Der Vorſatz eine Geſchichte meines Vaterlandes zu ſchreiben, iſt bey mir ſehr ſpaͤt entſtanden; und ſeit - dem ich mich daran gewagt habe, oft unterbrochen worden. Der ſeelige Profeſſor Lodman, mein Freund von der erſten Kindheit an, hatte, wie ich glaube, von der Natur einen Trieb dazu empfangen. Denn ſchon im zehnten Jahre ſeines Alters fieng er an damit zu ſpielen; und ich theilte ihm nachher das - jenige gern mit, was ich zufaͤlliger Weiſe fand. Al - lein der Tod hat ihn mir und ſeinem Vorſatze zu fruͤh entriſſen. Seine Monumenta Oſnabrugenſia er - ſchienen noch fuͤr ſeinem Ende; und ſeine Geſchichte, ſo weit ſolche fertig geworden iſt, beruhet bey ſeinen Erben. Meine Abſicht war anfangs mir ſolche aus - zubitten und gemein zu machen; hiernaͤchſt aber die* 2Ge -Vorrede. Geſchichte der letzten Jahrhunderte wovon ich in der Folge beſſere Nachrichten erhielt, als ihm das Gluͤck gegoͤnnet hatte, ſelbſt auszuarbeiten. Und in dieſer Abſicht wandte ich zuerſt, nachdem ich bereits zwan - zig Jahre mit Arbeiten von ganz andrer Art beladen geweſen, einige erſparete Stunden darauf, um die noͤthigen Auszuͤge zu machen. Bey der Arbeit aber fuͤhlte ich bald, daß die neuern Zeiten durchaus das Licht der alten noͤthig haͤtten. Jch ward daher zuerſt genoͤthiget bis zu der Epoche des mit Herzog Hein - rich dem Loͤwen geſprengten Großherzogthums Sach - ſen zuruͤck zu gehen. Wie ich hier war, muſte ich die Verfaſſung unter Carln dem Groſſen haben, und endlich um ſolche recht anzulegen in die aͤlteſten Zeiten hinauf gehen.
Hier waͤre mir die Arbeit meines Freundes beſon - ders noͤthig geweſen; und ich wuͤnſche noch immer, daß ſolche von ſeinem geſchickten Vettern, der ſich be - reits durch gluͤckliche Proben zeigt, der Welt bekannt werden moͤge. Denn ich habe vieles uͤbergangen, was nicht zu meiner Abſicht gehoͤrte; und unſer beyder Geſichtspunkt iſt ſehr von einander unterſchieden ge - weſen; indem ich vorzuͤglich die Geſchichte unſrer Rech - te, Sitten und Gewohnheiten zu entwickeln mich be - muͤhet, und die Begebenheiten ziemlich nach dieſer Abſicht geordnet habe; er aber mit aller ihm eignen Genauigkeit die Vorfaͤlle, ohne ſolchen eine gewiſſe Richtung zu dieſem oder jenem Ziele zu geben erzaͤhlet und beſchrieben hat. Mein Freund wuͤrde Fehler ver -mie -Vorrede. mieden haben; ich aber habe nothwendig ſehr oft ge - fehlt, indem man ſich gegen das funfzigſte Jahr ſeines Alters nicht ungeſtraft in ein Feld wagt, worin man in ſeinen Lehrjahren voͤllig unbekannt geweſen; ich kann ſelbſt einiges davon anfuͤhren.
Da meine Zeit zu kurz war: ſo gieng ich uͤberall unmittelbar zu den Quellen; und meine wenige Be - kanntſchaft mit ihnen machte, daß ich alles neu zu ent - decken glaubte. Das Vergnuͤgen, welches ich dabey empfand, verfuͤhrte mich zu unzaͤhligen Ausſchweifun - gen; wovon ich mit ziemlicher Strenge eine unge - heure Menge nachwaͤrts verworfen, doch aber nach dem mir vorgeſteckten kleinen Ziel, noch viel zu viel beybehalten habe.
Ein ander Fehler iſt, daß ich den Anfang zum ſchreiben auf Reiſen waͤhrend dem letzten Kriege ge - macht, und mir erſt jede Sache nach ihrer Moͤglich - keit vorgeſtellet, und ſolche hernach zu Hauſe vielleicht nicht mit genugſamer Unpartheylichkeit gegen die Be - weiſe gepruͤfet habe. Daher kann einiges einen ſchein - baren Hang nach der Hypotheſe behalten haben. Denn dieſe pflegt ihren erſten Liebhaber doch noch im - mer heimlich und unſichtbar zu verfolgen. Manches aber iſt ſicher, wie ich jetzt ſehe, zu weit ausgeholet; und ich haͤtte verſchiednes weit naͤher aus der Reichs - Vogteylichen Verfaſſung haben koͤnnen, was ich aus den aͤltern Zeiten zu weit geſucht habe. Jndeſſen glaube ich doch eben dadurch, daß ich auf eine ſonder - bare Art verfahren, und nicht ſofort den gewoͤhnlich -* 3ſtenVorrede. ſten Weg eingeſchlagen bin, manches auf eine neue Art gewandt und viele hiſtoriſche Wahrheiten moͤgli - licher und wahrſcheinlicher erzaͤhlet zu haben, als an - dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma - chen, und dann mit ermuͤdetem Geiſte die Feder an - ſetzen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeſſern.
Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die Charakter der vorkommenden Perſonen niemals in ei - nem beſondern Gemaͤhlde entworfen, und nur ſehr ſel - ten einige Betrachtungen mit eingeſtreuet habe. Jch bin aber gewiß, daß die erſtern ſehr viel von meiner eignen Erfindung behalten haben wuͤrden, und halte in Anſehung der letztern dafuͤr, daß in der Geſchichte, ſo wie auf einem Gemaͤhlde blos die Thaten reden, und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu - ſchauer eigen bleiben muͤſſen. Jm Alter, und faſt in jeder Periode des Lebens ſehen wir die Begebenheiten von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue Betrachtungen daruͤber, und vertragen diejenigen nicht mehr, welche uns in juͤngern Jahren die praͤch - tigſten ſchienen. Daher thut in der Geſchichte die Handlung, wenn ſie moraliſch vorgeſtellet oder mit ihren Urſachen und Folgen erzaͤhlet wird, und ſchnell und ſtark fortgehet eben das was ſie auf der Schau - buͤhne thut. Sie erweckt, naͤhrt und fuͤllet die Auf - merkſamkeit der Zuſchauer mehr als alle dabey ange - brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thraͤne von demjenigen fordert, der uͤber die Handlung lachen muß.
Jch habe mir auch wohl nicht wenig geſchadet, daßichVorrede. ich dieſe meine Einleitung (welche eigentlich zu einer hiſtoriſchen Logic dienen, und daher vielleicht nicht Erzaͤhlungsweiſe geſchrieben ſeyn ſollte,) nicht erſt ganz entworfen, ſondern ſolche immer ſo, wie ein Bogen fertig wurde, in die Preſſe geſchickt habe. Da ich unter ſehr vielen Zerſtreuungen ſchrieb, und niemals glaubte, daß ich ſo viel als ein Alphabet auf einmal zu Stande bringen wuͤrde: ſo ſuchte ich mir gewiſſer maßen meine eigne Arbeit zu ſtehlen; und wenigſtens alle Monat einen Bogen in die Druckerey zu liefern. Je weiter ich kam je mehr lernte ich. Allein da die Bogen immer abgedruckt waren: ſo konnte ich nicht wieder einlenken; und muß mich jetzt begnuͤgen, wenn die Geſchichte meiner Fehler andre fuͤrſichtiger macht. Faſt hatte ich mich entſchloſſen den Abdruck ganz wie - der zu unterdruͤcken; oder ihn doch erſt blos als ein Manuſcript guten Freunden zur Verbeſſerung auszu - theilen; es ſind auch wuͤrklich bereits uͤber zwey Jahr, daß ſolcher geruhet hat. Endlich aber wage ich es doch ihn mit dieſer Vorrede noch zu begleiten und ihn als einen bloſſen Verſuch dem guͤtigen Leſer zu em - pfehlen.
Was ich am mehrſten fuͤhlte, war dieſes, daß un - fre Sprache eine Verraͤtherin der edlen Freyheit ge - worden war, und den Ausdruck verlohren hatte, welcher ſich zu meinen Begriffen paßte. Die aͤlteſten Geſchichtsſchreiber von Deutſchland haben nicht in unſer Sprache geſchrieben, und dem ſtarken deutſchen Koͤrper ein ganz fremdes Colorit gegeben. Wie man aber anfieng unſre Mutterſprache zu gebrauchen: ſo hatte die Lehnsverfaſſung die gemeine Freyheit ſchon* 4gefeſ -Vorrede. gefeſſelt, und die Sprache der vorherigen Verfaſſung theils verdunkelt, theils zu einem andern Verſtande umgebildet, und theils unverſtaͤndlich gemacht. Oft hat daher meine Empfindung mit den Worten ge - kaͤmpft, und ich bin nicht ſelten in der Verſuchung geweſen auf die Geſchichte einzelner Worte, welche immer von Jahrhundert zu Jahrhundert einen andern Sinn erhalten haben, auszuſchweifen. Da ich aber in manchen Anmerkungen ſchon bis ans rothe Meer gekommen war: ſo konnte ich meiner eignen Critik nicht weiter entwiſchen. Doch bin ich noch ſo weit nicht bekehrt, um eine Vorrede ohne Ausſchweifung ſchlieſſen zu koͤnnen.
Die Geſchichte von Deutſchland hat meines Ermeſ - ſens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Landeigenthuͤmer, als die wahren Be - ſtandtheile der Nation durch alle ihre Veraͤnderungen verfolgen; aus ihnen den Koͤrper bilden und die groſ - ſen und kleinen Bediente dieſer Nation als boͤſe oder gute Zufaͤlle des Koͤrpers betrachten. Wir koͤnnen ſo denn dieſer Geſchichte nicht allein die Einheit, den Gang und die Macht der Epopee geben, worin die Territorialhoheit, und der Deſpotiſmus, zuletzt die Stelle einer gluͤcklichen oder ungluͤcklichen Aufloͤſung vertritt; ſondern auch den Urſprung, den Fortgang und das unterſchiedliche Verhaͤltnis des Nationalcha - rakters unter allen Veraͤnderungen mit weit mehrer Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn wir blos das Leben und die Bemuͤhungen der Aerzte be - ſchreiben, ohne des kranken Koͤrpers zu gedenken. Der Einfluß, welchen Geſetze und Gewohnheiten,Tugen -Vorrede. Tugenden und Fehler der Regenten, falſche oder gute Maaßregeln, Handel, Geld, Staͤdte, Dienſt, Adel, Sprachen, Meynungen, Kriege und Verbin - dungen auf jenen Koͤrper und auf deſſen Ehre und Ei - genthum gehabt; die Wendungen, welche die Geſetz - gebende Macht oder die Staatseinrichtung uͤberhaupt bey dieſen Einfluͤſſen von Zeit zu Zeit genommen; die Art, wie ſich Menſchen, Rechte und Begriffe allmaͤh - lich gebildet; die wunderbaren Engen und Kruͤm - mungen, wodurch der menſchliche Hang die Territo - rialhoheit empor getrieben und die gluͤckliche Maͤßi - gung, welche das Chriſtenthum, das deutſche Herz, und eine der Freyheit guͤnſtige Sittenlehre gewuͤrket hat, wuͤrde ſich wie ich glaube, ſolchergeſtalt in ein vollkommenes fortgehendes Gemaͤhlde bringen laſſen und dieſem eine ſolche Fuͤllung geben, daß der Hiſto - rienmahler alle uͤberfluͤßige Groupen entbehren koͤnnte.
Dieſe Geſchichte wuͤrde vier Hauptperioden haben. Jn der erſten und guͤldnen war noch mehrentheils jeder deutſcher Ackerhof mit einem Eigenthuͤmer oder Weh - ren beſetzt; kein Knecht oder Leut auf dem Heerbanns - gute gefeſtet; alle Freyheit, als eine ſchimpfliche Ausnahme von der gemeinſamen Vertheidigung ver - haßt; nichts als hohe und gemeine Ehre in der Na - tion bekannt; niemand, auſſer dem Leut oder Knech - te einem Herrn zu folgen verbunden; und der gemeine Vorſteher ein erwaͤhlter Richter, welcher blos die Urtheile beſtaͤtigte, ſo ihm von ſeinen Rechtsgenoſſen zugewieſen wurden. Dieſe guͤldne Zeit daurete noch guten Theils, wiewohl mit einer auf den Hauptzweck ſchaͤrfer anziehenden Einrichtung unter Carln dem* 5Groſ -Vorrede. Groſſen. Carl war aber auch der einzige Kopf zu die - ſen antiken Rumpfe.
Die zweyte Periode gieng allmaͤlig unter Ludewig dem frommen und ſchwachen an. Jhm und den un - ter ihm entſtandenen Partheyen war zu wenig mit Bannaliſten, die blos ihren Heerd und ihr Vaterland bey eigner Koſt und ohne Sold vertheidigen wollten, gedienet. Er opferte aus Einfalt, Andacht, Noth und falſcher Politik ſeine Gemeinen den Geiſt - lichen, Bedienten und Reichsvoͤgten auf. Der Bi - ſchof, welcher vorhin nur zwey Heermaͤnner ad latus behalten durfte, und der Graf oder Oberſte, der ihrer viere zum Schutze ſeines Amts und ſeiner Familie be - urlauben konnte, verfuhren mit den Reichsgute nach Gefallen, beſetzten die erledigten manſos mit Leuten und Knechten, und noͤthigten die Wehren ſich auf gleiche Bedingungen zu ergeben. Henrich der Vogler ſuchte zwar bey der damaligen allgemeinen Noth das Reichs-eigenthum wieder auf; und ſtellete den Heer - bann mit einigen Veraͤnderungen wieder her. Allein Otto der Groſſe ſchlug einen ganz andern Weg ein und gab das gemeine Gut denjenigen Preis, die ihm zu ſeinen answaͤrtigen Kriegen einige glaͤnzende und wohlgeuͤbte Dienſtleute zufuͤhrten. Jhm war ein Ritter, der mit ihm uͤber die Alpen zog lieber als tau - ſend Wehren, die keine Auflagen bezahlten, und keine andre Dienſtpflicht als die Landes-vertheidigung kannten. Seine Groͤſſe, das damalige Anſehn des Reichs und der Ton ſeiner Zeiten machten ihn ſicher genug zu glauben daß das deutſche Reich ſeines Heer -bannsVorrede. banns niemals weiter noͤthig haben wuͤrde. Und ſo wurde derſelbe voͤllig verachtet, gedruckt und verdun - kelt. Der Miſſus oder Heerbanns-commiſſarius welcher unter Carln dem Groſſen allein die Urlaubs - paͤſſe fuͤr die Heermaͤnner zu ertheilen hatte, verlohr ſein Amt und Controlle, Commiſſariat und Commando kam zum groͤſten Nachtheil der Land-eigenthuͤmer und der erſten Reichs-matrikel in eine Hand.
Jn der dritten Periode, welche hierauf folgte iſt faſt alle gemeine Ehre verſchwunden. Sehr wenige ehrnhaften Gemeine haben noch einiges Reichs-gut in dominio quiritario. Man verlieret ſo gar den Na - men und den wahren Begrif des Eigenthums, und der ganze Reichsboden verwandelt ſich uͤberall in Lehn - Pacht-Zins - und Bauer-gut, ſo wie es dem Reichs - oberhaupte, und ſeinen Dienſtleuten gefaͤllt. Alle Ehre iſt im Dienſt; und der ſchwaͤbiſche Friederich bemuͤhet ſich vergeblich der kayſerlichen Krone, wor - in ehedem jeder gemeiner Land-eigenthuͤmer ein Kleinod war, durch bloſſe Dienſtleute ihren alten Glanz wieder zu geben. Die verbundene Staͤdte und ihre Pfal-buͤrger geben zwar der Nation Hofnung zu einem neuen gemeinen Eigenthum. Allein die Haͤnde der Kayſer ſind zu ſchwach und ſchluͤpfrich, und an ſtatt dieſe Bundes-genoſſen mit einer magna charta zu begnadigen, und ſich aus allen Buͤrgen und Staͤd - ten ein Unterhaus zu erſchaffen welches auf ſichere Weiſe den Untergang der ehmaligen Land-eigenthuͤ - mer wieder erſetzt haben wuͤrde, muͤſſen ſie gegen ſol - che Verbindungen und alle Pfalbuͤrgerſchaft ein Reichsgeſetze uͤbers andre machen. Rudolph vonHabs -Vorrede. Habsburg ſieht dieſen groſſen Staatsfehler wohl ein, und iſt mehr als einmal darauf bedacht, ihn zu ver - beſſern. Allein Carl der IV. arbeitet nach einem den vorigen ganz entgegen geſetzten Plan, indem er die mittlere Gewalt im Staat wieder beguͤnſtigt, und Wenzels groſſe Abſichten, welche den Reichsfuͤrſten nicht umſonſt verhaßt waren, werden nie mit gehoͤ - riger Vorſicht oft durch gehaͤßige Mittel und insge - mein nur halb ausgefuͤhrt. Alle ſind nur darauf be - dacht die Dienſtleute durch Dienſtleute zu bezaͤhmen, und waͤhrender Zeit in Daͤnnemark der Landeigen - thum ſich wieder unter die Krone fuͤget; in Spanien der neue Heerbann, oder die Hermandad der mittlern Gewalt mit Huͤlfe der klugen Jſabelle das Gleichge - wichte abgewinnt; und in der Schweiz drey Bauern gemeine Ehre und Eigenthum wiederherſtellen, wurde die Abſicht des Bundſchuhes und andrer nicht undeutlich bezeichneter Bewegungen von den Kayſern kaum em - pfunden. Sigiſmund thut etwas, beſonders fuͤr die Frieſen; und Maximilian ſucht mit allen ſeinen guten und groſſen Anſtalten wohl nichts weniger, als die Gemeinen unter der mittlern Gewalt wieder hervor - und naͤher an ſich zu ziehen. Allein ſo fein und neu auch die Mittel ſind, deren er ſich bedient: ſo ſcheinet doch bey der Ausfuͤhrung nicht allemal der Geiſt zu wachen, der den Entwurf eingegeben hatte.
Mehr als einmal erforderte es in dieſer Periode die allgemeine Noth, alles Lehn-Pacht-Zins - und Bau - er-weſen von Reichswegen wieder aufzuheben, und von jedem Manſo den Eigenthuͤmer zur Reichsverthei - digung aufzumahnen. Denn nachdem die Lehne erb -lichVorrede. lich geworden, fielen ſolche immer mehr und mehr zu - ſammen. Der Kriegsleute wurden alſo weniger. Sie waren zum Theil erſchoͤpft; und wie die aus - waͤrtigen Monarchien ſich auf die gemeine Huͤlfe er - hoben, nicht im Stande ihr Vaterland dagegen al - lein zu vertheidigen. Allein eine ſo groſſe Revolution waͤre das Werk eines Bundſchuhes geweſen. Man muſte alſo auf einem fehlerhaften Plan fortgehen, und die Zahl der Dienſtleute mit unbelehnten, unbe - guͤterten und zum Theil ſchlechten Leuten vermehren, allerhand Schaaren von Knechten errichten, und den Weg einſchlagen, worauf man nachgehends zu den ſtehenden Heeren gekommen iſt. Eine Zeitlang reich - ten die Cammerguͤter der Fuͤrſten, welche ihre Macht auf dieſe Art vermehrten, zu den Unkoſten hin. Man wuſte von keinen gemeinen Steuren; und in der That waren auch keine ſteuerbare Unterthanen vorhanden, weil der Bauer als Paͤchter ſich lediglich an ſeinen Contrakt hielt, und ſein Herr frey war, wenn er als Gutsherr fuͤrs Vaterland, und als Vaſall fuͤr ſeinen Lehnsherrn den Degen zog. Die Cammerguͤter wur - den aber bald erſchoͤpft, verpfaͤndet oder verkauft. Und man muſte nunmehr ſeine Zuflucht zu den Lehn - leuten und Gutsherrn nehmen, um ſich von ihnen eine auſſerordentliche Beyhuͤlfe zu erbitten; und weil dieſe wohl einſahen, daß es ihre Sicherheit erfordere, ſich unter einander und mit einem Hauptherrn zu verbin - den: ſo entſtanden endlich Landſtaͤnde und Landſchaf - ten; wozu man die Staͤdte, welche damals das Hauptweſen ausmachten, auf alle Weiſe gern zog.
Alle noch uͤbrige Geſetze aus der guͤldnen Zeit,worinVorrede. worin die Reichsmanſi mit Eigenthuͤmern beſetzt ge - weſen waren verſchwanden in dieſer Periode gaͤnz - lich; wozu die Staͤdte, dieſe anomaliſchen Koͤrper, welche die Sachſen ſo lange nicht hatten dulden wol - len, nicht wenig beytrugen, indem ſie die Be - griffe von Ehre und Eigenthum, worauf ſich die ſaͤch - ſiſche Geſetzgebung ehedem gegruͤndet hatte, verwirre - ten und verdunkelten. Die Ehre verlohr ſo gleich ih - ren aͤuſſerlichen Werth, ſo bald der Geldreichthum das Landeigenthum uͤberwog; und wie die Handlung der Staͤdte unſichtbare heimliche Reichthuͤmer ein - fuͤhrte, konnte die Wehrung der Menſchen nicht mehr nach Gelde geſchehen. Es muſten alſo Leib - und Le - bensſtrafen eingefuͤhrt, und der obrigkeitlichen Will - kuͤhr verſchiedene Faͤlle zu ahnden uͤberlaſſen werden, worauf ſich die alten Rechte nicht mehr anwenden, und bey einer unſichtbaren Verhaͤltnis keine neue fin - den laſſen wollten. Die Freyheit litt dardurch unge - mein, und der ganze Staat arbeitete einer neuen Ver - faſſung entgegen, worin allmaͤhlig jeder Menſch eben wie unter den ſpaͤtern roͤmiſchen Kayſern, zum Buͤr - ger oder Rechtsgenoſſen aufgenommen, und ſeine Ver - bindlichkeit und Pflicht auf der bloſſen Eigenſchaft von Unterthanen gegruͤndet werden ſollte. Eine Ver - faſſung wobey Deutſchland haͤtte gluͤcklich werden koͤnnen, wenn es ſeine Groͤſſe immerfort auf die Handlung gegruͤndet, dieſe zu ſeinem Hauptintereſſe gemacht und dem perſoͤnlichen Fleiſſe und baaren Ver - moͤgen in beſtimmten Verhaͤltniſſen gleiche Ehre mit dem Landeigenthum gegeben haͤtte, indem als - dann die damals verbundene und maͤchtige StaͤdtedasVorrede. das Nationalintereſſe auf dem Reichstage mehren - theils allein entſchieden, Schiffe, Volk und Steuren bewilligt, und die Zerreiſſung in ſo viele kleine Terri - torien, deren eins immer ſeinen privat Vortheil zum Nachtheil des andern ſucht, wohl verhindert haben wuͤrden.
Der vierten Periode haben wir die gluͤckliche Lan - deshoheit oder vielmehr nur ihre Vollkommenheit zu danken. Jhr erſter Grund lag in der Reichsvogtey, welche ſich nach dem Maaſſe erhob und ausdehnte, als die Carolingiſche Grafſchaft, wovon uns keine ein - zige uͤbrig geblieben, ihre Einrichtung, Befungnis und Unterſtuͤtzung verlohr. Aus einzelnen Reichsvogteyen waren edle Herrlichkeiten erwachſen. Wo ein edler Herr ihrer mehrere zuſammen gebracht und vereiniget hatte, war es ihm leicht gelungen, dieſe Sammlung zu einer neuen Grafſchaft erheben zu laſſen und ſich damit die Obergerichte in ſeinen Vogteyen zu erwer - ben. Fuͤrnemlich aber hatten Biſchoͤfe, Herzoge, Pfalzgrafen und andre kayſerliche Repreſentanten in den Provinzien die in ihren Sprengeln gelegne Vog - teyen an ſich gebracht, und ſich daruͤber mit dem Grafenbann, und auch wohl um alle fremde Gerichts - barkeit abzuwenden, mit dem Freyherzogthum und der Freygrafſchaft belehnen laſſen. Der Adel, die Kloͤſter und die Staͤdte, welche nicht unter der Vog - tey geſtanden, hatten ſich zum Theil gutwillig den kay - ſerlichen Repreſentanten unterworfen, und der Kayſer hatte zu einer Zeit da noch keine Generalpacht erlaubt und bekannt war, ſich ein Vergnuͤgen daraus ge - macht, die mit vielen Beſchwerden und mit wenigemVor -Vorrede. Vortheil begleitete Ausuͤbung der Regalien, wozu er ſonſt eigne Localbeamte haͤtte beſtellen muͤſſen, den hoͤchſten Obrigkeiten jedes Landes zu uͤberlaſſen, und ſolchergeſtalt ſein eignes Gewiſſen zu beruhigen. Hie - zu war die Reformation gekommen und hatte allen Landesherrn oͤftere Gelegenheit gegeben diejenigen Rechte, welche ſich aus obigen leicht folgern lieſſen, in ihrer voͤlligen Staͤrke auszuuͤben, insbeſondre aber die Schranken welche ihnen ihrer Laͤnder eigne von der kayſerlichen Gnade unabhaͤngige Verfaſſung entgegen geſetzt hatte ziemlich zu erweitern, indem ſie die Voll - macht dazu theils von der Noth entlehnten, theils von dem Haſſe der ſtreitenden Religionspartheyen gutwil - lig erhielten. Und ſo war es endlich kein Wunder, wann beym weſtphaͤliſchen Frieden, nachdem alles lange genug in Verwirrung geweſen, diejenigen Reichsſtaͤnde, welche nach und nach die Vogtey, den Grafenbann, das Freyherzogthum und die ganze Vollmacht des miſſi in ihren Landen erlangt hatten, die Beſtaͤtigung einer vollkommenen Landeshoheit; andre hingegen, welche nur die Vogtey gehabt, je - doch ſich der hoͤhern Reichsbeamte erwehret hatten, die Unmittelbarkeit und in Religionsſachen eine noth - wendige Unabhaͤngigkeit erhielten.
Wenn man auf die Anlage der deutſchen Verfaſ - ſung zuruͤck gehet: ſo zeigen ſich vier Hauptwendun - gen, welche ſie haͤtte nehmen koͤnnen. Entweder waͤre die erſte Controlle der Reichsbeamte per miſſos ge - blieben. Oder aber jede Provinz haͤtte einen auf Le - benszeit ſtehenden Statthalter zum Controlleur undOber -Vorrede. Oberaufſeher aller Reichsbeamten erhalten. Oder ein neues Reichsunterhaus haͤtte den Kronbedienten die Wage halten muͤſſen; wenn man den vierten Fall nemlich die Territorialhoheit nicht haͤtte zulaſſen wol - len. Die erſte Wendung wuͤrde uns reiſende und pluͤndernde Baſſen zugezogen haben, oder alle Kayſer haͤtten das Genie von Carln dem Groſſem zu einem beſtaͤndigen Erbtheil haben muͤſſen. Jn der andern wuͤrden wir mit der Zeit wie die Franzoſen das Opfer einer ungeheuren Menge von Reichs-Generalpaͤchtern geworden ſeyn. Schwerlich wuͤrden auch unſre Schul - tern die dritte ertragen haben, oder die verbundnen Handelsſtaͤdte in Ober - und Niederdeutſchland haͤtten uns zugleich die Handlung durch die ganze Welt, ſo wie ſie ſolche hatten, behaupten und das ganze Reichs - Krieges - und Steuer-weſen unter ihrer Bewilligung haben muͤſſen. Und ſo iſt die letztere, worin jeder Lan - desfuͤrſt, die ihm anvertraueten Reichsgemeinen als die ſeinigen betrachtet, ſein Gluͤck in dem ihrigen fin - det und wenigſtens ſeinem Hauſe zu gefallen nicht al - les auf einmal verzehrt, allenfals aber an dem aller - hoͤchſten Reichsoberhaupte noch einigen Wiederſtand hat, gewiß die beſte geweſen, nachdem einmal groſſe Reiche entſtehen, und die Landeigenthuͤmer in jedem kleinen Striche, Staͤdte und Feſtungen unter ſich dulden, geldreiche Leute an der Geſetzgebung Theil nehmen laſſen und nicht mehr befugt bleiben ſollten ſich ſelbſt einen Richter zu ſetzen und Recht zu geben.
Dabey war es ein Gluͤck ſo wohl fuͤr die catholi - ſchen als evangeliſchen Reichsfuͤrſten, daß der Kayſer**ſichVorrede. ſich der Reformation nicht ſo bedienet hatte, wie es wohl waͤre moͤglich geweſen. Luthers Lehre war der gemeinen Freyheit guͤnſtig. Eine unvorſichtige Anwen - dung derſelben haͤtte hundert Thomas Muͤnzers erwek - ken, und dem Kayſer die vollkommenſte Monarchie zuwenden koͤnnen, wenn er die erſte Bewegung recht genutzt, alles Pacht-Lehn - und Zins-weſen im Reiche geſprengt, die Bauern zu Landeigenthuͤmern gemacht, und ſich ihres wohlgemeinten Wahns gegen ihre Lan - des-Gerichts - und Guts-herrn bedienet haͤtte. Allein er dachte zu gros dazu; und eine ſolche Unternehmung wuͤrde nachdem der Ausſchlag geweſen waͤre, die groͤßte oder treuloſeſte geweſen ſeyn.
Jndeſſen verlohr ſich in dieſer Periode der alte Be - grif des Eigenthums voͤllig; man fuͤhlte es kaum mehr, daß einer Rechtsgenos ſeyn muͤſſe, um ein echtes Eigen - thum zu haben. Eben ſo gieng es ſo wohl der hohen als gemeinen Ehre. Erſtere verwandelte ſich faſt durch - gehends in Freyheit; und von der letztern: honore qui - ritario: haben wir kaum noch Vermuthungen, ohner - achtet ſie der Geiſt der deutſchen Verfaſſung geweſen, und ewig bleiben ſollen. Religion und Wiſſenſchaf - ten hoben immer mehr den Menſchen uͤber den Buͤr - ger, die Rechte der Menſchheit ſiegten uͤber alle be - dungene und verglichene Rechte. Eine bequeme Phi - loſophie unterſtuͤtzte die Folgerungen aus allgemeinen Grundſaͤtzen beſſer als diejenigen, welche nicht ohne Gelehrſamkeit und Einſicht gemacht werden konnten. Und die Menſchenliebe ward mit Huͤlfe der chriſtlichen Religion eine Tugend, gleich der Buͤrgerliebe, der -ge -Vorrede. geſtalt, daß es wenig fehlte oder die Reichsgeſetze ſelbſt haͤtten die ehrloſeſten Leute aus chriſtlicher Liebe ehrenhaft und zunftfaͤhig erklaͤrt.
Die Schickſale des Reichsgutes waren noch ſonder - barer. Erſt hatte jeder Manſus ſeinen Eigenthuͤmer zu Felde geſchickt; hernach einen Bauer aufgenom - men, der den Dienſtmann ernaͤhrte; und zuletzt auch ſeinen Bauer unter die Vogelſtange geſtellet. Jetzt aber muſte es zu dieſen Laſten auch noch einen Soͤld - ner ſtellen, und zu deſſen Unterhaltung eine Landſteuer uͤbernehmen, indem die Territorialhoheit zu ihrer Er - haltung ſtaͤrkere Nerven, und das Reich zu ſeiner Vertheidigung groͤſſere Anſtalten erforderte, nachdem Frankreich ſich nicht wie Deutſchland in einer Menge von Territorien aufgeloͤſet, ſondern unter unruhigen Herrn vereiniget hatte. Von nun an ward es zu ei - ner allgemeinen Politik das Reichseigenthum ſo viel moͤglich wieder aufzuſuchen, und zur gemeinen Huͤlfe zu bringen. Der Kayſer unterſtuͤtzte in dieſem Plan die Fuͤrſten. Dieſe unterſuchten die Rechte der Dienſt - leute, der Geiſtlichen und der Staͤdte in Anſehung des Reichseigenthums; und bemuͤheten ſich ſo viel moͤglich ſolches auf eine oder andre Art wieder zum Reichs-Land-kataſter zu bringen. Der Rechtsgelehr - ſamkeit fehlte es an genugſamer Kenntnis der alten Verfaſſung, und vielleicht auch an Kuͤhnheit, die Grundſaͤtze wieder einzufuͤhren, nach welcher wie in England von dem ganzen Reichsboden eine gemeine Huͤlfe gefordert werden mogte. Das Steuerweſen gieng alſo durch unendliche Kruͤmmungen und quere** 2Pro -Vorrede. Proceſſe in ſeinem Laufe fort. Geiſtliche, Edelleute und Staͤdte verlohren vieles von demjenigen was ſie in der mittlern Zeit und bey andern Vertheidigungs - anſtalten wohl erworben und verdienet hatten. Der Landesherr ward durch die Nutzung des gemeinen Reichseigenthums maͤchtiger. Ehrgeiz, Eyferſucht und Fantaſie verfuͤhrten ihn zu ſtehenden Herren; und die Noth erforderte ſie anfaͤnglich. Der Kayſer ſahe ſie aus dem groſſen Geſichtspunkte der allgemeinen Reichsvertheidigung gern, erſt ohne ſie nach einem ſichern Verhaͤltnis beſtimmen zu wollen, und bald ohne es zu koͤnnen.
Jedoch ein aufmerkſamer Kenner der deutſchen Ge - ſchichte wird dieſes alles fruchtbarer einſehen, und leicht erkennen, daß wir nur alsdenn erſt eine brauch - bare und pragmatiſche Geſchichte unſers Vaterlandes erhalten werden, wenn es einem Manne von gehoͤriger Einſicht gelingen wird, ſich auf eine ſolche Hoͤhe zu ſetzen, wovon er alle dieſe Veraͤnderungen, welche den Reichsboden und ſeine Eigenthuͤmer betroffen, mit ihren Urſachen und Folgen in den einzelnen Thei - len des deutſchen Reiches uͤberſehen, ſolche zu einem einzigen Hauptwerke vereinigen, und dieſes in ſeiner ganzen Groͤſſe ungemahlt und ungeſchnitzt, aber ſtark und rein aufſtellen kann. Wie vieles wird aber auch ein Gatterer noch mit Recht fordern, ehe ein Ge - ſchichtſchreiber jene Hoͤhe beſteigen und ſein ganzes Feld im vollkommenſten Lichte uͤberſehen kann.
Jndeſ -Vorrede.Jndeſſen bleibt ein ſolches Werk dem deutſchen Ge - nie und Fleiſſe noch immer angemeſſen, und belohnt ihm die Muͤhe. Der maͤchtige und reiſſende Hang groſſer Voͤlkervereinigungen zur Monarchie und die unſaͤgliche Arbeit der Ehre oder nach unſer Art zu re - den der Freyheit, womit ſie jenem Hange begegnen, oder ihrer jetzt fallenden Saͤule einen bequemen Fall hat verſchaffen wollen, iſt das praͤchtigſte Schauſpiel was dem Menſchen zur Bewunderung und zur Lehre gegeben werden kann; die Berechnung der auf beyden Seiten wuͤrkenden Kraͤfte und ihre Reſultate ſind fuͤr den Philoſophen die erheblichſten Wahrheiten: Und ſo viele groſſe Bewegungsgruͤnde muͤſſen uns aufmun - tern unſre Nation dieſe Ehre zu erwerben. Sie muͤſ - ſen einem jeden reizen ſeine Provinz zu erleuchten, um ſie dem groſſen Geſchichtſchreiber in dem wahren Lichte zu zeigen. Das Coſtume der Zeiten, der Stil jeder Verfaſſung, jedes Geſetzes und ich moͤgte ſagen jedes antiken Worts muß den Kunſtliebenden vergnuͤgen. Die Geſchichte der Religion, der Rechtsgelehrſam - keit, der Philoſophie der Kuͤnſte und ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften iſt auf ſichere Weiſe von der Staatsgeſchichte unzertrennlich und wuͤrde ſich mit obigen Plan vorzuͤg - lich gut verbinden laſſen. Von Meiſterhaͤnden ver - ſteht ſich. Der Stil aller Kuͤnſte ja ſelbſt der De - peſchen und Liebesbriefe eines Herzogs von Richelieu ſteht gegeneinander in einigem Verhaͤltnis. Jeder Krieg hat ſeinen eigenen Ton und die Staatshand -** 3lun -Vorrede. lungen haben ihr Colorit, ihr Coſtume und ihre Ma - nier in Verbindung mit der Religion und den Wiſ - ſenſchaften. Rußland giebt uns davon taͤglich Bey - ſpiele; und das franzoͤſiſche eilfertige Genie zeigt ſich in Staatshandlungen wie im Roman. Man kann es ſo gar unter der Erde an der Linie kennen, wo - mit es einen reichen Erzgang verfolgt und ſich zu - wuͤhlt. Der Geſchichtsſchreiber wird dieſes fuͤhlen, und allemal ſo viel von der Geſchichte der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften mitnehmen, als er ge - braucht, von den Veraͤnderungen der Staatsmo - den Rechenſchaft zu geben.
Zur Geſchichte des weſtphaͤliſchen Friedens ge - hoͤrt eine groſſe Kenntnis der Grundſaͤtze, welche ſeine Verfaſſer hegten. Man wird von einer ſpaͤ - tern Wendung in den oͤffentlichen Handlungen keine Rechenſchaft geben koͤnnen, ohne einen Thomaſius zu nennen; und ohne zu wiſſen, wie unvorſichtig er ſeine Zeiten zum raiſonniren gefuͤhret habe. Der Stil des letztern Krieges iſt daran kenntbar, daß alle Partheyen ſich wenig auf den Grotius beru - fen, ſondern ſich immer an eine bequeme Philoſo - phie, welche kurz vorher in der gelehrten Welt herrſchte, gehalten haben. Die neue Wendung welche ein Strube der deutſchen Denkungsart da - durch giebt, daß er wie Grotius Geſchichtskunde, Gelehrſamkeit und Philoſophie maͤchtig verknuͤpft,iſtVorrede. iſt auch an verſchiedenen Staatshandlungen merk - lich. Das oͤffentliche Vertrauen der Hoͤfe beruhet auf ſolchen Grundſaͤtzen und ſolchen Maͤnnern. Und ihr Name mag wohl mit den Namen der groͤſten Feldherrn genannt werden. Brechen end - lich Religionsmeinungen in buͤrgerliche Kriege aus: ſo wird ihre Geſchichte dem Staate vollends erheb - lich. Die Eigenliebe opfert Ehre und Eigenthum fuͤr ihre Rechthabung auf. Der Sieger gewinnt allezeit zu viel; er feſſelt wie in Frankreich zuletzt Catholiken und Reformirte an ſeinen Wagen ...... Aber wehe dem Geſchichtsſchreiber, dem ſich der - gleichen Einmiſchungen nicht in die Haͤnde draͤngen; und bey dem ſie nicht das Reſultat wohlgenaͤhrter Kraͤfte ſind.
Doch es iſt Zeit, daß ich von meiner Aus - ſchweifung zuruͤckkehre. Jch habe meinem Leſer nur noch zu ſagen, wie ich, wenn mir GOtt Le - ben und Geſundheit verleihet, den erſten Theil meiner Geſchichte, welcher bis dahin gehet, daß unſre Biſchoͤfe die Beſtaͤtigung ſaͤmtlicher nach und nach an ſich gebrachten Reichsvogteyen, und die Grafenbaͤnne daruͤber vom Kayſer erhalten haben, bald zu liefern gedenke. Man wird alsdann ſchon den Block, woraus die Landeshoheit gebildet wird, aus dem rauhen gearbeitet, und die Zuͤge erſchei - nen ſehen, welche ihre kuͤnftige Geſtalt verrathen. Jch hoffe uͤbrigens meine Goͤnner und Freunde, de -nenVorrede. nen ich die Geſchichte unſers Vaterlandes hiemit zu uͤbergeben anfange, werden ſolche mit einigen Vergnuͤgen leſen. Eine Familie nimmt insgemein Antheil an den Zufaͤllen der ihrigen, und die Ge - ſchichte unſers kleinen Staats iſt die Erzaͤhlung der Begebenheiten unſerer naͤchſten Angehoͤrigen. Der Zirkel, fuͤr welchen ſolche einige Wichtigkeit haben, wird zwar ſehr klein ſeyn. Allein ich ent - ſage mit Freuden der Begierde in einer groſſen Geſellſchafft zu glaͤnzen, wenn ich ihnen ein haͤusli - ches Vergnuͤgen als das edelſte und noͤthigſte unter allen verſchaffen kann. Die Erkenntlichkeit ſo ich meinem Vaterlande ſchuldig bin, macht mir dieſe Selbſtverleugnung nicht ſchwer; und wenn der - maleinſt ein deutſcher Livius aus dergleichen Fami - liennachrichten eine vollſtaͤndige Reichsgeſchichte ziehen wird: ſo werde ich nicht fuͤr den kleinſten Plan gearbeitet haben.
ErſterDas Stift Oſnabruͤck hat gleich andern Spren - geln den Namen von dem Orte ſeiner Biſchoͤf - lichen Kirche bekommen. Vorhin und ehe dieſe Stiftung geſchehen, iſt alſo wol ein Ort, aber kein Staat oder Land gleiches Namens vorhanden ge - weſen. Allein auch dieſer Ort kann kein groſſes Al - terthum haben, indem die Einwohner Deutſchlandes lange keine Staͤdte und Doͤrfer duldeten. (a)Eine gleiche Vorſtellung kann man ſich von allen benach - barten Stiftern und Grafſchaften machen. Sie ſind nach einem Staͤdtgen, Schloſſe oder Dorfe benannt. Und wenn man uͤber ihren bekannten Urſprung hin - ausgeht: ſo verlieren ſich ihre heutigen Namen und Graͤnzen, und alles vermiſcht ſich in einer dunklen Ferne, ſo bald man in die Zeiten ſteigt, worinn die Deutſchen noch keine Kriege mit den Roͤmern fuͤhr - ten. Es laſſen ſich alſo von der Herkunft unſrerAVor -2Oſnabruͤckſche GeſchichteVorfahren, und von ihren erſten Einrichtungen und Kriegen nur allgemeine Vermuthungen wagen. Viel - leicht haben ſie eben ſo gut als andre Voͤlker ihre Helden und Dichter gehabt, und ſind beydes Thaten und Lieder vergeſſen.
Etwas merkwuͤrdiges aber iſt es wol, daß die wah - ren Landes-Einwohner insgeſamt noch einzeln auf ab - geſonderten und insgemein rings umher aufgeworfenen Hoͤfen wohnen, welche kein allgemeines Maaß(a) oder Verhaͤltniß zu einander haben: Ein Erb-Kotte deren bald drey bald vier auf ein Voll-Erbe gerech - net werden, iſt oft groͤſſer als dieſes; und zwiſchen Erbe(b) und Erbe, beſonders auf der Heide, iſt der groͤſte Unterſcheid. Jeder ſcheinet ſich im Anfange ſo viel genommen zu haben, als er hat noͤthig gehabt und gewinnen koͤnnen, da wo ihm ein Bach, Gehoͤlz oder Feld gefallen. (c)Und ſo iſt gemeiniglich die erſte Anlage der Natur.
Unſre Gegenden ſind daher auch wol ſchwerlich durch einen allgemeinen Voͤlker-Zug angebauet wor - den. Denn unter ſolchem giebt es gemeiniglich kleine Verbindungen und Freundſchaften, welche ſich gern zuſammen halten, und nicht ſo ungleich theilen. Die Doͤrfer,(a) welche auf ſolche Art angebauet zu ſeyn ſcheinen, ſind wol zuerſt mit und bey den Kirchen undA 2hoͤch -4Oſnabruͤckſche Geſchichtehoͤchſtens bey den Bruͤcken und Muͤhlen entſtanden. Denn faſt keines hat eine gerechte Feldmark, und viele muͤſſen ihre Aecker von den benachbarten Hoͤfen pach - ten, auch wol einen Grundzins dahin entrichten; zum Zeichen daß ſie auf einem fremden Grunde, und zwar zu einer Zeit angeleget worden, wo ſie ſich ſchon nicht mehr nach Nothdurft ausdehnen konnten. Jn keinem Lehnbriefe findet ſich ein Zehnte mit dem Ausdruck: in oder vor dem Dorfe. Die Dorf-Geſeſſene be - ſitzen auch ordentlich keine Hoͤfe, thun daher keine Krieges-oder Landes-Fuhren, und ſind nicht Leib - eigen, ſondern Wirthe, Kraͤmer, Handwerker und dergleichen neu angezogene Leute.
Eben das laͤßt ſich von den Landſtaͤdten ſagen. Jhre Lage auf den Stifts-Graͤnzen zeiget ihre Be - ſtimmung, wie ihren neuern Urſprung. Die Ge - ſchichte kennet ihren Anfang und Wachsthum noch. Und uͤberhaupt werden ſich in allen Staͤdten, wenig - ſtens in Niederdeutſchland, Spuren nnd Nachrichten von allgemeinen Grund-Zinſen und Word-Geldern finden, welche deutlich beurkunden, daß uͤberall der Boden, worauf Buͤrger und verſammlete Leute woh - nen, ſchon vor ihnen einen Herrn gehabt habe, folg - lich nicht urſpruͤnglich durch eine erobernde(a) Colo -nie5erſter Abſchnitt. nie gewonnen ſey; doch ſcheinen unſre Staͤdte und Doͤrfer mehr im Schutz als auf Herrlichkeit ent - ſtanden zu ſeyn. (b)
Menſchen welche ſich ſolchergeſtalt einzeln, mit aller Bequemlichkeit und Sicherheit anbaueten, darf man auch wol die natuͤrliche Vermuthung der Freyheit zu ſtatten kommen laſſen. Wenigſtens zeigt ſich hier in kei - nem einzigen Dorfe ein urſpruͤnglicher Edelhof, mit eini - ger Gerichtsbarkeit uͤber daſſelbe. Die Edelhoͤfe lie - gen vielmehr gleich den Erben einzeln und abgeſondert, zum Theil ohne geſchloſſene Hofmarken, oder, wie man ſolche hier nennet, Frechten,(a) Wellen,(b) Boͤrden(c) und Aroden,(d) ohne Muͤhlen-Brau - und Back-Zwang. (e)Jhre Leibeigne ſind bis auf einige ſehr wenige, insgeſamt Goͤdings-pflichtig, und keiner jetzt ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen. Und ob man wol deutliche Spuren findet, es auch alsA 3noth -6Oſnabruͤckſche Geſchichtenothwendig annehmen muß, daß dem Adel alle Ge - richtsbarkeit in wahren Boͤrden und Wellen und uͤber diejenige von ihren Leibeignen, ſo nicht in der Gogra - fen(f) Folge ſtehen, ehedem zugeſtanden habe: ſo laͤßt ſich daher doch keine weitere Folge auf andre ziehen.
Von alten Befaͤngen, Begriffen, Baͤnnen, Cantons, Baronien, Herrſchaften und andern der - gleichen Herrlichen(a) Bezirken findet ſich auch kei - ne genugſame Nachricht. Schloͤſſer, und was da - bey vertheidigt wird, reichen wol nur in die mittlern Zeiten und Freye Hagen(b) nicht hoͤher. Die Luft macht(c) nirgends eigen, wie ſie wol in ſtrengen Be - faͤngen thut; und die Dienſte Goͤdings-pflichtiger Leibeigenen ſind faſt durchgehends gemeſſen. Die Worte Cent,(d) Centbarkeit, Frais, Fraisliche und Malefixiſche Obrigkeit, hoͤrt man in unſer gan - zen Gegend nicht. Es giebt wenige Gehaͤge, und die Jagd(e) ſcheinet vor Carln dem Groſſen mit dem echten(f) Land-Eigenthume verknuͤpft geweſen zu ſeyn. Meyer-Hoͤfe(g) findet man viele und faſt in jeder Bauerſchaft einen, bald mit bald ohne Zeichen beſondrer Vorzuͤge; bisweilen auch noch mit einiger Jagd berechtiget.
A 4(a) Bey8Oſnabruͤckſche GeſchichteDie jetzige Abtheilung in Kirchſpiele iſt nicht aͤlter als die Kirchen; und die Gow-Gerichte wor - in das Stift vertheilet iſt, ſind hoͤchſtens von der Zeit Carls des Groſſen. Die Aemter(a) mit ihren Unter-abtheilungen den Vogteyen(b) werden wir noch ſpaͤter aus den Reichs-Vogteyen entſtehen, und durch die Regalien anwachſen ſehen. Die Bauerſchaften, ſind wol nur Unter-abtheilungen der Gow-Gerichte, doch wiederum ohne ſcheinbare Verhaͤltniß zu einander. Die Erbe allein, und ihre Namen welche ſich mit ihren Beſitzern nicht veraͤn -A 5dern,10Oſnabruͤckſche Geſchichtedern,(c) koͤnnen ein wahres Alterthum haben. Und ſolchergeſtalt fuͤhren alle Spuren dahin zuruͤck, daß die erſten Bewohner dieſer Gegend keine Herrlichkeit uͤber ſich erkannt, ſondern bey ihrer Ankunft ſich einzeln, erbar,(d) und unverbunden niedergelaſſen haben moͤgen.
Eine ganz andre Einrichtung findet man in den Ge - genden jenſeits der Weſer,(a) und vielleicht jenſeits der Linie welche vorher die Herzogthuͤmer Oſtphalen und Engern von Weſtphalen geſchieden hat. Dort beſtehen die Doͤrfer aus Bauerhoͤfen und Anſpaͤn - nern, welche zuſammen geruͤckt ſind und ihre gemein - ſchaftliche Feld-Flur haben. Was ein jeder beſitzt ſcheinet Maaß und Verhaͤltnis zu einander; und die Hand einer ordnenden Macht oder Kunſt zu ver - rathen. Die Gerichtsbarkeit, welche hier der Gow - grafe hat, iſt dort bey den Aemtern; oder es hat ſie der Edelmann. Der Gowgrafe, wo er ſich noch findet, iſt ein verdunkelter und ſchlechter Bedienter. GanzeDoͤr -12Oſnabruͤckſche GeſchichteDoͤrfer; Zehnten vor Doͤrfern; Jagden und Ge - richtsbarkeiten gehen dort zu Lehen, und der Edelhof liegt vielfaͤltig im Dorfe, oder nahe daran. Statt der Leibeignen zeigen ſich Erb-Zins-Leute;(b) und man findet Muͤhlen-Brau - und Back-Zwang. Die Bauerhoͤfe werden nach ihren Beſitzern genannt; und ihre Pflichten ſind einfoͤrmiger und von andrer Art. Man ſpricht von Ober - und Untergerichten; ge - ſchloſſenen und ungeſchloſſenen Gerichten, Dinaſtien welche gemeinen Edelhoͤfen entgegen geſetzt werden; vom Jagd-Regal und ſehr vielen andren Rechten und Gewohnheiten wovon man in Weſtphalen und in unſerm Stifte keine Spur findet.
Ein ſo merklicher Unterſcheid ſetzt groſſe und wichti - ge Veraͤnderungen voraus. Vielleicht hat die lang - wierige Gefahr vor den Normaͤnnern, Sklaven, Wenden, Hunnen und andern Voͤlkern in jenen Ge - genden eine ſtrengere Krieges-Verfaſſung und einen beſtaͤndigen Feldherrn erfordert, welcher die einzel - nen Wohner in Rotte zuſammen ruͤcken laſſen, um ſie mit mehrer Bequemlichkeit zu uͤben; und allezeit marſchfertig zu haben. Und vielleicht hat ein ſolcher, durch die allgemeine Noth berechtiget, Hauptleute uͤber ſie geſetzet, welche die Kriegesrolle oder den Heerbann vollzaͤhlig gehalten, und den Leibeigenthum verhindert haben. Denn jeder Goͤdingspflichtiger Leib - eigener iſt ein Ausreiſſer. (a)Wenigſtens zeugen die vielen verliehenen Gerichtsbarkeiten, Jagden und Doͤrfer von einer alten Beſtallung. Und Niederge - richte, welche faſt nur auf die nothwendige Zucht der Krieges-Leute gehen, ſcheinen den alten Hauptmann im Heerbann zu verrathen. Die Menge dieſer Hauptleute, welche alles ihrige nur aus einer Be - ſtallung hatten, mogte dem Adel auf Allode leicht Gelegenheit geben ſich hoͤher zu halten; indem wol anfaͤnglich ein Hauptmann nur nach ſeinem perſoͤnli - chen Verdienſte angeſetzet wurde. Der Muͤhlen - Brau - und Back-Zwang(b) kann zu dem Gehalt des Hauptmanns gehoͤret; und eine beſſere Krieges - Einrichtung die alte Gografſchaft geſprenget |haben. Jch entſcheide dieſes alles nicht; ſondern bemerke nur,daß14Oſnabruͤckſche Geſchichtedaß ſich von allen dieſen Merkmalen, welche zu ſol - chen Vermuthungen zuruͤck fuͤhren, nichts in unſerm Stifte und nichts dieſſeits der angenommenen Linie findet. Der Streit uͤber die Regalitaͤt der Jagden in Weſtphalen iſt daher auch lange unerhoͤrt geweſen, und eine Folge der Umſtaͤnde, die ſich in jenen Gegen - den darbieten.
Noch weiter entfernt ſich die alte Sueviſche Ver - faſſung von der unſrigen. Caͤſar ſagt. (a)„ Unter „ den Germaniern beſitzt keiner gewiſſe Aecker oder „ Bezirke zum Eigenthum, ſondern ihre Obern und „ Vorſteher weiſen nach ihrem Gutachten den Voͤl - „ kern und Familien, welche ſich zuſammen gethan „ haben, das noͤthige Land an, welches ſie beſaͤen und „ das folgende Jahr wieder verlaſſen muͤſſen. Sie „ meinen, ohne dieſe Vorſorge, wuͤrden die Leute ſich „ zu ſehr an ihr Eigenthum gewoͤhnen und daruͤber dieLuſt15erſter Abſchnitt. „ Luſt und den Geiſt des Krieges verlieren; oder eine „ Begierde nach groͤſſern Beſitzungen bekommen und „ die Schwaͤchern verſchlingen; ſich auch nach und „ nach bequemlicher anbauen und verzaͤrteln, oder „ wol gar Reichthuͤmer erwerben und ſich nach einer „ natuͤrlichen Folge beneiden und zanken. Es diene „ auch endlich nicht wenig dazu, das gemeine Volk „ bey gutem Willen zu erhalten, wenn es ſehe, daß „ der Vornehme es nicht beſſer habe, als der Gemei - „ ne und Beyde ſich mit gleicher Nothdurft befriedi - „ gen. „
Allein dieſe ganze Beſchreibung ſchließt auf unſre Gegenden nicht. Hier haben ſich keine Familien zu - ſammen gethan. Heide, Sand, Mohr und Gebuͤrge, woraus unſer Stift groͤſtentheils beſteht, erfordern eine vieljaͤhrige Zubereitung, anhaltenden Bau und keine ſolche Veraͤnderung. Die Natur liebt Eigen - thum; und der Plan, welchen Caͤſar angiebet, hat ein kriegeriſches Genie zum Urheber, das den Staat in ſeine Abſichten gezwungen hat. Dies war ohn - ſtreitig bey den Sueven(a) vorher gegangen; und Caͤſar kannte keine andere Germanier. Jn dem Sueviſchen Plan verliert der groſſe Beſitzer und derAdel;16Oſnabruͤckſche GeſchichteAdel; und die Kriegeslaſt, ſo anderwaͤrts mit dem Land-Erbe verknuͤpft war, faͤllt[auf] jeden Kopf, wel - ches irgend eine Revolution verraͤth, die mit Huͤlfe des groſſen Haufens, oder in der groͤſten Noth iſt vorgenommen worden.
Jn einer ſolchen Anlage als die Sueviſche war lie - gen Keime zu ganz andern Entwickelungen, welchen wir hier nicht weiter nachgehn duͤrfen. Das Schwaben - Recht muſte ſich in der Folge ganz anders bilden als Sachſen-Recht, und Maͤnner auf Weſtphaͤliſcher Erde gebohren, muſten ſich groͤſſer duͤnken, als die - jenigen welche jenſeits der Weſer in ein Dorf und unter der Zucht eines Hauptmanns zuſammen gezogen waren. (a)Anlaß genug zu einem gegenſeitigen Wi - derwillen,(b) welcher noch jetzt nicht voͤllig erſtickt und nach der Carolinger(c) Zeit entſtanden iſt. Doch auch Weſtphalen hat ſich nicht durchgehends gleich bleiben koͤnnen. Die Gegenden nach dem Nieder - rhein haben wie alle Graͤnzen kriegeriſcher Nationen leicht von ihrer urſpruͤnglichen Verfaſſung etwas verlohren, nachdem ſie lange Zeit den Roͤmern und Franken zum Kampf-Platze dienen muͤſſen. DieBUnſri -18Oſnabruͤckſche GeſchichteUnſrigen hingegen haben den Einfluß ſo groſſer Urſa - chen weniger empfinden, und ſo wie bey ihren einzel - nen Wohnungen alſo auch bey manchem alten Rechte bleiben koͤnnen. Man mag alſo bey ihnen den Plan der Natur wol verfolgen, beſonders da die Geſchichte ſich auf denſelben beſtaͤndig zuruͤckzieht.
Solche einzelne Wohner waren Prieſter(a) und Koͤnige(b) in ihren Haͤuſern und Hofmarken. Sie richteten uͤber das Leben(c) ihrer Familie und Knech - te, ohne einander Rechenſchaft(d) zu geben. Jeder Hof war gleichſam ein unabhaͤngiger Staat, der ſich von ſeinem Nachbaren mit Krieg oder Friede ſchied. Jeder Hausvater handhabete ſeinen eignen Hausfrie - den; und wie ſie ſich mehrer Sicherheit halber enger verbanden, ward dieſe Befugnis nicht aufgehoben. Keine Obrigkeit,(e) und vielleicht nicht einmal eine gemeine(f) Gottheit erſtreckte ſich in eines Mannes Wehre. (g)Das gemeine Recht kam wie billig dem Hausrechte(h) nur zu Huͤlfe.
Die gemeinſchaftliche Nutzung eines Waldes, Wei - degrundes, Mohrs, oder Gebuͤrges, wovon ein jeder ſeinen noͤthigen Antheil nicht im Zaune haben konnte, vereinigte dem Anſchein nach zuerſt ihrer einige in unſern Gegenden. Wir nennen dergleichen gemein - ſchaftliche Reviere Marken; und Markgenoſſen waren vielleicht die erſten Voͤlker da wo man ſich ein - zeln anbauete. Unſer ganzes Stift iſt in Marken, worin Doͤrfer und einzelne Wohnungen zerſtreuet lie - gen, vertheilet, und die Graͤnzen derſelben treffen mit keiner Landes-Amts-Gerichts-Kirchſpiels - oderB 3Bauer -22Oſnabruͤckſche GeſchichteBauerſchafts-Graͤnze zuſammen. (a)Natur und Be - duͤrfnis ſcheinen allein die Eintheilung gemacht zu ha - ben; und man ſchließt daher daß ſie aͤlter als alle uͤbrigen ſind. Dem gemeinen Grunde und was dar - auf war, muſten ſie nothwendig einen Frieden(b) wuͤrken, ſich wegen einer beſtimmten Nutzung und ge - wiſſer Rechte und Bruch-Faͤlle(c) vergleichen, Auf - ſeher und Richter erwaͤhlen, und gewiſſe Tage zur all - gemeinen Verſammlung haben.
So iſt noch jetzt unſre Mark-Verfaſſung. (a)Die wahren Genoſſen ſetzen ſich ſelbſt ihr Recht. Der Mark-Richter, Ober-Erb-Exe oder Holzgraf, wie er jetzt insgemein heißt, erkennet darnach in oͤffentlicher Verſammlung, unter freyem Himmel;(b) vollſtreckt das Urtheil mit gemeiner Huͤlfe;(c) durch Pfandung auf ofner(d) Mark; und ſchließt den Uebertreter zu - letzt von der Gemeinſchaft(e) aus, wenn er ſich nicht bequemen will; ohne ſich an ſeine Perſon(f) und Guͤter vergreifen zu duͤrfen. Jeder Genoſſe ohne Un - terſcheid des Standes folgt dem Markgerichte, das er mit bekleidet;(g) dem Richter welchen er ſich erwaͤh - let, und der Abrede die er mit bewilliget hat.
Alle Arten von Gemeinſchaften erforderten auf gleiche Weiſe einen Richter oder Schiedsmann; und die Mannigfaltigkeit der deutſchen Gerichte ruͤhrt eben daher, daß jede Genoſſenſchaft, eben wie jetzt unſre Jnnungen, ihre beſondre Richter und Vorſteher hat - te, welche mit den Genoſſen nothduͤrftiges Recht fan - den. Daher kam es, daß oft einer drey Fuß uͤber der Erde,(a) und ein ander darunter richtete, wenn die Genoſſen verſchieden, und ein Theil derſelben z. E. Blumwarig.(b) der andre aber bloß Duſtwarig(c) war. Denn die Geſellſchaft zur Maſt(d) konnte mit ihrem Richter nicht uͤber die Geſellſchaft zum Brandholze richten. Wir haben mit unſern Begrif - fen von Grundherrlichkeiten(e) und Erbgerichtsbar - keiten alle dieſe ſo begreiflichen Anlagen verdorben. Ein Grundherr richtet uͤber die Wurzel wie uͤber den Stamm, und laͤßt ſich nicht drey Fuß uͤber die Erde weiſen.
Jch finde es unnoͤthig die verſchiedenen Arten dieſer Gemeinſchaften und Rechtsfindungen zu beruͤhren. Jhre Einrichtung war eben ſo, wie die in den Marken; und der Gegenſtand nur verſchieden. Genoſſen eines Eſches;(a) einer Koppel;(b) einer Heimſchnat,(c) eines Kirchen-Friedens, einer Weiſung,(d) eines Lohes,(e) eines Mohres(f) und andrer gemeinen Sachen, hatten andre Vortheile und andre Rechte. Niemand als ein Genoſſe konnte ſolche erkennen und weiſen; und der Richter mogte ſo wenig als der Amts-Meiſter ſich einer beſondern Grund-Herrſchaft anmaſſen. Jetzt hat der Landes-Herr verſchiedene Bruchfaͤlle dieſer Art zu ſtrafen; und ſeit dem alle ſolche kleine Gemeinſchaften in einen Staat erwachſen, koͤmmt es ihm zu, dafuͤr zu ſorgen, daß ſie ihren Vor - theil nicht zum Nachtheil des Ganzen ſuchen. Allein dieſes bey Seite geſetzt, iſt er in ſolchen Faͤllen bloß Richter und nicht Landes-Herr, und der Verluſt ſei - ner Bruch-Faͤlle(g) darf ihm kein Recht geben, ſich den loͤblichen Abſichten einer ſolchen Jnnung zu wi - derſetzen. Wenn die ganze Gemeinde eins iſt hat er nichts zu ſcheiden. Gemeiniglich fuͤhren dergleichen Junungs-Abſchiede, den Nahmen von Sprachen oder Abreden, und ſind die Bauer-ſprachen, Bauer-gerichte, Hecken-ſprachen und andre be - kannt.
Durch alle dieſe kleinen Frieden in beſchloſſenen und unbeſchloſſenen Gemeinſchaften war aber noch keines Mannes Leib und Erbe geſichert. Hieruͤber konnten alle dieſe verſchiedenen Genoſſen kein Rechtwei -31erſter Abſchnitt. weiſen; und der Hausvater der auf ſeinem Hofe als Koͤnig herrſchte, hatte ſeinem Nachbaren nichts zu befehlen. Sie muſten alſo noch einen beſondern Frieden(a) errichten, wodurch ſie ſich einander Leib und Eigenthum gewaͤhreten. (b)Aller Wahrſchein - lichkeit nach haben ſie ſolchen nach dem Mark-Frieden gebildet;(c) und ſchwerlich koͤnnen Menſchen einen ed - lern Plan ihrer Vereinigung erwaͤhlen, als ſich alle Nordiſche einzelne Wohner im Anfange erwaͤhlet haben.
Es muſte ihnen nothwendig ſeltſam vorkommen, daß ein Nachbar den andern zum Tode oder zu einerLei -32Oſnabruͤckſche GeſchichteLeibes-Strafe verdammen ſollte. Ein ſchlimmer Looß hatte keiner von ſeinem Feinde im Unfrieden zu beſor - gen; und es verlohnte ſich nicht der Muͤhe einen ge - meinen Frieden zu errichten, um Leib, Ehre und Gut durch Urtheil zu verliehren. (a)Jhre Vereinigung gieng alſo lediglich auf Rettung und Erhaltung. (b)Auf dieſen groſſen und vielleicht noch uͤberdem ge - heiligten Grundſatz baueten ſie ihre Verfaſſung, und man wird faſt im ganzen Norden kein Volk finden, welches ihn nicht zum Eckſtein genommen habe. Wo ein Geſetzgeber davon abgegangen iſt, hat er ſeine Vollmacht dazu von einer Gottheit entlehnt. Jeder Verbrecher und ſelbſt der Moͤrder(c) konnte daher ſein Blut und ſeinen Leib loͤſen.
Zu einer ſolchen Einrichtung gehoͤrte nothwendig, daß ein jeder ſeine gewiſſe feſt-ſtehende Taxe(a) oder Wehrung empfieng; damit der beleidigte Theil ſeineCFor -34Oſnabruͤckſche GeſchichteForderung nicht uͤbertreiben konnte: und daß ſolche im voraus verglichen und beſtimmet wurde, damit der Schuldige nach ſeiner eignen Bewilligung ver - urtheilet werden konnte. Denn dieſe, und nicht ein willkuͤhrliches Geſetze nach der That, worinn die Partheyen ohnedem ſchwerlich uͤbereingekommen ſeyn wuͤrden, mogte ihn verbinden. Man hies ſolche ins - gemein das Wehr-geld(b) Je hoͤher ein Preis war den einer auf ſeine Perſon erhielt, je mehr war er ge - ſichert. Und der Unterſchied(c) des Wehrgeldes konnte die Klaſſen der Menſchen; ihren verſchiedenen Rang; und die Verhaͤltnis in allen Genugthuungen uͤberaus wohl beſtimmen. Wer das Wehrgeld, wie es verglichen war, nicht bezahlen wollte, genos des gemeinen Friedens nicht weiter,(d) und mogte ſeine Gefahr ſtehen. Er nahm und gab in der oͤffentlichen Verſammlung weiter kein Recht; und keiner durfte ihm helfen, ohne ebenfalls von der Geſellſchaft aus - geſchloſſen zu werden.
Es wurde weiter dazu erfordert, daß man ſich ein - ander dieſe Wehrung verſicherte, und ſich dafuͤr mit geſamter Hand verbuͤrgte. (a)Dieſe Buͤrgſchaft mogte gleichſam die Stelle der obrigkeitlichen Obhut vertre - ten, und der Grund ſeyn, warum an einigen Orten ein Theil des Wehrgeldes der Gemeinheit,(b) an andern aber dem Koͤnige entrichtet werden mußte. Durch jede Erhoͤhung des Wehrgeldes wurde die ge - meine Buͤrgſchaft ſchwerer. Sie muſte alſo wohl mit gemeiner Bewilligung geſchehen, und der vornehmſte Privat-Dienſt mogte daher eines Menſchen oͤffentliche Wehrung nicht erhoͤhen. Vielleicht zeigt dieſes eini - ger maſſen den Grund(c) warum der Kayſer dieC 2Quelle36Oſnabruͤckſche GeſchichteQuelle alles Adels iſt. Ohne Zweifel heiligte ein Prieſter dieſe Geſamt-Buͤrgſchaft zum Gottes-Frie - den. Denn auch dieſer hatte Antheil am Wehr - gelde. (d)Jn den ſpaͤtern Zeiten ſtand blos der Koͤ - nig in des Volkes(e) und das Volk in des Koͤnigs Obhut. Benachbarte Voͤlker(f) vereinigten ſich gern miteinander uͤber das Wehrgeld, damit ſie ſich darnach einander Genug thun und einen Krieg ab - wenden konnten.
Endlich folgte es von ſelbſt daß jeder Hausvater(a) fuͤr ſeine Kinder, Geſinde und andre, die er auf ſeine Gruͤnde nahm, nothwendiger Buͤrge werden und bis auf ihre Wehrung haften mußte. Blos einen Gaſt konnte er drey Tage(b) beherbergen ohne fuͤr ihn einzuſtehen; und jeder Fremde war ein nothwendiger Feind,(c) ſo lange er keinen Buͤrgen hatte. Denn keiner war befugt auf die Rechnung der gemeinen Buͤrgſchaft unſichere Leute aufzunehmen und zu hegen. Und der Fremden Schutz, die Geleits-Gerechtigkeit, das Recht Fremde ohne Buͤrgſchaft zu herbergen, oder ein Wirthshaus zu halten, mußte in der Folge zu den Obrigkeitlichen Befugniſſen gehoͤren. (d)Der Wild - fang oder wie es bey uns heißt, der Bieſter-Freyen Sterbfall iſt damit verknuͤpft. Und man findet leicht den Grund warum alle Fremde anfaͤnglich als Knechte angeſehen wurden. Mit ihrer Haut konnten ſie da - mals noch wenig bezahlen, und man borgte ihnen dar - auf das Geleit nicht wie jetzt.
Das eigentliche Wehrgeld(a) eines Erſchlagenen gehoͤrte aber deſſen naͤchſten Verwandten,(b) wenn er keinem Herrn angehoͤrig geweſen war. Dieſe wa - ren aber auch dagegen verbunden fuͤr ihn zu haften;(c) alſo daß der Gemeinheit eigentlich nur die Waͤhr -Buͤrg -39erſter Abſchnitt. Buͤrgſchaft gegen Benachbarte oblag. Vermuthlich liegt hierinn der Grund des Mit-Eigenthums, welches eine Familie zuſammen an allen Guͤtern hatte; und warum ein Herr ohne ihre Bewilligung ſolche nicht veraͤuſſern, vermachen und beſchweren konnte. Denn ihre Buͤrgſchaft wuͤrde ſehr gefaͤhrlich geweſen ſeyn, wenn ſie nicht gleichſam ein geſetzmaͤßiges Unterpfand, oder jenes Mit-Eigenthum daran gehabt; oder wenn auch nur die Vormundſchaften eine ander Linie als die Erbfolgen gehalten haͤtten. Die Entlaſſung aus der Vaͤterlichen oder Herrlichen Gewalt, war gewiſſer maſſen die Aufkuͤndigung der bisherigen Buͤrgſchaft. Sie muſte daher oͤffentlich geſchehen; und eine Ver - aͤnderung(d) in der eingefuͤhrten Erb-Folge ſehr ſchwer, und ohne eine allgemeine Einwilligung nicht vorzunehmen ſeyn weil die Ordnung der Buͤrgſchaft dadurch verruͤcket wurde. Wie die Leibes-Strafen aufkamen, und Hof-Recht Voͤlker-Recht wurde, mogte dieſe Noth-Haft der Verwandten mit Recht das grauſame(e) Geſetz der Sachſen heiſſen.
Die Richterliche ſchwankende Willkuͤhr wurde zu - gleich