤh; bevor noch der Schoͤpfer
295
20 Trocken zu werden dem Boden befahl, dem ſchlammichten Lande,
Nur allein nicht zwiſchen den Ufern, wo itzo die Stroͤme
Fließen, und unaufhoͤrlich nach ſich den waͤßrichten Schweif
u)Die Fluͤſſe werden als erhabne Per - ſonen vorgeſtellt, die einen langen Schwelf,oder lange Schleppen tragen. Richardſon.
u)ziehn.
Und Gott nannte das Trockene, Land; die Sammlung der Waſſer
Nannt er Meer. Er ſah, daß es gut war, und ſagte: die Erde
300
21 Bringe gruͤnendes Gras hervor, und beſamende Kraͤuter,
Und fruchtbare Baͤume von allen Arten, die Fruͤchte
Tragen, und in ſich ſelbſt den Samen auf Erden beſitzen.
Als er kaum es geſagt, da brachte die nackende Erde,
Bis itzt wuͤſt und wild, und ungezieret, unſcheinbar,
305
21 Keimendes Gras hervor, mit deſſen lieblichem Gruͤnen
Jhre ganze Flaͤche ſich uͤberkleidete. Kraͤuter
Sproßten darauf in die Hoͤh, von mancherley Blaͤttern, die ploͤtzlich
Bluͤhten, und ihre Schooß mit lachenden Farben verzierten.
Und kaum hauchten ſie ſich im duftenden ſuͤßen Geruch aus,AlsII. Theil. C18Das verlohrne Paradies.
310
21Als der Weinſtock bereits, mit purpurnen Trauben belaſtet,
Fortwuchs, und die ſchwellende Gurk am Boden dahin kroch.
Wie ein Lanzenwald ſtand das ſchlanke hornichte Schilf
x)Das hornichte Schilf ſtand unter den andern niedrigen Gewaͤchſen der Er - de, wie ein Wald von Lanzen, oder wie eine Kriegesſchaar mit aufgerichteten Spießen. Virgil Aen. III, 22. braucht gleichfalls corneus von etwas, das wie Horn ausſieht. Forte fuit juxta tumulus, quo cornea ſummo Virgulta etc. Hume.
x)auf,
Und der niedrige Strauch, und der Buſch mit verwickelten Haaren.
Endlich traten, als wie im Tanz, die praͤchtigen Baͤume
315
22 Majeſtaͤtiſch hervor, und ſtreckten die laubichten Aeſte
Weit in die Luft; ſie waren zum Theil mit Fruͤchten beladen,
Oder ſie ſtießen auch Bluͤthen heraus. Mit waldichten Hainen
Wurden die Huͤgel bekroͤnt, und mit Gebuͤſchen die Thaͤler,
Und der Rand des murmelnden Quells, und die Ufer der Fluͤſſe.
320
22So daß itzo die Erde dem Himmel gleich ſchien, wo Goͤtter
Haͤtten wohnen, und mit Vergnuͤgen in heiligen Schatten
Wandeln koͤnnen, obgleich noch nicht Gott uͤber die Erde
Regnen laſſen
y)Milton war bemuͤht, alles, was Moſes von der Schoͤpfung geſchrieben, in ſein Gedicht einzuweben, dieß iſt nichtaus dem erſten, ſondern dem zweyten Ca - pitel des erſten Buchs Moſe v. 4. 5. 6. genommen. Zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte. Und allerley Bäume auf dem Felde, die zuvor nie geweſen waren, auf Erden, und allerley Kraut auf dem Felde, das zuvor nie gewachſen war. Denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen laſſen auf Erden, und war kein Menſch, der das Land baͤuete, aber ein Nebel gieng auf von der Erde, und feuchtete alles Land.
y), und niemand noch war, der die Fluren gebauet.
Doch ein thauender Nebel ſtieg auf von der Erde, der traͤnkte
325
23 Alles Land, die Pflanzen des Feldes, und alle die Kraͤuter,
Welche der Schoͤpfer gemacht, eh in der Erden ihr Samen
Noch vorhanden geweſen, und von dem gruͤnenden StengelSich19Siebenter Geſang.
Sich ihr bluͤhendes Haupt erhub. Gott ſah, daß es gut war;
Und ſo ward der dritte Tag aus Morgen und Abend.
330
Abermals ſprach der Allmaͤchtge: Es werden ſtralenbe Lichter
An der hohen Veſte des Himmels, die ſcheiden die Tage
Von der Nacht, und geben Zeichen, fuͤr Zeiten, und Tage,
Und fuͤr zirkelnde Jahre; ſie ſeyn an der Veſte des Himmels
Lichter, damit ſie ſcheinen auf Erden und alſo geſchah es.
335
23Und zwey große Lichter ſchuf Gott, (groß, wegen des Nutzens
Fuͤr den Menſchen) das groͤßre, den Tag zu beherrſchen, das kleine
Jm umlaufenden Wechſel die Nacht. Er machte die Sterne,
Setzte ſie an die Veſte des Himmels, der Erde zu leuchten,
Jn der beſtimmten Ordnung den Tag und die Nacht zu regieren,
340
23 Und vom Dunkeln zu ſcheiden das Licht. Gott ſah, daß es gut war,
Und er machte zuerſt von allen himmliſchen Koͤrpern
Jene maͤchtige Kugel, die Sonn, unleuchtend im Anfang,
Ob ſie gleich aus aͤtheriſchem Stoffe beſtand; er erſchuf drauf
Auch den Ball des Mondes, und alle Groͤßen der Sterne,
345
23 Und beſaͤte ſo dick als ein Feld mit Sternen den Himmel.
Von dem himmliſchen Licht that er den groͤßeſten Theil drauf
Aus der Wolkenhuͤtte hinweg, in der es ſich aufhielt,
Jn die Scheibe der Sonne, die Oeffnungen hatte
z)Es ſcheint, Milton habe dieſen Ge - danken davon hergenommen, was man von dem Bologneſiſchen Stein ſagt, daß er naͤmlich, wenn er an das Licht ge -legt wird, daſſelbe einſaugt, und ſo viel eine Zeitlang in ſich behaͤlt, daß er eine dunkle Stelle erleuchten kann. Richardſon.
z), den Ausfluß
Von dem ſtroͤmenden Licht zwar in ſich zu trinken; doch feſt auch,C 2Die20Das verlohrne Paradies.
350
24Die geſammelten Stralen in ſich zu behalten. Sie war nun
Ein geraumer Pallaſt des Lichts; die uͤbrigen Sterne
Kommen und ſchoͤpfen allhier mit ihren guͤldenen Urnen
Wie in der erſten Quelle das Licht; der Morgenſtern taucht hier
Seine ſtralenden Hoͤrner in Gold; und alle vermehren
355
24 Jhr geringes Eigenthum hier, obgleich ſie viel kleiner,
Als ſie ſind, in der weiten Entfernung den Menſchen erſcheinen.
Glorreich glaͤnzte zuerſt im Oſten die herrliche Fackel;
Sie, die Regentinn des Tags, und ſchmuͤckte mit ſchimmeruden Stralen
Rund um ſich her den Horizont; voll freudigen Muthes
360
24 Jhre lange ſtralende Bahn am Himmel zu laufen.
Tanzend gieng vor ihr her die Daͤmmerung
aa)Dieß ſind ſehr ſchoͤne Bilder, und gleichen ſehr des Guido beruͤhmten Ge - maͤlde vom Morgen, wo die Sonne auf ihren Wagen vorgeſtellt wird, mit der Aurota, die vor ihr her Blumen aus - ſtreut. Sieben ſchoͤne Nymphen tanzen um ihren Wagen herum, die man ſonſtfuͤr die Stunden gehalten, aber auch wohl die Plejaden vorſtellen koͤnnen, da ihrer ſieben an der Zahl ſind, und man ſchwer - lich einen Grund angeben kann, warum die Stunden eben durch dieſe Zahl ſollten angezeigt werden. N.
aa); und die Plejaden,
Goſſen aus ihrer Schooß den wildeſten Einfluß hernieder.
Mit geringerem Glanz ward gegen ihr uͤber im Oſten,
Sanfter leuchtend, der Mond geſetzt; ihr Spiegel. Sein Antlitz
365
25 War itzt voll; in dieſer Stellung gebraucht er kein Licht ſonſt,
Und in dieſem Abſtand verweilt er beſtaͤndig den Tag durch,
Bis die Nacht ſich genaht; dann ſcheint er im Oſten, nachdem er
Um die Axe des Himmels herum ſich gedrehet; er herrſchet
Jn Gemeinſchaft alsdann mit tauſend geringeren Lichtern,
370
25 Mit viel taufendmal tauſend Sternen, die itzo den HimmelMit21Siebenter Geſang.
Mit hellſchimmernden Spangen geſchmuͤckt. Der Morgen und Abend,
Mit den Lichtern, die auf - und untergiengen, gezieret,
Kroͤnten zuerſt itzt den vierten Tag mit jauchzenden Choͤren.
Und Gott ſprach:
bb)Nach 1 B. Moſ. I, 20. Und Gott ſprach: Es errege ſich das Waſ - ſer mit webenden und lebendigen Thieren, und mit Gevögel, das auf Erden unter der Veſte des Himmels fliege. Und Gott ſchuf große Wall - fiſche, und allerley Thier, das da lebet und webet, und vom Waſſer erregt ward, ein jegliches nach ſei -ner Art, und allerley gefiedertes Ge - vögel, ein jegliches nach ſeiner Art. Und Gott ſahe, daß es gut war. Und Gott ſegnete ſie, und ſprach: Seyd fruchtbar und mehret euch, und erfüllet das Waſſer im Meer, und das |Gevögel mehre ſich auf Erden.
bb)Es rege die Fluth ſich mit wimmelnden Schaaren
375
26 Lebender Thier, und mit Gevoͤgel, das unter dem Himmel
Seine Fluͤgel verbreite. Da ſchuf der Allmaͤchtge den Wallfiſch,
Und ſo mancherley Thier, das lebt, und vom Waſſer erregt ward,
Jedes nach ſeiner Art; und allerley Voͤgel des Himmels,
Jedes nach ſeiner Art. Der Ewige ſah, daß es gut war,
380
26 Und er ſegnete ſie, und ſprach: ſeyd fruchtbar, und mehrt euch,
Und erfuͤllet das Waſſer im Meer, in Seen und Stroͤmen,
Und das Gevoͤgel vermehre ſich auf der Erden. Urploͤtzlich
Wimmelte See und Bach von zahlloſen Schwaͤrmen von Fiſchen,
Welche mit ihren glaͤnzenden Schuppen und blitzenden Spiegeln
385
26 Unter der gruͤnen Fluth ſich bewegen, in Schaaren, die oftmals
Eine Sandbank ſcheinen im Meer. Theils giengen ſie einzeln
Oder ſie weideten auch in Heerden am Ufer im Seegras,
Jhrer Nahrung; noch andere ſtrichen durch zackichte WaͤlderC 3Von22Das verlohrne Paradies.
Von Corallen hin
cc)Der gelehrte Kircher war der Meynung, daß es auf dem Boden des Meers ganze Waͤlder von Corallen gebe; welches den Ausdruck unſers Dichters rechtfertigt. N.
cc); oder ſie ruͤhrten im Sonnenſchein ſcherzend,
390
27 Jhre Panzer beſprenget mit Gold; noch andre gewarten
Jhrer Nahrung geruhig in glaͤnzenden Schaalen von Perlen,
Oder lauſchen geharniſcht darauf am Fuße der Felſen.
Auf der ebenen ſanften Fluth ſchwamm ſpielend der Seehund,
Und der gekruͤmmte Delphin. Jn ungeheuerer Groͤße
395
27 Wallten die andern im Meer; von ihrer gewaltgen Bewegung
Brauſt aufruͤhriſch die Fluth. Dort liegt gleich einem Gebirge
Jn der See Leviathan, das groͤßte von allen Geſchoͤpfen.
Jn der Ferne ſcheint er, wenn er im Schlafe ſich ausſtreckt,
Ein bewegliches Land; er ſchluckt in die Ohren ein Meer ein,
400
27 Und ſpeyt wieder ein Meer aus ſeinem Rachen. Jndeſſen
Heckten die warmen Grotten und Hoͤlen, die Ufer der Fluͤſſe,
Und der feuchte Moraſt die haͤufige Brut aus. Sie brachen
Aus den Eyern, die ſchnell mit ſanftem Riſſe geborſten,
Anfangs ohne Federn hervor; doch ſchwungen ſie bald drauf
405
27 Jhre ſchnellgewachſenen Fluͤgel; vom ſtaubichten Boden
Stiegen ſie mit Geſchrey in die Luft, und ſahn voll Verachtung
Auf die Erde herab. Da baute der Storch, und der Adler,
Auf dem Wipfel der Ceder, und an die Spitze der Felſen
Jn die Wolken ſein Neſt. Viel fliegen einzeln das Land durch,
410
27 Andre, weiſer, durchſchneiden in zugeſpitzten Figuren
dd)Die groͤßern Wandervoͤgel, wie zum Exempel die Kraniche und andere mehr, machen im Flug die meiſte Zeit eine vorn zugeſpitzte Figur aus, und fliegen einer hinter dem andern.
dd),Von23Siebenter Geſang.
Von der Jahrszeit gelehret, die Luft, und ſetzen vereinet
Ueber Laͤnder und Meere, mit oft abwechſelnden Schwingen,
Jhre luftige Wanderung fort, indem ſie im Flug ſich
Unter einander erleichtern. So haͤlt der erfahrene Kranich
415
28 Seine jaͤhrliche Reiſe, vom Winde getragen; ſo wie ſie
Fliegen, zerfließt die Luft, die von unzaͤhligen Fluͤgeln
Aufgefacht wird. Jm Singen huͤpften die kleineren Voͤgel
Froͤhlich von Zweig zu Zweig. Die Thaͤler erſchallten von Liedern
Und ſie flogen umher auf ihren farbichten Schwingen,
420
28 Bis zum Anbruch des Abends. Auch dann noch ſchweiget der Naͤchte
Feyrliche Saͤngerinn nicht; die ganze horchende Nacht durch
Wirbelt ſie ihr bezauberndes Lied. Jn ſilbernen Seen
Baden andre die weiche Bruſt. Der praͤchtige Schwan haͤlt
Mit gewoͤlbtem Hals
ee)Dieſes Beywort vom Halfe des Schwans iſt viel mahleriſcher, als desHomers ſeines, der ihn nur bloß lang - halſicht nennt. Richardſon.
ee), und aufgeſchwollenen Fluͤgeln,
425
29 Und mit rudernden Fuͤßen, die ſtolze Schiffahrt. Oft ſteigt er
Von dem ſchilfichten See auf ſeinem maͤchtigen Fittig
Jn die mittlere Luft empor. Die anderen giengen
Auf dem feſten Boden einher. Mit heller Trompete
Meldet der Hahn, mit dem Kamme gekroͤnt, die ſchweigenden Stunden.
430
29Und ein andrer ſtolziert mit ſeinem ſtralenden Schweife,
Welcher mit Farben des Regenbogens, und ſternenden Augen
Ausgeſchmuͤckt iſt. Nachdem das Waſſer mit Schaaren von Fiſchen,
Und die Luft mit Voͤgeln erfuͤllt war, da feyrte der Abend,
Und der Morgen, den fuͤnften Tag, in heiligen Hymnen. Jtzt24Das verlohrne Paradies.
435
29Jtzt erſchien der ſechſte Tag, der letzte der Schoͤpfung,
Unter dem Schalle der Harfen; da ſprach der Allmaͤchtge:
ff)1 B. Moſ. I, 24. Und Gott ſprach, die Erde bringe hervor le - bendige Thiere, ein jegliches nachſeiner Art, Vieh, Gewürme, und Thiere auf Erden, ein jegliches nach ſeiner Art. Und es geſchah alſo.
ff)die Erde
Bringe lebendige Seelen hervor, von allerley Arten;
Vieh, und kriechend Gewuͤrm, und Thiere, die leben auf Erden,
Jedes nach ſeiner Art. Die Erde gehorcht ihm, und ploͤtzlich
440
30 Oeffnete ſie die ſchwangere Schooß. Auf einmal gebahr ſie
Unzaͤhlbare lebendge Geſchoͤpfe, vollkommne Geſtalten
Mit den gehoͤrigen Gliedern, in ihrer voͤlligen Groͤße.
Aus dem Boden riſſen ſich itzt die wilderen Thiere,
Wie aus ihren Lagern, hervor, in welchen ſie wohnen,
445
30 Als im dickeſten Wald, in finſtern Buͤſchen, in Hecken,
Und in Gruben und Hoͤlen. Sie ſprangen unter den Baͤumen
Paarweiſ auf, und wandelten fort. Die zahmeren Thiere
Waͤhlten das gruͤne Feld, und blumichte Wieſen; theils einzeln
Und allein; theils weideten ſie vertraulich in Heerden
450
30 Mit einander, ſo wie ſie entſtunden. Der Raſen gebahr itzt;
Halb erſchien der falbe Leu; mit ſcharrenden Klauen
Sucht er ſein Hintertheil frey zu machen; dann ſpringt er auf einmal
Auf, wie von Banden befreyt, und ſchuͤttelt die zottichte Maͤhne.
Luchs und Tyger und Leopard warf in Huͤgeln das Erdreich
455
30 Vor ſich empor, nach Maulwurfs Art. Noch unter dem Boden
Hob der ſchnelle Hirſch ſein zinkichtes Haupt auf. Mehr muͤhſamBrachte25Siebenter Geſang.
Vrachte der Behemoth ſich
gg)Behemoth und Leviathan, ſind zwey Thiere, die im Buch Hiob vorkom - men. Die meiſten der alten Ausleger haben unter ihnen den Elephauten und Wallfiſch verſtanden. Die neuern Schrifterklaͤrer aber haben zu zeigen ge - ſucht, daß Behemoth das Flußpferdund Leviathan das Krokodill ſey. Milton war der erſten Meynung zuge - than. N.
gg), das ungeheurſte der Thiere,
Welches die Erde gebahr, mit ſeinem unbiegſamen Koͤrper
Aus dem Zeugungsklumpen heraus. Die bloͤckenden Heerden
460
31 Schoßten dickbewollet hervor, wie Pflanzen. Das Flußpferd
Und das gepanzerte Krokodill ſtand zwiſchen dem Waſſer
Und dem Land, unſchluͤßig. Was auf dem Boden umherkriecht,
Kam auf einmal herzu, Jnſekten und Wuͤrme. Die erſten
Schwungen die bunten feineren Schwingen, und ſchmuͤckten die Glieder
465
31 Mit des Sommers praͤchtgem Gewand, beſprenget mit Flecken
Von Lazur und Gruͤn und Gold und Purpur. Die letzten
Zogen den langen Leib wie eine Linie nach ſich,
Und bemerkten den Grund mit ihrem ſchlaͤngelnden Pfade.
Alle nicht waren von Zwergnatur. Vom Schlangengeſchlechte
470
31 Wanden einige ſich, in dichtverſchlungenen Kreiſen,
Ungeheuer an Dick und Laͤnge dahin, und bekamen
Fluͤgel. Zuerſt kroch itzt die in der Zukunft erfahrne
Sparende Ameis hervor. Jn einem verachteten Koͤrper
Zeigt ſie ein großes Herz. Vielleicht ein kuͤnftiges Beyſpiel
475
31 Von der billigen Gleichheit, die ihre freye Regierung
Untereinander verknuͤpft. Drauf kam die weibliche Biene
hh)Nach den neueſten Erfahrungen weiß man, daß die Koͤniginn oder Mut - terbiene groͤßer, als alle uͤbrigen iſt, und ein Jahr ins andre gerechnet dreyßig bisvierzig -
hh)Schwaͤr -II. Th. D26Das verlohrne Paradies.
Schwaͤrmend daher, die ihren Gatten aufs niedlichſte naͤhret
Und die gelben Zellen von Wachs mit Honig erfuͤllet.
Wer kann alle die uͤbrigen zaͤhlen? Du kennſt die Geſchlechter,
480
32 Und gabſt ihnen Namen, die dir am beſten bekannt ſind.
Auch die Schlange kennſt du, das liſtigſte Thier auf dem Felde,
Die ſich oft ſchrecklich erhebt, mit rothen flammenden Augen,
Und mit furchtbargeſtraͤubter Maͤhne, doch die dir nicht ſchadet,
Sondern deinem Ruf und deinem Befehle gehorſamt.
485
Und nun ſtralte der Himmel in voͤlligem Glanz, und bewegte
So ſich herum, wie die Hand des großen erſten Bewegers
Seinen Lauf vom Anfang beſtimmt. Jn reichem Gewande
Laͤchelte liebreich die Welt, die nun vollendet war. Waſſer,
Luft, und Erde, ward itzt von Fiſchen, Voͤgeln und Thieren
490
32 Haͤufig durchſchwommen, durchflogen, durchwandelt. Und doch war noch etwas
Von dem ſechſten Tage zuruͤck; der Hauptzweck des Ganzen,
Gottes Meiſterſtuͤck, mangelte noch. Ein edles Geſchoͤpfe,
Welches nicht dumm, wie die andern, mit niederhangendem Haupte
Nach der Erde ſaͤhe; vielmehr den Koͤrper erhuͤbe,
495
32 Und mit heilger Vernunft begabt, mit heiterer Stirne,
Selbſt ſich bewußt, und voll Edelmuth ſey, in hoher Gemeinſchaft
Mit dem Himmel zu ſtehn; jedoch mit Dank auch erkenne,
Daß es ſein Gutes von ihm empfangen, und dahin mit Herzen,
Mund, und Augen gerichtet, den oberſten Schoͤpfer verehre,(Der
hh)vierzigtauſend Bienen hervorbringt. Die maͤnnlichen Bienen oder Dronen le - ben muͤßig, und werden von der Koͤni -ginn ſelbſt manchmal mit Honig gefuͤt - tert. N.
hh)27Siebenter Geſang.
500
33Der es zum Herrn und Haupt von ſeinen Werken beſtimmet,
Deshalb ſprach der allmaͤchtige Schoͤpfer, der ewige Vater, (Denn wo iſt er nicht allgegenwaͤrtig zugegen?)
So, mit vernehmlicher Stimme zu ſeinem einigen Sohne.
Laſſet uns Menſchen machen
ii)Genau nach den Worten der Schrift 1 B. Moſ. I, 26. Und Gott ſprach: Laſſet uns Menſchen machen, ein Bild, das uns gleich ſey, die da herrſchen über die Fiſche im Meer, und über die Vögel unter dem Him - mel, und über das Vieh, und über die ganze Erde, und über alles Ge - würme, das auf Erden kreucht. Und Gott ſchuf den Menſchen ihm zumBilde, zum Bilde Gottes ſchuf er ihn; und er ſchuf ſie ein Männlein und Fräulein. Und Gott ſegnete ſie, und ſprach zu ihnen: Seyd frucht - bar und mehret euch, und erfüllet die Erde, und macht ſie euch unter - than. Und herrſchet über Fiſche im Meer, und über Vögel unter dem Himmel, und über alles Thier das auf Erden kreucht.
ii), nach unſerm Bild, das uns gleich ſey,
505
34 Welche herrſchen uͤber die Fiſch, und uͤber die Voͤgel
Jn dem Meer, und unter dem Himmel; und uͤber die Thiere,
Auf der ganzen Erden, und uͤber alles Gewuͤrme,
Das auf Erden kreucht. So ſprach er, und ſchuf dich, o Adam,
Dich, o Menſch. Er ſchuf dich aus Staub, und blies in die Naſe
510
34 Dir den Athem des Lebens; nach ſeinem eigenen Bildniß
Schuf er dich, nach Gottes vollkommnem Bildniß; ſo wardſt du
Eine lebendige Seele. Dich ſchuf er maͤnnlich; und weiblich
Deine Geſellinn. Er ſegnete drauf das Menſchengeſchlechte
Huldreich, und ſprach: Seyd fruchtbar und mehrt euch! erfuͤllet die Erde:
515
34 Macht ſie euch unterthan, herrſcht uͤber die Fiſch in den Meeren
Ueber die Voͤgel unter dem Himmel, und alle Geſchoͤpfe,
Die auf Erden wandeln. Nachdem er dich alſo geſchaffen,D 2Bracht28Das verlohrne Paradies.
Bracht er dich von dem Ort
kk)1 Buch Moſ. II, 15. Und Gott der Herr nahm den Menſchen, und ſetzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte. Dieſes ſcheint anzuzeigen, daß der Menſch an ei - nem andern Orte der Erde erſchaffen, und hernach erſt in das Paradies gebracht worden. N.
kk), den noch kein Name benennet,
So wie du weißt, hieher, in dieſen herrlichen Garten,
520
35 Dieſen bluͤhenden Hayn, mit den Baͤumen Gottes bepflanzet,
Eben ſo reizend deinem Geſicht, als deinem Geſchmacke.
Alle dieſe herrlichen Fruͤchte; ſo mancherley Arten,
Welche die Erde gebiehrt, ſo ſehr von einander verſchieden,
Gab er dir alle freywillig zur Nahrung. Allein nur vom Baume,
525
35 Deſſen Frucht die Erkenntniß des Guten und Boͤſen verurſacht,
Sollſt du nicht eſſen; denn welches Tages du von ihm wirſt eſſen,
Mußt du ſterben; der Tod iſt dieſer Suͤnde Beſtrafung.
Zaͤhme denn wohl die Begierde zum Eſſen, damit nicht die Suͤnde
Dich uͤberraſche, mit ihr der Tod, ihr ſchwarzer Begleiter.
530
35Gott beſchloß hier ſein Werk; und alles, was er geſchaffen,
Ueberſah er, und ſah, daß alles vollkommen, und gut war.
Und ſo ward der ſechſte Tag aus Abend und Morgen;
Doch nicht eher, bis Gott von ſeiner Arbeit nun abließ,
Ohn ermuͤdet zu ſeyn, und ſiegend wieder hinauf fuhr
535
35 Jn den Himmel der Himmel; um da vom ewigen Thron her
ll)Der Dichter ſtellt den Meßias hier vor, wie er in den Himmel zuruͤckkehrt, und von da ſein großes Werk uͤberſieht. Welch ein erhabnes Gemaͤlde iſt dieſe Himmelfahrt, nachdem er die Schoͤpfung vollbracht, die Morgenſterne ihm loben, und die Kinder Gottes ihm entgegen jauch - zen. Addiſon.
ll)
Dieſe neuerſchaffene Welt zu ſchauen, den Zuſatz
Seiner Herrſchaft; ob er nun auch in dieſer Entfernung,
Schoͤn, und gut, und ſeinem Entwurfe vollkommen gemaͤß ſey. Gott29Siebenter Geſang.
Gott fuhr auf; ihm folgte der Ruf der jauchzenden Choͤre,
540
36 Und der ſymphoniſche Schall zehntauſend heiliger Harfen,
Die ſich in engliſche Hymnen ergoſſen. Die Luft, und die Erde
Schallte wieder von Jauchzen; du wirſt dich deſſen erinnern,
Denn du haſt es gehoͤrt. Der Himmel, mit allen Geſtirnen,
Klang harmoniſch; ſtill ſtanden die hohen Planeten, und horchten,
545
36 Als der ſtralende Pomp mit Jubilieren hinaufzog.
Oeffnet euch, alſo ſangen die Choͤr, ihr ewigen Pforten!
Oeffnet eure lebendigen Pforten, ihr jauchzenden Himmel,
Daß der große Schoͤpfer hereinzieh, der itzo zuruͤckkehrt,
Von dem praͤchtigſten Werk, von ſeinem ſechstaͤgigen Werke
550
36 Einer Welt. Eroͤffnet euch weit! Eroͤffnet in Zukunft
Euch noch oft! denn Gott wird oft die Huͤtten der Menſchen,
Wird die Wohnungen oft von ſeinen Gerechten beſuchen,
Die er liebt; und ſeine befluͤgelten himmliſchen Bothen
Jn Geſandſchaft von oberſter Gnade zu ihnen verſenden.
555
36Alſo ſang der herrliche Zug, indem er hinauffuhr;
Er nahm durch die Himmel, die ihre ſtralenden Pforten
Weit eroͤffneten, ſeinen Weg zum ewigen Hauſe
Gottes, auf einer breiten geraumen Straße; der Staub iſt
Gold; ihr Pflaſter ſind Sterne; wie deinen Augen die Sterne
560
36 Jn der Milchſtraß erſcheinen, die wie ein zirkelnder Guͤrtel,
Mit Geſtirnen beſtaͤubt
mm)Die Milchſtraße beſteht aus lau - ter kleinen Sternen, die man mit dem Sehrohre genau unterſcheiden kann, obman ſie gleich nicht mit bloßen Augen ſieht. N.
mm), des Nachts dir am Himmel ſich zeiget. D 3Und30Das verlohrne Paradies.
Und der Abende ſiebenter kam auf Erden in Eden,
Denn die Sonne gieng unter, und von dem oͤſtlichen Himmel
Nahte die Demmerung ſich, der Nacht Vorlaͤuferinn; als ſich
565
37 Auf dem heiligen Berg, im hoͤchſten Gipfel des Himmels
Auf der Gottheit Koͤnigesthron, der immer und ewig
Unbeweglich ſteht, die Kraft des Sohnes hinaufſchwang,
Welcher itzt niederſaß nebſt ſeinem allmaͤchtigen Vater,
Der unſichtbar zugegen geweſen, und doch auf dem Throne
570
37 Sitzen geblieben; dieß Vorrecht hat die Allgegenwart Gottes.
Er, der Anfang, das Ende von allen Dingen, nachdem er
Seine Schoͤpfung vollbracht, und von der Arbeit nun ruhte,
Weihte den ſiebenten Tag
nn)Dieß iſt die Urſache die Moſes giebt. 1 B. Moſ. II, 2. 3. Und Gott ruhete am ſiebenten Tage von allen ſeinen Werken, die er machte, und ſegneteden ſiebendten Tag, und heiligte ihn darum daß er an demſelben geruhet hatte von allen ſeinen Werken, die Gott ſchuf und machte. N.
nn)zu einem heiligen Tage,
Weil er an dieſem Tage von allen Werken der Schoͤpfung
575
38 Ruhte. Doch gieng er nicht in heiliger Stille voruͤber,
Sondern die Harfe beſchaͤfftigte ſich; die feyrliche Floͤte,
Zinke, Cimbal und Laut erklang mit lieblichem Schalle;
Und harmoniſche Toͤne von guͤldnen und ſilbernen Saiten
Miſchten ſich in die Stimmen, die einzeln, oder in Choͤren,
580
38 Lieder ſangen; und Wolken von Dampf und heiligem Weihrauch
Stiegen vom guͤldnen Rauchgefaͤß auf, und verhuͤllten den Huͤgel.
Sie beſangen die Schoͤpfung der ſechs verherrlichten Tage:
Groß ſind deine Werke, Jehovah! Unendlich iſt deine
Wirkſame Macht. Wie kann des Erſchaffnen Gedanke dich faſſen,Und31Siebenter Geſang.
Und welche eine Zunge kann dich beſchreiben? Du biſt itzt,
585
38 Da du zuruͤckkoͤmmſt, groͤßer, als dazumal, da du die ſtolzen
Rieſenengel geſtuͤrzt. An dieſem ſchrecklichen Tage
Hat dich dein Donner erhoͤht; allein, erſchaffen, iſt groͤßer,
Als das Erſchaffne zerſtoͤren. Wer iſt, der, Ewger, dir gleich iſt?
Maͤchtiger Koͤnig! Und wer kann deine Herrſchaft beſchraͤnken?
590
38Ohne Muͤhe vereitelteſt du die ſtolzen Entſchluͤſſe
Jener rebelliſchen Geiſter; und ihren vergeblichen Anſchlag
Haſt du zunichte gemacht; indem ſie gottlos gedachten,
Dich zu verringern, und uns, die Schaaren von deinen Verehrern,
Zu verfuͤhren. Allein, wer dich zu verringern gedenket,
595
38 Hilft nur deine goͤttliche Macht noch herrlicher zeigen,
Wider ſeinen eigenen Willen. Ein Zeuge hiervon iſt
Dieſe neuerſchaffene Welt; ein anderer Himmel,
Von der Pforte des Himmels nicht weit entlegen; dem Schein nach
Auf die kryſtallne See, die Hyaline, gegruͤndet;
600
38 Unermeßlich im Umfang, mit zahlloſen Sternen beſaͤet;
Und vielleicht iſt jeglicher Stern
oo)Milton laͤßt den Engel vielleicht ſagen, weil zu ſeinen Zeiten die Meynungvon mehreren Welten noch nicht ſo allge - mein war, wie in unſern Tagen. N.
oo), ſo klein in der Ferne,
Eine Welt, die Geſchoͤpfen zu ihrer Wohnung beſtimmt iſt.
Dir ſind ihre Zeiten bekannt; zu ihnen gehoͤret
Auch die Wohnung der Menſchen, die Erde; die rund um begrenzt iſt
605
39 Mit dem weiten niederen Meer; ein lieblicher Wohnplatz!
Dreymal gluͤckliche Menſchen, und gluͤckliche Soͤhne der Menſchen,
Die der Allmaͤchtge ſo hoch begnadigt, ſo herrlich erſchaffen,Sie32Das verlohrne Paradies. Siebenter Geſang.
Sie erſchaffen nach ſeinem Bild, um dorten zu wohnen,
Und ihn anzubethen; und zur Belohnung zu herrſchen
610
39 Ueber alles das, was er gemacht in der Luft, und auf Erden,
Und im Meer; und ein heilges Geſchlecht von Verehrern der Gottheit
Auszubreiten allda. O! dreymal gluͤckliche Menſchen,
Wenn ſie dieß Gluͤck erkennen, und ſtets im Guten verharren.
Alſo ſangen die Choͤre. Der empyreiſche Himmel
615
39 Schallte vom Hallelujah. So ward der Sabbath gefeyert.
Und ich habe nunmehr dir dein Verlangen erfuͤllet,
Das mich befragt, wie dieſe Welt, nebſt allem entſtanden;
Und was vor dir im Anfang geſchehn, damit es der Nachwelt
Unterrichtet durch dich dereinſt bekannt ſey. Wofern du
620
39 Sonſt noch etwas, welches die Grenzen des irdſchen | Verſtandes
Nicht zu ſehr uͤberſteigt, zu wiſſen verlangeſt, ſo ſag es.
Achter[33][34]
[figure]

Das Verlohrne Paradies. Achter Geſang.

II. Theil. E35

Das Verlohrne Paradies. Achter Geſang.

Raphael endigte hier. Doch ſeine bezaubernde Stimme
Klang noch immer in Adams Ohr; er glaubte noch immer
Jhn zu hoͤren; und ſaß, auf ihn die Gedanken geheftet;
Bis er zuletzt, wie von neuem erwacht, erkenntlich verſetzte.
5
Welchen Dank, und welche Vergeltung kann ich dir erſtatten,
Großer goͤttlicher Lehrer ſo fremder erhabner Geſchichte!
Da du den Durſt nach Wiſſenſchaft mir ſo reichlich geſtillt haſt,
Und ſo geneigt, wie ein Freund, zu mir dich heruntergelaſſen,
Dinge mir zu erzaͤhlen, die ich ſonſt nimmer erfahren,
10
39 Und erſt itzo von dir mit entzuͤckter Verwundrung gehoͤret.
Preis und Ehre dafuͤr dem großen allmaͤchtigen Schoͤpfer,
Wie ſichs gebuͤhrt. Doch bleibt mir indeß ein Zweifel zuruͤcke,
Den du allein mir benehmen kannſt. Wenn voller Entzuͤckung
Jch den herrlichen Bau von Himmel und Erde
a)Adam giebt hierdurch dem Engel die Gelegenheit, die Meynungen des Ptole - mäus und Copernicus von dem Welt - gebaͤude vorzutragen. Der Dichter aber braucht die Behutſamkeit, daß der Erz - engel keines von dieſen Syſtemen durchſeinen Ausſpruch fuͤr gewiß erklaͤrt. Haͤt - te Milton in den itzigen Zeiten gelebt, ſo haͤtte er vielleicht ohne Bedenken ſich den Engel fuͤr das Copernicaniſche Syſtem erklaͤren laſſen. Z.
a)betrachte;E 2Wenn36Das verlohrne Paradies.
15
40Wenn ich den Umfang davon und ihre Groͤßen berechne,
Und dagegen die Erde beſchau, wie ein Punkt nur, ein Sandkorn,
Und ein Staͤubchen, verglichen mit jenem ſtralenden Himmel,
Und den unzaͤhligen Sternen, die unbegreifliche Kreiſe
Durchzulaufen ſcheinen, wie dieß aus ihrer Entfernung,
20
40 Und aus ihrer geſchwinden und taͤglichen Reiſe zu ſchließen;
Bloß, ſo ſcheint es, Tag und Nacht der dunkelen Erde
Dienſtbar zu leuchten; da ſonſt nach ihrem gewaltigen Umfang,
Faſt kein anderer Nutzen erſcheint; wenn ich dieſes erwaͤge:
Wundert mich oft, wie die weiſe Natur, die alles ſo ſparſam
25
40 Eingerichtet, ſo ſehr im Ebenmaaße gefehlet,
Und mit verſchwendriſcher Hand ſo viele groͤßere Koͤrper
Bloß zu dieſem Endzweck gemacht, ſo wie es uns vorkoͤmmt,
Und ſo ſchnelle Bewegung, die Tag und Nacht wiederhohlt wird,
Jhrer Laufbahn beſtimmt, indeß die ruhende Erde,
30
40 Die ſich viel leichter, viel kuͤrzer um ſie zu bewegen gemacht ſcheint,
Von viel edlern Geſtirnen, als wie ſie ſelbſt iſt, bedient wird;
Ohne die mindſte Bewegung ihr Ziel erreichet, und ruhig
Jhren Tribut empfaͤngt von Licht und von Waͤrme, der taͤglich
Jhr mit einer Eile, mit einer Geſchwindigkeit zuſtroͤmt,
35
40 Welche faſt mehr als koͤrperlich iſt, und die zu beſchreiben,
Selber der Phantaſie die gehoͤrigen Zahlen ermangeln.
Alſo ſagte der erſte Vater. An ſeiner Gebaͤrde
Sah man, daß ſich ſein Geiſt in ernſte verborgne GedankenStill37Achter Geſang.
Still nachſinnend vertieſte. Da Eva dieſes bemerkte
b)Was fuͤr ein anmuthiges Gemaͤlde entwirft uns hier der Dichter von der Eva! Sie bleibt nur ſo lange, als der Engel und ihr Gemahl von Dingen re -den, die ihr nuͤtzlich ſeyn konnten: ſo bald ſie aber ſich in tiefſinnige verwickelte Ma - terien einlaſſen, entfernt ſie ſich voller Wohlanſtaͤndigkeit. N.
b),
40
41Stand ſie von ihrem Sitz, worauf ſie etwas entfernter
Jhm im Geſicht ſaß, auf, mit majeſtaͤtiſcher Demuth,
Und mit ſolcher Schoͤnheit geſchmuͤckt, daß, wer ſie nur ſahe,
Bey ſich den Wunſch that, daß ſie zu bleiben wuͤrdigen moͤchte.
Reizend wandelt ſie fort zu ihren Fruͤchten und Blumen,
45
41 Jhrem ſuͤßen Geſchaͤffte, zu ſehn, wie Knoſpen und Bluͤthen
Vorgeſproßt; freudiger lachten bey ihrer Ankunft die Blumen,
Und entfalteten ſich durch ihre Beruͤhrung geſchwinder.
Doch entfernte ſie darum ſich nicht, als ob ſie an ſolchen
Ernſten erhabnen Reden ſich nicht zu ergoͤtzen vermoͤchte,
50
41 Oder als waͤren ſie fuͤr ſie zu hoch; nein, dieſes Vergnuͤgen
Sparte ſie ſich auf kuͤnftige Zeit, wenn ſie es alleine
Hoͤren wuͤrde von Adam; ſie zog die Erzaͤhlung des Mannes
Eines Engels Erzaͤhlung vor, und wollte viel lieber Adam drum fragen. Jhr war ſchon bekannt, mit welcher Veraͤndr[u]ng
55
41 Er die ſuͤßen Geſpraͤche mit ihr zu erheitern gewohnt war,
Und mit welchem gefaͤlligen Scherz er, was ihr zu hoch ſchien,
Jhr erklaͤrte. Von ſeinen Lippen gefielen ihr Worte
Nicht ganz allein. O! wenn koͤmmt itzt, voll Freundſchaft und Liebe,
So ein gluͤcklich vereinigtes Paar, wie dieſes, zuſammen?
60
41Und nun gieng ſie, wie eine Goͤttinn, mit hohem Betragen,
Und nicht ohne Begleitung, fort; von einem GefolgeE 3Siegen -38Das verlohrne Paradies.
Siegender Grazien ward ſie umringt, die voller Verehrung
Jhr, wie ihrer Koͤniginn, dienten; ſie ſchoſſen rund um ſie
Pfeile von ſuͤßem Verlangen in aller Augen und Herzen,
65
41 Daß man wuͤnſchte, ſie immer zu ſehn. Und Raphael gab itzt
Huldreich und willig auf Adams geaͤußerte Zweifel zur Antwort.
Daß du forſcheſt und fragſt, verdenk ich dir nicht. Denn der Himmel
Jſt wie ein Buch, das Gott dir ſelber eroͤffnet, darinnen
Seine Wunder zu leſen, und Zeiten, Stunden, und Tage,
70
41 Monden und Jahre, daraus zu ſehn. Und dieß zu erlangen,
Haſt du nicht noͤthig, zu wiſſen, ob ſich die Erde beweget,
Oder der Himmel allein; wenn deine Berechnung nicht irret.
Alles andre hat Gott, der große Bauherr, den Engeln
Und den Menſchen weislich verhuͤllt, und ſeine Geheimniß
75
41 Jhnen nicht offenbart, damit ſie von ſeinen Geſchoͤpfen
Nicht beurtheilt wuͤrden, da ihre viel groͤßere Pflicht iſt,
Sie zu bewundern. Wofern ſie indeß nachgruͤbelnd es wagen,
Durch Vermuthung ſie auszuſpaͤhn; ſo laͤßt er die Himmel
Jhrem hitzigen Streit; ohnfehlbar, daß er des Stolzes,
80
41 Und der thoͤrichten Meynungen lache, wenn etwan in Zukunft
Sie die Maaßen des Himmels beſtimmen, die Sterne berechnen;
Wenn er wahrnimmt, wie ſie den großen Weltbau regieren;
Wie ſie bauen, und niederreiſſen, und alles erſinnen,
Um die Erſcheinungen nur der himmliſchen Koͤrper zu retten;
85
41 Wie ſie mit centriſchen bald, bald mit excentriſchen Kreiſen;
Und mit Cyklen und Epicyklen, mit Ringen in Ringen,Jhre39Achter Geſang.
Jhre Sphaͤren bemahlen. Jch ſeh es aus deinem Vernuͤnfteln,
Deine Nachwelt gleichet dir einſt. Du hegeſt die Meynung,
Daß die hellen groͤßeren Koͤrper nicht ſollten den dunkeln,
90
41 Und geringeren dienen; und daß der Himmel nicht muͤſſe
Solche Reiſen verrichten, indem die Erde beſtaͤndig
Still ſteht, und den Nutzen allein von ihnen empfaͤnget.
Aber erwaͤge zuerſt, daß groß und hell ſeyn, deshalb nicht
Eine beſondre Vortrefflichkeit zeigt. Die Erde, ſo klein ſie
95
41 Jn Vergleichung des Himmels iſt, obgleich ſie nicht glaͤnzet,
Kann mehr Ueberfluß doch vom wahren Guten beſitzen,
Als die Sonne, die unfruchtbar ſtralt; die erwaͤrmenden Kraͤfte
Wirken nicht auf ſie ſelbſt, nur auf die befruchtete Erde,
Welche den ſonſt unwirkſamen Stral empfaͤngt, und zuerſt dann
100
41 Seinen Einfluß empfindet. Die großen ſtralenden Lichter
Dienen auch eigentlich nicht mit ihrem Glanze der Erde,
Sondern nur dir, dem Erdebewohner. Auch ſoll dir des Himmels
Unermeßlicher Umfang die Pracht des Schoͤpfers verkuͤndgen,
Welcher ſo groß und geraum gebaut, und die Graͤnzen der Schoͤpſung
105
41 So weit ausgedehnt hat, damit der Menſch ſich erinnre,
Daß er allein nicht allhier in ſeinem Eigenthum wohne,
Sondern die Welt zu groß fuͤr ihn ſey, ſie ganz zu erfuͤllen,
Da er den kleineſten Theil nur bewohnt, und zu anderm Gebrauche,
Welchen der Schoͤpfer am beſten kennt, das uͤbrige da iſt.
110
41Dieſer zahlloſen Kreiſe Geſchwindigkeit ſchreibe des Schoͤpfers
Allmacht zu, der den Koͤrpern ſo eine Schnelligkeit beylegt,
Welche faſt geiſtig iſt. Mich wirſt du fuͤr langſam nicht halten,Da40Das verlohrne Paradies.
Da ich ſeit der Stunde des Morgens vom Himmel, wo Gott thront,
Niedergeſtiegen, und noch vor dem Mittag bey dir hier in Eden
115
41 Angelangt bin; welch eine Ferne! mit allen bekannten
Nennbaren Zahlen nicht auszudruͤcken! Dieß ſag ich dir darum,
Dir zu beweiſen, daß, wenn man der Himmel Bewegungen annimmt,
Deine Zweifel gar bald, die du mir machteſt, verſchwinden.
Doch behaupt ich deswegen es nicht, obgleich dir auf Erden,
120
41 Wo du wohnſt, es ſo ſcheint. Gott wollte vor menſchlichen Sinnen
Seine Wege verbergen, und hat den Himmel deswegen
Von der Erde ſo weit entfernt, daß ein irdiſches Auge,
Welches die Neugier verfuͤhrt, in allzuerhabenen Dingen,
Ohne Gewißheit davon, in ſeinen Vermuthungen irre.
125
41Aber, wenn von der Welt die Sonne der Mittelpunkt waͤre,
Und die uͤbrigen Sterne von ihren anziehenden Kraͤften,
So wie von ihren eignen, beſeelt, in verſchiedenen Ringen
Um ſie herum ſich bewegten? Du ſiehſt, den wandernden Kreislauf
Halten ſechſe von ihnen, bald niedrig, bald hoch, bald verborgen;
130
41 Jtzo gehn ſie voraus, itzt wieder zuruͤcke; dann ſtehn ſie
Still. Wie wenn der Planet die Erde, ſo unbeweglich
Sie auch ſtill zu ſtehn ſcheint, von ihnen der ſiebente waͤre,
Und drey unbemerkte verſchiedne Bewegungen haͤtte?
Willſt du gezwungen nicht ſeyn, ſie ganz verſchiedenen Sphaͤren,
135
41 Welche ſich in die Quer und Kruͤmm in einander bewegen,
Zuzuſchreiben; ſo mußt du die Arbeit der Sonnen erſparen,
Und mit der Arbeit auch das, hoch uͤber den Sternen gelegne,Schnelle41Achter Geſang.
Schnelle bewegende Nad
c)So nennt Milton das primum mo - bile der alten Aſtronomie; dieß war eine eingebildete Sphaͤre uͤber alle andern Sphaͤren der Planeten und Fixſterne, welche die erſte urſpruͤngliche Bewegung in ſich beſaß, und ſie durch ihre Geſchwin - digkeit allen den andern Sphaͤren mit - theilte. N.
c), das unſichtbar uͤber den Sphaͤren
Durch ſein Herumdrehn den Tag und die Nacht verurſacht. Doch haſt du
140
42 Dieſes zu glauben nicht noͤthig, wenn die umwandelnde Erde
Selber in Oſten den Tag ſich hohlt, und der Nacht mit dem Theile,
Der vom Sonnenlicht abgekehrt iſt, begegnet; indem ſie
Mit den andern Theilen vom Stral der Sonnen erhellt iſt.
Wie? wenn dieſes Licht, das aus ſo großer Entfernung
145
42 Durch die weite heitere Luft herunter gelanget,
Dieſem irdiſchen Mond, gleich einem Sterne, bey Tage
Schiene, wie dieſer der Erde bey Nacht? Und dieſes geſchaͤhe
Wechſelsweiſe, wenn Land und Gefild und Bewohner dort waͤren.
Seine Flecken erblickſt du, wie Wolken
d)Unſer Dichter ſcheint die Flecken im Monde fuͤr Wolken und Duͤnſte zuhalten; es iſt aber wahrſcheinlicher, daß es große Seen und Meere ſind, weil ſie, wenn es Wolken ſeyn ſollten, nicht im - mer auf einer gewiſſen Stelle ſich zeigen wuͤrden. N.
d); es koͤnnen die Wolken
150
43 Regnen, und wenn ſich das Land vom Regen erweicht hat, ſo kann es
Fruͤchte tragen, fuͤr die, die dorten wohnen, zur Speiſe.
Und vielleicht entdeckeſt du einſt mit ſchaͤrferen Blicken
Noch mehr andere Sonnen, mit ihren begleitenden Monden,
Welche das maͤnnlich und weibliche Licht
e)Nach der alten Aſtronomie, da man der Sonne ein maͤnnliches, und dem Monde ein ſanftes weibliches Licht zu - ſchrieb. N.
e), zu des Ganzen Befruchtung,
155
44 Mit einander vermiſchen; denn dieſe zwey großen Geſchlechter
Geben das Leben der Welt, die vielleicht mit etwas, das lebet,JnII. Theil. F42Das verlohrne Paradies.
Jn jedweder Kugel erfuͤllt iſt. Denn zweifelhaft iſt es,
Daß ein ſo großer Raum, von nichts Lebendgem bewohnet,
Wuͤſt und verlaſſen ſteh, zum Stralen allein nur beſtimmet,
160
44 Da doch jegliche Kugel bloß einen Schimmer von Lichte
Einen ſo fernen Weg zur Erde herunter ſendet,
Die aufs neue zuruͤck es wirft. So ſey es; vielleicht auch
Anders; die herrſchende laufende Sonne geh uͤber der Erd auf,
Oder der Erdball uͤber der Sonne; die wandernde Sonne
165
44 Nehme den flammenden Weg von Oſten her, oder die Erde
Nehm aus Weſten den Lauf, mit ſtillem ſchlafenden Schritte,
Welche ſich unerſchuͤttert, und ſanft um die Axe herumdreht
Und zugleich mit der Luft dich fortbeweget: ſo haſt du
Ueber verborgene Dinge dir nicht Gedanken zu machen.
170
44Laß die Sorge dafuͤr dem großen Schoͤpfer; Jhn fuͤrchte,
Und ihm diene! Laß ihn, mit ſeinen andern Geſchoͤpfen,
Wo ſie von ihm auch hingeſetzt ſind, nach ſeinem Gefallen
Handeln. Erfreu dich an dem, was dir geſchenkt iſt, an dieſem
Herrlichen gluͤcklichen Eden, und deiner reizenden Eva.
175
44Dir iſt der Himmel zu hoch, um, was drinn vorgeht, zu wiſſen,
Sey mit Demuth weiſe; was dich, und dein eigenes Weſen
Angeht, drauf denk allein, und bilde von anderen Welten
Keine Traͤume dir ein, was fuͤr Geſchoͤpfe da wohnen,
Und in was fuͤr Stand, und Wuͤrden, und Graden ſie leben.
180
44Sey zufrieden damit, daß dir ſo vieles enthuͤllt iſt,
Von der Erde nicht nur, ſelbſt von dem hoͤheſten Himmel.
Adam,43Achter Geſang.
Adam, nun ganz von Zweifeln befreyt, antwortet ihm alſo:
Wie vollkommen hat deine Huld mir Gnuͤge geleiſtet,
Reine, himmliſche Kraft, gefaͤlliger Engel! du haſt mir
185
44 Jede Schwierigkeit aufgeloͤſt, und haſt mich gelehret,
Ruhig zu ſeyn, und nicht mit kuͤhnen verworrnen Gedanken
Selbſt mir die Anmuth des Lebens zu ſtoͤren; indem der Allmaͤchtge
Aller nagenden Sorge geboth, fern von uns zu bleiben,
Und uns nicht in Unruh zu ſetzen, wofern wir nicht ſelber
190
44 Mit verirrtem Vernuͤnfteln, und leerem Forſchen, ſie ſuchen.
Aber die Phantaſie und der Geiſt iſt allzugeneigt nur
Auszuſchweifen, wofern man ſie nicht beherrſchet; ſie hoͤren
Auszuſchweifen nicht eher auf, als bis ſie gewarnt ſind,
Oder Erfahrung ſie lehrt, daß nicht Erkenntniß an Dingen,
195
44 Welche zu weit entfernt, zu unnuͤtz, zu dunkel, zu fein ſind,
Sondern Erkenntniß von dem, was in dem taͤglichen Leben
Da liegt, wahre Weisheit ſey; was weiter hinaus ſtrebt,
Jſt bloß Eitelkeit, Rauch, und kuͤhne Thorheit; und macht uns
Unbereitet, und ungeuͤbt, zu forſchen in Dingen,
200
44 Die uns die wichtigſten ſind. Laß drum mit niedrigem Flug uns
Von den erhabenen Hoͤhn der Betrachtung herunter ſinken,
Um von Dingen, die vor uns liegen, und Nutzen mir bringen,
Uns zu beſchaͤfftgen; ſie geben vielleicht Gelegenheit, manches,
Was mir nuͤtzet, und deine Gunſt erlaubet, zu fragen.
205
44Von dir hab ich gehoͤrt, was vor mir geſchehn iſt; vernimm itzt
Meine Geſchichte; von der du vielleicht nicht alles erfahren.
Noch iſt der Tag nicht verfloſſen; du ſiehſt es, was ich erſinne,F 2Nur44Das verlohrne Paradies.
Nur dich noch laͤnger zu ſehn, indem ich ſogar mich erkuͤhne,
Dich zu erſuchen, gefaͤllig auch mich erzaͤhlen zu hoͤren.
210
44Ein vermeßnes Verlangen! geſchaͤh’s nicht allein in der Hoffnung,
Deiner Antwort darauf. Denn ſo, wie ich mit dir hier ſitze,
Schein ich im Himmel zu ſeyn, und deine lieblichen Reden
Sind viel ſuͤßer dem Ohr, als wie die Fruͤchte des Palmbaums,
Welche den Hunger und Durſt am angenehmſten erquicken,
215
44 Wenn nach der Arbeit nunmehr die Stunde der Nahrung uns rufet;
Dieſe ſaͤttigen bald, ſo ſuͤß ſie auch ſchmecken, doch deine
Goͤttlichen, lieblichen Reden, ſo ſuͤß ſie ſind, ſaͤttigen nimmer.
Himmliſch freundlich erwiederte drauf ihm Raphael alſo:
Auch ſind deine Lippen voll Reiz, o Vater der Menſchen,
220
44 Deine Zung iſt unberedt nicht, indem der Allmaͤchtge
Mit den herrlichſten Gaben ſo reichlich von innen und außen
f)Warburton hat aus dieſen Wor - ten unſerm Dichter eine Art von Anthro - pomorphismus Schuld geben wollen; Herr Wieland hat ihn aber hinlaͤnglich gerechtfertigt. Geſetzt, ſagte er, es ge - fiele Gott, ſich zuweilen durch eine ſicht - bare Geſtalt, in welcher ſeine relativen Vollkommenheiten ſich ungemein empfind -lich ausdruͤckten, den Engeln oder an - dern ſeeligen Geiſtern zu offenbaren, und der Menſch ſey dem Leibe nach dieſer voll - kommnen Geſtalt, obgleich in einem groſ - ſen Abſatz, nachgebildet, ſo haben wir ei - ne Erklaͤrung der Stelle Miltons ohne die Ketzerey, die Warburton ihm aufbuͤr - den will. Z.
f)
Dich begnadigt; du biſt ſein heiliges Bildniß. Du magſt nun
Reden, oder auch ſchweigen: ſo zieren Anmuth und Anſtand
Jede Geberd und jegliches Wort. Wir halten im Himmel
225
45 Dich fuͤr geringer auch nicht, als unſern Gefaͤhrten im Dienſte
Gottes; wir moͤgen auch gern die Wege des Hoͤchſten auf Erden
Mit den Menſchen erforſchen; indem wir erkennen, daß Gott dichEben -45Achter Geſang.
Ebenfalls ehrt, und mit gleicher Liebe den Menſchen beſeeligt.
Laß mich denn deine Geſchichte vernehmen! Jch war an dem Tage
230
45 Deiner Erſchaffung entfernt. Zu einer beſchwerlichen Reiſe
War ich geſandt, und zog mit meinen geſchloſſenen Schaaren
Fernhin nach den Pforten der Hoͤlle; wir hatten Befehle,
Dahin zu ſehn, daß keiner als Feind von der hoͤlliſchen Rotte
Aus dem Abgrund ſich reiße
g)Wie dieſes eine gute Urſache zu des Engels Abweſenheit war, ſo macht ſie auch zugleich dem Menſchen Ehre, mit dem er ſich unterhielt. N.
g), ſo lange der Schoͤpfer im Werke
235
46 Seiner Erſchaffung begriffen ſey, damit er im Zorne
Ueber ſo freche Verwegenheit, nicht Zerſtoͤrung und Schoͤpfung
Mit einander vermiſche. Zwar nicht, als haͤtten ſie duͤrfen
Ohn Erlaubniß von ihm dieß unternehmen; nein, oftmals
Sendet er bloß uns zur Pracht, mit ſeinen hohen Befehlen,
240
46 Unſern fertgen Gehorſam, als unſer oberſter Koͤnig,
Auf die Probe zu ſtellen; die ſcheußlichen Thore der Hoͤlle
Fanden wir feſt verwahrt, und feſt verriegelt; doch fern noch
Hoͤrten wir ſchon ein Getoͤſe darinn, nicht wie das Getoͤſe
Von Geſaͤngen und Taͤnzen; nein, jammerndes Klagen, und Bruͤllen
h)Nach dem Virgil im VI. Buche der Aeneis, wo Aeneas und die Sybille vor der Hoͤlle ſtehn. Hinc exaudiri gemitus et ſaeva ſonare Verbera: tum ſtridor ferri, tractae - que catenae. Jammerndes Klagen erſcholl; man hoͤrte das laute Gewinſel Von den Verdammten unter den Mar - tern; und fernher das Raffeln Schwerer geſchleppter Ketten ꝛc. N.
h)
245
47 Raſender Wuth. Wir kehrten hierauf zu den Kuͤſten des Lichtes
Noch vor dem Abend des Sabbaths, (ſo lauteten unſre Befehle,)
Froͤhlich zuruͤck. Doch hebe nun deine Geſchicht an, o Adam,F 3Mich46Das verlohrne Paradies.
Mich verlanget darnach; denn deine lieblichen Reden
Bringen mir gleiches Vergnuͤgen, als dir die meinigen bringen.
250
So die goͤttliche Kraft; und unſer Ahnherr verſetzte:
Schwer wirds Menſchen zu ſagen, wie ſich das menſchliche Leben
Angefangen; denn wer kann ſeinen eigenen Urſprung
Wiſſen? Jedoch die Begierde, mit dir noch laͤnger zu reden,
Bringt mich hierzu. Als waͤr ich erſt aus dem tiefeſten Schlafe
255
47 Aufgewacht, fand ich mich ſanft auf einem blumichten Raſen
Jm balſamiſchen Schweiße ruhn. Die Stralen der Sonne
Zogen das rauchende Naß bald auf. Gleich wandt ich gen Himmel
Meinen wundernden Blick, und ſah mit ſtarrenden Augen
Lang in die blaue geraume Luft; bis daß ich von ſelber,
260
47 Wie durch einen maͤchtgen Jnſtinkt begeiſterter, aufſprang,
Und als ob ich hinauf zu meinem Vaterland ſtrebte,
Auf die Fuͤße gerichtet ſtand. Jch ſahe rund um mich
Huͤgel, und Thal, und ſchattichte Waͤlder, und helle Gefilde,
Und den fließenden Fall von murmelnden Stroͤmen; am Ufer
265
47 Mancherley lebende Thiere, die ſich bewegten, und giengen,
Oder flogen; und ſin gende Voͤgel auf bluͤhenden Zweigen.
Alles lachte rund um mich her; von Freuden und Wonne
Floß mir das Herz. Jch betrachtete mich drauf ſelbſt, und beſchaute
Jedes Glied nach dem andern; bald ſtund ich, bald lief ich, mit ſchnellen
270
47 Biegſamen Schenkeln, ſo wie die innre lebendige Kraft mich
Leitete. Doch wer ich war, woher ich gekommen, und wer mich
Alſo geſchaffen, das wußt ich nicht. Jch verſuchte, zu reden,Und47Achter Geſang.
Und ich redte ſogleich; die Zunge gehorchte mir; fertig
Konnte ſie nennen, was ſie nur ſah. Du, ſprach ich, o Sonne,
275
47 Herrliches Licht! und du, o hellerleuchtete Erde,
Die du ſo lachend und friſch umherſichſt. Huͤgel, und Thaͤler,
Jhr, ihr Stroͤme, Waͤlder und Ebnen, und ihr, die ihr lebet,
Und euch bewegt, ihr ſchoͤnen Geſchoͤpfe! ſagt, wenn ihrs geſehn habt,
Sagt, wie ward ich ſo
i)Kein Stuͤck in dem ganzen Gedichte kann den Leſer zu groͤßerer Aufmerkſam - keit reizen, als dieſe Erzaͤhlung unſers großen Stammvaters, und nichts kann uns auf eine angenehmere Art einnehmen,als wenn wir hoͤren, was fuͤr Gedanken bey dem erſten Menſchen aufſtiegen, da er erſt eben neugeſchaffen aus der Hand ſeines Schoͤpfers kam. Addiſon.
i), wie kam ich hieher? durch mich ſelber:
280
48 Nein! unſtreitig demnach durch einen erhabenen Schoͤpfer,
Der an Guͤt und an Macht ausnehmend iſt. Sagt mir, wie kann ich
Jhn erkennen? wie ihn anbethen? von dem ich es habe,
Daß ich mich ſo bewege, ſo lebe; durch den ich es fuͤhle,
Daß ich gluͤcklicher bin, als ich weiß! Da ich ſo im Entzuͤcken
285
48 Rief, und ohne zu wiſſen, wohin ich wandelte, fernweg
Von dem Orte gerieth, wo ich am erſten geathmet,
Und zuerſt dieß gluͤckliche Licht erblicket, und da ich
Nirgendher Antwort bekam, ſetzt ich mich in tiefen Gedanken
Nieder auf eine ſchattichte Bank, mit ſchimmernden Blumen
290
48 Praͤchtig geſtickt. Hier fand mich zuerſt der erquickende, ſuͤße
Schlaf; mit ſanfter Gewalt befiel er die ſchlummernden Sinnen,
Ohne Widrigkeit, ob ich gleich dachte, nun wuͤrde mein Weſen
Jn den erſten fuͤhlloſen Zuſtand zuruͤcke kehren,
Und zerfließen. Doch ploͤtzlich ſtand mir ein Traumbild zum Haupte,Deſſen48Das verlohrne Paradies.
295
48Deſſen innere Schilderung brachte mich auf die Gedanken,
Daß ich wirklich noch ſey, und noch lebe. Von goͤttlichem Anſehn
Kam, ſo duͤnkte mich, jemand, und ſprach: Auf! Adam, erwache!
Deine Wohnung wartet auf dich, o Erſter der Menſchen,
Du, o beſtimmter erſter Vater unzaͤhliger Mengen;
300
48 Von dir gerufen, komm ich, dich zu dem Garten zu bringen,
Zu dem Garten der Wonne, der dir zur Wohnung beſtimmt iſt.
Alſo ſprach er; und faßte mich drauf bey der Hand, und erhub mich;
Und ich ſchluͤpfte mit ihm ſanft uͤber Waſſer und Felder,
Wie in der Luft fort, ohne zu gehn. Er fuͤhrte mich endlich
305
48 Auf ein waldicht Gebirge hinauf; ſein Gipfel war eben,
Weit im Umfang, bepflanzt mit den herrlichſten Baͤumen; mit Gaͤngen
Und mit ſchattichten Lauben verſehn, daß, was ich auf Erden
Erſt geſehn, kaum reizend noch ſchien. Jedweder der Baͤume
Mit den herrlichſten Fruͤchten beladen, die vor mir verſuchend
310
48 Hiengen, reizte ſogleich in mir die Begierde, zu pfluͤcken,
Und zu eſſen. Hieruͤber erwacht ich, und fand, daß es alles
Voͤllig wahr ſey, was mir der Traum ſo lebhaft geſchildert.
Und hier haͤtt ich aufs neu herum zu wandern begonnen,
Waͤre mein Fuͤhrer mir nicht, der hier herauf mich geleitet,
315
48 Fernher unter den Baͤumen erſchienen; ein goͤttlicher Anblick!
Froͤhlich, aber mit ruhiger Ehrfurcht, und tiefanbethend,
Fiel ich nieder vor ihm, er erhub mich, und ſagte mir gnaͤdig:
Der, den du ſucheſt, bin Jch! Jch bin der Schoͤpfer von allem,
Was du uͤber dir, rund um dich her, und unter dir ſieheſt.
320
48Dir, dir geb ich dieß Paradies, dein Eigenthum! Bau es,Und49Achter Geſang.
Und bepflanz es nach deinem Gefallen, und von den Fruͤchten,
von allen Baͤumen des Gartens, mit froͤhlichem Herzen,
Und in voller Freyheit, und fuͤrchte dich hier nicht vor Mangel,
Aber vom Baum, durch den die Erkenntniß des Guten und Boͤſen
325
48 Jn dir gewirkt wird, und den ich zunaͤchſt beym Baume des Lebens,
Als ein Pfand von deinem Glauben, und deinem Gehorſam,
Mitten im Garten gepflanzt, von dieſem, (merke die Warnung,
Die ich dir gebe;) von dieſem nicht, und ſcheue die Folge,
Scheue die bittere Folge! denn welches Tages du von ihm
330
48 Eſſen, und dieß mein einzigs Geboth verwirken wirſt; ſollſt du
Unausbleiblich ſterben; ſollſt, von demſelbigen Tag an
Sterblich geworden, ſogleich dein irdiſches Gluͤck hier verlieren,
Ausgetrieben von hier in eine Wohnung des Jammers
Und des Elends! Ernſtlich ſprach Er das ſtrenge Verboth aus:
335
48 Fuͤrchterlich ſchallt es noch itzt in meinen erſchrockenen Ohren,
Ob es in meinem Willen gleich ſteht, die ſchreckliche Strafe
Nie zu erfahren. Doch nahm er bald ſein freundliches Antlitz
Wiederum an ſich, und ſprach aufs neu mit gnaͤdigen Worten:
Nicht nur dieſe herrliche Gegend die ganze Erde
340
48 Geb ich dir, und deinem Geſchlecht; beherrſcht ſie, als Herren!
Euer ſey alles, was auf ihr lebt, und alles, was lebet
Jn der Luft und im Meer; die Thiere, die Fiſche, die Voͤgel.
Und zum Zeichen ſoll jegliches Thier, ſoll jeglicher Vogel,
Jedes nach ſeiner Art, vor dir erſcheinen; ich will ſie
345
48 Vor dich bringen, auf daß du ſie alle mit Namen benenneſt,
Und ſie mit tiefer Verehrung dir ihre Huldigung leiſten. II. Theil. GDieſes50Das verlohrne Paradies.
Dieſes Vorrecht ſey dir zugleich von den Fiſchen ertheilet,
Ob ſie gleich hier nicht erſcheinen, und ihre Waſſerbehauſung
Nicht zu verlaſſen vermoͤgen, die duͤnnere Luft hier zu athmen.
350
Alſo ſprach er, und ſieh! es kamen die Voͤgel und Thiere,
Paar bey Paar. Liebkoſend buͤckten die Thiere ſich nieder;
Und die Voͤgel ſtrichen vor mir die Fittichen. Jedes
Nannt ich mit ſeinem Namen, ſo wie es vorbeygieng, und kannte
Seine Natur; mit ſolcher Erkenntniß begabte der Schoͤpfer
355
48 Meinen geſchwinden Verſtand. Jndeſſen fand ich darunter
Dieß nicht, was mir beſtaͤndig, nach meinen Gedanken, noch fehlte,
Und ich erkuͤhnte mich, ſo zur hohen Erſcheinung zu ſagen.
O! mit welchen Namen
k)Warburton hat hieraus ſchließen wollen, daß Adam noch keine Kenntniß von Gott gehabt; Herr Wieland aber zeigt deutlich, wie jeder Leſer gleich ein - ſehn wird, daß eben deswegen, weilAdam keinen wuͤrdigen Namen fuͤr das hoͤchſte Weſen finden zu koͤnnen glaubte, er das Weſen ſeines Schoͤpfers ſehr wohl gekannt. Z.
k), denn du biſt groͤßer, als alle,
Groͤßer noch, als der Menſch; und alles, was ſonſt noch erhabner,
360
49 Als der Menſch, iſt; wie ſoll ich dich nennen? ſie alle, die Namen
Uebertriffſt du unendlich weir! Wie ſoll ich dich, Schoͤpfer
Dieſes Ganzen Dich, Geber ſo vieler unendlichen Guͤter,
Die du den Menſchen geſchenkt, wie Dich anbethen? So reichlich
Haſt du in allem fuͤr ihn zu ſeinem Wohlſeyn geſorget;
365
49 Aber nur ſeh ich hier kein Geſchoͤpf, das mit mir es theilte!
Kann wohl ein Gluͤck in der Einſamkeit ſeyn? Kann jemand wohl etwasFuͤr51Achter Geſang.
Fuͤr ſich allein genießen? Und wenn er auch alles genoͤſſe,
Was fuͤr Zufriedenheit kann ein ſolcher Genuß ihm ertheilen.
Alſo ſprach ich verwegen; das ſtralende Goͤttergeſichte,
370
49 Welches, als wie vom Laͤcheln noch heller itzt ſtralte, verſetzte.
Und was nenneſt du Einſamkeit? Sprich, iſt etwan die Erde
Nicht, wie die Luft, mit Geſchoͤpfen von allen Arten erfuͤllet,
Welche leben, und alle nach deinem Winke bereit ſtehn,
Vor dir zu ſpielen? Kenneſt du nicht die Sprachen und Wege
375
49 Aller Thier um dich her? Auch ſie beſitzen Erkenntniß,
Und Vernunft, nicht ganz zu verachten; du kannſt dich mit ihnen
Unterhalten, und uͤber ſie herrſchen; wie groß iſt dein Reich nicht.
Alſo ſagte der Herr von allen Dingen, und ſchien ſo
Zu befehlen; ich bath um neue Verguͤnſtgung, zu reden,
380
49 Und mit tiefer Ehrfurcht gab ich ihm alſo zur Antwort.
Laß dich, o himmliſche Kraft, o du, mein Fuͤhrer, mein Schoͤpfer,
Laß dich nicht meine Worte beleidgen, und hoͤre mich gnaͤdig,
Weil ich rede. Wie? Haſt du mich nicht zu deinem Regenten
Hier auf Erden gemacht, und alle dieſe Geringern
385
49 Unter mich tief hinab geſetzt? Was kann fuͤr Geſellſchaft,
Was fuͤr ein wahres Vergnuͤgen, und wahrer harmoniſcher Gleichlaut,
Uns, ungleiche, verknuͤpfen? in wechſelsweiſer Erwiedrung
Wird er von beyden Seiten in rechtem Maaße gegeben,G 2Und52Das verlohrne Paradies.
Und empfangen. Allein, wo ſolch ein Unterſchied herrſchet,
390
49 Wo das eine zu ſtark geſpannt
l)Eine muſikaliſche Metapher | von Saiten. Die ſtraffſten und kuͤrzeſten ge - ben einen ſcharfen ſpitzigen Ton, und dielangen und ſchlaffen, einen tiefen und dumpfigen. Hume.
l), das andre zu ſchlaff iſt,
Werden ſie nie zuſammen geſtimmt; und werden in kurzem
Eines dem andern zur Laſt. Jch rede von ſolcher Geſellſchaft,
Wie ich ſie ſuche, fuͤr mich, die mit mir an jedem Vergnuͤgen,
Jeden vernuͤnftgen Ergoͤtzungen Theil zu nehmen geſchickt iſt.
395
50Hierinn kann kein Thier des Menſchen Mitgeſell werden,
Jedes ergoͤtzt ſich mit ſeiner Art, mit ſeinem Geſchlechte;
Mit der Loͤwinn der Loͤwe, ſo weislich haſt du in Paaren
Sie zuſammengeſellt. So wenig der Vogel mit Thieren,
Mit dem Vogel der Fiſch, und mit dem Ochſen der Affe,
400
50 Umgehn kann, ſo wenig, und noch viel weniger kann es
Unter allen der Menſch mit dieſen viel niedrigern Thieren.
Nicht ganz unzufrieden erwiederte drauf der Allmaͤchtge:
Ein ſehr zartes und feines Gluͤck haſt du, wie ich ſehe, Adam, dir ſelbſt in der Wahl von deiner Geſellſchaft erſonnen.
405
50Kein Vergnuͤgen willſt du, auch mitten in dem Vergnuͤgen,
Fuͤr dich allein in der Einſamkeit ſchmecken. Was denkſt du von mir denn,
Und von meinem eigenen Stand? Schein Jch dir genugſam
Gluͤcklich zu ſeyn, oder nicht? Seit allen den Ewigkeiten
Bin ich allein; ich kenne keinen, der nach mir der zweyte,
410
50 Der mir aͤhnlich, vielweniger Einen, welcher mir gleich ſey. Was53Achter Geſang.
Was hab Jch denn alſo zu meinem Umgang, als meine
Von mir ſelbſt gemachten Geſchoͤpfe, die ſo viel geringer,
Und unendliche Grade viel tiefer unter mir ſtehen,
Als die andern Geſchoͤpfe noch unter Dir ſind, o Adam?.
415
Als der Allmaͤchtge hier ſchwieg, gab ich mit Demuth zur Antwort:
Oberſtes aller Dinge! die Hoͤh und die Tiefe von deinen
Ewigen Wegen zu meſſen, ſind alle Menſchengedanken
Viel zu geringe; denn Du, du biſt in dir ſelber vollkommen,
Und in dir wird kein Mangel bemerkt; nicht ſo mit dem Menſchen,
420
50 Welcher umſchraͤnkt iſt, und, indem ſo vieles ihm mangelt,
Ein Verlangen hat, in der Geſellſchaft von dem, was ihm gleich iſt,
Sich zu helfen, und das, was ihm fehlt, dadurch zu erſetzen.
Fortzupflanzen brauchſt du dich nicht; du biſt ſchon unendlich,
Biſt ſchon durch alle Zahlen vollkommen
m)Ein lateiniſcher Ausdruck, omni - bus numeris abſolutus, quod expletumeſt omnibus ſuis numeris et partibus. N.
m), obgleich du nur Eins biſt;
425
51 Aber der Menſch giebt ſchon durch die Zahl zu erkennen, wie ſehr er
Unvollkommen noch iſt; er zeuget Gleiches von Gleichen,
Und vermehrt durch ſich ſelbſt ſein Ebenbild, das in der Einheit
Jmmer mangelhaft bleibt; er hat drum helfende Liebe,
Und die theureſte Freundſchaft vonnoͤthen. Und ob du allein gleich,
430
51 Jn dir ſelber am beſten mit deinem Umgang zufrieden,
Keiner Geſellſchaft bedarfſt; ſo kannſt du doch deine Geſchoͤpfe
Wenn dirs gefaͤllt, zu dem und jenem Gipfel der Hoheit
Und Gemeinſchaft, mit dir nach mancherley Graden erheben,G 3Und54Das verlohrne Paradies.
Und vergoͤttern; ich aber kann nicht die Thier in dem Umgang
435
51 Von der Erden erheben, und mich an ihnen ergoͤtzen.
Alſo ſprach ich voll Muth, indem ich mich aller der Freyheit,
Die er mir gab, bediente. Die Kuͤhnheit wurde vergeben,
Und die gnaͤdige goͤttliche Stimme gab drauf mir die Antwort.
So weit wollt ich, o Adam, dich pruͤfen. Jch ſeh es, die Thiere,
440
51 Denen du allen auf Erden die rechten Namen gegeben,
Kennſt du nicht nur, du kenneſt dich ſelbſt; und druͤckeſt den Geiſt aus,
Der frey in dir wohnt, mein Ebenbild, welches dem Thier nicht
Mitgetheilt ward; und darum iſt auch der Thiere Geſellſchaft
Deiner nicht werth; du haſt ſie von ſelbſt mit Grunde verworfen.
445
51Bleib beſtaͤndig ſo edel geſinnt! noch ehe du redteſt,
Wußt ich, es ſey fuͤr den Menſchen nicht gut, wofern er allein ſey
n)1 B. Moſ. II, 18. Und Gott der Herr ſprach: Es iſt nicht gut, daß der Menſch allein ſey, ich willihm eine Gehülfinn machen, die um ihn ſey.
n),
Und mein Wille war nicht, dir jene zum Umgang zu geben,
Welche du vor dir ſaheſt, und die ich allein, dich zu pruͤfen,
Vor dich gebracht, um zu ſehn, wie du von dem, was dir anſteht,
450
52 Richten koͤnnteſt. Das, was ich dir nun das naͤchſtemal bringe,
Soll, ſey verſichert, dir beſſer gefallen; dein voͤlliges Abbild,
Deine wuͤrdge Gehuͤlfinn, dein anderes Selbſt, und das alles,
Was dein Herz ſich gewuͤnſcht, und deine Gedanken vermiſſet.
Hier55Achter Geſang.
Hier beſchloß er, oder vielmehr, ich hoͤrt ihn nicht laͤnger;
455
52 Denn mein Jrdiſches, ganz vom Himmliſchen uͤberwaͤltigt,
Unter welchem es lange ſchon rung, und das ſich ſo muͤhſam
Zu der Hoͤh des Geſpraͤchs mit Gott hinaufgeſtrengt hatte,
Sank, erſchoͤpft und geblendet von Dingen, weit uͤber die Sinne,
Kraftlos nieder, im Schlaf ſich zu erquicken; der Schlummer
460
52 Ueberfiel mich ſogleich, als ob die Natur ihn gerufen,
Und verſchloß mein Auge; mein Auge verſchloß er, doch blieb mir
Meiner Phantaſie, als meines innern Geſichtes
Aufenthalt, offen; hierinn ſah ich, als wie in Entzuͤckung,
Ob ich gleich ſchlief, den Ort, worauf ich gelegen, und vor mir
465
52 Noch dieſelbe glorreiche Geſtalt, vor welcher ich kuͤrzlich
Wachend noch ſtand. Sie oͤffnete mir die Seit an dem Herzen,
Nahm eine Ribbe von da
o)1 B. Moſ. II, 21. Und er nahm ſeiner Ribben eine, und ſchloß die Stätte zu mit Fleiſch. Die Schrift ſagt nur: ſeiner Ribben eine, aberMilton folgt den Auslegern, welche glau - ben, daß die Ribbe von der linken Seite zunaͤchſt am Herzen genommen worden. N.
o), von friſchem Blute noch ſtroͤmend,
Und von Lebensgeiſtern noch warm; die Wunde weit offen,
Schloß er ſogleich mit Fleiſch, und heilte ſie wieder zuſammen.
470
53Und er formte die Ribbe mit ſeinen bildenden Haͤnden;
Unter ſeiner erſchaffenden Hand entſtund ein Geſchoͤpfe,
Menſchlich, jedoch von anderm Geſchlecht, ſo ſchoͤn, und ſo reizend,
Daß mir alles das andre, was in der Schoͤpfung ſonſt ſchoͤn war,
Nicht ſo reizend mehr ſchien, und mir es vorkam, als waͤr es
475
53 Jn ihr, und ihren Blicken vereint. Jch fuͤhlte von Stund an,
Jn dem Herzen den ſuͤßeſten Trieb, zuvor nie gefuͤhlet,Und56Das verlohrne Paradies.
Und es ſchien, als haͤtr ihr Betragen auf alles, Vergnuͤgen,
Und den Geiſt der Liebe, gehaucht. Sie verſchwand, und verließ mich
Jn der Nacht; ich erwachte ſogleich, ſie entweder zu finden,
480
53 Oder auf ewig ihren Verluſt zu beweinen, und alles
Andre Vergnuͤgen zu fliehn; als ploͤtzlich, ohne mein Hoffen,
Jch ſie erblickte, nicht fern von mir, ſo wie ich im Traume
Sie geſehn, mit allem geſchmuͤckt, was Himmel und Erde
Jhr zu ertheilen vermocht, ſie liebenswuͤrdig zu machen.
485
53Sie kam naͤher, gefuͤhrt von ihrem himmliſchen Schoͤpfer, (Doch unſichtbar war er;) durch ſeine Stimme geleitet,
Und im heiligen Buͤndniß, und in den Sitten des Ehſtands,
Unterrichtet; in jedem von ihren Schritten war Anmuth,
Und in ihrem Auge der Himmel; in allen Geberden
490
53 Lieb und Hoheit. Jch konnte mich nicht im maͤchtgen Entzuͤcken
Ueber dieß neue Geſchenk vor Freuden enthalten, zu rufen.
Alles wird mir durch dieſes erſetzt! Du haſt dein Verſprechen,
Guͤtigſter Schoͤpfer, erfuͤllt, du Geber von allem dem Schoͤnen,
Und von dieſem, dem ſchoͤnſten von allen deinen Geſchenken,
495
53 Das du mir nicht zu entziehen gedacht! Jch ſehe mich ſelber,
Jſt es nicht Bein von meinen Beinen? von meinem Fleiſche
Fleiſch? ihr Nam iſt Maͤnninn, ſie iſt vom Manne genommen.
Er wird Vater und Mutter aus dieſer Urſach verlaſſen,
Und am Weibe hangen; ſie werden Ein Fleiſch, und Ein Geiſt ſeyn.
Alſo57Achter Geſang. 500
Alſo hoͤrte ſie mich in meinen Entzuͤckungen reden.
Aber obgleich der Schoͤpfer ſie ſelbſt mir unſichtbar brachte,
Wirkten Unſchuld und Sittſamkeit doch, und der Adel der Tugend,
Und das Bewußtſeyn des inneren Werths, wodurch ſie ſogleich nicht
Sich gewinnen zu laſſen beſchloß, noch ſelber ſich anboth,
505
53 Sondern beſcheiden zuruͤckhielt, um deſto mehr noch zu reizen:
Oder um alles zu ſagen, die unbefleckte Natur ſelbſt
Wirkte ſo maͤchtig in ihr, daß ſie, ſo wie ſie mich ſahe,
Schamhaft ſich wegwandt; ich folgt ihr nach; ſie kannte die Ehre,
Und ließ ſich mit folgſamer Hoheit die Gruͤnde gefallen,
510
53 Die ich ihr vortrug. Jch leitete ſie, indem ſie erroͤthet
p)Man hat wohl nicht noͤthig, die Leſer auf dieſe ganze entzuͤckende Schilde - rey aufmerkſam zu machen, die voll der hoͤchſten poetiſchen Schoͤnheiten iſt. Wieangemeſſen bleibt indeß dieſe Liebe der pa - radieſiſchen Unſchuld, und wie keuſch und rein iſt Milton in ſeinem Ausdruck. Z.
p),
Gleich dem Antlitz des Morgens, zur Hochzeitlaube. Der Himmel,
Alle Geſtirne ſchuͤtteten itzt den gluͤcklichſten Einfluß
Auf die ſeligſte Stunde herab; die Erde, die Huͤgel,
Gaben guͤnſtige Zeichen; es ſangen froͤhlich die Voͤgel;
515
54 Und friſchwehende Winde, mit ſanften lieblichen Luͤften,
Liſpelten Freude den Waͤldern zu, und ſchuͤttelten Roſen
Von den Fittichen; wehten Weyhrauch und ſuͤße Geruͤche
Von dem balſamiſchen Buſch; bis daß der zaͤrtlich verliebte
Vogel der Nacht das Brautlied erhub, und uͤber den HuͤgelSchnellerII. Th. H58Das verlohrne Paradies.
520
54Schneller den Abendſtern eilen hieß, von ſchimmernden Hoͤhen
Mit der Hochzeitsfackel dem gluͤcklichen Paare zu leuchten.
Alſo hab ich dir alles von meinem Zuſtand erzaͤhlet,
Und zu dem Gipfel des irdiſchen Gluͤckes, das ich hier genieße
Meine Geſchichte gebracht. Jch muß bekennen, in allem
525
54 Find ich zwar auch Ergoͤtzen und Luſt; doch wenn ich ſie brauche,
Oder auch nicht ſie gebrauche, ſo laſſen ſie keine Veraͤndrung,
Oder heftge Begierden in meinem Herzen zuruͤcke;
Alle dieſe Vergnuͤgen verſteh ich, vom Sehen und Schmecken,
Oder Riechen; die Kraͤuter und Fruͤchte, die Blumen und Lauben,
530
54 Und der Voͤgel Muſik; doch hier, hier iſt es weit anders;
Mit Entzuͤckungen ſeh ich, und mit Entzuͤckungen fuͤhl ich.
Etwas fremdes empfand ich zuerſt im Herzen; ein Wallen,
Das ich zuvor im Blut nie empfand, da ich im Genuſſe
Aller andern Dinge ſonſt ohne Bewegung geblieben,
535
54 Und mich ſelber beherrſche; doch bey dem maͤchtigen Glanze,
Und der zaubriſchen Kraft der Schoͤnheit, bin ich allein nur
Schwach. Die Ratur ließ in mir entweder etwas ermangeln,
Und hat Stellen in mir zu unvertheidigt gelaſſen,
Daß ich gegen ſo maͤchtige Reize zu ſiegen vermoͤchte;
540
54 Oder indem ſie mir was von meiner Seite genommen,
Nahm ſie vielleicht nur allzuviel; zum wenigſten hat ſie
Zu viel Zierrath verſchwendet an ihr; an aͤußerer Schoͤnheit
Sie vollkommen gemacht, doch an der innern ſo ſehr nicht. Zwar59Achter Geſang.
Zwar ich ſeh wohl, ſie hat die Natur dem erſten Entwurf nach
545
54 An Verſtand, und an inneren Kraͤften geringer geſchaffen,
Da ihr Aeußeres auch dem Bilde nicht deſſen ſogleich iſt,
Welcher uns beyde gemacht, und nicht das Merkmaal der Herrſchaft
Ueber die andern Geſchoͤpfe ſo deutlich ausdruͤckt; doch wenn ich
Jhrer geliebten Perſon mich nah, ſo ſcheint ſie ſo ſchoͤn mir,
550
54 So in ſich ſelbſt durchaus vollkommen, und ihrer Verdienſte
Sich ſo voͤllig bewußt, daß was ſie ſagen, und thun mag,
Mir das kluͤgſte, das tugendſamſte, das beſte zu ſeyn duͤnkt.
Alle hoͤhere Wiſſenſchaft wird in ihrer Geſellſchaft
Niedriger; in dem Geſpraͤche mit ihr verlieret die Weisheit
555
54 Jhr ernſthaftes Geſicht, und ſcheint faſt Thorheit; ihr folgen
Anſehn, und mit ihr Vernunft, als einer, welche mit Abſicht
Anfangs, und nicht hernach, geſchaffen worden, durch Zufall;
Und um alles zuſammen zu faſſen, die Groͤße der Seelen,
Und der Adel des Geiſtes, den ihr der Schoͤpfer ertheilet,
560
54 Finden in ihr den lieblichſten Sitz, und haben rund um ſie
Eine Hoheit verbreitet, gleich einer Wache von Engeln.
Mit verfinſterter Stirn verſetzte dagegen der Engel.
Gieb der Natur nicht die Schuld, ſie that das ihrige; du auch
Mußt das deinige thun; vertraue der Huͤlfe der Weisheit,
565
54 Welche dich niemals verlaͤßt, wenn du ſie nicht ſelber verlaͤſſeſt,
Wenn ſie am noͤthigſten iſt, und dir zur Seite ſeyn ſoll〈…〉〈…〉.
Da du ſolchen geringern Dingen, ſo ſehr viel geringer,H 2Wie60Das verlohrne Paradies.
Wie du ſelber begreifft, ſolche einen Vorzug ertheileſt.
Was bewunderſt du ſo? und was entzuͤckt dich ſo ſehr donn?
570
54Dieſes Außere? ſchoͤn in der That, und deiner Bewundrung,
Deiner Wahl, und Liebe, wohl werth; jedoch nicht auch deiner
Unterwerfung; waͤge mit ihr dich ſelber; dann ſchaͤtze
Beyde; nichts nuͤtzet oft mehr, als daß man ſelber ſich hochſchaͤtzt,
Wenn die Achtung ſich nur auf innere Billigkeit gruͤndet;
575
54 Und nicht ihre Schranken verkennt: jemehr die Erfahrung
Dich hierinnen geuͤbt, je mehr wird ſie in der Folge
Dich fuͤr ihr Oberhaupt halten, und deinem wirklichen Vorzug
All ihr Aeußeres opfern. Sie ward mit Schoͤnheit geſchmuͤcket,
Um dein Auge zu reizen; ſie ward mit Hoheit begabet,
580
54 Daß du faͤhig ſeyſt, deine Gehuͤlfinn mit Achtung zu lieben,
Die es wohl wahrnimmt, wenn du der Weisheit weniger folgeſt.
Aber wofern das Gefuͤhl, wodurch das Menſchengeſchlechte
Fortgepflanzt wird, ſo ſehr dich entzuͤckt vor allen Vergnuͤgen
Dich entzuͤckt; ſo bedenke zugleich, daß dieſes Ergoͤtzen
585
54 Auch den bloͤckenden Heerden und jedem Thiere verliehn iſt.
Und doch waͤr es gewiß nicht ſo erniedriget worden,
Nicht ſo gemein gemacht, waͤr etw[as]in dieſem Genuſſe,
Welches verdiente, die Seele des Menſchen zu uͤberwaͤltgen,
Oder Affekten voll Sturw in ihm zu erregen. Das hoͤhre,
590
54 Was du in ihrem Umgang entdeckſt; was edel und menſchlich,
Reizend, vernuͤ[n]ftig, gewinnend iſt, das liebe beſtaͤndig,
Denn zu lieben iſt gut, doch nicht, mit Leidenſchaft lieben. Wahre61Achter Geſang.
Wahre Liebe beſteht nicht hierinn; den thierſchen Gedanken
Reinigt die Lieb, und erweitert das Herz zum Edlen; ſie wohnet
595
54 Jn der Vernunft, und urtheilt; ſie iſt die Leiter, auf der du
Zu der himmliſchen Liebe hinaufzuſteigen gelehrt wirſt.
Aber du ſollſt nicht in fleiſchlicher Luſt verſinken; denn darum
Wurde keine Gattinn fuͤr dich bey den Thieren gefunden.
Halbbeſchaͤmt, erwiedert ihm drauf der Erſte der Menſchen.
600
54Weder ihr Aeußeres, welches ſo ſchoͤn iſt, noch irgend was ſinnlichs,
Jn der Liebe Genuß, das auch den Thieren gemein iſt, (Ob vom Ehebett gleich mit groͤßerer Achtung ich denke,
Und mit geheimnißvoller Verehrung;) gewaͤhrt mir die Freuden,
Die mir ihr edler Anſtand ertheilt, und alle die Reize,
605
54 Welche jegliches Wort, und jegliche Handlung begleiten,
Mit der gefaͤlligſten Liebe vermiſcht, die ohne Verſtellung
Zeiget, daß uns Ein Herz und Eine Seele vereinet.
Solche begluͤckte harmoniſche Liebe Verlobter zu ſehen,
Jſt noch lieblicher, als dem Gehoͤr melodiſche Toͤne.
610
54Doch dieß alles verblendet mich nicht. Das, was ich empfinde,
Hab ich vertraut dir entdeckt, doch werd ich dadurch nicht beherrſchet.
Mancherley Dinge ſtoßen mir auf, die alle verſchieden
Meine Sinnen mir zeigen; doch waͤhl ich von ihnen mit Freyheit
Jmmer das Beſt allein, und thu nur, was ich gebilligt.
615
54Daß ich liebe, tadelſt du nicht; du ſagſt mir, die Liebe
Leite zum Himmel, und ſey dazu der Weg und der Fuͤhrer;H 3Sage62Das verlohrne Paradies.
Sage mir denn, iſts anders erlaubt, hierum dich zu fragen,
Lieben die himmliſchen Geiſter nicht auch? und wenn ſie ſich lieben,
Wie bezeigen ſie ſichs? nur bloß mit den redenden Blicken,
620
54 Mit der Vermiſchung der reinen zuſammenfließenden Stralen
Oder, wie Geiſter, allein durch unmittelbare Beruͤhrung.
Jhm antwortet der Engel hierauf mit gefaͤlligem Laͤcheln,
Welches von himmliſchem Roſenroth gluͤhte, der Farbe der Liebe.
Laß dir genuͤgen, zu wiſſen, daß wir begluͤckt ſind; du weißt es,
625
54 Ohne Lieb iſt kein Gluͤck. Das, was du reines im Koͤrper, (Denn rein biſt du geſchaffen,) nur immer genießeſt, empfinden
Wir im hoͤhern Grad auch; wir finden keine Verhindrung,
Wie der Koͤrper von tauſend Haͤutchen, Gelenken, und Gliedern.
Wenn ſich Geiſter umarmen, miſcht ihr ganz Weſen in eins ſich,
630
54 Leichter als Luft in Luft; ſie ſuchen nur bloß die Verbindung
Von dem Reinen mit Reinen, und nichts beſchraͤnkt ſie; ſie haben
Keiner Kanaͤle vonnoͤthen, als wenn ſich Koͤrper mit Koͤrper,
Oder Seele mit Seele vermiſcht. Doch, Adam, ich ſehe,
Laͤnger kann ich nicht hier verweilen; die ſinkende Sonne
635
54 Haͤngt ſchon uͤber dem gruͤnen Cap der thauenden Erde
Und den gruͤnen heſperiſchen Guͤrten
q)Der Dichter laͤßt hier weißlich den Engel abbrechen, und ihn mit den großenmoraliſchen Wahrheiten ſchließen, die Adam ſo noͤthig waren. Z.
q), und wird itzt verſchwinden,
Welches mein Zeichen zum Aufbruch iſt. Sey ſtandhaft, und gluͤcklich! Liebe!63Achter Geſang.
Liebe! doch liebe zuerſt, und liebe vor allem erſchaffnen,
Jhn, den zu lieben, gehorchen heißt, und halte beſtaͤndig
640
55 Sein gegebnes großes Geboth. Laß heftige Regung
Deinen Verſtand nicht verdunkeln, und dich zu etwas verleiten,
Das du mit Freyheit des Willens verabſcheut haͤtteſt. Dein eignes,
Und das Wohl und das Weh von deinem ganzen Geſchlechte,
Koͤmmt auf dich an; nimm dich in Acht! Jch werde mich freuen,
645
55 Und die Engel mit mir, wofern du im Guten verharreſt.
Steh drum feſt! es beruhet auf dir, zu ſtehn und zu fallen.
Jnnerlich biſt du vollkommen gemacht; nach anderer Huͤlfe
Sieh dich alſo nicht um; und wanke bey keiner Verſuchung.
Als er ſo ſprach, ſtand er auf. Jhm folgte der Erſte der Menſchen
650
55 So mit Segnungen nach
r)Segnungen ſind hier Dankſagun - gen, wie Milton es ſelbſt erklaͤrt Par. Reg. III, 127. Glory and benediction, that is thanks. N.
r): So geh denn, wenn du nicht laͤnger
Hier verweilen kannſt, himmliſcher Gaſt, aͤtherſcher Geſandter
Von dem guͤtigſten Schoͤpfer, den ich anbethe. Gefaͤllig,
Liebreich und freundlich ließeſt du dich zum Menſchen herunter;
Jmmer ſoll dieſes bey mir in ſuͤßer Erinnerung bleiben;
655
56 Sey du ferner dem Menſchen geneigt, kehr oftmals zuruͤcke.
Alſo64Das verlohrne Paradies. Achter Geſang.
Alſo ſchieden ſie ſich. Der Engel mit eilenden Schwingen
Stieg zum Himmel hinauf; nach ſeiner Laube
s)Naͤmlich das Jnnerſte von Adams Laube, zu welcher ein ſchattichter Gangfuͤhrte, in deſſen dickeſten Schatten ſie ſich von einander ſchieden. N.
s)gieng Adam ..
Das[65][66]
[figure]

Das Verlohrne Paradies. Neunter Geſang. Das Verlohrne Paradies. Neunter Geſang.

II. Theil. J67
Nicht mehr Geſpraͤche, wie ſonſt, da mit dem Menſchen vertraulich
Gott noch, oder ein engliſcher Gaſt, wie ein Freund mit dem Freunde,
Umgang pflog, und bey ihm ſaß, und mit ihm gefaͤllig
Eine laͤndliche Mahlzeit hielt, wobey ihm vergoͤnnt war,
5
57 Ungetadelt zu fragen; ich muß in tragiſche Toͤne
Dieſe Toͤne nunmehr veraͤndern. Von Seiten des Menſchen
Zeigt ſich ſchnoͤder Verrath, und Treubruch, Empoͤrung und Mistraun;
Und von Seiten des Himmels, der ihn verlaſſen, Entfernung,
Zorn, und wohlverdienter Verweis, und das Urtheil des Todes,
10
57 Welches Jammer und Weh auf die Erde gebracht, und die Suͤnde,
Jhren Schatten, den Tod, und das Elend, des Todes Begleiter.
Ein zwar trauriges Werk, doch nicht minder, ja mehr noch heroiſch
a)Das verlohrne Paradies iſt ſelbſt in dieſen letzten Geſaͤngen, wo von dem Zorn des Allmaͤchtgen und Adams Ver - zweiflung gehandelt wird, ein heroiſcher Subjekt, als der Zorn des Achills, der, nach dem Homer, dreymal ſeinen Feind Hektor um die Mauern herumjagte, oder die Wuth des Turnus um ſeine Lavi -nia, die ihm vom Aeneas, dem Sohn der Cythere, geraubt wurde, wie uns ſolches Virgil beſchreibt. Wir ſehn hier - aus, daß Milton ſein Gedicht unter die Heldengedichte gerechnet, ob er es gleich auf dem Titel nur ſchlechtweg ein Ge - dicht nennt. N.
a),
Als der Zorn des harten Achills, der dreymal, ergrimmet,
Seinen fliehenden Feind um Jliums Mauren verfolget;
15
58 Oder des Turnus Wuth um ſeine, von dem TrojanerJ 2Jhm68Das verlohrne Paradies.
Jhm geraubte Verlobte, Lavinia; oder die Feindfchaft
Vom Neptunus, oder der Juno, die uͤber den Griechen,
Und der Cythere Sohn ſo langes Ungluͤck gebracht hat.
Wenn nur meinen Geſang durch wahren erhabenen Ausdruck
20
58 Meine himmliſche Goͤnnerinn hebt; ſie, welche mich wuͤrdigt,
Mich von ſelbſt zu beſuchen des Nachts; und die mir im Schlummer
Meine Gedanken begeiſtert, und, ohne daß ich drauf ſinne,
Selbſt den fließenden Vers in meiner Entzuͤckung mir vorſagt,
Seitdem, da mir zuerſt zu einem heroiſchen Liede
25
58 Dieſe Geſchichte gefiel, nachdem ich lange gewaͤhlet,
Und ſpaͤt anhub; indem von Natur mein Geiſt nicht geneigt iſt,
Blutige Schlachten und Kriege zu ſingen, den einzigen Stoff nur,
Den man bisher fuͤr heroiſch erklaͤrt; wenn etwan ſich kuͤnſtlich
Mit verdruͤßlichen langen Gefechten die Ritter der Fabel
30
58 Jn erdichteten Schlachten zerfetzten; indeſſen man Tugend,
Jene hoͤhere Staͤrke der edlern Geduld, und die Thaten
Tapfrer Maͤrtyrer nicht befang, und vorzog, Turniere
Zu beſchreiben, und Ritterſpiel, und Ruͤſtungen, ſchimmernd
Von geſchlagenem Gold; und blaſonnierete Schilde,
35
58 Prahlende Wappen und Pferdedecken, und prangende Roſſe
Und von Golddrath gewirkte Schabracken und praͤchtige Ritter,
Die mit Lanzen und Schwerdt in offener Rennbahn ſich zeigten;
Dann ein praͤchtiges Mahl im Ritterſaale gehalten,
Wo ſie Marſchall und Truchſeß, und Seneſchallen bedienten.
40
58Dinge von ſchlechter Kunſt, und weniger Wuͤrde, die niemals
Weder dem Manne, noch auch dem Gedicht, den Namen heroiſchMit -69Neunter Geſang.
Mitzutheilen vermocht. Hierinnen wenig geuͤbet,
Jſt mir ein hoͤherer Stoff zuruͤckegeblieben, der hinreicht,
Durch ſich ſelber dieß Lied zum Heldenliede zu heben;
45
58 Wenn ein ſpaͤterer Zeitpunkt nicht, ein kaͤlteres Clima,
Oder die Laſt der Jahre die aufwaͤrtsgerichteten Schwingen
Niedergedruͤckt; ſie koͤnnten es wohl, kaͤm alles von mir her,
Und nicht von ihr, die des Nachts zu meinen Ohren es bringet.
Jtzo ſank die Sonne bereits, und Heſperus nach ihr,
50
58 Deſſen Amt es iſt, die Demmerung, dieſe ſo kurze
Herrſcherinn zwiſchen Tag und Nacht zur Erde zu bringen;
Und die Nacht verhuͤllte bereits mit dunkelem Schleyer
Den Geſichtskreis umher; als Satan, welcher aus Eden
Kuͤrzlich vor Gabriels Drohung entflohn, itzt furchtlos zuruͤckkam,
55
58 Mit verſtaͤrkterer Liſt und uͤberlegtem Betruge
Zum Verderben des Menſchen geruͤſtet; er ſcheute das Loos nicht,
Das dadurch noch ſchwerer vielleicht zu treffen ihm drohte.
Bey der Mitternacht war er geflohn
b)Um der Leſer willen, die mit den folgenden aſtronomiſchen Woͤrtern nicht bekannt genug ſind, will ich dieſe Rech - nung kuͤrzlich ſo anzeigen. Satan um - reiſete drey Tage lang die Erde von Oſten gen Weſten, und vier Tage, von Nor -den gen Suͤden; aber hielt ſich beſtaͤndig in dem Schatten der Nacht verborgen: und nachdem er auf ſolche Art eine ganze Woche lang gereiſet hatte, kam er in der achten Nacht wieder verſtohlnerweiſe in das Paradies zuruͤck. N.
b), zur Mitternacht kam er
Wieder zuruͤck; er hatte bisher den Erdball umfahren,
60
59 Und vermied ſorgfaͤltig den Tag; ſeitdem ihn der Sonnen
Herrſchender Engel, Uriel, ſah, in Eden ſich ſtehlen,
Und die Cherubiſche Wacht vor ſeiner Abſicht gewarnet. J 3Alſo70Das verlohrne Paradies.
Alſo fuhr er ſeitdem, von innrer Unruh gejaget,
Mit der Finſterniß ſieben Naͤchte herum um die Erde,
65
59 Zirkelte dreymal die Linie durch, die den Tag und die Naͤchte
Gleich macht; und durchkreuzte von einem Pole zum andern
Emſig den Wagen der Nacht zum viertenmale, nachdem er
Beyde Coluren durchſchnitten; und mit der achten der Naͤchte
Kam er zuruͤck, und fand an der anderen Seite von Eden,
70
59 Fern vom Eingang des Gartens, und von der Cherubiſchen Wache
Einen verborgenen Weg. Es war ein Platz in dem Garten,
Welchen die Neugier vergebens itzt ſucht, obgleich nur die Suͤnde,
Nicht die Zeit, die Veraͤndrung gemacht; hier ſtuͤrzte der Tigris
An dem Fuße von Eden tief unter dem Boden hinunter
75
59 Jn den Abgrund, und kam hernach beym Baume des Lebens
Wieder zum Theil hervor, wie eine ſprudelnde Quelle. Satan ſank mit dem rauſchenden Fluß zugleich in den Abgrund,
Und ſtieg mit ihm wieder herauf, wie ein duͤnſtender Nebel.
Er erforſcht dann, wo er ſich nun am beſten verberge.
80
59Denn er hatte das Meer und das Land durchſuchet, von Eden
Ueber Pontus hinweg bis zu dem Maͤotiſchen Pfuhle,
Am Fluß Oby hinaus bis nieder zum ſuͤdlichen Pole,
Und in die Laͤnge gen Weſten vom Strom des maͤchtgen Orontes,
Bis an den Jſthmus von Darien hin, der den Ocean zuſchließt;
85
59 Und von da bis zum Land, das der Ganges und Jndus benetzet,
So durchſtreifte die Erde ſein Flug; mit fleißigem Forſchen,
Und genauer Beſichtgung beſchaut er jedes Geſchoͤpfe,
Welches von allen am beſten zu ſeinem Betruge ſich ſchicke;Und71Neunter Geſang.
Und er fand, daß die Schlange des Feldes liſtigſtes Thier ſey.
90
59Lange ſtritt er mit ſich; nach vielen verſchiednen Gedanken,
That er zuletzt den Ausſpruch bey ſich, ſie ſey das bequemſte,
Tauglichſte Thier, das beſte Gefaͤß des Betruges, worein er
Fahren, und vor dem ſchaͤrfſten Geſicht die ſchwarze Verfuͤhrung
Sicher verbergen koͤnne; denn nimmer wuͤrden der Schlange
95
59 Liſten verdaͤchtig ſeyn; man wuͤrde glauben, es waͤren
Spiele verſchlagner Erfindung nach ihrem natuͤrlichen Witze;
Da ſonſt, wenn man die Liſt an andern Thieren bemerket,
Leichter Zweifel entſtuͤnden, ob nicht durch teufliſche Wirkung
Etwas hervorgebracht ſey, daß uͤber vernunftloſer Thiere
100
59 Schranken ſo weit zu reichen ſchien. Dieß alſo beſchloß er,
Doch zuvor ergießt er ſein Herz, das in ihm fuͤr Kummer
Und fuͤr Wehmuth beynahe zerſprang, in folgende Klagen.
O wie biſt du dem Himmel ſogleich, o Erde! Wofern du
Jhm vielmehr nicht vorzuziehn biſt; ein Wohnplatz, fuͤr Goͤtter
105
59 Wuͤrdiger! da man ihn auch nach anderm Grundriß gebaut hat,
Und das Alte darinnen verbeßert. Denn ſollte der Schoͤpfer
Etwas ſchlechteres ſchaffen, nachdem er das Beßre gemacht hat?
Jrdiſcher Himmel! umtanzt von andern Himmeln, die leuchten;
Aber die hellen dienſtbaren Lampen fuͤr dich nur entzuͤnden;
110
59 Licht auf Licht fuͤr dich nur allein, (ſo ſcheint es,) verſammeln,
Und die theuren Stralen von heiligem Einfluß in dir nur,
Als im Mittelpunkte, vereinen. Wie Gott in dem Himmel
Als der Mittelpunkt alles beſeelt, auf alles ſich ausdehnt;So72Das verlohrne Paradies.
So ſtehſt du im Mittelpunkt auch von allen den Kugeln,
115
59 Und empfaͤngſt den Tribut von ihnen allen. Jn dir nur,
Nicht in ihnen, erſcheinen die alles befruchtenden Kraͤfte,
Welche Pflanzen und Kraͤuter beleben, und edlere Arten
Von Geſchoͤpfen, die ſtufenweis ſich von Wachsthum, Empfindung,
Bis zur Vernunft, (die all im Menſchen vereint ſind,) erheben.
120
59Und mit welcher Luſt koͤnnt ich hier wandeln, wofern ich
Mich an etwas ergoͤtzen koͤnnte! Wie lachend erſcheinet
Dieſe Veraͤndrung von Bergen und Thal, und Fluͤſſen, und Waͤldern,
Und von blumichten Auen! hier Land, dort See, und Geſtade
Lieblich mit Hainen gekroͤnt; und Klippen, Hoͤlen und Kluͤfte.
125
59Aber in keinem von ihnen find ich die mindeſte Ruhſtatt,
Oder Zuflucht fuͤr mich! Jemehr ich Vergnuͤgen und Freuden
Um mich herum ſeh, je groͤßer iſt auch die innere Marter,
Welche mich in mir zernagt, da ich der ſcheusliche Wohnplatz
Von dem Gegentheil bin. Jn mir wird alles Ergoͤtzen,
130
59 Alles Gute, zu Gift. Noch ſchlimmer waͤre mein Zuſtand
Selber im Himmel. Jedoch nicht hier, noch minder im Himmel,
Wuͤnſch ich zu wohnen, wofern ich nicht auch den Beherrſcher des Himmels
Ueberwinde. Zwar darf ich nicht hoffen, durch das, was ich ſuche,
Weniger elend zu ſeyn; nur wuͤnſcht ich auch andre ſo elend,
135
59 Wie mich ſelbſt; und ſollten mich auch noch groͤßere Strafen
Dieſerhalb treffen; nur im Verderben, nur in der Zerſtoͤrung,
Findet dieß Herz, voll Bitterkeit, Luſt. Koͤnnt ich ihn zerſtoͤren,
Oder zu etwas verleiten, das ſein Verderben verurſacht,
Jhn, fuͤr welchen dieß alles gemacht iſt; ſo wuͤrde das andreBald73Neunter Geſang.
140
59Bald ihm folgen, indem es, in Wohl und Wehe nicht trennbar,
Mit ihm verknuͤpft iſt Jn Weh demnach! das ſchwarze Verderben
Muͤſſe weit um ſich greifen. Jch will allein nur die Ehre
Unter den hoͤlliſchen Geiſtern erlangen, an Einem Tage
Das zerſtoͤret zu haben, was in ſechs Tagen und Naͤchten,
145
59 Er, der Allmaͤchtge, (ſo wie man ihn nennt,) mit Muͤhe verrichtet.
Und wer weiß, wie lang er vorher dem wichtigen Werke
Nachgedacht hat? jedoch auch vielleicht nicht laͤnger, als da ich
Von dem ſchimpflichen Joch die Haͤlfte des Engliſchen Namens
Muthig in Einer Nacht befreyt, und ſeiner Verehrer
150
59 Sklaviſche Schaaren dadurch geſchwaͤcht. Er, um ſich zu raͤchen,
Und die duͤnner gewordnen Mengen dadurch zu erſetzen,
Hat, (entweder, weil er die Kraft, die er ehmals beſeſſen,
Engel zu ſchaffen, nun nicht mehr beſitzt; wofern er ſie anders
Wirklich geſchaffen; vielleicht, auch dadurch nur mehr uns zu hoͤhnen.)
155
59Sich entſchloſſen, an unſrer Statt ein Geſchoͤpfe zu ſetzen,
Das er aus Erde gemacht; von ſeinem niedrigen Urſprung
Es zu erhoͤhn, und mit himmliſchem Raube, mit unſerm Raub es
Zu begnadigen. Was er beſchloß, das hat er vollendet,
Und den Menſchen gemacht. Er hat auf die praͤchtigſte Weiſe
160
59 Dieſe Welt fuͤr ihn nur erbaut, fuͤr ihn nur die Erde,
Seinen Wohnplatz, und uͤber dieß alles zum Herrn ihn ernennet.
Ja er hat, (o der Schande!) ſogar die flammenden Diener,
Und die gefluͤgelten Geiſter, zu ſeinem Schutze verordnet,
Die ihn bewahren, und hier im irdiſchen Amt ſich erniedern.
165
59Dieſe ſind es, vor deren Liſt und Wachſamkeit ich michII. Theil. KScheuen74Das verlohrne Paradies.
Scheuen muß; die zu betriegen, hab ich mich alſo verborgen;
Und, in dieſem Nebel von Mitternachtsduͤnſten verhuͤllet,
Schleich ich alſo verſtohlen umher. Jn jeglichem Buſche
Und in jeglichem Sumpf, ſuch ich |die ſchlafende Schlange
170
59 Aufzufinden, daß ich in ihren ſchlanken Gelenken
Mich, und den ſchwarzen Entſchluß verberge, worauf ich bedacht bin.
Aber wie tief, wie ſchimpflich muß ich herunter ſinken!
Jch, der kuͤrzlich erſt noch mit Goͤttern gekaͤmpft, wer am hoͤchſten
Sitzen ſollt; ich ſehe mich nun erniedrigt zum Viehe,
175
59 Sehe dieß Weſen, das nach der Hoͤh der Gottheit geſtrebet,
Nun mit Fleiſch, mit Thierſchleim vermiſcht! Doch wozu erniedern
Herrſchſucht und Rache ſich nicht! Wer ſteigen will, muß ſich entſchließen,
Eben ſo tief vorher erſt zu fallen; muß vor oder nachher
Sich zu den niedrigſten Dingen bequemen. Die Rache, ſo ſuͤß ſie
180
59 Auch im Anfang uns duͤnkt, ſchlaͤgt doch mit Bitterkeit endlich
Auf ſich ſelber zuruͤck. Es ſey! ich werd es nicht achten,
Wenn nur die Rache, die gegen den hoͤhern vor kurzem mir fehlſchlug.,
Gegen dieſen nach Wunſch mir gelingt, der nachher von neuem
Mich zum Neide gereizt; den neuen Guͤnſtling des Himmels,
185
59 Dieſen Menſchen von Erde, den, unſer nur mehr noch zu ſpotten,
Aus dem Staube ſein Schoͤpfer erhob, den Sohn der Verhoͤhnung
Wohl! Verhoͤhnung wird dann mit Verhoͤhnung am beſten vergolten.
Als er dieſes geſagt, durchkroch er jeglichen naſſen,
Jeglichen trockenen Buſch, wie ein dunkeler Nebel, und ſetzte
190
59 Fleißig ſein naͤchtliches Forſchen fort, die Schlange zu finden;Und75Neunter Geſang.
Und er fand ſie gar bald, feſt eingeſchlafen, in Ringen
Labyrinthiſcher ſchmeidger Gelenke zuſammengerollet;
Jn der Mitten ihr Haupt, zu reich nur mit Liſten verſehen.
Und noch ſchlief ſie, nicht ſo wie itzt, in duͤſteren Hoͤlen,
195
59 Oder ſchrecklichen Schatten; vielmehr unſchaͤdlich, in zarten
Blumichten Kraͤutern; ohne Furcht, von niemand gefuͤrchtet. Satan ſchluͤpft ihr zum Munde hinein, bemaͤchtigt ſogleich ſich
Jhrer viehiſchen Sinnen; des Herzens und Haupts, und begeiſtert
Mit Verſtandeskraͤften das Thier. Doch wartet er ruhig,
200
59 Ohne ſie in dem Schlafe zu ſtoͤren, der Ankunft des Morgens.
Als das heilige Licht nun uͤber Edens bethauten,
Duftenden Fluren zu tagen begann, die den Weyhrauch des Morgens
Jtzt aushauchten; und alle Dinge, die Wohlgeruch duͤnſten,
Von dem großen Altare der Erd ihr ſchweigendes Loblied
205
59 Himmelauf ſandten zum Schoͤpfer, und ſeine Naſe mit ſuͤßen
Lieblichen Duͤften erfuͤllten; da kam das menſchliche Paar auch
Aus der Laube heraus, und fuͤgte die Stimme des Lobes
Zum verehrenden Chor der ſtimmeberaubten Geſchoͤpfe.
Sie genoſſen darauf der Morgenſtunde, wo Luͤfte,
210
59 Und Geruch am lieblichſten ſind, und beſprachen ſich, wie ſie
Dieſen Tag auch die Arbeit, die wuchs, am leichtſten vollbraͤchten.
Denn die Arbeit mehrete ſich zu ſtark fuͤr die Haͤnde
Zweyer Perſonen, deren Gebieth ſo weit ſich erſtreckte. Eva ſagte drauf alſo zuerſt zu ihrem Gemahle.
K 2Adam76Das verlohrne Paradies. 215
Adam, wir moͤgen auch noch ſo ſehr in unſeres Gartens
Bau beſchaͤfftiget ſeyn; wir moͤgen der Pflanzen und Blumen
Auf das ſteißigſte warten, der ſuͤßen, vom Schoͤpfer befohlnen
Arbeit; indeß, bis mehrere Haͤnde zu helfen nicht da ſind,
Waͤchſt ſelbſt unter der Arbeit das Werk, und wird vom Beſchneiden
220
59 Nur noch geiler; das, was wir des Tags von ſchoſſenden Zweigen
Brechen, ſchneiden, bebinden, und unterſtuͤtzen, das ſehn wir
Durch den uͤppigen Wuchs in wenigen Naͤchten vereitelt,
Und noch wilder geworden, als ſonſt. Gieb du denn hieruͤber
Deinen Rath; ſonſt hoͤre von mir die erſten Gedanken,
225
59 Welche mein Sinn mir geſagt. Laß uns die Arbeit vertheilen.
Geh du dahin, wo Neigung und Wahl am ſtaͤrkſten dich hinzieht,
Und es dir am noͤthigſten ſcheint; das duftende Geisblatt
Leite du hier herum um den Stamm; dort zeige dem Ephen
Seinen ſchlaͤngelnden Weg, wo er die Ulme hinaufwaͤrts
230
59 Fortkriecht; da ich indeß in jenem Fruͤhling von Roſen,
Lieblich mit Myrthen vermiſcht, genug, bis der Mittag herannaht,
Zu verbeſſern finde. Denn wenn wir ſo nahe beyſammen
Taͤglich die Arbeit uns waͤhlen, was Wunder, wenn wir uns einander
Durch ſo manchen laͤchelnden Blick verfuͤhren, und oftmals
235
59 Unvermuthet ein Gegenſtand uns zu Geſpraͤchen verleitet,
Welche die Arbeit verhindern, ſo daß wir ſie manchmal nicht merken,
Wenn wir auch noch ſo fruͤh ſie begonnen; uns endlich, noch ehe
Wir es erwerben, die Stunde des Abendmahles uns rufet.
Adam77Neunter Geſang.
Adam erwiedert ihr alſo darauf mit freundlicher Antwort:
240
59 Einzige Eva
c)Bentley tadelt dieſes Beywort, weil ſie aber als die Mutter aller Lebendigen Eva genannt worden, ſo koͤmmt ihr dieß Beywort mit Recht zu. Pearce.
c)! du meine Huͤlfe! du, die du alleine
Meine Geſellſchaft biſt, viel theurer, als alle Geſchoͤpfe,
Welche leben auf Erden; du haſt ſehr wohl es erinnert,
Wohl es bedacht, wie wir am beſten die Arbeit vollbringen,
Die uns der Schoͤpfer befahl. Jch muß dich dieſerhalb loben.
245
60Denn was iſt wohl ſchoͤner und liebenswerther am Weibe,
Als wenn ſie mit haͤuslichem Fleiß der Wirthſchaft ſich annimmt;
Und die nuͤtzlichen Werke des Manns zu befoͤrdern bemuͤht iſt.
Aber ſo ſtrenge hat Gott uns nicht die Arbeit befohlen,
Daß wir uns ſollten Erquickung verſagen, entweder durch Nahrung
250
60 Oder durch holde Geſpraͤche, die Nahrung unſers Gemuͤthes;
Oder den ſuͤßen Wechſel der laͤchelnden Minen und Blicke.
Denn das Laͤcheln koͤmmt aus der Vernunft
d)Das Laͤcheln iſt ein ſo ſicheres Zei - chen der Vernunft, daß einige Weltweiſendie Definition des Menſchen animal ra - tionale, in animal riſibile veraͤndert, und behauptet haben, der Menſch ſey allein unter allen Creaturen mit der Gabe des Lachens beſchenkt worden. Hume.
d), und wurde den Thieren
Nicht gewaͤhret; es dient der Liebe zur Nahrung; der Liebe,
Nicht dem kleineſten Zweck vom menſchlichen Leben. Der Schoͤpfer
255
61 Schuf uns nicht zu verdruͤßlicher Laſt, vielmehr zum Vergnuͤgen;
Zum Vergnuͤgen, das mit der Vernunft harmoniſch verknuͤpft iſt.
Glaube denn ſicher, daß wir mit unſern vereinigten Haͤnden
Dieſen Pfaden und Lauben, ſo ſehr nicht ins Wilde zu wachſen,
Ohne Muͤhe verwehren werden, ſo weit als wir beyde
260
61 Noͤthig haben zu gehn, bis uns bald juͤngere HaͤndeK 3Bey -78Das verlohrne Paradies.
Beyſtehn koͤnnen. Doch wenn dich vielleicht die ermuͤdende Wolluſt
Dieſes beſtaͤndigen Umgangs ſaͤttigt, ſo ſey dir, o Eva,
Eine kurze Scheidung erlaubt; die beſte Geſellſchaft
Jſt die Einſamkeit oft; nach einer kurzen Entfernung
265
61 Wuͤnſcht man noch mehr, ſich wieder zu ſehn. Doch faßt mich indeſſen
Noch ein andres Bedenken; dir moͤcht ein Ungluͤck begegnen,
Wenn du entfernt biſt von mir. Du weißt es, wie ſehr wir gewarnt ſind;
Was fuͤr ein grimmiger Feind, der unſer Gluͤcke beneidet,
Und an ſeinem eignen verzagt, mit heimlichen Liſten
270
61 Uns in Ungluͤck und Schande zu ſtuͤrzen bemuͤht iſt. Er lauret
Ohne Zweifel hier um uns herum, in ſchmeichelnder Hoffnung,
Uns von einander getrennt zu finden; ſein groͤßeſter Vortheil,
Und ſein einziger Wunſch. Denn ſind wir beyſammen, ſo darf er
Sich, uns zu betriegen, nicht ſchmeicheln, indem wir vereinet,
275
61 Uns, wenns noͤthig iſt, ſchleunig einander zu helfen, geſchickt ſind.
Und ſein erſter Entwurf ſey nun, die Pflicht zu entkraͤften,
Die wir dem Schoͤpfer gelobt; wo nicht, doch neidiſch die Freuden
Unſrer ehlichen Liebe zu ſtoͤren, da keines von unſerm
Jrdiſchen Gluͤcke vielleicht ihn mehr zum Neide beweget;
280
61 Kurz, dieß ſey es, oder was aͤrgers, ſo weiche du niemals
Von der getreuen Seite, woraus du dein Weſen empfangen,
Welche dich immer bedeckt und beſchirmt. Wenn Schand und Gefahren
Einer Frau drohn, bleibt ſie am beſten, am ſicherſten immer
Bey dem Maune, welcher voll Muth und Treue ſie ſchuͤtzet;
285
61 Oder auch ſtets, das ſchlimmſte mit ihr zu erfahren, bereit iſt.
Die79Neunter Geſang.
Die jungfraͤuliche Majeſtaͤt der Eva, wie eine,
Welche mit Zaͤrtlichkeit liebt, und itzt was hartes erfaͤhret,
Gab ihm alſo, mit holdem, doch ernſtem Geſichte, zur Antwort.
Abkoͤmmling von Himmel und Erden, Beherrſcher der Erden!
290
61Daß uns ſolch ein grimmiger Feind zu ſtuͤrzen bemuͤht iſt,
Hab ich aus deiner Erzaͤhlung, und bey dem Abſchied des Engels
Von ihm ſelber gehoͤrt; indem ich hinten im Schatten,
Vor ihm verdeckt ſtand, ſo wie ich eben zuruͤcke gekehrt war,
Als die Abendblume ſich ſchloß. Doch daß du deswegen
295
61 Sollteſt an meiner Treu, an meiner Beſtaͤndigkeit, zweifeln,
Die ich dem Schoͤpfer gelobt, und dir; dieweil uns ein Feind droht,
Welcher vielleicht ſie verſucht, das hofft ich von dir nicht zu hoͤren!
Seine Gewalt, die fuͤrchteſt du nicht; Geſchoͤpfe, wie wir ſind,
Trifft kein Tod und kein Schmerz; wir koͤnnen die Schmerzen entweder
300
61 Gar nicht empfinden, oder ſie doch ſogleich auch vertreiben.
Alſo fuͤrchteſt du dich allein vor ſeinem Betruge!
Fuͤrchteſt zugleich fuͤr meine Treu und befeſtigte Liebe,
Daß der Verſucher mit Liſt ſie zu erſchuͤttern vermoͤchte. Adam! wie konnteſt du ſolchen Gedanken den Eingang verſtatten,
305
61 Und ſo uͤbel von der, die dir ſo theuer iſt, denken.
Adam! erwiederte drauf mit ſanften heilenden Worten:
Tochter Gottes, und Tochter des Menſchen
e)So wie Eva den Adam Abkömm - ling von Himmel und Erden genannt,weil ihn Gott aus dem Staube der Erdegemacht;
e), unſterbliche Eva! Denn80Das verlohrne Paradies.
Denn das biſt du, indem du von Suͤnd und Tadel befreyt biſt;
Nicht aus Mistraun rath ich es ab, aus meinem Geſichte
310
62 Dich zu entfernen, nur darum vielmehr, damit die Verſuchung
Von uns abgewandt werde, die uns der Verſucher bereitet.
Denn der Verfuͤhrer, wofern er uns auch vergebens verſuchet,
Kann zum wenigſten doch den Ruhm des Verſuchten beflecken,
Da er vorausſetzt, daß er ihn nicht fuͤr ſtark genug halte,
315
62 Seiner Verſuchung entgegen zu ſtehn. Du wuͤrdeſt das Unrecht,
Das durch ihn dich bedroht, ſelbſt voller Unmuth empfinden,
Wenn es auch ohne Wirkung geweſen. Verdenke mir drum nicht,
Daß ich mich ernſtlich bemuͤh, ſolch eine Beleidigung von dir
Zu entfernen, indem du allein biſt; uns beyde beyſammen
320
62 Wird der Feind, ſo kuͤhn er auch iſt, ſo leicht nicht verſuchen,
Oder wenn er es wagt, ſo geht am erſten ſein Anfall
Ohne Zweifel auf mich. Veracht auch ſeine Verſuchung,
Seine Liſt, nicht zu ſehr! Wie fein, wie liſtig muß der ſeyn,
Welcher Engel verfuͤhrt; und halte drum andere Huͤlfe
325
62 Nicht fuͤr umſonſt. Der Einfluß von deinen maͤchtigen Blicken,
Macht mich in jeglicher Tugend erhabner; vor deinem Geſichte
Bin ich wachſamer, weiſer, und ſtaͤrker; wenn Staͤrke des Koͤrpers
Noͤthig waͤre. Die Scham, verfuͤhrt, betrogen zu werden,
Wuͤrde, wofern du es ſaͤhſt, zum aͤußerſten Muth mich erheben,
330
62 Zu dem ſtaͤrkſten vereinigten Muth. Und ſollteſt du gleichfalls
Nicht den Einfluß von mir und meiner Gegenwart fuͤhlen,Und
e)gemacht; ſo nennt Adam Even Toch - ter Gottes und Tochter des Men -ſchen, weil ſie von Gott aus dem Men - ſchen geſchaffen worden. N.
e)81Neunter Geſang.
Und nicht lieber zugleich mit mir die Verſuchung erwarten,
Da ich der beſte Zeuge von deiner beſtaͤtigten Treu bin.
So ſprach Adam, beſorgt in ſeiner ehlichen Liebe.
335
63Aber Eva, welche vermeynte, man traue zu wenig
Jhrer Tugend und Treu, verſetzte mit lieblicher Stimme.
Jſt das unſer geprieſener Stand, im engſten Bezirke
Eingeſchloſſen zu ſeyn, von einem grimmigen Feinde
Voll von Wuth, oder Liſt; iſt jedes von uns fuͤr ſich ſelber
340
63 Nicht genugſam bewehrt, ihn, wo er auch immer uns findet,
Mit gleich maͤchtigem Muth zu begegnen: wie ſind wir da gluͤcklich?
Gluͤcklich in einer beſtaͤndigen Furcht vor Leid und vor Ungluͤck?
Aber Ungluͤck und Leid kann vor der Suͤnd uns nicht treffen;
Denn die Verſuchung des Feindes beſchimpft uns allein durch ſein Urtheil,
345
63 Welches unſere Treu entehrt; ſein ſchimpfliches Urtheil
Kann uns indeß nicht beflecken; es faͤllt vielmehr auf ihn ſelber
Voller Schande zuruͤck. Was haben wir ihn denn zu fuͤrchten?
Haben wir nicht gedoppelten Ruhm dadurch zu erwerben,
Wenn ſein ſchaͤndlicher Argwohn ihn truͤgt? Dann haben wir in uns
350
63 Frieden, und Gunſt vom Himmel, und von dem Ausgang Beweiſe.
Was iſt Lieb und Tugend und Treu, wofern ſie nicht ſelber,
Ohne Huͤlfe von andern, ſich zu erhalten vermoͤchten!
Bilde dir alſo nicht ein, daß dieſen ſeeligen Zuſtand
Unſer weiſeſter Schoͤpfer ſo unvollkommen gelaſſen,
355
63 Daß nicht jedes von uns, ſowohl allein, als beyſammen,II. Theil. LSicher82Das verlohrne Paradies.
Sicher ſeyn koͤnnte. Wie ſchlecht waͤr unſer Gluͤck nicht befeſtigt! Eden waͤre kein Eden, wenn ſolche Gefahren ihm drohten.
Feurig erwiedert ihr drauf der Vater der Menſchen die Antwort;
Alles iſt ſo am beſten, o Weib
f)Jn dieſer ganzen Unterredung, wel - che der Poet in allen Stuͤcken zur hoͤch - ſten Vollkommenheit ausgearbeitet hat, wird der Charakter mit der ſorgfaͤltigſten Genauigkeit beobachtet. Mit weicher Staͤrke wird der hoͤhere Verſtand des Mannes hier geſchildert, und wie fein entwirft der Poet die allgemeinen Maͤn -gel der weiblichen Sinnen! Mit welcher Kunſt laͤßt er endlich Adam wider ſeine beſſern Gruͤnde ſeiner Gehuͤlfinn willfah - ren, indem er mit vieler Kunſt unſern erſten Stammvater das wahr machen laͤßt, was er nicht lange zuvor dem En - gel Raphael geſtanden! Thyer.
f)! ſo wie es des Hoͤchſten
360
64 Wille beſtimmt. Die ſchaffende Hand ließ nicht das geringſte
Mangelhaft, und am mindſten den Menſchen. Jhm fehlt nichts von allem,
Welches ſein Gluͤck zu beſchuͤtzen vermag vor aͤußrer Gewalt es
Zu beſchuͤtzen vermag; denn bloß in ihm ſelber verborgen
Liegt die Gefahr, doch auch die Kraft, davor ſich zu huͤten.
365
64Jhm kann, wenn er’s nicht will, kein Leid, kein Ungluͤck begegnen;
Doch Gott laͤßt den Willen ihm frey; denn, was der Vernunft folgt,
Das iſt frey. Er ſchuf die Vernunft rein, gut, und geboth ihr,
Jmmer auf ihrer Wache zu ſeyn, damit ſie, betrogen
Durch ein falſches ſcheinendes Gut, nicht den Willen verleite,
370
64 Etwas zu thun, was die Stimme des Schoͤpfers ausdruͤcklich verbothen
Mistraun iſt es drum nicht, vielmehr die zaͤrtlichſte Liebe,
Wenn ich oftermals dich, und du mich wieder ermahneſt.
Standhaft ſtehen wir zwar, allein wir koͤnnen auch gleiten,
Da ſehr leicht der Vernunft ein taͤuſchender Gegenſtand aufſtoͤßt,
375
64 Den der betruͤgriſche Feind ihr untergeſchoben. So faͤllt ſieJn83Neunter Gefang.
Jn den Betrug, indem ſie nicht wachte, ſo wie ſie gewarnt war.
Suche deshalb die Verſuchung nicht auf, indem ſie zu meiden
Beſſer und ſicherer iſt; am ſicherſten, wenn du dich niemals
Von mir entfernſt; denn ungeſucht auch koͤmmt oft die Verſuchung.
380
64Willſt du ein Beyſpiel geben von deiner Beſtaͤndigkeit? gieb erſt
Eins von deinem Gehorſam! Wer kann von der erſten was wiſſen,
Etwas bezeugen, wer ſelbſt nicht deine Pruͤfung geſehen.
Glaubſt du indeß, es moͤchte die Pruͤfung, wofern man ſie nicht ſucht,
So verwahrt uns nicht finden, als wie du itzo mir ſcheineſt,
385
64 Da ich dich alſo gewarnt: ſo geh! denn ſelbſt dein Verweilen,
Waͤr es nicht frey, entfernt dich nur mehr
g)Jn Miltons Leben wird erzaͤhlt, daß Miltons erſte Frau, nicht lange dar - nach, da er ſie geheyrathet, eine große Begierde bezeigt, ihre Verwandten auf dem Lande zu beſuchen. Es iſt zu ver - muthen, daß ihre Unterredung bey dieſer Gelegenheit der Unterredung Adams und Evens aͤhnlich geweſen, und daß er ihrnach ihrem vielen Anſuchen erlaubt habe zu gehen. Es iſt deſto wahrſcheinlicher, daß er in dieſem Gemaͤlde von Adam und Evens Scheiden ſeine eigne Geſchichte vor Augen gehabt, da man hernach in der Erzaͤhlung von ihrer Verſoͤhnung zei - gen wird, daß er ganz genau ſeine eigne Geſchichte beſchrieben. N.
g). Geh hin, in der Unſchuld,
Die die Natur dir geſchenkt; verlaß dich auf alle die Tugend,
Die du beſitzeſt, und rufe ſie auf zu deiner Vertheidgung.
Gott hat alles das ſeine gethan, thu du auch das deine.
390
Alſo ſagte der Vater des Menſchengeſchlechtes. Doch Eva
Ließ nicht ab, und erwiedert zuletzt, obgleich voll Gehorſam.
Alſo geh ich mit deiner Erlaubniß; und ſicherer macht mich
Deine Warnung, und was du zuletzt nur fluͤchtig erinnert,
Daß die Verſuchung, wenn ſie von uns am mindſten geſucht wird,L 2Deſto84Das verlohrne Paradies.
395
65Deſto minder vielleicht uns beyde bereitet erfinde.
Doch kaum laͤßt mich der Stolz von unſerm Feinde vermuthen,
Daß es ihm wichtig gnug ſey, zuerſt die Schwaͤchſte zu pruͤfen.
Wenn er es thut, ſo ſoll um ſo mehr mein Sieg ihn beſchaͤmen.
Als ſie ſo ſprach, entzog ſie ſanft der Hand des Gemahles
400
65 Jhre Hand; und wandelte fort zu den bluͤhenden Hainen,
So wie eine Nymphe des Walds, wie die Oreas fortfliegt,
Oder die Dryas, und von dem Gefolge der Delia eine.
Aber die Delia ſelbſt uͤbertraf ſie im goͤttlichen Gange,
Und in ihrer Geſtalt, obgleich nicht Bogen und Koͤcher
405
65 Auf den Schultern erklang; nur einiges Gartengeraͤthe
Waffnete ſie, ſo wie es die Kunſt, die noch nicht gebildet,
Sich noch nicht mit Feuer befleckt, verfertiget; oder
Wie es ihr Engel gebracht. So ausgeſchmuͤckt, glich ſie der Pales,
Oder Pomonen, da ſie der Liſt des Vertumnus entflohen;
410
65 Oder der Ceres, als ſie, noch Jungfrau, in bluͤhender Schoͤnheit,
Nicht der Proſerpina Mutter und nicht vom Zevs noch beruͤhrt war.
Lange folgt er ihr nach mit ſeinen verlangenden Blicken
Voller Entzuͤckung, und wuͤnſchte nur mehr ihr laͤngres Verweilen.
Oft wiederhohlt er es ihr, bald wieder zu kommen; ſie that ihm
415
65 Eben ſo oft das Verſprechen, zur Mittagsſtunde zuruͤcke
Jn der Laube zu ſeyn, um alles darinnen zum Mahle
Und zur Nachmittagsruh gehoͤrig in Ordnung zu bringen.
Ungluͤckſeelge, Betrogne! Jn deiner Zuruͤckkunft betrogneEva! 85Neunter Geſang. Eva! Wie truͤgt dich die Hoffnung
h)Dieſe ſchoͤnen Apoſtrophen und Vorentdeckungen ſind in den Poeten ge - woͤhnlich, als die gern im Prophetiſchen Charakter und wie Maͤnner reden, wel - che die Erkenntniß der Zukunft beſitzen. Es iſt etwas fehr bewegliches in ſolchen Betrachtungen, die uns die Eitelkeit aller menſchlichen Hoffnungen ſchildern, und zeigen, wie wenig oft der Ausgang mit unſern Erwartungen uͤbereinſtimme.
h)! und welch ein trauriger Ausgang
420
66 Wartet auf dich! du fandeſt von dieſer ungluͤcklichen Stunde
Weder liebliche Mahlzeit, noch ſuͤße Ruh mehr in Eden!
Solch ein wuͤthender Feind lag unter den Blumen im Schatien
Dir zum Hinterhalte verdeckt; mit hoͤlliſchem Haſſe
Laurt er auf dich, dir entweder den Weg zuruͤck zu verhindern,
425
66 Oder dich, deines Gluͤcks, und deiner Unſchuld und Treue
Traurig beraubt, zuruͤcke zu ſenden. Denn itzo kroch Satan,
Jn der natuͤrlichen Schlange Geſtalt, mit dem demmernden Morgen
Liſtig hervor, und ſuchte, wo er am erſten die beyden
Einzigen noch vor den Menſchen, mit ihnen ihr ganzes Geſchlechte,
430
66 Seinen auserſehenen Raub, zu finden vermoͤchte.
Er durchſuchte Gefild und Lauben; in jeglichem Buſche,
Jeglichem bluͤhenden Hayn, der angenehmer ihm vorkam,
Oder ihr Wohnplatz ſchien, ihr Pflanzort zu ihrem Vergnuͤgen,
Spaͤht er umher; am rieſelnden Quell, am ſchattichten Bache
435
66 Sucht er ſie auf. Doch wuͤnſcht er bey ſich, ein gluͤcklicher Zufall
Moͤcht ihm Even allein entdecken; er wuͤnſcht es, doch konnt er,
Was ſo ſelten geſchah, nicht hoffen: als wider ſein Hoffen Even allein er entdeckt, in eine Wolke von Weyhrauch
Und Geruͤchen verhuͤllt; er ſah ſie nur halb, ſo umfloß ſie
440
66 Ringsum ein gluͤhender Buſch von duftenden Roſen. Sie beugteL 3Oft86Das verlohrne Paradies.
Oft ſich nieder, das ſinkende Haupt der zaͤrteren Blumen
Aufzubinden; ſie band ſie auf mit Schleifen von Myrthen;
Da ſie indeß, als die ſchoͤnſte der Blumen, der Stuͤtze beraubet,
Und von ihrem Schirme ſo weit, dem Sturme ſo nahe,
445
66 Selbſt ſich vergaß. Er naͤherte ſich; viel kruͤmmende Wege,
Hoch beſchattet mit waldichten Cedern, mit Tannen und Palmen,
Kroch er hindurch; itzt ſchmeidig und kuͤhn, und itzund verborgen,
Oder er zeigte ſich auch in dicken verſchlungenen Buͤſchen,
Unter den ſchimmernden Blumen, die jeden Raſen bedeckten,
450
66 Evens Arbeit mit eigener Hand. Der lachende Platz war
Reizender, als die Gaͤrten der Fabel, des wiedererweckten
Lieblings der Venus, Adonis, und wie Alcinous Gaͤrten,
Welcher den Sohn Laertens bewirthet; und jener, nicht myſtiſch,
Wo der weiſeſte Koͤnig mit ſeiner Aegyptiſchen Schoͤne
455
66 Sich erluſtigt. Der Feind bewunderte voller Entzuͤcken
Dieſen Garten, noch mehr die Perſon. Wie einer, der lange
Jn der bevoͤlkerten neblichten Stadt verſchloſſen geweſen,
Wo er ſchwerere Luft in dumpfichten Haͤuſern geathmet,
Wenn er an einem lieblichen Morgen des Sommers herausgeht,
460
66 Auf dem heiteren Land, und auf dem umſchatteten Vorwerk,
Friſchere Luͤfte zu trinken; von allem dem, was ihm nur aufſtoͤßt,
Neue Vergnuͤgungen fuͤhlt, vom ſuͤßen Dufte des Waizens
Vom gemaͤheten Gras, von Heerden, und von dem Geruche,
Aufgeſammelter Milch; von jedem laͤndlichen Anblick
465
66 Und von jedem laͤndlichen Schall; woferne denn etwan
Ein friſchbluͤhendes Maͤdchen, gleich einer Nymphe, vorbeygeht,Alles87Neunter Geſang.
Alles, was reizend ihm ſchien, durch ſie noch reizender ſcheinet,
Sie ihn am meiſten von allem, was ihn entzuͤcket, bezaubert,
Und in ihrer Geſtalt er alles Vergnuͤgen vereint glaubt:
470
66 Solche Freude ſchoͤpfte die Schlange beym heiteren Anblick
Dieſes blumichten Raums, dem lieblichen Aufenthalt Evens,
Welche ſo fruͤh, ſo allein hier war. Die himmliſche Bildung,
Wie der Engel Geſtalt, nur zaͤrtlicher, fanfter, und weiblich;
Jhre bezaubernde Unſchuld, die Anmuth in jeglicher Mine,
475
66 Und der gewinnende Reiz in ihrem kleinſten Betragen,
Floͤßten der Bosheit Ehrfurcht ein, und nahmen der Wuth ſelbſt
Mit dem ſanfteſten Raube den giftigen wuͤthenden Vorſatz,
Welchen ſie mit ſich gebracht. Der Boͤſe ſtand itzo vom Voͤſen
Eine Zeitlang entbloͤßt, ſtand eine Zeitlang in Dummheit
480
66 Gut, entwaffnet von Feindſchaft und Liſt, von Neid, und von Rache.
Aber die heißeſte Hoͤlle, die, wo er nur geht, in ihm brennet,
Waͤr er auch mitten im Himmel, macht ſchnell den Freuden ein Ende.
Jtzo martern ſie ihn nur deſto mehr noch, je mehr er
Freuden erblickt, die nicht fuͤr ihn da ſind. Er ſammelt von neuem
485
66 Allen ſeinen toͤdtlichen Haß, und alle Gedanken,
Schwanger von Ungluͤck und Rache, mit dieſen erweckenden Worten.
O! wo habt ihr mich hingefuͤhrt, Gedanken! Wie hat mich
Dieſe ſuͤße Gewalt nicht entzuͤckt, ſo daß ich vergeſſe,
Was hieher mich gebracht! Haß! und nicht Liebe, nicht Hoffnung
490
66 Hier ſtatt der Hoͤll ein Eden zu finden; nicht Hoffnung, hier Freuden,
Oder Vergnuͤgen zu ſchmecken; nein, alle Vergnuͤgen und FreudenZu88Das verlohrne Paradies.
Zu zerſtoͤren, dieß einzige nicht, das in der Zerſtoͤrung
Dieſer Freuden mir uͤbrig bleibt; dann andre Vergnuͤgen
Sind verlohren fuͤr mich! drum muß ich den gluͤcklichen Zufall,
495
66 Der mir itzt lacht, nicht vergeſſen. Denn ſieh, das Weib iſt allein hier,
Jede Verſuchung kann ich bequem bey ihr nun vollenden,
Denn ihr Mann, (ich ſchaue weit um mich) iſt nicht in der Naͤhe,
Deſſen hoͤhern Verſtand ich mehr, als den ihrigen, fuͤrchte.
Seine Staͤrke, der trotzige Muth, die heroiſche Bildung
500
66 Seiner Geſtalt, obgleich nur geformt aus irdiſchem Stoffe,
Macht ihn als Feind mir furchtbar genug, da er frey iſt vor Wunden,
Und ich nicht; (ſo ſehr hat die Hoͤlle von dem mich erniedrigt,
Was ich im Himmel einſt war; ſo hat der Schmerz mich geſchwaͤchet.)
Sie iſt ſchoͤn, von himmliſcher Schoͤnheit, und werth, daß ſie Goͤtter
505
66 Lieben; nicht furchtbar, obgleich auch in der Schoͤnheit und Liebe
i)D. Pearce hat bey dieſer Stelle angemerkt: Zu einem ſchoͤnen Weibe naͤhert man ſich mit Ehrfurcht und Schre - cken, wofern der, welcher ſich ihr naͤhert,nicht einen ſtrengern Haß gegen ſie hat, als ihre Schoͤnheit Liebe bey ihm erzei - gen kann.
i)
Furchtbarkeit liegt, wenn ſtaͤrkerer Haß nicht wuͤthend ſie angreift;
Haß, der unter dem Schein geſchickt erdichteter Liebe
Deſto maͤchtiger wirkt. Auf dieſem ſicheren Wege
Eil ich nunmehr zu ihrem Fall, zu ihrem Verderben.
510
Alſo ſagte der Feind des Menſchengeſchlechtes, verſchloſſen
Jn die Schlang, ihr ſchlimmer Bewohner. Er nimmt drauf nach Even
Seinen Weg, nicht ſo wie hernach, mit windenden Kruͤmmen,
Kriechend uͤber den Staub, nein, aufgerichtet, in Kreiſen,Die89Neunter Geſang.
Die ſich uͤbereinander erhuben, in Ringen auf Ringen,
515
67 Labyrinthiſch empor gethuͤrmt; ein ſtraͤubender Kamm ſtund
Auf dem Haupt; Carfunkel waren die gluͤhenden Augen.
Gruͤnlichflammendes Gold beſprengte den Hals; er erhub ihn
Unter den zirkelnden Ringen hervor, die uͤber das Gras hin
Wellengleich wallten; gefaͤllig war ſein Anſehn, und reizend;
520
67 Keine vom ganzen Schlangeſchlecht war reizender nachher,
Die in Jllyrien nicht, die Hermionen und Cadmus
k)Cadmus wurde mit ſeiner Gemah - linn Hermione in Jllyrien in Schlangen verwandelt. Der Gott in Epidaurus, oder Aeskulapius, wurde nach der Sa - ge der Fabel in Geſtalt einer Schlange nach Nom gebracht. Jupiter Ammonhatte in Geſtalt einer Schlange mit der Olympias, Alexanders des Großen Mut - ter, einen verliebten Umgang gehabt; und Jupiter Capitolinus ſollte auf gleiche Art der Vater des Scipio Afrikanus geweſen ſeyn. N.
k),
Noch auch die, die den Gott in Epidaurus verwandelt;
Oder die Jupiter Ammon, und Jupiter Capitolinus
Ehmals an ſich genommen, der Erſt Olympiens wegen,
525
68 Und der zweyte fuͤr die, die vormals den Scipio, mit ihm Roms Erhoͤhung, gebahr. Mit ſchiefgewu[n]denen Kruͤmmen
Naͤhm er zuerſt von der Seite den Weg, als einer, der ſehnlich
Zwar den Zutritt ſich wuͤnſcht, doch fuͤrchtet zur Unzeit zu kommen,
Wie ein irrendes Schiff, vom Steuermanne regieret,
530
68 Nah herum um die Muͤndung des Fluſſes, und um die Geſtade
Eines Vorgebirgs ſchwebt, ſo wie ſich der aͤndernde Wind dreht,
Dreht es ſich auch, und aͤndert die Segel: ſo aͤndert er gleichfalls
Seinen Gang, und macht mit dem Schweif vor den Augen der Eva
Um ſie auf ſich zu ziehn, viel kuͤnſtlichverſchlungene Kraͤnze. Sie,II. Th. M90Das verlohrne Paradies.
535
68Sie, mit der Arbeit beſchaͤfftigt, vernimmt das Rauſchen der Blaͤtter,
Aber achtet es nicht; ſie war der ſcherzenden Spiele
Schon von allen Thieren gewohnt, die mit groͤßerm Gehorſam
Jhrer Stimme gehorchten, als jene verwandelte Hcerde
Dem Circeiſchen Ruf. Er ward nun kuͤhner, und ſtellt ſich
540
68 Ungerufen vor ſie, doch wie vor Verwunderung ſtarrend.
Oftmals neigt er ſein buſchichtes Haupt, und den fleckichten Nacken,
Mit dem zierlichſten Schmelze beſprengt, und leckte den Boden,
Wo ſie geſtanden; ſein ſtummer und ſchmeichelnder Ausdruck zog endlich Evens Augen auf ſich; mit innrer Verwundrung bemerkt ſie
545
68 Dieſes Spiel; Er, voller Entzuͤcken, daß ſie es bemerket,
Fieng mit organiſcher Schlangenzunge, vielleicht auch mit Toͤnen
Kuͤnſtlich gepreßter Luft, alſo den ſchwarzen Betrug
l)Der Leſer wird, ohne daß man noͤ - thig hat, ihn beſonders aufmerkſam dar - auf zu machen, wahrnehmen, mit wel - cher Kunſt der Dichter die Schlange re - den laͤßt. So falſch auch alle die Be - wegungsgruͤnde ſind, womit die Schlange die Mutter der Menſchen zu betriegen ſucht; ſo ſind ſie doch mit einer ſolchen wahrſcheinlichen ſophiſtiſchen Beredſam -keit vorgetragen, daß man geneigter wird, Even, die dadurch irre gemacht wird, zu entſchuldigen. Da die heilige Schrift nur mit wenig Worten die Unterredung der Schlange mit Even erzaͤhlt, ſo hat Mil - ton ſein ſchoͤpferiſches Genie hier in dem helleſten Glanze gezeigt, da er ſo viel ſcheinbare Benegungsgruͤnde in der Rede der Schlange hinzu erdichtet. Z.
l)an.
Wundre dich nicht, erhabene Frau, wenn anders noch etwas
Dich, das einzige Wunder, zu andrer Verwunderung bringet.
550
69Waffne noch minder den Himmel der Huld, dein guͤtiges Auge
Mit Verdruß, daß ich mich nah, und ſo in Entzuͤckung
Unerſaͤttlich dich ſchau; dich, ſo allein; und mit Ehrfurcht
Dieſes Antlitz nicht fuͤrchte, daß hier in der einſamen StilleNoch91Neunter Geſang.
Noch mehr Ehrfurcht verdient. Du ſchoͤnſtes herrliches Abbild
555
69 Deines herrlichen Schoͤpfers! die Blicke von allem, was lebet,
Schauen auf dich; und alles Erſchaffne, das durch das Geſchenke
Deines Schoͤpfers, dir zugehoͤrt, bewundern allein nur
Deine goͤttliche Schoͤnheit, und bethen voller Entzuͤckung
Unaufhoͤrlich ſie an. Dort wuͤrde man mehr noch ſie ſchauen,
560
69 Wo ſie von allem bewundert wuͤrde; doch hier in dem oͤden
Einſamen Hayn, hier unter den Thieren, (zu rohe Beſchauer,
Die nicht die Haͤlfte von dem, was in dir ſchoͤn iſt, verſtehen,)
Wer betrachtet dich hier? Wer, außer dem einzigen Manne?
Doch was iſt Einer fuͤr dich! du ſollteſt unter den Goͤttern
565
69 Selbſt als Goͤttinn erſcheinen, und von unzaͤhligen Engeln,
Wie dir gebuͤhrte, taͤglich verehrt, begleitet, bedient ſeyn.
Alſo ſchmeichelt der liſtge Verſucher, und ſtimmet ſein Vorſpiel.
Seine Reden fanden ins Herz der Eva den Eingang,
Obgleich ſeine Stimme ſie ſehr befremdete. Staunend,
570
69 Und nicht wenig beſtuͤrzt, gab ſie ihm endlich zur Antwort.
Was kann dieſes bedeuten? die Sprache des Menſchen erſchallet
Von der Zunge des Thiers, und ſpricht vernuͤnftge Gedanken?
Wenigſtens dacht ich, das erſtere waͤre den Thieren verſaget,
Da der Schoͤpfer ſie ſtumm erſchuf am Tage der Schoͤpfung,
575
69 Stumm zu jedem redenden Ton; das letztere ſchien mir
Ungewiß; denn in den Blicken ſowohl, als Handlungen, ſah ich
Of[t]mals Vernunft. Auch wußt ich, o Schlange, du |ſeyeſt das ſchlauſteM 2Aller92Das verlohrne Paradies.
Aller Thiere des Feldes; doch daß du die menſchliche Sprache
Reden koͤnnteſt, das wußt ich nicht. Erneu denn noch einmal
580
69 Dieſes Wunder, und ſprich, wie wurdeſt du, da du ſonſt ſtumm warſt,
Redend? Warum haſt du vor allen uͤbrigen Thieren
So viel Freundſchaft fuͤr mich? Sprich! ſolch ein Wunder verdienet
Meine voͤllige Neugier, die aufmerkſamſte Betrachtung.
Jhr erwiederte ſchmeichelnd hierauf der liſtge Verfuͤhrer.
585
69Koͤniginn dieſer herrlichen Welt, hellglaͤnzende Eva,
Leicht iſts mir, dir alles, was du verlangeſt, zu ſagen,
Und dir gehorch ich mit Recht. Wie alle kriechenden Thiere,
Die vom zertretenen Gras ſich ernaͤhren, hatt ich auch im Anfang
Nur gemeine niedre Gedanken, gemein, wie mein Futter.
590
69Meinen Gatten allein, und meine niedrige Nahrung
Unterſchied ich, nichts hoͤheres kam in meine Gedanken.
Aber als ich einmal in dieſen Auen herumſtrich,
Fiel mir ein herrlicher Baum, durch einen gluͤcklichen Zufall,
Schon von fern ins Geſicht, mit roͤthlichguͤldenen Fruͤchten,
595
69 Von den helleſten Farben, bedeckt. Jch machte mich naͤher,
Jhn zu beſchaun; der ſaftge Geruch, der, lieblich verduftend,
Von den Zweigen entgegen mir blies, begeiſterte mehr noch
Meine Sinnen, als wie der Geruch vom ſuͤßeſten Fenchel,
Oder der Duft aromatiſcher Milch von Schafen und Ziegen,
600
69 Die des Abends ins Gras getropft, wenn ſcherzende Laͤmmer,
Auf ihr Spiel nur bedacht, ſie aufzuſaugen vergeſſen.
Jch beſchloß in der maͤchtgen Begierde, nicht laͤnger zu zoͤgern,Dieſe93Neunter Geſang.
Dieſe herrlichen Aepfel zu koſten. Zwey ſtarke Verſucher,
Hunger und Durſt, beſchleunigten auch die Begierde zur Nahrung
605
69 Und den Entſchluß, hinauf nach den lockenden Fruͤchten zu klimmen.
Ploͤtzlich wand ich geſchmeidig mich auf an dem moſichten Stamme;
Denn die Zweige, vom Boden entfernt, erſoderten deinen,
Oder auch Adams weitreichenden Arm. Die anderen Thiere
Standen zuſammen herum um den Stamm, und wuͤnſchten ſich gleichfalls
610
69 Auf den Baum, doch umſonſt, ſie konnten die Frucht nicht erreichen.
Als ich mich oben befand, wo vor mir ſo nah, und ſo reizend
Dieſer Ueberfluß hieng, ſaͤumt ich nicht laͤnger zu pfluͤcken,
Und zu eſſen, ſo viel ich gewuͤnſcht; denn ſolches Vergnuͤgen
Hatt ich noch niemals zuvor an einiger Speiſe gefunden,
615
69 Oder an einem erquickenden Quell. Nachdem ich mich endlich
Voͤllig geſaͤttigt, empfand ich bald zu meinem Erſtaunen
Eine ſeltne Veraͤndrung in mir; mein innres Vermoͤgen
Ward zu dem Grad der Vernunft erhoͤht, und es blieb auch die Sprache
Laͤnger nicht aus, ob ich gleich in dieſe Geſtalt noch beſchraͤnkt blieb.
620
69Jch wandt meine Gedanken nunmehr auf hoͤhere Dinge,
Und auf manche tiefe Betrachtung; mit hellem Verſtande
Sah ich alles, was ſichtbar war, im Himmel, auf Erden,
Und in der Luft; ſah alle ſchoͤnen vollkommenen Dinge,
Aber ſah auch zugleich, daß alles Schoͤne, Vollkommne,
625
69 Jn dem himmliſchen Stral von deiner Schoͤnheit vereint ſey,
Und in deinem Geſicht; ich finde nun, nichts auf der Erde
Jſt ihr aͤhnlich, oder ihr gleich. Dieß hat mich bewogen,
Dir mich zu nahn, zur Unzeit vielleicht; und dich zu betrachten,M 3Dich94Das verlohrne Paradies.
Dich zu verehren, dich, die du mit Recht die Fuͤrſtinn der Welt biſt,
630
69 Und die erhabene Frau, die alle Geſchoͤpfe beherrſchet.
Alſo ſagte die Schlange von Liſt begeiſtert. Und Eva,
Noch beſtuͤrzter als erſt, gab unvorſichtig die Antwort:
Schlange, dein uͤbertriebenes Lob, macht billig mir Zweifel
Ueber die Kraft der geprieſenen Frucht, die ſo dich veraͤndert.
635
69Aber ſage, wo waͤchſt denn der Baum? wie weit iſt der Weg wohl?
Denn von mancherley Art, und von verſchiednen Geſchlechtern
Sind die Baͤume Gottes allhier in Eden; wir kennen
Sie bisher noch nicht alle; der Ueberfluß, den wir beſitzen,
Jſt ſo groß, daß unſere Wahl die Menge von Fruͤchten
640
69 Uuberuͤhrt laͤßt, ſie bleiben am Baum in Vergeſſenheit hangen,
Bis daß Menſchen erwachſen, fuͤr ihre Wartung zu ſorgen;
Und mehr Haͤnde die volle Natur der Buͤrden entlaſten.
Jhr erwiederte freudiger nun die liſtige Natter.
Vor uns liegt, Gebiethrinn, der Weg; in kurzer Entfernung,
645
69 Hinter einer lieblichen Reih von ſchattichten Myrthen
Jſt auf einer Ebne der Platz, ſo bald man ein kleines,
Dickes Gebuͤſch von Balſamſtauden zuruͤcke gelegt hat,
Nah an einem ſilbernen Quell. Jſt meine Begleitung
Dir nicht entgegen, ſo will ich gar bald zu dem Orte dich fuͤhren.
650
Fuͤhre mich denn! ſprach Eva zu ihr. Sie ringelte ploͤtzlich,
Sie zu fuͤhren, in Kreiſen ſich fort; was ſchlank erſt geweſen,Schien95Neunter Geſang.
Schien itzt ſtraff, zum Verderben geſchwind; die Hoffnung erhebt ſie,
Und die Freude roͤthet den Kamm. Als wenn ſich ein Jrrlicht,
Schwanger von oͤhlichtem Dampf, verdickt durch die Nacht, und die Kaͤlte,
655
69 Durch die ſchnelle Bewegung in helle Flammen entzuͤndet;
Oft, ſo ſagt man, begleitet von einem betruͤgriſchen Geiſte:
Hin und wieder huͤpft es alsdann mit taͤuſchendem Schimmer,
Fuͤhrt den erſchrocknen naͤchtlichen Wandrer vom Weg ab, durch Suͤmpfe,
Seen und Pfuͤtzen, tief in den Moraſt; worinn er, verlohren,
660
69 Ohne Rettung verſinkt. So glaͤnzte die graͤuliche Schlange,
Da ſie unſere Mutter, die allzuleicht nur ihr glaubte,
Zu dem Fallſtrick fuͤhrt, und zu dem Baum des Verbothes,
Zu der erſten Wurzel von allem Elend der Menſchen.
Als ſie den Baum ſah, ſagte ſie ſo zu ihrem Begleiter.
665
Schlange, wir haͤtten den Weg hieher mit Recht uns erſparet,
Denn er iſt fruchtlos fuͤr mich, obgleich von herrlichen Fruͤchten
Hier ein Ueberfluß haͤngt. Von ihren ſeltenen Kraͤften
Gieb das Zeugniß nur kuͤnftig allein. Zwar wunderbar iſt ſie,
Dieſe Wirkung, von der du erzaͤhlſt wir aber, wir duͤrfen
670
69 Dieſen Baum nicht beruͤhren, noch von ihm eſſen; ſo hat es
Gott uns befohlen, und dieſes Geboth iſt die einzige Tochter
Seiner Stimme; wir ſind in allen uͤbrigen Dingen
Unſer eignes Geſetz; die Vernunft iſt unſer Geſetze.
Hinterliſtig erwiederte drauf der ſchwarze Verſucher:
675
69 Wie? So hat Gott alſo geſagt, ihr ſollt nicht von allenDieſen96Das verlohrne Paradies.
Dieſen Baͤumen des Gartens eſſen? und hat doch zu Herren
Euch von allen auf Erden, und in den Luͤften, erklaͤret.
Jhm gab Eva hierauf, noch ohne Suͤnde, zur Antwort:
Schlange, von jeglichem Baum des Gartens duͤrfen wir eſſen,
680
69 Aber von dieſer ſchoͤnen Frucht des herrlichen Baumes
Hier in der Mitte des Gartens, geboth der Schoͤpfer: ihr ſollt nicht
Von ihm eſſen, ihn nicht beruͤhren, damit ihr nicht ſterbet.
Dieſes redete ſie mit eilenden Worten. Noch frecher
Ward der Verſucher nunmehr, und ſpielte mit tiefer Verſtellung
685
69 Eine neue Perſon; er that, als lieb er den Menſchen
Voller Eifer; und ſey unwillig uͤber das Unrecht,
So ihm geſchaͤh; er wendete ſich mit heftgen Affekten
Hin und her, mit Anſtand jedoch, und ernſten Gebaͤrden,
Als ob er von wichtigen Sachen zu reden gedaͤchte.
690
69Wie ein beruͤhmter Redner vor Zeiten, als in Athen noch,
Oder im freyen Rom, die ſtarke Beredſamkeit bluͤhte,
Welche ſeitdem verſtummt, zu einem wichtigen Vortrag
Jn ſich ſelber geſammelt, ſtand; und jegliche Stellung
Jede Bewegung, und jede Gebaͤrde, bevor er noch anhub,
695
69 Tiefe Still ihm erwarb; und er oft mitten im Feuer
Jn der Hoͤh des Affektes begann, indem ihm der Eifer
Fuͤr ſein Recht erlaubte, mit langem Eingang zu zoͤgern:
Alſo ſtand, ſo gebaͤrdete ſich der Verſucher; ſo ſtieg er
Bis zur Hoͤh des Affekts, und ſprach in der heftgen Bewegung.
O ge -97Neunter Geſang. 700
O geheiligte, weiſe, ſelbſt Weisheit gebende Pflanze,
Mutter von aller Erkenntniß, ich fuͤhle nun klar und unſtreitig
Jn mir deine maͤchtige Kraft; indem ich die Dinge
Jn der erſten Urſach nicht nur, ſelber die Wege
Jener Geiſter entdecke, die ſie gewirket; ſo weiſe
705
69 Sie auch ſcheinen! O Fuͤrſtinn von dieſer herrlichen Erde,
Glaube den ſtrengen Drohungen nicht vom Tode! du wirſt nicht
Sterben! Wie koͤnnteſt du ſterben? Von dieſer Frucht? Nein, ſie giebt dir
Jn der Erkenntniß das Leben. Durch ihn, den Drohenden? Siehe
Mich, ich, der ſie beruͤhrt, ich, der ich von ihr gegeſſen,
710
69 Und doch lebe, ja der ich hiedurch zu vollkommnerem Leben,
Als das neidſche Geſchick vielleicht mir beſtimmte, gelanget,
Da ich mich hoͤher, als dieſes mein Loos iſt, zu ſtreben erkuͤhnet.
Waͤre denn dieſes dem Menſchen verſagt, dieß, welches dem Thiere
Freyſteht? Oder wird Gott um ein ſo kleines Verſehen
715
69 Sich entzuͤnden im Zorn, und eure muthige Tugend
Nicht erheben, die, was auch der Tod nun ſchreckliches ſeyn mag,
Doch die angekuͤ[n]digte Pein des Todes nicht abſchreckt,
Das zu verſuchen, was ſie zu einem gluͤcklichern Leben
Und zur hoͤhern Erkenntniß des Voͤſen und Guten hinauffuͤhrt.
720
69Zu der Erkenntniß des Guten? wie billig iſt dieſes! des Boͤſen?
Wenn das Boͤſe was wirkliches iſt, wie ſollte das Boͤſe
Nicht gekannt ſeyn, indem man dadurch am leichtſten es meidet.
Gott kann euch deswegen nicht ſtrafen, und doch noch gerecht ſeyn.
Nicht gerecht mehr, waͤr er nicht Gott, und nicht mehr zu fuͤrchten;
725
69 Nicht gerecht mehr, muͤßte man ihm nicht laͤnger gehorchen. II. Theil. NEure98Das verlohrne Paradies.
Eure Furcht vorm Tode hebt ſelber die Furcht auf. Warum denn
Unterſagt er die Frucht? Warum? allein, euch zu ſchrecken,
Jn unwiſſender Niedrigkeit euch als ſeine Verehrer,
Seine Sklaven, zu halten. Er weiß, euch werden die Augen,
730
69 Die itzt heiter euch ſcheinen, und doch von Dunkel umhuͤllt ſind,
Wenn ihr eſſet, eroͤffnet; mit aufgeklaͤrteren Blicken
Werdet ihr ſeyn, wie Goͤtter, und von dem Guten und Boͤſen
So viel wiſſen, als ſie. Daß ihr ſeyn werdet wie Goͤtter,
Muß nach aller Verhaͤltniß erfolgen, indem ich dem Geiſt nach
735
69 Menſch geworden. Denn bin ich als Thier zum Menſchen geworden,
O ſo werdet ihr Goͤtter aus Menſchen. Jhr werdet vielleicht ſo
Sterben, indem ihr das Kleid der Menſchheit veraͤndert, die Gottheit
Anzunehmen; ein Tod, der, wenn er nichts ſchlimmers hervorbringt,
Allzuwuͤnſchenswerth iſt, obgleich ihn Strafe gedrohet.
740
69Und was ſind denn die Goͤtter, daß Menſchen nicht eben das wuͤrden,
Wenn ſie die Speiſe der Goͤtter genießen? Die Goͤtter, ſo glaubt man,
Waren zuerſt; nach dieſem Glauben koͤmmt alles von ihnen.
Doch ich leugne die Folge. Denn dieſen herrlichen Erdkreis
Seh ich allein durch die Sonn erwaͤrmt, die alles hervorbringt;
745
69 Aber was bringen die Goͤtter hervor? Woferne von ihnen
Alle Dinge gekommen; wer hat denn die Kenntniß des Guten
Und des Boͤſen hier ſo in dieſem Baume verſchloſſen,
Daß ſie jeder, der von ihm ißt, auch wider den Willen
Dieſer Goͤtter erlaͤngt? Worinnen beſteht die Beleidgung,
750
69 Daß man alſo zur Weisheit koͤmmt? Was kann es ihm ſchaden,
Daß ihr weiſer geworden? was kann, wenn alles doch ſein iſt,Dieſer99Neunter Geſang.
Dieſer Baum, wofern ers nicht will, fuͤr Vortheil euch ſchenken?
Oder iſt es denn Neid? und kann in himmliſchen Seelen
Neid wohl wohnen? Nein, dieß, dieß, und noch ſtaͤrkere Gruͤnde
755
69 Zeigen zu deutlich, wie ſehr ihr dieſes herrlichen Baumes
Noͤthig habet zu eurer Erhoͤhung. O menſchliche Goͤttinn,
Strecke den Arm aus, und nur beherzt nach deinem Gefallen.
Hier beſchloß er; und was er geſagt, ſo voll von Betruge,
Fand zu leicht nur den Weg in Evens verblendete Seele.
760
69Sie beſchaute die Frucht mit ſtarrem Auge; das Anſchaun
Konnt allein ſchon verſuchen; in ihrem bezauberten Ohre
Klang ihr noch immer der Schall von ſeinen beredenden Worten,
Welche, ſo wie es ſie duͤnkte, Vernunft und Wahrheit beſtaͤrkte.
Mittlerweile nahete ſich die Stunde des Mittags
m)Dieſen Umſtand hat der Poet mit vieler Kunſt hinzugedichtet, um die Thor - heit und das Verbrechen unſrer erſtenStammutter etwas dadurch zu mildern. N.
m),
765
70Und erweckte den ſchaͤrfeſten Hunger, vom ſuͤßen Geruche
Dieſer Frucht noch vermehrt; mit einem maͤchtgen Verlangen
Ward ihr luͤſternes Aug entflammt; die Begierde zu pfluͤcken
Und zu eſſen ſtieg itzund am hoͤchſten; doch machte ſie erſtlich
Eine Pauſ, und ſagte bey ſich die murmelnden Worte.
770
Groß, unſtreitig, ſind ſie, o du, du beſte der Pflanzen,
Deine Tugenden; wunderbar ſind ſie, obgleich du den Menſchen
Unterſagt biſt; indem dein Genuß, zu lang uns verbothen,N 2Schon100Das verlohrne Paradies.
Schon bey dem erſten Verſuch dem Stummen die Sprache verliehen,
Und die Zunge, die nicht vorher zum Reden gemacht war,
775
70 Doch dein Lob zu reden gelehrt. Dein Lob hat auch der nicht
Vor uns verheelt, der deinen Gebrauch verwehret, indem er
Dich den Baum der Erkenntniß genannt, der Erkenntniß des Guten
Und des Boͤſen; und dann erſt hernach verbiethet zu eſſen.
Doch ſein Verboth preiſt mehr nur dich an, indem es das Gute,
780
70 Welches du mittheilſt, und welches uns fehlt, nur mehr noch entdecket.
Denn das Gute, von dem man nicht weiß, daß man es beſitzet,
Jſt nur unſtreitig ſo viel, als ob man es gar nicht beſaͤße.
Was verbiethet er denn? Was, als Erkenntniß! Verbiethet
Uns das Gute, verbiethet er uns, noch weiſer zu werden.
785
70Solch ein Geboth verpflichtet uns nicht! Doch baͤnd uns der Tod nun
Kuͤnftig mit ſeinen gewaltigen Banden: was huͤlf uns die Freyheit
Unſerer Seele? denn an dem Tage, (ſo lautet das Urtheil,)
Da wir von dieſer vortrefflichen Frucht zu eſſen es wagen,
Werden wir ſterben. Doch ſtirbt denn die Schlange? Sie hat ja gegeſſen,
790
70 Und lebt doch, und beſitzt Erkenntniß, und redet, und urtheilt
Voller Vernunft, da kurz noch zuvor die Vernunft ihr verſagt war.
Jſt denn alſo der Tod fuͤr uns allein nur erfunden?
Oder iſt dieſe Speiſe der Goͤtter, die Thieren erlaubt iſt,
Uns allein nur verwehrt? Sie ſcheint den Thieren vergoͤnnet,
795
70 Und das einzige Thier, ſo ſie am erſten gekoſtet,
Misgoͤnnt nicht dem Menſchen die Frucht; es bringet mit Freuden
Dieß ihm zugefallene Gut. Von allem Verdachte
Jſt es frey, und dem Menſchen geneigt; es kennet nicht LiſtenOder101Neunter Geſang.
Oder Betrug. Was fuͤrcht ich demnach? Was hab ich zu fuͤrchten?
800
70Jch, ſo unwiſſend im Boͤſen und Guten, in allem, was Tod heißt,
Oder Gott; in Straf, und Geſetz? hier waͤchſet das Mittel,
Welches mich heilt, die goͤttliche Frucht! ſo ſchoͤn fuͤr die Augen,
So einladend fuͤr unſern Geſchmack; begabt mit der Tugend,
Weiſe zu machen. Was hindert mich denn, ſie muthig zu pfluͤcken,
805
70 Und durch ſie mit dem Leibe zugleich die Seele zu ſpeiſen.
Alſo ſprach ſie; und ſtreckt zu einer ungluͤcklichen Stunde
Nur zu eilig die Hand nach der Frucht; getaͤuſcht vom Verfuͤhrer,
Pfluͤckt ſie verwegen, und ißt. Die Erde fuͤhlte die Wunde;
Jnnerlich ſeufzt die Natur, und alle Werke der Schoͤpfung
810
70 Gaben traurige Zeichen, daß alles verlohren gegangen.
Zu dem dicken Gebuͤſch ſchlich nun die ſchuldige Schlange
Wieder zuruͤck: ſie konnt es ſehr leicht; denn Eva war voͤllig
Jn dem neuen Geſchmacke vertieft, und achtete nichts ſonſt.
Niemals hatte ſie, wie ſie es duͤnkte, von anderen Fruͤchten
815
70 Solches Vergnuͤgen gefuͤhlt; entweder fuͤhlte ſie’s wirklich,
Oder ſie ſtellte ſichs vor, ganz voll von der hohen Erwartung
Jhrer Erkenntniß, und voll vom Gedanken der nahen Vergoͤttrung.
Gierig verſchlang ſie die Frucht, und wußte nicht in dem Genuſſe,
Daß ſie den Tod ; endlich ward ſie vollkommen geſaͤttigt,
820
70 Und als wie von Weine berauſcht. Ganz heiter und froͤhlich
Sprach ſie alſo bey ſich, mit ihrem Gluͤcke zufrieden.
N 3O du102Das verlohrne Paradies.
O du herrlichſter, beſter, und koͤſtlichſter aller der Baͤume
Hier in Eden, mit maͤchtiger Kraft zur Weisheit begabet!
Bisher unbekannt zwar, und in verdaͤchtige[m]Rufe,
825
70 Weil man deine vortreffliche Frucht, als waͤre ſie gar nicht,
Oder zu keinem Endzweck gemacht, am Zweige gelaſſen.
Doch von dieſem Augenblick an ſoll jeglichen Morgen
Meine fruͤheſte Sorge nicht ohne Geſang dich begruͤßen,
Deiner pflegen, ſo wie du verdienſt, und dankbar die Zweige
830
70 Jhrer Buͤrd entladen, die allen ſo willig ſich anbent;
Bis ich durch deinen Genuß ſo ſehr in Erkenntniß gewachſen,
Wie die allwiſſenden Goͤtter; obgleich mir andre nicht goͤnnen,
Was ſie mir nicht zu ertheilen vermocht. Denn waͤr es von ihnen
Ein Geſchenke geweſen, ſo waͤr es nicht hier ſo gewachſen.
835
70Dir, Erfahrung, dank ich zunaͤchſt, die ſowohl mich gefuͤhret.
Waͤr ich dir nicht gefolgt, ſo waͤr ich unwiſſend geblieben.
Du eroͤffneſt zur Weisheit den Weg, eroͤffneſt den Zutritt
Zu ihr, ob ſie ſich gleich uns verbirgt. Und vielleicht bin ich ſelber
Hier auch verborgen. Der Himmel iſt hech, von uns zu entfernet,
840
70 Daß man alles genau, was auf der Erde geſchiehet,
Sehen koͤnnte von da. Vielleicht, daß andere Sorgen
Unſern großen Verbiether von ſeiner beſtaͤndigen Wache
Abgehalten; vielleicht bin ich hier vor den Spaͤhenden ſicher,
Die ihn umringen. Doch wie ſoll ich vor Adam erſcheinen?
845
70Soll ich ihm meine Veraͤndrung entdecken, und dieſes mein Gluͤcke
Theilen mit ihm, oder nicht? Sollt ich nicht lieber den Vorzug
Hoͤhrer Erkenntniß fuͤr mich nur behalten, um alſo die MaͤngelMeines103Neunter Geſang.
Meines Geſchlechts zu erſetzen, und ſeine zaͤrtliche Liebe
Deſto mehr zu vergroͤßern, und mich ihm gleicher zu machen,
850
70 Oder ihn gar zu beherrſchen, was auch wohl wuͤnſchenswerth waͤre;
Denn der Geringre, wie iſt der frey? Dieß waͤre vortrefflich!
Aber, wie dann? wenn Gott es geſehn, und Tod nun erfolget?
Alsdann bin ich nicht mehr! mit einer anderen Eva
Wird dann Adam, vermaͤhlt mit ihr, ſein Leben genießen,
855
70 Und ich ausgeloͤſcht ſeyn! Nur dieſen Gedanken zu denken
Jſt ſchon Tod! So ſteh es denn feſt, in Wohl und in Wehe
Soll er theilen mit mir. Jch liebe ſo ſtark ihn, ſo zaͤrtlich,
Daß ich jeglichen Tod mit ihm zu ſterben bereit bin,
Und das gluͤcklichſte Leben ohn ihn nicht zu leben verlange
n)Wie viel ſtaͤrker iſt dieſes, als im Horaz, Od. III. IX. 24. Tecum vivere amem, tecum obeam libens! N.
n).
860
Alſo ſprach ſie; und wandte den Schritt vom Baume zuruͤcke,
Aber buͤckte vorher ſich tief
o)Es iſt eine ſehr ſchoͤne Erdichtung, daß Eva ſogleich nach dem Eſſen der ver - lothenen Frucht in Abgoͤtterey verfaͤllt. Richardſon.
o), als wie vor dem Geiſte,
Der ſich drinn aufhielt, und welcher den Saft der Weisheit, den Nektar,
Und der Goͤtter Getraͤnk in dieſe Pflanze gegoſſen. Adam, welcher verlangend auf ihre Zuruͤckkunft gewartet,
865
72 Hatt indeſſen fuͤr ſie von auserleſenen Blumen
Eine Krone gewunden, um ihre Locken zu zieren,
Und ſie nach ihrer vollendeten Arbeit im Garten zu kroͤnen,
So wie Schnitter manchmal die Erndtekoͤniginn ſchmuͤcken.
Welche Freude verſprach er ſich nicht in ſeinen Gedanken,Welches104Das verlohrne Paradies.
870
72Welches neue Vergnuͤgen bey ihrer Wiederkunft, die ſich
Nur zu lang ihm verzog! Doch ſchien ſein ahnendes Herz ihm
Oft was Uebels zu ſagen; er fuͤhlte den zitternden Pulsſchlag,
Und gieng alſobald fort, ſie auf dem Wege zu finden,
Den ſie den Morgen genommen, nachdem ſie zuerſt ſich geſchieden.
875
72Nahe fuͤhrt ihn ſein Weg beym Baum der Erkenntniß voruͤber,
Und da fand er ſie, ſo wie ſie eben vom Baume zuruͤckkam,
Noch mit einem Zweige von dieſen herrlichen Fruͤchten
Jn der Hand; ſie lachten ihn an mit wollichten Schalen,
Und verhauchten, erſt eben gepfluͤckt, Ambroſia um ſich.
880
72Sie gieng ihm eilfertig entgegen; in ihrem Geſichte
Kam ihm Entſchuldgung zuvor, und ihre Vertheidigung eilte
Allzugeſchwind nur, indem ſie mit ſchmeichelnden Worten ſo anhub.
Haſt du dich nicht gewundert, o Adam, warum ich ſo lange
Weggeblieben von dir? du haſt mir zu ſehr nur gemangelt,
885
72 Und es duͤnkte mich lang, daß ich ſo deiner beraubt war!
Solche Schmerzen der Liebe hab ich noch niemals gefuͤhlet,
Und ich will ſie auch nicht zum zweytenmale verſuchen.
Niemals will ich das wieder erfahren, was ich zu geſchwind nur,
Unerfahren, geſucht, die Schmerzen, die in der Entfernung
890
72 Meine Seele gefuͤhlt. Allein, die Urſach iſt ſeltſam,
Und in Wahrheit wunderbar gnug. Was duͤnkt dich, der Baum hier
Jſt nicht, wie man uns ſagte, davon zu koſten, gefaͤhrlich;
Er eroͤffnet auch nicht den Weg zu verborgenem Uebel,
Sondern, goͤttlich von Kraft, kann er die Augen verklaͤren. Und105Neunter Geſang.
895
72Und zu Goͤttern erhoͤhn, die von ihm eſſen. So hat man
Schon gekoſtet von ihm. Die Schlange, weiſer, als wir ſind,
Welche ſo ſehr nicht gebunden, ſo ſehr, wie wir nicht gehorſamt,
Hat es verſucht; und doch von der Frucht den Tod nicht empfunden,
Wie man uns drohte; ſie ward vielmehr mit menſchlicher Stimme,
900
72 Und mit Menſchenverſtande begabt; ſie urtheilt vernuͤnftig
Bis zum Erſtaunen, und hat, durch ihre beredenden Worte,
Mich auch, zu koſten, bewegt. Jch habe gefunden, die Wirkung
Stimmt damit uͤberein; die Augen, die dunkel geweſen,
Sind itzt heiterer, offner; die Lebensgeiſter erweitert;
905
72 Und mein hoͤheres Herz waͤchſt ſchon der Gottheit entgegen.
Dieſes hab ich beſonders um deinetwegen geſuchet,
Ohne dich kann ichs verachten; das Gluͤck iſt dann mir ein Gluͤck nur,
Wenn du Antheil dran nimmſt; koͤnnt ich mit dir es nicht theilen,
O ſo wuͤrd ich ſeiner bald ſatt! So koſte denn du auch,
910
72 Daß ein gleiches Gluͤck, und gleiche genoſſene Freuden
Uns, wie gleiche Liebe, vereine; denn wenn du nicht koſteſt,
Moͤchten verſchiedene Grade der Tugend uns trennen, und ich dann
Dir zu Gefallen, vielleicht nur zu ſpaͤt der Gottheit entſagen,
Wenn das Schickſal nicht mehr mir dieſes Opfer erlaubte.
915
So erzaͤhlte ſie ihre Geſchichte mit heitern Gebaͤrden,
Aber ein fiebriſches Roth brannt auf den gluͤhenden Wangen.
An der andern Seite ſtand Adam, ſobald er den Fehltritt
Von ihr vernommen, erſtarrt, erſtaunt, und erblaſſet; ein kalterII. Theil. OToͤdt -106Das verlohrne Paradies.
Toͤdtlicher Schauder durchrann ſein Blut, und alle Gelenke
920
72 Wurden ihm ſchlaff; es fiel ihm der Kranz, fuͤr Even gewunden
p)Ein vortreffliches Gemaͤlde, welches einem jeden Leſer Schrecken und Mitleid erregen muß.
p),
Aus der bebenden Hand, und alle verwelkenden Roſen
Wurden verſchuͤttet. So ſtand er bleich, der Sprache beraubet,
Bis er, etwas ermannt, zuletzt zu ſich ſelber ſo ſagte.
O du ſchoͤnſtes der Schoͤpfung! du, aller goͤttlichen Werke
925
73 Letztes und beſtes! Vollkommnes Geſchoͤpf, in welchem das alles
So vorzuͤglich geſtralt, was fuͤr die Gedanken und Augen
Heiliges, Goͤttliches, Gutes, und Liebenswuͤrdges und Sanftes
Jemals nur geſchaffen ſeyn konnte! Wie biſt du gefallen!
Ach! wie biſt du ſo ploͤtzlich gefallen! Entſtellet, entzieret,
930
73 Und nunmehr dem Tode geweiht! Wie konnteſt du jemals
Dich, den gemeßnen Vefehl zu uͤbertreten, entſchließen,
Dich, die heilge verbothene Frucht zu entweihen, entſchließen?
Ein verfluchter Betrug von einem verborgenen Feinde
Hat dich getaͤuſcht, und dich mit mir ins Verderben geſtuͤrzet,
935
73 Weil ich mit dir zu ſterben ſchon feſt bey mir ſelber beſchloſſen.
Koͤnnt ich ohne dich leben! und deines bezaubernden Umgangs,
Deiner Liebe vergeſſen, die uns ſo zaͤrtlich vereint hat,
Und hier wieder allein die wilden Waͤlder durchirren?
Wollt auch der Schoͤpfer fuͤr mich aus meiner geliehenen Ribbe
940
73 Eine Eva von neuem erſchaffen: ſo koͤnnte mein Herz dochDeinen107Neunter Geſang.
Deinen Verluſt nie vergeſſen. Nein, nein, ich fuͤhl es, die Kette
Von der Natur zieht maͤchtig mich fort; du biſt mir zu theuer,
Fleiſch von meinem Fleiſch, und Bein von meinen Gebeinen;
Nie, nie will ich von dir in Wohl noch Wehe mich trennen.
945
Als er dieſes geſagt, ſchien ſeine Seele beruhigt,
So wie einer, der ſich nach einem traurigen Ungluͤck
Wieder erhohlt, und ſich entſchließt, nach ſchwerer Beklemmung
Das zu tragen, was ihm als unvermeidlich nun vorkoͤmmt.
Ruhig richtet er ſich mit ſtiller Faſſung an Eva ..
950
Eine verwegene That haſt du, o Eva, begangen,
Und in große Gefahr dich gewagt, indem du nicht etwan
Bloß das Auge geweidet an dieſem geheiligten Baume,
Sondern ſogar die verbothene Frucht dich zu koſten erkuͤhnet.
Aber wer bringt das Vergangne zuruͤck? wer kann das Geſchehne
955
73 Ungeſchehn machen? Nicht Gott, der Allmaͤchtige, noch das Schickſal.
Aber wer weiß, du ſtirbſt auch wohl nicht
q)Welche richtige Schilderey macht hier Milton von der natuͤrlichen Schwach - heit des menſchlichen Verſtandes, und der Leichtigkeit, womit er durch die Leiden - ſchaften zu falſchen Urtheilen verfuͤhrt wird! Adam hatte nur eben Evens That gemißbilligt, und doch rafft er unmittel - bar darauf aus thoͤrichter Liebe alle ſeine Vernunftsſtaͤrke zuſammen, um zu be - weiſen, daß ſie recht gethan habe. Fluͤch -tigen Leſern wird dieß vielleicht ein Fehler ſcheinen, alle Tieferdenkende aber wer - den es als einen Beweis der ausnehmen - den Kenntniß des Menſchen unſers Poe - ten anſehn. Die Vernunft iſt nur allzu - oft wenig mehr als ein Sklav, der auf den erſten Anlaß fertig iſt, jeder Mey - nung, welche unſer Eigennutz oder unſre Leidenſchaft uns werth macht, eine Farbe anzuſtreichen. Thyer.
q); vielleicht iſt die That nunO 2Nicht108Das verlohrne Paradies.
Nicht ſo verhaßt mehr, nachdem man die Frucht vorher ſchon verſuchet,
Und ſie die Schlange zuerſt ſchon entweiht, zuerſt ſie entheiligt
Und gemeiner gemacht, noch ehe wir von ihr gegeſſen?
960
74Und ſie hat auch den Tod nicht in ihr gewirket; ſie lebt noch,
Wie du mir ſagſt; ſie lebt, und hat das Vorrecht gewonnen,
Daß ſie ein hoͤheres Leben, ſo wie die Menſchen, erlangt hat.
Uns ein ſtarker Beweis, daß, wenn wir eben ſo eſſen,
Wir, nach unſerem Maaß, auch hoͤhere Stufen erſteigen.
965
74Was fuͤr andre koͤnnen das ſeyn, als daß wir zu Goͤttern,
Oder zu Engeln werden. Unmoͤglich kann ich auch glauben,
Daß der weiſe guͤtigſte Gott, wiewohl ers gedrohet,
Uns im Ernſt zu zerſtoͤren vermoͤchte, uns, ſeine Geſchoͤpfe,
Uns, die erſten, die Er ſo hoher Ehre gewuͤrdigt,
970
74 Und weit uͤber alles von ſeinen Werken geſetzet.
Da er ſie alle fuͤr uns nur gemacht: ſo muͤßten ſie gleichfalls
Mit uns vergehn, indem ihr Seyn vom unſrigen abhaͤngt;
Und ſo muͤßte der Schoͤpfer die Schoͤpfung wieder zernichten,
Machen, verderben, und Muͤh und Fleiß vergebens verlieren.
975
74Dieſes laͤßt ſich nicht denken von Gott. Zwar koͤnnt er die Schoͤpfung,
Durch ſein maͤchtiges Wort, gar bald von neuem vollenden:
Aber er wuͤrd uns doch ungern zerſtoͤren, um unſerem Feinde
Den Triumph nicht zu laſſen, mit Rechte zu ſagen: Wie fluͤchtig
Jſt der Zuſtand von denen, die Gott am hoͤchſten begnadigt!
980
74Wer kann lang ihm gefallen? Mich hat er am erſten zerſtoͤret,
Und nun auch das Menſchengeſchlecht. Wer iſt nun das naͤchſte? Solchen109Neunter Geſang.
Solchen Anlaß wird er dem Feind zum Geſpoͤtte nicht geben.
Wie es indeſſen auch ſey, ſo hab ich mich feſt doch entſchloſſen,
Gleiches Geſchick mit dir zu ertragen, und gleiche Verdammniß
985
74 Mit dir zu theilen; und muß ich mit dir dem Tode mich weihen:
O ſo ſey mir der Tod ein Leben! ſo maͤchtig empfind ich
Jn dem Herzen das Band der Natur, das mich zu dem Meinen,
Mich zu dem eigenen zieht, was in dir mein iſt; denn mein iſt,
Was du nur biſt; und unſer Zuſtand iſt nicht mehr zu trennen;
990
74 Wir ſind Eins, Ein Fleiſch, auf ewig zuſammen verbunden. Eva, verloͤhr ich dich, ſo waͤr ich ſelber verlohren.
So ſprach Adam, und voller Entzuͤcken gab Eva zur Antwort:
O glorwuͤrdigſte Probe der allervollkommenſten Liebe!
Heller Beweis! Erhabenes Beyſpiel, das mich auch verpflichtet,
995
74 Jhm zu folgen! Doch wie kann ichs erreichen, indem ich
So viel unvollkommener bin? Jtzt bin ich, o Adam,
Stolzer, als ſonſt, auf den Urſprung aus deiner theureſten Seite.
Mit Entzuͤckung hoͤr ich von unſrer Verbindung dich reden.
Nur Ein Herz, nur Eine Seele verknuͤpfet uns beyde;
1000
74 Dieſes beweiſt der heutige Tag mit der herrlichſten Probe,
Da du dich zaͤrtlich entſchließeſt, viel lieber gleiche Verdammniß,
Gleiche Strafe zu leiden mit mir, als daß uns, ſo ſtandhaft,
So vereinigt, der Tod, oder etwas, das mehr noch als Tod heißt,
Trennen ſollte, da uns ſo theure Liebe verknuͤpfet;
1005
74 Sollt es Verbrechen auch ſeyn, von dieſen Fruͤchten zu koſten,O 3Deren110Das verlohrne Paradies.
Deren Tugend, (indem vom Guten nur Gutes entſpringet,
Wenn unmittelbar nicht, doch durch die gluͤcklichen Folgen;)
Dieſe herrliche Probe von deiner Liebe veranlaßt.
Koͤnnt ich glauben, es wuͤrde der Tod, ſo wie man gedrohet,
1010
74 Wirklich erfolgen auf das, was geſchehn iſt: ſo wollt ich das aͤrgſte
Lieber allein auf mich nehmen; ich wollte zu nichts dich bereden,
Lieber verlaſſen, verſtoßen ſeyn, als niedrig, o Adam,
Dich zu einer Handlung verleiten, die allzugefaͤhrlich
Deiner Zufriedenheit waͤre; zumal, indem du mich eben
1015
74 Deiner treuen, aufrichtgen, und unnachahmlichen Liebe
So unſtreitig verſicherſt. Doch ich empfinde den Ausgang
Jn mir viel anders; ich fuͤhle nicht Tod, nein, hoͤheres Leben,
Offnere Augen, und neue Hoffnungen, neue Vergnuͤgen;
Einen Geſchmack, ſo goͤttlich, ſo fein, daß alles, was ſuͤß ſonſt
1020
74 Meinen Sinnen geſchmeichelt, itzt matt und herbe mir vorkoͤmmt.
Traue denn meiner Erfahrung, o Adam, und koſte du muthig,
Und die Furcht vorm Tode gieb in die verwehenden Winde.
Als ſie ſo ſprach, umarmte ſie ihn, und weinte vor Freuden,
Zaͤrtlich geruͤhret, daß er ſo ſeine Liebe geadelt,
1025
74 Und aus Mitleid fuͤr ſie den goͤttlichen Zorn, und den Tod ſelbſt
Auszuſtehn großmuͤthig beſchloß. Sie gab zur Belohnung, (Keine beßre verdiente ſo ſchnoͤde gefaͤllige Nachſicht,)
Jhm mit verſchwendriſcher Hand vom reizenden Zweige zu eſſen.
Wider ſein beſſeres Wiſſen er; er ward nicht betrogen,Sondern111Neunter Geſang.
1030
74Sondern thoͤricht beſiegt vom Reize der weiblichen Schoͤnheit.
Jtzt erbebte die Erd im innerſten Eingeweide,
Wie vom neuen im Kampfe des Todes; die bange Natur ſtieß
Jhre Seufzer zum zweytenmal aus; es umwoͤlkte die Luft ſich,
Und ein dumpfichter Donner durchrollte den Himmel, und weinte
1035
74 Einige traurige Tropfen, daß nun die toͤdtliche Suͤnde
So vollbracht war. Adam indeß bemerkt nicht die Zeichen,
Sondern ſaͤttiget ſich nach ſeinem Gefallen; auch Eva
Schenet ſich nicht, die begangene Suͤnde von neuem zu wagen,
Um mit ihrer geliebten Geſellſchaft noch mehr ihm zu ſchmeicheln.
1040
74Beyde ſchwimmen nunmehr, als wie von Weine berauſchet,
Jn Vergnuͤgen und Freuden; ſie fuͤhlen in ihren Gedanken
Schon die wachſenden Fluͤgel zur Gottheit, womit ſie der Erde
Spotten wollten im Flug. Doch eine ganz andere Wirkung
Zeigte bereits die betruͤgliche Frucht. Zu fleiſchlichen Luͤſten
1045
74 Wurden ſie bald drauf entflammt. Er ſchoß am erſten auf Even
Seine luͤſternen Blicke; ſie gab ſie eben ſo luͤſtern
Jhm mit wildem Verlangen zuruͤck. Sie brannten vor Wolluſt,
Bis er zum Wunſche der Liebe mit folgenden Worten ſie fodert.
Eva, nun ſeh ich, wie ſehr du in dem feinſten Geſchmacke
1050
74 Meine Lehrerinn biſt. Er iſt das ſchlechteſte Stuͤck nicht
Unſerer Weisheit, indem wir ihn ſelbſt vom Gedanken gebrauchen,
Und den Gaumen verſtaͤndig nennen. Nimm dieſes mein Lob an,
Da der heutige Tag von dir ſo trefflich beſorgt iſt. Welches112Das verlohrne Paradies.
Welches Vergnuͤgen haben wir nicht indeſſen verlohren,
1055
74 Als wir die reizende Frucht uns verſagt; wir hatten, bis itzo
Jn dem Geſchmacke noch nie die wahre Wolluſt empfunden.
Steckt in verbothenen Dingen ſo ſeltene Reizung verborgen,
O ſo ſollte man wuͤnſchen, daß ſtatt des einzigen Baumes
Man uns zehn verbothen. Doch komm, ſo herrlich erfriſchet,
1060
74 Wollen wir ſcherzen, ſo wie ſichs gebuͤhrt nach ſolchen Gerichten,
Solchem vortrefflichen Mahl. Seit jenem gluͤcklichen Tage,
Da ich am erſten dich ſah, und dich mir auf ewig vermaͤhlte,
Hat dein zaubriſcher Blick, ſo ſchoͤn du auch immer mir ſchieneſt,
Und ſo vollkommen du auch mit allem ausgeſchmuͤckt worden,
1065
74 Meine Sinnen doch nie zu ſolchen Begierden entflammet,
Dich zu genießen, als itzt. Du ſcheinſt mir ſchoͤner, als jemals
r)Unſer Dichter hat hier die Unter - redung zwiſchen dem Paris und der He - lena, und die zwiſchen dem Jupiter und der Juno auf dem Berge Jda in Gedan - ken gehabt. Wie Pope anmerkt, hat Milton dieſe ſchluͤpfrige Stelle mit großer Klugheit und Wohlanſtaͤndigkeit nachge -ahmt. Was im Homer eine gottloſe Er - dichtung ſcheint, wird zur Sittenlehre im Milton, weil er dieſe hitzige Wuth der Wolluſt zur unmittelbaren Wirkung der Suͤnde unſerer erſten Eltern nach dem Falle macht. N.
r);
Eine Wirkung unſtreitig von dieſem guͤtigen Baume.
Alſo ſprach er. Und keinen Blick, kein buhlriſch Bezeigen
Unterließ er; es wurde ſehr wohl von Even verſtanden;
1070
75 Und ihr Auge ſchoß gleichfalls auf ihn anſteckendes Feuer.
Er ergriff ſie erhitzt bey der Hand, und fuͤhrte ſie, willig
Zur verliebten Umarmung, nach einer ſchattichten Bank hin,
Welche mit| einer laubichten Decke dicht oben verhaͤngt war.
Blumen

Das Verlohrne Paradies. Zehnter Geſang.

113Neunter Geſang.
Blumen waren ihr Lager; Violen und Hyacinthen,
1075
75 Asphodill, und der ſanfteſte Schooß der bluͤhenden Erde.
Und hier nahmen ſie ſich die Fuͤlle wolluͤſtiger Liebe,
Als das Siegel von ihrem Verbrechen, die einzige Troͤſtung
Fuͤr die begangene Suͤnde; bis endlich, voͤllig ermattet
Vom wolluͤſtigen Spiel, ein feuchter Schlummer ſie einwiegt.
1080
75Als die Kraft der betruͤglichen Frucht, die um ihr Gehirne
Mit erheiternden Duͤnſten gewallt, und die innerſten Kraͤfte
Jn die Jrre gefuͤhrt, nunmehr verraucht war; und ſchwerer
Groͤberer Schlaf, von dicken unſanften Daͤmpfen erzeuget,
Und anklagenden Traͤumen geſtoͤrt, nunmehr ſie verlaſſen:
1085
75 Stunden ſie auf, ſo wie man erwacht nach fiebriſchem Schlummer,
Sahen ſich an, und fanden gar bald ihr Auge geoͤffnet,
Und das Licht des Verſtandes verfinſtert. Der Schleyer der Unſchuld,
Welcher ſie vor der Erkenntniß des Boͤſen bisher noch geſchirmet,
War nun dahin; das gerechte Vertraun, die urſpruͤngliche Tugend,
1090
75 Und die Ehr, ihr herrlichſter Schmuck, war itzo verlohren,
Und ließ bloß die ſchuldige Schaam bey den Nackten zuruͤcke,
Die ſie bedeckte, doch deren Gewand nur mehr noch entdeckte.
Alſo ſtand der ſtarke Danit, der herkuliſche Samſon,
Aus dem wolluͤſtigen Schooße der Dalilah auf, und erwachte,
1095
75 Seiner Staͤrke beraubt. Von aller Tugend entbloͤßet,
Saßen ſie lange ſchweigend und ſtumm, mit verwirrtem Geſichte,
Wie an ihrer Zunge gelaͤhmt. Doch endlich ſtieß Adam,
Obgleich eben ſo ſehr v[on]Schaam gebeuget, wie Eva,
Aus dem traurigen Munde die unterbrochenen Worte.
II. Th. PO! zur114Das verlohrne Paradies. 1100
O! zur ungluͤcklichſten Stunde haſt du der betruͤgriſchen Schlangen, Eva, Gehoͤr verliehn, wer immer die menſchliche Sprach auch
Nachzumachen ſie lehrte! Wir finden in unſerem Falle
Sie zu wahr nur, doch falſch in unſrer verſprochnen Erhoͤhung.
Leider iſt unſer Auge geoͤffnet! Wir kennen das Gute,
1105
75 Kennen das Boͤſe; das Gut iſt dahin, das Boͤſe gewonnen!
Traurige Frucht der Erkenntniß, wenn dieſes zu wiſſen erlangt wird,
Was ſo nackend uns laͤßt; uns dieſer Ehre beraubet,
Dieſer Reinigkeit, Unſchuld und Treu, die ehmals uns ſchmuͤckten;
Jtzo beſudelt, befleckt! Jn unſerm Angeſicht brennen
1110
75 Zeichen der ſchaͤndlichſten Luſt, die nichts als Verderben gebieret,
Und die Schaam, das letzte der Uebel, die uns von dem erſtern
Keinen Zweifel mehr laͤßt. Wie ſoll ich das Angeſicht Gottes,
Und der Engel, in Zukunft ertragen? ich, der es vorher oft
Mit entzuͤckenden Freuden geſchaut? Die aͤtherſchen Geſtalten,
1115
75 Unertraͤglich nun hell in ihrem himmliſchen Glanze,
Werden mein Jrdiſches voͤllig verblenden. O koͤnnt ich hier einſam,
Wild, im dickſten Gehoͤlze verborgen, mein Leben vollenden;
Da, wo die hoͤheſten Waͤlder mit undurchdringlichen Zweigen
Allem Lichte von Sonn und Sternen den Eingang verwehren,
1120
75 Und den dicken ſchrecklichen Schatten weit um ſich verbreiten,
Schwarz als die Nacht. Verhuͤllt mich, ihr Tannen! verhuͤllt mich, ihr Cedern,
Mit den unzaͤhligen Zweigen, damit ich, darunter verborgen,
Nimmer ſie ſeh! Doch laß uns nunmehr in dem klaͤglichen Zuſtand
Mit einander erwaͤgen, wie wir fuͤr dießmal die Theile,
1125
75 Welche die Schaam am meiſten beleidgen, und welche zu ſehen,Jtzo115Neunter Geſang.
Jtzo ſo wenig geziemt, einander am beſten verbergen.
Jrgend ein Baum kann vielleicht, wenn wir die breiteſten Blaͤtter
Aneinander gefuͤgt, die nackten Lenden umguͤrten,
Und den mittleren Leib mit ſeiner Huͤlle bedecken,
1130
75 Daß der neue widrige Gaſt, die Schaam, ſich nicht feſtſetzt,
Unſre Verbrechen verraͤth, und uns Unlauterkeit vorwirft.
Dieſes rieth Adam, und beyde begaben ſogleich ſich zuſammen
Jn den dichteſten Wald, und waͤhlten zu ihrer Verhuͤllung
Sich den Feigenbaum aus; nicht dieſen, welcher beruͤhmt iſt
1135
75 Wegen der Frucht, nein, jenen vielmehr von anderm Geſchlechte,
Welcher in Malabar
s)Malabar iſt eine große Halbinſel in Oſtindien, wovon Dekan ein beruͤhmtes Koͤnigreich iſt. Jn der Beſchreibung desFeigenbaums iſt Milton dem Plinius ge - folgt. S. L. 16. cap. 26. Hume.
s)dem Jndianer bekannt iſt,
Und in Dekans Gebieth; die weitverbreiteten Arme
Senken ſich oft zum Boden herab, und ſchlagen drinn Wurzel,
Daß ein fruchtbarer Kreis von nebenſproſſenden Toͤchtern
1140
76 Um den Mutterbaum waͤchſt; ein Schatten, welcher, auf Pfeilern
Hochgewoͤlbt, haͤngt, und unter ihm Reihn von ſchallenden Gaͤngen.
Hier ſucht oft der Jndiſche Hirt im Schatten Erfriſchung
Vor des Mittags brennendem Stral, und treibet die Heerden
Unter das Dach der dichteſten Zweige. Von eben den Blaͤttern
1145
76 Nahmen ſie ſich, und fuͤgeten ſie, ſo gut ſie es konnten,
Aneinander, die Schaam der nackenden Lenden zu decken.
Eitle Bedeckung vor Schuld, und vor der gefuͤrchteten Schande,
Nur zu ungleich nunmehr dem erſten nackenden Schmucke! P 2So116Das verlohrne Paradies.
So fand unter den Baͤumen von waldichten Jnſeln und Kuͤſten
1150
76 Auch Columbo
t)Columbus, der Amerika zuerſt im Jahr 1492 entdeckte, fand die Amerikaner ſo mitFedern umguͤrtet, wie Adam und Eva Schuͤrze von Feigenblaͤttern trugen. N.
t)den Amerikaner, mit Federn umguͤrtet,
Uebrigens nackend, und wild. Nachdem ſie ſich alſo bekleidet,
Und die beſchwerliche Schaam zum Theil, wie ſie meynten, verhuͤllet,
Ob ihr Herz gleich dadurch nicht ruhiger, leichter geworden:
Saßen ſie nieder, und weinten. Es ſtroͤmten nicht Thraͤnen allein nur
1155
77 Aus den Augen; auch maͤchtige Stuͤrme begannen von innen
Zu entſtehn; Zorn, Mistraun, und Haß, und Zwietracht und Argwohn,
Die ihr Gemuͤth von Grund auf empoͤrten. So wie es vorhero
Still und friedlich geweſen, ſo war es itzt ſtuͤrmiſch und truͤbe.
Denn der Verſtand regierte nicht mehr; der Wille gehorchte
1160
77 Seinen Lehren nicht weiter; ſie waren nur beyde die Sklaven
Sinnlicher Luſt, die aus der Tiefe, woraus ſie ſich aufſchwang,
Ueber die hoͤchſte Vernunft die Oberherrſchaft verlangte.
Aus ſolch einem zerruͤtteten Herzen erneuerte Adam,
Mit verſtelltem Geſicht, und ſehr veraͤndertem Tone,
1165
77 Seine traurigen Worte nach langem Schweigen an Eva ..
Waͤrſt du doch meinen Worten gefolgt, und waͤreſt geblieben,
Wie ich ſo zaͤrtlich dich bath, als dieſen ungluͤcklichen Morgen
Die ſeltſame Begierd umher zu wandern, dir einfiel,
Ohne zu wiſſen, warum: ſo waͤren wir itzo noch gluͤcklich,
1170
77 Nicht, wie leider nunmehr, von allem Guten beraubet,
Elend, nackend, beſchaͤmt! O ſuche doch niemand in Zukunft,
Wenn die Noth ihn nicht zwingt, die ſchuldige Treu zu bewaͤhren. Und117Neunter Geſang.
Und wenn jemand mit Ernſt dergleichen Pruͤfung ſich wuͤnſchet,
O ſo denke man nur, daß er zu fehlen ſchon anfaͤngt.
1175
Ploͤtzlich empoͤrt durch dieſe Beſchuldgung, gab Eva zur Antwort:
Welche beleidgende Worte ſind deinen Lippen entfallen,
Strenger Adam! Wie giebſt du die Schuld nun meinem Verſehen,
Oder der Luſt umherzuwandern, ſo wie du es nenneſt?
Haͤtte dieß Ungluͤck vielleicht nicht eben ſo gut uns betroffen,
1180
77 Wenn du zugegen geweſen? vielleicht dich ſelber betroffen?
Waͤrſt du auch bey mir geblieben, und waͤre die liſtge Verſuchung
Hier auch geſchehn: ſo haͤtteſt du doch gewiß bey der Schlange,
Die ſo redete, wie ſie geredt, Betrug nicht gemerket.
Nicht der mindeſte Grund war da von Feindſchaft vorhanden,
1185
77 Oder zu fuͤrchten, ſie wolle voll Liſt in Ungluͤck mich ſtuͤrzen.
Sagſt du: waͤr ich doch nie dir von der Seiten gekommen!
Eben ſo gerne waͤr ich, als eine lebloſe Ribbe,
Ewig dran kleben geblieben. So wie ich einmal gemacht bin,
Warum haſt du, mein Oberhaupt, denn mir durchaus nicht befohlen,
1190
77 Nicht zu gehn, wenn ich, wie du glaubieſt, in ſolche Gefahr lief?
Du warſt ſeloſt zu gelinde; du haſt nicht ſehr mich beſtritten,
Haſt es gebilligt, erlaubt, und freundlich mich von dir gelaſſen.
Haͤtteſt du ernſter und feſter auf deiner Verweigrung beharret,
So haͤtt ich nicht gefehlt, ſo waͤrſt du mit mir nicht gefallen.
1195
Jtzt zum erſtenmal zornig gab Adam ihr dieſes zur Antwort -
Jſt dieß die Lieb? Jſt dieß die Belohnung der treueſten Liebe,P 3Die118Das verlohrne Paradies. Neunter Geſang.
Die ich dir, Undankbare, ſo voller Großmuth bezeiget,
Da du verlohren wareſt, nicht Jch? Jch konnte ja leben,
Und unſterbliche Freuden genießen, und waͤhlte mit dir doch
1200
77 Lieber freywillig den Tod. Und nunmehr bin ich die Urſach
Deines Verbrechens? Bin, wie du ſagſt, in meinem Verbothe
Strenge genug nicht geweſen? Was konnt ich denn mehr noch? Jch warnte,
Jch ermahnete dich, und ſagte vorher die Gefahr dir,
Und den laurenden Feind, im Hinterhalte verborgen.
1205
77Mehr als dieſes heißt Zwang; und ſoll der Wille noch frey ſeyn,
So hat Zwang hier nicht ſtatt. Doch ein zu ſtolzes Vertrauen
Trieb dich fort; du verließeſt dich drauf, daß keine Gefahr ſey,
Oder daß du dadurch zu einer ruͤhmlichen Pruͤfung
Anlaß bekaͤmſt. Auch ich, ich habe vielleicht drinn gefehlet,
1210
77 Daß ich zu ſehr das bewundert, was ſo vollkommen in dir ſcheint,
Und gedacht, es duͤrfe ſich dir kein Uebel nicht nahen.
Dieſen Jrrthum bereu ich zu ſpaͤt; er wird mein Verbrechen,
Und macht dich zu meinem Verklaͤger. So wird es in Zukunft
Jeglichem gehn, der zu ſehr der Tugend des Weibes vertrauet,
1215
77 Und ihr zu herrſchen erlaubt. Einſchraͤnkung kann ſie nicht dulden,
Und, iſt ſie ſich ſelber gelaſſen, und folget draus Ungluͤck:
Wird ſie am erſten die Schuld auf ſeine Gefaͤlligkeit werfen.
So verſchwendeten ſie in wechſelsweiſer Beſchuldgung
Fruchtlos die Stunden, da keines von ihnen ſich ſelber verdammte;
1220
77 Und kein Ende ſah man von ihrem vergeblichen Zwiſte.
Das[119][120]
[figure]
121

Das Verlohrne Paradies. Zehnter Geſang.

Satans ſchaͤndliche That, die er in Eden vollendet,
Wie er unter der Schlange Geſtalt, vom verbothenen Baume Even zu koſten verfuͤhrt, ſie Adam zu gleichem Verbrechen;
Ward indeſſen im Himmel bekannt. Was kann des Allmaͤchtgen
5
77 Alles ſehenden Augen entgehn? was kann ihn betriegen,
Jhn, den Allwiſſenden? Weiſe, gerecht, in ſeinen Entſchluͤſſen,
Hindert er nicht, daß Satan das Herz der Menſchen verſuchte;
Denn er hatte dieß Herz mit voͤlliger Staͤrke bewaffnet,
Und mit freyem Willen begabt, ſo, daß ſie die Liſten
10
77 Eines Feindes und falſchen Freundes gar leicht zu entdecken,
Und zu entfernen, vermochten. Sie wußten zu wohl es, und ſollten
Stets den hohen Befehl in ihren Gedanken behalten,
Nie vom Baume zu eſſen, den ihnen die Stimme des Hoͤchſten
So ausdruͤcklich verſagt, wer zu der ſchaͤndlichen That auch
15
77 Sie zu verleiten gedaͤchte. Nachdem ſie dem ernſten Gebothe
Nicht gehorcht, da fielen ſie auch (wie konnte was anders
Aus dem begangnen Verbrechen erfolgen?) in ihre Verdammniß,
Und verdienten den Fall durch mannichfaltige Suͤnde
a)Jede Suͤnde iſt in gewiſſem Grade aus mehrern zuſammengeſetzt, und dieGottesgelehrten, hauptſaͤchlich die von Miltons Gemeine, glauben, daß ver -ſchiedene
a). EiligII. Theil. Q122Das verlohrne Paradies.
Eilig begab ſich die engliſche Wacht aus Edens Bezirken
20
78 Wieder zum Himmel hinauf; ſie waren wegen des Menſchen
Traurig und ſtumm, und hatten gar bald ſein Ungluͤck vernommen,
Voller Verwundrung jedoch, wie ſich der liſtge Betruͤger
So geheim in den Garten geſtohlen. So bald man im Himmel
Dieſe widrige Zeitung vernahm; da wurden auch alle,
25
78 Die ſie hoͤrten, beſtuͤrzt; man ſah in der Himmliſchen Antlitz
Duͤſtre Betruͤbniß, jedoch vermiſcht mit zaͤrtlichem Mitleid,
Welches ſie nicht an ihrer Ruh und Seligkeit ſtoͤrte.
Das aͤtheriſche Volk umringte die Wiedergekommnen
Schaarenweis, alles von ihnen, ſo wie es geſchehn, zu vernehmen.
30
78Aber ſie eilten ſogleich, durch eine gerechte Vertheidgung
Zu bezeugen, wie wachſam ſie in Eden geweſen,
Vor des Allmaͤchtigen Thron. Sie ſahen ſehr leicht ſich entſchuldigt,
Und der Hoͤchſte, der ewige Vater, erhub aus der Mitten
Seiner geheimeren Wolken im Donner alſo die Stimme.
35
Jhr allhier verſammelten Engel, und ihr auch, ihr Kraͤfte,
Die ihr von einem mislungnen Geſchaͤfft zuruͤcke gekommen,
Seyd durch dieſe Zeitung, die uns von der Erde gebracht wird,
Nicht zu betruͤbt! Jhr konntet mit eurer treueſten Sorge
Dieſes nicht hindern; ich ſagt es vorher, es wuͤrde geſchehen,
40
78 Als der Verſucher zuerſt die Fluthen des Chaos durchkreuzte. Damals
a)ſchiedene Suͤnden in dieſer einzigen Hand - lung des Eſſens von der verbothenen Frucht eingeſchloſſen geweſen, als zum Exempel Stolz, Wolluſt, ſtrafbare Reu -gier, Unglauben, Ungehorſamkeit ꝛc. ſo daß der Menſch wegen dieſer mannich - faltigen Suͤnde verdiente, ſeinen gluͤckli - chen Zuſtand im Paradieſe zu verlieren. N.
a)123Zehnter Geſang.
Damals ſagt ich euch ſchon, es wuͤrde die ſchlimme Geſandtſchaft
Nur zu ſehr ihm gelingen; er wuͤrde den Menſchen verfuͤhren,
Alles durch Schmeicheleyen ihm rauben, dieweil er den Luͤgen
Wider ſeinen Schoͤpfer geglaubt
b)Jndem Satan ſie glauben gemacht, daß nicht alle Dinge von Gott kaͤmen,daß Gott die verbothene Frucht ihnen aus Neid vorenthalte ꝛc. N.
b). Kein Rathſchluß von mir hat
45
80 Seinen Fall nothwendig gemacht; der leichteſte Zwang nicht
Hat auf ſeinen freyen und ungezwungenen Willen,
Den ich in ebener Wagſchal ihm ſelbſt zu lenken gelaſſen,
Etwas gewirkt. Er iſt gefallen! Was bleibet noch uͤbrig,
Als die Strafe, daß ſie auf ſeine Miſſethat folge,
50
80 Der ihm angekuͤndigte Tod. Zwar haͤlt er bereits ihn
Fuͤr vergebens gedraͤut, indem er, wie er gefuͤrchtet,
Jhn durch einen ploͤtzlichen Schlag ſogleich nicht getroffen:
Aber er ſoll noch, ehe der Tag verſtreichet, erfahren,
Daß ihn Aufſchub nicht gaͤnzlich befreyt; Gerechtigkeit ſoll nicht,
55
80 So wie die Gnade, mit Spott zuruͤcke geſendet werden.
Doch wen ſchick ich hinab, die Schuldgen zu richten? Wen anders,
Als dich, meinen einzigen Sohn, dich, meinen Geliebten,
Welchem ich alles Gericht gegeben im Himmel, auf Erden,
Und in der Hoͤlle? Wie leicht ſieht man, ich wolle mit Gnade
60
80 Die Gerechtigkeit lindern, da ich zur Erde dich ſende,
Jhn, den gefallenen Menſchen zu richten? Dich, der du von ſelber
Dich zu ſeinem Erloͤſer, zu ſeinem Loͤſegeld ſetzeſt;
Dich den Freund, den Mittler des Menſchen, dich, der du beſtimmt biſt,
Sterblich zu werden, wie er, um ihn vom Tode zu retten.
Q 2Alſo124Das verlohrne Paradies. 65
Alſo der Bater; indem er voll Huld die leuchtenden Stralen
Gegen die goͤttlichen Rechte verbreitet, und ohne Gewoͤlke
Seiner Herrlichkeit Glanz in ſeinem Sohne verklaͤret.
Dieſer druͤckte den ganzen Vater im voͤlligen Licht aus,
Und gab alſo darauf mit himmliſcher Milde zur Antwort:
70
80 Etwas zu beſchließen, o Vater gebuͤhrt dir alleine,
Doch mir koͤmmt es nur zu, im Himmel ſowohl, als auf Erden,
Deinen erhabenen Willen zu thun, damit du auf immer
Jn mir, deinem geliebteſten Sohne, zufrieden ruheſt.
Alſo geh ich hinab, allmaͤchtiger Vater, auf Erden
75
80 Dieſe deine Verbrecher zu richten; doch weißt du, das Urtheil
Sey auch, welches es ſey, ſo faͤllt das ſchwereſte dennoch
Auf mich ſelber, wenn ſich die Fuͤlle der Zeiten genahet.
Denn ſo hab ichs gelobt vor deinem heiligen Antlitz,
Und, indem michs noch itzo nicht reut, erlaubeſt du billig,
80
80 Daß ich ihr Urtheil, das mich auch betrifft, mit Milderung lindre:
Aber ich will die Gerechtigkeit ſo mit der Gnade verbinden,
Daß es offenbar werde, wie ſehr ſie befriediget worden,
Und du beſaͤnftiget ſeyſt. Jch habe keine Begleitung,
Kein Gefolge vonnoͤthen, weil niemand dieſes Gerichte
85
80 Sehn ſoll, als die gerichteten Zwey; die Schlange, der dritte,
Wird abweſend am beſten verdammt, indem ihn die Flucht ſchon
Ueberzeuget, und er ſich allen Geſetzen entzogen;
Ueberzeugung verdienet ſie nicht, die hoͤlliſche Schlange.
Alſo125Zehnter Gefang.
Alſo ſprach er, und ſtand von ſeinem ſtralenden Stuhl auf,
90
80 Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte.
Jhn begleiten die himmliſchen Maͤchte, die dienenden Kraͤfte,
Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Ausſicht von Eden,
Und der Gegend umher, ſich ihm eroͤffnete. Ploͤtzlich
Eilt er hinab; die Schnelle der Goͤtter berechnet die Zeit nicht,
95
80 Wenn ſie ſich auch mit den fluͤchtigſten ſchnellſten Minuten befluͤgelt
Und ſchon ſank die Sonne zu ihrer weſtlichen Neige
Tief vom Mittag herab, und zu der gewoͤhnlichen Stunde
Machten liſpelnde Luͤfte ſich auf
c)Dieſe ſchoͤne Beſchreibung gruͤndet ſich auf 1 B. Moſ. III, 8. Und ſie hör - ten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten gieng, da der Tag kühle worden war. Und Adam ver - ſteckte ſich mit ſeinem Weibe vor demAngeſichte Gottes des Herrn, unter die Bäume im Garten.
c), die Erde zu faͤcheln,
Und aus Weſten herzu die Kuͤhlung des Abends zu fuͤhren:
100
81 Als er mit kuͤhlerm Gemuͤth, der milde Richter und Mittler,
Unter den Baͤumen ſich naht, den ſchuldigen Menſchen zu richten.
Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem ſie im Garten
Wandelte; durch ſanftwehende Winde gelangte ſie itzo,
Da ſich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren.
105
81Zitternd hoͤrten ſie ſie, und ſuchten vor ſeiner Erſcheinung
Sich zu verbergen unter der Huͤlle der dickeſten Baͤume,
Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott naͤher hinzutrat,
Und mit vernehmlicher Stimm
d)Und Gott der Herr rief Adam, und ſprach zu ihm: Wo biſt du? 1 B. Moſ. III, 9.
d) auf Adam rufte: Wo biſt du, Adam? Du wareſt gewohnt, ſchon in der Ferne mein Kommen
110
82 Voller Freude zu ſehn, und mir entgegen zu eilen. Q 3Jch126Das verlohrne Paradies.
Jch vermiſſe dich hier, und bin ſehr uͤbel zufrieden,
Daß ich ſo einſam mich ſeh. Wie ſehr bezeigteſt du ehmals
Deine Pflicht mir von ſelbſt. Komm ich itzt weniger herrlich?
Oder welche Veraͤndrung entfernt dich aus meinem Geſichte?
115
82Was fuͤr ein Zufall haͤlt dich zuruͤck? Komm naͤher, o Adam!.
Er kam naͤher, und Eva mit ihm, mit langſamem Schritte,
Ob ſie vorher gleich die erſte geweſen, die Suͤnde begangen.
Beyde waren entſtellt, und verſtoͤrt; in ihrem Geſichte
Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander,
120
82 Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh,
Und des Zornes, der Hartnaͤckigkeit, der Falſchheit, des Haſſes;
Bis nach aͤngſtlichem Stammeln dieß Adam kuͤrzlich erwiedert:
Deine Stimme vernahm ich im Garten
e)1 B. Moſ. III, 10. Und er ſprach: Jch hörete deine Stimme im Garten, und furchte mich, denn ich bin nacket, darum verſteckte ich mich.
e), und bebte vor Schrecken,
Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gnaͤdige Richter
125
83 Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals
Haſt du nicht meine Stimme gehoͤrt, ſie niemals gefuͤrchtet,
Sondern dich druͤber erfreut; wie iſt ſie dir itzo ſo furchtbar?
Daß du nackt biſt, wer ſagte dir das
f)1 B. Moſ. III, 11. Und er ſprach: Wer hat dirs geſagt, daß du nacket biſt? Haſt du nicht geſſen von dem Baume, davon ich dir ge - both, du ſollteſt nicht davon eſſen?
f)? Wie? Haſt du vom Baume
Etwan gegeſſen, den mein Befehl ſo ſehr dir verbothen.
130
Mit belaſtetem Herzen gab Adam ihm alſo zur Antwort:
Himmel! wie ſeh ich heute mich nicht unſchluͤßig, verlegen,Hier127Zehnter Geſang.
Hier vor meinen Richter geſtellt! Jch ſeh mich gezwungen,
Ganz entweder auf mich ein ſolches Verbrechen zu nehmen;
Oder ich muß mein anderes Selbſt, die theure Gehuͤlfinn
135
84 Meines Lebens, verklagen! Sollt ich, indem ſie mir treu iſt,
Dieſes Vergehn nicht lieber verhehlen, und Tadel und Schande
So ihr erſparen? Doch harte Noth, und trauriger Zwang treibt
Mich hiezu, damit nicht zugleich die Suͤnd und die Strafe
Mich, ſo unertraͤglich ſie ſind, allein nur beſchweren.
140
84Wollt ich auch ſchweigen, ſo wuͤrdeſt du doch gar bald es entdecken,
Was ich vor dir verhehlt. Dieß Weib, Herr, das du gemacht haſt,
Mir zur Huͤlfe, das du, als deine vollkommenſte Gabe,
Mir geſchenket, ſie, die mir ſo gut, ſo wuͤnſchenswerth vorkam,
Und ſo voͤllig gemacht fuͤr mich, ſo goͤttlich mir duͤnkte,
145
84 Daß ich nimmer was Boͤſes von ihren Haͤnden vermuthet,
Deren Thun, ſo wie es auch war, durch Anmuth doch recht ſchien,
Dieſe ſie gab mir vom Baum; ich habe mit ihr gegeſſen
g)1 B. Moſ. III, 12. Da ſprach Adam, das Weib, das du mir zuge -ſellet haſt, gab mir von dem Bau - me; und ich .
g).
Die erhabenſte Gegenwart Gottes gab alſo zur Antwort:
War ſie denn etwan dein Gott, daß du, vor meinen Gebothen,
150
85 Jhr gehorchteſt? gab ich ſie dir zum Fuͤhrer, zum Obern?
Oder erſchuf ich ſie dir nur gleich, daß du ihr die Mannheit
Hingabſt, und die Stelle vergaßeſt, in welche dein Schoͤpfer
Dich weit uͤber ſie ſetzte, indem er aus dir ſie erſchaffen,
Und fuͤr dich ſie gemacht, und deine Wuͤrde, vor ihrer,Weit128Das verlohrne Paradies.
155
85Weit vollkommener war? Sie zierten Schoͤnheit und Anmuth,
Daß ſie deine Liebe gewoͤnne; doch ſollte ſie dadurch
Dich nicht beherrſchen! Die Gaben, die ſie ſo liebenswerth machten,
Waren von keiner anderen Art; ſie ſollten nicht herrſchen,
Sondern von dir, von ihrem Haupte, beherrſchet werden;
160
85 Dieſes war deine Pflicht, wofern du ſelber dich kannteſt.
Als er dieſes geſagt, ſprach er mit kurzem zu Eva:
Sage mir, Weib, was haſt du gethan
h)Da ſprach Gott der Herr zum Weide: Warum haſt du das gethan? Das Weib ſprach: die Schlange be -trog mich alſo, daß ich . 1 B. Moſ. III, 13.
h)? Die traurige Eva,
Faſt hinſinkend vor Schaam, bekannte ſogleich ihr Verbrechen,
Nicht geſchwaͤtzig, noch frech, vor ihrem Richter. Betroffen
165
86 Sprach ſie: Die Schlange betrog mich mit Liſt, ich von dem Baume.
Als Gott dieſes gehoͤrt, ſchritt er ohn Anſtand zum Urtheil
Ueber die angeklagte Schlange, die ohne Vernunft zwar
Nicht die Schuld von ſich ſelbſt auf jenen zu werfen vermochte,
Der ſie zum Werkzeug von Ungluͤck gemacht, und ihre Beſtimmung
170
86 Jn der Schoͤpfung befleckt; doch ward ſie billig verfluchet,
Da ſie nun in der Natur geſchaͤndet worden. Dem Menſchen, (Denn er ſahe nicht weiter,) war mehr zu wiſſen nicht noͤthig,
Und es haͤtt auch die Schuld von ihm nicht verringert; doch wandte
Gott das Urtheil zuletzt auch auf den Satan, den Erſten
175
86 Jn der Suͤnde, jedoch mit heiligdunkelen Worten,Wie129Zehnter Geſang.
Wie es ihm fuͤr die itzige Zeit am beſten zu ſeyn ſchien,
Und goß ſeinen goͤttlichen Fluch ſo uͤber die Schlange.
Weil du dieſes gethan, ſollſt du, o Schlange, verflucht ſeyn
i)1 B. Moſ. III, 14. Da ſprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du ſolches gethan haſt, ſeyſt du verflucht vor allem Vieh, und vor allen Thieren auf dem Felde. Auf deinem Bauch ſollſt du gehen, und Erde eſſen dein Lebelang. Und ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen dir und dem Weibe, und zwiſchen deinem Saamen und ihrem Saamen, derſelbe ſoll dir den Kopf zertreten, und du wirſt ihn in die Ferſen ſte - chen. Wir ſetzen mit Fleiß dieſe Schrift - ſtellen ganz ausgeſchrieben hin, damit ſie der Leſer ohne Muͤhe vergleichen, und wahrnehmen kann, wie genau Milton zwar die meiſte Zeit bey den Worten ge - blieben; mit wie vieler Kunſt er aber auch Umſtaͤnde und Reden hinzugedichtet, wenn es die Abſicht ſeiner Materie erforderte. Z.
i)
Vor jedwedem Thiere des Feldes! auf deinem Bauche
180
87 Sollſt du kriechen; und Staub ſollſt du dein Lebelang eſſen.
Feindſchaft will ich zwiſchen dir ſetzen, und zwiſchen dem Weibe,
Zwiſchen deinem und ihrem Saamen; den Kopf wird ihr Saamen
Dir zerquetſchen, und du wirſt in die Ferſen ihn ſtechen.
So ſprach dieſes Orakel
k)Man ſieht hier offenbar, daß Mil - ton, als er dieſe Stelle ſchrieb, der Mey -nung war, das Paradies waͤre vornehm - lich bey unſers Heilandes Auferſtehung wieder gewonnen worden. Dieſes wuͤr - de ein reicher und erhabener Stoff zu ei - nem zweyten Gedichte geweſen ſeyn. Die Wunder, die man dann zu beſchreiben gehabt haͤtte, wuͤrden ſelbſt eines gemei - nen Poeten Geiſt erhoͤht haben, und ich bedaure ſehr, daß Milton anſtatt deſſen, lieber die Verſuchung in der Wüſte gewaͤhlt hat, einen trocknen, unfrucht - baren, und allzueingeſchraͤnkten Boden, um ein Epiſches Gedicht darauf zu er - bauen. Bentley. Jeder deutſche Leſer wird ſich bey die - ſer Gelegenheit freuen, daß eine ſo erha - bene wuͤrdige Materie zu einem Epiſchen Gedichte in die Haͤnde des Dichters der Meßiade gefallen iſt. So ein groß Ge - nie Milton auch immer geweſen iſt, und ob man ihn gleich als den Schoͤpfer der heiligen Poeſie anſehn muß, ſo zweifleich
k), das in Erfuͤllung gegangen,
185
88 Da, als Jeſus, der Sohn der Maria, der zweyten Eva,Satan,II. Theil. R130Das verlohrne Paradies. Satan, den Fuͤrſten der Luft, gleich einem Blitze, vom Himmel
Fallen geſehn; und da er hernach, als Sieger, vom Grabe
Sich heraufſchwang; den Maͤchten und Fuͤrſtenthuͤmern den Raub nahm;
Sie im offnen Triumph zur Schau getragen; und endlich
190
88 Auffuhr voll Pracht; die Gefangenſchaft ſelbſt gefangen gefuͤhret,
Und das Koͤnigreich Satans, das er ſo lange mit Unrecht
Jnnen gehabt. Jhn ſelber wird er, der Sieger der Hoͤllen,
Unter unſere Fuͤße zertreten, Er, welcher ihm itzo
Seine kuͤnftge Zerquetſchung vorher verkuͤndiget hatte,
195
88 Und nunmehr auch uͤber das Weib ſein Urtheil ſo anhub.
Deine Schmerzen will ich, wenn du nun ſchwanger geworden,
Sehr vermehren; du ſollſt mit Schmerzen dir Kinder gebaͤhren.
Und dein Wille wird ſich dem Willen des Mannes in Zukunft
Gaͤnzlich unterthan ſehn, und er ſoll uͤber dich herrſchen.
200
Endlich wandt er ſich auch mit dieſem Urtheil an Adam:
Weil du der Stimme des Weibes gehorcht, und vom Baume gegeſſen,
Den ich ſo ſehr dir verboth: ſo ſey der Acker in Zukunft
Deinetwegen verflucht! Du ſollſt, ſo lange du lebeſt,
Dich von ihm mit Kuͤmmerniß naͤhren; und Dornen und Diſteln
205
88 Wird er dir tragen; du ſollſt vom Kraute des Feldes dich naͤhren.
Eſſen ſollſt du dein Brod mit Schweiß im Angeſicht, bis du
Wieder zur Erde geworden. Erinnre dich deiner Erſchaffung;
Denn du biſt Erde; zur Erde ſollſt du zuruͤckekehren.
Alſok)ich doch, ob er das wiedergewonnene Paradies beſſer ausgefuͤhrt haben wuͤr -de, als der Poet, der Deutſchland ſo viel Ehre macht. Z. 131Zehnter Geſang.
Alſo richtete Gott, der Richter und Mittler der Menſchen;
210
89 Doch verſchob er den Streich des ihnen gedroheten Todes
Noch auf ferne Zeiten hinaus. Mitleiden ergriff ihn,
Da er ſo nackend ſie ſah, und nichts vor der Luft ſie beſchirmte,
Der nach dem Falle nunmehr die groͤßte Veraͤndrung bevorſtand.
Damals hielt er es ſchon nicht fuͤr die Gottheit zu niedrig,
215
89 Sich zur Knechtesgeſtalt herunter zu laſſen, wie nachher,
Da er den Juͤngern die Fuͤße gewaſchen. Er kleidet auch itzo
l)1 B. Moſ. III, 21. Und Gott der Herr machte Adam und ſeinem Weibe Röcke von Fellen, und zog ſie ihnen an. Unſer Dichter verſteht dieß buchſtaͤblich, ob es gleich genug iſt, daß es durch die goͤttliche Vorſehung und ihre Anleitung geſchehen. Einige Aus -leger quaͤlen indeß ſich und den Text mit der Frage, wie Adam und Eva zu Thier - fellen gekommen? Und deswegen ſetzt Mil - ton verſchiedene Meynungen der Ausle - ger hin, um ſeine Beleſenheit in denſel - ben zu zeigen. N.
l),
Wie ein Vater, der Nackenden Bloͤße mit Fellen von Thieren,
Die er vielleicht erwuͤrgt, vielleicht die genommene Haut auch
Jhnen, ſo wie der Schlange, mit einer neuen erſetzet.
220
90Er bedachte ſich nicht, ſelbſt ſeine Feinde zu kleiden,
Und nicht nur die aͤußere Bloͤße mit Fellen von Thieren;
Sondern die innre ſogar, fuͤr ſie noch ſchimpflicher, deckt er
Mit der Gerechtigkeit Rocke vor ſeines Vaters Geſichte.
Zu ihm fuhr er wieder hinauf mit ploͤtzlicher Auffahrt,
225
90 Jn den ſeeligen Schooß, und nahm den vorigen Thron ein.
Er erzaͤhlte dem Vater, wiewohl ihm alles bekannt iſt,
Was mit den Menſchen ergangen; und in die gnaͤdigen Reden
Miſcht er liebreich, als Mittler der Menſchen, verſoͤhnende Bitten.
R 2Mittler -132Das verlohrne Paradies.
Mittlerweile, noch ehe man ſo auf Erden geſuͤndigt,
230
90 Und das Urtheil ergangen: ſaß an den Thoren der Hoͤlle Suͤnd und Tod
m)Die Sünde und der Tod kom - men hier wieder von neuem auf den Schau - platz. Jch berufe mich wegen dieſer alle - goriſchen Weſen auf meine Anmerkung zum zweyten Geſange Seite 77. zweyte Edition. Milton hat dieſer Bruͤcke ſchonim zweyten Geſange erwaͤhnt, und die Meynung derjenigen ſcheint gegruͤndet zu ſeyn, welche behaupten, daß dieſe zu fruͤh geſchehene Erwaͤhnung Urſaͤche ſey, daß uns dieſer Bruͤckenbau nunmehr weniger in Verwunderung ſetzt. Z.
m), und hatten einander am Jnnern der Pforte
Jm Geſicht. Weit offen ſtand itzt die Pforte des Abgrunds,
Und ſpie wilde verzehrende Flammen hinaus in das Chaos,
Seitdem Satan, nachdem ihm die Suͤnde die Riegel eroͤffnet,
235
91 Unerſchrocken hindurchgegangen; ſie ſagte zum Tode ..
Warum ſitzen wir hier, o Sohn, ſo muͤßig, und ſchauen
Fruchtlos einander ſo an, da unſer erhabener Vater, Satan, andere Welten durchirrt, und muthig bemuͤht iſt,
Eine beſſere Wohnung uns, ſeinen Geliebten, zu ſuchen?
240
91Ohne Zweifel bekroͤnet ihn ſchon ein gluͤcklicher Ausgang!
Waͤr er nicht gluͤcklich, ſo waͤr er ſchon laͤngſt zuruͤckegekehret;
Seine Verfolger haͤtten ihn laͤngſt mit feurigem Grimme
Wieder heruntergejagt, indem fuͤr ſeine Beſtrafung,
Oder fuͤr ihre Rache kein Ort ſo bequem iſt, als dieſer.
245
91Neue Kraͤfte fuͤhl ich in mir, ſo duͤnkt mich, ſich regen,
Und mir ſcheints, als wuͤchſen mir Fluͤgel, und wuͤrde das Reich mir
Jenſeits dieſer Tiefe gegeben, was immer es ſeyn mag,
Was ſo maͤchtig mich zieht, ein angebohrnes Vermoͤgen,
Oder ein ſympathetiſcher Zug, der wirkſam genug iſt,Dinge133Zehnter Geſang.
250
91Dinge von aͤhnlicher Art auch in der groͤßten Entfernung
Durch verborgne Kanaͤle mit Banden geheimer Verwandſchaft
Zu verbinden. Doch du, mein unzertrennlicher Schatten,
Mußt mir folgen, denn keine Macht kann jemals uns ſcheiden
Aber damit die Schwierigkeit nicht zuruͤcke zu kehren,
255
91 Satan den Ruͤckweg vielleicht durch dieſen nimmerbetretnen
Unwegſamen Abgrund verhindre: ſo laß es uns wagen,
Ein verwaͤgenes Werk, doch deiner und meiner Staͤrke
Voͤllig gemaͤß, zu verſuchen. Laß einen Weg uns errichten
Ueber dieſe gewaltige Kluft; vom hoͤlliſchen Abgrund,
260
91 Bis zur neuerfundenen Welt, wo Satan itzt herrſchet.
Uns wird dieſes ein Denkmaal ſeyn von hohem Verdienſte
Bey dem geſammten hoͤlliſchen Heer; es wird die Gemeinſchaft
Mit der Hoͤll und der Welt, und ihre Wandrung von hinnen,
So wie etwan das Schickſal ſie fuͤhrt, gewißlich erleichtern.
265
91Jch kann nicht des Weges verfehlen, ſo maͤchtig empfind ich
Dieſen gewaltgen Jnſtinkt, der zu dem Werke mich fortzieht.
Jhr gab alſobald drauf der magere Schatten zur Antwort:
Geh, wohin dein Geſchick, und deine maͤchtige Neigung,
Dich hinfuͤhren! Lange will ich nicht hinter dir zaudern,
270
91 Noch des Weges verfehlen, wenn du mich fuͤhreſt; ſo ſtark iſt
Schon von ferne der Leichengeruch. Unzaͤhlige Beute
Wartet auf mich; ich ſchmecke bereits von allem Lebendgen
Auf der Erde den Todesgeſchmack; auch ſoll dir mein BeyſtandR 3Zu134Das verlohrne Paradies.
Zu dem Werke, das du zu unternehmen gedenkeſt,
275
91 Nicht entſtehn; ich werde dabey wetteifernd dir helfen.
Alſo ſprach er, und zog den Geruch der Todesveraͤndrung
Auf der Erde mit Luſt in ſich. Als wenn ſich ein Haufen
Fleiſchgefraͤßiger Voͤgel, obgleich viel Meilen entfernet,
Gegen den Tag der Schlacht zu weiten Ebenen ziehet,
280
91 Wo ſich verſammelte Heere gelagert; es lockt der Geruch ſie
Lebender Leichen, die ſchon in einem blutgen Gefechte
Auf den folgenden Tag dem nahen Tode beſtimmt ſind:
Alſo ſchnupfet das hagre Geſpenſt; ſo reckt es die Naſe
Jn die verpeſtete Luft empor, und in ſolcher Entfernung
285
91 Merkt es bereits den kuͤnftigen Raub. Drauf flogen ſie beyde
Zu den Thoren der Hoͤlle hinaus, und kamen ins wuͤſte
Wilde anarchiſche Reich des finſtern rauchenden Chaos,
Auf verſchiedenen Seiten. Mit ihren vereinigten Kraͤften, (Und ſie war ſehr groß die Gewalt, durch die ſie es thaten,)
290
91 Schwebten ſie uͤber der Fluth, und trieben das, was ſie da fanden,
Dickes und ſchlammichtes, welches hier auf - und niedergeruͤhrt ward,
Wie in einer ſtuͤrmiſchen See, von jeglicher Seite
Muͤhſam zuſammengehaͤuft, hin nach dem Schlunde der Hoͤlle.
Als wenn auf der Kroniſchen See zwey wuͤthende Winde
295
91 Von den Polen her ſtuͤrmen, und Eisgebirge verſammeln,
Welche den eingebildeten Weg verſtopfen, der oſtwaͤrts
Ueber Petſora vorbey zu den Kuͤſten des reichen Cathai
n)Petſora iſt die nordoͤſtlichſte Pro - vinz von Moskau, und Cathai iſt eineGegend von Aſien und dem nordlichen China. N.
n)Fuͤhren135Zehnter Geſang.
Fuͤhren ſollte. Der Tod mit ſeiner verſteinernden Keule,
Einem Dreyzacke gleich, ſchmiß den verſammelten Boden
300
92 Trocken und kalt, und macht ihn ſo feſt, wie Delos, das ehmals
Jn dem Meere geſchwommen, das weichere machte ſein Anblick
Unbeweglich, gorgoniſchhart. Sie befeſtigten beyde
Drauf mit asphaltiſchem Pech den aufgeſammelten Boden,
Gleich mit der Breite der Pforte, tief an den Wurzeln der Hoͤlle.
305
92Und ſo leiteten ſie queer uͤber die ſchaͤumende Tiefe
Dieſen unermeßlichen Damm, der hochgewoͤlbt fortlief.
Eine gewaltige Bruͤcke von einer entſetzlichen Laͤnge,
Welche den Wall erreichte von dieſer, itzt unumzaͤunten,
Nun dem Tode verfallenen Welt. Von ihren Bezirken
310
92 Fuͤhrt ein breiter gemaͤchlicher Paß zur Hoͤlle hinunter.
So gieng, wenn man erhabene Dinge mit kleinen vergleichet,
Xerxes aus Suͤſa, von ſeinem beruͤhmten Memnoniſchen Pallaſt
An die Geſtade des Meers, und ſah die Freyheit der Griechen
Unter dem Joche bereits; er bruͤckte den ſeltenen Weg ſich
315
92 Ueber den Helleſpont; ſchloß an die Ufer Europens
Aſia an, und peitſchte voll Stolz mit ſtaͤupenden Ruthen
Die unwillige Fluth. Sie hatten das ſeltſame Werk nun,
Einen Ruͤcken von hangenden Felſen, mit kuͤnſtlichem Baue
Ueber den tobenden Abgrund gefuͤhrt; indem ſie dem Fußſchlag
320
92 Satans gefolgt; und kamen nunmehr zu eben dem Orte,
Wo er zuerſt die Fluͤgel geſenkt; das Chaos verlaſſen,
Und an dieſer nackenden Seite des Weltgebaͤudes
Angelaudet. Mit Klammern und Ketten vom ſtaͤrkeſten DemantMachten136Das verlohrne Paradies.
Machten ſie alles hier feſt; zu feſt nur, zu dauerhaft ward es.
325
92Uns zum Ungluͤck gemacht. Jn kurzem gelangten ſie ſicher
Zu den ſtralenden Graͤnzen des empyreiſchen Himmels,
Und zu den Graͤnzen der Welt; ſie hatten die Hoͤlle zur Linken
Eine geraume Strecke von ſich entfernet gelaſſen.
Drey verſchiedene Wege zu drey verſchiedenen Plaͤtzen
330
92 Zeigten ſich hier. Sie hatten den Weg zur Erden entdecket,
Welcher gerade nach Eden zu fuͤhrt: als Satan ſich zeigte
Jn der falſchen Geſtalt von einem glaͤnzenden Engel.
Zwiſchen dem hellen Centaur und zwiſchen dem Skorpione
Steurt er hinaufwaͤrts zu ſeinem Zenith, da itzo die Sonne
335
92 Aufgieng in dem Geſtirne des Widders. Zwar kam er verkleidet,
Aber er ward gar bald von dieſen geliebteſten Kindern
Als ihr Vater erkannt, ſo ſehr er von außen verſtellt war.
Da er Even verfuͤhrt, war er, von keinem bemerket,
Zu dem naͤheſten Walde geſchlichen, und hatte, damit er
340
92 Ganz den Ausgang erfuͤhre, den Leib der Schlange verlaſſen.
Seine ſchuldige That ward, ohne daß Eva es wußte,
Auch auf ihren Ehmann gebracht; er ſah, wie vergebens
Sie die beſchwerliche Schaam ſich zu verhuͤllen beſtrebten.
Aber als itzt des Ewigen Sohn vom Himmel herabkam,
345
92 Ueber die Menſchen das Urtheil zu faͤllen, da nahm er erſchrocken
Vor ihm die Flucht. Zwar konnt er nicht hoffen, ihm ganz zu entfliehen,
Aber doch wollt er fuͤr dieſesmal nur ſein Angeſicht meiden,
Um dem erſten raͤchenden Zorne dadurch zu entgehen,
Den ſein Verbrechen ihn fuͤrchten ließ. Doch da dieſes vorbey war,Kam137Zehnter Geſang.
350
92Kam er bey Nachtzeit wieder zuruͤck, und behorchte verſtohlen
Das ungluͤckliche Paar in ihren traurigen Reden,
Und in ihren mancherley Klagen. Er ſetzte daraus ſich
Sein ihm gedrohetes Urtheil zuſammen, und da er verſtanden,
Daß es im Augenblick nicht, und erſt nach kuͤnftigen Zeiten
355
92 Jhn erwarte, da gieng er erfreut zur Hoͤlle zuruͤcke,
Mit der froͤhlichen Zeitung beſchwert. Am Rande des Chaos,
Dicht am Fuße der neuen und wundernswuͤrdigen Bruͤcke,
Sah er auf einmal erſtaunt, und wider alles Vermuthen,
Seine wertheſten Kinder, die ihm entgegen gekommen.
360
92Jhre Freude war groß, da ſie ſich alſo vereint ſahn;
Und noch hoͤher ſtieg ſie bey ihm, indem er den ſeltnen
Und erſtaunlichen Bruͤckenbau ſah. Jn ſtiller Verwundrung
Stand er lange Zeit in ſich gekehrt, bis endlich die Suͤnde,
Seine ſchoͤne bezaubernde Tochter, ihn ſchmeichelnd ſo anredt.
365
Dieß ſind deine herrlichen Thaten und hohen Trophaͤen,
Ob du, o Vater, ſie gleich nicht als dein eigen betrachteſt!
Du biſt ihr Stifter, ihr erſter Bauherr! Jch fuͤhlte ſobald nicht
Jn dem Herzen die Ahndung, in dieſem Herzen, das immer
Durch den geheimſten harmoniſchen Zug dem deinigen gleich denkt
370
92 Kaum errieth ich, daß es dir auf der Erde gegluͤcket,
Welches dein Auge mir deutlich nun ſagt, ſo fuͤhlt ich in mir auch,
Obgleich Welten zwiſchen uns lagen ſo fuͤhlt ich den Trieb doch,
Daß ich mit dieſem geliebteſten Sohne dir folgen muͤßte.
So hat das Verhaͤngniß uns drey miteinander verbunden! II. Theil. SLaͤnger138Das verlohrne Paradies.
375
92Laͤnger konnt uns die Hoͤll in ihren Graͤnzen nicht halten,
Laͤnger nicht dieſer unwegſame Schlund den Anſchlag uns hindern,
Deinen ruͤhmlichen Schritten in andere Welten zu folgen.
Du haſt es zu Stande gebracht, uns Freyheit ertheilet,
Da wir bisher am innern Thore der Hoͤlle geſeſſen;
380
92 Du haſt uns die Staͤrke verliehn, die erſtaunliche Bruͤcke
Ueber den dunkeln Abgrund zu legen. Dein iſt nun, o Vater,
Dieſe ganze geraume Welt! Das, was du nicht bauteſt,
Haſt du gewonnen durch Kuͤhnheit und Muth; du haſt das mit Wucher
Wieder durch Weisheit erſiegt, was wir im Kriege verlohren,
385
92 Und die ungluͤckliche Schlacht im Himmel vollkommen erſetzet!
Hier, hier biſt du Monarch, hier wirſt du in Sicherheit herrſchen;
Dorten herrſchteſt du nicht! Laß ihn, den allmaͤchtigen Sieger,
Dort nur immer regieren, wie unſer verlohrenes Treffen
Jhn berechtigt; von hier, von dieſen eroberten Welten
390
92 Muß er ſich ſelber, ob ungern gleich, entfernen, indem ſie
Durch ſein eigen Gericht nunmehr an Fremde gefallen.
Kuͤnftig muß er mit dir die Herrſchaft theilen; denn alles
Scheiden die empyreiſchen Graͤnzen; ſein Viereck des Himmels
o)Unſer Dichter ſagt im zweyten Ge - ſange, es ſey nicht beſtimmt, ob der em - pyraͤiſche Himmel viereckige oder rund ſey, und ſo konnte es dem Satan in der damaligen Entfernung vorkommen. Hieraber folgt der Poet dem Gaſſendi und an - deren, die das Empyreum von gevierter Figur angeben, weil die heilige Stadt in der Offenbarung Johannis ſo beſchrieben wird. N.
o),
Hier von deiner gegruͤndeten Welt; ſonſt muß er befuͤrchten,
395
93 Seinem Thron dich gefaͤhrlicher itzt als jemals zu ſehen.
Jhr139Zehnter Geſang.
Jhr erwiedert der Finſterniß Fuͤrſt mit froͤhlichem Auge:
Schoͤne Tochter, und du, zugleich mein Sohn, und mein Enkel,
Durch welch einen erhabnen Beweis bewaͤhret ihr itzo,
Daß ihr von Satan entſproſſen! (Denn ich bin ſtolz auf den Namen
400
93 Eines Gegners von ihm, dem allmaͤchtigen Koͤnig des Himmels.)
Welch ein Verdienſt erwerbet ihr euch um mich, um der Hoͤlle
Saͤmmtliches Reich, indem ihr ſo nah an den Thoren des Himmels
Auf Trophaͤen Trophaͤen gehaͤuft, die meinigen, durch euch,
Hier auf dieſem ſiegprangenden Werke, womit ihr die Hoͤlle,
405
93 Und die Welt zu Einem Reiche, zu Einem Gebiethe,
Welches die allerbequemſte Gemeinſchaft verknuͤpfet, gemacht habt.
Da ich alſo nunmehr auf eurer Straße gemaͤchlich
Wieder hinab durch die Finſterniß geh, zu meinen getreuen
Hoffenden Maͤchten, damit ich ihnen von meinem Erfolge
410
93 Nachricht bringen, und mich mit ihnen daruͤber erfreun kann:
So ſteigt ihr indeſſen auf dieſem Wege hernieder
Zwiſchen dieſen unzaͤhligen Kugeln, die alle zuſammen
Euer ſind, und ſenkt euch hinab in Edens Bezirke.
Wohnet allda, und herrſchet begluͤckt, und breitet von dannen
415
93 Eure Herrſchaft uͤber die Luft und uͤber die Erde,
Und beſonders uͤber den Menſchen, den Herren von allem,
Wie ihn ſein Schoͤpfer genannt; ihn macht am erſten zum Sklaven,
Und dann toͤdtet ihn. Jch ſend euch, als meine Geſandten,
Und Statthalter auf Erden, von unuͤberwindlicher Staͤrke,
420
93 Welche von mir nur entſpringt. Von euren vereinigten Kraͤften
Haͤngt die Dauer allein von dieſem neuen erworbnenS 2Koͤnig -140Das verlohrne Paradies.
Koͤnigreich ab, das meine That der Suͤnde geweiht hat,
Und durch die Suͤnde dem Tode. Wenn eure verbundenen Kraͤfte
Hier vorwalten: ſo darf gewiß die Hoͤlle nicht fuͤrchten,
425
93 Das geringſte durch euch zu verlieren. Geht hin, und ſeyd tapfer.
Alſo ſprach er, und ſchied ſich von ihnen. Sie nahmen in Eil nun
Durch den dichteſten Schwarm der um ſie leuchtenden Sterne
Jhren Lauf, und ſtreuten um ſich ihr toͤdtendes Gift aus.
Vor Entſetzen erblaßten, von ihrem Hauche beruͤhret,
430
93 Die Geſtirne; die hohen Planeten erlitten, getroffen,
Jtzund eine wahre Verfinſtrung. Jndeſſen gieng Satan
Auf dem anderen Wege hinab zu den Pforten der Hoͤlle.
Das geſpaltene Chaos, von dieſer Bruͤcke belaſtet,
Bruͤllt auf beyden Seiten, und ſchlug mit tobenden Wellen
435
93 An den befeſtigten Damm, der ſeine Beſtuͤrmung verhoͤhnet. Satan gieng die Pforte hindurch; er fand ſie weit offen,
Unbewacht, und ſah alles umher verlaſſen und oͤde.
Die bisher ſie verwahrt, und an dem Thore geſeſſen,
Waren zur oberen Welt entflohn; die uͤbrigen alle
440
93 Hatten ſich tief ins innere Land zuruͤckegezogen
Um des Pandaͤmoniums Mauren, des glaͤnzenden Sitzes Lucifers, denn ſo nennte man ihn in ſtolzer Vergleichung,
Wie man mit dieſem leuchtenden Stern ihn im Himmel verglichen
Kriegriſche Schaaren hielten hier Wacht, indeſſen die Großen
445
93 Tief im Rathe verſammelt ſaßen, voll druͤckenden Kummers,
Ob nicht ihrem verſandten Kayſer ein Ungluͤck begegnet;Denn141Zehnter Geſang.
Denn ſo hatt er es ihnen bey ſeinem Abſchied befohlen,
Und ſie gehorchten ſeinem Befehl. Wie wenn ſich der Tartar
Eilig vor ſeinem Rußiſchen Feinde bey Aſtrakans Mauren
450
93 Ueber beſchneyte Gefilde begiebt; und wie im Entfliehen
Vor den Hoͤrnern des Tuͤrkiſchen Monds der Sophi von Baktra
Alles hinter dem Reiche von Aladule verwuͤſtet,
Und nach Tauris oder Casbin erſchrocken zuruͤckweicht:
Alſo ließ dieß kuͤrzlich vom Himmel gefallene Kriegsheer
455
93 Weit umher die aͤußerſte Hoͤlle viel finſtere Meilen
Oede verlaſſen und leer, und zog ſich herum um die Hauptſtadt
Mit ſorgfaͤltiger Wacht, indem ſie mit jeglicher Stunde
Jhren verwegenen Fuͤhrer von neuer Welten Entdeckung
Wieder erwarten. Er gieng itzt mitten, von keinem bemerket,
460
93 Durch ſie hin, in eines Kriegers vom unterſten Range
Angenommnen Geſtalt, doch ward er unter dem Thore
Dieſes plutonſchen Pallaſtes ſogleich unſichtbar, und ſtieg ſo
Auf den erhabenen Thron, der an dem oberen Ende
Unter dem ſchimmernden Staat von einem praͤchtigen Himmel
465
93 Koͤniglich ſtand. Er ſetzte hier eine Weile ſich nieder,
Und ſah ungeſehn rund um ſich her. Sein blinkendes Haupt brach
Endlich als wie aus Wolken hervor, und ſeine Geſtalt ward
Sternenhell, oder noch heller, mit allem dem Glanze gekleidet,
Welcher nach ſeinem ſchrecklichen Fall ihm uͤbrig geblieben,
470
93 Oder den er ſich auch mit falſchem Schimmer erſetzet.
Voller Erſtaunen bey einem ſo ſchnellen und herrlichen Glanze
Wandte die Stygiſche Schaar die Augen dahin, und erblickte,S 3Was142Das verlohrne Paradies.
Was ſie ſo lange gewuͤnſcht, ihr Oberhaupt wieder zuruͤcke.
Laut ertoͤnte das Jauchzen umher; die Großen des Staates
475
93 Die hier im Rathe verſammelt geſeſſen, erhuben in Eile
Sich von ihrem finſteren Divan, und traten gluͤckwuͤnſchend
Alle mit gleichen Freuden zu ihm. Jtzt winkt er vom Throne
Mit der Hand; ſie ſchwiegen aufmerkſam, indem er ſo anhub.
Thronen, Fuͤrſten, Tugenden, Kraͤfte! So nenn ich euch itzo,
480
93 So erklaͤr ich euch nun, nicht nur kraft ſtreitiger Rechte,
Sondern als ſolche, die ſchon im vollen Beſitze ſich ſehen.
Gluͤcklicher, als ich jemals gehofft, in meiner Geſandtſchaft,
Bin ich zuruͤckegekommen, aus dieſer verhaßten, verfluchten,
Hoͤlliſchen Grube, dem Hauſe des Jammers, dem finſteren Kerker
485
93 Unſers Tyrannen, im hohen Triumph heraus euch zu fuͤhren.
Nehmt nun eine geraume Welt, von unſerm Geburthsort,
Unſerem Himmel, nur wenig verſchieden, als wahre Beherrſcher
Jn den Beſitz! Jch habe ſie euch nach manchem Verſuche,
Und nach manchen Gefahren erobert; es wuͤrde zu lang ſeyn,
490
93 Alles zu ſagen, das, was ich gethan, und was ich erlitten;
Mit wie vieler Beſchwerlichkeit ich die finſtere, wuͤſte,
Und unweſentliche und ungemeſſene Tiefe
Dieſer groͤßten Verwirrung durchreiſt, woruͤber die Suͤnde,
Und der Tod, um euren Weg bequemer zu machen,
495
93 Eine breite Bruͤcke gepflaſtert. Jch aber, ich mußte
Einen entſetzlichen Weg mich durcharbeiten, gezwungen,
Auf dem rebelliſchen Abgrund zu fahren, indem ich verſenkt warJn143Zehnter Geſang.
Jn dem Schooße der ewigen Nacht, und des tobenden Chaos,
Welche fuͤr ihre Geheimniſſe ſtreitend der ſeltſamen Reiſe
500
93 Neidiſch entgegen ſich ſtellten, und ſich mit Geſchrey und mit Aufruhr
Auf das obre Verhaͤngniß berufen
p)Dieß ſcheint mit der Erzaͤhlung im zweyten Geſange nicht uͤbereinzuſtimmen, denn Satan |am zwar mit vieler Muͤh und Arbeit durch das Chaos, wir leſen aber nicht, daß ſich ihm das Chaos mit ſeinenMaͤchten widerſetzt habe. Doch Satan erhebt hier ſeine eignen Thaten, und viel - leicht wollte der Poet den Vater der - gen eben nicht ſo genau bey der Wahr - heit bleiben laſſen. N.
p); und wie ich hernachmals
Jene neuerſchaffene Welt, von der das Gerichte
Lange vorher im Himmel geredt, entdecket; ein großes,
Wundervolles, vollkommnes Gebaͤude, und drinnen den Menſchen
505
94 Jn dem herrlichſten Garten, im herrlichſten Paradieſe,
Welcher durch unſre Verbannung vom Himmel ſo gluͤcklich geworden.
Jhn, ihn hab ich verfuͤhrt! von ſeinem gefuͤrchteten Schoͤpfer
Mit Betrug ihn verfuͤhrt, und zwar, woruͤber ihr billig
Euch verwundern werdet, mit einem Apfel. Er fand ſich,
510
94 Welches euer Gelaͤchter verdient, hieruͤber beleidigt,
Gab gleich ſeinen geliebteſten Menſchen, und mit ihm auch ſeine
Ganze Welt auf, und ließ ſie der Suͤnd und dem Tode zum Raube;
Folglich ohne beſondere Muͤh, Gefahren, und Arbeit,
Uns auch; denn wir koͤnnen darinn nun handeln und wohnen,
515
94 Und den Menſchen beherrſchen, der, waͤr er durch mich nicht gefallen,
Gleichfalls alles beherrſchet haͤtte. Zwar muß ich geſtehen,
Mich auch hat der Allmaͤchtge mit dunkeln Worten gerichtet,
Oder beſſer zu ſagen, die unvernuͤnftige Schlange,
Unter deren Geſtalt ich ſeine Menſchen betrogen. Was144Das verlohrne Paradies.
520
94Was in dieſem Urtheil mich trifft, iſt Feindſchaft; die will er
Zwiſchen mir ſetzen, und zwiſchen dem Menſchen; ich werde, ſo hieß es,
Jn die Ferſen ihn ſtechen; mir wird dagegen ſein Saame,
Wenn, das iſt nicht beſtimmt, den Kopf zerquetſchen. Wer wird denn
Eine Welt nicht gern mit einer Quetſchung gewinnen,
525
94 Oder mit noch viel heftigern Schmerzen? Jhr habt den Bericht nun
Meiner vollendeten That. Was bleibt, ihr Goͤtter, noch uͤbrig,
Als von hinnen zu ziehn in dieſe gluͤcklichen Welten.
Als er dieſes geſagt, ſaß er noch etwas, erwartend,
Daß ein froͤhliches Jauchzen, und ein gluͤckwuͤnſchender Zuruf,
530
94 Rund um ihn her ſein Ohr mit Beyfall ſaͤttigen ſollte.
Aber von allen Seiten vernahm er dagegen ein ſchrecklich
Allgemeines Geziſch von tauſend unzaͤhligen Zungen,
Das Getoͤne vom lauteſten Spott. Er wundert ſich druͤber,
Aber nicht lang; er mußte ſich itzt mit groͤßtem Erſtaunen
535
94 Ueber ſich ſelber verwundern; denn alſobald fuͤhlt er ſein Antlitz
Spitzig und ſchmal zuſammengeſchrumpft; es klebten die Arme
Feſt an die Ribben; es flochten die Schenkel ſich in einander,
Bis er endlich darniedergezogen, vom Thron in den Staub ſtuͤrzt,
Eine ſcheusliche Schlange, die auf dem Bauche gekruͤmmt lag.
540
94Widerſpenſtig ſtraͤubt er ſich zwar; doch vergebens! Jhn ſchleppt itzt
Eine hoͤhere Macht, und ſtraft ihn zu ſeiner Verdammniß
Jn der Geſtalt, in der er geſuͤndigt. Er wollte nun reden,
Aber er hoͤrte Geziſch auf Geziſch; geſpaltene Zungen
Ziſchten auf andre geſpaltene Zungen; denn alle zuſammenWaren145Zehnter Geſang.
545
94Waren nunmehr in Schlangen verwandelt
q)Ein franzoͤſiſcher Journaliſt hat unſern Dichter wegen dieſer Verrwand - lung der Teufel in Schlangen getadelt, und dieſe Verwandlung fuͤr kindiſch aus - geben wollen. Nach meinem Urtheile aber iſt ſie eine von den gluͤcklichſten Er - findungen im ganzen Gedichte. Denn da Satan unter der Geſtalt einer Schlange die erſten Menſchen betrogen, ſo haͤtteder Dichter zu ſeiner und der Teufel Ver - wandlung nicht leicht etwas ausſinnen koͤnnen, das ſich beſſer dazu geſchickt haͤt - te. Er giebt indeß mit vieler Kunſt auch in dieſer Verwandlung dem Satan einen Vorzug, indem er ihn zu einem großen Drachen werden laͤßt, der uͤber alle die andern hervorragt. Z.
q), als Mitverbrecher
Seiner verwegenen That. Das Geraͤuſch des Geziſches im Saale
War entſetzlich; es wimmelte drinnen von Ungeheuern,
Welche mit Kopf und Schwanz ſich in einander verwickelt. Skorpionen ſah man, und Aſpis, und Amphisbaͤnen,
550
95 Und den gehoͤrnten Ceraſt, und Hydern; die ſchreckliche Dipſas,
Und die Ellops, fruchtbar und wild. So wimmelte vormals
Nicht der mit Gorgoniſchem Blute beſudelte Boden,
Noch die Ophiuſa im Meer. Doch Satan blieb immer
Unter ihnen der groͤßte; zu einem ſcheuslichen Drachen
555
95 Wuchs er bereits, viel ſcheuslicher noch und groͤßer, als jener,
Welchen im Pythiſchen Thal die Sonn aus Schlamme gezeuget,
Der entſetzliche Python. Es ſchien auch, daß er ſein Anſehn
Ueber die andern alle behalten; ſie folgten gehorſam
Jhm ins offene Feld; da ſtanden die uͤbrigen Schaaren
560
95 Dieſer vom Himmel gefallnen rebelliſchen Rotte, gewaffnet
Noch in Ordnung, und warteten hier mit großem Verlangen,
Jhr erhabenes Haupt in hohem Triumphe zu ſehen.
Aber ſie ſahn ein andres Geſicht, verſchlungene HaufenVonII. Theil. T146Das verlohrne Paradies.
Von abſcheulichen Schlangen. Ein kaltes Grauen ergriff ſie,
565
95 Und ein ſympathetiſcher Schauder; indem ſie es fuͤhlten,
Daß ſie itzt ſelber in das, was ſie mit Grauſen erblickten,
Gleichfalls verwandelt wurden. Aus ihren bebenden Haͤnden
Fielen die Waffen zu Boden; ſie fielen ſelber zu Boden,
Und das wilde Geziſch ward wieder erneuert; auf alle
570
95 Pflanzet die neue Geſtalt ſich gleich der Peſt fort; ſie wurden
Jn der Strafe ſich gleich, ſo wie in ihrem Verbrechen.
Alſo ward der jauchzende Zuruf, worauf ſie ſich freuten,
Zum Geziſche voll Spott, und ihr verhoffter Triumphton
Ward in Schande verkehrt, die ſie mit eigenen Zungen
575
95 Ueber ſich ſelber ergoſſen. Nicht fern von dieſen Gefilden
Stand ein Wald, der zugleich mit dieſer ihrer Verwandlung
Aus der Erde geſtiegen; ſo war es der Wille des Hoͤchſten,
Jhre Strafe dadurch zu vermehren. Mit herrlichen Fruͤchten
War er beladen, nicht ungleich der Frucht in Edens Gefilden,
580
95 Die der Verſucher gebraucht, indem er Even verfuͤhrte.
Gierig hefteten ſie nach dieſer ſo fremden Erſcheinung
Jhren Blick hin, und glaubten ſtatt eines verbothenen Baumes
Ganze Mengen von ihnen zu ſehn, die itzo entſtanden,
Jhre Schmerzen dadurch und ihre Schande zu mehren.
585
95Aber ein brennender Durſt, und eben ſo wuͤthender Hunger,
Griff ſo heftig ſie an, daß ſie, ſo ſehr ſie es wußten,
Hier nur zum Spotte zu ſeyn, ſich nicht zu zwingen vermochten,
Von den Fruͤchten zu koſten; ſie wanden in wimmelnden Haufen
Sich herzu, und klommen hinauf zu den reizenden Baͤumen,Wo147Zehnter Geſang.
590
95Wo ſie haͤufiger ſaßen, als jene Locken von Schlangen,
Die ſich ums Haupt der Megaͤra gekrauſt. Sie pfluͤcketen geizig
Von der verfuͤhrenden Frucht, ſo ſchoͤn fuͤr die Augen, wie jene,
Die am harzichten Ufer, wo Sodom flammte, gewachſen
r)Joſephus erzaͤhlt von dieſen Aepfeln on Sodom, daß ganze Baͤume davon beladen waͤren, und daß ſie bey der erſtenBeruͤhrung in Aſche und Staub zerfie - len. Hume.
r).
Dieſe betrog noch mehr; ſie taͤuſchte nicht bloß das Gefuͤhl nur,
595
96 Sondern ſogar den Geſchmack; ſie dachten mit koͤſtlicher Speiſe
Jhren Hunger zu ſtillen, allein ſie kaͤuten nur Aſche,
Statt der betruͤglichen Frucht; es ſpie ſie die Kehle voll Ekel
Wiederum von ſich; doch zwang ſie Durſt und Hunger von neuem
Anzubeißen, und eben ſo oft blieb ihnen vor Abſcheu
600
96 Dieſe verfuͤhrende Frucht im Muͤnde ſtecken; ſie kruͤmmten
Voller Verdruß die Backen, die Ruß und Kohlen erfuͤllten.
Alſo taͤuſchte derſelbe Betrug ſie oͤfters, nicht einmal,
Wie den Menſchen, der einmal nur fiel, und deſſen Verbrechen
Sie mit ſolchem Triumphe verhoͤhnt; ſie wurden mit Hunger,
605
96 Und mit einem langen verhaßten Geziſche geplaget,
Bis das Schickſal ihnen vergoͤnnte, die vorige Bildung
Wiederum an ſich zu nehmen. Sie muͤſſen, wie einige ſagen,
Dieſer ſchimpflichen Strafe ſich jaͤhrlich verſchiedene Tage
Unterwerfen, damit ihr Stolz, und die Freude voll Bosheit
610
96 Ueber den Fall des betrogenen Menſchen vermindert werde.
Dennoch ſtreuten ſie unter den Heyden in ſpaͤteren Zeiten
Ein Geruͤcht aus, wie ſehr dieß Unternehmen gegluͤcket,T 2Und148Das verlohrne Paradies.
Und wie im Anfang die Schlange, von ihnen Ophion genennet
s)Milton nahm dieſe Fabel aus dem Apollon. Rhod. I. 503. Prometheus ſagt beym Aeſchylus V 956. Zween Goͤtter haben die Herrſchaft vor dem Jupiter ge -fuͤhrt; wobey der Scholiaſt anmerkt: zuerſt hat Ophion und Eurynome regiert; hernach Saturnus und Rhea, und nach dieſen Jupiter un[d]Juno. Jortin.
s),
Mit der Eurynome, welches vielleicht auf Even zu deuten,
615
97 Auf dem hohen Olympus geherrſcht, und wie ſie von dannen
Von dem Saturn und der Ops vertrieben worden, noch ehe Jupiter in der Diktaͤiſchen Hoͤle gebohren geweſen.
Unterdeß kam das hoͤlliſche Paar in Edens Gefilde
Nur zu bald. Die Suͤnde, die ihrer geheimen Gewalt nach
620
97 Schon vorher darinnen geweſen, kam itzund im Koͤrper,
Als ein eingeſeßner Bewohner in Eden zu wohnen,
Wirklich dahin. Jhr folgt auf dem Fuße der Tod, der itzo
Noch ſein fahles Roß nicht beſtiegen; ihm ſagte die Suͤnde ..
Alles beſiegender Tod, du zweyter von Satans Geſchlechte,
625
97 Sprich, was duͤnket dich nun von dieſem unſeren Reiche,
Ob wir es gleich mit ſchwerer Muͤh und Gefahren erobert.
Jſt es nicht beſſer allhier, als an dem finſteren Thore
Jenes Abgrunds zu ſitzen, und unablaͤßig zu wachen,
Unberuͤhmt, ungefuͤrchtet, du halb vor Hunger verzehret.
630
Jhr antwortete bald das ſuͤndengebohrene Scheuſal:
Mir, den ewiger Hunger zernagt, kann alles gleich viel ſeyn,
Hoͤlle, Himmel, und Paradies; da bin ich am beſten,Wo149Zehnter Geſang.
Wo ich den meiſten Raub, um mich zu ſaͤttigen, finde!
Hier iſt zwar ein ziemlicher Schatz von kuͤnftigen Leichen;
635
97 Aber doch ſcheint er zu klein, um dieſen Rachen zu ſtopfen,
Dieſen ſchlaffen hangenden Wanſt, der nimmer gefuͤllt wird.
Jhm erwiedert hierauf die ſchnoͤde blutſchaͤndriſche Mutter:
Fuͤttere denn dich zuerſt mit dieſen Fruͤchten und Blumen,
Dann mit dieſen Thieren, mit dieſen Fiſchen, und Voͤgeln,
640
97 Keinen veraͤchtlichen Biſſen, und ſchling unſparſam hinunter,
Was nur immer die Senſe der Zeit verſchwendriſch dir abmaͤht.
Jch inzwiſchen, ich will im Menſchen und ſeinem Geſchlechte
Wohnen, und ſeine Gedanken, und ſeine Reden und Blicke,
Seine Handlungen alle beflecken, und ſo ihn, verderbet,
645
97 Dir zu deinem letzten und ſuͤßeſten Raube bereiten.
Als ſie dieſes geſagt, begab ſich vom hoͤlliſchen Paare
Jedes auf ſeinen beſonderen Weg, mit dem giftigen Vorſatz,
Alles auf Erden zu zerſtoͤren, und alle Geſchlechter
Aller Dinge nicht laͤnger unſterblich zu laſſen, und fruͤher
650
97 Oder auch ſpaͤter ſie alle dem letzten Verderben zu weihen.
Als der Allmaͤchtige dieß von ſeinem ſtralenden Thron ſah,
Welchen itzt ringsumher der Heiligen Schaaren umfloſſen:
Wandt er alſo ſein Wort zu dieſen glaͤnzenden Orden.
Seht! wie dieſe hoͤlliſchen Hunde ſo hitzig herannahn,
655
97 Jene herrliche Welt zu pluͤndern, und zu verwuͤſten,T 3Die150Das verlohrne Paradies.
Die ich ſo ſchoͤn, ſo gluͤcklich erſchuf, und die ich auf ewig
So erhalten haͤtte, wofern die Thorheit des Menſchen
Dieſen verwuͤſtenden Furien nicht den Eingang eroͤffnet.
Dieſe deuten es mir zu unvergeblicher Thorheit,
660
97 So wie auch der hoͤlliſche Fuͤrſt, und ſeine Gefaͤhrten,
Daß ich ihnen ſo leicht, und mit ſo weniger Muͤhe
Einen ſo himmliſchen Platz in Beſitz zu nehmen verſtatte.
Spoͤttiſch lachen ſie druͤber, daß ich aus ſtraͤflicher Nachſicht
Meinen hoͤhniſchen Feinden ſo viel erlaubet, als ob ich
665
97 Jhnen im Anfall meines Affekts dieß alles gelaſſen,
Und zum Verderben es ihnen aus Uebereilung gegeben.
Doch ſie wiſſen es nicht, daß ich hieher ſie berufen,
Und herzu ſie gejagt, als meine Hunde der Hoͤlle,
Dieſen Geifer und Schlamm, den die befleckende Suͤnde
670
97 Von dem Menſchengeſchlecht auf alles, was rein war, ergoſſen,
Aufzulecken, bis daß ſie ſich ganz mit Leichen und Aeſern
Vollgefuͤllt haben, und du mit einem einzigen Wurfe
Deines ſiegenden Arms, Sohn meines Buſens, ſie endlich
Durch die Tiefen des Chaos ſchleuderſt; ſie beyde, die Suͤnde,
675
97 Und den Tod; und das offene Grab, damit ſie der Hoͤllen
Raubbegierigen Schlund dadurch auf ewig verſtopfen
Und verſiegeln. Dann ſoll die Erde, dann ſollen die Himmel
Wieder geheiliget werden, zu einer nie wieder befleckten
Reinigkeit. Doch bis dahin geht uͤber ſie beyde mein Fluch noch.
Hier151Zehnter Geſang. 680
Hier beſchloß er. Jhm ſang die Verſammlung der Himmliſchen lautes
Hallelujah! So wie das Getoͤſe von Meeren, ſo toͤnt es
Durch die laute Menge, die ſang. Allmaͤchtger, gerecht ſind
Deine Wege; gerecht iſt, was du uͤber die Schoͤpfung
Ewiger Vater, beſchließeſt; wer kann dich verkleinern? Sie ſangen
685
97 Auch dem Sohn, dem beſtimmten Erloͤſer des Menſchengeſchlechtes,
Welcher einſt Himmel und Erde, verneut, den kuͤnftigen Altern
Von dem Himmel hernieder bringt. So ſangen die Choͤre.
Mittlerweile〈…〉〈…〉 te der Schoͤpfer mit ihren Namen
Seine maͤchtig[en]Engel, und gab, ſo wie es der Zuſtand
690
97 Dieſer nunmehr eraͤnderten Welt nothwendig verlangte,
Jedem ſein Amt. Es ward zuerſt der Sonne befohlen,
So zu laufen, und ſo zu ſcheinen, damit auf der Erde
Schneidende Kaͤlt entſtuͤnde, wie kaum zu ertragende Hitze;
Unter dem Nordpol hervor den keuchenden Winter zu rufen,
695
97 Und vom heißeſten Sud den alles verſengenden Sommer,
Welcher unter der Linie brennt. Sie gaben dem hellen
Silbernen Monde ſein Amt; und wieſen den uͤbrigen fuͤnfen
Jhre Planetenbewegung, und ihre verſchiednen Aſpekten,
Jm geſechſten, gevierten, und dreyfachen Scheine
t)Wenn ein unnoͤthiges Prangen mit Gelehrſamkeit einer von unſers Poeten Fehlern iſt, ſo wird dieſer hier noch un - vergeblicher, da er ſolche fanatiſchen, un -philoſophiſchen Begriffe, woraus dieſes aſtrologiſche Geſchwaͤtz hier beſteht, nicht bloß anfuͤhrt, ſondern ihm ſo viel Anſehn ertheilt. Thyer.
t); nicht minder
700
98 Jn dem ſchaͤdlichen Gegengeſetzten, und wenn ſie unguͤnſtig
Sich in ſchlimmer Synode verſammeln Sie lehrten die Sterne
Jhren giftigen Einfluß herab auf die Erde zu ſchuͤtten;Welcher152Das verlohrne Paradies.
Welcher die Sonne von ihnen im Aufgang begleiten, und welcher
Mit ihr untergehn, oder den Sturm verkuͤndigen ſollte.
705
98Auch beſtimmten ſie jeglichem Winde die Ecken der Erde,
Wenn ſie mit Brauſen von da See, Luft, und Ufer verwirren;
Oder der bruͤllende Donner mit langen ſchrecklichen Schlaͤgen
Durch das dunkle Gewoͤlbe der Luft rollt. Einige ſagen,
Daß er ſeinen Engeln befohlen, die Pole der Erde
710
98 Zweymal zehn, und mehrere Grade mit ſchiefer Bewegung
Von der Achſe der Sonne zu drehn. Die centriſche Kugel
Wandten ſie muͤhſam darauf in die Queere. Noch andere meynen,
Daß er der Sonne befahl, die Zuͤgel des flammenden Wagens
Jn gleichmaͤßiger Breite von jenem Pfade zu leiten,
715
98 Welcher die Tag und Naͤchte gleicht; zum Geſtirne des Stieres
Mit den ſieben Atlantiſchen Schweſtern, den Toͤchtern des Atlas,
Und zum funkelnden Zwillingsgeſtirne von Sparta, bis auf waͤrts
Zu dem Tropiſchen Krebs; dann durch den Loͤwen hernieder,
Und die Jungfrau, die Waage, bis zu dem Steinbock hinunter;
720
98 Um der Jahreszeiten Veraͤndrung in jeglichem Clima
Zu befoͤrdern; ſonſt haͤtte der Lenz mit duftenden Blumen
Ewig der Erde gelaͤchelt; und waͤren die Tage den Naͤchten
Gleich geblieben, nur nicht den Bewohnern der Laͤnder der Pole.
Dieſen haͤtte der Tag beſtaͤndig am Himmel geſchienen,
725
98 Weil die niedere Sonne, ſie wegen ihrer Entfernung
Schadlos zu halten, beſtaͤndig rund um den erhellten Geſichtskreis,
Jmmer ſichtbar, gelaufen waͤre; ſie haͤtten dann weder
Oſten noch Weſten gekannt; dieß haͤtte die hohen GebirgeVon153Zehnter Geſang.
Von dem gefrohrnen Eſtothiland, und die ſuͤdlichen Laͤnder
730
98 Hinter der Magellaniſchen Straße vor Kaͤlte geſichert.
Nach dem Eſſen der Frucht wandt von dem verordneten Laufe
Sich die Sonne zuruͤck, wie bey dem Gaſtmahl Thyeſtens.
Denn wie haͤtte ſonſt anders die Welt, wofern auch die Suͤnde
Nicht ſie befleckt, und wofern ſie auch unbewohnet geblieben,
735
98 Leichter, als itzt, der ſengenden Kaͤlte, der brennenden Hitze,
Auszuweichen vermocht. Die große Veraͤndrung am Himmel
Zog auf dem Meere ſowohl, als auf dem verſchiedenen Lande,
Ob zwar langſam und ſtill, doch gleiche Veraͤnderung nach ſich.
Jn der Luft entzuͤndeten ſich die ſchießenden Duͤnſte;
740
98 Dampf und Nebel ſtieg auf; und ſchwuͤle, dicke, verfaulte,
Peſtilenziſche Daͤmpfe. Nun brechen von Norumbega
Und vom Samojediſchen Ufer, aus ihrem gefrohrnen
Ehernen Kerker, mit Eiſe bewaffnet, im praſſelnden Hagel,
Und mit Schnee und ſtuͤrmiſchen Guͤſſen, und Schloßen und Regen,
745
98 Boreas ſich, und Caͤcias los; und mit lautem Gebruͤlle Thraſcias und Argeſt; ſie zerreißen die Waͤlder, und ruͤhren
Heulend den Ocean auf. Von Suͤden, ihnen entgegen,
Stuͤrmen Notus und Afrikus, ſchwarz von Sena Liona,
Mit lautdonnernden Wolken; die oſt - und weſtlichen Winde
750
98 Rauſchen mit wildem Geraͤuſch zu beyden Seiten darunter; Eurus und Zephir mit ihnen Sirocco, Libechio, pfeifend
Ueber die ſtuͤrmiſche Fluth
u)Jn dieſem weitlaͤuftigen Verzeichniſſe der Winde iſt ein unnoͤthiges Ge -praͤnge
u). Dieß war der Anfang des KriegesUnterII. Theil. U154Das verlohrne Paradies.
Unter den lebloſen Dingen; doch unter den unvernuͤnftgen
Fuͤhrte die Zwietracht zuerſt, die Tochter der Suͤnde, den Tod ein.
755
99Jtzo kriegten Thiere mit Thieren, die Voͤgel mit Voͤgeln,
Und die Fiſche mit andern Fiſchen. Sie alle verließen
Gras und Kraut, das ſonſt ſie genaͤhrt, und fraßen einander.
Wenig Ehrfurcht bezeigten ſie auch dem Menſchen; ſie flohn ihn,
Oder ſie blickten ihn ſeitwaͤrts an mit grimmigen Minen,
760
99 Wenn er vorbey gieng. Dieß waren bereits die wachſenden Uebel,
Die ſich von außen erhuben; ſie wurden von Adam bemerket,
Ob er vor Kummer ſich gleich im dickeſten Schatten verborgen.
Jn ſich ſelber empfand er indeß noch tieſeres Elend;
Und, in einer ſtuͤrmiſchen See von wilden Affekten
765
99 Ganz verſchlungen, ergoß er ſich ſo in heftige Klagen.
Weh mir Armen! Wie gluͤcklich war ich! Jſt dieſes das Ende
Dieſer neuen herrlichen Welt? mein eigenes Ende,
Der ich ſo kuͤrzlich erſt noch von dieſer herrlichen Erde
Alle Herrlichkeit war? Muß ich, ich vormals ſo gluͤcklich,
770
99 Jtzo verflucht, mich vor dem Geſicht des Ewgen verbergen,
Welches zu ſchauen, vorher mein hoͤchſtes reineſtes Gluͤck war?
Wohl! wofern ſich nur ſo mein Elend endigen wollte!
Jch verdien es zu ſehr, und williglich wollt ich ertragen;
Was ich ſelber verſchuldet! Doch alles dieß wird mir nichts helfen!
775
99Meine Speiſe, mein Trank, und was ich kuͤnftig erzeuge,Alles
u)praͤnge von Gelehrſamkeit, und ein ſelt - ſames Gemiſch von alten und neuen, la -teiniſchen und italieniſchen Namen un - tereinander. N.
u)155Zehnter Geſang.
Alles iſt fortgepflanzter Fluch. O Stimme, die ehmals
Mir zu ſolchem Entzuͤcken erſcholl: ſeyd fruchtbar, und mehrt euch!
Jtzt zu hoͤren, ein Tod! Denn was, was kann ich vermehren.
Was erzeugen, als Fluch auf mein Haupt? Wer wird nicht in allen
780
100 Kuͤnftigen Altern mir fluchen, der nun das Elend empfindet,
Welches ich auf ihn gebracht? Daß unſern gefallenen Vater
Alles Ungluͤck treffe! das haben wir Adam zu danken!
Welch ein entſetzlicher Dank; nur Fluch! So ſtuͤrzet auf mich denn
Außer dem Uebel, das ſelbſt mich erwartet, mit ſtuͤrmiſchem Ruͤckfluß
785
100 Alles wieder zuruͤck, was von mir Boͤſes entſprungen;
Faͤllt auf mich, als ſeinen natuͤrlichen Mittelpunkt nieder
x)Die große Beleſenheit, die Milton in allen Arten von Schriftſtellern beſaß, hat ihn verfuͤhrt, auch in dieſer ſonſt ſo vortrefflichen Rede Adams manchmal aus dem Charakter dieſes unſers erſten Stammvaters herauszufallen, und ihn aiel gelehrter reden zu laſſen, als es ſichfuͤr ihn, und hauptſaͤchlich fuͤr ſeinen itzigen betruͤbten Zuſtand ſchickte. Ein Beyſpiel hievon iſt dieſe Stelle, ſo wie hernach das Wortſpiel von der Ribbe Vers 946. Es bleiben aber allezeit Feh - ler, die nur ein großes Genie begehn konnte. Z.
x),
Schwer mich druͤckend, obgleich dieß ſein gehoͤriger Platz iſt.
O vergaͤngliche Freuden des Paradieſes! zu theuer,
Allzutheuer erkauft, mit ewigdaurenden Schmerzen!
790
101Fleht ich, Schoͤpfer, dich an, aus meinem niedrigen Staube
Mich zum Menſchen zu machen? und hab ich dich etwan gebethen,
Aus der Vergeſſenheit Nacht hervor mich zu ziehen, und hier mich
Jn den gluͤcklichen Garten, in dieſes Eden, zu ſetzen?
Da mein Wille mit nichts zu meinem Weſen geholfen:
795
101 O ſo waͤr es auch billig und recht, mich wieder von neuem
Zu dem vorigen Staube zu machen! Jch bin es zufrieden,U 2Alles,156Das verlohrne Paradies.
Alles, was ich empfieng, dir wieder zuruͤcke zu geben,
Da ich vermoͤgend nicht bin, die harten Bedingungen alle
Zu erfuͤllen, auf die mir allein das Gute geſchenkt ward,
800
101 Welches ich nimmer geſucht. Wie haſt du zu deſſen Verluſte,
Strafe fuͤr mich ſchon genug, noch die Empfindung der Schmerzen,
Endloſer Schmerzen gefuͤgt! O deine Gerechtigkeit ſcheint mir
Unerklaͤrlich! Jedoch, ich muß es geſtehen, ich zanke
Mit dir itzo zu ſpaͤt. Die Bedingungen, wie ſie auch waren,
805
101 Haͤtt ich damals ſogleich, da ſie mir vorgelegt wurden,
Standhaft verwerfen ſollen. Jedoch du haſt ſie erwaͤhlet!
Willſt du das Gute genießen, und dann der Bedingungen wegen
Mit ihm ſtreiten? Geſetzt, auch ohne daß du ihn batheſt,
Haͤtte dein Gott dich gemacht: wuͤrdſt du wohl dieſes ertragen,
810
101 Wenn dein eigener Sohn dir ungehorſam geworden,
Und, wenn du ihn beſtrafteſt, ſich ſo entſchuldigen wollte:
Warum zeugteſt du mich? hab ich dich darum gebethen?
Wuͤrdeſt du dieſe ſtolze Vertheidgung von ſeinem Vergehen
Billigen? Und doch war es nicht Wahl, durch die du ihn zeugteſt,
815
101 Sondern allein der Natur nothwendige Folge. Dich aber
Schuf mit freyem Willen dein Gott. Er ſchuf dich ſein eigen,
Schuf vom Seinigen dich, damit du ihm dienteſt! Aus Gnaden
Gab er dir deine Belohnung. Demnach ſteht eben ſo billig
Deine Strafe bey ihm. Wohlan! ich muß mich ergeben!
820
101Denn ſein Urtheil, daß ich, als Staub, auch wieder zu Staube
Werden ſoll, iſt gerecht. O mir willkommene Strafe,
Wenn du auch koͤmmſt! Doch warum verzoͤgert er, was er gedrohet,Noch157Zehnter Geſang.
Noch an dieſem ſchrecklichen Tag an mir zu erfuͤllen?
Weshalb muß ich laͤnger noch leben? was ſpottet man meiner
825
101 Mit dem Tode? warum werd ich zu Quaalen verſparet,
Die nie ſterben? Wie freudig wollt ich der Sterblichkeit Looſe,
Meinem Urtheil, entgegen gehn, und fuͤhlloſer Staub ſeyn!
Wie zufrieden wollt ich in den Staub, als wie in dem Schooße
Meiner Mutter mich niederlegen! Da wuͤrd ich in Frieden
830
101 Liegen und ſchlafen; da wuͤrde nicht mehr ſein ſchrecklicher Ausſpruch
Jn die Ohren mir donnern; nicht Furcht vor etwas noch aͤrgern,
Welches kuͤnftig mir noch und meinem Geſchlechte bevorſteht,
Wuͤrde mich mit grauſamen Erwartungen laͤnger noch quaͤlen!
Noch ein anderer Zweifel verfolgt mich indeſſen. Jch fuͤrchte,
835
101 Gaͤnzlich koͤnn ich nicht ſterben! Jch fuͤrchte, der Athem des Lebens,
Dieſer denkende Geiſt, den Gott mir einblies, er koͤnne
Nicht mit dem Staube zugleich, mit dieſem Koͤrper vergehen!
Dann wuͤrd ich im Grabe, vielleicht in einem noch aͤrgern
Schrecklichen Orte, wer weiß, welch eines lebendigen Todes
840
101 Sterben! O ſchwarzer Gedanke, wofern es ſich alſo verhielte!
Aber ſollt es ſo ſeyn? Es war nur der Athem des Lebens,
Welcher geſuͤndigt? Was kann denn ſterben, als dieſes, was lebet,
Und geſuͤndiget hat? Der Leib kann keines von beyden;
Alſo ſterb ich auch ganz! Dieß ende den ſchrecklichen Zweifel,
845
101 Da die Gedanken des Menſchen nicht weiter zu reichen vermoͤgen.
Zwar der Schoͤpfer der Welt, er iſt unendlich; doch iſt es
Darum ſein Zorn? Er ſey es indeß, ſo iſt es der Menſch nicht,
Sondern er wurde zu ſterben verdammt! Wie koͤnnt er unendlichU 3Seinen158Das verlohrne Paradies.
Seinen Zorn an dem Menſchen veruͤben, indem der ſo endlich
850
101 Durch den Tod iſt? kann er den Tod untoͤdtlich machen?
Welch ein Widerſpruch waͤre dieß nicht! er iſt bey dem Schoͤpfer
Selbſt nicht moͤglich, da dieſes nicht Macht, nein, Schwachheit nur zeigte.
Koͤnnt er, um ſeine Rache zu ſtillen, der Endlichkeit Graͤnzen
Jn dem geſtraften Menſchen bis zur Unendlichkeit dehnen,
855
101 Um ſo ſeiner Strenge Genuͤge zu leiſten, die dennoch
Nimmer befriediget wird: ſo wuͤrd er ſein ſchreckliches Urtheil
Dadurch uͤber den Staub, und uͤber alle Geſetze
Dieſer Natur hinaus erſtrecken, nach welchen Geſetzen
Alles doch in der Natur nach ſeiner Eigenſchaft wirket,
860
101 Und nicht uͤber die Graͤnzen der eigenen Sphaͤre hinausgeht.
Aber geſetzt, es waͤre der Tod, ſo wie ich vermuthet,
Nicht ein einziger Schlag, der mich der Empfindung beraubte;
Sondern ein unaufhoͤrliches Elend vom heutigen Tag an,
Das ich in mir und außer mir ſchon zu maͤchtig nur fuͤhle,
865
101 Und dieß Elend daurete ſo auf ewig? O weh mir!
Dieſe Furcht ſchlaͤgt donnernd aufs neu mit ſchrecklichem Ruͤckfall
Auf mein ſchuldiges Haupt, das alles Schutzes beraubt iſt!
Jch, und der Tod, ſind ewig vereint! ſind beyde zuſammen
Unzertrennlich verknuͤpft in einem einzigen Koͤrper;
870
101 Und nicht ich nur allein, mit mir mein ganzes Geſchlechte
Jſt ihm geweiht, und verflucht! O welch ein herrliches Erbtheil
Laß ich euch alſo zuruͤck, ihr meine Soͤhne! Vermoͤcht ich
Dieſes Erbtheil allein zu verſchwenden, und nichts von demſelben
Euch zu laſſen: wie wuͤrdet ihr mich zufrieden nicht ſegnen,So159Zehnter Geſang.
875
101So enterbt, indem ihr mir itzt mit Vitterkeit fluchet!
Ach! muß denn das ganze Geſchlecht unſchuldiger Menſchen
Eines einzigen Schuldigen wegen verurtheilet werden,
Wenn es anders unſchuldig iſt? Doch kann denn von mir wohl
Etwas anders entſtehn, als was nicht voͤllig verderbt iſt,
880
101 Was an Seel und Willen nicht nur verderbt iſt; nein, was auch
Eben daſſelbe thut, und eben daſſelbe mit dir will?
Koͤnnen ſie ſo denn verkehrt vorm Angeſicht Gottes beſtehen?
Nein, ich werde gezwungen, nach allem dieſen Gezaͤnke,
Frey ihn zu ſprechen; umſonſt ſind meine Vertheidgungen alle,
885
101 Alles, was ich vernuͤnftle; durch labyrinthiſche Kruͤmmen
Fuͤhren ſie endlich mich doch zum eignen Bekenntniß zuruͤcke,
Daß ich Unrecht gethan. Die Schuld von meinem Vergehen
Faͤllt auf mich zuerſt und zuletzt, auf mich nur alleine;
Und mit Recht, als auf die Quelle von allem Verderben!
890
101Moͤchte doch auch auf mich nur allein ſein Zorn ſich ergießen!
Thoͤrichter Wunſch! vermoͤchteſt du wohl die Laſt zu ertragen,
Welche ſchwerer zu tragen, als dieſer Erdball; noch ſchwerer,
Als die ganze Welt, ob dieſe verderbliche Frau gleich
Mit dir ſie theilt? So raubet mit gleichem vergeblichen Troſte,
895
101 Was du wuͤnſcheſt und fuͤrchteſt, dir alle Hoffnung zur Zuflucht,
Und erklaͤrt dich fuͤr elend zuletzt, elender, als jemals
Jemand geweſen, und noch ſeyn wird; dem Satan allein nur
Gleich in ſeinem Verbrechen, und gleich in ſeiner Beſtrafung.
O Gewiſſen! in welchen Schlund von Schrecken und SorgenHaſt160Das verlohrne Paradies.
900
101Haſt du hinab mich geſtuͤrzt! Aus allen dieſen Gedanken
Jſt kein Ausgang, ich ſinke vielmehr vom Tiefen ins Tiefre.
Adam jammerte ſo laut mit ſich ſelber in Klagen
Durch die einſame Nacht, die itzt nicht lieblich und milde,
Nicht geſund mehr war, wie vor dem Falle des Menſchen;
905
101 Sondern fuͤrchterlich ſchwarz, mit ſchaͤdlichen Daͤmpfen erfuͤllet,
Welche ſein erſchrocknes Gewiſſen mit doppeltem Schauder
Alles empfinden ließ. Hingeſtreckt lag er in trauriger Stellung
Auf dem Boden, dem kalten Boden, indem er verzweifelnd
Oftmals ſeine Schoͤpfung verflucht, und eben ſo oͤfters
910
101 Selbſt den Tod anklagt, daß er zu lange verzoͤgre,
Da er ihm doch auf den Tag der Uebertretung gedroht ſey.
Warum koͤmmt nicht der Tod, (ſo ſprach er,) und endet mein Leben
Mit dem mir dreymal willkommenen Schlage? Vergißt denn die Wahrheit
Jhre Drohung zu halten? will Gottes Gerechtigkeit zoͤgern?
915
101Jſt ſie nun nicht mehr gerecht? Jedoch auf alles mein Rufen
Koͤmmt nicht der Tod; die Gerechtigkeit Gottes beſchleuniget auch nicht
Jhren traͤgeſten Schritt auf unſer Flehen und Klagen.
O ihr Waͤlder, und Quellen, ihr Huͤgel, ihr Thaͤler und Lauben!
Welch ein anderer Wiederhall klang ſo kuͤrzlich von euch noch
920
101 Mir zuruͤck! wie ſchalltet ihr mir mit andern Geſaͤngen.
Als ihn Eva ſo niedergeſchlagen, ſo troſtlos erblickte,
Trat ſie traurig vom Orte, wo ſie, in Kummer verſenket,
Sprachlos geſeſſen, naͤher zu ihm. Mit ſchmeichelnden WortenSucht161Zehnter Geſang.
Sucht ſie die ſtuͤrmiſche Wuth des empoͤrten Affektes zu lindern;
925
101 Aber er wies ſie mit ernſtem Ton ſo von ſich zuruͤcke.
Fort aus meinem Geſicht, du Schlange! denn dieſe Benennung
Schickt ſich am beſten fuͤr dich, indem du, mit ihr vereinet,
Eben ſo falſch, ſo haſſenswerth biſt! Es fehlet nichts weiter,
Als daß deine Geſtalt, und Schlangenfarbe, gleich ihrer,
930
101 Alle Geſchoͤpfe vor dir und deiner inneren Tuͤcke
Warnte, damit du ſie nicht durch deine zu himmliſche Bildung,
Welche die hoͤlliſche Falſchheit ſo ſehr verdunkelt, beſtrickteſt.
Ohne dich war ich gluͤcklich geblieben, wofern nicht dein Hochmuth
Und zugleich die eitle Begierde herumzuwandern,
935
101 Da es am wenigſten ſicher war, die Warnung verworfen,
Die ich dir gab; du zuͤrnteſt daruͤber, man traue zu wenig
Deinen Verdienſten; ganz voll vom Verlangen, geſehen zu werden,
Waͤr es vom Teufel auch ſelbſt; und voll vom vermeſſenen Wahne,
Jhn zu beſiegen; doch als darauf die Schlange dir aufſtieß,
940
101 Wurdeſt du von ihr betrogen, bethoͤrt; durch ihre Verfuͤhrung
Du von ihr; ich leider von dir! Jch ließ dich, zu ſicher,
Von der Seite hinweg; ich hielt dich fuͤr weiſe, fuͤr ſtandhaft;
Voͤllig reif, und wider alle gedrohte Verſuchung
Wohlverwahrt, und ſah es nicht ein, daß dieſes zuſammen
945
101 Nur ein Blendwerk ſey, und keine wirkliche Tugend,
Eine Ribbe bloß, krumm von Natur, wie itzo ſich zeiget,
Nach der ungluͤcklichen Seite geneigt; zwar von mir genommen,
Aber beſſer, haͤtte man ſie nur weggeworfen,II. Theil. XDa162Das verlohrne Paradies.
Da man nachher fuͤr mich ſo uͤberfluͤßig ſie anſah
y)Einige Ausleger ſind der Meynung, Adam habe dreyzehn Ribben an der lin -ken Seite gehabt, und Gott habe aus der dreyzehnten die Eva gebildet. N.
y)!
950
102Warum hat der weiſeſte Schoͤpfer, indem er den Himmel
Bloß mit maͤnnlichen Geiſtern erfuͤllt, zuletzt noch auf Erden
Dieſe Neurung erſchaffen, den ſchoͤnen verfuͤhrenden Fehler
Jn der Natur? und nicht ſogleich mit Maͤnnern die Erde,
Wie den Himmel mit Engeln, erfaͤllt, ohn alle Geſchoͤpfe
955
102 Weiblicher Art? warum hat er nicht andere Mittel,
Auf der Erde das Menſchengeſchlecht zu vermehren, erfunden?
Dieſes Ungluͤck haͤtte dann nicht mich Armen befallen,
Und noch groͤßeres, welches uns droht; unzaͤhliger Kummer
Auf der Erde, der durch die Verbindung mit dieſem Geſchlechte
960
102 Und durch weibliche Liſt uns kuͤnftig verfolget. Entweder
Wird er keine gehoͤrige Gattinn zu finden vermoͤgen,
Sondern nur eine, ſo wie ſie Verſehn und Ungluͤck ihm zufuͤhrt,
Oder die, ſo er am meiſten ſich wuͤnſcht, die wird er ſehr ſelten
Jhrer Verkehrtheit wegen erlangen; ein anderer wird ſie
965
102 Vor ihm erlangen; und wenn ſie ihn liebt, ſo werden ſie Eltern
Oder Verwandte verſagen; und die er am gluͤcklichſten jemals
Sich zu wuͤnſchen vermocht, die wird er zu ſpaͤte nur finden,
Wenn ſein Schickſal bereits mit einer widrigen Haͤlfte,
Die er verachtet und haßt, auf ewig zuſammengeknuͤpft iſt.
970
102Dieß wird unendlichen Jammer im menſchlichen Leben gebaͤhren,
Und nur allzubetruͤbt den haͤuslichen Frieden zerſtoͤren.
Dieſes163Zehnter Geſang.
Dieſes ſprach er, und ſchwieg, und kehrte ſich von ihr. Doch Eva
Ließ deswegen nicht ab; ſie warf ſich vielmehr ihm mit Thraͤnen,
Welche ſich unaufhoͤrlich ergoſſen, mit fliegenden Haaren,
975
102 Voller Demuth zu Fuͤßen; umfaßt ſie, und bath um Verzeihung,
Da ſie alſo vor ihm in traurigen Klagen erwiedert.
Adam, verlaß mich nicht ſo! Jch rufe den Himmel zum Zeugen,
Wie aufrichtig mein Herz, wie ſehr es voll Ehrfurcht dich liebet!
Ach! ich habe dich ja unwiſſend beleidigt; ungluͤcklich
980
102 Ward ich verfuͤhrt! Jch falle dir hier mit Thraͤnen zu Fuße,
O beraube mich doch nicht deiner guͤtigen Blicke,
Die mein Leben ſind, deines Raths, und deiner Erbarmung,
Meines einzigen Troſtes in dieſem aͤußerſten Ungluͤck!
Bin ich verlaſſen von dir, wo ſoll ich da hingehn, wo bleiben?
985
102Laß doch zwiſchen uns beyden ſo lange den Frieden noch herrſchen,
Als wir noch leben, vielleicht nur eine fluͤchtige Stunde!
Wie uns einerley Ungluͤck vereint, ſo muͤſſe die Feindſchaft
Uns auch wieder jenen vereinen, den unſer Urtheil
Uns mit ausdruͤcklichen Worten zu unſerem Feinde beſtimmet.
990
102Haſſe nicht dieſes Ungluͤcks wegen mich allzuverlohrne,
Mich Elendre, wie du! Wir haben beyde geſuͤndigt,
Du nur wider den Schoͤpfer allein; ich aber, ich Arme,
Wider den Schoͤpfer und dich! Jch will von neuem zum Orte
Des Gerichts hingehn; will da den Himmel ſo lange
995
102 Mit lautrufenden Klagen beſtuͤrmen, bis alle Verdammniß,
Alle gedrohete Strafe von deinem Haupte gewandt wird,X 2Und164Das verlohrne Paradies.
Und auf mich faͤllt, mich, die einzige Stifterinn alles
Dieſes Jammers, auf mich, die alle Rache verdienet.
Weinend endigte ſie, und blieb in der flehenden Stellung
1000
102 Unbeweglich, bis ſie von ihm Vergebung erhielte
z)Man lieſt in Miltons Leben, daß, nachdem ſeine erſte Frau ihn verlaſſen, er ſchon im Begriffe geweſen, ein anderes Franenzimmer zu heurathen. Unvermu - thet aber habe ſich ſeine Frau in dem Hauſe eines ſeiner Bekannten ihm zu Fuͤſ - ſen geworfen, und ihn um Verzeihungangefleht. Da dieſes unſtreitig einen auſſerordentlichen Eindruck auf ſeine Ein - bildungskraft gemacht haben muß, ſo glaubt man mit Recht, daß er in gegen - waͤrtiger Scene zwiſchen Adam und Eva deſto gluͤcklicher geweſen, da er ſeine ei - gene Begebenheit darinne geſchildert. Z.
z).
Dieſes ihres geſtandnen ſo ſehr beweinten Vergehens. Adam wurde zum Mitleid geruͤhrt; bald neigte ſein Herze
Wieder verfoͤhnt ſich zu der, die noch ſo kuͤrzlich ſein Leben,
Und ſein einzigs Ergoͤtzen geweſen, und die itzt in Unruh,
1005
103 Ganz von Demuth durchdrungen, zu ſeinen Fuͤßen gebeugt lag;
Ein ſo ſchoͤnes Geſchoͤpf, das nun um Schutz und Verſoͤhnung,
Und um Huͤlfe dem flehte, den ſie beleidiget hatte.
Schnell entwaffnet, erſtarb ſein Zorn; ſein Auge ward ſanfter,
Und er richtet ſie auf mit dieſen verſoͤhnlichen Worten.
1010
Unvorſichtig und allzugeſchwind begehreſt du itzo,
So wie zuvor, das, was du nicht kennſt, und wuͤnſcheſt die Strafe
Dir allein. Ach! trage zuerſt dein eigenes Antheil!
Wie ohnmaͤchtig waͤrſt du, die volle Rache des Ewgen
Zu ertragen, wovon du nur noch den kleineſten Theil fuͤhlſt,
1115
103 Da du ſo wenig vermagſt mein Mißvergnuͤgen zu tragen?
Waͤren der Allmacht erhabene Schluͤſſe durch Bitten zu aͤndern,O ſo165Zehnter Geſang.
O ſo wollt ich gewiß zu dieſem Orte, noch vor dir,
Mich begeben, und lauter rufen, um alſo die Strafe
Auf dieß Haupt alleine zu ziehn, und deinem verfuͤhrten,
1020
103 Deinem ſchwaͤchern Geſchlecht, Verzeihung dadurch zu erbitten,
Welches mir anvertraut ward, und von mir ſolchen Gefahren
Ausgeſetzt worden. Jedoch ſteh auf, und laß uns nicht laͤnger
Miteinander uns zanken, und eines das andre beſchuldgen.
Allzubeſchuldigt ſind wir an einem anderen Orte.
1025
103Laß uns vielmehr miteinander in Pflichten der Lieb uns beeifern,
Und dadurch uns die Laſt von dieſem Jammer erleichtern.
Denn der gefuͤrchtete Tod, der uns auf heute gedroht ſchien,
Wird, ſeh anders ich recht, nicht augenblicklich erfolgen,
Sondern nur langſam ſchreitend ſich nahn, ein inneres Sterben
1030
103 Eines langen Tags, um unſere Schmerzen zu mehren,
Und ſie auf unſeren Stamm, (o des ungluͤcklichen Stammes!)
Eben ſo ſehr, als auf uns die erſten Verbrecher, zu leiten.
Eva faßte darauf ein Herz, und erwiedert ihm alſo: Adam, mir iſt ſchon bekannt aus einer betruͤbten Erfahrung,
1035
103 Von wie wenig Gewicht dir meine Worte beduͤnken,
Da ſie bisher ſo ſehr ſich geirrt, und darum auch billig
Jn dem Erfolge ſo ſchaͤdlich geweſen. Doch da du indeſſen
Mich Unwuͤrdge von neuem mit deiner Verzeihung begnadigt.
Und ich mir ſchmeichele, deine Liebe, dieß einzge Vergnuͤgen
1040
103 Meines Herzens, in Leben und Tod, aufs neu zu erlangen:
Will ich dir meine Gedanken, die meine bekuͤmmerte SeeleX 3Mir166Das verlohrne Paradies.
Mir geſagt, nicht verbergen; ſie zeigen vielleicht uns ein Mittel,
Einige Linderung, oder wohl gar das Ende zu finden
Dieſer unſerer aͤußerſten Noth. So traurig es ſeyn mag,
1045
103 Jſt es ertraͤglicher doch, als dieſer entſetzliche Jammer.
Druͤckt uns die Sorge zu ſehr fuͤr unſer kuͤnftig Geſchlechte,
Welches gebohren, beſtimmt zum allergewiſſeſten Ungluͤck,
Endlich vom Tode verſchlungen wird; und iſt es ſo elend,
Sich als den einzigen Grund von anderer Elend zu ſehen,
1050
103 Welche man ſelber erzeugt; iſt uns der Vorwurf ſo ſchrecklich,
Einen bedaurenswuͤrdigen Stamm aus unſeren Lenden
Auf die Erde zu ſetzen, die nun ihr Schoͤpfer verflucht hat,
Ein Geſchlecht, das zuletzt, nach einem Leben voll Jammer,
Einem ſo ſcheuslichen Ungeheuer zum Raube beſtimmt iſt:
1055
103 Adam, ſo ſteht es bey dir, dem Daſeyn dieſes Geſchlechtes,
Welches ſo vieles Ungluͤck erwartet, zuvorzukommen.
Ohne Kinder biſt du, bleib ohne Kinder! So ſieht ſich
So auf einmal der Tod um ſeine Beute betrogen,
Und ſein Schlund muß allein ſich mit uns beyden begnuͤgen.
1060
103Haͤltſt du es aber fuͤr ſchwer, im ſuͤßeſten taͤglichen Umgang
Sich zu ſehn und zu lieben, und doch der Gebraͤuche der Liebe
Und der ehlichen Sitten ſich zu enthalten, voll Sehnſucht
Ohne Hoffnung zu ſchmachten vor ſeinem Geliebten, der gleichfalls
Ohne Hoffnung verſchmachtet; ein Zwang, ein ſchwereres Elend
1065
103 Als die haͤrteſte Pein, die wir in Zukunft befuͤrchten: Adam, ſo laß uns geſchwind, und ohne laͤnger zu zoͤgern,
Uns, und unſer Geſchlecht, von dem, was wir fuͤrchten, befreyen. Laß167Zehnter Geſang.
Laß den Tod uns ſuchen! und wird er von uns nicht gefunden,
An uns ſelber ſein Amt mit eigenen Haͤnden verrichten.
1070
103Warum ſtehen wir ſo, und zittern unter den Sorgen,
Die nichts zeigen, als Tod? Stehts nicht in unſerer Willkuͤhr,
Unter ſo mancherley Wegen zu ſterben den kuͤrzeſten Weg uns
Zu erwaͤhlen, und mit der Zerſtoͤrung Zerſtoͤrung zu enden.
Hier beſchloß ſie; oder vielmehr die heftge Verzweiflung
1075
103 Hindert ſie, weiter zu reden; ſie hatte den Todesgedanken
So ins Herz ſich gepraͤgt, daß ihre Wangen erblaßten. Adam aber, der nichts auf dieſen Anſchlag geachtet,
Hatt indeſſen ſein ſtilles Gemuͤth zu beſſerer Hoffnung
Schwerarbeitend erhoben, und gab ihr alſo zur Antwort.
1080
Eva, deine Verachtung des Lebens, und alles Vergnuͤgens,
Scheint was hoͤhres, was groͤßres in dir, als dieß iſt, zu zeigen,
Was du verſchmaͤhſt; die Zerſtoͤrung indeß mit eigenen Haͤnden
Stuͤrzt die Meynung bald um von deinem erhabenen Vorzug.
Dieß iſt nicht Verachtung des Lebens, es iſt nur Verzweiflung,
1085
103 Furcht und Angſt, ein Leben und ein Vergnuͤgen zu miſſen,
Das man zu ſehr nur geliebt. Suchſt du nur darum zu ſterben,
Um auf einmal dadurch dein itziges Elend zu enden;
Oder glaubeſt du, ſo dem ausgeſprochenen Urtheil
Zu entgehn: ſo taͤuſche dich nicht! Den ruͤhrenden Arm hat
1090
103 Gott vorſichtger gewaffnet, als daß man ihm alſo entwiſche.
Ja ich fuͤrchte ſogar, der alſo erzwungene Tod wird
Dieſe Schmerzen, wozu uns unſer Urtheil verdammet,Nicht168Das verlohrne Paradies.
Nicht vermindern, ſondern vielmehr den Ewigen reizen,
Jn uns den ewigen Tod, um unſeres Trutzes wegen
1095
103 Leben zu laſſen. Wir wollen deshalb ein ſicherer Mittel
Unſeres Jammers verſuchen. Jch hab es vor Augen, ſo duͤnkt mich,
Wenn ich den einen Theil von unſerem Urtheil erwaͤge,
Daß dein Saamen dereinſt der Schlange den Kopf ſoll zertreten.
Ein elender Erſatz, wenn Er nicht darunter gemeynt iſt,
1100
103 Unſer großer verderblicher Feind, ſo wie ich doch glaube, Satan, welcher voll Liſt ſich in der Schlange verborgen,
Und mit dieſem Betrug uns verfuͤhrt. Sein Haupt zu zerquetſchen,
Waͤre wahrhaftige Rache; die wuͤrden wir aber verlieren,
Wenn wir mit eigener Hand den Tod zu beſchleunigen ſuchten,
1105
103 Oder auch kinderlos blieben, wie deine Verzweiflung mir angab, Satan wuͤrde dadurch den beſtimmten Strafen entgehen,
Und wir wuͤrden die unſern auf unſre Haͤupter verdoppeln.
Sage mir darum nichts mehr von einem gewaltſamen Tode,
Oder freywillig unſer Geſchlecht in uns zu erſticken.
1110
103Alle Hoffnung verſchwindet dadurch; es zeiget nur Hochmuth,
Zorn, Verdruß, und Ungeduld an, und Trotz und Empoͤrung
Wider den Ewgen, und wider das Joch, das er uns ſo billig
Auf |den Nacken gelegt. Erinnre dich, wie er ſo gnaͤdig
Unſer Verbrechen gehoͤrt, und uns gerichtet; voll Zorn nicht;
1115
103 Nicht uns beſchimpfend; wir warteten ſchon, ſo wie wir verdienten,
Gleich darauf vernichtet zu werden, indem wir gedachten,
Daß er an eben dem Tage den Tod uns beſtimmet; und ſiehe,
Schmerzen hat er dir nur beym Kindergebaͤhren verkuͤndigt,Welche169Zehnter Geſang.
Welche die Frucht dir gar bald mit groͤßeren Freuden belohnet.
1120
103Mich auch verfehlte der Fluch, und traf am meiſten das Erdreich;
Denn ich ſoll mein Brodt mit Arbeit erwerben. Jſt dieſes,
Ungluͤck? Muͤßiggang waͤre gewiß noch aͤrger geweſen!
Arbeit wird mich erhalten; und daß nicht Kaͤlte, noch Hitze,
Uns beleidigen koͤnne; hat ſeine goͤttliche Sorge,
1125
103 Ungebethen von uns, mit ſeinen eigenen Haͤnden
Uns Unwuͤrdge bekleidet voll Mitleid im waͤhrenden Richten.
Wie vielmehr wird, wenn wir ihn bitten, ſein Ohr ſich eroͤffnen,
Und ſein Herz zum Mitleid ſich neigen; er wird uns auch ferner
Mittel lehren, wie wir uns vor der Witterung ſchuͤtzen,
1130
103 Und vor Regen und Hagel und Schnee, ſo wie ſie die Luft ſchon
Jn verſchiedner Geſtalt auf nahen Gebirgen uns zeiget.
Denn ſchon blaſen die Winde mit feuchtem brauſenden Hauche
Schaͤrfer herab, und zerreißen die lieblichgekrauſeten Locken
Dieſer ſchoͤnen bluͤhenden Baͤume; dieß lehret uns, kuͤnftig
1135
103 Einen beſſeren Schirm und mehrere Waͤrme zu ſuchen,
Unſre ſtarrenden Glieder damit zu erhalten, noch ehe
Dieſes Geſtirn des Tags uns Nacht voll Kaͤlte zuruͤcklaͤßt.
Alſo wollen wir ſuchen die ruͤckwaͤrtsſchlagenden Stralen
Zu verſammeln, und ſie durch truckne Materien flammend
1140
103 Zu erhalten; oder wenn ſich zwey Koͤrper beruͤhren,
Aus der erſchuͤtterten Luft das innere Feuer zu locken;
So wie juͤngſt aus ſtreitenden Wolken, von ſtuͤrmenden Winden
Aneinander getrieben, der ſchlaͤngelnde Blitz ſich entflammte.
Schief vom Himmel herab fiel er auf harzichte RindenII. Theil. YWal -170Das verlohrne Paradies. Zehnter Geſang.
1145
103Waldichter Fichten und Tannen, und ſandt erquickende Waͤrme
Fernher zu uns, die Hitze der Sonne dadurch zu erſetzen.
Dieſes Feuers Gebrauch, und was in Zukunft uns ſonſt noch
Unſer Ungluͤck verſuͤßt, das unſer Verbrechen gezeuget,
Wird er uns lehren, wofern wir darum voll Demuth ihn bitten
1150
103 Und wir duͤrfen, dieß Leben in Jammer zu enden, nicht fuͤrchten;
Seine Gnade wird uns mit mancherley Staͤrkung erhalten,
Bis wir im Staube zuletzt, als unſrer Heimath und Ruhe,
Unſere Tage vollbracht. Was koͤnnen wir ſonſt noch, als hingehn
Zu dem Orte, wo er uns ſo voll Gnade gerichtet;
1155
103 Um da niederzufallen, und unſer Verbrechen mit Demuth
Zu bekennen; Verzeihung zu bitten; den Boden mit Thraͤnen
Feuriger Reue zu netzen, und aus zerſchlagenem Herzen
Seufzer gen Himmel zu ſenden, zum Zeichen unſerer Vuße,
Unſerer wahren Betruͤbniß, und unſerer tiefen Erniedrung.
1160
103Ohne Zweifel wird er von ſeinem Zorne ſich wenden;
Denn was leuchtete ſonſt aus ſeinen heiteren Blicken,
Da er am zornigſten ſchien, als Guͤte, Verſoͤhnung und Gnade.
Alſo ſagte der erſte Vater mit reuigem Herzen: Eva fuͤhlte, wie er, aufrichtige Reue. Sie giengen
1165
103 Eilend zum Orte, wo er ſie ſo voll Gnade gerichtet;
Fielen da nieder vor ihm
aa)Dieſe gluͤcklichen Wieder hohlungen ſind ſehr im Geſchmacke Homers und Virgils, und werden jedem Leſer, wennſie gehoͤrig angebracht ſind, mehr ver - gnuͤgen, als wenn es der Dichter mit andern Worten haͤtte geben wollen. Z.
aa); bekannten ihre Verbrechen,
Bathen ihn um Verzeihung, und netzten den Boden mit Thraͤnen
Feuriger Reu, und ſandten aus ihrem zerſchlagenen Herzen
Heiße Seufzer zum Himmel hinauf, als redende Zeichen
1170
104 Jhrer wahren Betruͤbniß, und ihrer tiefen Erniedrung.
Das[171][172]
[figure]

Das Verlohrne Paradies. Eilfter Geſang. Das Verlohrne Paradies. Eilfter Geſang.

Y 2173
Voller Demuth ſtanden ſie ſo, mit reuigem Herzen
Jm Gebethe vor Gott; denn ſeine vorkommende Gnade
Stieg zu ihnen herunter vom Thron der milden Verſoͤhnung;
Nahm das ſteinerne weg von ihrem Herzen, und machte
5
104 Neues wiedergebohrenes Fleiſch; unausſprechliche Seufzer
Stieß es itzt aus, ſo wie ſie der Geiſt des Gebethes ihm eingab,
Der mit ſchnellerem Flug, als auf der Beredtſamkeit Schwingen,
Sie zum Himmel aufbrachte. Doch nicht wie gewoͤhnlicher Bether
War ihr Flehn; auch war die Bitte nicht weniger wichtig,
10
104 Als wenn, nach der Sage der Fabel, in aͤlteren Zeiten, (Aber doch nicht ſo alt, wie dieſe,) vor Themis Altare Pyrrha und Denkalion
a)Dieſes Gleichniß iſt hier ſehr ſchoͤn angebracht; und ob man gleich den Poe - ten verſchiedentlich uͤber ſeine haͤufigen mythologiſchen Anſpielungen getadelt hat, ſo muß man doch mit Newton zu ſeiner Rechtfertigung anmerken, daß ſolches diemeiſte Zeit nur gleichnißweiſe geſchehn iſt, und man es dem Dichter nach dem Ge - ſchmacke der damaligen Zeiten deſto eher vergeben muß, daß er ſeine Beleſenheit auch in dieſem Stuͤcke zeigen wollen. Z.
a)lag, den Goͤttern zu flehen,
Das ertrunkne Geſchlecht der Menſchen durch ſie zu ernenen.
Jhr Gebeth flog gerade hinauf zum Himmel, und wurde
15
105 Nicht durch widrige Winde von ſeinem Ziele verwehet.
Es gieng durch die Thore des Himmels unkoͤrperlich, hinwaͤrtsY 3Zu174Das verlohrne Paradies.
Zu dem goldnen Altar, der vor dem Ewigen flammte;
Durch den Meßias ward es allhier mit Weihrauch bekleidet,
Und kam ſo zum Throne des Vaters. Mit heiterem Antlitz
20
105 Uebergab es der Sohn, und bath ſo fuͤr die Verbrecher.
Sieh, o Vater, die erſten Fruͤchte der himmliſchen Gnade
Auf der Erde, die du ins Herz der Menſchen gepflanzet!
Dieſe Seufzer, dieß heiße Gebeth, das ich, als dein Prieſter,
Hier in dieſem guͤldenen Rauchfaß, mit Weihrauch vermenget,
25
105 Vor dich bringe! Dieß ſind von deinem Saamen die Fruͤchte,
Welchen du durch Zerknirſchung in ihre Herzen geſaͤet;
Fruͤchte von angenehmerm Geſchmack, als er ſie in Eden
Durch die Pflege der herrlichſten Baͤume, noch eh er gefallen,
Zu erzeugen vermocht. O neige zu ſeinen Gebethen,
30
105 Vater, dein Ohr; vernimm ſein Flehn; vernimm ſeine Seufzer,
Ob er gleich vor dir verſtummt! Und da er ſo wenig geſchickt iſt,
Mit den gehoͤrigen Worten zu bethen; ſo laß du fuͤr ihn mich
Es erklaͤren; mich, ſeinen Beſchuͤtzer, mich, ſeine Verſoͤhnung.
Alle ſeine Werke, ſowohl die guten, als boͤſen,
35
105 Nehm ich auf mich; die erſten will ich vollkommener machen
Durch mein goͤttlich Verdienſt, und fuͤr die andern bezahlet
Dir, o Vater, mein Tod. Nimm mich fuͤr ihn, und empfange
Durch mich den Friedensgeruch vom Menſchengeſchlechte! verſoͤhnet,
Laß ihn leben vor dir! zum wenigſten ſeine gezaͤhlten,
40
105 Seine traurigen Tage, laß ihn in Frieden vollenden;
Bis ihn einſtens der Tod, (ſein ihm geſprochenes Urtheil,Das175Eilfter Geſang.
Das ich nicht aufzuheben, nein, nur zu mildern verſuche,)
Jn ein beſſeres Leben voll Wonne hinuͤbergebracht hat,
Wo ſie, die ich erloͤſt, in ewiger Seeligkeit wohnend,
45
105 Eins ſeyn werden mit mir, ſo wie ich es, Vater, mit dir bin
b)Nach Joh. XVII. 21. 22. Auf daß ſie alle eins ſeyn, gleich wie du Vater, in mir, und ich in dir, daß auch ſie in uns eins ſeyn, auf daß die Weit glaube, du habeſt mich ge -ſandt; und ich habe ihnen die Herr - lichkeit gegeben, die du mir gegeben haſt, daß ſie eins ſeyn, gleichwie wir eins ſind.
b)!
Ohne Wolken, und heiter verſetzt der Vater ihm alſo:
Alles, was du von mir fuͤr deine Menſchen gebethen,
Sey dir gewaͤhrt, geliebteſter Sohn; denn was du mich bitteſt,
War mein Rathſchluß. Doch deß der Menſch noch laͤnger in Eden
50
106 Wohnen koͤnne, verbeut der Natur befeſtigt Geſetze.
Jene himmliſchen reinern unſterblichen Elemente,
Welche mit nichts von grober und unharmoniſcher Miſchung
Sich vereinen, die ſtoßen nunmehr ihn, da er befleckt iſt,
So wie Schlacken von ſich, zu einer gleichen, befleckten,
55
106 Groͤberen Luft, und zu ſterblichen Speiſen, durch die er am beſten
Zu der Aufloͤſung, die in ihm die Suͤnde vollendet,
Zubereitet wird. Die Suͤnde hat alles am erſten
Jn der Natur verpeſtet, befleckt; hat alles verderbet,
Was ſonſt unverdorben geweſen. Jch ſchuf ihn im Anfang
60
106 Mit zwey herrlichen Gaben beſchenkt; mit irdiſchem Gluͤcke,
Und Unſterdlichkeit. Da er das erſte ſo thoͤricht verlohren,
Wuͤrde das letzte zu nichts, als ewigem Jammer ihm dienen,Haͤtt176Das verlohrne Paradies.
Haͤtt ich nicht dem Tode gerufen. Die letzte Befreyung
Giebt ihm alſo der Tod. Nach einem Leben voll Elend,
65
106 Unter Truͤbſal gepruͤft, durch Glauben, und glaͤubige Werke,
Wieder gereinigt, ſoll er zu einem beſſeren Leben
Mit den Gerechten erwachen, wenn Himmel und Erde verneut wird.
Laßt uns indeß der Seeligen Schaar zu hoher Verſammlung
Aus den weiten Bezirken des Himmels zuſammenberufen;
70
106 Denn vor ihnen will ich nicht meine Gerichte verbergen,
Nicht verbergen, wie mit dem Geſchlechte der Menſchen ich handle,
So wie ſie neulich es ſahn an jenen rebelliſchen Engeln,
Und dadurch mit groͤßerer Treu, ſo feſt ſie auch ſtunden,
Doch im Gehorſam befeſtigter noch zu ſtehen gelernet.
75
Alſo ſprach er: Der Sohn gab ſeinem glaͤnzenden Diener,
Der um ihn wachte, das Zeichen. Er ſtieß in ſeine Poſaune,
Die in ſpaͤteren Zeiten vielleicht auf Horeb erklungen
c)Das Geſetz ward unter dem Ton der Poſaune gegeben 2 B. Moſ. XX. 18. und vom juͤngſten Gerichte ſagt der heilige Paulus 1 Theſſ. IV. 16. Dennder Herr wird mit einem Feldgeſchrey und Stimme des Erzengels, und mit der Poſaunen Gottes hernieder kommen.
c),
Da Gott niedergeſtiegen; und die vermuthlich noch einmal
Bey dem Weltgericht toͤnt. Die weiten Gefilde des Himmels
80
107 Halleten wieder vom engliſchen Schall. Die Soͤhne des Lichtes
Machten ſich auf, ſo wie ſie ihn hoͤrten, aus ihren Bezirken,
Aus den ſeeligen Lauben, und amaranthenen Schatten,
Wo ſie an Brunnen und Quellen, und an den Waſſern des Lebens
Hier, oder da, in geſelliger Freude beyſammen ſaßen,Nach177Eilfter Geſang.
85
107Nach dem Orte, wohin der hohe Befehl ſie berufen.
Jeder begab ſich auf ſeinen Sitz; drauf that der Allmaͤchtge
Alſo ſeinen erhabenen Willen vom oberſten Thron kund.
O ihr Soͤhne, der Menſch iſt worden, als unſer einer
d)Dieſe ganze Rede gruͤndet ſich auf folgende Stelle im 1 B. Moſ. III. 22. 23. 24. Und Gott der Herr ſprach: Siehe, Adam iſt worden, als unſer einer, und weiß was gut und böſe iſt. Nun aber, daß er nicht aus - ſtrecke ſeine Hand, und breche auch von dem Baum des Lebens, und eſſe, und lebe ewiglich: Da ließ ihnGott der Herr aus dem Garten Eden, daß er das Feld bauete, von dem er genommen iſt. Und trieb Adam aus, und lagerte vor den Garten Eden den Chernbim mit ei - nem bloßen hauenden Schwerdt, zu bewahren den Weg zu dem Baume des Lebens.
d),
Und kennt beydes das Gut und das Boͤſe, ſeitdem er gegeſſen
90
108 Von der verbothenen Frucht. Doch laßt ihn ſich immer der Kenntniß
Des verlohrenen Guten und des erworbenen Boͤſen
Ruͤhmen! Wie gluͤcklicher, wenn er ſich ſtets begnuͤget, das Gute
Ganz allein nur zu kennen, und nie das Boͤſe. Nun traurt er,
Steht voll Reu, und bethet zu mir mit zerſchlagenem Herzen,
95
108 Wie ich es in ihm gewirkt; doch laͤnger, als dieſe Zerknirſchung
Jn ihm daurt, kenn ich ſein Herz; ich weiß es, wie eitel,
Wie veraͤnderlich es, ſich ſelber gelaſſen, ihn taͤuſchet.
Daß er alſo nicht auch mit ſeinen verwegenen Haͤnden
Sich zu groͤßerer| Schuld am Baume des Lebens vergreife,
100
108 Von ihm , und ewiglich lebe, zum wenigſten traͤume,
Ewig zu leben, ſo hab ich beſchloſſen, ihn auszutreiben,
Und ihn aus dieſem Garten zu ſenden, damit er den Boden
Baue, von dem ich ihn nahm, und der ſich beſſer fuͤr ihn ſchickt.
Michael,II. Theil. Z178Das verlohrne Paradies.
Michael, meinen Befehl wirſt du verrichten. Nimm zu dir
105
108 Einige von der Cherubim Schaar, den tapferſten Ausbund
Flammender Krieger, damit nicht der Feind, zum Beſten des Menſchen,
Oder ſich ſelbſt im Beſitz des erledigten Platzes zu ſehen,
Neue Verwirrungen ſtifte. Begieb dich mit eilenden Schwingen
Zu der Erde hinab; treib aus dem Paradies Gottes
110
108 Sonder Erbarmen dieß ſuͤndige Paar! vom heiligen Boden
Treib die Unheiligen aus, und ihnen, und ihrem Geſchlechte
Kuͤndge die ewge Verbannung an aus Edens Gefilden!
Aber damit ſie vor Furcht nicht unter dem Urtheil erliegen,
Wenn zu ſcharf es ſie traͤfe; denn ihre gebeugeten Herzen
115
108 Seh ich erweicht; ſie ſchmelzen in Thraͤnen uͤber den Fehltritt,
Den ſie gethan: ſo verhuͤlle vor ihnen die Schreckniſſe Gottes;
Und woferne ſie deinem Befehl geduldig gehorchen,
Sollſt du ſie, nicht ungetroͤſtet, aus Eden erlaſſen.
Offenbare dem Erſten der Menſchen, was kuͤnftig geſchehn wird,
120
108 So wie beſonders dazu dich meine Gnade begeiſtert;
Und ſo erlaß ihn von dir, zwar traurig, aber in Frieden.
An der oͤſtlichen Seite des Gartens, an welcher am leichtſten
Sich der Weg hinauf zu Edens Huͤgel erſtrecket,
Setze die Wache der Cherubim hin, und die ſchimmernde Flamme
125
108 Meines weitwallenden Schwerdts, um was ſich ihm nahet, zu ſchrecken,
Und den Weg zum Baume des Lebens dadurch zu verwehren;
Daß nicht Eden zuletzt unreine Geiſter bewohnen,
Und ſie ſich aller der Baͤume, die ich gepflanzet, bemaͤchtgen,
Mit der geſtohlnen Frucht die Menſchen noch mehr zu betruͤgen.
Dieſes179Eilfter Geſang. 130
Dieſes ſagt er. Die engliſche Kraft bereitet ſich alsbald
Zu der ſchnellen Hinabfarth; mit ihm ein glaͤnzender Haufen
Flammender Cherubim. Jeglicher hatte vier Angeſichter
e)Dieſe poetiſche Beſchreibung hat Milton aus dem Propheten Ezechiel ge - nommen, wenn er von den Cherubim ſagt, jegliches hatte vier Angeſichter, und waren ſamt ihren ganzen Lei - be, Rücken, Händen, und Flügeln, voll Augen. Cap. X. 12. 14.
e),
Wie ein doppelter Janus; und ihre ganze Geſtalt war
Mit hellblitzenden Augen bedeckt; in groͤßerer Anzahl,
135
109 Als des wachenden Argus Haupt
f)Die Geſchichte des Argus iſt be - kannt. Er hatte hundert Augen. Her - mes oder Merkur, wurde vom Jupiter gebraucht, ihn mit ſeiner Floͤte einzuſchlaͤ - fern, und ihn umzubringen. Z.
f); zu wachſam, als daß ſie
Durch den bezaubernden Ton von einer arkadiſchen Floͤte,
Oder vom Hirtenrohre Merkurs, und ſeinem geweihten,
Schlummerſchaffenden Stab in Schlaf zu wiegen geweſen.
Unterdeſſen erwacht, um mit dem heiligen Lichte
140
110 Wieder die Erde zu gruͤßen, Leucothea
g)Die weiße Göttinn nach dem Griechiſchen; bey den Lateinern heißt ſieMatuta. Dieß iſt der letzte Morgen in dem Gedichte, der Morgen des ungluͤck - lichen Tages, da unſre erſten Eltern aus dem Paradieſe getrieben wurden. Der Poet, wie Newton anmerkt, ſcheint mit Fleiß in der Dauer der Zeit ſeines Ge - dichts einige Dunkelheit gelaſſen zu ha - ben, weil die Schrift ſelbſt nicht genau beſtimmt, wie bald nach dem Falle die erſten Menſchen aus dem Paradieſe ver - trieben worden. Nach Newtons Aus - rechnung iſt dieſes der eilfte Tag des Ge - dichts. Z.
g); duftender Balſam
Floß von ihr auf die Fluren herab: als Adam und Eva
Jhre Gebethe vollbracht; ſie fuͤhlten Staͤrkung von oben,
Neue Hoffnungen, ſich aus ihrer Verzweiflung zu retten;
Freude, jedoch mit Furcht noch vermiſcht. Mit leichterem Herzen
145
111 Wandt er an Even aufs neu ſo ſeine willkommenen Worte:
Z 2Eva,180Das verlohrne Paradies.
Eva, wie billig findet es Glauben, daß alles das Gute,
Das wir genießen, vom Himmel uns koͤmmt; daß aber von uns auch
Etwas ſollte zum Himmel hinauf den Weg ſich erſtreiten,
Welches vermoͤgend waͤre, des allerfeeligſten Schoͤpfers
150
111 Herz zu ruͤhren, und ſeinen erhabenen Willen zu lenken,
Jſt zu ſchwer nur zu glauben. Und doch thun dieſes Gebethe,
Oder ein kurzer flehender Seufzer des menſchlichen Athems,
Der hinauf zu dem Throne des Ewigen ſteiget! Seitdem ich
Mich bemuͤht, die beleidigte Gottheit durch meine Gebethe
155
111 Zu verſoͤhnen, und niederfiel, und vor ihm in Demuth
Meine ganze Seele gebeugt: ſo, duͤnkte mich, ſah ich
Jhn voll Gnade, verſoͤhnt, und mild; er neigte, geruͤhret,
Zu mir ſein Ohr; die Zuverſicht wuchs in meinem Gemuͤthe:
Daß er mein Flehn in Gnaden erhoͤrt; der Friede kam wieder
160
111 Jn mein Herz; in mein Gedaͤchtniß ſeine Verheißung,
Daß dein Saamen einſt unſerem Feinde den Kopf ſoll zertreten.
Dieſes, das ich vorher in meinem Jammer vergeſſen,
Ueberzeuget mein Herz, des Todes Bitterkeit ſey uns
Gaͤnzlich nunmehr voruͤbergegangen, wir werden leben!
165
111Sey mir alſo gegruͤßt, o Eva, mit Recht ſo genennet,
Mutter des Menſchengeſchlechts
h)1 B. Moſ. III. 20. Und Adam hieß ſein Weib Heva, darum daß ſie eine Mutter iſt aller Lebendigen.
h)! Du, aller lebenden Dinge
Mutter! indem der Menſch durch dich nur lebet, und alles
Fuͤr den Menſchen allein das Leben auf Erden erhalten.
Eva181Eilfter Geſang.
Eva mit traurigſanftem Geſicht gab alſo zur Antwort:
170
112 Dieſen Namen kann ich, o Adam, wenig verdienen,
Jch, die Verbrecherinn, die dir allein zur Gehuͤlfinn beſtimmt war,
Und dein Fallſtrick geworden! Nichts koͤnnt ich verlangen, als Mißtraun,
Tadel, Verweis! Wie unendlich indeß war in der Verzeihung
Er, mein Richter! Jch, die den Tod auf alles gebracht hat,
175
112 Bin begnadiget worden, die Quelle des Lebens zu werden.
Du auch, guͤtig biſt du, da du ſo hoher Benennung
Wuͤrdig mich haͤltſt; mich, die weit andere Namen verdiente!
Doch das thauende Feld, ſo itzo friſcher umherſieht,
Ruft uns zur Arbeit, die wir im Schweiße verrichten ſollen,
180
112 Ob wir die Nacht gleich wenig geruht. Denn ſiehe! der Morgen,
Welcher nicht achtet darauf, daß wir ſo wenig erquickt ſind,
Naht ſich laͤchelnd bereits mit roſenfarbenen Schritten.
Laß uns gehn! Jch werde von deiner Seite mich kuͤnftig
Nie mehr trennen, ſo weit die Arbeit auch immer entfernt liegt,
185
112 Und ſo muͤhſam ſie auch, wie unſer Urtheil befohlen,
Uns beſchaͤfftigen ſoll, bis ſich die Sonne geneiget.
Da wir hier wehnen, was kann, in dieſen reizenden Auen,
Uns verdruͤßlich ſeyn? Hier, laß, o Adam, uns leben
Ruhig, zufrieden; obgleich in einem gefallenen Stande.
190
So ſprach Eva gebeugt; ſo wuͤnſchte ſie: aber das Schickſal
Unterſchrieb nicht den Wunſch! die Natur gab mancherley Zeichen
An der Luft, und an Voͤgeln und Thieren. Die feurige Luft ward
Ploͤtzlich, nach einer fluͤchtigen Roͤthe des Himmels, verdunkelt. Z 3Naht182Das verlohrne Paradies.
Nahe vor ihrem Geſicht ſchoß aus den Luͤften der Vogel
195
112 Jupiters nieder
i)Jovis ales, der Adler. Dieſe Vor - bedeutungen ſind hier von einer beſondern Schoͤnheit, da ſie die nunmehr entſtan - dene Feindſchaft zwiſchen den Thieren an -zeigen, und die Flucht nach der oͤſtlichen Pforte zugeht, aus welcher Adam und Eva durch den Engel gleich falls ausge - trieben werden ſollten. N.
i), und trieb zwey Voͤgel von zierlichen Federn
Vor ſich her. Das Thier, das in dem Walde regieret,
Fieng nunmehr zum erſtenmal an nach Blute zu jagen;
Einem gefaͤlligen Paar, dem ſanfteſten Paare des Waldes
Setzt es nach, dem Hirſch und der Hindinn; ſie nahmen gerade
200
113 Nach der oͤſtlichen Pforte die Flucht. Mit innrer Betruͤbniß
Sah es Adam, und folgte der Jagd mit erſchrockenem Auge;
Und drauf wandt er ſich ſo, nicht ohne Bewegung, zu Eva.
Eine noch groͤßre Veraͤndrung, die nicht mehr weit iſt, o Eva,
Wartet auf uns! Der Himmel giebt ſie durch traurige Zeichen
205
113 Jn der Natur zu erkennen, die ſeinen Willen verkuͤndgen;
Oder er warnt uns vielleicht, nicht auf die Erlaſſung der Strafe
Allzuſicher zu bauen, wenn in den wenigen Tagen
Uns der Tod bisher noch verſchont. Wer weiß es, wie lange
Wir noch ſind, und wer weiß, was unſer Leben noch ſeyn wird?
210
113Oder was wiſſen wir mehr, als daß wir Staub ſind, und Erde,
Daß wir beſtimmt ſind, einmal zur Erde zuruͤcke zu kehren,
Nicht mehr zu ſeyn! Warum wird dieſe doppelte Flucht uns
Jn der Luft, und auf Erden gezeigt, zu einerley Stunde.
Und auf einerley Wege? Warum herrſcht Dunkel im Oſten,Noch183Eilfter Geſang.
215
113Noch vor der Mitte des Tags, und dort in den weſtlichen Wolken
Ein weitſchimmerndes Morgenroth mit helleren Stralen,
Welches das blaue Gewoͤlbe mit blitzendem Glanze bekleidet,
Und mit etwas vom Himmel beladen allmaͤhlig herabſteigt?
So ſprach Adam: Er irrete nicht; die aͤtheriſchen Schaaren
220
113 Stiegen aus einem Himmel von Jaſpis nach Eden hinunter,
Und verweileten ſich auf einem Huͤgel. Wie glorreich
War die Erſcheinung, wenn Zweifelmuth, Angſt, und fleiſchliche Furcht nicht Adams Auge verhuͤllt. Nicht weniger herrlich, als jene,
Da der Unſterblichen Schaar in Mahanaims Gefilden
225
113 Jakob begegnet
k)1 B. Moſ. XXXII. 1. 2. Jakob aber zog ſeinen Weg, und es be - gegneten ihm die Engel Gottes. Und da er ſie ſahe, ſprach er; es ſind Gottes Heere, und hieß dieſelbige Stätte Mahanaim. Die Geſchichte des Eliſa ſteht im 2 Buch der Koͤnige VI. 13. ꝛc. Und es ward dem Koͤnige in Sy - rien angezeigt, ſiehe er (Eliſa) iſt zu Dothan. Da ſandte er hin Roß und Wagen, und eine große Macht, und da ſie bey der Nacht hinkamen, um - gaben ſie die Stadt. Und der Die - ner des Mannes Gottes ſtund frühauf, daß er ſich aufmachte und aus - zöge, und ſiehe, da lag eine Macht um die Stadt mit Roſſen und Wa - gen. Da ſprach ſein Knabe zu ihm: o Weh, mein Herr, wie wollen wir thun? Er ſprach: Fürchte dich nicht, denn derer iſt mehr, die bey uns ſind, als derer, die bey ihnen ſind. Und Eliſa betete und ſprach: Herr, öffne ihm die Augen, daß er ſehe; da öffnete der Herr dem Knaben ſeine Augen, daß er ſahe, und ſiehe, da war der Berg voll feuriger Roſſe und Wagen um Eliſa her. N.
k), und er von dieſen glaͤnzenden Waͤchtern
Ringsum die Felder bedecket geſehn; auch die nicht, die nachmals
Auf den ſtralenwerfenden Hoͤhn in Dothan erſchienen,
Als die Huͤgel umher ein feuriges Lager bezirkte
Wider den Syriſchen Koͤnig, der eines Einzigen wegen,
230
114 Meuchelmoͤrderiſch, ohne den Krieg vorher zu erklaͤren,Gegen184Das verlohrne Paradies.
Gegen Jſrael zog. Sogleich wies der hohe Hierarche
Seinen Engeln daſelbſt, nach ihrer glaͤnzenden Ordnung,
Jhren Poſten, und ließ durch ſie den Garten beſetzen.
Er indeß gieng ganz allein, um Adam zu finden,
235
114 Wo er ſich etwan verborgen; er ward von Adam bemerket,
Der bey der Ankunft des großen Beſuchs zu Eva ſo anhub.
Eva, erwarte nunmehr die wichtigſte Nachricht! ſie wird uns
Unſer Geſchick bald naͤher beſtimmen; vielleicht auch des Himmels
Neue Geſetze, die wir erfuͤllen ſollen, verkuͤndgen.
240
114Fernher ſeh ich bereits aus jener funkelnden Wolke,
Welche den Huͤgel bedeckt, vom Heere der Himmliſchen Einen
Zu uns eilen; nach ſeinem Gang erſcheint er gewiß nicht
So wie einer der Letzten; vielmehr der erhabenſten Thronen,
Und der Maͤchtigſten einer zu ſeyn; ſo ſchmuͤcket ihn Hoheit
245
114 Jn dem majeſtaͤtiſchen Gang. Zwar iſt er nicht ſchrecklich,
Oder furchtbar fuͤr uns; doch auch ſo mild nicht, ſo guͤtig,
So voll Freundſchaft, wie Raphael war, um voller Vertrauen
Jhm zu begegnen, ſo feyerlich iſt ſein ernſterer Anſtand.
Daß er ſich nicht fuͤr beleidiget halte, muß ich ihm mit Ehrfurcht,
250
114 Und voll Demuth, entgegen gehn; entferne dich, Eva!
Hier beſchloß er. Schon nahte ſich ihm der Geſandte des Hoͤchſten,
Nicht in der himmliſcherhabnen Geſtalt, nein, menſchlich bekleidet,
Um mit Menſchen zu reden. Ein kurzes Kriegergewand floß
Ueber die blitzenden Waffen, in hoͤheren Purpur getauchet,Als185Eilfter Geſang.
255
114Als der Meliboͤiſche war
l)Jn einer Stadt von Theſſalien, Me - liboͤa, wurde der beſte Purpur gefaͤrbt,ſo wie auch zu Tyrus, wo dieſe Farbe Sarra, Sar genannt wurde. Hume.
l), und wie man mit Serra
Jhn gefaͤrbt; ſo wie vor Alters ihn Koͤnige trugen,
Oder Helden, an Tagen, da ihre Waffen geruhet. Jris hatte das helle Gewebe gefaͤrbet; ſein offner
Sternenblitzender Helm, wies ihn in der Bluͤthe der Mannheit,
260
115 Wenn ſich erſt eben die Jugend geendet; ihm hieng von der Seite
Jn dem ſchimmernden Guͤrtel das Schwerdt; das toͤdtliche Schrecken Satans; und die Hand war bewehrt mit dem furchtbaren Speere. Adam neigte ſich tief; er, ſeinem erhabenen Rang nach,
Buͤckt ſich, koͤniglich, nicht, und eroͤffnet ihm ſeine Geſandtſchaft.
265
Adam, des Himmels hohe Befehle beduͤrfen nicht langer
Eingangsreden; genug, daß deine tiefen Gebethe
Von ihm erhoͤrt ſind. Der Tod, den, kraft des geſprochenen Urtheils,
Du am Tage bereits, da du geſuͤndigt, verdienteſt,
Sieht ſich ſeiner Beute nun viele Tage beraubet,
270
115 Die dir die Gnade geſchenkt, damit du darinn dich bekehreſt,
Und die ſuͤndige That mit vielen beſſeren Werken
So bedeckſt. Dann mag dein Gott, nun mit dir verſoͤhnet,
Vom raubgierigen Rechte des Todes dich gaͤnzlich befreyen.
Aber laͤnger allhier im Paradieſe zu wohnen,
275
115 Jſt dir verſagt; ich komme vielmehr, von hier dich zu treiben,
Dich aus dieſem Garten zu ſenden, damit du den Boden
Baueſt, von dem er dich nahm, und der ſich beſſer fuͤr dich ſchickt.
MichaelII. Theil. A a186Das verlohrne Paradies.
Michael fuͤgte nichts weiter hinzu; denn uͤber die Nachricht
Stand ſchon Adam, verwundet von ſcharfen Klauen des Kummers,
280
115 Sprachlos, bleich, erſtarrt, und aller Sinne beraubet. Eva indeß, die verborgen dieß alles gehoͤret, verrieth bald
Jhren Aufenthalt ſo mit dieſen vernehmlichen Klagen.
O des unerwarteten Schlags
m)Schon alle Kunſtrichter haben an - gemerkt, daß der Poet mit großer Kunſt die Klagen unſrer erſten Eltern ausge - druͤckt. Wie ſanft und weiblich ſind dieKlagen der Eva, und wie maͤnnlich-trau - rig das Betragen unſers erſten Stamm - vaters. Z.
m)! viel ſchwerer zu tragen,
Als der Schlag des Todes! Muß ich dich alſo verlaſſen,
285
116 Paradies! dich alſo verlaſſen, o gluͤcklicher Boden,
Welcher mich werden geſehn! euch, o ihr ſeeligen Auen,
Euch ihr Schatten und Lauben, ein Wohnplatz ſelber fuͤr Goͤtter
Nicht zu ſchlecht, in welchem ich hoffte, zwar traurig, doch ruhig,
Jene Friſtung des Tages zu enden, der einmal uns trennen,
290
116 Uns vernichten ſoll! Jhr, o ihr lieblichen Blumen,
Die ihr gewiß nicht wieder in andern Gegenden wachſet,
Jhr, des Morgens mein fruͤher Beſuch, des Abends mein letzter,
Die ich mit zaͤrtlicher Hand von der erſten ſich oͤffnenden Knoſpe
Aufgezogen, und Namen euch gab; wer wird euch in Zukunft
295
116 Gegen die Sonne verbreiten; in eure Geſchlechter euch ordnen,
Und aus jenem ambroſiſchen Quell gehoͤrig euch waͤſſern?
Und du zuletzt, o Hochzeitslaube! Du, die ich mit allem
Ausgeſchmuͤckt, was dem Geſicht, und was dem Geruche geſchmeichelt,
O wie ſoll ich mich ſcheiden von dir? wie ſoll ich hinunterWandern187Eilfter Geſang.
300
116Wandern in eine niedere Welt, die finſter und wild iſt,
Gegen dieſe hellen Gefilde? wie ſollen wir athmen
Jn der niedern ſchwereren Luft, die weniger rein iſt,
Da wir ſo lange bereits unſterblicher Fruͤchte gewohnt ſind?
Zu ihr ſagte der Engel mit dieſen troͤſtenden Worten:
305
116 Eva, jammere nicht! verlaß geduldig die Wohnung,
Die du durch deine Suͤnde verlierſt, und haͤnge dein Herz nicht
Thoͤricht verliebt an das, was dir nicht gehoͤret! Du geheſt
Nicht verlaſſen von hier; denn mit dir gehet dein Ehmann;
Jhm zu folgen iſt deine Pflicht! Gedenke, wo Er bleibt,
310
116 Da iſt ein Eden fuͤr dich, da iſt auch deine Geburtsſtatt.
Adam, der ſich indeß vom kalten Schauder erhohlet,
Und die verwirrten Lebensgeiſter von neuem geſammelt,
Richtete ſo, von Demuth gebeugt, die Worte zum Engel:
O Geſandter des Himmels! du, einer der oberſten Thronen,
315
116 Wo nicht von ihnen der Oberſte ſelbſt; denn deine Geſtalt ſcheint
Eines Fuͤrſten Geſtalt, der andere Fuͤrſten beherrſchet;
Mild und guͤtig haſt du uns deine Geſandtſchaft erklaͤret,
Welche, wenn man ſie uns auf haͤrtere Weiſe verkuͤndigt,
Und vollſtreckt, uns gewiß verwundet, vernichtiget haͤtte.
320
116Was wir in unſerem Schmerz, in unſrer Verzweiflung, und Wehmuth,
Und in unſrer Gebrechlichkeit noch zu tragen vermoͤgen,
Hat uns deine Zeitung gebracht. Wir ſollen von dieſemA a 2Himm -188Das verlohrne Paradies.
Himmliſchen Garten uns ſcheiden, von dieſem gluͤcklichen Orte,
Dieſem einzigen Troſt, der, unſern Augen gelaſſen,
325
116 Jhnen bekannt iſt. Uns ſcheinen die andern Gegenden alle
Unbewohnbar und wild; ſie kennen nicht uns, und wir ſie nicht.
Duͤrft ich hoffen, durch Bitten und Flehn, den Willen des Ewgen,
Welcher alles vermag, von ſeinem Entſchluſſe zu wenden;
So wollt ich mit meinem Geſchrey ſo lang ihn beſtuͤrmen,
330
116 Bis er mein Seufzen erhoͤrt. Doch gegen des Ewigen Rathſchluß,
Welcher durch nichts ſich aͤndert, zu bethen, hilft eben ſo wenig,
Als ein Hauch hilft wider den Sturm, der heftiger, ruͤckwaͤrts
Auf den hauchenden brauſt. Jch unterwerfe mich alſo
Seinem gegebenen hohen Befehl. Dieß kraͤnkt mich am meiſten,
335
116 Daß ich durch mein Scheiden von hier, von ſeinem Geſichte
So entfernt, und ſeines geſegneten goͤttlichen Anblicks
So beraubet mich ſeh! Jch koͤnnte hier, tiefanbethend,
Alle die heiligen Oerter beſuchen, die ſeiner Erſcheinung
Von ihm gewuͤrdiget worden, und meinen Kindern erzaͤhlen;
340
116 Hier erſchien er, auf dieſer Hoͤh; dort unter dem Baume
Stand er ſichtbar; dort unter den waldichten Fichten vernahm ich
Seine Stimme; dort ſprach ich mit ihm am murmelnden Quelle.
Dankbarlich wollt ich an jeglichem Platz von gruͤnenden Raſen
Einen Altar ihm errichten, und alle ſchimmernden Steine
345
116 Aus dem Strome zuſammenthuͤrmen, zum ewigen Denkmaal
Fuͤr die kuͤnftige Welt; und drauf wohlriechendes Gummi
Fruͤcht und duftende Blumen ihm opfern. Wie ſoll ich in jener
Niederen Welt die Spuren von ſeinen Erſcheinungen finden,Oder189Eilfter Geſang.
Oder des Ewigen Fußtritt erkennen? Denn ob ich vor ihm gleich
350
116 Floh, da ich zornig ihn ſah; doch, da er zu laͤngeren Tagen
Mich zuruͤckegerufen, und kuͤnftig mir Saamen verheißen;
So ſeh ich mit Freuden itzt ſelbſt die aͤußerſten Saͤume
Seines Glanzes, und bethe von fern an, wo er gewandelt.
Michael gab mit guͤtigem Blick ihm alſo zur Antwort:
355
116 Adam, du weißt es, der Himmel iſt ſein, ſein iſt auch die Erde,
Und nicht dieſer Huͤgel nur bloß; allgegenwaͤrtig
Fuͤllet er Land und See und Luft, und alles, was lebet
n)Der beruͤhmte Pope hat dieſen Ge - danken mit großer Staͤrke weiter ausge - fuͤhrt Eſſay on Man I. 259 ꝛc. All are but parts of one ſtupendous whole, Whoſe body Nature is, and God the ſoul; That, chang’d thro all, and yet in all the ſame Great in the earth, as in th ethereal frame, Warms in the ſun, refreshes in the breeze, Glows in the ſtars, and bloſſoms in the trees, Lives thro all life, extends thro all extent, Spreads undivided, operates unſpent, Breathes in our ſoul, informs our mortal part, As full, as perfect in a hair, as heart, As full, as perfect in vile man that mourns, As the rapt Seraph that adores and burns; To him, no high, no low, no great, no ſmall;He fills, he bounds, connects, and equals all. So ſind denn alle Dinge Theile bloß Von Einem unermeßlich großen Ganzen, Der Leib iſt die Natur, die Seele Gott. Veraͤndert ſtets, und ſtets in allem eins, Groß in der Erd, und im aͤtherſchen Bau, Waͤrmt ſie in Sonnen, und erfriſcht im Weſt; Gluͤht in den Sternen, und bluͤht in dem Baum. Sie lebt durch alle Leben voller Kraft; Durch alles ausgedehnte dehnt ſie ſich, Und theilt ſich, unzertheilbar, allen mit. Sie ſchenket, ohne zu verſchwenden, reich; Sie athmet in den Seelen, und belebt Was in uns ſterblich iſt; iſt eben ſo Vollkommen und ſo groß in einem Haar, Als einem Herzen; eben ſo vollkommen Jn dem unwuͤrdgen Menſchen, welcher traurt,Als
n),A a 3Wel -190Das verlohrne Paradies.
Welches durch ſeine vermoͤgende Kraft begeiſtert, erwaͤrmt wird.
Er gab dir die Erde, ſo weit ſie ſich immer erſtrecket,
360
117 Jn den Beſitz, um ſie zu beherrſchen; gewiß kein geringes
Noch veraͤchtlich Geſchenk. Drum glaube nicht, daß er allein nur
Jn die engeren Schranken des Paradieſes und Edens
Sich begraͤnze. Hier waͤre vielleicht dein Hauptſitz geweſen;
Alle Voͤlker haͤtten von hier ſich um dich verbreitet,
365
117 Waͤren hieher von allen Enden der Erde gekommen,
Jhren erhabenen Vater in dir voll Ehrfurcht zu gruͤßen.
Dieſen Vorzug verlierſt du nunmehr, heruntergeſetzet,
Auf dem niederen Lande mit deinen Soͤhnen zu wohnen.
Zweifle jedoch drum nicht, daß Gott in Thaͤlern und Ebnen
370
117 Eben ſo wohne, wie hier; er laͤßt an jeglichem Orte
Zeugen von ſeiner Allgegenwart ſehn, die immer dir folgen,
Dich beſtaͤndig mit Huld und Vaterliebe begleiten,
Und ſein Angeſicht dir, und ſeiner goͤttlichen Tritte
Spuren, entdecken. Damit du dieß glaubſt, und getroͤſteter werdeſt,
375
117 Eh du ſcheideſt von hier: ſo wiſſe, daß Gott mich geſendet,
Dir zu zeigen, was dir, und deinem kuͤnftgen Geſchlechte,
Noch bevorſteht. Waffne dein Herz, um Gutes und Voͤſes
Zu vernehmen; den Streit der himmliſchen Gnade von oben
Mit des Menſchen verderbter Natur; und lerne durch dieſes
380
117 Wahre Geduld; gewoͤhne dich an, mit frommer BetruͤbnißUnd
n)Als in dem Seraph, der anbethend brennt. Jhr iſt nichts hoch, noch niedrig, groß, noch klein,Sie fuͤllt, umgraͤnzt, verknuͤpft, macht alles gleich. Z.
n)191Eilfter Geſang.
Und mit Furcht die Freude zu maͤßgen, und beyderley Zuſtand
Den begluͤckten, als widrigen auch, gelaſſen zu tragen.
So wirſt du dein Leben am ſicherſten enden; am beſten
Alſo bereitet ſeyn, dem Tod entgegen zu gehen,
385
118 Wenn er nun koͤmmt. Steig auf, auf dieſen Huͤgel; denn Eva
Soll indeſſen hier unten, ſo hab ich ihr Auge geſchloſſen,
Ruhig ſchlummern, da du der Zukunft wacheſt; wie ehmals
Du geſchlummert, da ſie zum Leben gebildet worden.
Voller Dankbarkeit gab ihm Adam alſo zur Antwort:
390
118 Steige voran, mein ſicherſter Fuͤhrer! ich folge dem Pfade,
Den du mich fuͤhrſt; ich folge der Hand des gnaͤdigen Himmels;
Sie mag immer mich zuͤchtgen, ich werfe dem Ungluͤck die Bruſt vor;
Waffne mein Herz, durch Leiden zu ſiegen, und Ruhe durch Arbeit
Zu gewinnen, wofern ich anders dadurch ſie erlange.
395
Beyde ſtiegen nunmehr, zu goͤttlicherhabnen Geſichten,
Auf den Huͤgel hinauf. Er war der hoͤchſte von Eden,
Und man hatte von ihm den halben Erdkreis vollkommen
Jn dem Geſicht
o)Die ganze folgende Beſchreibung der vornehmſten Laͤnder und Reiche der Welt, iſt, nach Newtons Anmerkung, von dem Poeten mit groͤßerer Beleſen - heit als Geſchmack angebracht worden. Newtons Tadel ſcheint deſto gegruͤndeter zu ſeyn, da Adam in allen dieſen Laͤndernnichts zu ſehn hatte, ſondern die Geſich - te, die ihm der Engel zeigte, ſich faſt alle auf das gelobte Land einſchraͤnken. Jn - deß wird auch, dieſe Stelle, wegen der großen Abwechſelung, die ſie in das Ge - dicht bringt, manchem Leſer nicht unan - genehm ſeyn. Z.
o), ſo wie er am weitſten umher ſich erſtreckte.
Jenes Gebirge war hoͤher nicht, auch ſchant es nicht weiter
400
119 Jn die Rund umher, auf welches, aus anderer Urſach,Unſeren192Das verlohrne Paradies.
Unſeren zweyten Adam der ſchwarze Verſucher gefuͤhret,
Und ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte. Adam ſchaute vom Huͤgel herab die Gegenden alle,
Wo je eine Stadt von altem und neueren Ruhme
405
119 Sich erhaben, den Sitz der maͤchtigſten Reiche der Erden
Und der Beherrſcher der Welt; von Cambuls kuͤnftigen Mauren,
Wo der Kan des maͤchtigen Cathai den Koͤnigesſitz haͤlt;
Und von Samarkand am Oxus, dem Throne des Timur,
Bis nach Peking, der praͤchtigen Stadt der Monarchen von China;
410
119 Und von da zum Gebieth des großen Mogols nach Agra,
Und nach Lahor; hinab zum guͤldenen Cherſoneſus,
Auch wo in Ekbatana ſonſt der Perſer geſeſſen,
Oder in Hiſpahan drauf; und wo der Rußiſchen Czaaren
Zepter in Moskau geherrſcht; und wo der Sultan regieret,
415
119 Welchen Turkeſtan gebahr, im hohen Byſanz. Auch verſteckten
Seinem Blicke ſich nicht die fernen Staaten des Negus,
Bis an den aͤußerſten Hafen von ſeinem Meere, Ercoco.
Dann die kleineren Reiche, die an den Kuͤſten des Meeres
Sich erſtrecken, Mombaſa, Quiloa, mit ihnen Melinde,
420
119 So wie Sofala, welches man einſt fuͤr Ophir gehalten;
Bis zu den Staaten von Congo, und von Angola, am fernſten
Gegen Suͤden; dann weiter vom Niger bis zu dem beſchneyten Atlas; zu den Staaten Almanzors, von Fetz und von Suetz,
Und von Tremiſen, Algier und Marokko. Von da ab
425
119 Nach Europa, wo Rom, die Welt zu beherrſchen, beſtimmt war.
Auch ſah er im Geiſte vielleicht in den maͤchtigen Laͤndern,Mote -193Eilfter Geſang. Motezumas, Mexico bluͤhn; und Cusko in Peru,
Den noch reichern Sitz des Athualiba, glaͤnzen.
Auch Gniana, welches noch nicht die Raubſucht gepluͤndert,
430
119 Deren beruͤhmteſte Stadt von Geryons tapferen Soͤhnen Eldorado benennet ward. Zu edlern Geſichten
Nahm der Engel indeß von Adams dunkelem Auge
Jenes Haͤutchen hinweg, das die betruͤgriſche Frucht ihm,
Die ein heller Geſicht ſo falſch ihm verheißen, erzeuget.
435
119Mit Euphraſia reinigt er drauf den ſehenden Nerven,
Denn er hatte zu viel nur zu ſehn, und goß ihm drey Tropfen
Von der Quelle des Lebens darauf; die himmliſche Kraft drang
Tief in den innerſten Sitz von Adams Seelengeſichte,
Daß er in Ohnmacht ſein Aug itzt ſchloß, und wie in Entzuͤckung
440
119 Hinſank. Aber gar bald ermuntert ihn freundlich der Engel,
Richtet ihn auf, und erwecket ihn ſo zum hohen Geſichte.
Adam, oͤffne dein Auge nunmehr! Am erſten betrachte
Die entſetzliche Wirkung von deinem erſten Verbrechen
Jn verſchiedenen deines Geſchlechts, die nimmer gegeſſen
445
119 Von der verbothenen Frucht; ſich nicht mit der Schlange verbunden,
Und nicht deine Suͤnde geſuͤndigt; jedoch ein Verderben
Von ihr geerbt, das dieſe noch groͤßern Verbrechen erzeuget.
Adam oͤffnete drauf ſein Auge. Schnell zeigte ſich vor ihm
Ein zum Theil beackertes Feld
p)Leſer, die mit dem Homer bekannt ſind, werden leicht wahrnehmen, daßMilton
p), mit guͤldenen Garben,DieII. Theil. B b194Das verlohrne Paradies.
450
120Die erſt neulich geerndtet worden. Der andere Theil ſtand
Ueberdecket mit Huͤrden und Triften fuͤr weidende Schafe.
Jn der Mitten erhob ſich von Roſen ein laͤndlicher Altar,
Wie ein Grenzſtein. Jhm nahete ſich ein Schnitter voll Schweißes,
Welcher die erſten Fruͤchte von ſeinem geerndteten Feldbau,
455
120 Aehren, noch unreif und gruͤn, mit gelben Halmen vermiſchet,
Unerleſen, ſo wie ſie zuerſt in die Hand ihm gekommen,
Auf den Altar legte. Dann kam ein ſanfterer Schaͤfer
Mit dem erleſenſten Beſten von ſeinen Heerden. Er opfert;
Legt das Eingeweide, das Fett, mit Weihrauch beſtreuet,
460
120 Aufs geſpaltene Holz, und nimmt die Opfergebraͤuche
Fromm in Acht. Ein guͤnſtiges Feuer vom Himmel verzehret
Schnell ſein Opfer mit ploͤtzlicher Gluth zum ſuͤßen Geruche,
Aber das Opfer des anderen nicht, dieweil es ſo rein nicht,
So aufrichtig nicht war. Er raſte daruͤber im Herzen,
465
120 Und, ſo wie ſie vertraut ſich miteinander beſprachen,
Wirft er mit einem moͤrdriſchen Stein ihm unter die Ribben,
Daß ſein Leben entfloh; er ſank, und aͤchzete, todtbleich,
Seine ringende Seele mit blutigen Stroͤmen von ſich.
Ueber dieſes Geſicht ſtand Adam im Herzen erſchrocken,
470
120 Und erſtarrt; und ſchrie in Eil voll Bewegung zum Engel.
Welchp)Milton in den folgenden Erſcheinungen ſehr oft die Beſchreibung von Achilles Schilde vor Augen gehabt. Seine Ge - maͤhlde ſind aber von noch groͤßerer Schoͤn -heit, da ſie wirkliche, und fuͤr alle Men - ſchen ſo wichtige Geſchichte zum Grunde haben. Z. 195Eilfter Geſang.
Welch ein Ungluͤck betrifft, o himmliſcher Lehrer, den frommen,
Sanften rechtſchaffenen Mann, der, Gott gefaͤllig, geopfert!
Wird ein edeles Herz, wird Andacht alſo belohnet?
Michael, eben wie er, von Mitleid durchdrungen, erwiedert
475
121 Dieſe beyden ſind Bruͤder, o Adam; ſie werden in kurzem
Deinen Lenden entſpringen. Der Ungerechte, der Suͤnder,
Hat den Gerechten erwuͤrgt, aus ſchwarzem giftigen Neide,
Daß der Himmel nicht ſo, als wie das Opfer des Bruders,
Sein unlauteres Opfer erkannt. Die blutige That ſoll
480
121 Aber geraͤchet werden; des andern gebilligter Glaube
Wird nicht ſeiner Belohnung beraubt
q)Nach Hebr. XI. 4. Durch den Glauben hat Abel Gott ein größer Opfer gethan, denn Cain, durch welchen er Zeugniß überkommen hat,daß er gerecht ſey, da Gott zeugete von ſeiner Gabe, und durch denſel - bigen redet er noch, wiewohl er ge - ſtorben iſt.
q), obgleich du ihn ſterbend
Hier im Staub, und in eignem Blute ſich waͤlzen geſehen.
Jhm gab drauf der erſte Vater der Menſchen die Antwort:
O der abſcheulichen That, und ihrer abſcheulichen Urſach!
485
122Aber, hab ich nunmehr den Tod geſehen? Jſt dieſes
Zu dem urſpruͤnglichen Staube mein Weg, zu welchem mein Urtheil
Mich zuruͤckezukehren verdammt? Entſetzlicher Anblick!
Scheuslich zu ſehn! ſchon greulich zu denken! wie grauſam zu fuͤhlen!
Jtzo haſt du den Tod, (erwiederte guͤtig der Engel,)
490
122 Jn der erſten Geſtalt am Menſchen erblicket; doch giebt esB b 2Viele196Das verlohrne Paradies.
Viele Geſtalten des Todes, und viele Wege, die alle
Zu der abſcheulichen Hoͤle fuͤhren; ſie alle ſind ſchrecklich,
Aber den Sinnen ſchrecklicher noch am dunkelen Eingang,
Als im Jnnern. Etliche werden, ſo wie du geſehen,
495
122 Durch des Todes gewaltſamen Streich ihr Leben verlieren,
Durch die ſtuͤrmiſche Fluth, durch Feuer, und Hunger, und mehr noch
Durch unmaͤßgen Gebrauch der Speiſen und ſtarker Getraͤnke.
Ueber die Erde wird dieß abſcheuliche Seuchen verbreiten;
Und damit du erkennſt, was Evens Verbrechen fuͤr Jammer
500
122 Ueber die Menſchen gebracht: ſoll ſich ein ſchrecklicher Haufen
Dieſer Seuchen dir nahn. Schnell lag vor ſeinem Geſichte
Ein entſetzlicher Ort; ſchwarz, finſter, ſchmutzig, und traurig,
Wie ein Spital. Man ſah darinn viel Schaaren von Kranken,
Und jedwedes Uebel war hier; die ſcheuslichſten Kraͤmpfe,
505
122 Reckende Foltern, und herzbeſchwerende Vangigkeiten; Gicht, und Schlag; und allerley Fieber; erſtickende Fluͤſſe,
Und die fallende Sucht; Stein, Gries in den Nieren, Koliken,
Und Geſchwuͤre; die Phreneſie, die ungezaͤhmt tobet,
Und die ſchwarze Melancholey, die verzehrende Schwindſucht,
510
122 Und der mondſuͤchtige Wahnwitz; die Hydropiſie, der Maraſmus,
Und Engbruͤſtigkeit, und folterndes Seitenſtechen,
Und die weltverheerende Peſt. Die Marter war ſcheuslich,
Und die Seufzer entrangen ſich tief. Die Verzweifelung pflegte
Ganz geſchaͤfftig der Kranken von Bette zu Bette. Der Tod ſchwang
515
122 Ueber ihnen den Pfeil im Triumph; doch grauſam verzog er,
Sie darmit zu durchbohren, ſo ſehr ſie mit Flehen und BittenJhn,197Eilfter Geſang.
Jhn, ihr einziges Gut, und ihre letztere Hoffnung,
Jammernd ruften. O welch ein Herz von Felſen vermoͤchte
Solch ein ſcheuslich Geſicht mit trockenen Augen zu ſchauen!
520
122Adam hielt ſich nicht mehr; er weinte, wie wohl er vom Weibe
Nicht gebohren worden. Ein zaͤrtliches Mitleid beſiegte
Seinen maͤnnlichen Muth, und ließ ihn lange den Thraͤnen;
Bis daß ſtaͤrkre Gedanken die ſich ergießenden Zaͤhren
Etwas gehemmt. Sobald er die Rede von neuem bekommen,
525
122 Schmolz ſein zaͤrtliches Herz in dieſe beweglichen Klagen:
O armſeeliges Menſchengeſchlecht! wie biſt du gefallen,
O wie biſt du erniedert! zu welchem erbaͤrmlichen Zuſtand
Aufbehalten! Es waͤre dir beſſer, du naͤhmſt, nicht gebohren,
Hier dein Ende! Ward darum uns nur das Leben geſchenket,
530
122 So uns wieder entrungen zu werden? Und drang man es uns nicht
Mit Gewalt auf? Kannte man das, was man uns geſchenket?
O wer wuͤrde das Leben gar nicht entweder verlangen,
Oder bald drauf das Schickſal flehn, es wieder zu nehmen,
Gluͤcklich, wenn er noch ſo in Frieden erlaſſen ſich ſaͤhe!
535
122Kann am Menſchen des Ewigen Bild, das ehmals ſo herrlich,
So vollkommen geſtralt, obgleich es itzo verderbt iſt,
Zu ſo ſchrecklichen Leiden, zu ſo unmenſchlichen Schmerzen,
Welche kein Auge betrachten kann, erniedriget werden?
Sollte der Menſch nicht, da er zum Theil das Ebenbild Gottes
540
122 Noch beſitzt, von ſolcher entſtellenden Haͤßlichkeit frey ſeyn,
Und ſich wegen der Gleichheit mit ſeinem Schoͤpfer verſchont ſehn?
B b 3Sie198Das verlohrne Paradies.
Sie verlohren, (erwiederte drauf der Engel,) dieß Bildniß,
Da ſie ſich ſelber erniedert, und zuͤgelloſen Begierden
Sklaviſch gedient; vom viehiſchen Laſter das Ebenbild nahmen,
545
122 Welches Even am meiſten zu ihrem Verbrechen verleitet.
Drum iſt ihre Beſtrafung ſo niedrig, und kann nicht das Bildniß
Gottes entehren; ihr eignes allein entehret es, oder
Jſt es des Ewigen Bild, ſo wird es von ihnen allein nur
So entſtellt, da ſie der Natur heilſame Geſetze
550
122 Jn ſo ekelnde Seuchen verwandeln; ſie habens verdienet,
Weil ſie in ſich das Ebenbild Gottes nicht beſſer verehren.
Jch ergebe mich, ſagte hierauf der Vater der Menſchen,
Aber iſt neben dem ſchmerzlichen Pfade kein anderer Weg mehr,
Welcher zum Tod uns fuͤhrt, zu unſerm urſpruͤnglichen Staube,
555
Ja, er iſt, erwiedert der Engel, wofern du die Vorſchrift, Nicht zu viel, zu halten gedenkſt, und wenn dich in Speiſen,
Wie in Getraͤnken, die Maͤßigkeit fuͤhrt; die gehoͤrige Nahrung
Und nicht luͤſterne Luſt von dir darinnen geſucht wird;
Bis daß uͤber dein Haupt viel Jahre verſtrichen. So kannſt du
560
122 Leben, bis daß du von ſelbſt gleich zeitigen Fruͤchten herabfaͤllſt
Zu dem Schooße der Erde; auch kannſt du gelinde gepfluͤcket
Eingeſammelt werden, wenn du dem Tode gereift biſt,
Und wirſt nicht mit ſtrenger Hand vom Stamme geriſſen.
Dieß iſt das hohe geſeegnete Alter. Doch mußt du alsdann auch
565
122 Deine bluͤhende Jugend, und deine Schoͤnheit und StaͤrkeUeber -199Eilfter Geſang.
Ueberleben; dich werden alsdann, verwelket, geſchwaͤchet,
Graue Haare bedecken; die ſtumpfergewordenen Sinnen
Werden allen Geſchmack an Luſt und Freuden verlieren.
Statt der Mine der Jugend, die itzt ſo froͤhlich umherſieht,
570
122 So voll Hoffnungen iſt, wird in dem traͤgeren Blute
Melancholiſcher Dampf, und Kaͤlt und Trockniß regieren;
Deine fluͤchtigen Geiſter wird dieſes darnieder druͤcken,
Und zuletzt in dir den Balſam des Lebens verzehren.
Unſer Ahnherr verſetzte darauf. Jch flieh denn in Zukunft
575
122 Nicht mehr den Tod, ich will mich auch nicht zu aͤngſtlich bemuͤhen,
Dieſes Leben zu haſſen, vielmehr mich eifrig beſtreben,
Wie ich von dieſer beſchwerlichen Laſt am leichtſten, am beſten
Mich befreye, die ich ſo lange zu tragen beſtimmt bin,
Bis der Tag des Todes erſcheint; ihn will ich geduldig,
580
122 Und voll Muth erwarten. Jhm gab der Engel zur Antwort:
Liebe zu ſehr nicht dein Leben; doch haß es noch minder! Und was du
Lebeſt, das lebe wohl! und uͤberlaß es dem Himmel,
Ob ſein Ausſpruch es kurz, ob er es laͤnger beſtimmet.
Jtzo bereite dein Auge zu einem andern Geſichte.
585
Adam ſah auf, und ſah in einer offenen Ebne
Zelte von mancherley Farben
r)Dieſes waren die Zelte von den Nachkommen Cains, wie uns ſolches derDichter ſelbſt nachher erklaͤrt. Bey ei - nigen graſeten Heerden, dieſe gehoͤr -ten
r). Bey einigen graſeten Heerden,Und200Das verlohrne Paradies.
Und aus andern ſchallte der Klang harmoniſcher Saiten,
Guͤldener Harfen und Cimbeln, melodiſch zuſammengeſtimmet.
Auch den Juͤngling ſah man, der ihre Saiten belebte;
590
123 Mit begeiſterter fliegender Hand verfolgt er durch alle
Hohen und niederen Toͤne die wiederſchallenden Fugen.
An der anderen Seite ſtand einer, im Schweiße der Arbeit,
An der Schmiede; zwey ſchwere Klumpen von Eiſen und Kupfer
Hatt er geſchmelzt; (ſie waren entweder an Oertern gefunden,
595
123 Wo zufaͤlliges Feuer auf Bergen, oder in Thaͤlern,
Waͤlder verzehrt; und waren hinab zu den Adern der Erde,
Schwerer, geſunken; vielleicht auch heiß zum offenen Munde
Einer kuͤhlenden Kluft tief unter dem Sande geſchlichen;
Oder ſie hatte der Strom hervor aus dem Boden gewaſchen.)
600
123Durch ihn floß das zerlaſſene Erz in gehoͤrige Formen,
Die er bereitet; er machte darinn ſein eigenes Werkzeug,
Und viel Arbeit voll Kunſt, gegoſſen, oder geſchmiedet
Aus Metall. Nach dieſen, jedoch auf der Seite des Kuͤnſtlers,
Stieg ein anderes Volk von nahe gelegenen Huͤgeln,
605
123 Jhrem geweſenen Sitz, hinab in die flachen Gefilde.
Jhrem Geſicht nach ſchienen ſie alle gerechte Maͤnner,
Gotte zu dienen bemuͤht, und ſeine Werke zu lernen,Die
r)ten den Jabal, denn |von ihm ſind her - kommen, die in Hütten wohnten, und Vieh zogen. 1 B. Moſ. IV. | 20. aus andern ſchallte der Klang har - moniſcher Saiten, güldene Harfen und Cymbeln, dieſe gehoͤrten dem Ju - bal, von dem ſind herkommen, dieGeiger und Pfeifer. Ebendaſ. 21. Auf der andern Seite ſtand einer im Schweiße der Arbeit, an der Schmie - de; dieſes war Thubalkain, der Mei - ſter in allerley Erz und Eiſenwerk. 4 B. Moſ. IV. 22.
r)201Eilfter Geſang.
Die er vor uns nicht verbirgt; und alle die nuͤtzlichen Dinge,
Welche Freyheit und Ruh im Menſchengeſchlechte befeſtgen.
610
124Als ſie nicht lange herum auf dieſer Ebne gewandelt,
Siehe, da nahete ſich zu ihnen aus ihren Gezelten
Eine Schaar von reizenden Frauen in uͤppigen Kleidern,
Praͤchtig und bunt, mit Juwelen bedeckt. Sie ſangen bezaubernd
Jn die Harfe die zaͤrtlichſten Lieder, und traten im Reigen
615
124 Tanzend einher. Es ſahn ſie die Maͤnner; ſo ernſthaft ſie ſchienen,
Ließen ſie zuͤgellos doch die Augen ſchließen, bis alle
Ploͤtzlich auf immer im Netze der Liebe gefangen ſich ſahen.
Jeder erwaͤhlte ſich, die ihm gefiel; ſie ſprachen vertraulich,
Bis in Weſten der Liebe Geſtirn hellglaͤnzend hervorgieng.
620
124Ganz in Feuer ſchwingen ſie nun die leuchtenden Fackeln,
Rufen den Hymen an, den man bey dieſen Gebraͤuchen
Jtzo zuerſt verehrte. Von Feſten, Muſik, und Banketen,
Schallte jegliches Zelt. So manche frohe Verbindung,
Dieſe holden Geſchaͤffte der Liebe der munterſten Jugend,
625
124 Dieſe Geſaͤnge, Blumen, und Kraͤnze, die zaubriſchen Toͤne
Lieblicher Saiten, beſiegten das Herz des Erſten der Menſchen.
Willig wollt er bereits ſich dieſer entzuͤckenden Wolluſt
Ueberlaſſen, und goß ſo gegen den Engel ſein Herz aus:
O erhabener ſeeligſter Engel, du, der du mein Auge
630
124 Wirklich eroͤffneſt, wie ſehr vergnuͤgt mich dieſes Geſichte!
Weit mehr Hoffnung ſeh ich darinn zu friedlichen Tagen,II. Theil. C cAls202Das verlohrne Paradies.
Als in den beyden vorher, die du mir zeigteſt. Jn jenen
Sah ich nichts, als Haß und Tod, und Schmerzen, noch ſchlimmer,
Als der Tod. Hier ſcheint die Natur in allem vollendet.
635
Michael ſprach: urtheile vom Beſten nicht nach dem Vergnuͤgen,
Ob es gleich der Natur, und ihrer Abſicht gemaͤß ſcheint.
Zu viel edlerem Zweck hat dich dein Schoͤpfer geſchaffen,
Heilig und rein, und aͤhnlich mit ſeinem goͤttlichen Bildniß.
Jene Gezelte, die du mit ſolchem Vergnuͤgen betrachtet,
640
124 Sind die verruchten Gezelte des Laſters; es wohnet darinnen
Das Geſchlechte von dem, der ſeinen Bruder erſchlagen.
Eifrig befleißen ſie ſich auf alle gefaͤlligen Kuͤnſte,
Welche das Leben verſchoͤnern; Erfinder ſeltener Dinge,
Aber uneingedenk des Schoͤpfers, ob ſie ſein Geiſt gleich
645
124 Unterwieſen darinn; ſie werden es niemals erkennen,
Daß es Gaben des Ewigen ſind. Ein ſchoͤnes Geſchlechte
Wird indeß von ihnen erzeugt. Du ſaheſt vorher ihn,
Jenen ſchoͤnen weiblichen Trupp, in blendender Schoͤnheit,
Wie Goͤttinnen bezaubernd, und ſanft; und zierlich geſchmuͤcket,
650
124 Aber von allem dem Guten entbloͤßt, worinnen die Ehre,
Und vor allem der Wirthſchaftsruhm des Weibes beſtehet;
Bloß zur Wolluſt erzogen, und in dem feinſten Geſchmacke,
Zu gefallen, geuͤbt, zu ſingen, zu tanzen; mit Vortheil
Sich zu ſchmuͤcken, die Zunge zu rollen, und Blicke zu ſchießen.
655
124Dieſer edlere Stamm von Maͤnnern, welche durch TugendSich203Eilfter Geſang.
Sich den ruͤhmlichen Namen der Soͤhne Gottes erwarben,
Werden unedel den Ruhm, den ihre Tugend verdiente,
Dem bezaubernden Reize der Atheiſtinnen opfern,
Die ſie verfuͤhrt; es ſchwimmen itzt die in Wolluſt und Freuden,
660
124 Die nur allzugeraum in kurzem zu ſchwimmen verdammt ſind;
Jauchzend lachen ſie, aber die Welt muß uͤber ihr Lachen
Eine Fluth von Thraͤnen dafuͤr lautjammernd vergießen.
Adam, der kurzen Freude beraubt, antwortet dem Engel:
O des Elends, der Schande! daß dieſe, welche noch kuͤrzlich
665
124 Fromm zu wandeln geſtrebt, den Pfad der Tugend ſo ploͤtzlich
Wieder verlaſſen, die ſchaͤndlichen Wege des Laſters zu wandeln,
Oder, ermuͤdet, auf ihrem Wege zur Tugend erliegen!
Doch ich ſeh es zu ſehr, das Ungluͤck des Menſchen hat immer
Eben den Schwung, als vorher, und es entſpringet vom Weibe!
670
Es entſpringt von der weibiſchen Feigheit des Mannes, (erwiedert Michael drauf;) er ſollte ſein Recht durch hoͤhere Gaben,
Und durch Weisheit, die er erhielt, ſtandhafter behaupten.
Aber ruͤſte dich itzt zu einer anderen Scene!
Er ſah auf, und erblickte, vor ſeinem Auge verbreitet,
675
124 Ein anſehnliches Land, mit Flecken und Doͤrfern; dazwiſchen
Staͤdte voll Menſchen mit hohen Pforten, und prangenden Thuͤrmen,
Voͤlker in blitzenden Waffen; kriegdrohende wilde Geſichter,C c 2Rieſen204Das verlohrne Paradies.
Rieſen von maͤchtger Geſtalt, und voll verwegner Entwuͤrfe.
Einige ſchwingen die glaͤnzenden Waffen; die anderen tummeln
680
124 Das wildſchaͤumende Roß, theils einzeln, oder in Schaaren:
Keine muͤßige Muſterung wars. Ein muthiger Haufen
Streifte durchs Feld, und trieb aus fetten Wieſen und Gruͤnden
Eine Heerde von Rindern, und ſchoͤnen Ochſen und Kuͤhen,
Oder auch wolletragendes Vieh, die ſchuͤchternen Schafe
685
124 Mit den aͤngſtlich bloͤckenden Laͤmmern, itzt ihnen zur Beute,
Ueber die Ebenen weg. Und kaum entrinnen die Hirten
Mit dem Leben; ſie rufen um Huͤlfe; vom blutigen Streite
Wird die Gegend erfuͤllt; es ziehn im wilden Turniere
Die Geſchwader gegen einander; die ſichern Gefilde,
690
124 Wo noch ſo kuͤrzlich das Vieh in reichen Heerden geweidet,
Liegen nun weit umher mit Leicher und Waffen beſtreuet,
Blutig, entſtellt, verlaſſen und oͤde. Noch andere hielten
Eine befeſtigte Stadt mit ihrem Lager umſchloſſen.
Muthige Schaaren ſtuͤrmen auf ſie mit Leitern und Wurfzeug
695
124 Jn den eroͤffneten Graͤben; ſie aber vertheidgen vom Walle
Sich mit Pfeilen und Spießen, mit Steinen und ſchweflichtem Feuer.
Ein entſetzliches Metzeln, und rieſenmaͤßige Thaten
Werden an beyden Seiten veruͤbt. An anderen Orten
Rufen Geſandte des Friedens mit ihren geheiligten Staͤben
700
124 Unter die Thore der Stadt den Rath der Buͤrger zuſammen.
Ernſte gepruͤfte Maͤnner, mit grauen Haaren bedecket,
Treten, mit jungen Kriegern vermiſcht, zuſammen. Man hoͤretMaͤchtige205Eilfter Geſang.
Maͤchtige Redner; aber gar bald zerfaͤllt die Verſammlung
Jn Partheyen. Ein Mann von mittlerem Alter erhub ſich
705
124 Unter ihnen, mit ernſterem Anſtand, und weiſem Betragen,
Redete viel von Unrecht, Recht; von Wahrheit und Frieden,
Von der Religion, und von den Gerichten des Hoͤchſten.
Doch ihn verſpotteten Alt und Jung, und haͤtten gewaltſam
Jhn ergriffen, wofern nicht eine blendende Wolke
710
124 Sich vom Himmel gefenkt, und aus dem wilden Gedraͤnge
Jhn auf einmal entruͤckt. Nun herrſchten Gewaltthat und Fauſtrecht,
Unterdruͤckung und Wuth auf dieſer Ebne. Kein Ort ward
Mehr zur Zuflucht gefunden. Jn heißen Thraͤnen zerfließend
Wandte ſich Adam jammernd zu ſeinem Fuͤhrer, und ſagte,
715
124 Schmerzlich geruͤhrt: o was ſind dieß fuͤr ſchreckliche Maͤnner,
Diener des Todes, nicht Menſchen, die ſo unmenſchlich die Menſchen
Zum grauſamſten Tode befoͤrdern, und deſſen Verbrechen,
Welcher den Bruder erſchlug, zehntauſendmal aͤrger, verdoppeln!
Denn an wen veruͤben ſie es dieß Schlachten und Morden,
720
124 Als an ihrem Brudergeſchlecht, an Menſchen durch Menſchen!
Aber ſage, wer war der Gerechte, der ohne Verſchonen
Wegen ſeiner Gerechtigkeit ſich verlohren geſehen,
Haͤtte mit maͤchtiger Hand ihn nicht der Himmel errettet?
Michael ſprach: Dieß ſind die Fruͤchte der uͤbelgeknuͤpften
725
124 Schaͤndlichen Ehen, welche du ſahſt, wo Gutes und Boͤſes
Sich zuſammen gepaart; die ſich einander zwar ſcheuen,C c 3Aber,206Das verlohrne Paradies.
Aber, wenn ſie voll Unbedacht ſich zuſammen vereinet,
Wunderbare Geburthen von Geiſt und Leibe gebaͤhren.
Dieſes waren die Rieſen
s)Nach 1 B. Moſ. VI. 4. Es wa - ren auch zu den Zeiten Tyrannen auf Erden, denn da die Kinder Gottes die Töchter der Menſchen beſchlie - fen, und ihnen Kinder zeugten, wurden daraus Gewaltige in derWelt, und berühmte Leute. Jn der Engliſchen Ueberſetzung, heißt es an ſtatt Tyrannen, Rieſen. Z.
s), die Maͤnner von blendendem Ruhme,
730
125 Denn man wird nur die Macht in dieſen Tagen bewundern,
Und ſie Tapferkeit, Muth, und heroiſche Tugend benennen.
Jn der blutigen Schlacht zu uͤberwinden, und Voͤlker
Zu bezwingen; nach grimmigen Morden viel Reichthum und Beute
Heimzubringen, wird man fuͤr aller menſchlichen Ehre
735
125 Hoͤheſten Gipfel erklaͤren; man wird es wegen des Weihrauchs
Eitler Triumphe thun, dadurch den prahlenden Namen
Großer Erobrer, Beſchuͤtzer der Menſchen, unſterblicher Goͤtter,
Oder Soͤhne der Goͤtter ſich zu erwerben, wiewohl ſie
Beſſer den Namen der Peſt des Menſchengeſchlechtes verdienten,
740
125 Und der Verwuͤſter der Welt. So wird man Namen und Nachruhm
Auf der Erde erlangen, und was ihn am meiſten verdiente,
Wird in Vergeſſenheit ſinken. Doch jener, der ſiebente nach dir
t)Jud. 14. Enoch, der ſiebente von Adam.
t),
Welchen du ſahſt; allein ein Gerechter in einer verkehrten
Schaͤndlichen Welt, ſo ſehr deswegen von allen gehaſſet,
745
126 Und deswegen ſo ſehr von Feinden umringet, dieweil er
So allein es gewagt, den Pfad der Tugend zu wandeln,Und207Eilfter Geſang.
Und die verhaßte Wahrheit zu ſagen: der Ewige werde
Niederfahren vom Himmel mit ſeiner Heiligen Schaaren,
Sie zu richten; ihn hat in einer balſamiſchen Wolke
750
126 Mit gefluͤgelten Roſſen der Ewge von ihnen entruͤcket,
Daß er mit ihm in den Hoͤfen der Wonn in Seeligkeit wandle.
Und vom Tode befreyet ſey, dir, Adam, zu zeigen,
Was fuͤr ein Lohn die Frommen erwartet, und welche Beſtrafung
Jene Verruchten verfolgt; ſieh auf! du wirſt es erblicken.
755
Adam ſah auf, und ſah, daß ſich die Scene der Dinge
Ploͤtzlich veraͤndert. Der eiſerne Schlund des tobenden Krieges
Bruͤllte nicht mehr; es hatte ſich alles in Scherz und in Freuden,
Und zu ſchwelgriſchen Feſten, und uͤppigen Taͤnzen, verwandelt.
Heyrath, Nothzucht herrſcheten nun, Entfuͤhrung und Ehbruch,
760
126 Wie die voruͤbergehende Schoͤne dazu ſie verfuͤhrte.
Bald darauf kam es von Bechern der Luſt zu innerer Zwietracht;
Aber ein ehrfurchtswuͤrdiger Mann trat unter denſelben
Wider ſie auf; er gab ſein aͤußerſtes Misvergnuͤgen
Ueber ihr Thun zu erkennen, und zeugte mit muthiger Tugend
765
126 Gegen ihre ſuͤndlichen Wege. Bey ihren Banketen,
Wenn ſie ſich zu Triumphen und Feſten in Freuden verſammelt,
Tritt er oft unter ſie hin, und predigt dieſen Verſtockten
Buß und Bekehrung
u)Dieß gruͤndet ſich auf 1 Petr. III. 19. 20. Er hat geprediget den Geiſtern im Gefängniß, die etwanicht glaubeten, da Gott einsmals harrete, und Gednld hatte zu den Zeiten Noäh.
u), als Seelen zum nahen Gerichte geweihet;Aber208Das verlohrne Paradies.
Aber umſonſt! er ſtritt mit dieſen Suͤndern nicht laͤnger,
770
127 Da er verhaͤrtet ſie ſah, und ruͤckte ſeine Gezelte
Fern von ihnen hinweg. Dann hieb er ſich auf dem Gebirge
Balken, und Bretter, und bauete ſich von gewaltiger Groͤße
Einen Kaſten, gemeſſen nach richtiger Maas in der Laͤnge,
Hoͤh, und Tiefe; rundum mit Pech und Harze bezogen.
775
127Eine feſtſchließende Thuͤr war in der Seite gezimmert,
Und fuͤr Menſchen und Vieh lag reichlicher Vorrath im Kaſten,
Und nun ſieh! ein ſeltenes Wunder! Von allem Lebendgen,
Allen Thieren, Jnſekten, und Voͤgeln, erſchienen ſieben,
Paarweis, und giengen hinein, von ihrer Ordnung belehret.
780
127Endlich kam der Alte zuletzt, mit ſeinen drey Soͤhnen,
Und die vier Weiber mit ihm, und Gott ſchloß ſelber die Thuͤr zu.
Unterdeſſen erhub ſich der Sudwind
x)Milton hat in dieſer Beſchreibung offenbar den Ovid. Met. I. vor Augen gehabt; aber wie ſehr hat der Engli -ſche Dichter den Lateiniſchen uͤbertrof - fen. N.
x); auf finſteren Schwingen
Schwebt er daher, und trieb die Wolken unter dem Himmel
Brauſend zuſammen; es ſandten die Berge, zu ihrer Verſtaͤrkung,
785
128 Feuchte Duͤnſte hervor, und dicke neblichte Daͤmpfe.
Schwarz und ſchrecklich hieng itzt der Himmel verfinſtert herunter,
Wie ein dunkeles Tuch; mit Ungeſtuͤm ſtuͤrzte der Regen
Stroͤmend herab, bis daß man die Erde nicht laͤnger erblickte.
Das hinſchwimmende Schiff floß ruhig uͤber den Waſſern,
790
128 Und ſchnitt ſicher hindurch mit ſeinem gebogenen Schnabel. Aller209Eilfter Geſang.
Aller Sterblichen Wohnungen waren mit Wellen bedecket,
Und mit ihrer Pracht tief unter dem Waſſer verſenket.
Meer bedeckte das Meer; Meer, ohne Geſtade. Pallaͤſte,
Wo unlaͤngſt die Wolluft geherrſcht, bewohneten itzo
795
128 Ungeheuer des Meers, und warfen Junge darinnen.
Was vom Menſchengeſchlecht, das erſt ſo zahlreich geweſen,
Uebrig geblieben, das ſchwamm auf Einem Schiffe verſammelt,
Ueber dem Abgrund. Wie haͤrmteſt du dich, ungluͤcklicher Adam,
Da du das Ende, das Ende voll Schrecken, von deinem Geſchlechte,
800
128 Dieſe Vertilgung ſahſt! Auch dich erſaͤufte beym Anblick
Eine maͤchtige Fluth von Thraͤnen und Klagen, und ſtuͤrzte
So wie deine Soͤhne dich nieder, bis daß du vom Engel
Freundlich erhoben, und wieder auf deine Fuͤße gerichtet,
Standſt, doch ohne Troſt; ſo wie ein jammernder Vater,
805
128 Welcher auf einmal ſein ganzes Geſchlecht vor ſeinem Geſichte
Umgebracht ſieht. Du klagteſt muͤhſam alſo zum Engel:
O ungluͤcklich vorhergeſehne Geſichte! Begluͤckter
Haͤtt ich gelebt, wofern ich nie die Zukunft geſchauet!
So haͤtt ich allein mein Theil von Ungluͤck getragen,
810
128 Und genug zu tragen gehabt mit jeglichem Tage!
Jtzo fallen die Buͤrden von dieſen kuͤnftigen Zeiten
Schwer auf mich; ſie alle zugleich auf mich nur alleine;
Kommen, dieweil ich vorher ſie weiß, vorher noch als unreif
Zur Geburth, und quaͤlen mich ſchon vorm wirklichen DaſeynII. Theil. D dMit210Das verlohrne Paradies.
815
128Mit dem Gedanken, daß ſie einſt kommen ſollen. O ſuche
Niemand vorher zu erfahren, was ihm und ſeinem Geſchlechte
Noch bevorſteht; der wird ſonft nichts, als Ungluͤck, erfahren,
Das er, indem er vorher es weiß, dadurch nicht verhindert,
Sondern nur fuͤhlt, daß kuͤnftiges Uebel durch Angſt und Erwartung
820
128 Eben ſo ſchwer iſt zu tragen, als wenn es nun wirklich erſcheinet.
Dieſe Sorg iſt indeſſen umſonſt! Kein Menſch iſt mehr uͤbrig,
Welcher zu warnen ſtuͤnde; die wenigen, die noch entflohn ſind,
Wird zuletzt Verzweiflung und Angſt und Hunger verzehren,
Da ſie die Waſſerwuͤſte durchirren! Jch hatte gehoffet,
825
128 Daß, wenn nur erſt Krieg und Gewalt die Erde verlaſſen,
Alles gut ſey! dann wuͤrde der Friede das Menſchengeſchlechte
Wieder mit langen Freuden und gluͤcklichen Tagen bekroͤnen.
Aber wie ſehr betrog ich mich nicht! nachdem ich geſehen,
Daß der ruhige Friede nicht weniger Seelen verwuͤſtet,
830
128 Als der toͤdtliche Krieg. Wie koͤmmt dieß, himmliſcher Fuͤhrer?
Sprich, ſoll hier das Menſchengeſchlechte ſein Ende nehmen?
Michael ſagte darauf: Die Maͤnner, welche du kuͤrzlich
Noch in Freuden, Triumph, und Wolluſt und Reichthum erblickteſt,
Sind die, welche du anfangs ſahſt; die tapferen Helden,
835
128 Von erhabenen Muth, und groß von kriegriſchen Thaten,
Aber von wahrer Tugend entbloͤßt. Nachdem ſie gewaltſam
Stroͤme von Blute vergoſſen; viel reiche Laͤnder verwuͤſtet,
Und viel Voͤlker beſiegt, und einen gewaltigen Namen,Hohe211Eilfter Geſang.
Hohe Titel, und reiche Beute dadurch ſich erworben,
840
128 Werden ſie ſchnell ſich veraͤndern, und ſich der Ruhe, der Wolluſt,
Und dem Pomp und der Pracht ergeben, bis Stolz und Verſchwendung
Selbſt im Schooße der Ruh aus Freundſchaft feindliche Thaten
Zeugen wird. Die Beſiegten ſogar, die Sklaven des Krieges,
Werden mit ihrer Freyheit Verluſt die Tugend verlieren,
845
128 Und die Furcht vor Gott. Weil ſie vom Himmel im Kriege
Keine Huͤlfe bekommen durch ihre gezwungnen Gebethe:
Werden ſie treulos nun in ihrem Eifer erkalten,
Und zufrieden mit dem, was ihnen die Sieger gelaſſen,
Nur beſorgt ſeyn, ihr Leben recht ſicher, froͤhlich, und weltlich,
850
128 Zu vollbringen; denn mehr als zuviel wird immer die Erde
Noch erzeugen, um ſie in ihrer Enthaltung zu pruͤfen.
So wird alles entarten, und alles verſchlimmerter werden;
Maͤßigkeit und Gerechtigkeit wird mit der Treue, der Wahrheit
Jn Vergeſſenheit ſinken. Ein einziger Mann nur, des Lichtes
855
128 Einziger Sohn im finſteren Alter, der allem Exempel,
Aller Verfuͤhrung entgegen, und aller langen Gewohnheit
Und der ganzen Welt, die er beleidigt, zuwider,
Tugendhaft bleibt; er achtet nichts nach ihrem Geſpoͤtte,
Nichts nach ihrem Hohn, und ihrem ſchreyenden Unrecht;
860
128 Sondern tadelt ſie dreiſt in ihren ſuͤndlichen Wegen,
Und weiſt ihnen die Pfade der Tugend, als beſſer und ſichrer,
Wie die Wege des Laſters; und kuͤhn verkuͤndigt er ihnen
Gottes raͤchenden Zorn, der ihre Haͤupter bedrohet. D d 2Aber212Das verlohrne Paradies.
Aber er wird verſpottet von ihnen zuruͤckegefendet;
865
128 Gott bemerkt ihn allein, den einzgen Gerechten, der lebet.
Drauf wird er auf ſeinen Befehl, ſo wie du geſehn haſt,
Einen Kaſten erbauen von wundernswuͤrdger Erfindung,
Sich mit ſeinem Geſchlecht in einer Welt zu erretten,
Die der Allmaͤchtige nun dem Untergange geweiht hat.
870
128Kaum iſt er mit Menſchen und Vieh, die dem Leben beſtimmt ſind,
Jn die Arche gegangen, und vor den Fluthen beſchirmet;
Als ſich alle Schleuſen ſogleich am Himmel eroͤffnen,
Tag und Nacht auf die Erde zu regnen; die Brunnen der Tiefe
Brechen nun auf; der Ocean ſchwillt, tritt uͤber die Schranken,
875
128 Bis die brauſende Fluth hoch uͤber die Berge hinausſteigt.
Dann wird durch die Gewalt der tobenden Wogen der Huͤgel
Dieſes Paradieſes aus ſeinen Wurzeln gehoben
y)Es iſt die Meynung der meiſten Gelehrten, daß das Paradies durch die Suͤndfluth zerſtoͤrt worden. N.
y),
Durch die gehoͤrnte Fluth der gruͤnenden Fluren und Baͤume
Voͤllig beraubt, mit dem maͤchtigen Strome hinuntertreiben
880
129 Jn das offene Meer, und als ein falzichtes, wuͤſtes
Eyland, Wurzeln drinn faſſen; der Seehund; und Wallfiſch und Meve
Werden da wohnen, um dich zu belehren, daß Gott nicht dem Orte
Eine beſondere Heiligkeit giebt, wofern ſie die Menſchen,
Die ihn beſuchen, oder drinn wohnen, nicht ſelber beſitzen.
885
129Aber erhebe den Blick, und ſieh, was ferner erfolget.
Er213Eilfter Geſang.
Er ſah auf; und ſahe den Kaſten, der uͤber den Fluthen,
Die ſich itzo verminderten, ſchwamm. Die regnichten Wolken
Waren vom ſcharfen Nordwind verjagt; ſein trucknender Athem
Hatte der Suͤndfluth Geſicht
z)Dieſe anſpielende Vergleichung der Flaͤche des abnehmenden Waſſers, das durch den Wind gerunzelt wird, mit den Runzeln des abnehmenden hohen Altersiſt etwas klein und ſehr weit hergehohlt; aber der Dichter erſetzt uns dieſes durch die Schoͤnheiten der uͤbrigen Beſchrei - bung. Thyer.
z), als wie vor Alter, verwelket,
890
130 Voller Runzeln gemacht. Die hellaufgehende Sonne
Schaute heiter und heiß herab in den Spiegel der Waſſer,
Und trank, wie voll Durſt, mit ſtarken Zuͤgen die Wellen
Dadurch zog ſich der Strom aus einem ſtehenden Meere
Mit ſanftgleitender Ebbe hinab, die unter dem Abgrund
895
130 Leiſe ſich fortſtahl; es hatte die Tiefe die Schleuſen verſtopfet,
So wie der Himmel die Fenſter. Nun ſchwimmt der Kaſten nicht laͤnger,
Sondern auf eines erhabnen Gebirgs verragendem Gipfel
Scheint er feſte zu ſtehn. Schon kommen die Spitzen der Berge,
Gleich den Felſen hervor; es treiben die reißenden Stroͤme
800
130 Jhre wuͤthenden Fluthen von da mit maͤchtigem Rauſchen
Jn die weichende See. Ein Rabe flieget nun forſchend
Aus dem Kaſten heraus; nach ihm der treuere Bothe,
Eine Taube, die einmal, und dann noch einmal verſchickt wird,
Einen gruͤnen Baum, und ſichern Boden zu ſuchen,
905
130 Wo ſie den Fuß zu verweilen vermoͤchte. Zum zweytenmal kam ſie
Jn dem Schnabel mit einem Zweig vom gruͤnenden Oelbaum,D d 3Einem214Das verlohrne Paradies.
Einem Zeichen des Friedens, zuruͤck; und bald drauf erſcheinet
Aller Orten das trockene Land. Nun gehet der Alte
Aus der eroͤffneten Arche mit ſeinem ganzen Geſchlechte;
910
130 Hebet die Haͤnde dankbar empor, und richtet ſein Auge
Voller Andacht gen Himmel; ſieht eine thauende Wolke
Ueber dem Haupt, und in der Wolke den ſichtbaren Vogen,
Mit drey lieblichen Farben in lachender Ordnung gefaͤrbet,
Einen verneuten Bund, und Friede mit Gott zu bezeichnen. Adams Herz, das kurz noch zuvor ſo traurig geweſen,
915
130 Ward daruͤber entzuͤckt; er ſprach mit freudigen Worten:
O du, der du kuͤnftige Dinge, wie gegenwaͤrtig,
Vor die geoͤffneten Augen mir bringſt; o himmliſcher Lehrer,
Dieſes letzte Geſicht ermuntert mich wieder zum Leben,
Da ich ſeh, es werde der Menſch mit allen Geſchoͤpfen
920
130 Leben, und ſeinen Saamen hinfort auf Erden behalten.
Jene vernichtete Welt voll mißgerathener Soͤhne,
Welche die Rache des Ewgen verſchlang, beklag ich nun minder,
Als ich mich wegen des Einzigen freue, den Gott ſo vollkommen,
So gerecht erfunden, daß er in Gnaden ihn wuͤrdigt,
925
130 Eine beſſere Welt von ihm abſtammen zu laſſen,
Und des raͤchenden Zorns, den ſie erregt, zu vergeſſen.
Aber ſage mir doch, was wollen die farbichten Streifen
An dem Himmel, als wie Augbraunen Gottes zu ſehen,
Der nun befriediget iſt? ſind ſie die blumichte Binde,Jene215Eilfter Geſang.
930
130Jene fluͤßigen Saͤume der waͤßrichten Wolken zu halten,
Sich nicht von neuem zu loͤſen, und uͤber die Erde zu regnen?
Michael ſagte hierauf: Du haſt die Wahrheit vermuthet.
So geneigt, ſo willig laͤßt Gott vom raͤchenden Zorn ab,
Ob vor kurzem es gleich ihn wegen der Menſchen gereuet,
935
130 Und es ihn im Herzen gekraͤnkt, indem er hinab ſah,
Und die Erde mit Frevel erfuͤllt, mit Suͤnde bedeckt fand,
Weil ſich alles Feiſch in ſeinem Wege verderbet.
Aber nachdem ſein Zorn ſie vertilgt; wird dieſer Gerechte
So viel Gnade vor ihm und ſeinen Augen erlangen,
940
130 Daß er das Menſchengeſchlecht nicht ganz im Zorne verderbet,
Sondern in einem Bunde verſpricht
aa)Nach 1 B. Moſ. IX. 12. ꝛc. Und Gott ſprach: Das iſt das Zeichen des Bundes, den ich gemacht habe zwiſchen mir und euch, und allem lebendigen Thier bey euch hinfort ewiglich: Meinen Bogen habe ich geſetzt in die Wolken, der ſoll das Zeichen ſeyn des Bundes zwiſchenmir und der Erden. Und wenn es kommt, daß ich Wolken über die Erde führe, ſo ſoll man meinen Bo - gen ſehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund daß nicht mehr hinfort eine Sündfluth komme, die alles Fleiſch verderbe.
aa), er wolle die Erde
Niemals wieder durch Waſſer zerſtoͤren; der Ocean ſolle
Niemals ſeine Graͤnzen verlaſſen, noch ſtuͤrmiſcher Regen
Wieder die ſuͤndige Welt mit Menſchen und Thieren erſaͤufen.
945
131Fuͤhrt er Wolken uͤber die Erde, ſo wird er darinne
Den dreyfarbichten Bogen ſetzen, daß, wer ihn erblicket,An216Das verlohrne Paradies. Eilfter Geſang.
An den erneuerten Bund mit deinem Geſchlechte gedenke.
Tag und Nacht, die gehoͤrige Zeit zur Saat, und zur Erndte,
Hitz und Kaͤlte, ſollen hinfort abwechſelnd regieren,
950
131 Bis das Feuer die Welt gereinigt, und wieder erneuert,
Beydes Himmel und Erde, die kuͤnftige Wohnung der Frommen.
Das[217][218]
[figure]

Das Verlohrne Paradies. Zwoͤlfter Geſang. Das Verlohrne Paradies. Zwoͤlfter Geſang.

II. Theil. E e219
Wie ein Wanderer, welcher nunmehr zur Stunde des Mittags
Etwas ruht, ſo eilig er auch die Reiſe verfolget:
So verweilte der Engel ſich zwiſchen einer zerſtoͤrten
Und erneuerten Welt, ob Adam indeſſen gedaͤchte,
5
131 Einige Fragen zu thun. Drauf fuhr er nach einiger Pauſe
So mit lieblichem Uebergang fort in ſeiner Erzaͤhlung.
Du haſt eine Welt anfangen, und enden geſehen,
Erſter der Menſchen! Ein zweyter Stamm von deinem Geſchlechte
Zeigte ſich dir. Du haſt noch viel, o Adam, zu ſchauen;
10
131 Aber ich ſeh, dein ſterblich Geſicht wird merklich verdunkelt;
Goͤttliche Dinge muͤſſen nothwendig die menſchlichen Sinnen
Ueberwaͤltgen, ermuͤden; drum will ich, was kuͤnftig geſchehn wird,
Dir erzaͤhlen; gieb Acht auf meine lehrenden Worte
a)Verſchiedne Kunſtrichter, beſon - ders Addiſon, haben gewuͤnſcht, daß Milton, ſo viel Schwierigkeit es ihm auch immer gekoſtet haben moͤchte, die Begebenheiten in dieſem letzten Geſange eben ſo in Geſichten vorgeſtellt haͤtte, als in dem vorigen. Jch glaube aber, daß der Poet ſolches bloß der Abwechſelungwegen gethan; und kann man ihm alſo nicht Schuld geben, daß ſein Gedicht hier deshalb matter wuͤrde, indem zu einer ſo kurzen gedrungnen Erzaͤhlung ſo verſchied - ner Geſchichte nicht weniger Genie gehoͤrt, als ſolche in Geſichten vorzuſtellen. Auf - merkſame Leſer werden indeß in andern Stellen dieſes letzten Gefanges bemerken,daß
a)!
E e 2Dieſe220Das verlohrne Paradies.
Dieſe zweyte Quelle der Menſchen, ſo lange die Zahl noch
15
132 Schwach iſt; und ſo lange das Schrecken des großen Gerichtes
Jn dem Gemuͤthe noch herrſcht, wird Gott den Ewigen fuͤrchten,
Und das Leben mit einiger Achtung auf alles, was billig,
Und was recht iſt, fuͤhren. Sie werden allmaͤhlig ſich mehren,
Werden das Erdreich bauen, und Erndten von Oel und von Weizen,
20
132 Und von Wein einſammeln; aus ihren geſegneten Heerden
Oftmals Stier, Lamm, oder auch Widder voll Dankbarkeit opfern,
Nebſt den reichlichen Opfern des Weins; an heiligen Feſten
Sich ergoͤtzen, und ſchuldlos ſo in Seegen und Freuden
Jhre Tage vollbringen, und, eingetheilet in Staͤmme,
25
132 Jn Familien wohnen, von ihren Vaͤtern beherrſchet.
Vis daͤß einer von ſtolzem Gemuͤth, voll Ehrſucht im Herzen
Aufſtehn wird. Nicht mit dem Stande der herrlichen Gleichheit,
Oder des Bruders zufrieden, wird er der oberſten Herrſchaft
Ueber ſeine Bruͤder ſich widerrechtlich bemeiſtern;
30
132 Eintracht, und das Geſetz der Natur von der Erde vertreiben,
Und die Thiere nicht jagen, vielmehr die Menſchen. Unbillig
Wird er die alle mit Krieg und feindlichen Raͤnken vertilgen,
Die es weigern, ſich ihm und ſeiner tyranniſchen Herrſchaft
Zu ergeben. Darum wird er ein gewaltiger Jaͤger
35
132 Vor dem Herrn genannt; um ſo dem Himmel zu trotzen,Oder
a)daß das große poetiſche Feuer nicht mehr darinn herrſcht, welches in den vorigen Geſaͤngen alles entflammte; welches aber unſtreitig daher koͤmmt, weit dieſe letzten Geſaͤnge faſt ganz hiſtoriſch ſind, und der großen poetiſchen Schoͤnheiten nicht faͤhigwaren, in welchen die vorigen Geſaͤnge ſchimmern. Milton bleibt aber, wie Newton ſagt, noch eben dieſelbe Sonne, ob ſie gleich nicht mehr in ihrem Mittage glaͤnzt, ſondern bey ihrem Untergange mit ſanfteren Stralen leuchtet. Z.
a)221Zwoͤlfter Geſang.
Oder vom Himmel dadurch die oberſte Herrſchaft zu fordern.
Von Empoͤrung wird er den Namen erhalten
b)Denn der Rame Nimrod wird ge - meiniglich von dem hebraͤiſchen WorteMarad hergeleitet, welches| rebelliren be - deutet. N.
b); wiewohl er
Andere ſelbſt der Empoͤrung beſchuldigt. Dann wird er mit Rotten,
Die aus gleicher Eroberungsſucht ſich mit ihm vereinigt,
40
134 Unter ihm, oder auch mit ihm zugleich tyranniſch zu herrſchen,
Aus den Gefilden von Eden nach Weſten ziehen; da wird er
Eine Ebene finden, aus deren ſchwangerem Boden
Schwarzer harzichter Leim, wie aus dem Munde der Hoͤlle,
Siedend hervorquillt; ſie nehmen ſich vor, aus gebackenen Steinen
45
134 Und aus dieſem harzichten Stoff mit verwegenen Haͤnden
Eine Stadt zu erbauen, mit einem gewaltigen Thurme,
Deſſen Spitze die Wolken erreiche; ſich uͤber die Erde
Einen Namen dadurch zu erwerben, damit ihr Gedaͤchtniß
Nicht in Vergeſſenheit komme, wenn ſie in ferne Provinzen
50
134 Sich von einander zerſtreuet geſehn; nicht druͤber bekuͤmmert,
Ob im Guten, oder im Boͤfen ihr Ruf ſie verewge.
Doch der Allmaͤchtge, der oft herniederſteiget, die Menſchen
Unſichtbar zu beſuchen, und ihre Huͤtten durchwandelt,
Um auf ihre Wege zu achten; bemerket gar bald ſie,
55
134 Und faͤhrt nieder, zu ſehen die Stadt, bevor noch ihr Thurmbau
Ueber die Thuͤrme des Himmels geragt. Zu ihrer Verſpottung
Schickt er einen verwirrenden Geiſt auf die Zungen der Voͤlker,
Jhre Sprache, die ſie von ihren Vaͤtern erlernet,
Zu vertilgen, und ſtatt derſelben ein buntes GemiſcheE e 3Fremder222Das verlohrne Paradies.
60
134Fremder unkenntlicher Woͤrter zu pflanzen. Und ploͤtzlich entſtehet
Unter der bauenden Schaar ein haͤßlich rauhes Geplapper;
Ohne verſtanden zu werden ruft einer dem andern von fern zu,
Bis die heiſere Stimme ſich ſchwaͤcht. Drauf fallen ſie wuͤthend
Untereinander ſich an, weil jeder glaubet, man ſpotte
65
134 Seiner Reden. Es war ein großes Gelaͤchter im Himmel;
Alles ſchaute von oben herab, das Gewirre zu ſehen,
Und das Geraͤuſche zu hoͤren. So ward der Bau zum Geſpoͤtte,
Und das angefangene Werk Verwirrung genennet
c)Denn Babel bedeutet nach dem Hebraͤiſchen Verwirrung. Sieh. 1 B. Moſ. XI. 9. Daher heißt ihr Name Babel, daß der Herr daſelbſt ver - wirret hatte aller Länder Sprache,und ſie zerſtreuet von dannen in alle Länder.
c).
Adam, vaͤterlich itzt daruͤber erzuͤrnet, verſetzte:
70
135 O des abſcheulichen Sohns, der uͤber andere Menſchen,
Ueber ſeine Bruͤder, ſich einer Herrſchaft bemaͤchtigt,
Die ihm der Schoͤpfer nicht gab! Er gab uns allein die Regierung
Ueber die Thiere, die Fiſche, die Voͤgel; wir haben, vermoͤge
Seiner Schenkung, auf ſie nur ein Recht; den Menſchen hergegen
75
135 Hat er niemals zum Herrn von andern Menſchen beſtimmet.
Dieſen erhabenen Titel hat er fuͤr ſich nur behalten,
Und ließ alles, was menſchlich iſt, frey von menſchlicher Herrſchaft
d)Jedem Leſer muß der Geiſt der Frey - heit gefallen, der dieſe Rede unſers erſten Stammvaters beſeelt. N.
d).
Doch der Frevler, welcher ſich ſo vor andern erhebet,
Greift in die Rechte der Menſchen nicht nur; mit dem prahlenden Thurmbau
80
136 Denkt er ſelbſt Gott zum Streite zu fordern, und ihn zu belagern. Stolzer223Zwoͤlfter Geſang.
Stolzer gebrechlicher Menſch! Was kann er vor Nahrung und Speiſen
Zu der enſetzlichen Hoͤhe hinauf zu bringen ſich ſchmeicheln,
Sich und ſeine verwegene Schaar damit zu erhalten;
Da, wo die duͤnnere Luft, die uͤber den Wolken regieret,
85
136 Jhm ſein Jnnres verdorrt, und ihn der Hunger nach Athem,
Oder wo nicht, der Hunger gewiß nach Brodte verzehret.
Michael ſagte darauf: Du ſchaͤmſt des entarteten Sohnes
Dich mit Recht; er der zuerſt in den friedlichen Zuſtand
Seiner gluͤcklichen Bruͤder ſo viele Verwirrung gebracht hat,
90
136 Und die vernuͤnftige Freyheit zu unterdruͤcken gewaget.
Aber wiſſe, die wahre Freyheit iſt, ſeit du gefallen,
Schon verlohren gegangen. Sie, welche niemals zu trennen
Von der geſunden Vernunft, iſt immer mit ihr gepaaret.
Wenn die reine Vernunft ſich bey den Menſchen verdunkelt,
95
136 Oder er ihr nicht laͤnger gehorcht; ſo nehmen ſtatt ihrer
Wilde Begierden nunmehr und wuͤthende Leidenſchaften
Sich das Zepter, und zwingen die freygeweſenen Menſchen
Unter das Joch. Drum weil er erlaubt, daß ſchimpfliche Triebe
Ueber die freye Vernunft in ihm regieren: ſo giebt ihn
100
136 Gott, durch ein gerechtes Gericht, tyranniſchen Herren,
Die mit Gewalt ihn auch der aͤußeren Freyheit berauben.
Tyranney iſt nothwendig, obgleich Tyrannen deswegen
Nicht zu entſchuldigen ſind. Doch werden oft Voͤlker von Tugend,
Die allein Vernunft iſt, ſo tief herunterſinken,
105
136 Daß ſie kein Unrecht, ſondern vielmehr ein entſetzliches Urtheil,Das224Das verlohrne Paradies.
Das ſie verdient, und ein ſchrecklicher Fluch, der uͤber ſie ausgieng,
Jhrer aͤußeren Freyheit beraubt, nachdem ſie der innern
Sich ſo ſehr verluſtig gemacht. Ein Zeuge hievon iſt
Jener ehrenvergeſſene Sohn des redlichen Mannes,
110
136 Welcher den Kaſten erbaut. Er mußte wegen der Schande,
Die er an ſeinem Vater veruͤbt, im billigen Zorne
Jenen entſetzlichen Fluch: ein Knecht der Knechte! vernehmen,
Welcher auf ſein entartet Geſchlecht von dem Hoͤchſten gelegt ward.
So wird dieſe letztere Welt, der erſten an Bosheit
115
136 Und an Laſtern gleich, vom Boͤſen zum Aergeren fortgehn;
Bis Gott endlich, ermuͤdet durch ihre frevelnden Thaten,
Seinen heiligen Blick von ihnen wendet, entſchloſſen,
Sie auf ihren eignen verderbten Wegen zu laſſen.
Er wird drauf ein Volk von allen Voͤlkern der Erde
120
136 Sich erwaͤhlen zum Dienſt, ein Volk von einem gerechten,
Einem einzigen glaubigen Mann entſprungen. Noch wohnt er
Hier am Euphrat, erzogen im Dienſt veraͤchtlicher Goͤtzen
e)Wir leſen Joſua XXIV. 2. Eure Väter wohnten vor Zeiten jenſeit dem Waſſer, Tharah, Abrahamsund Nahors Vater, und dienten andern Göttern.
e),
O! daß Menſchen (wie kannſt du es glauben!) ſo dumm, ſo verblendet,
Und ſo verderbt zu werden vermocht, daß noch in den Tagen,
125
137 Da die Vaͤter gelebt, die kaum der Suͤndfluth entronnen,
Sie den lebendigen Gott verlaſſen, und, alſo gefallen,
Jhrer eigenen Haͤnde Werk von Holz und von Steinen,
Gleich den Goͤttern, verehrt. Jedoch der Ewige wuͤrdigtDieſen225Zwoͤlfter Geſang.
Dieſen Gerechten, ihn fern von ſeines Vaters Behauſung,
130
137 Fern von ſeinem Geſchlecht, und ſeinen betruͤglichen Goͤttern,
Wegzufuͤhren, und durch ein Geſicht in ein Land ihn zu rufen,
Welches er ihm zu zeigen verſpricht
f)1 B. Moſ. XII. 1. 2. 3. Und der Herr ſprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande, und von deiner Freundſchaft, und aus deines Vaters Hauſe, in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen, und willdich ſegnen, und dir einen großen Namen machen, und ſollt ein See - gen ſeyn. Jch will ſegnen, die dich ſegnen, und verfluchen, die dich ver - fluchen, und in dir ſollen geſegnet werden alle Geſchlechte auf Erden.
f). Aus ſeinem Geſchlechte
Will er ein großes maͤchtiges Volk dereinſt ihm erwecken,
Und ſo ſehr es ſegnen, daß alle Voͤlker auf Erden
135
138 Jn ihm ſollen geſegnet werden. Ohn Anſtand gehorcht er,
Und wiewohl er nicht weiß, nach welchem Land er ihn fuͤhret,
Glaubt er doch feſt. Du kannſt ihn nicht ſehn, ich aber erblick es,
Mit welch einem Glauben er ſeine Goͤtter, und Freunde,
Und ſein vaͤterlich Land, Ur in Chaldaͤa, verlaſſen.
140
138Jtzo wadet er uͤber den Furth von Haran; ihm folgen
Lange Zuͤge von Heerden, von Rindern und Schafen; und Mengen
Seiner Knechtſchaft. Er wandert nicht arm, indem er dem Gotte,
Welcher ihn in ein unbekannt Land ſo gnaͤdig berufen,
Alle ſeine Haabe vertraut. An Canaans Graͤnzen
145
138 Seh ich ihn nun; ſeh ſeine Gezelten um Sichems Gefilde,
Und um die nahegelegenen Ebnen von Moreh verbreitet.
Hier empfieng er dieß ganze Land, nach Gottes Verheißung,
Seinem Geſchlecht zum Geſchenk; von Hemaths nordlicher GegendBisII. Theil. F f226Das verlohrne Paradies.
Bis in die Wuͤſten gen Suͤden; (ich nenne die Oerter, die itzt noch
150
138 Namenlos ſind, bey kuͤnftigen Namen
g)Nach dem Virgil im ſechſten Buche der Aeneis:Haec tum nomina erunt, nunc ſunt ſine nomine terrae.
g);) von Hermon gen Oſten,
Bis zur großen weſtlichen See; hier Hermons Gebirge,
Dort das Meer; ſieh beyde Plaͤtze vor deinem Geſichte,
Wie ſie mein Finger dir zeichnet! ſieh dort an ſeinen Geſtaden Carmels Gebirg; und hier den aus gedoppelten Quellen
155
139 Stroͤmenden Jordan, die wahre Graͤnze des Landes gen Oſten.
Seine Soͤhne werden indeß in Seneir wohnen,
Jener langen Reihe von Bergen. Dieß merke dir, Adam,
Daß in ſeinem Saamen ſich alle Voͤlker der Erden
Sollen geſegnet ſehn. Durch dieſen geſegneten Saamen
160
139 Wird dein großer Erloͤſer gemeynt; er, welcher der Schlangen
Einſt den Kopf zertritt. Bald ſollſt du dieſe Verkuͤndgung
Deutlicher ſehn. Der ſeelige Vater von dieſem Geſchlechte,
Welchen die kuͤnftige Zeit den glaͤubigen Abraham nennet,
Zeugt nur Einen wuͤrdigen Sohn; ein Enkel entſtehet
165
139 Von dem Sohne, der ihm an Tugend, Glauben und Weisheit,
Und an Nachruhm gleicht. Sieh dieſen Enkel! Er zieht itzt
Von zwoͤlf Soͤhnen begleitet aus Canaans duͤrren Provinzen
Jn ein Land, das nach der Zeit Aegypten genennt ward,
Von dem Nilfluß getheilt. Sieh, wie er ſtroͤmend dahinfließt,
170
139 Und ſich in die See durch ſieben Muͤndungen gießet.
Jn dieß Land koͤmmt er, von einem juͤngeren Sohne
Eingeladen, zur Zeit von einer entſetzlichen Theurung;Einem227Zwoͤlfter Geſang.
Einem Sohne, der ſich durch ſeine wuͤrdigen Thaten
Jn des Pharao Reich zum Zweyten erhaben. Er ſtirbt hier,
175
139 Laͤßt ein Geſchlecht nach ſich, das bald zum Volke ſich mehret,
Und dadurch den Verdacht des folgenden Koͤnigs erwecket.
Dieſer trachtet allein die große Vermehrung des Volkes
Zu verhindern; ſie ſcheinen ihm itzt fuͤr Fremde zu zahlreich,
Deshalb macht er aus Gaͤſten, ganz wider das heilige Gaſtrecht,
180
139 Sie zu Sklaven, und wuͤrgt die Kinder von maͤnnlicher Abkunft,
Bis zwey Bruͤder zuletzt, ſie heißen Moſes und Aron,
Abgeſandt werden von Gott, ſein Volk aus den Ketten der Knechtſchaft
Wieder zu fordern, und ſie, mit Ehr und Beute beladen,
Wieder zuruͤcke zu bringen nach ihrem verheißenen Lande.
185
139Aber der ſtolze Tyrann, der nichts vom Ewigen wiſſen,
Seine Geſandten nicht anſehn will, wird endlich durch Wunder,
Und durch ſchwere Gerichte gezwungen. Er ſiehet die Fluͤſſe
Ploͤtzlich verwandelt in Blut, das keine Schwerdter vergoſſen.
Froͤſche, Fliegen, und Laͤuſ erfuͤllen mit Ekel und Abſcheu
190
139 Seinen goldnen Pallaſt, und alle ſeine Provinzen.
Raͤud und Seuchen verderben ſein Vieh; und Blattern und Beulen
Fahren auf ſeinem Fleiſch, und ſeines erſchrockenen Volkes
Fleiſch auf. Donner mit Hagel vermiſcht, und Hagel mit Feuer,
Muß die Luft in Aegypten zerreißen, und uͤber die Erde
195
139 Ziſchend ſich waͤlzen, und was es beruͤhrt, mit Schrecken verwuͤſten.
Was das Feuer nicht frißt, Getraide, Kraͤuter, und Fruͤchte,
Muß ein duͤſterer Schwarm gefraͤßger Jnſekten verderben,
Welche die Luft verdunkeln, und auf dem Boden nichts GruͤnesF f 2Uebrig228Das verlohrne Paradies.
Uebrig laſſen. Finſterniß deckt die zagenden Laͤnder,
200
139 Finſterniß, welche man greifen kann; ſie tilget drey Tage
Voͤllig aus; dann faͤllt im mitternaͤchtlichen Schlage
Jn Aegypten die Erſtgeburth von allem Lebendgen
Todt darnieder. Nachdem der große Drache des Fluſſes
h)Dieſes zielt auf eine ſehr ſchoͤne Stelle im Propheten Ezechiel XXIX. 3. So ſpricht der Herr Herr: Siehe, ich will an dich, Pharao, du König in Ae - gypten, du großer Drache, der du in deinem Waſſer liegſt, und ſprichſt: der Strom iſt mein, und ich hab ihn mir gemacht.
h)
Mit zehn Wunden nunmehr bezaͤhmet worden, ergiebt er
205
140 Endlich ſich drein, die gefuͤrchteten Fremden nun von ſich zu laſſen.
Sein hartnaͤckiges Herz demuͤthiget oft ſich, und immer
Wird es haͤrter und kaͤlter, wie Eis, das, wenn es gethauet,
Haͤrter erſtarrt; und ob er ſie gleich vor kurzem erlaſſen,
Jagt er ihnen doch nach in ſeinem Zorne, bis endlich
210
140 Jhn die See verſchluckt mit ſeinen Wagen und Reitern
i)Da Milton die andern Geſchichte in dieſem zwoͤlften Geſange ſo kurz zu - ſammen gefaßt hat, muß man ſich billigverwundern, daß er den Untergang des Pharaoniſchen Kriegsheers ſo zu ſagen, gedoppelt beſchreibt. Jeder Leſer wird glauben, daß die Beſchreibung zu Ende ſey, wenn Milton ſagt, daß die Er - löſten ſicher das Ufer erreicht hät - ten; und deſtomehr wundert man ſich, daß er einige Zeilen darauf den Pharav, der ſchon im rothen Meer ertrunken war, wieder zum Vorſcheine kommen laͤßt. Sei - ne ſonſt zu bewundernde Aufmerkſamkeit ſcheint hier nachgelaſſen zu haben. Z.
i).
Sie indeß gehn zwiſchen zwey hohen kryſtallenen Mauren,
Wie auf trockenem Lande, hindurch; ſo ſtanden die Waſſer
Durch den Stab von Moſes zertheilt, bis daß| die Erloͤſten
Sicher das Ufer erreicht. Mit ſolchen Zeichen und Wundern
215
141 Wird Gott ſeine Heiligen ſtaͤrken; er ſelber iſt ihnen
Jn dem Engel zugegen, der in der beſchuͤtzenden WolkeUnd229Zwoͤlfter Geſang.
Und in einer Saͤule von Feuer vor ihnen einherzieht;
Jn der Wolke bey Tag, und in der feurigen Saͤule
Bey der Nacht, um ſie auf ihrer Reiſe zu leiten,
220
141 Und ſie im Ruͤcken zu ſchuͤtzen, indem der erbitterte Koͤnig
Sie verfolgt; die ganze Nacht durch verfolgt er ſie wuͤthend,
Aber die Finſterniß waͤhrt bis an den daͤmmernden Morgen,
Daß er ſich ihnen nicht naht. Nun ſchaut aus der feurigen Saͤule
Und aus der Wolke der Ewige nieder, verwirret die Ordnung
225
141 Jhres Heers, und zerbricht die Raͤder der Wagen. Auch Moſes
Streckt auf Gottes Befehl noch einmal den maͤchtigen Stab aus,
Und die See gehorchet dem Stabe; die brauſenden Wellen
Stuͤrzen auf ihre Geſchwader zuruͤck und verſchlucken ihr Kriegsheer.
Das erwaͤhlte Volk zieht von dem Geſtade nun ſicher
230
141 Weiter nach Canaan fort durch wilde ſchreckliche Wuͤſten,
Aber doch nicht den kuͤrzeſten Weg, damit nicht ihr Anzug
Allzugeſchwind die Bewohner von Canaan wider ſie ſammle,
Noch der Krieg ſie erſchrecke, da ſie noch nie ihn erfahren;
Oder vielleicht ſie die Furcht zuruͤck nach Aegyptenland jage,
235
141 Unberuͤhmt lieber daſelbſt ein ſklaviſches Leben zu fuͤhren.
Denn das Leben iſt edeln ſowohl, als niedrigen Seelen,
Angenehmer und ſuͤßer, als alle Lorbeern des Krieges,
Wenn ſie Geſchwindigkeit nicht zum Streite fuͤhret. Sie werden
Auch von ihrem Verzug in dieſen unwirthbaren Wuͤſten
240
141 Dieſes gewinnen, daß ſie hier ihres Staates Verfaſſung
Feſter gruͤnden, und ſich, nach ihren verſchiedenen Staͤmmen,
Jhren Rath erwaͤhlen, der nach den beſtimmten GeſetzenF f 3Sie230Das verlohrne Paradies.
Sie regiere. Der Ewige ſelbſt wird ihnen vom Berge Sinai, deſſen rauchender Gipfel bey ſeiner Herabfahrt
245
141 Zittern wird, mit Donner und Blitzen, und unter dem Schalle
Lauter Drommeten, Geſetze geben; Geſetze zum Theil nur
Fuͤr die Ordnung des Staats, theils fuͤr die Opfergebraͤuche,
Um ſie durch vorbildende Schatten vom kuͤnftigen Saamen
Zu belehren, der einſt der Schlange den Kopf wird zertreten,
250
141 Und durch was fuͤr Mittel des Menſchengeſchlechtes Erloͤſung
Er vollendet. Doch Gottes Stimm iſt ſterblichen Ohren
Allzufurchtbar; drum bitten ſie ihn, daß Moſes in Zukunft
Seinen Willen verkuͤndge, damit ihr Schrecken ſich ende, Moſes williget ein in ihr Begehren, gelehret,
255
141 Daß kein Zutritt je ſich ohne Mittler zu Gott naht.
Sein erhabenes Amt bekleidet itzt Moſes figuͤrlich,
Einen groͤßeren einſt zu dieſem Amte zu fuͤhren,
Deſſen herrlichen Tag er fernen Altern verkuͤndigt;
So wie alle Propheten in ihren verſchiedenen Zeiten
260
141 Die wohlthaͤtigen Tage des großen Meßias beſingen.
Wenn nun Geſetze, Sitten, und Recht befeſtiget worden,
Hat Gott an den Menſchen, die ſeinem Willen gehorchen,
Solchen Gefallen, daß er die Huͤtte des Bundes bey ihnen
Aufzurichten befiehlt, und unter den ſterblichen Menſchen
265
141 Er, der Heilige, wohnt. Nach ſeiner eigenen Vorſchrift
Wird ein Heiligthum ihm von Cedernholze gebauet,
Ueberzogen mit Gold; und eine heilige Lade
Jn daſſelbe geſtellt, und in die Lade ſein Zeugniß,Seines231Zwoͤlfter Geſang.
Seines Bundes Denkmaal, gelegt. Ein Stuhl der Verſoͤhnung
270
141 Von dem lauterſten Gold wird uͤber ihr zwiſchen den Fluͤgeln
Zweyer flammenden Cherubim ſtehn; hier brennen beſtaͤndig
Sieben Lampen vor ihm in einem ſchimmernden Guͤrtel,
Und bezeichnen die himmliſchen Feuer. Wie uͤber dem Zelte
Eine Wolke bey Tage ruht, ſo glaͤnzet daruͤber
275
141 Naͤchtlich ein ſchimmernder Glanz, der nur, wenn ſie reiſen, verſchwindet
Endlich ſehn ſie das Land, durch ſeinen Engel gefuͤhret,
Welches er Abrahams Glauben und ſeinem Saamen verheißen. Adam, alles das uͤbrige dir umſtaͤndlich zu ſagen,
Wuͤrde zu lang. Was haben ſie nicht fuͤr Schlachten gefochten,
280
141 Was fuͤr Thronen zerſtoͤrt, und was fuͤr Reiche gewonnen!
Oder ſollt ich erzaͤhlen, wie in der Mitte des Himmels
Still die Sonne geſtanden, und mit dem gewoͤhnlichen Laufe
Sich die Nacht zu nahen verzoͤgert, indem ihr die Stimme
Eines Menſchen befahl: ſteh ſtill zu Gibeon, Sonne,285 Und du, o Mond, in Ajalons Thal, bis Jſrael ſieget!
Denn ſo wird der dritte dereinſt nach Abraham heißen, Jſaacs Sohn, und nach ihm zugleich ſein ganzes Geſchlechte,
Welches Canaan ſich mit blutigen Siegen erobert.
Adam fiel hier dazwiſchen ihm ein
k)Dieſe Zwiſchenreden Adams thun eine ſehr gute Wirkung, weil ſonſt die Erzaͤhlung des Engels, wenn ſie unun -terbrochen fortliefe, zu langweilig wer - den moͤchte. N.
k). Geſandter des Himmels,
290
142 Meiner Finſterniß Licht! du haſt mir gnaͤdige DingeOffen -232Das verlohrne Paradies.
Offenbart; und beſonders des glaͤubigen Abrahams Saamen,
So begnadigt von Gott, mir gezeigt. Jch finde nunmehr erſt,
Daß mein Auge wahrhaftig geoͤffnet, mein Herze vollkommen
Wieder beruhiget iſt, das erſt mit Gedanken ſich plagte,
295
142 Was zuletzt noch aus mir, und meinem ganzen Geſchlechte,
Werden wuͤrde. Nun ſeh ich den Tag des großen Erloͤſers,
Jn dem alle Voͤlker der Erde geſegnet werden!
O wie verdien ich die Gnade des Himmels ſo wenig, indem ich
Durch verbothene Mittel verbothene Wiſſenſchaft ſuchte!
300
142Doch dieß faß ich noch nicht, wie dieſen, die Gott doch gewuͤrdigt,
Unter ihnen auf Erden zu wohnen, ſo viele Geſetze
Aufgelegt ſind. So viele Geſetze verrathen zu ſehr nur
Eben ſo viele Verbrechen, die unter ihnen regieren.
Sprich, wie kann bey ſolchen Verderbten der Ewige wohnen?
305
Michael ſagte hierauf: Auch unter ihnen wird freylich
Suͤnde herrſchen, dieweil ſie von dir, o Adam, erzeugt ſind.
Das Geſetz ward ihnen darum vom Himmel gegeben,
Jhre Haͤrte des Herzens und ihre natuͤrliche Bosheit
Jhnen zu zeigen, wenn itzt die herrſchende Suͤnde ſich auflehnt
310
142 Wider das ſcharfe Geſetz; daß, wenn ſie ſehen, die Suͤnde
Wird vom Geſetz zwar verklagt, allein nicht voͤllig verſoͤhnet,
Durch die ſchwache Schattenverſoͤhnung, vom Blute der Rinder
Und der Boͤcke; ſie endlich daraus die Folgerung ziehen,
Daß ein koͤſtlicher heiliger Blut zur wahren Bezahlung
315
142 Fuͤr den Menſchen erforderlich ſey; das Blut und die StrafeEines233Zwoͤlfter Geſang.
Eines Gerechten fuͤr Ungerechte, damit ſie in ſeiner
Wahren Gerechtigkeit, die im Glauben auch ihnen ertheilt wird,
Bey dem Allmaͤchtigen ſo der Schuld Vergebung erlangen,
Und zufriedene Ruh in ihrem erſchrocknen Gewiſſen.
320
142Das Geſetz kann dieß durch alle Gebraͤuche nicht geben,
Noch der Menſch den ſittlichen Theil des Geſetzes erfuͤllen;
Und doch kann er nicht leben, wofern er nicht ganz ihn erfuͤllet.
So ſcheint das Geſetz noch unvollkommen; gegeben
Jn der Abſicht, die Menſchen dereinſt in der Fuͤlle der Zeiten
325
142 Einem beſſeren Bunde zu uͤberlaſſen, nachdem ſie
Von vorbildenden Schatten geweihet worden zur Wahrheit,
Von dem Fleiſche zum Geiſt; vom ſcharfen ſchweren Geſetze
Zu dem freyen Genuß der reichen goͤttlichen Gnade;
Von der knechtiſchen Furcht zur kindlichen; und von den Werken
330
142 Des Geſetzes zu Werken des Glaubens. Deswegen wird Moſes,
Obgleich Gott ſo ſehr ihn geliebt, ſein Volk, als ein Diener
Des Geſetzes, doch nicht hinein nach Canaan fuͤhren;
Sondern Joſua
l)Joſua war in verſchiednen Dingen ein Vorbild von Jeſu; ſo wie der NameJoſua ſowohl, als Jeſus, einen Erloͤ - ſer bedeutet. N.
l), Jeſus genannt von den heydniſchen Voͤlkern,
Der den Namen ſowohl, als das Amt, von Jenem erhalten,
335
143 Welcher dereinſt die feindliche Schlange beſiegt, und den Menſchen,
Wenn er lange herum in der Wuͤſte des Lebens gewandert,
Endlich ſicher zur Ruh des ewigen Paradieſes
Einfuͤhrt. Jſrael wird indeß im irdiſchen Eden,LangeII. Theil. G g234Das verlohrne Paradies.
Lange wohnen und bluͤhn; doch wird die Suͤnde des Volkes
340
143 Oft den Frieden im Lande zerſtoͤren; ſie werden den Ewgen
Reizen, ſie oft in die Hand von ihren Feinden zu geben;
Aber immer wird er ſie wieder von ihnen erretten,
Wenn ſie die Uebelthat reut. Erſt werden ſie Richter regieren,
Und dann werden Koͤnige herrſchen. Der zweyte von dieſen,
345
143 Der durch ſeine Tugend ſowohl, als maͤchtigen Thaten,
Sehr beruͤhmt wird; der ſoll die große Verheißung erhalten,
Daß ſein Koͤnigesthrom auf immer und ewig beſtehn ſoll.
Alle Propheten werden der Welt weißagend verkuͤndgen,
Daß aus Davids geſegnetem Stamm, (ſo nenn ich den Koͤnig)
350
143 Jhm ein Sohn wird erwachſen, der Saame des Weibes, der, Adam,
Dir vorher verkuͤndiget iſt, und Abraham, nach dir;
Er, auf welchen allein die Nationen vertrauen,
Welcher den Koͤnigen auch verkuͤndiget worden, der Letzte
Von den Koͤnigen, denn ſein Reich regieret ohn Ende.
355
143Aber noch lange Reihn von Koͤnigen werden erſt folgen,
Und ſein naͤheſter Erbe, beruͤhmt durch Reichthum und Weisheit,
Bringt die Lade des Hoͤchſten, die unter einem Gezelte
Noch ſich aufhielt, nunmehr in einen herrlichen Tempel.
Koͤnige folgen auf ihn, die theils als gute Regenten,
360
143 Theils als Boͤſe bezeichnet werden; die Anzahl der Boͤſen
Jſt viel ſtaͤrker indeß. Viel Fehler und Suͤnden des Volkes,
Dienſt der Goͤtzen, und andre Verbrechen, erzuͤrnen den Hoͤchſten,
So, daß er ſie verlaͤßt. Land, Stadt, ſein heiliger Tempel,
Und die heilige Lade mit allen heiligen DingenGiebt235Zwoͤlfter Geſang.
365
143Giebt er der uͤbermuͤthigen Stadt zum Raube, zum Spotte,
Deren praͤchtige Mauren du durch die Sprachenverwirrung
Unterbrochen geſehn, und man drum Babylon nannte.
Siebenzig Jahre wohnen ſie hier, verlaſſen, gefangen;
Doch drauf bringt er ſie wieder zuruͤck, indem er des Bundes
370
143 Sich erinnert, den er dem frommen David beſchworen,
Und der unverruͤckt ſteht, ſo feſt als die Tage des Himmels.
Wenn ſie mit ihrer Herrn, der Koͤnige Babels, Erlaubniß
Wieder zuruͤckegekommen; errichten ſie erſtlich den Tempel
Jhres Gottes aufs neu, und leben einige Zeiten
375
143 Jn beſcheidner Verfaſſung des Staats, bis daß ſie an Reichthum
Und an Anzahl gewachſen, bald in Partheyen zerfallen.
Unter den Prieſtern entſtehet zuerſt die ſcheusliche Zwietracht;
Unter Maͤnnern, welche den Altar des Hoͤchſten bedienen,
Und den Frieden am meiſten im Volke befoͤrdern ſollten.
380
143Jhr verderblicher Zwiſt befleckt den heiligen Tempel
m)Denn der Tempel wurde haupt - ſaͤchlich wegen der Streitigkeiten zwiſchen den hohen Prieſtern Jaſon und Mene - laus vom Antiochus Epiphanes enthei - ligt. Endlich bemächtgen ſie ſich des Zepters, denn Ariſtobulus, der aͤlteſte Sohn des juͤdiſchen Hohenprieſters Hyr - kanus, war der erſte, der ſeit der Ba -byloniſchen Gefangenſchaft den Koͤnigs - titel annahm; ſie verlieren hernach an Fremde die Herrſchaft, nehmlich an den Herodes, einen gebohrnen Jdu - maͤer, unter deſſen Regierung Chriſtus gebohren wurde. Siehe den Joſephus und Prideaux.
m);
Endlich bemaͤchtgen ſie ſich ſogar des Zepters; verrathen Davids Soͤhne; verlieren hernach an Fremde die Herrſchaft,
Daß der wahre geſalbte Koͤnig, der große Meßias
Seines Rechtes beraubt, gebohren werde. Sein DaſeynG g 2Aber236Das verlohrne Paradies.
385
144Aber verkuͤndigt ein Stern, der vor nie am Himmel erſchienen,
Fuͤhrt die Weiſen vom Aufgang her zu ſeinem Geburthsort,
Wo ſie Weihrauch und Gold und Spezereyen ihm opfern.
Seinen Geburtsort ſagt ein feſtlicher Engel den Hirten
Auf dem Felde bey Nacht. Sie eilen mit heiligen Freuden
390
144 Zu dem Ort, und hoͤren daſelbſt die Choͤre der Engel
Seine Geburth beſingen. Die Mutter iſt eine Jungfrau,
Aber ſein Ahnherr die Kraft des Allerhoͤchſten. So wird er
Seinen Erbthron beſteigen; ſein Reich mit den Enden der Erde,
Seiner Herrlichkeit Ruhm mit dem Umfang des Himmels begraͤnzen.
395
Michael ſchwieg, denn Adam waͤr itzt, von Freuden belaſtet,
So in Thraͤnen zerfloſſen, als wenn ſie der Kummer erzeuget,
Haͤtt er den ſtockenden Athem nicht ſo in Worten verhauchet.
O Prophet von gluͤcklicher Zeitung, du, der du die Wuͤnſche
Meiner hoͤheſten Hoffnung erfuͤllſt; wie deutlich verſteh ich,
400
144 Was oft meine kuͤhnſten Gedanken vergebens geſuchet,
Naͤmlich warum der große Meßias, der Saamen des Weibes
Sollte genennet werden. O Heil dir, o Jungfrau Mutter,
Sey mir gegruͤßt! ſo hoch in der Liebe des Himmels erhaben!
Und doch ſollſt du dereinſt aus meinen Lenden entſpringen,
405
144 Und aus deinem Schooße der Sohn des Hoͤchſten! So wird Gott
Mit dem Menſchen vereint. Nothwendig muß itzo die Schlange
Die Zerquetſchung des Haupts mit toͤdtlichen Schmerzen erwarten. Sage,237Zwoͤlfter Geſang.
Sage, wo wird ſie geſchehn? wo wird der Kampf ſich erheben?
Was fuͤr ein Schlag wird zugleich dem Sieger die Ferſe verletzen?
410
Jhm erwiedert der Engel: Laß dir, o Adam, nicht traͤumen,
Daß ihr Gefecht ein Zweykampf ſey, und leibliche Wunden
Sie an Haupt und Ferſe verletzen. Gewißlich nicht darum
Fuͤgt der Sohn zur Menſchengeſtalt die hoͤheſte Gottheit,
Deinen grimmigen Feind mit groͤßerer Staͤrke zu ſchlagen;
415
144 Denn ſo wird nicht Satan beſiegt! Sein Fall aus dem Himmel,
Eine groͤßre Zerquetſchung, hat doch nicht verhindern koͤnnen,
Daß er dich nicht mit der toͤdtlichen Wunde des Todes verletzet.
Dieſe wird Er, der kommen ſoll, Er, dein großer Erloͤſer,
Nicht durch Satans Vertilgung, nein, durch die Vertilgung der Werke
420
144 Satans, in dir, und deinem Geſchlecht, auf ewiglich heilen.
Dieß kann auch nicht anders geſchehn, als durch die Erfuͤllung
Alles deſſen, worinn du deine Pflichten verſaͤumet,
Durch des Geſetzes Gehorſam, das dir bey Strafe des Todes
Auferlegt ward, durch Leiden des Todes, die Strafe der Suͤnde,
425
144 Die er auf dein Verbrechen geſetzt, und auf die Verbrechen,
Die aus dem deinen entſtehn. So wird die Gerechtigkeit Gottes
Endlich verſoͤhnt; er wird das Geſetz vollkommen erfuͤllen
Durch Gehorſam ſowohl als Liebe, wiewohl es die Liebe
Schon allein erfuͤllt; die Strafe deiner Verbrechen
430
144 Wird er tragen; er koͤmmt ins Fleiſch zu einem verſchmaͤhten
Niedrigen Leben; zu einem verfluchten und ſchmerzlichen Tode;
Aber verkuͤndiget allen, die glauben in ſeiner Erloͤſung,G g 3Ewiges238Das verlohrne Paradies.
Ewiges Leben, wofern ſie allein durch ſeinen Gehorſam,
Durch ſein zugerechnet Verdienſt, den Himmel erwerben,
435
144 Und nicht durch eignes, wenn es auch gleich dem Geſetze gemaͤß iſt.
Darum wird er gehaßt, gelaͤſtert, ergriffen, gerichtet,
Und zu einem verfluchten und ſchimpflichen Tode verdammet,
Durch ſein eigenes Volk ans Kreuz genagelt, und dafuͤr,
Daß er das Leben uns bringt, von ſeinen Verfolgern getoͤdtet.
440
144Aber er nagelt zugleich das Geſetz, das wider dich ſtreitet,
Deine Feinde, die Suͤnden des ganzen Menſchengeſchlechtes,
Mit ſich ans Kreuz; ſie werden mit ihm am Holze gekreuzigt,
Daß ſie denen, die ſich auf ſeine Verdienſte verlaſſen,
Nie mehr ſchaden. So ſtirbt der Gerechte! ſo ſteht er bald wieder
445
144 Auf; der Tod ſoll nicht in langer Gewalt ihn behalten.
Eh das heilige Licht des dritten Tages erſcheinet,
Sehen ihn ſchon die Morgenſterne den Sieger, vom Grabe
Sich erheben, ſo friſch, wie der neuanbrechende Morgen;
Da er das Loͤſegeld nun, womit er den ſchuldigen Menſchen
450
144 Von dem Tod errettet, bezahlet; mit ſeinem Tode
Fuͤr den Menſchen, fuͤr alle, die nicht das Leben verſaͤumen,
Welches er ihnen erwarb, und dieſes Geſchenke mit Glauben,
Der nicht leer iſt an Tugend und guten Werken, ergreifen.
Dieſe goͤttliche That vernichtet dein Urtheil; vernichtet
455
144 Jenen ewigen Tod, den du zu ſterben, verdammt warſt,
Ewig des Lebens beraubt, durch dein begangnes Verbrechen.
Dieſe herrliche That wird dem Satan das Haupt zerquetſchen,
Seine Kraͤfte zermalmen, indem ſie den Tod und die Suͤnde,Seine239Zwoͤlfter Geſang.
Seine zwey wichtigſten Waffen zerſtoͤrt; ſie druͤcket die Stacheln
460
144 Jhm viel tiefer hinein in das Haupt mit ſchaͤrferen Schmerzen,
Als der zeitliche Tod den Sieger, und ſeine Gerechten,
Die er erloͤſt, in die Ferſe verwundet; ein Tod, der dem Schlaf gleicht,
Und nur ein ſanfter Uebergang iſt zu unſterblichem Leben.
Wenn er erſtanden, wird er nicht laͤnger auf Erden verweilen,
465
144 Als ſich einigemal den glaubigen Juͤngern zu zeigen;
Maͤnnern, welche beſtaͤndig in ſeinem Leben ihm folgten.
Jhnen ertheilt er Befehl, die Voͤlker der Erde zu lehren,
Was ſie lernten von ihm, die Lehre der großen Erloͤſung;
Und der Glaͤubigen Schaar, die dieſe Lehren erkennet,
470
144 Jm voruͤberfließenden Strom zu taufen, zum Zeichen,
Daß ſie nunmehr von der Schuld der Suͤnde, zu einem geweihten,
Heiligen Leben gewaſchen, und, wenn der Himmel es fodert,
Jn dem Tode bereit ſind, den ihr Erloͤſer geſtorben.
Alle Voͤlker werden ſie lehren; der ſeelige Glaube
475
144 Wird alsdann nicht allein den Soͤhnen von Abrahams Lenden,
Sondern allen Erwaͤhlten von Abrahams Glauben verkuͤndigt,
Wo ſie auch immer zerſtreut die Erde bewohnen. So ſollen
Alle Voͤlker in ſeinem Saamen geſegnet werden.
Drauf wird er mit ſiegendem Pomp in den Himmel der Himmel
480
144 Wieder hinauf ſich erheben, und uͤber den Tod und die Hoͤlle
Triumphiren; den Fuͤrſten der Luft, die hoͤlliſche Schlange
Wird er beſiegen, und ihn, in feſte Ketten gebunden,
Durch ſein Reich hinſchleppen, und ihn, mit Schande belaſtet,
Liegen laſſen; alsdann in ſeine Herrlichkeit eingehn,Und240Das verlohrne Paradies.
485
144Und den vorigen Sitz zur Rechten Gottes beſteigen,
Ueber alle Namen im Himmel erhoͤhet. Von dannen
Wird er kommen, wenn nun die Welt dem Gerichte gereift iſt,
Jm ſiegprangenden Glanz, die Lebendgen und Todten zu richten;
Die unglaͤubigen Todten zu richten, die Glaͤubigen aber
490
144 Zu belohnen, und ſie in ſeelige Freuden zu nehmen,
Jn dem Himmel, oder auf Erden, denn ſelber die Erde
Wird viel paradieſiſcher ſeyn, und beſſere Tage,
Als dieß Eden dir gab, den Ewiggluͤcklichen ſchenken.
Alſo ſagte der Engel, und hielt hier innen, indem er
495
144 Jtzo zu dem wichtigſten Punkte der Zeiten gekommen. Adam, mit Wunder und Freuden erfuͤllt, verſetzt in Entzuͤckung:
O der unendlichen Huld, der unermeßlichen Guͤte,
Die ſo viel Gutes aus Boͤſem erzeugt, und ſelber das Boͤſe
So in Gutes verwandelt! O wunderbarere Guͤte,
500
144 Als ſelbſt die, die zuerſt das Licht aus der Finſterniß Schooße
Bey der Schoͤpfung hervorgebracht! Nun ſteh ich in Zweifel,
Ob mich die Suͤnde, die ich gethan, und die ich veranlaßt,
Reuen ſoll, oder ob ich vielmehr daruͤber mich freue
n)Milton ſcheint hier den Gedan - ken eines Kirchenvaters vor Augen ge - habt zu haben: O felix culpa, quae ta - lem ac tantum meruit habere redempto -rem. O gluͤckliches Verbrechen, welches verdiente, einen ſolchen, einen ſo großen Erloͤſer zu haben. N.
n),
Daß ſo ſehr viel Gutes aus dieſem Verbrechen entſtanden,
505
145 Viel mehr Ehre fuͤr Gott, mehr Gnade, Vergebung des SchoͤpfersGegen241Zwoͤlfter Geſang.
Gegen die Menſchen, die ſeinen Zorn ſo voͤllig entwaffnet!
Aber ſage, da unſer Erloͤſer zum Himmel hinauffaͤhrt,
Was wird da den wenigen noch, den Frommen, begegnen,
Die er unter der Schaar der Feinde der Wahrheit zuruͤcklaͤßt?
510
145Sprich, wer leitet, wer ſchirmt ſein Volk? und wird man nicht dieſen,
Die ihm gefolgt, noch aͤrger, als wie ihm ſelber, begegnen?
Ja, man wird es, verſetzte der Engel; doch ſchickt er vom Himmel
Einen Troͤſter den Seinigen zu, die Verheißung des Vaters,
Seinen maͤchtigen Geiſt. Er wohnet in ihnen, und ſchreibet
515
145 Das Geſetze des Glaubens, der durch die Liebe gewirkt wird,
Jhnen ins Herz, um ſie in alle Wahrheit zu fuͤhren,
Und ſie mit geiſtlichen Waffen zu waffnen, um Satans Verſuchen
So entgegen zu ſtehn, und ſeine feurigen Pfeile
Auszuloͤſchen; ſie ſind nicht verzagt, was immer die Menſchen
520
145 Wider ſie thun, und wenn ſie ſich auch dem Tode ſchon nahen;
Denn ein innerer Troſt belohnt ſie fuͤr alle die Martern,
Die ſie ſo maͤnnlich ertragen, daß ihre wilden Verfolger
Selbſt daruͤber erſtaunten. Der Geiſt, der uͤber die Juͤnger,
Die er ſendet, das Wort des Heils den Voͤlkern zu predgen,
525
145 Und dann uͤber alle Getauften gegoſſen worden,
Wird ſie mit tapferem Muth und ſeltenen Gaben beſchenken,
Daß ſie die fremdeſten Sprachen verſtehn, und alle die Wunder,
Die ihr Herr vor ihnen gethan, auch nach ihm verrichten.
Alſo werden ſie ſich aus allen Voͤlkern und Zungen
530
145 Große Schaaren gewinnen, die mit entzuͤckenden FreudenII. Theil. H hDie242Das verlohrne Paradies.
Die erfreuliche Vothſchaft, vom Himmel geſendet, empfangen.
Wenn ſie nun endlich ihr Amt vollbracht; die ruͤhmliche Laufbahn
Wohl gelaufen, und ihre Lehren, und ihre Geſchichte,
Aufgezeichnet in Schriften, und ſpaͤteren Zeiten gelaſſen;
535
145 Werden ſie ſterben. Es werden indeß nach ihnen fuͤr Lehrer
Reißende Woͤlfe kommen, (wie ſie vor dieſen Verderbern
Schon gewarnt,) die werden des Himmels heiligſte Lehren
Nur nach eigenem Sinn und ſchaͤndlichem Vortheil verdrehen,
Und nach Ehrſucht und Geiz; mit aberglaͤubiſchen Dingen,
540
145 Und mit Menſchenerfindung die reine Wahrheit beflecken,
Die in den heiligen Schriften allein ſich lauter erhalten,
Aber die niemand ohne den Geiſt gehoͤrig verſtehet.
Alsdann werden ſie trachten, mit Aemtern, Namen, und Titeln,
Sich zu erheben, und weltliche Macht mit ihnen verbinden;
545
145 Wenn ſie gleich thun, als ob ſie allein nach der geiſtlichen handeln;
Werden ſich ruͤhmen, den Geiſt des Hoͤchſten allein zu beſitzen,
Ob er ihn allen Glaͤubigen gleich verſprochen, und allen
Auch gleich mittheilt. Es werden dadurch mit ſklaviſchem Zwange
Kirchengeſetze mit weltlicher Macht die Gewiſſen beherrſchen;
550
145 Solche Geſetze, die ſie in den goͤttlichen Schriften nicht fanden,
Oder in dem, was der Geiſt in Glaͤubiger Herzen gepraͤget.
Und was ſuchen ſie ſonſt, als ſelber den Geiſt der Gnade
Einzuſchraͤnken, und ſeine Gefaͤhrtinn, die Freyheit, zu binden?
Seine lebendigen Tempel in Glaͤubigen abzubrechen,
555
145 Die erbaut ſind, aufrecht zu ſtehn, zu ſtehen durch eignen,
Und nicht eines andern, Glauben. Denn wer iſt auf Erden,Dem243Zwoͤlfter Geſang.
Dem man wider die inneren Richter, Gewiſſen, und Glauben,
Als untruͤglich gehorchen ſollte? Wie mancher indeſſen
Wird ſich dieſes ermaͤchtgen! Daher wird ſchwere Verfolgung
560
145 Gegen alle die wuͤthen, die noch im Geiſt und der Wahrheit
Gott anbethen. Der groͤßere Theil der andern wird waͤhnen,
Daß man der Religion durch aͤußre Gebraͤuche genugthu,
Und durch ein ſcheinbar und eitles Gepraͤnge. Die ewige Wahrheit
Wird, mit Laͤſterpfeilen durchbohrt, der Erden entfliehen,
565
145 Und die Werke des Glaubens wird man nur ſelten noch finden.
Alſo lebet die Welt! Sie iſt der Boͤſen Beſchuͤtzer,
Und der Gerechten Feind; wird unter der eigenen Buͤrde
Seufzen, bis endlich der Tag des großen Gerichtes erſcheinet,
Der den Gerechten Erleichterung bringt, und Strafe den Boͤſen,
570
145 Wenn der wiederkoͤmmt, den Gott dir kuͤrzlich verheißen,
Er, der Saame des Weibes, dir damals nur dunkel verkuͤndigt,
Den du aber nunmehr als deinen Erloͤſer und Schoͤpfer
Deutlicher kennſt. Er koͤmmt zuletzt in Wolken vom Himmel,
Jn dem Glanze des Vaters, mit ſeiner verderbten Erde
575
145 Satan zu verderben; drauf aus dem verbrennenden Klumpen
Neue Himmel und Erde zu ſchaffen; Weltalter, von langem
Endloſen Ziel; gegruͤndet auf Liebe, Gerechtigkeit, Frieden,
Fruͤchte zu bringen von ſeeligen Freuden, von ewiger Wonne.
Michael ſchwieg Und Adam verſetzt zum letztenmal alſo:
580
145 O wie bald, geſegneter Seher! hat deine Verkuͤndgung
Dieſe voruͤbergehende Welt mit dem eilenden LaufeH h 2Aller244Das verlohrne Paradies.
Aller Alter gemeſſen, daß nun befeſtigt die Zeit ſteht!
Weiter hinaus iſts Abgrund, Nacht und Ewigkeit; niemand
Sieht ihr Ende! Nun kann ich belehrt, mit ruhigem Herzen
585
145 Scheiden von hier; ich habe nunmehr die Fuͤlle der Kenntniß,
Welche dieſes Gefaͤß zu faſſen faͤhig iſt. Thorheit
War es, daß ich ſo ſehr nach einer groͤßeren ſtrebte!
Kuͤnftig weiß ich, die Weisheit beſteh in wahrem Gehorſam,
Gott zu lieben mit Furcht; ſtets ſo zu wandeln, als waͤr er
590
145 Uns beſtaͤndig zugegen; auf ſeine Vorſicht zu trauen,
Und allein an ihn ſich zu halten. Wie gnaͤdig erhaͤlt er
Alles, was er erſchuf! beſtaͤndig beſiegt er das Boͤſe
Durch das Gute; vollzieht erhabene Dinge durch kleine;
Stuͤrzt durch Dinge, die ſchwach und geringe den Augen erſcheinen,
595
145 Weltliche Staͤrke danieder; und ſtolze weltliche Weiſen
Durch ſanftmuͤthige Fromme. Der Wahrheit wegen zu leiden,
Dieß iſt Tapferkeit! Sie erhoͤht zum herrlichſten Siege,
Und der Tod iſt die Pforte des Lebens fuͤr ſeine Gerechten.
Alles dieſes bin ich durch deſſen Exempel gelehret,
600
145 Den ich allein fuͤr mein Heil, fuͤr meinen Erloͤſer erkenne.
Jhm erwiedert nun auch zum letztenmale der Engel:
Haſt du dieſes gelernt, ſo haſt du, o Adam, den Gipfel
Aller Erkenntniß erreicht! Du kannſt nichts hoͤheres hoffen;
Wenn du auch alle Geſtirne bey ihren Namen erkennteſt,
605
145 Wenn du alle aͤtheriſchen Kraͤfte, mit ihnen der Tiefe
Dunkle Geheimniſſe wuͤßteſt, und alle Werke des SchoͤpfersJn245Zwoͤlfter Geſang.
Jn dem Himmel, der Luft, dem weiten Meere, der Erden;
Wenn du alle Schaͤtze der Welt, und die Reiche der Erde,
Wie ein einziges Reich, zu deiner Herrſchaft beſaͤßeſt.
610
145Aber fuͤge zu deiner Erkenntniß noch wuͤrdige Werke,
Glauben hinzu, und Geduld und Maͤßigkeit, Tugend, und Liehe,
Die man mit einem kuͤnftigen Namen Gutthaͤtigkeit nennet,
Als die Seele von allem, dann wirſt du dieß Eden ſo ungern
Nicht verlaſſen, und ſelber in dir ein Eden beſitzen,
615
145 Das viel gluͤcklicher iſt. Jtzt laß uns herunter vom Gipfel
Dieſer Beſchauung ſteigen! Die vorgeſchriebene Stunde
Fordert nun unſern Abſchied von hier, und ſiehe, die Wache,
Die ich auf jenen Huͤgel geſtellt, erwartet den Aufbruch,
Und das flammende Schwerdt wallt an der Spitze der Schaaren
620
145 Schrecklicher, uns das Zeichen, nunmehr von hinnen zu gehen;
Laͤnger duͤrfen wir hier uns nicht verweilen, o Adam!
Geh zu Eva; wecke ſie auf! ich habe mit Traͤumen,
Die ihr nichts anders als Gutes geſagt, ihr Gemuͤthe beruhigt,
Und ihr gelaſſener Herz zur Unterwerfung bereitet.
625
145Zeigt die Gelegenheit ſich, ſo kannſt du ihr kuͤnftig erzaͤhlen,
Was du gehoͤrt; beſonders laß ſie zur Staͤrkung im Glauben
Wiſſen, was ich dir entdeckt von jener großen Erloͤſung
Deines ganzen Geſchlechts durch ihren geſegneten Saamen,
Durch den Saamen des Weibes. So werdet ihr leben noch manche
630
145 Gluͤckliche Tage, zuſammen vereint in Glauben und Hoffnung;
Zwar in Betruͤbniß, weil ihr an Gott ſo ſchwer euch verſuͤndigt,H h 3Aber246Das verlohrne Paradies.
Aber doch noch weit mehr durch ſeine Gnade getroͤſtet,
Und erquicket, wenn ihr den gluͤcklichen Ausgang bedenket.
Hier beſchloß er. Und beyde giengen den Huͤgel hinunter.
635
145Als ſie hinuntergelangt, lief Adam mit eilenden Schritten
Nach der Laube voraus, wo Eva geſchlummert; er fand ſie
Ruhiger, munter, und wach. Mit aufgeheitertem Antlitz
Und nicht mehr ſo traurigen Worten empfieng ſie ihn alſo
o)Miltons | Gedicht ſchließt ſich auf eine ſehr edle Art. Die letzten Reden zwiſchen Adam und dem Erzengel ſind voll von den erhabenſten Lehren und Mora - len. Der Schlaf, welcher Even befal - len, und ihr Gemuͤth ſo ſehr beruhigt, bringt gleiche Berubigung in dem Herzender Leſer hervor, der dieſe letzte Rede unſrer erſten Mutter nicht ohne ein ge - heimes Vergnuͤgen leſen kann. Die fol - genden Verſe, womit das Gedicht ſich endet, ſteigen zu dem hoͤchſten feurigſten Ausdrucke, und zu der erhabenſten Ein - bildungskraft. Addiſon.
o):
Adam, ich weiß, woher du koͤmmſt, wohin du zu gehn denkſt
640
146 Denn im Schlaf auch iſt Gott, und auch die Traͤume belehren.
Einen mir guͤnſtigen Traum ſandt er vom Himmel hernieder,
Welcher ein großes Heil mir Armen verkuͤndigte, da mich,
Von Betruͤbniß und Angſt ermattet, ein Schlummer befallen.
Doch itzt fuͤhre mich fort, ich will nicht laͤuger verzoͤgern;
645
146 Mit dir zu gehn, iſt eben ſo gut, als wenn ich hier bliebe;
Blieb ich ohne dich hier, ſo wuͤrd ich von Eden entfernet.
Alles find ich in dir, und alle Oerter der Erden
Werden mir reizend durch dich; dich, der du ob meinem Vergehen
So verbannt wirſt von hier. Jch trage den ſicheren Troſt auch
650
146 Mit mir hinweg, daß zwar durch meine freywillige SuͤndeAlles247Zwoͤlfter Geſang.
Alles verlohren gegangen, der Himmel aber mich wuͤrdigt,
Daß der verheißne Saamen durch mich auch alles errettet.
So ſprach Eva, die Mutter der Menſchen: Es hoͤrte ſie Adam
Mit Vergnuͤgen, doch ſchwieg er dazu; es ſtand ihm der Engel
655
146 Jtzo zu nah. Die Cherubim zogen am anderen Berge
Glaͤnzend in Ordnung herab zu ihren Poſten. Sie ſchluͤpften
Ueber dem Voden ſchimmernd hinweg, wie neblichte Duͤnſte,
Die am kuͤhlenden Abend aus einem Fluſſe geſtiegen;
Ueber das ſumpfichte Land ſich itzo verbreiten, und leuchtend
665
146 So entbrannt, wie die brennende Luft in Lybien ſenget.
Unſre zaudernden Eltern nahm itzund eilig der Engel
Bey der Hand, und fuͤhrte ſie grade zur oͤſtlichen Pforte,
Und von da, nicht weniger eilig, die Klippe hinunter
Nach den untenliegenden Ebnen; und ploͤtzlich verſchwand er.
670
146Beyde ſchauten zuruͤck, und ſahen die oͤſtliche Seite
Dieſes Gartens, worinn ſie vor kurzem ſo gluͤcklich geweſen,
Ganz uͤberſtroͤmt vom flammenden Schwerdt, und die oͤſtliche Pforte
Dicht mit feurigen Waffen und Schreckensgeſtalten beſetzet.
Einige ſtille natuͤrliche Thraͤnen entfielen den Augen,
675
146 Aber ſie wiſchten ſie bald von ihren Wangen. Vor ihnenLag248Das verlohrne Paradies. Zwoͤlfter Geſang.
Lag die ganze geraume Welt, damit ſie darinnen
Einen Ruheplatz ſich, und eine Zuflucht erwaͤhlten.
Jhre Fuͤhrerinn war die himmliſche Vorſicht. So gehn ſie
Hand geſchloſſen in Hand. Mit wandernden Schritten, und langſam
680
146 Nahmen ſie ihren einſamen Weg durch Edens Gefilde
p)Addiſon hat gemeynt, das Gedicht wuͤrde ſich ſchoͤner geſchloſſen haben; wenn die beyden letzten Zeilen davon weg - geblieben waͤren. Doch Newton hat un - ſern Dichter voͤllig gerechtfertigt, und gezeigt, daß ſich das Gedicht nicht an -ders ſchließen mußte, wenn es den Na - men des verlohrnen Paradieſes mit Recht fuͤhren ſollte. Schrecken mußte alſo die letzte Leidenſchaft ſeyn, die in dem Gemuͤthe des Leſers zuruͤckgelaſſen wurde. Z.
p).

Ende des zwoͤlften und letzten Geſanges.

Verzeichniß einiger Druckfehler.

About this transcription

TextDas Verlohrne Paradies
Author John Milton
Extent281 images; 57336 tokens; 10521 types; 381257 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Verlohrne Paradies aus dem Englischen Johann Miltons in Reimfreye Verse übersetzt, und mit eignen sowohl als andrer Anmerkungen begleitet Zweyter Theil John Milton. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae (ed.) . [4] Bl., 248 S. IversenAltona1763.

Identification

SUB Göttingen SUB Göttingen, DD91 A 33655:2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; china

Editorial statement

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:14Z
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ShelfmarkSUB Göttingen, DD91 A 33655:2
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