PRIMS Full-text transcription (HTML)
Characteriſtik der merkwuͤrdigſten Aſiatiſchen Nationen.
Concentrirt und hiſtoriſch richtig dargeſtellt.
Erſter Theil.
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Breßlau, beyJohann Ernſt Meyer,1776.
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Vorbericht.

So unangenehm und uͤberfluͤßig manchmal die weitſchweifigen und ermuͤdenden Vorreden vor kleinen Buͤchern ſind: und ſo ſehr wir auch ſelbſt wuͤnſch - ten, dieſem Werke keinen Vor -* 2berichtVorbericht. bericht vorſetzen zu duͤrfen; ſo ſehen wir uns doch der ver - ſchiedenen Leſer wegen, die dieß Buch erhalten koͤnnte, genoͤ - thigt, eins und das andre zu erinnern.

Wahrſcheinlicherweiſe wer - den in dem Publikum der Le - ſerwelt einige ſeyn, die, beym erſten Anblick, dieſes Werk fuͤr etwas ſehr Ueberfluͤßiges hal - ten duͤrften: ſie werden ſich ſonder Zweifel gleich erinnern, daß ſie vor langer oder kur -zerVorbericht. zer Zeit einige Quartanten und Folianten uͤber eben die Ge - genſtaͤnde, die unſer Buch be - handelt, mit vielem Vergnuͤ - gen durchgeleſen, und daher itzt weiter nichts mehr daruͤ - ber zu leſen wuͤnſchen. Fuͤr dieſe fleißigen Durchwuͤhler ſtar - ker Quartanten, haben die Verfaſſer dieſes Werks auch nicht ſchreiben ſie nicht in ihrem gelehrten Fleiße ſtoͤhren wollen. Aber nicht allen in der deutſchen Leſerwelt iſt die Geduld gegeben, ſo wie* 3jeneVorbericht. jene Herren, große Quartan - ten durchzuleſen. Nicht alle haben Luſt alles zu leſen, und zu wiſſen, was ein Reiſebe - ſchreiber geſehen und gehoͤrt hat. Nicht alle beſitzen Ur - theilskraft genug die Guͤte und Zuverlaͤßigkeit, eines Rei - ſebeſchreibers pruͤfen zu koͤn - nen. Und dieſem Leſepu - blikum, das gewiß unendlich groͤßer iſt, als vorhinerwaͤhnte Folianten-Liebhaber iſt un - ſre Arbeit vorzuͤglich gewid - met.

UnſersVorbericht.

Unſers Wiſſens, hat man in Deutſchland bis itzt noch kein Werk, von der Art, wie wir itzt dem Leſer vorlegen. Wir hatten bey Verfaſſung deſſelben bloß die Abſicht, dem Publikum eine concentrit hi - ſtoriſch richtige Darſtel - lung des Intereſſanteſten in dem Character, Den - kensart, Sitten, Gebraͤu - chen, religioͤſen Ideen u. f. verſchiedener merkwuͤrdigen aſiatiſchen Nationen, zu ge - ben, und ihm dadurch einer* 4ermuͤ -Vorbericht. ermuͤdenden Arbeit, die vielen Buͤcher nachzuſchlagen und zu leſen zu uͤberheben. Es kommt dem vernuͤnftigen und billigen Leſer zu und nicht dem, der alles fuͤr ſchlecht und unrecht haͤlt, was er nicht ſelbſt geſchrieben und gemacht hat zu beurtheilen, ob wir dieſe Abſicht erreicht haben oder nicht.

Und hier koͤnnte ſchon die - ſer Vorbericht geſchloſſen wer - den, wenn wir uns nicht fuͤrver -Vorbericht. verpflichtet hielten, dem Leſer anzuzeigen, was wir bey Aus - arbeitung dieſes Werks fuͤr Reiſebeſchreiber gebraucht ha - ben. Auf das Gerathewohl haben wir Niemand nachzubeten Luſt, und fuͤr das leſende Pu - blikum zu viel Achtung ge - habt; ſondern wir haben z. E. bey Perſien den Inſtar omnium, den Ritter Chardin zum Grun - de, ſind aber ſehr haͤufig von ihm abgegangen, und ſonder - lich da, wo wir entweder Wi - derſpruͤche, oder offenbare Un -* 5rich -Vorbericht. richtigkeiten vorfanden. Soll - te uns aber Jemand deswe - gen tadeln, daß wir dem Char - din zu oft gefolgt; ſo iſt es ein ſicheres Zeichen, daß er ihn nie geleſen, oder die Zuverlaͤßig - keit deſſelben nicht kenne. Bey China ſind vorzuͤglich Duͤ Halde Hiſtoire de la Chine, Le Com - pte, Martini (hiſt. Sin.) Neu - hoff, Carery, Kirchers Chi - na illuſtr. (doch aber ſelten) Ma - gaillan und andere, unſre Fuͤhrer geweſen. Wir haͤt - ten die Behandlung des Cha -racte -Vorbericht. racteriſtiſchen der Chineſer, aus unſerm Plan, nachdem Herr von Paw ſeine Unterſuchun - gen geſchrieben hat, heraus - laſſen koͤnnen. Da wir aber ein Ganzes, und die Chineſer ei - nes der merkwuͤrdigſten Voͤlker ſind, liefern, auch dieß Volk nicht philoſophiſch, ſondern hiſtoriſch beſchreiben wollten; ſo konn - ten ſie hier ihren Platz nicht verliehren. Ein billiger Mann wird uns doch hieruͤber nicht tadeln!

DerVorbericht.

Der zweyte und letzte Band der aber etwas ſtaͤr - ker werden duͤrfte, als dieſer erſte wird ohnfehlbar kuͤnf - tige Oſtermeſſe erſcheinen, und wuͤnſchen, daß unſre Arbeit zur Befoͤrderung der Menſchen - kenntniß etwas beytragen moͤge.

Die Verfaſſer.

Leipziger Michael-Meſſe. 1776.

Inhalt.

Inhalt.

Perſer.

  • Erſtes Kapite[l].
    • Vermiſchte Anmerkungen uͤber das Cli - ma Denkart Sitten und Ge - braͤuche der Perſer. S. 3
  • Zweytes Kapitel.
    • Von den Uebungen und Spielen Vom dem Luxus der Perſer Vom Haram der Weiber des Koͤnigs Vom Heyrathen Tod und Be - graͤbniß. S. 44
  • Drittes Kapitel.
    • Von dem Zuſtande der Wiſſenſchaften unter den Perſern. Ihre Art zu ſtudiren. Von der perſiſchenundund arabiſchen Sprache. Ihre Schreibekunſt. S. 73
  • Viertes Kapitel.
    • Von der Dichtkunſt, Mathematik, Aſtro - nomie, Aſtrologie und Philoſophie der Perſer. S. 88
  • Fuͤnftes Kapitel.
    • Von einigen Kuͤnſten, Handwerken und Manufacturen. S. 113
  • Sechſtes Kapitel.
    • Von der Juſtitz und dem buͤrgerlichen Rechte. Vom Criminalrechte und Policey der Perſer. S. 136
  • Siebentes Kapitel.
    • Von der Geiſtlichkeit in Perſien. S. 144
  • Achtes Kapitel.
    • Von den Religionen, welche in Perſien geduldet werden. S. 152
  • Neuntes Kapitel.
    • Von der perſiſchen Religion. S. 172

Chineſer.

  • Erſtes Kapitel.
    • Bemerkungen uͤber den Character, Sit - ten und Gebraͤuche der ChineſerS. 193
  • Zweytes Kapitel.
    • Von dem Zuſtande der Gelehrſamkeit in China uͤberhaupt Von ihrer Aſtronomie Geometrie Poeſie, Hiſtorie und Sprache von ihrer Muſik und muſikaliſchen Inſtrumen - ten von ihrem Papier und Drucke - rey. S. 211
  • Drittes Kapitel.
    • Von der Schiffahrt dem Handel und einigen Manufacturen in China. S. 229
  • Viertes Kapitel.
    • Von der Regierungsart Policey kayſerlichen Einkuͤnften Geſetzen Strafen in China. S. 245
  • Fuͤnftes Kapitel.
    • Von der Religion der Chineſer. S. 279
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Perſer.

Vitae ratio varia et commutabilis. (CICERO. )A[2][3]
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Erſtes Kapitel.

Vermiſchte Anmerkungen uͤber das Clima Denkart Sitten und Ge - braͤuche der Perſer.

Ehe ich mich in eine genaue Dar - ſtellung des Intereſſanteſten in den perſiſchen Sitten, Gebraͤu - chen, Denkart einlaſſe: ſcheint es mir noͤthig zu ſeyn, vorher dem Leſer einige allgemeine Bemerkungen uͤber die Luft und das Clima Perſiens weil jene durch dieſe ihre Richtung erhalten mitzutheilen.

Perſien iſt an und fuͤr ſich ein ungemein duͤrres, bergichtes und wenig bewohntes Land: und man kann annehmen, daß kaum der zehn - te oder zwoͤlfte Theil bewohnt iſt. BeſondersA 2be -4bemerkt man dieſen Mangel an Einwohnern immer mehr und mehr, je weiter man ſich den mittaͤgigen Gegenden des Reichs naͤhert. Die Haupturſache hiervon liegt vermuthlich haupt - ſaͤchlich darinn, daß es faſt im ganzen Lande an hinreichendem Waſſer fehlt. Indeſſen koͤnnte aber doch der Zufluß des Waſſers, und folglich die Fruchtbarkeit des Landes leicht, wenigſtens um einen großen Theil, befoͤrdert werden, wenn es durch unterirrdiſche Canaͤle zu den waſſer - armen Orten geleitet wuͤrde. Allein der Mangel an Menſchen, und die ihnen faſt ange - bohrne Neigung zur Faulheit und zum Muͤßig - gange, verurſacht, daß das Land nicht hinlaͤng - lich bebauet und fruchtbar gemacht wird. *)Man koͤnnte zu den Urſachen der wenigen Be - voͤlkerung Perſiens noch folgende zwey rechnen. Erſtlich macht die harte und oft grauſame deſpotiſche Regierungsform, daß ſich viele Ein - wohner in andern Laͤndern, ſonderlich dem rei - chen, fruchtbaren und ſtark bewohnten Indien niederlaſſen, und unter dem Mogul eine ruhi - ge und gelinde Regierung genießen. Zwey - tens ſchadet der Bevoͤlkerung die unwiderſteh - liche Neigung der Perſer zur Wolluſt und allen unſittlichen Leidenſchaften. Schon in ihren jungen Jahren ſuchen ſie mit dem andern Ge - ſchlecht Bekanntſchaft zu machen, und wenn ein junger Menſch ſein ſechszehntes Jahr er - reicht hat, erlauben es ihm die Geſetze ſich eine Beyſchlaͤferinn zu halten. Dieſe Neigung zur Wolluſt erſtreckt ſich auch in eben dem Gra -de

In5

In einem ſo großen und weitlaͤuftigen Reiche, wie Perſien iſt, muß natuͤrlicherweiſe die Luft und das Clima ſehr verſchieden ſeyn. Xenophon erzaͤhlt vom Cyrus, daß dieſer ein - mal folgende Worte wegen der Verſchiedenheit der Temperatur der Luft ſoll ausgeſprochen ha - ben: das Reich meines Vaters iſt ſo groß, daß man an einem Orte vor Kaͤlte erſtar - ren, und am andern vor Hitze zerſchmelzen moͤchte. Dieſe Beſchreibung des Cyrus hat noch itzt, nach dem einhelligen Zeugniſſe der zuverlaͤßigſten Reiſebeſchreiber ihre voͤllige Rich - tigkeit, wenn gleich Perſien gegenwaͤrtig bey weitem nicht mehr ſo groß iſt, wie es zu den Zeiten des Cyrus war.

Der Winter iſt in den nordoͤſtlichen Pro - vinzen uͤberaus rauh und faſt unaushaltbar. A 3Da -*)de auf das Frauenzimmer. Sie bekommen fruͤhzeitig Kinder: aber dieſe Fruchtbarkeit wird bald gehemmet. Denn ſie haben die abſcheu - liche Gewohnheit an ſich, ihre Leibesfrucht durch dazu dienliche Mittel abzutreiben: und dieß bloß darum, weil ſie es nicht leiden koͤn - nen, daß ihre Maͤnner waͤhrend der Schwan - gerſchaft denn nach den Geſetzen darf kein Perſer bey einer ſchwangern Frau ſchlafen gar keine Gemeinſchaft mit ihnen haben, und es mit andern halten. Wir werden in der Folge noch Gelegenheit haben, von den Heyrathen und den Gebraͤuchen bey denſelben zu reden. Hier iſt der Ort nicht und auch fuͤr eine Anmerkung zu weitlaͤuftig, dieſe intricate Materie ſo zu behandeln, wie ſie es verdient.6Dagegen aber iſt die Hitze in den mittaͤglichen Gegenden, beſonders gegen dem perſiſchen Meer - buſen, nicht allein unausſtehlich heiß, ſondern auch zu gewiſſen Zeiten oft toͤdlich. Die Ein - wohner dieſer Gegenden wiſſen ohngefaͤhr die Zeit, wenn die Hitze bringenden Winde zu wehen anfangen. Alsdenn verlaſſen ſie ihre Felder und alles, was ſie haben, und begeben ſich auf die hoͤchſten Berge. Vom October bis zum May trift man an den Kuͤſten des Caſpiſchen Meers, hauptſaͤchlich aber in Me - zand an und Chilan Oerter an, die zugleich heiß und feuchte, und folglich ſehr ungeſund ſind. Dieſe beyden Provinzen ſind von Na - tur die ſchoͤnſten Laͤnder. Die Perſer nennen ſie deswegen auch das Paradieß, weil ſich kei - ne angenehmere und zugleich erquickendere Luft denken laͤßt, als man hier einige Monathe hindurch verſpuͤrt. Wer die Einwohner die - ſes Landes anſieht, der wird auch gleich an ih - rer Geſtalt und Farbe merken, daß in den an - dern Monathen des Jahrs die ungeſundeſte Luft ſeyn muͤſſe, die ſie aber einigermaßen ge - wohnt zu ſeyn ſcheinen.

Indeſſen findet man doch in ganz Perſien kein Land, daß an unertraͤglicher Hitze mit den vorherbeſchriebenen koͤnnte verglichen werden. Und wenn man gleich uͤberall eine trockene und heiße Luft antrift; ſo muß man dieß dem Man - gel an Regen zuſchreiben, welches uͤbrigens auf die Natur der Einwohner weiter keinenſchaͤd -7ſchaͤdlichen Einfluß hat. Es iſt gar nichts Un - gewoͤhnliches, wenn man in einigen Gegenden Perſiens den ganzen Sommer hindurch keinen Tropfen Regen fallen, und keine Wolke am Himmel aufſteigen ſieht. Man ſollte alſo den - ken, daß alle Producte der Erde daß Ge - ſundheit und Verſtand verlohren gingen! Al - lein jene erhalten dadurch gar keinen Scha - den, und dieſe doch nur ſehr wenig. *)Es iſt nicht zu leugnen, daß die gar zu große Hitze, ſo wie man ſie in einigen Gegenden Per - ſiens antrift, auf den menſchlichen Geiſt ſtark wuͤrke. Wahrſcheinlich wuͤrden wir in Perſien den gluͤcklichſten Fortgang in den Wiſſenſchaf - ten, ſonderlich in den freyen Kuͤnſten bemerken, wenn die Hitze den Geiſt der Einwohner nicht ſo bald ermuͤdete und zur anhaltenden Geſchaͤf - tigkeit unfaͤhig machte.

Sommer und Winter wechſeln ſo ab, daß jener vom May bis September, und dieſer vom November bis April gerechnet wird. Wenn ein ſtarker und heftiger Wind den Anfang des Mays begleitet, ſo iſt man ſicher, daß nun - mehr die angenehmen Sommertage wieder zu - ruͤckkommen. Man rechnet die Sommernaͤch - te auf 10 Stunden. Sie ſind kuͤhle und uͤber - aus erquickend. Vom Donner und Blitz und Erdbeben weiß man wenig oder gar nichts zu ſagen, wovon man natuͤrlicherweiſe die Ur - ſache in der trocknen Luft, und in den aus der Erde wenig aufſteigenden Feuchtigkeiten ſuchenA 4muß.8muß. Der Regenbogen iſt den Perſern auch unbekannt, weil die Luft nicht mit uͤberfluͤßi - gen Waſſertheilchen, die eigentlich den Regen - bogen bewuͤrken, angefuͤllet iſt. Man bemerkt aber in den Sommernaͤchten glaͤnzende Stralen am Himmel, welche durch die Wolken hervor - glaͤnzen, und gewiſſe Merkmale von Rauch hinter ſich zu laſſen ſcheinen. Im Fruͤhjahre hagelt es zuweilen, wodurch das Getrayde, weil es denn ſchon ziemlich aufgeſchoſſen iſt, oft ſehr beſchaͤdigt wird. Erdbeben giebt es ſelten, ausgenommen in Mezandran, wo man ſie gewoͤhnlich im Fruͤhjahre verſpuͤrt.

Wir haben geglaubt, dieſe allgemeinen Be - merkungen uͤber Luft und Clima voranſchicken zu muͤſſen, weil dadurch Manches in den per - ſiſchen Sitten, Denkart u. ſ. w. verſtaͤndli - cher und erklaͤrbarer ſeyn wird: und gehen itzt zu einer naͤhern Auseinanderſetzung des Intereſ - ſanteſten in den Sitten und Gebraͤuchen dieſer Nation uͤber. Wir werden auch hier vor - zuͤglich dem ſcharfſichtigen und getreuen Beob - achter von Perſien, dem Ritter Chardin fol - gen, und nur da von ihm abgehen, wo uns die Erzaͤhlungen anderer Reiſebeſchreiber wahr - ſcheinlicher und beſtimmter vorkommen.

Die Perſer gehoͤren unter diejenigen Voͤl - ker des Orients, denen es Ernſt geweſen iſt, ihre Sitten fruͤh zu vervollkommnen und nach ihrer Denkart anſtaͤndige Gebraͤuche einzufuͤhren. Vielleicht waͤre die Behauptung nicht unrecht,wenn9wenn man ſie als das Volk anſaͤhe, welchem alle andere Nationen des Morgenlandes die Verfeinerung ihrer Sitten zu danken haben. Der franzoͤſirende Sineſer hat ſonder Zwei - fel ſeine Hoͤflichkeit dem Perſer zu verdanken; nur das Unnatuͤrliche in der Hoͤflichkeit und dem Complimentenmachen bey dieſer Nation kann man den Perſern nicht anrechnen. Die Sineſer ſind gegen Fremde zu uͤbertrieben hoͤflich, und uͤbertreffen hierin den ſonſt unnatuͤrlichen Klein - meiſter unter den Franzoſen unendlich weit. Die Perſer ſind gleichfalls gegen Fremde uͤber - aus hoͤflich und beſcheiden. Man koͤnnte daher die Perſer, in Anſehung ihrer Hoͤflichkeit, bey - nahe mit den Deutſchen und die Sineſer mit den Franzoſen vergleichen.

Die Perſer ſind, ihrer Leibesgeſtalt nach, urſpruͤnglich haͤßlich und uͤbelgebildet. Ihre Haut iſt grob und von fahler Couleur. Dieß findet man auch an den Guebers, (die ein Ueber - bleibſel der alten Perſer ſind, von welchen un - ten weitlaͤuftiger ſoll gehandelt werden) und an den Einwohnern der Provinzen, die an Indien graͤnzen, wo die Menſchen eben ſo haͤßlich und uͤbelgebildet ſind als die Guebers, weil ſich dieſe gemeiniglich mit einander zu verbinden pfle - gen. Im Innern des perſiſchen Reichs aber, findet man dieſe Maͤngel in Abſicht der aͤußern Bildung des Koͤrpers nicht. Der Grund hiervon liegt in ihrer Vermiſchung mit den Circaſſierinnen und Georgianerinnen, wel -A 5che10che die Natur ſonder Zweifel mit den ſchoͤn - ſten, reitzendſten und wohlgeſtalteſten Koͤrpern verſehen hat. Man findet in Perſien faſt kei - ne Perſon von Stande, die nicht von einer circaſſiſchen oder georgianiſchen Mutter geboh - ren waͤre. Durch dieſe Vermiſchung, die nun ſchon uͤber zweyhundert Jahre lang gedauert hat, ſind die Perſer, und ſonderlich die Stan - desperſonen, vorzuͤglich ſchoͤn gebildet worden. Die Mannsperſonen ſind gewoͤhnlich groß, gera - de, muthig, von guter Mine. Hierzu traͤgt das gute Clima und die Maͤßigkeit, worin ſie erzogen werden, ungemein viel bey.

Außer dieſer vorzuͤglich ſchoͤnen Bildung des Koͤrpers beſitzen ſie auch fuͤrtrefliche Gaben des Geiſtes: ihre Einbildungskraft iſt lebhaft, prompt und fruchtbar, ihr Gedaͤchtniß leicht und ſtark. Sie haben ſowohl zu den freyen als mechaniſchen Kuͤnſten viele Neigung, und haben einige derſelben bis zu einem hohen Grad der Vollkommenheit gebracht, wenn gleich eini - ge derſelben wie man in dem Kapitel, das von den freien und mechaniſchen Kuͤnſten han - delt, ſehen wird aus Urſachen wenig oder gar nicht bearbeitet werden. Ihre Neigung zum Krieg iſt gleichfalls ſtark, weil ſie uͤberaus ruhmbe - gierig ſind. Ihr Naturell iſt biegſam und ge - ſchmeidig und ihr Verſtand ſcharf, durchdrin - gend. Sie ſind galant, hoͤflich, artig und guterzogen. Aber ihr natuͤrlicher Hang zur Ausſchweifung in der Wolluſt, Pracht, Auf -wande11wande und Verſchwendung hat bey ihnen kei - ne Graͤnzen, daraus ſichs denn auch leicht er - klaͤren laͤßt warum ſie ſo ſchlechte Wirthe ſind, und ſich auf den Handel gar nicht verſtehen.

Es iſt uͤberhaupt gewiß, daß es den Per - ſern an Talenten in allen Stuͤcken gar nicht feh - le, und wenn ſie dieſe gehoͤrig anwenden woll - ten; ſo wuͤrden ſie vielleicht die poliſirteſte und gluͤcklichſte Nation des Erdbodens ſeyn.

Sie raiſonniren uͤber die Guͤter und das Ue - bel dieſes Lebens, uͤber die Hofnung und Furcht des zukuͤnftigen ſehr philoſophiſch: ſie ſind dem Geitze wenig ergeben, und denken bloß daran, wie ſie ſich bald große Reichthuͤmer erwerben koͤnnen, um zu gewaltigen Verſchwenden Ge - legenheit zu haben. Ihre Hauptmaxime hier - inn iſt dieſe: Alle Guͤter der Welt ſo viel als moglich, in ihrer ganzen Staͤrke zu genießen. Auf die Zukunft pflegen ſie keine Ruͤckſicht zu nehmen, ſondern ſie berufen ſich immer auf die Fuͤrſehung und auf das Schick - ſal. Dieſes halten ſie fuͤr unveraͤnderlich und gewiß. Deßwegen uͤberlaſſen ſie ſich demſelben blindlings. Auch ſieht man ſie nicht traurig, wenn ihnen Ungluͤcksfaͤlle und dergleichen zu - ſtoßen; ſondern ſie troͤſten ſich mit den Wor - ten: mek toub eſt, das heißt, es hat ſo ſeyn muͤſſen.

Nach dieſen Begriffen iſt es ſehr natuͤrlich, daß die Perſer ſo wenig in die Zukunft ſehen,und12und alles, was ſie haben, durchzubringen pfle - gen. Sie wiſſen mit dem Gelde gar nicht um - zugehen, und verſchwenden in kurzer Zeit alles, was ſie haben. Wenn, z. B. der Koͤnig Je - manden ein Geſchenk von funfzig oder hundert tauſend Thalern macht; ſo iſt es ihm eine Klei - nigkeit, dieß Suͤmmchen in vierzehn Tagen oder hoͤchſtens in vier Wochen durchzubringen. Er kauft ſich Sclaven von beiden Geſchlechtern, miethet ſich ſchoͤne Frauen, haͤlt ſich praͤchtige Equipage, meublirt ſeine Zimmer, kleidet ſich auf das koſtbarſte, und iſt der Verſchwendung ſo lange ergeben, bis das Geld in anderer Haͤn - de iſt. Alsdann ſieht er ſich genoͤthigt ſeine Sclaven, Equipage, Kleidungen u. ſ. w. nach und nach zu verkaufen und wieder in ſeinen vo - rigen Zuſtand zuruͤckzukehren.

Das Lobenswuͤrdigſte an den Sitten der Perſer iſt die Freundlichkeit, mit der ſie Frem - den zu begegnen pflegen, die Gefaͤlligkeit, ſie aufzunehmen und der Schutz, den ſie ihnen an - gedeihen laſſen. Ihre Gaſtfreyheit gegen Jedermann, und ihre Toleranz gegen andre Religionsverwandte ſind Tugenden, die man faſt uͤberall bey ihnen antrift. Freylich, was die Toleranz in religioͤſen Dingen betrift, muß man die Landgeiſtlichen hiervon ausnehmen, denn dieſe ſind gemeiniglich, wie uͤberall, ſo in - tolerant, daß ſie durchaus Niemanden, der nicht von ihrer Religion iſt, ausſtehen koͤn -nen.13nen. *)Dergleichen unvernuͤnftige Eiferers, chriſtliche Muftis, wer ſollte es glauben! giebts auch in Europa genug, und, welches am meiſten zu verwundern iſt in dem proteſtantiſchen Deutſchland vorzuͤglich! Hingegen geht in den Staͤdten dieſe Duldung ſo weit, daß ſie ſo gar denen, die ihre Religion angenommen, und die hernach wieder zu der Religion, die ſie erſt verlaſſen hatten, zuruͤckkehren, nicht das geringſte Leid zufuͤgen. Sie glauben, daß das Gebet eines jeden Menſchen gut und wuͤrkſam ſey, und ver - laſſen ſich auch bey gefaͤhrlichen Krankheiten auf das Gebet und Fuͤrbitte anderer, die nicht ihrer Religion zugethan ſind. Man muß dieß nicht den Grundſaͤtzen ihrer Religion, (ob ſie gleich allen fremden Gottesdienſt erlaubt,) zuſchreiben, ſondern den gelinden und feinen Sitten dieſes Volks, welches keiner Haͤrte und Grauſamkeit faͤhig iſt.

Da die Perſer, wie ich ſchon angemerkt habe, ſo verſchwenderiſch und uͤppig ſind; ſo iſt es auch ſehr natuͤrlich, daß ſie zu keiner Ar - beit aufgelegt ſind und oft ganze Tage mit Nichtsthun hinzubringen pflegen. Sie haſſen die Arbeit: und das iſt gewoͤhnlich der Grund ihrer Armuth. Man nennt in Perſien die Faulen und die, welche ohne Arbeit ſind, Ser - guerdan, welches ſo viel heißt, als den Kopf von einer Seite zur andern drehen.

Die14

Die Perſer ſchlagen ſich niemals. Ihre ganze Wuth bricht in Schimpfen und Fluͤchen aus. Wenn ſich alſo zwey Perſonen zanken; ſo ſchlagen ſie ſich nicht, ſondern ſie laſſen ihrer Zunge freyen Lauf, ſchimpfen und fluchen nach Herzens Luſt ſo ſtark und ſo viel, als ſie koͤnnen, je nach dem ſie hierinn in ihren juͤngern Jahren gut unterrichtet ſind. Dieſe Arten von niedri - ger Vertheidigung gegen die Beſchimpfung an - derer, ſind gemeiniglich von den geheimſten Theilen des menſchlichen Koͤrpers hergenom - men, und dieß erſtreckt ſich auch ſo gar bis auf die Vornehmſten im Reiche. Das gemeine Volk kennt durchgaͤngig keine andre Art von Gegenwehr.

So tadelnswuͤrdig nun auch dieſes in der That iſt; ſo hoͤrt man unter ihnen doch nichts von Gotteslaͤſterungen. Dergleichen Suͤnden ſind bey ihnen nicht nur unerhoͤrt, ſondern ſie koͤnnen es auch gar nicht begreifen, wie die Europaͤer, wenn ſie im Zorn ſind, bey dem Namen Gottes ſchwoͤren koͤnnen. Ihre ge - woͤhnlichen Schwuͤre ſind: Eruca pigumber, d. h. bey dem Geiſte des Propheten. Die Kriegesleute und Bedienten des Hofes ſchwoͤ - ren gewoͤhnlich bey dem geheili[g]ten Kopfe des Koͤniges. Die ihnen natuͤrlichen und gelaͤufigſten Bekraͤftigungen ſind: bey mei - nem Kopfe: bey meinen Augen.

Es laͤßt ſich nicht wohl reimen, wie eine Nation, die den Namen Gottes fuͤr ſo heilighaͤlt,15haͤlt, doch denſelben immer im Munde fuͤhren, und zu gleicher Zeit die groͤbſten Zoten vorbrin - gen koͤnne. Sie loben Gott unaufhoͤrlich, ſie moͤgen ſeyn, wo ſie wollen, ſich aufhalten, thun, was ſie wollen. Sie erheben die Vollkommen - heiten Gottes alle Augenblicke, und ſind zu gleicher Zeit im Stande mitten unter dieſen Lo - beserhebungen von den Heimlichkeiten des Frauenzimmers auf eine ſehr unſchickliche Art zu reden. Doch muß man hier anmerken, daß dieſes meiſtentheils nur bey dem gemeinen Man - ne Statt finde.

Unter die groͤbſten Laſter, welchen die Per - ſer ergeben ſind, muß man ihre Verſtellung, Betruͤgereyen und Schmeicheleyen rechnen, de - nen ſie auf eine außerordentliche Art ergeben ſind. Ihre Schmeicheleyen uͤbertreffen alle Erwartungen: ſie ſind in dieſer Kunſt ſo geuͤbt, und wiſſen ſie ſo am rechten Orte anzubringen, daß man wuͤrklich glauben ſollte, ſie daͤchten ſo, wie ſie redeten. Allein man wird bald gewahr, daß unter dieſen Schmeicheleyen nichts weiter als eigennuͤtzige Abſichten verborgen ſind. Ihre Verſtellung und Betruͤgereyen zwey Laſter, die mit einander gleichſam verſchwiſtert ſind uͤberſteigen alle Vorſtellungen. Sie leihen, ge - ben es aber ſelten wieder zuruͤck; und koͤnnen ſie es dahin bringen, daß ſie es gar nicht wie - der zuruͤckzugeben brauchen, ſo ſind ſie daruͤber aͤußerſt zufrieden. So entehrend nun dieß in der That fuͤr den Character und die Denk -art16art der Perſer iſt, ſo wuͤrde es dennoch immer lobenswerth ſeyn, wenn ſie dieſe Hinterliſtigkeit und Betruͤgereyen nur unter ſich ausuͤbten, und andre, mit denen ſie Unterhandlungen ha - ben, damit verſchonten. Aber dabey laſſen ſie es nicht bewenden. Iſt es ihnen moͤglich frem - de Nationen, mit denen ſie Handel treiben, zu betruͤgen, ſo thun ſie dieß nicht mehr als ger - ne. Wer die Perſer in dieſem Stuͤcke, ſon - derlich der, welcher mit ihnen Handel treibt, nicht kennt, und ihnen ſein ganzes Vertrauen ſchenkt; laͤuft Gefahr, ſein ganzes Vermoͤgen in ihren Haͤnden zu ſehen.

Mit dieſer Kunſt der Betruͤgerey verbinden die Perſer ein uͤberaus demuͤrhiges Weſen, re - den von Moralitaͤt und Menſchlichkeit ſo ge - ſund, aͤußern in ihrem Betragen ſo viel Red - lichkeit des Herzens, verachten mit einer ehrli - chen Mine ſo ſehr alle Arten von Wohlleben und Hoffarth, daß man ſie fuͤr die aufrichtig - ſten Leute von der Welt halten muß. Aber ei - ne naͤhere Bekanntſchaft und Umgang mit ih - nen macht, daß man ſie bald als ſolche verab - ſcheuen muß, bey denen Rechtſchaffenheit und Ehrlichkeit bloße Toͤne ohne Bedeutung ſind. Dieſe Characteriſirung der Denkart der Perſer in dieſem Stuͤcke, leidet natuͤrlicher - weiſe auch ihre Ausnahmen. Es giebt unter ihnen ſowohl, als unter allen andern Voͤlkern, Leute, die ſich ſolche niedrige Geſinnungen nicht vorzuwerfen brauchen; aber ſie ſind doch ſelten. Im17Im Ganzen alſo kann man in dieſem Puncte kein vortheilhaftes Urtheil uͤber dieſe Nation faͤllen.

Bey einer ſolchen gaͤnzlichen Verkehrtheit in den Handlungen und der Denkart der Per - ſer, ſollte man glauben, daß ſie ihre Kinder von Jugend auf in ſolchen ſchlechten Maximen auferzoͤgen; daß ſie ſich wenig oder gar nicht um die Erziehung derſelben bekuͤmmerten. Aber vielleicht giebt es wenige Voͤlker in der Welt, die eine ſolche Sorgfalt auf den Unterricht und die Erziehung der Kinder wenden, als die Per - ſer. Ja man kann beynahe ſagen, daß ſie ſich des Unterrichts und der Erziehung der Kinder, im Ganzen genommen, eifriger angelegen ſeyn laſſen, als die ſonſt ſo civiliſirten Europaͤer. Eines jeden wohlhabenden Perſers erſte Sorge fuͤr ſeine Kinder iſt die, daß er ſie der Aufſicht eines Verſchnittenen (welcher vorzuͤglich auf ihr ſittliches Betragen achten muß) uͤbergiebt. Dieſe Eunuchen oder Verſchnittene beſtim - men, mit Zuziehung der Eltern, die Wiſſen - ſchaften, worinn die Kinder vorzuͤglich unter - richtet werden ſollen,*)In einem der folgenden Kapitel iſt angemerkt worden, daß ſich ein jeder, der auf den Na - men eines Gelehrten Anſpruch machen will, in allen Faͤchern der Wiſſenſchaften muͤſſe umge - ſehen und gute Kenntniſſe erworben haben. Darauf wird hier der Leſer verwieſen. und waͤhlen dazu diege -B18geſchickteſten Lehrer. *)Bey den Europaͤern, und ſonderlich bey uns Deutſchen, pflegt man mit der Wahl der Leh - rer nicht ſo behutſam zu verfahren! Wir geben unſern Kindern einen Hofmeiſter oder Lehrer, weil es der hohe Fuß ſo will, ohne zu unterſu - chen, ob der Hofmeiſter mit Nutzen bey den Kindern ſey oder nicht! Die vorzuͤglichſte und naͤhere Aufſicht bittet ſich gemeiniglich die Mama aus, verzieht und verdirbt nicht ſelten die lieben Kinder jaͤmmerlich. Aber man ſollte hierinn den Perſern folgen. Setzt den Kindern, wie jene, einen tuͤchtigen, ehrlichen und rechtſchaffenen Hofmeiſter vor, haltet ſie in der Jugend mit Weisheit ſcharf uͤberlaßt ihm Alles, und ihr werdet dem Staate gute Kinder, zu eurer eignen Beruhigung, geliefert haben.Sie haben nicht die Gewohnheit, ihre Kinder in oͤffentliche Schu - len zu ſchicken, aus Furcht ſie moͤchten verdor - ben werden. **)Im Ganzen genommen haben die Perſer auch hierinn Recht. Eine Schule, worinn ſo vie - le Kinder von mancherley Gaben und Herzen erzogen werden, mag auch immerhin ſo gut ſeyn, wie ſie will; ſo bleiben ihr doch noch vie - le Maͤngel uͤbrig, die fuͤr das Herz, fuͤr die gan - ze Denkart eines jungen Menſchen hoͤchſt ge - faͤhrlich ſind. Manchem hochgelahrten Herrn Rector duͤrfte dieſe Bemerkung ſehr un - lieb ſeyn. Er beliebe aber nur unpartheyiſch daruͤber nachzudenken: alsdann wird er die Wahrheit dieſes Satzes leicht erkennen. Dieſer Fleiß in Erziehung der Kinder erſtreckt ſich aber nicht bloß auf die Vornehmen, ſondern auch der gemeine Mannlaͤßt19laͤßt es nicht an Muͤhe fehlen, ſeinen Kindern einen guten Unterricht und eine vernuͤnftige Erziehung zu verſchaffen. Er ſchickt ſie fruͤh - zeitig in die Schule, und wenn ſie wieder zu Hauſe kommen, ſo muͤſſen ſie gleich wieder an die Arbeit gehen, und etwa das Handwerk, das der Vater treibt, lernen. Das wilde Herum - laufen auf den Straßen wird dadurch fuͤrtref - lich gehemmt. Herrliche Grundſaͤtze, die in Europa allgemein ſollten befolgt werden, oder vielmehr ſchon laͤngſt all - gemein ſeyn ſollten.

Die jungen Leute kommen nicht eher in die große Welt, als im zwanzigſten Jahre, es ſey dann, daß man bey ihnen einen Hang zur Lie - be verſpuͤrte und ſie alsdann fruͤher verheyra - thete. Denn man pflegt ihnen ſchon, wie be - reits erwaͤhnt, im ſechzehnten oder ſiebenzehnten Jahre Concubinen zu geben. Bey einer ſol - chen Veraͤnderung der Lebensart der jungen Leu - te, ſcheinen ſie anfangs ziemlich hoͤflich, ernſt - haft, ehrlich und ſtill zu ſeyn. In der Folge aber laſſen ſie ſich leicht durch das boͤſe Exem - pel andrer zur Leichtfertigkeit und dergleichen Dingen verleiten.

Es iſt ſchon im vorhergehenden bemerkt worden, daß die Perſer mit unter die civiliſir - teſten Voͤlker des Orients muͤſſen gerechnet wer - den. Ihre Mienen und Geberden ſind einneh - mend, ſanft, majeſtaͤtiſch, und im moͤglichſten Grade einſchmeichelnd. Wenn zwey PerſonenB 2ſich20ſich irgendwo zuſammentreffen; ſo bekompli - mentiren ſie ſich uͤber den Vortritt auf eine hoͤchſt laͤcherliche Art, und doch weiß ein jeder den ihm zukommenden Platz einzunehmen. Zwey Dinge ſcheinen ihnen in unſern Sitten ausſchweifend zu ſeyn: Einmal, daß wir uns bey unſern Zuſammenkuͤnften ſo ſehr um den Rang ſtreiten, und dann, daß wir den Hut abnehmen, wenn wir andern unſre Ehrerbie - tung wollen zu erkennen geben. Dieſes letzte - re halten ſie fuͤr einen Mangel der Achtung, die einer dem andern ſchuldig ſey, oder fuͤr ei - ne Freyheit, deren man ſich nur gegen Niedri - ge oder gegen ſeine vertrauteſten Freunde bedie - nen koͤnne. Wenn ſie einen vorzuͤglich ehren wollen; ſo laſſen ſie ihn zur Linken ſetzen. Denn die Linke iſt bey ihnen das, was bey uns die Rechte. Man ſagt, daß dieſe Gewohnheit vom Cyrus ſey eingefuͤhrt worden. Denn dieſer habe allemal denjenigen, welchen er vor - zuͤglich ehren wollte, zur Linken gehen laſſen.

Die Geſelligkeit iſt eine Eigenſchaft, welche die Perſer vorzuͤglich characteriſirt. Sie beſu - chen ſich einander ſehr fleißig, es mag nun bey traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder bey ſolennen Feſten ſeyn. Die Vornehmen er - warten zuerſt den Beſuch der Geringern, denen ſie hernach auch ihre Gegenviſite machen. Die Hofleute gehen zu den Miniſtern, um dieſen ihr Compliment zu machen. Man fuͤhrt ſie ingroße21große Saͤle, wo man ihnen Taback*)Dieß iſt ſehr gewoͤhnlich; beſonders hat man den Taback gleich bey der Hand. Er koſtet auch nicht viel, weil er uͤberall in Perſien waͤchſt und da keiner außerordentlichen Wartung be - darf. und Caf - fee vorſetzt, bis der Herr des Hauſes, der ſich ſo lange bey dem Frauenzimmer aufhaͤlt, in das Zimmer tritt. So bald er erſcheint, ſtehen die Anweſenden alle auf, und bleiben auf ihrer Stelle ſtehen, ohne ſich zu bewegen. Er macht eine leichte Verbeugung mit dem Kopfe gegen die ganze Geſellſchaft, welche dieſes auf das ehrerbietigſte zu erwiedern pflegt. Hierauf ſetzt er ſich an ſeinem gewoͤhnlichen Ort nieder, und giebt der Geſellſchaft durch einen Wink zu er - kennen, ſich auch zu ſetzen. Und wann er dann wieder fortgehen will; ſo ſteht er auf, gehet zu - erſt heraus und alle folgen ihm. Die Großen empfangen auch auf eben dieſe Weiſe den Be - ſuch derer, die geringer ſind als ſie: aber mit ihres Gleichen oder mit noch Vornehmern, ma - chen ſie ſehr viele Umſtaͤnde. Man bewillkommt ſie auf eine artige Weiſe: man ſetzt ſich zuletzt nieder, und ſtehet nicht eher auf, als bis die andern aufgeſtanden ſind. Der Herr des Hau - ſes ſitzt immer am aͤußerſten Ende; und wenn er jemanden beſonders ehren will, ſo winkt er ihm durch ein Zeichen, ſich neben ihm zu ſetzen. Er bietet ſeinen eignen Platz niemals Jeman - den an, weil ſichs der, dem man dieß zumu -B 3thete,22thete, fuͤr eine Beleidigung anrechnen wuͤrde: aber wenn man ſeinen außerordentlichen Re - ſpect bezeigen will; ſo ſteht man auf, und ſetzt ſich der geehrten Perſon zur Seite, aber doch unten an.

Wenn die Perſon, mit der man zu ſpre - chen wuͤnſcht, von vornehmer Herkunft iſt; ſo beobachtet man folgendes dabey. Man geht ganz ſachte in das Zimmer, und ſtellt ſich bey dem Sitze, der zunaͤchſt ledig ſteht. Hier bleibt man mit den Fuͤßen dicht neben einander mit den Haͤnden eingeſchlagen mit herunter gebuͤcktem Kopfe, mit ſtarren Augen, ſteif und gravitaͤtiſch ſo lange ſtehen, bis der Herr des Hauſes den Wink zum Sitzen giebt, wel - ches er gemeiniglich entweder mit dem Kopfe oder der Hand verrichtet. Wer einen Beſuch von einen Hoͤhern bekommt, der ſteht auf, ſo bald jener herein kommt, und ſtellt ſich, als wolle er ihm entgegen gehen. Wer aber einen Beſuch von ſeines Gleichen erhaͤlt, ſteht nur halb auf; iſt der Beſuch eine Perſon von ge - ringer Extraction, und doch einer Ehre wuͤr - dig; ſo macht er nur eine leichte Bewegung, als wenn er aufſtehen wollte. Hat er ſchon einige zum Beſuch bey ſich; ſo ſtehen dieſe nicht auf, wenn Jemand in das Zimmer tritt, wenn es nicht der Herr des Hauſes zuerſt thut, oder wenn man nicht eine ganz beſondre Hochach - tung fuͤr die Perſon hat, die herein tritt.

Die23

Die Perſer beobachten in der Art ſich zu ſetzen viele ſonderbare Caͤrimonien. Vor Per - ſonen, denen man Achtung ſchuldig iſt, pflegt man ſich auf die Ferſen zu ſetzen und die Fuͤße und Knie dicht an einander zu haben. Vor ſeines Gleichen aber faͤllt dieſe Unbequemlichkeit weg: man ſetzt ſich bequemer, indem man die Fuͤße kreuzweis uͤber einander ſchlaͤgt. Wenn ein Freund den andern beſucht; ſo ſagt er zu ihm: ſetze dich nach deiner Bequemlich - keit, das heißt, lege deine Fuͤße uͤber einander wie du willſt. Man aͤndert aber ſeine Stel - lung niemals, wenn man auch einen halben Tag ſitzen muͤßte. Die Orientaler ſind nicht ſo beweglich und ſo unruhig, als wir. Sie ſitzen ernſthaft und ſteif; ſie machen mit dem Koͤrper nie eine Bewegung oder Geberde; vor - zuͤglich beobachten ſie dieß bey ihren Reden und Handlungen. Unſre Gewohnheiten hierinn ſetzen ſie in Erſtaunen, und ſie koͤnnen es nicht glauben, daß ein Menſch, in deſſen Kopfe noch geſunder Menſchenverſtand obwalte, bey ſeinen Reden und Handlungen ſo geſticuliren koͤnne. Es iſt auch bey ihnen eine große Unhoͤflich - keit, die Spitzen der Fuͤße beym Sitzen ſehen zu laſſen. Man muß ſie unter dem Rocke verbergen.

Die Begruͤßungen geſchehen mit Kopfni - cken, und dieß iſt am gewoͤhnlichſten. Man pflegt aber auch zuweilen die rechte Hand an den Mund zu legen, und ſo begruͤßen ſich ge -B 4mei -24meiniglich gute Freunde, ſonderlich, wenn ſie ſich einander lange nicht geſehen haben. End - lich kuͤſſen und umarmen ſie ſich auch, beſon - ders bey ganz ungewoͤhnlichen Vorfallenheiten, oder nach gluͤcklich zuruͤckgelegten langen Rei - ſen.

In den Worten ſind ſie bey ihren Beſuchen ungemein zaͤrtlich und hoͤflich. Sie wiederho - len ihre Complimente mehr als einmal, und ſuchen ſonderlich in ihren Reden die Ausdruͤcke zu vermeiden, die eine Traurigkeit in der Seele zuruͤcklaſſen koͤnnten. Daher holen ſie weit aus, wenn ſie etwas Unangenehmes erzaͤhlen muͤſſen. Z. E. Wenn ſie ſagen wollen, es ſey Jemand geſtorben, ſo ſagen ſie: Amrekodber chuma bakchid, d. h. er hat euch ein Ge - ſchenk mit den Jahren gemacht, die er noch haͤtte leben koͤnnen, d. h. er konnte noch lange Jahre leben u. ſ. w. Aber ſehr oft werden dergleichen Redensarten an dem un - rechten Orte angebracht. So erzaͤhlt Chardin eine ziemlich naive Geſchichte von einem Gene - ral der Infanterie zu den Zeiten Abas II. Dieſer Koͤnig, der einen ſcharfen, durchdrin - genden Verſtand hatte, erhielt einen weiſſen Baͤren aus Moskau zum Geſchenk, und gab ihn dem General zur Verwahrung, weil er glaubte, daß dieſer ihn beſſer verſorgen wuͤrde, als die uͤbrigen Aufſeher der wilden Thiere. Indeſſen aber ſtarb doch der Baͤr. Nach eini - ger Zeit fragte der Koͤnig den General nach demBaͤren,25Baͤren, und wollte wiſſen, was er mache. Der General antwortete darauf: Er hat Eurer Majeſtaͤt ein Geſchenk mit den Jahren gemacht, die er noch haͤtte leben koͤnnen. Der Koͤnig erwiederte ihm laͤchelnd: Ihr ſeyd wohl ſelbſt ein Baͤr, weil ihr glaubt, daß die Jahre eines Thiers zu den meinigen koͤnnten geſchlagen werden. Man hat von dieſem General der Infanterie eine andere aͤhn - liche Hiſtorie, welche hier nicht uͤberfluͤßig ſeyn wird, weil man dadurch der Perſer Art zu re - den erſehen kann. Der Koͤnig gieng außer der Stadt Iſpahan laͤngſt dem Berge Kouſo - pha, welcher nur eine kleine franzoͤſiſche Meile von der Stadt liegt, ſpatzieren. Wie er eine dicke Wolke auf der Spitze des Felſens ſah, ſag - te er zu dem General: Sieh einmal dieſe dicke Wolke auf der Spitze des Felſens: ſie ſieht dem Hute der Franken ſehr aͤhnlich dieſen Na - men geben die Orientaler den europaͤiſchen Chri - ſten Es iſt wahr, Sire, antwortete der General: Gott gebe, daß Ew. Maj. ſie alle uͤberwaͤnden. Wie ſo? erwiederte der Koͤnig laͤchelnd, iſt es moͤglich, daß ich ſie uͤberwinde? Sie ſind uͤber zweyhundert Meilen von mir entfernt; und ich kann nicht einmal die Tuͤrken uͤberwinden, die meine Nachbarn ſind.

So hoͤflich nun aber auch die Perſer immer ſeyn moͤgen; ſo thun ſie doch nichts aus Groß - muth eine Tugend, die man im Orient we -B 5nig26nig oder gar nicht kennt. Da ſowohl der Koͤr - per als das Gluͤck Sclaven einer ganz deſpoti - ſchen Macht ſind; ſo muͤſſen auch dieſer die Geiſtesgaben und der Muth unterliegen. Da - her handeln ſie bloß aus Eigennutz, und das entweder aus Furcht oder aus Hoffnung. Es iſt ihnen unglaublich, daß es in andern Laͤndern Leute giebt, die ihren Naͤchſten aus lautern Ab - ſichten behuͤlflich ſind, ohne fuͤr ihre Dienſte eine Belohnung zu fodern. Bey ihnen iſt dieß ganz umgekehrt. Sie laſſen ſich alles bezah - len und nicht ſelten im voraus. Verlangt man etwas von ihnen, ſo erhaͤlt mans zwar, aber das Geſchenk muß gleich dagegen gegeben wer - den. Die Armen und Elenden duͤrfen nicht vor den Großen erſcheinen, und uͤberhaupt vor ſolchen, bey den ſie etwas zu ſuchen haben, wenn ſie ihnen nicht zugleich ein Geſchenk mit - bringen, es mag uͤbrigens ſo wenig und nichts - bedeutend ſeyn, als es will. Sie nehmen al - les an, Fruͤchte, Vieh u. ſ. w. Wer mit der - gleichen nicht aufwarten kann, giebt irgend et - was anders, auch wohl Geld. Dergleichen Geſchenke annehmen zu koͤnnen, wird fuͤr eine große Ehre gehalten. Man nimmt ſie oͤffent - lich an; ſo gar auch alsdann, wann ſich die groͤßeſte Geſellſchaft verſammlet hat. Dieſe Gewohnheit wird im ganzen Orient uͤberall beybehalten, und ſie iſt vielleicht eine der aͤlte - ſten, ſo lange die Welt geſtanden hat.

Die27

Die Perſer lieben weder die Spatziergaͤnge, noch auch die Reiſen. Das Spatzierengehen kommt ihnen als eine abgeſchmackte Gewohn - heit der Europaͤer vor: und die Spatzierenge - her halten ſie fuͤr Leute, denen der gemeine Menſchenverſtand fehlt. Das Auf - und Ab - gehen in den Aleen kommt ihnen abſurd vor; denn, ſagen ſie, warum ſoll ich nach einen Ort gehen, ohne da Geſchaͤfte zu haben? Viel - leicht kommt dieß daher, weil ſie in einem beſ - ſern und gemaͤßigtern Clima leben, als wir. Sie haben nicht ſo viel aufwallendes Blut, als wir noͤrdlichen Voͤlker. In Perſien kennt man das nicht, was wir Motion, (Bewegung) nennen. Bey dem Stillſitzen befinden ſie ſich auch wuͤrklich beſſer, als bey dem vielen Gehen. Das Frauenzimmer und die Verſchnittenen machen ſich uͤberhaupt wenig oder gar keine Be - wegung; ſie ſitzen oder liegen beſtaͤndig, ohne daß ihre Geſundheit darunter leidet. Die Mannsperſonen hingegen reiten und gehen ſel - ten zu Fuße. Ueberhaupt beſchaͤftigen ſie ſich mit den Leibesuͤbungen bloß des Vergnuͤgens und nicht der Geſundheit wegen.

Das Clima einer jeden Nation iſt vermuth - lich allemal die Haupturſache der Neigungen und Gebraͤuche der Menſchen. Wenigſtens werden dieſe durch jene beſtimmt.

Zum Reiſen haben die Perſer gar keinen Hang. Sie kennen das Vergnuͤgen, welches das Reiſen und die Beobachtung der Sittenund28und der Lebensart fremder Voͤlker gewaͤhren, gar nicht. Und wenn ſie hoͤren, wie viele Ko - ſten und große Beſchwerden die Europaͤer, um andere Laͤnder zu ſehen, anwenden und uͤberneh - men; ſo koͤnnen ſie ſich uͤber die Neugierde und Sonderbarkeit ſolcher Leute nicht genug ver - wundern. Ihr ganzes Vergnuͤgen beſtehet in der Ruhe. Sie glauben auch, daß ein Jeder Fremder, wenn er kein Kaufmann oder Kuͤnſt - ler iſt, ein Spion ſey, und Leute von Diſtin - ction wuͤrden es fuͤr ein Staatsverbrechen hal - ten, einen Fremden zu ſich zu noͤthigen, oder ihn zu beſuchen. Daher kann man ſich auch die unbeſchreibliche Unwiſſenheit der Perſer in Anſehung der Kenntniß anderer Voͤlker, ihrer Sitten, Lebensarten, Denkart u. ſ. w. erklaͤren. Sie haben weder Beſchreibungen von fremden Laͤndern, noch Zeitungen. Selbſt die Staats - miniſter wenn man im Allgemeinen von ih - nen redet wiſſen eben ſo wenig etwas von dem zu ſagen, was in Europa vorgeht, als von dem was im Monde geſchieht. Die meiſten haben gemeiniglich nur ſehr dunkle, verworre - ne und entfernte Begriffe von Europa, welches ſie fuͤr eine kleine Inſel in der Nordſee halten, wo man weder Gutes noch Schoͤnes ſieht: daher kommt es, ſagen ſie, daß die Europaͤer in der ganzen Welt herumreiſen, um ſich die ſchoͤnen Sachen zu holen, die ihnen ſo ſehr fehlen.

Dem ohngeachtet aber iſt vielleicht kein Land in der Welt, wo ein Reiſender mit mehr Si -cher -29cherheit ſeinen Weg verfolgen kann, als Per - ſien, wenn gleich, wie ich ſchon geſagt habe, die ganze Nation eine natuͤrliche Abneigung gegen das Reiſen hat. Das Reiſen in dieſem Lan - de verurſachet auch nicht viel Koſten; wozu die vielen oͤffentlichen Gebaͤude, die bloß der Be - quemlichkeit und des Nutzens der Reiſenden und der Carawanen wegen aufgefuͤhrt ſind, vie - les beytragen. In einem ſolchen oͤffentlichen Gebaͤude wohnt man ohne das geringſte dafuͤr zu bezahlen.

Die Namen, welche die Perſer fuͤhren, wer - den ihnen entweder beygelegt, wenn ſie geboh - ren oder auch wenn ſie beſchnitten werden. Dieſe Namen ſind entweder von beruͤhmten Perſonen ihrer Religion oder des Alten Teſta - ments, oder auch aus ihrer Geſchichte entlehnt. Denn ein jeder giebt ſich einen Namen, welchen er will; ſie haben aber keine Zunamen oder Fa - milien - und Geſchlechtsnamen. Sie nehmen Ehrenhalber oft den Zunamen des Vaters oder des Sohns an, z. E. Abraham der Sohn Jacobs, Mohammed der Sohn des Aly. Es iſt auch unter ihnen ſehr gebraͤuchlich, ver - ſchiedene Zunamen anzunehmen, als z. E. den Namen des Vaters und des Sohns. Oft ge - brauchen ſie auch ihre Profeſſion ſtatt eines Zu - namens; z. E. Mohammed Cajan, d. h. Mohammed der Schneider; Soliman Atari, d. h. Soliman der Materialiſt; Jouaeri, d. h. der Jubelirer; Stamboli,d. h.30d. h. der Conſtantinopolitaner. Lobens - werth bleibt es, daß ſie dieſe Arten von Zuna - men auch noch alsdenn deybehalten, wenn ſie entweder zu großen Reichthuͤmern gelangt, oder ein wichtiges Amt im Staate erhalten haben.

Die Kleidungsart der Orientaler iſt nicht ſo vielen Abaͤnderungen unterworfen, wie die unſrige. Sie werden allezeit nach einer Faç on gemacht; und wenn ſich die Klugheit einer Na - tion in dem beſtaͤndigen Gebrauch einer Art von Kleidung zeigt; ſo muß man den Perſern dieſe Klugheit ſchlechterdings zugeſtehen. Sie nehmen nie eine Veraͤnderung vor weder in den Farben noch Faç ons. Chardin verſichert, er habe zu Iſpahan die Kleider des Tamerlans geſehen, die man dort in der Schatzkammer verwahrt. Ihr Zuſchnitt und uͤberhaupt die ganze Beſchaffenheit derſelben ſey eben dieſelbe, als ſie noch itzt iſt.

Die Mannsperſonen tragen keine Hoſen, ſondern einen doppelten Caleç on,*)Caleç ons oder Unterhoſen; ſie ſind eine Art Hoſen, die vom Guͤrtel herunterhaͤngen. der bis an den Knoͤchel des Fußes gehet, aber eigentlich kein Fußzeug hat. Vorne iſt er nicht offen, ſondern man muß ihn losbinden, wenn man ſeine Nothdurft verrichten will. Das Hemde iſt lang, bedecket die Knie und haͤngt uͤber den Caleç on. Vorne auf der rechten Seite iſt es von den Bruͤſten an bis auf den Magen offen,eben31eben ſo wie unſere; es hat aber keinen Kragen, ſondern eine bloße Nath, wie die Hemden des europaͤiſchen Frauenzimmers. Die vornehmen Frauensperſonen, zuweilen auch die Maͤnner, machen bey Solennitaͤten an dieſe Nath einen mit Perlen geſtickten Saum von einem Finger breit. Ihr Hals iſt bloß, ſo, daß man weder Maͤnner noch Weiber ſieht, die ihn mit Zierra - then behangen haͤtten. Die Maͤnner tragen uͤber das Hemde eine baumwollene Weſte, wel - che vorne uͤber den Nabel zugeknoͤpfet wird, und bis auf die Knieſcheibe heruntergeht. Ueber dieſe Weſte tragen ſie einen langen Rock, wel - chen ſie Cabai nennen, der ſo breit wie ein Weiberrock iſt. Allein oben iſt er ſehr enge. Vorne am Magen wird er doppelt umgeſchla - gen, und das eine Ende unter dem linken und das andere unter dem rechten Arme befeſtigt.

Die Ermel an einem ſolchen Rocke ſind ſehr enge, aber ungemein lang, daher man ſie auch oben an dem Arme zu ſpalten und an der Fauſt zuzuknoͤpfen pflegt. Die Cavaliers tragen auch Cabais nach der georgianiſchen Mo - de, deren Unterſchied darinn beſtehet, daß ſie vorne am Magen offen und mit Knoͤpfen und Schnuͤren verſehen ſind. Obgleich dieſer Rock um den Lenden ſehr feſt anſchließt; ſo umwi - ckelt man ihn doch in dieſer Gegend mit zwey oder drey Guͤrteln, welche vier Finger breit, ſehr reich und ſchoͤn ſind. Dieß nun verurſacht, daß der Rock um den Magen eine große Hoͤ -lung32lung bekoͤmmt, worinn ſie dasjenige, was ſie ſicher verwahren wollen, legen, ſo wie wir in unſre Hoſentaſchen.

Man traͤgt uͤber dieſen Rock einen andern, der entweder kurz und ohne Ermel, alsdann heißt er Courdy oder lang, und mit Er - meln verſehen iſt dann wird er Cadebi ge - nannt Beyde werden nach Beſchaffenheit der Jahrszeit getragen. Dieſe Roͤcke ſind eben ſo, wie die langen Roͤcke zugeſchnitten, naͤmlich unten breit und oben enge, wie Klo - cken. Sie werden von Tuch oder von golde - nem Brocard oder groben Satin gemacht, und man beſetzt ſie entweder mit goldenen oder ſil - bernen Spitzen oder Treſſen. Einige ſind mit Marderfellen verbraͤmt und gefuͤttert, andere mir tartariſchen oder bactrianiſchen Hammel - fellen, die ſo fein wie Haare ſind. *)Dieſe Felle ſind in Perſien bochgeſchaͤtzt und koſtbar in Anſehung des Preiſes.Die Verbraͤmung geht vom Halſe bis auf den Ma - gen, und gleich darauf folgt eine Reihe Knoͤ - pfe, die bloß zur Zierda da ſind. Denn man pflegt die Roͤcke nicht zuzuknoͤpfen.

Die Struͤmpfe ſind gewoͤhnlicherweiſe von Tuch, faſt wie ein Sack zugeſchnitten, ſo daß auf die Waden keine Ruͤckſicht genommen wird. Sie reichen nur bis unter das Knie, wo man ſie zubindet. Um die Ferſen herum legt man ein Stuͤck roh Leder, damit der Hake am Schu -he,33he, welcher ſehr ſcharf iſt, nicht den Strumpf durchſchneide und Schmerzen verurſache. Seit - dem aber die Europaͤer mit den Perſern Han - del zu treiben angefangen haben: ſeitdem tra - gen ſie auch Struͤmpfe von Tuch. Vor Zei - ten trug Niemand Struͤmpfe in Perſien; und ſelbſt der Koͤnig gieng ſo, wie noch itzt die Sol - daten, Fuhrleute, Fußknechte, und gemeine Leu - te, die naͤmlich ihre Fuͤße mit einer groben ſechs Finger breiten und drey bis vier Ellen langen Leinwand umwickeln, beynah ſo, wie man ein Kind zu wickeln pflegt. Indeſſen muß man doch geſtehen, daß dieſe Tracht dem gemeinen Manne, und uͤberhaupt ſolchen, die viel gehen muͤſſen, ungemein bequem ſey. Man macht ſie leicht und dicke, je nach dem es die Jahrszeit erfordert. Sie haͤlt den Fuß bedeckt, und wenn der Fuß naß oder ſchmutzig geworden iſt, ſo wird er ſo fort getrocknet und gereiniget. Im Winter iſt der ganze Fuß bedeckt: aber im Sommer ziehen ſie im Schuhen keine Struͤm - pfe an.

Die Schuhe der Perſer ſind von verſchied - ner Faç on; alle aber haben keine Schuhriemen, und koͤnnen auch an der Seite nicht geoͤfnet werden. Man belegt ſie aber mit Eiſen und ſchlaͤgt vorne gegen die Spitze des Fußes kleine Naͤgel in die Sohlen, damit ſie nicht ſo bald zerreiſſen. Die Schuhe der Vornehmen ſehen beynahe wie Frauens-Pantoffeln aus, ſo daß es nicht ſchwer iſt, ſie abzuwerfen, wenn man inCdas34das Logis kommt, wo der Boden gewoͤhnlich mit Teppichen belegt iſt. Die Schuhe ſind von gruͤnem Chagrin oder auch wohl von einer an - dern Farbe. Die Sohlen ſolcher Schuhe ſind ſehr duͤnne, und nicht dicker als ein Karten - blatt, dabey aber ſind ſie von dem ſchoͤnſten Le - der. Einige Schuhe beſtehen oben aus Leder; einige hingegen aus geſtrickter Baumwolle. Dieſe letzte Art iſt nicht nur ſtaͤrker, ſondern ſie paſſen auch ſehr gut, und der Fuß kann nicht darinn hin und her glitſchen. Beym Anziehen derſelben muß man ein gewiſſes Inſtrument haben; ſonſt kann man ſehr bequem darinn ge - hen und laufen. Die armen Leute machen die Sohlen aus Cameelleder, weil dieſes viel dauerhafter als anderes Leder iſt. Indeſſen hat es doch die große Unbequemlichkeit, daß es ſehr weich iſt, und das Waſſer, wie ein Schwamm, an ſich zieht. Die Landleute ma - chen ihre Schuhſohlen aus Lumpen und Stuͤ - cken Leinwand, die ſie auf eine artige Weiſe in Ordnung zu bringen wiſſen.

Der Turban den ſie in ihrer Sprache Dulbend nennen macht das ſchoͤnſte Stuͤck ihrer Kleidung aus. Er iſt ſo ſchwer, daß man ſich in der That daruͤber wundern muß, wie ſie eine ſolche Laſt auf dem Kopfe tragen koͤnnen. Sie wiegen manchmal zwoͤlf bis funfzehn Pfund; die leichteſten aber etwa halb ſo viel. Dieſe Turbans beſtehen unten aus grober Lein - wand, welche ordentlicher Weiſe die Formmacht.35macht. Ueber derſelben findet man ein feines Seidenzeug. Die Geiſtlichkeit traͤgt uͤber der groben Leinwand feines weiſſes Neſſeltuch. An dieſen Turbans hangen reich mit Blumen ge - wuͤrkte Enden von ſechs bis ſieben Zoll breit herunter, woraus man durch einen Knoten mitten auf dem Turban eine Art von Buͤſchel macht. Wenn gleich dieſer Kopfputz an und fuͤr ſich ſchon ſehr ſchwer iſt; ſo traͤgt man den - noch unter dem Turban eine Platmuͤtze von Leinwand, zuweilen auch von Tuch. Man vermuthet nicht mit Unrecht, daß das Clima in Perſien eine ſolche ſtarke Bedeckung des Ko - pfes nothwendig mache; denn man ſieht unter ihnen nichts allgemein beobachtet, was nicht ſeine guten Urſachen haͤtte. Die beſtaͤndigen Gebraͤuche ſind gar nicht Wuͤrkungen des Ei - genſinns.

Die Zeuge, welche zu den Kleidern genom - men werden, ſind entweder von Seide oder von Baumwolle. Die Hemden und Caleç ons ſind von Seide. Die Weſten und Roͤcke ſind doppelt gefuͤttert mit Fellen und guter Lein - wand, um die Waͤrme dadurch mehr zu befoͤr - dern.

Schwarze Farben pflegt man im Orient nirgends zu tragen, und vorzuͤglich nicht in Perſien. Dieß iſt ihnen eine traurige und un - ausſtehliche Farbe, die man nicht einmal anſe - hen koͤnne. Sie nennen ſie deswegen auch die Teufelsfarbe. Sonſt pflegen ſie auch aller -C 2ley36ley Farben zu tragen, ohne auf Stand, Alter u. ſ. w. Ruͤckſicht zu nehmen. Es ſieht uͤber - aus artig aus, wenn man auf oͤffentlichen Plaͤ - tzen eine Menge Leute auf ſo vielfache Art ge - kleidet ſieht.

Die Perſer laſſen gemeiniglich den Bart am Kinne und im ganzen Geſichte wachſen, aber nur kurz und ſo, daß er die Haut bedeckt. Man muß aber hiervon die Geiſtlichen und uͤberall ſolche Leute ausnehmen, die ein heiliges Leben affectiren: denn dieſe laſſen ihn lang wachſen. Die Kriegsleute und Cavaliere tragen nur Stutzbaͤrte und zwar laſſen ſie ihn ſo groß werden, daß ſie ihn fuͤglich hinter die Ohren legen koͤnnen. *)Abbas der Große nannte die Stutzbaͤrte Zier - rathen des Geſichts, und gab einem Soldaten Sold, je nach dem ſein Stutzbart groß oder klein war. Die langen tuͤrkiſchen Baͤrte ſind den Perſern unausſtehlich, denen ſie daher einen haͤßlichen Namen beylegen, (ſie nennen nemlich einen tuͤrkiſchen Bart un balais de privé.)

So viel von der Art, wie ſich die Manns - perſonen kleiden. Itzt will ich zu den Kleider - trachten des Frauenzimmers uͤbergehen.

Die Art, wie ſich die Weiber in Perſien zu kleiden pflegen, hat mit der der Mannsper - ſonen viele Aehnlichkeit .. Ihre Caleç ons haͤn - gen ihnen weiter herunter ſind enger unddicker,37dicker, weil ſie gewoͤhnlich keine Struͤmpfe zu tragen pflegen. Sie bedecken ihre Fuͤße mit einer Art von Halbſtiefeln, welche vier Finger hoch uͤber den Fußknoͤchel gehen, und gemeini - glich von geſticktem Zeuge oder ſehr ſchoͤnem Stoffe gemacht ſind. Das Hemde, welches ſie Camis heißen, iſt vorne bis an den Nabel offen. Ihre Weſten ſind laͤnger, und reichen faſt bis auf die Schuhe. Der Guͤrtel, den ſie um den Leib zu tragen pflegen, iſt ſehr duͤnne, und etwa nur einen Zoll breit. Ihr Kopf iſt mit einem Schleier wohl bedeckt, der ihnen bis auf die Schultern herunter haͤngt, und zugleich Hals und Buſen bedeckt. Wenn ſie ausgehen, ſo haͤngen ſie uͤber dieſen noch einen großen weiſ - ſen Schleier, der nicht nur den Kopf und Bu - ſen, ſondern auch zugleich den ganzen Koͤrper einhuͤllet, ſo daß man faſt weiter nichts als das Auge ſehen kann. Ein jedes Frauenzimmer haͤlt ſich gemeiniglich viererley Arten von Schleier: zwey fuͤrs Haus, und zwey wenn ſie im Publikum erſcheinen. Der erſte iſt wie ein Leichenſchleier gemacht und haͤngt hinten, der Zierde wegen, lang herunter. Der zweyte geht bis unter das Kinn, und bedeckt den Bu - ſen. Der dritte iſt der vorhingenannte weiſ - ſe Schleier, welcher den ganzen Koͤrper um - giebt. Der vierte endlich iſt eine Art von Schnupftuch, den ſie am Geſichte und an den Schlaͤfen befeſtigen. Die Armenianerinnen haben ſich im Hauſe das Geſicht von unten bisC 3uͤber38uͤber die Naſe geſchleiert, wenn ſie naͤmlich ſchon verheyrathet ſind. Dieß geſchieht darum, da - mit ihre Anverwandten und Prieſter, denen die Erlaubniß, das Frauenzimmer zu beſuchen, nicht verweigert iſt, nur einen Theil des Ge - ſichts ſehen koͤnnen. Dieſe Bewandniß hat es, wie ich geſagt habe, mit den Verheyrathe - ten. Allein das unverheyrathete Frauenzim - mer bedeckt ſich mit dem Schleier nur bis uͤber den Mund, damit man von ihrer Schoͤnheit oder Haͤßlichkeit urtheilen koͤnne. Die Schleier, deren ſich das Frauenzimmer bedient, gehoͤren mit unter die aͤlteſten Gebraͤuche, wovon die Geſchichte redet; allein man kann nicht gewiß wiſſen, ob ſie dieß aus Schamhaftigkeit, eitler Ehre, oder aus Eiferſucht ihrer Maͤnner gethan haben. Weder das Frauenzimmer noch die Mannsperſonen tragen Handſchuh, die im Orient ganz unbekannt ſind.

Der Kopfputz des Frauenzimmers iſt nicht zu dem hohen Grad der Abſurditaͤt geſtiegen, wie bey uns Europaͤern. Er iſt ſimpel und uͤberaus anſtaͤndig. Ihre Haare haben ſie hin - ten am Kopfe in Flechten gebunden: und eine Hauptſchoͤnheit beſtehet darinn, wenn dieſe Flechten dicke ſind, und bis auf die Ferſen her - unterhaͤngen. Reicht das natuͤrliche Haar zu dieſer Flechte nicht zu; ſo verlaͤngert man ſie durch ſeidene Zoͤpfe. Man ziert die Enden ei - ner ſolchen Flechte mit koſtbaren Perlen oder mit einem Bouquet von Steinen u. ſ. w.

Das39

Das ſchwarze Haar, ſowohl auf dem Ko - pfe als am Barte und Augenbraunen koͤnnen die Perſer vorzuͤglich leiden. Die dicken und ſtarken Augenbraunen, uͤberhaupt wenn ſie von beiden Seiten zuſammenhangen, ſind bey ihnen hauptſaͤchlich ſchoͤne Zierrathen. Das arabi - ſche Frauenzimmer iſt hiermit mehr als das perſiſche verſehen. Wenn indeſſen eine Perſia - nerinn von der Natur keine ſchwarze Haare er - halten hat; ſo nimmt ſie ihre Zuflucht zur Far - be, und weiß ſie ſo gut zu faͤrben, daß man die Haare fuͤr natuͤrlich ſchwarz halten muß, wenn man es nicht vorher gewußt hat. Sie haben auch die Gewohnheit, um ihre Schoͤnheit voll - kommner zu machen, ſich unten an der Stirne einen ſchwarzen Fleck, der ohngefaͤhr ſo groß wie der Nagel am kleinen Finger iſt, zu ma - chen, und noch einen zweyten in der Kinngru - be, welcher violet iſt, aber nie vergeht, weil er mit der Spitze einer Lancette gemacht iſt. Sie ſchmieren ſich auch Haͤnde und Fuͤße mit einer orangefarbigten Salbe, welche ſie Hanna heiſ - ſen, und welche von gewiſſen Blaͤttern gemacht wird. Man glaubt, daß dieſe Salbe vor der austrocknenden Hitze bewahre. Die kleine Taille des Frauenzimmers iſt bey den Perſern mehr als die große gelitten.

Der uͤbrige Putz der Perſianerinnen iſt ſehr verſchieden. Sie ſetzen Aig[r]etten von Steinen auf den Kopf, oder an deren Statt Bouquette von Blumen, und laſſen auch wohl eine ReiheC 4von40von Steinen von der Stirne bis zwiſchen den Augenliedern herunterhaͤngen. Die Frauens tragen in einigen Provinzen einen Ring in dem linken Naſenloche, der wie ein Ohrring haͤngt, und zuweilen mit einigen Perlen verſehen iſt. Die Sclavinnen, und ſonderlich die, welche im Sclavenſtande gebohren ſind, tragen uͤber - all dergleichen Ringe. In dem wuͤſten Ca - ramanien durchbohren ſie ſo gar oben die Naſe, haͤngen darein einen Ring, welcher die ganze eine Haͤlfte bedeckt. *)Chardin verſichert, dieſe Gewohnheit des Frau - enzimmers zu Lar, der Hauptſtadt dieſer Pro - vinz, und zu Ormus geſehen zu haben. Ich habe in den Reiſebeſchreibungen, die ich zur Hand gehabt habe, dieß Vorgeben des Char - din nicht beſtaͤtigt wenn gleich auch nicht geleugnet gefunden. Indeſſen verdient ein ſolcher Reiſebeſchreiber, wie Chardin, allemal auch da voͤllig Glauben, wo andre ſchweigen. Zu Iſpahan durchbohren die Weiber ihre Naſen nicht.Außer dieſem Kopf - ſchmucke traͤgt auch das perſiſche Frauenzimmer Armbaͤnder von Perlen und Steinen, die etwa zwey oder drey Finger breit und ſehr loſe um den Arm ſind. Die jungen Maͤdchen tragen gemeiniglich nur goldene Handſchellen, die an dem Orte, wo ſie zugemacht werden, mit einigen Steinen beſetzt ſind. Ihre Halsbaͤnder beſte - hen aus Ketten von Gold oder Perlen, die am Halſe herunter bis in den Buſen gehen, woran eine Riechbuͤchſe befeſtigt iſt. Einige von die -ſen41ſen Riechbuͤchſen ſind eine Hand breit: gemei - niglich ſind ſie von Golde gemacht, die uͤbri - gen ſind oben mit Steinen bedeckt. Alle aber ſind mit Muſkus und Ambra angefuͤllt, wel - ches einen ſtarken Geruch ausduftet. Was uͤbrigens die Ringe betrifft, die das Frauen - zimmer an den Fingern zu tragen pflegt; ſo muß man geſtehen, daß man nirgends in der Welt die Finger mit mehrern Ringen beſteckt ſieht, als in Perſien.

Man kann ſich in Perſien ſehr wohlfeil klei - den. Indeſſen giebt es doch keine Nation, die mehr auf die Pracht der Kleidungsſtuͤcke verwen - det, als die perſiſche. Der Turban, die langen Roͤcke, und die Guͤrtel koſten ihnen das mei - ſte. *)Chardin giebt einen weitlaͤuftigen Bericht von dem, was die Kleider den Perſern koſten. Ich habe dieß hier nicht wiederholen wollen, weil ich mich in ihre Oekonomie ſo weit nicht ein - laſſen kann.Und dieſer Aufwand iſt eben der Ruin eines Volks, welches ſonſt, wenn Induſtrie dazu kaͤme, ſonder Zweifel mit unter die reichſten des Orients koͤnnte gerechnet werden.

So uͤberaus verſchwendriſch nun auch die Perſer in ihrer Kleidung ſind; ſo muß man doch nicht unbemerkt laſſen, daß ſie auf die Meublen in ihren Zimmern viel weniger ver - wenden, als wir. Der Fußboden iſt ge - woͤhnlicher Weiſe mit dicker Scheerwolle be -C 5deckt,42deckt, woruͤber ein, und wenn der Saal groß iſt, zwey ſchoͤne Teppiche liegen. Es giebt ei - nige von dieſen Teppichen, die an ſechzig Fuß lang ſind, und von zwey Menſchen kaum koͤn - nen getragen werden. Ueber dieſen Teppichen ſieht man an der Wand rund um den Saal kleine Matrazen, welche ohngefaͤhr drey Fuß lang, und mit einer Decke von baumwollenem mit Seide durchwuͤrktem Zeuge belegt ſind. Auf dem Rande dieſer Decke ſtehen große ſil - berne Spuckkaſten, welche, vermoͤge ihrer Schwere, die Decke zugleich mithalten. An der Wand herunter ſieht man gemeiniglich von den Matrazen große mit Sammt uͤberzogene Polſter, an welche man ſich beym Sitzen an - lehnt. Man findet ſonſt keine andere Meubles in den Zimmern der Perſer. Sie haben darinn keine Betten, Stuͤhle, wie wir, keine Spiegel, Tiſche und Gemaͤhlde. Die Perſer ſitzen auf den Teppichen ſehr bequem, ja, wie Chardin verſichert, weit bequemer wie wir auf unſern Stuͤhlen. Fuͤr ſie iſt dieſe Art zu ſitzen ſehr geſund. Wollte man es aber in unſerm feuchtern und kaͤltern Clima nachah - men; (welches ohnehin nicht zu befuͤrchten iſt) ſo wuͤrden wir uns dadurch viele Uebel zu - ziehen.

Die Betten ſind bey ihnen ſo ſimpel, wie alle ihre uͤbrigen Meublen. Sie beſtehen in einer Matraze, welche man des Abends auf den Teppich des Zimmers legt, in einem Tu -che,43che, welches man druͤber breitet, in einer baum - wollenen Decke und zwey Kopfkuͤſſen von wei - chen Federn. Die ſchoͤnſten Matrazen ſind von Sammt, die Decken von goldenem oder ſilbernen Brocard und uͤberhaupt von mancherley Couleuren. Des Morgens legt man alles zuſammen, und bringt es wieder an ſeinen gehoͤrigen Ort. Von Bettſtellen wiſ - ſen die Orientaler nichts. Jeder ſchlaͤft auf der Erde. Ueberhaupt muß man dieß Volk darinn gluͤcklich preiſen, daß es ſo wenig Be - duͤrfniſſe des Lebens kennt, und folglich nicht mit ſo vielen und mancherley Unruhen gemar - tert wird, wie die Europaͤer. Anſtatt der Lichter, bedienen ſie ſich der Lampen, worinn ſie kein Oehl, ſondern ein ſehr feines Talg bren - nen, das gar keinen uͤblen Geruch verurſachet. Dieſer Gebrauch wurde ſchon in den aͤltern Zeiten beobachtet, und hat ſich noch bis itzt un - ter ihnen erhalten.

Zwey -44

Zweytes Kapitel.

Von den Uebungen und Spielen Von dem Luxus der Perſer Vom Haram der Weiber des Koͤnigs Vom Heyrathen Tod und Begraͤbniß.

Es iſt bereits oben ſchon bemerkt worden, daß die Perſer die Leibesuͤbungen und Spiele nicht der Geſundheit wegen, ſondern blos zur Luſt anſtellen. Die Uebungen und Spiele ſind auch gemeiniglich von der Art, daß diejenigen, welche ſie machen wollen, die gehoͤ - rigen Kraͤfte haben muͤſſen. Daher ſieht man ſehr ſelten, daß ſich junge Leute vor dem zwan - zigſten Jahre mit denſelben abzugeben pflegen. Vor dieſem Alter muͤſſen ſie ſich einzig und al - lein auf Erlernung der Religion und der Wiſ - ſenſchaften legen.

Unter die erſten und zugleich vornehmſten Uebungen gehoͤrt das Bogenſpannen. Dieſe Kunſt beſteht hauptſaͤchlich darinn, daß ſie den Bogen geſchickt halten, ihn auf mancherley Art ſpannen, und ihn bald zur Rechten, bald zur Linken, bald hoch, bald tief, vor und hin - ter ſich, im Laufen, kniend, auf einem Fuße kurz auf hunderterley Art loß zu druͤcken ler -nen.45nen. Anfaͤnglich nimmt man leichte Bogen - ſeile, und nachher gewoͤhnt man ſich, mit ſchwe - rern umzugehen. Die meiſten Bogen ſind ſchwer zu ſpannen, indem es einige giebt, die mehr denn hundert Pfund wiegen. So bald man nun mit einem ſolchen Bogen umzu - gehen weiß; ſo uͤbt man ſich mit dem Pfeile zu ſchießen. Dieß beſteht darinn, daß man ihn weit treibt, gerade ſchießt und tief hinein in das Ziel treffe, welches gemeinhin auf einen Klumpen Erde gemacht wird, vier Fuß hoch und zwey Fuß breit. Die Pfeile zu den Ue - bungen haben ein rundes, duͤnnes und ſtum - pfes Eiſen, anſtatt daß an den, im Kriege ge - braͤuchlichen, Pfeilen das Eiſen ſo ſpitzig, wie eine Lanze iſt.

Wenn ſie nun mit dem Bogen geſchickt um - zugehen gelernt haben; ſo legen ſie ſich mit al - lem Eifer darauf, den Saͤbel gut zu fuͤh - ren. Dieſe Kunſt wird fuͤrnehmlich darum gelernt, damit das Fauſtgelenke der jungen Leute ſtark und biegſam werde. Bey dem Un - terrichte in dieſer Kunſt bindet der Lehrer ſeinen Schuͤlern zwey Gewichte an die Haͤnde, und legt ihnen noch uͤberdieß zwey Stuͤcke Eiſen auf die Schultern, wodurch ſie eine ungemeine Fer - tigkeit im Kaͤmpfen und Ringen erhalten.

Die dritte Uebung geſchieht zu Pferde. Dieſe beſtehet darinn daß der Reuter auf dem Pferde gerade ſitze, es im vollen Galop laufen laſſe, es mitten im Laufe ganz kurz an -halte,46halte, und ſo leicht und geſchickt auf dem - ſelben ſitze, daß er etwas, es mag ſeyn, was es will, ohne Muͤhe von der Erde aufheben kann. Es giebt Leute unter ihnen, die die Reitkunſt ſo gut verſtehen, daß ſie mit den Fuͤßen auf dem Pferde ſtehen, und es dennoch den voͤllſten Galop koͤnnen laufen laſſen. Das Mail-Spiel, das Bogenſchießen und das Werfen mit dem Wurfſpieße, ſind gleich - ſam Spiele, die zu Pferde gefeiret werden. Das Mail-Spiel geſchieht auf einem großen Platze, an deſſen Ende einige Pfeiler neben einander ſtehen, durch welche man reiten muß. Man wirft die Kugel mitten auf den Platz, und die Spieler rennen im Galop auf ſie zu, um ſie zu treffen. Die Maillen ſind kurz, ſo daß man ſich bis unter den Sattel beugen muß, um ſie zu erreichen. Derjenige erhaͤlt den Preis, wer die Kugel zuerſt durch die Pfeiler getrieben hat. Es iſt aber noͤthig, daß ein jeder ge - ſchwinde reite und richtig treffe.

Das Bogenſchießen zu Pferde geſchieht auf folgende Art. Man ſchießt naͤmlich nach einer goldenen Schale, welche oben auf einem hohen Maſtbaume befeſtigt iſt. Der Reuter holt weit aus, und rennt in vollem Galop nach dieſem Orte, und wenn er an den Maſt - baum kommt; ſo ſchießt er ſeinen Pfeil ab, indem er ſich mit dem ganzen Leibe auf den Ruͤ - cken des Pferdes legt. Dieſer Zeitvertreib iſt in allen Staͤdten Perſiens gebraͤulich, ſo daßſich47ſich auch die Koͤnige darinn zu uͤben pflegen. Sefi II. hatte ſein einziges Vergnuͤgen daran, und war darinn ſo geſchickt, daß er allemal die Schale im erſten oder zweytenmale herun - ter ſchoß.

Das Kaͤmpfen und Ringen iſt nur eine Leibesuͤbung fuͤr den gemeinen Poͤbel. Eine jede Stadt hat ihre gedungene Ringer, und vornehme Herren halten ihrer eine große Men - ge. Die Ringer ſind bis auf eine enge und kurze lederne Hoſe, die nur die Schamglieder bedecket, ganz nackend. Sie ſchmieren den Leib und die Beinkleider mit einer gelben Po - made, die aus Oehl und einem Pulver, Han - na genannt, gemacht wird, damit ſie ſich ein - ander nicht ſo leicht anpacken koͤnnen. Waͤh - rend dem Kaͤmpfen wird eine kleine Trommel geruͤhrt, und die Kaͤmpfer ſchlagen ſich nach dem Tacte derſelben. Bey dem Anfange, ge - ben ſie ſich einander die Haͤnde, zum Zeichen eines guten Streits; alsdenn ſchlagen ſie gleich - ſam nach dem Tacte, auf die Schenkel und Huͤften, um ſich dadurch in gehoͤrige Poſitur und Othem zu ſetzen. Darauf gehen ſie mit großem Geſchrey auf einander loß, und ein je - der bemuͤhet ſich, ſeinen Gegner niederzuwer - fer. Derjenige traͤgt den Sieg davon, wer den andern auf die Erde, entweder auf den Bauch, oder auf den Ruͤcken geworfen hat. Dieß geſchieht gemeiniglich, wenn der Sieger ſeinen Gegner bey dem Kampfe in die Hoͤhehebt,48hebt, und dieſen gleich darauf wieder nieder - wirft, und uͤberhaupt durch langes Ringen ſeine Kraͤfte erſchoͤpft ſind.

Zu den oͤffentlichen Beluſtigungen gehoͤrt auch das Fechten. Ehe das Gefecht vor ſich geht, legen die Fechter erſt ihre Waffen zu ih - ren Fuͤßen, welche in einem geraden Saͤbel und einem Schilde beſtehen. Sie legen ſich auf die Knie, und kuͤſſen ſie mit dem Munde und der Stirn. Nachher ſtehen ſie auf, nehmen die Waffen in die Hand, tanzen und ſpringen nach dem Tone einer kleinen Trommel, und machen mit der groͤßeſten Leichtigkeit und Ge - ſchwindigkeit mancherley Bewegungen und Po - ſituren. Hierauf ſchreiten ſie zum Hiebe und hauen allemal mit der Schneide, wofern ſie nicht allzu nahe beyſammen ſtehen: denn als - dann gehen ſie auf den Stoß. Ein jeder be - muͤhet ſich, die Stoͤße mit dem Schilde, den er traͤgt, aus zu pariren. Dieſe Art vom Streit nimmt bisweilen ein trauriges Ende, wenn die Fechter in Hitze gerathen; merkt man indeſſen aber, daß ſie zu hitzig werden; ſo bringt man ſie aus einander.

Man findet in Perſien auch Leute, die ſich auf das Wettlaufen legen; doch aber gehoͤren dieſe Arten von Uebungen nur fuͤr die koͤnigli - chen Laͤufer. Unter dieſe kann Niemand auf - genommen werden, der nicht in zwey Tagen, ſo lange die Sonne ſcheint, eine Bahn, von an - derthalb franzoͤſiſchen Meilen, vier und zwan -zigmal49zigmal durchlaufen kann. Der Laͤufer faͤngt von der großen Thuͤre des Palaſtes an, und laͤuft bis an eine Saͤule welche die Graͤnze be - ſtimmt. Er nimmt aus derſelben zwoͤlf Pfei - le, einen nach dem andern weg, und muß alſo zwoͤlf Gaͤnge, jeden von drey Meilen thun. Zu den Zeiten Soleimans, ſoll ein Laͤufer dieſe ſechs und dreyßig Meilen in weniger als vier - zehn Stunden zuruͤck gelegt haben wofuͤr er das Calaat und fuͤnfhundert Tomans zur Belohnung ſoll erhalten haben. Der zu einem Wettlaufen ausgeſetzte Tag, wird als ein allgemeines Feſt gefeiert. Der große Platz zu Iſpahan, (von welchem der Laͤufer kommt) und alle Straßen, die auf dieſem Wege ſind, werden mit Tapeten behaͤngt. Vor den Thuͤ - ren des großen Hotels, ſtehen Tiſche voller Rauchpfannen, wohlriechender Waſſer und an - derer Erfriſchungen. Hier haͤlt ſich der Laͤufer von Zeit zu Zeit auf, und laͤßt ſich Waſſer auf die Schultern und Fuͤße gießen. Wenn er an die Saͤule kommt, nehmen ihn zwey von den ſtaͤrkſten Maͤnnern in die Arme, ſtrecken ihn auf einen Teppich, reichen ihm einen Trunk und wohlriechende Waſſer zur Erquickung.

Durch ſolche Spiele nun, welche Bieg - ſamkeit und Kraͤfte erfodern, werden die Per - ſer ſehr ſtark. Außer dieſen Spielen, die bloß zur Ergoͤtzung dienen, giebt es noch Seiltaͤn - zer, Luftſpringer, Voltigeurs, Charle - tans, Taſchenſpieler u. ſ. w. Die erſtenDtanzen50tanzen nicht nur auf ſtraffen oder auch auf ſchlaffen Seilen, wie die Europaͤiſchen Seiltaͤn - zer, ſondern ſie haben auch noch einen beſon - dern Kunſtgriff, vermoͤge welchen ſie auf ei - nem ſchreggeſpannten Seile, das von oben bis unten an eine Mauer gemacht wird, gehen. Sie ſteigen auf demſelben auf und nieder, klammern ſich mit den großen Zaͤ - hen an das Seil, und tragen noch uͤberdem zu - weilen ein Kind auf den Schultern. Die uͤbrigen machen Kunſtſtuͤcke, die der leicht - glaͤubige Poͤbel oft fuͤr Zauberdinge haͤlt. Ta - vernier liefert uns von dieſen Gauklern um - ſtaͤndliche Berichte; ſeine Erzaͤhlungen aber gehen von denen der andern Reiſebeſchreiber ſo weit ab, daß wir ihm, in dieſem Stuͤcke, kei - nen Glauben beymeſſen koͤnnen. Chardin, der dieſe Spiele alle angeſehen und genau unterſucht hat, fand das nicht, was Taver - nier will geſehen haben. Er haͤlt das berufene Wunderwerk von einem Baume, den dieſe vermeinten Zauberer zuſehens wachſen laſſen, wenn ſie ihn mit ihrem Blute begießen, nur fuͤr einen liſtigen Kunſtgriff hinter deſſen Be - trug er auch ſelber gekommen iſt. Ich habe, ſagt er, alle Můhe angewandt, etwas Uebernatuͤrliches von dieſer Art anzutref - fen: aber allemal vergebens. Die Zau - berey verſchwand, ſo bald ich die Sache genauer betrachtete, und ich habe mich immer genoͤthigt geſehen, den Betrug wahrzunehmen.

Dieß51

Dieß ſind die vornehmſten Leibesuͤbungen, welche den Zeitvertreib der Perſer ausmachen. Die Hazardſpiele ſind ihnen in ihrer Reli - gion verboten, und die Policey unterſtuͤtzt dieſes Verbot, indem ſie die Verbrecher oft ſehr grauſam und hart beſtraft. Indeſſen er - lauben es doch zuweilen einige Caſuiſten, wenn ſie nur nicht um Geld ſpielen. Der Hang zu dergleichen Spielarten iſt bey den Perſern auch nicht groß, vielmehr kann man ſagen, daß ſie wider ſolche Spiele einen natuͤrlichen Ab - ſcheu hegen, wenn ſie gleich glauben, daß das Spiel eine leichte und verzeihbare Suͤnde ſey. Ihre gewoͤhnlichen Spiele ſind das Karten - Wuͤrfel - Kegel - Ball - Schachſpiel u. ſ. w. Das gemeine Volk ſpielt mit Karten von Holz, die ziemlich gut gemalt ſind. Ihr ordinaires Spiel beſtehet aus neunzig Karten und aus achterley Farben; ſie ſpielen es aber ſehr rauh und ohne allen Geſchmack. Das Schachſpiel wird nur von einigen Standesperſonen, aber doch nur ſelten, geſpielt. Es wird aber doch ſehr hochgeſchaͤtzt, indem ſie der Meynung ſind, daß derjenige, welcher es gut verſtehe, die Welt regieren koͤnne. Eine Parthie muß, um es gut zu verſtehen, wenigſtens drey Tage dauern. *)Die Perſer behaupten, das Schachſpiel ſey von ihren Vorfahren erfunden worden. Es iſt aber ſehr wahrſcheinlich, daß es aus Indiengekom -

D 2So52

So viel von den Spielen der Perſer. Itzt wollen wir dem Leſer einige Anmerkungen uͤber den Luxus der Perſer mittheilen.

Der Aufwand oder Luxus der Perſer iſt in Anſehung der Anzahl der Domeſtiken beſon - ders groß. Zwar bleibt es ungezweifelt wahr, daß man in Indien viel mehr Bediente zu hal - ten pflegt, als in Perſien: allein zehn Dome - ſtiken in Jndien koſten nicht ſo viel, als drey in Perſien. Die großen Herren haben aller - ley Arten von Bedienten, ganz nach koͤnigli - chem Fuße, nebſt allen den Titeln, die koͤnig - liche Bediente zu haben pflegen. Dieſe Men - ge von Bedienten nun iſt gewoͤhnlich der Ruin ſolcher vornehmen Haͤuſer. Denn ſie haben gemeiniglich Frauens: und da zu Erhaltung derſelben in Perſien viel gehoͤrt; ſo ſind die Bedienten faſt genoͤthigt, ihre Herrſchaften,wo*)gekommen, und erſt im fuͤnften Jahrhundert nach Chriſti Geburt, in Perſien bekannt gewor - den. Schickard, ein Mann, der in den orien - taliſchen Sprachen und Alterthuͤmern eine mehr als gemeine Kenntniß ſich erworben hat, be - merkt, daß Choſroes I. ein ſaſſanidiſcher Prinz, der 531 zu regieren aufieng, dieß Spiel von ei - nem Indianer erlernt habe. Die Perſer nennen dieß Schachſpiel Chet-rang; die vor - nehmſten Benennungen deſſelben ſind aus der perſiſchen Sprache entlehnt. Schach kommt her von dem Worte Scheik, welches Koͤnig und Mat, welches ſterben bedeutet.53wo ſich nur irgend Gelegenheit dazu findet, zu beſtehlen und zu betriegen.

Der Luxus der Perſer iſt auch in den Kleidern, Zierrathen von Steinen, und in Pferdegeſchir - ren ſehr uͤbermaͤßig. In Anſehung der koſt - baren Steine tragen die Mannsperſonen faſt eben ſo viel an den Fingern, als ihre Weiber. Sie ſtecken zuweilen funfzehn bis ſechszehn Ringe an die Finger: tragen ſie aber doch nur an den drey mittelſten Fingern. Die Maͤnner haben ſilberne mit Steinen, und die Frauens - perſonen tragen goldene. Ueberdem haben die Mannsperſonen noch koſtbare Kaͤſtchen in ih - rem Buſen, worinn ſie ihre Pettſchafte, Juwe - len und einen kleinen Geldbeutel tragen. Die - ſe Koſtbarkeiten tragen ſie nur deswegen bey ſich, um ſich damit bey andern zeigen, und ih - nen einen hohen Begriff von ihren unermeßli - chen Reichthuͤmern beybringen zu koͤnnen. Sonſt beſetzen ſie auch noch mit ſolchen Stei - nen die Gefaͤße ihrer Dolche und Degen. Sie tragen auch S[t]eine an ihrem Kopfe und den Sophy-Muͤtzen, die ſie nur an feyerlichen und Feſttagen aufſetzen. Niemand, als nur allein der Koͤnig, darf ſie am Turban tragen, ausgenommen die Neuverheyratheten, denen es waͤhrend der Hochzeit erlaubt iſt.

Das Pferdegeſchirr der Perſonen vom Stande iſt gemeinhin mit Silber, Gold oder Steinen verſehen. Einige laſſen das Leder der Laͤnge nach, ſtatt der Goldarbeit, mitD 3Duca -54Ducaten belegen, um nur die Façon nicht be - zahlen zu duͤrfen. Die Sattel ſind hinten und vorne mit maſſivem Golde garnirt. Die Schabracken, welche von den unſrigen weit verſchieden, ſind gleichfalls mit den theuerſten und koſtbarſten Sachen bordirt.

Nirgends aber iſt die Verſchwendung groͤſ - ſer und unglaublicher, als in den Serrails. Mit der Unterhaltung einer ungeheuren Menge von Weibern ſind unſaͤgliche Koſten verbunden. Al - le Tage werden neue Kleider, koſtbare Par - fuͤms angeſchafft; und die im hoͤchſten Grade wolluͤſtigen Weibsbilder, wiſſen durch ihre un - verſchaͤmte Schmeicheley ihre Maͤnner ſo zu feſſeln und dahin zu bringen, daß ſie ſich zu unſaͤglichen Ausgaben leicht bewegen laſſen.

Wenn eine vornehme Perſon Viſite ablegt: ſo werden ein oder zwey Handpferde voraufge -[fuͤhrt]. Vorne oder neben dieſem Pferde ge - hen, nach Beſchaffenheit, zwey, drey oder vier Domeſtiken zu Fuße. Hinter dieſer vor - nehmern Perſon folgt einer zu Pferde, welcher die Tabacks-Bouteille traͤgt: ein anderer traͤgt ihm die Toilette mit einem Rocke und einer Muͤtze nach, und noch ein dritter, der ihm nur bloß zur Begleitung dient. Wenn er einmal auf eine Promenade oder ſonſt nach einem Garten oder oͤffentlichen Ort gehet; ſo nimmt er einen Knecht mit einem Yactan mit, der hinter ihm hergehen muß: dieſer Yactan beſteht aus zwey kleinen viereckigten Koffern,welche55welche mit Speiſen angefuͤllt, und mit einem Teppich bedeckt ſind. Wenn der Herr nun an dem beſtimmten Orte angelangt iſt; ſo wird der Teppich auf die Erde gebreitet; worauf er alsdenn raucht oder ißt. Geht er auf die Jagd; ſo hat er einen bis zwey Falkenjaͤger mit dem Vogel in ſeinem Gefolge bey ſich. Und auf dieſe Art verlebt gemeiniglich der vor - nehme Mann ſeine Jahre.

Nach den Geſetzen des Korans iſt ein je - der firmer Muſelmann verbunden, ſich zu ver - heyrathen. Denn man ſieht den ledigen Stand als einen ſolchen an, der dem Zwecke und der Hauptabſicht, den ſich Gott bey der Erſchaf - fung der Menſchen vorgeſetzt habe, widerſpraͤ - che. Sie koͤnnen es daher auch gar nicht begreifen, wie Chriſten den eheloſen Stand unter ſich dulden und Keuſchheit fuͤr eine Tu - gend halten. Am meiſten iſt ihnen der Moͤnchs - zuſtand, nach deren Geſetzen ſich, wie bekannt, ein jeder aller Gemeinſchaft mit dem andern Geſchlechte enthalten muß, unerklaͤrlich. *)Genau genommen, haben die Mohammedaner hierinn voͤllig Recht. Gott hatte bey Er - ſchaffung der Eva allerdings die Fortpflanzung des menſchlichen Geſchlechts zum Hauptzweck, und legte in die Naturen der Menſchen den Trieb ein gemeinſchaftliches Verlangen, ihr Geſchlecht fortzupflanzen, gegen einander zu haben. Hierzu kam noch der ausdruͤcklicheBefehl

D 4Schon56

Schon in den Juͤnglings-Jahren, ohnge - faͤhr im ſechszehnten oder ſiebenzehnten Jahre, ſtehet es ihnen frey, dafern ſie eine Neigung zum Frauenzimmer blicken laſſen ſich zu ver - heyrathen, oder wenn es die Umſtaͤnde nicht erlauben, ſich Concubinen zu halten. Sie gehen gemeiniglich eine dreyfache Art von Ver - bindung mit ihren Weibern ein. Erſtlich pflegen ſie einige Weiber auf eine gewiſſe Zeit zu miethen, und einen Contrakt in Gegen - wart des Richters einzugehen. Doch ſteht es allezeit in eines jeden Belieben, die Maitreſſe, wenn er ihrer uͤberdruͤßig iſt, von ſich zu laſſen, wenn er ihr nur das Miethgeld richtig und ganz auszahlt, und die etwa mit ihr ge - zeugten Kinder ernaͤhrt und verſorgt. Eine ſolche verabſchiedete Frauensperſon iſt aber ver - bunden, ſich vierzig Tage aller fleiſchlichen Ver -bin -*)Befehl Gottes, der ſich aber, wie man leicht ſieht, nicht bloß auf die erſten Menſchen, ſon - dern auch auf die Nachkommen bezieht. Chriſtus hat ferner nirgends und nie verboten, ſich zu verheyrathen; und man kann daher ſich nicht genug verwundern, daß es in der chriſtli - chen Kirche Leute giebt, die ſich des Eheſtan - des zu enthalten, verpflichtet zu ſeyn glau - ben. Man ſieht in unſern aufgeklaͤrtern Zeiten itzt, wie viel der Moͤnchs - und Non - nenſtand der Bevoͤlkerung des Staats ſchadet, und hat bereits den loͤblichen Anfang gemacht, aus den Cellen der Moͤnche und Nonnen Ca - ſernen zum Nutzen der Menſchheit zu machen!57bindung mit Mannsperſonen zu enthalten. Dieſe Zeit nennen ſie die Tage der Reinigung. Zweytens koͤnnen die Perſer auch nach ih - ren Geſetzen die gekauften Weiber, oder Sclaven, zu ihrer Maitreſſe machen. Dieſe nennt man Canize. Sie haben vor den Ge - mietheten große Vorzuͤge. Man raͤumt ihnen ein von den uͤbrigen Sclavinnen abgeſondertes Zimmer ein, und giebt ihnen die beſte Aufwar - tung. Werden ſie aber ſchwanger; ſo hoͤrt die Verbindung als Sclavinn auf, und wer - den als Muͤtter der Familie angeſehen. Drittens gehen ſie eine rechtmaͤßige Verbi[n -]dung mit Frauenzimmern ein, welche Nekaa genannt werden. Mohammed hat einem je - den Muſelmann zugeſtanden, ſich vier Weiber, wenn er ſie ernaͤhren kann, nehmen zu duͤrfen. Allein gemeiniglich pflegen ſich die Perſer nicht mit ſo vielen zu bemengen, theils wegen der vie - len Unordnungen, welche die Begierde Aller zu befehlen verurſacht, theils und hauptſaͤchlich aber wegen der ungeheuren Koſten, die ſie be - wuͤrken. Aus dieſen Urſachen ſind die gekauf - ten Weiber oder Sclavinnen, uͤber die ſie frey - lich mehr Gewalt ausuͤben duͤrfen, als uͤber ihre rechtmaͤßigen Frauen, am gewoͤhnlichſten.

Mit dem Heyrathen geht es in Perſien eben ſo, wie in einigen andern Laͤndern des Orients. Man gebraucht naͤmlich zu dieſen Unterhand - lungen gewiſſe dazu brauchbare Weiber: Denn das neue Ehepaar kennt ſich gemeiniglich wei -D 5ter58ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun die Eltern von beyden Seiten in den noͤthigen Puncten mit einander einverſtanden ſind; ſo geht der Vater des Braͤutigams in das Haus des Vaters der Braut. Der Vater dieſer letz - tern empfaͤngt und umarmt den Braͤutigam und begiebt ſich alsdann aus der Geſellſchaft, weil er dem Contracte nicht beywohnen darf: denn man fuͤrchtet immer, daß der Vater der Braut dem Braͤutigam Hinderniſſe in den Weg legen koͤnnte, und dieſem dadurch die voͤllige Freyheit benommen wuͤrde. Dieſer Contract wird in einem beſondern Zimmer in Gegenwart des Braͤutigams, eines Prieſters*)Vielleicht duͤrfte es manchen ſonderbar vor - kommen, warum gerade bey dergleichen Con - tracten ein Prieſter und kein ordentlicher Rich - ter vorkomme? Um dieſen Einwurf zu heben, muß man wiſſen, daß die Geiſtlichkeit in Per - ſien das hoͤchſte Gericht ausmachen. Denn die Perſer ſind davon feſt uͤberzeugt, daß die Geiſtlichen urſpruͤnglich das Recht von Gott erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten. Der Sedre, oder der oberſte Prieſter, iſt der oberſte Chef ſowohl in allen geiſtlichen als weltlichen Angelegenheiten, und unter dieſem ſtehen alle uͤbrigen Richter. Wenn man unterſuchen wollte, ob es wohl gut ſey, daß die hoͤchſte Jurisdiction in den Haͤnden der Prieſter iſt, und ob die Gerechtig - keit nicht darunter leide, ſo waͤre dieß eine Fra - ge, die ich wohl mit Nein beantworten moͤch - te. Unter uns Europaͤern findet die hoͤchſteJu - und derUn -59Unterhaͤndlerinnen von beyden Seiten aufge - ſetzt. Sind die Beyſitzer dieſes Contracts ei - nig; ſo iſt es ihre Pflicht auf die Haltung deſ - ſelben mit aller Strenge zu halten. Hierauf verfuͤgt ſich die Braut mit einigen Weibern in ein nah anliegendes Zimmer, und der Procu - rator verkuͤndigt die Heyrath, nach Chardins und Herberts Berichten, in folgenden Ausdruͤ - cken: Ich, N. N. den ihr euch zum Pro - curator erwaͤhlt habt, verheyrathe euch an dieſen Menſchen, der hier gegenwaͤr - tig iſt. Ihr ſollt allezeit ſeine Frau ſeyn, und unter dieſer Bedingung ſollt ihr das Wittwengeld genießen, welches euch iſt ausgemacht worden. Der Procurator des Braͤutigams antwortet hierauf mit folgenden Worten: Ich, N. N. dem das Procura - torweſen des N. N. aufgetragen iſt, heyrathe in deſſen Namen die Frau, wel - che ihm von dem hier anweſenden Pro - curator iſt gegeben worden, und verſpre - che ihr das ausgemachte Wittwengeldzu*)Jurisdiction, wie bekannt, ihre eigene Lehrer, und iſt von dem geiſtlichen Stande beynahe ganz abgeſondert. Ob ſie aber von der Geiſt - lichkeit muͤſſe ganz ausgeſchloſſen ſeyn will ich hier nicht, weil’s auch nicht hieher gehoͤrt, unterſuchen Die Perſer befinden ſich unter der geiſtlichen Gerichtsbarkeit wohl, und man ſieht unter ihnen wenige, die nicht in Ordnung gehalten werden koͤnnten.60zu bezahlen. Der Prieſter geht alsdann an das Zimmer der Braut und fraͤgt: ob ſie das, was die Procuratoren ausgemacht haͤtten, bil - lige: worauf ſie dann mit Ja antwortet. Wenn alle dieſe Cerimonien nun vorbey ſind; ſo unterſiegelt der Cadi den Contract, und laͤßt ihn gleichfalls von den Verwandten bey - der Familien beſiegeln. Dieſen Contract nimmt alsdann die junge Frau zu ſich. Je mehr Pett - ſchafte ſie darunter gedruckt ſieht, je lieber iſt es ihr: zum wenigſten aber, dafern er guͤltig ſeyn ſoll, muß er mit zehn Siegeln verſehen ſeyn.

Nachdem alle dieſe Zubereitungen geſchehen, begiebt ſich ein jeder wieder nach Hauſe. Am folgenden Tage ſchickt der Braͤutigam ſeiner Braut einen gewiſſen Theil ſeines Vermoͤgens und zugleich die noͤthigen Kleider und Edelge - ſteine. Dieſe ſchickt dagegen dem Braͤutigam auch etwas, wenn gleich nur wenig. Die Hoch - zeit ſelbſt geſchieht bey den Perſern in dem Hau - ſe des Braͤutigams. Gewoͤhnlich dauert ein dergleichen Feſtin zehn Tage lang. Die erſten neun Tage werden unter dem Genuß der groͤſ - ſeſten Freuden zugebrach[t], ohne daß die Braut irgend einen Antheil nehmen darf. Am zehnten Tage des Abends aber wird die Braut zum Braͤutigam unter dem freudigen Schalle der Trompeten und Begleitung einer Menge von Weibern, und uͤberhaupt mit vieler aͤußern Pracht, gefuͤhrt. Iſt die Braut von vorneh -men61men Stande, ſo wird ſie in einem Behaͤltniſſe, das wie eine Wiege gemacht iſt, und eine Caj - nas genannt wird, getragen. Die aber von geringerer Herkunft muͤſſen ſich auf ihre Beine verlaſſen, oder reiten auch wohl auf Pferden. Die Braut iſt gemeiniglich mit zwey koſtba - ren Schleiern umhangen, wovon der eine den ganzen Koͤrper bedeckt und der andere bis zum Guͤrtel herunterhaͤngt. Dieß thun ſie darum, weil die neidiſchen und jalouen Menſchen ſie alsdann nicht bezaubern koͤnnen. Wenn nun die Braut in dem Hauſe des Braͤutigams iſt; ſo wird ſie von den Weibern in ein dunkeles Zimmer gefuͤhrt, ausgekleidet und ins Bette gelegt. Kurz darauf geht eben dieß mit dem Braͤutigam vor. Und ſo kommt das neue Ehe - paar in einem Bette zuſammen, ohne ſich viel - leicht je geſehen zu haben.

Man ſollte denken, daß dieſe Art zu heyra - then, ohne ſich vorher jemals geſehen zu haben, uͤberall ungluͤckliche Ehen verurſachen muͤßte. Allein hierinn wuͤrde man ſich ſehr irren. Viel - mehr kann man behaupten, daß die Ehe ſol - cher Leute, die ſich vorher nie geſehen haben, viel gluͤcklicher iſt, als manche unter uns, ohn - geachtet des vielen Beſehens und vorher gehab - ten Umgangs. Uebrigens aber muß man auch nicht zu weit gehen, und denken, als ob es den Perſern gleichviel waͤre, was und welche Frau ſie erhielten! Sie ſind in dieſem Stuͤcke fein genug. Die Mutter, der Vater und Anver -wandten62wandten nehmen ſich vorher ein genaues und getreues Gemaͤhlde von dem Maͤdchen, das ihr Sohn dereinſt, wenn ſie des Vergleichs einig werden koͤnnen, haben ſoll, (denn bis in das ſiebente Jahr laſſen ſich die Maͤgdchen oͤffent - lich ſehen.) Oft traͤgt ſichs auch zu, daß ein Maͤgdchen ſich ſehr jung ſchon verheyrathet, und ſo lange wartet, bis ſie ſich nach den Geſe - tzen oͤffentlich vermaͤhlen darf.

Die Eheſcheidung iſt bey den Perſern eine ſehr leichte Sache, und nach den Mohamme - daniſchen Geſetzen erlaubt. Dieſe kommen ge - meiniglich daher, wenn nemlich der Braͤutigam mit dem geſchloſſenen Contracte nachher nicht zufrieden iſt, und er anfaͤngt Zwiſtigkeiten zu erregen und ſeine Oberherrſchaft fuͤhlbar wer - den laͤßt. Wird nun z. B. der Frau dieſes Joch unertraͤglich; ſo kann ſie ſich daruͤber bey dem Richter beſchweren und die Eheſcheidung verlangen. Alsdann aber verliehrt ſie ihr Witt - wengeld. Dringt aber der Mann auf eine Scheidung; ſo iſt er gleichfalls verbunden dasje - nige, was er ſeiner Frau geſchenkt hat, zu laſ - ſen. Das perſiſche Geſetz erlaubt es auch, daß zwey Perſonen, die von einander geſchie - den ſind, ſich wieder vereinigen duͤrfen: und dieß duͤrfen ſie zu drey verſchiedenen malen thun. Sind ſie zum drittenmale geſchieden, und wol - len ſich zum viertenmale wieder verbinden; ſo koͤnnen ſie dieß nur unter der Bedingung thun, daß naͤmlich die Frau vorher einen andernMann63Mann heyrathet und vierzig Tage bey ihm wohnet. Alsdann darf ſie ihren neuen Gemahl wieder verlaſſen, und zu dem alten uͤbergehen. Eine ſolche Unordnung in dem Eheſtandweſen findet man doch nur unter dem gemeinen Hau - fen von Menſchen. Die Vornehmen ſind da - zu zu ſtolz und zu geizig, als daß ſie ihre Frauen in den Armen anderer ſehen, und die Mitgabe wieder herausgeben ſollten. Viel eher wuͤrden ſie ſich dazu verſtehen, der Frau den Hals ab - zuſchneiden, als zu der Eheſcheidung zu ſchrei - ten. Die Obrigkeit miſcht ſich auch ſehr ſelten in Eheſtandsſachen: und da die Perſer uͤber - haupt, vorzuͤglich aber die Vornehmen, uͤber ihre Weiber in den Seraillen eine faſt unum - ſchraͤnkte Gewalt haben; ſo ſehen ſich dieſe wohl vor, nicht auf die Eheſcheidung zu dringen und ſich geduldig zu verhalten.

Ohngeachtet es nach dem Mohammedani - ſchen Geſetzen auf das ſchaͤrfſte verbothen iſt, Hurerey und andere Schandthaten zu treiben; ſo findet man doch hin und wieder in Perſien einige Oerter, wo ſie oͤffentlich getrieben wird. Einige zuverlaͤßige Reiſebeſchreiber erzaͤhlen, daß in der Hauptſtadt des Reichs, Iſpahan, eilf tauſend Huren geduldet werden, woruͤber eine geſetzte Perſon, die ſie in ihrer Sprache Me - chel Dar Bachi nennen, das Regiſter haͤlt.

Wenn man die Anordnungen und Zuberei - tungen, welche die Perſer bey Gelegenheiten der Geburt ſowohl als auch bey dem Sterbeneines64eines Menſchen anzuwenden pflegen, genau er - waͤgt; ſo findet man in der That bey dieſen Ce - rimonien viel Wuͤrdiges und Edles, das der Nation gewiß zur groͤßeſten Ehre gereicht. Ich will hier das Merkwuͤrdigſte, was bey dem To - de und Begraͤbniſſe vorgeht, kurz und genau concentrirt dem Leſer vor Augen darſtellen, und hierinn fuͤrnehmlich dem Chardin folgen, mit dem faſt alle Reiſebeſchreiber, wenigſtens die beſten, ſehr genau uͤbereinkommen.

In Perſien herrſcht uͤberall die Gewohnheit, daß man auf dem platten Dache, wenn Je - mand in einem Hauſe toͤdtlich krank iſt, kleine Feuer anlegt, um die Vorbeygehenden zu erin - nern, Gott um Erhaltung des Kranken anzu - flehen. Zugleich laͤßt man auch Mollahs*)Sind eine Art Geiſtliche in Perſien. herbey rufen, die dem Sterbenden alle ſeine be - gangenen Suͤnden vorhalten, und ihn zur auf - richtigen Bereuung derſelben ermahnen muͤſſen. Der Kranke antwortet bey jedem ihm vorge - haltenen Puncte: Taube, d. i. es gereuet mich. Alsdann muß er in Gegenwart des Prieſters ſein Glaubensbekenntniß ablegen: und wenn er ſchon ſo ſchwach iſt, daß er nicht mehr reden kann; ſo beten die Anweſenden alle fuͤr ihn, leſen auch wohl ſo lange einige Stellen aus dem Koran, bis er voͤllig verſchieden iſt.

Sobald nun der Kranke ſeinen Geiſt voͤllig aufgegeben hat; ſo erheben die Anweſenden einſol -65ſolches Geſchrey, daß die ganze Nachbarſchaft zuſammenlaͤuft, um die Leidtragende zu troͤſten. Alle diejenigen, welche bey dem Verluſte des Verſtorbenen intereſſirt ſind, zerreiſſen ihre Klei - der, raufen ſich die Haare aus, zerfetzen ihr Geſicht, ſchlagen ſich vor die Bruſt, und geben uͤberhaupt Zeichen der aͤußerſten Betruͤbniß von ſich. Beſonders zeichnen ſich die Weiber im Heulen und Wehklagen vorzuͤglich aus, und ſcheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung zu treiben. Bey jeder Zuſammenkunft, wo des Verſtorbenen Erwaͤhnung geſchieht, pfle - gen ſie ihn aufs herrlichſte zu loben: und dieſe Lobeserhebungen endigen ſich denn gemeiniglich mit einem graͤßlichen Geſchrey.

Die erſte Sorge, die ſie tragen, wenn der Kranke erblaßt iſt, beſteht darinn, daß ſie ſo - gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa - ſchen und begraben laſſen zu duͤrfen. Nach er - haltener Erlaubniß gehen ſie zum Mordi - chour,*)Mordichour heißt in der perſiſchen Sprache nichts anders, als ein Waſcher todter Koͤr - per. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden. Er iſt von der Juſtiz angeſetzt, damit man hauptſaͤchlich wiſſe, wieviel Perſonen jedesmal geſtorben ſind. Eine Gewohnheit und An - ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach - tet und gehoͤrig erwogen, gut und lobenswuͤr - dig ſind. und bringen ihm den Befehl vomCadi,E66Cadi, daß er den Todten waſchen und die noͤ - thigen Cerimonien veranſtalten koͤnne. Die Maͤnner werden von Maͤnnern, und die Wei - ber wiederum von Weibern gewaſchen. Der Mordichour entkleidet den Verſtorbenen und die Kleider kommen ihm den Rechten nach zu. Man pflegt mit der Abwaſchung eines Verſtor - benen ſehr ſchnell zu verfahren. Denn man wagt es nicht ihn, ſo lange er ungewaſchen da liegt, anzuruͤhren, weil es fuͤr unrein gehalten wird. Man laͤßt gemeiniglich den Erblaßten in einem, zu dieſer Abſicht beſtimmten, Waſch - hauſe, oder, wenn es vornehme Leute ſind, in ihren eigenen Haͤuſern, abwaſchen. Die Ab - waſchungen geſchehen nach der perſiſchen Litur - gie auf folgende drey Arten: zuerſt waͤſcht man den Koͤrper mit gewoͤhnlichen reinem Waſ - ſer ab, worinn ein Strauß von Zuͤrgelbaum - blaͤttern liegt; zweytens bedient man ſich ei - ner gewiſſen Art Kampferwaſſer, und endlich drittens nimmt man ſolches Waſſer, wie es der Brunnen darbietet. Es iſt der Gebrauch einmal unter ihnen introducirt, daß ein jeder Koͤrper dreymal abgewaſchen und abgetrocknet wird. Bey der letzten Abwaſchung werden al - le Oefnungen mit Baumwolle verſtopft.

Sobald dieſe Handlung geſchehen iſt, wird die Beerdigung veranſtaltet. Den Koͤrper wi - ckelt man in ein weiß reines Tuch, ſo daß man nichts von dem Verſtorbenen ſehen kann. Ei - nige andaͤchtige Leute pflegen uͤber daſſelbe eini -ge67ge Stuͤcke aus dem Koran auszuſchreiben. Hierauf bringt man den Koͤrper ſo geſchwind als moͤglich in einen Sarg, weil ein todter Koͤrper innerhalb acht oder zehn Stunden ſo aufgeblaſen iſt, daß man ihn beynahe nicht in einen Sarg legen kann. Die Urſachen von dieſer ſonderbaren Sache, die ſich ſo bald an dem Verſtorbenen ereignet, muß man nur al - lein in der großen Duͤrre der Luft ſuchen. Wenn der todte Leichnam an einen entfernten Ort (welches zuweilen von den Kranken ange - ordnet wird) ſoll getragen werden; ſo fuͤllen ſie den Sarg mit Kalk, Gummi und Salz, wel - ches den Koͤrper vor Faͤulung erhalten ſoll. Und dieß iſt die gewoͤhnliche Art, die Koͤrper in Perſien einzubalſamiren.

Die Beerdigung geſchieht gemeiniglich bey dem gemeinen Manne mit ſo wenigem Pomp, als es nur immer moͤglich iſt. Ein Mollah und noch ein paar andere Bediente machen ge - woͤhnlich den ganzen Aufzug aus. Der Koͤr - per wird von Sclaven und Freunden getragen, und von denen, die ihnen unterwegens bege - gnen, abgeloͤſet. Die Dienſtleiſtung der Per - ſer bey ſolchen Vorfaͤllen iſt hierinn vorzuͤglich lobenswuͤrdig. Ja ſie geht ſo weit, daß dieje - nigen, welche ihnen zu Pferde begegnen, abſtei - gen, und ihre Dienſte anbieten.

Das Leichenbegaͤngniß vornehmer Perſonen geſchieht mit mehrer Pracht. Dieſe werden nicht, wie jene, von Menſchen getragen, ſondernE 2mit68mit Pferden, die mit dem koſtbarſten Geſchirr verſehen ſind, gefahren. Auf dem Sarge ſieht man die aͤußern Zeichen der Wuͤrde, und, wie uͤberall, den Turban. Wenn ein Soldat, der ſich wegen ſeiner Tapferkeit vorzuͤglich hervor - gethan hat, ſtirbt; ſo begraͤbt man ihn mit ſei - nem Turban, Degen, Pfeile und Koͤcher: Ein jeder Anweſender wirft in das Loch deren ſie gewoͤhnlich zwey graben, naͤmlich eins ſenk - und das andre wagrecht ein wenig Erde und ruft dabey aus: Wir ſind Gottes, wir kommen von Gott, und wir werden wie - der zu Gott zuruͤckkehren. Man be - deckt das Loch mit einem Steine, oder mit ei - ner Art von braunem und zugleich hartem Mar - mor, den man in Perſien uͤberall findet, wor - auf man einige Stellen aus dem Koran ein - hauen laͤßt. Auf dem Grabmale einer Manns - perſon pflegt man nach dem Kopfe hin einen Stein, worauf man einen Turban eingehauen findet, zu legen.

Sowohl die Vornehmen als die geringen Leute beſuchen acht oder zehn Tage nach dem Leichenbegaͤngniſſe das Grab des Entſeelten, und beſonders entzieht ſich das Frauenzimmer dieſer Pflicht am wenigſten. Man ſieht immer die Kirchhoͤfe voll von Menſchen, beſonders an den hohen Feſttagen, des Abends und Morgens, die ſammt ihren Kindern klein und groß in die - ſer Abſicht dahin gegangen ſind. Sie ſetzen ſich auf das Grab, weinen und ſchreien jaͤm -merlich69merlich, ſchlagen ſich vor die Bruſt, raufen ihre Haare aus (welches ſie, wie ſchon im vorherge - henden erwaͤhnt iſt, auch bey der Gelegenheit, wenn der Kranke geſtorben iſt, thun,) und er - zaͤhlen das gluͤckliche Leben, das ſie mit ihnen genoſſen haben. Gemeiniglich laſſen ſie Ku - chen, Fruͤchte und andere Sachen auf dem Gra - be liegen, welches den Engeln, die das Grab bewahren, gewidmet iſt.

Die Reichen, und uͤberhaupt diejenigen, welche eine hohe Charge im Reiche bekleidet ha - ben, verordnen gewoͤhnlicher Weiſe bey ihrem Abſterben, daß ihr Koͤrper an den Oertern, wo ein Heiliger liegt, ſolle begraben werden. Sehr ſelten aber geht man hierinn ſo weit, daß der Koͤrper nach Mekke oder Medine gebracht wird, weil dieſe Oerter ordentlicher Weiſe von den meiſten Staͤdten und Doͤrfern ſehr entle - gen, und dieſes mit vielen Koſten verbunden iſt. Waͤhrend man ſich zu einer ſolchen Reiſe zube - reitet, ſetzt man die Saͤrge in beſondere dazu ausgemauerte Hoͤhlen, damit ſie nicht von Je - dermann geſehen werden. Die Perſer glau - ben, daß die todten Koͤrper, wenn ſie auf eine ſolche Art verwahrt und beygeſetzt ſind, nicht faulen und riechen koͤnnten, weil ſie vor der Verweſung den Engeln, die das Grab be - wahren, von ihrem Haushalten die genaueſte Rechenſchaft ablegen muͤßten. *)Dieſe beyden Engel nennen die Perſer, nachTa -

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Die Perſer betrauren ihre Todte vierzig Tage lang; und ſcheinen in den acht erſten Ta -gen*)Taverniers Berichte, in ihrer Sprache Neg - nir oder Manguer. Sie pflegen ſich, nach den Vorſtellungen der Perſer, mit dem Todten zu unterhalten, und ihn wegen ſeines Glau - bens und ſeines ganzen Wandels zur Rechen - ſchaft zu fordern. Iſt nun ihr Glaube auf die - ſer Erde klein, und ihr Betragen den Geſetzen Mohammeds zuwider geweſen; ſo werden ſie von dieſen beyden Engeln verdammt, und dieſe Verdammung beſteht in einer beſtaͤndigen und heftigen Reue, ſich nicht ſo vollkommen ge - macht zu haben, als ſie es haͤtten ſeyn koͤnnen. Dieß iſt die Vorſtellung des venuͤnftigern Theils unter ihnen. Andere halten dafuͤr, daß die Verdammung der Gottloſen in abſcheu - lichen Traͤumen und Erſcheinungen, hingegen die Seeligkeit der Frommen in dem Genuſſe un - aufhoͤrlicher Vergnuͤgungen, beſtuͤnde, bis end - lich der große Geſetzgeber erſchiene und alle Verſtorbene zu einer allgemeinen Auferſtehung beriefe. Alsdann wuͤrde einem jeden ſein ewi - ges Endurtheil geſprochen, und er entweder be - ſtaͤndig vom Teufel gequaͤlt oder ewig gluͤcklich ſeyn. Man ſieht hieraus leicht, was die Perſer von der Seligkeit oder Verdammung der Verſtorbenen fuͤr eine Meynung hegen. Es iſt Schade, daß ſie zu dem, was in dieſen Vor - ſtellungen uͤbertriebenes oder falſches iſt, durch ihre religioͤſen Ideen verleitet werden. Beſon - ders ſcheint es, als wenn ſie vom Teufel eine entſetzliche Meynung haben, und hierinn unſre deutſchen Orthodoxen noch einigermaaßen uͤber - treffen. Verſtuͤnden die Perſer deutſch, und wenn es ſich ſonſt thun ließe; ſo koͤnnte manihnen71gen ganz untroͤſtbar zu ſeyn. Sie ſchreien und laͤrmen außerordentlich und enthalten ſich eini - ge Tage lang der Speiſen, um damit anzuzei - gen, daß ſie des Lebens nunmehro, nachdem ih - nen das Theuerſte geraubt ſey, uͤberdruͤßig waͤ - ren. In den erſten Tagen der Trauer geht ſo wohl das maͤnnliche als weibliche Geſchlecht ſchwarz. *)Chardin ſagt, die Trauerkleider beſtaͤnden nicht im ſchwarzen Tuche. Aber viele Reiſebeſchrei - ber, und hierinn eben ſo glaubwuͤrdige, geben die Verſicherung, daß ſie ſich einer ſolchen Cou - leur bedienten.Dieſe Couleur ſieht bey den Orien - talern ganz ſcheußlich aus, und die Perſer nen - nen es ſelbſt die Farbe des Teufels. Einige Tage nachher kleiden ſie ſich, auf Zureden und Bitten der Anverwandten und Freunde, anders und bekleiden ſich alsdann mit einem Rocke von Leinewand.

Wir haben ſchon vorhin geſagt, daß das Frauenzimmer am ſchwerſten bey Trauerfaͤllen zu troͤſten ſey. Allein die Urſache davon iſt ſehr natuͤrlich. Denn der Wittwenſtand iſt in der That fuͤr das perſiſche Frauenzimmer ein Zuſtand, der ſich, wie uͤberhaupt im ganzen Orient, nie aͤndert. Nichts aber iſt ſchoͤ - ner und mit einer geſunden Philoſophie uͤber -E 4ein -*)ihnen ein kleines Buͤchelchen empfehlen, unter dem Titel: Doch die Exiſtenz des Teufels auf dieſer Erde, um ihnen zu zeigen, was man in andern Laͤndern vom Teufel halte!72einſtimmender, als der Troſt, den ſie ſich ge - genſeitig zuzuſprechen pflegen. Sie verglei - chen das Leben mit einer Carvanſerey, und raiſonniren daruͤber auf eine ſo vernuͤnftige Art, als man es nur immer von den geſitte - ſten und vernuͤnftigſten Einwohnern der Erde hoͤren kann. Ein ſolcher Troſt hat auch ge - meiniglich bey ihnen die beſten Wirkungen, und ſie wiſſen ſich endlich in ihrem Schickſale ſo zu finden, daß es ihrer Denkungsart viele Eh - re macht. Wer ſich unter ihnen eines guten Lebenswandels bewußt iſt, ſcheut ſich auch fuͤr dem Tode gar nicht; vielmehr aͤußern ſie manchmal die groͤßeſte Sehnſucht nach demſel - ben, und ſehen es fuͤr eine beſondere Wohlthat von Gott an, wenn ſie bald ſterben koͤnnen. In Europa pflegt man gewoͤhnlich ein ſolches Verlangen nach dem Tode nicht zu tragen! Aber man hat es auch nicht Urſache, weil es uns an manchen Eigenſchaften fehlt, die die Perſer ſo ſehr uͤber uns erheben!

Drit -73

Drittes Kapitel.

Von dem Zuſtande der Wiſſenſchaften un - ter den Perſern. Ihre Art zu ſtudi - ren. Von der perſiſchen und arabi - ſchen Sprache ihrer Schrei - bekunſt.

Man wuͤrde der perſiſchen Nation ſonder Zweifel Unrecht thun, wenn man ſie fuͤr unwiſſende und einfaͤltige Menſchen halten wollte. Wenn man den Spuren der aͤlteſten und zuverlaͤßigſten Geſchichte der Perſer nach - geht; ſo wird man auch finden, daß in ihrem und dem benachbarten indiſchen Reiche die Wiſſenſchaften zuerſt mit gluͤcklichem Erfolg getrieben ſind. Von dieſen beyden Nationen, und ſonderlich von der erſten, ſcheinen die Wiſſenſchaften durch die Brachmanen und Gymnoſophiſten zu den Egyptiern, Phoͤni - ciern und andern benachbarten Voͤlkern uͤber - gekommen zu ſeyn. Man weiß, daß die Grie - chen die Wiſſenſchaften von den letztern gelernt haben. Die erſten Begriffe der Philoſophie erhielten dieſe von den Indiern durch den Py - thagoras, der zuerſt die Lehre von der See -E 5len -74lenwanderung*)Wer ſich von der Lehre der Seelenwanderung naͤher unterrichten will, den wird des Herrn Sinners Verſuch uͤber die Lehren der See - lenwanderung und des Fegefeuers der Bra - minen von Indoſtan, hinlaͤnglich befrie - digen. auszubreiten ſuchte, aber we - nige Anhaͤnger derſelben fand.

Die Perſer haben von Natur viel Ge - ſchmack an den Wiſſenſchaften, und man kann ſagen, daß ſie an lebhafter Imagination und an wirklicher Gelehrſamkeit alle andere Voͤlker in Aſien uͤbertreffen. Die Chineſer, welche man ſonſt fuͤr die geſitteſte und einfichtvollſte Nation des Orients haͤlt, koͤnnen in Anſehung der hoͤhern Wiſſenſchaften mit den Perſern in keine Parallele gezogen werden. Bey den Chi - neſern, z. B., wird keine Wiſſenſchaft mehr ge - achtet, als die Sternkunde. Aber ihre Kennt - niſſe hierinn ſind ſehr begraͤnzt, und ſie geſtehen es gerne, daß ſie in dieſem Stuͤcke noch weit unter den Perſern ſind. Die Perſer lie - ben und ehren die Gelehrten, und die, welche ſich bemuͤhen, es zu werden, ſo ſehr, daß man mit Recht behaupten kann, ihre herrſchende Neigung ſey die Ausbreitung und Vervoll - kommnung der Wiſſenſchaften. Sie verwen - den darauf alle ihre Zeit, ohne ſich um ihre Familie und haͤuslichen Angelegenheiten zu be - kuͤmmern; ſelbſt die groͤßeſte Armuth kann ſiedavon75davon nicht abhalten. Dieſer Eifer zu den Wiſſenſchaften erſtreckt ſich auf alle Staͤnde. Man findet wahrlich wenige unter ihnen, die nicht gute Buͤcher leſen und ſich nicht auf Wiſ - ſenſchaften legen. Die Kinder werden fruͤhzei - tig in die Schule geſchickt und in den Wiſſen - ſchaften unterrichtet. Ihre hoͤhern Collegia be - ſuchen ſogar Perſonen von ſechzig Jahren; und die alten Greiſe ſchaͤmen ſich nicht, zwiſchen unbebaͤrteten Juͤnglingen zu ſitzen, vielmehr rech - net es ſich ein jeder als eine Ehre, den ihnen ſo ſuͤß klingenden Namen Talebelm welches in unſrer Sprache ſo viel heißt, als Student fuͤhren zu duͤrfen. Die Lehrer des Collegiums ſind entweder Mollahs der gemeine und Hauptname der Prieſter oder Akonds, welches bey uns ſo viel heißt, als ein oͤffentli - cher Leſer. Die Bacheliers werden auch Mouchtehed genannt, welches ſo viel heißt, als einer, der ſich auf eine Sache ſtark legt. Unter allen Lehrern wird dieſer Mouchtehed als der vornehmſte geſchaͤtzt, der nicht nur ein Poly - hiſtor ſeyn ſoll wenigſtens muß er doch von vielen Dingen gute Kenntniſſe haben ſondern deſſen Ausſpruͤche auch fuͤr Orakul gehalten werden. Sehr wenigen wird auch dieſer Name beygelegt.

Die Talebelm oder Studenten unterſchei - den ſich von andern Leuten dadurch, daß ſie ein ernſthaftes Weſen in ihrem Betragen aͤußern. Ihre Kleidung giebt eben keine ſonderlich vor -theil -76theilhafte Idee von ihnen. Sie gehen gemei - niglich weiß, und ſelten tragen ſie ein farbenes Kleid, das mit Gold oder Silber beſetzt waͤre.

Nur den halten die Perſer fuͤr einen ge - lehrten Mann, der alle Kenntniſſe und Wiſ - ſenſchaften im moͤglichſten Grade beſitzt. Wer aber nur in einem Fache der Wiſſenſchaften bewandert iſt, wird zwar geehrt, kann aber nicht fuͤr einen Gelehrten paſſiren. Die - ſe Schaͤtzung eines Gelehrten iſt fuͤr die Per - ſer hoͤchſt ſchaͤdlich. Wuͤrden Sie denjenigen, der es z. B. in der Mathematik, Philoſophie u. ſ. w. weit gebracht haͤtte, fuͤr einen Gelehrten ſchaͤtzen und achten; ſo wuͤrden dieſe Wiſſen - ſchaften unter ihnen eben ſo hoch geſtiegen ſeyn, wie es bey uns Europaͤern geſchehen iſt.

Die Perſer berufen ſich in ihren Studien nie auf irgend Jemandes Autoritaͤt außer in Religionsſachen. Sie unterſuchen und pruͤfen alles vorher ſelbſt, ehe ſie in ir - gend einer Sache jemandes Meynung beyſtim - men. Die Art, wie ſie zur Wahrheit gelan - gen, iſt dieſe, ſie ſagen naͤmlich: daß der Zweifel der Anfang einer Wiſſenſchaft ſey; wer an nichts zweifele, unterſuche auch nichts; wer nichts entdeckt, iſt blind und bleibt blind.

Der Anfang ihres Studirens ſtimmt mit unſrer Art voͤllig uͤberein. Zuerſt ſuchen ſie ſich mit der Grammatik und Syntax bekanntzu77zu machen; alsdenn gehen ſie zur Theologie uͤber. Wenn ſie hierinn gluͤcklichen Fortgang gemacht haben; ſo lernen ſie die Philoſo - phie, Rechenkunſt, Arzeneykunſt, Poeſie, Geographie, Hiſtorie und Aſtrologie. Die Arzeneykunſt und Aſtrologie wird fuͤr - nehmlich ſtark getrieben, und wer dieſe recht verſteht, kann in Perſien ſein Gluͤck ma - chen. Die Sprachen, die ſie in ihrer Jugend lernen, ſind die Perſiſche, Tuͤrkiſche und Arabiſche. Ohne dieſe drey Sprachen kann kein Gelehrter, und uͤberhaupt kein Mann vom Stande, fertig werden. Die Arabiſche Spra - che muß ein ieder verſtehen, weil der Koran in derſelben geſchrieben iſt, und uͤberhaupt der Vortrag der Lehrer in den Diſciplinen mit ara - biſchen Brocken wie bey uns das Lateini - ſche durchwuͤrzt wird. Die Perſer haben in ihrer Sprache die alten Autoren eben ſowohl uͤberſetzt, als wir. Nur muß man doch dabey anmerken, daß wir ſie nicht ſo ſehr und ſo fleißig zu leſen pflegen, als die Perſer. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſie mehr in dem Geiſte der Alten denken, reden und ſchreiben, als wir, denn ihre Hauptbeſchaͤfftigung und Hauptabſicht bey Leſung der Alten, geht bloß dahin, ſich mit ihren Grundſaͤtzen vertrauter, und ſie gleichſam ſich eigen zu machen.

Vielleicht duͤrfte es manchen Leſern ange - nehm ſeyn, einige der vorzuͤglichſten perſiſchen Gelehrten zu kennen. Ich will deswegen hiereinige78einige der merkwuͤrdigſten hier anfuͤhren, ſo wie ich ſie beym Chardin, Otter und Taver - nier gefunden und verglichen habe.

Cojé Neſſir de Thus wird von den Ge - lehrten fuͤr den geſchickteſten und gelehrteſten Mann gehalten. Er lebte ohngefaͤhr vor fuͤnf hundert und funfzig Jahren. Er war ein Mann von vornehmer Geburt und von groſ - ſem Vermoͤgen. Er wurde zuletzt uͤber alle Akademien zum Vorſteher geſetzt. Sein ei - gentlicher Name iſt Cojé Neſſir, ſein Zuna - me iſt Thus, einer Stadt, worin er gebo - ren wurde. Man haͤlt ihn fuͤr einen großen Kenner der griechiſchen Sprache, weil alle ſei - ne Lehren und Kenntniſſe vom griechiſchen Gei - ſte zeigen. Alle Faͤcher der Wiſſenſchaften hat - te er bearbeitet, und uͤber alle beſondere Buͤcher verfaßt. Beſonders aber ſchaͤtzt man ſeine mathematiſchen und aſtrologiſchen Werke.

Mohammed Chagolgius iſt dem Ran - ge nach der zweyte Gelehrte, der ſonderlich ſei - ner aſtrologiſchen Kenntniſſen wegen geſchaͤtzt wird. Er lebte ohngefaͤhr vor dreyhundert Jahren, und man haͤlt dafuͤr, daß ſeine Ein - ſichten, die des Cojé Naſſir wo nicht uͤber - troffen haben, doch wenigſtens gleich ſeyn. Bey dieſen zween großen Kennern der Aſtrolo - gie laſſen wir es bewenden. Wir wollen nun noch einige andere, die ſich in der Mathematik u. ſ. w. bekannt gemacht haben, bloß dem Namen nach anfuͤhren.

In79

In der Mathematik ſind unter ihnen be - ruͤhmt: Maimon Rechid und Yacoub Be - nel Saba el Kendi. In der Geometrie: Apollonius Pergeus und Ayran. In der Optik: die Commentarien des Haſſin uͤber Ptolomeus ta Kieldinn. In der Gnomo - nik: Omarel Soufi. In der Arithmetik: Abououlou-Fa und Aliel Kouchi. In der Muſik: Alfarabi und Abouz. In der Geo - graphie: Ebn Maarouf Abul Eeda Ya - coub Hamavy. In der Vernunftlehre: Youſouf Manſour und Abouneſer. In der Geſchichte: Mahomed de Balk. In der Jurisprudenz: Abumeker Yacoub Raiſerie und Jacoub Alkendi.

Die Perſer ſchreiben nicht viele Buͤcher. Sie halten ſich lieber an die aͤlteſten Schrif - ten ihrer Vorfahren, weil ſie glauben, nur aus dieſen koͤnnten ſie wahre Weisheit lernen. Sie meynen, ihre alten Scribenten waͤren we - niger Verbeſſerung faͤhig. Allein dieß iſt doch eine Anzeige, daß ſie nicht viele neue Auf - ſchluͤſſe in den Wiſſenſchaften machen. Bey den Buͤchern, welche die Perſer heraus - geben, findet man weder Privilegien noch Bil - ligungen oder Approbationen der Gelehrten. Wenn ſie ein wiſſenſchaftliches Werk geſchrieben haben; ſo pflegen ſie es dem Koͤnige oder irgend einem Vornehmen im Reiche zu dediciren, um ein gutes Preſent dafuͤr zu erhalten. Aber die - ſe Dedicationen beſtehen nicht in der Form,wie80wie man ſie bey uns zu machen pflegt. Der Name desjenigen, dem das Buch dedicirt ſeyn ſoll, wird nur in der Vorrede erwaͤhnt, nach dem Artikel, welcher eine Lobpreiſung Gottes und aller Heiligen enthaͤlt.

Die Perſer haben in ihrer Art zu ſtudi - ren viel Sonderbares. Ich will hier etwas weniges davon erzaͤhlen, woraus man abneh - men kann, mit wie vielen Dingen ſie ſich auf einmal zu beſchaͤfftigen pflegen. Wenn ein Student zu ſeinem Lehrer kommt, macht er zufoͤrderſt ein devotes Compliment, ſetzt ſich, und ſagt kein Wort. Der Lehrer pflegt ihm darauf einen Wink zu geben, wenn er anfan - gen ſoll. Der Student lieſt einige Reihen in einem Autor und hoͤrt auf zu reden. Ueber das nun, was der Student geleſen hat, haͤlt der Lehrer, nach Art unſrer Profeſſoren auf Akademien, einen langen Diſcours; hernach wird die Periode nochmals geleſen, und ein anderer faͤhrt denn weiter fort, die folgende Strophe herzuleſen, die der Lehrer auf eben die Art behandelt. Und ſo dauert ein ſolches Col - legium nach unſrer Art zu reden oft eine, auch wohl zwey Stunden, je nach dem es dem Lehrer gefaͤllt. Iſt die Zeit des Un - terrichts vorbey; ſo macht der Student ſeine Verbeugung und legt dabey ſeine Hand auf den Magen welches den groͤßeſten Reſpect ausdruͤckt und im Weggehen begleitet ſie der Lehrer mit den Worten: Gott ſey miteuch. 81euch. Hierauf gehen die Studioſi zu ei - nem andern Lehrer, und hoͤren den Unterricht in einer andern Wiſſenſchaft. Oftmals pfle - gen die Lehrer in einer Stunde einen vierfa - chen Unterricht zu geben welches nach ihrer Meynung von ungemeinem Nutzen iſt. Sie wollen in dieſem Stuͤcke die Alten nachahmen: richten aber dadurch gewiß mehr Schaden, als Vortheil an.

Wenn nun die Studioſi in allen Theilen der Wiſſenſchaft einigen Fortgang gemacht haben; ſo fangen ſie an uͤber einige Materien, entweder unter ſich allein, oder auch in Gegen - wart ihres Lehrers, zu diſputiren. Drey oder viere treten zuſammen, und diſputiren, faſt ſo, wie es bey unſerm Diſputiren herzugehen pflegt.

Dieß iſt die Art, wie die Perſer zu ſtudi - ren pflegen. Die wohlhabenden Leute laſſen auch oft die Lehrer zu ihren Kindern ins Haus kommen, um ſie eben ſo, wie in den Colle - gien, unterrichten zu laſſen. Dieſe letzte Art des Unterrichts laͤßt ſich bey ihnen leicht thun, weil der Unterricht, wegen der großen Menge von ſo genannten Gelehrten, nicht mit ſo vie - len Koſten verbunden zu ſeyn pflegt, wie bey uns. Schade iſt es, daß der lebhafte Geiſt und die natuͤrlichen Talente dieſes Volks nicht ſo, wie ſie ſollten, angewendet werden. Sie wuͤrden gewiß eben ſo gluͤcklichen Fortgang in allen Theilen der Wiſſenſchaften machen, alsFes82es in Europa geſchieht, wenn ſie ſich nicht auf Alles auf einmal legten, wenn bey ihnen die Buͤcher ſo wohlfeil, als in Europa waͤren, und wenn endlich die Lehrer mit ſolcher Gewiſſen - haftigkeit ihren Unterricht jedem ertheilten, den ſie nur ihren vertrauteſten Freunden zu geben pflegen. In Anſehung ihrer großen Ein - ſichten ſind ſie eben ſo prahleriſch, als alle an - dere Voͤlker. Sie ſind ſehr jalou und wollen nicht, daß die Europaͤer alle ihre Kuͤnſte wiſ - ſen, damit jene ihnen die Kuͤnſte nicht ablernen ſollen, und ſie immer einen Vorzug vor den Euro - paͤern haben moͤchten.

Ein jeder Liebhaber der Wiſſenſchaften ler - net hauptſaͤchlich dreyerley Sprachen. Erſt - lich die perſiſche, als die Hauptſprache des ganzen Reichs. Zweytens die tuͤrkiſche, drit - tens die arabiſche. Dieſe drey Sprachen kennt man nur unter ihnen. Ein jeder, der etwas vorſtellen will, muß derſelben kundig ſeyn. Selbſt das Frauenzimmer muß wenig - ſtens die beyden erſten verſtehen, dafern ſie fuͤr eine Perſon von Lebensart will gehalten ſeyn. Der perſiſchen Sprache bedient man ſich in der Dichtkunſt, und in den Werken des Verſtandes. Das Tuͤrkiſche redet man bey der Armee, am Hofe und im Serrail der Großen. Das Arabiſche iſt fuͤr die Religion und alle abſtracten Wiſſenſchaften. Die Perſer chara - cteriſiren dieſe drey Sprachen ſo: ſie ſagen naͤmlich, die perſiſche Sprache ſey geſchickt, dieMen -83Menſchen zu ſchmeicheln, die arabiſche, ſie zu uͤberreden, und die tuͤrkiſche, wenn man mit Jemand von ernſthaften Dingen reden wollte. Man erzaͤhlt hierbey noch die laͤcherliche Hiſto - rie, daß dieſe drey Sprachen im Paradieſe waͤren geredet worden. Sie ſagen naͤmlich, die Schlange haͤtte die Eva durch ihre Beredſam - keit verfuͤhrt; (folglich arabiſch geredet.) Adam und Eva haͤtten, wenn ſie von Liebeshiſtorien geſprochen, perſiſch geredet; die Engel, welche beyde aus dem Garten gejagt, haͤtten tuͤrkiſch geredet.

Die alte arabiſche Sprache kann gegenwaͤr - tig Niemand verſtehen, weil es an Buͤchern fehlt, woraus man ſie lernen koͤnnte, und auch nicht die geringſten Spuren von derſelben mehr uͤbrig ſind. Die Guebers, welche noch von den alten Perſern abſtammen, haben einen ganz beſondern Dialect. Sie geben zwar vor, daß ſie noch itzt die urſpruͤnglich alte perſiſche Spra - che redeten, daß ihre Prieſter fuͤr die Erhal - tung und Unverfaͤlſchtheit die aͤußerſte Sorg - falt getragen haͤtten und noch truͤgen; allein es bleibt doch immer ſehr ungewiß und zweifel - haft, ob ſie wirklich jene alte Sprache unver - faͤlſcht erhalten haben. Was die itzige perſiſche Sprache betrifft; ſo kann man ſagen, daß ſie durch die Vermiſchung des Arabiſchen und anderer fremder Ausdruͤcke ſehr verfeinert, dem Gehoͤr angenehm und die Ausſprache leicht iſt. Die Perſer nennen ſie deswegen auch dieF 2geſal -84geſalzene Sprache, um dadurch zu verſte - hen zu geben, daß ſie wohl klinge Die Reiſe - beſchreiber rechnen dieſe Sprache unter die an - genehmſten und wohlklingendſten, die ſie ken - nen. Sie hat mit der Europaͤiſchen viel Aehn - lichkeit, und man findet in derſelben wenige harte oder rauhklingende Toͤne. *)Dieſe Characteriſirung der perſiſchen Sprache gilt aber nur bloß in Anſehung der großen Staͤdte. Auf dem platten Lande redet man ein Perſiſch, das man kaum, wenn man nicht hoͤchſt aufmerkſam iſt, verſtehen kann. Die Verbindung der Woͤrter mit einander iſt bey dem gemeinen Volke ſehr unregelmaͤßig.

Die Perſer haben acht und zwanzig Buch - ſtaben. Dieſe ſind alle Conſonanten, ausge - nommen die dreye Alif, Vau und , die ſie deswegen auch Ruhebuchſtaben nennen. Ihre gewoͤhnlichen Accente ſind kleine krumme Linien, die entweder gerade oder ſchief ſtehen, wie man es bey einigen europaͤiſchen Sprachen findet. Die acht und zwanzig Buchſtaben des perſiſchen Alphabets haben nicht alle verſchiede - ne Figuren, wie bey uns. Ein einziger Cha - racter bedeutet bey ihnen mancherley Buchſta - ben, und die richtige Bedeutung deſſelben wird durch die Verſchiedenheit und Menge der Pun - cte, die entweder oben oder unten ſtehen, an - gezeigt. Wenn die Perſer z. E. ein B ſchrei - ben wollen; ſo machen ſie folgende Figur:〈…〉〈…〉;wenn85wenn zwey Puncte darunter ſtehen〈…〉〈…〉; ſo iſt es ein J; ſind drey Puncte darunter〈…〉〈…〉; ſo zeigt es ein P an. Setzt man die Puncte in eben der Ordnung uͤber dieſe Figur; ſo hat man die Buchſtaben N. T. und S. Die Perſer verſetzen dieſe Puncte oftmals und laſ - ſen ſie auch wohl gar aus, ohne dadurch an - dern unverſtaͤndlich zu werden. Statt der Vo - cale bedienen ſie ſich auch oft gewiſſer Zeichen, um nicht zu weitlaͤuftig zu werden. Dieſe Verſchiedenheit in Abwechslung der Puncte und Vocale macht es auch, daß oft ein Frem - der, der ſonſt ihre Sprache gelernt hat, doch ihre Schrift nicht leſen kann.

Ueberhaupt wollen wir hier bemerken, daß man in Perſien, ſo wie uͤberhaupt im ganzen Orient, gegenwaͤrtig die lateiniſche und griechi - ſche Sprache nicht kenne. Die Lateiniſche iſt ſonſt auch ſelten betrieben. Die Griechiſche hat man nur bis auf die Zeiten Mohammeds gelehrt und gelernt; ſeit der Zeit aber iſt ſie in Vergeſſenheit gerathen.

Ich will dieſes Kapitel mit einer umſtaͤnd - lichen Nachricht von der Schreibekunſt der Perſer endigen. Papier, Dinte und Federn ſind diejenigen Dinge, welche ſie gleichfalls bey der Schreibekunſt gebrauchen, und von jedem will ich einige Bemerkungen beybrin - gen. An Papier haben die Perſer keinen Mangel: uͤberall pflegt man es in großer Men -F 3ge86ge anzutreffen. Es hat nicht die Guͤte, die Feinheit und Weiſſe, wie bey uns: aber es iſt viel zarter und glatter, weil ſie es mit einer Art von Seife beſchmieren, und ſichs beſſer darauf ſchreiben laͤßt. Alles beſchriebene Papier wird fuͤr heilig bey den Mohammeda - nern angeſehen: und derjenige, der es zerreißt, oder es wohl gar zum ſchmuzigen Gebrauch anwendet, wird als ein ſchaͤndlicher Menſch angeſehen, der etwas zerriſſen oder verbraucht habe, worauf der Name Gottes koͤnnte ge - ſchrieben ſeyn. Wollen ſie des uͤberfluͤßigen Papiers los ſeyn; ſo werfen ſie es in das Waſ - ſer, oder ſtecken es in eine Mauer. Ihre Dinte, iſt dicke und klebricht, faſt unſrer Dru - ckerſchwaͤrze aͤhnlich. Sie haben blaue, rothe, goldfarbene, und machen zuweilen in ihren Schriften verſchiedene Zierrathen auf dem Rande, ſo wie wir es in den alten Manuſcri - pten oft finden. Ihre Federn ſind unge - mein hart und beſtehen aus Schilf, welches laͤngſt dem perſiſchen Meerbuſen in großer Menge waͤchſt. Sie ſchneiden ſie gewoͤhnlich mit einer langen Spitze, und ſollen zum Schrei - ben ſehr bequem ſeyn.

Weil die Perſer der herrlichen und ſchoͤnen Kunſt der Buchdruckerey, theils wegen der groſ - ſen Duͤrre der Luſt, theils aber auch wegen des Papiers, weil es die Druckerpreſſe nicht aus - halten und zerreiſſen wuͤrde, entbehren muͤſ -ſen;87ſen;*)Abbas II. gieng zwar mit dem Projecte um, die Buchdruckerkunſt in Perſien einzufuͤhren; allein dieſer Prinz ſtarb gerade zu der Zeit, wo der Anfang ſollte gemacht werden. ſo ſind ſie genoͤthigt, alle ihre Buͤcher abzuſchreiben. Und aus dieſer Urſache wird die Schreibekunſt unter die edelſten und beſten freyen Kuͤnſte gerechnet, worauf ſie ſich faſt alle legen, und am meiſten ſehen. Sie ſchrei - ben mit einer erſtaunenden Delicateſſe, legen ihr Papier nicht auf einen Tiſch, ſondern ſie halten es etwas hoch, und legen ein Stuͤck Le - der drunter, um es damit zu halten. Wenn der Bogen voll geſchrieben iſt; ſo rollen ſie ihn zuſammen, und wickeln ihn wieder auf, wenn ſie ihn noch beſchreiben wollen. Die Mor - genlaͤnder ſchreiben nicht, wie wir, von der Linken zur Rechten, ſondern von der Rechten zur Linken; ſie geben ihren Zeilen eine kleine Kruͤmmung, und machen ſie unten rund.

Man koͤnnte denken, daß die Buͤcher, aus Mangel der Buchdruckerkunſt, in Perſien uͤber - aus theuer ſeyn muͤßten. Allein der Ueberfluß an Copiſten erſetzt dieſen Mangel ſo, daß die Buͤcher kaum dreymal theuerer ſind, wie bey uns. Wenn ein Copiſt ein Buch ab - ſchreibt, und faſt immer arbeitet; ſo erarbei - tet er ſich doch kaum ſo viel, daß er anſtaͤndig davon leben kann. Die Geſchwindigkeit und Fluͤchtigkeit des Abſchreibers, verurſacht nunF 4aber88aber auch, daß ſie ungemein viele Fehler ma - chen, welches nicht wenig den Wiſſenſchaf - ten ſchadet, und zu Irrthuͤmern Gelegenheit giebt. Sie leſen das, was ſie geſchrieben ha - ben, nicht wieder durch, und geben auch gemei - niglich ſo wenig auf ihr vorliegendes Manu - ſcript Acht, daß ſie tauſend Fehler machen, oh - ne einen einzigen zu bemerken. Oftmals erei - gnet ſichs auch, daß fehlerhafte Manuſcripte von einem andern abgeſchrieben, und nochmals mit eben ſo vielen Fehler bereichert werden. Dergleichen Manuſcripte nun, werden oft von gelehrten Leuten durchgeſehen; und wenn ſie die Fehler entdecken, ſo verdammen ſie die Ab - ſchreiber oft dazu, daß ſie wuͤrdig waͤren, die eine Hand zu verliehren.

Viertes Kapitel.

Von der Dichtkunſt, Mathematik, Aſtro - nomie, Aſtrologie, und Philoſophie der Perſer.

Die Perſer verſichern, daß es in den aͤlte - ſten Zeiten Dichter gegeben habe, welche die gemeinnuͤtzigſten Wahrheiten in Verſen abge - faßt haben, um ſie dadurch ehrwuͤrdiger und zugleich fuͤr das Volk angenehmer zu machen. Man89Man kann ſagen, daß die Dichtkunſt auch noch itzt die angenehmſte Beſchaͤfftigung der perſi - ſchen Nation ausmache. Sie haben von Na - tur die beſten Anlagen dazu, ihr Genie iſt fruchtbar, und ihre Vorſtellung lebhaft: dazu kommt noch die angenehme und fuͤr die Dicht - kunſt bequeme Sprache. In ihrer Proſa fin - det man uͤberall Verſe untermiſcht und die Lie - be zu den Verſen iſt ſo groß, daß ſie ſich im Reden derſelben oft bedienen. Sie glauben, daß eine Rede, die mit vielen Verſen gewuͤrzt iſt, geſchickter ſey, den Innhalt derſelben beſſer zu faſſen und zu behalten. Eines von den Mitteln, deren ſich die alten Perſer bedienten, um das Andenken einer großen That zu vere - wigen, war, daß man daruͤber ein Gedicht ver - fertigte, und ſolches in den Verſammlungen und bey großen Feſtins abſang. Dieſe Ge - wohnheit wird auch noch itzt allgemein in Per - ſien beybehalten. Vor alten Zeiten beſchaͤff - tigte man ſich mit Viehweiden und andern Dingen. Die Muße nun, die ihnen dieſes ſtil - le Leben verſchaffte, verwandten ſie allein auf die Dichtkunſt. Und hieraus ſcheint die Schaͤ - ferpoeſie, welche die Griechen ganz wahrſchein - lich von den Morgenlaͤndern entlehnt haben, entſtanden zu ſeyn.

Vorzuͤglich uͤben ſich die jetzigen perſiſchen Dichter in ſolchen Dingen, welche die Galan - terie, Geſchichte und Moral betreffen. Die Gedichte der erſten Art ſind gemeiniglich mitF 5unge -90ungemein vieler Freyheit verfaßt, und duͤrfen nicht mehr, als hoͤchſtens dreyßig Reihen aus - machen: ſie duͤrfen aber auch nicht unter zwoͤlf Zeilen ſeyn. Eine ſolche Art von Gedichten nennt man Kaſel. Aber doch nicht in allen ſolchen Gedichten findet man dieſe uͤbertriebene Freyheit. Die zweyte Art von Gedichten heißt Keſide. Dieſe pflegen ſie zu gebrau - chen, wenn ſie den Ruhm großer Maͤnner und Helden der Nachwelt hinterlaſſen wollen. Ein ſolches Stuͤck darf nicht uͤber zweyhundert Verſe groß ſeyn. Man pflegt in denſelben kleine Erzaͤhlungen und Maͤhrchen anzubrin - gen. Große Gedichte, wo man hinter einan - der fortleſen muß, werden gar nicht geachtet: man findet in ihren Buͤchern wenige, die uͤber achtzig oder hundert Verſe lang ſind. Dieß verſteht ſich aber nur bloß von den zwey Ar - ten von Gedichten; denn ſie haben auch große Werke, die ganz aus Poeſien beſtehen. So enthaͤlt z. E. die Chaname ſechs und ſechzig tauſend Verſe: es iſt aber ein Werk, worinn viele andere Materien mit abgehandelt ſind, und das in viele Kapitel abgetheilt iſt. Sie nen - nen dieſe großen Werke in ihrer Sprache Di - van, welches ſo viel heißt: als die Ver - ſammlung der Weiſen oder der Alten.

Ihre Gedichte reimen ſich, wie die Unſri - gen; ſie haben auch ſcandirte Verſe, wie die Griechen, Roͤmer u. ſ. w. und laſſen kurze und lange Sylben mit einander abwechſeln. Ueber -91Ueberhaupt iſt ihre ganze Art voll von Unregel - maͤßigkeiten, die ſie aber alle fuͤr poetiſche Frey - heiten ausgeben. Chardin behauptet, daß die Poeſie, ſie moͤge ſeyn von welcher Art ſie wolle, einen fuͤrtrefflichen Wohlklang habe, und auch ſolchen Leuten gefallen muͤſſe, welche die perſiſche Sprache nur halb oder auch ganz und gar nicht verſtaͤnden. Ja er geht noch weiter, und verſichert, daß die Poeſie der Morgenlaͤn - der, und beſonders die der Perſer, die Unſrige weit an Schoͤnheit, Wohlklang und andern Eigenſchaften uͤbertreffe weil ihre Einbil - dungskraft nicht nur lebhafter, ſondern auch ihr Ausdruck erhabener ſey und die Poeſien un - ſrer beſten Dichter fuͤr weiter nichts in Ver - gleichung mit den perſiſchen als froſtige und elende Proſe zu rechnen waͤren. Sonder Zwei - fel iſt dieſe Meynung viel zu hoch geſpannt. Andere, und zugleich zuverlaͤßige, Reiſebeſchrei - ber melden gerade das Gegentheil, und geben die Poeſien der Perſer, wo nicht fuͤr elend, doch wenigſtens fuͤr ſehr mittelmaͤßig aus.

Man hat eine Geſchichte der perſiſchen Dichter, welche von einem Gouverneur einer Provinz, Namens Sami verfertigt iſt; wor - inn man eine uͤberaus große Menge Dichter vorfindet. Afez und Sahdi ſind unter die - ſen die vornehmſten: und wenn man jeman - den wegen ſeiner Gedichte loben will; ſo legt man ihm einen von dieſen beyden Namen bey. Das Frauenzimmer iſt von derFrey -92Freyheit, Verſe zu machen, gaͤnzlich ausge - ſchloſſen. Die Perſer haben deswegen unter ſich das unhoͤfliche Sprichwort: Wenn die Henne wie der Hahn kraͤhen will; ſo muß man ihr die Kehle abſchneiden.

Verſchiedene gelehrte Maͤnner ſind der Meynung, daß die Kunſt, Fabeln zu ſchreiben, und durch Fabeln das Volk zu unterrichten, den Perſern zuzuſchreiben ſey. Sie fuͤgen noch hinzu, daß es die Griechen ſelbſt geſtan - den und ſich geruͤhmt haͤtten, die Morgenlaͤn - der hierinn zu Lehrmeiſtern gehabt zu haben. Locmanns Fabeln, den die Perſer ungemein ehren, weil Mohammed deſſelben im Ko - ran ruͤhmlichſt gedenkt ſollen mit den Aeſo - piſchen einerley ſeyn. In Sentenzen und ſinnreichen Einfaͤllen, deren Eigenſchaft darinn beſteht, lehrreiche Wahrheiten in wenigen Wor - ten einzuſchließen, haben ſich die Perſer jeder - zeit hervorgethan. Man ſieht ſie gewoͤhnlich auf Denkmaͤlern, und die oͤffentlichen Pallaͤſte ſind mit denſelben ſtark verſehen. Herbert und Cbardin haben derſelben viele geſammlet. Und um dem Leſer von den Faͤhigkeiten der Perſer in dieſem Stuͤcke eine Idee zu machen, will ich einige hier herſetzen.

Ein kluger Freund iſt beſſer, als ein aus - ſchweifender Freund.

Das Geſchenk eines freygebigen Mannes iſt ein wahres Geſchenk: das Geſchenk eines eigennuͤtzigen Mannes, iſt Betteley.

Das93

Das Herz eines Vaters ruhet auf ſeinem Sohn; des Sohnes Herz aber, ruhet auf ei - nem Steine.

Die Geduld iſt ein Baum, deſſen Wurzel bitter, die Fruͤchte aber ſehr ſuͤße ſind.

Ein Menſch kann fuͤr weiſe gehalten wer - den, wenn er die Weisheit ſucht; wenn er ſie aber glaubt gefunden zu haben; ſo iſt er ein Narre.

Die Hoffnung iſt ein fuͤrtrefflicher Reiſe - gefaͤhrte. Wenn ſie uns nicht gewiß an den verſprochenen Ort bringt; ſo verlaͤßt ſie uns zum wenigſten niemals, und giebt beſtaͤndig gute Worte.

Wenn der Koͤnig in dem Garten einer Pri - vatperſon einen Apfel abbricht; ſo werden die Hofleute den Baum mit ſamt den Wurzeln ausreiſſen.

Drey Arten von Leuten gewinnen nichts, wenn ſie mit drey andern Arten von Leuten umgehen, der Edelmann mit dem gemeinen Mann, der ehrliche Mann mit einem Schelm, und der Kluge mit einem Narren.

Wer am hellen Mittage herrliche Eſſenzen verbrennt, der wird bald am Oele, das man des Nachts brennt, Mangel haben.

Wehe dem Schiffe, das aus dem Hafen laͤuft, ohne den Zoll zu entrichten: und wehe dem Menſchen, der aus dieſem Leben gehet, ohne Kreuz und Elend erfahren zu haben.

Als94

Als man einen Weltweiſen fragte, von wem er die Weisheit gelernt habe, antwortete er: Ich habe ſie von den Blinden ge - lernt, die niemals einen Schritt thun, ohne vorher den Boden mit einem Stocke zu unterſuchen.

Wenn man euch ſagt, daß ein Berg von einem Orte zu dem andern verſetzt worden ſey; ſo glaubt es, wenn ihr wollt; ſagt man euch aber, daß ein Menſch ſein Naturell veraͤndert habe, glaubt es nicht. Des Menſchen Natu - rell gleicht ſeiner Geſichtsbildung: ſowohl das eine als die andere ſind faſt immer einerley.

Zehn Derwiſche werden ruhig auf einer Streue ſchlafen, und zwey Koͤnige koͤnnen nicht mit einander in einem Vierthel von der Welt in Frieden leben.

Uebelerworbenes Gut, verzehrt das Gut - erworbene. Was man zu viel hat, muß von der Maſſe, als ein uͤberfluͤßiges Gut an - geſehen werden. Allmoſen ſind das Salz des Reichthums: ohne dieſes Erhaltungs - mittel verdirbt es.

Du biſt ein Menſch, und ſollteſt nicht ge - duldig ſeyn?

Drey Sachen lernt man nur bey drey Ge - legenheiten erkennen: die Tapferkeit im Strei - te, die Klugheit im Zorn, und die Freundſchaft in der Noth.

Das Meer bietet unſaͤgliche Reichthuͤmer dar, die Sicherheit aber iſt auf dem Ufer.

Es95

Es iſt großen Maͤnnern eigen, ihren Feh. ler zu geſtehen.

Thut Gutes, wenn ihr wollt, daß man euch auch Gutes thun ſoll.

Der Anfang des Zorns iſt Wuth, und das Ende Reue.

Wohlthaten, wenn ſie uͤbel angewendet ſind, gerathen oft dem zum Schaden, der ſie giebt, und auch dem, der ſie erhaͤlt.

Die Menſchen folgen der Religion und den Sitten ihres Koͤniges.

Wer eine niedrige Handlung lobt, begehet ſie ſelbſt.

Wer jemanden beſucht, unterwerfe ſich dem Geſetze desjenigen, den er beſucht.

Wer ſeinen Vater ehrt, deſſen Tage ſollen verlaͤngert werden.

Wenn ihr euch des Weins nicht mit Ver - ſtande bedienet; ſo werdet ihr ein Elender werden. Gebraucht ihr ihn aber mit Verſtan - de; ſo werdet ihr einmal ein beruͤhmter Mann werden.

Unternehmet nichts, ohne vorher daran ge - dacht zu haben.

Laßt das nicht durch andere Leute thun, was ihr ſelbſt thun koͤnnet.

Wenn ein Menſch in einem Hauſe iſt; ſo reicht auch ein Wort zu.

Wenn ein Bedienter gefaͤllt; ſo gefaͤllt auch zugleich Alles, was er macht.

Wenn96

Wenn man mit leeren Haͤnden zu dem Richter geht; ſo bekommt man ihn nicht zu ſehen.

Der Umgang mit niedertraͤchtigen Seelen iſt einer Schiffahrt auf dem hohen Meere aͤhn - lich.

Die Menſchen, welche man ſicht, ſind nicht alle Menſchen. Die meiſten ſind Ochſen und Eſel ohne Gott.

Wenn man ein Werk nie anfaͤngt; ſo wird es auch nicht zu Stande kommen.

Was hilft dem Schaͤfer das Schreyen, wann der Wolf mit dem Schaafe davon geht.

Etwas Schoͤnheit gilt mehr, als große Reichthuͤmer.

Wenn der Tag kommt; ſo loͤſcht man das Licht aus.

Wer ſich ſelbſt vor dem Wolfe fuͤrchtet, der giebt auf ſeine Schaafe nicht Acht.

Fuͤrchtet euch fuͤr den, der euch fuͤrchtet.

Wenn ein frommer Menſch ſterbend nichts verlaͤßt als ein Schreibzeug und Federn; ſo kann er allemal des Paradieſes ſicher ſeyn.

Die Menſchen verbrauchen die Zeit, aber die Zeit verbraucht noch mehr die Menſchen ſelbſt.

Die Niedertraͤchtigkeit iſt die beſtaͤndige Feindinn der Reichthuͤmer.

Die Armuth iſt weit beſſer, als uͤbelerwor - benes Gut, und niedertraͤchtiger Gewinnſt.

Das97

Das groͤßeſte Ungluͤck der Armuth beſteht darinn, daß man von Jedermann verachtet wird.

Der groͤßeſte Nutzen der Reichthuͤmer iſt der, daß man von Jedermann geachtet wird.

Das Leben eines Geizigen iſt immer kurz, das Leben eines freygebigen Menſchen iſt immer lang.

Wer das Gute nicht von dem Boͤſen zu un - terſcheiden weiß, gehoͤrt unter die Zahl der un - vernuͤnftigen Thiere.

Wer einen Freund ganz ohne Fehler ver - langt, wird nie einen bekommen.

Das Wort Freund iſt ein Ausdruck ohne Bedeutung.

Was man in ſeinem Herzen gegen einen Freund empfindet, fuͤhlt er auch in ſeinem Her - zen gegen uns.

Wer ſich mit ſeinen Feinden verſoͤhnt, be - leidigt dadurch ſeine Freunde.

Die Geduld iſt bitter, aber ihre Frucht iſt ſuͤß.

Die Geduld iſt die Thuͤre zur Freude, das Auffahren die Thuͤre zur Reue.

Der Menſch hat ein kurzes Leben, aber ei - ne deſto laͤngere Hoffnung.

Die Seele verliert nicht eher die Hoffnung, bis der Tod kommt.

Ein Koͤnig ohne Gerechtigkeit, iſt ein Fluß ohne Waſſer.

GWenn98

Wenn das Luͤgen je erlaubt iſt, ſo moͤchte es wohl da ſeyn, wenn man mit Luͤgnern um - gehet.

Unterhaltet euer Gluͤck ſo, als wenn ihr ewig leben muͤßtet.

Man huͤte ſich fuͤr dem Menſchen, der in eines andern Abweſenheit uͤbel von ihm redet, und entferne ſich aus deſſen Geſellſchaft.

Man muß nur bloß zur Erholung ſpielen, ſo wie man eine Sache ſalzet, um ſie vor der Faͤulniß zu bewahren.

Drey Dinge verlaͤngern das Leben, ſchoͤne Kleider, ein ſchoͤnes Haus, eine ſchoͤne Frau.

Es iſt leichter, einen Gottloſen von ſeiner Bosheit abzuhalten, als einen traurigen Men - ſchen von ſeiner Traurigkeit.

Wer ſeinen Kindern kein Handwerk lernen laͤßt, der erzieht ſie nur zu nichtswuͤrdigen Leu - ten auf.

Wenn ein Menſch ſeinem Ende nahe iſt; ſo betet ein jeder fuͤr ihn.

Betragt euch auf eine ſolche Art, daß ihr, wenn ihr vor die Pforte des Paradieſes kommt, nicht reich ſeyd; denn die Armen ſitzen im Pa - radieſe auf der erſten Bank.

Begnuͤgt euch mit dem, was euch Gott giebt, alsdann habt ihr genug.

So lange man das Geheimniß ſeines Freundes verſchweigen kann, ſo lange muß man es auch thun.

Es99

Es giebt zwey Arten von elenden Menſchen, naͤmlich, wer etwas ſucht, und nichts findet, und dann, wer etwas findet, und damit nicht zufrieden iſt.

Mit Wenigem zufrieden zu ſeyn, iſt der groͤßeſte Reichthum.

Die Gluͤckſeligkeit dieſer und der andern Welt beſtehet darinn, ſeinen Freunden Gutes zu thun, und das Unrecht ſeiner Feinde zu er - tragen.

Ein Weiſer, der ſchweigt, iſt beſſer, als ein Narr, der redet.

Man unterhalte ſich niemals mit einem Narren, und enthalte ſich alles Umgangs mit ihm, denn er beſitzt keine Schamhaftigkeit.

Man muß die Kinder nie aufhalten, wenn ſie in die Schule gehen: auch nicht einmal, um das Feuer in der Nachbarſchaft ausloͤſchen zu helfen.

Ein ſchamhafter Menſch wird nicht viel lernen, und ein zorniger ſchlecht unterrichten.

Hoͤre zu, alsdann wirſt du etwas lernen. Schweig, alsdann wirſt du Friede haben.

Wer eine Frage aufwirft, hat Luſt zu ler - nen.

Ein einziger Tag eines gelehrten Mannes iſt beſſer, als das ganze Leben eines Ignoran - ten.

Der Ruhm eines Kaufmanns beſteht in ſei - ner Boͤrſe. Der Ruhm eines Gelehrten aber in ſeinen Buͤchern.

G 2Ein100

Ein Gelehrter, der nichts hervorbringt, iſt einer Wolke ohne Waſſer aͤhnlich.

Lerne Weisheit von der Wiege an bis ins Grab.

Ein Narr gefaͤllt ſich ſelbſt.

Zwey Arten von Hunger koͤnnen nie ge - ſtillt werden, naͤmlich der Hunger nach Wiſ - ſenſchaft und der nach Reichthum.

Der Unwiſſende iſt ſich ſelbſt feind, wie koͤnnte er denn andre lieben?

Ein Weiſer kennt den Unwiſſenden, weil er ſelbſt unwiſſend geweſen iſt. Aber ein Un - wiſſender kennt den Weiſen nicht, weil er nie weiſe geweſen iſt.

Zwey Arten von Leuten arbeiten vergebens, naͤmlich der, welcher Reichthuͤmer zuſam - men ſcharrt, und ihrer nicht genießt, und dann auch der, welcher gelehrt iſt, und das, was er gelernt hat, nicht von ſich geben kann.

Der Kluͤgſte unter allen Menſchen iſt der, welcher an ſein Ende denkt.

Mehrere Sentenzen und Spruͤche der Per - ſer hier anzufuͤhren, finden wir, um den Leſer nicht zu ermuͤden, nicht fuͤr noͤthig. Wer mehr zu wiſſen wuͤnſcht, kann unſern Reiſebeſchreiber nachleſen. Es iſt nun Zeit, daß wir zu der Mathematik der Perſer uͤbergehen.

Seit vielen Jahrhunderten haben ſich die Morgenlaͤnder, und unter dieſen vorzuͤglich die Perſer und Araber, auf die Mathematik gelegt, die ſie in ihrer Sprache Elm-Riazi, oder einebeſchwer -101beſchwerliche Wiſſenſchaft nennen. Der be - ruͤhmteſte Mathematiker, den die Perſer in dem mittlern Zeitalter aufzuweiſen haben, heißt Coja Neſſir. Er hat einen ſehr gelehrten Commentar uͤber den Almageſt des Ptolo - maͤus geſchrieben, und mit gluͤcklichem Erfolg an den Anfangsgruͤnden des Euclides gearbei - tet, und zugleich verſchiedene Propoſitionen er - laͤutert beſonders bemerkt man ſeinen Fleiß in der ſieben und vierzigſten des erſten Buchs die er mit einigen dreyßig Corollarien aus dem bekannten Theorema vcrmehrt. Die Per - ſer nennen dieſe Propoſition Chek le arrus, oder die Figur einer Verheyratheten, um dadurch die Fruchtbarkeit dieſes Grundſatzes anzuzeigen. Sie halten den Pythagoras, oder wie ſie ihn nennen Fichagores, fuͤr den Erfin - der dieſer Propoſition. Die Perſer haben faſt allen Propoſitionen der Anfangsgruͤnde des Euclides beſondere Namen gegeben. Naͤchſt dieſem Coja Neſſir hat ſich Maimon Re - chid in dieſer Wiſſenſchaft beſonders bekannt gemacht. Er hat ebenfalls mit vielem Gluͤcke uͤber den Euclides commentirt. Bey der er - ſten Propoſition dieſes Autors hat er ſolche wich - tige Entdeckungen gemacht, daß man ſie nach - her des Maimons Figur genannt hat. Er hatte ſich in dieſe Propoſition ſo verliebt, daß er ſie auf ſeinem Rockermel hat ſticken laſſen, um ſie immer vor Augen zu haben. Man erzaͤhlt, daß er beym Ende ſeines LebensG 3ſoll102ſoll geſagt haben: daß die Logik und Ma - thematik Wiſſenſchaften waͤren, an wel - chen ein Menſch ſeinen Verſtand am al - lerbeſten ſchaͤrfen koͤnnte; es waͤre ihm aber ſehr unangenehm, daß die erſte von dieſen Wiſſenſchaften ſo ungewiß, und die andere, die zwar richtige Grundſaͤtze haͤtte, ſo ſchwer zu erlernen ſey.

Die Perſer verſtehen die Trigonometrie, Geometrie, Optik u. ſ. w. hinlaͤnglich, und haben nicht nur geſchickte Lehrer, ſondern auch zugleich fuͤrtreffliche Werke, aus denen ſie ſich Raths erholen koͤnnen.

Etwas von der Aſtronomie und Aſtro - logie der Perſer.

Dieſe beyden Wiſſenſchaften koͤnnen fuͤg - lich mit einander abgehandelt werden, weil ſie die Perſer nie von einander abſondern; ja man kann ſagen, daß ſie die Aſtronomie bloß aus Liebe zur Aſtrologie lernen. Sie nennen die Aſtronomie, Elm nejoum, das heißt, die Wiſ - ſenſchaft der Geſtirne: und die Aſtrologie, Eſte Krag, das heißt, die Entdeckung der Geſtirne. Dieſe beyden Wiſſenſchaften ſind bey den Perſern am meiſten geachtet und be - arbeitet, ſie ſind wahrſcheinlich die, worinn ſie den Europaͤern am naͤchſten kommen, und viel - leicht eben ſo weit gekommen ſind, als die Eu - ropaͤer.

Man braucht nur, wenn man ſich von dem Zutrauen der Perſer zu der Aſtrologie einigenBegriff103Begriff machen will, die Menge derjenigen, welche ſich auf dieſe Wiſſenſchaft legen, naͤher zu betrachten. Chardin ſchreibt, daß in Iſpa - han, ſo viel Aſtrologen waͤren, als Sterne am Himmel. Die allerberuͤhmteſten perſiſchen Aſtrologen ſind alle in der Provinz Khoraſan gebohren. Alle diejenigen, welche ſich in die - ſer Wiſſenſchaft ſeit ſechs oder ſieben Jahrhun - derten einen Namen erworben haben, ſind aus dieſer Provinz, und der Koͤnig ſelbſt leidet an ſeinem Hofe keine andere Aſtrologen, als die in dieſer Provinz gebohren, oder doch wenig - ſtens von Jugend auf unterrichtet ſind. Man verſichert, daß die Aſtronomie in der Provinz Khoraſan deswegen mehr bearbeitet wuͤrde, weil ſie eine ſehr reine und trockene Luft habe, und man deswegen mehr Gelegenheit habe, die Be - wegung der Geſtirne zu beobachten.

Man findet immer Aſtrologen an dem koͤ - niglichen Hofe, welche die Befehle, wie ich ſchon anfangs bemerkt habe, erwarten. Der Vor - nehmſte unter dieſen muß allezeit bey dem Koͤ - nige ſeyn ausgenommen, wenn er im Ser - rail iſt um ihm die gluͤcklichen oder un - gluͤcklichen Tage oder Stunden anzuzeigen. Ein jeder dieſer Aſtrologen fuͤhrt ſein Aſtrola - bium oder ſeinen Meßſtab bey ſich. Sie ge - brauchen aber bloß das Aſtrolobium, und da - her kommt es auch, daß ſie ſich oͤfters in ihren Beobachtungen betruͤgen, beſonders in Ausmeſ - ſung der Breiten. Es fehlt ihnen auch gaͤnz -G 4lich104lich an ordentlichen Aequations-Tabellen, an einer regelmaͤßigen Erdkugel, Vergroͤße - rungsglaͤſern und an den Maſchinen, die von unſern europaͤiſchen Aſtronomen entweder ganz neu erfunden, oder doch wenigſtens ſind ver - beſſert worden. Man muß ſich deswegen auch nicht wundern, wenn man in den Berechnun - gen der Stunden bey dem Eintreffen der Sonn - und Mondfinſterniffen, beym Solſtitio, der Zuſammenkunft der Planeten und andern Be - gebenheiten des Himmels, nicht diejenige Ge - nauigkeit ſindet, wie bey uns. Dennoch aber verſichern die Reiſebeſchreiber mit Zuverlaͤßig - keit, daß die Aſtrolabia der Perſer weit regel - maͤßiger und ſchoͤner ſind, als die unſrigen. Ein jeder Aſtronom muß ſich daſſelbe allein machen, wenn er unter die Zahl der Gelehrten zu gehoͤren wuͤnſcht.

Einige perſiſche Aſtronomen zaͤhlen neun und vierzig Conſtellationen. Die Namen, die ſie ihnen beylegen, ſind faſt die, welche wir ih - nen geben: wenigſtens findet man wenig Un - terſchied. Von denjenigen Conſtellationen, die unſre neuern Beobachter gegen den mittaͤglichen Kreiß entdeckt haben, wiſſen ſie nichts.

Die Kalender der Perſer heißen Eſtekra - ge Takuimi, das iſt, Entdeckungen der Tage des Jahrs. Sie beſtehen aus einem Gemiſch aſtronomiſcher Wahrnehmungen und Weißa - gungen. Man findet in denſelben die Son - nen - und Mondfinſterniſſe, und ihre verſchie -denen105denen Aſpecten, ferner die Vorherverkuͤndigun - gen der merkwuͤrdigſten Begebenheiten, als Krankheiten, Kriege, Mangel oder Ueberfluß, Reiſen und andere Vorfallenheiten des menſch - lichen Lebens, Vorherſagung guter oder boͤſer Stunden, damit die Menſchen darnach ihre Handlungen einrichten koͤnnen. Auch alle Feſt - tage findet man darinn aufgezeichnet. Dieſe Kalender werden zu Anfang des Merzes be - kannt gemacht, und dauren ein ganzes Jahr. Sie werden in klein Folio geſchrieben, und mit goldenen und blauen Linien, Vignetten und andern gemalten Zierrathen geſchmuͤckt. Die ſchoͤnſten dieſer Kalender koſten wohl vier bis fuͤnf Thaler, nach unſerm Gelde gerechnet, die wohlfeilſten aber wenigſtens einen Thaler. Je - der Perſer kauft ſich einen, und richtet ſich nach demſelben, wie nach dem Koran. Die Abſchrei - ber ſind gewoͤhnlich die Diſtributeurs der Ka - lender, ſie erhalten ſie von den Aſtrologen, und muͤſſen auch dieſen die Gelder dafuͤr einlie - fern.

Es iſt an den perſiſchen Kalendern ſonder - bar, daß ſie außer den Jahren der gewoͤhnli - chen Zeitrechnung auch diejenigen Epochen, die im Orient gebraͤuchlich ſind, mit bemerken. Die gewoͤhnlichſte Zeitrechnung heißt, wie be - kannt, Hegira Chardin nennt ſie Hegera, vielleicht ein Druckfehler. Sie faͤngt an, da Mohammed, von den Einwohnern zu Mek - ka verfolgt, nach Medina fliehen mußte, wel -G 5ches106ches eilf Jahr vor ſeinem Tode geſchah. Der erſte Tag dieſer Epoche faͤllt nach der gemeinen Ausrechnung auf den 15ten oder ſechzehnten Julius 622 nach Chriſti Geburt. Ehe die Hegira eingefuͤhrt war, war das arabiſche Jahr ein Sonnenjahr, und beſtand aus zwoͤlf Mo - naten, die allemal auf ihre beſtimmte Zeit ein - fielen. Ihre Namen hatten ihre Beziehung auf die Arbeiten oder Uebungen einer jeden Jahrs - zeit. Mohammed ſchaffte das Sonnenjahr ab, und fuͤhrte das Mondenjahr ein, behielt aber die Anzahl und Namen der Monathe bey. Dieſe Monathe, wenn ſie gleich etwas verkuͤrzt ſind, fallen itzt noch ohne Unterſchied auf alle Jahrszeiten. Ich will ihre Ordnung, Namen, Bedeutung und Dauer herſetzen.

  • Tage.
  • 1. Maharram 30. d. i. geheiligter Monath. Denn in demſelben hoͤrt aller Streit mit andern Voͤlkern auf.
  • 2. Safar 29. hat den Beynamen: der gute und ſiegreiche Mo - nath, weil es ein Mo - nath zum Kriegen, oder um Recht zu ſagen, ein Monath zum Pluͤndern und Stehlen war.
3. Re -107
  • Tage.
  • 3. Rebiah 1ſte 30 heißt eigentlich, ſeiner Be - deutung nach, wieder gruͤn werden. Bey den Arabern findet, wie bekannt, ein zwiefacher Fruͤhling ſtatt.
  • 4. Rebiah 2te 29.
  • 5. Gemadi 1ſte 30. heißt ſo viel, als erfrie - ren, weil es in dieſem Mo - nath kalt iſt.
  • 6 Gemadi 2te 29.
  • 7. Regeb 30. mit den Beynahmen der Ehrwuͤrdige.
  • 8. Chaban 29. welches ſo viel heißt, als theilen. Es hat auch den Beynamen, der Lobens - wůrdige, weil er in die Zeit faͤllt, wenn ſich die Araber vertheilen, um Viehweiden zu ſuchen.
  • 9. Rhamazen 30 d. heißt, außerordentlich warm, weil er mitten im Sommer einfaͤllt. In die - ſem Monathe darf ſich keiner verheyrathen.
10 Cha -108
  • Tage.
  • 10. Chaval 29. d. i. huͤpfen und ſprin - gen. Er hat den Zuna - men: ehrenvoll.
  • 11. Zilcade 30. d. h. ſich an einem Orte verweilen.
  • 12. Zilhage 29. will ſo viel ſagen, als, zuſammen kommen, weil dieß der Monath war, wo man ſich verſammle - te, um die Wallfahrten zu thun.

Wenn man nun alle die Tage zuſammen ad - dirt; ſo hat man ein Jahr von 354 Tagen. Folglich beſteht ein Arabiſch Jahr aus eilf Ta - gen weniger, als das unſrige. Die uͤbri - gen Epochen, die in den perſiſchen Tagebuͤchern bemerkt ſind, heißen die Tartariſche, Alexandri - niſche, Jezdegerdiſche, und Malekeeniſche Zeit - rechnung. In hiſtoriſchen, chronologiſchen und aſtronomiſchen Schriften findet man, daß die Perſer ſich dieſer verſchiedenen Epochen zu bedienen pflegen. Die tartariſche Zeitrechnung war zuerſt in Perſien eingefuͤhrt. Man bedient ſich derſelben zugleich mit der Hegira, den Tag der Unterzeichnung in den Rechnungskammern zu beſtimmen. Sie beſtehet darinn, daß man die Zeit durch Zirkel, die aus zwoͤlf Monden -jahren109jahren beſtehen, ausrechnet, wovon ein jedes Jahr den Namen eines Thieres fuͤhrt. Sie haben folgende Ordnung.

  • Tartariſche Namen Ihre Bedeutung.
  • 1 Kesbou eine Maus.
  • 2 Out ein Ochſe.
  • 3 Pars ein Tieger.
  • 4 Touzchcan ein Haaſe.
  • 5 Loui ein Crocodil.
  • 6 Ilan eine Schlange.
  • 7 Yunad ein Pferd.
  • 8 Kri ein Schaaf.
  • 9 Pitchin ein Affe.
  • 10 Dakout eine Henne.
  • 11 Eit ein Hund.
  • 12 Tangouz ein Schwein.

Man pflegt ſich daher, um das Jahr zu benennen, des Ausdrucks zu bedienen: Im Jahre des Ochſen, der Maus ꝛc. alsdann weiß man ſchon das wievielſte gemeynt iſt. Iſt der Zirkel herum; ſo faͤngt man wieder von vorne an. Andere mittaͤgliche Indier pflegen ſich die - ſer Epoche auch zuweilen zu bedienen.

Die zweyte Zeitrechnung, die ich angefuͤhrt habe, naͤmlich die Alexandriniſche, wurde inSyrien110Syrien, zwoͤlf Jahre nach Alexanders Tode, auf Befehl des Seleucus, eingefuͤhrt. Daher man ſie auch die Zeitrechnung der Seleuker nennt. Sie hat 312 Jahr vor Chriſti Geburt ihren Anfang genommen, und iſt verſchiedene Jahrhunderte die herrſchende in Perſien gewe - ſen. Das Jahr beſteht aus 365 Tagen, und wird in zwoͤlf Monathe eingetheilt, wovon dieß die Namen ſind.

  • 1. Teſchrin 1ſte hat 31 Tage.
  • 2. Teſchrin 2te 30.
  • 3. Canoun 1ſte 31.
  • 4. Canoun 2te 31.
  • 5. Schabat 28.
  • 6. Adar 31.
  • 7. Niſan 30.
  • 8. Ayar 31.
  • 9. Haziran 30.
  • 10. Tamouz 31.
  • 11. Ab 31.
  • 12. Eiloul 30.

Die uͤbrigen Zeitrechnungen laſſe ich hier der Kuͤrze wegen vorbey, und merke nur noch an, daß ſich die Jezdegerdiſche Zeitrechnung mit der Regierung Jezdegerds III. als des letz - ten Prinzens aus der Dynaſtie der Saſſanidenange -111angefangen habe, und noch heutiges Tages bey den alten Guebers gebraͤuchlich ſey. Die Ma - lekeeniſche Zeitrechnung ſtammt von Schach Malek Gelaleddin ab, dem dritten Prinzen der Dynaſtie der Seljonciden.

Die Perſer bearbeiten die Philoſophie in allen ihren Theilen eben ſo, wie wir, und be - nennen ſie auch mit eben dem griechiſchen Wor - te, φιλοσοφοι als wir; gebraͤuchlicher aber iſt die Benennung Hekmet, d. i. die Wiſſen - ſchaft der Fuͤrtrefflichkeit. Sie theilen ſie in zwey Theile, naͤmlich in die Metaphyſik des Collegiums, und in die Theologie der Schule. Die Perſer glauben als gewiß, daß die alte Philoſophie in zwey Secten ge - theilt geweſen ſey; die erſte habe Thebaion ge - heißen, und keine immaterielle Urſache oder Wuͤrkung angenommen; die andere ſey Elai - run genannt worden, und habe zum Princi - pium einen Geiſt, als den Bewuͤrker der Ma - terie angenommen. Itzt nennen ſie die Logik oder Dialektik Elm-el tekbir, d. h. die Wiſſenſchaft der Auslegung: die Phyſik, Elm tebia, d. h. die Wiſſenſchaft der Natur, und die Metaphyſik, Elm Fimabehedelte - bia, d. h. die Wiſſenſchaft uͤber die Natur.

Die Perſer ſind große Anhaͤnger der ari - ſtoteliſchen Philoſophie, ſie leſen aber ihren großen Meiſter nicht in der Sprache, worinn er geſchrieben hat; ſondern ſie kennen nur ſeine Werke aus den Ueberſetzungen und Commen -tarien112tarien des Avicenna, Coja Neſſir deſ - ſen wir im Vorhergehenden ruͤhmlichſt gedacht haben des Averroes, und einiger andern perſiſchen Gelehrten, weil die griechiſche Spra - che in Perſien ganz vernachlaͤßigt wird.

Wir haben geſagt, daß die Perſer die gan - ze Philoſophie in drey Theile theilten, in die Phrſik, Metaphyſik und Logik. Wir mer - ken hierbey noch an, daß ſie auf dieſe drey Thei - le nicht allein die ganze Philoſophie, ſon - dern auch alle Wiſſenſchaften zuruͤckbrin - gen. So rechnen ſie z. E. die Mathematik und Medicin mit zur Phyſik. Unter der Metaphyſik begreifen ſie die ſpeculative und Moraltheologie und Jurisprudenz mit: endlich rechnen ſie zur Logik, die Rhetorik und Grammatik.

Die Philoſophie des Epicurs und des De - mocrits kennt man in Perſien nicht, wohl aber die des Pythagoras, welche in Indien vorzuͤg - lich bluͤhet. Uebrigens muß man bemer - ken, daß die Perſer von der Logik und Phy - ſik nur ſehr eingeſchraͤnkte Kenntniſſe haben, und hierinn vor den andern Wiſſenſchaften, ſehr zuruͤck ſind. Die Moral aber welche ganz aus Sentenzen, davon ich im vorhergehenden einige beygebracht habe beſteht, treiben ſie mit ungemeinem Fleiße. Zwiſchen Meta - phyſik und Theologie machen ſie keinen Unter - ſchied.

Fuͤnf -113

Fuͤnftes Kapitel.

Von einigen Kuͤnſten, Handwerken und Manufacturen.

Die Perſer nennen die Muſik in ihrer Spra - che Muſiki, welches Wort ſie von den Griechen ſcheinen angenommen zu haben. Ih - re Scala beſteht aus neun Toͤnen; fuͤr die Stimme und Inſtrumente haben ſie beſondere Tabulaturen, welche eine uͤberaus große Menge Figuren in ſich faſſen. Man muthmaßet daher nicht ohne Grund, daß die Vervielfaͤltigung der Zeichen, die Art, die Muſik zu ſtudiren, ſehr verwirrt machen muͤſſe. Ihre muſikali - ſchen Noten ſind mit den Namen der Staͤdte eines Landes, einiger Theile des menſchlichen Koͤrpers, oder mit einer andern bekannten Sa - che belegt. Wenn ſie jemanden in der Muſik unterrichten wollen, ſo pflegen ſie zu ſagen: Gehe itzt zu dieſer, zu jener Stadt.

Ihre Geſaͤnge ſind lebhaft und munter; ſie lieben die ſtarken und hohen Stimmen, die Triller und großen Coloraturen im Singen. Denn, ſagen ſie, man muß die Menſchen durch die Harmonie der Stimmen zum Lachen und Weinen bringen koͤnnen, wenn man recht ſingen will. Die Arien nennen ſie Perdeh, undHtheilen114theilen ſie nach den Namen der alten Koͤnige und der Provinzen ein. Sie pflegen ſie gemei - niglich mit der Laute oder Violine zu begleiten, die nur die Melodie des Saͤngers wiederholt. Die Mannsperſonen haben die hellſte und zu - gleich die angenehmſte Stimme; ſie wuͤrden es auch gewiß im Singen weit bringen, wenn der Geſang und der Tanz fuͤr anſtaͤndige Kuͤnſte angeſehen wuͤrden. Sowohl dieſen als jenen pfle - gen die Eltern ihren Kindern nicht lernen zu laſſen, weil ſich mit denſelben gemeiniglich ver - daͤchtige und ungeſittete Leute abgeben; und derjenige, welcher ſich mit einer dieſer Kuͤnſte abgeben wollte, wuͤrde gewiß fuͤr veraͤchtlich gehalten werden. Indeſſen hat doch das Volk einen ſo ungemeinen Hang zum Singen, daß es immer, obwohl langſam, ſinget, um ſich dadurch aufzumuntern und zu vergnuͤgen. Man muß ſich daher auch nicht wundern, wenn ihre Muſik aͤußerſt verwirrt iſt. Die Per - ſer ſowohl als die Araber nennen die Saͤnger Kayne, ein Wort, welches von Cain herkom - men ſoll, weil die Morgenlaͤnder vorgeben, daß die Soͤhne Cains den Geſang und die Muſik erfunden haben.

Sie haben eine große Menge muſikaliſcher Inſtrumente, und zwar von verſchiedenen Gat - tungen. Sie haben kupferne Pauken und Trommeln, die an Groͤße den unſrigen ſehr gleich ſind, und noch eine andere Art von Pau - ken, die noch viel groͤßer ſind, und mit unſernKorn -115Kornſcheffeln viel Aehnlichkeit haben. Man ſieht oft Pauken von drey Fuß im Durch - ſchnitt, die ſo ſchwer ſind, daß ſie nicht einmal ein Kameel tragen kann, ſondern daß ſie mit Karren muͤſſen fortgebracht werden. Sie ha - ben kupferne Trompeten; von ſieben bis acht Fuß lang, die oben enge und unten breit ſind, und einen gedaͤmpften Ton von ſich geben, ſo daß man ſie weit hoͤren kann. Wenn dieß In - ſtrument allein, ohne Begleitung anderer, ge - blaſen wird; ſo giebt es eben keinen ſonderlich angenehmen Schall; in Begleitung anderer aber nimmt es ſich gut aus. Ferner trifft man bey ihnen auch Waldhoͤrner, Clarinen, Haut - bois, Floͤten, Flageoletten und Querpfeifen, imgleichen einige Saiten-Inſtrumente, als Har - fen, Spinette, Zittern, Baßgeigen, Violinen, Lauten und andere an. Die Saiten auf ihren Inſtrumenten ſind von den unſrigen ſehr ver - ſchieden. Anſtatt daß wir Darmſaiten gebrau - chen, bedienen ſie ſich ſolcher von Seide oder metallenem Drath, weil ſie es fuͤr unrein hal - ten, die Theile verſtorbener Thiere zu beruͤh - ren. Bey dem Tanze pflegen ſie ſich gewoͤhn - lich der Zimbeln zu bedienen. Dieſe beſtehen aus zwey meſſingenen Becken, faſt wie Klo - cken, die ſie zuſammenſchlagen, uͤber den Kopf halten und auf allerley Arten bewegen. Weit angenehmer iſt noch ein anderes Inſtrument, welches eine Art von Klockenſpiel iſt, und aus kleinen Klocken von Porcellain oder Erzt vonH 2ver -116verſchiedener Groͤße, die man ſanfte mit kleinen Stoͤckchen beruͤhrt, beſteht.

Die Schauſpiele pflegen in Perſien auf oͤf - fentlichen Plaͤtzen oder in den Haͤuſern vermoͤ - gender Privatperſonen vorgeſtellt zu werden. Man findet uͤberall, faſt in jeder Stadt des Reichs, Banden von Taͤnzern und Gaukelſpie - lern, die ſich nach einen jeden Ort, wohin ſie gerufen werden, begeben. Ohne dergleichen Leute wird nie eine Hochzeit gehalten, oder ein Feſtin gegeben, weil die Gaͤſte ſich an den Poſ - ſen gemeiniglich ſehr ergoͤtzen. Die Truppe der Taͤnzer beſteht aus lauter Frauensperſonen. Sie tanzen mit außerordentlicher Fertigkeit, und machen zugleich unter dem Tanze ſolche kuͤnſtliche Spruͤnge, Wendungen und Poſſen, daß der Zuſchauer ſich daruͤber wundern und zugleich lachen muß. Eine ſolche Geſellſchaft von Taͤnzerinnen wovon eine die Direction hat, wird uͤbrigens gar nicht geachtet, weil ſie gemeiniglich die verrufenſten Huren des Landes ſind.

Die Baukunſt der Perſer ſcheint bloß die Bequemlichkeit und die Pracht der Zimmer zum Augenmerk zu haben. Die Haͤuſer bauen ſie nicht von Steinen, nicht, weil es an Stei - nen fehlt, ſondern weil es in den heißen Laͤn - dern nicht gewoͤhnlich iſt, ſteinerne Gebaͤude aufzufuͤhren. Holz brauchen ſie gleichfalls nicht zum Bau der Haͤuſer. Ihre Materialien ſind am Feuer gebrannte, oder an der Sonne gedoͤrr -te117te Ziegelſteine, und weil ihre Haͤuſer von außen nur mit Mauerkalk beworfen werden; ſo giebt dieß freylich einen ſehr unangenehmen und wunderlichen Anblick. Aber inwendig findet man die groͤßeſte Pracht und Bequemlichkeit. Man bringt an denſelben nicht gerne Portals und andere aͤußerliche Zierrathen an. In den meiſten Haͤuſern findet man inwendig fuͤnf oder ſechs Fuß von der Hauptthuͤr eine Mauer, die ſo hoch und ſo breit iſt, wie die Thuͤre ſelbſt, welche die Vorbeygehenden verhindert, ins Haus zu ſehen.

Gemeiniglich haben die Gebaͤude nur ein Stockwerk; diejenigen aber, die zwey Stock hoch ſind, haben keinen ſo erhoͤheten Grund, als die erſten. Man findet einige, die unter der Erde gebauet ſind. Dieß verurſachet nicht die geringſte Unbequemlichkeit, weil die Luft faſt durchgaͤngig trocken iſt. Es kommt den Perſern und andern orientaliſchen Voͤlkern ſehr ſonderbar vor, wenn ſie hoͤren, daß unſere Gebaͤude drey, vier bis fuͤnf Stockwerk hoch ſind. Sie freuen ſich daher daruͤber, daß ihre Bauart weit vernuͤnftiger, als die der Euro - paͤer iſt.

Diejenigen Oerter, wo der Boden von Na - tur hart und thonigt, und nie umgegraben iſt, werden bebauet, ohne vorher, wie bey uns, Pfaͤhle in die Erde zu rammen. Wenn aber der Boden vorher iſt umgegraben worden; ſo machen die Perſer einen Graben, ohngefaͤhrH 3fuͤnf118fuͤnf bis ſechs Fuß tief, bis ſie feſten Boden antreffen. Alsdann wird der Graben mit ge - woͤhnlichen Ziegelſteinen angefuͤllt, und in der Erde ordentlich gemauert. Bey einer ſolchen Mauerey vergeht viel Zeit, denn ſie gehen nicht ſo damit um, wie bey uns, ſondern wenn ſie eine Reihe Ziegelſteine gelegt haben; ſo halten ſie mit der Arbeit ſo lange ein, bis die gelegte Reihe Steine und Kalk voͤllig trocken iſt. Je weiter ſie nun mit der Mauer kommen, je ſchmaͤler pflegen ſie ſie immer zu machen. Ueberhaupt verſichert Chardin, daß die Mauern in Perſien ungemein hoch gemacht werden, und an den Pallaͤſten an Hoͤhe und Groͤße die Mauern unſerer wohlverwahrteſten Kloͤſter uͤbertraͤfen.

Das Dach eines Gebaͤudes iſt gemeiniglich gewoͤlbt. Hierinn ſollen die perſiſchen Baumei - ſter ungemein geſchickt ſeyn, und man verſichert, daß man in keinem Lande kuͤhlere und zugleich zierlichere Gewoͤlbe antreffe. Ein Beweis von ihrer Geſchicklicklichkeit in dieſer Art der Bau - kunſt iſt, daß ſie ſich naͤmlich keiner Geruͤſte be - dienen, wenn ſie kleine Gewoͤlbe machen wollen. Ihre gewoͤlbten Daͤcher ſind platt und niedrig, und das aͤußerſte Obertheil beſteht aus einer Ebene, die vorher ungleich, itzt aber gleich ge - macht iſt. Dieſe Terraſſen, auf welchen man freye Luft zu ſchoͤpfen pflegt, und ſich zuweilen ſchlafen legt, ſind gemeiniglich mit Ziegelſteinengepfla -119gepflaſtert, und mit einer niedrigen Mauer um - geben.

Was die innere Geſtalt und Einrichtung der Haͤuſer betrifft; ſo muß man bemerken, daß die ſchoͤnſten Haͤuſer gemeiniglich zwey bis vier Fuß uͤber das erſte Stockwerk erhoͤhet ſind, und aus vier kleinen Hauptgebaͤuden beſtehen, die den vier Winden entgegen geſetzt ſind. Rund ums Gebaͤude herum geht ein ſteinern Gelaͤnder, ſieben bis acht Fuß breit. Man findet inwendig einen großen Saal, und neben dieſem noch vier andere kleine Saͤle, und denn noch verſchiedene niedrige Zimmer und Appar - tements, die aber in den Winkeln des Gebaͤu - des angebracht ſind. Die kleinen Saͤle for - miren gewoͤhnlich einen gewoͤlbten Gang, und ſind von dem großen Saale durch Aufſchiebe - fenſter abgeſondert. Die Zimmer und Cabi - netter ſind mit Mauern ohne Fenſter umgeben, ſo daß das Licht nur durch die Thuͤren, die ge - woͤhnlich weit ſind, und zuſammen gelegt wer - den koͤnnen, hinein fallen kann.

Eine Schoͤnheit der perſiſchen Haͤuſer be - ſtehet auch mit darinn, daß ſie von oben bis unten offen ſind, ſo daß man, wenn man im Hauſe ſitzt, eben die Luft verſpuͤrt, als wenn man draußen iſt. Dieſe Bauart iſt fuͤr Per - ſien gut, weil ſie nicht einen ſo ſtrengen Winter haben, wie wir in Europa. Fuͤr uns wuͤrden dergleichen Gebaͤude ſehr unbequem und von kei - nem langen Beſtande ſeyn. Die PerſerH 4brin -120bringen in ihren Zimmern, und zuweilen auch in ihren Saͤlen, kleine Camine an, deren Oeff - nungen halbcirkulfoͤrmig und ſehr niedrig und enge ſind, weil ſie ſonſt, dafern ſie dieſe groͤßer machen wollten, viel Holz brauchen wuͤrden, das ſehr rar iſt. In den Haͤuſern des gemei - nen Volks findet man runde Ofen, die mitten auf dem Boden funfzehn auch wohl zwanzig Zoll tief in die Erde geſetzt werden, und ſieben bis acht Fuß im Umfang haben. Die Fen - ſter in den gemeinen Haͤuſern gleichen faſt un - ſern ſo genannten Jalouſien, und beſtehen bloß aus hoͤlzernen Gittern, die von Ahornbaͤumen gemacht ſind, und ein ſchoͤnes Anſehn haben. Die Fenſter der Vornehmen unterſcheiden ſich von jenen dadurch, daß ſie ſtatt jener Jalou - ſien, durchſichtige Wachsleinwand haben, die gewoͤhnlicherweiſe ſehr ſchoͤn bemalt iſt, oder ſie machen ſie auch aus Glasſcheiben von viel - fachen Farben, die Voͤgel, Blumen, Vaſen, u. ſ. w. vorſtellen. Die Waͤnde in den Stu - ben werden mit Kalk - und Talkſteinen ange - ſtrichen, welches ihnen einen angenehmen Glanz und Glaͤtte giebt. Dieſem fuͤgt man zuweilen noch Zierrathen von Stuckaturarbeit hinzu, die mit dem Meiſel gearbeitet, und hernach mit Gold u. ſ. w. uͤberzogen werden. Man pflegt auch Niſchen, die ohngefaͤhr einen Fuß tief ſind, an den Waͤnden anzubringen, die die Stellen der Schraͤnke und Tabuletten ver - treten.

Etwas121

Etwas ſonderbares und bemerkungswuͤrdig iſt es, daß die Perſer bey ihren Gebaͤuden gar kein Eiſenwerk geſtatten. Selbſt die Schloͤſ - ſer und Thuͤren ſind von Holz und geben, we - nigſtens die letztern, ein wunderliches Anſehen. Der Schluͤſſel ſieht wie ein hoͤlzerner Cylinder aus, der mit einer Spitze verſehen iſt. Außer den Staͤdten findet man aber doch auf dem Lande oft Thuͤren, die von Steinen gemacht. Allein ſie haben ganz und gar das Anſehen ei - ner hoͤlzernen Thuͤre nicht, und werden auf Za - pfen herumgedreht.

Die Haͤuſer dauern ſo lange, als man ſie zu erhalten Luſt hat. Gemeiniglich aber errei - chen ſie doch nur eines Menſchen Alter. Denn die meiſten Perſer muͤſſen ihr eigenes Haus ha - ben, und es auch ſelbſt bauen, weil ſie es nicht leiden koͤnnen, ein Haus zu bewohnen, das gar nicht nach ihrem Geſchmacke eingerichtet iſt. Sie ſagen, der Unterſchied, ſich ſelbſt ein Haus zu bauen, oder in einem ſchon aufge - baueten zu wohnen, ſey eben ſo groß, als wenn man ſich ein Kleid ſelbſt machen ließe, oder ein ſchon gemachtes kaufe. Dieſe Gewohn - heit kommt vielleicht daher, weil ein Hausbau mit wenigen Koſten verbunden iſt; denn ſie nehmen von ihrem eigenen Grund und Boden die Ziegelſteine, und alles, was ſie dazu brau - chen; und das gemeine Volk, welches nichts weiter, als ein zur Nothdurft eingerichtetes Haus bauen will, wird auch bald damit fertig. DieH 5Per -122Perſer beſtimmen den Werth eines Hauſes nach der Hoͤhe und Dicke einer Mauer, die ſie nach Ellen meſſen. Gyps und Holzarbeit an den Fenſtern koſten ſehr wenig. Wer ein Haus miethet, muß ſeine Miethe taͤglich, oder hoͤch - ſtens alle Woche entrichten. Denn in dem Punkte der Ehrlichkeit trauen ſie ſich ſelbſt ein - ander nicht.

Ich habe ſchon anderswo die Bemerkung gemacht, daß in Perſien ſowohl die freyen als mechaniſchen Kuͤnſte wenig oder gar nicht be - arbeitet werden. Man kann ſie deswegen in dieſem Puncte mit den Europaͤern gar nicht vergleichen. Beſonders gehoͤrt die Malerey unter diejenigen Kuͤnſte, welche vielleicht am allerwenigſten getrieben werden. Sie machen lauter verſtuͤmmelte Figuren, und wiſſen nicht, wo ſie Schatten und Licht anbringen ſollen, weil ſie nlchts von der Perſpective und vom Deſſin verſtehen. Sie haben zwar Schrift - ſteller, die uͤber dieſe Sachen geſchrieben ha - ben unter andern einen gewiſſen Araber, Namens Ebne Heuſſein aber man aͤußert gar keine Luſt, ſie zu ſtudiren. Die Urſache hiervon muß man einzig und allein in ihrer Religion ſuchen, welche es ſcharf verbietet, Ge - maͤlde zu machen oder auszuhaͤngen. Vor Zeiten weiß man, daß die Perſer fuͤr - treffliche Mahler gehabt, den Beweis hiervon geben die alten Denkmaͤler an die Hand, die noch hin und wieder ausgegraben werden. Man123Man ſieht itzt weder Bildhauer, noch Gießer, noch Statuͤen.

Nun folgt das Noͤthigſte von den Hand - werken und Manufacturen der Perſer.

Wir haben ſchon in dem Vorhergehenden angemerkt, daß die aſiatiſche Voͤlker uͤberhaupt nicht ſo fleißig ſind, als ſie ſeyn koͤnnten daß ſie hierinn den Europaͤern weit nachſtehen muͤſſen. Kuͤnſte, Handwerke und Manufa - cturen bearbeiten ſie nur in ſo weit, als ſie die - ſelben noͤthig haben. An Erfindung fehlt es ihnen auch, und neue Entdeckungen zu machen, iſt ihre Sache gar nicht. Dieſe falſche Mey - nung der Perſer kommt vorzuͤglich daher, weil ſie naͤmlich glauben, daß ſie alles haben, was zu ihren Lebensbeduͤrfniſſen und Bequemlichkeiten gehoͤrt. Daher ſind auch alle ſchoͤne Werke der Malerey, Bildhauerkunſt, Drechſelbarbeit u. ſ. w. deren Schoͤnheit in der genauen Nach - ahmung der Natur beſteht, bey ihnen von gar keinem Werthe. Solche Dinge, meynen ſie, die zu den koͤrperlichen Beduͤrfniſſen gar nicht helfen, muͤſſen gar nicht unterſucht, nicht bear - beitet werden. Aus dieſen Urſachen ſind ihre Kuͤnſte wenig cultivirt, ob es gleich Leute unter ihnen giebt, denen es nicht an Forſchungs - geiſte fehlt, und die folglich viel leiſten koͤnnten, wenn ihre Arbeit ſo belohnt wuͤrde, daß ſie mehr Luſt zu derſelben bekaͤmen. Indeſſen werden doch, wie aus dem folgenden wird zu erſehen ſeyn, einige Kuͤnſte mit gutem Fortgang ge - trieben.

In124

In Perſien gebrauchen die Handwerker we - nig Handwerkszeug. Es iſt in der That fuͤr uns faſt unglaublich, wie leicht ſich ein Arbei - ter niederlaſſen kann. Gemeiniglich haben ſie keine Boutiquen noch Werkſtaͤtte. Sie arbei - ten an allen Orten, wo man ſie haben will. Sie ſetzen ſich in dem Winkel einer Kammer auf die platte Erde, oder auch auf einen elen - den Teppich nieder, haben ihre Geraͤthe zwi - ſchen den Fuͤßen, und arbeiten mit den Haͤn - den. Die Zinnarbeiter, welche in Europa ſo mancherley Werkzeuge gebrauchen, gehen in den Haͤuſern herum. Der Herr, gleich ſeinem Lehr - jungen, traͤgt alles, was er braucht, bey ſich; dieſe Beduͤrfniſſe ſind ein Sack mit Kohlen, ein Blaſebalg,, etwas Sode und Salmiak ein Horn, und einige Stuͤcken Zinn in der Ta - ſche. Faſt eben ſo und auf eben die Art arbeiten die Gold - und Silberarbeiter, wenn man gleich glauben ſollte, daß ihre Geraͤth - ſchaften ſchwerer fortzubringen waͤren. Sie tragen einen Schmelzofen von Erde mit ſich, der faſt wie eine Kohlpfanne ausſieht, aber doch hoͤher iſt. Der Blaſebalg beſteht aus einer bloßen Ziegenhaut, mit zwey kleinen Stuͤcken Holz an dem einen Ende, um das Loch, wodurch die Luft herein kommt, zuzuklappen. Wenn ſie ſich deſſelben bedienen wollen; ſo ſetzen ſie an das andere Ende eine kleine Roͤhre, welche in den Ofen geht, und regieren ihn mit der lin - ken Hand. Dieſen Blaſebalg tragen ſie in ei -nem125nem Sacke eingewickelt. Sie haben noch ei - nen ledernen Sack, in welchem ſie Feile, Mo - delle, Hammer u. ſ. w. haben. Dieſen Sack pflegt der Herr zu tragen, der Lehrjunge aber den Schmelzofen. Chardin giebt von dieſem Herumwandern ſolcher und aͤhnlicher Profeſſioniſten dieß zur Urſache an: man ließe die meiſten Handwerker in ſeiner eignen Behau - ſung arbeiten, weil man ſich auf ſie, wenn ſie allein waͤren, nicht verlaſſen koͤnnte, und dann auch, weil man es ihnen in ihrer Gegenwart ſo zeigen koͤnne, wie man die Arbeit haben wolle.

In Anſehung der Policey der Kuͤnſtler in Perſien muß man bemerken, daß jedes Hand - werk ſeinen Vorſteher von eben dem Metier ha - be, der vom Koͤnige eingeſetzt wird. Kein Handwerk aber iſt zuͤnftig, und kommt auch nie zuſammen. Sie haben keine Viſitators, aber doch einige Gewohnheiten, die der Vorſteher jedes Metiers beſtimmt, z. E. daß allemal eine gewiſſe Diſtanz zwiſchen den Boutiquen ſeyn ſoll, wo ſie aufgeſchlagen werden. Wer ſich an einem Orte niederlaſſen und ein gewiſſes Me - tier treiben will, iſt gehalten zu dem Chef des Metiers zu gehen, ſeinen Namen und Woh - nung einſchreiben zu laſſen, und einige Gebuͤh - ren zu entrichten. Der Chef fragt ihn nie, aus welchem Lande er gebuͤrtig, bey wem er das Handwerk gelernt habe, und ob er es verſtehe. Die Metiers haben auch darinn nichts Beſtimm -tes126tes feſtgeſetzt, daß einer dem andern nicht ins Handwerk greifen ſoll. So kann z. B. ein Kupferſchmidt ſilberne Becken verfertigen, wenn man ſie ihm anvertrauen, und von ihm machen laſſen will. Ein jeder kann unterneh - men, was er will, ohne zu befuͤrchten, daß man ihm einen Proceß an den Hals hange. Der Lehrjunge hat keine ordentliche Verpflich - tung auf ſich, giebt auch kein Lehrgeld, vielmehr muß ihm ſein Meiſter taͤglich einen gewiſſen Lohn geben, je nach dem es das Alter, oder die ſtarke Arbeit, die er verrichten muß, erfodert. Der Meiſter kann ſeinen Lehrpurſchen gehen laſſen, wenn er will, hingegen ſtehet es auch dem Jungen frey, ſeinen Herrn zu verlaſſen, wenn es ihm nicht laͤnger zu bleiben gefaͤllt. Dieß iſt aber auch die Urſache, warum die Hand - werkspurſche ſo wenig lernen, und ewig Stuͤm - per in ihrem Metier bleiben.

So viel von den Handwerken und Manu - facturen im Allgemeinen. Itzt wollen wir ei - nige der vornehmſten naͤher abhandeln.

Die Porcellainfabriken in Perſien ſind eben ſo gut, wo nicht gar beſſer, als in China. Man findet uͤberall welche, die beruͤhmteſten aber ſind die zu Chiras, Mechted (oder Metched) Yeſd, Kirman, und in einem Fle - cken in Caramanien, Zorende genannt. Die Materie zu dieſem Porcellain iſt Glas und klei - ne Kieſelſteine, die aus den Fluͤſſen geſammelt, zerſtoßen, und mit etwas Erde vermiſcht wer -den.127den. Es iſt fein, und durchſichtig, von innen und außen emaillirt und von einem uͤberaus lebhaften Glanze. Man muß in der That ein großer Kenner ſeyn, wenn man es von dem chineſiſchen unterſcheiden will. Man giebt auch den Hollaͤndern ſchuld, daß ſie den Europaͤern das perſiſche Porcellain fuͤr chineſiſches verkauf - ten. Es iſt eine beſondere Eigenſchaft an dem Perſiſchen Porcellain, daß es dem Feuer widerſteht. Es iſt uͤbrigens ſo hart, daß man Moͤrſel, worinn man Specereyen zerſtoͤßt, und Kugelformen daraus macht.

Die Golddrathzieher-Kunſt und Goldſpin - nerey wird von den Perſern ſehr getrieben, und ſie excelliren hierinn vorzuͤglich. Ihre Eiſen, wo - mit ſie den Drath ziehen, ſind von den unſri - gen wenig oder gar nicht verſchieden. Der Goldfaden der Perſer iſt ſonder Zweifel der ſchoͤnſte und beſte, den man ſehen kann.

Zu einem eben ſo hohen Grad, der Voll - kommenheit haben ſie auch die Gerberey, ſonder - lich des Chagrins und aller Arten von Corduan, gebracht. Ihr Chagrin wird ſo hoch geachtet, daß man ihn bis in die Tatarey, Indien und die Tuͤrkey verfaͤhrt. Sie machen ihn aus Eſelshaͤuten, und nehmen nichts, als den Ruͤ - cken dazu. Um dieſen Chagrin koͤrnicht zu ma - chen, gebrauchen ſie einen Saamen, welcher auf Perſiſch Tochm Casbin, d. i. Casbinſcher Kern heißt, den ſie auf dieſe Haͤute druͤcken. Er iſt ſehr ſchwarz, hart und ſo groß, als einSenf -128Senfkorn, deſſen man ſich auch in Ermange - lung der Caſbinſchen Kerne bedient. Die Haͤute, welche auf dieſe Art zubereitet werden, nennen die Perſer Sagri, woraus die Franzo - ſen vermuthlich das Wort Chagrin gemacht haben. Sie bereiten das grobe Leder mit Kalk zu, und bedienen ſich ſtatt der Lohe (deren Ge - brauch den Perſern gaͤnzlich unbekannt iſt) des Salzes und der Gallaͤpfel.

In Anſehung der Drechſelarbeit ſind die Perſer noch ziemlich weit zuruͤck. Doch aber muß man geſtehen, daß ſie den Europaͤern hier - inn nach und nach ziemlich nachkommen wer - den. Sie arbeiten ſonderlich mit vieler Fertig - keit und Geſchicklichkeit in Kupfer, woraus ihr meiſtes Kuͤchengeſchirr beſtehet. Sie bedienen ſich gewoͤhnlich des rothen Kupfers, welches ſie von auſſen und innen ſehr ſauber mit Zinn uͤberziehen. Wenn man es nicht weiß; ſo ſoll - te man glauben, daß dieſe Verzinnung, wegen der ungemeinen Weiſſe und Feinheit, von Sil - ber ſey. Zwar muß man die Gefaͤße alle ſechs oder acht Monathe von neuem wieder uͤberzin - nen; aber das geſchiehet mit unglaublicher Ge - ſchwindigkeit, und iſt mit wenigen Koſten ver - bunden. Sie machen das Verzinnen viel leichter und zugleich auch ganz anders, wie wir. Erſtlich werfen ſie das Geſchirr, das ſie verzin - nen wollen, in einen großen Keſſel, und laſſen es in grauer Sode heiß werden. Alsdann rei - ben ſie es mit Salze, und wenn es genug ge -ſcheuert129ſcheuert iſt, ſo ſtellen ſie es gegen das Feuer, ſo daß die inwendige hohle Seite gegen den Heerd zu liegen kommt. Wenn es anfaͤngt roth zu werden; ſo nimmt es der Meiſter weg, und reibt es mit einem baumwollenen Lappen, der vorher in wohl gereinigten Salmiac ge - tunkt worden. Dann thun ſie ein Stuͤck fei - nes Zinn in das Gefaͤß, und laſſen es darinn ſchmelzen, reiben nachher mit dem Lappen, der voll von Salmiak iſt, das Zinn allenthalben herum, gießen kalt Waſſer darauf, und machen es da - durch ſo weiß und glaͤnzend, wie Silber. Die perſiſchen verzinnten Gefaͤße haben vor den unſrigen wuͤrklich darinn große Vorzuͤge, daß ſie leichter ſind, nicht ſchmelzen und keine Buckeln bekommen. Das Kupfer finden die Perſer in ihrem eignen Lande; das Zinn aber muͤſſen ſie von ihren Nachbarn, den In - diern, holen.

Sie haben fuͤrtreffliche Waffenſchmiede, be - ſonders, was die Bogen und Seitengewehre anbetrifft. Die perſiſchen Bogen ſind die ſchoͤn - ſten im ganzen Orient. Die Materie dazu iſt Holz und Horn, eines auf das andere geſetzt und mit Sehnen, und ganz oben mit einer duͤnnen Baumrinde, uͤberzogen. Man be - malt ſie ſehr ſchoͤn und beſtreicht ſie mit Lack, welches ſie ſehr glaͤnzend macht. Die Bogen - ſeile ſind von ſtark gedreheter Seide, wie eine Gaͤnſefeder dicke. Der Koͤcher iſt von ſchoͤnem Leder, mit Gold, Silber oder Seide geſtickt. JDer130Der Stahl, woraus ſie ihre beſten Saͤbel machen, kommt aus Indien, weil der ihrige gemeiniglich zu ſproͤde iſt, und leicht bricht. Sie ſchmieden ihre Stahlbleche kalt, und ſchmieren ſie mit Seife, Oel oder Butter, da - von die corroſiven Theilchen in den Stahl dringen und die Adern formiren, die wir in den meiſten orientaliſchen Saͤbeln finden. Man nennt dergleichen geaͤtzten Stahl Damaſcener, weil ehedem zu Damaſcus dieſe ſchoͤnen De - genklingen gemacht worden ſind. Ihre Cano - nen werden faſt auf aͤhnliche Art verfertigt. Sie machen ſie ſo dicke, als ſie weit ſind, wo - durch ſie ſehr ſchwer werden; der Vortheil da - bey iſt: daß ſie nicht ſpringen, und daß man mit ihnen viel gerader ſchießen kann.

Die Spiegel ſind den Perſern nur erſt be - kannt geworden, ſeitdem man mit ihnen Han - del zu treiben angefangen hat. Bis itzt ſind ſie auch ſelbſt noch nicht im Stande, Spiegel zu verfertigen. Ihre gewoͤhnlichen beſtehen aus polirtem Stahl, und haben eine runde Form. Die Kunſt, Luſtfeuerwerke zu ma - chen, verſtehen ſie ſehr gut, und uͤbertreffen hier - inn gewiß alle andere Voͤlker. Die Stein - ſchleifer verſtehen ihr Metier auch gut; und viel - leicht koͤnnte man ſagen, daß ſie es in Perſien weiter in dieſem Stuͤcke gebracht haben, als wir in Europa. Sie faſſen die Diamanten mit ziemlichem Geſchmack ein; ſie verſtehen aber nicht die Metalle zu emailliren.

Das131

Das Geheimniß, Glas zu machen, iſt ih - nen freylich auch bekannt, aber ſie machen doch wenig erwuͤnſchten Fortgang, und bringen nichts Vollkommnes heraus. Es giebt ſehr viele Glashuͤtten, allein das Glas iſt gruͤnlich und voll Blaſen. Ihr Papier iſt ſchlecht, auch lange nicht ſo ſtark, wie das Unſrige, weil es aus ſeidenen Lappen gemacht wird, die die Feſtigkeit unſrer Leinwand nicht haben. Sie geben dem Papiere, vermittelſt der Seife, eine weiſſe Farbe, und glaͤtten es mit glaͤſernen Po - lirſteinen, die es ſo fein, wie Atlaß machen. Ueberhaupt koͤnnen ſie dem Papiere allerley Farben geben, und malen zuweilen ſilberne Bluͤmchen darauf, die aber der Schrift nicht hinderlich ſind. Es iſt unter ihnen die Ge - wohnheit, alle die Briefe welche ſie an Perſo - nen vom Stande ſchicken, auf verſilbert Papier zu ſchreiben. Sie bedienen ſich des Europaͤi - ſchen Papiers ſehr ſtark; ſie muͤſſen es aber doch zufoͤrderſt glaͤtten, ehe ſie es gebrauchen, und nach ihrer Art einrichten. Indeſſen ſchaͤ - tzen ſie dasjenige, was ſie aus der kleinern Ta - tarey erhalten, weit hoͤher, als das Europaͤi - ſche. Uebrigens muß man noch bemerken, daß das Papier bey den Perſern ein geheiligtes Ding iſt. Sie haben eine große Ehrfurcht fuͤr daſſelbe, ſo daß ſie es weder zerreiſſen, noch wegwerfen, weil ſie naͤmlich befuͤrchten; es moͤchte der Name Gottes auf demſelben geſchrie - ben ſeyn.

J 2Die132

Die Seife, deren ſich die Perſer zum Wa - ſchen bedienen, wird von Hammelfett und der Aſche einiger ſtarken Kraͤuter gemacht. Sie iſt weich, gelblicht, ſtaͤnkrich, und weiſſet nicht ſonderlich. Man reibt das Zeug nur obenhin mit derſelben. Die meiſten laſſen ihre Seife aus Syrien, der Tuͤrkey, und am meiſten von Aleppo kommen, wo ohne Zweifel die beſte Sei - fe im Orient und vielleicht auch in der ganzen Welt, gemacht wird. Sie iſt wegen der fuͤrtrefflichen Aſche in dieſem Lande fein, und weit feſter, als die Europaͤiſche. Die vor - nehmſten Ingredienzien ſind, nach der Aſche, Kalk und Olivenoͤl. Im Ganzen genommen, brauchen die Perſer auch wenig Seife, weil das meiſte Zeug, welches ſie tragen, bunt und von Seide iſt.

An fuͤrtrefflichen Manufacturen fehlt es nicht. Sie machen ſehr ſchoͤne Stoffe von Seide, Wolle, Ziegen - und Cameelhaaren. Die Seide iſt in ganz Perſien in großem Ue - berfluſſe und von beſonderer Guͤte; ſie gehoͤrt deswegen auch zu den betraͤchtlichſten Manufa - ren, und wird ſehr gut verarbeitet. Sie ha - ben, wie wir, faſt eben dieſelben Seidenmuͤh - len, Spindeln und Winden. Die Brocade gehoͤren unter die Seidenzeuge, welche die ſchoͤnſten, und zugleich uͤberaus theuer ſind. Man gebraucht dieſe reichen Brocade zu Vor - haͤngen an Betten und Thuͤren, wie auch zu Kniekuͤſſen. Die beſten Stoffarbeiter fin -det133det man zu Yezde, Cachan, und der Haupt - ſtadt Iſpahan. Die ſchoͤnen Decken, die wir aus der Levante erhalten, und von denen wir glauben, daß ſie in der Tuͤrkey gemacht ſind, kommen urſpruͤnglich aus Perſien. Sie wer - den in der Provinz Kirman, und vorzuͤglich zu Siſtan gemacht. Die Perſer wuͤrden ſich gewiß ſehr dadurch bereichern, wenn ſie den Handel mit dieſen Zeugen recht verſtuͤnden.

Die beſten Cattune holen ſich die Perſer von den Indianern, wenn ſie ſie gleich eben ſo gut und fein machen koͤnnen; allein da ſie die Cattune in Indien ſehr wohlfeil kaufen koͤn - nen; ſo geben ſie ſich auch nicht einmal die Muͤhe, ſich ſehr auf Verfertigung derſelben zu legen. Allein ſehr geſchickt wiſſen ſie das Gold und Silber auf Zeuge zu drucken; ſie verſtehen Buchſtaben, Figuren, Blumen, und alles was man nur verlangt, ſo gut nachzumachen, daß man faſt glauben ſollte, es ſey Gold - und Silberſtickerey. Auch koͤnnen ſie die ſchoͤnen Matten und Handkoͤrbe aus Schilf und Wei - den machen. Zu Seſton hat man die beſte Manufactur davon.

Der Handel wird in Perſien mit fuͤr die am meiſten geehrteſte Profeſſion gehalten, weil er nicht ſo mannichfaltigen Abwechſelungen und Schickſalen unterworfen iſt. Dieß iſt ſonder Zweifel in einem Lande, wo kein Adels - recht iſt, und wo alle Chargen augenblicklichen Veraͤnderungen unterworfen ſind, von vielerJ 3Bedeu -134Bedeutung. Es iſt auch im Orient nichts Un - gewoͤhnliches, daß die Koͤnige und großen Her - ren Handel treiben. Sie haben hierzu ihre Commiſſionairs. So laͤßt, um dieß mit ei - nem Beyſpiel zu erlaͤutern, der Koͤnig von Perſien ſeinen Nachbarn durch die Commiſſio - nairs Seide, Teppiche, reiche Zeuge und Edel - geſteine verkaufen. Die Handelsgeſchaͤffte, wer - den nur ſolchen Perſonen aufgetragen, die ihre Commiſſionairs in den entfernten Laͤndern ha - ben. Dergleichen Leute gelangen auch oft zu den hoͤchſten Ehrenſtellen, und werden gemei - niglich zu Geſandtſchaften gebraucht. Der Vorſteher einer weitlaͤuftigen Handlung kommt gemeiniglich nicht aus der Stadt, worinn er wohnt, und laͤßt ſich nie ſelbſt unmittelbar in Geſchaͤffte ein; ſondern er hat dazu ſeine De - lal, welches die feinſten und geſchwaͤtzigſten Leu - te ſind, die man ſich nur erdenken kann. Boͤrſen und Wechſelbaͤnke findet man in Per - ſien nirgends.

Doch aber muß man anmerken, daß die Mohammedaner nicht eigentlich die großen Kaufleute Aſiens ſind. Denn theils iſt dazu ihre Lebensart zu wolluͤſtig, theils werden ſie durch ihre zu ſtrenge Moral daran verhindert. Denn nach dem Mohammedaniſchen Geſetz darf kein wahrer Verehrer deſſelben mit einem Un - mohammedaniſchen aus einem Gefaͤße trinken. Dergleichen Umſtaͤnde machen, daß ſie ſich in ih - rem Handel nicht ſo ſehr ausdehnen koͤnnen. Ue -ber -135berdem verbietet ihre Religion auch den Wu - cher, daher wiſſen ſie zwiſchen dem ſchaͤndlichen Wucher und den rechtmaͤßigen Zinſen keinen Unterſchied zu machen. Der Handel und Wan - del zu den Zeiten, wie Mohammed ſeine Reli - gion einfuͤhrte, beſtand meiſtentheils in der Viehzucht; und man ſah wenig auf Geld, denn alles geſchah durch Vertauſchung. Daher ſieht man denn auch, daß Mohammed das Verbot der Zinſen ſehr leicht zu Stande brin - gen konnte. Aber man muß dabey wiſſen, daß Tauſch und Zinſen bey ihnen einerley ſey. Denn wenn einer von dem andern etwas leihet; ſo verſpricht er ihm dagegen etwas zur Beloh - nung, die er auch nebſt dem Geliehenen zu rechter Zeit entrichtet. Die Perſer ſelbſt handeln nur im Lande von einem Orte zum an - dern, und das ganze Commerz durch Europa iſt in den Haͤnden der Armenianer.

So viel wird zu unſerer Abſicht uͤber Handwerke und Manufacturen der Perſer hin - laͤnglich ſeyn.

J 4Sechſtes136

Sechſtes Kapitel.

Von der Juſtiz und dem buͤrgerlichen Rechte Vom Criminalrechte und Policey der Perſer.

Die Jurisprudenz iſt von der practiſchen Theologie bey den Perſern wenig oder gar nicht unterſchieden. Mohammed hat hier - in vielleicht dem Beyſpiele der Alten folgen wollen, welche ihre buͤrgerliche und politiſche Anordnungen auf die Grundſaͤtze der Religion, die ſie bekannten, gruͤndeten, um dadurch glaub - haft zu machen, daß die Geſetze eben ſowohl, als die Vorſchriften der Religion, von Gott kaͤmen. Dieſen Kunſtgriff haben die Geſetzge - ber des Alterthums von jeher beobachtet, weil ſie uͤberzeugt waren, daß ſie das Volk dadurch zur Beobachtung ihrer Geſetze viel bereitwilli - ger finden wuͤrden. Chardin aber will der Meynung ſeyn, daß Mohammed bey ſeiner Ge - ſetzgebung mehr auf das juͤdiſche Geſetzbuch, und beſonders auf das dritte Buch Moſis ge - ſehen habe, welches die buͤrgerlichen und Ceri - monialgeſetze, mit einander verbunden, enthaͤlt.

Die Perſer haben ein Geſetzbuch, welches ſie Cherait nennen, und das die Geſetze des Buͤrgerlichen - und Criminalrechts enthaͤlt; al -lein137lein ſie ſind darinn in ſo dunkeln und zweydeu - tigen Ausdruͤcken abgefaßt, daß die Richter ſie auslegen, wie ſie wollen, und ihnen oft einen ganz ſonderbaren Sinn geben. Dieß Buch iſt weiter nichts, als eine Sammlung von Urthei - len, und Meynungen ihrer vornehmſten Ge - richtsperſonen und Rechtsgelehrten uͤber die ungewoͤhnlichſten und am meiſten ſtreitigen Faͤlle. Ihr großes Geſetzbuch iſt der Ko - ran; ſie nehmen zu demſelben zuerſt ihre Zuflucht. Wenn ſie aber keine deutliche und genaue Entſcheidung uͤber den ſtreitigen Fall in demſelben vorfinden; ſo wenden ſie ſich zu dem Buche der Reden und Thaten Mo - hammeds, hernach zu dem Buche der Re - den und Thaten Imans, und endlich zu dem vorhingenannten Geſetzbuche.

Das buͤrgerliche Recht theilt ſich gegenwaͤr - tig in Cheray und Ourf. Dieſe Einthei - lungsart iſt ſehr zu merken. Cheray iſt das buͤrgerliche Geſetz, welches ſich auf den Koran und die Commentarien, welche uͤber denſelben von den zwoͤlf erſten Nachfolgern Mohammeds gemacht ſind, gruͤndet. Ourf bedeutet ei - gentlich Gewalt, Staͤrke. Der Name Ourf kommt daher, weil das Gericht Ourf bloß von der Autoritaͤt des Koͤnigs abhaͤngt. Die ſchein - heiligen Perſer, und uͤberhaupt die Geiſtlich - keit, ſehen das Ourf als eine Art von Tyran - ney an; ſie ſchreyen, und beklagen ſich immer uͤber daſſelbe. Und doch, wenn man es rechtJ 5beſieht,138beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi - zir, der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu - tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig - keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde keine Spuren von Handel und Wandel er - blicken.

Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig - keit abgethan. Wir wollen itzt das Wich - tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen Lebens abhandeln.

Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder die Gleichheit des Standes noch die Einſtim - mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma - chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri - ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche - hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel - ten, weil man gemeiniglich den jungen Leutenbey139bey Zeiten eine Sclavinn oder eine Beyſchlaͤfe - rinn giebt, in der Hoffnung, daß er ſie hey - rathen werde. Da alle Heyrathen bey den Per - ſern guͤltig ſind; ſo ſind auch alle Kinder recht - maͤßig, ſie moͤgen nun entweder vor oder nach der Verheyrathung gebohren ſeyn, ſie moͤgen von einer wuͤrklich angetrauten Frau oder einer Selavinn gebohren ſeyn. Man findet in die - ſem Lande gar keine Hurkinder. Der Erſtge - bohrne iſt Erbe, wenn er auch gleich ein Sohn von einer Sclavinn iſt.

Die Kinder eines Vaters haben auf das vaͤterliche Vermoͤgen, ſo lange er lebt, gar kei - ne Anſpruͤche. Aber nach deſſen Tode nimmt der aͤlteſte Sohn zwey Drittheile des Vermoͤ - gens, und das eine Drittheil wird unter die uͤbrigen Kinder vertheilt, und zwar ſo, daß ein Maͤgdchen immer die Haͤlfte von dem erhaͤlt, was ein Junge ganz bekommt. Dieß verlangt das Geſetz, und der Gebrauch bringt es mit ſich. Da inzwiſchen das groͤßeſte Vermoͤgen in Per - ſien gewoͤhnlich aus Mobilien beſtehet; ſo giebt der Vater ſeinen Kindern, wenn er zur Thei - lung noch Kraͤfte und Zeit hat, einem jeden das, was ihm gut zu ſeyn ſcheint. Es iſt zu bemerken, daß ein Teſtament, wenn es guͤltig ſeyn ſoll, vierzig Tage vor dem Abſterben muß aufgeſetzt ſeyn, ſonſt iſt es unguͤltig.

Das Geſetz declarirt die Toͤchter im zwoͤlf - ten Jahre, und die Knaben im ſechzehnten Jahre fuͤr frey, und ſie ſind nicht mehr unter derVor -140Vormundſchaft. Alsdenn gehen ſie zum Ca - zy, welcher das Examen mit einer artigen Fra - ge anfaͤngt. Er fragt: Iſt dir der Teufel uͤber den Leib geſprungen? dieß bedeutet ſo viel, als die Frage: Haͤltſt du dich fuͤr faͤhig, zu heyrathen? Hierauf pflegt man gemeinig - lich mit einem Ja zu antworten. Man nonnt die Loßſprechung der Kinder von der Ge - walt des Vormundes Balic, und zu derſelben gelangt man, ſo bald man das Nuͤtzliche von dem Schaͤdlichen zu unterſcheiden faͤhig iſt.

Die minderjaͤhrigen Kinder haben in Per - ſien große Privilegien: denn man kann ihre Erbſchaft nicht angreifen, wenn auch der Ver - ſtorbene Schulden gemacht hat. Das Geſetz verlangt, daß man ſie zu ihrem Alter kommen laſſen ſoll, und daß ihre Vormuͤnder fuͤr ſie nicht bezahlen koͤnnen. Die Vormuͤnder haben nach dem Mohammedaniſchen Rechte ei - ne große Gewalt. Denn ſie ſehen das Ver - moͤgen der Pupillen als ihr eigenes an, und wann die Kinder in dasjenige Alter gekommen, worinn ſie keines Vormunds mehr gebrauchen; ſo laͤßt ihnen das Geſetz, um Rechenſchaft von ih - rer Vormundſchaft zu geben, Zeit genug, um etwa den Defect wieder herbey zu ſchaffen. Der aͤlteſte Sohn vertritt auch gemeiniglich bey ſeinen juͤngern Geſchwiſtern die Stelle des Vor - mundes.

Die Bankeruteurs und Fluͤchtlige finden ſehr wenig Schutz. Ihr ganzes Vermoͤgenwird141wird eingezogen, wovon die Creditoren nichts erhalten. Das Gericht verſiegelt alles, eignet ſich das ganze Vermoͤgen zu, und erklaͤrt den Bankerouteur oder Fluͤchtling fuͤr todt, Wenn ein Schuldner nicht bezahlt, es ſey aus Bosheit oder auch aus Unvermoͤgen; ſo liefert man ihn in die Haͤnde des Glaͤubigers. Die - ſer hat ein zwiefaches Recht uͤber ihn; erſtlich kann er ihn nehmen, und mit ihm machen, was er will er kann ihn bey ſich einſperren, und ihn nach Belieben uͤbel tractiren, er kann ihn durch die Stadt fuͤhren und ihn ſchlagen, wie einen Hund, nur darf er ihn nicht toͤdten oder zum Kruͤppel machen zweytens kann er ſeine Guͤter verkaufen und zugleich auch ihn nebſt Weib und Kindern; aber zu dieſer Extre - mitaͤt ſchreitet man ſehr ſelten.

Es iſt in Perſien etwas ſehr leichtes, ſich vor Gerichte uͤber einen andern zu beklagen. Wenn man einen Proceß mit jemanden anfan - gen will; ſo uͤberreicht man dem Richter eine Bittſchrift, in welcher man das Factum ſo er - zaͤhlt, wie man es fuͤr gut und der Wahrheit gemaͤß haͤlt. Der Richter bemerckt am Ran - de, daß man die Partheyen vorlaſſen ſolle, und uͤbergiebt ſeinem Bedienten die Commiſſion, den Beklagten vorzuholen. Dieſer ſagt ihm: Mein Herr, dieſer oder jener fodert euch vor ſich, kommt mit mir, und er folgt ihm augenblicklich. Wenn ſie mit einander unter Wegens ſind; ſo fodert der Bediente einenLohn142Lohn fuͤr ſeine Bemuͤhung, und richtet die Fo - derung nach der Perſon, die er vor ſich hat, und der Wichtigkeit des Proceſſes, ein. Hier - naͤchſt werden die Parteyen vor den Richter ge - laſſen, und jeder Theil bringt zugleich auch ſei - ne Zeugen mit. Sind dieſe Zeugen Perſonen vom Stande; ſo laͤßt ſie der Richter neben ſich ſetzen; ſind es aber gemeine Leute; ſo muͤſ - ſen ſie vor ihm ſtehen, und jeder traͤgt das Seinige kurz vor. Manchmal ſetzen ſie den Richter in Verwirrung, ſo daß er nicht weiß, wie er ſich aus der Sache herausziehen ſoll. Wenn nun beyde Partheyen ihre Gruͤnde vor - getragen haben, ſo ſpricht der Richter das Recht. Die Weiber pflegen ſich auch oft einander vor das Gerichte zu fodern, aber das mit einer Hitze, die faſt unglaublich iſt. Sie halten ſich alle in einem Winkel des Zimmers auf, ſind mit einem Schleyer behangen, und miſchen ſich nicht unter die Mannsperſonen. Die gewoͤhnlichſten Sachen, die ſie vor das Gericht bringen, ſind Eheſachen, indem ſie ger - ne den Heyrathscontract wollen aufgehoben ha - ben. Und die gemeinſte Urſache, die ſie vorbrin - gen, iſt das Unvermoͤgen der Maͤnner. Sie machen einen ſo entſetzlichen Laͤrm durch ihr Schreyen, daß der arme Richter welcher die Weiber nicht, wie die Maͤnner, darf ſchla - gen laſſen weder aus noch ein weis, und mit vollem Halſe ſchreyt: ſie toͤdten mich! In der zweyten Sitzung wird endlich die Sache beygelegt.

Man143

Man findet in Perſien keine oͤffentlichen Gerichtsplaͤtze. Ein jeder Magiſtrat haͤlt in ſeinem Hauſe, in einem großen offenen Saale, Gericht, entweder im Hofe oder auch im Gar - ten, welche zwey oder drey Fuß von der Erde erhoͤht iſt. Ein Theil des Saals iſt von dem andern faſt wie ein Alkofen abgeſondert. Bey - de ſind mit Chaſſans und dergleichen verſehen. An dieſem Orte ſtellet ſich das Frauenzimmer. Der Richter ſitzt am andern Ende, nach Art der Morgenlaͤnder mit einer ernſthaften und gravitaͤtiſchen Miene, und hat einen Schreiber neben ſich, aber auch weiter Niemanden. Er ſpricht die Sentenz in der erſten oder zweyten Sitzung. Wenn man den Richter gerne auf ſeine Seite haben moͤchte eine Sache die in Perſien ſonderlich Mode iſt oder bald ex - pedirt ſeyn will; ſo geht man zu dem vor - nehmſten Bedienten des Richters, beſchenkt ihn, oder verſpricht ihm ein Geſchenk. Gewoͤhnlicher Weiſe traͤgt man auch eins ſelbſt zum Richter, wenn man ſich bey ihm uͤber Jemanden be - klagt; und ein jeder richtet ſein Geſchenk nach ſeinem Stande und Profeſſion ein. Die ge - meinſten Leute geben ihm ein Lamm oder einen Hammel, Fruͤchte oder junge Huͤner. Andere geben Confituͤren oder Caffee, Stoffe; noch andere geben Geld. Aber die großen Geſchen - ke macht man immer beſonders. Man legt vor den Tribunalen des buͤrgerlichen Rechts keine andere koͤrperliche Strafen auf, als Stock -pruͤgel,144pruͤgel, und doch widerfaͤhrt dieß nur ſolchen, welche ſich dem Geſetz unverſchaͤmter Weiſe ent - gegen ſetzen.

Die Strafen, welche auf Raͤuberey u. ſ. w. geſetzt ſind, ſind ungemein hart, aber fuͤr die oͤffentliche Sicherheit nothwendig und unver - gleichlich. Aller Todſchlag uͤberhaupt iſt auf das ſchaͤrfſte in ihrem Geſetz verboten. Daher kommt es auch, daß man in Perſien ſo wenig von dieſem Laſter weiß. Ich uͤbergehe hier die verſchiedenen Arten von Strafen, weil ich zu weitlaͤuftig werden moͤchte.

Siebentes Kapitel.

Von der Geiſtlichkeit in Perſien.

Die Geiſtlichkeit beſtehet aus dem Hohen Prieſter, dem Aelteſten des Geſetzes, dem Cazi und Mufty, welche auch die Magi - ſtratsperſonen des buͤrgerlichen Rechts, und die gewoͤhnlichen Richter ſind. Ich will hier von ihrer Wuͤrde und geiſtlichen Functionen einige Umſtaͤnde erzaͤhlen.

Der Hohe Prieſter heißt Sedre, ein arabi - ſcher Ausdruck, welcher den vorderſten Theil des Koͤrpers, und ſonderlich die Bruſt an - deutet; im Gebrauch aber ſtellt es nichts an - ders, als eine erhabene Perſon vor. DerSedre145Sedre hat bey den Perſern alle Macht, ja noch eine groͤßere, als der tuͤrkiſche Mufty. Die gewoͤhnlichen Titel, die man ihm beylegt, ſind: Koͤnig des Rechts und der Reli - gion: Oberhaupt der wahren Kirche: Vicarius des Mohammeds und Statt - halter der zwoͤlf Imans, welches die erſten Caliphen ſind. Die Geiſtlichkeit behauptet, daß die Herrſchaft uͤber die Laien bloß ihnen zugehoͤre, und dieß aus dem Grunde, weil Mo - hammed Koͤnig und Prophet zugleich war, und Gott ihn uͤber das Geiſtliche und Weltliche ge - ſetzt habe. Die allgemein angenommene Mey - nung aber iſt: daß die Herrſchaft, ſo wie ſie in den Haͤnden der Laien iſt, ihre Einſetzung und Anſehen von Gott habe: daß der Koͤnig an Gottes Statt ſey u. ſ. w. und was den Sedre und uͤberhaupt alle Geiſtliche anbetraͤ - fe; ſo waͤre es nicht ihre Sache, ſich in Staatsgeſchaͤfte einzulaſſen: ihre Jurisdiction muͤßte auch ſo gar in religioͤſen Dingen erſt durch die koͤnigliche fuͤr guͤltig erklaͤrt werden. Vor Zei - ten hieng alles von der Geiſtlichkeit ab; itzt aber verhaͤlt ſichs ganz anders. In den erſten Zeiten des Mohammedismus richtete ſich alles lediglich nach dem Koran. Nachher aber hat man zu demſelben die Auslegungen der Imans hinzu ge - fuͤgt, ſo daß der Koran und die Auslegung der Imans gegenwaͤrtig das Hauptwerk in ihrem Ci - vil und Canoniſchen Rechte ausmachen, und da - her auch die Theologie und Jurisprudenz unzer -Ktrenn -146trennlich ſind, und nur eine Wiſſenſchaft aus - machen.

Laßt uns die Wuͤrden und den Character dieſer oberſten Geiſtlichen naͤher beſtimmen. Der Sedre iſt der oberſte Richter in allen geiſtlichen Dingen und allen Angelegenhei - ten, die auf das Geiſtliche einige Be - ziehung haben. Dieſe Stelle wurde ehe - mals von einem einzigen verwaltet; weil aber zuweilen viele Unordnungen und Menſch - lichkeiten bey ihm gefunden wurden, und man auch ſahe, daß ſich der Sedre durch Geſchenke und Verſprechungen blenden ließ; ſo ſchaffte ihn Abbas II. ab, und hatte den Vorſatz, die Stelle nie wieder zu beſetzen. Sein Nachfol - ger aber, der weit davon entfernt war, das durchzuſetzen, was ſein Vorfahre angefangen hatte, theilte dieß Amt, und ſetzte zwey Sedres ein. Der eine, welcher Sedre Kaſſeh, oder der beſondre Hoheprieſter genannt wurde, hat - te die Aufſicht uͤber die koͤniglichen Mo - ſcheen und die uͤbrigen Guͤter, die von den Koͤ - nigen dahin vermacht waren. Der andre, welcher Sedre Aam, oder allgemeiner Hoher - prieſter genannt wurde, beſorgte die Guͤter, die von den Unterthanen vermacht wurden. Dieſe Theilung verminderte die Macht und das Anſehen, worin der erſte ſtand, ſehr. Und merkwuͤrdig iſt es, daß der beſondre Hoheprie - ſter vor dem allgemeinen den Rang hat. Sie haben beyde Sitz und Stimme in den Ver -ſamm -147ſammlungen, welche in dem Pallaſte gehalten werden. Der Sedre Kaſſeh ſitzt zur Lin - ken des Koͤniges. Der Athemat-Douli iſt zur Rechten, und unmittelbar unter ihm iſt der Sedre Aam. Bey den oͤffentlichen Si - tzungen ſind ſie allezeit gegenwaͤrtig, allein ihr Aufenthalt bey denſelben iſt von nicht langer Dauer. Denn da die Mohammedaniſche Re - ligion den Gebrauch des Weins ernſtlich ver - bietet; ſo ſchleichen ſie ſich bald weg, ſo bald ſie vernehmen, daß der Koͤnig befiehlt, Wein herbey zu ſchaffen, und muſikaliſche Inſtru - mente holen zu laſſen. Zuweilen aber enthaͤlt ſich der Koͤnig dieſes Vergnuͤgens aus Achtung gegen ſie, oder er ſchiebt es vielmehr auf, um dieſe Herren laͤnger bey ſich zu haben, und ſie dadurch zu ehren.

Die dritte geiſtliche Wuͤrde nennen die Per - ſer Cheik-kel-Iſlam, d. h. Haupt des Geſe - tzes. Dieſe Magiſtratsperſon iſt in allen buͤr - gerlichen Angelegenheiten und in den Dingen Richter, welche mit dem Civilweſen in Verbin - dung ſtehen. Die Charge dieſes Chei-kel-Iſlam war anfaͤnglich der des Cazy ſubordinirt; al - lein das Anſehen, das dieſe am Hofe bekam, hat ſie uͤber alle andre Tribunale ſo ſehr erho - ben, daß man es als das erſte und anſehnlichſte juriſtiſche Tribunal anſehen kann.

Ein anderer geiſtlicher Richter iſt der Ca - zy (oder wie wir es auszuſprechen gewohnt ſind, der Cady.) Dieſes Wort bedeutet einenK 2Schieds -148Schiedsrichter, oder einen Mann, welcher entſcheidet. Dieſer war ehemals die einzige obrigkeitliche Perſon in jeder Stadt. Das mohammedaniſche Geſetz raͤumt ihm eine große Macht ein, welche er auch noch in der Tuͤrkey voͤllig ausuͤbt. In Perſien aber hat er einen guten Theil ſeiner alten Vorzuͤge verlohren, weil er anfieng, viel zu weit in buͤrgerlichen Sa - chen um ſich zu greifen. Dieſe Rechte haben die Sedres und der Cheik-kel-Iſlam uͤberkom - men. *)Ein Zeichen und Beweis, wie ſehr dieſe bey - den geiſtlichen Perſonen geachtet ſind, kann dieß ſeyn, daß ſie naͤmlich die Ehre haben, ſeit lan - gen Jahren her, die Prinzeſſinnen von koͤnigli - chem Gebluͤt zu heyrathen.Indeſſen ziehen doch die Perſonen, welche fuͤr die im Koran ſtehenden Einrichtun - gen Eifer bezeigen, das Anſehen des Cazy dem Anſehen aller andern Lehrer vor, beſonders in Sachen, welche die Teſtamente, die Heyraths - tractate und Eheſcheidungsbriefe betreffen.

Der Mufti hat ſeine Rechte nicht beſſer erhalten. Dieſer Praͤlat, der in der Tuͤrkey in einem ſo großen Anſehen ſtehet, und faſt als das hoͤchſte Oberhaupt der Religion ange - ſehen wird, ſteht in Perſien in gar keinem An - ſehen. **)Das Wort Moufti, oder Mufti, bedeutet ein Orakel, einen Menſchen, der ſchlechterdings abſolut entſcheidet.Vor den Sofis, welche in geiſtli -chen149chen Sachen viele Neurungen vorgebracht ha - ben, bekleidete er das Amt eines Hohenprie - ſters. In den erſten Zeiten des Mohamme - dismus hatte er das Recht, alle Gewiſſens - faͤlle zu entſcheiden, wegen Uebertretung des Korans Strafen aufzulegen, die Suͤnder in den Bann zu thun, und wieder loszuſprechen. Die Verrichtung eines perſiſchen Muftis be - ſtehet itzt bloß darinn, ſeine Meynung uͤber gewiſſe ſchwere Puncte des Geſetzes zu ſagen, und ſein Ausſpruch dient nur bloß den obrigkeitli - chen Perſonen bey ihren Urtheilen zu ihrer Richtſchnur; daher pflegt man auch zu der - gleichen Aemtern allezeit einen erfahrnen und geſchickten Mann zu waͤhlen. Der Koͤnig er - nennt ihn, und wenn er von einer gelaſſenen Gemuͤthsart iſt, und ſich nach der Verfaſſung und den Grundſaͤtzen der Regierung richten will; ſo wird er eingeſetzt. Ueberhaupt muß man wiſſen, daß der Mufti in Perſien ſehr im Zaum gehalten wird. Und dieß iſt auch unge - mein heilſam und wichtig: denn ſonſt wuͤrde kein Fremder, der nicht mohammedaniſch ge - ſinnt waͤre, des Lebens ſicher ſeyn. Sie wuͤrden dem ganzen Staate Geſetze geben wollen.

Dieſe Richter, von denen wir geredet ha - ben, halten nicht zuſammen und an einem Or - te Gericht. Ein jeder hat ſein eignes Gericht, und wer einen Proceß hat, kann ſich zu einem von dieſem nach Belieben wenden. Da derK 3Koran150Koran das einzige buͤrgerliche und canoniſche Recht iſt, und man mit Grunde voraus ſetzt, daß die Geiſtlichen dieſe Buͤcher vor andern verſte - hen; ſo iſt das Volk ſehr geneigt, jenen die Streitfrage zu uͤberlaſſen. Dieſe Prieſter nun, deren Anſehen, wie billig, nur in Reli - gionsſachen gelten ſollte, haben ſich unvermerkt in alle Sachen eingeſchlichen, und in die Ge - richtsbarkeit der Weltlichen ſolche Eingriffe gethan, daß ſie faſt heut zu Tage die einzigen Richter ſind.

Die Kirchenguͤter werden von den Sedres ver - waltet, und werden von den Perſern fuͤr un - verletzbar gehalten. Dieſe Guͤter beſtehen ge - meiniglich aus Landguͤtern, Haͤuſern, Einkuͤnf - ten aus dem koͤniglichen Schatze, und von den Staͤdten, aus oͤffentlichen Baͤdern, aus den Haͤuſern, wo die Caravanen logiren, und an - dern aͤhnlichen Sachen. Chardin verſichert, daß ſich dieſe Einkuͤnfte wenigſtens auf ſechs und dreyßig Millionen, nach unſerer Muͤnze, belaufen. Vielleicht iſt dieſe Einnahme zu hoch angeſetzt.

Von dieſen Einnahmen leben aber auch eine unglaubliche Menge von Menſchen. Doch giebt es keine unter ihnen, welche wuͤrklich reich ſind, wenn man hiervon die Sedres, ih - re Controleurs, und die, welche die Guͤter verwalten, und unter andre vertheilen, aus - nimmt. Wenn man, ſag2 ich, dieſe aus - nimmt: ſo findet man wenige Geiſtliche, diejaͤhr -151jaͤhrlich mehr, als zwey oder dreytauſend Tha - ler, nach unſrer Muͤnze, Einnahme haben. Ein jeder von den Sedres hat ohngefaͤhr zwey tauſend Tomans; allein weil ſie bey dieſer Zahlung auf Laͤndereyen angewieſen werden, welche viel mehr werth ſind, ſo koͤnnen ſie ihre Einnahmen an ſechzig tauſend Thaler bringen. Abbas II. ſetzte die Einkuͤnfte der reichſten Praͤbenden auf dieſe Summe. Die Mohammedaner haben hierinn ſehr ſtrenge Grundgeſetze. Sie be - haupten, daß der Gebrauch der Kirchenguͤter al - len verboten iſt, welche ſich durch Arbeit auf eine ehrliche Weiſe ernaͤhren koͤnnen, und ha - ben daruͤber bey aller Gelegenheit die Stelle aus dem Koran im Munde: daß die geſun - deſte Nahrung diejenige ſey, welche man ſich durch die Arbeit verſchaffe. Die Randgloſſe der Imans uͤber die Stelle verſi - chert, daß die Propheten und frommen Maͤn - ner allezeit von ihrer Arbeit gelebt haben.

Die Sedres legen von ihrer Verwaltung vor einem geiſtlichen Gerichte Rechnung ab, welches aus zwey beſondern Gerichtsſtuben be - ſtehet, eine fuͤr die Guͤter, welche vom Koͤnig herruͤhren, und eine fuͤr die Guͤter, welche Pri - vatperſonen vermacht haben. Bey dieſem Ge - richte werden auch die Anwartſchaftsbriefe auf Pfruͤnden ausgefertigt. Einige derſelben beſte - hen in Landguͤtern oder Haͤuſern, wovon dieje - nigen, die damit belehnet ſind, den Nutzen ziehen.

K 4Achtes152

Achtes Kapitel.

Von den Religionen, welche in Perſien geduldet werden.

Eine von den Maximen der mohammedani - ſchen Religion iſt, alle Religionspartheyen zu dulden, und ihnen freyen Gottesdienſt zu verſtatten. Daher findet wan Chriſten, Ju - den, Heiden und allerley Secten. Die Reli - gion Mahommeds lehrt, daß es ein großes Verdienſt ſey, die Unglaͤubigen zu bekehren, daß man hierzu ſo viel beytragen muß, als ein jeder vermoͤgend waͤre; aber man muͤſſe da - bey keine Gewaltthaͤtigkeiten gebrauchen, und, wenn ſie ihre Abgaben ordentlich entrichten, ihre Gerechtigkeit beſchuͤtzen, und menſchlich mit ihnen umgehen. Ich will in dieſem Kapitel etwas genau und umſtaͤndlich von den Einwohnern Perſiens reden, die ſich zu einer andern Religion bekennen. In dem folgen - den Kapitel wird ſich Gelegenheit darbieten, von den Meynungen, welche die Perſer vor andern Religionen hegen, umſtaͤndlich zu han - deln.

Es giebt in Perſien fuͤnf Religionsſecten: Erſtlich, die Secte der Gueber, oder alten Perſer, welche man die Anbeter des Feuersnennet,153nennet. Zweytens, die Secte der Juden, wie auch in Perſien ſehr alt ſind. Drittens, die Sabis oder Chriſten des heiligen Johan - nes. Viertens, die Chriſten, oder die rech - ten und eigentlichen Anhaͤnger Chriſti, und fuͤnftens, die Indianiſchen Heiden. Wir wollen von einer jeden Secte beſonders reden.

I. Secte der alten Guebers. Weil wir noch keine Gelegenheit gehabt haben, von dieſen zu reden; ſo denken wir, daß es dem Leſer nicht unangenehm ſeyn wird, wenn er das Noͤthigſte von ihnen hier kurz und genau findet. Die alten Guebers wohnen in verſchiedenen Theilen Perſiens und auch an einigen Orten Indiens. In Perſien wohnen ſie in Caramanien und an dem perſiſchen Meerbuſen: aber noch in groͤßerer Menge fin - det man ſie in den Provinzen von Jezd und Kirman. In Indien findet man ſie am Fluſſe Indus und in der Provinz Guzerat. Die Zerſtreuung dieſes Volks in verſchiedene Theile des Reichs, kam durch den Einfall der Araber in Perſien unter dem Omar, dem zweyten Nachfolger Mohammeds. Diejeni - gen, nelche nicht unter ihrer Unterdruͤckung leben wollten, waren genoͤthigt, ſich in die wuͤſten Theile des Reichs zu begeben. Die An - zahl derſelben iſt auch gar nicht groß. Viel - leicht belaͤuft ſie ſich nicht viel uͤber achtzig tau - ſend. Ihre einfache Lebensart und uͤberhauptK 5ihr154ihr kuͤmmerliches Leben macht, daß man ſie duldet und an ſie nicht denket.

Man nennt ſie Parſis in Indien, von ihrem alten Namen: und in Perſien nenn man ſie Guebers. *)Dieß Wort kommt vom arabiſchen Gauer, welches ſo viel heißt, als ein Unglaͤubiger oder Goͤtzendiener. Dieſe Namen legt man auch den Chriſten und allen bey, die nicht ihrer Re - ligion zugethan ſind. Ich bemerke dieß hier darum, weil die Tuͤrken dieß Wort allezeit im Munde fuͤhren, wenn ſie von Juden oder Chri - ſten reden. In der hebraͤiſchen Sprache bedeu - tet das Wort Chaver auch Opferprieſter der Perſer. Ich glaube, daß der Ausdruck Gau welcher ſo viel, als Koth, Miſt, Auswurf, ſtercus, bedeutet den Auswurf von Erden - volke bezeichnen ſoll. Die Perſer nennen auch die Guebers Atechperes, d. h. Anbeter des Feuers. Dieſe Guebers ſind nicht ſo gut geſtaltet, nicht ſo weiß, als die mohammedaniſchen Perſer: dennoch aber ſind ſie unterſetzt und von ziemlicher Taille.

Die Frauensperſonen ſind dicke, von Oli - ven - und dunkler Farbe, welches mehr von ih - rer Armuth, als von ihrem Naturell her - kommt; denn es giebt unter ihnen einige, die ſehr ſchoͤne Zuͤge in ihrem Geſichte haben. Die Maͤnner tragen Haare und einen langen Bart, eine kurze und enge Weſte, und eine Muͤtze von feiner Wolle, welche beynahe wieein155ein Huth ausſieht. Sie kleiden ſich mit Lein - wand oder Wolle, lieben aber uͤberhaupt die braune Farbe. Die Weiber ſind ſehr grob gekleidet, ſo daß man faſt keinen haͤßlichern Anblick haben kann, als wenn man eine Gue - berinn ſiehet.

In Perſien ſind ſie alle entweder Ackerleute, oder Handarbeiter, oder Tuchwalker und Wollarbeiter. Sie machen ſehr feine Teppi - che, Muͤtzen u. ſ. w. Unſre Caſtorhuͤte ſind nicht ſo weich und ſchoͤn. Chardin verſichert, daß er die ganze Zeit ſeines vieljaͤhrigen Auf - enthalts in Perſien, keinen einzigen Gueber muͤßig geſehen habe; auch keinen, der ſich auf freye Kuͤnſte und eigentlichen Handel gelegt habe. Ihre vornehmſte Profeſſion iſt der Ackerbau, d. h. die Bearbeitung des Gartens, der Weinberge u. ſ. w. Sie betrachten den Ackerbau, nicht nur als eine ſchoͤne und unſchul - dige Profeſſion, ſondern auch als eine ver - dienſtvolle und achtungswuͤrdige, und ſie glau - ben, daß das der erſte Beruf der Menſchen ſey.

Dieſe alten Perſer ſind von gefaͤlligen und einfaͤltigen Sitten, leben unter der An - fuͤhrung ihrer Aelteſten, welche den Magi - ſtrat ausmachen, und von dem perſiſchen Gou - vernement in ihrer Charge confirmirt werden, ſehr ruhig. Sie trinken Wein, und eſſen al - lerley Arten von Fleiſch, wenn man Ochſen und Kuͤhe ausnimmt, es mag uͤbrigens zubereitetſeyn,156ſeyn, von wem es will. Eine zwiefache Ehe und die Eheſcheidung*)Hierinn ſtimmen mehrere Reiſebeſchreiber uͤber - ein. Allein, im Fall der Unfruchtbarkeit in den erſten neun Jahren ihrer Verheyrathung, koͤn - nen ſie, neben der erſten, noch eine zweyte Frau nehmen., wird, vermoͤge ihrer Re - ligion, nicht geſtattet, und ſie duͤrfen ſich auch nicht mit Perſern verheyrathen, wel - che ihrer Religion nicht zugethan ſind.

Chardin hat bey dieſem alten Volke kei - nen Gelehrten, ſondern lauter Unwiſſende an - getroffen. Er ſagt, daß die ganze Gelehr - ſamkeit ihrer Prieſter in einer geringen Kennt - niß der Aſtrologie, des Mohammedanismus und in einer ſehr unvollkommnen Kenntniß ihrer eigenen Religion beſtaͤnde, ſo daß ſie von ihrem eigenen Glauben keinen Grund an - zugeben wuͤßten. Man muß ſich auch hieruͤber nicht wundern, weil ſie ſeit mehr denn tauſend Jahren in der Unterdruͤckung und Niedrigkeit leben. Man ſagt gemeinig - lich, daß ſie ein beruͤhmtes Buch haͤtten, wel - ches ihre Religion und ihre Geſchichte in ſich faßte und Zend Paſend Voſta hieße. Bis itzt aber hat noch niemand das Geringſte von dieſem vorgegebenen Werke ſehen koͤnnen. Und dieß iſt denn auch die Urſache, daß wir keine ganz wahre und richtige Beſchreibung von der Religion der alten Guebers haben. Char -157Chardin hat ſich ſehr viel Muͤhe gegeben, die Religion der alten Guebers zu erforſchen; und was er davon berichtet hat, wollen wir hier kurz erzaͤhlen. Weil er ein Reiſebeſchrei - ber iſt, der nicht alles aufs Gerathewohl nie - dergeſchrieben hat; ſo ſtehen wir nicht an, die folgenden Bemerkungen unſern Leſern als voͤl - lig glaubhaft anzupreiſen.

Es ſcheint, daß die Guebers ein hoͤch - ſtes Weſen annehmen, welches uͤber die Endurſachen iſt. Dieſes Weſen nennen ſie Yezd. Indeſſen eignen ſie doch den Endur - ſachen eine ſolche Macht zu, daß dieſem Jezd, oder hoͤchſten Weſen, nicht viel uͤbrig bleibt. Vielleicht erkennen ſie, eigentlich und genau zu reden, wohl kein hoͤchſtes We - ſen. Sie muͤſſen es aber aus politiſchen Gruͤnden thun, um bey den Perſern, ihren eigentlichen Herren, fuͤr keine Deiſten ge - halten zu werden, welches ſonſt ihre voͤllige Vertreibung befoͤrdern wuͤrde. Sie meynen, daß die himmliſchen Koͤrper verſtaͤndige We - ſen waͤren, und ſich um die Auffuͤhrung der Menſchen bekuͤmmerten. Die Sonne iſt nach ihnen, das erſte hoͤchſtdenkende Weſen, und der Vater aller ſinnlichen Din - ge. Der Mond iſt das zweyte denkende We - ſen, und denn folgen die uͤbrigen Planeten. Sie glauben auch, wie alle indianiſche Hei - den: Die Mondfinſterniß kaͤme daher, weil der Mond gedruͤckt, und von einem hoͤhern Weſen158 Weſen beunruhiget, und in dieſe traurige La - ge verſetzt wuͤrde. Außer dieſen denkenden Weſen nehmen ſie auch Engel an, welche ſie ſubalterne Goͤtter nennen, denen die Sor - ge fuͤr die Bewahrung der lebloſen Dinge anvertrauet iſt. Endlich nehmen ſie auch zwey Grundweſen an, naͤmlich ein gutes und ein boͤſes. Dieſe zwey Grundweſen ſind das Licht*)Das Licht nennen ſie Ormus, ein Wort ih - rer alten Sprache, welches ſie durch das Wort Kaddim, ein arabiſches Wort, ausdruͤcken. und die Finſterniß**)Finſterniß druͤcken ſie durch das Wort Ari - man aus, welches ſo viel, als geſchaffner Gott, heißt. So unvernuͤnftig und abſurd nun auch im - mer dieſe Behauptung eines zwiefachen We - ſens iſt; ſo haben ſie doch einige alte Philo - ſophen fuͤr ſehr vernuͤnftig auf und angenom - men, und ſie zu einer der vornehmſten Lehren gemacht. Es giebt auch noch perſiſche Leh - rer, welche ſie noch annehmen, und dieſe Weſen, ſo wie die Guebers, Licht und Fin - ſterniß nennen.

Jedermann glaubt allgemein, daß ſie das Feuer anbeten; dem ohngeachtet aber kann man ſie ſchwerlich dahin bringen, ſich daruͤ - ber zu erklaͤren, und zu erfahren, ob der Gottesdienſt directe oder relatif iſt: ob ſie das Feuer fuͤr Gott, oder bloß fuͤr dasEben -159 Ebenbild Gottes halten. Das Feuer, ſagen ſie, iſt das Licht, das Licht iſt Gott. Dieß ſagen ſie ganz genau; aber ſie loben hernach das Feuer, das Licht und Gott, und halten daruͤber einen ſo confuſen Diſcours, daß man nicht das geringſte verſtehet, und ſich nach und nach wegſchleichet. Dem ohn - geachtet behaupten ſie immer, daß ſie das Feuer an geheiligten Oertern, ſeit den Zeiten des Keyomerſe, erſten Koͤnigs in Perſien, bewahren. Aber man kann weder dieſen ge - heiligten Ort, noch ihren Altar, noch ihren Dienſt ſehen. Daher waͤre nun wohl die Folgerung nicht unrecht, wenn man behau - ptete: daß alles, was man von dieſem alten Feuer ſagt, nichts, als Taͤuſchung ſey.

Die Guebers in Indien ſagen, daß die - ſes ewige Feuer nicht unter ihnen, ſondern in Perſien ſey. Und die perſiſchen Guebers ſind wegen des Orts, wo es brennen ſoll, nicht einig, indem ſie bald ſagen, daß es zu Kirma, bald zu Yezd, und bald auf einem gewiſſen Berge in dieſem Lande ſey. Ue - berhaupt iſt alles, was man davon weiß, ſo zweifelhaft, daß man von allem, was daruͤ - ber geſchrieben iſt, nichts gewiſſes glauben kann.

Sie beten gemeiniglich bey dem Feuer, und erweiſen demſelben andere aͤußerliche Ver - ehrungen. Ihr vornehmſter Tempel befin - det ſich neben Yezd. Dieß iſt ihr großes Atech -160 Atech-gae, wie es die Perſer nennen, das heißt, ihr Heerd des ewigen Feuers. Dieſer Ort iſt auch ihr Orakel und ihre Academie. Hier communiciren ſie ſich auch ihre Religion, ihre Maximen und Hoffnungen. Ihr ober - ſter Prieſter wohnt hier beſtaͤndig, und geht niemals weg. Man nennt ihn Deſtour Deſtouran, d. h. Regel der Regeln, um da - mit anzuzeigen, daß die Prieſter vor andere Menſchen die Regel des Glaubens und eine Richtſchnur ſind, nach welcher andre ihre Lebensart einrichten muͤſſen.

Dieſer oberſte Prieſter hat noch andere Prieſter und Studenten bey ſich, welche eine Art von Seminar ansmachen. Die Mo - hammedaner dulden ſie, weil ſie gar kein Ge - raͤuſch machen, und die Officiere reichlich be - ſchenkt werden. Die Prieſter ſind in gewiſ - ſer Abſicht wenn man auf ihre Verrich - tungen ſieht eben das, was ehemals die Veſtalinnen zu Rom waren. Ihr vor - nehmſtes Geſchaͤfft beſteht in der beſtaͤndigen Unterhaltung des heiligen Feuers. Dieß Feuer brennt, ihrem Vorgeben nach, ohnge - faͤhr ſeit viertauſend Jahren. Zoroaſter, ihr Prophet, ſagen ſie, ſoll es auf eine be - wundernswuͤrdige Art auf einem Berge ange - zuͤndet haben.

Bey Verrichtung ihres Gebets, wenden ſie allemal ihr Geſicht gegen die Sonne. Denn, ſagen ſie, ſoll das Gebet ein wahresGebet161 Gebet und keine Abgoͤtterey, kein falſcher Gottesdienſt ſeyn; ſo muß man allemal in die Sonne ſehen. Daher kommt es auch, daß ſie des Nachts gar nicht beten. Sie ver - richten aber fuͤnfmal des Tages, zu feſtge - ſetzten Stunden, ihr Gebet. Ihr vornehm - ſter Tag, den ſie zugleich auch ganz der Reli - gion widmen, iſt der Freytag. Die alten Guebers ſchmeicheln ſich noch immer mit der angenehmen Hoffnung, daß Gott ihrem Elen - de einmal ein Ende und ſie zu Herrn des gan - zen Reichs machen werde. Man weiß nicht, wer ihnen dieſe Ideen in den Kopf geſetzet hat.

Zoroaſter*)Die meiſten Gelehrten ſind darinn voͤllig ein - verſtanden, daß Zoroaſter das Haupt und der Anfuͤhrer der magiſchen Secte ſey. Allein in Anſehung der Zeit, wann er gelebt habe? ſtim - men kaum zwey oder drey mit einander uͤberein. Der ſcharfſinnige Prideaux macht die richtige Anmerkung, daß man ſehr leicht in den Stand geſetzt werden koͤnnte, die verſchiedenen Mey - nungen unter einander zu vergleichen, wenn man das 30. Buch der Naturgeſchichte des Plinius mit Nachdenken uͤberleſen wollte. Plinius erwaͤhnt in dem angefuͤhrten Buche, (welches auch jetzt die meiſten Gelehrten an - nehmen,) daß es zwey Zoroaſters gegeben, die ſechshundert Jahre von einander gelebt haben. Sehr wahrſcheinlich iſt der erſte der Urheberder, den ſie Zerdoucht oder Zardusht nennen, iſt ihr groͤßeſter ProphetLund162und Lehrer. Er war das Oberhaupt und Stifter der Secte der Magier, und lebte ohn - gefaͤhr zu den Zeiten der Koͤnige von der zweyten Linie. Die Guebers ſind, wegen des Geburtorts und des Vaterlandes dieſes be - ruͤhmten Zoroaſters, unter ſich ſehr verſchiede - ner Meynung. Einige machen ihn zum Ba - bylonier, andre hingegen halten ihn fuͤr einen Indianer. Dieſe letzte Meynung koͤnnte wohl vielleicht der erſtern vorgezogen werden,zumal*)der magiſchen Secte geweſen, und hat um das Jahr der Welt 2900 gelebt. Dieſe Anga - be der Zeit, worinn er gelebt hat, iſt ohngefaͤhr richtig, und ich bin gar nicht in Abrede, daß er nicht ſollte oder koͤnnte einige Jahre fruͤher oder ſpaͤter gelebt haben: zumal da es unge - mein ſchwer und faſt unmoͤglich iſt, in dieſem Zeitalter etwas ganz Beſtimmtes anzugeben. Mit weit mehrer Gewißheit kann man ſagen, zu welcher Zeit Zoraſter der zweyte gelebt hat. Faſt die meiſten Gelehrten ſetzen ihn in die Zei - ten des Darius Hyſtaſpes, und halten ihn fuͤr den Fortſetzer desjenigen, was Zoroaſter der erſte angefangen hat. Von den Buͤchern, die man dem Zoroaſter beylegt, iſt Zendaveſta be - kannt genug, worinn er alle Theile ſeiner Leh - re auseinander geſetzt hat. Aber man hat an der Wahrheit dieſer Buͤcher ſehr zu zweifeln. Sie ſcheinen von den Prieſtern untergeſchoben zu ſeyn. Wir bitten die Leſer uͤber den Zo - roaſter und deſſen Schriften den Th. Hyde de religione vet. Perſarum. Pocock Specim. hiſt. Arab. Bayle Dict. T. IV. art. Zoroaſtre nachzuleſen.163zumal da faſt die meiſten Gelehrten darinnen einverſtanden, daß die Wiſſenſchaften allererſt aus Indien zu andern Voͤlkern uͤberbracht ſind. Dieſer Zoroaſter iſt der erſte, wel - cher die Wiſſenſchaften und Religion metho - diſch vorgetragen hat. Die Guebers erzaͤhlen von ihm eine unzaͤhlige Menge Maͤhrchens, und machen aus ihm einen Menſchen, der in vielem Betracht der Gottheit aͤhnlich ſey. Selbſt die Mohammedaner halten viel auf den Zoroaſter, weil ſie glauben, daß er die Aſtro - nomie zuerſt gelehrt habe. In dieſer Wiſſen - ſchaft haben ſich auch die Menſchen am fruͤhe - ſten hervorgethan. Man weiß, daß die erſte Schule fuͤr dieſe Wiſſenſchaft zu Babylon der aͤlteſten Stadt in der Welt aufgerichtet ward. Daher kommt es, daß die Aſtrono - men ohne Unterſchied Babylonier, von dem Namen der Stadt, oder auch Magier, von dem Namen der Secte, genannt wurden.

Die Magier ein Wort deſſen richtige Bedeutung man nicht hinlaͤnglich beſtimmen kann unterrichteten die Menſchen von der Ewigkeit eines erſten Grundweſens. Und dieſes Grundweſen war allererſt der Mond: weil aber dieſer auf die Sinneskraft der Men - ſchen nicht ſo ſtark wirkte; ſo zogen ſie ihm die Sonne vor. Sie waren die erſten Theo - logen und Philoſophen, und wurden als ſolche angeſehen, denen man vorzuͤgliche Ehre ſchuldigL 2 ſey.164 ſey. Hieruͤber erklaͤrt ſich Cicero*)Nec quisquam rex Perſarum eſſe poteſt, qui non ante Magorum diſciplinam ſcientiamque perceperit. Cic. de diuinat. lib. 1. 91. pag. 3161. edit. Verburgii. in ſeinem Buche de diuinatione ſehr deutlich. Selbſt der Koͤnig mußte eine gewiſſe Zeit, ehe er den Thron beſtieg, von ihnen Lehren anneh - men, und die Kunſt, wohl zu regieren die Goͤtter wuͤrdig zu verehren von ihnen erlernen. Ja die Achtung gegen die Magier gieng ſo weit, daß kein wichtiges Staatsge - ſchaͤfte, ohne ſie dabey vorher um Rath ge - fragt zu haben, konnte vorgenommen werden. Dies bewegte auch den Plinius**)In tantum faſtigii adoleuit auctoritas Ma - gorum, vt hodieque in magna parte gentium praeualeat, et in oriente regum regibus im - peret. Plin. lib. 30. c. 1. zu ſagen, daß ſie im ganzen Oriente als Herrn der Fuͤr - ſten angeſehen wuͤrden.

Sie waren die Weiſen, die Gelehrten, die Philoſophen in Perſien, wie es die Gym - noſophiſten oder Brachmanen, bey den Indianern, und die Druiden, bey den alten Galliern waren. Durch ihren großen Ruhm, zogen ſie aus den entfernteſten Laͤndern alle diejenigen an ſich, welche in der Theologie und Philoſophie gruͤndlich wollten unterrichtet ſeyn. Und man weiß, das Pythagoras ih - nen165 nen ſowohl als den Egyptiern, den Grund derjenigen Gelehrſamkeit zuſchreibt, wodurch er bey ſeinen Zeitgenoſſen nachher ſo ehrwuͤr - dig wurde*)Man muß hiervon die Seelenwanderung, die er von den Egyptiern entlehnte, ausnehmen, wodurch er die alte Lehre der Magier erniedrig - te und verdarb..

Eine von den ſonderbaren Meynungen der Guebers, die denen der uͤbrigen Heyden ganz entgegen iſt, beſtehet darinn, daß ſie nemlich glauben, es ſey nicht nur erlaubt, die Inſecten und alle andre unnuͤtze Thiere zu toͤdten, ſondern auch ſo gar eine Gott wohl - gefaͤllige und verdienſtliche Sache, weil dieſe elenden Geſchoͤpfe nicht anders als vom boͤ - ſen Grundweſen (malo principio) ihren Urſprung haben koͤnnten.

Nichts iſt ſonderbarer und zugleich auch empfindlicher, als wenn ſie vom Alexander dem Großen reden: Anſtatt ihn zu bewun - dern, und ſeinen Namen zu ehren, tadeln, verabſcheuen ſie ihn, als einen Menſchen ohne alle Gerechtigkeit, Menſchlichkeit als ei - nen ſolchen, der gebohren ſey, um die ganze menſchliche Geſellſchaft und die ganze Welt zu zerſtoͤhren. Ins Ohr raunen ſie ſich ein - ander aͤhnliche Dinge vom Mohammed, und ſchaͤtzen beyde fuͤr ein Paar Fuͤrſten, die zum Schaden der Menſchheit gelebt haben. SieL 3 fuͤh -166 fuͤhlen und wiſſens wohl, daß beyde an ihrer Unterdruͤckung und an ihrem ganzen Elende Schuld ſind. Und hierinn irren ſie ſich auch nicht.

2. Juden. Dieſes Volk iſt noch ein Ueberbleibſel von den alten Hebraͤern, welche von den Aſſyriern wahrſcheinlich nach Baby - lon, ohngefaͤhr ſechs hundert und funfzehn Jahre vor Chriſti Geburt, gefuͤhrt wurden. Es hat ſich gegenwaͤrtig vornemlich in Cara - manien, Medien, Hyrcanien und laͤngſt dem perſiſchen Meerbuſen niedergelaſſen. Dieſe Juden ſind ſehr arm, und fuͤhren uͤberhaupt gleich den Guebern ein kuͤmmerliches Le - ben. Ein großer Theil derſelben ſind Kuͤnſt - ler: aber ein noch weit groͤßerer und anfehnli - cher Theil beſchaͤftigt ſich mit dem Weinhandel, Intruͤgen, Kauf - und Wiederverkauf, Pro - phezeien und andern aͤhnlichen Dingen. Sie verſtehen die Kunſt, diejenigen, mit denen ſie umgehen, meiſterlich zu betruͤgen. Und dem ohngeachtet ſind ſie uͤberaus arme und elende Menſchen.

Die Perſer haben es zu verſchiedenen Zei - ten verſucht, die Juden zur Annahme des mo - hammedaniſchen Glaubens zu bringen. Allein ohngeachtet der anſehnlichen Belohnung, die Abbas der Große denjenigen verſprach, welche das Judenthum verlaſſen wollten, hat er doch wenig oder gar nichts ausgerichtet. Sie bleiben feſt bey ihren alten Ueberlieferun -gen:167gen: und alles Zureden war bey ihnen verge - blich. In keinem Lande findet man aber auch unwiſſendere Juden, als eben in Perſien. In ihren religioͤſen Ideen ſind ſie nicht einerley Meynung unter einander. Sie leſen zwar gemeinſchaftlich den Pentateuchus, man kann aber eigentlich von dem, was ſie wirklich glau - ben, keine gegruͤndete Nachricht geben.

3. Sabis, oder Chriſten des heil. Johannes. Die Anzahl dieſes Volks iſt ſo klein und ſo ſehr zerſtreuet, daß man von ih - rem Glauben und Meynungen wenig Glaub - wuͤrdiges weiß. Man haͤlt dafuͤr, daß dieſe Sabis urſpruͤnglich Chaldaͤer, und ihre Vor - fahren Schuͤler des Zoroaſter geweſen ſind. Dieſe Vermuthung duͤrfte auch wohl nicht ganz ungegruͤndet ſeyn; wenigſtens haben ſie viele religioͤſe Begriffe vom Zoroaſter angenommen.

Sie halten Johannes den Taͤufer fuͤr ih - ren Heiligen. Man kann ſie aber im Grunde nicht fuͤr Chriſten halten, denn ſie glauben nicht, daß Jeſus der wahre Sohn Gottes ſey. Sie halten ihn, gleich dem Koran, bloß fuͤr einen goͤttlichen Propheten. Die Urſach aber, warum man ſie mit dieſem Namen benennet hat, kommt bloß von der großen Verehrung eines Kreuzes her, das ſie auf eine, faſt ab - goͤttiſche Art, verehren. Von den heiligen Buͤchern, die dieſe Chriſten des heil. Johan - nes vormals gehabt haben, wiſſen ſie jetzt wei - ter nichts, als daß ſie in ſyriſcher Sprache ge -L 4ſchrie -168ſchrieben und verloren gegangen ſind. Das einzige Buch, was ſie noch uͤbrig haben, iſt ein Gemiſch von Fabeln und Erzaͤhlungen der Ju - den und Mohammedaner. Sie nennen es Divan, ein Name, den die Mohammedaner ihren moraliſchen Schriften vorzuſetzen pfle - gen. Dieſer Divan enthaͤlt den Innbegriff ihrer Lehre und Geheimniſſe.

Die vornehmſte Pflicht, welche ihnen ihre Religion vorſchreibt, beſteht in dem Opfer ei - ner Henne. Dem Prieſter*)Sie nennen ihre Prieſter Cheik, ein arabiſcher Ausdruck, der ſo viel bedeutet, als ein Aelte - ſter. Die Mohammedaner legen dieſen Na - men auch einigen ihren Prieſtern bey. allein kommt es zu, ſie zu opfern. Er geht mit derſelben an das Ufer eines Fluſſes, in voͤlligem Prieſteror - nat**)Dieſer beſteht in einem weiſſen Hemde, nach Art eines Rocks zugeſchnitten. waͤſcht die Henne im Waſſer ab, um ſie zu reinigen, wendet ſein Geſicht gegen Morgen ſchneidet derſelben den Hals ab, und haͤlt ſie ſo lange in der Hand feſt, bis ſie gar nicht mehr blutet. Unter dieſer Ver - richtung ruft der Prieſter zu verſchiedenen ma - len aus: dieſes Fleiſch ſey im Namen Got - tes fuͤr alle die rein, welche davon eſſen werden. Niemand als dem Prieſter allein iſt es erlaubt, Hennen zu toͤdten: und werdieß169dieß Gebot uͤbertritt, wird nach ihrem Geſetz auf das ſchaͤrfſte geſtraft.

Sie opfern uͤberdies noch jaͤhrlich einen Widder in einer kleinen Huͤtte, welche von Palmaͤſten aufgebauet und vorher mit Weyh - rauch, Waſſer und Gebet gereinigt wird. Sie ſind in Anſehung der Reinigung faſt noch ge - wiſſenhafter als die Juden und Mohammeda - ner. Sie halten alles Fleiſch, das die Mo - hammedaner getoͤdtet, und alle Gefaͤße, deren ſich dieſe bedienen, fuͤr unrein. Eben das glauben ſie auch von dem Leder, und den Ge - faͤßen, die von Leder gemacht werden*)Die Urſachen, warum ſich die Sabis gerade der Dinge, welcher ſich die Mohammedaner bedie - nen, zu enthalten pflegen, ſind ſehr mannich - fach. Die erſte von allen gruͤndet ſich auf eine alte Tradition, die auch vielleicht gegruͤndet ſeyn koͤnnte. Die Sabis ſind nemlich der Mey - nung, daß ihre Vorfahren mit Mohammed ei - nen Vergleich getroffen haben, vermoͤge wel - chen ſie glauben und handeln koͤnnten, wie ſie wollten. Dieſer Contract ſey nun zwar von den erſten Nachfolgern Mohammeds beobachtet worden: allein in der Folge der Zeit habe die - ſer Contract aufgehoͤrt. Aus dieſem Grun - de ſchreiben ſie auch den Mohammedanern alles Uebels zu, und glauben, daß nur dieſe allein der Grund ihres Elendes ſeyn koͤnnten. Die Sabis verachten auch keine Religion mehr, wie eben die Mohammedaniſche: und wenn ſie Gelegenheit haben ſie zu verhoͤnen und zu ver - ſpotten; ſo thun ſie dieß mit dem groͤßeſten Eifer..

L 5Die170

Die Art, wie ſich dieß Volk mit einander ehlich zu verbinden pflegt, hat zu viel ſonder - bares und characteriſtiſches, als daß ich hier nicht etwas davon erzaͤhlen ſollte. Wenn ſich ein junger Menſch unter ihnen verheyrathen will, und ſich ein Maͤgdchen ausgeſucht hat; ſo pflegt der Prieſter und die Eltern des jungen Menſchen zu dem Maͤgdchen zu gehen, und ſie zu fragen; ob ſie noch eine Jungfrau ſey? Wenn dieſe es nun mit einem Ja bekraͤftiget; ſo muß ſie ihre Ausſage beſchwoͤren. Die Ein - willigung der Eltern von Seiten der Braut, haͤlt nie ſchwer zu erhalten: ſelten machen die - ſe auch nur die geringſte Einwendung. Hierauf nun fuͤhret der Prieſter die Braut zum Fluß, und tauft ſie, fuͤhrt ſie auch ſelbſt wie - der zuruͤck in das Haus des Braͤutigams. Als - dann haͤlt der Prieſter dieſem Paare eine lange Rede, und ſtellt ihnen alle die Pflichten vor, die ſie gegenſeitig gegen einander zu beobachten haben. Iſt dieſes geſchehen; ſo nimmt er ein Buch, welches ſie Faal*)d. i. Schickſaal, Hazard. nennen, und ſucht die gluͤckliche Stunde auf, wann die voͤllige Verbindung kann vorgenommen werden. Wenn dieſes geſchehen iſt; ſo gehen ſie zu ihrem ober - ſten Prieſter, der ſie, nachdem der Braͤuti - gam nochmals verſichert hat, daß ſeine Braut noch eine reine Jungfrau ſey, voͤllig mit ein - ander ehlich verbindet. Findet ſichaber171aber der Fall, daß ſich der Braͤutigam zu die - ſer Verſicherung aus Gruͤnden nicht verſtehen kann; ſo wird das Paar nicht von dem ober - ſten Prieſter getraut: und dieß bleibt dann fuͤr die neuen Eheleute ein unvergeßlicher Schimpf, weil ſie alsdann genoͤthigt ſind, ſich von einem gemeinen Prieſter trauen zu laſſen. Denn dieß iſt ein offenbares Zeichen, daß die Braut keine eigentliche Jungfrau mehr ſey.

Außer dieſen Sabis giebt es noch eigentlich ſo genannte Chriſten, die ſich aber in verſchie - dene Secten theilen. Man findet auch in Per - ſien (ſo wie uͤberall in ganz Aſien) europaͤiſche Chriſten, welche ſich als Kuͤnſtler an dem Ho - fe des Koͤniges aufhalten, die ungerechnet, wel - che ſich da ihres Handels wegen aufhalten. Dieſe Chriſten genießen alle moͤgliche Freiheit, und werden von der ſo genannten herrſchenden Religion im geringſten nicht gedruͤckt. Man muß es wirklich geſtehen, daß, ſo abgeſchmackt die Religion Mohammeds in vielen Stuͤcken iſt, ſie dennoch, naͤchſt der Chriſtlichen, die Toleranz am meiſten empfielt.

Heiden. Dieſes Volk, welches ſich in Perſien niedergelaſſen hat, kommt eigentlich aus Indien. Man findet ſie uͤberall im gan - zen Reiche, und ſie genießen in Anſehung ihres Gottesdienſtes alle moͤgliche Freyheit. Sie beſchaͤftigen ſich einzig und allein mit dem Han - del, Wucher u. ſ. f. und treiben es mit ſol - chem Eifer, daß ſie in kurzer Zeit ſich betraͤcht -lich172lich bereichern koͤnnen. Aus dieſen Urſachen verſtattete es ihnen Abbas der Große nicht, ſich in ſeinem Lande niederzulaſſen: allein ſein Nachfolger Cha Sephy ließ ſich theils durch anſehnliche Geſchenke beſtechen, theils von ſei - nen Miniſtern uͤberreden, und ertheilte den Hei - den wieder die voͤllige Freyheit, ſich in ſeinem Reiche niederzulaſſen. Man kann dieß fuͤr ei - nen Hauptfehler in der Regierung des Cha Sephy anſehen.

Neuntes Kapitel.

Von der perſiſchen Religion.

Die perſiſche Religion kommt mit der Mo - hammedaniſchen nach der Auslegung des Aly, voͤllig uͤberein. Um den Urſprung dieſer Secte des Aly recht zu verſtehen, ſcheint es noͤthig zu ſeyn, kuͤrzlich die Geſchichte der Revolutionen in Anſehung der Nachfolge Mo - hammeds zu erzaͤhlen. Die mohammedaniſche Religion wurde, ſo bald ihr Stifter geſtorben war, in viele Secten zertheilt. Dieß kam fuͤrnehmlich daher, weil die Emirs, durch ihren unſaͤglichen Ehrgeiz angefeuert, unter ſich, der Nachfolge wegen, uneinig wur - den. Abubeker, Mohammeds Schwieger - vater, und Aly, ſein Eidam, machten bey -de173de zu gleicher Zeit auf die Nachfolge Anſpruͤ - che. Es wurde von beyden Seiten heftig ge - ſtritten: wie man aber ſah, daß die Sache durch einen guͤtlichen Vergleich nicht konnte beygelegt werden; ſo kam es von beyden Sei - ten zu einem foͤrmlichen Kriege. Das Schick - ſal war dem Abubeker guͤnſtig, und er erhielt wuͤrklich das Hoheprieſterthum. Seine Re - gierung dauerte aber nur drey Jahre, worauf Omar, einer von den vornehmſten Generalen der Armee, die Regierung erhielt, und ſie zehn Jahre lang mit vieler Klugheit verwaltete. Auf dieſen Omar folgte Osman, und regier - te ohngefaͤhr eilf Jahre. Nach deſſen Tode fand ſich Niemand, der auf die Nachfolge An - ſpruͤche machte, als Aly: er wurde auch wuͤrk - lich zum Nachfolger erwaͤhlt, und man glaub - te, daß nun alle Zwiſtigkeiten wuͤrden gehoben ſeyn. Allein, ſo bald Aly geſtorben war, und deſſen aͤlteſter Sohn ſeinem Vater in der Regierung nachfolgen wollte, widerſetzte ſich ihm die Armee, und verlangte, daß ein neuer Nachfolger ſollte erwaͤhlt werden. Es kam hierauf wieder zu einem blutigen Kriege, der noch laͤnger wuͤrde gedauert haben, wenn ſich die Religion nicht ins Mittel gelegt haͤtte.

Die Vorſchriften und Lehren des Moham - meds waren noch, wie er ſtarb, gar nicht voͤllig ausgearbeitet, und ſein Geſetzbuch noch nicht hinlaͤnglich bekannt gemacht. Es fanden ſich Dinge darin, die das Volk gar nicht verſtehenkonn -174konnte, und daher eine Erklaͤrung mancher Saͤtze ſehnlich wuͤnſchte. Dieß Geſchaͤfft uͤber - nahmen Abubeker und Aly, zwey ſehr vertrau - te Freunde des Mohammeds. Allein ſie konn - ten mit der Erklaͤrung des Geſetzbuchs eben ſo wenig einig werden, wie uͤber das Recht der Nachfolge. Ein jeder gab ſeine Erklaͤrung: und ein jeder erhielt auch ſeine Anhaͤnger. Daraus entſtanden denn die zwey beruͤhmten Secten des Mohammedanismus, wovon die eine Chias und die audre Sunni heißt. Die erſte hat ihre Anhaͤnger ſonderlich in Perſien: die andere aber hat ſich weiter ausgedehnt, denn die Tuͤrken, Tatern und indianiſchen Mo - guln bekennen ſich alle zu ihr. Beyde Secten aber haben noch verſchiedene Unterabtheilun - gen, wie das faſt in den meiſten Religio - nen iſt.

Die Tuͤrken halten den Abubeker, Omar und Osman fuͤr die rechtmaͤßigen Nachfolger Mohammeds, fuͤr gute und heilige Fuͤrſten, und die Auslegungen derſelben einzig und al - lein fuͤr die wahre. Den Aly hingegen verflu - chen ſie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn fuͤr einen ungerechten Uſurpateur und Verdre - her der Geſetze Mohammeds. *)Der Haß der Tuͤrken gegen die Perſer ruͤhrt allein von dieſer Trennung her. Weil jene die - ſe fuͤr unheilig halten; ſo koͤnnen ſie ihnen auchdie

Die175

Die Mohammedaner nennen ihre Religion Iſlam**)Ein Wort, welches nicht declinirt werden kann: es bedeutet ſo viel, als Unterwerfung oder Befolgung der goͤttlichen Gebote. Die Perſer behaupten, daß Mohammed ſelbſt, die - ſen Namen, zur Bezeichnung ihrer Religion, ge - geben habe., und diejenigen, welche ſich zu der - ſelben bekennen, Eliſlam: am gewoͤhnlichſten aber pflegen ſie ſich Muſelmoon (Muſelmann) zu nennen. Ihr ganzes religioͤſes Syſtem iſt meiſtentheils aus der juͤdiſchen Religion zuſam - men geſetzt, welches aus dem folgenden erhellen wird.

Wir

*)die Freyheit nicht verſtatten, Wallfahrten nach Mekka zu thun. Und dieß hat von jeher zu den unſaͤglichen und grauſamen Kriegen zwiſchen beyden Voͤlkern Gelegenheit gegeben. Staͤnde es in der Tuͤrken Gewalt, den Perſern dieſen Weg zum Paradieſe gaͤnzlich zuzuſchließen; ſo wuͤrden ſie gewiß hiebey alles moͤgliche anwen - den. Aber Alys Anhaͤnger wollen auch ſelig ſeyn, und wallfahrten deswegen auch hin nach Mekka. Alle Unterhandlungen der Perſer mit den Tuͤrken laufen daher immer darauf hin - aus, Alys Nachfolgern eine voͤllige Freyheit zu verſchaffen, um ihre Wallfahrt ſicher und ruhig nach Mekka verrichten zu koͤnnen. Bey dem Frieden im Jahre 1764 machte dieſes faſt den wichtigſten Punct in den Tractaten beyder Voͤlker aus.

176

Wir wollen uns hier nur mit einer richti - gen Beſchreibung der vornehmſten Glaubens - arkikeln begnuͤgen, und die weniger wichtigen ganz mit Stillſchweigen uͤbergehen. Genug, wenn ſich der Leſer eine richtige Idee von den vorzuͤglichſten Religionspuncten machen kann.

In den perſiſchen Catechismen findet man die Anzahl der Gebote ſehr verſchieden angege - ben, weil ſie ſelbſt hieruͤber noch nicht einig ſind. Doch nehmen die meiſten ſieben Gebothe an. 1) ſoll man Niemand Gott gleich ſtellen. 2) Niemand toͤdten; 3) Vater und Mutter eh - ren; 4) ſich eines andern Guͤter nicht bemaͤchti - gen; 5) keine Sodomiterey treiben; 6) die Frau eines Nachbarn nicht beruͤhren, und 7) keine freye Frau anruͤhren, ohne ſie vorher con - tractmaͤßig geheyrathet zu haben. Ihr Glaubensbekenntniß theilen die meiſten in zehn Hauptartikel, naͤmlich in fuͤnf, die man glauben, und in fuͤnf, die man ausuͤben muß. Die fuͤnf Glaubensartikel ſind 1) die Kennt - niß Gottes; 2) die Gerechtigkeit Gottes; 3) die Weiſſagung; 4) die Succeſſion; 5) die Auferſtehung. Die fuͤnf Puucte des Glau - bensbekenntniſſes, welche man ausuͤben muß, ſind 1) die koͤrperliche Reinigung; 2) das Ge - bet; 3) die Allmoſen; 4) das Faſten; 5) das Wallfahrten. Man muß hier bemer - merken, daß die meiſten Lehrer ſchon denjeni - gen fuͤr einen wahren Muſelmann halten, wel - cher an Gott, Mohammed und Aly glaubt. Um177Um aber unter die Zahl der Rechtglaͤubigen zu gehoͤren, muͤſſe man ſowohl die fuͤnf Glau - bensartikel, als auch die fuͤnf Artikel der Ausuͤ - bung annehmen.

Ich habe geſagt, daß ihr Glaubensbekennt - niß aus zehn Artikeln beſtehe: ſie nehmen aber gemeiniglich nur ſieben davon an, naͤmlich zwey Glaubensartikel: 1) daß nur ein Gott und 2) daß Mohammed der Bothe Gottes ſey, und dann die fuͤnf vorher erwaͤhnten Puncte, die ſie bey der Religion zu beobachten haben. Alle Mohammedaner behaupten, daß Mohammed dieſe ſieben Stuͤcke der Religion dem Engel Gabriel der ihm in einem weiſſen Kleide er - ſchienen ſey vorgeleſen habe. Und da dieſer Engel den Mohammed gefragt habe, worinn ſeine Religion beſtaͤnde; ſoll er geantwortet haben: ſeine Religion beſtaͤnde 1) in dem Bekenntniß, daß nur ein einziger Gott ſey; 2) Mohammed ſey der Apoſtel und Geſandte Gottes; 3) Aly ſey der Vikar Gottes; 4) in der Beobachtung der koͤrperlichen Reinigung; 5) im Gebete zu beſtimmten Zeiten; 6) im All - moſengeben; 7) im Faſten, und 8) im Wall - fahrten nach Mekka. Sie fuͤgen hinzu, daß der Engel alles dieſes gebilliget habe.

Wir wollen nun von einem jeden einzelnen Punkte das Noͤthigſte erzaͤhlen.

I. Es iſt nur ein Gott. Schon die - ſe Worte beſtaͤtigen den im vorhergehenden ge - aͤußerten Beweis, daß naͤmlich die Mohamme -Mdaner178daner den groͤßeſten Theil ihrer Religion von den Juden entlehnt haben. Ich will hier den wirklichen Beweis davon nicht fuͤhren, weil die Sache evident genug, und laͤngſt von verſtaͤn - digen Maͤnnern bewieſen iſt. Die Mohamme - daner nehmen, wie andere Voͤlker, einen einzi - gen wahren Gott an: ſie ſind aber in ihren Meynungen von der Einheit Gottes, und ſon - derlich von ſeinen Eigenſchaften, verſchiedener Meynungen. Sie lehren in ihren theologiſchen Schriften: daß Gott einig, und kein Weſen ihm gleich ſey: er ſey vom Anfang der Erſte, und Niemand vor ihm geweſen: ſo alt, daß er keinen Anfang habe: daß er ewig daure und nie aufhoͤre, und viele dergleichen Saͤtze mehr, die alle mit dem juͤdiſchen Religionsſyſteme uͤbereinkommen. In Anſehung der goͤttli - chen Eigenſchaften lehren ſie, daß er maͤchtig und ſtark, und mit keinem andern Weſen hier - in zu vergleichen ſey: daß er alles wiſſe, was an allen Orten vorgenommen werde, alle Inſe - cten kenne, die unter und auf der Erde ſind, alle Geheimniſſe und verborgenſten Dinge wiſ - ſe: daß Gott alles wolle, was geſchieht und bey allen Dingen concurrire. u. f.

Was die Schoͤpfung der Welt betrifft; ſo muß man geſtehen, daß ſie in dieſem Stuͤcke mit dem, was ſie wuͤrklich glauben, viele Fabeln vermiſchen, die ſie meiſtentheils den Rabbinen zu verdanken haben. Sie glauben unter andern Dingen, daß Gott die Welt aus Nichts ge -ſchaffen179ſchaffen habe: daß er zuerſt die Himmel, ver - mittelſt geiſtiger Weſen vom erſten Range, und nachher die Erde durch Bewerkſtelligung der Engel geſchaffen habe, das heißt nach ihrer Er - klaͤrung, Gott habe die Himmel und die Erde nicht ploͤtzlich und auf einmal gemacht, ſondern er habe zuerſt ein Weſen erſchaffen, vermittelſt deſſen der erſte Himmel geworden ſey. Hernach habe er ein dergleichen zweytes Weſen erſchaf - fen, durch welches der zweyte Himmel entſtan - den ſey; und auf eben die Weiſe ſey es auch mit Erſchaffung der uͤbrigen Himmel zugegan - gen. Dasjenige, was ſie in Anſehung der Erſchaffung der Erde, durch die Engel, glau - ben, haben ſie vielleicht von alten chriſtlichen Ketzern entlehnt. Die Perſer behaupten, daß die Erde in der Mitte der Gewaͤſſer erſchaffen, und das Waſſer der Abgrund oder das Chaos ſey, woraus Gott die Erde hervorgebracht habe. Gott habe endlich das Waſſer ablaufen laſſen; und ſo ſey die bewunderungswuͤrdige Geſtalt der Erde entſtanden, die wir itzt ſehen.

Die Perſer ſind auch mit andern Voͤlkern, in Abſicht der Zeit und des Monaths, wenn die Schoͤpfung eingefallen ſey, nicht einſtimmig; denn ſie wollen, daß ſie in den ſechs letzten Ta - gen des Mondmonaths, geſchehen, d. h. daß die Schoͤpfung den fuͤnf und zwanzigſten Tag des Mondes angefangen, und den letzten Tag deſſel - ben Monds geendigt habe. Und in dieſer Ruͤck - ſicht feiern ſie den Schoͤpfungstag der WeltM 2am180am fuͤnf und zwanzigſten Tage des Monathes Zilkadé. Sie halten alle Engel entwe - der fuͤr gute oder fuͤr boͤſe. Die guten Engel, ſagen ſie, ſind von geiſtiger Natur, und mit Leib und Seele verſehen. Man nennet ſie Me - lec, welches ſo viel heißt, als ein Geſandter, weil ſie die Boten Gottes ſind. Den Teufel halten ſie fuͤr ein aus Feuer beſtehendes Weſen.

Ueber die Erbſuͤnde haben die Perſer gleich - falls mancherley und ſonderbare Meynungen; denn ſie wollen es ſchlechterdings nicht zugeben, daß Adam jene ſchaͤndliche Handlung verrichtet habe, die alle Nachfolger zu Suͤndern gemacht habe. Sie halten dieſes nur bloß fuͤr eine Ab - weichung der Vollkommenheit: er habe das Beſſere gelaſſen, und das weniger Beßre ge - than. Dieſe Meynung gruͤnden ſie dar - auf, weil ſie glauben, daß Propheten nicht ſuͤndigen koͤnnen. Nun aber ſey Adam ein Prophet, alſo haͤtte er auch nicht ſuͤndi - gen koͤnnen. Ich will hier anfuͤhren, wie die Perſer das, was wir Adamsſuͤnde zu nennen pflegen, verſtehen. Gott ſchuf, ſagen ſie, den Adam, lange Zeit vor der Welt, im vierten Himmel, und erlaubte ihm, von allen Baumfruͤchten des Paradieſes, ohne Unter - ſchied, zu eſſen. Er erhielt aber dabey den Rath, daß er ſich nur einzig und allein an die Baumfruͤchte halten, und keine Huͤlſenfruͤchte genießen ſollte. Dieſe machten das Gebluͤtdicke181dicke, und verhinderten die Ausduͤnſtung, wel - ches in der Folge einen uͤblen Geruch verurſa - chen wuͤrde, und er alsdenn das Paradies verlaſ - ſen muͤßte. Eva, welche, gleich ihrem Man - ne, nicht ſuͤndigen konnte, achtete auf dieſen Rath Gottes nicht: ſie auf Anſtiften des Teufels Huͤlſenfruͤchte, und gab ihrem Manne auch davon zu eſſen. Sie aßen ſich ſatt. Dieß oͤfnete ihnen die Augen, und wurden ſogleich durch den Engel Gabriel aus dem Himmel ge - fuͤhrt. Nun, ſagen die Mohammedaner fer - ner, war dieß keine Suͤnde, von den Fruͤchten gegeſſen zu haben, denn es war ihnen nicht ver - boten; allein es waͤre nur beſſer geweſen, wenn ſie nicht davon gegeſſen haͤtten. Das Entbeh - ren des Paradieſes des Adams und der Eva, koͤnne nicht fuͤr einen Fall angeſehen werden, denn ſie haͤtten nichts gethan, wodurch ſie ſich daſſelbe haͤtten zuziehen koͤnnen. Die Urſache alſo, warum Adam und Eva waͤren aus dem Paradieſe gewieſen, ſey nur dieſe, damit ſie einen heiligen Ort nicht zufaͤlligerweiſe beunrei - nigen moͤchten.

Man kann, an und fuͤr ſich genommen, kei - ne laͤcherlichere Meynung von dem Falle Adams gedenken, als dieſe iſt. Aber die Mohamme - daner muͤſſen dergleichen erdenken, um ihren Satz, daß die Propheten nicht ſuͤndigen koͤn - nen, zu behaupten.

Laßt uns nun ſehen, was die Perſer von der Auferſtehung, dem juͤngſten Gericht,M 3dem182dem Paradieſe und der Hoͤlle, fuͤr eine Mey - nung hegen.

Die Mohammedaner glauben, wie wir, daß die Menſchen aus ihrem Staube wieder auferſtehen werden, um an jenem Tage vor dem Throne des hoͤchſten Richters zu erſcheinen. Allein ſie glauben nicht, daß ihr Koͤrper wird verherrlichet werden: denn ſie ſagen, daß die Auferſtehung den Koͤrper nur vervollkommne, veraͤndere aber nicht ſeine Natur. Er ſey nicht faul und ungeſtaltet, mit keinem Unflat be - ſchwert. Sie gruͤnden dieſen Glauben auf die Meynung, daß, ſobald man einem Koͤrper ei - ne von ſeinen ſinnlich materiellen Eigenſchaf - ten raubt, kein wahrer Koͤrper mehr ſey.

Die Perſer lehren, daß es ein beſonders Gericht fuͤr die Erwachſenen gebe, welches unmittelbar nach dem Tode gehalten wuͤrde. Die Art deſſelben geſchehe folgender Geſtalt: Sobald eine erwachſene Perſon geſtorben und begraben ſey, und das beym Grabe ſtehende Volk ſich wegbegeben habe; ſo komme die abge - ſonderte Seele wieder zu dem Todten in das Grab. Es erſchienen hierauf zwey Engel von abſcheulicher Geſtalt, und fragten ihn, ob er Glauben gehalten, ferner examinirten ſie ihn uͤber die Einheit Gottes, hernach uͤber die Sendung Mohammeds, endlich uͤber ſeine Werke. Nach dieſem Examen, wuͤrde erſt der Seele ihr Ort angewieſen. Denn, ſagen ſie, ſo lange dieſe Unterſuchung der Engel mit demVer -183Verſtorbenen nicht vorgegangen ſey; ſo lange irre die Seele herum. Sie nehmen einen beſondern Ort an, wo ſich die abgeſchiedenen Seelen bis an den großen Gerichtstag auf - hielten. An dieſem Orte verſammleten ſich die Seelen aller Menſchen.

Die Perſer legen dem juͤngſten Gerichte verſchiedene und abſcheuliche Namen bey. Sie nennen es z. E. den Tag der gaͤnzlichen Umkehrung. Sie ſagen, daß dieß Gericht in Aſien nahe bey Mekke, an einem Orte Na - mens Mehcher wuͤrde gehalten werden. Die - ſe Idee ruͤhrt auch noch von den Juden her, weil dieſe vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey Jeruſalem ſeyn wuͤrde. Alle Vergehungen der Menſchen wuͤrden aufgezeichnet, und das Gu - te darneben geſtellt. Wenn dieß geſchehen; ſo muͤßten alle Koͤrper uͤber eine Bruͤcke gehen, unter welcher das ewige Feuer brenne. Die Guten kaͤmen gluͤcklich heruͤber: die Boͤſen aber fielen herein. Dieſe Bruͤcke nennen ſie das dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge - richt, weil hier erſt die eigentliche Abſonderung der Rechtſchaffenen von den Boͤſen vor ſich gienge.

Das Paradies und die Hoͤlle halten die Perſer nur fuͤr einen Ausruhungsort, wo we - der Vergnuͤgen noch Mißvergnuͤgen Statt fin - de: fuͤr einen Aufbe[w]ahrungsort ſolcher Leute, die weder Gutes noch Boͤſes, aus Mangel na -M 4tuͤr -184tuͤrlicher Talente, als Kinder, Tolle ge - than haben.

II. Mohammed iſt der Geſandte Got - tes: Dieß iſt der zweyte Artikel ihres Glau - bensbekenntniſſes. Wir wollen hoͤren, wie ſich die perſiſchen Gottesgelehrten uͤber dieſen Arti - kel erklaͤren: der Sinn des zweyten Stuͤcks des Glaubensbekenntniſſes iſt, daß man glau - be, Gott habe den Mohammed aus der Fami - lie der Koreis einen Mann ohne alle Studien und Wiſſenſchaften, ſimpel und uner - fahren zu ſeinem Geſandten gemacht, daß er, von Gott beſtimmt, der Herr aller Men - ſchen ſey. Hiervon ſind ſie voͤllig uͤberzeugt. Man kann dieß auch ſchon aus der unbeſchrei - blichen Ehrerbietung ſchließen, die ſie gegen den Mohammed aͤußern. Alles was man nur Erhabenes denken kann, ſagen ſie von ihm: ja dieſe Hochſchaͤtzung geht ſo weit, daß ſie ihn uͤber alle Engel ſetzen. Sie fuͤhren deswegen auch bey jeder Gelegenheit ſeinen Namen im Munde, bitten ihn auch wohl gar um Verzeihung, wenn ſie ihn in Ausdruͤcken nicht genug ehren ſollten.

III. Der dritte Artikel des Glaubensbe - kenntniſſes der Perſer iſt dieſer: Aly iſt der Vikar Gottes. Den Aly halten die Perſer fuͤr den wahren Nachfolger Moham - meds, und erkennen ihn in ihrem Glaubensbe - kenntniſſe, nach dem Mohammed, fuͤr den fuͤr - treflichſten Mann, der je gelebet habe. Die - ſem Aly, ſo wie allen uͤbrigen zwoͤlf rechtmaͤßi -gen185gen Nachfolgern Mohammeds, ſchreiben die Perſer eine faſt uͤbernatuͤrliche Gelehrſamkeit zu. Sie ſchaͤmen ſichs nicht, ihm ſo gar goͤtt - liche Vollkommenheiten beyzulegen.

IV. Die koͤrperliche Reinigung macht den vierten Artikel ihres Glaubensbekenntniſſes aus. Die Perſer beobachten in dieſem Stuͤcke eine Strenge, die man faſt bey keiner Reli - gionsparthey findet. Niemand darf in die Moskee gehen oder im Koran leſen, wenn er ſich nicht vorher gewaſchen hat. Der Koͤrper, ſagen ſie, erſcheint, wenn man in den Tempel geht, oder im Koran lieſt, vor Gott: er muß alſo nothwendig, ehe er religioͤſe Dinge vor - nehmen will, gereinigt ſeyn. Eine der groͤße - ſten Beleidigungen, die man den Perſern an - thun kann, beſteht darinn, wenn man ſie Ne - gis oder Unreine, Beſchmutzte nennt.

V. Das Gebet. Die Mohammedaner ſind gewis unter allen Voͤlkern diejenigen, die am haͤufigſten zu Gott beten. Ihre Religion ſchreibt ihnen auch ſehr genau die Zeit vor, wenn ſie beten ſollen. Sie muͤſſen das Gebet fuͤnfmal zu geſetzten Stunden verrichten. Das erſte Gebet verrichten ſie zu Mittage, weil die Mohammedaner von da an ihren Tag, nach Art der Alten, rechnen; ſie nennen dieß Gebet das Gebet des Zoor oder zu Mittage. Das zweyte Gebet welches ſie Aſtre nennen, verrich - ten ſie des Nachmittages, wenn die Sonne fuͤnf und vierzig Grad vom Horizont herunterM 5ge -186geſtiegen iſt. Das dritte Gebet heiſſen ſie Na - maz cheb oder Abendgebet, welches ſie alsdenn verrichten, wenn ſie die Farben nicht mehr von einander unterſcheiden koͤnnen. Das vier - te Gebet, Namaz Coften oder Gebet beym Schlafengehen. Das fuͤnfte Gebet, welches ſie Namaz ſabah nennen, wird des Morgens verrichtet. Man ſieht wohl, daß eine ſolche Chaine bey Verrichtung des Gebets, wenn ſie gleich ſehr kurz ſind, ungemein laͤſtig ſeyn muͤſ - ſe, zumal da ſie ſich darauf vorbereiten muͤſſen. Allein, man hat ihnen dieß beſchwerliche Joch auf dreyerley Art erleichtert. Erſtlich erlaubt man ihnen zwey Gebete in eins zu ziehen, ſo, daß aus fuͤnfen dreye werden. Das Morgenge - bet wird allein verrichtet: das Mittags - und Abendgebet wird zuſammen gezogen, ſo, wie auch das Abendgebet, mit dem, wenn ſie zu Bette gehen. Eben dieſe Erleichterung ma - chen ſie ſich auch in Anſehung der Zeit. So koͤnnen ſie z. E. das Morgengebet vier Stun - den ſpaͤter verſchieben, als ſie es eigentlich ver - richten ſollten. Allein die Geiſtlichen und Scheinheiligen bedienen ſich dieſer Erleichterung ſelten, und nur im aͤußerſten Nothfall.

VI. Das Allmoſengeben. Die Perſer empfelen in ihren Reden und moraliſchen Buͤ - chern das Allmoſengeben auf das nachdruͤcklich - ſte. Und vielleicht findet man auch kein Volk, das gegen Arme ſo mildthaͤtig iſt, als die Per - ſer. Kein Land iſt aber auch mit mehrern Ar -men187men angefuͤllt als eben dieſes, vermuthlich, weil ſich ein jeder auf das Betteln verlaͤßt. Die Derwiſche und Fakirs ziehen trupweiſe herum, und fodern mit Ungeſtuͤm Allmoſen. Dieß Herumziehen der Derwiſche macht die Einwohner gegen Arme mitleidig, gefaͤllig, und recht eigentlich menſchlich.

Die Allmoſen, welche die Derwiſche und Fakirs ſammeln, werden zu Gebaͤuden zum ge - meinen und oͤffentlichen Gebrauch angewendet, zum Beyſpiel, zu großen Wirthshaͤuſern in Staͤdten und an den Heerſtraßen, wo man fuͤr nichts wohnen kann: ferner zu Bruͤcken, Schu - len, Moskeen, Baͤdern. Man findet aber bey ihnen keine Hospitaͤler fuͤr Invaliden, keine Armenhaͤuſer, wo die Kranken bis zur Gene - ſung gepflegt werden. Die Urſache hiervon liegt wohl darinn, daß die Einwohner nicht von ſo mancherley Uebeln behaftet werden, als die Europaͤer, weil die Luft bey ihnen geſun - der iſt.

VII. Das Faſten. Die Obſervanz des Faſtens wird von den Mohammedanern eben ſo genau und puͤnctlich beobachtet, als die Rei - nigung und das Gebet. Die Lehrer ihrer Re - ligion empfelen die Nothwendigkeit des Faſtens mit eben dem Nachdruck, als die Nothwendig - keit des Gebets. Das Faſten, ſagen ſie, iſt die Thuͤr und Eingang zur Religion. Ein jeder Menſch, der waͤhrend des Fa - ſtens ſtirbt; geht ſicher in das himmli -ſche188ſche Paradies ein. Ihre Prieſter verſichern auch noch mit der groͤßeſten Gewißheit, daß ſich beym Anfang des Faſtens, welches den ganzen Monath Ramanzan hindurch waͤhrt, die Pforten des Paradieſes oͤfneten, und die Hoͤlle ſich fuͤr einen jeden, von ihrer Religion, zuſchloͤße.

Die perſiſchen Theologen definiren das Fa - ſten als eine Enthaltung aller Arten von Spei - ſen, und aller Arten fleiſchlicher Beruͤhrung: und zwar vom Anbruch des Tages bis zur ſpaͤ - ten Nacht. Sie unterſcheiden dreyerley Arten von Faſten, welche alle genau muͤſſen beobach - tet werden, um die Faſtenzeit wuͤrdig zu zu - bringen. Die erſte Art von Faſten beſtehet, wie ich bereits geſagt habe, in Enthaltung der Speiſen und fleiſchlichen Beruͤhrungen. Die zweyte beſtehet in der Enthaltung von der Suͤnde. Die dritte darinnen, ſich aller zeitlichen Sor - gen und Bekuͤmmerniſſen des Lebens zu enthal - ten. Die perſiſche Religion ſchreibt aus - druͤcklich keine andere Faſttage vor, als die im Monathe Ramazan, ob ſie gleich uͤberhaupt das Faſten bey verſchiedenen Gelegenheiten be - fielt.

Die Perſer koͤnnen keine gegruͤndete Urſa - chen davon angeben, warum Mohammed das Faſten im Monathe Ramanzan feſtgeſetzt habe. Einige geben vor, daß es Mohammed, bey der Gelegenheit, wie er ſich den arabiſchen Goͤtzendienern widerſetzte, angeordnet habe. An -189Andere halten dafuͤr, Mohammed habe es deswegen in dem Monathe Ramazan feſtgeſetzt, weil Gott das Faſten zu einer Zeit, da die Hitze am groͤßeſten waͤre, am angenehmſten und wohlgefaͤlligſten ſey.

Wir wollen einiges von der Feyer der Fa - ſten erzaͤhlen. Der Anfang der Faſtenzeit wird durch die Moazen oder heiligen Ausru - fer von den Thuͤrmen der Moſkeen als die wichtigſte Neuigkeit angekuͤndiget. Das Volk antwortet hierauf mit einem Freudengeſchrey, zuͤnden uͤberall Lichter an, (das Feſt nimmt des Abends, nach Sonnenuntergang ſeinen An - fang.) In der Beobachtung der Faſten findet man eben nichts Unangenehmes, beſonders kom - men ſie ſolchen gar nicht ſtrenge vor, welche ſich jederzeit bemuͤhet haben, den Geſetzen ge - maͤß zu leben. Ihre vornehmſten Beſchaͤfti - gungen zu ſolchen Zeiten, beſtehen groͤßeſten Theils im Beten, in Leſung des Korans und andrer geiſtlichen Buͤcher. Sie halten ſich ſo viel als moͤglich zu Hauſe, und man ſieht in der Faſtenzeit nicht die Haͤlfte von Menſchen auf den Straßen, als außer der Faſtenzeit. Des Nachts aber ſind dagegen die Straßen ſehr volkrcich, die Butiken ſehr beſetzt und erleuchtet.

VIII. Der einzige und zugleich der vor - nehmſte Ort, nach welchem die Mohammedaner, ihren Geſetzen gemaͤß, wallfarthen muͤſſen, iſt Mekka. Von Mekka reiſen ſie gewoͤhnlichnach190nach Medina, das Grabmal des Mohammeds zu beſuchen. Dieß geſchieht aber nur bloß aus Hochachtung gegen Mohammed. Es iſt ihnen gar nicht befohlen dieſe Reiſe zu thun: es giebt ſo gar einige beruͤhmte Lehrer unter ihnen, wel - che daran zweifeln, ob es erlaubt ſey nach Me - dina zu wallfarthen, und wollen dieſes aus einer Stelle des Korans erklaͤren. Indeſſen kehren ſich doch die Pilgrimme hieran nicht. Von Medina nehmen die perſiſchen Pilgrimme ihren Weg gegen Bagdad, und beſuchen un - ter Wegens die Grabmale ihrer Imans, wel - che zu Bakie, Helle und zu Kerbella nahe bey Bagdad zu ſehen ſind.

Wenn ſie von der Reiſe wieder zuruͤck ge - kommen ſind; ſo empfinden ſie ſo wohl als ihre Anverwandten ein großes Vergnuͤgen daruͤber: es vergehen einige Wochen, ehe ſie mit ihrem Beſuch ablegen und annehmen fertig ſind. Das Wallfarthen hat eigentlich nicht den ge - ringſten Nutzen: ſie werden dadurch auf keine Art gebeſſert; man bemerkt im Gegentheil, daß ſie entweder als Heuchler oder mit den ſchlechteſten Geſinuungen zuruͤckkommen.

Wir finden dies fuͤr hinlaͤnglich, um im Stande zu ſeyn, ſich von der Religion der Perſer einige richtige Begriffe zu machen.

Chine -[191]

Chineſer.

[192]193

Erſtes Kapitel.

Bemerkungen uͤber den Character, Sitten und Gebraͤuche der Chineſer.

Kenner der Geſchichte wiſſen es, mit wel - cher veraͤchtlichen Miene die alten Chi - neſer alle uͤbrige Voͤlker des Erdbodens zu betrachten pflegten: wie viele Vorzuͤge ſie ſich in Anſehung ihres Alterthums, ihrer Ar - tigkeit, Weisheit und Gelehrſamkeit vor an - dern Nationen beylegten: mit welchem Stolze ſie Menſchen aus andern Voͤlkern fuͤr rohe Wilde, fuͤr Ungeheuer erklaͤrten, die zwar eine menſchliche Geſtalt haͤtten, denen es aber an Verſtande und andern Vorzuͤgen fehle. Aus dieſen und noch andern Gruͤnden haben ſie, in den aͤltern Zeiten von jeher die Maxime heilig beobachtet, ſich mit andern Voͤlkern nur in ſo fern abzugeben, als ſie ihr Intereſſe dabey faͤn - den. Sie hielten ſich ſelbſt fuͤr Lieblinge des Himmels fuͤr Bewohner eines Landes im Mittelpunct der Erde fuͤr das groͤße - ſte und unuͤberwindlichſte Volk. Sie glaub - ten, alle andere Menſchen lebten auf kleinen Inſeln, und koͤnnten nichts als Auswuͤrfe, in den aͤußerſten Enden der Erde, und Schlacken der Natur ſeyn. Magaillan berichtet uns, daß die alten Chineſer, auf ihren Landchar -Nten,194ten, die uͤbrigen Erdbewohner mit ſo ſcheußlichen Farben characteriſirt, daß ihrer Nation aller - dings dadurch ein Ekel und Verachtung gegen andere haͤtte bengebracht werden muͤſſen. Zu dieſer uͤbertriebenen Meynung von ſich ſelbſt, trug fuͤrnehmlich auch die gar zu große Hochachtung, welche die Tatarn, Indianer, Perſer gegen die Chineſer bewieſen, und dann auch die Unbe - kanntſchaft mit den von ihnen weit entfernten Nationen ſehr viel bey. Es kam ihnen an - fangs auch auffallend genug vor, in den zu ih - nen kommenden Europaͤern, Menſchen zu er - kennen, die ihnen an Politeſſe, Cultur des Gei - ſtes wenig oder nichts nachgaben. Und man kann auch wirklich behaupten, daß die Chine - ſer, nachdem ſie mit den Europaͤern genauer bekannt wurden, einen ſehr großen Theil von ihrem Eigenduͤnkel abgelegt haben. *)Wollte man hieraus die Folgerung machen, als wenn die Denkart und die Verfeinerung der Sitten der chineſiſchen Nation durch die Bekanntſchaft mit den Europaͤern ihre Rich - tung bekommen habe; ſo wuͤrde man mich nicht verſtehen. Es iſt bekannt genug, daß Europa weit ſpaͤter, als Aſien cultivirt geworden iſt. Allein die Chineſer glaubten, daß kein Volk, außer ſie, Menſchenverſtand beſaͤße: und da ſie das Gegentheil an den Europaͤern bemerkten; ſo mußte dieß natuͤrlicherweiſe große Revolu - tionen in ihren Geſinnungen verurſachen.

Man195

Man muß indeſſen geſtehen, daß die alten Chineſer, bey allen ihrem Stolze und Uebermu - the, dennoch mit glaͤnzenden Eigenſchaften ver - ſehen waren, die ſie fuͤr die damaligen Zeiten, noch immer ehrwuͤrdig genug machen. Man erkennt noch immer in ihnen, wenn man ihre Ge - ſchichte lieſt, den Geiſt eines weiſen, klugen und verſchlagenen Volks, das gute und zum Theil richtige Begriffe von Staatskunſt beſaß; deſſen Geſetze das wahre Wohl des allgemeinen Beſten zur Hauptabſicht hatten, und fuͤr deren Beob - achtung ſie eben ſo redliche Hochachtung, als natuͤrliche Neigung hatten. Ich halte daher die Meynung derer, welche dieß alte Volk zu ſehr erheben, und dann auch zu ſehr erniedri - gen, fuͤr zu uͤberſpannt, und die goldene Mit - telſtraße verfehlt.

Der Geiſt der neuern Chineſer hat noch immer viel Eigenthuͤmliches von den Alten an ſich. Sie beweiſen eben die Munterkeit, Fleiß, Geſchaͤfftigkeit in allen Angelegenheiten: eben die Traͤgheit in den hoͤhern Wiſſenſchaften und ſolchen Dingen, welche anhaltende Anſtrengun - gen der Geiſteskraͤfte erfordern: eben die be - wundernswuͤrdige Geduld in Sachen, die we - nig Kopf verlangen, hauptſaͤchlich aber an Handarbeiten, ſie moͤgen entweder den Nutzen oder das Vergnuͤgen zur Hauptabſicht haben. An Scharfſinn und witzigen Einfaͤllen ſind ſie vorzuͤglich reich: nur Schade, daß ihre er - zwungene Ernſthaftigkeit uͤble Eindruͤcke hinterN 2ſich196ſich laͤßt. Ihr gefaͤlliges Betragen gegen Fremde iſt groß: aber noch groͤßer gegen ſolche Perſonen, die mit ihnen Handel treiben wollen. Man kann es ſich in der That nicht arg genug vorſtellen, mit welch einer Eiferſucht und Miß - trauen die Chineſer diejenigen behandeln, die mit ihnen Commerz treiben. Ja ihr Miß - trauen geht oft ſo weit, daß ſie den tollen Ent - ſchluß faſſen, einige derſelben in die andere Welt zu ſchicken. Betrifft es aber einen ſolchen Handel, bey dem ſie ſichtbaren Profit haben; ſo wiſſen ſie ſich ſo gut in die Geſinnungen und Denkart ihrer Kaͤufer zu verſetzen, daß ſie dieſe auf das angenehmſte bey allen Gelegen - heiten zu unterhalten ſuchen. Aber bey allem dem liegt doch ihr Intereſſe zum Hauptgrunde. Wer ſich auf einen chineſiſchen Kaufmann ver - laͤßt, ſteht auch in Gefahr entweder verlacht oder betrogen zu werden. Angethane Beleidi - gung oder Beſchimpfungen koͤnnen, nach ihrem Character, nicht ungeraͤchet bleiben. Sie ſchlagen ſich nicht, oder uͤben gegen einander Feindſeligkeiten aus: ſondern derjenige, wel - cher beleidigt iſt, wartet auf eine ſchickliche Ge - legenheit, ſeine Rache auf den erdenklichſten Grad der Vollkommenheit ausuͤben zu koͤn - nen.

Ich habe vorhin erwaͤhnt, daß die Chine - ſer in Anſehung ihres Characters jederzeit in eine gewiſſe Ernſthaftigkeit ausarten. Es ſcheint daher gewiſſermaßen verwundernd zu ſeyn, wieſich197ſich dieſe Ernſthaftigkeit mit ihren uͤbertriebe - nen Cerimonien reimen laſſe. Allein die Sa - che laͤßt ſich leicht verſtehen, wenn man das Wort Ernſthaftig richtig verſteht. Sagt man alſo: die Chineſer verbinden mit einer großen Schalkheit und Hinterliſtigkeit faſt unnatuͤrliche Cerimonien und Komplimente; ſo iſt es fuͤr unſre Denkungsart erklaͤrbar. Wir wollen hier einige Zuͤge von ihrem Cerimoniel im geſelligen Umgange anfuͤhren.

Wenn ſich zwey Perſonen von gleichem Stande auf den Straßen oder irgendwo ein - ander begegnen; ſo begruͤßen ſie ſich, indem ſie die eine Hand auf die Bruſt legen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen. Gegen eine vornehme Perſon beobachten ſie auch ein vor - nehmeres Cerimoniel. Denn anſtatt, daß ſie fuͤr ihres Gleichen eine Hand auf die Bruſt le - gen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung machen: legen ſie alsdann beyde Haͤnde auf die Bruſt, und machen mit dem ganzen Koͤrper ei - nen tiefen Reverenz. Der Geringere muß dem Vornehmern bey jeder Gelegenheit deutliche und ſichtbare Zeichen der Ehrerbietigkeit erwei - ſen. Er muß, wenn er dieſen beſucht oder mit ihm redet, ein Knie beugen, und in dieſer Stel - lung ſo lange verbleiben, bis ihm der Vorneh - me gerade zu ſtehen befielt. Eine gleiche Accu - rateſſe beobachten ſie auch in Anſehung des Ranges bey ihren Beſuchen. Sie durchweben ihre Zuſammenkuͤnfte mit vielen Leibesbewe -N 3gan -198gungen und Ceremonien: ſind aber in ihren Anreden und Komplimenten ziemlich lako - niſch.

Aber dieſe Komplimentir ſucht erſtreckt ſich nicht bloß auf Fremde und Vornehme, ſon - dern auch auf Anverwandte und Freunde. *)Du Halde meldet uns, daß es unter den Chi - neſern gebraͤuchlich ſey, demjenigen, welchen man beſuchen wolle, vorher einen Zeddul zu uͤber - ſchicken. Ein ſolcher Zeddul beſtehe gemeinig - lich aus einem Bogen Pappier, hier und da mit ſchlechten Blumen bemalt. Er giebt ein Anmeldungsſchreiben, wie es Perſonen einzu - richten pflegten, die mit dem, welchen ſie beſu - chen wollten, nicht ſehr bekannt ſind. So ſchreiben ſie, z. E. der zaͤrtliche und aufrichtige Freund eurer Herrlichkeit, und der beſtaͤndige Schuͤler eurer Gelehrſamkeit entbietet ſich, als ſolcher, euch bis auf die Erde ſeine Schuldig - keit und Ergebenheit zu bezeigen. Das erſte, was der Wirth ſeinen Gaͤſten vorſetzt, pflegt der Thee zu ſeyn, bey deſſen Ein - gießen, Ueberreichen u. ſ. w. die gehoͤrigen Ce - rimonien nie vergeſſen werden. Eben dieſe wer - den auch alsdann beobachtet, wenn man ſeine Gaͤſte mit einer Pfeife Taback tractirt. Am allerbeſchwerlichſten und zugleich auch am ab - geſchmackteſten ſind die Komplimente, welche ſowohl beym Empfang, als beym Abſchieds - nehmen beobachtet werden. Allein alle dieſe Umſtaͤnde fallen den Chineſern gar nicht be -beſchwer -199ſchwerlich, und ſehen es ſehr ungerne, nehmen es auch wohl gar uͤbel, wenn in den Komplimenten irgend etwas verſehen wird. Doch wirds un - ter guten Freunden ſo genau nicht genommen. Bey feierlichen und foͤrmlichen Beſuchen, wo viele Perſonen ſich verſammlet haben, muß ein Freund dem andern die gehoͤrigen Reverenzen machen.

Die Hoͤflichkeit und das Komplimenten - machen, beſchaͤfftigt den groͤßten Theil ihrer Er - ziehung. Sie haben beſondere Buͤcher, die in einer deutlichen und guten Ordnung alle Stuͤcke der Hoͤflichkeit nach einem jeden Stan - de in ſich enthalten: ſo daß ein jeder hierinn weiß, was er zu thun oder zu laſſen habe. Dem Auslaͤnder. pflegt man es eben nicht ſo uͤbel zu nehmen, wenn er in ſeinen Komplimenten den rechten Punkt verfehlt. Angenehmer und der Geſellſchaft willkommener iſt er aber, wenn er ſich in dieſem Stuͤcke ihren Sitten ſo ſehr naͤhert, als er nur kann. Daher pflegen ſich die auslaͤndiſchen Geſandten, ehe ſie ſich oͤffent - lich ſehen laſſen, einen Cerimonienmeiſter anzu - nehmen, und ſich in allen noͤthigen Stuͤcken un - terrichten zu laſſen: und ſollte es der Cerimo - nienmeiſter etwa, auch nur in dem geringſten Stuͤcke, verſehen haben; ſo laͤuft er Gefahr von dem Cerimonien-Tribunale ernſtlich geſtraft zu werden.

Alle Komplimenten, die wir fuͤr laͤcherlich, verdrießlich und unnuͤtz halten, ſtehen bey ihnenN 4in200in großem Werthe. So wuͤrde es uns z. E. ſehr ſonderbar vorkommen, wenn uns unſer Beſuch, beym Weggehen, wenigſtens eine hal - be Stunde mit leeren Komplimenten auf halten wollte. Aber bey den Chineſern ſind das noth - wendige Erforderniſſe! Der Hausherr pflegt, bey ihnen, ſeinen Gaſt vor die Thuͤre zu begleiten, und wuͤnſcht ihn zu Pferde ſitzen zu ſehen. Der Gaſt hingegen wuͤnſcht lieber, daß Him - mel und Erde eher vergehen moͤchten, als ſich vor ihm aufſetzen zu muͤſſen Wenn nun der Hausherr nichts ausrichten kann; ſo begiebt er ſich auf einen Augenblick weg, kehrt aber ſo gleich zuruͤck ſo bald er glaubt, daß ſich ſein Gaſt aufs Pferd geſetzt habe. Dieß giebt denn wieder zu neuen Umſtaͤnden die beſte Gelegen - heit. Endlich, wenn der Fremde einige Zeit fort iſt; ſo wird ihm auch manchmal ein Be - dienter nachgeſchickt, der ihn nochmal von Sei - ten ſeines Herrn bekomplimentiren muß. Die - ſe Hoͤfl[i]chkeitsbezeugung geht wie Du Halde verſichert, bey den Kaufleuten ſonderlich im Schwange, zumal, wenn ſie ihren Gaſt mit gu - ter Manier haben betruͤgen oder vervortheilen koͤnnen.

In Anſehung der Geſtalt, Farbe und Ge - ſichtsbildung ſind die Chineſer von einander ſehr verſchieden. Und dieß iſt auch in einem Lan - de ſehr natuͤrlich, wo das Klima von ſo man - cherley Temperatur iſt. So ſind z. E. die mit - ternaͤchtlichen Einwohner des Landes ſo ſchoͤn,wie201wie man ſie nur irgend wuͤnſchen kann; den mittaͤglichen hingegen, ſieht man es ohne Muͤ - he an, was die Sonnenhitze auf ihren Koͤrper vermag: ſie ſind braun und beynah ſchwarz. Doch aber kann man dieſes nur von ſolchen verſtehen, welche der Sonnenhitze, vermoͤge ih - rer Geſchaͤffte, ausgeſetzt ſind. Denn die Vor - nehmen und ſonderlich das Frauenzimmer, (welches ſich ſelten ſehen laͤßt) haben eine ſchoͤ - ne und weiſſe Haut, ſo daß man ſie kaum von ei - nem mitternaͤchtlichen Bewohner Chinas un - terſcheiden kann. Schlanke, junge, raſche Ker - le ſtehen bey dem Chineſiſchen nicht in dem An - ſehen, wie bey unſerm europaͤiſchen Frauenzim - mer. Sie ſehen es gerne, wenn ſie einen di - cken, feſten und unterſetzten Koͤrper haben. Sie haben faſt durchgaͤngig kurze und platte Naſen, ſchwarze Augen und Haare. Ein Mann von mittler Taille, großer Stirne, klei - nen Augen und Munde, platter Naſe und langen Ohren, ſtarken Gliedern, dickem Bauche und ſtarker Stimme, iſt ein Muſter eines vollkommnen Mannes, und iſt zu allen Aemtern faͤhig. Mit den Weibern hat es in den mei - ſten Stuͤcken eben dieſe Bewandniß. Sie ſind faſt durchgaͤngig ſchoͤn, haben kurze Naſen, ſchwarze Augen, und uͤberhaupt eine gute natuͤrliche Farbe des Geſichts. Sie wuͤrden unſtreitig uͤberaus ſchoͤn ausſehen, wenn ſie nicht die uͤble Gewohnheit haͤtten ihre Geſich - ter, aus allzugroßer und uͤbertriebener Sorge,N 5fuͤr202fuͤr eine verdaͤchtige Perſon gehalten zu wer - den, mit einer weiſſen Schminke zu uͤbertuͤn - chen, wodurch ihre Geſichter in der Folge eben die Runzeln bekommen, wie man es gemein - hin an unſern Hofdamen u. ſ. w. ſieht. Man pflegt ihnen ſchon in ihrer zarten Ju - gend die Fuͤße ſtark zu binden, und das Wachs - thum derſelben zu hemmen. Denn kleine Fuͤße machen die groͤßte Zierrath des Frauen - zimmers aus. Sie ſehen die Unbequemlich - keit hiervon ſehr gut ein: aber die Macht der Erziehung hat ſie ſo gefeſſelt, und die Mode ſo tyranniſirt, daß ſie ſich gerne alles gefallen laſ - ſen, und ſich allen Uebeln ausſetzen. Sie ſind uͤberhaupt ſo eitel, daß ſie, ſo wie das euro - paͤiſche Frauenzimmer, den Morgen einige Stunden lang mit ihrem Putze vertaͤndeln. Wenn man fragt, woher die Gewohnheit der Chineſer in Anſehung der kleinen Fuͤße? ſo kann man darauf nicht mit Gewißheit ant - worten. Einige ſind der Meynung, der Ur - ſprung dieſer ſonderbaren Gewohnheit ſey da - her gekommen, um das Frauenzimmer mehr im Zaum, in guter Ordnung erhalten zu koͤn - nen. Vielleicht aber koͤnnte man mit mehre - rer Wahrſcheinlichkeit ſagen, daß die Chineſer die Abſicht dabey moͤgen gehabt haben, um die Begierde des Herumlaufens dadurch zu vermin - dern, und daß das beſchwerliche Gehen ihre Ein - kerkerung erleichtern moͤchte.

Was203

Was die Kleidung des chineſiſchen Frauen - zimmers betrift; ſo muß man eingeſtehen, daß ſie anſtaͤndig ſey, und nicht die geringſte Spur von Ausgelaſſenheit verrathe. Ihren Kopf be - haͤngen ſie mit nichts weniger als Flitterwerk uud den gewoͤhnlichen Unſchicklichkeiten: ſondern ſie flechten ihre Haare, durchweben ſie auch oft - mals mit Silber - oder Goldblumen, welches eine ſehr gute Wirkung thut. Gegen Norden zu haben ſie ſchon eine ganz andere Mode unter ſich eingefuͤhrt. Da flechten ſie zwar ihre Haa - re, aber ſie tragen noch uͤber der Flechte eine ſei - dene oder wollene Kappe. In den guten Ge - maͤhlden vornehmer Chineſerinnen findet man ſehr ſchicklich auf ihren Koͤpfen eine Art von Krone, die gemeiniglich mit Diamanten, Per - len und andern theuern Sachen beſetzt ſind, angebracht. Die alten Matronen tragen, ſtatt dieſes Putzes, ein Stuͤck feiner Seide um den Kopf, welches ſie verſchiedentlich um denſel - ben herumwinden koͤnnen. Was uͤbrigens die Reiſebeſchreiber hin und wieder von der Man - nichfaltigkeit und Pracht des Kopfputzes ſagen, iſt theils zu uͤberſpannt, theils aber auch voͤllig unrichtig. So viel iſt richtig, daß ſie ſich ger - ne putzen: aber ihr Putz iſt bey weitem nicht mit ſo vielen Koſten verbunden, wie etwa bey uns. Sie tragen gewoͤhnlich ein laͤngliches Kleid, das ſie in der Mitte mit einem Gurte zu binden. Das junge Frauenzimmer waͤhlt ſich gemeinlich eine gruͤne, rothe oder eine an -dere204dere beliebige Farbe. Alle Theile ihres Koͤrpers halten ſie bedeckt, theils durch dichte Anſchlie - ßung ihrer Kleider, theils aber auch durch Huͤlfe ihrer Schleier. Ueber den Kleidern ha - ben ſie noch einen großen und weitlaͤuftigen Umhang. Im Ganzen genommen, muß man ihre Art, ſich zu kleiden, loben, weil ſie ihren Koͤrper auf eine anſtaͤndige Weiſe damit be - decken.

Die Kleidungsart der Mannsperſonen ſchi - cket ſich zu ihrer affectirten Ernſthaftigkeit auch ſehr gut. Auf dem Kopfe tragen ſie eine Kap - pe, und ihr Geſicht ſchuͤtzen ſie vor der allzu - ſtarken Sonnenhitze, mit einem Schirm, den ſie immer mit ſich fuͤhren. Sie beſcheren ihren Kopf, ſo daß ſie weiter nichts als einen Haar - zopf uͤbriglaſſen, den ſie flechten, und ihn herunter hangen laſſen; oder ſie ſtecken ihn auch wohl un - ter ihre Muͤtzen. Ihre Muͤtzen ſind von Seide und gemeiniglich von großem Werthe. Die Kleider ſind ziemlich weit gemacht und unſern Rockeloren in dieſem Stuͤcke ſehr aͤhnlich. Im Sommer gehen ſie leichter gekleidet, wie im Winter. Mitten um den Leib haben ſie einen Guͤrtel, an welchem ein Beutel haͤngt, wor - inn ſie ihre Pfeifen, Toback, Schnupftuͤcher u. ſ. w. aufbewahren. Wenn ſie im Regenwet - ter eine Reiſe vornehmen muͤſſen, ſo haben ſie ein gewiſſes Oehl, womit ſie ihre Kleider ſchmie - ren, welches gar nicht ſchaͤdlich iſt.

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In Anſehung des Eſſens und Trinkens, ſind die Chineſer mehr oder weniger nach eines jeden Umſtaͤnden, verſchwenderiſch. Koͤmmt es darauf an eine Geſellſchaft zu ſpeiſen; ſo wen - den ſie alles auf, was ſie in ihrem Vermoͤgen haben. Die Verſchwendung bey den Gaſtereien iſt in der That ganz unglaublich. Dagegen aber ſind ſie nicht ſo geſinnt, wenn ſie allein ſpeiſen. Ein Gericht Pferdefleiſch welches zu den groͤßeſten Delicateſſen gehoͤrt Heuſchrecken, Ratten, Schlangen, ſchmeckt ihnen ſehr gut. Faſt alle Speiſen werden bey ihnen, ſchon in kleine Stuͤcke geſchnitten, auf den Tiſch ge - bracht. Meſſer, Loͤffel und Gabel ſind Dinge die ſie nicht gebrauchen: dagegen aber bedienen ſie ſich bey ihrem Speiſen zwey kleiner Spießgen, womit ſie die Speiſen auf eine geſchickte Art wiſſen anzuruͤhren. Sehr ſonderbar und wider allen Gebrauch der Morgenlaͤnder, iſt es, daß die Chineſer ſich nicht auf die Erde ſondern auf hohe Stuͤhle ſetzen. Ein jeder Gaſt hat vor ſich einen kleinen Tiſch ſtehen, worauf ei - nige Schuͤſſeln geſetzt ſind, je nach dem das Trak - tament groß oder klein ſeyn ſoll. Ueber Ti - ſche pflegen ſie gewoͤhnlicherweiſe Thee zu trin - ken. Dieſer muß aber ſehr heiß ſeyn, wenn er ihnen ſchmecken ſoll. Ueberhaupt muß man wiſſen, daß die Chineſer warm trinken und kalt eſſen. Des Weins enthalten ſie ſich nach ihren Geſetzen: dagegen aber halten ſie ſich durch ein anderes Getraͤnke ſchadlos, welches faſt ebenſo206ſo ſtark, wenigſtens ſchaͤdlicher als der Wein iſt. Dieſe Getraͤnke beſtehen meiſtentheils aus Brant - wein, wodurch ſie ſo viel Korn verbrauchen, daß ſie oft an demſelben Mangel leiden. Man haͤlt zwar ſehr ſtrenge darauf, daß durch das Brantweinbrennen nur die beſtimmte Quanti - taͤt verbraucht wird: indeſſen aber laſſen ſich die Mandarinnen und andere daruͤber geſetzte Perſonen ſehr leicht beſtechen. *)Duͤ Halde weiß nicht genug von dem Miß - brauch des Branteweins und der Neigung der zu Chineſer zu dieſem Getraͤnke, zu erzaͤhlen Der Leſer kann ihn hieruͤber im erſten Bande S. 303, ſelbſt nachleſen.

Es iſt itzt Zeit, daß wir von den beſon - dern und merkwuͤrdigſten Gebraͤuchen bey feyer - lichen Gelegenheiten reden. Die Hochzeiten werden bey ihnen mit ſo vieler Pracht und Auf - wande vollzogen, daß man kaum ein Land dar - ſtellen wird, welches China in dieſem Stuͤcke uͤbertraͤfe. Braut und Braͤutigam werden ge - meiniglich ein Paar, ohne ſich vorher geſehen zu haben. Eine Mode, die ſie mit den Per - ſern gleich beobachten. Die Heyrathen werden durch Unterhaͤndler geſchloſſen und von Seiten der Braut und des Braͤutigams durch gegen - ſeitige Geſchenke beſtaͤtiget. Das junge Paar darf ſich eher nicht ſehen, bis die Eltern und Verwandte den Ehecontract unterzeichnet ha - ben. Wenn das geſchehen; ſo wird die Braut mit vielem Pomp zum Braͤutigam gefuͤhrt. Diegan -207ganze Begleitung iſt praͤchtig gekleidet. Der Seſſel, in welchem ſie ſitzt, iſt ſehr gut ver - wahrt und ein Bedienter, von gepruͤfter Treue, behaͤlt den Schluͤſſel zur Thuͤr, den er dem Braͤutigam eigenhaͤndig uͤberreicht. Sobald der ganze Zug angekommen, der Bediente dem Braͤutigam den Schluͤſſel abgegeben, und die - ſer den Seſſel oͤffnet; ſo fuͤhrt er ſeine Braut im Fall ſie ihm gefaͤllt in einen großen Saal, wo ſie einige Zeit mit Komplimentenmachen zu thun hat, und der uͤbrige Reſt des Tages wird mit Freuden und Schmauſen geendiget. In Anſehung der Dauer eines Hochzeitfeſtes rich - tet man ſich allemal nach den Umſtaͤnden der Per - ſonen. Nach der Hochzeit wird der Frau ein Zimmer angewieſen, wo ſie alles Umgangs be - raubt, und nur dann und wann ihren Vater zu ſehen bekommt.

Nach den Geſetzen in China darf ein Mann nur eine Frau haben; darf ſich aber ſo viele Beyſchlaͤferinnen halten, wie er will und zu er - halten vermoͤgend iſt. Wenn ein Chineſer eine Concubine zu ſich in ſein Haus nimmt; ſo er - haͤlt ſie eine ſchriftliche Verſicherung, daß ihr der Hausherr die ausgemachte Summe richtig bezahlen und artig begegnen wolle. Die rechtmaͤ - ßige Frau aber behaͤlt doch immer die Ober - herrſchaft uͤber ſie und uͤber die, von der Con - cubine etwa gezeugten Kinder, und werden die - ſe von ihr als ihre eigene Kinder angeſehen. Wenn der Mann oder Frau ſtirbt, ſo ſteht es einemjeden208jeden Manne frey ſich wieder zu verheyrathen. Der Mann kann ſich nach Belieben eine von ſeinen Beyſchlaͤferinnen nehmen. Dieſe zweyte Ver - heyrathung iſt nicht mit ſo vielen Cerimonien verbunden. Die vornehmern Wittwen hal - ten es fuͤr erniedrigend, wenn ihr Mann ge - ſtorben iſt, nochmals zu heyrathen: allein Per - ſonen von geringem Stande haben hierinn ganz andere Maximen, wenn es gleich oftmals we - gen des niedrigen Geitzes des Verſtorbenen zu ihrem Nachtheile geſchiehet.

Kein Stand iſt fuͤr das chineſiſche Frauen - zimmer betruͤbter als der Eheſtand. Sie wer - den von ihren Maͤnnern oftmals ſehr hart und grauſam behandelt, eingeſperrt, als Sclavin - nen tractirt: ſtehen immer in Gefahr mit ſammt ihren Kindern verkauft zu werden. *)Dieß geſchieht gemeiniglich, wenn der Mann der Spielſucht gar zu ſehr ergeben iſt.Sie muͤ - ßen wenn der Mann geſtorben iſt eine lange Trauer beobachten und ſich entweder ganz der Einſamkeit uͤberlaſſen, oder ſich oͤffentlich verkaufen laſſen. Der einzige Troſt, der ihnen in allen Faͤllen uͤbrig bleibt, iſt, daß ſie ſich nach den Ge[ſ]etzen wieder verheyrathen koͤnnen.

Das Leichenbegaͤngniß wird bey den Chi - neſern mit großer Pracht gefeyret. Hierzu traͤgt hauptſaͤchlich die große Hochachtung ſehr viel bey, welche das Volk gegen ihre verſtorbe - ne Anverwandte und Freunde beweiſet. Ge - meiniglich dauerte, nach ihren alten Geſetzen,die209die Trauerzeit, fuͤr Vater und Mutter, drey Jahre lang. *)Durch die Zeit der drey Jahren ſoll die Dank - barkeit der Kinder gegen die Sorgfalt ihrer El - tern in den drey erſten huͤlfloſen Jahren ange - zeigt werden. Dieſe Zeit der Trauer wurde auch in ganz China ſehr genau beobachtet.Dieſe Zeit iſt in der Folge auf zwey und ein Vierteljahr herunter geſetzt: aber ſie laſſen ſich doch lieber die Strenge der alten Geſetze gefallen, und bringen die ganze Zeit ſehr mißvergnuͤgt zu. Die Frau muß fuͤr ih - ren Mann 3 oder 2 und ein Vierteljahr lang trau - ern, und der Mann fuͤr ſeine verſtorbene Frau ein Jahr. Allein die Zeichen der Trauer brau - chen auch nicht in der beſtimmten Zeit abgelegt zu werden: ſondern man kann ſeinen verſtorbe - nen Freunden jaͤhrliche Leichenbegaͤngniſſe halten und ſie fortſetzen. Dieſe Leichenbegaͤngniſſe er - ſtrecken ſich auch ſo gar bis auf die Großvaͤter, und ſie beſuchen ihre Graͤber mit den groͤßeſten Zeichen der Traurigkeit. Dieſe Hochachtung gegen ihre Verſtorbenen, gruͤndet ſich bloß dar - auf, weil ſie nemlich zuverſichtlich glauben, daß die Seelen der Verſtorbenen immer gegen - waͤrtig ſind wenn ſie ſie gleich nicht ſehen koͤnnten, daß ſie alle Handlungen ſehen, und dieſe entweder billigten oder verwuͤrfen, belohnten oder beſtraften. Dieſe Meinung bringt den guten Nutzen hervor, tugendhaft zu ſeyn, und der Laſter ſich zu enthalten.

ODie210

Die Leichencerimonien werden bey den Rei - chen mit eben der Pracht vollzogen als die Hoch - zeitscerimonien. Das groͤßte Aufſehen bey ſol - chen Gelegenheiten macht der gewoͤhnlich große Zug, den die Bonzen und andere Prieſter for - miren. Der Leichnam wird in einen Sarg, mit weiſſem Damaſt oder anderm weiſſen ſeidenen Zeuge bedeckt, gelegt. *)Die Saͤrge bey den Chineſern werden von Bret - tern gemacht, die ohngefaͤhr einen halben Fuß dicke ſind. Sie werden innwendig nicht nur verpicht, ſondern auch außen mit japaniſchem Fernis uͤberzogen, ſo daß kein Geruch durch - dringen kann. Ehe der Todte in den Sarg gelegt wird, werfen ſie vorher Kalk auf den Boden, und, wenn er im Sarge liegt, etwas Baumwolle unter den Kopf. Man ſehe duͤ Halde Th. 1. S. 306. Le Compte, Gemelli Carreri u. a.Man bemerkt ge - meiniglich auf dem Sarge das Wappen der Fa - milie. Der Sarg wird von einer Menge Leu - te getragen, welche unter einem praͤchtigen Him - mel, der gleichfalls von Leuten in Trauerklei - dern getragen wird, gehen. Alsdann folgen dem Sarge die naͤchſten Anverwandten, welche ſaͤmmtlich ſehr zerlumpt einhergehen. Die Per - ſonen weiblichen Geſchlechts aber, werden in einem Seſſel, mit weiſſen Vorhaͤngen behan - gen, getragen.

Zwey -211

Zweytes Kapitel.

Von dem Zuſtande der Gelehrſamkeit in China uͤberhaupt von ihrer Aſtronomie, Geometrie, Poeſie, Hiſtorie und Spra - che von ihrer Moral und Vernunftleh - re von ihrer Muſik und muſikaliſchen Inſtrumenten von ihrem Papier und Druckerey.

Man muß ſich in der That uͤber die Ver - ſchiedenheit der Erzaͤhlungen, in den Be - richten der Reiſebeſchreiber, von dem Zuſtan - de der Gelehrſamkeit, verwundern. Einige derſelben wiſſen ihre Geſchicklichkeit in allen Stuͤcken nicht genug zu loben: andere hingegen ſetzen ſie aus ſtrafbarer Unwiſſenheit zu ſehr herunter. Jene wollen ſie fuͤr die erſten Bear - beiter der Wiſſenſchaften ausgeben: dieſe hin - gegen verſichern, daß ſie von den meiſten Wiſ - ſenſchaften, die bey den Europaͤern ſo hoch ge - ſtiegen ſind, kaum Grundbegriffe haͤtten. Wir werden in der Folge ſehen, welche Meinung von beyden die gegruͤndetſte ſey. Es ſcheint unbillig zu ſeyn, wenn man den Chineſern al - les Genie und Faͤhigkeiten zu den Wiſſenſchaf - ten abſprechen will. Sie haben gewiß eben die Anlage zu allen Dingen als irgend ein an -O 2de -212deres Volk. Dieß zeigt der gluͤckliche Fort - gang, den ſie, ſeitdem ſie mit andern Voͤlkern in naͤhere Bekanntſchaft gekommen ſind, in ei - nigen Theilen der Gelehrſamkeit gemacht ha - ben. Es gereichet allerdings ihrem Verſtande zur Ehre, daß ſie mit ſo vieler Begierde den Unterricht der Auslaͤnder angenommen und nach ihrer Anweiſung bearbeitet haben. Wir wiſſen, aus den Berichten des Le Compte und duͤ Halde, mit welchem Erſtaunen ſie die Einſich - ten der Europaͤer in der Mathematik, Statik, Pneumatik u. ſ. w. bewunderten: mit wie vie - ler Unzufriedenheit uͤber ihre Unwiſſenheit ſie ſich angelegen ſeyn ließen die Theorien der Euro - paͤer ſelbſt in Ausuͤbung zu bringen. Die - ſe erſte und naͤhere Bekanntſchaft der Chineſer mit den hoͤhern Wiſſenſchaften haben ſie ohn - ſtreitig den Miſſionarien zu danken, von denen ſie aber auch freylich manche unrichtige Vor - ſtellungen zugleich mit uͤberkommen haben.

Wir wollen ſehen, was die Chineſer von einigen Wiſſenſchaften fuͤr Kenntniſſe gehabt haben, ehe ſie mit andern Voͤlkern in naͤhere Bekanntſchaft gekommen ſind. Unter den aͤlteſten Wiſſenſchaften, die von den Chineſern am meiſten bearbeitet wurden, verdient vorzuͤ - glich die Aſtronomie bemerkt zu werden. Man weiß aus zuverlaͤßigen Nachrichten, daß die Chineſer, ſeit dem Anfange ihrer Monarchie, auf den Lauf des Himmels ſorgfaͤltig geachtet haben: daß ſo gar diejenigen, denen die Beobach -tung213tung der Geſtirne aufgetragen war, am Leben geſtraft wurden, wenn ſie in dieſem Stuͤcke ei - nige Verſehen machten. Es laͤßt ſich aber jetzt ſchwerlich von ihren Beobachtungen etwas her - ausbringen, ſo, daß man kaum mit Zuver - laͤßigkeit ſagen kann, was ſie fuͤr Progreſſen in dieſem Fache gemacht haben. So viel ſcheint wohl ſehr wahrſcheinlich zu ſeyn, daß ſie, ohn - geachtet ihres großen Fleißes, doch nicht weit gekommen ſind. Die Monden - und Sonnen - monate, ſcheinen ſie ziemlich genau ausgerech - net zu haben, doch aber wollen einige Reiſebe - ſchreiber verſichern, daß auch dieſe Rechnung bey einer genauen Unterſuchung die Probe nicht aushalten duͤrfte. Es ſcheint alſo, um Vieles mit einem Worte zuſammenzufaſſen, daß die Chineſer in der Aſtronomie nicht weit gekommen ſind.

Es laͤßt ſich uͤberdem auch noch daraus ſchließen, daß die chineſiſche Nation keine große Geſchicklichkeit in der Aſtronomie beſitzen konn - te, weil ſie fuͤr die Aſtrologie eine gar zu aber - glaͤubige Hochachtung hegte. Und dieſe Hoch - achtung gegen die Sterndeuterey behalten die Chineſer noch bis auf den jetzigen Tag bey. Sie meinen, eine jede Conſtellation, jeder Pla - net, habe auf alles, entweder einen guten oder boͤſen Einfluß: ferner, es ſey moͤglich, ver - ſchiedene Begebenheiten voraus zu wiſſen, wenn man nur auf die Bewegungen und den Lauf derO 3Ge -214Geſtirne Acht gebe. Aus dieſem Grunde lieſt man auch in ihren Kalendern, welches gluͤckliche und ungluͤckliche Tage ſind, wenn gutes und boͤſes Wetter*)Wir haben in unſerm geliebten Deutſchlande auch noch eine gewiſſe Art Leute, die, vermuth - lich durch die Chineſer aufgemuntert, unſre Kalender mit dergleichen Fratzen auch noch zur Zeit befangen, und, wenigſtens das gemeine deutſche Volk, bey der Naſe herumfuͤhren. So glaubts der Bauer gewiß, wenn er in dem Ka - lender ſieht und von ſeinem im Zwillinge ge - bohrnen Sohn lieſt, daß er einmal ein ungluͤck - licher Ehemann werden wird: denn ein Knabe im Zwilling gebohren, bekoͤmmt rothe Haare u. ſ. w. !, Krankheiten, Hungersnoth, Krieg und andere dergleichen Dinge, einfallen werden. Um nun allem Betrug und Unter - ſchleif vorzubeugen, iſt ein aſtrologiſches Tribu - nal aufgerichtet worden. Dieſes Tribunal muß dem Kayſer, zu geſetzten Zeiten, eine voll - ſtaͤndige Nachricht von den Himmelsbewegun - gen, Veraͤnderungen der Luft und Abwechſe - lungen der Jahrszeiten vorlegen: ferner, ob Krankheiten, Hungersnoth, Krieg bevorſtuͤn - den: hauptſaͤchlich aber muß es auf die Zeit ſehen, wenn eine Sonnen - oder Mondfinſter - niß einfallen wird. Dieſe Berichte muͤſſen dem Kayſer noch eine geraume Zeit vorher, ehe die Finſterniſſen einfallen, angezeigt werden, damit dieſe Nachrichten in alle Provinzen desReichs215Reichs koͤnnen verſandt und unter vielen Ceri - monien publiciret werden*)Vielleicht duͤrfte dieſer oder jener Leſer gerne wiſſen wollen, was es mit dieſen Cerimonien fuͤr eine Bewandniß habe? Dieſen zu Liebe, wollen wir hier kuͤrzlich das Noͤthige hieruͤber, aus des Martini hiſt. Sinenſ. P. I. p. m. 77. mit Vergleichung des Duͤ Halde, Navarette und Le Compte, mittheilen. Sobald die aſtrologiſchen Beobachtungen vom Tribunal verfertigt und dem Kayſer uͤberbracht ſind, wer - den ſie an alle oͤffentliche Plaͤtze geſchlagen, mit genauer Anzeige der Zeit, wenn eine Finſterniß eintreten, und wie lange ſie dauren wird. Die ſaͤmmtlichen Mandarinen muͤſſen in ihrem Staatshabit vor dem Tribunal erſcheinen. Wenn ſie nun wahrnehmen, daß die Sonne oder Mond ſich verfinſtert; ſo werfen ſie ſich alle auf die Knie, und ſtoßen mit ihren Koͤpfen gegen die Erde. Zugleich wird mit klingenden Inſtrumenten ein abſcheulicher Laͤrm in der gan - zen Stadt gemacht, der durch das Getoͤſe der Menſchenſtimmen noch graͤßlicher wird. Die - ſe abgeſchmackte Idee ruͤhrt noch aus den alten Zeiten her: denn ſie glauben, durch ihren Laͤrm den deyden Planeten zu Huͤlfe zu kommen, und den Drachen, der ſich mit ſeinen Klauen nach ihrer Vorſtellungsart an die Lichtkoͤr - per gehangen, und dadurch das Licht hemme, wegzuſcheuchen. Man kann zwar ſagen, daß die klugen Leute dieſe Meinung verachten, und ſie fuͤr natuͤrliche Wuͤrkungen erklaͤren: aber dieſe duͤrfen ſich uͤber die Abgeſchmacktheit ihrer Begriffe nicht erklaͤren..

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In Anſehung ihrer Kenntniſſe in der Geo - metrie, ſind ſie noch ſeichter. Sie loͤſen die Problemata nicht nach ſichern Grundſaͤtzen, ſondern durch bloße Schluͤſſe auf. Nur beobach - ten ſie in der Ausmeſſungskunſt viele Leichtig - keit und Accurateſſe. Ihre groͤßeſte Fertigkeit beſteht, nach dem Einverſtaͤndniſſe zuverlaͤßiger Reiſebeſchreiber, in der Rechenkunſt. Sie rechnen nicht mit arithmetiſchen Ziffern, ſon - dern vermittelſt eines Inſtruments, wovon Ge - melli Carreri, Navarette u. a. hinlaͤngliche Beſchreibungen mittheilen, und worauf wir uns, der Kuͤrze wegen, berufen muͤſſen. Man will mit Gewißheit verſichern, daß die Chineſer, vermittelſt dieſes Inſtruments, mit unglaublicher Leichtigkeit und Geſchwindigkeit eine jede arith - metiſche Aufgabe aufloͤſen koͤnnen. Ob ſich nun aber dieſe Rechnungsart nur auf die ſo genannten vier Species erſtrecke: wollen wir hier unausgemacht laſſen. So viel ſcheint wohl gewiß zu ſeyn, daß ſie die fuͤrtreflichen Huͤlfsmittel d. z. E. die tabulas Sinuum et tan - gentium, logarithmos u. ſ. w. nicht kennen, die doch bey den aſtronomiſchen Ausrechnungen ſo unentbehrlich ſind. Ueberdem iſt es auch bey - nah zu glauben, daß ſie in der Geometrie nie guten Fortgang machen werden, weil es der ganzen Anlage der Denkart der Chineſer, ſich auf abſtracte Dinge zu legen ganz zuwider iſt.

Die Muſik und Dichtkunſt gehoͤren unter diejenigen Kuͤnſte, welche bey den Chineſernnoch217noch faſt ganz ungearbeitet da liegen. Sie be - haupten, daß die Muſik vor den Zeiten des Con-fu-tze (der ſelbſt ein ungemein großer Kenner der Muſik ſoll geweſen ſeyn) zur hoͤch - ſten Stufe der Vollkommenheit gebracht und unter ihnen ſehr geehrt ſey. Sie geben ferner vor, daß die Buͤcher, welche von der Theorie der Muſik gehandelt haͤtten, verlohren gegan - gen: und auf dieſe Art ſey ihre jetzige Muſik ohne Harmonie, Bindung und Abwechſelung der Theile. Die Noten ſind ihnen voͤllig unbekannt: ſie ſpielen alles bloß nach dem Ge - hoͤre. Sehr abgeſchmackt und ungeſchickt ſind ihre muſikaliſchen Inſtrumente. Einige der - ſelben gleichen unſern Trommeln und Trompe - ten: noch andere haben mit unſern Floͤten ei - nige Aehnlichkeit. Die heutigen Chineſer fuͤhlen es auch ſelbſt, daß ihre Kraͤfte in Anſe - hung der Muſik wenig vermoͤgen. Und daher bedienen ſie ſich auch ſelten der Inſtrumental - muſik, es moͤchte denn bey feſtlichen Gelegen - heiten ſeyn, als Hochzeiten, Gaſtereyen u. ſ. w. Wir koͤnnen alſo hieraus hinlaͤnglich ſchließen, daß die Muſik der Chineſer gegen die unſrige gelinde zu reden kaum ertraͤglich zu nennen ſey.

Es gehoͤrt eine gute Kenntniß der Sprache dazu, wenn man die Harmonie, Schoͤnheit und Zierlichkeit der chineſiſchen Dichtkunſt will begreiflich machen. Indeſſen erzaͤhlen uns doch die beſten Kenner dieſer Sprache, daß ihreO 5Dicht -218Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge - dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge - danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn - te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son - netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn - heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge - danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf den Fruͤhling anſpielt. Ihre dramatiſchen Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet, um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver - aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama - tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den Charakter der Perſon bekannt machen; ſo thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je - der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei - ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver - weiſen wollen.

Man muß es den Chineſern zum Ruhme geſtehen, daß ſie ſich um die Hiſtorie, ſonder - lich um die Geſchichte ihres Vaterlandes, ſehrbe -219bekuͤmmert haben. Sie haben von jeher die zuverlaͤßigſten Nachrichten von ihrem Rei - che geſammelt und ſie nach und nach mit Un - partheilichkeit in ein Ganzes uͤberbracht nie das Gute oder Boͤſe an ihren Regenten ver - ſchwiegen*)Die Art, wie die Chineſer eine ſo zuverlaͤßige Beſchreibung von ihren Kayſern erhalten, iſt dieſe. Es werden nemlich gewiſſe Maͤnner von erkannter Ehrlichkeit beſtellt, deren Pflicht es iſt, auf alle Handlungen und Worte des Kay - ſers Acht zu geben, ſie auf kleine Zettulchen zu ſchreiben, und dieſe in einen dazu beſtimmten Kaſten zu werfen. Auf ein ſolches Papier ſchreiben ſie mit der groͤßeſten Offenherzigkeit alles, was der Kayſer geredt oder gethan hat. Ein ſolcher Kaſten wird aber nie bey Leb - zeiten des Kayſers geoͤfnet, und ſo lange noch ſeine Anverwandten an der Regierung ſind. Wenn aber dieſe eine andere Familie erhaͤlt; ſo werden alle Blaͤttchen Papier mit der groͤßeſten Sorgfalt aus dem Kaſten herausgenommen, unterſucht, verglichen: und ſo entſteht ihre Ge - ſchichte.. Dieſe Gewohnheit aber herrſcht nicht allein am Hofe, ſondern in jeder Pro - vinz, ſo, daß ein jedes Gouvernement oder ei - ne jede Stadt verbunden iſt, einen merkwuͤr - digen Fall, der ſich etwa in ihrem Bezirk zu - getragen hat, bekannt zu machen. Dieß be - ſteht nun in einer Erzaͤhlung der Witterung, Handthierung, Anzahl der Einwohner und an - dern Stuͤcken, das Abentheurliche, das ſichdann220dann und wann zutraͤgt, mitgerechnet. Es ließe ſich nun ſehr leicht aus ihren Chroniken eine gute Geſchichte heraus heben, wenn nur das Fabelhafte*)Es kann ſich in China ziemlich leicht etwas Fabelhaftes und Abentheurliches zutragen. Duͤ Halde erzaͤhlt, daß in der Chronik der Stadt Fu-chew gemeldet waͤre, es habe eine Frau eine Schlange gebohren und auch geſaͤugt. Ferner: es habe eine Sau einen kleinen Ele - phanten geworfen, und noch viele andere Hi - ſtorien von Erſcheinungen, Geſpenſtern, wobey die Bonzen im Spiele ſind., wozu der chineſiſche Geſchicht - ſchreiber ſo ſehr inclinirt, davon koͤnnte geſaͤu - bert werde. So ſorgfaͤltig und aufmerk - ſam ſich nun aber auch ihre Geſchichtſchreiber moͤgen bewieſen haben; ſo hat man doch vielen Grund und Urſache, die aͤlteſten Relationen, in ihren Geſchichten, zu verwerfen. Diejeni - gen Geſchichtſchreiber aber, die kurz vor und nach dem Con-fu-tze gelebt haben, koͤnnen fuͤr ziemlich ſicher angenommen werden.

Wir kommen jetzt auf die Sprache der Chi - neſer, wovon wir hier um ſo viel mehr reden muͤſſen, je mehr ſie einen großen Theil ihrer Gelehrſamkeit ausmachet. Ich will mich hier nicht auf die Unterſuchung einlaſſen, was die chineſiſche Sprache mit der Hebraͤiſchen fuͤr Verwandſchaft habe: auch nicht in die Streit - frage, welche von beyden die aͤlteſte ſey; beydes gehoͤrt nicht in meinen Plan. Man findet die -ſe221ſe Stuͤcke von andern ſchon hinlaͤnglich und oft zum Ekel unterſucht. Meine Abſicht geht nur dahin, von den gegenwaͤrtig uͤblichen Spra - chen in China die richtigſte Bemerkungen zu ge - ben. Wir finden eigentlich und genau zu reden, eine dreyfache Sprache unter den Chi - neſern. 1. Die Sprache des Volks: dieſe iſt ſehr rauh, von einem uͤberaus unan - genehmen Klang, und theilt ſich in verſchiedene Dialekte oder Mundarten. 2. Die Sprache der Mandarinen: ſie iſt unter den geſitteten Einwohnern die uͤblichſte, ihr Dialekt iſt nicht rauh, und wird in der Provinz Kyang-nan am beſten geredet. 3. Die gelehrte Spra - che, in welcher faſt alle Buͤcher abgefaßt wer - den. Dieſe Sprache kann das gemeine Volk nicht verſtehen, hat einen ſo angenehmen Klang, daß ein Kenner derſelben, ſie gerne lieſt und hoͤrt, iſt ſehr precis und beſteht aus einer Men - ge Accente. Aber nur auch Kenner koͤnnen ſie verſtehen, denn ſie gehoͤrt unter die todten Spra - chen, und iſt ihnen das, was fuͤr uns die lateini - ſche, griechiſche und hebraͤiſche Sprache iſt. Die Sprache der Mandarinen iſt die vor - nehmſte, und wird unter allen Sprachen fuͤr die wortreichſte gehalten. Die Zahl ihrer Wurzelwoͤrter belaͤuft ſich nicht uͤber drey hun - dert und dreyßig. Und dennoch koͤnnen ſie ſich mit Huͤlfe der verſchiedenen Accente und Toͤne ſehr mannichfaltig, gedankenreich und bedeu - tungsvoll ausdruͤcken. Man ſieht auch unterihnen222ihnen ein Woͤrterbuch, das auf Befehl des Kayſers Kang-hi iſt verfertigt worden, ein Werk von unglaublicher Groͤße. Le Compte ſagt, daß es ſich uͤber 90 Baͤnde beliefe, und koͤnnten noch einige dreißig gemacht werden. Hieraus kann man auch ſchon einigermaßen von dem Reichthum der chineſiſchen Sprache ſchließen.

Der Leſer erwarte hier nicht eine genaue Darſtellung des Grammatikaliſchen der Chine - ſiſchen Sprache Hier wuͤrde das viel zu weit - laͤuftig ſeyn, und vielleicht auch manche Leſer ermuͤden. Daher rathen wir denjenigen, wel - cher ſich gerne hiervor unterrichten moͤchten, des Baiers grammat. Sinenſ. nachzuleſen. Wir mer - ken hier nur an, daß es ungemein ſchwer ſey in der chineſiſchen Sprache gewiſſe Regeln zur bequemer Erlernung fuͤr andere feſtzuſetzen. Hierzu kommt noch die Verſchiedenheit der Mundarten; denn faſt ein jedes Dorf hat ſeinen eigenen Dialekt. Und da von der Ausſprache die wahre Bedeutung eines Worts oftmals ab - haͤngt; ſo bleibt alles uͤbrige dadurch unver - ſtaͤndlich, es moͤchte dann einer etwa durch lan - ges Reiſen die verſchiedenen Mundarten ge - wohnt ſeyn. Es iſt auch nichts ungewoͤhnli - ches, wenn ein Chineſer den andern nicht ver - ſtehen kann. Duͤ Halde macht die Anmerkung, daß die chineſiſche Sprache, wegen ihrer vielenEigen -223Eigenheiten, nie von einem Auslaͤnder fertig koͤn - ne gelernt werden.

Eben dieſes Bewandniß hat es auch mit ihrer Art zu ſchreiben. Die ganze Schwierig - keit bey ihrer Schreibart beſteht bloß darinne, daß die Chineſer nicht, wie alle Nationen, mit Buchſtaben, ſondern durch Charaktere, wo - durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird, zu ſchreiben pflegen. Vielleicht traͤgt die Schwie - rigkeit in Anſehung des Schreibens ſehr vieles dazu bey, daß es mit den Wiſſenſchaften unter ihnen nicht fort will, indem ſie auf das Leſen und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel Zeit verwenden muͤſſen. In den aͤlteſten Zei - ten fiel dieſe Schwierigkeit weg, weil ſie ſich hieroglyphiſcher Zeichen bedienten, welche mehr gemalt als geſchrieben waren. So bezeichne - te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß: ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. ſ. w. Sobald aber ihre Ideen ſich vervielfachten, und ſich uͤber Gegenſtaͤnde erſtreckten, die nicht konnten betaſtet werden; ſo mußten ſie gewiſſe Charaktere unter ſich einfuͤhren, wodurch ihre Begriffe konnten bezeichnet werden. Dieſe Cha - raktere haben ſich in der Folge der Zeit ſo ver - mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von 80000 ſolcher Charakteren angeben. Wer von dieſer Anzahl 20000 kennt, wird ſchon fuͤr ei - nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch ſeine Sprachkenntniß im Stande iſt, viele Buͤ -cher224cher zu leſen. *)Um den Lernenden ihre Arbeit einigermaßen zu erleichtern, haben einige Lehrer Vocubularien und Woͤrterbuͤcher geſchrieben, wo die Man - nichfaltigkeit der Charactere in einige Claſſen vertheilt iſt. So muß z. E. alles dasjenige, was ſich auf Himmel, Erde, Menſch, Pferd, Berg, bezieht, unter dem Charakter Himmel, Erde u. f. gebracht und geſucht werden. Sie haben auch noch, au - ßer dieſen verſchiedenen Characteren, eine alte Art, die aber nur in Aufſchriften, Titeln, Sinn - ſchriften und alten Schriften gebraucht werden: ferner eine beſondere Art von Zeichen, deren ſie ſich bey gerichtlichen Contracten bedienen.

In ihrem Style beobachten ſie, ſonderlich die Vornehmen, eine große Ernſthaftigkeit mit vielen Allegorien untermiſcht. Er iſt oftmal ſo dunkel, daß man Muͤhe genug hat, beym Leſen keine Fehler zu begehen. In Anbringung der Allegorien ſind ſie erhaben und meiſtens gluͤcklich: die groͤßeſte Zierde ihres Styls be - ſteht aber darinn, daß ſie zuweilen einige Sen - tenzen aus ihren canoniſchen Buͤchern, am rechten Orte mit einſtreuen. Sie ſehen auch ſehr darauf, daß ſie ſchoͤn ſchreiben und die Buchſtaben allen Regeln der Schreibekunſt ge - maͤß ziehen; die Ungelehrten beweiſen ſo gar fuͤr eine Schrift, die ſchoͤn geſchrieben iſt, die groͤßeſte Hochachtung, wenn ſie auch gleich mit dem, was darauf geſchrieben iſt, wenig bekannt ſind, oder auch wohl gar nichts davon verſte -hen.225hen. Die Chineſer pflegen, wider die Ge - wohnheit der allermeiſten Nationen, von oben bis unten herunter zu ſchreiben. Von der rech - ten Seite fangen ſie ihre Linie an, und fah - ren zur Linken fort. Sie gebrauchen bey ihrem Schreiben keine Federn, ſondern ſtatt derſelben Pinſel, die ſie aber nicht ſchief, ſondern ſehr grade halten.

Ihre Dinte iſt ein zuſammengeſetzter Lam - penrus, der aus einigen Arten verbrannten Hol - zes oder Oehl gemacht, und mit einer gewiſſen Art von Gummiwaſſer durchmiſcht wird, wel - ches die Feſtigkeit verurſacht. Hierauf nun pflegt man dieſe Maſſe zum Gebrauch in laͤng - lichvierekigte Kuchen zu gießen, nachdem ſie vorher etwas Biſam oder andere wohlriechen - de Sachen damit vermiſcht haben, damit der Lampenrus nicht ſo uͤbel rieche. Wann man der - gleichen Dinte lange aufhebt und verwahrt; ſo wird ſie eine kraͤftige Arzney wider den Blut - fluß und Convulſionen. Sie halten dieſe Dinte auch fuͤr ein gutes Alkali, das die ſcharfe Saͤf - te des Blutes abſorbirt, und das Gebluͤt ge - ſunder und fluͤſſiger macht.

Das Papier der Chineſer wird nicht, wie man oftmals wegen der Duͤnne und ſchoͤn glaͤn - zenden weiſſen Farbe geglaubt hat, aus Seide gemacht, ſondern aus der innwendigen Rinde des Bambusrohrs und anderer Baͤumen. Sie haben, eben ſo wie wir, verſchiedene Arten von Papier, von deſſen Verfertigung, AbglaͤnzungPwir226wir hier, der Kuͤrze wegen, nicht reden koͤnnen. *)Duͤ Halde hat hievon ſehr umſtaͤndliche Nach - richten beygebracht, die man hierbey leſen kann.Es kann nur auf einer Seite beſchrieben wer - den, weil es ſehr duͤnne und durchſichtig iſt. Will man aber beyde Seiten gerne beſchreiben; ſo werden zwey Blaͤtter ſo geſchickt uͤbereinan - der geklebt, daß man es faſt nicht merken kann. Eben dieſer Methode bedienen ſie ſich auch bey gebundenen Buͤchern, ſowohl geſchriebenen als gedruckten. Die Erfindung des Papiers ſetzen Halde, Martini, Le Compte ungefaͤhr in das funfzigſte Jahr nach der chriſtlichen Zeit - rechnung. Ehe ſie das Papier und den Gebrauch deſſelben kannten, gruben ſie ihre Buchſtaben mit einem Griffel auf ſehr duͤnne Bretter von hartem Holze, oder auch auf Bambus, das an Dauer unſer Pergament uͤbertraf Es iſt ge - wiß, daß die Chineſer wenigſtens ihre Canoni - ſchen, und andere Buͤcher, die ſie der Nach - welt uͤberliefern wollten, auf dergleichen hartes Holz geſchrieben haben.

Die Buchdruckerkunſt in China iſt ſehr alt, ſo daß man nicht im Stande iſt, mit Gewißheit die Zeit anzugeben, wenn ſie erfunden ſey. Sie hat eine ganz eigene Einrichtung, und iſt von unſerer Buchdruckerey ſehr verſchieden. **)Man meint, daß die Buchdruckerkunſt etwa 400 Jahr bey den Chineſern fruͤher ſey erfun - den worden, wie bey uns Europaͤern. Es iſtſehrIh -re227re Art zu drucken, geſchieht auf folgende Wei - ſe. Ein jeder Autor laͤßt ſein Manuſcript vorher, von einem geſchickten und geuͤbten Schreibmeiſter, auf ſchoͤnes, durchſichtiges Papier reinlich abſchreiben. Hierauf wird ei - ne Seite auf eine Tafel von hartem und glattem Holze geleimt, und dann von einem Kuͤnſtler in Holz geſchnitten. Der Kuͤnſtler ſchneidet nachher die Buchſtaben erhaben aus, und zu - gleich auch das uͤberfluͤßige Holz weg, worauf nichts eingegraben iſt. Die Schoͤnheit des Drucks haͤngt alſo zum Theil von der Vollkom - menheit der Handſchrift ab. Eine ſolche Art zu drucken hat ſehr viele Bequemlichkeiten. Denn erſtlich braucht der Verfaſſer fuͤr die Druckfehler nicht in Sorge zu ſtehen, wenn an -P 2ders**)ſehr wahrſcheinlich und faſt ausgemacht, daß Johann Fauſt die erſten Entdeckungen bey den Chineſern gemacht und der Sache weiter nach gedacht habe. Dieſe Meinung wird noch - fuͤrnemlich dadurch gewiß, daß anfaͤnglich bey uns auch nur eine Seite des Papiers bedruckt wurde, wie dieß noch heutiges Tages in China uͤblich iſt Fuͤr uns Europaͤer war es vortheilhafter in dieſem Stuͤcke eine Aen - derung zu treffen: nicht aber fuͤr die Chine - ſer. Mit vier und zwanzig Buchſtaben koͤnnen wir viele Baͤnde drucken, wenn wir einen hin - laͤnglichen Vorrath derſelben haben, um nur einen Bogen voll drucken zu koͤnnen. Dieß laͤßt ſich aber bey der chineſiſchen Sprache, wegen der großen Menge von Characteren nicht anwenden.228ders das Manuſcript richtig geweſen iſt. Zwey - tens pflegt man nur ſo viele[Exemplare] zu dru - cken als ſich Kaͤufer gemeldet haben, weil die Tafeln, um erforderlichen Falls noch mehrere ab - drucken zu koͤnnen, beſtaͤndig vorhanden ſind. Indeſſen muß man doch auch geſtehen, daß die - ſe Methode ihre großen Unbequemlichkeiten hat: denn man wird dadurch gezwungen, die Formen zu vervielfaͤltigen, ohne ſich derſelben Charactere wieder bedienen zu koͤnnen. Wenn die Ta - fel ausgeſchnitten, die Buchdruckerfarbe fertig und das Papier abgemeſſen iſt; ſo iſt es einem einzigen Manne eine Kleinigkeit, alle Tage an zwey tauſend Blaͤtter abzuziehen. In den chineſiſchen Buchdruckereyen haben ſie keine Preſſen; denn die Tafeln, welche von ſehr duͤn - nem Holze ſind, wuͤrden das Gewicht nicht aus - halten. Man bedient ſich zweyer Buͤrſten, wo - von mit der einen in die Farbe getaucht wird, um die Buchſtaben damit zu faͤrben; und mit der andern, die laͤnglicht und ſanft iſt, preßt man das Papier, welches, nicht wie bey uns vorher angefeuchtet, ſondern trocken auf die Formen gebracht wird. Die Buchdrucker - farbe wird aus Brantewein, Rußwaſſer und gemeinem Tiſchlerleime gemacht. Sie pfle - gen ihre Buͤcher ſehr mannichfaltig einbinden zu laſſen. Gemeiniglich laſſen ſie ſie in Pappe und auch wohl in Atlaß; die Vornehmern aber laſſen ſie in Taffet oder in geblumte Gold - und Silberſtoffe einbinden.

Drit -229

Drittes Kapitel.

Von der Schiffahrt dem Handel und einigen Manufacturen in China.

Die Chineſer behaupten, nach ihrem gewoͤhn - lichen Stolze, daß die Schiffahrt, unter allen Nationen des Erdbodens, zuerſt von ih - nen ſey erfunden und ausgeuͤbt worden. Sie erzaͤhlen, daß ihre Vorfahren bereits vor eini - gen tauſend Jahren alle indianiſche Meere, bis an das Vorgebuͤrge der guten Hoffnung, ohne Huͤlfe des Kompaſſes, deſſen Erfindung ſie ſich auch ruͤhmen, beſchifft und auf denſelben Handel getrieben haben. Allein dieſe Behauptung iſt nicht nur unwahrſcheinlich, ſondern auch ganz falſch. Denn ihr Seeweſen, ſo wie es gegenwaͤrtig be - ſchaffen und wie es beſchaffen geweſen iſt, ſeit - dem die Europaͤer mit ihnen bekannt geworden ſind, iſt noch ſehr unvollkommen, ſowohl was den Bau der Schiffe, als die Art ſie zu regieren, betrift. Es ſcheint, als wenn ihr Schiffe nur bloß dazu eingerichtet waͤren, um auf den naͤch - ſten Meeren zu ſchiffen und auf denſelben, (ob - wohl nur an den Kuͤſten) Handel zu treiben. Ihre groͤßeſten Fahrzeuge ſind eigentlich nichts als platte Barken, mit einem großen und ei - nem kleinen Maſte verſehen. Die Laͤnge eines ſolchen Schiffs erſtreckt ſich nicht uͤber achtzig bis neunzig Fuß. Sie bedienen ſich auch kei -P 3ner230ner Segel von Hanf, ſondern von Matten, welche aus Bambus gemacht werden. Mit ſol - chen Segeln laͤßt ſich ſchwer umgehen. Die Schiffsanker ſind gleichfalls von den unſrigen ſehr verſchieden; ſie ſind nicht von Eiſen, ſon - dern von einer gewiſſen Art von hartem und ſchwerem Holze, welches ſie in ihrer Sprache Tve-mu d. i. Eiſenholz nennen, und wovon ſie glauben, daß es ſich nicht ſo leicht biege als das Eiſen. Ihre Schiffe werden nicht, wie bey uns, mit Pech und Teer beſchmiert, ſondern ſie bedienen ſich einer Art Gummi, welches zu einem ſolchen Gebrauch bequem genug iſt und die Schiffe ziemlich trocken haͤlt. Wenn aber Waſſer in das Schiffe kommt; ſo gießen ſie es mit Eimern wieder heraus, denn ſie kennen den Gebrauch der Pumpen nicht. Eben ſo wenig wollen ſie etwas von Steuermaͤnnern und Schiffscapitains wiſſen, ſondern ſie uͤberlaſſen die ganze Regierung deſſelben allein den Ru - derknechten. *)Sie richten ſich, bey ihrer Art zu ſchiffen, mei - ſtentheils nach dem Kompas, welcher, des Mangelhaften nicht zu gedenken, in einer Buͤch - ſe beſtehet, deren Rand in 24 gleiche Theile ab - getheilt iſt, wodurch die mancherley Winde ſol - len angezeigt werden. Dieſe Buͤchſe wird auf Sand oder ſonſt etwas Weiches geſetzt, nicht, damit die Nadel ihre Richtung nicht verliere, ſondern damit ſie auf denſelben Raͤuchwerke le - gen und anzuͤnden koͤnnen. Sie haben hierbeyun - Dieß alles nun ſind in denAu -231Augen geſchickter und erfahrner Kenner des Schiffsweſens große Maͤngel. Und ohngeach - tet die Chineſer ſelbſt dieſe Maͤngel einſehen; ſo laſſen ſie doch die alte Einrichtung und Bau - art der Schiffe nicht fahren, halten es vielmehr fuͤr ein Verbrechen etwas veraͤnderu zu wollen, was ihre Vorfahren mit großer Muͤhe ausge - dacht haben: ja ſie glauben, daß durch eine neue Veraͤnderung der Schiffe die Majeſtaͤt des Reichs beleidiget wuͤrde, nicht anders, als ob die Groͤße eines Staats in Beybehaltung ſeiner alten Unſchicklichkeiten und Irrthuͤmer laͤge!

Sonder Zweifel haben alſo die Chineſer in ihrem Schiffsweſen den wahren Punct noch nicht getroffen, und bleiben hinter den Europaͤern noch weit zuruͤck. Deſto gluͤcklicher aber koͤn - nen ſie mit ihren kleinen Fahrzeugen auf den Fluͤſſen fortkommen. Es werden von dem chi - nefiſchen Kaiſer derſelben eine unzaͤhlige Menge gehalten, theils um auf denſelben die Gouver - neurs in ihre Provinzen uͤberzufahren, theils auch zum Nutzen der Mandarinen. Derglei - chen Schiffe ſind nicht ſehr groß, alle aber mitP 4Schnitz -*)ungemein viele aberglaͤubiſche Meinungen, denn ſie beehren den Wind nicht nur mit dergleichen Raͤuchwerken, ſondern opfern ihm uͤberdieß noch andere Victualien. Ihre groͤßeſte Kom - pasnadel iſt nicht uͤber 3 Zoll lang. Duͤ Hal - de meint, daß dieſe Kompasnadeln in China waͤren erfunden worden. Man ſehe duͤ Halde Vol. I. Seite 529 u. f.232Schnitzwerken verſehen. Auf dieſen Fahrzeu - gen findet man die beſten Gemaͤcher angebracht. Das Anſehen derſelben ſetzt einen Fremden, we - gen der ungeheurem Menge, die in den Hafen und auf den Stroͤmen bey einander liegen, und der Schoͤnheit, in Erſtaunen. Man beobach - tet unter den Schiffen folgende Rangordnung. Erſtlich kommen die kaiſerlichen Schiffe, dann die des Adels, ferner die Schiffe der Großen des Hofes, die der Gelehrten, und endlich die der Kaufleute. Die Schiffe der Kaufleute duͤr - fen, vermoͤge ihres Ranges, nicht ſo geſchmuͤckt ſeyn wie die andern. Indeſſen findet man doch an denſelben außerordentliche Kunſt, in Anſehung des Schnitzwerks, angebracht. Die kai - ſerlichen Schiffe aber uͤbertreffen an Pracht al - le Erwartung. Man kann ein dergleichen Schiff faſt nicht von einem Palais unterſcheiden. Im Ganzen muß man bemerken, daß alle Schif - fe, die auf den Kanaͤlen, Fluͤſſen und Seen ge - hen, in der beſten Ordnung gehalten werden: ſie auch allemal vor einem kaiſerlichen Schiffe die Segel ſtreichen. Es iſt uͤberaus angenehm zu ſehen, daß man allenthalben, wo man reiſet, weil das Land von Seen, Fluͤſſen und Kanaͤlen voll iſt, Segel ſieht, die theils zum Nutzen des Staats, theils zur Luſt und Vergnuͤgen auf und ab gehen, und es dabey von Menſchen wimmelt, die ſich alle auf verſchiedene Art be - ſchaͤftigen. Und ſoviel von dem Schiffsweſen der Chineſer uͤberhaupt.

Ein233

In einem Lande, das ſo reichlich mit allen Din - gen, die zum Lebensunterhalte gehoͤren, wie China, verſehen iſt, muß auch nothwendig der Handel anſehnlich ſeyn, wenn anders die In - duſtrie des Volks das Ihrige dabey thut. Und in der That muß man auch geſtehen, daß viel - leicht in keinem Reiche der Welt mehr Handel und Wandel getrieben wird, wie eben in Chi - na. Hierzu traͤgt die Aufmunterung von Sei - ten der Regierung, ungemein vieles bey. Sie ſtehen jetzt mit allen Reichen, ſonderlich aber mit den Japaneſern, Siamern, im Handel, von welchen ſie die ihnen fehlenden Waaren nehmen, und ihre Landesproducte dafuͤr wieder zuruͤckgeben, wobey ſie aber allemal dahin ſe - hen, daß ſie bey ihrem Handel ſtarken Profit haben. Einige ihrer Waaren, wovon ſie wiſ - ſen, daß ſie andere Nationen ſchlechterdings nehmen muͤſſen, halten ſie ſo hoch im Preiße, daß ſie wenigſtens tauſendmal mehr Profit neh - men, als ſie billig nehmen ſollten. Das Commerzium mit den Europaͤern, macht einen wichtigen Artikel ihres Handels aus. Dieſer Handel aber wuͤrde gewiß noch ſtaͤrker und fuͤr ſie vortheilhafter ſeyn, wenn die Europaͤer ei - nen beſtaͤndig offenen Hafen haͤtten. Zwar hat man ihnen den Hafen zu Quangtong zugeſtanden: aber ſie duͤrfen ſich deſſen doch nur zu gewiſſen Zeiten des Jahrs bedienen. Auch duͤrfen die Europaͤer mit ihrer Schiffen nicht einmal vor dieſe Stadt ſegeln, ſondern ſie muͤ -P 5ßen234ßen, ohngefaͤhr vier Meilen vor derſelben, An - ker werfen: eine Sache, die fuͤr die Handeln - den ſehr unvortheilhaft iſt. Die vornehm - ſten Producte, welche die Europaͤer von den Chineſern wegfuͤhreten, waren Zucker, Reis, Thee, Specereyen fuͤr die Apotheker, Dia - mante, Uhren, Spiegel, Cryſtallen, Fern - glaͤſer und andere mathematiſche Inſtrumente.

Der Handel der Europaͤer mit den Chine - ſern iſt itzt bey weitem nicht mehr ſo betraͤcht - lich, wie er vor Zeiten mag geweſen ſeyn. Die oſtindiſche Handlungscompagnie verſieht ſie ſo uͤberfluͤßig mit allen Waaren, daß da -[durch] der Handel ungemein vieles einbuͤßet, und es kaum der Muͤhe werth iſt, weiter et - was hieher zu bringen, als Silber, um es gegen Gold*)Das meiſte Gold, ſagt Duͤ Halde, was zu Quangtong, gekauft wird, kommt ans Japan dahin. umzutauſchen. Der Handel mit Silber und Gold geht gut oder ſchlecht, je nach dem die Jahrszeit iſt. Im Maͤrz, April und May iſt es z. E. wohlfeiler, als in den Monathen vom Junius bis zum Januar.

Wir muͤſſen hier noch anmerken, daß die Chineſer, im Handel und Wandel, feine und ausgelernte Betruͤger mit Recht zu nennen ſind. Sie halten es gar nicht fuͤr ſuͤndlich, diejenigen, mit denen ſie handeln, auch ſo gar ih - re eigne Landesleute und Nachbarn nicht aus -genom -235genommen, zu betruͤgen. *)Sie haben hierbey den Grundſatz. Sie ſagen, ein jeder Kaͤufer habe allemal den Vorſatz, ſo wohlfeil zu kaufen, als moͤglich, ja, wenn er koͤnne, gar nichts fuͤr die Waare zu geben. Eben ſo daͤchte auch der Verkaͤufer. Dieſer ſey berechtigt, ſeine Waaren ſo theuer zu ver - kaufen, als er ſie nur immer loß werden koͤnne, und dabey alle Liſt erlaubt, ſeine Waaren zu erhoͤhen.Ein Auslaͤnder wird nie von ihnen weggehn, ohne nicht derbe von ihnen betrogen zu ſeyn.

Der wichtigſte Handel in China iſt derjeni - ge, welcher im Innern des Reichs getrieben wird. Die Stroͤme, Kanaͤle ſind unaufhoͤr - lich mit Barken bedecket, und die Heerſtraßen mit Pferden, Mauleſeln, Kameelen, Karren, Menſchen, welche diejenigen Waaren aus der einen Provinz in die andere verfuͤhren, woran ſie einen gegenſeitigen Mangel haben. **)So liefert, z. E. die Provinz Che-kyang die beſte Seide; Kyang-ſi, einen Ueberfluß an Reis; Fo-kyen den beſten Thee und Zucker; Kyang nan die beſte Dinte, Ferniß und aller - ley Galanteriewaaren; Yu-nan, Shen-ſi und Shan-ſi eine Menge Pferde, Mauleſel, Pelz - werk, Eiſen, Kupfer und andere Metalle. Man leſe hieruͤber den Le Compte und Duͤ Halde nach. Und auf dieſe Art theilen ſie ſich einander die Reich - thuͤmer mit. Dieſer Handel iſt viel wichtiger,als236als derjenige, den alle Europaͤiſche Nationen unter einander treiben.

Naͤchſt der Handlung ſind die Manufactu - ren in gutem Flor, und machen beynah allein den Reichthum der Nation aus. Wir wollen hier Gelegenheit nehmen, nur von den vor - nehmſten Manufacturen, als von ihrem Por - cellaine, Seiden - und Wollenmanufacturen zu reden. Wir reden von der Porcellain - manufactur billig zuerſt, weil ſie in China ſo alt iſt, daß ſie ſelbſt von dem Erfinder derſel - ben nichts Zuverlaͤßiges wiſſen und ſagen koͤn - nen. Die Chineſer ſind von jeher ſo heimlich in Verfertigung ihres Porcellains geweſen, daß die Europaͤer lange Zeit nicht gewußt ha - ben, wie ſie das Porcellain eigentlich verfer - tigten. Viele Reiſebeſchreiber, die ſich be - muͤhten, dieß Geheimniß herauszubringen, haben ihren Landesleuten ſo viele abgeſchmack - te und abſurde Dinge, von der Materie, wor - aus das Porcellain verfertigt werden ſollte, vorerzaͤhlt, daß man ſich nicht genug uͤber die Verſchiedenheit in ihren Erzaͤhlungen verwun - dern kann. Die Europaͤer ſind auch nicht eher hinter dieß Geheimniß gekommen, bis der Jeſuit D’Entrecolles der zu King-te - ching eine Gemeinde geſtiftet hat ein ver - ſtaͤndiger und ehrlicher Augenzeuge, ihnen eine zuverlaͤßige Nachricht davon gab, und alle Umſtaͤnde deutlich und genau aus einander ſetz -te.237te. *)Extract des lettres edifiantes ap. Du Halde Vol. I. p. 340. Das chineſiſche Porcellain wird in vielen Provinzen gemacht; das beſte aber trifft man zu King-te-ching an. Man laͤßt es gegenwaͤrtig einem jeden ſehen, wie es zuberei - tet wird, nachdem ſie wiſſen, daß die Euro - paͤer ihre Geheimniſſe entdeckt haben. Die Materie, woraus man Porcellain macht, be - ſteht in ſehr feiner Erde, die mit ſilberfarbig - ten Theilchen durchmengt iſt. Wenn die Klumpen aus dem Steinbruche kommen, rein gewaſchen, und von Sand und Erde geſaͤubert ſind; ſo werden ſie ſehr klein, ſo daß ſie dem Staube aͤhnlich ſind. Dieſer Staub wird hernach im Waſſer herumgeruͤhrt, bis er voͤllig wie Teig ausſieht, den man kneten, und von Zeit zu Zeit mit Waſſer aufeuchten kann und muß. So bald dieſer Teig voͤllig durchgekne - tet iſt; ſo bringt man ihn in verſchiedene For - men, und macht daraus die verſchiedenen Ge - faͤße, die man haben will. Wenn dieß geſche - ben; ſo ſetzt man dieſe Gefaͤße an die Sonne, zum Austrocknen; ſie werden aber alsdann, wann die Hitze am groͤßeſten iſt, weggeſetzt, damit ſie nicht verbrannt werden. So bald ſie nun voͤllig trocken ſind; ſo werden die Mahlereyen angebracht: worauf die Glaſur folgt. Zuletzt wird das Gefaͤß in einem dazu aptirten Ofen gebrannt, und nicht eher herausgenommen,bis238bis es ſich nach und nach abgekuͤhlt hat. Eine ſolche Arbeit iſt ſehr beſchwerlich, und erfor - dert viele Zeit und Arbeiter,*)Duͤ Halde erzaͤhlt, daß zu King-te-ching, einer Stadt, welche drey franzoͤſiſche Meilen lang iſt, in der Provinz Kyang-ſi. ſich uͤber eine Mil - lion Menſchen befinde, die ſich bloß mit dieſer Arbeit beſchaͤfftigten. denn ein Gefaͤß muß oft durch mehr als vierzig Haͤnde gehen.

Man verfertigt in China porcellaine Ge - faͤße von bewundernswuͤrdiger Groͤße. Sie machen oftmals Kruͤge von drey bis vier Fuß hoch, woran ſo viel Kunſt vereinigt iſt, daß man keine Zuſammenfuͤgungen bemerken kann. Die Zierrathen, welche ſie an dergleichen Ge - faͤße bringen, zeigen von ihrer Geſchicklichkeit und Geſchmack in dieſem Stuͤcke. Aber ſolche große Stuͤcke pflegen die Chineſer nicht fuͤr ih - ren Gebrauch und Bequemlichkeit zu machen, ſondern ſie ſind gemeiniglich zu Kauf beſtellt. Man findet bey ihnen Porcellain von allen Couleuren, das himmelblaue und gelbe aber wird am meiſten geachtet und geſucht. Glat - tes Porcellain wird auch verfertigt: einiges, das muſiviſche Arbeit vorſtellt, noch anderes, das durchbrochen und ausgeſchnitten wird. Die Thierfiguren und grotesken Stuͤcke gelingen ihnen am beſten. So ſieht das Porcellain ſehr gut und natuͤrlich aus, das Enten und Schildkroͤten vorſtellt, die auf dem Waſſerſchwim -239ſchwimmen, und Katzen, fuͤr welchen ſich die Maͤuſe fuͤrchten.

Die Porcellainarbeiter geben vor, daß ſie die einzigen in der runden Welt ſind, welche gutes Porcellain zu machen verſtehen. Wenn man ihnen von dem japaniſchen Porcellain et - was ſagt; ſo antworten ſie darauf, daß die Japaneſer eigentlich kein Porcellain machen koͤnnten, ſondern ſie kauften es von den Chi - neſern, und verkauften es wieder fuͤr ihre ei - gne Waare und Arbeit. Wenn man das chineſiſche mit unſerm ſaͤchſiſchen und preußi - ſchen Porcellain vergleichen will; ſo muß man geſtehen, daß beyde Fabriken vielleicht die Weiſſe und Feinheit des Thons, und die Leb - haftigkeit und Dauer ihrer Farben noch nicht voͤllig erreicht haben. Dabey aber auch zuge - ben, daß ſie beyde (vielleicht itzt das Preußi - ſche in einem noch hoͤhern Grade) an Schoͤn - heit, Anmuth, Vollkommenheit und Regel - maͤßigkeit der Zeichnungen, das chineſiſche weit uͤbertreffen.

Dieß koͤnnte hinlaͤnglich ſeyn, um den Le - ſer in den Stand geſetzt zu haben, ſich einige Vorſtellungen, von der Porcellainmanufa - ctur, und der Bearbeitung deſſelben, machen zu koͤnnen, wenn wir nicht glaubten, manchen einen Gefallen zu thun, hier noch einige Be - merkungen uͤber den beruͤhmten Porcellain - thurm, mitzutheilen. Dieſer Thurm uͤber - trifft alles ſehr weit, was Kunſt und Ver -ſchwen -240ſchwendung in China merkwuͤrdiges hervor - gebracht hat. Er ſteht zu Nan-king, und iſt neun*)Dergleichen fuͤrtrefflicher Gebaͤude eines, ſoll, wie geſagt wird, in jeder Provinz ſeyn. Sie ſind fuͤrnehmlich der Zierde wegen ange - bauet. weil ſie von Reiſenden ſehr weit koͤnnen geſehen werden, und eine ſchoͤne Ausſicht, von ihren oberſten Gaͤngen herunter, darbieten. Gemeiniglich ſind ſolche Thuͤrme neun Stock - werk hoch. Duͤ Halde verſichert uns aber, daß einige derſelben uͤber dreyzehn Stock hoch waͤ - ren. Jedes Stockwerk iſt gewoͤhnlicherweiſe acht bis neun Fuß, und das unterſte zwoͤlf Fuß hoch. Stockwerk hoch, und wird von allen Reiſenden, wegen ſeiner Hoͤhe, Sym - metrie, Bildhauerarbeit, Vergoldung, und anderer Zierrathen, am meiſten bewundert. Jedes Stockwerk wird von auſſen, durch ein beſonderes Geſimſe, das fuͤrtrefflich gemacht iſt, von einander abgeſondert. Man muß we - nigſtens neunhundert Stufen ſteigen, bis man in die oberſte Spitze des Thurms kommt. In einem jeden Stockwerke ſieht man vier, gegen die vier Hauptwinde gerichtete, Fenſter, welche uͤberall mit vielen Gemaͤlden und Goͤtzenbildern ausgeſchmuͤckt ſind. Der Thurm iſt achteckigt und ſein Umkreiß ohngefaͤhr vierzig Fuß. Von innen und auſſen iſt er mit vielfarbigten und dem Porcellain aͤhnlichen Ziegelſteinen ausge - ſetzt, und alle Theile dieſes erhabenen Denk -maals241maals ſind mit ſo vieler Kunſt verſehen, daß man beym erſten Anblick glaubt, das ganze Werk be - ſtehe aus einem Stuͤcke. An den Ecken einer jeden Gallerie, haͤngt eine Menge kleiner Glo - cken, die, vom Winde bewegt, einen nicht un - angenehmen Schall von ſich geben. Allein, das Schoͤnſte am ganzen Gebaͤude beſtehet in einer Art von Kuppel, die von einem Maſtbaume, der auf dem Boden des achten Stockwerks feſt ſtehet, und uͤber dreyßig Fuß uͤber denſelben hervorragt, getragen wird. Die Bildhauer - arbeit, welche man an dieſer Kuppel ſieht, iſt vergoldet, und das Werk ſcheint uͤberhaupt von Marmor und gehauenen Steinen zu ſeyn. Dieß iſt die Beſchaffenheit der Bauart eines Thurms, der im ganzen Oriente, er mag nun von einer Materie gebaut ſeyn, von welcher er will, fuͤr das dauerhafteſte und praͤchtigſte Werk, mit Recht angeſehen wird. Man weiß eigentlich noch nicht mit Gewißheit zu ſagen, bey welcher Gelegenheit dieſer Thurm gebaut iſt. Neuhoff glaubt, daß er bereits uͤber ſiebenhundert Jahre geſtanden, und von den Tatarn, als ein Denkmaal, daß ſie ſich des chineſiſchen Reichs bemaͤchtigt, ſey erbaut worden. Le Compte geht von dieſer Behau - ptung, nicht ohne Gruͤnde, ab. Er glaubt naͤmlich, daß dieſer Thurm nicht laͤnger, als dreyhundert Jahre geſtanden habe, und von dem Kayſer Yang-lo ſey erbaut worden. Die - ſer Meynung ſtimmt Halde auch bey.

QWir242

Wir kommen itzt zur Seiden - und Wol - lenmanufactur der Chineſer. Unter allen chineſiſchen Provinzen iſt wohl keine, die es der Provinz Tche-Kyang wenn ſie gleich fuͤr die kleineſte im ganzen Reiche gehalten wird an Reichthum zuvorthaͤte Ihr vornehm - ſter Reichthum beſteht in der Seidenmanufa - ctur, welche von den Reiſebeſchreibern einhel - lig fuͤr die beſte im Reiche gehalten wird. Auf ihren Feldern ſieht man faſt nichts anders, als Maulbeerbaͤume, die wie die Weinſtoͤcke ange - bauet und beſchnitten werden. Dieſe Gewohn - heit hat aus der Erfahrung ihren Urſprung, weil ſie naͤmlich aus den Blaͤttern der kleinen Baͤu me, die beſte Seide ziehen. Die Pro - vinz Tche-Kyang liefert nicht nur Seide fuͤr das ganze chineſiſche Reich, Japan und die philippiniſchen Eylaͤnder, ſondern ſie verſieht auch mit ſelbiger ganz Indien. Die Hollaͤn - der kaufen von dieſer Seide, ihres Werths we - gen, ſo viel, als ſie nur immer auftreiben koͤnnen. An Weiſſe, Glanz und Feinheit hat ſie vor allen andern große Vorzuͤge. Italien empfieng ehemals die Seide aus Grie - chenland. Die Griechen hatten den Perſern die Zubereitung derſelben zu danken, und die Perſer hatten es von den Chineſern gelernt, wie ſie Seidenwuͤrmer auferziehen, und die Seide davon zubereiten ſollten Man er - zaͤhlt, daß die Einwohner der Provinz Tche - Kyang vor ihrer Bebauung, bloß mit Fellenwaͤren243waͤren bekleidet geweſen, daß aber, da dieß Huͤlfsmittel, bey mehrerer Bevoͤlkerung nicht zu - gereicht, eine von den Kayſerinnen*)Die chineſiſchen Nachrichten erzaͤhlen, daß ſich eine der Gemahlinnen des Kayſers Whang-ti dieſer Arbeit zuerſt unterzogen, und die Bear - beitung der Seide zuerſt erfunden habe. Es wuͤrde hier ganz uͤberfluͤßig ſeyn, alle die Na - men her zu erzaͤhlen, welche die Reiſebeſchreiber fuͤr die erſten Erfinder des Seidenbaues halten: ſo viel bleibt gewiß, daß man die erſten Erfinder deſſelben, mit Gewißheit, nicht angeben kann. Und uͤberhaupt iſt auch nichts daran gelegen. die Kunſt, Seide zu ſpinnen, erfunden habe. In der Folge haͤtten ſich viele Prinzeſſinnen ein Vergnuͤgen daraus gemacht, Seidenwuͤr - mer zu ziehen, und Seide zuzubereiten Hier - auf, fahren ſie weiter fort, waͤre ihnen, ein geraͤumlicher Garte in den Ringmauern des Pallaſtes zu Maulbeerplantagen angewieſen worden. Die Kayſerinn haͤtte ſich alsdann, mit ihren vornehmſten Frauenzimmern, auf das feyerlichſte in eigner Perſon dahin begeben, und die Maulbeerblaͤtter eingeſammelt. Die ſeidenen Zeuge, die ſie eigenhaͤndig verfertiget, und von andern verfertigen laſſen, waͤren bey dem jaͤhrlichen großen Opfer, dem Schoͤpfer und Regierer der Welt geheiligt. Aus dieſer Erzaͤhlung ſieht man wenigſtens ſo viel, daß durch Aufmunterung der Seidenbau in China ſeine Reife erhalten habe!

Q 2Zu244

Zu Nan-King werden die beſten Zeuge von Tche-Kyangſcher Seide, vorfertigt. Von dieſen Zeugen giebt es verſchiedene Arten, wo - von die beſten und zugleich auch bekannteſten ſind der Damaſt; gebluͤmter, glatter, geſtreif - ter Atlas; dicker Taffend, der unſern Mohren in gewiſſen Stuͤcken gleich iſt: andere Taffte mit gebrochnen und geſtickten Blumen. Bey aller der Schoͤnheit ihrer Arbeit aber, fehlt es doch noch weit daran, uns Europaͤer darinn zu erreichen. Fuͤrnehmlich uͤbertreffen wir ſie in unſern Gold - und Silberſtoffen. Die Kunſt, dieſe Metalle in Faͤden zu ziehen, die Seide damit zu beſpinnen u. ſ. w. iſt ihnen voͤllig unbekannt. Ihre Kenntniß und Ge - ſchicklichkeit hierinn iſt, das Gold - oder Sil - berpappier in duͤnne Streifen zu ſchneiden, Seide darunter zu miſchen, und ſolche die Far - be der Blaͤttchen annehmen zu laſſen. Man ſieht aber leicht, daß eine ſolche Vergoldung, ſie mag anfangs auch immerhin ſo viel blinken, als ſie wolle, ohnmoͤglich von langer Dauer ſeyn koͤnne. Dergleichen Stoffe werden auch nicht haͤufig, ſondern nur bloß von Manda - rinen vom erſten Range getragen. Die Zeich - nungen ſind gewoͤhnlich ſchlecht. Gemeiniglich ſieht man Haͤuſer, Baͤume und Voͤgel darauf angebracht, am haͤufigſten aber Figuren von Drachen. *)Der Drache ſteht bey den Chineſern in groſ -ſemDie Baumwollen - oder Cattun -ma -245manufactur iſt in China gleichfalls ſehr be - traͤchtlich. Und wenn ſie gleich nicht ſo geehrt und in Anſehen ſteht, als die Seidenmanufa - ctur; ſo gehoͤrt doch die Bearbeitung derſelben, naͤchſt der Porcellain - und Seidenmanufactur, unter die eintraͤglichſten Artikel.

Viertes Kapitel.

Von der Regierungsart Policey Kayſerlichen Einkuͤnften Geſe - tzen Strafen in China.

Es iſt wohl kein Reich in der Welt zu fin - den, das monarchiſcher regiert wird, als China. Die Macht des chineſiſchen Kay - ſers*)Im Vorbeygehen kann hier angemerkt werden, daß der Chineſiſche Monarch, ſeit der Erobe - rung durch die Tatarn, ſich ſelbſt Cham oder Kang, d. i. Kayſer genannt habe. erſtreckt ſich nicht nur uͤber alle ſechzehn Provinzen, ſondern auch noch uͤber viele an - dere, die in der morgenlaͤndiſchen Tatarey lie - gen. Einige dieſer Provinzen beherrſcht er ganz unumſchraͤnkt, einige ſind ihm zinnsbar, noch andere leiſten ihm nur eine Art von Hul -Q 3digung.*)ſem Anſehen. Er iſt es, der den Kayſer Fo-Hi ſoll begeiſtert haben.246digung. Aber in den neu eroberten Staaten, herrſcht er mit dem groͤßten Deſpotismus. Hier hat er nicht nur die freye Macht uͤber das Leben und den Tod eines jeden Unterthanen, ſondern dieſe unumſchraͤnkte Macht erſtreckt ſich auch ſo gar uͤber die Prinzen vom Gebluͤt. Sein Wille vertritt die Stelle des Geſetzes, und wer ſich ſeinen willkuͤhrlichen Befehlen auch nur im Geringſten widerſetzt, hat ſich der haͤrteſten Strafe zu gewaͤrtigen.

Der Kayſer iſt zwar verbunden, bey allen Vorfaͤllen und Angelegenheiten nach den Geſe - tzen zu regieren, und auch wohl, in wichtigen Faͤllen, ſeinen Gerichtshof der Cenſoren, es moͤgen buͤrgerliche oder Criminalſachen ſeyn, um Rath zu fragen. Allein da er der erſte Ausleger der Geſetze iſt, und ſich die Glieder des Gerichtshofes ſchlechterdings nach ſeiner Auslegung richten muͤſſen, dafern ſie ſich der Gefahr, caſſirt zu werden, nicht ausſetzen wol - len; ſo muß ſich die ganze Regierung nach ſei - nem Willkuͤhr richten. Vor Zeiten war dieſe Macht viel eingeſchraͤnkter, und ein Monarch durfte es nicht wagen, Geſetze fuͤr ſich zu geben, welche den ganzen Staat oder die Religion angiengen. Allein die Urſach hiervon lag bloß darinn, weil die Monarchen damals auf ihrem Throne nicht ſo ſicher wa - ren, wie ſie itzt ſind. In den neuern Zeiten aber hat man es an dem Kayſer Kang-hi ge - ſehen, daß er bey Religions und andern Sa -chen247chen ganz deſpotiſch verfahren und gehandelt habe. Und dieß konnte er nur zu einer Zeit thun, wo er ſich der ganzen kayſerlichen Auto - ritaͤt vergewiſſert ſah, und das ganze Gluͤck der Unterthanen bloß in ſeiner Macht ſtand.

Die Ehrerbietung, die man den chineſi - ſchen Kayſern erweiſet, iſt beynahe eine Art der Anbetung. Seine Reden werden fuͤr Orakel - ſpruͤche angeſehen, und ſeine Befehle, als vom Himmel geſandt, betrachtet. Die Kayſer laſ - ſen ſich ſelten oͤffentlich ſehen. Wer einen Kay - ſer anredet, darf es nie anders, als in einer knienden Stellung thun. Nur den Groſ - ſen, welche beſtaͤndig um ihn ſind, und ihm aufwarten, iſt es erlaubt, zu ſtehen, und mit ihm in der Stellung zu reden So laͤcher - lich auch immer dieſe Gewohnheit ſeyn mag; ſo traͤgt ſie doch unendlich viel zur Stille und Ruhe im Reiche bey. Dieſe Ehrfurcht gegen den Kayſer erſtreckt ſich nicht bloß auf die Großen des Hofes, und auf die Mandari - nen, ſondern auch ſo gar auf die Prinzen vom Gebluͤt. Ja dieß geht ſo weit, daß ſie ſo gar fuͤr den Lehnſtuhl, auf den ſich der Kayſer zu ſetzen pflegt, fuͤr deſſen Beinguͤrtel u. ſ. w. ihre Knien beugen. Ueberdieß ſind noch ge - wiſſe Tage in der Woche oder im Monat feſt - geſetzt, an welchen die Großen des Hofes wech - ſelsweiſe erſcheinen, ihm huldigen, und ſeine Autoritaͤt durch ehrerbietiges Kniebeugen und andere Zeugniſſe der tiefſten Devotion, bezeu -Q 4gen248gen muͤſſen, der Kayſer mag nun ſelbſt da ſeyn oder nicht. Wenn der Kayſer krank und die Krankheit einigermaßen gefaͤhrlich iſt; ſo iſt die Beſtuͤrzung unglaublich groß, und der Pallaſt von Mandarinen von allem Range an - gefuͤllt, welche den Himmel, Tag und Nacht, unaufhoͤrlich, um die Geneſung des Kayſers anrufen. Man kann ſich hieruͤber auch gar nicht wundern, da mit dem Tode eines Kay - ſers gemeiniglich große Revolutionen und Ver - aͤnderungen im Reiche verbunden ſind*)Man kann hieruͤber den Duͤ Halde, und ſon - derlich den Le Compte nachleſen..

So unumſchraͤnkt nun aber auch die Macht der chineſiſchen Kayſer iſt; ſo nehmen ſie ſich doch dabey ſehr in Acht, den alten Geſetzen und Einrichtungen nicht zu nahe zu treten. Sie ziehen wie bereits erwaͤhnt, ihre hoͤchſten Tribunale, bey allen Sachen von Wichtigkeit, zu Rathe. Dieß thun ſie ſonderlich aus fol - genden Urſachen; einmal, um den Namen ei - nes Tyrannen zu vermeiden: und zweytens, um nicht mit ſo vielen und mannigfaltigen Sachen, die ihnen vorgetragen werden, uͤberlaͤſtiget zu werden. Alles was an den Kayſer koͤmmt, als Bittſchriften und dergleichen, wird an das Tribunal geſchickt, um die Sache zu unterſu - chen, genau zu pruͤfen, und ſie zu ſeinem ent - ſcheidenden Spruche zu aptiren. Wenn der Kayſer ſich ſeinen Weibern, Bey -ſchlaͤ -249ſchlaͤferinnen und Verſchnittenen zu ſehr ergiebt, und ſeine Zeit im Muͤßiggang zubringt; ſo muß er gewaͤrtig ſeyn, daß ihm alle dieſe Feh - ler ſchriftlich vorgehalten werden. So ſoll man einem gewiſſen Kayſer einmal gerade her - ausgeſagt haben, daß er mit Hintanſetzung der Kayſerinn, ſeiner rechtmaͤßigen Ge - mahlinn, unter einem Haufen nichtswůr - digen Weibsperſonen ſein Leben in Můſ - ſiggange und Ergoͤtzlichkeiten zubraͤchte; daß er die Armeen mit Anfuͤhrern verſehe, die vom Kriegsweſen auch nicht einmal die geringſten Kenntniſſe haͤtten, und nur blos darauf bedacht waͤren, fůr ihr eignes Intereſſe zu ſorgen; daß durch ſei - ne unmaͤßigen Depenſen die Schatzkam - mer erſchoͤpft wůrde, und dergleichen Din - ge mehr. Aus dieſen und andern Urſachen geſchieht es ſelten, daß ſich ein Kayſer der Regie - rung nicht ſo annaͤhme, wie er es ſollte, noch auch in Ueppigkeit und Schwelgerey ſein Leben vertraͤume.

Um aber nun die unſaͤgliche Menge von Staatsangelegenheiten leicht und geſchwind be - ſorgen zu koͤnnen; hat der Kayſer zwey ſouve - raine Tribunale zur Seite, deren Sitz zu Pe - king iſt. Das eine dieſer beyden Tribunale, heißt das außerordentliche, und beſteht blos aus Prinzen vom Gebluͤt: das zweyte oder das ordentliche Tribunal, beſteht, außer den Prinzen, noch aus Kolaven oder Staatsmini -Q 5ſtern.250ſtern. Dieß letztere Tribunal hat mit unſerm geheimen Staatsrathe viel Aehnlichkeit. Das erſte aber verſammlet ſich nur bey ganz außer - ordentlichen Vorfaͤllen. Es giebt in Pe - king, außer dieſen beyden hoͤchſten Tribunalen, noch andere Obergerichte, unter welchen wie - derum eine Menge kleinere Gerichte ſtehen. Die Autoritaͤt derſelben erſtreckt ſich uͤber das ganze Reich. Jedes Gericht hat ſeine eigene Geſchaͤfte, und ſie ſtehen mit einander in einer ſo wunderbaren Verbindung, daß eins das an - dere gehoͤrig im Zaume haͤlt. Wir wollen die Gerichtshoͤfe oder Tribunale mit ihren Ver - richtungen hier kuͤrzlich anfuͤhren.

Der erſte Gerichtshof heißt, Li-pu, d. i. das Tribunal der Mandarinen. Er wacht uͤber die Auffuͤhrung aller obrigkeitlichen Per - ſonen, und ſonderlich der Mandarinen, und berichtet dem Kayſer, ſo oft eine Mandarinen Stelle vacant wird, damit er ſolche ohne An - ſtand wieder beſetzen koͤnne*)Der Leſer wird ſich hoffentlich damit begnuͤgen, daß man ihm hier nur einen kurzen Abriß von den Haupttribunalen darſtellt. Wollten wir uns hier ins Detail einlaſſen, und von den Ge - richtshoͤfen Nachricht geben, die einem jeden der Haupttribunale untergeordnet ſind; ſo wuͤr - de das ſicherlich nicht nur den Leſer ermuͤden, ſondern wir wuͤrden auch etwas ſehr uͤberfluͤßi - ges unternommen haben. Duͤ Halde, Mar - tini, Le Compte, ſind diejenigen, welche al - lenfalls den, welcher ein Mehrers hiervon leſen wollte, hinlaͤnglich befriedigen koͤnnen..

Der251

Der zweyte Gerichtshof, wird Hu-pu, d. i. der hohe Schatzmeiſter des Koͤnigs, ge - nannt. Die Pflicht deſſelben beſteht hauptſaͤch - lich darinn, fuͤr die Einkuͤnfte des Kayſers die gehoͤrige Sorge zu tragen. Le Compte meldet auch, daß dieſes Tribunal uͤberdem noch die Liſten und Verzeichniſſe, die jaͤhrlich von allen Familien, von der Anzahl der Unterthanen, eingereichet werden muͤſſen, beſorge.

Der dritte Gerichtshof heißt, Li-pu, d. i. das Tribunal der Rechte; er ſorgt fuͤr die Beybehaltung der alten Gewohnheiten, fuͤr die Cerimonien bey dem Gottesdienſte, die Opfer, den Empfang der Geſandten, fuͤr oͤf - fentliche Luſtbarkeiten, fuͤr alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, auswaͤrtige Angelegenheiten u. ſ. f*)Aus der Verſchiedenheit der Beſchaͤftigungen dieſes Tribunals erhellet genugſam, daß, wenn gleich das Wort mit dem erſten einen gleichen Namen fuͤhrt, ein Unterſchied zwiſchen beyden ſey. Duͤ Halde im 1 Th. S. 415. meldet, daß der Unterſchied dieſer beyden Woͤr - ter bloß in der Ausſprache laͤge. Li, ſagt er, bedeute ſo viel als Recht, und Pu heiße Tri - bunal..

Der vierte Gerichtshof wird Ping-pu d. h. Tribunal der Waffen genannt. Unter dieſem ſteht das ganze Kriegesweſen, erſtreckt ſich uͤber die Kriegstruppen, ihre Befehlshaber und Waffen.

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Der fuͤnfte Gerichtshof heißt, Hing-pu. In demſelben wird mit hoͤchſter Gewalt in allen peinlichen Faͤllen entſchieden.

Der ſechſte Gerichtshof endlich wird Kong - pu, oder das Tribunal der oͤffentlichen Werke genannt. Er fuͤhrt die Aufſicht uͤber alle kay - ſerliche Gebaͤude, ferner uͤber Bruͤcken, Wege, Triumphbogen, Daͤmme, Veſtungen, oͤffent - liche Tempel, Begraͤbniſſe, Stadthaͤuſer, mit einem Worte, uͤber alle oͤffentliche Anſtalten, und uͤb[e]r das geſammte Seeweſen.

Die Verwaltung des Kriegsweſens beruhet auf einer Art von Bedienten, welche Kricgs - mandarinen genannt werden. Man theilt ſie in fuͤnf Hauptklaſſen, wovon hier einige Nachrichten mitgetheilt werden ſollen. Die erſte Klaſſe nennt man, Mandarinen von der Arriergarde: die zweyte, Mandarinen vom linken Fluͤgel: die dritte, Mandari - nen vom rechten Fluͤgel: die vierte, Man - darinen vom Hauptchor: die fuͤnfte endlich, Mandarinen von der Avantgarde. Die verſchiedenen Klaſſen, werden von fuͤnf Tribu - nalen befehligt, welche wieder unter einem an - dern ſteht, das von dem Obergerichte zu Pe - king dependirt. Der Praͤſident dieſes letztern, iſt allemal einer von den Vornehmſten des Reichs, und ſeine Macht erſtreckt ſich auf alle Kriegsvoͤlker. Um aber ſeine Macht nicht miß - brauchen zu koͤnnen, hat man ihm einen gelehr - ten Mandarinen zum Aſſeſſor zugeſellt, derden253den Titel eines Oberaufſehers der Armeen fuͤhrt. Ohne deſſen Rath darf der Praͤſident (der ohngefaͤhr mit einem Generalfeldmarſchall einerley iſt) nicht das Geringſte vornehmen.

Man zaͤhlt ordentlicherweiſe achtzehn tau - ſend Kriegsmandarinen, welche mehr denn ſie - benmal hunderttauſend Mann Fußvolk, und zweymal hunderttauſend Mann Reuterey, un - ter ihren Befehl haben. Dieſe Voͤlker dienen groͤßeſtentheils blos zur Bedeckung der großen Mandarins, der Statthalter und anderer obrigkeitlichen Perſonen. Man hat ſie in Legionen eingetheilt, und jede Legion beſteht aus zehntauſend Soldaten. Die Tatarn fuͤhren gelbe Fahnen, und die Chineſer gruͤne. Die Anfuͤhrer oder Officiere muͤſſen die Soldaten zu gewiſſen Zeiten muſtern und exerciren, wenn gleich ihr Exerciren faſt nur allein in geſchwin - der Regierung ihrer Saͤbel, Bogen, Flinten, Helme und dergleichen beſtehet. Wenn aber die Soldaten hierinn nicht geuͤbt ſind, oder ih - re Sachen nicht im guten Stande haben; ſo werden ſie ihrer Nachlaͤßigkeit wegen empfind - lich beſtraft. Der Sold eines Infanteriſten belaͤuft ſich ohngefaͤhr taͤglich auf achtzehn gute Pfennige, und ein Maas Reis. Die Loͤhnung eines Kavaleriſten traͤgt etwa noch einmal ſo viel aus. Sie ſind wohl gekleidet, bewafnet: und der Sold wird ihnen alle drey Monathe rich - tig ausgezahlt. Ueberhaupt iſt zu Friedenszei - ten der Soldatenſtand eben ſo wenig beſchwer -lich254lich als gefaͤhrlich, und derjenige, welcher in denſelben will aufgenommen werden, muß un - ter den Kriegsmandarinen gute Bekannte ha - ben. Von Werbung der Soldaten weiß man hier nicht zu reden. Indeſſen aber muß man ſagen, daß die von Natur furchtſamen Chine - ſer, wirklich aͤrmliche Soldaten ſind. Beym erſten Angriffe gerathen ſie gleich in Unordnung, ſind anfangs unſchluͤßig was ſie thun ſollen, und laufen doch endlich davon!

In einem ſo großen und weitlaͤuftigen Rei - che als China iſt, worinn man eine uͤberaus große Menge Staͤdte und Voͤlker antrift, wuͤr - de ſonder Zweifel die groͤßeſte Verwirrung und Unordnung herrſchen, wenn nicht die ſchoͤne Policey, die im ganzen Reiche auf das genauſte beobachtet wird, allen Unordnungen zuvorkaͤ - me. Es iſt bereits bemerkt worden, daß in jeder Provinz ein Statthalter ſey, der die hoͤch - ſte Obrigkeit vorſtelle, und unter den Hofge - richten zu Peking ſtehe. Eine jede Stadt iſt in verſchiedene Quartiere abgetheilt. Ein jedes Quartier wird von einem Oberaufſcher re - giert; er muß aber, von allem, was in ſeinem Bezirke vorgehet, Bericht abſtatten. Ueber - dieß wird die Stadt Tag und Nacht von Sol - daten bewacht, die auf alles achten muͤſſen, was in der Gegend, wo ſie ſind, geſchieht. Daher hoͤrt man von Mordthaten ſelten, und von ge - waltſamen Einbruͤchen, gar nichts. Des Nachts darf ſich keiner auf den Straßen ſehenlaſſen,255laſſen. Ereignet ſichs aber, daß jemand ſich des Nachts auf den Straßen ertappen laͤßt; ſo wird er zum Poͤbel gerechnet, und als ein Dieb angeſehen, der Willens geweſen ſey, ei - nen unerlaubten Streich zu vollſtrecken. Es bleibt alſo immer ſehr gefaͤhrlich in China, des Nachts auszugehen, und den Armen der ſtren - gen Gerechtigkeit zu entwiſchen.

In den vornehmſten Vierteln der Stadt iſt eine Glocke oder Trommel befindlich, welche dazu dienen, um des Nachts die Stunden und Nachtwachen anzuzeigen. Jede Wache dauert zwey Stunden: die erſte faͤngt mit dem Ende des Tages an, und ſo lange ſie waͤhrt, thut man von Zeit zu Zeit einen Schlag auf die Trommel oder an die Glocke. Zwey ſolcher Schlaͤge thut man waͤhrend der zweyten, drey, waͤhrend der dritten u. ſ. w. ſo, daß man, man mag aufwachen, wenn man will, wiſſen kann, wie viel es an der Uhr iſt. Indeſſen ſingt ein Mann ein Lied folgenden Inhalts: Gehor - chet euren Eltern. Verehret die Greiße und eure Obrigkeit, Lebt unter einan - der einig. Begehet keine Ungerechtig - keiten.

Le Compte, im dritten Briefe, druͤckt ſich uͤber die Ordnung, welche die Soldaten des Nachts, der Sicherheit wegen halten muͤſ - ſen, ſo aus: Eine jede Wache muß des Nachts in den ihnen angewieſenen Straßen patroulliren, ſo bald das Zeichen zum Thor - ſchluß256 ſchluß gegeben iſt. Niemand, außer wenn er wichtige Urſachen vorzubringen im Stande iſt, warum er hat ausgehen muͤſſen, darf ſich des Nachts auf den Straßen ſehen laſ - ſen. Sollte die Patrouille in den Reden ei - nes ſolchen Menſchen einige Zweydeutigkei - ten finden; ſo muß er ohne alle Umſtaͤnde, bis zum andern Morgen, in der Hauptwache ſitzen, bis er vom Richter, entweder losge - ſprochen oder verdammt worden iſt. Die wachhabenden Officiere muͤſſen ihre Pflichten ſehr in Acht nehmen, wenn ſie anders nicht wollen caſſirt ſeyn. Sie werden auch ſonſt ſchon dadurch zu ihrer Pflicht angehalten, weil der Gouverneur einer Stadt, ſie oft des Nachts unverſehens zu uͤberfallen pflegt . Mit dieſer Erzaͤhlung ſtimmt Halde uͤberein.

Es wird im ganzen chineſiſchen Reiche Nie - manden erlaubt, Gewehre bey ſich zu fuͤhren. Hiervon ſind auch nicht einmal die Soldaten ausgenommen, außer, wenn ſie ihre Dienſte thun. Man ſieht ſehr darauf, daß, wenn es zwiſchen zween ſtreitenden Partheyen zur Thaͤt - lichkeit kommt, kein Blut vergoſſen werde. Wenn ein paar Leute, z. E. mit einander un - eins geworden ſind, und einer etwa einen Stock in der Hand haben ſollte; ſo wirft er ihn von ſich, und ſchlaͤgt ſich mit ſeinen Gegnern mit der Fauſt herum. Alle Streitigkeiten werden bey ihnen gemeiniglich in der Guͤte beygelegt,und257und machen ihrem Streite, vor dem Manda - rin, ein Ende Dieſer ſitzt mit einer vielbe - deutenden pedantiſchen Mine auf ſeinem Seſſel, hoͤrt mit Gleichguͤltigkeit beyde Partheyen an, und laͤßt den Schuldigen, auch, wenn es ihm einfaͤllt, beyde, nach chineſiſchem Fuße, ſtatt - lich abpruͤgeln.

Es giebt auch in China, ſo wie uͤberall, ein gewiſſes Volk, welches man Huren nennt. Da dieſe gemeiniglich in den Gegenden, wo ſie wohnen, großen Laͤrm zu machen pflegen; ſo iſt es ihnen nicht erlaubt, ſich in der Stadt aufzuhalten, ſondern ſie werden in einen Win - kel der Vorſtaͤdte verwieſen Die Gouverneurs der Stadt pflegen ein Dutzend der Huren in ein einziges Haus einzuquartiren, und ihnen einen Aufſeher zu geben, der von ihrer Auf - fuͤhrung Rechenſchaft geben muß. Ihr Hand - werk wird fuͤr infam erklaͤrt, daher auch eini - ge Gouverneurs ſo ſcharf ſind, daß ſie dieß liederliche Geſindel, wie billig, gar nicht dulden.

Zu der in den Staͤdten herrſchenden Ruhe und Ordnung, traͤgt die Art, wie die Chineſer ihre Kinder erziehen, ſehr vieles bey. Dieſe werden von der zarteſten Kindheit an in den Wiſſenſchaften und freien Kuͤnſten unterrichtet, und ſo daran gewoͤhnt, daß ſie nicht an Aus - ſchweifung und dergleichen denken.

Fuͤr die Bequemlichkeit, Sicherheit und Zierde der Straßen, iſt in China auch geſorgt. Man thut alles moͤgliche um die ungangbarenRWege258Wege gangbar zu macheu. In einigen Pro - vinzen ſind oftmals die Haupiſtraßen, großen und anmuthigen Alleen gleich. Unter Wegens findet der Reiſende entweder, um ſich vor der Hitze zu ſchuͤtzen, oder die Kaͤlte von ſich abzu - halten, angenehm eingerichtete Ruheplaͤtze. Die Mandarinen pflegen allemal, wenn ſie aus ei - ner Provinz in eine andere ziehen, dergleichen Ruheſtaͤtte unter Wegens zum Andenken, an - zuordnen.

Auf den Straßen fehlt es nicht an Wirths - haͤuſern; vielmehr iſt die Anzahl derſelben uͤber - aus groß. Aber ſehr klaͤglich und kuͤmmerlich pflegt es in ſolchen Wirthshaͤuſern herzugehen, welche an einer kleinen Straße liegen! Man kann ſich zugleich auch nichts unſauberers vor - ſtellen, als dieſe Haͤuſer wirklich ſind. Auf den großen und volkreichen Heerſtraßen aber findet man Gaſthoͤfe, die groß und ſchoͤn ſind. Aber Betten muß der Reiſende, wenn er nicht auf geflochtenen Strohdecken ſchlafen will, mit - bringen; denn die Chineſer, und beſonders der gemeine Mann, kennen den Gebrauch der Bet - ten nicht. Wenn die Wege zum Paßiren zu unangenehm und gefaͤhrlich ſind, ſo bedient man ſich der Chaiſen, welche gemeiniglich ſo ge - raͤumlich ſind daß eine Perſon ſehr bequem darinn ſitzen kann. Die Chaiſe wird an zwey Arme angefaßt, wie unſre Portechaiſen. Tra - gen zwey Perſonen eine ſolche Portechaiſe; ſo nehmen ſie dieſe auf die Schultern. Wird ſieaber259aber von vier Perſonen getragen; ſo werden an den Vorder und Hinderſtangen, Knoten von ſtarkem und ſchlanken Seile befeſtigt, wel - ches die Traͤger auf die Schultern nehmen. Weil aber ein ſolches Tragen ſehr beſchwerlich zu ſeyn pflegt; ſo werden gemeiniglich acht Traͤger dazu genommen, die ſich einander ab - loͤſen koͤnnen.

Wenn man des Nachts reiſet welches, der großen Hitze wegen, ſehr oft geſchieht und ſonderlich bergigte Gegenden bereiſet, wo ſich Tiger und andere gefaͤhrliche Thiere aufhal - ten; ſo nimmt man Leute mit, welche mit einer brennenden Fackel voraus gehen, wo - durch dieſe Thiere verſcheucht werden. Der - gleichen Fackeln beſtehen aus Fichtenholze, wel - ches am Feuer getrocknet, und ſo zubereitet iſt, daß Wind und Regen ſie nur noch immer mehr und mehr anflammen.

Ueber die Poſten in China haben die Man - darinen die Aufſicht. Die Poſtpferde gehoͤ - ren dem Kayſer, deren ſich aber Niemand an - ders bedienen darf, als die kayſerlichen Cou - riers und Abgeſandte des Hofes. Die Poſt - ſtationen liegen, wie in andern Laͤndern, nicht gleich weit von einander. Die Poſtillions tragen gewoͤhnlicher Weiſe ihr Felleiſen auf dem Ruͤcken.

Man kann leicht denken, daß ein ſo bevoͤl - kertes und weitlaͤuftiges Reich, wie das Chine - ſiſche iſt, dem Kayſer große Einkuͤnfte bringenR 2muß.260muß. Dieſe aber beſtehen theils in baarem Gelde, theils aber auch in Waaren. Es haͤlt ſchwer, gewiß auszurechnen und anzuzei - gen, wie hoch ſich die Einkuͤnfte des Kayſers belaufen. N[e]uhof giebt ſieben und zwanzig Millionen Pfund Sterling an. Le Compte fuͤnf Millionen weniger (ſtate of ehina part. 2. let. 1. p. 224.) Duͤ Halde giebt 200, 000, 000 Taels an*)Ein Tael iſt ſo viel als eine Unze Silber, die am Werthe ſo viel als hundert franzoͤſiſche Sols betragen., woraus eine Summe von mehr denn funfzig Millionen Pfund Sterling herausgebracht wird. Die Einkuͤnfte an Getrayde aller Art belaufen ſich in viele Millio - nen Saͤcke (man kann gleichfalls die Anzahl nicht mit Gewißheit angeben, ob man gleich bey den Reiſebeſchreibern eine Zahl angegeben findet. Ich habe keinen Reiſebeſchreiber gefun - den, der mit den andern in dieſem Stuͤcke uͤbereingekommen waͤre) Alle dieſe Lebensmittel werden jaͤhrlich auf den kayſerlichen Barken in den Pallaſt gebracht. Die meiſten Reiſebe - ſchreiber berichten, daß die Anzahl der Barken ſich auf 9999 beliefe**)Duͤ Halde giebt die runde Zahl 10000 an. Es iſt wohl zu vermuthen, daß die oben ange - gebene Zahl die rechte ſey, und darunter ein gewiſſer Aberglaube verborgen liegen mag Duͤ Halde iſt uͤberdem, in manchen Stuͤcken, ein gar zu großer Verehrer der Chineſer!, welche vom Kayſerdazu261dazu gehalten werden, die verſchiedenerley Ar - ten von Einkuͤnften dem Kayſer in ſeine Haupt - ſtadt zu bringen. Die Unterthanen des Reichs beſitzen ihre Aecker als ein Eigenthum, daher es denn auch kommt, daß die Paͤchter gemeiniglich ſehr arm ſind. Ein anderer Theil der Einkuͤnfte beſtehet aus dem Kopfgelde, welches eine jede Mannsperſon, von zwanzig bis ſechzig Jahre gerechnet, bezahlen muß. Man kann leicht denken was dieß Kopfgeld fuͤr ei - ne ungeheure Summe einbringen mag. Eine dritte Gattung von Einkuͤnften entſtehen aus den Man facturen. Ueberdem ſteht es dem Kay - ſer noch frey, neue Auflagen, ſeinen Untertha - nen, nach Belieben, aufzulegen, wenn es die dringendſten Noth erfordert, wiewohl er ſich die - ſer Macht ſelten bedient, weil die regulirten Einkuͤnfte gemeiniglich hinlaͤnglich genug ſind, den Aufwand davon zu beſtreiten.

Die Polygamie iſt in China eben ſo wenig wie in andern aſiatiſchen Laͤndern verboten, und aus dieſen Urſachen haͤlt ſich auch der Kay - ſer eine nicht geringe Schaar Weiber zu ſeinem wolluͤſtigen Gebrauch. Eine aber iſt die rechtmaͤßige und auserwaͤhlte Gemahlinn des Kayſers, die auch nur allein das Vorrecht hat, mit ihrem Gemahl an der Tafel zu ſitzen. Die Weiber (die alle den Namen Gemahlinn fuͤhren) werden in verſchiedene Rangordnun -R 3gen262gen placirt. *)Beym Martini Hiſtor. ſinic. libro 10. temp. II. findet man eine auffallende Geſchichte von der Keuſchheit und Zucht einer Beyſchlaͤferinn, worinn ſich der Kayſer Kang-hi, wegen ihrer Schoͤnheit, ihres Witzes ſo ſehr verliebt hatte, daß er ſie aus der letzten Klaſſe in die erſte hat verſetzen wollen. Die beſcheidene Weigerung dieſer Forderung, die ſowohl dem Kayſer als ſei - ner rechtmaͤßigen Gemahlinn gefiel, ſoll dieſe geweſen ſeyn: Aus einigen eurer alten Gemaͤhl - de hab ich gelernt, daß gute Kayſer ſonſt niemand als die treueſten Miniſter um ihre Perſon gelaſſen; ich habe aber auch gelernt, daß nichtswuͤrdige Kayſer ſich ein Verguuͤgen daraus gemacht haben, eine ſolche Race von Weibern um ſich zu haben, welche ſie zu den ſchaͤndlichſten La - ſtern reitzen. Ihr wollt mich itzt uͤber eure kayſerli - che Gemahlinn erhoͤhen! Nehmet euch aber, ich bitte euch darum, in Acht, daß dieſer Schritt euch nicht in die Zahl boͤſer Kayſer verſetze. Ich fuͤr meine Perſon, ob ich gleich ſtolz darauf bin euch beſtens empfohlen worden zu ſeyn, und von wahrer Liebe und Hochachtung gegen euch angefachet bin, kann es nicht zugeben, daß ihr die Anzahl ſchlechter Kayſer, und ich die Anzahl ſchlechter Weiber vermehre. Ihr habt eine Kayſerinn, die alle Tugenden beſitzt, und eurer ganz wuͤrdig iſt. Dieſer allein ge - buͤhrt es, ſtets um euch zu ſeyn, nicht aber ei - ner ſolchen Perſon, wie ich, die ich weiter nichts als eine Dienerinn von beyden bin! Diejenigen genießen die meiſte Achtung, welche dem Kayſer die meiſten Kin - der gebaͤhren, wenn ſie gleich weit weniger ſind als die rechtmaͤßige Kayſerinn. Indeſſen ha -ben263ben die Kinder, welche der Kayſer mit den Wei - bern der erſten Rangordnung zeugt, vor den der letzten Rangordnung gar keinen Vorzug. Denn dieſe koͤnnen eben ſowohl als jene zur kayſerlichen Wuͤrde gelangen, indem es blos von des Kayſers Willen abhaͤngt, wen er zu ſeinem Nachfolger be immen will. Er laͤßt ſich mit ſeinen Beyſchlaͤferinnen, und ſelbſt mit ſeiner rechtmaͤßigen Gemahlinn, nie in einen Contract ein, worinn ausgemacht waͤre, daß das etwa zu zeugende Kind zur Krone gelangen ſollte*)Der Kaiſer pflegt allemal aus den vielen Kin - dern, die er gemeiniglich hat, denjenigen zum Nachfolger zu erwaͤhlen, welcher des Scepters am wuͤrdigſten iſt. Dieſen erklaͤrt er bey ſeinen Lebzeiten zum Erborinzen; und dieſer Wuͤrde zu Folge hat er uͤber alle ſeine uͤbrigen Bruͤder den Rang.

Es iſt nun Zeit, daß wir von den Geſetzen der Chineſer das Wichtigſte mittheilen. Ob die uneingeſchraͤnkte Macht, Geſetze zu geben, vor Alters ſo ausgebreitet geweſen ſey, wie ſie jetzt iſt, will ich hier nicht unterſuchen. Indeſſen ſieht man doch aus den mancherley Edicten der alten Kayſer, daß ſie Geſetze gegeben, wider - rufen, aufgehoben, ſo wie ſie es fuͤr das allge - meine Wohl am zutraͤglichſten hielten, wenn man gleich geſtehen muß, daß ſie ihre Wuͤnſche den Gerichtshoͤfen mehr empfohlen, als ihre ei - gene Macht dabey angewandt haben. WirR 4wol -264wollen hier drey Verordnungen, einiger guten Kayſer, dem Leſer aus des geweſenen Miſſio - nairs Hervieu lateiniſcher Sammlung der alten Geſetze, welche der Kayſer Kang-hi hat zuſam - men tragen laſſen, mittheilen, woraus man hinlaͤnglich ſehen wird, wie ſehr manchen das Wohl ihrer Unterthanen am Herzen lag, und wie ſelten ſie bey den Geſetzen ihre deſpotiſche Macht gebraucht haben.

Wider das Geſetz, vermoͤge welches die An - verwandten eines Miſſethaͤters mit zur Strafe ſollten gezogen werden, wurde folgende Anmer - kung gemacht:*)Man ſehe auch duͤ Halde Vol. I. p. 159, wel - cher den Hervien nur uͤberſetzt hat. Geſetze, die zur Richtſchnur bey der Regierung gebraucht werden ſol - len, muͤſſe untadelhaft ſeyn: muͤſſen den Schuldigen ſtrafen, und den Unſchul - digen ſchuͤtzen. Ich finde in unſerm Ge - ſetzbuch einen Artikel, vermoͤge welches Mutter, Weib und Kinder eines Men - ſchen, der den Tod verdient hat, in den Proceß mitverwickelt und als Mitſchul - dige angeſehen werden. Ein ſolches Ge - ſetz kann ich nicht billigen. Denn nur ge - rechte Geſetze koͤnnen nur als geſchickte Mittel angeſehen werden, das Volk bey ſeiner Pflicht zu erhalten. Wird der Schuldige geſtraft; ſo wird jedermann das geſprochene Urtheil billigen. Der Re - gent iſt weitet nichts als ein Hirte, derdafuͤr265dafuͤr ſorgen muß, daß ſich Niemand von ſeiner Heerde verirre. Haben unſere Vor - fahren nicht nach ſolchen Geſetzen gerich - tet die mit der ſtrengſten Billigkeit beſte - hen koͤnnen; ſo gereichen ſolche Geſetze dem Volk allemal zum Nachtheil, und riechen nach Grauſamkeit. Der Kayſer Ven-ti drang alſo auf Abſchaffung eines ſolchen Geſetzes und erreichte auch ſeinen Zweck.

Eine andere Erklaͤrung eben dieſes Kayſers Ven-ti, in Abſicht der Befoͤrderung des Acker - baus lautet ſo: Diejenigen, denen das Regi - ment uͤber ein ganzes Volk anvertraut iſt, muͤſſen mit allem Eifer dahin ſehen, das - jenige zu befoͤrdern, was zum Nutzen des Volks gereicht. Hieher rechne ich den Ackerbau. Seit zehn Jahren habe ich mich eifrigſt bemuͤhet denſelben zu befoͤrdern; aber ich ſehe leider! noch immer Spuren der Traͤgheit meiner Unterthanen in dieſem Puncte. Noch mehr: ich ſehe mannich - faltige nothwendige Beduͤrfniſſe in den Augen der Armen, abgemalt. Es kann hievon ganz poſitiv nichts anders Urſa - che ſeyn, als die Nichtvollziehung mei - nes publicirten Willens, oder diejenigen, welche meinen Befehl vollziehen ſollen, ſind ihres Amts nicht wuͤrdig. Soll die - ſe Saumſeligkeit weiter fortfahren; ſo ſehe ich offenbar den Ruin meines Volks vor Augen. Ich will alſo auf dieſes JahrR 5die266die Haͤlfte meiner Einnahme an Getraide dem Volke erlaſſen.

Noch einen wuͤrdigen Zug der fuͤrtreflichen Denkart eben dieſes vorhin genannten Fuͤrſten koͤnnen wir nicht unterlaſſen anzufuͤhren, wo - zu die Veranlaſſung dieſe war, daß nemlich ſeine Bedienten taͤglich Gott um die Erhaltung ſeiner Perſon anriefen, und alle uͤbrige Pflich - te gegen Alle, aus den Augen ſetzten. Hier - uͤber machte er folgende Anmerkung: Ich habe gegenwaͤrtig das vierzehnte Jahr meiner Regierung angetreten: und je laͤn - ger ich regiere, fuͤhle ich auch zu ſehr, die Maͤngel meiner Faͤhigkeiten. Nichts iſt an großen Fuͤrſten lobenswuͤrdiger und vernuͤnftiger, als Uneigennuͤtzigkeit in al - ler Abſicht. Ich merke itzt, daß viele Bediente in ihren Gebeten um gutes Gluͤck den Himmel anflehen! Und fuͤr wen thun ſie es? Fůr mich. Allein dieß iſt mir ſehr unangenehm. Denn kann ich das wohl billigen, daß Bediente alle Pflichten hint - anſetzen, auf das Wohl meiner Untertha - nen nicht achten, und nur blos darauf ſehen, das Gluͤck eines Fuͤrſten zu befoͤrdern, dem es ſo ſehr an Verdienſten fehlt? Bil - ligte ich es; ſo koͤnnte ich und andere es fuͤr einen ſtarken Zuſatz meiner uͤbrigen Fehler halten. Ich will daher, daß Statt der Fuͤrbitten der Bedienten fuͤrmei -267meine Perſon, ſie mehr auf die Beobach - tung ihrer Pflichten bedacht ſeyn ſollen.

Man kann behaupten, daß die Beobach - tung der alten Grundgeſetze die wahren Urſachen ſind, warum ſich das chineſiſche Reich ſo viele Jahrhunderte in ſeiner Pracht und Reichthum erhalten hat. Kang-hi, einer der ber[]hmte - ſten Kayſer in China, konnte ſich bey ſeinem Volke vorzuͤglich dadurch beliebt machen, daß er gegen die alten Geſetze Ehrerbietung bezeugte, und uͤber die Declarationen mancher klugen Vorfahren geſunde Anmerkungen entwarf Dieß Anſehen wußte er noch dadurch zu erhoͤhen, daß er die Erklaͤrungen der Geſetze der alten Kayſer in ein Korpus ſammlen ließ, und ſie ſelbſt mit Lobſpruͤchen begleitete.

So viel man aber auch uͤber die fuͤrtrefli - che Staatseinrichtung des chineſiſchen Reichs, in den alleraͤlteſten Zeiten, immerhin raiſonni - ren, ſie loben und anpreiſen mag; ſo ſcheint es doch ganz ſicher zu ſeyn, daß die Geſetze mehr tyranniſch als guͤtig geweſen ſind. Wie viele Perſonen wurden nicht, auch ohne Unterſuchung, zum Richtplatze gefuͤhrt! Nur Stuffenweiſe, und durch die Klugheit weiſer Fuͤrſten wurde dieſe Geſetzverfaſſung verbeſſert. Aber auch noch itzt muͤßte die Einrichtung der Geſetze ganz anders ſeyn, wenn ſie von Vernuͤnftigen ſoll - ten gebilligt werden. Ein Beyſpiel hievon iſt die unglaubliche Tyranney, welche die Gou - verneurs der Provinzen gegen ihre Untertha -nen268nen ausuͤben, wenn ſie Arten von Strafen an - erkennen. Und wenn es gleich wahr iſt, daß ſie ſelbſt ohne Wiſſen des Kayſers kein Todes - urtheil vollziehen koͤnnen; ſo koͤnnen ſie doch vorher, wenigſtens durch Strafen und andere Dinge, die Unterthanen zum Bettelſtab bringen; und ſolches iſt oftmals haͤrter als der Tod ſelbſt.

Wir wollen nun noch in aller Kuͤrze die ver - ſchiedenen Arten von Strafen bey den Chine - ſern anfuͤhren. Ein Mandarin hat die voͤllige Erlaubniß, allenthalben, wo ers noͤthig findet, auch außer ſeiner Dioͤces, Stockpruͤ - gel austheilen zu laſſen. So oft er daher aus - geht, pflegt er allemal einen Beamten bey ſich zu haben, der dergleichen Strafen, wenn er es verlangt, vollziehen kann. Be - gegnet ihm jemand zu Pferde, der ihn nicht zu rechter Zeit gruͤßt, nicht herunter ſteigt und ausweicht; ſo hat er allemal einige Pruͤgel zu erwarten. Und das alles geht ſo geſchwind, daß es der Gepruͤgelte eher weg hat, als er es ſich verſieht. Stockſchlaͤge ſind auch die ge - woͤhnlichen Strafen fuͤr Schildwachen, wenn ſie des Nachts ſchlafend gefunden werden, fer - ner fuͤr Kinder, Bediente und Bettler. Von dieſer letzten Sorte giebt es in China mehr denn Sand am Meere. Dieſe Art von Menſchen ſind mit unſern Landſtreichern und vormaligen Zigeunern gut zu vergleichen. Die meiſten Bettler ſind Kruͤppel, oder ſtellen ſich es zuſeyn:269ſeyn: ja, koͤnnen ſie dieß nicht anſchaulich ge - nug machen; ſo iſt es ihnen nicht peinigend, ſich zum Kruͤppel mit eigener Hand zu machen. So reiſſen ſich manche mit Vorſatz und bey ge - ſundem Menſchenverſtande, das Auge aus. Aber in China leidet man dergleichen Betruͤge - reyen nicht ſo, wie in einigen Laͤndern Europens. Das chineſiſche Bambusrohr zieht an, und macht verſtellte Kruͤppel bald wieder geſund, ge - rade. Eltern, welche Kinder zeugen, und ſie zuverlaͤßig in der Folge nicht zu ernaͤhren wiſſen, machen ſie oft in ihrer Jugend ſchon zu Kruͤp - peln, um ihnen wenigſtens ein natuͤrliches Huͤlfs - mittel zu geben, auf eine ſo elende Art ihr Le - ben zu unterhalten. Man kann es kaum glau - ben, wie das Bettelvolk an ſich ſelbſt unerhoͤr - te Grauſamkeiten veruͤbt, um dadurch Allmo - ſen zu erpreſſen. Sie rennen oft mit der Stir - ne vor eine Mauer, geiſſeln ſich, daß ſie nieder - fallen, und auf eine kurze Zeit alles Verſtan - des beraubt ſind. Dergleichen Streiche wuͤr - den ſie ſo lange bis zum Tode verrichten, wenn ſich die Zuſchauer nicht manchmal ins Mittel legten und ſie ſich, durch Beſchenkungen, vom Halſe ſchafften.

Wenn eine Crimminalſache ſoll unterſucht werden; ſo bringt man den Miſſethaͤter in ein oͤffentliches Gefaͤngniß, das lange nicht ſo fuͤrch - terlich und unrein iſt wie bey uns. Die Ge - faͤngniſſe ſind nicht enge, ſondern ſehr bequemund270und geraͤumig. *)Dieß iſt eine uͤberaus und ungemein lobens - wuͤrdige Verfuͤgung der chineſiſchen Obrigkeit. Ein Menſch iſt ſchon beſtraft genua, wenn er ſich aller Freyheit beraubt ſieht. Warum will man ihm ſeine Geſundheit nehmen, wenn man dazu gar nicht berechtigt iſt? warum ſteckt man die Miſſethaͤter in elende multrige Loͤcher? Eine Sache, die wirklich Schaudern erregt! Voll angepfropft ſind indeſſen gemeiniglich die chineſiſchen Gefaͤngniſ - ſe von ungluͤcklichen Leuten. Es iſt merkwuͤr - dig, daß der Staat ſie nicht ernaͤhrt: ſondern ſie haben die Erlaubniß, ſich durch allerhand Arbeiten ihren Unterhalt zu erwerben. Dieje - nigen Miſſethaͤter aber, welche ſich grober Ver - brechen ſchuldig gemacht haben, werden in ganz beſondere Gefaͤngniſſe eingeſperrt und an Ketten geſchloſſen; dahingegen diejenigen, welche K[l]ei - nigkeiten wegen im Arreſt ſitzen, des Tages uͤber in einem geraͤumigen Garten zu ſpatzieren die Er - laubniß haben. Des Abends fuͤhrt man dieſe in große Saͤle, wo ſie die Nacht verbleiben muͤſſen: die Gefaͤngniſſe werden auf das ſorg - faͤltigſte bewacht, und innwendig muͤſſen die G[e]fangenen die groͤßeſte Stille beobachten. Wenn ein Gefangener krank wird; ſo wendet man alle Vorſorge fuͤr ſeine Geneſung an: es werden ihm Arzneyen und ein beſonderer Auf - waͤrter auf Koſten des Kayſers gegeben. Die Gefangenen, welche voͤllig geſund ſind, er - halten taͤglich die nothwendigſten Beduͤrfniſſeim271im Ueberfluſſe. Wenn ſie alle ſpeiſen; ſo koͤn - nen ſie unter ſich ſo viel reden, wie ſie wollen. Das Gefaͤngniß fuͤr Weibsperſonen iſt von dem der Maͤnner, durch ein Gitter abgeſondert. Ihre Beduͤrfniſſe erhalten ſie durch die Haͤnde ihres Geſchlechts.

Wenn ein Menſch wegen eines Hauptverbre - chens angeklagt wird; ſo geht ſein Proceß durch fuͤnf bis ſechs Gerichtshoͤfe; keiner aber darf ein endliches Urtheil ſprechen, es ſey dann, daß eine ſchleunige Beſtrafung ganz nothwendig waͤ - re, z. E. bey Gelegenheit eines Aufruhrs und dergl. Sonſt muͤſſen alle Crimminalproceſſe, wie bereits erinnert, vom Kayſer ſelbſt unter - ſchrieben ſeyn, und kein Todesurtheil wird ohne des Kayſers Unterſchrift vollzogen.

Unter die allergroͤbſten Verbrechen, die zugleich auch am haͤrteſten beſtraft werden, ge - hoͤren Aufruhr und Todtſchlag. Der Miſ - ſethaͤter wird nemlich in viele tauſend Stuͤcke zerhackt, welches nach duͤ Haldes Berichte auf folgende Art geſchieht: der Scharfrichter bindet den armen Suͤnder an einen Pfahl und loͤßt ihm erſtlich die Haut von der Stirne und dem Kopfe ab, laͤßt beydes von den Augen her - unter hangen, damit der Uebelthaͤter nicht ſehe, wie man mit den uͤbrigen Theilen ſeines Koͤrpers umgehe. Hierauf ſchneidet er ihm einige Riemen des Koͤrpers ab, bis endlich alles Fleiſch nach und nach abgeloͤßt iſt, worauf der Scharfrich - ter den Reſt des zerſchnittenen Koͤrpers derWuth272Wuth des umſtehenden Poͤbels uͤberlaͤßt. Aber nur ſehr ſelten wird dieſe Grauſamkeit an Verbrechern, und nur dann vollzogen, wenn grauſame Fuͤrſten das Regiment fuͤhren. Die Vollziehung dieſer Strafe ruͤhrt noch von einem ſehr alten Geſetze her, welches aber doch keine ſolche Grauſamkeit befi[e]hlt, ſondern nur will, daß der Koͤrper eines Uebelthaͤters in verſchiede - ne Theile ſolle zerhauen, ihm der Leib aufgeriſ - ſen und das Gerippe in einen Fluß geworfen werden. *)Dieſes nach Blute riechende Geſetz, wurde von dem Kayſer Ven ti zuerſt aufaehoben, und von ſeinen Nachfolgern, die an Grauſamkeit keinen Gefallen hatten, beſtaͤtigt.

Naͤchſt dieſem wird der Ungehorſam der Kinder gegen ihre Eltern auf das haͤrteſte ge - ſtraft. Die Chineſer ſind davon uͤberzeugt, daß, wenn Kinder denen gehorſam bleiben, wel - chen ſie das Leben zu verdanken haben: ferner wenn die Unterthanen ihre Obrigkeit und Re - genten fuͤr Vaͤter anſehen, die nichts als das Gluͤck derſelben beginnen: die ganze Nation eine gut harmonirende und geordnete Familie ausmachen wuͤrde. Hierauf gruͤndet ſich auch ihre ganze Staatsklugheit. Nach den Geſetzen iſt die vaͤterliche Gewalt unumſchraͤnkt, und weder Alter, noch Rang entzieht die Kinder die - ſem Gehorſame. So iſt ein Vater berechtigt, ſeinem Sohne, auch wenn er ein Mandarin iſt, Stockſchlaͤge geben zu koͤnnen. CinSohn273Sohn darf gegen ſeinen Vater nicht anders ge - richtlich verfahren, als mit Einſtimmung und Erlaubniß aller ſeiner Verwandten und ſeiner Obrigkeit: auch wird nie eine Bittſchrift wider den Vater angenommen, außer wenn ſie vom Großvater unterſchrieben iſt; und findet man in ſelbiger auch nur den geringſten Ungrund; ſo kann er ſich einer Todesſtrafe vergewiſſert hal - ten. Ein Vater aber, der uͤber den Unge - horſam ſeines Sohns zu klagen hat, braucht ſeine Klage nicht foͤrmlich anzubringen. Soll - te ſichs ereignen, daß der Sohn ſeines Vaters geſpottet, auch wohl gar ſich erdreiſtet, gewal - tig ſeinen Vater anzugreifen und ihn zu toͤdten; ſo verbreitet ſich Furcht und Schrecken in der ganzen Provinz aus, worinn ſich der Fall zu - getragen hat. Alle ſeine Verwandte werden geſtraft, oder wenigſtens doch hart bedrohet, daß ſie es zugegeben haben, ein ſolches Unge - heuer unter ſich zu dulden. Alle Mandarinen werden in dem Bezierk, wo ſich der Vatermord zugetragen hat, ihrer Aemter entſetzt. Es wird oͤffentlich erklaͤrt: daß die Mandarinen an der That Schuld waͤren, weil ſie uͤber die Erhaltung guter Sitten nicht genug gewacht haͤtten. Der Uebelthaͤ - ter wuͤrde bis zu dieſer Schandthat nicht gekommen ſeyn, wenn ihm bey Zeiten ſein wildes und ungeſtuͤmes Weſen benommen und ſeine Laſter beſtraft waͤren. Das Urtheil, daß uͤber einen ſolchen ungerathenenSSohn274Sohn gefaͤllet wird, iſt dieſes, daß ſein Koͤrper in viele tauſend Stuͤcke zerriſſen und nachher verbrannt, ſein Haus niedergeriſſen, das gan - ze Quartier geſchleift, und auf eben dem Platze eine Denkſaͤule errichtet wird, die das Graͤß - liche dieſer That der Nachkommenſchaft uͤber - liefern ſoll.

Wenn jemand einen andern toͤdtet, wird er, wie billig, am Leben geſtraft. Ereignet ſich der Fall, daß zwey Perſonen ſich duelliren und einer den andern niedermacht; ſo wird er ſtran - gulirt. Das Stranguliren, oder welches einer - ley iſt, das Erwuͤrgen, iſt die gewoͤhnlichſte und leichteſte Todesſtrafe: dieſe Strafe wird auch Perſonen von Stande zuerkannt. Man be - dient ſich hiezu eines Stricks, welcher etwa ſie - ben bis acht Fuß lang iſt nebſt einer Schleife, die dem Inquiſiten uͤber den Hals geworfen wird. Toͤdtet aber einer den andern auf ei - ne meuchelmoͤrderiſche Weiſe; ſo wird er ent - hauptet. Da der Meuchelmord ein außeror - dentliches Verbrechen iſt; ſo wird auch dieſe ſchimpfliche Strafe darauf gelegt. Denn es iſt unter den Chineſern eine herrſchende Meinung, daß einem Menſchen nichts ſchimpflichers wi - derfahren koͤnne, als bey ſeinem Ausgange aus der Welt, ſeinen Koͤrper nicht ſo vollſtaͤndig zu hinterlaſſen, wie er ihn auf die Welt gebracht hat. Bey allen Criminal und Todes - unterſchriften, richtet der Kayſer dieſelbe nach Beſchaffenheit des Verbrechens ein. Iſt dasVer -275Verbrechen ungeheuer groß; ſo fuͤgt der Mon - arch, wenn er das Todesurtheil unterſchreibt, noch beſonders folgende Worte hinzu: So - bald dieſer Befehl anlangt; ſo will ich, daß das Urtheil unverzuͤglich an dem Miſſethaͤter vollſtreckt werde. Iſt es aber von gewoͤhnlicher Art[;] ſo wird der Be - fehl in folgenden Ausdruͤcken gemildert: Man halte den Verbrecher bis zukuͤnftigen Herbſt in guter Verwahrung, und als - dann ſoll ihm ſein Recht wiederfah - ren. Man verſchiebt meiſtentheils die Hinrichtung der Miſſethaͤter bis auf dieſe Jah - reszeit.

Der Ehebruch wird in China fuͤr ein Ver - brechen und auch nicht fuͤr ein Verbrechen ge - halten. Fuͤr ein Verbrechen: wenn es nicht vorher im Ehecontract ausgemacht iſt, daß die Frau zu Zeiten einen Galan zu ſich herein laſſen darf. Denn alsdann darf der Mann ſein Weib, wenn es auf ſolche Weiſe die Ehe bricht, ſtrafen, oder ſich von ihr ſcheiden laſ - ſen. Der Ehebruch wird nicht fuͤr ein Ver - brechen gehalten, wenn die Eltern, aus Zaͤrt - lichkeit gegen die Schwaͤche ihrer lieben Toch - ter, einen Cortract mit ihrem Braͤutigam ma - chen, es nicht uͤbel zu nehmen, wenn ſich dann und wann ein andrer bey ihr einfuͤnde. Aber dergleichen Faͤlle kommen ſehr ſelten vor, theils weil das chineſiſche Frauenvolk ſich auf die Keuſchheit ſo ſehr viel zu gute thut, theils, weilS 2ſie276ſie zu ſehr bewacht und eingeſperrt werden, ſo daß Niemand in ihre Zimmer kommen kann. Der Diebſtahl iſt eine Sache, die eben nicht mit dem Tode beſtraft wird, ſon - dern es werden dem Diebe gemeiniglich eine Laſt Schlaͤge auf den Hintern gegeben. Dieſe Execution, die im Grunde ungemein lobens - wuͤrdig iſt, dauert ſo lange, und man faͤhrt mit dem Pruͤgeln ſo lange fort, bis der Man - darin aufzuhoͤren befiehlt. Wenn dem Diebe der Hintere voll geblaͤuet iſt; ſo erfodert ſeine Schuldigkeit, ſich vor dem Mandarin auf die Knie zu werfen, und ihm fuͤr die gelinde Beſtrafung zu danken. *)Ganz poſſirlich iſt es doch auch, daß ſelbſt die Mandarinen, da ſie ſich bey dergleichen Execu - tionen ſo praͤchtig auffuͤhren, ſich dieſer Stra - fe unterziehen muͤſſen, wenn ſie eine nichtswuͤr - dige Sache haben auslaufen laſſen. Dieſe Art von Strafe dient, wie Le Compte ſagt, zum Mittel, Perſonen, die infam durch irgend ein Vergehen geworden ſind, wieder ehr - lich zu machen.Wenn aber der Diebſtahl betraͤchtlich, und alſo von Wichtig - keit iſt; ſo werden ſie auch auf eine ſehr em - pfindliche Art beſtraft. Der Dieb muß ein Joch tragen, wobey er weder auf den Fuͤßen zu ſtehen, noch die Haͤnde zum Munde zu brin - gen, vermoͤgend iſt. Dieß Joch wird ſchwer oder leicht gemacht, je nach dem das Verbre - chen groß oder klein iſt. Manche, die eine ſobe -277beſchwerliche Sache nicht ausſtehen koͤnnen, muͤſſen oftmals darunter ſterben. Wiewohl die Verbrecher dahin zu ſehen gewohnt ſind, ſich ihre Laſt ſo leicht zu machen, wie ſichs nur immer will thun laſſen, indem ſie ſich, wie Duͤ Halde ſagt, entweder an eine Tafel, oder auf eine Bank, um die Laſt einigermaßen von ihren Schultern zu heben, lehnen. Indeſſen helfen dergleichen Anſtalten doch gar nichts, wenn das Joch uͤber hundert Pfund ſchwer iſt. Wenn jemand davon ſtirbt; ſo darf ſich keiner unterſtehen, daruͤber zu klagen, und von ſich hoͤren zu laſſen, daß das uͤber ihn verhaͤngte Urtheil zu hart ſey. Derglei - chen Strafen muß ein Dieb auf oͤffentlichem Markte aushalten, ſo daß er von jedermann kann beobachtet werden. Iſt die Strafe gluͤck - lich uͤberſtanden; ſo muß er ſich bey dem Man - darine wieder einfinden, und eine Tracht Pruͤ - gel mitnehmen.

Die ordentliche und außerordentliche Tor - tur iſt, wie in allen geſitteten Laͤndern, auch in China eingefuͤhrt, und man muß geſtehen, daß ſie in Erfind[u] ng, die Schuldigen zu mar - tern, eben ſo geſchickt ſind, wie irgend ein an - dres Volk. Ich zweifle aber, daß die Chine - ſer ſowohl, als alle andere Voͤlker zu dieſem Huͤlfsmittel, ihre Zuflucht zu nehmeu, brauch - ten, um aus den Verbrechern die Wahrheit heraus zu bringen. Es ſind andere Mittel, die zu dieſer Abſicht gebraucht werden koͤnnen,S 3und278und nicht nach Unmenſchlichkeit und Grauſam - keit ſchmecken! Wir wollen aber doch hier ei - niges von der Beſchaffenheit der Tortur in China anfuͤhren. Die ordentlichen Tor - turen geſchehen gewiſſer Schandthaten wegen, indem der Miſſethaͤter mit einem chineſiſchen Character an der Stirne gebrandmalet wird, welcher das Verbrechen anzeiget. Zuweilen werden die Verbrecher auf Barkeu zu Ruder - knechten gebraucht. Noch andere Strafen geringer Vergehungen wegen ſind, daß ſie z. E. eine Laſt von zehn oder mehrern Pfunden auf ihren Koͤpfen tragen muͤſſen. Aber die ordinaire Tortur in China beſtehet eigentlich darinn, daß ſie dem Verbrecher an Haͤnden und Fuͤßen eine gewiſſe Maſchine anlegen, wo - durch ſie ihm die Glieder ſo von einander zie - hen, daß die Knoͤchel an den Fuͤßen ganz her - ausgehen. Der außerordentlichen Tortur bedient man ſich nur ſelten, und nur alsdenn, wann ein Aufruhr entſtanden, und man die vornehmſten Urheber herausforſchen will. Und in der That kann man ſich auch nichts abſcheu - licheres vorſtellen, als dieſe Art von Peinigung. Halde meldet uns, dieſe anßerordentliche Tortur beſtehe darinn: daß man kleine Schnitte in den Leib thaͤte, und die Haut in kleinen und duͤnnen Riemen vom Fleiſche ab - zoͤge. Vor Zeiten waren die Torturen noch weit ſchrecklicher und grauſamer, als ſie itzt ſind. Wir wollen hier nur eine des Exem -pels279pels wegen anfuͤhren, die, wenn den Nach - richten zu trauen, eine von den Beyſchlaͤferin - nen, des Kayſers Chew ſoll erfunden haben. Die Strafe beſtand barinn: Ein hoher Thurm, etwa zwanzig Elleu hoch, und acht im Diame - ter, in der Mitte hohl, mit drey Oeffnungen, wurde aufgerichtet, darinn Feuer angelegt werden konnte. An dieſem Thurm befeſtigte man die ungluͤcklichen Leute ſo, daß ſie den Thurm oder Pfeiler mit ihren Armen und Fuͤtzen umfaſſen mußten. Alsdann wurde in - wendig ein großes Feuer angezuͤndet, woran ſie geroͤſtet und endlich verbrannt wurden. *)Duͤ Halde Th. 1. S. 314.Dergleicheu Tyrannen aber wurden nicht nur zu der Zeit gehaßt, in welcher ſie lebten, ſon - dern ihr Gedaͤchtniß wird noch gegenwaͤrtig bey den Chineſern verflucht und verab - ſcheut.

Fuͤnftes Kapitel.

Von der Religion der Chineſer.

Um den Geiſt einer Nation recht zu erfor - ſchen und kennen zu lernen, ſcheint es vor allen Dingen noͤthig zu ſeyn, ſich mit demS 4reli -280religioͤſen Syſteme derſelben bekannt zu machen. Hierdurch bekommt man ungemein viele Auf - ſchluͤſſe, warum man dieſes oder jenes in den Sitten und Gebraͤuchen, Geſetzen, eines Volks antrifft. Ich werde hier das In - terreſſanteſte aus der chineſiſchen Religion und ihren Gebraͤuchen abhandeln, und als ein bloßer Geſchichtſchreiber von derſelben reden, ohne mich in die Unterſ[u] chungen einzulaſſen, die in Europa eben ſo gefaͤhrlich, als in China ſchrecklich geweſen ſind.

Man zaͤhlt in China fuͤrnehmlich drey Se - cten, welche gegenwaͤrtig die drey herrſchenden Religionen des Landes ausmachen. Erſtlich, die Religion der Großen und Gelehrten, deren Stifter Confucius iſt. Zweytens die Secte der Schuͤler des Lao-Kiun, die aber nichts anders, als ein Gewebe von allerley Aus - ſchweifungen und Gottloſigkeiten iſt. Drit - tens, die Secte der Goͤtzendiener, welche ei - nen gewiſſen Goͤtzen, Namens Fo oder Foaͤ anbeten.

I. Secte des Confucius. Wir wollen den Stifter dieſer Secte kennen lernen. Con -- fucius ward in einem kleinen Flecken des Koͤ - nigreichs Lou, welches heutiges Tages die Pro - vinz Chang-Tong heißt, fuͤnfhundert und ein und funfzig Jahre vor unſrer chriſtlichen Zeit - rechnung gebohren. Nach dieſer Rechnung, welche Duͤ Halde und anderc Gelehrte fuͤr die richtige halten, war Confucius ein Zeitgenoſſeder281der beyden großen Maͤnner, Solon und Py - thagoras. Sokrates betrat kurz nachher den Schauplatz dieſer Welt. Man bemerkte ſchon in der zarten Jugend des Confucius an ihm deutliche Merkmale eines außerordentlichen Kopfs. Er begnuͤgte ſich in den etwas rei - fern Jahren ſeines Verſtandes faſt nur allein von der Urquelle aller Weſen zu reden und zu denken: und jedem Ehrerbietung, Furcht und Dankbarkeit gegen das Urweſen einzufioͤßen. Er fieng an oͤffentlich zu ſagen, daß dieſe Ur - quelle das Gute belohnen, und das Boͤſe nicht ungeſtraft laſſen wuͤrde. Und dieſe Grundſaͤ - tze herrſchen uͤberall in ſeinen Werken! Nach dieſen Geſetzen richtete er ſich ſelbſt, und ſein ganzer Eifer war nichts, als ein feuriges Be - ſtreben, die Sitten ſeiner, faſt noch im Aber - glauben und Dummheit ganz erſoffenen, Mit - buͤrger zu verfeinern ſie gluͤcklich zu machen.

Confucius, zeigte ſeinen Landesleuten nicht allein den Weg, den ſie gehen muͤßten, wenn ſie vernuͤnftige Menſchen ſeyn wollten; ſondern er gieng ihnen hierinn mit einem ruͤhmlichen Beyſpiele vor. Er beſaß die, ſonſt ſo ſeltene, Gabe zur Tugend zu fuͤhren, und vom Laſter abzuhalten. Er bediente ſich hier - zu nicht allein der ſtaͤrkſten und maͤchtigſten Beweggruͤnde, ſondern auch der ſicherſten und geſchickteſten Methode. Hauptſaͤchlich muß man den Zug ſeiner großen Seele nicht unbe -S 5merkt282merkt laſſen, daß er die Vorurtheile des groſ - ſen Haufens, in Anſehung der Religion und Religionsgebraͤuche, nicht geradezu angriff: eine gefaͤhrliche Klippe, woran viele beruͤhmte Sittenlehrer, und unter dieſen Sokrates, un - gluͤcklicherweiſe, geſcheitert. Durch dieſe loͤb - liche Vorſichtigkeit, konnte es dieſem in aller Abſicht großem Manne gar nicht fehlen, ſich bald der allgemeinen Achtung zu verſichern. Mit einem tiefen und alles durchſchauendeu Verſtande, verband er die Tugend der Maͤßig - keit, Demuth, Uneigennuͤtzigkeit, Aufrich - tigkeit, und eine großmuͤthige Verachtung al - ler Reichthuͤmer. Und es dauerte nicht lange, ſo wurde er, ungeachtet China uͤberall mit al - len Arten von Laſtern uͤberſchwemmt war, zu der Wuͤrde eines Mandarins und erſten Staatsbedienten, erhoben. Die Verwal - tung eines ſo anſehnlichen Poſtens, machte dem Confucius Hoffnung, ſeine Reformation in Abſicht der Religion und des Staats beſſer befoͤrdern zu koͤnnen, und er nahm die Antraͤge auch willig an. Seine Grundſaͤtze in der Kunſt zu regieren, ſeine Staatsklugheit, ſeine neuen Einrichtungen der buͤrgerlichen Geſetze, ſind eben ſo ſehr, als ſeine Sittenlehre zu be - wundern: er zeigte durch ſein eignes Beyſpiel, wie gut und wie nothwendig es ſey, daß ein Regent mit der Regierung eine geſunde Phi - loſophie verbaͤnde: er zeigte, wie die Tugend die Grundſtuͤtze der Religion ſey!

Es283

Es dauerte nicht lange; ſo ſah man die gluͤckliche und geſchwinde Wuͤrkung ſeiner neuen Einrichtungen, und die ganze Staats - einrichtung in weniger als drey Monathen gaͤnzlich verbeſſert. Die benachbarten Fuͤrſten fiengen an, uͤber die ſchnelle Verbeſſerung eines Staats aufmerkſam und eiferſuͤchtig zu wer - den, der ſich vorher durch die große Unord - nung, in Verwaltung der buͤrgerlichen Einrich - tungen, ſo ſehr ſignaliſirt hatte. Da dieſe wohl einſahen, daß einen Staat nichts bluͤ - hender mache, als die gute Ordnung und ge - naue Befolgung der Geſetze; ſo urtheilten ſie nicht ohne Grund, daß der Koͤnig von Lou, dafern er fortfuͤhre, den Rathſchlaͤgen eines ſo weiſen und erleuchteten Mannes zu folgen, gar zu maͤchtig werden koͤnnte. Der Koͤnig von Tſi und ſeine Staatsbedienten bothen da - her alle ihre Kraͤfte auf, die ſchicklichſten Mit - tel zu erdenken, den Unterricht und patrioti - ſchen Eifer des Philoſophen zu vereiteln. Sie kamen endlich nach vielen Berathſchla - gungen, darinn uͤberein, zur Liſt ihre Zuflucht zu nehmen; und dieſe beſtand darinn: der Koͤnig von Tſi ſandte eine Geſandtſchaft an den Koͤnig von Lou, und machte dieſem Fuͤr - ſten und ſeinen Staatsminiſtern ein Geſchenk mit einer großen Anzahl junger und ſchoͤner Maͤgdchen, die im Singen, Tanzen und an - dern Dingen, welche die Sinne ſchmeicheln, vorzuͤglich unterrichtet waren. Dieſe Liſtgluͤckte.284gluͤckte. Der Koͤnig und ſeine Miniſter, konnten bey dem Anblicke ſolcher Schoͤnen, den Reizungen derſelben nicht widerſtehen. Es wurden ſogleich alle moͤgliche Anſtalten getrof - fen, dieſen Schoͤnen ihren Aufenthalt ſo an - genehm zu machen, als es nur immer moͤg - lich war. Und von der Zeit an vergaß der Koͤ - nig, mit allen die ihn umgaben, alle ſeine Regierungsgeſchaͤffte, und widmeten ſich gaͤnz - lich dieſen unterrichteten Weibsbildern. Confucius, der dieſem Unweſen mit Mitlei - den eine kurze Zeit zuſah, konnte ſichs endlich nicht enthalten, dem Koͤnige deshalb Vorſtel - lungen zu thun. Allein Confucius konnte den Begierden eines Koͤniges nicht mehr wi - derſtehen, die bereits ſo wild geworden waren. Er entſagte daher allen ſeinen Wuͤrden, und entfernte ſich aus ſeinem Vaterlande, um an - derswo Koͤnige oder Fuͤrſten zu ſuchen, die ſeines Unterrichts wuͤrdiger waͤren. Aber er fand allenthalben, wohin er kam, nicht die geringſte Aufnahme, vielmehr mußte er nicht nur dulden, allgemein verachtet zu werden, ſondern er gerieth auch ſo gar in die groͤßeſte Armuth. Bey dieſer traurigen Lage aber blieb er ſich doch immer gleich. Seine Leutſe - ligkeit, Beſcheidenheit und Herablaſſung, ver - ſchafften ihm eine ſehr große Menge Schuͤler. Seine Reden waren voller Weisheit, und mit ſo vieler Beredſamkeit durchwuͤrzt, daß er da - durch die Freundſchaft aller auf ſich zog. Seine285Seine Buͤcher enthalten eben dieſen Geiſt, eben dieſe Anmuth. Confucius lebte ſo lange, daß er ſeine hiſtoriſchen und philoſophiſchen Werke vollenden konnte, und ſtarb im Koͤnig - reiche Lou im drey und ſiebenzigſten Jahre ſeines Alters, und wurde nicht nur vom Koͤnige und ſeinem Hofe, ſondern auch vorzuͤglich von ſei - nen Schuͤlern bedauert. Noch kurz vor ſeinem Tode ſoll er zu ſeinen Schuͤlern geſagt haben, daß ihm die Unordnung, die im Reiche noch herrſche, das Herz breche: und da die Koͤnige ſich weigerten, ſeinen Lehren zu folgen; ſo ſey er auch nichts nuͤtze mehr auf der Welt, und můſſe ſie nun verlaſſen.

Die verſchiedenen Schriften dieſes Philo - ſophen, haben den Titul. 1 Tay-hyo, d. h. die große Wiſſenſchaft, oder die Schule der Erwachſenen. 2 Chong-yong, das unwan - delbare Mittele, in welchem die Tugend beſte - het. 3 Lun-yu, moraliſchnuͤtzliche Abhand - lungen. 4 Mengtſe, der Begriff einer voll - kommnen Regierungsart. In allen dieſen Werken war die erſte und naͤchſte Abſicht des Verfaſſers, die Sitten zu verfeinern, und die Wohlfart der menſchlichen Geſellſchaft zu be - foͤrdern. Dieſer große Mann geſteht ſelbſt, mit einer ruͤhmlichen Offenherzigkeit, daß er keinesweges der Erfinder aller der Lehren ſey, die er der Welt bekannt gemacht habe, ſondern er habe die meiſten aus einer unbekannten altenHand -286Handſchrift entlehnt. Seine Begriffe, die er von der Gottheit hat, ſind die vernuͤnftigſten, welche man ohne die Offenbarung erhalten kann.

Die Chineſer hegen noch bis auf den jetzi - gen Tag fuͤr das Andenken dieſes Philoſophen die groͤßeſte Hochachtung und Ehrerbietigkeit. Man richtete ihm, nach ſeinem Tode, auf dem Platze, wo er ſeine Schuͤler zuſammen kom - men ließ, ein ſehr praͤchtiges Grabmal auf. Nach der Zeit aber iſt dieſer Ort mit einer Mauer eingefaßt worden, und ſieht gegenwaͤr - tig einer kleinen Stadt nicht unaͤhnlich. Man ſieht noch jetzt in einer jeden Stadt ein oͤffent - liches Gebaͤude, in welchem ſich jaͤhrlich die Mandarinen und Gelehrten an gewiſſen Tagen verſammeln und dem Confucius gewiſſe Arten von Verehrung erweiſen, welches mit den Opfern ziemlich einerley iſt. Die Ehrerbietung geht ſo weit, daß eine vornehme obrigkeitliche Perſon, wenn ſie vor ſeinem Ehrentempel vor - bey getragen wird, allemal von dem Tragſeſ - ſel abſteigt. Wer ein Mandarin werden oder ein anders oͤffentliches Amt haben will, muß, den Lehrſaͤtzen des Confucius gemaͤß, vorher die Doctorwuͤrde annehmen. Seine Nach - kommen ſtehen noch bis auf den heutigen Tag in beſonderer Hochachtung, und genießen vor andern, und in gewiſſen Stuͤcken ſelbſt vor den Prinzen von Gebluͤt, große Vorzuͤge, indemſie287ſie nemlich von allen Abgaben an den Kayſer befreyt ſind.

Wir haben bereits oben erwaͤhnt, daß die Vornehmen und Gelehrten in China, ſich zu der Secte des Confucius bekennen. Selbſt der Kayſer mit ſeinem ganzen Hofe bekennt ſich zu derſelben. Die Grundſaͤtze dieſer Religion ſind aus dem natuͤrlichen Lichte einer nachdenkenden und geſunden Vernunft, und aus der natuͤrlichen Religion gezogen, welche ſchon lange vor dem Confucius in China gebluͤ - het hatte. Aus dieſem nun, richtete er ein eignes Lehrgebaͤude auf, das in folgenden Pun - cten aus einander geſetzt werden kann.

Man muß dasjenige, was wir bey dem Menſchen Vernunft heiſſen, als einen goͤttli - chen und himmliſchen Ausfluß betrachten.

Was mit der Natur und der geſunden Vernunft uͤbereinſtimmt, heißt ein Geſetz. Und da die Menſchen das Geſetz durch Einge - bung bekommen haben; ſo iſt es auch ein Ge - ſchenk des Himmels.

In der Natur ſind die Leidenſchaften ver - borgen; und die Vernunft muß dafuͤr ſorgen, ſie zu baͤndigen.

Wenn ein Menſch in demjenigen Alter iſt, worinn er ſeine Vernunft ſchon gehoͤrig gebrauchen kann: ſo muß er ſich in allen Vor - fallenheiten nach folgenden drey Stuͤcken rich - ten. Erſtlich, muß er gegen den Urheber ſei - nes Daſeyns eben die Pflichten erfuͤllen, die ervon288von ſeinen eignen Kindern verlangt. Zwey - tens, muß er gegen den Fuͤrſten eben die Treue, und den Gehorſam beweiſen, die er auch ver - langen wuͤrde, wenn ihm andre unterthaͤnig waͤren. Drittens, muͤſſe ein jeder ſeinen Naͤchſten wie ſich ſelbſt lieben, und was er nicht wolle, das ihm andre thun ſollen, das ſolle er ihnen auch nicht thun.

Die zweyte Hauptſecte, die ſich in kurzer Zeit in China weit ausbreitete, war die Secte des Foe oder Fo. Der Urheber der Ein - fuͤhrung dieſer Secte, war der Kayſer Ming - ti, dem im fuͤnf und ſechzigſten Jahre nach Chriſti Geburt traͤumte, daß Confucius vor - mals geſagt habe, man muͤſſe den wahren Heiligen im Abendlande ſuchen. Dieſer Traum kam dem Kayſer wichtig vor, und er be - fahl ſo gleich, daß einige geſchickte und erfahr - ne Maͤnner nach Indien gehen, und ſich er - kundigen ſollten, wer dieſer Heilige ſey. Dieſen Abgeordneten ertheilte er auch zugleich den Be - fehl, daß ſie ſich auf das genaueſte nach den Lehren und deſſen Perſon erkundigen ſollten Dieſe Ge - ſandten, welche nicht weiter bis nach Indien kamen, glaubten, dieſen Heiligen an dem Goͤ - tzen Foe gefunden zu haben. Sie kehrten al - ſo voller Freuden nach China zuruͤck, und brachten alle die Fabeln, womit die indianiſchen Buͤcher reichlich verſehen ſind, ihren Aberglau - ben, ihre Lehren von der Seelenwanderung und ihre Atheiſterey mit. Die Seuche, diezufoͤr -289zufoͤrderſt den ganzen kayſerlichen Hof anſteck - te, verbreitete ſich bald in allen Provinzen des Reichs.

Man erzaͤhlt von der Geburt und dem Wandel dieſes Goͤtzen Foe viel und mancher - ley erdichtete Dinge. Die Indianer be - haupten, daß ſein Vater, Namens In - ſang-wau, Regent und Koͤnig uͤber einen gewiſſen Strich Landes geweſen ſey. Seiner Mutter ſoll waͤhrend ihrer Schwangerſchaft groͤßeſtentheils getraͤumt haben, daß ſie einen Elephanten verſchlungen, und von einem boͤ - ſen Geiſte ſey geſchwaͤngert worden. Allein bey der Niederkunft dieſer Frau, bemerkte man keinen Elephanten, ſondern eine Menſchenge - ſtalt. Die Indianer erzaͤhlen ferner, daß er gleich nach ſeiner Geburt auf ſeinen Beinen geſtanden, und habe mit der einen Hand nach dem Himmel, und mit der andern nach der Erde gewieſen, und fuͤrnemlich dieſe Worte geſprochen: Weder im Himmel noch auf Erden kann und wird man jemanden finden, der wuͤrdi - ger waͤre, angebetet zu werden, als ich. Anfaͤnglich hieß er Che kia, oder Cha ka; als er aber im dreyßigſten Jahre von einer Gottheit erfuͤllt zu ſeyn vorgab, und viele es wuͤrklich glaubten; ſo bekam er den Namen Foe. Von dieſer Zeit an war er auf nichts anders bedacht, als das einfaͤltige Volk zu be - truͤgen, und ſich unter demſelben AnhaͤngerTzu290zu verſchaffen. Man hat in China eine große Menge Buͤcher, worinn ſeine Tha - ten beſchrieben, und trefflich von den Bonzen herausgeſtrichen worden. Es dauerte auch nicht lange; ſo erhielt er ſchon eine Menge An - haͤnger, bie ſich eifrigſt bemuͤheten, den ganzen Orient mit ſeiner Lehre anzuſtecken. Die Chi - neſer benamen ſeine Anhaͤnger Hochang: die Tatarn, Lamas; die Siamer Talapoins; die Japaner und Europaͤer, Bonzen. Foe begriff doch endlich, daß er ſterblich ſey, und in dieſem Stuͤcke vor andern Menſchen nichts voraus habe. Wie er alſo neun und ſiebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte, daß ſich ſeine Kraͤfte ſtark verminderten; ſo er - klaͤrte er ſeinen Schuͤlern, daß er ihnen bisher ſeine Lehren unter verbluͤmten und metaphori - ſchen Redensarten vorgehalten habe. Da er nun itzt die Welt verlaſſen muͤſſe; ſo koͤnne er ſich nicht enthalten, ihnen ſeine wahren Mey - nungen zu entdecken, und ſeine Geheimniſſe zu eroͤffnen. Wiſſet demnach, ſagte er, daß kein anderes Gcundweſen aller Dinge ſey, als das Leere und das Nichts; daß aus dieſem Nichts alles entſtanden; daß in dieſes Nichts alles verwandelt werde, und alle unſere Hoffnungen ſich in ein Nichts endigen.

Nach ſeinem Tode verbreiteten ſeine Schuͤ - ler ungemein viele Fabeln und Erzaͤhlungenvon291von ihm. So uͤberredeten ſie das leichtglaͤubige und einfaͤltige Volk, daß ihr theurer Meiſter und Lehrer Foe acht tauſendmal gebohren, durch verſchiedene Thiere gewandert ſey, und ſich auch in Thiergeſtalten habe ſehen laſſen. Daher iſt es auch gekommen, daß die Thiere, deren Geſtalt Foe ſoll angenommen haben, an unterſchiedenen Orten oͤffentlich angebetet und verehrt werden. Man errichtete ihm eine unzaͤhlige Menge Altaͤre, Pagoden, Tempel u. ſ. w. worunter einige mit der groͤßeſten Pracht und aͤußerſten Verſchwendung aufge - bauet ſind. Die Bonzen, welche ſeine Prie - ſter wurden, ruͤhmten dem Volke ſo viel Gu - tes von ihrem Gotte vor, erzaͤhlten ſo viel von ſeinen vorgeblichen Wundern, daß ein je - der bald geneigt war, den Foe fuͤr einen Ge - ſetzgeber der Menſchen, und ihn fuͤr den ſicher - ſten Weg zur Gluͤckſeligkeit zu halten.

Wir muͤſſen hier kuͤrzlich von den beruͤch - tigten Prieſtern des Foe, den Bonzen, das Merkwuͤrdigſte und Intereſſanteſte erzaͤhlen, da ſie in China ſo viel Weſens und Aufſehens machen. Dem Aeußerlichen nach fuͤhren die Bonzen ein uͤberaus ſtrenges und hartes Le - ben, und geben dadurch vor, die Suͤnden der Lebenden zu verſoͤhnen. Sie legen ſich die beſchwerlichſten Bußen auf: haͤngen ſich unge - heure Ketten an, die ſie ſo ſehr an ihrem Koͤr - per befeſtigen, daß ſie ſich bey jedem Schritte,T 2den292den ſie thun, verwunden: zerſtoßen ſich den Kopf und die Bruſt ſo ſtark an Kieſelſteinen, daß das Blut zum Vorſchein kommt: halten an den Thuͤren ſtille, und rufen den Einwoh - nern zu, kommt alle, ſo viele eurer im Hauſe ſeyd, und ſeht zu, wie viel es uns koſtet, eure Suͤnden zu buͤßen. Fuͤr dieſe außerordentliche Pein, die wir eurentwegen freywillig unternehmen, koͤnnt ihr uns wohl eine kleine Gabe zufließen laſſen.

Bey aller dieſer ſcheinbaren Strenge wird doch dieß Handwerk der Bonzen ſo ſehr verach - tet, daß ſich nicht leicht ein Menſch von vor - nehmen Stande dazu entſchließt. Um dieſen Abgang, ſo viel als moͤglich, zu erſetzen, kau - fen die Bonzen junge Sclaven von ſieben bis acht Jahren, unterrichten ſie hinlaͤnglich in ih - ren Lehrſaͤtzen, und formiren aus dieſen ihre Moͤnche. Der groͤßeſte Theil derſelben ſind ſehr unwiſſend, und da ſie dieſe nicht zu allen Dingen gebrauchen koͤnnen; ſo muͤſſen ſie ſich auf das Betteln legen. Diejenigen aber, die einen offnen Kopf aͤußern, muͤſſen mit den Ge - lehrten Umgang ſuchen, und Gelegenheit neh - men, ſich durch dieſe bey den Vornehmen ein - zuſchmeicheln.

Die außerordentliche Begierde der Bon - zen, Allmoſen zu erhaſchen, macht auch, daß ſie ſich allezeit bereit finden laſſen, hinzugehen, wohinman293man ſie nur haben will, Verlangt man ſie in einer Geſellſchaft von Frauenzimmern; ſo nehmen ſie immer einen von den aͤlteſten ih - res Ordens mit. Sie begegnen dieſem mit auſ - ſerordentlicher Ehrerbietung, laſſen ihn in allen Stuͤcken den Rang, und unterſcheiden ihn durch eine beſondere Art von Kleidung. Man ſagt auch, daß ſie in Liebesangelegenheiten nicht ungeſchickt ſeyn ſollen. Sie machen ih - ren andaͤchtigen Frauenzimmern weis, daß, im Fall ſie den Schuͤlern des Foe ihre ganze Gewogenheit ſchenken, es ſich oft ereignete, daß der Gott ſelbſt, ohne ihr Wiſſen, ſie mit ſeinen ſanften Umarmungen beehrte. Oftmals verlangen ſie ſo gar Anſpruͤche auf ihre Jungfrauſchaft zu haben. Wißt ihr nicht, ſagen ſie, daß ihr mir ſchon die Ehe verſprochen habt, ehe ihr noch ge - bohren waret? Ein unerwarteter Tod verſtattete mir es damals nicht die Sa - che durchzuſetzen; und itzt will ich meine Anſprůche guͤltig machen. Hierdurch kommt es oft, daß die Bonzen Perſonen aus den angeſehenſten Haͤuſern auf eine ſchaͤndliche Art entehren, und ſie in die Nothwendigkeit verſetzen, ihren Unterhalt durch ein luͤderliches Leben zu erwerben.

Ehe die Bonzen jemanden in ihren Orden aufnehmen, muß ſich der Recrute zuerſt be - ſchwerlichen Proben unterwerfen. Der Lehr -T 3ling294ling muß ſich zufoͤrderſt den Bart und die Haare ein ganzes Jahr hindurch wachſen laſ - ſen. Er muß ferner in einer elenden Klei - dung vor allen Haͤuſern herum betteln, in ei - ner devoten Stellung gehen, und Lieder zu Ehren des Gottes, dem er dient, anſtim - men. Im ganzen Jahre darf er von keinem Thiere Fleiſch eſſeu. Er muß ſich ſo gar des Schlafens enthalten, und laͤßt er ſich von ihm uͤberwaͤltigen; ſo wird er durch Pruͤ - gel von ſeinen Obern, im Fall ſie ihn daruͤber ertappen, zum Wachen angehalten. Wenn er nun alle dieſe Pruͤfungen mit vieler Stand - haftigkeit ausgehalten hat; ſo wird er auf ei - ne feyerliche Art in den Orden der Bonzen recipirt. Alle Bonzen aus den benachbarten Kloͤſtern kommen zuſammen, werfen ſich vor dem Goͤtzenbilde des Foe nieder, und plau - dern unter Klockenſchalle eine Menge Gebete her. Indeſſen liegt der Neuaufgenommene vor der Schwelle des Tempels, und erwartet mit ſchmerzlicher Sehnſucht das Ende dieſer Cerimonien. So bald dieſe nun vorbey ſind; ſo holen ihn die Bonzen, fuͤhren ihn vor den Altar, ziehen ihm ſeine alten Kleider aus, und hangen ihm ein graues Kleid an, das mit einem Gurte zuſammen gebunden wird. Auf den Kopf pflegen ſie ihm eine pyramidalfoͤrmige Muͤtze von Pappe zu ſetzen, worauf ſie ſich dann mit einander herzlich um - armen.

In295

In gewiſſen Stuͤcken haben die Bon - zen mit unſern Moͤnchen und Nonnen viele Aehnlichkeit. Denn jene uͤberreden ſowohl als dieſe das Volk, junge Leute in ihren Or - den zu ziehen, ohne zu uͤberlegen, was die Welt aus einem ſolchen Muͤßiggange werden wuͤrde. Beyde, die chineſiſchen Bonzen, und europaͤiſcheu Moͤnche und Nonnen, ſind oft unſaͤglich mißvergnuͤgt, ſich zu der Parthey geſchlagen zu haben. *)Man kann hierbey noch beylaͤufig anmerken, daß es außer den Bonzen auch noch Bonzin - nen giebt. Dieſe Bonzinnen ſind Frauens - perſonen, welche gemeinſchaftlich in Kloͤſtern nuter einander leben, zu denen Niemand gelaſ - ſen wird. Ihre Beſchaͤfftigungen beſtehen im Dienſte ihres Goͤtzen und in Handarbeiten. Sie legen keine Geluͤbde ab; ſie ſind alle, ſo lange ſie im Kloſter bleiben, zu aller Enthaltung verpflichtet. Diejenigen, welche dieß Gebot uͤbertreten, werden zuerſt auf das ſchaͤrfſte be - ſtraft, und in der Folge genoͤthigt, das Klo - ſter zu verlaſſen und ſich zu verheyrathen!

Was ihre Grundgeſetze betrifft; ſo behau - pten ſie, daß ihnen ihr Gott Foe fuͤnf Gebo - te hinterlaſſen habe; 1) man ſoll keine leben - dige Creatur toͤdten; 2) kein fremdes Gut an ſich zu bringen ſuchen; 3) ſich aller Un - zucht und Unkeuſchheit enthalten; 4) nicht zuT 4luͤgen,296luͤgen, und endlich 5) keinen Wein zu trin - ken. Fuͤrnehmlich dringen ſie in ihrer Sittenlehre auf die Ausuͤbung gewiſſer Wer - ke der Barmherzigkeit, auf Erbaunng der Tempel zu Ehren des Foe, auf Erbauung der Kloͤſter fuͤr die Bonzengeſellſchaft, und fuͤr ihre Unterhaltung zu ſorgen. Um dieſen Zweck zu erreichen, bedrohen ſie das Volk, daß derjenige, welcher laſterhaft gelebt, nach ſeinem Tode, dafern er ſich in dieſen Pflichten ſanmſelig bewieſe, in den Leib gewiſſer Thie - re ziehen wuͤrde. Ueberhaupt thut die Lehre von der Seelenwanderung, welche die Chi - neſer angenommen haben, bey den Betruͤge - reyen der Bonzen, das Vermoͤgen der Ster - benden an ſich zu ziehen, und ihre eigne Einkuͤnfte zu vergroͤßern, ganz wunderbare Wuͤrkungen. Man erzaͤhlt, daß die Bonzen einmal einer Bauersfrau drey große Enten unter dem Vorwande abgeſchwatzt haben, ſie wuͤßten, daß die Seelen ihrer Vaͤter in den Leibern dieſer Thiere waͤren, es ſey des - wegen Jammer und Schade, ſie zu verkau - fen und zu ſchlachten. Dieſe Frau, dar - uͤber ganz beſtuͤrzt, uͤberließ ſie den Bonzen, welche ihr verſprachen, die Enten zu fuͤttern, und beym Leben zu erhalten. Aber die Bon - zen ſchlachteten ſie noch denſelben Abend, und fuͤtterten ſich ſelbſt damit.

Die297

Die dritte Hauptſecte der Tao Sſee oder der Lehrer des Geſetzes, hat den Welt - weiſen Lao kiun zum Erfinder und Stif - ter. Seiner Lehre iſt es in gewiſſer Abſicht ergangen, wie den Lehren des Epicurs, in - dem beyde von ihren Schuͤlern in einem falſchen und verkehrten Lichte ſind vorgeſtellt worden. Lao kiun ſetzte die menſchliche Gluͤckſeligkeit in das Empfinden einer ſanf - ten und ſtillen Wolluſt, welche alle Ver - richtungen der Seele ruhen laͤßt. Und aus dieſem Grunde nun, affectiren die Anhaͤn - ger ſeiner Lehre eine ſolche Ruhe, dadurch die ganze Geſchaͤfftigkeit der Menſchen auf - gehoben wird. Da aber dieſe Ruhe, durch den Gedanken an den Tod, ſehr geſtoͤhrt wird; ſo haben ſie ſich die Muͤhe gegeben einen Trank der Unſterblichkeit zu erfin - den. Viele einfaͤltige Menſchen, durch die Hoffnung geſchmeichelt, dem Tode zu ent - gehen, bekennen ſich zu dieſer Secte: ja ſo gar der Kayſer Tſin Chi hoangti, der bekann - termaßen ein geſchworner Feind aller Gelehr - ſamkeit war, und der Kayſer Vou ti, nah - men die Lehren dieſer Secte an.

Die aͤchten Buͤcher des Lao kiun ſind mit einer geſunden nnd wahrhaftig philoſo - phiſchen Sittenlehre angefuͤllt. Sein groſ - ſes und wichtiges Werk beſteht aus fuͤnf - tauſend Spruͤchen, von velchen ſehr vieleT 5fuͤr -298fuͤrtreffliche Sachen enthalten. Heutiges Ta - ges haben die Schuͤler und Nachfolger die - ſes Philoſophen nichts als Sterndeuterey und magiſche Traͤumereyen in den Koͤpfen: geben ſich damit ab, zukuͤnftige Dinge vor - her zu ſagen: mahlen allerley Figuren aufs Papier, und begleiten alles dieſes mit ei - nem ſchrecklichen Lerm uud Geheule. Zu - weilen geſchieht es zufaͤlligerweiſe, daß ihre Prophezeyungen eintreffen, und daher kommt es, daß ihre Secte noch immer Anhaͤnger findet. Allein die Gelehrten in China be - trachten doch immer dieſe Secte mit eben dem Auge, und aus eben dem Geſichtspun - cte, wie wir bey uns die Marktſchreyer und dergleichen, anſehen.

Dieß ſind nun die drey fuͤrnehmſten Re - ligionsſecten, die in China geduldet werden. Es wuͤrde zwar nicht uͤberfluͤßig geweſen ſeyn, wenn wir uns in eine naͤhere Ausein - anderſetzung der Lehren dieſer drey Secttn eingelaſſen haͤtten; aber die Abſicht dieſes Werks verſtattet es nicht, zudem, da der Le - ſer hoffentlich aus dem Erzaͤhlten, eine jede Secte hinlaͤnglich wird kennen lernen. Indeſſen aber muͤſſen wir hier noch einige Anmerkungen beybringen, die die Neigung der Chineſer zum Aberglauben betreffen. Alle Chineſer, ſie moͤgen ſich zu einer Se - cte bekennen, zu welcher ſie wollen, ſindauf299auf Hexerey aͤußerſt erpicht, zu allen Arten von Wahrſagereyen geneigt, lieben Beſchwoͤ - rungen, Zaubereyen, Erſcheinugen u. ſ. w. Noch bis itzt, haben ſie, weder die wuͤrcklich guten Lehren des Confucius, noch auch ihre eingebildetn Gelehrſamkeit, die ſie doch vor allen anderu Nationen behaupten, dahin ge - bracht, ihnen ihre ungereimten Vorſtellungen aus ihrem Gehirm zu vertreiben. Verſchie - dene Secten unter ihnen erweiſen noch der Sonne, dem Monde, Planeten, Fluͤſſen u. ſ. f. eine gewiſſe Art von goͤttlicher Eh - re, richten auch wohl den Seelen ihrer Ver - ſtorbenen zu Ehren Bildſaͤulen, Altaͤre und Tempel auf, wozu ſie durch die Vorſtellung, daß die Seelen ihrer verſtorbenen Anverwandten allezeit gegenwaͤrtig waͤren, und auf ihre Hand - lungen achteten, bewogen worden: welches frey - lich mehr zu einem tugendhaften Leben un - ter ihnen beytraͤgt, als alle die ſchoͤnen Re - geln des Confucius nur immer zu thun ver - moͤgend ſind. Eben dieſe Art von An - betung und Verehrung erweiſen ſie, nur in einem hoͤhern Grade, den verſtorbenen Kay - ſern, großen Philoſophen, und uͤberhaupt ſolchen Perſonen, die ſich um das Vater - land vorzuͤglich verdient gemacht haben. Die - ſen bauen ſie Tempel, Triumphbogen und dergleichen auf. Der unzeitige Eifer der catholiſchen Miſſionarien hat hierdurch ei -nen300nen Streit erregt, der vieles zu ihrer Un - terdruͤckung beygetragen hat.

Die uͤbrigen Religionen, die in einigen Provinzen von China eingefuͤhrt oder gedul - det ſind, ſchraͤnken ſich auf die Mohamme - daniſche Religion, das Chriſtenthum und Judenthum ein. Die Anhaͤn - ger des Mohammeds haben ſich ſeit vielen Jahrhunderten, in verſchiedene Gegenden des Reichs, und ſonderlich in die Pro - vinz Kiang-Nan eingeſchlichen. Weil ſie in Glaubensartikeln Niemand beunruhigen, auch Niemand uͤberreden, ihren Glauben anzunehmen; ſo laͤßt man ſie ebenfalls bey Ausuͤbung ihres Gottesdienſtes in al - ler Ruhe. Hierzu traͤgt ſonder Zweifel die geringe Anzahl der Mohammedaner ſehr vieles bey, (denn nach Duͤ Haldens Be - richte belaͤuft ſich die Anzahl derſelben nicht auf fuͤnf bis ſechs tauſend Familien) zu - dem auch, weil ſie uͤberall in den Provin - zen zerſtreut herum leben, und groͤßeſten - theils als Handwerker, Kuͤnſtler, und uͤber - haupt als geringe und ſtille Leute bekannt ſind. Bey allem dem aber, werden ſie doch auch da, wo ſie die groͤßte Figur ma - chen, von den Chineſern verachtet, verſpot - tet, und oftmals gemißhandelt. Ueberhaupt ſcheint es, als wenn der chineſiſche Poͤbel die Mohammedaner nicht leiden koͤnne, unddaß301daß ſie, ohngeachtet die Obrigkeit es ernſt - lich verbietet, manchmal die Moſcheen derſel - ben in aller Stille einreiſſen.

Es iſt eine ſehr ſtreitige Frage unter den Gelehrten: wenn und zu welcher Zeit das Chriſtenthum zuerſt in China Fuß gefaßt habe? Wir wollen aber an derſel - ben hier keinen Theil nehmen, und dem Le - ſer nur ſo viel davon ſagen, als man mit Gewißheit behaupten kann. Man weis, daß die erſten Jeſuiten, welche ſich ohnge - faͤhr in der Mitte des ſechszehnten Jahr - hunderts in dieſe weitlaͤuftige Staaten wagten, darinn nicht die geringſte Spur vom Chriſtenthum fanden, ſondern tiefen Aberglauben und Abgoͤtterey allenthalben herrſchten. Vielleicht koͤnnte man hieraus leicht beweiſen, daß das Evangelium die - ſer Nation niemals verkuͤndigt ſey. Man fuͤhrt indeſſen Denkmaale an, woraus man gerade das Gegentheil beweiſen will. Allein dieſe Muthmaßungen, an den im Grunde nichts gelegen iſt, in ein gehoͤriges Licht zu ſetzen, uͤberlaſſen wir ſolchen, denen daran vorzuͤglich gelegen iſt. Was ſich mit meh - rer Gewißheit ſagen laͤßt, beſteht darinn: daß ein gewiſſer Xaverius, in Anſehung ſeiner Reiſe nach China einigermaßen gluͤck - licher, als Moſes bey dem Lande Canaan geweſen ſey. Dieſer konnte nur das Landder302der Verheiſſung von weitem ſehen: da hin - gegen Xaverius das Vergnuͤgen hatte, wuͤrklich nach China, oder zum wenigſten nach einer kleinen Inſel, Namens Sancian oder Shang-chewen-ſhan, zu kom - men. Unter allen den Miſſionarien, welche nach dem Xaverius nach China ge - reiſt ſind, wird vorzuͤglich ein gewiſſer Je - ſuit, Namens Ricci, geruͤhmt, den man fuͤr den Stifter der Miſſion haͤlt: ein Pater Schall, welcher anfaͤnglich Lehrmei - ſter eines gewiſſen Kayſers wurde, nachher aber eine anſehnliche Staatsbedienung beklei - dete; der bekannte Pater Verbieſt, wel - cher ebenfalls ein großer Herr in China wurde; die Patres Bouvet und Gervil - lion, beyde geſchickte Mathematiker und Freunde des Kayſers Kang-hi. Man kann bey allen dem, was man von dieſen beruͤhmten Leuten erzaͤhlt, nicht genug be - wundern, mit welcher Geſchicklichkeit dieſe Miſſionairs, eben ſo eifrig, als klug, eben ſo fromm, als in den Wiſſenſchaften, der Sternkunde, und den mechaniſchen Kuͤnſten, bewandert, ſich bey den Großen beliebt zu machen, und die Gnade der Kayſer ſich zu verſichern gewußt.

Dieß gelang anfaͤnglich dem Vater Ric - ci vorzuͤglich, welcher auch alle Gelegenheit ergriff, ſich am Hofe zu Peking einzuſchmei -cheln,303cheln, und mit dem Kayſer ſelbſt bekannt zu werden. Ihm gieng auch alles gluͤcklich von ſtatten*)Die Miſſionsgeſchichte dieſes Paters Ricci hat in der That ſo viel Frappantes, daß es wohl der Muͤhe werth waͤre, wenn der Leſer hieruͤber den Le Compte und Mar - tini nachleſen wollte. Er mußte, ehe er ſeine Abſichten erreichte, viele Schwuͤrig - keiten und Hinderniſſe uͤberwinden. Seine Geſchenke aber befoͤrderten ihm zu ſeiner Ab - ſicht, darum er ſich ſo viele Muͤhe gegeben. Duͤ Halde erzaͤhlt, daß er dem Kayſer ein Geſchenk mit einem ſchoͤnen Gemaͤhlde unſers Heylandes, und mit einem Gemaͤhlde der Jungfrau Maria, und mit einer praͤchtigen Uhr gemacht habe. Der Kayſer ſoll dieſe Geſchenke ſehr bereitwillig angenommen, und die Gemaͤhlde auf den Ehrenplatz im Pal - laſt geſetzt, und zur Verwahrung der Uhr ei - nen ſchoͤnen Thurm aufgebaut haben. und kam in das groͤßeſte Anſehen am Hofe. Er und ſeine Gehuͤlfen erhielten die Erlaubniß, ſich in Peking nie - der zu laſſen. Mehr als einer von ihnen hatte ſeine Wohnung in dem kayſerlichen Pallaſte. Ricci erwarb ſich bald, we - gen ſeiner Geſchicklichkeit in der Mathematik, und der koſtbaren und angeſehenen Geſchenke, die er dem Kayſer uͤberreichte, allgemeine Hochachtung. Seine Wohnung war gleich - ſam ein Sammelplatz gelehrter und ange -ſehe -304ſehener Maͤnner! Ricci verband mit ſeiner Gelehrſamkeit viele Weltkenntniß, und wuß - te die Zeit recht gut abzuwarten, wann er ſeine Abſichten vollfuͤhren wollte. So bald er ſah, daß er ſich der Gunſt des Kayſers vergewiſſert wußte; ſo fieng er auch an, das Chriſtenthum in Peking maͤchtig anszu - breiten. Seine Arbeit war auch nicht oh - ne gluͤcklichen Erfolg. Es dauerte nicht lange; ſo hatte er viele, und zum Theil an - geſehene Leute bekehrt. Die Anzahl der Neu - bekehrten war ſchon ſo ſtark angewachſen, daß ſie Kirchen und Bethaͤuſer aufbauen konnten.

Man kann leicht denken, wie die Bon - zen bey dieſem gluͤcklichen Fortgange ihre Stirnen moͤgen gerunzelt baben. Sie wand - ten alle Mittel an, dem Ricci Einhalt zu thun, ſchlugen aͤrgerliche Pasquillen am Pallaſte des Kayſers an, worinn ſie dieſen beſchuldigten, daß er ſeine alte Religion changirt, und ein Befoͤrderer der ſchaͤndli - chen und gefaͤhrlichen Arbeit des Ricci ge - worden ſey. Indeſſen aber mußten die Urheber dieſes Pasquills ihren Kopf ein - buͤßen; und Ricci hatte das Vergnuͤgen, daß er, ohngeachtet ſeines vielen Wider - ſtandes, dennoch ſiegte. Kaum war Ric - ci geſtorben, und der Pater, Adam Schall, zum Lehrmeiſter des jungen Kay -ſers305ſers erklaͤrt; ſo uͤberreichten die Bonzen dem Regenten eine Bittſchrift gegen ihn und ſeine Bundesgenoſſen, woruͤber eine grauſa - me Verfolgung erhoben wurde. Schall wurde dazu verdammt, daß er ſollte ſtran - gulirt werden. Dieſe Todesſtrafe ſchien den meiſten aber noch nicht hart genug: es wur - de alſo ausgemacht, daß er auf oͤffentlichem Markte in viele tauſend Stuͤcke zerriſſen wer - den ſollte. Hier hoͤre man, wie abge - ſchmackt ſich Duͤ Halde bey dieſer Erzaͤh - lung auffuͤhrt! Wir wollen ihn ſelbſt hoͤren: Wie dieß grauſame Todesur - theil, ſagt er, den Prinzen von Geblůt und den regierenden Mandarinen zur Unterſchrift und Beſtaͤtigung vorge - tragen wurde; ſo gefiel es dem All - maͤchtigen, ſich auf eine beſondere und ganz außerordentliche Art ins Mittel zu ſchlagen. Denn ſo oft ſie es verſu - chen wollten, die Eingabe oͤffentlich vorzuleſen; ſo erſchuͤtterte der Saal vom Erdbeben mit ſolcher Heftigkeit; daß ſie ſich alle aus demſelben wegbegeben mußten, um nicht unter den Ruinen ver - ſenkt zu werden. Worauf ſie denn auf die Gedanken geriethen, daß das Ur - theil wider den Adam Schall ungerecht ſeyn muͤßte. Ein noch immer anhal - tendes Erdbeben, und ein Feuer, das den groͤßeſten Theil des Pallaſtes ver -Uzehr -306zehrte, nebſt noch vielen andern Wun - derzeichen zeigten den Richtern deut - lich, daß ſich der Himmel ſelbſt fuͤr den armen Pater intereſſire, worauf denn dem Pater befohlen wurde, ſich bis auf weitern Befehl an ſeinen Ort zu begeben. *)Was meynt der Leſer hiezu? Das heißt mir eine recht meiſterhafte Erzaͤhlung! Aber man muß ſich hieruͤber nicht wundern. Vater Duͤ Halde bringt dergleichen Schnur - ren, wo er nur kann, immer an; und es waͤre zu wuͤnſchen, daß er mit dergleichen Din - gen ſeine, ſonſt ſchaͤtzbere Reſebeſchreibung, nicht beſudelt haͤtte.

So viel kann man im Ganzen anneh - men, daß die Ausbreitung der chriſtlichen Religion wuͤrde gluͤckliche Schritte gemacht haben, wenn die Miſſionairs ſelbſt unter einander einig geweſen waͤren. Allein in kurzer Zeit warf der Geiſt der Zwie - tracht der in Europa Leute von Koͤpfen und großer Gelehrſamkeit ſo bald verunei - nigt auch in China die ausgedachte - ſten Entwuͤrfe uͤber den Haufen. Wahr iſt es, wie bereits ſchon erwaͤhnt, die chriſtliche Religion hat die heftigſten Ver - folgungen in China erdulden muͤſſen. Aberdie307die Streitigkeiten haben in der That der Fortpflanzung des Chriſtenthums am mei - ſten geſchadet. Ein Arbeiter am Evange - lio beklagte ſich uͤber den andern, ſo daß ſie alle uͤber alle klagten. Ihre unnuͤtzen Zaͤnkereyen, die vielleicht durch den Neid entſtanden, brachen bey Gelegenheit gewiſſer Cerimonien, und bey der Verehrung aus, die man nach dem Tode gewiſſen großen und verdienten Maͤnnern erwies. Einige von dieſen Gebraͤuchen waren allerdings aber - glaͤubiſch, und konnten von Chriſten ſchlech - terdings nicht geduldet werden; die meiſten aber konnten als politiſche und unbedeuten - de Anordnungen ſehr wohl gelitten werden. Die Jeſuiten dachten in dieſem Puncte billig genug, woruͤber aber die Dominica - ner und Franciſcaner bey dem heiligen Stuhl in Rom die groͤßeſten Klagen fuͤhr - ten. Die Jeſuiten, welche am Hofe zu Peking ihren großen Anhang hatten, brach - ten es ſo weit, daß ſie einen umſtaͤndlichen Bericht der chineſiſchen Cerimonien auf Be - fehl des Kayſers durch zwey geſchickte Mandarinen aufſetzen ließen, und ihn an den Pabſt, um ſich zu purgiren, ſchick - ten. Der Bericht lautet von Wort zu Wort folgender Weiſe:*)Wir haben dieſen Bericht aus den jeſui -tiſchen Wenn dieU 2Chine -308Chineſer den Confucius verehren; ſo thun ſie dieß bloß, um dadurch die Hochachtung auszudrucken, die ſie ihm, ſeiner fuͤrtreffli - chen Lehre wegen, ſchuldig ſind. Und da ſie ſich zu ſeiner Lehre bekennen, wie koͤnnen ſie ihn denn beſſer ehren, als wenn ſie ſich niederwerfen, und den Erdboden vor dem beruͤhren, den das ganze Reich fuͤr ſeinen Lehrmeiſter erkennt? Was die Opfer und Gebraͤuche betrifft, die ſie zu Ehren ihrer Verſtorbenen feyern; ſo kann man dieſe nur als Beweiſe der Ehrfurcht und fuͤr ein Geſiaͤndniß anſehen, daß ſie noch als Haͤu - pter der Familie geſchaͤtzt werden. Die Bildſaͤulen, die ſie ihren Vorfahren zu Eh - ren aufrichten, zeigen nicht ſo viel an, als wenn ihre Seelen darinn wohnten, auch werden dieſe um nichts angerufen, ſondern ſie ſtellen nur Speiſe und Getraͤnke vor ih - nen hin, um dadurch zu bezeugen, wie ſehr es ſie ſchmerze, daß ſie ihres Umgangs muͤßten beraubt ſeyn. Was die Opfer anlanget, die die alten Koͤnige und Kayſer dem Himmel zu bringen pflegten; ſo ſind es ſolche, welche die chineſiſchen Philoſo -phen*)tiſchen Briefen entlehnt, welches mit dem harmonirt, was ein ungenannter Verfaſſer eines Werks, de cultu Sinenſium, Coloniae 1700. davon geſagt hat.309phen Kiaoche zu nennen pflegen,[die] Opfer, die dem Himmel und der Erde gebracht werden, wodurch ſie den Herrn des Himmels ehren! Und aus dieſer Urſache, fuͤhren auch die kleinen Gemaͤhlde, vor wel - chen geopfert wird, die Inſchrift: Shang - ti d. h. dem allerhoͤchſten Herrn, woraus ſattſam erhellet, daß ſie nur dem Herrn und Schoͤpfer Himmels und der Erden Opfer bringen. Und weil ihre Hochach - tung und Ehrerbietung gegen denſelben ih - nen nicht verſtattet, ihn bey ſeinem eigent - lichen Namen zu nennen; ſo rufen ſie ihn unter dem Titel an: hoͤchſter Himmel, guͤtigſter Himmel, allgemeiner Him - mel. Des Kayſers Kang-hi Genehmigung dieſes Berichtes, war ſo abgefaßt: Alles was in dieſer Schrift enthalten, iſt recht und der großen Lehre gemaͤß. Ein ge - meines Geſetz der ganzen Welt, iſt dieſes,[unſre] Schuldigkeiten gegen den Himmel, unſern Herrn, zu beobachten. Die in die - ſer Schrift befindlichen Dinge ſind ſehr wahr, und beduͤrfen keiner naͤhern Verbeſſe - rung.

Nach dem Tode des Kayſers Kang-hi mußten ſich die Miſſionairs alle aus dem ganzen Reiche entfernen, und durften ſich nur allein zu Canton aufhalten. Man behielt nur einige Jeſuiten, die ſie wegenU 3ihrer310ihrer mathematiſchen Einſicht nicht entbeh - ren konnten. Man begegnete ihnen mit moͤglicher Achtung. Sie durften von al - len Dingen, nur nicht von Miſſionair - ſachen reden. Es wurden mehr als drey - hundert Kirchen theils niedergeriſſen, theils zum anderweitigen Gebrauch beſtimmt. Mehr als dreymal hundert tauſend Chriſten wur - den ihrer Prieſter beraubt, und der Verfol - gung ausgeſetzt.

Dieß war viele Jahre lang die trauri - ge Lage des Chriſtenthums in dieſem weit - laͤuftigen Reiche. Die Jeſuiten haben es doch zuletzt wieder ſo weit gebracht, daß ſie, ſelbſt in der Hauptſtadt, eine Kirche auf - bauen duͤrfen. Und ohngeachtet die chriſtli - che Religion in China gegenwaͤrtig verbo - ten iſt; ſo wagen es die Miſſionairs doch, ob - gleich mit noͤthiger Behutſamkeit, in ihren Haͤuſern, ja ſelbſt außer denſelben, ihrem Amte vorzuſtehen. Die Regierung ſieht ih - nen hierbey durch die Finger, und ſtellt des - halb keine weitere Unterſuchung an. Was die gegenwaͤrtigen Miſſionairs in den Pro - vinzen betrifft; ſo muͤſſen dieſe freylich mehr Vorſicht gebrauchen, als die in der Haupt - ſtadt. Indeſſen ſchaffen ſich dieſe an den Orten ihres Aufenthalts unter den Großen Schutz, und koͤnnen mit Sicherheit ihre Be - rufsgeſchaͤffte abwarten

Was311

Was das Judenthum in China be - trifft; ſo iſt ſehr wahrſcheinlich, daß es da - ſelbſt ſich ſehr fruͤhzeitig auszubreiten geſucht hat. Aber ſie leben auch hier, wie uͤberall, ſehr zerſtreut. Die Anzahl derſelben iſt ſehr geringe, und geben hier weiter nichts als Maͤckler ab.

Ende des erſten Theils.

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About this transcription

TextCharacteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen
Author Johann Friedrich Poppe
Extent338 images; 60970 tokens; 9871 types; 430745 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationCharacteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen Concentrirt und historisch richtig dargestellt Erster Theil Johann Friedrich Poppe. . [8] Bl., 311 S. MeyerBreslau1776.

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Wissenschaft; Gesellschaftswissenschaften; core; ready; china

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