Satans ſchaͤndliche That, die er in Eden vollendet,
Wie er unter der Schlange Geſtalt, vom verbothenen Baume Even zu koſten verfuͤhrt, ſie Adam zu gleichem Verbrechen;
Ward indeſſen im Himmel bekannt. Was kann des Allmaͤchtgen5
77 Alles ſehenden Augen entgehn? was kann ihn betriegen, Jhn, den Allwiſſenden? Weiſe, gerecht, in ſeinen Entſchluͤſſen,
Hindert’ er nicht, daß Satan das Herz der Menſchen verſuchte;
Denn er hatte dieß Herz mit voͤlliger Staͤrke bewaffnet,
Und mit freyem Willen begabt, ſo, daß ſie die Liſten10
77 Eines Feindes und falſchen Freundes gar leicht zu entdecken, Und zu entfernen, vermochten. Sie wußten zu wohl es, und ſollten
Stets den hohen Befehl in ihren Gedanken behalten,
Nie vom Baume zu eſſen, den ihnen die Stimme des Hoͤchſten
So ausdruͤcklich verſagt, wer zu der ſchaͤndlichen That auch15
77 Sie zu verleiten gedaͤchte. Nachdem ſie dem ernſten Gebothe Nicht gehorcht, da fielen ſie auch (wie konnte was anders
Aus dem begangnen Verbrechen erfolgen?) in ihre Verdammniß,
Und verdienten den Fall durch mannichfaltige Suͤndea)Jede Suͤnde iſt in gewiſſem Grade aus mehrern zuſammengeſetzt, und dieGottesgelehrten, hauptſaͤchlich die von Miltons Gemeine, glauben, daß ver -ſchiedene
a). EiligII. Theil. Q122 Eilig begab ſich die engliſche Wacht aus Edens Bezirken20
78 Wieder zum Himmel hinauf; ſie waren wegen des Menſchen Traurig und ſtumm, und hatten gar bald ſein Ungluͤck vernommen,
Voller Verwundrung jedoch, wie ſich der liſtge Betruͤger
So geheim in den Garten geſtohlen. So bald man im Himmel
Dieſe widrige Zeitung vernahm; da wurden auch alle,25
78 Die ſie hoͤrten, beſtuͤrzt; man ſah in der Himmliſchen Antlitz Duͤſtre Betruͤbniß, jedoch vermiſcht mit zaͤrtlichem Mitleid,
Welches ſie nicht an ihrer Ruh und Seligkeit ſtoͤrte.
Das aͤtheriſche Volk umringte die Wiedergekommnen
Schaarenweis, alles von ihnen, ſo wie es geſchehn, zu vernehmen. 30
78Aber ſie eilten ſogleich, durch eine gerechte Vertheidgung Zu bezeugen, wie wachſam ſie in Eden geweſen,
Vor des Allmaͤchtigen Thron. Sie ſahen ſehr leicht ſich entſchuldigt,
Und der Hoͤchſte, der ewige Vater, erhub aus der Mitten
Seiner geheimeren Wolken im Donner alſo die Stimme.
35Jhr allhier verſammelten Engel, und ihr auch, ihr Kraͤfte,
Die ihr von einem mislungnen Geſchaͤfft zuruͤcke gekommen,
Seyd durch dieſe Zeitung, die uns von der Erde gebracht wird,
Nicht zu betruͤbt! Jhr konntet mit eurer treueſten Sorge
Dieſes nicht hindern; ich ſagt’ es vorher, es wuͤrde geſchehen,40
78 Als der Verſucher zuerſt die Fluthen des Chaos durchkreuzte. Damalsa)ſchiedene Suͤnden in dieſer einzigen Hand - lung des Eſſens von der verbothenen Frucht eingeſchloſſen geweſen, als zum Exempel Stolz, Wolluſt, ſtrafbare Reu -gier, Unglauben, Ungehorſamkeit ꝛc. ſo daß der Menſch wegen dieſer mannich - faltigen Suͤnde verdiente, ſeinen gluͤckli - chen Zuſtand im Paradieſe zu verlieren. N.
a)123 Damals ſagt’ ich euch ſchon, es wuͤrde die ſchlimme Geſandtſchaft
Nur zu ſehr ihm gelingen; er wuͤrde den Menſchen verfuͤhren,
Alles durch Schmeicheleyen ihm rauben, dieweil er den Luͤgen
Wider ſeinen Schoͤpfer geglaubtb)Jndem Satan ſie glauben gemacht, daß nicht alle Dinge von Gott kaͤmen,daß Gott die verbothene Frucht ihnen aus Neid vorenthalte ꝛc. N.
b). Kein Rathſchluß von mir hat45
80 Seinen Fall nothwendig gemacht; der leichteſte Zwang nicht Hat auf ſeinen freyen und ungezwungenen Willen,
Den ich in ebener Wagſchal’ ihm ſelbſt zu lenken gelaſſen,
Etwas gewirkt. Er iſt gefallen! Was bleibet noch uͤbrig,
Als die Strafe, daß ſie auf ſeine Miſſethat folge,50
80 Der ihm angekuͤndigte Tod. Zwar haͤlt er bereits ihn Fuͤr vergebens gedraͤut, indem er, wie er gefuͤrchtet,
Jhn durch einen ploͤtzlichen Schlag ſogleich nicht getroffen:
Aber er ſoll noch, ehe der Tag verſtreichet, erfahren,
Daß ihn Aufſchub nicht gaͤnzlich befreyt; Gerechtigkeit ſoll nicht,55
80 So wie die Gnade, mit Spott zuruͤcke geſendet werden. Doch wen ſchick ich hinab, die Schuldgen zu richten? Wen anders,
Als dich, meinen einzigen Sohn, dich, meinen Geliebten,
Welchem ich alles Gericht gegeben im Himmel, auf Erden,
Und in der Hoͤlle? Wie leicht ſieht man, ich wolle mit Gnade60
80 Die Gerechtigkeit lindern, da ich zur Erde dich ſende, Jhn, den gefallenen Menſchen zu richten? Dich, der du von ſelber
Dich zu ſeinem Erloͤſer, zu ſeinem Loͤſegeld ſetzeſt;
Dich den Freund, den Mittler des Menſchen, dich, der du beſtimmt biſt,
Sterblich zu werden, wie er, um ihn vom Tode zu retten.
Q 2Alſo12465Alſo der Bater; indem er voll Huld die leuchtenden Stralen
Gegen die goͤttlichen Rechte verbreitet, und ohne Gewoͤlke
Seiner Herrlichkeit Glanz in ſeinem Sohne verklaͤret.
Dieſer druͤckte den ganzen Vater im voͤlligen Licht aus,
Und gab alſo darauf mit himmliſcher Milde zur Antwort:70
80 Etwas zu beſchließen, o Vater gebuͤhrt dir alleine, Doch mir koͤmmt es nur zu, im Himmel ſowohl, als auf Erden,
Deinen erhabenen Willen zu thun, damit du auf immer
Jn mir, deinem geliebteſten Sohne, zufrieden ruheſt.
Alſo geh ich hinab, allmaͤchtiger Vater, auf Erden75
80 Dieſe deine Verbrecher zu richten; doch weißt du, das Urtheil Sey auch, welches es ſey, ſo faͤllt das ſchwereſte dennoch
Auf mich ſelber, wenn ſich die Fuͤlle der Zeiten genahet.
Denn ſo hab ichs gelobt vor deinem heiligen Antlitz,
Und, indem michs noch itzo nicht reut, erlaubeſt du billig,80
80 Daß ich ihr Urtheil, das mich auch betrifft, mit Milderung lindre: Aber ich will die Gerechtigkeit ſo mit der Gnade verbinden,
Daß es offenbar werde, wie ſehr ſie befriediget worden,
Und du beſaͤnftiget ſeyſt. Jch habe keine Begleitung,
Kein Gefolge vonnoͤthen, weil niemand dieſes Gerichte85
80 Sehn ſoll, als die gerichteten Zwey; die Schlange, der dritte, Wird abweſend am beſten verdammt, indem ihn die Flucht ſchon
Ueberzeuget, und er ſich allen Geſetzen entzogen;
Ueberzeugung verdienet ſie nicht, die hoͤlliſche Schlange.
Alſo125Alſo ſprach er, und ſtand von ſeinem ſtralenden Stuhl auf,90
80 Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte. Jhn begleiten die himmliſchen Maͤchte, die dienenden Kraͤfte,
Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Ausſicht von Eden,
Und der Gegend umher, ſich ihm eroͤffnete. Ploͤtzlich
Eilt er hinab; die Schnelle der Goͤtter berechnet die Zeit nicht,95
80 Wenn ſie ſich auch mit den fluͤchtigſten ſchnellſten Minuten befluͤgelt Und ſchon ſank die Sonne zu ihrer weſtlichen Neige
Tief vom Mittag herab, und zu der gewoͤhnlichen Stunde
Machten liſpelnde Luͤfte ſich aufc)Dieſe ſchoͤne Beſchreibung gruͤndet ſich auf 1 B. Moſ. III, 8. Und ſie hör - ten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten gieng, da der Tag kühle worden war. Und Adam ver - ſteckte ſich mit ſeinem Weibe vor demAngeſichte Gottes des Herrn, unter die Bäume im Garten.
c), die Erde zu faͤcheln, Und aus Weſten herzu die Kuͤhlung des Abends zu fuͤhren:100
81 Als er mit kuͤhlerm Gemuͤth, der milde Richter und Mittler, Unter den Baͤumen ſich naht, den ſchuldigen Menſchen zu richten.
Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem ſie im Garten
Wandelte; durch ſanftwehende Winde gelangte ſie itzo,
Da ſich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren. 105
81Zitternd hoͤrten ſie ſie, und ſuchten vor ſeiner Erſcheinung Sich zu verbergen unter der Huͤlle der dickeſten Baͤume,
Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott naͤher hinzutrat,
Und mit vernehmlicher Stimm’d)Und Gott der Herr rief Adam, und ſprach zu ihm: Wo biſt du? 1 B. Moſ. III, 9.
d) auf Adam rufte: Wo biſt du, Adam? Du wareſt gewohnt, ſchon in der Ferne mein Kommen110
82 Voller Freude zu ſehn, und mir entgegen zu eilen. Q 3Jch126 Jch vermiſſe dich hier, und bin ſehr uͤbel zufrieden,
Daß ich ſo einſam mich ſeh. Wie ſehr bezeigteſt du ehmals
Deine Pflicht mir von ſelbſt. Komm’ ich itzt weniger herrlich?
Oder welche Veraͤndrung entfernt dich aus meinem Geſichte? 115
82Was fuͤr ein Zufall haͤlt dich zuruͤck? Komm naͤher, o Adam!. Er kam naͤher, und Eva mit ihm, mit langſamem Schritte,
Ob ſie vorher gleich die erſte geweſen, die Suͤnde begangen.
Beyde waren entſtellt, und verſtoͤrt; in ihrem Geſichte
Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander,120
82 Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh, Und des Zornes, der Hartnaͤckigkeit, der Falſchheit, des Haſſes;
Bis nach aͤngſtlichem Stammeln dieß Adam kuͤrzlich erwiedert:
Deine Stimme vernahm ich im Gartene)1 B. Moſ. III, 10. Und er ſprach: Jch hörete deine Stimme im Garten, und furchte mich, denn ich bin nacket, darum verſteckte ich mich.
e), und bebte vor Schrecken, Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gnaͤdige Richter125
83 Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals Haſt du nicht meine Stimme gehoͤrt, ſie niemals gefuͤrchtet,
Sondern dich druͤber erfreut; wie iſt ſie dir itzo ſo furchtbar?
Daß du nackt biſt, wer ſagte dir dasf)1 B. Moſ. III, 11. Und er ſprach: Wer hat dirs geſagt, daß du nacket biſt? Haſt du nicht geſſen von dem Baume, davon ich dir ge - both, du ſollteſt nicht davon eſſen?
f)? Wie? Haſt du vom Baume Etwan gegeſſen, den mein Befehl ſo ſehr dir verbothen.
130Mit belaſtetem Herzen gab Adam ihm alſo zur Antwort:
Himmel! wie ſeh ich heute mich nicht unſchluͤßig, verlegen,Hier127
Hier vor meinen Richter geſtellt! Jch ſeh mich gezwungen,
Ganz entweder auf mich ein ſolches Verbrechen zu nehmen;
Oder ich muß mein anderes Selbſt, die theure Gehuͤlfinn135
84 Meines Lebens, verklagen! Sollt’ ich, indem ſie mir treu iſt, Dieſes Vergehn nicht lieber verhehlen, und Tadel und Schande
So ihr erſparen? Doch harte Noth, und trauriger Zwang treibt
Mich hiezu, damit nicht zugleich die Suͤnd’ und die Strafe
Mich, ſo unertraͤglich ſie ſind, allein nur beſchweren. 140
84Wollt’ ich auch ſchweigen, ſo wuͤrdeſt du doch gar bald es entdecken, Was ich vor dir verhehlt. Dieß Weib, Herr, das du gemacht haſt,
Mir zur Huͤlfe, das du, als deine vollkommenſte Gabe,
Mir geſchenket, ſie, die mir ſo gut, ſo wuͤnſchenswerth vorkam,
Und ſo voͤllig gemacht fuͤr mich, ſo goͤttlich mir duͤnkte,145
84 Daß ich nimmer was Boͤſes von ihren Haͤnden vermuthet, Deren Thun, ſo wie es auch war, durch Anmuth doch recht ſchien,
Dieſe — ſie gab mir vom Baum; ich habe mit ihr gegeſſeng)1 B. Moſ. III, 12. Da ſprach Adam, das Weib, das du mir zuge -ſellet haſt, gab mir von dem Bau - me; und ich aß.
g). Die erhabenſte Gegenwart Gottes gab alſo zur Antwort:
War ſie denn etwan dein Gott, daß du, vor meinen Gebothen,150
85 Jhr gehorchteſt? gab ich ſie dir zum Fuͤhrer, zum Obern? Oder erſchuf ich ſie dir nur gleich, daß du ihr die Mannheit
Hingabſt, und die Stelle vergaßeſt, in welche dein Schoͤpfer
Dich weit uͤber ſie ſetzte, indem er aus dir ſie erſchaffen,
Und fuͤr dich ſie gemacht, und deine Wuͤrde, vor ihrer,Weit128155
85Weit vollkommener war? Sie zierten Schoͤnheit und Anmuth, Daß ſie deine Liebe gewoͤnne; doch ſollte ſie dadurch
Dich nicht beherrſchen! Die Gaben, die ſie ſo liebenswerth machten,
Waren von keiner anderen Art; ſie ſollten nicht herrſchen,
Sondern von dir, von ihrem Haupte, beherrſchet werden;160
85 Dieſes war deine Pflicht, wofern du ſelber dich kannteſt. Als er dieſes geſagt, ſprach er mit kurzem zu Eva:
Sage mir, Weib, was haſt du gethanh)Da ſprach Gott der Herr zum Weide: Warum haſt du das gethan? Das Weib ſprach: die Schlange be -trog mich alſo, daß ich aß. 1 B. Moſ. III, 13.
h)? Die traurige Eva, Faſt hinſinkend vor Schaam, bekannte ſogleich ihr Verbrechen,
Nicht geſchwaͤtzig, noch frech, vor ihrem Richter. Betroffen165
86 Sprach ſie: Die Schlange betrog mich mit Liſt, ich aß von dem Baume. Als Gott dieſes gehoͤrt, ſchritt er ohn’ Anſtand zum Urtheil
Ueber die angeklagte Schlange, die ohne Vernunft zwar
Nicht die Schuld von ſich ſelbſt auf jenen zu werfen vermochte,
Der ſie zum Werkzeug von Ungluͤck gemacht, und ihre Beſtimmung170
86 Jn der Schoͤpfung befleckt; doch ward ſie billig verfluchet, Da ſie nun in der Natur geſchaͤndet worden. Dem Menſchen, (Denn er ſahe nicht weiter,) war mehr zu wiſſen nicht noͤthig,
Und es haͤtt’ auch die Schuld von ihm nicht verringert; doch wandte
Gott das Urtheil zuletzt auch auf den Satan, den Erſten175
86 Jn der Suͤnde, jedoch mit heiligdunkelen Worten,Wie129 Wie es ihm fuͤr die itzige Zeit am beſten zu ſeyn ſchien,
Und goß ſeinen goͤttlichen Fluch ſo uͤber die Schlange.
Weil du dieſes gethan, ſollſt du, o Schlange, verflucht ſeyni)1 B. Moſ. III, 14. Da ſprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du ſolches gethan haſt, ſeyſt du verflucht vor allem Vieh, und vor allen Thieren auf dem Felde. Auf deinem Bauch ſollſt du gehen, und Erde eſſen dein Lebelang. Und ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen dir und dem Weibe, und zwiſchen deinem Saamen und ihrem Saamen, derſelbe ſoll dir den Kopf zertreten, und du wirſt ihn in die Ferſen ſte - chen. Wir ſetzen mit Fleiß dieſe Schrift - ſtellen ganz ausgeſchrieben hin, damit ſie der Leſer ohne Muͤhe vergleichen, und wahrnehmen kann, wie genau Milton zwar die meiſte Zeit bey den Worten ge - blieben; mit wie vieler Kunſt er aber auch Umſtaͤnde und Reden hinzugedichtet, wenn es die Abſicht ſeiner Materie erforderte. Z.
i) Vor jedwedem Thiere des Feldes! auf deinem Bauche180
87 Sollſt du kriechen; und Staub ſollſt du dein Lebelang eſſen. Feindſchaft will ich zwiſchen dir ſetzen, und zwiſchen dem Weibe,
Zwiſchen deinem und ihrem Saamen; den Kopf wird ihr Saamen
Dir zerquetſchen, und du wirſt in die Ferſen ihn ſtechen.
So ſprach dieſes Orakelk)Man ſieht hier offenbar, daß Mil - ton, als er dieſe Stelle ſchrieb, der Mey -nung war, das Paradies waͤre vornehm - lich bey unſers Heilandes Auferſtehung wieder gewonnen worden. Dieſes wuͤr - de ein reicher und erhabener Stoff zu ei - nem zweyten Gedichte geweſen ſeyn. Die Wunder, die man dann zu beſchreiben gehabt haͤtte, wuͤrden ſelbſt eines gemei - nen Poeten Geiſt erhoͤht haben, und ich bedaure ſehr, daß Milton anſtatt deſſen, lieber die Verſuchung in der Wüſte gewaͤhlt hat, einen trocknen, unfrucht - baren, und allzueingeſchraͤnkten Boden, um ein Epiſches Gedicht darauf zu er - bauen. Bentley. Jeder deutſche Leſer wird ſich bey die - ſer Gelegenheit freuen, daß eine ſo erha - bene wuͤrdige Materie zu einem Epiſchen Gedichte in die Haͤnde des Dichters der Meßiade gefallen iſt. So ein groß Ge - nie Milton auch immer geweſen iſt, und ob man ihn gleich als den Schoͤpfer der heiligen Poeſie anſehn muß, ſo zweifleich
k), das in Erfuͤllung gegangen,185
88 Da, als Jeſus, der Sohn der Maria, der zweyten Eva,Satan,II. Theil. R130Satan, den Fuͤrſten der Luft, gleich einem Blitze, vom Himmel Fallen geſehn; und da er hernach, als Sieger, vom Grabe
Sich heraufſchwang; den Maͤchten und Fuͤrſtenthuͤmern den Raub nahm;
Sie im offnen Triumph zur Schau getragen; und endlich190
88 Auffuhr voll Pracht; die Gefangenſchaft ſelbſt gefangen gefuͤhret, Und das Koͤnigreich Satans, das er ſo lange mit Unrecht
Jnnen gehabt. Jhn ſelber wird er, der Sieger der Hoͤllen,
Unter unſere Fuͤße zertreten, Er, welcher ihm itzo
Seine kuͤnftge Zerquetſchung vorher verkuͤndiget hatte,195
88 Und nunmehr auch uͤber das Weib ſein Urtheil ſo anhub. Deine Schmerzen will ich, wenn du nun ſchwanger geworden,
Sehr vermehren; du ſollſt mit Schmerzen dir Kinder gebaͤhren.
Und dein Wille wird ſich dem Willen des Mannes in Zukunft
Gaͤnzlich unterthan ſehn, und er ſoll uͤber dich herrſchen.
200Endlich wandt’ er ſich auch mit dieſem Urtheil an Adam:
Weil du der Stimme des Weibes gehorcht, und vom Baume gegeſſen,
Den ich ſo ſehr dir verboth: ſo ſey der Acker in Zukunft
Deinetwegen verflucht! Du ſollſt, ſo lange du lebeſt,
Dich von ihm mit Kuͤmmerniß naͤhren; und Dornen und Diſteln205
88 Wird er dir tragen; du ſollſt vom Kraute des Feldes dich naͤhren. Eſſen ſollſt du dein Brod mit Schweiß im Angeſicht, bis du
Wieder zur Erde geworden. Erinnre dich deiner Erſchaffung;
Denn du biſt Erde; zur Erde ſollſt du zuruͤckekehren.
Alſok)ich doch, ob er das wiedergewonnene Paradies beſſer ausgefuͤhrt haben wuͤr -de, als der Poet, der Deutſchland ſo viel Ehre macht. Z. 131Alſo richtete Gott, der Richter und Mittler der Menſchen;210
89 Doch verſchob er den Streich des ihnen gedroheten Todes Noch auf ferne Zeiten hinaus. Mitleiden ergriff ihn,
Da er ſo nackend ſie ſah, und nichts vor der Luft ſie beſchirmte,
Der nach dem Falle nunmehr die groͤßte Veraͤndrung bevorſtand.
Damals hielt er es ſchon nicht fuͤr die Gottheit zu niedrig,215
89 Sich zur Knechtesgeſtalt herunter zu laſſen, wie nachher, Da er den Juͤngern die Fuͤße gewaſchen. Er kleidet auch itzol)1 B. Moſ. III, 21. Und Gott der Herr machte Adam und ſeinem Weibe Röcke von Fellen, und zog ſie ihnen an. Unſer Dichter verſteht dieß buchſtaͤblich, ob es gleich genug iſt, daß es durch die goͤttliche Vorſehung und ihre Anleitung geſchehen. Einige Aus -leger quaͤlen indeß ſich und den Text mit der Frage, wie Adam und Eva zu Thier - fellen gekommen? Und deswegen ſetzt Mil - ton verſchiedene Meynungen der Ausle - ger hin, um ſeine Beleſenheit in denſel - ben zu zeigen. N.
l), Wie ein Vater, der Nackenden Bloͤße mit Fellen von Thieren,
Die er vielleicht erwuͤrgt, vielleicht die genommene Haut auch
Jhnen, ſo wie der Schlange, mit einer neuen erſetzet. 220
90Er bedachte ſich nicht, ſelbſt ſeine Feinde zu kleiden, Und nicht nur die aͤußere Bloͤße mit Fellen von Thieren;
Sondern die innre ſogar, fuͤr ſie noch ſchimpflicher, deckt er
Mit der Gerechtigkeit Rocke vor ſeines Vaters Geſichte.
Zu ihm fuhr er wieder hinauf mit ploͤtzlicher Auffahrt,225
90 Jn den ſeeligen Schooß, und nahm den vorigen Thron ein. Er erzaͤhlte dem Vater, wiewohl ihm alles bekannt iſt,
Was mit den Menſchen ergangen; und in die gnaͤdigen Reden
Miſcht’ er liebreich, als Mittler der Menſchen, verſoͤhnende Bitten.
R 2Mittler -132Mittlerweile, noch ehe man ſo auf Erden geſuͤndigt,230
90 Und das Urtheil ergangen: ſaß an den Thoren der Hoͤlle Suͤnd’ und Todm)Die Sünde und der Tod kom - men hier wieder von neuem auf den Schau - platz. Jch berufe mich wegen dieſer alle - goriſchen Weſen auf meine Anmerkung zum zweyten Geſange Seite 77. zweyte Edition. Milton hat dieſer Bruͤcke ſchonim zweyten Geſange erwaͤhnt, und die Meynung derjenigen ſcheint gegruͤndet zu ſeyn, welche behaupten, daß dieſe zu fruͤh geſchehene Erwaͤhnung Urſaͤche ſey, daß uns dieſer Bruͤckenbau nunmehr weniger in Verwunderung ſetzt. Z.
m), und hatten einander am Jnnern der Pforte Jm Geſicht. Weit offen ſtand itzt die Pforte des Abgrunds,
Und ſpie wilde verzehrende Flammen hinaus in das Chaos,
Seitdem Satan, nachdem ihm die Suͤnde die Riegel eroͤffnet,235
91 Unerſchrocken hindurchgegangen; ſie ſagte zum Tode .. Warum ſitzen wir hier, o Sohn, ſo muͤßig, und ſchauen
Fruchtlos einander ſo an, da unſer erhabener Vater, Satan, andere Welten durchirrt, und muthig bemuͤht iſt,
Eine beſſere Wohnung uns, ſeinen Geliebten, zu ſuchen? 240
91Ohne Zweifel bekroͤnet ihn ſchon ein gluͤcklicher Ausgang! Waͤr er nicht gluͤcklich, ſo waͤr’ er ſchon laͤngſt zuruͤckegekehret;
Seine Verfolger haͤtten ihn laͤngſt mit feurigem Grimme
Wieder heruntergejagt, indem fuͤr ſeine Beſtrafung,
Oder fuͤr ihre Rache kein Ort ſo bequem iſt, als dieſer. 245
91Neue Kraͤfte fuͤhl ich in mir, ſo duͤnkt mich, ſich regen, Und mir ſcheints, als wuͤchſen mir Fluͤgel, und wuͤrde das Reich mir
Jenſeits dieſer Tiefe gegeben, was immer es ſeyn mag,
Was ſo maͤchtig mich zieht, ein angebohrnes Vermoͤgen,
Oder ein ſympathetiſcher Zug, der wirkſam genug iſt,Dinge133250
91Dinge von aͤhnlicher Art auch in der groͤßten Entfernung Durch verborgne Kanaͤle mit Banden geheimer Verwandſchaft
Zu verbinden. Doch du, mein unzertrennlicher Schatten,
Mußt mir folgen, denn keine Macht kann jemals uns ſcheiden
Aber damit die Schwierigkeit nicht zuruͤcke zu kehren,255
91 Satan den Ruͤckweg vielleicht durch dieſen nimmerbetretnen Unwegſamen Abgrund verhindre: ſo laß es uns wagen,
Ein verwaͤgenes Werk, doch deiner und meiner Staͤrke
Voͤllig gemaͤß, zu verſuchen. Laß einen Weg uns errichten
Ueber dieſe gewaltige Kluft; vom hoͤlliſchen Abgrund,260
91 Bis zur neuerfundenen Welt, wo Satan itzt herrſchet. Uns wird dieſes ein Denkmaal ſeyn von hohem Verdienſte
Bey dem geſammten hoͤlliſchen Heer; es wird die Gemeinſchaft
Mit der Hoͤll und der Welt, und ihre Wandrung von hinnen,
So wie etwan das Schickſal ſie fuͤhrt, gewißlich erleichtern. 265
91Jch kann nicht des Weges verfehlen, ſo maͤchtig empfind’ ich Dieſen gewaltgen Jnſtinkt, der zu dem Werke mich fortzieht.
Jhr gab alſobald drauf der magere Schatten zur Antwort:
Geh, wohin dein Geſchick, und deine maͤchtige Neigung,
Dich hinfuͤhren! Lange will ich nicht hinter dir zaudern,270
91 Noch des Weges verfehlen, wenn du mich fuͤhreſt; ſo ſtark iſt Schon von ferne der Leichengeruch. Unzaͤhlige Beute
Wartet auf mich; ich ſchmecke bereits von allem Lebendgen
Auf der Erde den Todesgeſchmack; auch ſoll dir mein BeyſtandR 3Zu134
Zu dem Werke, das du zu unternehmen gedenkeſt,275
91 Nicht entſtehn; ich werde dabey wetteifernd dir helfen. Alſo ſprach er, und zog den Geruch der Todesveraͤndrung
Auf der Erde mit Luſt in ſich. Als wenn ſich ein Haufen
Fleiſchgefraͤßiger Voͤgel, obgleich viel Meilen entfernet,
Gegen den Tag der Schlacht zu weiten Ebenen ziehet,280
91 Wo ſich verſammelte Heere gelagert; es lockt der Geruch ſie Lebender Leichen, die ſchon in einem blutgen Gefechte
Auf den folgenden Tag dem nahen Tode beſtimmt ſind:
Alſo ſchnupfet das hagre Geſpenſt; ſo reckt es die Naſe
Jn die verpeſtete Luft empor, und in ſolcher Entfernung285
91 Merkt es bereits den kuͤnftigen Raub. Drauf flogen ſie beyde Zu den Thoren der Hoͤlle hinaus, und kamen ins wuͤſte
Wilde anarchiſche Reich des finſtern rauchenden Chaos,
Auf verſchiedenen Seiten. Mit ihren vereinigten Kraͤften, (Und ſie war ſehr groß die Gewalt, durch die ſie es thaten,)290
91 Schwebten ſie uͤber der Fluth, und trieben das, was ſie da fanden, Dickes und ſchlammichtes, welches hier auf - und niedergeruͤhrt ward,
Wie in einer ſtuͤrmiſchen See, von jeglicher Seite
Muͤhſam zuſammengehaͤuft, hin nach dem Schlunde der Hoͤlle.
Als wenn auf der Kroniſchen See zwey wuͤthende Winde295
91 Von den Polen her ſtuͤrmen, und Eisgebirge verſammeln, Welche den eingebildeten Weg verſtopfen, der oſtwaͤrts
Ueber Petſora vorbey zu den Kuͤſten des reichen Cathain)Petſora iſt die nordoͤſtlichſte Pro - vinz von Moskau, und Cathai iſt eineGegend von Aſien und dem nordlichen China. N.
n)Fuͤhren135 Fuͤhren ſollte. Der Tod mit ſeiner verſteinernden Keule,
Einem Dreyzacke gleich, ſchmiß den verſammelten Boden300
92 Trocken und kalt, und macht ihn ſo feſt, wie Delos, das ehmals Jn dem Meere geſchwommen, das weichere machte ſein Anblick
Unbeweglich, gorgoniſchhart. Sie befeſtigten beyde
Drauf mit asphaltiſchem Pech den aufgeſammelten Boden,
Gleich mit der Breite der Pforte, tief an den Wurzeln der Hoͤlle. 305
92Und ſo leiteten ſie queer uͤber die ſchaͤumende Tiefe Dieſen unermeßlichen Damm, der hochgewoͤlbt fortlief.
Eine gewaltige Bruͤcke von einer entſetzlichen Laͤnge,
Welche den Wall erreichte von dieſer, itzt unumzaͤunten,
Nun dem Tode verfallenen Welt. Von ihren Bezirken310
92 Fuͤhrt ein breiter gemaͤchlicher Paß zur Hoͤlle hinunter. So gieng, wenn man erhabene Dinge mit kleinen vergleichet,
Xerxes aus Suͤſa, von ſeinem beruͤhmten Memnoniſchen Pallaſt
An die Geſtade des Meers, und ſah die Freyheit der Griechen
Unter dem Joche bereits; er bruͤckte den ſeltenen Weg ſich315
92 Ueber den Helleſpont; ſchloß an die Ufer Europens Aſia an, und peitſchte voll Stolz mit ſtaͤupenden Ruthen
Die unwillige Fluth. Sie hatten das ſeltſame Werk nun,
Einen Ruͤcken von hangenden Felſen, mit kuͤnſtlichem Baue
Ueber den tobenden Abgrund gefuͤhrt; indem ſie dem Fußſchlag320
92 Satans gefolgt; und kamen nunmehr zu eben dem Orte, Wo er zuerſt die Fluͤgel geſenkt; das Chaos verlaſſen,
Und an dieſer nackenden Seite des Weltgebaͤudes
Angelaudet. Mit Klammern und Ketten vom ſtaͤrkeſten DemantMachten136
Machten ſie alles hier feſt; zu feſt nur, zu dauerhaft ward es. 325
92Uns zum Ungluͤck gemacht. Jn kurzem gelangten ſie ſicher Zu den ſtralenden Graͤnzen des empyreiſchen Himmels,
Und zu den Graͤnzen der Welt; ſie hatten die Hoͤlle zur Linken
Eine geraume Strecke von ſich entfernet gelaſſen.
Drey verſchiedene Wege zu drey verſchiedenen Plaͤtzen330
92 Zeigten ſich hier. Sie hatten den Weg zur Erden entdecket, Welcher gerade nach Eden zu fuͤhrt: als Satan ſich zeigte
Jn der falſchen Geſtalt von einem glaͤnzenden Engel.
Zwiſchen dem hellen Centaur und zwiſchen dem Skorpione
Steurt er hinaufwaͤrts zu ſeinem Zenith, da itzo die Sonne335
92 Aufgieng in dem Geſtirne des Widders. Zwar kam er verkleidet, Aber er ward gar bald von dieſen geliebteſten Kindern
Als ihr Vater erkannt, ſo ſehr er von außen verſtellt war.
Da er Even verfuͤhrt, war er, von keinem bemerket,
Zu dem naͤheſten Walde geſchlichen, und hatte, damit er340
92 Ganz den Ausgang erfuͤhre, den Leib der Schlange verlaſſen. Seine ſchuldige That ward, ohne daß Eva es wußte,
Auch auf ihren Ehmann gebracht; er ſah, wie vergebens
Sie die beſchwerliche Schaam ſich zu verhuͤllen beſtrebten.
Aber als itzt des Ewigen Sohn vom Himmel herabkam,345
92 Ueber die Menſchen das Urtheil zu faͤllen, da nahm er erſchrocken Vor ihm die Flucht. Zwar konnt’ er nicht hoffen, ihm ganz zu entfliehen,
Aber doch wollt’ er fuͤr dieſesmal nur ſein Angeſicht meiden,
Um dem erſten raͤchenden Zorne dadurch zu entgehen,
Den ſein Verbrechen ihn fuͤrchten ließ. Doch da dieſes vorbey war,Kam137350
92Kam er bey Nachtzeit wieder zuruͤck, und behorchte verſtohlen Das ungluͤckliche Paar in ihren traurigen Reden,
Und in ihren mancherley Klagen. Er ſetzte daraus ſich
Sein ihm gedrohetes Urtheil zuſammen, und da er verſtanden,
Daß es im Augenblick nicht, und erſt nach kuͤnftigen Zeiten355
92 Jhn erwarte, da gieng er erfreut zur Hoͤlle zuruͤcke, Mit der froͤhlichen Zeitung beſchwert. Am Rande des Chaos,
Dicht am Fuße der neuen und wundernswuͤrdigen Bruͤcke,
Sah er auf einmal erſtaunt, und wider alles Vermuthen,
Seine wertheſten Kinder, die ihm entgegen gekommen. 360
92Jhre Freude war groß, da ſie ſich alſo vereint ſahn; Und noch hoͤher ſtieg ſie bey ihm, indem er den ſeltnen
Und erſtaunlichen Bruͤckenbau ſah. Jn ſtiller Verwundrung
Stand er lange Zeit in ſich gekehrt, bis endlich die Suͤnde,
Seine ſchoͤne bezaubernde Tochter, ihn ſchmeichelnd ſo anredt.
365Dieß ſind deine herrlichen Thaten und hohen Trophaͤen,
Ob du, o Vater, ſie gleich nicht als dein eigen betrachteſt!
Du biſt ihr Stifter, ihr erſter Bauherr! Jch fuͤhlte ſobald nicht
Jn dem Herzen die Ahndung, in dieſem Herzen, das immer
Durch den geheimſten harmoniſchen Zug dem deinigen gleich denkt —370
92 Kaum errieth ich, daß es dir auf der Erde gegluͤcket, Welches dein Auge mir deutlich nun ſagt, ſo fuͤhlt’ ich in mir auch,
Obgleich Welten zwiſchen uns lagen — ſo fuͤhlt’ ich den Trieb doch,
Daß ich mit dieſem geliebteſten Sohne dir folgen muͤßte.
So hat das Verhaͤngniß uns drey miteinander verbunden! II. Theil. SLaͤnger138375
92Laͤnger konnt’ uns die Hoͤll’ in ihren Graͤnzen nicht halten, Laͤnger nicht dieſer unwegſame Schlund den Anſchlag uns hindern,
Deinen ruͤhmlichen Schritten in andere Welten zu folgen.
Du haſt es zu Stande gebracht, uns Freyheit ertheilet,
Da wir bisher am innern Thore der Hoͤlle geſeſſen;380
92 Du haſt uns die Staͤrke verliehn, die erſtaunliche Bruͤcke Ueber den dunkeln Abgrund zu legen. Dein iſt nun, o Vater,
Dieſe ganze geraume Welt! Das, was du nicht bauteſt,
Haſt du gewonnen durch Kuͤhnheit und Muth; du haſt das mit Wucher
Wieder durch Weisheit erſiegt, was wir im Kriege verlohren,385
92 Und die ungluͤckliche Schlacht im Himmel vollkommen erſetzet! Hier, hier biſt du Monarch, hier wirſt du in Sicherheit herrſchen;
Dorten herrſchteſt du nicht! Laß ihn, den allmaͤchtigen Sieger,
Dort nur immer regieren, wie unſer verlohrenes Treffen
Jhn berechtigt; von hier, von dieſen eroberten Welten390
92 Muß er ſich ſelber, ob ungern gleich, entfernen, indem ſie Durch ſein eigen Gericht nunmehr an Fremde gefallen.
Kuͤnftig muß er mit dir die Herrſchaft theilen; denn alles
Scheiden die empyreiſchen Graͤnzen; ſein Viereck des Himmelso)Unſer Dichter ſagt im zweyten Ge - ſange, es ſey nicht beſtimmt, ob der em - pyraͤiſche Himmel viereckige oder rund ſey, und ſo konnte es dem Satan in der damaligen Entfernung vorkommen. Hieraber folgt der Poet dem Gaſſendi und an - deren, die das Empyreum von gevierter Figur angeben, weil die heilige Stadt in der Offenbarung Johannis ſo beſchrieben wird. N.
o), Hier von deiner gegruͤndeten Welt; ſonſt muß er befuͤrchten,395
93 Seinem Thron dich gefaͤhrlicher itzt als jemals zu ſehen. Jhr139Jhr erwiedert der Finſterniß Fuͤrſt mit froͤhlichem Auge:
Schoͤne Tochter, und du, zugleich mein Sohn, und mein Enkel,
Durch welch einen erhabnen Beweis bewaͤhret ihr itzo,
Daß ihr von Satan entſproſſen! (Denn ich bin ſtolz auf den Namen400
93 Eines Gegners von ihm, dem allmaͤchtigen Koͤnig des Himmels.) Welch ein Verdienſt erwerbet ihr euch um mich, um der Hoͤlle
Saͤmmtliches Reich, indem ihr ſo nah an den Thoren des Himmels
Auf Trophaͤen Trophaͤen gehaͤuft, die meinigen, durch euch,
Hier auf dieſem ſiegprangenden Werke, womit ihr die Hoͤlle,405
93 Und die Welt zu Einem Reiche, zu Einem Gebiethe, Welches die allerbequemſte Gemeinſchaft verknuͤpfet, gemacht habt.
Da ich alſo nunmehr auf eurer Straße gemaͤchlich
Wieder hinab durch die Finſterniß geh, zu meinen getreuen
Hoffenden Maͤchten, damit ich ihnen von meinem Erfolge410
93 Nachricht bringen, und mich mit ihnen daruͤber erfreun kann: So ſteigt ihr indeſſen auf dieſem Wege hernieder
Zwiſchen dieſen unzaͤhligen Kugeln, die alle zuſammen
Euer ſind, und ſenkt euch hinab in Edens Bezirke.
Wohnet allda, und herrſchet begluͤckt, und breitet von dannen415
93 Eure Herrſchaft uͤber die Luft und uͤber die Erde, Und beſonders uͤber den Menſchen, den Herren von allem,
Wie ihn ſein Schoͤpfer genannt; ihn macht am erſten zum Sklaven,
Und dann toͤdtet ihn. Jch ſend euch, als meine Geſandten,
Und Statthalter auf Erden, von unuͤberwindlicher Staͤrke,420
93 Welche von mir nur entſpringt. Von euren vereinigten Kraͤften Haͤngt die Dauer allein von dieſem neuen erworbnenS 2Koͤnig -140
Koͤnigreich ab, das meine That der Suͤnde geweiht hat,
Und durch die Suͤnde dem Tode. Wenn eure verbundenen Kraͤfte
Hier vorwalten: ſo darf gewiß die Hoͤlle nicht fuͤrchten,425
93 Das geringſte durch euch zu verlieren. Geht hin, und ſeyd tapfer. Alſo ſprach er, und ſchied ſich von ihnen. Sie nahmen in Eil nun
Durch den dichteſten Schwarm der um ſie leuchtenden Sterne
Jhren Lauf, und ſtreuten um ſich ihr toͤdtendes Gift aus.
Vor Entſetzen erblaßten, von ihrem Hauche beruͤhret,430
93 Die Geſtirne; die hohen Planeten erlitten, getroffen, Jtzund eine wahre Verfinſtrung. Jndeſſen gieng Satan
Auf dem anderen Wege hinab zu den Pforten der Hoͤlle.
Das geſpaltene Chaos, von dieſer Bruͤcke belaſtet,
Bruͤllt’ auf beyden Seiten, und ſchlug mit tobenden Wellen435
93 An den befeſtigten Damm, der ſeine Beſtuͤrmung verhoͤhnet. Satan gieng die Pforte hindurch; er fand ſie weit offen, Unbewacht, und ſah alles umher verlaſſen und oͤde.
Die bisher ſie verwahrt, und an dem Thore geſeſſen,
Waren zur oberen Welt entflohn; die uͤbrigen alle440
93 Hatten ſich tief ins innere Land zuruͤckegezogen Um des Pandaͤmoniums Mauren, des glaͤnzenden Sitzes Lucifers, denn ſo nennte man ihn in ſtolzer Vergleichung,
Wie man mit dieſem leuchtenden Stern ihn im Himmel verglichen
Kriegriſche Schaaren hielten hier Wacht, indeſſen die Großen445
93 Tief im Rathe verſammelt ſaßen, voll druͤckenden Kummers, Ob nicht ihrem verſandten Kayſer ein Ungluͤck begegnet;Denn141
Denn ſo hatt’ er es ihnen bey ſeinem Abſchied befohlen,
Und ſie gehorchten ſeinem Befehl. Wie wenn ſich der Tartar
Eilig vor ſeinem Rußiſchen Feinde bey Aſtrakans Mauren450
93 Ueber beſchneyte Gefilde begiebt; und wie im Entfliehen Vor den Hoͤrnern des Tuͤrkiſchen Monds der Sophi von Baktra
Alles hinter dem Reiche von Aladule verwuͤſtet,
Und nach Tauris oder Casbin erſchrocken zuruͤckweicht:
Alſo ließ dieß kuͤrzlich vom Himmel gefallene Kriegsheer455
93 Weit umher die aͤußerſte Hoͤlle viel finſtere Meilen Oede verlaſſen und leer, und zog ſich herum um die Hauptſtadt
Mit ſorgfaͤltiger Wacht, indem ſie mit jeglicher Stunde
Jhren verwegenen Fuͤhrer von neuer Welten Entdeckung
Wieder erwarten. Er gieng itzt mitten, von keinem bemerket,460
93 Durch ſie hin, in eines Kriegers vom unterſten Range Angenommnen Geſtalt, doch ward er unter dem Thore
Dieſes plutonſchen Pallaſtes ſogleich unſichtbar, und ſtieg ſo
Auf den erhabenen Thron, der an dem oberen Ende
Unter dem ſchimmernden Staat von einem praͤchtigen Himmel465
93 Koͤniglich ſtand. Er ſetzte hier eine Weile ſich nieder, Und ſah ungeſehn rund um ſich her. Sein blinkendes Haupt brach
Endlich als wie aus Wolken hervor, und ſeine Geſtalt ward
Sternenhell, oder noch heller, mit allem dem Glanze gekleidet,
Welcher nach ſeinem ſchrecklichen Fall ihm uͤbrig geblieben,470
93 Oder den er ſich auch mit falſchem Schimmer erſetzet. Voller Erſtaunen bey einem ſo ſchnellen und herrlichen Glanze
Wandte die Stygiſche Schaar die Augen dahin, und erblickte,S 3Was142
Was ſie ſo lange gewuͤnſcht, ihr Oberhaupt wieder zuruͤcke.
Laut ertoͤnte das Jauchzen umher; die Großen des Staates475
93 Die hier im Rathe verſammelt geſeſſen, erhuben in Eile Sich von ihrem finſteren Divan, und traten gluͤckwuͤnſchend
Alle mit gleichen Freuden zu ihm. Jtzt winkt er vom Throne
Mit der Hand; ſie ſchwiegen aufmerkſam, indem er ſo anhub.
Thronen, Fuͤrſten, Tugenden, Kraͤfte! So nenn ich euch itzo,480
93 So erklaͤr ich euch nun, nicht nur kraft ſtreitiger Rechte, Sondern als ſolche, die ſchon im vollen Beſitze ſich ſehen.
Gluͤcklicher, als ich jemals gehofft, in meiner Geſandtſchaft,
Bin ich zuruͤckegekommen, aus dieſer verhaßten, verfluchten,
Hoͤlliſchen Grube, dem Hauſe des Jammers, dem finſteren Kerker485
93 Unſers Tyrannen, im hohen Triumph heraus euch zu fuͤhren. Nehmt nun eine geraume Welt, von unſerm Geburthsort,
Unſerem Himmel, nur wenig verſchieden, als wahre Beherrſcher
Jn den Beſitz! Jch habe ſie euch nach manchem Verſuche,
Und nach manchen Gefahren erobert; es wuͤrde zu lang ſeyn,490
93 Alles zu ſagen, das, was ich gethan, und was ich erlitten; Mit wie vieler Beſchwerlichkeit ich die finſtere, wuͤſte,
Und unweſentliche und ungemeſſene Tiefe
Dieſer groͤßten Verwirrung durchreiſt, woruͤber die Suͤnde,
Und der Tod, um euren Weg bequemer zu machen,495
93 Eine breite Bruͤcke gepflaſtert. Jch aber, ich mußte Einen entſetzlichen Weg mich durcharbeiten, gezwungen,
Auf dem rebelliſchen Abgrund zu fahren, indem ich verſenkt warJn143
Jn dem Schooße der ewigen Nacht, und des tobenden Chaos,
Welche fuͤr ihre Geheimniſſe ſtreitend der ſeltſamen Reiſe500
93 Neidiſch entgegen ſich ſtellten, und ſich mit Geſchrey und mit Aufruhr Auf das obre Verhaͤngniß berufenp)Dieß ſcheint mit der Erzaͤhlung im zweyten Geſange nicht uͤbereinzuſtimmen, denn Satan |am zwar mit vieler Muͤh und Arbeit durch das Chaos, wir leſen aber nicht, daß ſich ihm das Chaos mit ſeinenMaͤchten widerſetzt habe. Doch Satan erhebt hier ſeine eignen Thaten, und viel - leicht wollte der Poet den Vater der Lü - gen eben nicht ſo genau bey der Wahr - heit bleiben laſſen. N.
p); und wie ich hernachmals Jene neuerſchaffene Welt, von der das Gerichte
Lange vorher im Himmel geredt, entdecket; ein großes,
Wundervolles, vollkommnes Gebaͤude, und drinnen den Menſchen505
94 Jn dem herrlichſten Garten, im herrlichſten Paradieſe, Welcher durch unſre Verbannung vom Himmel ſo gluͤcklich geworden.
Jhn, ihn hab’ ich verfuͤhrt! von ſeinem gefuͤrchteten Schoͤpfer
Mit Betrug ihn verfuͤhrt, und zwar, woruͤber ihr billig
Euch verwundern werdet, mit einem Apfel. Er fand ſich,510
94 Welches euer Gelaͤchter verdient, hieruͤber beleidigt, Gab gleich ſeinen geliebteſten Menſchen, und mit ihm auch ſeine
Ganze Welt auf, und ließ ſie der Suͤnd’ und dem Tode zum Raube;
Folglich ohne beſondere Muͤh, Gefahren, und Arbeit,
Uns auch; denn wir koͤnnen darinn nun handeln und wohnen,515
94 Und den Menſchen beherrſchen, der, waͤr er durch mich nicht gefallen, Gleichfalls alles beherrſchet haͤtte. Zwar muß ich geſtehen,
Mich auch hat der Allmaͤchtge mit dunkeln Worten gerichtet,
Oder beſſer zu ſagen, die unvernuͤnftige Schlange,
Unter deren Geſtalt ich ſeine Menſchen betrogen. Was144520
94Was in dieſem Urtheil mich trifft, iſt Feindſchaft; die will er Zwiſchen mir ſetzen, und zwiſchen dem Menſchen; ich werde, ſo hieß es,
Jn die Ferſen ihn ſtechen; mir wird dagegen ſein Saame,
Wenn, das iſt nicht beſtimmt, den Kopf zerquetſchen. Wer wird denn
Eine Welt nicht gern mit einer Quetſchung gewinnen,525
94 Oder mit noch viel heftigern Schmerzen? Jhr habt den Bericht nun Meiner vollendeten That. Was bleibt, ihr Goͤtter, noch uͤbrig,
Als von hinnen zu ziehn in dieſe gluͤcklichen Welten.
Als er dieſes geſagt, ſaß er noch etwas, erwartend,
Daß ein froͤhliches Jauchzen, und ein gluͤckwuͤnſchender Zuruf,530
94 Rund um ihn her ſein Ohr mit Beyfall ſaͤttigen ſollte. Aber von allen Seiten vernahm er dagegen ein ſchrecklich
Allgemeines Geziſch von tauſend unzaͤhligen Zungen,
Das Getoͤne vom lauteſten Spott. Er wundert ſich druͤber,
Aber nicht lang; er mußte ſich itzt mit groͤßtem Erſtaunen535
94 Ueber ſich ſelber verwundern; denn alſobald fuͤhlt er ſein Antlitz Spitzig und ſchmal zuſammengeſchrumpft; es klebten die Arme
Feſt an die Ribben; es flochten die Schenkel ſich in einander,
Bis er endlich darniedergezogen, vom Thron in den Staub ſtuͤrzt,
Eine ſcheusliche Schlange, die auf dem Bauche gekruͤmmt lag. 540
94Widerſpenſtig ſtraͤubt er ſich zwar; doch vergebens! Jhn ſchleppt itzt Eine hoͤhere Macht, und ſtraft ihn zu ſeiner Verdammniß
Jn der Geſtalt, in der er geſuͤndigt. Er wollte nun reden,
Aber er hoͤrte Geziſch auf Geziſch; geſpaltene Zungen
Ziſchten auf andre geſpaltene Zungen; denn alle zuſammenWaren145545
94Waren nunmehr in Schlangen verwandeltq)Ein franzoͤſiſcher Journaliſt hat unſern Dichter wegen dieſer Verrwand - lung der Teufel in Schlangen getadelt, und dieſe Verwandlung fuͤr kindiſch aus - geben wollen. Nach meinem Urtheile aber iſt ſie eine von den gluͤcklichſten Er - findungen im ganzen Gedichte. Denn da Satan unter der Geſtalt einer Schlange die erſten Menſchen betrogen, ſo haͤtteder Dichter zu ſeiner und der Teufel Ver - wandlung nicht leicht etwas ausſinnen koͤnnen, das ſich beſſer dazu geſchickt haͤt - te. Er giebt indeß mit vieler Kunſt auch in dieſer Verwandlung dem Satan einen Vorzug, indem er ihn zu einem großen Drachen werden laͤßt, der uͤber alle die andern hervorragt. Z.
q), als Mitverbrecher Seiner verwegenen That. Das Geraͤuſch des Geziſches im Saale
War entſetzlich; es wimmelte drinnen von Ungeheuern,
Welche mit Kopf und Schwanz ſich in einander verwickelt. Skorpionen ſah man, und Aſpis, und Amphisbaͤnen,550
95 Und den gehoͤrnten Ceraſt, und Hydern; die ſchreckliche Dipſas, Und die Ellops, fruchtbar und wild. So wimmelte vormals
Nicht der mit Gorgoniſchem Blute beſudelte Boden,
Noch die Ophiuſa im Meer. Doch Satan blieb immer
Unter ihnen der groͤßte; zu einem ſcheuslichen Drachen555
95 Wuchs er bereits, viel ſcheuslicher noch und groͤßer, als jener, Welchen im Pythiſchen Thal die Sonn’ aus Schlamme gezeuget,
Der entſetzliche Python. Es ſchien auch, daß er ſein Anſehn
Ueber die andern alle behalten; ſie folgten gehorſam
Jhm ins offene Feld; da ſtanden die uͤbrigen Schaaren560
95 Dieſer vom Himmel gefallnen rebelliſchen Rotte, gewaffnet Noch in Ordnung, und warteten hier mit großem Verlangen,
Jhr erhabenes Haupt in hohem Triumphe zu ſehen.
Aber ſie ſahn ein andres Geſicht, verſchlungene HaufenVonII. Theil. T146
Von abſcheulichen Schlangen. Ein kaltes Grauen ergriff ſie,565
95 Und ein ſympathetiſcher Schauder; indem ſie es fuͤhlten, Daß ſie itzt ſelber in das, was ſie mit Grauſen erblickten,
Gleichfalls verwandelt wurden. Aus ihren bebenden Haͤnden
Fielen die Waffen zu Boden; ſie fielen ſelber zu Boden,
Und das wilde Geziſch ward wieder erneuert; auf alle570
95 Pflanzet die neue Geſtalt ſich gleich der Peſt fort; ſie wurden Jn der Strafe ſich gleich, ſo wie in ihrem Verbrechen.
Alſo ward der jauchzende Zuruf, worauf ſie ſich freuten,
Zum Geziſche voll Spott, und ihr verhoffter Triumphton
Ward in Schande verkehrt, die ſie mit eigenen Zungen575
95 Ueber ſich ſelber ergoſſen. Nicht fern von dieſen Gefilden Stand ein Wald, der zugleich mit dieſer ihrer Verwandlung
Aus der Erde geſtiegen; ſo war es der Wille des Hoͤchſten,
Jhre Strafe dadurch zu vermehren. Mit herrlichen Fruͤchten
War er beladen, nicht ungleich der Frucht in Edens Gefilden,580
95 Die der Verſucher gebraucht, indem er Even verfuͤhrte. Gierig hefteten ſie nach dieſer ſo fremden Erſcheinung
Jhren Blick hin, und glaubten ſtatt eines verbothenen Baumes
Ganze Mengen von ihnen zu ſehn, die itzo entſtanden,
Jhre Schmerzen dadurch und ihre Schande zu mehren. 585
95Aber ein brennender Durſt, und eben ſo wuͤthender Hunger, Griff ſo heftig ſie an, daß ſie, ſo ſehr ſie es wußten,
Hier nur zum Spotte zu ſeyn, ſich nicht zu zwingen vermochten,
Von den Fruͤchten zu koſten; ſie wanden in wimmelnden Haufen
Sich herzu, und klommen hinauf zu den reizenden Baͤumen,Wo147590
95Wo ſie haͤufiger ſaßen, als jene Locken von Schlangen, Die ſich ums Haupt der Megaͤra gekrauſt. Sie pfluͤcketen geizig
Von der verfuͤhrenden Frucht, ſo ſchoͤn fuͤr die Augen, wie jene,
Die am harzichten Ufer, wo Sodom flammte, gewachſenr)Joſephus erzaͤhlt von dieſen Aepfeln on Sodom, daß ganze Baͤume davon beladen waͤren, und daß ſie bey der erſtenBeruͤhrung in Aſche und Staub zerfie - len. Hume.
r). Dieſe betrog noch mehr; ſie taͤuſchte nicht bloß das Gefuͤhl nur,595
96 Sondern ſogar den Geſchmack; ſie dachten mit koͤſtlicher Speiſe Jhren Hunger zu ſtillen, allein ſie kaͤuten nur Aſche,
Statt der betruͤglichen Frucht; es ſpie ſie die Kehle voll Ekel
Wiederum von ſich; doch zwang ſie Durſt und Hunger von neuem
Anzubeißen, und eben ſo oft blieb ihnen vor Abſcheu600
96 Dieſe verfuͤhrende Frucht im Muͤnde ſtecken; ſie kruͤmmten Voller Verdruß die Backen, die Ruß und Kohlen erfuͤllten.
Alſo taͤuſchte derſelbe Betrug ſie oͤfters, nicht einmal,
Wie den Menſchen, der einmal nur fiel, und deſſen Verbrechen
Sie mit ſolchem Triumphe verhoͤhnt; ſie wurden mit Hunger,605
96 Und mit einem langen verhaßten Geziſche geplaget, Bis das Schickſal ihnen vergoͤnnte, die vorige Bildung
Wiederum an ſich zu nehmen. Sie muͤſſen, wie einige ſagen,
Dieſer ſchimpflichen Strafe ſich jaͤhrlich verſchiedene Tage
Unterwerfen, damit ihr Stolz, und die Freude voll Bosheit610
96 Ueber den Fall des betrogenen Menſchen vermindert werde. Dennoch ſtreuten ſie unter den Heyden in ſpaͤteren Zeiten
Ein Geruͤcht aus, wie ſehr dieß Unternehmen gegluͤcket,T 2Und148
Und wie im Anfang die Schlange, von ihnen Ophion genennets)Milton nahm dieſe Fabel aus dem Apollon. Rhod. I. 503. Prometheus ſagt beym Aeſchylus V 956. Zween Goͤtter haben die Herrſchaft vor dem Jupiter ge -fuͤhrt; wobey der Scholiaſt anmerkt: zuerſt hat Ophion und Eurynome regiert; hernach Saturnus und Rhea, und nach dieſen Jupiter un[d]Juno. Jortin.
s), Mit der Eurynome, welches vielleicht auf Even zu deuten,615
97 Auf dem hohen Olympus geherrſcht, und wie ſie von dannen Von dem Saturn und der Ops vertrieben worden, noch ehe Jupiter in der Diktaͤiſchen Hoͤle gebohren geweſen.
Unterdeß kam das hoͤlliſche Paar in Edens Gefilde
Nur zu bald. Die Suͤnde, die ihrer geheimen Gewalt nach620
97 Schon vorher darinnen geweſen, kam itzund im Koͤrper, Als ein eingeſeßner Bewohner in Eden zu wohnen,
Wirklich dahin. Jhr folgt auf dem Fuße der Tod, der itzo
Noch ſein fahles Roß nicht beſtiegen; ihm ſagte die Suͤnde ..
Alles beſiegender Tod, du zweyter von Satans Geſchlechte,625
97 Sprich, was duͤnket dich nun von dieſem unſeren Reiche, Ob wir es gleich mit ſchwerer Muͤh und Gefahren erobert.
Jſt es nicht beſſer allhier, als an dem finſteren Thore
Jenes Abgrunds zu ſitzen, und unablaͤßig zu wachen,
Unberuͤhmt, ungefuͤrchtet, du halb vor Hunger verzehret.
630Jhr antwortete bald das ſuͤndengebohrene Scheuſal:
Mir, den ewiger Hunger zernagt, kann alles gleich viel ſeyn,
Hoͤlle, Himmel, und Paradies; da bin ich am beſten,Wo149
Wo ich den meiſten Raub, um mich zu ſaͤttigen, finde!
Hier iſt zwar ein ziemlicher Schatz von kuͤnftigen Leichen;635
97 Aber doch ſcheint er zu klein, um dieſen Rachen zu ſtopfen, Dieſen ſchlaffen hangenden Wanſt, der nimmer gefuͤllt wird.
Jhm erwiedert hierauf die ſchnoͤde blutſchaͤndriſche Mutter:
Fuͤttere denn dich zuerſt mit dieſen Fruͤchten und Blumen,
Dann mit dieſen Thieren, mit dieſen Fiſchen, und Voͤgeln,640
97 Keinen veraͤchtlichen Biſſen, und ſchling unſparſam hinunter, Was nur immer die Senſe der Zeit verſchwendriſch dir abmaͤht.
Jch inzwiſchen, ich will im Menſchen und ſeinem Geſchlechte
Wohnen, und ſeine Gedanken, und ſeine Reden und Blicke,
Seine Handlungen alle beflecken, und ſo ihn, verderbet,645
97 Dir zu deinem letzten und ſuͤßeſten Raube bereiten. Als ſie dieſes geſagt, begab ſich vom hoͤlliſchen Paare
Jedes auf ſeinen beſonderen Weg, mit dem giftigen Vorſatz,
Alles auf Erden zu zerſtoͤren, und alle Geſchlechter
Aller Dinge nicht laͤnger unſterblich zu laſſen, und fruͤher650
97 Oder auch ſpaͤter ſie alle dem letzten Verderben zu weihen. Als der Allmaͤchtige dieß von ſeinem ſtralenden Thron ſah,
Welchen itzt ringsumher der Heiligen Schaaren umfloſſen:
Wandt er alſo ſein Wort zu dieſen glaͤnzenden Orden.
Seht! wie dieſe hoͤlliſchen Hunde ſo hitzig herannahn,655
97 Jene herrliche Welt zu pluͤndern, und zu verwuͤſten,T 3Die150 Die ich ſo ſchoͤn, ſo gluͤcklich erſchuf, und die ich auf ewig
So erhalten haͤtte, wofern die Thorheit des Menſchen
Dieſen verwuͤſtenden Furien nicht den Eingang eroͤffnet.
Dieſe deuten es mir zu unvergeblicher Thorheit,660
97 So wie auch der hoͤlliſche Fuͤrſt, und ſeine Gefaͤhrten, Daß ich ihnen ſo leicht, und mit ſo weniger Muͤhe
Einen ſo himmliſchen Platz in Beſitz zu nehmen verſtatte.
Spoͤttiſch lachen ſie druͤber, daß ich aus ſtraͤflicher Nachſicht
Meinen hoͤhniſchen Feinden ſo viel erlaubet, als ob ich665
97 Jhnen im Anfall meines Affekts dieß alles gelaſſen, Und zum Verderben es ihnen aus Uebereilung gegeben.
Doch ſie wiſſen es nicht, daß ich hieher ſie berufen,
Und herzu ſie gejagt, als meine Hunde der Hoͤlle,
Dieſen Geifer und Schlamm, den die befleckende Suͤnde670
97 Von dem Menſchengeſchlecht auf alles, was rein war, ergoſſen, Aufzulecken, bis daß ſie ſich ganz mit Leichen und Aeſern
Vollgefuͤllt haben, und du mit einem einzigen Wurfe
Deines ſiegenden Arms, Sohn meines Buſens, ſie endlich
Durch die Tiefen des Chaos ſchleuderſt; ſie beyde, die Suͤnde,675
97 Und den Tod; und das offene Grab, damit ſie der Hoͤllen Raubbegierigen Schlund dadurch auf ewig verſtopfen
Und verſiegeln. Dann ſoll die Erde, dann ſollen die Himmel
Wieder geheiliget werden, zu einer nie wieder befleckten
Reinigkeit. Doch bis dahin geht uͤber ſie beyde mein Fluch noch.
Hier151680Hier beſchloß er. Jhm ſang die Verſammlung der Himmliſchen lautes
Hallelujah! So wie das Getoͤſe von Meeren, ſo toͤnt es
Durch die laute Menge, die ſang. Allmaͤchtger, gerecht ſind
Deine Wege; gerecht iſt, was du uͤber die Schoͤpfung
Ewiger Vater, beſchließeſt; wer kann dich verkleinern? — Sie ſangen685
97 Auch dem Sohn, dem beſtimmten Erloͤſer des Menſchengeſchlechtes, Welcher einſt Himmel und Erde, verneut, den kuͤnftigen Altern
Von dem Himmel hernieder bringt. So ſangen die Choͤre.
Mittlerweile〈…〉〈…〉 te der Schoͤpfer mit ihren Namen
Seine maͤchtig[en]Engel, und gab, ſo wie es der Zuſtand690
97 Dieſer nunmehr eraͤnderten Welt nothwendig verlangte, Jedem ſein Amt. Es ward zuerſt der Sonne befohlen,
So zu laufen, und ſo zu ſcheinen, damit auf der Erde
Schneidende Kaͤlt’ entſtuͤnde, wie kaum zu ertragende Hitze;
Unter dem Nordpol hervor den keuchenden Winter zu rufen,695
97 Und vom heißeſten Sud den alles verſengenden Sommer, Welcher unter der Linie brennt. Sie gaben dem hellen
Silbernen Monde ſein Amt; und wieſen den uͤbrigen fuͤnfen
Jhre Planetenbewegung, und ihre verſchiednen Aſpekten,
Jm geſechſten, gevierten, und dreyfachen Scheinet)Wenn ein unnoͤthiges Prangen mit Gelehrſamkeit einer von unſers Poeten Fehlern iſt, ſo wird dieſer hier noch un - vergeblicher, da er ſolche fanatiſchen, un -philoſophiſchen Begriffe, woraus dieſes aſtrologiſche Geſchwaͤtz hier beſteht, nicht bloß anfuͤhrt, ſondern ihm ſo viel Anſehn ertheilt. Thyer.
t); nicht minder700
98 Jn dem ſchaͤdlichen Gegengeſetzten, und wenn ſie unguͤnſtig Sich in ſchlimmer Synode verſammeln Sie lehrten die Sterne
Jhren giftigen Einfluß herab auf die Erde zu ſchuͤtten;Welcher152
Welcher die Sonne von ihnen im Aufgang begleiten, und welcher
Mit ihr untergehn, oder den Sturm verkuͤndigen ſollte. 705
98Auch beſtimmten ſie jeglichem Winde die Ecken der Erde, Wenn ſie mit Brauſen von da See, Luft, und Ufer verwirren;
Oder der bruͤllende Donner mit langen ſchrecklichen Schlaͤgen
Durch das dunkle Gewoͤlbe der Luft rollt. Einige ſagen,
Daß er ſeinen Engeln befohlen, die Pole der Erde710
98 Zweymal zehn, und mehrere Grade mit ſchiefer Bewegung Von der Achſe der Sonne zu drehn. Die centriſche Kugel
Wandten ſie muͤhſam darauf in die Queere. Noch andere meynen,
Daß er der Sonne befahl, die Zuͤgel des flammenden Wagens
Jn gleichmaͤßiger Breite von jenem Pfade zu leiten,715
98 Welcher die Tag’ und Naͤchte gleicht; zum Geſtirne des Stieres Mit den ſieben Atlantiſchen Schweſtern, den Toͤchtern des Atlas,
Und zum funkelnden Zwillingsgeſtirne von Sparta, bis auf waͤrts
Zu dem Tropiſchen Krebs; dann durch den Loͤwen hernieder,
Und die Jungfrau, die Waage, bis zu dem Steinbock hinunter;720
98 Um der Jahreszeiten Veraͤndrung in jeglichem Clima Zu befoͤrdern; ſonſt haͤtte der Lenz mit duftenden Blumen
Ewig der Erde gelaͤchelt; und waͤren die Tage den Naͤchten
Gleich geblieben, nur nicht den Bewohnern der Laͤnder der Pole.
Dieſen haͤtte der Tag beſtaͤndig am Himmel geſchienen,725
98 Weil die niedere Sonne, ſie wegen ihrer Entfernung Schadlos zu halten, beſtaͤndig rund um den erhellten Geſichtskreis,
Jmmer ſichtbar, gelaufen waͤre; ſie haͤtten dann weder
Oſten noch Weſten gekannt; dieß haͤtte die hohen GebirgeVon153
Von dem gefrohrnen Eſtothiland, und die ſuͤdlichen Laͤnder730
98 Hinter der Magellaniſchen Straße vor Kaͤlte geſichert. Nach dem Eſſen der Frucht wandt von dem verordneten Laufe
Sich die Sonne zuruͤck, wie bey dem Gaſtmahl Thyeſtens.
Denn wie haͤtte ſonſt anders die Welt, wofern auch die Suͤnde
Nicht ſie befleckt, und wofern ſie auch unbewohnet geblieben,735
98 Leichter, als itzt, der ſengenden Kaͤlte, der brennenden Hitze, Auszuweichen vermocht. Die große Veraͤndrung am Himmel
Zog auf dem Meere ſowohl, als auf dem verſchiedenen Lande,
Ob zwar langſam und ſtill, doch gleiche Veraͤnderung nach ſich.
Jn der Luft entzuͤndeten ſich die ſchießenden Duͤnſte;740
98 Dampf und Nebel ſtieg auf; und ſchwuͤle, dicke, verfaulte, Peſtilenziſche Daͤmpfe. Nun brechen von Norumbega
Und vom Samojediſchen Ufer, aus ihrem gefrohrnen
Ehernen Kerker, mit Eiſe bewaffnet, im praſſelnden Hagel,
Und mit Schnee und ſtuͤrmiſchen Guͤſſen, und Schloßen und Regen,745
98 Boreas ſich, und Caͤcias los; und mit lautem Gebruͤlle Thraſcias und Argeſt; ſie zerreißen die Waͤlder, und ruͤhren Heulend den Ocean auf. Von Suͤden, ihnen entgegen,
Stuͤrmen Notus und Afrikus, ſchwarz von Sena Liona,
Mit lautdonnernden Wolken; die oſt - und weſtlichen Winde750
98 Rauſchen mit wildem Geraͤuſch zu beyden Seiten darunter; Eurus und Zephir mit ihnen Sirocco, Libechio, pfeifend Ueber die ſtuͤrmiſche Fluthu)Jn dieſem weitlaͤuftigen Verzeichniſſe der Winde iſt ein unnoͤthiges Ge -praͤnge
u). Dieß war der Anfang des KriegesUnterII. Theil. U154 Unter den lebloſen Dingen; doch unter den unvernuͤnftgen
Fuͤhrte die Zwietracht zuerſt, die Tochter der Suͤnde, den Tod ein. 755
99Jtzo kriegten Thiere mit Thieren, die Voͤgel mit Voͤgeln, Und die Fiſche mit andern Fiſchen. Sie alle verließen
Gras und Kraut, das ſonſt ſie genaͤhrt, und fraßen einander.
Wenig Ehrfurcht bezeigten ſie auch dem Menſchen; ſie flohn ihn,
Oder ſie blickten ihn ſeitwaͤrts an mit grimmigen Minen,760
99 Wenn er vorbey gieng. Dieß waren bereits die wachſenden Uebel, Die ſich von außen erhuben; ſie wurden von Adam bemerket,
Ob er vor Kummer ſich gleich im dickeſten Schatten verborgen.
Jn ſich ſelber empfand er indeß noch tieſeres Elend;
Und, in einer ſtuͤrmiſchen See von wilden Affekten765
99 Ganz verſchlungen, ergoß er ſich ſo in heftige Klagen. Weh mir Armen! Wie gluͤcklich war ich! Jſt dieſes das Ende
Dieſer neuen herrlichen Welt? mein eigenes Ende,
Der ich ſo kuͤrzlich erſt noch von dieſer herrlichen Erde
Alle Herrlichkeit war? Muß ich, ich vormals ſo gluͤcklich,770
99 Jtzo verflucht, mich vor dem Geſicht des Ewgen verbergen, Welches zu ſchauen, vorher mein hoͤchſtes reineſtes Gluͤck war?
Wohl! wofern ſich nur ſo mein Elend endigen wollte!
Jch verdien’ es zu ſehr, und williglich wollt’ ich ertragen;
Was ich ſelber verſchuldet! Doch alles dieß wird mir nichts helfen! 775
99Meine Speiſe, mein Trank, und was ich kuͤnftig erzeuge,Allesu)praͤnge von Gelehrſamkeit, und ein ſelt - ſames Gemiſch von alten und neuen, la -teiniſchen und italieniſchen Namen un - tereinander. N.
u)155 Alles iſt fortgepflanzter Fluch. O Stimme, die ehmals
Mir zu ſolchem Entzuͤcken erſcholl: ſeyd fruchtbar, und mehrt euch!
Jtzt zu hoͤren, ein Tod! Denn was, was kann ich vermehren.
Was erzeugen, als Fluch auf mein Haupt? Wer wird nicht in allen780
100 Kuͤnftigen Altern mir fluchen, der nun das Elend empfindet, Welches ich auf ihn gebracht? Daß unſern gefallenen Vater
Alles Ungluͤck treffe! das haben wir Adam zu danken!
Welch ein entſetzlicher Dank; nur Fluch! So ſtuͤrzet auf mich denn
Außer dem Uebel, das ſelbſt mich erwartet, mit ſtuͤrmiſchem Ruͤckfluß785
100 Alles wieder zuruͤck, was von mir Boͤſes entſprungen; Faͤllt auf mich, als ſeinen natuͤrlichen Mittelpunkt niederx)Die große Beleſenheit, die Milton in allen Arten von Schriftſtellern beſaß, hat ihn verfuͤhrt, auch in dieſer ſonſt ſo vortrefflichen Rede Adams manchmal aus dem Charakter dieſes unſers erſten Stammvaters herauszufallen, und ihn aiel gelehrter reden zu laſſen, als es ſichfuͤr ihn, und hauptſaͤchlich fuͤr ſeinen itzigen betruͤbten Zuſtand ſchickte. Ein Beyſpiel hievon iſt dieſe Stelle, ſo wie hernach das Wortſpiel von der Ribbe Vers 946. Es bleiben aber allezeit Feh - ler, die nur ein großes Genie begehn konnte. Z.
x), Schwer mich druͤckend, obgleich dieß ſein gehoͤriger Platz iſt.
O vergaͤngliche Freuden des Paradieſes! zu theuer,
Allzutheuer erkauft, mit ewigdaurenden Schmerzen! 790
101Fleht’ ich, Schoͤpfer, dich an, aus meinem niedrigen Staube Mich zum Menſchen zu machen? und hab ich dich etwan gebethen,
Aus der Vergeſſenheit Nacht hervor mich zu ziehen, und hier mich
Jn den gluͤcklichen Garten, in dieſes Eden, zu ſetzen?
Da mein Wille mit nichts zu meinem Weſen geholfen:795
101 O ſo waͤr es auch billig und recht, mich wieder von neuem Zu dem vorigen Staube zu machen! Jch bin es zufrieden,U 2Alles,156
Alles, was ich empfieng, dir wieder zuruͤcke zu geben,
Da ich vermoͤgend nicht bin, die harten Bedingungen alle
Zu erfuͤllen, auf die mir allein das Gute geſchenkt ward,800
101 Welches ich nimmer geſucht. Wie haſt du zu deſſen Verluſte, Strafe fuͤr mich ſchon genug, noch die Empfindung der Schmerzen,
Endloſer Schmerzen gefuͤgt! O deine Gerechtigkeit ſcheint mir
Unerklaͤrlich! Jedoch, ich muß es geſtehen, ich zanke
Mit dir itzo zu ſpaͤt. Die Bedingungen, wie ſie auch waren,805
101 Haͤtt ich damals ſogleich, da ſie mir vorgelegt wurden, Standhaft verwerfen ſollen. Jedoch du haſt ſie erwaͤhlet!
Willſt du das Gute genießen, und dann der Bedingungen wegen
Mit ihm ſtreiten? Geſetzt, auch ohne daß du ihn batheſt,
Haͤtte dein Gott dich gemacht: wuͤrdſt du wohl dieſes ertragen,810
101 Wenn dein eigener Sohn dir ungehorſam geworden, Und, wenn du ihn beſtrafteſt, ſich ſo entſchuldigen wollte:
Warum zeugteſt du mich? hab’ ich dich darum gebethen?
Wuͤrdeſt du dieſe ſtolze Vertheidgung von ſeinem Vergehen
Billigen? Und doch war es nicht Wahl, durch die du ihn zeugteſt,815
101 Sondern allein der Natur nothwendige Folge. Dich aber Schuf mit freyem Willen dein Gott. Er ſchuf dich ſein eigen,
Schuf vom Seinigen dich, damit du ihm dienteſt! Aus Gnaden
Gab er dir deine Belohnung. Demnach ſteht eben ſo billig
Deine Strafe bey ihm. Wohlan! ich muß mich ergeben! 820
101Denn ſein Urtheil, daß ich, als Staub, auch wieder zu Staube Werden ſoll, iſt gerecht. O mir willkommene Strafe,
Wenn du auch koͤmmſt! Doch warum verzoͤgert er, was er gedrohet,Noch157
Noch an dieſem ſchrecklichen Tag’ an mir zu erfuͤllen?
Weshalb muß ich laͤnger noch leben? was ſpottet man meiner825
101 Mit dem Tode? warum werd’ ich zu Quaalen verſparet, Die nie ſterben? Wie freudig wollt’ ich der Sterblichkeit Looſe,
Meinem Urtheil, entgegen gehn, und fuͤhlloſer Staub ſeyn!
Wie zufrieden wollt’ ich in den Staub, als wie in dem Schooße
Meiner Mutter mich niederlegen! Da wuͤrd ich in Frieden830
101 Liegen und ſchlafen; da wuͤrde nicht mehr ſein ſchrecklicher Ausſpruch Jn die Ohren mir donnern; nicht Furcht vor etwas noch aͤrgern,
Welches kuͤnftig mir noch und meinem Geſchlechte bevorſteht,
Wuͤrde mich mit grauſamen Erwartungen laͤnger noch quaͤlen!
Noch ein anderer Zweifel verfolgt mich indeſſen. Jch fuͤrchte,835
101 Gaͤnzlich koͤnn’ ich nicht ſterben! Jch fuͤrchte, der Athem des Lebens, Dieſer denkende Geiſt, den Gott mir einblies, er koͤnne
Nicht mit dem Staube zugleich, mit dieſem Koͤrper vergehen!
Dann wuͤrd ich im Grabe, vielleicht in einem noch aͤrgern
Schrecklichen Orte, wer weiß, welch eines lebendigen Todes840
101 Sterben! — O ſchwarzer Gedanke, wofern es ſich alſo verhielte! Aber ſollt’ es ſo ſeyn? Es war nur der Athem des Lebens,
Welcher geſuͤndigt? Was kann denn ſterben, als dieſes, was lebet,
Und geſuͤndiget hat? Der Leib kann keines von beyden;
Alſo ſterb ich auch ganz! Dieß ende den ſchrecklichen Zweifel,845
101 Da die Gedanken des Menſchen nicht weiter zu reichen vermoͤgen. Zwar der Schoͤpfer der Welt, er iſt unendlich; doch iſt es
Darum ſein Zorn? Er ſey es indeß, ſo iſt es der Menſch nicht,
Sondern er wurde zu ſterben verdammt! Wie koͤnnt’ er unendlichU 3Seinen158
Seinen Zorn an dem Menſchen veruͤben, indem der ſo endlich850
101 Durch den Tod iſt? kann er den Tod untoͤdtlich machen? Welch ein Widerſpruch waͤre dieß nicht! er iſt bey dem Schoͤpfer
Selbſt nicht moͤglich, da dieſes nicht Macht, nein, Schwachheit nur zeigte.
Koͤnnt’ er, um ſeine Rache zu ſtillen, der Endlichkeit Graͤnzen
Jn dem geſtraften Menſchen bis zur Unendlichkeit dehnen,855
101 Um ſo ſeiner Strenge Genuͤge zu leiſten, die dennoch Nimmer befriediget wird: ſo wuͤrd’ er ſein ſchreckliches Urtheil
Dadurch uͤber den Staub, und uͤber alle Geſetze
Dieſer Natur hinaus erſtrecken, nach welchen Geſetzen
Alles doch in der Natur nach ſeiner Eigenſchaft wirket,860
101 Und nicht uͤber die Graͤnzen der eigenen Sphaͤre hinausgeht. Aber geſetzt, es waͤre der Tod, ſo wie ich vermuthet,
Nicht ein einziger Schlag, der mich der Empfindung beraubte;
Sondern ein unaufhoͤrliches Elend vom heutigen Tag’ an,
Das ich in mir und außer mir ſchon zu maͤchtig nur fuͤhle,865
101 Und dieß Elend daurete ſo auf ewig? O weh mir! Dieſe Furcht ſchlaͤgt donnernd aufs neu mit ſchrecklichem Ruͤckfall
Auf mein ſchuldiges Haupt, das alles Schutzes beraubt iſt!
Jch, und der Tod, ſind ewig vereint! ſind beyde zuſammen
Unzertrennlich verknuͤpft in einem einzigen Koͤrper;870
101 Und nicht ich nur allein, mit mir mein ganzes Geſchlechte Jſt ihm geweiht, und verflucht! O welch ein herrliches Erbtheil
Laß ich euch alſo zuruͤck, ihr meine Soͤhne! Vermoͤcht’ ich
Dieſes Erbtheil allein zu verſchwenden, und nichts von demſelben
Euch zu laſſen: wie wuͤrdet ihr mich zufrieden nicht ſegnen,So159875
101So enterbt, indem ihr mir itzt mit Vitterkeit fluchet! Ach! muß denn das ganze Geſchlecht unſchuldiger Menſchen
Eines einzigen Schuldigen wegen verurtheilet werden,
Wenn es anders unſchuldig iſt? Doch kann denn von mir wohl
Etwas anders entſtehn, als was nicht voͤllig verderbt iſt,880
101 Was an Seel’ und Willen nicht nur verderbt iſt; nein, was auch Eben daſſelbe thut, und eben daſſelbe mit dir will?
Koͤnnen ſie ſo denn verkehrt vorm Angeſicht Gottes beſtehen?
Nein, ich werde gezwungen, nach allem dieſen Gezaͤnke,
Frey ihn zu ſprechen; umſonſt ſind meine Vertheidgungen alle,885
101 Alles, was ich vernuͤnftle; durch labyrinthiſche Kruͤmmen Fuͤhren ſie endlich mich doch zum eignen Bekenntniß zuruͤcke,
Daß ich Unrecht gethan. Die Schuld von meinem Vergehen
Faͤllt auf mich zuerſt und zuletzt, auf mich nur alleine;
Und mit Recht, als auf die Quelle von allem Verderben! 890
101Moͤchte doch auch auf mich nur allein ſein Zorn ſich ergießen! Thoͤrichter Wunſch! vermoͤchteſt du wohl die Laſt zu ertragen,
Welche ſchwerer zu tragen, als dieſer Erdball; noch ſchwerer,
Als die ganze Welt, ob dieſe verderbliche Frau gleich
Mit dir ſie theilt? So raubet mit gleichem vergeblichen Troſte,895
101 Was du wuͤnſcheſt und fuͤrchteſt, dir alle Hoffnung zur Zuflucht, Und erklaͤrt dich fuͤr elend zuletzt, elender, als jemals
Jemand geweſen, und noch ſeyn wird; dem Satan allein nur
Gleich in ſeinem Verbrechen, und gleich in ſeiner Beſtrafung.
O Gewiſſen! in welchen Schlund von Schrecken und SorgenHaſt160900
101Haſt du hinab mich geſtuͤrzt! Aus allen dieſen Gedanken Jſt kein Ausgang, ich ſinke vielmehr vom Tiefen ins Tiefre.
Adam jammerte ſo laut mit ſich ſelber in Klagen
Durch die einſame Nacht, die itzt nicht lieblich und milde,
Nicht geſund mehr war, wie vor dem Falle des Menſchen;905
101 Sondern fuͤrchterlich ſchwarz, mit ſchaͤdlichen Daͤmpfen erfuͤllet, Welche ſein erſchrocknes Gewiſſen mit doppeltem Schauder
Alles empfinden ließ. Hingeſtreckt lag er in trauriger Stellung
Auf dem Boden, dem kalten Boden, indem er verzweifelnd
Oftmals ſeine Schoͤpfung verflucht, und eben ſo oͤfters910
101 Selbſt den Tod anklagt, daß er zu lange verzoͤgre, Da er ihm doch auf den Tag der Uebertretung gedroht ſey.
Warum koͤmmt nicht der Tod, (ſo ſprach er,) und endet mein Leben
Mit dem mir dreymal willkommenen Schlage? Vergißt denn die Wahrheit
Jhre Drohung zu halten? will Gottes Gerechtigkeit zoͤgern? 915
101Jſt ſie nun nicht mehr gerecht? Jedoch auf alles mein Rufen Koͤmmt nicht der Tod; die Gerechtigkeit Gottes beſchleuniget auch nicht
Jhren traͤgeſten Schritt auf unſer Flehen und Klagen.
O ihr Waͤlder, und Quellen, ihr Huͤgel, ihr Thaͤler und Lauben!
Welch ein anderer Wiederhall klang ſo kuͤrzlich von euch noch920
101 Mir zuruͤck! wie ſchalltet ihr mir mit andern Geſaͤngen. Als ihn Eva ſo niedergeſchlagen, ſo troſtlos erblickte,
Trat ſie traurig vom Orte, wo ſie, in Kummer verſenket,
Sprachlos geſeſſen, naͤher zu ihm. Mit ſchmeichelnden WortenSucht161
Sucht ſie die ſtuͤrmiſche Wuth des empoͤrten Affektes zu lindern;925
101 Aber er wies ſie mit ernſtem Ton ſo von ſich zuruͤcke. Fort aus meinem Geſicht, du Schlange! denn dieſe Benennung
Schickt ſich am beſten fuͤr dich, indem du, mit ihr vereinet,
Eben ſo falſch, ſo haſſenswerth biſt! Es fehlet nichts weiter,
Als daß deine Geſtalt, und Schlangenfarbe, gleich ihrer,930
101 Alle Geſchoͤpfe vor dir und deiner inneren Tuͤcke Warnte, damit du ſie nicht durch deine zu himmliſche Bildung,
Welche die hoͤlliſche Falſchheit ſo ſehr verdunkelt, beſtrickteſt.
Ohne dich war ich gluͤcklich geblieben, wofern nicht dein Hochmuth
Und zugleich die eitle Begierde herumzuwandern,935
101 Da es am wenigſten ſicher war, die Warnung verworfen, Die ich dir gab; du zuͤrnteſt daruͤber, man traue zu wenig
Deinen Verdienſten; ganz voll vom Verlangen, geſehen zu werden,
Waͤr’ es vom Teufel auch ſelbſt; und voll vom vermeſſenen Wahne,
Jhn zu beſiegen; doch als darauf die Schlange dir aufſtieß,940
101 Wurdeſt du von ihr betrogen, bethoͤrt; durch ihre Verfuͤhrung Du von ihr; ich leider von dir! Jch ließ dich, zu ſicher,
Von der Seite hinweg; ich hielt dich fuͤr weiſe, fuͤr ſtandhaft;
Voͤllig reif, und wider alle gedrohte Verſuchung
Wohlverwahrt, und ſah es nicht ein, daß dieſes zuſammen945
101 Nur ein Blendwerk ſey, und keine wirkliche Tugend, Eine Ribbe bloß, krumm von Natur, wie itzo ſich zeiget,
Nach der ungluͤcklichen Seite geneigt; zwar von mir genommen,
Aber beſſer, haͤtte man ſie nur weggeworfen,II. Theil. XDa162
Da man nachher fuͤr mich ſo uͤberfluͤßig ſie anſahy)Einige Ausleger ſind der Meynung, Adam habe dreyzehn Ribben an der lin -ken Seite gehabt, und Gott habe aus der dreyzehnten die Eva gebildet. N.
y)! 950
102Warum hat der weiſeſte Schoͤpfer, indem er den Himmel Bloß mit maͤnnlichen Geiſtern erfuͤllt, zuletzt noch auf Erden
Dieſe Neurung erſchaffen, den ſchoͤnen verfuͤhrenden Fehler
Jn der Natur? und nicht ſogleich mit Maͤnnern die Erde,
Wie den Himmel mit Engeln, erfaͤllt, ohn’ alle Geſchoͤpfe955
102 Weiblicher Art? warum hat er nicht andere Mittel, Auf der Erde das Menſchengeſchlecht zu vermehren, erfunden?
Dieſes Ungluͤck haͤtte dann nicht mich Armen befallen,
Und noch groͤßeres, welches uns droht; unzaͤhliger Kummer
Auf der Erde, der durch die Verbindung mit dieſem Geſchlechte960
102 Und durch weibliche Liſt uns kuͤnftig verfolget. Entweder Wird er keine gehoͤrige Gattinn zu finden vermoͤgen,
Sondern nur eine, ſo wie ſie Verſehn und Ungluͤck ihm zufuͤhrt,
Oder die, ſo er am meiſten ſich wuͤnſcht, die wird er ſehr ſelten
Jhrer Verkehrtheit wegen erlangen; ein anderer wird ſie965
102 Vor ihm erlangen; und wenn ſie ihn liebt, ſo werden ſie Eltern Oder Verwandte verſagen; und die er am gluͤcklichſten jemals
Sich zu wuͤnſchen vermocht, die wird er zu ſpaͤte nur finden,
Wenn ſein Schickſal bereits mit einer widrigen Haͤlfte,
Die er verachtet und haßt, auf ewig zuſammengeknuͤpft iſt. 970
102Dieß wird unendlichen Jammer im menſchlichen Leben gebaͤhren, Und nur allzubetruͤbt den haͤuslichen Frieden zerſtoͤren.
Dieſes163Dieſes ſprach er, und ſchwieg, und kehrte ſich von ihr. Doch Eva
Ließ deswegen nicht ab; ſie warf ſich vielmehr ihm mit Thraͤnen,
Welche ſich unaufhoͤrlich ergoſſen, mit fliegenden Haaren,975
102 Voller Demuth zu Fuͤßen; umfaßt ſie, und bath um Verzeihung, Da ſie alſo vor ihm in traurigen Klagen erwiedert.
Adam, verlaß mich nicht ſo! Jch rufe den Himmel zum Zeugen,
Wie aufrichtig mein Herz, wie ſehr es voll Ehrfurcht dich liebet!
Ach! ich habe dich ja unwiſſend beleidigt; ungluͤcklich980
102 Ward ich verfuͤhrt! Jch falle dir hier mit Thraͤnen zu Fuße, O beraube mich doch nicht deiner guͤtigen Blicke,
Die mein Leben ſind, deines Raths, und deiner Erbarmung,
Meines einzigen Troſtes in dieſem aͤußerſten Ungluͤck!
Bin ich verlaſſen von dir, wo ſoll ich da hingehn, wo bleiben? 985
102Laß doch zwiſchen uns beyden ſo lange den Frieden noch herrſchen, Als wir noch leben, vielleicht nur eine fluͤchtige Stunde!
Wie uns einerley Ungluͤck vereint, ſo muͤſſe die Feindſchaft
Uns auch wieder jenen vereinen, den unſer Urtheil
Uns mit ausdruͤcklichen Worten zu unſerem Feinde beſtimmet. 990
102Haſſe nicht dieſes Ungluͤcks wegen mich allzuverlohrne, Mich Elendre, wie du! Wir haben beyde geſuͤndigt,
Du nur wider den Schoͤpfer allein; ich aber, ich Arme,
Wider den Schoͤpfer und dich! Jch will von neuem zum Orte
Des Gerichts hingehn; will da den Himmel ſo lange995
102 Mit lautrufenden Klagen beſtuͤrmen, bis alle Verdammniß, Alle gedrohete Strafe von deinem Haupte gewandt wird,X 2Und164
Und auf mich faͤllt, mich, die einzige Stifterinn alles
Dieſes Jammers, auf mich, die alle Rache verdienet.
Weinend endigte ſie, und blieb in der flehenden Stellung1000
102 Unbeweglich, bis ſie von ihm Vergebung erhieltez)Man lieſt in Miltons Leben, daß, nachdem ſeine erſte Frau ihn verlaſſen, er ſchon im Begriffe geweſen, ein anderes Franenzimmer zu heurathen. Unvermu - thet aber habe ſich ſeine Frau in dem Hauſe eines ſeiner Bekannten ihm zu Fuͤſ - ſen geworfen, und ihn um Verzeihungangefleht. Da dieſes unſtreitig einen auſſerordentlichen Eindruck auf ſeine Ein - bildungskraft gemacht haben muß, ſo glaubt man mit Recht, daß er in gegen - waͤrtiger Scene zwiſchen Adam und Eva deſto gluͤcklicher geweſen, da er ſeine ei - gene Begebenheit darinne geſchildert. Z.
z). Dieſes ihres geſtandnen ſo ſehr beweinten Vergehens. Adam wurde zum Mitleid geruͤhrt; bald neigte ſein Herze
Wieder verfoͤhnt ſich zu der, die noch ſo kuͤrzlich ſein Leben,
Und ſein einzigs Ergoͤtzen geweſen, und die itzt in Unruh,1005
103 Ganz von Demuth durchdrungen, zu ſeinen Fuͤßen gebeugt lag; Ein ſo ſchoͤnes Geſchoͤpf, das nun um Schutz und Verſoͤhnung,
Und um Huͤlfe dem flehte, den ſie beleidiget hatte.
Schnell entwaffnet, erſtarb ſein Zorn; ſein Auge ward ſanfter,
Und er richtet ſie auf mit dieſen verſoͤhnlichen Worten.
1010Unvorſichtig und allzugeſchwind begehreſt du itzo,
So wie zuvor, das, was du nicht kennſt, und wuͤnſcheſt die Strafe
Dir allein. Ach! trage zuerſt dein eigenes Antheil!
Wie ohnmaͤchtig waͤrſt du, die volle Rache des Ewgen
Zu ertragen, wovon du nur noch den kleineſten Theil fuͤhlſt,1115
103 Da du ſo wenig vermagſt mein Mißvergnuͤgen zu tragen? Waͤren der Allmacht erhabene Schluͤſſe durch Bitten zu aͤndern,O ſo165
O ſo wollt’ ich gewiß zu dieſem Orte, noch vor dir,
Mich begeben, und lauter rufen, um alſo die Strafe
Auf dieß Haupt alleine zu ziehn, und deinem verfuͤhrten,1020
103 Deinem ſchwaͤchern Geſchlecht, Verzeihung dadurch zu erbitten, Welches mir anvertraut ward, und von mir ſolchen Gefahren
Ausgeſetzt worden. Jedoch ſteh auf, und laß uns nicht laͤnger
Miteinander uns zanken, und eines das andre beſchuldgen.
Allzubeſchuldigt ſind wir an einem anderen Orte. 1025
103Laß uns vielmehr miteinander in Pflichten der Lieb uns beeifern, Und dadurch uns die Laſt von dieſem Jammer erleichtern.
Denn der gefuͤrchtete Tod, der uns auf heute gedroht ſchien,
Wird, ſeh anders ich recht, nicht augenblicklich erfolgen,
Sondern nur langſam ſchreitend ſich nahn, ein inneres Sterben1030
103 Eines langen Tags, um unſere Schmerzen zu mehren, Und ſie auf unſeren Stamm, (o des ungluͤcklichen Stammes!)
Eben ſo ſehr, als auf uns die erſten Verbrecher, zu leiten.
Eva faßte darauf ein Herz, und erwiedert’ ihm alſo: Adam, mir iſt ſchon bekannt aus einer betruͤbten Erfahrung,1035
103 Von wie wenig Gewicht dir meine Worte beduͤnken, Da ſie bisher ſo ſehr ſich geirrt, und darum auch billig
Jn dem Erfolge ſo ſchaͤdlich geweſen. Doch da du indeſſen
Mich Unwuͤrdge von neuem mit deiner Verzeihung begnadigt.
Und ich mir ſchmeichele, deine Liebe, dieß einzge Vergnuͤgen1040
103 Meines Herzens, in Leben und Tod, aufs neu zu erlangen: Will ich dir meine Gedanken, die meine bekuͤmmerte SeeleX 3Mir166
Mir geſagt, nicht verbergen; ſie zeigen vielleicht uns ein Mittel,
Einige Linderung, oder wohl gar das Ende zu finden
Dieſer unſerer aͤußerſten Noth. So traurig es ſeyn mag,1045
103 Jſt es ertraͤglicher doch, als dieſer entſetzliche Jammer. Druͤckt uns die Sorge zu ſehr fuͤr unſer kuͤnftig Geſchlechte,
Welches gebohren, beſtimmt zum allergewiſſeſten Ungluͤck,
Endlich vom Tode verſchlungen wird; und iſt es ſo elend,
Sich als den einzigen Grund von anderer Elend zu ſehen,1050
103 Welche man ſelber erzeugt; iſt uns der Vorwurf ſo ſchrecklich, Einen bedaurenswuͤrdigen Stamm aus unſeren Lenden
Auf die Erde zu ſetzen, die nun ihr Schoͤpfer verflucht hat,
Ein Geſchlecht, das zuletzt, nach einem Leben voll Jammer,
Einem ſo ſcheuslichen Ungeheuer zum Raube beſtimmt iſt: —1055
103 Adam, ſo ſteht es bey dir, dem Daſeyn dieſes Geſchlechtes, Welches ſo vieles Ungluͤck erwartet, zuvorzukommen.
Ohne Kinder biſt du, bleib ohne Kinder! So ſieht ſich
So auf einmal der Tod um ſeine Beute betrogen,
Und ſein Schlund muß allein ſich mit uns beyden begnuͤgen. 1060
103Haͤltſt du es aber fuͤr ſchwer, im ſuͤßeſten taͤglichen Umgang Sich zu ſehn und zu lieben, und doch der Gebraͤuche der Liebe
Und der ehlichen Sitten ſich zu enthalten, voll Sehnſucht
Ohne Hoffnung zu ſchmachten vor ſeinem Geliebten, der gleichfalls
Ohne Hoffnung verſchmachtet; ein Zwang, ein ſchwereres Elend’1065
103 Als die haͤrteſte Pein, die wir in Zukunft befuͤrchten: — Adam, ſo laß uns geſchwind, und ohne laͤnger zu zoͤgern, Uns, und unſer Geſchlecht, von dem, was wir fuͤrchten, befreyen. Laß167
Laß den Tod uns ſuchen! und wird er von uns nicht gefunden,
An uns ſelber ſein Amt mit eigenen Haͤnden verrichten. 1070
103Warum ſtehen wir ſo, und zittern unter den Sorgen, Die nichts zeigen, als Tod? Stehts nicht in unſerer Willkuͤhr,
Unter ſo mancherley Wegen zu ſterben den kuͤrzeſten Weg uns
Zu erwaͤhlen, und mit der Zerſtoͤrung Zerſtoͤrung zu enden.
Hier beſchloß ſie; oder vielmehr die heftge Verzweiflung1075
103 Hindert ſie, weiter zu reden; ſie hatte den Todesgedanken So ins Herz ſich gepraͤgt, daß ihre Wangen erblaßten. Adam aber, der nichts auf dieſen Anſchlag geachtet,
Hatt’ indeſſen ſein ſtilles Gemuͤth zu beſſerer Hoffnung
Schwerarbeitend erhoben, und gab ihr alſo zur Antwort.
1080Eva, deine Verachtung des Lebens, und alles Vergnuͤgens,
Scheint was hoͤhres, was groͤßres in dir, als dieß iſt, zu zeigen,
Was du verſchmaͤhſt; die Zerſtoͤrung indeß mit eigenen Haͤnden
Stuͤrzt die Meynung bald um von deinem erhabenen Vorzug.
Dieß iſt nicht Verachtung des Lebens, es iſt nur Verzweiflung,1085
103 Furcht und Angſt, ein Leben und ein Vergnuͤgen zu miſſen, Das man zu ſehr nur geliebt. Suchſt du nur darum zu ſterben,
Um auf einmal dadurch dein itziges Elend zu enden;
Oder glaubeſt du, ſo dem ausgeſprochenen Urtheil
Zu entgehn: ſo taͤuſche dich nicht! Den ruͤhrenden Arm hat1090
103 Gott vorſichtger gewaffnet, als daß man ihm alſo entwiſche. Ja ich fuͤrchte ſogar, der alſo erzwungene Tod wird
Dieſe Schmerzen, wozu uns unſer Urtheil verdammet,Nicht168
Nicht vermindern, ſondern vielmehr den Ewigen reizen,
Jn uns den ewigen Tod, um unſeres Trutzes wegen1095
103 Leben zu laſſen. Wir wollen deshalb ein ſicherer Mittel Unſeres Jammers verſuchen. Jch hab es vor Augen, ſo duͤnkt mich,
Wenn ich den einen Theil von unſerem Urtheil erwaͤge,
Daß dein Saamen dereinſt der Schlange den Kopf ſoll zertreten.
Ein elender Erſatz, wenn Er nicht darunter gemeynt iſt,1100
103 Unſer großer verderblicher Feind, ſo wie ich doch glaube, Satan, welcher voll Liſt ſich in der Schlange verborgen, Und mit dieſem Betrug uns verfuͤhrt. Sein Haupt zu zerquetſchen,
Waͤre wahrhaftige Rache; die wuͤrden wir aber verlieren,
Wenn wir mit eigener Hand den Tod zu beſchleunigen ſuchten,1105
103 Oder auch kinderlos blieben, wie deine Verzweiflung mir angab, Satan wuͤrde dadurch den beſtimmten Strafen entgehen, Und wir wuͤrden die unſern auf unſre Haͤupter verdoppeln.
Sage mir darum nichts mehr von einem gewaltſamen Tode,
Oder freywillig unſer Geſchlecht in uns zu erſticken. 1110
103Alle Hoffnung verſchwindet dadurch; es zeiget nur Hochmuth, Zorn, Verdruß, und Ungeduld an, und Trotz und Empoͤrung
Wider den Ewgen, und wider das Joch, das er uns ſo billig
Auf |den Nacken gelegt. Erinnre dich, wie er ſo gnaͤdig
Unſer Verbrechen gehoͤrt, und uns gerichtet; voll Zorn nicht;1115
103 Nicht uns beſchimpfend; wir warteten ſchon, ſo wie wir verdienten, Gleich darauf vernichtet zu werden, indem wir gedachten,
Daß er an eben dem Tage den Tod uns beſtimmet; und ſiehe,
Schmerzen hat er dir nur beym Kindergebaͤhren verkuͤndigt,Welche169
Welche die Frucht dir gar bald mit groͤßeren Freuden belohnet. 1120
103Mich auch verfehlte der Fluch, und traf am meiſten das Erdreich; Denn ich ſoll mein Brodt mit Arbeit erwerben. Jſt dieſes,
Ungluͤck? Muͤßiggang waͤre gewiß noch aͤrger geweſen!
Arbeit wird mich erhalten; und daß nicht Kaͤlte, noch Hitze,
Uns beleidigen koͤnne; hat ſeine goͤttliche Sorge,1125
103 Ungebethen von uns, mit ſeinen eigenen Haͤnden Uns Unwuͤrdge bekleidet voll Mitleid im waͤhrenden Richten.
Wie vielmehr wird, wenn wir ihn bitten, ſein Ohr ſich eroͤffnen,
Und ſein Herz zum Mitleid ſich neigen; er wird uns auch ferner
Mittel lehren, wie wir uns vor der Witterung ſchuͤtzen,1130
103 Und vor Regen und Hagel und Schnee, ſo wie ſie die Luft ſchon Jn verſchiedner Geſtalt auf nahen Gebirgen uns zeiget.
Denn ſchon blaſen die Winde mit feuchtem brauſenden Hauche
Schaͤrfer herab, und zerreißen die lieblichgekrauſeten Locken
Dieſer ſchoͤnen bluͤhenden Baͤume; dieß lehret uns, kuͤnftig1135
103 Einen beſſeren Schirm und mehrere Waͤrme zu ſuchen, Unſre ſtarrenden Glieder damit zu erhalten, noch ehe
Dieſes Geſtirn des Tags uns Nacht voll Kaͤlte zuruͤcklaͤßt.
Alſo wollen wir ſuchen die ruͤckwaͤrtsſchlagenden Stralen
Zu verſammeln, und ſie durch truckne Materien flammend1140
103 Zu erhalten; oder wenn ſich zwey Koͤrper beruͤhren, Aus der erſchuͤtterten Luft das innere Feuer zu locken;
So wie juͤngſt aus ſtreitenden Wolken, von ſtuͤrmenden Winden
Aneinander getrieben, der ſchlaͤngelnde Blitz ſich entflammte.
Schief vom Himmel herab fiel er auf harzichte RindenII. Theil. YWal -1701145
103Waldichter Fichten und Tannen, und ſandt’ erquickende Waͤrme Fernher zu uns, die Hitze der Sonne dadurch zu erſetzen.
Dieſes Feuers Gebrauch, und was in Zukunft uns ſonſt noch
Unſer Ungluͤck verſuͤßt, das unſer Verbrechen gezeuget,
Wird er uns lehren, wofern wir darum voll Demuth ihn bitten1150
103 Und wir duͤrfen, dieß Leben in Jammer zu enden, nicht fuͤrchten; Seine Gnade wird uns mit mancherley Staͤrkung erhalten,
Bis wir im Staube zuletzt, als unſrer Heimath und Ruhe,
Unſere Tage vollbracht. Was koͤnnen wir ſonſt noch, als hingehn
Zu dem Orte, wo er uns ſo voll Gnade gerichtet;1155
103 Um da niederzufallen, und unſer Verbrechen mit Demuth Zu bekennen; Verzeihung zu bitten; den Boden mit Thraͤnen
Feuriger Reue zu netzen, und aus zerſchlagenem Herzen
Seufzer gen Himmel zu ſenden, zum Zeichen unſerer Vuße,
Unſerer wahren Betruͤbniß, und unſerer tiefen Erniedrung. 1160
103Ohne Zweifel wird er von ſeinem Zorne ſich wenden; Denn was leuchtete ſonſt aus ſeinen heiteren Blicken,
Da er am zornigſten ſchien, als Guͤte, Verſoͤhnung und Gnade.
Alſo ſagte der erſte Vater mit reuigem Herzen: Eva fuͤhlte, wie er, aufrichtige Reue. Sie giengen1165
103 Eilend zum Orte, wo er ſie ſo voll Gnade gerichtet; Fielen da nieder vor ihmaa)Dieſe gluͤcklichen Wieder hohlungen ſind ſehr im Geſchmacke Homers und Virgils, und werden jedem Leſer, wennſie gehoͤrig angebracht ſind, mehr ver - gnuͤgen, als wenn es der Dichter mit andern Worten haͤtte geben wollen. Z.
aa); bekannten ihre Verbrechen, Bathen ihn um Verzeihung, und netzten den Boden mit Thraͤnen
Feuriger Reu, und ſandten aus ihrem zerſchlagenen Herzen
Heiße Seufzer zum Himmel hinauf, als redende Zeichen1170
104 Jhrer wahren Betruͤbniß, und ihrer tiefen Erniedrung.